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Full text of "Velhagen & Klasings Monatshefte Jg 32.1917-18, Band 2"

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THE UNIVERSITY 
OF ILLINOIS 


LIBRARY 
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Bu berieben durch alle Buchhandlungen und poft 
bien, In der eitungspreisiiße ber beati 

Reldspoh unter gen È Riafings Monatöbelte‘ 
eingetragen. Das erjte Sch (September) tann 
fenus bur) die oit: A nitalten en werben. 
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meiner Heinen Stadt. Gine a 
| Mmoollenbete Romanhaljte. Bon 2 
Hermann geil, .. . S 
‘tt alte Menges, Ballade von 5 
ear von wetiepigg..... . 12 3 
Die Abwehrſchlachten in der Š 
Champagne und an der : 
isne. Mierzehn Bilder (in : 
ilebrud) und Text von Š 
KaR Vollbehr, Kriegsmaler : 
| bet — des deut⸗ i 
1 us. $ 
Rovalis und feine Zeit. Bon : 
: wo 3. Bieffer. Mit einem : 
ins des Dihters . . . . 29 $ 
PP Hainhofer in Augs: S 
ug Cin Kaufmann, Kunit- x 
freund und diplomatijher Agent : 

e 17. Jahrhunderts, Bon Dr. : 

y Adolf Srüning. Mit vier: E 
m Abbildungen. . . . . . Š 
wet Shug auf dem Bardan: : 
n. Eine Erzählung aus Alba: S 


13 


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von Borwin Garlis. . 46 
ird Bon Prof, Dr. Mariin 
| Sittusbilper 3. a 


Ider. Neun Gemälde von 
pen Ojfwald in Fatfimiles 
og E Text von Dr. Raul 
` 9 eig m oe D D . D D e e 
1 wl Daite Fräulein. Gr 
: C s griebrid Fretja. 

Eas Da T E... Sh 
F * breibtiih und aus der 
} erkitatt: Künftlertraum. Gil: 
y Mller 1917. Bon Prof. Jo: 
: gines Gos . EM... 
H E ts} pend Ron Hans 
d Neues dom B D e d D . e e 
i we üd)ertijd) Von 
E Karl Gtreder i ‚a MEE 
merte Rundfdan: Ein 
And: Fund im Schlofie zu 
x — Kriegstagebücher von 

LM Solibehe und Prof. Max 


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Seite 
Slevogt — SHolabildwerfe von 
Stanislaus Hell — Feitichrift zum 
Banden Beitehen des Berliner 
Runitgewerbe: Diujeums: Berliner 
Gilentunitgug. Bon Hermann 
Sn — Zu unjern Bildern . 100 


Sunitbeilagen : 


„Es wird gefdafft...! Bild: 
nis eines U:Boot:Viannes. (Be: 
mälde von Prof. Wrnold Bud. 
affimileorud . . . . Titelbild 
Gelbe °Wjtern. Gemälde von 
Carl Piepho. Fatlimiledrud 8—9 
ZBájderinnen am Tiberftrand. 
Bemälde von Franz Dreber. 
afjimiledrud . . . 43—49 
ilbnis einer jungen Frau. 
"Gemälde von Rudolf Helle, 
Fakſimiledruck . . 56—57 
Bodjprünge. Gemälde von Proj. 
Hanns Pellar. Fakjimiledrud 83—89 
Bildnis einer Dame. Gemälde 
von Helene von der fechas 
Taklimiledrud . . . . . 96—97 


(Finidjaltbilber : 


In den Dünen. Gemälde von 
Prof. Robert Poekel berger. 
Tondrud . 59— 

Schloß Hartenfteinin Gadjen. 
Künjtleriihe Aufnahme von 
Ernit ——— in Zwickau. 
Tondruck . . 60—61 

Bildnisbiijte in Gijen. Bon 
Hans Schwegerle. Tondrud 64—65 

Hausquartett.  Stabterung von 
Prof. Ulex Edener . . . 72—73 

Rrtegswinter. Gemälde von 
Hans Baluj det. Tondrud 80—81 


Selbjtandiges Textbild: 


General ber Sjnfanterie Otto 
von Below, der Führer der 
deutichen Armee gegen Italien. 
a von — PIERRES 

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Umjdlagzethnung und Buchſchmuck von 
Seinrid) Wieynd in Dresden. 


Snjerate : 


Morderer WUngeigentetl . . 1-8 
Darunter folgende Sonderabteilungen: 
Tidterpenjionate 4 
lnterridtsanitalten 4 
SEtLAuBalen- Ae. e x D 
Hotels. 5 
MWinterjport u. Wintertur 5 

1 


Anzeigenteilam Schluß. 


Daran [ 


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32 Jahrg./ Januar 1918 / 5 heft 


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77Iſſer werden nicht alt. So wohl ber 
XN 2 Notar Trefz mit feinen jechzig 
b EN): a pel s unb jo febr er am 
BAZ eben bing, eines Mittags im Mai 
de traf ibn der Schlag, und am nad 
Fi Ben Morgen trug ſchon der Leichenbitter 
~ s Mit feinem Gebilfen bie Nachricht von feinem 
4 Lode durch die eritaunte Stadt. „Sa lieber 
Bott, ber Trefz,” hieß es überall. „Man 
darf bod) feinem mehr trauen. Überhaupt, 
—bie alten guten Bürgersleute fterben halt 
—--- allmablid) weg, erft voriges Sage nod) der 
— "Gdiffirt, und jegt ber Notar Trefz!“ 
=; Un diejem Vormittag hatte es die Witwe 
nicht ruhig. Zwei alte Freundinnen, bie ihr 
T beizuftehen gefommen waren, brachten bie 
-bergagte Frau burd) die Aufzählung aller 
EU pidum den unb alles pelle was durch: 
aus nicht vergeflen werden 
` Od ung unb taten jelber wenig als reden 
und trólten. Und eben diefes wäre entbehr: 
> he gewejen, denn die Frau Notarin hatte 
—— Jemen Grund untröftlidy zu fein, und war 
E: ts. aud) niht. Aber fie war vom fchnellen 


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urfte, in Bers 


Erleben betäubt, von den plöglich erjtandenen 
P Bitwenpfücten und Trauerjorgen beängitigt, 
| und bewegte fih in der ungewohnten Frei- 
beit nur fchüchtern und traumbefangen, 
- indi end nebengu im Gchlafzimmer ihr 
Tyrann und Quälgeilt [tillelag, deffen Tod 
‚und AU ba Lona jie immer wieder fiir 
= Augenblide vergaß und deffen ‚ärgerlich bes 
fehlende Stimme wieder zu hören fie immer: 
i ~ guigewartig war. Erjdroden unb beflommen 
— $8 fie hin und wieder, und jo d es 

d m Haufe war, [dien es ihr bod) jeltfam 
CR zu fein. Der Notar war nicht leicht ge 

| Porben. Mls ein frájtiger und [tolagejinnter 
‘Menih, ber fein Leben lang befohlen hatte 


| sWelhagen &Riafings SRonatébefte, 32. Jahrg. 1917/1916. 2. Bd. 


bó Su - 


III 


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n einer fleinen Stadt 


3 ‚Eine unbollendere Romanhälfte. Bon Hermann Heffe 


3997 33333335 33333933333332?3?3?23332333?333?333333233?(393323333333333333333333033333333333?3?3333323332332?33??3330?33?? 32222329 


unb an gute Tage gewöhnt war, hatte er 
fih bem Tode niht ohne Grol und Fluden 
ergeben und war [djlieBlid) in wahrer Ber» 
zweiflung geftorben, da er nicht einjab, warum 
er nun, wo die wahrhaft guten Zeiten ber 
Altersrube bevorftanden, mitten aus feinem 
Leben und Befig hinweg folle. Obwohl E 
laute Stimme jdjon gebrochen unb fein Blid 
won getrübt war, hatte er bis gum legten 
ugenblid gezürnt und gejcholten unb fein 
Weib für alles verantwortlich gemati. 
Im Erdgeſchoß bes zweiltödigen jchönen 
aujes war es feierlich Dm Dort lag bie 
mtsftube bes Berjtorbenen, bie nun ges 
ſchloſſen war, und der Gebilfe und ber 


Lehrling gingen in Gonntagstleidern, ver: 
legen » oh über den unerwartet einge: 
eiertag, in ber Stadt |pagierer. 


BON EDEN 
te ganze Stadt wußte nun von bem 
Todesfall, und wer über ben oberen Markt 
ging, unterließ es niht, aufmerflam und 
neugierig nad) bem Trauerhaufe zu jchauen, 
bas feit Jahrzehnten dajtand und bas alle 
taujendmal gejehen hatten und an dem heute 
bod) jeder einen Schein von Ungewohntem, 
von Seierlichkeit und großem Ereignis wahr: 
nefinen fonnte. Sym übrigen war an bem ` 
Haufe nichts Auffallendes zu bemerken als 
bie gejchlofjenen Laden bes Erdgeicholles, 
die thm etwas halbjichlafend Conntáglid)es 

aben. Die helle, beinahe jommerliche Sonne 
bien flar und weiß auf ben Marftplag unb 
auf bie Häufer, auf bie Brunnen und Bante, 
und malte treulid) neben jeden Fenfterladen, 
neben jede 3Bortreppe, jedes Scharreijen einen 
Heinen Schatten. Der große $ in 
hund von ber oberen Apothete hatte jeinen 
vornehmen Blak neben bem alten, vorge» 
neigten Prelljtein an ber Marltede inne, an 


Nahdrud verboten, Copyright 1917 by Belhagen A Kiafing 1 





2 


den Laden bes Buchhändlers und des Huts 
machers waren bie neumobijdjen Martijen 
sa a eb 0d) vom Bühel herab aus ben 
Schulhäufern Hang Rnabengejang dünn und 
leicht durch die fröhliche Luft. 
egen Mittag, nod) ehe die Schulen fic 
aujtaten und den jonnigen, ftillen Plak Ober: 
fluteten, fam um die Ede vom Flujje ber 
ein Mann oder Herr in gutem Anzug mit 
einer hellbraunen £eberta|dje in der Hand 
in rubigem Schritte gegangen, [djaute blin: 
zelnd den lichten Blas PEE rüdte |pielenb 
am [teifen Hute unb ſchritt jicher über den 
angen Markt bem Trefgijden au u, 
in Dellen Tor er peridjmanb. Im kühlen 
lur rüttelte er an beiden Türen und [djien 
ürgerlid) darüber, daß feiner ber Angeftellten 
ba war. Tann Dien er raih die Treppe 
empor, läutete an der Blastüre und trat, 
als ibm aufgemadt war, fogleidy ins Wohn» 
zimmer, bas eben erft von den beiden Trijtes 
rinnen vetlajjen war. (Gr nahm den Hut 
vom blonden Ropfe, blidte um fih und rief: 
„Mama, wo but bu denn?“ 
„Bleich, gleich!“ rief fie von Hinten ber. 
„Ad grüß’ Gott, Hermann!“ 
„Brüß’ Gott.“ 
Er nahm die Hand, bie fie ihm entgegen 
e[tredt batte, und nad) einem verlegenen 
uten — er mit veränderter, leiſer 
timme: „Xebt er noch?“ 
_ Die Frau, bie [eit dem frühen Morgen 
im Zeuge und nod zu feinem Geufzer ge: 
tommen war, fant plötzlich auf einen Gejlel, 
brad in Tränen aus und jchüttelte den 
Heinen Kopf. Verwirrt und etwas unmutig 
tat der Eohn ein paar Schritte. Die Frau 
war fchnell wieder aufrecht. 
„Willſt du zu ihm?” fragte fie. 
„Nachher. Wann ift er bent — —?“ 
„Heut nadt, oder eigentlich, es war jhon 
Morgen.“ Und da fie ihn ärgerlich werden 
jah, fügte fie jdjnell hinzu: „Ich habe bir 
gleih nochmals telegraphiert.“ 
‚„Eo jo," jagte er. „Sa, ih will einmal 
hinüber geben. Ift er im Schlafzimmer?“ 
Cie ging mit ihm, und als fie bas per: 
dunfelte Schlafzimmer betraten, nahm fie 
ne Hand. Leiſe führte fie d zu des 
aters Bette, wo er jchweigend |tehenblieb, 
und jtieß alsdann einen GFenfterladen auf. 
Da fam ein Streifen von goldenem Tages: 
lit in bie Tüjiernis und Idien bis aum 
Lager des Toten hinüber. Diejer la at 
mit gerade gerichteten Gliedern und fejtem 
Geſicht, und ber Sohn beugte fid) über ihn. 
Er fublte, dag ihm nun eine Traurigfeit 
wohl anjtiinde, und er hätte gern eine Träne 
gezeigt. Dod) als er eine fleine Zeit in das 
väterliche Gejid)t geblidt hatte, fand er es 
einem eigenen jo ähnlich, daß ihm war, er 
ehe fid) jelber alt unb tot, und darüber 
apte ibn ein Grauen, jo daß er einige Zeit 
ewegungslos verharrte und den Blid nicht 
von bem Toten trennen fonnte, Darauf ging 
er bebut|am, zog den Laden wieder zu und 
winfte der Mutter, binauszulommen, 


Herman Helle: 





jeines Baters Natur hatte, mußte an fih 
nee um nicht ein Wort des Tadels zu 
agen. Und die Witwe |pürte es und mertte 
wohl, daß fie ftatt bes alten Tyrannen, ber 
drüben lag, nun einen jungen babe. Frets 
lich, fie fonnte wegziehen, konnte fic) Loss 
maden, niemand fonnte fie zwingen, Die 
Magd im Haufe zu. bleiben. Allein fie 
wußte wohl, jie würde bod) bleiben und bas 
alte Leben würde weiter gehen, nicht bejjer 
und nicht ſchlimmer. Wer einmal nadges 
eben und ein halbes Leben lang einen 
—— Willen über ſich gehabt hat, der 
muß ſtärker im Rückgrat ſein als die Frau 
Trefz, wenn er nochmals ein eigenes und 
freies Leben beginnen will. 

Nah Tiihe fam ?*Bejud) Zuerſt ber 
Altnar Kleinjchmied, bann ber Oberamt: 
mann. Gegen ben Aktuar benahm jid) der 
Herr Dr. Trefa freundlich, dod) würde: 
voll, für den Dberamtmann aber hüllte er 
(id) im Berbindlichteit unb feine Lebensart. 
Er war — ſeine Zugehörigkeit zum 
oberſten Range der ſtädtiſchen Geſellſchaft 
von allem Anfange an zu betonen. 

Am ſpäteren Nachmittag erſchienen, noch 
immer mit ſchwarzen Röcken angetan, der 
Gehilfe und der Schreiberknabe, die der 
Dottor hatte holen lajjen. Sie mußten im 
Hinterjtüblein die |oeben vom Diucter ge: 
fommenen Todesangeigen falzen, in ſchwarz— 
ranbige Umijchläge jteden und adrejjieren. 
Cie taten ihre Feiertagsröde ab, arbeiteten 
in Hemdärmeln und taten widerwillig und 
bejd)ámt ihre Pflicht, wie Hündlein, bie einen 
unerlaubten ose men und nun Aur 
gepfifjen fih ihrer Abhängigfeit erinnern, 

nwillig durchlas der Gehilfe den erten 
Trauerbogen, ber ihm in die Finger fam: 
»Jiad) Gottes unerforjd)lidjem Ratſchluß ents 
ichlief heute früh gegen jedys Uhr unjer heiß— 

eliebter Gatte und Later, Schwager und 
heim Anton Friedrich Trefz, Yiotar” ujw. 

Wenn der feierlich traurige Ton Deler 
Z€rauerbotjd)jaft nidjt völlig echt war, jo 
waren es dafür aud) bie Rundgebungen der 
Bejuder und Tröjter nicht alle. Wlan wußte 
wohl, daß die fleine verblühte Frau Notar 
es unter dem harten Regiment des jeligen 
Trefa nicht herrlich gehabt babe, unb man 
wußte ebenjowohl, wie günjtig ber uners 
wartet frühe Hıngang des Vaters für die 
Pläne und lusjicjien des Jungen war. 
Der war dreißig Jahre alt und hätte eigents 
lid) ber Mitarbeiter und Teilhaber jeines 
Alten werden folen. Uber der unge Trefz 
harte an der Univerjitat ftudiert und fühlte 
id) feinem altmodijhen und weniger ges 
bildeten Vater fo febr überlegen, daß die 
beiden nicht miteinander hatten ausfommen 
fónnen. So war ber Sohn, künftiger Zeiten 
harrend, einjtweilen fern von der Heimat 
im Bureau eines Advokaten unterge)dlupyt 
und hatte darauf gewartet, daß fein Water 
alt werde und thn bod) nod brauchen und 





Statt deffen tonnte er nun, 


holen miüjje. 
weit über die blübenbjten Dofen bins 


aus, fid) geradezu ins warme eft jegen. 


8 BR 
fiberaus prüdjtig war bas Begräbnis des 


Notars am Dritten Tag nad) feinem Tode. 
Es gab wohl feinen, ber ben Berjtorbenen 
gt batte. Aber bie Teilnahme und 
Neugier ber Menjchen drängen fic) gerne zu 
jo rajdjen, unerwarteten Todesfällen. Der 
gejunDe, wenig naddenfende Bürger, wenn 
er vernimmt, es fei ber und Der ganz plötz— 
lid) weggeltorben, zudt gujammen und fühlt, 
es könnte wohl aud) ibm einmal jo geben. 
Er tritt yum Nachbar, jagt: „Weißt du ſchon?“ 
und fniipft an den Todesfall ernjthaft einige 
gangbare Setradtungen über bie Hinfällig- 
teit bes menjdjlidjen Lebens. i 

Die meijten aber waren zum Begräbnis 
gomme weil jie heimlich fühlten, daß ber 
lofar Trefz eine von ben guten, weithin 
er unentbehrlichen Figuren ihrer 

aterjtadt gewejen war. Es gibt in jeder 
Ctabt ein Dugend ſolche, ohne die man [id) 
bie Bafje und das Rathaus und die Regel: 
bahn gar nicht denten möchte, Männer von 
auffallender großer Statur mit großen Bärten, 
oder glattrajierte vornehme Gelichter, oder 
|pige, bagere Alte mit Schnupfdojen und 
Stöden. Es find nicht immer die tüchtigjten 
und für Das gemeine Wohl bejorgtejten 
Männer, aber es find Charafterfiguren, 
deren Erſcheinung zum Bilde der Stadt 
gehört, deren 9Inblid befriedigt und deren 
(Grup man jdjágt. Cin folder war Trefz 
gewejen, zudem ein demofratijdher Parteis 
mann und Bejiger eines jtattlichen Vermö— 
gens. So fam es, daß feine Allernädjiten 
wenig um ihn zu trauern fanden, während 
er der ganzen Stadt fehlen |djien und 
niemand bet der Beerdigung eines fo bedeu- 
tenden Mannes fehlen wollte. 

Die bejdjeibene Wiutter hatte fein Auge 
dafür, fie wünjchte bang unb ermiidet jid) 
aus dem Lärm unb QGejdü[t und Reden: 
miiffen Diejer Trauertage heraus. Deſto 
ftoljer blidte der junge Dr. Tref3 auf 
die gewaltige Zahl der Leidtragenden und 
nahm den 5* Vater und ſeinem Hauſe 
dargebrachten Ehrenzoll wie ein Feldherr 
entgegen, zuerſt heimlich vom Fenſter aus, 
dann öffentlich und kühn, als er neben der 
Mutter feierlich hinter dem Sarge her aus 
dem Haufe trat. Der Leichenwagen war 
—— — und der Sarg mit 

ränzen ganz bedeckt. Angeſichts der Menge 
und des langſam anziehenden und hinweg— 
fahrenden Sargwagens fing die Witwe ſtill 
zu weinen an, der Dekan trat an ihre Seite, 
und der Zug begann ſich feierlich zu ent— 
falten, während nod) der halbe Markt voll 
Wartender [tanb. 

Der nádjjite Weg zum Kirchhof wäre durch 
bie Kronengaſſe gewejen, aber diefe war gar 
pees und es jah aud) weit beffer aus, daß 

er Zug, eine Schnedenlinie um den Ort 
feines Entjtehens bejchreibend, fid) über ben 


In einer Meinen Stadt BESSSOLCLLCGLCLGLaA 8 


ganzen langen Marktplatz hin entwidelte, 
ellen mäßige Schräge bas Überjehen er: 
leidjterte. Als der reichlich geld)müdte Lei- 
chenwagen unten gegen Die te bor ti bin 
um die Marktecke ſchwenkte, blidte ber hinter: 
herichreitende junge Notar einen 9Ingenblid 
p unb weidete fein ern|tes Auge am 
nblid bes großen Plages, ber rings vom 
wogenden Trauerzuge umjcritten unb von 
pomii Feierlichteit erfüllt war. Im Zuge 
dritten die Männer voran, faft alle mit 
STE EN befleidet, deren manche fic) im 
onnenſchein ihrer Blantheit erfreuten, wäh: 
rend andre, ältere von vergejjenen formen, 
in Gig wohlmeinenden 9taubeit dem Inte: 
elnden Lichte troßten und nur bie vor: 
rüngenben Büſchel feiner Hajenhaare leije 
jilbern erjchimmern ließen. 

Beim Durdwandeln des Rircdhhofeingan: 
ges an der grafigen Mauer vorbei fing die 

itwe abermals zu weinen an. Es erging 
ihr wie ben meilten, daß bier beim Eintritt 
in die fühle Feierabendluft ber Bräberftatt 
unb beim Raujchen bes vermoojten Friedhof: 
brunnens monde frühere Bänge zum jelben 
traurigen Ziele ihr einfielen, vom Gang hin: 
term Garge der Grofmutter ber bis zu dem 
mit bem eigenen Kinde. 

Hod über diefer ganzen Feierlicdfeit aber, 
auf halber Höhe des Berges im Graje, lag 
derjenige, dem wir die meijten unjerer Ger: 
bersauer Kenntnijje verdanken, ber junge 
DEAN Lautenjdlager, und jab der ganzen 
Sade nachdentlid) zu. Er nahm, trog [einer 
Aufmertjamteit für alle heimijchen Greig: 
nijje, felten an ihnen jelber teil, ba er fih 
unter. vielen Leuten nicht wohlfühlte, aud) 
mangeiten ihm bie für jolche Gelegenheiten 
vom Brauche geforderten Kleider, die er fid 
als ein einjam lebender Menſch ohne Bas 
milie lediglich ber Begräbnijje wegen nicht 
taufen mochte. Deſto genauer beobadtete 
er, was zu jeinen Füßen vorging, und war 
vielleicht der einzige, ber bie ganze ‘Bedeu: 
tung bieler Vorgänge kannte. Denn er liebte 
eine fleine Etadt und wußte: wohl, was 
jeder alte Weißbart und jeder grünjdjillernbe 
alte Gehrod in einem joldyen Gemeinwejen 
bedeuteten. So nahm er an dem Begräbnis 
des alten Trefz in feiner Meije herzlich teil 
und hätte, wäre es darauf angefommen, 
wohl mehr als jeder andre Mitbürger dafür 
gegeben, den prächtigen Sem wieder leben: 
ig in den Straßen wandeln zu jehen. Es 
tat ihm leid um diefe vortrefflide Figur, 
unb ba er fie dem Leben verloren wußte, 
tat er bas Seine fie bem 9Inbenfen zu retten, 
und zeichnete den Notar Trefz aus bem Ge: 
dächtniffe in fein Tafchenbud), worin jchon 
viele jolche Figuren ftanden und wandelten. 
Er nahm bei diejer Gelegenheit, da er den 
Alten fertig hatte, eue AG den Jungen 
vor, ber ihm in feiner Würde und anj hn: 
lichen Trauer taum minder gefiel. Er gerd: 
nete mit leichten Strichen, bie ibm teine 
Arbeit waren, bie breite Gejtalt vom glän: 


genden Zylinder bis zu bem Faltenwurf ber 


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1* 


4 REECH Hermann Helle: IGeaaaoaoOcGoOgpocGocox3sa 


ſchwarzen Hoje, vergaß den leichten Fettwulft 
im faftigen Jtaden nicht und nicht das dide, 
etwas jchweinerne Augenlid; ja er tat biejen 
auszeichnenden Bejonderheiten |o viel Ehre 
an, dab fie bald bie Sjauptjadje an dem 
Dianne zu fein jchienen. Und ba nun bie 
ganze Figur troß ber ernjttraurigen Haltung 
etwas burdjaus Frohes, ja Feiltglüdliches 
erhalten hatte, gab er dem fo gezeichneten 
Manne ftatt des Gejangbuches eine unge: 
d Pfingitroje in die Hand. Es wird 
päter Zeit fein, Dem Zeichner dieje Neigung 
zu gelegentlichen Roheiten näher anzumerfen. 
nzwilchen verlief unten im "nattigen 
Bottesader die jchöne Feier mit allem Blanze. 
Es jprachen, nad) der Rede bes Delans, ber 
Stadtjchultheiß und ber Vorjtand des demos 
fratijchen Gejangvereins, es |prad) ber Ge: 
nior bes Gemeinderates, und wer irgenb 
i. zu ben Berechtigten zählen durfte, ver- 
äumte Die nme Handlung niht, an bas 
offene Grab zu treten, binabgubliden und 
eine fleine Handvoll Tannenzweige hinunter 
zu werfen, worauf er mit erjchütterten Mienen 
urüdtrat, um fic) bie grünen Nadeln vom 
ebrod zu wijdjen. Manche zeigten in diejem 
Tun eine bedeutende Übung und Be extigung 
der Formen, monde hatten aud) Unglü 
und jtolperten oder trugen die aufgerafften 
SE wieder mit fih hinweg. Der alte 
eeljorger jah dem allem in jeiner Giite 
ernithaft zu, legte der Witwe tröjtlich bie 
Hand auf den Arm und erjab bald den 
Yugenblid, EP Schlußverſe zu ermahnen, 
ber aus fo vielen alten und jungen Kehlen 
ſchön und mächtig empor[tieg und fih in ber 
lauen SUtailuft letje berganwärts verlor. 

Für ben in feiner grünen Höhe verweilen: 
den Hermann Lautenjchlager war es nun 
ein n UAnblid, die bunfle Menge in 
Haufen und zögernden Gruppen den Fried— 
di verlajjen und über den Brühel und die 

rüde Le fih ftadteinwarts verlieren zu 
leben. Gar manche von den Trauergängern 
nahmen den Anlaß wahr, die Bräber der 
eigenen Angehörigen zu bejuchen und nod 
ein wenig in dem vertrauten Raume zwi: 
Iden den jchiefen, grünen Mauern zu ver: 
weilen. Alte Frauen biüdten jid) über frijche 
oder verwahrlojte Kreuze, Kinder tafteten 
auf Grabjteinen den alten Injchriften nad, 
junge rauen bogen an lieben Gräbern eine 
Rojenranfe und einen verwilderten Efeu— 
weig zurecht unb lamen darüber ins Ge- 
Gah mit bem Friedhofgärtner, der fih 
während der Feier verloren hatte, nun aber 
wieder in ber grünen Schürze mit bem Brass 
rehen feiner Tätigkeit oblag. 

Schön war es auch zu jeben, wie nad 
dem Berlaufen ber legten Zögerer der alte 
Kirchhof wieder in feine jchattige Rube per, 
jant, wie über dem frijchen, gelben Grab- 
hügel der Gartner die vielen Rrange ordnete, 
wie bie Meijen und Amſeln zurückkehrten, 
unb der grüne Wintel fein altes, verzaubert 
jdlafenbes Ausjehen wieder gewann. Aud 
ber Brühel, die Brühelftraße und die untere 


Brüde lagen jebt wieder in ihrer Stille, bie 
Rajtanien, [oon gum Blühen geriiftet, batten 
ihr Bogelleben in ben Aſten und ihre ſchweren 
Schatten um fich ber. 

Lautenſchlager war mit feiner heutigen 
Arbeit zufrieden und fonnte fid) an feinem 
Grashange, jah über bie jpikgieblige, [teils 
gebaute Stadt unb das enge Wiejental bin: 
weg und blätterte zwijchenein in feinem Tas 
Ichenbuche, worin er das Leben diefer jelben 
Stadt aufzuzeichnen pflegte. Der junge 
Menih war jonderbarerweije einer von den 
gang wenigen Gerbersauern, die von ihren 

itbürgern mit Mißtrauen und faft mit Ge— 
häſſigkeit betrachtet wurden und nicht richtig 
mit ihnen zu leben unb zu reden veritan« 


den, obwohl er feine Heimatjtadt bejjer 


fannte und mehr liebte als irgendeiner. 
Schon daß er ein Künjtler geworden war, 
pate der Stadt niht; bod) verzieh man es 
ibm, da er neuerdings als Zeichner in gro: 
Ben Zeitjchriften einen gewijjen Namen ge: 
wonnen hatte. Warum er aber, ba er nun 
doch mit feiner Runjt Gliid zu haben Iden, 
immer bier dp eim jag, jtatt in Jteapel ober 
Spanien viel |djónere Gegenden zu malen 
oder in Kunſtſtädten mit jeinesgleichen zu 
leben, bas verjtand man nicht unb deutete 
daran mit Mißtrauen. Ferner [huf er nd 
SBerád)ter unb bittere Feinde dadurch, ba 

er feit mehreren Jahren feine großen, ſchö— 
nen Bilder mit Burgen unb Süttern mehr 
malte, wie er früher mehrere bier ausgejitellt 
hatte, jonbern jtatt dejjen nichts anderes trieb 
als bie Wintel feiner Vaterjiadt und die Fis 
guren ihrer Bürger auf fleine Blätter zu zeich- 
nen. Das Schlimmite freilich) war aber, daß 
er dieje — mit einer leiſen, grauſamen 
Ubertreibung ins Komiſche zog und ſchon 
ganze Reihen von grotesken Philiſterkarika— 
turen, deren jede man in Gerbersau ſehr wohl 
kannte, in Blättern veröffentlicht hatte. Jeder 
Betroffene zwar hatte ſich getröſtet und das 
durch gerettet gefühlt, daß bald nad) ibm 
jelber fein Nadybar daran gefommen war; 
aber man fand diefe ganze unwiirdige Tä- 
tigfeit weder für den Maler nod) für die 
Stadt ehrenvoll und fonnte dieje jeltjame 
Art von a AL is unb Heimatliebe nicht 
begreifen. Es war aud) [hwer mit ibm um: 
zugehen. Oft jprad) er wochenlang taum 
mit einem Menſchen und trieb jid) in ber 
Gegend umber, dann er|djen er plößlich 
wieder bet einem Abendjchoppen, tat freund« 
ſchaftlich und jchien gar nicht zu wiljen, 
wie wenig man ihn liebte. 

In 3Birllidjfeit wußte er bas wohl. Er 
wußte genau, daß Behagen und Gleid)bes 
redtigung für ihn bier in ber Bürgerjdyaft 
niemals zu finden waren, daß feine Freuden 
unb Gedanten nicmand verjtand und Daß 
man feine Rarifaturen für die Miſſetaten 
des Vogels anjab, ber jein eigenes lieft bes 
ſchmutzt. Dennod febrte er, jo oft er es 
eine Zeitlang mit dem Leben anderwärts 
verjucht hatte, immer wieder nach Gerbersau 
guriid. (Er liebte bie Stadt, er liebte die 


P2222 In einer fleinen Stadt BSESESST3E3ZI 5 


Landjdaft, er liebte dieje enggiebligen, alten 
dujer und flobig gepflajterten Gajjen, er 
lebte dieje Bürger und ihre Frauen und 

Kinder, die 2.Iten und Jungen, die Reichen 

und Armen. Hier in der Baterjtadt gab es 

feinen Stein unb fein Ge[idjt, feinen Gruß unb 
feine Gebärde, bie er nicht im Innerſten ver» 

Honn. — er ſeit Be Rnabenjah: 

ren gelernt Dtenjchen zu beobadyten und die 

vielfältigen, lieben Wunderlichteiten bes Ae: 
bens mit Uufmerfjamfeit zu betrachten, bier 
wußte er von jedem Haufe und jeder Perſon 

— Geſchichten, hier war alles kleinſte 
eben bis in die letzte Falte hinein ihm ver— 

traut und durchſichtig. Er hatte auch an 

anderen Orten gelebt und Menſchen und 

Städte angeſchaut, er war in Rom und Mün— 

den und Parts gewefen, hatte fid) an den 

Umgang mit geretjten und verwöhnten Mens 

Iden gewöhnt, deren hier feine zu finden 

waren. Er hatte aud) in Rom und in Paris 

gezeichnet, und mandes gute Blatt, aber 
nirgends ging fein Bleiitirt jeder launigen 

Geringfiigigfett jo treu und aufmerfjam und 
0 begliidt nad), nirgends gewannen Die 
latter einen fo reinen, gejättigten Aus- 

drud, |pradjen nirgends fo rein und innig 

bie bejondere Mundart des Ortes. Er wußte 
nicht genau, wieviel Berbersauer Philifter: 
tum in ibm jelber jtede, bod) wußte er wohl, 
daß feine unerbittliche und liebevolle Rennt: 
nis bes bieligen Lebens gerade bas war, 
was ei von ben Mitbürgern [djieb und 
ihnen fremd madjte. Um es fura zu Jagen: 
fein ganzes Tun bier war Gelb[tbeobad)tung 
und Gelbitironie, und wenn er den alten 

errn Tapezierer Linfenheil ober ben jungen 

riſeur Wadenhut farifierte, jo fchnitt er 
mit jedem Gtriche weit mehr ins eigene 

Fleijd als in bas bes Gezeichneten. Und jo 

war bieler Sonderling von Riinjtler, ber ben 

Ruf eines erdfräftigen Wutodthonen und 

naiven Heimatfiinjtlers bejak, in aller Heim: 

lichteit ein ganz verdorbener Menih, ba er 
d) über einen [djónen und zufriedenen Le- 
ens3zuftand IW machte, den er im Herzen 
liebte und beneidete. Er ya bie feind— 

[elige Abneigung gegen alles intelleftuelle 
reiben, bas nur die Bewohnheitsjünder 

ao ice afters haben. 

iejer junge Mann, ber träg auf feiner 

Matte lag unb bas jchöne, heitere Flußtal 

betrachtete, war biejes Genujjes gar nicht 

wert, und bod) war er leider der einzige 

Gerbersauer, ber diefes jelben Benujjes wirt- 

lid) fähig war. Und indem er die Karita- 

tur bes jungen Trefz nochmals begutadtete, 

blieb ibm nicht verborgen, daß biejer Diann 
ein ebenjo echter und gejunder Gerbersauer 
war wie er felbjt ein entarteter, und daß es 
der Zwed und der Wille der Natur jei, an 
biejem Orte Weſen zu erzeugen und zu hegen, 
bie bem jungen Itotarsjohne glichen und 
nicht dem zeichnenden Sronifer. Und wenn 
er jeden Prellftein der Stadt aufs treulichjte 
abzeichnete, er fonnte fich mit alledem nie: 
mals das urtümliche Heimatsredht erwerben, 


das er heimlich entbehrte und das der Notar 
zu jeder Stunde feines Lebens bejaB und 
unbedenklich ausübte. 
B] BE 8 
Dem jungen Lautenſchlager konnte, als 
oem eobadjter und Chronijten des 
'ebens feiner Stadt, nicht verborgen bleiben, 
was ohnehin von ber Biirgerjdaft beachtet 
und viel beiprodyen wurde, daß nämlid) der 
junge Dr. Trefz, nod) über bie Erbjchaft des 
väterlichen An shens hinaus, mit Cifer dar: 
auf bedacht war, in der Baterftadt Ehre zu 
gewinnen. Er übernahm feines Baters Nos 
tariatsgejchäft. Das alte mejfingene Schild» 
lein mit dem väterlichen Namen ließ er weg: 
maden und bängte dafür einen großen 
Emailſchild mit feinem eigenen Namen auf, 
wobei er auf ben Bujak bes Doftortitels 
verzichtete. Einige Kollegen und Mißgönner 
Ichlojfen daraus, biejer Titel jtehe bem Sohne 
Trefz’ überhaupt nicht zu; bod) fand fic) nie: 
mand, der das unterjudt hätte, und die feit 
Sahren daran gewöhnte Busen: redete 
nad) wie vor ben ftudierten Jtotar mit dem 
Ihönen Ehrentitel an. - 
Mocdte er nun Dottor fein oder nicht, 
jedenfalls nahm er jeine Gade in die Hand 
wie ein Mann, der Pläne hat und nicht ge: 
jonnen ift, auf den Heinjten davon zu vers 
— Vor allem gab er ſich Mühe, ſeine 
edeutende geſellſchaftliche Stellung von allem 
Anfang an zu betonen und zu ſichern. Das 
war nun keineswegs leicht und forderte 
manches Opfer, denn es gehörte zur Erb— 
ſchaft ſeines Alten nicht nur das ſchöne Haus, 
Gut und Amt, ſondern auch der alte Ruf 
eines er fia Königs in ber demofratijchen 
La den jedermann bereit war aud) dem 
ohne zu gönnen. Der aber neigte im Herzen 
weit mehr zur Beamtenjchaft hinüber, er wäre 
ie gerne Referveoffizier geworden und hätte 
ie Laufbabn eines Rihters eingejdlagen, 
wäre er davon nicht kurzerhand durch feinen 
Bater abgehalten worden. Nun ftand er am 
Scheidewege, heimlich voll Sehnjudht nad) 
der Welt der Titel und Orden, von der Um: 
ebung jedoch) wie von der eigenen Vergangens 
Beit auf eine bürgerliche Rolle hingewiejen. 
Ziele wählte er denn aud) und tat nichts 
Dagegen, daß jedermann Die — 
Taten feines Großvaters und die vielen Wahls 
reden feines jeligen Vaters als ein ſelbſtver— 
ſtändliches Guthaben auf ſeine Perſon über— 
trug. Dagegen gab erin ſeinem Auftreten eine 
unwandelbare Achtung vor Macht und Ehre 
kund, entfaltete eine mäßige, doch ſtrenge 
Eleganz in der Kleidung und drückte nicht 
jede Hand, die fein Vater gedrückt hatte. 
Er wohnte bei der Mutter unb genoß jo 
den Vorteil, von Anfang an als Herr einer 
ftandesgemäßen Haushaltung dagujtehen, wie 
er Denn aud) Bejuche met mit der Mutter 
gemeinjam machte und empfing. Ohne das 
Gejchajt irgend zu vernadjlá| igen, tat er allen 
Anforderungen ber Trauerzeit Genüge und 
brachte jedes Opfer, das die Gitte verlangte. 
Co lentte Hermann Trefz bie Augen feiner 





Mitbürger auf fid) und umgab fid) mit ber 
ihüßenden Mauer eines tadellojen Rufes, 
während feine große unb breite Geftalt gleich 
der feines Baters Homa ebot und baldige 
Unentbebhrlidfeit ahnen 2 

Mander AUltersgenojfe jah mit Neid zu, 
wie er von Tag zu Tag gedieh und Ghid 
mae Man jah: dies war ein Dlann, Dellen 

eg zu jtädtilchen und gejellichaftlichen Ehren 
ührte, aur Dtitgliedichaft vieler Beretnsvore 
tände und Ausjchülle, zum Hauptmann ber 
Feuerwehr, zum Gemeinderat und vielleicht 
nod) weiter — Neidloſe Zuſchauer hat— 
ten ihre Wonne an dieſem Aufſtieg eines 
künftigen Großen und genoſſen in ſeinem 
Anblick den Glanz der Heimat, ſie empfanden 
dieſen Sieger als ihresgleichen, als einen 
glänzenden Vertreter ihrer Raſſe und Art, 
und bei bem großen Kreiſe dieſer Gutgeſinn— 
ten ward er mit den Jahren, wie es einſt 
ſein Vater geweſen war, zum Symbol und 
ſchönen Ausdruck echten Gerbersauertums. 

Bedauerlicherweiſe ergab ſich zwiſchen ihm 
und dem Kunſtler Lautenſchlager, der ihn 
ſchätzte und beinahe bewunderte, fein freunds 
ſchaftliches Verhältnis. Die beiden waren 
nahezu Altersgenoſſen, fie fannten ſich von 
den Schuljahren her und hatten ſich bei den 
ſeltenen Anläſſen, da ſie einander etwa wie— 


der begegnet waren, geduzt und als Schul— 


kameraden begrüßt. Nun aber, da Trefz 
dieſen Menſchen zum Mitbürger haben und 
ihm täglich auf der Gaſſe begegnen ſollte, 
trat eine tiefe Abneigung gegen ihn zutage, 
wie er fie taum gegen einen andern Lands= 
mann empfand. Gr hatte eine Begrüßun 
mit ihm vermieden und ibn, fo oft fie (id) 
unterwegs begegneten, mit gemejfenem Gruß 
abgetan, und Lautenjdlager war darauf ein- 
gegangen, er hatte genau in berjelben Weife 
zurüdgegrüßt, Jogar mit einer Note von 
Hochachtung, aber er hatte dabei feinen fiib: 
len, unterjuchenden DMtalerblic nicht abitellen 
lónnen, und eben diejer Blid war dem Notar 
im Herzen zuwider. Er fand ibn [potti[d) 
oder Dod) zu prüfend und heimlich überlegen, 
obwohl er nicht |o gemeint war, und er [tellte 
fih öffentlich ohne Rückhalt zu denen, bie den 
Künjtler als einen meinetwegen begabten, 
aber verbummelten und nicht ernſtzunehmen— 
ben Mienfdhen bezeichneten. 

Nun geldjab es an einem Wintertage kurz 
vor Weihnachten, dag Dr. Trefa zur oe: 
wohnten Stunde den Heinen Salon des Bars 
biers Ölichläger betrat, fih in feinen Gejjel 
niederließ und, da es Sonnabend war, den 
an bielem Tage [tets aus ber Hauptitadt 
eintreffenden ‚Hans Sachs‘ verlangte, ein 
beliebtes Wißblatt, bas zu halten in den 
guten Familien nicht wohl anging, das die 
jüngeren Herren aber im Wirtshauſe oder 
beim Friſeur zu finden und zu betrachten 
gewohnt waren. Der Barbier, der dem vor— 
nehmen Kunden zuliebe einen Reiſenden, 
deſſen Bedienung er eben begonnen, dem 
Gehilfen überlaſſen hatte, riß lächelnd den 
grauen Papierumſchlag von einer daliegens 


Hermann Helle: BESSSSeSSeseessesid 


den Poftjendung, ſchälte bas Wigblatt ber: 
aus und übergab es dem Dottor. „Sie find 
ber erjte, ber es lieft, Herr Dottor, es ift 
erit vor zehn Minuten angefommen.“ 
Trefz, dem diefe Bierteljtunde beim Fris 
leur immer eine erwünjchte Rubepauje war, 
legte feine gi arette auf den Rand bes 
marmornen des unb entfaltcte, während 
Olſchläger ibm die Gerviette umband, mit 
Behagen den neuen ‚Hans Gads. Der 
Barbier arbeitete bebenbe mit Geifenpinjel 
und Schale, ftets bedacht, ben Gajt nicht 
zu ftdren, und biejer bejdjaute mit Bers 
nügen bas Titelblatt, bas einen betannten 
Hottie als Wöchnerin fariftert daritellte. 
eiter fam eine Gerichtsizene, die einen 
wider bas Wigblatt jchwebenden Prozeß 
daritellte und worin bie Figur des Hans 
Cadjs als 9Berurteilter zu jehen war, jams 
merlid) nad) gefallenem Spruch jid) zum 
Henter wendend, der ihn grinjend erwartete, 
Und wieder fam ein politijd)es Blatt, und 
dann fam eine Geite, Darunter ftand (le: 
ganz in Krähwintel‘, und taum hatte Trefz 
das Blatt überjehen, jo faltete er es zuſam— 
men und ftedte es in feine Tajche. Der Bars 
bier, über bie heftige Bewegung erjchroden, 
wid) mit dem Raſiermeſſer vorjuchtig zurüd 
und erlaubte fid) einen fragenden blid. 
Herr Trefz aber erklärte jid) nicht. Nur 
beim Weggehen bat er um die Erlaubnis, 
das Blatt mitzunehmen, die Der Meeiſter 
wohl ober übel gewähren mußte. Die Zeid: 
nung aber, bie von biejem Yugenblide an 
den Notar, den Barbier und die Stadt in- 


tereffierte, ftellte den Dr. Trefa bar, im 


Behrod deforativ allein in weiper Fläche 
ftehend, in der linten Hand eine große Pfingit: 
roje, in ber rechten den Zylinderhut haltend. 
Als Wik war diefe Zeichnung weiter nicht 
bedeutend, fie zeigte nur leije angedeutet in 
einigen fomijden Falten einen ftillen Wider: 
ftreit der febr tadellojen Kleidung mit dem 
Körperbau und den Bewegungen (res Trä- 
ers, diejer felbjt aber war als Typus feijter 
ürgerlid)feit jchön und Iu|tig, mit mehr 
Liebe als Bosheit dargeftellt, und bas Blatt 
war von Hermann Lautenjchlager gezeichnet. 
Die Stadt hatte nun wieder eine Belegen: 
beit, fid) über ben frivolen Künitler zu er» 
zürnen und dabei verjchwiegen jid) über den 
Streich zu freuen, der diesmal einen Anger 
jehenen und Wlbelannten traf, und Die 
Nummer des Hans Sads‘ ging überall von 
Hand zu Hand, wo der Betroffene nicht in 
der Nähe war. Diefer felbjt befam nichts 
davon zu hören und fonnte mit aller Be: 
mübung nicht feititellen, weldes bie Meis 
nung der Mitbürger über bie Ungeheuerltd: 
teit fei. Denn wagte er es, tm Gelprád) 
darauf leije anzujpielen, jo wollte man ent: 
weder gar nichts willen, oder man lächelte 
leiht unb tat fo, als fei diefe Gade Dod) 
nicht wert, daß davon geiprodyen werde. 
Dennoch reijte Trefz eines Tages nad) ber 
kee unter Mitnahme der jchlimmen 
eidjnung, und [prad) bei einem angelebenen 


\ 


ees In einer Heinen Stadt Lee 7 


Rechtsanwalt vor, ber ihn follegial empfing 
und bem er feinen Wunſch mitteilte, den 
Zeichner diejes ehrenrührigen Bildes wegen 
— zu belangen. Der Rechtsanwalt 
ächelte ganz leicht, als er das Blatt betrach— 
tete, und ſagte: „Ja, das habe ich auch ge— 
ſehen. Übrigens ein prachtvoller Zeichner. 
Und Sie meinen alſo, er habe Sie perſön— 
lih in beleibigenber Abſicht taritiert? Cin 
gewiſſer Anklang von Ähnlichkeit ift ja vor: 
handen, gewiß. Aber das kann für Sie 
ebenſogut eine Ehre ſein. Der Reichskanzler 
iit ſchon zwanzigmal im ‚Hans Sachs‘ tari: 
tiert worden und hat nod nie geflagt.” 

Der Anwalt ſchloß damit, bap er von ber 
Klage ern[tlid) abriet und Trefz als fluger 
Mann jah wohl, daß er burd) öffentliches 
Verhandeln die Gahe nicht bejjer machen 
tónne. Go ließ er davon ab, behielt aber im 
Herzen einen bitteren Haß gegen ben jchänds 
lichen Maler, bejjen bojlid)en Gruß er von 
nun an nicht mehr erwiderte. Mehrmals 
nod) nahm der Riinjtler beim Begegnen jeinen 
Hut vor dem Dottor ab, bald ehryurdtsvoll, 
bald ironijd, dann geb aud) er es auf, mit 
bem Manne in ein Verhältnis zu tommen, 
unb lieB thn laufen. 

Es war Hodjommer geworden, und die 
in bem engen, tiefen Flußtal unbeweglid 
SH ende Schwüle machte ben empfindliden 

aler jo frant, daß er tagelang zu Haufe 
liegen blieb und faum zu den Pen 
ausging. Er litt häufig an ſolchen Depre]: 
fionen, die ihn mandmal zum Wein in bie 
Gajthaujer und zu einem recht unfeinen 
Sedjerleben, mandmal aud) auf zielloje Aus: 
flüge ins Gebirge trieben, von welchen er 
verwahrlojt und abgerijjen wiederzufehren 
pflegte, unb diefe Unregelmäßigteiten hatten 
viel zu feinem ſchlechten Ruf beigetragen. 

Nad eigen ihlaflojen Nächten und mut: 
los franten Tagen raffte Yautenjchlager jid) 
eines Abends auf und e jeine Woh- 
nung in der hochgelegenen Borjtadt. Er trug 
feinen gewöhnlichen leichten Sommeranzug 
unb hatte einen alten Lodenfragen auf dem 
Arme, dazu eine große blecherne Botanijier: 
büchje auf Dem Rüden, und in der Hand einen 
altmodilchen, feltjamen Spagzierjtod, ben er 
von [einem Bater geerbt hatte, und der, von 
oben bis unten aus einem gelben jtarten 
Holze geichnißt, einen auf einem Bein Weber: 
den er Stord — welcher den 
Kopf nad) unten bog unb den ſpitzen Schnabel 
RRE auf bie Brujt gedrudt hielt. 

Mit bieler jelben Ausrüftung hatte der 
Conberling feit feinen einjamen unb unbe: 
biiteten Gugendjabren viele feiner jchönjten 
und auch übeljten Geiten bingebradt. Stod 
unb Blechbüchje, antel und Wanderhut 
waren ihm Freund und voll von Grinne: 
rungen. Langfam und jchwerfällig jtieg er 
an ben lebten Häufern der Stadt vorüber 
bergan und ins Freie, wo er bald im abend: 
lichen Walde verihwand, Er ging nicht den 
2 nad, Jondern quer burd) Wald und 
Schluchten, bie er von Kind auf tannte, und 


im Berganfteigen fühlte er mit Dem Tannen: 
ie und dem Whbendwinde tröjtlich die 
rinnerungen an hundert jolde Waldnächte 
— Aufatmend ſah er von der 
etzten Höhe auf die Stadt zurück, wie fie 
flein und gedrüdt in ihrem engen Keſſel lag, 
und er wußte wie jedesmal: ob feine Flucht 
ibn bis in ferne Länder ober nur bis zum 
nädjlten Hügelzug führen werde, ob fie Tage 
oder Wochen dauerte, er wiirde dod) wieder 
beimfebren, in Gerbersau leben und alle 
Kraft jeines armen und unzufriedenen Les 
bens daran jegen, diefe wunderliche Stadt 
und ihre Bürger abzuzeichnen. Auf die Wans 
derung aber hatte er keinerlei Malzeug und 
nicht einmal ein Skizzenbuch mitgenommen. 

Während der zwei Wochen, bie er aus: 
blieb, ging in Gerbersau mancherlei vor, 
bas thn zu anderen Zeiten interefjiert hätte, 
Unter anderem beging die Witwe Rimmer: 
[en in ber Diafonengalje ihre längit betannte 
Duartalsfeier. Dieje P lebte jett bem Tode 
ihres Mannes als ?BejiBerin eines fleinen 
Haujes in austómmlidjen, ja reichlichen Vere 
báltnijjen, die fie jebod) aus Vorſicht unb 
anerzogener Cflaventugend niht  genoB. 
Vielmehr vermietete fie bas Haus bts auf 
drei — und lebte wie eine arme Frau 
oder Dienſtmagd, mit Waſchen und anderen 
niederen Arbeiten beſchäftigt und in alten, 
— Kleidern gehend. Sie war jedoch 
eine Art von Quartaljäuferin und bekam 
einigemal im Jahre ihren Anfall, wobei ſie 
ſich in plötzlich ausbrechendem Leichtſinn 
ihrer vergnüglichen Umſtände erinnerte, die 
en Kleider ihrer beiten Tage hervor» 
udjte und [id) in eine Art von Dame vers 
wandelte. (ie blieb alsbann am Wtorgen 
e lange liegen, legte dann Die 
einen Kleider an und frijierte fid) mit 
Hoffart, darauf bereitete fie ein gutes Mits 
tagsmahl und legte fic) nad) diejem auf dem 
Kanapee eine Stunde oder zwei zur Rube. 
Gejtárft trat fie jodann den Weg nad) bem 
Keller an, trug zwei oder drei Flaſchen Wein 
herauf und jegte in der jonntäglichen Cup: 
penjchüjjel eine Bowle an, die fie reichlich 
meee und ftundenlang mit dfterem Rojten 
etreute, bis ber höchſte Wohlgejchmad ers 
reiht war. Mit biejer Bowle lebte fie fid) 
nun auf einen guten Plag am Fenſter im 
den Lehnitubl, tranf langjam den *Borrat 
aus und jchaute dazu hochmütig auf Die 
Straße hinab, wo häufig die Kinder fih 
anjammelien, um fie bet ihrem einjamen 
Tun zu beobadjten, wie fie dajak, zuweilen 
ein Glas leerte und mit dem einbrechenden 
Abend allmählich rot und ftarr im Gelicht 
wurde. War die Schüjjel leer, jo war das 
Tagewerf beendet und die Witwe juchte 
ohne Liht ihr Lager auf, um den folgenden 
Tag genau auf diejelbe Weile zu beginnen 
und binzubringen, bis fie genug hatte und 
mit Seufzen zum gewohnten ärmlichen Les 
ben zurücdtehrte. Lautenjchlager hatte fie 
einmal gezeichnet, wie fie jtarr und gejpen« 
ftij an ihrem TFenfter jap, jchön gekleidet 


ESCHE HE SCH HET FE Hermann Helle: IE —— 


und bod friliert, einfam mit der großen 
Bowle bejdjáftigt. Er hatte eine Vorliebe 

r bie jonberbare Frau, beren ur ea 

eiden und Fehler er wohl zu verftehen 
glaubte, und batte fic) jchon oft vorgenom: 
men, einmal bei ihr Wohnung zu nehmen 
und fie bejjer fennen zu lernen. Es war 
aber nie dazu gefommen, denn ber Künftler 
pere gwar Pon jeit Jahren im Sinn, feine 
isherige Wohnung zu verlajjen, und hatte 
aud) mehrmals gefiindigt, war aber am 
Ende bod) immer figen geblieben, wo er 
[don feit Jahren Jap. 

Der Dr. Trefa wurde während Lauten: 
Ihlagers Abwejenheit in den Gemeinderat 
gewählt. Es Hatte ihm wenig Mühe ge: 
maht, bas zu erreichen; eine andere Gade 
aber bejchäftigte ihn zurzeit jehr fort, 

Cs lebten in Gerbersau, neben anderen 
Nachllängen verjunfener Zeiten, aud) einige 
Refte des uralten Sc aiia fort. Die 
Mehrzahl der alten Zünfte freilich war eins 
gejdlafen ober in gewöhnliche Vereine per: 
wandelt worden. Zwei wirfliche y cus 
aber waren nod) vorhanden, birefte Erben 
jolcher mittelalterlider Sinftitutiogen. Qa: 
pon war es bie eine, bie Zunft zu den Fär— 
bern, die dem Notar foviel zu denfen und 
u wünjchen gab. Diefe Zunft war vor 
EE eine patrtatjd)e und febr vor: 
nehme gewejen, im gent der Zeiten aber 
nahezu ausgejtorben, jo daß fie zurzeit nur 
nod) aus drei F he bejahrten Herren bes 
ftand, bie zufällig alle drei Hageſtolze waren. 
Dieſe drei hielten nach altem Braud) mehr: 
mals im Sabre Zujammentünfte, gaben jähr: 
lid) ein Zunjtefjen und einen Faltnadtsball 
und hatten in ihrem eigenen Dane: das im 
übrigen vermietet war, eine bejondere Zunft: 
Ba bewahrt, wo am alten Getdfel bie 

Aci appen und Wndenfen verjchol- 
lener Gejchlechter Dingen und wo Die Drei 
Spatlinge bei ihren Jeltenen Zuſammenkünf— 
ten an einem gewaltigen, eichenen Tijdhe 
faßen, der Raum für dreißig Gebede bot. 
Das Ausjterben ber Färberzunft war eine 
vielbejprochene Gade in Gerbersau, denn 
dieje Gemeinjdaft bejaB außer ihrem Haufe 
ein ftattlides Vermögen, bejjen jährliche 
Zinſen teils an die Erhaltung bes Haujes 
und ber Zunftitube, teils an den Ball und 
das berühmte üppige Gahresmabl, teils an 
Armenjpenden und Unterjftügungsgelder ver: 
wendet wurden; beim einmaligen Aufhören 
der Zunft aber folte bas gejamte Kapital 
jamt dem Haufe der Stadt zufallen. 

Dies unnüß lagernbe Vermögen nun, 
Dellen Zinjen auf eine jowenig zeitgemäße 
Art vergeudet wurden und Dejjen Verwal: 
tung zu einem Teile in jeinen Händen lag, 
hatte bem Notar Trefz langft in die Augen 
geltochen. Geit langem Hatte er bie Gejete 
der Färberzunft ftudiert und eine Lifte der 
wenigen Familien angelegt, deren Angehö— 
rige dort aufnahmefähig waren. Hielt man 

à genau an ben Wortlaut ber Urkunden, 
o gab es zurzeit außer ben drei Mitgliedern 


in der ganzen Stadt nur einen einzigen 
Mann, bem das Recht bes Beitrittes guges 
ftanden wäre, Das war der reiche Fabri- 
fant Werner, ber aus Gtolz jowohl, um 
nicht bes Jnterejfes an den Zunftgeldern 
verdächtigt zu werden, wie deg e Ab: 
neigung gegen die derzeitigen Mitglieder 
auf fein Recht. verzichtet hatte. 

Dem Notar wollte es nun feltfam und 
ungeheuerlich jeheinen, daß das uralte, jchöne 
Zunftvermögen |o lächerlich brad) liege und 
bie Zinfen von drei launigen Syunggelellen 
alljährlich Teichtfertig vergeudet würden. Er 
237 längjt den Plan, fid) den Zutritt zur 

unft zu ermöglichen und alsdann Ordnung 
in deren Angelegenheiten zu bringen. lls 
Beirat in der Bermögensverwaltung fannte 
er die drei Zünftler wohl unb hatte Gelegen= 
heit gehabt gu beobadjten, daß ihr Anführer 
ber jüng|te von ihnen, der lebtge Rentier 
Julius Dreiß, war. Der hatte, entgegen 
der joliden Art feiner alten Familie, niht - 
nur nicht geheiratet und febr früh jid) als 
beruflojer Privatmann zur Ruhe gelebt, jon: 
dern leider auch feit feiner Rnabengeit eine 
Neigung zu Wohlleben und Bequemlichkeit 
an den Tag Zä, welche in Gerbersau 
niemand gewillt war als ein Talent zu bes. 
tradjten, und bie man ihm nur barum halb 
und halb verzieh, weil er ein Jpakiger Herr 
war und das bejaß, was bie Gerbersauer 
einen goldenen Humor nannten. 

Dielem Julius Dreiß ſuchte fid) ber 
Dr. Trefa nun bei jeder Gelegenheit zu 
nähern und zu befreunden. Dreiß hatte 
nichts Dagegen und ließ fid) bie Freundlich— 
feiten bes geachteten Mannes gerne gefallen, 
bod) meinte er [jhon nad) furger Zeit dieje 
Aufmerkſamkeiten nicht mehr ber Wngiehungs= 
frajt feiner Perjon zujchreiben zu Set Zi 
jondern jah als Ziel ber Trefziichen Be: 
mühungen die Aufnahme in bie Farbergunft 
und die Teilnahme an deren jchönem Gelb, 
tum fid) verbergen. Bon bem Augenblick 
diejer Entdedung an madte fih Mr ein 
Vergnügen daraus, ben durchſchauten Jtotar 
mehr und mehr mit einer gönnerhaften Leut: 
leligteit zu behandeln, bie den Doktor gwar 

utpeilen aufs äußerjte reizte, bie er aber 
in Geduld ertrug. Häufig jah man bie bei: 
den Herren im Nebenzimmer des Adlers 
bei einer Flajche Pfälzer ober bet einem 
Kaffee und Kartenjpiel zufammenjigen, den 
Dottor aufmerfjam und jdjmeidjlerijd) um 
Dreißens Bunjt bemüht, den frohen Gung: 
gejellen in ul” biel Ahnungslofigfeit. 

Das Schauſpiel Diejer eigentümlichen 

reundichaft zwilchen bem forreften, ftolzen 
Notar und dem als Wibbold befannten 
Zünftler dauerte lange genug, daB aud 
Hermann Lautenjdlager [id) feiner nod) er: 
freuen fonnte. 

Der Dialer fehrte eines Tages, da der 
Hochſommer fid) abgetüblt hatte, mit fonn- 
verbranntem Gejidt unb Lët eer Kleidern 
aus feiner Berwilderung heim. Wohlgemut 
zog er Durd bie Galggajje und über den 





Ab Ld NRA TIN io 


: 
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3 


Gelbe Whtern. 


Gemälde 


von 





Carl Brepho 


THE LIBRARY 
CF THE 
3618 


EE In einer Heinen Stadt BESSELAAR 9 


Marktplag in der Heimat ein, fute feine 
ebenfalls verftaubte und verwahrlofte Woh— 
nung auf und padte vor allem die grobe 
bledjerne Botaniſierbüchſe aus. Der Hohl» 
raum diefer 3Büdjje war in zwei Hälften 
eteilt. Jn ber einen waren Stadjtbemb, 

domm, Seife und Zahnbürfte des Wane 
derers untergebradt, die andre war erjüllt 
von einem ege senna ee und 
Reichtum an Glasflajdden, Korten, Papier: 
ſchachteln, Wattepddden und anderen wun: 
derlihen Geräten, zwiſchen denen einige 
auf Schnüre gezogene Kränze von getrod; 
neten Apfelſchnitzen auffielen. We diefe 
Dinge legte der Maler jorglos beijeite, dann 
309 er aus ben Brufttajchen feines Mantels 
unb Rodes mehrere Schadhteln, bie er mit 
einer zärtlichen, juwelierhaften Sorglidfeit in 
die Finger nahm und der Reihe nad) öffnete. 

Da zeigte [i denn in den Schachteln, 
auf feine Nadeln geipießt, bie gefamte Beute 
des jommerlichen Wanderzuges, ein paar 
Dugend neu gefangener Schmetterlinge und 
Käfer, unb einen um den andern hob Raus 
tenjchlager an feiner Nadel bedächtig heraus, 
drehte thn begutachtend vor feinen Augen 
und EC ibn zur weiteren Behandlung bet: 
feite. Dabei ging in feinem jcharfen Dialer: 
blid eine fnabenhafte Freude und beglüdte 
Kindlichkeit auf, bie niemand dem einjamen 
unb oft boshaften Menjchen zugetraut hätte, 
unb über fein mageres, ironijches Geficht lief 
wie Morgenlidht ein leifer Glanz von Güte 
und Danfbarfeit. 

Wie es ein jeder rechte Künftler nötig hat, 
er fei jonft von welder Art er möge, jo 
M aud) Lautenichlager durch alles Ges 
triipp [eines — ten und flackernden 
Lebens ſich einen Weg bewahrt, auf dem er 
jederzeit für Augenblicke in das Land feiner 
Kinderjahre zurüdtehren fonnte, wo für ihn 
wie für jeden Menjchen Mtorgenglang und 
Duelle aller Kräfte verborgen lag, und das 
er niemals ohne Andacht betrat. Für ibn 
war es der er Farbenſchmelz frifcher 
Schmetterlingsflügel und golden gleiBenber 
Käferjchilder, ber ibm mit Echlüjfeln der 
Erinnerung das Paradiestor öffnete und 
deffen Anblid feinen — für Stunden die 
SC und danfbare Empfänglichleit ber 

nabenzeiten wieder gab. 

PRorfidtig trug er feinen Shag in bas 
fleine Nebenzimmer, wo in zwei großen 
MWandjchränten feine ganze Injeftenjamms 
lung aufbewahrt rubte und deffen Arbeits» 
tijd) mit Spannbrettern, 9tabelfartons, Sted: 
Dien. popat, Pinzetten, Scheren, 
Benzinaläschen, Heinjten Zangen und an: 
deren Yerfzeugen eines wobhlausgeriijteten 
Snfeftenjiammlers bebedt war. Er ging jo: 
gre daran, bie geipiebten Käfer in Die 

äften der Sammlung einzureihen, die 
Schmetterlinge aber mit gebulbiger Gorg: 
falt auf Gpannbrettern auszujpannen. Da 
blidten ihn entfaltet bie wunderbaren Fliigel 
an, braune und graue wollige mit matt 
gepuderten Farben, filbern weiße mit frijtal: 


lenen Adern und frobfarbige mit metallen 
leuchtendem Email. Für jeine Augen waren 
dieje Schmetterlingsflügel bas Schönfte von 
allem, was ein Auge leben tann, wie 
andre empfängliche Menjchen etwa Blumen 
oder Mooje oder die Farben der Vieeress 
oberflade allem anderen Augengenuß vor: 
ziehen, und bei ihrem 9Inblid gewann er 
das, was ihm jeit Jahren fehlte, ir Wugen: 
blide wieder, nämlıd) das finblid) zufriedene 
Wohlgefalen an den Gegenftdnden der 
Natur, das Gefühl von Zugehörigkeit und 
Scöpfungsnähe, bas man nur im Lieben 
unb genauen ®Berftehen natürlicher Dinge 
zu finden —— 

Als indeſſen der Abend kam, verſorgte 
er ſeine Beute in einigen Blechkäſten zwiſchen 
befeuchteten Papierblättern, um ſie geſchmei— 
dig zu erhalten, dann holte er Tib eine 
Flaſche Wein aus bem Keller, Brot unb Sale 
nebenan im Laden, aß auf bem iyenjterbrett 
figend mit bem ‘Blid auf bte abendliche Gajje 
und — ſodann Die kleine Studierlampe 
an. Uber ein volles Skizzenbuch gebeugt ging 
er fünftigen Wrbeitsplanen nad), wie ja joldye 
gute tunden nad) ber Heimfehr von einer 

efreienden Wanderung oft die beiten Ge: 
Danfenbringer find. 

In feinem Sfigzenbud) fand fid) bie Ges 
Holt des Dr. Trefz vier» oder fünfmal 
wieder, jie war ihm unvermeidlich geworden, 
und er fühlte mit Befriedigung, daß er in 
ihr ben reinen Typ des Gerbersauer Phis 
lijters gefunden habe. Indem nun feine 
Gedanfen, an feinem vereinzelten Bilde 
bajtenb unb durch bie friedliche 9Ibenbbes 
Jdaftigung gegen bas Tal ber Jugender— 
innerungen gerichtet, bie heimatlichen Figuren 
liebevoll um)pielten, ftand plötzlich mit übers 
rajchender Deutlicdfeit das Bild bes jungen 
Trefa vor ihm auf, wie er als Schulknabe 
gewejen war, ja er vermochte fih feiner nod) 
aus der Zeit zu erinnern, da der jebige 
Notar bie erjten Hojen getragen hatte. 

Oft ſchon hatte ber Maler bis zur Bers 
weiflung darunter gelitten, daß eine zähe 

nhdanglidfeit ihn immer wieder und wieder 
nötigte, die f[leinbiirgerlide Welt feiner 
Baterftadt in einzelnen Figuren feitzuhalten, 
ohne daß es ihm je gelungen war, in einer 
irgendwie abjchließenden Arbeit diefe Welt 
für immer zu bezwingen und jid) vom Halle 
u Schaffen, und mehrmals im Laufe der 
Fahre hatten ihn Plane bejchäftigt, die darauf 
zielten, ihn in einer — Leiſtung 
von dieſem Zwang zu befreien. Nun ſtand 
ein ſolcher Plan ungeſucht vor ſeiner Vor— 
ſtellung, aus hundert Quellen ber Beobach— 
tung und Erinnerung bis in Rinderjahre 
urück genährt und bejtimmt, verlodend und 
dech, und er griff alsbald mit ganzer 
Seele Danad. Der Baumeilter, ber nad) 
miibjamen ®erjuchen im outen Augenblid 
den flaren Grundriß bes Haujes, das er 
bauen will, gefunden hat, und der Mufifer, 
bem aus zwanzig wirren Gfizzenblättern 
plóplid) bas Gefüge einer Symphonie jchön 


10 Mermam Helle: 


und orgüni|d) entgegenblidt, fühlt augen: 
blids alle Kräfte jeines Weſens nad) diejer 
Aufgabe hin drängen, fie RK groß ober Hein, 
unb fieht fih von einem jük quälenden Fieber 
ergriffen, das nicht zu [tillen ift als durch 
die Vollendung bes tm Innern geldjauten 
Wertes, unb diefe Ergriffenheit und quälende 
Begierde ift von berjelben Art und aus ber: 
felben Quelle wie bie Liebe eines jungen 
Mannes zu einer Frau. Gejteigert und übers 
tlar [teben Gntjdjlüjje ba wie Träume, in 
melden unerfüllte heimliche Wünjche in ber 
Tiefe bes Unbewußten ihre Erlöjung finden. 
So war ber Zujtand des Malers, als er 
beim Schein der Lampe ungejudht feinen 
Plan vor jid) ftehen jab. Er wollte in einer 


Reihe von Zeichnungen das Epos des (Per: . BR 


bersauer Bürgers erzählen, und diejer Bürger 
mußte der Notar Trefz fein. 

Man folte ibn jehen, wie er als Neuges 
borner feinem Papa dargereicht, vom Stadt 
pfarrer getauft. als Dreijähriger mit der 
eriten Sate geſchmückt, als Sechsjähriger zur 
Schule gebradt wurde. Er follte vom eriten 
Apfeldiebjtahl bis zur erjten Liebjchaft, von 
der Taufe bis zur Konfirmation und Hoch» 
zeit, er folte als Schüler, als halbreifer 
Symnaliaft, als Student, als Kandidat, als 
Bräutigam, als Gemeinderat und Beamter, 
als Redner und als Jubilar, als Vereins: 
vorftand und jdjlieBlid) als Bürgermeijter 
dargejtellt werden, jtets derjelbe Trefz, ber 
Typus des ftrebjamen Bürgers, der mit 
großer Energie und großem Stolze kleinen 
Zielen nadgeht und fie alle erreicht, ber 
bejtdndig zu tun hat und niemals fertig und 
niemals begnügt ift und bod) von ber eriten 
Hole bis zum Begräbnis chem bleibt, 
Dellen Unerjeglichleit jeder tief empfindet 
und ber bod) als tröjtlichen Grjat einen 
Nachwuchs hinterläßt, in welchem von der 
Najenwurzel bis zum Fuß, von der Mund: 
art bis zur Tenfart ber aus Urzeiten Der: 
auf gezüchtete Typ des Baters wohlerhalten 
und bedeutjam fortgebildet erjcheint. 

Als Hermann Lautenjchlager, von ber 
großen Idee bewegt und nad) feinem Schlaf 
verlangend, ziemlich |pát in guter Laune 
nod) den Adler aufjuchte und fih zu einem 
Schoppen Traminer jebte, Jah er dort den 
Dr. Trefz3 bei feinem neuen Freunde Julius 
Dreiß figen und hatte feine Freude an ihm, als 
fei er fein Eigentum und laufe lediglid) zu fei: 
ner Belujtigung auf der Welt umber. Trefz 
hatte fich bet feinem Eintreten verjtimmt abge: 
wandt. Dejto vergnügterbegrüßteihnder Herr 
Dreiß, jaerbat, als merke er nichts vonTrefzens 
Abneigung, den Ankömmling aufs freundſchaft— 
lichſte, an ſeinem Tiſche Platz zu nehmen. 

Der Maler fühlte einen Augenblick Luſt, 
die Einladung anzunehmen und den ge— 
kränkten Jugendfreund in Verlegenheit zu 
bringen. Doch war er in allzu verſöhnlicher 
Stimmung, als daß er es getan hätte. 


„Die Herren haben miteinander zu reden,“ 


ſagte er dankend, „und ich bleibe ohnehin 
nicht lang. Proſit, Herr Dreiß!“ 





„Profit, * Lautenſchlager,“ 
herüber. „Ihre letzten Zeichnungen haben uns 
allen einen Heidenſpaß gemacht — nicht wahr, 
Herr Dottor?” 

Trefa gab teine Antwort. Er fog mif. 
vergnügt an feinem Wein und fpürte zum 
erftenmal eine Ahnung davon, daß dtefer 
un|gmpatbijdje Julius Dreiß ein Bundes: 

enojje des widerlihen Malers und daß 
eide, ohne es gerade zu willen und zu wol» 
len, feine Feinde feien. 

Und in der Tat fam Dreiß mit dem 
Maler zurzeit recht häufig gujammen, und 
was der Notar heut abend mit Dreiß oe: 

[aubert batte, fam morgen |djon zu Lauten- 
— Ohren. 


E? gg 
Als ber Sommer zu Ende ging, begann 
Dr. Trefz auf die Früchte feines HH 
lichen Umganges mit Herrn Dreiß ungeduldig 
zu werden. Er [ub ben Freund zu einem 
Sonntagsausflug ein und eröffnete ihm in 
der Goldenen Krone zu Kriiglingen bei einer 
Flaſche Affenthaler feine — Wünſche. 

„Sehen Sie,“ ſagte er eindringlich, „es 
wäre doch unverantwortlich, eine altehr⸗ 
würdige Vereinigung wie Ihre Färberzunft 
einfach ausſterben zu laſſen, nur weil von 
den eigentlich zunftfähigen Familien keine 
Nachkommenſchaft mehr da ijt. Cie ſollten 
den einen und andern tüchtigen Mann zu— 
laſſen, der Leben und Regſamkeit in die 
Zunft brächte, ſich der Geſchäfte annähme 
und die Geſelligkeit anregte. So bin ich zum 
Beiſpiel, wie Sie wiſſen, mit einem Teil der 
Verwaltung Ihres Zunftvermögens betraut 
und habe einen Einblick in Ihre Geſchäfte. 
Als Mitglied der Zunft nun würde ich nicht 
nur auf die Gebühren verzichten, die ich für 
die kleine Arbeit der Verwaltung anzuſpre— 
chen habe, ich würde auch den etwas altmodi— 
ſchen Gang Ihrer Geſchäfte zu verbeſſern 
wiſſen und die Rentabilität Ihrer Kapitalien 
bedeutend erhöhen können. Überhaupt, da 
id) in ber legten Zeit das Vergnügen hatte, 
Sie näher fennen zu lernen und in einen fo 
freundichaftlihen Umgang mit Ihnen zu 
tommen, wäre es mir eine freude, aud) 
Ihrer Zunft mit anzugehören, und ich darf 
bod) [^ hoffen, daß mein Aufnahmegejud) 
Ihre Befürwortung fände?” 

,GemiB," antwortete Dreiß nachdenklich, 
„aber Sie werden ja wohl willen, welches die 
Vorbedingungen einer Aufnahme find. Mei- 
nes Wijjens find Sie mit feiner von ben zunft= 
berechtigten Familien nahe genug verwandt.“ 

„Das weiß ich,“ gab Trefz ohne weiteres 

u. „Aber immerhin ift meine Mutter eine 
tothfuß und mit den Dreißen Ihres Stam: 
mes vervettert. Und außerdem weiß ich, daß 
im Laufe der Jahrhunderte zweimal Die 
Zungtmitgliedjchaft an Nichtiberechtigte per: 
[eben worden ijt. Einmal fogar an einen 
Auswärtigen, ber fih das Bürgerrecht nur 
erfauft batte. Gie Tonnen doch nicht im 
Ernſt eines Zufalls wegen Ihre ganze Zunft 
eingeben laffen.” 


In einer Meinen Stadt PEERAA ARAKA 11 


„Das haben wir nod nicht im Sinn. Bu- 
nüdjit find wir nod) drei lebende Mitglieder, 
mit deren 9Ibjterben es ja nicht jo jehr prefs 
Rent Und jdjieBlid) wäre bas Aufhören 

er Sunjt gar tein jo großes Unglüd. Einen 

rechten Sinn Bat fie bod) Ton lange nicht 
mehr, und bet ihrer Auflöjung ginge ihr 
Vermögen an die Stadt über, bie es |djon 
braudjen fónnte. Wir zahlen Steuern ge: 
nug, da würde eine Heine Aujbeljerung nichts 
Ihaden.“ 

Das konnte Trefa als Mitglied bes Ges 
meinderats nicht leugnen. Er wiederholte 
nur, wie jchade es wäre, wenn man eine Jo 
alte und ſchöne Inftitution müßte erlöjchen 
feben, unb bat den andern, jeinen Antrag 
um Aufnahme zu überbringen. _ 

Darauf nun batte Dreiß Ion lange ge: 
wartet. Er die eine [djnelle Antwort 
und freute fih, bielen Philijter in Ern 
Händen gu willen und ibm einen Dentzettel 

u geben. Denn als *Bbilijter er[djien ibm 
er Notar, obwohl Dreip jelber fein kleinerer 
war. Er Hatte als bequemer Junggelelle 
eine Abneigung gegen alle Streber und Um: 
triebler, es war J nur ſeine Trägheit 
und ſeine Luſt am Witzemachen, die ihn 
ſeine tüchtigeren Mitbürger als Philiſter 
verachten ließ. In den Jahren feiner Zus 
ehörigkeit zur Zunft hatte er dort das große 
ort geführt und fid) namentlich als Ber- 
anitalter des jährlichen Faſtnachtsfeſtes Ber: 
vorgetan, und ba ibn fonjt feine Arbeit oder 
Gorge bejdhdftigte, war ibm das Spa: 
machen allmählich zum Beruf geworden. 
un war in der Zunft eine lange Weile 
nichts richtig £u|tiges mehr pajjiert, und 
Dreiß begriipte diejen Anlaß zu einem Nar: 
renjtreid) mit Freuden. Gleich allen Müßig— 
gängern und unerniten Menjchen war ibm 
nichts willfommener, als gelegentlidy einen 
andern von fid) abhängig zu jeben und feine 
ua ge Macht zu mi,brauchen. Co berief 
er alsbald eine — ein, die er im 
Einverſtändnis mit den gle.chgültigen Mit: 
gliedern zu einem ſchönen, feſtlichen Abend— 
eſſen geſtaltete. Von einem Kellner ſorg— 
fältig bedient, unter demütiger Leitung des 
iridjmirtes, jaßen bie drei nid)tsnubigen 
nggejellen an bem zehnmal zu grogen 
unitilde beijammen, agen, was ibnen gut 
dien, und tranten Rotwein dazu, hatten die 
alten jilbernen SCH der Väter vor [id) 
fteben unb famen fih drolig und widti 
vor. Sn einer lujtigen Rede erzählte Dreig 
von dem Anliegen des Tr. Sa worüber 
wenig Berwunderung entitand, da ähnliche 
Gejuche nicht eben Jelt. an fie gelangten. 
Statt jebod) ben WEEK? einfad) unb 
fadjlid) abzuweijen, beſchloß Dreiß ibn erft 
ein wenig zum Beien zu halten, unb der 
Dialer — gab ihm vortreffliche 
Ratſchläge dazu. Und fo erhielt denn nad) 
einigen Tagen der Notar ein feierliches 
Schreiben von der Färberzunft, worin er be— 


— — 
"ab ah 7 ab an Se 










oq =.= eg 
= s/s sa 








deutet wurde, fein Anliegen fchriftlich mit 
ausführlicher Begründung und unter Beis 
fügung eines EE? Stammbaumes 
gu wiederholen. Die Aufforderung war 
übrigens jo eeh, baB der Notar 
trog einer leijen Witterung bes Gegenteils 
ie ernjtnahm und mit der Herjtellung einer 
chönen Kopie feines Stammbaumes viele 
Kë Abendſtunden hinbradte. 

ielen Stammbaum jamt einem langen 
Schreiben ließ er bem ehrenwerten Borjtande 
der Zunft übergeben und wartete jodann 
eine gute Weile vergebens auf Antwort, in: 
Dellen bie Zunftherren den Anlaß zu mehres 
ren Sitzungen, Frühltüden und Meinen Ges 
lagen wahrnahmen. 

— aber bekam Trefz einen zierlichen, 

rachtvoll kalligraphierten Brief mit dem 
chweren — Begierig ſchloß er ſich 
in ſeiner Schreibſtube ein, entfaltete und las, 
und war ſelbſt jetzt noch einen Augenblick 
im ungewiſſen, ob es ſich um Ernſt oder 
Spaß handle. Tann aber wurde ihm tlar, 
daß er gum Narren gehabt worden fei, und 
es gab fortan in Gerbersau feinen heftigeren 
Gegner der Zunft als ihn. Das Schreiben 
hatte gelautet: 
„Hochgeehrter Herr Doktor! 

Shr Antrag ijt ber wohledlen Zunft an 
Färbern zu Händen gefommen und f.hlen 
wir die Ehre wohl, bte uns damit angetan 
wird. Mit großem Vergnügen wären wir 
bereit, Ihrem werten Anjuchen zu entjpres 
chen, wenn nicht früher gefaßte Entichließuns 
gen uns Dies leider erichweren würden. 

Unjre wohledle Zunft zu Farbern beiteht, 
wie Ihnen wohl befannt, zurzeit aus nur 
drei Mitgliedern, welche alle drei fich des 
Eheitandes enthalten haben, jo daß nad) 
ihrem einjtigen Ableben die Zunft erliid)t 
und ihre Habe der Stadt Gerbersau zufällt, 
Dies ift unfer aller Dieinung und Wille, 
unb was nun Ihre werte nivage betrifft, 
jo find wir mit Greuden bereit, Cie, bod): 
geehrter Herr, in unire Zunft aufzunehmen, 
wenn wir bie Gewipheit haben, dak hiers 
durch unjere früheren Nbfichten nicht ge: 
Ihädigt werben. 

Mir haben daher die Ehre Ihnen mit: 
zuteilen, daß Ihrer Aufnahme nichts ents 


.gegenjtebt, jofern Sie bet erfolgendem Eins» 


tritt jiġ jchriftlich und eiblid) verpflichten, 
niemals in den (bejtanb zu treten. Gollte 
diefe einzige Bedingung Ihren Beifall nicht 
nenen, jo müßten wir allerdinas zu unjerem 

ebaucrn auf die Ehre verzichten, bie Ihr 
Beitritt uns andernfalls bedeuten würde.“ - 


eB 

Ceit im Hans GCadjs' feine von Lautens 
ſchlager gezeichnete Karikatur erjchienen war, 
hatte Trefz einen jold)en Ärger nicht mehr 
erlebt. Den Bruß des Herrn Dreiß, Der ibm 
andern Tags begegnete und mit dem freunde 
lichiten Yächeln den Hut zog, hätte er am 
liebjten mit einem Faultichlag beantwortet. 





E GE 
9 A ) s LEE = NY L 
owe Der alte Ulenges 


| | Cie Ballade bon Karl von Derlepfeh 


f 
AS Da fprad) der alte Menges, Dod) Alter weiß zu faffen, 
Der tapfre General: Was keine Kugel trifft, 
»Hd), wollte Gott, geláng' es Und was bie Schlacht gelaffen, 
3u ftürmen nod einmal ! Das nahm ein fdjleidjenb Gift. 


Der ew’ge Sdjütgengraben Daheim unb ganz im ftillen, 
Der ift mein em'ges Ceid! Was keiner fiet unb hört, 

Die Sappen unb bie IDaben Schamhaft unb wider Willen 
Derderben beutfdjen Sdjneib! Stieg Menges in die Erd’. — 


Der Kampf mit Cift und Tücken Dod fieh! Am Dünabogen 

Dom Feind erfunden ward, Da zieht bes Tlad)ts ein Hauch, 
Sid) drücken unb fid) bücken Der krauft des Narocz’ Dogen 
Das ift nicht beutfdje Art! Und baufcht einen Mantel aud). 


Und ob's mid) gleidh gefährde — Da [d)reitet längs dem Graben, 
Pot; Kuckuck Element! — Ganz offen, ungedeckt, 

Id) fteig' nid)t in die Erde Der Geift bes alten Knaben, 
Dor meinem letzten End’ !« Bod)ftáàmmig aufgereckt: 











UST, 






























Da ftand er auf der Wiefe Ein Reft aus jenen Tagen 

Dorm Feinde, groß und breit, Dom ritterlidyen Krieg, 

Am Rock bie rote Biefe, Da nod ein Manneswagen 

Die blizte meilenweit. Und Kühnheit trug ben Sieg! — 

Im Hagel von 6Gefdjo[fen So fdjreitet er bedddtig 

Ging offen er umber, Die deutfchen Poften ab. 

Als wenn für ihn gegoffen Da flüftert's übermädhtig: 
j Nod) keine Kugel wär’! »Den Alten hält kein Grab.« 
\ (4 Und wie fein blind Dertrauen Der Ruffe fiebt's mit Bangen 
IN Den Führer nie verläßt, Und krümmt fic) wie ein Durm: 
[) So jubelten bie Grauen: »Der Menges kommt gegangen, 


»Der Alte. ber ift feft!« — Das deutet neuen Sturm!« 





Die Zowehrſchlachtem 


in ber 


D 
Shampagné und an der Aisne 
Bilder und Text von Ernſt Dollbehr, Kriegsmaler bei 
der Heeresgruppe des Deutfchen Kronprinzen 


3333333233333333?333323333333333233333323233333333333333333?23323320233393233033?2?2?22033333333?3323?3j33322?(0?2?2?2322)22?5 






Das Maffiv von Moronpvilliers 
einem öden Kiefernwald der Cham: 
pagne liegt ein großes Waldlager. 

S ps Es ijt eine Anfammlung von ein: 

H fachen Bretterhütten, bie mit ſchwar— 
zer Dachpappe verkleidet und mit 

Kiefernzweigen gegen Fliegerjicht belegt find. 

Da, wo bombenjtdjre Unterftande gebaut 

waren, hoben fic) bie herausgeworfenen wei- 

Ben Rreidemajjen grel vom braunen Wald- 

boden ab. Außerhalb diejes Nadelwaldes war 

[don der Frühling mit blühenden Bäumen 

und jungem Grün eingezogen, und blauer 

Himmel wölbte fic) über diefe Frühlings» 

pradjt. Hier aber im Walde Gr bie Men- 

jhen fein Interejje für den Frühling. Das 
menjdjlide Hirn mußte hier intenfiv arbei- 
ten. Hier lag der Divifionsitab und fann, 
wie er mit Sitfe leiner braven Goldaten 
über die gewaltigfte franzöſiſche Dffenfive 
an der nahen Champagnefront Herr würde, 
wie er bie Gtellungen gegen bas mórbe: 
riijhe Geldjü&feuer unb gegen bie anftiir- 
menden Menſchenmaſſen halten tinne. — 
Unheimlich war der Wald in feiner melan- 
choliſchen Stimmung, während an der Front 
bie lebte Stunde bes Weltgeridts herein: 
gebrochen: ihien. — Eine armjelige Bretter: 
ude, mit einer Schlafgelegenheit aus Ma- 
Ichendrahtgeflecht, einem dreibeinigen Stuhl 
und einem Tijd war mein armjeliges Quar: 
tier. Man jah mich aber wenig in diejen 
fürftlichen Gemächern. Ich war [tets vorn 
an der Front auf einem Baumgipfel und 
malte von hier bei Sonnenjchein, oder bei 
aufziehendem Regen und Nebel Ctimmimgs: 
bilder und viele Panoramajtudien vom 

&amp[gebiet. Alles dies fol |páter vereinigt 

ein großes Bild vom Gelände der Abwehr: 

ichlacht geben. fiber ben von Granaten auf- 
ewiiblten, dennoch ftellenweije vom Früh— 
ingsgrün überzogenen Wiejen erhoben fih 
bie beipgumitrittenen Bergrüden, der Fichtel: 
berg, der Pöhlberg, Keilberg, die Bärenburg 
mit ihren amphitheatralijchen Schluchten, 
der Hochberg und der Lug ins Land. Dieje 
freidigen Bergwellen hoben jid) beim Malen 
der Sauptbil er gejpenjtijd vom jchwarz- 
blauen Gewitterhimmel ab. Die hellen 9taud): 
fahnen der einjchlagenden Granaten und 

Minen verjuchten eine Verbindung zwijchen 

Himmel und Erde zu [djajfen. 

Wn ber Wisnefront 
Einige Tage jpáter fah id) vor mir bas 
dem Fort Brimont fih anjchließende Kampf- 
gelände der franzöliihen Offenjive. Für 


mid) altes befanntes Gelände. Ich erfonnte 
en im Trommelfeuer liegenden Winterberg, 
jah bie zerftörten Orte Craonne, Corbeny, 
„Juvincourt, die berüchtigte Höhe 108 und bie 
danebenliegenden Steinbrüche, jah Berry au 
bac mit feiner Gasfabrif, bie in ben Kämpfen 
1914 jchon eine große Rolle fpielte und die 
id) Damals jo oft gemalt. Ich jah die Höhen 
91 und 100. Alle diefe marfanten, heißum— 
ftrittenen, langgejtrectten Hügel hoben fid) jest 
rellweif, von Granaten zerwühlt, aus Dem Ge: 
jamtpanorama heraus, dazwiſchen zweiund⸗ 
reißig ſchwarze Punkte, die zerſchoſſenen fran— 
öſiſchen Tanks und am Himmel fünfzehn Feſ— 
lballons. Im MBordergrunde der völlig 
zerichoffene Ort Buignicourt, welcher laut 
den bei den Gefangenen gefundenen ‘Befehlen 
das erjte Ziel der franzöliichen Infanterie 
vereint mit ben vorbredjenden Tanffolonnen 
am erften Tage ber Dffenlive fein folte. — 
Dies Ziel haben die Franzojen nicht erreicht, 
denn jie fonnten an bieler breiten Wisne- 
front trog bes wahnfinnigen Ginjabes von 
Tants, Granatfeuer, Gas und Menſchen 
nur eine geringfügige Einbudtung bei der 
Höhe 108 erzielen. In ber GE, haben 
bie Franzoſen diefe 9Ingrijfs|telle an der 
Aisne bei der Höhe 108 nicht einmal zu er- 
weitern verjudt, wohl hauptjächlich, weil 
dadurch ihre rechte Flanke übermächtig bloß» 
gelegt worden wäre. Gie [inb zwar vom 
16. April ab in immer neuen Gtürmen ges 
gen die Höhen 108, 91 und 100 angelaufen, 
aber es tft ihnen trog bes ftärliten Feuers 
fein Erfolg bejdieden gewejen. 


Tants 


Am 16. April 1917 gwifden 7 und 7/,8 Uhr 
früh ſahen unjere 9Irtillerijfen plötzlich ihre 
Cdubitellungen von vorwärtsitrebenden 
Menichen erfüllt. Rechts am Aisnegrund und 
linfs an der Miette eilten franzöjilche Tant: 

ejhwader im Ganjemarjd den Angriffs- 
olonnen voraus. 

Get dem Bewegungsfriege hatte es fo 
etwas für unjere Artillerie nicht mehr ge: 
geben. Lebende Ziele und dann dazu Tants, 
bie von uns über 9Bifier unb Korn unter 
Teuer genommen werden konnten. Wann 
war es den braven Ridtfanonieren mal ver: 
gönnt gemejen, felbft das Ziel zu jehen, 
worauf fie im Schweiße ihres Angefichtes 
hießen mußten? Jedes Gejchüß, ganz gleich, 
in welcher Richtung es vorher gehenden 
hatte, wurde herumgerijjen, zum Teil aus 
den Dedungen gefahren, und nun ergoß jid) 
von allen Geiten ein Feuerhagel auf den 

(Fortjegung auf Seite 19) 








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Panorama des Gefechtsfeldes am Chemin bes Dar 


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ESSI Ernft Vollbehr: Die Abwehrichlachten in der Champagne u. an der Wisne Gi 19 


dahinfahrenden Tanfwurm. Won den beiden 
Kolonnen in Ctürfe von je zwanzig bis 
dreißig Tants befam die Hälfte Volltreffer. 
Die Tantfolonnen waren dadurd) jofort zum 
Stiljtand gefommen. Man [ab die Fran: 
ofen aus den Tants herausjtürzen und 
fid bie brennenden Uniformen vom Leibe 
reißen. Die frangofijdhen — Sinjfanterijten 
brüdten fih jdjleunigit aus ber — ren 
Nähe, zumal die Munition und die Benzol: 
bebálter bei einigen Tanfs explodierten. Die 
Tants madjen ‚tot. Das Feuer ber Ar- 
tillerie brachte das TFortichreiten ber fran: 
öſiſchen Infanteriemafjen gum Stehen. Jetzt 
Pate auch ber Gegenftoß unjerer Infanterie 
ein. Uber bie bis dahin ‚tot‘ |djeinenben 
Tants, bei denen unjere Infanterie adhtlos 
vorbeigejtürmt war, wurden plóblid) wieder 
lebendig und ee itellentpeije in Den 
Rüden der vorjtiirmenden deutjchen Reihen. 
Das befam ihnen jdjledjt. Die nun bereits 
eingejd)ojjene Artillerie brachte mit wenigen 
Schüjjen wiederum Ungetüme zum Explos 
dieren, |o daß fid) der Weit veranlaßt jab, 
ſchleunigſt nad) rüdwärts zu entweichen, was 
ihnen nur gelang, weil fie fid) mit Hilfe von 
ebelbomben hinter einer undurdhlichtigen 
Raudwand veritedten. Biele find nicht ent: 
tommen, denn ich fah ja allein zwijchen Miette 
unb ber Yisne zweiunddreißig Ungetiime zwi- 
jhen unb hinter den Linien zerjtört liegen. 
Ich wollte natürlich bie Tanks aud) von 
der Nähe jehen und malen, hatten fie doch 
friegsgejchichtliche Gleck: während Der 
franzöſiſchen Difenlive erlangt. Durchs She- 
renfernrobr batte ich genau beobachten fine 
nen, baB einige dicht an unjeren Gräben 
lagen und von dort aus gemalt werden 
fonnten. Darauf fubte mein Entſchluß, ben 
id) auch gleich tags darauf ausführte. Der 
librer, ber mich bei Suvincourt an ber 
egegabelung laut Divilionsmitteilung er: 
warten jollte, war ausgeblieben, und aufs 
Beratewohl über freies Feld in Richtung 
der Tants zu laufen, war trog der Dämmes 
zng nicht ratjam. 
eim Warten auf bielen Führer aber 
hatte id) bas Glück Offiziere zu treffen, bie 
in bie vorderjten Stellungen gingen, fich jo: 
gar als gute Belannte von mir von der 
ombreshöhe entpuppten und mid) in bie 
richtigen Laufgraben bradten. Ich [djlid) 
immer näher an die Tants heran, jchaue 
dabei aud) mehrmals über ben Grabenrand. 
Was fehe id) dort? Bier [d)marae, breite, 
unförmige Geftalten mit zwei diden Hinter: 
und dünnen Morderbeinen. Die richtigen 
Cpufgeitalten, bie um den mir gunádjt 
liegenden Tant Berumlaufen. Ich traute 
taum meinen Augen und jdjrieb dieje Er- 
Iheinung bem Morgennebel zu. Was waren 
es? Vier Rriegsphotographen, bie ein jchwar: 
E Tuh über den Kopf hatten und den 
ant von allen Geiten photographierten. Syd) 
itrebte bei biejem photographijden Atelier 
vorbei zum nächiten Tant, um diejen mit 
drei babeiliegenben im Morgenlicht zu malen. 


Co Stand ich auf freiem Felde, außerhalb 
des [djiiBenben Grabens, dicht neben meinem 
Modell, ohne zu ahnen, wie nahe der Feind. 
Ich ließ mir jogar Zeit zum Malen. Die 
Morgennebel verichwanden aber bald, bie 
Franzoſen betamen Sicht, fonnten das Leben 
und Treiben der photographierenden Gol- 
daten beobadten, unb da ihnen ja wohl 
nicht gerade viel darum zu tun war, daß 
wir Deutjche diefe Zeugen ihrer traurigen 
Blamage photographieren, ſchoſſen fie mit (Ge: 
wehrgranaten, worauf die Bhotohelden foe 
fort im Graben verjchwanden; id) aber, ber 
id) durch meine Modelle gegen feindliche 
Sicht geldbiibt war, fonnte noch eine frieqe- 
rilche Mote, ben rötlichweißen Rauh der (5e: 
webrgranaten, mitmalen. Die $yarbenjtiaae 
war bereits vollendet, und außerdem waren 
nod alle genauen Maße ber Tants notiert 
und niedergezeichnet, als ich mit meinen 
Mallahhen gezwungen wurde in den Graben 
u |pringen. Ich war glüdlich, daß id) bie 
ants im Bilde fejtgehalten hatte. Séi? 
will ich hier gleich alles, was ich über Tants 
gejehen und gehört habe, niederjchreiben. 

Die Tants follen hinter ben Cturmbatails 
lonen vorgehen und diefe erft hinter fih la]: 
len, wenn jie auf Hindernijje, wie Blod: 
häufer, Drahtverhaue ftoßen. Der Tant foll 
(id dann auf diejes Hindernis werfen, es 
vernichten, und jobald bieles erreicht ijt, fid) 
der feindlichen Artillerielicht entziehen, da 
dieje bie größte Gefahr für bie Tants find. 
Der Hauptzwed ber Tants ijt, ber deutjchen 
Infanterie Angſt einzuflößen. 

Die Schußfarbe ber Gants wird bird) alle 
möglichen Farben in willfiirlider Anordnung 
erftrebt. Je vier Wagen haben das gleiche 
Zeichen, 3. B. Herz: As, Kreuz-As, Schippen= 
As, Raro-As. Dieje Zeichen find von uns zuerft 
irrtümlich als Genferfreuz angejehen worden. 
Tants Tonnen vor und riidwarts laufen und 
auf der Stelle drehen. Aus Ausjagen von 
gefangenen Tanfbejakungen geht hervor, daß 
die Tants ganz unzuverläjlig und jehr bei» 
Jerungsbediirftig find, dak bie Frangojen 
aber dennoch die Hoffnung auf ihre Erfolge 
nicht aufgeben wollen. Andere Gefangene 
waren der Meinung, daß mur bie [|frupel: 
loje 3eitungspropaganba den Bau Diejer 
wenig wideritandsfähigen Majchinen ver: 
anlaßt habe. Andere jagten nur: „Pas en- 
core assez a point,“ 


Der Winterberg 


Wie genau glaubte id) bas ganze Kampf: 
gelände bes Winterberges zu fennen, da id) 
dort 1914/15 joviel erlebt und gemalt habe. 
Ih war damals Augenzeuge, als im Sep: 
tember 1914 Craonne von den Gadjen ge: 
türmt wurde. Sd) malte gleich danad) 
Craonne und betitelte das Bild „Das gers 
itórte Craonne”. (Grit jet dürfte id) dtejen 
Titel beniüten, erft jebt ift es wirklich zer: 
ftdrt, denn es ijt völlig vom Erdboden vers 
ſchwunden. 

Ich ſah damals auch die Gefechte von 


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22 Ernſt Vollbehr: 


damals über St. Croix hinweg das Pans 
orama vom Winterberg. (Siehe als Vergleich 
das Bild im erjten Kriegsbildertagebud) bes 
Künftlers, Verlag F. Brudmann, Münden). 
Die nád)jten Tage verlebte id) auf einem 
Beobadtungspunfte, um von dort aus ge- 
naue, detaillierte Studien für ein großes 
Dioramabild diejer blutgetrantten Front ber 
franzöſiſchen Offenlive zu malen. Cs gelan 

mir gut, da ftets flare Gicht war, und i 

jur genaueren Orientierung häufig im Feſſel— 
alon aufjteigen fonnte. 


Bove Chateau 


„Bove Chateau liegt unter ftändigem Feuer, 
jo daß es gang eg tlie iit, daß Cie 
dort malen fonnen!“ — „Die Franzoſen 
idjieBen viel mit Gas dorthin, aljo, wenn 
Cie fid) von Ihrer Idee, dort malen zu 
wollen, nicht abbringen laffen, müjjen Cie 
Ihre Gasmasfe [tets aufhaben.” Sd) ließ mich 
nieht abhalten und wanderte troßdem zum 
Bove Chateau. Ich mußte aber in aller Herr: 
gottsjrübe heraus und- mußte einige Zeit 
meinen Weg vor unjeren Batterien ente 
lang nehmen. Mein Trommelfell wollte fajt 
plagen, wenn neben mir urplóblid) eine 
Batterie feuerte. Der Weg zum Schloß, 
den id) von 1914 her ebenfalls nod) in ſchöner 
Erinnerung hatte, jab fiirdterlid) aus: 
Granattridter an Granattricter, tote, ftin= 
tende Gäule und zerichojjenes Kriegsma— 








terial. Die zerfplitterten Alleebäume lagen 
treug und quer über ben CHE — Zwijden 
odergelben, Se ar rbbaujen, die 
wohl von ſchwerſten franzöfiichen Kalibern 
ftammten und gwijden Baumleiden lagen 
die von der Miorgenjonne bejdienenen legten 
Trümmer des Bove Chateau. Traurige Refte 
einftiger Herrlichkeit. Nichts erinnert mehr 
an bie ſtolze, leichtjinnige Zeit Ludwigs XIV., 
ber von Paris auf diefen Höhen für feine 
„Damen“ den bequemen Höhenweg, den jest 
jo beigumftrittenen Chemin des Dames bat 
bauen lafjen, um mit bicjen „Holden“ Schäfer— 
[piele im Bove Chateau und im Part au 
treiben. Ob es Cage oder Wirklichkeit, weiß 
id) nicht, wenig|tens geht es bier von Mund 
zu Mund. Ein blak »grünblauer Himmel, 
überjät mit Schrapnellwolten und einem pio: 
letten Schleier am Horizont, an dem 

rötlichweiß der Winterberg mit den Reiten 
von Hurtebije, Rlofter Bauclaire und Bou: 
conville abbob, bildeten den Hintergrund zu 
den weißen Schloßrejten. Trog der graufigen 
Verwültung und den großen Beiahren hodte 
id) in einem Granattridjter und malte bas 
traurige Motiv in feinen reichen, herrlichen 
Tarbtontraften. In Sicht bes Feindes, bei 
hellem Wetter jdjliden wir uns zurüd über 
den Boverüden zur Yandftraße. 5 web, fein 
Auto war für mid) ba und mein Tagespro» 
gramm lautete, bap id) nod) am jciben Morgen 
mit einem Fellelballon aufjteigen folte. 


“ea — — u 


| NS 


Blid von ber Parfmauer von Bove Chateau auf bas Befechtsgelände am Winterberg 
Sm Vordergrund Bouconville, Wilettes- Grund, auf Der Höhe bas Klojter Bauclaire, Hurtebije, wiles 


ge BSSSoa Die Abwebhridhladten in der Champagne und an der Aisne BIS 23 
ne laz 
Zmije Sm Feffelballon 
jen, X} Wel gewaltige 
talib Kontralte mußte ich 
n lac ri Kriege erleben! 
n legir en nod nabe der 
ge Ker — i raufigen 
H me ſitzend 
is XI ADM si — 
ir fe M 900 "an 
en je einem Sicile 
tes bc riebenbadjter im Fef- 
dät ſelballon, erhoben 
art r Über ber unter mir 
| wei  Gusgebreiteten, ver: 
Jh;  rüdt gewordenen 
imme! Welt. Es war ein 
m vie hon engere Mare 
m E en bier oben. Jad 
Reiter Süden lab ich über 
Kor Reims Geer bis 
mz _ tief tn Die gapogne 
ufiger — nach 
bod: über bem rotaufleuc- 
eds tenden Winterberg 


ide weit na antreid), 
dee jo weit, i raus 
über oa ‘ab rikſchorn⸗ 
ler eine und von ber 
spro E beſchienene 
E fcheinend im Frieden 
lagen, jab. Nah Nor: 

eck über Laon hin: 

3 a, ich bie ganze 


^ 


— iſche 
ront, an der langen 
eihe der deutſchen 
eſſelballons erkennt⸗ 
ich, bis weit zur Som⸗ 

me. Im unter mir 

; liegenden Gelände der 
tobenden Schlachten. 
plagten unaufhörlich 
Granaten und rijjen 
bas Erdreid) bod) bir: 
auf. Oft fah man die 
topilchen Gd A 
den Feuerüberfä 

Form von hoe 

SE Dellen Gin: 
iate en im ilettes 
Dan fah das 
Infbligen gen 
und feinbliden (Qe: 
Ihüßen. Der rabad 
tungsoffigier hatte nes 
ben mir die Aufgabe, 
unjere Mörfer, mit de- 
nen er telepbonijd) 
verbunden war, ein: 
Kap; Ben. Er er 
ehr mit der Wir 
bieles — Gin[djie * 
ufrieden zu ſein, 
ER er ließ nicht nad, 
bis id) trof meines 
intenfiven Mtalens 


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Der Winterberg im feindlichen Feuer 





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24 Ernſt Volbebr: BSsesessessssssssi 


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e VLL VEM o d igh J ROT yt on AT NU» he, * = SE E 
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8 Blid auf bas Maſſiv Moronvilliers D 


Sntereffe an feiner Tätigkeit zeigte und eben» 
falls burd) bas Glas dem Schießen zujah 
und gerade Augenzeuge wurde, wie ein fran: 
gn es Munitionslager in bie Luft flog. 
achdem der Offizier jo feine Aufgaben 
glänzend gelöft und nun für meine Tätigkeit 
etwas Zeit fand, wurde mir das gewaltige 
Panorama genau erflärt. Ich wußte nun 
cnau jeden Wald, kannte den Stand der 
feinbli en Wrtillerien, jedes Dorf und jede 
Stadt. Ich fah ben Wiiettebadgrund in 
pas opi Gr „S“⸗Form, fah Guvincourt, 
err) au bac, bie Höhen 108, 91 und 100. 
Cab ein heigumftrittenes, |pinnenmebenar: 
tiges Schiigengrabengewirr, Millionen weiße 
Granattridter und bann auch von hier wieder 
die vielen zerſchoſſenen Tants. Ich jah fable 
oder braungebrannte oder griine Walder, aus 
denen es unaufhörlich aujbli&te und leichte, 
Hobe, mit einem Ring endende 9taud)fabnen 
ber Geſchützabſchüſſe auffteigen. Alles diejes 
eingerahmt mit den duftig weichen Farben 
der Ferne des tee und des Himmels. 
u uns Hang Militärmuſik herauf, jo beut- 
lid) hörbar, dak fein Ton verloren ging. 
Bis 10'/, Uhr abends war ich oben, malte, 
ihaute und bewunderte. Dann wurden wir 
ee Sé zur nächtlichen, aber warmen 
rdoberflähe. Ich war in einer anderen, 
ja bejjeren Welt gewejen, hatte ungeheure 
Ginbrüde fammeln und mit Farben zu Pa: 
pier bringen Tonnen, 


Am andern Morgen vor feds Uhr war 
id) ſchon wieder bod) und malte. Das ganze 
Rriegspanorama lag nod) friedlich und feiers 
lid) vor uns, bis ber Gegner wieder anfing 
und den andern zum Erwidern hay bern 

Ein franzöfifcher Flieger wollte jid) bem 
9tad)barballon nähern, er wurde aber von 
unjeren Ballonabwehrgejhügen mit Gperrs 
feuer umgeben, jo daß es nicht gelang bers 
anzulommen. 

S jah malerifd aus, als die weißen Leucht⸗ 
granaten-Ketten unaufhörlich aufftiegen. Un: 
willtürlich jah id) jentrecht tn bie Tiefe, um 

u [dauen, welchen Weg id) mit dem Fall: 
SN an dem id) fejtgebunden war, zurück— 
legen würde, falls wir angegriffen würden 
und in ber Tiefe verjchwinden müßten. 
Wir wurden ein Stüd heruntergeholt, aber 
ba die Gefahr bald wieder vorbei war, 
fonnten wir jchnell wieder in 900 Meter Höhe 
pergen: Wieder hatte id) gute Siht und 

alwetter, nur war es Winditille ge: 
worden, und der Ballon drehte fih oft um 
feine Achje, fo daß id) Mühe hatte, beim 
Malen ftets den Punkt bes gewaltigen Rund: 
blides wiederzufinden, ba derjelbe durch bie 
Drehungen bes Ballons während des Nies 
derichauens auf den Stizzenblod aus meinem 
Gelichtsfeld verjhwunden war. Nur nicht 
die Nerven verlieren und ftets einen Aus— 
weg finden. Hier bejtanb er darin, fih 
im Gelände ganz markante Runfte zu juchen, 


EESE Die 9[bmebr|djadjten in der Champagne und an der Aisne zz 95 


von denen man jofort wieder auf ben Buntt, 
ben man gerade malte, über|pringen fonnte. 


Die Rämpfe am Chemin des Dames 
Durd) weite, grele, rote Mohnfelder, in 
denen Pferde grajten, Dinburd), dem fih 
hod) auf einem weien auftürmenden Laon 
mit feiner mächtigen Kathedrale entgegen, 
dort herumgebummelt, alle von Anfang des 
Krieges liebgewonnenen Plage wieder auf: 
gejudt, wohl gleich wiedergefunden, aber 
alles ftart verändert vorgefunden. 
Wieder mußte id) um 4'/, Uhr im Morgen: 
rauen zur Cie vorfabren unb bas lebte 
Stüd zu Fuß laufen. In einem einftmals 
ſchönen Objtgarten, in einem Märchen von 
rotem Mohn, neben einem, von einer Gra- 
nate umgejftürzten hohen Strohdach eines 
Gartenbausdens, as von Ddunfelroten 
unb roja Rletterrojen überwuchert und wo 
jelbft bie Branattrichter bird) bie wuchernde 
Blumenmenge gemildert waren, lag ai auf 
der Erde und malte, nur mit der oberen 
älfte des Kopfes durch bie Brejde ber 
artenmauer herausjchauend. Sch malte 
die in feinbläulichem Dunft liegende Befechts= 
pod bes Chemin bes Dames. Sn meinem 
üden ging in einer S3auberprad)t und 
An die Sonne auf, die mich als 
ünjtler beranidjte und mich von meiner 
detaillierten Terrainjtudie ablenten wollte. 
Sch wollte und mußte aber bei der Stange 


bleiben und Unterlagen für ein großes Bild 


D "aL ~ y 
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b. ET eee 


bes hier bald tobenden Gefechtes malen. 
Sd) mußte artig und ganz genau das Ter: 
rain ftudieren und malen. Sch [al bie 
Trümmer ber Ortſchaften Filain, Pargny, 
die vielen Lauf: und Schützengräben, die 
germen am Chemin des Dames, Die Steils 
abhänge, das ausgelaufene in der Wilette- 
(bene hingebettete Bajjin d’Alimentation, 
von dem ein widerlidjer Gerud) von ben 
——— Zentnern der dort verdorbenen 
arpfen zu mir herüberdrang, den Aisne— 
Dijetanal, ber bier bald in einem Erdtunnel 
verjdwindet. So entitand das hier mit 
abgebildete vierteilige Panorama, das id) 
mir jo genau einprägen fonnte, dak id) 
während bes großen Gefedte im Terrain 
trog Morgendämmerung Bejcheid wußte. — 
Aljo, ein ege el aid Sonnenaufgang 
durfte mich bei biejer pedantifden Arbeit 
nicht — und zum Malen locken, auch 
durften die vielen Mücken und Bremſen 
mich nicht in die Flucht ſchlagen, oder nahes 
feindliches Feuer mich erſchrecken. 


Der 8. Juli 1917 

Ein eigentümliches Gefühl beſchlich mich, 
als id) aus meinem tiefen Unterſtand heraus: 
trod, in bie Nacht binausblidte und mir die 
Gtaffelei und bas leere Papier, welches bald 
mit Bildern von den Sıhreden ber Schladht 
bebedt fein würde, zurechtlegte. — Der im 
Abnehmen befindliche Mond trat aus den 
Wolfen und beleuchtete alles gejpenfterhaft. 








Jamis 


X Die Trümmer von Bove Chateau während der franzöfiihen Offenfive am Winterberg 


96 IESSE) Crit Vollbehr: 


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WW e^ 
2 





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Die Hille am Chemin bes Dames: Die Sturmvorbereitun u den Kämpfen am 8. Juli 1917 
& SE ` Gemalt von 4.26—4 30 fri. * 3 8 





Flammenwerfer beim Sturm am 8. Juli 1917 am Chemin des Dames. Gemalt von 4.30—4.45 früh 


pezex-:$39] Die Abwehrjhladhten in der Champagne und an der Aisne 97 


Rod pet Minuten, dann wird es 4 Uhr 26, 
die feitgejebte Zeit Des Beginnens bes Deut: 
Idien Angriffes fein und dann die Hölle auf 
bem Chemin des Dames losgehen. Ich 
prüjte vorher im verborgenen nochmals 
ichnell mit Hilfe einer Tajdenlaterne meine 
goce, damit id) bei ber Dunfelheit und 

ufregung nicht in eine faljche tauche. Mod 
eine Winute, und als diefe in Spannung 
verftrichen war, ftand id) grel beleuchtet ba 


unb mußte mid erft duden, um nidt vom 


Feinde gejehen zu werden. 
Wie der Dirigent mit dem 
Taktſtock fein Orcheſter er: 
wachen läßt, jo wurde hier 
die gewaltige Rriegsmajdine 
in furdjtbarer Art in Gang 
ejegt, [o furchtbar jehanrig 
Ke und jo exaft arbei: 
tend, daß in ber Zeit bes 
Wirfungsfeuers von unjeren 
Diinenwerfern und unjerer 
leichten und ſchweren Artils 
lerie wohl alles vernichtet 
wurde, was der Feind in 
feinen erjten beiden Graben 
aufgebaut hatte. Die tyran: 
zojen batten ſcheinbar ihren 
Kopf vollitändig verloren, 
denn fie jandten hunderte 
farbige Gignalrafeten im 
Wirrwarr durcheinander zum 
Himmel, fo daß bas (ange 
wie ein in bie Luft neflogenes 
Riefenfenerwerf ausjchaute. 

dj mußte meine Gfizze 
bereits weglegen, denn das 
Bild änderte jid) völlig, jebt 
fam der Sturm jelbji mit 
dem gleichzeitig einjegenden 
Gperrjeuer unferer Artillerie 
und das MWorarbeiten der 
Cturmtrupps mit den Flam: 
menwerfern. Alles war bald 
in Bulverdampf gehült, in 
dem die Flammen ftändig 
aufbligten und die Ränder 
der aufgeballten Damypjwol- 
fen grell beleuchteten. 

Bald nah dem Anfang 
bes Kampfes [tiegen aus bem 
og unb Dunjt, über dem 
aus frijhem blauem Mors 
genbimmel ber Mond herab: 
ihien, eine ganze Reihe weißer deutjcher 
Leudttugeln gen Himmel, das Zeichen, daß 
das ganze Sturmziel erreiht war. Auch 
diefen ergreifenden Moment mußte ich mit 
Anjpannung aller meiner Nerven in wee 
nigen Minuten malen. 

Ein Ddeutjcher Infanterieflieger erjchien 
ganz niedrig über uns, flog über bie neu 
eroberten Stellungen und griff mit jeinem 
Majchinengewehr in den Kampf ein. Uniere 
Kämpfer gaben Zeichen, damit der Flieger 
über ihr Borwärtstommen dem Divifionss 
ftab Bericht abgeben fonnte. Auch hier das 





„Das Sturmzliel ifl. erreicht.“ 


Rejultat: ‚Ale Sturmziele erreidjt' Es 
war allmáblid) bell geworden und es war 
die hödjite Zeit, daß id) aus der feindlichen 
Sicht beraustam und meine najjen Bilder 
in Sicherheit bradjte. (Eben im tiefen Erd- 
loc) jißend und ee trintend, wurden wir 
wieder herausgerufen. Ein ftolzer franzö— 
en mit achtundzwanzig Gefangenen 
tand vor uns. Der Mayor grüpte uns taum 
und tat jebr hochnäſig, während feine Soldaten 
ſchweißtrieſend daltanden, aber ftillvergnügt 


ER 





Gemolt am R Anti 1917 am Chemin 
bes Dames von 415—6 Ubr frub 


uns guladten und riefen: „Bien content, 
bien content, la guerre finie pour nous.“ 
Weiter erzählten fie: „Vier Wochen find wir 
in der Ganjtelung am Chemin des Tames 
ewejen unb find nun glüdlidj, daß wir 
berans nd.“ Ter Major erzählte fpäter: 
„Ich habe es neahnt, daß bie Deutiden bente 
angreifen würden. Es lag fo in der Luft. 
Als das Trommelfeuer einjebte, wuhte ich, 
woran id) war. Sch bin jojort beraus: 
ejprungen und habe meinem Regiment 
Pinel nod Berftärtungen vorgefandt. Sch 
jelbft bin in meinen Unterjiand zurück— 


28 


efprungen, und dann waren die Deutjchen 
hen ba. Es ift wirklich alles jehr jchnell 
gegangen.“ Wir mußten ihm in allem völlig 
red geben. 
le Gefangenen wurden in einen Keller 
geführt, bie Verwundeten aber gleich zum 
azarettunterftand. Im Keller umarmten 
fie fih mit ben immer neu dazujtrömenden 
Gefangenen und küßten fic) gegenfeitig. 
Draußen fam wieder ein neuer großer Trupp, 
geleitet von nur einem deutjichen Soldaten, 
der ohne jegliche Waffe, nur mit einer Gas- 
maste ausgerüjtet war. Ich fand |páter im 
gelde aud) einige verjprengte Franzoſen, die 
mich bilfejuchend anriefen und die Hände 
hielten. Ich winkte ihnen und führte 
e, während fie über das ganze Gelicht grin- 
en, zur Gefangenenjammeljtelle, und das 
luftige Gerüd)t entitand dadurd, baB id) 
als ,Rriegsmaler ebenfalls Gefangene ge: 
madjt hätte. Die Gefangenen warfen thre mit 
Säden übernähten äng, weg und fegten 
SE ihre Mtiigen auf. Meine —— 
hob einen Helm zum Andenken für mich auf. 
Sch erfuhr, daß in den vorderſten fran— 
adjijden Graben durch das Minen: und 
Ylammenwerferfeuer alles vernichtet und in 
den beiden babinterliegenben Linien alles 
gefangengenommen worden fei, daß gerade 


Ernft Volbehr: Die Abwehrichlachten in der Champagne u. an ber Wisne Bog 


während der nächtlichen Stunde, als ber 
Angriff losging, die Feldfüchen herangetom: 
men waren und daß fie Sonntagsejjen und 
AT y erhalten hätten. Cinige waren 
beim Waſchen ihrer Hemden überrajcht wor: 
den und fonnten fih nur notdürftig anfleis 
Den. Die era Eë wurden j|páter in 
Trupps von je Mann (allmáblid) waren 
es 800 geworden) abtransportiert. 

Mad langen Irrfahrten hatte id) das 
Glüd, mit Seiner Exzelleng dem Divifions: 
pran gujammengutreffen unb in feinem 

uto bei ftrdmendem iy Mi zurüd gefahren 
gu werden. Gin guter Kognat, eine Porte 

aſſe Kafes, fage und jchreibe drei Spiegels 
eier belebten meine Lebensgeiſter wieder. 

Da meine Aufgabe hier gelöjt war, fonnte ich 
ins Oberfommando der Heeresgruppe Deuts 
iher Kronprinz aurüdtebren und hatte dort 
die große Ehre, an der Hand meiner vielen 
neu ent[tanbenen Bilder von ber Champagne= 
unb Aisnefront Geiner Raijerliden Hoheit 
Vortrag halten zu dürfen und dort von ben 
maßgebenden Gtellen die Erlaubnis zur 
Veröffentlihung dieſer hier abgebildeten 
— Bilder zu erhalten, damit ‚die da— 

eim‘ Jeben, wie bie Rampffront und bie Ge: 
ehte, von denen bie Heeresberichte jopiel 
melden, ausjehen. 


(3. ve, 4 
Par, de A 





P Ein Held aus den Kämpfen am Chemin bes Dames & 












sen bie Jugend erfüllt war von 
GAYS Ichönen Träumen und ſchwärme— 
on) y rijden Zielen, ber rettet bis in 

Ch JS pe legten Tage einen warmen 
SU Nadhglang, Herz und Hirn zu 
Wer möchte fih heute nicht ein: 


erquiden. 
mal auf eine [tille Trauminjel flüchten, wo» 
bin Gorge und Not der Gegenwart nicht 
dringen, wo alle Ängſte ber Zeit ihre Macht 
verloren? Unferen von den Schreden bes 


Krieges verjtirten Gemiitern will es faft un: 
glaublich erjcheinen, dak es einmal eine di 
ab, wo eine fiihne Schar jugendlicher Geijter 
ebte, deren Plan und Ziel es war, bieles 
ganze verworrene Leben in barmoniid)e Dich» 
tung auszubauen, aus ben gyflopijden Trüm— 
mern Diejes Dajeins ein Kunftwert ebel[ter 
E zu geltalten; deren Berge ver: 
jebenber Idealismus Welt und Menjchheit 
in eine höhere, reinere Sphäre erheben zu 
fónnen meinte; deren fefte Überzeugung es 
war, daß die Erfüllung diefes Schönheits: 
traumes nur von der Kraft unjres Willens 
abhängig und 
eine unbedingte 
Forderung an 
unfer bejjeres 
Mtenfdentum 
lei. Aus ben 
phantajtijden 
Träumen der 
Romantit weht 
es herüber wte 
a le de 
Jugend. Was 
gäben wir dar: 
um, wenn wir 
mit der Kraft 
ihres Zauber: 
Hobes diefe in 
Schmerz und 
Not erftarrte 
Melt berühren 
fönnten, daß fie 
jugendlid) blüh— 
te und glau: 
bensfroh lä— 
helte. Gerade 
die Harte der 
Zi madt uns 
uft, einmal 
ben ſtärkſten ih- 
rer  3auberer 
heraufgube- 
ichwören, dem 
fid die Türen 
der lebten Ge: 
Heimnijje, in 
die Die anderen 
Romantifer ge: 
waltjam zu 
bringen ver: 


Novalis unb feine Beit m 
Bon Dr. C. A. Pfeffer = 992 





& Novalis. Mad einem Ctid) von Eduard Eichens al 











judjten, von felber öffneten, damit er uns 
Pr mit feinen pergüdten, gläubigen Augen 
dieje in Jammer verjunfene Welt zu feben. 
Eine Frage, bie, an [id) müßig und gwed: 
los, bod) fo mandes beraubte SC heute 
bewegt, führt uns leicht dëi ihm: „Was wäre 
aus thm geworden? ar es Böttergunft, 
die ihre Lieblinge früh zu fid) ruft, ober war 
es Tiide bes Schidjals, bie die Beften um 
ihr Beftes betrog?” Auch vor dem frühen 
nde bes begabteften ber Romantifer ftehen 
wir vor ber Frage, ob bie Blütenfülle feiner 
Jugend überreiche Frucht verſprach, ober ob 
das Übermaß der Blüte alle Lebensfraft vor 
der Zeit verzehren und die Frucht in der 
Blüte töten mußte? Über feinem ſchwärme— 
rildjen 9Intli& mit ber gedanfenreichen Stirn 
liegt ber Glang Ba Berflärung. Es ijt 
bas Cdjdjal eines Euphorion, bas fid) vor 
uns aujtut und uns mit Schmerz und web: 
miitigem Entzüden erfüllt. Novalis ift bte 
poetilche 9Berfórperung der ewigen Jugend 
diejer träumereichen Romantif. Er war ihr 
Idealvertreter, 
mit dem ſie alle 
Zweifelnden 
unb Bedenk— 
lichen zu bekeh— 
ren gedachte. 
Und keiner war 
dazu geeigneter 
als er, dieſe 
Aufgabe zu er— 
füllen; denn er 
beſaß in höhe— 
rem Maße als 
ſie alle, was ſie 
für ihr Beſtes 
hielten, und er 
warihnenüber— 
legen an dem, 
was den ande— 
ren fehlte und 
was ſie um den 
Kredit bei den 
ach ſo nüchter— 
nen Menſchen 
bringt — da— 
mals und heute. 
Novalis hätte 
vielleicht den 
Ungläubigen 
bewieſen, daß 
man Roman— 
tiker ſein und 
doch im tätigen 
Keben feinen 
Mann ſtehen 
tann. — lls 
Dichter nannte 
er fid) Novalis. 
Alles, was in 


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Panorama bes Befechtsfeldes am Chemin bes 





EEA Ernft Volbehr: Die Abwehrſchlachten in der Champagne u. an der Aisne Sl 19 


Dabinjabrenden Tanfwurm. Bon ben beiden 
olonnen in Ctürfe von je zwanzig bis 
dreißig Tanfs befam die Hälfte Volltreffer. 
Die Tanffolonnen waren dadurd) jofort zum 
Ctillitanb gefommen. Man fah die Fran- 
ofen aus den Tants herausftürzen und 
io bie brennenden Uniformen vom Leibe 
reißen. Die franzöliihden Snfanterijten 
drückten fih jchleunigft aus der gefährlichen 
abe, zumal die Munition unb die Benzol: 
bebalter bei einigen Tanfs explodierten. Die 
Tants machten ‚tot. Das Feuer ber Ar: 
tillerie brachte bas SFortichreiten ber fran- 
öſiſchen Infanteriemaffen zum Stehen. Jest 
ete auch Der Gegenjtoß unjerer Infanterie 
ein. Mber bie bis dahin ‚tot‘ |djeinenben 
Tants, bei denen unjere Infanterie adtlos 
vorbeigeftiirmt war, wurden plötzlich wieder 
lebendig und ſchoſſen ftellenweije in den 
Rüden der vorjtürmenden deutjchen Reihen. 
Das befam ihnen jdjledjt. Die nun bereits 
eingeſchoſſene Artillerie brachte mit wenigen 
Schüſſen wiederum Ungetüme zum (Gxplo: 
dieren, |o daß fih der Reit veranlaßt jab, 
Ichleunigjt nad) rüdwärts zu entweichen, was 
L jer nur gelang, weil jie fic) mit Hilfe von 
tebelbomben hinter einer undurdlichtigen 
Rauchwand veritedten. Biele find nicht ent- 
tommen, denn id) [ab ja allein zwijchen Miette 
und der Yisne zweiunddreißig Ungetiime zwi- 
Jaen und Hinter den Linien zerjtört liegen. 
Sch wollte natürlich die Tants aud) von 
ber Nähe jehen und malen, hatten fie bod) 


friegsaeldjid)tlidje Bedeutung während der 


franzöfiichen Dffenfive erlangt. Durchs She 
renfernrobr hatte ich genau beobachten fone 
nen, Dak einige dicht an unjeren Grab 
lagen und von dort aus gemalt wen 
fonnten. Darauf fuBte mein Entihluß, 
ich auch gleich tags darauf ausfiibrte. = 
Sprer, ber mich bei Yuvincourt al 
JBegegabelung laut Divilionsmitteili 
D Ute, war ausgeblieben, un 
€ über freies Feld in F 
laufen, war troß bei 



























auf biejen F 
lüd Offiziere gu 
t Stellungen g 
fannte von 


E 
ww. 





SH 
ant vor 
ftrebte be 
vorbei zumf 


drei Dabeilied 


4 


Co Stand ich auf freiem Felde, außerhalb 
bes Ihüßenden Grabens, dicht neben meinem 
Modell, ohne zu ahnen, wie nahe der Feind. 
Sd ließ mir jogar Zeit zum Malen. Die 
Morgennebel verjdwanden aber bald, die 
Franzoſen befamen Sicht, fonnten das Leben 
und Treiben der photographierenden CoL 
daten beobachten, und da ihnen ja wohl 
nicht gerade viel darum zu tun war, daß 
wir Deutjche diefe Zeugen ihrer traurigen 
Blamage photographieren, [hoffen fie mit Ge: 
wehrgranaten, worauf bie Photohelden jo» 
fort im Graben verjchwanden; id) aber, ber 
id durch meine Modelle gegen feindliche 
Sicht geſchützt war, fonnte nod) eine friege- 
riiche Note, den rötlinweißen Rauch ber Ge: 
wehrgranaten, mitmalen. Die Farbenſtizze 
war bereits vollendet, und außerdem waren 
noch alle genauen Mage der Tants notiert 
und niedergezeichnet, als ich mit meinen 
Malſachen gezwungen wurde in den Graben 













zu |pringen. Ich war ghidli, dak id) die 
Tants im Bilde fejtge hatte. Seht 
will ich hier gleich alle: über Tants 
gejehen und gehört I jeiben. 
Die Tamis jolen batail- 
lonen | " h laj- 
jen, Clod, 



















aul ſoll 
T a , es 
Det fid) 
d , Da 
5 find. 
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LL 
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ampf: 
da ich 
babe. 
Sep: 
en ge: 
danach 
as zer: 
) diejen 
id) zer: 
den vers 


dte von 


30 


ihm prattijd, lebenstiidjtig und gielftrebend 
war, bieB gorma Leopold Freiherr von Hars 
benberg. Als ſolcher wurde er zu Sberwieber: 
ftedt im Mtansfeldijden am 2. Mai 1772 ges 
boren, Der Dichter Novalis wurde der Welt 
gejdentt im Todesjahre feiner Braut Sophie 
von Kühn, 1797. Nur vier Jahre ließ ihm 
bas Cdjidjal von ba ab Zeit, zu beweijen, 
daß er eine dichteriſche Begabung allererjten 
Ranges war. Am 25. März 1801 ging er 
hinüber in das große Ratjel und hinterließ 
Kach Perehrern die [d)meralid)e Freude, an 
einem unvollendeten Werte weiter zu [innen 
unb die Golbbarren feiner königlichen Ge: 
banfen|djáge auszumünzen. — Die fablen 
äußeren Lebensdaten und -ftattonen verraten 
bei ihm weniger als bei anderen Menſchen, 
was in ihm Eigenart und höheres Wejen 
entwidelte. Bis zu dem entjcheidenden Jahre 
fonnte es fogar — als hätten wir es 
mit dem normalen Lebenslauf eines harm— 
los heiteren, begabten Menſchen zu tun, der, 
aus guten Kreiſen ſtammend, auf die guten 
Beziehungen ſeiner Familie vertrauend, mit 
leichten Verirrungen, aber ohne größere Um— 
wege ſicher ſeinen Weg in geordnete und 
nährende Beamtenverhältniſſe geht. Aber 
wäre Hardenberg weiter nichts als das ge— 
weſen, hätten auch die tiefgreifenden Erleb— 
niſſe nicht aus ihm den Dichter Novalis ge— 
macht. Vielleicht haben, ungeſehen von den 
Augen der Welt, ſchon die erſten acht Jahre, 
die er in ſeltſamer geiſtiger Stille und Starre 
verbrachte, und aus der er durch eine 
heftige Krankheit aufgerüttelt ſein ſoll, die 
Keime des Genius in ihm entfaltet. In der 
faſt klöſterlich abgeſchiedenen Einſamkeit des 
väterlichen Stammſitzes in Oberwiederſtedt 
vollzieht ſich langſam, Milan be und in 
feltener Harmonie bie Milchung ber elter: 
lichen Grbteile. Aus dem Namen Harden: 
berg hört es fih heraus wie Tüchtigfeit und 
Bodenftändigfeit. Bon dem gebildeten, Hor 
fen und berben Bater, ber Bergfach [tubiert, 
in ber Hannöverſchen Hoffanglet gearbeitet 
und am Siebenjährigen Kriege teilgenommen 
atte und der wiederum auf die verjorgende 

telung eines Galinendireftors in Weißen: 
els zurüdgriff, als er einjah, Dak ihm feine 

erhdltnifje bte Tändliche Muke nicht geitat: 
teten, bat der Sohn das gefaßte und frijche 
Cidjabfinben mit den Pflichten und Forde: 
rungen des Alltags, das den Romantifer 
Novalis vor feinen berufsjcheuen Freunden 
auszeichnet und an Goethes geniale Biel: 
leitigfeit erinnert. Eine innere Erwedung, 
die auf bas Sdidjal des Sohnes vorbeutet, 
* der Vater erlebt, als ihm ſeine erſte 

rau nach glücklicher Ehe durch eine Blat— 
ternepidemie entriſſen wurde. Er hatte ſein 
Geſchick als eine Warnung des Himmels auf— 
gefaßt, hatte ſeiner bisherigen Lebensführung 
entſagt und ſich in den Schutz der Herrn— 
huter geflüchtet. Dieſe ſtrenge Frömmigkeit, 
vertieft durch die zur Melancholie geneigte 
Religioſität der zarten und weichen Mutter, 
der zweiten Frau des Vaters, einer gebores 


pBeeeee-——-—--34 Dr. C. A. Pfeffer: 





nen von Boelzig, haben den Kern gebildet 
u ber gläubigen, an den Willen bes Schick— 
fats TERME ent unb pon feiner Güte iiber: 
geugten ebensauffaffung des Dichters, 

immt man dazu den feinen Märchenſinn, 
der in biejer Etille feinen Goldftaub über 
bie Kindesjeele [treute, unb den drohenden 
Todesfeim, ben er wie die übrigen zehn Ge: 
\hwifter in fein junges Leben aufnahm, an 
dem bie meilten von ihnen, wie er, früh hin— 
fiehten, Jo hat man notdürftig die Linier 
zujammen, aus denen man bie Wege feines 
Gejchides lejen könnte. Als er früh gereift 
und erfabrungsburjtig, acht Fe in die 
Welt hinaustritt, erfaßt er [türmi|d) und bes 
gliidt zuerit in Jena, wo er jid) mehr noch 
an Schillers [ittlidjer Größe als an feiner 
Poefie und an den von Reinhold vertretenen 
Ideen Kants begeiftert, bann in Leipzig, wo 
n Friedrich Schlegel für die romantijden 

läne gewinnt, was jeinem innerjten Wejen 
gleichgerichtet und förderlich ift. Dabei ift 
es bezeichnend für fein gwijdjen Icharfer Bers 
—— Me unb ſchwärmeriſcher Myſtik 
icher ſchwebendes Weſen, daß er ohne ſchwe— 
ren Kampf ſich von Schiller die Abſicht 
widerraten läßt, ſich ebenfalls ausſchließlich 
der Dichtung hinzugeben, und daß er in 
See neben barmlojem Sichveritriden in 
des Lebens Berlodungen und in tiefem Ers 
griffenwerden von ben romantijdjen Traums 
ejpinften, zielbewußt feine Studien in ber 
d uciiterei, Miathematif und Chemie auf den 
Ipäteren Beruf einjtellt und wiederum, bei 
voriibergehender Abneigung gegen die Pläne 
feines Vaters für ihn, fid) beicheidet und 
früher als Goethe die Überzeugung gewinnt, 
daß es fein Raub an feinem höheren Berufe 
ift, mit der Glut feiner künſtleriſchen Gebr: 
juht in der Schmiede des Alltags zu ftehen, 


‘mit größter innerer Freiheit das Muß zu 


einem Ich-will adelnd. Immerhin wird feine 
Berührung mit den Gebantentreijen ber Ros 
mantif für diefe und ber ibn entjcheidend. 
Wie Goethe in Herder jeinen Entdeder und 
MWegführer fand, ehe er durch bas aufwiih: 
lende Erleben mit Friederife ben entſcheiden— 
den Zuſammenſchluß gwijden den neuen 
Ideen und feinem eigenen dichteriichen (e: 
nius fand, jo mußte ähnlich Novalis von 
den revolutionären romantijden Ideen ers 
riffen werden, ehe aud) aus ihm ein Seſen— 
Dem den vollendeten Dichter ſchuf. Der Ver 
gleid) mit Goethe ijt nicht gezwungen. Wie- 
der und wieder lodt es, von einem zum 
anderen hinüberzubliden. Und Goethe jelbft, 
der in Novalis einen fiinftigen Imperator 
der Literatur fah. hat uns ben Ausblid ers 
öffnet, daß ein vollendeter Novalis febr wohl 
an Goethes dichteriiche und menjchliche Größe 
Derangereidjt hätte. — Der Blanz und die 
Wehmut ber Sejenheimer Idylle liegen über 
Novalis’ Glüdstraum in Grüningen, der 
nod) erjchütternder und für den Künltler 
noch wedender endigte, als jene. Novalis 
war nad) Abſchluß jeiner Studien in Leipzig 
und in Wittenberg, wo er 1794 fein Fads 


' mann 


ESISFTSISSISHIISIITZZN Novalis und feine Zeit | 


examen madjt, von feinem Bater nad) Senn: 
ftedt in Thüringen geldjidt zum &reisbaupt: 
Juft, damit er dort eine praftijche 
Ausbildung in ber Galinenverwaltung ge: 
nbjje. Mit Ernit, Eifer und genialer Bes 
berrjdjung ergreift Novalis feine Arbeit dort, 
bis er im nahen Brüningen auf dem Gute 
des Herrn von Rodenthien deffen Stieftochter 
Sophie von Kühn tennen lernt und „eine 
Rierteljtunde” über fein Herz und fein Gdjid: 
fal entjcheidet. Novalis war einundzwanzig, 
Copbie taum dreizehn. Es könnte erftaun- 
lich jcheinen, daß die &inberbünbe einer Drei: 
zehnjährigen einen jo entjcheidenden Eingriff 
it das Schidjalsgewebe des Dichters tun 
fonnten. Ob Sophie [o war, wie Jtovalis 
und feine {Freunde fie jahen, — ein unge: 
mein reizvolles, faprigidjes Geſchöpf, fiir 
dejien „Grazie und bimmilijdje Anmut“ es 
teine Worte gäbe, das „von Schönhrit um: 
glänzt und von Majejtät umkleidet“ \ich „wie 
ein überirdiihes Mejen“ bewege, das auf 
Freunde und Angehörige des Dichters un: 
iiberjteblidjen Zauber übte, oder ob bie bera: 
loje Forſchung (Heilborn) fie zu entjchleiern 
fudjt als ein wenig gebildetes, frivoles Ge: 
ichöpf, das in Jeinem Weſen das etwas derbe, 
aber jrijd)e Milieu der ländlich freien Le- 
bensjreude widerjpiegelt — darauf fommt 
es legten Endes nicht an. Sophie war fiir 
Movalis jo wie er fie jah und erlebte. Man 
mug fih nur vergegenwärtigen, was ber 
Romantifer in der Liebe juchte, um zu wür— 
digen, wieviel bieje Liebe fiir den Dichter 
bedeutete. Wud) ba bringt Novalis ben leben: 
digen Beweis für die äjthetijchen Theorien 
feiner Freunde. Er erlebt, was fie zum Teil 
nur erdadıten, und bas gibt ihm das Über- 
ewicht über fie als Menjch und als Dichter. 
as die Romantifer von dem eres 
wijden Mann unb Weib in gejellichaftlichen 
eziehungen, in Liebe und Ehe träumten 
und verlangten, erhob fid) turmbod) über 
die fláglidje Zufriedenheit der „Viel-zu— 
Vielen“. Das, was man landläufig unter 
Geſellſchaft verjtand, war für fie nichts als 
ein „Dlojait geichliffener Karikaturen“, bas, 
was man für Ehen ausgab, nicht mehr als 
„KRontubinate“, im beiten Falle provijorilche 
Berjuche, en:fernte Annäherung an wirkliche 
Ehe. Die Mtenjchen erichienen ihnen wie 
Serrbilber ihrer felbjt, wie Hohn und Spott 
auf das Gbenbilb Gottes. Der wahrhafte 
Menſch habe das Ziel, Gott gleich zu werden; 
denn „Bott will Götter“, wie Novalis jagt. 
Er bat die Aufgabe, fih feines bejjeren Ihs, 
oder wie Novalis es ausdrüdt, „feines tran: 
Jzendentalen Gelbjt, bes Ihs feines Ich“ zu 
bemádjtigen. Und zu biejem SHinaufent: 
wideln zum wahrhaften Menjchen, ber dem 
fibermenjden Niegiches jebr ähnlich ijt, ber 
zugleich 3Utenjd) unb Menjchheit fein muB, 
diene ibm, neben allem Erhebenden ſonſt, 
nichts mehr und bejjer, als die Liebe zu 
einem Wejen, das ihn aus ber gerrijjenen 
Zweiheit von Mann und Weib zurüdtühre 
in Die ideale Einheit Menſch, bie nad) Schleier: 





31 


machers Blaubensartifel einmal bejtand vor 
biejer unjeligen, alle Qualen der Geynjucht 
ertlärenden Zerjplitterung. Dann aber ijt 
Die Liebe niht nur perjönliche Beglüdung, 
KE eine heilige und höchſte Wujgave, 
id) vermtttels des anderen mit ihm und 
Durd ihn zu dem Spealbilde feiner felbjt 
zu entwideln. Dann ijt das Sichfinden zweier 
Menjchen nicht gliidlicder Zufull, jonbern 
Cternenwille und Weltenichidjal, bas er: 
fämpft und verdient fein will. Von ba aus 
Delt ber Romantifer an Bräute und Frauen 
ang andere Yorderungen, als der Durd): 
— Da fallen die üblichen, ärm— 
lichen Anſprüche an Schönheit und Reife, 
da ſtürzen bie Schranken von Jayren und 
Altersunterjchieden. Karoline war elf Jahre 
älter als Shelling, Doroıhea neun Yayre 
älter als Friedrich Schlegel. Diejer heilige 
3 rieb, fic) vermittels der Liebe, wie jeglichen 
erhebenden und lauternden Erlebens in Runjt 
und Leben zu gottübnlidjen Weſen aufzus 
Ihwingen, ijf ihnen auf dieje Weije gleich— 
bedeutend mit Religion. Runjt, Liebe, Reli: 
gion werden ein Begriff, bie Beliebte Heili- 
genverehrung, ihr Leib ein Altar, vor bem 
der Mann die Gottheit anbetet. Go jagt 
Novalis: „Es gibt nur einen Tempel in der 
Melt: bas ijt der menjchliche Körper. Nichts 
ijt jeliger, als dieje hohe Gejtalt. Man be: 
rührt den Himmel, wenn man einen Pien: 
ichenleib betajtet,^ Die Geliebte ijt ihnen 
der Weg und ein Wiittler zu Gott, wie 
Chrijtus felber, vollendete Liebe vollendeter 
Gottesdienjt, unb die höchſten Geſchenke ber 
Liebe nicht weniger als die Gnadengaben 
bes Abendmahls. So ijt es nidyt Blase 
phemie, wenn in Novalis’ herrlicdyer Abend: 
mabhlshymne, in der diefe eibabenen Vor: 
fielungen von dem Ideal menjchlicher Be- 
zichungen und feine abnungsvollen Tı äume 
der Allbejeelung aujammenj|trómen, himm- 
liihe und irdijde Liebe zu innigjter Yer: 
fme qua eins werben: 
enige wijfen 

Das Geheimnis der Liebe, 

Fühlen Unerjättlichkeit 

lind ewigen Durft. 

Des Wbhendmabls 

Göttliche Vedeutung 

Sit den irbijd)en Sinnen Rätſel. 

Aber wer jemals 

Bon heißen geliebten Lippen 

Atem des Lebens jog, 

Wem heilige Glut 

In zitternde Wellen das Herz ſchmolz, 

Wem das Auge autging, 

Daß er des Himmels 

Unergründliche Tiefe mak, 

Wird effen von feinem Leibe 

Und trinten von feinem Blute 

Ewiglich. 

Einſt ijt alles Leib, 

Ein Leib, 

Sn himmlijhem Blute 

Shwimmt das Jelige Baar. — — — 

Ob, dab das Weltmeer 


32 poS9ss3tx——---2) Dr. ©. A 


Schon errötete 
Und in duftiges Fleiſch 
Aufquölle der Wee 
Nie endet bas ſüße Mahl, 
Nie lüttigt die Liebe fid) — — 
eaten die Nüchternen 

inmal gefoftet, 
Alles verließen fie 
Und festen jid) zu uns 
Yn den Tilh der Sehnjudht, 
Der nie leer wird! — 

Und wenn wir einmal hören, wie im 
„Heinrich von Diterdingen“ dicfer zu feiner 
Geliebten Mathilde, bem verflarten 9Ibbilbe 
der Sophie, |pridjt, jv ahnen wir, wie fid 
ihr irdijches Abbild in des Dichters Seele 
ipiegelte, wie er es mit allen Juwelen feiner 
hochfliegenden Sehnſucht [d)miidte, und wie 
er fie fdon zu Lebzeiten umpdichtete zu 
einem verllärten und ihn vertlärenden 
Wejen. „Meine Mathide,” jo jagt Heinrich, 
„erit jebt fühlte ich, was es heißt unjterblid) 
gu fein.” Und Mathilde: „Lieber Heinrich, 
wie unenblid) gut du bik, welcher herrliche 
(et fpridit aus bir. bin ein armes, 
unbedeutendes Madden. Wie du mid) be: 
ſchämſt! Bin id) bod) nur burd) did), was 
id) bin. Ohne dich wäre id) nidts. Was 
ijt ein Geijt ohne Himmel, und du but der 
Himmel, der mid) trägt und erhält... Ich 
begreife nidjts von ber Ewigfcit, aber id) 
büd)te, bas müßte bie Ewigfeit fein, was 
id) empfinde, wenn id) an bid) dente.” Und 
Heinrih: „Ja, Mathilde, wir find ewig, 
weil wir uns lieben... D Geliebte, der 
Himmel hat dich mir zur Verehrung gegeben. 
Sd) bete did) an. Du bijt die Heilige, die 
meine Wünſche zu Gott bringt, durch bie er 
fih uns offenbart, durch bie er mir die Fülle 
leiner Liebe funbtut. as ijt bie Religion, 
als ein unendliches Einverjtändnis, eine ewige 
Bereinigung liebender Herzen. Du bijt die 
göttliche Herrlichkeit, Das ewige Leben in 
der licblicjten Hülle.“ Wenn Novalis jo für 
Sophie fühlte, gleichviel, ob fie es wert 
war, oder ob, wie felbjt jein Freund Schleier: 
moder es angedeutet hat, fie mehr ein Ge: 
ſchöpf feiner Wünjche und jciner Phantaſie war 
und als joldyes Glang und Höhe aus feiner 
Geele lieb, wenn fie ihn jo fühlen machte, 
jo Tonnen wir ermejjen, welche Glüdjeligfeit 
ihm feine Liebe zu ihr bejdjerte, wie froh 
er fein bisheriges Leben nach jeder Richtung 
erhöht und geläutert genoß und — wie un: 
jJagbar niederjchmetternd es für ihn war, 
als das Gdhidjal ihm riejes jugendliche 
Hötterbild zerichlug. Eine Zeitlang glaubte 
er mit der Kraft feines Willens den Arm 
bes Würgers aufhalten zu fónnen, er rang 
mit ibm Brutt an Bruft in taujend Qualen 
der Hoffnung und Verzweiflung. Aber Sophie 
Ktarb trog einer wiederholten Operation in 
Jena, die fie von einem TFrauenleiden be: 
freien. jollte. Seine Sonne, um Die er feine 
Welten freijen ließ, war in Macht verjunten 
und ang feine Ceele nad. us dem ftrah- 
lenden Sonnenjüngling wird der jchwärme: 


Pfeffer: SCHI IE IC Ic HZ el 


rilde Sänger der Nacht, in ber er die Ur: 
mutter verehrt, von ber alles tommt, zu ber 
alles geht. Menſchen fonnten ihm nicht 
SIE? in feinem Jammer. Ihnen gegenüber 
lieb er deshalb aud) gefaßt und heiter und 
lebte weiter mit ihnen in ihrer ibm fremden 
und verwailten Welt. Ihn aber tröjtet und 
rettet der Dichter in ibm. Gem Genius 
d ibm, in den zerichlagenen Trümmern 
eines Glüds den Grundjtein zu feinem 
Werf und feinem Ruhm zu finden. Die 
tiefe NReligiofität, bie den Urgrund feines 
Mejens machte, neu erlebt und neu geboren, 
durchtränft und durchſtrömt fein Denten und 
Schaffen. Die „Hymnen an die Nacht“ 
(inb die fünjtlerild)e Frucht biejer brünjtigen 
Hingabe an jeinen Schmerz, mit dem er rang, 
bis er ihn Jegnete. Ceinem pofitiv gläubigen 
Vertrauen dem Schickſal gegenüber ent: 
\prechen die großen, tröjtlihen Wahrheiten, 
bie er in Diejem Rampfe fand: „Wieine 
Liebe ijt zur Flamme geworden, bie alles 
Irdilche nachgerade verzehrt. Meine Kräfte 
ipe mehr zu: als abgenommen. Zufrieden 
in id) ganz. Die Kraft, die über den Tod 
erhebt, babe id) ganz neu gewonnen — es 
feimt fhon ein fünjtiges Dajein in mir.“ 
(Brief vom 28. März 1797 — am 19. war 
Sophie geftorben.) Er erfannte in des 
Schidjals Fügung die Gnade der Berufung 
zum Höheren. Es entjprach feinem Glauben, 
daß „Unglüd der Beruf zu Gott" fei, daß 
man deshalb ftolz auf feinen Schmerz fein 
fole, ba er eine „Erinnerung unjeres hohen 
Ranges” fet. Mehr denn je wird ibm 
Chrijtus, ben bie Romantifer als Freund und 
Gefährten liebten, Herold unb Vorkämpfer 
in der Überwindung des Todes. Der Stolz 
bes von Fichte gefundenen, allmädytigen 
Ich entziidte Novalis zu den Worten: „Was 
ih will, bas tann ich.“ „Bei Vienichen ijt 
fein Ding unmöglidy.“ Heil und Rettung 
Idien ibm dicle Allmadht in feinem Elend. 
Er glaubte, es tomme nur auf feinen Wil- 
lensentjchluß an, feiner Sophie nachzuſterben, 
den Schmerz fid) in bie Bruft zu ftoßen, lang: 
jam und in Wolluft, etwa wie &Ieijts Pent bet: 
lea den Jammer über ihre zerbrochene Ehre, 
ihr nachzufterben, wie Eduard feiner Ottilie 
in ben Wahlverwandtichaften. „Unjer ganzer 
Körper ijt jchlechterdings fähig, vom Geijt 
in beliebige *Remegung gejekt zu werden. 
(s wird vielleicht nur von ibm abhängen, 
einen Stoff zu bejeelen. Dann wird er 
vermögend fein, jid) von feinem Körper zu 
trennen, wenn er es für gut befindet —“ 
jo triumphiert der Dichter, — Der Kern: 
gedanfe feiner in Stimmung und Gedanfen 
wunderjam berauichenden Hymnen, die 1799 
im „Athenäum“, der jammelnben Zeitjchrift 
Dicjer Sturmgeijter, erjchienen, fteht in den 
Fragmenten: „Leben ijt der Anfang des 
Todes, Das Leben ijt um des Todes willen. 
Der Tod ijt Endiqung und Anfang, Shei- 
bung und nähere Selbjtverbindung zugleich. 
curd) den Tod wird die Redultion voll: 
endet.” Gein Wille befreit ihn von Der 


Pass — — — 


Gewalt des Todes und findet in dem Nichts 
ſein All. Auch da wird bei Novalis Leben, 
was den anderen nur Begriff war. Er— 
ſchütternd klingt die melodiſche Klage ſeiner 
ſchönen Seele an unſer Ohr, endigend in 
triumphierenden Siegerruf: 

Getroſt, das Leben ſchreitet 

Zum ew'gen Leben hin, 

Von innerer Glut geweitet 

Verklärt ſich unſer Sinn. 

Die Sternwelt wird zerfließen 

Zum goldnen Lebenswein, 

Wir werden ſie genießen 

Und lichte Sterne ſein. — 

Ein bitterſüßes, ergreifendes Ringen hebt 
in ibm an. Der Dienjdy kämpft mit bem 
Künitler in ibm. Bald muß er fühlen, daß 
feine Kräfte nadjlajjen, dab fih in ihm 
etwas an Die jchöne Welt halt „mit flam- 
mernben Organen“. Geine Gelbjtvorwiirfe, 
das frajtjudjen an ihrem Grabe fhügen 
ihn niht. Es Hilft ibm niht, daß er die 
Zeit zu betrügen juht, indem er von Copbiens 
Todestage an eine neue Zeitrechnung beginnt, 
daß er fid) mit den Ideen des Galvanismus 
berreundet, einen höheren Sujammenbang 
mit der Berllärten zu finden: Das Leben 
[odt und zieht, bis |djlieplid) Menſch und 
Riinjtler in ihm drängen, den ſchönen, 
widerjpenftigen Ctoff ber Welt in neue 
Form zu prejjen. Und jchneller als er ge: 
glaubt hatte, 30g das Leben wieder trium- 
phierendD ein in fein verlajjenes Herz. Im 
Dezember 1797 war Novalis nad) Freiberg 
gegangen, um fich im Hüttenwejen umzutun, 
ehe er in bie Galinenfarriere hineinginge. 
Dort treffen Anregungen und Erlebnijje 
perjdjiebener Art aujammen, die ihn ber 
Welt zurüderobern. In Freiberg lehrte der 
Geologe Werner, ein Mann von Boethijchem 
Geijte. Durd ihn wird Novalis ben Naz 
turwillenjchaften nod) näher gebradt, denen 
alle Romantifer größtes Interejje widmeten, 
Jhon um neue Zugänge zu ben großen 
Gebheimnijjen von Natur und Menic zu 
fuchen. Novalis fand in ihm feinen Führer 
auf der Gude nad) dem 3ulammenbange 
aller Dinge. Ein Kleines Romanfragment, 
die „Lehrlinge zu Cais”, mit bem einge: 
legten entzüdenden Märchen von Hyazint 
und Rojenbliit, das fünjtlerijd) nod) unreif, 
bod) den künftigen Weijter verrät, ijt Die 
Frucht biejer Befanntjichaft mit Werner und 
jeinen fosmijdjen Entwidlungsideen. Die 
Wahrheit bes Märchens, bas den Ginn des 
Romans poetijd Bu One aD ijt, daß 
bas Wijjen uns mit der 9iatur entzweit, 
daß wir bie €ójung aller uns bewegenden 
Ratjel der Natur um uns jdjlieplid) nad 
allen Umwegen und Irrwegen in der eigenen 
Bruft piven Ver von Cehnjudt und 
Wijjensodurjt in bie Welt getriebene Hya= 
zinth fintt, als er ben Borhang von dem 
verjchleierten Bilde zu Gais hebt, jeiner 
verlajjenen Rojenblüt in die Arme. — Zu 
gleicher di wird Novalis burd) jd)rift[idjen 
und perjónlidjen Berfehr mit bem Senenjer 





$SRelbagen A Klajings Monatshefte. 


I Novalis unb feine Zeit Bessie Se] 


Kreife tiefer als zuvor in bie Ideen ber 
Romantik eingeführt, bie damals in Jena 
Den $jodjii& hatte, und mad) in biejem 

reife bie ganze erjte Entwidlung ber ro: 
mantijden Schule mit. Berdanft er feinen 
Eltern bie fiir ihn verbindliche religidje 
Grunbanjdjauung, jo vermittelt ihm Die 
Romantik feine ajthetijdhen Grundgelege. 
Die wie dort wächſt er jchnell über feine 
ehrmeijter hinaus. mmer weiter und freier 
Ipannt fein Genius die Flügel. Die Schlegel 
merten bald, daß fie thm nichts mehr zu 
geben haben. Mur der Bhilojoph Shelling, 
Dellen pantheijtijher Naturauffafjung No— 
palis aus eigener Geele zuneigte, und der 
Dichter Tied haben auf ihn tieferen Çin- 
fug gewonnen. Perſönliches Verjtändnis 
fand er namentlich in Freiberg im Haufe 
bes Bergrats von Charpentier, deffen Tochter 
Julie im bald aus der tröjtenden Freundin 
eine zweite tiefe Liebe und zweite Braut 
werden jollte. Schon ein Jahr nad) Sophiens 
Tode, 1798, war er mit ihr verlobt. Ta 
aber Stovalis an feiner Verehrung für die 
verflarte Sophie fejthielt, ift es interejlant 
zu verfolgen, wie er lid) aus Diejer inner: 
lichen Doppelliebe rettet. Wiederum hilft 
ibm ber Dichter, ben Menjchen zu über: 
winden. Um Julie mehr und mehr fein Herz 
einräumen zu Tonnen, muß er Eophie immer 
Kox? und höher entrüden, bts fie ibm 
djiieBlid) zum höchſten Symbol weiblicher 
Liebe wird und völlig mit feiner poetifchen 
Erfafjung des Marienkultus zufammenfließt. 
Aus feinen „Marienliedern“ erfahren wir, 
wie er das jchrrere Problem Ion, ` Gein 
tief religiöjes Bedürfnis hatte die liebliche 
Beitalt ber Gottesmutter ohne alle Dogma: 
tidje Beengung und Verpflichtung erfaßt. 
In der Mittlerfchaft zwiichen ibm und dem 
Höchſten werden fie und Sophie eins. In- 
dem er fo feine Sophie zu ben Unfterblichen 
erhebt, ſchafft er dem irdiſchen Glüde Blak, 
das er, feinem Wejen getreu, gleichfalls in 
religidjer Wndadht und im Aufblid zum 
Höchſten genießt. - So- jagt er in feinem 
Gedidt „An Julie“: 

Dak id) mit namenlofer Freude 

Befährte deines Lebens bin 

Und mid) mit tiefgerührtem Ginn 

Am Wunder deiner Bildung meine — 

Daß wir aufs innigfte vermablt, 

Und ich Der deine, Du Die meine, 

Dak ich von allen nur die eine, 

Und diefe eine mid) gewählt: 

Dies danten wir dem fien Wefen, 

Das fih uns liebevoll erlejen. 

O! laß uns treulich ihn verehren: 

Co bleiben wir uns einverleibt. 

Wenn ewig jeine Lieb’ uns treibt, 

So wird nichts unfer Bündnis [tóren. 

Yin feiner Ceite Tonnen wir 

Getrojt des Lebens Laften tragen, 

Und felig zueinander jagen: 

Ccin Himmelreich beginnt jdjon hier. 

Wir werden, wenn wir hier verschwinden, 

Sn jeinem Arm uns wiederfinden, —- 


32. Jahrg. 1917 1918. 2. Bo. 3 


es Ee ess Dr. C. AL. 


Ta, Sophiens und Syultens Liebe ftromten 
ihm gleid)jjam über bie irbijd)e Vereinzelung 
hinaus zum Begriff des Ewig : Weiblichen 
zuJammen, bas unter Dem Synibol der Wiuts 
ter Wiaria in den lieblidjen Gejtalten ver: 
forpert, ihn binanzog. Turd) bie in den 
„Dlarienliedern“ gejungene Verehrung der 
Viaria Hingt warm und füylbar ber Nad- 
tlang feiner irbijdjen Liebe zu Sophie bin: 
Durch, derart, daß zwiſchen geijtiger Lyrif 
unb zarteiter Licbespoejie taum eine Sdjeide- 
wand bleibt. Go in bem frinjten: 


Ich fche bid) in taujenb Bildern, 

Paria, lieblid) ausgedriidt, 

Dod) teins von allem tann dich jdildern, 
Wie meine Geele dich erblidt. 

Sd) weiß nur, daß der Welt Getiimmel 
Seitdem mir wie ein Traum verwebt, 
Und ein unnennbar jüßer Himmel 

Dir ewig im Gemiite fteht. — 


Aus ben jid) daran anjchließenden , Geijt- 
lichen Liedern“ eine fatbolijierenbe Neigung 
berauszubhören, wäre ebenjo faljd) wie aus 
dem gleichzei.ig entworfenen Aufjage „Chris 
itenbeit oder Europa“ Renegatentum her: 
auszulejen, wie es, mabridjeinlid) in Hin- 
bli auf andere Romantifer, gejchehen ijt. 
Die „Beiltlichen Lieder“ führen ihren (Gegen: 
beweis von jelbjt. Eins von ihnen, „Wenn 
alle untreu werden“ ift in bie protejtantis 
Iden Bejangbücher aufgenommen. Aber aud) 
aus dem durch Schleiermachers „Reden über 
die Religion” angeregten Aufjage tann nur 
villiges Mißverſtehen eine Werherrlichung 
des Katholizismus Derausbeuten. Novalis 
fteht darin auf demfelben Ctanbpuntte wie 
der proteftantijde Prediger und Freund. 
Beide waren der Anfidt, daß bas religiöfe 
Bedürfnis fih jenjeits jeder beengenden 
firchlichen und dogmatijchen Form fein Recht 
juchen dürfe, daß Religion als reine Gefühls— 
und Herzensjad;e eigene perjönliche Ange: 
legenbeit fei, daß es legten Endes ebenjo 
viele Religionen wie Individuen geben 
müjje; und beide waren der Überzeugung, 
daß eine Neugeburt der religiójen Formen 
notwe.ıdig und gwar nur aus der deutichen 
Seele zu erhoffen fei. Man jollte bas darin 
ausgejprodjene nationale Gelbjtgefühl den 
oft als fosmopolitijdje Schwärmer geſchol— 
tenen. Romantilern nicht vergejlen. Die 
Charafterijitf, bie Schleiermacher in feinen 
Reden von den Engländern vor mehr als 
hundert Jahren gab, hat fih heute deutlich 
genug als richtig bewiejen. Es wäre gut 

ewejen, jie hatte früher zu einer Erfenntnis 
wrer Scheinheiligkeit und Nüßlichkeitspolitif 
geführt. Das Ideal Novalis’ fteht über Bibel, 
Dogmen und jeder bejtehenden Konfeljion 
und jucht nad) einer neuen Gemeinid)aft 
aller wahrhaft Religidjen. Nur vergleichend 
preijt er die Zeit, wo es einen fatholijden 
d. b. gemeinjamen und einzigen Glauben 
gegeben habe, und daß eine foldje Zeit wieder 
zu erjehnen und zu ſchaffen fei, obne diejelbe 
firdjlid)e Form annehmen zu müjjen. Auch 


34 


Pfeffer: MBEK KZZ K es 3:421 


fein jcheinbarer Vorwurf gegen die Refor: 
mation erflart fih baburd), indem fie ibm 
nicht als jold)e, |onbern nur als Unterbredyung 
ber Kultur und als Wufldjung diejer beglüden» 
ben Gemeinjamteit aller Gläubigen beflagens: 
wert erjdeint. Wer einigermaßen mit den 
religiöjen Ideen der Romantif vertraut ijt, 
veriteht und begreift auch da. Mit Stolz 
fönnen wir den vertrauensvollen Ausblid 
des Dichters lejen: „Deutſchland geht einen 
langjamen, aber fidyeren Gang vor bem 
übrigen Staaten voraus. Während dieje 
burd) Krieg, Spekulation und Parteigei|t 
beſchäftigt Wie bildet fid) ber Deutjde mit 
allem Fleiß zum Genojjen einer höheren 
Epode der Kultur, und Ddiejer Vorſchritt 
muß ibm ein großes Übergewicht über Die 
anderen im Laufe der Zeit geben... Mod 
find alles nur Andeutungen — aber fie 
verraten bem hijtorijden Auge eine uni- 
verjelle Individualität, eine neue Gejdjid)te, 
eine neue Dienjchheit; bie jüpe[te Umarmung 
einer jungen überrajdjten Rirde und eines 
liebenden Wichjias in ihren taujend Gliedern 
zugleich. Das Neugeborene wird das Ab— 
bild feines Waters, eine neue goldene Zeit 
mit dunklen, unendlichen Augen, eine pro: 
pbetijd)e, wundertätige und wundenbeilende, 
tröjtende unb ewiges Leben entzündende Zeit 
ein... Die Chrijtenheit muß wieder leben: 
Dig und wirfjam werden und fic) wieder 
cine fichtbare Kirche ohne Riidjidt auf Lan: 
desgrenzen bilden, bie alle nad) bem Über: 
irbijdjen dürſtigen Geelen in ihren Schoß 
aufnimmt. — —“ 

Das um des höheren Swedes wegen ver: 
Härte und bijtorijd) verjdobene Bild des 
Miittclalters haite Novalis von Tied über: 
nommen. Wud) da mug man geredt fein 
und über der den Romantifern vorgewor: 
fenen biltorijchen Fälſchung des Mittelalters 
nicht vergejlen, daß obne bicje bewufte 
Miederentdedung des Miiitelalters aud) alle 
Dabei neugehobenen Schätze altdeuticher Kite: 
ratur und Runjt und damit wiederum wejent: 
lide Quellen des wiedererwadenden Na— 
tionalbewußtjeins verjd)üttet geblieben wären. 
Tid hatte in der Freundſchaft mit Novalis 
Troft und Erjak geludt fiir ben Verluſt 
jeines früh verjiorbenen Freundes Waden: 
roder. Novalis verdankt dem Freunde den 
legten wichtigen Fortichritt von der poeti» 
jaen Bhilofophie zur reinen Poefie und die 
wichtigjten fiinftlerijden Anregungen für 
jein leßtes und bebeutenbjtes Wert, den 
leider mit feinem Leben Fragment geblie- 
benen Roman „Heinrich von Ofterdingen”, 
entjtanden aus Anregung und Widerjpruch 
zu Goethes Wilhelm Meijter. In den Tagen 
Des Rummers war der Roman bes von 
den Romantitern bauptjád)lid) eben wegen 
Diejes Wertes als thr Altmeiſter, von 
Novalis als „wahrer Statthalter bes poe: 
tilen Geiltes auf Erden“ gepriejenen 
Dichters Grquidung und Troft gewejen. 
Was ihn wie alle Romantifer, denen das 
Sd) und feine bejtmóglidje Ausbildung im 


SSS SSS] Novalis unb feine Beit ëss ll 


MitteIpuntt der Welt ftand, an dem Ro- 
mane Goethes entziidt hatte, war eben, daß 
es der erite große Sd): und Bildungsroman 
war. Anfangs hatte aud Novalis von diefem 
Gejiditspunfte aus mur Begeilterung und 
Lob fiir ibn gehabt, bis ihm, dem Ungeniig- 
jamen, überall zu ben lodendjten und gejährs 
Doten Gebantenbólfen und Lebensforde- 
rungen mühelos Wujftrebenden, aud) Goetbes 
Roman nod zu viel Geniiglamfeit und 
Eichbejcheiden barg. Daß in einem Rampfe 
gwijden Welt und Künſtlertum ſchließlich 
das lebtere die Waffen ftreden jollte, wider: 
prah dem, was jid) Jiovalis in Überein: 
immung mit feinen Freunden als Ideal 
bingejtellt hatte. Nach 9[Injid)t der Romans 
titer mußte jeder wirklich gebildete Menjch 
ein Künſtler fein. Künjtler nicht in bem 
Sinne, dağ cr Dë auf einem be[timmten 
Gebiete probuttip — ſondern daß ihm 
hao an bie Runjt Kern und Mitte bes 

ajeins wäre. Und wiederum waren Die 
SRomantifer ber Anficht, daß der Teutiche 
allein dazu Anlage habe, da niemandem 
jonjt Rünftlertum js ernite Sjergensjadje fei. 
Go war ihnen ber Künjtler einfach ber 
Jtormalmenjd). Wenn aber in allen Menjchen 
der Riinjtler lebendig geworden wäre, dann 
müſſe es aud) möglich fein, das Leben felbft 
zur Poejie, das Dafein zum Kunftwert zu 
entzaubern. Novalis’ ſchönheitsſeligem Wejen 
ihien es ein lícines, dieſes Dornröschen: 
wunder zu voll ichen. Wenn man einige 
feiner Fragmente hört, wie: „Das Höchſte 
tit bas Berjtändigite, das Näcdhite, das Uns 
entbebrlid)ite", ober: „Die Poefie ijt bas ab: 
iplut Reelle.” „Dies ift ber Kern meiner 
Philoſophie: Je poctijder, je wahrer.” „Der 
Gates ift ber Poet.“ — „Es liegt nur an 
ber Schwäche unjerer Organe unb Celbjt: 
verehrung, daß wir uns nicht in einer Feen: 
welt erbliden. Alle Märchen find nur 
Träume von jener heimatlicher Welt, die 
überall und nirgends ijt.“ — „Nichts ift bem 
Geijte erreichbarer als bas Unendliche“ — jo 
begreift man aud), was Novalis bald in wad- 
jender Abneigung gegen den Wilhelm Meijter 
einzuwenden hatte. Auch Goethe hatte ja 
in jeiner Jugend, als ber Roman nod) „Wil: 
helm Meijters theatraliiche Sendung“ hieß, 
der Künſtler über die Welt triumpbhierend 
fiegen laffen wollen. Gegen die Weisheit, bie 
Goethe jemen Helden in den „Wanderjahren“ 
lernen ließ, bäumte fid) der jugendliche 
Idealismus Novalis’, der in ber Überzeu— 
gung gliihte, bie Zauberfraft bes Künitlers 
miijje objtegen, alles Irdilche aufiaugen,salles 
SDtatericlle und Reelle zu höherem Wejen 
adeln. Go veritehen wir, wie jein Urteil über 
den Wilhelm Meijter immer härter wird bis 
u dem apbhorijtiihen: „Wilhelm Wleifters 
Bebrinhre oder bie Wallfahrt nad) bem Adels- 
dip.om.“ Gein Programm flingt aus den 
Worten: , Wilhelm Meifters Lehrjahre find ge: 
wiljermaßen durchaus projaijd) und modern. 
Das Romantijche geht darin zugrunde, aud) 
die Naturpoejie, aud) das Wunderbare.” 


35 


Jnbidjterijd) im höchſten Grade, was ben 
Gcijt betrifft, fo poetijd) aud) bie Darjiellung 
ift.” „Goethe wird und muß übertioffen 
werden — aber nur wie bie Alten über: 
troffen werden können, an Gehalt und Kraft, 
an Wannigfaltigteit und Tiefſinn — als 
Künjtler eigentlich nicht.“ — Und Novalis, 
dem ohne Poſe und fiinjtlerijde mie menjch: 
lide Unaufrichtigleit das Wirkliche PBoefie 
und die Roejie 9Birllid)feit waren, macht jid) 
ans Wert, diejes echt romantifde Buch zu 
ichreiben. Wud) fein ,Heinrid) von Cfter- 
dingen“ jollte cin Bildungsroman fein, aber 
mit entgegengejegtem Plan und Ziel: der 
Dichter die Welt überwindend, bas Cubjeft 
bas Objeft dadurch, daß es fid) bis ins Un: 
endliche erweitert. Deshalb mute der Ro- 
man auch binausreid)en über bie willfürlichen 
Scyranten der Erde, hinaus bis ins Senjeits 
hinein um die vom Dichter ausgehende Ent: 
zauberung bis ins £ebte durchführen zu tön- 
nen. Ale Wunder und Requifiten ber ro: 
mantijden Zauberwelt und alle bie Ent: 
bedungen von ber Yiadticite des menj: 
lichen Geelenlebens follten daran mitarbei- 
ten. Sm WViittelpuntte, als Symbol der alles 
bejiegenden Sehnſucht, bes Gudens nad) dem 
Schluffel aller Ratjel unter und über ben 
Sternen: die blaue Blume, von da ab das 
Symbol der Romantik fdjledjtbin, bie Zau- 
berblume, bie nad) einem thiiringijden Mär— 
den ben, der fie in der Gohannisnadt am 
Kyffhäufer findet, in ben Bejiß aller Güter 
ber Welt fegt. Bei Novalis fließt dicfes 
Natur ymbol zuſammen mit bem Spealbild 
jeiner Sophie, bie in ber Mathilde bes Ro: 
mans bód)ie Berfidrung findet, die ihn 
führt und aufwärts zieht, unterjtiikt von 
dem Zauberer Klingsohr, in bem fid) Goethi- 
ide Züge jpiegeln. Cine Wpotheoje der 
Poeſie, der welterlölenden, weltenjdyöpfen: 
ben Künſtlerſchaft folte der Roman werden, 
dDeffen Fragment Brößtes verjpridht. Aber 
bas Schickſal jdjlog bem Träumenden Die 
verzüdten Augen. Oder nahm es ihm die 
Rinde von dem Blid, ihn größere Wunder 
idjauen zu lajjen, als er fie träumen konnte; 
ibm die legten Gebeimnijje zu offenbaren, 
von denen er mehr erahnte, als jeder andere 
Cterblidje? In kurzer Spanne Zeit zerbrach 
das Schickſal zwei großen Dichterbegabungen, 
die jede auf ihre Weiſe über Goethe hinaus 
ſtrebten, Kleiſt und Novalis, das künſtleriſche 
Werkzeug und entrückte ſie aus Erdenleid 
und Crbenaliid zu bejjeren Cternen. No: 
palis war der Blüdlichere. Gerade, als bie 
Erfüllung feines Gliidstraumes winfte, als 
er ein verjorgendes Amt gefunden und Julie 
e gedadte, rif ihn bas ererbte 
teiden ſchnell dahin. Julie pflegte ihn. In 
Harmonie und Schönheit, in une jchlittertem 
Vertrauen in bie Güte und Weisheit der 
göttlichen Gejegmäßigfeit ging er hinüber 
in feine Heimat der Träume — die ,reinjte 
unb liebenswürdigite Berfirperung eines 
gom, unjterblichen Geijtes", wie fein Freund 
ied ihn nannte. 
3* 












— — 


| Stiid vom Tit 






w-— " 
Al NNS | 


Fu N 








elblatt bes Hainhoferihen Stammbudys 


Philipp Hainhofer | 
in Augsburg  '*—- 











AS SS 
ANN 
M | C. 









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STE 


Sin Kaufmann, Runftfreund und diplomatifcher 
Agent des 17 Jahrhunderts.‘ Don Dr. Adolf Brüning 


——SyxEMer Hätte fic nicht einmal in 
MO jeinem Leben bie Gliidsgalojden 
(de 





i bes Anderjenichen Märdyens ge- 
wünjcht, um für eine furze Zeit 

| in das Meer der Vergangenheit 
zu tauchen und Menichen und Zuſtände 
alter Zeiten eigenen Leibes zu belaujchen ? 
Aber ba trog aller wunderbaren Forijchritte 
der Menjchheit, bie felbjt bie kühnſten Träume 
wirklich gemacht hat, die Erfüllung diejer 
Sehnjudt uns wohl immer verjagt bleiben 
wird, just man wenigitens in alten Briefen, 
Tagebiüchern und Erinnerungen ben heim: 
lichen Reiz zu fojten, der in jold) unmittel- 
barem Verkehr mit der Vergangenheit liegt. 

Co hat wohl jhon mander mit vielem 
Vergnügen die Crinnerungen bes Hans 
von Schweinichen, des getreuen Hausmar: 
[halls der Herzöge von Liegnitz, gelejen, ber 
uns ein jo lebendiges, anjchauliches Bild 
deutichen Lebens in der zweiten Hälfte des 
16. Jahrhunderts gegeben er er aber 
tennt bie Briefe und Reijeberidte Philipp 
Hain hofers, des Augsburger Patriziers, der, 
im Jahre 1578 geboren, jene für Deutjch- 
[anb jo verhängnisvolle Zeit des Dreipig- 
jährigen Krieges bis fur vor dem Friedens: 
feature, bis zum Sabre 1647, erlebte? Frei— 
lich find fie nicht, wie bas Tagebud) bes 
Ichlefiichen Ritters, bequem zugänglich ge: 
maht und für jeden Bejchmad zubereitet. 
Nur ein Meiner Teil feiner fchriftlichen Auf: 
zeichnungen ijt in wijjenjdajtliden Werten 
abgebrudt, das meijte jchlummert nod) in 
den Archiven, und das ganze Material 
würde im Abdrud eine ftattlide Reihe von 
Bänden ausmachen. 

Aus bieler 9iadjfajfenidjaft, wozu nod 


als SUuftrationen eine Anzahl bódjit mert- 
würdiger Runftwerfe tommen, bie Hainhofer 
igre Entitehung verdanfen, fteigt nicht nur 
die Verjönlichkeit eines ber interefjantejten 
Männer feiner Zeit greifbar hervor, jonbern 
wir erhalten aud) einen tiefen Einblid in 
die politijchen und religiójen Verhältniſſe 
pe Tage, in die Kunftbeftrebungen und 
nsbejondere aud) in das Leben an den 
Fürftenhöfen. In Hainhofer felbft treffen 
wie in einem Brennpunkte viele Ctrablen 
der damaligen Kultur zufammen. Tenn er 
war einer der vieljeitigiten und vielgewand: 
teften Männer jener Zeit. Er vereinigte in 
fid Berufe, die heutzutage unverjöhnlich 
auseinanderzujtreben ſcheinen. Man dente 
nur, er war Kaufmann und zugleich aid) 
Diplomat. Er war Runftiammler und Runit: 
— und auch mit dieſen Worten iſt ſein 
erhältnis zur Kunſt ſeiner Zeit nicht er— 
chöpft. Sein Vater war vom Kaiſer Ru— 
olf II. in den Adelſtand erhoben worden. 
Ihm felbjt hatte feine Stellung als diplo- 
matijcher Agent ben Titel eines pommer}den 
und liineburgijden Rates eingetragen, und 
in feiner Baterjtadt befleidete er kt früh 
hohe Ehrenämter. 

Seine Erziehung war bie ber Göhne ber 
höheren Stände der damaligen Zeit, für 
die es, abgejeben von der Theologie, nur 
bas Redtsitudium aab. Nachdem er zu 
Ulm, wohin feine früh verwitwete Mutter 
den aus Augsburg vertriebenen evangeli- 
ien Predigern gefolgt war, bie Schule 
bejucht, bezog er, nod) nicht jechzehn Jahre 
alt, mit feinem Bruder Hieronymus in Be: 
gleitung eines Präzeptors bie damals weit: 
berühmte Univerjität zu Padua. Geine wei- 


— — — — — 
— — — 


EIIIIFEZEI Dr. Adolf Brüning: Philipp Hainhofer in Augsburg B3323 37 


tere Ausbildung ergänzte er durch Reifen 
in Italien, Deutichland unb den Niederlan: 
den, auf denen er fih insbejondere bem 
Studium fremder Spraden widmete, fo daß 
er, wie feine geitgenoffen von ihm rühmten, 
in fieben Spradyen bewandert war. Das 
Stalienifche, bas damals in Deutfchland 
etwa die Stellung einnahm, wie im 18. Jahr: 
hundert das Franzöliiche, beherrichte er fait 
wie feine Wtutterjpradhe. Nach vollende: 
tem dreiundzwanzigiten Jahre „ließ er fid) 
mit ehelichen Pflichten ein gegen Jung: 
frau Regina Waiblingerin“, und ein Jahr 
Ipäter wurde er mit feinem Bruder zujam: 
men in ben Grogen Rat feiner Baterjtadt 
berufen. 

Da Hainhofers faufmänniihe Tätigkeit 
— er bejaß eine Art von Agentur: und 
Rommiffionsgejdhajt — mit feinem Diplo» 
matijdjen Gewerbe aufs engite verbunden 
war, möge gunddjt diefe Seite feiner Be- 
rufstätigfeit näher beleuchtet werden. 

In einer Zeit, wo nod niht wie heute 
der Telegraph in einigen Stunden von 
allen midjtigeren Dingen, bie auf dem Erd: 
ball gejdjeben, Kunde gibt und es aud) 
nod) feine grengen gab, erfuhr der ges 
wöhnlihe Cterblidje überhaupt nicht ober 
vielleiht nur nad) Woden durch ein Flug: 
blatt von ben Händeln der Welt. Fürjten 
und jonjtige zahlungsfähige Perjonen mußten 
fih Daher, um auf dem laufenden zu bleiben, 
an ben Mittelpuntten des Handels: und Gelb: 
perfebrs bejondere Agenten halten, die ihnen 
regelmäßig Nachrichten von den wichtigjten 
Ereignijjen zujandten. 

Der Oheim Philipp Hainhofers Hatte 
vierzig Jahre lang in folder Rorrejpondenzg 
mit ben Königen von Frankreich ge[tanben. 
Mad) feinem Tode im Sabre 1607 wurde 
Sag Ais der den erfranften Oheim Ion 
drei Sabre [ang in biejem Amte vertreten 
batte, als Agent von 
Heinrid IV. in Beital: 
lung genommen. Im 
folgenden Jahre jchloß 
er mit bem Marfgrafen 
Friedrich von Baden: 

urladj einen Vertrag 
als Sorrejpondent ab, 
und im Sabre 1610 bat 
ibn der Herzog Philipp lI. 
von Pommern in einem 
ichmeidyelhaften Schrei: 
ben in feine Dienfte zu 
treten. Er begründete 
Km Bitte damit, daß 
ie beide benjelben Bor: 
namen batten, beide 
wilde Männer im Wap: 
pen führten und beide 
Linguijfien (Spradhfor- 
jcher) und Liebhaber der 
Künfte feien. Später 
trat rage aud in 
ähnliche eziehungen 
zum Herzog Wilhelm V. 





Bildnis des Philipp Hatnbofer 
Ausſchnitt aus bem ($emálbe auf Seite 43 


von Bayern, und feit 1625 ftand er zu dem 
Herzog Auguft b. J. von Braunjchweig in 
einem näheren Berbaltnis, bas bis zu feinem 
Tode währte, 

In den Briefen, bie er etwa alle Wochen 
an diele Fürſten |djidte, pflegte er zunächſt 
bie politijden Angelegenheiten zu behan: 
deln, dann über bejondere Bor — 
etwa ein ſchlimmes Unwetter oder eine große 
Feuersbrunſt, zu berichten und endlich ſeine 

eſchäftlichen Anerbietungen u. dergl. aus: 
f rid) vorzubringen, jo dak ihr Inhalt 
ajt bem einer heutigen Zeitung entſpricht. 
Die Dauer der Zeit, bie eine joldje Bericht: 
erjtattung erforderte, mag ein Beilpiel aus 
der E Philipp 11. von Pom: 
mern erläutern. Bon der Ermordung Hein: 
ridjs IV. durch Ravaillac, bie am 14. Wat 
1610 in Paris erfolgte, erfuhr der Herzog 
erit am 30. Mai burd) einen Brief Hain: 
hofers, ber, nebenbei bemerkt, den Gejuiten 
bie Schuld an dem Meuchelmorde zujchiebt. 

a Diejer Berichterftattung hatte Hain: 
hofer jebr häufig die $Fürlten, in deren Dienft 
er ftand, als Gejandter bei verjchiedenen 
enu zu vertreten. fiber alle dieje und an: 
dere Reijen ren Hainhofer Berichte von der 
größten Ausführlichkeit binterlajjen, bie für 
uns eine wahre Fundgrube für die Rultur der 
damaligen Zeit find. Für uns ijt unter an: 
derem von bejonderem Sinterejje der Bericht 
jeiner Reife nad) München von 1612, in bem 
Hainhofer uns die ältejte ausführliche Be: 
Ihreibung von München, jowie eine gute 
Charatterijtif SDtaximilians I. gibt, ber T 
ítiige ber fatbolijd)en Partei, ber in feinem 
xande ben alten Glauben mit unerbittlicher 
Folgeridtigfeit wieder aufrichtete. Sn bes 
evangeli|djen a "Ee Scdilderung er: 
— er als das Muſter eines Regenten, 

gegen ſich ſelbſt und andere. Ihm 
eite ſteht eine liebenswürdige Gattin, 
die es verſteht, in launi— 
ger Weiſe die Wolken von 
der Stirn ihres Gemahls 
zu verſcheuchen. Für die 
damaligen engen Ver— 
hältniſſe Miündens ijt es 
bezeichnend, daß alle 
Abende die Torwärter 
und ebenjo die Baftwirte 
Zettel mit den Namen 
der am Tage angefom. 
menen Perjonen bem re: 
gierenden Herzoge, dem 
alten Herzog Wilhelm V. 
und dem Bürgermeijter 
übergeben mußten. Daß 
Maximilian diefe Zettel 
auch perjönlich burd)lab, 
geht daraus hervor, daß 
er aud) auf diejem Wege 
einmal Sainhofers zuiäl: 
lige Anwejenheit in Mün— 
den erfuhr und ihn zu 
fih bitten ließ. ain: 
hofer lobt bie treffliche, 


tren 
zur 


38 Bbo3sos99Sg ES Dr. Adolf Brüning: [343«393]3]ocaoaooog 


gute Ordnung in allen Dingen am Mün: 
chener Hofe, die jchnelle Bezahlung und das 
nüchterne, pille und friedliche Leben. 

Nicht weniger interejjant ijt Hainhofers 
Bericht über jeine Reije nad) Stettin, die 
er im Jahre 1617 unternahm, um dem 
Herzog Poilipp feinen fiir ihn gefertigten 
fojtbaren Kunſtſchrank, das Modell eines 
ſüddeutſchen Gutshofes und einen filbernen 
Nähkorb fiir bie Herzogin zu überbringen. 
Bon jedem Tage feiner Reije, die von 
Augsburg nad) Ctettin nicht weniger als 
zwanzig Tage dauerte, gibt er Rechenschaft, 
oft febr ausführlich und genau, oft nur mit 
wenigen, aber inhaltsreichen Worten, fo 
3. B. gleich vom zweiten Tage feiner Reife. 
„Am 4. Wugujt mittags zu Monheim, da 
man den Haufen Nadeln macht; bie Bür— 
ger — alles evangelijih gewejen, jebt aber 
unter Pfalzgraf Wolff Wilhelms Regierung 
leider fein evangelijd) Exerzitium mehr hat.“ 
Und jo weiß er uns von jeder Station etwas 
zu erzählen, pielfad) anjcheinend nur unbe: 
deutende Dinge, bie aber bod) bie Lebens: 
verhältnijje jener Zeit trefflid) fennz: ichnen 
oder in irgend einen Geelenwinfel der Do: 
maligen Menſchheit Hineinleuchten. Go er: 
ählt er von Jena, daß es damals adjt: 
Ge Studenten gehabt und dieje unlängit 
ajt eiren Aufruhr erregt hätten, weil bei 
der Teuerung bie Profejjoren bas wöchent: 
liche Rojtgeld von einem Taler ben in Kon— 
viften lebenden Studenten hätten erhöhen 
wollen. Jn Leipzig fällt ihm die foftbare 
Kleidung der jungen und alten Damen auf, 
in Süterbog lobt er Zimmer, Bett und 
Speijen bes Balthaujes, bas damals als 
das bejte in Deutjdland galt, und in Berlin 
hört er von der gehäjligen Feindjchaft ber 
dortigen Reformierten und Evangeliſchen 
und erzählt, daß aus bem Dome alle Altare, 
Bilder und Kruzifixe geräumt feien unb er 
jest ganz weiß jet mit Ausnahme der grünen 
Gitter und der Teppiche auf den Emporen. 

In Stettin angefommen, wird er auf bas 
guvorfommendite und freundlichite vom Her: 
30g aufgenommen, Dellen Bild Hainhofer 
mit Liebe malt. Philipp II war ein Fürft 
von ausgezeichnetem Charakter, milde in 
feiner Gefinnung, von tiefer Frömmig— 
teit, man mödte ibn das evangelijche 
Begenjtüd des frommen fatbolijd)en Herzogs 
Wilhelm V. von Bayern nennen, von dem 
Hainhofrr erzählt, daß er fih wie ein Ra: 
nonifus trüge unb in feiner Einjiedelei zu 
CdjleiBbeim wie ein Mönch lebe. ‘Philipp II. 
hielt tägli längere Gebetsübungen ab, 
den ganzen Sonntag pflegte er in feiner 
Kirchenloge zu figen und geiltliche Bücher 
zu lejen, er aß dann den ganzen Tag gar 
nichts „oder bisweilen, für die Magen:Öde, 
nur ein Brühlein“, Während fein Bruder 
Ulrich ein eifriger Jäger war und den Herzog 
bei den nicht zu umgebenden Trinfgelegen: 
heiten, objchon |onit am pommerjchen Hofe 
große Mäßigkeit herrjdte, zu vertreten ha.te, 
waren des Herzogs Liebhaberei Bücher und 


Runftwerfe. Es hing das freilich mit feinem 
Irántlidjen Zujtande gujammen. „Das We- 
dal wird dem Herzog underweilen von 
Flüſſen geplagt und debilitiert; Ihre Fürſt— 
lihen Gnaden aber nehmen es als eine 
göttliche väterliche Heimjuchung gar geduldig 
auf unb erfreuen ji), daß nur ber Kop 
wohlauf 2 als der mehr regieren muß, 
denn Die Füße.“ 

Den grogen Rundenfreis, der in den Brie- 
fen und 3Reijeberid)ten des Diplomaten Hain: 
hofer erjcheint, bedient ber Raujmann Hain: 
hofer nun in ber mannigfadjten Weije, jo 
daß man ihn einen ‚Wertheim des 17. Jahr: 
Dunberts' genannt Bat. Außer Runjtwerten 
und jonjtigen Sammelobjelten naturwijjens 
Ichaftlicher oder ethnographiicher Art waren 
es bejonders Yuxusariıfel, wie fie von bem 
blühenden Augsburger Bold: und Gilber: 
d)miebegetperbe, von den Runfjttijdlern, 

brmadern, Mechanifern ujw. hergeitellt 
wurden. Dann aber aud) alle möglichen 
anderen Dinge: Wagen und Sanjten, Pferde 
und Hunde, Kleider und Kleiderjiofie, Viedi- 
tamente und ‘sarfiims, Waffen und Pulver, 
Urkunden und Bücher ujw. Auch lieh er 
feinen fürjtlihen Patronen größere Geld: 
ummen, deren Miedererlangung ihm nicht 
elten die größten Schwierigfeiten machte. 
n gewijjem Cinne gehören in den Kreis 
feiner N Geſchäfte fogar feine 
Briefe und Berichte, ba er jid) Dielelben 
entweder im Baujchquantum oder aud) ein- 
zeln bezahlen ließ. Er rechnet wiederholent: 
lich feinen fiirjtlidjen Adrejjaten feine viel- 
fachen Rorrejponden3foften vor: „Schreiber-, 
Poſt- und Botenlohn, Smiraglio (Schmier: 
gelder?) unb Rerehrung.” 

Aber er verfaujte nidjt nur alle diefe Dinge, 
fondern er vermittelte aud) eine Art von 
Taufhhandel zwiichen den verjchiedenen 
Fürltlichfeiten. Durch feinen Gönner, ben 
Sergog Auguft b. J. zu Braunjchweig, ließ 
er zum Beijpiel dem Rurfiirjten von Bran: 
denburg von einem Wunjche des Herzogs 
Wilhelms V., der Reliquien von Heiligen, 
insbejonbere ganze Körper, zu erhalten trad- 
tete, Mitteilung machen, Dieier janbte dar: 
aufhin Reliquien aus dem alten Altar der 
SBfarrfirdje in Berlin nad) Mündyen und 
erhielt dafür burd) Hatnhofer als Gegen 
leijtung drei paar große englijche Hunde und 
zweilange und vier turze Münchener Biichjen. 

Geine Waren kaufte Hainhofer teils auf 
den großen Meſſen in Franfjurt a. M., die 
er jäyrl.ch bejuchte und wo eru a. mit bol: 
ländijchen Kaufleuten zufammentraf, teils auf 
den Märkten in Augsburg und den in jener 
My häufig Jtattfindenden Berfteigerunaen. 

r hielt einen eigenen Reiſenden und erhielt 
jelbjt regelmäf;ig Bejuche von reijenden Hans 
delsleuten. Auch unterhielt er [tánbige Han: 
delsbeziehungen zum Auslande, bejonders 
zu Italien, wo er in Florenz an feinem 
Bruder Chrijtoph einen tüchtigen Bertreter 
hatte, ferner zu Franfreich, England, § ol- 
land, Spanien und Portugal. Als eine 


CSSSSoseeesessa# Philipp Heinhofer i in — Besessssss 


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& Der Pommeride Aunftichrant. Aufbewahrt im Königl. Runftgewerbemufeum gu Berlin Eé 


Verbindung von Runftiammlung und Waren: 
lager muß feine viclbejudjte Stunjttammer 
en werden, da er nicht nur jammelte, 
um fid) an den Tingen zu erfreuen, jondern 
auch, wie fid) Gelegenheit bot, uni: werte und 
MNaturprodufte, die damals in jeder Runftfam- 
mer vereinigt waren, aus derjelben verfaufte. 


Aber er handelt nicht nur mit fertigen 
Waren, fondern lich aud) joldje von den 
Augsburger Kiinftlern und Handwerfern 
berliellen, um [ie felbjt Dann an ben Mann 
zu bringen. Ter gewaltige Riidjdlag, ben 
Teutj — Handel, der Atem der Na— 
tion‘, durch die Verſchiebung des geſamten 





& 9tabmenitüd bes Shadhbretts im Pommerſchen Kunftihrant. Ebenholz mit Silbereinlage a 


Weltverfehrs infolge der Entdedung der | Gemeinwohl jorgende Bürger in ben Vor: 
überjeeijchen Lander erlitten, jo daß an die | dergrund trat, entzieht fid) unjerer Beur- 
Stelle des Deutichen teilung. 

Kaufmanns ber hollan- Neben fleineren Ga: 
bilde und  englildje lanteriee und Luxus: 
trat, jowie die politi- waren, wie 3. B. Necef- 
Ihe Lage hatten fidh jaires, Schreibzeugen, 
aud) in Augsburg ftart Riechbüchſen ujw., wa- 
füblbar gemacht. Sim rem es bejonbers fog. 
Jahre 1614 fallierten Kunftichränte ober Ka- 
die Weljer, und ein binette, bie er in per- 
Banferott folgte dem Ichiedenen Größen und 
anderen. Den darben: Preislagen beritellen 
den Riinjtlern und ließ und dann mit aus: 
Handwerkern Arbeit führlichen Beſchreibun— 
zu verichaffen, war gen und Preisfuranten 
Sjainbofers, des ‚Ba: ausbot. Bei belonbers 
ters aller Riinjtler‘, umfangreichen Stiiden 
eifriges Bemühen. Er pflegte er fi) wohl 
ſchoß ihnen Geld vor aud) vor ihrer Anfer: 
und verhandelte dann Eines per zwölf in Holz geihnittenen Retiers tigung eine Beſtellung 
ihre Werte am feine in der Tafel auf der Riidjeite des Schrantes Darauf geben zu laffen. 
fürftlichen Klienten, Drei der größten 
oder andere faujfrüjtige Perjonen. Wie- | diejer Runftichreine haben fid) nod erhalten: 
weit dabei mehr ber feinen Vorteil wahr: | Der jog. Bommerjche Aunftfchrant im Kunft: 
nehmende Kaufmann oder der für das | gewerbe-Mujeum zu Berlin, der Florentiner 








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Allegorie ber Aftronomie Alegorie der Architektur 
Sn Eilver getriebene Reiieis an den Außenfeiten bes Pommerſchen fuuftidrantes 


eessen Philipp Hainhofer in Augsburg 


Sdranf im Palazzo | 
Pitti guGloreng und | 
der Schrant Gujtav 
Adolfs in Upjala. 
Der erfte war im Auf⸗ 
trage Philipps II. 
von Pommern an— 
gefertigt worden. Er 
wurde von Hains 
bofer auf be Be 
erwähnten Reije in 
Stettin 1617 tiber» 


BSSssessesssd 41 


öffentlihung über 
den „Pommerſchen 
Runftichrant“, in 
Bemeinihajt mit 
Beheimrat nlius 
Selling vom Schrei— 
ber bieles Aufiages 
— eben, er: 
chien im Jahre 1905 
bei Ernſt Wasmuth 
in Berlin. Auf fie 
geben unjere Abbil» 





reiht. Ein Bild im dungen zurüd. 

Pommerjden &unit: Der Florentiner 
ſchrank Hellt diefe Gdranf hat Hain: 
Übergabe in einer boer große Gorge 
idealen, niht mit . emadt. Er bat ibn 
derWirllicfeit iiber: ange Jahre bin: 
einftimmendenForm Kamne in ziervergo!detem Silber aus dem Inhalt durch vergeblich mit 
dar, denn nur der bes Pommerjgen Kunſtſchrankes der größten Reflame 


Aunfttiichler Ulrich 


als „das ahte Wun: 


Baumgartner war mitgereilt, die der der Welt“ angeboten, unter andern dem König 
andern im Bilde ericheinenden Ludwig XIIL, Chrijtian IV. von Sünemarf und dem 


Riinftler und Handwerfer fehl: englij 
, H "n 1628 d 





Ramm aus bem Toiletteaerät 
im Bommerjiden KRunufchrant 


ten, ebenjo das Heine Söhndhen 
Hainhofers, ein Patenkind des 
Herzogs, bas im Vordergrunde 
mit einem Hunde fpielt, und 
das turg vor ber 9teije gejtorben 
war. Der GSchrant fam nad) 
bem Ausjterben bes pommerjchen 
de s eben]o wie bas 

anb an Brandenburg Mit 
anderen Bejtänden der Runft: 
tammer bes Hohenzollernhaujes, 
bie ebenjo wie 3. B. bie in Wien, 
Dresden und Rajjel zum Grund: 
itod ber fpáteren Mujeen wurde, 
gelangte er 1876 in bas unit: 
gewerbe-Muſeum zu Berlin. Eine 
aus Mitteln ber Orlop- Stiftung 
unterjtüßte, großangelegte Ber: 


[dent zu madjen. 


en und |panijchen Hofe, bis jdjlieBlid) im Jahre 
rgbergog Leopold von Tirol ibn kaufte, um ibn 
bem Großherzog Ferdinand ll. von 


ostana zum Ge: 


Den Verkauf des dritten Cdjranfes begleitete ein 


dentwürdiges hijtorijches Ereignis. Am 24. 


morgens 10 Uhr hielt 
Gujtav Adolf, ‚der 
Ruhm der ganzen 


Welt, der ‚Löwe 
von WMitternadht‘, 
jeinen feierlichen 


Einzug in Augs: 
burg, von der evan: 
eliihdhen Bürger: 
haft, bie folange 
unter dem Drude 
des Reftitutionsedit: 
tes gejeufzt hatte, 
als Befreier aus al: 
ler Not peace und 
von der Stadt mit 
reihen Gejdjenfen 
empfangen, einem 
mit vielen Roftbare 
teiten und Gelten: 
Zu ber Runjt und 
atur ausgeftatteten 
Runjtidrein, fünf 
Gilbertruben, einem 
Fuder Wein, zwei 
Wagen Hen und jed)s 
Zuber Fijden. Die 
wertvollite der (9a: 
ben, der Runftjchranf, 
war zu biejen Zwek— 
fen am jelben Mor: 
en von Philipp 
ainDofer für 6500 
mare angefaujt wor: 


en. 

Und Guftav Adolf 
freute fidh des felte- 
nen Gejdjenfes. Er 


pril 1632, 


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Gabel unb W:eff:r in araviertem Silber 
Aus dem Inbalt bes Pommerſchen 
Runjtidrantes 


49 (Pesesesesesesesesesesesei] Dr. Adolf Brüning: 


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8 Bild des auf Seite 38 erwähnten Modells eines ſüddeutſchen Gutshofes 8 
Im Königlichen Reichsarchiv zu Munchen 


ließ ſich von Hainhofer, den dieſe Gunſt hoch 
beglückte, E den Schrein und feinen 
Inhalt vorführen. Nadh icinem, nur wenige 
Monate jpäter erfolgten, Tode in ber Schladht 
bei Yüßen wurde der Gd)rant nad) Ecyweden 
gebrad)t, wo er feit 1694 in der Biblio: 
thet der Univerfitat an llpfala —— 
wird. In einem prächtigen vierbändigen 
Werke iſt er vor einigen Jahren von dem 
Oberhofintendanten des Königs von Schwe— 
den, John Böttiger, beſchrieben worden. 
Dieſe Kunſtſchreine ſind architektoniſche 
Wnujfbauten aus Holz und haben nebſt ihren 
tifchartigen Unterjäßen eine Höhe von 2 bis 
2'i, Dieter. Cie find mit einer großen An: 
abl von Gdicbladen und Fächern verə 
qd und aufs reichite innen und außen 
mit Gemälden, Gilberielicfs, (mails ver: 
chiedener Tedhnif, Holzintarjien, Mo— 
aiten njw. ausgejtattet. In die Wandung 
nb eingelajjen italienishe Niellen nnd 
ronzeplafetten, €imoujiner Emails, Buchs— 
und Glfenbeinjchnigereien u. a., jo daß fie 
nebjt dem reichen Inhalt ein Kompen: 
bium aller RKiinfte und Techniten dar: 
Bellen. Ter Anhalt bejtebt bei bem Pom: 
merijhen Kunjtid;rant im wefentlicen 
ans Hausgeräten: Tafelgeſchirr, Toiletten 
jadjen, einer Hausapothete, ferner mathe: 


matijden und ajtronomifden Inftrumen= 
ten, SHandwerfszeug, einer Spieluhr uſw. 
Ter Cd)ranf zu Upfala enthält alle mög: 
lichen Dinge: ‚Arteficialia‘ und ‚Naturalia‘, 
eine Münzen: und Medaillenfammlung, Mis 
niaturen, Reliefs und Statuetten, Waffen, 
chineſiſche Porzellane, ferner cine Muſchel— 
und Diineralienjammlung, jowie andere Na— 
turprodufte, met Raritdten und Ruriojen 
aus überſeeiſchen Ländern, irsbejondere aus 
Wejtafrifa und Brajilien. Er jtellt daher 
im Heinen eine Runjifammer dar, wie fie 
damals auszufchen pflegte, wie ja aud) ihr 
Swed ein ähnlicher war, zum Kunjtgenuß 
und zur Unterhaltung zu dienen, denn auf 
wirflide Berwendbarfett waren auch Die 
Geräte des Pommerſchen Kunftichrantes 
niht berechnet. 

Die Bilder, Statuetten und Reliefs der 
Schränte jelbjt waren durch eine einheitliche 
Idee verbunden. Beim Florentiner Cd)cant, 
der zugleich aud) als Hausaltar unb Gd)reib- 
tijd) dienen fonnte, war die ganze Heils- 
gejdichte Chrifti angebradt. Lie Darjtel- 
lungen an dem ponimerjd)en Echreine bilde» 
ten einen .Mifrofosmos, eine Enzyklopädie 
ber phyſiſchen und jittlichen Welt‘, in der 
Überlieferungen der mittelalterlichen Cola: 
ftit fid) mit humaniſtiſchen Gebanten zu mert, 





— 
1 


- — 
ase 


BSS 3:]:2329:23232:932]]) Philipp Hainhofer in Augsburg BEZZI KKZ 43 


wiirdigem Verein verbinden. Das Widhtigite 
war, dağ viel dabei zu denten, au petu: 
lieren: war. Beigefiigte Bejchreibungen und 
perans Verzeichnijje bieten den Faden, der 

en Bejiger bieier Kunſtſchränke durch bas 
Labyrinth von Behältern, Schubladen und 
Gebeimjádjern führen mußte. Für uns eine 
große Cpiclerei, die damals aber durchaus 
ernjt genommen wurde, 

Sjainbojer jelbjt entwarf bas Programm 
und Die Grundidee zu biejen Gebilden, Wialer, 
wie Rotterhammer und Rager, ftanden ihm 
in bielen und anderen fünitlerijchen Ange: 
legenheiten mit Rat und Tat zur Seite, und 
eine ganze Schar von Kunſthandwerkern 
führte unter [einer jtändigen Oberleitung 
und Auflicht bie Arbeit aus. Troßdem dieje 
Runjtidranfe unjerer Anſchauung monjtrós 
ericheinen, es [tedt in ibnen doch viel Ge: 
hmad und Runitfertigfeit. Die farbige Wir: 

ng ijt barmonijd, bie Cilberarbeiten, 
Emails und monde andere Werte gehören 
zu ben feinften Dingen ihrer Art, alles ijt 
mit größter Sorgfalt und Cauberfeit aus: 

eführt. Und unfer Urteil wird nod) be- 
cheidener, wenn wir an die vielen Bejchmad: 
Iofigfeiten denten, bie uns gerade bie legten 
Jahrzehnte beldert haben. 
Überhaupt wird man die ganze 3eitful- 


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tur, bie fic) fo Har in Hainhofer und feiner 
Hinterlajjenichaft abjpiegelt, nicht zu gering 
enjdàgen dürfen. Es war eine Zeit des 
Überganges: auf die bürgerliche Rultur, die 
jeit dem 14. Jahrhundert jo reiche Blüten 
getragen, folgte im Laufe bes 17 Jahr— 
— eine höfiſche Kultur. Ter Augs: 
urger Bürger und Kaufmann Hainhoſer 
ijt ein Fürftendiener, wenn aud) das Für— 
ftenregiment zu feiner Zeit nod) ein Abſo— 
lutismus von d)riitlid)-patriardjalijd)er Fär— 
bung‘ war. Schon waren, nad)bem das 
Jahrhundert der Entdedungen und der Re: 
formation den geijtiaen Horizont jo gewaltig 
erweitert hatte, die Brundlagen einer neuen 
Weltanſchauung burd) die geiltvollen Bedan: 
ten eines Ropernifus und Galilei gelegt wors 
den, aber die mittelalterliche Sbeentpelt, bie ja 
auch heute nod) nicht ausgeftorben ijt, lag 
bod) nod) übermädhtig auf allen Geijtern. 
Mod) galt ber Wiirolog mehr als der Nitro: 
nom, der Alchimiſt mehr als ber Chemifer. 
Aber vergejjen wir nicht, daß aus der Zau— 
bertüche des Alchimilten im 18. Jahrhundert 
ein jo wichtiger Stoff wie bas ‘Porzellan 
entitand, und daß bie vielen medjaniidjen 
Cpielereien, bie uns bei Hainhofer begegnen, 
bod) wiederum die Fortichritte einer Wiffen: 


\chaft kennzeichnen, auf ber fic) bie [pátere 





a Die Übergabe des jegt in Berlin aufbewahrten Kunftichrantes an den Herzog Philipp 


44 (pessseesessesessesssesssey Dr. Adolf Brüning: PAZZ KZ EZA 3334243436352] 


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— — a). re 


Der Kunſtſchrank in ber Univerfität zu Upfala. Borderanficht bei geöffneten Türen m 


Entwidlung ber Naturwillenichaften auf- 
bauen d nd aud) aus jenem naiven 
SInterejje an den in den Kunfttammern an: 
RE d Erzeugnijjen ber Runft und 

atur jollten bod) ſchließlich wiffenjdaftlide 
Gedanfen geboren werden. 


So ift Hainhofer für uns ein wichtiger 
Vertreter der gcijtigen Kultur jener Tage. 
Was er aber feiner Zeit jelbjt gewejen, 
das möge am beiten der Nachruf feines 
Freundes Johann Balentin Andreae fagen: 
‚Sein UAndenten werden alle bewahren, 








[BE$3$3$3$323032303032] Philipp Hainhofer in Augsburg MZZ 45 





-— ` mm wee», e? Rea | 





Eg Der ftunitidrant im Palazzo Pitti zu Florenz. Vorderanſicht bei geöffneten Türen 


melde die Willenfchaften und Sprachen unermüdlicher Cchüßer er war. Die zahl: 


lieben, nicht minder bie Künftler und Wert: 
leute jeder Art, bie er, felbjt Architekt, mit 
bewundernswerter Einjicht leitete, aber aud 
bie Fürſten, deren —“ er ſorglich und 
fleißig vollführte, ja die Religion ſelbſt, deren 


loſe Schar ſeiner Freunde aber, mit der er 
in ununterbrochenem wiſſenſchaftlichen Ver— 
kehr ſtand, wird es beklagen, daß dieſer Quell 
ſtrömen aufgehört, dieſe ſo uneigennützige 
irkſamkeit ihr Ende gefunden habe.‘ 


Coben Beten) 


Hm jonnigen Trieft war es, daß Hans 
Rriejen die Frau feines Herzens, 
Bwendolin Herbert, zum erjten 
> Diale jab. 

Ter Oberleutnant war durd Ka- 
binettsorber vom 2. Ceptember 1913 zum 
Detachement nad) Sfutari in Albanien vers 
jet worden, nadydem er einige Jahre in 
Ditafien Tienjt getan hatte. Auf ber Durd): 
reile mußte er fid) in Trieft im deutjchen 
Generaltonjulat melden und traf dort einen 
alten Gchulfameraden, Philipp Berthold, 
als Ronjulatsjefretdr, Am Nachmittag ſchlen— 
derten fie gemeinjam auf dem jtarf beleb- 
ten Corfo. 

„Schöne Pferde und [djóne Frauen find 
nun bod) einmal bie Hauptjache im Leben,“ 
mette der leichtlebige Freund, „und beides 
fonnen Cie hier jeben. Wher daß Gie jest 
nad) Stutari, der neuejten deutſchen Garni: 
jon, geben, darum beneide id) Sie. Gie 
werden alles dort finden, was das Leben 
interejjant und erregend geftaltet, politijche 
Intrigen und Niederträchtigkeiten ſchlimm— 
per Art und unter Umftänden äußerjt felt- 
ame Abenteuer.” 

„Sie tun ja gerade, als wenn id in ein 
modernes Wiärchenland ginge." 

„Albanien ijt ein Märchenland,“ [agte 
der Freund voll Überzeugung und malte 
bunte Bilder von dem Leben und Treiben 
in Gfutari. Briefen lachte vergnügt. Coviel 
hatte er fid) von Cfutari nicht verjprochen. 
Plötzlich wurde er von feinem Freunde 
leije angejtoBen, der gleid) darauf zwei 
Tamen griipte, bie in einem febr eleganten 
Wagen japen, an dem verjchiedentlich und 
in auffallender Weiſe bie Fürſtenkrone om: 
gebrad)t war. Die rechts fikende Dame 
grüßte jehr liebenswürdig wieder, während 
die andere, ohne cine Miene zu verziehen, 
einen kurzen Bid auf beide Herren warf, 
um Dann wieder geradeaus zu jehen. 

„Sagen Gie mir, bitte, wer die beiden 
waren,” fragte Briefen lebhhaft. „Bejon: 
ders Die eine ber Damen jah jehr vornehm 
aus und machte einen ganz anderen Ein: 
——— alle anderen Damen, die ich bisher 
ier ſah.“ 

„Daher ſtieß ich Cie ja and an, ba Gie 
wahrjcheinlich wenigjtens die cine Diejer 
Damen nod häufig in Ihrem Gfutari 
wiederjehen werden. Haben Cie bie auf- 
fallenden Giirjtenfronen anf bem Wagen und 
Geldjirr gejehen? Die Dame rechter Hand 
ift eine leibhafte Prinzejjin und fogar eine 









d 0 4.9 
ee was bod) immerhin eine Celtens 

eit ijt. 

„Haben Cie ſchon von Javor Bolane ge 
hort, bem Fürſten der Rajtrati? Er belitt 
ungeheure Guter im Norden von Albanien 
und bat in den lebten Jahren durch Bere 
lauf von Wäldern an italienijche Unter: 
nehmer einige Millionen verdient. Den 
SFürftentitel hat er fid) wahrideinlicd felber 
zugelegt, und der legte türfiiche Palha hat 
thm benjelben gegen eine beträchtliche Summe 
bejtätint. Voriges Jahr hat der alte Herr, 
der häufig in Stalien verweilte, fid) wieder 
verheiratet, und gwar mit einer nod) ganz 
jungen, aber [hon red)t forpulenten Italie: 
nerin. Das war die PBrinzejjin Bolane, die 
wir eben jahen.“ 

„Und die andere Dame, bie neben ihr 
laß?“ fragte Briefen. 

„Ja — eigentlich) weiß ich wenig ober 
nichts von ihr. Nur, daß Sie die Frau des 
englijdhen Konfuls in Gfutari ijt, bes all: 
madticen Herbert, und dak fie eine Irin 
fein fol. Nun, Sie werden fie ja wahr: 
\cheinlich) bald fennen lernen. Hüten Gie 
Ihr Herz!“ 

Das war die erfte Begegnung Briejens 
mit Gwendolin Herbert. Am nächſten Mors 
gen fuhr er mit bem Echnelldampfer Hohens 
lobe des djterreidifden Lloyd ab. Der Lärm 
der Ausfahrt aus dem Triejter Hafen war 
vorüber. Allmählich verjdwanden die Riijten 
in blauender Tämmerung, und die Reiſen— 
den begannen, fih irgendwo am Oberded 
(in längere Zeit gemütlich einzurichten. Brie- 
en wählte einen Licgejtubl möglidyit abjeits, 
um ungejtört vor fid) hintraumen zu Tonnen, 

In diejem Augenblide hatte er bas Ge: 
fühl, daß ihn jemand anjähe. Unwillkürlich 
wandte er den Kopf. Wn der Reeling ftand 
eine Dame, die jofort mit gleichgültigem 
Ausdrude an ihm vorbeijah. Da durchfuhr 
ibn eine beige Welle. Sofort hatte er jte 
wicdererfannt, Die einzige Ericheinung, bie 
in Triejt feine Aufmerkſamkeit erregt batte. 

Sie blidte geradeaus auf die ferne Küjten: 
linie, über ber jid) bie Rauchfahne eines 
Dampfers wie eine Wolfenbant lagerte. Go 
fonnte er fie ungeitört betrachten. 

Es fam nidjt häufig vor, dat eine Frau 
ihm auf den erjten Blid gefiel, und nod 
dazu eine Engländerin. Nad) den dunklen 
Augen und den brünetten Haaren hätte 
man fie freilich für eine Südländerin halten 
fünnen. Aber die weiche, hingebende Kinie 
ber Romanin fehlte. Faft herbe wirkte dic 


BIEHFFIFFTFA Borwin Barlig: Der Schuß auf dem Bardanjol 47 


flante Geftalt. Was ihn aber eigentlich 
anzog, war nicht nur bas Belicht, bas taum 
arbe geigte und gerere de nicht ber 
dminfmode verfallen war. Auch ber fühl 
abweijende und bod) etwas traurige Blid 
batten es ihm nicht angetan. 

Vielleicht war es bte Bornehmbeit und 
Sicherheit, die aus jeder Hé Bewegungen 
jprad. Aber ähnliche Erjcheinungen hatte 
er häufig in Deutjchland gejehen, ohne daß 
gerade diefe Art Frauen ihn bejonders an: 
30g. Auch neigte er viel mehr zu den a 
ten, blonden norddeutichen Geftalten, wäh: 
rend jede allzu brünette Frau thm bas un: 
— Getübl erregte, einem rätjelhaften 

efen gegenüberzujtehen, deffen Charafter 
Höhen und Tiefen barg, die zu ergründen 
vielleicht reizvoll, aber fiber auch gefährlich 
war. Und bod) fühlte er gerade diefer Frau 

egenüber ein merfwiirdiges, magnetilches 

[uibum, bas ihn Bette und leije in 
ibm fortgitterte. Da wandte fie fih um, 
ftreifte ibn mit einem falten, gleichgültigen 
Blide und ging mit [angjamen, wiegenden 
Schritten bas Promenadended entlang. — 

Briejen war warm geworden. Trogdem 
die Sonne ein Dunftfchleier verhüllte unb 
das Schiff in voller Fahrt dahinzog, diinfte 
ihn die Die unerträglich. „Scirocco,“ hörte 
er einen Ojterreichijden Offizier faqen, ber 
in Begleitung von zwei Damen vorüberging. 

Abends lag er wieder an Ded. Die 
Schwüle war immer * unerträglich, und 
während fahles Wetterleuchten die ferne 
dalmatiniſche Küſte erſcheinen ließ, 
ſchicke bie Schiffskapelle die aufreizenden 
Klänge der Toska herüber. 

Seine ſchöne Unbekannte hatte er nod 
nicht wiedergeſehen, aber das Schiff konnte 
is nicht verlajjen haben, das fühlte er ins 

inttiv. Und er verjentte fih in reia: 
volle unb pbhantajftijhe Gedanfen, bie fih 
ausjdjlieBlid) um die dunfeldugige, eigens 
artige Frau bewegten. 

Gerade über Feine Liegeftubl befand 
fid das offene Sentier bes Damenjalons, 
aus bem er jchon jeit einiger Zeit ein Balb: 
lautes Gejprad engl Der Leute vernommen 
hatte. Als er einmal den Namen Clutari 
hörte, achtete er genauer auf. Zum Berjtehen 
des Inhalts reichte fein Englijd aus, und 
bald folgte er voller Snterefje ber Unterhal: 
tung, bie zwijchen zwei Herren ftattfand. 

Dieſe verdammten Deutjchen miijjen fich 
doh in alles mijdjen," jaate eine Stimme. 
„Erit landen fie ein Setadjement in Stutari, 
wo fie nicht bas geringite zu Indien haben, 
und je&t wollen jie fogar einen ihrer prin: 
zen auf ben albanijden Thron leben. 

„Überall tommen fie uns in den Meg,“ 
meinte der andere, „Ihre Zeitungen jagen 
immer, die Welt fet groß genug, daß Eng: 
[anb und fie nebeneinander ihre Geſchäfte 
betreiben fónnten. Gewiß, das jtimmt. 
Aber bie Deutfchen haben die Gemütlichkeit 
im Geichäftsleben verdorben. Überall fahren 
ihre Reijenden umber und unterbieten die 


guten englifden Waren mit billigen Schund: 
attifeln, Früher ging man morgens einige 
Stunden ins Geldált unb in bejonbers 
wichtigen Zeiten aud noch nachmittags. 
Das genügte. Aber feit dicje Deutjchen von 
morgens bis abends auf dem Büro figen, 
muß man es wohl oder übel gerade jo 
machen, um niht in Rüditand zu tommen. 
Der Teufel fol fie holen.” 

„Ceterum censeo, Carthaginem esse de- 
lendam," meinte ber erjte mit feiner derar: 
tig engien Ausiprahe ber befannten 

orte des alten Cato, mit denen er täglich 
im römiichen Genat zur Zerftörung Rar: 
tbagos aufforderte, daß Briefen eine gewijje 
Zeit nötig hatte, bis er den englijden (Ge: 
mütsmenjchen völlig begriff. 

„Sollen fie uns nur einen beut[djen Prins 
zen nad) Albanien jchiden,“ F der 
andere, „ſo wollen wir ſchon dafür ſorgen, 
daß er bald abgewirtſchaftet bat. Dann 
können wir unſeren Freund Ibrahim, den 
ägyptiſchen Prinzen, präſentieren. Zuver— 
läſſig ſind alle dieſe Niggers ja auch nicht, 
aber wenn wir ihm eine anſtändige jährliche 
Dotation ausſetzen, wird er ſchon nach unſerer 
Pfeife tanzen.“ 

Damit Got die Unterhaltung, und die 
beiden Engländer begaben fih in den Rauch: 
falon, wo fie fid) bei Whisty und Goda 
niederließen. l 

Briejen verbradte die ſchwüle und €. 
[o wunderbare Nacht im Liegeftuhl auf Sed. 
Und während aus bem Raudfalon Die 
Stimmen vergnügter öfterreichifcher Offiziere 
ertönten, träumte er feiner nddjten 3utunft 
entgegen, bie ihm voll ber feltiamjten unb 
geheimnisvolliten Greignijje gu fein jchien. 


Gwendolin verließ ihre Rajiite fura vor 
der Einfahrt in die Boche von Cattaro. 
Der Cdhirotfo hatte fait — — 
Stunden gedauert und ihr jeden Lebensmut 
enommen. So ſehr ſie die Wärme liebte, 
kg die Hike Indiens war ihr felten läjtig 
eworden, Diele entnervende Treibhaus: 
chwüle bes abriatijdjen Südwindes verur: 
lachte ihr jedesmal Migräne. 
(ls bie Jungfer das Frühltüd ans Rett 
gebracht, hatte jie nur einen Schlud Tee 
enommen und war jofort wieder in ſchmerz— 
aftes Dahindämmern verjunfen. Cie mußte 
ger feit geichlafen haben, denn wie fie die 
ugen nad) einiger Zeit dier war Der 
Kopfichmerz verjdywunden. Lurd) das halb 
offene, runde Kajütenfeniter fam ein fiib'er 
Haud herein, und das Schiff machte lebhafte 
Cdlingerbewegungen. Gott fei Tant, das 
war ber erfrijdhende Nordwind, die Bora, 
bie einem wieder neues Leben bradjte. 
Das Klingelzeichen hatte die Stewardeh 
hereingerufen, bie jofort bie Jungfer holte, 
mit deren Hilfe trog ber Schwanfungen des 
Schiffes die Toilette bald beendet war. Betiy 
empfahl dringend, für heute einen ganz 
ſchwachen Haud von Rot aufzulegen, aber 


48 ees SEH Borwin Carlig: 


obgleich der Spiegel der jungen Frau ein 
elblich blajjes Belicht zeigte, lehnte fie ab. 
Es lohnte wirklich nicht, jid) für das ‚People‘ 
auf dem Schiff jchön zu machen. 

Ziele lauten öſterreichiſchen Offiziere mik- 
oT ihr im höchſten Grade. Das waren 
ür fie überhaupt feine Herren, denn ein 
Gentleman trägt Uniform nur im Dienit, 
ganz gewiß aber nie auf der Reife. Und 
ie wenigen Vergnügungsteijenden, bie wei: 
ter nad) Korfu oder Griechenland wollten, 
zählte fie zur Kategorie der ‚Cape Tuiskes‘, 
Zieler Ausdrud ftammte von einer däni- 
Iden Freundin, bie Damit eine gewille Corte 
von deutichen Reijenden bezeichnete, bie man 
zu jeder Tageszeit und an jedem Orte in 
dem gewiß jehr praftijden, aber feineswegs 
Ihönen Cape und Lodenrod antrifft. 

Was ſonſt nod) auf dem Schiff war — 
italieniſch Lager ën Dalmatiner, bosnijche 
Cerbofroaten, Montenegriner und Griechen, 
meijt Kaufleute in Geichäften unterwegs 
und mebrjad) von ihren Frauen begleitet — 
war für Gwendolin einfach Balfangefindel. 

Jtachdem fie das Ser verſchmähte Früh: 
ſtück er hatte, fühlte fie fid) wie ein 
neuer Menſch. Ein verjtohlener Blid in 
den fleinen Tajchenjpiegel, der hinten in 
einer Rapfel eine winzige Puderquajte ent- 
hielt, zeigte ihr, daß fie wieder etwas Farbe 
befommen hatte, was ihre Lebensfreude 
denn Dod) fteigerte. 

Leichten Schrittes ftieg fie bie [teile Treppe 
um Bromenadended Zonk ebt empfand 
i es febr angenehm, daß fie |djon in Riid- 
idjt auf bas raubere Klima Cettinjes ein 
wärmeres Koftüm gewählt hatte, während 
ihr geftern beim Wehen des heißen Wüſten— 
windes jelbjt ihr dünnes Geidenfleid un- 
erträglich geworden war. 

Cie fam nod gerade zur rechten Zeit. 
Die ‚Hohenlohe‘ durchſchnitt die jchmale 
Einfahrt der berühmten Boche, die ganz 
einem nordilchen Fjord gleicht. Schon oft 
hatte Gwendolin diefe Reife gemacht, aber 
aud) heute wieder bebte fie in Erwartung 
bes unvergeßlichen Cindruds, wenn fidh mit 
einem Schlage die Einfahrt weitet und Die 
gewaltige Bucht von Cattaro mit ihren 
bimmelanragenden Bergen vor einem liegt. 

Nun jab fie jhon in ber Sterne bie wei- 
Ben Häujer Gattaros, ganz am Ende ber 
Bucht, Dicht unter der ragenden Höhe des 
Lowcen, der bereits eine Schneehaube trug. 
Sm unmittelbarer Nähe des Meeres wirkten 
feine zweitaujend Meter ganz gewaltig, und 
drohend Jahen die diilteren Whhange auf das 
lienliche Bild unter ibm herab. 

Ter englijche Konſul in Gettinje war im 
Frühjahr mit ihr oben gewejen. Boller 

nterejje hatten fie jid) von Dem englijd 
Jprechenden montenegrinijchen Offizier, der 
dort fommandierte, Die Befejtigungen er: 
Hären lajjen. Der Yowcen war uneinnehm: 
bar mit jeinen jteilen Hängen und feinen 
ftarfen Befeltigungen, und feine Kanonen 
beberrjdjten den größten Teil der Bocce, jo 


daß Öfterreich bes [djónem und gewaltigen 
Hafens nicht froh werden fonnte. „Nur am 
äußeriten Ende, diht an der Einfahrt bei 
Cajtelnuovo hatte es fih eine Flottenjtation 
eingerichtet. 

„Das wäre ein Hafen für England,“ hatte 
ber Ronful leife gemeint. „Die Kriegsflotten 
der ganzen Welt könnten hier ficher anfern, 
und wir würden jhon dafür jorgen, daß ber 
Vomcen nicht [ange uneinnehmbar bliebe. 
Golde Feitungen find, bejonders hier im 
Baltan, viel leichter mit Gold als mit Cijen 
und Blei zu erobern. Außerdem madjt es 
weniger 9[ufjeben und pflegt beide Teile zu 
befriedigen.“ 

„Warum nehmen wir ihn uns niht ein» 
fad)?“ hatte Gwendolin mit der barmlojen 
Naivität englijdjer Weltanſchauung gefragt. 

„Das geht bod) nicht jo ohne weiteres,” 
meinte der Diplomat. Groß geworden in 
der Schule englijdhen Wuslandsdienites, 
wußte er genau, daß es bei einer jeden 
neuen Beligergreifung darauf antam, Daß 
England entweder den Anjchein eines un— 
trüglichen Rechtes hatte ober ſonſt wenigjtens 
als Befreier unb Beſchützer eines unters 
brüdten 9Bolfsitammes ericheinen fonnte. 

Wud) Gwendolin war — troßdem fie iri- 
fher ae ae — der feiten Anlicht, daß es 
für jedes Volt nur ein großes Gliüd fein 
fönne, ber Segnungen englijder Herrichaft 
bang zu werden. Auch für bte Volter 
bes [iib Aal Balfans, bejonders für bas 
arme unglüdliche Albanien, empfand fie ein 
tiefes Mitleid und hätte es als Gegen für 
diefe Lander betrachtet, wenn Englands 
mächtige Hand ihnen eines Tages zugleich 
mit feiner Herrichaft Kultur und Wohlitand 
brüdjte. 

Debt legte bie ‚Hohenlohe‘ in Cattaro an, 
und ein großer Teil ber Paffagiere [tieg 
aus. Gwendolin rief auf ttalieni|d) ein paar 
Leute heran und beauftragte fie, ihr Gepäd 
zu dem fleinen Hotel zu bringen, von wo 
pas Pojtauto nad) Cettinje abzugehen pflegte. 

Im Speilezimmer des Hotels aber traf 
jie Baron Traubenberg, den ruffijden Mili- 
tärbevollmädhtigten aus Cettinje. 

„Daß ich ein ſolches Glück haben würde, 
noch heute die |djón|te Frau Albaniens zu 
leben, das hätte id) mir nicht träumen laffen,” 
jo begrüßte fie der ftets liebenswürdige 
Ruffe. „Sie wollen gewiß in unfer ſchauder— 
hajtes Gebirgsneit, diejes von Gott verlaf- 
lene Gettinje." 

„gu meiner Freude, lieber Baron, fehe 
id), daß Sie unverändert berjelbe geblieben 
find, feit wir uns nicht jaben: ber aufrich- 
tige Bewunderer ber Frauen und Der une 
verbejjerliche Werächter des hübjchen Get: 
tinje.“ 

„Verehrteſte, ſchönſte Frau, Sie befinden 
fidh in Doppeltem Irrtume. Erftens find 
Cie die einzige Frau, die ich wirklich vers 
chre, weil Ste jo warme und gar nicht eng: 
liie Augen haben, und zweitens pafe ich 
außer meiner montenegrinijden Räuberhöhle 





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( Der Shuk auf dem Bardanjol BESSSessesesa 49 


ämtliche Städte, bie fleiner find als Peters- 
urg. Aber nun nehmen Gie Plaß, effen 
Cie etwas, und dann vergönnen Gie mir 
bie Gnade, Cie in meinem Auto mitzuneh: 
men. Sd) batte bier unten zu tun und bin 
jebt jederzeit, jobald Cie es befeblen, zur 
Abfahrt bereit." 

Eine Stu de fpäter jchob fih bas Auto 
langjam die fteile eljenitraße hinauf, deren 
ungezäblte, immer wiederlehrende Cerpen: 
tinen eine Höhe erreichen, bie ber des Pi- 
[atus über dem Luzerner Gee ent[prid)t. 

Bwendolin war begeiltert, — ihr 
bod) bie Fahrt nichts Neues bot. „Sehen 
Sie nur, Baron, wie fich bei jeder Biegung 
bie Ausficht erweitert und wie das Bild 
ftets ein anderes wird. Gebt bat man Ion 
die ganze Boche in ihrer vollen 9[usbeb: 
nung zu Füßen, noch etwas höher, und wir 
tönnen bie Ujerberge der Bucht überbliden, 
wir werden linfs bie albanijdjen Berge und 
vor uns bas Meer fehen.” Gie war ganz 
pi ce) in ihrer Freude, 

er ehemalige Petersburger Bardeoffizier 
blieb trog feiner Mee eg Montenegros 
nicht unempfindlich für Die Reize ber groß: 
artigen Natur, deren Genuß ibm nod) er: 
höht wurde durch bie Anwejenheit ber jun: 
gen, [djóubeitstrunfenen Frau. 

„Ich glaube [idjer," fagte er, „daß die 
ganze Adria, ja felbjt bas Mittelmeer nir: 
E eine Stelle von ähnlicher, gewaltiger 

djónbeit aufzuweijen hit.” 

Das Auto hielt. Ziſchend fodte der 
Dampf aus dem Kühler. An einer Quelle 
bemühte (id) der Chauffeur, ben Durft der 
beiBaclaujenen Mafchine zu ftillen. 

Baron Traubenberg zeigte zur Höhe des 
Lowcen, der immer nod) drohend über ihnen 
tagte. Dann wies er auf einen Hügel unten 
vor Cattaro. Dort war ein öjterreichijches 


Hort. 

„Und diefe Zwerge bilden fih ein, fie 
finnten mit ihren armjeligen Befeltigungen 
unjeren Lowcen in Schach halten, von Dellen 
Höhen man jeden Mann und jedes Ge[djiif 
dort unten einzeln wegpußen tann.” 

„Warum jagen Cie ‚unjer‘ Lowcen, Ba: 
ton? Eoviel ih weiß, ijt bas Königreich 
ber | dywarzen Berge bod) nod) keine Kolonie 
des heiligen 9tuBlanbs," meinte bie jchöne 

tau mit leicht |póttijd)em Lächeln. „Oder 
olite es wahr fein, was man mir erzählt 

at, daß Cie im Falle eines Krieges gegen 
jterreich dazu beftimmt find, bie tapferen 
Montenegriner zum (iege anzuführen ?“ 

Der gewanbte Weltniann war nicht fo 
leicht in BerlegenDeit zu bringen. „Ihre 
Randsleute [predjen bod) aud) von Agypten 
fo, als wenn es ihnen gehörte, während es 
feinen jelbftändigen Fürjten, den Khediven, 
bat, der allerdings nod) nominel dem ‘Be: 

errſcher aller Gläubigen tributpflid tig ijt. 

tan fällt eben leicht in ben Fehler, fid) mit 
einem Yande, in bem man lebt und mit dem 
uns enge Beziehungen pertnüpjen, volltom: 
men au affimilieren.” 


Belbagen & Alafings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918 2 Bd. 


Gar zu gerne hätte die felbitfichere Eng» 
länderin ihren geld idten Begleiter noch ges 
fragt, ob er in der Tat am orthodoxen Neus 
jabrstage bie ruſſiſchen Cubventionsgeld r 

erjönli an die Miinijter und Generale 

ontenegros auszuzahlen pflegte, wobei 
tets Diejenigen bejjer fort famen, die fic 
im vergangenen Jahre allen Wünjchen bes 
weißen Zaren bejonders gejügig gezeigt hat: 
ten. Gie wollte aber die thr als Fran zus 
ftehende Freiheit nicht zu weit treiben und 
wußte aud) nicht ganz Ke ob fie damit 
vielleicht ein ihr anvertrautes politijches (Ge: 
Deimnis verriete. 

Unterdejjen war bas Auto wieder fahr: 
bereit. Bon neuem feuchte es bie unends 
lichen Gerpentinen in die Höhe, unb nad) 
Verlauf einer Stunde war das Panorama 
hinter ihnen verjdwunden. Berhältnis» 
mäßig eben ging es jegt weiter, dafür hatte 
aber die Gegend den trojtlojen Gbaratter 
der Rarftlandjd aft angenommen. 

„Warum haben nur bie Montenegriner 
thre Hauptitadt in bielen óbe[ten und ver: 
lafjenjten Teil ihres ganzen Landes ange: 
legt?” fragte Gwendolin. „Das Innere bes 
Landes fol bod) jo wunderbar done Ge: 
genden haben, unb aud) bas malerijche An— 
tivari gäbe eine reizende Rejideng, bie fogar 
einen "Bergleid) mit Montecarlo nicht zu 
denen brauchte,“ 

„Sie haben in der Tat redjt. Das Sm 
nere des Landes ijt meijt pom erlejener 
Schönheit. Mit meinem Auto habe id) es 
nad) allen Ridjtungen durchftreift. Ich babe 
Gemſen bei Nitjifch geichoffen und mid) nad 
Der an dem ausgezeichneten Bier ber öjter: 
reidjijdjen Brauerei bes freundlichen Städt- 
dens erfreut. Sd Babe folajins Munis 
tionsfabrit bejidbtigt und die ungeheuren 
Urwälder feiner Umgebung durdjitreift, id) 
habe bei Andriewiga auf Bären gejagt und 
war el Anjtand auf albanijdje Banditen, 
bie dort- bie nahe Grenze zu überjchreiten 
pregen, Ta, id) habe fogar in dreitägigem 

itte auf Gaumpfaden die wunderbar frudt:= 
baren und blühenden Gefilde von Ipet ers 
reiht, wo ih im Rlojter Decani bei dem 
Abte zu Gaft geladen war. Überall ift Mon— 
tenegro unvergleichlich viel jdjóner, als in 
bielem entſetzlichen Gettinje, in bas mid) ein 
ungnädiges Gejcdid verbannt Dat." 

„Ja, Sie find entjeglich zu bedauern, Sie 
Armer,” meinte die fddne Frau. „Aber 
jeben Sie, da tommen ja Jdon die erjten 
Häufer Ihrer geſchmähten Reſidenz zum 
Vorſchein. Ich tann mir nicht heljen, id) 
Een bas Gtädtchen allerlicbjt. Wie ein 
chmuder, fleiner Badeort am einjamen 
Meeresftrande, fo liegt es mit feinen wets 
Ben Häuſern unb grünen Garten inmitten 
der Steinwiijte. Aber id) vergaß unglaubs 
licherweife, ganz nad) Ihrer Frau zu fragen. 
Hoffentlich geht es ihr gut?“ 

„Sch dante Ihnen febr, es geht Anna 
Micharlowna ausgezeichnet, denn fie befindet 
fid) nicht bei mir. Nach ihrem legten Briefe, 

4 


50 eege Borwin Carlig: ——0——— 


den ich vor zwei Woden wier: war fie 
nod in Biarriß, jet wird jie aber wohl 
ihon in Paris fein. Die Blüdliche — wer 
doch aud) dort fein fonnte, losgelöjt von den 
Freuden bes | moni Herdes!“ 

Gwendolin jeufzte leicht vor jid) bin. Auch 
is fühlte fih überall wohler unb freier, als 

et fid) zu Haufe. 

Debt hielt bas Auto vor dem JC 
Gebäude ber englijdjen Bejandtichaft. Baron 
Traubenberg verab|djiebete fic) mit einem 
Handkuffe von feiner Begleiterin. 

„Haben Cie vielen Dant für die herrliche 
Sabet in Ihrem [djónen Wagen, und follten 

ie einmal ein paar Tage Zeit haben, jo 
würden Mr. Herbert und id) uns febr freuen, 
wenn Gie uns in Cfutart bejudten.” 


CH 8 B] 

Das Hotel Europa in Cettinje be[tbt eine 
Heine freundliche Dependance, dicht gegen: 
liber bem fürftlichen Konat. Hier war Fuad 
gani Bei untergefommen. Er reijte mit 
einem amerifanijden 9Bajfe, der auf den 
Namen para, Green aus Denver lautete. 

Unter der Regierung Abdul Hamids war 
er Offizier der albanijden Leibwache gewejen, 
der einzigen Truppe, welder ber unglüdliche, 
verbitterte Menjchenfeind vertraute. Aber 
er hatte fid) verdadtig gemadt. Cinige 
Jahre, bie er als junger Mann auf einer 
Wiener Schule verbradte, ließen ihn die 
türfijdjen 9Berbültnijje mit anderen Augen 
anjehen, als es fid) für einen ottomanijchen 
Offizier gehörte, 

Eines Nachts mußte er auf ein amerifani- 
ihes Schiff fliehen, bas ihn in bas Land der 
Sreiheit brachte. Hier merkte er allerdings bald, 
wie bie gerühmte amerifanijde Freiheit vor 
allem Darin ae daß der jtellungsloje 
hungernde Menjch fih einen Pla ausjuden 
durfte, wo er, ohne daß fih irgend jemand 
darum kümmerte, unbebelligt fterben konnte. 
In letter Not fand er einen Landsmann, 
der ihn aufnahm. ls er dann die Sprache 
völlig beherrjchte, fam er mit feiner natür« 
lichen Intelligenz |djnell vorwärts. Zum 
Schluß bejaß er eine recht gut en Praxis 
als Rechtsbeiltand, und feine Kenntnis der 
Balfanjpradhen führte thm eine Menge 
Klienten aus bem füdöftlichen Europa zu. 

Da fam der Baltanfrieg, ber auch Albanien 
bie Befreiung bradjte. Die Gerben, bie 
plündernd und brennend bis zur Adria vor: 
gedrungen waren, mußten auf öjterreichijchen 
und italienijchen Einjpruch wieder zurüds 
gehen. Und Nikita, ber nad) Ejjads Verrat 
in dem unbezwungenen Sfutari einzog, wurde 
burd) Landungsdetachements ber Dreibunds: 
mächte, denen fid) jofort aud) eine englijde und 
franzöſiſche Abteilung anſchloſſen, trog feiner 
toli tenben Protefte zum Verlaſſen bes albani: 
Idien Gebietes gezwungen. Alle Drohungen 
Rußlands, das feinen Freund ber jchwarzen 
Berge auf jede Weile unterjtüßte, blieben 
vergebens. Wegen Albanien wollte es die 
Entente nod) nicht zum Kriege tommen laffen. 
Jedenfalls jollten aber das englifde und fran: 


zöſiſche Detachement verhindern, daß fid) ber 
Dreibund etwa zu feft dort einnijtete. 

Die Londoner Konferenz beriet über die 
Grenzen und Die politijche Geftaltung bes 
Landes, und alle albanijden Patrioten hofften 
auf eine neue und glänzende Zukunft. Nach 
Stalien, nad) Wien und" bejonders nad) 
Amerika, tiberallhin wo verbannte ober aus= 

ewanderte Albaner lebten, flogen bie Genie 
reiben, um alle Wohlgefinnten zurüdzus 
rufen, bie bas Baterland je&t brauche. 
eg an Fuad war der Ruf ergangen, und 
ploglid erfaßte ihn bas Heimweh nad) feinen 
wilden Bergen. Und nun war er auf der 
Sjeimreije in fein Baterland, das Land bes 
größten Heldentums und des niedrigiten 
errates, bas Land der unverjöhnlidhiten 
Blutradhe und der hHöchiten Ehrerbietung 
vor den Frauen. Geit fünfzehn Jahren hatte 
er es nicht mehr gejehn. 

Er jtand am Fenjter und [djaute zu bem 
fürftlichen Konat heriiber. Dort wohnte der 
größte Feind feines Volkes, ber ſchlaueſte 
und geriljenfte Bejchäftsmann, der gleichwohl 
feinen Kindern ein liebevoller Water und 
jeinem Lande ber befte Monarch gewejen 
war. Ihn vor allen galt es zu befampfen. 

Es flopfte an der Tür, und auf das 
„come in“ trat ein Sotelfelner ein. 

„Ach, bu bijt es,“ jagte Fuad, „was bring[t 
du Neues?“ 

„Du mußt fort von bier, fo bald wie 
möglich, ich bin ficher, du wirft beargwöhnt 
und bereits beobachtet. Auch ich darf nur 
ein paar Minuten im Zimmer bleiben, jo 
lange als id) braudhe, um Feuer anzumachen. 
Sonft tomme aud) id, ben man bier für 
einen Griechen hält, in Verdacht.“ 

Die Unterhaltung wurde auf albanijd) und 
im Flüjterton geführt, 

„But, ich werde morgen früh nad) Cfutari 
abreijen," jagte der Amerikaner, n 
Die Freunde hier gejproden und weiß, 
alles in guten Händen ijt. Haft du fonft 
Neues gehört? Meldet Hamdi nichts Inter: 
effantes aus bem Konat?” 

„Er berichtete nur, daß unfer Feind, ber 
rulijde Baron, beim König in Ungnade 
BE En jet. Die bielige Polizei macht alle 

tiefe, bie von irgendwelchen verdadtigen 
oder aud) nur prominenten Perjonen Oe: 
ichrieben werden, in febr gefdidter Weile auf 
und verjchließt jie wieder ohne einen Zenſur— 
permerf zu maden, jo daß der Empfänger 
nichts Davon merft. Alle irgendwie politijch 
oder auch Jonjtwieinterejjanten Briefe werden 
bem König in den Konat geldjidt, der faft 
die gleiche Freude an der Entdedung polis 
tilder Intrigen wie von Liebesaffaren hat. 
Auch Briefe vom Baron Traubenberg find 
geöffnet worden und darin liegt bas Komiſche 
der Sade: fie enthielten eine Schilderung der 
hicfigen Zujtände, der Stadt, der Geſellſchaft 
unb nicht am wenigiten des Hofes. Cie follen 
voll bes boshaftejten Cpottes fein. Wm 
Ihlechtejten tommen der König jelber und 
der Kronprinz weg. Du fannjt bir die Wut 


Bose Der Shuk auf dem Bardanjol BSSSeeeees4s 51 


bes alten Herrn denten. Schon feit vielen 
Tagen will er ben Ruffen nicht mehr feben. 
Dicler. aber weiß nicht, was los ift und hat 
Ihwarzen Verdacht wegen einer politijchen 
Schwenkung zu Öjterreich. — „Und nun leb’ 
wohl, deinen Wagen für morgen früh werde 
ich bejtellen. Laß bid) bitte abends nicht 
mehr auf der Straße feben. Du weißt, wie 
leicht man bier aul immer verjchwindet.“ 

Mit feltem Händedrud jchieden die beiden 
Albaner voneinander. 

Fuad trat von neuem ans Fenfter, denn 
drüben beim Konat war eine Bewegung ein: 
getreten. Aus dem hübjchen weißen Gebäude 
traten mehrere Diener heraus und brachten 
zwei Lehnſtühle, die fie vorne auf ber Pros 
menade vor bem Konat niederjegten. 

Gleich darauf erjchien der König in Be- 
gleitung eines Herrn und nahm auf dem 
einen ber Seſſel Pla, während fein Bes 
gleiter diht hinter ihm Reben blieb. Und 
jest fanden die berühmten Audienzen Hot, 

ie der König nad) alter £anbes[itte auf 
offener Straße einem jeden feiner Untertanen 
a Wurde ber Kreis, ber fic) um den 

önig bildete, zu groß, dann jchritt unauf— 
alg ein Poliziſt ein und verteilte den 

ndrang ein wenig. Jur als eine reijende 
englijche Familie fih mit befannter Unver: 
jchämtheit heranzudrängen verjuchte, wurde 
der Polizift grob und der Engländer laut, 
was iejentlid) zur Erheiterung der Montes 
negriner beitrug. 

Voller Intereffe, aber mit haßerfülltem 
— ſah Fuad dem landesväterlichen 

alten zu. Einem jeden ſeiner Untertanen, 
der mit einem Anliegen kam, reichte der 
König die Hand, fiir jeden hatte er freundliche 
Worte und geduldiges Zuhören. 

Und bieler Mann war feit Jahren wie 
eine reiBenbe Beitie über bas albaniiche Volt 
bergefallen und hatte Hundertfache Blutjchuld 
auf fid) geladen... 


& 8 E 

Schon früh am Morgen war Fuad unter: 
wegs. Cin Meiner Wagen jollte ihn mit 
jeinem einzigen Koffer nad) 9tjáta befördern, 
von wo ber Dampfer nad Cfutart abging. 

Erft führte der Weg ziemlich eben durch 
ein Gewirr von Ispartien und Geröll: 
halden, wo nur im den tiefiten Stellen 
winzige Heine der von der Tätigkeit ber 
Menichen zeugten. Jedes urbar gemachte 
Stiiddhen Feld war mit mannshohen Dtauern 
umgeben, aus den Steinen errichtet, Die man 
aus dem Felde hatte fortbringen miijjen, 
bevor man bier jähen und pflanzen konnte. 

Allmählich wurde die Gegend freundlicher, 
bin und wieder jah Fuad einen Baum oder 
größere Stüde bebauten cers. 

Und jet tauchte mit einem Schlage eine 
lange Kette blauer, hoh ragenber Berge 
auf, deren höchſte Gipfel [hon den erjten 
weißen Schleier bes herannahenden Win: 
ters trugen. Dort lag Albanien, jein pets 
geliebtes Vaterland, dort waren feine Ber: 
wandten, feine Blutsbriider, feine Stammes» 


genoffen. Start ſchlug ihm das Herz in 
maßlojer, ungebändigter Freude, und fait 
mit Erftaunen merfte er, wie er jelber im 
Inneriten nod) ber alte geblieben war, ein 
echter Sohn bes großen Cfanberbeg. 

Eine Stunde |páter etwa erreichte er bas 
peanon Stadthen Rhäka mit feinen 

Iumenwuchernden Gärten und ber hübjchen 
Wintervilla König Nititas. 

Auf dem Heinen Flujje, der in ben Cfi: 
tarijee mündet, lag |chon ber Dampfer zur 
Abfahrt bereit, der ihn bis zum Abend in 
fein Heimatsland bringen Jollte. 

Gerade wollte er den Dampfer befteigen, 
als ein Radfahrer in halsbrecherijcher Fahrt 
bie [teil abfallende Straße herabjaufte. Uns 
willfiirlid) wartete Fuad einen Nugenblid. 
Der Antömmling fprang vom Rade und, 
ohne fih um den Albaner zu kümmern, 
begab er jid) auf das Schiff und madte 
dem Kapitän irgendeine Mitteilung. Dann 
wandte er fih guriid, [tieB Fuad wie aus 
Verjehen heftig an und murmelte irgends 
eine Entjehuldigung, jchwang fid) von neuem 
auf fein Rad und war nad) or Zeit 
verjhwunden. Auf bas flete Gtüdchen 
Papier, bas er hatte fallen laffen, fegte 
Fuad fofort feinen Fuß, um es gleich darauf 
in feiner Taſche zu bergen. 

Debt ertönte die Abfahrtsglode des 
Dampfers, und bald darauf begann fih ber 
alte Kaften [angjam zu bewegen. 

Das Schiff gehörte einer italienijchen 
Geſellſchaft. Es hatte die erften zwanzig 
Jahre feines Dafeins als Küjtenfahrer gee 
dient, jebt fuhr es bereits jeit langer Zeit 
auf bem Cfutarijee und wunderte jid) jelber 
darüber, daß fein alter rofliger Refjel immer 
nod) niht explodiert war, und daß Die 
morjden Planten bisher nod notdürftig 
den manchmal nicht unbetradtliden Wellen 
bes Gees widerjtanden hatten, 

9tadj einer halben Stunde wurde ber 
Gee erreiht. Debt atmete Fuad auf. Die 
größte Gefahr war überwunden. 

Ungejehen entfaltete er das gefundene 
Papier und las den in türfij len Buchjtaben 
gejchriebenen Inhalt. Gr lautete: „Dinijter: 
rat hat geftern abend bejdjlojjen, in etwa 
zwei Wochen bas Gebiet ber Hoti unb Gruda 
zu überfallen. Borlicht in Virpagar.” 

Der Albaner zerriß das Papier in fleine 
Ctüdden und warf fie in den Gee. Dann 
fehrte er auf bas Vorderded zurüd. 

Hier war eine ganz internationale (De: 
jelljchaft verjammelt. Faft alle Reijenden 
wollten nah Sfutari, wo jet Angehörige 
jeder europäilchen Nation vorhanden waren. 
Meiſt waren es öjterreichijche und italtenijdje 
Bejchäftsreilende, bie nach ber Beleitigung 
ber Türtenherrichaft den Augenblick gefom- 
men glaubten, Gewinn bringende Unters 
nehmungen in Albanien ins Leben ju rufen. 
Auch viele Wergnügungsreijende befanden 
fid darunter, bie Cfutari bejuchen wollten. 
Engliſche und franzöfiiche Laute wurden hors 
bar; denn es fehlte nicht an Angehörigen 

4° 


der internationalen Detachements oder der 
in Ctutari begangen fremden Konſuln. 

quad, der das SItalientjche sehen bes 
E madte fid) mit dem Kapitän bes 
annt und ftellte ne thm als Wmerifaner vor, 
um auf alle Galle feinen *Beijtanb zu finden. 

fanglam näherte fih ber Dampfer dem 
Stadtden Virpazar, wo er anlegen wollte, 
um diejenigen 9ieijenben aufzunehmen, die 
mit Der einzigen Eijenbahn, bte Montenegro 
bejigt, vom Hafen Antivari herfamen. Hier 
war etwa zwei Stunden Aufenthalt, den 
aft alle 9teijenben benugten, um auszus 
teigen und Diittag zu effen. Wher der Al— 
baner blied an Bord, eingedenf der Wars 
nung, bie er erhalten. Unter ber Bejagung 
des Schiffes befand fic) ein Landsmann. 

Kaum [idjtbar hatte er das Zeichen des 
Adlers gemadt, indem er feiner linten Hand 
eine bejtimmte form gab. Und auf diejelbe 
Weile war bas Zeichen erwidert worden, 
jo daß Fuad jebt wenigitens die Bewißheit 
pate ein Mitglied des albanijden Geheim: 

undes zu feiner Unterftüßung zu haben, 
der bereit war, jederzeit jein Leben im 
Dienfte bes Vaterlandes zu opfern. 

Dann fam der Zug an, unter der Beteis 
ligung der ganzen unbejchäftigten Bevölke— 
tung Birpazars, bie fid) bieles täglich nur 
einmal eintretende Ereignis nicht entgehen 
ließ. Gs läutete zur Abfahrt, und langjam 
füllte (id) Das Schiff mit Haufen von Gepád 
unb neu bagufommenben Reijenden. Bue 
legt fam der Kapitän, der heftig mit einem 
montcnegrinijden Gendarmen brut, Gie 
traten jdjlieBlid) 3u Fuad heran, und ber 
Kapitän eröffnete ihm, dağ auf Befehl ber 
montenegrinijden Behörden der Dampfer 
nur dann bie Erlaubnis zur Abfahrt er: 
Dielte, wenn er fic) zu einer Unterredung 
an Land begäbe. 

Der Albaner fette feine enee 
Miene auf, ertlárte, er fet ein Bürger des 
GE Ameritas und dächte gar niht daran, 

as Cdjiff zu verlaffen. Vom Kapitän vere 
langte er, ch vor Zudringlicdfeiten zu be: 
ſchützen, ſonſt würde er burd) bie Botjchaft 
in Rom unbedingt jeine Abjegung fordern. 
Doch der Montenegriner zeigte einen jihrift: 
lichen Befehl bes Mtinifteriums vor und bes 
Honn auf der Auslieferung Fuads. 

Jetzt geriet der vermeintliche Amerikaner 
in belle Wut. Er erklärte, dag Wmerifa alle 
Montenegriner ausweifen laffen würde, daß 
es eine Flotte [djiden könnte und daß er 
wenigitens bie ftrengite Beitrafung des un: 
verichämten Gendarmen verlangen müßte. 

Dann verſchwand er nad) unten, und ber 
Dampjer madıte fid) abfahrtbereit. Berjchie: 
denen Reifenden war ber Zwiſchenfall nicht 
verborgen geblieben; zwei Engländer nah: 
men die Partei des Wmerifancrs und redeten 
heftig auf den Kapitän unb ben Gendar: 
men ein. 

Auf einmal ftieh le&terer einen Schrei 
der Wut aus und zeigte nad) dem Hinter: 
teil des Schiffes. Dort jah man eine fleine 





Jole eiligft Davonrudern. Es waren Fuad 
und fen Landsmann von ber Schiffsbe— 
jagung. 

Cdjleunigft lief ber Gendarm ans Land 
und jchrie nad) den Zollwächtern, bie jid) in 
einem fleinen Häuschen am Hafen aufbiel= 
ten, während bie Pajjagicre bes Schifſes 
volljier Erregung ben Garg Zeen folgten. 
„Fahren Gie ab, Rapitän,” drien die Eng: 
länder, ,fatren Cie ab und verjucen Cie 
den Unglüdlichen zu retten.“ Und als der 
Kapitän noch zögerte, nahm der eine von 
ihnen eine derartig drohende Gtellung ein, 
daß ber feige Staltener es vorzog, fid) nicht 
nieberboxen au lajjen, jondern den Befehl 
zur Abfahrt gab. 

Unterdejjen begannen einige Zollwächter 
auf bie Flüchtigen zu jchießen, w. brenb ber 
Gendarm mit amet anderen den Verſuch 
machte, ein Motorboot zum Anfahren zu 
bewegen. 

Unter ben zulegt an Bord gefommenen 
9te'Jenben befand jtd) aud) Hans Brieien. Er 
gene von Cattaro ben fletnen Dampfer nach 

ntivari benug§t und jab jid) jet beim erjten 
Anblid ber albanijhen Berge gleidh einem 
Abenteuer gegenüber. Voller Spannung 
ftand er an ber Reling und fah, wie die 
Bemwehrjchüffe immer dichter beim Boote ins 
Wafler jchlugen. Plötzlich ließ ber eine ber 
Snjaffen das Ruder fallen und ſank gleich 
darauf au Boden. in Freudenſchrei ber 
Montenegriner beantwortete ben gelungenen 
Treffer, während Gdjredensrufe auf bem 
de ertónten, bas [id) gerade langlam 
bem Fahrzeuge näherte. 

Jegt mußten bie Montenegriner ihr Schie= 
Ben einjtellen, weil ber Dampfer bas Boot 
erreicht batte. Ein Halttau wurde herunter« 
geworfen, der unverwundete Inſaſſe ergriff 
es, aber im nádjiten Augenblid fenterte bas 
Boot, verurjadht durch eine ungeldjidte Bes 
wegung bes Dampfers, ber SE nicht hatte 
Hoppen Tonnen. 

Gellend freildjten ein paar Frauenſtim— 
men auf, aber im gleichen Augenblid fhwang 
[i eine Geftalt uber Bord und ver|djwanb 
in den grünen Fluten des Gees. Dann 
tauchte der Schwimmer wieder auf und war 
in wenigen Gtößen bei ber umgejchlagenen 
Jolle. Hier hielt fic) ber Werwundete anges 
llammert, während fein Gefährte, bas Tau 
feithaltend, jchon eine Strede vom Dampfer 
mitgeichleppt war. 

Briejen hatte [hon einmal vor Tfingtau 
einen Matrojen vor dem Ertrinten gerettet, 
aber Diejer fih verzweiflungsvoll an ihn 
büngenbe Werwundete madte ibm dod 
Ihwere Mühe. Dazu fingen die Montenes 
griner aufs neue an zu jchießen. 

Gnblid) nad) bangen fünf Minuten hatte 
der Italiener feinen Dampfer wieder am 
das Boot heranmandvriert, und gleich bars 
auf befanden fid) alle gerettet an Bord. 

Mit lauten Zurufen und Handeflatidhen 
wurde Briejen enıpfangen. Er wandte aber 
feine Aufmerkjamteit zunächjt bem Berwuns 





Sn den Dünen 
Gemälde von Prof. Robert Poekel berger 


EE( Der Schuß auf bem Bardanjol Beseesesesssed 53 


deten zu, der einen Schuß durch den Ober: 
arm erhalten hatte. Mian rief nach einem 
Arzte, ber aber nicht vorhanden war. 

Während ber verwundete Fuad in der 
Rajiite des Kapitäns gebettet wurde, holte 
Briefen aus feinem Koffer bas Verbands— 
pädchen, das er von jeinem Aufenthalte in 
Ojtajien ber nod) bei fih führte. Dann 
begab er jid) zu dem Albaner und fonnte 
gerade noch verhindern, Daß der Kapitän 
die Munde, bie nod) blutete, mit Waſſer 
reinigen wollte. Der Borjdrift nad) legte 
er, ohne bie Wunde irgendwie zu berühren, 
den Berband am. Gebr zujtatten tam es 
ibm, daß er wenigitens joviel englijd) |pradh, 
um fic) verjtändlich machen zu Tonnen, 

Fuad hatte in halber Betäubung dage: 
legen, bis ihm der Kapitän einen Schlud 
Rognaf beibradjte. Das ungewohnte Ge: 
tranf, das bisher wohl niemals über Die 
Lippen des rechtgläubigen Muhamedaners 

efommen war, mochte ibm wie höllilches 
—— im Magen brennen, bewies aber um 
ſo ſtärker ſeine wiederbelebende Wirkung. 

"erfolgen die Feinde mich nod?” war 
eine erjte Frage, und als der Kapitän ihm 
aate, daß er in voller Sicherheit wäre unb 
bap aud) jein Begleiter, der albanijche 
Matroje, gerettet fei, wandte er fid) an 
Briefen. „Wer ift der mutige Dann, bem 
id) mein Leben verbante ?” 

„Sch bin Ddeutjcher Offizier unb gehöre 
zu bem $Bela&ungsbetadjement in Stutari. 
(s war mir eine heron Freude, einem 
Angehörigen der großen amerifanijden Na- 
tion einen Dienjt erweijen zu fönnen.“ 

„Ich bin amerifanijcher ea id jagte 
Fuad, „aber Albanien ijt mein ?Baterlanb. 
lind niemals vergibt ein Schiptar, ein Adler: 
john der ewigen Berge, einen ihm erwiejenen 
Dienft. Wenn Gie einen Wunſch haben 
werden, welcher Urt er aud) jet, dann rufen 
Cie mich herbei. Sd) bleibe in Sfutari und 
werde ftets zu Ihrer Verfügung fein. Gie 
Tonnen von jebt an über mein Leben 
verfügen.“ 

Briefen dankte dem anjcheinend jebr er: 
regten Albanier aufs —— meinte aber, 
daß jener wirklich kein ſolches Aufheben 
wegen des kleinen Dienſtes zu machen brauche. 
Er ſei ein vorzüglicher Schwimmer und würde 
jedem anderen Menſchen in ähnlicher Lage 
ebenſo beigeſprungen ſein. — 

Am fpdten Nachmittage fam Skutari in 
Sicht. Auf Deck hatte ſich eine große Gruppe 
gebildet, die voller Intereſſe den ungeheu— 
ren grünen Garten betrachtete, in welchem 
die Stadt liegen jollte. Das einzige aber, was 
man vom za aus jehen fonnte, waren 
die hohen weiken Säulen mehrerer Mina: 
rette und der Turm des großen fatbolijdjen 
Domes. 

Fuad Fani Bei lag in einem Liegeftuhl 
inmitten der Gruppe und erzählte auf die 
Bitten einiger Damen von feinem Schidjal 
und von dem feines Landes. Als ber Dampfer 
auf dem Gee bie albanijche Grenze überjchritt, 


batte Fuad feine Reijemüße mit dem weißen 
ges bes Albaners vertaujd)t. 

Jegt wies er nad) redjts, wo bie Gonne 
gerade hinter einem mächtigen Bergrüden 
verjhwand. Das dort war der Tarabojd, 
an deffen Namen fih die ruhmreiche Ber: 
teidigung  Gfutaris Inüpfte. Bekanntlich 
wurde ber 3Balfantrieg durch einen Überfall 
Montenegros eröffnet, bas RN jid) 
durd einen Sjanb|treid) in ben Beſitz bes 
[don lange heißbegehrten Stutari zu jegen. 
Es hieß aud, daß ber gewandte Gejdjájts: 
mann Nikita bet biejer Gelegenheit eine 
große Baille-Spefulation an der Parijer 

örje gemadt babe, bie ihm Millionen ein: 
brachte. Sn Sfutari [tanb damals nur eine 
Ihwade türfijde Divijion. Auf bem Taras 
bojd, bem Bardanjol und einigen anderen 
umgebenden Bergen lagen alte verfallene 
Befeftigungen, bie weder ein Geli nod) 
ein Maſchinengewehr enthielten. Dazu fam, 
dağ die Albaner die Türten als Ginbring: 
linge anjaben, mit denen fie in Deier Fehde 
gelegen batten. Jetzt aber vereinte ber ge: 
meinjame Feind die alten Gegner. 

Die gejamte männliche Bevolterung Stus 
taris und der umliegenden Dörfer eilte zur 
Verteidigung der Stadt herbei. Da gab es 
feinen Unterjchied mehr zwiichen Muſelma— 
nen und Ratholifen, jest galt es nur eines: 
Das gemeinjame Baterland zu jdjiigen. 

Der tiirfijdhe Divijionsfommandeur Riza 
Paſcha organijierte in tattrájtigiter Weije 
die Verteidigung der Stadt, unterjtüßt von 
Eſſad Paſcha, bem nod von der Türkei ein: 
gelegten Zivilgouverneur. Tag und Nadıt 
arbeitete man, Schüßengräben entjtanden 
rings um Die Feltung, und die umliegenden 
Höhen wurden zu Forts ausgebaut. Will 
man auf den Tarabojch hinaufreiten, fo ge: 
braucht ein gut tletternbes Pferd zwei Stuns 
ben auf dem |djmalen, mit hohem Geröll 
bebedten Saumtierpfad. Und pier hinauf 
wurden nicht nur Feldgeſchütze und Majhi- 
nengewehre gebracht, jonbern fogar jchwere 
Haubigen, jede von 20 Maultieren gezogen, 
auf Wegen, bie erft anzulegen waren. 

Unterdejjen war ber *Bormarid) ber Mon= 
tenegriner nicht ungehindert vor jid) gegan— 
gen. Gang Ytordalbanien ftand in Waffen 

egen den tüdijdjen Feind, Hinter jeder 
Felsipihe, in jedem Bujhe jak ein Albaner 
und jdjtdte fein mörderijches Blei den Monte: 
negrinern entgegen. Und als nad) unge: 
Berluiten die eriten Cpit&en des 
eindes fih Skutari näherten, welches fie 
jest in wenigen Tagen zu nehmen Dojiten, 
da ſchlug ihnen ein Hagel von Gejdojjen 
entgegen, daß fie jid) entichließen mußten, 
eine fórmlidje Belagerung anzufangen. Biel 
Munition fonnte ja in Gtutari nicht fein, 
und jo mußte ihnen die Stadt früher oder 
jpäter in die Hände fallen. 

Aber niemals haben fie die Stadt er: 
obert. Als ſchon faft bie ganze europätiche 
Tiirfet in den Händen der Feinde war, als 
die Serben plündernd und mordend bis zur 


54 Bee Borwin Carlig: B 


Adria vordrangen und Durazzo und Medua 
bejegt batten, da hielt fih Sfutari allein 
nod, trot aller wütenden Angriffe der Mon: 
tenegriner. 

Unterdeffen war ber tapfere tiirfijde Ge- 
neral, Riga Palha, von feiger Mörderhand 
gefallen, und Ejjad hatte bas Kommando 
in Gfutari übernommen. Auch er fette ben 
Widerftand zunächſt nod) kraftvoll fort, aber 
täglich wurden die Nationen fleiner, und die 
Munition mar faft erichöpft.e Da verluchte 
Nikita es mit tüdildem Verrat. Er bot 
Eſſad eine große Summe Geldes und ver: 
ſprach, feine Ernennung zum Fürſten von 
Albanien burdjjuje&en. Diejer Verlodung 
fonnte der ehrgeizige Mann nicht wider: 
fteben. So übergab er die Stadt, bie fid) 
rubmvoll und von ganz Europa bewundert 
zehn Monate gehalten hatte. — 

Der Albaner leie und blidte mit 
feinen ſchwarzen, begeilterungsvollen Augen 
zu ben bümmrigen Höhen des Taraboſch 
hinüber, der Gtätte höchſten albani|djen 
Ruhmes. Sein ſchmales Geſicht war gerötet 
von ber 9[njtrengung feiner —— die 
er anfangs mit faſt gleichgültigem Tone, 
Log in immer größerer Erregung hervor: 
tiep. Syebt jchmerzte ibn feine Wunde, und 
ein leichtes {Fieber ma an ihn zu jdjütteln. 

Voller Snterejje batte alles, was englijch 
verjtand, ibm zugehört. Wud) Frau Herbert, 
die Zeuge feiner Rettung gewejen war, fühlte 
fid) tief erjchüttert Durch Die begeilterte Shil. 
derung des gliihenden Patrioten. Was fie 
bisher in Sfutari von Albanien gejehen und 
gehört hatte, war nicht gerade das ae 
gewejen. Bielleicht fam aud) hinzu, dab jie 
nod) feinen Albaner gejproden hatte, der 
ihre Mutterſprache fließend Si can und 
daß in ihren politijden Kreijen nur weg: 
werfend von bem albanijdjen ‚Belindel‘ ge: 
Iprochen wurde, 

Unterdejjen brad) die Nacht mit tropifcher 
Gejdwindigfeit herein. Bald darauf hielt 
der Dampfer, noch etwa einen Kilometer 
vom Lande entfernt, weil der geringe Waſſer— 
jtand bes Gees ein näheres Heranfahren 
verbot. Eine Maffe Kleiner Boote um: 
Ihwärmte quer das Schiff, um die Fahr: 
gälte ans Land zu bringen, und die Eigen: 
tümer priejen in allen Sprachen die Bors 
züge ihrer Fahrzeuge an. 

Eine halbe Stunde jpäter betraten alle 
Paſſagiere bas Land, wo fie jogleid) ber 
gange Zauber des Orients umfing, der fih 
Her unmittelbar an der Schwelle des Abend: 
landes nod) gänzlich unverfäljcht erhalten hat. 
WW & 


28 
Am anderen Morgen ftand Briefen vor 
feinem Kommandeur, dem Major Wächter. 
Er hatte feldgraue Uniform angelegt, dazu 
Den Tropenhelm, wie es die Vorfchrift für 
das Detachement in Skutari erforderte. In 
aufrechter Patung und ohne eine Miene zu 
verziehen, hörte Wächter die Meldung Brie- 
jens an, dann erft reichte er ibm die Hand 
und bat ihn, Pla zu nehmen. 





id aus Ihren Perjonalpapieren 
weiß,“ jagte er, „waren Cie einige Sabre 


„Wie 


im Wuslande. Gie wiffen alfo idjon unges 
fabr, wie es Draußen zugeht, denn bas Leben 
ift überall, wo (id) wie hier eine internatio: 
nale Gejelljchaft zufammenfindet, annähernd 
das gleiche. Es hätte übrigens feinen Zwed, 
Ihnen heute jchon einen Vortrag über bie 
iejigen Verhältnijje und PBerjünlichkeiten zu 
alten. Gie miijjen fid) jelber umjeben und 

ugen und CANA offen halten. pundit 
müſſen Cie Beluche madjen. Die Befuchs: 
lifte finden Cie auf bem Gejchäftszimmer 
beim Wdjutanten, Leutnant von ‘Platen. 
Zu den Bejuchen bei den Kommandanten 
der anderen Detachements müjjen Sie jid) 
meine Begleitung gefallen laffen. Der bie: 
fige Braud erfordert es, daß jeder von uns 
jetne Offiziere perjónlid) vorjtellt. Alle om: 
deren Bejuche aber, bei verjchiedenen höheren 
Dffizieren der Detachements, bei den frems 
den Konſuln — Deutjchland allein bat feinen 
Konful hier — und bei den Autoritäten ber 
Stadt, Tonnen Gie allein machen. eut: 
nant von Platen gibt Ihnen einen albanis 
iden Dragoman mit, der alle Wohnungen 
tennt und Sie auf Ihrer Srojdjtenjabrt bes 
gleiten wird. Zum Schluß nod) eines: Ich 
möchte nicht nur Ihr Kommandeur jein, der 
jtrengen Auges über Ihr dienjtliches und 
außerdienftliches Verhalten wacht. Sd) möchte, 
dak Cie mid) aud) als älteren Kameraden 
und Freund betrachten, der Ihnen ftets mit 
Rat und Tat zur Geite fteht. Für jeden 
jungen Menjchen tommen einmal im Leben 
— Lagen, in denen er nicht aus noch 
ein weiß. In ſolchem Falle bitte ich Sie, 
kommen Sie zu mir. Was Sie mir dann 
erzählen, das erzählen Sie dem älteren Ka— 
meraden und nicht Dem Kommandeur, Und 
nun Gott befohlen.“ 

Ein fefter Händedrud, und Briefen war 
entlajfen. Er entfernte (id) mit bem anges 
nehmen Gefühl, nicht nur einen wohlwols 
lenden, fondern auch einen flugen und oer: 
ftandigen Vorgeſetzten befommen zu haben. 

Wächter begab fih an feinen Schreibtijch 
unb fegte ben dienjtlichen Bericht fort, ben 
er gerade begonnen hatte. Er |d)rieb: Die 
Engländer haben uns wieder einmal einen 
Streich gefpielt. Bisher war der ältejte Of— 

zier bier ber öfterreichiiche Dberjtleutnant 

opp, der als folder ben Vorlig in der 
Regierungsfommifjion führte, bie aus den 
Kommandanten ber fünf Detachements ge: 
bildet wurde. Das hatte die Engländer 
ion lange geärgert, unb vor einigen Tas 
gen wurde der englijdje Oberjtleutnant ab» 
gelöft und durch einen Oberſt erfegt, der 
nun den WVorjig in der Kommiſſion ver: 
langt. Wir haben aus ficherer Quelle ers 
fahren, daß ber neue Dberjt feinem Dienjt- 
alter nad) höchſtens Oberjtleutnant fein 
fönnte. Es fdjeint überhaupt, als wenn die 
Engländer die gewiß recht praftijde Ein» 
ridtung haben, ihren im Wuslande tomman: 
dierenden Offizieren je nad) Bedarf einen 


V(, Der Schuß auf bem Bardanjol BSSeeseesesea 55 


auf bas heimtjche Patent bleibt. 

Der Öfterreicher proteftierte, und ich ſchloß 

id) ibm an. Da uns aber der Italiener 
im Stiche ließ, wurden wir überjtimmt und 
ber englilche Dberjt zum Borfigenden ernannt. 
Daraufhin der Dberjtleutnant Bopp aus 
ber Rommijjion ausgejchieden, und a? ers 
bitte Befehl darüber, ob id) mid) bem Auss 
tritt anjchließen fol. Ich würde es fiir 
praftijder halten, wenn ich weiter an Den 
Rommi Kata oi teilnähme, weil fonft 
unjere Gegner vollig Ee Hand haben. 

Wie ich von zuverläjligen Agenten erfahre, 
fol ber englijde Ronjul Herbert überall im 
Lande gegen Ojterreid) und uns Stimmung 
zu machen verluchen. Hierzu ftehen ibm 
reid)lidje Mittel zur Verfügung. Und in 
bielem Lande, wo jeder Europäer nur das 
nad) gewertet wird, wieviel Geld er aus» 
Beben tann und will, werden dieje Beftres 
ungen wohl bald Trrolg haben. 

ontenegro bat es bisher immer nod) 
nicht gewagt, dte ihm von der Londoner 
Konferenz zugeſprochenen Gebiete der Hoti 
und Gruda zu bejegen. Dieje beiden rein 
albanijden und dazu noch fatholijden 
Stämme haben gejdworen, fid) bis zum 
legten Diann einem montenegrinijchen Gin: 
marjche zu widerjegen. Montenegro [heint 
bie Echwierigteiten eines Feldzuges in Die: 
jem unwirtlichen, gánglid) wegelojen Gebiete 
nicht zu verfennen und hat vor einigen 
Tagen wieder einmal bei der 9tegierungs: 
fommijjion in Cfutari Borjtellungen erhoben 
und verlangt, daß wir die Albaner zur Räu— 
mung des jtrittigen Gebietes veranlajjen 
jolen. Da der ?Bejeblsbereid) der Kom: 
mijfion aber nur die Stadt und die nadfte 
Umgebung umfaßt, jo haben wir wohl un: 
Ss Bereitwilligfeit, aber zugleich unjere 

achtlojigfeit betont. 
Es fcheint fo, als wenn englijdes und 
anzöliihes Geld an verfdiedene der bie: 
gen Stämme gegeben worden ijt, um fie 
u veranlajjen, bet einem montenegrinijchen 
Einmariche ihren Stammesgenofjen nicht zu 
Hilfe zu tommen. Nun heißt es allerdings, 
dah ben Wlbanern für Geld alles feil tei 
Sd Babe aber bie durch manhe Beobad: 
tungen begründete Anjicht, daß die Albaner 
wohl bereitwillig jedes ihnen angebotene 
Geld nehmen, daß fie aber troßdem nod 
lange nicht das tun, was daraufhin von 
ihnen erwartet wird... 

Zielen Beridjt übergab Wächter einem 
feiner Offiziere, ber mit einem fleinen öjter: 
reichiichen Flußdampfer bie Bojane, bie aus 
dem Gee entipringt, bis zum Meere hinab- 
fuhr. Hier freugte der prächtige deutſche 
Panzerfreuzer ,Goeben , ber bie Weiterbeför: 
derung der rar nad) Berlin übernahm. 

Briejen hatte fih unterdejjen bei Haupte 
mann Hagen in der Rajerne gemeldet. Das 
Heine beutidje Detachement von 120 Mann 
war in einer ehemaligen Schule in ber 
Hauptitraße der Stadt, der Rue internatio- 


d eren Rang zu geben, ber aber ohne Eins 
mi 


nale, untergebradt. Bor dem Gebäude ftand 
ein Bolten neben einem ſchwarz-weiß⸗rot ges 
ſtrichenen Scilderhaufe und machte fein 
Honneur vor Briefen mit derartig ftrammen 
Griffen, daß es für jedes deutjche Soldaten- 
herz ein wahres Vergnügen fein mußte. Ein 
aar albanijde Straßenlümmels äfften 
adjenb bie Bewegungen des *Bo[tens nach, die 
ihrem orientalijdjen Bequemlichkeitsgefühle 
befremdend und fomijd) zu er ſchienen. 
Für Brieſen aber wirkten nach all dem ſüd— 
lichen Schlendrian die ſtrammen Griffe und 
kurzen, klaren Antworten ſeiner neuen Unter⸗ 
gebenen geradezu anheimelnd. 
Hagen empfing ſeinen Kompagnieoffizier 
mit großer Freundlichkeit, hielt ihm jedoch 
ſogleich eine lange Rede über die Schwierig: 
feiten, Die einem iiberall entgegentreten und 
jedem nad) furgem bier das ganze Leben 
verleiden mußten. Das internationale Trei- 
ben war p unjympathijd, bie Albaner 
erflarte er für faul und Hinterlijtig, und bas 
Klima fónnte fein Menjch auf bie Dauer 
ertragen. Lieber heute als morgen ginge 
er wieder nad) Deutjchland zurüd. 

Nach Erledigung einiger dienitlicher Fra: - 
en begaben fih bie Herren in das deutjche 
afino, das fid) auf der „Place bes Offi- 

ciers” befand. Hagen erzählte, daß die ans 
fánglid) namenlojen Straßen und Plätze jebt 
alle getauft wären. Jedes Detachement 
hatte in feinem ihm zugewiejenen Viertel 
die Namen gegeben. Go fand man im 
deutjchen Teile die Mtoltfe-, Goeben: und 
Scharnhorftitraße und natürlich einen Biss» 
mardpla unter vielen anderen. 

Das Innere bes Rafinos war hidjt eins 
fad), aber freundlich ausgeftattet. Beim 
Eſſen erzählte Briefen von feiner Reije, ver: 
\hwieg aber die Rettung Fuads, weil er 
lich Ihämte, von einer Tat zu erzählen, die 
hm als durchaus nichts Bejonderes er|djien. 
Dagegen erfunbigte er fic) beiläufig nad) 
der jchönen, Jchlanfen und dunfeldugigen 
Frau, bie er in ak im Wagen der Prins 
zellin Bolane und |páter wieder auf ber 
‚Hohenlohe und dem fleinen italientjdjen 
Schiff gejehen hatte. 

„Das war ohne Zweifel Mrs. Herbert, 
die Frau bes hiejigen englijden Ronjuls,“ 
jagte ber Adjutant, ber kleine Platen. „Sie 
tit aber feine Engländerin, jondern fol, eine 
Srländerin fein, woher fid) wohl aud) ihr 
brünettes, ganz unenglijdhes Ausjehen ers 
Härt. Gie werden fie bald fennen lernen, 
denn wir alle verkehren viel in ihrem golt: 
lichen Haufe.“ 

„Schade, daß fie diefen efligen, ſchmacht— 
febigen Italiener jum Freunde hat,“ meinte 
Hagen, „der Kerl ijt mir in ber Seele aus 
wider, mit feinen jchwarzen Loden und Er 
ner tremolierenden Tenorjtimme. Ich weiß 
nicht, warum fie fid) mit ihrem Manne nicht 
verträgt. Er ijt allerdings bedeutend älter 
als fie, d aber etwas Wornehmes und 
Cympatbildjes in feinem Wefen.“ 

Platen, der etwas bejjer orientiert zu fein 


56 


base hielt den Engländer fiir feineswegs 
p vornehm an Gefinnung, mie man feinem 
Außeren nad) annehmen konnte. Wahrjcheins 
lich hatte bie arme Frau unter feiner falten 
Gleichgültigkeit ſchwer zu leiden. 
Mit einem leichten Gefühle bes Unbe- 
hagens hatte Briefen diejem Geſpräche au: 
ebórt. Ehe er wußte, wer die jdjóne Uns 
befanitie war, hatte er [ie unwilltürlid) als 
ein JBejen betrachtet, bem man jid) nur mit 
Ehrfurcht nähern durfte. Get Idien ihm 
der Duft bieler |djeuen, falt unbewußten 
Berehrung, bie er der Fremden entgegen: 
gebradt hatte, verflogen, jeit er fie Durch 
die Bemerkungen feiner Kameraden in ben 
Staub des Alltags gezogen jab. 


28 

Das Heine Hotel National war bis aufs 
lebte Zimmer bejeßt, und ber gewandte Wirt, 
ein öjterreichiicher Kroat, hatte alle Hände 
voll zu tun. Geine junge und hübjche Frau 
hätte ihn deme unterjtüßt, aber bas Duldete 
er nicht. Gr mar voll brennender Ciferjudt, 
jeit er gejehen hatte, welchen Eindrud feine 
Frau auf die sfterreichijden Offiziere machte, 
die täglich bie ſchönſten Blumen ins Haus 
idjidten. Unhöflich durfte er nicht werden, 
wenn die fejden Leutnants ihr bie aufdring: 
lidjten Schmeicdheleien jagten, die jie im 
Sntereffe bes Bejchäfts‘ bereitwillig anhörte. 
Da 30g er es vor, jie von jebt ab gänzlich 
unfidtbar zu madjen. Er führte eine Art 
Haremsſyſtem ein, aß allein mit ihr in 
einem Der hinteren Zimmer und verbot ihr 
jemals die Gajtráume zu betreten. 

Hier hatte Briefen Wohnung genommen, 
bis er irgendwo etwas anderes finden würde, 
Denn es ging im Hotel National zu wie in 
einem Taubenjchlag, und nur am Tage war 
es verhältnismäßig ruhig. Sobald es aber 
dunfelte, erwadte bas Leben auf ber Straße 
vor dem Hotel und in bem die ganze Nacht 

eöffneten Kaffee, bas fih gerade unter feinem 
immer befand. 

(fs war die Zeit bes muhammedanilchen 
Faftenmonats, des Ramadan. Von Sonnen: 
aujgang bis Untergang darf der Rechtgläu— 
bige weder arbeiten noch irgend etwas effen. 
Daher jchläft er während Dieler Zeit und 
erhebt fid) erft gegen Abend. Im Augen: 
blide des Gonnenunterganges ertönt ein 
Böllerfhuß von ber Zitadelle, und fofort 
jtiirgt alles mit Hungrigen Mägen über bas 
Eſſen ber, das bereits dampfend auf den 
Tiſchen ftehen muß. Und dann hebt ein 
Keben aus, das falt bem TFajchingstreiben 
vergleichbar ijt und bie ganze Nacht om: 
dauert. Der llnteridjieb liegt nur darin, 
daß lediglich bie Männer fih an bem Treiben 
auf der Straße und in den Raffeehaujern 
beteiligen, während bie jtrenge Gitte des 
Harems die Frauen im Haufe fefthält. 

Augenblidlich jchien es, als wenn bie 
Politif dazu herhalten mußte, bejonbers leb— 
hafte Stimmung zu erregen, denn fajt um: 
unterbrochen ertónte bie albanijd)e National: 
bymne — eine italieniihde Kompojition 


Borwin Carlig: I 





neueren Datums —, die von allen begetitert 
witgejungen wurde, und überall verjammels 
ten Redner eine Shar Zuhörer um fic, bie 
mit lautem Handeflatichen treffende Stellen 
begrüßten. Dazu machten berumziehende 
italienijde Mandolinenjpieler, einige Dreh— 
orgeln und verjdiedene automatijdje Ham— 
merflaviere ben nötigen mufifalijden Lärm. 

Die eriten Tage hatte Briefen voller Sn» 
terefje biejem jeltjamen orientalijchen Treiben 
gugeldaut. Als er aber nad) den täglichen 

njtrengungen des Dienftes aud) nadjts 
feine ungejtórte Ruhe mehr fand, ba ent: 
ſchloß er jid) ernitlich, jobalb wie möglich 
eine andere Wohnung zu Indien. 

Geine Bejuche bei den verheirateten Fa— 
milien hatte er auf Platens Rat nod) ver= 
ihoben, bis er bie Damen jelbjt auf dem 
Tennisplake oder bei anderer Gelegenheit 
fennen lernte; worauf er dann auch von den 
meijten jogleid) aufgefordert wurde, zu ihnen 
zu fommen. 

Platen jagte ibm, daß man bejonbers 
nad englilcher Anjchauung niemals unauf: 
gefordert in einem Haufe Bejud) madden 
Tonne, Jeder jucht fid) felber ben ibm Got 
jenden Berfehr aus. | 

Ru feinem Bedauern hatte er daher 
Bwendolins Betanntjchaft bisher noch nicht 

emat; er [ab fie nur einige Male zu Pferde, 

tets in Begleitung des italientjden Marine— 
offiziers, der wirklich ihr erflarter Berehrer 
zu fein ſchien. Gie ritt im Sjerrenji& mit 
langem geteilten Rod, und er bewunderte 
die Bewandtheit, mit ber fie ohne Hilje ihren 
Heinen, jchnittigen Polopomy bejtieg, um 
gleich Darauf die ungepflajterte Straße ber: 
unterzugaloppieren. Mit einiger Schaden= 
* bemerkte Brieſen, daß der Italiener 
id nicht jo ſicher im Cattel fühlte und 
wahrjcheinlich eine langjamere Gangart Dies 
jem mit ‚voller Fahrt voraus‘ vorgezogen 
haben würde. — 

Heute verabredete er fih mit bem Stabs« 
arzt Braune zum Nachmittagstonzert im 
jardin public, wo bie englijche Kapelle fon= 
zertieren folte. 

Die beiden Herren hatten fih gut herauss 
gebradt, um Ehre vor der fritiihen Damen: 
welt einzulegen. Zu ihren jchneeweißen, neu 
aufgebügelten € inenanzügen mit den pos 
nen Knöpfen bildete bte dDunfelblaue Mütze 
mit dem weißen Streifen einen fleibjamen 
garbenfontrajt. Briejens fdlante Gejftalt 
überragte feinen Begleiter um einiges. 
Sein jcymales Geſicht mit der großen 9taje 
unb dem Kleinen Schnurrbart zeigte einen 
gewiſſen Ausdrud von Schroffheit und Gelbjt: 
bewußtjein, ber ihn leicht bet anderen Mans 
nern unbeliebt machte. Der Arzt hatte ein 
völlig glattes Gejicht, aus Janitären und aus 
Schönheitsgründen, wie er jagte. Um feine 
durch feinen Bart geihüßten Mundwintel 
jpielte häufig ein fletnes, boshaftes Lächeln. 
Er war als großer Damenfreund befannt. 

Im jardin public berridte ‚großer Be: 
trieb‘, wie Braune jagte. Falt die ganze 








dnis 


[ 


Bi 


Gemälde von Rudolf Zelle 
(Bon König Ludwig III. von Bayern erworben aus der Ausstellung 


D 


ep 


im Münchener Glaspalaft, Sommer 1917) 


gr Vit 


we Uem 
erg wit 


BESSSCCHHT ESF TFT Der Schuß auf dem Bardanjol Bessesiss3esd 57 


— a unb vergnügungsjüchtige Ges 
fellichaft Stutaris war zugegen, um der engs 
lijchen Militärfapelle zu laujchen und haupt: 
jachlid), um zu flirten. Unter ber Damen: 
welt wog der dunkle jüdliche ip vor. 

Die Herren jpraden zwei hübjche, aber 
ziemlich auffallend gefleidete junge Mädchen 
an, Töchter bes griehiihen Ronjuls. Beide 
Teile radebrechten ein nicht ganz einwand— 
freies Franzöſiſch, was Buch einige Miß— 
verftandnijje zu mehrfacher Heiterteit Ber: 
anlaj[ung gab. Man verabredete, fidh morgen 
auf ber Rollſchuhbahn zu treffen, die die 
Staliener in ihrer Rajerne angelegt hatten. 
Hier |pielte dreimal in der Woche die Muſik, 
und große zwanzigligige Autos fuhren alle 
halbe Stunde von dem Innern der Stadt 
bis zu der außerhalb gelegenen Rajerne. 

Plötzlich [ab Briefen Gwendolin in Be: 
gleitung. von zwei englijden Offizieren fom: 
men. Gie nidte Dr. Braune mit taum mert: 
lihem Neigen des Kopfes, aber jehr liebens- 
würdig zu, worauf bieler ehrerbietigft grüßte. 
Unwillfirlid) war Briejen errötet unb drgerte 
fih dann jelber darüber. 

„Warum grüßte bie Dame Gie eigentlich 
guerjt?“ fragte er den Dottor. „Sind Gie |o 
gut befannt mit ihr?” 

„Lieber Briefen, Ste follten “one 
fon von Ihrem Aufenthalte in Oſtaſien 
wijjen, daß die englifde Dame zuerjt grüßt. 
SBill fie einen Bekannten bemerfen, dann 
nidt fie ibm zu, andernfalls zeigt jie, daß 
fie nicht gegrüßt und jedenfalls nicht ange: 
redet jein will. Es tft ähnlich [o wie die 
Sitte ber muhammedanijchen Völker bei bem 
Grue zwiſchen hod unb ineo Immer 
wartet der Untergebene ben Gruk des Höher: 
— ab. Nur falls er fit, erhebt er 
ih unb erwidert bann ebhrjurdtsvoll den 
Gruß, 
wird.“ 

Cie begrüßten jet ben öfterreichilchen 
Ronjul, Baron Cotta, ber eine pifante Polin 
Ir Frau hatte. Die lebhafte, Heine Dame 


ber ihm vielleicht gnädig zuteil 


orderte Die Herren für einen der nächſten 

age zu einer Reittour auf den Bardanjol 
auf, wo man bie türtijdjen Berjchanzungen 
bejehen wollte. 

Blei darauf fam Platen, der Briefen 
eine bien|tlide Angelegenheit mitzuteilen 
hatte, worauf man fih verabjchiedete. Auf 
dem elle KEE erfuhr Briejen, um 
was es jich handelte. 

Der albanijdje Gebeimbunb folte in einer 
beftimmten Straße etn großes Waffenlager 
angelegt haben. Auh fanden dort nächtliche 
Bulammentünfte ftatt. Eine fleine deutjche 
und eine englijche Abteilung jollten heute 
abend um elf libr gleichzeitig und von ver: 
ichiedenen Geiten in das betreffende Haus 
einbringen und verjudjen, bie Berjchwörer 
aufzuheben. 

Yslaten unterrichtete Briefen genau und 
empfahl ibm, fih recht in acht zu nehmen, 


weil man nicht jidjer war, ob die Albaner. 


Widerjtand leijten würden. Bon der Feuer: 


waffe follte jedenfalls nur im Notfalle Gee 
brauch gemacht werben. 


8 8 

Um halb elf Uhr rückte Brieſen mit ſeiner 
ſtarken Patrouille von der Kaſerne ab. In 
der hellerleuchteten Rue internationale 
herrſchte der allnächtige Trubel. Als aber 
die kleine Abteilung in eine der Nebengaſſen 
einmarſchierte, verſtummte nach kurzer Zeit 
jedes Geräuſch. Nur die Hähne, die auf 

em Balkan faſt die ganze Nacht hindurch 

krähen, hielten ihr unvermeidliches Konzert 
ab. Es war heller Mondſchein, ſo daß man 
auch in dieſem kaum erleuchteten Gewirr 
von Straßen vollkommen ſeinen Weg er— 
tennen fonnte. Cin alter Sergeant, ber 
jeden Winfel von Sfutari fannte, übernahm 
die Führung. 

gait eine Vierteljtunde fchlich fid) die Pa- 
trouille vorjichtig weiter, Dann machte der 
Sergeant das Zeichen zum Halten, und alles 
barg fid) in den tiefen Schatten einer be: 
jonders hohen Mauer. 

Jest ging ber Gergeant mit äußerfter 
Vorſicht allein weiter und fam nad) einigen 
Minuten mit ber Meldung. zurüd, daß jid) 
aud) die Engländer jhon auf dem bejoble- 
nen Poſten befänden. Er hatte die Uhren 
verglichen, jo daß man genau um elf Uhr 
gleichzeitig vorgehen fonnte. 

Briejen bejprad) nod) einmal mit feinen 
Leuten den Auftrag, und fünf Minuten vor 
elf Uhr trat bie Patrouille vorlichtig an. 
Kurz vor der bejtimmten Zeit hielt alles an 
einer hohen Steinmauer, durch bie eine mit 
Ichweren Balten verichlojfene Türe führte. 

„Schade, daß wir feine Leitern mitge: 
nommen haben,” flüjterte Briejen dem Sere 

eanten zu, „das Tor wird uns lange Wider: 
tand leilten.“ Diejer aber wußte Rat. Im- 
mer zwei Mann hoben einen dritten Dod), 
bis er die Krönung der Mauer erreichte und 
fid) emporjchwang. Sobald ber erjte oben 
war, 30g er den nächiten zu fid) herauf, Jo 
daß binnen furgem der größte Teil der Pa- 
trouille bie Mauer übertlettert hatte. 

Plöglidy ertónte aus bem Innern bes 
Gartens ein gelender Pfiff, worauf Briefen 
leinen Leuten zurief, ihm das Tor von innen 
zu öffnen. Trotzdem Dieles verjchlojjen war, 
wurde mit einigen Axthieben in furger Zeit 
ein Eed Sie großes Loch gejdjlagen, dDurd 
welches der Reft ber Patrouille einjteigen 
fonnte, 

Debt fam ein alter Albaner, der den 
weißen Turban der Hodjchas trug, das Beis 
chen der firchlichen Beamten, mit einer Laz 
terne in der Hand ben Eindringlingen ent: 
gegen. Mit dem Dolmetjcher ent|panm fid) 
\ogleich ein erregter Wortwechlel, den Briefen 
unterbradj, indem er feinen Leuten befahl, 
Ichnell auf das Haus vorzugehen, um dort 
einzudringen. Der Albaner lief, die Hände 
zum Himmel hochhebend, neben Briefen ber, 
dem der Dolmeticher erklärte, daß nach Auss 
lage bes Hodichas Ich nur Frauen und 
Kinder im Haufe befanden, die unter feinen 


58 Borwin Carlig: BESSSSSSSSS3333ZzZN 


Umftänden von fremden Augen gejehen were 
den dürften. 

In diefem Augenblide ertönte mehrfaches 
Bewehrfeuer vom Haufe m dem (o bar: 
auf ein Hurra aus englildjen Kehlen folgte. 

Aufgeregt liefen bie Deutjchen vorwärts. 
Da prallten aud) ihnen Schüſſe aus dem 
gänzlich dunklen Hauje entgegen. 

„Hinlegen,“ fommanbierte Briefen mit 
ruhiger Stimme. „Standvilier und lang: 
james Schüßenfeuer auf die Fenſter ab- 

eben.“ (leid) darauf fnallten die erjten 


djüjfe, und das Klirren von Fenſterſcheiben 


zeigte an, daß jie gefejjen hatten. | 
egt hörte das Feuer aus dem Haufe 
auf, und Briefen befahl, daß die Hälfte der 
Patrouille weiter feuern und der Reit in das 
Haus eindringen folle. In wenigen Minuten 
waren die Eingänge erbrochen, worauf Bries 
fen durch ein Signal Jeiner Trillerpfeife das 
Zeichen zum Einjtellen des Feuers gab. 

Vorſichtig betraten die Deutihen das 
Haus, wo man alsbald mit ben von ber 
anderen Geite eingejtiegenen Engländern zu: 
jammentraf. Innen fand man feinem eins 
igen Menjden mehr vor, nur ein toter 
I baner mit einem Schuß durch die Bruft 
lag am Eingange zum Keler. 

Die Engländer machten fih [ogleid) an 
die Durdhjuchung des Gartens, während 
Briefen mit feinen Leuten in den Keller vor: 
Drang, wo man denn unter Stroh ver[tedt 
ein großes Waffenlager entbedte- 

0 waren aber die übrigen Albaner ges 
blieben? Unmöglich fonnte der Tote allein 
bieles Starke Feuer unterhalten haben. Wud) 
ber Hodjcha war verjdwunden. 

Nach langem, erfolglojem Suchen mar: 
[djierten die beiden Patrouillen wieder ab, 
nachdem ein englilher "Botten im Haufe 
zurücgelajjen war. Noch am gleichen Abend 
meldete Briejen bem Major Mächter, daß er 
leider nur den einen Teil jeines Auftrages 
hatte erfüllen Tonnen, 


8 88 B8 

Der Konjul Robert Herbert jaß am nad): 
ten Morgen in jeinem Arbeitszimmer au: 
ammen mit Oberjt Brandon. 

„Das ift ein jebr unangenehmer Fall, 
mein lieber Freund,” meinte er fopfichüttelnd. 
„Diejer getötete Albaner farm uns Die ganzen 
Sympathien bier verfcherzen, ganz davon 
abgejehen, daß man niemals weiß, wie bieles 
verdammte Bolt mit feiner blödfinnigen Blut: 
rode fih benehmen wird. Können wir nicht 
wenigitens beweijen, daß bie Deutichen den 
Albaner (ee haben und daß unjere Leute 
nur fo nebenbei etwas mitgejchojjen 

Dberit Brandon badjte nad). Er war 
nicht gerade febr Icharflinnig, aber ein offener 
und ehrlicher Soldat. | 

„Eine eflige Gejdidte bas," meinte er. 
„Sc hatte meinen Tommies befohlen, nur im 
äußerten Notfalle zu fchieBen. Als ihnen 
aber die Kugeln um die Nafe flogen, da 
waren fie niht mehr zu halten. Mein 
Regimentsdirurg bat den Toten joeben 


jeziert und mir gemeldet, daß er auch bas 
Geſchoß, das leider ein englijches ift, gefun= 
den bat.“ 

Herberts Miene wurde febr ernft. „Ich 
glaube nicht, daß man |o ohne weiteres ein 
englijdes Gejchoß von einem deutjchen unters 
ſcheiden fann. jedenfalls verpflichte id) Gie 
im Namen ber foniglidjen Politik, bie ich 
bier vertrete, daß weder Cie nod) ber Chi— 
rurg ein Wort davon verlauten laffen, daß 
der Albaner von einem englijden Geſchoß 
getroffen fein fünnte. Ich verlange im Gegens 
teil, daß Sie bei der Auslieferung des Toten 
an feine Verwandten die Vermutung aus: 
jpredjen, daß eine beutlde Kugel ion e: 
tötet hat. Und nun, good bye, unb bebenten 
Cie jtets, Dak Cie hier nicht Soldat, jondern 
aud) Potitifer fein miijjen.” 

Migmutig ging Brandon feines Weges. 
Geiner Natur widerjtrebte der ihm gewor: 
dene Auftrag. Aber, was half es? Wenn 
bas Baterland es verlangte, hatte ber Gol: 
bat zu gehorchen. 

Herbert Hingelte und befahl bem eintre: 
tenden Diener: „Fragen (Cie Mrs. Herbert, 
ob nod" jebt —— kann.“ 

Nach wenigen Minuten kam der Diener 
zurück und meldete: „Mrs. Herbert erwartet 
(Euer Gnaden.” 

Gwendolin jak im Reittleide vor ihrem 
Schreibtijche, auf bem nur einige Photo- 
graphien ihrer Freundinnen ftanden. Gie 

örte mit Schreiben auf und warf ihrem 
Manne einen erjtaunt fragenden Blid zu. 

„Entiehuldige, meine Liebe, wenn id) bid) 
lo Ge T H Hoffentlich haft bu gut ge= 

aten s” 

Unwilltürlich zögerte er einen Augenblid. 

„Womit kann id) dir dienen ?^ fragte (mert: 
dolin freundlich, aber fühl. 

„Wir miiffen nämlich einmal ernithaft 
miteinander reden,“ jagte Herbert, „jo jebr ich 
derartige immer unerquidliche Auseinander= 
fe&ungen bajje. Es muß aber fein. Wie du 
weißt, find leider unjere petuniáren Berhält« 
nijje nicht mehr bie glänzenditen, feit bein 
Vater fid) in die ungliidlide Baummwoll: 
Ipefulation eingelajjen dat und uns bie bis- 
ber gegebene Zulage nicht weitergeben fann 
oder will.“ 

„Er tann es nicht, mein armer Bater!” 
Gwendolin |prad) erregt. „Er würde fein 
lebtes für mid) bingeben, aber er weiß 
augenblicdlid) jelber faum, wie er Die 
Schwierigkeiten überwinden fol. Das ift 
bir bod) ebenjogut befannt, wie mir,“ 

„Ic bin aud) weit entfernt, deinem Bater 
irgendeinen Vorwurf zu machen. Wher, wie 
du weißt, habe id) bie teure politijde Kar: 
riere nur in Rückſicht auf Deine väterliche 
Zulage einjchlagen Tonnen, Mir lag vor 
allem daran, bid) in interejjante und ange: 
je bene Verhältnijje zu bringen, wodu deinen 
Anfprüchen und deiner Schönheit gemäß 
auftreten fonnteft. Dest |tebe id) aber vor 


‘Der Wahl, entweder meinen Abjchied zu 


nehmen, damit wir in irgendeinem Heinen 





BeeEXEXEXEXEXEXRB Der Shuk auf dem Bardanjol BESZ 59 


Neft als Paupers ben Rejt unjeres Lebens 


verbringen, oder id) muß mid) bier derartig 


auszeichnen, daß ich alsbald die mir in einem 
folhen Fall romans, jehr gut dotierte 
Stelle im indijchen Minijterium erhalte.“ 

Der Konjul beugte fih weit por. 
Stimme fant faft gum Fliijtertone. 

„Bitte, werde nicht ungeduldig, [onberm 
höre mir ruhig gu. Cs gibt für uns Eng: 
länder mur emen politifhen Wahlſpruch: 
rizht or wrong, my country, was mit flaren 
Morten heißt, dag wir in der Wahl unjerer 
Mittel jfrupellos fein miijjen, wenn es das 
Wohl und Wehe Englands bedeutet. Mag 
es uns perjönlich nod) Jo unangenehm fein: 
wenn das Baterland es verlangt, darf uns 
fein Opfer zu Dod) fein. Und ein foldhes 
Opfer tönntelt bu jebt unjerem Lande bringen 
und uns felber zu gleicher Zeit nügen.” 

„Bor allen Dingen wohl das lebtere." 
Bwendolin hatte einen verddtliden Aus- 
drud in der Stimme. „Aber fage mir kurz 

eraus, womit id) England helfen fann. 

u weißt, id) bin Srin, eine Tochter jenes 
Landes, das ihr Engländer auch ftets nad) 
euren politijden Grundjäßen regiert habt. 
Aber immerhin fühle ich mich verpflichtet, 
England zu nügen, wo id) fann." 

„sch bin bir febr dankbar, liebe Freundin,“ 
jagte Herbert, „und id) hoffe, bu wirft mid) 
richtig verjtehen. Es handelt ſich um fol⸗ 

endes: ,Der Capitano Sons ein tág- 
iher Begleiter, a wöchentlich einmal bte 
Tajche mit den Rurierbriefen des italieni- 
iden Ronluls auf feinem Dampfer nad) der 
Bojanamündung zu bringen, wo fie ein Tor: 
pedoboot in Empfang nimmt. Der eine 
Schreiber auf bem italienijdem Konjulat 
fteht in unferen Dienften. Bon ihm habe id) 
einen Abdruck des Qebeimidjlüjjels zu der 
Ruriertajde erhalten und bin bereits im Bes 
fige eines Nadjchlüffels.“ 

Herbert hüjtelte leicht. „Meine Idee ijt 
nun folgende: ‚Du bittejt | rn bid) auf 
feiner nádjten Reife zur Bojanamündung 
mitzunehmen. Abſchlagen wird er es Dir 
gewiß nicht. Eine zuverläjjige Agentin wird 
dich als deine Rammerjungfer begleiten. Sd) 
bin ficher, daß bu mit einiger Bejchidlich- 
feit ihr bie nötige Zeit verjchaffen wirit, 
bie Tafde zu öffnen und den Inhalt ber 
Briefe zu photographieren.” 

grager jah er Gwendolin an. 

br erftes Gefühl war bas des Efels bei 
diefer Zumutung. Unmwilitürlich fühlte fie, 
daß es vor allem perlönliche Gründe waren, 
die ihren Dann auf biejen Weg der niedrigen 
politijden Spionage trieben. Gie fragte: 
„Welchen Vorteil verjprichjt du dir für Eng: 
land, wenn du bie Berichte bes Italieners 
erfährt? Außerdem wird man bod) fpäter 
licher bemerfen, daß bie verjiegelten Briefe 
geöffnet waren, und der Verdacht muß dann 
auf mid) fallen.“ | 

„über ben legten Punkt tann id) bid) be: 
ruhigen. Wir find im Befige eines Vers 
fabrens, jeden verjchlojjenen, ja verltegelten 


(eine 


Brief in fürzefter Zeit zu öffnen und wieder 
u verjchließen, ohne daß dem Empfänger 
as geringjte auffällt. Wenn du ber 9[gentin 

nur fünfzehn Minuten Zeit verichaffjt, dann 
enügt es. Und N im jchlimmiten Falle 
anm dir nicht viel pafjieren. Du leugneſt jede 

Gemeinjdaft mit deiner vermeintlichen Jung: 
er, und Ferucci wird fid) in jeinem eigenen 
nterejje hüten, bie Gade an bie große 

Glocke zu bringen." ; 

‚Aut eines muß ich bid) aber aufmerkſam 
machen,“ jagte Gwendolin. „Ferucci ijt ver: 
liebt in mid. Das ift in unferem Klatſch— 
neft Cfutari fajt für niemand mehr ein ($e: 
GENE, Fürchteft bu nicht, daß id) meinem 
Rufe aufs ernitlichite Taben würde, wenn 
ih zwei Tage allein mit ihm auf einem 
Cat bliebe Zu | 

„Dein guter Ruf ift über jeden niedrigen 
Verdacht erhaben,” erklärte Herbert, „und 
ich perjönlich fühle mich frei von Gijerjudyt. 
Sd) weiß, daß bu viel zu [tolg bat, um 
diejem eitlen Kapitän Beranlafjung zu geben, 
ih deiner Guntt rühmen zu Tonnen, Da 

er bedauernswerte Ferucci aber verliebt 
in bid) ift, muß es bir bod) ein leichtes fein, 
ihn im geeigneten Augenblid für eine Vier: 
teljtunde derart zu fejleln, daß er fih fchon 
am Biele feiner Wünjche glaubt. Die kleine ` 

Enttäujchung, die er ſchließlich erleiden wird, 

tann thm nur eine gute Lehre fein, feine 

unverjchämten Neigungen nicht wieder zu 
einer rau, wie bu es but, zu erheben.“ 

Bwendolins anten ages Gehiiht ber Em: 
pörung über ihren Mann wid) einer tiefen 
Hoffnungslofigfeit und Gleichgültigteit. Eine 
Terjtändigung war zwilhen ihnen beiden 
nicht möglich. Hier [tanben td) zwei völlig ver: 
Ichiedene Befühlswelten gegenüber, zwijchen 
denen es feine Bride mehr gab. Und indiejem 
Augenblid jagte fie fih innerlich gänzlich 
von ibm los. Wor einem offnen Bruh 
freilich jcheute fie fid) nod) zurüd. 

„Verſprechen fann id) dir noch nichts Be: 
ittmmtes," jagte fie, „ich muß mir bie Gace 
überlegen.“ 

Damit ftand fie auf, um das Zimmer 
zu verlajien. 

„Bewiß, liebes Kind, überlege es dir und 
bebenfe immer, du leiltejt unjerem Water: 
lande einen großen Dienjt. Und — neben: 
bei bemerft — uns wirft du es ermöglichen, 
jo weiter zu leben, wie wir es uns jelber 
Ihuldig find.” 

Damit verbeugte er fih forreft und ehrer: 
bietig und begab jid) in fein Arbeitszimmer 


zurück. 
Dort holte er einen Brief aus ſeinem 
Schreibtiſch und las ihn noch einmal durch. 


Das Schreiben war von ſeiner Freundin, 
der ſchönen, aber ſehr auffallenden Frau 
eines Levantiners, der an der Banque Otto— 
mane angeſtellt war. Sie hatte thm in letzter 
Seit mit ihren ewig wachjenden Anſprüchen 
viel Geld gefojtet und feine pefuniaren 
Schwierigfeiten nod) erhöht. 

Cie ſchrieb aus Getiinje: 





= —— de, dd E a. 
wë "Te ub Te @ 2 m 





60 





„Lieber Freund und Gebieter eines armen, 
unglüdlihen Frauenherzens! Gie willen, 
was Cie aus mir gemadt haben. ch war 
eine leidlich zufriedene, faft gliidlidje Frau 
in meiner fletnen Hduslidfeit, gebo en und 


getragen von der Liebe - und ag Eee 
meines Mannes, dem d jebt mit jo ſchnö— 
bem Undanfe gelohnt habe. Wher bas Schick— 


jal war jtarfer, als mein leider zu ſchwacher 
und nadjgiebiger Wille. Gie find mein 
Schidjal geworden. Gie haben in mir 
Wünſche erwedt, bie id) vorher nicht fannte. 
Cie haben mid) Anſprüche gelehrt, die id) 
mir jelber niemals hätte befriedigen Tonnen 
unb die mir jet unentbehrlich find. Wenn 
Cie jo bie Veranlajjung wurden, daß ich 
mich nicht mehr wohl fühle in meinen be: 
icheidenen Berhältnijjen, daß es mid) binaus: 
drängt, bie Welt kennen zu lernen und das 
Leben voll zu genießen, fo haben Sie auch jebt 
die Verpflichtung, mir weiter zu helfen, mir 
weiter beizujtehen. 

Cie fagten mir kürzlich, Dak Ihre augen: 


blidlichen Geldverhaltnifje nicht die beiten : 


wären. Gie Tonnen fih denten, wie jehr 
mich bas für Sie betriibte. 

Aber denfen Sie, was mir geftern paffierte. 
Sch jpra mit General Popovic, meinem 
alten, väterlichen Freunde, über die Ber: 
hältniffe in Gfutari. Und im Laufe ber 
Unterhaltung jagte er mir, weld) Sinterejje 
Montenegro daran habe, über bie italieni- 
Iden Abſichten betreffend Albanien. orientiert 
zu fein. Für eine gute, authenijche Nach» 
richt, bie id) ibm verſchaffen fonnte, würde 
er mir bis zu 100000 Kronen geben fünnen. 
Das Geld jtammt von rufjiicher Seite. 

Und ba fam mir fofort bie Idee, daß 
vielleicht uns beiden geholfen wäre Ihre 

rau hat Beziehungen zu einflußreichen 

talienern. Gollte fid) da nicht irgend etwas 
machen laffen? England ijt ja gänzlich un: 
beteiligt dabei, fo daß Ihr Gewijjen tn feiner 
Weiſe belaftet würde. 

Sd) gebe bielen Brief dem engliichen 
Kurier mit, ben ich neulid) burd) Cie tennen 
lernte und den Cie mir als zuverläjlig be: 
ae le In drei Tagen hoffe ich wieder 
in Skutari gu fein und zähle die Stunden, 
bie mich von Ihnen trennen.” 

Der Brief, der feine Unterjchrift trug, 
wanderte in den Ramin, 


BB 8 

Brieſen ſchlenderte durch die Stadt. 

Verkäufer zogen zu Fuß oder auf kleinen 
Eſeln ſitzend durch die Straßen, Kalte Li— 
monade oder warmen Tee aus eigenartigen 
Iangbáudjigen Flaſchen, Gebäck, unter Glas: 
käſten vor dem Staube geſchützt, boten ſie 
aus, Lokum, die ſo beliebte gutſchmeckende 
Näſcherei, türkiſchen Honig, lebendes Geflügel, 
an den Beinen gefeſſelt und ſo am Eſel 
hängend, Hols von den Bergen zum Heizen 
und Schnee ebendaher zum Kühlen wurden 
mit gellender Stimme zum Raut angeboten. 

Sn fajt jedem Hauje befand jid) ein Vo: 
den, deren Beliger met untätig vor feinen 


Borwin Barliß: | 


Waren hodten, im Munde [tets eine Siga: 
rette und neben ſich eine Taſſe wp eo Und 
vorbei 30g es in bunter Folge: Das Bolt 
ber Straße, met Muhammedaner, in zer: 
ichliffenen, aber immer malerijden Kleidern, 
eine Ravalfade von Offizieren mit ihren 
Damen, bie einen Ausritt machten, fatho- 
liihe Albanerinnen in pradtvollen, [hwer 
oldgejtidten Kleidern, elegante albanijche 
ans mit ihrem täglich neuaufgebügelten 
weifen Fes, ein Dugend wilder Gejellen aus 
den Bergen, zu Pferde mit langer, blanter 
Randare, die neugierig aber wiirdevoll die 
Shake ber Broßitadt bewunderten. Dazwi: 
ien einige europdijde Geftalten in der 
unfleidjamen Tract bes Abendländers, Ge: 
werbetreibende, WBergnügungsreijende und 
Abenteurer und ab und zu eine dichtver: 
ichleierte Muhammedanerin. Endlid in 
buntem Gemijd) die Offiziere und Goldaten 
fait aller GroBmádjte in ihren verjchieden- 
artigen Uniformen. 

Briefen ging langjam die Rue internatio- 
nale hinunter und mußte jeden Augenblid 
irgendeinen Offizier grüßen oder ben Gruß 
eines Soldaten erwidern, der met nur läſſig 
geleijtet wurde. 

Da fam eine deutjche Patrouille im Gleidh- 
ge bheranmarjdiert und begegnete einem 
ranzöliihen Offizier. „Achtung, Augen 
rechts!“ ertónte laut das Kommando des 
Befreiten, und während die Köpfe berum: 
flogen, erdröhnte bas Pflafter von dem Paz 
rabe|d)ritt der ſchweren deutichen Stiefeln, 
daß die Fenjter zitterten. Alles war einen 
Augenblid ftehengeblieben und hatte der 
Patrouille nachgejehen. Die fremden Offi: 
tere lächelten e n menig über ben preußiichen 
Raradedrill, während die Albaner begeijters 
ten Beifall zollten. 

Briefen jchlug bas Herz vor freudigem 
Stolze über feine waderen Jungens. Dann 
aber erfaßte ihn mit Macht ber Gegenjag 
gwifdjen diejer ganzen, leichtlebigen, inter» 
nationalen Schar und ber erniten deutjchen 
Art. Und wie ein Bild ftieg es in ibm auf, 
hervorgerufen durch die fleine Patrouille: 
Siitet euch, ihr Bolfer ber ganzen Welt und 
laßt uns unjere Wege gehen! er uns an= 
greift, fabt Eiſen an! 

Sm erniten Gedanfen verjunfen erreichte 
er durch eine Reihe von Gajjen und Bähchen 
ben Rand ber Stadt unb [trebte jet ber 
etwa eine halbe Stunde entfernten Sitavelle 
gu. Rings Derridjte tiefe Ginjamfeit, und 
nur bas Abendläuten bes Domes Hang von 
ferne herüber. 

Langjam und einjam Hien er bergan. 
Aber als er eine Feine Anhöhe erreichte, jah 
er plößlich) eine Dame mit einem Offizier 
auf fic) gufommen. Unwilltürli trat er 
einen Schritt aurüd hinter einen elfen, 
denn er glaubte Gwendolin erfannt zu haben. 
Gleich darauf ſchämte er fid), hier vielleicht 
als Lauſcher zu erjcheinen. Gest aber, wo 
er jid) einmal verborgen hatte, war es (Um 
peinlich, plöglich bervorgutreten. 





- — — eo — ` 





Aus deutjhen Landen: Schloß Hartenftein in Sachjen 
Künftleriihe Aufnahme von Ernft Schneider in Zwidau 


pet! 


— 
— —À 
—_— 


PSSA Der Schuß auf dem Bardanjol ees 61 


Mad einiger Zeit hörte er Stimmen und 
eine Art von erregtem Wortwechjel, worauf 
er porjidjtig Ausıchau hielt. 

Es mar in der Tat Gwendolin in Bes 
gleitung von Kapitän Qyerucci. | 

Nachdem fie dem Italiener den heutigen 
Wusritt abgejagt hatte, war er zum Tee 
bei ihr erjdjienen und hatte fie gebeten, 
ihn zum Bajar zu begleiten, um Teppiche 
zu outen, (Grit wollte fie nicht, aber als 
tyt Mann eifrig zuredete, doh endlich 
ten Teppich zu erftehen, auf den te ſchon 
ſeit Wochen handelte, entſchloß ſie ſich kurz. 

Von ihrem Mann ſchon ſeit langem ver— 
nachläſſigt, war F rucci bisher gerade bas 
gewejen, was Do eine anjtändige Gnglán: 
derin unter einem idealen Flirt voritellt. 
J: enn Fer ıcci einmal in feiner italienijchen 
Yeidenjchaftlichleit etwas zu eifrig wurde, 
dann hatte fie es ftets in Der Hand gehabt, 
ibn rechtzeitig in s Schranken zurüds 
zuweijen. Einige Male war es He aller: 
dıngs zweifelhaft geworden, ob ihr das auf 
dıe Dauer gelingen würde. Denn bei aller 
NBeichheit, bie er anfcheinend bejaß, war 
Dod) manchmal in feinen Augen ein Flim: 
mern aujgeleudjtet, bas es ibr geraten ers 
jcheinen ließ, mehr auf ber Hut zu fein. 

Durd die Straße ber Cattler unb bie 
der Bäder waren fie zu den Bold» und Gil- 
berarbritirn gefommen, die ihre feinen Fili- 
granarbeiten an ojjenem Feuer mit gejchidter 
$,anb heritellten. Dann famen fie durch bie 
Straße der Zuderbäder, wo Gwendolin einem 
tleinen Zigeunermädchen mit großen, bung: 
rigen Augen eine Tüte Votum ſchenkte. Dicht 
hinter ber gerudjvollen Ctrape ber Fiſch— 
büntler lag der ruhige Platz ber Teppid): 
ee wo anjcheinend eben weniger Ber: 
ehr mar, fo daß die wü.digen Herren fih 
Kë alle zu einer Tajje vig e b i Dem reich» 

en Wiitgliede der Gilde, Mahmud Effendi, 
eingefunden batten. Ihre Läden blieben 
unterdejjen ruhig offenitehen. Diebe gab es 
niht, folange feine Mitteleuropäer in Der 
Nähe waren. 

Als Gwendolin und ihr Begleiter fih 
Mahmuds Laden näherten, Honn alles ehr» 

rdjtsooll auf, aber erft als Gwendolin 
ihnen zunidte und Ferucci die Hand grüßend 

ur Müge erhob, danften fie mit tiefem Ca: 
aam, der Urform des militdrijden Grufes, 
ben bie ganze Welt von den Muhammes 
danern entlehnt bat. Sogleich entfernten 
id) bie Gajte, und Mahmud forderte feinen 

ejuch mit unendlichen Berbeugungen auf, 
feinen Laden zu betreten. 

Der Diener reichte ben Bälten Zigaretten 
und Kaffee, während ein Teppich nad) bem 
anderen auf dem Boden ausgebreitet wurde. 
Mahmud, der englijd) jprad), pries die 
Vorzüge jedes feiner Stücke. Gwendolin 
pen dieje Prozedur ficher ſchon zehnmal 

ei früheren Bejuchen durchgemacht, aber 
immer wieder fand [ie Vergnügen daran, 
die herrlichen Erzeugniffe einer orientalifchen 
Kunft zu bewundern, deren Mufter als Erb: 


ftiid in einzelnen tyamilten oder Dörfern ber 
Teppichknüpfer von Generationen Ler vererbt 
wird, jo daß jedes Dorf immer nur ein und 
das;elbe Muſter tennt, bas ohne Borlage von 
jedem zn gleichmäßig bergeltellt wird. 

Bwendolin hatte es bejonders auf einen 
alten *Budjara abgejehen, unb bei ihrem 
wodenlangen Handel war Mahmud Idon 
von feinem urjpriingliden Preiſe um fujt 
zweihundert Kronen beruntergegangen. Er 
wußte genau, daß fie nur pieles einen Tep: 
pidjs wegen gefommen war, tat aber, als 
wenn er feine Ahnung mehr davon hätte. 
Und Gwendolin madte es ebenjo, fragte 
bald bei diefem, bald bei jenem Teppich nad) 
bem Preije, bis jchließlich ber langumitri teı.e 
Buchara zum Vorichein fam. Da meinte fie 
[p obenhin: „Wieviel wollten Cie let; cs 
Mal für bieles Stüd haben?” Und Mal: 
mud nannte ihr genau die Cumme, bei der 
er vor vier Tagen Itebengeblieben war. 

Nun ging der Handel los, der für eben 
SEEN, der eseilig bat, eine Heite Quelle des 

rgers ijt, Denn wenn er fid) nicht genügend 
Zeit läßt, bann muß er alles, was er tanfi, 
viel’ gu teuer bezahlen. Für den Orientalen 
lelber aber ijt diejes Handeln gerade Die 
höchite Freude, und geachtet wird von ihm 
nur der Europäer, ter nicht ungeduldig 
wird, jondern fid) den Handel viel Zeit und 
viel Reden fojten läßt. 

Dabei darf man niht etwa bie Waren 
ſchlecht machen, ſonſt betommt man überhaupt 
nichts mehr gezeigt. Je mehr man lobt, in 
um fo bejjere Stimmung fommt der Händler 
unb um jo eher ijt er geneigt, von feinem 
Preije berunterauaeben. 

Heute aber |djien Ee wirflid an 
der Grenze feines niedrigiten Preiles anges 
langt zu A denn er erwiderte alle niedris 
pum Angebote mit Hochziehen der Aupen: 

rauen, Heben und Cenfen des Kopfes und 

einem energijchen ‚Jod‘, was die Steigerung 
in ber Ablehnung bedeutet. Gwendolin ers 
hob fid) aud) heute wieder, ohne gelauft zu 
haben, unb man verabjchiedete fidh bantenb 
von dem alten Händler. 

Zieler füBte Gwendolin die Hand und 
beteuerte, daß ihm jeder Beſuch von ihr die 

rópte Freude bereite und daß fie möglichjt 
häufig tommen möge, um fic) an feinen 
eppichen zu freuen. Man merkte ihm firms 
lid) die Hochachtung an, Die er vor Deler 
Dame hatte, mit der es fidh derartig gemüts 
lid) handeln ließ. Mis fie den Bajar vers 
ließen, tam eine fühle Brije vom Tabarojdh 
herunter, und $yerucci madte ben Vorjchlag, 
den Riidweg an der Zitadelle vorbei zu Fuß 
zu machen. Gwendolin willigte nach einigem 
Zögern ein, und erft als fie etwa zehn Mis 
nuten gegangen waren und man feinen 
Menichen mehr in der Nähe jab, tam ihr der 
Bedante, daß fie es ja veımeiden wollte, fo 
allein mit Ferucci zu fein. Gie bat ibn ba: 
ber, umgufehren und wieder auf Die große 
Straße zurückzugehen, da es jchon früh buntel 
zu werden teg, 


62 Borwin Carlig: | 


Da hielt der Italiener ben Augenblid für 
gefommen, einen Wnfturm auf ihr Herz au 
verjudjen. Er machte ihr SE Vorwürfe 
über ihr zurücdweijendes Benehmen, [prad) 
von jeinerun on ee kone, Treue und Ber: 
ehrung und daß er hoffe, endlich einmal 
Gnade bei ihr zu finden. Gwendolin per: 
juchte, der Gace eine |cherzhafte Wendung 
zu geben, aber Ferucci A Us an feinen 
eigenen Worten beraufcht. it glühenden 

orten und bem ungezügelten Temperament 
des Güdländers SET er von feiner Liebe 
und von der Schönheit Gwendolins, die ihn 
verriidt made. 

Plötzlich verjuchte der Italiener, fie zu 
füjjen. Sie wandte nur energiid) den Kopf 

urüd und jab ihn mit großen Augen an. 
Da jant er vor KÉ nieder und umjdlang 
bebend vor Leidenjchaft ihre Knie. 

Bwendolin [tieB einen leichten Schrei aus, 
denn wie aus dem Boden gewadjen ae 

löglich drei Albaner vor ihnen. Ferucci 
biel bieles Zujammenfahren für den legten 

ejt ihres Widerjtandes und wollte fie ge: 
rade in feine Arme jchließen, ba jab er ihre 
ftarr nad) vorne — Augen. 

Erſchrocken blidte er fid) um und bemerkte 
nun auch die drei Männer, die keinen ver— 
trauenerwedenden Eindruck machten. Der 
eine ſtand zehn Schritte vor ihnen auf dem 
Wege. Sein linkes Auge war verbunden, 
dazu Hatte er eine alte albaniſche Piſtole 
in der Hand, oC im Gtadtgebiet 
von Gfutari alles Waffentragen verboten 
war. 

Die zwei anderen hielten jid) in einiger 
Entfernung. Ihr Anzug war zerlumpt, und 
in den Handen hatten [ie große Rniippel. 

Set fam der erjte Albaner bis auf zwei 
Schritte heran und blieb ftehen. Wütend 
über die Störung jchrie Ferucct ihn auf ita- 
lienijd) an, doh ber Mann verzog teine 
Miene, hielt in der einen Hand die Pijtole 
und deutete mit der anderen auf den Leib 
des Stalieners. Bleichzeitig rüdten aud) die 
beiden anderen näher heran. 

Bwendolin erjd)raf jurdjtbar. Das war 
ein vegelrechter Raubanfall, und ihr Beglei: 
ter hatte wahrjcheinlich als einzige Waffe 
ben Dolch bes Geeoffiziers bei ftd). Einen 
Wugenblic wurde ihr vor Angſt dunfel vor den 
Augen, dann aber überwand jie ihre Schwäche 
und fragte jyerucct, was die Lente wollten. 

Zieler |prad) abwechjelnd italienijd) und 
englijd) auf die Albaner ein, Die ihn aber 
nicht verjtanden und nur mit einem Heben 
des Kopfes antworteten. Da tat er einen 
Schritt nad) vorwärts und forderte fie durch 
Zeichen auf, fortzugehen. ber unbeweglich 
blieben fie jtehen und madjen herausfors 
dernde Bejichter, während der eine wiederum 
auf den Leib Feruccis zeigte, 

Sekt wurde der Italiener fleinlaut und 
fagte zu Gwendolin: „Wäre id) allein, id) 
wirde mid) feinen Augenblic befinnen, den 
erjten von ihnen niebergu|djlagem. Aber jest, 
wo (Cie bier find, tann id) es unmóglid) 





wagen, Sie ben Zufälligfeiten eines Rampfes 
auszujegen.“ 

„Nein, das dürfen Sie unter feinen Um: 
tänden,“ rief Gwendolin angftvoll, „tun 
Cie alles, was bie Leute von Ihnen ver- 
langen. “wWielleicht find fie [hon mit etwas 
Geld zufrieden.“ 

Unterdejjen famen bie Wegelagerer, un= 
geduldig murrend, nod) näher heran. Fe— 
tucci 30g feine Börje heraus, um ihnen Geld 
u geben. (ie wurde ihm fofort entrijjen. 

ann 30g man ihm Uhr und Kette aus der 
Taſche, und trog heftigen Sträubens fand 
der Albaner in feiner inneren Rodtajche 
auch eine gute neue Browningpijtole. 

Geit bie Piftole bei ihm gefunden war, 
wurde er ganz fleinfaut. Gwendolin hatte 
ion freiwillig ihr Portemonnaie abgeliefert, 
und jebt war gerade ber eine der Rauber 
dabei, ihr bie lange goldene Kette vom 
Halje zu reißen. 

In diejem 9[ugenblid fam Briefen, ber 
lid vorjidtig herangeſchlichen Hatte, mit 
einem mddtigen ge bervorge}dojjen unb 
jug den Albaner, der Gwendolin berührt 
hatte, aus volliter Kraft mit ber Fauſt ins 
Gefiht, |o daß er aus Nafe und Mund 
blutend zurüdtaumelte. Dann zog er blig- 
ichnell jeinen Gabel, fonnte aber feinen ber 
beiden anderen Banditen mehr erreichen, da 
jie jofort mit langen Sägen davongelaufen 
waren. Und als er fi wieder nad) bem 
guerjt von ihm blutig gejchlagenen umwandte, 
entfloh aud) diejer unter Zurüdlafjung von 
Bwendolins Portemonnaie mit derartiger 
Ge|d)minbigfeit, daß Briefen fdon nad) 
nes Zeit die Verfolgung aufgab. 

temlos fam er zurüd und bob die von 
dem einem Wegelagerer fallen gelajjene 
Piltole auf. Es war ein jchönes, altes Stiid, 
aber nicht geladen. WBerächtlich warf er fie 
dem Italiener vor die Füße. Dann wandte 
er fid) By Gwendolin, die jebt in fajjungs: 
lojes Weinen ausbrad). 

Beruhigend jprad er auf fie ein und ers 
reichte es, daß fie thm alsbald unter Tränen 
lächelnd die Hand reichte, bie er ehrfurchts— 
voll fiijte. Cie fand auch endlich ihre Sprache 
wieder und dankte Briejen als ihrem Retter 
und Helden, der allein drei Feinde in bie 
Fludt gejdlagen hatte. 

„Sc weiß auch, wer Cie find,” jagte fie, 
„es [heint Ihre Spezialität zu fein, anderen 
Menichen das Leben zu retten. Ich babe 


. Sie jofort wiedererfannt, denn ich werde 


Ihre mutige Tat neulih auf dem Schiff 
niemals  vergejjen. Es war ein |chöner 
Anblick, als Sie, ungeachtet ber um Gie ein: 
Ihlagenden Schüffe, den unglüdlichen Mbas 
ner vom ficheren Tode erretteten.“ 

Briefen machte eine abwehrende Hands 
bewegung und wandte fih an den Staltener. 
„Wie fonnten Gie es zulajien, daß eine 
Dame in Ihrer Gegenwart überfallen wurde, 
ohne daß Gie eine Hand rührten? Gie 
geitatten, daß ich die Lady jebt in meinen 
Schuß nehme, Cie haben fein Recht mehr 











B22 Der Shuß auf dem Bardanjol 


dazu, denn Cie haben fih wahrhaftig nicht 
wie ein Mann benommen.“ 

In den Augen des Sitalieners aber blibte 
ein heimtüdijcher, wilder Haß auf. Er iir: 
digte Briejen teiner Antwort, jondern wandte 
ſich y italienijd) an Gwendolin. „Wün— 
jen Cie es auh, daß ich Cie verlaſſe? 
Sie willen, daß ich nur auf Ihren ausdrüd: 
liden Wunjch nicht tätlich gegen die Mba- 
ner wurde.“ 

Gwendolin aber zudte bie Achjeln und 
wandte fic) verächtlich ab. 

Einen Augenblid noh zögerte der Stas 
Itener, dann ging er, wilde neapolitani|dje 
Berwünjchungen vor fid) hinmurmelnd, da: 
von. Er fühlte nur allzu deutlich: außer 
leiner Börje und feinen Wertjachen hatte 
er auch die Frau verloren, deren Eroberung 
er fid) ſchon eg? wähnte. 

*Brielen fapte Gwendolin, bie immer nod) 
voller Aufregung aitterte, mit zartem Griff 
cb ben Arm und führte jie vorjidjtig 
ort. 

Reines von ihnen [prad) ein Wort, unb 
als es jdjon Ddunfelte, erreichten fie den 
großen mujelmanijchen Friedhof am Ein: 
gange ber Stadt, wo in den dunklen 3»: 

rejjen Hunderte von Zifaden ihrenlieblichen, 
fait an den fleiner Gingvögel erinnernden 
Gejang ertönen ließen. 

Kurz darauf ftanden fie vor ihrem Dane: 
Nod einmal dankte fie ihm mit furgen 
Morten und jegte hinzu, daß fie ihn in 
einigen Tagen zu fid) zum Tee bitten wiirde, 
damit aud) Mir. Herbert feinen Dant ab: 
Hotten könne. 


BE 8 mE 
Heute jdjlief Briefen trog bes nadtliden 
Larmes bald ein. Mit feinem neuen Aben- 
teuer war er nicht unzufrieden. Gr — 
ſich als unerſchrockener Mann vor der Frau 
gezeigt, für die er ſeit der erſten Begegnung 
mehr als oberflächliches Intereſſe fühlte. 
mmer wieder wanderten ſeine Gedanken 
zu ihr zurück. Nicht nur ihre ſeltene Schön— 
heit feſſelte ihn. Ihre ganze Art zog ihn 
an. Er brannte voll Ungeduld darauf, ſie 
näher kennen zu lernen, auch zu ergründen, 
ob all die Reden, die er faſt täglich über 
fie hören mußte, über ihr Verhältnis zu 
ihrem Mann, über ihren Verkehr mit dem 
widerwärtigen Ferucct, irgendwelche ernten 
Unterlagen hätten, ob fie nicht vielmehr von 
dem berüchtigten Klatſch Cfutaris geboren 
worden waren. Wie |dnell war ber Ruf 
einer Frau, einer jungen jchönen Frau be: 
droht, zumal wenn dieje bejondere Eigen— 
ot zeigte! Wie leicht tat man ihr unrecht! 
Wie ſchwer war es für fie, jid) zu wehren! 
Schon früh mußte Briefen in den Dienft, 
der der Hike wegen bereits um zehn Uhr 
beendet war. Im Hotel wieder angelangt, 
wurde ibm die Karte von Fuad Fant Bei 
heraufgejhidt. Er hatte den Namen feiz 
nes kürzlich erworbenen Freundes fajt ver: 
gejfen und freute fid) nun aufridhtig, ben 
gewandten und liebenswürdigen amerilani« 








Le e 
Ree 


S — — 
—— 5752 T a“ 


63 


ra Albaner wiederzufehen. Fuad ent, 
huldigte fih, daß er noch nicht früher feinen 
Bejud gemacht, es hätte aber fett feiner An— 
funft gar zu viel für ihn zu tun gegeben. 

Heute tomme er in einer dringenden, wie er 
meinte, unauf/diebbaren Angelegenheit. „Sie 
erinnern fih,“ jagte er, „daß vor zwei Tagen 
durch eine beutjdje unb engliiche Patrouille 
ein albanijdhes Waffenlager aufgehoben 
wurde. Hierbei ijf leider einer meiner Lands: 
leute erſchoſſen worden. Ihre Leute folen 
in der Notwehr gehandelt haben, aber der 
Tatbejtand bleibt bejtehen, daß ein Albaner 
von deutjchen Soldaten getötet worden ift.” 

Briejen jah erjtaunt auf. „Woher wollen 
Cie wijfen, daß meine Leute den tödlichen 
Schuß abgegeben haben? Es war buntel, 
und der Tote wurde außerdem mitten im 
Haufe gemmae 

„Die Leiche ift von den Engländern fez 
Eet worden, wobei man bas Deutliche (e: 
hop fand. Die Angelegenheit hat nun 
leider ein höchſt unangenehmes Machjpiel. 
Gewiß bat man Ihnen don von der alba: 
nijden Blutrache erzählt, biejer ungliidjelis 
gen, aber fajt als heilig angejchenen Tradi: 
tion meines Baterlandes, die |d)on unzählige 
gamilien begimierte oder gar gánglid) ais: 
rottete, Nun ift mir berichtet, daß bie Ver: 
wandten des Toten bereits Nachforſchungen 
nad) dem Tater veranjtaltet haben. Da es 
natürlich unmöglich ijt, unter den Soldaten 
ben Schuldigen zu finden, jo bat fid) nad) 
der 9[njid)t der Angehörigen die Blutrache 
gegen den Anführer jener Patrouille zu 
richten, ber Cie ja leider waren. Sch fann 
Ihnen nicht verhehlen, daß Sie fid) in einer 
AO gefährlichen Lage befinden. Da Sie mein 
tebensretter find, Dem id) Danfbarfeit bis 
gum Tode jchulde, jo bin ich jofort zu Ihnen 
gefommen, um Sie zu warnen und die nötigen 
(PegenmaBregeln zu bejprechen.“ 

Briefen war nicht gerade angenehm Sa: 
diefe Nachricht berührt, nahm fie aber do 
etwas auf die leichte Schulter. 

„Zunächſt, lieber Freund, möchte id) Cie 
bitten, mir gu jagen, worin bas Weſen 
Diejer Ihrer nationalen  Gigentümlidjteit 
eigentlich bejteht. Man hat mir vielerlei 
darüber erzählt. Ich habe aber, offen ge: 
(tanben, das meilt für Sagen oder dod 
Übertreibung gehalten.“ 

,Seiber ijt bas lektere ein Irrtum. Go: 
bald ein Albaner durch die Schuld eines 
anderen umfommt, haben feine nächiten Bers 
wandten die Verpflichtung, den Täter ihrer: 
feits umzubringen. Das gejichieht nicht öffent: 
lich, fjondern met durch einen Dolchſtoß von 
hinten oder einen Schuß aus bem Hinters 
halt. Der Vollzieher der Blutrade hat 
nämlich alle Beranlajjung, felber unbefannt 
zu bleiben, weil jid) nun bie Blutrache 
wieder gegen ihn wenden muß. Nur wenn 
es auf feine Weile gelingt, Den Täter 
eines Mordes ausfindig zu machen, ruht 
bie Blutrahe, und auf dem Grabe bes 
Betöteten wird ein weißer Stein errichtet, 
















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64 
ber fo langftehen bleibt, bis der Mord ges 
[übnt tit 





Für bie Verwandten aber ift ein iunge: 
fühnter Mord eine große Schande, und |o: 
lange ber Tater befannt ift und nod) lebend 
berumläuft, darf fein anítünbiger Albaner 
mit ihnen verfehren. Die Folgen Deler 
alten und barbarijden Gitte, bie auf feine 
SBeije auszurotten war, find für mein ars 
mes WBaterland fehr verderbliche gewelen. 
Und wenn man bier taum einen alten Viann 
fieht, jo find niht nur bie ewigen Wufftande 
gegen die Türken daran jchuld, Jondern zum 

roen Teil ijt es aud) bie unjelige Blutracdhe. 

ie Gebildeteren von uns kämpfen in Ges 
meinjdaft mit den djrijtliden und mufel: 
manijchen @eiftlichen gegen biele Gitte an, 
aber bisher völlig vergebens.” 

„Was geichieht mun," meinte Briefen, 
„wenn der Täter das Land verläßt?” 

„Auch dort erreicht ibn die Blutracdhe 
früher ober jpäter mit tödlicher Sicherheit. 
Die- zur Race verpflichtete Familie ruht 
nicht eher, bis fie genügend Geld zuſammen— 
gebracht bat, um eines ihrer dazu gecigne: 
ten Mitglieder ausgurüjten. Diejer [deut 
feine Mühen, feine nod) jo langwierigen 
9tadjforidjungen unb im Notfalle aud) fein 
Geld, um zu jeinem Ziele zu fommen. Und 
[bon jo mandjer tavielbatte Todesfall in 

om oder Mew dort hatte feine Urjadhe in 
einer oft jahrelang zurüdliegenden alba: 
nijden Blutſchuld.“ 

Trog aller perjónlidjen Tapferfeit war 
Briefen bei diejer mit tiefitem Ernjte vorge» 
bradten Cdjlberung niht ganz wohl zus 
mute, und er fragte feinen albanijden 
qreund, was er ihm denn zu tun riete. 

quad fagte: „Es gibt ein jeltiames Mit: 
tel. Dian tann jio nemad von der Blut: 

rade freitaufen. an verhandelt mit den 
Verwandten und einigt fih über den Wert, 
den der Tote für [cine ane gehabt hat. 
Allerdings fommt diefe Art ber Erledigun 
hier äußerjt jelten vor, weil jaft fein Menj 
imitanbe ift, eine folde immerhin hobe 
Summe zu zahlen.“ 

„Und wieviel glauben Cie, daß id) in 
meinem Falle zahlen müßte?” fragte 
Briefen. 

„sch glaube, daß die Angehörigen fid) mit 
dreis bis piertaujenb Kronen zufrieden geben 
würden.“ 

Einen Wugenblid Dien in Briefen der 
hwarze Verdacht auf, dak Fuad vielleicht 
elber nur getommen war, um ihn auf joldye 
echt orientalijde Weile zu jchröpfen, aber 
jofort verwarf er Dicjen Gedanken. Sener 
Dann war ihm zn Dant verpflichtet und 
in feiner ganzen — und Sprache 
nag einer gemeinen Handlung unfähig. 

ro5bem aber wollte ihm diefe ganz un: 
glaublidje Gate immer nod) nidt einleuch- 
ten, ganz abgejeben davon, daß er beim 
beiten Wilen nicht imjtande war, eine der: 
artige Summe aufjubringen. Gr war vers 
mögenslos, und jeine Dlutter, eine arme 


Borwin Garlib: 





Dffizierswitwe, fonnte ibm nur mit Mühe 
bie fleine monatlidje Zulage zahlen. 

Kurz entſchloſſen jagte er daher zu Fuad: 
„Ih tann und will Ihren Vorſchlag nicht 
annehmen. Ich fühle mid) an dem Tode 
bes Albaners gänzlidy unjchuldig. Eritens 
laube id) nicht, bag er von einer deutjchen 
ugel gefallen ift, und wenn es trogdem 
der all war, dann haben meine Leute im 
Dienjte geldojjen. Ihnen dante id) aufs 
berzlichite für thre Warnung und wäre jeyr 
dankbar, wenn Sie Ihren Einfluß bei den 
Angehörigen des Toten aufbirten wollten, 
fie davon zu überzeugen, daß fie fid) bei mir 
an einem Schuldlojen vergreifen würden. 
Sm übrigen ftehe id) hier auf Befehl memes 
Raijers und bin bereit, alle Folgen, die 
mein bien|tlides Vorgehen mir bereiten 
fonnte, auf mich zu nehmen.” 

Der Albaner jah ein, dak auf diefe Weile 
von dem deutichen Offizier nichts zu errei- 
den war: „Wenn (Cie vielleiht glauben, 
dak mein Einfluß bei den Verwandten des 
Toten ausfdlaggebend fein könnte, jo muß 
id) Ihnen leider jagen, daß das niht der 
Fal ijt, In allen Fragen der ?Blutradje 
nimmt niemand Riidjidjt auf Wünfche oder 
9tatidjláge anderer. Aber id) will mein 
mögliches tun und hoffe menigitens, Cie 
Re warnen zu Tonnen, falls Ihnen 
unmittelbar Gefahr drohen follte." 

Mit feitem Händedrud jdjieb Fuad von 
feinem deutjchen Freunde, : 

Dann begab er fic) in ben albanijchen 
Klub, wo ibn wichtige Bejchäfte erwarteten. 

Das flubbaus [ag in der Rue inter» 
nationale und war ein hübjches zweijtödiges 
Gebäude, von deſſem ode die blutrote als 
banijde Fahne mit dem jchwarzen Adler 
darin flatterte. Sm unteren Ctodwerfe war 
ein Café, das zu jeder Tageszeit angefüllt 
war mit lärmenden und heftig politijieren= 
ben Albanern. Hier madjten jid) vor allen 
die jüngeren Elemente breit, die fih irgend— 
welde Vorteile von dem erft im Entitehen 
begriffenen neuen jyürjtentume erhofften. 
Viele von ihnen hatten ihre Bildung auf 
italienijden ober ójterreidjijd)en G .hulen ers 
halten unb jid) neben bem oberflädjlichen 
europdijden Wijlen aud) bie Echattenjeiten 
moderner Kultur angeeignet. Diejen jüng— 
p Albanern war nidjts mehr heilig, un 

er einzige Gott, zu dem fie fdjmoren, blieb 
der Vorteil. Cine gut bezahlte Beamten: 
[telfung, danad jtrebte jeder von ihnen, 

Dem ernften patriottjdjen Cinne Fuads 
entiprachen die politijden Jünglinge feiness 
wegs. Er hoffte aber, daß der Ernjt ber 
fonımenden Seiten aud) dieje mißleiteten 
Stammesbriider nod) zu nüßlichen Patrioten 
machen wirde. 

Im erjten Stodwerf angelangt, betrat er 
ein Zimmer, vor deljen Türe ein albanijcher 
Gendarm Wade hielt. 

Die beiden anderen Mitglieder bes Ge: 
betmausfdujjes waren Lion zugegen. Den 
Vorjig führte ber 60 Jahre alte Mehmed 





"9999*99999999990*$?90099090090*50000000000000000000900990900$0000^000000009090900000000000000000000000000000000000009000000 





Von Hans Schwegerle 


Bildnisbüfte in Eijen. 





SSSSSSSSSSSSSSESESSESSSHESSSSSSSSSSSSSESSSSSESSSSSSSSSSLSSSSSSSSSSSSSSSSSFSSTSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSESSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSGLSSSSSSSSSSSSSSSSSSOSSESOSOS 


IHE LIBRARY 
OF THE 


UE DÉI en INNIS 


ESSSSSISISIFZAN Der Schuß auf dem Bardanjol BSSessesesssa 65 


Grabe Pafda, der bedeutende Befigungen 
in der Nähe Stutaris bejaB, die aber wegen 
der großen Lotterwirtichaft faum mehr Ein: 
fünfte einbradten. Er war ehemaliger tür: 
Hicher General und ein Freund Abdul Has 
mids, weshalb die Syungtürfen ihn aus dem 
Lande verbannt hatten. 

Das dritte Mitglied, Kefir Bei Odhrida, 
war trog feines türfijd)-albantjdjen Bei- 
Titels Ratholif. Beſitzer eines gut gi 
den Gejdafts in der Stadt Ochrida, er 
bet bem jerbijchen Cinbrud) und hatte dabei 
jein Vermögen eingebiift. 

Grabe Pajdha eröffnete die Sitzung. 

Sunádjit jprad er Fuad ben Dank ber 
albanijden Batriotenliga aus, daß man dur 
feine glüdlid) überbradyte Nachricht bie Hott 
unb Gruda vor dem montenegrintichen Ein: 
marjde batte warnen Tonnen, Ein Abges 
fandter der beiden Ctámme wäre heute früh 
angefommen und bate, von dem Komitee 
empfangen zu werden. 

Bleich darauf betrat ein Franziskaner in 
brauner Rutte mit Neititiefeln und eng: 
licher 9Utífe das Zimmer. Er war ber 
Pfarrer aus Rapja Hotit, diht an ber mon: 
tenegrinijden Grenze. Und er berichtete: 
Alles war bereit, bte Montenegriner jo zu 
empfangen, daß fie ein Wiederfommen niht 
wagen würden. Zweitaulend gut ausge: 
rüjtete Männer befanden fic) an ben Gren: 
zen, wohl verjehen mit Gewehren und Diu: 
nition. Jeder Weg, jede Bergipige war 
doppelt bejebt und bewacht, und an den 
— deg Engpajjen [tanben Steinlawinen 

reit, um die Eindringlinge zu zerichmet: 
tern, die es wagen würden, das freie Land 
ber Schipetaren zu betreten. Die Frauen 
und Kinder batte man nad dem Innern 

e an. Norbereitete Wlarmferer fonnten 

jeden 9[ugenblid aufflammen. Das Haupts 
quartier der Stämme, wo die beiden Rai: 
taftars fih aufbielten, befand fid) in ber 
von den Miontenegrinern im vorigen Jahre 
zeritörten Kirche von 9tapja. Bon hier ging 
eine Linie zur Nachrichtenübermittlung bis 
nad, Cfutari hin. Gie beftand aus einer 
fortlaufenden Reihe von aufgeftellten halb- 
wüchligen Burjchen, die [id) bie zu über: 
mittelnben Nachrichten zuriefen. Celbjt nadts 
waren furze Meldungen in einer halben 
Stunde richtig über bie fajt vierzig Kilo- 
meter lange Linie angelangt. 

Nad btejem eingehenden Berichte wurde 
der Piarrer entlajjen, nahdem man ihm für 
den Fall eines montenegrinijchen Angriffes 
lofortige Hilfe zugejagt hatte. 

Sekt berichtete Kefir Bei, der gerade von 
einer Orientierungsreije an der jerbijdjen 
Grenze zurüd fam. Dort ftanden große 
Dinge bevor. Als die Serben im vergan: 
genen Jahre in Albanien einriidten, waren 
alle waffenfähigen Männer in die Berge 
entiloben, denn die Gerben hatten feinen 
Albaner geidjont. Wer ihnen in die Hände 
fiel, wurde in unmenjdlider Weije getötet, 
Dann fam ber TFriedensichluß, und die Ger: 


Relbagen A Klafings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bo. 


ben mußten fic) bis an bie von der Lon: 
doner Konferenz feſtgeſetzten Grenzen zurüd: 
ziehen, wobei aber alle albanijden Städte 
des Dftens wie Ochrida, Struga, Dibra, 
Prijren, Djafova und Ipek in jerbijchen 
Händen blieben. 

Als jedoch die Albaner aus den Bergen 
wieder zurüd in die Städte wollten, wo jid) 
ihre {Frauen und Kinder befanden, trafen 
fie überall auf jerbijche Soldaten, die ihnen 
den Eintritt in das jeßt feindliche Land ver: 
Sen, Wem es trokdem gelang, bie 
Bolten zu Durchichleichen, der wurde in feiner 
‘oon ergriffen und ohne Gnade er: 

offen. 

„Jet ftehen die Unjrigen zu taujenben auf 
albaniichem Boden bid)t vor den ferbijden 
Borpoften. Die Cebn|udjt nad) Weib und 
Kindern lápt fie fajt wahnfinnig werden. 
Außerdem reift die Ernte heran. Aber wer 
jol die reiche Frucht einbringen, wenn fein 
Mann da ijt? Da wollen wir jest, von aller 
Welt verlajjen, uns jelber Berechtigteit per: 
Ihaffen. Sn feds Tagen, um zwei Uhr Me. 
türli]djer Zeit, alfo zwei Stunden na 
Sonnenuntergang, werden auf einer Linie 
von hundertundfünfzig Kilometern, von 
Odrida nad Ipet, die ferbijden Vorpoſten 
angegriffen und über den Haufen gerannt 
werden. Ter Erfolg ericheint ficher, Glückt 
der Überfall, bann nehmen unjere unglüd: 
lihen Landsleute ihre Frauen und Kinder 
gu fih, laden ihr bigden Hab unb But auf 
unb gehen wieder über bie |djiigenben Gren: 
gen Albaniens zurüd. Mißlingt er, fo haben 
wir wenigitens bie Aufmerk amkeit Europas 
auf uns gelenft, bas bie dm’ Elend gegen: 
über nicht gleichgültig bleiben’ tann.” 

Hiermit endete Rafirs Bericht, dem die 
beiden anderen tief ergriffen gelaufcht hatten. 

uad allein u ar bejorgt. Die Broßmächte 
mußten doch helfen, wenn man ihnen alles 
auseinander jebte. Er jelber wollte nad) 
London fahren und in Downing Gtreet 
— E erheben. England d dod 
aud) bie Armenier vor den Berfolgungen 
der Türfen gejchüßt. 

Der alte Grabe aber nidte verneinend 
mit dem Ropfe. „Es ijt alles vergebens, 
auf uns hört bod) niemand, und bis du in 
London irgend etwas erreicht haft, find 
unjere Leute jelbjtändig und ohne Führung 
losgegangen. Lajjen wir daher den Dingen 
ihren Lauf und verjuchen wir durch unjeren 
erfahrenen Rat die Greignifje günftig zu 
beeinflujfen. Kefir Bei wird nod) heute mit 
unjeren Bollmachten abreijen und vor Dibra, 
wo wir den SE machen wollen, den 
Dberbefehl übernehmen. Wir werden von 
bier aus für Nachſchub von Munition Jorgen 
und für alle Fälle eine fampffräftige Mann: 
haft an den Grenzen bereitjtellen, um den 
Flüchtigen einen Rüdhalt zu fichern.“ 

Damit jchloß die entjdjeibenbe Sitzung, 
Die Den Gerben einige taujend ann foften 
folte, ben Wlbanern aber unjagbares Unbeil 
brachte. (Fortfegung folgt) 

5 


WANS WS Wa NA Wd NS INS Wi NA 8 NW 8 SA NA NA Wi 9 NW | NA) 








= derte aus der jüdlichiten Ede ber 
Champagne ein dreizehnjähriger 
Rnabe heimlich und zu Fup nad) 
Reims, um fid) ae wie 
man Könige made. Gein eigenes Hand» 
wer? folte der Königsiturz werden. Aber 
nad) dem Gturze des Königtums wurde er 
auch zum Erretter feines Vaterlandes aus 
höchſter Gefahr, unb das verflärte bie Ers 
innerung an ibn [elbjt bei ben Feinden 
Frankreichs. Unter uns madjte Georg Büch— 
ner Danton gum Helden feines ftárfjten bra: 
matijdjen Wurfs, und nod) jüngft ijt erft 
wieder eine Danton gewidmete Dichtung 
über die Bretter bes Nürnberger Stadt: 
theaters gegangen. Mächtiger jedoch als 
Didterworte dient die ruljijdje Revolution 
dazu, bas Gedadtnis an ben ent[djIojfeniten 
Mann in — aufs neue zu wecken. 
Sie verdeutlicht uns faſt mit aller Bewegung 
und Farbe unmittelbaren Miterlebens, welche 
Unordnung und Unruhe mit dem Ausbruch 
der Revolution über Frankreich kam und 
wie raſch unſere Nachbarnation damals 
durch innere Kriege und durch Kämpfe mit 
äußeren Feinden dem Abgrunde zutrieb. Wir 
folgten im letzten Frühjahr und Sommer 
bem raſchen Aufſtiege &eren|fis. Wir fühl: 
ten, wieviel für Rußland und für uns da— 
von abhing, ob er der Auflöſung Meiſter 
würde. Hinter dem nervöſen, übernächtigen 
Slawen aber, der mehr durd) rbetorildje 
als organijatorijhe Begabung  blenbete, 
tauchte das Bild des Berteidigers Frant- 
reihs mit urjprünglicher Gewalt wieder 
auf. Er hatte geleijtet, was Kerenjti erft 
leiſten jollte. 

Danton ijt im felben Jahre wie Schiller, 
faum zwei Wochen früher, zur Welt getom- 
men, beide Sbealijten, beide Riinder natio- 
naler Ehre, heißblütige Werteidiger der 
Freiheit, ber eine aber ebenjo in ber perjin- 
lihen Lebensführung wie nad) ber geiltigen 
Artung gleich jehr Franzoſe wie der andere 
Deutiher. Dantons Wiege ftand in Arcis 
fur Aube in der de er entjtammte 
ener in bejcheidenem Wohlitande dahin: 
lebenden, adjtungswerten Familie. Er ftus 
dierte die Rehte; 1780 zur Anwaltjchaft 
ugelaflen, verlegte er feinen Wohnjig nad) 

aris. Bom Gymnafium ber war feine Phan: 
taie mit Morjtellungen republifanijden 
Staatslebens erfüllt. Nun machte er jid) mit 
ben Hauptjchriften ber jtaatswiljenjchaftlichen 
und philojophiichen Literatur des Frankreich 
jener Jahre, vor allem mit der ganzen Enzy— 
Hopädie vertraut. Die Kenntnis des Eng: 
[iden und Stalienijdhen erlaubte ihm aud 
fremde Dichter und Schriftiteller zu Iejen. 
Als Anwalt erlangte er bald ein gewilles 
Anjehen. Im Jahre 1787 glüdte es ihm, 


ur Rönigsweihe VE XVI. wan: 


Danton 
Bon Prof. Dr. Martin Spahn in Straßburg 








unter die Anwälte beim Königlichen Rate 
zugelajjen zu werden. 

Unterdejjen Rn fid der Himmel über 
Frankreich mit |djmeren Gewitterwolfen be: 
bedt. Eben dDurdwogte eine Reihe von 
Provinzen eine Erregung, die bier und da 
ihon zu Borjpielen der Revolution führte. 
In Paris felbft war es zu Gtreitigteiten 
wijden ber Regierung und bem Höchlten 

erichtshofe außer dem Königlichen Rate, 
dem Parlamente, gefommen, das fid) von 
alters ber auch politijd)e Berechtigungen bei: 
maß. Der König hatte das Parlament zur 
Strafe in die Proving verlegt. Das Mini: 
fterium leitete damals der CErgbijdof £o: 
menie be Brienne. Er entftammte jelbjt ber 
Champagne. Einer feiner Vertrauten fam 
mit bem jungen Danton über bie politifche 
Lage ins Gejprad. Danton äußerte fis 
mit einer Gicherheit unb Beftimmtbeit, die 
jeinen Unterhalter ben politiihen Kopf in 
thm erfennen ließen. Er ftimmte niht in 
bie allgemeine Entrüftung über bas Bors 
gehen der Regierung gegen bas Parlament 
ein. Das hohe Ridhtertum fühle jid) als 
privilegierter Stand nidt anders wie Die 
Geijtlicdfeit ober der Adel. Auch ibm 7 
es nicht um bas Wohl bes Bolfes. du 
eile Die Zurüdverlegung des Parlaments 
nad) Paris nicht. Dringlicher lei, daß bte 
Regierung niht mehr mit den unvermeid- 
lichen Berbefjerungen bes Gtaatslebens auf 
(id) warten laffe, ben pon der Bernunft vors 
gezeichneten Richtlinien folge, den Forde: 
rungen des A eiltes, Den wahren Bedürf— 
nijjen ber Menſchlichkeit Genugtuung per: 
Ihaffe. Faft gleichzeitig |prad) fih Danton 
aud) an anderer Stelle tm jelben Ginne aus. 
Beim Wettbewerb um die Zulafjung zum 
Königlichen Geridtshofe mußte er fid) über 
die Riidwirfung ber politijden Lage des 
Landes auf bie Rechtspflege äußern. Auch 
hier zeigte er fih gegen bie Sache bes Parla: 
ments gleichgültig. Der Horizont jchien thm 
dülter. „Könnte man nur,“ to rief er aus, 
„ven limjtura um ein Stenjdjenalter auf: 
halten, jo würde fid) Durch bie Kraft ber 
Dinge und ben Fortſchritt bes Lidtes alles 
noch friedlich beilegen laffen.“ Fortan über: 
zeugte er jid) täglich mehr, daß bas Ber: 
derben unaujhaltjam würde. Als fid) Lo» 
ménie im Jahre darauf feiner erinnerte und 
ibn fragen ließ, ob er in bie Regierung ein: 
treten wolle, lehnte er ab. Der Stand der 
Dinge fei nicht derjelbe wie im vorigen Jahre. 
Berbejlerungen genügten nicht mehr. „Dies 
jenigen, bie jie verweigerten, haben ihr eige: 
nes Leben verwirft. Wir find fiderer als je 
am Borabend einer Revolution.” 

Danton hatte nicht die Natur derjenigen, 
bie feine Ruhe haben und feine Ruhe geben, 
bis fie bas Beitehende umegeftiirgt willen. 


ple Prof. Dr. Martin Spahn: Danton Keess 


Dafür liebte er zu jehr den Genuk des Le- 
bens und bas 2ujammenjein mit den Wei: 
bern. Die 9(us|djweifungen verdarben ihn 
Sei nidjt. Aus dem Sdmuge von Paris 
ebrte er immer wieder einmal in die reine 
Luft feiner Heimat, zu der zärtlich geliebten 
Mutter zurüd. Damit er fich jebod) zu hel- 
dilcher Tat aufrichtete, bie den ganzen Mann 
beanjprudt und ihn über jid) ſelbſt erhebt, 
bedurfte es erft eines völligen Wechjels der 
Umftande. Bis dahin widerjtrebten aud) 
Dantons Denfart und Bildungsgang der 
Revolution. Gie hatten ihn über bie Enzy— 
Hopädiften zu ben Phyſiokraten und insbe- 
jondere zu Turgot geführt. Won Turgot 
lernte er, daß es im Staatsleben ohne Maht 
im Innern und nad) außen nicht abgeht, 
daß jeder Staat, um leiltungsfähig zu biet: 
ben, einer fejten und entjchlojjenen Regie: 
rung bedarf. Der Einblid, den er als Un: 
walt beim Königlichen Rate gelegentlich in 
die Staatsgejchäfte nehmen fonnte, beftärtte 
ihn in feiner Meinung. Er half aljo nicht 
den revolutionären Geift in Frankreich ſchü— 
ten. Als aber burd) Fe Torte ber Regie: 
rung bas Königtum um jetn Wnjehen fam, 
po fth Danton bald in bie vorderjte Reihe 
erer, die nunmehr alles und von Grund 
aus ändern und neu bauen wollten. 

Wie bie metten Männer der Revolution 
war Danton Freimaurer. Dadurd) fam er 
E in Beziehung zu den Kreien. wo bie 

üheſten Anjchläge auf die beftehende Ord— 
nung beranreiften. Cr bereitete im Guli 
1789 den Sturm auf die Baltille und Ans 
fang Oftober die Überführung bes Königs 
von Berjailles nad Paris aufs tütigite mit 
vor. Aber in bie Nationalverfammlung, die 
vom Mai 1789 an Frankreich neu ordnete, 
war er nicht gewählt worden. Er mußte 
feine Laufbahn zum politijden Machthaber 
auf dem nicht mit einem Schlage ans Ziel 

übrenben Wege über bie Gemeinde: und 

epartementsverwaltung von Paris zurüde 
legen. Der wg be von Paris hob fih 
während Der ationalverjammlung nur 
allmählich, jedoch ftetig. Er wurde groß in 
dem Fahre, ba die gejeßgebende Verſamm— 
lung die Nationalverjammlung ablöfte. Mit 
Baris jtieg Danton empor. 

Am 18. September 1789 fand die Eröff: 
nungsjikung des eriten revolutionären Ge: 
meinderates von Paris |tatt. Danton Hatte 
feinen Wohnfig damals in den Dijtrift ver- 
legt, ber nad) bem Klofter ber Cordeliers 
emen Namen führte; denn in dem Di- 

ift glühte ein leidenſchaftlicheres poli- 
tildes Leben als in irgendeinem andern. 
Danton [djmang fid) zum Vorjigenden ber 
vom (Pejeb vorge)ehenenDijtriftsverjammlung 
empor. Er bradjte es dahin, daß er dem 
Brauche entgegen immer wieder zum Bor- 
figenden gewählt wurde. Er verjammelte 
den Diſtrikt fajt täglich. Auf feinen (Gin: 
fluß geitüßt, nötigte er ben Bertretern des 
Diltrifts tm Gemeinderate ein imperatives 
Mandat auf. Sie widerftrebten und bantten 


67 


ab. Aus ber Ergänzungswahl ging er felbft 
mit feinen nädhiten er als Gieger 
hervor. Der Gemeinderat legte Cinjprud 
egen das eigenwillige Verfahren des Di: 
faites ein. Der Streit fam bis an die Na: 
tionalverjammlung, Dantons 3übigfeit und 
Rüdjichtslofigfeit behaupteten das Feld. se 
hatten fih bie Geijter über ben Zwilchenfa 
nicht berubigt, als fid) ber Diftrift allen als 
Zufludts|tatte anbot, bie wegen allzu fort: 
ge|d)rittener Anfichten mit ber Staatsgewalt 
bes neuen Frankreich zujammenftießen. Der 
Beſchluß brachte Danton mit dem begab: 
teften aller *Bariler Bollsaufwiegler, mit 
Marat, in die erte Beziehung. Schon redete 
man in Paris von der Republik ber Cordeliers. 

Schon glüdte es Danton aber aud, das 
enge Gehege der fommenben Kämpfe hinter 
fid) zu laffen und an bem Ringen um bie 
Staatsverfaffung fid) Anteil gu verjdaffen. 
Der Unbändigfte unter den Pariſer Radifalen 
der Anfänge der Revolution fehrte dabei auf 
einmal bie andere Seite feines politifchen 
Charatters, — Taktik und Oppor: 
tunismus hervor. Es |djien ihm jest das 
anaa dazu beizutragen, dak der wad: 
fende Einfluß ber Gemäßigten in ber Na- 
tionalverjammlung niht dte Oberhand ges 
winne. Schon arbeitete Mirabeau an einer 
SBerftánbigung der Jtationalverjammlung mit 
dem Könige. Im Zujammenwirfen mit feis 
nen bisherigen Gegnern in Paris wagte fih 
Danton vom September 1790 bis zum Som: 
mer 1791 A in bie vorderite finie 
vor. Er trat Jowohl Mirabeau wie La: 
fayette ins 9Intli& entgegen. — hatte 
er erkannt, daß vor allem Die Wiederver—⸗ 
legung der Regierung von Paris verhindert 
werden mußte. Er tat bas Geine, damit 
der erte Verjuch im April nicht gelang. Als 
dann der König in der Nacht vom 20. zum 
21. Sunt wirtlic entfloh, aber an der Grenze 
feitgehalten wurde, forderte Danton an ber 
Gptibe eines Häufleins Getreuer jofort, daß 
die Monarchie abzufchaffen und die Republit 
auszurufen wäre. Bei einem großen Feſte 
auf dem Marsfelde am 17. Juli 1791 ſollten 
die Maſſen dafür begeiſtert werden. Die 
Pariſer Bourgeoiſie war jedoch noch nicht 
bereit mitzugehen. Ihre Führer fanden 
ſogar den Mut, Danton und den Seinen 
auf dem Marsfelde ſelber mit Gewehr: 
feuer zu antworten. Für den Augen— 
blick wurde die republikaniſche Bewegung 
völlig überwältigt. Danton entfloh mit 
Mühe und Not nach England. Doch konnte 
er im September zurückkehren. Im No— 
vember kam er in eine leitende Stelle der 
Pariſer Gemeindeverwaltung. Dadurch ers 
hielt er die Möglichkeit und die Machtmittel, 
den Anſturm gegen das Königtum mit grö— 
ßerer Ausſicht auf Erfolg aufs neue vorzu— 
bereiten. 

Im April 1792 erklärte Frankreich an 
Preußen und Sſterreich den Krieg. Bom 
Mai des Jahres ab wurde Paris wieder 
unruhig. Danton hatte die Fäden der Be— 


D* 


08 (fxx—39303:3 93-3939] Prof. Dr. Martin Spahn: f 


wegung feit in Händen. Als fid) bie Frem- 
den im Juli an[djidten, bie Grenze zu über: 
freiten, ohne daß genügende 9(bwebrmaBs 
nahmen getroffen waren, jcehlug die Stunde 
ber Entſcheidung. Danton ging noch für drei 
Tage nad) Arcis, um feine Pe 
Gefhäfte zu regeln unb feiner Miutter Lebe- 
wohl zu fagen. Alles war überlegt und 
angeordnet. ‚Wie ein Soldat‘ legte er fih 
am 9. Auguft abends für einige Stunden 
mit ruhigen Nerven zu Bett. Um ein Uhr 
wurde er gewedt. In allen Gtadtteilen 
waren Bataillone aus republifanijd oe: 
nnten Glementen  berangebilbet worden. 
us der Provinz Derbeige|trómte Scharen 
Kriegsfreiwilliger jchloffen (id) ihnen am. 
Sobald ihr Eingriff Jichtbar wurde, ea be 
Danton perjönlich ben. gone ber Natio— 
nalgarben, die fiir ben König und bie (e: 
mäßigten fämpften. Auf bie Maſſen machte 
die Anklage Eindrud, dak ein Schlag gegen 
das Bolt geplant gewejen und der Aufitand 
ibm nur zuvorgefommen fei. Die National- 
garden wurden außer Gefecht gent. Dann 
ging es gegen die Tuillerien. Die Schweizer, 
ie bie königliche Familie ſchützten, wurden 
niedergemegelt, die fóniglid)e Familie jelber 
in Die Gerangenfchaft gejchleppt und bie 
Ióniglidje Gewalt für aufgehoben erklärt. 
Danton war dort, wohin er die Revolution 
gleich in ihren Anfängen geleitet wijjen 
wollte. Er batte ganze Arbeit gemadt. 
Das Mlinijterium nahm den Sieger bes 
10. Auguft als Syujtigminijfer in den Schoß 
ber Regierung auf. Danton widmete 
d aber vor allem den Vorkehrungen da= 
ir, daß bie Republif jet endlich fobald 
wie möglich verkündet wurde, jowie ber 
Organijation bes Kampfes gegen den äußes 
ren Feind. Gein Leben gipfelte in dem 
Jahre, das auf ben 10. Auguft folgte. 
Damals offenbarte fih in ibm alles, was 
an Diännlichleit unb Mannhaftigfeit in ihm 
war. ‘Freilich zeigt fid) uns auch hier nicht 
das Bild eines reifen und reinen Mannes, 
ber be|timmte hohe Ziele vor Augen hat 
und ihnen in gleidjmapiger, äußerjter Ans 
ftrengung all feiner Kräfte zuitrebt. Es 
bleibt bie Vorſtellung eines ſtürmiſch dahin- 
wogenden Cajeins. Nur hat fih deffen 
Wellenſchlag zu höchſter Macht und Breite 
ejteigert, und eine Muſik von erhabener 
ewalt brauft uns aus ihm in reicher 
Stimmfiihrung entgegen. Jede Bewegung, 
bie Danton machte, ließ Das Gemeine wet- 
ter als jemals [rüber hinter fih. Wurde 
er gleich nicht zum Helden, fo fam er bem 
Heldenhaften bod) nahe. Anfangs padte 
es ibn wie ein Staujd) Wildefte Leiden: 
haft peitjchte ihn auf. Er wurde zu Ar: 
eitsleijtungen fabig, die er jonft nicht im 
entferntejten erreichte. Er [tanb ebenjo jeinen 
Mann als Arbeitstraft in der Regierung, 
wie er unermüdlich als Redner an den 
Tagungen des Parlaments oder den Ber 
satungen des Gafobinerflubs teilnahm. Mir 
erbliden ihn tiber den andern in einer nicht 





nur [djeinbaren ober eingebilbeten Hove, ne 

ührer und Bezwinger, bie Lin Die 

üfte gejtemmt, wie er auf der Tribüne von 
mehr als einem Beobachter gejchildert wird, 
die Rechte ausgeftredt, in rajchem Wechſel 
befehlend, vorwärtstreibend, Rechenſchaft 
betid)enb und antlagebereit. Grogartig wirkt 
vor allem feine Bleichgültigleit gegen alle 
Anwürfe und Berleumdungen. Er erfuhr es 
reidjlid, daß fid) der Neid in Demofratien 
nod) häßlicher an die Tüchtigen heranjchleicht, 
wie unter andern Verfaflungsformen. Durch 
die Schattenjeiten deines Lebenswandels bot 
er ben Neidern Blößen genug. Mber, jo 
jagte er, „der Haß ift meiner Natur fremd ; 
id) babe fein Bedürfnis danach“. 

Der Erfolg bes Aufjtandes vom 10. Auguft 
drohte anfangs einen völligen Auseinander: 
brud) Frankreichs und feine fichere Niederlage 
nad) fid) gu ziehen. Niedergeichlagenheit befiel 
alle, Jeder hielt fih in fetner Wohnung. 
Keiner traute dem andern. Die Heerführung 
jelber wollte dem vorjtoßenden Feind ben 
Weg jogleid) bis an die Marne freigeben. 
Im Dlinifterium fah niemand, der Dantons 
Zatlraft und Sicherheit teilte. Die Minifter 
berieten, ob fie von Paris weggehen hind Die 
Regierung über die Loire verlegen follten. 
Damals ließ Danton jeinen berühmten Ruf 
„Die Herzen hoch!“ erjdjallen. „Ihr wißt,“ 
|o wandte er fih an feine Amtsgenoſſen, 
„daß Frankreich in Paris ijt. Wenn ihr ben 
Fremden bie Hauptitadt laßt, jo liefert ihr 
ihnen Frankreich aus.” Die Regierung blieb 
in Paris. Nach der Gefangennahme der 
töniglihen Familie hatte Danton daran 

ebadjt, bie Königin, das Weib, in bie 
Simai Ichaffen zu lajjen. Später hat ibm 
die Sdharfricdterarbeit ber Guillotine mehr 
und mehr an Herz und Nieren gegriffen. 
Er war fein Bluthund. In den eriten Sep- 
tembertagen jebod) meinte er dulden zu müjjen, 
daß Marat ben Auswurf ber Hauptitadt auf 
die Gefangnijje hegte und greulidje Mord: 
taten verrichten lich. Die Geptembermorde 
haben Dantons Andenten mitbefledt, mehr 
befledt fajt als das bes Anftifters. Mit 
Grund aber läßt einer ber feinjten Züge in 
Büchners Dantonzeichnung ihn den Gedan- 
len an bas feige Hinjdladten wehrlojer 
Opfer nicht wieder loswerden. Dantons Gin: 
vernehmen mit Marat ijt taum anders zu 
deuten, als daß er um jene Zeit noch im 
Zujtande der erjten, [tárfjten Erregung war, 
daß er bie ibm entgegenjtehenden Wider 
itánbe nod) nicht auf ihre Tragweite abgus 
Ihägen vermochte und durch die Freigabe 
des Weges fiir Marat die Anhänger des 
Königs unb Die Gemápigten, bie in Wahr» 
beit Lon in Baris nod) die Mehrheit be: 
Jaken, einzuichüchtern rechnete. In ber Pros 
ving wedjelte Danton gleichzeitig Hunderte, 
vielleicht Taujende von Beamten. Jn viele 
Gemeinden jchidte er Gelinnungsgenojjen, 
um Dort bie Wahlbewegung für den Kon: 
vent in Fluß zu bringen. Der Konvent 
jollte verfaflungsgemäß an die Stelle der 


l— = 
Lu 2 





ER bee Berjammlung treten, um das 
idjal bes Königtums zu entjcheiden. Er 
fonnte am 20. September eröffnet werden. 
Schon tags darauf wurde bas Königtum 
— und drei Tage ſpäter die Repu— 
blik erklärt. Inzwiſchen hatte ſich Danton 
wei: auf die Führung des Heeres Einfluß 
verſchafft. Er hielt zu bem General Du: 
mouriez, ber dem von der Oberleitung beabs 
en Rüdzug über bie Marne wider: 
ebte. Bei Balmy machten die Preußen 
und Öfterreicher halt. Gleich darauf gingen 
Ke wieder über bie Grenzen zurüd. er 
inter war für bie Riiftungen gewonnen. 
Danton zeigte fih in biejem Augenblick nod) 
ang von der Erwartung beherricht, daß bie 
jjramolen nur voll Gelbftvertrauen zum 
ngriff überzugehen brauchten, um die Na— 
tionen rinasum zum Aufruhr gegen ihre 
Könige aufzubieten und einen allgemeinen 
Krieg für die Sade der Freiheit zu ents 
felleln. Er nannte den Konvent ftolz einen 
Ausihuß zur Aufwiegelung aller Wolter. 
Es jchwebte ihm aud) vor, daß fih bie mit 
Franfreihs Hilfe demofratifierten Lander 
freiwillig zur Annahme derjelben Staats: 
einrichtungen und zur Hingabe an diejelben 
Verfaſſungsgrundſätze entidjlieBen, ja fogar 
fid) Frankreich in irgendeiner orm am: 
gliedern würden. Um jid) dem Ziele rajcher 
zu nähern, verjuchte er fih jelbjt in der 
Diplomatie. Dod verließ er fid) nicht dar: 
auf und erwog mit Dumouriez beizeiten, mit 
Frühjahrsanfang durd) Belgien bis nad 
Holland vorzujtogen und von dort aus die 
beiden deutfihen Mächte in ber Flanfe zu 
fajjen. 

Es waren die Anfänge mit ihrem unge: 
tümen Schwung, ihren Übertreibungen, ihrer 
Fernficht weit über bie erreichbaren Ziele 
hinaus, aber aud) mit ihrem hinreißenden 
Eindrud auf Dantons Umgebung, mit der 
ihnen innewohnenden und Danton über 
fid) jelbjt hinaus erhebenden Kraft. Die 
Seele Sorte | habe, E [agt ein franzö— 
Oe iltorifer, in ber Schidlalsjtunde der 

tation in Danton $yleild und Blut ange: 
nommen. Bald jdjulten thn die Erfahrungen. 
Sie |djüienen aus ihm einen Staatsmann 
maden zu folen. Er fand ein richtigeres 
Maß für bie Dinge. Er nahm aud) feinen 
[obernben (Get in fejtere Zudt. Er trat, 
um nod) das Wort eines anderen franzöfis 
iden Gejchichtsjchreibers zu erwähnen, tn 
die erlaudte Familie der großen Baumei- 
Her am Staate Frankreich ein, zu der jchon 
Ludwig XL, Heinrich IV., NRichelieu und 
Ludwig XIV. gehörten. Bezeichnend ijt, wie 
er unmittelbar nad) bem Belchlufje, dab bas 
Königtum — t ſei, noch einmal ſtutzte. 
Nicht piers ließ er bie Republi€ als Staats: 
form der franzöliihen Nation ausipredjen. 
Der König war ber ficdtbare Ausdrud ber 
Einheit bes Landes, feiner Zuſammengehö— 
rigfeit und Unteilbarfeit bem Auslande gegen- 
über. Rif feine Bejeitigung nicht eine Brejche 
in den Ctaatsbau, die durch die Republif 


69 


nicht ausgefüllt werden fonnte, fondern dur 
ihre Grflárung e recht jinnfallig wurde 
Unter weldyem Zeichen, mit welchem Recht 
fonnten bie republitani|d)en Machthaber von 
den Provinzen fordern, daß fie fid) aud) 
fünftig zujammenordneten, und von den 
Ständen der Nation, daß fie alle für einen 
tünben? Es gab freilich fein Zurüd mehr. 
ber die zwei Tage der Beiinnung bewogen 
Danton dod den Konvent zu beftimmen, 
daß bie Republif vom Geſetze ausdriidlid 
als einig und unteilbar bezeichnet wurde. 
Beruhigt fühlte er fid) aud) baburd) nicht. 
Als wenn der König, eben um biejer Schwäche 
ber Republif willen, jolange er lebte, leicht 
guriidfehren fónnte, rajtete Danton nicht 
mehr, bis Ludwig aus dem Wege geräumt 
war. Is Urheber der Hinrichtung des Kö: 
nigs befannte er fid) Weis mit erhobener 
Stimme. Er jab fie, wenn etwas, als eine 
Staatsnotwendigfeit an. 

Noch über dem Ringen zwijchen König: 
tum und Republik |paltete fid) der Konvent 
in zwei große Parteien, die Gironde und 
den Berg, die wütend einander befämpften. 
Die Anhänger 9tobespierres, ber fih jelbit 
zum Berg zählte, ziehen [páter Danton 
girondijtiicher Gejinnung. In ber Tat be: 
jaB er manche Cigenjdaften, die ihn dort: 
bin drängten. Aber er war fein Partei- 
mann. Er wäre gerne zwijchen ben Par: 
teien und über ihnen geblieben, er [trebte 
nad) Einfluß auf beide. Ungezählte Male 
bejdwor er den Konvent, die Keidenjchaften 
um des Baterlandes willen zu mäßigen, die 
Meinungen auszugleichen. „Entjagen wir 
pod) allen Üibertreibungen. Keine Wort: 
jtrettereten! Rein Gegánt! Ginigen wir uns 
brüberlidj. Es geht um unfer aller Heil.“ 
Die Parteien hörten ihn dt, Er war 
jelber nicht ohne Schuld daran. Bon ber 
Gironde trennten ihn perjönliche Gegenjábe, 
denen die Mängel feines Lebenswandels 
nicht fremd waren. Der Berg dagegen um: 
ihmeichelte ihn. Schon im Januar Ile: 
derten ibm einige Girondijten den Verdacht 
ins Gelicht, dak er den König nur entfernt 

abe, um jeine eigene Diktatur zu betreiben. 
lufbraujend wie er war, wies er die Ver: 
leumdung von fic); fie verjtummte jedoch 
nicht wieder. Sein Herrenmenjchentum, das 
lich in Diejen Monaten voll entfaltete, for- 
erte zu ihr heraus. Er war in den nddjten 
Women längere Zeit von Paris abwejend. 
Er weilte an der Front. Ctatt daß es aber 
nad) Holland vorwärts ging, mußten Die 
Franzoſen abermals über ihre Grenze zurück— 
gehen, Der feindliche Einbruch wiederholte 
(id) bedrohlicher als im Sommer des Bor: 
jahres. Im Lande hatten fid) unterdejjen die 
ber Revolution feindlichen Kräfte gejammelt. 
Im Weiten flammte der Bürgerkrieg unter 
den Bauern und dem ffeinen Adel der Bendce 
ihon auf. Das Berderben aber jchien un: 
abwendbar zu werden, als Dumouriez, von 
der radikalen Entwidlung im Innern ane 
gewidert, zum Feinde überlief. Wohl op 


70 pBeeeeeeeee9. Prof. Dr. Martin Spahn: Lee 


er bie Truppen nicht hinter fih her; dow 
beraubte fie lis Berrat bes ubere Dans 
ton war auf den Angriff ber Ofterreider 
hin nad) Paris zurüdgeeilt, um den Ron: 
vent zur — Mé zu ermahnen und 
zu den duBerften Maßregeln zu bereden. 
Die Fehde der Parteien mußte aufhören. 
Statt Dellen jah er jid) bald von neuen 
Vorwürfen umlauert. Nachdem er nod) ein: 
mal beim Heere gewejen war, ftellte er fid) 
am 30. März und am 1. April feinen Geg: 
nern in ber Verjammlung. Er war jdon 
völlig in die Abwehr gedrängt. Wie er fie 
führte und wie er bes Anfturms Herr wurde, 
das age einen tiefen Einblid in fein 
inneres Wejen und peona aud) heute nod 
einen Nachgeichmad feiner bejonderen Be- 
' gabung als Redner und Agitator. 

Die Gegner zwangen Danton an beiden 
Tagen zum Sprechen, ehe fie felbft aus bem 
Berfted hervorfamen. Er mußte gleichjam 
auf gut Blüd in den Nebel ftechen. Die 
Luft jdjmirrte von Anklagen gegen ihn. 
Uber nod) waren bie Anklagen nicht faBbar 

enug in Worte gekleidet. Go fonnte er 
Por natürlichen Fähigteiten anes nur 
wenig gebrauchen. Er wiederholt jid), und er 
iprad) ohne rechte Spige, ohne rechten Wider: 
hall. Man werde niht wagen, ibn des Ehr: 
geiges unb des Tradtens nad) ber Tyran: 
nis au bejchuldigen, nur weil er ein heißes 
Temperament und raube Formen habe. Man 
ließ ihn reden. Als er aber am 1. April 
u feinem Blake zurüdgefehrt war, erhoben 
Ka feine Gegner gum allgemeinen Angriff 
gegen ihn. Gie fteigerten ihe Verdächtigun— 
gen bis zu dem Rufe, daß ſich die Mitglieder 
des Konvents verpflichten müßten, den Tod 
zu geben dem, der verſuchen würde ſich zum 
Könige oder zum Diftator aufzuwerfen. 
Darüber geriet die Berjammlung in einen 
Zuftand Höchfter Erregung. Alles jprang 
auf und [tredte bie Arme wie zum Eide vor 
(id. Danton hatte eine Weile pepe zu⸗ 
gehört. Nun rief er ingrimmige Scheltworte 
dazwiſchen. Er wollte antworten. Aber einer 
ſeiner Gegner kam ihm durch einen Antrag 
auf ſofortige Abſtimmung zuvor. Einſtimmig 
wurde die weitere Verhandlung in einen 
Ausſchuß verwieſen. Danton hob dennoch 
zu ſprechen an. Als er jedoch unterbro— 
chen wurde, gab er kampflos nach. Er 
war ſchon wieder im Begriffe ſich niederzu— 
ſetzen, als plötzlich die ganze Linke des Hauſes, 
von einer unwillkürlichen Bewegung fort— 
geriſſen, ihn beſtimmte, ſich Gehör zu er— 
zwingen. Von ihrem Jubel umtoſt, eilte er 
ur Tribüne zurück. Der Präſident bedeckte 
in Haupt, Stille verbreitete jid) im Saale, 
unb auf bie Frage, ob die Berfammlung 
Wh Be dab Danton rede, verweigerten ihm 
GO jeine Gegner nidjt mehr das Recht ba: 
gu. Ebenjo rat: und ziellos wie er fid) 3u- 
vor geäußert hatte, ebenjo überwältigend 
war ihm nun die Macht des Wortes ges 
eben. Die Feinde Hatten fih enthüllt. 

ie Freunde atmeten mit ihm im felben 


Atemguge, ihr Blut raujdte mit bem feinen 
im felben Schlage, eleftrijde Ströme fluteten 
gwijden thm und fhe bin unb ber. Er 
dankte ihnen gunddjt dafür, daß fie ihn in 
den Kampf zurüdtrieben, als er [Hon ver: 
zichtet hatte. „In jchweren Tagen mäßigte 
td) mich, weil es mir bie Greigni||e zu ge» 
bieten jdjienen. Ihr flagt mid) jebt Der 
Schwäche an. Mit Recht; id) bezeuge es vor 
ganz iyranfreidj.^ Schreie ber Gntrüjtung 
wie ber Zuftimmung erftidten feine Stimme 
ir mehrere Augenblide. Drohend fehrte er 
id) der Rechten gu. Wher trog ber Klangfülle 
ebedte ein neuer Sturm von 

sas n unb Widerjpruch feine Worte. Er 
mußte sulehen, dak er bie Verjammlung durch 
gröbere äßigung erft in feine Gewalt betam. 
ann erjt fonnte er von der Berteidigung 
zum Angriff übergehen. Er jchilderte darum 
nod) einmal, wie wenig Gelegenheit ibm ges 
geben war, den General, ber joeben Landes» 
verrat geübt hatte, in der Treue gegen das 
Baterland zu erhalten. Er berie? RD dar: 
auf, wie er fid) von je um bie Autorität des 
Konventes bemühte, und daß er deshalb 
felbft von feinen perjönlichen Feinden im 
Konvent mit Achtung geiprochen habe. Alle 
Klugheit und Geduld aber hätten ein Ende, 
wenn man fid) von denen, bie ber aufge 
wandten Hen Bi ihren Beifall nicht per» 
Innen dürften, binterrüds angegriffen fühle. 
un war bie Verjammlung dort, wo er fie 
haben wollte. Da jchleuderte er denn feinen 
Gegnern aufs neue ins Geſicht, daß nicht 
er, |onbern fie ben Tyrannen zu retten vers 
juht hätten. Gie, nicht er, feien wider Paris, 
wider bie Hauptitadt. Aus den Reihen vor 
ihm rief ihm einer zu: „Macht nicht viel 
orte, [tebt Rede und Antwort!” Er fapte 
bie eben hervorgejtoßenen Anjchuldigungen 
nod) einmal in jd)neibenber Kürze zulammen 
unb fügte 9Injpielungen hinzu, daß nicht nur 
der Kinten, jondern auch den Zuhörern auf 
den Galerien das Blut in den Adern fodte. 
Plöglih ftand im Saale aud Marat auf: 
recht, mit vorgeftredter Hand und begann 
gleich Danton zu reden. Wie furze Ge: 
wehrſalven praffelten die Worte aus bei: 
der Männer Munde im Wechjelfeuer auf 
die Gironbi|ten nieder. Die beiden größten 
SUteilter in der Aufreizung der Gemüter, über 
die Die Revolution verfügte, warfen i die 
Bälle ihrer Vernichtung drohenden Bered» 
jamfeit gegenjeitig zu. Die Linke und Die 
Galerien begleiteten die Wusrufe der beiden 
Führer wie im Chor. Die Aufregung im 
Haufe überjtieg alles Map. Die Rechte fam 
nicht mehr dagegen an, fie hatte das Spiel 
verloren. eften Schrittes, |o fagte Dan: 
ton, fei er von ber erften Stunde an auf 
den volljftindigen Umſturz ausgegangen. 
Mit einer großen Gebütbe ber Huldigung 
wandte er [id an bie Galerien und das 
durch fie vertretene Bolt von Paris, die 
Blüte ganz Frankreichs. „Ich werde be: 
teilen, daß id) allen *»Berjud)ungen wie Ans» 
\hlägen widerftand.” „Fragt ihr, was 


einer Stimme 








PSSSSSSSIISSSFSFZZIA Danton 


mein Berbreden war, wohlan, n verteidigte 
Paris.” Ein letter Zwilchenrufer verjuchte 
ibn aus der längit elt e Sicherheit zu 
bringen. „Und Grommel zx Danton beugte 
fid Ichäumend vor Wut gegen den Wage: 
balfigen vor. „Ein Niederträcdhtiger ruft mir 
zu, Daß id) Cromwell gleiche. Ich lade ihn 
vor bie Bejamtheit der Station. ch ver: 
lange, Dak ber Elende, ber joldjer Scham: 
lofigfeit fähig war, bejtraft unb in bie Abtei 
gom werde. Glaubt ihr übrigens, daß 

omwmell ein Freund der Könige war?” 
Ein dritter geb ibm die Antwort darauf 

urüd. „Selber ijt er König geworden!“ 

a entfubr Dantons Munde eines feiner 
itolzeften Worte, ohne alle Furcht davor, 
daß feine Offenheit ihn um den Erfolg feiner 
Beredjamfeit zu bringen vermodte: „Bes 
fürchtet wurde er, weil er ber Gtärfite in 
jeinem Lande war. Auch bier wird ber: 
jenige, ber den Tyrannen Frankreichs nieder: 
Ichmetterte, gefürchtet, weil bie Nation mit 
thm ift. Nun wohl,“ jo wandte er fih wieder: 
um zur Linfen Ge „ſchließt euch zuſam— 
men gegen die eiglinge die den Tyrannen 
Ihonen wollten. Ruft das Bolt auf, damit 
es fid) in Waffen vereinige, gegen den Feind 
draußen und um den Feind drinnen zu zer: 
malmen. Zerjchmettert durch bie Kraft und 
bie Unerjchütterlichkeit eures Charalters bie 
PRerbreder, alle die 9I[rijtofraten, alle die 
Bemäßigten, alle bie uns im Konvent ver: 
leumdeten. Reine Berftändigung mehr mit 
erh I^ Der Redner, fo unterbricht ber 

erfjammlungsberidt die Wiedergabe ber 
Rede, ^» immer aufs neue zur Linfen bin, 
unb oft Zeigte er mit der Hand auf bie 
Mitglieder der entgegengelebten Seite bes 
Gaales. Die Berjammlung und bie Gale: 
tien begleiteten ihn mit ununterbrochenen 
Beifallsausbrühen. „Ihr De wieder ein: 
mal an der Lage, in ber id) mid) in diejem 
Augenblide befinde, wie nötig es ijt, daß 
ihr entſchloſſen feid und allen euren Feinden 
den Krieg erflart, wer es auch fet. Ihr 
wen eine gejchlojjene, Reihe bilden. Ihr 
wollt feinen neuen König; euere Aufgabe 
ift es vielmehr, jeden Gedanken daran auch 
denen auszutreiben, bie daran arbeiteten, 
den — en Tyrannen im Lande zu be— 
halten. d gebe vorwärts mit ber Republik! 
Gehen wir im gleiden Schritt. Wir werden 
jehen, ob wir ober unfere Berleumder bas 
Ziel erreidjen. Ich hatte mich zurücdgezogen 
in die Zitadelle der Vernunft. Mit dem 
ichweren QGejdji& der Wahrheit ziehe id) 
daraus hervor, und zu Staub werde id) zer: 
reiben bie Unbolde, die es wagten mid) an- 
zuflagen.“ 

Die Bironde richtete he von dem Schlage, 
den ihr Danton am 1. April verjebte, nicht 
wieder auf. Aber fie legte ihre Hand auch 
nicht in bie feine, als er jdjon wenige Tage 
wieder zur Verjöhnung mahnte. Die Ber: 
handlungen famen täglıd) mübjamer von ber 
Stelle. Danton jdjaute die Lage des Bater- 
landes unterdeffen bejtändig ernjter am. Er 





71 


Honn von allen Eroberungs: und Weltbe: 
glüdungsplänen ab. Am 14. April [prad) 
er darüber, daß der Konvent mit ber republi- 
lanijdjet Tugend Ctaatstunft verbinden 
müfje. (s gülte die Grenzen Frantreids 
zu verteidigen, Dagegen nicht, fic) in das 
Leben anderer $Bólfer eingumijden. Im 
Juni vermochte er den Konvent dazu, in 
die Verfaſſung felbft bineingu|d)reiben, dah 
Frankreich nicht mehr fein Gebiet zu ver: 
rößern beabjichtige und feinen Krieg barum 
De adjaffen feiner Gpanntraft | 
in Nachlaſſen feiner Spanntraft [prad) 
ion daraus. Der Efel vor all dem Ge: 
menjdel um ibn ber würgte an ibm. Cr 
wurde bes politijchen Betriebes und ber ruhe: 
lojen Tätigfeit überdrüffig. Die weichen 
Stimmungen, wozu er mit feinen Miters: 
enoe nod aus den Tagen Rouſſeaus und 
ertbers neigte, febrtem zurüd. In rajd) 
aufiteigender Riihrung pflichtete er einem 
Antrage bei, daß ſowohl er wie die Führer 
der Bironde freiwillig in die Verbannung 
nad) Bordeaux gehen Jollten, um dem Kon- 
vente den friedlichen Abſchluß feiner Arbei: 
ten zu ermöglichen. Dann freilich, als das 
—— ber Parteien ohne Rückſicht 
auf die äußere Lage immer ärger wurde, 
ſtieß er ſich wieder voran und ea er 
ben 10. Auguft in den Tagen vom 31. Mai 
bis zum 2. Suni gegen bie Gironde; er brad) 
ihr bas Riidgrat. Ohne fid) durch die ver: 
faljungsmäßige Unverleglichkeit der Bolts: 
vertreter beirren zu e e erreichte er Die 
Verhaftung und den Ausflug von etwa 
adjtgig Girondijten, darunter aller Führer, 
aus der Rammer. Es war eine umjtürzle: 
rildje Handlung, die an Tragweite bie Ab» 
ihaffung des di Ile beinahe nod) iiber: 
traf. Jn feinen Augen aber redjtjertigte 
lie ber Erfolg 
Die durch die Annahme der Republif er: 
—— gewordene erneute Umbildung der 
erfaſſung konnte nun in raſchem Zuge be— 
endigt, die Aufmerkſamkeit auf die innere 
und äußere Gefahr geſammelt werden. Die 
Scheu vor Danton ſtieg unwillkürlich aufs 
dE Im Juni wählte ihn der Konvent 
alt gleidzeitig zum Leiter feiner Sitzungen 
wie gum Wtitgliede des — 
ſes. Der Ausſchuß war in den letzten Mo— 
naten mehr und mehr zum Träger der Re— 
gierungsgewalt geworden. Jene Würde 
nahm der Gefeierte an. Die Mitgliedſchaft 
des Wohlfahrtsausſchuſſes dagegen ea er 
aus. Zu tief batte ihn der Vorwurf der Gi- 
ronde verwundet, daß fein Ehrgeiz auf die 
Diktatur gerichtet jet. Selbjt einen Eid ſchwur 
er Bereit daß er an ber Regierungsgqewalt 
feinen Anteil haben wollte. Trokdem |djidte 
er fid) nod) erft zu feiner wichtigften und 
folgenreichiten 2eijtung für das Baterland an. 
Bei der Wusriiftung bes Heeres hatte Dan: 
ton Mitarbeiter von hervorragender Giite 
unb für die Führung junge Generäle von 
das Höchſte verjprechendem Talent ges 
funden. Aber nun drohte eine nene Schwie— 


72 


rigfeit alle Unjtrengungen zu entwerten. Die 
feit Beginn der Revolution gehemmte Ber: 
jorgung von Paris ftodte völlig. Den Maſſen 
in Der Sauptiadt nabten Hunger und Krant: 
heit. „Eine Regierung,“ jo betannte Danton, 
„die für das Volt nicht mehr das tägliche 
Brot zu beichaffen vermag, läuft Gefahr, 
in Trümmer zu gehen.“ Wieder verſchmähte 
er es nicht, Mittel von en Gewalt» 
famteit anzuwenden; aber jie halfen über 


die furdtbarjten Wochen Hinweg. Bor 
allem jedoch legte er (id) am 1. — 
vor dem Konvente dafür ins Zeug, daß 


Frankreich wieder eine den Namen ver— 
dienende ſtarke Regierung bekäme. „Einmal 
erlaſſene Geſetze müſſen befolgt werden, 
oder die Republik verfällt nichtendender Zer— 
rüttung, wenn nicht gar der Auflöſung.“ 
Keines der Räder, von denen Frankreich 
feinen Antrieb empfangen hatte, war nod) 
vorhanden. Alles geſchichtlich Uberkommene 
jk die Revolution zerjtört. Nur ein tünft- 
iher, ein vorläufiger Neubau war bis auf 
beljere Zeiten denkbar. Der Wohlfahrts: 
aus|djuB, unterftiigt von bem ebenjo repo: 
lutiondr entjtandenen Revolutionstribunal, 
dem Blutgeridte, das der Konvent im März 
auf Dantons — beſtellt hatte, ſollte 
nach ſeinem Plan durch Sendlinge von 
Paris aus alle Departements unter ſeine 
Aufſicht nehmen, ſie reinigen, beruhigen und 
verwalten. Das eine und unteilbare Frank— 
reich [ollte baburd) wieder wahrhaft feft gue 
— — friſch aufgezäumt, gezügelt 
unb lenkſam gemacht werden. Was Danton 
ur|prünglid) davon abgejchredt batte, den 
Umſturz herbeiführen zu helfen, oie unver: 
meidlide Schwächung der Ctaatsgewalt, 
traute er fid) jebt, nad) der Vollendung ber 
Revolution, angefommen auf ber höchſten 
Stufe feines Politifertums, mit einem legten 
Aufgebot an Kraft und Beredjamfeit zu 
überwinden. Zwar fanden Dantons Worte 
im Konvent nur bedingten Beifall. Die 
Demagogen, bie ihn umringten, ver- 
gaBen nicht, dak Wendungen, wie er [ie 
gebrauchte, von den WMtajjen leicht ent: 
jtellt und Ziele, wie er fie jtedte, leicht an: 
eſchwärzt werden fónnen. Gie [timmten 
ibn deshalb am andern Tage fogar nieder. 
Dn ber Stille jedoch merften fih Männer 
wie Robespierre und Ct. Juft oder andere 
ehr wohl, was ihnen ber Ehrbarijte und am 
wenigjten Berednende aus ihrer Mitte an 
Richtlinien vorgezeichnet hatte. Ohne Auf» 
hebens davon zu machen, überjeßten fie feine 
SRatidjláge während der nadjten Wochen in 
die Wirklichkeit. | 

Nun aber hielt es Danton im Gattel 
nicht länger mehr aus. Er reijte anfangs 
Oftober in die Heimat, um volle feds 
Woden ihrer Rube zu genießen. Ende 
Movember fehrte er zurüd. Geine Ab— 





BEESESSHESSSE HESSEN Prof. Dr. Martin Spahn: Danton ii 





wejenheit batte Robespierre, ber ibm an 
uriprünglidjer Kraft weit unterlegen war, 
fid) vorzudrängen erlaubt. Danton mei 
dete ibm ben Vorſprung niht. Er fprang 
ibm fogar bei, weil er ihn tm Kampf mit 
einem Gegner jab, den auc er bitter 
hakte. Geiner Herkunft gemäß hatte er als 
Politiker in allen Fragen des Wirtichafts- 
lebens immer ausgejprochen bürgerlich emp- 
funden. Das Eigentum galt ihm als heilig, 
aud) als alle andern Werte, gutenteils unter 
jeinen eigenen Schlägen, ihre Geltung ein- 
büßten. Auch fonft batte es im Anfange 
unter den Revolutiondren faum ſozialiſtiſch 
geitimmte Männer gegeben. Erft im Laufe 
des Jahres 1793 mebi (id) thre Zahl. Ge- 
führt wurden fie von bem Pariſer Hébert. 
Robespierre verjuchte Dellen tnadjjenben Ein- 
fluk zu brechen, und Danton half ibm mit 
ſolcher Hingube dabei, daß er die Schlacht 
auf dem Höhepunkte weit mehr als Robes: 
pierre jelber leitete. Daß fih biejer eines 
Tages aud) an feiner Perjon vergreifen 
lónnte, e außerhalb aller fiberlegung 
Tantons. Er glaubte [id) burd) feine Ber 
bien[te um die Revolution und burd) feine 
wilde Stärke unantaftbar. Jn ber Whjpan: 
nung nad) dem Äbermaße menjdjlidjer Lets 
tungen im jahre vorher war er aber im 
Arcis milde und vollends müde geworden. 
Shm war es des Blutvergießens genug. Er 
lehnte fid) nad) ber Herrjdaft von Geſetz 
und Ordnung und nad) ber Riidfehr hei- 
terer Bildung. Es jchien ibm aud) gut, 
wenn ber Krieg beenbigt würde. Geine 
Maht und bte Zahl feiner Anhänger 
waren nod) immer |o groß, daß er fid) eme 
Mehrheit hatte fhaffen Tonnen, Sym Dezember 
wurde er nod) einmal in den MWohliahrts- 
ausihuß gewählt, aber aud) jebt blieb er bei 
feinem Eide. War es nun oes auf 
den einmal fundgegebenen Entſch B oder 
war es Ermattung, von da an wurde ihm 
der Schwur ee Verhängnis. Schon im 
März wagte Robespierre ihn und feine nåd» 
ften Freunde anguflagen und hinter bem 
agi ipeo ber auf bie Guillotine zu jchiden. 
im le5tes Mal flammte Dantons oat 
auf, als er vor feinen Ridtern bas Bi 
jeines Anteils an der Revolution entrollte, 
voll edler Glut und voll männlichen Gtolzes, 
feiner jelbjt ficher, in fnappen, OR edd a 
Striden. Ohne Klage, ohne Widerwehr, 
ging er von der Gtätte feiner Verteidigung 
zur Stätte des Todes — feine ber großen 
menjchlichen Erjcheinungen, die bas Gellet 
der Erdgeborenen geadelt und erhöht haben, 
in einer Welt aber, bie 3ujammenbradj, ein 
von der Gottheit Bezeichneter, einer der 
mutig war und nicht jid) ſelbſt juhte, einer, 
der aufwärts wies, der Vorläufer ber neuen 
Ordnung, auf bie unjere weltlichen Nad: 
barn in Staat und Gejelljdaft barrten. 









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TRE LIERAAY 


OF THE 
pen ` "me 


8B €dulreiterin. Gemälde von Eugen Dfiwald 


Zirkusbilder- 


FR Feulich ſprach ich einen großen Herrn 






LS Ke) vom Theater. Der erzählte mir, 
WEG) wie beim Ausbrud) des Weltkrieges 
CHG, G alle Leute vom Bau gemeint hät: 
: ten: es wäre vorläufig mit der 
Bühne vorbei, fein Menſch würde in die 
Komödie yo wollen, während draußen 
der blutige Rampf tobte Nun aber fei es 
ana anders gefommen, nie hätten die 
Theater bejjere Gejchäfte gemadt, vollere 
SE er geleben als jegt. Go j|prad) ber 
eile, und er hat redjt. Man mag fih 
innerlich dazu ftellen, wie man will: ber 
Drang nad) 3er[treuung ift [tárfer geworden 
von Sriegsmonat zu Kriegsmonat. Und 
Bat m Theater gilt, das gilt aud) vom 
irfus. 

Wenn id) an den Zirkus benfe, [teigen 
allerlei Jugenderinnerungen in mir auf. 
Erinnerungen aus längjt vergangenen fried- 
licen Tagen. 

Kinder waren wir. Durch die Straßen der 
feinen Stadt ſchwankt ein abenteuerlicher 
Zug. Boran ein halbes Dugend Männer 
in Zylindern und fchwarzen Roden. Die 
ſchwitzen vor Sonne und Arbeit, denn es ijt 
ein glutheißer Julitag, und unausgejeßt 
blajen fie in die verbeulten Trompeten und 
Bombardons, jchlagen die große Trommel, 





laffen die Beden flirren. KAS ihnen reitet 
eine glänzende Schar auf herrlich geld)müd- 
ten Roffen. geu Herren mit mächtigen 
Blumen im Knopfloh, Damen von über: 
irdijdher Schönheit, im dunfeln Tuchkleid 
und runden Hütchen, im flitterbejäten Gage: 
rod. Auf einem Gjel Bodt ein rotbefradter 
Affe in Generalsuniform, und den Schluß 
bildet ein Iujtiges Baar zu Fuß, der dumme 
Auguft und ber Muſchi-Clown. Ein Zirkus 
ijt Da! Und wer es nicht weiß, bem ver: 
fündet es auf bem Markte einer der vor: 
nehmen Herren, daß ber 3irfus Tomafini 
(id mit Genehmigung der hohen Obrigfeit 
die Ehre geben werde, einem p. t. Publifum 
von Sdilda und Umgegend in den Anlagen 
bes Schüßenhaujes fetne rübmlid) befannten 
Attraktionen vorzuführen. Mit [eud)tenben 
Augen und geipigten Ohren [tanben wir 
— und ſchauten und lauſchten. Auch 
den Alten ſchien die bunte Augenweide eine 
erwünſchte Abwechſlung in dem Einerlei des 
kleinſtädtiſchen Alltags, und ſo pilgerte denn 
was Beine hatte des Abends vor das Tor. 
Nicht immer hatte der Zirkus dort ein großes 
Zelt aufgeſchlagen, in das man nur hinein— 
durfte, nachdem man an der Kaſſe bei der 
würdigen und geſtrengen Frau Direktorin 
für teures Geld ein Billett erſtanden hatte, 


74 Fossssssesse] Zirlusbilder von Eugen Ojfwald ëss e) 





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Cpürlidje Weide. Gemälde von Eugen Offwald 


denn durch die Rigen ber Leinwand fonnte 
man leider |o gut wie nichts von all den 
gligernden Herrlichkeiten ergattern. Go ein 
wandernder Zeltzirtus, der war eigentlich 
zu vornehm, zu fojt|pielig für uns. Biel 
büb|djer war es, wenn jid) die Künitler 
unter freiem Himmel produzierten. Da Honn 


— 


3 


Erf | man als Zaungaſt 
i außerhalb des durd 
einen Gtrid für Die 
ag nt ag gezo⸗ 
genen Bezirkes, und 
wenn in der Pauſe die 
niedliche Panneaurei— 
terin mit Dem zinner— 
nen Teller zum Ein— 
ſammeln freiwilliger 
Gaben kam, da konnte 
der Wohlhabende ſich 
durch einen flappern- 
den Sechſer bas Recht 
zu weiterem Genuß er: 
faufen, und Der mit 
leerem Beutel durfte 
ohne Scheu ein wenig 
beijeite jchleichen, um 
wieder am Plate zu 
ké ‚obald bie bet 
ende Riinjtlerin ver: 
77" Ichwunden war. Bon 
gg unjerm balbgejtoble- 
nen Standort konnten 
zumal wir Kinder nicht alles jehen, was 
ih in dem von fladernden Flammen 
erleuchteten Rund der Manege begab. 
Vor uns türmten fih bie ſchwarzen Rüden 
ber Zuſchauer. Lautes Gelächter erjcholl; 
nun madte gewiß der Clown feine Cpáfe. 
Aber umſonſt redten wir die Halle. Da, 





E Zum Auftreten bereit. Gemälde von Eugen Offwald Sé 





nixus Text von Dr. Paul Weiglin PSSSSSSSSE 75 





a Cdulpferbe, der Stolz bes Birtus. Gemälde von Eugen Oſſwald x 


eime €üde! Flint hindurdgejpaht! Bier jubeln mit, aber ein leiſer Schauder durchrie— 
peaditiagel|dicrte Shimmel traben mit niden- felt uns bod). Niemals werden wir das Bild 
ven Federbüſchen. Ein fiihner Reiter lenit vergejjen? den bunteln Himmel, den glikern- 
jie, auf ihren glatten Rüden [tebenb. Shon den Geiltänzer, bie jtarrende Bolfsmenge. Un: 
it alles wieder vorbei. 
Aber nun werden wir 
für monde Entbeh— 
rung entihädigt. Hod) 
über den Häuptern der 
Menge jpannt fic ein 
Geil. Bon rotem Licht 
iit es Dell beleuchtet. 
Ein Wiann in engan: 
liegenbem buntem Ge- 
wande, einen Stab in 
der Hand, betritt es, 
prüfenden Fußes glei- 
J Rt — oe 

weigt. Uns 
ftodt der SHerzichlag 
vor Erregung. Lang: 
Ga unb jicher bewegt 
id) ber Wiutige der 
Mitte, dem andern 
Ende zu. Nun dreht | 
er um unb jchneller |j > f ^t 
tehrt er zurüd. Brau- 79 ; : ENN IUS 
jender Beifall ertönt. EN a 9 4 Met Zen, 
Er lächelt, als ob er " s x foes MAN uu "AN ais a Ta al 
nidts Sonderliches i rrr m 
vollbradjt babe. Wir 3 Bei ben Ponys. Gemälde von Eugen Oſſwald 


Rem, wae. 


twsa 

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76 


bewußt jpürten wir zum erjtenmal, wie uns 
bie Runft vor fremden en erichauern 
gei als jollten wir jelbjt in ihnen ver: 
infen. 

Bald fam ein fiberffuger unter den Spiel: 
gefährten und wußte zu berichten, jo ein 
Wanderzirfus im grünen Wagen jet nur 
eine Diirftige Einrichtung. Da gäbe es in 
der großen Ctabt gang andere Dinge zu 
jeben. Renz, Builh, Schumann — vor denen 
müſſe fid) bie namenloje Gauflerbande, ja 
jelbjt ber wadere Tomaſini verjteden. Die 


hätten nicht ein Dugend Pferde oder zwei, 
londern hundert und mehr und dazu (le: 





Gi Der Zugang zur Manege 
Gemälde von Eugen Offwald 


fanten und Affen, Efel und Bebras, ja jelbft 
drejlierte Lowen und Geehunde die Menge. 
Die gäben ihre Vorſtellungen nicht in einem 
luftigen Zelt oder gar unter freiem Himmel, 
DE in einem feften Bau, der für viele 
aujende Pla bite. Dergleichen miiffe 
man gejeben haben, um mitreden zu fonnen. 
Wir beneideten bie Weitgereilten nicht wenig 
um ihre Kenntnis. Wir abnten jelbftver: 
tändlich nicht, daß ber Blanz unjeres erjten 
Sirfuserlebnijjes burd) fein anderes zu über: 
bieten war, und jehnten uns nad ben Wun- 
dern der Großſtadt. Cie jollten uns werden. 
Eines Tages bejuchten wir einen lieben, 
uten Ontel in Berlin. Die Eltern waren 
ob, uns auf ein paar Ferienwoden Iosau: 


Zirkusbilder von Eugen Offwald [24343€3€343€343$3€333€340 


fein. Mit wohlgefülltem $yreBfober zogen 
wir aus ben halbländlichen und naprhaften 
Befilden der fleinen Stadt, um am Wohn: 
fig des Raijers und Königs gegen Wurft 
unb Gdinfen ein Häuflein Bildung einzu. 
tau|djen, und zu bieler Bildung dnx nad 
unjerer Meinung nicht nur das Aufziehen 
der Wade und Zeughaus nebjt Ruhmes: 
— ſondern auch der Beſuch des Zirkus. 

r ftand vor allem andern auf bem Pro— 

ramm, und bie freundlichen Verwandten 
Gren ein, Dak wir recht hatten, zumal auch 
dem Berliner vor zwanzig oder dreißig Jah— 
ren der Zirkus und feine Riinfte mehr viel: 
leicht nod) als heute ans Herz 
gewadjen waren. 

Die vollgepfropfte Pferdebahn 
hält. Die Reihe Vordermänner 
an der Solle ſchmilzt allmählich 
zujammen, und endlich bat ber 
Ontel feine Billette befommen. 
Geine Frau und vier Kinder 
haben derweile im Borraum 
gewartet. Den  eigentiimlid 
jtrengen Ctallgerid) atmen wir 
begierig ein. Wir wijjen, er 
gehört dazu. Er zeigt uns an, 
daß wir am rechten Orte find. 
— „Männe, findeft du es nicht 
langweilig mit den Billetts? 
Die könnten bod) wirklich einen 
Schalter mehr aufmaden! Gie 
willen Dod), daß in den legten 
fünf Minuten...“ Wir ſchieben 
uns in einer ſchwatzenden, brün: 
genden Menge dem Cingang 
zu. — „Garderobe jejatrgit ab: 
jeben, bitte! Jawohl, Jummi— 
idjube, gewiß, ben Hut, meine 
Dame — zwanzig YFennje, bie 
SBerjon; zehn retour!“ — „Bil: 
lett, bie Herrjchaften, bitte, Bil: 
lett!“ — „So, nun batten wir 
das endlich,“ jagt bie Tante und 
geht auf einen Spiegel zu (eine 

ode links, ein Wujchel rechts). 
Wir andern warten auf fie. 
Mun ift fie fertig, ſucht uns. 
„Aber was rennt ihr denn Daz 
GJ von? Co eilig ijt es bod) nicht 2 

— „Programm, bie ’errichaften? 
Poftfarten? Programm? Eins? Zwei? 
Eins genügt? Zwanzig Fennje, bitte! 
Dante! Fünfte Reihe Iinfs !^ 

Wir treten ein. Die Manege liegt noch 
im Halbdunfel. Wir wundern uns, wie Hein 
jie ift. Cie jcheint uns nicht viel größer als 
die, in der Herr Tomaſini jetn Wejen trieb, 
Wir beachten nicht, daß uns bie mächtige 
Höhe des Taujende faljenden Riejenraums 
über ihre Ausdehnung taujdt. Won ber 
Hohe herab tönt |djneibige Blechmufif. Die 

apelle, unter Zeitung des Herrn Wladimir 
Kraſinsky, jpielt ihr le&tes Konzertitüd. 
Wir hören jonft gern jo [djmetternbe Muſik, 
aber heut begreifen wir nicht, daß einige 
freundliche Zuhörer in die Hände klatſchen. 


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Seëermssegegeeeggegeegsgesgeeerspreeeegeeeneegergsgerggegegegeegggeggegr SESS SHSSEFTESESTHSSSSSSSESSESSSSSSSSSHSSSSSSHSSHESSSSSHSSSSSSSHSSSSSESSSSSSSSSSSESSSSSSSSSSSSSESSSSSSSSESSESSESSESSSESOSSOS 


78 Zirkusbilder von Eugen Oj[malb Lessel 


Das alles hält bod) nur auf! Fangt bas 
Eigentliche nicht bald an? Am Eingang 
zur Manege ftehen ein paar blantgejcheitelte 
Der in roten Roden und betrekten Hojen. 

ie [preigen ihre Finger in frijdgewa)dene 
weiße S$janbjdjube. . Ein anderer Herr in 
Ihwarzem Frad tritt ein und |pricht mit 
ihnen. Sie nehmen eine adjtungsvolle Hal- 
tung an. Wer mag es fein? Da plófltd) 
ftrablt der Zirkus in vollem Licht. Auf einem 
Schimmel trabt eine Dame in weißem Reit- 
leid herein. Die Vorftellung beginnt. Was 
bie Reiterin Ieijtet, [heint uns zunächſt nicht 
jonderlich fünftlich zu fein, aber nun — was 
tit bas? Der Schimmel jchreitet nad) bem 
Tatt ber Mtufif. Mit zierlidem Nachdruck 
legt er bie jchlanten Beine. Unmerflich Ientt 
ibn feine lächelnde Herrin. Er jhäumt ins 
Gebiß. Es fieht aus, als ob er tanzt. Nein, 
er tanzt wirflid)! Und als ber dantbare 
Beifall einjebt, da (inft er mit den Vorder: 
beinen in die Knie, tiefer, immer tiefer — 
nod) ein wenig! mahnt ibn bie faht top- 
fende Peitide ber Reiterin — und erweilt 
uns [o auf anmutigfte Weije feine Hochach— 
tung. Hopla! Rajh jpringt er auf, und 
ihon ift er verjchwunden. 

Acht Herren in Zylindern und TFräden 
reiten feierlich in Die — und halten 
mit ernſten Mienen ihren Umzug. Bald 
werden ſie auch den letzten Reſt ihrer Würde 
verlieren. Ein Bündel Hoſen wird in das 
Rund geworfen. In aller Eile heißt es vom 
Pferd ſpringen und eins der Beinkleider er— 
wiſchen und überſtreifen, um alsbald wieder 





Dreſſierte Elefanten. Gemälde von Eugen Oſſwald 


die Gäule zu beſteigen. Aber auf einmal 
find nur nod) ſieben Pferde ba ; eins ift aus- 
eſchieden, und wer von den Reitern am 
angſamſten iſt, muß ſich beſchämt von hin— 
nen ſchleichen. Sieben reiten nun die Runde. 
Auf ein Zeichen müſſen ſie heraus aus den 
Sätteln, ſich der Hoſen entledigen und wie— 
der hinauf auf die Pferde. ieder fehlt 
eins, und wieder wird einer der Reiter aus 
dem Spiel verbannt. So geht es weiter, 
bis um das letzte Roß ſich der Kampf der 
ausdauerndſten und flinkeſten Hoſenmätze 
entſpinnt. Schon ſcheint der eine geſiegt zu 
haben. Er haſtet bereits e den Rüden 
des trabenden Pferdes, da gleiten ihm die 
Hojen in die Knie. WVergeblich angelt er 
nad) oben. Gein Nebenbubler zerrt ihn herab 
und jdwingt fid), glüdlicher als er, hinauf. 
Das iit ein Spaß. Der Zirkus dröhnt vor 
Laden. Für harmloje £ujttgteit ijt und bleibt 
die Menge bod) immer am empfanglidjten. 
Was mag nun fommen? er bat den 
ge Ein Balancierfiinjtler will fih zeigen. 
Sin Tilh, ein Stuhl, allerlei Stangen und 
jonjitige Geräte werden hereingebradt. Plöß: 
lich ertönt ein wunderliches Gelächter, "ot 
wie das Schreien eines Papageien. Da ift 
er, aller Liebling, Coro der Clown! Wer 
fennt ihn nicht, und zum ÜÜberfluß ijt in 
großen Buchſtaben — ſeinen Rücken ge— 
chrieben, wie er heißt. Schlenkernden 
Schrittes wandelt der weißgepuderte, weit— 
gewandete kleine Mann durch die Arena, 
einen ſilbernen Fiſch an einem Bindfaden 
hinter ſich durch den Sand zerrend. Er 


dE: )3:G23$3232323239]] Text von Dr. 


lacht, und Taujende lahen mit. Er jchießt 
Purzelbäume und zieht fih dabei den Rod 
aus und an. Er nimmt feinen Hut mit 
der wallenden Wollfeder und fegt damit die 
Dianege jauber. Er legt fih dem Publifum 
zu Füßen, die Beine gejpreizt, den Kopf 
elenft, als ob er aus Gummi ftatt aus 
Haut und Knochen bejtände Er [tebt auf 
und Dumpelt auf einem Bein, denn das 
andere hat er aus Vergeßlichkeit noch hinter 
ben Ohren liegen. Als der Balancierkünſt— 
ler mit.» feiner Nummer beginnt und jid) 
einen Turm baut, auf deffen ſchwankendem 
Untergrund er gleich bem Zappelphilipp im 
Struwwelpeter, nur glüdlicher, mit feinem 
Ctuble wippt, ver[äht Coro die Manege. 
Wir würden faum bemerken, wie [till das 
gejdiebt, wenn er nicht neben unjerm Plas 
binausginge Er Bat ein ganz ernites Ge: 
licht, wenn man es genauer betrachtet, und 
wir erinnern uns, daß der dumme Auguft 
des Herrn Gomajini einmal mit todeserniter 
Stimme erflárte: „Die Herrjchaften brauchen 
nicht zu denten, daß id) ben Blödjinn hier 
zu meinem Vergnügen made. ch werde 
ganz gut dafür bezahlt, und um zehn Uhr ift 
alle Schande vorüber.“ Es war das erfte- 
mal, daß wir etwas von der Schwermut des 
Humorijten ahnten, bie — fie eignet ihm mehr 
als man glauben módjte — ibn vom bloßen Wit: 
bold unterjcheidet und uns nicht nur lachende 
Tränen in den Augen zu treiben vermag. 


X MWohlverdiente Ruhe. 


Gemälde von Eugen Oſſwald 


Paul Weiglin FF ZZ 79 


Der Balancierkünftler ift zu Ende. Der 
Herr Direktor zeigt feine berühmten Frei- 
heitsdrejjuren. Hinter dem Vorhang und 
in den Stallungen wird fieberhaft gearbeitet. 
Drei chineſiſche Trapezkünſtler ftehen bereit. 
Cie bejtreiten die nádjte Nummer. Ein 
Feuerwehrmann geht als — der Sicher: 
heit langjam auf und ab. in Zebra in 
rotem Schmud wird vorbeigefiihrt. An den 
Wanden ftehen und hängen alle möglichen 
Dinge: bunte Reifen in ganzen Bülcheln, 
mehrere davon mit Geidenpapier verklebt, 
eine Drehorgel, eine mächtige papperne 
Truhe, eine Tonne, bie jemand als Auto- 
mobil vorführen wird, ein römijcher Triumph: 
wagen, große Balle, mit denen die f[ugen 
Pferde fpielen jolen, Hunde und Ragen und 
Affen auf Stangen und Pulten, Wagen und 
Fahrrädern — eine Dame, gekleidet wie eine 
Prinzeſſin, wird fie vorführen. Kutſcher laufen 
mit bunten Gatteldeden herum. Aufgeregt 
biegt der Herr Ctallmei|ter um die Ede und 
ruft: „Sind die Ponys nod nicht vorn? 
Rakt euch bod) niht immer basjelbe Jagen! 
Ih fann bod) nicht jedem von euh ‘nen 
Nachtwächter [tellen! Raus mit bem Hajjan! 
Schodjchwerebrett, bie Leute folen bod) bei 
ihren Pferden bleiben! Muhammed, Ali, 
aufgepaßt! Vorwärts, raus mtt ben Bäulen! 
Gletd) [inb bie Rappen fertig — da — nun 
tebt ber Direftor wieder mutterjeelenallein 
in ber Manege!“ In Holzpantinen flappert 





80 BESSERE Zirkusbilder von Eugen Oſwald sees 


ein zierliches 1iyigürdjer zum Stal; den 
Wbendmantel hat fie feft um den bloßen 
unb die nadten Arme gewidelt, 
baujdhig ſchwankt das turze Röddyen; bie 
dünnen ?Beindjen jteden in grünjeidnen 
&rifots. Ein Athletentrio fegt feine Ge- 
widte gujammen. Lautlos und jelbitzufrie: 
den jpaziert ein Ejel herum. „Hat (id) ber 
Didtopf wieder losgemadht?” Gem Abend: 
gang wird jah unterbroden. 

Pauje. Cin ſchwarzer Strom Menjchen 
Jchiebt fih durh bie Ctallgajjen. Gleich: 
mäßig flappert bie Geldbüchle, in der fiir 
einen wobltatigen Swed gejammelt wird, 
und ebenjo gleichmäßig flappert ber Gag: 
„Bitte bie Herrichaften weitergehen! Nicht 
ftehen bleiben!” Die Glefantem Jdauteln 
thre Köpfe und ftreden bettelnd die Riijjel 
vor. „DO,“ jagt eine Dame, „find das jchöne 
Tiere! Und alle gleich groß! (inb die alle 
von derjelben Mutter?” Der Wärter lächelt 
ein wenig und jchüttelt mit dem Kopf. 
„Bitte die —— — weitergehen!“ — 
„Mutti, ſieh mal, die kleinen Pferdchen! 
Die ſind aber niedlich! Und der gute Eſel! 
Und da iſt ein Pudel! Iſt der auch abge— 
richtet?“ — „Bitte, nicht ſtehenbleiben! Die 
Vorſtellung beginnt gleich wieder. Es hat 
ſchon einmal geklingelt!“ Wir kehren um 
und bewundern den ſeiltanzenden Pudel, 
belachen den Eſel, auf deſſen geduldigem 
Rücken der Auguſt allerlei drollige Künſte 
verübt, ſtaunen über die Elefanten, die ſich auf 
unwahrſcheinlich kleine Kübel ſtellen und ſich 
ſogar auf den Hinterbeinen aufrichten. Und 
aud) die Pferden holen fih ihren Künftler- 
ruhm, indem ſie unermüdlich einer ſchwarzen 
Stute, auf der der Herr Direktor hohe Schule 
reitet, zwiſchen den Beinen durchlaufen. — 

Wieviel Arbeit und SA wieviel Phan- 
tajie und Wig [teden in |o einem Zirkus: 
abend, unb Dod) ijt bas Publifum diejer 
Schhauftüde mit ber Zeit müde geworden, jo 
daß die Direktoren zu allen möglichen Mit: 
teln greifen mußten, um fic) gutbejuchte 
Sjüujer zu fichern. Aufregende Tierdrejjuren 
wurden vorgeführt. Çin bejegter Kraft: 
wagen rollte über eine von einem Athleten 
geltiigte Briide. In einem Rieſenrad rafte 
ein Radler fopfunten feine gefährliche Schleife. 
Die Pferdedrejjur, die Reitkunft, bie noch in 
den achtziger und neunziger Jahren in erjter 
Reihe ftanden, traten hinter ſolchen ameri- 
fanijchen 9Berblüjfungstünjten zum Schaden 
des Zirkus immer mehr zurüd, und am 
Ende bildete den Schlager des Abends die 
Pantomime, die zwar mit erjtaunlicher 
Technik zujammengezimmert war, bie jedod) 
an den Geift der S3uidjauer bie denkbar 
geringiten Anſprüche jtellte. Auch im Kriegs: 
winter 1914 auf 1915 feierte fie wieder ihre 
Auferſtehung. Rojafengreuel in Galizien, 
Franktireurtämpfe in Belgien, Feltungsbe: 
lagerung in Frankreich, Unterjeeboottrieg — 
alles das konnte man mit wenig „Genuk“ 
im Zirkus jehen, der damit feinem Todfeind, 
dem Kinematographen, nadjeijerte. Zugleich 


aber zeigten fih bier und dort Borboten der 
Genejung, indem fid) bie Direftoren wieder 
darauf befannen, daß bie Hauptperjonen im 
dus ber Reiter und das Pferd, nicht ber 
imiter und ber Wlajchinenmeijter find. 
Vielleicht daß dem Zirfus auf biejem Wege 
ber alte Glang nod einmal bejchieden ijt. 
& 8g B 


. Die Malerei [tanb immer in einem freund: 
[iden 3Berbültnis zum  3irfus. SFahrend 
Wolf — bas war ein bunter Stoff, malerijd) 
aud), wenn man ben Begriff im veralteten 
Sinne bes Launijden, Unordentlichen faßte. 
So jaben Knaus und Meyerheim den Zirkus 
und feine Leute. Die Bilder von Eugen 
Oſſwald, dem diefe Plauderei gewidmet ift, 
[inb etwas anders entjtanden. Oſſwald bat 
nicht in bie Mtanege und in die Ställe als ein 
liebenswiirdiger Beſucher gegudt, der nad) 
brauchbaren Stoffen für feine Malkunſt Jucht, 
jondern er hängt mit Leib und Geele an 
diejer Zirfuswelt.e Immer wieder hat er 
jeine Kunſt in ihre Dienfte gejtellt. Gein 
Auge freut fid) jeden Abend aufs neue an 
den Liht: und Farbenwundern, die er, abge: 
E von allem Artijtentum, verjchwenderijch 
pendet. Aber fein Herz ergüßt fih E am 
dem Drolligen Trott eines jchwarzen Pferd- 
dens, an den finblidien Späßen bes Hans: 
wurjt. Er ijt allen 9Infed)tungen der Welt 
zum Troß ein rechter Junge geblieben, der 
laut aufjubelt, wenn ibm mal ein Stiidden 
Sonne den Pel wärmt, der aber aud) ohne 
lonberlidjes Murren lid) trübe und falte 
Tage gefallen läßt. Er hat in der partes 
und rauhen Mutt bes Zirfus oft genug die 
alte Wahrheit erfüllt gejehen, daß nur der 
Wort zur Arbeit Gegwungene, ob Menih 
oder Tier, recht erzogen wird, und hat auf 
der andern Seite nicht minder oft erfahren, 
wie furzes Blüd alle Mühſal vergejjen mat. 
Er jelbjt, ber jebt als Perens in einem 
bayerijhen Landwebhr-ISnfanterie- Regiment 
pent. Ichrieb uns, als wir ibn um einige 

ngaben über feinen künſtleriſchen Entwid» 
lungsgang baten, in feiner natürlichen Art 
darüber EH „Dein Leben ift nicht 
jo interejjant, daß es mit bem Zirfusartifel 
verwoben werden jollte. — Bor meiner Mi— 
litärzeit ftudierte ich bas Bauhandwerk, was 
ich aber gerne fallen Dep, nahdem ich mid) 
auf den Architefturbüros langweilte. Mit 
einundzwanzig Jahren fing id) an, meine 
Neigung zum Tierzeichnen und die Liebe 
pum Tier felbft mir zum Verdienſt zu maden. 

dj [tubierte dann als Vierundzwanzigjäh- 
riger bis zum achtundzwanzigiten bet Sein: 
rid) Zügel in München. 1908 hatte id) meine 
Schulden weg und foviel erjpart, daß id) 
einen Freund in Petersburg bejuchen und 
drei Monate Finnland, Mosfau, bie Krim, 
Ronjtantinopel, Genua leben fonnte. — 
Paris, London folgten und zweimal donn: 
ten und Palajtina — aber die Neigung zum 
Tier und meine perjónlidje Unabhängigfeit 
bleiben bie Sjauptjadje." 

Dr. Paul Weiglin 

















& Kriegswinter, Gemälde von Hans 3Balujdjet a] 


(HE LIBRARY 














Das wehrhafte 


taulein 


Be fSríebricbfSreffac v — 





3s waren jchwere Wochen, bie fid) 
4 nur langjam und zögernd von 
jo dem Lebenstnäuel des Fräulein 
4 Gottliebe abjpannen, Allein jag fie 
neben bem Kranten, ber in feinem 
Namen herausitieß, bie fie nicht 
annte unb von Schlachten unb Pliinderuns 
e abelte. Nur bis zur Tür wagte fid) 
uffin und IS von ferne nad) den 
Shünldjen bes Fräuleins. Einmal war bes 
Nachts * Joſias gekommen und hatte ſich 
nicht entſagen können, den Scheitel bes ſchla— 
[eem Mädchens zu ftreiheln. Davon war 






Vieber lag, 


e erwacht und hatte im dunklen Stalle bas 
ewand des Pfarrherrn verjdwinden jehen 
wie einen Traumjchatten. 

Gelbjt Jammer, der Hund, jchnupperte 
nur mit ber Naje miftranijd in ben Ber: 
Se een Leide, bie Rake, war das 
erite Weſen des Haufes, bas id zu längerem 
Aufenthalt einjtellte. Cines 
fie das Fräulein auf ihrem Schoße liegen. 

Harte Arbeit und manderlet Efel war 
in u überwinden, um ben bilflojen, jchweren 

ann zu pflegen, deſſen Leib vom Fieber 
BOCH ward. ber aus bes Kranten 

eden erfannte jie ein gutes Mannesgemüt. 
Das war feiner von den wiijten Gejellen, wie 
fie fid) in ber übergorenen Zeit jo häufig 
[onec jondern ein Krieger, ber ba mit bem 
ode rang. 

Am fünften Tage fam der Rittmeijter 
gum erjten Male zum Bewußtjein. Mit 
groben, offenen Augen fah er bas jchöne 

adden in gutem Gewande an feiner Geite 
figen. Gr fragte: „Seid oe es jelbjt, Fräu— 
lein, die Ihr mich pflegt?“ 

Gottliebe nidte. Der Rranfe ward un: 
ruhig. Er jchaute fih nach rechts und lints 
um und ward des le Berichlages 

wahr, in dem er rubte eine Gedanfen 
See zurüd, juchten Crinnerungen und 
wangen Die Morte von feinen Lippen: „Wo 
it mein Wachtmeifter ?“ 

Sd) bitte Gud), fapt Gud) in Geduld,“ 
bat Gottliebe, „wir haben (ud) aufgenom: 
men, denn ich fand Euh frant am Straßen: 
rande liegen.“ 

„Krant am Gtraßenrande?“ fragte ber 
3tittmeifter unb Ichaute bas Fräulein am. 

„Bin ich denn nicht nad) Schloß Herrenbrud 
ge ttten? Und Ihr? Sd) jab Gud) bod) Ion 
einmal? Aber mid) dünkt, Ihr wart ein 
Mann unb truget emen Reiterhut. * 


fRelbagen & Alafings Monatshefte. 


orgens fand.. 


Die in bem heißen Hirn wie EN auf: 
fodjenben Bilder verwirrten den Kranten. 
Wieder verjanf er in bie unklaren 33or|tel- 
lungen des Fiebers, bas ihn abermals zwei 
Tage in Sak Banne hielt. 

Is er aufwadte, fragte er: ee bin 
alle niht a gel Herrenbrud) ?^ dachte 

erbäi: lauſchte. „Herrenbruch? ef: ja 

nicht jo fein, denn ich wäre der Galt 

Des Sir Stuart Hamilton. Hörte id) nicht 

feine Stimme, daß er mid) fortwies, weil ich 

die Seuche hatte? Und Ihr, Fraulein, wer 

feid Ihr, daß Ihr ve d getrauet, den Seuche: 
tranten — — 

„Ich bin Fräulein Gottliebe von Herren— 
bruch und nahm Euch auf, ſo gut ich's ver— 
mochte, um die Ungaſtlichkeit, die Euch wider— 
fahre GE wettzumachen.“ 

Kranke horchte in ſich hinein und 
ſagte: „Mein Puls ijt ſchnell. Es ijt nod 
Sieber in mir.“ 

Bald hatte Gottliebe bie Gewißheit bas 
Leben des Nittmeijters aerettet zu haben. 
Gemah vernahm der Herr Achatius vom 
Tode bes Wachtmeijters, und lüdenlos wuchs 
ibm gujammen die Geldidte von feiner Ab- 
weijung im Schloßtor bis zu feiner Unter: 
ek im Verſchlage bes Stalles vom Pfarr: 
Haufe au Gmmipringe. 

Die Schwäche in ihm war nod) groß, fo 
groß, daß er jelbjt in den wachen Minuten 
die Augen geichlojjen put Als eines Tages 
das ig Bottliebe neben dem Ruhen: 
den jag, geldjab es, daß der Herr Joſias 
mit ernfter Miene in ben Gtall trat im 
Mantel und Ctiefeln, mit einer Pelzmütze 
gegen das Wetter auf dem Kopf. Er jagte: 
„Habe gente eine jeltjame Pflicht zu erfüllen, 
Gottliebe. Muß hinaus auf Herrenbrud), 
möchte aber zuvor Gud) abbitten, daß ich 
ben Kranten nicht in mein Haus genommen 
habe, jonbern im Stalle ruben ließ. Droben 
auf Herrenbrud) haben fie bie Seuche aus: 
zujperren gedacht, aber fie ift trog Graben 
und Sugbriice hineingelan : und Hat fih 
Opfer geholt: einen Kne eine Magd 
und... deine Mutter, Gottlicbel^ 

Das Mädchen atmete tief auf und Iegte 
ben Kopf zurüd. Gie war blag geworden, 
aber fie Kat mit fejter Stimme: „Weine 
Mutter!... Herr Joltas, ſprecht für mid an 
ihrem Grabe ein Gebet. Indes will ich bier 
bleiben und das für fie tun, was fie an dem 
Kranten auf Herrenbrud hätte tun miijjen.” — 


32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bd. 6 





82 Ie gqrieorid) Frekſa: 3322242223: A He 


Lange fab Gottliebe ftarr auf ihrem Stuble 
und gedachte ber Mutter und bes Baters, 
von dem ihr nur ferne, bfajje Erinnerungen 
geblieben waren. Ein Bild ftand lebhaft 
bor thr. Der Bater war im Winter über: 
tajchend aus bem Feldzuge gefommen. ` Als 
die Mutter im Hofe jeine Stimme vernahm, 
war fie ibm auf der Treppe entgegengeftiirat. 
Schloß Gottliebe bie Augen, fo jah fie den 
großen Kopf bes Baters mit der hohen Stirn 
unb dem braunen Bart vor fih, in dem fih 
bas Gelicht der Mutter verbarg. Aber dann 
wuchs jenes andere Bild in ihr auf: Die 
Mutter in Gir Stuarts Armen! Und ein 
Schluchzen rang fih aus ihrer Bruft. 

Da fühlte fie eine heiße Hand an ihrem 
Knie tajten und ihre gerungenen Hände er: 

reifen. Der Herr Adyatius richtete jid) in 
Pinen Bett auf und fragte: „Wer tat Euch 
weh, Fräulein Gottliebe $“ 
ie fagte: „Die Seuche, die Euch per: 
ſchont hat, ri die Mutter hinweg. Der Tod 
|prang über Graben und Mauer. Sir Stuart 
Hamilton vermochte nicht ihn abzuwehren!“ 

Bottliebe jchwieg. Als leijte fie einen 
Schwur, jagte jie endlich laut zu fid: „Ich 
hajje Sir Stuart Hamilton als meinen bit: 
terjten Feind!“ 

Da fühlte fie einen Drud auf ihren Fin- 
gern und ward gewahr, daß Herr Achatius 
ihre Hände nicht [osgaelajjen hatte. 
a8 


8 a 

Herr Yofias Rottner fdritt langjam in 
jetnem Studierzimmer auf und nieder. 

Es Hatte fid) beim Begräbnis der Frau 
Magdalis nicht nur ein Grab aufgetan, bas 
dann wieder verjchlojjen wurde. Des Pfarr- 
herrn Blide waren auch in die Geelen der 
beiden Männer gedrungen, die andem Brabe 
Hunnen, Er batte gejehen, wie Sir Stuart 
mit ber behandichuhten Hand in die Erde 
gegriffen, um Die drei Hände voll Staub ins 
Grab zu [treuen, wie es die Gitte gebietet. 
(£s war eine berrijche — gung im Sue 
greifen und SFortwerfen, während der Jung: 
herr ungejdidt in der Erde wiiblte. Guftav 
ooch belob wohl Fäujte, die paten, 
aber nicht fejtgubalten vermochten. 

Bei jeder Bewegung hatte der Bruder 
Gottliebens mit einem *Blid den älteren 
Mann gefragt, ob er aud) das Rechte tate. 
Einer jo Starten inneren Abhängigkeit war 
Herr Sjojias noch nie in feinem Leben be: 

egnet. Er gab es brum auf, ein gutes 

ort für Gottliebe bei ihrem Bruder ein: 
zulegen, gewahrte er bod), daß der Engeljch- 
mann Herr des Schloffes war. 

Stil war er aus dem Bruftfriedhof Hin» 
ausgegangen in den Hof, um wieder in den 
Magen zu fteigen, der ihn heraufgeführt 
hatte. Is er Bo in feine Deden gewidelt 
hatte unb jag, waren Sir Stuart und der 
Sungberr herangetreten. Sir Stuart hatte 
ihm im harten, Tonfall bedeutet: „Pfarr: 
herr, wir laffen dem törichten Mädchen nod) 
eine furze wert, Danah werden wir [ie 
holen und jet es mit Gewalt ... Gie ftebt 


unter meiner und ihres Bruders Obhut. So 
hat es bie fterbende Mutter gewollt.“ 

Hatte ber Yungherr hinzugefügt: „Redet 
Gottliebe ins Gewijjen, Pfarrherr! Uns tut, 
nachdem bie Frau Mutter gejtorben, eine 
Hausfrau auf Serrenbrud) not.“ ; 

„‚steiherrliche Gnaden finnen niht aljo 
mit dem Mädchen verfahren!” hatte fidh der 
Pfarrherr erbreijtet zu erwidern. 

Da hatte ber Jungberr feinen engliſchen 
Lehrmeiſter angeſchaut und geftammelt: „Wir 
— nach Hausrecht, TIE 

ir Stuart Hamilton aber hatte bem 
&ut|der zugerufen: „Fahr zu!“ und dazu 
etwas in englildjer Sprache gefludt, was 
der Pfarrer nicht verjtand. 

Sorgenvoll fdjritt der alte Mann auf und 
nieder, hatte er bod) aus bem Gelichte bes 
Engelſchmannes erfeben, daß der fid) aud) 
Durch den Teufel in der Hölle nicht von bem 
feitgefaßten Vorſatze würde abbringen Iajjen. 

Es flopfte an die Tür, und herein trat 
Gottliebe, blag unb bewegt. Sie jagte bit. 
tend: „Werzeiht, daß ich zu Euch bringe. 
Sd) Hatte gedacht, Ihr würdet in den Stall 
fommen, mir von dem [ebten Begängnis ber 
Mutter zu erzählen.“ 

Herr Joſias lab bas Mädchen lange an. 
„Es find harte Mtenjdhen, die wider Euch 
jtehen, Gottliebe!“ Das Fräulein nidte. 

Da gab ber Pfarrherr Runde von allem, 
was gejchehen war. 

Das Fraulein fentte den Blid nicht, jon: 
dern hörte ihn mit großen, offenen Augen 
an, redte das Kinn trogig empor und jagte: 
„Weiß nun, woranich bin mit meinem Erz: 
feind! Aber er fol mid) nie ohne geladene 
Piltolen finden. Und er weiß, Daß ich 
treffe!“ 

Wie ein junger Ritter im Frauengewand 
ftand fie bei bielen Worten ba. Der Pfarrer 
erfannte bie Ühnlichkeit mit dem Bruder. 
Dod war es nur eine Ähnlichkeit bes Kör- 
pers, denn in bieler ſchlanken Geftalt war 
jpürbar ein fefter Wille, deffen ber Freiherr 
Gujtav Friedrich ermangelte. 


Si 88 

Mad diejem Tage, der Drohungen vers 
hieß, verrannen bie Stunden gemad und 
ruhig. Die Ruffin nahm fic ber Pferde an 
und bewegte fie des Abends. Das fiel nie- 
manden auf in der damaligen Zeit, denn 
durd) Krieg und Seuche waren die Männer 
rar geworden und viel Männerarbeit ward 
durd) {Frauen verrichtet. 

Da der Krante nicht mehr der ftündlichen 
Pflege bedurfte, nahm das Fraulein wieder 
ihre Mahlzeiten gemeinjam mit dem Pfarr: 
Derrm ein. Gie berichtete mit Genugtuung, 
daß es ihrem Pfleglinge von Tag zu Tag 
bejjer ginge. Doch eine Wunderlichfeit, die 
ibm geblieben war, dünkte fie als ber Krant: 
heit Reſt. Jeden Tag gebrauchte er Worte, 
die etwa [auteten: „Fräulein, fonnt Shr mir 
nicht einen Potentaten nennen, der Krieg 
führt?” Oder: „An diejen gräßlichen Frieden 
werde id) nod) zugrunde gehen!” Oder: „Ihr 

















PBESESSHESSISHSHEHEHCHESSHEHEN Das wehrhafte Fräulein 88 


müſſet es glauben, diefje Geude, bie uns 
Reiter iiberfommen hat, ift bie Friedens: 
jeuche,“ ober: „Werde nicht gefunden, jo mir 
ein tüchtiger Krieg nicht bie Knochen ſtärkt.“ 

Co verrannen fier zwei Woden, als 
eines Abends ans Haus gepocht ward. Die 
Ruffin meinte, es möge wohl ein Betim: 
merter aus der Gemeinde zum Pfarrherrn 
fommen, und öffnete. Da ward fie von 
dreien überrannt, die ungejtiim in den Gang 
drangen, durch das Haus eilten und es von 
oben bis unten durchſuchten. 

Die Kuffin hatte, um fich zur Wehr zu 
jegen, von ungefähr ein Holgbeil ergriffen. 
Aus der Studierftube hörte fie den Pfarr: 
herrn rufen: „Sie ift nicht im Haufe! Euch 
ipreche id) bas Recht ab, in mein Haus zu 
dringen. Das Fräulein fteht unter meinem 
Sduge und unter bem Ghuge der Stadt.“ 

„Sit fie nicht Hier, fo ift fie bei ihrem 
Roffe!” erflang eine fremde, hochmütige 
Stimme, die alsbald in der Kuffin die Er: 
leuchtung aufflanımen ließ: ‚Das ijt Cir 
Stuart Hamilton!‘ Laut jdjrie fie auf: „Fein: 
dio! Fräulein! Feindio! Mordio!“ 

Da hafteten die drei Cindringlinge bie 
Treppe hinab in den Hof. Doh an ber 
Türe bes Stalles fanden fie wehrhaft das 
Fräulein mit zwei Halfterpijtolen in der 
Hand. Zwei andere ftecten griffgerecht in 
ihrem Gürtelband. Ruhig und talt zielte 
jie auf ihren Bruder: „Wer einen Fuß von 
der Schwelle herabjegt, ijt des Todes!” 

Die Ruffin jchlich mit ihrem Hadbeil her- 
zu, um zuzuſpringen, wenn es not tate. Als— 
bald jab jie, wie Sir Stuart den Jungherrn 
zurüddrängte, und hörte wie errief: „Geht 
zu den Pferden! Sch fpredje allein mit ihr!“ 

Dann freugte er bie Arme und fagte zum 
Fräulein: „Nur um jo mehr entzündet Euer 
Trog meine Liebe! Schwache Weiber habe 
ich zu jeder Zeit meines Lebens verachtet. Im- 
mer babe id gewünjcht, ein Weib zu finden, 
in dem ein jo fühner Geift wad fei, wie ihn 
das Fräulein Mathilde von Herrenbruch, 
meine einjtige Befiegerin, bejeffen. Der Be: 
jig Eurer Liebe allein würde von mir Die 
Schmach tilgen, bie mir vor Herrenbrud 
widerfahren. Und es müßte fürwahr ein 
heißes, ftürmijches Gejchlecht werden, das 
wir beide zeugten! Ihr feid zu Großem 
SE und follt nicht auf dem armfeligen, 
deutjchen Boden ein fiimmerlides Los fin- 
den. König Karl riijtet, und ich will ibm 
mein Schwert zur Verfügung jtellen. Folgt 
mir, eine Herzogfrone ijt Eurer gewiß!“ 

„Sir Stuart,“ antwortete das Fraulein, 
„Eure Werbung ijt eine |d)limmere Beleidi: 
gung, als bie Gewalttat zuvor. Sch bete 
jegt ein ‚Baterunjer.. Gteht Ihr nod) da, 
wenn id) gejprodjen habe: ‚und vergib uns 
unjere Schuld, jo fällt mein Schuß.“ 

Sie redte jid) höher, als [ie zu beten be- 
gann: „Unfer Bater, ber du but im Himmel, 
geheiliget werde dein Name, dein Weich 
tomme, wie im Himmel, alfo aud) auf Erden, 
unfer taglid) Brot gib uns heute.“ Mit 


diefen Worten bob fie Iangjam die Piftole 
und fuhr fort, während der Finger den 
Driider umjhloß: „und vergib uns..." 
Dod ben Beichluß bieler Bitte wartete Sir 
Stuart nicht ab. TFluchend eilte er durch den 
Bang auf die Straße hinaus, während das 
Fräulein weiter betete: „unjere Schuld, wie 
aud) wir vergeben...“ Gie vollendete Die 
Bitte nicht, [onberm rief mit jchneidender 
Stimme: „Vlein!“ 

Die Ruffin fam aus dem Duntel des 
Ganges hervor, nod) immer das Sjadbeil in 
den beiden, nervigen Händen. Das Fräu— 
lein gebot: „Beh und [chließe vie Pforte des 
Haujes und fieh, ob alles jicher ift.” 

Die Ruffin tat, wie ihr geheißen ward, 
bod) als fie hinausjchaute auf die Gajje, er: 
ſpähte fie feinen der Reiter mehr. Sie ver- 


nahm nur noch den fid) entfernenden Huf- 


ſchlag ber Roffe. 

„Ausgewettert hat es!“ vermeldete fie mit 
lauter Stimme dem Fraulein, bas noch im: 
mer e Te im Hofe [tanb. 

Da ent|pannte jid) der gejtredte Körper 
des Mädchens. Sie wandte fih zum Stalle 
zurüd, um nach ihrem Pflegling zu Jehen. 
Tief er[taunte fie, als fie ihn im Hemd am 
Pfoſten bes Stalltores ftehen jah, während 
in der Rechten ber Stokdegen zitterte. 

„Ihr feid auf, Herr Rittmeijter ?^ 

„Hörte Ge AN pernabm, dak es 
um Euch ginge, und Juchte zu tun, was ritter= 
liche Pflicht ift. Knochen und Sehnen find 
nod) mürbe, aber vielleicht wäre ein uner- 
warteter Stoß bod) gelungen.“ 

Bottliebe geleitete den Kranten zu feinem 
Lager zurüd und brachte ihm fräftigende 
Gpeile, denn fie war voller Furcht, dies Auf: 
raffen des Körpers Tonne ihm jchaden. 

Allein ber friegerijde Lärm ſchien den 
Soldaten neu belebt zu haben, wie ein heilen: 
der Trunf. Herr Achatius blickte jcharf und 
Hor, er jtieß feine abgebrochenen Worte beim 
Reden hervor, jondern band die Säße Aer: 
lid) gujammen. „Womit, Fräulein Gott- 
liebe, finnte ich alle die Mühe und Not wett: 
madjen, bie Ihr für mid) getragen habt?“ 

„Berzeiht mir,“ antwortete bas Fraulein, 
„daß ich nichts von Euch begehre. Ich habe 
nur gutgemad)t, was droben in Herrenbrud) 
an Euch gejündigt ward.“ 

„Willet Ihr nichts, wonad Euch liijtet, 
auf bab ih’s Euch erfülle, wenn ich’s ver- 


ma 
Bas Fräulein jenfte die Augen, die von 
ungefähr auf den Stoßdegen des Nittmeilters 
elen. Es war eine edle Waffe, dreifantig, 
iegjam wie eine Rute und verriet die Hand 
eines Toledaner Meijters. Kunjtvoll war 
bas Stichblatt mit Übungen und eingelegtem 
Silber verziert. Gottliebe büdte fth. Gie 
ergriff den Knauf und wog die Waffe in 
der Hand. „Seid Ihr ein Meijter der 
Fechtkunſt?“ fragte fie jinnend. 
„Habe jchon vielen widerjtanden mit Säbel 
und Stoßdegen. Bin nur einem begegnet, 
der mirs gleich tat. War Sir Stuart, mein 


6* 





84 BERISSISSISSISFZZA Friebrid) Frekſa 


Leutnant, da ich als Rornett bei den Wallos 
nijden Kürafjieren ftand. Habe ihm, ber auf 
jede Weije zu [oet verjtand, alles abge: 
lernt, was er fonnte, und heute, ba fieben 
Jahre verjtrichen find, in denen ich oft ben 
egen führen mußte im Spiel und tm Grnit, 
glaub’ id), wär’ er mir niht gewad)en." 

„Habt Ihr meinen Feind, (Cir Stuart, 
erfannt ?“ 

„Hatte nur joviel Kraft, um mich anzu: 
Bauten zu dem einem Gtoß, den ich zu 
libren vermocht hätte.“ 

Fräulein Gottliecbe fdwieg. Sie rollte 
das $janbgelenf und ließ die Spike ber 
Zoledaner Klinge in Kleinen Kreijen ſchwingen. 
Endlich erhob fte fih, lenfte ben Degen und 
jagte zu bem Rittmerfter, ber bie Augen groß 
auf fie gerichtet hatte: „So bitte id) uch, 
lehrt mid) fechten, jobald Ihr gejund feid!” 
8 8B CH 

An eirem [djónen, warmen Märzmorgen 
fam Herr Joſias Rottner von einem Amts: 
ange zurüd, der ihn zu den Armen und 

lenden der Stadt geführt hatte. Es gab 
um 1649 viel Jammer und Elend in deut» 
[den Landen, jtarben bod) viele, die tüm: 
merlid) bie Not bes Krieges überjtanden 
—5 an Auszehrung und anderen Krank— 
eiten des Elends und der Armut. 

Herr Joſias gedachte ſich in die Ruhe 
und Stille ſeines Hauſes zu bergen. r 
freute ſich auf ein neues Buch, das ihm der 
Ri Rat gejandt hatte, als Zeichen 
feiner Zufriedenheit über bie Nechnungsord: 
nungen. ls ber Geijtlide in den Haus: 
gan trat, hörte er bajftiges Klirren von 

e Bo das vom Hofe ber tlang. 

Er erjdraf, denn er glaubte, Sir Stuart 
abe einen neuen Überfall gewagt. or: 
ihtig Iugte er in den Hof hinaus. 

Im hellen Sonnenlicht gewahrte er zwei 
Wanner in Hemden und Hojen. Die Köpfe 
fonnte er nid)t erfennen. Bei den Jchnellen 
Bewegungen erjdienen fie ihm wie graue 
Klumpen. Sin Kraft und Vehendigteit jtießen 
fie mit großen Etoßdegen widereinander. 

Noch ftaunte ber WPfarrherr über das 
Sdjaujpief, das feinen ftillen Hof in einen 
9SBaffenpla& wandelte, noch vermochte er 
Hd) nicht zujammenzureimen, was ba qe: 
Ihab, als ibm bie Stimme der Ruffin in 
die Ohren Hang: „Toude! Toude! Fräu— 
[cin Gottliebe! Bravo! Bravo!“ 

Alsbald erjpähte Herr Dojias feine Be: 
dienerin, Die in Der Ede des Hofes beim 
Negenfaß ftand und begeiltert mit den nor: 
tigen Armen einen Ceihloffel Jhwang. Die 
beiden Fechter jenften bie Degen. Der eine 
neltelte an feinem Halle und ang von feinem 
Ropje ein Drabtgejtel. Nun erfannte ber 
PBrarrherr den Herrn Achatius und pernabnt 
icine Stimme: „Habt zwei Gänge mit mir 
gemacht, Fräulein von Herrenbruch, bie mir 
Bewißheit geben, Ihr werdet es in ber edlen 
&un[t zur Meiſterſchaft bringen.“ 

Herr Joſias jchritt auf Gottliebe zu, die 
ihr heißes, rotes Geſicht fretqemadt hatte 


[S£3£3€3€343€343 3G 3E 34336338 


von bem bergenden Bitter ber Drahtmaste. 
Schlank und aujredjt ftanb fie ba. Den 
rechten Fuß hatte [ie ein wenig vorgejchoben. 
3m Gllenbogengelenf bes linten Armes hing 
ber Drahtforb am Lederriemen, während bie 
Fauſt bie Klinge unter dem Stidblatte um: 


jpannt hielt, [o daß die — — Spitze 


nach unten geſenkt war. Die braungoldenen 
paare fielen ibr AC über den Rüden, Das 

untel bes Ctalles, aus bem fid) unbeutlid) 
bie Umriſſe eines Pferdefopfes abhoben, 
geben den feinen Linien ber Geftalt einen 
iefen Hintergrund, fo dab das Bild den 
Pfarrherrn an die köſtlichen Tafeln gemahnte, 
die er in — Studienzeit in den Nieder: 
landen geldjaut batte. So fürnehm, Ge 
und ſchön erfdien ihm das Mädchen, ba 
ibm der Atem ftodte und er die thr auge» 
dadten Worte der BWerwunderung und 
leilen Tadels mos ausaulpredjen vermochte. 

Mit einer freien, rttterlid)en Bewegung 
reichte Gottliebe bem Pfarrherrn die bebanb: 
ſchuhte Rehte und jagte: „Bott zum Gruß, 
pete Softas! Ihr feid erjtaunt iiber mein 

un und Treiben, aber Ihr wikt, daß id) 
ftarfe und gewandte $yeinbe babe, Darum 
rüfte id) mich, ihnen adelig zu begegnen.“ 

„Ste ijt es wert, die edle Runft zu üben,” 
jagte ber Rittmeijter Achatius. „Ein bejjeres 
Sjanbgelent, als es das Fraulein be[ibt, 
fann bei einem fräftigen Mann nicht ge» 
funden werden. Ihr Spiel in Knien, Hüften 
und Fußgelenken t/t mujterhaft, ftarf und 
behend! Gab es Gott, Pfarrherr, daß irgend: 
ein Potentat wieder Heervolf zum Krieg 
aufbietet. Ich würde in meiner Rompagnie 
bent Fräulein gleich bie Stelle eines Kor» 
netten anbieten, Hatte Exempel, daß tüh: 
tige Weiber fid) gut_geichlagen haben.“ 

„Daß Gud) der Sinn nod) immer nad) 
Krieg und Blutvergieken fteht. Möge der 
Herrgott Euch dieje unpreislichen Gebanfen 
aus dem vermejjenen Herzen nehmen!” 
mahnte Herr Joſias. 

„Sit bie Pflugſchar zum Adern gejchmiedet, 
jo will fie adern. Ift das Schwert zum 
Kämpfen gejchmiedet, fo will es fechten!“ 
gab Herr 9Idjatius zur Antwort. 

Das flingflang der Schwerter wieder 
holte jid) im Pfarrhauje jeden Tag. Es 
war nur qut, daß ber Hof wohl geborgen 
lag vor den ?Bliden ber Nachbarsleute. 
Waren bod) Die nächtlichen Ritte nad) Fen- 
jtade, die Fräulein Gottliebe jest in Be: 
gleitung bes Nittmeijters Achatius machte, 
aufgefallen, und ward [djon bie Gage aus: 
gejponnen von zwei ſchwarzen Reitern, Die 
feine Rube finden fonnten in ihrem Grabe, 
Dieweil fie ihre unjterbliche Seele an einen 
verborgenen Schaf gehängt hätten. Danah 
wurde |püter ber Zwidel bes Plakes vor 
dem Pfarrhauſe Reiters Unruh genannt, 

Außer in den Fechtitunden ward zwilchen 
dem Fräulein und Herren 9[datius wenig 
aejproden. Er rief ihr Paraden zu und 
Stöße, lehrte fie den blitichnellen Wechſel 
von Dedungen und Ausfällen, bis fie bie 











Ihwierigften Finten und Folgen aus dem 
Handgelent jdjüttelte. Lobte er fie jehr, fo 
[zagte lie: „Glaubt Ihr, Herr Achatius, dağ 
d's bald Sir Stuart gleichzutun vermag?“ 

„Achtung und Geduld,“ mahnte der Ritt- 
meijter, „muß der echte Hechter befigen.“ 

Unverdrofjen übte er mit dem Sfräulein 
weiter. Waren aber bie cker vor: 
über, fo fak er zumeiſt verjonnen in feinem 
—— das nach dem Hofe gelegen war. 

ann rief er wohl ſeinem Pferde Moor zu, 
das aus dem Stall getrottet kam und den 
Kopf in das Fenſter zu ihm hereinſtreckte, 
um fid) von feinem Herrn ſtreicheln zu laffen. 

8 

An einem Maientage laſen die Bürger 
der Stadt Fenſtäde auf einem Papier, das 
am Wirtshaustor des Greifen angejchlagen 
war, der Herr Fechtmeiſter Achatius habe 
den Hochzeitsjaal für die Tage Montag und 
Donnerstag gemietet, unb einem jeden wehr: 
da en Dann [tünbe es frei, fid) unter ber 

ettung bes Herrn Adatius und feines 
Amanuenjis Cornelius in der Übung ber 
edlen Kunſt zu befleißen. 

Für bie Qm vom Adel und aud) für 
bürgerliche Leute, die tätig waren in den 
Geichäften von Fürlten und Staaten, hatte 
es in jenen Tagen eine befondere Bedeutung, 
daß fie neben der Feder eine gute Klinge 
——— Auch war noch genug Luſt an 

iegeriſchem Tun in der Bevöllerung ge— 
blieben. So geſchah es denn, daß ſich viele 
Waffenkundige aus der Landſchaft im Grei— 

n einfanden. Nicht nur Alamodenarren, 
ie bei jedem neuen Treiben dabei fein 
mußten, jondern aud) Männer von Schrot 
und Korn, bie es für Not eradjteten bas 
eingeroftete Können wieder zu jchmeidigen. 
n dem hoben alten irtshausjaale, 
deilen Holztäfelung grau war von Alter, 
berrichte bald ein frohes, mutiges Treiben, 
bem von ber gotijden Galerie Damen vom 
Mel, Batrizieringen und hübjche Bürger: 
mädchen gern e Wl éi pflegten. 

Die Renner bewunderten vor allem Rube, 

Kraft unb Kunft des Herrn 9(djatius, ber 
mit den ftärkiten Klingen ein aly ia s 
Spiel batte. Aber bas Licht des Gaales 
ging von bem Waffenfreunde bes Fedt- 
ae Wa aus, Faſt frauenhaft erjchien bas 
feine Antlig des jungen Cornelius, bas von 
den nad) der Mode lang getragenen Loden 
umflojjen war. Allein feinen traftigen Aus- 
fällen und feinem ftarfen Handgelenf waren 
nur wenige der herbeiltrömenden Herren 
ewadjen. Im Gegenjak zu der Kecdheit 
einer Waffenführung zeigte er fid) einfilbig 
und verjchlojfen, wenn nad) den erregenden 
Übungen des Tages die Herren mit dem 
Fedhtmeifter Achatius fid) um den Eichen: 
ttih ſcharten, um nachträglich feine Paraden 
und Tinten zu beiprechen. 

Nun begab es fih eines Tages, dah 
Cornelius mit einem riejenhaften Riiraffier: 
oke: fodt. Der Kampf zwiſchen ſchmieg— 
amer Gewandtheit und gewaltiger Kraft, 


j Das wehrhafte Fräulein seess 85 


bie mit Runft gepaart war, fejjelte alle An: 
wejenden jo febr, daß bieles Fechterpaar 
von einem Dichten Ringe von Zujchauern 
umgeben war. Als daher zwei Herren, die 
gerade in den Gaal getreten waren, [id 
mübten, in die vordere Reihe des Minges 
zu bringen, erwachte in den unjanft beijeite 
geldobenen Entriijtung, bie noch wuchs, als 
die vom Trunte jchwere, jugendliche Stimme 
bes einen Zudringlings bóbnijd) ausrief: „Es 
wird bod) erlaubt jetn, fih bas neue Fedt: 
phänomen anzujehen!“ 

„Wo bleibt ber Hofmeilter bes Freiherrn 


von $S)errenbrud)?" fragte eine gereizte 
Stimme. „Seit die Frau Mutter gejtorben, 
ann zu 


ave der junge Herr wohl ein 
ein?“ 


„Dho!“ rief der Jungherr zurüd. „Sind 
wir bier im edt[aale, lajftere id) Degen: 
ipi&en gerne ein!“ 

(eid) banad) durchſchnitt bie [djarfe, 
allen befannte Stimme Gir Stuarts ben 
Raum: „Wer mich einen Hofmeijter nennt, 
mag zuſehen, daß id) ihn mit dem Degen 
nicht bo eiftere!“ 

Es öffnete fid) rechts und links eine Gaffe, 
unb mühelos gelangte unter bem Murren 
der beileite Tretenden Sir Stuart in die 
vorber|te a 

Der Kampf awijdhen Cornelius unb dem 
Riirajfier war |o |pannenb geworden, dab 
bie Blide der Zujchauer jid) wieder auf die 
enden richteten. Plöglich jenfte Herr 

ornelius den Degen vor feinem Gegner. 
Er verbeugte fid): „Ich wurde [oeben toit: 
hiert! Ich erkläre mid) für befiegt.“ 

Der Küralfier, ber bie Maste vom heißen 
Kopfe nahm, rief: „Herr Cornelius, Ihr 
jeid nicht nur guter Fechter, fondern aud 
ein Mann von rae Hab’ es bei Gott 
niht bemerft, daß ich Euch getroffen.“ 

lle Anweſenden waren noch voller Be: 
wunderung über den — und des ritter⸗ 
lichen Eingeſtändniſſes des Herrn Cornelius, 
als wieder der Freiherr von Herrenbruch 
mit plumper Stimme dazwiſchen fuhr: „Hab' 
es Euch ja gleich geſagt, Sir Stuart, daß 
wir Sonderliches nicht ſehen werden. Mit 
dieſem jungen Menſchen nimmt es ſelbſt ein 
mäßiger Fechter alle Weile noch auf. Glaube, 
er könnte noch viel dazulernen.“ 

Der junge ornelius, ber noch bie Maste 
auf dem Kopf hatte, trat vor und fragte 
mit Dumpfer Stimme: „Freiherr von Hers 
renbruch, es gelüjtet mich febr danad, neue ` 
Ped. unb Folgen im Fechten zu erproben. 

önnt mir vielleicht auch zeigen, wie man 
junge Mädchen mit bem Echwerte bedroht.“ 

s war Totenjtille im Saal. Der Jung: 
herr |djaute zur Seite auf Sir Stuart Ha: 
milton. Da rief Herr Cornelius von neuem: 
„War es eine Beleidigung, die id) Euch 
jagte, und fein Scherz, |o bin id) bereit, 
Cuh Genugtuung zu geben, fo Ihr es wagt 

u verwetten, daß der Gieger dem Befiegten 
en Willen auferlegen mag. Doch fet es 
nicht wider die Ehre.“ 


86 Friedrich Trella:_ [243434343€24343434343€34 MRSA 


Wis Herr Cornelius fprad, Hatte Gte 
Stuart aufgebordjt. Seine Blide umtrei|.et 
die ſchlanke Gedterfigur. Cin [póttijd es 
Lächeln trat auf feine Lippen. Haltig 
jlüfterte er Buftav Friedrich zu: „Tu's!“ 

„Scharfe Waffen ohne Masten und Schuß!” 
rief Herr Cornelius. Der Gungherr nidte, 
warf ben Rod, die Weite, bie Halsbinde ab, 
während Herr Cornelius das Eijengitter 
vom Ropfe den Dabei fielen ihm die langen 
Loden vom Nacken über die Schultern und 
verdedten bas elder von dem in ber ge: 
büdten Ausfallitelung für ben Gegner nur 
zwei bligende Augen erfennbar waren. 

Die qs beiden, furzen Gänge zeigten, 
daß ber Freiherr ein geübter Fechter war. 
Dod mochte er wohl nod niht warm ge: 
worden jeine, denn er hielt jid) in der Dedung 
und überließ den Angriff bem Gegner. 

Da rief beim Beginn des dritten Banges 
Herr Cornelius plößlich mit einer hellen, 
mädchenhaften Stimme: ,Briiderlein, du 
ieinit vor den Waffen zu zagen!“ 

Der Freiherr |prang zurüd und jab auf. 
Sein (Gegner hatte mit einer |djnellen Be- 
wegung die braungoldenen Haare aus dem 
Gendt gejtrichen, und ae — Friedrich er- 
fannte, dak feine Schweiter ibm mit ber 
Icharfen Waffe gegenüberjtand. Aber ehe er 
ih von ſeinem Staunen erholen fonnte, jah 
er fid) wiitenden Ausfällen ausgelegt, bie er 
nur mit Mühe parieren fonnte. Er [tieB 
hervor: „Sch will nicht!” Da war die Spike 
eines Degen gebunden und ibm der Griff 
durch einen Kreisihwung mit größter (Qe: 
walt aus der Hand geprellt. Herr Cornelius 
jenfte ben Degen und jagte: „Ihr dürft Euch 
als bejiegt betrachten, Freiherr. Als meinen 
Willen lege id) Euch auf, zehn Jahre das 
Haus Sjerrenbrud) und die Landichaft zu 
meiden und Euern Freund, Sir Stuart Ha: 
milton, zu entlajjen.“ 

Die Menge jtöhnte bei diejem d EE 

Ausgange bes jelt\amen Kampfes auf. Die 
Stimmen ſchwirrten durcheinander. Da trat 
der Freiherr von Sjerrenbrud), der feine Be: 
jinnung wiedergefunden hatte, vor und rief: 
„sch fordere Euch, Herren, als Zeugen auf. 
Mich verließ bie Rube, als ich jah, dak ich 
mit ber jcharfen Waffe im Kampf gegen bie 
eigene Schweiter [tanb." 
. „Aber die Ungewaffnete mit der Waffe 
in der Hand zu bedrohen, fie ins Haus zu 
zwingen, um fie an einen bergelaufenen 
Fremden zu verfuppeln, Dazu mangelte dir 
die Ruhe nicht, Bruder!“ rief Gottliebe. 

„Was bat der Freiherr von Herrenbrud 
getan?“ fragte der cine. „Hat er es wirklich 
gewagt, bie Schweiter mit dem Schwerte zu 
bedrohen?“ rief ein anderer. „Er gibt ja 
alles dem Engelſchmann, warum jollte er 
ihm nicht bie Schweiter geben wollen?“ 

„Wagſt bu es, allen Herren hier ins Ge- 
licht zu leugnen, was ich dir vormerfe?” rief 
(Bottliebe. 

Bujtav Friedrich war blak geworden. Ihm 
jeblten bie Worte, um der Anklage zu be- 


gegnen. Da trat Sir Stuart vor und rief 
mutig: „Für Augen, bie das Spiel gejehen 
haben, liegt eine Dinterliitige Herausforde- 
rung vor. Der Freiherr ward bejiegt, weil 
er bie Schweiter erfannte. Hätte er’s vorher 
gewußt, er hatte nicht gefämpft. Hätte fie jid) 
nicht zu erfennen gegeben, [o hätte er gefiegt.” 

„Der Kampf war ehrlich!” rief einer der 
Sujdauer. „Sie bat ibm nur vergolten, 
was er ihr getan !^ ein anderer. 

„sch fordere einen jeden vor meine Klinge, 
ber den Freiherr für en hält an das 
Wort, bas ibm ein tolles Mädchen entriß!” 
ſchmetterte Sir Stuart in den Gaal. 

„So kreuzt die Klinge mit mir!” rief Gott- 
liebe erregt dawider. 

Der Kavalier [djüttelte den Kopf. Er 
jagte ſpöttiſch: „Fräulein Gottliebe, Ihr 
wißt, was für Gefühle ich für Gud) im Her: 
zen trage. Ich fuhe im Kampf bem Mars, 
nicht der Venus zu begegnen.“ 

Sm Gaal wuds die Erregung. Gir 
Stuarts Hochmut hatte alle Gemüter aufge- 
peitjcht, aber feiner wagte es, jid) mit bem 
gefürchteten Degen zu mellen, Triumpbie- 
rend durchſchweiften die Blide des Kavaliers 
den vor ibm zurücdweichenden Kreis der 
Gdywanfenben, als neben Gottliebe der Fecht- 
meilter Achatius trat und zu Cir Stuart 
ruhig und ernjt alfo fprad: „So Sbr's oer, 
— Eure überlegene Kraft mit einem 

ädchen zu meſſen, werdet Ihr's vielleicht 
nicht ablehnen, einem alten Waffengefährten 
Genugtuung zu geben, den Ihr todkrank von 
der Schwelle des Hauſes fortwieſet, in dem 
Ihr ſelbſt als Gaſt warm ſaßet. Tretet Ihr 
nicht mit mir auf Toledaner Klingen an, ſo 
erkläre ich, Freiherr Achatius von Sollern, 
Euch, Sir Stuart Hamilton, als einen ſtin— 
kenden Hundsfott!“ 

Sir Stuart war blaß geworden. Er warf 
Rod und Weite ab. Alsbald ftanden fih 
die beiden gegenüber. 

Bon dem wiitenden, bligjchnellen Kampf, 
der jeßt folgte und faft eine Stunde dauerte, 
lebte bte Erzählung über ein Jahrhundert bei 
den Anhängern der edlen Fechtlunjt weiter... 

Mit geballter Fauſt unb blutunterlaufenen 
Augen, die an einen ftipigen Stier gemahn» 
ten, verfolgte der Freiherr von Herrenbrud den 
Rampf feines Freundes auf Leben und Tod. 

Ihm gegenüber rang Gottliebe, bie bic 
Linke ‘int das Ichlagende Herz gepreßt hatte, 
nad) Atem. Jede Bewegung des Herrn 
Wdhatius jdwang in ihrem Körper nad. 
Die Knie federten leicht, das Handgelent 
fühlte bie Stöße und Drehungen mit. 

Da geldjab es, dak plöglich Cir Stuart 
uriidjprang. Die Linfe prekte er auf die 
Rippen, fnidte in den Knien ein, ließ ben 
Degen jinfen und fiel zurück. 

»* babe ihn nicht getötet,“ jagte der 
Rittmeijter, ber hochaufgerichtet bas Zuſam— 
menbrechen feines Gegners verfolgte. 

Ein Aufjeufzen ging durch die Menge. 
„Bott bat entidjieben!^ Lotte fih von einem 
Lippenpaar, 











das wehrhafte Fraulein Besseeessssd 


Der —— von Herrenbruch trat hinzu, 
nahm den Freund in bie Arme, trug ihn 
hinauf in ein Zimmer des Wirtshaujes .Ein 
Chirurgus fam, um Gir Stuart zu verbin- 
den. Er ward gefragt, wie es um den Ber: 
wundeten ftiinde. Er berichtete, daß ein 
Lungenjtidh Sir Stuart [ange auf ein ſchmerz— 
. haftes Rranfenlager fejleln würde. 

Am vierten Tage nad) ber Verwundun 
des Freundes ritt Guftav Friedrich de 
Sjerrenbrud) zurüd. Aber ba er an bas Tor 

elangte, fand er bie Zugbrüde aufgezogen. 
jus er GinlaB ck D trat feine Schweſter 
auf die Zinne des Turmes und rief hinab: 
„Halt es verwettet, zehn Jahre außer Lanz 
bes zu bleiben. Reite denn hinweg. Was 
bu bedarfit am Ausräftung und Geld, jolft 
du beim herzoglichen Rat von Donop finden.“ 

Der Freiherr tobte und fluchte. Er [d)rie 
nach feinen Dienern und Knechten. Allein 
temer wagte es, an bas Tor zu gehen, denn 
im Hofe Tak ber Rittmeijter, gerüftet mit 
Mustete, Pijtole und brennenber Lunte auf 
der Bant im Torweg. 

Als fid) der Freiherr müde geflucht, ritt 
er nad) Tsenftäde, um fein Redt zu ſuchen. 

9tidt umſonſt haben die rehtstundigen 
Römer die Belitenden als glüdlich geprie- 
jen. Solange er nod) mächtig in feiner 
Burg jag, hatte es niemand gewagt, mit 
ihm anzubinden. Jetzt fand er nur fled- 
tes Gehör. Es ward ihm vorgeworfen, er 
habe feiner Schweſter ihr Gut vorenthalten. 
Bon den Juriſten ward er gewarnt, in einen 
Prozeß einzutreten. Ging er über die Straße, 
jo hörte er Spottreden der Bürger: „Das 
iit ber hie a der gegen feine Schweiter 
im Waftentampfe unterlag.“ 

So fand Der Freiherr von Herrenbrud) 
wider feine Schweiter nirgends Unterjtüßung. 
Ter herzoglide Rat von Donop riet ihm, 
außer Landes zu geben, ba aud) der Fürft 
ihm ungnäbig gejonnen wäre. 

Weil er feinen andern Ausweg fand, 
fügte er fih alsbald in fein Los und 30g, 
jobald es die Wunde Cir Stuarts erlaubte, 
mit Diejem von Dannen. 


a] 88 Bg 

Drei Jahre führte Gottliebe die Zügel 
auf Herrenbrudy und zeigte, dak eine tid: 
tige SFrauenhand den Zaum beffer zu mei: 
itern verjtünde, als bie behandſchuhte Fauft 
eines Ravaliers Wlamode. 

Sie ritt auf bie Felder, trieb bie Tag: 
löhner zur Arbeit an und jcheute fid) nicht, 
gegen robe Gejellen die Peitſche zu gebrau- 
chen. Aber fie hatte auch bie rechte Güte zur 
rechten Zeit, wie es der Herrin geziemt. 

Jeden Morgen verjammelte ie in Der 
Halle ihr Gefinde und betete mit ihren Leu- 
ten, während die Suppe als guter Tages: 
beginn den Andächtigen in die Naſen 
bamp[te. Am Abend las fie Bibelftüde, zu 
denen Herr Jofias Rottner ER erbauliche 
Betrachtungen verfaßt hatte. Jeden zweiten 
Sonntag ließ fie den würdigen, alten Herrn 
mit der Ruffin holen, und er predigte am 


87 


Nachmittag in der Kapelle, denn das Frau- 
lein hielt nichts davon, daß bas Befinde am 
Sonntagnadmittag in die Stadt lief. „Acht 
Stunden voll Saufen und Unflat,“ pflegte 
jie zu jagen, ,fónnen nicht wettgemadt 
werden ZC zwei Stunden &irdjgang." 

War für fie immer ein Felttag, wenn der 
Pfarrherr hirausgefahren tam. Sie ſaß mit 
ibm in einem Heinen Turmzimmer. Als 
dritter im Bunde war Herr Achatius dabei. 
Bedienen aber ließen fie fid) durch bie Ruf- 
fin, auf daß fein Belicht in biejen Grinne- 
rungena Daa bineinwüchje, das nicht in 
jenen Wochen der Verbannung im Pfarr: 
hauſe zu Emmipringe dabeigewejen war. 

Der Rittmeijter Achatius hatte fih ein 
enges Gemah im Torturm eingerichtet und 
felbiges als Zelt ausjtajfiert. Grobe Kein- 
wand ftrebte zur Dede und ward bird) eine 
dünne Stange gehalten. Er rubte wie ein Gol- 
bat im Feldzuge auf einem niederen Lager, 
neben dem Waffen handbereit lagen. Halbe 
Tage lang hielt Herr 9[djatius mit einem 
gernrohre Ausjchau nad) Reitern. Gewahrte 
er jolbatijd)e Haltung und Waffen, jo [hwang 
er fid) auf fein Rog, um zu erfragen, wo 
es in der Welt einen neuen Krieg gäbe. 
Allein es herrichten zwar nod Potentaten, 
die Krieg führten, nur jchien es. bem Ritt- 
meijter 9(d)atius nicht bas Rehte zu fein. 
Denn im Greifen zu Fenſtäde, wo er nod) 
einmal die Woche feinen Yechttag abbielt, 
pflegte er am Eichentifch beim Wein auf die 
Frage, wann er wieder auszöge, zu ant: 
worten, jobald im heiligen rimijden Neid) 
wieder ein gejunder Kriegszuftand bliibe. 

Nur wenn es auf den Frühling zuging, 
pflegte er davon zu reden, er wolle zum 
Groftiirfen gehen und dort Kriegsdienite 
nehmen. Schoß im März der junge Saft in 
die Bäume, rumorte in ihm das Kriegsfieber 
am wildeften. Dann gejdah es wohl, daß 
er feinen Danteljad paden ließ, Waffen und 
Kleider rüjtete und, um Abjchied zu nehmen, 
des Abends nad) bem Gebet Gottliebe auf: 
juhte. Doch jah er in das Tächelnde Belicht 
bes Fräuleins, jo |prad) er nicht vom Abjchied: 
nehmen, jondern erbat Urlaub zu einem 
Heinen Ritt ins Land, Am fiebenten Tage 
lenfte er gewöhnlich fein Rößlein nad) Her: 
renbruch zurüd. In der Nacht, wenn das 
Geſinde ſchon jchlief, langte er an und führte 
fein Pferd felbjt in den Stall. Dana% be- 
gab er jid) in fein Gemah, trant viele Hum- 

en Weines und verjchlief den ganzen näch: 
ten Tag. 

Co madje er auf einige Monate die Ge» 
danten fret von ihrer Unraft, bis bie Gebr: 
juht nad dem alten Rrieqsleben wieder 
mächtig wurde und ibn umtrieb. 

Im vierten Jahre im Maien wurde Frau: 
lein Gottlicbe zu bem herzoglichen Rat von 
Donop nad) TFenitäde gerufen. 

Der alte Herr empfing fie in Periide und 
Amtstradht. Seine Züge waren ernit. 

„Habe Nachricht von Gujtav Friedrich, 
Fuerem Herrn Bruder, Fraulein Gottliebe,“ 


88 Friedrich Qret[a: BESSesssessessssa 


jagte er. „3ft eine Zeitung, bie bedacht 
werden will. Aber ehe id) Euch tünde, was 
ich jelbft meine, müßt Ihr zuvor erfahren, 
was geld)eben. 

Euer Herr Bruder hat ein engeljd) Frau: 
lein Zeie Icheint aus ber Verwandtichaft 
bes Gir Stuart zu fein, ber im ſchottiſchen 
Lande gefallen ijt. Euer ga Bruder hat 
von en Gejponjin ein Knäblein gewon: 
nen, Jo zu Johanni zwei Jahre zählen mag. 
Sit aber die Diutter des Kindes aus dem 
Leben vor einem Jahr abberufen worden 
von biejer Erde. 

Euer Herr Bruder felbjt wurde jchwer 
verwundet und vermag feinen rechten Arm 
nicht zu gebrauchen. Nun läßt er aus Hol: 
[anb einen Brief an mich gelangen, in dem 
er bittet, Ihr möget es zulafjen, daß er mit 
dem Kinde me Sjerrenbrud) tomme. Er 
vermißt fih auch, Friede und aft 
en halten und bittet gar berglid), dak Ihr 
bm alles Boje vergejjet.” 

„Er bat alfo einen Erben für Herren: 
bruh gewonnen!” jagte bas Fraulein. 

„Bolt Ihr thm darob zürnen?” 

Fräulein Gottliebe jdjüttelte den Kopf. 
Hat mein Bruder in feiner Berblendung 

öje an mir bes mit [o ijt es nicht ziemlich 
= mich, Gleiches mit Bleichem zu vergelten. 
itte Gud) barum, ifm zu Jchreiben, auf Her: 
renbrud) würde alles gerüjtet, um ihn und 
ben künftigen Freiherrn wohl aufzunehmen.“ 

Der Herr von Donop jeufate tief auf. 
„Ihr wälzt mir einen jchweren Stein vom 
Herzen,“ jagte er, „denn id) dachte, Ihr 
würdet unwillig fein und (ud) des weigern. 
Es hätte der Streit ein gutes Frejlen fiir 
das Neichsgericht in Weblar werden können. 
Möge Gott einen rechtichaffenen Mann vor 
Prozeſſen hüten... So Ihr und Herr Adha- 
tius heute mit mir fpeift, werdet Ihr einen 
Petter bet mir finden, der feit bem Friedens: 
ichluffe jhon zum zweiten Male nad) Weblar 
reitet. irb fein Ende nehmen mit feinem 
Streit vielleicht in fünfzig Jahren.“ 

Bern folgte das Fräulein der Einladung 
ihres alten Bejchüßers. Auch [odte es fie, 
Neues aus anderen Landjdaften des Reiches 
zu vernehmen, denn in jenen Tagen er[ub- 
ren bie Menjchen auf ihren Yandligen weni 
von der Welt, und es fonnte geld)eben, bag 
Nachrichten ein Jahr alt geworden waren, 
ehe fie in aufhordyende Ohren froden. 

Der Better aus den medlenburgijchen 
Landen war ein freundlicher, breiter Junter, 
der fid) ſchweigſam zu Tiſche lebte und feine 
&innbaden zunächſt nur in Bewegung brachte, 
um bie gute Nahrung kräftig zu zermalmen, 
Dod nachdem er einige Flaſchen roten 
Weines mit alle genoſſen hatte, zeigte 
es fih, daß er fein Mundwerk aud) font qut 

u brauchen wußte, denn fein Gett war voller 
dinurrem und Abenteuer. 

Da ber Rittmeijter ben medlenburgijden 
Herrn feiner Gewohnheit gemäß fragte, ob 
nicht ein Krieg in Auslicht ftünde, erzählte 
er von einer [ujtigen Fehde, die ber legte 


Herr auf Biirow gegen bie gute Stadt Goli- 
wedel geführt hatte. 

Der Herr auf Bürow hatte bet einem 
Soltwedeler Brauer Bier getauft, ein bunfles, 
Ichweres Bier, wie es in Halberftadt und 
Einbed gebraut würde. Der auf Biirow 
Kr mit zwei Freunden ein Fablein am 

itertag ausgezedht, unb Dernad) babe fich’s 
erfunden, daß im bem Yäßlein tote Maufe 
RE jeien. Der von Bürow habe in die 

tadt geld)rieben, der Brauer folle ein ander 
Bier liefern und barfuj zu ibm herausgehen 
unb um Berzeihung bitten. 

Hatte die Stadt Soltmedel gejchrieben, in 
Biirow gäbe es genug Mäufe, und es fei zu 
unterjuden, ob es Bürowſche ober Colt. 
wedeler Mäuje gewejen wären. Darauf fei 
der Junter ergrimmt und habe gedroht, die 
Straßen zur Stadt zu jperren. Hatte aber 
die Rechnung ohne die furbrandenburgijden 
Dragoner gemacht, bie bem luftigen Cer e 
ein |delles Ende fegten. „Der Rurfiir 
von Brandenburg,“ Ichloß der Better aus 
Medlenburg, „hätte dem Hans Friedrich 
pon Bürow ficher pardonntert, da Ables 
noch nicht gejchehen war, Aber der Hitzkopf 
brannte abends im Kruge, als die Reiter 
ihn aufheben wollten, feine Bijtolen los. Ein 
alter — — verſtand den Spaß ſchlecht 
und jagte ihm ſelbſt heißes Blei ins Hirn. So 
ging denn für ihn der luſtige Krieg gar übel 
aus. Die auf Bürow aber ſuchen zurzeit in 
der Welt herum nach einem neuen Herrn.“ 

Der Herr Achatius ſagte in Gedanken 
verloren: „Waren doch meines Erinnerns 
auf Bürow nod) drei andere Jungherren.“ 

„Sind Anno 47 alle Bürows an den 
Blattern geftorben. Lebte banad) nur nod) 
der Herr Hans Friedrid) unb die Tante 
Unna Kordula.” 

Der Rittmeifter Wdatius von Goller 
wurde fehr blak. Mit weitaufgeriffenen 
Augen [fdjaute er in die Runde, wie ein 
Menjd, ber erwadt. Er fuhr fid) über bie 
Stirn, als wolle er etwas fortjtreichen. 

„Was ift Gud), lieber Freund?“ fragte 
das Fräulein und jah ihn bejorgt an. Seine 
Blide blieben in ihren Mugen getaucht: 
„Wenn bem fo ift, wie der Junter erzählt, 
wäre id) der Erbe auf Riirow, denn id) bin 
von der Mutter der einzige des Blutes, der 
dann nod) erbberedjtiat ijt.” 

„So feid Ihr der Freiherr Achatius von 
Gollern, nad) bem feit zwei Jahren pore 
ergeben durch alle deutichen Lande?” rief ber 
medlenburgijde Herr voller Staunen. 

Und da der Herr Achatius nicht ja oder 
nein [ugte, begann er in ibn gu dringen: 
„Was zaudert Ihr nod) lange? Laßt Jatteln, 
reitet hin und nehmet dic Güter ein. Gie gel: 
ten als eines ber |chönften Lehen ber Mart.” 

Der Rittmeijter wandte den Kopf lang: 
fam zur Geite und jab Gottliebe an. 

„€s ift Eure Pflicht, Freiherr!“ rief bas 
Fräulein von Herrenbrud. „Wer fein or, 

ejtammtes Land läßt, begeht Felonie an 
einem ganzen Gejdledt!* ` 

















Der Herr von Donop fügte hinzu: „Wenn 
Ihr anibt noch länger auf Abenteuer be: 
pue ollern, ba Euch bie Schollen Eurer 

äter rufen, jo würde offenbar, daß der 
Krieg edles Blut zu trüben vermag.“ 

Herr Adhatius antwortete auf diefe drin: 
enden Reden nichts. Er vermochte feine 

lide niht von Gottliebe zu wenden. (End: 
fid) erhob er fid) und erbat Urlaub. 

Am nächlten age fand ihn Fräulein 
Gottliebe in feinem Turmgemad in Geban: 
fen veriponnen. 

Er verneigte jid) tief und jagte mit ſchwerer, 
fuchender Stimme: „Was |djafft mir bie 
Ehre, roule von Sjerrenbrid), dak Ihr 
mid) felbjt in meinem Gemade aufjudt, ba 
Ihr mid) bod) jederzeit rufen laffen tónnt ?^ 

Gottliebe Jab ihn milde an und erwiderte: 
„sh weiß, Euer Leben ändert fih! Ahr 
habt heute nacht viel abtun miijjen von der 
alten Lebensriijtung, um leicht zu fein für 
den neuen TFechtgang mit neuen Waffen, 
denn id) gwerfle nicht, dak Ihr entichlojjen 
fed, bas Erbe Eurer Vater einzunehmen, 

as Gott Euch beftimmt hat. Indes habe 
ih Eure Reife vorbereitet. Rudolf hat 
Sattelzeug neu gerichtet. Ich habe ihm den 

Iben gegeben, weil es ein altes, Dauer: 
aftes Tier ift, und ein Handpferd ijt bereit 
mit Deden und Mundvorrat. Co Ihr es 
möget, finnt Ihr morgen in der Frühe auf 
dem Ritt fein." 

„Volt Ihr mid) fortweifen, Fraulein 
Gott[iebe?^ fragte ber 9Rittmeijter. 

„Würde Gud) immer bei mir behalten für 
bas, was Ihr mir an Treue geleiftet habt, 
oe Achatius,“ jagte Gottliebe, und ihre 

ugen waren voll Sehnjucht. „Aber id) 
ys es für Teufelei, wenn ein Weib einen 

ann abbált von Beruf und Wert. Kommt 
Ihr aber einmal wieder die Straße hierher 
reen werdet Shr mir immer willlommen 

ein als lieber Galt." 

Der Herr Achatius erwiderte nichts mehr. 
Er hatte die Finger der beiden Hände in- 
einander geſchoben und preßte fie jo heftig, 
daß die Knöchel fnadten. „Läßt mein Herz 
tod bod) nicht von bier,” jagte er. „Dit mir 
bod, als wäre id) angefdmiedet mit eifer- 
nen Ketten, die niemand nicht fieht.“ 

Da rungelte Fraulein Gottliebe die Stirn: 
„Wer mir felbjt fagt, er fei ein gebunbener 

ave, den achte ich nicht für einen Mann. 
Könnte es nicht glauben, dak Ihr Eure 
Hand ruhen lajfet, wenn Gott Gud) jelbit 
gebietet Aräugreifen und zu [djaffen." 

_ Herr Udatius fentte den Kopf, als wäre 

ihm ein verdammender Spruch vom Kriegs» 
ericht aubiftiert. Er beugte fih, ergriff die 
and des Fräuleins unb tüßte fie. 

Am andern Morgen in der Frühe trat 
e reiecta in ben Hof, Fraulein Gottliebe 
von Herrenbruch erwartete ihn bei den Pfer— 
bem. Cie penje jelbft jeden Riemen und 
jede Schnalle nad. Beide Hände pU (ie 
thm beim Abſchied. Sie jagte tein Wort, 
mut ihre Angen ſprachen. 


Das wehrhafte Frdulem  d3:242€243€352423€ 383248. 50 


Der Herr Achatius ritt zum Tore hinaus, 
wie in einem Traum. In Prächten lag die 
Maienlandichaft vor ibm, und als er ben 
Kopf wandte, jah er aus einem (Gemadje 
eine Frauenhand mit einem Tüchlein winter. 

Als die Sonne im Mittag ftand, fand fie 
den Herrn Achatius auf einer Raft in einem 
ausgebrannten Haufe am Wege. Denn aller: 
orts ftanden nod) Ruinen als Zeugen bes 
großen Krieges, und um diefe verwüſteten Höfe 
lagen die Äder vermooft, zurüdgewonnen vom 
wuchernden Walde, verjunfen im SINE 

Diefelbe Sonne, bie bem Herrn Achatius 
und feinem Knechte beim Viable 3 und 
den ag ae beim Grafen auf verwiijtetem 
Ader, ſchaute aud) hinab auf das Haus 
pereng, durch deſſen Räume das Fräu— 
ein Gottliebe, ohne Ruhe zu finden, jchritt, 
als fuhe fie, was fie verloren. 

Und die Sonne ging auf und nieder einen 
jeden Tag. Der Ichlante, hoffnungsgrüne 
Frühling wid) bem gelben Sommer. j 

Das goldene Korn ftand auf den Feldern 
und neigte ſchwere Ähren, als Herr Achatius 
diejelbe Straße, auf der er im Frühling 

inausgeritten, zurüdtrabte.e Es wollte 

bend werden. Am roten, heißen Himmel 
ftand ein Dunft. Er ritt in den Stillen, leeren 
Hof von Herrenbruch, [hwang fih aus bem 
Sattel und |djritt ins Haus bimein. 

Es war ftil und ruhig, denn bas Frau: 
lein hatte bas Gejinbe zum Wbendgebet ver: 
jammelt. Go gelangte er in bas Gemad 
der Herrin und wartete bis fie fam. 

Als Fraulein Gottliebe eintrat und Die 
dunkle Mannesgeftalt in bem abendgeröteten 


OC erblidte, prete fie bie Hände auf 
die xs und atmete tief auf, als ſähe fie 
eine Erſcheinung. 


„Seid Ihr's denn leibhaft, 9[djatius ?" 
fragte fie und da er nidte, fragte fie weiter: 
welder Wind weht Euch zurüd? Habt 
Ihr in der Heimat nichts gefunden, was 
(ud) fe[tbielt ? 

„sch bin gefommen, um Euch zu danten,” 
ermiberte der Freiherr. „Als id) auf ber 
Scholle bes Bodens ftand, ber meinem Ge: 
Ichleht augebórt, wußte id), dak id) mid) 
einwurzeln werde und daß bie Unraft ſchwin— 
den wird, die mich umtreibt. Aber das alte 
Haus liegt einfam in Wald und Bruh. Coll 
es recht gehalten werden, bedarf es einer 
Frau, bie im innern Kreije herrſcht.“ 

Das Rot im Fenfter ward dunkler. Die 
Schatten im Raume erhoben fid) hod), wie 
madjenbe, jchwarze Riejen. Nur bie Ge: 
Hier und Hände der beiden Menjchen leuch- 
teten nod) ſchwach. 

„Seid Ihr gefommen, einen Kameraden 
zu werben?“ fragte bas Fraulein mit tiefer, 
erregter Stimme. 

„obr wollt mir folgen?“ rief Herr Wha: 
tius unb feine Worte flirrten, als zerbrächen 
Ketten in ihm. 

Sn dem dunfelgewordenen Zimmer hielten 
fid) zweie umjchlungen und leken einander 
nicht los. 


- — 
(Gind aus Des Merto 


OCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC CC LE FFF IFIIFIIIIIIIFI III IPIIIIIIIIIIIIIIIDIIIIFIIIFIFIIIIIIIIIO 


Künftlertraum.  Cilvelter 1917 
Bon Profeſſor Johannes Gis 


jap in meinem großen, jdn 
hergerichteten Atelier wie ein Fürſt 
und empfing zu einem Felt. 

Su meinen Füßen lag ein Hun: 
derttauſend-Markſcheck als Magen, 
unb bie Himmelsgöttin Phantafie, geſchmückt 
mit Zapislazuli unb Amethyſt, ſchwebte mit 
zaubervollem Lächeln um mid). Keine vor: 
tragenden, feine nachtragenden Räte — 
dafür ftanden Idealismus, Naturalismus, 
Imprejfionismus, Rubismus und alle mög: 
lichen anderen Ismen vor mir. 

Als Zeremonienmeijter hatte id) an ber 
Tür meine lange eiferne Bredftange poftiert, 
die jedesmal an einen blechernen Waſſer— 
eimer laut und vernehmlich jchlug, Jobald 
ein neuer Gajt erichien, während neben ihr 
ein gejchmeidiges Bleirohr als Hausdame 
lehnte, bie fih vor jedem Eintretenden aufs 
höflichite und anmutigfte pernetate. 

Wie der Eimer zum erftenmal erdröhnte, 
erjdjien auch gleich Der vornehmfte meiner 
Gajte: Signore Marmor aus Carrara in 
blendend weißem, reich mit Akanthus bejegtem 
Habit, ein corpo di bacco... Dio mio! auf 





den Lippen; fein nod) vornehmerer Better 


aus Paros war leider unablömmlich, da er 
bei feinem an Fleten leidenden Bruder auf 
bem Pentelifon weilte. Mjo: Signore Mar- 
mor mit Frau Bronze, geborenen Kupfer, 
in jchimmernder Toilette à cire perdu — 
einen mit einem Mäander bejäumten goldig 
glänzenden Schleier umgebunden — begleitet 
von ihrer älteren Tochter Patina, in jchönent, 
malerijd) blau-griin oxydiertem Gewand, 
Darauf der etwas leberfranfe Beitel Elfen: 
bein, ganz in Gold gefaßt, was zu feinen 
gelben Wangen und Händen vorzüglid) Honn: 
mit Augen aus Opal und Adhat — ein Ab: 
fommling eines gewijjen Phidias aus Athen. 
Der führte die [d)ón geölte Frau Linda Holz 
wie eine Madonna von Weit Stoß! 

Dann tratidjte der alte Schlemmer Ton 
mit weichen, |d)lappen Tritten wie ein Hippo: 
potamus herein. Hinter ihm ber der jain 
geichliffene Granit, ein Mann von feljen: 
jejter Gejinnung, während fid) der von Sturm 
und Wind verwitterte Mujchelfalt vom auf: 
polierten Herrn Eijenguß einführen liek. 

Cine Heine Pauſe, während der ich mit jedem 
einige Worte wechlelte, dann erjchien ein allge: 
mein angeltauntes, |hönes Brautpaar: Herr 
Reidhgold mit Fräulein Silber, diefe in glän: 
zender Toilette mit a jour gefaßten Juwelen, 
begleitet von ihrer bejcheidenen Zofe Zinn. 


Zum Schluß tauchte nod) ein ganz liebes, 
reizendes Mädchen mit rübrenb naiven 
Augen auf: Fräulein Terrakotta, die fid) oer: 
pätet hatte, weil ihr Weg von Tanagra 
ber jebr weit war. Cie war bejcheiden, 
aber mit großem Gejdjmad gekleidet, wenn 
ihr Roftüm aud) fhon etwas verbraudt und 
die Farben jehr verbliden — |o daß von 
diejen nur nod) Spuren übrig waren. 

Am unjcheinbarften war, abgejehen von 
feiner Majje, der weiche und gutmütige Herr 
Ton. Diejer trug feine Kleider feucht auf 
dem Leib, damit er weich blieb, weil er 
jonjt — bejonders wenn er fih erbigte — 
zu bart wurde und Gefahr lief zu plagen. 
So hat jeder jein bejonderes Temperament. 
Außerdem ging er ohne irgendwelchen 
Schmud, während alle andern großen Staat 
machten: fie waren poliert, ladiert, gefirnift, 
geichliffen, fajtert, zijeliert und gepungt. 

Der Blecheimer dröhnte wieder, unb es 
erichienen von einem andern Eingang ber 
Herr Wintel mit Frau Reißſchiene: er 
jehr edig und fura — jie dagegen eine lange 
Latte. Ganz belonberes Aufjehen erregten 
bie Brüder Pinjel — der eine davon ein 
richtiger Einfaltspinjel. Sie tamen mit einigen 
Paletten, welche nod) voller Farbe waren. 
Darunter das lichte Fräulein Oder: deren 
Kippen dDufteten nad) Sandelholz, und am 
Bujen trug fie ein Sträußchen von Parma: 
veilden; ‘Fräulein Kremjerweiß, bet deren 
Eintritt ji) der ganze Raum GC — 
die Sntelligengfampen wurden erft fpäter 
angezündet. 

Ganz unerbeten erihhien zu meinem Er: 
jtaunen nod) Herr Cdjlenbrian, zujammen 
mit der wiijten Kofotte Kitſch, in ganz zer: 
rijjenem Schlafrock Iotterig hereinjchlurfend 
— beide wurden auf meinen Wint hin von 
einem der Feltordner zurüdgewiejen. 

Diele Feltordner traten jo recht in Funftion 
als alle Gajte beilammen waren. Da war in 
eriter Reihe der langbeinige Herr Zirkel, ber 
dafür jorgte, daß alles in jdjónitem Kreije. 
blieb. Dabei waren ibm bebilflid das 
Ipindeldürre Fräulein Lot, die ruhige, og: 
jittete Frau Wallerwage und ein rechter 
Winkel von 90 Grad. Bon Beit zu Zeit 
jaben dann nod) Herr Zollltod und Frau 
Metermaß nad) dem Rechten. 

Ich Hatte das Atelier mit den aller: 
Ihönjten Gobelins geijhmüdt, auf denen 
Landjdaften vom Olymp, von ber Afro- 
polis und aus der Walpurgisnacht mit dent 


DESSFIETEZT Profellor Johannes Gs: Künftlertraum. Gilvefter 1917 Ree 91 


Peneios und mit jchönen, von der bleichen 
Todesblume überwucherten Asphodeloswier 
jen zu jehen waren. Darin ergingen fidh: 
Zeus und Semele, Luna mit Endymion, 
Plato im Gejprad mit Cofrates — von 
Altibiades begleitet; Perifles mit feiner 
Aſpaſia, dieje den Olympier: mit gluten: 
den Augen zum Bau des Parthenon be: 
geijternd; Deus, id) mit Hera zanfend, 
und der gelehrte Doktor Fauft, wie er im 
Sauberjpiegel die jchöne Helena erblidt. 
Eine Landſchaft ge mir ganz bejonbers, 
weil fie mich heimatlich berührte: bas war 
die Burg von Nürnberg. Da jah man 
Albreht Dürer — wie auf feinem Gelbft: 
bilbnis —, Hans Gadjs, bie ‚Pfriemenweile‘ 
fummend, mit Adam Kraft, Behaim, Peter 
Bilder und Beit Stoß aus ihrer Stamm: 
fneipe in der Miorikfapelle an ber Sebalder: 
Kirche fommend, mit Willibald Pirfheimer 
aujammen den Burgberg ite or bear 

Stadj»em alle meine Gajte jid) begrüßt, 
umgejehen und angefreundet hatten, begann 
das Diner; denn zu einer guten Stimmung 
gehört ein wohlgefüllter Baud. Gerade zur 
rechten Zeit famen nod) Herr Ciegellad mit 

anz roter Nafe und Frau Briefmarke nebjt 
Fräulein SBoftfarte — diefe von einer Welt: 
reije nad) Pankow als unbejftellbar zurüd. 

Das Arrangement des Diners hatten Herr 
Eierjtab, Frau Hoblfehle, bie id) nod) von 
meiners Baters — her beſaß, und 
Frau Perlſchnur beſorgt. Mit Manna und 
gebratenen Wachteln konnte ich der Kriegszeit 
wegen nicht dienen; Kaviar gab's auch nicht. 
Wenn nun das Mahl auch keinem lukul— 
liſchen glich, ſo wähnten doch alle, noch viel 
üppiger regaliert worden zu ſein. Denn ein 
ganz ſeltener Zauber ließ die ramponierten 
Teller und Gefäße als die auserleſenſten, 
koſtbarſten Geſchirre und Becher erſcheinen. 
Zu meiner eigenen Verwunderung ſchaute 
das Atelier wie der allerſchönſte Speiſeſaal, 
etwa wie der eines indiſchen Nabob oder 
eines Dollarkröſus aus. Der Fußboden er: 
glänzte in fein|tem Mojaif, in bem aus far: 
bigen Steinen bie verlodenb|ten Cpeijen ein- 

elegt waren: Hummer, Falanen, Wild: 
Ichweine und Rehe; Auftern, Aal und Fo- 
rellen, bie begehrteiten Früchte... jo, dak die 
Gäſte glaubten, jie wären ihnen auf der Tafel 
vorgejegt worden. Ich merkte ſehr wohl, wie 
jie ſchmauſten und jchmasten, und hörte, wie 
Diefer das Perlhuhn, jener die gebratene 
Turteltaube, ein andrer den Rheinlads als 
das gelungen|te der Gerichte pries. Gie 
waren außer fid) vor Bonne, Anne ich 
nod Lifdr von gejchmolzenen Perlen der 
Kleopatra bringen ließ, wovon id) nod) eine 
Amphora voll hatte. 

Dak alles gut flappte, dafür jorgte bas 
vorzügliche Küchenperjonal: da waltete Die 
alte, eingefahrene Frau Drehicheibe mit ihren 
Mädchen, dem Fräulein Gummiball, der 
Spachtel und dem jchon etwas reiferen Frau- 
lein Gliederpuppe mit wahrem Biereifer. 
Nur bie Heine Wajleriprige war unzuvers 


läſſig. Abgeſehen davon, daß fie ein gewij- 
jes Verhältnis zu Herrn Ton hatte, war 
überall gleich ein najjer Fled, wo fie ging 
oder ftand, denn fie ledte gern. Zahlreiche 
Reißzweden [tanben und liefen als Pilfolos 
herum, während Frau Staffelei, zuſammen 
mit Frau Modellierjdlinge, gut — 

Ein ſchönes Mädchen ging mit ftrahlen: 
dem Lächeln um den Tijd beri und jdjentte 
jedem aus einer goldnen Schale ein: Am- 
brojia mit einem Schuß Humor. Das war 
bie Freude, ber ſchöne Götterfunten, ‚Tochter 
aus Elylium‘ von Schiller, die über bas 
Altägliche erhob. 

Während der Mahlzeit flogen ‚Geflügelte 
Worte‘ umher. Das eine plapperte immer: 
zu: „Der Gott, der Gijen wadjen ließ“, „Üb 
immer Treu und SReblidjfeit", das andere: 
„Soweit die Deutlde Zunge Hingt“, „Der 
wollte feine Knechte!“ Wieder eines hatte 
ein Maul wie eine laufende Schuld, und 
Ké fam ein ganzer Schwarm geflogen, 
0 bap gar nichts mehr zu verjtehen war. 

Als die Gajte nod bie Spargel in Die 
Lange zogen, hielt ich eine turze Anſprache, 
in ber id) ihnen für ihr Gridjeinen dankte 
und glei Horaz jagte: „Durch euch non 
omnis moriar!“ Als id) nod) der Bereit: 
willigfett und tüchtigen fork meiner Ge: 
jelen gedachte, quinquilierten jie alle, flirr- 
ten Beifall, flapperten und ftampften. Einer 
der Gajte erhob fid) und erwiderte mit einem 
Panegyrikus auf mich, worauf ich mid) be: 
idjeiben abwehrend verneigte. 

Es fam auch nod) ein balancierender Knabe 
in feiner urjprünglichen Geftalt, ſowie ich ibn 
am Lützowufer tm Berlin auf dem Gelan- 
der habe pendeln jehn und wie er mir dann 
Modell gejtanden: Silvio, ein Heiner, ſchmut— 
iger Stalienerjunge; diesmal nicht mit Kon: 
— ſondern er hatte jetzt einen viel grö— 
eren Kaſten age und rief, die Tafel 
umfreijenb , in urfixem Berliner Jargon: 
„Figuri, Figuri! Gauft [heene Gipsfiguri! 
Meine Erreſchaften — allerjcheenjte Figuri 
von Erren Profefjore!” Und erzielte damit 
einen viel größeren Erfolg — einen Profit, 
den er mit feiner Landsmännin, meiner 
Wajferjdhipferin, welche er von der National: 
galerie her fennt, redlich teilte. — 

Nun wurde laut ein Extrablatt ausge: 
rufen: „Wilfon, ber Snbianer!... Willon, 
der Indianer!” Das erregte ungeheures 
Aufjehen, denn fein Inhalt ließ den harteften 
Granit erbeben, das Herz des Herrn Eilenguß 
ihmol} wie Butter, und Frau Linda Holz 
zitterte wie Ejpenlaub. „Wiljon fühlt jid) 
als Häuptling aller Indianer und fegt 
auf jeden deutjchen Stalp einen Preis von 
1000 Pfund Sterling. Die graujame Prozedur 
wird von den (Gnglánbern à la Baralong 
jportmagig betrieben, und 2000 Holzſchiffe 
ind bereits im Bau, die wertvollen Trophäen 
ins Land bes legten der Mobifaner überzus: 
führen. Außerdem wird jeder amerifanijche 
Soldat mit einer Bibel ausgeriijtet, die zu: 
gleich als Bombe dienen fann.“ — 


(IBS: KRünftlertraum. 


einen Daumen vom Koloß von Rhodos, 

den Bart von der Sphinx des Pharao Chefren, 

den Cdjilb der Pallas Athene, 

eine San Alexanders des (Groben, 

eine Klaue von Fajner, der den Nibelungen: 
Hort gebiitet, 

das Zepter Karls des Großen, 

den Meißel Michelangelos, 

das Ei des Kolumbus, 

den Krüditod des Alten Frig, 

Napoleons Dreijpig mit bem TFeldherrnblid 
darunter, 

bie Redftange, an ber Turnvater Jahn feinen 
erjten Klimmzug verjuchte, 

Bismards Pallaſch und feine drei Haare in 
Ju enditilfaflung, 

die eilens, filber« und goldbenagelte Wiege 
Hindenburgs, 

bie Milchflajche, aus ber Ludendorff mit Stra: 
tegie gejäugt wurde, 

einen gigel des ehemaligen Fliigeladjutan: 
ten Mackenſen, den er bei mir im Atelier 
hatte liegen laffen, 

einen großen, ſchweren Beutel, indem der erfte 
bal gie auf Zinjeszins liegt und fid) vere 
mebrt. 


WM meinen Gajten gingen nun erft bie 
Augen auf, und fie jaben, während Chro: 
nas feine Bahn weiterzog, wie die allerjüngjte 
von feinen Töchtern — es war bas zwan: 
igfte Jahrhundert — fiir einen Augenblid 
p hielt unb ein ganz feines, lebendes 

elen mir jorglid) aur Ceite legte, indem 
jie SER jagte: „Da dir jede einzelne Minute 
dein Leben lang lieb war — [o bejdjer' id) 
dir heut zu deinem Felt ein ganz junges 
Neues Jahr! Mög’ es dir recht viel Freude 
bereiten.“ Und dann eilte fie ann nad, 

Bewegt drängten meine Bälte auf mi 
zu und gratulterten mir herzlich, einer na 
dem andern — jeder auf Gene Art. S 
aber ergriff behend meinen Pofal, der bis 
an den Rand mit — Hoffnung ge: 
Hilt war, und rief laut, in begeijternber Et: 
itafe: „Das Neue Syabr! . . . Es leben alle 
guten Geijter! Und unjerm Vaterland den 
allerehrenvolljten Frieden!“ 

Da breitete fih über aller Geficht ein hei: 
terer Schimmer, und ein jeder gab fid) einer 
roligen Stimmung Din. Es dauerte gar 
nicht lang — fieh, ba öffnet fid) die Tür, 
und es erjcheint mein alter Freund Humor 
mit einigen der beliebtejten von feinen Galgen: 
vögeln. Das waren: Der Humorijt Ober: 
länder als Gatyr von Pans Gnaden, der 
Dramatifer Wilhelm Bujd als Doftor ber 
Philofophie honoris causa, welder Titel ibm 
von einer Fakultät zur CErforfdung der 
Seelenfunde verliehen worden war, und der 
Gimpltailfimus im anum der Eijernen Jung: 
Iron in der TFolterfammer zu Nürnberg, 
mit Dijteln und Stechpalmen in der Hand, 
mit einigen feiner beliebteften Mitarbeiter: 
Gulbranjjon und Th. Th. Heine darunter. 

Der erjte — Oberlander — wirfte unge: 
mein bebaglich dE feine Gemütlichkeit; 
der Doktor ber Philojophie Buſch frappierte 


Silvefter 1917 BESesesesesed 93 


wie „Bieten aus bem Buſch‘. Während diefe 
beiden wie mit hellem Gonnenjdein in bte 
allerdüfterjten Herzen leuchteten, verlegte 
ber Simpliziſſimus durch fein ftachliges Ge: 
wand, wenn er auch zuweilen den Nagel 
febr gut auf den Kopf traf: „Man darf 
aber auch feine Trauben von den Dornen 
unb feine eigen von den Dijteln erwarten!” 

Alle dret liepen fih über Leidenſchaften, 
Tugenden, £ajter, wie über jchlechte Gewohn» 
heiten unjerer lieben Mitmenſchen vernehmen, 
und während die meilten der Zuhörer fid 
vor Laden ftugelten wie Rollmöpje, befreu: 
Kär fid) bie Prüderie wie eine fromme 

etichweiter, obgleich fie eben mod) einen 
zweiten Frühling erlebte. 

Nach biejem Intermezzo wurden Lebende 
Bilder gejtellt, die, weil bie Intelligenzlam: 
pen nicht genügend funftionierten, nod) durch 
bejondere Genieblige erhellt wurden. Gie 
wären [|djlieBlid) aber gar nicht nötig ge: 
melen, denn bald darauf fhidte Sirius feme 
belliten Strahlen, und Aldebaran verklärte 
alles mit rojigem Licht. 

In meinem fleinen Atelier nebenan hatte 
id einen Rauchjalon eingerichtet, in dem 
aus langen tiirfijchen Pfeifen — wurde, 
in die hinein ich unter den Tabak Haſchiſch 

emiſcht hatte — neugierig zu m wie Der wits 
en würde... Gin Alldeuticher fah Wodan 
und Donar mit feinem Hammer auf hohen 
prabijtorijdhen Menhiren figen, den Helden: 
mut der deutjchen Krieger bewundernd und 
all feinen Annexionsgelüjten gujtimmend. 
Ein Demofrat fal nicht nur das allgemeine, 
gleidje Wahlrecht, jowohl für Frauen als 
aud) für Kinder auf dem Wege, jonbern 
forderte aud) noch laut bie Wiederfeier der 
Saturnalien, bei denen bie Armen zu Tijche 
figen und von den Reihen bedient werden 
würden, Bei einem jonjt jdetnbar ganz Harm: 
Injen fam feine wahre Gejinnung zutage: er 
jah Laſſalle, ben „Begründer ber wahrhaft- 
deutſchen Nation” — wie er ihn nannte - 
burdjs Brandenburger Tor mit feinem 
Roten Fuchs‘ — Der Helene von Dönniges 
— einziehen, dort feierlich und devot begrüßt 
vom alten Kaifer jamt Dellen ‘Baladinen. 
Da bieler Schwärmer fid) aber bei Tijch zu 
febr übernommen Hatte, fo fam ihm feine 
weitere Schilderung nicht mehr vom Herzen, 
jondern — alles aus bem Wagen: jo wie 
es einjt bei Lajjalle bem armen Hans von 
Bülow ergangen war, Wieder einer Jah Ta: 
Jon KSE ae jden, aus denen ein Heer 
von SHindenburgbiijten erwucd)s, bie derart 
grimmig dreinichauten, daß es unfre Feinde 
qraujte. Als jchließlich bet einem der Raucher 
Brößenwahn ausbrad und er nicht nur 
Schiller zitierte: „Millionen Jorgen Dafür, 
daß bie Gattung beitebe, aber durch wenige 
nur pflanzt bie Menfchheit fid) fort,“ jondern 
auch jehr dringlich eine ihm würdige Ge: 
nofjin aur Beweisführung forderte — da 
ließ ich von meinem EN Feuerſchwamm 
ein paar Stinkbomben legen... und alle 
famen bald wieder zu lich. 


04 Iesse SCans Bethge: Neujahrsiprud [B£343€3€3434343€3434353531 


Mod eine ganz bejondre Freude war mir 
beichieden: Klirrend und bróbnenb — ein 
Elmsfeuer auf der Lange — erfdien mein 
Acilleus aus Korfu! Er batte bas Gelumpe 
der dortigen Eindringlinge, bejonders den 
Bettler, den König von Serbien, ber ibm 
Schmollis angeboten, fatt und wollte an bie 
deutjche Front, den ‚Stall Europa‘ mitzu- 
jaubern — vorher aber bod) nod) die Stätte 
\ehen, wo er entjtanden fei. Er dankte mir für 
die Mühe, bie id) mir mit ibm gegeben, und 
iprad) die Hoffnung aus, daß wir uns bald, 
recht bald ‚drunten im Land ber Phäaten' 
wiederjähn. Sprach jodann begeiltert vom 
Kaifer, küßte meine Kinder, ließ meine Frau 
grüßen und eilte davon. We, alle waren 
von feiner Pracht und feinem edlen Feuer 
wie geblenbet! 

Zum Schluß war dann dod noch Herr 
Marmor aus Paros erjdjienen — das Met: 
den feines Bruders auf bem Pentelifon war 
war unbeilbar, aber nicht bebentlid). Und 
wollte er nicht verläumen, mir aud) feine 
Aufwartung zu maden. Er witterte, daß 
vorher ein bedeutender Landsmann bage: 
wejen und war gerührt, daß er nun bod) nod 
den Boden betrat, auf bem der Sohn der 
jilberfüßigen Thetis fura vor ihm gejtanden. 

[les drängte um ben Mann, aus dem 
nod) STAR Wig und fofratijde Philojo- 
phie [trabIte. Er erzählte von ber Wande- 
rung Der Geelen durch bie verjchiedenen 
ormen des körperlichen Wejens, jprad) von 
per Muſik ber bimmlilhen Sphären und 
gab jchließlich nod) ein prächtiges Nätjel 
zu ratem, über bas fic) ſchon attijche Whend- 
gejellichaften amüliert hatten: „Ein Mann 
und Dod) fein rechter Wiann wirft nad) einem 
Vogel und doch feinem richtigen Vogel, mit 
einem Stein und bod) feinen rechten Stein 2” 
... Und als wir uns alle vergebens die Köpfe 
zerbrachen — dies nur bilblid) genommen — 
da gab er bie Löſung: Ein Eunuche wirft 
nach einer Fledermaus mit einem Bimsitein.“ 

Co brachte ber Helene nod) attijches 
Calg in meine Behaujung — aber das Felt 


LÉI 


am 


ANAKAN AAAA rk? 


JOQOWOIOIOKYOIOIOINQINOINIOQINO|OIOIOIO} 


Ic 
8 


b 


Neujahrsfprud 


Ein Jahr ift fura, ein Jahr ift lang, 
Sit voller Luft und Überſchwang, 
Bol Langeweil und Weh. 

Wir kleben jeufzend an der Zeit 
Und jaujen bod) mit Spharentlang 
Won Ewigkeit zu Ewigfeit 

Wie Wind und Gand und Tee... 


Hans Bethge 


TIA OIOIOMOMOAOIOOOMMOIAOATOIOOOIOIOIONOMONOAOIAOMOACACICIOIOMOOKAIOOIA Ar A 2X 


endete bod) anders als id) mirs zum zwei: 
ten Male würde träumen laffen. 

— — — (Es endete damit, daß die Illu— 
fion, welde den ganzen Abend um uns 
webte, nadydem De nod) goldene Apfel aus 
ben Garten ber Hejperiden verteilt und Duft 
von Wiyrrhen und Ambra verbreitet hatte, 
ber fogar die Melancholie beraujdte — pop 
bie Slufion, geldjmüdt mit [djónen antifen 
Rameen, fih ganz allmählich in eine verblühte 
Tuberoje verwandelte, die fid) entblätterte. 

Die Bälte rauften fid) um die fallenden 
lIilienförmigen Blätter, und diefem Vorgang 
folgte eine Jolche Erniidterung, daß mand) 
zartes Band, an biejlem Abend erit ge- 
fnüpft, fid) jchon wieder Lotte, Ja, ein eben 
erit angelpi&ter Bleijtift eritad) — jet, da 
taum das Neue Jahr das Licht ber Welt 
erblidt — erftad fogar Fräulein Glieder: 
puppe, in die er fid) verliebt hatte, als er 
erfonnte, daß fie nur ein mit fenjchem, 
trodnem Stroh gefülltes Wejen — feine 
Venus von Milo war. 

Reine Lenormand hätte mir je voraus: 
gelagt, daß mein Felt mit fold) einem débacle 
enden würde! 9irgerlid) langte id) zu, meine 
Bäfte allejamt in den großen Tontajten zu 
werfen, nachdem id) fogar den Fategoriichen 
Imperativ vergebens zu Hilfe gerufen. Sie 
webrten jid) aber dermaßen, dab id) alle 
meine Kräfte aufbieten mußte, ihrer Herr 
gu werden, Und wie ich den jdjmeren Det- 
el dann endlich über ihnen zuwarf — da 
ſpürte id) bas gar an meinem eignen Leibe! 
— — Davon erwadte ich... und fand mich 
mit einer großen Beule, jo groß wie bie 
Ratella, die Kniejcheibe des Ajax (wie ein 
Diskus) neben meinem Bett auf dem Bo- 
den liegen — Sogar mein Hundert- 
tauſend-Markſcheck, der jid) bod) zum Hundert- 
undfünfzigtaujend:Marfiched vermehrt hatte, 
war verichwunden. 

Nur nod) einen Apfel aus den Garten 
der Helperiden hielt id) in ben Händen: der 
war, als td) näher zujah, eine Schrippe aus 
bem erfien Kriegsjahr 1914! 


—— — 
. 


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& Neues bom Büchertifch e 


Bon Rarl Streder 


OC€CCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC CCE IF IIIIIIIIIIIDIIIIIIIIIIIFIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII30 


Gord Fod, Sterne überm Meer, Tagebuchblätter (Hamburg, M. Glogau) — 


Walter Flex, 


Der Wanderer gwijdhen beiden Welten. 
Abendmahl (Münden, Ostar Bed) — Klara Hofer, Bruder Martinus. 


Bom großen 
Ein 


Bud) vom deutichen Gewijjen (Stuttgart, J. G. Cotta jhe Buchhandl. Nachflg.) — Ru: 


dolf 
Der 


ergog, Die Stoltenfamps und ihre Frauen (Ebenda) — Rudolf Strag, 
ilerne Mann (Berlin, Uljten & Co.) — S 


obann Gillbof, Gurnjafob 


Swehn, ber Wmerifafahrer (Berlin, Verlag der Täglichen 9tunbjdjau) 





Won Deutjchlands heiligem Frühling, 
jener früh bingeopferten Männer- 
jugend, bie rings um des Vater: 
wie ein edler 
Kranz, Knoſpe an Rnojpe oe: 
ichlojfen, liegt, wehen aus zwei Kriegergrä- 
bern verwandte Geiftergrüße heran. Vom 
Stagerraf ber eine, von der Snjel Ziel 
der andere, tommen fie mie out Möwen— 
Ihwingen daher, und ihr Meereshauch bat, 
tert flüjternd in zwei aufgejchlagenen Bi: 
dern. Gord Fodund Walter Flex — 
deren Graber wie zwei weithinausgeitedte 
Grengmarfen beutjdjer Meeresjehnjucht auf 
fremden Eilanden liegen, von Wind und 
Wellen umraujd)t — : wer hat euch totgejagt? 
Gerade euer ebel|tes und höchſtes Leben ift 
uns gerettet, und es war mehr als ein Wort: 
bild, wenn ich von den Beiltergrüßen |prad), 
die im den Blättern eurer Bücher raufen. 
Man braudt nur wenige Seiten der Tage: 
buchblätter Sterne überm Weer ge: 
leſen zu haben, und fhon jtebt Gord Fod 
lebendig vor einem, Der Finfenwärder 
Jung’ mit ber Matrojenmüße auf ber freien 
Stirn, mit den lachenden blauen Augen. 
Auf feinem Geficht wie in feinen Büchern 
ijt lautere Natur zu lejen, frildjer Seemanns» 
jinn und heiße Liebe zur Heimat, vor allem 
aber zum Meer und zum fröhlichen Seilen 
(Segeln). Ein Dichter tann von einer Elbinjel 
aus einen Querfchnitt durch die Welt legen. 
(Bord) God war feine Heimat alles. „Unjere 
Alpen,“ fchreibt er in biejem Buch, „find 
untere Wolfen — ewig wandelbar und 
ewig ſchön.“ Und an anderer Stelle: „Die 
Heimat ijt ber Schlüjfel zu der Seele des 
Menihen. Dann aber gibt es Mtenichen, 
bie ber Schlüffel zu ihrer Heimat find.” 
Gord Fod gehörte zur diefen Menſchen, er 
war ber Gchlüjfel zu Land und Leuten 
feiner Waterfant; fein deutjcher Dichter hat 
uns bas Meer fo in feiner ganzen Herrlich» 
leit und Gefahr gejungen, wie er. Das 
Laden nennt er fetne "A ungmüble“, er hat 
es als Heiner Junge on elernt, wenn 
er auf feines Baters, des Hochleefilchers, 
Gegelihiff an Bord fein durfte. „Als 
Mutter fnüttenb auf den Lufen fak, als 
Bater fröhlich:ernit am Ruder ftand, und 
Rudolf unjere Fod bejorgte... Der große 
[done Ewer Hüfte — ein Wilingboot, ein 


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EOM landes Grenzen 


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Königsihiff! Im Sommer wars — bie 
grauen Segel flogen.“ Und bod) war Gord 
tein gebantenlojer Schwärmer. Won ibm 
jtammt bas jdjóne Wort: „Tu fannjt dein 
Leben nicht verlängern noch verbreitern: 
nur vertiefen, Freund.” Es tjt einer Ddiefer 
„Sterne überm Meer”. 

Gord Fod hatte es nicht leicht in feiner 
Jugend. Not unb Entbehrungen blieben 
ibm nicht er|part, aber fie waren für diejen 
tapferen, ftarfen Menſchen wohl nicht jo 
\hlimm wie der Zwang eines untergeord- 
neten Berufs und aufreibender Tagesfron. 
Er rang fid) durch und verlernte bas Laden 
nit. Gerade war man auf feine erjten 
Schriften aufmerfjam geworden, Ruhm und 
Glück lachten ihm, da brad) der Krieg aus. 
Er erlebte diefje Schickſalsſtunde Deutichlands 
jo tief wie wenige. ,Romme was fommen 
mag: id) halte mehr in Händen als id) je 
zu halten glaubte, und Tonn bod) fterben, 
wenn Deutjchland jterben foll! Deutichlands 
Schidjal ijt aud) mein Gdjidjal!^... „Aber 
aud) Dann, wenn viele Deutiche wieder in 
ihren Alltag aurüdjinfen, wenn fie bas 
ichöne Bleichgewicht wieder verlieren jollten, 
jo wollen wir, will id) dod) feithalten, will 
erade bann und Deshalb treu fein und 
leiben. Die Saat Deler Zeit fol mir 
niemand vertreten, und fein Unfraut foll 
mir Dagwijdenfommen.” Er wurde einbe: 
rufen, aber nicht, wie er es erjehnte, zur 
Marine; er[t als er viele Monate fid) zu 
Lande ausgezeichnet hatte, wurde ihm fein 
Wunſch erit, er wurde zur Rriegsflotte 
verlebt, als Beobadter hod) im Maſtkorb, 
im „Krähenneſt“ der Wiesbaden, mit ber ibn 
dann in ber Schlaht im CSfagerraf bie 
Gee nahm. Dort war [djon fein Grogvater 
und fein Oheim geblieben. Auf einer einen 
idjmebijdjen Inſel, Stensholmen, liegt er 
begraben. Mit höchſt jeltjamer Sehergabe 
hatte er biejen Tod jdjon im Frieden vor: 
ausgeahnt. In feinem Tagebuch findet fid) 
Anfang Juni 1913 die merfwürdige Stelle: 
„Im Skagerrak müjjen wir fein, wo Klaus 
Mewes ertrunfen ijt. Daß fein Geift und 
feine Kraft über mich fommen mod, 
ten.” Den legten Sak follte jeder Deutiche 
von Gord Fod auf fid) übertragen. Der 
Beilt und die Kraft bieles ftarfen, lachenden 
Menichen, an dem nichts faljch oder ver: 


00 pf Karl Streder: Lë eet 


bogen, nichts flein ober tribe war, bietet 
fi in feinen Werfen wie ein tarer Jung» 
brunnen unjeres Schrifttums. Und id) bin 
überzeugt: wer bieje Tagebücher gelefen hat 
oder aud) nur in ihrem Anhang die wun: 
dervoll jrijdjen Bedichte: Matrojenlied, Tang: 
lied, Mein junger Leutnant, Ob ich dabei 
bin oder niht, Mien Gung to fien 5. Bes 
burtsdag — der wird das Verlangen haben, 
auch die anderen Bücher biejes ungewöhn— 
2 fraftvollen Dichters, bie Erzählungen 
,JStorbjee", „Seefahrtiftnot”, „Hein: 
Godenwind” ujw., die im felben Verlage 
erichienen find, tennen zu lernen. Er wird 
nicht enttäufcht werden. 
ine jcheinbar völlig andere Jtatur als 
Gord) Fod ijt Walter Flex, der junge 
Thüringer, aus einer Gilenadjer Gelehrten: 
familie jtammend, jelber ſchon ein angehen: 
der Gelehrter. Und bod): hat man beide 
Dichter gelejen, jo findet man, daß unter 
biejer äußeren Berjchtedenheit im Kern dot 
Weſens eine ſolche Übereinjtimmung herr) dt, 
wie fie nur gwifden zwei Dodjfinnigen 
deutſchen Dichtern, bie €eper und Schwert 
emeinjam im Wappen führen, möglich ift. 
Die oben wiedergegebenen Worte, bie Gord) 
pee in Der großen Schidljalsjtunde des Kriegs» 
eginns |prad), würden fih auch im Munde 
von Walter Flex nicht fremd ausnehmen, 
vielmehr als ein inniger Ausdrud feines Det: 
ligjten, opferjreubigiten Empfindens gelten 
fónnen, In feinem „Wanderer zwijchen 
beiden Welten“ fapt bicjer junge Leutnant 
feinen Dienft fo auf: „Leutnantsdienft tun, 
eißt: feinen Leuten vorleben, das Bor: 
terben ijt Dann wohl einmal ein Teil 
davon.” Bet ibm ift es jo gewefen. Ils 
er auf Ofel fief, fümpfenb und fiegend, 
feinen Leuten vorjterbend, da hatte er biejer 
Tod ſchon oft innerlich erlebt, er fürchtete 
ihn nicht, „Doch in ber ſchwächſten Stunde 
aud) flebe ich nicht um mein Leben’ hatte 
er im , Wanderer” gejungen und nur darum 
gebeten und gebetet, daß eine frajtloje Stunde 
nicht feine legte fet. Und Diejer Starte 
fonnte Doch von [eltenjter Zartheit fein. 
Im „Großen Abendmahl” Debt „das Weih: 
nadtsmarden bes 50. Regiments“ — es 
gehört zu den [djónjten Projadidtungen, die 
je ein Krieg hervorgebradt hat. Und im 
„Wanderer zwijchen beiden Welten” hat 
Walter Flex einem gefallenen Freunde ein 
Denfmal errichtet, von dem man wirklich 
vorausjagen tann: aere perennius. Bes 
ſchreiben läßt fid feine Schönheit mit ihrer 
heimlichen Friſche fo wenig, wie die Herr: 
lichkeit eines erwachenden Friihlingsmorgens. 
Es find nur ſchmale Bandden, die Diejer 
Krieger Binterlajjen Dat, aber diefe reinen 
Wltarflammen eines berufenen Opferprieiters 
werden nod) leuchten, wenn die BWeltfeners: 
brunjt unferer Zeit längit erlojchen ijt. 
Gord) Gord und Walter Flex!  Geijter: 
rüße aus Deutjchlands Deiligent Frühling 
nd ihre Bücher, Wie rein und groß waren 
diefe früh Gefallenen; in ihnen lebte das, 


was wir alle von unferes Volkes Zukunft 
— eine neue Jugend, ſtark und kühn, 
die das Leben liebt, Wolken, Wieſen, Wald 
und Waſſer; die mit herzandrängendem 
Jubelgefühl wie im Entdeckerrauſch hinaus: 
türmen will in die Ferne und Weite, alle 
riſchen Winde eines neuen Weltglücks mit 
hrem Stirnhaar ſpielen zu P — und 
bie bod) in Augenbliden ber Not [djweig. 
am unb pflichttren auf ihrem Heimatboden 
tebt, jederzeit bereit, fiir ihn bas Herzblut 
zu ver|trómen. Bon foldjem Sterben fprad 
einer Diejer beiden einft bas Wort: „Großen 
Geelen ijf ber Tod das größte Erleben.” 


Wenn man von bieler Höhe kommt, 

ift es nicht leicht, fid) fogletd) in bem MN- 
tagsgewühl des Biichermarftes zurecht: 
zufinden und nad neuen Werten zu fuchen. 
Da fehe ich eine Brüde, die beide Welten mit: 
einander verbindet. Auh Klara Hofers 
Roman „Bruder Martinus” ift fein 
Alltagsbuch. Wud) in ihm lebt ein hoher und 
Hartert Ginn, ein unüberwindlicher Krieger: 
geift, bem feine Höhenjehnfucht fremd ift — 
ber Beilt Martin Luthers. Mit gutem Be: 
badjt fann man fagen: fein Geiſt [ebt— 
wirklich in biejem Buch. Eine feltene Fran 
bat es gejchrieben, eine von denen, bie es 
gu ben jtürfjtem und männlichiten Geelen 
iebt. Diit tiefem 3Berjtánbnis ijt fie früher 
Friedrich Hebbels Spuren nadgegangen 
und hat in zwei Büchern von dem Ringen 
und Werden Diejes durch fid) felbft gewor: 
denen Dichters ein er[taunlid) bedeutendes 
und verjtandnisvolles Zeugnis abgelegt. 
Diesmal wählte fie feinen geringeren als 
den großen Reformator zum Borwurf, und 
aud) bier hat fid) ihre Hand nicht zu ſchwach 
erwiejen für jo gewaltigen Wurf. Rein ge- 
Ihichtlic) und dod vilionär beginnt bas 
Rud; in einem gehaltvollen, abgetlarten 
Etil wird uns fnapp, aber mit lebendiger 
Farbigkeit Das Bild der Zeit gezeichnet, in 
die Bruder Martinus hineinwädlt. Bewun: 
dernswert ijt es, wie Klara Hofer biejem 
Kebergeijt verfteht: wir erleben fein langes 
Sagen und feine verzweifelten Geelentampfe 
ebenjo innerlich mit wie feinen Überwinden: 
mut, der [angjam zur Zuverficht und zu 
fröhlicher Sicherheit ihre Bet aller Runft 
der Umweltzeichnung bleibt Klara Hofer 
ber Hauptiade volltommen gewadjen: aus 
dem Fühlen und Denten Martin Luthers 
heraus uns ein „Buh vom deutichen Ge: 
wijfen,“ jo lautet der berechtigte Untertitel, 
gu geben. 


Bg RB BE 


... Kürzlich hatte id) eine Unterredung 
mit einem befannten Berliner Buchhändler, 
Dellen Laden gedrängt voll Menfden war. 
Trog Papiernot und jchlechten Zeiten hatte 
bas Gejhäft nie fo geblübt wie jet. Na: 
mentlich Unterhaltungsbiidher wurden be, 
achrt: vor ein paar großen Gtapeln ftauete 


























EIFSSSFTSSISSFSSSTE Neuss vom Biidhertijd) BSS3SSSSS3334 97 


jiġ die Raufermenge, es waren Guder- 
manns Zitauijdje Geldjidten, Herzogs 
Ctoltenfamps, in einigem ?[bjtanb davon 
fam Straß mit feinem Eiſernen Mtann, wah: 
rend bie majjenhaft auf den Markt gewor- 
fenen Erzählungen bes Kurt Wolffſchen 
Verlages im Verhältnis zu ihrer Reklame, 
die vor feiner Whgejdmadtheit zurückſchreckt, 
nicht jo Dorf begehrt wurden, vielleicht ge- 
rade weil dem Deutjchen im Grunde feines 
Weſens dies yankeehafte Anjchreien Doch zu- 
wider ift. Nun war mir befannt, daß trog 
Deler Erſcheinung — bas Weihnadhtsgeichäft 
hatte 1917 bedeutend früher als jonit em: 
gejegt — die Erzeugung im deutjchen Schrift: 
tum während des Krieges madjgelajjen 
hatte. Während 1913 nicht weniger als rund 
35000 verjchiedene Bücher und Drudhefte 
bei uns erjchienen waren (fidjerlid) ein um: 
gejundes Zuviel), fant die Zahl der Buch: 
titel im zweiten Kriegsjahr jhon auf 23558 
und ift jegt infolge bes Bapiermangels nod) 
weiter zurüdgegangen. Gleichwohl jtebt 
Deutichland verhältnismäßig noch immer an 
ber Spike Der literarijdjen Erzeugung. 

Dah aber ber Bücherabfag im vierten 
Kriegsjahr geitiegen ijt, hat zum Teil feinen 
Grund wohl in der Schwierigkeit, Bejchenfe 
anderer Art aufzutreiben. Dafür bietet die 
neuere Unterhaltungsliteratur bequemjte Ge: 
legenheit, ohne Bezugichein unb a A mär- 
denbajte Preije, aud) ohne mit Erſatzſtoffen 
vorliebnebmen zu müjjen, etwas zu faufen. 
Denn bie altbewährten Lieferer in biejem 
Fad) haben nod nicht verjagt, im Gegen: 
teil, der Krieg unb was mit ibm zulammen» 
hängt, bietet banfbaren Boden gerade für 
den Unterhaltungsroman und wird natur 
gemäß N ausgenußt. Schon im Fries 
ben find für dieſen Literaturgweig Stoffe, 
bie von vornherein die Möglichkeit von 31: 
und Unfällen, wie von rajd) fortjchreitender 
SH bieten, erwünjcht: Militär, Sport, 

olonien, Börje, Polizei, Parlament, Hof- 
leben, &unit, Diplomatie, Reifen ujw. Denn 
da dieje Romane met vor ber Buchausgabe 
in Zeitungen oder geo ctm abgedruckt 
werden, jo muß ber Wunijch bes Redafteurs 
nad) Rationierung des Romans, jo zwar, 
daß jedes einzelne Maß der Tages: oder 
Wodengabe in jid) eine gewijje Spannungs: 
traft belibt, berüd[idjtigt werden. Weitere 
Münjche bes Redafteurs deden fic) met 
mit bem des Buchverlegers: der Unterhals 
tungsroman darf niht zu flah, aber aud 
nicht zu tief fein, er muß Fragen behandeln, 
die IandLaufiges Snterejje haben; Tendenz 
ijt möglichft zu vermeiden, erotijche und reli- 

iöje, auch politijche Sagen (inb mit Zurüd- 

attain zu behandeln — jo ijt auf allge: 
meine Beliebtheit ohne Anjtoß, mit anderen 
Worten auf Majjenabjak zu rechnen. 

Die beiden vorliegenden Romane von 
Straß und Herzog, den beiden Rudolphen, 
erfüllen dieje Forderungen vollfommen, fie 
haben darüber hinaus nod gewijje a 
werte und find darum in ihrer Art erfreus 


lid. Beide Verfaſſer haben es gejchict ver: 
ftanden, Stoffe zu wählen, die, obwohl durd: 
aus zeitgemäß und lebendig, Doch die eigent- 
lihen Kampfhandlungen Hug vermeiden, 
deren allzuhäufige Schilderungen nad) Omp— 
teda und anderen id)mer zu überbieten find. 
ergog fnüpft in feinem Roman Die 
toltenfamps und ihre Frauen an 
jeine befte Überlieferung: bie 9Bistottens an, 
ben Arbeitjang feiner Wuppertaler Heimat. 
Diesmal darf er nod) auf größeren Begehr fei- 
nes Werts rechnen, denn die Könige des rhei- 
nijch = wejtfäliichen — Snbujtriegebiets, die 
Rrupps jelber, ihr Familienleben und thr ge: 
Ichäftliches Werden find unter ben .Ctolten: 
tamps: zu verjtehen. Wir erleben fie durch vier 
Generationen: ein tüchtiges, aller Ehren wer: 
tes Gejdledt. Neben dem Ablauf bes Fami- 
lienlebens werden die verjdjiebenen Entwid- 
Iungsitufen bes groben Snduftriewerfs, mit 
ihren Nöten und Rüdjchlägen, ihren Zufällen 
und vor allem mit der ftahlharten Cnergte 
der Inhaber romanhaft veranjdjaulid)t. Mit- 
unter mutet bie Darjtelung etwas marlitt- 
haft an, mandes ijt überdeutlich und eine 
leichte SE Sat in ben Mutterjzenen er- 
innert an ‚Herzblättchens Zeitvertreib‘. Da: 
für jpürt man immer Herzogs innere Bes 
wegung, wenn er auf die Schilderung feiner 
engeren Heimat, ber jchönen Sibetnlanbe 
fommt. Da KS man mit. Sm übrigen 
Happert bie geldjidte Technik des Zeitromans, 
ber einen guten Stoff verarbeitet. Nur bas 
lebte Kapitel pruntt in einem anderen Rleide. 
Herzog verfällt hier, um die Bedeutung des 
ausbrechenden Weltgewitters auch äußerlich 
u fenngeidjen, in einen ſchwungvollen 
—— der ein wenig nad) Kraft- 
meierei und Phraſe [djmedt. Cr erinnert 
an den polternden Galopprhythmus mit 
taufend Ausrufungszeichen und |teten Wieder: 
holungen der gleichen Worte, den wir aud) 
in ber Herzogichen Kriegsiyrit jo oft finden. 
Ein Gegenjtanb von ber Bröße diejes Welt: 
frieges aber bedarf bes Bombajtes jo wenig 
wie ber Chimborajjo eines Ruppeldad)s ober 
einer Tiegichen .SBeltfugel. 

Den Anfang des Krieges als Ende benubt 
aud) Rudolph Strag in feinem Cijernen 
Mann nur nüdjerner und jadlider als 
Herzog. Straß judt, wie |djon im ‚Deutjchen 
Wunder‘, die Faden flargulegen, die gum 
liriprung, zur Schuld und zum erften 
Verlauf des Weltbrandes führen. Dort 
—F er den Größenwahn des ruſſiſchen 

anſlawismus zum Ziel genommen, hier 
aus eigener Anſchauung — denn Stratz kennt 
Paris und ſogar, was für einen Deutſchen 
mehr fagen will, Franfreid) — den Revanche— 
Bann jenjeits bes Wasgaumwaldes, wie 
er, (hon im Frieden, Jahr für Jahr drohen: 
der wurde. Mit bem Zwangsverfahren bes 
zwedjuchenden Stoffjichilderers wählt er feine 
Geftalten fo, daß bie Handlung bald in Berlin 
unb in Potsdam, bald im Eljaß, bald in 
Paris, bald in Rom fpielen fann. Ein jolches 
Verfahren ijt einfacher als der Laie glaubt, 


Belhagen A Rlajings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bd. 7 


O08 dERRRPB Karl Ctreder: Neues vom 3Büdjertijd) AZKARRA 


ber Verfaſſer nimmt einen Parijer Politifer, 
am bejten, wie bier, nad) greifbar deutlicher 
Vorlage einen alten Hitfopf und Nevand)e: 
fanatifer, Dellen Frau eine Italienerin ijt 
und Delen Sohn vor dem Kriege im Eljaß 
wegen Spionage verhaftet wird. Wenn dann 
nod) bie Tochter biejes Deutjchfrejiers, der 
in aris eine große Rolle fpielt, an einen 
elſäſſiſchen Reidstagsabgeordneten verbhei- 
ratet ijt, Der fiir Deutichland ijt, während 
jein Sohn als franzöfticher Offizier Fällt 
und nebenher ein badijder Fabrifant, der 
zugleich ſozialiſtiſcher Arbeiterführer ift, den 
Weg zu einer adligen Potsdamer Generals: 
tochter findet — jo hat man ungefähr bas 
Fadenſyſtem betjammen, das Diejer Webe: 
arbeit zugrunde liegt. Den Einſchlag be- 
jorgen Die allbcfannten  Gejdjebnijje des 
Kriegsverlaufs. Trog diejem allzu mecha: 
nijden 9*Berfabren und dem etwas lauten 
Klappen ber Majchine ift ber Roman nicht 
nur fefjelnd durch feine ungemein lebendige 
. und wechjelvolle Schilderung, er tft aud) ein 
Seitdofument, in dem mit Umjicht und Ent: 
Ihiedenheit aus den *Bolfsdjaratteren heraus 
bas Ungeheuerliche diejes Weltringens er: 
Härt wird. Es jeßt da manchen jdjarfen 
Geitenbieb aud) auf bie jchwachen Geiten 
der Deutjhen ab. Go, wenn ber alte 
Franzoſe bei einer abrt burd) Berlin 
ih lächelnd die Hände reibt angeljidts 
der Hunderte von FFirmenaufichriiten in 
idledtem Franzöliid und wenn er in 
einer Aufgeblajenheit, freilich jdjief genug, 
dazu meint: „Es ift bas ſchlechte Gewiljen. 
Ziele Stadt empfängt das Ausland mit der 
Höflichkeit eines Parvenus, weil fie jid) ihrer 
Unebenbürtigfeit bewußt ift. ^ Golde Über: 
hebung, meint Straß mit Redt, ware nad) 
1871 nicht möglich geweien, [ie war erft ent: 
jtanden, jeitbem Deutjchland ben Erdball 
mit Freundjchaftsbezeugungen überjchüttete. 
Und gerade wir, Die wir in Berlin leben 
und Daher bas bewundernswert Tüchtige 
Diejer 9[rbeitsitabt tennen, werden dem ts 
tenjchilderer recht geben, der von den äußeren 
(finbrüden der Straßen im Fremdenviertel 
jagt: „Was bier auffallen jollte, mußte 
Ichreiend und bunt, was man bewundern 
jollte, aus Dem Ausland fein. Sm endlojen 
Reihen raften bie Autos durch den lauen 
Sommerabend zu Ijadora Duncan und der 
Bawlowa, zu Carujo und der Duje. Parijer 
Gbebrudjtüde lodten an den Litfaßjäulen, 
ein Bartjer Conférencier zeigte den Deut: 
Iden Eleganz, ein Barijer Schneider den 
deutjchen Frauen die Sjojenróde der Parijer 
Halbwelt, ein Parijer Aſthet die Körper: 
fultur, Ein Franzoje in Amt und Würden 
lebrte bas mulifaliichite Wolf der Erde die 
Grundlagen ber Muſik, ein belgijder Pro- 
fejjor das Volk des fortgejchritteniten Kunſt— 
gewerbes bie Runftreqeln. Allons, ma pe- 
tite!“ mabnten die franzöfilchen Bonnen. 
Die Scshuleute zeigten bird) Armbinden, dak 
He franaofild) konnten. Franzöſiſch waren 
die Speiſekarten und bie Bejchäftsjchilder.“ 


— Es war nun freilich der verzeibliche Irr— 
tum der Ausländer, daß fie dies Stüd der 
Friedrichſtadt für Berlin oder gar für 
Deutjchland hielten. Aber was hat diejer 
Irrtum uns gejchadet! 

Jn eine ganz andere Welt fühlt man jid) 
verjeßt, wenn man nad) derartigen geichteften 
Unterhaltungsromanen bewährter Technifer 
ein Buch zur Hand nimmt wie „Jürnjakob 
Swehn, Der Wmerifafabrer”, von 
Johannes Gillhoff. Ein Wußenjeiter, 
der liber Die zunftmäßig abgejtedte Bahn 
des Literarijden munter hinweggaloppiert, 
ein unverfälichtes Bolfsbud. In einem 
halbzerfallenen Strohdadfaten Medlenburgs 
wird SMirnjatob als Sohn eines Tagelühners, 
eines Yirmiten der Armen — und Dod) unter 
einem tanzenden Stern geboren. Ein Funfe 
fällt in das Hüttchen; ein ungewöhnlich 
Heller Geijt rumort früh in dem Jungen und 
läßt ihm jeine Umwelt bald zu eng werden. 
Neunzehn Jahre alt wandert Jürnjakob nach 
Amerita aus. Zwei Jahre dient er Dort 
als Knecht, und jdon dünkt es ihn an Der 
Reit, fid) jelber Haus und Herd zu gründen. 
(£r zählt fein Geld; es find 350 Dollars. 
Damit macht er fid) auf bie Freiersfiige und 
geht zu einer benachbarten Landsmannin, 
zu „Miejchen“. Ich laffe ihn nun feine Lie- 
beswerbung jelbit erzählen, die mit ihrem 
trodenen Realismus und nüchternen Bauern: 
verjtand geradezu einzig tit: „Es war Gonn- 
tag nachmittag. Gie Lë mit dem fniütt- 
ſtrumpf (Stridjtrumpf) vor der Tür. Ich 
lebte mid) auch auf die Bank. Wir jpraden 
vom Wetter und von ber MWirtichaft. Als 
das bejorgt war, fragte ich: ‚Wiejchen, wo— 
viel Geld haft bu gujammen? Cie bolte 
ihren Beutel. Sie hatte qut 200 Dollars. 
Sch legte meine 350 daneben und jaate: 
Sd) weiß da eine teine Farm in der Nähe 
von Springfield. Es find nur zwei Kühe 
und zwölf Schweine da; aber für ben An- 
fang ijt Das genug. Syd) will fie pachten, 
wenn du mit mir gehen willit.‘ Cie faltete 
ihre Hände und fudte eine Weile vor fih 
bin. Dann jtri fie über die Schürze. 
Als fie bas getan hatte, jagte jie Ga und 
gab mir die Hand. Giehe, fo find wir 
Brautleute geworden, und von dem Tage 
an war id) glüdlich.“ 

So Icheinbar nüchtern, aber immer fej- 
ſelnd durch feine fraftvolle Urjprünglichkeit, 
erzählt Dies Buch das ganze Werden, Ramp: 
fen und Gmporiteiaen jener Stedelung und 
bebt fid) zum Schluß zu einem geitdofument 
empor, Das für Den amerifanijchen nteil 
an diejem Gewirr von Volferfampfen höchſt 
fennzeichnend, der Klarheit, wie ber vater: 
[ánbtid)en Treue biejes einfachen Mannes 
das befte Zeugnis ausjtellt. Das Ganze ift 
die Robinjonade eines Farmers, aejd)rieben 
in ferniqem Bauerndeutſch, voll innerer 
Wärme bei Scherz und Grnit Denn der 
I\chalthaftebehaglihe Humor Frig Reuters, 
Jeines $'anbsmannes, fehlt fo wenig wie Der 
Gram eines tiefen Herzens. 


^ 


"9999090900909909909909090000009000000000090900090000090000009000000000000000009900000000000900909000900000000»92009000000000900000 


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General ber Infanterie Otto von Below, ber Führer ber beut[d)en Armee gegen Italien 


Aus der Reihe der Bildniffe aus bem Großen Kriege von Prof. Arnold Buſch 
Einzeltunjtblätter im Berlage ber Photographiihhen GBejellichaft, Berlin: Charlottenburg 


q4**09009200050000000000000900009009000009099000200009000909099005000900000000000000000000/048€900000090000000900000000000000000000000000000990000000092900000000909000090000000000000000090000000009000090990 


® Slluſtrierte Runoͤſchau & 


e KEKE KEKE e t CEE LE CEKE CECE CECE CECE CCEKC LECCE CE KCC IT IF IIIIFIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII30 


Gin Rembrandt-Fundim SchlofjjezuBerlin— Kriegstagebühervon Ernit 


Bollbehr und Prof. Max Slevogt — Holzbildwerte von Stanislaus er 
en bes Berliner Kunſtgewerbe— 


— Weitidrift zum 50jábrigen 


ee? 
jeums: Berliner Eijenfunftguß. Bon 


)(* Kit 0,GYO ) 5 — (PAS) (9) 6) DPOC (9A6 OAG) Site AG) OAS) DOIG 





Unie ben äußerit zahl: 
reihen Bildern im 
Beli des preußilchen 
Köntigshaujes — es find 
ihrer mehr als 10000 — 
gibt es jelbitverjtändlich 
\ehr viele, bie zurüdge: 
Delt find, weil man fie 
des Hängens nicht mehr 
für wert eradjtete. Ab 
und an wird aber aud) 
unter Diejen nod) ein 
wertvoller;Fund gemadht. 
Co entbedte jüngjt Ge: 
heimrat Prof. Paul Sei: 
del, Dem ja bie Runft- 
jammlungen in den Kü- 
niglichen Schlöſſern un- 
terjtellt find, einen ohne 

weifel ecdten Rem: 

randt, über ben, bejtá- 
tigend, jebt Exzellenz 
von Bode tm Jahrbuch 
der Königlich Preußiſchen 
Sun[tjammlungen' berichtet. Es handelt fih 
um das Bildnis eines Ruſſen, das, wie nun— 








Im Rampfgraben. Verkleinerte Wiedergabe aus 
bem 2. Bande der ,Rriegstagebiidher” des Malers 
Bollbehr (Verlag F. Brudmann A.G. in Münden) 





Studientopf eines Ruffen. Gemälde von 
Rembrandt. Unlängft entdedt im Königl. 
Schloſſe zu Berlin 





u: 
ermann Shmig— Zu unjern Bildern 


ER EE EE EE E EE 
ees 












mehr feitgeitellt ijt, aus 
dem Jahre 1661 jtammt, 
alfo aht Jahre vor bem 
Tode Rembrandts ge: 
malt worden ijt. ie 
aber fam er zu jeinem 
Model? Herr von Bode 
gone auch dafür eine 
öſung gefunden zu ba: 
ben. Er nimmt an, daß 
ber Meifter in 9Imiter- 
bam auf eine griechijch- 
orthodoxe Pilgerkara— 
wane geltoßen jet, Die 
auf der Fahrt nad) bem 
gelobten Lande begriffen, 
in der großen niederlän= 
bilden Hafenjtadt län- 
gere Zeit feitgehalten 
wurde. Längere Zeit, 
denn es läßt fid) nach— 
weijen, daß Rembrandt 
erade 1661 eine ganze 
nzahl Bilder gemalt 
* die in einem gewiſſen Zuſammen— 
ange mit dem neu aufgefundenen ſtehen. 
„Er las,“ ſchreibt Geheimrat von Bode, „in 
den herben, ausgearbeiteten Zügen die Ge— 
ſchichte eines Lebens voll Not und Kampf, 
von Entbehrung und Freudloſigkeit, aber 
gemildert durch den Ausdruck ſtiller Ergebung 
und ber Sehnſucht nad) Rube und Erlöſung. 
Gerade banad) aber rang er jelbjt nad all 
bem jchweren Unglüd, an bem er fih jelbjt 
mitjduldig fühlte, diefen Frieden Juchte er, 
verlajjen und betrogen von der Welt, mit 
aller Kraft des Glaubens zu erringen.“ — 
Der Breslauer Prof. Arnold Bujd bat 
eine Reihe trefflicher ,Bildnijje aus bem 
großen Kriege‘ erjcheinen laffen, aus ber wir 
diesmal das Bild des jet joviel genannten 
Generals der Infanterie Otto von Below 
(Seite 99) veröffentlichen. Wir dürfen viel: 
leicht in bas Gedadtnis unjerer Lefer zu— 
rüdrufen, daß General von Below zu Ans 
fang Des Krieges bas 1. 9telerveforps führte, 
dann an der Spike der 8. Armee vor Riga 
Honn, darauf an ber mazedonijchen Front 
und, vorübergehend, eine Armee in Flan— 
dern befebligte, bis ihn die Oberjte Heeres: 
leitung auf bie a. 3. wichtigfte Stellung, 
zur — der 14. Armee gegen Italien 
i Gein Name wird für immer in der 
preußijchen Heeresgejchichte unter den erjten 
jtehen. — Bon Prof. Arnold Buſch ftammt 
aud) bas Bild bes Kriegsmalers Ernjt Roll: 
behr, ber in dem vorliegenden Heft durch 


BESSSSSSISSSSSIZTZA WMuftrierte Rundihau BSSS3SB3S33334 101 


"| ablehnend über Die 

x Möglichkeiten ber 
(uu — Kriegsmalerei. „Kunſt 

"en it Gejtaftung," jagt 
er u.a, „was fie nidjt 
deuten fann, verjagt 
fid) ihr. Diefe auf den 
Kopf geltellte Umwelt 
(desKriegsichauplaßes) 
wird ben Menjchen in 
uns tief treffen, den 
Dariteller abjtoßen. 
Das treuefte ‚Bild‘ von 
ihr wird das móglidjit 
erbarmlide Panopti— 
hum geben.“ Propbete 
rechts, Prophete links 
— und ob die Wahr: 
heit aud) bier in Der 
Mitte liegt, wäre 
nod) zu erweijen. Bei 
aller Bewunderung des 
großen Könnens Mei- 
Her Slevogts tann aber 





= ~ 7 — o : - 
EF. TE *. paw > WESS 
= ine: * - 
A - 
` 


Bildnis Des RKriegsmalers Ernft 
Rollbebr. Zeichnung von Prof. 
Arnold Buſch. us dem 2. Bande 
der ,friegstagebüd)-r" bes Mas 
lers (rnit Vollbebr (Verlag 
vg. Brudmann A.-G. in Münden) 


feinen großen Beitrag ‚Abs 
wehrihlachten‘ vertreten und 
unjeren Lejern auch durd 
frühere Beiträge wohlbefannt 
ijt. Ernſt Bollbehrs Kriegs- 
tagebücher erjchienen in zwei 
itattlidjen Bänden bei %. 
Brudmann in Münhen, und 
wenn man diefe durchlieht, 
ftaunt man immer aufs neue, 
nicht etwa nur über die tünft- 
lerijche Leiftung, |onbern über 
die Findigfeit und Ausdauer, 
mit denen der Maler zu jchaffen 
veritand. Zu jchaffen unter 
den denkbar jchwierigiten Ver: 
haltnijjen; gleichviel ob von 
einem Baumwipfel ober einem 
Schornftein aus oder vom 
— herab, jedenfalls 
alt immer ‚unter erjchweren= 
ben Umijtänden‘. 

Es wird wohl erft einer 
jpateren Zeit vorbehalten 
bleiben müjjen, in Rube 
Stellung zu den verjchiedenen 
Arten und Abarten ber heu: 
tigen Kriegsmalerei zu neh: 
men. Aber fejjelnd ijt es 
heut fdjon, ben ,Wfrobaten 
des Pinjels‘ eine jchöpferijche 
Kraft wie bie von Max Gle- 
vogt gegenüberzujtellen. Auch 
von ibm liegt ein Rriegstage- 
bud‘ in glanzvoller Ausitat: 
tung vor (Berlag Bruno Caf- 


jirer in Berlin). Slevogt nun Gefangene Alpeniäger im Mittelichiff ber St. Pierrefirdhe in Douai 


A rus x N ieb be eines Bildes in bem ,Kriegstagebud von 
äußert fid) boot tritijd, ja ES EST Stevogt” (Verlag von Bruno Cajfirer in Berlin) 





102 








E 


nicht verſchwiegen werden, daß jeine 
‚Kriegsbilder‘ nicht jonderlich zu fef- 
jeln vermögen. — 
Stanislaus Hell ijt ein Tiroler 
Kind und einer von denen, Die 
ganz bird) fid) jelber geworden jind, 
was fie find. Er hat bie Ziegen 
gehütet, entdeckte früh bie Begabung 
aut Holzichnigerei, bejudte die Schniß- 
ſchulen zu Hal und Innsbrud, fam 
nah München und Wien, wo jid) feine 
Runjt zur Plaſtik größern Stils und 
zur Malerei erweiterte, Schließlich 








Bıldnisbüjte in Holz (bemalt) von St. Hell 


Madonnenrelief. Holzbildwert von Stanislaus Hell X 


|, Inapp gewor: 


| Die 





Sluftrierte Rundihau Iesel 


jiedelte er nad) Berlin 
über, wo er feit Jah- 
ren mit Erfolg wirft 
und zumal durch jeinein 
Holz gejchnigten Bild- 
nijje reiche Anerken— 
nung gefunden hat. — 
as Königliche 
Runftgewerbe- Minjeum 
in Berlin fonnte in die- 
jem Jahre auf ein fünf- 
sigidbriges Beſtehen 
zurüdbliden. Aus diez 
jem Anlaß ijt eine ſchön 
ausgejtattete Feſtſchrift 
erihienen (Verlag F. 
Brudmann in Mün— 
chen), in ber fid) Her- 
mann Gdmig im be: 
|onberen mit Dem .Ber: 
liner Eijenfunjtguß‘ be- 
\häftigt,” von deffen 
Erzeuqnijjen bas Mu— 
jeum einen reihen Shag beligt. Wir haben in den 
Heften bereits wiederholt bem Eiſenkunſtguß unjer 
Interejje be: 
wiejen, weil 
wir überzeugt 
jind, daß er, 
jahrzehnte— 
lang weni 
beachtet, ich 
zu neuer Gel: 
tung durch— 
ringen wird. 
Und zwar 
nicht nur, weil 
uns durch den 
Krieg Kupfer 
und Bronze 


den find, fon- 
Dern weil er 
esan fid) ver: 
dient, belebt 
Au werden. 
in Der 
Feſtſchrift 
wiedergegebe— 
nen Werke 
und Werkchen ſind faſt ſämtlich in der einſt hoch— 
berühmten Berliner Königlichen Eiſengießerei her— 
geſtellt worden; ſo wurde denn auch die Feſtſchrift 
zu einer Geſchichte jener denkwürdigen Anſtalt, die, 
1804 gegründet, neben Induſtrieerzeugniſſen und 
Kriegsmaterial von Anfang an hauptſächlich künſt— 
leriſche und kunſtgewerbliche Arbeiten herſtellte; übri— 
gens gingen, ſeit 1822, auch Bronzegüſſe aus ihr 
hervor. Erſt im Jahre 1873 wurde die Gießerei ge— 
ſchloſſen; die Erbſchaft ging an inzwiſchen empor— 
gekommene Privatgießereien über. Viele ihrer klei— 
nen Schöpfungen werden heut von Sammlern heiß 
umworben. So nicht zuletzt die vielfach reizvollen 
Neujahrskarten, die mit 1805 ausheben und bis 1848 
fortgeführt wurden. Es iſt ganz vergnüglich, ſich heut 
Die Neujahrskarte von 1818anzuſehen, und wir bilden 
Diejes gerade hundert Jahre alte Stiid deshalb ab. — 





Bildnisbüfte in Holz von Stanislaus Hell 








B SÉ 4 SUuftrierte Rundichau 








Kleinbüiten: Fichte Bergrat Werner Herzog von Braunſchweig-Ols 
Wus der Berliner Riniglidhen GilengieBerei. Wiedergaben von Lichtdrud:B dern in Hermann Cami, 
Berliner GifentunitguB. (Berlag F. Brudmann A.G. in München) 


Wir haben bereits oben des Prof. Arnold | Vorhang abheben läßt, das verrät die fidere 
Buih alstreffliden Zeichners gedadht. Das Meijterhand. — Aus der langen Reihe 
Titelbild des vorliegenden Heftes zeigt ibn | unjerer übrigen farbigen Einjchaltbilder 
von einer anderen Geite: möchte id) aunádjt ein 
es gibt ein Gemälde von = älteres Gemälde heraus: 
ihm wieder, einen unjerer Deben, eine der Perlen 
fernigen U:3Bootsmünner. der Hamburger unit: 
Kraftvoll hebt fic) ber halle: Wäjcherinnen am 
ichöne, wetterharte Kopf Tiberftrand von Franz 
von dem lichten Unter: Dreber (zw. ©. 414 und 

rund ab, flar bliden die C. 45). Ein geborener 

ugen in die Weite, feder Dresdener (geb. 1822), hat 
Wagemut und harte 3á- Dreber fajt fein ganzes 
higfeit |predjen aus bem Leben in Rom zugebracdht, 
gebräunten Gejidt. „Es in Dejjen Nähe er au 
wird geichafft“, bas ijt bie 1875 jtarb. Troßdem [fait 
rechte Unterjchrift zu bem alle großen deutjchen Mu- 
Bilde. — Neben ben ‚Ins leen Werte von ihm be: 
terieurs‘ (id) möchte einen figen, blieb er verhältnis: 
Preis für eine gute Über: mäßig unbeadtet, wozu 
tragung des Wortes aus: fein Wejen viel beige: 
jegen; ‚Innenraum‘, ‚In: tragen haben fol. Im 
nenteil‘, wie Duden ver: Anſchluß an die Runft der 
deutjcht, flappt denn dod Rod und Preller malte 
nicht redjt) find Still- er feine wunderbaren ita- 
leben‘ allerart jet bejon- lienijden Ideallandſchaf— 
ders beliebt und zumal ten. — Swet Frauen: 
‚Blumenjtüde. Es madıt geitalten mögen jid) an- 
fid) freilich gerade für bte reihen: ein Bildnis von 
legteren, leider, ein blu- Rudolf Sjejje (nad) ©. 56), 
tiges Halbtönnen bedent- ehr fein und vornehm in 
lich breit. Wher ein Bild, uffajjung und Ton; bas 
wie die ‚Gelben Altern‘ Werk eines jungen Mün- 
(Gm. ©. 8 u. 9 eingelchal« cheners, ber, wenn wir 
tet) von Carl Piepho an: recht unterrichtet find, 
zujdauen, ijt ein wirklicher 1917 zum erjten Male im 
Genuk. Wie ber Münche— Blaspalajt ausgeftellt hat. 
ner Siinftler (übrigens Dann, zwiſchen Seite 96 u. 
1869 in Frankfurt a. Mt. 97 eingejchaltet, ein über: 
geboren) fein Gtilleben aus frijdjes, lebhaft wir: 
aujammengebaut, wie er | ^ — d tendes Bildnis von He: 
nile ore Beat in Mis — Ze, b. (p das 

itte hingejtellt bat un he ie (iler larit ruftbild eines Mädchens, 
id) von dem duntelblauen (Aus Hermann Saute, Citentuntigus) das — jehr hübic) erbadt 





104 Alluſtrierte — eet 


— ein Heines plajtijdjes Werk in der Hand hält. — 
Unjer alter, junger Freund Prof. Hanns Pelar in 
—— * gab uns feinen lujtigen Bodjprung' we 

88), ein fedes Faunbildchen, bas [turf an 
— phantaſiereichen erjten Merte erinnert, mit 
denen der Meilter in München feinen jungen 
Ruhm begründete. — Stimmungsvoll wie immer 


Më fid) Der — Stuttgarter Prof. Ro— 
ert Pötzelberger in ſeinem Dünengemälde; ang 
einfad) und eindringlich die) . 52). Ic) 


Jprad) oben von künſtleriſchen ifenarbeiten i älterer 
Zeit und ber Möglichkeit, daß das Gijen bei den 
Bildhauern unjerer Tage wieder zu Ehren gelangt. 
Da ijt es denn fejfelnb, fold) ein neues Wert zu 
jehen. Hans Schwegerle, $'übeder von Geburt (geb. 





Briefbeihwerer (Aus H. Shmi, Berliner Eijentunitgup) 


1882), aber jeit SE erfolgreih am Iſarſtrand 
tätig, wo er auh unter Prof. W. v. Ruemann ftu- 
Serie gehört zu den er|ten, bie bas Wagnis unter: 
nahmen, Wir geben bie von ibm gefdajfene ifen- 
te in einer 
—V und 
einer order: 
anficht (auf ei 
nem Blatt hinter 
Geite 64 verei- 








Tintenfab. (Aus Hermann Schmiß, 
: Berliner GilentunitguB) 


nes Gemäldes ein, bas bejondere Be: 
adtung verdient. ‚Kriegswinter‘ nennt 
es ber Riinftler: mögen unjere Lejer 
jelbjt die Bufammenjtellung der ver: 
tees auf dem Bilde verewigten 
otive, in denen die Beredhtiqung der 
Bezeichnung liegt, ergründen: von bem 
trauernden Paar im Vordergrunde bis 
m Dampfenden Lofomotive oben. — 
in heiterer Klang tönt uns aus ber 
Radierung von Prof. Alex Edener 
P E bem ‚Hausquartett‘ (nad 
72). — Bradtvoll find bie einzel: 
SC Gejtalten und die Köpfe ber vier, 
gan in ihrer Tonwelt aufgehenden 
Zo und wohl Dilettanten. — 
Zum Schluß wieder einmal ein Bild 
aus unjerer lieben Heimat in einer 
fünftlerijchen 
Aufnahme von 
(rnit Schneider 
(zw. ©. 60 u. 61). 
Das bier mei: 


P ` 


me 


fterlih wieder: 


nigt), um Die j gegebene Schloß 
ftarfe Eigenart EC Hartenitein liegt 
bes Wertes zu ii unfern 3widau 
fennzeichnen: bie H und gehört dem 
eine langges H — Ge⸗ 
treckte Ropfform E. chlecht edv 
und das früftige || burg; das gleidh- 
ihöne Profil. — |j namige Gtädt- 
Bon Hans Balu: N den ijt Sr 
ichef, dem Ber: " E Die 

liner Ge eſſioni— urtsſtätte on 
lan Go — la iot - großen 
zwiſchen den Gei- tederdichters 

: Meujahrstarte für 1818 der Berliner en Eijenaießerei : 

ten 80 u. 81 bie E Aus te Sainte. — Dies: ad, m Paul Sleming. 
Wiedergabe ei: (Verlag F. Brudmann 91.:Q. in Münden) $). v. Sp. 








Monats heften, Berlin W 50. — Für bie Sdriftleitung verantwortlich: Hanns pon Zobeltik in Berlin. 


— Für Siierreih -Ungarn Herausgabe: Fricie & fang, Wien I. 


Verantwortlidher Schriftleiter: Otte 


| Frieje, Wien I, Bräunerftr. 3. Verlag: Belhagen & fllajing in Berlin, Bielefeld, Leipzig, Wien. 
Drud: Fiſcher & Wittig in Leipzig. 


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| Nachdruck verboten. Alle Redte vorbehalten. Zufchriften an die Schriftleitung von Velhagen« Klaſings 





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Illuſtrierte Rundſchau⸗ Be 
Berjteigerung der Sammlung von ` 
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auf dem Runftmarft — Verlaufs: - 
ergebnijfe der großen Kun * 
ſtellungen im Sommer 1917 — à 
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60. Geburtstag Zi 
Rriegsmedaillen ES = A? 
Bildern. . . . — 2 


ftunfióeilagen: ES 3 3 


Bildnis ber Brinzefjin Adal: 
bert von Breußen. Ge älde 
von Prof. Walter Peterjen _ 
Fakſimiledruck . . Sitelbi 

Dora. Gemälde von Prof. Ga 24 
von Marr. Falfimiledrud 120-1 

Schiffszieher an der Wolg ur 
Bemälde von Prof. Robe GH 
Sterl. Faffimiledrud . 28—12 

Szenenbild aus s „Ariadne auf ` 
Naxos”. Gemälde von Prof. Ro | 
bert Sterl. Fatfimiledrud 132— 32—1X 

Hofordmefter in Peterhof. joy 
mälde von Prof. Robert Ster UR 
Salfimiledrud -~ . 3 — -ii 

Begräbnis im Felde. Ge 
von Prof. Nobert — Fat d, 
fimilebrud . . 40—1 

Der jhwarze Ritter. Gemälde 
von Prof. Hans Looj den. b | 
imiledrud . . 152- de 

Sphinx. Gemälde von ‘Eugen À 
Djjwald. Fatjimiledrud ` 176— 1 

Pergola bei Cappuccini & 
itubie von Prof. Carl Seopold 
Bok. Faklimiledrud. im 


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Einjchaltbilder: , TM : 

Tas Striegler:Quartett Gee 
mälde von Robert Sahn: Tone ` 
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Die Kathedrale zu Laon d 
Radierung von Prof, Conrad St 
Sutter. ; DS — 1v 

pt FerdDeqruppe. Brongebildun hes | 
von Otto Pilz. Tondrnd 184 1 X 


Selbjtändiges Tertbild: - 


Gine ausgejpielte Rolle: Pus 
hanan, der Betreier des ruſſiſchen 
Volkes im Dienſte ber Menſchlich⸗ 
feit, Zeichnung von 9L M. Cay 


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Umydlagzerdynung und Bucfhmud val 
Seinrid) MWiennd in Dresden. 4 


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Worderer Anzeigenteil > 
Darunter folgende Sonderabteilungen: 
Töchterpenſionate. e ' 
Hnterridtsanitaltem. 
Seilanftalten 
Hotels. 
Pinaeigemnteil am ‘Smlug. 


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Bildnis ber Prinzeffin Adalbert von Preußen 
Gemälde von Prof. Walter Peterjen 









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32.Jahrg. Februar 1918 / 6. heft 


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Fin Buch von Heimat Manderfchaft und Liebe 
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ben bet ber Windmühle über dem 
Dorf lag Karl Asmus auf bem 
Baud, ftredte bie bloßen brauns 
De roten Füße in die milde Luft und 
bütete die Büffel. fiber ibm fuhren die Winds 
miiblenfliigel gleich ausholenden Schwertern 
faujenb und ächzend vom Himmel nieder, als 
wollten fie ihn mitten burdjid)neiben zwijchen 
Hoje und Wams, mußten aber zur rechten 
Zeit ausbiegen und konnten ihm nichts an- 
haben; nur ihr pfeifender Drud [trid) an 
feiner Warpjade wie ein falter Atem vor: 
bei und wirbelte das [ture Haar durdeins 
ander, das jo gelb und bell war wie hinten 
am Horizont die Dünen im Sonnenjcein. 
Da hinten von den Dünen her fam feucht 
und falgig und fanft der Wind, trug einen 
Gerud) von Teer unb Tang aus der Welt 
mit fih, pfiff und Jang in den Sproffen unb 
Cplintfegeln der Flügel, als [pielte Peters 
mann, der Zigeuner, auf feiner Harfe; 
es war ein Wunder, daß fid) von foldem 
Haud die großen Flügel drehten und bie 
Steine im Mahlwert, daß die ganze Mühle 
[dütterte und bebte und an ber armdiden 
fette, mit der ber Blod an die Winde ges 
fefjelt war, wie ein gebändigtes Ungeheuer 
rig unb zerrte. Und Sort Asmus jab in 
die wirbelnden Flügel und dachte an den 
Cprud, den fie legthin im Unterricht gehabt 
hatten: Der Wind blájt, wo er will, und du 
böreft fein Saufen wohl, aber du weißt nicht, 
pon wannen er fommt und wohin er fährt, 
und badjte an vieles, was er nicht fallen 





fonnte, und es fam ihn eine Furcht vor der 
guten alten Mühle an, unb er wußte nicht 
warum. 

Da ftedte der Müller oben aus dem 
Seniter feine [pie Nafe, hielt die weiße 
Miike in dem wehenden Wind feft und 
ſchrie: „Asmus, pak up din Giijfel, be fiind 
all in min Geerjt.“ Und Karl Asmus |prang 
auf, als wäre eine Hornifje hinter ihm, lief 
und [djeudjte, daß bie Alte ziſchte und bie 
Jungen, ängftlidy mit den Flügeln jchlagend, 
aus der Gaat liefen, die Schnäbel in die 
Luft hoben unb mit den Ctummel[d)ymáng: 
den aufgeregt wadelten. Danach legte er 
fid) wieder auf den Bauch, hatte feine Augen 
und Gedanfen eine Weile bei der unver: 
nünftigen Herde und zählte, ob aud) bie 
Giijjelfen alle beieinander wären. Gie waren 
nod) nicht lange ausgefommen, ftanden in 
dem grünen Gras leuchtend und gelb wie 
Butterblumen und fo rund und quabblig wie 
bie Eidotter, bie bie Mutter des Feiertags 
bem Bater über Sped in die Pfanne jchlug, 
aber aud) fonft wohl in ber guten jahres: 
zeit, wenn die Hühner um die Wette legten. 

Asmus zwinterte vergnügt über die Büffel 
weg zur Geite, wo ein Häuschen lag ein 
Ctüd vom Wege und allein, bas Fachwerk 
weiß getündht, bas Gebalf und bie Fenſter— 
laden himmelblau. Auf dem Zaune blinften 
Töpfe und Butterfaß, und aus dem Shorn: 
Hem quirlte Rauh und zog Ddurd ben 
blühenden SRaftanienbaum, der über das 
Strohdad jah. Dem Jungen war, als ride 


Belhagen & Kiafings Monatöhefte, 22. Jahrg. 1017/1918, 2. B». Nachdrud verboten. Copyright 1918 by Belhagen & Mlafing 8 


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106 MESSE SEEN Johannes Höffner: III HZ ZZ 


er den Duft von gebratenem Sped, und bas 
helle Waffer lief ibm im Munde gujammen, 
denn Mittag war nab, und er hatte als rechtes 
Pommernfind einen hungrigen Magen. Und 
wie bie Mühle ibm in das Ohr flapperte, 
meinte er den Vater am Webjtuhl zu hören, 
wenn er den Ramm hart und im Taft gegen 
bie fette ſchlug und das Cdjiffden Durch 
den Aufzug jagte. Auf dem Giebel jchaufelte 
lanft bie Wetterfahne, ein Dreimajter aus 
roftigem Bled). Bei Sturm freijd)te er wie 
eine Möwe vor lauter Luft, und wenn die 
Wolfen niedrig gingen und [djmer, fuhr er 
in fie hinein wie der fliegende Holländer. 
Das Häuschen hatte früher einem Fijder ges 
hort, Peter Gadegaft. Auf Dorjchfang war 
er weggejadt, und feine junge Frau mochte 
den Seewind nicht mehr riechen, unb Asmus, 
ber Damajtweber, hatte das Anwejen für 
wenig Geld gefauft. Und wenn aud das 
Schiff auf dem Giebel nun nidt mehr zu 
dem Gewerbe paßte, bas unter ihm getrieben 
ward, ließ es Weber Asmus dod ruhig weiter: 
fahren und jab es an als ein Weberſchifflein, 
das in die Weite zu fahren Idien und bod) 
nimmer vom lec fam. Es lag ibm aud) 
nicht an, in die Welt zu fommen. Er war 
genugjam Ddabergefabren mit Rangel und 
Wanderftab, von Wgnetendorf über das 
Gebirg ins Böhmiſche und nad Wien, 
durch Deutjchland und Franfreid) und unter 
den Weljden, und dankte Gott, daß er in 
dem pommerjchen Dorf hängen geblieben 
war, ein fleihiges Weib und fein gutes 
Brot gefunden hatte; er wußte wohl, wie 
ſchwer ein Weber fein biBd)en Dajein weben 
muß und nicht auffommen fann gegen Die 
Majdhine, die Tag und Naht jpinnen und 
weben, ralem und jchaffen mag und nicht 
müde wird und nidt alt. Die Weber in 
Schleſien, die Dungerten und jeufzten, Daß 
Bott erbarm, fie webten fic) [dier Die Aus— 
gehrung an den Hals, und die Frauen 
ichleppten den Sommer lang die jchwere 
Leinwand von Stadt zu Stadt, von Haus 
zu Haus, und der Beutel blieb [eer und die 
Mot vor der Tür. Manch eine blieb auch 
liegen auf ber Landftrake und ftarb in ber 
Fremde, im Spital, wie feine Mutter, die 
einft im Frühjahr von den Kindern fort ins 
Hirichberger Tal gejtiegen war und nie 
wieder heimgelommen. Und darum Tieß 
Asmus, ber Damajtweber, teine Schlefilche, 
die ihre Ware durchs Dorf trug, an feinem 
Haufe vorbei, er hätte ihr denn Obdach und 
Zehrung geboten und einen Taler mit auf 
ben Weg gegeben: „Weil mein Mutter felig 
a fu a Scyläjche gemet is. Nehmt’s Brinfele 
und grüßt mir die Heimat.“ 

Ihm batte es Gott bejjer werben laffen, 


als dem Bater und Großvater und Hatte 
ibm einen Buben gejdenft, ber war mehr 
wert als die halbe Welt. Ba, das Shiff- 
lein oben auf dem Giebel war ihm lieb, 
unb fein Ächzen und Kreijden Hang feinen 
Ohren wohl. Das war das Schifflein feines 
Sebens, tat als führe es ins Weite unb 
blieb bod) ba, wo es feitgemadht war, wie 
an einem Anter, an ber ftarfen 9(djje, um 
bie es fid) drehen fonnte nad) allen Geiten 
bes jchönen, fruchtbaren Landes, auf bem 
ber lads jo hod wuchs wie ber Roggen 
unb |o blau blühte wie der Himmel am 
Sommertag, daß dem Webftuhl bie Arbeit 
nicht mangele und auf den Wiejen bie 
$eintüdjer [id) breiten fünnten wie Farer 
Schnee. 

Zwei Wetterfahnen waren fonjt nod) im 
Dorf. Hans Kroll, der Schmied, hatte eine, 
die batte er mit Fleiß und Runjt gehäm- 
mert, folte ein jpringendes Roß fein und 
glid) bod) nur einem mageren, abgelebten 
Siegenbod und bradte dem Schmied viel 
Kummer und Herzeleid. Denn wenn bie 
Bauern famen, ihre Pferde bejchlagen zu 
laffen, zwinferten fie zu dem im Winde 
tanzenden und fnarrenden Getter hinauf, 
grienten und jagten gwijden den Zähnen 
durdy: „Dunnerichlag, Hann, din Bud medert 
nich jchlecht.“ Der Schmied Jchludte um der 
Rundjdhajt willen den Ärger Hinter den 
Wodansbart, jchlug auf die Eijen, daß der 
Hammerjchlag zur Dede jprigte, und fnurrte 
grimmig: „Ach wat, Bud. Pierd bliemt 
SBierb.^ Geine Frau war ernjt und ver: 
jtandig und riet ibm, das mikratene Pferd 
herunterzunehmen, aber er jchlug dann auf 
den Tijd) und bonnerte in feinem Eigenfinn: 
„Nu ier[t recht nich!“ 

Die dritte Wetterfahne frónte den Kirch» 
turm, ein [tolger Hahn, ber ſchon längſt 
eingeroftet war und bejtindig nad) Süden 
zeigte, aud) wenn des Winters ber Nordoft 
alles burd)blies, daß es Stein und Bein 
fror. Er war aljo vollfommen unzuverläjfig 
wie Petrus, an bejjen Verrat er mahnen 
jollte. Aber daran dachte feiner, Jondern 
alle meinten, damit jolle die Tätigfeit ihres 
Predigers im Ginnbild dargeftellt fein, daß 
er wachen jollte über feine Gemeinde, wie 
ein Hahn über die Hennen und feine Stimme 
laut und hell erheben und den Tag des 
göttlichen Wortes verkünden. 

Und wirklich, Prediger Neumanns Wirten 
war jo bejchaffen; es gab im ganzen Dorfe 
feinen, der ihm nicht am Herzen lag, und 
jeine Stimme wedte jo manden aus dem 
Schlaf, und mandes alte, pertnód)erte Herz 
hordte wieder auf. (Cie hatten ibn alle 
lieb, die Alten unb die Jungen, und wenn 








BSSSSSSSISSISIIFIFFZN Deutihe Seele I 


einer nur zu dem andern jagte: „Us Pree- 
Her: — glänzten die Augen. 

Karl Asmus jab bie Dorfftraße entlang. 
Staujotat, ber Pliinfenfiihrer, fam mit feinem 
Schimmel durd den Gand gezudelt, wadelte 
auf dem JBagentajten bin und her und blies 
auf feiner gelben Flöte, daß man ihm 
Lumpen und Papier bringen follte; aber 
die Türen taten fid) nicht auf, fo lenfte er 
jettwarts zum Dorf hinaus, und als Schneider 
Feuereiß mit einem Sad Eggen und Fliden 
aus feinem Haus flabajterte, war 9taujotat 
auf und davon. Der Schneider warf den 
Sad burd) bas offene Fenjter auf feinen 
Tiſch, redte die langen Arme in die Luft, 
ging zum nahen Brunnen, 30g den Eimer 
auf und jchlürfte daraus wie ein Pferd. 
Darüber fam Prediger Neumann des Weges. 
Herkules, fein gelb und weißer Schäferhund, 
ſchoß ibm jaulend vorauf, unbändig vor 
Freude, daß er von ber Kette war, und der 
Schneider ließ den Eimer jählings in bie 
Tiefe fahren, denn er jdjámte fih, daß er 
fid von bem geijtlihen Herrn auf folder 
Unmanierlichfeit und Unmabigfeit hatte be: 
trappeln laffen, und 30g verlegen bie Müge. 
Dod) Herfules verftand das faljch, ftürzte in 
mächtigen Sägen daher, riß ibm bie Müge 
aus der Hand und |dlenterte fie Hatjchend 
um die Ohren, wie einen Gunghajen, den 
er heimlich im Klee gegriffen hatte, warf fie 
in die Luft und fing fie jaulend auf, bis fie 
endlich im weiten Bogen in den Brunnen 
fiel. Danah galoppierte er, bes fibermutes 
für eine Weile fatt, feinem langjam dahin: 
jchreitenden Pfarrer nad), ber feinen Ge- 
banfen nadbing und von ber GSchandtat 
hinter feinem Riiden nichts gemerft hatte, 
und ging dann fittjam, bie Schnauze tief 
gejenft, in feinen Fußitapfen, indem er hin 
und wieder Liebfojungen fordernd mit der 
Schnauze gegen bie nicht gerade unanjehn- 
lide Wade feines Herrn ftief. 

Der Schneider aber holte den langen 
Sseuerhafen, ber der Lange nad) über ber 
Leiter und bem Ledereimer unter ber Dach» 
traufe hing und angelte nad) der zwar nicht 
mehr neuen, aber immerhin noch für manhe 
Jahre brauchbaren Ropfbededung, und, da 
fie zum Glüd an einem SBrombeerftraud, 
ber aus den Fugen ber Steinquadern Der, 
vorwuchs, Hängen geblieben war, brachte er ie, 
wenn aud) mit großer Mühe, Achzen, Stöhnen 
und Fluchen, fajt unverjehrt über den Rand. 

Karl Asmus lachte auf, wie er bas alles 
mit anjab, und bie jungen Bänslein hoben 
verwundert den Kopf, jaben |djief in den 
Himmel, ſchlugen mit den furzen, niedrigen 
Flügeln, und ihre Schwänzdhen gingen hin 
und ber wie ein Lammergagel. 





1 107 


Es gab feinen jchöneren Pla als bier 
oben bei der Mühle. Da jah man in das 
Dorf wie der liebe Herrgott auf die Welt. 
Aber der Habicht, ber hod über dem Kirch» 
turm jchwebte und in weiten Windungen 
fid aufwärts jchraubte, höher und höher 
Hien, daß die Erde unter (bm wegjanf, ber 
jah nod) mehr. Karl Asmus dachte, wer 
das wohl alles jehen könnte — das weite 
Meer hinter den Dünen, wo die großen 
Schiffe fuhren, die Segler und die Dampfer, 
bie aus den deutjchen Kolonien in Afrika 
famen, aus Kamerun und £überi&lanb, wo 
Reinhold Schmidt von den Wilden totges 
Ihlagen war, und landwärts bie große 
Stadt und den Leuchtturm von Jershöft 
und im Dorf, überall auf den Höfen und in 
ben Garten und auf den Wegen bie Küchel 
und Enten, und der Habicht [udjte fid) aus, 
wo er rauben und wohin er ftoßen wollte, 
In der Tiefe unter ihm ftand eine Verde, 
wie ein Heiner [djmaraer Punkt, aber Karl 
Asmus hatte jcharfe Augen, er fah fie ge: 
non, wie fie flatterte und ftieg. In bem 
blauen Himmel hinein. Wer da oben ſchwe— 
ben fonnte, im Blauen, ficher getragen von 
ber Luft! Der Raubvogel fam in furgen 
Schraubenlinien aus der Höhe, und plóblid) 
fiel er wie ein Stein in jähem Gturz nad) 
unten. Er [tiep. Dem Knaben Donn das 
Herz ftill. Ob er die Lerche gejchlagen hatte? 
Uber fie ftand in der Luft wie vordem. 
Was mochte wohl jekt in feinen Fangen 
verbluten? Warum mußte ein Habicht von 
Lebendigem leben? Und mit einem Male 
hörte er wieder bie Windmühlenflügel pfeifen 
und faujen, wie fie über ibm herniederfuhren, 
als wollten fie ihn mittendurch jchneiden, ber 
falte Luftdruck hob feine Warpjade, und er 
frod) ein Ende weiter, wo bie warme Sonne 
im Graje lag, denn der Schatten der Mühle 
war mittlerweile über feinen Pla gejchlichen. 

Die Büffel waren nun fatt; fie hatten fih 
um bie Alte herum niedergetan, wujelten 
den mod) fjchwärzlichen Schnabel in den 
flaumigen Federn oder ſchnappten wablig 
nad einer Blumenknoſpe oder einer Fliege, 
bis fie alle den Kopf halb unter die fiims 
merlichen Flügel [tedten und döfig ins Weite 
glupten. 

Co eine Gans war bod) ein einfältiges 
Tier und hatte ein Tangweiliges uud kurzes 
Leben, von Mai bis nad) Martini — bann 
war alles zu Ende. Dann lagen die Giijjelfen 
ihon im Salz und hingen im Rauh. In 
ihre Quftröhren tat man Erbjen und dörrte 
fie im Badofen, und die fleinen Wicelfinder 
Happerten fi) damit in den Gclaf und 
rieben das judenbe Zahnfleijch damit. Auf 
ben Reblfipfen aber jchrien bie Kinder durchs 

8* 


108 Iess Johannes Hiffner: BSSSSSSSS33333I 


Dorf, daß es [djier, als wären all bie toten 
Bänje nod) am Leben, und es war ein Ge: 
Ichrei, daß Prediger Neumann fih bie Ohren 
zubielt, wenn er über jeiner Sonntagspredigt 
fab. Aber bas war nun einmal ber ausge: 
machte Lohn dafür, daß fie bie grauen Nudeln 
gerollt und gejchnitten batten unb der Mutter 
zugereicht, wenn fie bie Vögel zwijchen bie 
Knie flemmte unb [topfte, bis fie voll waren 
bis oben an und leije verjchüchtert jauternd 
in den Stall wadeln durften. Und zu Weib: 
nadjten, wenn das Schwein fett und an ber 
Reihe war, fam die Spidgans aus bem Rauch. 
Eine mußte Karl Asmus ins Predigerhaus 
tragen, das war der Dezem für das neue 
Jahr, zwei blieben für den Tijd, und bie 
andern wurden auf dem Wochenmarkt in 
der Stadt verfauft. Weihnachten — woher 
trug der Wind den Tannnenduft herbei? 
Dann jaBen fie des Morgens in der Frühe 
am fejtlich gebedten Tilh, ber Roſinenkuchen 
Honn in ber Mitte, ber Baum war ange: 
zündet, vor bem Gpiegel, dak fein Glang 
fid) erbóbe, unb der Water ftimmte das 
Weihnadtslied an, und die Mutter hatte 
ihr jchönftes Tuch aufgelegt, darein hatte 
ber Bater funftreid) die heilige Geſchichte 
gewebt, die Hirten auf dem ‘Felde, bas 
&inblein im Stall, die Darftellung im Tempel 
unb bes Herodes Rindermord. 

Da [tieg der Habicht hinter der Kirche 
wieder bod) und [trid) jchräg nad) ber Gee zu 
davon. Und indem der Junge ibm nadjab, 
bis er im Blau verjchwunden war, ging es 
ibm durd den Kopf, als wäre ber Menſch 
um nichts beffer als der Habicht. Bei 
Krüger Wodenfaut in der guten Gtube 
hatte er ein Bild gejehen, darauf würgte ein 
Fuchs eine Ente, über den beiden [tanb in 
ber Luft lauernd ein Raubvogel, auf den 
gielte der Jager, und hinter dem Jäger fam 
der Tod geichlichen. Dabei fiel ibm ein, was 
ber Vater immer jagte: ‚Den größten Rahen 
bat die Erde, bie fript uns allzumal auf.’ 

Da unten an der Kirche lagen die Bräber. 
Da hatten fie vor ein paar Tagen den 
fleinen Hinrif Kledehn begraben, da hatten 
fie alle gejungen und geweint. Er war in 
bie Drejchmalchine gefallen, und hatte feiner 
ihm helfen Tonnen, Der Knecht, deffen 
9tadjlájjigfeit bas Ungliid verfchuldet, war 
ins Gefängnis gefommen. Aber davon 
wurde der kleine Hinrif nicht wieder leben: 
big. Und als fie vom Begräbnis nad Haufe 
gingen, batte ber Bater zu der Mutter ein 
Wort gejagt, bas war in Karls Gedanfen 
geblieben: ‚Der Menih hat die Majchine 
ausgebadjt, daß er ihr all bie jchwere Arbeit 
aufpaden fonnte. Das ift gegen bie Ordnung 
(Gottes, weil ber Menſch im Schweiße feines 


Angefichts fol fein Brot effen. Und barum 
rädht fid) bie Majdine an ihm und Debt ibm 
nah bem Leben‘ Aber es mußte doch 
jon fein, jo was ausdenfen zu Tonnen, 
einen Wagen, auf dem man wie Elias in 
bie Luft fahren konnte unb bod) oben mit 
ben Wolten jchweben und freijen, wie ber 
Habicht. 

Nun famen die Kühe von ber Weide. 
Soden Krätte, der Hirt, Humpelte mit feiner 
SReitjde Hinterdrein, Waller, der Hund, 
rannte an ber Herde auf und nieder, wie 
ein Artilleriewachtmeilter an der Batterie 
auf bem Marjch, wenn bie Abjtände nicht 
gehalten werden. Bor den einzelnen Ges 
böften- löften fic) einzelne Kühe aus Der 
Reihe und ftanden brüllend vor dem Tor, 
bis ihnen aufgetan ward. Karl Asmus 
judte nad den Kühen jeines Vaters. Die 
Graubunte fhob wie immer voran, Die 
Schwarze mit dem weißen Sattel fam hinten 
mit den Ziegen. Aus dem Schulhaus trat 
Küfter Drafehn. Er ging zur Kirche, um 
Mittag zu läuten. 

Indeſſen fap ber Damaftweber an feinem 
Stuhl und wirkte bie lebten Ellen an bem 
Geded für ben Herrn Landrat in ber Stadt, 
ein flares Mufter von Rofen: unb Ptyrten: 
fränzen; denn es war für feine jüngjte 
Tochter zur Hochzeit. Zur Linfen vor den 
Fenſtern bliihten Neltenjtöde rot wie Blut 
und weiß wie Schnee, ein Flügel ftand offen 
für bie milde Luft und flirrte leije, wenn 
der Wind dagegen ftieß. Und Asmus fap 
über die Leinwand gebeugt, ließ bie Pedale 
geben und jpreizte die feinen Fäden ber 
Kette bald fo, bald fo, ließ bas blante Schiff: 
lein hindurch [djnellen und fhlug ben Ramm 
Happernd unb im Taft gegen den Schuß. jpielte 
auf den hölzernen Taften am Untergeftel mit 
den Füßen wie der Kantor auf der Bodenflavi- 
atur der Orgel, und all die Faden ordneten 
fid) wie Töne zur Melodie, rannen aus dem 
oberen Stodwerf durch die vieredig durch» 
brochene Dede über Walzen, Stifte, Rader 
und Mufterblätter und fügten fih dem Willen 
des Meilters, daß feines anders lief, als thm 
vorgejchrieben war. Und der Weber nannte 
bas eine fromme Arbeit und meinte, daß 
aller Weber oberjter Meijter der allmadtige 
Herrgott fei, der fit an feinem Webjtubl 
im Himmel und webt aus fette vnb Cine 
Ihlag bas Leben ber SUlen|djen und ber 
Völker. 

Auf der Dönſe aber hantierte ſeine Frau 
Karoline eifrig und laut mit dem Stampf— 
eilen, fuhr in die dampfenden Kartoffeln, 
bis ſie fein gemengt waren, und arbeitete 
ſie mit Kleie durch, denn das Vieh wollte 
aud fein rechtſchaffenes Mittag. Da hörte 





fie ihre beiden Kühe vor bem Tore brüllen, 
die Graubunte in tiefem Bağ, die Schwarze 
Bell und ungeduldig, ftieß bas Stampfeijen 
in das Faß und lief, ihnen aufzutun. Als 
De ben Querbalten hob und bie Flügel auf: 
jtieB, fab fie binterben bereindringendenRiiben 
Herkules babinidjieBen und den Rater Peter 
auf ben Rajtanienbaum jagen, erjchrad, denn 
ber Pfarrer fonnte nicht weit fein, und fie 
wurde ibn aud) alsbald gewahr, wie er in ben 
Morgarten trat. Cie ließ bie Holzpantoffeln 
ftehen, um ihrem Mann jo [djnell als mög» 
lid) ben unerwarteten Bejud) anjagen zu 
lónnen. Aber als fie ben Kopf zur Tür 
bineinftectte, rief ber Pfarrer jchon burd) 
bas offene Fenfter: „Das will id) meinen, bei 
ſolchem Fleiß fol das Werf wohl feinen 
Meifter loben. Grüß Gott, Asmus, wie 
gebt's, wie fteht’s?“ 

Gin wenig verwirrt ließ der Weber von 
der Arbeit ab, und während der Ramm 
müde flappenb gegen die Kette ausjchwang, 
ein paar Räder fnadten, ein Bleigewidt 
niederfiel und bas entipannte Garn fih 
lenfte wie die Drähte zwijchen zwei Teles 
graphenftangen, ftand er auf, redte fid), 
weil ibm Kreuz unb Lenden lahm und Feit 
geworden waren vonr langen Giben, gab 
dem Pfarrer auf die Frage einen guten und 
zufriedenen Bejcheid, lehnte bejcheiden bas 
Rob ab: wenn einer feine Gdjulbigteit tate, 
wär’ es doh immer nod) zu wenig, und 
nötigte ihn herein. Dod) ber jchüttelte den 
Kopf und wehrte dazu mit der Hand. Her: 
fules verftand wieder einmal die Bewegung 
faljch, deutete fie mit Fleiß, wie Gulen[piegel 
getan hätte, als eine Ermunterung in jeinem 
Kampf gegen den Kater, der in dem dichten 
Laub der Zweige wütend faudte und fnurrte, 
jprang mit lautem Kläffen und Jaulen 
immer wütender um den Baum und war 
aufs tieffte beleidigt, als der erwartete Beis 
fall ausblieb und fein Herr ihn mit drohend 
erbobenem Stod auf die €anb[trape jagte, 
wo er fid) bie Zeit zunädhft mit allerhand 
itilen, biindijden Gewohnheiten vertrieb. 

„So, Meijter Asmus, nun fónnen wir 
reden. Alſo kurz heraus, denn bie Zeit des 
Eſſens ijt ba, unb der Magen will fein Recht, 
wenn einer von früh an über bem Leintuch 
geſeſſen bat: id) tomme wegen Eures Jungen. 
Der Karl liegt mir am Herzen. Er ift Euer 
einziges Rind und hat einen hellen und 
gejunden Berjtand. Aus dem ließe fih 
etwas machen.“ 

Indes 30g Riifter Drafehn im Turm den 
Blodenftrang und läutete Mittag; dazu 
hatte Herkules auf der Landſtraße einen 
neuen Anlaß zu jadjernbem Lärm gefunden, 
eine Kröte, bie am Wegrand fid) durch bas 


Deutihe Seele aere 109 


Gras wählte, und fo, zwiſchen Blodenläuten 
und Hundegeblaff, verbanbelte Prediger dies 
mann mit dem Weber, was für Karl 9Ismul: 
jens Leben von erheblicher Bedeutung war. 
Geitwärts an der Hausede, hinter Dem Tor, 
Honn Mutter Asmus und reinigte verdrieß- 
lid) mit einem Strohwijd ihre Holzpantof: 
feln, die derweil pon ben Kühen nidtsnugig 
bejdjmugt waren, aber ihr Yirger über bie 
unbanfbaren, mutwilligen und bammligen 
Tiere war bald dahin, als fie hörte, was 
ber Pfarrer von ihrem Jungen fagte. 

Der trieb inbejjen feine Büffel langſam 
den Hügel hinab und hatte mit ihnen feine 
liebe Not, denn fie waren fatt und unbcbol: 
fener als am nüchternen Morgen und bot, 
perten und jtürzten bald das eine, bald das 
andere den Hang hinab, fielen platt auf ben 
vollen Kropf, rappelten fidy wieder bod) und 
überfugelten fih von neuem. Das ſchwächſte 
blieb flagenb unb piepjend vor einer Furde 
jtehen, und Sort Asmus mußte es auf den 
Arm nehmen wie ein Kind. Hinter der 
Windmühle fam Tijchler Düstows Mar: 
lenefen den Rain entlang gelaufen, [tellte (id) 
lachend vor ihn: „Na, Radel, nu muß du em 
oof börnen. Un nabjten legg em man in 
be Weig’. Un bed em tau. So as dat us 
Mudder mit us lütt Fielen deiht.“ Gie 
hatte Mittag aufs Feld getragen, und ihre 
Augen waren fo braun und blant wie 
Rajtanien, wenn fie aus der Schale [pringen 
und unter dem weißen Kopftuch blänterten 
bie glattgeftrichenen Haare wie das Fell von 
Predigers Liefe, wenn Wilhelm Pantel fie 
Sonntags früh zur Fahrt aufs Filial ge: 
jtriegelt batte. Und Karl Asmus madte 
ein betuliches Gelicht, jchaufelte bas Güſſel 
[anft wiegend hin und her. „Kiet eis, Mar: 
lenefen, dat ward lif injlapen. Ging bu em 
wat.“ Und Marleneten fang und jchwentte 
ihren leeren Korb im Tatt. 

„Sufe, [lebe Sufe, wat raſchelt im Strob? 
Dat find be lemen Jüſſel, be bemmen teen Schaub, 


De Cdjauiter bett Ledder, tein £eiiten dartau. 
Drum gahn de lewen Jüſſel un hewwen teen Schaub.“ 


Das Giijfelfen blinzelte, tat die Augen 
gu und wollte einjchlafen, ba ladjten die 
beiden Kinder fo laut auf, daß es erjdrectt 
Augen und Schnabel aufriß und jchrie und 
die Alte ziſchend und Flügel jchlagend bers 
beigeftürzt fam und bem Marleneten in die 
braunen Waden bif. 

Das Mädchen jab Ichalfhaft ben Knaben 
an: „Nu, Radel, wat giwwft du mi für den 
Gingjang ?" 

Er dadte: ‚Sch wul bi wol een Buß 
gewen’ unb fie: OF be mi wul een Buß 
giwwt?’ Uber er langte in bie Tafche, wobei 
bas Gansden ihm beinah vom Arm gefal 





110 Iesch Johannes Höffner: 


len wäre, unb reichte ihr ein Stiid Berns 
jtein bin: „Da, is en Fleig in.“ Marlene— 
fen hielt es gegen die helle Sonne: „Waraftig, 
Radel, da is en Fleig in. Na fon Tüg 
heww id aljüs janft. Schön Dank oof.” 
Damit lief fie der Straße zu, dak ihre 
Ridden flogen und das Kopftuch flatterte, 
jah fid) nod) einmal lahend um und war 
hinter den Häufern. 

Als Karl Asmus feine Bänfe endlich auf 
ebenem Weg hatte und auf den Hof trieb, 
ftand die Mutter, den Gtippel mit Der 
warmen Mittagsmildy in der Hand, mit 
dem Bater in eifrigem Gelprad vor dem 
Rubjtall, und der Vater fam auf ihn zu, 
nahm fein Geliht in bie Inodhigen Hände 
und jagte mit Stolz: „Der Herr Prediger 
war übenb hier und will bir zu Johanni in 
Unterrichtnähmen, daß aus bid) was Ordent: 
liches werden fol. Du bot H was in bid), wo 
man helfen müßt, daß es ans Licht fame.” 

Der Junge wurde rot bis an bie ad: 
lernen Haare, denn wenn der Prediger einen 
in Unterricht nahm, das war mehr, als wenn 
einem taujend Taler gejdjenft wurden. Wer 
zum Prediger ging, das war nichts ge: 
tingeres, als Samuel widerfubr, da er in den 
Tempel genommen ward. 

Behutjam jegte er das Giiffelfen auf den 
Boden, dann lief er ums Haus, fletterte in 
den Rajtanienbaum, darin vor furgem noch ber 
Kater Peter gejejfen hatte, der jebt im Kuh- 
ftal feinen Teller ausjd)ledte, und ließ bas 
unverhoffte Ereignis burd) fein Herz geben, 
bis ber Bater ihn durchs Fenfter zum Effen 


rief. 

B] B8 8 
Prediger Neumann, ob ſeine Ehe gleich 
kinderlos geblieben war, hatte mehr Kinder 
als alle ſeine Amtsbrüder zuſammen. Denn 
alles, was im Dorf an kleinem Kroppzeug 
war, jedwedes, das er in das dicke Tauf— 
regiſter eintrug, das ſah er als ſein eigenes 
an und hatte es lieb, als wäre er dazu der 
leibeigene Vater. Die Kleinen freilich hatten 
vor ihm eine heilloſe Angſt, hatten allzumal 
ein böſes Gewiſſen, gingen des Sommers 
in die Pfarrerbſen auf dem Kamp und im 
Herbſt über den niedrigen Zaun und durch 
die Hecken in den Pfarrgarten auf die Bir— 
nen und Apfel und Lambertsnüſſe, wenn 
Herkules an der Kette lag, und darum liefen 
fie, was fie tonnten, wenn ber Pfarrer da: 
herfam, rijjen aus und riefen eins dem an: 
dern zu: „De Preefter kümmt!“ Dabei [aber 
fie nicht, wie er lachte und bas behäbige 
Bäuchlein wadelte. Wher wenn fie zu Ber: 
jtand gefommen waren, hatten fie feine Furcht 
mehr, und hatten ihn alle lieb, ſchmückten 
in der jchönen Jahreszeit ben Altar mit 





Blumen vom Felde, und wenn er durds 
Dorf ging, blieben fie artig ftehen, die Jun— 
gen zogen bie Müge, bie Mädchen madten 
einen Rnids und wurden rot. 

Mand einer war aus dem Dorf hinaus- 
gezogen in die weite Welt, hatte nichts ge- 
habt, als was ibm Pfarrer Neumann in 
bem jtillen Studierzgimmer mit auf den Weg 
gegeben hatte, war draußen etwas Tüchtiges 
geworden, hatte fid) ben Wind um bie 9tale 
geben laffen und fein Glüd gemadt, wie 
Albert Priebe, ber Geminardireftor im Bo: 
ſenſchen, Richard Benthin, ber Broßreeder 
in Danzig, von andern nicht zu reden. 

Und nun war Karl Asmus in der Reihe, 
und im Dorf nedten fie ihn und fragten, 
wenn er, bie Bücher unter bem Arm, aus 
dem Unterricht nach Haufe lief: „Na, Radel, 
wo is bat, wenn us Preefter bi ben Deeg 
aflleipe bábt ?" Dann lahte er über das 
ganze Belicht, und gab den Spaß zurüd. 
„Ach watt, min Eden fridjt hei nid) af.“ 

Zwar wußte der Pfarrer noh nicht, wo- 
bin es mit ibm hinaus wollte, aber mit fad: 
ten würde es fid) ſchon zeigen, denn er hatte 
einen offenen Kopf und Luft am Lernen. 
Vorerjt war es nod) in ber Zeit, daß er fid) 
an das Neue gewöhnen mußte. Das war bei 
allen jo. Zuerjt waren ihre Augen und Ge- 
banfen um die ſchlichten birfenen Möbel, 
bei Dem Edichränfchen, in dem das blante 
Gilber blinfte, bet bem Bücherregal, bas bis 
an die Dede reichte und mit alten, knacken— 


ben Schweinslederbänden voll war bis oben: 


an, bei Dem Schreibſchrank, ber, wenn Die 
große Klappe niederfiel, viele Fächer zeigte, 
bie allerlei Gebeimnijje bargen, bunte Tin 
ten und SFarbitifte, feltene Münzen und De: 
baillen, Fernrohre und VBergrößerungsgläjer 
und anderes mehr, unb daraus Der Pfarrer 
mandes Stüd bedadtjam hervorholte, wenn 
der Unterricht es forderte. 

Dann waren an den weifgetiindten Wän— 
ben die Bilder. Da hing über dem Tijch- 
chen, darauf ber Tabafsfajten jtand mit der 
blauweißen Berlenftiderei im Dedel, eine 
Landjdhaft mit Berg und Tal, mit Wald 
und Schloß und Gee, daran rubevoll ein 
Angler jak, war aus lauter Kort zierlid) 
und funjtvoll gejchnitten, jo wie wirklich, daß 
einer glauben konnte, er brauche bloß einen 
Schritt zu tun, dann jtünbe er mitten brin 
in all Der Herrlichkeit. Das war das Haupts 
ftüct fürs Auge. Danah fam, was das Herz 
anrührte: ein Ctid) von Tizians Zinsgros 


.fden, auf bem der Heiland jo ernft und 


wehmütig blidte, daß es einem bird) und 
Durch ging, und daneben der breite und der 
ihmale Weg, auf jenem jchwerbepadte Mten- 
Iden, mühſam babintriedjenb, dem Werder: 





ben zu; auf diejem, die leicht unb aller ttbi; 
iden Laft ledig zur engen Pforte pilgerten, 
unb Dazwijchen, auf abzweigenden Pfaden, 
von dem einen zum andern Weg wechjelnd, 
die ihrer bisherigen Wanderung überdrülfig 
geworden, fid) befehrten zum Verderben oder 
zur Geligfeit. Und ganz allein auf einer 
Wand ein Bild unjeres alten Kaifer Wil- 
helm, das trug ben Tag verzeichnet, an dem 
ein Mörder auf unfer Baterland ewige 
Schmad gebrad)t hatte, und ein Bers ftand 
Dabei: 


Mein deutidhes Bolt, o dente dran, 
Was er an dir und was man ibm getan. 


Sa, ba gab es viel zu bedenken für ein 
junges Herz, und es war fein jchlechter Weg, 
ben bie Blide an den Wänden entlang mad): 
ten. Darum ließ Pfarrer Neumann feinen 
Schüler [till gewähren, hielt in Fragen und 
Erklären inne, daß er ihn nicht ftöre, ftand 
auf und ftreichelte Herkules, der fchlafend 
und träumend auf einer runden Strohdede 
neben der Tür lag, ging auch wohl in die 
Küche nebenan, um am Herdfeuer einen Fidis 
bus zu entzünden und die Pfeife in Brand 
zu jeken, oder flop[te gegen bas Quedfilber: 
barometer in der Fenſterniſche und gegen bas 
SBetterbüusd)en, ob die Witterung um[djla: 
gen und der Dann mit bem Regenfchirm 
[eine freundliche Frau ablójen wolle, tat bas 
Fenjter auf und fütterte auf dem Sims bie 
Tauben, bis er merkte, daß bie neugierigen 
Augen fih müde fpagiert hatten und bie 
Gedanfen wieder auf den |djmalen Weg der 
Pflicht guriidgefehrt waren. 

So,” jagte Pfarrer Neumann, holte ein 
paar dide Wolfen aus bem Tabalstohr und 
lebte fid) wieder Karl Asmus gegenüber an 
den Tijd, „Jo, nun tann es weiter gehen.” 


Er ftrid) mit bem Daumennagel in fraftigem ` 


Drud die widerjpenftigen Seiten des Buches 
nieder, erzählte, wie Hagen den König 
Günther für den Jchmählichen Plan gewann, 
Siegfried zu ermorden, wie nod) immer in 
der Welt Neid und Mißgunſt umgehen und 
den Ctarfen und Aufrichtigen mit Hinterlift 
unb Verrat nad) dem Leben tradten, wie 
der Sohn Gottes jelbjt dem Werräter wäre 
zum Opfer gefallen, und wie das ehrliche 
deutiche Volt gebaBt werde von allen und 
jeines Lebens und Gedeihens nicht ficher 
wäre vor lauter Neidlingen. Und dann las 
er bem aufhorchenden Knaben, der ihn mit 
fragenden Augen und brennenden Wangen 
anblidte, mit jtarfer und zorniger Stimme 
unb unter Entwidlung mäcdtiger Dampf: 
wolfen vor, wie Giegfried ermordet ward: 


„Und während Siegfried trinferd fic beugte auf 
Die Flut, 

Warf Hagen durch das Zeichen den Ger ihm, daß 
das Blut 


Dentide Geele BESSSSSSSeccese”|d 111 


Sm Strable [hoB vom Herzen bis auf [ein Gewand. 
Mit wildem Aufichrei [dnellte ber Held empor vom 
Brunnenrand,. 


Wenn aud wund gum Tode, er bieb bod) auf ihn ein 

Mit fo gewalt’gen Schlägen, dab manger Edelftein 

Wirbelte vom Schilde und bieler fprang in Stüde, 

Biel fehlte nicht, [o hätt’ er fid) geradt für Hagens 
Tide. 


Er bradte thn gum Straudeln mit feines Arms 
(Gewalt. 

Bon feinen Schlägen bróbnte ber Unger und ber Wald, 

Wenn er nur gu Händen gehabt fein gutes Schwert, 

Er bätte wohl dem Heudler s verdienten Lohn 
beichert. 


Seine Kräfte [hwanden, fein Angeſicht verblid: 

Des nahen Todes Zeichen. Nicht länger hielt er fid): 

Nieder in bie Blumen fant Frau £riembilbs Mann, 

Snbes aus feiner Wunde immer nod) bas Blut ibm 
rann. 


Er fhalt aus Todesnotnur: Weh euch, feige Gefellen, 

Bum Lohn für meine Dienfte mir treulos nahau: 
ftellen. 

Sch hielt end immer Treue; dafür büß’ td) jest. 

Redenpflidten babt ibr an eurem — ſchnöd 
verlegt . 


Mit einem Krah ſchlug der Paftor das dide 
Bud) zu. Er hatte fid) in hellen Zorn hinein: 
gelejen und ſchlug auf den Tijd), dak das 
Tintenfaß hopfte unb ber Ganjefiel, mit dem 
er immer nod) jd)rieb, zu Boden flog. „Karl, 
mert bir bas, bas elendefte Gubjeft ift ein 
Feigling und ein Verräter.“ 

Karl nahm feine Bücher unter den Arm, 
gab feinem Lehrer die Hand, und zwilchen 
jeinen Augen ftand eine [harfe Falte. Wenn 
er heute Otto Söhlke traf, wollte er es ibm 
eintränten, daß er geitern feinen Freund 
Robert Wodenfuß Hinterliftig in bie Dornen 
geftoßen hatte, weil er in der Schule bie 
Gebote beffer gefonnt hatte als er. Eine 
Meile blieb er nod) im Pfarrhof ftehen, 
hörte ben Wdebar flappern und jab zu, wie 
die Stirdin bas Neft anflog und dabei die 
Flügel um fid) ſchlug wie einen Mantel, aber 
dann nahm er die Beine in die Hand, denn 
er follte Schneider TFeuereiß fragen, ob der 
Conntagsrod für feinen Bater aud) bei red- 
ter Zeit würde fertig fein, und dann Jollte 
er aus dem Krug Sdmierfeife holen, denn 
feine Mutter wollte wajchen. Aber es ging 
nicht [o jchnell, wie er glaubte. Bei dem 
Schneider jak Auguft Gottjchalf, ber Afris 
fander, auf bem Tijche, hatte wie jener Die 
Beine unter den Leib gejchlagen, rauchte 
aus einer Schiffspfeife und tühnte. Die Wil: 
den hatten ibm in Südweſt ein Auge aus: 
geichojjen, nun Iebte er jdjfed)t und recht 
von feiner Invaltdenpenjion, lief den ganzen 
Tag im Dorf umber, fap bald diejem, bald 
jenem auf dem Sed und erzählte jeine Er: 
lebnijje in fremdem Land und aus Dem 
Hererofrieg: „Jau, Hinnerf, das ging da 
nich fein zu. Da lagen wir drei Tage und 


119 ESCH Iohannes Höffner: CC 


drei Nächte bei Waterberg; des Tags brannte 
bie Sonne als wie bóllijdjes Feuer, und des 
9tadjts flapperten uns bie Zähn’ wie Grbfen 
in ber Schweinsblaf’. Reiner von bie ſchwar—⸗ 
gen Hunde ließ fih feben, lagen vor uns 
im Bufh, und wenn einer den Kopf aus 
den Klippen [tedt', denn ließen die Teufel 
die Kugeln fliegen, und wer jo fchnell war 
wie unjere jelige Großmutter, der war dran. 
Dalreiht. Die Kerls haben geſchoſſen — bas 
glaubt feiner. Und alles englijdje Flinten. 
Eine Wut haben wir auf diefe verflucdhten 
Snglijdmens gehabt, hätten wir ihr gekriegt 
und hätten wir gedurft, Rorl, id jegg bi, 
wir hätten ihr totgejchlagen wie dDunnemals 
Koſſät Müllern feinen tollen Hund. Alſo 
wir liegen jchon den dritten Tag, und bie 
Steine brennen wie unfer Badofen beim 
Nadbaden, und die jung ts fo troden als 
Dfenholz, die Augen liegen vor wie Bors: 
Dorfer und auch jo rot und gelb, und jedes 
Wort tut im Hals web, als [tád)' einer mit 
bem Meſſer quer durch. Und hundert Schritt 
nad) vorn, ba bläntert Wajjer, aber tann 
feiner dazu, bie [djmargen Hunde |djieBen 
ihn durch bie durjtige Gurgel. Martin Wend- 
land liegt neben mir, bat die Rnarre auf 
die Steine gelegt und ftöhnt wie ein Tier 
und friecht näher und Jagt: Auguft, nu tann 
id) nid) mehr. Und wenn es mein Tod is, 
id muß ans Wajjer. Grüß’ Batern, wenn 
es fein fol... ich hätt’ nicht anders og: 
fonnt.‘ Zwiſchen Klippen und Buſchwerk 
friecht er fort, und wie er bei Dem Waſſer— 
lod) fómmt und ben Mund gerad’ dran 
bat, da jchießen ihn die Halunfen rid: 
tig tot.“ 

Er jpudte aus und [djnirdjelte Durch bie 
Nafe, als fámen ihm die Tränen, aber es 
war nur ein Trid, ber feiner Geldjidjte einen 
Ihönen unb rübrjamen Abjchluß geben folte 
unb ber nie verjagte. Der Schneider wadelte 
miileibig mit Dem Kopf, die Arbeit ſchwamm 
ihm vor den Augen und die frumme Nadel 
fuhr ihm tief in den platten Daumen. Ein 
dider Blutstropfen quol hervor, aber er 
jagte nichts und fludte nicht unb verbiß 
feinen Gdymerg, denn man mußte ein Held 
fein wie Martin Wendland, und Karl Asmus 
[ab den Afrifander groß und fragend an, und 
jeine Augen waren weit fort und jahen bas 
Waſſerloch, an bem Martin Wendland mit 
durdyichojjener Gurgel lag. 

Auguft Gottid)alt jog ſchmatzend an ber 
furzen, hölzernen Pfeife, die über feinem 
Tiihnen faltgeworden war und jagte [hwer 
und langjam, wie er immer den Schluß por: 
zubringen pflegte: „Jau, ba was hei dod. 
Bei Nacht haben wir ihn geholt und infult. 
Die Sterne far[untelten, und ganz hinten 


brüHten bie Löwen.” Das lebte war zwar 
gelogen, aber der Schneider jdjüttelte iid), 
unb Rarl Asmus fchauerte es über den Rüden. 

„Dei Löwen brüllten ?” 

„Sau, Kadel, bei brüllten as de See bi 
Nordweit. Dei Löwen dei freten in Afrita 
be Minjchen as wi be Böfltüds. . $yinneras: 
fing, dat wär da alljüs fein Zuderleden. 
Da bett bat: [ted den Finger in be Ird unb 
tiif, in wat Lande du bon: 

Cr [dug fid) gegen bie Bruft und hielt 
bem Schneider bie Pfeife unter bie 9taje: 
„Feuereiß, ba tann ein dat Grujeln lihren.“ 

Indem badjte Karl Asmus an ben Mann, 
ber auszog, bas Grujeln zu lernen, an feiner 
Mutter Wajdhbottid und bie Schmierjeife, 
ichob feine Bücher unter ben Arm und [tülpte 
bie Müge auf ben bellblonben Kopf. 

„Sa möt to Hus. Un be Rod most up 
Sünnawend fahrig melen, Padder will to 
Herrendijd gahn.” ) 

Der Afritander rief ibm nad: „Id war 
em en Rarw int Ohr fchnieden. TFrugeslüd 
an Schniders, be holen nid) Wurd.” 

Wis Karl Asmus im Kruge an der Ton: 
bant [tanb und der Krüger Wodenfuß bemb: 


 ürmelig mit ben diden, roten Händen in bas 


Faß langte, bie Schmierjeife mit der Kelle 
heraufgubolen, fam Auguft Gottjchalt mit 
ichweren Schritten hereingeltampft, denn bei 
dem Schneider war es ibm langweilig ge: 
worden, fekte fid) bedächtig auf ben Holz- 
[hemel zu Koſſät Pingel, der, den Kopf in 
die Hand geftügt, in ein [hales Glas Bier 
glupte, Bieb einen Brojchen auf ben Tijd 
unb fdjrie: „En adjtel Bittern för den bur: 
[tigen Wfrifander. Hüt war id ben Buern 
up den Edelmann fetten.” 

Der Krüger hatte den Kopf im Faß, am: 
pelte und fragte ben Met ber Geife auf dem 
Grunde zujammen und [agte wie aus dem 
Keller: „Auguft, töw man en beten un brem: 
mel nid. Dits bier en jwor un glibbrig 
Ding.“ 

Der Wfrifander [pudte auf den mit weißem 
Gand bejtreuten G[trid). 

„Qat bi man Tid. Id heww dat nid) fo 
Hild, as de Köſter up de Rindelbier,” wandte 
(id) zum Nachbar und fing an: „Jau, Pingel, 
bas ging nid) fein zu in Afrita. Da lagen 
wir drei Tag un drei Nächt —“ 

Uber ber Kofjät ſchnitt Denfelipäne, 
machte eine Flabbsfefe (boshaft verzogener 
Mund) und fagte durch die Zähne: „Ach 
wat, din Schnad pelt mi nid) Heft bu 
Chwin, be dat Füer hewwen? Un Hammels 
plagen di of nid.“ 

„Na denn nich, id war mi nich wed): 
[mieten. Ne, bat bát Auguft Gottjchalt nich, 
Sin Lebtag nid,“ 





Das Striegler-Quartett 
Gemälde von Robert Hahn 





Nah 9v — — me 


—— — — — 





Ein bumpfes Grollen rollte von ber Gee 
ber ins Dorf. Tie GFenfterjdheiben flirrten 
leije. Wieder. Mod einmal. Karl Asmus 
|pipte die Meinen Ohren wie ein Eichhorn. 
Der Krüger fuhr mit rotem Kopf aus der 
Tonne und hielt die Kelle mit Geife ans 
Ohr. Koſſät Pingel brüdte ben Daumen 
auf das rechte Naſenloch und [djielte zur 
Dede. Der Afritander wußte Bejcheid und 
lahte bróbnenb. 

„Rrrumps, mu gebt de Bälle los. Dat 
jünd us Orlogſchipps. De jcheiten up Gee. 
Mod is bat Speel unb Manövers. Awerjt 
bat fümmt wol eis anners. Buten in Afrita 
leggens bat alltohop. De Englander, Gott 
[dall em verdDammen, be günnt us nid) Luft 
unb nid) Licht, jo en binterlijtigen Was. 
Wwerft bat kümmt nod anners. De ward 
fid. nod) verfieren. He fhal us man in 
Freden laten.” 

Rrrumps. Wieder ein Schuß. 

Karl Asmus zitterte vor Erregung. Als 
er feine Geife hatte, lief er, was das Beug 
hielt, bie Dorfitraße hinab. Am Kreuzweg 
bei der Friedenseiche ftand Robert Woden- 
fuB, minfte und frie: „Radel, foin, foin; 
wi möten ben.“ 

Karl Asmus warf der Mutter Seife und 
Bücher in das Küchenfenfter, zog Schuhe 
und Strümpfe aus, und rannte mit feinem 
Freund über ben Mübhlenberg dem Strande 
zu. Die Zunge hing ihnen aus dem Hals, 
ber Dünenfand ftiebte um ihre Beine, und 
der jcharfe Strandhafer ftadh in bie Waden 
wie Nadeln. Sie purzelten hin und [prangen 
auf, bis fie oben auf ben Kämmen waren. 
Auf der dunklen Höhe ſchwamm das graue 
Beichwader, von den jd)rágen Connen[trablen 
bejdienen, und Schuß auf Schuß dröhnte 
durch bie Luft. Keuchend ftanden fie am 
Ctranbe, Die Wellen fühlten die brennen: 
den TFüße, der Geewind trodnete ihre 
jchweißigen Ctirnen, ihre Augen waren 
draußen auf der hohen Gee, ihre Ohren 
warteten von einem Dröhnen zum andern, 
das Herz |djfug ihnen bis an den Hals, und 
es [prad) feiner ein Wort. 

Rechts an den Dünen lagen die Fiſcher— 
baujer wie Bogelbauer. Zwijchen vertrüp: 
pelten Weiden fhautelten bie ausgelpannten 
braunen Nege im Winde, bie bunten Rutter 
[agen [till auf bem Trodnen, unb in dem 
einen fap Hans Ramps, ber Lachsfiſcher, 
batte ein Fernrohr unter den langen Augen: 
brauen und [pábte aufs Deer. 

„Ah, Kamps, latens us of eis babürd) 
fielen.“ 

Der Silder ließ das Fernrohr finfen, 
wie man einen Daft umlegt, jchielte feit: 
wärts nad) den beiden Jungen, wijchte mit 


Deutihe Seele Fee 113 


ber Zunge bie Lippen aus und jagte guts 
mitig: „Na, denn fümmt man bi mi Hier, 
jett jud) dal. Na, ji Sclingels, denn trupt 
man bier in.“ 

Rrrumps... Rrrumps... Rrrumps... 
Rrrumps. 

„Dunnerfiel; dat wär en Breitfied,“ er: 
Härte Hans Ramps, rüdte ein Endden bis 
gu, daß bie Jungen redts und linfs von 
ibm *Bla& hatten, und ließ bald ben einen, 
bald den andern durch bas alte Lotjenfern- 
robr jehen. 

Da jhwammen bie grauen Schiffe dicht 
vor ihnen, als fónnte man fie mit der Hand 
greifen, hoben unb jenften fic) mit dem Atem 
bes Meeres wie Federn, bie Möwen tait: 
melten um bie Maften, bie Wimpel flat: 
terten, die Wellen jprigten, am Bug glángte 
golden der Jtame, aus den Kanonen [djojjen 
Teuerftrahlen, bann fam der Dampf und 
erit lange nachher bas Rumpjen und Miurren 
unb Grollen übers Meer. 

Hans Ramps fakte die beiden mit feinen 
breiten, roten haarigen Händen um die 
Schultern unb framte feine taftijden Rennts 
nijfe aus der Matrojenzeit aus. Das war 
freilid) lange ber, daß er auf C. M. ©. 
Brandenburg gedient hatte, aber es war 
ibm, als wäre es geftern gewejen. 

„Auf See, ba is bas nid) anners wie an 
Land. oa hinge, linfs, dat fiind bie 
feinen Kreuzer, bas is als wie Ravallerie, 
de möten jid) an den Feind mit Jachten ran: 
fühlen; en Sngfe bet to, bat fiind bie Pans 
gerfreuger, bat is de Infanterie, de möt bei 
fleinem bat Befecht upnähmen, un wat ba 
jo bt, as Waterflöh, fiind de Torpedo: 
boots, un gerad vör, bei [o rumpjen un 
donnern, bat fiindD be Groten, be bemmen 


bat Wurd un ftoppen dem Feind dat Mul, 


dat fiind de Linienjdipps; tauirft dat 
Flaggſchipp, do fitt de Admiral up, be bett 
bat allens in fin Hand un Hölt all de 
Schipps as an ne Schnur. Dat heit Pom: 
mern, jo [tun bat in dat Weelenblad, be 
annern möten Dütjchland, Preußen un Kaifer 
Barbarojja wejen. Kinner, Kinner, ji ward 
bat. nod) alens eis belewen. Lang nog 
hewwen wi uns afgnagt un afqualt. Nu 
[oll uns nod) ein von die fremden Halunfen 
chief anjebn. Dat buert nid) mehr fo lang, 
dunn jchlan wi em up bat gottesläfterlich 
Mul, bat em be Odem wedbliwwt. To min 
Tid,” und jebt jprad) er mehr au fid) jelbft 
wie zu den Jungen, „to min Tid, wat hews 
wen wi injtefen möten, in China un Wmes 
rifa un wo wi benfamen. Dat wär, as kämen 
wi ut bat Wrmenhus. Un up Helgoland, da 
jatt us de Englander up de Näs un dabt, 
as wär all Water in de Nordfee fin Speel,“ 


- 





114 Bpeee—ÉáRYREXEYXREO Johannes Höffner: 


Rrrumps ... Rrrumps. 

„Kinner, Kinner, ji ward bat nod) bes 
lewen. Dat Blatt wendt fid noch anners.” 

Er faltete bie Hände unb fah weit, weit 
in die Ferne. Die Schifferfräje wehte im 
Geewind wie eine Mähne und ihm war, 
als führe er wieder auf der Brandenburg 
und ftand bod) nur auf einem alten Kahn. 
Die Flagge fnatterte im Winde, es war auf 
der Höhe von Ptaroffo, ein Engländer fam 
vorbei, bie Kanonen bonnerten Galut, und 
der Steuermann jchrie in bas Brüllen, daß 
alle es hörten: „Gott verdamm ihn!“ 

Immer [djmádjer wurde bas Feuer; das 
Gejdwader ftand |djon ganz Hein bod) am 
Horizont; nun fdwanden bie Schorniteine, 
nur die ſchwarzen NRauchjtreifen zogen vor 
der niedergehenden Gonne. 

„Sp,“ jagte Hans Ramps und nahm Karl 
Asmus das Fernrohr aus den Händen, „borgt 
is nid) idjenft. Nu is utdöfcht. Allwek Ding 
hädd ein Ing, blot be Wuft, be bább twei. 
Lopt man, dei Debt all uppen Dijd.” 

Die Jungen fprangen aus dem Boot, 
und jeder befam von bem Silder einen 
woblgemeinten zärtlichen Schlag auf den 
Hinterfteven. Robert Wodenfuß ſchlug auf 
dem weißen, fejten Strand ein paarmal 
Rad und ging auf den Händen zum Dant, 
dann liefen fie in die Dünen hinein; denn 
wenn auch jebt, wo es auf den Sommer 
ging, Lux nicht mehr fo fett fiedelte und 
feine Wurſt auf bem Tijde ftand, fondern 
nur Grüße mit Zuder und Zimmt, war bas 
doc für fie fein minder jchönes Effen. 

Aber fie dachten je&t nicht daran. Ihre 
Gedanfen waren mod) draußen auf bem 
Waller. Und als fie eine Weile ganz ftill 
nebeneinander gegangen waren, Jagte Robert 
Wodenfug: „Radel, id gal to Gee. Un 
wenn min Badder nid) will, denn loop id 
weh.” 

Bor dem Dorf fpielten die Kinder, wie 
die Hafen im Feld, bevor es Abend wird. 
Der Müller bejorgte feine Mühle für die 
Nacht, lich die Gänge leer laufen, hielt bas 
Werf an und nahm die Splintjegel aus den 
Flügeln, daß fie dürr und gejpenjtijd in die 
Luft ftarrten. Wilhelm Pantel, der Pfarrfnecht, 
hatte ben legten Roggen zum Mahlen nad) 
oben gefahren, ftand neben dem abge: 
ftrangten Gejpann, hatte bie Hände in den 
Hojentaichen und jah dem Müller bei feiner 
Hantierung zu. Timm Göfeland, der Mül— 
lerburjche," ein Holiteiner, der vor ein paar 
Vionaten zugewandert war, ächzte und jtöhnte, 
als er nad) des Tages Laft und Hige nod) 
Die Ichweren Doppeljäcde in bie Mühle jchaffen 
mußte, aber ba dachte er an den nahen 
geierabend und daß auf einem ftillen Fled 





jemand auf ihn wartete, und wie fein Herz 
hüpften feine Beine die Treppe hinauf, und 
die Arbeit fam zu einem guten Ende. 

Unten am Hang ftand bas Ptarlenefen 
auf einem Erdhaufen mitten unter ben Jungen 
und Madden und zählte ab, Halb fingend, 
halb [predjenb: 

„Kam ein Mann von Elfenbein, 
Rib den Müller von dem Stein, 
Dnn Ritter vom Rob, 

Den König vom Schloß, 

Den Bauer vom Pflug, 

Kriegt nimmer genug.“ 

Karl Asmus und Robert Wodenfuß tamen 
nod) gerade zur rechten Zeit aus den Dünen, 
und es ward ein Rennen und Jauchzen, 
daß rings in den Bärten die Hühner, die 
Ihon zum Stall wadelten und auffliegen 
wollten, nod) einmal umfehrten, laut in ben 
jinfenden Abend gaderten und jchreiend aus: 
einanderjtoben, wenn eins der jagenden 
Kinder an ihnen dichter voriiberflog. Alle 
wollten fie bas Mtarlenefen haben, denn fie 
war bie flinfejte und hatte bie rötejten 
Wangen und bie bid|ten Zöpfe, an denen 
bie roten Wollfädchen beim Laufen fo luftig 
flatterten, und ihre Augen waren fo blant 
und jo blau, wie der Himmel im Waffer. 
Aber fie hielt fih jeden vom Leibe, Claus 
Drafehn bih fie in bie Hand, als er fie feft- 
halten wollte, und Hein Gadegajt ftieß fie 
vor die Bruft, daß er lang binjdlug, gerade 
an einer Ctelle, wo etwas lag, bas übel 
rod, und er beſchämt beijeite ſchlich, fidh mit 
Gras und Kraut notdürftig zu bereinigen. 
Dod) einer friegte fie: Karl Asmus gudte 
fie nur an, da Stand fie ganz [till und jchlug 
die blauen Augen nieder. 

Indem jchlug bie Whendglode an, und 
die Kinder liefen, eins hierin, das andere 
dahin, ein jegliches an feiner Eltern Tijd. 

Asmus, der Weber, fap auf ber "Cor, 
Ihwelle, auf der Nafe die große Hornbrille, 
weil er weitlichtig war, und las bas neue 
Wochenblatt. Durch den Staub der Straße 
tamen bie Giijjelfen getrippelt, bie jebt auf 
die gemeinjame Weide gingen, waren [don 
recht anjehnlich geworden, wußten, was fie 
darjtellten, und wadelten genau jo felbjt- 
bewußt dahin wie bie Alten, obwohl fie gar 
feinen Grund zur fiberBebung hatten, denn 
jie waren ebenjo dumm wie ihre Eltern. 
grau Asmus ging ihnen dur) bas Tor 
mit ausgebreiteter Schürze liebevoll entgegen, 
grüßte fie mit zärtlichen Worten und [ub 
jie Jänftlich ein, in den Stall zu fommen, 
weil es ein jdjweres Ding war, fie zur Ruhe 
zu bringen, und fie fid) wie bie Heinen 
Kinder erft jeden Abend lange nötigen und 
treiben ließen. 

„Püſch, püſch, püld)... wule, wule, wule, 











wule. I du Hein, bu büft jii wo man half: 
flog, bier geiht de Weg. Wat, bu wüft di 
noch in den Dred leggen? Wule, wule, 
wule, wule; püjch, püſch, püſch. Wat börft 
bu nod be Fliidten Lat bat man up den 
jpdten Amend bliewen. Dat Aten geht 
vört Danzen.“ Und jo redete und [odte fie 
und trieb mit ausgebreiteter Schürze, bis 
fie fie alle im Stall hatte und_das große 
Schloß vorlegte. 

Indem aber hatte Peter, ber Rater, bie 
Gelegenheit benußt, war in der Stube auf 
ben Tilh geiprungen, hatte ein paarmal 
nad) redts und linfs gejehen und bann 
jeelenrubig bie Haut von ber Abendgriike 
raßelahl weggeldledt, fic) auf den Heuboden 
verfroden unb jdjnurrte voll Bebagen in 
ſich hinein, als hätte er bas befte Gewijjen 
von der Welt. 

So fam Sort Asmus um die dide Grüße 
mit Buter und Zimt und mußte fih an 
einer Schnitte mit Pflaumentreude genügen 
laffen. Aber fie |djmedte ihm wie ber 
idónite Stuten, denn er war rechtichaffen 
hungrig, hatte joviel an dem Tage gejehen und 
zu guter Legt nod) bas Mtarlenefen gefangen. 

Und all feine Gedanfen und alles, was 
ber Tag ibm gebradjt hatte, nahm er mit 
hinüber in feinen Traum unb erlebte alles 
noch einmal, wie durch ein in hundert Far: 
ben fpielendes Glas. 

Uber nidjt alle jchliefen im Dorf. Die 
frante Weftphalen, bie Armenhäuslerin, bie 
bas Wjthma hatte, ächzte und ftöhnte bis in 
die tiefe Nacht, und im Kruge faBem ein 
paar Säufer und jpielten mit Auguft Gott: 
ſchalk, bem Afrifander, Mih und Bafta um 
einen Halben. Aber der Wfrifander gewann, 
denn er fannte die Kniffe. 

Im Pfarrgarten, in der Buchenlaube, dicht 
am Kirchhof, jak Paftor Neumann und red: 
nete mit dem Tag ab, auch mit feinem Leben; 
oben in den Zweigen [|dj[ug die Nachtigall, 
und wie er daran dachte, daß fie ihre toten 
Kinder zu Grabe jonge, legte er die Hand 
über bie Augen, und da feiner es fab, ließ 
er die Tränen rinnen, denn das war feines 
Lebens größter Schmerz, daß er [einen 
Namen feinem Erben laffen konnte. 

"Nicht weit von ihm, im dichten Gebüſch, 
wijperte und fidjrte es; bas war Timm 
Sökeland mit Alwine, ber Pfarrtidin, hatte 
fein jüßes Spiel mit ihr, jtratte ihr die heißen 
Wangen und driidte ihr bie Hand und fang: 
„Der Windmüller mabit, wenn der Wind gut gebt, 
Und die Mädchen, bie liebt er früh und fpat,” 
daß fie ibm die Hand auf den Mund legte: 
„Simm, Bull din Schnut. Herrgott, wenn 
ein bat hürt.“ 

& 8 CH 


Dentide Geele BESSSSSSeesesa 115 


Die Tage gingen, einer immer heller und 
heißer und herrlicher als der andere. Sn 
den Badöfen dörrte das Malz für das 
Grntebier; auf den Böden trodnete ber 
Hopfen und füllte das Haus mit feinem 
Duft. Das Meer brahte Morgen für Mor: 
gen feine Frucht reichlich, und die Fiſcher 
riefen ihre Ware aus bird) die Dörfer am 
Strand entlang und wurden jeden Schwanz 
los, denn bas Fleiſch war fnapp in biejer 
Jahreszeit. Die jungen Wpfel faken in 
Büjchen an den Zweigen, grün wie Wal- 
nüſſe; die Kirjchen Teuchteten rot und gelb 
aus ihrem dunklen Laub, darunter Spaßen 
und Rernbeiger fic) verjtedten und Durch 
feine Bogeljcheuche, durch fein gligerndes 
Federſpiel fih fchreden ließen. Linden und 
Holunder blüDten, und über den Kirchhof, 
durch bie Gärten und an den Wegen ent: 
lang fubr bald ein füßer, bald ein berber 
Gerud, je nahdem ber Sommerwind [prang 
und webte. Es war eine Jahreszeit, die 
madte das Herz dankbar und froh, und 
feiner prebigte lauter von Gottes Büte und 
großer Herrlichkeit denn fie. 

Darum jak aud) Paftor Neumann mit 
Karl Asmus fdon längft nicht mehr in ber 
engen Gtudierjtube, |onbern draußen im 
Garten unter Bäumen und Blüten und 
nahm alle Bilder und Bleichniffe und Be- 
weije unb was er Jonjt brauchte, um Herz 
und Bemüt zu füllen und den Kopf zu lich: 
ten, aus all dem reichen Leben ringsumber, 
hatte einen goldenen Schlüffel in feiner Hand 
und ſchloß dem Knaben bie Schatzkammern 
zu allen Wundern und Geheimnijjen auf, 
bald bier, bald da, wie es fic) bot und 
madte. Und dem Knaben ward es for, 
wie weit und tief und heilig die Gotteswelt 
wäre und daß da eine Stimme wäre in Tier 
und Ctraud) und Baum, in Sonne, Mond 
und Stern, in Waller und Stein, die nad) 
dem Menjchen rief. 

Durd die Büjche der Bienenlaube jchlüpfte 
ein Sauntónig. In den Strahlen, die durch 
bas Blattwerf fielen, ftand zitternd eine 
Gonnenfliege. Karl Asmus fchlug bas 
Herz bis an den Hals, und es lag ihm 
[wer auf, wohin er einmal gerufen werden 
wirde unb gejtellt, wenn es jo weit wäre, 
Œs war fo ftill, Dag man die frufdjfen 
fallen hörte, bie fih in den Zweigen löften, 
und bie Immen jummen, bie nahebei ihren 
Stand hatten, in fchwarzen, diden Trauben 
vor den Fluglöchern Dingen und Hin und 
wieder fliegend ohne Raft einem Trieb ges 
horchten, ber in ihnen war von Wnbeginn 
der Welt. Und wie fo die Andacht und 
Nadhdenklidfert um Lehrer und Schüler Honn, 
fuhr bumpf und dröhnend Trommeljdlag 


116 BESSA Johannes Höffner: EE 


daher, bie Dorfftrabe entlang fam eine 
Zigeunerbande gezogen, ließ ihren Bären 
tanzen, unb vor dem [|djmantfenben, grünen 
Magen ber liefen ihre ſchmutzigen, ſchwarz⸗ 
haarigen Kinder auf den Händen. Damit 
lamen bie Zigeuner in bes Paftors Unter: 
richt, und er fagte: „Siehft du, Karl, wie 
weit ber Menſch auch berum kommt in ber 
Welt und hinaus, und würde er gerufen bis 
an das Ende der Welt, eine Heimat muß er 
haben, wohin er fein Herz dicen tann, in 
bie es zurüdtehrt in ben [tillen Stunden ber 
Erinnerung, fonft ift er ohne Halt und 
ſchweift dahin, wie die Zigeuner und Bagan: 
ten und ftirbt einmal in Verzweiflung und 
Naht. Da, gud bir die Bienen an. Meis 
Ienweit fliegen fie hinaus in das Land und 
finden fic) immer wieder zurüd gum engen 
Haus. Wie weit du aud) einmal fliegit, Karl, 
die Heimat ruft dih, wie weit deine Ge: 
danten aud) einmal geben, wenn du groß 
bijt, die Heimat ber Geele ift eng und heim: 
lid) und flein, die ift in Gottes Herz, und 
ohne einzutragen barf[t du nicht heim. 

Und bie Flüglein |preigt es nur aus, bas 
winzige Tier, und [d)mebt und jchwirrt über 
Berg und Tal, jdjneller als die Schwalbe, 
braudt niht Karte und Wegweijer. und 
findet fid) doch zurecht überall. Das tut 
fein Menjd ben Bienen gleid, daß er 
Flügel nehmen könnte und fliegen ans 
äußerfte Meer. Und wo einer es wollte, da 
hat er feinen Fürwig mit dem Tode gebüßt. 
Da ift Ikarus gewejen, und Dädalus fein 
Bater, bie banden fih Fittide an die Shul- 
tern, deren Federn mit Wachs befeftigt 
waren. Als fie aufitiegen und der Sonne 
nabefamen, zerihmolz das Wachs, aber fie 
fielen und ertranfen im Weer. Und in 
unjeren Tagen, da fommen wieder welche, 
maben fih an, was bem Menſchen verjagt 
ift, wollen das Fliegen lernen unb verjudjen 
Bott.“ 

Indem zerriß ein Braufen und Gurren 
des Pfarrers Rede, und ein Vienenjdwarm 
ftieg freijenb und jchwentend in den nahen 
Wpfelbaum. 

„Sp,“ fagte Paftor Neumann, „da find 
uns bie Dmmen in den Unterricht geflogen. 
Debt muß Wilhelm Pantel vors Brett. 
auf, Karl!“ 

Im Dorf waren inzwijchen die Zigeuner 
ausgejhwärmt, aus ihrem grünen Wagen, 
der ausjah wie ein Bienenhaus, fo ein 
neumodijdes für zwei ?Bolfer. Mährend 
vor bem Kruge der Bär tanzte und das 
Rajperle in feinem Rahmen jprang und 
feine Späße madte, mit Tod und Teufel 
(id [dug und Junge und Alte lodte, daß 
die Häujer leer wurden und bie Tajchen ber 


Bande voll, lagen fie vor ben Türen, ſchwarz 
wie die Bienen vor dem Fluglod, zogen 
einzeln auf die Höfe, ob etwas da wäre, 
was mitgeben wollte, fnijfen die ſchmutz— 
ftarrendDen, auf den Rüden gebünzelten 
Rinder ins Bein, daß fie jámmerlid) jdyrien, 
„vor Hunger, lieber Herr, vor Hunger“, ver: 
fauften Ziegelmehl als Wunderpulver für 
Kühe, die nidjt Mild) gaben, Hagebutten- 
lórner gegen bie Trommeljudt, und Der 
Krügerfrau, die mit verbundenem Ge- 
fidt umber|djlürfte und ber vor lauter 
Schmerz ber Tag leid war, ein Alräunchen 
gegen bas Reifen, um den Hals zu tragen 
bei Tag und bei 9tadjt, aber nicht bei 
neuem Mond. 

Nur einer verdiente fein Geld ehrlich, 
bas mar Petermann, ber Harfner, ftand vor 
den Türen und ließ die Saiten fingen. Das 
weiße Haar fiel ihm über die Schultern, 
ber lange Bart lag über bem Harfentopf. 
Die alten Finger griffen und szitterten, 
und das Auge war weit, weit fort, ganz 


hinten in ber Welt. Die Melodien, bie- 


er [pielte, fannte feiner. Karl Asmus und 
bas SUtarlenefen liefen mit ibm von Haus 
zu Haus. Das Mädchen meinte: „Dat flingt 
as de Kloden im Turm un bruuft as de 
Orgel up Wiehnadten.“ Der Junge aber 
jagte: „Nee, dat bruuft as de Wind un fingt 
as de Flüchts von be Möhl un as de Wellen 
an den Strand“ — und es war ihm, als 
fttege und flöge er. Go leicht war ibm. 

Am Abend, als die Bande auf und das 
von war, lagen bie Süujer friedlich unb [till 
unb in tiefem Schlaf. Auh Martin Half: 
papp, ber Nachtwächter, [hlief tn bem fleinen 
Verſchlag neben der Kirche auf der Toten: 
bahre vor aller Störung [idjer. Nur ber 
Paftor war nod) wad) und im Weberhäus: 
den Karl Asmus. 

Der Bater jdjnardjte, daß die Bettftatt 
zitterte, jchnappte hin und wieder ab, und 
dann ging fein Atem leife, daß Karl Asmus 
das Sanfte und ruhige Schnurdyeln der Mutter 
hören fonnte. Das Blut flopfte in feinen 
Schläfen. Er dachte daran, was der Pfarrer 
heute vom Fliegen gejagt hatte, drehte alles 
um unb um, jah die Sterne am Himmel 
burd) die Scheiben jeitwärts flimmern, urd 
ibm wudjs das Verlangen: wer fliegen finnte 
unter dem Himmel hin, unter den Sternen 
unb unter der Sonne, über der Erde [teben 
wie ein Vogel und jehen vom Meer bis zu 
den Bergen. ‚Herr Gott, dadte er, ‚ein Zeichen, 
daß einer fliegen tann, daß ein Menjd fliegen 
tann durch die Luft wie ein Bogel.' 

Ein fladernder Schein ging bie Wand 
entlang; flammte und zudte über bas Him- 
melbett, darin die Eltern jchliefen, wie ein 


BSSSOSSSaSSSSeaa deutſche Seele BEESSESSSSSSSA 117 


Blig. Das Herz ftand ihm ftil. Das war 
bas Zeiden! Er [prang aus dem Bett ans 
genjter. Glühende Gunfen wirbelten wie 
ein Bienenfhwarm durh bie Luft. Die 
Kuh im Stall brüllte por Angft, und er 
jcrie die Eltern wad: „Badder, Mudder, 
Möhl brinnt!“ 

Der Zigeuner, der das Feuer an Die 
Mühle gelegt batte, weil Timm Géfeland 
ihn betrappelt hatte, als er einen Sad Korn 
jtehlen wollte, und nicht jäuberlich mit ibm 
gefahren war, fap jdon lange hinter ben 
ſchwediſchen Gardinen im vierten Stod nahe 
den Wolfen, flodt in feiner Zelle 9tobritüble 
tagaus, tagein, 30g den Schmadhtriemen an, 
ließ den Kopf hängen, wiewohl er ein durd- 
Ihauter Schelm war. Und wenn fein Auf: 
feher durch das Gidlod) jab, jo nad) bem 
Mittag, wenn fie jatt waren unb fid) nicht 
gern bewegten, ftand er am Fenſter und ließ 
die bunflen Augen durch den Spalt ber 
Lufttlappe ins Freie geben, ob. da hinten 
am Walde wohl einer time, ber ihm die 
Trallgen zerjägte und einen Strid brädhte, 
der bis unten reichte... aber es fam teiner, 
feinen Tag, und er mußte fiken bleiben, 
flehten tagaus, tagein, und dazu fingen, 
aber leije, Dag vor ber 3ellentür es nie» 
mand höre: 

„Dudel, bu:bubel, wat beftu in’ Sad? 
Robbenftiert, Rattenftiert, Ennten Tobat. 

Sn’t Tudthuus möt id fitten, in't Woeboorsneft. 
: Dróg Brot möt id eeten, bat is fo min Beit. 
Kolt Water mót id drinten, bat is jo min Wien, 
Dor ídjall id vergnögt un luftig bi fien." 

Indeffen ftand die Mühle langft wieder 
auf ihrem alten Fled auf dem Berge, drehte 
(id) ftos wie ein Pfau und mit viel Ge: 
freijd) bald nad) Güden, bald nad) Jorden, 
jo recht wettermenbijd), wie es fih fiir fie 
giemte, |preizte bie funfelnagelneuen Flügel 
und jagte einer den andern unb holten [id) 
nimmer ein. Der Wind fuhr mit Pfeifen 
und Lachen hinterher, und es war ein eitel 
Iuftiges Spiel. Das Korn hatte gefchüttet 
wie feit langem nicht, das Wert befam zu 
ſchlucken, joviel es mochte. 

Co fam ber Palmjonntag heran und bie 
. Einfegnung. Die Rriigerfrau jaß in ihrem 
Stuhl in ber Kirche, das Tajchentuch auf 
bem diden Porft und ein Sträußchen ges 
trodneter Riechblättchen darin, und lobte 
Gott, daß fie wieder gejund war. 

Die Frauen glupten verjtohlen nad ihr 
bin. Ihre Wangen waren prall wie eine 
Schweinsblaje, bie zum Trodnen im Winde 
hängt, und glühten wie bie Pfingitrojen auf 
ihres Baters Grab, unb feine derhen ver: 
äftelten fid) darin, bunfelrot und lila und 
bimmelblau. Das madjte der jüpe Schnaps, 


ben fie des Abends vor dem Schlafengehen 
heimlich in der Rombiije hinter die weißen 
Zähne tippte, ehe fie bie Schentftube per: 
wabhrte und verjchloß. Gie aber jagte, bas 
wäre ein Grbteil von ihrem Water, ber 
wäre aud) jo deftig gemejen. Nun jaf fie, 
30g die Tine wie eine Gummijdnur und 
quetjchte fie aus bem diden Hals mit folcher 
Inbrunft, als eine junge Mutter ihr Rind 
wiegt; dem Krüger neben ihr ging aber die 
Luft kurz unb miibjam unter bem feftges 
Inópften [djmargen Rod, ber ihm längjt zu 
eng geworden war und in Falten und Rillen 
um [eine Behabigfeit lag wie ein Schnür» 
leib. Dazu bohrten die jpigen Vatermörder 
(id ibm [djmergbaft in das überquellende 
gett, unb [o konnte er mit bem Odem nicht 
bausbalten unb blieb immer ein paar Tatte 
zurüd. Die Frau ftieß ihn wohl mit bem 
Ellenbogen in die Geite, aber er merfte es 
nicht, denn feine Gedanfen waren weit fort 
unb zimmerten an dem Lebensgliid feines 
Jungen. Wenn Paftor Neumann ihm aud 
feinen Unterricht gegeben hatte, folte bod) 
etwas aus ibm werden, daß die Leute die 
Mäuler aufrijjen. Da zudelte er wieder 
bintennad, und Schneider TFeuereiß lachte 
fih eins, obwohl er gar feinen Grund hatte, 
fid über andere luftig zu machen, denn er 
fletterte mit feiner dünnen Stimme auf ber 
Tonleiter umber wie ein betruntener Dady 
deder, ber es wagt, auf den Turm zu fteigen. 
Cs war aber aud) fein leichtes Lied, bas 
heute angejagt worden war, führte in Höhen 
und Tiefen, daß bald die Frauen und bald 
die Männer hängen blieben, zumal bei dem 
vergwidten Kehrreim: „Triumph, Biltoria,“ 
und &iü|ter Drafehn, ber mit Lunge und 
Kehlkopf die Orgel erleben mußte, hatte 
einen jchweren Stand, ob aud) der Wfrifander 
mit feiner Donnerjtimme ibm zu Hilfe fam, 
daß die Fenſter in ihren dürftigen Bleiver: 
glajungen zitterten. Dann lam es bod, 
daß eine Stimme den ganzen Runftgejang 
umwarf, daß es in der ganzen Kirche auf 
einmal [till ward unb der Küjter allein blieb 
und furg entjchlojjen in bie verjtummte (Ge: 
meinde rief: „Ji Frugeslüd dahinne weeft 
eis [till, ji finget den Triumph nich recht. 
Sd war jud vörtriumpbhieren,“ und bas 
,iriumpb, Triumph, $Biftoria" binauspo: 
jaunte, als jollten draußen bie Toten aus 
den Gräbern tommen. Die Frauen waren 
alle rot geworden, jah eine die andere an 
und Ddiinfte fih jede frei von aller Schuld. 
Und ber Afritander ficl dem Riijter wieder 
hilfreich in die Melodie, bie Frauen lebten 
Ihüchtern und verzagt ein, TFeuereiß fletterte 
wieder die Tonleiter auf und nieder, Die 
Küftersfrau zog den Mund und ließ bie 


118 BS3e9e———3:]4 Johannes Höffner: Lee 


weiße Straußenfeder auf ihrem Rirdenhut 
wippen, den ihr jeder im Dorf verdadte als 
ein Schauftüd der Hoffart. 

Über dem allen thronte auf dem Altar 
bie holzgeſchnitzte Dreieinigfeit fo mild und 
voll Nachſicht, Gott-Bater lächelte über feine 
Menjdenfinder und Gott-Sohn nahm alles 
gnädig an, was hier jeder viel oder wenig 
bradjte und war nicht fo ftreng wie Die 
Küftersfrau, bie hart und talt über ihre 
[pibe Naje jah. Die Taube aber, der Heilige 
Geijt, ber zwijchen den beiden, Water und 
Sohn, mit ausgebreiteten Flügeln jchwebte, 
wiegte fih janft auf ben Gebeten, bie aus 
den Herzen ftiegen. 

Gang hinten im Schatten unter dem Chor 
fa Weber Asmus, hielt den diden Porſt', 
das Gejangbud), ausgeftredt in ber dDürren, 
langfingrigen Hand, daß Karoline, feine 
Frau, gut einjehen fónnte, und neigte fid) 
von Zeit zu Zeit über das Buchbrett, wenn 
er ben ſchlechten Drud nicht recht lejen fonnte 
oder bas Waffer in feinen Augen die Schrift 
Ihwimmen madte. 

Geine Stimme war zittrig und dünn, 
und neben ihm die Frau verſchluckte manchen 
Ton und hatte bod) fonft alles Hell und tar 
berausgejungen; denn es war beiden redt 
wehmütig ums Herz, daß fie ihr einziges 
Kind jo bald Hinauslafjen jollten in Die 
Welt wie in einen Nebel; der [djfug Hinter 
ihm zu und war hinfort auf lange Zeit nichts 
mehr zu hören und zu jehen. Cie hatten 
ihn bas längjte gehabt, und nun er ging, 
fam bas jtumpfe und einfame Alter, wurde 
alles Laden und [jrijde Leben ringsum 
ftumm, wie bes Abends, wenn die Sonne 
weg ijt, unb immer jchneller rollte bas 
Garn, bis das Ctüd rein zu Ende gewebt 
war, der Kamm Teile ausjchwang, im 
Turm bie Glode anhub, tief und bump, 
und Martin Halfpapp, ber Kulengräber, die 
Sdollen aushob und dazu das Baterunfer 
betete. Dann hing ein Kranz mehr in der 
Reihe an ber &ird)enmanb, und feine Cei: 
denbänder vergilbten und zermürbten gleich 
all den andern. Da jchließt eine Tür fih 
zu; ba tut eine Tür jid) auf. Eine Quelle 
Jpringt ins Licht, und eine andere verjiegt. 
Zwei Wege gehen auseinander, einer gen 
Morgen und einer gen Abend. Ruft den 
einen das Leben, ruft den andern der Tod, 
und es ijt fein größerer Schmerz, als wenn 
Eltern fid) von ihren Kindern |djeiben müſſen. 

Mitten in der Zeile jeufzte Weber Asmus 
tief auf, und in dem ganzen Gotteshaus 
war tein Gebet jo heiß und ftarf, denn 
bieler Seufzer unter dem Dammrigen Chor. 

Oft, wenn Weber Asmus an feinem Stuhl 
gejejfen hatte, wenn es auf Feierabend ging, 


die Kühe mit Brüllen heimfehrten, die niedrige 
Sonne durch bas Fenfter über die [pielenben 
Fäden geglitten fam und das Sdifflein bie 
lebten Male dDurd) ben Aufzug glitt, hatte 
er wohl gewünjht, daß fein Junge einmal 
auf ber Weberbant figen folte wie er und 
bas funftvolle unb befinnlidhe Handwerk 
treiben, bas fo gut und heilfam für ben Men: 
iden war, das Ordnung lehrte nad) innen 
und außen und bie Geele zufrieden machte 
und [till. Wie bas Cdjifilein glitt, her und 
bin, bin und her, jchaffte fein Werf Tag für 
Tag, lag des Abends bann [till und rubte 
in feinem Bettchen neben dem Stuhl, und 
fing im Dellen Morgenliht wieder an — 
jo fam alles zu feinem Ende und Ziel, nur 
Geduld, und bie Geele, bie hin- und herflog 
zwilchen Diesjeits und Sjenfeits, gwijden 
Himmel und Erde, fam aud einmal in 
ihren ftilen Hafen. Es war ibm wohl ein 
gutes und gejegnetes Handwerk geworden. 
Aber bie Zeit ward anders, das Handwerk 
lag auf den Tod, und am Webjtuhl lag 
einer auf einem verlorenen Botten, Paftor 
Neumann hatte wohl redht. Man mußte 
mit der Zeit gehen. Da half alles Stemmen 
nichts. Die Technik, hatte er gejagt, regiert 
jebt bie Welt. Mer nicht unter die Rader 
tommen wollte, der müßte der Machine 
dienen. Wud) der Bauer auf jeinem Feld. 
Das war ein Gegen und ein Fluh. Das 
Inechtete, und das madte frei. Der We- 
ber hatte nicht recht verjtanden, was ber 
Pfarrer damit meinte. Aber er war es eins 
verjtanden, daß fein Karl Schloſſer werden 
folte und banad) Mtajdinenbauer. Luft 
hatte er, und Paftor Neumann meinte, auch 
bas Zeug. In Gottes Namen denn. 

...„Zriumpb, Triumph, Biftoria...” Es 
ging jebt wie geölt. Küjter Drafehn pujtete 
hinter feinem Pult am Altar gleich Hans Rrolls 
Blajebalg, wenn bei Glatteis den Bauern: 
mübren die |djarfen Stollen untergejchlagen 
wurden, und Auguft Gott]d)alf, ber Afritans 
der, ftand ihm redlich bei; die Scheiben att: 
terten in den Bleiverglajungen, bie vergilbten 
Schleifen ber Totenfränze an den Wänden 
wehten leije hin und ber, und dem verirrten 
Zitronenvogel unter ber Balfendede wurde 
angit und bange, wie er von den Tonwellen 
auf und nieder getragen wurde, flatterte 
irrend an den Fenſtern entlang unb [tief 
lid) den goldenen Gtaub von den zarten 
Ylügeln. Das war das Leben, und mand) 
einer erfuhr dergleichen unter den Jungen 
unb unter den Mädchen, bie heute ſchüchtern 
und bie Augen unter fid) am Altar jagen 
und morgen die Wanderjchuhe anzogen, 
hinauszuwandern, aud) wenn fie daheim 
blieben in Dorf und Flur. 





Klaus 
Drafehn und Robert Wodenfuß, hatte die 
Nafe im Bud, die Augen jo groß als eine 
Glasfirjhe und in bem Rnopflod ber 
Ihwarzen Jade bas Myrtenjträußchen, wie 
fie alle trugen. Wenn er aujjab, fiel fein 
Blid auf die große Tafel mit dem Namen 
der Männer, der alten und jungen, aus dem 
Kirchipiel, bie 1870 in Frankreich gefallen 
waren, bei Wörth, bei Gravelotte und Sedan, 
bei Orleans und vor Paris: Den Heldentod für 
König und Vaterland jtarben,.., und die 
Stunde wurde ihm [o groß und hell, als würde 
er gerüjtet und gegürtet für eine Schlacht 
unb folte hinaus, die Arme zu regen und 
den Mut, als jollte er tapfer fein wie ein 
Held und fein Blut hingeben für eine heilige 
Sade. 
% CH 
Wo ber Fluß fid) zu weiten begann, um 
mit mächtiger Bruft fih ins Meer zu werfen, 
lag die Stadt. Bor zwanzig, dreißig Jahren 
nod) war bier nur ein fiimmerlides Handeln 
und Treiben gewejen. In ben mageren 
Raufmannsjtuben fauten die Buchhalter an 
den- Federn, ftocherten mit dem Bleijtift in 
den Ohren, zogen bie bürren Bolten zujam: 
men unb bradten ben langen Tag um mit 
Geufzen und Gähnen. Die Welt in ihren 
Büchern reichte nicht weiter als bis Stettin 
und Königsberg und Lübed, wenn ein 
Schiff aus Stodholm fam und bas bunte, 
fremde Wimpel über dem Pier flatterte und 
die harten jchwedilhen Kommandos über 
Ded tapften, war alles in Aufruhr und Be 
wegung, ftand am Waſſer und rig bas Maul 
auf. 
Die Laftträger faken ben lieben langen 
Tag am Hafen in der Sonne, jchoben den 
Priem bald nad) redjts und bald nad links, 
jpudten den braunen Speichel über die Tiet 
nen SFilchkutter fort in die trägen Wellen 
und blinzelten nad) Gee, ob nidt ein 
Shiff fame. Und wenn das Blüd gut war 
und in der ‘Ferne Dampf aufging, frien 
fie wohl: „Shipp ahoi,” ftellten fid) breit: 
beinig bin und [pudten in die Hände, aber 
met war es eine Nußfchale, die nichts 
brachte, was der Rede wert war und wobei 
fid) ein Stüd Geld verdienen ließ, und oft 
legte es überhaupt nicht an. Da half alles 
nichts. Der Paftor in der Kirche mochte 
Sonntag für Sonntag in der Kirche beten: 
„Bott Jegne unjeren Strand,“ ba fam nichts 
nach, als ein paar Züge Flundern und Rabel: 
jau unb im Frühjahr bie Lachje. Und ber Gee: 
fand flog und jtäubte, lag in den Straßen, 
auf allen Tijchen, in allen Laden und auf 
allen Büchern. 
Aber dann war ein friiher Wind ge: 


Deutihe Seele BESSSsSsesesesed 119 


fommen; da war es anders geworden. 
Gang langlam. Jabr für Jahr. Blut 
unb Leben, Arbeit und Geld. Debt ſchrien 
die Sirenen im Hafen bei Tag und bei Jtadjt, 
wenn bie eleftrijden Bogenlampen wie Son: 
nen über den dunklen Fluten jtanden und 
ihre glißernden Garben zwijchen den Schiffen 
unb ben Gternen hin und her laufen ließen 
unb die Effen ber Werften ihre Lohen in 
die Höhe und Finfternis warfen. Dampfer 
qn Dampfer drängte fih am Kat, bie Mas 
ten ftanden wie ein Wald, die Luft war 
bunt von den Flaggen aller Lander, bie 
Ketten raffelten und bróbnten, gewaltige 
Kräne griffen über bie öligen Wellen, griffen 
und hoben und ſchwenkten Rijten und Tonnen 
von Schiff zu Land, von Land zu Schiff 
vom frühen Morgen bis in bie jpäte Nacht. 
Exhauftoren Jaugten den Bauch der Schiffe 
leer, und das Korn lag zu Bergen in der 
blinfenden Sonne wie lauter Gold. Scharfen 
Gerud von Teer und Schweiß trug bie Gee: 
luft weit ins Land, es durfte feiner mehr 
am Waller figen oder Hinter den diden 
Büchern und träumen. Das war nun vor: 
bei. Die Arme regten DO, Die Federn 
flogen, und die ganze Welt von Indien bis 
Amerika ftand auf den Foliojeiten dicht beis 
einander. Mank einer, der feine Naſe dar: 
über beugte, war draußen gewejen und 
wußte Bejchetd, manch einen padte aud bie 
Sehnſucht, dak er alles ftehen unb liegen 
Dep und fid) heimlich bavonmadjte, all die 
Herrlicfeiten ber Gotteserde zu leben, von 
denen er nur lejen oder auf dem Lager etwas 
riechen fonnte. 

Aber da war viel Neid in die Welt ge: 
tommen und Haß, der Brot: und Futternetd, 
der niedrigite, den es gibt, und über Gee 
itanb es jchwarz unb ein Grollen und Murs 
ren wie bas Gewitter. Der  enalijdje 
König glupte und jdjielte und wiirgte Die 
Wut in fic) hinein, Fügelte und rechnete und 
plante, nahm feine Tajche und ging auf 
Reifen, ob er dem Better über dem Kanal 
das Geſchäft verderben und bie Kehle zus 
Ichnüren fonnte. Er hatte es jo eilig wie 
alle Böjewichter, und wuhte auch, daß er 
nicht mehr viel Beit hatte im Leben, denn 
der Tod jap ihm am Halje. 

Dod der beutjd)e Michel war nicht der 
von ebebem. Er hörte, was der Ceeminb 
pfi verjtand und niibte bie Zeit und wollte 
den Tag nicht wieder verjdlafen, wie jchon 
jo oft. Und war auch nad außen bin nod) 
viel Hader und Zwilt im Land, Mißver— 
fteben und Verfennen, im Herzen war das 
ganze ‘olf einig, und im Jorden wie im 
Güden war feiner, der auch nur einen Deut 
rauben laffen wollte von dem, was Das 


190 ees Johannes Höffner: 


Waterland nad langer Zeit und in [d)merem 
Ringen erworben hatte. ` 

Cs ging mit dem deutjchen Lande vors 
wärts mit Volldampf. In den Geemannss 
ftuben am Hafen ließen bie blauen Jungen 
die harten Taler jpringen, |djlugen auf den 
Tijd) und ferien: „Nee, wi latem us de 
Bodder vom Brot nid) nábmen. Wi náb: 
men bat up mit jedwerein.“ Und. dabei 
grinften fie zu ben Tijchen hin, wo die Frem— 
ben faßen, die Engländer und bie Frangojen 
und jonjtwer, ber bie Deutjchen nicht riechen 
fonnte Es modte tommen, was da wollte, 
Draußen auf ber Reede ſchwammen die grauen 
KRolofje im Waffer, [till wie Rrofodile, und 
unter den runden Türmen lagen bie Kano: 
nen auf der Wacht. 
8 


B8 B8 

Der Reifefaften für Karl Asmus Honn 
fertig ba und fni[terte nod) leije in den Fugen. 
Tiihler Diistom hatte ibn gemadt aus 
ſchwerem Gidjenbols, mit einem Schloß wie 
an der Rirdhentiir, hatte feine Mühe gejchent 
unb feine Roften und nicht nad) jeinem Ber: 
dienjte gefragt, hatte ihn gebeizt und ge: 
wadjt, mit Bändern und Hajpen funftvoll 
ausgegiert, mit blanfen Nägeln aud) ein K 
und ein A in das harte Holz getrieben. Die 
Belle Frühlingsjonne fiel in die Wertftatt, 
Jpiegelte fid) auf bem gewölbten Dedel, und 
die flimmernden Strahlen ftanden an ben 
ſcharfen Rändern ber blinfenben Bejchläge 
wie eleftrijde Funken. Der Tijchler jtrid) 
bald bier, bald da noch einmal mit dem 
braunen $janbballen polierend über Die 
Fläche, und als fein Fehl und Fledden mehr 
daran war, rief er bas Marleneken, daß fie 
den Kaften auf die Karre lüde und zu den 
Mebersleuten brächte. Aber ihre flinfen 
Füßchen wollten nicht vorwärts; ber Kaften 
blintte, daß ihr bas Waljer in bie Augen 
fam, und ob die Laft nicht jchwerer war, 
als eine Fuhre Gras für bie Ziege, war es 
ihr doch, als tarrte fie Eijen ober Blei. 

Karl Asmus riihrte den Reis, dieweil die 
Mutter bei ben Kühen war, als das Miar: 
leneten, die Truhe in den Armen, fid) durch 
die Tür zwängte, aber ehe er ihr beijpringen 
fonnte, hatte fie den Kaften |djon mitten auf 
die Diele gejtellt, jtand und jab ihn groß an 
und tat jo munter wie beim Spiel. „Ita, 
Radel, nu fann das in die Welt gehn.“ Er 
legte die Kelle aus der Hand und fagte 
leije: „3a, Dtarlen, nu geht das los. Das 
muß ja fein. Dafür bin ich ein Jung.“ 

„Haft du fein Angſt?“ 

„Angſt? Nee, wovör hal id wol Angſt 
hewwen? Freten ward mi ja fein ba buten. 
Nee, Marlen, Angſt nih. Aber daß bier nu 
alles ausis. Daßeinalles, was ein lieb bat —“ 





Sie fuhr mit dem Finger unter der Nafe 
fort. Die Tränen jdjojjen gujammen; fie 
wiirgte fie herunter. - 

„Ach wat, Radel, bat ldppt di nid) wed.” 

Cie ftredte ihm die Hand bin. 

„Adjüs, Radel; bliew gejund in de grote 
Stadt.“ 

Damit war ſie aus der Tür. 

Karl Asmus ſtand und ſah den blanken 
Kaſten an. Er dachte: ‚Der ſieht aus wie ein 
Garg. Und als er ben Schlüſſel drehte, 
meinte er, es müßte ein Toter brin liegen. 

Aber unten auf dem Boden fag ein Päd: 
chen in weißem Papier. Darin hatte das 
Marlencfen ein Andenten gewidelt, ein Leje- 
zeichen für die Bibel, und darauf ftand: 
„Bott ſchütze Dich!“ Das hatte fie zwiſchen— 
burd) beim Brasjchneiden heimlich in Papier: 
fanevas geltidt, hatte [id) aud) den Finger 
dabei blutig geftochen, und unten in der 
Ede rechts war ein led, rund wie eine 
Träne und rot wie Roft, unb war in bie 
blauen Bergißmeinnicht gelaufen, bie um den 
Rand [tanben und um die Schrift. Karl drehte 
es bin und ber, und las, was darauf ges 
[chrieben war, und hörte wieder bie Miarlen 
fragen: „Haft bu fein 9Ingft ?^ Und es ging 
ibm burdjs Herz, dak bie Welt doch wohl 
ein gefährliches unb tiidijches Wajjer wäre, 
darin [don mand) einer fein Leben gelajjen 
hätte, unb eins wohl Angjt haben könnte, 
wenn nicht einer wäre über Wolfen und 
Waffer. 

Borlichtig, als wäre es von Glas, trug 
er bas Zeichen auf der flachen Hand in Die 
Kammer, legte es in feine Ginjegnungs: 
bibel zu dem gepreBten Myrtenzweig und 
ging dann aud) wieder zum Herd, den Reis 
zu rühren. Dod) bem war nicht mehr zu 
helfen. Go ward bas lebte Mittagsmahl 
ein brenglig Ejjen, fragte im Hals und ging 
Ichwer ein, obgleid) 3uder und Zimmet reid: 
lid) darüber lag. Aber es hatte ſüß fein 
Tonnen wie Honig, es wäre bod) nicht anders 
gewejen. 

Am nádjten Morgen in der Frühe nahm 
Karl Asmus Abſchied von Vater und Mutter, 
von Peter, bem Kater, unb dem Nußbaum 
vor der Tür, ben Süden und Güjjelten, die 
eben ausgefommen waren und nod) unter 
dem Herd faken, und von allem, was [onjt 
im Hauje und auf dem Hofe war, aud von 
dem Schiffchen oben auf dem. Giebel. Es 
war ein bitteres und jalziges Geſchäft, fih 
von feiner Kindheit zu jcheiden. — — — 

Indeſſen holte Wilhelm Pantel die Pfarr: 
gäule aus dem Stall, ſchlug dem Rappen, 
der |pielerijd) nad) feiner Nafe fchnappte, 
auf bas pormibige und gottloje Maul, und 
jpannte [ie in beftigem und mürrijchem Gelbit: 





Dora 


Gemälde von Prof. Carl von Marr 


(Bon König Ludwig Ill. von Bayern erworben aus ber Ausftellung 
im Münchener Glaspalaft, Sommer 1917) 


SZ Ar 
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gejprad vor bas gelbe KRorbwägelchen; denn 
er batte feinen Ader pflügen und fein leßtes 
Korn bre|djen wollen und mußte ftatt deffen 
ben Paftor und Karl Asmus in die Stadt 
fahren. 

„Dat is mi nu verbrubbelt.^ Er drängte 
den Rappen an den Wagen „Trügg! Id 
hal mi wohl irft vör bi up be Knei lig: 
gen? Trügg!” s 

Der Rappe ftapfte zur Seite und trat ihm 
auf die große Behe. tyernanb [djüttelte ben 
Fuß wie eine Rage, bie ins Naſſe getreten 
ift, und gab dem Rappen eins mit dem 
Strang über den Rüden. 

„Döstopp! Wat tiimmt dian? Bült du 
mall? Id war bi den Hund vör de Bein 
binnen.“ Er legte bas Gebiß ein. „Mul 
up! Wat? Dat paßt bi woll nich? Di fiind 
wol de Tähn to badt? Töw, id war bi 
bat wijfen.” 

Er [djob bas Gejdjirr über ben Kopf und 
àog bie Ohren vor. „Dat De hüt, atrat hüt 
in de Stadt möt. Wat bruft he ben Bingel 
bentofóbren? Kunn he nid) lopen? Me, bit's 
to arg un to dull.“ Er gab bem Fuds 
einen Schlag auf die Hinterhand. „Nu 
fümmft du vörd Bredd. Bet to! Wat heftu 
up de Gielen to pedden? Bün id din Wap? 
Nee, Fründken.“ 

Er band die Zügel über Kreuz. 

„Da is mi be Mom upfallen. Um jon 
Bingel mot id al ftahn un liggen laten. 
Wenn id rh min Eigen heww — op, was 
feen Alf. Lat dat Gnagen fin.” 

Co ſchirrte er mit viel Bram und Braß 
bie Gäule an, 30g den Dunfelblauen Warp: 
rod über und ftieg auf den Bod. 

Da ftand die Frau in der Tür, hatte die 
Arme in die Seiten gejtemmt und rief über 
den Hof, daß bie Tauben am Brunnen auf» 
flogen: „Na, adjüs Pantel. Un bring ood 
jau un jau den Ralmüd mit. De is mi hod): 
not.” Sie rafite den verjchlijjenen rojen« 
roten flberrod. „Hier is all Lod) bi Loh.“ 

SBantel :pinfte ärgerlich mit der Hand. 

„Ach wat, du Det alljüs ben Düwel to 
braden.” 

Sie nidte ibm wütend zu, und thr Kopf 
wurde rot wie Feuer. 

„Un du füft ut, as wenn du den einen 
Freien heft un den annern nadbalen mut, 
Na, vörirft brut id bi ja nid) to ſeihn.“ 

Indem erhob fih in der Wohnung ein 
[anggeaogenes Rlagegejchrei, und bas Syünglte, 
bas (milden, hub an zu brüllen wie ein 
Gerberhund. Da fnuppte Wilhelm Pantel 
mit ber geteerten Peitjchenjchnur um die 
ipi&en Ohren und fuhr vor. 

Und wie er, bas Brüllen Hinter fih 
lajfenb, durd bas Tor rumpelte, ben 


Deutide Geele BESSSSSesesseesed 121 


roftroten Turmbahn in ber Morgenfonne 
glühen fah und ben Riifter Drafehn bie 
Frühglocke anläuten hörte, ftieg aus feinem 
perbro|jenen Gemüt wie die Sonne aus 
dem Nebel der trójtlidje Bedankte, daß es 
bod) beffer wäre, in den ſchönen Tag hinein: 
zufahren, als mit Hiih und Hott hinter bem 
Pfluge zu gehen und ben Flegel über den 
Kopf zu ſchwingen, daß er in ber Walhaut 
tnarrte, und daß es bei Auguft Damerow 
am Hafen eine Lungwurit gäbe, die nicht zu 
verachten war. Und dabei fuhr er fid) mit 
der breiten Zunge um den Mund, daß fie 
um ein Haar an ber Nafe hängen geblieben 
wäre. Als nun gar der Prediger ihm beim 
Ginjteigen ein halbes Dugend Zigarren, 
wenn auch nicht von den beften, in die Rods 
tafche ſchob, fam das gute Wetter völlig 
zum Durdbrud. Er zog die ftoppelhaarige 
Lippe unter ber breiten Nafe gleich einem 
Eichhorn hod, dak bie Schneidezähne in ber 
Sonne. blinften wie Kilometerjteine, und 
jprad bet fid) felbjt: ‚Na, id war ehr ben 
Ralmiid man fópen. Denn as in de Schrift 
fteiht: Wer fein Weib pflegt, pflegt fich 
jelbft.' 

Bor bem Weberhaufe hatte fid) ber Him 
mel feines Gemiits bei fleinem wieder bes 
zogen, als ber blante Reijefaften auf den 
Bod fam und ihm die behagliche Sikgelegens 
bett beengte, daß er fid) taum riiden und 
rühren fonnte und mit Geſäß und Zigarren 
in arge Gefahr fam. Aber wie Karl Asmus 
bald dem Bater, bald der Mutter am Solle 
bing unb laut meinte und die beiden Alten 
(id) Die Augen wijchten, ward ihm weih und 
rührfelig zumute, unb er mußte an feinen 
Süngften, fein CEmilden, den Schreihals 
denfen, wie es fein würde, wenn der einmal 
in die Fremde ging. Er jdjnurdjefte durch 
bie Nafe und überlegte, ob er ibm ein Pferd- 
den oder einen, Riferitihahn mitbringen 
jollte, außer Dem Rofinenjtuten. 

Das Rorbwagelden hatte jhon mandes 
Mal ein ſchweres Herz gefahren, wenn Paftor 
Neumann Laft und Gorge und Jammer aus 
jeiner Gemeinde mit fid) genommen hatte, 
aber [o ſchwer wie heute war nod) nie ein 
Herz darin gewejen. Dod) bie Pfarrgäule 
merften davon nichts; fie warfen die Köpfe 
unb fchlugen mit ben Schwänzen und wären 
wohl auf und davon gegangen, wenn 
Pantel fie nicht turzgehalten hätte; denn fie 
hatten ein paar Tage gejtanden, rohen ben 
frifchen Morgen, bie Salzluft und die Weite, 
und ließen die Blähungen von fih wie 
Kleingewehrfeuer. 


8g 28 
Was mag beffer fein gum Abſchiednehmen 
von der Heimat, der Morgen oder der Abend ? 


Belhagen A Rlañngs Monatshefte. 39. Jahrg. 1917/1918. 2 Bd. 9 


122 Iesse Johannes Höffner: 


Am Abend tommt bald bie alles bebedenbe 
Nacht, und bie Heimat verfintt wohl bald 
in Nebel und Dunfel, aber ihre Lichter 
fuden und greifen nah dem wandernden 
Rinde weit hinein in bas falte und drohende 
und finjtere Land, das Herz zittert und 
bebt und will nidt hinaus. Am Morgen 
mag es wohl beffer fein, da ijt alles for 
und bell und beftimmt, und wenn die Sonne 
fo bell auf Adern und Wiejen liegt, die 
Lerden fingen und die Störche die Flügel 
flaftern und ins Blaue fahren, drängte die 
Neugier und der Wagemut den frijchen 
Sinn in die Weite. Paftor Neumann dadte 
daran, wieer felbjt einmal war aus dem Bater: 
hauſe gegangen; bas war aud) fo ein gol 
dener Morgen im Frühling gewefen wie 
heute, er mar aud) auf fo einem leichten 
Wägelchen mit feinem Bater gujammen in 
die Frühe gefahren, und als fie aus bem 
Dorfe gefommen waren, hatte der Bater die 
Hand über das grüne Land geredt und ge: 
fagt: „Dartin, das ganze Land Debt bir 
offen, joweit dein Auge reicht und viel, viel 
weiter nod, wo bu aud) but, überall liegt 
Gottes Sonne und Liebe, Aber die Heimat 
hier unten ift nur Ginnbild und Gleidnis. 
Wir haben hier feine bleibende Statt.“ Da 
war er guten Mutes geworden, hatte Die 
Tränen verjdludt und in die Welt geladt. 
Wher am Abend, als er allein am fremden Ort 
war, hatte er in bas Kiffen geweint, bis ber 
Schlaf alles Leid von ihm genommen und 
ibn im Traume ins Waterhaus getragen 
hatte. — Ob Morgen, ob Abend, der Schmerz 
fam Ion, Und fo fab er Karl Asmus von 
der Seite an, mitleidig und gütig, und wußte, 
was bie eríte Nacht in der Fremde ihm 
bringen würde. Debt gingen feine Augen 
tapfer und bell an ben Häujern entlang und 
tranten fih nod) einmal an dem [üpen Glid 
der Heimat fatt, zum legtenmal für lange 
Beit. 


Der Rauch früujelte fid) dünn und wort 


über ben Schornfteinen, ftand einen Augen» 
blid ftil, als wollte er nicht Ios, und wirs 
belte Dann auf einmal jin bie blaue Höhe 
und war dahin. 

Da war mandes Haus im Dorf, da ging 
viel aus dem GSchornitein. Die ftüjterfrau 
fam die Straße entlang, trug einen Bled: 
tuchen unter bem Arm zum Badofen und ward 
vor Scham bunfelrot, daß Paftor Neumann 
fie auf Joldjem Wege fah. Der Morgenwind 
bob das Papier, darunter lag es gelb 
wie Butterblumen, mit Mandeln und Ros 
finem bid belegt, und fie ging ftrads babin, 
bie ſpitze Nafe [hier geradeaus, blidte nicht 
rechts nod) lints und merkte nicht, wie der 
ſchwergewirkte Teig von bem Abichtedstuchen, 





ben fie für ihren Klaus baden wollte, in 
ben Staub flederte. Denn ihr Klaus follte 
aud in ben nadften Tagen in die Stadt, 
auf bie Präparandei, dah er Lehrer würde 
wie fein Bater, aber nicht auf einem elenden 
Dorf. 

Die Hühner gaderten, bie Hähne frábten 
unb liefen bergu, tragten den Teig aus 
einander, hadten mit den Schnäbeln hinein 
und wälzten ibn in dem Schmutze. Dod 
nicht alle Hähne frábten an biejem Morgen, 
bie am Abend noch mit viel Gejdrei aufge 
flogen waren. Die Rriigerjde, die Woden- 
fuben, batte ihren beiten Hahn am Kragen 
und Ichlachtete ibn auf bem Hof, und bas 
rote Blut tropfte in den Staub. Denn ihr 
Robert war der dritte im Dorf, für den ein 
Abſchied gerichtet wurde und ber aus ber 
Heimat ging, aud) in die Stadt am Meer, 
zum Herrn Konſul Schneidereit, in die 
Drogenhandlung, als £ebrling. 

Drei zogen aus dem Dorf auf die große 
Weide draußen, das Leben blies und trieb 
fie gujammen dahin. Und Martin Half» 
papp tutete auf feiner Gchalmei daher, 
bie Kühe, Schafe unb Ziegen, Kälber und 
Färjen fanden fic) gujammen, einzeln und 
zu zweien und dreien, Zoller jacherte bie 
Dorfftraße auf und ab, apportierte einen 
Stein oder einen Knüppel und biß gwifden: 
durch einem wider|penftigem Tiere in bie 
Hefe. Die Graue und bie Rotbunte aus 
bem Weberhaus waren aud) darunter, wieg. 
ten den Kopf und jchleppten die Füße, aber 
ben Karl auf dem Wagen kannten fie nicht, 
unb als er fie rief, globten fie ihn verbrieb» 
lich an. 

Hinten burd) bie Zielen ftapfte 9InguR 
Gottidalf, der Afrikaner, hatte feine lange 
Angelrute auf der Schulter und pfiff fid 
eins, unb mandes Filchlein, bas nod unten 
tm Bad munter |prang und [pielte, lag um 
Mittag dürr und mit aufgelperrtem Raher 
im der Sonne auf dem Gras. 

Schneider Feuereiß ftand am Brunnen, 
hatte bas grobe Hemd aus eigengemadter 
Leinwand über die haarige Bruft geftreift 
und wuih [fid bebüdjtig und gründlich. 
Seine drei Jüngften faken nicht weit Davon 
an ber Hede, ungewajden und ungelämmt. 
Der eine quälte eine Schnede, die ihre Hör: 
ner nicht berausftreden wollte, bie beiden 
andern flopften Pfeifchen und fangen: 

„Da fatt eis en Kreih am Weg, 
Det wull gern Bibel lefe, 

Bibel lefe tunn fe nid, 

Rüm be ob un brew ehr wed, 
Drew ehr tn bie Rönigstammer. 
Bif, paff, aff." 

Sn ber Schmiede fladerte bas Ferer. Der 
Meifter trat mit dem Fuß ben Blajebalg 





unb fdlug mit dem Hammer auf ben Am 


boB, daß das Gijen fprigte wie Feuerwerk. 


Und das luftige Klingen lief Hinter bem 
Wagen her und mußte am Ende dod das 
binten bleiben. Jn tiefem Gand ging es 
bie Höhe hinauf, Der Braune lag jchwer 
in der Giele und [chnardhte, denn der Fuchs 
Dep ibn allein ziehen, ob Fernand ihn and 
mit ber Peitide figelte. Aber er batte ein 
bides Tell. 

Da glänzte zur Linten das Meer; blau 
und grün, und die Dünen ftanden in ber 
Frühfonne |o gelb wie Klaus Drafehns 
Abſchiedskuchen. Die weißen Cdjaumtümme 
liefen in langer Zeile über bas dunkle Wafs 
fer, weit draußen ftanb hoch und blendend 
die Brandung. Ein Boot lag [djief am 
Winde. Es führte ein Gaffeljegel und 
barum war es Hans Ramps, der da draußen 
Reuerte und Flundern fing. 

Zur Rechten lag das Dorf ausgebreitet 
im hellen Licht wie ein Bild in einem Bud. 
Die Windmühle wintte mit ihren langen 
Armen ben Abſchied berüber, über dem Nuß» 
baum vor dem Weberhäuschen fuhr das 
Schiff am Giebel über die grünen Blatter 
wie Hans Ramps über die Wellen. Bom 
Richturm aus dem Schalloch wehte ein 
rotes Ridden, ein weißes Tuh, Karl As: 
mus riB das grüne Hütchen von den blon: 
den Haaren und ſchwenkte es und wintte, 
als wäre es bie luftigite Sache von ber Welt, 
aber das Herz wollte ihm dabei zeripringen. 

„So,“ jagte Paftor Neumann, „jest mußt 
bu vorwärts jehen. Du mußt ftandhaft und 
tapfer fein. Das Herz nimmt die Heimat 
mit, und inmitten der Fremde ift es bod) zu 
Haufe. Hüte did) vor dem Heimweh, Karl, 
vor dem faljchen Heimweh, bas einen rüds 
warts zieht und Hand und Gedanfen lähmt. 
Das rehte Heimweh, bas treibt und reißt 
einen fort, daß einer etwas Tiidtiges wird 
und feiner Heimat Ehre maht.” 

Aber das Wort war Karl Asmus falt 
und fremd, und er badjte: ‚Wenn einer alt 
La bat er gut reden.‘ 

8 

* Ein Menſch muß durch viele Hände, de 
er fertig ift, was man bier unten fo fertig 
beißt. Denn ber Menſch ift immer ein 
Werdender, zeitlebens und nad dem Tode, 
bis in bie dunfle Ewigkeit. Das Höchfte 
fann er nie erreichen: es ift nod) feiner ges 
worden wie Gott. Uber viele [inb geworden 
wie ein Teufel. 

Was einer wird, ba wirkt vieles inein« 
ander, Offenbares und Werborgenes, das 
tann feiner entwirren. Da ift bas, was 
einer mitbringt aus Borgeiten im Blut und 
an Fähigkeiten; da ift Umwelt und Beis 


Deutihe Seele BSSSSSSessssssd 123 


[ptel, Strid) und Himmel. Bor allem aber: 
bie Hände, in bie er fommt. „Wer nicht in 
die rechten Hände tommt," fagte Paftor Neu: 
mann zu Asmus bem Weber unter bem 
Nubbaum, als er aus der Stadt guriidfam, 
„wer nicht in bie rechten Hände fommt, ber 
tft verpfufcht für fein ganzes Leben. Es 
müßte denn ein Wunder gejdehen.“ 

Und die rechten Hände finden jid) nicht 
immer, fie finden fich nicht oft. Der eine 
braucht dies, der andere jenes; [o find auf ber 
ganzen Welt nicht zwei, bie gleicherweije 
behandelt werden Tonnen, Und es würden 
nod viel mehr Schaden leiden und vor bie 
Hunde gehen, wenn der Menj allein von 
diefer Erde wäre und feinen anderen Ur: 
jprung hätte als ben Mutterleib. Go aber 
ift einer ba, ber fteuert allen Dingen. 

Paftor Neumann batte 91edjt: Karl As» 
mus war in die rechten Hände gelommen. 
Albert Bolduan, der Schlojjer, hatte in den 
Sabren feiner Meifterichaft mand) Biirjd- 
lein in den Fingern gehabt und jeden ge 
modelt, gebogen und gezogen, gehämmert 
und gefeilt, wie es ihm nottat, hatte ihm 
die Tür aufgetan zur Tüchtigfeit, zu Aus: 
tommen unb 9Injeben, und alle waren ge 
raten, wohl und gut geraten, bis auf einen, 
aber von dem nachher. 

Der goldene Schlüffel, ber an funjftvol 
verjchnörkeltem Arm über der Tür auf bie 
Gaffe bing und, je nachdem, im Winde 
Ichaufelte, in der Gonne blinfte und im 
Regen erjt recht, war nicht allein ein Zei: 
den feines Handwerks, jondern aud ein 
Sinnbild in mandherlei Hinficht. Das Jagte: 
Handwerk ijt ein golbner Schlüjfel. ‚Rannft 
du was‘, [chließt er bie Türen auf, Haustüren 
und Rirdentiiren und Ratstiiren. ,Rannft 
bu mas', Öffnet er Cdja5fammern, bringt 
Glüd unb Wobhlftand. Drei Schlüffel mußte 
jeder rechte Meijter haben, ben Lebensſchlüſ— 
jel, einen Schlüffel zum Herzen unb einen 
Schlüſſel zum Himmelreih. Und Meijter 
Bolduan hatte fie alle drei. Die Schloffer- 
lun[t, meinte er, fei eine rechte Gottestunft, 
und ein Schlojfer fet Gottes Handlanger, 
der ftünde dem Herrgott im Himmel bei, 
daß bas 7. Gebot zu feinem Recht tame, nur 
war es dabei ein wenig |djmeralid, dab 
einer von ber GCdjledjtigfeit ber Menjchen 
lebte. Denn wenn Ehrlichkeit jedermanns 
Gace wäre, wären Schloß und Riegel nicht 
vonnöten, batten alle Schlofjer der Welt 
ihr Handwert an den Nagel hängen 
fonnen und an ben Amboß geben und Näs 
gel und Hufeilen machen, wenn fie [don 
mit Feuer und Gilen zu tun haben wollten. 
Go aber war immer ein bitterer Rampf 
gegen die Lift und Findigleit der Diebe, 

Ch 





und ein rechter Cdjojfer mußte finnen 
Tag und 9tadjt unb ftudieren unb probieren, 
wie er ihrer Schlihe Herr wurde und ihre 
Aniffe au fchanden madte. Nein, es war 
wabrlid) nicht leicht, fo gewiſſermaßen ein 
Schloß vor bas 7. Gebot zu legen. Und es 
fam aud) vor, daß der Teufel felbft in bie 
Werkſtatt fam und an ber Drehbant ftand, 
bie Zeile regierte und bie Gedanken und 
aus bem GCdjlüjjel Dietrich unb Diebswerts- 
zeug machte, wie bei Martin Hagedorn, dem 
einzigen, der in Meiſter Bolduans Händen 
nicht geraten war. 

Als es fo weit war, daß er fein Gefellen: 
ftd machen und danad in die Welt folte, 
fid) den Wind um die Nafe wehen zu laffen, 
ging er eines 9tadjts Hin und brad bei 
Ronjul Friedrich) Auguft Lobedang am Neu- 
markt den Gelb[djranf auf. Das war ein 
ichweres Ctüd und fo|tete Schweiß, und er 
mußte arbeiten bis an den Morgen. Aber 
es lohnte fid) nicht, denn ber Ronjul war 
ein vorlichtiger und gewißigter Mann, ber 
in feiner Kaffe nicht mehr hielt, als unbes 
bingt vonnöten war. Und weit tam Mar: 
tin Hagedarn mit ben paar Kröten aud) 
nicht. Eine halbe Stunde Weges im Lande, 
im Klüßtowjchen Kruge, ba er fid) von bem 
nächtlichen Gejchäfte [türfte und den Mor: 
genimbiß nahm, friegte ihn ber Landjäger 
Leonhard beim Schlafittchen, nahm ihm 
den Raub ab, legte ihm die Handjdellen an, 
brachte ihn mit Schimpf zurüd und führte 
ihn durch die Stadt treug und quer, daß 
jedermann ſähe, was für einen feinen Vogel 
er [don am frühen Morgen auf dem Strid 
gefangen Hätte. 

Meifter Bolduan [tanb vor feiner Tür, 
jah ftraßauf, [traBab, fchnappte Luft, 


weitete die breite Brujt und ftrid ben 


langen braunen Bart und witterte in das 
Wetter, wie bas feine Gewohnheit war, ebe 
er fid) an die Arbeit machte. Der goldene 
Schlüjfel über ihm wehte im kühlen Morgen: 
wind und blinfte der Sonne zu, bie in Der 
MWollenwebergajje mild und gemádjlid) fpa: 
zieren ging, des ſchönen Friihlingstages bei: 
zeiten zu genießen. Und ba er den Land: 
jäger mit bem Burjchen baberfommen fah, 
redte er den Hals, wen er wohl diesmal 
am Wickel hätte, unb ber £anbjáger rief 
[dor von weitem, daß es durch bie ftille 
Gaffe jchallte und die Leute neugierig aus 
ben Fenſtern fuhren: „Gejtohlen bat ber 
Hund. Cingebroden ift er. Beim Ronjul 
Sobebangen hat er den Geldjdrant ausges 
räumt,“ und febrte Martin Hagedorn, ber 
fein Geſicht abwandte und [tórrijd) aur Seite 
blidte, bem Meiſter zu. Da lief es buntel 
über Albert Bolduans breites Geficht, er 


Johannes Höffner: 






[p — — 
[59-519 5:99 «5:9 Ge 





[pudte aus und warf bie Haustür ins Schloß, 
rief in bie Rüche, wo feine Frau Marie am 
Herde hantierte: „Der Krug geht jo lange 
gu Waſſer bis er bricht. Martin hat geftoblen. 
Leonhard hat ihn am Kragen.“ Er ftampfte 
in bie Werfftatt, Inöpfte den langen Bart 
unter bie Lederſchürze, frempelte bte Sjembs» 
armel auf bis unter bie Achjeln, nahm den 
ſchwerſten Hammer und [djIug auf bas Eifen, 
als folte ber Amboß aer[pringen. Das war 
der erite, ber ihm mißraten war und Schande 
über ihn brachte. Aber er brauchte fid) nichts 
vorzuwerfen. Er hatte es an nichts fehlen 
laffen. Er hatte es mit dem Jungen oer, 
judt in Gutem und in Böſem. Aus Dred 
fonnte feiner einen Gchlüjfel madjen. — 
Himmeltreuzmillionendonnerwetter nod) ein: 
mal! Der Hammer fiel auf bas Gijen, dah 
es jplitterte und bird) bas Fenſter fuhr unb 
bie Scheiben auf bie Steine prajjelten, mit: 
ten in das Tünen der Frauen hinein, die 
auf bem Hof ftanden und mit Jungfrau Wieje 
unb ber Meilterin berebeten, was gejchehen 
wäre; ihre Diänner lehnten in den Fenftern, 
hörten zu, und warfen aud ein Wort dazwi» 
iden, jeder nad) feinem Beruf. Johann Wins» 
belbanb, ber Schuiter, Glajer Strippentom, 
und oben auf dem Ausgang, ber vorgeban- 
ten Galerie, bie in ber Höhe des erjten 
Stodwerfs um die Außenwand der Haujer 
lief, Die den Hof einjd)lojjen, Traugott Bitter» 
ling, der Schreiber, der mehr Kinder hatte, 
als er ernähren konnte und [jid Tag und 
Nacht die Finger frumm ſchrieb und ber 
gern als Lehrling an Meifter Bolduans 
Tilh gejejjen hätte, ber wiegte fein Jüngſtes 
auf dem Arm, jchüttelte den Kopf. Und 
bagmi|den gaderten die Hühner, [djadte 
Strippentows zahme Eljter im Apfelbaum, 
zwitjcherten bie Schwalben, und auf Jung: 
frau Wiejes Schultern freijdte ber graue 
Papagei, denn er wollte fid) auch bemert: 
bar maden: „Was [agit du nu?” 

Sept fap Martin Hagedorn jhon im 
zweiten Jahr Hinter den eijernen Tralljen, 
im Rittdhen hod über ber Stadt, fah weiter 
als aus feinem Wlanjardenfenfter in ber 
Sdlofferet, jah Hinten auf dem Meer die 
Schiffe fommen und aus dem Hafen fahren, 
und wenn es dunkel wurde den Leuchtturm 
blinfen, daß fein Ceefabrer in Gefahr fame 
und Schiffbruch litte, und Hätte darüber 
naddenfen Tonnen, aber er tat es nicht. 
Denn in ihm war unjruchtbares Land, bas 
nahm nichts auf, bas gab nichts her. Über 
fein Bett hatte ibm ber Meifter ein Bild 
gehängt, vom verlorenen Sohn, wie er die 
Cáue hütet und von ben Trebern zehrt; 
von [einem Fenſter Hatte er die Bäume 
blühen ſehen und Frucht bringen, und im 








Winter lagen bie Spaglein tot und erfroren 
in der Dadrinne, denn das Leben war hart 
und Hunger und Not waren ein jchlimmes 
Ding. Aber er hatte nichts gelernt und 
nichts begriffen, und fein Herz war nidt 
aufgeiprungen. Freilich — wenn er jebt in 
die Stadt bernieberblidte, in bie Baffen und 
auf bie Plage, da bie Menfchen frei und 
fröhlich ihr Welen hatten, unb [ab in ber 
Ferne aud) bie Schlofjerei, ben Hof, an dem 
[o viele Menjchen beieinander wohnten und 
thr Leben zimmerten, den Garten und den 
Fluß, unb bie Weiden Dingen auf das 
Waller und tranfen, dann bik es ibn in 
die Augen, wenn er bes guten Eſſens und 
Trinfens gedachte und an fein weiches Bett, 
und nun mußte er das trodene Brot würgen, 
auf der harten Pritjche liegen und hätte 
jid vor lauter Bosheit zerreißen mögen. 
So drehte und feilte er neue Plane, wie er 
es flüger anfangen wollte und reich werden 
ohne Schweiß, wenn der Pförtner ihm eines 
Tages die Türe aufihloß unb er geben 
fonnte, wohin er wollte. Aber bis dahin 
war nod) gute Zeit. 

Zwar hatte ibm der Zigeuner, der Brands 
ftifter, ber in bie Zelle nebenan zur Linfen 
getan war, verjprochen, ihm nad) feiner 
Entlafjung zu einer Teile und zur Freiheit 
zu verhelfen. Aber was fo ein Zigeuner 
redete, war Wind. Wohe um Woche 
wartete er vergebens, und mit den Zähnen 
fonnte er die Trallgen nicht durchbeißen. 
Und ber Aufjeher, ber 3Bejd)eib wußte und 
ben &alfiber abgefangen hatte, höhnte: „In 
biefem Bauerchen mußt du deine Zeit aus: 
halten, mein Vögelchen, davon hilft bir fein 
Gott und fein Zigeuner. Und was wir hier 
haben, Spaten und Nachtigallen, Raben 
und Nachtſchwalben und Wiedehöpfe, da 
tann nichts rous, und wenn es fih den Kopf 
einftößt.“ 

Man fol nichts wegwerfen und nichts 
veradten. Was ber eine nidjt mag, Debt 
ein anderer auf. Wo einer von [einer 
Arbeit geht, fommt einer und greift zu 
feinem Handwerkszeug. 

Freilid, lange Zeit war Martin Hage: 
dorns Plas in Meiſter Bolduans Wertftatt 
leer geblieben, denn der Meilter hatte es 
nicht verwinden Tonnen, daß einer in feiner 
Hand zum Balgenftrid geworden war. Es 
gab viel Meijter in. ber Stadt, und er wollte 
fid) mit einem Lehrling nicht mehr bemängeln. 
Aber dann war Paftor Neumann eines Tages 
gefommen und hatte ihm ins Gewiljen ge: 
redet, daß es nicht d)ri[tlid) und nicht menſch— 
lid) wäre, um einer jchlehten Erfahrung 
willen einem andern zu verjagen, worauf 
der fein Leben bauen fonnte .Und wenn es 


Deutſche Seele 





125 


aud) viele Meifter gäbe hier und anderswo» 
jo wiffe er bod) feinen, bei bem einer bejjer 
aufgehoben wäre, denn bei ihm. 

Und nun ftand Karl Asmus in Meifter 
Bolduans Wertitatt am Schraubftod und 
mübte fid) um ben Feilftrid, daß er gerade 
würde unb gleihmäßig, an der Kante fcharf 
und ohne Grat. Denn der Strid) war die 
Grundlage fiir die ganze Schlofferei; aus 
bem Strid) wuchs bie Fläche und aus der 
Fläche der Körper. Aus dem Strid) wurden 
die Rundungen und Schweifungen, die tunft: 
voll gejchwungenen Verzierungen und Ara: 
besten, denn wo Runft war, mußte aud) 
Schönheit und Gefalligfeit fein. Und nad) 
ber Teile fam die Drehbant, wie in ber 
Schule nad) der Schiefertafel das Schreib» 
heft, nad) bem Buchjtabieren das geläufige 
Lejen und nad) dem Zählen bas Dividieren 
unb Multiplizieren und bie fniffligen Auf: 
gaben. Es war ein weiter Weg bis zum 
Runftwerf, dem Schloß, bas aller Diebeslijt 
jpottete. 

Und mit bem Hödjiten fing Meijter Bol: 
duan feine Unterweilung an, holte bas blante 
Schloß aus dem Schrant neben ber Dreh» 
bant, ließ es im Licht blinfen und bligen, 
drehte den Schüfjel und ließ es gehen, vier 
Riegel nad) vorn und zwei Riegel nad) 
oben und unten, ließ bie Widerhafen auss 
einanber|preigen, und es war fein Rnaden 
unb fein Quietjchen und fein Echnappen zu 
hören, es war, wie wenn ein Augenlid auf 
unb nieder jdjlágt. Und der Meilter jagte: 
,Ciebjt bu, Karl, bas mad heute unter 
Hunderten faum einer. Die Majchine hat 
bie Runft tot gemadt unb bie Leute faul. 
Es gibt wenig Meijter und viel Pfufcher, 
und bie Zeit ift vorbei, da die Kunſt nad) Brot 
ging; heut geht fie nad) Geld, will verdienen 
ohne Schweiß, und Redlichkeit ijt felten ges 
worden. Was einer werden will, muß er 
ganz werden. Beller eines von Grund auf, 
als von vielem etwas; wer eins von 
Grund auf tann, ber fann alles. Bei der 
Sade muß einer fein; bas ganze Herz und 
der ganze Kopf muß der Arbeit gehören. 
Man darf die Gedanfen nicht fpazieren 
gehen lajjen. Arbeit ijt Arbeit, und eier» 
abend ijt Feierabend. Einen Riegel feilen 
unb feinen vor das Herz legen, das bringt 
Berdruß.“ 

Und fo redete er wie Paftor Neumann, 
und die GSchlofferwertitatt war wie die 
Bienenlaube im Pfarrgarten, nur war ftatt 
der frijden Luft ein ſchwerer Dunſt von 
SI und Gijen da, es fummten feine 
Bienen, fein Blütenduft zog daher und 
fein Bogel fang. Es famen bie Gedan— 
ten, unb fein Riegel war ba, bie Feile 


126 DEE Johannes Hoffner: 


wurde [hwer in der Hand und rutidte aus, 
ber Strid) war verdorben. Und Meifter 
Bolduan liep wieder bas Schloß geben, 
zwei Riegel nad vorn und zwei nad oben 
und unten, und die Widerhafen fperrten 
fid) und waren blant wie Meffer. Schloffer 
fein, das war anders als bloß Schrauben 
drehen, wie fie bei C. F. Ifede, bem Eijen- 
händler, auf der Laftadie im Kaften lagen 
zu Hunderten, große und Heine, flache und 
runde, und diht dabei bie Angelhalen, bie 
(id) bie Matrojen für bie [ange Weile an 
Land kauften und an die Schnüre banden. 
So faen fie am Bollwerk, ließen bie Beine 
mit den weiten, [djlenfrigen Hofen und ben 
breiten Schuhen niederbaumeln, Jpudten den 
Priem, wenn er ausgelutjcht war, ins Waller 
und fingen Sholen. Ram eine ans Licht, 
batten fie ihren Spaß mit ihr, flopften 
fie mit ben riffigen Fingern, rechts und links, 
einmal auf die weiße Bade und einmal auf 
die rotgejledte ſchwarze. „So, min lütt 
Quermul, nu Deftu lang nog in bat tole 
Water rüm rajohlt, nu fief di eis in be 
Welt üm, wo bat föt is und wo hell und 
warm be Sünn bier bowen blünfert und 
dient. Heſtu din Lebtag all [omat ſeihn?“ 
Und bie armen Dinger fperrten das Maul 
auf, japiten und verdrehten bie Augen, und 
bie Miatrojen fadjten bróbnenb auf. „Kiet 
eis, fict, wat tretft bei fürn $ylun|dj. Dat 
rütt bi hier bowen woll fermojt noch Teer, 
nid? Dat gejollt bi? Nu fegg blots nod) 
Gpidaal." 

Gin Menih verträgt mehr als eine Fluns 
ber. Er ftirbt nicht, wenn man ibn aus 
feinem Clement nimmt. Cine Weile japft 
er wohl, und die Luft wird ibm fnapp und 
die Brut eng, bod) dann gewöhnt er fid). 
Er mag wohl ein Amphibium fein. Fiir 
zwei Welten ijt er gejchaffen und für mehr. 
€ B8 88 


Vier Meilen lagen nur gwijden Karl 
Asmus und Ber Heimat, aber wenn einer 
Heimweh bat, find vier Meilen wie hundert 
und taujend. Er war wie ein Baum in 
einem neuen Erdreich, ber nod) feine Wurzeln 
geichlagen Bat und die Blätter hängen und 
gilben läßt, wie ein Fohlen im fremden 
Stall, wie ein $yild auf dem Trodenen. 
Den Tag über ging es wohl an. Da fab 
ber Echmerz im Cdraubjtod. Aber nad) 
Feierabend, wenn er die Werfitatt gelehrt 
und für ben Meijter bei Gebaftian Freu» 
denjprung, bem Krämer, auf den andern 
Tag eingeholt hatte, Grüße und Rolinen, 
Mehl und Galz oder was jonjt vonnóten 
war, unb danad in feinem Manjarden« 
fammerden hodte ohne Licht, der Feuers: 


gefahr wegen, lag es um fein Herz wie ein 
eijerner Ring, nahm ihm die Luft und 
ſchnitt ibm ins Fleiſch, daß er traurig ward, 
als follte er fterben. An ben Sonnabenden 
daheim hatte er zwijchen Bater und Mutter 
auf der Bant unter dem großen Raftanien: 
baum gejejfer, Peter, der Rater, lag auf 
feinem Schoß und ließ fih bas fette Fell 
nod) glatter ftreichen und jchnurrte, ber 
Water erzählte von feiner Jugend, und bie 
Mutter von ihrem 9Biebaeug, als wäre es 
men|djidjes $yleijd) und Blut; die wohl- 
riedenben Erbjen madten die Luft ſüß 
wie 9tejeba und Rofen zugleih; ber Pfare 
ter fam, gudte über den Zaun und bielt 
Herfules am Halsband feft, daß er bem 
Kater nicht jcheuche, oder Nachbarn fanden 


fid) ein und beredeten die Tinge, die draußen 


in der weiten Welt vor fich gingen. Und bie 
Nacht fam fanft und ſacht, wie eine Feder fällt, 
und der Cdjlaf fam, nod) ehe einer in bas 
hohe Bett fletterte. Und an bas Marlee 
neten dachte er, als fie ibn am Iebten Tage 
gefragt batte: „Haft du fein Angſt?“ Nein, 
Ungft batte er nicht, und tapfer wollte 
er wohl fein, mutig aushalten unb zu 
Ende bringen, was er fi) vorgenommen 
hatte, aber das Heimweh, bas war |djfimmer 
als Ungjt. Dann legte er das Kinn auf bie 
gefalteten Hände und jah aus dem Fenfter 
über den Strom und das Altmännerhaus 
drüben und über bie Häujer, darüber ein 
Raujden fam von bem Leben ber vielen 
Menjchen. Die Augen madjte er groß, als 
lónnte er weit da drüben bas Dorf liegen 
und auf bem Weberhäuschen bas Gchifflein 
ins Whendrot fahren fehen, aber da war 
nichts als ein kühler Abend — Himmel und 
ein blaffer Stern. Er hatte feinen, bei bem 
er ben jchweren Kopf hätte anlegen und 
Troft holen Tonnen und Liebe, die ihm fo 
not war, wie einem jungen Bögelchen, das 
gerade aus bem Neft ift unb Wärme braucht 
in ber falten Welt und eine Hand, in ber 
es fic) bergen tann. 

Die Meifterin war eine ftrenge und rax: 
luftige Frau, fnodjig und ftarf, hatte nie 
ein Kind gehabt und Dantierte in ihrem 
Hausweſen von früh bis |pát, fochte, jcheuerte, 
wujch und redete nicht viel, troh ins Bett, 
wenn es Dunkel ward, und |djnardjte wie 
ein Dann. Der Mieijter ging des Abends 
zu Bier nad) alter Gewohnheit jechs Häufer 
weit in den Lads, wo der große goldene 
Filh über der Tür mit dem Schwanz fchlug 
und das Maul aufriß wie ein Bolfsredner, 
wenn es ums Ganze gebt, und wo bie Nats 
barn im. Hinterjtübchen am eichenen Tijd 
auf ihn warteten, der Maler Geidelbaft, 
Martin: Hiihnerjtrett, ber Nadler, unb Ge 








| - ^ op së — ` ep "en "ep A "ep "en "ep ep "e 
< ^25 25.7 — — a oo St. ab Ce o o n 


baftian GFreudenjprung, ber Kaufmann; ber 
Meifter [piefte Alf unb Bafta um einen 
Halben und tam dabei in jeder Hinficht auf 
feine Roften, denn er war bell wie ein £udjs 
unb [as den Partnern die Trümpfe von ber 
Naje ab; daneben fand er die Gemütlichkeit, 
bie ihm daheim abging und bie jeinem be: 
babigen Wejen [o not war wie dem Kürbis 
das SBajjer. Des Connabenbs fand [id) 
aud) Traugott Bitterling, der Schreiber, an 
ben Tijd, aber nicht zu Spiel und Berluft, 
fondern er fiebigte unb gab feinen Genf zu 
fremden Trümpfen und mit Wugenplinfen 
feinem Hauswirt, bem Schloffer, zarte Winte, 
bis er ibn mit einem Glas Bayrilch trattierte. 
Dann wijchte er fih ben Mund und wünjchte 
eine gute Nacht, denn er hatte teine, mußte 
Rinder wiegen mit der Linfen und die Rechte 
auf und nieder geben laffen über bas Rang: 
leipapier, mit Cdnórteln und Devotions: 
ftridjen, mußte mit einem jchwülftigen Stil 
fein mageres Brot verdienen. Wenn längſt 
jedes Fenſter auf der Hofjeite dunfel war, 
nur nod) bei Jungfrau Wieje das 9tadjts 
fampdjen einen Kleinen, zittrigen Strahl Durch 
den herzförmigen Wusidnitt bes Fenfters 
labens in den alten 9tuBbaum warf, war 
bei Traugott Bitterling Licht bis tief in die 
Nacht hinein, und ber grüne Lampenſchirm 
ftanb in dem halbhellen Fenfterrahmen wie 
ein Bulett. Ja, Traugott Bitterling war 
auch jo eine arme Geele, bie ein Heim: 
web im Herzen trug, auf bellere Tage 
hoffte und vom Bergangenen zehrte, Jahr 
und Jahr, und jid) das Herz dürr und troden 
gejchrieben hatte. Aber fein Regen fam, der 
bas verdorrte Feld grünen made. 

Es ift freilich jchlecht beftelt um eine 
Geele, bie das Heimweh hat und vor Sehn⸗ 
ſucht welt wird unb den Kopf hängen läßt. 
Uber wenn einer nod jung ift, nod 
nicht Skelleln und Lajten der Ehe trägt und 
bas Herz auf dem rechten Fled und offene 
Mugen bat, ber tajtet fih facht unb ficher in 
ben neuen Boden hinein, ftredt bie Wurzeln 
nad) den fühlen Adern, bie im Erdreich rin: 
nen, und die Blatter nad dem Tau, der 
vom Himmel fällt. Die Kraft der Jugend 
bat manches Geheimnis in fih. Und als 
Rarl Asmus aus der Ferne mit feinen Ge: 
danten zurüdtam und in die Nähe blidte 
ringsum, fand er, daß ibm aud hier in ber 

emde ein Ctüd Heimat gejchenft war, 

er bem Fenſter unter dem Dachfirſt hatten 
Schwalben ſich ein Neft gebaut, [hoffen pät 
abends nod) zwitjchernd nad) ben [djmür: 
menden Müden bin unb wider, und menn 
fle zur Rube gefommen waren, dugten fie 
neugierig aus dem Fluglod) auf bas Mens 
[djenfinb unter ihnen, Hinter ber Berjdas 


Dentige Seele BESSSEGSSsssed 127 


lung zur Linten wohnte ein Paar Rotfebhl> 
den, und in der Dachrinne unten [djilpten 
bie Spaten. Das waren Freunde aus feines 
Baters Haus, und er fonnte mit ihnen reden 
von dem unb jenem, denn er perjtanb ihre 
Sprade. Unten am Waller ftanden die 
Weiden und tranfen wie am Bad daheim, 
unb ber Holunder war aud da, der beim 
SBeberbáusdjgen auf dem Hof neben dem 
Holaftoß ftand; ber atmete ftreng und [üB, 
und die weißen Dolden leuchteten aus der 
Dämmerung wie Tauben am Gewitterhim- 
mel. Und ein Stüd weiter unter bem Birn- 
baum ftand eine Bant, bie war immer leer 
unb rief, daß einer fame und fih jegte, aber 
es fam teiner. | 

Und eines Abends badjte Karl Asmus, 
Darauf läßt es fid) fo gut fiken wie unter 
einem Raftanienbaum, vielleicht aud) beffer, 
ging und ftieß die Tür jeines Rammerdens 
auf, fletterte bie Außenftiege hinab auf ben 
Umgang wieder eine Leiter hinunter auf 
den Hof, bann in ben Gemiijegarten am 
Nußbaum vorbei bird) ein Stafetenpfirtden, 
grün mit weißen Cpiben; nun ftand er am 
Wafer, bórte bie Wellen gurgeln unb von 
drüben ein [pátes Wajchholz flatidjen, ſchnitt 
einen Weidenzweig, flopfte und ftrid ibn 
unb madte fic eine Querpfeife mit fieben 
Löchern, feste fih auf die Bant, blies in die 
ftille Abendluft ein Lied nad) dem andern, 
unb bas Waſchholz fdjlug den Tatt. Ob es 
aud) nur ein bürftiges Inftrument war, bas 
er an ben Lippen hatte, war es bod) genug, 
daß feine gage Geele damit |predjen unb 
fingen fonnte. Und er mochte Gott danten, 
daß es ihm möglich war. Denn wenn einer 
nicht fagen tann, was in ihm lebt, fo ober 
fo, auf irgendeine Weife, Dann muß er per» 
berben. Go wurde fret und wandelte fih 
in Töne, was in feinem Herzen war. Das» 
bei fam er auch zu dem Lied von Straßburg, 
ber |djtveren, jüßen Weile vom Heimweh, bei 
dem das Herz zittert vor Bangigteit und 
bas weit hinausgeht über alle Dinge bieler 
Welt. Das Mädchen, das drüben am Ufer 
wujch, hörte auf und hielt bie naſſe Wajde 
in den gefalteten Händen, und es wurde ihr 
[o fdjmer um bie Bruft, daß fie taum atmen 
lonnte; die Tränen liefen ihr über bie Wan» 
gen, fie wußte nicht woher. Traugott Bitter» 
ling, der bas Fenſter offen hatte, ließ bie 
eder im Tintenfaß fteden, [tiigte den Kopf 
in bie Hände und jab in bas gelbe Petroe 
leumlicht, bis bie Frau, bie Rinderjtriimpfe 
ftopfte, ibn beforgt unb müde fragte: , Trane 
gott, fehlt bir was?” Da nahm er bie 
Feder wieder in bie Hand und girfelte ben 
Schnörkel tunftvoll und ruhig zu Ende. Und 
Rarl Asmus blies unb war gar nicht mehr 


128 Johannes Höffner: 


auf dieſer Welt. Er hörte nicht, wie Gung: 
frau Wieje durch ben Garten gejdliipft fam, 
bis fie vor ihm ftanb, mit einem Conner 
Ihirm, obwohl es Abend war, aber der Pa: 
paget auf ihrer Schulter war ein empfinb: 
liches Tier und mußte geborgen fein vor 
Zug und Kühle, bie vom Waller fam und 
mit den Spiken ihres Wiener Schaltuches 
jpielte. Rarl Asmus erſchrak und ließ bie 
Flöte finten, aber bann fah er, daß es Gung: 
frau Wieje war, bie ba|tanb und ihn fragte: 
„Du haft wohl Heimweh?" Da ftürzten 
dem Jungen bie Tränen aus den Augen, 
daß er nicht Antwort geben konnte, und 
Sungfrau Ziele ftreichelte ibm die Wangen: 
„Wer Heimweh hat, ift feiner von ben 
Schlechteſten.“ 

An dieſem Abend fand Karl Asmus ein 
Stück Heimat auch bei den Menſchen, und 
das erſte Herz, das in der Fremde ſich ihm 
auftat, war das Herz eines alten, vertrod: 
neten Sjüngferleins, das ein Spott und ein 
Cpeftafel war, wie es hochgeſchürzt bei 
Regen und Sonnenjchein mit feinem Papagei 
einberging, immer den Schirm über bem 
jhmalen, vornübergeneigten Kopf auf dem 
ipillrigen Hals, bas graufchimmernde Haar 
geicheitelt und gewellt bis über bie Ohren, 
darin lange goldene, mit ſchwarzem Schmelz: 


9*"*"99*99909025000009000900000000€ 0090€99000009000900009090009992 090-0 ge 


Eine aus: 
gefptelte Rolle: 


Sudanan, 
ber Betreier 
bes ruffifchen 


**«490909099499949900000909909060009090000009000090968096022909900260060009209960229509009000065809090945804000000000280 





Deutihe Seele [BES£3X333€*3€33€332€3€38 


wert ausgezierte Gehänge blinferten; Die 
roten Strümpfe brannten wie Mohn über 
ben Lajfting|duben, und die bürren, fantigen 
Waden waren wie Stengel. Die Rinder 
ringsum [tanben am Rinnitein ftilI, tnidften 
und jchwentten bie Mtiigen: „Guten Tag, 
Jungfrau Wiele,“ fdnitten Gefichter hinter 
ihr ber unb lidjerten, und feiner verwies es 
ihnen, denn fie batten den Spott über fie 
von ihren Eltern. Aber Jungfrau Ziele 
nahm bie Welt wie einen Traum, hatte bie 
Tür hinter fid) zugetan und lebte in einer 
eigenen Welt, in ber feiner über fie lachte 
und mit ihr feinen Spott hatte; ihr Herz 
freilich verjcehrumpelte immer mehr von Jahr 
zu Jahr. Und nun geldab es bei Karl 
Asmus’ Flötenjpiel in ber Sommernadht, 
daß ihr fnódjernes Herz ein jchüchternes, 
grünes Schößlein trieb, wie wenn wieder 
junge Tage fommen wollten, aber es war 
nicht mehr bie fiige Mädchenliebe, bie fih 
dem Leben in bie Arme werfen will, jondern 
die Liebe, bie bas Alter beglüdt und nod) 
einmal an diefe Welt tniipft und Rettung ijt 
aus der Kälte der Tage, die ein Leben in 
die Arme nimmt nad) Mutterart, um es 
zu pflegen und zu ſchützen, wie Tiere [id) eines 
Jungen annehmen, das ihnen nicht gehört, 
nur weil es ihrer bedarf. (Fortiegung folgt) 





Beid)jnung von 


O : A.M. Cay : 
H H 
; H 
* — Wioltes Im : 
: Dienfte ber : 
: Menichlichlett : 


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Gemälde von Prof. Robert Sterl 


Schiffszieher an ber Wolga. 











ZEN 
SE EZ Bea, 
J ge E cat, SA 


— 


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fas. 
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Dm Hafen von Nitrahan. SI[tubie von Prof. Robert Sterl 


Fr ———— e — 





er Sterl Bon Prof. DrPaul Schumann 






©) 


StürlundStirl: Sterl. 
Ein Stirl ift ein ſpitzer 
Begenitand in Form 
eines Gtodes oder 
einer Stange, 3. B. 
eine Butteriterle, bie 
gum "uttern bient, 
ober ein Ofenftirl zum 
Schüren bes Feuers. 
Sucht man ben finn: 
bildlichen Gebalt die- 
jes Wortes als Mame 
eines Mannes, fo 
fommt man auf jebem 
ber üblichen Wege 
dazu, daß er Den 
ichöpferiihen Willen 
bezeichnet, ber fid) be» 
tätigt burd) finnvolle 
Bewegung an fid) un: 
tätigen Stoffes. Gang 
vorzüglich paßt diejer 
Name auf unjern 
Dresdner Dialer Ro: 
bert Sterl, ber eine 
traftvolle Perſönlich⸗ 
tert voll Gelb[tánbig: 
feit und Eigenart ijt. 
Durch fein ganzes Le: 


- = ter! ijt ein edt fa 

$ mindejftens-in bieler 
wärts lautet er Girl ober nod) 
vornehmer Stürl, in Mitteldeutjch- 
[anb wird aus i vor r ein ä, aus 
Birne: Barne, aus Wiirmer: Warmer, aus 


x 


sen; db Jame, 


orm; ander: 









0.012 


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Selbjtbildnis des Künftlers. Zeichnung 


ben, das jtets aufwärts ging, geht der Zug 
ftarfen, eigenen Willens, der fih nicht ber 
Manier eines Meiſters, eines lebenden ober 
toten, unterordnete, jondern fi 
p Meiſterſchaft emporarbeitete. 

eiſching betonte kürzlich, daß bie öſterreichi— 


aus Eigenem 
Julius 


ide Runjt neuerdings 
ihre beiten Kräfte nicht 
aus Wien oder andern 
Großftädten, jondern 
aus ländlichen Volks⸗ 
freijen gewinne. Auch 
anderwärts fann man 
bas jelbe beobadhten. 
Robert Sterl gehört 
zu diejen Kräften, bie 
aus dem Lande oe: 
fommen er unb er 
it ein Cade, der 
faft ununterbrochen in 
Gadjen, in Gachjens 
Hauptitadt Dresden 
gelebt bat und bier 
en bhodangejehenen 

eijter geworden iit. 
Ein  feltener all, 
denn in ber Riinjtler- 
Ichaft gilt bie Frei— 
zügigkeit, und muftert 
man bie Lijten ber 
Künftlerfchaft in ben 
perjdjiebenen Deut: 
Iden &unititábten, fo 
erfennt man überall 
eine bunte Miſchung 


130 VP —/l Prof. Dr. Paul Schumann: 13332333233 333349 


aus allen Bauen Deutichlands, zu ber bie 
wanderlujtigen Gadjen ihr gut Teil beifteuern. 
Robert Sterl aber hat feine SBobenjtánbigteit 
NEE nicht etwa in ber Wahl ausjchließ: 
ich jächliicher Vorwürfe zu feinen Gemäl- 
den, wohl aber für feine Beton: und feine 
Tüchtigkeit im Verein mit ber Gunft des 
Gejdjids hat ihn dazu geführt, daß er heute 
im Alter von fünfzig Jahren als Leiter einer 
Meifterwerkitatt ber DresdenerRunjtafademie 
eine angejebene Ctellung einnimmt und mit 
Bußmann, Banger, Bradt, Liihrig, Grok, 
Diez, Wrba an der Spike Der Dresdener 
Künftlerjchaft fteht. Auch auswärts wadjt 
jein Ruhm mit jeder größeren Ausjtellung. 

Robert Sterl wurde am 23. Juni 1867 
in Gropdobrik bei Leuben unweit Dresden 
als Sohn eines Cteinmeten geboren, ber 
ſchlicht und recht feine Gandfteine bearbei- 
tete unb feine Familie notdürftig erhielt, 
leider aber jdjon [tarb, als’ ber Sohn taum 
lieben Jahre alt war. Die Mutter 30g nad) 
Dresden. Frühzeitig zeigte fih bei dem 


Knaben bie ausgejprochene Neigung zum 
proh und Malen; bie Mutter legte ibm 
eine Schwierigfeiten in den Weg, |o trat 
Robert Sterl mit vierzehn Jahren in die 
Dresdener Runjtafademie ein, und in regel- 
mäßigem Gange fam er in die Meilter: 


\ t x d ^ 
5 ` ° 
by HA * E 


i * a GET € l ^ 


3 Grntearbeiter. Oljtudie 





werfitatt von Ferdinand Pauwels, jenem 
geborenen Belgier, ber über Weimar nad) 
Dresden gefommen war und bier bie Fiber: 
lieferungen der damals jo hochgeſchätzten 
belgijdjen Hijtorienmalerei ber Gallait, De 
Biefve, Wappers ujw. hütete. Freilich war 
der Stern Diejer Bejchichtsmalerei Damals 
ihon im Niedergang und ftrahlte nur nod) 
aus in einer friedlichen, nicht aufregenden 
Malerei von Anekdoten und Gittenbildern 
in allerlei met gejchichtlichen oder aud) 
zeitgenöjliihen Trachten, der jogenannten 
(Penremaleret. 

Auch Robert Sterl! malte aunádjit folde 
Bilder, aber zu geldjid)tlid)en Trachten ver: 
itanb er fid) keineswegs, nur zu Bildern aus 


‘Der Gegenwart, Sele ates von Szenen aus 


dem Leben, bie erjelbjtgejehen hatte, 3. B. einer 
Veſper in der Dresdener Kreugfirde, einer 
Gemadldeverfteiqerung, einem Betenden in 
der fatholijdhen Hoffirdhe und ähnlichem. 
Erfennt man in ihnen nod) bie Anweijungen 
des Meijters figürlicher Anordnung, fo zeigt 
(id Dod) ſchon [harfe Beobachtung im ein: 
elnen Studium des wirklichen Lebens. 

hon nad) einem Jahre fam es zum Bruche 
zwilhen Meijter und Schüler, ber indes 
weniger aus fiinjtlerijdhen Meinungsver: 
\chiedenheiten als aus auseinandergehenden 
Unlichten über Verſprechen 
und Halten hervorgegangen 
war. Gterl [tano nun anf 
eigenen en und mußte 
ji wie jhon vorher durch 
Suftrieren und äbnliche 
Brotarbeiten über Wajjer 
halten. Die Not des Lebens 
fennen zu lernen fand er 
babet SE Gelegenbeit, 
aber feine Gejchidlichteit yalr 
ihm weiter: es war ihm bei- 
jpielsweije ein leichtes, un- 
genügend ausgeführte Bilder 
zu Bilderbüchern tn Farben 
zu jegen und [ie malerijd) 
au beleben. 

Diefe Arbeiten Gig cns 
ten ihm fogar eine Weile 
nach aris, wo er jid) vom 
Januar bis zum September 
1893 N um fic) in der 
neujten Dtaleret umzujehen. 
Man fann aber niht jagen, 
daß er dort ganz neue An— 
regungen empfangen babe 
und von Paris als ein an: 
derer heimgefehrt fei. Einen 
ftarfen Eindrud madte nur 
wrangois Millet auf ibn. 
Dejjen Bauernbilder, die ohne 
alle Verſchönerung die land- 
liche Arbeit in ihrer Mühſal 
und in ihrer jadjlidóen Kraft 
veranjchaulichen, bejtärften 
Sterl nur in jeiner Freude 
an der Wiedergabe ebenjol: 
cq Ger Vorgänge aus der Welt 





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Ed Spikenflipplerinnen. Gemälde 5 


ber Arbeit, und zwar ber Arbeit mit 
ber Fauſt und der PMtannesfrajft in freier 
Natur, die ihn ſchon vorher [tarf anges 
zogen hatten. Denn bereits 1889 war er 
zum erften Male in die Eanditeinbrüche 
von Pojtelwig an der Elbe gegangen, um 
dort zu Jdauen, zu zeichnen und zu malen. 
Sicherlich haben hierbei die Eindrüde aus 
feiner frühejten Kindheit vom Werfplage 
des Vaters mitgewirkt. Aus diejen Studien 
in ben Poſtelwitzer Cteinbrüdjen entitand 
als erite Frucht ums Jahr 1894 eine Folge 
von Sllujtrationen für die Zeitjchrift ‚Uni: 
verfum‘: Aus Sachſens Sandjtetnbriiden. 
Auch Sterls Gemälde aus Dielen d hide 
3. B. Studie aus einer Ziegelei, Marftizene 
(1891), Dorfapothefe, Nah der Schule, 
Dorfjunge, Brot abjchneidend, Junges Mäd— 
den, Studienfopf (1892), Mädchen im Gar: 
ten (1893) fanden Beachtung bet der Rritif 
wie bei ben Kunjtfreunden und aud) bei 
ben Riinftlern. In Dresden gärte es da- 
mals unter ber jungen Künjtlerichaft. Die 
Dresdener Runjt ging idc ber Überalte— 
rung der führenden Wfademifer in ben 1880er 
Jahren immer mehr abwärts und erlitt aus- 
wärts jdjwere Niederlagen. Es fam zur 
Spaltung: die jüngeren Künſtler, unterihnen 


Karl Banger, Wilhelm Ritter, Paul Baum, 
Wilhelm Claudius, ſpäter aud) Georg Lüh— 
rig und Georg Miiller-BWreslau und andere 
traten zu einer Gezejlion zujammen und 
brachten friiches Leben in das [tillitebenbe 
und verjumpfende Dresdener Runjtleben; 
die imprejjionijtiiche Runt, bie Ginbrtds- 
malerei mit ihrem Naturftudium im freien 
Lidte begann ihren Giegeszug aud in 
Dresden. Die Führenden unter diejen jun: 
gen Künftlern Juchten aud) Sterl in ihre 
treije zu ziehen. Ter aber war und blieb 
ein Mann für fid) unb ging nicht mit ber 
übrigen jungen Riinftlergemeinde nad) Gop- 
peln und dem lieblichen Gebergrunde bei 
Dresden, wo dieje im Borfrühling ihr Lager 
aufichlug und in eifrigem Statur[tubiun neue 
pear ſuchte. 

er Freilichtmalerei huldigte ſelbſtver— 
ſtändlich auch Sterl, aber er ging nach wie 
vor ſeine eigenen Wege. In der Ziegelei 
zu Mockritz, in den Gärten und Wieſen bei 
Zſchertnitz und Leubnitz-Oſtra ſuchte er die 
Vorwürfe zu ſeinen Studien und Bildern, 
und in die Werkſtätten der Handwerker wan— 
derte er, um ihnen bei der Arbeit zuzuſehen, 
wie er es einſt als Kind im früheſten Alter 
bei ſeinem Vater getan hatte. Einmal reiſte 


132 E Prof. Dr. Paul Shuman: BSSSSSSS33334 


er aud) mit Karl Banker in deffen heſſiſche 
Heimat, wo fih damals in bem trachten= 
reichen Zorte Willingshaujen an ber Schwalm 
ein gejelliges SDtalerleben bei gemeinjamer 
Arbeit entwidelte. 

Aber nur einmal ging er in diefje Maler: 
nieberla|]]jung. Wie er immer ein Dann 
für fid) war, wählte er fid) im Jahre Dor: 
auf das Dorf Holzburg in der Schwalm 
um Orte feiner Studien, wo feine andern 

aler jaßen, und bier blieb er auch den 
angen Winter hindurch bis ins Frühjahr 
hinein bei den Bauern. Da entitanden 

ilder von Innenräumen mit ihren Jn- 
laffen, Schafe im Schnee, Hohlweg, Schäfer 
am Feuer, Schäfer am Bache, Märziug und 
weitere Frühlingslandjchaften. Inzwiſchen 
batte er auch den Vogelsberg zwilchen Fulda 
unb Belnhaufen tennen gelernt. Die herr: 


lide Landſchaft mit ihren weiten Buchen« 
wäldern 3og ihn mächtig an, unb viel bejjer 
als die beiden Bauern in ihren Tradten 


Gemälde 


Bildnis. 





gefielen feinem [chlichter gerichteten Ginn 
die einfadjen Bauern am Wogelsberg in 
ihren unauffälligen Kleidern, me | ihre Haus: 
arbeit, die Töpferei mit Brennen im eigenen 
Ofen, ent[prad) feinen Neigungen, und [o 
ing Sterl alljährlich dahin, bis er fih ſchließ— 
ich felbft in Wittgenborn ein Kleines Haus 
mit Malerwertitatt baute. Hier verlebte er 
jährlich jechs bis fieben Monate mit feiner 
Frau eine Reihe glüdlicher Jahre, und in 
diejer Zeit ent[tanben viele Bilder aus bem 
Landleben, von ländlicher Arbeit (a. B. Aus 
ber Töpferwerlitatt) und Landjdajten, die 
bes KRünjtlers hohe Freude an diejem töft- 
lichen beut|djen Lande widerjpiegeln. Aber 
aud) zu Haufe in feiner eigentlichen Heimat 
arbeitete und ftudierte Ster! unablälfig wei- 
ter — und wieder ganz bejonders bei den 
Gteinbredern im ſächſiſchen Elbjandftein: 
gebirge. Dabei bejchäftigten ibn ausſchließ— 
lid) Die malerijdjen Aufgaben, denen Die 
aufitrebende neue un amals nadging, 
vor allem die Wiedergabe der ar 

ben unter der Etnwirfung von Luft 

unb Lidt und ber Bewegung in 
unmittelbarer Lebendigfeit. Eine 
ſchöne er Deler Studien war 
das große Gemälde ,Heimfehrende 
Arbeiter, das in Poſtelwitz ent: 
itanb. Und bann famen die Bilder 
der Arbeit felbft, nachdem es Gier! 
in heißem Bemühen mad) vielen 
Studien gelungen war, in überzeu= 
gender Weile den Sanditein im hellen 
Sonnenjdein zu malen und Bewe— 
ungen ber Arbeiter mit rajd)em 
intel oder Ctift feitzuhalten. Da- 
mals jaben wir zum erften Male 
mit Staunen diefe Bilder der Arbeit, 
wie bie GCteinbredjer im prallen 
Gonnen|djein in bas Gejtein bauen, 
wie fie bohren unb [topen, wie fie 
wudten und heben und fchieben, 
wie fie alle ihre Kräfte anftrengen, 
um des Gefteins Herr zu werden, die 
Maffen in Bewegung zu jegen und 
dem menſchlichen Gebraud) dienftbar 
zu ye bt Eine echte Wirklichkeits: 
funft, Dafeinsbilder voll Kraft, Gee 
jundbeit und Natürlichkeit, bie über» 
haupt den Brundzug und das We: 
jen der Sterlſchen &un[t bilden. Er: 
findungen ber Phantalie liegen ihm 
ang fern, immer ift er durch bie 
rjdetnungen ber —— elt, 
des Daſeins und des Lebens zum 
Schaffen angeregt worden, wie ſich 
Gegenſtände und Menſchen in Licht 
und Luft darſtellen, in Leben und Be: 
wegung. Gang E aber zieht 
ibn die körperliche Arbeit an, bet ber 
der Arbeiter nod) wirklich eine Perſön— 
lichkeit ift, nicht bloß ber Beobachter 
einer ajdine, ein Radden in 
| einem felbittätigen Getriebe eleftri: 
Ee Kräfte. Bon Meunier unter: 

a eidet fih Sterl dabei grundjäß: 





SSS SSS SSSSOSSSSSS SS SSS SF SS SSSSFFSSSSSSSSSSSSSSSSFSSSSSSSSSSSSSSSSFSSSSSSSSSSSSSSSS — 


Szenenbild aus Ariadne auf Naxos‘ 
Gemälde von Prof. Robert Sterl 





—  — — — — — — 





— — 
- “ns ES, 
A) ebe Te 
A € E M 
- v “* e 


EI 


lih, indem er nie feine Arbeiter zu Helden, 
u Trägern einer monumental gejteigerten Wns 
en emporhebt, jondern fie immer in 
voller Natürlichkeit |djilpert, in Wahrheit und 
Echtheit. Auch bieje Runjt hat hohen Wert, 
denn jie [enft unjere Blide auf einen Lebens: 
treis, ber nicht minder anziehend und ehren: 
wert und dabei notwendiger ijt als mancher 
andere, den Die Kunjt fonft bevorzugt, und 
Sterl zeigt uns ihn doh nicht in barer 
Niüchternheit, jondern wie ihn ein Riinftler 
Debt: jo lehrt er aud) uns, diefe Wirt- 
lichfeit mit Künftleraugen jehen, uns zu er: 
freuen an Bewegung und Leben, an Licht 
und Farbe Ein Neuland jádjijdjer o 
matfunjt war mit Diejen bedeutjamen Bil: 
dern aus ben Cteinbrüchen ber ſächſiſchen 
Schweiz burd) Sterl erobert. Erfreulicher: 
reije ijt es aber nicht Mode geworden. 
Denn die allgemeine Diode bedeutet immer 
den baldigen Tod einer Runjtridtung. 
Sterls Anjehen in der Dresdener Künſtler— 
Ihaft Diego ununterbroden. An ber &unjt: 
afabemie war ein Umjchwung eingetreten. 
Mit Gotthard Kühls Berufung hatte er be: 
penes bie moderne Kunſt zog mit ibm in 
ie heiligen Hallen ber jtaatlichen oe Kan 
ein, und Kühl, der bald eine herrichende 
Stellung in ber Wfademie und im Dresdener 


0393: 0393939393939] Robert Sterl 133 


Steinbrud. Gemälde aA 


Kunſtleben zu erringen wußte, war felbjt: 
verjtändlich beftrebt, ber neuen "dung 
frijdes Blut und Leben zuzuführen Er 
wurde auf Sterls gejunde, frijche Kraft aufs 
merfjam und zeigte jeine Neigung zu Dellen 
Malerei, indem er mit ihm gemeinjam bei 
(mil Richter in Dresden ausjtellte. Dann 
aber peranlaBte er 1904 GSterls Berufung 
an bie Kunftafademie als einer der Leiter 
des Maljaals. Ein Kë glüdlicher Griff: 
denn Cter[ war und ijt ja in erjter Linte 
Maler, das will jagen ein Riinjtler der 
Farbe, der Augen, der bie Natur mit voller 
Borurteilslofigteit beobachtet und in fid) aufs 
nimmt und jeglichen Gegenftand als Cre 
jcheinung in ihren Farbenwerten, fei es in 
vollen Sarben ober mit dem Etift auf Dell 
und Dunfel vereinfacht wiedergibt, wie er fie 
Debt. Ob er dabei mehr auf Vollendung 
ausgeht — dies Wort natürlich im modernen 
Cinne verjtanden, nicht im Sinne des Scharf: 
lebers, ber fid) feine einzige winzige Cingels 
bet entgehen läßt, jondern im Ginne Des 
Bejamteindruds — oder ob er jid) mit ber 
— Skizze begnügt, ob er zart mit 
einem weichen Pinſel malt oder mit kräf— 
tigen, derben Strichen ſeine Eindrücke feſthält 
— ſiehe die Abbildung des trinkenden Ernte— 
arbeiters a. ©. 130 — ob er ſich auf eine eine 


134 beSsssssssssessse] Prof. Dr. Paul Schumann: Iesse eet 


heitlihe Farbenhar— 
monte in wenigen Tü- 
nen bejchränft oder ob 
er Jeine Farbenkunſt in 
rauichenden Akkorden 
einherjchreiten läßt, 
immer ijt feine Mtaleret 
voll Leben und Natür- 
lichkeit, dd jede ge: 
wollte Poje und Ma— 
nier. Eine ſolche Runft 
aber ift aud) ganz be- 
jonders als Lehre 
wertvoll und nützlich. 
Einem Schüler, der 
bet Gterl bie Natur 
jehen, beobachten und 
malen gelernt * 
ſtehen alle Wege offen 
zur Eindrucks- oder 
* Aur Ausdrucks⸗ 
malerei, zur Entfal— 
tung feiner Neigungen Q 
und feiner Perjönlich: 
teit dem Stoffe wie ber Ausgeftaltung nad). 
Gterl gibt ibm das Werkzeug mit, das er 
We: m fo — Weiſe beherrſcht, 
as Malen nad der Natur und dem Leben, 
die Fähigkeit, beides in aller Sorgfalt und 
Gewiifenhaftigteit aufzunehmen und wieder: 
zugeben und damit fih einen innern Gdjat 
von Anjdauungen zu jchaffen, mit denen er 
dann als Herricher frei jchalten tann, ohne 
in Manier und Schablone oder gar in bloße 
Nachahmung zu verfallen. Der gefeierte Ex- 
refjionijt Franz Marc zeugt davon: feine 
Frühen Tierjtudien befunden eine [taunens: 
werte Schärfe der Beobachtung, eine Natur: 
treue ohnegleichen, und erft auf diejem BN 
Grunde baute er feine jo ganz perlönlich 
ftilifierte Runjt, den gebändigten Fluß feiner 





È Bote in Kafan. Slſtudie 





1x bag? T | 
ved a eee 
SBajjermeibe. Aquarell 


Xinien, feine ganz naturabgewandten Far: 
benphantajien auf. 

Wenn wir dés ftarf betonen, daß Sterl 
jo feit fußt auf bem Boden ber Natur, fo 
fonnte es jdjeinen, als wäre er nicht nur ein 
Realijt, b. b. einer, ber fid) in der Wahl 
feiner Stoffe an das Reale, das Gegenſtänd— 
liche, bie Wirklichkeit hält, lonbern aud ein 
Naturalijt, b. b. einer, ber diefe Wirklichkeit 
in aller Treue bis in alle Einzelheiten ab: 
jdreibt unb nad)bilbet. Dem ift nicht fo. 
So wertvoll der Naturalismus, b. b. der enge 
Anſchluß an die Natur, für bie Kunit ut 
vor allem zu Zeiten, in denen bie Runjt, in 
irgendwelche Manier verfallen, feine weitere 

ejunbe Entwidlung findet, allo auf einen 
— Nährboden zurückverſetzt werden, 
zur Natur zurückkehren 
muß, ſo kann der Na— 
turalismus, die getreue 
Abſchrift der Natur, 
doch nie dauernd End: 
wed ber Kunft fein. 
eder echte Künitler 
Debt die Natur ſchließ— 
lich mit eigenen Augen, 
in eigener we We 
Daß es aud Gterl 
tut, lehrt ein Blid 
auf die Reihe von 
Bildern, die wir in 
arben bier wieder: 
eben. edes feiner 
ilder ift aud) eine 
malerijdje Leiltung ; im 
farbliden — 
klang, in der ſtarken 
Zuſammendrängung 
des Eindrucks, in der 
Lichtführung offenbart 
ſich ſeine Eigenart, die 
nirgends ins Fremd— 
8 artige, Sonderbare 





— ra 


PSSSes sss see] Robert Sterl BSSSSessesesssessd 135 


vorftößt, bas Befannte aber in neuem Maler: 
erleben uns vorführt. 

Dak Sterl! ein Riinjtler von feinjtem Ge: 
Ihmad ijt, bezeugen vor allem feine Bild- 
nijje. Nicht durch eigene Neigung ift er auh 
zum Bildnismaler geworden, jonbern bird) 
die Aufträge, die (id) ibm aufdrängten. Das 
Bildnis ift im gewiljen Sinne ber Prüfitein 
fiir jeden Maler. Die ganz moderne Runft 
hat dieje Probe bisher jchlecht beitanden: 
und zwar weil die jüngjten Dialer die Pers 
jon reinweg zum Feld ihrer erfahrungslojen 
SBerjudje, ihrer noch nicht geflärten Runft- 
lehren und ihres auf Neues ausgehenden 
Dranges madjen. Es fehlt ihnen noch ber 
Gejhmad. (QGejdjmad und Genialitát, Ge- 
ihmad und ehte Künſtlerſchaft jchließen ein: 
ander feineswegs aus — man braudt nur 
an 3Befasqueg oder van Dyd zu denten. 
Robert Gier bot diejen echt fünjtlerijd)en, 
nicht nur modijden Gejd)mad. Geine Bild: 
nijje find jchlagend Ähnlich, fie erfaffen die 
Perjönlichtert in ihrem Wefen, in ihren felt: 
baftenben Zügen, auf ihr inneres Gein ge: 
Dellt und in ihrem bezeichnenden Auftreten. 
Niemals fieht man bet ihm bloße Pole, eine 
auf irgenbmeldje Wirkung berechnete el 
tung, eine SBebeutjamfeit, bie bem Dargeftell- 


ten gar nicht eignet, Turgum Unnatur. Na- 
türlichkeit, Gelbjtverjtändlichkeit ift auch bier 
bas Streben Gterls, deffen ganzem Weſen 
Unaufrichtigfeit, Gejpreiztheit, vorgetaujdte 
Würde oder Eleganz völlig zuwider tft... Sind 
ihm jo Wejenswahrheit in Geſicht und Hal- 
tung bas erjte und wicdhtigjte Erfordernis 
eines guten Bildnijjes, jo eint fid) damit 
immer eine farbige rah yaad ee bte Diejem 
Wejen ent|prid)t. Er lenft unjere Aufmerk— 
jamfeit niht auf Unwejentliches, nicht a. B. 
auf bie täujchende Wiedergabe von Samt 
und Seide, Spiten, Perlen ober Gbeljteinen, 
aber er vernadlajfigt diefe äußerlichen Zus 
taten auch nicht bis zur Unfenntlidfeit aller 
Formen und ftoffliden Gigenidjajten, ſofern 
jie zur Kennzeichnung der Perjönlichkeit bei- 
tragen, er weiß fie vielmehr zum einbeit- 
lichen Gejamteindrud zujammenzufafjen und 
dem Hauptzwed, ber Erfaſſung der ganzen 
SBerjónlid)fett, bienjtbar zu machen. as 
Bildnis der Königin Carola von Gadjen, 
die er in |chlichter Bornehmbeit voll Milde 
und Güte Dargeftelt Bat, die Bildnijje 
bes alten Grafen Vitzthum, des Grafen 
Lynar auf Liibbenau, des Rommerzienrats 
Wiede in Zwidau, des Herrn L. Uble in 
Dresden find bezeichnende Beilpiele diejer 





Ofternadht in Mostau. Aquarell D 


136 PEEESFESTEITSTEN Prof. Dr. Paul Chumann: Bececcooococd 


geihmadvollen und echt künſtleriſchen Bild: 
nisfunft Sterls. Das weibliche Bildnis, das 
wir a. ©. 132 wiedergeben, zeigt dieje Kunſt 
auf nicht geringer Höhe: bie jtraffe Haltung, 
die willensitarte Hebung und Wendung des 
Kopfes, ber von Dunflem Haar jo wirtjam 
umrahmt wird, der lebendige Blid, der feft- 
geichlojjene Mund, alles diejes Wejentliche 
iit in gejdlojjener Wejensfennzeichnung 
wirfjam und Iebenspoll hervorgehoben; das 
anjchließende grünliche Gewand und die aol: 
dene Kette betonen wohl die vornehme Ele— 
ganz der Dame, drängen fih aber nicht im 
mindelten vor, und bie ganze Erjdeinung 
jteht in farbiger Harmonie auf bem rótlid)- 
blauen Sintergrunde. 

Wiederholt hat CterI auch die berühmten 
Rapellmeijter Schuh) und Nikiſch gemalt, 
jowohl als Cingelperjonen wie als Diri- 

enten inmitten ihrer Kapelle. Nicht aus 
Zufall, im Gegenteil, [hon aus feinen Ge- 
mälden erfennt man leicht bie innere Ber: 
wandtſchaft feiner Kunjt mit ber Mujit. 
Sterl ijt in ber Tat eine Port mujifalijdje 
Natur, und wenn er aud) jelbjt außer feiner 
SFarbentunjt fein Injtrument jpielt, jo lebt 
er bod) mit ganzer Geele in der Mufif. 
Nicht leicht wird er eins der vornehmen 
Sinfoniee und Rammermufjiffonzerte oder 
eine ber großen Opern verjäumen, die zu 
den Blanzpunften des hochentwidelten Dres: 
dener Muſiklebens gehören. Die neuere Le: 
nijde Austattung der Opern und Shau- 
piele an der Königlichen Hofbühne zu Dres: 
en fteht auf einer jolden Höhe, dak nicht 
bloß das Ohr, jondern aud) bas Auge in fünit: 
lerijchen Geniijfen jchwelgen tann. Hamlet 
und Jedermann, PBarjifal und Ariadne auf 
Naxos zeugen hierfür in mannigfaltiger 
Meile. Den malerijchen Eindrüden, die fo 
von der Dresdener Bühne ausgehen, ver: 
danten wir 3. B. Sterls in echt mujitaltidjer 
Stimmung aufgefaßtes Bild aus Ariadne 
auf Naxos. Es gibt die Schlußjzene wieder, 
wie Ariadne und Thejeus jid) finden, wäh: 
rend zur Kinten der Gaftgeber und jeine 
beiden pbhilijterhaften Gajte beim Zuhören 
allmáblid) einjichlafen. Dieſe Handlung 
mit ihrem Gegenjak der beiden Gruppen 
hat den Künjtler natürlich) weniger gepadt 
als bas malerijdje Bild, das verhältnis» 
mäßig rubigjte in biefer wunderbaren Opern: 
handlung, mit der großen, blauen, ruhigen 

lähe und ihren malerijd) belebenben Farb: 
eden. Den Vordeigrund beberrid)t bas im 
rótlidjen Lichte verjchwimmende Gewimmel 
der Inftrumente und ber Köpfe ber eifrig 
|pielenben Mujifer. Gang zur Linten Debt 
man Schuchs bewegte Bejtalt mit bezeichnen: 
der lebendiger Pirigiergebärde. 

Noch eine Reihe anderer wundervoller 
Gemalde entitammen Sterls mujifalijcden 
Meiqungen, 3. B.die Daritellung des Dresdener 
SBetriquartetts — jet in der Königlichen Ge: 
maldegalerie zu Dresden — und die beiden 
Rapellmeijterbilder: der Dresdener Schud) 
am Dirigentenpulte und der Leipziger Nikijch, 


gleichfalls als Dirigent dargeftellt. fiber diejen 
legten beiden — die Freunde diejer Hefte tens 
nen fie, gleich dem ‚Betriquartett‘, aus früheren 
Veröfrentlihungen — lregt der ganze ftim- 
mungsvolle Zauber, ber ein malerijd) emp: 
findendes Auge im verdunfelten Hauje padt, 
wenn die Klänge ber Mtujif durch den Raum 
Dahinraujden unb das Auge jid an Dem 
gleitenden Spiel der Lichter und Schatten 
erfreut, bas über Menſchen und Injtrumente 
Dabinhujdt. Bei dem Bilde des Leipziger 
Gewandhausfonzerts, dem ſtärkſten Ddiejer 
Art als malerijdje Leijtung, fommt hinzu, 
daß Nikiſch im vollen Licht aus ber Fülle 
ber im Dujter verjchwimmenden Köpfe wirt- 
jam herausgehoben ijt, und zwar in ftart 
verinnerlichter Grfajjung ber Perſönlichkeit 
bes Dirigenten, ber mit voller Anipannung 
feinen Tontörper beberrid)t und begeiitert. 

Zu biejen Bildern, die Sterl ber Muſik 
verdankt, gehört aud) bas Hofordejter in 
Peterhof, eine reizvolle Frucht einer feiner 
ruljiichen Reifen. Es zeigt fein Können in 
mannigfaltiger Hinficht. Wie geldjdt ift 
der Ausjchnitt eines Heinen Teils bes Tons 
förpers in den engen Rahmen gebradht — 
ber Ausjchnitt genügt volljtandig, um uns 
bas Gejamtbild zu vergegenwärtigen, unjere 
Phantafie ergänzt es willig. ie eifrig, 
ohne jeden Hıinblid auf einen etwaigen Be- 
[hauer find bie Blajer bet ihrem Spiel, bas 
die Augen aufs Notenblatt, die Lippen an 
das Injtrument bannt, wie lällig bequem 
und dabei wie jelbjtverftandlid) 3wedmüpig 
iit die Haltung des Flotijten, wie echt und 
überzeugend fteht der Rapellmeijter da, obs 
wohl wir von ihm nur die Hälfte des Kör- 
pers und nicht einmal den Kopf jehen, und 
wie mirfjam find die roten Majjen ber Uni— 
formröde Durch bas matte Blau der Ntoten= 
pulte und die ſchwarzen Mützen ins Gleiche 
gewicht gebradjt — ein Meiſterwerk ber 
Runjt, gegenjätlid;e Farben im Zuſammen— 
flange zu bändigen. 

Überhaupt find bie ruſſiſchen Reifen für 
Sterl überaus fruchtbar gewejen. Fünfmal 
war er in Rußland. Ostar Bie hat in 
einem reizvollen Aufſatz, Wolga betitelt, eine 
Diejer ganz eigenartigen Retjen mit ihren 
wunderbaren malerijden und muſikaliſchen 
Ginbrüden und Erlebnijjen lebendig ges 
Hilbert. Wir entnehmen ibm einige auf: 
Härende Gage. „Die Gelegenheit war fol: 
gende: Gergei Kufjewigti, ein Derporragen: 
der Dirigent eines Moskauer Orcheiters, 
unternimmt alle zwei Jahre mit feinen Leu- 
ten eine Tour auf der Wolga, um in den 
größten Städten an ihrem Ufer, vom mole: 
rijden Jaroslaw bis zum halbaliatijchen 
Aſtrachan Konzerte zu geben, und er hatte 
die Liebenswiirdigfeit, mid) zur Begleitung 
einzuladen. Sch war auf ber Wolga nicht 
wie der gewöhnliche Reijende zu einer kurzen 
Belichtiaung der Städte nach den Zeitmaßen 
des Schiffsfursbuches, Jondern id) war aus: 
giebig auf biejem mächtigen Waſſer in einer 
erlejenen Gejelljchaft, in ber eigentümlichen 





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Robert Sterl ee 137 


Verbindung mit einem 
berufliden Orcheſter, 





— 


mit einem Ordpejter — 
mitten in weltenfernen, d c 


mujitfremden Gegen- 
ben, und unjer privater 
Dampfer fannte nur 
das Rursbud feiner 
Konzerte, bisweilen 
einen , bisweilen zwei 
Abende oder nod 
einen dritten auf dem 
Riidwege, und durfte 
jonjt fret dem Willen 
feiner Gálte leben, Hä- 
fen anlaufen, Nacht: 
ruhe halten, Giefta auf» 
Juden, Mertwürdig: 
teiten bejehen, wie wir 
wollten, ein jdwim- 
mendes Hotel von eu- 
ropáijdem Komfort i — 

mitten in wilder Eth- — 8 Lafttragende Perjer. Aquarell t3 
nologie, vier bis fünf 
Woden lang... An einem hellen Morgen aller diejer polyphonen —— Be⸗ 
ſtieg mir das Bild auf: der Fluß! Der große, ziehungen... Debt foll er feine Sinfonie be: 
ewige Fluß, ber alle Muſik diefer unbe: ginnen. Es ijt Frühjahr, und unfer Schiff 
reijten Erde in jid) ſchließt, Anfang und Ende das erjte, bas ihn begrüßt hat. Das Wajjer 





& Auf der Wolga. Gemälde à & 
Belhagen & Alafings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2 Bo. 10 


188 pee 9j Prof. Dr. Paul Shumann: BBSSSSsesssssad 


türmt fid) vor Begierde bes Schmelzens, es 
weitet fid) ins Unendlidye. Es bebedt Stadt: 
teile unb Landjdaften. Der Plagg der Meſſe 
von Niſchni-Nowgorod liegt jet noch unter 
der Molga, ein Stüd des Tatarendorfes 
von Kafan ift von der Stadt abgetrennt, 
und an Rajan jelbjt fommt der Dampfer 
drei Kilometer näher als im Sommer. Die 
Commerwolga wird Injeln, Wälder, Wielen, 
Dörfer freifajjen, bie Die Oe 
bedt, bie Landeplage wandeln fih, bie Erde 
wird grau und ftarf und erobert fid) Ge- 
biete vom Waſſer. Wir find auf der Fahrt 
Zeugen pieles Ergrünens und Erjftarfens. 
as Schiff, bas fid) durh Eis gebohrt Hatte, 
endete in ber tropijchen Sonne von Ajtrachan, 
um ben Sommer zurüdzuerleben. Waller, 
SBajjer, unendlides Waller im Triumphe 
feines Frühlings gleitet vor dem Auge, bald 
ein|tromig, bald beltaartig verzweigt, ein 
Fluß von weiblichjter Energie, ber nur 
zweimal, bei Rajan und bet Zaritlin, plöß: 
— Richtungsantrieb bekommt, ſonſt U 
gehen läßt, fic) anlehnt, fid) verteilt, fi 
niiglid) macht unb dod) mit bem einzigen, 


wie heimlichen Willen, alles was ihm be- 
egnet, fid) zu unterwerfen, in Waffer zu 
RER eg 
„Drei Maler waren bei uns... ein Un- 
ar... ein Jungruffe ... und Robert Sterl. 
terl pflegte feine Spezialität: bie Hafen- 
arbeiter und machte zu ihrer Verherrlichung 
Ihon das Drittemal diefe Reife mit. Ein 
Meiſter feines Faches, den id) liebgewann 
um bes ernjten und unermiidliden Eifers 
willen, mit. dem er feine Augen und feine 
and in ben Dienft ber Kunſt ftellte... 
terl jaß in aller Herrgottsfrühe für fid 
allein auf Sed und jfizzierte die Träger 
und bas Bolt, Filchereien und Prozelfionen, 
um es dann in feincr als Atelier eingerich- 
teten Kabine zu Ende zu führen. Schließ— 
lid) hing es am Bromenadended zum Trod: 
nen. it thm ftand id) gern und ſprach 
über bie Eindrüde, Wie bie rüdlichtslojen 
Farben auf ben Pferdebügeln ftrahlten, auf 
den Kinderwagen, auf den Dächern, auf den 
Ruppeln, golden, jilbergrün, blau, frei gegen 
den Himmel. Wie die Linien fih aus Der 
europäilchen Bertifale ins Horizontale wan: 





Rajtträger. Gemälde 5i 


— 
— — 


T iR VY e 


Wrap S4 


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á -Jė 


Robert Sterl B 





a Kameraden. Gemälde g 


delten, alles breit, niedrig, ajtatijcb, ein "d 
wageredjt gewebter Majhen, in das fi 

abgejebt bie Farben eintrugen, bisweilen 
[darf und bejtimmt, bisweilen von leichtem 
Dunft Barmoni|tert, um jede Tageszeit an- 
ders und jeden Tag neu, diefe legte Wusein- 
anderjegung des ausgejproden Erdhaften 
mit dem ausgejproden Wallerhaften. Die 
anhaltende Gewöhnung ließ uns Reize in 
den Dingen entdeden, die dem üblichen 
Reijenden verlorengehen. Gie lehrte uns 
bas Perjönliche, in langen 9tuBerungen Gba: 
rafter gewordene biejer Natur und noch mehr 
Diejer Wtenjden. Zuerſt erjcheinen fie dem 


Blid als majfive bunte Materie, als Ethno: 
logie, als Rußland, als Armut und Körper: 
ſchwere. Dann jchwindet diefe Neugierde; 
wir jehen nicht mehr den Elenden, ben Ruj- 
E Den Typ des Trachtenmujeums, wir 
aljen diejes Hafengetriebe und Prozeljions: 
gejhiebe in Der waljergejchwängerten, in 
der ftaubfarbenen Luft von einem eigenen 
Stil aus, ber alle malerijchen Möglichkeiten 
einer Überjegung in den Geijt uns an bie 
Hand gibt. Jest wird das Tragen zu einer 
monumentalen Gejte, bas Schiifsleben zu 
einem Differengierenden Milieu, bie Tracht 
zu einem Bliken ungebrodjener Farben, bie 


10* 


140 paxextsexim  -6x93-93Á393-] Prof. Dr. Paul Shuman: BeSsessss3ssssed 


Luft zu einer Inftrumentation in wefentlide 
Klänge, Rirdenfuppeln, langgeftredte Häus 
jermajjen, Wolganatur und Gegelatem, Pries 
ſtergewänder, Sarafane, Raftane, Chalats, 
Bohlen und Fäſſer und Säde, alles eint fih 
u einer Muſik, in ber ber einzelne Gegen: 
Sand ins un rüdt, bie Akzente und 
Tatte den Willen bes malenben Regiffeurs 
daritellen und bie a pae ed zur SUtelobie 
der Arbeit, biejer großen Arbeit ber Hände, 
übe, Rüden, zur Kontur ber treibenden 

nergie fid) erhebt. Go fand id) es in 
Sterls Bildern. Wundervoll abgeftuft nad) 
der Gtruftur jeder einzelnen Aufgabe Cs 
ihien mir, daß er die malerijdje An: 
Ihauung der Wolgaphänomene prägiler 
traf als maner Ruffe. Mielleicht mußte 
dazu ein Fremder fommen; denn die Ruffen 
leben malerijd aus ihrem Lande weit 
heraus.“ 

Die aht Bilder, die wir aus der Fülle 
von Gterls ruffiiher Beute wiedergeben, 
beitätigen nur, was Bie hier [o anregend 
von ben malerijden Erlebnijjen bes Muſikers 
und des Malers erzählt. Da ijt der Hafen 
von 9I[tradjan mit bem himmelanragenden 
Wald von Türmen und Maſten und ber 
wimmelnden Fülle von Fiſchkähnen. Da liegt 
ein Stüdchen Rajan vor uns mit ben niedri= 
gen Häujern, die fid) längs bes Ufers breit 
binerltreden, auf bem Flufje bie dichtgefüllten 
Arbeiterboote wie in Hamburg, nur alles hier 
in bunte Kleider gehüllt, während in Ham: 
burg alles grau ausfieht. Da ijt wieder die 
Wolga in ihrer endlojen, unüberjehbaren 
Weite, im Bordergrunde ein Fährboot mit 
Arbeitern ,bebángt mit Feten von bunten 
Kleidern”. Da find im Gegenjaß hierzu 
die ganzin grau gefleideten, —— enen, 
Ichlanten Berjer die vom Dampfer die 
Ihweren $yájjer ans Ufer tragen, in weiter 
gerne am jenjeitigen Ufer bie Umriſſe von 
Aftrachan. Dann ein einzelner Lajtträger 
in rot und blau, tiefgebeugt von einem ge- 
waltigen Ballen, in jdjwerfálligem Rhythmus 
langjam vorwärtsjchreitend, der mächtige 
Umriß hebt fid) wirfjam vom blauen Him: 
mel ab. Noch großartiger fommt uns diefer 
Rhythmus der Ieren körperlichen Arbeit 
bet den vorwärts tiefgebeugten, felt fidh eins 
ftemmenden Schiffsziehern an ber Wolga 
zum Bewußtjein, wo ber Maler unjern Augen 
nichts gönnt als das ziehende Mailer, bas 
pon Gras bes llfers und bie |djleppenbe 

unte Reihe ber angejpannten menjchlichen 
du Arbeit und Rhythmus. 

a ijt weiter Das wunderbare Bild der 
Ojternadht in PMtosfau: wie plöglih um 
Mitternadht bas Dunfel [trablenber Helle 
weicht, überall Rafeten unb £eudjttugeln em: 
porichießen und bie Lichter rings um Die 
Galerien der Türme entflammen, der piel: 
türmige Kreml wie ein Märchen aus Tau- 
jendundeiner Nacht Hinter der Dunklen 
Mauer aufleuchtet und fih vom tiefblauen 
Himmel abhebt, das ganze lebendige Feuer: 
ſpiel gejpiegelt von den Wellen bes leiſe 


Dahinfließenden Stroms. Da ijt endlich bas 
wie im Fluge aufgefangene und in wenigen 
Ctriden bingelebte Bild der Wajjerwerhe, 
eine Szene, bie Ostar Bie mit bem vollen 
Erftaunen des Wefteuropäers alfo jchildert: 
„Seht ift eine plögliche Aufregung am Waſſer. 
(Gelbe Priejter tommen mit Sfono|taten und 
£abernateln, treten in einen jchnell gezim— 
merten Pavillon und |predjen ihre Gebete 
über den Fluß. Gite weihen das Waller 
und faum ijt es gejchehen, ftiirgen Wolf, 
Träger, Klojterbettler, was nur glaubig ijt, 
an das Ufer, wajchen fih Kopf, Bruft, Arme, 
Ihöpfen ein Rannden Waller, trinfen es, 
tragen es nad Hauje. Unjereiner hebt 
ftarr daneben. Wir jehen ben unbejchreib- 
lider Schmuß und Abfall unferer Kultur 
im Fluß ſchwimmen und in die Kehlen diejer 
Menjchen ohne Etel und Furdt gleiten. 
Das Waſſer ift geweiht. Es tann nichts 
Ihaden. Die Prieſter ziehen befriedigt 
durch bie Stadt zurüd. Und wir grüßen 
lie alle.“ 

Da hat man drei merfwiirdige Gegenjábe 
dicht beijammen: den bedenkenlos wunder: 
BEEN 9taturmenjdjen, den bafterienglau- 

igen Rulturmenjden unb den wirklichteits- 
gläubigen Riinjtler, ber fid) bes bunten tem: 
peramentvollen Bildes freut und einen Augen= 
Ihmaus für feine Mitmenſchen daraus maht, 
dabei bie ruſſiſche Bolfsjeele in einem Aus: 
blid erichließend. — — 

Œs wäre undenkbar, daß einen Riinjtler 
wie Sterl nidyt au ber Weltkrieg als Mien: 
iden und Maler bis ins Snnerjte gepadt 
eda Er war einer ber erjten, ber mit 
tlaubnis ber Sjeeresleitung an bie Weft- 


en feine Eindrüde in padenden Bildern 
eithielt. Wenn man den Krieg von 1870 71 
erlebt hat und fid) vergegenwärtigt, Gi welche 
Weije damals bie Runjt von ibm befruchtet 
wurde, was für Bilder bie Maler von da: 
mals nad) dem Kriege jchufen, jo wird man 
fih bei einem Vergleich mit ben Schöpfungen 
Der Künftler im gegenwärtigen Kriege Des 
ganzen Ernites und der Größe der Zeit be- 
wußt, bie wir jebt Durdleben. Allerdings 
[teben wir jet noch mitten drin im Rampfe, 
und wohl werden erft nad) dem Kriege die 
jtarfiten Wirkungen des furdtbar großen 
Gejchehens aud) in ber nl fih äußern, 
wenn wir erft den nötigen Abſtand von den 
jeb* lid) Drängenden le, baben wer: 
den — aber ernit und groß wird jicherlich 
auch dieje SUR Runjt unter dem Gin: 
flujje des Weltfrieges fein. Diejer Crnjt be: 
ek ganz und gar Robert Sterls Kriegs: 
ilder, zunächſt nureinzelneBorgänge aus Dem 
Erleben an der Front. Kameraden nemt er 
bas eine Bild: ein Blid in ben Schüßen: 
graben, ein feldgrauer Soldat trägt den 
Ihwerverwundeten Kameraden, dejjen gan: 
zer Kopf in weiße Tücher pepati ift, tm 
Graben entlang. Schwer laftet der Kür- 
per des Hilflojen auf dem Riden bes Rame: 
raden, Der tiefgebeugt vorwärtsichreitet, mit 


S ging und dort in monatelangem Schaf: 





12339 1299035 joij, uoa aqui “IIL uu siugpifog; 





""99909090090009090000009000000000000000000000000000900000000000000000000000000€00000000000000000000000009000000000000000€0 
-e0e9090940009000009*7000000900900000000000000000000000 *9999909009000000000009000000000000000000000000000000900000000000002»»* 





der Rechten bes Verwundcten Arm fefthal- 
tend, mit der Linten fih an ber Brabenwand 
bintajtend. Drei Kameraden fhauen ihnen 
nad, ein vierter liegt auf ber Ausjchau 
nad) dem Feinde, ber der ergreifenden 
ag iB bes in aller Schlichtheit geichilder: 
ten Borgangs iiberjieht man faft die Mei- 
fterichaft bes malerijden Wertes. 

Diejes künftlerifche Feingefiihl, bas feiner: 
lei Halden nad) Wirkung in die ergreifende 
poma tragt, bebersi t aud) bte Grab: 
egung: behutjam unb [till legen drei Feld» 
graue den gefallenen Kameraden in feiner 
weißen Umbiillung in bas rajch aufgeldjau: 

te Grab; mit einem ftilen Gebet werden 
ie ibm dann das jchlichte Holzkreuz hinjtel- 

, das |djon bereit liegt... Ernit und 
düfter liegt bie trübe Herbititimmung über 
dem Lande, aus dem fon jo viele Kreuze 
emporragen. Rriegerlos — [till und ergrif: 

jtehen wir vor dem Bilde, das jo ein: 
ringlid) den Grn[t des Krieges in fic trägt. 
Weld echte Künftlerichaft jpricht daraus, 
daß ber Riinjtler jid) jelbjt jo gänzlich aus- 
aeichaltet hat und fo hinter fein Werk zurüd: 
tritt, Das uns im Jnnerjten ergreift. Sur 
aus Diejer Unaufdringlichkeit Ipricht ber 
innere Anteil des Riinjtlers felbft an den 
ernjten Vorgängen, bie er uns jo meilter: 
al erg babet |o jehlicht mit feinen Mitteln 
richtet. 

Faft heiter wirft daneben das Bild ber 
Straße in Craonne mit dem abjchließenden 
Hügel, bem die Jádjfilden Soldaten ben aus 
der Heimat geläufigen Namen des Winter: 
bergs verliehen haben. Der Frühling |prießt 
aus der hen eclafenbett rde; aber aus 
ber gänzlichen Berlajjenbeit des Ortes, wo 


141 


nichts von frohem, arbeitsfreudigem Leben 
zeugt, ſpricht aud) bier der Ernit des Krieges. 
terl hat neuerdings aud) den öjterreichijch® 
italienijchen — auplatz in.den Alpen 
bejucht und reiche Dialerbeute heimgebradt. 
Davon ift aber nod nidjts an die — 
ekommen, und ſo iſt es nicht an der Zeit, 
Ee davon zu lpredjen, wie biejer neue 
Cdjauplat, die Welt der Alpen mit ihren 
friegerijchen Snjajjen und Erlebnijjen, auf 
ihn gewirkt hat. Starke Ginbrüde hat er 
aud) dort empfangen, und zahlreiche neue 
Werte find entitanden ober im Entitehen, 
Zeugen des unermüdlichen Schaffens, ber 
iier  unerjdjopilid) jcheinenden ` Friden 
Kraft Sterls, ber immer neue Eindrüde in 
(id aufnimmt und mit noch jugendlicher 
Lebendigfeit verarbeitet. ! 
Robert Ster! Debt heute auf ber Höhe 
feines Lebens, feiner Kraft, feines Schaffens. 
Ein Mann der Gegenwart, der Wirklichkeit, 
des Lebens. Mühelos jchafft er aus mei: 
iterfidem Können heraus. Farbe, Licht, 
Leben find die Ziele feiner Arbeit; viel- 
jeitig ijt jein Stoffgebiet, nichts ijt thm fremd 
als Unnatur und Seblojigteit ; Bewegung, 
Kraft, Arbeit im Bilde feitzuhalten, reizt und 
treibt ihn vor allem zum Schaffen. Die Harte 
Erfaſſung der Einzelheiten liegt ibm fern, aber 
die Gejamtheit eines Eindruds mit ſprüh— 
ender Lebendigkeit wie im Fluge feithalten 
unb eben diejes Leben aud) im dDurchgeführ: 
ten Bilde bewahren, das fann er wie fein 
anderer. Reinerlei feititebenbe Gewohnheitse 
malerei leitet ihn bei jeinem Schaffen, immer 
ilt er frilch, neu, lebendig, fernhajt, gejund und 
mannlid. Daß er jo bleiben mage ift unfer 
Wunſch, dak er es wird, iſt unſere Überzeugung. 





COAT Deet OO XC H (IK XC H A E XC XC XX XX CO OUO NONI Bis 


; Ae 
VA Der Schufter von Reichenberg \ A 
Y Ballade von Margarete Miltfhinsty 


Aen 
WIS 
Der Sehufter faf am Fenfterlein 
Und 30g betrübt den Faden; 
Die Frühlingeluft ſchwamm duftend ein 
Wohl in ben engen Gaden. 
Das Säßlein ffromt’ es auf und ab, 
Mann, Weib und Kind, im Schritt und Trab, 
— ©porengeflirr, Pantoffelgeflapp —, 
Zur 2Bicfe vor den Toren, 
Zum Frühling neugeboren. 


Der Heine Gchuffer feufzend (prado: 
Was iff das für ein Leben! 

Gie laufen all dem Lenze nach, 

3d) muß am Pechdrabt Kleben. 

Und dod), wer paßt dem Reitersmann 
Die ffolzen Gtulpenftiefel an? 

Wer hat dem Madgdlein übern Spann 
Go fein dag Maß genommen, 

Daß ibm die Schühlein frommen? 


Und wenn id) fo bas Gchublein bau’, 
Go tu’ ihs in Gebanfen. 

All was id) finn’ und hör’ und (dau, 
Muß fih dazwifchen ranfen. 

Was mir am Gaus voriibergeht, 
Was mir der Wind ins Fenffer weht, 
Was mir ing Herz gefchrieben fteht, 
Mein Grübeln unverhohfen, 

Das Hopf’ ich in die Gohlen. 


Co wird's ein wenig Luff und Leid, 
Wie es die Stunden bringen, 

Gin wenig Grbenbaft und Streit, 
Gin wenig Glodentlingen, 

Gin Ubermut aud) bann unb wann, 
Daß es bem braven Bürgersmann 
Der rechte Schuh wohl (deinen fann 
Zu erdefiherm Schreiten 

Durch froh’ und trúbe Zeiten. 


Doh wenn in goldner Hoffnungspradıt 
Ain erften Maärzentagen 

Der feidenblaue Himmel fadt, 

Go heb’ id) voll Behagen 

Das feinffe Leder aug der Truh 

Und bau’ ein Parlein Rinderfchuh’, 

Go winzig.zierlih, gude du! 

í Zum allererffen dritte, 

3| E Zur erften Lebensbitte. 


WED wy 











aac omonoomomoemomomomomomomonomoxwoN 9e xa E 


Und zieht's mit Gang und Schall vorbei, 
Gleich fahrt mir's in die Hände, 

Daß id im Xadt nad) der Schalmei 

Den Mädchenfchuh beende, 

Mit Spang’ und Ring, fo blant und mt, 
Als cb das Ding, bas drinnen ging, 

Am fiebfien an zu tanzen fing — 

Gie wird fih fchon befleißen, 

Ihn fchnell im Tanz zerreißen. 


Dod einmal war, da grau verhängt 
. Go Erd’ alg Himmel lagen, 

Mir war fo eng die ruft bedrängt, 

{ind fernher ſcholl ein Klagen — 

Co ſchwankt' es ſchattenſchwarz heran, 

Ein Garg mit dunfelm Roßgefpann 

Und hinten weinend Weib und Mann, 

Die roten Fadeln glühten, 

Die Funken fnifternd fprübten. 


Has graue Nebeltuh verfchlang 

Den Zug famt dem Chorale, 

Ich aber faß zu Tode bang, 

Rührt' Pfrieme nicht noch Ahle. 

Das Weib fhalt um den Arbeitstag — 
Da fchafft id) weiter trüb und zag, 
Dod flang mir jeder Hammerfchlag, 
Wie wenn ins Grab bie Schollen 
Mit dumpfem Poltern rollen. 


Als fertig lag das Unglüdspaar, 

Berbarg ich’s im Geffelle, 

Doc ba id) fern vom Haufe war, 
Berfauft’ es der Gefelle 

Und fagte, als id) wiederfam 

{ind fragt’ und fhalt in Zorn und Gram: 
G8 war ein Fremder, der fie nahm, 
Sing eilig burd) die Gaffen, 

Hat wohl die Stadt verlaffen. — 


Am Fenfter fi’ id Tag um Tag 
{ind fpdh’ nad) allen Eden, 

Wer meine Schuh’ wohl tragen mag, 
Und Tonne bod) nicht entbeden. 

Go leb ich ohne Freud’ unb Hub, 
Als trig’ ich ſelbſt die Unheilsſchuh', 
Und benfen muß id immerzu: 

Wo mag ber Wandrer gehen? 

Was iff mit ibm gefthehen? .. . 













Wir übernehmen bie faijerlid)e Wiir- 
P de in dem Bewußtjein der Pflicht, 

in deutjcher Treue bie Rehte des 
Steichs unb feiner Glieder zu ſchüt— 
zen, den Frieden zu wahren, die 
Unabhangigteit Deutjchlands, gejtüßt auf die 
ge Kraft feines Bolfes, zu verteidigen. 

ir nehmen fie an in der Hoffnung, daß 
bem deutjchen Bolfe vergönnt fein wird, den 
Kohn feiner heißen unb opfermutigen Kämpfe 
in Dauerndem Frieden und innerhalb der 
Grenzen Au genießen, welche bem Baterlande 
bie feit Jahrhunderten — Sicherheit 
gegen erneuten Angriff Frankreichs gewäh— 
ren. Uns aber und Unſern Nachfolgern an 
der Kaiſerkrone wolle Gott verleihen, allzeit 
Mehrer des Deutſchen Reichs zu ſein, nicht 
an kriegeriſchen Eroberungen, ſondern an 
den Gütern und Gaben des Friedens auf 
dem Gebiet nationaler Wohlfahrt, Freiheit 
und Belittung.“ 

Co lauteten die E dentwürdigen Worte, 
mit denen am Abjchluß dreier fiegreider 
Kriege König Wilhelm der Hobhengoller 
Beat den Mund feines erjten SUtinijters, bes 
Graten von Bismard, am 18. Januar 1871 
in dem franzöliichen Königsichlojje zu Ber: 
failles ber deutjchen Nation bie neuen Bahnen 
ihres Lebens wies. Es war ber Taufjprud 
des neuen Reiches, die Urkunde gleich: 
jam, die in ben Grundftein unjeres natio: 
nalen Staates gelegt worden ijt, bas Pro- 
gramm der beiut|djen Politif und das Kenn- 
wort, in dem unjer Bolf, fein Kaifer und 
feine Fürſten Dente wie damals fih eins 
willen. Wie jdwer aud) die inneren Kämpfe 

ewejen find, die bas neue Reich feitdem er: 
diittert haben — und wir wiljen, fie reichten 
bis auf den Grund der Nation — in bem Be- 
fenntnis zum Frieden find bie deutlichen 
Parteien diefe Dreiundvierzig Jahre hindurch 
einig gewejen, fo einig wie in der Stunde 
bes 4. 9[ugu|it 1914, als ihre Führer im 
Königsichloffe zu Berlin dem Entel Kaifer 
Wilhelms, des Neichsgründers, die Hand 
zum Treugelöbnis reichten, zum Zeichen, daß 
es in biclem Kriege feine Parteien mehr, 
nur Deutjche Bolfsgenojjen, Brüder auf 
Leben und Sterben geben würde. 

Nur ein Teil von dem, was unjere Väter 
erjehnt und wovon fie geträumt hatten, ijt 
im Jahre 1870 erreicht worden. Wir muß- 
ten, um unjer Reid) gründen zu fönnen, 
Millionen unjerer Brüder, ein volles Drit- 


Deutidlands 


Von Prof. Dr. Max Lenz e 


d Za A 
e ee, GK 


8 ) 





tel unſerer Volkskraft, draußen laſſen. Und 
wenn wir im Weſten und Norden die deut— 
ſchen Grenzmarken wiedergewonnen haben, 
ſo ſind den SEI? Volksgenoſſen — 
im Südoſten der Inn und im Südweſten 
der Rhein die Grenzen geblieben; mitten 
durch die Stämme der Bayern und der Ale— 
mannen, einſt beide die Eckpfeiler deutſcher 
Größe, gehen heute die Trennungslinien. 
Wir haben uns bennod) bejdjieben. Wir 
— es mit angeſehen, daß Hunderttau— 
ende, gezwungen oder verführt, in fremdem 
Volkstum untergingen — aljo daß wir in 
den Jahren unſeres jungen Reiches mehr 
des deutſchen Blutes verloren haben als in 
den Zeiten unſerer Zerriſſenheit und Ohn— 
macht. Trotzdem hat uns niemals der Ge— 
danke beherrſcht, die unerlöſten Brüder in 
unſere politiſche Gemeinſchaft hinüberzu— 
iehen, der für die Italiener und alle ſlawi— 
* Stämme den Grundgedanfen bes 
politiſchen Wollens bildet. Wir haben nichts 
weiter gefordert und erwartet, als unſere 
Macht im Schuß des Friedens entwickeln zu 
fönnen. 

Während wir aber jo unjerer Arbeit Iebs 
ten, einzig darauf bedbaht, bie Güter bes 
Friedens zu wahren und zu mehren, wans 
delte fid) rings um uns her die Welt, bran 
Rublands gewaltige Kraft über das Rat 
pilhe Meer in die turanijden Steppen bis 
an die Tore Indiens vor und über bie 
SUtanb[djurei hinweg bis an die Geltade des 
Gelben Meeres, raubte und rig England 
alles an fih, was es auf dem weiten Erden» 
rund an Beute für feine Begehrlichkeit fand, 
baute Franfreid feine afritanijchen Be: 
fiBungen zu einem mädtigen Kolonialreich 
aus, das, vor jeinen Toren beginnend, bis 
weit liber die Mitte des dunklen Kontinen: 
tes S erjtredte. Wir aber blieben, unjerer 
Einheit zum Trog, an unjere Baftionen ge: 
ejfelt. ir litten es jchweigend, daß Die 

taliener, denen unjere Heere, unjere Giege 
ert zu ihrem nationalen Staat verholfen 
hatten, fih jenen Rieſen zugejellten und, 
durch fie gebedt, ja unter dem Schuße ea 
Bündniljes mit uns jelbjt, ben Zorten, unjern 
Freunden, Tripolis raubten und mitten in 
der griechijchen Injelwelt jid) feitjegten; daß 
Belgien, bas Geſchöpf der großen Mächte, 
das nur ihrer Eiferjucht aufeinander das 
Leben verdanfte, ein Zwittergebilde ohne die 
Kraft und felbft ohne das Recht, auf eigene 


EEA Prof. Dr. Max Lenz: Deutjchlands Friedenspolitif vor bem Welttriege B 145 


gant Politik zu treiben, fid) bennod) am 
ongo ein-Rolonialgebiet |djuf, größer, eins 
bett Déier und zufunftsreicher als alle unjere 
&olonten zujammengenommen. Es jchien fait 
(denn jdjon wurden, unter Japans und 
Ameritas Teilnahme, China und die Süd: 
jee in bie allgemeine Bewegung hineinge- 
riffen), als hätten wir unjere Einheit, uhr 
neues Reih nur dazu gejchaffen, um nod 
einmal eine Aufteilung ber Erde unter un: 
fere Rivalen zu erleben. Gewiß, wir tamen 
noch rechtzeitig, um uns ein paar Gtücde 
von der nod) freien Erde zu jichern. Aber 
was wollten, verglichen mit dem Raube und 
ber Raubgier der andern, die wenigen Ro: 
lonien bedeuten, welche ber Wagemut unje- 
rer Kaufleute ober bie Abenteuerluft junger 
Patrioten uns da oder dort verichafften: 
ohne Zujammenhang miteinander und ohne 
Berbindung mit der Heimat, im Machtbe- 
reich der fremden Mächte gelegen, auf Gnade 
und Ungnade ihnen GET E jobald fie 
unjere $$einbe wurden! Auch unjere Solo: 
nien waren auf Frieden gegründet: er bot 
uns die einzige Möglichkeit, fie zu behalten. 
In den neunziger Jahren, nad) dem Rück— 
tritt Bismards, fam bei uns wohl die Mei— 
nung auf, daß wir jeitbem in einen neuen, 
umfaljenderen Abjchnitt unferer Politik bin: 
eingelteuert wären, dak wir bas beengte 
fejtländifche Dafein mit dem offenen Fahr: 
majjer ber Weltpolitif vertaufcht hätten, 
wie das Schlagwort lautete, das, ich weiß 
niht von wem erfunden, plößgli da war 
und bald bie öffentliche Meinung wie die 
fireije unjerer Regterenden beherrichte: wir 
wähnten, mit jenen Weltmächten bereits in 
den gleichen Bahnen zu ziehen. Cine Bor: 
ftellung, Die uns heute, nad) allem, was wir 
bis zur Schwelle des Krieges hin erlebt 
haben, feltjam genug anmuten muß. Das 
limgefebrte ließe fid) wohl mit größerem 
Rechte behaupten. Gerade, Dak wir mit jenen 
anderen nicht Schritt halten fonnten, daß 
uns bie Bewegungsfreiheit von Jahr 
zu Jahr mehr genommen, unjere Abjperrung 
von den Quellen ber Macht bejtánbig ver- 
mebrt, der Einfluß auf den Gang ber gro: 
Ben Politif ftetig verringert ward, ijt bas 
Charafterijtijde fiir bie beiden Jahrzehnte, 
Die Dem "Kriege — — ſind. So— 
lange Bismarck am Ruder des Staates 
ſtand, iſt die Stimme Deutſchlands im Rate 
der Völker wahrlid) nicht ungehört geblie— 
ben. Unter ſeinem Vorſitz trat nach dem 
Frieden von St. Stefano in Berlin der Kon— 
reß zuſammen, der bis auf weiteres die 
—— ſchlichtete, welche Rußlands Sieg 
über die Türken im Orient aufs neue auf— 
gewirbelt hatte. Er war es, der, als erſter 
unter den eüropäiſchen Staatsmännern, dem 
Khediven von Ägypten den Weg vertrat. 
Er vereite[te 1884 durd) bie Rongo-Ronfe- 
reng Englands Plan, die Mündung jenes 
gewaltigen Stromes in feine Gewalt zu 
bringen und damit für alle Zufunft die be: 
berr|djeube Stellung im Innern des ſchwar— 


zen Kontinents an fih zu reißen. Ihm ver: 
danken wir den weitaus größten Teil unje: 
rer Kolonien, ebenjo in ber Süpdjee, wie an 
der Welt: und Ofttüfte 9[jrifas. Und das 
alles lediglich auf bem Wege von Verhand: 
lungen und Rorrejpondenzen, durch eine gee 
\hidte Führung des diplomatijden Spiels, 
ohne aud) nur ein Regiment mobil pu machen, 
ein Schiff hinauszuichiden: feine [tolgen und 
drohenden Gejten find dazu nötig gewejen, 
jondern nur etwa eine Erklärung des Kang: 
lers im Neichstage oder bie Sendung feines 
Sohnes Herbert nad) London; zuweilen ge: 
nügte bereits ein Zeitungsartitel ober, wie 
in Yignpten, bie Sendung eines TFeldjägers, 
um ben deutjchen RR Beadhtung 
und Erfüllung zu fidern. Denn hinter allem 
jahen die Rivalen die Macht und einen uner: 
Ichütterlichen Willen: bie Hand zu Verhand— 
lungen zu bieten, um ins Leere zu greifen, 
ijt niemals Bismards Art gewejen. 

Erft nad) feinem Abgang ijt alles anders 
geworden. Zunächſt begannen wir felbjt 
an unfern Kolonien faft das Intereſſe zu 
-verlieren; und als wir es wiedergewannen 
und der Wert ber neuen Belikungen von 
Jahr zu Jahr mehr hervortrat, wuchjen die 
Schwierigkeiten, fte zu behaupten und aus: 
anche oder neue zu erwerben. Auker 

tautichou und ein paar Jnjelgruppen in 
ber Südſee haben wir jeitbem nur nod 
Brenzregulierungen oder fleine Erweiterun: 
gen unjerer afrifanijden Beligungen im Aus: 
taujd) unjerer oder ber Anrechte anderer ge: 
wonnen. Jn Den großen Fragen, den= 
jenigen, in denen die Weltbewegung fih 
vollzog, wurden wir mehr und mer aus: 
geichaltet, oder wir hielten uns von Anfang 
an zurüd, |o in Kreta und Perfien, in Ägyp: 
ten und in Tripolis, auf dem Baltan und 
bei den dornigen Verhandlungen über Ma: 
rotfo, bis wir am Ende, hart am Rande des 
Krieges vorüber, für eine Häglich Heine Ents 
ſchädigung in bem Sumpfgelände des Kongo 
zum völligen Verzicht auf allen legitimen 
Einfluß über eines der reichjten Lander ber 
Erde gebrad)t wurden. 

An Gelegenheiten, einzugreifen, Anteil an 
den Erwerbungen der andern zu nehmen, 
bat es uns nicht gefehlt, uns jo wenig wie 
SMalien und Franfreid. Denn jener Wett: 
[auf der Mächte um die Unterjochung der 
Melt vollzog fid) unter brennender Ciferjudt 
und auf Grund von Gegenjáten, bie in bie 
Tiefe der Jahrhunderte zurüdreichten. Mehr 
als einmal find fie nahe daran gewelen, die 
Waffen gegeneinander zu ergreifen; wir 
brauchten nur unjer Schwert mit in die 
JRagidjale zu werfen, fo war es ficher, daß 
fie dorthin jant, wohin wir uns jtellten — 
und ein guter Anteil an der Beute hätte 
uns nicht entgehen finnen. Wir aber wiejen 
alles von uns — um am Ende, als ohn 
für unjere Friedfertigfeit und Ganftmut, 
die Feindjchaft der ganzen Welt und die 
Lajt eines Krieges auf uns zu laden, wie 
ihn bie Erde nod) niemals Jah. 








Wie ijt es Dahin gefommen? 
Es mag parodox flingen und ijt bod) volle 
Wahrheit: aus ber Hodfpannung aal 


den Mächten jelbjt, — ſich über die Welt 
hin ausbreiteten, iſt der Weltkrieg entſtanden. 
Weil wir Frieden hielten, haben ſie uns mit 
Krieg überzogen. Weil wir nicht mittun 
wollten, haben fie ſich vertragen und ſich dazu 
verbunden, uns mit vereinten Kräften nie— 
derzuſchlagen. 
war war für die Franzoſen das Haupt: 

motiv, bas [ie in Den Krieg trieb, Der nie 
ganz gelt lte und immer neu auflebende Hak 
der gegen, Wher Jahre hindurd iit Doch 
aud) er zurücdgetreten; wiederholt fam es 
zwiſchen uns und ihnen zu einer Entjpan= 
nung, und jederzeit waren wir bemüht, auf 
der Grundlage des Frankfurter Friedens unjer 
Verhältnis zu ihnen zu erleichtern. Zo 
Hilfe fam uns dabei der alte Gegenjat 
Frankreichs zu England, jowie ber neu auf: 
tauchende zu Italien, bas die faum gewon— 
nene Großmadtitelung im Mittelmeer jo: 
fort zu dem natürlichen Rivalen der alten 
Freunde machte. Wud) hätten bie Frangojep 
von fid) allein aus niemals vermodt, eine 
Verſchiebung der Machtverhaltnijje zu er: 
wirfen; nicht einmal ihr ruſſiſches Bündnis 
wäre imjtanbe gewejen, bas beutjd)e Syſtem, 
das, auf Sſterreich und Italien gejtütt, Mittel: 
europa von der Nordjee bis zur Donau und 
Sizilien zulammenfaßte, zu erjchüttern, Erft 
Englands Eintritt in die Reihe unjerer Geg- 
ner bat das Verhängnis unabwendbar ge: 
macht; erit als die beiden Riefen unter un: 
jern Feinden jid) die Hand reichten, ijt die 
Welt in Flammen gejegt worden. 

Bemerfen wir aber, daß diefe beiden zu: 
nüdjt als Freunde an uns herangetreten 
iind, daß fie thre Geichäfte mit uns machen 
wollten: Rußland jhon im Jahre 1876, als 
- es uns anbot, mit ihm gegen Öjterreich zu 
gehen, in dem Wugenblid, da es fid) zum 
Kampf gegen die Türfei erhob; England 
zwanzig Jahre jpäter, um die Zeit, als es 
joeben den franzöfiichen Nachbar im Sudan 
auf bas tiejjte bemuitigte, während fein 
Gegenjak gegen Rußland nod völlig un: 
geichlichtet, es jelbft aber bird) ben Bure: 
trieg gefejlelt war; drei Jahre und länger 
haben die englijden Diplomaten um uns 
geworben, bevor fie fid) entjchloffen, das 
Steuer herumzuwerfen. 

och immer hört man, daß es ber Han: 
delsneid gewelen jet, der England zum Kriege 
gegen uns gereizt habe; den wirtichaftlichen 
Konkurrenten Habe es unidjáolid) machen 
wollen. Als ob es nicht Mittel genug an 
Der Hand gehabt hätte, um uns wirtjchaft: 
lid) ins Hintertreffen zu bringen, ohne jo: 
gleich, wie die englilchen Zeitungen und fo- 
aar engliihe Staatsmänner damals und 
\päter wohl drobten, unjere wenigen Kriegs: 
ichiffe zu perjenfen! Es bätte uns ja nur 
von pen Märkten abzujperren brauchen, tiber 
Die es auf beiden Hemilphären verfügte; 
wie denn im der Tat der damals leitende 


| Prof. Dr. Max Lenz: ët 


englijde Minilter fic) mit joldden Plänen 
getragen und fie ins Werf zu jeben verjucht 
déi eben in den Jahren, wo er uns auf jene 

ege zu verführen fih anjdjidte. Wud) folg- 
ten dem Zeitabjdnitt, in bem Englands Wirt: 
Ichaft vor dem fteigenden Andrang der deut: 
Iden Wirtſchaftskraft ernjtlid) bejorgt zu 
werden angefangen hatte, bald Jahre, in 
denen fie felbit zu glänzender Entwidlung 
gelangte und ji auf Die alten Grund: 
age des Frethandels, unter der Die gro- 
britannijdje Wirtfchaft fid) bie Erde unter: 
worfen hatte, wieder aufs neue bejann — 
gerade in den Jahren, wo die Einfreilung 
des Deutſchen Reihes fih vollzog. Nie: 
mals bat wirtichaftliche Konkurrenz an DO 
unb für [id vermodt, die Mächte und 
Machtgruppen gegeneinander in Krieg zu 
bringen; es ijt nicht wahr, daß fie bie grund“ 
legende Kraft in ber gejichichtlichen Entwick: 
lung bildet: viel tiefer und verzweigter 
ind die Antriebe, welche bie politiiche Welt 
in Bewegung jegen; mit dem Werden und 
Wachlen, ben Dajeinsbedingungen, dem Ge- 
nius Der Staaten jelbit find fie verwachſen. 
Weit jtärfere Gründe müljen es aljo ge- 
melen fein, denen England folgte, als es fid 
entjchloß, jeine Politif in Bahnen zu leiten, 
die mit jeinen feit einem Jahrhundert 
feitgeBaltenen Ilberlieferungen im frajjejter 
Widerfprud jtanben. Ein Deutichland, das, 
wie bas alte Preußen, nur auf dem Konti- 
nente mächtig bleiben wollte und England 
in feinen weltumjpannenden Zielen nicht oe: 
Wort hätte, würde dieſes am Ende ruhig 
zwilchen jid) und feinen Feinden haben laſſen 
fonnen. Etn Bolt, bas es nicht zu fürchten 
hatte, brauchte es nicht mit ber Vernichtung 
zu bedrohen. Es entjprad) vielmehr Der 
engliichen Politik, jolche Mächte mit väter: 
Iden Armen zu umjchliegen, fie in Dos 
eigene Rielwajfjer aufzunehmen, unter den 
Schuß englijder Schiffsgeſchütze jelbit zu 
zu ellen — jreilid mit dem Vorbehalt, 
ein Ausweichen aus der Fabhrlinie ihnen 
nicht zu gejtatten und, wo es gelchah, fie jet 
es zu vernichten oder gewaltjam hinter fidh 
herzuziehen: der Weltkrieg hat dafür neue 
Beiſpiele in Fülle gebradt. 

Eben dies waren nun aber die Jahre, in 
denen jene beiden Biganten unter den Mäch: 
ten ber Welt [tárfer und unaufhaltjamer als 
je um fih griffen. Rußland, das joeben feine 
ſibiriſche Bahn vollendet hatte, griff jest 
durch ganz Miien Hin: während es Iden 
an der Djtkülte Stellung fapte, drängte es 
gleichzeitig gegen Die indilchen Bergländer 
vor; Schon 1895 ftanden rujjijde und eng: 
liiche Truppen jid) auf dem Hochlande des 
Pamir, von bem der Abjtieg in bas Strom: 
land des Indus leicht war, gegenüber. Faſt 
gewaltiger noch waren die Pläne, mit denen 
England fid) trug: von Indien her drängte 
es nad Beludichiitan vor, von Ägypten aus 
unterwarf es Den Sudan; bie Niederwerfung 
der Buren machte es zum Herrn von Süd— 
ajrifa; von Kairo bis zum Rap und von 








[sex-3::9393-93-] Deutjchlands Friedenspolitif vor bem Weltfriege >37] 147 


ebendort bis rad) Indien jpannte es feine 
Blide; Herrin bereits im Mittelmeer, jab es 
tie Zeit berannaben, wo auch ber Spike 
Ozean eine englijche See fein würde. Welch eine 
Auslicht bot (id) thm aljo dar, wenn es ihm 
gelang, Deutjchlands gewaltige Kraft für 
ben Wnjdlug an feine Politif zu gewinnen! 

Eben diefe Hoffnung aber gewährte 
ibm Deutjchland nidjt. Wir waren jo fried- 
fertig wie je, aber unter Englands Ghat: 
ten zu fampfen lehnten wir ab.  llnjere 
Celb[tánbigfeit wollten wir behaupten. Un- 
jere Ziele waren nod) Diejelben, zu denen 
der Gründer unjeres Reiches fid) in Ber- 
lailles befannt hatte. Wir forderten nur 
Luft und Licht für uns jelbit, in ber Zuver: 
lit, daß wir dann die Stellung in der 
Welt, Die wir haben wollten und haben 
mußten, erringen würden. Offene Tore, 
freie Märkte und nichts anderes wollten wir 
haben. Schon aber war die halbe Welt 
verteilt, und die Stunde in ber Tat nicht 
mehr fern, wo alles, was fih von der muha- 
medanijchen Welt nod) frei erhalten hatte, in 
die Hand jener vorjtürmenden Mächte ge- 
raten mußte. England hatte fid) bisher nicht 
eigentlich jeinbjelig gegen den Iſlam ver: 
halten; mehr als einmal war es, zumal 
Rußland gegenüber, als Schugmadt für 
die Anhänger des Propheten aufgetreten; 
war es Dod längſt, bereits von Indien Der, 
cine mubamedaniide Maht geworden, eine 
größere als jede andere der Welt, unb ge: 
rade die Eroberung Agyptens, der jebt Die 
des Sudans angeretht wurde, und alle Die 
neuen Beligungen in UWfrifa und den inbijd) 
perjijden Grensla:cben verjtarften diejen Cha- 
ratter feiner Politik. Gliicdte es den Briten 
vollends, nun auch nod das Stammland der 
miubamebani|djen Religion, deren Heiligfte 
Stätten, Metta und Medina, in ihre Gewalt 
au bringen, jo mußte einem von ihnen gelegten 
Ralifen die Nachfolge des Propheten weit eher 
gebühren als dem Sultan in Ronjtantinopel, 
pellen Ohnmadt bem, was diefe Würde von 
ihrem Träger forderte, jo wenig entiprad). 
Aud Rußland hatte in diejen Jahrzehnten 
ununterbrodener Ausbreitung Millionen 
neuer mubamedanijder Untertanen erhalten, 
welde mit dem Sultanat in Konftantinopel 
niemals in politijcher Berbindung geſtanden 
hatten. Aber ber Gegenjak zwijchen ihm 
und der Türfei war immer der ftärtjte ge: 
wejen; denn das Kreuz auf der Hagia Sofia 
aufzurichten, die Meerengen zu gewinnen, 
entiprad) den ältejten Überlieferungen der rij: 
fiihen Politif und bem Madtbediirfnis des 
Zarenitaates jelbjt. Wie groß aljo aud) im: 
mer die Reibungsfladhen zwijchen England 
und Rußland fein mochten, dem Gultan 
gegenüber fanden fie fih doch bereits bis zu 
einem gewillen Grade zujammen. Nun aber 
ftellte fih zwijchen ihnen beiden eine Macht 
auf, für bie jener Gegenjag zwijchen 
einem Kalifat von &onjtantinopel und von 
Metfa nicht beftand, der vielmehr bie Ein: 
heit der ganzen muhamedanijchen Welt am 


Herzen liegen mußte. Wie tlar unjere Po- 
litif dies Verhältnis empfand, beweilt ber 
Ausjpruch unjeres Kaifers bei feinem Bejud) 
Des beili en Landes (1898) in Damastus, 
wo er iid) als den treuen jyreunb Der drei- 
hundert Millionen Mtuhamedaner befannte, 
welche die Erde — Wollten wir 
aber ſolche Stellung behaupten und das Los 
der Ausſchaltung vermeiden, das uns bei 
weiterem Fortſchreiten Rußlands und Eng— 
lands für den geſamten Umfang der öſtlichen 
Hemiſphäre bereitet wäre, ſo mußten wir 
eine Waffe haben, mit der Fragen entſchie— 
den werden fonnten, welde nicht bloß auf 
das ee Europas bejdranft waren, 
eine Waffe, mit der wir England auf jeinem 
eigenften Element, auf bem Meere, begegnen 
fonnten. Dies war der Ginn bes Kaifer- 
wortes vom Jahre 1899: „Bitter not ijt uns 
eine ftarfe Flotte.” Nicht um unjere paar 
Kolonien zu bejchüßgen, um unjere Flagge 
gelegentlich in fremden Häfen zu zeigen und 
rebelliihe Ranafen oder verjchuldete Klein: 
ftaaten Südamerikas zur Raijon zu bringen, 
haben wir unjere Kampfjchiffe gebaut (dazu 
hätten ein Dugend Korvetten und Ranonen- 
boote genügt), jonberm um uns die Freiheit 
Der Bewegung zu erhalten, uns vor der Ab— 
Ihnürung, bie uns drohte, zu retten, um die 
Stellung unter den Mächten der Welt zu be: 
Daupten, bie uns Der Schöpfer des Meiches 
erworben hatte, und von der wir wieder 
herabgedrängt werden Jollten. Wir wollten 
jenen ebenbürtig bleiben, das Gleichgewicht 
in der Welt, das jene Broßen zu zeritören 
drohten, wollten wir heritellen oder fichern. 
Geradejo hat ein Jahr nad) feinem Worte 
von der Flotte unfer Kaifer den Sinn Der 
deutichen Politif gedeutet. „Sch bin nicht 
der Meinung,“ jo jprad) er am 3. Syult 1900 
in Bremen, „daß unfer deutiches Volk vor 
dreißig Jahren unter der Führung feiner 
Fürſten gefiegt und geblutet hat, um jid) bei 
großen auswärtigen Enticheidungen beijeite 
Ihieben zu laffen. Gejchähe bas, |o wäre 
es ein für allemal mit ber Weltmadtitelung 
des deutſchen 9Boltes vorbei, und ich bin 
nicht gewillt, es dahin tommen zu lajjen.“ 
Wir hätten das Erbe, das uns Bismard 
und fein Kaifer erworben, verloren, wir 
wären im Vergleich zu den anderen Mächten 
der Welt wieder — was wir ge— 
weſen waren, ein Kleinſtaat, wenn wir uns 
nicht für den Kampf gerüſtet hätten. 

Denn die Macht allein ijt es, welche in den 
Händeln diejer Welt entjcheidet. Nur, wer das 
Schwert zu führen weiß, wird auf Erden vor: 
wärtsfommen, fein Recht behaupten fünnen; 
jeder Fortjchritt ber Wirtſchaft wie der Kultur 
hängt von bem Make ber Unabhängigteit ab, 
das ein Staat in der Melt behauptet. Nie: 
mals haben wir es abgeleugnet, daß auch wir 
gleich den andern Macht beji&en und Macht 
erwerben wollen; war bod) ber in der Na— 
tion in der Zeit ihrer Erniedrigung ae: 
jammelte und gejteigerte Wille zur Macht 
der müdjtigite Antrieb in unjeren Kämpfen 


148 Bosses] Bernhard Schäfer: Ecce homo BFISBS33Z33Z33I 


um die Gewinnung der nationalen Einheit 
ewejen. „Allzeit Miehrer bes Neiches zu 
Fin“, jo lautete bas Gelöbnis unjeres alten 
Raijers im Schlojfe zu Verfailles. Aber der 
Sinn unjerer Maht war von jeher ein be: 
jonderer, Das Ziel, bas wir unjerer Politif 
iteden, liegt an einem anderen Ort, als dort, 
wo bie Gegner es juchen. Das ift es, was 
unjeren politijden Ehrgeiz von bem unjerer 
Rivalen unterjcheidet; mit den tief|ten Wil- 
lenstrieben, den höchſten Idealen unjerer 
Nation, mit einer ee en (e: 
Ihichte in ihren tragijdhen 9erfled)tungen 
und ihren erbabenjten Erinnerungen, mit 
unſerm ganzen Gein und Wollen hängt es 
gujammen. Der beutidje Staatsgedante, mit 
einem Wort, ijf ein anderer als der unjerer 
Gegner, und darum ijt aud) die Richtung, in 
ber wir unjere Macht in der Welt ausbrei: 
ten wollen, eine andere. Syene wollen die 
Welt unterjoden, wir aber bieten ben Völ— 
fern, die unjere Freunde fein wollen, Frei: 
ge und rieden und Treue um Treue. 
Aus diefem Geijte ftammt das Belenntnis 
unjeres alten Raijers Wilhelm I., das wir 
an bie Spiße unjerer Betrachtung ftellten, 
unb in bem feine eigene wundervolle Größe 
gipielle; ihm find unfere Fürjten wie unjere 

taatsmänner und unfer ganzes Bolt ohne 
Unterjdied in den dreiundvierzig Jahren 


— D Mëtte > 


Kahl Steht ein Kreuz 
Als legte Wehr 
Nad wilder Schladht 
Im Nebelmeer. 


ECCE HOMO 


Des Heilands Bildnis, 
Marmorn, hebr, 

In Trümmer flog’s; 
Das Kreuz ijt leer. 


ECCE HOMO 
Dod bin vors Kreuz 
Sant einer [dimer — 
Mer gleicht dem Dulder 
So wie der? 


ECCE HOMO 


Dd d od od Ld d d Lo LL hd 4 od Todd l4 dd A 
Ne TLL LISTA TTA AAT ESAE IST 


EK ; 
Hall halla atta aaa aat n aa 


Ecce homo 


Stumm flagt bie Infchrift: 


Stumm Hagt die Inſchrift: 


Stumm flagt bie Injchrift: 


Bernhard Schäfer (im Felde) 


des Friedens, ben wir nur burd) unjere 
Macht aufrechterhalten fonnten, treuge 
blieben; ihm allein dient unjer Heer, das 
mit unjerm Wolfe felbjt eins ijt; ibm and 
die Flotte, bie unjere Flagge über alle Meere 
trug und bereits unjern Feinden furchtbar 
ward; alle Verträge, alle Bündnijle, bie wir 
ichloffen, hatten diejes Ziel. An ihm hielten 
wir feft, als wir unjern Freunden in der 
Mot beiftanden. Diejer (Get leitete uns in 
den Tagen, bie uns vor die furdtbarfte Ge: 
fahr ftellten, in bie je ein Bolt geraten ijt; 
aus ihm ſchöpfen unjere Armeen bie unver: 
fieglid)e Geduld, ben unwiderjtehliden Hel- 
Denmut, den fie im Rampfe gegen vielfade 
fibermadt bewährten, und aus diefem Gen 
Ihöpfen ihren Trojt bie Daheimgebliebenen, 
die um ihre gefallenen Helden weinen; 
mit ihm jegen wir uns aud) den Sdwad)s 
mütigen entgegen, und er wird uns ans 
ipornen, nidt nachzulafjen, bis wir ben 
vollen Sieg in felten Händen halten und Die 
Feinde ringsum befennen miijjen, daß wir 
das 9tedjt haben, unjere Maht nad) unjerer 
Weije zu fidern und auszubauen. Wir 
willen wohl, daß wir nod) niht am Ende 
(inb, und daß nod) ein gutes Stüd ber Ar: 
beit vor uns liegt, aber wir halten feft an 
der Lojung, die ein Hindenburg uns gab: 
„Schwer ijt die Zeit, aber ficher der Steg.“ 


lal 


Die Wrme weit 
Warf er umber, 
Wie ausgelpannt 
Am Balfen quer. 
Stumm Hagt die Injchrift: 
ECCE HOMO 


Sn Qualen duldend, 
Ach, wie febr; 
Verſchied ein Held. 
Wer ijt es, wer? 
Stumm tagt bie Infchrift: 
ECCE HOMO 


Cann er auf Ruhm? 
Auf Wiederkehr? 
Der Schmerzensmann 
Verrät’s nidjt mehr. 
Stumm Hagt die Infchrift: 
ECCE HOMO 


lallallallallallallallallallallallallallallallallallallallallalleisitalklsllaliallallallaltaflellallallsitsllsllallalallalla) 


:3 





BHERRRERROEEIRR HOER uada aaa aal ada Value aM RRRA RRKT 





Der verheimlichte Maskenbal, 


—— Novelle von Carl Dulce = 





Te 


Bama fap mit Tante Ferdinande 
im Antifenjaal, die Uhr war zehn 
Minuten vor fieben, und gleid) 
mußte Papa erjcheinen. Mama 
— fab in olivgrünem Gamtfleide, 
grau von Haar und perlengejhmüdt, in 38e: 
tradtung ihrer Schuhjpige verjunfen, denn 
ihre Seele nahm feineswegs Anteil an den 
Dingen, von denen Tante jyerbinanbe un: 
ermiiblid) erzählte. Dieje, mit aufgerijfenen 
Augen und in unbeherrichten Ausdrüden vor: 
getragenen Schilderungen von Stübenernte 
und Lentenot, von bedauerlichem gejellichaft: 
lidem Zwielpalt bes Provinzadels, von 
gräflichen 9Injid)ten unb freiberrlid)en Mei: 
nungen waren Vtama jchlechterdings ver: 
apt. Dod) fie wußte, es war vergebliche 
übe, bem Gejprad andere Wendungen zu 
eben, und fie wußte auch, es genügte voll: 
ommen, daß fie mit balbem Ohr aubórte. 
Alſo wartete fie mit Sanftmut, bis Papa 
tommen wiirde. - 
Aber auf einmal wurde Mama himmel: 


angit. 

Die Geldjidjte war námlid) jo: Von heute 
an gerechnet genau in aht Tagen, am tommen: 
den Sonnabend, jollte hier im Haufe ein Mas- 
fenball jtattfinden. Diejen Mtasfenball hatte 
Papa Tolfa verjprochen, weil Tolfa vor tur- 

em das Whiturtum bejtanben hatte. Zu biejem 
asfenball aber waren wohlerwogenerweije 
Tante Ferdinande und ihr Mann nicht ein: 
eladen, unb Mama hatte aus irgendwelchen 
rünben verjaumt, hiervon Papa in Kennt: 
nis zu jegen. Es fonnte nun aljo geichehen, 
es würde gejdehen und es mußte gejchehen, 
daß in ein paar Wlinuten Papa in das 
Zimmer treten und fofort und abnungslos 
von bem Mtasfenball zu |preden anfangen 
würde. Tolfa war im Augenblid unerreich: 
bar, denn [ie war oben und fleibete jid) 
um. Und Papa lelbft vor feinem Eintreten 
zu verltändigen, war ebenfalls unmöglich, 
denn Papa benußte, des Autos wegen, am 
Abend regelmäßig den Nebeneingang bes 
Sjaules und ging von dort aus, ohne daß 
fein Kommen bier unten gehört werden 
tonnte, gleich in fein 9[nfleibegimmer, das 
auf dem anderen Flügel bes Haujes lag. 
Blieb alfo die einzige Hoffnung, dak Tolfa 
verltändig genug jet würde, Papa recht: 
zeitig abzufangen und zu unterrichten. 

Alfo: Mama fap auf Kohlen. Erfahren 
durfte Tante Ferdinande von dem Ptasfen- 
ball nichts, denn Tante Ferdinande hätte 
es todübelgenommen, daß fie übergangen 
iae Oe Freundſchaft war ohnehin nicht 

ehr groß. 

Es flingelte, und gleich Darauf traten ber 
Brofejfor Pfannenberg und Doktor Krämer 
ins Zimmer, zwei Mufiffreunde, bie jeden 


E 
Ki an 





v^ Is 
SE 





Sonnabend zum 9Ibenbejjen famen. Denn 
jeden Sonnabend abend wurde im Haufe 
mit Beige, Cello und Klavier eine teine 
Rammermufif gemadjt. Mamas Seele liebte 
bie Muſik. 

Die Ungft von Mama war tatjadhlid un: 
begründet. Denn Tolfa („ich heiße Tolfa, 
aber ich würde mich lieber auf Walzer rei: 
men“) hatte rechtzeitig an alles gedadt. Gie 
hatte jtd) mit Umziehen beeilt, hatte, als 
die Kleinen den Korridor entlang gejtürmt 
waren, gemerkt, daß Papa eingetroffen war, 
hatte Papa gleich im Arbeitszimmer auf: 
gejucht und ihm erzählt, daß Tante La 
nande por einer Stunde aus Kalthof ein: 
getroffen fei, daß fie zum Effen bleiben wolle 
und dak Papa um Himmels willen nichts 
vom Maskenball jagen dürfe, denn Tante 
erdinande und Ontel Archibald feien nicht 
eingeladen. Was Papa denn aud, nad: 
bem fie es zweimal gejagt hatte, denn Tur: 
nad) Kontorſchluß war mit Papa |djwer zu 
verhandeln, richtig verjtanden hatte. 

Es war wie an jedem Abend: die Klei: 
nen ftanden frijd) angezogen und bunte 
Schleifen im Haar in heller Ausgelafjfenheit 
unb jdjmabten: Tante Ferdinande ware mit 
einem Fuchsgeipann gefommen und hätte 
einen neuen Kutjcher. Tante Ferdinande 
hätte Gravenfteiner Apfel mitgebradt und 
Schofolade ... |o viel. Und Tante Ferdi: 
nande hätte wieder jo furchtbar fomijdje 
Anfichten gejagt und Cornelie wäre beinahe 
berausgeplaßt. Papa hörte gutmütig und 
geiltesabweiend zu, hob unſchlüſſig von fei- 
nem Schreibtiſch Schriftjtüde auf, um fie, 
ohne binaujeben, gleich wieder fortzulegen, 
jog an jeiner Frackweſte, jab Itarr auf die 

rongefigur neben feinem Schreibtiſch und 
legte tajtenb die linte Hand auf das Hör» 
rohr bes Telephons. Und während er wie 
an jedem Abend zu zögern jchien, ob das 
Telephongelpräd cut morgen verjchoben 
werden fónnte, fpielte bie rechte Hand au: 
nádjt in bem grauen ſpitzen Barte feines 
flugen Belihts unb griff dann nad) einem 
langen Bleiftift, um auf einen 9[breiBblod 
mit Rieſenſchrift abgefürzte Worte, Buch: 
ftaben und Zahlen aufzujchreiben. Das wa: 
ren nämlich bie abendlichen Notizen für die 
Arbeit von neun bis elf; jobalb es elf 
ſchlug, erichien regelmäßig Papa nod einmal 
unten in Mamas Zimmer, um noch eine 
Weile zu plaudern, einen Schlud verdiinn- 
ten Mojelweines zu ttinfen und die etwaigen 
Bälte zum 9tadjbaujegeben zu ermuntern. 

Und während Papa diefe Aufzeichnungen 
madjte — es war leicht zu merten, dies und 
das hatte ihn nod gequält, dies und das 
war nun notiert und fonnte nachher er: 
ledigt werden — wurde fein (Get freier und 





150 Bess — — — 
heller, ſtellte er mit verſteckter Luſtigkeit an 
die Kleinen allerhand ſchulmeiſterliche Fra— 
gen: Weshalb denn heute Cornelie von Fräu— 
lein Zander [o ſcharf getadelt wäre („aber 
nein, Papa, aber nein, Papa”), weshalb 
Beate wieder Tintenfinger habe („aber nein, 
apa, aber nein, Papa”), und weshalb Ebba 
jid heute mit Cornelie gezanft habe („aber 
nein, Papa, aber nein, Papa“). 

Tolta, bie Neunzehnjährige, ftand in wei- 
Bem Geidenfleide, eine Goldfette um den 
Hals, fröhlich und blond daneben, ruhig den 
Augenblid abwartend, dak Papa fid) ihr au: 
wenden würde. Denn es war eine täglich ge: 
iibte, Iuftige Art von Papa, jid) zuerjt immer 
mit den Kleinen abzugeben, als ob Tolfa 
gar nicht auf der Welt wäre, und dann 
jedesmal aud) an fie überrajchende Fragen 
zu Stellen, vor denen man jid) in acht zu 
nehmen hatte. 

Papa legte den Schreibitift hin, jab zur 
Dede, ſchloß nod) für einen Augenblid bie 
Mugen und wandte den Kopf Balblints in 
der Richtung, in der hinter ibm Tolfa ftand. 

„Darf man fragen, wieviel blaue fent: 
nants heute Bejud) gemacht haben?“ 

„Zwei, Papa. Sie waren untröftlid, nur 
Mama und mich anzutreffen.“ 

„Kann id) mir denten. Darf man fra: 
gen, womit man fic) heute bejchäftigt hat?” 

„Dit Blujenplatten und  Jiad)benten, 
Papa.” 

„Ruß.“ 

Der Heine Papa legte den Kopf halb: 
redjts und reichte. bie Wange. Dann um: 
ſchloß er mit bem linten Arm Tolfa und 
mit dem rechten die Kleinen. 

„jo vorwärts, Kinder, die Uhr ijt fies 


ben... 

„Bergiß blog nicht, Papa, dak Tante 
Ferdinande ..." 

„Ih weiß, der Mastenball.” Gr blieb 
ftehen: „Sag’ mal, ijt der Diastenball eigent: 
lid) ihon in acht oder vierzehn Tagen?” 

„Aber, Papa, heute in aht Tagen...” 

„Dann babe id) aljo bod) recht gehabt. 
Cs war nämlich Jo: Ich traf am Vormittag 
am Freihafen den jungen Dottor Dahlitröm, 
und biejer jd)redIid)e Menih bildete jid) ein, 
per Maskenball fei heute. Er behauptete 
das Heu und feit, Heute abend. Er und 
ein paar von feinen Freunden bildeten fid 
ein, jie jeien e Heute abend eingeladen. Zus 
erit wurde ich jelber ganz fonfus und wußte 
jelber nicht recht, ob heute oder in acht Tagen. 
Dod) bann fonnte id) das aufklären.“ 

„Ich weiß, Papa. Doktor Dahljtröm Dat 

ur Sicherheit nochmal telephonijd) ange: 

Ka t. Ich war felbit am Telephon. Er 
will auch bie beiden. anderen Herren in 
Kenntnis jegen.” 

„Nun aber fix, Kinder.“ 


8 88 

Papa hatte eben Mama und die Güjte 

begrüßt, als der Diener die Fliigeltiiren zum 
Gpetjejaal öffnete. 


Und nun jag man bei Tijd. UWntenan 


Fl Carl Bulde: Ve 2-8] 


die Kleinen, zwiichen den Kleinen und den 
Bälten Fräulein Zander und ber Hauslehrer, 
obenan Papa und Tante Ferdinande. Zu 
Ehren von Tante GFerdinande brannten 
außer dem Rrijtallfronleudter die eleftri- 
iden Geitenlampen. An den großen, mit 
hellem Leder bejpannten Wänden hingen 
der Stolz bes Haujes, bie acht Dunklen Bilder 
bolländiicher Meiſter, bie Mama mit in die 
Ehe gebracht hatte. Denn Mama ftammte 
aus Holland. 

Und nun begann das Effen. Begann 
mit Kaviar und Auſtern gleichzeitig, und der 
ältere Der beiden Diener dentte Sherry ein. 

Tante Ferdinande hielt leicht ihre Hand 
über das Glas. Die Tante war rothaarig 
und jommerjprojllig, lang und flad). 

„Ih Hatte mid) heute, lieber Eduard, 
mit Ablicht nicht anmelden laffen, um Alice 
abzuhalten, meinetwegen Umijtände zu 
madjen. Sd) ließ um fünf anjpannen, Ar: 
djiibalb ijt nad) Pinneberg zum Kreistag, er 
will den Landrat auf bie Landjtreiderplage 
aufmertjam maden ... fie ijt nahezu italie» 
niih, diefe anb[treidjerplage ... td) hatte 
ein jo großes Bedürfnis, mal wieder mit 
Alice zu plaudern und euh zu Tolfas 
Examen zu gratulieren ... was id) hiermit 
tue, lieber Eduard. Sd) Dachte mir jo: ein 
warmer Gang und nachher ein Plauder- 
tündchen am Ramin... dod man tann zu 
dir tommen, wenn man will: man fommt 
zu einem Felt. Man fommt zu Aujtern und 
Kaviar, man trifft euh in Gala, man fommt 
in glänzende, lichtdurchflutete Zále:^ — Tante 
qerdinandes wimpernloje Augen jchweiften 
mit einem furzlichtigen Girlandenblid durd) 
den Gpeijejaal — „man Debt Alice feierlich 
wie eine Fürſtin . . . Ardhibald und id) wa- 
ren fürzlih tm Klojter, da hätteſt du da- 
gegen dieje Wufmadung leben folen, bei- 
nah jfandalös ... man fieht Tolfa preziös 
wie eine Prinzejlin, wobei ich mir freilid) 
bie Bemerfung nicht verjagen fann, daß bie 
Pringefjinnen, Die ich gejehen habe, alles 
andere als preziös waren ... fte müjjen es 
vor meiner Zeit gewejen fein ober auch ba 
nicht . . unb man [iebt dich, lieber Eduard, 
man Debt bid) mit bem Wnjtand eines fpa- 
niiden Granden ... wie mir ſcheint, etwas 
grauer geworden .. .“ 

d ja. Papa vermied es, Tante Fer- 
dinande anzujehn. „Es muß aud) Leute 
geben, liebe — die ſich graue Haare 
wachſen laffen...“ 

„Jedenfalls, lieber Eduard, man ſieht ſich 
unb fragt. 

„Dan fi 
man, Tolfa 

„Ber mitgenießt, Papa.” 

Papa lachte mit furzem Blid und fagte: 
„Lichtdurcyflutete Gals, meeinteft du, liebe 
werdinande, um nur eins herauszugreifen. 
Da das Zimmer Hiibjd groß ijt, brauche ich 
Licht, denn id) tann unmöglich im Dunkeln 
ellen, Da id) zu Mittag mehr jehlecht als 
redit im Ratsfeller frühjtüde, will ich we: 


ht fih und fragt,... was fragt - 











nigjtens abends zu Hauje gut bedient fein. 
Da neun Zehntel meines Lebens unfejtlich 
hingehen, ijt mir bas übriggebliebene feft: 
[ide Zehntel |párlid) genug. Ardibald und 
du haben auf Ralthof die ganze Woche über 
Sonntagsfrieden; ihr feid in ber beneibens: 
werten Lage, jede Stunde am Tag zum Felt 
zu machen. Das ijt ber Unterjdied, Dod) 
geborene Gräfin.” 

„Eduard... o, wie du ſpotteſt ... o, 
wie bu jpotten fannjt ... Eduard, wir... 
und jede Stunde ein Felt...“ 

Mama lächelte jdjonenb. Ihre Seele 
liebte eine joldje Art von Unterhaltung 
nicht. Sie jprad) gefliffentlich letje mit Bro: 
fejjor Pfannenberg. Doh Tolfa beobachtete 
Papa und Tante woe ee: mit innigem 
Behagen, und da Papa dies merkte, gejchah 
es d nur diefer Freude Toltas zus 
liebe, daß er ein Dafein au Ralthof als 
paradiefijden Sujtanb zu jdjilbern begann, 
Tante Ferdinandes bürgerliche Herkunft ganz 
zu vergeffen fien und mit ganz leichten 
Sticheleien Ritterjdhaft und WWhnentultus, 
Standesherrjchaft und Hofgang, königliche 
Gnade und neunzadige Krone als Die er: 
ireulidjiten Güter des Lebens pries. Er 
fonnte bas ganz hübſch Jagen und er konnte 
ganz hübſch gejchidt im ungewijjen laffen, 
was zwiichen Ironie und Schmeichelei feine 
ehrlide Meinung war. Bis er denn and 
wirklich die Wirkung erzielte, Die er beab: 
lichtigte: Denn wenn Tante Ferdinande jo 
wie jekt, jcharf zugejegt mit Schmeichelei 
und Ironie, wehrlos gemacht worden war, 
pflegte fie feit Jugendtagen in ein tiern: 
des Lahen zu verfallen, in einen unbeherrjch: 
ten 3uftand, in dem fie mit erbobenem 
Ropfe furze Kehlkopftöne, ahnlid) einem 
NRöcheln, von fid) gab. 

Tolfa nannte bas: Der fterbende Syphon. 

(Fs war erreicht — Tante Ferdinande 


di ces 

od) nun griff Mama ein. Der ältere 
der beiden Diener Honn außerdem gerade 
mit verfteintem Gejicht hinter Tante Ferdi: 
nande nnb verjuchte vergeblich, ihr bie Bra- 
tenjchüjfel hinzureichen. Man mußte Tante 
Trerdinande zu Hilfe tommen. 

' Nun war es allerdings nicht ganz leicht, 
Fragen zu ftellen, die einen ruhigen Gang 
des Gejprads gewährleiſteten. Denn Tante 
Ferdinande war reichlich anders geartet als 
andere Leute; fie neiate immer zu jdrechaf- 
ten Sive dba ru ihre YInjid)ten über land- 
läufige Dinge litten an verzerrten Boritel: 
lungen, und ihr ohnehin von geringen Ber: 
itanbesgaben belajtetes Gemüt war immer 
bereit, harmloſe Fragen mißzuverjtehen. 
(fine bebende Wngjt vor Einbrechern und 
yeuersbrunjt, vor Gewitter und Rinderfrie- 
gen, vor Cholera und dem Zahnarzt paarte 
itd) mit einer leichtverlegbaren Hoffart, einer 
findliden Gutglaubigfeit und einer [tart 
ins Liigenbhafte ausgebildeten Einbildungs— 
fraft. Alſo fragte Mama, ob Tante Fer: 
Dinande im Januar auf Ralthof unter bem 


| Der verheimlichte Mastenball M3343434 32353: 383371] 151 


Froſt zu leiden gehabt hatte. Sm der Stadt 
jei es arg falt gewejen. 

Tante Ferdinande beugte jid) weit über 
ben Tijd) vor: „Zu leiden, Mice? Es war 
zum MWahnfinnigwerden, Alice. Bei bem 
Nordoft alle Zimmer voll Rauh, und mein 
Schlafzimmer, den?’ dir bas an, fonnte über: 
hae nicht gebeigt werden. Sch fab im 

ela am Frühltüdstijch und flapperte, meine 
Ialdytarme war des Morgens mit einer 
Eistrujte bebedt . . . wir haben über adt 
,.. adt Tage am Kamin jpeilen nuijjen. 
Es war nicht auszudenfen, Alice.“ 

„Es wäre zu einer Zentralheizung unbe: 
dingt zu ratem," jagte Mama janft. „Ihr 
müßt das ernithaft in Erwägung ziehen.“ 

„Das geht nicht,“ jagte Papa düjter. „Ich 
fürchte, liebe Alice, dazu barf[ft Du Ferdi— 
nande nicht zureden.“ 

„Es geht auch wirklich nicht,“ lagte Tante 
Ferdinande unlicher. „Wir haben uns don 
vor Jahren einen Roftenanjdhlag machen 
[ajjen. Denfbar wäre es, wurde gejagt, und 
Archibald war auch beinahe dafür. Dod) 
wir würden Drei Wochen [ang ich weiß 
nicht wieviel hundert Leute im Schloſſe 

aben ... wildfremde Lente, jchredliche 

enjden, bie von jedem Zimmerjchlüflel 
einen Abdrud nehmen fonnten, die alle Zu: 
gänge bequem ausfundichaften, alle Wufbe- 
wahrungsorte ermitteln fonnten ... Ic 
wäre ja meines Lebens nicht einen Tag 
mehr froh, wenn ich dächte . . . man Det bod) 
in den Zeitungen, was alles Schreckliches 
pajliert .. .“ 

„ja,“ jagte Tolfa, „wenn man das alles 
DEDERE 2...“ . 

Papa jchüttelte den Kopf. „Es geht aud) 
aus hiftoriichen Gründen nicht, liebe Mice. 
Ich weiß nicht, ob Sie unterrichtet find, Herr 
Profeſſor. Auf der Befigung meiner Cou- 
fine jpuft es námlid). Es ijt leider eine 
von dem ganz an [bel untrennbare Tat: 
lache, daß Die verjtorbenen Angehörigen bes 
Haujes ... Verzeihung, bes Gejdjled)tes bas 
Recht haben, zu |pufen. Gie üben damit 
eine Art Auflichtsrat aus, eine Kontrolle in 
fonjervativer Richtung. Um Diejer feudalen 


Gewohnheit nachzugehen, find nicht nur 


dunkle Korridore und große Schränfe, jon: 
dern ganz bejonders alte Öfen und Ramine 
unerläßlich. Ic weiß, daß mein verehrter 
Better 9(rdjibalb, als er endlich ein Bades 
zimmer anlegte, lid) monatelang bem nadt- 
lichen Unwillen eines Angehörigen jeines 
Beichlehts ausgejegt jab, und das gleiche 
gejdah, als mein Better Wroibald jpäter 
einen Wintergarten baute. Ob das nun die 
Abneigung gegen rituelle Wajdhungen einer: 
feits ober anderleits bie VBerwechjlung des 
Regrifis Wintergarten mit einem beliebten 
Berliner Spezialitätentheater war, tann da: 
bingeftellt bleiben. Gs jpuft, und von 
Zentralheizung ijt entichieden abzuraten.“ 
Tante jyerbinanbe zeigte ein äußerit 
eridjrodenes Gelicht; ein Geſicht, bas and) 
in alltäglichen Stunden Der niobibenDafte 


— 


159 BESSSEHFFERT Carl Bulde: Der verheimlichte Maskenbal 


Yusdrud veráng[tigter Spannung nicht ver: 
ließ; Dies Gelidt batte nad) pd dane 
Torheit infolge der durch Heirat erlangten 
Zugehörigkeit zum SHodadel einen Berflä- 
run ECH burd)gemad)t und war nun von 
eitel Standesbewußtjein erhellt. 

Tante SFerdinande hob bie Nafe. „Über 
dieje Dinge wollen wir nicht ferzen, lieber 
Eduard. Es gibt Dinge, die du nicht ver: 
Debt, weil bu fie nicht fennjt." 

„Nein,“ jagte Papa, „darin muß id) bir 
recht geben. Go oft id) auf Kalthof war, 
hat es nicht geipuft. Sch geftehe, id) war 
jedesmal etwas enttäufcht. Denn id) hatte 
mid) des öfteren ‘eal die Lauer gelegt. Ein: 
mal, meinte WUrdibald, hätte es aud) gefputt, 
während id) ba war. Doh id) bin nod) 
heute überzeugt, dak der Jagdhund den 
Schirmjtänder umgertjjcit hatte.“ 

Mama lächelte unbeirrt janft. 

Tante Yerdinande fah jchief zur Geite: 
„Wenn jemand bas erlebt hätte, was id) 
bubenbe Male babe erleben müjjen, bano: 
qreiflide Gridjeinungen: ... ich wende ben 
Kopf und plößlid) ijt ein Gelicht ba, bas in 
Nebel zerrinnt ...“ 

„Bitte, bitte, Ferdinande, fogar handgreif: 
lich,” bedauerte Papa. 

„Bis auf dieje Stunde, lieber Eduard, 
gebe id) mir Mühe, fobald id) — 
von Kalthof bin, mich zu emanzipieren. Mich 
ſelber in der Meinung zu ſtärken, daß ich 
durch Trugbilder geäfft wurde ... Ich tue 
das freilich ſtets in der Beſorgnis, für die 
Ungläubigkeit Strafe erleiden zu müflen ....“ 

ama wurde das Gejprad langweilig. 
„Vergeſſen Sie nid)t, Herr Doftor Krämer,“ 
jagte Wama, „daß wir nachher bie Es-dur- 
Sonate bherausjuden. Ich fpielte gejtern 
den erjten Caf, er ilt göttlich.“ 

Und nun wurde von Vtozart gejprodjen. 

Der ältere der beiden Diener [d)entte Rot: 
wein ein, der jüngere reichte eine Schüjjel 
mit Hühnern. Cin Mädchen mit weißem 
Häubchen [tano mit Schüſſeln neben ihm. 

Die i nebenan flug acht. Tante Fer 
binanbe Ichwieg. Bei den Kleinen geſchah 
ein kurzes, feines Gelächter, bas fih auf einen 
Blid von Fraulein Zander in ein gebor- 
james Ridern verwandelte. Der junge Haus: 
lehrer beugte jid) vor und fagte zu Tolfa: 
„Bnädiges Fraulein hätten heute am Mühl- 
weg Die Kinder Schlittihub laufen jehen 
mijjen. Sogar viele Erwachjene beteiligten 
(id. Ein prächtige Bahn. Wirklich Iobnens: 
wert, das zu betrachten.“ 

Und Tolfa antwortete, ohne den Hause 
lehrer anzuiehen: „Wenn Cie meinen... 
dann fónnten wir vielleicht morgen . . .“ 

Dod fie unterbra fid. Ste fah auf 
Papa, der den Kopf erhoben hatte und anf- 
merffam nad) dem Nebenzimmer hinlanichte. 
Sie Jah, daß aud) ploglid) Miama und Pro: 
feffor Pfannenberg verwundert aufiaben. 
Nebenan auf der Tiele wurde ein lautes 
Klirren vernehmbar, ein Hirrendes, flappern: 
des Stampfen. Tann war es wieder jtill. 


Papa jah zu Tolfa hinüber. 

„Was war das eigentlich?“ 

Tolfa entjann fih, daß fe auf der Diele 
das Licht zu löſchen vergejjen hatte. 

„Ja, was war bas eigentlih?“ fragte 
aud) Mama und jab den älteren der beiden 
Diener an. Der gab durd eine Bewegung 
des Belichts zu verjtehen, baB er es aud) 
nicht wiffe. 

ante Ferdinande erzählte jet, während 
die anderen jchwiegen: „Und dann batten 
wir Ende Herbit im Park einen großen Fiſch— 
zug ... Archibald Hatte den Graben ab: 
frauen lajjen, wir batten ja zwei Jahre lang 
die Karpfen in Rube gelajjen ... und, was 
willjt bu glauben, wir batten fieben Bentner 
Karpfen ...“ 

Da rajfelte es wieder. Und diesmal im 
Antikenſaal. Ein lautes, jchleifendes, flap: 
perndes Raſſeln, als ob jemand lauter Mes 
talljtiide aneinanderjchlüge. 

„ja, was ijt bas eigentlih ... was ift 
bas..." rief Papa... rief... und im fel: 
ben Wugenbli wurde die Tür faft lautlos 
geöffnet und in der Tür gegen das Duntel 
des Zimmers grell abgehoben ftand ferzens 
gerade und groß wie ein Baum in blantge- 
pußtem Panzer und geldjlojjenen Viſier ein 
geharnijchter Ritter, ber mit Kopf und Han: 
den rudweije unbeherrihte Bewegungen 
machte, mit der Hand an den Helm griff, 
da der Helm augen|djeinlid) wadelte, der drei 
Sdhritte vorwärts ging und dann [aut und 
rajjeInd, mit weitausholenden Schritten, von 
oben bis unten ffappernb und rajjelnd an 
ben Tijd) tobte... 

Die Kleinen freijdhten auf, jaben auf 
Tolta, bie bie Hände ladend vor bas Ge: 
licht ſchlug ... 

Das Dienſtmädchen reijdte auf und 
rannte heraus... 

Die beiden Diener widen aus und [tan: 
den idjlotternb an der Wand... 

Papa... ja, Wapa jah auf Tolfa, bann 
auf Wama, wollte aufitehn, [hob den Stuhl 
zurüd.... begann aus hellem $jalle zu 
lahen ... 

Der Gepanzerte ftieß gegen eine Anrichte, 
wandte den Kopf, jtürmte vorwärts, jchien 
offenbar die Tür fuchen, geriet anjtatt an 
Die Tür an ben Speileaufzug, madjte febrt, 
tobte an die andere Geite bes Jimmers zurüd, 
ſtieß jet wieder an den Tijd, näherte fih Tol- 
fa, tobte wieder zwei Schritt weiter, näherte 
ſich Tante Ferdinande, die fid) röchelnd mit 
ausgeitredten Armen |dredlid) groß erhoben 
hatte, ftellte jid) vor Tante Ferdinande in 
Rojitur, flirrte und fagte: „Höh“, flirrte 
weiter, jtic an die Tir — diesmal an bie 
richtige —, öffnete bie Tür, drehte fid) nod) 
einmal um, jd)rie nod) einmal „Höh“ und 
verihhwand, 

Berihwand Mit Rajjeln und Rlappern 
und Rlirren. Berihwand Man hörte draus 
Ben frachend die Tür ins Schloß fallen. 

Hallo, Aufruhr, Gelddhter. Tante perdi- 
nande fap aerbrodjen, zulammengelunten, 





Der ſchwarze Ritter 
Gemälde von Prof. Hans Loofdjen 


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BSESSSSSIZIZZTN (V. Albreht: Doufjin: Wilde Shwäne BSSsesesd 153 


mit berabhangenden Armen auf ihrem Stuhl. 
Der jterbende Syphon‘ röchelte unheimlich. 

„Halt du... halt du... bas aud gejehn, 
Eduard?” | 

„Ja, ja, Ferdinande. Ich habe gejehen 
er gehört. Er hat deutlich zu dir Hib’ ge» 
agt.“ 

„Haft bu ihn aud) gejehn, Alice?“ 

ama war offengeltanben aud) erichrof: 
len gewejen. 

, Siebite gerbinanbe...es ijt ja zu Dumm 
.. jo hör’ mid) bod an ... fo nimm did) 
mal einen Augenblid zujammen und...“ 

„Er bat mid) angejehn,” jammerte Tante 
Beratende: „Er hat mid) fofort herausges 
annt ... Er jdjien fo furchtbar boje... 
vielleicht wollte er mid) erwürgen.... er fam 
mid) zu jtrajen . . ." 

,GroB war er, und er hatte eine hübjche 
Figur, Ferdinande ..." lobte Papa. "alt 
bu gewiß, Dak es ein Ahne war? ... Halt 
bu ibn erfonnt, TFerdinande ?“ 

„Aber er batte bod) bas Bilier herunter, 
bas mufteft bu Doch jehn, Eduard...“ 

Sie ródjelte, jie jchüttelte fih, fie lich feinen 
n Mort tommen, d gitterte nod), als fie mit 

em |pi&en Zeigefinger auf Den Tiſch ftieß. 

„Sp, Eduard, bu haft mid) oft genug 

elránft mit deinem Gpott ... Mun halt 
u es leibhaftig gejehn... in deiner eigenen 
Wohnung ... Kinder... Das war ne Be: 
ididte... Kinder...” 

Nein, nein, aufzuklären war da nidts. 
Wie eine Schlange züngelte Tante Ferdi- 
nande bod, als zum wiederholten Male 
Mama ihr flarmaden wollte, Ay das alles 
mit rechten Dingen zugegangen jei. 

„Nichts... nichts will id) hören... nichts 
€ ee WOES... 

Das Perjonal fam wieder, von Tolfa 
herbeigeholt, bie Diener reichten Eis, Papa 
Ihentte Tante Yerdinande ein Glas Rot: 
wein ein, verjuchte fie zu beruhigen... 


xototototorotototoroocyotototototototototobototototo 


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gu Xototoxootorototorotototororotetorototototorototoxorotc 


Belhagen A Klajings Monatshefte. 


Die Ichweren, müden Schwingen tampfen fih 
Durd) Wind und Wetter hin zur nahen Gee, 
Auf ihrer Flucht nod) wahrhaft königlich 
Und weiß wie um fie ber der weiße Schnee. 


E. Albrecht-Douſſin 


„Nichts... nichts, lieber Eduard, ich bin 
ja ganz ruhig ... ſiehſt bu denn bas nidt... 
wo mir jolde Dinge bod) |djom reichlid) 
drei dutzendmal pajjtert find... Nun hab’ 
id) endlich einen Triumph! Schade, daß Ar— 
chibald nicht mit bier war. Nun muß er 
endlid) Dod) aud) völlig belehrt fein ... 
Kinder, bas war eine Gejdjidjte..." 

„Romijch, Ferdinande,” jagte Papa. „Aber 
Ped haft du bod). Wenn wir die Bejchichte 
nicht alle miterlebt batten ... unglaubwiir- 
dig bleibt fie bod), wie alle deine Gejdjid): 
ten.“ 

„Nun, lieber Eduard,“ rief Tante Ferdi: 
nande höhniſch und fampfbereit, „zweifelit 
du jest gefallight etwa auch noch?“ 

„Ich tann mir nicht helfen, unglaubwiire 
dig bleibt bie Beichichte bod). Ob bu [ie 
weitererzählen willjt, liebe Ferdinande, mui 
dir überlajjen bleiben. Ich möchte bir bei: 
nah davon abraten. Jd) jedenfalls trage 
Bedenken, fie morgen an ber Börje zu er» 
zählen.“ 

Und damit wurde die Tafel aufgehoben. 


ag 8 83 


Tante Ferdinande erzählte bie Bejchichte 
aber bod) weiter. Zuerjt an ihren Mann, 
der zwei Tage jpäter an Papa einen groben 
Brief ſchrieb, und dann an ihren ganzen 
Provinzadel. Und bie Geſchichte wurde jehr 
berühmt und hat in der Proving Worf zur 
Belebung der Gejpenfterfurdt beigetragen. 

Aus dem Mastenball aht Tage Ipäter 
wurde übrigens nidjts. Denn Tolfa, die 
fid) lieber auf Walzer reimte, friegte gleich 
darauf bie Mafern, und das Feft mußte ab: 
gejagt werden. Und da es bereits Anfang 
März war, wurde der Mastenball aud nicht 
auf [pater verjchoben, vielmehr durfte Tolta 
mit Fräulein Zander auf drei Wochen 
til bejuchen, und das war aud) eine 

elohnung. 


=- 


KC CC CC CC ZC — 
C 


Milde Schwäne 


Es jchneit und weht und treibt ben Wirbeltanz 
Ins Aſpenholz und wirft den Torfbruch zu; 
Die Lahen froren ein zu blauem Glanz 
Und fradjen unter meinem Jägerſchuh. 


: 

g 

: 

Da ein Signal — woher, aus weißem AL? E 

Die Wiejen niedrig überjtreichend ziehn : 
Fünf Schwäne durd ben Flocenfall. 

Cie feben mid) und ſchwenken ab und fliehn. 

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AXOKOKOKOKOKOIOIOIKOKO] 


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IIIIOIDODIRIRIRIRIRIRIRIRIRIRIRIRIRIR I OIRIRIDIRIRIR IDIRIRRIRIRIRIRIDIRIDRIRK X AOKOKOKOIKOXOIKOK2, 
32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bo. 11 


Abb. 1. Beifpiel einer Wetterlage, deren weitere Entwidlung für mindeftens drei Tage 





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verantwortlich und richtig vorausgejagt werden fonnte 


Dte Meteorologie im Weltfriege 


Bon Leutnant b. L. Clößner 


erade zu Beginn des Weltkriegs war 

bie willenjchaftliche Meteorologie 

Hy im Begriff, in einzelnen Teilges 
EN bieten der Allgemeinheit betannter 
. gu werden. Die Zahl der regelmäßigen Ab» 
nehmer der täglich erjcheinenden Wetterkarten 
und Borberjagen war im Anwadjen, in 
Tageszeitungen und Seit[d)riften mebrten fih 
bie Abhandlungen und Mitteilungen über 
Witterungs: und Klima» Gr[djeinungen, und 
die burd) Erlaß bes Königl. Preußijchen Dis 
nifteriums für Unterrichtsangelegenheiten im 
Januar 1912 verfügte Berüdfichtigung mes 
teorologi|djer Lebhritoffe in allen preußijchen 
Schulen begann ihre er[ten Früchte zu zeitigen. 
Ziele Entwidlung rif mit ber Mobilmachung 
jah ab. Dafür ergaben fich aber nun für die 
iijjenidjaft[idje Meteorologie Anwendungs: 
gelegenheiten in fo bedeutendem Umfange, 
daß hierdurch eine [prungbait gefteigerte Ver: 
allgemeincrung und Berwertung meteoro: 
logijder Renntni[je eingetreten ift. Die Kriegs: 


N 


Gu 





handlungen erforderten bie alsbaldige Nutz⸗ 
barmadjung meteorologijcher Beobadtungs: 
und Arbeitsmethoden und geficherter Grtennt: 
nijje fiir Heer und Truppe. Die in Inftituten 
und Studierzimmern mit Fleiß und Scharflinn 
in ſchwierigen Fragen errungenen Forſchungs⸗ 
ergebnijje wurden zum Grundftod für bie 
Tätigkeit der Wetterdienftformationen des 
Heeres, deren Aufgabe es ijt, bie Meteoro» 
loyie der Berteidigung bes Baterlandes un: 
mittelbar nugbar zu machen. 

Bon den verjdjiebenen dem Heereswetter: 
dient geitellten Aufgaben ift bie Aufftellung 
zuverläfliger Wettervorherjagen bie wichtigite. 
Die Durchführung größerer wie fleinerer 
militärijcher Operationen wird in vielen 
Fällen von ben Witterungsverhältnifjen ent, 
Iheidend beeinflußt. Die Führer der zum 
Angriff vorgetriebenen Ententearmeen haben 
zwar wiederholt die Schuld für bas Miß— 
lingen ihrer Unternehmungen der Ungunit 
der Witterung zugejchoben, um die wahren 


SSS Leutnant d. L. 






Abb. a Meteorograpb der Firma 
Bunge-BVerlin. Tintenregiftrierung 


trodene Tage für die Wei- 
terfübrung einer glüdlid) 
eingeleiteten Dffenfive fein 
tónnen, bas hat fidh erft 
jebt wieder bei bem [teg: 
reihen Einmarjd in Sta: 
lien gezeigt. 

An die Morherfagen 
der beratenden militäris 
(den Wetterdienititellen 
werden [trenge Anforde: 
rungen geftellt. Sie müj» 
fen in tarer und beftimm» 


Glößner: Die Meteorologie im Weltfriege BZZ 155 


Gründe ihrer Nieder» 
lagen zu verſchleiern. 
Man muß aber im alls 
gemeinen bie Kritif eng: 
Didier Zeitungen, bie ber 
Armeeführung wegen 
des Fehlens zuverläj» 
figer meteorologilcher 
Dienftftellen an ihrem 
flandrijden Frontab— 
fchnitt bittere Borwürfe 
gemadt bat, als durd: 
aus berechtigt anerten: 
nen. Bon welcher Be: 
deutung einige Deitere, 


Dasfelbe Gerät wie auf Abb. 8 
mit Sdupbled 





Abb. 8. Meteorograph der Firma Boſch⸗ 
Straßburg. 9tuBregifirterung 


ter Ausdrudsweife gehals 
ten fein. Redewendungen 
wie „ftellenweife, vorüber: 
gehend, vereinzelt, teils“ 
haben faft feinen Wert 
und find im Heereswetters 
dienft verpönt. Sie miijjen 
anderjeits unbedingt Her 
fein; die Folgen, die ein 
Fehlſchluß bier nad) fid) 
ziehen tann, [inb nicht zu 
überjehen. Außerdem fol 
len die Borberjagen für 





Abb.5. Regiftrierftreifen eines Meteorographen. Aufftieg mit 5 Drachen, Lange bes ausgelaffenen Drabhe 
tes 7900 m, erreichte Höhe 4730 m, tieffte Temperatur — 27,8 *, ftartfter Wind 18 msec., niebrigite Feuche 


tigteit 20%. Uufftiegstag: 2 April 1917. Dauer: 8, — 11 !/, Bormittags 


H? 


156 (— Leutnant b. L. Cligner: ee et 


größere Unterneh: 
mungen auch nod) 
möglichſt langfri- 
Duo gegeben wer: 
den. Das find For: 
derungen, von des 
nen Die eine Die 
Erfüllung ber an: 
deren bei bem Deis 
tigen Stande ber 
meteorologijchen 
Wiffenjdaft — be: 
eintrddtigt. Da 
die Sicherheit unb 
Beſtimmtheit ftets 
gewahrt bleiben 
müjjen, ift der 
Meteorologe mei- 
ftens gezwungen, 
die Geltungsdauer 
der Borbherjagen 
auf kürzere Friſten 
zu bemejjfem. Die 
oft felbjt in ange: 
jehenen Tageszeis» 
tungen abgedrud: 


ten Brophezeiungen unverantwortlicher Wit- 
terungsverftändiger auf Woden und Mo: 
nate hinaus find wertloje, von Gelbitver: 
mejjenbeit zeugende Vermutungen, bie ber 
erfahrene, wiſſenſchaftlich arbeitende Meteoro: 


— — 2 


d 
F 





Wbb. 6. Hilfsdrade vor dem Aufſteigen. Auf ein Bei: 

den des Aufftiegsleiters wird ber Hilfsdrade los: 

gelaffen und ,fegelt" unter gleichzeitigem „Einholen“ 
(mit Der Winde) an 


Ee — EE 
PK 


Abb. 7. Füllen des Feffelballons am Windenhaus 


Een 
— 


loge nicht ernſt 
nimmt. Nur in 
Ausnahmefällen 

ijt er in der Lage, 
bie Witterungsge: 
ftaltung auf meh: 
rere Tage hinaus 
bejtimmt unb ficher 
vorausguerfennen. 
Die Karte vom 
19. Februar 1916 
2 Uhr nachmittags 
(j. Seite 154) ftellt 
eine jolde Wetter: 
lage dar, deren 
weitere Cntwid: 
lung für mindes 
[tens drei Tage 

verantwortlich 

und richtig voraus 
gejagt wurde. Aber 
auch bejtimmte und 
jihere Vorherſa— 
gen auf fiirgere 
Seit, auf vierund- 
zwanzig, zwölf 


oder fedjs Stunden leben ein hohes Maß 
von Einfiht, Erfahrung und Fleip voraus, 
zumal (id) bie Borherjagen nicht nur auf 
die Verhältnifje am Boden, jondern aud 
auf die Zuftände ber oberen Auftichichten 


a ee E: v 





pooseeeeeeeesz£]) Die Meteorologie im Welttriege BIZZ] 157 








Abb. 8. Beendigung eines Aufftiegs. Abtnüpfen bes Meßgerätes und bes Ballons vom Feffeldrabht 


er[treden miiffen. — Es ift nicht zu leugnen, 
daß im Anfange bes Krieges bie jorgfältige 
Geheimhaltung der Wetternachrichten jeitens 
ber Entente die ohnehin beftehenden Schwierig 
teiten erhöhte. Durch jorgfältiges Sammeln 
von Erfahrungen und zielbewußtes Weiters 
entwideln bewährter und neueingeführter 
Methoden ijt es aber dem deutjchen Heeres: 
wetterdienjt gelungen, fid) von Nachrichten 
aus England und Frankreich gänzlich un: 
abhängig zu madhen. Die Engländer haben 
in den großen Angriffen auf ihre Haupt: 


ftadt handgreifliche Beweiſe dafür, daß bie 
deutjchen Sjeeresmeteorologen, ohne Beobs 
adtungen von London au haben, wohl in 
der Lage find, rechtzeitig vorausguerfennen, 
welde Winds und Bewöltungsverhältnifje 
über ben britijden Inſeln zu erwarten find. 

Im wejentlichen wurde diefe Unabhängig: 
feitsmadung von Nachrichten aus den feinb: 
[iden Ländern im Weften erreicht durch bie 
(Grridjtung einer großen Zahl von Heerese 
dradenwarten, deren Beobadtungen fiir bie 
Wettervorherjage von ganz bejonderer Bes 


158 I Leutnant b. L. Glópner: seess e 


Missa. A ee men 7 
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SAY y » "en. 5 
^de, E m. 
NS e 


deutung find. Cie glei: 
chen den zivilen aero: 
logijhen Objervatorien 
in Lindenberg, Fried: 
ridjsbafen und König: 
flein im Taunus, bie 
ihon im Frieden be[tan: 
den. Als *Beobad)tungs: 
gerät dient der Meteoro- 
graph (|. Seite 155), ber 
eine Bereinigung von 
Barograph, Thermo: 
graph, Hygrograph und 
Anemometer  darftellt. 
Jedes einzelne Deler 
Mepgeräte jchreibt auf 


RER 


F 





Abb. 11. Berfolgung des Pilotballons 
mit bem Wusfadneidgerat (Theodoliten) 





beruptes Papier oder 
mit Tinte auf einer 
Trommel bie angeaeig: 
ten Werte als fturve 
auf (f. Seite 155). Diefe 
Rurven vermitteln die 
Kenntnis bes Luftdruds, 
der Temperatur, ber 
fyeudjtigfeit und des 
Windes bis in große 
Höhen hinauf. Für den 
prattiihen Gebrauch 
werden bie Kurven in 
Zahlenwerte umgejeßt 
(ausgewertet.). Zum 
Hodtragen des Bes 


BESTATTET Die Meteorologie im Welttriege BESSSSE333A 159 
8 ite d A TR] RE “>. te? co 








H 
4 





Abo. su id. Lecmunbeobadtung an der Hütte — Auflegen eines Streifens auf die Trommel bes wind) dreibers 





+ 





& Abb. 14. Turm für meteorologifche Beobadhtungen im Fede cd 


160 






BS3SS3S3S3333N Leutnant b. L. Glüfner: BBBSSssesssessy 


J 


8 Abb. 15. Arbeitsraum mit meteorologifhem Beobadtungsgerat 5 


obadtungsgerdtes in bie oberen Luftſchichten 
dienen bet ftartbewegter Luft Drachen, bei 
geringen Windjtärten mit Wafferftoff gefüllte 
Balone (f. Seite 156/157). Deren Feſſelung 
erfolgt durch dünnen Stabldrabt, Klavier: 
jaitendrabt, ber auf die Trommel einer Winde 
aufgewidelt ijt; die Winde wird von einem 
Motor angetrieben. Wenn große Höhen 
(6000 — 7000 Meter) erreicht werden follen, 
müfjen hinter dem vorderen Drachen bzw. 
Ballon, bem das Beobadhtungsgerät mit: 
gegeben wird, zum Tragen des Drabies 
nod mehrere Hilfsdraden bzw. etn zweiter 
oder dritter Ballon angejegt werben. Oft 
ftehen „Bejpanne“ von mehr als fünf Sra: 
den mit 10—15 Kilometer Draht draußen. 
Die erfolgreihe Handhabung der TFellelauf: 
ftiegsmethode und die jad)gemáBe Auswer: 
tung der Kurven bes Beobadhtungsgerätes 
erfordern eine reichliche Erfahrung und voll» 
fommene Bertrautheit mit den aerologijden 
SBerbüftnijjen und den in Betracht tommen: 


den pbyfifalijen Geſetzmäßigkeiten. In 
lebter Zeit ift man dazu übergegangen, bas 
jest bejtebenbe aerologijche Netz durch regels 
mäßig erfolgende meteorologijche Flüge nod) 
engma)diger zu geftalten. Es fet bier nur 
erwähnt, daß fic) die Bedeutung der aero: 
logiſchen Beobadytungen mit deren Berwers 
tung bei ber Wettervorherjage nicht erjchöpft; 
für viele militärifche Zwede find bie Mej- 
jungen der einzelnen Elemente in der Höhe 
an fid) widtig. 

Bon allen meteorologijd)en Vorgängen in 
den oberen Schichten fommt ber Yinderung 
der Höhenwinde die größte Bedeutung zu. 
Einem erfahrenen Meteorologen nügt heute 
die umfaljende Kenntnis der Strömungen 
in der Höhe für bie Aufitelung einer Bor: 
herjage mehr als bie Bodenbeobadtungen 
einiger Auslandjtationen. Aber auch aus 
unmittelbaren militärijhen Gründen find 
dauernd Feltitelungen über bie oberen Strö- 
mungen erforderlid. Die Höhenwindme]: 


Oo T LS © | 


BSISSSSSTIFZZN Die Meteorologie im Welttriege III 161 


jungen find Die eins 
zigen aerologijchen 
Beobachtungen, bie 
and) von den fonft 
nur mit Bodenbeob- 
adtungen beauf: 
tragten Armee: und 
Feldwetterwarten 
angeſtellt werden (ſ. 
Seite 159). 

Eine ſolche Wind: 
mejjung dauert je 
nach der erreichten 
Höhe oft über eine 
Stunde; mandhe 
Balone miijjen bis 
liber 15 Rilometer 
binaufgeldjidt wer: 
Den. Nach Beendi- 
gung der Mefjung 
liegt aud) met gleich 
deren Ergebnis vor; 
bas ijt aber nur mög: 
lid), wenn fih bem Beobachter ſchon zu Be: 
ginn Der Meſſung ein Rechner zugejellt. Die 
gleichzeitigen Höhenwindmeflungen des zur 
Berfügung ftehenden weitausgedehnten Mees 
werden für die Borherjagezwede meift zunächſt 
zu Strémungsfarten verarbeitet, an Hand 
deren man ein anlchauliches Bild gewinnt 


— 








Abb. 16. Beobachtung am Gewitteranzeiger 


über die ſich voll— 
ziehenden Anderun— 
gen in der Maſſen— 
verteilung der At— 
mojpbäre. 
DieBodenbeobad: 
tungen der Feld— 
wetterwarten erfol- 
gen táglid) zu ben: 
jelben Zeiten und 
er[treden fid) auf alle 
meteorologijchen 
Elemente. Auf ©. 
159 jieht man den 
Beobachter, ber vor 
mehreren Jahren 
auf dem Pic von 
Teneriffa in ähn: 
lider Weife tätig 
war, bei der Ab- 
lejung an ber gedff- 
neten Hütte. Das 
Innere zeigt Die 
Mefgerate, bie Durd) die unterbrodenen 
Wände gegen Sonne gejhüßt, bem Luftzug 
aber genügend ausgejebt find. Links vorne 
Debt ber Thermograph; er jd)reibt für den 
täglichen Gang der Temperatur eine Kurve. 
Die celative Feuchtigkeit regijtriert Der im 
Hintergrunde [tebenbe Hygrograph. Die quer: 








Abb, 17. Der Führer einer Flat: (Flugabwehrlanonen:)Batterie empfängt eine meteorologi[d)e Meldung 





162 BSSSsessessesoad Leutnant b. L. GlüBner: BESZ KEEA 





liegenden ers mometers. Auf 
mometerzeigen der mittleren 
die täglich tief» Stange des Bes 
kä bzw. En —— 
empera mes a. 
an, bte jentrecht ift bas Schalen: 
ftebenben ` Die freug gerade 
nen der Ermit- noch als Büntt» 
telung der Luft: den zu erten 
feuchtigfeit. Die nen. Die Wet» 
anm an ber M d = 
e ange: rlid) and 
bradjten Qei- Befig eines 
tungsbrübte Queckſilberba⸗ 
führen zu Fern⸗ rometers. Es 
pio hee bb. 18. Wind Bballe einer § Wetterwarte in ein , Seftattet bieb. 
Auf die Be- . MBinbmeBballe einer Heeres: Wetterwarte em lefung bes Ruft« 
obadjtung bes Gebirgsborf im ir — F Hintergrunde ſind in brudes bis zur 
Bodenwindes Benauigteit 


verwendet bie Warte dauernd größte Gorg: 


von Bruchteilen eines Zehntelmillimeters, 


falt, denn er ift es ja, der giftige Gale vom | Ziele genauen Drucbeobadtungen find ere 


nn ber: —— für 
erbringen as nen 
ge gia der Karten für 
eben wir, wie die Luftdruds 
€ We — verteilung in 
mel Des großen Meereshöhe. 

Windichreibers Die Rurve des 
ein neuer Streis Quftdrudes 

fen aufgezogen [d)reibt der Bas 


wird. Hier wer: 
ben die Augen» 
blidswerte der 





rograph. ints 
neben  biejem 
Debt man im 


Windrichtung ` Bilde a. ©. 160 
mit Geſchwin⸗ ein ajpiriertes 
bigleit aufge: Pſychrometer, 
ſchrieben. Die bas zur Beftim» 
Mittelwerte mung der Luft: 
ber Windftärfe Abb. 19. Wohn: und Arbeitsräume ber Wetterwarte auf Abb. 21 feuchtigfeit 


liefert bie elefs dient. Auf ©. 
triſche Regiltrierung eines Schalentreuz:Ane: | 161 feben wir einen alten Spigbergen»$Forfcher 





& 





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Deu. FITUS. e h E ` 
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e Abb. 90. Wetterwarte nahe ber Front auf bem öſtlichen Kriegsichauplage 


I Die Meteorologie im Weltkriege BZZ] 163 


em  ftätten aufgeichlagen, wieder andere 
haufen angefichts der feindlichen Bat: 
terien im Gebirgsdorf (C. 162), in 
einer felbftgezimmerten Hütte bod) oben 
auf dem Berge, oder in Erdlicern und 
Unterftänden nahe der vorderen Linie 
(GC. 162 u. 163). Sie willen den Bor: 
zug zu ſchätzen, der darin beftebt, daß 
fie während des Krieges auf einem 
ihrer Borbildung als Berufsmeteorologe, 
Phyſiker, Lehrer, Ingenieur, Technifer, 
Miechanifer entiprechenden Gebiete tätig 
fein ténnen und werden ber Meteoro: 
logie nad) dem Kriege treue Freunde 
bleiben. Der SHeereswetterdienfi wird 
jeinerfeits das, was er ber wijfen: 
Ichaftlich zivilen Meteorologie an wiljen: 
ſchaftlichen Vorausjegungen und Bore 
arbeiten verdantt, vielfältig zurüder: 
ftatten in der Summe feiner meteoro: 
logijden Kriegserfahrungen und in 
Geftalt einer reihen Sammlung mes 
a teorologifher Beobadtungen, die in 
x Abb. 21. Bergwetterwarte im Weiten t foldem Umfange mod) niemals vor: 
gelegen Bat. Es ift zu hoffen, daß 
als $jotdjer am Gewitterangeiger, ber für hierdurch Fortſchritte eingeleitet werden, 
eleftrijde Fernentladungen empfindlich ijt. die auch auf bem Gebiete der Borberjage 
Biele Warten befafjen fid) auh mit ber Be: fih dem Ziele nähern, bem gegenüber fih 
obadtung der gefallenen Niederjchlagsmenge. bisher nur einige Phantaften den Anfchein 
Um alle Beobachtungen tennen zu lernen, die zu geben verjuchen, als ob fie es fchon er: 
von TFeldwetterwarten ausgeführt werden, reicht hätten. 

wären einige Bejuche erforderlih. Da 
gäbe es nod) |o mandes zu jehen, 
was bier nicht aufgezählt und ab- 
gebildet werden fann. Sede Beobad): 
tung gelangt erft dadurch zu ihrer 
Bedeutung, daß fie mit anderen zus 
fammen bearbeitet und dann in Form 
einer militärijhen Meldung oder in 
Geftalt eines Gutadtens zur Berwen: 
dung gelangt. 

Die Wetterdienftjoldaten find aus 
der Luftidiffertruppe bhervorgegan: 
gen, mehr oder weniger gelehrt, und 
werden von: ihren Kameraden, Ier, 
bafterweife natürlih, ‚Qaubfröjche‘ 
genannt. Se nad bem vom fom: 
manbierenben General ber Luftitreit: 
fräfte befoblenen Einja ihrer Warte 
find ihre lInterfunftsráume bald von 
größerem, bald von geringerem Glanz, 
aber zwedmäßig find fie alle, Mtande 
Warte batte bas Glüd, im bejegten 
Gebiet in einem neuzeitlich einge: 
richteten Objervatorium untergufom: 
men, wo für Beobadtung und wij: 
jenjdaftlide Arbeit bie denkbar gün: 
ftigiten Borbedingungen vorhanden 
find. Andere haben ihre Wohnung ————— HERE 
auf ben Trümmern alter Kultur: Abb. 2. $Beobadjtungsitelle im vorderen Graben 








— 
(Gand aus Dee Berate) 


und aus 


OCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC IF FID IFIP IIIIIDIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII370 
Wie ich anfing 


Erinnerungsſchnitzel von Fedor von Zobeltitz 


übergangsjahre 


Is id) zur Rejerve übergetreten war, 
machte id) es wie weiland Julius 
von Voß: id) zählte erft mal an ben 
p Knöpfen ab, was id) nun werden 
: jollte: Zandwirt, Schriftiteller, Ma— 
ler, Schaufpieler, Raufmann oder tiirfijder 
——— (denn bie bulgariſche Lodun 
am erſt etwas ſpäter). Als Landwirt hätte id 
ber väterlichen Befig übernehmen Tonnen, aber 
jo hübſch er aud) war, jo ließ fih bod) feine 
Geide auf ibm fpinnen. onjtantin von 
Grimm hatte mir geraten, meinzeichnerijches 
Talent ausbilden zu laffen; Georg Hiltl 
wollte fchaufpieleriiche Begabung in mir ers 
fannt haben; ein aer a Gefhäftsfreund 





meines Vater wollte mid) in feinem Haufe 
in der Havanna unterbringen; ein Graf 
Pfeil, der viel in der Welt herumgefommen 
war, meinte, ich tate am beiten, die friege- 
riihe Konjunktur auszunüßen und in tiirfi- 
ide Dienjte zu treten, fonnte mir auch gute 
Empfehlungen mit auf den Weg geben. 
Nun pflegte ih Rat mit meinem Bruder, 
und ber flug mir vor, bei ber Schriftitels 
lerei zu bleiben, da ich bod) idjon einmal 
damit angefangen hätte, riet aud) mid) jour: 
Pete vorzubilden, um gelegentlicd) eine 
Korrelpondentenjtele im Wuslande übers 
nehmen zu Tonnen, Und um das Dana 
— einmal ein wenig näher kennen zu 
ernen, empfahl er mich einem Bekannten, 
einem früheren Premierleutnant P., der in 
Kötzſchenbroda bei Dresden ein militäriſch— 
literarijdes Inftitut begründet hatte und 
einen redaktionellen Mitarbeiter juchte. 
Ih machte mid) alfo auf den Weg in bas 
liebliche Elbtal und wurde von Herrn 
aud) freunblid) aufgenommen, wohnte in 
feiner Billa und verjuchte mid) mit redlichem 
Eifer in bie Bejchäfte einzuarbeiten. Aber 
bas hatte bod) jeinen Hafen. Es ging nicht 
|o, wie id) dachte, und wenn ich dachte, ging 
es überhaupt niht. Die mir gejtellten Auf— 
aben waren nicht immer nad) meinem Ge- 
Pomad. Sd) folte beijpielsweije in Kötzſchen— 
broda Berichte vom türkiſch-ruſſiſchen Kriegs: 
\hauplaß |d)reiben, die dann heftographiert 
und an eine Anzahl fleiner Zeitungen ver: 
\hidt wurden, Mber an der Elbe die Ber: 
bültnijje auf bem Schipfapafje an|djaulid) zu 
bejchreiben, war immerhin eine etwas ge: 
wagte Gade. Die ganze Geſchichte pakte 
mir nicht febr lange, und fo empfahl ich mid 
denn eines Tages meinem freundlichen Haus: 


Der mir einen 


wirt und fiedelte mit meinem einzigen Rof- 
pe nad) dem nahen Dresden über, wo ich 
don gelegentlich einen Redakteur der „Nach: 
richten“ fennen gelernt hatte, der mich an 
feinem Blatte anbringen wollte. 

Daraus wurde nichts, weil der betreffende 
Redakteur aus irgendeinem Grunde eines 
Tages an bie Luft gelest worden war. Da- 
für fand td) andere Verbindungen und machte 
in den Drei Monaten meines Dresdner 
Aufenthalts aud) mande nette Bekanntſchaft. 
Durch einen weitläufigen Berwandten bei Hofe 
wurde ich dem: Generaldireftor des Hof- 
theaters, dem Grafen Platen, empfohlen, 
reiplaß gewährte, jo daB id 
meine er[ten Theaterberichte für ein Berliner 
Blatt jchreiben konnte, das allerdings fo 
iemlid) unter Ausjchluß der Öffentlichkeit er: 
Ken und immer erjt nad) aebnmaliger 
Mahnung ein mageres Honorar zu zahlen 
pflegte. Nlichtsdeitomeniger ging id mit 
or Sege CCS TER feit an meine 

tiefe, zumal Oper und Schaufpiel in Dress 
den unter ben Damen Malten, Scud, Röff: 
ler, Ulrich und den Herren Buljs, Gudehus, 
Gdjeibemantel, Dettmer, Bauer u. a. auf be: 
beutenber fiinftlerijder Höhe Honn, d 
Porth gebórte bamals nod) ber Hofbiihne 
an, Dellen anmutige Tochter |päter den Prin: 
en Georg zu Bentheim:Steinfurt heiratete. 

as Nelidenz: Theater wurde — 
Hugo Müller geleitet, mit dem mein Vater 
oft genug am Dreſſelſchen Stammtiſch in 
Berlin zuſammen geweſen war. Müller lud 
mich auch in Dresden einmal zu einem ver— 
gnügten kleinen Frühſtück im Engliſchen Gar— 
ten ein, wo er mich gehörig unter Sekt ſetzte 
und mir dann ſeine Not klagte. Die Gläubiger 
ſchnürten ihm die Kehle zu. Er führte ſeine 
Bühne mit feinem Verſtändnis, nur wenn 
er ſelbſt RE auftrat, flappte es fel- 
ten, weil er nie Jeine Rolle tonnte, auch 
nicht in ben eigenen GStüden. Ich war ein: 
mal Zeuge, wie er mitten in einer Szene 
dem Gouffleur ein leeres Tintenfaß zujchleu: 
berte; das Publifum glaubte, diele (eite 
ausbredjenber Sjeftigfeit gehöre zur Rolle 
— jie galt aber lediglich bem BWushelfer, ber 
bas Stidwort faljd).gebradjt hatte. Hugo 
Müller war damals nicht mehr der elegante 
Mann von früher, bem es aud) Spaß madıte, 
von einen Abjonderlichkeiten reden zu machen: 
wenn er beilpielsweije den Spargel in weißen 
Glackhandſchuhen verjpeijte, um fih nicht die 


Fedor von Zobeltig: Wie id) anfing Issel 165 


Fingerſpitzen mit der Butter zu befetten. Er 
war [til geworden unb litt zeitweilig an 
melanhofifiben Anwandlungen. Ein Lahr 
jpdter mußte er fih einem Kompagnon an: 
Ichließen, dann übernahm Ferdinand Deffoir 
bas NRelidenz - Theater, aber erft ber Romifer 
Karl führte es wieder zu neuer Blüte, 

Sd wohnte in Dresden in ZBebels Hotel, 
einem Kleinen Gajthaus ber Neuftadt, in bem 
häufig die Offiziere der ſächſiſchen Provinz: 
garnilonen abjttegen, wenn ye bie Refideng 

ejuchten, und Hr da viele alte Freunde 
von der Kriegsichule wieder. Da lernte id) 
eines Tages auch einen jungen Herrn fennen, 
der eben aus Saxon fam und mit dem mich 
eine jahrelange — — verband, bis 
ſie im Laufe der Zeit von ſelbſt ſich lockerte: 
Baul von GSacgepansti, ben Leſern dieſer 
ak als e emelge Mitherausgeber tein 

remder. hnlichkeit des Schidjals führte 
uns näher gujammen. Gzezepatsfi hatte 
den Abſchied genommen und ſuchte gleich 
mir nad) neuen Zufunftsmoglidfeiten, und 
da er gleich mir Ichriftitellerijche Neigungen 
(Ce D gos Véi wir uns zunädjlt zu einem 

andden lodcrer Bedichte und Epigramme, 
das freilid nie im Drud erjdjien. Wie 
richtig er aber feine B'gabung erfannt hatte, 
bewiejen feine jpäteren Romane, vor allem 
„Die Falzgräfin“ und die prachtvollen „Spar: 
tanerjünglinge“. 

Eine andere interejjante Bekanntſchaft 
aus jenen Tagen war für mid) Julius 
Grofje, ber als Gefretär der Schillerſtiftung 
in Dresden feinen pee Pe batte und bet 
bem mid) ein heute perjdjollener Cdrijtjtel: 
ler, Ludwig Habicht, einfiihrte. Grofje war 
mit fuen langen, [djlid)t zu beiden Seiten 
bes |djmalen Belichts herabfallenden Haare 
eine febr marfante Erjcheinung. Seine poeti: 
iden Dichtungen „Gundel vom Königsiee“, 
„Das Mädchen von Capri” u.a. hatten 
feinen Ruhm begründet; nur auf der Bühne 
vermochte er nit recht feiten Fuß zu fajjen. 
3d) wohnte auf feine Einladung bin ber 
Erftaufführung feines Dramas „Tiberius“ 
im Hoftheater bei, entrüjtete indejjen Durch 
meine Beifallstundgebungen diejenigen, denen 
bie Römertragödie weniger behagte als mir. 
Grojje fpeifte gewöhnlich im Rennerſchen 
Bierlofal, wo 1d) häufig zu ellen pflegte, 
und ftellte mich dort eines Abends einem 
alten Herrn vor, den id) längſt unter der 
Erde glaubte: Buftav Kühne, einem ber Let: 
ten des „Jungen Deutjchland“, ber aber eben 
nod) ein paar Schlußbände feiner berühm: 
ten Rlofternovellen unter dem Titel „Witten: 
berg und Rom“ Herausgegeben hatte. Er 
ohne in einer Billa bei Dresden und Idien 
mir ein etwas fnurriger, kurz angebundener 
Herr zu fein. Mod eines anderen Schrift: 
itellers gebenfe id) gern, den ich ſchon in 
Kögichenbroda, wo er wohnte, tennen gelernt 
hatte: Eugen thd von Dedenroths. Er 
war beim Raijer franz: Grenabier-9tegiment 
Offizier gewefen, hatte fidh bereits damals lite: 
Far bejchäftigt und war infolgedejlen mit 


feinen Borgejebten mehrfach in Widerftand 
geraten, fo daß er — nahdem er nod 
Sechsundſechzig eine Barde:-Landwehr: Kom: 
pagnie geführt batte — ſchließlich als Haupt: 
mann den Übjchied nahm. Was mir Herr von 
Dedenroth aus den Anfängen feiner jchrift: 
jtellerijchen Laufbahn erzählte, war bódjt 
interejjant. Er war zu Beginn ber jechziger 
Sabre mit einem Berliner Verleger namens 
Werner tag! befannt geworden, der eine 
Fabrik für Kolportageromane bejaB, lang 
ausge]ponnener und grob zugejchnittener 
Gejcdidten für bas Bolt, bie heftweile ver- 
trieben wurden. Diejem Manne hatte er fid) 
nun auf einige Zeit mit Leib und Ceele 
verjd)rieben und ibm eine ganze Anzahl jo: 
genannter „hiltorilcheromantijcher Erzählun: 
gen“ zu je hundert Heften geliefert, Romane, 
bie fid) met jhon durch ihren Titel harat: 
terilierten, wie „Kleopatra, bie jchöne Bau: 
berin vom Nil“ oder „Die Bluttaufe ber 
deutichen Einheit” oder „Pole, Gude und 
Franzoſe und der Karneval von Achtund: 
vierzig“. Für diefe Mordsgeidhichten hatte 
Dedenroth fid) aber ein gejälliges Pjeudo- 
nym gewählt; da nannte er Ernſt Pi: 
tawall. Sie braten ihm viel Geld ein, und 
er riet mir wohlmeinend, es bod) aud) ein: 
mal mit ſolchen *Bolfsromanen zu verjuden, 
die man im Handumdrehen (Ee CR 
rem Tonne, Die Hauptjache lei lich ftandig 
fieigerndDe Spannung und aufregende Kapi: 
teljdjliijje. Er fagte, wenn er ein Kapitel 
mit einer höchſt geheimnisvollen Wendung 
beendet hätte, jo fet er häufig jelbft neugierig 
gewejen, wie es nun weiter geben würde; 
aber das hätte fic) im Wirbel anderer Be: 
ſchehniſſe bod) immer Ieid)t gefunden. Zeit: 
weilig |d)rieb er täglich einen vollen Drud: 
bogen. ertvoller als ber gute Rat biejes 
lebr liebenswürdigen Menjdhen war mir 
der Weg, den er mir zu bem Berleger Schöns 
lein in Stuttgart eröffnete. 

Schließlich fühlte p mid) in Dresden 
nicht mehr am Plage. Wenn id) Geld hatte, 
bummelte id) mit den alten Kameraden, 
wenn id) teins hatte, erflärte id) mein irdi» 
ihes Dajein für eine Überflülligfeit. Und 
da bieles Gefühl der — igkeit wachſend 
wurde, ſo ſiedelte ich na erlin über, um 
mir dort eine Redaktionsſtellung zu ſuchen. 
Mein Bruder, der inzwiſchen von den Garde— 
füſilieren zu den Eiſenbahnern gekommen 
war, wohnte um sb Zeit in einem großen 
Gartenhauje in der Licterfelder Straße am 
Fuße bes Kreuzbergs. Dort quartierte aud 
id) mid) ein, jpäter folgte Szczepauski. 
Unten lag eine Reftauratton für den Mittel: 
Honn, deren Wirt, ber dide Herr Piper, 
auch das Haus regierte, das ein für heutige 
Merhaltnijje febr großer Garten mit altem 
Baumbeltand umgab. Die erwünjchte Ne: 
battionsijtelIung fand fih nicht fo rajh, obwohl 
(id) ein neugewonnener Freund, Herr von 
Leixner, lebhaft für mid) bemühte; einmal 
war es beinalb jo weit, daß ich bei einer eben 
gegründeten Zeitung, der „Union“, hätte 


166 EFSFSFFFIFPFFIFTZEI Fedor von Sobeltib: [84243€3434243424343433333€3:1 


eintreten Tonnen, bie von bem Regierungs- 
rat Beuthner geleitet wurde — bas zerjchlu 
fid) aber wieder. Dafür erhielt id) pure 
Rermittlung des — d von Man: 
teuffel Anwartichaft auf eine Stellung als 
Polizeileutnant, woraus zu meinem Blüd 
ebenfalls nichts wurde, Go ftiirgten wir 
uns denn fopiüber in das Tintenfaß und 
verzapften mit nimmer miidem un Feuille⸗ 
tons, Skizzen, ſchön EE Aufſätze aller: 
art, Ce mannigfade Erzählungen. Szcze— 
ansfi jchrieb damals feine erjte größere 
ovelle, die „Gloire de Dijon“ hick und 
wei Jahre [pater im „Kleinen Journal” zum 
— tam. Wud ich fand meine Verbin— 
dungen; es fing langjam an, es ging jdjon 
— etwas miibjelig gwar und auf allerhand 
Dornenwegen, immerhin begannen bod) aud 
bereits ein paar Röschen zu blühen. 
Eine Seitid)rift, bie mir gleich und be: 
reitwillig ihre Cpalten öffnete, war bas 
„Neue Blatt“, das Paul Lindau begründet 
hatte und nun men Hiridh in Leipzig re» 
digierte, gemen am mit dem „Salon“, fiir 
ben ich gleichfalls tätig war. Hirjd war von 
grobem Entgegentommen, und id) bin ihm 
afür aud) immer dankbar gewejen. Nur 
batte fein Berleger die Angewohnbheit, nicht 
eher Honorar zu zahlen, ehe man nidt ein 
Nachnahmemandat lage oder mit Klage 
drohte. Das war feine Angewohnheit, und 
an der hielt er eijern feft. Ahnlich machte 
es Herr Giegmey, der eigentlich Giegbert 
Meyer hieß und eine Monatsjchrift „Tutti 
Ce? berausgab. Das war ein furiojer 
err, ber früher in ber Ronfeftion beſchäf— 
tig war und jih Dann mit Leiden|daft ber 
Literatur in De Arme geworfen hatte, die 
indeß nicht viel von ihm willen wollte. Er 
ift, glaube ich, febr unglüdlid) im Srren: 
hauſe verftorben. Auch journaltjtijd) begann 
id) mid) zu beldjü|tigem. Schleſiſche, Köl 
nifde und *Bojener Zeitung und die Berliner 
Bürger:Zeitung, deren Feuilleton Leixner 
rebigierte, brad)ten häufig Artitel von mir, 
ebenjo bie Ctaaisbürger: Zeitung Dedo Mil: 
lers. Mit dem „Berliner Tageblatt“ fam ich 
durch bie „Pofals Premieren“ in Verbindung, 
die der Redafteur Perl erfunden hatte: 
Heine hauptftädtijche Blaudereien über alles 
mögliche, bie an Der Gpite bes Iofalen 
Teils abgedrudt wurden. Um die Politif 
tümmerte id) mid) damals nod) nicht, Wirt: 
Ihaftstrieg und Sozialiſtengeſetz waren mir 
ziemlich gleid)gültige Dinge. Ter alte Perl 
vom Tageblatt, der immer höflich fein fei- 
Denes Rappden abnahm, wenn man in fein 
Zimmer trat, bat mid häufig zu fic, um 
mit mir eine neue Plauderei zu bereden und 
zahlte mir aud) das damals höchſte Honorar, 
nämlich fünfundzwanzig Pfennige die Zeile. 
Wenn man fic bie Anwerjung darüber aus: 
Helen laffen wollte, wurde ber Redaftions- 
lefretár Herr Reinhold Schlingmann regel= 
mäßig wütend und behauptete, er fei immer 
nur am Gr[ten im. Honorarangelegenheiten 
zu [predjen: er babe nod) andere Pflichten, 


er fei ſowieſo überarbeitet, er jet reif für 
ben Sclagflug. Wenn er fid) indefjen aus: 
wütet batte, wurde er gang gemütlich, und 
fam id) anfällig in abendlicher Stunde, fo 
benubte er die Gelegenheit, mit feiner Arbeit 
abzujchliegen und ging mit mir zu Gieden, 
ein Glas Bier zu trinten unb über die 
pi pu zu ſchimpfen. 

$tad) bem Nobiling- Attentat machte mir ein 
Buchhändler, mit dem ich gelegentlich zu tun 
hatte, den Vorſchlag, eine Brojchüre über 
die politijden Attentate bes legten Jahr: 
hunderts zu jchreiben. Daran jet ungeheuer 
viel zu verdienen. Sd) jebte mich denn aud 
gleich mit einem guten Freund hin, und wir 
tiegten es unter eifriger Mitbenugung des 
Ronverjationslexifons wirflid) fertig, bie 
bewußte Brojchüre binnen drei Tagen mit 
Glang und Glorie abaufajjen. Gie wurde 
idileunigit gedrudt, mit einem fnallroten 
Umjchlag verjehen (ber aber unjere Namen 
nicht nannte) und im Schaufenfter bes Buch: 
handlers in ganzen Reihen- aufgeitellt. Und 
nun warteten wir auf den Bolditrom. War: 
teten und warteten, bis uns nad) einem hal: 
ben Jahre bie franfende Mitteilung gufam, 
daß es am zwedmäßigiten fein würde, bie 
ganze Auflage einjtampfen zu laffen, da 
nur zwölf Exemplare verfauft worden jeien. 
So ráüdjte fih bie Gier nad) Erwerb. 

Flotter [obnte jid) bie Tagesarbeit eines 
Reporters, ber mit uns im gleichen Haufe 
wohnte. Es war bas ein Fretherr von dem 
Bottlenberg, genannt von Schirp: erft Offi- 
ier, Dann Student, nun Sournalift, ein 
fabetbaf flinter Menſch, Dellen Spezialität 

ie jogenannten Polizgeinacdridten waren. 
Er Hatte irgenbieldje Verbindungen auf 
dem Polizgeiprajidium, wo er fih täglich ein- 
fand, um das AUllerneuefte zu hören und die 
ge ebenen Spuren zu verfolgen. Er jaufte 
etändig in der Stadt umber und fahndete 
nad) Unglüdsfällen, Verbrechen und Bran: 
ben, über bie er in wilder Hebjagd ein 
Dugend Zeilen zu Papiere brachte, bie auf 
einer autograpbilchen Preſſe vervielfältigt 
unb Dann auf bie Redaktionen getragen 
wurden. Später begründete er eine Zeitung 
— wenn id mid ips entjinne hieß jie Ser, 
liner Figaro“ —, Die indes bald wieder 
felig cano imme tle; rief ein Bureau ins 
Neben, bas „alles madjte", wie auf bem 
Firmenſchild zu lejen war, faufte eine Bar 
und ein Sommer-Baridte in ber Hajenheide 
und wurde bei allen feinen bunten Unter: 
nebmungen jchließlih ein wohlhabender 
Mann. 

Im Piperſchen Biergarten verfehrte zeit» 
weilig aud) ein Schriftiteller, ben ein tra- 
gildes Cdjidjal in ber Dalldorfer Irren— 
anjtalt enden ließ: Albert Lindner. Ich 
jagte Ion, daß bieler Biergarten ein um: 
gewöhnlich jchöner und Ichattiger war, und 
wenn an den Sommerabenden das Bolt in 
Scharen auf den Kreuzberg und nad Tivoli 
jtromte, [o lockten die alten Bäume mit 
ihrer weitausladenden Wipfelpracht viele 


ESCHE TIEFE TIEFEN Wie id) anfing BESSSsesssessssd 167 


herbei, die fid) den weiteren Weg erjparten 
unb bier haltmadıten. Häufig jah man be- 
fannte Gchanjpieler, jo den alten Helmer: 
ding, der in der Nähe SIE dann Herrn 
von $joxar und eine Anzahl Mitglieder des 
Belle» Alliance: Theaters, au dem damals 
nod Guido Thieljcher und Philipp, ber heu- 
tige Opernjanger, in ihren Anfängen ges 
hörten. Lindner jaß gewöhnlich allein in 
einer Ede der Beranda bei einem Glaſe 
SBeiBbier und freute fih immer, wenn id) 
ibm ein Stündchen Gejellichaft leiftete. Er 
war ein einfacher, bejcheidener, liebenswerter 
Mann, aber vergrämt und verbittert. Gein 
preisgetröntes Drama „Brutus und Collo- 
jtinus“ und der Erfolg feiner „Bluthochzeit“ 
atten ibn mit frohen Hoffnungen erfüllt, 
o dak er ben Lehrerberuf an den Nagel 
bing, um jid) ganz ber Let zu widmen. 

m Laufe eines Jahres |d)rieb er zwei 
neue Dramen, „Marino Faliert” und „Don 
Juan dD’Aujtria“, die aber feine Anerken— 
nung fanden. Der Reichstagsprälident Sim: 
jon batte thm eine Stellung als Bibliothe- 
far des Reichstags verjchafft, der Lindner 
indes nicht gewachſen war unb in ber er 
fi unglüdliih fühlte. Dem alten Gdjul: 
meifter war jeltjamerweije alles Bureaufra: 
tijde oerbobt Als ich ihn tennen lernte, 
war er bereits jeines Amtes enthoben wor: 
den, ſchrieb aud) nicht mehr für die Bühne. 
Gein legter bramatijdjer Berjud) war ein 
barmlojer Ginafter gewejen, mit bem er von 
einem Theater zum anderen haufieren ging, 
ohne ibn unterbringen zu Tonnen, Als 
oe aud) allen ihn ablehnte, ver: 
öffentlichte Lindner die Inhaltsangabe des 
Stüds tm Berliner jremdenblatt und ap: 
pellierte an das Urteil bes Publifums, was 
ibm natürlich ebenjowenig niigte. Dann 
ichrieb er Novellen, die nicht über bas Mit- 
telmaß binausragten, war nad) Begründung 
des Kleinen Journals eine Zeitlang für bieles 
feuilletonijtijd) tätig, Ka? fich aber mit ber 
Redaktion und arbeitete nun für ein im 
Cübipeften Berlins erjcheinendes Bezirks 
blättchen, bas ibm für die Zeile zehn Pfen— 
nige zahlte. Jn ber legten Zeit vor feinem 
Sat hay ees galt fein grimmig[ter Haß 

star Blumenthal, den er im Kleinen Jour: 
nal bitter angriff. Übrigens flagte er nie, 
unb wenn er von feinem Elend |pradj, tat 
er es mit einem lächeln der Weltverachtung. 
Indem Augenblid, ba der Herzog von Met- 
ningen mit helfender nun in fein Ungliid 
eingreifen wollte, verjagte ihm die Kraft. 
Er batte bas Unglüd ertragen, aber Die 
Ausficht auf ein neues Blüd jchmetterte ihn 
Au Boden. 

Erinnerungen aus der „Lichterfelder Straße 
Eins“ Bat mein Bruder Hanns in feiner jo 
betitelten Berliner Zigeunergejdhichte ver: 
woben, und mir jelbit soi jene Tage 
vielfa vor Augen, als ich meinen heute 
vergejjenen Roman „Die Urmutsprobe“ 
[djrieb. Es war ein etwas ungeregeltes, 
aber bod) recht unterhaltfames Leben, bas 


wir in ber Budife bes 5* Piper führten. 
Berlin war in den Jahren vor Achtzig 
immer noch in der Entwidlung zur Groß: 
jtadt; es hatte auch bie erjte Million feiner 
Einwohnerzahl nod) nicht erreicht. Die Rana: 
lijationsarbeiten waren faum in Angriff 
genommen worden, in vielen Straßen gab 
es nod) die berüchtigten Rinnjteine, die bei 
jedem Plaßregen eine Überſchwemmung Ber: 
vorriefen. Gebaut wurde allerdings gewal: 
tig, denn Die Zeit der großen Wohnungs: 
not war — nicht vorüber, aber in 
dem ſtillen Wintel am RKreusberg merkte 
man nicht viel davon. Der Kreuzberg ſelbſt 
war der alte Sandhügel von ehemals; der 
a Viltoriapart wurde erft ein 
2 rgebnt jpäter in Angriff genommen. 

ie Kichterfelder Straße sah ein vorſündflut⸗ 
liches e ia in der Belle: Allianceitraße 
drängten fih nod) einftödige alte Häufer 
zwilchen bie modernen Mietpaläfte. Aber 
wenn Parade auf bem Tempelbofer Felde 
pagum, jo wimmelte es bier von Menſchen. 
nweit bes Palazzo Piper lag ber jogenannte 
Raijerjtein. Bis hierher pflegte der alte 
Kaijer Wilhelm gewöhnlich in einem Wa: 
en zu bi dann erft [tteg er zu Pferde. 

n eleftrijde Beförderung war natürlich 
nod) nicht zu denten, immerhin hatte der 
Pferdebahnverfehr eine erfledlid)je Ausdeh- 
nung genommen. Der Omnibus jah jeiner 
äußeren Gejtalt nad) genau jo aus wie heute, 
nur fojtete der Innenpla zwanzig, der auf 
dem Verded zehn Pfennige, ohne Rüdlicht 
auf bie gefahrene Ctrede. Teiljtreden zu 
billigeren *Pretjen wurden erft jpäter einge: 
führt. Drojchlen erfter Klaſſe gab es nur 
wenige, und die übrigen waren zum Teil 
bóje Klapperkaſten; dafür zahlte man aud) 
nur jechzig Pfennige für die „Tour“. Die 
Rohrpojt war (mit fünfzehn Stationen) eben 
eröffnet worden, über die Einrichtung von 
gernipredjitellen las man bereits ver|djie: 
Denes in ben Zeitungen, aber man glaubte 
nod) nicht ‘° redit an diefe wunderlide 
Cade. Lebhaft ging es in den Theatern 
gu. Wm häufigften war id) in bem nur 
einige Schritte von meiner Wohnung ent: 
fernten Belle Alliance: Theater, das recht 
gute Kräfte belaB unb in Dellen Sommer: 
garten bayrilche Sänger „bei feftlicher Illu— 
mination” zu jodeln pflegten. Unten in der 
Lindenfirage lag das Stadttheater, von 
Direftor Rojenthal umjidjtig, aber erfolglos 
eleitet, und am Sobannistijd bas alte 
allenbachſche Variete, in bem es ein paar 
Jahre jpäter Direktor Rruje mit der Spiel: 
oper und ber Operette verjudjte. Im Fried- 
rid)-Wilhelmitadtijden Theater hatten die 
Meininger ihre eriten Erfolge erzielt; unter 
der Direktion bes , Rlabberabatid)"-Syoffmann 
war es nun bie E ber Pariler und 
Wiener Operette mit Kräften wie ber Stü— 
bel, Rrén, Meinhardt, Schmidt, mit Co: 
boda, Max Schulz, Broda, Buthery, Neu: 
mann. Aus bem Orpheum in der Alten 
SyatobsitraBe war bas Neuniontheater ge: 


168 Fedor von Zobeltij: BSSS33BSS33333N 


worden, bas Dann ber Schaujpieler Henne 
nad) feinem Namen taufte und bas vor 
furzem der Romifer Adolph Ernft über: 
nommen hatte, um bier feine luftigen Lofal- 
pojjen mit ben nie fehlenden Mädchenparaden 
zu geben. Zu Kroll ging man eigentlich 
nur zur Zeit ber Werhnadtsausftelungen 
unb der Gommeroper. Engel hatte feine 
Bühne erft fürzlih an Rudolf Bial, den bis» 
berigen Rapellmeifter bes Wallnertheaters, 
verpadjtet, aber Bial batte wenig Blüd, ob: 
ihon er mit ben Bajtjpielen der Patti und 
ber Ger|ter ganz Berlin auf bie Beine 
bradte. Bon den Heinen Bühnen war das 
American: Theater in der Dresdner Straße 
bejonders beliebt. Unter der Direktion Heins- 
dorf unb Reiff genoh es eine Zeitlang fogar 
eine gewijje Berühmtheit, wenn Peil feme 
burlesfe Szene „Hiridh in der Tanzitunde“ 
um *Belten gab; dann breit eine lange 
eihe von Equipagen vor dem ſchmuckloſen 
fleinen Bau, und in ben Logen drängte fih 
ein Publitum von Dier ungewohnter Ele- 
ganz. Das ganze Theaterchen war eigentlich 
nur eine Bude, die Bühne winzig, bas Dr: 
Hefter ein ,freualjaitiges", b. b. ein Pianino, 
auf bem Kapellmeilter Thiele den Cinglang 
begleitete. Das jogenannte Parfett bejtand 
aus einigen Dugend Tijchen, an denen man 
fein Glas Bier trinten und [o das Mate: 
tielle mit ben Aſthetiſchen glüdlich vereinen 
fonnte. Das Publitum bildete eine feltjame 
Miſchung von Heinen Leuten aus der Nach: 
barichaft, Studenten und Offizieren in Zivil, 
bie gern Die Gelegenheit zu einem fröhlichen 
Radau benüßten. So etitlitine id) mid), daß 
eine leine „Bande jopeuje" von übermüti- 
gen Kameraden es einmal fertig befam, 
meinen harmlojen großen Bruder mit poli- 
zeiliher Algewalt aus dem Lofal entfernen 
u fajjen; nachdem er jelbjt mit Iadjenbem 
iderjtreben an bie frijche Luft befördert 
worden war, folgten wir übrigen ihm im 
Gánjemarid) unter Abfingung des weltbe- 
rühmten Liedes aus ,Sjirjd) in ber Tanz: 
ftunde“: „Eins, zwei, drei, an ber Magd 
vorbei, an ber Magd, an der Frau, an der 
Bank vorbei, auf ben Pla zwei, dreil...” 
Mit einer hübſchen Goubrette bes Thea- 
terdjens hatte ich damals eine Heine Lieb- 
ſchaft angefnüpft, bie mich jahrelang vor 
anderen Dummbeiten jchüßte und der id) 
nod) heute ein freundliches Bedenken be- 
wahre. Da war ich denn nun natürlich viel 
in dem närrilcden Mujenftall, in dem ber 
jogenannte Urfomijdhe Bendix und die Ge- 
brider Rihter, ein paar Tangfomifer, bie 
eigentlid) Bater und Sohn waren, die Haupt: 
Wopen der Vorführungen bildeten. Bendix 
dichtete fid) feine ulfigen Berliner Golojzenen 
lelbjt, bie in mandher Beziehung an bie 
Eckenſteher Vtante-Literatur Der vierziger 
Jahre erinnerten; auch bie Gebrüder Richter 
waren erfinderijche Leute und riefen allabenb: 
lid) mit ihrer parodiftijden „Feuerwehr in 
Poſemuckel“ ungeheure Ladjtiirme wad. 
Swijden die Einzelvorträge waren Heine 


einaftige Vollen und Operetten eingejcho= 
ben, für die man Hausdichter hatte, die 
Herren Linderer und Franz. Linderer war 
ein Kleiner, ſchüchterner Wb äer Herr, Franz 
ein verbummeltes Genie, immer ſchwankend 
zwilchen ausgelajjener Lujtigfeit und ſchwar— 
zer Dielancholie. Er war dereigentliche ,,Dra- 
maturg“ des American:Theaters, ein Origi— 
nal von reinftem Waſſer, ber fid) feine Papier: 
wäſche felbjt gujdnitt und in feiner großen 
Gutberaigfeit ben lebten Brojchen mit andern 
teilte. Sein Haupterwerb beftand darin, dak er 
befanntenBühnenfchriftitellern Stoffe, Szenen 
und ganze Gtüde lieferte; bejonbers mit 
Eduard Yacobjon, bem Verfaſſer zahllojer 
Poſſen, ftand er in reger Verbindung. Er 
hatte aud) jonjt eine recht gewandte Feder: 
ein billiger Wrtifel, ben er anonym über 
Ostar Blumenthals dramatijches Erftlings: 
wert „Wir Abgeordneten“ in der ‚Germania‘ 
veröffentlichte, erregte berechtigtes Aufjehen. 
Das Americans Theater war derzeit ein fo 
eigenartiges Kotal, daß es von mandjrlei 
Berühmtheiten auf doa? wurde. Go jab 
id) Emil Bradvogel dort einmal kurz vor 
jeinem Tode, den Grafen Wilhelm von Bis: 
mard, den Sofmaridjall Grajen PBerponcher 
mit dem Oberjägermeifter von Meyrind, 
ben GSeiltänzer Blondin, ber ſchon ben Sed): 
gig nahe war, aber noch immer feine Pro: 
menaden auf Gtelzen auf bem gelpannten 
Drahtjeil unternahm — eines Abends aud) 
Rofit, ber in Berlin gaftierte und fid) fo 
fojtlid) amüjierte, daß er nad) ber EL. 
lung nod) mit der ganzen Schaujpielergr]ell: 
Ichaft ein paar Stunden in der Kleinen Kneipe 
rehts vom Theatereingang zulammenblieb, 
Gett auffahren ließ, unaufbörlich deutſch— 
franzölildy radebredjte unb j|djlieBlid) über 
ein paar Stühle |prang, um die körperliche 
Gewandtheit feiner fünfzig Jahre finnfálltg 
zu zeigen. Gpäter traf id) an im Haufe 
der liebenswürdigen Frau p. L. wieder, in 
dem viele Cdjauj|pieler verfehrten, u. a. 
Giegwart Friedmann und Barnay, und wo 
er wie ein Fürlt gefeiert wurde, was thm 
gar nicht recht bebagte. 

Inzwilchen hatte ich aud) neue jchriftitel- 
leriihe Verbindungen gefunden, in Berlin 
vor allem mit ber Nattonalzeitung, bei ber 
mid) Frengel und ber damalige Beſitzer Ca: 
lomon begünftigten, und mit bem Kleinen 
Sjournal, das der Allerweltsmann Gtrois- 
berg ins Leben gerufen hatte, um fid) nad) 
dem Zujammenbruch feiner Exiltenz einen 
neuen Aufihwung zu geben. Das Blatt, 
das |páter mannigfade Wandlungen durd: 
machte, war urjpriinglid) nad) bem Muſter 
des Parijer „Petit Journal” begründet wor: 
den und hatte eine Reihe tüchtiger Mit: 
arbeiter, zu Denen u.a. auch Lindau, Frangos, 
Lindner, Lorm, Bulthaupt, bie — 
sorter und Emma Bely gehörten. Paul 

indau hatte einmal (anonym) ein febr uns 
terhaltendes Feuilleton „Morgenftündchen 
einer Primadonna“ für das Blatt gejchrie: 
ben, in dem er eine Anzahl Bettelbriefe met 





Die Kathedrale gu Laon 
Radierung von Prof. Conrad Sutter 


: ITI 
99999999 909000009990990000009009004299929900990090^*92000009000090009009009009090000090000909090000000090000900000090000000000000000000200000000000000000000000009000000000090090090000000900279 . o eeeeee ees o 


"Të © 6666S OOO SS OSS SOS OOOSS SSS SF OOSESSOESE © EF SEOEEEEOESES SSS SEESES FS ESESOBES 6600000000000 2005666 


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höchſt komiſcher Art wiedergab, die an die Wdes 
lina Patti gerichtet waren; ein paar Berfajjer 
diejer Bettelbriefe wollten daraufhin, obwohl 
ihre Namen gar nicht genannt worden, flag: 
bar werden, und Ctrousberg mußte fih er 

mit ihnen ins Einvernehmen leben, um einem 
Standalprozeß vorzubeugen. Der große 
Mann von einft batte viel von jeiner gei: 
ftigen und — Elaſtizität verloren, 
war aber immer noch eine recht intereſſante 
Erſcheinung und, wenn er in Stimmung war, 
ein glänzender Plauderer. iron hatte 
er SS? nod) abgeihwädte Wnwandlungen 
feiner früheren Broßmannsjudt. Karl Emil 
rangos erzählte mir gelegentlich, er fei ein» 


mal, von Wien fommend, bet ibm gewejen, 
um eine Anzahl Feuilletons mit ihm zu vers 
abreden. Mian Jegte den Preis für ein 


euilleton auf hundert Mark feft, und als 
rangos zögernd fragte, ob er aud) auf 
regelmäßige Abrechnung zählen dürfe, fab 
Strousberg ihn erjtaunt an, flingelte dann, 
ließ den Kajlierer tommen und rief ibm zu: 
saben Cie Herrn Franzos DNA —— 
arf Vorſchuß für zu liefernde Ware!” — 
- Der Hauptleiter der Politif war ein gewiller 
Stern, ber lange in Paris als Rorrejpons 
dent gelebt unb in Brüffel den ‚Nord‘ ges 
KS batte, aber nun ſchon ein bißchen 
nfus geworden war; er wurde dann von 
einem grimmen alten Leitartifler, Dr. Zeh: 
lide, erlebt, ber bie lauwarme Politif des 
ufte milten allmählich in ein fonjervatives 
abrwajjer überleitete. Das Feuilleton hatte 
dolf Gerjtmann, die tägliche Beilage Klei— 
nes Samen:Syournal' ein aus Amerila ges 
fommener, höchſt gewandter Sjournalift nas 
mens €brenberg,\der fid) aber Dr. Carlotta 
nannte unb mit feinen immer neuen Plänen 
ausgezeichnet zu Strousberg paßte. 
ine eigene kleine Redaftion führte ich 
nebenbei. Mein- Bruder war mit einem 
Herrn von Blajenapp —— einem ehe⸗ 
maligen Leutnant der Ziethenhuſaren, der 
dann einen Verlag für militärwiſſenſchaft⸗ 
lide Literatur, die ‚Militaria‘ begründet 
hatte, in bem die ‚Neuen militärijchen Blats 
ter und die „Unteroffizier = Zeitung‘ erjchies 
nen. Für dieje hatte th jhon von meiner 
Garnijon aus mancherlei Kleinigteiten ges 
Ihrieben, und als Glajenapp mir nun Die 
Redaktion anbot, nahm id fie an trog bes 
winzigen Gehalts, bas er mir zahlen fonnte, 
Glajenapp war ein pradjtvofler Menje, 
ftedte aud) voller Energie. Er hatte eine 
volfstiimliche Beichichte bes Krieges Siebzig— 
Einundfiebzig verfaßt: das Mtanuftript vers 
brannte ihm, und ohne zu zögern, febte er 
fid bin unb jchrieb bie ganze Arbeit nod 
einmal. Aber er fam nie aus den Geld: 
Ihwulitäten heraus. Wollte man Honorar 
bei ihm abholen, jo gejichah es wohl, daß er 
[agte: „Sehn wir mal nad, was in ber 
Rolle ift!” Und dann jab er nad unb teilte 
den el brüberlid) Die 9tebaftion ber 
‚Unteroffizier Zeitung‘, bie ich zwei Jahre 
führte, war eine furioje Arbeit. Die Hälfte 


Wie id anfing BSSSESSSESSSTZA 169 


des Blattes wurde aus anderen Zeitjichriften 
e Di AB al die zweite Hälfte jtammte 
zum großen Teil aus Unteroffizierstreifen, 
und diefe Beiträge mußten natürlich immer 
erft zurechtgeftugt und drudfabig gemadjt 
werden. Es war aber bod) aud) wieder jehr 
ſpaßhaft, mit biejer Welt und ihrer ſeltſam 
einjeitigen sa lig ung, in Berbindung 
u fteben. Man lernte dabei allerhand 

eues tennen; das Jnterefjantefte war frei: 
lich gewöhnli das, was nicht gedrudt 
werden konnte. Co erhielt id) einmal ben 
Artikel eines angebliden Gefreiten: „Wie 
ich mir einen Leutnant dente,” ber jo voller 
SA und boshafter Bemerkungen ftedte, 
daß thn ſchon ein überlegener Geilt gejchrie=. 
ben haben mußte. 

Blüdlich entwidelte fih mein Verhältnis 
zum Scyönleinjchen Verlag in Stuttgart, ber 
eine ganze Anzahl voltstümlidjer Blätter 
herausgab: bas ‚Bud; für Alle, bie ‚Chronif 
der Zeit‘, die ‚Bibliothet bes Wiſſens unb 
der Unterhaltung‘ und nod) andere, bie vers 
Ichiedenen Provinzzeitungen als Unterhal: 
tungsbeilagen beigegeben wurden. Die Ree 
battion hatte als Grundſatz: jpannende Hands 
lung unter Bermeidung fittlicher und fos 
poe Probleme. Wm beliebteften waren 
leine bijtori]d)e Novellen und Kriminalge: 
k idjten, bie ich aud) zu Haufen lieferte und 

e immer gut und SH nach Annahme 
honoriert wurden. Es war geidjájtlid) ein 
ausgezeichneter Verkehr mit den Cchönlein» 
[den Redaltionen, aber man mußte jid) frei: 
lid) den gebotenen Vorjchriften fügen, und 
es fam denn auch vor, daß ich dann und 
wann eine Arbeit unter der Motivierung: 
„Zu bod) für unjere Blätter“ guriiderbielt. 
Ein anderer würde vielleicht über itejem 
nliterarijden Frondienft” bitter geklagt und 
die Mujen angerufen haben. Daran dachte 
ih gar nicht. Ich lebte am Schreibtiſche 
febr — unter Iwan dem Schrecklichen 
und Ludwig XIV., kämpfte im Dreißigjährigen 
Kriege und im Aufſtand der Niederlande, 
verkehrte mit Hochſtaplern und Falſchmün— 
gern und hatte in meinen Pflichtſtunden das 
angenehme Gefühl, auf bie gejamte Literatur 
fröhlich pfeifen zu können. Geſchadet hat 
mir diefe „Bergeudung der Arbeitskraft“ 
(wie mir Adolf Glajer gelegentlih mahnend 
jagte) nicht im geringften, im Gegenteil, in 
ber Technif, in der Beherrichung des Stoffes 
unb ber Einteilung der Materie habe id) 
dabei mandjerlei gelernt. Karl Frenzel er: 
zählte mir einmal von ben Eritlingen feiner 
eigenen Gchriftftellerei; in den fünfziger 

ahren galten ibm die englilden Cenja: 
tionsromane nod) als mujtergültiges Bor: 
bild, unb nad) diefem Vorbild hatte aud) er 
eine ellenlange Beichichte verfaßt, bie „Rette 
unb Gin|djlag" hieß, bie er aber verleugnete, 
als Robert Grup ibm gelagt hatte, dağ er 
nod) nie jo etwas Verrücktes gelejen babe. 
ig lächelte damals über diefe Jugend: 
ünden wie id) heute über bie meinen. 

Eine hübſche Erinnerung aus jener Zeit 


Belbagen & Klafings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2 Bd. 12 


170 B23xeexeie—3:—:5]1 Ruth von Oftau: Der Bronz 


ijt mir der erfte — den man 
in Weimar feierte. Es ſtrömte da alles zu— 
ſammen, was Literatur hieß: Hopfen, Lin— 
dau, Stettenheim, Auguſt Becker, Gerhard 
Rohlfs, Groſſe, Gerhard von Amyntor (der 
eben bekannter geworden war), Rittershaus, 

SEN Edftein, Lubliner (derzeit nod) 
Hugo Bürger genannt), Dahn, Fitger, der 
alte Klette, L'Arronge, Rudolf Loewenftein, 
Mölhaufen], rn ijfel, Pasqué, Schweis 
del, Stinde, Wachenhujen und monde ans 
dere. Wher aud) bie nod) Unberühmten 
— ſich ſchnell zuſammen: Ernſt von 

olzogen, Schulte vom Brühl, Johannes 
Proelß, Hanſtein, meine Wenigkeit und noch 
ein paar Jüngere bildeten einen Tiſch für 
ſich. Vorſitzender war ein alter Herr, der 
mittelmäßige Romane ſchrieb, dod) ein freuz- 
braver Dann war: Friedrid) Friedrich, ge: 
nannt ber Doppelfrige. Költliy war beim 
Feſtmahl ein Zrinfjprud) auf bie Damen, 
den der dide Rittershaus hielt, und ebenjo 
frijd) und finnig ein zweiter auf bas Thii- 
ringer Land, ben Fedor von Koeppen bei 
bem Frühltüd ausbrachte, bas uns der Groß» 
bergog auf der Wartburg gab und bei dem 
ber Generalintendant Baron Loen unb der 
&ammerberr Graf Wedel den hohen Gajt: 
geber vertraten. 

Fedor von Koeppen, der in feinen vater: 
ländiichen Gedichten den Spuren Fontanes 
folgte, lebte um diefe Zeit nod) in Leipzig, 
jiedelte aber bald nad) Berlin über, wo id) 
ibn zuerjt bei dem fünfzigjährigen Jubi: 
läumsfejt des Tunnels über der Spree wies 
derjah. Dieſer altberühmte literarijche Verein 
exijtterte aljo wirflid) nod), unb bei dem 
Jubiläum (das fid) übrigens nicht genau nad) 
dem Griindungsdatum richtete) fanden fid) 
mit erjtaunten Belichtern zahlreiche ehemalige 
Mitglieder gujammen, die den Tunnel für 
lang}t fanft entichlummert hielten. Koeppen 
war Borjikender, das „angebetete Haupt“, 
und führte das Zepter mit der vergoldeten 
Eule; Kajlierer war ein [d)würmerijd) ver: 
anlagter Photograph, ein verdrehtes Huhn, 
Dellen fürchterliche Gedichte nur von feinen 
intimjten Freunden bewundert wurden, ber 
aber pon brennendem poetijhem Ehrgeiz 
bejeelt war und es verftand, nad) und nad) 
den legten Reit ber alten Tunnelberrlichkeit 
an fid) zu reißen. Ebenjo war der Schrift: 


* Wilhelm Grothe eine merkwürdige 
erſönlichkeit, ein früherer Schauſpieler, dann 
Buchhändler, endlich Schriftiteller,, ber eine 
Maffe abenteuerliher Romane gejchrieben 
hatte, aber nie auf den grünen Zweig fam 
und jedesmal vom heulenden Elend gepadt 
wurde, wenn er ein Bläschen zuviel trant: 
Alles in allem ein abjonderliches Menfchen: 
find. Zu ben Befuchern jenes Gunneljejtes 
gehörten aud) Heinrich Geidel, Fontane, 
Heyfe (der zufällig in Berlin war), Loewen: 
Hen, ber eins feiner reizenden Kinderlieder 
vortrug, der Oberfapellmeijter Wilhelm Tau: 
bert, ber Gujtigminijter Friedberg, Geheim- 
rat Kette, ber Militärſchriftſteller Max Gabns 
und Herr Wollheim da Fonſeca, alles alte 
Mitglieder, manhe von Begründung des 
Vereins durd) Saphir an. Den Chevalier 
Anton Wollheim da Fonfeca fehe id) nod) 
vor mir: einen fleinen, diden jiidijden Herrn 
im Frack mit weißer Weite und mit bunten 
Drdensbändern beladen, eine em le fo: 
mijche Figur und ein bont wikiger Menſch, 
der bei der Beurteilung der vorgetragenen 
„Späne“ aud) feiner Bosheit feine S ügel 
anlegte. Er hatte ein abenteuerliches Leben 
als Syournalijt, Theaterdireltor unb diplo: 
matijdjBes Reptil hinter fih, behberrichte 
dreißig Gpraden, hatte fid) in aller Welt 

erumgetrieben unb in Portugal aud) bie 

hevalierwiirde mit ber Namensbelehnung 
da alae geholt und lebte nun in Berlin, 
an jeinen farbigen Erinnerungen arbeitend. 
Der literarijde Erfolg des Abends war 
jedenfalls Jo, daß mir Heinrich Seidel, ba: 
mals ein ftattlicher Dreißiger, Jagte, es wäre 


bod) beffer gewejen, wenn der Tunnel bas 
Stiftungsfeft niht mehr erlebt hätte. Für 
mid) war bie Belanntjichaft mit Fontane 


am intere|[ante[tem, den ich |páter öfters in 
feiner traulihen Manjardenwohnung im 
Sjohanniterhauje der Potsdamer Straße be: 
juden durfte und von bem id) auch nod 
einige Briefe aufbewahre, bie bartun, mit 
welcher Herzensgüte er den jungen Anfänger 
gu fördern verjudte. Die Tunnelgejellichaft 
eſuchte id) nod) zwei: oder dreimal, ges 
meinjam mit Hans Herrig. (Cie tagte in 
der Wohnung ihres Kajlierers, des Photo: 
graphen, führte aber nur nod) ein Schein: 
dajein. Schließlich wurde mir bie Gade 
langweilig, und da blieb id) Dann fort. 


Xotototototototototototototototototetototototetotorotetotorotototototototototototototototototototetotot x 


Der Kranz 


Ic, habe um meine jchmerzende Stirn ch reichte bir meine Hände zum Tang 


Einen Kranz von Rojen getragen, 

Auf daß deine Augen nicht fragend 
iren 

Um Wunden, bie einft du gefdlagen. 


Ruth von Oftau 


— JOIOQIOIQOIOIOIOINIQOIOIOINQIIQQIOIOPOW QO YOAIQIOIO{OIOQINIQOIOO OOK OK 


` 


Und habe dein Lahen geduldet, 
Aufjauchzte bas Lied — da fiel der 
Kranz — 

Da ſahſt du, was du verfchuldet.... 


IOOIQOIOIOMIOIOIOIOIOIOIOIN« 



















DAILY eS 
2/230 9 ots C 
Qie Einnahme von Riga war ein 
wudtiger Schlag, der Deutjchland 
die Herrichaft über bas baltijche 
Land, aber feineswegs über bie 
Ditfee fidjerte: jo wenig, wie etwa 
Rußland [djon Herr bes Ditflügels des Mittel- 
meers gewejen wäre, wenn jeine Heere den 
überjpannten zarijchen Machtträumen gemäß 
in Ronftantinopel eingumar[djieren vermodt 
atten. Erft mit der Eroberung Ofels und 
ämtlicher dem Rigaijchen Bujen vorgelagers 
ten Inſeln eröffnete fih uns ber Blid ins 
freie ‚Schwabenmeer‘, wie einft das große 
nördliche Staubeden des Atlantifchen Ozeans 
enannt wurde. Wenn irgendwo, [o zeigt 
d) bier, wie der Krieg gleich einem Hephata« 
ort wirft, Das die Schleier der Blindheit 
x nächftliegende und bod) überaus wichtige 
eltmadt:Schidfalsfragen von den Augen 
nimmt. Wer hat (id) früher die Mühe ge: 
nommen, über bas Zielen bes Oſtſeepro— 
blems, feine gejdidtliden Wurzeln und 
feine Bedeutung in.ben Kämpfen und polis 
tijden Rrijen awijden den europäiſchen 
Staaten nachzudenten ? —— lullte 
fih der deutſche Michel in bem ſelbſtzufriede— 
nen Bewußtſein ein, daß ſeine Flagge im 
Handel auf der Oſtſee die erſte Stelle be— 
Sir aise daß wohl im finnijden Hinterhalt 
uland als militärijch bedroblider, aber 
ur Eee troß allen 9tüjtungen ungefährlicher 
Feind lauerte, dak im übrigen jebod) an 
Diejer Front bas Eintreifungstnftern der Ens 
tente unwirfjam fei, weil bie Dreizadgewalt 
Albions fic) nicht hierher, vor die Tore 
Mitteleuropas, eritrede. Tatſächlich 
derlei Urteile im Grunde nichts als ein neuer 
Beweis für die vielberedeten Schwächen un: 
jeres politijchen deg Me insbejon« 
dere dafür, daß wir bas Zielen ber eng: 
Iifchen Staatsfunft nad unjerer eigenen Art 
beurteilen und ihr feine Ziele zutrauen, bie 
uns auf ben er[ten Blid pbantajtijd) erſchei— 
nen. Für bem jelbjtüberzeugten Engländer 
ibt es feine Utopie bes politiſch — 
Daten, foweit bie Erde reiht. Er verjudt 
alles. Jedes Ziel erjcheint ihm greifbar, 
namentlich foweit es im Bereich der Ozeane 
liegt, auf denen er nad) höherer Vorjehung 
Herr ift; erreicht er es nicht voll nach weit: 
ausjchauendem Plan, jo weiß er ae er: 
fabrungsgemáB, daß minbejtens im Wege 
von Ausgleichsgeihhäften fid) Gewinne für 
den britifchen Handel und zur Erweiterung 
unb Bervollfommnung des über alle Meere 
fid) ausbreitenden Syſtems von Flottenjtüß: 
puntten berausjdlagen laffen. Dementſpre— 





Mare baltıcum_ 


Don 


Dr. DC Freiherrn von Maday 


waren : 


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end ift bie ganze Geſchichte bes g 
tachtgebiets und des Gtreits der Ufer: 
völter um den Vorrang auf feinen Bewällern 
gleihjam ein fortlaufendes Filmband, das 
in wechjelnden Bildern die Künfte und Rniffe, 
die teils auf geſchickte Biindnispolitif, teils: 
auf Flottengewalt fih [tütenbe Taktik Von: 
bons zur Be — und Entwicklung 
ſeiner Herrſchaft über Wogen und ſchwim— 
mende Waren auf allen Meeresteilen vers 
anſchaulicht. Es erſcheint gewiß heute zeit— 
gemäß, den Teil der Geſchichte Europas, 
deſſen Laufwelle die Oſtſee war, von dieſem 
Geſichtspunkt aus näher zu betrachten. 
Pytheas von Maſſilia (Mtarfeille) nannte 
die Bewohner ber Dftiee Guttonen, was 
wahrjcheinlich foviel wie Goten heißen foll, 
und wollte dort die große Injel Bajilta ent: 
bedt haben, die, wie Plinius behauptet, 
nichts anderes gewejen fet als bie Nordſee— 
injel Abalus. Trogdem leitet man von 
jenem Bafilia oder Baltia den Namen Bal: 
tiles Meer ab: verjchwommen wie die 
ganze politifche Vergangenheit des Nordens 
tit |o bas erfte Wufodmmern von Gonnens 
licht Durch bie Wolfen über bie Ojtice. Meinte 
der griechiiche Seefahrer etwa die Inſel 
Wollin, bas fagenhafte Bineta, wo die Wi- 
finger die Syomsburg errichtet und fid) weit 
und breit gefürchtet madjten? Jedenfalls 
brandet ploglid) von dort, von der ultima 
Thule, eine Springflut auf, deren Wellen: 
ang die ganze Alte Welt in Aufruhr vers 
fest Die erjten Wilingerfahrten des 8. bis 
10. Jahrhunderts waren nichts als Geerduber: 
gige; als bie ‚Djtmannen‘ England als 
eute einzuheimjen gedachten, mußten fie 
der überlegenen Feldherrenkraft Alfreds bes 
Großen jid) beugen, fih taufen Toilen und 
feine Oberhoheit anerfennen. Jest aber 
werden bie Ytormannen Staatengründer. 
Nachdem der fanatijdje Etelred ll. in ber 
Briccius:Bartholomdusnadt alle auf feinem 
Reidsboden jeßhaften Dänen hatte ermorden 
lajjen, um fic) von ber Tributbürde des 
Dänengeldes zu befreien, beginnt unter König 
Svend Gabelbart die bünilde Eroberung 
Englands, bie der große Knut vollendet. 
Auf franzöliihem Boden jegen fid) mor: 
männiſche Seefahrer nad) dem Tod des Gra: 
en Odo, der Paris vor ihren ?Irgri fen ges 
hüßt hatte, in ber römijchen Calli: Lug- 
dunensis secunda. und gwar im Geb et von 
Rouen feft, und erhalten es von Karl bem 
Einfältigen als Krou: hen, bas fid) miblid) 
bis zur Bretagne austehnt. Yee ve Rolle 
He jchließlich als Waräger unter ihren Füh— 
M 12* 


172 pex Dr. B. L. Freiherr von Maday: BSZA ZEZE AAAA 


rern Rurit, Sineus, Truwor als Begründer 
bes Nowgorodichen Reihs geſpielt haben, 
von dem aus fie bem Lauf des Dnjepr fol: 
end bis zur Ufraina und dem Schwarzen 
eer unb [dlieBlid) fogar nad) Ronfjtantis 
nopel gelangten, wo ſchon 935 eine Wa: 
räger: Xeibwache zur Stüße des ſchwanken— 
ben byzantinijchen Thrones eingejebt wurde, 
ift allbefannt. 

Mit bem 12. Jahrhundert hat fih, dank 
ber lineinigfeit ber jtandinavijchen Mächte, 
bie in ber Ralmariidjen Union nur eine pa: 
pue Auslöhnung fand, bas Szenenbild voll: 
ommen geändert, und es erjdeint als Herr 
der Ditjee eine faufmännijche Genoftenfchaft, 
bie deutſche Denis Die Haupthandelsfon- 
tore der Hanja im 12. Jahrhundert waren 
Brügge und Wisby: bas eine für bie han» 
delswirtichaftliche Beherrichung der Nordjee, 
das andere für den gleichen Swed in ber 
Ojtiee. Die Macht der großen Hafenjtadt 
Si Gotland ging dann im 13. Jahrhundert 
auf Lübeck über, als fie von bem Dänen: 
lónig Waldemar Atterdag erobert und 
furchtbar ausgeplündert, ihr Handel bird) 
willtürlihe Zwangsmaßregeln unterbunden 
wurde. Get verbanden fih bie Rontore in 
der Konföderation von Köln zum Zwed, die 
Sperre, die man in Gerber gwijden 
ihrem Nord: und Oftjeefreis aufzurichten 
gebadhte, durdyauftoßen ; 1369 wurde der Huns 
ertjährige Krieg zwilchen Liibedd und Kopen: 
5 en durch dejjen Eroberung entjchieden ; 

Ibrecht von Medlenburg, ber Schweiterjohn 
des Magnus Eritsjohn, erlangte mit Hilfe 
der Hanja ben jchwedilchen Thron, diefe er: 
hielt si ei bas Große Privilegium“ von 
1368, und nun ftieg Die Macht des Bundes 
um Zenit. Das mare balticum und alle 
fetue Riijtengebiete ftanden in ber Sonne 
[ángenben handels: und vertehrswirtichaft: 
iden Aufihwunges: ein fraftig fließender 
Wechſelſtrom des Giiteraustaujdes zog von 
ben Gebieten ber Oder und JBeid)iel zu ben 
Ditjeegeitaden und von dort aus in viel: 
fader Bergweigung djtlid) bis Nowgorod, 
dem ruſſiſchen Hauptlontor der Hanja, melt: 
lich zur Nordjee, zu den ped chen Riijten 
und bis gum Stahlhof an der Themje. Diefe 
Slut aber trug zugleich das Volt der Pruffi 
oder Pruzzen, das heißt ber Hugen, wiljens 
den Preußen zur nationalen Machtentfaltung 
und bhandelspolitijhen Bedeutung empor, 
Shre Kaufleute brachten aus Polen, Ungarn 
unb Moskowien Güter allerart herbei, die 
dann auf ben Wogen der Oſtſee wejtwärts, 
met nad) England dommen: es erjcheint 
ebenjo bemerfenswert, daß diefe Waren, Be: 
treide, Hölzer, Erzeugnijje der Weberei und 
Spinnerei, jhon damals Diejelben waren, 
bie noch heute im britijch-rujliichen Handel 
bie erjte Rolle |pielen, wie es darafterijtijd 
ijt, daß fhon zu jener Zeit die Engländer 
verjuchten, jit) burd) Rapitulationen mit den 
Hodmeijtern bes Deutjchen Ordens bejondere 
Vorrechte für ihre Kaufleute in den preußis 
(den Häfen zu jidern, aljo eine Art Ein— 


E zu betreiben. Ständige 
eibereien waren die Folge joldher Anſprüche, 
bie aber bod) niemals eine bedrohliche Schärfe 
aus dem einfachen Grunde annahmen, weil 
England bei feinen GFlottenbauten auf den 
über Preußen gehenden Holghandel durch: 
aus angewiejen mar. Unterdejjen [ant aber 
der Stern der Hanfa immer tiefer aus dop» 
eltem Grund. Gie batte nod) fein geeintes, 
fonder nur ein in jid) aerrijjenes, badern: 
es Deutichland hinter fih, bas unfähig zu 
traftvollem Schuß ihrer Flagge in ben Ramps 
fen gegen neibijd)e Mächte war, bas viel: 
mehr gerade durch feine llneinigteit felbjt 
an den Wurzeln der Maht des Bundes, 
des er|ten Schrittmacdhers deuticher Ceegel: 
tung, Do Denn die Binnenitädte, die vom 
Hanjebetrieb feinen unmittelbaren Vorteil 
atten, machten fih unter erjtarfender Für— 
engewalt von thm los; bie jelbitjüchtige 
olitit übeds unter feinem berühmten 
Riirgermeijter Wullenweber bewirkte den 
Zuſammenſchluß bes burgunbijd) geworde: 
nen Hollands mit Dänemark aur Abjdyütte- 
lung bes Stapelgwangs, unb der Ceetrieg, 
ber ob ber Gtreitjadye entbrannte, endete 
mit dem Ropenhagener Frieden (1441), der 
icheinbar nod einmal bas Machtgebot der 
Hanfe aufrechterhielt, in Wirflicfeit aber 
ihon den Berluft bes Nordfee-Einjlußgebiets 
bejiegelte. Der andere Grund des Berfalls 
der Sanie [ag in ihrer Politik jelbjt, deren 
Geift oft und mit Redht in Vergleich zur 
Tatil geftellt worden ijt, auf deren Grund: 
lage England fein Weltreich aufbaute. Wie 
Großbritannien in feiner Griinderperiode, 
arbeitete bie Hanje vorab nad) der Norm 
der mittelbaren Macdhtgewinnung. Gie per: 
pate auf €anbesDobeitsred)te, dachte nicht 
aran, Zandheere zur Berteidigung ber Bors 
rechte und Einflußgebiete, bie hie überall jid) 
zu fidjern wußte, zu unterhalten, [higte diefe 
aber febr wirfjam durch ihre überlegene 
Flotte und durch bas Syitem, alle für ihren 
majjen Smperialismus' [trategild) ausjdlags 
ebenden Stüßpunfte fremder Lander mög: 
ichſt feft in den Griff zu befommen. 
Mod) zwar hielt der Bund den Oſtſeekreis 
felt in ber Faujt: mit der Entthronung König 
brijtians IL. hatte Vübed im Berein mit 
Danzig feinen Zwed, die Auflöjung der 
ihrer Macht gefährlichen ſtandinaviſchen 
Union erreicht. Dafür aber entitanden zwei 
andere, gefährliche Gegner: England im We: 
ften, Rußland im Olten. Das Auftreten 
Gujtav Adolphs als Beſchützer ber protejtan: 
tijden Lehre in Deutjchland hatte zunädhit, 
nad) ben fiegreihen Kämpfen des großen 
nordilhen Heerfiihrers gegen Polen und 
Rußland, den erbofiten Erfolg, dak Shwe: 
den durch den im Weitfälifchen me ibm 
goes Yändergewinn, ber Die Herzog: 
ümer Bremen, Werden, Vorpommern, halb 
Hinterpommern und Wismar umfaßte, zu 
ber bas ganze Ditleegebiet beberrjdenden 
ifanbinapilden Bormadt wurde. Karl X. 
befeftigte bieles Anjehen durch feine fübnen 





Unternehmungen gegen Polen und Alexej 
Michailowitih nod) mehr; aber bas große 
Erbe, bas er hinterließ, wurde — ſchmählich! 
— von ben Bormündern feines Sohnes ver: 
tan. So war bie Bahn freigemadt für 
Rußlands Vorſtoß gegen 3Borbereuropa hin. 
Schon im 14. ie Gage atte man in 
Mosfau, angelodt durch den FFilchreichtum 
bes Nördlichen Cismeers, ein Auge auf Nor: 
wegen geworfen; Grenzitreitigteiten mit bem 
damals ohnmächtigen, von Danemarf regier: 
ten Königreich führten zu einem Bertrag, 
ber bie Linie des Lyngenfjords unweit 
Trömsö als Grenze feitjegte. 1553 wurde 
bann von englijchen merchant adventurers 
bie Durdfahrt gum Cismeer gefunden und 
dazu benuft, von Arhangel nad) Mostau 
eine Handelsitraße zu Ge unb “jo ben 
britijdjen Ginjlug in Rußland zu ftarfen. 
Hundert Jahre |päter bewilligte bas Lon: 
doner Rumpfparlament die Ylavigationsalte, 
um bas Monopol der Holländer im über: 
feeijden Fradtverfehr zu brechen und bie 
Nordjee zu einem britiichen Teich zu machen. 
Aber niht genug damit! Grommel, ber 
geiftige Bater des britiihen Imperialismus 
m der typijden Form der Verbindung von 
puritanijchmuderifhem Glaubenseifer und 
enialem Gejddftsjinn, er, ber als erjter auf 
ibraltar als begehrenswerten Bejig hins 
wies, gründete zugleich feinen Proteftanten: 
bund zum offenfundigen Zwed, England 
im ganzen Handelsbereich ber nordgermanis 
jhen Bolter die Führerſchaft zu fichern, und 
ließ, um ber erg tenes biefes Planes 
willen, ein großes Geſchwader in ber Ditfee 
einlaufen ; nur der Vorrang, ben bie bring: 
lichere Eroberung Jamaifas und die Brands 
geng Do Widerjader des Lord: Protel: 
tors im Mittelmeer — ngland beanſpruchte, 
bewirkte, daß ber Entwurf nicht durchſchlag⸗ 
kräftig zu Ende geführt wurde. Immerhin 
batten fih die Briten eine Reihe Reſiden— 
en‘ in den wichtigften Hafenftädten der Dit: 
ee wie Riga, Danzig, ۟bed ge[djaffen unb, 
wie es ineinem alten Rigaijden Bericht heißt, 
„den grüpelten Teil bes Trafique mit Kram: 
gut unb bes ausländilchen Negoce” an fich 
gerifjen, als Peter ber GroBe bte Regierung 
antrat unb, gemäß feinem DEDE ar 
Programm über bie Erhebung bes Mosto: 
titeritaats auf bie Ctufe eines Weltreichs 
Chen Rangs burd) bie Eroberung der Tür: 
tei, Ben, jelbjt Perfiens, vor allem an 
der jee Rußland die Tür zum warmen 
Meer freigumaden ftrebte. Um bieles Ziels 
willen führte er ben zwanzigjährigen nordis 
[den Krieg, der Rußland in die Reihe der 
Seemädhte riidte; damit aber und mit jenen 
egen Konitantinopel und den Perſiſchen 
olf gerichteten Plänen fchlug er aud) jhon 
bas ganze Regifter ber Gegenjáge zu Eng: 
land an, Die heute burd) bie CEntentevers 
brüderung fiinftlich zugedeckt, ficherlich jedoch 
nicht abgeidjliffen find. Der ritterlich-draufs 
ee Karl XIL, der große Held diejes 
iegsbramas, ftürzte fic) nicht mutwillig, 


173 


wie es bie englijde Geldidtstlitterung 
will, e) Ceelanb und von ba auf Kopen: 
pagen, ondern in der durch bie politijde 
age notwendig geforderten Taktik, der 
Verihwörung züvorzukommen, die gegen 
ihn SH eter, Auguft I. von Gachjen 
unb Friedrich IV. von Dänemark angejtijtet 
war und hinter der wieder England als 
ftiller Geihyäftsgenoffe ftand. London fam 
es gunddjt darauf an, Danemarf zu bemii: 
tigen, Dejjen iiberjeeijder Handel mit dem 
Emporblühen Ropenbagens fih traftvoll 
entfaltete, und bas unter Führung Fried— 
richs Il. nicht nur bie überjundijcdyen Lande, 
fondern aud) ganz Schleswig zu gewinnen 
und damit Herr aller Zufahrten zur Ojtiee 
zu werden drohte. Darauf ging das Spiel 
weiter. Admiral Norris wurde der Berehl 
zur Bejegung Kronborgs bei Heljingör ge: 
eben mit ber unverboblenen Abſicht, die 
ei Malmö vor Anter ge angene rujjijche 
Lotte zu vernichten unb jid) dauernd am 
erejunb feitzujegen; erft im legten Augen« 
blid ließ man in St. James von bem Plan 
ab aus Furcht davor, daß der Zar zur Rade 
furgem Galgenprozeg mit allen in feinem 
Reich ober in den eroberten jtandinavijden 
Gebieten greifbaren Briten machen werde, 

Darauf verlangte London als ‘Preis für 
feine Friedrich IV. geleijtete, aber im Grunde 
wirfungsloje Hilfe von Dänemark die Abs 
tretung Norwegens an Schweden, um den 
REN Freund gang in den Griff zu 
efommen; zugleich wurden noe brittine 
— in der Oſtſee unter— 
halten, die teils willkürlich unter ſchwediſcher 
oder norwegiſcher Flagge ſegelnde Schiffe 
mit Embargo belegten, teils Geleitzwan 
ausübten und fo eine Art britijd)er Polize 
auf den Gefilden der Ditjee einführten. 
Während des Siebenjährigen Kriegs wurde 
dieje Praxis technijch vervolllommnet. Eben 
burd) bie eigentümlidje Miſchung von Ges 
leite, Embargo: und RKaperredht, wie fie 
England liebte, wurden bie Zuſtände der 
Ditiee- Schiffahrt immer unjicherer, wobei 
der britijche Weizen herrlich blübte, bis fid 
1794 die drei [fanbinapijd)en Reiche zu einem 
Bund für wechieljeitige Verteidigung der 
Neutralität verbanden. Jepgt erjt zeigte ber 
Brite unverhüllt fein wahres Geſicht. Er 
forderte von Dänemark willfiirlid) und bers 
ausfordernd die Cinjtelung alles Handels 
mit Frankreich; darob tam es zum offenen 
Streit, der ſchließlich fid) dahin zuipigte, daß 
vom Union Sad alle bánijdjien unb jd)mes 
bilden Schiffe, deren er babbaft werden 
fonnte, mit Arreft belegt wurden, und daß 
er jchließlich mit großem Geſchader vor der 
Reede von Kopenhagen erjdien, um die 
‚pfandweife Auslieferung Der däniſchen 
lotte zu erzwingen, worauf die berühmte 

eichiegung ber offenen Ctabt mitten tm 
Frieden vor fid) ging, bei ber fid) 9teljon 
mit ateifelbaftem Ruhm bebedte. Sechs Jahre 
fpäter erfolgte ber ebenjo ſchmachvoll btplos 
mati[d) vorbereitete wie militári[d) gewiljen« 





174 Besse] Dr. B. 9. Freiherr von Matay: Lee) 


los — und jeden Völkerrechts ſpot— 
tende zweite Überfall auf Kopenhagen mit der 
Wirkung, daß Friedrich VI. fein Los in die 
Urne Napoleons warf, damit vom Regen 
in bie Traufe fam und, nachdem England 
bie vom Korjen gejchmiedete Waffe der 
Feftlandsiperre zunichte gemacht batte, zum 
Kieler Frieden fih bequemen, Helgoland 
an Broßbritannien, Norwegen mit Ausnahme 
von Island an Schweden abtreten mußte. 
Die Einigkeit ber nordijden Mächte blieb aud 
diesmal wie zuzeiten der Ralmarer Union 
ein blutlojer Shemen. Im Zeichen kurz: 
fichtiger Kirchturmpolitit fant Skandinavien 
in den SHalbjchlummer, aus dem es nod) 
heute nicht recht zu erwachen vermag, und 
nun wandte fih Großbritannien, bas, je mehr 
es in Mittelajien feine Weltmacht auszus 
breiten begann, ein defto jchrofferer Gegner 
Ruflands wurde, mit ganzer Maht gegen 
—— 1854, alſo im ſelben Jahr, da 
mit dem Beginn des Krimkriegs die Ver— 
bündeten an den tauriſchen Geſtaden Ian: 
deten, fuhr eine nach damaligen Begriffen 
gewaltige Armada der Verbündeten von 
vierzig Schiffen und über zweitaujend 
Gejdiiken in die Oſtſee ein, eroberte 
Bomarjund und ging erft bei SHelfing- 
[ors und dann bei Reval vor Anter, 
um bie rujliichen Häfen zu blodieren. Ihr 
Vorhaben, jid) Rronjtadts zu bemädhtigen, 
icheiterte freilich ebenjo wie der Plan der 
Eroberung Gveaborgs mangels genügender 
Truppenmact; die Angreifer mußten fich 
mit ber wirfungslojen ?Berwiüjtung feftlan: 
Dijden Küjtengebiets gufriedengeben, und 
dem zwitterhaften Kriegsergebnis ent|prad) 
der in Paris geld)Lojjene Friedensvertrag, in 
dem England nur joviel erreichte, dak Ruß: 
land verboten wurde, vor den Toren Stod: 
holms auf dem ‘Malta der Ojtjee ein Swing: 
uri aur Beberrjdhung des Djtfeehandels 
aufzurichten. 

Die geidjid)tfide Cntwidlung der balti- 
den Machtfrage ijt jo geradezu ein Haffi- 
ches Beilpiel für die Wahrheit jenes bes 
fannten Bildes Wajhington Irvings von 
der Spinne England, die bas Fädennetz 
ihrer Geetyrannei über die ganze Welt ge: 
[ponnen und, raublüjtern auf (hrer Inſel 
lauernd, allenthalben ee Beute zufammens 
gerant habe. Das S9Belen der modernen 
onboner Ditjeepolitit ijt bas Spiegelbild 
diejer altüberlieferten Methoden. Nachdem 
E England mit Rußland im mittelajiati- 
hen Vertrag verjtändigt hatte, jollten bie 
Mittelmähte in einem weltumfpannenden 
Ring erdrojjelt werden: im Bereich des 
Indilchen Meers waren der Perfifde Golf, 
die Straßen von Aden und Guez bie Eins 
fretjungsbollwerfe, im Mittelmeer Zypern, 
Malta, Gibraltar, Tanger, jowie bas am 
Tau ber britijden Ententebündelei fe[tges 
machte Frankreich und Italien, in der Nord- 
fee bas in aller Heimlidfeit gleichfalls an: 
re Belgien; an der Oſtſee aber Jollten 

uBlanb und bie jchwedilch -[fandinavijden 


Staaten die dienjtbaren Geijter des Macht: 
ehrgeizes Weltbritanniens werden. 

Die kürzejte Verbindung zwijchen Peters: 
burg und England geht über Finnland, die 
WUlandinjeln, das ſchwediſche Seengebiet 
nad) Gotenburg und von da zum Tyne: 
mouth nad) Jarrow, South Shields, News 
cajtle oder zum Humber, nad) Grimsby und 
Hull. Schweden dachte [hon vor dem Krieg 
an die Schaffung eines Dampffährendienites 
von Stodholm nad) Baltijdport- und Reval 
einerjeits, von Gotenburg nad der Tyne: 
miindung andererjeits; biete Entwürfe jollten 
nunmehr nad Londoner Plänen mitteljt der 
nordijden Weltlinie‘ in großzügigem Stil 
durchgeführt werden. Cin gewaltiges Tras 
jeft mit ber Leijtungsfabigtert mittlerer (Zee: 
dampfer jollte aunád)]t Grimsby oder News 
cajtle mit Gotenburg verbinden, von dort 
der Verkehr über Land auf der Beltergöt: 
landbahn nad) Stodbolm und auf einer neu 
u bauenden Linie nad) Rappelstár (üdlich 

jörkö) und weiter, wiederum durd) Fähren» 
Dienft nach 9[bo geleitet werden, von wo 
aus bie Reife auf den finnijden Bahnen 
nad Petersburg peager gemelen wäre, 
Man rechnete auf eine Bejamtfahrzeit von 
annähernd fünfzig Stunden, gedachte damit 
die Verbindung durch bas Hunnenland' über 
Blijiingen: Berlin, bie immer nod) um drei 
Stunden fürger ijt, aus dem Feld zu jdjlas 
gen, und rechnete dabei gejchidt mit bem 
Umitand, dag Schweden darauf bedacht fein 
mußte, bie ungemeinen Borteile des Durch: 
gangsperfebrs einzuheimjen. An diefe Ents 
Séch ſchloſſen fih logijd) bie befannten 
britijchen ‚Pachtgejchäfte tm baltijden Küſten— 
land an. Ciel wurde in der Kriegszeit ein 
Ditiees Kreta Englands. Auf der Halbinjel 
Sworbe waren britijde Ingenieure jeit Jahr 
und Tag mit ben Worbereitungen für 9[ns 
lage [|tarfer Befeftigungen, natürlich zum 
‚Shug Rußlands‘, bejchäftigt. Die nord- 
weitlich einjchneidende Bucht von Tageladt 
war nad) Londoner Berichten leicht zu einem 

eräumigen Kriegshafen auszubauen. Dagö, 
Worms, Moon, das ganze Snjelreich, bas 
fid) Eitland weftlid) vorgelagert, zujamt 
allen Gunden und Durchfahrten waren von 
den Briten genau vermejjen. Auf Papen: 
holm wurde eine rujjiiche Station für Waſſer— 
pieger eingerichtet, über deren Zinnen der 

nion Gad wehte; bie periobijd) vom Qe: 
neralitab gemeldeten Angriffe unjerer dutt 
ftreitfräfte auf die militärijchen Anlagen ber 
Inieln galten fo im Grunde nicht Rußland, 
jondern — ſo gut wie die Flüge über 
den Kanal. Die Stockholmer Konferenz 
wurde von engliſchen Agenten benutzt, um 
mit den eſtniſchen Abgeſandten über Land— 
käufe in großem Stil zu verhandeln. Hier- 
nad) gingen an ber livlandifden Küfte in 
britiihen Belfi über die weitläufigen Herrs 
Ihaften Wredenhagen, Rurmal, EB, ferner 
an ber ejtländijchen Riijte bie Injeln Rogö 
unb Odensholm; beide deden die Reede 
von Baltijchport, bas tatjählih), wie es 





erfannte, beite 
Eignung für einen rg hg erjten Ran: 
ges beiigt. Wie weit die Meldungen zus 
treffen, daß fid) die Engländer auf den der 
— ecg Riijte vorgelagerten Inſeln 
jórfó und Hogland heimi)ch gemacht haben, 
läßt fid) nicht genau fejtjtellen; daß fie aber 
auch bier planmäßig und betrieblam ihre 
iele genau jo verfolgen wie im Süden des 
innijdjen Bujens, geht mit aller Deutlich: 
eit aus ihrer Tatigfeit in Nifolaiftadt ber: 
vor. Die Hauptitadt bes Lans Wafa, einit: 
mals gleidjen Namens wie biejes, 1852 nie: 
bergebrannt, zu Ehren Nitclaus’ I. mit bem 
neuen Namen umgetauft, ijt mit Petersburg 
durch eine über Tammersfors führende Bahn 
verbunden und ein Hauptumjchlagplaß für 
Walderzeugnijje und Baumwolle mit gutem 
Hafen unb einer Navigationsjchule. Unter 
ritiider Leitung werden niht nur Bahn 
und Hafen weiter ausgebaut, jondern find 
= auf der die Einfahrt umflügelnden 
Bajainjelgruppe ganz nad) dem Muſter von 
Sjel Befeitigungen und GStüßpuntte von 
Wajlerflugzeuggeichwadern angelegt worden. 
Kurz, Englan Le dort ein zweites Aland 
geihaffen, ein Bollwerk, bas genau jo wie 
enes als Zwingburg vor Stodholms Toren 
bie ſchwediſche Seefeſte Herndjand an ber 
Mündung des Angermanelf bedrohte. 
3u den vielen ehiefen Auffaſſungen über 
die Berfreuzung ber groBmüdjtlid)en Gegen: 
jake in ber one gehört vorab bie Weis 
nung, Rußland betreibe die widerrechtlichen 
Befejtigungsarbeiten auf Bomarjund haupt: 
fähli nur um bes mittelbaren Zwedes 
willen, ein Drucmittel zur SFreilegung des 
Wegs nad) dem Nordkap an in Der Sand 
u Eben, Demgegenüber [tebt die Tatjache 
bit, daß Ausfalltore an ber Murmanküſte 
oder bem Larangerfjord dem zariichen Reih 
ebenjowenig jemals volle Verwirklichung des 
ebnjiidjtig umworbenen deals freier Mus- 
abrt nad) dem Meer Hin im Norden bieten 
ónnte, wie im Süden und Often ber Ber: 
ide Golf und bas Gelbe Meer, bie fämt: 
ih nur bie Bedeutung von Güterjammel: 
und Umjdlagplagen für bie Peripherie bes 
ari[djen Staatsriejen bejigen würden, Gr: 
op für die Dardanellen böten. Zudem: 
hätte felb[t Rußland irgendwo in ben Lapp: 
marten den freien Atlantijchen Ozean erreicht, 
jo wäre fein Marſch in diejer Richtung auf 
legter Stufe angelangt; weitereAusdehnungs= 
möglichkeiten böten jid) nicht. England jtebt 
zum Sprung nad Island bereit, um ihm eine 
von den Orfneyinjeln über Shetland und Fa: 
töer zum Taxafjord hinziehende Kette entge— 
genzujegen, die feine Bebieterichaft über bas 
Grenzgebiet vom Atlantijchen Ozean und Eis» 
meer jidjert. Weiter war es, jeitbem Ruland 
erft Die schwarze Erde der Ukraine erobert und 
dann mit Hilfe ber mineralijdjen Bodenſchätze 
der nördlichen lljergebiete des Schwarzen 
Meeres immer mehr den Schwerpuntft der ine 
duftriellen Entwidlung dorthin verlegt hatte, 
zur Diode geworden, von bem Übergewicht der 


Mare balticum Seeerei 175 


wirtichaftlichen Intereſſen zu |predjen, bie 
Petersburg nad) bem Bosporus und bem 
Mittelmeer wiejen. In Wirklichkeit liegen 
die Berhaltnijje jo, daß der Außenhandel 
Nordrußlands ausgejproden ben Charafter 
von Rolonialhandel hat; er verjorgt den 
europäilchen Weiten vorzüglich mit Waren, 
wie Getreide, Holz, Felen, Häuten, Flachs, 
Butter, Eiern, Öltuchen, unb nimmt dafür 
inbujtrielle Rohjtoffe, Halb: und Fertigfabri- 
fate, wie Eilen, Stahl. Maſchinen, Kaut: 
jut, Chemifalien, auf. Er überflügelte, 
nachdem an ber Neige bes vergangenen Jahr— 
bunderts bie füdrujliichen Häfen die Obers 
hand gewonnen paride dieje jeit 1900 neuer: 
dings, und England war es, das, während 
es den Hauptanteil an der Getreideausfuhr 
der Randlander des Schwarzen Meeres in 
Wnjprud) nahm, aud) im Norden die Rolle 
bes eriten Handelsherrn fpielte; beijpiels» 
weije entfielen 1911 von der Geſamteinfuhr 
Rigas auf England 130, auf TDeutjchland 
nur 102, von ber Befamtausfuhr des Plages 
auf jenes 145, auf bieles nur 77 Millionen 
Mart. Es handelt fic jo für London beim 
Blick nah bem BValtifum nicht nur barum, 
bie Einkejjelung Deutjchlands von den Lands 
fronten ber zugleich aud) an den Geefrons 
ten lüdenlos zu madden, jonbern England 
edadte aud) bas Mostowiterreich mitjamt 
ne reihen fibirijden Hinterland, bas 
eute Pfund und Dollar bundesgenojlens 
djaftfid) zu durchdringen und eingudecen 
uchen, zn einem ok tale th Indien, zu 
einem gewaltigen, ibm dienjtbaren Robjtoff: 
verjorgungsland zu maden. Jn ber eng: 
lijchen Fachpreſſe ift bieles Programm mit 
bem Zartgefühl, das John Bull überall 
offenbart, wo es um den Handelsprofit gebt, 
anz offen entwidelt worden; Der wenigen 
tieren in9tüdjid)t auf bie Ententes 
brüderichaft entfleibet, bejagt es e enbes: 
Nachdem das zariſche Reid) umjonjt feine 
Menſchenmaſſen im Anfturm gegen die Mit- 
telmächte hat verbluten laffen, fommt es auf 
bie wirtichaftspolitiiche Dedung bes verfah» 
renen Bundesgeijhätts an. Gelbft wenn 
Deutichland in Kurland figen bliebe, fónne 
England dod fraft überwiegender Macht: 
jtellung im Finnijchen und Bottnijden Meer: 
bujen unjchwer den ganzen en Ditfee: 
AE von den deutſchen Häfen ablenten, 
o Dak dieje ihrer widhtigften Nährquellen 
beraubt würden. 

Der ſchmähliche Zufammenbrudh all biejer 
Hoffnungen ift jebt endgültig bejiegelt; 
alles, was England aur Abwendung ber 
Gefahr ber 3Befejtiqung deutjcher Ubermadt 
im Dftflügel der Ditjee unternommen Dat, 
ift lediglich pour le roi de Prusse gejchehen. 
Welche Enttäufhung! Die ganze Oſtſee— 
Machtfrage jchiebt ei auf ein neues (e: 
leife, das freilich, bet Licht bejehen, nur bie 
Fortſetzung ber zu mittelalterlicher Zeit in 
Bau genommenen, aber durch endlojen Has 
ber der Uferjtaaten immer wieder unter: 
wiiblten Fahrbahn ift. Seit dem Verfall 


176 PEESEESA Dr. B. 9. Freiherr von Maday: Mare balticum IBEXE3(€(€3€2:1 


bes Hanjebundes war die Politif aller Oft: 
— — in hundertfältig wechſeln⸗ 
der Form daraufhin gerichtet, einen Riegel 
gegen den doppelten Druck des Zarismus 
und ber Machtanmaßungen Englands vor- 
zujchteben; niemals find offenbar bellere Bor: 
bedingungen für Die endgültige Löſung des 
NS, an dem fid) ein Albrecht von 


edlenburg, ein Gujtav Mdolf, Karl X. 


und XIL umfonft gemüht haben, gegeben 
gewejen als heute. Finnland befindet fid 
in ganz ähnlicher Lage wie Schweden; po: 
cy wie wirtféjaftlid) ijt bie Vorausjegung 
ber Celbjtändigfeit, bie es gewinnen möchte, 
Befreiung von boppeltem Drud ber bri: 
tijd-rujjijdhen Bange! Was Polen ans 
belangt, jo ift die Legende feiner wirt» 
Ihaftlihen Abhängigkeit von Rußland 
längit zerftört. Dennoch ift foviel richtig: 
ericheinen bie Mtittelmadte als Nährquellen 
ir den Gtrom feines gewerblichen Auf» 
dwungs, |o find bas Baltifum und die 
fraina die Hinterländer und die natürlichen 
Ausmündungsgebiete biejer Flutung für die 
Aufnahme feiner Ergeugniffe, für deren Bes 
wegung nad) ben überjeeijchen Abjatgebieten 
und zugleich für die utube der wichtig: 
ten Rohſtoffgebiete. Die Gegenjäge zwi- 
chen dem einjtigen Syagiellonenreid), dem 
Ruthenentum und, wenn aud in geringerem 
Mage, den Litauern, Ejten, Letten find ges 
wif alt; über ihre Tiefe aber folte bas 
Ideal des Ausbaus der mitteleuropäifchen 
Wirtſchaftsgemeinſchaft in folder Form 
ragen, daB deren vorgejchobene Grenzen 
moglidjt diht an bas alte mostowitijche 
Ctammlanb heranreidten und nördlich über 
Riga und den Bottnilchen Bufen eine Brüde 
nad) Finnland, fiidlid) über das Schwarze 
Mteer die Verbindung mit dem Baltan und 
bem Eleinajiatijchen Flügel bes Bierverbands 
berjtellten. Rußland aber? 

Die Machtitrebigfeiten Großbritanniens 
unb bes ein|tmals aarijdjen Reihs kreuzen 
fid) unverjöhnlich [o gut an ben Cunben wie 
an ben Dardanellen. Wie ein Überfall Rons 
ftantinopels für Petersburg feinen irgendwie 
durchichlagenden Erfolge verbürgte, wie es 
fein Ziel des freien Wegs zum Wiittelmeer 
nur auf dem ee Xandweg entweder 
über die untere Donau oder über Armenien 
erreichen fónnte, jo wäre eine Beldiehung 
und Bedrängung Gtodholms von Aland 
aus idlicgtich nur ein Schlag ins Waffer: 
die Flügel ber Doppeltür, bie zur Bat 
über bie Oſtſee führt, find Kieler Bucht un 
Kattegat. Wäre den überichwenglichen 
Machtträumen der Petersburger Heger nicht 
gerau jo wie im Schwarzen Meer und am 

osporus, in der Ditjee rechtzeitig ein Riegel 
vorgejchoben worden, dann hätte ficherlich 
über furg ober lang ber alltujjiiche Größen— 
wahn mit gleichen Gründen und Anmaßungen, 

emäß denen er Ronftantinopel für fic in 

njprud nahm, bie Schlüffel von Kopen: 
hagen verlangt, freilich lediglich, um am Ska— 
gerrat mit England ebenjo jdarf wie im 


Bereich ber Agäis zufammenzuftoßen und in 
der Oſtſee jede vernünftige, den natürlichen 
Rechten ber Anrainer widerjprechende Gleich: 
ewichtsordnung zu zerjtören, Schlöſſen 
Ba aber bie jfandinavijden Staaten mit 
Deutjchland zu einer Wirtichaftsgemeinichaft 
gujammen, dann ftände 9tuplanb im Norden 
vor genau Derfelben Lage wie im Güden: 
vor einem Blod, gelagert um das Baltifum 
und gebildet aus dem ‚nördlichen Bierbund‘ 
ber Mittelmächte, bes neugejdjajffenen Kö» 
nigreichs Polen und Vordereuropas'. Schwe—⸗ 
den ebenjowenig wie irgendein anderer 
Staat braudte in folder lanten: und 
Riidendedung eine Wlanddrohung oder jon: 
ftige mostowitijche Gefahr ernitlich zu fürdh- 
ten, ebenjo wie Rußland ſelbſt aud) bier voll 
und frei SUtitgenieBer der Früchte einer glüds 
lihen Zukunft fein würde, welche die Bliites 
zeit der Hanfe in den überlegenen Formen 
moderner Tednif, Wirtfhaft und Kultur 
wiedererftehen ließe... 

Uralte Sagen rühmen Glandinavien als 
das Hirn Europas, als Hauptorgan feines 
fore teen | als Gig feiner Geijtigfeit und 
feiner ttefften jeeliichen Empfindungen und 
Ahnungen. Bon dorther fol der Heilbringer 
unb Friedensfürjt der Menjchheit erjcheinen, 
wie es die Edda fünbet: 


Es fommt ein Reider zum Rreije ber Rater, 
Ein Starter von oben beendet den Streit. 
Mit ſchlichten Schlüjfen entjcheidet er alles; 
Bleiben [oll ewig, was er gebot. 


Ale jolde Verheißungen flingen heute nur 
nod) wie vertragener Schall aus weiter 
gene an unfer Ohr. Trog allen nordijden 
inifterberatungen haben fic) die jfanbi: 
navijden Mächte heute |o wenig wie ehes 
mals über eine flare politijdje Linie 
einigen vermodt, unb ob nod) eine iode 
Bride ber Eintracht herzuftellen fein wird, 
erſcheint anges ber betannten Briten: 
[tebebienerei Jtorwegens zum mindeftens zwei⸗ 
felbaft. Um |o gewijjer find wir, dağ das 
eroberte baltijde Land niht wieder aus 
Deutiden Händen Delen wird, die ihm 
einjt feine Kultur gebradt unb fie jest 
mit Waffengewalt zurüderobert haben. 
Riga jedenfalls wird fortan das At: 
mungsorgan des unter beutjden Schuß ges 
—— Oſtſeehandels und ein Hauptbellwerk 
er Freiheit der Meere ſein, die im Balti— 
lum unter ſchwarz⸗-weiß-roter Flagge ein 
Ronen Sidus Blüdsgut aller an feinen Ge: 
taden jigenden Nationen fein fol. Und der 
rete Arm in der gangen Ditiee wird wies 
berum in notwendiger ‘Berfettung von gliids 
lichen Erfolgen und jegensreihen Wirkuns 
en Deutichlands Maht in ber Nordjee bes 
eigen unb ibm bie zuverläjlige Bürgichaft 
older Sicherheit an allen Dieerestüften, von 
ben baltijden bis zu den flandrijchen wers 
ben, daß es allen britiichen Anfeindungen 
mit bem Bewußtjein des Starten das ftolze 
Trugwort des großen Oraniers entgegen» 
legen fann: Saevis tranquillus in undis! 





Spbinx 
Gemälde von Eugen Ojjwald 


CRE an Wie 


Cine Erzählung ausAlbanien von Borwindarlit 
— Fortſetzung — 
ho od | ood oo oo LL a | | | oe ot | Ld | ot LL CN 


Sieber Mr. Briefen! 

Ich bitte Sie, wenn Gie nidts Seller 
vorhaben, heute um halb fünf Uhr eine Tajje 
Tee bei mir zu trinfen. 

Ihre 


Auf Wiederjehen! 

Gwendolin Herbert. 

Gerade hatte bie junge Frau den Brief 
beendet, als im Garten ein Herr mit dem 
weißen albaniichen res erjchien, ber einen 
Arm in der Binde trug. Sogleich erfonnte 
He den Durch Briefen vor ben Diontenegrinern 

eretteten Albaner wieder. Der Diener 
radte aud) bie Karte Fuad Fani Bies, ber 
Mr. Herbert zu |prechen wünjchte. 

„Führen Sie ben — hier herein.“ 

Fuad betrat das Zimmer, den Fes auf 
ben Kopfe, verbeugte ſich tief und wieder: 
holte, daß er Mr. Herbert zu ſprechen wünſche. 
„Mein Mann kommt gleich zurück, und da 
habe ich Sie zu mir herein gebeten, weil ich 
mich erfundigen wollte, wie es Ihnen gebt. 
Sd) befand mid auf dem Schiffe, als Gie 
verwundet wurden, und interejlierte mid) febr 
für Ihre Rettung. Bitte, nehmen Sie Pla 
unb maden Cie es jid) bequem.“ 

Fuad bedankte fih und nahm bie kleid— 
fame, weiße Rop[bebedung ab, die ber Muha- 
medaner nur auf ausdrüdliche Aufforderung 
ablegt. Seit er in der Heimat war, hatte er 
die albanijchen Sitten wieder angenommen. 

„Ih dante Ihnen, Mrs. Herbert, daß 
Cie fid) für mein Schidjal interejjieren. Ich 
weiß, bie Engländer haben ein großes Herz 
für mein unglüdliches Land.“ 

„Ih bin Srin. Wir haben ftets Mit: 
efühl für alle Unglüdlichen unb *Bebráng: 
en, und Ihr Land liebe ich Ion feit den 
erften Tagen, in denen id) es betrat. Hier 
ndet man nod Männer von Mut und Ur: 
prünglichkeit, bier find bie Frauen tugenb: 
aft, arbeitjam unb bejdeiden, und zu allem 
man fommt diefe [d)óne wunderbare Natur 
mit all ihrer Herbheit und voe e? 

Das Lob der Heimat aus jo jchönem 
— — ſchien den heißblütigen Al— 

aner in Begeiſterung zu verſetzen. 

„O meine gnädigſte Herrin, da müßten 
Sie erſt einmal das Innere Albaniens ſehen,“ 
agte er lebhaft. „Dort allein noch in Europa 
inden Sie unverfälſchte Natur an Land und 
Get Voie Gewiß, die Leute find arm und 
ohne Kultur, aber dafür find fie freie Adler— 
föhne, die niemand über fih anerfennen 

und als einziges (Pele& die alten heiligen 
Überlieferungen befolgen. Kein Fremder, der 


-— 


unjere Gewohnheiten achtet, bat hier bas ge: 
ringjte zu fürchten, und wer gar eine Emp: 
feblung von einem albanijden Freunde be: 
ommt, der wird überall auf das — 
und zuvorkommenſte aufgenommen.Und unſere 
pene jollten Sie jehen, dort im Inneren: 
tola find jie, und ohne Schleier geben fie 
aufrechten Ganges einher. Wenn aber ein 
Fremder ihnen begegnet, dann wenden Ir 
ben Kopf ab, und fein Blid der Meugierde 
ftretft den Unbefannten. Go jehr liegt gute 
Sitte ihnen im Blute. Unberührt find fie, 
wie die großen Urwälder, die niemals eine 
Axt verlegt hat. In ber felsitarrenden, 
wildzadigen Profletia, im Hochgebirgskeſſel 
bes ?Bermo|d), ba gibt es nod) die Wälder 
ber Urzeit mit taujenbjábrigen Eichen und 
Tannen von hundert Meter Höhe. Dicht 
dabei ragt der Stüljen empor, ben nod) fein 
Mitteleuropäer erjtieg, das Wahrzeichen des 
angen norddjtliden Albaniens. Aber bie 
KA Albaniens ijt der herrliche Ochridajee, 
röker, jchöner unb blauer nod als ber 
arbajee. Wenn hierher einjt die Cijens 
bahn führen wird, mit ber man von ber 
Adria in einem halben Tage ben Gee er: 
reichen könnte, bann werden fid) bie Rei- 
jenden drängen, diefe wunderbare Welt fen: 
nen zu lernen. Aber der Hauch der Urjprüng» 
lichkeit und WEN wird verloren gehen.“ 
Gwendolin jab die dunklen, ſchwermüti— 
gen Augen bes Albaners mit feuchten 
[ange auf fi ruben unb hielt es Br 


„Haben Gie an ich 

Ihren Lebensretter, ben deutjchen Offizier, 
[don wieder gejehen ?^ 

„Bewiß babe id) ihn fofort hier aufge» 

fein $ meinen Freund, meinen Bruder, ber 


bejjer abzulenten. 


ein Leben für mid) dahin geben wollte und 
em dafür das meinige auf ewig gehört. 
Yas fein anderer getan hat, er tat es für 
mich, den unbefannten Frembdling, ohne Dank 
zu erwarten oder zu verlangen.“ 

Das über|djmenglidje Lob reizte Gwen: 
dolin zum Widerjprucd. 

„Bewiß, er bat Ihnen mit perjönlicher 
Gefahr das Leben gerettet. Aber jchließlich 
hätte bas bod) aud) jeder andere Dann ges 
tan, der jung und gejund und ein guter 
Schwimmer war.“ 

„Warum tat es denn fein anderer oder 
machte aud) nur ben Berjuch ? Pielleicht übers 
legten fie nod), ob es Io auch lohne, wegen 
eines Unbefannten ein faltes Bad zu nehmen, 
Mein Bruder aber überlegte nicht, er troßte 


178 Weeer Borwin Carlig: I 


dem Zoller und ben Schüjfen ber Tjchernas 


gor d 
iederum fühlte Gwendolin bei diejem 
Lobe — fie wußte felbft nicht recht, warum — 
eine unwilltürliche Gereiztheit gegen dieſen 
Deutſchen in fid) aufiteigen. 

„Vielleicht aber waren es, was ihn vorallem 
dazu bewog, Ihnen, dem Unbefannten, bet: 
m en, die vielen Zujchauer, bie er auf 

em Schiffe hatte. Auch mir hat ber deutjche 
Offizier übrigens  fürglid) einen Heinen 
Dienft geleitet, um den ich ihn in feiner 
Zeile bat. Es jcheint faft, als ob er fidh bes 
ftrebt, von feiner Perjon |prechen zu machen.“ 

„Sch jehe in ihm nicht nur meinen Les 
bensretter, jondern aud) einen Mann von 
Anftand und Mut. An meinenr Bruder 
darf ich feinen Matel hängen laffen und 
darum will id) Ihnen erzählen, was eigent: 
lic) verſchwiegen bleiben müßte.“ 

Fuad richtet fid) jchärfer auf und begann: 
„Briefen Bat kürzlich eine Patrouille fom: 
mandiert, von ber einer meiner Landsleute 
erſchoſſen wurde. Ich hörte, daß die Blut: 
rade ber Anverwandten fih gegen den deut: 
[den Offizier richten fole. Da es aud) für 
mid) — iſt, die Blutrache zu verhin— 
dern, ſo verſuchte ich wenigſtens, einen Frei— 
kauf durch Geld zu ermöglichen, weil doch 
der Deutſche ſelber nicht als Täter in Frage 
kommen konnte, ſondern nur irgendein un— 
bekannter Mann feiner Patrouille. Die Ans: 
verwandten waren bereit, in Unterhandlun— 

en einzutreten, aber Brieſen lehnte glatt ab. 

ch ſchilderte ihm die Gefahren der Blut— 
rache, denen ſo leicht niemand entrinnen 
kann, ich flehte ihn an, einem ſicheren Un— 
glück durch Geld aus dem Wege zu Geen 
er lehnte wiederum ab. Er habe auf Befehl 
feiner 3Borgejebten gehandelt und ftände 
auch mit jeinem Leben dafür ein. Von einem 
Rostauf wollte er nichts willen. Dieter 
Mann, mein Bruder, das verjidjere id) Cie, 
hat echten Mannesmut.“ 

„Und was gejdieht nun?” fragte Gwen: 
bolin, „Wie werden Cie Ihren Bruder, wie 
Sie Herrn Briefen nennen, Kee fonnen ?^ 

„Eine augenblidliche Gefahr befteht nicht. 
Die Verwandten find fid) noch nicht ganz 
einig, ob der Albaner aud) wirklich von einer 
deutichen Kugel gefallen ift. Sobald id) aber 
Gewipheit habe, daß eine wirkliche Gefahr 
ihn bedroht, dann werde ich noch einmal 
mein 9(uper[tes verjuchen und mid) unter 
Umitänden an ben Ddeutihen Kommandeur 
wenden.“ Er hielt inne, denn der Diener trat 
ein und meldete, Mir. Herbert fei guriidgefehrt. 
guad erhob fid), fegte feinen Fes auf und 
machte die ehrjurdtsvolle, tiefe Verbeugung 
bes Orientalen. 

Gwendolin reichte thm die Hand, bie er 
nad) albanijder Gitte füBte, und bat ihn, 
fie bald einmal zum Tee zu bejuchen. Mit 
bantbarem Blid, aber jchweigend verließ 
Fuad das Zimmer und ftand gleich darauf 
bem Ronjul gegenüber. 

„Es ijf mir eine befondere Ehre einen 


[o einflußreichen und befannten Patrioten 
u begrüßen,“ [agte Herbert. „Womit tann 
ich Ihnen oder Ihrem Lande einen Gefallen 
erweijen? Bitte, legen Sie ab, nehmen Gie 
Plaş und zünden Gie fid) eine Zigarette an.“ 

Die Herren fekten fih, und Fuad begann: 
„Sie gejtatten mir, daß id) als Balber 
Amerikaner fofort mit meinem Anliegen be: 

inne. Ich möchte Cie bitten, bie Aufmert: 
famteit Ihrer Regierung auf bie Vorgänge 
an der ferbijden Grenze gu lenken. Gie 
wijfen wohl, daß bie roli Regierung 
taufenden meiner Landsleute den Wieder: 
eintritt in bas jebt jerbilche Gebiet verweigert. 
Mer es verjudt, Frau und Kinder wieder 
zu jehen oder fein zurüdgelafjenes Beligtum 
zu bergen, wird von den Gerben ohne Gnade 
erſchoſſen. Das muß früher oder jpäter zu 
blutigen Vorgängen er bei denen natür: 
lid) meine unglüdlichen Landsleute den für: 
zeren ziehen werden. Sſterreich fann uns 
nicht helfen, weil Rußland die Serben unter: 
jtiigt, ebenjo wie Frankreich, während Sta: 
lien und Deutſchland unintereljiert find. Es 
bleibt uns alfo nur übrig, an bie GroBmut 
Englands zu appellieren. Wher id) made 
Cie darauf aujmerfjam, dak Eile not tut." 

„Sch werde unverzüglich meine Regierung 
benadhrichtigen und bin überzeugt, daß man 
Vorftelungen in Belgrad erheben wird. 
Trokdem Tonn id) Ihnen nicht bie Schwie— 
tigleit verhehlen, die darin beiteht, bap Al: 
banien immer nod) feine jelbjtánbige Regies 
rung bat, mit ber man verhandeln fonnte. 
Warum einigen Cie fic nicht über einen 
Fürften, ben Sie haben möchten? Wenn 
von mehreren einflußreichen Geiten Alba 
niens ber Wunjch nad) einer beftimmten 
SBerjónlid)feit laut würde, dann werden die 
Gropmadte nicht lange widerjprechen. Wie 
denten Cie über die Kandidatur eines ägyp— 
tildjen ——— Er iſt Muhamedaner wie 
die meiſten Albaner, wohlhabend, was hier 
ſehr ing ift, und würde ficher die Unter: 
—— nglands finden.“ 

Fuad fehüttelte Teife wiegend den Kopf: 
„Berade daß er Muhamedaner ift, IàBt mid) 
feine Kandidatur nicht wiinfden. Wir Mus 
hamedaner haben lange genug unter der 
E unjerer Fürſten gelitten. 

ebt wollen wir ein moderner Staat werden 
und einen europäilchen Fürſten haben, der 
uns auch nad) außen zu Wnjehen verhilft.” 

Vor diefem wohl taum erwarteten Wider: 
ftande Ienfte Herbert ein. 

„Jedenfalls können Cie ficher fein, bag 
England alles für Albanien tun wird, was 
móglid) ift. Wir werden uns ja mie: 
mals das Redt nehmen laffen, ein Hort ber 
ſchwachen und bedrängten Völker zu fein. 
Mas für blühende Lander haben wir aus 
Indien und Agypten gemacht, von denen 
unjere Feinde behaupten, daß fie unter uns 
lerem Goce ſchmachteten. Kultur, Reichtum 
unb Glüd haben wir überall verbreitet und 
niemals die Citten oder bie Religion ber 
Lander angetaftet, deren Verwaltung wir 





A 


BESSA Der Shuk auf bem Bardanjol BSSessesesd 179 


vorübergehend übernommen haben, bis fie 
eines Tages Hot genug fein werden, fih 
lelbit zu regieren.“ 

quad fühlte, wohin Herbert zielte, hatte 
aber bod) fein Verlangen nad der jegen: 
bringenben englilchen Sjerrid)ajt, der ein 

afen wie bas unvergleichliche Balona der, 
lid) ein erjtrebenswerter Bijjen jein mußte. 
Er empfahl fid) daher und ſprach [einen 
Dant für bie verjprochene Hilfe aus. 

Sm Garten traf er mit Baron Traubens 
berg zujammen, den er Ke wieder er: 
fannte, während jener feinen erbitterten 
Gegner nod) niemals geleben hatte. 

Jetzt möchte ich eine halbe Stunde lang 
bem Geſpräche biefer beiden tüchtigen diplo: 
matijden Geldaftsmanner zuhören können,‘ 
dachte Gre verbittert. ‚Wer weiß, was da 
wieder für Unheil ausgehedt werden wird.‘ 


Am Nachmittage fura nad) vier Uhr be: 
trat Gwendolin ihren Salon, um nod) einen 
Blid auf alle Vorbereitungen zu werfen. Es 
war ihr Empfangstag, an dem fie immer 
zwijchen es unb jieben Uhr zu Hauje war. 

Der Teetilh war in Ordnung, ber Ga: 
mowar fiedete leicht. In vielen Bajen von 
allen Größen und Formen prange etne ver: 
ſchwenderiſche Fülle ber wunderbarſten Rojen. 

Bwendolin trug ein mattgelbes Batijt- 
fleib, bas wunderbar zu ihrem dunklen Haar 
und Augen ftand. Sm Gürtel hatte fie einen 
großen Strauß Mtarédal Niel:Rojen. 

Herbert tam wie zufällig herein. 

„Wie, du bift [don angezogen? Und fdin 
aft Du aa? gemadht für deinen Lebensretter! 
brigens. der junge Mann befindet fic) in 

einer feineswegs beneidenswerten Lage. Sd) 
Done heut: ein Mann feiner Patroutlle hat 
ürzlich einen Albaner erjchojjen, und es ijt 
nicht unmöglich, daß fid) die nicht ausgurot- 
tende Blutrade jebt gegen ihn, als den An: 
führer Der pte MEN richten wird.“ 

„Meinſt du wirklich, daß er fih in Gee 
fahr befindet? Dann bie man thn dod 
warnen, damit er fih vorjieht.“ 

d glaube, ba würde aud) bie größte 
Vorſicht nichts helfen. Für ei gibt es nur 
ein Mittel: jo bald wie möglich jeine Ber: 
fegung —— und nad) Deutſchland 

urüdtehren. arum läßt fid) übrigens 

mee nicht mehr bet uns fehen? Hat er 
es dem Deutichen libelgenommen, daß er 
bid) und ibn jelbjt aus den Händen der Wege: 
[agerer befreite? Es jcheint beinahe fo, und 
das wäre mir nicht jehr angenehm. Du 
weißt [don aus welchem Grunde.” 

„Ferucci bat mich feit unjerem Abenteuer 

gemieben. Daß er vor bem deutjchen Offis 
ier eine recht flaglide Rolle gejpielt hat, 
eugne ich nicht, und daß er ibn barum haſſen 
wird, ijt bei feinem Temperament febr wahr: 
ſcheinlich.“ 

„Du ſollteſt aber doch verſuchen, ihn wie— 
der zu verſöhnen. Vermeide vor allem, daß 
er etwa bier mit bem Deutſchen zuſammen— 


trifft. Aber ich fürchte, diefer Herr Briefen 
wird fowiejo nicht mehr lange hier fein.“ 

„Willſt bu jomit jagen, daß wirklich für 
fein Leben Gefahr bejteht 2” 

Herbert fonnte nur mit einem Achfelzuden 
antworten, denn ber Gegenftand der Unter: 
haltung betrat gerade das Zimmer. Gwendo: 
lin hatte ihn abfidjtlid) eine halbe Stunde 
vor dem Beginn ihres Empfanges einge: 
laden, um ihm ohne die Gegenwart anderer 
danten zu Tonnen, 

Briejen fam mit Helm und Säbel in ber 
Hand, war es dod) fein erjter *Bejud). Nach: 
bem er Gwendolin die Hand gefüßt hatte, 
begrüßte ibn Herbert mit gewinnender Herz: 
lid)feit als den Erretter feiner Frau aus 
einer höchjt unangenehmen Lage, wofür er 
ihm ftets dankbar fein würde. Dann ent: 
Ihuldigte er fih mit einer dienftlichen An— 


gelegen gett, 

rieſen fegte fid) zu Gwendolin, bie ihm 
Tee reichte, und war bald mit ihr in der 
befannten oberfladlicen Unterhaltung, die 
nun einmal die Gitte bet einer neuen Be: 
fanntjchaft fordert. 

Aber er litt darunter. Diefe Frau, die 
leine Gedanken [o ſtark bejdajtigt hatte all 
die legten Tage, der er erft fürzlich einen 
Heinen Ritterdienſt leijten fonnte, [hien mrar 
von ihm zu erwarten, als das alltägliche 
Gejprad der guten Gejellihaft. Bisweis 
len, während jie vom Wetter und vom 
Tennis, von den Wohnungsverhältniijen 
in Gfutari und von bem geplanten Ausflug 
auf ben Bardanjol jpraden, diinfte es ihm, 
als ftreifte ihn ein jeltjamer Blid aus den 
duntlen Augen. Dann huſchte wieder ein 
Lächeln um ihre Lippen. alt als jpottete 
fie feiner Ungewandtheit, vielleicht aud) ber 
Fehler feiner englijchen Ausiprache. 

Bis fie plöglich, dies nüchterne, nidjtss - 
jagende Bejpräch unterbrechend, wie unter 
einem jähen Entichluß, jagte: „Heute mor: 
gen [prah ich Ihren Freund Fuad. Er ers 
zählte mir von der Erjchießung bes Mba: 
ners und jchien bejorgt um Gie.” 

„Fuad hat aud) mid) gewarnt. Aber was 
[oll ich Dagegen tun? Will es das Schids 


fat, daß id) falle, jo ift es aud) hier im 


Dienfte meines Baterlandes geichehen.“ 

„Sie dürfen nicht jo gleichgültig gegen 
die Gefahr fein,” |prad) fie lebhaft weiter, 
„Borhin noch hörte id) aud) von anderer 
Seite, daß Ihr Leben bedroht ijt. Sie müſ— 
jen etwas dagegen tun.“ 

„Sch nehme mich bereits in adjt. Glau: 
ben Cie nicht, dah bas Leben keinen Wert 
für mid) bat. Sim Gegenteil, feit einiger 
Zeit ijf bas Dajein für mid) bejonders be: 
gehrenswert.” 

Da lagte fie furg und faft heftig: „Sie 
miijjen abreijen von hier, und gwar jofort. 
Es gibt fein anderes Wlittel für Ihre Net: 

„Wollen Sie mid Ios fein?” Hagte Brie: 
fen, fühlte jedoch im gleichen Augenblid bas 
wenig Taltpolle ber Frage und jegte bins 


180 Iess Borwin Garlif: 


u: „Ich danke Ihnen von Herzen für die 

nteilnabme, bie Cie an meinem Schidjal 
haben. Aber Fuad felber hat mir gejagt, 
baB wer ber — verfiel, nirgends in 
der ganzen Welt mehr ſicher iſt. Für der— 
artig bedrohlich indeſſen natie id) meine 
Lage immer nod niht, und Fuad hat mir 
aud) verjproden, mid) zu warnen, falls un: 
mittelbare Gefahr bevorjtünde.“ 

Bwendolin konnte nur nod) erwidern: 
„Sch bitte Cie, ver|predjen Cie mir wenig: 
tens, alles zu tun, was in Ihren Kräften 
teht, um biejer entjeglichen Gefahr zu ent: 
gehen.“ Dann mußte fie fid) reuanfommens 
den Bälten zuwenden. 

Es waren Baron Cotta und feine fleine, 
bewegliche Frau, bie lofort daran erinnerte, 
daß morgen die von ihr arrangierte Partie 
auf den Bardanjol ftattfinde. Tann 30g 
He Briefen in ein längeres — wäh: 
rend Gwendolin von Baron Traubenberg 
mit großer Lebhaftigfeit begrüßt wurde. 

Smmer neue Befucher tamen, und bald 
war in dem ziemlich großen Zimmer faum 
ein Pla fret. Die Unterhaltung wurde 
aus|djlieplid). auf engli]d) oder franzöſiſch 
SE Es gab genug Klatſch mit teils 
amiijanten, teils boshaften Bemerfungen. 
Traubenberg erzählte von feinem fiirgliden 
Bejuh in Rom. Dort batte man den Bot: 
Ichafter einer Großmacht gelegentlich einer 
Bejellichaft im zärtlichen tête-à-tête mit einer 
febr hiibjden Amerikanerin angetroffen. Seit 
biejer Zeit hieß er nicht mehr L'ambassadeur, 
fondern L’embrassadeur, 

Als die Hausfrauenpflidten Gwendolin 
endlich etwas mehr Ruhe vergönnten, gelang 
es Baron Traubenberg, fid) einige Zeit uns 
gejtört mit ihr zu unterhalten. 

,Siebe Freundin,“ begann er leife, „Sie 
wijfen, weld) aufrichtiges Intereſſe id) [tets 
an Ihrem ia und Wohlergehen ge: 
nommen babe. Um fo jehmerzlicher war ih 
berührt, als ich vor einiger Zeit hörte, dap 
Ihre finanzielle Lage in lekter Zeit ohne 
irgendein Berjchulden SIhrerjeits fih ver: 
Ichlechtert hat.“ 

„sh dante Ihnen für Ihre Teilnahme,” 
gab jie ein wenig abwehrend zurüd. „Da 
uns aber bod) niemand helfen tann, fo dente 
ich, wir |prechen von erquidlicheren Dingen.“ 

„Halten Cie mid) wirklich für jo taftlos, 
daß id) von einer derartig delifaten Ange: 
legenbeit angefangen hätte, wenn id) nicht 
ugleid) bie Möglichkeit jahe, Ihnen au bel: 
Ion? Werden Cie nicht ungeduldig. ch 
babe nur eine Bitte: wenn Ihnen mein gut: 
gemeinter Borjdlag nidjt annehmenswert 
er/deint, bann tun wir beide fo, als hätte 
id) nie derartiges zu Ihnen geſprochen.“ 

Yragend, aber nun dod) hodjt neugierig, 
jah Gwendolin den gewandten "Rullen an. 
Er fuhr fort: „Glauben Cie mir, wie es 
unzählige Male vortommt, daß fid) eine Dame 
unjerer Kreije in Geldverlegenheiten befin= 
bet, die ben Berlujt ihrer gejellichaftlichen 
Stellung unvermeidlid) erjcheinen laffen. Es 


-wadjen. Außerdem ijt unjere 





bietet fid) aber häufig ein Ausweg: ber ber 
Politik. Sie willen, wie hod politiſche Nad: 
richten, bie manchmal wirklich geringfügig 
find, von ben betrefienden Staaten gewertet 
werden. Mein Mtinijter bes Außeren gibt 
jährlich ungeheure Gummen aus für biejen 
Zwed. Und von mem glauben Cie, daß bie 
Mehrzahl diejer Nachrichten jtammen ? Bon 
Damen der Gejellidjaft, entweder aus der 
Diplomatie jelber oder aus Kreijen, bie in 
er Berührung mit diejen [teben." 

raubenberg hatte fid) weiter vorgebeugt. 
Er flüjterte nur: „Dabei halten wir den 
Brundjag aufrecht, niemals etwas au vers 
langen, was gegen Die Snterejjen bes eige: 
nen Landes ber Betreffenden ginge. Wber 
alle Nachrichten, bie wir von ben Abſichten 
anderer Staaten d eit fönnen, und feien 
He manchmal nod) jo unid)einbar, bezahlen 
wir in höchſt nobler Weile. Dak dabei die 
ftrengjte Diskretion in unjerem eigenen Sin: 
terefje liegt, können Cie Déi denten. ch ver: 
jichere Sie, es gibt genug hochgeitellte Damen, 
grauen von Gejandten unb Miniſtern, die 
(id) auf dieje Weile ein Gabreseinfommen 
von hunderttaujend Francs verdienen. Wie 
denten Sie nun über meinen Vorjchlag, ben 
id) Ihnen als wirtlih treuer Freund mache? 
Dak Ihr Mann nidts davon erfahren darf, 
ilt wohl jelbitverjtändlich.“ 

Bwendoiin wußte niht recht, ob fie über 
bas Wnerbieten lachen ober fid) ärgern Jollte. 
Cie hatte indeffen [hon zu lange in biplos 
matijchen Kreijen gelebt, um bejonders ers 
Lise zu fein. Auch fie ibr ein, daß thr 

ann ja fiirglid) mit einer ganz ähnlichen 
Angelegenheit an fie herangetreten war. 
Alſo machte England es auh nicht. anders. 

Aber der Gebante, Wgentendienfte zu lets 
ften, war ihr bod) völlig unfahbar. Trog: 
dem hielt fie es fir angezeigt, den — 
nicht vor den Kopf zu ſtoßen. „Lieber Ba— 
ron,“ meinte ſie, ae dante Ihnen für Ihr 
Anerbieten und glaube bejtimmt, daß Ste 
es nur in meinem eigenen Snterejje getan 
dE Troßdem muß id) Ihnen eine abs 
ebnenbe Antwort geben. Ich fühle mid) 
einer derartig aufregenden — nicht ge: 

s age durchs 
aus n jo verzweifelt, daß id) au einem 
ſolchen Nebenverdienjt greifen müßte.“ 

er Ruffe beugte fid) über bie ibm bars 
ebotene Hand und erwiderte: „Was nicht 
Peite ilt, fommt vielleicht morgen. Sd) bitte 
nur, daß Gie fic) meiner erinnern, wenn 
Cie mid) nötig haben. Ein Telegramm nad) 
ER wird mid) fofort au Ihnen eilen 
allen.“ 


B8 8 
Der folgende Tag war einer jener wunder: 
baren SHerbittage, voller Sonne und Duft, 
dabei ohne Staub und Hike, wie nur das 
AE e Klima des Baltans hervorzubringen 
pflegt. 
Vor den Toren von Skutari befindet ſich 
ein uralter Feigenbaum, in deſſen ausge— 
höhltem Stamme ein Albaner ſeine Kaffee— 


ee Der Schuß auf dem Bardanjol BSSSseseesed 181 


füche eingerichtet e Cs gibt hier wunders 
vollen tirfijden Kaffee, bte Taſſe zu ein: 
viertel Piajter, etwa vier Pfennig. Rings 
um den Baum ftehen Bänte für bte Bälte, 
bie gern und zahlreich den Alten bejuchen. 
Hierher hatten Cottas die Teilnehmer an 
bem geplanten Ritt beftellt. 

Als Gwendolin mit ihrem Reitknecht ein: 
traf, war bereits der größte Teil der Gefell- 
joer verjammelt. Wn Damen waren auper 
ber Baronin Gotta nod) die Frau eines öfters 
reichijden Hauptmanns unb die Töchter bes 
griedjijden Ronjuls erjchienen. Bon Herren 
nahmen ‘Slaten und Briefen, [oie einige 
öfterreichiihe und englijde Offiziere teil. 
Alles jag um ben Feigenbaum herum und 
trant Kaffee, während die Pferde von Ore 
— gehalten wurden. 

Die Baronin Cotta begrüßte Gwendolin 
aufs lebhafteſte und frug, warum ſie denn 
den Capitano Ferucci nicht mitgebracht hätte. 
Unwillkürlich errötete die Irin trotz ihrer 

eſellſchaftlichen Gewandtheit, ſagte aber, Lë 
Keelt fajjend, daß fie Ferucci bereits feit 
einigen Tagen nicht gejehen hätte. 

„Bielleicht liegt ihm nod) das Abenteuer 
in ben Gliedern, bas Gie kürzlich mit den 
Wegelagerern gehabt haben,“ meinte Die 
Baronin. „Sie können wirflid von Gliid 
jagen, daß bie Cadje fo gut abgelaufen ift, 
bant bes Sjingufommens von Herrn Briefen.” 

Wieder errótete Gwendolin und pieles Mal 
aus Yirger über den indisfreten Deutjchen. 
Es Iden wahrhaftig, als hätte er fih als 
ihren Retter aufgejpielt, während er bod) 
wijjen mußte, daß thr daran liegen mußte, ben 
unangenehmen Borfall möglichſt wenig be: 
fanntwerben zu lajjen. Überall wurde fie 
auf den Zwilchenfall angejprochen, und all- 
guoft in Verbindung mit dem Namen Fez 
tuccis. Auf das lebhaftejte bereute fie, den Stas 
liener je gejellicyaftlich bevorzugt zu haben. 

Briejens Chancen waren merklich gefun: 
fen. Gwendolin empfing ihn bei der Be: 
grübung jo fühl, daß er aunádjít formlid 

ebrüdt wurde. Dann aber jtieg ein jo og: 

junder Born über diefe launijche Weltdame 
in ibm auf, daß er fic) entichloß, ihr gu: 
nädjit gänzlich ferngubleiben. 

Unterdejien hatte fih die Gefelljdhaft zu 
Pferde gelegt, und zu zwei und zwei wurde 
angeritten. Boran Gwendolin mit Cotta, 
der Die Führung übernahm und das Tempo 
angab. 

ie Meine Baronin hatte fih Briefen 
zum Begleiter erwählt unb wußte es einzus 
ridjren, daß fie Jo ziemlich die legten waren, 
um bejto ungejtörter mit ihm flirten zu fin: 
nen. gunt wurde bie Drinajja durch: 
uert, deren fleine Wajlerrinne felbjt in der 
litte den Pferden taum die Knie nebte. 

„Sie jollten bie Drinajja aber einmal im 

tiihjabr feben," jagte bie Baronin, „dann 
ijt ihr ganzes Flußbett, Dellen Ausdehnung 
Sie jest nur an bem Beröll ertennen fónnen, 
ein wilder, reißender Strom von über fünf: 
hundert Meter Breite, jo daß wir von dem 


jenfeitigen Teile des Landes völlig abge» 
Ichnitten find, denn Brüden gibt es bier 
nod) nicht.“ 

Bald bog bie Ravalfade in einen [djmalen 
Hedenweg ein, den man nur einzeln hinter: 
einander durchreiten konnte. Dian erreichte 


ein Dorf, bas in ben grünen Büjchen und 


Bäumen erft im legten Augenblide jichtbar 
wurde. Faſt alle Hdujer waren zerjtört und 
nicht ein einziges Dach mehr vorhanden. Jn 
der Mitte du einem etwas größeren Plage 
blieb man halten. Gwendolin war mit Cotta 
abgeftiegen und |prad) mit einer entjeglich 
elend ausfebenden Frau, bie zwei fleine 
Mädchen bei fih hatte. Die Kinder bejaßen 
als einziges Rleidungsftiid ein um Die 
Hüften gejchlagenes, ab ae Tuh unb 
darüber ein Ctüddjen Schafjell. Die Heinen 
Dinger, blond und blauäugig, waren troß 
ihres Schmußes febr niedlich. - 

Gwendolin nahm die tleinfte auf ben 
Arm, ftreichelte fie und gab ihr ein paar 
Cüpigteiten gu ellen, während fie ber Muiter 
ein größeres Gilberftüd reichte. Die arme 
Frau hatte wohl nod) nie joviel Geld bei- 
ammen gejehen, denn fie drehte bas Geld» 
tüd bin unb ber und wußte nicht redjt, was 
ie Damit anfangen jollte. Erſt als ihr Cotta 
auf — ſagte, wieviel Piaſter es wert 
ſei, wußte ſie ſich vor Erſtaunen und Freude 
kaum zu faſſen. 

Die Ankunft der wohltätigen Fremden 
pote fid) wie ein Lauffeuer im Dorfe per: 
reitet, und bald ftand ein aen bettel: 
den Bolts um die Reiter berum, |o daß jeder 
fein Kleingeld anbringen tonnte. 

Die Baronin war niht febr entzüdt von 
biejem Aufenthalt und madjte einige Bemer: 
fungen über Gwendolins zur Schau getra= 
gene Wobltatigteit. „est füpt jie fogar 
das bredige Balg nod,” jagte jie, „lie wird 
fih und uns nod) Läuſe veridjaffen." 

Der Konful erzählte, während fie weiter 
ritten, daß das ganze Dorf im vorigen 
Winter von ben Wontenegrinern gerjtórt 
worden wäre. „Die indolenten Bewohner 
haben felbjtverftanbdlid) nod) nidjt bas ge: 
ringíte getan, ihre Hütten wieder herzurich— 
ten. Go ijt es leider überall. So will den 
Albanern wirflid) nicht jede gute Eigenichaft 
abjprechen, aber faul, faul find fie in er» 
Ihredender Weiſe.“ : 

Briefen aue fein Pferdchen etwas gurüd- 
gehalten. Er dachte an Fuad und warf ein: 
„Dit es wirklich immer Faulheit? Sd) tónnte 
mir benfen, daß fie den (Glauben an bie 
eigene Zutunft verloren haben. Was nügt 
ihnen ihre Arbeit, wenn jeden Tag neue 
Kämpfe über fie Dereinbredjen fónnen ?” 

„Auch das mag mit|predjem." Cotta 30g 
die Achjeln hod. „Ehe Albanien nicht einen 
Fürſten hat, einen kraftvollen Herrſcher, eher 
wird feine Ruhe über bas unglüdlidje Land 
tommen. Aber wann wird, bei der Gifers 
fucht ber Broßmächte, ein folcher Fürft feinen 
Einzug halten Tonnen ?!“ 

Es wurde ein längerer Trab eingelegt, 


182 FSS Borwin Carlig: 


bis eine der beiden jenen Damen laut 
um Schritt bat, weil ihr der Atem zugleich 
mit der Fähigkeit, weiter englifd zu traben, 
ausging. Man war aud) bereits am Fuße 
des Bardanjol angelangt, ber mit feinem 

rauen, faum bewachjenen $yelsgeróll trobig 
in bie tief blaue Luft ragte. 

Der Aufitieg begann. 

„Der Weg, auf bem wir reiten," jagte 
Cotta, „ift erft voriges Jahr, während ber 
Belagerung von den Türken angelegt, jest 
aber durch bie Wildwäller bes Frühjahrs 
Kai großen Teiles wieder zerjtört. Hier 

affte man die ſchweren Gejdjtibe, jedes mit 
dreißig Ochſen davor, unter unglaublichen 
Mühen bis oben auf den Berg, eine erjtaun: 
lihe Zeitung." Der Weg wurde immer 
ftetler und jchwieriger. Gtellenweile waren 

ange Streden abgerutjcht, jo daß die Pferde 
Da miibjam auf dem abjdiijjigen Geröll 
ihren Weg juden mußten. Linfs ging es 
teil bergauf, und nad) rechts fiel es ebenjo 
jah herab bis zu einem tief eingejchnittenen, 
laut tojenden Gebirgsbache. 

Gotta merkte, daß Gwendolin nicht ganz 
Ihwindelfrei war. 

„Sehen Cie immer gerade aus oder madjen 
Cie die Augen gu. Die Pferde find ganz 
ficher. Nur wenn der Reiter jelber vor 
Schwindel nad) einer Seite ftd) neigt, könnte 
auch jein Pferd das Bleichgewicht verlieren.“ 

Bald wurde der Weg wieder beffer und 
Gwendolin erholte jid) „Baron Cotta,” 
jagte fie, um den Gedanten los zu werden, 

er fie dauernd bejchäftigt hatte, „Jagen Gie 
mir, wann hat Mr. Briefen Ihnen von uns 
Wie: Zujammentreffen mit ben Wegelagerern 

ei der Zitadelle erzählt?” Gie wollte Ge- 
wißheit haben, ob er fic) wirklich als ihr 
Netter aufgejpielt hätte, 

„Briefen bat uns fein Wort davon ge: 
jagt,“ gab ber Ronjul erjtaunt aurüd. „Im 
Gegenteil! Als meine Frau ihn heute darauf 
anrebete, behauptete er zuerit, daß bie ganze 
Cade nicht |timme. Erft als fie ihm jagte, 
daß Capitano Ferucci erzählt habe, wie er 
bet dem ‚Rampfe‘ mit ben Raubern hingu: 
gefommen wäre, mußte er es zugeben.” 

Bwendolin wollte bem Ronjul den wahren 
Latbeftand auseinanderjeßen, überlegte aber, 
daß fie Dadurch nur noch mehr in unnötige 
Redereien Bineinfommen würde. Es wurde 
ion genug über fie und Ferucci geklatſcht. 
Srüher wäre es ihr gleichgültig gewejen, 
jebt aber war ihr der Gedanfe überaus 
peinlich. 

Der Weg näherte fid) bem Gipfel. Bet: 
nahe alle Vegetation hatte aufgehört, und 
im ganzen llmfreije berrichte eine fajt be- 
ängitigende Stille. Weit und breit war fein 
Tier, fein Menjch zu jeben. Dazu wurde 
es allmählich recht fühlbar falt. 

Sebt traf man auf bie erjten völlig erhal: 
tenen Schüßengräben. Gogar bie gefüllten 
Sandſäcke, mit denen bie Bruitwehren aufge: 
füllt worden waren, lagen noch unverjebrt, 

Hier wurde haltgemadht, bie Ordonnanzen 


übernahmen die Pferde, und man begann 
u Fuß die nähere Belichtigung der Bers 
xe ug Der Ronjul madjte ben Er: 
fldrer. Hier hatte immer etwa ein Bataillon 
gelegen, das aber alle fünf Tage abgelöft 
werden mußte wegen der bejonders im Winter 
faft unerträglichen Kälte. Ohne Gdjubbad) 
und ohne Feuer batten bie waderen tiirfi- 
Iden Truppen den immer aufs neue wieder: 
holten wiütenden Angriffen ber Montene— 
griner widerjtanden. Denn, wenn es diejen 
emp wäre, ihre Geldjiige auf bem Bar: 
anjo — ad hätte Stutari nicht mehr 
gehalten werden Tonnen, 
S Ein paar Schritte weiter erreihte man 


ie Höbe. 

Bwendolin fühlte, daß fie etwas gutzu- 
machen hatte. Go wandte fie jid) an Briefen, 
ber fic) bisher abfichtlich ferngehalten. Da 
er aud) jet ein wenig zuvorlommendes Ge- 
iht machte, merfte fie, daß ihr abweijendes 

ejen ihn getroffen batte. Und offen und 
jeder Se md abgeneigt fagte fie: „Lieber 
Herr Briefen, td) habe Ihnen ein Unrecht 
eee das id) Ihnen in Gedanfen Au: 

ligte.” 

Da ſchmolz vor ber angebeteten Frau 
jede Verjtimmung, und mit plößlich übers 
— Gefühl ſagte er: „Sie können 
tun mit mir, was (ie wollen. Was von 
Ihnen fommt, ift immer das Schönfte und 
Belte, bas es für mich überhaupt gibt." 

Gebr geldjidt waren diefe Worte nicht, 
das fühlte er felber. Daran war wieder 
bas unglüdjelige Englijd ſchuld, bas er nicht 
HAM ace beberr|dbte, um [tets bie richtigen 

orte finden zu Tonnen, Aber wie er es 
lagte und als er Je babet anblidte, wirkte 
es bod) wie eine heiße Liebeserflarung. 

Und wieder wurde Gwendolin rot... 

„Sehen Cie nur,“ [prad) fie ſchnell, mit 
dem Verſuch abgulenfen, i Cie nur dies 
einzig |djóne Bild zu unjeren Füßen. Da 
liegt unfer Gfutart wie ein Traum aus dem 
Morgenlande mit feinen dunfelgrünen Bär: 
ten, feinen weißen Häujern und dem Dugend 
Ichlanten Dtinaretts. Und dahinter ber bläus 
lid) verjchwimmende, mächtige Gee, einge» 
rabmt von ben düfteren Bergen Montenegros. 
Millen Sie, daß ih bie Abjicht habe, in 
nádjter Zeit einen Ausflug ins Innere zu 
madjen? Die Pringelfin Bolane ME mid) 
eingeladen, fie auf ihrem Konat in ber 
frati zu bejuchen. Sch brenne darauf, 
diejes leltjame Land näher tennen zu lernen.“ 

„Und id) werde allein bier zurüdbleiben...“ 

Er hatte ihre Hand ergriffen. 

Langſam entzog fie ibm die Hand wieder, 
jah ibn aus ihren dunflen Augen an und 
jagte: „Gute Freunde wollen wir fein und 
bleiben. Nichts weiter will ich hören. Auch 
wenn Cie mich auf dem Rüdwege begleiten, 
dürfen Gie nur von barmlojen Dingen 
ſprechen.“ 

Etwas mißmutig hatte die kleine Baronin 
Cotta den beiden zugeſchaut. Sie „Meine 
Herrſchaften, vergeſſen Sie über ſich ſelber 


pis der Schuß auf dem Bardanjol BBSSSessessesd 183 


nicht völlig uns andere, Wir wollen auf: 
brechen, KE überrajcht uns bie Dunfelheit.” 
So jak man auf, und wieder ging es ben 
gleichen [teilen Weg hinab. Briefen hatte 
es eingerichtet, biejes Mal mit ber jchönen 
Srin ganz hinten zu reiten, felbft bie Ordon: 
nangen hatte er veranlaßt, vor ihnen zu 
bleiben. 
Schweigend ritten He eine Zeitlang dahin. 
An einer Felsklippe ſaßen zwei |chwarze 
Bögel, doppelt jo groß wie Krähen und mit 
mäcdtigem Schnabel. Faſt unheimlid) und 
urweltlich jaben fie aus. ,Rolfraben find 
es,“ jagte Briejen, „die heiligen Bögel Wotans, 
die bet uns in Mitteleuropa fait ausgeitor: 
ben find. Auker in aoologildjen 
babe ich noch feinen gejeben.” 
Test erhoben fih bie beiden ſchwarzen 
Gejellen jchwerfällig und [d)raubten jid) in 
langjamen Windungen in die Höhe. Ihr 
tiefes Rab: Rab war der einzige Laut in 
ber ſonſt gänzlich verlaffenen Gegend. 
„Baren Sie in Bayreuth?“ fragte Gwen: 
dolin plöglih. „Erinnern Cie fih, wie Wo: 
tans Raben auffliegen, Tur bevor Siegfried 


fält?” 

Dod gleich darauf überfiel fie ein heißer 
Schreden. „Bitte, laffen Sie uns jchnell den 
anderen folgen. Sch möchte nicht mehr |o 
allein hier GES reiten. Ich habe 9Ingit." 

Briefen blieb halten, denn fein Pferd 
batte fih einen Stein in ben 9u getreten 
und ging nur nod auf drei Beinen. Er 
rief einer Ordonnanz zu, zurückzukommen, 
und bat Gwendolin, unterdejjen allein weiter: 
zureiten. Einen Augenblid zögerte fie, als 
aber ihr Begleiter abjaB und nad) feinem 
Pferde jab, ritt fie Iangjam weiter. 

Sn biejem Wugenblid fiel ein Shuk. 
Briefen hörte das Pfeifen des Geſchoſſes 
unb ben Rugeljdlag ganz in ber Mähe. 
CErjdroden jab er fid) nad) Gwendolin um, 
deren Pferd einen Sat nah vorn getan 
batte. Da rief bie Orbonnana: „Das Pferd 
ijt geld)ojjen," und als Briejen hinblidte, 
legte jtd) fein Schimmel auf die Seite, 
Ichlug nod) einmal mit einem Hinterbein aus 
und war tot. 

Unwilltürlich pes Briefen ber Ge: 
dante: ‚Du wirft beſchoſſen! Im nächiten 
Augenblid warf er jid) in Dedung Hinter 
einen Felſen. Die 9teitgejelljd)ajt war etwa 
fünfzig Schritte weiter vorn haltengeblieben. 
Sofort ee Briejen: „Weiter reiten mit den 
Damen!“ und dann: „Bitte, Platen, fommen 
Sie mit einer Ordonnang hierher.“ 

Einen Augenblid war wilde Aufregung; 
bann bradte ber Ronjul mit der Macht 
feiner Stimme wieder alles in Gang, und 
aud) Gwendolin, bie fid) guerft zu Briefen 
aurüdbegeben wollte, wurde von zwei eng: 
lilden Leutnants in die Mitte genommen 
und veranlaßt weiter zu reiten. 

Als Platen mit einem der öjterreichiichen 
Offiziere und zwei Ordonnanzen zurückkam, 
rief ihm SBrielen, nod) immer liegenb, au: 
„Der Schuß galt offenbar mir. 


ärten 


Cie wijjen 


wegen ber pee: ür bie anderen ijt 
aljo feine Gefahr. Der Schuß fam bier lints 
von der Höhe, id) ſchätze aus breibunbert 
Meter Entfernung. Ich tann aber feinen 
Menjchen dort jehen.“ 

Platen par bie Felspartien mit feinem 
Zeißglas ab, fand aber teine Spur des Atten: 
täters ober aud) nur eine verdächtige Bes 
wegung. 

an verabredete: Briefen follte eines ber 
Ordonnangpferde be[teigen und immer rechts 
von einer Drdonnanz reiten, Diele als 
Dedung benugend, denn auf einen Schuld» 
lojen würde nicht gejchoffen werden. Das 
tote Pferd wurde abgejattelt, das Zaumzeug 
unb den Sattel nahm eine Ordonnanz zu 
fih aufs Pferd, während die dritte zu Fup 
nebenher ging. 

Nad fünf Minuten fegte man fid) wie 
verabredet zu Pferde und se einer balben 
Stunde erreidjte man den Fup bes Bardan: 
jol, wo man mit ber nod) gang aufgeregten 
Gejellihaft wieder gujammentraf. 

Alles redete auf Briefen ein, jeder hatte 
andere Bermutungen, und bie öjterreichiiche 
Hauptmannsfrau wollte mit Bejtimmtbheit 
einen Albaner hinter einem Felſen gejehen 
Leiw Es war aber auf der Seite, von der 
ein Schuß gefallen war. 

Gwendolin allein jagte fein Wort und 
jah Briejen nur mit großen Augen an. 

An der Rue Internationale trennte man 
fid), und Gwendolin bat Briefen, fie nad) 
Haufe zu bringen, Es war jhon ziemlich 
dunkel geworden. 

Raum hatte man fid) verabjchiedet, als 
Gwendolin losbrad): „Ich weiß es bejtimmt, 
Cie find verloren, wenn Gie jid) nicht um: 

ebenb von der Blutrache freifaufen. Ihr 
— Fuad hat es mir ſelber gejagt. Cie 
dürfen feinen faljden Stolz haben, und wenn 
Cie jid) zehnmal im Recht fühlen. Dafür 
[inb Cie bod) zu gut, und dafür halte ich 
Sie auch für zu verjtändig, daß Gie fih nicht 
der Gefahr ausjegen, auf derartige unwiir- 
dige Weile umzukommen.“ 

Leije antwortete Briejen: „Ich fann nicht.“ 

„Sch bitte Cie aus bem tiefiten Grunde 
meines Herzens, denten Sie an Ihre Mutter. 
Denten Gie an alles, was Ihnen lieb ift, 
denten Cie auch ein wenig an mid) und ret: 
ten Cie fih.” 

„Sc würde Ihretwegen in ben Tod geben, 
weshalb jollte ich nicht erft recht Shretwegen 
leben? Und bod) fann ich nicht tun, was 
Cie von mir erwarten. Sd) Ichäme mich, es 
Ihnen zu [jagen und dod, Ihnen tann id 
es nod) am erjten geitehen: ich bin fo arm, 
daß id) auf feine Weile bie Dreitaujend Kronen 
Löſegeld, bie nad) Fuads Anjicht nötig find, 
aufbringen Tomm." 

„Aber bas ijt bod) unmöglich. Wenn 
Ihre Frau Mutter es nicht tann oder wenn 
Cie feine reichen Verwandten haben, dann 
werden Kameraden Ihnen das Geld geben 
oder Ihr Staat gibt es, jobald Cie aus: 
einanderjegen, dak es nötig ijt." 


184 seess Borwin Carlig: 


„Meine Rameraden find eben[o arm wie 
ich lelber. Bon ihnen könnte id) nichts be: 
tommen, obgleich id) feinen Augenblid zweifle, 
daß fie ihr legtes mit mir teilen würden. 
Und unjeren Ctaat — nein, nein! Gie 
tennen die gewijjenhafte preußijche Sparjam« 
teit nicht. Ich muB mein Schidjal auf mid) 
nehmen, und ich verfichere Cie, ich werde es 
meinen Feinden nicht leicht machen.“ 

„Aber das ift bod) wider alle — 
rief Gwendolin gequält. „Es iſt doch wahn— 
innig, wegen lumpiger hundertundvierzig 

fund einen Menſchen in den ſicheren Tod 
zu treiben. Aber ich — ich — werde es nicht 
dulden, id) werde mit Fuad ſprechen, i 
werde zu Ihrem Kommandeur gehen, i 
werde an Ihren Geſandten in Cettinje ſchrei— 
ben; es muß doch einen Menſchen geben, der 
Ihnen helfen kann.“ 

„Einem armen preußiſchen Leutnant hilft 
kein Menſch, der muß Dé elber helfen. Und 
dies ijt ganz gut jo. ber Ihnen, meine 
liebe, liebe {rau Gwendolin“ — zum erjten 
Male wagte er es den Namen ganz leije 
auszujpredyen — „Ihnen dante id aus tief: 
[ter Geele.” 

€ie waren vor Gwendolins Hauje ange: 
tommen. Gie war nicht mehr im — 
ein Wort zu ſprechen. Leiſe weinte ſie vor 


ſich hin. 

Vorſichtig hob er ſie vom Pferde und 
brachte ſie bis an die Türe. Ein letzter 
Blick, unter Tränen cae hEn traf ihn und 
fie jagte leije: „Ich muß Sie morgen |pre= 
den.“ Dann war fie verjdywunden. 


B] 
H Major Wächter Gi aus der Rajerne 
zurüd, wo er das Gjjen der Diannichaften 
eprobt hatte. Es gab Echweinejleijch mit 
Sauerfraut, eine Delifatejje für Gflutari, 
wo der Hammel und das Huhn faft aus: 
ſchließlich bas Küchenprogramm bebherrjden. 

Da hatten fih denn die Deutjchen in 
ihrer Rajerne eine fleine Schweinezudyt om: 
gelegt und machten Leber: und Blutwürjte 
wie in der Heimat. Freilich war bie Tri- 
dinenjdau eine in Skutari nidyt geübte 
Gace; aud) einen Veterinär bejaB bas Dez 
tachement nicht, |o bap Major Wächter ben 
GStabsarzt bitten mupte, fih biejer für ihn 
neuartigen Aufgabe zu unterziehen. 

Als Wächter feine Wohnung betrat, 
meldete ibm der Burjche, daß Oberitleut: 
nant Bopp, der Kommandeur des öfter: 
reichiſchen Detadjements, ihn zu [predjen 


wiinjche. 

Freundſchaftlich begrüßten fid) bte Herren, 
die bier jtets Hand in Hand arbeiteten. 
Bopp hatte feinem deutſchen Kameraden 
bas Du angeboten, und Deler nannte ihn 
aljo nad) öjterreichiicher Sitte Herr Obert: 
leutnant und Du, 

,Jia, Wächter, wie geht es dir? Haft du 
Sirger gehabt mit deinen Leuten? Tu Debt 
jo penjif aus. Oder haben die Frangojen 
bid) wieder einmal nicht anjtändig aegrüßt 2“ 

„Nein, Herr Oberjtleutnant, diejes Mal 





Du 
wirft wohl fhon gehört haben, dak geftern 
auf meinen Oberleutnant, den Briejen, ges 


ift es eine ganz eigenartige Gade. 


ſchoſſen worden ift. Nun boat er einen 
Freund bier unter den Albanern, bei bem 
er heute morgen war, um bie Gade mit 
ihm zu bejpreden. Der — Fuaed heißt er — 
ijt zu meiner großen Überrajchung ber Ans 
ct, daß der Schuß unter feinen Umſtän— 
en von einem Albaner abgegeben fein 
fönne, weil nad) uralter albanijdher Tradi- 
tion niemals in Gegenwart einer Frau eine 
Bewalttätigleit verübt wird. 

„un ift es ja fatiirlid) möglich, daß ber 
gelirige Schuß von irgendeinem entiprun: 
enen Verbrecher abgegeben ijt, wie fie 
djlieBlid) jede Broßjtadt hervorbringt, wo: 
u man bod) aud) Cfutart rechnen tann. 
ber bie Tatjache bleibt bejtehen, pop die 
Familie des kürzlich erjchojjenen 9IIbaners, 
ber zu den Gftelis Fa die Meinung 
hat, fie müſſe bie Blutjchuld an uns Deut- 
iden rächen. Wenn es fih gejtern nur um 
den Überfall eines beliebigen Verbrechers 
ali — warum wurde denn gerade Brie- 
ens Pferd getroffen? Ich bin leider über: 
geugt. daß es ein Aft bieler wahnwikigen 

lutrade ijt, und muß gefteben, ich fühle 
mich ziemlich ratlos.” 

„Ja, mein lieber Freund, ba muß man 
naddenfen,” jagte Bopp. „Ich bin ja fo 
beiläufig aud) mit den Sitten biejer Albaner 
betannt, und ich babe immer nod gefun» 
Den, dak fih bier faft alles mit Geld arran: 
gieren läßt. Alsdann zahlt man halt jein 
Geld, und die Cadje ijt erledigt. Wenn 
bu illit, will ich gerne ben Cotta veran» 
laffen, mit den Cfrelis zu verhandeln.“ 

„Ic dante bir jehr, Herr Oberitleuinant, 
wë deinen freunblidjen Rat, muß dir aber 
agen, daß Briejen nicht die Abſicht hat, 
einige Taujend Kronen für eine Gadje her: 
zugeben, bie er im Dienftliden Wuftrage 
unternehmen mußte.“ 

„Da jdau ber, der Herr Oberleutnant 
Briefen! Ja, bas ijt ein jchneidiger Herr, 
der läßt fid) lieber totjchieBen, bevor er ein 
Geld ausgibt. Sehr forjd) und jehr unflug. 
Aber wenn er halt nicht will, dann mußt 
du ibm mit Staatsmitteln aushelfen.“ 

„Dein lieber Herr Oberjtleutnant, bas 
ift es ja gerade, was mir KRopfzerbrechen 
madt. Stell’ bir, bitte, vor, was die Leute 
im friegsminijterium für Augen machen 
werden, wenn id) plößlich dreitaujend Mark 
hs Erledigung von albaniſcher Blutrade an: 
orberte, Ich würde [jofort auf meinen 
Gerfteszuftand unterjudjt unb burd) einen 
Nachfolger erjekt werden, der jid) nicht 
Jolde Märchen aufbinden. läßt.“ 

„Alſo, ba fann man nichts machen,“ 
meinte Bopp, „dann müſſen wir bie Sache 
biplomatijd) angreifen. Wer weiß denn mit 
Cicherheit zu jagen, daß thr Deutjche den 
Ctreli erjchuffen habt? Niemand. Sd) bin 
jogar ber Anjicht, daß es die Engländer 
waren, Gib mir hundert Kronen für den 


BSS SSS Sse Der Schuß cuf bem Bardanjol Bese eee sss 


Kawaſſen unferes &onjulats, und der Menn 
eht nod) heute abend ín allen Raflıes 
berum und erzählt, daß bie Engländer ien 

treli erjchojjen haben und nur euch Deut: 
chen der Tat verdäcdtigen, weil ihr Dod) 
egt den Prinzen Wied als Fürſten hierher 
[sides wollt. Wlindeftens wird bas Die 

ngebórigen wieder zweifelhaft mod en, 
oder was nod) viel beffer wäre, wir |djieben 
die ganze fatale Ge,djid)te überhaupt den 
Gnglánbern in bie Schuhe, bie uns Lier 
unter dem Decdmantel ber Humanitat bod) 
Hetz nur Scywigzigfeiten bereiten.“ 

Aber aud) dieje diplomatiſche‘ CErledi- 
ung leucdhytete Wächter nicht recht ein. Es 
am ihm zu niedrig vor, den Engländern, 

die fid) bisher ftets fameradichartlic) be: 
nahmen, einen jolchen Streich zu |pielen. 

Er banfte aljo feinem öjterreichijchen 
Freunde für bie gute Abjicht, die er jid) 
nod überlegen miijje, und bat: „Aber nun 
fage mir, Herr Oberftleutnant, womit id) 

ir dienen tann?” 

„Ja, MWächterle,“ meinte Bopp, „das ift 
eine Delifate Angelegenheit, und id) weiß 
nicht, wie bu mit deinen altpreußijchen 
Grundjägen darüber denten wirft Aljo, 
alsdann den Tatbeſtand. Du weißt, daß 
fid) am hieſigen Orte ein fogenanntes 
Café cantant befindet, bas von den Cols 
daten und aud) den Offizieren faft aller 
Detachements bejudt wird. Tie Damen, 
es find augenbliclidh etwa ein Dugend, find 
ja nicht gerade ſchön, dafür aber aud) nicht 

leor tugendhaft. 

„Nun bin ich der Meinung, man fann 
bier, wo bie Colbaten jo gar feinen Ver: 
ehr haben, ben *Bejud) biejes gewiß jtart 
anríidjigen Lofals nicht verbieten, ohne große 
linguiiiebenbeit hervorzurufen. Außerdem 
würden unjere Leute doch hingehen, und 
wir wären zu fortwährenden Ctrafen ge: 
mungen, Schon mebhifad ijf es dort zu 

rügeleien getommen, vor drei Tagen aber 
hat ein Italiener einen meiner Leute in 
den Bauch geitochen. WUllerdings haben 
meine braven Dalmatiner dajür die Ita: 
liener jo verarbeitet, daß fünf von ihnen 
im Rranlenwagen fortgejd;ajjt werden muß: 
ten. 

„Mit unjerem italienijchen Kollegen, bem 
Epontini, babe id) bie Sade id)on in Ord: 
nung gebradjf. Wir find es ja aus Triejt 
ber gewohnt, die Kaßgelmadyer als unjere 
größten Feinde zu berachten, mit denen 
man nun einmal end) Deutjchen zuliebe 
verbündet fein muB. Aber joldje Falle 
dürfen nicht zu bourg vorfommen, fonft 
leidet bie Dilziplin darunter. 

„Ih babe daher einen Gedanken gehabt, 
wie man den Pejuh vorhin erwähnten 
Cafés regeln fonnte Cpontini tjt dicjes Mal 
ausnahmsweije mit mir einverjtanden, und 
wenn auch bu nod) deine Zultimmung gibit, 
dann taben wir in der Kommiljion Die 
Diajorität, unb bie Gnaländer, bie Her 
wieder mit m.ralijdjen Bedenfen tommen 


Qelbagen A Klajings Vtonatsheite. 32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bo. 


185 


werden, find iiberftimmt. Mjo, fhau Der, 
Wachter, was id) mir ausgeden{t hab’.“ 

„Ich will bas Café militàrijd) organijieren. 
Zunädjt wird es allen Zivilperjonen vers 
boten. Und jodann wird ber Beſuch tage: 
weile für Die einzelnen Nationen frei ge: 
geben. Zum Beijpiel: am Montag Deutſch— 
land, am Dienstag Öjterreih: Ungarn, am 
Mittwoch Frankreich, am Donnerstag Sta: 
lien und am Freitag England. Den cams: 
tag batte id) als Ruhetag fir bie Damen 
angejegt, und der Sonntag jollte den Herren 
Difizieren vorbehalten bleiben. Was meinjt 
bu zu meinem Worjdlag, einfad) jchenial, 
was?“ 

Wächter meinte: „Sch werde deinen An— 
trag gerne unterjtüßen, denn id) halte ihn 
taijádjlid) für praftiih. Dag meine Offiziere 
jelbjtverjtändlich nicht bas Lofal bejucyen 
werden, Das tut ja nidjts zur Gade.” 

»Mljo abgentadjt," jagte Bopp, „und dann 
Servus, lieber Jreund, id) babe mod) zu 
tun.” 

„Auf Wiederfehen, Herr Oberjtleutnant, 
und vielen Dant für deine gute Abjicht 
vorhin.” 

Kurz nad) dem Fortgange Bopps lieh 
Ié ihon wieder cin vejucher melden. Auf 
einer Wijitentarte fiand: Sjmael Wibaritijd), 
Korreipondent der Freien Preſſe. 

„Führen Cie den Herrn herein!“ 

Ein tleiner gewandter Miann im alba: 
nijyen res betrat das Zimmer und be: 
grute Wächter im fliegenden Deutſch. Mier, 
zeihen Sie, Herr Major, wenn ich Ihre 
fojibare Scit in Anſpruch nehme, aber eine 
fur Deutſchland höchſt wichtige Wngelegen: 
heit veranlagt mich, Cie aujzujuchen.” 

„Wollen Cie slat nehmen. Darf id) 
Ihnen zu rauchen anbieten, Herr Ribarit}d ?^ 

Wächter reichte bie Zigarette feinem Be: 
jucher einzeln mit drei Fingern der rechten 
Hand hin, wie es die Gitte des Drients 
erjordert. 

„Ich bin fo frei, Herr Major.“ Das war 
die Antwort des Whendlantes, bie allerdings 
nicht frei, |onbern recht jervil tlang. 

„Herr Wiajor. Kennen Cie das hier er 
Iheiuende Blatt, den Taraboſchi? Sch ver: 
mute nein, denn Gie fünnen ja nicht alba: 
niih. Es würde aud) fein Vergnügen für 
Cie fein, biejles ordinäre Blatt zu lejen, 
das täglich gemeine Angriffe gegen jier- 
reich und Deutjchland enthält.“ 

„Wird die Zeitung nicht mit italienijchem 
Gelde unterjtiitt ?^ 

„Sie jagen ,unter[ti bt, Tas Blatt wird 
überhaupt nur von ttalteniicher Ceite ge: ` 
halten. Wir Albaner weijen jede Gemein: 
Idiot mit bielem Unternehmen zurüd,” 

„Uber bie Zeitung wird, joviel idy lebe, 
häufig auf ter Straße getauft und jcheint 
mir dadurch Dod) einigen Einfluß zu be: 
gen. Außerdem follen die Redalteure Al: 
baner fein.“ 

„Yeider haben fid) einige gewillenloje 
Exijtengen gefunden, die ben Stalienern 
13 





186 Borwin Carlig: 3 a. 


SHandlangerdienite leilten, Dod) werden fie 
von der Mehrzahl meiner Landsleute ver: 
achtet. Wenn Sie aber gejtatten, Herr Ma— 
jor, Dann überlege id) Ihnen den heute mor: 
en erjchienenen Leitartifel, der Die freche 
fen Angriffe gegen Deutjchland enthält.“ 

„Ich bitte Cie darum.” 

i Ribaritjc begann: „Die Überjchrift ift: 
Muß Albanien jid) alles gefallen laſſen? 
Dann heißt es weiter: Wie unjere Leer 
wijfen, haben die Verhandlungen der Groß: 
mächte wegen eines für unfer Waterland zu 
erwählenden Fürjten bisher nod) fein Res 
jultat gezeitigt. Hierzu erfahren wir aus 
eingeweihter Quelle folgendes: Auf Bor: 
\hlag bes Königs Karol von Rumänien 
jolen Siterreid) und Deutjchland bereit fein, 
eine Kandidatur bes Prinzen von Wied, 
eines Neffen des Königs, zu unterltüßen. 
Pian hofft aud) die Zujtinmung Ruplands 
unb Italiens zu erlangen, jo daß Damit Der 
Bring die größten Chancen auf unjeren 
Thron hatte. 

Natürlich) haben wir fofort eingehende 
Erfundiqungen nad) dem fraglichen Prinzen 
angejtellt und folgendes in Erfahrung ge- 
brad)t Der Pring von Wied gehört zu 
einem Der vielen leinen gänzlich unbedeu- 
tenden SFürjtengejchlechter, von denen es in 
Deutjchland wimmelt. Er ijt etwa 40 Jahre 
alt, augenblidlid) Major im preupiiden 
(Seneraljtabe und befigt |o gut wie fein Ber: 
mögen. Nun ijt es betannt, Daß jeder wirkliche 
Pring in Deutjdland mit 20 Fahren jchon 
Major und mit 40 Jelbitverjtändlich General 
ijt. Entweder ift der Pring von Wied allo 
gar fein richtiger Prinz, oder er Dat irgend 
etwas begangen, weshalb ihn der deutjche 
Raijer nicht jeinem Range gemäß befördert 

at 


Zweitens hat er fein Vermögen, er müßte 
aljo bie Kojten feiner Hofhaltung aus Den 
Einkünften unjeres armen Landes bejtreiten. 
Da aber für unabjehbare Zeit Albanien peti: 
niärer Unterjtiigung von außen her dringend 
bedarf, fo bliebe nichts anderes übrig, als 
eine verhängnisvolle Schuldenwirtichaft an: 
zufangen. Und einen jolchen Fürjten will 
man uns aufdrängen! Willen wir uns 
denn alles gefallen laffen, find wir bereits 
eine Kolonie Öjterreichs oder ein deutjcher 
Bafallenftaat? 

Wir für unfer Teil proteftieren aufs 
eneratichite und hoffen, daß alle wohlgejinnten 
Patrioten Darin mit uns einig find. Wir 
verlangen von unjerem zukünftigen Mbret, 
daß er nicht zu uns fommt, um das unglück— 
liche Land noch weiter auszujaugen, Jondern 
um geordnete ?Berbáltnijje, Wohljitand und 
Sicherheit zu bringen. Und dazu gehört in 
eriter Linie Reichtum. Dieje Bedingungen 
finden wir voll erfüllt bei einem Prinzen, 
dejien Wohnlig hier tm Orient jid) befindet 
und Der außerdem Die Religion der über: 
wiegenden Mehrzahl unjerer Bolfsqenojjen 
hat. ür einen mittellojen deutjchen Brine 
gen aber bedanfen wir uns.“ 





Ribaritid hatte geenbet, jah Wächter an 
und fragte: „Was gedenfen Cie, Herr Ma— 
jor, darauf zu tun?“ 

Wächter überlegte einen Wugenblid. Dann 
erwiderte er: „Ich will Ihnen mit einem 
tlirfijden Sprichwort antworten: ‚Die Hunde 
belle, aber bie Karawane zieht weiter.” 

„Und Cie werden nichts gegen ben Tara: 
bojchi unternehmen, fih niht einmal erkun— 
digen, aus welder Quelle biejer verleumdes 
rijdje Wrtifel jtammt ?^ 

„Id babe nicht bie Abjiht. Rann ih 
Jonjt noch mit etwas dienen?“ Damit erho 
jid) Mächter, und da der Albaner fab, dah 
bie Unterredung beendet fein folte, empfahl 
er fid) unter Beteuerungen der Anhänglichteit 
an Deutjchland. = 

Wächter |djidte feinen Burjchen zu Platen 
und ließ ibn bitten, mit den albanijdjen 
(Sebeimaften zu ihm an fommen. 

Als Diejer bald el erjdien, ftellten 
jie feft, daß Simael 9tibarit]d) eine feineswegs 
wohl beleumundete Vergangenheit bejaß und 
verdächtig war, im engliiden Colde zu 
iteben. 

Wächter lachte vor jid) hin: „Dem Jüngling 
habe id) gleich feine gut gejpielte Entriijtung 
nicht geglaubt. Wahricheinlich hoffte er in 
Erfahrung zu bringen, wie weit die An: 
gelegenheit des Prinzen Wied Ion vor: 
gejchritten ijt.” — Da dieſer Fall erledigt ihien, 
jagte Platen: „Herr Miajor, vorhin hat mid) 
Mrs. Herbert dringend gebeten, fie jofort 
aufzujuchen. Ich fand fie in ziemlicher Gr: 
regung vor, Gie war geftern in der Nähe, 
als Briejens Pferd erſchoſſen wurde, und 
ijt überzeugt, daß er binnen furzem einem 
neuen 9Lttentat zum Opfer fällt, wenn es nicht 
gelingt, ihn von der Blutradhe freizufaufen. 
Mit echt englijdher Unerfahrenheit bildet 
fie fid) ein, daß wir Kameraden oder aud 
der deutjche Staat bie Lojejumme für Briefen 
zahlen müßten, da er jelber anjcheinend nicht 
dazu imjtande fei. Ich verjudhte ihr aus» 
einander zu jeßen, daß es fih hier wahr» 
Iheinli gar niht um einen albanijchen 
Anjchlag gehandelt habe, ba in Anwejenheit 
von Damen ftets bie Belja*) gehalten 
wird. Aber fie war nicht zu überzeugen. 
Cie wurde immer erregter, warf mir lin: 
fameradichaftlichkeit unb Mitleidlofigfeit vor 
unb meinte jchließlich, daß jeder Menſch in 
jolhem Falle die Verpflichtung habe, bem 
andern zu helfen. Es tat mir leid, dab id) 
ihr feine Antwort geben fonnte.“ 

„Die Sache geht mir aud) immer im Ropfe 
herum,“ antwortete Mächter. „Jedenfalls 
wollen wir Briejen in nächjter Zeit zu feinem 
Kommando außerhalb der Stadt verwenden, 
und jollten fic) bie Anzeichen verjtärten, daß 
tatjächliche Gefahr für ihn vorliegt, dann 
werde id) ihn unter irgendeinem Borwande 
nach Deutichland zurüdjchieten. —“ 

Yin demjelben Tag erhielt Baron Trauben: 
berg folgendes Telegramm: 


| *) Beffa bedeutet aufalbanifch: der Friede. 


BESSFISSPIIIIZITN Der Shuk auf dem Bardanjol EKK] 187 


Baron Traubenberg, Cettinje! 

Ich bedarf jofort 3000 Kronen und ers 
warte Ihre weiteren Snjtruftionen. Ants 
wort erbitte pojte rejtante. G. 

Er antwortete: 

Banque Ottomane hat Anweifung erhal: 
ten, Ihnen Gewünjchtes bei perjönlichem 
Ericheinen auszuzahlen. Bin in einigen Zo: 
gen in Skutari. T. 


8g ee 

Aus ſchweren Träumen war Gwendolin 
am Morgen nad) bem ereignisvollen Aus: 
fuge erwadt. Grit jpát war fie eingejchlafen 
' unb litt dann fortwährend unter beäng: 
e Boritellungen, die ihren Halb: 

lummer zur Qual madjten. Gegen Morgen 

er ilie? fie feft, und als die Jungfer fie 
pedem fam, batte fie nod) ein alüdjeliges 
Lächeln auf den Zügen. Was [ie aulebt 
geträumt hatte, wußte fie nicht mehr genau, 
nur febr jüß war es jewejen. 

Dod) taum bejann De jid) zur Wirklichkeit, 
als aufs neue ein jäher Shred über fie fam. 
Die Jungfer brachte einen Strauß wunder: 
voller roter Rofen ans Bett. Sie braudyte 
nicht zu fragen. Die Rojen konnten nur 
von ihm jein, bem der Tod auf den Ferſen 
[auerte. Auf einer dabei liegenden Karte 
frug er an, wann er fommen dürfte. 

Bn Bett Jdrieb fie bie Antwort, und 
dann blieb fie nod) eine Zeitlang liegen und 
dachte alles wieder durch, worüber fie jid) 
ihon gejtern Mar geworden war. 

Briejen liebte fie, darüber konnte fie nicht 
im Zweifel fein. Er war nicht der erite Dann, 
der jie begehrend ihr nahe trat. Wenn man 
in feiner jebr glüdlichen Ehe lebt, dann findet 
fic) bet jeder jchönen Frau eine Anzahl Be- 
werber an. Ob Briefen aud) zu denen ge: 

ürte, die jede Gelegenheit ausnußten und 
ödhftens ein bedauerndes Achſelzucken fans 
den, wenn fie einmal feinen Erfolg batten? 

Dod) Jo jah er nidjit aus. Er war fer 
fein Dann, der jhon viel von Frauen geliebt 
war. Zu einem VBerführer fehlte ibm jede 
Routine. Wie ungeichidt und fait unbeholfen 
waren feine heißen Worte gewejen. Und 
gerade darum wirkten jie wie von einem 
unwiderjtehlichen Drange geboren. 

Bwendolin geftand jid) ein, daß es ihr 
ein wunderjames Gefühl qewejen war, dieses 
kel gejdnittene, wenig liebenswürdig aus: 

auenbe Gejidht in heißer Glut brennen 
gu jehen. Aber fie empfand die Unmöglich— 

it, mit bielem Manne harmlos zu flirten, 
Hier mußte man rechtzeitig Einhalt gebieten, 
jonjt fam es zu einer Katajtrophe. 
löglich fiel thr ein: ‚Sch liege Hier und 
dente am eitle Liebesgejchichten, während 
draußen bas Schidjal jeinen Weg gebt. Er 
jelber fann oder. will jid) nicht helfen, feine 
Kameraden ftehen ibm nicht bet. Alſo muß 
ich für ihn handeln.‘ Und entichlojfen führte 
jie durch, was fie jid) gejtern abend in later 
Stunde vorgenommen hatte. 

Bei Platen madyte fie einen Berjuch, von 

dem fie fih Ihon vorher nicht viel verſprach. 


Dann hatte fie zu Fuad geſchickt, ber um: 
gehend ihrem Rufe folgte. 

Der Albaner fah blag und übernädhtig 
aus. Man merfte ibm die WWrbeitslajt an, 
die er für fein Vaterland vollbradhte. Als 
er Gwendolin wieder jab, ftieg eine fable 
Nöte in feine fait fanatijchen Geſichtszüge. 

„Womit kann ich der ſchönen Frau dienen, 
die ein Herz hat für unſer armes Vaterland?” 
fragte er mit ein wenig bebender Stimme, 

,Sieber Fuad Bei, ich weiß, Cie find ein 
Freund von Mr. Briefen. Wie Tonnen Gie es 
zulajien, daß Ihr Bruder, wie Sie ihn felber 
nannten, von Ihren Landsleuten getötet 
wird?” 

Wild fuhr der Albaner in die Höhe bei 
Diejer Beichuldigung. „Wer meinem Bruder 
nur ein Haar frümmt, ber ijt bes Jicheren 
Todes gewiß. Ich habe die Sfrelis wijfen 
lajjen, daß ich feinen Mann ihres Stammes 
verjdjonen werde, wenn fie es wagen, ibn 
anzurühren.“ 

„Und glauben Sie dadurch Ihren Freund 
ſicher zu bewahren? Ich habe mir ſagen 
laſſen, daß auch die Ausſicht auf die grau— 
famfte Strafe feinen Albaner abjchredt, die 
Blutrache zu vollbringen.“ 

„Noch idjmebt mein Bruder nicht in un: 
mittelbarer Gefahr.“ 

„Und geitern wäre er beinahe getötet 
worden,“ rief Gwendolin heftig. 

„Wer gejtern auf ihn gejchojjen hat, bas 
werde id) bald wijjen. Ein Albaner war 
es nicht.“ 

„Ich hoffe, dak Sie recht haben. Wher 
wie lange [dhon waren Cie Ihrem Lande 
fern. Wer weiß, ob fic) nicht unterbejjen 
manches geändert hat, bas Gie noch nicht 
völlig überjehen können.” 

Fuad zudte bie Achſeln, und Gwendolin 
fuhr fort: „Auch ich bin Ihrem Freunde zu 
Dank verpflichtet. Und ich darf nicht Die 
Schuld auf mein Gewijjen laden, nicht alles 
verjucht zu haben, was zu jeiner Rettung 
beitragen fünnte. Er jelber will fid) nicht 
von ber Blutjchuld jreifaufen, jo werde id) 
es denn für ihn tun, und ich bitte Cie, bas 
dazu Nötige zu veranlajjen.“ 

Tiefes Erjtaunen malte fih auf Fuads 
Zügen. Endlich jagte er: „Glauben Cie, daß 
id) biejen Weg nicht ſchon erwogen hätte, 
wenn ich ibn für jo einfach Dielte. Will 
mein Bruder fic) mit den Skrelis einigen, 
dann muß er in feterlicher Sermonie mit 
ihnen zujammen tommen, um eigenbandig 
das Sühnegeld zu übergeben. Sch tenne 
fein Herz, bas von tiefiter Kühnheit, aber auch 
von unermeplidem Stolze erfüllt ift. Und 
nur, um thn nicht tödlich zu beleidigen und 
mir feine Liebe nicht für immer zu verjcherzen, 
habe id) nicht einmal in Gedanken gewagt, ilm 
das Weld anzubieten, bas td Tur thn dahin: 
qeben würde bis auf den legten Reſt meines 
Vermögens.“ 

Aber Gwendolin war nicht ſo leicht mutlos 
zu machen. Wenn ſeine Liebe zu ihr wirklich 

Kan 


188 TESSSHSSSHESCHS HESSEN Borwin Garli5: MEZZE ZEZE ZE ZEZA ZA ZA] 


jo groß war, wie fie es nah allem glauben 
mußte, dann würde er von ihr das Geld 
annehmen. Was er dem Freunde vielleicht 
verweigerte, der Geliebten mußte er es 
gewähren. 

„Sch werde verfuchen, einen Meg zu 
finden, daß unjer Freund mir feine Ablage 
gibt. Wie id) bas machen werde, lajjen Cie 
meine Gorge fein. Um eines nur bitte id) 
Cie, geben Sie fofort gu den Ctrelis, eröffnen 
Cie ihnen, dak Mr. Briefen zu Verhand— 
lungen mit ihnen bereit fei.“ | 

Snftinfiiv erfaBte ber Albaner, wie Gier: 
dolin auf Briefen einwirten würde, und mit 
einem Cdjage war ihm alles tlar. Gem 
Freund liebte bie Frau und wurde wieder 
geliebt. 

„Sch werde alles tun, was Cie von mir 
perlarger, und feit id) wei, was Sie joeben 
mich fühlen liegen, Tonnen Cie ebenfo über 
mein Leben verfügen, wie mein Bruder.” 

Bwendolin jtredte thm bie Hand entgegen. 
„Sc dante Ihnen, Fuad Bei, und follte es 
einmal nötig fein, daß id) Ihre Hilfe gebrauche, 
dann werde id) Cie jojort zu mir bitten. 
Daß aud) Ihr Freund ebenjo wie jeder 
andere von unjerer Unterredung nichts er: 
fahren darf, ijt wohl jelbitver[tánblid)." 

„ch gebe jet zu den Cfrelis. Das Lojes 
geld fol dreitaufend Kronen betragen, wie 
mir jchon befannt war.“ 

Debt gob es für Gwendolin fein Zurüd 
mehr. Was fie für fidh jelber niemals 
getan hätte, was ihr noch gejtern ein un: 
möglicher Gedanfe erjdien, heute fand fie 
es jelbjtverjtändlich. 

Und erft als das Telegramm an Baron 
Traubenberg abgegangen war, eijfrat fie 
bei dem Gedanken, jid) Diejem ffrupellojen 
Manne in die Hände gegeben zu haben. — 

Jtachmittags fam Briefen. Er fand feine 
nervöje, erjchlitterte Frau, wie er es vermu: 
tet hatte, jondern ruhig und fajt heiter be: 
grüßte ibn Gwendolin, als wenn gelternnichts 
von Bedeutung vorgejallen wäre, ‚Ihr [djeint 
das Spiel mit bem Herzen ebenjowenig Eins 
drud zu machen wie bas mit bem Tode,‘ 
dachte Briefen mit leichter 3Bitterfeit. Dann 
jragte er: „Wie haben Sie geichlafen nad) 
dem gejtrigen anjtrengenden Riit?” 

„Ich dante, gut. Und bejonbers muß id) 
Ihnen für das ſchöne Aufwachen danken, 
dejjen Urjache Ihr wundervoller Roſenſtrauß 
war. Sit es Ihnen recht, wenn wir einen 
feinen Weg durd bie Stadt machen? IH 
möchte etwas unter Menſchen fein.” 

Yanglam jchlenderten fie der Rue Inter: 
nationale entgegen. 

„Seben Gie Diele vielen aufgeregten 
Menſchen,“ fagte Gwendolin, „es muk jid) 
etwas Ernſtes eretquet haben.“ 

Überall liefen Albaner umber und riefen 
fid irgendwelche Vachrichten zu, Die an: 
Icheinend febr wichtig und febr erfreulich 
waren. 9(us Der Ferne ertönten braujendes 
Rufen und Dazwilchen wildes Gejchret. 
„Laſſen Sie uns näher heran gehen,“ meinte 


OMENS eifrig, ,id) muB wijjen, was vor: 
eht.” 
N Bor bem albanijden Klub war bie CtraBe 
völlig geiperrt. Auf dem Balton bes oberen 
Stodwertes jtand ein junger Albaner und 
telt bie blutrote Fahne mit dem ſchwarzen 
dler in der Hand. Er Idien den Verſam— 
melten Nachrichten vorzuleien. Wenn er 
eine "Boule madte, bann jdjrie bie ganze 
Geſellſchaft, und er jdjwentfte die Fahne hin 
und ber. Zuletzt ſtimmte alles bie albanijche 
Nationalhymne an, wobei die allgemeine 
Begeijterung den Gipfel erreichte. 

S,auptmann Hagen traf mit Gwendolin 
und Briefen zujammen. „Willen Sie, was 
bier vorgeht?“ rief fie auch im zu. 

„Soviel id) in Erfahrung bringen fonnte, 
jol bas albaniidje Gebeimtomitee die Nach: 
richt befommen haben, daß an der jerbijchen 
Grenze ein Aufruhr der Albaner ausge: 
broden ift. Cie wollen fogar kon im 
Beſitz der Städte Dibra und Priſren fein.“ 

„Uber das wäre ja unglaublich,“ meinte 
Bwendolin. „Die | prey De nba ete Wiba: 
ner jollen die jieggewohnten Serben fo einfach 
über den Haufen gerannt haben? Das tann 
id) taum fajjen.^ , 

„Es wird aud) wohl nicht wahr fein,” 
Jagte Hagen. „Dies aufgeregte Volt madt 
aus jeder Mide einen Elefanten, und was 
JdjlieBlicd) von dem großen albanijden Siege 
übrigbleibt, bas ift ein Überfall auf einem ein: 
zelnen jerbijchen — Wie wollen außer— 
dem die Albaner Nachrichten von der Grenze 
haben, die fünf volle Tagesritte von hier 
entfernt iſt, während wir es durch den Tele— 

raphen oder die öſterreichiſche Radioſtation 
et erfahren hätten, falls wirtlid) irgend 
etwas von Bedeutung vorgefallen wäre ?“ 

„Wahricheinlich wird es jid) [o verhalten,” 
meinte Briefen. „Aber id) mód)'e bod) vor: 
idjlagen, daß wir ben fleinen Weg zur Radio: 
ftation machen. Sn einer Gtunde etwa 
pflegt der Abendbericht ba zu fein. Viele 
leicht weiß man dort jhon etwas.“ 

Gwendolin war jofort bereit, und Hagen 
verabichiedete fic. Er liebte es nicht, mit 
Damen aud) nur einen Augenblict länger 
beijammen zu fein, als unbedingt nötig war. 

Die beiden bogen von der Hauptjtraße 
ab und famen zu dem großen fatholijden 
Dome. Er zeigte ftarfe Spuren der Beſchie— 
Bung, und bas Innere war völlig aerjtórt. 

„Sier tann id) Ihnen Auskunft geben,“ 
jaqte Bricjen, „warum die VDlontenegriner 
gerade ben Dom fih zur Zielicheibe genome 
men haben, Die bieligen Ratholifen be: 
haupten, daß es ledigli bie Wut Der 
Orthodoxen gewejen wäre, bie die Rathos 
liten mehr haften als bie Muhamedaner. 
Ich alaube aber, der Grund lag darin, daß 
die Wiontenegiiner von ihren jehr entferne 
ten Beobadhtungspoften nichts weiter von 
ber Stadt leben fonnten, als ben Dom, Und 
naturgemäß baben fie ftd) dann nad) dieſem 
Sielpuntt eingeichojjen, wobei er jelbitver« 
ltändlich bie metten Treffer abbefam. Liber 


POSS SSS] Der Shuß auf dem Bardanjol [B | 189 


jehen Cie, ba haben wir |djon bie ei 
Hotton, man Hort gerade fein Gerdujd) b 
Motors, alfo wird anjcheinend ein Tele: 
gramm aufgenommen.“ 

Der öjterreichtiiche Poften jalutierte und ließ 
den deutſchen Offizier anjtandslos pailieren. 
Im Innern wurden fie von dem Difizier 
begrüßt, der bie Auflicht batte. Er war 
ihnen befaunt und teilte mit, daß gerade 
em febr intecejjanter Funtſpruch über wich— 
tige Vorgänge an der ſerbiſch-albaniſchen 
Grenze eingelaufen wäre. 

Gleich darauf brachte ein Angeſtellter das 
Telegramm, und der Sſterreicher las vor. 
„Südſlawiſche Korreſpondenz meldet aus 
Belgrad: Heute früh wurden die geſamten 
ſerbiſchen Potierungen an der albaniſchen 
Grenze von ſtart überlegenen Banden anges 
griffen. Der Angriff erſolgte völlig über— 
raſchend, jo daß ein Teil ber Vorpoſten über: 
wältigt wurde, während die anderen auf 
Befehl aurüdgingen. Die Ctábte Dibra und 
Prijren find von ben Cerben freiwillig ge: 
räumt, vor den Toren von Djafova wird 
nod) getámpft. Verjtärkungen find im An: 
marid, um Die aujitandijden Albaner für 
den — 6 beifall zu beſtrafen.“ 

Alſo haben die Albaner doch recht ge— 
habt,“ riet Gwendolin. „Aber wie war es 
móglidj, daß fie jchon genaue Nachrichten 
bier hatten, ehe ber Telegraph es uns mel: 
dete? Es gibt immer neue unerflärliche 
Vorgänge in diefem merkwürdigen Lande.“ 

Langlam gingen fie nad) der Stadt zu: 
rüd und bejpraden die intereflanten und 
für Albanien jo wichtigen Greignijje. Vor 
einer Moſchee, bie von einem alten Fiedhof 
umgeben war, madjten fie halt. 

Ein italienijcher Geeoffizier fam ihnen 
entgegen, es war Ferucci. Als er die beiden 
erblidte, febrte er |chroff um, ohne zugrüßen. 

Gwendolin fagte leije: „Haben Cie den 
wütenden Blid bemerft? Er wird uns nie 
verzeihen, daß wir thn neulich in feiner 

anzen erbärmlichen Feigheit erfannt haben. 

Sch d) babe geradezu Angit vor ihm. Kom- 
men Gie, wir wollen einen Blid in den 
Briedhof werfen.“ 

Gleid) am Cingange ftand bie Mtofchee 
mit ihren beiden |dlanfen Diinaretts. Die 
Eonne war am Untergehen, und in diejem 
Augenblid erjdjien auf einer ber hochragen= 
den Turmjäulen der Wluerzin, um zum 
Abendgebet zu rufen. Jn qutturalen Tönen 
drang der Lobgejang zu Allahs Ehre durd) 
bie abenblid) jtillen Straßen und fand fein 

Edo von all ben anderen benachbarten 
Minaretts. Mad den vier Himmelsridtungen 
wandte fi) ber Muezzin, Damit feiner der 
Bläubigen jein Gebet und die abendlichen 
Wajdungen vergäße. Wer in der Jiábe war, 
begab fid) in bie Moſchee, andere breiteten 
in einer jtillen Gde oder in einem Hausflur 
den Gebetsteppid) aus, nahmen die ſüdöſt— 
[ide Richtung gen Wieffa und verrichteten 
fniend mit tiefen Verbeugungen die An— 
rufung Allahs, bes Allmächtigen. 


Debt näherten p» — Männer dem 
Brunnen vor ber Wiojchee, ſtreiften die Fup: 
— ab und wuſchen ſich an dem Jor, 
delnden Wajfer Hände, Gelicht und Filipe. 
Jn Der Moſchee jagen aud) einzelne Frauen, 
hinter einer dicht vergitterten Empore, 

Gwendolin und Briejen hatten jid) bem 
Friedhof gugewendet und wanderten lang: 
jam zwiichen den Hohen wegen Gteinen 
ent'ang, bie in malerijcher Unordnung um: 
herjftanden. Brieien wunderte es, daß bie 
Grabitätten nicht bejjer gepflegt waren und 
daß Blumen und Bujchwerk in wilder Lippig: 
teit awijden den Gräbern wucherten. 

„Wenn der Tote bejtattet ijt, kümmern fid 
die Orientalen nicht weiter um den Ort, wo 
ihre Angehörigen liegen,“ erklärte Gwendo: 
lin. „Die Friedhöfe dienen als öffentliche 
Parts, bie Kinder jpielen hier, und am Freie 
tag, dem mubamedanijden Sonntag, higen 
die Frauen auf den Gräbern, aber nicht um 
zu trauern, jondern um ungejtört zu jchwats 
zen und ihre mitgebrad)ten Epvorräte zu 
verzehren. Gtets find iann und Frau 
nebeneinander begraben. Der Grabjtein 
des Mannes tränt oben den in Stein ge: 
hauenen es, berj:nige ber Frau eine Roje, 
die jo viele Rnojpen zeigt, als fie Kinder 
— hat Gewiß eine anmutige Sitte. — 

Ind bier ſehen Sie das Grab von Riza 
Paſcha, dem tapferen türfijchen Lerteidiger 
von Cfutari, ber von dem ſchurtiſchen Eſſad 
Paſcha ermordet ſein ſoll. Leider bedroht 
den feigen Mörder nicht die Blutrache, 
denn Riza war kein Albaner.“ 

Bei dieſen Worten kam es ihr wieder 
zum Bewußtſein, daß ihr ja noch das 
Schwerſte bevorſtand. Was heute morgen 
nod) ein leichtes zu fein ſchien, fam ihr plötz— 
lich unſäglich ſchwer vor. 

Beide hatten es bisher faſt ängſtlich vermie— 
ben, von dem geſtrigen Vorfalle zu ſprechen 
Nun aber unterbrad) Gwendolin das [ajtenbe 
Schweigen, das nur von einem einzigen 
Ihwingenden 9I[fforbe ber fingenden Yita: 
den erfüllt war, E bat ihren Begleiter, 
lich neben fie zu feg 

Ein flehentliches Gebet idjidte fie zu ihrem 
Herrgott empor und begann: „Ich habe 
eine Bitte an Gie, cine jehr grobe Bitte, die 
id) niemals an einen Mien chen richten würde, 
von dem ich annehmen fonnte, daß er mid) 
mißverltände, Wir fennen uns erjt turge 
Reit, und bod) ift es mir, als wären wir 
jon alte Freunde, [o viel haben wir ge: 
meinjam erlebt.” 

Uberrajdt Forchte Briefen auf. Hier 
Jprad) ein Menſch zu ihm in tiefjter Seelen— 


not; die Frau, bie eranbetcte als bas Vers 
ehrungwirdigite, bas er fannte, bedurfte 


jener Hilfe. „And gälte es mein Leben 
und meine Gelicfeit: „Sie fonnen voll über 
mich verfiiaen, das ſchwöre id) Ihren “ 
„Sch nehme Ste beim Wort. Und das 
Anliegen, Das id) habe, betrifft tatjäch! d) 
Ihr Leben.” Noch einmal zÖgerte fie, bebend 
vor Angſt, wie er ihr Anerbieten aujjajjen 


190 Iesse SH Borwin Garlig: [2€£2€2:3:2«3€3:3€343€434342:343523 


würde. Dann fuhr fie, all ihre Kraft zu: 
jammenraffend, fort: „Sie willen jo gut wie 
td) felber, dak Ihr Leben an einem Fa: 
den hängt. In jedem Wugenblide fann Die 
tödliche Kugel Cie treffen. Sie jelber und Ihre 
Kameraden können nıcht helfen, während ich 
es vermag, und mir Dürfen Sie eine Bitte nicht 
abichlagen. Sie miijjen fid) von der Blut- 
Ichuld Zeiten und zwar jofort. Da Gie 
das Geld nicht zur Verfügung haben, fo 
flebe id) Sie an, nehmen Cie es von mir 
als Darlehen, bas Sie zurücdgeben, jobald 
Cie Tonnen, Denfen Gie daran, was Gie 
mir foeben gejchworen haben.“ Gie jchwieg 
und fah ibn in —“ Erwartung an. 
Brieſen war einen Augenblick wie erſtarrt. 
Dann fiel er vor Gwendolin auf die Knie 
und ergriff ihre Hände, die er bebend vor 
tiefſter Erregung küßte. 

Leiſe ſtreichelte ſie ihm über ſein blondes 
pant. „Mein lieber, lieber Freund, dafür, daß 

ie mein Wnerbieten annehmen, dafür dante 
ih Ihnen von ganzem Herzen.“ 

Da erhob er ich langjam und jab ihr ſchmerz— 
lih bewegt in bie Augen. „Sie liebe Sie, eins 
ige Frau! Verlangen Sie von mir, was 
Cie wollen, aber nicht bas. Stolz bin id) 
und unjagbar glüdlid) über Das Opfer, bas 
Cie mir bringen wollen. Aber wollte id) es 
annehmen, bann würde id) jede Achtung vor 
mir jelber verlieren und aud in Ihren 
Augen wäre ich nicht mehr der gleiche.“ 

„Oh, diejer törichte Stolz, der euh Männer 
erfüllt! Ift es Denn eine jo ungeheuere 
Gace, von einer Frau etwas anzunehmen, 
was Shr felber jeden Augenblid für irgend» 
eine beliebige Perjon tun würdet, die fid 
in Not befindet? Sagen Sie mir einen ver: 


niinftigen Grund, weshalb Sie mir die Bitte 


abichlagen ?“ 

„Weil ich Sie liebe,” |prad) er einfach. 

Da flammte jie auf. „Und wenn Cie mich 
wirklich lieben, Dann gerade müßten Ste mir 
diejes Opfer bringen. Was Cie einer ane 
deren Frau mit Redt abichlagen würden, 
mir, Die Cie zu lieben vorgeben, dürfen Ste 
es nicht verweigern,“ 

„Es gibt mur eine Möglichkeit,“ [aate 
Briejen mit fejter Entichlojfenheit. „Ge: 
iteben Cie mir, baB Cie meine Liebe er: 
widern und werden Cie Die Weine, Dann, 
aber auch nur dann tann ich Ihr Ynerbieten 
annehmen.” 

Bwendolin ſchlug die Hände vor ihr Ge: 
Dt und fing an, unaufhaltjam vor fid) hin- 
zujchluchzen, bis fie endlich mit leijer, tränen: 
eritidter Stimme begann: „Wein Viann und 
ich find uns Schon feit Jahren völlig entfvemdet, 
und wenn es noch nicht zu einer Trennung 
fam, jo lag bas daran, Da mir jeder Stans 
bal aufs ttefite zuwider ijt. Auch bielten 
mich qemeinjame Intereſſen und Lebensge— 
wo nbeiten an feiner Seite feit, troßdem er 
und ich als Irin polttijd) vtelfad) anders 
denten. Sch met allerdings aud), dal er 
ion lange eigene Wege geht, aber an der 
nötigen Rückſicht hat er es nod) niemals fel 


len laffen. Dann fam bieles Jahr ein Un: 
alüd über uns. Mein Vater verlor den 
größten Teil jeines Vermögens, und id) jtehe 
jet jo gut wie mittellos da. Ich bin aljo 
ezwungen, bet meinem Dlanne zu bleiben, 
Kin wenn id) einen anderen liebte und mir 
nichts Cchöneres denten könnte, als thm fiir 
immer zu folgen. Sd) weiß, daß Cie nichts 
bejigen, als Shr Dffiziersgehalt, das für 
Cie jelber faum ausreicht. Wie Liege lid 
da eine Diöglichkeit denten, dak Sie fid) eine 
grau aufbürden, bie ebenfalls arm ijt?” 

Tieferjchüttert hatte Briefen dies Geſtänd— 
nis angehört, bas ibn bejeligte, weil er jid) 
wieder geliebt fühlte, und ihm zugleich jede 
Hoffnung nahm. 

„Deine arme Freundin, Sie befiken felber 
fein Geld, wie Sie mir eben anvertrauten, 
und von Dem wenigen, bas Cie fih vielleicht 
gerettet haben, wollten Cie mir mod 
abgeben. Jetzt jehen Cie doch ganz gewiß 
ein, daß ich niemals Ihr edelmütiges An: 
erbieten annehmen fann. Um eines aber 
bitte ich Cie, laffen Sie mid) weiter Ihr 
treuer Freund fein, geftatten Sie mir fo oft 
als móglid) in Ihrer Nähe zu verweilen. 
Und die Hoffnung miüjjen Sie mir laffen, 
daß eines Tages bod) nod) ein giinjtiges 
Geſchick uns zulammenführen wird.“ 

Gwendolin jah ein, daß fie verjpielt batte. 
Enttäujcht Durch Briejens ftarren illen 
und bod) gliidjelig zu gleicher Zeit, war fie 
mehr entjchlojjen, als je, feine Rettung in 
Die Hand zu nehmen. Und jogleich fam eine 
große, ftile Rube über fie. 

„Was find Cie n ein jchredlich forrefter 
Mann, Ste jchwerfälliger Deuticher. Lieber 
lajjen Sie fid) von einem halbwilden Albaner 
totidlagen, als daß Sie von mir eine Heine 
Befälligteit annehmen... Ihre Freundin 
aber bleibe ih...“ 

„Sch bin ſchon glücklich,“ jaate Briefen, 
„wenn ich in Ihrer Nähe jein tann, wenn 
ich Ihre Stimme vernehme, Ihnen manchmal 
in die Augen jehen und bie geliebten Hände 
küſſen dari.” 

Und während fie Durch den verwilderten, 
blüteduftenden Friedhof langlam und a5: 
aernd, als wäre jeder Schritt und jede Ge 
tunde fojtbar, zurüdgingen, Duldete fie es, 
dal er vorjichtig und 3aürtlid) mit feiner 
rechten Hand ihre linte immer wieder [trei 
helte und ltebfojte. 


8 88 B5 

Schon früh am anderen Tage erhob fih 
Bwendolin. Ihr war zumute wie einem 
Kinde am Weihnadtsmorgen. Go freudig, 
jo erwartungsfroh hatte fie fid) feit Jahren 
nicht gefühlt. Shr, ber finderlojen Frau, 
die ihren Mann nicht mehr lieben fonnte, 
war bas Leben oft fhal und zwedlos er: 
Ihienen. Und, um nicht nachdenten zu mit: 
jen, unt fid) nicht immer wieder daran zu 
erinnern, dah fie eigentlid) ein unniiger 
Menſch war, jtürzte fie fic) in die Zerjtreus 
ungen Der Bejellichaft. Befriedigung fand fie 
hier nicht — dazu war jie nicht oberflädh: 


ees Der Schuß auf dem Bardanjol rec ZZ 191 


lid) und nicht leichtfinnig genug —, aber 
wenigitens vorübergehend Vergeſſenheit. 

est war alles mit einem Schlage an: 
ders. Es gab einen Menjchen, der fie liebte 
und ber ihrer bedurfte. Es galt nicht nur 
jein Leben zu retten. Gie wollte aud) feine 
treue Zuneigung erwidern, ihm eine gute 
Sreunbin jem und dabei bod) eine Frau 
ohne Wiafel bleiben. 

Co betam ihr Leben wieder Sinn und 
Inhalt. Und mit bem erwachenden Frohſinn 
ihrer Natur fühlte fie eine ungeahnte Tat: 
fraft in jid), bie fie befähigen mußte, alle 
Widerjtande zu bejeitigen. 

Cie ging entichlojjen zu Major Wächter 
und ließ fih melden. 

Sehr überrajcht erhob fid) Wächter, als 
fie eintrat. Er tikte feiner jhönen Bejuches 
rin ebrfurdjtsvoll die Hand und jagte: 
„Welches außerordentliche (Ereignis ver: 
Ichafft mir bie Ehre eines derartigen Bes 
judjes? her, bitte Mrs. Herbert, nehmen 
Sie zuvor Pla.“ 

Gwendolin jeßte fih ohne eine Spur von 
Berlegenheit. Sie wußte, um was fie fampfte. 
„Allerdings ijt es etwas Außerordentliches, 
was mid) zu Ihnen führt, Herr Wäch— 
ter, und id) wage es and) nur, weil id) Sie 
als einen Mann von Herz und von Taft 
fennen gelernt babe.” | 

Wächter verbeugte fid) ſchweigend. Gwen- 
dolin fuhr fort: „Bitte erlajjen Cie mir alle 
Umjchweije. Ich weiß, daß Cie als Soldat 
die jadjlidje Kürze würdigen. Es handelt 
ftd um folgendes: Herr Leutnant Briejen 
des mir vor einiger Zeit einen Dienjt oe: 
eiltet, Den id) ibm auf feine Weiſe vergels 
ten fonnte. Jet aber bietet fich für mid) 
eine Gelegenheit, wenigjtens einen Teil bes 
Dantes abjujtatten. Bon feinem Freunde, 
Fuad Bei, weiß id, dag Blutrade ihm 
droht, und daß er fid) aus wohl begreiflidem 
Stolz weigert, die Angelegenheit durch Geld 
p erledigen. Ich hätte jchon Fuad gebeten, 

en Albanern das nötige Geld auszuzahlen, 
wenn ich nicht wüßte, daß nad) den Landes: 
fitten Zem eine feierliche Zulammentunft 
beider Teile gehört. Es ift jomit unmóg: 
lich, bie unjelige Sahe ohne Herrn Briejens 
Wiſſen aus der Welt zu räumen. Von mir 
würde er jelbjtverjtandlid) niemals Geld, 
auch nur leihweije annehmen, ‚ebenjowenig 
wahrjcheinlich von irgend jemand anderen. 
Der einzige, bem er ein foldes Angebot 
nicht abjdlagen fónnte, das find Sie... 

„Und nun betrachten Sie mid, bitte, ein- 
mal niht als Dame und nicht als Ange: 
bórige einer fremden Nation, fondern nur 
als einen Menjchen, ber einem anderen, dem 
er zu tiefftem Dante verpflichtet ijt, aus einer 
großen Lebensgefahr retten will, Dann 
müjjen Gie meine Bitte erfüllen und das 
Geld von mir annehmen, um es in Ihrem 
eigenen Namen an Briefen zu geben.“ 

Sie jchwieg und jah erwartungsvoll auf 
Wächter, ber mit feinem Zuge feines ernjten 
Gefidtes verriet, was in ibm vorging. 


- 


„Was Gie mir Jagen, Mrs. Herbert, ift 
mir jo unerwartet, daß ich nicht imftande 
bin, Ihnen fofort eine Antwort zu geben. 
Cie haben fid) mabridjeinlid) [don darüber 

ewundert, daß id) jelber nicht Briefen das 
'ojegelb zur Verfügung ftellte. Aber Offen: 
heit gegen Offenheit: id) bin nicht dazu im: 
jtande. Sd) jtamme aus einer armen Gol: 
Datenfamilie und verfüge außer meinem Ge: 
halt über feine Einkünfte, — Was nun Ihren 
großmütigen Worjchlag betrifft, jo miijjen 
Cie mir Zeit zur Überlegung laffen. Aber 
jobald wie möglich follen Cie Bejcheid be: 
tommen, und ich bitte Sie zu glauben, dab, 
wie meine Antwort auch ausfallen möge, 
id) nur eine Richtjehnur kenne, nad) der 
id) handeln werde: mein eigenes Gewijjen 
und meine Ehre als Mann und Ddeutjcher 
Offizier. Alle perjönlichen Rückſichten, Die 
mir die Annahme Ihres Anerbietens ers 
winjcht oder aud) bot peinlich erjcheinen 
lajjen fónnten, werde id) beijeite lajjen.“ 

Cie merkte, Dak vorläufig nichts weiter 
zu erreichen war, und erhob ih. Wächter 
geleitete fie bis an bie Treppe, und fie ging 
ruhig und ohne Erregung fort. 

Der Major zündete fih eine große und 
ehr jchwere Havanna an und dadte nad. 

Hier war endlich bie fo ſehnlichſt von ihm 
gejuchte Möglichkeit, feinem pradjtigen Ojfi- 
gier aus Der drohenden Gefahr zu helfen. 
Durfte er aber annehmen? Er ftellte fich 
die Möglichkeit vor, daß die Angelegenheit 
Ipäter einmal vor ein Ehrengericht füme. 
Was für Gelichter würden jeine Kameraden 
machen, die über feine Ehre aburteilen joll- 
ten, wenn fie hörten, daß er Geld ange: 
nommen hatte von einer Dame, Die außer: 
dem nod) Die Frau des als bejonders deutſch— 
feindlich befannten enalijdjen Ronjuls war. 
Ein Schauder fuhr ihm über den Rüden. 
Piit feiner Karriere war es Däer vorbei, 

Dazu fam, daß es ihm jelber bódjit pein— 
lid) war, bieles Bejchent anzunehmen. Und 
ein jolches war es bod) ie jelbjt 
wenn er und Briefen fic alle Mühe geben 
würden, die Schuld allmählich abzutragen. 
Dak Mrs. Herbert bie Sade bitter ernft 
nahm und ficher bie beiten Abjichten hatte, 
fühlte er. Wer fennt fic) aber in ben Lau- 
nen einer Frau aus? Heute war es ihr — 
ohne Zweifel — eine Herzensangelegenheit, 
und morgen vielleicht erzählte fie einer Freun— 
din ihr Geheimnis, das dann feines mehr war. 

Und nun die legte Probe. Konnte er es 
vor fid) jelber und feinem Gewiljen verant- 
worten? Hier jdywantte er nicht lange. Die 
innere Stimme verlangte gebteterijd Die 
Unterjtügung des Kameraden, wenn ibm 
aud) Die äußeren Umjtände nod) jo jebr gegen 
fein Gefühl gingen. 

Aber nur als äußerftes Mittel wollte er 
die Hilfe der Engländerin annehmen, erft 
wenn alle anderen Diöglichfeiten erichöpft 
waren. Und vor allem durfte fein Dienjch, 
ant wenigiten Briejen felber, etwas davon 
erfahren. Wächter ftand auf, feine Havanna 











192 p23€:-:$:232] Borwin Garlik: Der Schuß auf bem Bardanjol zzz 


war falt zu Ende, fein Entſchluß ftand feft. 
Ein telephonijcher Anruf bewirkte, daß fein 
Adjutant gleich darauf bei ihm erjchien. 

„Herr Viajor haben befollen ?“ 

»Mieber Platen, id) beabjichtige diefe um: 
erquidlidje Geſchichte Briejens mit den Sfrelis 
endgültig aus Der Welt zu fchaffen. Bitte 
begeben Gie jid) zu Fuad Bei und teilen 
Cie ibm mit, b. B wir geneigt wären, den 
Strelis für die Erledigung der Blutrade 
eintanjenb Kronen zu zahlen. Sollten dieje 
damit nicht einperjtanpen fein, bann bekom— 
men fie gar nichts, und ich werde Briejen 
jo bald wie móglid) nad) Seutid)lanb zurück— 
Iden, Sch dente, biejem prattiid)en Argu- 
ment werden bie etwas reichlich auf ihren 
Vorteil bedachten Herren Albaner fih wohl 
nicht verid lieben. 

„Bertraulid) teile ich Ihnen mit, daß ich 
die Abjicht habe, Briefen das Geld teils aus 
bem Dispojitionsfond, teils perjónlid) vor 
Mere Und nun veriuchen Gie, Fuad 

alb zu finden, und bitten Cie ihn um 
einen ſchnellen 98ejdjeib. Ich lege Wert 
darauf, bie Sache möglichjt rajd) erledigt 
a jehen. Go, das war alles, Sd) dante 
hnen.“ 


Einige Stunden ſpäter trat Fuad bei 
Gwendolin ein, die ihn ſofort mit der Frage 
überfiel: „Haben Sie ſchon mit den Skrelis 
geiprod;en ?^ 

Der Albaner war bereits genügend Euros 
püer, oder vielmehr 9(merifaner geworden, 
um bieles unvermittelte 3urüdfommen auf 
ben Geger.|tanb ihrer gejtrigen Unterhaltung 
nicht aus feinem orientaliichen Empfinden 
heraus für taftlos zu halten. Er meinte 
lächelnd: „Mit den Sfrelis wäre ich einig, aber 
eine andere Schwierigkeit ijt aefommen, Die 
mich veranlaßt, Ihnen darüber zu berichten.” 

„Bitte erzählen Cie jchnell, was pajliert 
ijt!“ rief Gwendolin erregt. „Uber legen Sie 
ab." Gemejjen fegte fid) Fuad ihr gegenüber. 
Die bem Orientalen angeborenen, jtets etwas 
feierlichen Bewegungen hatte jelbjt der jahr: 
zehntelange Aufen:halt in dem Hajftenden 
Dollarifa nicht an bejcitigen vermodt. Yang: 
fam legte er jcinen weißen es auf einen 
neben ihm ftehenden Ctubl und begann erft 
nad) einer Heinen Pauſe, jo daß das heiße 
iriiche Blut ber ſchönen Fran ihre Erwartung 
faum mehr bezwingen fonnte: 

„Major Wachter hat mir focben durch 
Herrn von Platen mitteilen lajien, dah er 
den Sfrelis als leßtes Angebot taufend Kro- 
nen Löſegeld betet. Wollen fie bas nicht ans 
nehmen, jo follen bie Unterhandlungen ab: 
gebroden werden. Dd) dente mir, daß man 
meinen Bruder Briejen dann nach Deutjd): 
land zurüchenden wird.” 

„Und was haben Gie Platen geſagt?“ 

„sch babe mir gedacht, dah es bejjer wäre, 
dem Kommandeur erft zu antworten, wenn 
id) mit Ihnen gejprochen_ hätte,“ 

„oh wie Recht haben Ste daran getan!” 

„sch weih, daß mein Bruder Ihnen tener 
tit,” perjebte Der Albaner einjad), erreichte 


aber bod) bie unbeabjidtigte Wirkung, bag 
bas beige Blut ihr in dte Wangen jdjof. 
„Herrn von Platen habe id) sunádjit barauj 
aufmertfam gemacht, daß bie Ubrei,e Briejens 
nad) Teutichland thn nie por ber Blutrache 
Ihüßen würde... .* 

„Was fol aber nun gejchehen,“ klagte Gwen: 
dolin, „wenn diefe bals[tarrigen Deutjchen 
jeder Vernunft ungugánglid) find? Halten 
Gie es denn für iüglid), dak die Cfrelis 
lich mit taujend Kronen begnügen ?^ 

„Zaujend Kronen bedeuten meinen Lands: 
leuten eine große Cumme. Das Löjegeld 
wird aber nidjt nur nad) dem Werte des 
Getóteten, jondern aud) nad) bem Anſehen 
des Mörders ober Anftifters bemejjen. Die 
Etammesältejten haben es auf dreitaufend 
Kronen feitgejeßt, wovon jid) nichts mehr her: 
unterhandeln läßt. Um jo weniger, als ich ge: 
fiern bereits auf Ihren Wunſch hin den Sfrelis 
erflärte, daß fie bas volle Lojcgeld erhalten 
jollten. Gie jagten mir dod, dab Sie ficher 
wären, alles arrangieren zu können.“ 

Gwendolin geriet in peinlid)fte Verlegen: 
heit Unmöglid) tonnte fie Jagen, Dak Briefen 
ihr Anerbieten glatt abgelehnt hatte, und 
daß aud) Wächter ihren Vorſchlag zu ver: 
werfen |djien. — Und dajiir hatte fie jtd) 
einem Dianne wie Traubenberg in die Hand 
gegeben! Wenn nun ihr ganzes Opfer ver: 
gebens war, und obendrein der Beliebte jeiz 
nem unvermeidlichen Schidlal verfiel... 

Plötzlich fam ihr eine Erleuchtung, [o daß 
fie aus ihren Sinnen emporjube und Fuad 
anjah, der anjdeinend in Gedanfen ver: 
junten zum Fenſter binausblidte. 

„Lieber Fuad, wenn Cie mich unterjtüßen 
wollen, dann habe id) Dofjentlid) einen Aus: 
weg gefunden!“ 

Auf einen fragenden Blick bes Albaners 
fuhr fie fajt triumpbhierend fort: „Sie mijjen 
Major Wächter jagen, bie Sfrelis wären mit 
taujend Kronen — riebon: unb id) gebe Ihnen 
bie librigen gweitaujend. Gelbjtverjidndlid 
Dat cus par] Herr von Briejen nichts davon 
ahnen. Glauben Cie, daß es gehen wird?” 

Einen Augenblid dadhie Fuad nad, dann 
jagteer: „Es |djeint mir wirklich ber befte Aus: 
weg zu jein. Nur um eines muk id) Cie 
bitten, Inijen Cie mid) die feble:.den-awei- 
taufend Kronen geben. Bedenken Gie, es 
handelt fid) um meinen Bruder.“ 

Aber bas wollte fie nicht zulaffen. Wm 
liebiten hätte fie ihm erwidert: ‚Bei mir 
handelt fid) um viel Höheres als um einen 
Bruder. Es geht um den einzigen Menſchen, 
wegen deffen es fid) mir nod) zu leben lohnt, 
für den id) Chre und Gtellung, Wobljtand 
und Anſehen, ja mid) jelber in Leben und 
Sterben geben würde.‘ 

Und fie verlangte Jo energijd ihr Redt, 
Briefen zu beljen, dak Fuad nachgeben mußte, 
„Heute nod) hoffe id) alles fo zu erledigen, 
wie wir es wiinjden,” jagte er. „Tann 
tann unjer Freund wieder beruhigt idjlajen 
und“ — mit leijem Lächeln fügte er cs 
hinzu — „wir beide auch.“ (Fortiegung folgt) 


| 





Lotte Lehmann an ber K. KR. Sjofoper in Wien als „Manon“ 
(Zu dem nachfolgenden „Wiener Theaterbrief” — Aufnahme aus dem Atelier Sever in Wien) 





Von Ludwig Hirjchfeld 


Mit zehn Bildern nad) Aufnahmen von Seger, dD’ Ora, Cobé und Gutmann in Wien 


PCECCECNEE CECEEEEE KEKE ECE EE KE KEE CECE KEKE CE KC CECE CCC CECE IIIIIIIIIIIIIIFIIIIIIIIIIIIFIIIIIIIIIII IIIIIIIIIIIIIIIIG 


FA usverlauft!”... „Sämtliche Logen 

5 und Cibe vergriffen!” ... „gür 

say Samstag und Sonntag alles aus: 
verfauft!’ ... 

i Grüne und rote Streifen ver: 
fünden es triumpbierend auf allen Plakat— 
Jäulen, bei allen Theaterfafjen. Ziele Streifen 
find quer über die Theaterzettel geklebt, dak 
man faum lejen fann, was für ein Stüd 
eigentlich geipielt wird, wer es verfaßt Dat, 
wer Darin mitwirft. Offenbar ijt das heut: 
zutage ganz mebenjádjlid). Biel wichtiger 
als der Inhalt und der Wert ber neuen 
Ctüde ijt die Zatjadje, daß man teine 
Karten befommt. Wusverfaujft, alles aus: 
verfauft... Die bunten Qusrftreifen find 
jozujagen das Motto und Leitmotiv diejes 
vierten Wiener Kriegswinters. Deutlicher als 
alle ajthetijden Betrachtungen und alle Kri- 
titen erzählen fie wuchtig, daß es y dem 
Theatermarft jebt genau fo bejtellt ijt wie 
auf anderen Märkten: große Geldflüjligkeit, 
fauffraftige Abnehmer,  |türmijdje Nach— 
frage, Preis Nebenjache, jede Ware findet 
ihren Käufer... 
Um Gottes willen, 
das find ja lauter 
Wusdriide ous Dem 
Börjenbericht und 
aus dem Finanz: 
und Handelsteil. 
Es tut mir auf: 
richtig leid, damit 
einen WienerThea: 
terbericht beginnen 
gu miijjen, aber ich 
ann nichts dafür, 
es ift wirflich fo. 
Das neue Geld, die 
neuen Wtillionäre, 
die neuen Wiener: 
jie bejtimmen jest 
auch das Theater: 
getriebe. Mian 
drängt fid) in die 
Hofoper, in Die 
Konzerte, Denn 
ernjte Muſik ift ele- 
gant. Je erhöhter 
Die Breije, defto eif- 
riger drängt man 
fid). Um einen Gig 
bet einer Neuauf— 
führung im Burg: 
theater Tom nft man 
mit allen Mitteln, 
Lijten und Verbin: 











Harry Walden in Ludwig Fuldas £uitipiel „Die verlo 
rene Tochter” K. K. Hofburgtbeater in Wien (Phot. Ora) 


dungen, weil man dann zwei, drei Stunden 
lang ganz bejtimmt zur guten Gejellichaft 
zählt. Wher aud) gewöhnliche Abende, na: 
mentlid) den Samstag und Conntag, will 
man jebt nur im Theater verbringen. Cehr 
begreiflih, wohin denn fonft? Goll man 
jid) in das jdjled)tbeleudjtete und -bebeiste 
traute Heim jegen und Trübjal blajen, in 
ein Kaffeehaus ohne Kaffee oder in ein Gajt- 
haus ohne Bier? Auch die immer jchwie: 
riger werdende Ernährung ift offenbar mit 
eine ber llrjadjen, warum bie dramatilche 
Runft gar jo gut gedeiht. Ausvertauft, alles 
ausverfauft: Bei Tag die Lebensmittel und 
abends bie Theaterfarten ... 

Sekt muß id) mir aber einen ordentlichen 
Rud geben, um aus Deler vulgären Alltäg— 
lidjfeit herauszufinden in die abgetlárte 
Tonart des zurüdblidenden Theatertrititers, 
der einen $jalbjabresberid)t erjtatten jol. 


Beinahe hätte ich jet wieder gejchrieben: 
besten or hk Ja, wenn id) bier mit 
ablen und Summen arbeiten dürfte, ba 


wäre Diejer Theaterbrief eine leichte Ar: 
it: eine einfache 
Aufitelung der 
Bruttveinnahmen 
und SReinertrag: 
nije der Wiener 
Theaterleiter, Ber: 
toner, Verfaſſer, 
der tanzenden und 
(ingenben Lieb» 
linge. Aber eine 
fünjtleri]de, eine 
äjthetijche und lite: 
rarijde Aufſtel— 
lung, das ilt jehr 
ſchwierig. aan 
nung wird nicht 
gut ausgehen, aber 
man fann es ja im: 
merhin verjuchen. 
Es fommen immer 
wieder Zahlen da- 
zwijchen, fogar bei 
Den Hofthea- 
tern. Gie haben 
im Weltkrieg wirt- 
lich eine großartige 
wirtichaftliche Ent: 
widlung durchge— 
maht: von Der 
volfstümlichen Er: 
mäßigung der Ein: 
trittspreife im Bin 
ter 1914 bis zur 


PESSSSSSSSSSSSSSSSSESY Ludwig Hirſchfeld: Theaterbrief aus Wien BEZZI 195 


jüngiten gründlichen Erhöhung, die es einem 
bejdyeidenen Mitteljtandsmenjchen, ber fo 
ungejd)jidt war, ben Anjchluß an die große 
Zeit der Konjunktur und Kriegsgewinne zu 
verjäumen, einfad) unmöglidy madjt, fidh 
einen Abend im Burgtheater zu leijten. Bei 
jolhen unpopulären reijen ift es wohl 
Ihwer, ein voltstümliches öfterreichiiches 
Programm durchzuführen, wie es ber neue 
Burgtheaterdirettor Hofrat von Millentovid 
plant. Er will Rai- 
mund, Neſtroy und bie 
zeitgenöjfiihen Cer, 
reicher jpielen, er will 
in Diejem Haufe Der 
norddeutichen Dialekte 
den öjterreichijchen 
Dialekt zu Ehren brin- 
gen und hat deshalb 
einige Volksſchauſpie— 
ler gewonnen, voran 
unleren beiten und 
größten: Ulexander 
Girardi. Wie fid) 
Girardis urodjterreidi- 
iher Art in ben feier- 
lichen Goldrahmen 
des Burgtheaters eins 
fügen wird, ob bas 
Naturell jtárfer fein 
wird oder der Rahmen, 
Das ijt heuer das et: 
gentlid)e Burgtheater: 
ereignis, Dem man er: 
wartungsvoll  entge: 
genjieht. Bis jebt hat 
der neue Direftor nur 
bie von feinem Bor: 
gänger Thimig erwor: 
benen Neuheiten Her- 
ausgebradjt: Fuldas 
„Berlorene Tod: 
ter", den reichsdeut- 
Iden Luſtſpielerfolg 
des vorigen Jahres, 
der durd) feine Harm: 
lofigfeit die Kritik ver- 
ftimmt Bat, aber bie 
Zuſchauer andauernd 
unterhält. Es ijt fo- 
jagen eut in bürger: 
iden Rreijen [pielen- 
bes Romtejjenjtüd, ein 
Genre, auf das man 
fid im Burgtheater 
noch immer uniibertrefflich verjteht. Auf bie: 
jen guten, alten Burgtheaterton ijt heute aud 
Harry Walden jchon abgejtimmt, der einen 
unperidjümten Schwerendter und Redtsan: 
walt ganz reizend und in unwideritehlichen 
MWinterjportfojtümen jpielt — aljo, bas muß 
man Doch gejehen haben. 

Dann gab es nod) einen neuen Schön: 
herr: das Schaujpiel , Frau Guitner’. Es 
ijt injofern ein echter Schönherr, als es alle 
befannten Züge und CEigentiimlidfetten des 
Dichters, feine ftarfen und feine jchwachen 





Seiten in ziemlicher $Bolljtánbigteit zeigt. 
Auch diesmal hat er nad) einem ganz ein: 
[aden Etoffe gegriffen: die Tragödie der 
alternden, finderlojen Frau, bie einer jünge: 
ren Bla maht. Frau Euitner, eine Land- 
främerin, bat jid) burd) mühjame Arbeit 
einen bejcheidenen Wohlſtand erwirtichaftet 
und erfennt jet, ba fie ihn gujammen mit 
ihrem jüngeren, gutmiitigen, energielojen 
will, wie nidtiq und 


Mann genießen 


Thea Rofenquijt als Sonja im „Zarewitich“ von Gabryela Zapolsta 
Deutiches Bolfstheater in Wien. 


(Phot. Cobé) 


jinnlos aller Beliß ijt und wie leer bas 
Haus ohne Kinder. Als fie merft, daß an 
Diejem Schmerz, mit bem fie tapfer und rauh 
fampft, aud) thr Mann leidet, nimmt fie 
nad biblijdem Beijpiel eine junge Magd 
ins Haus. Es fommt alles, wie Frau 
Guitner es befürchtet und zugleich gewollt 
hat. Das Mädchen, ein daraftervolles, aut: 
berziges Gejdopf, hält jtd) wohl tadellos, 
und aud) der Mann ijt zum WBerführer viel 
zu unbebolfen, aber rau Guitner muß 
\chließlich Dod) erfennen, daß ihre Stunde 








Alex. Girardi als Echmierendireltor 





rc 


Theaterbrief aus Wien 


fondern ber übliche 
Dpernitoff, ber dur 
die Vertonung Joſe 
Reiters, eines braven 
Oſterreichers, der [id) 
niht recht durchſetzen 
tann, aud) niht an 
Kraft —— hat. 
Mian hört Wagneran— 
klänge, ſchöne Chöre, 
aber feinen großen Ein» 
fall, jpürt Fleiß und 
ehrliche 9(bjid)t, aber 
tein ee Kee Tem: 
perament, feine finns 
lide Wärme. 3u be: 
merten wäre nod), bab 
ber Textdidter Max 
Miorold mit dem neuen 
Burgtheaterdireftor 
Hofrat von Millenfovid 
identijd ijt, ber jebt 
vermutlich feine Luſt 
und auch feine Zeit 
mehr haben wird, die 
übrigen bewährten Ela]: 
iler Dramen zu 
pernbüchern — umzu— 
arbeiten... 

Und wie geht’s denn 
dem Direktor Wallner 
im Deutjden 
BWolfstheater? Ich 
danfe der Nachfrage, 
recht gut. Geine erite 
Gaijon hat er mit Rund» 
ebungen, Affären und 
Wée gi perbrad)t, 








197 


Alex. Girardi als Dichter Ferdinand 


jebt begnügt er fih mit Sauter in „Das Ende vom Lied“ 
vollen Häujern. Gr bat (Phot. Gutmann) 


in ,Durdlaucht gaiítiert* 
(Bhot. Gutmann) 


tes, zur Neben [|| 
handlung. Die | 


eine Anzahl gu: 
Ier Darijteller 





Hauptyandlung 
ijt bier merfwiir- 
Digerweije ero: 
tijd) unb bej[tebt 
Darin, daß Der 
Bogt, Graf Sees 
dort der ſchönen 
Elsbeth, dem 
Weibe Tells, 
nadjitellt, Daß 
E Widerſtand 
ihn zur Bösartig⸗ 
keit reizt und daß 
ſie ſich ihm bei— 
nahe, um ihr 
Kind zu retten, 
hingeben würde, 
wenn nicht Wes 
zeitig zum leg- 
ten Aktſchluß 
Tells Pfeil ge— 
ponet fame. Alfo 





urdjaus tein Hanfi 9tiefe (Ghost) und Alex. Girardi (Valentin) in Rai: 
deutjches Drama, munds ,Serid)menber". Stadttheater in 





ien. (bot. Seger) 


nad) Wien ge- 
bradjt und auper: 
bem, wenn id) 
nicht irre, Die 
pierundvierzig 
beiten neuen 


. Gtüde erworben, 


u benen aber 
ie bisher ber: 
ausgebradten 
Neuheiten offen: 
bar nicht gebó: 
ren, denn Dieje 
waren ziemlich 
ſchwach. Frau 
Gabryela 3a: 
polsfa,dieneue 
polnildje Bird): 
Pfeiffer unb 
glüdlid)e Beſitze— 
rin der „War: 
Ichauer Zitadel— 
le“, bat einem 
„Zarewitſch“ 


198 PESSESSSSESSSA Ludwig Sjr|djelb: Iesse HB] 


das Leben gejdhenft, aber ber Knabe ijt 
nicht fräftig geraten. Er hat die für einen 
Thronfolger durchaus unzuläjlige Eigen: 
\haft, die Frauen nicht P mögen. Was tut 
man in einem joldjen Fall ? Man nehme eine 


junge Tänzerin und verfleide fie als Tidher- 
— worauf der dramatiſche Kuchen 


nach Vor 


— 
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Wi: 

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J e 1 


Lona Schmidt in Rudolf 


athie, jcheinbare Liebe, aus der Ernjt wird, 
Tod bes alten Zaren, Thronbefteiqung des 
jungen, und zurüdbleibt eine weinend rejig: 
nierende enttäujchte Kellnerin Ratie ... ad) 
jo, das ift jaber Schluß von „Alt:Heidelberg“. 
Es ijt aud) jo eine SEH fitichige 9Ingele- 
genheit, eines jener Stiide, bei denen die Kri- 
tit jchimpft unb das Bublifum Karten 
fauft... Was es bei ber Komöde , Panik 
der Herzen“ von Alfred Fefete nicht 


chrift aufgeht: Freundſchaft, Sym: 


olgers Mtardenfpiel „Das Ende vom Lied“ 
Stadttheater in Wien. (Phot. Seger) 


getan hat. Diejer junge Mann mit dem unga- 
riſchen Namen ijt ein Wiener, ber in Berlin 
lebt. Er gibt fid) in dem Gtüd jebr bedeu- 
tend, tief unb literarijch, im Grunde ijt es 
aber doch nur die alte Ehebiegungsgeichichte 
ohne bejondere Mendung, ohne Ee 
Wit. Das Berliner Künſtlerpaar Karl Foreft 
und Traute Garljen debütierte an bem Abend 
jehr erfolgreid). Hier 
auf der „Thomas: 
Kantor“, eine deut- 
fhe Komödie von Ar— 
| min Friedmann, 


5» "Ae ge. zx] 


einige jauber und jorg: 
| faltig — bramatijierte 
Rapitel aus der Bio- 
prope Johann Ge: 

ajtian ‘Bahs, und 
gwar jene, in Denen 
er ſich als reiferer 
Witwer nod einmal 
verbeiraten will und 
ftatt der JBirtidjafterin 
Sybilla  emmerbirt 
die junge Anna ZE 
dalena Wülden wählt, 
die er eigentlich für 
einen feiner beran- 
wacjjenden Söhne be- 
itimmt bat. 

Über bie lebte Volfs- 
theaterneubett möchte 
ih am. liebjten gar 
nichts jagen. Es ift 
für jeden Berehrer Ar» 
thur Schnißlers, 
und das find wir in 
Mien eigentlich alle, 
febr peinlich, über eine 
neue Arbeit  biejes 
Dichters in jedem 
Sinne abfällig ſpre— 
den zu müjjen. Aber 
feine neue Komödie 
„int unb Flies 
derbujh“ enthält 
wirklich gar nichts von 

dem künſtleriſchen 
Mert, den im beiten 
Sinne wienerijchen 
Zügen, um derent: 
willen wir Schnibler 
lieben und jchäßen. 
Cie will eine Journa: 
lijtenjatire fein. Wenn 
jie es nur wäre! Aber 
auch die leidenſchaft— 
lihen Journaliſtenhaſſer, und an denen 
fehlt es in Wien wirklich nicht, Zommen 
Dabei nicht auf ihre Koften. Die Satire en 
nämlich weder echt nod) wikig. Dazu fehlt 
es ihr vor allem an Gadfenntnis, denn 
die Schilderung bes Stebattionsgetriebes in 
einer großen Tageszeitung ift von einer er— 
jtaunlich naiven Whnungslofigfeit. Oder war 
es Schnigler um ben Luftigen Einfall zu tun ? 
Wenn er nur luftig wäre! Jn jener Redal: 


! 
? 
l 










--—-m - 


E Theaterbrief aus Wien PBesessssssssd 199 


tion, die Durd die Bank aus Ginjaltspin: 
jeln und Charalterſchwächlingen beiteht, ijt 
ein junger Menjd) namens $ylieberbu|d), ber 
rajd) vorwärts fommen will und deshalb 
über Ddenjelben Gegenjtand im liberalen 
Blatt jcharf demofratijdhe Artikel jchreibt 
und in einem fonjervativ-flerifalen Salon: 
blättchen unter dem Namen Fink das Gegen: 
teil. Er greift fih lelbjt gehällig an, wird 
genötigt, fid) jelbjt zu fordern, auf dem Duell: 
plag gejteht er den Schwindel vergnügt ein, 
die Chejredafteure reipen fi) um ihn, die 
€aujbabn der&harafterloiigfeit jtebt ihm offen. 
Diejes Ichwantmäßige Soppeljpiel entwicelt 
fih aber nicht feih und übermütig, jondern 
an mit einer ganz malen Technif, 

ie fid) in den widtigften SUtomenten mit 
redjeligen EE weiterbhilft. An 
mandem gehaltvollen Wort erfennt man ab 
und zu: bte Komödie ijt ja bod) von Arthur 
rile et Aber in feine gejammelten Werte 
wird pieles jonberbar ſchief und verworren 
geratene unerfreuliche Stüd faum aufgenom: 
men werden... 

Was gibt’s denn heuer f | 
in Ungarn? O, alls | 7.4 
mögliche Gute: Fett, 
Sped, Schweinefleiſch, 
Eier, Butter, Mehl, aber 
die Grenze ift unerbittlich 
gejperrt, und nur drama- 
tilde Genüjje Dürfen nad) 
Sfterreih ausgeführt wer: 
den. Die ungarijde Gr. 
zeugung ift jedoch heuer 
nicht jo gut geraten wie 
jonjt, und jo haben wir 
bisher von dort nur einen 
einzigen Erfolg bezogen: 
Franz Herczegs Ro: 
mödie „Blaufuchs“, feit 
drei Monaten das Zug: 
ſtück des Theaters in ber 
Syoletitabt und ja and 
in Berlin jchon befannt. 
Herczeg, der mit jeinen 
früheren Arbeiten nie weit 
über jeine Heimat hinaus 
gelangt ift, bat ee 
in dermondänen Art Mol- 
nars verjudjt und aud) 
ein bißchen an Henri Bec- 
ques ,"Barijerin^ ange: 
Iehnt. Der Reig bes 
Stüdes liegt in feiner 
wixigen Piychologie, fei- 
nent geijtig beweglichen 
anmutigen Dialog; ben 
ungewöhnlichen großen 
(rolg ber Wiener Auf: 
fübrung verdanft es aber 
ausjchließlich ber perjón- 
lihen Angiehungsfrajt 
Leopoldine Ronjtantins, 
für die diefe Rolle bas 
ridtige Inſtrument ijt, 
auf dem fie ihr ganzes 





Mizzi Günther in Ralmans Operette „Die 
ohann Sırauß: Theater in Wien. (Phot. Sever) 


blendendes Können vorjpielen fann. Auf ber 
anderen SJarno:Bühne, bem Stadttheater, 
gaftiert Girardi bis zu feinem Eintritt 
ins "ag eee in älteren und neuen 
Rollen. Außer feinem Schujter Weigl und 
dem unerreidjten Balentin, den er jest, 
von Hanfi 9tieje als Ros! fetundiert, auch 
den Berlinern vorgefpielt bat, ſchuf, ber 
Riinjtler eine neue Figur: den im Wiener 
Vormärz genialijd) verfommenen Lyrifer 
getan Sauter, deffen Literatur: und 

iebesjchidjale den etwas unflaren Inhalt 
von Rudolf Holzers Wärcdenipiel„Das 
Ende vom Lied” bilden. Eine neue febr 
[ujtige Girarbirolle ijt fein Schmierendireftor 
in dem flotten Zbeaterjtüd ,Durdhlaudt 
D von Paul Franf und Julius 
Wilhelm. Bn jolden übermütigen Auf: 
gaben lebt jid) Girardis urwüchſige Komit 
am beten aus, und hoffentlich wird ibm 
und uns aud) im Burgtheater bas Laden 
nicht vergehen. 

Der neuejten Dramatif begegnet man 


ajdingsfee” 


200 Ludwig Hirſchfeld: Theaterbrief aus Wien BSSBsassoea 


nurin entlegeneren Tergan Die Neue 
Wiener Bühne bradte gwijden zwei 
— Jargonſchwänken Georg Kaiſers 
„Bürger von Calais“, in den Kam— 
merſpielen war noch ein Schauſpiel 
Alfred Feketes „Die Verhüllte“ zu 
jeben, eine nicht febr glüdlidje Abwand— 
lung des Themas der „Schiffbrücdhigen“ 
und außerdem eine gründlich daneben ge: 
ratene erotijdhe Komödie „Fröſchchen“, 
wieder von Babryela Zapolsta. Die 
Volksbühne verjuchte mit bejcheidenen 


Rofy Wergynz in Nedbals Operette „Die 


Mitteln eine Aufführung von „Vaſanta— 
jena“, madjte darauf mit bem Erftlings- 
mert eines jungen Schweizers, Siegfried 
Gideon, dem mehr durchgeijtigten, als 
dramatiichen Schaujpiel „Arbeit“ befannt, 
Dal aber bod) erft 3 Kaſſen, als 
allenberg kam und mit ihm die wohlbe— 
kannte Ealo Schimek“. Geitdem 
geht biejes literarijdje Theater auf einmal 
länzend und tann nad sonore Zeit bie 
afel „Ausverkauft“ BE en. — Das 
alles war nur eine Hack ein Um: 
weg zum fieqreichen Refrain des Wiener 
Theaterlebens unb der heißt nad) wie vor: 
Operette, In einer Zeit, deren Theaterjinn 





öne Saskia“ 


Garl: Theater in Wien. (Phot. bro) Seit mag flein ober aroB, 
TTTI eeeeeegegeeeeeg i 


fait ausfdlieblich auf gedanfenloje Zerſtreu— 
ung und barmloje Ablenkung eingeltellt ijt, 
bat fie natürlich) die größten Kriegsgewinne 
gu verzeichnen. Die „Rofe von Stam: 
ul“ blüht feit einem Jahr, bas „Dret: 
mäderlhaus“ fieht, wie wohl aud) in 
Berlin, im dritten Jahr Mutterfreuden in 
Form einer Fortjegung entgegen. Kein Wun: 
der, daß die Leute vom goldenen Operet- 
tenhandwert unentwegt nad) derjelben Schab- 
Ione weiterarbeiten, weil nur Das oe: 
füllt, was bereits einige hundert Male 
germ bat. Nach diejem 
ejchaftspringip ift bie neue 
Ralman: Operette des So: 
bann Pg pee pau 
ters „Die Faldhings: 
S " perfertigt: Münchener 
ihing, verlobte Fürjtin, 
junger Wtaler, reine Liebe, 
Enttäufhung, Duell, gebro: 
dene Herzen, Tränen, Welt- 
ſchmerz — mit einem Wort: 
jie friegen fic. Zu Diefer 
unfreiwilligen Parodie bes 
Genres hat Ralman mit den 
erprobtenMitteln der „Czar: 
Dasfiirjtin” und unter Ver: 
wendung einer älteren Mru- 
fit eine Anzahl gut berech: 
neter, aber erfindungsichwa= 
her Nummern gejdrieben, 
bie nad) zweihundertmali= 
ger?Inftrengung og Roger 
lid) bod) melodiös Jeir und 
ins Ohr geben werden. Ter- 
lelben Gejdjidjte in Grün 
begegnet man im Carl: 
theater bei Nedbals 
neuer Operette „Die ſchö— 
ne Saskia“, nur daß bie 
Gade in Holland und in 
der Schweiz jpielt, zwiichen 
einem Maler unb feinem 
Modell, bas fih als feine 
Witwe ausgibt: reine Liebe, 
Enttäufhung, gebrochene 
Herzen, Tränen und fo 
weiter — [iebe oben. 
ijt immer Dasjelbe. Die 


nllijd oder wild bewegt 
ein, die Wiener Operette verharrt bet ihrer 
tt, fie verharrt und erjtarrt und wird IR 
troß aller großen Erfolge bod) jelb 


dadur 
zugrunde richten... 

ber, aber, wozu diefe ajthetijde Entri- 
(tung? Das bat bod) gar feinen Swed. 


Gerade jebt, während id) diefe Gntrüjtung 
in meine im hineinflopfe, [tebt 
drüben an ber Plafatwand ein 3ettelam: 
fleber und flebt gemütlich grüne unb rote 
Duerftreifen an: ,9[usverfaujt!^ .. . „Alle 
Logen und Eibe vergrifien!“... „Für 
Samstag und Sonntag alles ausverkauft!“ 
... Dagegen fommt feine Rritif auf. Schade 
um jedes Wort. 








S en OL ` 
echsundfiebzigjährig' hat George 
¢ Clemenceau das Ziel erreicht, das 
jeiner Natur nad) von ihm am 
bejtigiten begehrt werden mußte: 
Er ijt nicht blog Minijterpräjident 
der Republik Frankreich, was er jdjon vor: 
bem einmal gewejen war, jondeın, wenn and) 
nicht dem Namen nad) Diktator, |o doch mit 
biftatorijdjen Befugnijjen ausgeitattet, in 
einem Augenblid zur Herrichaft berufen, wo 
das aerjplitterte Land einen mächtigen, ja 
fait tyranniihen Willen begehrt ober dod 
unbewußt winjdt. Wie lange der „Tiger“ 
— jo nennt man George Clemenceau jhon 
feit mehr als zehn Jahren der wiitenden 
Prante wegen, mit der er gegen alle feine 
Gegner — und wer ijt nicht lem Gegner ge: 
wejen, der irgendwelche Bedeutung oder 
irgendweldyen Einfluß hat? — losgeht, wie 
lange aljo der Tiger neben dem von ihm 
wütend befämpften Poincaré bie Bejchide 
ranfreichs leiten wird (ich |d)reibe dieje 
eilen Mitte Dezember), das ijt allerdings 
recht zweifelhaft. Man könnte faft glauben, 
daß im Augenblide, wo diejer Berjuch, einen 
Umriß feiner Werjönlichfeit zu geben, in 
Drud erjcheinen wird, er jelbjt jchon wieder 
gon Oppoſitionsmann gewor`en ijt, ber er 
rei Biertel feines Lebens gewejen war. Und 
der er trog allem feiner Natur nach ift. 
George Clemenceau ift als Sohn eines 
Arztes 1841 in der Vendée geboren worden. 
Gr tam, wie alle jungen Franzoſen, die 
Söhne halbwegs begüterter Eltern find, mit 
achtzehn oder neunzehn Jahren in bas Stus 
bentenviertel von Paris, hat dort; wiederum 
der franzöliihen Tradition folgend, ben 
väterlichen Beruf aufaenommen, Medizin 
[tubiert, fein Doftordiplom erworben und 
als 9Irmenargt — bei uns würde dies Ka]: 
fenarzt heißen — feine Praxis auf dem Berge 
Montmartre begonnen. Aber jhon während 
er in der Rlinif und im Anatomiejaal arbei- 
tete, 309 es ibn zum Journalismus. Er 
wurde jtäntiger Mitarbeiter eines der vielen 
Rampfblätter, bie das Jahrzehnt zwiichen 
1860 und 1870 djaratterijieren, und ein Jours 
naltjt ijt er fein Leben lang geblieben: ein 
leidenſchaftlicher Rritifer ber Tagesereignijle, 
eigenwillig, mcijt in jeinem Blatt der eigene, 
ber einzige Herr, und fern den Durch gefell- 
[bonia Bande verknüpften Kreifen der 
oulevarbprejje. Wenn andere Politifer, die 
in jjranfreids irnerer oder äußerer (Ge: 
Ichichte Bedeutung gewonnen haben, ihre 
Herkunft vom Anwaltsberuf nie verleugnen 
-Iönnen — und Das ift ber im franzöjiichen 
Parlamentarismus häufigite Fall —, jo ijt 
George Clemenceau ein Beilpiel für Den 
Politifer, ber nad) Richtung, Ziel und Form 
feines Wiıtens immer die Verwandtichaft 
mit ber Tagesprejje bezeugt. Die perjon- 








Dig SON 

WEY 
_ = 
lichen Gaben Clemenceaus waren ſchon febr 
früh zu erkennen gewejen. Er jchrieb und 
Ee gleich eindrudsvoll. Troßdem ijt er 
pat zu den äußeren Zeichen politijcher Macht 
gelangt: er mußte, was bejonders in Frant: 
reich, Dem Lande der jungen Minijter, auf: 
fallend ijt, fechsundjedjiqg Jahre werden, be: 
vor er das erjtemal einen Miniſterſeſſel ein: 
nehmen durfte und furz darauf aud) das 
erjtemal Minijterpräfident war. Das hatte 
natürlich feine guten Gründe. Wenn ein hoch» 
begabter Menſch unbeliebt ijt, weil er mit 
unbeugjamer Härte dem Ziel, bas ibm feine 
Natur vorjchreibt, nachgeht, wird ihn das 
jtets in gemijjem Mae in feiner Karriere 
hindern. Geit er, faum dreißig Jahre alt, 
aus Ymerifa, wohin er eine Studienreije 
unternommen hatte — und woher er jeine 
Brau, von der er dann gejchieden wurde, 
mitbrachte —, aurüdfam, ijt er immer von 
mindejtens drei Wierteln feiner Berufs: 
follegen, ſowohl denen ber Prejje wie der 
PBolitif, gefürchtet, ja gehaßt worden; und 
er jelbjt hat ben meijten bedeutenden oder 
gar einjlußreihen SUlenjd)em, mit denen er 
ın Beziehung trat, vielleicht mit ganz ge: 
ringen Unterbrechungen, heftige Gefühle ber 
Abneigung entgegengebradht. Er hat aud 
aus feinem Herzen nie cine Mlördergrube 
gemacht und jid) bejonders in jpäteren Gah: 
ren in ber Rolle des fajt berufsmäßigen 
Minifterftürzers gefallen. Bei dem Jüng— 
ling und jungen Mann war folche Haltung 
ae Ausflug febr ftarfer politijder Emp- 
indungen, einer gewiſſen, wenn aud) meijt 
negativen Sjingertjjenbeit, eines Enthujias: 
mus, Der fid) jedod) paradoxerweije immer 
mehr im Berjtören als im Aufbauen aus- 
prägte. Sn jpäteren Jahren hatte man ja 
allerdings den Eindrud, daß George Cle- 
menceau lieber auf der. linten als auf Der 
rechten Bant jibt, weil das jeinen ihm Jelbjt 
wohl bewußten Gaben beffer entipricht, Daß 
er jtets Den, ber zur Macht gelangt, be: 
fämpft, aber nicht etwa, um jelbjt zu Amt 
unb Wirde au tommen, Jondern weil feine 
geiltige und feetiihe Verfaſſung ihm ſolchen 
Kampf, ſolchen Widerſpruch gegen die vox 
populi auferlegt. Und nun in den allerletzten 
Jahren, denen er ben Namen ‚der Tiger, ver: 
dankt und in denen er in feinem Blatt, das 
befanntlich zuerjt ,L'homme libret (der frete 
Menjch), dann als die Herrichaft der Zenjur 
begann, ,L'homme enchainé (der Vtenjch 
in Ketten) hieß, jede Standalaffäre aufarıff, 
um einen einflußreichen Mann unmöglich zu 
machen, durfte man mit Redt den Ein: 
drud haben, daß George Clemenceau Die 
Macht eines fimplen Miniſters ober auch 
Miinifterprajidenten unter gewöhnlichen 33er: 
haltnijjen gar nicht mehr anjtrebte, Jon: 
dern erft Dann feinen Blak auf der Bank 





Velhagen & Rlajings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2 Bd. 14 





der grundjaglid) Nein: Sagenden verlajjen 
wollte, wenn ibm eine ganz auerordent- 
[ide Machtbefugnis eingeräumt würde; ans 
ders gejagt, wenn er als der Retter des 
Baterlandes erjcheinen fonnte, berufen oe: 
rade von jenen, bie er bis zur Stunde wis 
tend angegriffen hatte. Und diejen Triumph 
eines Lebens hat George Clemenceau ja 
wenigitens fiir ben Augenblic erreicht. Der 
Präſident ber Republif, gegen den Glemen: 
ceau Jahre hindurch in den wildeften Aus— 
brüchen des Zorns gebebt hatte, derjelbe 
Boincare, dem Clemenceau niht allein als 
ein politijcher, ſachlicher Gegner, jonberm 
eradezu als periönlicher Todesfeind gegen: 
liberjtand, war gezwungen, eines Nachmit— 
tags Herrn Clemenceau zu fid) zu berufen 
und ibm unbejd)rántte Bollmachten zu geben. 
George Clemenceau hat den Reig diejes Mo— 
ments ficherlich mit allen Fähigkeiten feiner 
gewiß nicht einfachen Natur als Krönung 
eines fampfreichen Yebens, in bem es Höhen, 
aber auch tiefe Stürze gab, qenojjen. Er hat 
dann aud in wenigen Stunden fein Kabinett 
gefunden, in Dem eigentlich) nur er weit: 
reichende Stimme hat, und mit jeiner erjten 
Regierungshandlung, feiner erften program: 
matijchen Rede in der Kammer zeigte er 
aud), daß er mit berjelben Sntenjitát, mit 
ber er die Regierung und die 3enjur imt 
bejonderen bis zur Stunde befehdet hatte, 
nun widerjprudslojen Gehorjam fordern und 
jeden Angriff gegen feine Autorität mit allen 
Mitteln abwehren würde Die Hier ange: 
deutete Wandlung fann allerdings ben taum 
überrajchen, ber die politijde Vergangenheit 
Clemenceaus tennt. Denn jchon einmal, gez 
rade ein Jahrzehnt vorher, hatte Clemens 
ceau, als er zur Regierung fam, mit Der 
gleichen Unbefiimmertheit das meijte von 
dem vergejlen, was er tags zuvor gefordert 
hatte: Freiheit, Demofratie und was ſonſt 
zum radikalen Programm gehörte. Man darf 
aber nicht meinen, daß dies Beweije für 
einen baltlojen oder gar verlogenen Chas 
raiter find; ja, bet aller Gegnerjchaft Cle- 
menceau gegenüber, zu der die Deutſchen 
gewiß Grund haben, wäre es ungerecht, thn 
auf Grund folder Wandlungen einen Streber 
zu nennen, der tut, was feinem perjönlichen 
Ziele im Augenblid am vorteilhafteiten ift. 
So geradlinig war und ijt eben Wejen und 
Erſcheinung biejes Mannes nicht, in dem 
ein jtarfer Wille Betätigung verlangt. 

Wer bas Bildnis Clemenceaus anfieht, 
das Manet, der große franzöliiche Impreſ— 
jionijt, gemalt hat, wird Jogleich ahnen, daß 
er eine verältelte, aber auch ungemein ftarfe 
Natur vor jid) hat. Die Niejenjtirne, der 
ein wenig Ipiße, fable Schädel mit den ftar- 
fen Ruochen, dte leidjtgelblidje Haut, der 
bujchige, weiße Schnurrbart und nicht zulett 
Die nervigen und nervöſen Hände find Mert- 
male einer männlichen Erjcheinung, die weder 
durchaus typiſch franzöſiſch ijt, noch tiber: 
haupt dem menjchlichen Mittelmaß angehört. 
Hier ijf aus geijtigen und jeelijd)en Gaben 


W. Fred: — — 


gemiſcht ein Mann geworden, der, natürlich 
auch durch die Erlebniſſe eines langen und 
bunten Daſeins geformt, ebenſoviel Skepti— 
zismus, ja Zynismus allem menſchlichen Tun 
anderer gegenüber empfindet und äußert, 
wie er ein unbejchränftes Vertrauen zum 
eigenen Det, zum eigenen Handeln hat. Und 
dieje Sntenjitát ijf er auch ımjtande, auf an: 
dere zu übertragen. Hier liegt vielleicht bas 
Geheimnis der Wirkung Clemenceans jelbit 
feinen Feinden gegenüber, bie — da⸗ 
für, daß er jetzt eine überwältigende Mehr— 
heit, ſowohl in der Kammer, wie im Volke 
für ſich hat. Die Lebenskraft, die ſich im 
Außeren Clemenceaus ausprägt wie in jedem 
Wort, das er ſchreibt oder ſpricht, wirkt mit 
einer förmlichen Suggeſtivkraft. Man hat 
nicht mit Unrecht gelagt, daß die Mahl 
Glemenceaus zum Wlinijterprälidenten eine 
DBerzweijlungstat Boincares war, ja mehr 
als bas, ber Ausdrud einer verzweifelten 
Situation bes gejamten franzöliichen Bolfes. 
Wenn in anderen Ländern in folden Bers 
— ein Koalitionsminiſterium ge— 

ildet wird, weil man meint, durch eine Ver— 
einigung gegneriſch geſinnter Männer das 
Vaterland zu retten, weil ſie dennoch in 
einem einig ſind, daß nämlich ihr Land 
gerettet werden müſſe, ſo iſt hier, charakte— 
riſtiſch genug für die franzöſiſche Denkweiſe, 
der gegenſätzliche Vorgang zu  beobad» 
ten. Der Feind aller großen Politiker 
wird zur Regierung berufen, mit größeren 
Vollmachten ausgeſtattet als je etn Miniſter— 
präſident vor ihm, vielleicht weil man hofft, 
daß gerade ſein Ungeſtüm, ſeine Wildheit 
ihn befähigen werden, die verwirrte Situa— 
tion zu löſen, anders geſagt, den gordiſchen 
Knoten zu zerhauen. Nur das franzöſiſche 
Volk und die es vertreten, können ſo leicht 
vergeſſen, was früher war, um einen Mann 
mit der Vergangenheit Clemenceaus zum 
Retter des Vaterlandes zu berufen. an 
hatte ja nicht wenig zu vergeſſen bei Clemen— 
ceau; die einen dies, die anderen jenes; faſt 
alle perſönliche Angriffe. Während des Pa— 
namahandels war auch auf ihn ein recht 
derber Schmutzflecken gefallen, ob mit Recht 
oder Unrecht iſt nicht zu entſcheiden, aber 
ſelbſt wenn man an die perſönliche Ehre und 
Unbeſtechlichkeit Clemenceaus glaubt, was 
wohl mit Recht unparteiiſche Beurteiler ſei— 
nes Weſens tun, ſo bleibt doch, von allem 
Perſönlichen abgeſehen, übrig, daß er in ſehr 
weſentlichen Augenblicken der Vergangenheit 
Frankreichs verſagt hat. 

Die widerſpruchsvolle und doch ſo ſtarke 
Wirkungen erzielende Perſönlichkeit Clemen— 
ceaus verlangt, daß man ein wenig nach 
den Tatſachen ſeines Lebens fragt. Es iſt 
ſchon geſagt worden, daß er von Beruf Arzt 
iſt, daß er aber nur kurze Jahre ſeine Tätig— 
feit als praktiſcher Arzt ausgeübt hat. Mur 
einmal Dat die Öffentlichteit Gelegenheit ge: 
habt, ibn als Jolchen tennen zu lernen und 
die ijf nur erwähnenswert, weil jie Clemen- 
ceau im Licht ber zeitgenöjliichen Beurteilung 


—— —— Der 


Während einer Rammerfitung ijt fein 
ollege Guyot ohnmadtig geworden, und 
Clemenceau eilt thm zu Hilfe. (Gr unter: 
ſucht ibn und verfündet: „Nichts Ernites, in 
vierundzwanzig Stunden ijt er wieder ge: 
fund.” Am nádjten Tag war Guyot tot, 
und die Parijer ließen fih den Wig nicht 
entgehen, Glemenceaus ärztliche Diagnojen 
feien ebenjo faljch wie feine politijden. Er 
elbit mag dazu gelächelt haben, denn, wenn 
liber von dem ungeheueren Bertrauen ge- 
prochen wurde, Pas er zu fid) jelbjt bat, jo 
arf anderjeits aud) nicht verjchwiegen wer 
den, daß er von jenem echt franzöſiſchen Beilt, 
ben man gern Eiprit nennt, ftets genug hatte, 
um feine Berfönlichkeit und ihre Stellung in 
der Welt mit einiger Ironie anzujehen. 
Ein einziges Beijpiel dafür: Als er nad) 
feiner legten Diktatur gejtürzt wurde, ver: 
Dep er das Palais bes Miniſterpräſidenten 
ohne Gepad, aber mit einem Wig. Er war 
nämlich bei feiner Ernennung gar nicht in 
Bie Amtswohnung iüberjiebelt und durfte 
deshalb ruhig jagen: „Hatte ich nicht recht? 
Sch bin mit einem Regenfdirm ins Mini: 
fterium gefommen, verlajje es mit einem 
Spagierftod, ber TC stoner babe id 
aljo nicht.“ Das ijt eine ?[nefbote, die zu: 
fällig fogar tatjächlich wahr ijt, aber wie die 
meijten Anekdoten hat fie überdies innere 
Wahrheit, die mehr ijt als bie äußere. Cie 
eigt den Clemenceau, der fic) in feinen 
ämpfen Icheinbar immer von perjönlichen 
Motiven leiten läßt, dod) aud) als einen 
Mann, ber fid) nicht jo ernjt nimmt, daß er 


im Augenblid des Sturzes lächerlich wird. 


WW 8 8 
Der Student, junge Arzt hatte fleißig für 
Zeitungen geſchrieben, in Verſammlungen 
gejproden. Als die Republik proklamiert 
wird, wählt man ihn zum Bürgermeiſter des 
Stadtteils Montmartre und Mitglied der 
Nationalverſammlung. Er iſt dann wäh— 
rend der Commune Vermittler zwiſchen den 
widerſtreitenden durch den Bürgerkrieg auf— 
ewühlten Parteien und bekommt in der 
pe bas Mandat, das Belleville, der 
nit allzu gut beleumundete Stadtteil in 
aris, zu vergeben bat. Den gleichen Kreis 
atte Gambetta vertreten, und Clemenceau 
wurde, lolange er DOppolitionsmann war, 
der Dbejtigite Gegner Gambettas; trobbent 
werden manche finden, daß er in feinem 
Mejen und auch im Ablauf feines Wirtens 
manche Ähnlichkeit mit Gambetta hat. Dann 
allerdings, als er Minijter geworden war 
und in Nizza bas Denfmal Gambettas ent: 
büllt wurde, hielt er ihm eine jchöne Feſt— 
rede... und es mag fein, daß dem Damals 
aud [don nicht mehr jungen Clemenceau 
KIT monde ÄÜhnlichkeit zwiichen feinem 
eben und bem Des Mannes, ben er nun 
feierte, Durch den Kopf gegangen ijt. 
Schon Zola hatte erfannt, wieviel jtarfe 
Fabigteiten in Clemenceau ruhen, nur aufge- 
rufen werden miijjen, um dem Lande zu 
nügen, und hatte es beflagt, da er über: 


Tiger 936333833333 ZZ ZZ 203 


[ange auf den rechten Wirfungsfreis warten 
mue, Der Name Clemenceaus wird erit 
an jenem Tage auch über die Grenzen feiner 
Heimat hinaus betannt, als er, damals nod) 
ein rabifaler Zeitungsjchreiber, mit einem 
Worte den allmächtigen Ferry ftürzt. Ein 
Zwilchenruf Clemenceaus jchleuderte ben 
Dliniiterprälidenten Gules gerry aus ber 
Bahn; Clemenceau rief ibm in ber Rammer 
zu: „Allez vous-en!* und Ferry hatte zu 
gehen. Bon dem Tage an gilt Clemenceau 
mit Recht als ber größte Politifer der (oit: 
loirs im Palais Bourbon, als der Mann, 
vor bem jede Regierung zu zittern hat, 
Dejfen Spezialität es war, Rrijen vorzus 
bereiten und Dann den enticheidenden Mugen: 
blid richtig zu finden, um den Miniſter zu 
ftiirzen. Clemenceau Dat inzwijchen cine 
Reihe von Blättern gegründet, ,Guftice’, 
‚Bloc, Aurore. Dieſe Blatter bildeten fait 
zehn Jahre lang fein Forum. Sn der Ram: 
mer jelbjt war er unmöglich) geworden. Er 
galt, weil dem Prinzen von Wales, bem ſpä— 
teren König Eduard, eng befreundet, als 
Berräter feines 3Raterlanbes, und man joblte 
ibm jpóttijd) englijdje Spottrufe zu, wenn 
er jpredjen wollte. Damals ijt bas ganze 
Land Franfreid) gegen England, und Cles 
menceau ilt unten durch, weil er fiir Eng: 
[anb ijt; jet ijt Frantreid) durch die Freund: 
Ihaft mit England in den Weltkrieg hinein: 
qerijjen worden, und Clemenceau hat in der 
Oppojition bie unheilvolle Saat reifen fehen, 
die von jenem König Eduard im Verein mit 
feinen franzöjtichen Freunden ausgeftreut 
worden war. Clemenceau war aber damals 
nicht nur als ein von England Bejtochener 
ausgezijcht worden, er bat auch in Der 
Aurore’ den Dreyfusfampf auf der Seite 
der AUufrechten mitgemacht und als einer der 
witfungsvolliten Belämpfer des Militaris- 
mus eine große Gemeinde um fidh verjam: 
melt. Das ijt derjelbe Clemenceau, der |päs 
ter bie dreijährige Dienitzeit für alle Frans 
zojen als Witnijter dDurchjegte und Heute zum 
Diktator gekürt wird, weil er jchärfer als 
irgendein anderer den Wilitarismus predigt 
und bas Heil Frankreichs nur in einem Sieg 
der Waffen Sieht. 

Die Freundſchaft Glemenceaus mit König 
Eduard von England tit wohl mit einer der 
Gründe, bie feine ablehnende Stellung gegen 
Deutjchland bewirften. Denn im Gegenlaß zu 
einer großen Jahljeiner Kollegen im polittjd)en 
und journalitilchen Beruf Frankreichs und 
Englands tann man von Clemenceau nicht 
lagen, daß er ein Feind Deutjd)er (rt aus 
blindem Chauvinismus iit. Clemenceau 
weiß recht viel von fremden Weſen, bat eine 
große weit über Fachliches hinausgehende Bils 
dung, und wenn er an deutiche Dichter oder 
Philoſophen erinnert ober fie zitiert, fo ijt 
das gewiß nicht nur eine Literarijche Mire. 
(ft bat ja auch jefbjt mit einem eigenen 
Werte den Weg zum Ddeutichen Publikum 
gejucht, ober wenigitens dieje Reſonanz nicht 
ungern gejehen: eut jehr reizvolles Theater: 

14* 


904 W. Fred: |[2494242434324342424242-: 24 ZZ ZZ] 


[tid Clemenceaus „Der Schleier bes Glüds" 
it in Deutjchland und Oſterreich gejpielt 
worden. „Ter Echleier des Cliids” ijt nad) 
Inhalt und Cpradje, im Gegenjaß zu ber 
fonjt bet Clemenceau Start zutage tretenden 
Erdenichwere, ja fogar Brutalität, ein bra: 
matijches Gedicht philofophijcher Art mit 
jeeliihen Problemen und Weltanjchauungss 
fragen jpielend, und eine merfwiirdige per: 
Jönliche Art, bie Dinge bes Lebens zu leben, 
ofienbarend. Auf diejes Wert näher einzus 
gehen, ift hier wohl nicht angebradht, ba es 
lich ja darum handelt, Clemenceaus Gejamt: 
ericheinung fid) vom Hintergrunde feiner Zeit 
und feines Wiilieus abheben zu laffen, bejon: 
ders aber bie Gründe jeiner Wirkung — im 
Guten und Böſen, im Bojitiven wie Nega: 
tiven — über mindeltens zwei Generationen 
anzudenten. Immerhin muß darauf hin: 
gewiejen werden, daß er noch eine Reihe 
anderer literarijcher Arbeiten gejchaffen hat: 
La Mielée jociale‘, Le grand Wlan‘, Les 
[us forts’ ujw.; denn dies gibt einen Begriff 
einer Lebensfiille und Arbeitskraft — be: 
jonders wenn man fid) vergegenwärtigt, daß 
er all dies ſchrieb neben einer intenjiven 
politijdjen Tatigteit und dem Preſſedienſt, 
ber ihn nicht allein Gründer und Heraus: 
geber von Tageszeitungen fein ließ, jondern 
der ihm aud) Tag um Tag einen Leitartifel 
abverlangte — etwa durd vierzig Jahre. 
Clemenceau ijf aber auch eine rezeptive 
Natur. (Co wie er in einer Zeit, in der 
bas Reifen, bejonders nach anderen Welts 
teilen, nod) gar nichts Gewöhnliches war, nad) 
Wmerifa ging, bie Lebensverhaltnifje dort zu 
Meet jo ijt er aud) mehrmals in unjeren 
"ändern gewejen; mehr als das, perjónlidje 
samilienbeziehungen mehrfacher Urt ver: 
fnüpfen ihn mit Öjterreichern und Ungarn. 
Trog alledem konnte |djon ber, der Clemens 
ceau in den Jahren vor Algeciras und 
Marotto |prad), merfen, daß er Deutjchland 
durdyaus nicht liebte; anders bejjer gejagt, 
er ift einer jener Beurteiler deutjchen Wejens, 
die unbedingt und aufrichtig am ein zwie— 
jpaltiges Deutjchland glauben, an ein Deutjch- 
land, das burd) Goethe, Beethoven und alles 
Gute charafterijiert wird, und ein anderes, 
das imperialijtilch ijt, von SFeldwebeln regiert 
wird und Die große Gefahr für alle anderen 
europdijdhen Lander darftellt. Schon 1871 
war Clemenceau gegen den Braliminar: 
frieden mit TDeutichland gewejen und wenn 
er auch weit entfernt war, von der llnbe: 
dingtheit und 3ábiafeit, mit der andere Po: 
litifer, wie zum Beijptel Barres, gegen 
Deutſchland jdriebem und ſprachen, fo iit 
Dod) bie Revancheidee in ibm lebendig gee 
wejen. Manchmal jah es vielleicht jo aus, 
als fonne er an einen 9Liisafeid) denten. Im 
wejentlichen aber gehörte er zu jenen, Die 
den Krieg zwijchen Frankreich und Deutſch— 
land nicht nur für unvermeidlich hielten, 
jondern fogar vorbereiteten. 
Als Clemenceau 1906 das eritemal Mi- 
nijter und einige Zeit darauf Miniſterprä— 


fident wurde, fragten ihn feine bisherigen 
Kollegen von ber Preſſe: ob er denn glaube 
(id halten zu fünnen. Cie dachten nicht mit 
Unredt daran, wie viele Feinde er jid) ges 
ſchafſen habe, und wohl auch, daß er bisher 
feine Ctarfe als *Bolitifer mehr in der salle 
des pas perdus, dem berühmten Vorraum 
zur Deputiertenfammter, bewielen habe, aljo 
im Sntrigen|piele und im Kampf gegen 
eine Sache, als in ber pojitiven Regierungs: 
arbeit. Mit einem oft zitierten Wort er: 
widerte Clemenceau, indem er eine damals 
an allen Straßeneden von Paris plafatierte 
Rellame einer Yutomobilfirma auf jid) an: 
wendete: „Sch bin wie der pneu michelin.” 
Das Plafat diejes Gummireifens nämlich 
trug bie Unterjdrift: „Je bois l'obstacle" 
(id) trinfe, id) fauge jeden YRiderjtand). 
Clemenceau wollte damit jagen: je mehr 
Hemmungen meiner Natur entgegengeitelli 
werden, je mehr Kämpfe ich zu bejtehen 
habe, dejto eher habe ich Gelegenheit, meine 
Kraft zu entfalten und geheime Fabigfeiten, 
die ın mir ruhen, zu erweden; er wies fo 
mit bemerfenswerter Ginfid)t in feine eigene 
SRerjónlidjfeit aud) auf den Reig Hin, der 
für ihn eben im Kampf an fic liegt. Daß 
er fid) gleichzeitig ober in den Jahren jpäter 
— gern eine Regierungsſtütze nennt, 

as will nicht allzuviel ſagen. Es iſt ſchon 
erzählt worden, daß er als Miniſterpräſident 
ſeine demokratiſchen Anſichten bald genug 
fahren ließ; der Winzeraufſtand, der gerade 
damals ausbrach, zeigte ihn gleichzeitig ſo— 
wohl als einen ſchlauen Diplomaten, der 
den Führer der Gegenpartei, indem er ihn 
der Lächerlichkeit preisgab, unmöglich madte, 
wie auch als unerbittlichen Tyrannen, der ſi 
durchaus nicht ſcheute, gegen das Volk, Er 
bellen Freiheit er fo ott große Worte ge: 
funden hatte, Gejdiige auffahren zu laffen. 
In bieler Periode feines Lebens zeigt fich 
am ftarfiten, wo in Clemenceaus Veran: 
lagung ber wejentliche Mangel jtedt. Er ijt 
Politifer, ijt Gournalift von großen Gaben, 
aber fein Gozialpolitifer, und zwar fehlt 
ibm bie fogiale Ertenntnis wie das joziale 
Gefühl im glei hohem Maße — trog 
mandes Merluchs in biejer Richtung. Jn 
Ifartem  Gegenja& zu englijden Staats: 
männern, wie 3. B. Lloyd George, bie teils 
aus eigener Veranlagung, teils von der Zeit 
belehrt, oder aud), was bejonders fiir Lloyd 
George zutrifft, nad) deutſchen Vorbildern 
den Joztalen Kampf in feinen friedlichen und 
in feinen friegerijchen Formen als bas wid)» 
tigite Problem ihrer Zeit zu betrachten om: 
fingen, hat George Clemenceau, allerdings 
vor jeiner Regierungszeit, wenn er es als 
Mittel gegen einen gebaBten Gegner brauchen 
fonnte, aud) Diejen Kreis von Fragen nicht 
unbeachtet aclajjen; er Dat aber nidjt be 
arifien, daß bier ber Brennpunit alles wejent: 
lichen Wirfens für einen modernen Staats: 
mann ruht. Dies ift die Grenze, bie feiner 
Begabung gelegt ift, und an bieler Grenze 
ijt er als Winijterprajident im Jahre 1906 


Leer FS SSSSSS SS 3039 30 3232 30 3032 32:2] Der Tiger [343434243434342:343434343:23] 205 


geicheitert, an dieſer Grenze ſcheitert ſchließ— 
lid) und endlich auch feine perjönliche 
Entwidlung. Drei Jahre währte die Zeit, 
bie Clemenceau das erjtemal auf der Re- 
gierungsbanf figen durfte. Er wurde ges 
ſtürzt, als er es fid) nicht verfagen konnte, 
das legte Wort zu behalten, als das Wort 
mit ibm durchging und er in öffentlicher Rams 
merfigun Telcaljé vorwarf, daß der Krieg 
mit Deut/chland während der Viaroffotrije 
nicht geführt wurde, weil man fid) in Frant: 
"reich zu ſchwach gefühlt hatte. Clemenceau 
mochte recht haben, aber er hatte vergeilen, 
daß fein Volk fic) das in öffentlicher Sitzung 
fagen läßt, bejonders wenn ein jolches Wort 
über Die Landesgrenze hinausichalt. Go 
mußte er die attgenblidlidje Schlagfertigfeit 
mit bem Werluit ber unmittelbaren politi: 
[den Wirtjamteit für eine Reihe von Jahren 
bügen. Allerdings darf man nicht vergejjen, 
dag er Durch feine Zeitung — Die Weis 
die gleiche blieb, wenn fie auch den Namen 
wedjjelte — immer nod) Macht genug auss 
übte. Clemenceau, ber nun [djon ber alte 
Clemenceau wurde, allmählich fogar ber 
reije Clemenceau, febrte zu [einer politi: 
ie Sugendliebe zurüd, zum Radifalismus, 
um Schimpien und Toben gegen jeden 
ann, der Bedeutung oder Einfluß zeigte. 
Bleichviel, ob es Heimatsgenofjen waren oder 
Rundesgenojjen oder Feinde, er hat, feit ber 
Weltkrieg begann, bejonders eben o Wiljon 
oder Kereniti maßlos geſchmäht wie die Män— 
ner, bie in jyrantreid) gerade am Ruder waren 
oder Ausjicht hatten, ans Ruder zu tommen. 
Einbheitlichleit und Harmonie bes Wefens, 
Ronjequeng bes Tuns find nun einmal nicht 
die Gigenidjajtem des „Tigers“. Derfelbe 
Mann, ber als Minifterpräjident auf Die 
Bergarbeiter, die ihr foziales Recht verlang: 
ten, jchießen ließ, trofjbem er auf ein demo: 
fratijch= jozialpolitifches Programm früher 
eingejhworen war, tobte gegen Poincaré, 
weil ihm der autofratijder, freiheitsfeind: 
licher Tendenzen — wohl mit Recht — fhul: 
big ſchien. Die Rache, bie er ihm bei ber 
Mahl in Berjailles geſchworen hatte, hat er 
in der vielfältigjten ern in feinem freien‘ 
und ‚gefejlelten Mann‘ geübt und teine 


Standalaffäre war ibm ſchlecht genug, um ` 


egen den Präſidenten ber Republif zu hegen. 

n Ddiejen Kämpfen gegen Caillaux und 
Maloy 3. B., aber aud) gegen viele ans 
dere, ijt er oft bis weit über die Grenzen 
des Ladherliden Dinausgegangen, aber fein 
Einfluß ijt, mas eben ber Lebensfraft, die 
in ibm wohnt, zuaufchreiben ijt, während 
der Kriegsjahre trokdem groper geworden. 
As Mitglied bes Genats und Vorſitzen— 
der des le fand er ein 
banfbares {Feld für feine [fete Luft an 
Krijen, er ftürzt den Generalijjimus Joffre, 
wie er chedem Ferry gejtürzt bat und ohne 
Zweifel auch Poincaré gejtürzt hätte, wenn 
Diejer nicht im lebten Augenblick lieber bas 
Opfer der Gitelteit gebrad)t und den Tod: 
feind zum Machthaber eingejett hatte. 


Es ift fein Zweifel, daß, um [olde 
Wirfung ausüben zu können, man einen 
weiten Kreis von Anhängern haben muß, 
und zwar bejonders unter der anonymen 
Menge, den Zeitungslejern, ber großen 
Maſſe des Volles. Dieje Reſonanz bengt 
Clemenceau im höchſten Grade, und er niibt 
fie aus, ob er nun das Wiittel der Zeitung 
oder bes gefprodjenen Wortes braucht. Jour- 
nalijten feiner Art find ja in jyrantreid) we: 
niger felten wie bei uns. Es ijt eine aus: 
geiprochen perjünlidhe Wirkung, bie da 
von einem Menſchen auf einen großen Teil 
ber Bevölferung ausgeht, und fie ijt bei 
Clemenceau vielleicht deshalb gut zu be 
greifen, weil bei all feiner Hemmungslofig: 
teit feine Anhänger bod) [tets oder fait Weis 
das Gefühl haben, daß er bas, was er jagt, 
aus eigener innerer Überzeugung heraus 
aus|prid)t, wenn es aud) nur für bem 
9Stugenblid jelbjt fein Wieinen ijt. Die 
Kluft, bie Clemenceau von den anderen 
frangöfifhen SBolitifern [djeibet, die entweder 
YWovofaten von Beruf find oder dod Ad— 
vofatenjeelen haben, gum allergrößten Teil 
mit einem rabital jogialiflijden Programm 
perjönliche, recht materialijtijdje Snterejjen 
verbinden, ijt febr groß; und bei bem Ber: 
se gwijden dem wilden Tiger, ber fid) 
auf feine Opfer ftürzt unb die Wlinifter nur 
jo zerpflüdt, dabei aber fiir jeine eigene 
Berjon aniprudyslos ijt, ein unermiidlider 
Fechter, ein reizvolles Bild allen jenen, 
die an Lebenskraft Freude haben, und 
den anderen, die von frühelter Jugend 
an mad) Stellen und Gtellungen futen, 
eine Hand die andere wajden lajjen, 
einen Kettenhandel treiben awilden Re: 
ierungsmandaten, Unterjtaatsijefretariaten, 
SBräfetturen und auch deutlicher ausge: 
prägten Beli in der Form von Anteilen 
an Altienunternehmungen oder Zeitungen 
— — Diejer !ergleid) fällt eben doch gu: 
guniten Glemenceaus aus unb erflárt Die 
Wirtung, die er auf feine Celer, und 
über ben Lejerfreis feiner Blätter hinaus 
auf bas franzöliihe Volt, übt. Und aud 
wir, denen er feindlich gegemüberjteht, dür- 
fen ihn nicht in bie Reihe ber Ctreber oder 
gar ber Gewinnfiidtigen ftellen. Er ijt ein 
Augenblidsmenjch, darf jelbjt Dann, wenn 
er von der einen Überzeugung zu der anderen 
libergugehen jcheint oder wirklich übergeht, 
nicht moralijd) gewertet, fondern nur als 
eine wirklich amoralijde Natur angejeben 
werden, als ein Mann, ber in der Reals 
politit des Tages fiets nur nad) bem wirt: 
janjten Mittel fragt und es unbedenklich 
mabit, wenn es auch Kartätichen, oder in 
anderen aud) nicht ſympathiſchen Fallen Ent: 
hüllungen aus dem Privatleben eines Geg: 
ners find, der aber immer eine Entſchul— 
digung für fid) hat, daß er nämlich für fid) 
nur Das eine will, was jede ftarfe Per- 
jonlichfett mit 9tedjit verlangen darf: Die 
Möglichkeit, fid) auszuwirfen. Die Lat ber 
‘Tiger’ nun — wer weiß, wie lange? 


& Neues bom Büchertifch S 


Mon Karl Streder 


OtCecececcececeeeccececccccceccececcecceeccecececceccccecccce(ce.cea233333233323323222033333233323332332333333213233233323235520 


Jakob Schaffner, Der Dehant von Gottesbiiren (Berlin, ©. Filmer) — Ru: 

dolf Hans Barti, Lufas Rabejam (Leipzig, L. Ctaadmann) — Grnit Zahn, 

Nacht (Stuttgart, Deutſche Terlags:Anftalt) — Georg’Hermann, Einen Sommer 

lang (Berlin, Ulftein & Co.) — Rihard Voß, Das Haus ber Grimani (Stutt« 
aart, I. Engelhorns Nachfl.) 





oblauf, laßt uns einen Turm bauen, 

des Spike bis an den Himmel 
reiche, daß wir uns einen Namen 
machen! ber der Herr fuhr 
zornig Bernieber und verwirrte 
ihre Sprache. 

Co bept es 1. Mo]. 11 von den deutjchen 
Romanichriftitellern um 1917—18. Und folh 
ein babplonildjer Turm (deffen Höhe nicht 
ganz der Höhe unjerer „idealen Forderung“ 
entjpricht) ijt gefährlich; will man einen ein: 
einen Bauſtein berausziehen, um ihn zu 

etradjten, jo ijt zu befürchten, Daß der ganze 
Turm über einen herfallt und „Nezenjenten“ 
erichlägt, fo ein hartes Wort Goethes er: 
üllend, ber felber Regenjent war... Wie 
ilft man jid? Mean fängt an, von oben: 
er abzutragen, derweilen ruht bie große 
tafle fidjer auf fid) jelber... Und ihon 
länzen zwei befannte 9tamen oben an Der 
innenfrone, als winften fie, nur zuzugreis 
fen, es Iobne (ich gewiß: es find Jakob 
Schaffner und Rudolf Hans Bartid. 

Beide fommen von ber beiten Schule Der, 
bie es für deutſche Erzählungskunſt gibt, von 
Gottfried Keller. Das Hat oberflächliche 
Rinfenijten — vielleiht qute Leute, aber 
— Muſikanten — dazu verführt, in die 

Belt zu tuten, die Schüler ſeien Dem Meiſter 
ebenbürtig. Und da ſolche gedankenloſe 
Gleichſtellungen, infolge jener Etikettierſucht, 
an der die Kritik in Deutſchland geradezu 
krankt, Waſſer auf die Mühle der Verleger— 
reklame leiten, bleibt nun kein neues Buch, 
zumal Schaffners, vor bem Umſchlagplakat, 
das den „Erben Gottfried Kellers“ anpreiſt, 
Kale Und doch tit, abgejehen von ber Tas 
chung über Srößenmaße, gerade fein neues 
Bud Der Dedhant von Gottesbüren, 
wie übrigens jchon frühere Werte, der 
lebendige Beweis für eine erheblich größere 
Innenverwandtichaft Schaffners mit Wil: 
helm Raabe, als mit Keller. Schaffners 
beite Bejtalten find immer Hungerpaitoren, 
deren Echnjucht weit über Werfeltaq und 
Umwelt hinauswächſt. Auch diejer Dedant 
von Gottesbüren ijt, fo gemeint, eine 
zwielvältige und ungelöjte Natur. Gein 
tatholiicher Glaube genügt thm nicht, eine 
ftarfe Neigung zu fünjtlerilder Betätigung 
auf ber einen, Das Verlangen nad) traulicher 
Menjdenwarme auf der anderen Seite füh- 
ren Gielen ſchwachen Charakter in die Irre 
und lajjen ihn beinahe in weltbürgerlichem 





Wohlgefallen jid) verlieren. Es ijt die be: 
fondere Kunſt Schaffners, diejen Dechanten 
hinter den Begebnijjen zu zeigen, wie er 
meijt nur feinen Schatten, den Schatten eines 
ernjten, fragenden, ringenden Menjchen, über 
die übrigen Gejtalten wirft: über feinen 
Neffen Heinz, den tatfriichen Feldjoldaten, 
über bie ftille Heldin Linde, eine der ers 
greifendften Mädchengeitalten ber neuen Lites 
ratur, und ihren menjdlid)-werblidem Gegen: 
jag, die abgebrühte Großjtädterin Rlinafe. 
Auf diefe rantevolle 9SBernunitgláubige, die 
von einer englijden Mutter jenieits bes Ra: 
nals geboren, in Berlin als Deutjche [id 
„gebildet“ hat, gieBt Schaffner bie ganze 
Schale feines Dichterzorns. Heinz ſchwankt 
zwilchen den beiden Boten der Weiblichkeit 
[ange þin und ber; daß er jdjieBlid) ber 
Klingje ins Garn geht, bat der Dichter nicht 
recht glaubhaft gemadjt, aber ber Lejer achtet 
faum auf folhe geheimen Einwände, denn 
die Tragödie der Linde ift mit einer Größe 
und riihrenden (Cdjidjtbeit geitaltet, da 
man völlig im Bann der Dichtung ftebt. 
Weiß uns dod) biejer wunderliche und wun: 
berliebe Poet fogar am Cterbetijjen eines 
armen Hundes beinahe zu Tränen zu rühren, 
— wie denn Ion im ‚Boten Gottes‘ die 
Todesizene des Hundes Stummel ein Meiſter— 
ftii war. Friſch und rein ijt Schaffners Sip: 
pofrene, Die groben Mittel rein äußerlicher 
Epannung, bie heute üblich find, verjchmäht 
er jo offenkundig. daß er aufregende Kampf: 
ſzenen aus dem Kriege an ben Anfang jtellt 
und dann zu Stillen häuslichen und jeeliichen 
Kämpfen abbiegt, ohne uns Dod) zu ermiiden. 
(fr vermeidet aud) den herfommilichen Ab: 
ihlu. Daß feine Menichen, vor allem der 
Dechant jelber, zur Bejinnung über jid) jelbft, 
zur Einkehr und Lauterung gezogen werden, 
Diinft ihn bas Wejentliche. Stille Siegerin 
bleibt die Tote, Wn ihrer Bettitatt über: 
fommt ben Dedanten einmal die Sehnjudt 
nach ihrer herzhaften Natur, nad) ihrer ein» 
fachen Yebensfrömmigfeit. Wher er erfennt, 
„daß auch dies nur ein Symbol ijt, daß Die 
Wahrheit viel tiefer und jchwieriger leat”. 

Schaffner, der legtbinfichon in Gefahr war, 
ih in eine gewilje überlinnliche Manier zu 
verirren, ftelt mit feinem Dechanten wieder 
unter flarerer Tagesjonne. In feiner Stillen, 
fajt träumeriichen Urt, im fejten Glauben 
an die ewige Celbjternenerung im Weltge— 
triebe, führt uns diejer tiefgütige Poet feine 





Bronzebildwerf von Otto Pilz 


Perdegruppe | 


WESSSEHEIESEHE Karl Streder: Neues vom Biidertijih BZZZZZZZ 207 


Etwas frausföpfig und 
wunderlich, eigenfinnig und buntjchedig, aber 
aud) fchalfhajt und )celmijd) — ein gold: 
echter Humorilt. Er hat ein volles Redt, 
fid) über bie Klingje zu ärgern, wenn fie 
„aus einem ganz auf verjtandesmapiger 
Jtervenipannung aufgebauten allerneuejten 
Roman vorliejt, bejjen Figuren ſchon an jid) 
wie Ausbrütungen eines fiebernden Hirns 
wirkten, und Ddefjen Vorgänge unheimlich 
und wiiblend aus franfen Gründen aufbra= 
den, um ebenjolchen zuzutaumeln, während 
ein jchmerzlich überwacher Geiſt glofjierend 
über Dem Ganzen jchwebte, wie eine unfaß— 
liche ` Läjterung des Lebens und Gottes“. 
Sreilich jo fieht vielfach der von Urteilslojen 
und von eistalten Spetulanten angepriejene 
„neue Roman“ aus. 

Halten wir uns lieber an Dichter, die mit 
ihrem SHerzblut fchreiben, denen Liebe zu 
Menih und Tier, Brüderlichkeit zu Baum 
und Strauch ein natürliches Gefühl ift. Wie 
weiß uns gleich zu Beginn feines Romans 
Lufas Rabejam der Sjterreicher Rudolf 
Hans Bartjch mit einer jubelnden Bor: 
frühlingsitimmung zu ergreifen, die alle 
Kreatur liebend umfängt. Vian meint Klänge 
aus Ewald Strajjers ‚Vorfrühling' zu hören, 
wo über dem ‘Braujen der kühlen Lüfte in 
Knoſpenzweigen plößlich bas frilchgewajchene 
Eilberblaudes Märzhimmels auflacht. „Bom 
Mandelbaum,” heißt es da, „wehten Die 
Blütenblätter wie lauter £iebesbriefdjen fil 
bern in den blauen Himmel hinaus.“ Man 
freut fih nach biejem Auftakt in der Spans 
nung auf ein jugendfriiches Werf, wie die 
‚Zwölf aus der Stetermarf. Und wirflich 
bat Bartich hier eine Fortjegung jenes dichtes 
riihen Dlorgentraums verjudjt; wieder find 
nicht weniger als ein Dugend ſchwärmeriſcher 
Weltbiirger, liebe Taugenichtje und Eigen: 
brötler, auf der Suche nad) Blüd und Gott. 
ı Zutage liegt bie Anfnüpfung der Fäden: 
wir leben Othmar Kantilener wieder, den 
vielfach begnadeten und heimlichen Medi- 
zinmann, wie er, ein Bierziger jekt, vom 
(Grabe der Frau von Rarminell fommt, bieles 
damals wunderjichönen Frauenrdtjels, bas 
nun gelöft im Erbbegräbnis liegt. Beinahe 
wäre Othmar, als er träumend und ganz in 
Bedanfensverjunfen vom Grabe zurüdtehrt, 
von einem Ddaberjaujenden Kraftwagen über: 
fahren worden, in dem ein junges, elegantes 
Herrchen fit — fein natürlicher Sohn, ber 
zum Grabe feiner Mutter fährt, der Frau 
von Rarminell... Ein Sinnbild? Die Ju- 
gend überfährt das Alter? Man denft an 
den alten yona: in Sohn Gabriel Bork: 
mann — ad), um es gleidh herauszuſagen: 
man denft an fo vieles in biejem Roman, 
was man anderswo gelejen hat... Es ift 
unbejdadet aller Vorzüge, die aud) dies 
Werf auszeichnen, bod) eine bei Bartjch dies» 
mal befremdende Erjiheinung, dak er fait 
alles aus zweiter Hand gibt. Freilich hat 
er bei fih jelber die metten Anleihen oe: 
madt. Aber [eine Wiederkehr zu jenem 


bejonberen Wege. 


Frühwerk mutet an, wie wenn jemand den 
Einfall hätte, eine Studentenliebe nad) zehn: 
jähriger Zwilchenzeit plößlicy nen einzu: 
füdeln... Ramen nicht bieles Erzöfterreichers 
allerliebfte Anmut und diberitrómenbe Ge: 
fühlsjeligfeit jo oft Dergerquidenb und ver: 
jöhnlich Dagwijdhen, man würde das Bud 
ablehnen und Bartich daran erinnern, dak 
er weniger Denter als Diufifant ijt. Denn 
bie Weisheit, bie Diejer Gottjucher-Roman 
predigt und Die feinen eigentlichen Inhalt 
ausmacht, ift nicht nur uralt, fie ift auch 
[don überzeugender begründet worden. Genes 
altinbijd)e „Das but du”, die Brüderlichkeit 
zu Bujd und Baum, Wolfe und Vogel 
bildet ben Rernpunft der Lehre Lufas Rabe: 
jams. Gebr jchön; aber, um bei ber Wahrheit 
Au bleiben, diejes Evangelium ijt zu albe: 
fannt und bier zu oberflächlich behandelt, 
aud) zu weichlich= werbilch verftandDen, um 
lößlich als ungeahnte Götterweisheit emp: 
unden zu werden. Wohl läßt es fic) den: 
fen, daß dieje Ntaturreligion, bte jedem Emp: 
fänglichen im Blute liegt, eine neue große 
Gemeinde fände, aber dann müßte ein Kün- 
ber von ganz anderer Beiltes- und Geelen: 
gewalt fommen, als Diejer dDürftige Rabejam 
und der hinter ihm ftehende Rudolf Hans 
Bartih. Zwar judjt er feine Lehre zu er: 
bóben und zu ftarfen, indem er aus aller: 
hand nahrhaften Fleiſchtöpfen najdjt; man 
findet Broden vom Meiſter (dart, vom 
heiligen Franziskus, von Angelus Silejius, 
aud) Teljtoi, Nietzſche und nicht zum wenig- 
Hen Seius tauchen wiederholt in der Erinne: 
rung auf, aber gerade wenn Lutas 9tabejam 
zum Bergprediger wird, und jo zum Ber: 
[eid) mit dem Wanderer aus Nazareth vers 
ihre erfennen wir feine Blößen. Und feine 
ganze Lehre mutet jchließlich wie ein pagi 
fiſtiſcher Abklatſch alles dejjen an, was von 
den Evangelijten bts zum heutigen Tag über 
grieden und Bottjeligkeit gejagt worden ijt. 
Das Icheint jebt billige Weisheit, wo wir 
alle von den Höllenjchreden diejes Daner- 
frieges entjegt find. Trokdem wiirden wir 
das Buch lieben, wenn nicht durch jeine 
Iheinbare Wärme ein falter Hand des 
Sajjes und der fleinlidjen Parteiltcdhfeit 
zöge. Wher es iit im Grunde ein Fehde: 
bud) gegen alles Norddeutſche. Wir wollen 
es Rudolf Hans Bartſch nicht verdenfen, 
daß feine Lieblings|tadte Rom, Salzburg, 
Paris und Graz find (wer liebte fie nicht ?), 
und wenn er von einem Staatenbund träumt, 
der Ojterreid), Bayern und Schwaben um: 
faBt, jo wollen wir ihn aud) darin nicht 
tören und nur ein [eres Lächeln über dieje 
weitblidende Wirklichkeitspolitikunterdrücken. 
Auch wenn er für alle Bolfer, Stämme und 
Rajjen liebevolles Verjtändnis 3eiat, nur bei 
Den Ytorddeutiden ein ihm typilch erjchei: 
nendes „in Reih und Glied” bejpöttelt, mit 
feiner Sympathie aber jogleich wieder be: 
ginnt, Jobald er weiter nordwärts fommt, 
zu den Dänen — find wir ihm nicht aram. 
Seder Dichter bat das Necht, feine Liebe 


208 Karl Streder: [3E3L3L32 3232 3333 eet 


und jeinen Sab offen zu befennen, und ich 
wenigjtens behalte mir demgegenüber das 
Redt vor, ihn aud) bann nod) als Dichter 
zu |düten, wenn er meinem Bolfsijtamm 
egenüber unhöflich ober ungeredyt wird, 
Selbjt im ſchlimmſten Fall ijf uns da nod 
ein befreiender Blid nad) oben und ein lei: 
jes: o sancta simplicitas heimliche Abwehr 
genug. Aber gegen offenfundige Geldjid)ts: 
fälſchung wird man fih jdjlieBlid) bod) wohl 
nod) wehren dürfen. Bon ſolchen Fäljchun: 
gen nur ein paar: „Diterreich hatte beinah 
allein die dreifache Ubermadjt des Reiches 
der zermalmenden Ziffern (Rußland) auf: 
guhalten.” Oder wenn Bartſch es fo bar: 
Wellt, als ob in den Gebirgsfampfen die 
Siterreicher bie eigentlichen Kämpfer, bin: 
gegen die „Hurrarufer“ und „oltelbijchen 
Etrammijteher“ (jo!) lediglich bie ſchikanöſen 
Nörgler in Uniformvorjchriften gewejen 
wären (S. 284f.). Es wäre leicht, gegen 
Dicje Ungeheuerlichkeiten in drei Zeilen eine 
Gegenrednung aufzumachen, Die einiger: 
maßen erdrüdend wäre, es brauchte nur 
nad) den Schidjalen von Serbien, Rumä— 
nien, Rußland und Italien in btejem Kriege 
gejragt zu werden — aber es Diepe dod) be: 


denklich tief hinabjteigen, in Diejer großen ` 


Zeit, wenn wir um Heldentaten feiljchen 
wollten. Lajien wir Bartjch feinen Glau: 
ben: „Wir SÖjterreicher find berufen, die 
beutidje Seele zu erlójen"^ (S. 235). Wir 
wünſchen nur, daß wir pon piejer Erlöjung 
bald etwas jpüren möchten, vorläufig Debt 
Bartſch jefber mod) nicht jonberlid) erlöjt 
aus. Wierft er denn gar nicht, wie er feinem 
anzen Buch das Fundament weggräbt mit 
iejem blinden Hap? Wie? Du Autos 
Rabeſam-Bartſch prebigit uns die alver: 
jtebende Brüpderlichfeit zu Pflanze und Tier 
uno du but nicht einmal innerlich groß und 
[ret genug, deinen menjchlichen Bruderjtamm 
zu verjteben, weil er es jeit Jahrtauſenden 
nicht jo leicht hatte, wie ihr Südländer, 
jondern im Kampf mit harten Wintern und 
magerem Boden ernjter, berber, methodi: 
iher, im Kampf mit raubgierigen 9tad)batn 
joldatijder wurde?  Grloje dich felber erft, 
du Armer, ehe Du uns ben Weg zur Er: 
löjung weijen willſt, laß uns deine eigene 
Liebe jehen, ehe Du uns ein Evangelium 
der Liebe prebigjt. Das find ernite Fragen, 
man Jon jie nicht mit Schwärmerei ins 
Blaue und mit Flötenjpiel, Die vier Jahre, 
die wir als treue Bundesgenojjen aushalten 
mußten, waren bitterlich jchwer, aber fie 
waren aud) aroß und erbebend. Wer 
im vierten biejer Gabre von Höbenluft 
\hwafelt und dabei jelber in den menjch: 
lichen Miederungen Hohler Prahlereien, 
neidiider Kleinlichfeiten und Nebenbuhler— 
gefühle fibt, Der macht Feine fonderlich be: 
netdenswerte Figur vor Mit: und Nachwelt. 


Aber es verjohnt, daß diefes im Smnerjten - 


ja doc) Ichließlich tiefmelodijde Poetenweſen 
in feinem Vertrauen wie in feinem Abſcheu 
nod) ganz jugendlich — trog feiner fünfunde 


vierzig Jahre — Ichwärmt. Ohne Wirklich: 
feitsjinn, obne erfennbares Ziel wie ohne 
Technik über|djwingt das Wert in weichli.ver 
Blüdsjehnjucht. Bartjd) ijt ganz und gar fein 
„Realpolitifer“, er verfennt die Völker, von 
denen er ſpricht, völlig, Jofern De feine Mad: 
barn feiner engeren Heimat find. Co rühmt er 
an ben Englandern ihr „Berjtändnis frem: 
ben Wejens“, an ben Franzojen ihre Ritter» 
lichkeit gegen den Feind, und als bie Grazer 
Bataillone unter dem Jubel der Bevölkerung 
blumengeſchmückt in den Krieg ausmarjchier: 
ten, läßt er gerade eine Schwedin eine 
\pöttilhe Bemerkung dazu maden. Er fennt 
aljo bes Englanders hochmütige Berachtung 
und Abweijung fremden Wejens nicht, nicht 
die durchaus unritterliche Art, in Der, we: 
nigitens in biejem Kriege, bie Franzoſen fid) 
ihren Feinden gegenüber gezeigt haben, er 
weiß nicht, daß gerade ein Schwede der legte 
ijt, ber ausziehenden Kriegern nachjpottet. 
So haben wir die beruhigende Gewipheit, 
daß des Brazers völlkerpſychologiſches Urteil 
auch über feine norddeutichen Bundesgenoj:» 
jen arg an der Wirklichkeit vorbeijchießt, wir 
belächeln feine Ausfälle als Wlujifantens 
3 — behalten ihn als Dichter gern und 
chätzen auch in dieſem Buch ſeine noch im— 
mer frühlinghafte Jugend ebenſo wie ſein 
nächtlich ſtrömendes Gefühl, das im Mond— 
glanz aufleuchtet, und endlich ſeine weitaus— 
geſpannte Sehnſucht, die wie ein Regen— 
bogen über allem Geſchehen ſteht, jo hod: 
gemut und ſo buntfarbig. 

Bon bem im Wärzwind flatternden Man— 
tel bes Nie Schülers wendet fid Der 
Flid auf einen jauber gebürjteten ſchwarzen 
Gehrod. Zu Menſchen von gebiegener Kul- 
tur, ererbter und gepflegter, führt uns Er nft 
Zahn in feiner Erzählung Nacht. Aber 
die barter bel aed die nicht nur in Dem 
Dargejtelllen Wenjchenfreis, Die auch in 
Zahns Stil und epijd)er Gorm jo angenehm 
berührt, hindert ihn nicht, zur Tiefe hinab: 
zulteigen, wo das unbegreifliche Cdjidials: 
walten der ewigen Mütter wohnt. Geine 
Nacht‘ ut fein mondbeglänztes Zauberreich, 
es ijt Die furchtbare Jtad)t des Blinden. 
Arme Spes, bie bas Blüd an der Seite Des 
Sugendgejpielen Chrijtlieb ſucht. Suerjt 
zwar findet fie es, als aber ihre Augen er: 
blindet find, ba verlieren fie aud) dieſes 
Glüdes Spur, ber geliebte Mann wird 
langjam, aber unabwendlid) zu der jüngeren 
Echweiter hingezogen, einem Hellen Rind 
mit frohen Yugen, das aud) vollfommen 
findlid) nod), feiner Neigung entgegentommt. 
Es ijt bas 3artejte an Diejem zarten Buch: 
die Schilderung Diejer heimlichen Däntmter: 
ae unb Wandlungen der Ceclen, das 

Kehrloje diejer im Grunde guten und auf: 
rechten Menichen gegen ein unerbittliches 
Schickſal. Der jeclijdhe Tajtlinn der Blinden 
tit jo fein, daß fie Die Wahrheit jchon fühlt, 
bevor die beiden anderen fie noch erfannt 
haben und ehe fie jelber fie begreifen tann. 
Wie dieje [tillen Helden des Alltags dann 


9*999099000000000000009000000900009000000900009000900000009000000900009000900000000090000900000000000000000000099000000000000000 





Pergola bei Cappuccini. OSlftudie von Prof. Carl Leopold Vok 


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ee EES SEH Neues vom Biidertijdh I2€«342434243€343«3«3«24|. 209 


langjam und ihre Wunden verbergend wie: 
der zu dem gangbaren Weg des Rechts au: 
rüdgelangen, erreiht in der Daritellung 
jene Höhe verinnerlichter Erzählungskunſt 
nicht ganz, ijt aber immer nod) jo jchlicht- 
ergreifend und echt, Dag man diejen Roman 
unbedenklich zu ben jeelenvolliten des volts- 
tiimlihen Schweizers zählen tann. Als id) 
das Bud) ausgelejen batte, fam mir eine 
Erinnerung an meinen legten Aufenthalt in 
Göjchenen. Zwei Jahre vor dem Kriege 
war's. Im großen Wartejaal des Bahn: 
bofs ging Ernjt Zahn einer würdigen frem- 
den Dame entgegen, nahm ihr das Hand: 
täſchchen ab und geleitete fie freundlich 
plaudernd zum Ausgang. Unvergeßlidy ijt 
mir dieje Dienitleijtung, weil in ihr eine 
nicht zu bejchreibende innere Bornehmbeit 
lag. Auch jeine Bücher find gute Wegweijer 
für frauen. Er führt ficher, denn er tennt 
die Wege, bie er geht, er erfreut Durch gue 
ten Anjtand, er weiß unterwegs zu unters 
halten und mand einer nimmt er ficherlich 
dabei nod eine fleine Lajt ab. 

Bon biejler ſchlichten Natürlichfeit wäre 
Georg Hermann etwas zu wünjchen. Er 
wird es nicht glauben wollen, er wird 
es entidjieben beitreiten, daß aud) er „Ge— 
müat“ bat, aber ich fage es ihm gerade 
auf den Kopf zu. Er ſucht fein Herz zu ver 
jteden hinter Wikeleten und einem überlege: 
nen Gatyrlddeln oder hinter etwas probig 
vorgetragenen Runjtfenntnijjen, aber fein 
beiter Tag wird bod) ber fein, wo er ein: 
mal ganz [till und bejcheiden feiner unver: 
jtellten Empfindung folgt. Auch in feinem 
neuejten Roman Einen Sommer lang 
vermeidet er es durchaus, uns über feine 
äfthetilchen Studien im unflaren zu laffen. 
Aber gerade als ein joldher Kenner müßte 
er wijjen, daß der Stil und Klang, Der fei- 
nen Biedermeier-Erzählungen recht gut Honn, 
fih nicht ohne weiteres auf das Jahr 1899 
übertragen läßt. Die Kleinmalerei und Ctri- 
chelfunjt, der müde rejignierte Ton feiner 
Syettdjen: Gebert' s Romane Debt unjerer Zeit 
nicht an, jelbjt nicht im Eichenjchatten des 
Wildparfs, wo der Roman fpielt. Der Roz 
man? Ift es denn einer? Der Rerfajjer 
verneint es. Er beginnt: „Dieje Gejchichte, 
die feine Bejchichte ift“... und er bat recht 
damit. Dak Annchen und Hannden Linden: 
berg verlobt find, die eine mit einem an- 
gehenden Redtsbeflijjenen, bie andere mit 
einem angehenden Schriftiteller, gehört zur 
Borgeihichte. Daß fie fih, um die Cent: 
lichteit zu vermeiden, einen Sommer lang 
im Wildpark bei Potsdam aufhalten, würde 
die eigentliche Gejdidjte ausmachen, wenn 


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während bieles Sommers wirklich etwas 
geichähe. Aber obgleich ber junge Schrift: 
Heller immer ein in Der Nähe befindliches 
Unglüd wittert, obgleid ein wirklicher Gelb|t: 
morb beiläufig vorfommt und die Liebes» 
epilobe bes Baumeilters zu einer Kleinen 
itilen Tragödie oder genauer gejehen: Zragi- 
fomödie auswadjt, jo berührt Das uns und 
die eigentlichen Hauptgeftalten bod) taum, 
fie leben ahnungslos in ihrem Gommerverjted 
dahin, und am CdjluB des Buchs find wir 
eigentlich nicht weiter als am Anfang. Aber 
dieje gutbürgerlichen Berliner find treffend 
gezeichnet, und, trot bem gejuchten Cartas: 
mus, bod) mit heimlicher Liebe. Mitunter 
fällt einem bei Hermanns Träumereien das 
Wort bes Zarathujtra ein: „Doch wer fih 
vor meinem Dunfel nicht jdjeut, der findet 
aud) Rojenhange unter meinen Zypreſſen.“ 
Das Bud) ijt nichts für ben Durchſchnitts— 
lefer. Man muß fid) durch viel gejuchte (Get, 
reichelei und gezierten Spott den Weg bab: 
nen, um zu biejen Rojenhangen zu gelangen. 
Es ijt ihade, Dak Georg Hermann das rechte 
Bindemittel feiner teilweije jehr bedeutenden 
künſtleriſchen Bejonderheiten fehlt: wirklicher 
Humor. Was er bietet, ijf Humorerjaß ... 
Wenn diejer gute Beobadter, der wirkliches 
Gefühl bat, nur nicht immer nod) glauben 
wollte, er müjje es hinter herbeigequaltem 
Spott veriteden. 

Suht Hermann in „Jüßem, feligem Ver- 
proe einen Gommer lang“ (Liliencron) bie 

ot unjerer Zeit zu vergeflen, jo ſucht der 
weniger zujammengejeßte, nebenbei adjtund: 
ſechzigiährige Rihard Bok ihr auf ben 
Grund zu gehen. In feinem Roman Das 
Haus der Grimani ift er bejtrebt, ben 
Unterſchied zwijchen deutſchem und franzöli: 
Idem Weſen Harzulegen, ihre Unvereinbarteit 
nachzuweiſen. Zu diejem Behuf nimmt er als 
Gegenjage Oberbayern und Monaco, [djilbert, 
wie ein deutiches&delfräuleinindervornehmen 
Brüfjeler Penjion durch die Freundſchaſt mit 
einer Franzöſin und |páter Durd die Liebe 
zu threm Ieidjtjertigen Gatten in bie Gefahr 
der Verweljchung gerät, aus der fie durd) 
ihren Wetter Hanns Wolfram, den baye: 
riihen Jungherrn, errettet wird. Die Skiz— 
zierung Der franzöliichen Riviera ijt bas Beite 
an dem Buch, aud) ber bejtridenbe Glanz 
bes vornehmen pBarijertums mit feinem 
inneren Wurmjtich ijt Der gezeichnet, in 
allem übrigen bleibt die Erzählung ber: 
tómmlidjer Durchjchnitt, oft wird die Hand 
des Zeichners fahrig; im allgemeinen aber 
lieft ji) der Roman gut für jemand, der 
nichts weiter als ein paar Stunden leidlicher 
Unterhaltung jucht. 







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ON [9/7 © 
TUN 


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e Slluftrierte Runoͤſchau e 


OtCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC 2 33332233333239239333323323322333333333233333332322220?032:230 


Die Verfteigerung der Sammlung von Kaufmann — Zwei Büher vom 

&un[tjlammeln — Bevorftehendes auf bem Runjftmarft — Vertaufsergeb: 

nijje ber großen Runftausjtellungen im Sommer 1917 — Prof. Carl von 

Marr zu S REN 60. Geburtstag — Münchener Kriegsmedaillen — Bu 
intern Bildern 


CEET 

































Die Sammlung von Kaufmann und ihre Verfteigerung in Berlin am 
4. bis 6. Dezember. Bon Gebeimrat Dr. Wilhelm von Bode 


Hie Verjteigerung der Sammlung bes vor zeigte fid) bie 
etwa adt Jahren verftorbenen Profer Sammlung in 
jors Rihard von Kaufmann war ein Er: ihrer ganzen 
eignis nicht nur im Runjthandel, jondern Bedeutung als 
jelbjt im Berliner eine  33ereini: 
Leben, aud) in gung von ed) 
Diejer aufgereg: ten und zum 





Lippo Memmi, Mtadonna 
Erworben um 700 Mart, bezahlt 
mit 68200 Darf 





ten Rriegszeit — 
vielleicht jogar in: 
folge Derjelben. 
Ter [jtarfe drei- 
bändige Katalog 
in feiner willen: 
ſchaftlichen und 
doch fnappen Be: 
handlung mitden 
gutenLidtdruden 
fait aller Gegen: 
itánbe (etwa 600 
Nummern), Die 
Dauer und der 
Andrang zur 
Ausitellung wie 
der Verlauf und 
Erfolg ber Bers 
lteigerung waren 
gleich jenjattonell. 


Die Sammlung war in Berlin freilich wohl: 
befannt; ber Beliger, ber durch nahezu fünf: 
undzwanzig Jahre daran gejammelt hatte, 
hat fie jederzeit gern gezeigt und für zahl: 
reihe Ausijtellungen außerhalb Berlins be: 
reitwilligjt eine Auswahl daraus zur Ber: 


fügung geftellt. 
lung im alten Ge: 
zejlionsgebäude, 
in bem  [ieben 
Oberlid)tráume 
mit ber Gamm- 
{ung gefüllt was 
ren, eine fiber: 
rajdjung jelbit für 
mandhe, Die fie 
aus dem Kauf: 
mannſchen Hauſe 
kannten, in dem 
ſie zu ſehr ge— 
drängtund mande 
Stücke zum Teil 
als Dekorationen 
verwendet waren. 
In dieſer ge— 
räumigen, gu— 
ten Aufſtellung 


Trotzdem war die Ausſtel— 


Teil ausge— 
zeichneten 
Werken der be— 
ſten und man— 
cher ſehr in— 
tereſſanten 
Meiſter vor 
allem der alt— 
niederländi⸗ 
ſchen, wie der 
deutſchen und 
zum Teil auch 
der italieni— 
ſchen Schule 
des 14. bis zum 
16. Jahrhun— 
dert. Und mit 
den Gemäls 
den Hatte Ris 


dard von Kaufmann 





Carlo Crivelli, Legendenizene 
Erworben um 200 Dlart, perfauft 
um 42350 Wart 


in ähnlicher Zahl 


Werfe der Plaftit wie der Kleintunft u 


bes Runftgewerbes der gleichen 


eit und 


Schule jomie eine Anzahl guter Möbel und 
Deforationsftiide vereinigt, die im großen 
und ganzen den Gemälden an Wert zwar 
nicht gleichtamen, aber bod) eine Reihe her- 
vorragender und feltener Gtüde entbiel- 





Linkes Gd ber Predella mit der Drufiana-Legende von Lauro Padovano 
Auf ber Verfteigerung der Sammlung Kaufmann mit den beiden anderen Stüden 
der Bredella an den Rronpringen Rupprecht von Bayern gelangt um 165000 Mark 





peooeeseeeeeseeep Sluſtrierte Rundſchau 211 


ten und ſich mit den 
Bildern zu einem 
einzigen Ganzen 
verbanden, wie es 
aus Diejer M in 
deutihem Privat: 
belih, wie es jelbjt 
in England oder 
Frankreich in diefer 
Mannigfaltigteit 

und joldjem Reid- 
tum nicht zum zwei- 
tenmal vorhanden 


war. 
Dak die Verfteige: 
rung einer folden 
Sammlung ſelbſt 
vor dDemRriege einen 
^ = bei KE Breis > 
zielt haben würde, 
ne, A e 
e, SD Mick matter War zweifellos; aud; 
Berfteigerung bezahlt mit 46000 Mt. war die Mindeit: 
Ihäßung von mehr 
als drei Millionen Mart, zu der die Firma Caffirer 
& Helbing der Familie den Berfauf garantiert haben 
jol, nicht übertrieben mit Rüdficht auf bie während 
des Krieges außerordentlich gefteigerten Preije und 
bie immer zunehmende Knappheit der „Ware“. Aber 
der Erlös der Verfteigerung — fajt zwölf Mil- 
lionen Marl, wozu für die Käufer nod) 10 Prozent 
Aufihlag hinzukam —, die höchſte Summe, bie 
bisher auf ir: 
gendeiner Runft- 
verjteigerung ets 
reicht worden ift, 
überftieg bod) die 
libniten Hoff: 
nungen oder — 
Behitdtungen 
um das — 
te, ja faſt um das 
Dreifache. Das 
Ergebnis iſt für 
die Beteiligten 
ewiß hocher⸗ 
Freut, für un: 
ere Kunſtver—⸗ 
hältniffe aber 
lebr betrübend, 
ja zum Teil jogar 
tief bejchämend! 
F op * Sep ~ Die allgemeine 
an Tt, nts 

Grö SK x 98 om Bon Gebeimrat p. reife cng —* 
Kaufmann um 1250 Markt eingetauſcht, tle gegenuber 
bezahlt mit 374000 Mart der Zeit, in der 

die Sammlung 

ie Medie worden ijt, ift ja begreiflich und 
redjtigt; bas Verſtändnis für bie ernjte primi: 
tive Kunſt ift jeither jehr gewadjen und hat fih all 
mábfid) in weite Rretje verbreitet, unb damit ijt 
aud) bie Bewertung ber Werte diejer Kunft ehr 
gefttegen. Dennoch iit es phantajtijd, daß burd) 
die Re BAER als bas Zwanzigfadhe von 
dem, wofür die Sachen erworben find, erzielt wor- 
ben ijt. Nicht etwa faliche Reklame burd) ben 
Ratalog, der vielmehr ganz fritijd) und zurüdhaltend 
abgefaBt war, aud) nicht fünjtlidje Treiberei ober 





— — 





nee üble Angewohnbeiten mancher 
uftionen waren ſchuld daran, piel: 
mehr war die Leitung der Verfteigerung 
eine vorgliglide, durchaus angeme)» 





Aleji. Moretto, Bildnis des Mt. M. Savelli 
Bezahlt mit 220000 Mart 


ende Yublifum, der Mangel an Ge: 

mad, bie Unfenntnis des fünjtle: 
rijchen wie bes Marftwertes und vor 
allem bas aufdringliche PBrogentum, 
bas jid) vielfad) dabei geltend machte. 
Gang — ür bas Runt: 
verjtändnis der Raufer war die 
Gleicdgiiltigfeit, mit ber fie mit bem 
Gelde um jid) warfen, wie der Um: 
(tanb, daß gerade bie Zahl der ge: 
wöhnlichen und felbjt die wenigen 
ſchlechten Stüde unjinnig bod) bezahlt 


en die Schuld trugen allein bas tau- 









Altarflügel von Gerard David. Sn Genua 
erworben um etwa 110 Mart, auf der Ber: 
fteigerung bezahlt mit 115500 Mart 








— Bruegel, Das Schlaraffenland 
Auf der Merfteigerung bezahlt mit 341000 Mark 


worden find. Selbſt eine 


Fälſchung, bie im Ka: 


talog und fogar vom Verfteigerer ausdrüdlich als 
ſolche bezeichnet wurde, erreichte nod) einige Taufend 





Dirt Jacobsz, Bildnis eines Man: 
nes. Bezahlt mit 111100 Mart 


Mart. Zahlreiche 
Gegenjtande, die 
einige Hundert oder 
höchſtens einige 
Taujend Mark wert 
waren, wurden auf 
Zehn: oder felbjt 
auf mehrere Zehn: 
taujend Mark ge: 
trieben. 

Auch die beiten 
Bilder wurden fait 
ausnabmlos um 
das Doppelte oder 
Mehrfache ihres 
Wertes überzahlt. 
Ich nenne nur das 
kleine Porträt eines 
alten Mannes, das 
mit Au Igeld um 
374000 Wart von 


einem Händler erjtanden wurde, während es Der 
Beliger um 1250 Mark von einem biejigen Gomm: 
ler eintaujchte, ber jehr wohl wußte, daß es fih 


um einen echten Roger handelte, 


ausjchied, weil die Er: 
haltung idjledt war 
und eine jtarfe Nejtaus 
ration verlangte. Frei— 
lid) waren die Preife 
damals — vor fajt Dreis 
Big Jahren — für 
primitive Bilder im all: 
gemeinen febr gering. 
So habe id) bie zwei 
Flügelbilder von G. 3a: 
vid für Herrn v. Kauf: 
mann jetnergeit in Ges 
nua aujammen um et: 
wa 110 Mark erworben 
(verfauft mit 115500 
Mart), die Madonna 
von Lucas von Leyden 
etwa um 90 Warf (ver: 
faujt zu 154000 Warf), 


Nicolas Froment, 
worben um 1240 Mart, als Das höchſtbezahlte Bild verfauft mit 429000 Mart 


> KC u — 1 * " Ka * 





Illuſtrierte Rundſchau BESSSessesesseessd 


die Madonna von L. Memmi zu 700 
Mark (verkauft zu 68200 a 
den reizenden fogenannten Crivi 
u 200 Markt (vertauft zu 42350 
Dart), den [ogenannten Froment 
zu 1240 Mark (verfauft zu 429000 
marty, ben B. Strigel zu 380 Mart 
(verfauft zu 71500 Mark), den G. 
Schiavone zu 700 Mart (vertaujt zu 
46000 Mart) uff. Diejen Riejenge: 
—— ſteht kaum bei einem eingi en 
mal an jin ein Berlujt, nidt ein: 
an Sa gegenüber. 
der Beute aus der Berfteige: 


* "Hat das Ausland nicht unwejent- 
lich teilgenommen. Holland bat bird) 
die Sammler Onnes und Frau Kron: 
ner nahezu für eine Million (bant 
unjerer ſchlechten Valuta immer für 
die Hälfte) einige der beiten früh- 
niederländilchen Bilder 


erworben, 





Geburt Chrifti vom Aeri er der Dirgo inter 
Birgines. Wom GStadelj 
aber das Bild Frantfurt a. M. erworben um 100100 Mart 


den Muieum in 


= ————- 
—— — 


Auferweckung Lazari. Von Geheimrat v. Kaufmann er— 


A Muftrierte Rundidau BSSSSSSSS3334 213 


ebenſo Nor⸗ 
wegen 
durch den 
ſehr ver— 
ſtändnis⸗ 
vollen 
Sammler 
Langaard, 
ber feine 
Sammlun: 
gen Der 
StadtEhri: 
jtiania ver: 
maden 
wird, vor 
allem aber 
Öfterreich, 
wo bie Käu⸗ 
fer faft aus: 
ſchließlich 
Kriegsge⸗ 
winnler 
ſind, die ſich 
erſt als 
Sammler legitimieren müſſen. Nahezu ein 
wiinftel (den SIE nad, nicht nad dem 
künſtleriſchen Wert!) ijt in Deutjchland ge: 
blieben. Die große Menge biejer Ctüde ift 
nicht an Gamm: 
ler oder a Pek 
gegangen, fon: 
dern nur zu viel 
an Leute, die 
auch eine Erin» 
nerung am Die 
Berfteigerung 
en und ihren 
amen unter 
den Gteigerern 
genannt willen 
wollten. Bon 
unjeren altbes 
währten und bo: 
2 auch in der 
emejjung der 
Preije vorlichti- 
en Sammlern 
Babe fih fajt 
nur bie Herren 
Dr. von Pann: 
wig und Dr, 
Eduard von Giz 
mon, unter den 
neueren der jehr 
eifrige, aud 
iero bi Giovanni Tedesco, höchſte Preiſe 
ngelsfigur von der 1586 aer: nicht ſcheuende 


itórten ettet inte abe. 
Bon Generaltonjul von Wein: Otto Henfell in 





Hans von Rulmbad, Bildnis 
Dem Kaifer Friedrid:Mujeum in 
erlin zugefallen 





berg in Frankfurt a. M. erſtei— Wiesbaden, 
gert um 127600 Mart Chillingworth 
in Nürnberg und 


Buſch in Mainz mit Erfolg an der Auktion 
beteiligt. Unjere Mtujeen — kräftig mitge— 
ſteigert und haben, dank der Unterſtützung 
ihrer Gönner, auch eine kleine Zahl der 
wichtigſten Bilder erhalten, freilich gleich— 
falls zu allzu hohen Preiſen. So das 





Städel:Mufeum in Frankfurt (neben der 
Ihönen bemalten Bronzeplatte) die treff- 
lichen Bilder von Bojd) und bem “feta a 
der Virgo inter Virgines”, bie Pinafothef in 
Münden das Schlaraffenland vom alten 
Pieter Bruegel, das Germanijde Mujeum 
in9türn: 
berg ben 
logen. 
Schüch⸗ 
lin (nicht 
ſehr teus 
er), die 
Dresde⸗ 
ner Ga: 
lerie ein 
paar der 
Bilder 
von Lus 
cas Cras 
nad) b. 
Plt. Das 
vielleicht 
aller: 
beite 
Bild, die 
rößte 
redella 
von U. 





£ucas Erana% b. d. Bildnis 


Bon ber Dresdener Galerie getauft um 
Mans 83600 Mart © 


tegnas 
ak odd id in Padua, Lauro Padovano, 


wurde erfreulicherweije bird) Prof. Otto Lang 
fiir Den Rronpringen von Bayern gelichert, und 
zwar zu einem Preiſe, der keineswegs über: 


"trieben genannt werden tann. Prof. Lang jteis 


— für die Pinakothek auch den Bruegel und 
eteiligte ſich lebhaft an den Bemühungen, 
die Mittel für den hohen Preis durch Bei— 
träge von Muſeumsgönnern zu gewinnen, 

at aber keineswegs — wie ihm zu ſeinem 

chrecken nachgeſagt worden iſt — das Bild 
ſelbſt der Pinakothek geſchenkt. Die Ber— 
liner Muſeen wären leer ausgegangen, da 
ſie auf ein paar der für ſie wertvollſten Stücke 








Leuchterengel in Holz aus Niederbayern, um 1530 
Dem Kaiſer Friedrich-Muſeum in Berlin zugefallen 


214 13( Illuſtr ierte Rundichau 3E3:3:383:373:323 30373234 


weit überboten wurden, hätten wir uns nicht 
bier mit Beihilfe am Katalog unb — nicht 
am wenigjten — an der Zujammenbringung 
der Sammlung vorher einige der für uns 
bejonders wichtigen Bilder und Gfulp: 
turen als Gejchent ber 
Familie von Kaufmann 
unb der Auftionsfirma 
lie die Heine Dias 
onna auf der Rajenbant | 
in der Art des Meijters cc er- 
von Flémalle, bas Jüngs GÄ 
lingsportrat von H. von 
Rulmbad, bie ganz 
frühe bóbmijde Kreu- 
jigung, die beiden leudes 
erhaltenden Engel und 
einen mit (rett den Gra: 
vierungen — gejd)müdten 
Rlappaltar aus Metall. 
Die Wirkungen diefer 
fBer|teigerung werden fih 
alsbald geltend machen, 
und zwar feineswegs in 
erjreulidjer Weife: die 


( Wi 
bh 
A. Kä, S 





Reliquiar aus dem 8. 


nehmen. Für bie Beliger werden fid) aber 
infolge des Yirgers und der Mißgunſt, welche 
die hohen *preije in weitelten Kreilen des 
Rublitums hervorgerufen haben, noch weit 
empfindlichere Wirkungen herausitellen, die 
auch für die öffentlichen 
Runjtiammlungen die 
fibeljten Folgen Haben 
fónnen. Die Pläne zur 
Beiteuerung des Gun, 
zelt ee unjthandels, 
der Auktionen uff. werden 
von neuem porgebradjt 
werden, ein Antrag auf 
ein Ausfuhrverbot von 
Runjtwerfen ward in ben 
Zeitungen verkündet: ba 
wird es einen harten 
Kampf fojten, damit Die 
Runftjammlungen und 
die Kunſt bei uns nicht 
ſchwer gejchädigt werden. 
Zurzeit müjjen wir, wie 
wir ben Kriegsgewinn- 
lern bie Ganje, Fett und 


fpreije werden wieder ahrhundert andere Nahrungsmittel 
außerordentlich) fteigen, egablt mit 1067 Dart überlajjen müjjen, um uns 
bie Ware bei den Kunfthändlern wird mit Wrufen, ftadtijher ‚Leberwurjt‘ unb 


taum zugenommen haben, da fie bet den 
hohen WPreijen nur wenige Ctüde für [id) 
erwerben fonnten, bie Abgabe guter &unjt: 
werte aus WPrivatbejig und ihr Abzug 
nad) dem 9[uslanbe wird dagegen nod) Au: 


Grjabitofjen zu begnügen, aud) mit Erjaß: 
funft zufrieden fein. Wir hoffen aber, daß mit 
dem Frieden allmählich wie ein Bänjebraten, 
jo aud) ein Kunſtwerk dem einfachen &unit: 
freund wieder erjdjminglid) werden wird. 





Stanalpfeife ber Danziger Scifierinnung, Cilberarbeit aus Dem gern bes 16. 
Auf ber Berfteigerung der Sammlung Kaufmann beaab 


Bie pronen Verfteigerungen ber legten Zeit | gujammenfaft. 


aben jelbjtverjtändlich 

bas Sntereffe weitefter Kreife 
po So e wohl ange: 
racht, bie Aufmerkſamkeit auf 
fleine Bände zu lenten, 
ie vom Runftjammeln erzäb: 
len. Der eine [tammt aus der 
bewährten Feder unjeres Mit: 
arbeiters Dolph Donath, 
en über „Biychologie bes 
unjtjammelns” und liegt be: 
reits in 2. Auflage vor (Ber: 
lin, Rihard Carl Schmidt 
& Gol: ein febr gejcheites, 
auf gründlicher Beherrichung 
des ganzen Ctoffes und viel 
perjonlider Erfahrung auf: 
A Buch, bas die gejamte 
ntwidlung des Sammel: 
wejens |darfundeindrudsvoll ` G 





tof. Carl von Marr, der Pra: 
dent der Mün 
genoffenidjaft, feiert 
urtstag am 18. 


abrbunberts. 36 cm lang 
t mit 66 Mart 


Der zweite — „Das Runft: 
jammeIn^ von Lothar Brieger 
(Münden, Delphin : Verlag) 
— führt recht praftijch in bas 
gleiche Gebiet ein; er betont 
weniger die gejchichtliche Seite, 
bringt dafür aber anregende 
Einzelheiten über einzelne 
Sammelzweige, wie a. B. Dies 
tallarbeiten, Reramif, oftafia= 
tijdhe Kunſt. — Übrigens ift 
bie Zeit der großen Beriteiges 
rungen feineswegs abgeichloj: 
jen. Es fommt aunádjit im 
Februar bei Cajfirer & Helbing 
die berühmte + erfiner Gomm: 
lung von W. Gumpredt an bie 
Reihe, bie u.a. außer Holzbild— 
werten und Porzellan einen 
etwas umftrittenen Hobbema, 
einen fleinen feinen Teniers 


ner Riinftler- 
einen 60. 
ebruar 





b. 5%, einem 
Mierevelt, ei: 
nen Nicolas 
Praes bringen 
dürfte. Bedeu⸗ 
tender wird bie 
Bemäldejamm: 
lung des Kül- 
ner Frhrn. v. 
Oppenheim im 
Märg auf den 
Markt wirten, 
Fe ai 1914 
x verſteigert wer: 
wegen, oma oe den ge te, aber 
bei Rriegsauss 

Wir haben ba: 





bruh guriidgezogen wurde. 
mals (September: 
heft 1914) ausführ- 
lich die fojtbare Ga: 
lerie gewürdigt, bie 
vielleicht nicht bie 
geldliche Schäßung 
der Sammlung 
Kaufmann  errei- 
chen, aber jedenfalls 
auch ein ‚Ereignis‘ 
wird. Rud. Lepfe 
in Berlin bat die 
Berfteigerung über: 
nommen. — Daß 
übrigens aud) die 
heutige Runjt nicht 
gerade jchlechte Ta: 
e bat, lehren bie 

gebnijje ber gro: 
Ben Ausſtellungen 
bes Jahres 1917. 
Co überjlügelte ber 
Münchener Glas: 
palajt mit einem 
Erlös von 1 147 500 
Mark alle früheren 







Borderieite 


tunft 


Silujtrierte 9tunb|djau BS3SS3S33S33334 215 





Die Ranke: 
ſchmiede 


Denkmünze 
von Karl Goes 


Schaumünzen auf den Weltfrieg. IMuftrationsproben aus dem Werte „Die Münchner Medaillen: 
er Gegenwart. Bon Dr. Max Bernhart (Verlag von R. Oldenburg in München) 


Erfolge; Die 
Diijjeldorfer 
Wusjtellung er: 
gab nahezu 
600000 Warf, 
in Berlin wur- 
de von 313 
Nummern et: 
wa ein Drittel 

verfauft. — 
Unjer treuer 
Gönner und 
zen rof. 
orl v. Marr 
in Wünden, 
SBrüjibent der 
dortigen Riinjtlergenojjenjhaft und damit 
Seiter ber Ausſtel— 
lungen im Münch— 
ner Glaspalajt, 
feiert am 18. Fee 
bruar feinen 60. (5e: 
burtstag. Ein 
Deutjch - Amerika: 
ner fam er 1878 zu 
uns und ijt em 
uter, echter Deuts» 
cher geworden, fei: 
ner Gejinnung und 
| jeinem Schaffen 
nad. Über Weis 
| mar und Berlin zog 
er nad) Münden, 
wo er jid) bald ganz 
ſeßhaft madte. Sm 
Sommer 1889 be» 
tiindete er mit 
Einen gewaltigen 
Gemälde ‚Die Fla: 
ellanten‘ Ruf und 
ubm und ijt bis: 
d im jteten Auf: 
ieg geblieben, jo 





Dentmünze von Gan Wyſocki 
Orüdieite) 







Rückſeite 


216 BSSSssSssSsssssss] Mlujtrierte Rundjdau 


verjchiedenen Zielen und Aufgaben er, ber 
linermüblidje, zuftrebte: in wundervollen 
dekorativen Werten, in vortreffliden Bild: 
nijjen, in gedanfen= und gejtaltenreichen re: 
ligtöfen Bildern, in fejjelnben Allegorien — 
unjerer Bejten ei: 
ner! Möge ibm 
ein reichgejegneter 








en end, s mF A — 
üllt wie bisher | Ne C 
von ftraffer Ar: Hine À 
beit, werden! — — WENT" A 

Sm kunftfrohen ac In FAJA 


München bat auh 
bie deutſche Dent- 
und Schaumünze 
einen neuen ftar- 
fen Aufihwung 
genommen, vornehmlich in ber Ridtung, 
bie den daraftervollen Guk an bie Stelle 
der Prägung fegen will; die Anjtalt von 
Georg Hitl wirtte bier babnbredjenb mit. 
Wir bringen eine Anzahl neuer Kriegs: 
medaillen, die zum "Beien gehören, was 
die Zeit hervorgebradht bat. Gie mögen 
gleichzeitig als Beijpiele ber jchönen bild» 
lihen Ausitattung gelten, die bas auf S.215 
genannte Werk auszeichnet. Auf 64 Bilder: 
tafeln, die 419 Abbildungen vereinen, bietet 
es eine höchſt ſchätzens⸗ 
werte Überſicht, ber ein 
jadjfunbiges Begleit- 
wort vorangejtellt ijt. 
Möge das jdjone Bud) 
bem ,BVolfslied der 
Skulptur‘, wie man die 
Schaumünze wohl oe: 
ngnnt hat, neue Freuns 
de gewinnen. — 

em  fiinjtlerijden 
Schmud des vorliegen: 
den Heftes gibt das 
Gejamtwerf Robert 
Sterls, bes ausgezeich- 
neten Dresdeners, wohl 
bas ftarfite Geprage. 
Unjere Lefer werden 
ihre Freude haben an 
Den farbenpradtigen 
Bildern, die aud) die 
jcheinbar — einfadjiten 
Borwiirfe mit Leben: 
digkeit und Kraft erfüllen. — Unfer Titel: 
bild bringt das Bildnis der Frau Prinzejlin 
. Adalbert von Preußen, geborenen Prinzej: 
jin Adelheid von Sacjen- Meiningen. Prof. 
Walter Peterjen, ber Düfjeldorfer Meijter, 
fand eine danfbare und mit erlejenem 
Geihmad durchgeführte Aufgabe in ber 
Wiedergabe der ſchönen Züge ber anmutigen 


Denfmii 








ne von Adolf Daumiller Ar: : 
Münchner Medaillentunjt, Verlag R. Oldenburg in München) 


ZtEP ELTE ` 
rett 


red rg 


8 P nd f 
: " 
S Y ia- 





Denkmünze von Ludwig Gies 
(Aus Bernhart, Münchner Medaillenkunſt) 








Nachdruck verboten. Alle Rechte vorbehalten. Zuſchriften an die Schriftleitung von Velbagen & Klaſings 
Monats heften, Berlin W 50. — Für bie Schriftleitung verantwortlich: Hanns vou Zobeltitz in Berlin. 
— Für Sſterreich-Ungarn Herausgabe: Frieſe & Yang, Wien I. 
Frieſe, Wien I, Bräunerſtr. 3. Verlag: Velhagen & Klaſing in Berlin, Bielefeld, Leipzig, Wien. 
Drud: Fifer & Wittig in Leipzig. 





Be See St SF Sh SO St Sl SO SS SSIS 


Fürſtin, der Gattin unjeres jugendlichen 
Ceehelden. — Gleic) einer Erinnerung an 
vergangene Jahre wirkt bas Rarnevalsbild 
von Prof. Hans Loofden in Berlin (nad) 
©. 152 eingefügt). Eine Erinnerung, die 


man auch jest 
— 


nicht miſſen möch— 
te, ſowenig, wie 
a 


man den 9tüdblid 
auf fröhliche Ju— 
genbtage entbeh« 
ten fann. — Ob 
wir freilich jobald 
wieder zur Sphinx 
pilgern werden, zu 
der Eugen Ojjwald 
eine broll:ge Kara: 
wane führt (zw. 
©. 176 u. 177), bleibe babingejtellt; Voraus— 
jehung wäre, daß bie vielgeliebten Bettern 
jenjeits bes Yirmelfanals artig flein beigeben 
— aber aud) das wird fommen! — Und bei 
der Wanderung nad) dem Lande, in bem Die 
ar onen blühen, find wir ja jchon ein gut 
Stüd Wegs vorwärts gelangt. Das hüb— 
Kr Pergolabild vom Prof. Carl Leopold 
of, bas wir hinter Sette 204 einjdjalteten, 
mag bie Sehnjudt derer verjtärfen, die ihr 
iones Geld im Lande Stalien wieder los 
werden wollen: ich pil: 
gere, wenn die Friedens 
taube erjdienen ift, 
nach ber dalmatinijchen 
Riijte! — Robert Hahn 
errapte mit ſcharfem 
Blid bas gefeierte Dres: 
dener Gtriegler: Quart- 
tett, bas jo mancher Ve: 
jer und monde Lejerin 
bewundert haben wer: 
den (zw. ©, 112 u. 113). 
— Cin zweiter Dres: 
dener von hohen Gaben, 
der Bildhauer Otto 
Pilz, gab uns eine 
jtolze Gruppe bau: 
mender Roffe (nad) 
©. 184). und endlidy fet 
nod) der fräftigen Ra: 
dierung von Prof. Cons 
rad Cutter in Mün— 
chen Ge ©. 168 u. 169) 
ebadjt. Der Künjtler |piegelt hier ein 
tüd ber Hindenburgfront ab: bas alte €aon 
mit ber Kathedrale. Geit er bas ſchöne 
Blatt jchuf, ijt bie Zerjtörung über bie ebr: 
wiirdige Stadt hereingebroden. Aber nicht 
dur bie vielgejchmähten Barbaren und 
Hunnen, jondern durch frangojijde Granaten 
von Wiljons Gnaden! H. v. Sp. 


s Max Bernhart, 


— 








Verantwortlider Sdriftleiter: Cie 





Gattin unleres 
Gleich einer E 
abre wirkt das Bee 
ns Loolden im Beda ie 
ügt). Cine Fo) 
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Lier? Ber “By vi 
—5*— do [ene deutihe Ge: 
ven € eH - e in Venetien und 
N —* A taut, Bon Prof. Dr. Eduard 
bur WW y Dende 295 
pden! A E: den Berliner Theatern. 

* est ` on Kari Gtreder. Mit fed 
—— LX, Bildern in Tondrud nad) 
ente cuit A e agmen ber Berliner Sllujtra: 
en ze, Kë 1 in ejellidjaft, von Frig Rihard 

AE a nb von Sanber.9abijd)in Berlin 300 
^E t alte Hauptmann. Kriegs: 
iw X E von Grid) Wentjcher 311 
$ m Wellengrab. Brit von 
| » Btieda Jenjien . 318 
x “les vom Büchertiic. Bon 
f sil Karl Streder . 319 
1 Unittierte Rund] hau: Farbig 


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33232332232222223022030020323 


Monatlid ein Heft zum Preiſe von 2 Mart. 


Su — durch alle Buchhandlungen und Poft- 
anftalten. In Der Seitungspreislifte der Deut den 
Reihspoft unter —— & Mi lafings Mouarsye re“ 
—— das erſte Sch (September) fann 
einzeln burdj bie Poft- nitalten ezogen werden. 





i 


" Seite 
pots Graff. Bon Dr. Max Os 
Bern. 5 leds (FinidjaItbilbern 
Gi fimiles und Tondrud mus 
cn teilweije "Ee 
* ane nad Werfen 
217 


Denie, Seele Roman von qo» 
hannes Höffner (Fortjefung) 229 
T preuBildje Politit auf 
me Wiener Rongreh. Bon 

- Prof. Dr. Paul Herrein Leipzig 255 
er unt in ben Bad. Er: 

ect Hlung von Aug ufte Supper 260 

€ 








ni é 










zum. Gedicht von Frik 
264 


d einmal —: Rriegsbil: 
A Dom ber Oftfront. Zehn 
in aide von Amandus Faure 
on an miles Wiedergabe. Text 
f Brandt. 265 
Goethe 4 a Harz. Bon arl 
Sternaux - 273 
Der Shug auf bem Bardan: 


pas alt“ iol. Eine Erzählung aus Alba: 


CCCCECECECCECEECCECEK C EE CC ECL EO CCECECECEECCCCECECCECCCCECCCCEECECE Ce é «EC C CK $cCeceucesecevecescecconsceccesce EE E EE 


Se Stoffe ber Oberheſſiſchen 
tenindujtrie — Modelle der 


PESÉSCEEECCKV€€6£6€22222222222 222222222222222 


"YR. 





tetet tet ccecc 


ceceeceeccerceercecr(ecece ceetee 9999993999: 







































































— 


Magdeburger Aunfigewerbefiin 
Fachklaſſe Pe ee 
Betender Krieger, Bildwerk voy 
Sje Plehn — Krie — 
der Stadt Berlin- ilmersd 
Radierung von Elfriede 3 
Ianbt — Rene Sifberarbeiten 
Friedr. Schmid in Nürnberg = 
Arbeiten in Silber und inn v vol 
Hans Frei in — — Zu unſern 
Bildern. . . . — e. 
Runjtbeilagen: B 
GrüfingobannaGrbmutbvo 
Bünau, geb. von Shönfe 
Gemälde von Anton Ge a 
Fallimiledıud . . AA 
Des Rünftlers Gattin mit ihr m 
Tihterdhen. Gemälde von Ane 
ton Graff. pei 22- 
Graf Johann Hilmer 9Lbolpl 
von Schönfeld, Gemälde 1 von G 
Anton Graff. Fakjimiledrud 2 
Der Schaujpieler Konrad t Ete 
hof. Gemaldevon Anton Gre fT. 
Fakſimiledruck . . 
Stilleben. Gemälde von Rude f 
Otto. Fatfimiledrud . . 2 
Das Teehausim Partvon Core 
vey, Gemälde von Prof. Frans 
Hoffmann: Fallers eben, 
gatjimiledruð `. . 248- 
Damenbildnis. Gemälde von 
Carl Hans Shrader- Bel gen: 3 
gatjimilebrud . . a 
3m Sd neefturm, Genie por $, 
Otto Frang. Fatfimiledrud 2 288- 


Einjchaltbilder: 


Heinrid X., Fürft Reup Bis 
terer Linie. Gemälde von At Gë 
ton Graff. Tondrud . . 2 

Schiller im 8. Lebens “fine 2 
Gemälde von Anton f. 
Tondrud . . 

Aus deutihen Landen: Seims 
fehrende Schafherde in‘ 
Liineburger Heide Künfe 
lerijhe Wufnahme von R. gie: Ss 
Tondrud . 
Deutſche Friegsſchiffe 
Dejel, Künſtleriſche un er 
von Dr. §.Spteth, Marine-Dbe 
Aſſiſtenz— ett d. Ref. . > o ee 


Selbſtändige Textbilders | 


Bildnis von Geheimrat Prop 
Dr. Theodor Birt. Ravie ing. 
von Hermann Kätelhön se 

Gantt Georg. Radierung vow 
Wilhelm Fahrenbrum we 


n * 
* 


Umſchlagzeichnung und Buchſch ef: 
Heinrid Wieynd in Dr 


Snjerate. 


Worberer Angeigente il 
darunter folgende Sonderabtellungent 


Tidterpen{tonate. . 229 2 
linterri dtsanftaltem, H 
$eilanitalten . . 222 + 
$ jotels. e e ion . BEBE . 
Unzeigenteil am Schluß. * 


Uus Dopis tata 


CCEEECCECCCECKCCCECCCECCCCCO32222222020ÍÜAI 


> = - = a ep — — — — — — e —— — — — —— 
— Fs — — ber ua — —, — ET rm — —— —— — ae — — MÀ — — P— "H —— nen » — E 


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t 


cL BWXARMS EEE BEE es EEE SERIE oae aie Eu 5 











Welhanensklafin 
EE, 


eber: Hanns von Schu A 
Pound Baul Defar höcker 


32Jabta. / CJtlárz1918 / 7.Beft 


Rosse en an — 


— Graff Don Dr Max Osborn 


mas ijt bas Weſentliche künſtleriſcher Reichtum, um [jid rings auszubreiten. — 
E Strömungen, daß fie nicht nur die Die Deutiche Kunſtgeſchichte weiß davon 
N (8 Kier Kc Ynjchauungen über ein Lied zu fingen. Solange die Alleinherr— 
e Ziele und die Mittel ber Runjt Ichaft ber afademijdhen Syſteme währte, die 
überhaupt und ihrer Gingelgebiete von der amtlichen Kunftauffaffung zu Bes 
umgejtalten, neu befruchten und 
mit vordem ungeahnter Kraft 
künftigen Lebens erfüllen, jon- 
Dern zugleich ber gegenwarti- 
Eton für weiteStref- 
und Bezirke ihrer Bergan- 
et, die bisher im Duntel 
SCH, Die Augen öffnen. Fede 
Epoche bat nicht nur ihre 
‚moderne Runft‘, jondern auch 
ihre ‚moderne Runitgeichichte‘. 
Die Stellung zu den Grund: 
edanfen und ben Meiſtern 
r früheren Zeit verjchiebt 
dh, Gefeiertes und Um- 
wärmtes Jinfen im Wert, 
ernachläjligtes und Bergan- 
u fteigen zu neuer Schät— 
gung empor, WBerborgenes 
wird ans Licht des Tages 
gezogen. Keine Generation 
mmt allein mit der Runit 
aus, Die fie erzeugt, Die 
durch ihre Jugend ganz von 
felbjt den Charafter des Pro- 
blematijdjen nod) nicht ab- 
Aach bat. 9tad) einem Nta- 
b irejon. jehnt fie fich zualeich 
öglichfeiten zurückblik— 
fend zu genießen, Zujammen: 
hänge zwijchen dem Einft und 
pem Heute herzujtellen, das 
eigene Streben Durch Bezie- 
moon zu Schöpfungen der 
orzeit fejter im Boden zu ver: 
anlern. Nicht nur neue Ten: 
dengen tauchen auf, jondern, 















e 



















: ^ : Selbitbildnis des &tünitlers im 58. nt ae N 
avett umfajjender, ein neuer Ausichnitt aus dem Gemälde in ber Dresdener Galerie 


fielbagen & Klajings Monatsheſte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2.80. 9iad)trud verboten. Goyycigbt 1918 by Belhagen & Klajing 15 


218 Iesse ees) Dr. Max Osborn: (Bi3s3See3s333333384 


ginn bes 19. Jahrhunderts abjtammten, [hien 
Die gejamte Arbeit der bildenden Riinjte des 
18. Jahrhunderts jo gut wie gar nicht vor: 
handen zu fein. Was jenfeits bes Klaſſizis— 
mus lag, wurde falt völlig totgelchwiegen. 
Die alte Anſchauung, daß ` mit Carjtens 
eine Neugeburt der beutidjen Kunſt vollzogen 
pone, jceint unausrottbar. Giner der be: 
annteften älteren Berliner Architelten er: 
ablte mir einmal, wie Rihard Lucae feinen 
Schülern, von ihnen ftiirmijd bedrängt, nad) 
langem Gträuben einen Bang durchs Ber: 
liner Schloß bewilligte und am Portal, ehe 
bie Belichtigung begann, bie Wißbegierigen 
ftrengen Antligesmit der Mahnung begrüßte: 
Aber bas age ich Ihnen, meine Herren, alles 
bejehen und — jofort wieder vergejjen!‘ Den 
klaſſiziſtiſch erzogenen Architekten de Ba e: 
lindes Grujeln über ben Rüden bei dem Ge: 
danken, er Tonne dazu beitragen, daß feine 
zur von den Bazillen ber Schlüterſchen 

arodfunjt angeftedt würden. Er ſchauderte 
davor zurüd, angehende Baumeijter vor die 


Friederife von Helldorf geb. Gräfin Hobenthal. 





madtigen Schöpfungen Ddiejes Genies zu 
telen und jo möglicherweile mitjchuldig 
aran zu werden, daß jie ‚verwilderten‘. 
Was hier für bas Gebiet der Architektur 
und der dekorativen Plajtif galt, traf aud) 
für die Malerei zu. Die afademijche Über: 
— hatte auf das Zeichneriſche und Kom— 
poſitionelle, das der K lie als bejtim: 
mendes Element neueingeführt hatte, Jo hohen 
Wert gelegt, daß man die außerordentlichen 
malertjchen Qualitäten ber voraufgegangenen 
Zeit iiberjah. Merkwürdig, wie lange fih 
diefe Srrtürmer hielten. Sie reichten bis 
ans Ende des 19. Jahrhunderts und [djienen 
nod) Geltung zu behalten, als bie Runftan: 
Ihauungen, aus denen fie hervorgegangen 
waren, láng|t abgedanft batten. Gie blie- 
ben einfach danf einer allgemeinen Bequem: 
lichkeit am Leben, und erft als man nad) 
1900 die — der neuzeitlichen Malerei 
BEL zu betradten begann, fam der 
mjdwung. Nun erfannte man, daß bie 
malerijden Anjchauungen der Gegenwart 
nitt vom Himmel her: 
abgefallen waren, jon: 
dern bas Schlußglied 
einer langen Entwid: 
lungsfette darjtellten, 
daß feit bem 17. Jahr: 
undert, alfo feit der 
berwindung Der$30d)- 
renaijjancefun|t durd) 
eine wejentlih auf 
e: unb Licht ge: 
telte Malerei, eine ein» 
ige gerade Linie in 
larer Fortführung 
bis auf unjere Tage 
reichte und ber Klaffi- 
ismus nur eine Unter: 
redjung Ddiejer logie 
iden Entfaltung be- 
deutete. So erſchien 
plötzlich die ſchöpferi— 
ſche Tätigkeit des 18. 
Jahrhunderts in neuer 
Beleuchtung. Aber es 
dauerte ziemlich lange, 
bis man einigerma— 
ßen überſah, was hier 
alles an wirklichen 
Werten vorhanden iſt. 
Kein Wunder; denn 
die SN Oe im 
heutigen Sinne ijt ja 
eine Tochter eben jener 
Beit, Die bas Bor: 
urteil gegen bie Ro: 
en gebar. Die 
Forihung hatte fid 
bisher jo gut wie gar 
nicht mit bielem met: 
ten Gebiete beichäftigt. 
Es fehlte völlig an 
Vorarbeiten, und fo: 
bald man die allgemei: 


Gemälde nen Vorjtellungen, die 


Wee Anton Graff SH Z ZI AZAZ 219 


mam aus gelegentlicher Bejchäftigung mit 
Werfen jener Seit gewann, fejter begründen 
wollte, tappte man im Dunfeln. 

Erjt jebt liftet id) ber Schleier allmáb: 
lid), nicht zu guter Legt dant ber großen 
Ausjtellung, bie in Darmjtadt im Sommer 
des Syabres 1914 veranitaltet ward unb für 
die der Ausbruch des Krieges einen jo jähen 
Abbruch bedeutete. Hier empfing man zum 





Heinrich XII., Fürft Neuß älterer Linie als Erbprinz. 


Gemälde 


erftenmal einen zujammeufaljenden Über: 
blid über bie beutjdje Malerei von etwa 
1650 bis 1800. Die alte Wuffajjung, dak 
der Dreißigjährige Krieg, deffen verheerende 
Folgen wahrlich nicht unterichägt werden 
Dürfen, ber gelamten fiinjtlerijden Zeugungs— 
fraft Deutjchlands mit einem Schlage den 
Garaus gemacht habe, galt allerdings jhon 
lange nicht mehr als unbejtreitbarer Leitjaß. 


15* 


920 ee Ee) Dr. Max Osborn: ([2424343434343534343€ 3424243521 


Eine pit, bie in ber Baufunjt Werke hers 
vorgebradt hat wie bie Schlöſſer, A en 
unb Klöſter, bie nad) bem Weitfäliichen 
— emporwuchſen, konnte auch in der 

alerei nicht ganz und gar verſagt haben. 
Gewiß, der große 3eitabid)nitt ber deutjchen 
Stenatjfancefunjt war dahin, und ohne die 
graujigen Stürme des enblojen Religions: 
frieges hätte Das 17. Jahrhundert bem 16. 
nicht bie Wage halten fónnen. Der unge: 
heuere Berlujt an nationalem Bermögen, 
an Bolfstraft und Kultur, das Hereinbre- 
den von Not und Teuerung, Selbjtjudt und 
Noheit mußten fid) auch im Niedergang der 
Künfte fpiegeln. Wher der unterjdyäßt dod) 
die angeborene Macht des deutichen Beiites, 
ber annimmt, es fei nun mit allem zu Ende 
gemejen. Schon bas wadjende Bedürfnis 
nad) bem höfiſchen Bepränge, das fih ge: 
rade um 1700 in den Reſidenzen der zahl: 
lojen deutjchen Füriten nad) Parijer Muſter 
bemerkbar madjte, jette engere Beziehungen 
au Runjt und Künjtlern voraus, als wir fie 
lange Zeit für möglich hielten. Man braucht 
uur auf Berlin zu bliden, das erft unter 


König Friedrich August I. von Sadjen 
Gemälde B nainis am Taſchenberg in Dresden 





dem Großen Kurfürften und feinem Sohne, 
dem erjten preußilchen König, zu einer Refi- 
Dengitadt von anjehnlichem YWupern heran: 
wuchs — um zu erfennen, daß man bei der 
Beurteilung diejes Zeitraums mit der For: 
mel vom Untergang alles Schönen nicht 
auskommt. 

Das 18. Jahrhundert aber hat ſchon nach 
dem, was wir heute davon kennen, geradezu 
eine neue Blüte hervorgebracht. Die Nach— 
wirkungen des Krieges waren auch jetzt noch 
nicht überwunden; ie. über ein Jahrhun— 
bert jollte es dauern, bis fie völlig wieder 
eingeholt wurden. Die politiihen 3ujtánbe 
in Deutjchland waren auch jet nichts meni: 
ger als erquidlich, und an Kriegen jeblte es 
wahrlich nicht. Trotzdem war bie Zeit von 
Kunſt erfüllt. 

Die Malerei hatte daran einen ftattlichen 
Anteil. Und wie immer feit dem Begin 
ber Nenaijjance, zu deren wichtigſten Dierk» 
malen bas Wiedererwachen ber menjchlichen 
Perjonlidfert gehört, riidie aud jet Das Por: 
trät in bie erjte Linie. Max Liebermann bat 
einmal das hübjhe Wort geprägt: ‚Das 
Bildnis tjt der Parade: 
marjd) des Riinjtlers’ 
— das [timmt von 
Giotto bis heute. Rein 
guverlajjigerer Grab: 
mejjer Iápt fih finden, 
als die Art, wie Der 
Künftler lid) au ben 
Individualitäten fei- 
ner J3eitgenojjet per: 
hält. Die gepflegte Bor: 
tratfunjt, bie nun bas 
endende 18. Jahrhun: 
dert erreichte, gibt uns 
allein einen Maßſtab 
für die Höhe der male: 
riihen Kultur der Zeit. 

ine Reihe von Ein: 
elausftellungen haben 
in ben legten Jahren 
hierüber aufgellärt. 
Borab die beiden Un: 
ternehmungen in Gad): 
jen; bie Leipziger Bor: 
trátid)au von 1912 und 
bie Dresdener Bedächt: 
REDE E von n: 
ton Graff tm Jahre 
19183. Daß Gadjen 
dabei in ben Border- 
grund tritt, ift Durch: 
aus begründet. Denn 
der Hof der Wettiner 
war einer ber bedeut: 
jamiten Mittelpuntte 
fürftlider Kunſtpflege 
in ganz Deutjchland. 
Anton Graff war uns 
allerdings aud) vorher 
fein ‘Fremder mehr. 
Shon lange hatte bas 
neuerwachte Interejje 





Heinrich XIII, Fürſt Neuß älterer Linie. Gemälde von Anton Graff. 


m ..n....n...:.u.nun...:..u..n.m..:.:...„................©. 
mg 


eegeeeeeeegëgëgeeeegeëgeeeeegeegeegggeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeegegeeeseggeegegegeeeegesgegggesegesegeegszseggeeseeggeeegeegeeeseeeesesdeaegeeessressg 


SOS SSOSOSSSSSSESSSOSSSSSSSSSSHSOSSSSSSSSHSSSSHSSSS eeeegegeeeeeggggegggegeegegeggggegeggeegeegeestegggeegeeegepeegeeezseegg 





Jac LIERANY 
OF THE ` 
ae "` LINGIS 





Henriette Craven geb. Leveaux 
Gemälde im Mujeum zu Weimar 
für Die Zeit vor und um 1800 fi 
mit ibm bejchäftigt. Aber nun erft 
erfennen wir mit voller Deutlich: 
feit, was er in Wahrheit bedeu- 
tete: ein großes Zujammenfajjen 
ber Runjtiibung des Jahrhunderts, 
einen *Brennjpiegel malerijcher 
Strömungen, in dem fih bie 
Gtrahlen der — 
der — und der künfti⸗ 
gen Malerei treffen. Gein Lebens: 
werk zeigt uns, wie die Kunſt ſeiner 
Zeit noch im Höfiſchen wurzelte, 
wie fie Dann aber, energijd) aus: 
ten die weiten Kreije bes 


ürgertums in ihren Bann 309. 


(8 zeigt uns — und Dos eine 
hängt mit dem anderen aufs in: 
nigite zufammen —, daß bie Lies 
benswürdigfeit und Anmut des 
Rofofo langjam in bie Schlicht- 
beit eines Jachlichen Realismus 
überging. Reine Rede davon, daß 
Graft etwa jolde Wandlungen 
bewußt vollzogen hatte. Er ift 
ein redlicher Sohn feiner Tage, 
ein &ünjtler nod) im alten guten 
MWerkitattfinn: ein treuer Diener 
feines Sandwerfs. Rein geift: 
reicher Umftiirgler, ber ben Ge- 
jchmad feiner Zeit jelbftherrlich 
Silbe ig jondern mehr der 

olljtreder eines allgemeinen Ent: 





8 


Gemälde in der S 


| 221 


RATE saad eg; von dem er fih 
tragen läßt. an braudt Graff 
nid)t num pag wieder maßlos zu 
überjhägen. Golde Überſchweng— 
lichkeiten fee meilt nur einen 
neuen Rüdichlag zur Folge. Was 
Graff feiner Zeit und der Nachwelt 
gab, tjt ftarf und wertvoll genug, um 
eine ruhig abwägende Betradtung 
aushalten zu Tonnen, Man hat 
nicht nötig, verzüdte Xoblieder an: 
zuftimmen; man tann vielmehr 
ruhig aud) feine: Schwächen einge: 
jteben, um dann feine Vorzüge nod) 
lebbajfter zu empfinden. 

as jeinem Lebenswerfe für 


uns die bejondere Bedeutung gibt, 


ift bie großartige Reihe der Na: 
men, bie aus dem Katalog feiner 
Bilder tingen. Es war thm be: 
Ichieden, ber Bildnismaler ber glor: 
reid)jten Zeit deutſchen Gei[teslebens 
gu werden, und wir dürfen es als 
ein hohes Blüd preijen, daß bie 
Aufgabe, das 9Intlit der führenden 
Männer vom Ausgang des 18. Jahr: 
bunderts der Zukunft aufzubewah- 
rem, einen [oldjen Erfüller fand. 
Graff durfte Lelfing und Schiller, 
SE und Wieland, Gellert und 

abener, Nicolai unb Ramler, GeB: 
ner und Bodmer, den alten Mojes 





Der Aſthetiker Johann Georg Sulzer 
jth E a 8 


tbibliothek zu Winterthur 


299 ( Dr. Max Osborn: ([24343434343534343435343434 25381 


Mendelsjohn und den jungen Körner malen. 
Die norddentihen jyürjten, Politifer und 
SFeldherren der Zeit JaBen ihm. Und neben 
den Männern die anmutigen und geiltvollen 
Frauen der von Hidjten *Bilbungsinterejfen 
getragenen Epoche. Wäre es ibm nod) ver: 
gönnt gewejen, Goethe und SFriedrich ben 
Groken nad) dem Leben zu malen, jo würde 
die Galerie der Broßen feines Zeitalters faum 
eine Lüde aufweilen. Graff ward durch bie 
Gnade bes Cdjidjals für bie Zeit bes fride- 
rizianijden Preußen dasjelbe, was [páter für 
die Heldenzeit des deutſchen Raijerreids 
rang Lenbad werden jollte — nur daß der 
ältere Meilterin ber Redlichkeit und Treue, mit 
Der er fein Bildneramt verjab, ben jüngeren 
weit in den Schatten ftellt. 

Arbeit und wieder Arbeit tjt Grafis Leben 
gewejen. Für feine Hauptzeit hat er jelbjt 
ein Verzeichnis angelegt, das jeden mit hic: 
Her Achtung erfüllt. Danah hat er von 
1756 bis zu feiner Berufung nad) Dresden 
im Sabre 1766 nicht weniger als 270 Bild: 
nijje gemalt. Bon 1766 bis zu jeinem Tode 
1813 find es gar 943. Daneben fteht Die 
Rleinigfeit von 416 ‚Kopien‘, womit wohl 
in ber Sjauptiadje die zahlreichen Wieder: 


Ré Der Berliner Theologe Johann Joachim Spalding. Gemälde 





holungen ber eigenen Werfe gemeint find; 
jodann 322 Zeichnungen mit Silberitift, zu: 
met Vorarbeiten für die Bildnijje, und 
über 300 Miniaturen. Einige Landjdaj- 
ten und Radierungen fommen endlich) nod 
hinzu. Falt bis zu dem Tage, da er, ein 
Siebenundjiebzigjähriger, Die Augen jchloß, 
hat er Binjel und Palette nicht aus Der 
Hand gelegt. Gelbjt bas Augenleiden, bas 
ihn in jpäten Jahren immer quälender pei- 
nigte, fonnte feine Tätigkeit nicht ernitlich ge- 
fübrben. Er fannte feine andere 3Bejriebi: 
gung als emſigſte Prlichterfüllung, die thn 
jo febr in ihren Bann 30g, daß er für bas 
äußere Behagen des Daleins fait unempfind- 
lid) wurde. Geine Lebenshaltung war ein 
Mujfterbild rührender 9In|pritd)sIojtgteit. Die 
Malerin €uije Seidler, die uns durch Goethe 
und die Dresdener Maler Gajpar David 
Friedrih und Kerjting wobhlbefannt ijt, bat 
uns fein Heim in Dresden gejdjilbert: ‚Er 
bewohnte auf bem Altmarkte nur eineinziges 
großes Zimmer mit zwei jyen|tern. Dies 
war feiner ganzen Lange nad) durch eine 
ipaniidje Wand geteilt; in der einen Hälfte 
war des Künjtlers Atelier aufgejchlagen, bier 
hantierte er, bier empfing er den 3Bejud) der 
Mufe. In der anderen 
Abceilung hielt fid) fei- 
ne Familie auf; Diejer 
Raum war Wobn:, 
Eh: und Schlafzimmer 
— alles in einem.‘ Auch 
das ein interejjanter 
und —— Ge⸗ 
genſatz zu Lenbach, der 
in einem fürſtlichen 
Palazzo arbeitete. 
Deutlich erkennen wir 
daraus, wie Graff 
ſeinen Beruf noch als 
oe im edeljten 

inne erfaßte, und 
wie fein ganzes Wejen 
auf Einfachheit und 
Cadjlidjfeit geftellt 
war, alem Nebenwert 
abbolb. 

Dennod) muß man 
bei Graff oft genug 
an Franz Lenbach 
denten. Denn beide, 
durd) ein Jahrhundert 
getrennt, Wellen viel- 
leicht bie einzigen 
deutſchen Beilpiele für 
jene höchſte Gattung 
desBildnismalersdar, 
die feit Jahrhunderten 
in ben Niederlanden, 
in England, in Frank: 
reid) 3ablreidje Wer: 
treter bejaß: des Bild- 
nismalers, der um 
fein Lebenswert eine 
ganze  SBortrütfultur 
begründete und einen 





Dos kinfllers Ga ttin mitihrem Jochterchen- 


| Gomalde won Anton G 
Im Bej ih; des Kunft verons Zu Winterthur 


— e * 


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Jee Anton Graff BSSesessessssesssed 223 


angen Rulturabjdnitt in den Augen der 
Nachfahren ihren eigentlichen Ausdruck ver: 
leibt; der nicht nur mit überragender Be: 
gabung das Fad des Bildnijjes als feine 
einzige Spezialität ausbildet, jondern eine 
durchaus perjönliche Bildniskunft, bie zugleich 
den Kunſtgeiſt ber ganzen Zeit zuſammen— 
faBt, an deren beiten WBertretern erprobt. 
Und nod) einen weiteren Bergleichspunft 
ibt es. Go verjdieden die Art der beiden 
Menjchen und ihrer Kunſt im Grunde ge: 
wejen — auf einem Felde haben fie fih bod) 
getroffen: beide verfolgten in ihrer reifiten 
Beit den Weg, das Wejen ihrer Menſchen 
vor allem im Auge zu erfaffen, ihren Blid 
als ben Schlüjjel zu ben Geheimfächern ihrer 
Seele zu betrachten und zugleich als ben An— 
gelpunft der malerijdjen Anordnung. Es 
gibt von Lenbads Hand Studien und Gliz- 
zenblätter, bie vor der eigentlichen Dialarbeit 
entjtanden und im Grunde nichts wiedergeben 
als das Auge des Modells, ficher erfaßt und 
hingejegt, nur von wenigen flüchtigen Umriſſen 
des übrigen Antliges umrahmt. Bon Graff 
bejigen wir dergleichen nicht. Wher wir tönn- 
ten uns jebr wohl benfen, daß er jid) in ähn- 
lider Weije vorberei- 
tet hatte. Denn and) 
bei thm fibt bier bas 
Schwergewicht bes 

angen Bildplanes. 
$ lod merfwiirdiger er- 
jcheint ber Vergleich, 
wenn wir beobadjtert, 
daß Graff völlig wie 
ipáter Lenbad) in bie: 
jen Schöpfungen fei- 
ner Meijterjahre, das 
ganzeBildviered in ein 
Helldunfel babet und 
ben £idjtitrabl, ber in 
bie Schattenlagen her: 
einleuchtet, unmittel: 
bar auf bas Auge und 
jeineunmittelbare Um— 
gebung lenft. Zenbad) 
richtete (id) jpäter bei 
jolden Hellduntelfom- 
pojitionen unmittelbar 
nad den alten Mei- 
jtern, bie er jo oft fo- 
piert hatte, a er fie 
ichließlich faft |djüler: 
Baftnadjabmte. Grafi 
dagegen hat diefe Art 
offenbar ganz aus 
Eignementwidelt. Um 
jo tiefer und einbring: 
licher ift bte Wirkung, 
die er erreicht. 

Die Anfänge unjeres 
Meilters hielten [id) 
Durdaus in den Rich: 
tungen der Zeit. Der 
am 18. Jtovember 1736 
in Winterthur gebo- 
rene Maler empfing 





den eriten Unterricht in feiner jchweizerijchen 
Baterjtadt bei Ulrich Schellenberg, der ihm 
nicht mehr als die Grundlagen des Hand: 
werfs vermitteln fonnte. Früh bat Graff 
dann die Heimat verlajjen, zuerft in Wugs- 
burg fein Glück verjucht, wo er jid) mit dem 
befannten Rupferjteder Bauje zu gemein- 
jamer Arbeit verband, dann eine Zeitlan 

in München und Regensburg fih aujgebal: 
ten, bis er im Jahre 1766 als SNE 
nad) Dresden gezogen wurde. Diele Be- 
rufung war nicht nur von perjónlidjer, 
—5 — zugleich von funjt- und fulturges 
hidtlider Bedeutung. Graff ward in Dres- 
den für die Akademie gewonnen, bie zwei 
Sabre vorher begründet war. Es war 
ein alter Plan des ſächſiſchen Hofes gewejen, 
ber Damit erfüllt wurde. Kurfürſt Auguft II., 
zugleich König von Polen, würde feinen Liebs 
lingsgedanten wohl jhon früher in bie Tat 
umgelegt haben, hätten nicht bie Stürme bes 
Siebenjährigen Krieges bie Dresdener Kunſt— 
pflege völlig ins Stoden gebracht, Nun jtarb 
er im Jahre des Friedensſchluſſes 1763, und 
erft fein Nachfolger fonnte den Plan ver: 
wirklichen. Augujt II. hatte als Grundjaß 


Der Maler Daniel Chodowiecti 
Gemälde im Bett ber Königl. Altademie ber fünfte zu Berlin 


994 I Dr. Dax Osborn: 


ausgejproden, die Dresdener 9Ifabemie folle 
eine deutjche werden. Jet aber wurden fünf 
Italiener und zwei Frangojen in die Profej: 
lorenitellen berufen, jo daß Graff an dem 
jungen Snftitut geradezu die Aufgabe zufiel, 
bie nationale Kunſt zu vertreten und zu pfle= 

en. Denn der Schweizer, aus deutſchem 
ee entjprojjen und in feiner ganzen Art 
beutid) gejinnt, darf ruhig zu den Unjeren 
gezählt werden. 

In Dresden nun entfaltete er eine unge: 
mein geichäftige Tätigkeit. Er muß ohne 
Übertreibung vom frühen Morgen bis in die 
jinfende 9tadjt gearbeitet haben. Reichtiimer 
hater gleichwohl nicht gejammelt. Denn wenn 
wir aud) bet den Preiſen feiner Bildnijje, 
für bie er in den erften Jahren fünfundzwan: 

ig Taler, |páter faum je über fünfzig 
ler erhielt, den höheren Geldwert des 
18. Jahrhunderts in Anrechnung bringen, 
jo bleibt die Entlohnung immer nod) |pär: 
lid) genug — was jelbjt diejer bedürfnisloje 
Mann gewiß jdjmer empfunden hat. Wir 
begreifen darum jehr wohl, daß er bei den 
amtlichen Aufträgen, die ihm zuteil wurden, 
mehr mit der Hand als mit dem Herzen bei 
ber Arbeit war, und wirklich war alles das, 


Philipp Erasmus Reich, der Beliger ber Weidmannihen Buchhandlung 
in Leipzig Gemälde im Beji ber Univerjitätsbibliothef zu Leipzig 








was die große Dresdener Ausjtellung zur. 
GSäfularfeier feines Todes an reprüfjentati- 
ven Bildern vereinigte, verhältnism | 
nur von geringem Werte. Namentlich 
jebte der Inhalt eines Gaales in 3Rermun- 
derung, Der den höfiſchen Bildnijjen pom 
Graff eingeräumt war. Sm der Nusitat- 
tung war auf Diejen Raum  bejonberer 
Nahdrud gelegt. Aber was an den Wane: 


den hing, verjekte ben Beſchauer suf in 
Bong Auguft, feiner Gattin Marie Amalie: 
ugulte, der ‘Pringeffinnen Maria Anna ` 
und Caroline, des Rurfiirften und fpätes; 
ten Königs Anton und feiner Gattin, Des: 
Prinzen Clemens und des Prinzen Xaver, 
des Prinzen Karl unb des Prinzen Maxi- 
milian, und wie die hohen Herrſchaften 
alle hießen, find nichts als üblihe Schau— 
ftüde im Gejchmad ber Zeit, bie faum in 
einem Zuge eine höhere Begabung verraten. 
Lächelnd fühlte man nad hundert und bugs: 
dertfünfzig Jahren bie miBmutige Ergeben- 
eit, mit ber ber Künjtler an dieje ibm offen= 
ar herzlich gleichgültigen Aufgaben heran- 
trat. Daß die Kurfürften und Könige felbit, 
bei denen man Iebbajteres Interejje bes Maz 
lers vorausjegen fonnte, 
nicht bejjer gelangen als: 
ihre Familien und ihr Ho 
itaat, mag jeltjam 
ren. Aber es jcheint, dab 
Graff auch bier nur eben- 
ichlecht und recht ein Amt 
ausübte und fich nicht mit 
einem inneren Wejen ge 
eſſelt nd Eine eingi 

usnabme war GER Ä 
len: das Bildnis der z 
fiirjtin Maria Antonia, 
gorenei Pringejjin vor. 

ayern, bas mit den aar- 
ten Budertönen des Intar- 
nats, mit dem Diurdj[idti- 
gen Ihmargen Tülltuch 
und den koketten blauen 
Schleifen unterm Kinn, am 
Arm, an der Bruſt ein 
feines Stück Rotofomalerei 
bildete. Wielleiht oder 
— hatte an dieſem bef- 
eren Gelingen die Perjin= 
lidjfeit der Rurfiirjtin ih- 
ten wohlgemejjenen Mrt- 
teil. Bei ben anderen 
Fürftenbildern hatte man 
das Gefühl, dak zwijchen 
dem Model und dem 
Künftler ein ungeheuerer 
leerer Raum flaffte — 
Nae jo |djien es, war eine 

rüde ge|d)fagen. 

Beller fand fid Graff 
mit ben Mtitaliedern bes 
Wdels ab. Auch bierbet 
findet fid) genugjam Of- 
figielles, Unperſönliches 


Heiterkeit. Dieje Bildnifje des Ru 























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ISSN Anton Graff [(24i2:342:24242424232:242«2:340 295 


Uber die feine Kultur ber ſächſiſchen Aris 
ftofratte jorgte offenbar dafür, daß fid) zwi: 
hen ihren Mitgliedern und dem großen 
Künftler, bem fie jid) gegeniiberjahen, engere 
Beziehungen herausbildeten. Zwar für die 
Intimität ber Seelenmalerei Graffs fommen 
auch bieje Arbeiten erft in zweiter Linie in 
Betracht; aber eines fand er dabei, was fein 
Auge reizen und feinen Malerfinn entaüden 
mente! bie lo|tbaren &ojtüme ber vorneh: 
men Herrjchaften mit ben blaffen Farbenhar: 
monien ber Zeit, ben erfejenen Stoffen und dem 
amiijanten, zu allerlei 
Schnörkeln verwend: 
baren Stebentverf, 
den Rüſchen, Spigen, 
Stidereten, Borten, 
Periiden, Orden und 
Shmudjtüden. Cine 
elegante, gepfente, 

| orglam: 
gemalte Por: 
trüátgelellidajt mar: 
idiert bier auf. Etwa 
Graf Schönfeld, jadjis 
iher QGejanbter am 
Wiener Hofe, im roten 
Ctaatsrod. Oder ber 
prächtige Johann Ge: 
orge Chevalier be Gas 
xe, furfiirftlicber Feld⸗ 
mar[djall und Gouver: 
neur von Dresden, 
Stiftshauptmann von 
Heldorf, ein wohlbe— 
leibter Herr im grauen 
Rod. Gadjen-Weimas 
tiler Staatsminijtcr 
von irit), Goethe: 
Iden Wngedenfens, in 
dunfelblauem Roftiim. 
Ronfiftorialpräfident 
Freiherr von Gaertner, 
Heinrid) XII. Fürft 
von Neuß d. L., der 
ſächſiſche Konferenz» 
minijter Graf von Gin: 
fiedel und ber Ram: 
merberr von Carlos 
wif auf Bodelwiß, mit 
friiher Lebendigfeit 
der Haltung hidjtplas A 
ittih Hingemalt. Noch Gab 
\höner freilich find aud) Hier bie Bildniffe 
der Frauen. Bezaubernd vor allem das ber 
Sreifrau Johanna Sophia von Fritſch in 
ſchwarzer Mantille, mit rotgefütterte"t Get: 
denfragen. Oder bas ber Drei Fräulein 
von Bieth und Boijenau: die eine mit roter 
Mantille; bie mittlere in einem rojabraun 
und weiß geftreiften Seidenkoſtüm; die dritte 
mit den entgiidenden blauen Schleifchen. 
Oder die geſchminkte Kofetterie der Gräfin 
Erdmuthe Friederife von Bünau. Oder die 
reizende Gräfin Schönburg in grünblauem 
Kleid mit dem duftigen Riijdenarrangement 
im pifanten Ausjchnitt. 





Aber jchließlich find bas alles doh nur 
vorzügliche LXeijtungen eines Rotofomalers, 
ber ganz im (til ber von Frankreich her 
übertragenen 3eitmode arbeitete und fi 
der großen Gejamtheit feiner Kollegen eini: 
— konventionell einordnete. Auch die 


einheit und Zartheit der Farbenſtim— 
mungen, die Anmut und Geſchicklichkeit in 
Haltung und Bewegung, die liebenswürdige 
Sicherheit ber Auffaſſung, bie man fo jtart 
empfindet, daß man auf bie Ahnlichkeit ber 
Bildnifje ſchwören möchte, gehören bem all: 


Gräfin Beftufcheff geb. von Garlomit. Gemälde Ba 


gemeinen Zeitgut an, bas Graff gewiß mit 
ungewöhnlicher Begabung nu&te, Dod) ohne 
etwa bier einen Führerpoſten beanjpru= 
chen zu dürfen. Was ihn erft zu dem 
Meiiter machte, den wir verehren, und Dellen 
Geltung niemals jchwinden wird, bas ift ber 
Katalog feiner Bildnijje der großen Zeit: 
genojjen, bie er hinterlaljen. Hier erft war 
er ganz Anteilnahme und Leidenjchaft. Hier 
erft ber Geelenfiinder, ber bie äußere Er: 
Jcheinung feiner Menjden als Jichtbaren 
Ausdrud ihres innerjten Weſens gab. 
Bor diejen Bildnijjen der Dichter, Phi- 
lojopben, Gelehrten, Künjtler empfinden 


226 Iesse Dr. Max Osborn: WEZZE Ze Ze Ze ZZ Zc 3:8 


wir den gewaltigen Zug der Zeit, ihr Stre- 
ben auf tiefes Erfaſſen der Wahrheit in ber 
Natur und im Menſchentum, in der Willen: 
(daft wie in der künſtleriſchen Verklärung 
des Wirklihen, im ftaatliden wie im indi- 
viduellen Leben. Meiſt find es nur die 


Köpfe, die Graff uns zeigt, und aller Geiit, 
der hinter diejen Stirnen arbeitet, jcheint 
Hid) in den Zügen des Antliges, im Blid 
des Auges, in der Konzentration der Be: 





Frau Alex. Reg. Boehme geb. Heer, die Gattin des turjadjifden Hof: 
du t ‚biltoriograpben Sob. Gottlob Boehme 
Gemalde im 3Bejit ber Königl. Gemäldegalerie zu Dresden 


leuchtung, in bie bas Geficht getaucht ijt, in 
Der Harmonie der Farben zu offenbaren. Oft 
aber treten auch die Hände dazu, um in 
\prechend [ebenbiger Bewegung vom Tem: 
perament der Perjönlichkeiten Nusdrud au 
geben, oder gar Die ganze Geftalt wird fidt- 
bar, wie etwa bei dem meilterhaften ‘Bor: 
trat des Dresdener Landichaftsmalers 
und NKupferjtechers Adrian Binga, der, 
aus Ct. Gallen jtammend, ein Schweizer 
Landsmann Graffs und falt gleichzeitig mit 


ihm nad) Dresden berufen worden war. 
Die Hauptitadt an der Elbe und das jädhli- 
ide Land führten ihm aud) den Gatirifer Ra- 
bener, den furfiirjtliden Leibargt Dr. Hähnel, 
den Dresdener Gchriftiteller C. U. Förſter, 
ben Biirgermeifter Hering von Baugen und 
den Leipziger Banfier und 9Ratsbaumeijter 
Eberhard Heinrich Lohr zu. : 

Der Stadt Leipzig aber perbantte Graff 
einen Auftrag, wie ihn jobald fein Deutfcher 
Riinjtler je erhalten 
hat. Dort lebte als 
Teilhaber ber beriihm- 
ten Weidmannſchen 
Buchhandlung, zu de- 
ren Verlag bie beiten 
Köpfe Deutjchlands ge- 
hörten, Philipp Eras- 
mus Reich, ber den im- 
pojanten Plan fate, 
eine Galerie berühm:- 
ter und bedeutender 
Zeitgenojjen zu Jor, 
fen. Mit den meilten 
hatten den Leipziger 
Mäzen perjönliche Be- 
ziehungen verbunden, 
Den anderen bradhte 
er aus ber Ferne De- 
jondere Verehrung ent- 
gegen. Leider find wir 
über die Art, wie 
Reich feinen Plan an: 
fapte und durchzufüh— 
ren begann, nicht un- 
terrichtet. Doch willen 
wir, daß feine Galerie 
bei jeinem Tode im 
Sabre 1787 immerhin 
ion  vierundDdreikig 
Bildniffe umfaBte, die 
jeine Witwe 1809 beim 

vierbunbertjábrigen 
Jubiläum der Leip- 
ziger Univerſität dic- 
jer zum Geſchenk mad- 
te. Su der Galerie, 
die heute in der Uni- 
verſitätsbibliothek anf- 
bewahrt wird, Hat 
Graff vom Jahre 1769 
an mit der jtattlidjen 
3abl von jedsund- 
zwanzig Bildnijjen bei- 
getragen ; Darunter be: 
finden fid) die Köpfe 
von Leſſing und Mendelsjohn, Chrijtian Fe: 
lix Weike, Hagedorn und Gellert — eine fei- 
ner föjtlichiten Schöpfungen —, von ben 
Riinjtlern Lippert und Barve, den er in Leip: 
zig wiederfand. Dazu noch das Porträt von 
Reid) jelbjt, bas gleichfalls eine Arbeit von 
bejonderem Wert wurde. 

(fine ganze Anzahl ber Sehsundzwanzig 
aber wohnte in Berlin, und jo tam Graff 
im Auftrage Reichs in die preußiiche Haupt: 
ont, wo er im Jahre 1771 zum erjten Male 


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Shiller im 28. Lebensjahre 
Gemälde von Anton Graff 


(Im Körner: Mujeum zu Dresden) 


THE LIBRARY 
Of THE 


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were, wars 





Sai] Anton Graff AZZA 227 





Der Idyllendichter Salomon Beßner 
Silberftiftzeihrung 


einfebrte, um oft wiederzutommen. Wir 
nannten jdjon Mendelsſohn. Daneben aber 
entjtanden bier für bie Leipziger Galerie Die 
herrlichen Bildnijfe von Ramler, von Cho- 
Dowiecfi, mit bem ihn bald 
innigeperjönliche Freund) daft 
verband, von dem Theologen 
Johann Joachim Spalding, 
Dellen ausgezeichnete Bildniſſe 
einen Sthmud der Bildnis- 
abteilung der Nationalgalerie 
bilden, und von bem Philoſo— 
phen und Ptathematifer Jo— 
Dann Georg Sulzer, bem be: 
rühmten 9Berfajjer der „Allges 
meinen Theorie ber jchönen 
Künfte“, ber zu Graff tn engjte 
verwandtjchaftliche Beziehun: 
gen trat, ba der Künſtler fid) 
mit feiner Tochter — ver⸗ 
mählte. Wud) hier traf Graff | 
auf einen Landsmann; denn 
Sulzer, der in Berlin als | 
Brotefforam Soadjimstalichen 
Gymnajium wirkte, jtammte 
gleichfalls aus Der weiz. 
Schließlich aber hat Graff auch 
die Heimat in ſpäteren Jah— 
ren er zweimal aufgejudht. 
In den [Jahren 1781 und 1796 
unternahm er Reifen nad) 
der Schweiz, denen wiederunt 
eine Reihe feiner vorzüglich: 
ften Werfe ihre Entite ung 
verdantte, arunter Die 
$Bilbnijje der trefflichen 
Herren Elias Biedermann, 
Chrijtoph. Ziegler und 
Hans Ulric) Hegner, jámt: 
lid) SchultheiBen von Win: 





Bildnis eines unbefannten Malers. 


terthur, fowie der Kopf Bodmers in 


Zürich. 

Jtatürlid) bejd)ránfte fid) die Tätigfeit in 
Leipzig und Berlin nicht auf bas Thema 
der Neichichen Galerie. Daneben ent[tanben 
in diefen Stätten zahlreiche andere Bild: 
nijfe, ebenjo wie auf ben Jonjtigen Fahrten 
durch Deutjchland, die Graff unternahnı. 
So malte er 1764 in Augsburg Lavater, den 
er dort durch Sulzer tennen lernte. Go 
1794 in Neuſalz Chrijtoph Kaufmann, ben be: 
rühmten ‚Apojtel ber Geniegeit’. Herder 
wurde von Graff in Karlsbad porträtiert. 
Sn Weimar felbjt ijt ber Künftler nie ge: 
melen ` feine Bildnifje Schillers und Wie: 
lands entitanden in Dresden. Der größte 
aber fehlt —: Goethe. Esijt wie ein Sda: 
bernad bes Schickſals, dak es en nicht ver: 
gönnt war, bie großartige Reihe feiner Bor: 
träts ber Zeitgenojjen mit dem ihres gei: 
ftigen Hauptes zu frönen. In Berlin war 
es namentlich) Chodowiecki, ber Dem Freunde 
Aufträge vermittelte und ihn aud in Bezie: 
Dung zum Hofe bradte. Dabei wirft dann 
wieder Graffs Tätigkeit für bie Ronigsfamilie 
ein grelles Edhlaglicht auf bie damaligen 
Berliner Berhältnijje. Friedrich der Große 
wollte von Ddeutjcher Malerei ebenjfowenig 
etwas wijjen wie von deutjcher Dichtung, und 
wenn er Grethe abgelehnt hatte, fo ave 
ibm aud Graff nichts jagen. Die Bilder 


Gemälde 





998 —Besssssssssssssssay] Dr. Max Osborn: Anton Graff 


des Königs von 
Graffs Hand find 
erjt nach dem Tode 
Friedrichs fret nad) 
anderenDriginalen 
hergejtellt. Man 
darf vermuten, daß 
bier ein Auftrag 
der  verwitweten 
Königin zugrunde 
lag, Die jelbit in 
jener Beit Graff 
laß. Einen Protel- 
tor aber fand Der 
Dresdener Wraler 
— und auch das ijt 
bezeichnend fiir die 
Berliner Zujtände 
— in dem Prinzen 
Heinrich, Dem Bru- 
der Friedrichs bes 
Gropen, der, wie 
allentbalben, ſo 
auch bier als Füh— 
rer ber gegen den 
König gerichteten 


Fronde auftrat. Die großen Porträts Grafis 
vom Prinzen Heinrid) wurden die beften 
Ctüde jeiner repräjentativen Arbeiten. 

Se näher aber die Menſchen Graff ftanden, 





3 Grafis Sohn Karl. 





Eq Der Aupferjteher Johann Friedrid Bauje. Gemälde E23 


| 


— 


Bleiftiftzeichnung B 


um Jo höher [tieg feine Zunft ber Darjtellun 

Rein Wunder, dak aum Beften, was er geſchaf⸗ 
fen bat, nun aud bie 3Bilonijje feiner Gattin, 
\einer Rinder und — feine Selbjtbildnifje gehö- 


ren, fo die wundervollen 
Gruppen, in benen er jid) im 
Rreije ber Geinigem ober 
mit DerGattin vor bem Bor: 
trät des Schwiegervaters 
Sulzer malte. Das tiefe Be- 
hagen eines glüdlichen Le- 
bens ftrablt aus biejen Wer- 
fen. Und riihrendD ift es zu 
verfolgen, wie er gleich 
den großen Bildnismalern 
anderer Völker, etwa glei 
Rembrandt oder glei 
Reynolds, bas Geheimnis 
bes eigenen Antliges zu 
erforjchen tradtete, von 
der Zeit jugendlicher que 
ide bis zum Berjall bes 
Alters, das wohl jeine 
(rjdeinung verändern, 
aber nicht Die — und 
Hoheit feiner Kunſt min- 
dern fonnte. Das Gelbit- 
bildnis des Greiſes, das 
die Dresdener Galerie be— 
ſitzt, erichüttert uns durch 
die unbeſtechliche Ehrlich— 
keit, mit der hier ein Mann 
an der Grenze ſeines Erden⸗ 
wallens von fih Rundegibt, 
und dann wieder im Hands 
werfseifer bie eigene Tragit 
vergaß, die ihm nun, nicht 
anders wie alles, was er 
jahrzehntelang [tubiert nnd 
gemalt hatte, lediglich Ob— 
left feiner Kunſt war. 





Der Sdaufpieler Konrad Ekhof 


Gemälde von Anton. Graff 


rU o iM 


—Deutf 


che Seeley 


Fin Buch von Heimat Wanderſchaft und Liebe 
vá BonFohannes Sóffnec —A— 


— Jortfegung — 
MAMMA RT 


raugott Bitterling hatte längjt die 
Lampe gelöſcht und jchlief einen 
sy untubigen Cdjlaf; bie Wederuhr 
vor feinem Bett tidte burd) bas 
offene Fenſter in den Hof unb Garten 
hinaus, ber Laufbrunnen, aus bem eine 
lebendige Quelle jprang und über den Rand 
fort in einem gemauerten Rinnjal zum Fluß 
tiejelte, plätjcherte fact, aber Jungfrau 
Miele fand nod) nicht zu Bett, fab in Nacht: 
jade unb Nachthaube auf ihrem *Bettranb, 
fab in bie Porzellanbilder ihres Nachtlämp: 
dens unb jann und framte in ihren Ge: 
danten umber wie ein Rind in feinen Spiel: 
jaden. Diufit war in ihrem jtillen Zimmer: 
den. Gingen und Flöten. Süße, jelige 
Miufif. Und bann ftand fie auf und kehrte 
mit ihren zittrigen Fingern die Fächer in 
ben Schränten unb in ben Rommoden bird) 
unb burd, bis fie bie Flöte gefunden hatte 
aus jchwarzem Ebenholz mit einem filbernen 
Ring, auf dem zu lejen war: Unjerm lieben 
Wieje in Danfbarfeit. &onjul Friedrich Aus 
guft Lobedang, bei bem alle Künftler einen 
Stein im Brett hatten und bem folde Goins 
nerjdaft mit dem Haufe am Heumarft über: 
tommen war, hatte fie bem Etadtmulikus 
in bejonberer Anertennung verehrt. Tenn 
Sungfrau Wiejes Water blies dies Inſtru— 
ment mit Snbrun[t und Gefdid, unb feiner 
fonnte wie er im Freilhüg ben Ruf des 
Käuzchens machen, daß allen ein Grujeln 
über die Haut ging, wenn es aus der Wolfs: 
ſchlucht über das Parkett jchrie. Aber jebt 
war er tot, unb feine Flöte war ftumm. 
Und Karl Maria war aud) tot und hin; für 
die janfte, ſüße und unjchuldige Mufit hatte 
feiner mehr Ginn. Jet waren die Tuben 
und Pojaunen obenauf; jekt fpielte man 
Wagner, bie Mufit, die einherfuhr wie Roffe 
und Wagen und Reiter. 

Es war eine jhlimme Nacht fiir Junge 
frau Wieje, denn aud) als fie Ion jchlief 
unb bie ipige Nafe aus bem Dedbett in ben 
matten Schein ber 9tadjtlampe jtedte, [tans 
ben Die wirren unb fraujen Grinnerungen an 
ihrem Bett und drängten fih in ihren Traum 
und irrtem ihr Herz. 

Am anderen Morgen jak Sort Asmus 
auf einem umgeftiilpten Zuber am Brunnen, 
[dug die blanten Zähne in bas deftige 


Scwarzbrot und fütterte bie Hühner nicht 
nad ber Geredjtigfeit; auch der weljche Hahn, 
ber mit fcheelen Augen tüdiid) im Rreife 
ftrich, befam mehr als er verdiente, ba bod) 
Neidhadmmel und Gierfdliinger immer leer 
abziehen müßten. Aber Karl Asmus war 
in diefem Fall wie der liebe Herrgott und 
ließ feine Gonne [deinen über Boje und 
Gute. Die Echreiberfrau fah ihm hinter 
den Gardinen zu, jchüttelte den Kopf und 
fhalt bei fid) gleich ber Eljter im Nußbaum, 
wie man mit ber teuren Gottesgabe fo leidjt: 
fertig umgeben fönnte, Cie nahm jedes 
Krümchen in adt, unb es reichte bod) nicht 
bin und ber; fie blieben allermeijt hungrig 
tagaus, tagein. So ein Rid-in:die- Welt wußte 
nod) niht wie Hunger tat. Aber er würde 
es wohl nod) erfahren. 

Als Karl Asmus mit bem 9Riebaeug fein 
WSrübitüd geteilt batte, den zudringlichen 
Hennen bie leeren Hände hinhielt, daß er 
nun nichts mehr habe, und dann aus dem 
Brunnen einen Trunt jchlürfte, hätte er fich 
um ein Haar verjhludt, wie er über bie 
Doble Hand Jungfrau Wieje dahertommen 
jah, eine grasgrüne Schleife vor ber Bruſt 
und eine Brojhe aus Goldbled) darin, fo 
groß wie ein Hühnerei; bie roten Ctrümpfe 
leuchteten wie Mohn im Juli; der Papagei 
auf ihrer Schulter, ber fih aus irgendwelchen 
dunklen Zujammenhängen heraus an die 
Seit erinnerte, ba er zur Gee gefahren war, 
ichrie gellenb wie eine Tampfpfeife: „Mann 
über Bord!“ Dann aber, da er in ihrer 
Hand die Flite blinfen jah, zog er bie Zunge 
zurüd, bie braun und bidlid) war wie eine 
Zirbelnuß, legte den Kopf auf die Ceite 
und flötete: „Blau blüht ein Blümelein, das 
heißt Bergißnichtmein.“ 

Damit war Jungfrau Wiefe bei Karl 
Asmus, drehte ben gelbfeidenen, perjdjlijfes 
nen Schirm in der Sonne über ihrem Kopf, 
daß er darum ftand gleich einem Heiligens 
ihein, und reichte ihm die Flöte hin: „Tars 
auf läßt es fid) beffer jpielen, mein Junge, 
als auf der anderen.” Und da Karl Asmus, 
bem vor Berlegenbeit die Nöte über das 
Beficht lief wie ein Flammenjpiel, nicht 
wußte, was er jagen und ob er jie nehmen 
jollte, ftedte fie ibm das Ding hinter den 
Lag der 2eber|d)ürge und ging davon. Der 


930 SSS HESS EEE Johannes Höffner:: III FI HF ZI 


Papagei rieb den Kopf an ihrer Wange und 
fagte mit füßer, weicher Giimme: „Liebes 
Kind, artiges Rind, gutes Kind,“ aber plöß: 
lid) wandte er fih mit gejträubten Halss 
federn rüdwärts gegen ben follernden Hahn 
und frächzte tief und zerbrochen gleich einem 
Truntenbold: „Olles 9Balrof." 

Karl Asmus fletterte indeffen flint wie 
ein Eichhorn die Stiegen hinauf in feine 
Kammer, um nod) [chnell auf einen Ctups 
bie Flite zu probieren, blies und vergaß 
bie Welt, bis Meijter Bolduans mächtiger 
Bah in den engelgleichen Distant fuhr und 
bas [djóne Lied von bem grünen *Bógelein 
mitien entzweiriß. Da warf er bie Flöte 
in feinen Kaften und [prang, daß bie Haden 
flogen, und wäre um ein Haar bem Meijter 
von oben in die Arme gejegelt, wenn der 
Umgang fein Geländer gehabt hätte. Die 
Trehbant, an ber ber Meijter hantierte, 
Jprigte die Späne gegen die Scheiben, bie 
geile freiichte bagmijd)en wie ein altes Weib, 
ber der Kater bas Mittag aus der Pfanne 
geitoblen hat, aber um Karl Asmus’ Ohren 
tangte ein jüßer Cingjang und war [djulb, 
dal der Strid) nicht ward, wie er folte. 

Am Abend, als die Nacht unter den Bäus 
men am Fluß lag, während in den Kronen 
fid) nod) bie lichte Sommerdämmerung jchaus 
teite, juchte er die ‘Banf unter bem Birn: 
baum wieder heim, und der Pla war ihm, 
als fennte er ihn wer weiß wie lange. 
Er ließ feine junge Geele fingen und fein 
Herz atmen unb feine Gedanten wandern 
gleid) bem Wajler zu einem Biel, bas er 
nicht fannte, wo aber eine unbejchreibliche 
Geligfeit wartete in einem Garten gleich 
dem Paradies an vier filbernen Etrömen. 
Sungfrau Wieje hatte fid) ganz [till unb 
heimlich einen Schemel weiterhin an das 
Dier getragen, in ein Gasmingebiijdh, und 
ihr Herz trant bie vollen, fühlen Töne wie 
ein Kräutlein den Tau, fie war mit ihren 
Bedanten nicht mehr jo Idien und ſchüchtern 
wie am Abend zuvor, tat mit teder, wenn 
aud) zittriger Hand bas Pförtlein zum Gars 
ten der Vergangenheit auf, ob da unter bem 
Kraut und Gejiriipp wohl nod) verborgene 
Blumen blühen mochten, und fand ihn voll 
Eornenichein und Vogeljang. Mitten in der 
Wildnis Donn blühend der Rofenitrauch, von 
dem Johann &ud)enreuter, der Steuermann, 
ihr zum Abſchied die ſchönſte Blüte gebrochen 
unb an den ?Bujen geitedt hatte, bevor er 
mit dem „Kehre wieder” nad) Batavia ge: 
fegelt war. ber bas Meer hatte ihn vers 
Jdlucdt, er war nicht wiedergelommen, ob 
fie gewartet batte Jahr für Jahr; das Lamp: 
chen, bas ihre Seele ans Fenſter gejtellt hatte, 
war matt geworden, und die Flamme war 


zujammengefunten und ausgebrannt. Gie 
hörte das Meer braujen unb den Sturm 
geben und jah die Klippen ragen unb das 
Schiff zerjchellen; ein Mann trieb auf bem 
Sdaum, eine Hand redte (id) hod. Da jchlug 
fie bie Hände vor bas dürre Belicht und 
teinte bitterlid. Dod) Johann Kuchenreuter 
war gar niht tot. Er jaB in Danzig mit 
Weib und Kind, batte eine anjehnliche Ree: 
derei und freute jid) feines Lebens und Ans 
jebens. Jungfrau Wieje aber wollte davon 
nichts wijjen und hören. Es gab viele Rudjens 
reuter in der Welt, und viele, bie Johann 
hießen, und wenn er wiedergefommen wäre, 
wäre er zu ihr gefommen, denn er war ein 
ehrlicher Menjd. Und folh Glaube war für 
das zerbrechlihe Jüngferlein das TFeniter, 
darum ihr einjames Leben fid) rantte, jonjt 
wäre es wohl längjt zertreten worden von 
ber Unbarmpberzigteit der Welt. 

Allmählich aber, je mehr die Kühlung auf 
die Erde fiel, wurde es in der Jungfrau 
ruhig und [till, und ihre Gedanfen jaBert 
wie ermattete Vögel im Gedjt, wenn der 
Habidt abgelajjen hat, fie zu jagen. Der 
Papagei hatte den runden Kopf unter den 
Flügeln und blábte fih in regelmägigem 
Atem; fie jah hinauf in den tiefen Himmel, 
ber alles Sonnenlicht getrunfen hatte und 
[att war: in ben Häujern droben wurden die 
Lidter angezündet, große und kleine. Aber 
es waren dort oben aud) Unterjchiede, und 
es wohnten dort oben aud) Reiche und Arme 
und niht lauter Blüdliche. Ihre Empfins 
dungen wurden gewiegt von den fanjten 
Melodien, und ihre Augen wanderten durd 
die Himmeljtraßen, bier um eine Ede, dort 
über einen Blak, machten mit einem Schritt 
bunberttaujenb Vteilen und wurden dod nicht 
müde und jpazierten durch das Weltall wie 
durch eine Stadt. Und Karl Asmus blies, 
als wenn ein Kind hüpft: Wer bat die 
ſchönſten Sdajden. ‚Ad, dachte Jungfrau 
Wieje, ‚wenn jet der Mond fáme. Denn 
der ift ein Freund aller einjamen Geelen 
und ein treuer Gefährte, wenn Menjchen 
ferne find. Aber er tam nicht und batte 
Geſchäfte auf der anderen Seite der Welt. 
Eine Klinte ging. Weiter Bolduan tam 
aus dem Lads, hatte bie [cte Runde ges 
wonnen und war guter Dinge, hörte das 
Spiel am Waſſer, und wollte jehen, wer bas 
wäre. Uber da ftand Jungfrau Wieje an 
ber Pforte und flülterte: „Das ijt Karl, 
der Lehrling. Das darf man nicht Hären, 
Woran einer feine Freude Bat, fol feiner 
zerichlagen.“ Meiſter Bolduan [trid) den 
langen Bart und ging leije fort. Es war 
immerhin beffer, es blies einer auf der Flöte 
als auf einem 3tadjjdjlüjjeL Und Jungfrau 


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PSSA Deutjhe Ceele BEZZA 981 


Wieſe war glüdlid) wie eine Mutter, bie 
bem träumenden Rinde die Fliegen abwehrt. 

Wm andern Morgen, als fie bie Laden 
zurüdichlug unb die Fenſter auftat, als bie 
feuchte Frühluft ihr ben Suit vom Nuß— 
baum ins Zimmerchen webte, das Morgen: 
rot über bem nebligen Waller ftand und 
feine Menjchenfeele (id) regte, nur die Finken 
und Amjeln und Grasmiicen lebendig waren, 
hatte fie die Welt jo lieb wie vor vielen 
Jahren und [prad) bei fih felbjt: ‚Sch muß 
ibm was Gutes tun,‘ ging bin unb jcheuerte 
das alte, verrojtete Waffeleijen blant, jchürte 
ein Feuer auf dem Herd, riihrte einen Teig 
und but, daß ihre jdjmalen Wangen branns 
ten wie ihre roten Strümpfe. Sie |djidjtete 
bie Waffeln Reihe bei Reihe, und die Schüjjel 
wuds und blübte wie eine gelbe Georgine. 
„Sp,“ jagte fie, „nun tann der Sonntag fom: 
men,” ftreute Ruder über das Gebad und 
ftellte es in ben Glasfdranf neben den Chis 
nejen, der mit dem Kopf wadelte, aber nicht 
weil er alt war, Jondern aus lauter Weisheit. 

Der fiipe Ruchenduft zog über den Hof, 
und Glajer Strippentow, der vor der Tür 
feinen Ritt jchlagen wollte und das Leinöl 
mit der Kreide mengte, warf bie Nafe 
ärgerli bin und ber, wie ein Dadel, ber 
zweierlei Spuren wittert und nicht weiß, 
jol er zur Rechten ober [oll er zur Kinten. 
Er bokte fid, daß auf feinem Tijd nie 
etwas (utes [tánbe, denn fein Weib war 
eine Schlampe und verjtand nichts, und wenn 
er ihr vorbielt, wie andere Männer gepflegt 
würden, 30g fie ein |djiefes Mtaul. „Als die 
Leute find, jo brat man ihnen. Wie der 
SBerbienit, jo bie Bunft. Erſt das Ei und 
bann bie Gerjte.” Aber es ift nicht gut, 
wenn eine Frau den Mann fnapp hält, bann 
wird er naſchhaft und gudt in fremde Töpfe. 
Und wie ber Glajer erft einmal den Rucens 
buj weg hatte, warf er ben jchmierigen 
Klumpen auf den Blod, ſchnüffelte bie Haus» 
wand entlang, bis er vor Jungfrau Wiefes 
Küche jtand und burd) das offene Fenſter 
rief: „Guten Morgen, Jungfrau Wieje, ba 
habt Shr aber in aller Herrgottfrühe einen 
Buden gebaden, ber jid) gewajchen hat, einen 
Buden, der nicht von Pappe ijt, einen [djónen 
Buden, einen Jüßen Kuchen, einen Butters 
fudjen, einen Kuchen, der fic) ſehen laffen 
tann. Wie jagte Ejau, ba er müde vom 
Felde fam? Laß mid) fojten bas rote Gee 
richt.” Jungfrau 9Bieje bot ihm ein Teller: 
chen über bas Fenſterſims, wenn auh nicht 
gern, und |o war ber Glajer ber erjte, ber 
zu fojten befam, was für ihn nicht gebaden 
war, jtand und ftopfte mit den freidigen 
Fingern die mürben Waffeln in ben [d)mar: 
zen und verjtoppelten Mund. „So,“ [agte 


er, „was gut [djmedt, das ijt jchnell pet: 
ſpült; jchönen Dant, Jungfrau 9Bieje, das 
war mir eine rechte Herzitärtung. Er jdjurrte 
davon, da Jungfrau Wieje thm nicht mehr 
gab, unb war in feinem Herzen voll Neid, 
daß bie alte Schachtel jo ein behäbig Leben 
führte und fo warm und weich jag wie ein 
Eichhorn in feinem Weit. 

Freilid, davon big feine Maus einen 
Faden ab. Jungfrau Wieje wohnte in 
einem Schmudfäjtchen, und es glänzte alles, 
als wäre es eben aus der Werlitatt ge: 
fommen und war bod) viele Sabre alt, 
hundert und mehr. Drei Stübchen hatte fie: 
eins für den Feiertag nad) vorne heraus, 
darin fap fie hinter den Gardinen des 
Sonntags, wenn bie gepußten Leute babers 
lamen und bie Yiebe Hand in Hand in das 
Land und an das Meer ging. Dann hatte fie 
ein lila Wlpaffafleidcden an, um das die Boz 
lants in dunkler Tönung ftanden wie Beils 
denfrünge, ein Bud) im Schloß und bas 
Ctridgeug in ben dürren Händen, und [ab 
alles zugleih, Schrift und Majhen und 
Spaziergänger. Dann fam aud) wohl bie 
Sonne, ließ bie bünnbeinigen Mahagoni: 
möbel leuchten wie roten Wein unb holte 
den Ambraduft aus den pfaublauen Pol 
Hen und malte Jungfrau Wiejes matte 
Wangen mit zartem Rojenhaud) wie pers 
blichenes GCeibenbanb. 

Und ein Zimmerden hatte fie für den 
Witag, bas lag nad) dem Hof zu im 
Schatten des breitgeäfteten Nußbaumes, und 
um das YFenfter rantte wilder Wein. Das 
vor ftand ber 9tábtijd mit Knäuelbecher, 
Garnwinde und Stein, der bunt geblümte, 
tiefligige Obrenftubl unb ber Ctünber für 
den Papagei, denn er konnte nicht immer 
auf ihrer Schulter figen und mußte um 
mander Umjtände willen [id) aud) zu bem 
harten Holz bequemen, und tat bann, als 
jage er im Maſtkorb und jchrie, als ginge 
es gegen den Sturm: „Hoi ahoi, Schipp 
ahoi!” An der Längsjeite tat bas weitges 
ihweifte Sofa feine behäbigen Arme auf, 
wie eine Mutter, die viele Kinder hat und 
alle auf ihren Schoß nehmen will; zur 
Kinten neben der Tür ber Haubenjchrant 
und gegenüber zur Rechten die Servante 
mit ben gejdjliffenen Scheiben; an der vierten 
Wand bie Kommode, darauf Kelchvajen mit 
Strohblumen, und darüber von Smmergriin 
umwunden ein verblaßtes Bild Johann 
&udjenreuters, der lebte, ob er gleid) tot war, 

Das dritte Simmerdjen war für Die 
Nacht und ben fargen Schlummer, jechs Schritt 
in die Lange und drei Schritt in bie Quere, 
im Altoven Hinter grünem Vorhang das 
Bett, [d)mal und jdwarg wie ein Sarg, 


239 (Ee REECH Johannes Höfner: IEGEEXXEIGGGGOGGG33] 


aber für Jungfrau Wiefes dürftigen Leib 
reidjlid) und völlig, wie für einen Want 
und Wielfraß ein franzöfiihes Bett. Da 
fonnte einer wohl tief und felig fdjlafen, 
er durfte nur nicht fo ein flatterndes Herz 
und jold) feines Gebór haben wie Jungfrau 
Wieje, die ihre Gedanfen fo viele Wege 
[djidte und in bie Ctille horchte, mas bars 
aus ſpräche. Zwar auf bem Bettijchchen, 
neben ber Nachtlampe, bie Durd) die ‘Por: 
zellanbilder jo janft jchimmerte wie Boll: 
mond im D'ai, ftand ein Fläſchchen mit 
fRalbrian, aber bas war ein Mittel, auf bas 
nicht mehr Berlak war wie auf einen dled: 
ten 3abler oder einen Schneider. Das war 
nun einmal nicht anders: zu alten Leuten 
fommt der Schlaf nicht gern, denn er möchte 
ihnen die Erdentage nod ein wenig längen. 

Die Jugend freilih, was weiß bie von 
langen 9iádjten? Tie wirft fid) in bem 
Schlaf wie in ein Wafjer, und wenn ber 
Morgen ba ijt, glaubt fie, fie hätte erft 
einen Atemzug getan und lebt bod) jede 
Macht ein ganzes Leben. In buntem Bautel- 
[piel betommt fie Wunder unb Sdage ju: 
geworfen, bie feine Zukunft je ihr bringt, 
damit ihr nidyt bange wird vor ber Kälte 
der Melt und nad) jeder Bitterfeit und Cnt: 
täufchung die Hoffnung bleibt. 

Zehn Meilen tief unter allem Bewußtjein 
lag Karl Asmus in feinem harten Bett, 
lang und gerade, als wäre er auf Holz ges 
bunden, bie finb[id) weiße Bruft fret und 
der Nacht fid) entgegendehnend. Durd) bas 
offene Senfter tam bie Kühle und legte fid) 
ihm auf Sinn und Herz, daß fein Traum 
fo rein ward und tlar wie ber Sternens 
himmel, der draußen Donn, Er träumte, 
Sungfrau 9Bieje wäre jung und [djón, hätte 
ihn bei der Hand und führte ihn bergauf 
burdj einen Wald zu einer Quelle, die 
jprang aus einem gläjernen Feljen, und ein 
Bogel, wie der Regenbogen jo bunt, fa 
daran und tranf, Das war Jungfrau Wiejes 
Papagei, aber er fannte ihn nicht, fannte 
aud) nicht bie |pringenbe Quelle, und fie 
war bod) unten auf dem Hof unb plätjcherte 
burd die Naht Dann jprang ein Fiſch 
heraus, batte Flügel wie ein Vogel und 
flog in den Himmel hinter den Bäumen 
und wurde nicht Heiner, fondern immer 
größer, bis er die Sonne verdedte und der 
blaue Schatten auf der Erde ftand. Da 
fing der Wald an zu brennen, die Flammen 
tanzten von Zweig zu Zweig, aber es ward 
feiner verzehrt wie bei Dem feurigen Dorn: 
buid) in ber Heiligen Schrift. Das waren 
die flimmernben Sonnentringel, bie durch 
bas Blattwerf des Birnbaumes fielen und 
an ber Dede feines Rämmerleins fpielten. 


Die Schwalben flogen an den Wänden ent: 
lang nad) Morgenfutter und fingen Die 
Miiden, bie ibn in der Nacht geitochen 
batten, und zwilchen ben Blumenftöden, die 
er in Sigarrenfijten und Blechbüchſen vor 
bas Fenſter gepflanzt hatte, 9telfen und Gud 
burd)benaaun und wohlriechende Erbjen, wie 
bas alles daheim im Garten geftanden hatte, 
wippten bie Rottehlhen. Es war Karl Ass 
mus, als würde er gerufen, bie Gloden von 
St. Marien läuteten den Conntag ein, und 
im Altmännerhaus über dem Fluß ging ein 
Harmonium. Da fuhr er aus dem Bett, 
denn er folte mit bem Meijter zur Kirche. — 

Am Sonntag nadmittag dedte Jungfrau 
Ziele den Kaffeetijd. Aber nicht im Feier: 
tagsjtübchen an der Straße. Go ein Qunge 
war jchüchtern und fonnte Malheur haben, 
und auf dem Tijd war nod fein Fled und 
fein Schade. Cie gupfte an der Dede, fie 
tiidte bie Tafjen, wilchte einen Haud) von 
ber blinfenden Raffeemafdine, und es war 
ihr fo feierlich zu mute, als fame Gott weiß 
wer zu Bejud, und damit hatte fie recht, 
denn mit Karl Asmus fam das junge, warme 
Leben in ihr einjames Stübchen. Und als 
er ihr gegenüber fergengerabe auf der Stuhl- 
lante fab, fie mit feinen blauen Augen an: 
blidte und die Hand mit ber Taſſe zaghaft 
vorftredte, daß jie ihm gefüllt würde, und 
beidyeiden und bod) voll Verlangen vpn den 
Waffeln nahm, tat ihr altes Herz fo jchnelle 
Schläge, daß fie glaubte, es wollte gerjpringen; 
fie mut, : fih von bem breiten Sofa in den 
Arm nehmen laffen, und legte bie Hand über 
bie Augen, als wäre fie müde. Ja, bas war 
ein rechter Feiertag, wenn fie aud) im Al- 
tagsftübchen fab. 

Draußen in Hof und Garten war es ftill 
wie in einer Kirche. Gie waren alle fort, 
bie bier ihre Nefter gebaut hatten. Meiſter 
Bolduan hatte die Meilterin ausgeführt, 
an den Strand zum Konzert. Maler Seidel» 
baft war in ben Schüßengarten gezogen und 
übte fid) am Scheibenftand für das Königs» 
Ihießen; Johann Windelband war im Walde 
unb [udjte Kagenpfötchen unb Taujendgüldens 
traut zum Tee, denn er [itt an ben Nieren 
unb am Magen und war fein eigener Dottor. 
Glaſer Strippentow hatte fid) zu Verwandten 
aufs Land aufgemadt, ob aus dem büuers 
lichen Wohlſtand eine Geite Sped oder 
jonft etwas für ihn abfiele, denn Jungfrau 
Miefes Waffeln hatten es ibm angetan, 
unb er hatte es fatt, alle Tage Griige zu 
ellen, Auch Traugott Bitterling war eins 
mal mit Rind und Kegel auf und davon 
und auf einen Anger am Fluß eingefallen, 
wo es nichts ftoftete und er ben Tiſch bedte 
mit dem, was er in der Taſche trug. 





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Die Raffemaldhine war leer; die legten 
Tropfen ließ Jungfrau Wieſe auf ein Ctüd* 
chen Buder rinnen für den Papagei zur 
9tadjt. Auf bem Kuchenteller gwijden ben 
legten Waffeln blinzelten die Rojen und 
Veilchen, aber Karl Asmus konnte nicht 
mebr, jo febr Jungfrau Wieje aud) nótigte. 

Da fagte fie: „So, mein Junge, nun hat 
der Leib genug, je&t fommt etwas fiir ben 
Geift; jegt wollen wir lejen“. Cie langte aus 
ber Bücherſchwebe neben dem Sofa ein Buch 
fo blau wie Rornblumen, mit einem Schnitt 
[o blant wie bie liebe Sonne in ben Hundss 
tagen für Rarl Asmus, ein anderes großes, 
abgegrifienes, die Stunden der Andacht, für 
fich, feste fih in ben Ohrenjtuhl am Fenſter 
und [djlug bie Betradtung vom glüdlichen 
Leben auf. Der Papagei jah ſehnſüchtig auf 
feinem Ständer [till und drehte bie Augen 
wie ein Ceftierer, über ben bie Verzüdung 
fommt, denn er hatte vor Büchern einen 
beillojen Refpeft, weil bie Matrojen, wenn 
fie ihre Räubergeichichten lafen, ihm ben 
Schnabel zuzubinden pflegten, damit er ihn 
bielte unb fie nicht durch jein Bejchrei ftörte. 

Karl Asmus aber war an der jalzigen 
See, wiewohl er bei Jungfrau Wieje in der 
Stube fab, fuhr mit Enoh Arden hinaus 
aufs hohe Meer wie früher mit Hans Ramps’ 
Fildhtutter, und bas Marleneten hieß bier 
Annie Lee; dann wartete er auf der eins 
famen Snjel im Ozean, in glühender Sonne. 
Das Herz Ihlug ibm bis an den Hals und ber 
Atem ftand ibm ftil, wann Rettung fame. 

Rein Segel fam von Tag zu Tag, nur täglich 

Stieg auf Die Sonn’; in Scharladpfeile broden 

Ibr Licht bie Palmen, Farrentrauter, Schluchten, 

Und gliibend lag fie auf den Waſſern ojtwärts, 

Und glübend lag fie über feinem Ciland, 

Und gliibend lag fie auf ben Waſſern weitwärts, 

Dann wölbten fid) am Himmel große Sterne, 


Und bobler brütete der Ozean; drauf wieder 
Des Sonnenaufgangs Scarlad: nur fein Segel! 


Indem ging die Glode der Haustür, der 
Metiter fam und rief nach ibm. 

Jungfrau Wiele widelte ibm Waffeln ein 
und [tedte fie ibm in bie Tajde. 

„Nimm nur mit. Bei dir ijt der Magen 
noch arößer als das Herz. Das Bud aud. 
Wenn du es aus haft, tannjt bu ein anderes 
haben.” 

Und dann ging fie und brachte ein Licht. 
„Damit du auch des Abends Iejen magit. 
Licht darf man nicht jedem geben, denn nicht 
jeder tann die Flamme hüten. Wher du bijt ein 
verjtändiger Junge. Du wirjt bebutjam fein.“ 
8 88 eB 

Es ift ein ewiges Wandern in ber Welt, 
fBegegnen und Sceiden. Einer fommt, ber 
andere geht. Das ijt zwar eine alte Cache 
unb lommt in jeder Menſchengeſchichte vor, 


Belbagen & Rlafings Monatshefte. 


Deutiche Seele 


REFERATE ES) 


233 


aber es fommt bod) immer Neues dabei 
heraus. Das gibt bas Mtufter im Leben, 
wie bas Schiffchen auf bem Webjtubl. 

Jungfrau Wieje batte recht. Nicht jedem 
durfte man ein £idjt geben. Robert Wodens 
fub 3.8. war fo einer, ber nidjt verjtand, 
damit umzugehen; er hätte dem Konjul 
Briedrid) Auguft €obebang am Heumarkt 
um ein Haar ein Feuerchen angezündet, bas 
Brandmeijter Bohnenfant mit allen Gpriten 
der Stadt jobald niht hätte [ójdjen mögen, 
fadelte bei ben Benzinfäſſern mit einem 
MWachsitod umber und fuchte ben Grojden, 
der ihm tags zuvor unter Die Dauben ges 
rollt war. Und es wäre gegangen wie fo 
oft, daß um eines elenden Brojchens willen 
Taujende zum Teufel gefahren wären, wenn 
nicht Lindemann, ber Flafdenipiiler, zur 
rechten Zeit Dagugefommen wäre und ihm 
die Flamme aus der Hand unb ein paar 
hinter bie Ohren geichlagen hätte. „Bon 
idt und Schießgewehr möten Rinnsfipp 
ehre jpillrigen Ginger laten.” Er fonnte froh 
fein, daß bie Sache damit abgrtan war und 
nicht an die große Glode und vor den Ron: 
jul fam, denn der war ein barter Mann, 
der nicht viel Federlejens machte. Freilich 
war Herr Lobedang aud nicht von Anfang 
an gerade und glatt in die Höhe gewadhjen, 
jondern hatte viel leiden müjjen, ehe er ges 
wadjen war; aber nun war er ein großer 
Mann, hatte das väterliche Krämchen in ber 
Wollenwebergaſſe [hon vor Jahren an Seba: 
[tian Freudenſprung verfauft, ber nun aud 
bei fleinem mit Pfennigen und Gedjjern ein 
Bermögen machen wollte. Aber foviel er 
aud) |djarrte, bas Häuflein blieb bod) immer 
wie ein Maufwurfshügel, weil feine Welle 
ibn bod) und weiter brad)te, wie den Heinen 
Hriedrid) Auguft Lobedang, ba der Seewind 
gefahren fam, als feiner es ahnte, und die 
Welt mit vollen Segeln den Strand anjteuerte 
und die Taue ans Land warf: wer fie fing, 
hatte bas Glüd beim Schopf, das heißt bas 
Geld. 

Sekt war bas Bürfchchen mit ben kurzen 
Hojen und Oe Beinen Konful, hatte Orden 
und Ehren; in feinem Laden drängten fih 
die Menjchen wie Fliegen um den Honig: 
topf, durch bas breite, eilenbejchlagene Tor 
amijdjen den beiden finbsboben Kugeln aus 
Stein Donnerten bie Fradtwagen von früh 
bis ſpät, brad)ten Güter und führten Güter 
fort; in ben Buchhaltereien beugten zwei 
Dugend junger Leute die glattgejcheitelten 
Köpfe über die Bücher, ließen die dürren 
Ziffern durch ihr Gehirn marjchieren und 
waren es zufrieden, wenn fie nad) Feierabend 
eine Handvoll Leben nehmen durften, denn 
die Stadt war üppig und luftig und an Ber: 


82. Sabrg. 1917/1918. 9. Bb. 16 


934 SSS] Johannes Höffner: Lee 


gniigungen, groben und feinen, war fein 
Mangel. Am Halen war Mufif und Tanz 
bis an ben Morgen. In feinem Geheim: 
tontor, hinter den griingepolfterten Türen 
fab Konſul Lobedang, ftügte Das runde, aus: 
rajierte Rinn in bie furgfingrige Greifhand 
und ftudierte Tag für Tag, wie er feine 
Figuren fegen könnte, um die englijde, bie 
franaójildje ober aud) bie deutſche Konkurrenz 
zu jchlagen, unb ftand nicht auf, er hätte 
denn ben befien unb ſicherſten Zug gefunden. 
Und ob er jid) nur felten bliden ließ, wußte 
er bod) um alles, was im Bejchäft vorging, 
denn für ibn wadte fein Auge und jein Ohr, 
Auguft Schüßler, ber Proturift, hatte zur 
Kinten ben Laden, zur Rechten die Kaffe und 
vor [id die Bucdhhalterin, tat als ob er 
Ichrieb und [dielte bod) wie ein uds. 
Alles ging wie bie Räder einer Maſchine, 
unb feiner wagte ein unnüßes Wort ober 
eine Pauſe zur unrechten Zeit, denn bas 
graue Auge hinter bem zenter hielt fie alles 
jamt in Zudjt und Bann. 

Freilich, über die Gedanfen hatte er feine 
Macht, und wenn der Feierabend fam, das 
Tor zujchlug, bie eijernen Rolläden nieder: 
rajjelten, bie Beldjchränte ihr Maul zugetan 
hatten, die Pferde in den Ställen müde und 
zufrieden jdjarrten, war es mit Auguft Schüß- 
lers Macht vorbei bis auf den anderen Tag. 
Mur Robert Wodenfuß war ihm überants 
wortet aud) über Nacht, hatte feine Rammer 
neben bem Profurijtenzimmer, über bem Tor: 
weg hinter eijernen Trallgen wie ein Gefans 
gener, mußte Stiefel pugen und Kleider reis 
nigen und Bier um die Ede aus dem Lads 
bolen. 

Zwang ift gut, aber nicht für jeden. Der 
eine biegt fic), Der andere zerbricht, es fommt 
drauf an, aus was für Holz einer ijt. Und 
vollends zum Beruf will einer nicht ge: 
zwungen fein, jondern gewonnen, denn was 
einer wird, Das wird er von innen, aus dem 
Herzen, überall. Wenn Robert Wodenfuß 
es getroffen hätte wie Karl Asmus, wenn 
er nicht awijden Ballen und Regale und 
Rechenmajdhinen gefommen wäre, jonberm 
zu Menſchen von Fleijd und Blut, wäre er 
wohl mit der Zeit ein tüchtiger Kaufmann 
geworden, wäre zu Anjehen gefommen wie 
Ronjul Lobedang. Aber wie es jet mit ihm 
Honn, mochte der Prokuriſt recht haben: „Was 
ein Dösbartel ijt, bleibt ein Dösbartel; du 
bringit es bein Lebtag zu nichts.“ Und bie 
Gebilfen Dieben thn umber und machten fich 
über ibn lujtig, wenn er in feiner breiten 
landlithen Gprade bie Kunden nad) ihren 
Wünjchen fragte und feine Augen nach 
Baldrian ober Bullrids Salz, Anis oder 
was jonjt verlangt ward, über Die Aufs 


Ihhriften an den Kälten und Töpfen geben 
und ratlos an der Wand auf- und nieder: 
flattern ließ. Er war wie eine Ente auf 
dem Trodnen, wurde ruppig und jtruppig 
und hatte trübe Augen. Auf dem Waller, 
im Sturm, Dod) auf bem Maft, wenn das 
Wetter ging unb die Wellen, da hätte er 
wohl auf bem often fein wollen unb ein 
Tauwerf hantieren, wie Hans Ramps es ihn 
gelehrt hatte, aber bier lag es ihm in den 
Gliebern wie Blei. Gem Herz war auf dem 
Mecr und hatte bas Weltweh, und dagegen 
gibt es nidjts, Das Heimweh fdjláit wohl 
ein, aber bas Weltweh wählt wie die Flut. 
Draußen im Hafen lagen die Schiffe, ſchau— 
felten an ihren Ketten und warteten, daß 
jie hinaus könnten unb über die Wellen 
ftampfen unb den Sturm ger[djneiben. Bom 
Speicher aus jah man die Schiffe tommen 
und gehen. Und, wenn niemand um bie 
Wege war, ließ Robert Wodenfuß feinen 
Blid davon. Die Tränen jtiegen ihm in 
bie Augen und fielen je nachdem zwiſchen 
die Cennisblátter, auf den Indigo oder in 
das Öl unb jdjmammen oben darauf und 
waren dod jo ſchwer. Dann drüdte er wohl 
bie roten Fäuſte vor die Augen und jchrie 
in den Wind, der durch die Luten fuhr, als 
wüßte ber um fein ganzes Herzeleid: „Id 
bull bat nich mibr ut! Wig und wahr: 
haftig, id bull bat nich mibr ut, id loop 
wed.” Aber er fand nicht ben Maut. 

Gines Tages tam Auguft 9Rottidjalf, ber 
Afritander, in den Laden und kaufte Fiſch— 
witterung, und als er Robert hinter dem 
Zadentiih fab, Ichlug er die Hände ins 
einander: „Robert, Gung, wo jühft bu mi 
ut? Wo lett bi Dat? Wat is mit bi? Du 
wärſt bod) jo Jhmud un fo glatt as en 
Bullfater. Bertell eis!“ 

Aber Robert 9PodenfuB fchüttelte den 
Kopf und ließ die Arme hängen, als wären 
jie von Holz, und einer ſagte hinter ibm: 
„Unterjteh dich!" Da wußte ber 9Ijrifanber 
genug, da es mit dem Jungen war wie 
mit einem verpriigelten Hund, ſchlug auf 
den Tijd), daß eine Flaſche mit fliidjtiger Salbe 
umjtürgte, und bróbnte durch den Laden: 
„Robert, weh tein Apentroß. Hier is tein 
Leibeigenſchaft und fein Sklaverei. De Tijd 
wär vörbi. Gat wir ja nod) jchöner, Dat 
jiind wi in Pommerland nid) wönnt. Ringel, 
jegg eis, woveel Föt hejtu? Un woran ihal 
ein fien öt bruten? Wat? Frog eis dat 
$jüsten upt Feld. Te Welt is weit, un wo 
Ichient bie leewe Sinn immer,“ 

Wer einem Bogel das Türen im Käfig 
auftut, weiß nicht, ob es zum Guten ober 
zum Schlechten ijt. Denn in ber jyreibeit 
lauern bie Gefahren, Kagen und Warder 


BOBO Deutihe Seele BESSSSESSSSsaq 235 


unb was fonft nad) warmem Leben trachtet, 
unb an den Heden liegen die Bogeliteller, 
unb es fängt fic) einer bald in einem an: 
dern Garn. 

Am Abend, als ber Profurift ihn nad) 
Bier fdjidte, holte Robert Wodenfuß fein 
Bündel unter dem Bett hervor, ftellte unten 
vor bem Tor den Krug hinter die jteinerne 
Kugel zur Rechten, lief an den Hafen, ob 
er einen fände, ber ibn mitnähme in bie 
Welt, unb traf einen, der auf ibn [auerte. 
Das war Gerard Doelen, ber Kapitän ber 
Bart Wilhelmintje, eines Schneiders Sohn 
aus Wintershagen bei Stolpmünde, der 
feinen wenig anjehnlichen und jpöttlichen 
Namen Wilhelm Plötrich beizeiten an den 
Nagel gehängt hatte, den Bart trug wie 
bie Schifier in Amfterdam, und wer in feine 
wäjjlerigen, grünen Fiſchaugen fab, glaubte, 
er wäre aus Zwolle. Er fab auf einer 
leeren Teefijte neben feinem Schiff, faute auf 
bem Dlundjtüd der kurzen Pfeife unb blies 
den 9taud) ins Whendrot, jtügte bie Ellbogen 
auf bie Knie und fnurrte vor fid) bin, wie 
ein Hund, ber bellen will. „Wo fhal id nu 
en Sung berndhmen? Hebben möten wi 
ein. Cteblen geibt nid. Gn Rotterdam, da 
giwwt bat woll wef, äwerft be ollen Hol» 
länder, bei jünb alltobop man fört Eten. 
De bammlid) Stüermann. Wat möt bei 
den Sung be Trepp runner [djmieten? He 
tun fid bat Gnid ajbreden. Bwerft en Bein 
is oof nog.” Indem hob er die grünlichen 
Augen auf und jah Robert Wodenfuß mit 
feinem Bündel baberfommen und rief: 
„Stüermann, id glow, da fümmt ein.” Der 
Steuermann fam über die Brüde, breitete 
die Arme aus, als wollte er ein Schwein 
fangen: „Na, Jung, bi könnt wi bruten.” 
Und che Robert Wodenfuß nod) recht be: 
griff, gab er thm eine Drehung nad) rechts: 
„Sp, nu grad ut, und denn be Mas lang. 
De Kombüs, de ftinft drei Meilen gegen 
den Wind; da fridjt bu vörirft wat vör be 
Schnut; bat Tüg ward bi Frang Potter 
gewen; [ett em be wijen. Un wenn nod) 
wat to |preden is, dat fümmt bernabjten.” 

Eine Ziehharmonila jpielte ‚Im Krug 
zum grünen frange, und Robert [ag in ber 
ftidigen Kombüſe, aber ejjen konnte er nichts. 
Am andern Morgen jedod, als fie bei qutem 
Mind ins Licht fuhren und an den Banker 
vorbei waren, als Robert Wodenfuß in 
das Tauwerf enterte und bie Gegel jebte 
wie ein Alter. und die Augen ibm [o hell 
leuchteten wie bie Sonne, die aus dem Meer 
fam, rieb Gerard Doelen fih bie Hände, 
ledte über die diden Lippen wie nad) einer 
Tinte Boldwajjer und jprad) bei fid) felbft: 
„Doelen, Doelen, id glöw, dat wir fin ſchlich— 


ten Fang. Dei Gung hätt wat wed)! Co, 
un nu will id gabn unb mi den Bort af: 
nehmen. Wenn of fein Frugenminjd um 
de Weg is, be bat genicrlid) wär, [o is bat 
bod) wegen de Schidlichkeit.‘ 

Wis Robert Wodenfuß auf der Höhe von 
Sershift war und dide Grbien mit Sped 
loffelte, fing in bet Stadt bie Arbeit an. 
Meijter Bolduan ging wieder an das Grabs 
gitter für ben Paftor primarius von St. Dias 
tien. Der war nad) und nad) ins Wohi 
leben geraten unb im Fett erjtidt, wie bas 
aud) nicht anders gehen tann, wenn einer 
fid zum Frühſiück ein Shod (ier in die 
Pfanne [fdjagen läßt. Der Meijter batte 
bei jeinem Drehen und Feilen recht gottlofe 
Gedanfen und hätte ftatt der Zweige und 
Blätter am liebjten etliche Zierate aus dem 
Cdjlaraffenlanb darein gewebt, aber er legte 
feinem Schalt Zügel an, denn es ging ums 
Geld und die Reputation. 

Der warme Gonnenjdein lag auf dem 
Hof, die Hühner paddelten im Staub, der 
Hahn frábte, der Puter follerte, bei Tobias 
Bitterling jdrien die Kinder, Blajer Strips 
pentow [djlug feinen Kitt, und Jungfrau 
Wieſe jchüttelte von Zeit zu Zeit bas Staub— 
tud) aus dem Fenſter. Karl Asmus han: 
tierte bie Geile jhon geſchickt unb fidjer unb 
arbeitete im Groben vor, was ber dier ier 
mit Feinheit und Sorgfalt ausführte. Ins 
bem fam ein belles Singen von drüben ber: 

„2a, la, la, 
Der Sommer, der ift da.” 

Da hielt der Meijter inne, ftieß bas Fens 
Her auf unb rief: „Das muß wahr fein, 
das Zeislein ijt wieder im Land. Jest weiß 
einer, wie weit wir im Jahr find. Grüß’ 
Bott, Zeislein, wir haben auf dich gewartet.“ 

Und von drüben tam ein Ctimmdjen, ein 
zierliches, unjchuldiges Ctimmdjen. „Schd 
nen Dant, Meiſter. Um ein Haar wär’ id) 
nimmer gefommen. Die Mutter war trant, 
Weik Gott, ich wär’ geftorben, wenn ich nicht .- 
hergedurft hätte.“ 

Und damit Dub fie wieder zu fingen an, 
Luftiges und Trauriges und Kedes umeins 
ander, war bald näher, bald ferner, jegt im 
Hof und dann im Garten und unten am 
Maffer, als flöge ein Vogel von Aft zu 
Wit, von Baum zu Baum, ins Gras und 
zum Trinten, aber nicht gar zu weit vom 
Neft, und hörte nicht auf den ganzen Bors 
mittag und machte die Arbeit leicht und kurz, 

Nach Feierabend, als Karl Asmus zu 
Jungfrau Wieje ging, ftand das Zeislein im 
lidten Kleid auf dem Umgang, hatte bie 
diden, braunen Fledien um den Kopf ge: 
wunden wie einen Kranz, bie Hände gejaltet 
auf bem Holz, bie Augen am Himmel bei den 

16* 


036 BESETZTE Johannes Höffner: 


rofenroten Wolfen über den Bäumen, bie 
Wangen ein wenig hohl und blab, aber die 
Rippen fo rot wie bas Korallentettlein um 
ben [djmalen Hals, unb die Eljter jtelzte auf 
ber Brültung daher, fam und pidte an dem 
blanfen Ring auf ihrem Finger. 

Karl Asmus fonnte feine Augen nicht 
[osmadjen von der hellen Gejtalt. Es war 
ibm, fie ſchwebe auf Wolfen, und die Engel 
müßten tommen und ihr über bie Cchulter 
leben. Indem ließ fie den Blid fallen und 
lächelte, Dak ihm das Blut in die Wangen 
ſchoß und er über ben Hof lief, als brennte 
es hinter ihm. Go fragte er Jungfrau Wieje 
gleid), was es mit dem Zeislein auf fid 
Babe, woher es füme und wer es fet. 

Jungfrau Wieje ftrich thm über bas fture, 
blonde Haar unb hob ibm das Kinn. 

„Das Zeislein ift die Enkelin vom Maler 
Geidelbaft und wohnt in der großen Stadt. 
Das 3eislein ijt ein [ojes Ding, unb wenn 
fie groß ift, tann fie einen mit ihrem Ginge. 
jang wohl in den Wald loden, daraus er 
nicht wieder heim findet.“ 

Aber Karl Asmus verftand fie nicht und 
dachte, bas wäre ganz in der Ordnung, das 
Beislein unb der Wald, die müßten beieins 
ander fein, und es gäbe nichts, was [doner 
" wäre als bie grüne fFinfternis unter den 
Bäumen und wenn einer darunter bleiben 
tönnte fein Leben lang. Und wie er dann 
ging, Mehl, Rofinen unb Ruder zu holen, 
denn Jungfrau Wieje wollte wieder baden, 
weil der Sonntag berbeifam, jab er in feis 
nen Gedanfen bas Zeislein auf bem Mus: 
gang fteben und füßer lächeln denn alle 
Rofinentuchen. 

Als es dunkel geworden war, wollte er 
mit feiner Flöte in ben Garten am Wajjer, 
aber da fab bas Zeislein auf der Bank und 
zirpte ein Liedchen wie eine Grille, und thr 
Kleid blinfte burdjs Gebüſch wie der Nebel 
auf dem Fluß. Da jchli er fid) davon, 
jab in feinem Rammerlein am Sentier und 
blies bie [djón|ten Lieder, bie er fonnte, daß 
bas Rotkehlchen nod) einmal aus feinem 
Neft fam, fid) nahe bei fegte, bas Köpfchen 
drehte und mit bem Echwänzchen wippte, 
als wollte es lernen. Das Zeislein unten 
im Garten [pibte bie Ohren, hielt bas Köpf— 
chen jchief und horchte in bie glajerne Luft, 
woher bas Süße Spiel fame. Drüben beim 
Altmännerhaus war es nidjt. Wie folte 
es aud)? Alte Diänner haben fiible, welte 
Lippen und mögen nidjt Flöte blajen, haben 
vom Leben genug und fennen nidjt Sehne 
[fudit mehr von Menſch zu Menſch, und ihre 
Geele mag in irdijden Garten nicht mehr 
figen und träumen. Nur daß vielleicht einer 
einmal bie Ziehharmonita ber jungen Tage 





aus ber Lade hervorjuchte, zitternd über bie 
Tajten fingerte und ein mübes Lied über 
den Fluß jchidte, jo müde unb matt wie 
ber eigene flache Atem. 

Blakgolden [djob fid) ber Gommermond 
über bas Haus. Und indem bes 3eisleins 
Seeldhen ben Tönen nadjging, jah es Karl 
Asmus im Fenjter figen und die Flöte blin- 
fen, faltete die Hände über den Knien, 
wandte fein Auge von dem Spieler in ber 
Luft und ließ die Melodien ihr Herz wiegen 
und tragen wie eine keier. bie ein Haud 
hierhin und dorthin weht, bald nad) oben 
und bald nad unten. 

Der Mond ftieg, und der Giebel ward 
Dell wie am Tage, unb unter ben Bäu- 
men lag blaue Dämmerung. Das Zeislein 
war wie im Traum und wußte nicht wie 
ibm gejdah; ob es wollte oder nidjt, es 
mußte unter den Bäumen tanzen, wie oben 
die Flöte ging. Und Karl Asmus [fab in 
ben Mond, fein Gefidjt war in dem Schein 
jo weiß wie des "Zeisleins Kleid, und ihm 
war, als hätte er einen Ring um die Bruft, 
war weit unb hoch über alle Welt, [pielte, 
was [eine Geele ihm eingab, unb in ibm 
war etwas gebunden, das Elagte und wollte 
erlöft fein. Und bas Beislein tangte, lang= 
jamer oder fchneller, traurig oder mit Freunde, 
wie gerade bie Weife war, bog den zierlichen 
Leib unb jchwentte bas Ridden und hörte 
nicht auf, wie aud) bie Zeit floh. Bis Jung: 
frau Wieje aus bem Gebüſch trat und fie 
ins Leben rief, daß fie zufammenjchrat und 
die Hand auf bas Elopfende Herz legte. 

„Nun, Zeislein, id) büdjte, es wär’ Zeit 
zum Neft und zum Tanzen zu fpat. Eind 
die Füßchen nod) nicht müde genug? Fret: 
lich, wenn der Karl jpielt, das geht einem 
ins Herz unb in bie Glieder; einer muß 
weinen, unb ber andere muß tanzen.“ 

Das Zeislein [trid) bie Haare aus ber 
Stirn unb holte tief Atem, fah Jungfrau 
Wieje immer nod) erjdroden an und fand 
fid) nicht guredt. 

Jungfrau Wiefe ffopfte ihr bie heißen 
Mangen. „Beh beim, Zeislein; es wird 
fühl, und vom Wajjer fommt der Nebel; 
geb beim, damit bu nicht Schaden nimmit.“ 

Das Zeislein, ob es nod) gern zu ber 
Flöte hätte tanzen mögen bis in bie tiefe 
Nacht, lief davon; bie Gartentiir flappte 
unb oben im Giebel bas Fenjter; eine Wolke 
30g über den Mond, und Jungfrau Wiefe 
leufzte, daß bier bas Sdhidjal jpänne und 
Fäden zöge zwilchen zwei Menſchenkindern, 
ſo jung ſie waren, und wenn einer ſie zer— 
ſchneiden wollte, es würde alles nichts hels 
fen. Ein Menſchenkind muß auf den Weg 
der Jiatur und durch alles hindurch, es bleibt 





ibm nichts erjpart, was von der Erde ift, 
unb muß leiden, was thm eingeboren iit, 
und dulden, was ihm gefchidt wird, wie die 
Pflanze auf dem Feld, Regen und Sonnen: 
ihein, Hagel und Sturm, und alle Feinde, 
bie von feinem Blut zehren. 


: BB 8 
Freilich vorerſt blieb alles wie es war. 


Denn nicht immer ſtößt Liebe aus der Luft 
wie ein Falke, ſondern treibt es mit den 
Menſchen wie die Katze mit der Maus. Das 
war ein Verſtecken und Belauern, ein Horchen 
und Obren|pigen und Wittern. Jn ber 
Frühe, wenn bie Gonne aufging, bub das 
Beislein an mit feinem Gefang, hielt es mit 
ben Gefieberten in den Zweigen, und ward 
erh til, wenn der Tag ging. Und bes 
Abends jak Karl Asmus mit der Flöte im 
Syeníter unb das Zeislein unter den Bäumen 
auf der Bant, aber Lied und Flötenſpiel waren 
nicht mehr jo unbewußt wie vordem, fon: 
dern es war Gehnfudt und Verlangen darin, 
Beriteden und Cudjn, wie ber Bogel zur 
Früblingszeit in die Dunfelheit ruft bod) 
aus der Luft, bis eines ihm Antwort gibt. 
Und es hörte feiner, was in den Tönen 
war, denn Jungfrau Wielje, und das Herz 
gitterte ihr um das eine wie das andre, am 
meijten aber doh um Karl Asmus, weil 
ihm das Herzeleid fo nahe war. Wenn Die 
Dämmerung tam, war ibm fo weh in ber 
Bruit, viel weher, als an dem Tag, da er 
die Heimat hatte laffen míjjen; feine Seele 
war jo zag und fürchtete fih vor bem Gar: 
ten und den bunflen Bäumen, und er wäre 
bod) am liebften die Stiege hinabgeflettert 
und hätte neben bem 3eislein figen mögen und 
[pielen, weich und leije unb jüß wie ein Traum 
bis an den Morgen, und wäre nicht müde 
geworden. Aber wenn er an ber Tür feines 
Rammerdens ftand und die zitternde Hand 
auf der Klinte hatte, erjchral er, als [tánbe er 
vor einem verbotenen Gemadh. Bis ein 
Abend fam, da [prang die Tür von felber auf. 

Der polle Mond ftand am Himmel zum 
zweitenmal, jeitbem das Zeislein war ges 
flogen gefommen. Karl Asmus jaß im 
Fenlter, unb die Flöte in feiner Hand blintte 
wie Silber und war bod) ſchwarz wie Ebens 
holz. Er legte bie Lippen daran, aber einen 
Ton bradjte er nicht heraus, denn es war 
auf feiner Bruft eine Hand, bie Dbrüdte jo 
jchwer, daß ihm ber Atem verging; er jab in 
der Tiefe des Zeisleins Kleid jdyweben wie 
einen Nebel, und Gejang fam von unten, 
jo ſüß wie ein Blumenduft und fo leije, daß 
feiner es hörte, denn er allein: 

Sm Rofengarten 
Will ich Dein warten, 


Im grünen Klee, 
$m weıßen Schnee. 


Deutihe Seele BS333333333331 237 


Da ging er wie ein Nachtwandler zur 
Rammer hinaus, durd) bas fnarrenbe Pfört: 
lein in den bunflen Garten ohne Furdt, 
unb bas eislein ftand in ber filbrigen 
Dämmerung, hatte ein Rranalein von Feld: 
blumen auf, und das dunkle Haar flimmerte 
und jprühte. Sie nahm ibn bei der Hand 
wie einen Blinden und führte ihn zur Bant. 
„Nun warte id) bier ben dreißigiten Tag 
und hätte dich nicht gerufen; aber morgen 
muß ich fort, und ber Abſchied ift gefommen. 
Den legten Abend [olljt du mir hier auf der 
Bant fpielen. Du folft fpielen, und id) 
will tanzen.“ 

Und Karl Asmus tat, wie das Zeislein 
wollte, fag und [pielte, und bas Zeislein 
lebte bie Füßchen unb tanzte vor ibm Do: 
hin zu feinen Weiſen wie am erjten Abend, 
bog ben zierlichen Leib und warf die Arm: 
then, bis das firünglein in den Gand fiel 
und zertreten ward. Gie lahte dazu. „Es 
ftehen viele Blumen in der Welt zur Some 
merzeit, ba tann man brechen, joviel man 
mag.“ 

Er fpielte unb das Zeislein tanzte, und 
als es Jatt war, fete es fih neben ibn, nahm 
ihm die Flöte fort und wollte blajen, aber es 
fonnte nicht und bradjte nichts heraus als 
ein hobles Saufen. Und da er bie Flite 
zu einer neuen Weile wieder an die Lippen 
brachte, zitterte er bis ins Herz, denn es 
war, als fei das Holz wie warmes Fleiſch ges 
worden und als berühre er ihren weichen 
Mund. Er blies und wußte nicht was, aber 
es war. jo füh, daß dem Zeislein bie Tränen 
lamen, Gie rüdte dicht an ihn heran und 
rührte fih nicht, unb ihr warmer Atem [trid) 
an feiner Wange vorbei wie Südwind, 

Da er innebielt, legte fie ihm die Hand 
auf ben Urm. „Nun jollit bu mir fpielen, 
was id) will und gern babe. Cpiele mir: 
Robin 9[bair.^ Aber er konnte es nicht. 
„Ih will es dir vorjingen.” Und fie fang 
dicht an feinem Chr: 

Treu und berainniglid) 
Robin Adair, 

Taujendmal grüß’ td) bid), 
Robin Adair. 

Hab’ ih bod) monde Nacht 
Echlummerlos bingebradt, 


Immer an bid) gedadyt, 
Robin Adair. 


Zwei-, dreimal fang De es ihm vor, bis 
er es konnte; unb bie beiden jungen Geelen 
waren voller Celiafeit und gar nicht mehr ` 
auf der Welt; fuhren dahin wie auf einem 
Schifflein in den filbernen Himmel, rund 
um den Mond unb die Wolfen, waren wie 
Schmetterlinge und Libellen. Biseine Stimme 
rief: „Zeislein, wo fiecft Du? Gest gebt's 
zu Bett und bie Tür wird verjchlojjen!“ 


238 Johannes Höffnerr: Ce 


Da legte fie bie Arme um feinen Hals 
und tüpte ihn mit ihren heißen Lippen mit: 
ten auf den Mund, dağ er nicht wußte, wie 
ibm geídjab. Dann wirbelte fie berum unb 
war fort, ftand an ber Gartenpforte ftill, 
warf eine Kußhand ins Duntle und jang nod) 
eine Weile aus dem Fenfter in bie Abend: 
ftile die Melodie, bie er von ihr gelernt 
batte. Und er gab Antwort auf der Flute, 
bis es drüben ftil ward. Da ftiigte er ben 
Kopf in die Hand, und die Tränen fielen auf 
ben Boden zu dem zertretenen Kranglein. 

Wm andern Morgen — ad) da war fein 
Zeislein mehr, das gelungen hätte über 
Garten und Hof, nur die Eljter frächzte, und 
der Himmel war fo grau wie eine Nebel» 
frähe. Beim Frühſtück jah ihm bie Meijterin 
ins Gejidt. „Jung, was bijt bu fo blak? 
Du bift bod) nicht trant?” Aber ber Meijter 
fuhr dazwiſchen: „Ach was, die Arbeit wird 
ibm [hon wieder rote Baden machen,” [tippte 
feine Semmel ein, [dob Karl Asmus den 
Brotlorb hin: „Da nimm dih was, und 
ftipp bid) in, denn wird dich wieder beffer 
fin," unb gog aus ber übergelaufenen Mildh 
mit dem jchwicligen Zeigefinger Gtriche 
und Rringel unb badjte ärgerli an das 
geitrige Spiel im Ladys, denn er hatte mehr 
verloren, als er jid) gejebt batte. Ga es 
war jo, niht immer macht Spiel bas Herz 
froh, ob einer nun Karten [pielte oder Flite. 

Der Meilter hatte recht. Bei der Arbeit 
wurden Karl Asmus die Wangen wieder 
rot wie jon|t, denn es ging heiß ber; es 
war fein leichtes Ctiid, das Gitter für 
den Pajtor primarius zujammenzuichweißen 
und zu nieten, und felbjt bem Meiſter wurde 
bie Hand müde und taub. Am Abend aber 
war Karl Asmus wieder blaj wie am Mors 
gen, und fein Herz war unruhig und flatterte 
wie ein Vogel im Käfig; das Weinen jaß 
ibm in der Kehle, und in den Augen hatte 
er joviel Tränen, wie er fiir Jungfrau Wieje 
SRajjer vom Brunnen trug. Die brauchte 
nicht zu fragen, ob ihm etwas fehle; die 
wußte, wie es mit ibm ftand, rübrte nicht 
daran und wußte, wie jold)em jungen Schmerz 
fürs erfte zu helfen wäre; fie holte ihm etwas 
CiiBes aus bem Glas[d)rant, ließ thn mit dem 
Papagei plappern und jpielen und gab ihm, 
ehe er zu feiner Rammer jtieg, ein Kleines, 
grünes Bändchen in die Hand, darauf ftand 
in goldenen Budjtaben: Goethes Gedidte. 
Die mochte er leſen; darin jtand, was jchwere 
Herzen leicht madte und was ein Menſch 
um Liebe leiden mochte. Wordem hätte er 
fie gewiß nimmer verftanden, aber nun hatte 
fein Herz fid) aufgeſchloſſen wie eine Blume 
bem Tau — — — — — — — — 


Rarl Asmus fab am Fenfter wie am 
Abend zuvor und las bei bem weißen Mons 
denlicht in dem Büchlein, das Jungfrau 
Wieje ibm gegeben hatte, und es war ihm, 
als hörte er in ber fjerne vom Himmel Der 
eine Mujil, wie er fie nod) nie vernommen, 
als wäre in ber Luft ein Singen und 
Schwingen von wunderbaren Tönen, und 
als fame er aus jengender Commerglut in 
einen fühlen Buchenwald, darinnen Die 
Quelen ricfelten und die Vögel langen und 
der Wind webte unb das Moos Dduftete. 
Die Dämmerung lag unter den Bäumen 
träumte er, aber hinten wurde es bell; wo 
ein Weg ging, ba fam ihm jemand ents 
gegen, unb er fannte ihn nicht und wußte 
niht, wer er war, bis bie Geftalt ihm 
ganz nahe war und bas Marlenefen vor 
ihm ftand, thn mit traurigen Augen anjah 
unb fragte: „Wo fommit bu ber?“ Das 
Herz ſchlug ibm fo laut, als hätte er großes 
Unredt getan und müßte ihr abbitten, was 
er an ihr verjdjuldet; er legte den Kopf in 
bie hohle Hand und [djug das Bud zu; 
er hörte, wie jemand ihn rief, und lief 
bie Dorfitraße entlang und den Berg bins 
auf zur Mühle, wo die Güſſelken im Grafe 
lagen unb mit den jdjmargen Echnäbelcdhen 
in den gelben Daunen wujelten, und wartete, 
daß bas DMtarlenefen fame, denn er hatte ja 
[don thre Stimme gehört. Danah war er 
in einer großen Stadt, ba ftanden bie Haufer 
jo hod, daß man den Himmel taum fab, 
und er ftand vor einem Haus mit taufend 
Fenſtern, die waren alle buntel und jchwarz 
wie bie Nacht. Nur eins war hell, ganz oben 
unter dem Dad, unb wenn man hinauf: 
feben wollte, mußte man den Kopf ganz 
weit nad) hinten biegen: da ftand bas 
Zeislein im Lidt, löfte ihr Haar und 
ließ es über die Gculter fallen und 
lachte... 

Karl Asmus feufate, als fame er aus 
tiefem 9Rajjer; im Garten ftand die Bant, 
und die Banf war leer, das Reislein war 
fort, und ob er es jemals würde wieder: 
leben, das wußte Gott. Bom Hafen ber jchrie 
mit dem Nachtwind eine Girene über die 
Stadt. Ein Schiff fuhr hinaus in das weite 
Meer, an deffen Straßen jtanden feine Weg: 
weijer, und es fand fih bod) zurecht durch 
alle Klippen und Fährnijje, denn die Magnets 
nadel hielt es auf der richtigen Bahn. „Wenn 
einer nur einen Kompak in ber Brujt hat, 
der fommt [djon guredjt.^ Das war Paftor 
Nenumanns Wort, wenn er des Abends auf 
feinem Spaziergang bei bem Weberhäuschen 
am Zaun ftehenblieb und zwijchen den roten 
Malven hindurh mit den Weberleuten 
redete und der Alte jein Herz auftat, was 





wobl mit jeinem Rarl werden wiirde in der 
großen Welt. 


Freilid), ein Bater ift immer in Angit 
und Gorge um den Sohn, mehr als eine 
Mutter, denn er tennt fein Blut und tennt 
die Gefahren unb war ihnen felber nab, mußte 
fie leiden und weiß, daß viel Reue vonnöten 
ift, ehe einer ein Mann wird. Aber wenn 
ein Rogel erjt aus dem Neft ift, was hilft 
da Pfeifen und Loden? Er fliegt, wohin 
es ibn treibt, und {ft er aus bem Schuß unb 
Gebiijd und bem hegenden Gebórn, darinnen 
er zur Welt fam, wer will wijjen, wasibm 
begegnet? Es gibt zuviel Fährnis und Liften 
unb Laurer unter bem Mond, Fährnis in 
der Luft und auf Erden, am Tag und in 
ber Naht noch mehr; es gibt Ragen und 
Falten und Marder; es gibt Wicjel unb 
Frettdhen, bie jo Hein find, daß einer fie in 
der Fauſt zerdrüden könnte mit einem Griff, 
aber wenn einer nicht acht bat, verbeißen fie 
fid in Gurgel und der, daß er verbluten 
muß, ebe Hilfe fommt. Und bie Bogeljteller 
mit Garn und Ruten, bas find die jchlimms 
ften, figen hinter bem Gebiijd) verborgen und 
[páben und lajjen ben Lodvogel rufen und 
äffen Gimpel und Drojjeln, Dumme und 
Kluge, und wenn das Reh zuichlägt, ift es 
um Glück gefchehen und um Freiheit, und 
hilft alles Jammern nidts: denn ein Bogel: 
fteller bat fein Herz. 

Da war Robert Wodenfuß, um den die 
Mutter meinte und der Vater jid) den Schlag 
an ben Hals ürgerte, weil er mit feinem 
Stolz vor ben Leuten zum Cpott geworden 
war; er batte den Jungen auf einen nahr: 
haften Zweig, in einen grünen Baum [eten 
wollen, aber nun war er auf und davon, und 
feiner wußte, wohin er geflogen war. Und 
im ganzen Dorf legte feiner für ihn ein 
gutes Wort ein als Auguft Rottjchalt, ber 
Ajritander, und der wußte aud), marium, 
Klaus Drafehn, der Lehrerjohn, ſchlug aud) 
nicht zum Beften ein, jo febr die Mutter 
aud) mit ibm prablte und ibn herausitrich. 
Er war ein windiges Biirjd)den, bem es 
nidjt um das Lernen ging, jondern um die 
Stadt unb bas MWergnügen, job fidh bie 
bunte Müge ins Genid, zupfte das rote 
S üdlein aus ber Brufttafche, ließ den feides 
nen Schlips flattern und bas Spasterjtidden 
zwijchen den Fingern tanzen und den billis 
gen Giegelring blinfen, lag in den Kondi: 
toreien und bradjte das Geld Durch, bas Die 
Mutter ibm au[tedte; oder er wippte jtrands 
auf, ftrandab wie eine Bachſftelze, hatte ein 
Mädchen rechts unb ein Mädchen lints, trat- 
tierte jie mit gegierten Redensarten und lobte 


Deutide Geele BSBSSSSssssesseai 239 


fid) bie ftädtifche Art, bie bod) SES war 
als bas Wlarlenefen daheim. 

Sa, es fonnte feiner willen, was er an 
feinen Kindern erlebte. Aber Paftor Neus 
mann jchüttelte den Kopf, wehrte mit ber 
Hand und blieb dabei: „Um den Karl braudt 
feiner bange zu fein, ber fommt von feinem 
Weg nicht ab." 

Als bas Zeislein fort war, war der Some 
mer vorbei. Die Abende wurden lang und 
dunkel unb die Nächte fühl. Immer höher 
ftieg der Nebel über ben Flug und ftand 
bis an Karl Asmus’ KRammerfenjter wie 
ein Meer unb wanfte nicht; die Schwalben 
zogen fort, bas Rotkehlchen flatterte um 
das leere Neft und rief nad) den Jungen, 
aber die waren über alle Berge, faken weit 
hinter der Stadt, wo die reifen Beeren an 
ben Wegiträuchern hingen und taten fic) giite 
lid), waren ihre eigenen Herren, brauchten 
fid) nicht mehr von den Alten füttern zu Lok . 
fen und waren des ewigen Cincrleis ledig, 
ließen fid) immer weiter loden von blauen 
unb roten Lederbijjen bis an ben Wald, 
darinnen bie Dohnen [djon bunt beitedt 
waren und bie Sdjlingen warteten, daß eins 
das Köpfchen hineinjtede. Das Laub im 
Garten wurde rot und gelb wie der Abends 
bimmel, unb ob aud fein Windhauch ging, 
jo fiel es doch, bald bier ein Blatt und bald 
dort, als hätte eine unfichtbare Hand es fadt 
und lautlos abgefdnitten. Bom Nußbaum 
auf dem Hof fprangen Die Nüſſe aus ben 
grünen Schalen gwijden das Hühnervolf, 
daß es gadernd auseinanderjtob, unb ber 
Puthahn follerte herbei, ob er fie jchluden 
tónnte. Die Eliter aber badte mit ihrem 
harten Schnabel darauf los, bradjte ben 
Kern heraus und flog mit höhniſchem Kichern 
davon, als wollte jie jagen: „Wlan muß ein 
Ding vom richtigen Ende anjajjen. Man 
muB einer Cade zu Leibe geben." Das ift 
eine Weisheit, bie liegt auf der Straße. Aber 
es hebt fie nicht jeder auf. Um erjten nod), 
wer ein Cdjlm ijt, aber aud) ber nicht 
immer. 

Martin Hagedorn auf dem Berg Hinter 
ben eijernen Tralljen im Cpinnbaus hatte 
es wieder einmal vom verkehrten Ende ans 
gefangen, hatte es jatt befommen, auf den 
Zigeuner zu warten unb in den Dunklen 
Herbjtnächten mit einer Glasjcherbe das 
Bitter aus bem Lager geihabt, Haarbreit 
um Saarbreit, bas Bettlaten zerrijjen und 
zum Strid gedreht und wäre mit allem 
alüdlid) zu Rande gefommen, wenn das 
Seinengeug nicht mürbe gewejen und gerijjen 
wäre, daß er jammerlic) in bie Tieje jtürzte 
unb mit zerbrochenen Gliedern liegen blieb, 
Jun war er im Lazarett und ein Krüppel 


240 Johannes Hiffner: BSSSesesssessssd 


unb mußte an Krüden gehn. Geine arbeits» 
[eue Geele freilich fand jid) aud) damit ab 
unb meinte, daß es nicht das [djledjtejte 
wäre, wenn einer durd) die Welt bumpelte, 
denn folh Bebredyen machte mitleidige Leute 
in bie Tajche greifen und ficherte einem eine 
einträgliche Rente bis an den Lebensabend; 
es braudjte feiner einen Ginger zu rühren, 
nur ein Spriidlein berzujagen und bie Müge 
binzubalten. Das war auch nidt zu per: 
achten. Und wenn er felber feinen großen 
Schlag mehr tun fonnte, es gab genug, Die 
gern Halbpart machten und die goldenen 
Hühndyen holten, wenn er ihnen nur den 
Stall zeigte. Es gab genug unten in der 
Stadt, bei denen was zu holen war. Und 
bei Nacht, wenn der Nachbar rechts und der 
Nachbar lints jid) im unruhigen Schlaf bins 
und bermarfen im Fieber und im böjen Ges 
willen, zählte er fie immer wieder in Ge: 
danten her, denen einer von ihnen Reichtum 
abzapfen konnte. Der erjte aber jollte Sebajtian 
Frendenſprung fein, denn bet dem wußte er 
Bejcheid und wollte bem Spießgejellen ſchon 
den Weg weijen, daß er nicht fehlichlug. 
Und er jaf} draußen vor der Tür auf dem 
Stein, hatte bie Krüden frenzweis übers 
einander gejdlagen und den Kopf in bie 
Hand geftüßt, als Jchliefe er, und jpähte bod) 
ftrafauf, jtraßab in bem fladernden Laternen: 
idein, ob Gefahr tame. Bis dahin freilich 
mußte er nod) manchen Stuhl flechten, aber 
mit der Zeit piliidt man Rofen. Freilicd 
nicht in jedem Fall. Tobias Bitterling zum 
Beilpiel ja nun jdjon Jahr und Tag und 
ihrieb fid) bie Finger trumm, glaubte, in 
einem Gartlein müßte bod) auch einmal 
eine Knoſpe aufbredjien und ein Röslein 
ftehen mit ſüßem Duft, und es blieb bod) 
alles beim alten, die Dornen waren wohl 
ba, aber blühen wollten fie nicht. 

Nun ftand der Winter wieder vor der 
Tür, und woher jollte Tobias Bitterling 
nehmen, was not tat: warme Kleidung für 
die Kinder, Kohlen und Torf und Beleuchs 
tung vom frühen Nlachmittag bis in Die 
jpate adt. Er fap und rechnete bis die 
dürftigen Zahlen vor feinen rot geränderten 
Augen tanzten, aber es blieb dabei, es reichte 
nicht bin und ber, jelbjt wenn er bei Gebajtian 
Freudenſprung anjchreiben ließ, und das war 
auch nicht geichentt, und der große Pojten 
war nicht jo leicht abgejitoBen wie Tag für 
Tag ein Heiner. Wenn einer mit Schulden 
anfing, ber fam um Kopf und Kragen. Wenn 
er etwas verlaufte? Es war nichts anderes 
ba als das Sofa, und das machte den Kohl 
nicht fett. Es half nichts; man mußte dem 
Winter die Zähne ausbredjen jo gut es ging. 

Er nagelte Tucheggen in die Türrahmen, 


verfittete bie Scheiben, verflebte alle Riten 
ber flapprigen jyeniterjüllungen mit Papier 
unb Düngte bie diden Strohvorhänge ein, 
bie von außen bem Wind unb der Kälte 
wehren follten und darin bie Cpagen ſich 
einfujdelten und bet bem armen S.hreiber 
ein warmes Dbdad) fanden. Danad) zog er 
mit feinem Wrbeitstijd in die Küche, fete 
das lange Winterrobr in ben Kochojen und 
leitete es durch die Stube nebenan in den 
Sdornjtein der gegenüberliegenden Wand 
und nubte fo alle Wärme, daß nichts ums 
tommen fonnte. Und wenn es gar zu talt 
war, ftedte er die Kinder ins Bett, dak fie 
faen wie die Spdglein im Stroh. Als er 
jo fein Neft heraerichtet und jedes Löchlein, 


Durd bas der Wind hätte blajen und jchlüps 


fen Tonnen. verjtopft und verichlojjen hatte 
wie ein Eichhorn im Walde, holte er auf 
einem Handwägeldhen, was er an Heizung 
braud)te, halb Torf, halb Kohlen, ftand auf 
dem Hof und wilchte den Schweiß von der 
Stirn, jeufzte und dachte: ‚Nun mag der 
Winter fommen. Er wollte es jhon ſchaf— 
fen. Nur Krankheit durfte nicht tommen. 
Dann freilid) wußte er nicht ein nod) aus! 
Und wie Tobias $Bitterling jo zaghaft in 
die Zufunft [ab und das Herz thm jchwer 
wurde vor bem, was ihn trejjen fonnte, war 
jhon ein Herz mit ibm und feiner Not be: 
Ihäftigt und fann, wie ihm zu helfen ware. 
Da Gungirau Wieſe gefunden hatte, auf 
weldje Weile fie Dem Schreiber etwas zus 
tommen laffen fónnte, obne daß es ihn 
franfte, jchlug fie das Fenſter auf und rief 
über den Hof: „Herr Bitterling, einen Augen: 
blid!“ ging, bolte einen Stoß vergilbter 
Motenftiide und reichte fie ibm bin: „Sie 
find ja ein [o geidjidter Menjd. Könnten 
Cie mir diefe Noten abjdreiben?“ Der 
Schreiber ftand, und bas Blut ſchoß ibm in 
bie blajjen Wangen in ber Freude fiber die 
unverhoffte Arbeit, unb Jungfrau Wieje 
framte in ihrem Nähtiſch, legte zehn Taler 
in feine Hand und nidte ibm zu: „Tas 
macht viel Mühe und nimmt Ihnen andern 
Sherbienit. Es ijt billig, daß ich es im voraus 
bezahle.” Tobias Bitterling glaubte, er wäre 
im Traum, und wußte faum das rechte Wort 
zu finden, und wie er vor lauter (Glod vers 
legen jtotterte, brachte der Papagei auf Jung» 
frau Wiejes Schulter alles ins reine und 
Jprach janft und zuredend: „Cage dante mein 
Kind, mein Püppchen, mein Schnuteten.“ 
Dann aber, als Tobias Bitterling ihwan: 
fend Davonging, frie er aus vollem Hals: 
„Steuerbord, langjam voraus!“ 

Jungfrau Wieje hatte eine linde Hand 
und ein autes Herz, und Tobias Bitterling 
war nicht ber einzige, Dem fie einen Not: 





Stilleben. Gemälde von Rudolf Otto 
(Sm Belit der Kal. Hoffunjthandlung Emil Richter in Dresden) 


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THE LIBRARY 
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PEISISHHEFISI THU Deutiche Geele | 


ojden in die Hand driidte, wenn ber 

inter fam, Auf der Laftadie, in ben Win: 
teln ber Gaſſen war Armut und Elend ge: 
nug, blajje Frauen mit rotgeweinten Augen, 
die auf den Mann warteten, und er fam 
nicht wieder, lag mit feinem Schiff unten im 
Dieer ober verdarb in fremdem Land an 
Fieber und GCeude, Jungfrau Wieje be: 
dachte fid) nicht lang und fragte nicht viel 
unb jah es einem an, ob er die Wahrheit 
jprad; fie gab, wie fie konnte, um Johann 
Riichenreutcrs willen, ber auch draußen ges 
blieben war im najjen Grab, und auf den 
fie gewartet und um den fie geweint jo 
manches Jahr. Und ob aud) jedesmal, wenn 
jo ein armes verlajjenes Weib im ſchwarzen 
Kopftuh an ihre Tür flopfte und ihr bas 
Herz aus|djüttete, ber alte Schmerz aufs 
neue an ihr müdes Herz griff, ließ das 
fremde Leid fie fchnell vergejjen, worum der 
Tod fie betrogen hatte. 

Da denft einer immer, daß niemand mehr 
zu tragen hat, denn er jelbjt, und daß es 
feinen jteileren Weg gibt, denn ben feine 
Füße geben miiffen, und wenn er jid) um: 
Ihaut und adj gibt, wird er gewahr, daß 
ber Beladenen mehr find als der Leidten 
und Ledigen. 

Der Glafer Strippentow ging umber, als 
wäre er irr. Das Haar hing ibm in bie 
Ctirn, und bie Augen fladerten, fonnten 
feinen anjehen und fuhren aus zur Rechten 
unb zur Linken; er achtete auch auf feinen 
Gruß und Zujprud, und wenn er ben Ritt 
ſchlug, jchrie er unb fluchte, als hätte er fein 
SBejen mit einem Menſchen; und er war bod) 
fonft ein tiller und bejcheidener Mann. Aber 
jedes Jahr, wenn die Blätter fielen, fam es 
über ibn und trieb ibn um und madte ibn 
wie ein Tier und jedes Jahr jchlimmer. Die 
grau ließ ibn laufen und hantieren und 
nahm es fid) nicht mehr zu Herzen, wie in 
jungen Jahren; fie wartete ab, bis er wieder 
zu [id tam, und hätte eine [inde Hand und 
ein weiches Herz haben müjjen, wie Gung: 
frau Wieje, denn der Blajer war ein armer 
und bejammernswerter Miann, hatte eine 
[dere Schuld auf dem Herzen und wurde 
fie nimmermebr los. 

Gr war ein junger Burjch und auf der Wan: 
derichaft im Stolpiichen und hätte wohl [ingen 
mögen, daß ibm die Welt offen ftand. Uber 
ber Ranzen drüdte ihn, und der Weg wurde 
ibm jauer, und fein Gemüt troh am Boden 
wie eine Schnecke, denn der Sommer war 
dahin, Die Wolfen zogen, und der Wind 
blies über Heide und Ploor, und er wußte 
nicht, wo er zur Wacht fein Haupt nieberlegen 
folte. Es war ihm wider den Ctrid) ge: 
gangen. Der Meiſter batte ibm unvermutet 





aufgejagt, und nun war es verjpielt und 
vorbei, er mußte tippeln zur jchlimmen 
Jahreszeit und hatte bod) gehofft, er würde 
den Winter über warm figen können und 
geborgen. Sm Frühling, wenn die Verde 
Ihlug und ber Rudud rief und einer fein Bett 
unter den grünen Bäumen machen konnte, 
am Duell jid) maldjen unb in ber Sonne 
lic) trodnen, derweil das Hemd am Aft lüf: 
tete, und bie Stiefel über ben Stod hängen, 
ein Strdugden an den Huf fteden und an 
ber CtraBe fih [chen an bem, was eine 
milde Hand bot, bas war wohl ein ander 
Ding, da war die Welt wohl ein Paradies, 
wohin fid) einer aud) wenden modjte. Aber 
jo im dünnen SXódlein und mit leerem 
Magen, wo der Wind blies und die Najje und 
Kälte aus der Erde ftieg und mit tnódjer: 
nen Händen ans Herz griff, da konnte einer 
Zeit und Welt verfluchen. 

Die Sonne fiel, und die Woltenftreifen 
am Horizont überliefen blau und rot, bie 
Heide gab ben biüjtern Schein wieder, und 
die Moorlöcher ftanben jchwarz und ges 
Jpenfterhaft wie die Pforten der Hölle; bie 
Nebel quollen empor wie Dampfrajten und 
flogen, und es war, als bielte einer ihn an 
einem Ranzen feft, und der Wegweijer vor 
ihm redte die Arme wie ein Galgen. 

Da fam am Kreuzweg von ungefähr ein 
Gelelle, idjmang ben Stod und rief ihn an: 
„Brüß’ Bott, Bruder! Das heißt man eine 
gute Gelegenheit, wenn zwei Füchſe einan: 
ber Ober den Strid) laufen. Da Tonnen wir 
mitjammen marjdieren, denn die Gegend ijt 
öde und das Wirtshaus weit, bie Luft ijt 
Ihwer, und Mutter Grün ift uns 9.:d)t mehr 
gewogen, aber zu zweien wollen wir uns 
(don Zeit und Weil’ vertreiben. Holla, 
Bruder, wir wollen eins fingen, dann läuft 
der Weg, und die Füße merten es nicht.“ 
Damit wirbelte er den Stod wie ein Tam: 
bourmajor, wenn bie Rniippelmuljif an bie 
Reihe tommen fol, und jang in den Nebel; 


Es ftebt ein Wirtshaus an der Lahn, 
Da kehren alle Fubhrleut an, 

Frau Wirtin figt am Ofen, 

Die fFubrleut um den Zijd) herum, 
Die Gajte find bejoffen. 


„Pog Donner, Bruder, warum hältjt du 
nicht ben Part?” 

Der Glajer fhüttelte den Kopf. „Zum 
Singen braudt es Luft und Geld unb einen 
warmen Rod.“ Er flaqte fein Leid unb 
fluchte in den Abend über den Hundsfott 
von Meiſter, den Leutejchinder und Beutels 
jchneider, ber ibm den Stuhl vor die Tür 
gelegt batte ohne Grund und Recht. 

Der Ramerad lachte unbändig und ſchlug 
mit ber Faujt vor feine Stirn. „Kerl, Kerl, 


242 Bre: 3 RXXR3$3-3$3€3 Johannes Höffner: 


da fieht fid) einer bod) vor, folange es Zeit 
ift. Wenn es Brei regnet, hält bod) einer 
den Löffel hin. Meinem Bater feinem Sohn 
tann jo was nidjt widerfahren.“ Er tippte 
mit dem Daumen gegen bie Bruft. „Brus 
ber, merfjt bu was? Da fibt es, daran hab’ 
id) genug für viele Tage. Wie heißt es? 
Wer die Arbeit tennt, ber reißt fih nicht 
danadı.“ 

Cs war bunfel geworden, und feiner 
fonnte den anderen faum von Angelicht 
leben. 

Der Glafer fragte beflommen: „Woher 
fommit bu zu foviel Geld?“ 

„a, Menſch, wie wir gebaut find — 
wenn du willjt, gefunden, aber es muß einer 
danach judjen, in Kaften unb Schränfen und 
wo jonjt etwas liegt.“ Er frabte die Kehle 
tein und fing wieder mit Gingen an: 

Frau Wirtin hat aud einen Dann, 
Der fpannt den Fubrleut’ jelber an, 
Er jdentt vom allerbeiten 
Ulrichiteiner Frudtbranntwein 

Und fegt ihn vor ben Gajten. 

„Weiß Gott, Bruder, wenn wir unter 
Dah und Fach find, laffen wir was drauf: 
gehen und [pülen den perbammten Moor— 
rauh aus der Kehle. Das fol nod) ein 
fibeler Abend werden.“ 

Aber der Glajer gab feine Antwort, denn 
wie ber Nebel aus dem Moor, jtieg aus 
jeinem Herzen ein Gedanfe und brodelte 
und wirbelte, nahmihm Atem und Belinnung, 
und als ihm ber Rerjtand wieder fam, lag 
der andere am najjen Boden, erwürgt und 
iot. Er wiühlte ibm bie Tafden um und 
um, aber er fand feinen roten Heller, denn 
der Gejelle war ein Liigenmaul gewejen und 
ein Spottvogel wie Till Eulenjpiegel, hatte 
dem Glajer bas Maul wäjjerig madden 
wollen und nicht bedacht, daß zwijchen zwei 
Vienichen in der Heide bei Nacht und Nebel 
der Teufel gehen könnte, 

Das war nun zwanzig Jahr Der und 
länger, und der [uftige Gejell war vermorid)t 
und vermodert, und über jeinem vergejjenen 
Grab mids Gros. Aber über die Tat 
wollte feins wadjen, denn des Blajers 
Reue wiihlte immer wieder auf, was die 
Zeit gudecden und bergen jid) mübte. Das 
halbe Leben hätte er geben mögen, wenn er 
nur ber Cd)ulb [os und ledig würde. Aber 
der Gridjlagene ftand vor ihm und wir: 
belte den Ctod und Ire: „Das halbe 
Leben? Das ijt nicht genug. Sd) will das 
ganze. Unter bem nun und nimmermehr!” 
Jedes Schr, wenn der Herbjtwind durd bie 
dürren Blätter ging wie burd) Totengebeine, 
fam er wieder und forderte und drobte und 
ging dem Glajer nicht von der Geite; erjt 


SA 2 SO SA SO St Sl St SOS NSP 3$ SO Se 


jah er ihm burdjs Fenjter bei feiner Arbeit 
zu, Wie er mit dem Diamant bas Glas 
ribte und brad, bann fam er ins Haus, 
Honn neben ihm, wenn er den Kitt ſchlug 
und hielt die Hand vor den Hammer, wenn 
er niederfuhr, fab mit ihm zu Gijd) und 
fragte: „Schmedt’s, Bruder? Pog Blig, eine 
Suppe will ausgelöffelt fein.“ 

Des Nachts Ichlurrte er vor fein Bett, als 
hätte er Wafjer in den Gtiefeln, rieb fid) 
die Hände und lachte. „Freilich, freilich, 
Kamerad, du haft es gut, lieg/t im Warmen 
und weich und nicht unter dem Rajen bei 
den Würmern. Wirft es aud) nod) zu jpüren 
friegen, wie bas tut, wenn ein {fuder Erde 
auf bir liegt und das Waffer bir in den 
Raden läuft, möchteſt auf und fannjt nicht 
Hand noch Fuß rühren und mußt fein [till: 
liegen, bis es Reveille bläjt. Wher ein feiner 
Tag wird das nicht fein, bas fannft bu mir 
glauben.“ Der Glajer zog bas Dedbett über 
den Kopf, aber es half ihm alles nichts, denn 
es war wie Glas, und er jah burd) und 
durd), ächzte und ftöhnte, bis ber fable 
Morgen durd) bas Herz in den Fenjterladen 
jab. Acht Tage ging bas fo, ba ftand des 
Radts der Erjchlagene vor ihm und wintte 
ibm. „Bruder tomm, nun ijt es Zeit. Nun 
mußt du wandern wie in jungen Tagen, 
braudjit nidjt Strümpf nod) Schuh, nicht 
Rod nod) Ranzen, aber wenn du fein Licht 
haft, ijt es ſchlimm bejtellt.“ Der Blajer flog, 
und die Zähne jchlugen ihm gegeneinander; 
fein Weib neben ihm [djnardjte und träumte 
luftige Dinge von Jungfrau Wieſes buns 
tem Papagei, der jak in einem Epiegeljaal, 
batte eine Nachtmüße auf und bejab fih von 
vorne und hinten. Da ftand er auf, tappte 
fid durch bie Finfternis in den Keller und 
erbüngte fih. Am Morgen [djrie die Frau 
ihren Sjammer auf den Hof, und allen, die im 
Haufe wohnten, ging es talt über den Rüden, 
als fie famen, den Toten zu bejeben, der fo 
verzerrt und entjtellt auf feinem Lager [id) 
ftredte, als hätte der Teufel ihn erwürgt. 


An ber Kirchhofsmauer, abjeits hinter 
dem Gebiijd), bei Reilighaufen unb vermo: 
dernden G&otenfrüngen, tulte man ihn ein; 
tein Segen wurde über ihm geiprodhen, und 
feine geweihte Erde fiel auf jeinen Garg, 
bap ber (Qered)tigleit genug getan wäre, 
unb fein (brbarer Sirgernis zu nehmen 
brauchte, daß einer neben ibm läge, der fic 
jelbjt umgebracht hatte. Es bedadhte feiner, 
wie groß die Verzweiflung fein muß und 
wie tief verjtridt Das Herz, wenn einer bas 
Pförtlein auftut aus eigener Macht, por dem 
jeder jonjt zittert und bebt. 





— 


Es war nicht von ungefähr, daß des Da— 
maſtwebers Gedanken in dieſer Zeit mehr 
bei dem Sohne waren denn je und eine 
Sorge ibn umflatterte wie eine Taube. Blut 
tann nidt von Blut, und ob Weiten es 
trennen, es rollt und flopit, und feine Wellen 
Ihidt es in bie Ferne, dab Gignes (ignes 
finde. Und barum ahnt und weiß ein Vater: 
berz, wenn dem Kinde Gefahr nahe ijt. 
Der Winter fam. Das Eis ftand über dem 
Fuß. Die Möwen ftrichen weit ins Land. 
Der Nordojt blies tagaus, tagein, und im 
Manjardentämmerlein ftanden die Eisblus 
men am Fenſter und tauten nicht mehr auf. 
Traugott Bitterling jak und fror, ob er aud) 
nod jo gut gejorgt hatte, und die Finger 
waren ihm Hamm unb die Knie fo talt, bie 
Screiberei ging ihm nicht von der Hand, 
und Die Taler von Jungfrau Wieje waren 
dahin bis auf fünf, und der Winter war noch 
lang. Aber er tat, als hätte er reichlich 
und nicht zu leiden und hätte um alles in 
der Welt vor feiner Tür ftehen mögen und 
bitten. Weihnachten freilih), das wurde 
wieder ein dunkles und trauriges Felt, ein 
Syabr [páter aber war es vielleicht anders, und 
es mußte fid) einer an der Hoffnung dahin: 
tajten jem Leben lang. Und wenn er in 
der falten Nacht mühjam die Feder über 
das Papier brachte und das Herz ihm gar 
zu ſchwer ward, [tanb er auf für eine Weile 
und ſchlich fact und heimlich hinaus, wo 
Frau und Kinder jchliefen, hörte ihren ruhigen 
Atem und jah beim Lichtjchein, der aus der 
Kühe tam, ihnen in das friedliche Ange: 
ficht, jeufzte, daß er ihnen das Leben nicht 
bejjer machen fonnte, und ging mit neuem 
Mut an feine Arbeit bis lange nad) Wlitters 
naht. Arbeit, bas war nidjt nur Brot, 
bas war aud) ein Mittel gegen allerhand 
Gedanten. Bor bem Schlafengehen aber tat 
er nod) einmal bas Fenſter auf und fal) zum 
Himmel. Tief jog er die falte Winterluft in 
die jchmale Bruft, tat bas flapprige Fenfter 
zu, ließ bie Strohmatte fallen und beſchloß 
den Tag, lag in feinem dürftigen Bett wie 
auf eitel Daunen, und ob die Sorge neben 
ibm jtand, [chlief er bod) fo janft und felig, 
als wären alle Reichtüimer der Erde fein, bis 
am frühen Morgen die Not und Arbeit mie: 
der rief, wenn drüben in der Schlojjerei bas 
Hämmern und Klingen anhob. Denn Meifter 
Bolduan hatte alle Hände voll zu tun und 
war auf dem Pojten, noch ehe es lichtete, 
Karl Asmus mußte tüchtig heran und jchaffte 
bald joviel wie ein Bejelle, hatte bem Meiſter 
jeden Handgriff abgejehen und hantierte mit 
Teile, Meißel und Bohrer, als jpielte er, hatte 
all bie unniiBen Bedanten hinter fidh, den Kopf 
frei und nichts mehr in der Brujt, was ihm 


SSIS Deutihe Seele SH HH ZZ ZZ ZZ 948 


die Arbeit verleidet und die Hand gelähmt 
hätte. Das Zeislein [tanb an feinem Him: 
mel wie ein ferner, matter Gtern, und wenn 
feine Gedanten bei den Gommerabenden 
unter den Bäumen im Garten waren, flug 
jein Herz bod) nicht [d)neller, denn es hatte 
alles von fic) getan, was es wirr machen 
lonnte und unruhig. 

Sn feinem &ámmerlein über dem Fluß 
war es fo jtill wie draußen, wo der Schnee 
lait und bart und ohne Erbarmen über 
allem Leben lag; ba jak bie Dohle im Baum 
den ganzen Tag und trádjate, aber ein Vogel 
jang nimmer mehr, unb fein buntes Feders 
chen blinfte in der Sonne. Zur [djónen Zeit 
hatte er wohl feine Geele auf Reifen ges 
Ihidt mit füßen Liedern und fih in die 
blauen Fernen gefpielt, wo die Wolfen 
gingen und die Sterne ftanden, im Morgen: 
unb im Abendrot. Das war nun abgetan 
und dahin. Denn in der Flöte fah ein Zauber 
und Bann und wollte nicht weichen; das war 
immer nod, als [tánbe darauf der weiche 
Haud) von Kuh und Lippen, unb wenn er 
fie anjeßte, flug es über ibm zufammen wie 
eine heiße Macht, unb in feinem Ohr war 
ein Lduten und Klingen, als gingen taujend 
Gloden. Da batte er einen Haß auf das 
Ihwarze Holz betommen, daraus Duntel und 
Schwüle das Herz irrte und [odte; er hatte 
es am liebjten in ber Werkſtatt zu Aſche vers 
brannt und in den Wind geftreut, wenn es 
nicht ein Geſchenk gewejen wäre und an fih 
ein unjchuldig Ding. Nun lag es tief im 
Kaften verjtedt und mochte liegen Jahr und 
Tag; er blies bem toten Holz fein Leben 
mehr ein. Go jah der Winter des Abends 
bei ibm, wenn er den Kopf über den Büchern 
hatte, und es war fein Laut in der Rammer 
zu hören, als daß bin und wieder die Flamme 
Iprübte oder ein Blatt tnijterte oder ein tiefer 
Atemzug aus ber Bruft jid) losmadhte. Freilich, 
bas war fein Fliegen in Weiten und Fers 
nen, das war ein Wandern auf der fe en 
Erde unb abgemejjenen Wegen, burd) Städte 
und Länder; ba mußte einer zwijchen den 
Häufern und Menſchen bleiben, lernte fremde 
Sitten, Handel und Wandel, madte Bes 
fanntjchaften und fand Freunde und ers 
fonnte, wie die Bosheit ausjchaute und wie 
bie Ehrlichteit, wie bie Liige fich ftellte und . 
wie die Wahrheit, fand die Welt Din: 
gebreitet in Licht und Schatten, und wurde 
flug für bie Zeit, wenn er jelber einmal 
wandern müßte und hinaus in die Fremde, 
Freilich mar es gut, jo die Bücher zu fih 
reden zu laffen, aber das Bud) allein tut es 
nicht, Denn es lernt feiner, er fame denn 
ins euer und jpürte am eigenen Leibe, was 
er tun und lajjen muß. Darin hatte Jung: 





044 Johannes Höffner: BSSSS3S3S33S33333I 


frau Wiefe recht, und Karl Asmus konnte 
fid) zu Herzen nehmen, was fie fo bet Gee 
legenheit ibm zu einem Buch mit auf den 
Meg gab, wenn er des Abends manchmal 
in ihrem warmen Ctiibdjen jag und ihr por: 
las. Im Ofen fladerte das Feuer, und 
Jungfrau Wieje lehnte im Ohrenftuhl, hatte 
die Diirren Hände im Schoß gefaltet und jah 
in das Spiel der Flammen. Der Papagei 
auf ihrer Schulter blinzelte zwiicdyen Traum 
und Wachen, und wenn die Zeit getommen 
war und er meinte, daß man zur Rube 
geben könnte, plujterte er fich bid auf, als 
ob er fröre, gähnte und fagte mit einer 
alten, dürren Stimme: „Süßes Kind, liebes 
Kind, wer bringt das Rind zu Bett?” Dann 
tat Jungfrau Wieje ihn in den Käfig, breiz 
tete ein Tuch über ihn, Karl Asmus ging 
unb Gungjrau Wieje fah ibm wohl nad, 
wie er groß wurde und ſchlank und bie Stirn 
fih hob und die Echultern fih redten und 
er aus den Kinderjduben wuds, Tag für 
Tag ein wenig. — 
gg CH BB 

Immer tiefer fanfen bie Nächte, und im: 
mer bunfler wurden bie Tage, und ber 
dunfelfte war nahe, ber bod) der hellite ijt 
und ber jeligjte. Wenn Weihnadten fommt, 
madden fid) in Ferne und Fremde viel tait: 
jend Bedanten auf, und bie deutjche Seele 
wandert über Tal und Hügel, über Meer 
und Land, bis fie Die Herberge findet, wo 
die Liebe auf fie wartet und ausjdaut in 
bie Finjternis und horcht, wo Schritte gehn, 
Kein Fremder tann begreifen, was große 
Geligfeit in diejem Feſt verborgen unb be: 
Ichlojjen liegt und warum die deutjche Sehns 
fucht in feiner Zeit größer ijt Denn in Diejer. 
Und ob einer jung oder alt ijt, Kindheit 
und Baterhaus find dem alten fo nal) als 
dem jungen, vielen mit lauter Wonne und 
Güßigfeit, manchen mit Leid und Tränen, 
wie Robert Wodenfuß, dem Turchbrenner. 
Der lag in feiner Hängematte, und die heiße 
Macht jtand über ihm, in den Segeln fap 
taum ein Hauch; bie „Wilhelmintje“ fhau: 
telte gwijden ben Salomoninjeln jdjon fieben 
Tage, und es war nicht abzujehen, wann ein 
Wind fih erheben würde, daß jie heraustäme 
aus der Blut und Hölle, Kein Schlaf wollte 
in feine brennenden Augen tommen und auf 
fein aerrijjenes Herz, und die Tränen liejen 
auf das harte Geegrasfijien, wie er an 
die Heimat dachte, an Water und Sutter 
unb alles, was er [iebgebabt hatte und ver: 
[ajjen. Da meinte einer, feine Heimat wäre 
bas Vieer; aber das war nicht überall das: 
jelbe, und Heimat war bod) nur auf den 
Wellen, die an den Strand jdjlagen, an dem 
einer aufgewacjen ijt, und Die Wieere ber 


gremde find Heimat nimmermehr. Das 
Meer, bas er liebte, bas waren die Dünen 
am Dorf, bie Stranddijteln und die pers 
früppelten Föhren, bas waren die Fiſcher— 
bäujer, bie aus bem gelben Sand jaben mit 
ihren jchwarzen Kappen, das war Hans 
Ramps, wenn er bie Gegel feste und die 
Nege legte. Aber nun famen Sehnſucht unb 
Reue zu |pát, und ob es ihm bas Herz ab: 
ftieß, er fonnte nicht umfebren und mußte 
Durch, Die Sterne am Himmel funfelten 
wohl wie in Bommerland nimmer, aber fie 
batten fremdes Licht, und feiner ſchien und 
Honn über dem fernen Dorf an der Ditiee. 
Da lag jest der fühle Schnee, unb ein flarer, 
Hiller {friede ftand ringsumber; alles Leben 
war in ben $)üujern und Ctállen, wie bie 
Bäume zur Winterzeit den Gaft in die ins 
neriien Wurzeln ziehen; SUtenjd) und Tier 
mijdjten ihren Odem unter einem Dach wie 
in ber heiligen Maht. Auf dem Herd 
fladerte das Feuer, und die Scheite prajjel: 
ten bis an den jpäten Abend, denn es gab 
viel zu fochen und zu baden auf das hohe 
gelt, daß bie Herzen froh würden unb bie 
Tiihe voll; Ejjen unb Trinfen durften nidh} 
mangeln, wenn die Lichter am Baum brann: 
ten unb bie Gloden durch den Winter riefen. 
Biel ſüßer Tuft war um die niedrigen Häufer 
ber, vor den Türen und unter dem Stroh: 
dad), von Harz und Kuchen, und wenn die 
Suntelbeit einfiel, gingen bie Menſchen durch 
den weichen Echnee einher, lautlos wie die 
Engel und Geijier, und die Kinder jchauerten 
ob der Schatten vor ben Fenjtern zujammen, 
jaben Gejidjter und heimliche Gejtalten und 
legten Die Hände ineinander, jahen in ben 
Himmel und jongen, Jede Nacht wanderte 
Robert Wodenfußens Herz den weiten Weg 
und wurde matter von Tag zu Tag; die 
Gebn|ud)t verzehrte ihn, und als der heilige 
Abend fam, lag er bei dem Cdjornitein im 
gieber. Gerard Doelen, ber Kapitän, beugte 
fid) über ibn und bordte auf den fliegenden 
Atem, fah ibm in bie brennenden Augen, 
ob fie ihn kannten und fragte fic) hinter ben 
Ohren. ‚Doelen, Doelen, wat ward Plötrich 
bartau jeggen. Düwel, Düwel, bit bet em 
ornlid) am GCdjlafittdjen, Jung, bu warft 
mi bod) nid) wechbliwen? Un wo löppt mi 
in de Südſee upituns wedder ein to? Der 
Steuermann fam mit einer Buddel Sjamaitas 
rum und goß ibm einen tüdjtigen Schlud 
zwijchen bie gerrijjenen Lippen. „Sup, Jung, 
jup. Dat geibt üm Dod un Lewen. Jimerit 
jon Schylud von dijje Urt, be bringt bi wol 
wedder uppen Damm.“ Und der Junge 
ibludte und jchludte und fühlte es wie ein 
euer im den Adern brennen, viel heißer 
aber brannte ihm jein Herz vor Freude, daß 





er Daheim war, und er war in feinen Fiebers 
träumen jeliger als je in Wirflidfeit und 
Wachen, fang das Weihnadtslied [aut in 
die fremde Nacht, und Doelen drüdte und 
faltete die Hände und fagte: ,Herrgott, 
Steuermann, bat Billige Felt. Um ein Haar 
bädd id em vergüten!^ E 

Robert Wodenfuß war der erite, der am 
heiligen Abend in das Dorf fam aus ber 
weiten Ferne, ob ihn aud) feiner jah. Da: 
nad) fam Klaus Drafehn im Schlitten mit 
flingenden Schellen, fag in $yuBlad und 
SRelgmiüte fed und [tolg wie ein Junter, die 
Peitſche tnallte und die Hunde bellten, als 
fame wer weiß wer. Als es Dunfel gewor: 
. den war, ftand Karl Asmus auf dem Berge 
vor dem Dorf [till und voll Wndadt mit 
glühenden Wangen und [ab hinab auf die 
geliebte Heimat, wie fie Hil und geborgen 
und felig in fid) jelbjt unter thm lag und jo 
füß redete, daß er wieder ba wäre. freilich, 
was fie jagte, fonnte einer nicht in Worte 
fajjen, das war nichts für den Kopf und 
ben Berjtand, bas war nur für das Herz. 

Unter ihm ftanden die Lichter der Heimat 
wie Kerzen im Schnee, hier eins und ba 
eins, fleine und große. Und bie Sterne im 
Tal leuchteten jo ernjt und [till wie bie ber 
Höhe. Das war bie heilige Nacht, bie mit 
Engelsflügeln ob der Erde jchwebte, und 
Karl Asmus ging ins Dorf hinunter wie 
in ein Gotteshaus. 

Bei ber farre fiel ein breiter Lichtjtreif 
weit über die Straße, und bas mußte fo fein, 
denn wenn bas Pfarrhaus nicht am helliten 
Ieudjtete, war es um eine Gemeinde jchlecht 
beitellt. Paftor Neumann jop und fiudterte 
die heilige Gejchichte, hatte das ſchwarze 
Rappden nad hinten geichoben und über 
den Augen einen grünen Schirm, ftieß bie 
SBolfen aus der langen Pfeife und jann über 
bie Worte nad), bie er jhon jo rielmals 
burdjbadjt und ausgelegt hatte und bie bod) 
immer wieder in neuen Farben leuchteten, 
wie gerade das Herz gejtimmt war, leicht 
oder jchwer. Damit fam einer nicht zu 
Ende fein Leben lang. Die Worte waren, 
als [prádje fie ein Rind, und der Sinn war 
tiefer als der Himmel, der war wie eine 
Leiter, bie zu den Sternen führte; man ftieg 
und [tieg von Jahr au Jahr eine Sprojje 
und zwei und drei, ater es waren ihrer zu 
viel; da mußte zulegt einer einen auf feine 
Flügel nehmen und tragen, fonjt fam man 
nidjt hinauf. Und ber Pfarrer legte bie 
Hand auf bie Stirn unb Ichloß bie Augen 
und ließ fid) lehren von einer Stimme, Die 
nicht pon biefer Erde war. Karl Asmus 
aber ging vorüber, jo [eije und jacht er nur 
lonnte, als möchten fonjt fein Schritt und 


Deutihe Seele R242424343€434343534343«2434]. 245 


ber fniridjenbe Schnee ibn in feinen Ge: 
danken ftören. 

Tiſchler Diisfow ftanb auf einem Stubl 
unb pubte den Baum, bángte bunte Papier: 
fetten in bie Zweige, Apfel und goldene 
Niijfe, bie Frau hielt ein Licht und reichte 
ibm zu. Ein Schatten huſchte Hinter ber 
Hede ums Haus, ein Röckchen wippte und 
Pantsffelden Happerten, und Karl Asmus 
beugte fic) über ben verjchneiten Kreuzdorn 
unb rief: „Marleneten, Mtarlenefen!“ Da 
fam ber Schatten zurüd, ein Gelichtchen 
jpabte ums Haus, und dann fprang bas 
Marlenefen durd) ben tiefen Schnee, wie ein 
Käbchen, bas bie Pfötchen [djont unb, reichte 
ibm bie Hand über bie Hede fort: „Ach, 
Radel, bat du eis wedder kümmſt! Go lang 
hätt bi fein nich jethn.” — „Jau, Marlenefen, 
bat is nid) anners, wenn ein lihrt, tann ein 
nid) wedlopen.” Ihre Augen waren [o 
blant, und ein Giinfchen ftand darin, bas 
tam don einem hellen Stern am Himmel; 
Karl Asmus hätte fie am liebjten ans 
Herz genommen, aber die Dornen waren 
gwijden ibm und ihr und nod) etwas ans 
deres, bas ihm ben Augenblid ftörte und 
ibm in bie Bruft ftad; er liep bie Hand 
los und modte nicht bleiben. „Nacht of, 
Marlenefen, morgen war id bi von de Stadt 
vertellen.“ Beim Meberhäuschen flopfte er 
ans iyen|iter; von der Haustür wurde ber 
Riegel weggeichoben. Da hing er der Mutter 
am Hals, und auf dem Flur ftand der Vater 
mit der Laterne und jagte: „Na, Sung, da 
biijt du ja; nu man fix binnen und lat di 
bejeihn.” 

So fam Karl Asmus nad) Haufe, aber 
es ging ihm mit der Heimat wie mit dem 
Marlenefen. Da war Weg unb Steg ver: 
Ichneit, als er am andern Morgen mit ihr 
im hellen Licht auf ber Dorfſtraße [tanb und 
erzählte, wie es in der großen Stadt Aus 
ginge, was einer fah und hörte, dies und 
das und vielerlei, aber vom Garten am 
Fluß und vom Flötenſpiel fein Wort. Er 
fam fid) vor wie ein Lügner und war fremd 
und beflommen, denn hinter all feinen Wor: 
ten und Gedanfen ftand das Zeislein, zart 
und weiß im Mondenjchein, und machte ihm 
Herz und Zunge jchwer. 

Das Viarlenefen hatte die Hände unter 
der Cchürze, ihre runden Wangen brannten 
in der [djarfem Luft, waren [o rot wie Die 
9tpfel am Tannenbaum, und ihr warmer 
Atem ftäubte in Reif zu Boden. 

Ter falte Winter ftand zwijchen ihm und 
ihr. Ceine Augen waren nidt wie früher; 
in feinen Worten uaren nicht mehr Scherz 
und Zärtlichkeit, er ftand vor ihr, als hätte 
fie ihn nie in ihrem Leben zuvor gejeben. 





246 ESBS SAAAAT Johannes Haffner: 


Und plögl’ch jdjittelte fie fid) und fagte: 
„Ick möt binnen, mi frit.“ Karl Asmus 
ging bie Dorfitraße entlang, als hätte er 
ein Unredt getan, und es lag bod) nur 
alles daran, daß es ein Wiederjehen war 
zur unrechten Zeit. 

Wenn zwei fid) wiederjehen, bie fid) lieb 
haben, muß es im Sommer fein, wenn Blue 
men im Lande ftehen und Bäume ranjden, 
wenn die Federwolken über ben tiefen Him- 
mel ziehen wie Schwäne und bie Lerden 
aus dem Korn fteigen auf ben Rain zwi: 
[den ben $yelbern, daß fie dicht beieinander 
gehen miijjen und die Hände fid) ftreifen und 
fajjen. Dann muß alle Fremdheit und Scheu 
von binnen, und es fommt alles wieder, wie 
es vordem war. Und was ein Herz ge: 
jiindigt bat in Gleichgiiltigfeit oder Berge]: 
jen, wird jüpe Reue, bie Geelen tun fid 
auf wie im Gonnenlidt bie Winden, bie 
rechts und lints burd) Gras und Buſch fid) 
jclingen, fo weiß unb rein, als wäre nie 
ein Staub darauf gefallen. Aber im falten 
Winter, in Froft und Cd)nee — das ijt eine 
Ihlechte Zeit, bie tut nicht gut. Da friert 
Wort und Herz, der [harfe Wind bläjt alle 
Wärme fort, und es tann nichts Jchmelzen 
und dabinfinfen, daß bie alte Liebe grün 
und frijd) bervorfame. l 
CH 8 8 
Jungfrau Wieſe hatte die Weihnachts— 
pyramide aus der Bodenkammer geholt, 
hatte ſie mit bunten Lichtern beſteckt und mit 
Papierblumen frifch umwunden, die Sonne 
mit den Englein, die im warmen Luftſtrom 
ſich im Reigen ſchwangen, von Maler Sei— 
delbart neu vergolden laſſen, daß ſie leuch— 
tete wie das leibhaftige Geſtirn am Himmel 
ſelbſt; in den Stockwerken war die heilige 
Geſchichte aufgebaut von der Verkündigung 
bis zur Anbetung der Weiſen aus dem 
Morgenland, und es lagen auch Nüſſe und 
Pipfel, Pfefferkuchen und Naſchwerk darauf, 
damit Karl Asmus in ihrem ſtillen Stüb— 
chen noch einmal das Feſt feiern könnte, 
wenn er wiederkäme. Zur Rechten und zur 
Linken ſtanden mannshoch die hölzernen 
Armleuchter mit Wachskerzen ſo dick wie in 
der Kirche, das ſollte ein Glanz werden wie 
bei Konſul Lobedanz, der an die hundert 
Lichter auf die Zweige ſteckte. Der Roſinen— 
ſtollen lag im Glasſchrank und blinkte, als 
wäre Eis auf ihm gefroren, und das Mar— 
zipan war auch fertig und brauchte nur 
uoch mit glühenden Nadeln gebräunt und 
gebrannt zu werden. Aber dazu kam Jung— 
frau Wieſe nicht mehr. Denn als die Glok— 
len von St. Katharinen das Felt einläuteten, 
legte fie fid) und ward jterbenstrant, Der 
Papagei tam unb fletterte am Bettpfojten 


hod, tat, was ihn feiner gelehrt hatte und 
legte das dichte Gefieder an die falte, welfe 
Wange, als wollte er fie wärmen, jtrid) mit 
dem groben Schnabel fanft über bie ſchmalen 
Kippen unb ließ den Kopf traurig hängen, 
weil feiner zu ibm ſprach. Jungfrau Wiefe 
hatte die matten Augen auf der Nacht— 
lampe, jah wie das Licht jo mild wie Mons 
denjchein bie porzellanenen Bilder malte, 
den Wald in Schnee und die Wieje mit Blu: 
men, und war in ihrer Kindheit, ba die 
gleichen Bilder in ihre Nächte geleuchtet 
batten, wenn fie frant war; ... bie Arznei— 
flaidje ftand Daneben und im Glas mit Waſſer 
der Löffel zum Einnehmen, die Uhr tidte 
wie bas Herz in ber Bruft, ber dad ter 
blies die Straße entlang, und von Zeit zu 
Zeit fam die Mutter unb beugte jid) über 
fie, zu hören, wie ihr Atem ginge; bann 
hielt fie die Augen gejdlofjen, als ob fie in 
tiefem Schlummer läge und ließ ihre Bedan= 
fen weiter auf bunten Wegen gehn. Nun 
war fie einjam und [o müde, ihre Gedanfen 
Ichleppten jid) wie Schneden, der Atem war 
jo leicht und kurz wie ber eines Vögelchens, 
und ihre gelbe runglige Hand lag auf der 
Dede ausgejtredt, als folte einer tommen 
unb fie fajjen, aber es war nod) nicht Zeit 
und das f'ebensíidjt war nod nicht beim 
legten Fünkchen; fladerte ein Weilden und 
gewann noch einmal Kraft und blieb in der 
Reihe. Als Karl Asmus wiederfam, war 
bas Cdjlimmite überjtanden: Jungfrau Wieje 
ließ ihn vor ihr Bett fommen und lächelte 
lanft und entriidt, denn fie jah ibn im mat: 
ten Licht des Lämpchens vor jid) eben. wie 
Johann Rudenreuter, dem fie näher fam 
von Tag zu Tag. Gie legte ihm die leichte 
Hand in die feine, darin bas warme, jtarte 
Leben zu |püren war, driidte fie, joweit ihre 
Schwachheit reichte, und jagte leije aus ihren 
Gedanfen: „Ja, die Erinnerung, bie Erinnes 
rung muß eines feithalten, Karl; bie glück— 
lidjen Zeiten liegen in der Vergangenheit 
und nicht in ber Sufunjt.^ Dann mufte er 
nebenan die Lichter angiinden unb ben Vor— 
hang zum Altoven fortziehen, und es ward 
aud) in bem Kranfenjtübchen jo bell, als 
Jchiene bie Gonne. Die Pyramide drehte ph, 
unb die Sterne blibten, bie wadfernen Engel 
Ichwebten dahin, und bie Gejtalten wander: 
ten vorbei, bald diefe, bald jene, Maria und 
Jofeph und Elifabeth, bie Hirten und Ochs 
und Gjelein, als kämen fie allejamt, Menjch 
und Tier und bie himmlifden Sjeer[djaren, 
bie Rranfe zu bejuchen und zu grüßen. Cine 
Spieluhr ging, und ihre Töne waren fo janft 
und fern, als fielen fie mit dichten Sdyneefloden 
vom hohen Himmel nieder; die Blödlein, 
die bie Englein in Händen hielten, läuteten 








SSES Deutide Seele BESSSSSeSessses4d 217 


jo ſüß Ddagwijden, und der Papagei fagte 
in der Erinnerung an feine Fabhrenszeit tief 
und nadjbentflid) wie ein alter Mann: „Bier 
(Glajen.^ Dabei jchlief Jungfrau Wieje janft 
unb jelig ein und ging im Traum zwilchen 
Sonne, Mond und Sternen, und Karl Us: 
mus jaB unb jab in bie Lichter, und es 
war fein Schmerz und feine Wehmut in 
feinem Herzen wie daheim, denn hier hatte 
Zeit und Welt feine Gewalt. 
B 8 28 

Der Winter wurde immer härter. Sm 
Januar ftand der Froſt in der Haren Luft 
wie flirrendes Glas. Jungfrau Wiefe fam 
Jobald nicht wieder bod), und mand Stünd— 
lein nad) Feierabend war Karl Asmus um 
fie wie ein Sohn, rüdte ihr bie Kiffen au: 
recht, reichte ihr Arznei und las ihr vor, 
und als fie aufjtehen durfte, leitete er fie 
bebutjam bird) bas Stübchen, bald zum 
enjterplak und bald zum Gofa, und fie 
ftreidjelte ihm ftumm die Hand und war 
bantbar wie ein Tier, bem ein Menjch Gutes 
tut, wenn es fied) unb wund ijt. Im Sr üb: 
jahr, als ber Jtugbaum wieder Sprojjen trieb, 
die Finfen im Garten jchlugen, bas Rotkehl— 
chen hinter bem 3Berjdjlage vor Karl Asmus’ 
Kammerfeniter bas alte Neft wieder inftand 
lebte, war Jungfrau Wieje wieder einiger: 
maßen bei Kräften und fonnte ins Bad, nad 
dem Süden, wo Die Sonne die Diinnen Adern 
mit neuem Blut füllt, wie der Gaft in die 
Bäume jteigt. Eines Sonntagsmorgens, da 
bie Gloden läuteten, hielt der Wagen vor 
ber Tür. Jungfrau Wieje fletterte mit ihrem 
Papagei mühlam zwiſchen Schadteln und 
Hotten hinein, zog das Wiener Schaltud 
feit um die Schultern und wintte den Nadz 
barn, bie vor den Türen jtanben, nod) ein- 
mal Abſchied zu. Der Schreiber bradjte ihr 
einen Strauß Narziſſen, und Karl Asmus 
jtand ganz hinten, denn er ſchämte fih, daß 
ibm die Tränen famen. Die Kaleſche rum 
pelte davon, der Papagei pfiff ein [ujtiges 
Lied, und die Nachbarn jaben ihr nach, wie 
damals dem Leichenwagen, in dem Glajer 
Strippentow abreijte; bie Micifterin jchüttelte 
den Kopf und fagte: „Wenn ein int Bad 
mot, Denn is bat jchlicht mit em beitellt. 
Meinft du wol Bolduan, of bei wedder 
fiimmt? Un wo bliwwt denn de Mögel? 
Ten midt id woll var ben Cpeigel hewwen.“ 

Dag ein Menſch joweit reifen mußte, um 
gejund zu werden! Man hätte meinen follen, 
dah die Heimat für jeden bas befte Heilmit: 
tel wäre. Die im WUltmännerhaus hatten 
fein anderes, faken in der milden Sonne 
und jtredten ihr bie zitternden Hände und 
Füße entgegen, ſchloſſen bie Augen und ats 
meten den ſüßen Duft ein als Arznei und 


Heraftarfung. Freilich, bie 9lrate mußten es 
wijjen, denn fie faben in bie Menſchen hinein 
nicht wie ber Uhrmacher in bie Uhr, nur daß 
alle wußten, daß ein Menſch anders und 
mehr wäre, und es war doch wohl nicht jo, 
daß Sonne Conne und Frühling Frühling 
war, und daß jedes Herz genejen mußte, 
wenn bie Erde zu neuem Leben tam und 
Blüd und Seligkeit bradhte. 


Im CH 

Im Nußbaum zwiſchen ben lichten Blat: 
tern flimmerte bie Sonne. Die Raijertros 
nen ließen bie [d)meren jyeuerbIumen hängen, 
die leuchteten wie Burpur und Blut, die Tuls 
pen taten ihre Keldye auf, bas Sonnenlicht 
zu fajjen wie goldenen Wein, bie Hummeln 
taumelten über bie Hyazinthen, trunfen von 
bem jtarfen Duft, unb die Taujendjchöndyen 
wanden dide, bunte &ránge um die blühen: 


den Beete, wie fein Bärtner fie hätte binden 


mögen; und vom Nußbaum fiel aus verbor: 
genen Blüten goldener Staub wie Tau. 
Aber Jungfrau Wiejes luftige Fenjter zwins 
ferten nicht mehr in ben Garten und fpiels 
ten mit feinem ConnenftrabI weder jpät, 
nod) früh, die grünen Laden lagen darüber 
wie Yugenlider, und es war, als jchliejen 
jie. Die Eljier jpazierte tavor auf und ab, 
äugte und wartete, es jollten bie Hajpen 
flirren unb ein Brödlein herausfliegen, aber 
ba tat fid) nichts auf, ob jie aud) gegen bas 
Holz flog und mit ben Ylügeln flug und 
Ihrie. Und Karl Asmus war ebenjo bei den 
genftern, jah über der Arbeit von Zeit zu 
Zeit nad) den grünen Laden und meinte, fie 
müßten zurüdgejchlagen werden und es müjte 
eine Hand fid) Deraus[treden, aber er mußte 
fid) Dareinfinden, daß ein freundlicher Schein 
aus jeinem Leben dahin wäre für eine Weile, 
Er ftand an Edyraubftod unb Drehbant und 
arbeitete für drei, daß SDieijter Bolduan über 
bas breite Gefidt lahte und ihm auf die 
Schulter flopíte. „Junge, bat geiht bi ja 
müdjtig von de Hand. Da fehlt aum Ge: 
felen nicht mehr viel. Dan ümmer tau, 
dann jpredt fet bi los vör be Tijd. Tenn 
ftetht bir de Welt open. Denn fo magft du 
bórd) bat lewe Tütjichland lopen, joweit be 
Hewen [teibt. Wd Gung, bu glöwjt nih, wo 
Ihön bat is.“ Er job bie Hände hinter 
ben Lederfdurz unb fah in ben blauen Him: 
mel und in ben Sonnenjchein, und feine hellen 
Augen blintten wie Stahl. „Jung, Jung, 
wenn ein upren Barg fümmt und jüht dat 
Land liggen blag un rot un grün, un bowen 
an Hewen [teibt die Gunn, bier an Dorp un 
da an Dorp, hier en Turm un da en Turm, 
un tijden al dat Speel geiht en Water, 
blinfert unb glibert jo bunt as en Regen: 
bogen, und binnen, wo de Hewen [id mit de 


248 B 


Fäut [temmt, liggt bat fo witt as Schnei un 
Jo blag as Stahl, dat wär bat Alpenland, 
wo de Barg vel bujenbmal höger fiind as 
St. Ratharinen ehr Klodenftauhl. Wenn ein 
jung is, ba tann ein veel jeihn, äwerft wenn 
ein in be Soabr fümmt un en Wif hätt und 
wat vörftellen jchall, denn is bat vörbi, denn 
is ein anbunnen, denn fitt ein mit in dat 
Buerfen und möt fingen, wenn he of nid) 
mag. Karl, nimm di bat woahr, jo lang din 
Fäut jung find un bi Omer Barg un Tal 
brügen. Wenn ein in de Welt fit nid) üm- 
liebt, be ward nix rechts.” Damit nahm er 
ben Meißel wieder zur Hand und trieb ihn 
in Das gabe Gijen und pfiff dazu bas Lied 
von ben Burjchen, bie über den Rhein zogen, 
und fein Herz war bei den Abenteuern 
und Freuden der Wanderichaft; in dem 
mädhtigen Leib rumorte das Blut, und auf 
den bloßen Armen [djwollen bie Musteln 
und jchlugen Feuer aus dem Stahl. Das 
Pinndenin Rüdesheim, bas möchte einer wohl 
nod) einmal wiederjehen. Freilich, freilich, 
manches Yährlein lag dazwilchen, da wurden 
bie Lippen welt und blah, und das Herz wurde 
fühl und modte wohl nichts mehr hören von 
dem, was vergangen war. Und bie Laube 
im Weingarten, ob fie nod ftand? Aber 
der Strom, der floß wie immer, Jpiegelte 
Berge und Türme und Menjden, nur an: 
dere Liebe jaß daran unb herzte und füpte 
(id); es war immer das gleiche Spiel. Aber 
das 9inndjen, fo ſüß war wohl teine wieder 
über Dem Wajjer gewelen. 

Wm Abend im Lads verbruddelte ber 
Meijter fid) jedes Colo, denn das 9inndjen 
wollte ihm nidjt aus dem Ginn, und fein 
Herz war am Rhein. Derweil fab Karl 
Asmus am Brunnen und [dülte Kartoffeln, 
war ebenjo weit fort wie ber Meijter, hatte 
feine Gebanfen in bie weite Melt gejchickt 
und malte fic) bas Land, wie es fein würde, 
wenn er hinaus durfte und Deutjchland jehn. 
Und drüben auf ber Galerie gwijden den 
Hemdden und Windeln auf der Leine ftand 
aud) einer. Traugott Bitterling, der Schrei: 
ber, hatte die Feder für ein Weildjen aus: 
gelpriBt, ließ fid) vom Abendwind die Augen 
fühlen, nnb feine Sehnſucht warf das Rangel 
über bie Schulter und jpazierte ins Tal zum 
Ybendrot, wo ein Wirtshaus ftand und am 
langen Arm ben grünen Kranz [d)wentte und 
den Wanderer rief, daß Speis und Trant 
bejtelIt jet und das Bett gemad)t, darin einer 
weich und wohlig ruben fonnte, bis bie liebe 
Gonne ihn wad jchien zum fröhlichen Wan: 
bern in Gras und Tau. Und beim Abichied 
jtand ber Wirt vor der Tür, 309 bie Kappe, 
wünjchte glüdliche ele und ließ ihn ziehen 
wie einen großen Herrn. Aber das lag alles 





Johannes Höffner: 





im Weiten und hinter den Bergen. Vorerſt 
war es mit thm noch bejtellt wie mit ber 
Fledermaus, bie fid) im engen Hof verflog, 
er mußte hübſch daheim unb bei Feder und 
Tinte bleiben, daß Weib und Kind ihm nicht 
verhungerten. Doch einmal flug die Stunde 
aud) ihm, wenn die Kinder groß waren und 
die Sorgen dahin, dann wollte er nod) ein- 
mal jung werden, die Bruft lüften, die ver- 
jejfenen Glieder reden unb [id) bie Welt be- 
jebn, wie [ie ſchön war, bes Grojdjens nicht 
achten unb in der Fülle haben, was er in 
der Jugend fid) gewiinjdt hatte; einmal, ad) 
einmal fam wohl feine Beit. 

Karl Asmus ſchoß in die Höhe wie ein 
junger Baum, ber zu den erjten Blüten um: 
fegt, trug die Stirn frei und Bod), unb in 
den Straßen und am. Strand jaben die 
Madden nad) ihm, drehten fih in ihrem 
Sonntagsjtaat, ladten ihn an und batten 
bod) fein Gliid, denn feine Augen waren 
anderswo. Und wenn der Meifter ibn [djidte 
und er in die engen Gajjen am Hafen mußte, 
ans Bollwerk oder auf die Laftadie, [aBen die 
angemalten Weibsbilder in ben Kneipen bine 
ter den verräucherten Scheiben, zielten mit 
Bliden nad) ihm, bie waren wie Feuer und 
Gift, redten den Hals und machten ihm 
Zeichen, denn jo ein junges, unverdorbenes 
Blut fonnte ihnen gefallen und war etwas 
anderes als bie ausgefodjten Cchiffsleute, 
bie mit ihnen umgingen wie mit Stüdfaß 
und Tranftonne. Aber Karl Asmus hielt 
feine Straße, denn feine Geele war ohne 
Arg und unwiljend, und fein heimliches Be: 
gehren |pábte nad) Gelegenheit; [eine Ges 
danten waren in freier unb reiner Luft wie 
bie bunten Wimpel, bie ob den Schiffen flat: 
terten, und fein Herz war wie bas flare 
Wajler, darin der Himmel jid) fpiegelte, ohne 
Trübung. Doc) in der Ferne war ein Herz 
um ibn in Unruhe, je näher der Sommer 
fam, rechnete dies Herz nach, wie lange es 
nod) wäre, bis das Zeislein wieder durch 
Hof und Gatten jánge, der heiße Abend- 
wind durch bie Wipfel ging. Und Jungfrau 
Wieje jchrieb an Karl Asmus einen Brief von 
der Schönheit diejer Welt, von den Balmen 
am Meer und der Luft wie Baljam jo 
lind, und daß bie Gejundheit vom Himmel 
herniederfiele wie Tau, und die Erde wäre 
wie ein Paradies. Aber fie wäre bod) am 
liebiten in ihrem Stübchen daheim, mödhte 
in Hof und Garten jehen und das Brinn- 
lein raujchen hören. Karl Asmus méd,te 
ihr Antwort geben, wie es ginge und ftiinde, 
und wenn das Zeislein fame, jollteer es grügen 
unb acht geben, daß ihr fein Leid geıchäbe, 
denn jie Tonne jet ihre Augen nicht über ibm 
haben und fie wäre ein unbedadtes Rind. 


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Karl Asmus las und las, und das Blut 
ftand ibm bis unter die Stirn; er wußte 
nicht, was er aus bielen Worten madjen 
folte unb wie bem Zeislein ein Leid ge: 
leben könnte. Das Zeislein, bas Zeislein! 
Er ängitete fih, daß er fie wiederjehen follte, 
und hätte bod) vor freude weinen mögen- 
Jeden Morgen, wenn in ber Werfitatt die 
Arbeit anhob, das Eijen freijdte unb bas 
Teuer raujdjte, ber Blafebalg mit tiefem 
Atem ging, bordjte er, ob ihr Ctimmdjen 
auf dem Wege lei, den Sommer einzujingen, 
bis endlich in einer Frühe bas Lied von 
drüben fam und Meilter Bolduan das Fen: 
fter aufitieß und rief: „Brüß’ Gott, 3eis: 
lein, da but bu ja wieder. Wir haben auf 
bid) gewartet einen falten Winter lang.“ 
Drüben auf dem Umgang ftand das Zeislein 
im Connenjdein, lodte und minfte ihm zu: 
„Meiſter Bolduan, bas Gahr ift. mir ge: 
melen wie zehn. Jn der großen Ctabt ijt 
der Sommer wie Gras zwijchen den Steinen, 
aber hier fann einer in die Baume und in 
die Blumen jehn, daß einem das Herz vor 
Freude jpringen mag.” Meiſter Bolduan 
katte die Hand über den Augenbrauen und 
blingelte und jchmunzelte, tat bas Fenfter 
wieder zu und jagte: „Unjer Zeislein bat 
fid) herausgemaufert, bas muß wahr fein, 
Raum, daß einer es wiedererfennt. Augen 
hat es, die bligen wie die liebe Sonne, und 
it aud) nidt mehr gar jo blaB und bas 
Mieder ijt prall wie ein Hefetuden. Wetter 
nod) einmal, was ijf bas ein Marjellhen 
geworden.“ Das Annchen von Rüdesheim 
ladjte in feine Gedanfen, und das Herz 
tat ibm web; er jah den Stahl im Feuer 
glühen und feufzte: „Ja, Karl, wenn einer 
jung wäre und ledig. Aber bas ijt verjpielt, 
und man liegt beim alten Eijen.“ 

Karl Asmus hörte nicht, trat bas Rad, als 
follte es zeripringen, und ließ bie Spindel 
wirbeln, daß die Funken ftoben, und draußen 
fang das Zeislein und verjchlug ihm den 
Atem. Ihre Stimme war voller und tiefer 
als im vorigen Jahr, bie Lieder waren 
ſchwermütig und dunfel und voller Gehn: 
juht, wie wenn der Vogel im Garten jchlägt 
zur Vollmondzeit im Mai. Als es duntel 
ward, die blajjen Sterne am jommernäd): 
tigen Himmel ftanden, hordte Karl Asmus 
aus feinem Kämmerlein in den Garten 
binunter, hielt den Atem an und regte fidh 
nicht, wie die Pforte Tute und das Beis: 
lein mit leichtem Schritt daherfam, nad) 
oben hinauf das Lied vom Rojengarten 
fang, wie vor einem Jahr — er aber 
regte fid) nicht, fürchtete fih und gab nicht 
Antwort, wie fehr aud) bie Cebnjudjt ibm 
das Herz zerjchnitt. Am andern Abend, ba 


Deutihe Seele BESSSsseeessesd 249 


das Zeislein wiederfam und ihr Lied in ben 
Abend jchidte, daß es ihn hole, warf er fid) 
aufs Bett und brüdte den Kopf in die Kij- 
fen, bis taujenb Gloden in feinem Ohr ihr 
Gingen überläuteten, hielt fic) an den eijer: 
nen Gtäben feft, als führe er auf einer 
Plante über das Meer, und bie Wellen woll- 
ten ibn fort[pülen, bis es unten gang [till 
geworden und die dunkle Traurigkeit aus 


der Tiefe ftieg. Am dritten Abend fang bas 


Zeislein nidt, fam aud nicht, fo febr er 
auch bordjte. Da hielt er es nicht aus, holte 
die Flöte hervor, [djlid) nach unten, febte 
ih auf bie Bant unb blies, was aus 
dem Herzen wollte, und als das Zeislein 
vor ihm Honn, warf er die Flöte ins Gras 
und jchloß fie in bie Arme. „Zeislein, Zeiss 
lein, ich tann von bir nicht laffen, und wenn 
id) fterben müßte.“ Und das Beislein lag 
\hwer an feiner Bruft, als wäre alles Leben 
von ihr gewichen, bing an jeinem Hals wie 
ein eingejchlafenes Kind und war bod) jo 
leiht und zierli wie in Hof und Garten 
eine Grasmüde, hielt ibm die [djmalen 
Lippen hin, und [djoB die Augen. Ihre 
Schultern zitterten, und von ihrem Haar 
ging ein Duft aus wie von den Lidtnelfen 
des Abends auf dem Feld, wenn der Tau 
fällt und ber Wachteltönig ruft, woher Ant- 
wort fame. Jn ber Sommernadt ijt alle 
Liebe mad), bie im Frühling nod) träumte 
von bem, was ihrer warte und haudt ihren 
heißen Atem in die warme Luft; die Nach: 
tigall jubelt und weint, da ein Herz im ans 
dern [tirbt. Go ijt erjte Liebe: unjchuldig 
und wahrhaftig und weltvergejjen, anbád):ig 
unb [deu und voll Anbetung und Ehrfurcht, 
und ein Engel fteht vor der Tür und hütet 
und wehrt, denn ein Teufel liegt auf der 
Kauer und wartet, ob feine Zeit fommt, und 
fann nidjts Reines leiden, er muß es vers 
giften. Und bas Zeislein jaB bei Karl As- 
mus auf ber Bank, und beide fprachen fein 
Wort, hatten Hand in Hand gelegt, jpürten 
das Blut, als fame es hinüber von dem 
einen zum andern, ließen jid) von ber Gelig: 
feit der Liebe wiegen und tranten von ihrer 
Cufigfeit, hatten bie jungen Leiber dicht 
aneinandergejchmiegt, aber bie Gefahr hatte 
nod) Pla zwiſchen ihnen und madte fie 
bange, als täten fie unrecht, und wenn ein 
Laub rajdjelte von einer Maus oder einem 
Maulwurf, jdrafen fie gujammen, es fónnte 
einer fie finden. 

Die Uhr von Gantt Katharinen falug 
PRiertelfiunde um Bierteljtunde. Da [aj bie 
Zeit im Turm, nagte mit ihrem einzigen 
Zahn an der welten, hängenden Lippe und 
[tie den harten Anöchel immer wieder gegen 
die Glode, denn fie ijt allen Liebenden und 


Belbagen & Alafings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2. Vd. 17 


250 Iesse Johannes Höffner: [343424242€2€3€4233€42:32€2537 2€1 


aller Jugend gram, neidet ihnen Das warme 
Blut und den Himmel, möchte alles alt und 
báplid) unb runzlig machen, wie fie jelbjt 
ijt, läßt bie glüdlichen Stunden in die Tiefe 
Ihießen wie Steine und die traurigen nieder: 
gehen wie eine Feder, die immer wieder vom 
Boden fid) hebt und nicht Rube findet; fie 
mahnt und nörgelt bei Tag und Nacht, und 
es hilft feinem, ob er jid) aud) die Obren 
gubielte und mit Wachs verjtopfte. Das 
Zeislein |prang auf und tat einen Geufzer 
jo |djmer, als müßte fie vom Leben Abjchied 
nehmen, aber ebe fie ging, breitete fie bie 
Arme weit auseinander, weit genug für 
Simmel und Sterne. „Einmal, nod) einmal 
jolljt bu mich füjjen. Nacht und Tag find 
gar jo lang.” Und als Karl Asmus [ie ums 
fing, zärtlich und voll ſüßen Zagens, ließ fie 
die Lippen nicht von den jeinen, drängte 
diht an feine Bruft, daß ihre Herzen fih 
ſchlagen hörten, und hauchte immer wieder: 
„Küſſe mich, ftüjje mid), jonjt muB ich ver- 
geben —" 

Das Zeislein war fort, ein Schatten am 
genjter oben blieb Karl Asmus nod) für ein 
Weilchen, bann war er ganz allein, ging an 
das Waſſer, hörte auf die Wellen, die 
raufchten, unb mußte weinen, wie damals, 
da bas Zeislein Abjchied nahm. Aber jest 
vor lauter Blüd, daß fie fein eigen war, 
und ber Strom wallte, und es war, als 
führte er alle Tränen, die Liebe und Blüd 
und Leid auf Erden je geweint haben. 

Am andern Morgen, da das Zeislein im 
Hofe und im Garten fang von Treue und 
Sehnjudt und Heimlidfeit, ftand das Herz 
ihm [till, daß bas alles für ibn allein ware und 
feiner es wüßte, und er gönnte niemandem 
die Tuben Lieder und meinte, Der Meiſter 
bejtähle ihn, wenn er bordjte und das Gijen 
talt werden ließ. Aber bas ift nun einmal 
jo, wo ein Lied hinausgeht, ein Herz zu 
juchen, find viele Ohren, vor bie es tommt 
und viele Geelen, bie es trifft. 

Da jag Tobias Bitterling über [einer 
miibjeligen Schreiberei, Dem ward fo froh 
und der Sommer nod einmal fo lieb, ba 
bas junge Lied um ibn fliegen würde; feine 
Augen gingen über bie |hwarzen Buchftaben 
wie über Blumen und Wieſen, wenn ber 
Mai gefommen ijt. Und da war unter ihm 
der Schulter Windelband, der jak auf feinem 
Dreibein, jah die liebe Woche lang die Welt 
nicht anders als in feiner Waſſerkugel Hem 
wie ein Spielzeug, ben Nubbaum, den Hof 
und ben Garten, und das Zeislein ftand 
darin gleich einem Püppchen aus Porzellan, 
Der Stiefel zwiichen feinen Knien glitt zu 
Roden, feine Gedanfen waren weit fort. 
Sj.besmal wenn das jeisleim wiederfam, 


famen ihm die alten Zeiten vor die Geele, 
da fein eigenes Kind |o im Garten geitan= 
ben hatte; bann war es gegangen in die 
Welt und war wiedergefommen, hatte unter 
der Tür geitanben, behängt mit ritter und 
Tand, ben Federhut jchief auf dem Kopf, 
die Wangen angemalt und Augen wie eine 
von ber f'ajtabie. Das Blut war ibm in 
den Kopf geichofjen, als rühre ibn der Schlag, 
er hatte den Rniertemen genommen und fie 
von der Schwelle gejagt, fo jebr die Mutter 
auch gejchrien batte. Wo war fie jegt? Rann 
einer fein Fleilh und Blut pergejjen ? Er 
jeufzte und nahm den Gtiefel wieder zur 
Hand und jhlug mit dem Hammer auf die 
Goble, daß fein Ton von draußen fein Ohr 
traf. Er wäre bei der Arbeit mit feinem 
Schmerz wohl fertig geworden, aber da 
jprad) die Frau aus ber Ede, wo fie ein 
Huhn rupfte, ein unbejonnenes und törid)- 
tes Wort, und es half ihr nichts, daß fie es 
verwünjchte, faum daß es von ihren Lippen 
war: „Die fingt jid) aud) noch einmal um 
ihre Geele. Cold) ein Ding und ſolche Lie: 
der!” Indem [prang der Schufter auf, warf 
den Hammer hin, daß es dröhnte und die 
Zur ins Schloß und ging, wohin ber Geijt 
und fein Weib ihn trieben. Als er noch Haufe 
fam um die Dämmerung, Jop ihm der blau= 
rote Raujd) auf den Wangen, und die Frau 
leitete ihn wie ein Rind, padte ihn ins Bett, 
legte ibm ein kaltes Tuh auf den Kopf und 
Ihwieg ganz DU: denn fie wußte, was ibm 
angefommen war, und daß ihr unbewachtes 
Wort ihn umgeitoßen Hatte, jette fidh) hinter 
den Ofen und weinte Tränen auf ein fables 
Land, bas darob bod) nicht wieder grün 
ward, 

Heiße Tage famen. Die Hühner paddel: 
ten in dem grauen Ctaub, lagen am Zaun 
unter ben Büſchen und blinzelten nad) den 
liegen, bie fie umjummten; die (Gitter ſaß 
auf bem Brunnenrand und fühlte jid) von 
Zeit zu Seit in bem riejelnden Zoller. wo 
es über bie Mauer rann, ſchöpfte mit dem 
Schnabel und fpr $te die Tropfen über bas 
jtablblaue, glänzende Gefieder; ber Nu,baum 
duftete über den Hof. Tie Nächte waren 
ftill und ſchwül und ſchwer; feine Kühlung 
fiel von den Sternen. Der Atem der Erde 
war voll Glut und Verlangen und war dod 
vor wenig Wochen nod) jo leicht unb froh 
gegangen wie ber eines Kindes; alle be: 
glüdende Celigfeit war brennende Leiden: 
ſchaft geworden. 

Auf der Bank war ein Seufzen und Ber: 
langen, und Die beiden jungen Herzen bes 
horchten und belauerten einander, und es 
ſprach feines ein Wort, bas Zeislein nicht und 
niht Karl Asmus. Angſt und Cehnjucht 








und Beflemmung war um fie ber, als wollte 
die Erde zn ihren Füßen fic) auftun und 
fie in die Tiefe reißen. Das 3eislein trieb 
auf ihrer Liebe dahin wie auf einem Strom, 
lag in Karl Asmus’ Armen, los von aller 
Welt und allem Belinnen, und in ihren 
weichen Riijjen war fein Verjagen mehr und 
feine Scheu. Cine Tür war da und ein 
Schlüſſel im Schloß, es brauchte ihn einer 
nur anzurühren, und die Tür jprang auf, 
und man fonnte nehmen, was das Herz 
wünjchte. Aber eine Stimme jprach in ber 
gerne, ganz weit, nur wie ein Flültern, und 
warnte Karl Asmus, er fónnte alles vere 
Tieren. Go jaBen fie und tranfen das Gift 
der heißen Nacht, den fremden, ſüßen, vers 
gehrenden Trunf ber Sehnſucht, bis das 
Zeislein aufjchredte aus Traum und Ber: 
lorenheit, fid) ben bittenden Armen entwand 
unb Davonlicf. : 

Rarl Asmus blieb eine Weile gang [till 
und mochte die Geligfeit, bie um ihn war 
gleich einer Wolfe, nicht verjcheuchen, aber 
dann ftand er auf, [hwer und benommen, 
ging ans 9Bajjer, jah die Wellen jpringen 
und rinnen, und ob Die jyiniternis darüber 
lag, war bod) ein Flimmern darin und ein 
Leudten von den Gonnenjtrablen, die fie 
des Tages gefangen hatten und in ihren 
fühlen Ginger hielten, denn das Waſſer tut 
wie bas Leben, reißt alles Leuchtende in jid) 
hinein und madt alle Gegenwart, mag fie 
noch jo voll von heißer Liebe fein, zu falter 
Vergangenheit und zu einem wirbelnden 
Spiel der Erinnerung. 

Sndeffen ftand das Beislein in ihrem 
Stübdyen, batte bie Kleider abgeworfen und 
Dep bie Luft ihre Glieder ftreideln, fah 
mit ftarren Augen in das Licht, wie Die 
lamme ftieg und fant, brennen mußte und 
fid) verzehren. Als Karl Asmus nad) ge: 
raumer Zeit über den Hof fam, in jeine 
Rammer zu geben, jah er an des Zeisleins 
Fenſter ihren Sıhatten ftehen, wie das Licht 
die janften Linien ihres Leibes auf den 
weißen Vorhang malte, und in feinem Her- 
zen züngelten Gedanfen auf, daß er hätte 
Schreien mögen. Die Adern flopften ihm, 
und ibm war, als ftürze Welt und Himmel 
ein, und die Sterne müßten auf die Erde 
fallen, bis bes Beisleins Schatten fid) über 
bie Flamme beugte, als wolle er fie fiijjen, 
und bas Licht erlojh. Da ftieg er jchwer 
in feine Rammer, eine Traurigfeit lag auf 
feiner Brujt, als wären ihm Water und 
Mutter tot, und feine Seele war wie ein 
Papier im Windwirbel. Er warf jid) neben 
feinem Bett auf bie Knie, brüdte die heiße 
Stirn in die heißen Hände und lich feine 
Bejühle jagen, wie fie wollten. Aber nad) 


Deutiche Seele 251 


einer Weile riB er fid) hod, machte Licht 
und las tief in die Nacht hinein die (e: 
\hichte vom Raijer Oftavianus, daß in dem 
fremden Land und bei den fremden Mens 
Iden feine Seele wieder ftil und Hor würde 
wie ein heller Wintertag. 

Am andern Abend nahm Karl Asmus 
die Flöte vor wie zuerjt, ba er bem 3eis: 
lein jpielte, und hörte nicht auf mit Blafen, 
Jo jehr das Zeislein aud bettelte. Denn fie 
wollte wieder an feiner Bruft liegen und 
trunfen werden von der ſüßen, heißen Liebe, 
feines Leibes Leben jpüren und fein junges 
Blut und ihm hingegeben fein, als wäre fie 
von ihm ein Ctiüd. 

Die Töne gingen durch die Dämmerung 
unter dem Nachthimmel und den Baume 
tronen rein und erdgelöft dahin wie durch 
eine Kirche, unb bod) zitterte Karl Asmus 
das Herz in ber Brutt, Er war jo lebt 
Judtsvoll und rubelos wie der Vogel im 
Lenz, wenn ber Siidwind ihn treibt, und 
das Zeislein neben ihm war wie ber Schat— 
ten am Fenſter, daß er die Augen nicht zu 
ihr wenden modjte, und meinte, er fähe ihre 
holden Glieder ohne Hülle. Er mußte feiner 
jelbjt wehren mit aller Kraft, ließ bas ſchwarze 
Holz nicht von den Lippen und hätte dod 
lieber das Zeislein füjjen mögen. Und all 
gemah gewannen die Lieder Macht, daß die 
Gedanfen jid) niederlegten, und die Geele 
fonnte zwilchen ihnen hindurchgehen, und es 
ängitete jie nichts. Karl Asmus ward froh, 
Dak er Meijter über fidh jelbjt geworden war 
und bas Zeislein ihm neu gejdenft und daß 
er fie zum Abend füllen fonnte [o innig und 
in Unjduld, als wäre es zum erjtenmal, 
Aber bas Zeislein ging traurig davon, arm 
und Durjtig und verzagt. Wenn Licbe jo 
jein jollte, dabei perjdjmadjtete das Herz 
und perborrte das Blut. Wo Liebe war, 
ba waren Flammen und jchlugen von Herz 
zu Herz, und ob fic einen verzehrten, es war 
bod) Geligfeit über Himmel und Erde. Wo 
Liebe war, ba war eine Flut und riß alles 
Belinnen fort; ein Sturm fuhr dahin und 
trug einen über alle Menſchen. Liebe wollte 
genommen fein und wollte fid) geben mit 
Ceele und Leib, wenn fie echt war und wahr: 
haftig. Und bas Zeislein dachte an bie Gage 
von Barbara Birfholg; die hatte in alten Seis 
ten auch alles bingegeben um Liebe, hatte 
einen Gejellen lieb gehabt mehr als fid) jelbft 
und nad) nichts gefragt, nicht nad) Ehre und 
Schande und ihrer Geelen Celigfeit. Heims 
lich auf dem Anger hinter den Weiden am 
Fluß, Abend für Abend, wo der Richtplaß 
nahe war und die Leute die Beilter ber (Be: 
benften witterten und jid) fernhielten. Keiner 
wehrte ihr, nicht Bater nod) Mutter, denn 

17? 


959 e:ee9exexesxeiie::] Johannes Höffner: [RBBB 


He glaubten ihrer Rede, daß es der Herzog 
wäre auf der Burg, der ihrer begehre, und 
dak Gliid und Reichtum auf fie warte und 
große Ehre. Eines Tages war fie mit dem 
Licbften davon und fam nicht wieder. Da 
rief der Bater die Zunft zufammen: es 
Tonne nicht anders fein, ber Herzog Dielte 
fein Kind auf der Burg im tiefen Verlies, 
und bie Leineweber zogen aus mit (ien 
und Stangen, lauerten dem Herzog auf, als 
er von ber Jagd fam, und hätten ihn ere 
Ihlagen, wären bie Schufter nicht herzus 
gelaufen und hätten ihn errettet. Des zum 
Dant [djenfte der Herzog ihnen einen Plas 
zu Spiel und Tanz und die Geredtjame, alls 
jábrlid) ein Feſt zu feiern auf feine Roften. 
Das war dreihundert Jahr her und länger; 
fein Herzog jak mehr auf der Burg, jon: 
dern ein Rentmeijter des Königs und 3og 
Gteuern ein, aber die Bejchichte war nicht 
pergeller, und wenn der Sommer über bie 
Höhe ging und das Eonnenrad bergabwärts 
rollte, feierten bie Schulter ihren Tag, und 
ob es auch um den Herzog war und um Die 
Tapferkeit der Zunft, dachten bod) alle, bie 
jungen wie bie alten, an Barbara Birt: 
holg und ihre Liebe, und mancher tat es 
ihr gleich an Lift und Heimlichkeit. 

„Sp,“ Jagte bas Zeislein, als der Abend 
wieder in ben dien hing und fie vor Sort 
Asmus im Garten ftand, „heut mußt du 
bie Flaite beijeite tun, heut miiffen wir tanzen. 
Am Sonntag ift das Cdjulterfejt, Meiſter 
Windelband hat mich eingeladen, und du 
follit mid) führen. Da wollen wir vor allen 
beieinander fein und brauchen uns niht zu 
verjteden im Garten unter den Bäumen.” 

Karl Asmus Jehiittelte den Kopf und ließ 
die Flöte finfen. „Ich tann nicht tanzen.“ 

„Darum foljt du es lernen. Das ijt nicht 
ihwerer als auf dem Holz blajen. Und 
ſchöner.“ 

Sie raffte das Röckchen, zeigte, wie man 
die Füße ſetzte zu Walzer, Polka und Ländler, 
drehte ſich und tanzte, nahm ihn bei der 
Hand, zählte den Takt und lachte, wenn er 
aus dem Schritt fiel. Sie ward nicht müde, 
bis er den erſten Tang begriffen hatte und 
den zweiten und dritten, objchon in ihm ein 
Widerjtreben war; eng und enger 30g [ie 
thn an fid) und fühlte nichts um fid) her als 
feine Nähe und tanzte, baB fie ganz von 
Hiem fam. Ihre Schultern gingen auf und 
nieder, und ihre Brujt wollte das Mieder 
Iprengen, Da ließ fie ibn Ios, bing an fei- 
nen Augen, wartete und dachte, dak Karl 
Asmus fie wieder in feine Arme jchließen 
jollte. Aber ihm war bie Kehle wie Au: 
geichnürt, und er ríibrte fid) nicht. Der auf: 
gehende Mond jchien ibm ins Gejidt, das 


war blak wie der Ralf an der Wand, und 
ein tiefer Geufzer fam aus feinem Herzen: 
„Ach Zeislein, liebes Zeislein, es ijt jpät 
unb die Nacht ijt ba." | 

„Sch wollte, es würde nimmer Tag und 
der Mond bliebe am Himmel ftehen in Gig: 
teit!” Damit wirbelte fie fid) berum und 
tangte den Weg hinab, wo der Fluß raujdte, 
trat auf die Spiilbanft über bem Wajler, 
jah dem blauen Licht zu, wie es in den 
Wellen blinfte und jprang wie lauter Fiſch— 
chen, und wo es ruhig war, ftand der Mond 
und winfte als aus einem tiefen Brunnen. 
Cie febte fid), tat Schuhe und Strümpfe ab 
und ließ das fühle Wafler um die heißen 
Füße rinnen, aber Herz und Schläfen hörien 
zu brennen nicht auf. 

Cie rief in ben Garten: „Es ift Iauter 
Silber im Fluß!” Und Karl Asmus fam, 
jah bas Mondlicht ſchwimmen und in den 
Wellen jpielen; die Flammaden hüpften von 
Ufer zu Ufer, unter den Büſchen fort und 
auf unb ab, bes Zeisleins Füße ſchim— 
merten und bligten wie Schuppen, und in 
ihrem Iojen Haar leuchtete es von blinten: 
den Tropfen. Gie |djópfte aus dem Fluß 
mit ihren Händen; das Zoller rann atis 
Iden den Fingern Hindurd und [prübte 
gunfen wie Stahl unter Dem Hammer. 

Ale Wirklichkeit ſchwand, und alles war 
angerührt von beiml. der Macht und ver: 
wandelt; eine Angjt [tieg in ibm auf, als 
ftande er in eines Zaubers Bann. „Beis: 
lein, Zetslein, in der Tiefe lebt mancherlei. 
Wenn ein Arm nad) dir griffe und zöge 
bid) hinab!“ Da fuhr fie zurüd, cin Shred 
ging durch ihr Herz, und ein Zittern lief 
über ihre Haut. Bah 30g fie die Füße empor, 
jprang auf und bebte wie ein Eipenlaub, 
nahm Schuh und Strümpfe und lief über 
den harten Weg, als wäre ihr einer auf 
den GFerjen, der ihr nad) dem Leben ftánbe. 
Karl Asmus rief ihr nad: „Gute Nacht, 
Zeislein, gute Naht!“ Uber [ie hörte nicht 
unb antwortete nicht. 

Eine Weile jah Karl Asmus noch zu des 
Seisleins Fenſter hinauf, aber es blieb 
dunkel, und Tobias Bitterlings Lampe fdjidte 
allein ihren Schein in den ſchwarzen Nuß« 
baum, darin bie Eljter job, den Kopf unter 
den Flügeln, hod oben auf bem äußerſten 
Zweig, daß fie munter würde vom eriten 
Sonnenftrahl unb bie Tauwiirmer nicht Zeit 
hätten, fid) vor ihrem Schnabel zu bergen 
und bie gierigen Hühner ihr nicht zuvor» 
fämen. Aber diesmal war fie betrogen. 
Denn bald nad) Mitternacht wuchs der Him: 
mel voll Wolfen, der Mond verlor feinen 
Sdetn, ber Donner rollte und Regen Ttürzte 
nieder, und fie mußte von ihrem Gif, taus 





melte mit najjem Gefieder in eine jchüßende 
Höhlung unb mußte figen bleiben, aud) als 
es bell wurde, denn es gob in Strömen und 
wollte nicht aufhören. Da hüpfte fie jchließ- 
lid) jchwerfällig von Zweig zu Zweig und 
auf den Umgang, Jette fih vor Tobias 
Bitterlings Küchenfenfter und bettelte fich 
einen Diirftigen Heringsfopf. 


B] 

Drei Tage regnete es und drei Nächte. 

Das Zeislein jak auf bem Umgang jeden 
Tag, jah in den grauen Regen, hörte auf 
das Riefeln in der Rinne, ob es nadjliefe 
und bie Wolfen fid) teilten, und ihr Herz 
fühlte fih nicht, badjte an Rub und Liebe 
unb an das et und hätte weinen mögen 
um bie verlorene Zeit. 

Aber als der Conntag fam, ftand ber 
ſchönſte Gommertag über der Welt; ber 
Himmel leuchtete wie Geide, als wäre ber 
liebe Bott den Schujtern bejonbers gewogen 
und hätte der Schuhe nicht vergejjen, die 
Grilpinus den Armen gemadjt hatte, wenn 
das Leder dazu aud) gejtohlen war und feine 
fBarmberaigteit ibm feinen Pfennig foftete. 

Nad bem Mittag wuchs vor ber Her: 
berge nidt weit vom Goldenen Lads der 
Feltzug Glied um Glied, ward bunt und 
faut; bie feidene Fahne wehte im frifchen 
Seewind, bie Pauken bróbnten, und die 
Hörner jchmetterten über dem Lachen und 
Cdjergen; Bruder Armel und Bruder Halb 
Sieben, die luftigen Gefellen, [prangen 
in vierfarbigem Yams vorauf, ließen die 
Pritjche flatjdjen und die Kappe flirten, aus 
ben Fenſtern famen Brojchen geflogen und 
Pfennige und mitunter ein Taler, und die 
Kinder drängten um fie ber unb fangen: 

Unjer Bruder Ärmel, der fol leben, 
Seine Geele fet vergniigt, 

Dun fein Liebchen aud) Daneben, 
Weil fie ihn fo herzlich liebt. 

Und die Paare, die hinter ber Fahne 
famen, zwei Straßen lang, jahen einander 
in die Augen, bie alten ein wenig web: 
mütig, in der Erinnerung an bie holden 
Tage, bie nicht wiederfehrten und voll 
Schmerz, daß bas Herz anfing talt zu wer: 
den, und die jungen jelig und übermütig, 
weil ihnen die Zukunft gehörte, 

Das Zeislein aber ging dahin, im rofen: 
roten Kleid, ein Rettlein von Bernitein um 
den Hals, und bie Augen in ber Ferne, 
hielt Karl Asmus fo feft bei der Hand, als 
fonnte fie ihn verlieren, und wiünjchte, bas 
felt wäre vorüber und fie fónnte mit ihm 
allein fein unter den hoben, buntlen Bäumen. 

Das Zeislein in Karl Asmus’ Armen war 
beim Tanz jo leicht wie ein Blatt, ihre Augen 
leudjteten wie der Himmel, ihre Füßchen 


Deutſche Seele 





er 4» e —— 
<a aan aa 





253 


wollten über den Raſen fliegen wie bie 
Schmetterlinge; aber Karl Asmus fam mit 
ihr nicht in ben gleichen Schritt, denn bie 
vielen Augen ringsumber irrten ihn und er 
mußte mit dem Zeislein innehalten mitten 
im Tanz, fie an ihren Pla führen und 
andern lajjen, bie bald um fie waren wie 
die Bienen. Da ftand er, fah ihr nad) und 
war dem Weinen nah, wie fie ferner und 
ferner fih drehte, bald biejem, bald jenem 
an der Bruft lag und nicht müde ward. 
Einmal [djidte fie ihre Blide nad) ihm aus, 
aber banad) niht mehr. Als dann Klaus 
Drafehn, bie bunte Miike ted im Genid, 
den Arm um fie legte unb fie fid) mit ibm 
im Sommerwind wiegte, linfsherum tanzte 
und rechtsherum, machte er fid) heimlich 
fort, und der Tag war ihm verdorben und 
leid. ‚Den Abend,‘ dachte er, Den Abend 
gehört fie feinem andern mehr.‘ 

Aber am Abend unter den Bäumen fap 
er und verzehrte fid) in Cebnjudyt, fab ben 
Himmel dunkler und duntler werden, bis 
über bas Zoller wieder ein Schein fam und 
der Mond fid) ftill und mild über die Kite 
ftellte. Wher nichts regte fih, feine Tür ging 
unb fein Schritt nabte, nur ein Schnarcdhen 
fam aus einem offenen Fenſter durch ben 
Hof und Garten; das war ber Meijter, bem 
das Bier bie Glieder ſchwer unb den Schlaf 
tief machte. Mitternacht war längft vorbei, 
da fnarrte das Pförtchen, und das Beislein 
laß auf dem Schoß von Karl und fdlang bie 
Arme um feinen Naden, [trid) ibm die Wangen 
und legte die heißen Lippen auf feinen Mund. 

„Kein anderer fol den Arm um mid 
legen als du allein. Die ganze Macht folft 
du bei mir fein, bis an den lichten Mor: 
gen, wenn die Sonne fommt, Weißt du nun, 
wie gut ich dir bin?” Gie legte ihren Mund 
ganz dicht an fein Ohr und flüfterte fo heiß, 
daß er glaubte, das Herz müßte ibm ver: 
brennen. Und dann war fie fort, und es 
war nits an feiner Geite als ber blaffe 
Mondenjdein. Er ftand auf mit ſchwerem 
Blut und ſchweren Gliebern, ſchlich dahin 
wie ein Dieb, durch ben Hof, über bie 
Treppe, den Umgang entlang, an Tobias 
Bitterlings Wohnung vorüber, bis er an 
bes Zeisleins GFenfter war. Da ftand fie 
drinnen im Mondenjchein [o weiß wie ein 
(et, war nicht mehr ein dunkler Schatten 
auf bem Borhang, war Fleijd und Blut; um 
ihre zarten Glieder floß bas Mondenlicht wie 
Spinnweben, und ihre Wrme waren ausge: 
breitet. Da fam eine furdtbare Angft, und 
er hörte eine Stimme, Die brófnte burd) 
fein Herz: ‚Hüte bas Zeislein, daß thm 
fein Leids gejchieht.‘ Das war nidt Gung: 
frau Wiejes Stimme mehr, das war Die 








254 I Johannes Höffner: 


Stimme Gottes, die gwijden ihn und bas 
Zeislein fuhr gletd Donner unb Blig, daß 
er nicht beginge, was er nimmermehr wie: 
ber gutmadjen fonnte und was ihn brennen 
mußte fein Leben lang. Die Hand jchlug er vor 
die Augen, lief den langen Umgang zurüd 
und hinauf in feine Rammer, unbefiimmert 
um den Hall der Schritte auf dem hohlen Holz 
legte den Kopf an das Fenſterkreuz und gite 
tere am ganzen Leib. Das Zeislein aber 
lag auf ihrem Bett, hatte das brennende 
Beliht in ben fijjet und weinte, daß es 
ibt das Herz abjtieß, weil nun ihre Liebe 
fterben wollte, und ihre Ceele verging vor 
Scham und bebte vor dem Tage, der jchon 
über den Fluß fam. 


8 8 

Es gibt Zuſammenhänge zwiſchen dem 
Menſchen und der Kreatur, und niemand 
kann ſagen, wer ſie knüpft. 

Am Morgen, da das Zeislein blaß und 
matt und mit entleertem Herzen in ben Garten 
ging, fand fie unter bem Nußbaum die El: 
fter [eblos und jtarr; fie hatte einen Broden 
Gift aufgelefen irgendwo als einen Leder: 
bien und ihr Leben lajjen müjjen um bes 
$ebens willen. Das Zeislein hatte in ber 
Nacht joviel Tränen geweint, jeßt hatte fie 
feine mehr; fie nahm das Tier an ihr Herz, 
ftreichelte das grüngoldene Gefieder, küßte 
die gejchlojfenen Augen und fang von des 
Vogels und ihrer Liebe Tod, fo Teije und 
traurig wie ber Güdwind in Zyprejjen: 

Die Bliimlein alle, die fie mir gab, 
Die follt ihr legen au mir ins Grab — 

Dann grub fie mit ihren Händen ein Bett: 
den unter dem blühenden Mohn, ber wie bas 
Leben leuchtete und in dem bod) ewiger Schlaf 
wohnte, legte hinein, was nod) gejtern fidh im 
Licht gefreut hatte, und all ihr Glüd dazu, 

Den andern Tag war fein Zeislein mehr zu 
fehen nod) zu hören, niht am $yen[ter und 
nicht im Garten, und beim GFeierabendlauten 
jagte Meilter Bolduan, indem er den legten 
Schlag auf ben Ambok tat und den Ham: 
mer in die Ede warf: „Nun ift unfer Som: 
mervöglein wieder auf und davon und ein 
Sahr dahin. Die Jugend, ja die Jugend, 
Die muß einer fid) wahrnehmen, die ijt vor: 
über, wie eine Schwalbe fliegt, und feiner 
bringt fie Dir guriid.” Indem blies er nod) 
einmal das Feuer am und jah in die Flammen, 
tat ein Gijen hinein und fah wie es glühte, aber 
er legte es nicht auf ben Ambok, jonbern 
ließ es ein Spiel für feine Gebanten fein. 

Karl Asmus febrte die Späne von Der 
Drehbanf fort, war bet den Worten des 
Meiſters rot geworden wie die Glut auf dem 
Herde, und der Schmerz ſaß ibm im Halje 
wie ein Meſſer, baj er jid) um Liebe und Selig: 


Deutiche Sele [2:32:22 


feit gebradjt batte, aber er tat leichtherzig, 
und jagte: „Ach, SUleijter, id) bin nod) jo 
jung, mein Weg ift noch lang, und es mag 
nod) genug blühen rechts und linfs, da 
braudt fih einer nur zu büden und er 
windet fid) den jchönjten Strauß.“ 

Der Meijter [trid) den langen Bart: , Wer 
weiß, Karl, wer weiß? Den Tag muß einer 
nugen, den Tag und bie Gtunde, Über 
unjern Weg laufen viele Füße vor uns, und 
nad) den Blumen greifen viele Hände, aber 
zulegt muß einer zufrieden fein mit dem, 
was bie andern ibm laffen.” 

Er ließ die Flamme finten und löſchte 
die Kohlen. „So, und nun wollen wir leben. 
was bie Meiiterin uns aufgetragen bat. 
Sd) habe einen rechtichaffenen Hunger.” 

Als es bunfel geworden war, mußte Karl 
Asmus in den Garten am Fluß. Das Herz 
ließ ibm feine Rube, er mußte atmen, wo 
das Zeislein feine heiße Liebe in bie Luft 
gehaudt hatte und wo die Giigigteit ber 
Tage nod) unter den Weiden hing. 

Auf der Bank fag eine weiße Rolfe, well 
ihon und im Sterben. Damit nahm das 
Zeislein Abjchted von ibm für immer; ein 
Ctüd von feiner Jugend war dahin und 
ein Ctüd von feinem Herzen. Wes Keben- 
dige und alles Tote ijt |chwer, daran trägt 
ein Menſch wie am einem Gtein. Go lag 
die Rofe in feiner Hand. Er trug fie in 
feine Rammer, fegte fie ins Glas, ob [ic 
nod) einmal ermadjen wiirde, und [tellte fie 
ans Fenſter in ben Mondenicdein. 

In der Nacht, ba der jchwere Schlummer 
auf ihm lag, hob bie Rofe fid) ins Licht, 
und ein fiber, feiner Duft webte daher. Karl 
Asmus war im Traum bei bem Zeislein 
auf der Cpülbanf am Wajjer, wie fie bie 
Wellen um ihre bloßen Füße gleiten Lief, 
die glänzten wie Gilber im Glas. Da griff 
ein Arm aus der Flut und das Zeislein 
Ichrie auf, warf die Arme hod, jah ibn 
nod einmal an — und ihr Plaß war leer. 
giniternis fiel vom Himmel, die Wellen 
gurgelten; er rief nad) dem Zeislein, aber 
feine Antwort fam, und bie Angjt lähmte 
ihm Hand und Fuß. Indem hörte er hinter 
lich eine Stimme: „Nimm deine Flite und 
blaje.“ Und er blies, jo zart erfonnte, ba 
wurde es im Waſſer hell und heller, der 
Schein ging Durch die Nacht, als ftiege aus 
den Wellen der Mond, ein Arm fam aus 
Dem Waller und Jdimmerndes Haar, und 
bas Zeislein ftieg empor, das Mondlicht 
um fih wie ein Schleier. Er tat bie Arme 
weit auf und wollte rufen, da wachte er auf, 
jah fih wire und erjchroden um, aber es 
war fein 3eislein ba, nur die Roje am 
Fenſter blühte in ben Mond. (orti. folgt) 


K 
Q 


auf dem 


SY Die preupifche Bolitit 0) 
GN WE ee rep GC 
Bon Prof. Dr Dou Herre in Leipzig > 


N 


OtttCCCCCCCCCCECCCCCECCECCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC 323333233932039333233233339333933333333233333332323(/322232352O 


cie Macht bes franzöſiſchen Solda— 
tenfaijers war zufammengebrochen. 
„Da liegt aljo das mit dem Blute 
jo vieler Millionen gefittete, durch 
die abjurdejte und verruchtejte Ty- 
rannei aufgerichtete ungeheure Gebäude am 
Boden; von einem Ende Deutjdlands bis 
a anderen wagt man auszujprechen, daß 
tapoleon ber Schurte und ber Feind des 
menjchlihen Gejdledhts ift, und dag bie 
Ihändlichen Felleln, in denen er unfer Later: 
[anb hielt, zerbrochen find, und die Schande, 
womit er uns bebedte, in Strömen franzö= 
* Blutes abgewaſchen ijt.” So malten 
ich die Dinge im harten, aber gerechten Auge 
des Freiherrn vom Stein, und man verſteht 
es, daß zumal Preußen in ſeinem Geiſte eine 
Neuordnung der europäiſchen Machtverhält— 
niſſe forderte. Preußen war die Seele des 
groben Bölterfampfes gewejen, feine Bolts- 
eidenſchaft hatte ibm den enticheidenden 
eijtigen Schwung gegeben, und es hatte die 
ürfjten Opfer an Gut und Blut gebradt. 
robe nationale Hofinungen bejeelten die 
weiteften Rreije, und Graf Bol, der Mi: 
Ska des Auswärtigen, verjicherte ben preu- 
Bilchen Diplomaten in einem 9tunb|d)reiben: 
„Bir Tonnen uns ber gewiljen Erwartung bin: 
eben, unjere Wünſche für ben Blanz und die 
acht Preußens volljtandig erfüllt zu jehen.” 
Das ftand für die preupijdhen Batrivten 
feft: Der Staat, ber bas meijte für die Nie: 
derwerfung Napoleons geleiltet hatte, fonnte, 
inmitten des Kontinents noch unfertig und 
bes Ausbaus bedürftig, eine bejondere Be- 
rüdfichtigung feiner Großmachtintereſſen 
beaniprudjen. Der Generalquartiermeijter 
mamng, war nur der Dolmetjd) ber allges 
meinen Stimmung, da er dem befreundeten 
Gneijenau erörterte: „Wenn wir nicht in 
demjelben Verhältnis vergrößert werden wie 
Oſterreich und Rußland, wenn wir uns von 
dem öiterreichiichen Syſteme der Familien 
apanage täujchen und Maing und Jülich 
entreißen lafjen, jo tann es die Nation, bie 
joviel getan hat, nicht vergeben. Beſſer ein 
neuer Krieg als eine große Enttäuſchung.“ 
Im Hauptquartier waren die Blicke vor— 
wiegend nach Weſten gerichtet; der Grenz— 
hub gegen das in fteter Unruhe und Muy 
regung befindliche Franfreid) nahm hier das 
Sauptinterejje in ge Ru dem mili- 
tärijchen Gelichtspuntt fügte die Regierung 
ben der ftaatlihen Ausweitung im beut|d)en 
Umtteife, und nod) in Paris hatte der Staats: 
tangler Fürſt — in einer Dent: 
(rift über bie Neugeftaltung Europas (vom 
29. April 1814) die preußijchen Forderungen 
für ben Friedensihluß dahin umfchrieben, 





dak Preußen einerjeits auf bas ehemalige 
hohenzolleriſche Gebiet von Ansbach und Bay: 
reuth Verzicht leilten, dagegen Pojen bis 
ur Warthe, einjchlieglich Thorns, ganz Sad): 
en, Weitjalen, Berg und die Rheinlande von 
aing bis Wejel, jowie eine Iſthmus“Ver— 
bindung durch Südhannover erhalten jollte. 
Indeſſen nur en mit dem bejieaten 
Frankreich war in Paris abgejdlojjen wor: 
den, und zwar auf der Grundlage des 
Standes von 1792. Die weitere Regelung 
der jtaatlichen B.rhältnijje batte man einem 
nad) Wien zu berufenden europadijden Rone 
grejje vorbehalten, auf bem Die vier groß- 
mädhtlihen Gieger die Liquidation bes 
napoleonijchen Ay lg vornehmen wollten. 
Trokdem vermochten England, Rußland und 
Siterreid), die  europáijden Grokmadte 
im weiteren Sinne, [hon tn der franzöjijchen 
eier wenigjtens bie Grundzüge ihres 
ewinnanteils fejtzulegen. Preußen allein 
mußte die volle Ungewißheit feines zukünf— 
tigen Cdjidjals in & uf nehmen, da bie 
9teuorbnung feiner Verhältniſſe unlöslich mit 
ben verjchiedenartigen Fragen Mitteleuropas 
verfnüpft war, deren Löſung der Wiener 
Rerfammlung überlafjen fein folte. Won 
Anbeginn hatte es den Nachteil feiner geo: 
graphiichen Lage zu tragen und war fomit 
ganz dem CR der Mächte auf 
dem Kongreß ausgeliefert. Auch bie Bünd-» 
nisabmadungen gewährten ibm im einzelnen 
feinerlei Sicherung, denn fie beſchränkten fid) 
auf bie Zujage der Wiederherjtelung im 
Umfange, den es 1805 bejejjen hatte, und 
ließen es völlig offen, wege Gebiete dafür 
verwendet werden jollten. Jtur ber &aliid)er 
prap Nu Rußland verbürgte Preußen den 
Belig Alt-Preußens ſowie derjenigen pol: 
nijden Sanb[tridje, bie eine Verbindung 
gwijden Weltpreußen und Schleſien bildeten, 
und bejtimmte die in Norddeutichland zu 
erwartenden Groberungen, mit Ausnahme 
ber Beliungen bes Haules — —— zur 
Entſchädigung und zur Herſtellung eines ab— 
erundeten und zuſammenhängenden preujis 
Dag Staatsgebtetes. Er gewährte jomit 
e einen wertvollen 9tüdbalt an Ruß: 
and, band aber deffen Unterjtügung, zumal 
hinfichtlid) bes Gewinnes Cad)ens, an Die 
Uberlajjung ber et och Polens, und es 
war in dielem Zufammenhange von großer 
Bedeutung, daß fih der Zar Alexander I. 
jeit dem endgültigen Giege über Napoleon 
mit dem Plane trug, bas alte Königreid) 
Polen wiederherzuftellen und, mit einer Ber: 
faſſung ausgeltattet, in Perjonalunion mit 
Rußland zu vereinigen. Ohne fih fonft 
über Die Ginzelbeiten diejer Regelung aus: 


256 


guten. beitand er hartnädig auf ber Eins 
eztehung Thorns, ber für Preußens Grenz» 
jiherung unentbebrliden Weichjelfejtung, 
und |djuf fo eine Entfremdung zwijchen ben 
befonders eng verbündeten Staaten. 

Mit biejen SE begab (jid) Preußen 
auf den &ongreb. Da der vor Eröffnung 
ber Verhandlungen unternommene Berjuch, 
den Zaren von der Verfolgung des erweiter: 
ten polnijden Programms abzubringen und 
das Leet Wie Bu runtkendebert wiederher: 
zuftellen, ergebnislos blieb, war die preupijd)e 
Bolitit darauf gewiejen, nad) beiden Geiten 

in Fühlung zu nehmen; bod) war es immer: 
din eine wertvolle Frucht jenes Schrittes, 
daß Alexander ausbrüdlid) aujagte, Preus 
Ben bei ber Gewinnung ganz Cadjens be: 
de u fein. Aber es war für die preu: 
ildjen Unterhändler von vornherein bedent: 
lid), fid) mit Oſterreich und England, die 
ihrerjeits feft aujammen|tanben, allgujehr 
einzulaffen. In voller flbereinjtimmung bes 
fampften diefe bie poma Pläne des Zaren, 
deren Lerwirflidung Rupland dem Herzen 
Europas bebroblid) nabebradte unb über: 
aupt eine gefährliche Starfung ber rujjijchen 

adtitelung bedeutete; Preußen jollte 
nun mithelfen, das gefährliche Projekt zu 
Falle zu bringen. Diejes aber jette fih, in: 
bem es ben anders gearteten nterejjen 
Ojterreidjs und Englands zum Giege per: 
balf, der Gefahr aus, ber Unterjtiigung 
des Durch engere Verpflichtungen gebundenen 
Rußland verlujtig zu geben, ohne daß feine 
JBün|de inbezug auf Sadjen irgendwelche 
Sicherung erfuhren; ja es bejtand die Mög: 
lichleit, daß es auf Roften Ruplands dann 
jelbjt mit weiterem polnijdem Gebiet ent: 
Ihädigt wurde, von bem es fih en 
wollte, foweit es feiner nicht zur jtaatlichen 
Abrundung bedurfte. Preußen mar bemge: 
mäß auf der einen Geite als Wermittler 
wilchen den in ber polnijchen Frage erwad): 
jede Parteien wohl geeignet. Auf der andes 
ren jedoch wurde ibm die Durchjegung ber 
eignen Snterejjet dadurch erheblich er: 
ſchwert, und jo war der preußijchen Diplo» 
matie allerdings eine überaus ſchwierige 
Aufgabe gejtellt. Nur mit Hilfe einer ftar- 
fen und jelbjtändigen Ctaatstunjt konnte fie 
rope Erfolge erringen. Bejtanden aber ba: 
ür die Vorausjeßungen ? 

Dn perjónlidjer Hinjicht ganz gewiß nicht. 
Hardenberg war zwar ein Huger Diplomat 
von tiefer Bildung, der fih in ber poli- 
tilchen SFeinjpinnerei bes Ancien Régime auss 
gezeichnet ausfannte, aber mit feiner Neigung 
u bequemem Leidjtjinn und gqutmiitiger 
Dperflächlichkeit war er das Gegenteil eines 
Mannes jtarten Entſchluſſes und felten Durch 

altens. Gein bedeutendjter Mitarbeiter 
Bilhelm von Humboldt verfügte zwar liber 
bie Gaben bes weitblidenben Staatsmannes, 
war aber für die diplomatiſche Kleinarbeit 
nicht hervorragend veranlagt, und es war 
nicht wenig jtörend, daß der Ctaatstangler 
in |charfem, perjonlidjem (Gegenjat zu ihm 





Prof. Dr. Paul Herre: see e 


ftand. Die übrigen Bertreter Preußens, wie 
Stägemann, Jordan und Hoffmann, füllten 
ihren Pla als tüchtige unb zuverläjlige 
Beamte ausgezeichnet aus und Minden von 
bem Durchſchnitt ber Unterhandler vorteilhaft 
ab, wie fie denn mit Humboldt die jachliche 


und gründliche Art bes preupijdjen Staates | 


heh bezeichnend verfdrperten und in ber 
erjammlung genießender €ebenstünj[tler eine 
Welt fiir di daritellten. Aber ben Dlangel 
ber preußilchen Diplomatie konnten auch 
ihre vorzüglihen Eigenſchaften nicht aus» 
gleichen: eine Mtattigfeit des Willens und ein 
geringer Grad von (inbeitlid)feit, an denen 
aud) des Königs Eigenart eine große Mit- 
huld trägt. Schließlich wirkte felbjt bie 

nwejenheit des Freiherrn vom Stein, ber 
als Gajt des Zaren an den Beratungen teil: 
nahm und mit den amtlichen Wertretern 
Preußens regen Gedanfenaustaujd unter: 
bielt, nicht immer förderlidy hinjichtlich ber 
ge}dtolfenen Zujammenarbeit der preußijchen 

iplomatie, und es war bezeichnend für die 
ihr zugeteilte Rolle, daß thr als militärijcher 
Berater niht Gneijenau beigegeben war, 
ber bedeutendite Kopf der Armee und ber 
eniale Bortämpfer des verjüngten Preu- 
Ben, jonbern Rnejebed, ber mittelmäßige 
Repradjentant ber alten Schule, von dem 
Gneijenau meinte, daß er „jeinen Ausgebur: 
ten burd) Gyitematilierung den Anſchein 
von Tiefe zu geben wiffe”. 

Entjicyeidend aber für ihre Wirkſamkeit 
war das Verhältnis, bas die Preußen aum 
bhabsburgijden Kaijerjtaate unterhielten. Auf 
der einen Ceite fühlte Friedrich Wilhelm UL 
ganz richtig, dab Ofterreid) feinem Staate 
übelgefinnt war; „man will mich zum Regie- 
rungsrat bes Railers machen“: fo erflárte er 


——— Auf der anderen jedoch hielt er 


eſt an dem dualiſtiſchen Programm, das 
heißt an ber Gemeinſamkeit Oſterreichs und 
Preußens in Deutſchland, und noch über— 
zeugter tat das Hardenberg. Demgemäß 
war der kaiſerlichen Regierung noch in 
Paris der Antrag unterbreitet worden, die 
öſterreichiſche Herrſchaft am Oberrhein wie— 
derherzuſtellen und Ofterreid) ſomit wieder an 
der Verteidigung ber Wejtgrenze zu beteili: 
gen. — Die Habsburger dachten 
gar nicht daran, derartige Verpflichtungen 
auf ſich zu nehmen. Mit größtem Geſchick 
verſtand es Fürſt Metternich, der Meiſter 
politiſchen Trugs und Intrigenſpiels, ſeine 
eigentlichen Ziele zu verbergen, die vielmehr 
dahingingen, Preußen an die Weſt- und Oſt— 
grenze zu verweiſen und die Mittelſtaaten 
Deutſchlands zu erhalten und zu ſtärken, um 
ſie gegen den Nebenbuhler auszuſpielen. 
Hardenberg und die Seinigen ließen ſich 
über bie wahre Geſinnung Oſterreichs täu— 
jhen, und anſtatt ſelbſtbewußt ihre eigenen 
Wege zu gehen, brachten ſie immer wieder 
zum Ausdruck, welchen Wert ſie auf die Ge— 
meinſchaft mit dem Kaiſerſtaat legten. Es 
war dem Kanzler — eine Genug— 
tuung, daß er Schulter an Schulter mit den 


EE Die preubiihe Politit auf dem Wiener SongreB BSSiseed 257 


beiden andern ,beut|den Gropmüádjten"^ — 
aud) England wurde Hannovers wegen als 
jolde bingejtellt — in die Verhandlungen 
des Rongrejjes eintreten fonnte. 

Aber jchneller noch als ohnehin zu be: 
fürchten war, ging ben preußiichen Unter: 
bändlern in Wien die Initiative verloren, 
die fie auf Grund ihrer Bermittlerrolle aus» 
üben wollten. Indem er bie Intrige mit 
derjelben Meiſterſchaft handhabte wie bie 
Rüdfichtslofigkeit, gelang es bem Fürſten 
Talleyrand, ber bas wiederhergeitellte bour— 
bonijde Frankreich mit ber gleichen GCelbjt: 
perjtánblid)feit vertrat, wie er vorher im 
Snterejje ber Revolution und Napoleons tätig 
gewejen war, feinem Gtaate wieder Gig 
und Stimme im Areopag der europäijchen 
Gropmadte zu verichaffen. Im jchroffiten 
MWiderjpruch zu den geheimen Abmachungen 
der verbündeten Gieger erzwang er alImáb: 
lich für RE den jchuldbeladenen Be: 
fiegten ie Mitentjcheidung in den Fragen 

er Gebietsverteilung, und mit wachjendent 
Erfolg arbeitete er zumal den preußilchen 
Abjichten entgegen, ganz von dem Ziele er- 
füllt, eine allzu — Stärkung der 
von ſtarkem ftaatliden Willen vorwärtsge— 
tragenen norbbeut|den Broßmacht zu ver: 
hindern. Bon ber Tatjache ausgehend, daß 
biejer gefährliche preußiſche Nachbar an 
Rußland einen wirlfamen Riidhalt hatte, 
näherte er fid) gleichzeitig England, deffen 
Gegenjag zu Frankreich mit ber Begründung 
bes neuen niederländilhen Staatswejens 
eine erhebliche Abſchwächung erfuhr und das 
zu Rußland in wachjende Gegneridjajt trat, 
wie auch Siterreid), bas fih gegenüber dem 
preußijchen Aufitieg ebenfo ablehnend ver: 
hielt wie gegenüber ber rullildjen Ausbrei— 
tung. Das Hauptmittel aber, veg leat ich 
‚der Mephijtopheles bes Kongreſſes bediente, 
war der Legitimitatsgrundjak. Der einjtige 
Revolutionar bemädhtigte fih eines ber wid): 
tigiten Requifite ber alten Staatskunſt unb 
jptelte es im Intereſſe feines Staates erfolg: 
reich gegen bie fortjchreitende Entwidlung 
aus. 

Go verwidelten fid) bie Dinge überall zu- 
ungunjten der preußijchen Forderungen. 
Zwar tam Hardenberg anfangs in bezug 
auf den Hauptpunft, die Erwerbung Sad): 
ene ein wenig vorwärts; laut einem mit 

upland Ende Geptember abgejchlojjenen 
Vertrage trat am die Gtelle ber bisherigen 
ruffiihen Verwaltung bie preußifche in dem 
eroberten Lande, und bie beiden anderen 
deutjchen Broßmächte — dieſem nicht 
bedeutungsloſen Wechſel zu. Wher die Bor: 
ausjegung d ein joldes Entgegenfommen 
blieb bie he heen gegen die polni- 
jen Pläne des Zaren, und immer deut- 
licher trat hervor, daß es insbejondere Met- 
ternid) darauf anlegte, bie polnijche Frage 
unächſt zu einer bejriebigenben Lojung zu 
ringen und danad erft dem Jächlilchen Pro— 
blem nábergutreten, Als Hardenberg im zu: 
nehmenden Gefühl! ber Unficherheit über die 


Erfüllung der preupildjen Wünfche die Ber: 
treter Here und Englands durch eine un: 
mittelbare Anfrage nötigte, Farbe zu beten: 
nen, erbielter von pem(nglánber die Antwort, 
daß bie Zurüdjchiebung der ruſſiſchen Grenze 
nad Often vorerjt durchgejekt werden müſſe, 
während ber Djterreicher bas [tart vertlaue 
jelierte Zugejtändnis ganz Sachſens an bie 
Borausjegung band, daß fih Preußen in 
der polnijden Frage mit Öfterreich identi- 
fiaiere. ZBeldjen Sinn diefe Erklärung hatte, 
erwies bereits die gleichzeitige Ablehnung 
des preußijchen Antrags, im Snterejje bes 
gutiinftigen deutjchen Gejamtjtaats bte be: 
per ende Rheinfejtung Maing bem begebr: 
iden bayerijchen Diittelftaat vorzuenthalten. 
Eine nod) vernehmlichere —— jedoch 
rat eine Note, die Metternich Anfang 

ovember an Rußland richtete und in der 
er für Preußen bie Weichjellinie forderte, 
die weder bem preußijchen Programm ent» 
ſprach, nod) Rublands Wnerfennung finden 
fonnte. Und bie Ee Iteigerte ſich, 
als Hardenberg feinerjeits die Linie febr 
viel weitlicher zog und fid) daraufhin bie 
öſterreichiſche Erklärung gefallen ale 
mußte, daß die K. K. Anfichten in wejentlichen 
Punkten von den preußilchen abwiden. 
Er bes immer offenfunbiger werdenden 
Ubelwollens ber SE jedoch hielt 
er an feiner Politi jet; nad) wie vor be: 
jeelte ibn ber Glaube an bie Notwendig: 
a bes preußiſch⸗öſterreichiſchen 3ujammens 
gebens. 

Ein entjchiedenes Auftreten hatte in bic» 
[er Lage Preußen — noch an das Ziel 
einer Wünſche führen können. Noch hatte 
die Minierarbeit Talleyrands nicht völlig 
den Boden unterqraben. Noch war Lord 
Gajtlereagb, ber englijche Unterhandler, für 
eine Perjon von aufridtiqem Wohlwollen 
ir Das preußijche Interejje erfüllt. Noch 
chwankte namentlich Metternich jelbft in ber 
Stellungnahme zur Jächjiichen Frage. Es 
wäre ohne eet möglich gewejen, durch 
einen ftarfen Drud zumal auf Öfterreich bie 
erlebnte Garantie: Erklärung hinſichtlich 
Sadjjens zu gewinnen, ohne baB man des: 
wegen bie Politi ber Gemeinjamfeit aufgus 
eben braudjte. Aber feiner der Bertreter 
Be war befähigt, die Dinge jo zu 
jehen und den Weg dahin gu bejo reiten. 
Nielmehr jchlug man eine andere Richtung 
ein, Die der preugijden Politit jener Tage 
mehr entjprad) und den möglichen vollen 
Erfolg zu einem halben machte. 

König Friedrich Wilhelm II. griff am 
5. November 1814 —— in den Gang 
der Verhandlungen ein. In der Sorge, 
daß das Zuſammengehen mit Öfterreich und 
England in der polnijden Frage Preußen 
allaujebr Rußland entfremde, ohne ibm bes 
züglich Sachſens Sicherheiten zu ver|djajfen, 
verjtändigte er fich in vertraulidher Aus» 
jprade mit dem Zaren, ber ihm zeitlebens 
der nahe Freund blieb, mit der Wirkung, 
daß er feinen Unterhändlern verbot, weiter 


258 EEE Prof. Dr. Paul Herre: 


feindlid) gegen Rußland Mee ean Der 
liberrajdende Schritt war feine Handlung 
jtarfen Entjdlujjes, jondern ber Art des 
Königs ent|predjenb mehr ein Erzeugnis 
ängjtlicher Unficherheit. Cie war aud nicht 
der Ausgang einer von Brund aus neuen 
Politik, jondern bedeutete jchließlich eine Rück⸗ 
wendung zu ber ur|prünglid) bejchlojjenen 
unpartetijchen Bermittlertatigfett. Im Augen: 
blid freilid war fie eine Störung der Bes 
rednungen und Ublichten Hardenbergs, bod) 
d biejer fein Necht darüber Klage zu 
ühren, denn fein Weg fonnte in der Art, 
wie er ihn ging, ebenjowenig Erfüllung brin- 
gen. lImgefebrt wirkten diejelben Voraus» 
jegungen dahin, daß aud) bie von Friedrich 
Wilhelm wieder gewiejenen Bahnen nicht 
zum Biele führten. Die Gunft der Lage 
blieb ungenußt, und wie den Bagen [tets bas 
Glück verläßt, jo verjchlechterten jid) jettdem 
Schritt für Schritt die Gewinnausfidten 
Preußens. 

Der Grundidee zufolge judte man zunädhft 
in einer Mittelitellung in bleiben. Eine 
Zeitlang liefen die nad Wien und Peters: 
burg führenden Linien nebeneinander her, 
und wie in einer Art von Arbeitsteilung 
iprad) der Kanzler mehr nad) Metternich, 
der König mehr nad) Alexander hin; nur 
daß dem nicht feine politiiche Berechnung, 
Jondern diplomatijde Unficherheit zugrunde 
lag. Indeſſen mehr und mehr famen bie 
wahren — gelo ea i zum Wusdrud, 
unb in ber zunehmenden Gegnerjchaft Cer 
reihs, Englands und Franfreids gegen bie 
beiden andern neuverbundenen Broßmächte 
wurde Preußens Riidwendung zu Rußland 
ein fejtes EH Als Früchte des 
wiedergewonnenen Vertrauensverhältniſſes 
gewann Friedrich Wilhelm am 11. November 
vom Zaren die Barantiezuficherung ganz 
Cadjlens und vierzehn Tage jpäter bas Zus 
geitändnis, Thorn zu einer Kr Stadt au 
madjen. Go ftellten fih die Parteien immer 
id)roffer einander entgegen. Get Mitte No: 
vember enthüllte Metternich den Standpuntt, 
nur Teile Sadjjens an Preußen gelangen 
zu laffen, und unter der wachjenden Wirkung 
bes von Talleyrand ausgejpielten Schlag: 
worts ber Legitimitat ftehend, jchloß fid) 
Gaftlereagh biejem Borgehen an. Der Ber: 
treter Frankreichs aber konnte nun die Früchte 
feiner geheimen Arbeit ernten und offen in 
die Reihe der Feinde Preußens treten. Wohl 
verjudte Hardenberg aud) jebt bie Verbin: 
bindung mit SOfterreid) aufrechtzuerhalten. 
Sm Zujammenhang mit bem Eindrud, dak 
ber Sar fid) nicht entidieden genug für die 
preubijden Anſprüche einjege, entitanb aud) 
das viel bejpdttelte Schreiben vom 3. De: 
gember an Dietternich, bas bas Zujammen: 

eben SÖjterreihs und Preußens zum Heile 
eutichlands als DONE. binftellte und 
fih fogar zur Berufung auf das Dichterwort 
veritieg: 
(£s borften auf derjelben Riefeneiche 
Der Doppeladler und der Schwarze War. 





—— Die Dinge ſpitzten ſich immer weiter 
u, und ſchon traten zu den diplomatiſchen 
nterhändlern wieder die Offiziere. In 
Berlin arbeitete ber Generaljtab einen Kriegs» 
plan aus, und es wurden Zurüftungen für 
die Mobilijation getroffen. Tatjählich wa: 
ren bie Verhältnilje noch erniter, als man 
in ber preußilhen Kanzlei wußte. Denn 
dem unermüdlihen Talleyrand gelang es 
am 3. Januar 1815, ein SBerteibigungsbiinb- 
nis zwijchen Öfterreich, England und Frant- 
reid) zum Abjchluß zu bringen, bas fid) tn ben 
nächſten Wochen durch den Zutritt fleinerer 
Staaten nod) erweiterte und nad) ber gehei- 
men Abſicht des Betreibers die Ntiederwerfung 
des erichöpften Preußen zum Ziele hatte. 
Das war der Höhepunkt ber Krije ber 
Koalition. Keine der Broßmädte, ausge» 
nommen Das gedemütigte Frankreich, wollte 
einen neuen Waffengang. Man erfannte 
auf allen Geiten, dap man Ntachgiebigfeit 
zeigen mußte, und Jo fam man fih, mit der 
eriten Sigung bes neuen Fünferausſchuſſes 
(9. Januar) beginnend, Schritt für Den 
entgegen, um in Beftigem Feillchen über (Ent: 
idübigungen, Austaujhe und Abtretungen 
ein befriedigendes Ergebnis herbeizuführen. 
Auch Preußen mußte nun bod) von feinen 
Forderungen nachlaſſen. Hardenberg bat den 
Diterrei dien reunben die unglüdliche 
„Übereilung“ nicht nadgetragen. Schon am 
19. Januar entichloß er fic, von dem Wn: 
Pee auf ganz Sachſen zurüdzutreten und 
id) mit ben weftliden und nördlichen Ge- 
bieten zu begnügen. Als Erjak für Leipzi 
das England ber norbbeut|djen Gropmact 
nicht gönnte, tonnte er endlich bas in andes 
rem Ginne nicht minder wichtige Thorn ere 
werben, auf bas ber Zar jchweren Herzens 
Verzicht leijtete. Go wurde man einig. Ahn— 
lid) wurden die preuBilden Anſprüche in 
bezug auf Nord: und Weftdeutichland ger 
modelt, und es war gleichlam ein Dantes: 
Iobn ber Gejdhidte, dak die Zweiteilung, 
wie fie in üblem Vorbedacht durch bie Zu: 
weijung ber Rheinlande, auch der deutjchen 
Gebiete des linten Ufers, erreicht wurde und 
der bie verbindende Brüde durch Süd-Han—⸗ 
nover verjagt blieb, eußen unb Deutjch- 
land nicht zum Berderben jondern zum Heile 
ausihlug. Ein diplomatijder Erfolg war 
bieler Ausgang ebenjowenig wie ein Ent: 
gelt für bie unvergleichlichen Leijtungen des 
preupijden Staates und Volles in ber Gr: 
hebungsgeit. Wergegenwärtigt man fih, zu 
welhem traurigem Ergebnis gleichzeitig bie 
Röjung der deutfchen Frage auf dem Wiener 
Kongreß geführt wurde, jo begreift man den 
Unmut, der die militärijchen Kreije nicht 
nur, [onbern das Bolt im weiteften Sinne 
eger bas Wert der Diplomaten erfüllte, 
an verjteht es, daß im Anjchluß an den 
en erneuten Kampf gegen den 
apoleon der Hundert Tage zumal bie mili 
tárijden Führer Preußens die bange Gorge 
befiel, auch bieje Gelegenheit zu fraftvoller 
Weiterführung des nationalen Baus werde 


pase Die preugijdhe Politit auf bem Wiener $ongreB BESSSS34 259 


verjaumt werden. Man ftimmt dem alten 
Blücher innerlich gu, ber den König nad 
dem herrlichen Stege von Belle Alliance bat: 
„die Diplomatifer anzuweifen, daß fie nicht 
wieder verlieren, was der Soldat mit feinem 
Blutopfer errungen hat“. Man wird von 
dem genialen Gneijenau im Tiefften gepadt, 
der leidenjchaftlich bie Erfüllung der natio- 
nalen Forderungen heilchte, wenn „die Ver: 
adjtung der Völker gegen ihre Regierungen 
nicht nod) geltetgert werden folle". 

n bem uralten wx zwilchen Mili- 
tär und Diplomatie, gwijden Schwert und 
Seder haben gewiß nicht immer Die erjten 





A 





recht, und das Feld ber einen ift nicht bas 
der andern. Aber man halte fid) vor Augen, 
daß in ben friegerijden Zeitungen, die bie 
Einjegung des Blutes fordern, die Voltstraft 
am unmittelbarjten zum Ausdrud gelangt, 
und man wird es für billig erachten, daß der 
in fübler Beratung und Verhandlung ges 
Ichaffene Ausgleich ihnen nicht wiberlorede: 
Syebenfalls hat die Bejchichte denen recht ge: 
geben, bie damals vor hundert zen 
auf der Grundlage des berechtigten Staats: 
un Stark: gegen bas Mißverhält— 
nis zwijchen Leillung und Lohn aufgelehnt 
haben. Und das wird immer fo fein! 


D 
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.ss...u....u........2.0.......„.„......0.....,.,..s...... .......n.u.u...,...:.n:0.........>©. 


red | 


TER Us öden, von Steingetriimmer über: 
GI: ſäten Schutthalden, bie wie vor: 
WHOIS geichobene Moränen zu ben Füßen 
tee, bewaldeter Berge liegen, 
tritt der 9[[tbad) in ein leichtge- 
welltes, immer flacher und immer breiter 
werdendes Wiejental, um hier jelbft allmäh— 
lid) flacher und breiter gu werden. 

Hinten in den Bergen war er ein mutwil- 
liger, etwas zerfahrener und fih über die 
eigene Richtung und Beitimmung niht ganz 
flarer Burjde gewejen. Das fam daher, 
weil ibm von allen Geiten reichlich und 
mübelos zufloß, was er brauchte, und weil 
er jeinen Lauf nehmen durfte, wie es ihn 
gelüjtete. Go bildete er ba einen Tümpel 
und dort einen Wajjerfall, bog einmal links 
unb einmal rechts ab, verjiegte gelegentlich 
und ſchwoll wieder an, jchäumte hier und 
jaumte dort — fura, er tat, was er modte 
unb hatte feinen Herrn über fid). 

Borne in den Schutthalden änderte * 
das. Da nahmen ihn Felstrümmer in ihre 
harte Mitte, und wo er ausbrechen wollte, 
zerſchlug er ſich den Kopf. Im Wieſental 
aber wieſen ihm die Vorkehrungen der Men— 
ſchen den Weg, Uferbauten und Stellfallen 
von einer nüchternen, hartmäuligen Uner— 
bittlichkeit, denen nirgends beizukommen war. 

Da wurde das Füllen zahm wie ein zu— 
gerittener Gaul. Aber war auch die ſchäu— 
mende Fröhlichkeit in dieſer Zahmheit unter— 
gegangen — ein Niederſchlag von ihr blinkte 
immer noch aus dem klaren, flachen Waſſer. 
Wer bie Augen dafür hatte, ber jah fie zu 
allen Jahreszeiten. Ob fie aud) anders 
brein|djaute im Frühling, wenn Vergißmein⸗ 
nicht an den Ufern blübten, anders im Som: 
mer, wenn Forellen unter ben grünen Strabh- 
nen der Algen ftanden und windvertragene 
Wijhe duftenden Heus wie jeltiame Shiff: 
lein auf den Wogen talab zogen, anders im 

erbjt, wenn PBfefferminz und Baldrian gil- 

end übers Waller hingen und moderndes 
Raub jid) an den Uferwänden ftaute, und 
wieder anders im Winter, wenn Eiszaden 
dieje Uferränder jäumten und Die aden 
Wogen dunkler und glafiger talwärts wans 
derten, als gingen fie ungern aus der flim: 
mernden, verjchneiten Ginjamtfeit, wo Der 
Gisoogel fdillernd von Ufer zu Ufer jtrich 
unb ber Fuchs hinter den ellen bellte. 

(£s waren nicht allzuviele, bie ben Ober: 
lauf bes Altbaches fannten unb im feine 
Haren Wajjer Dinein|djauten. Cin paar 
Jäger aus einer fernen Stadt, bie in den 
Stetnhalden den Fuchsbau judten, dann 
bie Mähpder und Mähpderinnen, die auf den 
Wiejen arbeiteten und fih am Uferjaum 
nieberjebten zur Veſperzeit. Manchmal aud 
irgendein fremder Wanderer, der von den 
belebten und beliebten Straßen abgebogen 





der nun auf den Bad oben war, [id) an 
ibm freute, ober aud) fih über ibn ärgerte, 
weil er ein Hemmnis war, über bas weit und 
breit feine Brücke führte. 

In Diefer Lage wollte einmal fold ein 
en über bie dunfelgrünen, vom 

aller glitihigen Balfen und Bretter eines 
feinen Gtellwerfs turnen. Er war ein 
roker, ftattlider, aber nicht mehr ganz 
junger und niht mehr ganz gewandter 
Dann, der eine Brille auf ber Nafe und 
einen berben 3Banber[teden in ber ir trug. 

Es |djien ibm eine Heine Gade, diejen 
unbedeutenden Bad) auf ſolche Weile zu 
überqueren. Ein leijes, faft belujtigtes 
Lächeln |pielte um feinen bartlofen Mund, 
ein verträumtes Glangen trat in feine Augen, 
als er den Fuß au bas naſſe Holzwerk 


und ſeinen eigenen Weg pest batte, und 
gelt 


ebte. 

Vielleicht date er daran, daß er ferm in 
Rleinajien und Melopotamien, in Syrien 
und Baläjtina ganz andere Gewäſſer in ganz 
anderen Lagen überjchritten und bezwungen 
hatte. Vielleicht aber auch fiel ihm ein, wie 
er als fleiner Junge jede Brüde über jeden 
Bad verjhmäht und mit bejonderer Wonne 
über Ceidjlelr und Planfen geturnt Hatte, 
Die nicht für dDiejen Swed bejtimmt waren. 

Es war im Juni, zur Zeit ber Heuernte. 
Der Tag war heiß, und ein Gewitter [tanb 
hinter den fernen Bergen. Faft aus Sdeitels 
höhe ftrahlte bie Sonne, und bie Mähder, die 
am frühen Morgen die jaftigen Wieſen ge- 
mabt batten, fonnten ruhig die weitere Ar: 
beit vorläufig ihrem himmliſchen Gebilfen 
überlaſſen. Weit und breit war fein Menſch, 
und in der heißen Luft zitterte und wob 
der Hauch bes fterbenden Grales, als feien 
es bte taujend und aber taujenb ruhe: und 
raltlojen Geijterchen ber hingemordeten Blüs 
ten, bie ba burdjeinanberirrten. 

Der Mann im Bad tat ein paar Schritte. 
Er tat fie mit ber jorglojen Sicherheit eines, 
ber ben unicheinbaren Gegner unterjchäßt 
und es nicht für der Mühe wert hält, fid) 
mit Borjidt zu wappnen. 

Shon im nádjten Augenblid gab es ein 
Schwanfen, ein Ausgleiten und dann einen 
jchweren, Hatjchenden Fall ins hellauf: 
gijdende Waller, daß taujend |djáumenbe 
Cprifer und Tropfen in die Runde [tiebten. 

Der Bach gurgelte eine Weile, jchlug 
Wellen und Blajen, als freue er fid) un: 
bändig bes Abenteuers, bas bie Bleichför: 
migfeit feiner — unterbroden hatte. 
Dann taudte ber Mann aus bem Bild. 
Mehr verwundert als entrüjtet oder entjegt 
ihaute er drein, und er warf erft einen 
Blid in die Runde, ob niemand feinen Un: 
Ke bemerft und beladt Habe; dann erit 
haute er feinem Lodenbhut und feinem Wane 


EA Augufte Supper: Der Sturz in ben Bad) 261 


berjteden nad), bie beide treulos und per: 
gnügt mit ben lachenden Wellen talab zogen. 

it ein paar großen Schritten, die * 
dige Wolken aus der Ba Mk aufriibrten, 
gewann Doftor Schmid, der Wanderer, das 
grüne Ufer. 

Dann "e er guerft feinen Habjeligfeiten 
nad) unb fijdte fie glüdlid) aufs Trocfene. 
Traurig und um eine unterhaltiame Reife 
betrogen, lag das zerbeulte, triefende Hüt— 
tein neben dem Gtod im Gras. Dottor 
Schmid zog den Kittel ab und warf ibn 
dazu, dann ftreifte er nod) bie Kniehoſe bere 
unter unb die Bamajchen, breitete alles fein 
fäuberlich aufs bórrenbe Gras und legte [id) 
tn den linterfleibern daneben. 

Und jo, auf dem Rüden unter ber fen: 
genden Sonne liegend, die Arme ſchützend 
über Geliht und Kopf gededt, lag er und 
lahte; lahte nad) langer Zeit einmal wie- 
der lautlos und Gerd 

Adh ja, das Lahen war ibm vergangen 
geweren, taum ein Lächeln nod) geblieben. 

arum? Ya marum? 

Doktor Schmid [pürte und rod, wie ber 
pig Dampf aus feinen Kleidern jtieg. Gelt: 
am woblig war ibm das. Es Idien ibm, 
als öge die fengende Sonne hundert drit- 
fende Dinge aus dem — — daß 
alles mit dem Waſſerdampf verfliege in der 
zitternden Sommerluft. 

Wie hatte er bod) fo dunkel, ſchwer und 
unlösbar empfinden Tonnen, was nun unter 
der Sonne zerging wie alter Schnee! 

War er vielleicht der einzige auf der 
Welt, bem Unrecht geidjeben, bem fein Lez 
benswerf verefelt, ja unter den Händen weg: 
genommen worden war? Der einzige, der 
einjam feinen Weg gehen mußte? Der ein: 
ige, ber eine unehrliche Haushälterin hatte? 

er einzige — — tragifomijd) erjchtenen 
ibm all die fletneren und fleinjten feiner Leis 
den, Die er "m gujammengeballt au einer 
Ihwarzen Gdjidjalsmolfe über feinem Leben 
geleben hatte. 

Die Conne [og und fog. Wie in einem 
Dampfbad lag er am $?Badjesranb, und bas 
leije Gludjen und Gurgeln der Wellen drang 
wie verhaltenes Lachen in feine Obren. Der 
Bedante [tieg in ihm auf, daß er jid) nun 
bald umwenden miijfe, um aud) auf dem 
Rüden troden zu werden. Aber er brachte 
die Energie nicht auf. Cin wobliges, müs 
bes Behagen hielt ihn fejt. Er dachte nicht 
mehr; ohne fein Zutun glitten bie Gedanten 
vorüber wie Badwellen, bald aufblinfend, 
bald ftumpf, lautlos und rajtlos. Was fie 
doch alles vorübertrugen! Bon außen ber, 
von einem erreichten Ufer herüber erjchaute 
er fein Leben wie eine fremde Cade. Ja, 
der Doktor Otto Schmid, ber alle diefe Dinge 
durchgefochten und durd)genojjen hatte, war 
ibm ein fremder Burſche, war eine rt oe: 
Ichäftiger, betrieblamer Schauipieler fiir das 
ruhige, unveränderliche Sch, bas von innen 
beraus dem bewegten Berlauf der Dinge 


achtſam zujah. 


Und nun, da bieles innerfte Ich nicht 
mehr mittat unb mitlitt, jonbern nur fhau: 
end über allem jchwebte, nun entwirrten fih 
auf einmal jo viele Faden, unb bie ſchwer— 
Hen Berwidlungen wurden ganz einfach). 

Daß damals bei den jchönen Grabungen 
unfern des Tigris jener andere, jener laute, 
jeibitjichere, gewalttätige Kollege die Leis 
tung an Do gerijjen und alle Freuden und 
Erfolge, alle Ehren und Verdienſte fiir jid) 
in Anſpruch genommen hatte, obgleich er, 
Dottor Schmid, alle entjdjeibenbe Arbeit 
E und gwar mit heißem Herzen ge: 
eiltet hatte — das war nun auf einmal 
gar nicht mehr unerflärlich und unerträglich. 

Mußte es denn nicht fo Ier War nidt 
das Laute unb Brutale auf der Erde dazu 
da, daß es bas Gtille und Andäcdhtige tot» 
Ichlage? 

Schrie nicht bas ſchrille Zirpen ber Brillen 
und SHeujchreden ringsum im Gras jede 
leijere Stimme zutod? Tat es barum not, 
die Schöpfung für perpfuldjt und verfehlt 
zu halten? — War es nicht viel einfacher 
und darum viel flüger, zu glauben, daß 
aud) das Laute, bas Freche, bas Taltloje 
irgendeinen Ginn, irgendeine Beltimmung 
babe im Welthaushalt? — Was hätte er, 
Dottor Schmid, davon gehabt, wenn er 
durch feine Grabungen berühmt geworden 
wäre über die halbe Erde?! — Gr mußte 
leije lahen. Komiſch tam es ihm vor, fid) 
als berühmten Wann zu denten. Er, ber 
die Stille, bie Einjamfeit, bte Menfchenferne 
E [eibenidj)aftlid) juchte unb liebte, er, ber 
don manchmal eine Schnede beneidet hatte, 
weil fie in ihrem Haus für [id) allein ijt, er 
hätte doch nichts Redtes anzufangen ges 
wußt mit dem lauten Ding Ruhm, das 
ewig [peftafelt, ewig einen flappernben 
Schwarm und Schwanz nad) fid) zieht. 

Dagegen jener andere verjtand die Sache 
zu nehmen. Gein jhwammiges Zielen quol 
auf unter ben Ruhmesjtrömen, wurde immer 
ftattlider und gewaltiger angujeben, und 
das mochte vielleicht ber Gace ber Gra: 
bungen nügen, mochte ihr neuen Kredit, 
neue Anteilnahme verjchaffen unter joldjer, 
bie, wie es in Der Bibel heißt, „leben, was 
por Augen (tz, Und weil — nad) der glei: 
den Quelle — der Menſch in Bauſch und 
Bogen von bieler Corte ijt, jo lag es tlar 
am Tage, daß es nicht eine Verfehrtheit und 
Ungeredtigteit, ſondern eine jchlaue Zattit 
ber Weltregierung war, daß fie für gewille 
Botten und gewijje Swede nicht nad) ber 
Tiidhtigfeit, jondDern nad) ber Reprajentabis 
lität auswählte. 

Doktor Schmid drehte jid) jet bod) um 
und ließ fid) bte Sonne auf den Rüden 
\cheinen. Lanajam tat er es und bebaglid), 
und da er bie Urme nun frei befam, Dies 
weil er das Gendt nicht mehr jdiigen 
mußte, ftredte er fie hoch über den Kopf 
ins bebe Gras. Dabei war eine leije, 
ruhige und objektive Meugier in ibm, was 
die Sonne nun wohl aus feinem Rüden 


962 I[BEXEEXEXEXEELEXP Augufte Supper: TIEIEI Ic ZAZA ZA A ZZ 


permis aen möge, nahdem fie aus der 
ebrüdten Brujt bte alte, quälende Beichichte 
vom fernen Tigris uid vom overefelten 
Rebenswert Berausgejogen und in eitel 
Dampf aufgelöjt hatte. Die Grillen und 
Heujdreden zur Seite bes Liegenden jchwie- 
en einen Augenblid. Es mod)te fie erjchredt 
haben, baB der fremde Klog Leben zeigte. 
ber in ber feligen Durddrungenheit von 
Wert, Schönheit und Bedeutung ihres Can: 
ges fingen fie alsbald wieder an, und der 

ad) hatte Mühe, Dann und wann mit fei- 
nem leijen Schäumen und Gurgeln zum 
Wort zu tommen. Gelang es ihm, jo niipte 
er fräftig ben Augenblid. 

Dottor Schmid hörte alles und beadtete 
alles. Er mußte jid) jchwer verwundern, 
daß er, ber fid) im [tillen immer jo viel auf 
feine Entdederaugen zugute getan, fih jo febr 
auf fie ve lajjen hatte, dag er heute rings 
um fid) ber ein aeheimes Treiben jah und 
empfand, das früher nie für ibn dagewejen 
war. Ein fajt inbriinftiges Vergniigen be: 
reitete es ihm, zu jeben und zu jpüren, daß 
alle Kreatur nur fih und ihr Tun wichtig 
nimmt, daß es nidt menid)lidje Anmakung 
ober menjdlides Vorrecht allein ijt, Dies 
gu tun. ; 

Und die Sonne, bie fernheritrahlende, 
unirdiſche, die machte aud) für die Menjchen 
nichts Belonderes, und jenes Wejen, das 
nod) weit hinter ber Gonne Honn, bas 
mochte oft eines Heimchens Zirpen mit dem 
Gingen eines fröhlichen Mädchens ober mit 
bem Rollen eines Donners verwechjeln, denn 
von jo weit ber war wohl alles der gleiche 
Laut? — 

Ein wohliges Stöhnen entrang fid) ber 
Bruft des Liegenden. Wd) — einmal los: 
fommen! — lostommen von feiner und von 
aller Wichtigkeit! Einmal aufgelöjt, auf: 


gelogen, hineingezogen werden im ein ans 


deres Etwas, das alle Verantwortung, alle 
Bewußtheit auf fic) nimmt! Er jpürte auf 
einmal, wie ungeheuer müd er immer ge: 
melen war, ohne es zu willen. Mit gejchloj: 
jenen Augen lächelte er. Wanderungen, ein: 
Jame, weite Wanderungen hatte er gemadt, 
ftudiert hatte er, gelejen, gearbeitet, ja ges 
Ihlemmt hatte er manchmal. Und alles 
nur, um von Diejem tiefen, unbewuften 
Miidjein [osaufommen, um den Dottor 
Schmid loszuwerden, den jchweren, faum zu 
Ichleppenden Gejellen. 
Die Sonne fog und fog. Der Lieqende 
befam Die Voritellung, es zlingelten kleine 
oldene Flämmchen aus feinem Rüden, aus 
toen Armen, aus feinen Fingerjpigen. Wie 
war das out, wie war das wohlig! Da 
fam nun alles heraus, was immer inwendig 
gebrannt hatte. Auch bie Gade mit jener 
blonden, [d)ónen Frau, bie thm einmal fait 
bas Leben aetoltet hatte. 
Nicht, als ob er, verliebten Narren gleich, 
en nad) Strid oder ‘Pijtole geariffen 
atte, nachdem er eingejehen hatte, daß Die 
Blonde jid) nicht ihm zuneige. O nein, das 


war viel jchlimmer gewejen, weil es nicht 
fo ungejtiim, fo ftiirmijd, jo wildwütend 
aberfam. Langſam, leije bohrend und fref- 
fend, wie ein |cleichendes Gift, fam ibm 
durch jene Frau bie Menjchenveradhtung ins 
argloje Serg geſchlichen, langjam lernte er 
erfennen, daß mit bem Betten unb Reinjten, 
was er in jid) batte und gläubig unb Ger: 
trauend zeigte, ein tändelndes Spiel getrieben 
wurde. 

Langjam begriff er, dak bas ſchöne, blonde 
Wejen ein dunkler, plumper Rieje an Gelbft- 
Kat und tiefinnerlider Unwahrhaftigteit 
ei, eine Lichtgeitalt, bie ein häßlicher Teufel 
regiere. 

Was waren das für Tage, bis er bieler 
Ertenntnis fret ins Geficdt jah! Wie wehrte 
er fid), wie jchüttelten ihn die innerlichen 
Krämpfe! Wie wollte er hundertmal lieber 
an fid), an JENEM ganzen bisherigen Werde- 
gang, an allem Buten in der Welt zweifeln 
unb irrewerden, ehe er zugab, daß die Ge: 
liebte feiner unwert fei. 

Die Conne jog und fog. Dottor Schmid 
legte den Kopf auf die Arme War es 
wohl der Miihe wert ele damals jo 
furchtbar zu leiden? Geit bie Wunde ver: 
narbt war, hatte er bie Frage oft geftellt. 
Aber immer mit jenem leijen Einjchlag von 
Beringihägung für bie Menjchen und von 
Zynismus ben E gegenüber, der ihm 
Sech war jeit jener bitteren Enttäu— 


ung. 

Heute aber ftellte fein jeltjam Iosgelójtes 
Sd) die Frage ganz ſachlich. 

Und jadjid) fam and die Antwort. 
„Sa,“ hieß es, „gewiß war's der Mühe 
wert. Es wird in der Welt ja jopiel Un: 
nüßes getan; aber gelitten wird nie unniig. 
Denn mit dem Leiden wird das Sd) gefüt: 
tert. Feſtgewachſen jißt es im legten Grund 
aller Dinge, und es ijt darauf angewiejen, 
bab man ihm feine Gpeije bringe, Damit es 
jtarf werde und fön, eine a pra Rebe 
am ewigen Weinjtod, Und diefe Speije 
beißt: Leiden.“ 

Doktor Schmid mußte ein wenig lachen. 
Das balbbürre Gras jtad) ibm ins Belicht 
unb fißelte ibn, und es fitelten ihn bie felt- 
jamen Worte. 

„Ach was,” fagte er ohne Laut, „das Ich 
wird bod) mit ganz anderen Tingen gefüt: 
tert als mit Leiden. Schau’ bid) mal um, 
mit was jeder fein Sd) füttert, unb es wird 
ihön fett und groß davon. Es wartet aud 
gar nicht, bis man ihm etwas bringt. Es 
holt jid) jchon, was es braudt unb nad) 
was ihm der Sinn [tebt." 

Die Grillen und Heujchreden jchwiegen 
wieder einen Augenblid, als jet ihnen etwas 
überraichend gefommen, und in dieje Stille 
hinein tlang es: „Darin trrjt bu eben, Dot- 
tor Schmid. Darin irrt ihr alle. Das I 
it [til und unverrüdbar. Und Leiden i 
jeine Speije. Was fic Futter holt an allen 
Krippen und auf allen Gajjen, unb was fo 
fett und groß und wohlgenährt in euch wird, 














"= — — 





bas ift bas Sid) nicht. 


Das ift ber Schau» 
fpieler, ber einen Namen trägt. Das Sd 
bat feinen Namen. Es beißt nur Sd). Und 
aud) inbem man es Sd) nennt, legt man 
ibm eine Larve über." Cin leijes Klingen 
bes Rachen jchwebte vorüber. 

Mit gefammelter Kraft jegten bie Grillen 
ein, das der Liegende über den Lärm er: 
keins und unwillig mit der Faujt ins Gras 
dlug. 

Aber bas reute ihn alsbald, denn es 
mußte ba ein jpiger Ctein unter den trod: 
nenden Schwaden gelegen haben, ber zu: 
Hoch, als man ibn Pistia. 

Dottor Schmid richtete fih anf. Es war 
ibm abjonberlid) zumut, als er ba den Mann 
in Unterfleidern im Gras figen und die 
Stüde ringsum zum Zrodnen ausgebreitet 
jah. Wie wenn er von weit ber tomme 
und erjt wieder in den Dottor Schmid hin: 
einidjlüpfen miijje. 

Er fuhr fid) über Das Haar, bas warm, 
aft beth von der Sonne und voller Gras: 

alme war. ung und bubenbaft fam er 
id) da vor, wie ein feder Bengel, der im 
Heuboden geturnt und einen Kopfitand ge: 


wagt bat, 

ach leiner Brille fuchte er, bie er neben 
fidh gelegt hatte, und wie er jo Derum: 
fingerte, fam ihm der Stein in bie Hand. 

Sr bejah ihn unb mußte laden. Nun 
war alfo der alte Toftor Echmid bod) wies 
ber da, der feinen Stein unbejehen lajjen 
fonnte. 

Und nun febte er jhon haftig die Brille 
auf. Mit dem Stein war es ohne Zweifel 
etwas Bejonderes. Es war ein Kleiner Ate: 
gelbroden mit Brandjpuren. Lief nicht der 
limes ba berum — ober — 

Ein breites und behäbiges Lahen Hang 
hinter bem Cib5enben auf, ber erjchrocden 
ben Ropf wandte. 

Ein Bauer ftand da, mit der Gabel über 
der Schulter. „Hänt Cie babet?" Ie 
er, einen furzen Griff nad) feiner Kappe 
madend und bann in bie Hände fpucend, 
als eile es zur Arbeit. 

Dottor Schmid fpiirte, wie er für diefen 
Banern eine fomijde Figur fein müſſe. 
Und er wunderte fih, bap thn das nicht 
ärgerte. Gejtern hätte es ihn ficjer gedr- 

ert. Zwijchen jest und SCH lag Die 
tunde, ba die Sonne verborgene Bitter: 
teiten, verborgene Feſſeln, verborgene Blei» 
ewichte aus dem Snnerjten herausgejogen 
Batte, daß fie R in nichts zerrannen. 

„Badet 2” jagte er lachend, bie Mundart 
bes Mähders nadahmend. 
Hund, wenn 
ſchmeißt —“ 

Der Bauer fuhr mit feiner Holzqabel 
ins fnijternbe Heugras. „Gut jo,“ rief er, 
„heut ijt Dr Tag dazu. Heut trodnet mer 
wieder. Aber i? — i' bin emol an Wlartint 
"neig'floge', wo’s ſcho' Eis g’hätt hot. Gell 
ijdt e Sauerei gwe —“ 

Er hielt inne in feiner Arbeit und fuhr 


scht. wie Dr 
ibn dr Herr ins Wajjer 


Der Sturz in den Bad sees ees 268 


fid) mit Dem Arm über bie triefende Stirn 
und jdjaute | den andern, als warte er, 
was der dazu fage. 

Der Dottor war aufgeftanden und en 
feine Oberfleider, wie weit fie troden jeien. 
Seine Rniehoje hielt er hoch und jchüttelte 
bie Halme davon ab, und dabei fiel ihm 
ein, Dag er ein gar [djónes Bild abgeben 
müjje am Bachesrand in Unterfleidern auf 
weiter Flur, 

Als ein ganz Neues, Niedagewejenes ge: 
noß er es, fomilhe Figur zu jein. Das 
war allem, was er Bisher erlebt, jo ents 
gegengejeßt, rip thn fo aus ber alten Haut 
heraus, daß ibn etn Ubermut antam. „Was 
tut's!^ rief er bem Bauern zu. „In Ddiejen 
Bad) fallen ift fein Unglüd. Wud im Wine 
ter nicht. Die Augen werden einem bell 
davon.“ 

Der Mähpder legte feine Babel nieder und 
fam langjam näher. „So heißt’s,“ jagte er, 
„S Müllers Marie, die wilt’, bie, wo mi’ 
domols an ihrem Ofe trodnet hot, bie hot 
glei’ g'jaat: ,Wricel’ — bot je g’jagt — Mi= 
el, 's iſcht dei’ Schade’ net. Du wirjt hell 

apo'.'^ 

Doktor Schmid [dlüpfte in bie Hofe. 
„Na — und feid Sbr's geworden F” 

Der Bauer jchaute in den ziehenden Bad. 
Auf feinem jchwigenden, harten yes 
war nidjts adjenbes. Eher etwas Nach— 
benflidjes, Ctrenges. „© Lunge’entzün: 
bung ban i' g'friegt. Biel ausg'itanbe' ban 
© —" entgegnete er fura, fa|t abweijend.. 

Wie ein rajdhes Schauen zog es vor 
Doktor Schmid vorüber: durch Leiden ijt 
fein Sd) gefüttert worden. 

Er nahm feinen trodenen Kittel vom 
Boden auf und jchlüpfte langjam hinein. 
„Jta ja," fagte er, „jo eine Krankheit, die 
ibant oft vieles aus einem hinaus, was 
nicht hergehört.“ 

Der Mähder nidte. Seine Augen widen 
nicht von dem Bad.  eije, fajt murmelnd 
jagte er: „Des Waller hot mir de Wei’ 
austriebe’.“ 

Dottor Schmid nejtelte an feinen Ga: 
majchen. ‚Ach jo,‘ Dachte er, ‚du warft einit» 
mals ein Cäufer. Nun ja, wir haben alle 
unjere Dunfeln Stellen, bald jo, bald jo —' 
Und indem er dies Dachte, ward er jid) be: 
wut, wie unberührt und blind er bod) ime 
mer am allen Menjchen vorübergegangen 
war, die nicht feine Snterejjen geteilt oder 
getreuzt, nicht in feine, von Beruf und Bile 
dung umgrenzte Schicht gehört hatten. 

Einen Augenblid lang wurde thm ſchwin— 
delig. Er wußte nicht, ob vom Niederbüden 
oder von ber großen, fremden Weite, bie 
ibm vorübergezogen war, angefüllt mit 
Mienfden, Menjchen, Menjihen, die alle ihre 
inneren und äußeren Kämpfe durdfodten. 

Er richtete jid) auf und [tülpte bas jons 
nenwarme Hiütlein aufs zerzaujte Haar. 
„Der Bad) ijt ein Sexenmeijter," jagte er 
halb ernit, halb jcherzhaft, „man jollte jeden 
einmal bineinwerfen.“ 


204 BESSISISSSIZIA grig Arlt: Der Traum BSSSSSSSTS333331 


Der Bauer ftieß mit bem Schuh ein Häuf— 
lein Heu in die Wellen, daß es tanzend tal: 
abjubr. „50,“ jagte er, „bald e jeder hätt’ 
's nötig, bald e jeder ijt überzwerch. Und 
für en monde wär’s ’s beit’, mer tät ihn 
e Stiindie unters Waller halte.” — 

Dottor Schmid [djaute in bas verjchwißte, 
lederne Gejid)t bes Mannes, bas feine Lei- 
benjdjaft, nur eine harte Belajjenheit zeigte. 
Und, als ob es ihm jemand gejagt hätte, 
dachte und wußte er: Ger da tennt alfo 
aud) bie Corte vom Tigris, bie ba erntet, 
wo fie nicht gefat hat.‘ 

Ein kurzes Lahen fam aus des Bauern 
Mund. Er fuhr fid) übers nafje Gejid)t und 
jagte: „Dr Herrgott wird jo mole, wege 
was Kerle auf b'r Welt rumlaufet, wie —“ 
er ftodte und machte eine wegwerjende Bes 
wegung mit der Hand, als jet es nicht der 
Miihe wert, auszureden. 

Der Doktor jchaute jet auch ins flare 
SBajjer. Wie fein ins Bäuerliche überjegter 
Doppelganger fam ihm auf einmal der 
Mähpder vor. „Ja,“ jagte er langjam, „es 
wird feiner umjonjt auf der Welt fein.” 

Der andere nidte, „Weiß Gott, mer 
braucht net bloß Weize’, mer braudt au’ 
Haderling.” Er lachte leije mit einem Grin: 
fen, bas tiefe Linien in fein Gelidjt jchrieb, 
und fuhr fort: „Aber erft, feit à im Bad 


g’lege’ bin, weiß i' des. Vorher hätt’ © ihm 
de’ Krage umdrehe' Tonne, unb [einer 
Schweſter au.” — — Er nannte feinen 
Namen und jchaute ben niht an, zu bem 
er ſprach. Wie zu fid) jelber redete er, und 
der Dottor fragte nidts. 

War’s nicht, als führe ibm der Bauer 
da die Probe vor aufs Exempel, das er am 
eigenen Leib gemacht hatte? Bis auf bie 
Blonde hinaus — oder more eine Braune, 
eine Schwarze? — [timmte alles. 

Der Mähder ging auf feine hölzerne 
Gabel zu und jpudte wieder in bie Hände. 
„D Ürbet ijt immer wieder 's Bet, was 
mer bot auf dr Welt,“ fagte er, und fing 
an das Heu zu wenden. 

Und Doftor Schmid wog den Ziegelbroden 
mit den Brandzeichen in der Hand. Cin 
warmer Strom ging ihm dabei durchs Her 
wie er ihn niht mehr verjpürt hatte feit 
Den Tagen ber Berbitterung. „a,“ fagte 
er, und jein Blid leuchtete auf, „Arbeit; 
aber man muß helle Augen dazu haben.“ 

Der Bauer ladjte. „Im Bac liege’ muB 
mer 3’erjt — Jonft ijdt’s nix —“ l 

Seije ſchäumend und gurgelnd zogen bie 
flaren Waſſer zu Tal, die Grillen und 
Heimden jchrien, bie Männer gingen ihrem 
Werte nn und über allem lahte fern und 
gütig bie Sonne. 


E EE EE EE OSH 
OSS SOOO 





Der Traum 
Bon 


yrik 
Geftern hatt’ id) den fonderbaren Traum: 
Sd) wär’ ein Rofenbaum. 
Sd) wuchs an einem himmelblauen Gee 
Auf blumig grünem Ufer in bie Hih’. 
Bon roja Rnojpen eine volle Schar 
Trug id im Blätterhaar. 


Da fam den Rain lang plaudernd Hand 
in Hand 

Ein Parden über Land. 

Im Reifrod fie, er mit Zylinder, 

Und harmlos jpringenb wie bie Kinder. 

Die maken an dem Stamm voll Gdjelmeret, 

Wie hod die Liebe jei: 

Die bimmelan in meine Krone drang, 

Bis eine Knojpe jprang. 


Draus drängt fid) |plitternadt ein Heiner 
Wicht 

Ans Sonnenlicht. 

Wie Glockenklöppel in der freien Luft 

Schwingt er die Beinchen in dem Roſen— 
duft. 


Arlt 


Und die ihm Wiege war, die Knoſpe zart — 

Das ijt |o Syungenart — 

Ctreut er gerpfliidt aufs Paar [djneebeden: 
dicht; 

Mir träumt’: Sd) war’ der Widt. 


Das Paar jedoch in bräutlich heißer Luft 

Saß Bruft an Bruft. 

s tranf aus Küſſen Hochzeitswein, 

Schloß fid) im Rojenftiibchen ein, 

Mir aber gönnt es, ber ibm [duf das 
Glüd, 

Nicht einen einz’gen Blit. 


Sd) beige drum mid) über Kelches Rand 
Vol Unverftand, 

Denn eh’ id) wußte, wie ber Sturz geldjab, 
Sd) mid) tief unten auf dem Paare fah 


Sch wollte jchrein unb wachte auf im Lallen: 


Bin aus dem Bett gefallen. 


3 Blid aus dem Schügengraben auf bie Diina. 





Gemälde von Amandus Fo 


eric (fs war einmal—: C0 reo 
Rricasbilder bon der ER v 
Zehn Gemál&c von Amandus faure Sext von Rolf Brandt 


12 s war nah ber Schlacht von Tannen: 
d USD berg in den Septembertagen 1914. 
e Der Krieg ftand vor mir wie ein 
Ze Nieje, Dellen bumpfer Atem mid) 
niederwarf. Die Mondnächte waren 
von einer zauberhaften Weichheit in dieſen 
SCH erbjttagen in der feinen Stadt Roffel. 
on der Gtnbierfam: 
mer bes Raplans, bei 
dem x. in Quartier 
lag, fo Jah ich Abend für 
end in bie licht» 
welche Dammerung 
bes Domplabes, und 
Abend für Abend fuhr 
ber Nachtwind mit be: 
hutjamen gingern 
d Die eg ie, bie 
lau und jchwarz 
Im dee Lidte bo: 
gen. Am Tage lag ber 
taub in Wa ik 
grauen JBolfen|d)ma: 
den über allen Stra: 
Ben, den Feldern, ben 
feinen Gebóften, fo 
weit man vom Walle 
des alten Gdjlojjes in 
die Ebene liden 
fonnte. Die Rolonnen 
gogen nad) Gerdauen, 









Unterftand an der Düna. 
Velhagen & Klafings Monatshefte. 


nad Nordenburg, die Regimenter marjchier: 
ten ber Armee Rennentampf entgegen. Id) 
hielt es nicht aus in dem Mondichein und 
dem bligenden Mittagslicht ber fleinen bli: 
blanten Stadt, ich bat den Herrn Kaplan, 
mich hinauf auf den Kirchturm zu führen, 
von dem man weiten Blid haben mußte. 





Gemälde pon Amandus Faure Bg 


82. Jahrg. 1917/1918. 2. Bd. 18 


966 WERE Rriegsbilder von der Oftfront. 


Wir jchritten fnarrenbe Stufen hinauf, 
das jchwere Glodenjeil zitterte, jo oft id) 
es ftreifte. Oben auf der Plattform und 
bei den Gloden webte trotbem nur ein 
leichter Wind. 

Man konnte weit in bas Land leben, über 
die roten Cpiefgeugbüd)er von Röſſel Din: 
weg, hinweg über den Staub der Rolonnen 
bis an Die Konte wellige Berglinie, von Der 
jeltjame jchwarze Wolfen aufitiegen. Ehe 
die Dämmerung über Dörfer und Hügel 
Ichleierte, fárbte fid) ber Abendhimmel Dell: 
rot, und als die Schatten unjerer Körper 
nicht mehr auf ber Plattform blieben, Ion: 
dern [ang und jeltjam verzerrt weiter wan- 
derten, wurde Der Himmel dunfelrot. Es 
war wie der Schein von brennenden Dör— 
fern, wie ich ihn ſchon fannte, aber es war 
nod) greller. Der rote Whendhimmel lag 
über dem jebt Dunflen und [tillen Land, als 
ob er niemals verblajjen wollte. Che ich 
niederftieg in Die heimeligen Schatten der 
jhmalen Gajjen, hörte id) wie fernes Ge- 
witter Die Ranonen. 

Dann [tanb eine Woche lang, zwei Wochen 
[ang — id) weiß es nicht mehr, wie lange es 
war — ber rote Schein über Ditpreußen, 
der ſeltſam Ddunfelrot glühende Abend- 
himmel. 

Als ber rote Himmeljchein mit ben |páten 
Herbittagen verblid), Ioderten am Horizont 
bie Brände des ruſſiſchen Riidgugs. Bis 
auch ihr Schein verblaßte, und wir an grauen 
Novembertagen in der „Wafjerfeftung“ Oft- 
preußen lagen. Wenn id) tn Dielen eriten 


Gemälde von Amandus Faure esses 


Kriegswinter in Djtpreußen — 
kommt es mir vor, als ſeien die Wolken da— 
mals beſonders tief über dem Lande geſegelt, 
als Ge das Schneetreiben dichter als jonit 
die YFernen verhängt. Die Armee Below 
hielt mit ihren ſchwachen Sivilionen Die 
UAngerapplinie, hielt die Mtajurijden Seen; 
in Goldap, in Lyd, dicht Hinter Gumbinnen 
laßen bie Ruffen, und von der Bzura, von 
der polnijden Weichjel, von Lodz tamen bie 
Kunden von großen Schlachten, deren Zu: 
jammenbang und deren Auswirkung man 
nicht erfannte. Man fühlte nur dumpf, daß 
dort ein ungeheueres Spiel gejpielt wurde, 
Hindenburg und Ludendorf zwangen dort 
in einjamer Feldherrngröße ein ungeheueres 
Schlachtenſchickſal. Mit einem halben Dugend 
beut|djer Korps und den ölterreichiich-unga: 
rilden Bundesgenojjen warfen die beiden 
Giganten die gejammelte Wucht von zwei 
Millionen ruſſiſcher Bajonette von den deut: 
iden und öſterreichiſchen Grenzen zurüd. 
Bon der unerhörten Kühnheit und Größe 
ihrer Strategie hatten wohl die wenigjten 
in Deutjchland eine Borjtellung, bie wenig: 
ten aud) abnten, von welder Enticheidungs: 
were dies Ringen in Polen war. 

© bitterer Winter in Ojtpreugen 1914! 
Immer dünner wurde die Linie, und in den 
verhangenen Nächten an der Front in Ma- 
juren meinte man den Donner der Ent: 
ſcheidungsſchlachten aus Polen herüberzu— 
Oren... 

Dann, Anfang Februar, fam Lärm in die 
dumpfe Stille der ojtpreußilchen Front. Die 





Ed Zweite Stellung. Gemälde von Amandus Faure 5 








EFEE Es war einmal —: Text von Rolf Brandt BSS] 267 











Blid auf Friedridjtadt, Römerhof, Injel Poſſul und die Düna. Gemälde von Amandus Faure 


Borbereitungen zur Winterjchlacht begannen; 
ununterbrochen rollten bie Eijenbahnzüge, 
unb eines Tages jab man Hindenburg in 
Snjterburg. Der ern war vollendet, 
ber Feldherrnſtab fenfte jid), bie Schlacht, 
bie Ditpreußen endgültig befreite und den 
Umſchwung im Often einleitete, begann... 

Es ijt mir in Diejen Tagen oft gewejen, 
als ob ein gewaltiger Belang burd) das 
Heer raujchte, ein Gejang ohne Worte, den 
bod) jeder hörte, ber über GSchneetreiben, 
Not, Kälte hinaufichlug über ber ftegreichen 
Armee zu dem weiten, grauen TFebruarhim: 
mel. ieder fehe ich bas Bild von dem 
befreiten Stallupönen. Es war bei grauen: 
dem Sorgen, ein blajjes Liht rann über 
die graujchwarzen, zerjchojlenen Häufer. Die 
Truppe jchlief nod, es war fein menjchliches 
Wejen auf den Ballen zu jehen. In einer 
StebenitraBe [hrie mit zerreißendem Ton ein 
jterbendes Pferd. Es rod) nad) Brand und 
nad) Was. Man hörte ben Widerhall ber 
Hufe meiner Pferde auf dem Steinpflafter 
und hörte bas Knirſchen der Rader, wenn 
jie über Gewehre, Uniformen, Stüde von 
eilig/t gejcehlachtetem Vieh |d)nitten. Es war 
wie eine Erldjung, als bei jteigender Sonne 
Scharen von Qe idees Ruffen, bie Offi- 
iere an der Spike, von Kibarty her über 

en Marktplatz Tp wurden. 

Weiter rafte bie Schlacht; bis be in Den 
Wäldern von Guwalti das Schidjal ber 
ruſſiſchen Nordarmee vollzog und die legten 
Divijionen die Waffen [tredten. Bei Ma— 
farce, auf bem Schlachtfeld, auf bem fih ber 
legte Surd)brudjsverjud) bes Generals Bul- 


atte, übernachtete ih. Die Bewohner der 
ate hatten faum ein ck dafür, welche 
Entiheidung fic) in ihrer Nähe abgeipielt 
hatte. Gie jahen mit a und neu: 
gierigen Augen auf unjere Hantierungen 
und hatten den Mund voll taujenb Fleiner 
Wünſche und Bitten, während fie fid) die 
Hände reinigten, mit denen fie bie Gefallenen 
ON hatten. Als einzige Beleuchtung 
ab es einen langen, hellbrennenden Kien: 
pan. So wie vor fünfhundert und wie vor 
taujend Jahren lief bier bas Leben weiter. 
Was ijt bie Welt? Wo ijt die Welt? Was 
d Ruland? Was ijt Deutichland ? ve 
ilt bie große —— Die ganze Melan— 
oe er polnilchen ER lag über 
orf und Hügel und Aderfeld. Am Abend 
ging ich durch bie Dorfitraße. Nicht einmal 
mehr Raud) früujelte aus den Hütten. Dey 
Himmel war ein goldenesbligendes Tuch. Der 
Vollmond leudjtete wie eine weiße Perle. 
Ale Dinge warfen jchwere, tiefblaue Shat: 
ten auf den leicht zufammengefrorenen Schnee: 
Die Hohe, ſchwarze Silhouette eines Zieh: 
brunnens hob fid) aus dem Feld. Daneben 
fe ein jchweres, plumpes Kreuz. Die Be: 
talt bes Gefreuzigten glänzte filbrig unter 
dem Zermorjdten Holzdach. Die Sterne 
ar die Kälte wuchs. Man hörte jeden 
aut. Jn der Ferne ein leichtes Grollen: 
bie ſchweren Gelchüge von Grodno. Ganz 
fern am Horizont wieder ein roter Schein: 
brennende Dörfer. 
Die Winterfchlaht ijt zu Ende. Neues 
Spiel und Gegenjpiel würfelt in eistalten 


18* 


fate, bes alten Sjaubegens, ent[djieben 


268 EA Es war einmal —: Kriegsbilder von ber Oftfront BEZZE ZZ 381 


Märztagen auf den 
Cdjladjtfelbern von 
Suwalfi, aber auf 
deuticher Seite geht es 
nur nod um Verſchleie— 
rung, die Stunde für 
ben Vormarſch auf die 
ruſſiſche Feltungslinie 
ift nod) nicht reif. 
Im Mai, wie ein 
Auftakt zu den Ereig: 
nijjen, Die fid) zwei 
Monate jpäter abrol: 
len, löſt Wi bann aus 
der wieder eritarrten 
Ditfront der Hand: 
itreid) auf Libau. Man 
hatte den Krieg für alt 
gehalten, und bod) wie 
jung war jein Wejen 
damals nod, wie leicht 
lag feine Lajt trot 
allem auf dem Her: 
en gegen die Stunden jebt, ba er wie ein 
— Nachtmahr über allem Fühlen 
itzt und alle hellen Gedanken an ſich trinken 
will! Die Mtarine hatte mit manchen ihrer 
Schiffe der Sjtjeeflotte überhaupt nod) feinen 
Schuß gelöjt, und als es zum Ausjegen Der 
Landungsabteilung fam, wollte jeder in die 
Pinajjen, um an bie Rujjen zu tommen. 
Es gab ja überhaupt nicht viel Berlufte um 
Sibau, es war Krieg im Mai, und bie 
deutiche Stadt |djien vielen wie ein jchönes 
Mädchen, um bas jdjnell und fühn geworben 


el Wegimentsiítabs: Kiihe. Gemälde von Amandus Faure 57 





Mannjihhaftsunterjtand an ber Zong, Gemälde pon Amandus Faure 


wird. Ich jaB in ber Pinaffe bei einer ber 
Landungsabtetlungen. Wir laujtem gegen 
die Mute in der Nähe ber jcheinbar e oos 
ten Batterien am Süditrande, Man erfannte 
deutlich den jchönen weißen Badeltrand, bie 
Anlagen, das Kurhaus und ſchräg davor 
einen ziemlich [teilen grünen Wall, 

„Dei jchieten wohl gar nid, bie Ruffen?” 
fragte ziemlich enttáujd)t ber Dtaat am Steuer. 

„Bewehre jchußfertig, bereit zur Landung,” 
befahl der Leutnant zur Gee, ber bas Detache: 
ment fommanbierte, und 30g den Revolver. 





INVI SNQUVU uoa sqyowmsg 9 ‘jauzylPizqauL ug 





EENEG 





2 Der Hof Smilgus. Gemälde von Amandus Faure E 


Wir waren jebt breibunbert Meter vom 
Gtranbe etwa, da prajjelte es los, id) unter: 
Ee deutlich den trodenen Ton eines Mtas 
\hinengewehrs. Ted, ted, ted... dazwiſ en 
kräftiges Schnellfeuer von SR EH ie 
Geſchoſſe jchlugen ein paar Meter vor um: 
jerm Boot ein. 

„Dat gift dide Luft,” fagte ber Maat. 

Wir ju d abzufchwenten, gleichzeitig flog 
ein Torpedoboot heran, legte jid) dicht an 
den Strand zwilchen uns und ber Küfte und 
fing an zu funfen. Dann jaujte es über 
unjeren Kopf, der Heine Kreuzer hinter uns 
begann die Linie mit Granaten zu belegen. 
G [^ ber zweite Schuß jdien in ber Schanze 
zu figen. 

Wm andern Tag jah id) die Wirkung bes 
Feuers. Ein nee Mafjengrab ber ge: 
jallenen Rujjen. Man hatte Blumen darauf 
gepflanzt und ein jauberes, helles Kreuz ge: 
zimmert. Cine junge beut|dje US Honn 
dabei, fie machte ein |o ſchweres Belicht, daß 
id) fie fragte: „Waren Libauer unter den 
Befallenen?“ 

„Ah, es waren nicht bie Unfrigen, bie 
Toten waren von irgendwo weit her, aber 
es waren alte Männer, und Die werden 
Kinder gehabt haben und Frauen, und die 
en werden fein wie ih. Mein Mann 
teht in den Karpathen .. .“ 

Der Kriegshafen, Libaus gewaltigfte An- 
lage, ber über eine Milliarde Rubel getojtet 
haben jolf, lag leer und verödet. Nach ber 

eejdlad)t von Schtujima war er wertlos 
geworden, weil er feiner Flotte mehr als 


Balis dienen fonnte. In den mächtigen 
Majdhinenhallen wurden bie Majchinen erft 
gar nicht montiert, bie Dods blieben Ieer, 
die prächtige Kathedrale wurde nur gelegent: 
et von ein paar orthodoxen Hafenarbeitern 
bejucht, und bas Marine-Offigtersfajino, bas 
eher einem Schloſſe als einem Difiziers: 
falino ähnelt, blieb verſchloſſen. Zwijchen 
den Gletjen ber Hafenbahn wuds Gras, 
unb das Waller des leeren Hafenbafjins 
Ihlug Icharfe Wellen gegen den einjamen 
Strand. 

Es war aud) das einzige echt Ruffijdhe 
in Libau, bas man finden konnte, der ver: 
lajjene SKriegshafen. Die Beamten, die 
bas rulfifche Kontingent der Stadt gebildet 
hatten, waren abgezogen, und es blieben 
Deutjche, Letten, Juden, Polen und Litauer. 
Aber auf bas Politijde, das jeßt, ba bie 
Waffen jchweigen, im Often die Hauptrolle 
jpielt, war man nicht an er|ter Stelle eingejtellt. 
Es war Krieg, in bem wir Niegten, und dem 
einfachen Empfinden des ar|djierenben 
war es Jelbjtverjtändlich, daß bie Deutjchen, 
bie ibnen bas eu und Haus öffneten, be: 
freite deutjche Brüder blieben. Noch jtárter 
wurde dann dies Gefühl, als fid) hinter bem 
Schleier unſerer Kavallerie unjere Divifionen 
gegen bie Düna und gegen bie Miſſe ſchoben 
und faſt ganz Kurland in unſere Hand kam. 
Ich lernte die po Y erit im November 
1915 tennen, als fte Sade wieder erftarrt 
war und auf dem größeren Teil der Linie 
nur feltene Schüjfe über die breite grau: 
fließende GStromjchrante fielen. Nur bei 


Besse Es war einmal —: 
Diinaburg brannte noch der Bewegungs: 


kampf. 

Ende Oktober war der Schloßberg unter 
dem Einſatz von unſerer ſchwerſten Artillerie 
pesas worden. Cin paar Tage nad) ber 

roberung jab id) von Jeiner dei auf bie 
Dünaebene hinab. Auf der fladhen Kuppe 
des Berges hatte ein |djónes Gutshaus ge: 
poren und war eine ftattlihe Brauerei in 

etrieb gewejen. Die mächtigen Krater un: 
jerer Granaten jaßen neben dem Gutshaus, 
das durcheinander geworfen war, als hätte 
ein 9tieje mit den alten Mauern gelpielt. 
Ein fleines a ar war verjchont ge: 
blieben, jonjt war das große Gut mit Schloß 
unb Brauerei, mit Ctüllen und Gartner: 
wohnungen, mit Ravalierhaus und Kapelle 
ein Trümmerhaufen. In einem Keller, ben 
fis ein Offizier als Quartier gejudt hatte, 

anden ein paar gerettete Mahagonimabel 
und an den weißgetünchten Wänden hingen 
ein paar Ölbilder, gute Olbilder, aus ber 
Kapelle. Die Maria lächelte [till auf den 
Knaben in ihrem Arm hernieder, bie heimat: 
loje Mutter Gottes, bie ber deutjche Offizier 
vor bem rujfjijden Feuer bewahrt hatte. 

Der jebige Beliger bes Kellers hatte ben 
Sturm aul ben CdloBberg mitgemadt. 
Hinter ben Wirtichaftsgebäuden hatten fih 
die rujjijden Rejerven jammeln wollen. Als 
die erjten Granaten einjchlugen, waren bie 


EQ Im Kriegshafen Libau. Gemälde von Amandus Faure 


Text von Rolf Brandt Br3s33 3331 271 


Ruffen auseinandergerannt, und ihre Offi- 
ziere hatten fie nicht mehr zum CECR 
wingen Tonnen, „Unten brannte SMlIuxt. Wir 
Kapen herunter. Durd! In ber Rirde 
lagen die paar Einwohner, die geblieben 
waren, auf den Knien, als wir eintraten. 
Die rulfiiche Artillerie jchlug ungeheure Wir: 
bel. Wer wußte, wie es weiter gehen jollte? 
Ein Organijt aus unjerer —— ſetzte 
fid an bie Orgel und fpielte: ‚Ein’ feſte 
Burg‘. Die Geſchütze ſchrien laut vagui] en. 
Da fingen wir alle an poem gtere 
unb V Here ai und Einwohner. Die 
ganzen Berje. Man hörte bas Braujen in 
der Luft nicht mehr. 
gegen bie Kirchhöfe.” 

Eben, da id) über den Hügel hinter bem 
Herrenhaus nad) der Stadt hinunterblidte, 
fing bas rulfilde Feuer auf die tote Stadt, 
in deren Kellern nur heimliches Leben at: 
mete, wieder an. Unter ben fablen Bäumen 
im Part lag ein Kleiner Stein: „Ma douce 
gaie petite chienne Folie, fidtle amie de 
six ans 1892 — 98". © merfwiirdige Zeit, 
da man Heinen Hunden Dentmäler feste! 
Das Schloß war Ruine, bie alten Baum: 
riefen des Parts waren zeriplittert, über 
dem gelben Laub leuchtete der Stein der 
Spielerei einer Gräfin und ihr lebendiger 
Jagdhund ftreifte durch bas tote Schloß, 
war nicht fortzubringen, wie bie Pförtnerin 


Dann ging’s weiter 














ERS) m Park gu Weimar, nicht weit von 
Gar» Goethes Gartenhaus und der Sm 
CRNA Y > nah, daß man am windftillen 

y^ Zagen ihr feiles Raufchen gerade 
noch hören, daß man den Schimmer 
bes 9Bajjers durch bas Gegweig von Weide 
und Erle gerade nod) leben tann, Debt an 
einer Weggabelung ein feines Monument. 
(Ffeu bat es, wie |o vieles hier, faft ganz 
überranft. Wer aber näher zufieht, dem 
bleibt ber Cüulen|tump[ mit der Schlange 
nicht ftumm. Drei Worte leuchten ihm, in 
den Gtein eingegraben, entgegen: ‚Genio 
huius loci‘ lauten fie... Dem guten Geijte 
diejes Ortes! Goethe felbjt hat den Stein ge: 
febt. Erinnerung verband ihn mit der Stätte. 
TIraumbefangen, es raujdt der nahe Fluß, 
es flüjtern rings bie Bäume, es wandern am 
Himmel die Wolfen, ftehen wir davor, halbes 
Ahnen bedrängt das Herz. Und von bes 
Steines ftummer Mahnung gerührt, denfen 
wir geheimnisvoller Stunde, wir, in immer 
erneuten Geldjleditern, von Ewigkeit zu 
Ewigfeit. 

Genio huius loci... noch zwei Gejdwijter 
Bat bas fleine Dionument im Part zu Wei- 
mar, beredtere, niht ganz fo rätjelvolle. 
Zwei Tafeln. Die eine tft tm den Fels eim- 
gelaffen, ber bas Römiſche Haus trägt. Die 
andere lehnt an dem Rajenhang, der hinter 
Goethes Gartenhaus aufiteigt, über bem 
Steintijd), an dem Goethe am liebjten ge: 
jeffen. Beihwörung haucht uns entgegen: 


„Hier im ftillen gedachte ber — ſeiner Ge— 
l 









ebten; 

Heiter ſprach er zu mir: Werde Kai Beuge, du 
Stein 

Sod erbebe did) nicht, bu Halt dE viele Ge: 
ellen; 

Jedem Felfen der Flur, bie mich, den Glücklichen, 


nabrt, 
Jedem Baume bes Walds, um den id) wandernd 
mich Ichlinge: 


Dentmal bleibe des Glüds! ruf’ id) om weibenb 
unb frob. 
Sod bie Stimme verleih’ id) nur bir, wie unter ber 
$ 


enge 

Einen die Mufe fid) wählt, freundlich die Lippen 

ibm küßt.“ 

Drei [idjtbare Male, denen bie Stimme 
verliehen, in alle Zufunft hinein von per: 
raujdten Glüdesitunben Goethes zu tinden... 
drei Monumente genio huius loci, und der 

ute Geift war immer jene Frau, um die 

oetbe tiefites Leid und Glüd der Erden: 
finder getragen: Charlotte von Stein. Er 
trug es mehr als zehen Jahre, er trug’s nicht 
nur in Weimar, er trug es überall, wohin das 
Schickſal ihn in diejen Jahren zwiichen 1776 
und 1786 geführt, und der Gteine, die un: 
He pda von biefen ſüßen SUtarterm finden, 
tft Legion. Denn wo auch nur er weilte, er hat 
immer an das ftille Haus am Parfrand zu 
Weimar gedacht, wo heiße Sehnſucht Nacht fur 
Nacht um ihn die Hände faltete. Die Tage: 


» 






} Goethe im Harz = 


Bon Rarl Sternaur 2 


bücher und die Briefe finds, die ftatt ber 
Steine dafür zeugen, aud) fie monumenta 
liebender Erinnerung wie jene drei in Weis 
mar, und wer, diefe Tagebücher und Briefe 
fromm im Gedächtnis tragenb, durch Die 
Lande wandert, bie das Herz Deutjchlands 
find, ber begegnet auf Schritt und Tritt 
den unlichtbaren Steinen, bie an Goethe mah: 
nen und an bie, bie er fo heiß geliebt und 
bod) allein im Traum umfangen hat... er 
Debt im Gei[te, von feiner Erinnerung nicht 
betrogen, in manhe Baumesrinde gejchnitten, 
in manche Felswand gefragt, auf monde Ta» 
pete dig eri in manches TFenfter geribt 
die dret Worte: genio huius loci, wie er fte 
im Part zu Weimar, hart an der Chauſſee 
nad) Belvedere, in Wirklichkeit gejehen Dat. 
Bon joldjen nicht in Erz und Stein fih deute 
lid) fünbenben Stationen bes Goethemeges 
jollen diefe Zeilen |prechen. 

E 


ag e 

Goethe im Harz? Sofort fegt die Cre 
innerung ein: natürlich, Hargreije im Win» 
ter‘! Und bod) ijt diefe — im Winter, 
bie durch bas wundervolle Gedicht des Acht: 
undzwanzigjährigen, das auf ihr entſtand, 
und durch die ebenſo wundervolle Brahmsſche 
Rhapſodie Ewigkeitsprägung erhalten hat, 
nur eine, die erſte, und Goethe iſt danach 
nod dreimal im Harz geweſen. Schon all 
ein der Einfluß, den die drei Brodenbelitei- 
gungen auf Goethes ‚Fauft‘ gehabt haben, 
jollte ein Wiffen barum über bas enge Gebiet 
ber Forſchung hinaus zumindeft bei allen 
denen vorausjeßen laffen, bie immer wieder 
mit allen Sinnen ben romantijden Zauber 
der Walpurgisnadte inden beiden Teilen des 
aut’ nacherleben und nadjempfinben fine 
nen; fet es im Theater, wenn all der Hexen: 
ipuf auf ber balbbellen Bühne vorübertau: 
melt und Fauft unb Mephijtopheles durdh 
— — zum Brocken eler 
jet es in der Stille des abendlichen Zimmers 
bei der Lektüre, wenn das Auge zu ber 
Stelle gelangt: „Harzgebirg. Gegend von 
Gdjierfe und Elend,“ jet es tm Kongertfaal, 
wenn Mendelsjohns Vertonung ber ,Gr[ten 
Walpurgisnadt' au Mufit werden läßt, was 
bisher nur als Wort in uns gebrannt... 
aber bas Wiffen barum ift |párlid). Nicht 
alle dee Goethes haben wie bie erjte 
des Winters 1777 dichteriſche Verklärung 
efunden, und fo viele unb fo reiche Zeiten 
fei nea Lebens der Dichter |püter fid) und 
uns aud) nadherzählt hat, gerade über die elf 
Jahre in Weimar, die bis zur Italieniſchen 
Reife reihen und bie das Berhaltnis zu 
Frau von Stein mit dem zartejten Duft über: 
baudjt, bat er fid), Diller wie über die [pà: 
teren Jahre mit © iler, ausgejchwiegen. 
Wer fid) in bieje Zeit verjenten will, ift auf 
die Tagebücher und die Briefe, vorzugsweile 





274 BEFSSITESISTIEFIETI Ludwig Sternaux: BBBsseeeeeesessa 


auf bie Briefe an Charlotte von Stein, an= 
ewiejen, bie auch jebt nod), wo [ie längit 
bon vielfad) zugänglich find, bem großen 
Rejerfreis, der wohl Gedidte und Romane, 
nicht aber foldye Dinge zu lejen shag e all: 
viel Schwierigkeiten bereiten, als daß er 
ch über den flüchtigen Genuk am einzelnen 
inaus ein Bild der ganzen Zeit daraus 
aufbauen fonnte. 
nb doh! Wie organilch fügt fih, geht 
man erft einmal an diefe ‚Arbeit‘ heran, ein 
Steinden ans andere, um ſchließlich bas 
wunderbare Mojail zu ergeben, das Goethes 
Leben gerade in Dieter jtrablenden, von Ju: 
gend und Liebe verflarten Zeit, taujendfarbig 
auf Goldgrund ale Tag ſchließt 
ftd) an Tag, Wohe an Woche, Jahr an Jahr, 
unb über allem |teht in milde jchimmernder 
Gloriole: „Alles um Liebe“. Und fo fteigen 
denn aud, gewedt vom Willen zur Hin: 
gabe, aus der Bergefjenbeit die Epochen ber: 
auf, um die bisher ungewiljeftes Zwielicht 
itterte. ,Goethe im Harz‘ — bislang eine 
Formel, die wenig oder nichts bejagte und 
öchſtens bielen oder jenen einmal zu ben 
Gedichten ee ließ, um dort die ‚Harz: 
reije tm Winter‘ mit mehr oder weniger 
Verftändnis nachzulefen — diefe eritarrte 
ormel wird zu leidenjdaftdurdglutetem 
eben, bas Stumme gewinnt Sprache und 
zieht den Freund der deutſchen Landſchaft in 
ähnliche Zauberkreiſe wie anfprudsvollere 
die Schilderung ber Italieniſchen Reife. 


88 

Es war Ende November 1777. Weimar 
lag bereits im Winterfchlaf. Da unternahm 
der Herzog eine Jagd auf wilde Schweine 
im Eiſenachſchen. oetbe, über bie erjte 
wilde Zeit in Weimar [djon längft hinaus 
und Frau von Stein, der ‚lieben rou, be: 
reits ganz bingegeben, ftand der Sinn nad) 
anderem als lautem SJagdvergnügen; er hatte 
einen ‚wunderjamen geheimen WReijeplan‘, 
erwirtte fid) kurzen Urlaub und wollte erft 
Leen wieder mit ber Jagdgeſellſchaft zus 
ammentreffen. Ihn befümmerten namlid 
— wie er jelbjt mehr als vierzig Jahre |päter 
in der Campagne in SFrantreich‘ erzählt — 
Briefe eines jungen Theologen aus Werni- 
erode, eines gewijjen Plefjing, den tiefite 
Kan e Nöte quälten und ber fih an Goethe, 
den berühmten Dichter des ‚Werther‘, um 
Hilfe gewandt hatte. Ihn wollte er bejuchen. 
Bleichzeitig wollte er einmal das parses 
Bergwejen aus eigener Anſchauung fennen 
lernen, um bas, was er dort jepen würde, 
nugbringend für bas in Perfall geratene 
Bergwert in Ilmenau, das wieder in Gang 
gebracht werden jollte, zu verwenden. An 
diefe ‚Reife auf den Harz‘ hatte er [djon 
lange gebadjt, jebt verwirklichte er fie. Um 
29. November bricht er auf, ‚in wunderbaar 
dundler — ſeiner Gedanken, wie 
er an Frau von Stein ſchreibt. Weitere 
Briefe an diefe, fein ‚lieb Gold‘, bas Tage: 
bud unb bie jchon erwähnte na traglide, 
allerdings nicht gang genaue Beldreibung 


bes Befuchs bei Pleffing in Wernigerode 
aus ber Campagne’ geben ein prächtiges, 
faft Iüdenlojes Bild bteler erjten Harzreije, 
bas nod) ergänzt wird durch bie literarijde 
Erflärung des Gedidts ‚Harzreile im Win: 
ter‘, bie Goethe jelbjt 1821 im 3. Band von 
Kunſt und Altertum‘ auf den Kannegießer: 
Iden Deutungsverjud) hin veröffentlichte. 
Ein „bizarres Abenteuer‘ nennt er felbjt in 
diejer Erklärung bie Reife, und bizarr ge» 
nug war fie. Ganz alleine reitet er los, in 
Nacht und Schnee hinein, immer im ftiller 
Seelengwiefprade mit der geliebten Frau, 
bie an allem teilnehmen muß; er heißt Weber, 
ilt ein Dialer, hat Jura ftudiert, beträgt fih 
le gegen jedermann und ijt überall wohl 
aufgenommen, hat auc) bisweilen Heimweh. 
Notizbuchblätter, in heftigitem Mitteilungs: 
drang den Briefen |djnell noch nachgeſandt, 
geben die Stationen im einzelnen an! Im 
regnerijden Elbingerode, bod) gouyen Rübe» 
land und Dreiannenhohne gelegen, formen 
fid) bie erften Berfe des unfterblichen Gedidts: 

„Dem Geier gleich, 

Der, auf idweren Morgenwolten 

Mit fanftem Fittich rubend, 

Nah Beute jchaut, 

dwebe mein Lied!” 

Der Beſuch ber Baumannshöhle, in der er 
bei SCH idit bewundert, wie bie ‚ſchwar— 
gen armormajjen, aufgelöjt, zu weißen 
fryftallinijden Säulen und Flächen wieder: 
hergejtellt‘ find, läßt ihn das Begonnene, 
wieder ans Tageslicht zurüdgefehrt, ‚mit 
ganz frijdem Ginn‘ Fortleben ... auf Klip: 
pen fibt er herum und zeichnet und Dichtet. 
Und |d)reibt ingwifden nad) Weimar, als 
ob er in der Cinjamfeit ber Harzberge fih 
jo recht bejonnen hätte: „Sch hab’ Sie wohl 
jebr lieb," träumt von ber Grünen Stube. 
Am 3. Dezember ijt er in Wernigerode, bei 
Pleſſing. Tie fo[tlide Erzählung bieles 
abenbliden Bejuhhs in der Campagne 
deutet reizvollit den ‚damaligen liebevollen 
Zultand feines Innern‘; bas Wbenteuerlide 
— Goethe gibt fic) nicht zu erfennen, hört 
fih lelb[t aus Plejlings Munde feines Schwei: 
ens wegen anflagen, muß jid) gleidjjam 
Lu entiutdigen, liiftet aber gl alledem 
nicht bie bebaglidje Mtasfe — verleiht bem 
Banzen die Spannung einer Novelle, und 
bie winfligen (Gallen Wernigerodes, gel im 
Schnee, darüber ber fternenflare Winterhim- 
mel, ergeben ein Bild von bezauberndem 
Reiz! Dak Goethe den armen Pleffing nun 
im Stiche läßt, thn nicht mehr am andern 
Tage wieder aufjucht, jondern fortreitet, ift 
wieder ganz er felbjt. Für ibn war bie Sache 
eben abgetan. Wie tief er aber bod) die 
flüchtige Epijode feeliich empfand, das be: 
zeugt die tyortjeBung des Gedidts: 

„Sit auf deinem Plalter 

Water der Liebe, ein Ton 

Seinem Obre vernehmlicdh, 

So erquide jein Herz! 

Öffne den umwöllten Blid 

fiber bie taujenb Quellen 


Neben bem Durftenden 
In der Wüfte!” 








Und das Notizbuch nennt weiter: Ilſen— 
burg, Boslar. Die nr ergänzen: „Einganz 
entjeglid) Wetter hab td) heut ausgeitanden. 
Was die Stürme für Zeugs in diejen Bebürgen 
ausbrauen ijt unfaglid, Sturm, Schnee, 
Schloßen, Regen, und zwey Meilen an einer 
Slordwand eines Waldgebürgs her ...“ In 
Goslar aber ijt er „wieder in Mauern und 
Dächern bes Ulterthums verjendt“. Bon ben 
Harzbewohnern jagt er: „Wie jehr ich wie: 
der, auf diejem Dunklen Suge, $iebe zu der 
Rlaffe enjchen gefriegt habe, bie man Die 
niedere nennt, die aber gewiß vor Gott die 
ale ift. Da find bod) alle Tugenden bei: 
ammen, Bejchränttheit, Geniigjamteit, grader 
Sinn, Treue, Bene über das leidlichite 
Gute, Harmlojigteit, Dulden, Ausharren.* Cr 
bejucht die Bergwerte am Rammelsberg, die 
Hüttenwerte an der Oter, fährt in Clause 
tal in die Gruben ein, wo er beinahe von 
herabjtiirzender Wade erichlagen wird. Er 
empfindet es als feltjam, „aus der Reichs: 
ftadt, bie in und mit ihren Privilegien vers 
modert, bier heraufzulommen, wo von unter: 
irdiichem Segen bie Bergitädte jröhlich nad: 
wachſen“ und jchläft fid) am 9. Dezember in 
Wltenau von all dem CErlebten ber legten 
Tage ‚unendlich‘ aus. Nun jedoch, wo er 
fid) immer ‚tiefer ins Gebiirg gejendt‘, feine 
Sehnjudt, ben Broden zu bejteigen, ber Er: 
füllung nabe ijt, nehmen die Briefe an Frau 
SH Stein fajt hymnijden Charalter an: 

Was jol id) vom Herren fagen mit Feder: 
fpulen, was für ein Lied foll id) von ihm 
fingen? im Augenblick wo mir alle Proje 
p Poefie und alle Poefie zur Proje wird.” 

m 10. Dezember erflimmt er den Broden, 
vom Torfhaus aus, über Schnee und Eis 
hinweg — allein geleitet vom Förſter aus 
dem Lorfhaus. Das Motizbud) meldet: 

„Was ift ber Menjh, daß bu fein ge: 
dendeft.“ Es war ein halsbrecherilches 
Unternehmen — und war ein Erlebnis von 
Ewigteitswert. Mun lüftet er auch das Ge: 
mus, in bem er fidh jelbjt vor ber qe: 
iebten Dr geborgen hatte, waren Dod) 
jogar alle Briefe an fie ohne Ortsangabe 

ewejen! „sh will Ihnen entbeden (jagen 
ies niemand), Daß meine Reije auf den 
Harz war, dak ich wünjchte ben Broten zu 
efteigen, und nun, Liebjte, bin ich Deut 
oben gewejen T. 

fiber Claustal, Andreasberg, Lauterberg, 
Duderjtadt — immer in Nebel, Rot und 
Regen —, über Mübhlhaufen gelangt er am 
15. Dezember, alfo nach reichlich vierzehn 
Tagen, nad) Gijenad), wo er die herzogliche 
Sagngelellihaft vollzählig antrijt. Aber 

e Jagd war aus, und zwei Tage |päter 
ür er jhon wieder in Weimar. Yo er das 
Gedicht vollendet hat, ijt ungewiß, vielleicht 
nod) unterwegs, vielleicht auch erjt in Wei- 
mar. Wie ftarf der Eindrud der Broden: 
befteigung aber gewejen jein muß, das gibt 
der pjalmenartige Schluß der ‚Harzreije im 
Winter’ ergreifend wieder — es ijt, als ob 
ber Brodenjturm darin fein uraltes Lied 


Goethe im Harz BESSsesessssses| 275 


fingt, vom leilen Säufeln bis zum wütenden 
tfan, es ijt, als ob man erbebend bie 
Donner einer Beeipozenjgen Sinfonie hörte. 


88 
T zi die i weite EN im September 


1783, jechs Jahre |päter aljo, unternommen, 
ieBen die Quellen fparlider. Reine ipatere 
— nichts Dichteriſches, kein Tage— 

buch legen Sengn nis Davon ab; wir find 

allein auf bie Briefe an Frau von Stein 
angewiejen. 

m 6. September tritt er die Reife an, 
diesmal mit Fri von Stein, Lottes Lieb: 
lingsjohn, gujammen, den Goethe befannt: 
lich Anfang 1783 zu jid) genommen hatte und 
erzog. Er bejuchte zunächſt in Langenftein 
die Eran von Branconi, bie Jong Frau‘, 
wie jie allenthalben hieß, die er 1779 in 
Laujanne tennen gelernt hatte. Gie war 
die Geliebte des Herzogs Karl Wilhelm 

erdinand von Braunjchweig. Lotte von 
tein war ein wenig eiferjüchtig auf fie, und 

Goethe nedt fie in einem Briefe, daß fie 

„immer Sturm und leidig Wetter gemacht“ 

hätte, folange er bei der Kat Ze ge: 

melen ware... Sn Halberjtadt will er dann 
die Herzogin erwarten, aber ein fleiner Ab: 
ftecher von zwei Tagen führt ihn und Frig 
erit nad) Blankenburg, von wo aus [ie 
bei ſchönſtem Herbftwetter bas Bodetal 
bejudjen: ‚Wallfahrt nad) bem Rostrapp'. 
Goethe wünjcht, daß Frau von Stein babei 
gewejen wäre, als er ‚mit Frigen auf einem 
großen in den Fluß gejtürgten Granitſtück 
zu Mittag gegeljen babe ... wie heimli 
unb reigenb mutet das an, wenn man jelbft 
bas Bodetal genau tennt und dort in frühen 

Jahren jelbjt mit einem väterlichen Freunde 

auf den blantgewajchenen Steinen herum: 
eflettert ijt! Nur wird es ja gu Goethes 

Boiten nod) etwas unwirtlicher ausgejehen 

haben als in meinen Rnabenjahren, und 

einen ‚Waldfater‘, wo man Forellen friich 
aus der Bode effen konnte, wird es aud) 
noch nicht gegeben haben! — Tags drauf 
waren die beiden dann ‚im Riibelande’, 
haben die Marmorbrühe und die Mühle 
bejichtigt, Goethe eee Erinnerungen auf: 
friſchend, Frig bie Baumannshöhle gezeigt, 
unb immer bat er Frau von Stein an ben 
ſchönſten Stellen ‚jehnlich‘ zu fih gewünjcht 

. „bier im [tillen gedachte der Liebende 
jeiner Geliebten“, mag er nun von uralter 

Steinbriice herab auf ons, Dahinſchießen bes 

Waſſers geftarrt und Heinen Bligerwellen 

Brüße aufgetragen haben nah bem ftillen 

Kochberg, oder mag er in mandjem Feljen, 

mander Klippe ‚Gejellen‘ jenes Steins be: 
rüßt haben, ber im Garten am Gtern über 

Feiner Lieblingsjige in ben Raſenhang ein: 

gelajjen war, Dentmäler des Glüds! — Und 

nad) furgem zweiten Aufenthalt in Halbers 
jtadt, wo — die Herzogin eingetrof— 
fen war, geht's dann am 17. September 
nach Claustal und JSellerfelb, wo Goethe 

id) ‚recht in feinem Clemente‘ befindet; er 

eut fih, daß er mit feinen ‚Spekulationen 


276 SSS] Ludwig Gternaux: 


über die alte Krufte der neuen Welt‘ auf 
dem rechten Wege ijt, und ‚füttert fic) mit 
Steinen an. Wm 21. September erflettern 
fie, vom Oberberghauptmann von Trebra 
aus Oe geleitet, vom Torfhauje aus 
den Broden; ber alte Förſter Degen vom 
Torfhaus ertennt Goethe, den er 1777 durch 
Schnee und Eis auf den Broden geführt 
hat. Er meint: „Nun! da kommen Gie 
denn bod) nod) einmal, in einer bejjeren 
Jahreszeit den Broden zu bejuchen,“ und 
fährt fort: „Sie würden Damals, als Gie 
mitten im Winter von mir — daß 
ich Sie auf den Brocken führen ſollte, mi 
mit allen ihren guten Worten doch gewi 
nicht beredet haben, Ihr Führer zu ſein, 
wenn nicht eben durch ben gar zu ftarfen 
rojt eine harte. Rinde über den tiefen 
chnee gezogen gewejen wäre, bie uns tra: 
en fonnte,^ Nun, diesmal war der Auf: 
Rieg nicht Jo gefährlich und bejchwerlich, und 
„oben auf dem Gipfel auf den alten Klip- 
pen”, wo Goethe wohl die erjten wirklichen 
Eindrüde für bie Brodenjzenerie bes ,Fauft' 
empfing, bat er fih nad) Lottes ferner Woh: 
nung — * und ihr ‚die Gedancken ber 
(ebhaffteften Liebe‘ zugeſchickt — derweilen 
ihr Knabe, der Sohn eines anderen und ibm 
doch lieb wie fein eigener, um ihn herum: 
iprang. Auch bier: Genio huius loci! — 
Damit hatte bie zweite Harzreije a Ende 
erreiht. Denn Gottingen, wo Caroline 
Michaelis, bie jpätere Frau Sdlegels und 
Scellings, un flüchtig lab und jehr bewun- 
verte, und Gajjel, wo Goethe am Hof Be: 
hide machte, gehören nicht mehr hierher. 


e — 8 
Und zum dritten: Ein Jahr fpater! Er- 


holungs-, Dienjt: und $yor| djungsreije in eins. 
Denn Goethes geologildje Studien hatten 
inzwijchen immer fejtere Geftalt ange: 
nommen, waren aus früher Spielerei zu 
ern|ter wijfenidjaftlidjer Betätigung gewor: 
ben: ber (Get, der alle Gründe und Mb- 
ründe des Geins durchdrang, rätjelte am 
Realften, ege ue e am Boden der 
alten Mutter Erde. Hofrat Kraus war 
diesmal ber Begleiter, Georg Melchior 
Kraus, auf Goethes Betreiben, ber ibn ſchon 
1769 in Frankfurt a. Di. tennengelernt hatte, 
jeit 1780 Direktor ber neu gegründeten Weis 
marer Jeidjen|djufe. Er jollte das, was 
Goethe auf bieler dritten Harzreije inter: 
effant büntte, im Bilde fefthalten, und durch 
die Zeichnungen Kraus’, bie leider bis auf 
wenige, bie in einem Werte Trebras ver: 
öffentlicht find, unzugänglich find, erhält diefe 
Reife nod) mehr willenjchaftlichen Charatter. 
Zielen bezeugt aud) das ernithaft geführte 
‚Geognoftiihe Tagebud) der SHarzretije‘, 
Hauptquelle find aber aud) hier die Briefe 
an erat von Stein, dieje unerjchöpflichite 
Fundgrube, und diefe Quelle ijt diesmal 
bejonders interejjant, weil das Berhältnis 
wijden Goethe und Lotte von Ctein fidh 
Lan dem Puntte näherte, wo es fein Dar: 
liberhinaus mehr gab; ber Giedepunft war 





[o gut wie erreicht, und das unjagbar herr: 
lide Gedicht, bas Goethe von diejer Reife 
aus, aus Braunjdweig, an die Geliebte 
richtet, jenes: 
„Bewiß, id) ware [hon jo ferne, ferne, 
Coweit bie Welt nur offen liegt, gegangen, ` 
Bezwängen nicht übermädt’ge Sterne, 
Die mein Geſchick an deines angebangen, 
Daß r^ in bir nun erft mid) tennen lerne. 
Mein Bitten, Tradjten, Hoffen unb Verlangen 
Allein nad bir und deinem Wefen drängt, 
Mein Leben nur an deinem Leben hängt” 


Ipricht bod) am deutlich ften für jenes ſchon 
zwiejpältige Gefühl, das ihn in gleicher Meije 
von Diejer Frau entfernte wie wieder zu 
ihr hintrieb und das erft in der Flucht nad) 
Karlsbad zwei Jahre Ipäter Erlölung fand. 
Am 8. Auguft begann bie Reife. Gie 
bradte Goethe eigentlich nur 3Befanntes und 
SBertrautes. Erinnerung gibt auf Schritt 
und Tritt —— Geleit. So heißt es 
einmal in den Briefen an Charlotte: „Ich 
Eë mid) bie Berge wiederzujehen, die id) 
don vor Jahren mit Sehnjudt zu Dir im 
Herzen beftiegen habe.“ Und ein andermal: 
„Wie Deine Liebe mir nah ift, mag id) nicht 
jagen. Bor fieben Jahren jchrieb id) Dir aud) 
von bier ..." bas war in Elbingerode. 
fiber Zellerfeld und Goslar geht es nad) 
Braunfchweig, wo Goethe bei Hofe zu tun hat, 
längere Tage, und von Braunjchweig über 
Goslar, den Broden, das Bodetal, nad) einem 
neuerlichen Beſuch bei Frau von Branconi, 
„la fée de Langenstein dont tu — ſchreibt 
er an Frau von Stein — ne seras pas ja- 
louse“, zurüd nad) Weimar zu ‚sa douce, 
son adorable amie“, Hauptpunfte find auf 
diejer Reife eigentlich nur ber Broden und 
bas Bodetal mit dem Ne Ei Den 
Broden befteigen die beiden Retjenden von 
Goslar aus am 4. Geptember, — es ijt 
das dritte: und [ebtemal, daß Goethe oben 
ilt. Sie finden diesmal [don ein Broden: 
haus vor, und Goethe zeichnet fid in das 
Fremdenbud mit bem folgenden Cprudje 
aus bem „Altronomicon“ bes Manilius ein: 
„Quis coelum posset nisi coelere munere nosse 
Et reperire deum nisi qui pars ipse deorum est, 
d. 4. Sept. 1784 Goethe.“ 
Am Bodetal, das fie von Elbingerode — Rübe— 
[anb aus, dem Flußlauf abwärts folgend, 
hinabwanderten, haben [te dann „alle ellen 
der Gegend angellopft“, und ,frauje bat 
ganz tójtlidje Dinge gezeichnet“. Tiber ‚den 
SRoBtrapp' enthalten die Briefe nichts mehr, 
Hier erzählt das ‚Beognoftiihe Tagebuch‘ 
trog feiner Kürze und Trodenheit Ger und 
wer awijden den Zeilen zu lejen verjteht 
und das Bodetal bei Trejeburg tennt, der 
wird fid mit einiger Phantajie ausmalen 
tónnen, wie Goethe und Kraus fid) durch die 
zerflüfteten Schluchten und Engpäſſe Hin: 
qualten. Ab und zu halten die beiden inne. 
Dann fliegen Felleijen und Dlanteljad ins 
Gras. Kraus greift zu feiner Gfizzen: 
mappe. Goethe aber, immer nod jugend» 
lid) Schlank, in Neiferod und Dreijpig, ſchrei— 
tet gelaffen zwijchen den wirren iyelstriüm: 








mern bin und ber, betlopft gebiidt Wand 
um Wand, und jein Hammer lodt aus den 
ftarren Granit Hall und ſprühende Funfen. 
Ift es ein Menjd oder ijt es mehr als ein 

enih, ber da ben jtummen Bergen ihr leg- 
tes Geheimnis entreißen will?... „werde mir 
Zeuge, du Stein!” Wer hat’s gejprochen ? 

iemand. Cin Nahhal des Herzens Ont 
uns. Aber bod) find diefe Steine, diefe wil: 
den TFellen längs der Bode Zeugen Dellen, 
daß em (Grober jie einjt angerührt, bei ihrem 
CErflingen vielleicht an bie dee: gedacht hat, 
die er, adj! fo bald verlajjen folte, um fie 
nie wiederzufinden. „Lebe  taujenbmal 
wohl!” — das tjt bas legte Wort, bas fie da» 
mals aus dem Harz erhielt. Es wohnt 
nod) jest im Echo der heiligen Harzberge. 
* 


1805. Schiller iſt im Mai geſtorben. 
Um den kränkelnden, alternden Goethe 
— er iſt jetzt ſechsundfünfzig Jahre alt! — 

älelt bie Einſamkeit. ie Hälfte feines 

afeins babe ibm Schillers Tod entrijjen, 
flagt er dem neuen Freunde par Da 
ad e ihn im Juni ber Philologe Fried- 
rid) Auguft Wolf aus Halle. und muntert 
ihn ein wenig auf. Schon im Juni erwidert 
Goethe mit feinem Sohne Auguft den Be: 
[ud bes umgänglichen, wiljensreichen und 
Betz beitergeltimmten Mannes, und unter: 
nehmungslujtig fahren alle drei gl vierzehn 
Tage nad) dem nahen Harz. Es ijt Goethes 
vierte und lebte (ER 

Wie anders fah er die Berge wieder, die 
er einjt im erſten Raufche junger Liebe er: 
ftiegen! Achtundzwanzig Jahre waren es 
ber, daß er abemteuertutite mitten im Winter 
auf den Broden geflettert war; jebt fah er 
ibn von weitem, von Thale aus, winfen... 
er lodte ihn nicht mehr. Mehr als die Berge 
reizten ihn diesmal feltjame Menſchen. 
Ihnen galt die Reife. Goethe jelbjt hat fie 
ausführlih in feinen Annalen gejchildert; 
ftellenweije gehört diefe 1822 abgefaßte, viel 

u wenig befannte Schilderung zum Schön: 

en, was wir in Profa überhaupt von 
Goethe bejiken; bejonders gegen bas Ende 
blüht die Harzlandichaft nod) einmal in fo 
wundervollen {Farben auf, daß man gerade: 
zu bingerijjen wird und nur bedauert, daß 
der Dichter in biejen Annalen nicht aud auf 
bie Harzreilen von 1783 und 1784 nod) ein: 
mal eingegangen ijt. Aber aud) bier mag 
er wohl niht an etwas haben rühren wol: 
len, was er für immer begraben hatte... 
die Wunde, die er Frau von Stein geichlagen 
hatte, jchmerzte wohl am Detten ihn! 

Ja, ein wie anderer war er geworden, 
als er diefe vierte Harzreije antrat. Ein 
Leben lag hinter ihm. Die italtenijche Reife 
hatte ihn von der Frau getrennt, die ihm 
ein[t Inhalt und Sinn des Lebens gewejen, 
eine andere hatte ihm den Sohn geboren, 
der jet im Wagen neben ihnen Top, Diele 
erhielt jebt liebevolle Briefe, an jene diftierte 
er nur einen höflichen Bericht. Freier als 
diejen beiden gegenüber äußerte er jid) zu 


Goethe im Harz | 


>.» 
> 2 





fa. 





| 277 
den Freunden: zu feinem Herzog und zu 
Belter, unb zwei aus SR Briefe an Carl 
Auguft find es denn aud, bie die befte Ergän— 
zung zu derSchilderung in ben Annalen bilden. 

tan fuhr zunächſt von Halle nad) Magde: 
burg, wo Goethe ber Dom mit feinen alten 
Kailerjtatuen bejonders intereffierte, bann 
nad) Helmftädt, wo man ben GConberling 
Beireis, einen regelrechten Vorfahren ſpä— 
terer apu Gejtalten, bejuchte, be: 
jab fid) in Harbfe ben [djónen Beltheimjchen 
Part mit feinen jeltenen auslandifden Hal: 
gern, Tehrte auf bem Gute bes ‚tollen Hagen‘ 
ein, ging gerne und willig in dem wint» 
ligen, fttmmungsvollen Mittelalter Halbers 
itabts mit feinem Dom und feinen nod) 
nahen Bleim- Erinnerungen auf und landete 
endlich im Bodetal. Goethe jab es nun zum 
dritten Male, und nad) der Schilderung, bie 
er gibt, |djeint es nie [o ftarf auf ibn ge: 
wirft zu haben wie gerade diesmal. Gab er 
mit anderen Augen? Wirkten die Erinne: 
rungen, bie ihn mit biejer jchönften Stelle 
bes Harzes vertnüpften, verflarend? Hörte 
er im Echo ben geliebten Namen, ben er 
einft Jo oft in dieje Berge und Täler ge: 
rufen? Cab er fid) wieder mit Fri von 
Stein auf den Steinen der Bode ſitzen? ... 
wer will es wiffen? Bor langen, langen 
Jahren hatte er einmal ‚im Rübelande‘, hart 
unter ber zauberhaften Baumannshöhle, auf 
einer Brüde geftanden und in das eilig 
dahinftürzende Waller der ‚Bude‘ geldjaut; 
damals trugen die Wellen Grüße nad) Wei: 
mar; jeßt [tanb er am ‚Sammer‘ in Thale, 
ruhig ftrdmte der Fluß in feinem niederen 
Gerollbett dahin, jo ruhig und gelaffen, als 
ob es gar feine Eile, feine Aufregung gäbe, 
ftaute jid) am Wehr und wurde ftiller, 
dunkler Spiegel. Die gropen, dunklen Dichter» 
augen jahen und begriffen es: Abbild des 


‘Lebens, das verraujcht und ftille wird wie 


biejer Fluß. Da rief ein Klang ibn, fam von 
irgendwo: „Lebe taujendmal wohl!” — was 
qualte ihn der Klang im Ohr? Er wandte fid). 
fiber Ballenftedt, Afchersleben, Gónnern 
ging’s wieder nad) Halle. Im — lärmte 
der halbwüchſige Auguſt. Und über Lauch— 
ſtädt gelangte man dann bald nach Weimar. 
Da war Goethes letzte Harzreiſe aus. An der 
Stelle aber, wo ſein Auge zum letzten Male 
jenes unvergleichliche Panorama, das Roß— 
trappe und Hexentanzplatz mit dem Bode— 
tal zuſammen bilden, umfangen hat, ſteht 
ein Stein. Man ſieht ihn nicht, denn er iſt 
nicht ſichtbar. Es iſt ein imaginärer Stein. 
Aber manche ſehen doch die Worte, die dar— 
auf ſtehen. Auch ſie lauten: Genio huius loci! 
ür uns aber gilt, was Goethe einmal 
— drei Jahre ſpäter — an die Malerin 
Karoline Bardua ſchrieb: „Der Brocken wird 
noch eine Weile auf ſeinen Füßen ſtehen 
bleiben, und die Spur des Roßtritts auch 
nicht jo bald verlöſchen“ ... nein, Jo bald 
nicht, und mit ihnen wird die Erinnerung 
an Goethe dauern, dem fie Jo oft Erjchütter 
rung und ttefjtes Erlebnis gewejen. 


jm 
Crs SC an — 


ine Erzählung ausAlbanien son Borwin Garlitz 
— Fortſetzung — 
Ermemmmmmmmmmmmmmmmmmmmmrmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmrmmmmmmmmmmmas 





y^^ wei Lage |päter ritten Briefen und 
Wi Fuad gen Often, begleitet von zwei 
Gendarmen und einigen bewaff: 
neten Albanern. 

Die Satteltajche Fuads barg den 
Beutel mit bem Lojegeld. Dreitaujend Kronen 
in Wirtlicfeit — eintaufend nad) Briejens 
Annahme. Es war nicht leicht gewejen, ihn 
gut Annahme auch nur der legten Summe zu 

ewegen, und Major Wächter hatte ich ich 
tid) ein Mtachtwort |predjen miijjen. Und 
die Gorge, nad) Deutjchland zurückgeſchickt 
gu werden, wenn er weiter widerjtrebte, gab 
den legten Ausjchlag: jebt von Gwendolin 
fih trennen zu miijjen, erjchien ihm uner: 
träglich. 

ie große Ebene, bie Cfutari von bem 
Gebirge des inneren Landes trennt, erlaubte 
durchwegs einen flotten Trab, jo daß in 
einer Stunde ber Eintritt in bie Berge er: 
reicht war. 

Briefen oi nad) der Uhr und jagte: „Es 
ijt bereits die Zeit, zu ber bie leren 
tunft beginnen folte.“ 

„Wir haben jet nod) einen [teilen Auf» 
ftieg von etwa einer Stunde,” bemerfte Fuad, 
„dann aber find wir jdn im Lande ber 
Ctreli und gleich darauf beim Gtrelehan, 
dem Wirtshaus, wo die andern uns erwar: 
ten. Die Albaner pflegen nicht jehr pünft« 
lid) zu fein, jchon weil fie feine Uhren be- 
figen, und außerdem ijt es beffer, daß Cie 
als deutjcher Offizier ihre höhere Stellung 
dadurch anzeigen, daß Cie fpäter als Die 
übrigen Teilnehmer anfommen.“ 

Auf halber Höhe wurde den Pferden eine 
Pauje von fünf Minuten zum Verjchnaufen 

elajjen. Bon bier fonnte man Skutari und 
fajt den ganzen Gee überbliden. 

Bald begann der Aufitieg aufs neue, und 
ber Weg wurde jchließlich jo jchlecht, dak 
Briefen es mandmal nicht für möglich hielt, 
au Pferde vorwärtszufommen. Iber nie: 
mals jtieg ber voranreitende Gendarm ab. 
Yin Schwindelnden Abgründen ging es por: 
bet, wo der Pfad jo jdymal wurde, daß die 
Pferde um Zenttmeterbreite am unjicheren 
Mande geben mußten. Durd) Schutthalden, 
die abbrödelten und rutjichten, arbeitete man 
(i hindurch. 

(nblid) wurde die Ausſicht wieder fret. 
quad wies nad) vorn: „Sehen Cie dort das 
Häuschen didt am Hange? Das ijt der 
Han, der Blak unjerer Zuſammenkunft.“ 

In diefem Wugenblide hörte man von 


al 
II 






drüben ber ein Iebhaftes Gewebhrfeuer, und 
leije ſummend und pfeifend flog eine Anzahl 
von Geſchoſſen über ihre Köpfe fort. 

Reiner der Albaner verzog eine Miene, 
jo daß auch 3Briejens jähes Stugen fofort 
verflog. 

„Das gilt unferer Begrüßung,“ erflärte 
Fuad, „und T ein Zeichen der $yreube unb 
eine Ehrung für uns. 

Als fie fid) Dem Han náberten, jahen fie 
eine Anzahl von Pferden, alle mit Satteln 
auf den Rüden, die, frei herumgehend, fih 
ihr Futter juchten. Eine Shar von Alba: 
nern [ag im Schatten eines &a[tanienbaumes 
und erhob fid) beim Herannaben des Zuges. 
Briejen grüßte zuerjt als ber Höherftehende 
mit dem albanijchen ‚Nogat Geta’, worauf 
die Antwort im Chor aud) ibm ein langes 
Leben wünjchte. 

Dann wurde abgeftiegen, und Briefen 
ging mit Fuad zu dem Han, ohne fid) um 
die Sfrelis weiter zu fümmern. Denn nod) 
Ichwebte ja die Blutjchuld zwiſchen ihnen. 
Bor dem Haufe waren Zijdje unb Banke, 
die beiden nahmen Plak, und als der Wirt 
fragte, ob fie Kaffee ‚alla Franfa‘ oder ‚alla 
Turfa‘ wünjchten, bejtellten fie den leßteren. 

Nach einiger Zeit fam ein Abgejandter 
der Ctrelis und fragte Fuad, aus weldem 
Grunde ber deutjche Offizier in ihr Land 
gefommen wäre. 

„Der deutjche Offizier ijt einer der tapfer: 
jten Männer jeines Landes und außerdem 
mein Bruder. Er hat gehört, daß die Sfrelis 
Klage gegen ihn führen wegen des Todes 
einer en Angehörigen. Mein Bruder fühlt 
fih unjhuldig an dem Tode bieles Mannes. 
Da aber vielleicht einer feiner Soldaten die 
tödliche Kugel abgejdojfen haben tann, und 
mein Bruder den innigiten Wunſch bat, mit 
dem tapferen Stamme der Gfrelis nicht nur 
in Frieden, fondern fogar in Freundſchaft 
zu leben, jo ijt er hierher gefommen, um 
Löſegeld zu bieten vor ber BVerjammlung 
der Älteſten, wie es Die Gitte erfordert. Geh 
bin zum 3Bairaftar und melde ibm unfer Be: 
gehren.” Der Albaner ging und fam nad) eini» 
ger Zeit zurüd, „Der Bairaftar läkt Euch 
Jagen: Der Stamm der Cfrelis bat die größte 
Ehrfurcht vor dem mächtigen Stamme Der 
Deutjchen und ijt über ben — eines 
ſeiner Angehörigen hocherfreut. Niemals 
hat einer der Unſrigen es für — ge⸗ 
halten, daß ber tapfere Deutſche abſichtlich 
unſeren Bruder erſchoſſen hat. Aber der 


A Borwin Garlitz: Der Schuß auf bem Bardanjol. 33:33:34 279 


befte Beweis dafür, daß ber Deutjche unfer 
Freund ijt, liegt darin, daß er hierher fam, 
um ein £ójegelb zu zahlen, wie es ber 
Würde feines eigenen Landes und dem Werte 
des Toten ent|pridjt. Die Ültejten haben 
wei ?Bertreter bejtimmt, welche mit den 
tigen das Nähere beiprechen follen.” 

Suad überjegte Briejen die Rede und 
ichidte dann zwei feiner Leute mit, bie ge: 
nau injtruiert waren. 

„Seht geht nod) ein langer Handel um bas 
€ojegelb vor fid), Der nun einmal dazu ge: 
bört. Die Glrelis fordern anfánglid) viel 
mehr, als fie au betommen hoffen. Dabei 
preijen jie Die Vorzüge des Toten, während 
unjere Vertreter wieder Ihre Tugenden her: 
vorzuheben haben. Das wird einige Stun: 
den dauern, und während diejer Zeit können 
wir uns durch Schießen nad ber Scheibe 
unterhalten, weil dieje Bejchäftigung uns in 
den Augen der Sfrelis bejonders heben wird. 
Sch babe Cie barum aud gebeten, Ihre 
Fernrohrbüchſe mitzubringen.“ 

Fuad fdjidte nad) ben Bewehren und fah 
fid) nad) einer pajjenben Scheibe um. Unter: 
Dellen waren bie Sfrelis aber aud) Ion auf 
den gleichen guten Gedanfen gefommen, fih 
die Zeit mit Schießen zu vertreiben. 

Zwijchen zwei etwa einhundertundfünfzig 
Meter entfernten Bäumen war ein Hammel: 
fell als Scheibe ausgejpannt.  Sjiernad) 
Ichoffen nun aber nicht etwa bie einzelnen 
Schützen, Jondern bie ganze Getellichatt ver: 
feuerte gleichzeitig eine große Mtenge von 
Batronen, und nach einiger Zeit jah man 
nad, wie oft das Yell durchlöchert war. 

Briejen war jchon befannt, dak die Albaner 
gerade teine glänzenden Schützen wären, 
und hatte bie Abjicht, ihnen mit feiner Fern: 
To Me zu zeigen, was ein beutjdjer 
Schütze leiften fonnte. 

Fuad entbedte eine vieredige Blechtanne 
unb kaufte fie Dem Wirte ab. Es war eine 
der unter dem Namen ,Tennefen‘ im ganzen 
Orient befannten Gefäße, in denen die Stan: 
dard Dil Compagny überall hin ihr Petro: 
leum verjdidt. Fuad erzählte, daß biejes 
die einzigen Gefage find, bie ins Innere 
des Landes zu fommen pflegen, daß fie da: 

er von ben Albanern zu ben mannigfad): 
ten Berwendungen gebraucht werden. 

Diejes ,Tennefen' ftellte Briefen in etwa 
zweihundert Dieter Entfernung derartig auf 
einer Felsipige auf, Daß es bei jeder Be: 
rührung umfallen mußte. Dann ging er 
urüd, richtete fein Fernrohr genau auf bic 
Entfernung ein und Juchte fid) einen geeige 
neten Punft gum Pflegen. Gejpannt be- 
obadteten bie Cfrelis diefe Borbereitungen 
unb hörten jelber mit Schießen auf. 

Briefen legte auf bem Aſte eines Baumes 
an und ließ jid) Zeit zum Zielen. ls end: 
lid) der Schuß fnallte, fiel im gleichen dingen: 
blid das Tennefen um, worauf eine madtige 
ssreude unter den Albanern entjtanb, Die 
ihrer Bewunderung durd) Händellatjichen 
Ausdrud verliehen. 


Da nabte fih ein Albaner auf fchweiß:- 
bebedtem, völlig erichöpftem Pferde, jprang 
ab, eilte auf Fuad zu und blieb in ehrer- 
bietiger garang vor ihm fteben. 

„Bas ring] du, waderer Haji, und wo» 
her kommſt du 

„Beltern morgen ritt id) vor den Toren 
Prijrens ab, jechsmal wedjelte ich mein 
Pferd, und der Schlaf fab meine Augen 
nicht. Ich bringe Runde von den Brüdern.“ 

„Was geſchah, feit ihr Prijren nahmt ?* 

„Die Stadt wurde von zwei jerbijchen 
Bataillonen mit Majchinengewehren overs 
teidigt, gegen die alle wütenden Anftürme 
der Unjrigen vergebens waren. Als aber 
bie Madt fam, ba gejchah ein Wunder, das 
die Serben nie vermutet hätten. Es gelan 
Waffen in die Stadt zu Ihmuggeln, die in 
den Sjaremlifs verjtedt wurden. Kein waffen: 
fabiger Albaner war ja in der Stadt, nur 

rauen und Rinder. Wber unjre Frauen 
un ihrer Männer wert. Die Mot des 

aterlandes, bie Sehnſucht nad) ihren Ge: 
liebten, liep fie für turze Zeit weibliche 
Scheu vergejlen. Als wir mitten in ber 
Nacht zum Sturme anjegten, da ertónten 


u 


im Rüden der Gerben aus allen Häujern 
heraus Gdjüjje. Der Feind glaubte jtd) vere 
ratem unb ergab fih nad) furzem Rampfe. 


Go haben unjere Brauer die Stadt erobert.“ 

Der Albaner, dem der Schweiß von der 
Stirn perlte, jchöpfte tief Atem, ehe er weiter 
berichtete. „Aber es blieb uns pe vergonnt, 
die Stadt zu halten. Der Gerbe brachte Bers 
jtarfungen heran. Und als feine Artillerie: 
geſchoſſe in die Stadt einjdlugen, ba bes 
ſchloſſen die Alteſten bie Auswanderung. 
Während die Männer vorn im Kampfe 
lagen, padten die Frauen bas Unentbehr: 
Gite auf die Pferde, nahmen die Kinder 
an die Hand und wanderten fort in Der 
Richtung auf die |djub&bringenben Berge. 
Die reihen Häufer, die blühende Ernte, der 
in Jahren des Blüds erworbene Hausrat, 
alles mußte bem beutegierigen Feinde über: 
lajfen werden. Aber während die Kinder 
weinten, fam fein Wort der —— über die 
Lippen der Frauen. Faſt zwölf Stunden 
dauerte der Auszug, dann war die blühende 
Stadt leer, und langſam zogen aud) wir 
Männer uns vor dem übermächtigen Feinde 
zurüd. Wis id) fortritt, da waren die Frauen 
ihon im Jicheren Schuße der Berge, deren 
Eingänge bie Unjrigen unerjchüttert hielten. 
Man fandte mid aus, um bieles alles in 
Sfutari zu melden. Zehntaufende von Flücht« 
lingen willen nicht, wohin fie weiter ziehen 
jolen, und was das Cdjlimmite ijt, [ihon 
jest droht Nahrungsmangel. Hilfe ijt brin: 
gend nötig.“ 

Als ber Hafi geenbet hatte, jagte Fuad: 
„Bleibe hier im Han. Bis morgen früh er» 
báltit du Nachricht von uns aus Gfutari, 
die Du den Brüdern überbringen Jolljt.“ 

Dann berichtete er Briejen tur} von ben 
Borfällen und jagte, da feine Kan e 
Unwejenheit in Sfutart nötig fei. Er wolle 


280 E Borwin Carlig: I 


mit den Cfrelis reden, damit bie Zeremonie 
abgefiirgt würde. 

Bu darauf trat Briefen in den Kreis 
der verjammelten Männer. Der wiirdige 
Bairaftar begrüßte ihn mit feftem Handichlag. 
Er belaB nur einen Arm. Den anderen 
batte er im Kampf mit ben Tiirfen verloren. 
Da er aus diefem Grunde die Büchje nicht 
führen fonnte, bing ein furger Karabiner 
über feiner Schulter, den er mit einem Arm 
bediente. Seine zwei türfijden Orden, bie 
er voll Stolz trug, bewiejen, daß er nicht 
immer „gegen“ die Türken gefampft Hatte: 

Er hielt eine lange Rede, deren End: 
rejultat war, daß man bas Ljegeld an: 
nehmen wollte. Fuad warf ihm den Beutel 
mit Gold hin und führte Briefen, während 
bie Sfrelis eifrig zählten, unter einem Bors 
wand zur Geite: er durfte nicht jehen, wie 

rok die gezahlte Summe war. Dann jebten 
E alle gujammen, tranfen Kaffee, und Brie: 
en mußte eine Zigarette bes Bairaftars an: 
nehmen, die biejer felber gedreht und an: 
eledt Hatte. Endlich war alles beendet. 
tiejen [djüttelte jedem der Männer die 
Hand, und der Bairaftar verjidjerte ihm, 
daß er von jest ab Freund und Bruder 
ber Cfrelis jet. 
aber drängte nad) Gfutari, wo ibn 
ernjte und dringende Bejchäfte erwarteten, 
WW E 88 

Baron Traubenberg war bet Sjerberts 
zum Tee. 

Die Herren belpradjen die politijden Er: 
eignijje der legten Tage, während Gwendo: 
lin zubörte, ohne fic) an ben Erörterungen 
su beteiligen. 

„Das war eine fine flberrajdjung für 
die Gerben, bieler unvermutete albani[dje 
Angriff,“ jagte ber Ruffe. „Uns in Gettinje 
ift ber Shred aud) ordentlich in bie Glieder 
gefahren. Der König, ben id) in letter Zeit 
wenig gejehen, läßt jet feinen Abend ver: 

eben, ohne mich zu fih zu bitten. Wir 
ben dann zu dritt, mit dem Miniſter des 
Wugeren, im Arbeitszimmer des Königs, 
ber uns höchſt eigenhändig ben tiirtijden 
Kaffee bereitet. Der König ijt auf die Serben 
nicht gerade gut zu fpreden, weil er in Er: 
ane Ar bap mit geheimer Unter: 
ügung ber Regierung ein Komplott ge: 
idjmiebet worden ijt, bas die Bereinigung 
mit Montenegro erjtrebt, wobei bie monte: 
negrinijche Dynajtie natiirlid) ausgelchaltet 
werden folte, 

„Bejonders ijt er auf ben ferbijchen Ge: 
jandten eingejchnappt, von dem er uns fol: 
gendes allerliebjtes Stückchen erzählte. Bei 
einer Bridgepartie im Klub, an welcher der 
ölterreichijche unb ber jerbijche Gelanbte mit 
nod) zwei anderen Herren teilnahmen, be: 
merft der Bfterreicher, der höchſt wißige 
Baron Breindl, daß der Serbe fortwährend 
ben Berjud) macht, ibm in bie Karten zu 
feben. Plögli jagt er ibm: ‚Vous jouez 
comme un régicide' (Cie fptelen wie ein 
£onigsmórber) Der Gerbe wird rot und 





ftottert ganglid) außer Faſſung gebradt: 
Ich weil nicht, Exzellenz, was Cle bamit 
lagen wollen.‘ (Qretnbl aber tut, als wenn 
nidjt bas geringite vorgefallen wäre, fon- 
dern [pielt ruhig jeinen ‚sans atout' weiter.“ 

Die Geldjid)te erregte allgemeine Heiter: 
feit, und Gwendolin fagte, daß fie dieje böje 
Abfuhr dem Gerben von Herzen górme. 
Geit ber Bluttat im Belgrader Konat fet 
ihr die ganze Nation widerwärtig. 

Herbert bm hinzu: „Auch jest wieder 
begeben die Gerben Greueltaten, bie wahr: 
idjeinlid) bie Empörung ber — Kultur- 
welt hervorrufen werden. ie behandeln 
jeden Albaner als Rebellen, garden alle al: 
banijhen Orte an und flagen die Bez 
wohnerjchaft, einjchließlich Frauen und Rin: 
der tot. Ich begreife freilich ihre Wut über 
den unvermuteten albanijden Überfall.“ 

„Die Albaner find tatjächlich bas nichts» 
würdigite Gefindel, das fih denten läßt, 
unb verdienen feine Schonung,“ meinte Trau» 
benberg. „Niemals greifen fie einen Feind 
im offenen, ebrlidjen Rampfe an, und es tft 
burdjaus fein Geheimnis, daß man einen 
en bier |djon für zehn Kronen 
erfaufen fann.“ 

Rum erjtern Male griff Gwendolin in 
bas Belpräd ein: „Be lagte fie heftig, 
„die armen Leute find untultiviert und Häufig 

raujam. Aber eine feige und ehrloje Ge» 
[mung Babe id) nod) nie bei ibnen bemertt, 
agegen oft Züge von Ritterlicdfeit.“ 

„Mit ſchönen Frauen ijt jchwer zu ftreiten. 
Vielleicht haben Cie bisher Gliid gehabt. 
Aber jebt, verehrter Konſul,“ wandte er fic 
an Herbert, „möchte id) Ihr Augenmerf noch 
wi eine andere Frage lenten. Gie willen, 
daß ben Montenegrinern ber Beli Des 
Gebietes ber Hott und Gruda zulteht. Es 
ift nicht — daß nun, wo die 

erben überall den Aufſtand niederwerfen 
und ſchon im Begriff ſind, in das eigentliche 
Albanien vorzudringen, auch Montenegro 
den Augenblick für gekommen erachtet, in 
Nordalbanien einzumarſchieren. Wie wird 
ſich England dazu verhalten? 

Der Engländer überlegte einen Augen» 
blid, dann entgegnete er: „Wir beide find 
alte Freunde, ganz davon abgejehen, dah 
unjere Sntereffen mit den Ihrigen in diefem 
Lande die gleichen find: nämlich ms mite 
SR Nl des Dreibund + Cini es. 

orgen Sie vor allem dafür, daß die braven 
Montenegriner nidt in gewohnter Weise 
jengen unb plündern, um ber öffentlichen 
Meinung feinen Grund zur Erregung zu 

eben. Dann verjprehe id) Ihnen, daß 
ngland im beiten Falle einen harmlofen 
Proteft erlajjen wird. Sch werde jedenfalls 
in meinen Berichten in feiner Weije gegen 
Montenegro Partei ergreifen.” 

Traubenberg bebanfte jid) und begann 
jest von anderen Dingen zu erzählen, 

Nad einiger Zeit empfahl Da Herbert, 
weil er nod) in Gejddften zu Baron Cotta 
miijfe. Er ließ als gewandter Weltmann 


m 


— 














feine Frau fte ) 
Freunden allein, um fein unbegrenztes Ber 
trauen zu zeigen und ihr die Möglichkeit 


tets eine Zeitlang mit CS 
er: 


u geben, fid) ungeſtört ausſprechen zu 
iten. Er wußte, daß fie nur, wenn er 
ihr alle benfbare Freiheit ließ, bei ibm 
aushalten würde und vertraute auf ihr, 
wie er ſchätzte, kühles Temperament. 

So hatte er aud) jede Bemerkung darüber 
unterdrüdt, daß Gwendolin jet täglich mit 
— uſammenkam. Morgens, ſobald 
der Dienſt beendet war, holte der deutſche 
Offizier ſie zum Reiten ab, und nachmit— 
tags pflegten beide meiſt einen Spaziergang 
durch die Stadt zu machen. Perſönlich war 
ihm der Deutſche mit ſeinem ſtrengen, kalten 
Geſicht ger unjympathijd, auch ärgerte er 
fid, daß Ferucct nod) immer mit Gwendo— 
lin grollte. Seine gelegentlichen feinen Be: 
mertungen über die wichtige Aufgabe, bie 
ihe nod) mit dem Italiener bevorftand, 
überging fie aber geflijlentlich. 

Seht war fie mit Traubenberg allein 
und fühlte, daß ein entjcheidender Kampf 
bevoritand. Der Ruffe bot ihr eine feiner 
Zigaretten an, bie aus ber faijerlidjen Fabrif 
in der Krim ftammten, und eröffnete das 
Gefecht. Solche Augenblide waren Höhe: 
puntte in feinem Leben, wenn er mit fühler 
Berehnung die Schidjale eines Menſchen 
leiten fonnte. „Werehrte Freundin, ich bin 

liidlid) darüber, daß Sie mir die Möglich: 
eit gegeben haben, Ihnen aus einer kleinen 
Berlegenheit zu — und ich hoffe, daß 
Sie aud) weiterhin meine getreuen Dienſte 
annehmen werden.“ 

„Ich dante Ihnen aujridjtig, Baron,” 
jagte Gwendolin mit leichtem Zittern in ber 
Stimme, „daß Cie mir [o [dell geholfen 
haben. Aber id) hoffe beftimmt, jobald nicht 
wieder in bie Lage zu tommen, Ihre Hilfe 
in Anfpruch nehmen zu müjjen." 

„Im Gegenteil, id) erwarte in Ihrem 
eigenen Snterejfe, daß wir jet — wenn id) 
[o fagen darf — in bauernber gejchäftlicher 
Verbindung bleiben werden. Ich babe Ihnen 
bereits neulich eröffnet, daß für Sie irgend 
ein Rifilo oder etwas, bas gegen Ihre vater: 
ländiihe Pflicht — niemals daraus 
entſtehen wird, während Sie andererſeits 
in die Lage kommen werden, unbeſchränkt 
über die Summen zu verfügen, die eine 
Dame von Welt nun einmal zum Leben 


nötig d: 
„Und was verlangen Cie von mir?“ 
„Wie ich jhon fagte, es handelt jid) um 
Kleinigkeiten, um Nachrichten, bie Sie zus 
fällig erfahren, um Borbereitungen unjerer 
emeinjamen $yeinbe und beiten Falls um 
lane, die England mit Rußland Hand in 
Hand ausführen will, Ihr Mann erfährt 
von üfterreichiichen ober italtenijchen Ab— 
Dien. feine Agenten berichten ibm über 
deutfche Intrigen oder über die Anſichten 
bes uns verbündeten Frankreich. Sie hören 
auch im Gefprad mit ben Damen ber übrigen 
Ronfuln irgend etwas, das Ihnen der Er: 


Der Shuk auf bem Bardanjol BAZZAZ 281 


wähn ng wert ericheint. fiber alles das 
maden Cie fid) Heine Notizen, bie Cie am 
beiten in einem perjónlid) an mid) adref: 
fierten Brief unjerm biefigen Ronjul über: 
geben.” Er fab Gwendolin an, als erwarte 
er eine Antwort. Als diefe aber ausblieb, 
fuhr er etwas lebhafter fort: „Für dieje 
fleinen, ftändigen Bemühungen könnte id) 
Ihnen ſchon ein recht nettes Syabresgebalt 
ausjegen. Sollten Gie einmal eine wid): 
tigere Angelegenheit erfahren, fo werden Ste 
jeben, bap Rußland nicht Aer, » o 
verftändli wäre es natürli auch febr 
wünjchenswert, wenn Sie gelegentlid) Cine 
blid in die Berichte Ihres Mannes tun 
lónnten. Wenn wir willen, was das be: 
eundete England von uns erwartet, dann 
nb wir um fo eher in der Lage, diefen 
ün|den momóglid) fdjon guvorzufommen 
unb Dadurd) unjer [o nötiges Zufammen 
arbeiten nod) inniger zu geltalten." 

„Nein, bitte verlangen Cte bas nicht von 
mir. Das ift unmöglich.“ Gwendolin hatte 
den Kopf gejentt. Setzt richtete fie ibn auf 
und ſprach [djarf weiter: „Überhaupt tann 
ih Ihnen nicht perbeblen, daß die ganze 
Gade mir derartig niedrig vorfommt, dab 
id) jede Gelbjtachtung verlieren würde, wenn 
ich Das tate, was Cte von mir fordern.“ 

Traubenberg hatte ein böjes Lacheln. Er 
30g bie Achjeln Bod). „Berehrte Freundin, 
das hätten Cie fid) dod FS überlegen 
fonnen. Ich will Sie gewiß nicht zu etwas 
wingen, das Ihnen zuwider ijt, aber Gie 
Ui (inb bod) an mich Berangetreten und 
haben ben erjten Schritt getan.“ 

„Beil iD mid) in einer Notlage befand, 
aus der id) feinen anderen Ausweg jab. 
Bitte, Baron Traubenberg, laffen Ste mir 
wenigftens Zeit. Gie befommen Ihr Geld 
ſelbſtverſtändlich zurüd, aber ein wenig ge» 
dulden müffen Ste fih.“ 

Derartige Gewiſſensbiſſe bei feinen Opfern 
noch im legten — waren dem ſchlauen 
Ruſſen nicht unbekannt. Da mußte man 
etwas ſchärferes Geſchütz auffahren. So 
leichten Spieles kam man bei ihm nicht da— 
von. Erſt ſich Geld leihen und dann nichts 
dafür leiſten, das war ſo recht Frauenlogik. 

„Ich ſelber befinde mich auch in einer 
Zwangslage, meine verehrte Freundin,“ 
ſagte er. „Das Geld, was ich Ihnen ſchickte, 
iſt nicht mein Eigentum. Es gehört unſerem 
Auswärtigen Amte, das für jede Ausgabe 
aud) eine Gegenleijtung erwartet. Wenig: 
tens in biejem Falle muß ich von Ihnen 
verlangen, daß Cie aud) Ihrerjeits einiges 
leilten. Haben Cie jpäter feine Luft mehr, 
dann Debt es Ihnen jederzeit frei, von une 
lerem Abkommen zurücdzutreten.“ 

Er dachte: ‚C'est le premier pas, qui coûte 
— nacher wird fie jdon von jelber wieder» 
fommen, und außerdem habe ich fie dann 
ganz anders in der Hand und will fie jdon 
tanzen laffen.‘ 

„Baron, Ste find ein alter Freund und 
jehen, in welcher Not und Angſt ich mid) 


Belhagen A Rlafings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bd. 19 


989 Iesse ee Ee Borwin Carlig: BESS SeSesessesssss4 


ande ..." Bittend bob [ie bie Hände 
och. 
„Sch bin in erfter £inie ein Mann ber 
Politif — aber wir werden ja jehen, was 
geichehen Tonn, Jetzt bitte ich jedoch mid 
zu beurlauben. Sch habe nod) andere dienft- 
liche Angelegenheiten hier zu erledigen. 
flbrigens hoffe id) troß alledem, daß id) in 
ipátejtens aht Tagen den erjten Brief von 
Ihnen erhalten werde. Andernfalls würde 
id) mir erlauben, nad) diejer Zeit perjönlich 
vorgujpreden und mir bie erbetenen Aus» 
tünjte zu holen.“ 

aum war er gegangen, als Gwendolin 
in ihr Schlafzimmer ftiirgte und Do weinend 
vor Scham und Empörung aufs Bett warf. 
Zieler unverjdamte Barbar mit ben Allüren 
des Weltmannes, was hatte er gewagt, ihr 
zu fagen! Jn biejem Wugenblic wäre fie 
imftande gewejen, einen Albaner für zehn 
Kronen zu dingen, um ihn Dinterrüds er- 
ichießen zu laffen. Allmählich erft wurde fie 
ruhiger und badjte: ‚Dh, Hans Briefen, wenn 
du wüßtelt, was ich für dih getan habe! 
Wher du darfjt es niemals, niemals erfahren, 
was für eine elende Spionin id) beinettpegen 
werden muß. Du wäreſt imjtande, mid) zu 
verachten mit deinem unbeugjamen, ftrengen 
Gefühle für Anftand und NRechtlichkeit. Aber 
gerade darum liebe id) bid) um |o mehr.‘ 

Unterdejjen fap Herbert in feinem Ge: 
Ihäftszimmer, das von niemand außer fet: 
nem vertrauten Gefretär betreten werden 
durfte, und jchiefte folgendesChiffertelegramm 
nad London: 

„Baron Traubenberg aus Cettinje hat 
verjucht burd) Beltechung eines meiner An- 

eitellten in ben Beli meiner Berichte zu 
ommen. Gein Angebot ift |djeinbar ange: 
nommen worden, Ich erbitte Wnweijung, 
ob und weldje fingierten Beridyte id) thm in 
die Hand fptelen fol.” 

Dann begab er fih an bas PMtafrophon, 
das ihn durch einen perjtedt angebrad)ten 
Apparat mit dem Zimmer feiner Frau ver: 
band und das er joeben erfolgreich benugt 
hazes jedes dort aud) nod) fo Ieije geflüſterte 

ort fonnte er verjtehen. Als er fid) über: 
zeugt hatte, daß niemand mehr dort war, 
rieb er fid) vergnügt bie Hände. Wenn diefe 
Gade gelang, dann haste er feiner Regie: 
rung einen wertvollen Dienjt geleijtet, der 
ibm nicht vergejjen werden würde. 

Geiner Frau gegenüber wollte er weiter 
den Harmlojen jpielen. Go fonnte [ie ihm 
wider ihren Willen vielleicht mehr nügen, 
als durch Die Sache mit Ferucci. Snnerlid) 
fühlte er fogar eine gewilje Bewunderung 
für Gwendolin. Wie gejdjidt hatte fie fid) 
dem jdjlauen Ruffen gegenüber benommen! 
8 g c 


8 

Einige Tage |páter traf Baron Cotta 

auf der Straße mit Major Wächter zu: 
jammen. 

„Wie gut, Herr Major, dak wir uns hier 

begegnen. Ich bätte Gie ſonſt aufluchen 

miüjjen. Wenn Gie einen Augenblid Zeit 


haben, dann Tonnen wir in mein Bureau 
gehen, id) habe wichtige Dinge mit Ihnen 
gu be|predjen." 

Wächter [timmte zu, und die Herren be: 
gaben fih in das nicht febr entfernte Amts» 
gebäude Ojterreid-Ungarns, in deffen unterem 
Stodwerte fih bie Bolt ber Doppelmonarchie 
befand, die ebenjo wie Italien eine eigene 
Poftanjtalt in Skutari unterhält. 

In einem nad) dem Garten zu gelegenen, 

uteingerichteten Zimmer nahmen die Herren 

lag. Nachdem bie unvermeidlide Bigas 
rette angezündet war und der Ronjul nad 
angenehmer morgenländijcher Gitte Kaffee 
bejtellt hatte, begann er: „Schlimme Nad- 
richten — Gie willen es — haben wir von 
ber jerbijchen Grenze befommen; bie alba: 
nijde Tragödie dort geht ihrem Ende ent» 
gegen, und Nd aby Szenen [pielen jid) in 
bem unglüdlichen Lande ab. Gchlimmere 
find leider zu erwarten. Der Auffitand ijt 
nad) anfänglichem Erfolge überall gefcheitert, 
und bie Gerben fallen jet wie bie Raub» 
tiere fiber das arme Bolt ber. Eines nur 
haben die Albaner erreicht: ihre Frauen und 
Kinder haben fie mit fih genommen und 
über die Grenzen ins Innere des Landes 
abgejchoben.“ 

Bedächtig entzündete Cotta feine zweite 
Zigarette, wartete, ob ber Deutjche etwas 
einwerfen würde. Da dies nicht gefdab, 
fuhr er fort: „Diefe grobe Anhäufung von 
Menjchen verurjadt aber in bem nur ſchwach 
bevdlferten Lande eine Hungersnot, bie tag: 
taglid) zunimmt. Unſer Ronjul in Tirana 
berichtet, daß dort und in Elbajan über 
20000 Flüchtlinge ole find, deren 
CH zum großen Teile unmöglich ijt. 
Mir haben bereits ein Schiff mit Nahrungs: 
mitteln nad) Durazzo beordert, bie von dort 
mit Laftautos auf der einzigen Chaufjee, bie 
es in Albanien gibt, bis Tirana vorgebradjt 
werden folen. Bon hier werden wir Trag: 
tiertolonnen ausrüſten und fie bis ah bte 
Grenze bei Prijren vorjdiden, um wenig: 
jtens der größten Not etwas zu fteuern. 
Wud England hat fih bereit erflärt, mit 
Geld und Nahrungsmitteln zu helfen, wäh- 
rend wir von Stalten nod) feine zulichernde 
Antwort erhalten tonnten. Die jchlimmite 
Hungersnot wird demnach wohl bald bejei« 
tigt fein, aber es gibt nod) andere Sorgen 
politijd)er Art. Die Gerben, nicht zufrieden 
damit, die Albaner wieder über ihre Gren: 
zen guriidgetricben zu haben, find ihrerjeits 
in Albanien eingefallen. Belgrad hat auf 
unjere Brotefte wie immer geantwortet, dah 
wir faljch unterrichtet wären, verweigerte 
aber gleichzeitig unjeren Ronjuln in Brifren 
unb Monajtir die Erlaubnis, fid) an Die 
Grenze begeben zu dürfen. Daraufhin Bat 
die Dionarchie jid) mit Berlin in Verbindung 
gelebt und beantragt, daß je ein deutjcher 
und öjterreichilcher Offizier von hier nad) ber 
Grenze entjendet werden folen, um die Ber: 
Haltnijje dort feitzuftellen. Goeben erhielt ich 
die Nachricht, dak Berlin zugeftimmt hat. 


CSS SSSA Der Shuk auf bem Bardanjol BSsseesessd 283 


Sft Ihnen, Herr Major, ſchon etwas dare 
über befannt ?“ 

„Bis jet noch nicht, Herr Konful, aber 
es wird jhon noch tommen.” 

„Run, ich wollte es Ihnen nur für alle 
Fälle mitteilen, damit Sie Ihre Borberei» 
tungen treffen und fid) Ion mit Oberitleut: 
nant Bopp bejprechen Tonnen." 

„Ich dante Ihnen jehr und werde jofort 
zum Herrn Oberitleutnant geben." 

Einige Stunden ſpäter [prad) er mit 
Briefen. 

„Lieber Briefen, id) habe einen ebenjo 
wichtigen, wie ehrenvollen Auftrag fiir Sie. 
Sie haben von den "^ a an der fer: 
bilden Brenze gehört. Alles Nähere werden 
Cie von Oberjftleutnant Bopp erfahren, ber 
eingehende Berichte darüber bejigt. Unjere 
Regierung ijt mit ber öjterreichijchen über: 
eingetommen, je einen Offizier an die fer: 
biicye Grenze in der Gegend von Prijren zu 
iiden. Die Herren follen melden, ob und 
wo fic) bie Serben Brenzüberjchreitungen Au: 
ichulden tommen laffen. Bon öjterreichiicher 
Seite ijt der Hauptmann Pleg bejtimmt, 
während ich Cie in Ausficht genommen habe. 
Beitimmend für mid) waren nicht zuleßt Ihre 

uten Beziehungen zu den Albanern, wobei 
td) in eriter Linie an Ihren Freund Fuad 
dachte. Id) bin überzeugt, daß er Ihnen 
mit Rat und Tat behilflich fein wird, be: 
jonders bei ber Ausrüftung Ihrer fleinen 
Expedition, denn Cie follen aud) drei unjerer 
Leute mitnehmen. Ihre Aufgabe erfordert 
Fatt und Gejdjid. Unter Umſtänden ot Dei 
Cie fid) mit ben ferbijden militäriſchen Aus 
toritäten in Verbindung jeben, was Ihnen 
vielleicht eher rant wird, als Ihrem 
öfterreichiichen Kollegen, bem die Gerben 
von vornherein Mißtrauen entgegenbringen 
werden. Bon öjterreichilcher Seite foll iibri- 
gens eine Stafettenverbindung von vier Ra: 
valleriepoften gelegt werden, bie es Ihnen 
ermöglicht, in etwa zwei Tagen Nachrichten 
von dort hierher gelangen zu laffen. Ich 
gebe Ihnen für alle Fälle eine Beheimchiffer 
mit. Heute und morgen haben Cie nod) Zeit, 
(id) Ihre Ausrüftung zu bejorgen. Das nötige 
Geld wird Ihnen der Zahlmeijter anweijen. 
Mächtigen werden Cie wohl met in den 
dortigen Hans, wo fie mit Anjeftenpulver 
nicht baren dürfen, falls Sie nicht in irgend: 
einem Dorfe mit fatholijcher Bevölferung 
beim Pfarrer unterfriedjen fónnen.^ 

Trog ber Freude, bie Briefen über feinen 
Auftrag empfand, war fein erjtes Gefühl: 
Syebt muß id) mid) bod) von Gwendolin 
trennen.‘ (Gr beihloß, möglichſt alle Bor: 
bereitungen bis morgen mittag 3u vollenden, 
um den Nachmittag noch fiir die Beliebte 
fret zu haben. Schnell ſchrieb er ihr ein 
paar Worte und meldete feinen Beſuch für 
morgen nachmittag an. 

Dann begab er fid) zum Oberftleutnant 
Bopp, mit dem er alles Weitere vereinbarte, 
und ſuchte Jchließlich feinen Kameraden auf 
der Expedition, den Hauptmann etj auf, 


den er bereits als liebenswürdigen, flotten 
unb febr jchneidigen Offizier kannte. 

Pleg war Ion mitten in feinen Vorbe— 
reitungen. „Servus, Herr Ramerad, das ift 
aber Gs daß ich mit Ihnen zufammen bie 
Ehr’ haben werde. Was meinen Cie, follen 
wir nicht bu zueinander jagen, wie es fih 
für amer Reijende o bte zujammen in 
die Wildnis geldjidt werden?“ 

Briefen war natiirlid) einverjtanden. 

„Und nun will ich bir eins jagen, Herr 
Ramerad, ihr Deutjche ver[tebt ja bod) nichts 
von derartigen Ausrültungen, während id) 
ion in ber jchönen Stadt Mojftar in Gar: 
nijon geltanden bin, wo wir qu unjeren 
Train auf Tragetieren verladen haben. Alſo 
hau ber. Du überläßt mir die ganze Gorge 
für unjere Ausrüftung und beteiligft bid) 
nachher nur an ben hoften. Die nötigen 
Tragetiere Dellt mein Detachement. Auch 
zwei Zelte gehen mit, ein fleines für uns 
und ein größeres für bie SUtannjdjaft. An 
Proviant werden wir Refs, Marmelade und 
genügend Ronjerven aufladen, dazu einen 
Spiritusfoder für Tee und Kaffee. Fleij 
befommen wir unterwegs und zur Not au 
Maisbrot für bie Mannichaft. Schön jchmedt 
es nicht, aber es befommt gut. Dann werde 
id) nod) mindeftens fünfundzwanzig Flajden 
Piljener Bier mitnehmen, für mehr langt 
leider der Pla niht, was Kr bedauerlich 
ilt. Denn wie fol der Menih "ue Zeit 
ohne Pilfener Bier leben fünnen? Natürlich 
ftede id) Taroffarten zu mir, mein Zug: 
führer tann als dritter mitjpielen.“ 

Ladend mußte Briefen befennen, daß er 
leider nur Cfat jpielen Tonne. worauf ber 
DÖfterreicher meinte, fold) Elend könne es 
aud) nur in Deutjchland geben. „Nimm’s 
halt nicht für ungut, Herr Ramerad. Mls» 
dann Tonnen die Karten guriidbleiben.” 

Comit ſchien alles Dan befte geordnet, 
und Briefen erbot jid) nur nod), mit Hilfe 
von — einen ſprachkundigen Dolmetſcher 
zu beſorgen, was Pletz dankbar annahm. 

Brieſen ging zum Hotel National, wo 
Fuad wohnte. 

Fuad ſaß in ſeinem höchſt ais» 
aeitatteten Arbeitszimmer und verabjchiedete 
gerade drei Albaner. Hocherfreut begrüßte 
er den Freund, beitellte beim Kellner den un: 
vermeidlichen Kaffee und bot Zigaretten an. 

„Ich weiß, marum Cie zu mir fommen,“ 
jagte er lächelnd. „Ich habe draußen bereits 
zwei meiner zuverläjligiten Leute, die jeden 
Weg im Innern tennen und außerdem ge: 
nügenb deutjch verjtehen, um Ihnen in allem 
behilflich zu fein.” 

Briejen bedankte fih einigermaßen er» 
jtaunt, vermied es aber zu fragen, wodurd 
jein Freund bereits um fein Anliegen wußte. 

„Seien Cie nicht bóje," erklärte Fuad 
weiter, „daß ich alle Ihre Schritte jo genau 
bewachen ließ, aber id) hielt es im Intereſſe 
Ihrer perjönlichen Sicherheit fiir nötig. Gite 
haben einen Feind hier, ber höchſtwahrſchein— 
[id) auch ben fiberfall auf dem Bardanjol 

19* 


284 EES) Borwin Carlig: BSSSSSS3IS3333333N 


veranlabte. Wir find ihm ah auf ber 
Spur, haben ibn aber mit Sicherheit nod) 
nicht fejtlegen Tonnen, Um jo mehr hielt id) 
es für nötig, Cie niemals unbewadt aus: 
eben zu fatten. Auf jedem Ihrer Schritte 
Folgt Ihnen einer meiner beiten Spürhunde, 
der mir für Ihr Leben haftet und, wie id) 
fher hoffe, auch eines Tages Ihren Gegner 
zur Gtrede bringen wird.“ 

„sch weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen 
danten fol, lieber Fuad, für alles, was Gie 
meinetwegen tun. Cines haben Gie mir tat: 
Tächlich bewiejen, daß bie gerühmte albanijche 
Treue fein Märchen ijt." 

„Ic. bin glüdlich, bag Sie meinem Bater: 
. lanbe diejen Jeinen [tolaelten Ruhm zubilligen. 
Ganz bejonders aber habe id) mid) gefreut, 
 baf gerabe Cie, mein Freund und Bruder, 
dazu beitimmt find, uns Geredtigteit gegen 
ben Ichlimmften unjerer Feinde, ben Gerben, 
Au verichaffen. In Albanien wird man Ihnen 

überall aufs [reunblidjte entgegenfommen 
und zu jedem Dienjte bereit fein, denn der 
Name Hanfi Aeman, Hans der Deutiche, 
ift in der ganzen Mirdita und Maliſſa als 
der meines Bruders ae Wollen 
Sie fchnell und ficer eine Nachricht, ob 
dienftlicher oder privater Natur, nach Dier 
gelangen [ajjen, jo übergeben Cie den Brief 

einem der beiden Dolmetjcher, und in |päte: 
* ftens jechsunddreißig Stunden wird er hier 
bei feinem Empfänger anfommen. Und zum 
SC nod eins. Goll id Ce in Ihrer 
Abwejenheit über irgendeine Perjönlichkeit, 
die Ihnen lieb ijt, wachen laffen?“ 

Briefen aógerte einen Wugenblid, dann 
fagte er: „Mrs. Herbert hat mir einen jehr 
großen Dienit leilten wollen, für den id) ihr 
ewig dankbar fein muß. Ich glaube aller: 
dings nicht, daß fie jemals Ihrer Hilfe be: 
bien wird. Es wäre aber bod) ein Gc- 
fühl der Beruhigung für mid, wenn id) 
wüßte, daß fie auf alle Fälle einen wach: 
jamen Freund zur Verfügung Dat." 

„Sie bat einen Bruder in mir," verjebte 
der Albaner einfad. „Sch habe bie Ber: 
mutung, daß fie den gleichen Feind fürchten 
muß, der auch Ihnen ſchon nadjjtellte. Aber 
jie [oll bebütet fein, als wenn ber jidjere 
Schuß bes Harems fie bedte." 


B] 88 8 


Gwendolin und Hans Brieſen gingen die 
Rue internationale hinunter in der Rich— 
tung den Baſar. 

„Es ſoll alſo nun wirklich für längere 
Zeit das letztemal ſein, daß wir uns ſehen,“ 
ſagte die ſchöne Frau mit leiſer Wehmut in 
der Stimme. 

„Ja, liebe Gwendolin, id) muß morgen 
in aller Frühe fort. Det Dienſt ruft mich, 
da gibt es keinen Widerſpruch.“ 

„Wie danke ich dem Himmel, daß ich kein 
Mann geworden bin. Diejer blinde Gebor- 
jam gegen die Befehle der Vorgeſetzten, denen 
man nicht wiber|predjen darf! Ich glaube, 
id) wiirde fd)on nad) dret Tagen dejertieren, 


Warum nehmen Cie nicht lieber ben Ab— 
Ihied, um ein freier Mann zu fein?“ 

Briefen lachte über diefe echt englijden 
Wnjdauungen feiner |chönen Freundin. „Ja, 
mein Gott, was foll el denn aber fonft an: 
fangen? Geld bejige ich nicht, und ich Hänge 
an meinem jchönen Beruf! 

„Das begreife id) wirkli niht. Aller: 
dings fol ja ber Offizier bei Ihnen in 
Deutjdland eine bejonders angejehene Stel: 
lung haben, was bei uns niht der Fall iit. 
Sd) würde mid in London niemals mit 
einem Offizier in — auf der Straße 
zeigen können, und unſere Herren legen nach 
dem Dienſt ſofort Zivil an, weil die 
für nicht als ſehr anſtändig gilt.“ 

„Dann allerdings möchte ich auch nicht 
engliſcher Offizier ſein,“ ſagte Brieſen. 
„Übrigens dante id) meinem © lé da 
y. Soldat geworden bin, denn ſonſt würde 
id) Sie niemals tennen gelernt haben.“ 

Gwendolin fchürzte bie Kippen. „Was 
haben Cie |djlieBlid) von mir? Sch bin 
Ihre gute Freundin und erlaube Ihnen, 
daß Sie mir ein wenig den Hof machen. 
Aber wenn Gie mid) niht tennen gelernt 
hätten, dann würden Cie jegt mit einer an: 
deren Frau flirten, die Ihnen vielleicht mehr 
fein würde, als id) es tann.“ 

„D, Gwenbolin, reden Sie nicht jo! Bon 
Ihnen fann ich diefen oberfládjlidjen Ton 
nicht vertragen. Schon in Trieft, wo id) 
Sie im Wagen ber Prinzellin jah, haben 
Sie mir einen unverlöjchlihen Eindrud ge: 
madt. Und wenn Cie es mir aud vers 
boten haben, davon zu jprechen: heute, wo 
id) weiß, daß id) Sie für lange nicht wieder 
ſehen fol, muß id) Ihnen jagen, daß id) nicht 
ruben werde, bis ich Ste errungen babe. 
Und follte id) darüber zugrunde — 

„Mein armer, lieber Freund! under 
eſchehen heutzutage nicht mehr, und unſer 

Fa tit ganglia) hoffnungslos. Wud) die 
größte Liebe müßte [d)lieBltd) in ber grauen 
Hoffnungslofigteit des Alltags untergehen.“ 
„Mögen Ste jagen, was Sie wollen, ich 
lajje mir meinen Glauben nicht nehmen, und 
id) babe die gewille — t, daß einſt 
auch unſer Tag, der Tag unſeres Glückes, 
kommen muß. Sonſt wäre das Leben nicht 
wert, weiter gelebt zu werden.“ 
Schweigend gingen ſie weiter. Er un— 
lücklich und niedergedrückt, trotz aller ſeiner 
oam en, fie bebend vor Stolz unb Ges 
ligfeit über den Mann, deffen Herz ihr ge 
hörte. Wie nahe waren fie fid) in ber furzen 
Zeit ihrer Belanntichaft gelommen. Gegen: 
jeitig hatten fie fid) ihre Lebensjchidjale 
erzählt und bald gefunden, daß fie troß der 
änzlich ver|djiebenen Berhältnijje in allen 
S ranen des Herzens und auch bes Berftan- 
des übereinſtimmten. Mit 3artelter Gorg: 
falt, bie fhon ihre fleinjten Wünſche oder 
Gefühle im voraus abnte, fühlte fie fith um: 

eben, bewunderte feinen Tatt und fein ver: 
Händrtisnolles Eingehen auf jede ihrer in: 
nerjten Seelenregungen. Und zuihremeigenen 


niform 








Keess ELESSE Der Shuk auf bem Bardanjol BELSK 285 


Erichreden jagte fie fih in einer Stunde ber 
Selbjtbetradtung, daß fie anfing, thre Eicher: 
Heit zu verlieren. Aber fie wollte [tart blei: 
ben, wollte nimmermehr in feinen Augen ihre 
unnabbare Reinheit und damit ficher jeine 
Achtung verlieren. 

nterbejlen hatten fie fid) dem Gewirr 
des großen Bajars mit feinen zweitaujend 
Laden genábert. Es war ber Tag des 
Pferde: und Gjelmarftes, und hunderte ber 
aufgewedten, munteren Tiere wurden von 
den Beliern den Käufern vorgeführt. Ein 
Albaner zeigte einem frangofijcden Offizier 
bie Vorzüge feines Heinen Schimmels. 

Dicht vor dem Bajar führt ein jehr fteiler 
Weg, mit Gers bededt, zur Zitadelle em: 

or. Dielen Weg ritt der Albaner etwa 
Fünfsig Schritte hinauf, madte bann febrt 
unb trieb fein Pferd mit Peitſche und Spo: 
ren zum vollen Lauf an. 

Gin kurzes Sichweigern, dann ftiirgte bas 
Tier, mehr als es lief, den [teilen Geröll: 
pfad hinab mit unregelmäßigen, heftigen 
Sprüngen, dabei jeden größeren Stein ver: 
meidend, ftolpernd, rutidjenb, aber niemals 
ad: und erreichte jchließlich ben ebenen 

oben, wo es durch einen barbarijd hef: 
tigen Rud an der ungeheuren, blanfen Rane 
Dare faft auf der Stelle pariert wurde. 

„Das fol mal einer auf bem Concours 
in Paris nachmachen,“ meinte ber eine Fran: 
goje. Doh der andere, anjdeinend jchon 
länger in Gfutari zu Haufe, jagte: „Das ift 
eine Probe, bie Gte tágli eves fönnen. 
Wenn das Pferd bei bieler halsbredherijden 
Übung nur die geringfte Schramme an Den 
Beinen davonträgt, ijt der Rauf ungültig.“ 

Briejens ritterliches Herz empörte fid) bei 
bieler Schinderei, während Gwendolin be: 
gehen ben Schneid des Reiters und die 

eidjidlid)feit des Pferdes bewunderte. 

Briefen machte den Vorſchlag, zum Ab— 
ſchied nod) einen Gang auf bie end zu 
unternehmen. Langjam ftiegen jie den ftei- 
len Pfad zu dem alten BWenegianerfajtell 
hinauf, wo ihnen taum ein Menjch begeg: 
nete. Nur als Briefen fid) einmal unver: 
ane umblidte, jah er hinter der legten 

egung des Weges einen Albaner ftehen. 

Alnjer Schußengel folgt uns," jagte er 
zu Gwendolin. 

Jetzt bettaten fie bas alte Tor mit den 
peri en Steinmauern, bie bisher nod) je: 
ber Beſchießung getroßt hatten. Ein dunfler 
Bang führte auf einen weiten, lichtdurch: 
ftrömten Hof, auf dem fih eine Mtilitarwade 
befand, bte am heutigen Tage von den Sta: 
lienern gefte—lt war. Die Gebäude, bie einft 
ay ftanden und vom venezianiſchen Statt- 
alter von Albanien bewohnt waren, bil: 
deten nur nod) miüjte Triimmerhaujen. Er: 
balten waren allein bie mächtigen Ring: 
mauern und bie Kellergejchojje, bie ber 
Wade als Unterfunft dienten. Auh eine 
fleine romaniſche Kapelle, dicht an die Mauer 
geld)miegt, war ber Zeritörung entgangen. 

n emer Öffnung der Mauer [tanben 


drei englijdje Soldaten bei einem Helio: 
raphen, der Verbindung mit dem englijden 

djladjtidjiif unterhielt, bas draußen im 
Meere vor der Bojanamündung freugte. 

„Laſſen Cie uns hinauf geben, oben auf 
bie höchfte Stelle der Mauer, wo der Flag: 
genmaft fteht,“ Jagte Gwendolin. „Dort tjt 
eine Bant, auf ber ich ſchon öfter geträumt 
habe.“ Bald erreichten fie bie Denfwiirdige 
Stelle, wo an bemjelben Mafte, friedlich 
vereinigt, bie Flaggen derjenigen fünf Groß: 
mádjte flatterten, bie Detachements in Sfu- 
tari unterhielten. Sie ſetzten fih nieder, 
und Briejen zeigte mit der Hand nad den 
albanijdjen Bergen hinüber, bie drohend in 
wunderbarer Majeftät heriiberjdauten. 

„Dorthin wird mein Weg geben —“ 

Da bligte in Gwendolins Augen ein Ent: 
Ihluß auf. „Auch id) will fort von bier. 
Auch id) will nad Albanien hinein, wo id) 
Ihnen Gite He ne bin.“ 

Und als Briejen jie ungläubig fragend 
anjab, fagte fie: „Sie wilfen, id) bin mit ber 
SBringelfin Bolane, wenn auch nicht befreun: 
det, jo bod) gut befannt. Gie befindet [id) 
jegt auf ihrem Konat in Bolane und hat 
mid) — ich [prad) Ihnen wohl ſchon einmal 
davon — mebhrfad) eingeladen, fie zu be: 
judjen. Bisher wollte mein Dann mir nie 
die Erlaubnis geben, jebt aber bietet [id) 
eine gute Gelegenheit für mid. Die Prin- 
ejfin ſchrieb mir noch geftern, daß fie bei 
Dé eine große Anzahl der armen Flücht: 
linge aufgenommen habe, und bat mid, ihr 
bod) Nahrungsmittel und Kleidungsftüde 
gugujenden. Ich weiß, daß in wenigen Ta: 
gen eine engli|dje Hilfsexpedition dorthin 
gehen wird. Der werde id) mich anjchließen, 
um mich mit der E ber Gaben an 
die albanijchen Frauen zu befajjen.“ 

Faſt ein wenig ſchelmiſch jab fie Briefen 
an. „Niemand, auch mein Diann nidjt, tann 
mir einen Vorwurf wegen bieles wobltatt- 
gen-Zwedes machen, und id) erreiche es, daß 
id) Ihnen um mindeftens zwei Tagemärjche 
näher bin, daß ich um jopiel früher Ihre 
Briefe erhalte und, falls Ihnen etwas zu: 
itoBen folte, jdjnelle Hilfe ſchicken tann.” 

Ganz bejeligt und [trablenb vor Freude 
war fie über ihren Plan. 

Und Briefen, der glüdliche Unglüdliche, 
hätte fih bieles Mal nicht durch einen ab: 
weilenden Blid aus den dDunflen Augen 
zurüdhalten lajjen, jondern war gerade im 
Begriff, bie geliebte Frau troß allen Wider: 
ftrebens in feine Arme zu jchließen, ba be: 
merkte er hinter einem Mauervorjprunge 
den Schatten feines albanijdjen Schußengels, 
den er jebt aus innerjtem Herzen ver: 
wiin)dte. 

So ergriff er wenigitens ihre Hand und 
jagte ihr joviel |djóne, liebe und törichte 
Worte ins Ohr, daß das Blut ihr heiß über 
das Geſicht [trómte. Gang ſchwach und 
willenlos war fie in Diejem Augenblid, und 
ein plóblidjer Schwindel fam über fie, fo 
daß fie die Augen jchließen mußte. Bis fie 


e 
2 ab ab Ze 





fid) endlich gewaltjam aufraffte und ftam- 
melnd bat: „Laſſen Cie uns geben .. ." 


& 8] 88 

Auf bem Frühftüdstiich fand Gwendolin 
am nächſten Wlorgen einen Brief von Trau- 
benberg, der äußerjt vorlichtig gehalten 
war und in dem er [ie nur bat, ibm bod) 
bald einmal von ihrem (rgeben zu jd)reiben; 
er miijje jih Jonjt wirklich wieder perjönlich 
nad) ihr umſehen. 

‚Der Rujje hält feft, dachte fie, ‚was er 
einmal in den Händen zu haben glaubt. 
Wud) barum jchon muß id) von Sfutari fort. 
In den Bergen ber Malijjia wird er mid 
nicht auffuchen und würde aud) faum lebendig 
wieder beraustommen. 

Nun galt es nod), Herbert von ihrer Ab: 
idt in Kenntnis zu jeßen. Der Diener 
agte, Der Herr Konful jet in feinem Ge: 
heimburcau, und als Gwendolin thn herauf: 
bitten ließ, fam er aud) nad) einiger Zeit 
unb entjdjulbigte fih, daß er gerade bei ber 
Arbeit gewejen wäre. 

Bwendolin jegte thm ihre Pläne ausein- 
ander und jchien jo feft entjd)Iojjen, daß Her: 
bert es für. gut hielt, feinen ernjten Wider: 
jprud) zu ergeben. Nach einigen Bedenken 
und Einwendungen nahm er thr aber dod 
das Verjprechen ab, nicht länger wie vier: 
zehn Tage fortzubleiben. 

In biejem Augenblid erjdien der Geheim- 
jetretár, entjchuldigte fid) bet Gwendolin und 
bat Herbert, jofort in dringender ?Ingelegen- 
heit herunterzutommen, Der Ronjul [|prang 
erregt auf, jtieß eine Art Gntidjulbigung 
hervor und verließ eilends das Zimmer. 
Einen unverjd)lojjenen Brief, den er in der 
Hand gehalten hatte, ließ er auf bem Tijche 
liegen. Gleich darauf jah Gwendolin, wie 
er mit bem Gefretdr zujammen eiligjt bas 
Haus verlief. 

Cie nahm den Brief, ber das Format 
ber Dienjischreiben hatte, jab, daß es ein 
Bericht an das Foreign Office war, und las 
ihn. Nach einigen allgemeinen, den Sienjt 
in Gfutart betreffenden Gaden fam Herbert 
auf Viontenegro zu jprechen. Hier Donn be: 
jonbers ein 9[bjab, ber ihre Aufmertjamteit 
erregte. Er lautete: „Ich bin nach wie vor 
ber Wietnung, dah es nur in unjerem eiae: 
nen Snterejje liegen fann, wenn wir Die 
ruſſiſche Politik in Montenegro mit allen 
Kräften unterjtüßen. Ein Hafen, wie bie 
Boche von Cattaro, darf niemals völlig in 
die Hände der Hjterreicher fommen. Sc) 
erlaube mir die Anfrage, ob wir nicht jo 
weit gehen Tonnen, Wiontenegro willen zu 
[ajjen, daß wir einen etwaigen ölterreichifchen 
Angriff auf den Lovcen niemals aulajjen 
werden? Wit meinem Freunde, bem Baron 
Traubenberg in Cettinje, ftehe id) mich aufs 
bejte. Wir taujchen beide riidbaltsIos die 
uns gemeinjam berührenden Nachrichten aus 
und arbeiten in den albanijden Fragen 
Hand in Hand.“ 

Das war etwas für Traubenberg. Es 
mußte ihn aufs Dbodjte interejlieren, daß 


A Borwin Garli5: BSSS3ISSS3S3333333 


nn loyal mit ibm zulammen arbeitete. 
ußerdem konnte diefje Mitteilung bie eng- 
lijdhen Plane in feiner Weije jchädigen, 
würde fie vielleicht fogar nod) fördern. 

Raſch Ichrieb Gwendolin bte betreffenden 
Gage ab und ai D dann den Brief wieder 
auf bie alte Stelle. Gie fam jid) bod) wie 
eine 3Berbredjerin vor. Dieſes folie aber 
auch das einzige und Iebtemal fein, daß fie 
Lei Traubenberg arbeitete. Es jollte, jo 
tellte fie fid) vor, eine Art Losfauf fein, ein 
ena iger es p 

leid) darauf fam Herbert zurüd unb er: 
ihien jehr erfreut, daß der Brief jcheinbar 
unberührt auf dem Tijche lag. Dann begab 
er fic) in fein Bureau, wo er an einem, an 
dem Schreiben angebrachten Geheimzeichen 
voller Vergnügen Koppes. daß ber Bogel 
auf den Leim gegangen war. 

Diejes erfte Mal hatte er abfidjtlid) nur 
verhältnismäßig belangloje Dinge in bem an: 
geblidjen Berichte gejdrieben. Erjtens wollte 
er Traubenberg ſicher machen, und dann folte 
Gwendolin gre durd) ben ziemlich harm: 
Iojen Inhalt dazu verleitet werden, Den 
Spionagedienft A leilten. Er wußte, dab 
fie beim erjten Verſuch eine ganz bejonbers 
hohe Geldjumme als Entgelt erhalten würde, 
um fie für weitere Dienfte gefiigtg zu machen. 
Das war allgemeiner Braud) beim geheimen 
Nachrichtendienite, ber jchließlich in jedem 
Staat mehr oder weniger der gleiche ijt. 
Co große Summen, wie Rußland für diefe 
Sede ausgab, fonnte allerdings jelbjt das 
reiche Foreign Office nicht aufbringen. 

Wenn dann Gwendolin erft einmal Gee 
Ihmad an der Sache gefunden hatte, bann 
wollte er ihr [päter ganz einfad) mitteilen, 
daß er von ihrer Spionage unterrichtet fei. 
Damit befam er fte völlig in die Hand 
und konnte verlangen, daß jie Traubenberg 
die Ba jo aufpiette, wie er es haben 
wollte. Den fchlauen Ruffen derartig hin: 
ters Licht zu führen, bereitete ihm ein ganz 
bejonderes Vergnügen. 

Als er alles Gejchajtlide erledigt Hatte, 
fiel ihm ein, daß ja heute Sonntag war. 
Eine englijdje Kirche gab es nicht in Sku— 
tari, aber er fühlte Dod) das Bedürfnis, eine 
Stunde ber inneren Weihe und Cammlung 
zu vollbringen. Co holte er fih denn feine 
Bibel hervor und las anbadjtsvoll dort, wo 
er fie zufällig aufihlug. Man mußte als 

uter frommer Brite bod) feinen firdliden 
onntagspflichten gerecht werden. — 


8 28 

Unterdeſſen war Gwendolin zu Oberſt 
Brandon gegangen, um feinen Rat wegen 
ihrer Teilnahme an der englijhen Hilfsex: 
pedition nah Bolane zu erbitten. 

Brandon verhehlte ihr die Schwierigfeiten 
einer folchen Reife nicht und batte alle mög: 
lichen Bedenken. Zwet Tage lang von mor: 
gens bis abends würde der Marſch dauern, 
denn bie Tragtiere fónnten nur in lang: 
[amen Schritt pormürtstommer, Bejondere 
Schwierigkeiten machten die Unterkunft und 


BSFISFIIFSFFFFTN Der Shub auf bem 3Barbanjol Kësse 287 


Berpflegung einer Dame, die allein mit jo 
vielen Männern zujammen wäre, denn ihre 
Jungfer, die wohl nicht reiten Tonne, müßte 
ihon aus diefem Grunde zurüdbleiben. 

Bwendolin aber beharrte auf ihrem Ente 
ſchluß, und Brandon riet ihr darauf, jid) mit 
Kapitän Richards, dem Leiter der Expedition, 
weiter zu belpred)en. Brandon jelber führte 
fie zu ibm, der in ber englijden Rajerne mit 
Doktor Headly und einem Werwaltungs: 
beamten die Vorbereitungen betrieb. 

„Hier, Vir. Rihards,” jagte der Oberit. 
„Hier bringe ich einen Teilnehmer an Ihrer 
Expedition und bitte Sie, Mrs. Herbert 
Ihre bejonbere Unterftügung zuteil werden 

u laffen. Sie wird Ste bis nad) Bolane 
begleiten. wo jie bei ber Prinzejlin zu Galt 
geladen ijt.” 

„Sch freue mich außerordentlich“ — lächelnd 
verbeugte jid) Rihards, — „Daß Lady Gwen: 
dolin uns Die-Ebre erweijen will, mit uns zu 
reifen, und ich bin Her, daß ein jeder ber 
Gentlemen und Boys fih ebenjo geehrt füh- 
fen wird.“ 

„Werde ich Ihnen nicht zu große Unbe: 
quemlidfetten machen?” fragte Gwendolin, 

„Aber nicht bte geringiten. Ich will alles 
aufs Befte arrangieren, denn id) babe jhon 
Erfahrungen auf meiner Hochzeitsreife ge: 
fammelt, bie ich mit meiner Frau nad) den 
Quellen des Nils machte. Darf ich gleich 
ein paar fragen an Sie ftellen ?“ 

‚Sch bitte bes Mr. Richards.” 

Pr rag ie in drei Tagen reijefertig 
fein ?“ 


„Ja. 

„Kann Ihre Jungfer reiten?” 

„Kein, leider nicht. Ich werde ohne [ie 
ausfommen mülfen.“ 

„Das madj nichts. Ich babe einen fa: 
molen Boy, Bill NRodefeller. Er ijt aber 
fein Verwandter bes Olfinigs. Sd) garan: 
tiere, daß er Sie frijieren tann und Ihnen 
auch jonjt helfen wird, wie die befte Jung: 


P. 

„Sch werde Mir. Rodefellers Dienjte faum 

in Anipruch nehmen.“ 

„Können Gie zwei Tage lang etwa adt 

bis zehn Stunden im Gattel figen?” 

„Ich hoffe ficher.” 

„Wollen Cie in einem Feldbette im Zelt 
djlajen, oder wagen Gie es, bie Gajtfreund- 
haft eines fatholijcden Priefters in 9Injprud) 
u nehmen, in dejjen Ort wir die Jlacht per: 
ringen wollen?” 

„sch glaube, dak ich den Herrn Pfarrer 

um Quartier bitten werde.“ 

„Nehmen Sie Ghre beiden Pferde mit?" 

„Ich wollte E nur den Baldaquin 
mitnehmen, denn Die en ift auf febr ftet- 
lem Boden niht ganz zuverläſſig.“ 

„But, dann nehme id) nod) ein Referve: 
ferd für Cie mit. Die Hauptfragen wären 
omit erledigt, und alles Weitere werde ich, 
wenn Cie gejtatten, Ihnen übermorgen mit: 
teilen.“ 

„Vielen Dant, Herr Rihards, für die 


liebenswürdige Auskunft, bie Cie mir nicht 
nur als den geborenen Unternehmer zu Ex: 
peditionen, fondern aud als perfetten Gent: 
leman erjcheinen läßt. Nun will ich Sie aber 
nicht weiter in Ihrer Arbeit ftören. Noch: 
mals vielen Dant und auf Wiederjehen.“ — 


28 & 8 

Da war ein Tag der Aufregung für 
Skutari. 

Morgens um ſieben Uhr ſollte die eng— 
liſche Hilfsexpedition abmarſchieren, aber 
ſchon eine halbe Stunde vorher war faſt 
die ganze fremdländiſche Kolonie mit Herren 
und Damen auf dem Hofe der Kaſerne ver— 
ſammelt. Ein großer Teil erſchien zu Pferde, 
um eine Strecke mit zu reiten, die übrigen 
wollten wenigſtens das Ereignis mit anſehen. 
Auch viele Albaner waren gekommen, um 
dem Auszug der Kolonne beizuwohnen, die 
den Ihrigen Hilfe bringen wollte. 

Natürlich ging. es nicht ohne Reden ab. 
Baron Cotta, der Doyen der fremden Kon: 
juln, Jprad) auf bie Mtildtatigfeit Englands, 
das fogar eine feiner jchönjten und beliebte: 
ten Damen zu ben Notleidenden Iddie, und 
hloh mit einem Hod auf Gwendolin, der 
tapferen 3Bertreterin. Englands. 

Auch ber Biirgermeijter von Stutari redete 
Albaniich, bas von einem Dolmetjcher ins 
SC Te überjegt wurde, auf bie fünf 

ejabungsmadte Sfutaris und bradte fein 
Hod out Albanien aus, was bern zu 
feiner Rede nicht paßte. Die Mufif aber fakte 
die Gade falid) auf und Jpielte hinterein: 
ander die Hymnen aller Mächte, was febr 
lange dauerte und Die Dffiziere wenig er: 
freute, bie nun mindeltens gehn Minuten 
ma bie Hand an der Mütze JE mußten. 
nblid) jebte fid) der Zug in Bewegung. 
Boran bie englijde Kapelle, dann die Offi- 
iere Der Expedition mit Gwendolin in der 
litte, denen alle berittenen Herren und 
Damen folaten, und zum Schluß der Kolonne 
bie jchwerbeladenen fünfzig Pferde. 

Gwendolin fah reizend aus in ihrem ge: 
teilten Rhafirod und einem Tropenhelm. Mit 
[autem Hurra wurde fie ron ben Zurüde 
bleibenden verabjdiedet. Wud) Herbert be: 
fand fid) unter ben Vittreitenden und nahm 
mit vollendeter Höflichkeit bie Komplimente 
entgegen, die ibm von allen Geiten über 
jeine tapfere Frau gemacht wurden. 

Wohl zwei Kilometer lang ging der Zug 
burd) die Rue internationale, Die Dicht 
voller Menſchen ftand. Aus allen $yenitern 
ah es heraus, und jogar hinter ben Gitter: 
täben ber Rawejjen lugten neugierig und 
Iden bie Damen bes Harems hervor. 

Es war eine glänzende Reflame für Eng: 
land, ben Beſchützer und Wohltäter aller 
Unglüdlichen unb Werfolaten, 

Wor den Toren der Stadt blieb die Ra: 
pelle zurüd, und als man fid) nad) einer 
Stunde dem (fingange der Berge näherte, 
verabjchiedeten lich auch Die begleitenden 
Herren und Damen, und nur Herbert ritt 
nod eine teine Ctrede weiter und nahm 


9088 BESSHEHCHESEHE ST SE Borwin Carlig: Bi 


bann [o liebevollen Abjchied von Gwendolin, 
daß man an dem gefeltigten Gliide Ddiejer 
Ehe feinen Zweifel aes fonnte. 

Als Gwendolin dann von ber erften Höhe 
einen Blid auf die fid) fortwährend win: 
dende Straße zurüdwarf, jah fie, dak die 
Kolonne fajt einen Kilometer lang geworden 
war. Wo ein Tier zu gan lam ober eine 
€ajt rutichte, mußten bie Nachfolger fo lange 
warten, bis man bie Schäden behoben hatte. 

Das verzögerte natürlid) bie Marjchge- 
Ihwindigteit febr, |o daß erit nach fünf 
Stunden ber Pak erreicht war, hinter bem 
ih das innere Albanien öffnete. Hier bei 

em eriten Dorfe, bas feit Dem Eintritt in 
die Berge gaer wurde, jollte ein längerer 
Halt und Mittagpauſe gemacht werden. 

Ein Feuer wurde jchnell angezündet, über 
bem bas Mittagejjen, bejtehend aus mit: 

ebradten Konjerven, aufgewärmt wurde. 

in Heiner Tijd) mit Feldſtühlen Honn jchon 
bereit, und bald ſaßen die drei Engländer 
vergnügt beim Mahle. Brot und Chianti 
in der befannten bidbüiudjigen Flajche gab 
es Dazu, und zum Schluß Parmeſankäſe und 
Wajfermelonen. Lange, |djerate Gwendolin, 
hätte fie nicht jo köſtlich gogo 

9tad) einer Stunde Aufenthalt ging es 
weiter. Der Weg wurde jest immer [chlechter 
und ftellenmeije geradezu gefabrlid. Mehr: 
ae lagen in den Schlünden der Gteilabfälle 
eitwärts des Weges die Gerippe von ab: 
EE Pferden. Wenn GwendolinSchwin: 
bel zu befommen fürchtete, jchloß fie em: 
fad) bie Augen und überließ fid) willenlos 

em — Baldaquin, der ſie, ohne 
jemals zu ſtolpern, über alle Schwierigkeiten 
des Weges hinwegtrug. 

Während in der Nähe Skutaris alle Hänge 
gänzlich unbewaldet waren, reichte hier bts 
auf bie hidjten Spiken der Berge ein dichter 
Laubwald, der fhon überall in den ver: 
diedenjten rotbunten Tönen des Herbjtes 
dimmerte. Zweimal ging es tief hinunter 
unb ebenjo oft wieder bergauf, bis auf eins 
mal der höchſte Pah erreicht war, von bem 
(id) eine wunderbare Auslicht bot. Hier wurde 
wieder ein Halt eingelegt, denn ein Kleiner 
Han bot die Gelegenheit, frijden Kaffee zu 
befommen. Während der Albaner an offenem 
Teuer den Kaffee in einem Kupfergejäß mit 
langem Gtiele fochte, nahm Rihards bie 
Karte vor, um fid) uber bie Gegend zu orien: 
tieren. , 

Dann erklärte er Gwendolin bas groß: 
angr Panorama. 

„Weit hinter uns Tonnen Cie ganz ver: 
jhwommen nod die Adria ertennen, wäh» 
rend Die Dagwijdenliegenden Berge bei Stu- 
tari uns Jdon gang flein erjcheinen. Links 
leben Gie über Montenegro den hohen Berg 
mit einer nad) bem Meere zu geneigten 
Nafe. Das ijt der berühmte Lovcen, Die 
ſtärkſte Feſtung der jhwarzen Berge. Weiter 
vorwärts fommt dann bte Kette ber nord: 
albanijden Alpen. Die fpiken Baden, die 
ihon überall mit Schnee bebedt find, find 





bie Profletia, der faft gänzlich unbewohnte 
Teil Albaniens. Daran anjchließend folgt 
bas Boragegebirge, deffen äußeriter und 
höchiter Punit ber Sfiiljen ift. Cie feben 
den mächtigen Berg, ber in einem Wollen- 
tranze verjchwindet. Er bildet bas Wahr: 
zeihen von ganz Nordoftalbanien und ift 
erit ein eingiges Mal von Mitteleuropäern 
eritiegen. Wor uns jehen Cie ein Gewirr 
von Bergfetten, bie bis nad) bem jerbijchen 
Mazedonien fid) fortjegen.” 

„Und wo liegt Brijren ?" fragte GwenDdolin. 

„Eben dort vor uns. Wenn wir fünf 
Tage ununterbrodhen weitermarjdierten, 
würden wir in der Nähe der Stadt fein, 
wo einjt Dunjchan ber Große eine mächtige 
Burg bejaß, von der er bis Konftantinopel 
und Belgrad, von Galonifi bis Gfutari 
herrſchte.“ 

Sinnend ſah Gwendolin in die verſchwim— 
mende Ferne. “Dort alfo weilte ber Freund. 
Vielleicht ſtand er auch auf einer der Höhen 
und blickte ſehnſüchtig gen Weſten, wo er 
die Geliebte wußte. 

Jetzt kam der Wirt mit dem Kaffee. Dur 
den Dolmetſcher befragt, erklärte er, da 
bis zu dem Dorfe, wo genächtigt werden ſollte, 
noch eine Stunde Wegs ſei. Der Pfarrer wäre, 
wie er d alae wüßte, zu Haufe. Das war 
Richards jehr angenehm zu hören, denn er 
hatte fid) bod) |djon Sorgen gemadjt, wo er 
WC Gwendolin unterbringen folte. 

ebt wurde wieder aufgebrochen, aber 
aus der angejagten einen Stunde wurden 
drei, |o daß es faft dDunfelte, bevor fie bas 
Tagesziel erreichten. 

er Pfarrer, ein nod junger Mann, der 
don in Rom gewejen war und fließend 
italieniſch [prad), I Gwendolin voller 
Freude auf. Nur zu ellen könne er ihr nichts 
anbieten, da feine eigene Nahrung fait nur 
aus Brot mit Paprita oder Knoblauch be» 
kee Das Haus jah redit qut unb 
reundlih aus, und aud bas Bett madhte 
einen vertrauenerwedenden Eindrud. 

Da die Tragtiere mit ihrem Bepäd now 
nicht angefommen waren, wuld) Gwendolin 
(id nur notdürftig mit bem genebten Hand» 
tuhe. Gleich darauf ließ and Richards 
ihon zum Wbendefjen bitten, bas in ber 
Stube des Pfarrers eingenommen wurde. 
Der geijtlide Herr ſprach dem guten Chianti 
eifrig zu und wurde bald recht lebhaft. 

Als bann Gwendolin zu Bette geben wollte, 
fand jie bereits ihre ganzen Goen aufs 
lorafáltigite ausgepadt. Sogar die Bummi: 
badewanne mit warmem Waller darin batte 
ber geldjidte Rockefeller bereitgejtellt und bas 
Mostitoneß über dem Bette befeftigt. 

Am nächſten Mittage famen jie in Bo: 
[ane an. Bereits eine Stunde vorher hatte 
Prinz Javor fie an ber d von etwa 
seed berittenen Männern feierlich emp: 
angen. Der berühmte Fürſt der Kaftrat: 
war ein älterer, wohlbeleibter Herr von guti 
miitigem Wusjehen, gekleidet in jchwarzen 
Gehrod, mit totem Schhlips und weißem Fes. 











ee Eeer Der Schuß auf bem Bardanjol Ise 289 


Gr war über ben erlefenen Beſuch aufs 
höchſte begliidt. Der Einzug in feine foge- 
nannte Reſidenz vollzog ` unter [autem 
Geldret und vielen $yreubenidjüjjen. Bor 
dem fleinen Gebirgsorte war an beiden 
Geiten des Weges eine unüberjehbare Reihe 
von Menſchen aufgeftellt.e Lints der Straße 
tanden die Frauen und Kinder, rechts die 
tanner und größeren Knaben. 

„Das find bie armen Flüchtlinge,“ Jagte 
Prinz Javor, „von denen wir jest [d)on falt 
fünftaufend Dier haben. Es ijt gut, daß Ste 
mit Brot und Kleidung tommen, denn hier 
gibt es moe mehr zu ejjen, und fon ijt 
eine Anzahl Kinder gejtorben." 

Jest fingen die Flüchtlinge ein betüuben: 
bes Bejchrei an und umringten bie Pferde 
ber 9Intómmlinge. Dod) des Prinzen Be: 
gleiter machten rüdjichtslos T , jo dağ 
weitergeritten werden fonnte. Dicht vor dem 
fürftfien Ronaf, einem nicht übermäßig 
großen zweiltödigen Gebäude, wurde halt» 
gemacht. Die didliche Pringeffin ftand auf 
einem Balfon und winfte Gwendolin zu. 

Da näherte fid) eine Abordnung der 
Flüchtlinge, und Pring Javor bat, bab man 
bie Leute jegt anhören möge. Aus ber 
Schar der Männer trat ein etwa fünfzehn» 
jähriger Rnabe hervor und begann alsbald 
auf englijd) eine wohlgejegte Rede, bie er, 
ohne zu jtoden, mit hoher gelender Stimme 
bas Er jchilderte bas Unglüd ber Flücht— 
linge, die Niedertracht der Gerben und pries 
das Wohlwollen des großen Englands, das 
ihnen nicht nur aus der augenblidlichen Not 
pue jollte, jondern aud) bie Gerben ge: 

eet beftrafen miijfe. 
idarbs erwiderte mit einer gleichfalls 
langen Rede, die Stüd für Stüd von dem 
Knaben überjegt wurde. Dann ftieg man 
ab und betrat den Konat, wo alle von der 
Prinzejlin aufs herzlichſte willfommen ge: 
heißen wurden. Gwendolin umarmte [ie unb er: 
zählte von ihrer jchönen interejlanten Reife. 
wld) der Weg ijt fdredlid,” ftöhnte die 
gute Frau, „ich fann das Reiten gar nicht 
aushalten unb [ajje mich immer von zwei 
Männern in der Sänfte tragen. Natürlich 
eht das nicht febr jchnell, jo daß id) von 
tutari vier Tage bis Bolane gebraudhe.” 

Gwendolin konnte fih denten, daß das 
Reiten für die gewiß zweihundert Pfund 
[fuere Prinzeifin tein Vergnügen war. 
Sie wurde dann auf ihr Zimmer geführt, 
wo fie eine jebr geſchickte ſchwarze Dienerin 
empfing, bie bereits in Agypten bei einer 
Lady in Stellung gewejen war. 

Auch einen Brice fand fie vor, und mit 
ftartem- S$jeraflopfen erfannte fie Briejens 
Handſchrift. Er teilte ihr nur fura mit, daß 
er wohlbehalten bis an die Grenze bei 
Prijren ge ommen, dort aber von den fer: 
bijden Worpoften aufgehalten worden fei. 
In den nüdjiten Tagen wolle er ausführlich 
Ihreiben. Gein einziger Gedante, feit er 
Cfutari verlajjen habe, wäre die Frau, ber 
er für ewig fein Herz gejdentt hätte, 


Beritohlen führte Gwendolin die geliebten 
Zeilen an me Sippen. — — — 

Seit mehreren Tagen war Gwendolin 
nun jchon in Bolane, 

(leid am Morgen mad) ihrer Ankunft 
nahm fie jid) mit Eifer der armen Flücht: 
linge an, deren Elend unbejchreiblicy war. 
Die Leute EE eigentlid) nur Dos gerettet, 
was fie auf bem Leibe trugen. Dabet waren 
es met Bewohner aus den Stadten und 
Dörfern der Ebene, die bereits eine höhere 
Kultur bejaBen und viel verwöhnter waren, 
als die harten Kinder der Berge. 

Vor allem fehlte es an Unterfunft und 
Nahrung. In den wenigen quien des 
Ortes fonnte die Hälfte der rauen und 
Kinder unterfried)en. Alle übrigen ver: 
brachten die Nächte ohne Deden um die Feuer 
bhodend. Befonders, wo jebt bie Nahrung 
äußerft fnapp wurde und der Winter bevor: 
ftand, mußte die Lage binnen fürge|ter Zeit 
zu einer &ata[tropbe führen. 

Es wurde daher von Richards im Ein: 
vernehmen mit dem Prinzen bejdjlojjen, jo: 
fort alle marjchjähigen Leute nad) Sfutari 
in Bewegung zu jegen. Dort boten bie ehe: 
maligen türfijd)en Rajernen, die jet leer 
ftanden, genügend Unterfunftsmöglichkeiten. 

Nad einigen Tagen war denn auch der 
größte Teil der Flüchtlinge abmar|djert, 
unb nur einige Hundert ſchwache Frauen 
und Rinder zurüdgeblieben, die erft einmal 
wieder zu Kräften tommen jollten. Für diefe 
fonnte man jet in ausreichender Weiſe 
forgen, und mit größtem Eifer gab lich 
Gwendolin bieler Arbeit bin, ohne daß Die 
lebr bequeme Prinzejlin fie anders als mit 
gutgemeinten, aber unbrauchbaren Ratjchlä= 
gen unterjtüßte. 

Bisweilen mußte Gwendolin bod) lächeln 
über bie dide Italienerin, bie von ihrem 
bequemen Lehnftuhl aus unter Achzen und 
Stöhnen das große Hauswejen, woyl ober 
übel, zu regieren juchte. Geit ihrem legten 
Zujammenjein in Trieft hatte fie wieder um 
einige zwanzig Pfund zugenommen, jprad) 
von einer gewaltigen Entfettungsfur, bie fie 
für das Frühjahr oie Ahlen jah mit unver: 
Diem Neid auf die |djlante, jportgejtählte 

ejtalt der Freundin und nalchte fajt ohne 
Unterbrechungen Süßigkeiten. Albanieninter: 
ejlierte jie gar nicht, fle fand es abjcheulich. 
Aber von Rom jchwärmte fie in ber höchſten 
Begeijterung, und das Ziel ihrer Wünjche 
war, endlich wieder einmal einen ganzen 
Winter am Tiber leben zu fónnem. „Sa, 
wenn ber Fürſt —“ ftöhnte fie dann — „ja 
wenn mein Dann nur wollte oder fonnte, 
Uber die ewigen Wirren in diejem furdt- 
baren Lande geben ja feine Ruhe. Und 
dazu diefe verriidten Sroßmächte mit ihrem 
Streit, mem fie das Fiirjtenfronden Ulba: 
niens aufjegen fole. Jetzt fol es ja ein 
Deutiher werden... Dieje Deutjchen... 
überall miijjen fie ihre Hand im Spiel haben! 
Nun, nun, mir ift es fchließlich gleichgültig, 
wen bas Krönchen und das Thrönchen drücen 


290 Iesse Borwin Carlig: I 





wird... ad), liebe Gwendolin, bitte, reiche 
mir bod) einmal bie &onfeftid)ale heriiber...” 

Richards war mit feiner geleerten Ko- 
Ionne ſchon nad) zwei Tagen wieder ab- 
marjdiert, um neue Lebensmittel zu holen. 
Nur zwei Soldaten blieben bei bem Reft 
der Vorräte auriid, 

Die anftrengende Tätigkeit lenkte Given: 
Dolin ein wenig von dem fernen Freunde 
ab, an den fie jonft — denken 
mußte, bis ein längerer Br von ihm ſie 
in hellſte Erregung verſetzte, denn er kün— 
pate die Beendigung feines Auftrages an 
und wollte GE in zwei Tagen in Bolane 
fein. Jet fand fie feinen Augenblid Rube 
mehr. Hier, mitten in Albanien, den Freund 
wiederzufinden, unbeobachtet vonneugierigen 
und mipgiinftigen Dienjchen: bas war etwas 
jo Wunderbares, fajt Märchenhaftes, daß fie 
vor innerer feliger Unrajt fait verging. 

Hierin wurde e aud) nur wenig geftört 
durch einen Brief Traubenbergs, den ihr 
ber rujjijde Konful Durch einen Albaner 
nadjandte. Er bejtátigte furz den Empfang 
der wertvollen Sendung. Wohl ſchoß Gwen: 
bolin bas Blut ins Gericht, als jie Den Brief 
liberflog, und wieder fühlte fie die Scham 
in fih brennen. Aber bod) war ihr, als 
liege das alles weit, weit unter ihr. Blieb 
ein Rejt, jo mußte auch der überwunden 
werden, 

Am nächſten Morgen zu früher Stunde 
aber fam die jdjmarge Rammerjungfer und 
meldete, daß Fuad Yani Bei angefommen 
jet und fie dringend zu |prechen wünjche. 
Bwendolin bate daß irgend etwas Bejon- 
deres vorgefallen war. Unten traf pe guad 
im Gejpracd mit dem Prinzen. Er begrüßte 
He in feiner gewohnten, tiefehrerbietigen 
Weije und jagte jotort lebhaft: „Mein Brus 
der, unfer gemeinjamer Freund, ift in Ge- 
fahr! Geit geftern nachmittag, wo id) von 
Skutari aufbrad, bin ich ohne Raft geritten, 
denn Gile tut not. Sekt muß id) meinen 
Leuten eine Stunde Erholung geben. Dann 
geht es weiter auf friichen Pferden, bie ber 
Bring uns Stellt. Lange habe id) nachgedacht, 
wie wir unjerem Freunde am jicherjten helfen 
fönnten. Schließlich fam ich zu dem Ent: 
ſchluſſe, Sie zu fragen, ob Cte uns begleiten 
wollen. Was uns Männern vielleicht un: 
moglid) ijt, wird unter Umjtänden Ihnen, 
der Frau, gelingen.“ 

„Um Gottes willen, was bedroht ihn?“ 
Bwendolin rief es erregt, fakte fid) dann 
aber — als ſie den etwas erſtaunten 
Blick des Prinzen bemerkte. „Wenn Sie 
mich und meine ſchwachen Kräfte gebrauchen 
können, dann will ich mich ſogleich Ihnen 
anſchließen. Aber vor allen Dingen ſagen 
Sie mir, was Sie für ihn fürchten?“ 

„Ich möchte Ihnen jetzt nur ſoviel ſagen, 
daß ich in Erfahrung brachte, ihm würde auf 
ſeinem heutigen Marſche aufgelauert werden, 
und zwar in einem tie Kier Tale, 
Das er gegen das Ende des Tages erreichen 
will, Wir fonnen, wenn wir ununterbrochen 


reiten, darauf rechnen, noch vor ihm dort 
zu fein. Gelingt uns das, dann haben Sie 
nichts weiter nötig, als jid) bis zu unjerer 
Rückkehr hierher niemals aus der Nähe mei: 
nes Bruders zu entfernen. Denn fein Ml- 
baner, und wäre er jonft auch der größten 
Verbrechen fähig, wird jemals in Anweſen— 
heit einer Frau eine Gewalttat begeben. 
Sind Cie einverftanden, dann wollen wir 
in einer Stunde aufbrechen und unterwegs 
erzähle id) Ihnen alles Nähere.” 

quad verabredete nod) mit dem Prinzen, 
daß ein Teil von Delen Leuten ihn beglei: 
ten, ein anderer Teil mit dem nötigen Ge 
pad für die Unterkunft während der Nacht 
und für bie Verpflegung folgen jolle. Dann 
lebten fid) die Herren zum CEjjen hin und 
bejpradjen bie legten politijchen Greigniije. 

Als Fuad zu feinen Leuten Deraustrat, 
fand er Gwendolin jdjon bereit. Die Brin: 
zejlin batte ihr nod) im lebten Augenblid 
dringend abgeraten und begriff es nidjt, wie 
man jid) eines fremden Mannes wegen, und 
nod) dazu eines Deutjchen, in derartige Ge: 
fahren und Unbequemlia teiten begeben Tonne, 
Cie lächelte aber dabei überlegen, vermutete 
wohl eine Neigung Gwendolins, was ihr 
die Angelegenheit wenigitens verjtändlich 
machte. Natürlich war bie qute, Dide Dame 
jelber febr für Liebesgejchichten eingenom: 
men, nur Unbequemlidfeiten durften nicht 
daraus entjtehen. Dann verzichtete fie lieber. 

Als Gwendolin mit Fuad und feinen 
zwölf Begleitern abritt, rief jie ihnen in 
ihrer ausgejprochenen Butmütigfeit nach, Daß 
jie bis jpätejtens morgen mittag ihre Rüd: 
febr zujammen mit Briefen erwarte, der 
dann hoffentlich einige Tage bei ihnen blei: 
ben wiirde. 

Raum waren fie allein, als Gwendolin 
voller Ungeduld fragte: „Seht, Fuad Bei, 
müjjen Gie mir alles aufs genauejfte erzäh— 
len, wer und was unjeren Freund bedroht.” 

Und Fuad begann: „Seit damals auf 
dem Bardanjol der Schuß auf Briejen fiel, 
war ich feft überzeugt, daß fein Albaner als 
Täter in Trage fame. Sd) Torldte nun 
nad), was für einen Feind unfer Freund 
wohl bier babe, und argwöhnte jchlieglich, 
daß Ferucci der Gahe nicht ferniteben könne, 
Nachdem id) ihn burd) beauftragte Leute 
eine Woche lang hatte beobadjten laffen, 
wurde fejtgeitellt, daß er heimlichen *Bertebr 
mit drei Albanern unterhielt. Dieje hatten 
(id jahrelang als Arbeiter in Italien auf: 
gehalten und befanden fih erft feit kurzer 
Zeit wieder in Cfutari, wo fie eigentlich 
teine fejte Bejchäftigung betrieben. Cs war 
ganz offenfichtlich, daß Ferucci fie zu irgend» 
welchen unjauberen Sweden in feine Dienjte 
genommen hatte, Da einer von ihnen häufig 
in der Nähe von Briefen gejehen wurde, Dep 
ich biejen jeitdem auf Schritt und Tritt be: 
wachen, denn ich abnte *Bójes. 

„Beitern morgen meldete man mir, daß 
zwei der Albaner am Tage vorher ins Jne 
nere abgereijt wären, während der dritte ers 








franft in einem Han beim Bajar läge. Co: 
fort begab ich mich mit zwei meiner Ber: 
trauten zu dem Rranfen, der an einem 
ichweren Malaria:Anfall litt. Meine Be: 
mübungen, irgend etwas von ihm zu ers 
fahren, blieben zunächſt erfolglos. Da er 
aber fogar leugnete, Ferucci aud) nur zu 
tennen, wurde mein Verdacht zur Gewifhert. 
Sch drohte alfo, ihn dem deutſchen Detache: 
ment zu ped du bas ihn ohne Gnade 
erichieken würde, verjprad thm aber ander: 
feits bei einem offenen Gejtändnis volle 
Straflofigfeit und eine große Belohnung. 
Dod ber Buriche blieb verftodt. Da ari 
id) zu bem lebten Mittel, bas id) einem 
Landsmanne gegenüber nur jehr ungern ans 
wende, ich drohte, ibn auf offenem Marfte 
von den Gendarmen auspeitichen zu laffen.” 

Fuad [adjte. Es tlang bitterböje. 

„Dieje ſchärfſte Drohung half,“ fuhr er 
dann fort. Er gejtand: Er und feine zwei 
Genojjen hatten damals ben Überfall auf Sie, 
meine gnädigite Herrin, und auf Ferucct ges 
macht, weil fie nichts mehr zum Leben be: 
jaen. Er verlicherte aber, daß fie niemals 
beabjidtigten, irgendwelche Gewalt anzuwens 
den. Als Dann unfer Freund dazu fam, ent: 
flohen jie, fonnten aber die goldene Uhr mit 
Kette und ein Armband des Stalieners mit jid) 
nehmen. „Da ein Händler im Bafar ihnen nur 
ein paar Piaſter * die Sachen bot, machten 
ſie den Verſuch, Ferucci ſelber die geraubten 
Gegenſtände zum Rückkauf anzubieten. Ein 
ſehr geſchickter Unterhändler verſtand es, den 
Italiener zu bewegen, ihnen drei Pfund zu 
bewilligen und bet ber Madonna Strafloſig— 
keit zuzuſichern. Außerdem machte er den Vor— 
ſchlag, ſie in ſeine Dienſte zu nehmen, wo ſie 
ſich ein ſchönes Stück Geld verdienen könnten. 

„Bei einer Zuſammenkunft ſetzte er ihnen 
auseinander, daß Brieſen ſein Todfeind 
wäre, gegen den er die Pflicht der Blut— 
rache auszuüben habe. Seine Mutter ſei 
aus Korſika gebürtig, wo man ebenfalls die 
Blutrache kenne. Ihr habe er geſchworen, 
den deutſchen Offizier zu beſeitigen, und 
hierzu brauche er Unterſtützung. Als ſie 
noch ſchwankten, erinnerte er daran, daß 
der Deutſche einen von ihnen blutig ge— 
ſchlagen habe, wodurch allein er ſchon dem 
Tode verfallen ſei, weil ſonſt ewige Schande 
über ben Beprügelten tommen würde. Diejer 
Grund wurde ausjdlaqqebend. Außerdem 
jidjerte Ferucct demjenigen, ber den tödlichen 
Schuß abgeben würde, zwanzig Pfund, den 
beiden anderen je zehn ‘fund zu. 

„Am näditen Tage lauerten fie Briefen 
am Bardanjol auf. Schon beim Hinwege 
hi der Anſchlag erfolgen, bod) weigerten 
ich bie Albaner aufs energijchite, in Gegen: 
wart von rauen Die Gewalttat au voll: 
bringen. Auch auf dem Rückwege war der 
Deutjche ftets mit den Damen zulammen, 
Da ergriff Ferucct jelber das Gewehr eines 
der Wibaner und feuerte den Schuß ab, der 
Briejens Pferd tötete. Sie verbreiteten Dann 
in der Stadt, Dag der Wnjdjlag von den 


Der Schuß auf bem Bardanjol BSssesesssessed 291 


Gfrelis re jei. Trog aller Bemühuns 
pen bot fid) jpäter niemals mehr eine Ge» 
egenbeit zur Ausführung ihres Planes. Als 
aber Briefen an bie ferbilche Grenze ge: 
[didt wurde, erwadte bei Ferucci aufs neue 
Hoffnung. Er bradte in —— auf 
welchem Wege Briefen von dort gurudtom: 
men würde. An einer Stelle muß er eine 
tiefe Schlucht paſſieren, die ſich gut zu einem 
Überfalle eignet. Der eine der Albaner war 
dort bekannt und erbot ſich zur Ausführung. 
Ferucci konnte Skutari nicht verlaſſen, ohne 
Verdacht zu erwecken. So brachen die bei— 
den anderen geſtern abend allein auf. — 

„Das war das Geſtändnis des Albaners,“ 
ſchloß Fuad. „Ich ließ mir dann noch aufs 
penons te Den Ort bes geplanten Überfalles 

eld)reiben und ging fofort zu Major Wächter, 

Bon ihm erfuhr id), daß Briejen fhon heute 
im Laufe bes Nachmittags die bewupte 
Stelle erreichen würde. Eile war aljo ges 
boten. Ich teilte Wächter mit, id) ware 
Der. nod) vor Briejen dort angufommen, 
und verabredete mit ihm, daß jogleid) eine 
Abteilung von zehn deutichen Soldaten mit 
Dr. Braune hierher in Marjch gejegt wer: 
den folle, Dann juchte ich meine 3uverlá]: 
Lë Leute und bie jchnelliten Pferde au: 
ammen und ritt bie ganze Nacht durch bis 
heute morgen. Gebe es der Allmächtige, 
daß wir nod) zur Zeit tommen.” 

Gwendolin war der — — voll tief- 
ſter Sorgen gefolgt. Als Fuad aber geendet 
hatte, da kam eine faſt gläubige Zuverſicht 
über ſie. Vor dem Unbekannten fürchtete ſie 
ſich. Jetzt aber, wo i wußte, was ihrem 
Freunde drohte, zweifelte fie feinen Augen: 
blid, daß fie und Fuad ihn vor dem heim: 
e Anichlage retten würden. 

„Ihre ganze Erzählung,“ jagte fie, „Hingt 
derartig märchenhaft, bap id) fte immer nod) 
nicht Toten tann. Diejer Ferucci wäre wirt- 
lid) ein feiger, binterliftiger Mörder? Wie 
ift bas nur möglich ?^ 

„Sie tennen nicht bie unbändigen Leiden: 
ſchaften biejler Giiditaliener. Cr ijt nicht 
der erite, ber aus Eiferjucht und verſchmäh— 
ter Liebe zum S3erbred)er wurde.” 

„Warum tritt er bann Briefen nicht offen 
gegenüber als Mann gegen Dann, wenn er 
lich durch thn beleidigt fühlt? Go tief id) 
auch ein Duell perab|djeue, es wäre Dod) nicht 
jo unendlich niedrig wie feine jebige Hand» 
lungsweije.“ 

„Wahrjcheinlich fürchtet er für fein toft- 
bares Leben,“ ſagte Fuad adjlelgudeno, „fein 
Leben — das jebt mir verfallen ijt." 

„Sie wollen ihn töten?” fragte Gwendos 
lin erichroden. „Warum bringen Cie ibn 
nicht zur Anzeige, jo daß er Die verdiente 
Strafe erhält ?“ 

„Weil th nicht weiß, ob er wirklich zum 
Ichimpflichen Tode verurteilt würde, und 
weil ich den, der meinem Bruder ein Leid 
antun wollte, mit eigener Hand erjchlanen 
will,” erwiderte ber Albaner mit finfterer 
Entſchloſſenheit. 











299 ne Zen \ 2,2 


Unterdeffen ging ber Marſch ununterbro: 
chen fort. Wo eine Stelle ebenen Bodens es 
erlaubte, wurde ein Trab eingelegt. Dod 
viel zu felten waren diefe furgen Wugenblicde 
für Die innere Ungeduld und Aufregung, die 
beide gleichmäßig erfüllte. 

„Roh vier Stunden haben wir vor uns,“ 
erklärte pine einmal, als er nad) der Uhr 
gejehen Hatte. 

Und weiter ging es, immer weiter ohne 
Raft und Rube. 


E" BB 8] 

Preg unb Briefen waren früh am Mor: 
gen — Beide froh und guter 

aune. Ihren Auftrag hatten jie zufrieden: 
ſtellend erfüllt und babet viele intereſſante 
Erlebniſſe gehabt. Jetzt marſchierte es ſich 
wundervoll in der würzigen, ſonnendurch— 
fluteten Herbſtluft des Gebirges. 

Es war zehn Uhr geworden, und es ſollte 
jetzt eine dreiſtündige Mittagsraſt eingelegt 
werden. Die beiden Offiziere und bie alba- 
nijdjen Führer jaken ab, die *Badpferbe 
wurden abgejattelt, und bald brodelte das 
Mittagsejjen über einem Iujtigen Feuer. 
Leider zogen Dunfle Wolfen herauf, unb nad) 
einiger Zeit begann es erft langjam und 
bamf' in Strömen zu regnen. Pleg jchimpfte 
wie ein Rohrjpak, meinte aber [djlteBlid): 
„Das hört heute niht mehr auf. Ich tenne 
dieje Art von Regen. Gegeſſen —— wir, 
und die Pferde ſind abgefuttert und getränkt. 
Sd) made den Vorſchlag, gleich weiter zu 
mar)dieren, dann Tonnen wir in drei Stun: 
den in Hani Rogan fein, wo wir die Nacht 
bleiben wollten.“ Briefen war einveritan: 
ben, und nad) fünfzehn Minuten war bie 
Heine Abteilung wieder im Marſch. 

Die berggewohnten öfterreichiichen Sol- 
daten waren febr frijd), während bie waderen 
Ojtfriejen burd) den ungewohnten Gebirgs= 
marih dod) etwas angejtrengt ausfaben. 

Jtad) zwei Stunden erreichten fie ein tief 
eingejchnittenes Tal, in Dellen Grunde ein 
wilder Gebirgsbad) babinbraujte, der durch 
den heftigen Regen Dorf angejhwollen war. 
Zweimal mußte bas Wafjer durchjchritten 
werden, wobei ein Tragtier beinahe ertranf. 

„But, daß wir nicht länger gewartet 
haben,” meinte Briejen. „In einer Stunde 
wäre der Bach unpajjierbar, und wir tönn- 
ten unter Umjtänden bis zum nädhiten Mor: 
gen bier warten müjjen.“ 

Der Weg 3og fic jet in vielen Win: 
dungen aufwärts. Gie waren vielleicht nod) 
zweihundert Preter von dem oberen Rande 
des Tales entfernt, als fie auf der Höhe 
einen Trupp von etwa fünfzehn Reitern er: 
blidten, die gerade den Abſtieg begannen. 

Da der Regen einen Augenblid ausjebte, 
faken Pleg und Briefen ab, um durch ihre 
Glajer bie Antömmlinge zu betrachten. 

„Ich fehe einen Mann mit Tropenhelm,“ 
Jagte Briejen, „das Tomm nur ein Offizier 
aus Cfutari fein.“ 

In diejem Augenblide fielen zwei Schülfe 
von der gegentiberliegenden Seite der Schludht. 


Borwin Carlig: 3323323437353: 





— — 
Brieſen griff ſich unwillkürlich nach der Bruſt, 
wo er eine ſtarke Erſchütterung verſpürt hatte. 

Langſam ſetzte er ſich auf: Die Erde nieder 
und fing zu huſten an, wobei ihm roter 
Schaum aus dem Munde kam. 

„Ich bin getroffen,“ ſagte er leiſe zu Pletz, 
„nih glaube Lungenjdug.“ Dann fam eine 
große Müdigkeit über ibn, er ftredte fid) aus 
und hatte bas Gefühl einzufchlafen. — — 

Wie lange er geichlafen wußte er nicht, 
aber todmüde fühlte er fih a 3 immer. 
Einen Augenblid verfudte er bie Augen zu 
öffnen, ſchloß fie aber wieder vor bem Scheine 
einer fleinen Lampe. — tauchte alles 
in ht Bedächtnis wieder auf. 

r batte einen Schuß befommen, wahr: 
| einlid) in die Brujt, dann war er einge: 
lafen, wußte bod) aber bunfef, was mit 
ihm geldjab. Man Hatte ihn verbunden 
und dann lange, lange Zeit weitergetragen. 
Nur eines verjtand er nicht: In feinen Trau- 
men war Gwendolin jtets bei ihm gewefen. 
Er hatte ihre Stimme gehört, ihre weichen, 
jorglamen Hände gefühlt und war glüdlich 
und ruhig durch ihre Gegenwart. 

Und jest fam Ieije und zärtlich ihr Name 
über feine Kippen. Da fühlte er fid) vor: 
lichtig umjchlungen, ein weiher Mund legte 
fid) ganz zart auf den feinen. 

Das war fein Traum mehr, das war 
jelige Wirklichkeit. „Liebjter,“ bat fie, „ou 
mußt ganz ftil und ruhig fein, damit du 
mir bald wieder gejund wirft.” 

„Und wenn ich jterben muß,” jagte Brie- 
en „wäre ich glüdlich, in deinen Armen dem 

ode entgegenzugehen.” 

Er ließ den Arm finfen, mit dem er fie 
umfangen hatte, und lag mit glüdjeligem 
Ausdrud und ruhig atmend ba. 

Schließlich jchlief er aufs neue ein mit 
leije geröteten Wangen. Langjam jchlich die 
Nacht in dem einen albanijdjen Han zu 
Ende, während Gwendolin feinen Augenblid 
von feinem Lager wich. Wh und zu jah Fuads 
bejorgtes Gejicht herein, bod) entfernte er 
id) immer wieder beruhigt, wenn er den 

reund ohne Anjtrengung atmen hörte, 

Wm Morgen wurde der Berwundete auf 
eine hergerichtete Bahre gelegt, die wegen 
der Enge des Weges immer nur von zwei 
Männern getragen werden konnte. Fuad 
duldete nicht, Daß Die beutjdjen Soldaten 
ihren Leutnant trugen. Seine Albaner Ger: 
— es weit beſſer, jeder Unebenheit aus 

em Wege zu gehen. Er ging ſelber zu Fuß 
dicht hinter dem Freunde, während Gwen— 
dolin zu Pferde in einiger Entfernung folgte. 
Nad dem anſtrengenden, aufregenden Tage 
und ber Durdwadten 9tad)jt fonnte fie fih 
faum mehr im Gattel halten. Aber das 
gne ber großen Liebe brannte in ihren 

ugen und gab ihr ungeahnte Kräfte. 

Pleg war bei Tagesanbrud) vorausges 
ritten, um Dr. Braune zu benadhridti- 
gen. Noch am Bormittage fam er in Bo: 
lane an, wo alles zur Aufnahme von Brie- 
jen hergerichtet wurde, während Braune von 


ees Der Schuß auf dem Bardanjol BSESSSSSTZA 293 


einem Albaner begleitet dem Verwundeten 
entgegenritt. 

rt erreichte den Zug gegen Mittag, wo 
ein längerer Halt burdjaus nötig wurde, 
denn bie Träger konnten trog der fortwäh— 
renden Ablöjung nicht mehr recht vorwärts. 
Briejen war ohne Belinnung, aber anjdjei- 
nend fieberfrei. Braune unterjuchte den 
von uad angelegten Verband, den er nicht 
zu erneuern brauchte. | 

Dagegen madte ihm Gwendolin einige 
Bejorgnijje, bie während des Haltes in tiefe 
Obnmadt gefallen war. Auch für fie mußte 
eine Tragbahre — werden. 

Erſt ſpät am Nachmittage wurde Bolane 
erreicht. Braune nahm den Verwundeten 
in eingehende Unterſuchung und ſtellte feſt, 
daß eine unmittelbare Gefahr nicht vorlag. 
Das Mauſergeſchoß hatte die rechte Bruſt— 
feite glatt durchſchlagen. Am Einſchuß war 
überhaupt kein Blut ausgefloſſen, und nur 
der Ausſchuß zeigte eine größere Verletzung. 
Das Geräuſch in der Lunge war ſehr gering 
und der Auswurf jetzt frei von Blut. 

Er begab ſich zu Gwendolin und teilte 
ihr mit, daß Brieſen vorausſichtlich in eini— 

en Wochen wieder hergeſtellt wäre, Bis— 
Ber hatte fie fih durch bie Erregung auf- 
rechterhalten, jebt aber brad fie zujammen. 
Als bie Brinzejjin und die ſchwarze Dienerin 
jie mit Mühe zu Bette gebracht hatten, gab 
eine Morphiumjprige ihr tiefen Schlaf. 

Noch am gleichen Abend tamen die durch 
Fuad fofort von der Stelle des Attentats 
ausge|djidten Albaner zurüd und meldeten, 
daß die beiden Schuldigen erjchoffen wären. 
Ein Ausdrud tiefer Befriedigung flog über 
bie Züge bes Albaners. Jest galt es noch 
ben Sjaupt|djulbigen zu fajjen. Aber große 
Borlicht war nötig, denn ſchwere Ungelegen- 
fonnten entjteben, wenn Stalien 

übne für den Tod feines Angehörigen vers 
langte. 


Es tamen einige Tage ungeltörten Gliids 
für bie Liebenden. Gwendolin, bie fid) nad 
einer ruhigen Nacht wieder ganz frijd) fühlte, 
übernahm jelbftverjtändlich die ‘Pflege. Wher 
ihr Herz war voll jdjwerer Gorgen. 

Was folte nun gejchehen? Nach allem, 
was bisher zwijchen ihnen vorgefallen, fonnte 
es zu einer ruhigen Freundjchaft nie mehr 
tommen. Dazu empfanden fie beide viel 

heiß und leidenjchaftlih. Doch während 
D fid jo ihren armen Kopf zermarterte, 
zeigte jie ihm ftets das gleiche ftrablende 
Lächeln eines ungetrübten Gliides. 

Ya, was follte geichehen? Wie fonnte 
ie Ji) u ihrem Manne jtellen, wie er zu 
ihr? Shre innerjte Überzeugung zwang bo 
u einer Trennung, hundert äußere Gründe 
fierten fid) diejer entgegen. Zunächſt wenig: 
tens. Gie wußte nur allaugut, wie man in 
England, wo man fonft jo vieles zu verzeihen 
geneigt war, eine —“ Frau beurteilte, 
wie man ſtets dem Manne recht, ihr unrecht 


gab. Shr würde man doppelt unrecht geben, 
a Herbert allezeit Den Schein einer glüd: 
lichen Ehe aufrechtzuerhalten gewußt hatte. 
Und wenn fie all denr troßte, wenn fie fein 
Haus verließ: wo follte Je binflüd)ten, wo 
eine neue Heimat finden 

Aber es war ba nod) etwas anderes, bas 
c immer aufs neue erbeben madjte: gin 
ie, verließ fie Skutari, Jo bedeutete bas au 
ben 9[bjdjieb von bem Geliebten! Gie e 
wohl: Du mußt aud) bas auf bid) nehmen. 
Aber fie badjte an bie Trennung mit [o 
wehem Herzen, daß fie den Entjchluß immer 
wieder zurücdichob. 

Und zu allem tauchte nun bod) bte graue 
Sorge vor Traubenberg aufs neue in S 
Geele auf. In Scham und Reue. ie 
würde es Briefen auffajjen, wenn er bereinit 
durdy irgendeinen unfeligen Zufall, durch 
einen — des Ruſſen vielleicht, erfuhr, 
daß ſie ſich zur Spionage erniedrigt hatte?! 
Zu einem Dienſt, der thr heut als wider: 
wärtig im höchſten Grade erjchien! 

Stunde auf Stunde lag fie in den Näch— 
ten und grübelte und grübelte — — — 

Da fam ang ein Brief ihres Mannes, 
ber Jofort ihre Riidfehr verlangte. In Stu: 
tari waren bereits bte unglaublichiten Ge- 
rüd)te über fie und Briefen im Umlauf, bie 
nur durd) thr perjönliches Erjcheinen be: 
hoben werden konnten. Sie mußte gehor: 
den. tod... BEE Af 

Ein weber Abſchied trennte die Lieben: 
den. Gie beide fühlten, daß diefe fchönfte 
Zeit ihres jungen Glüdes nicht wiederfehren 
würde. „Niewillich ruben, bisid) bid) errungen 
babe," rief er ihr nad. Dann war fie ver: 
Ihwunden, und nur der Hand ihres Kleides 
unb die Erinnerung ihrer zarten Lieblichkeit 
— in ſeinem einſamen Krankenzimmer 
zurück. 


Wochen vergingen. Schon nahte das 
Weihnachtsfeſt heran, und der erſte ſtärkere 
Schneefall bedeckte Albaniens öde Gefilde 
bis tief in die unterſten Täler hinab. 

Prinz Javor war ſchon vor längerer Zeit 
mit ſeiner dicklichen, gutherzigen Frau nach 
Stalien gereiſt, wo Ge ja itets den Winter 
zuzubringen pflegten. Gein ga ger Haus 
aber war Briefen geöffnet geblieben, der 
außer jeinem Burkhen nod) einen Gas 
nitätsunteroffizier als Pfleger bei fid) be: 


telt. 

3 Alle acht Tage hatte Braune den bejchwer: 
lichen Ritt von Skutari gemadjt, um fih 
nad) feinem Patienten umgujehen, bem diefer 
Beſuch ftets bie größte Freude in feiner 
Langeweile bereitete. Dann mußte Braune 
erzählen von allem, was jid) Neues in Sku— 
tari und in Der Welt ereignet hatte, und 
Briefen wurde nicht müde im Fragen. Nur 
nad) der einzigen Frau erfundigte er fich 
nie. Dod) der Dottor wußte von jelber, 
welche Medizin bie befte fiir ben Benejenden 
war, und fonnte ftets irgend etwas Liebes 


904 EEE Borwin Garlik: Der Schuß auf dem Bardanjol Igé2esexepe3e3ed 


von Bwendolin erzählen, bie er als Die 
Lebensretterin feines Kameraden anjah. 

Allmählich aber wurde es Hidjte Zeit, 
an ben Riidtransport nad) Skutari zu Den: 
fen, denn wenn erjt einmal der große Schnee: 
fall einlebte, hörte jeder Berfehr im Innern 
auf. Dabei madjte Briejens Befinden dem 
Arzt immer noch rechte Sorge. Die Wunde 
war allerdings jchnell und gut verheilt, aber 
die Yungentätigfeit gefiel thm gar nidft. 

Mit möglichiter Sorgfalt wurde alles LG 
ben Marilh vorbereitet. Platen ließ es ftd) 
nicht nehmen, den Freund jelber abzuholen, 
und aud) Fuad war mit einigen jeiner Ges 
treuen erjchienen. Der Patient wurde in 
einer Art von Lehnſtuhl auf einen Pak: 
gänger gelebt, deffen Bewegungen nur ganz 
geringe ll en machten, 

Da Brielen bie eriten Stunden gut über: 
ftand, wurde bejdjlojjen, nur ein 9tadjtquar: 
tier unterwegs zu nehmen, damit er defto 
eher in gute Pflege Tome, Der Pfarrer, 
bei dem Gwendolin übernachtet, gab aud 
ihm bereitwillig jein Fremdenzimmer ber. 
Als er dann am zweiten Tage nachmittags 
im Lazarett von Sfutari eintraf, fühlte er 
DO bod) recht ſchwach und SCH, Sein 
Zimmer fand er angefüllt mit Blumen, die 
ihm bie Damen der Stadt in verjchwendes 
rijder Fülle geſchickt hatten. 

Ein |djóner Strauß roter Rofen war von 
ihr, bie ihm aud) ein paar liebe Worte 
ſchtieb. In Bolane hatte er jeden dritten 
Tag einen Brief erhalten und wieder be: 
antwortet. Fuad jorgte bird) fidere Boten, 
daß thre Briefe niemals in faliche Hände 
famen. Und diejer dauernde Berfehr hatte 
bie Liebenden vielleicht nod) näher gebradjt, 
als es ein jedes perjönliches Zujammenjein 
vermodjte. Biele feiner innerften Regungen, 
die Briejen niemals gewagt hätte, ihr münd: 
lid) anzuvertrauen, lernte fie jo tennen, und 
fie begriff jebt erft vollfommen feine ganze 
PVerjönlichkeit in ihrem Gemijdh von Voter 
entjichlojjener Männlichkeit und einer fajt 
findlich Iheuen Zurüdhaltung. — — — 

Zwei Tage jpäter war Wächter bei Brie- 
jen, der bereits wieder aufjtehen durfte und 
die Erlaubnis hatte, einige Stunden im 
Garten zu figen, wo bie Mittagsjonne 
immer nod) Die wunderbarfte Wärme 
brachte. 

, Sieber Briefen,” fagte er, „ich habe lange 
mit Dottor Braune gejprochen und ebenjo 
mit dem öjterreichiichen Arzt, ber Gie ja 
aud) eingehend unterjucht hat. Beide Kol- 
legen find jid) darin einig, daß Cie fo jchnell 
wie möglich von hier fort müjjen, um fih 
an einem anderen Orte völlig auszubeilen. 
Das bielige Klima ift Ihrer jtart mitaenont: 
menen Lunge im höchſten Grade jchädlidh. 
Ich habe bereits einen Antrag gemadt, daß 
Cie auf Staatsfojten irgendwo die ſchlechten 
Wintermonate verbringen, damit Cie zu 
Beginn der guten Jahreszeit wieder hier 
fein können. Übermorgen gebt ein Trans: 
port von Wblojungsmannjdjajten von hier 


zur Bojanamündung und von dort mit der 
‚Breslau‘ nad Zrtejt. Die droite halten 
Cie für reilefábig, fo bah ih aljo in Ihrem 
eigenen nterejje bitte, jid) Dem Transport 
anaujdjliepen. Es wird mir Ki ſchwer, 
Sie fortzulaſſen, denn Sie haben ſich in der 
kurzen Zeit Ihres Hierſeins nicht nur als 
ein tüchtiger und pflichtgetreuer Offizier er— 
wieſen, ſondern auch die Liebe aller Kame— 
raden erworben. Dafür bin ich dann aber 
— Sie im nächſten Jahre friſch und ge— 
und wieder bei uns zu ſehen.“ 

Brieſen verzog keine Miene, dankte dem 
wohlwollenden Vorgeſetzten und erklärte ſich 
bereit und fähig zur Abreiſe. Innerlich aber 
trug er den Tod im Herzen. Dies war das 
Ende feines kurzen Liebestraumes; er fühlte 
es nur allzu ſicher. — 

Und dann kam der Abſchied von Gwen— 
dolin. Ihr erſtes Wiederſehen ſeit den glück— 
lichen Tagen in Bolane war zugleich die 
Trennung für lange, vielleicht für immer. 
Die Bank bod) oben auf ragender Zitadelle 
hatten fie aufgejudt, und wieder flatterten 
die Fahnen der Großmächte über ihnen, wie 
in Der erften Zeit ihrer feimenden Liebe. 

Der Anblid des geliebten Mannes mit 
den |djmalen, eingefallenen Wangen und den 
todtraurigen Augen jchnitt ihr tief — 
aber mit keinem Worte, mit keiner Miene 
verriet ſie die quälende Pein um die Zu— 
kunft, die bittere Trennungsnot und die 
bohrende Sorge um ſeine ſchwankende Ge— 
ſundheit. Durch Fuad wußte ſie, wie ernſt 
es um ihn ſtand. Um ſo feſter wollte ſie 
ſelber ſein und dem Freunde den unerſchüt— 
terlichen Glauben an ſie und ihre Treue in 
die ungewiſſe Zukunft mitgeben. 

Früher war Brieſen der Mutige, Hoff— 
nungsfreudige geweſen, der niemals den 
ſtarken Glauben verlor, daß ein glücklicher 
Tag ſie einſt vereinen würde. Beet war 
fie es, die mit helen und tapferen Augen 
Jeine Zweifel und Sorgen zu bannen ver: 
juhte und es jchließlich erreichte, dak 
neuer Lebensmut bie finfteren Gebantern 
vertrieb. 

„Ih will bir ſchreiben, Liebfter, jo oft es 
mir modglid ift. An allem, was ich tue und 
benfe, GH du ftets teilnehmen und immer 
wijfen, daß es für mich nur Dë einen Les 
benszwed, nur ein Ziel aller Wiinjde und 
Handlungen gibt: die Vereinigung mit bir. 
Dann wirft du es faum merten, wie weit 
wir voneinander entfernt find, denn unjere 
Bedanten werden immer dicht beieinander 
fein. Auch du wirft mir ftets mitteilen, was 
du erlebjt und was bu denfit, dann lebe ich 
und denfe id) mit dir. Schreibe mir poft- 
lagernd, dann braud)it bu feine Gorge um 
unberufene Augen zu haben. So wird bie 
Entfernung uns nicht trennen, jondern nur 
noch inniger vereinen.“ 

Und als ber legte Abſchied fam, Donn 
fie tief atmenb vor thm und ſprach nur nod 
das eine: „Wir jehen uns wieder,“ 

(Schluß folgt) 


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Berfchollene deutſche Geſchi 
ae Benet — > 


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Bon Drot Dr.Cduard Hen fA 


F2 d d d pd pd p ed d AAN 







Fin paar Woden vor Ausbruch bes 
ffo Rrieges and id) auf bem Gloden- 
EN turm bes Doms von Aquileja. 
WI Se, Aquileja ijt bie antite Worgänges 
— TOS rin Benedigs und feine unfreiwils 
lige Mtutterftadt. Es hat etwas Überwälti— 
gendes, wie uns in dem, von ping iae dn 
reidjilder Willenjchaft verwalteten SUtujeum 
ba brunten im Garten ber Zedern und Bra: 
natbüjche ber Luxus und bte um jede Kunft- 
bildung bemühte Raujffraft eines großen 
Stadtwejens entgegentritt, deffen [tetnerne 
Quadern budjtäblih aus ber Erde vers: 
Ihwunden find. Denn bie Lajtfahne bes 
werdenden Benedig holten fie zum Bau, 
verbrachten fie von einer Lagune zur andern. 
Was zurüdblieb, ijt ein machtvollſter Gin: 
drud bes Gejdjid)tlid)en. Mit ihrer ganzen 
Treffjicherheit hat wieder einmal bie nod) 
ke ihren punijchen Kriegen ftehende 
oma den Pla auserjehen, hat fie ihre 
grobe Militärjtation, deren trapezfürmiger 
mriß vom Turm aus fih burd) bie Kand- 
proge und Krautgärten zieht, an die Riijte 
er illyriihen Veneter gelegt, den Kauf- 
le sigh unb bemannten $$[otten der Herrin 
ets unmittelbar erreichbar. Bläulich im 
jüdlichen Sonnenglaft rahmt die weite Ebene, 
wo die Beneter bas Land bebauten, der hohe 
ferne Kranz der Alpen ein. Dort vom Nor: 
ben aus den Bergen, welche den Taglia: 
mento entjenden, jchauten nad) Italien Din: 
unter Die tapferen, leichtgemuten Selten, 
denen es militärilch zuvorzufommen, Tout: 
mannijd einen weitreichenden Bermittlungs: 
punkt zu geben galt. Hinter bem Oftwall, 
über ben Sjonzo weg, wohnte eine nod) ge: 
er ere Wolferwelt von Sllyrern, 
annoniern, Jazygen, die einmal den Ml- 
penriegel durdhftoßen und ebenfalls in bie 
lodende Sjalbinfel binunterfluten fonnten, 
bevor deren Herrichaft von der Stadt am 
Tiber genaer: EC fein mochte. Co: 
lange Rom in Kra Be hat feine alljeits 
dem Angriff guvorfommende Grofpolitif 
auch den Landesriegel im Mordoft in nadt: 
voller Torwadht — Dann erſt ſollte 
es ſich erfüllen, was ſechs Jahrhunderte 
PEE ber fluge Senat und ein verjtändnis» 
volles Bolt vorausgejehen. Am Iſonzo wer: 
den fortan Italiens Schidjale militärisch 
entichieden. Im pagre 394 ftehen fich dort 
mit ihren Heeren die Machthaber des Weftens 
und Dftens gegenüber, ber deutjche Franfe 
Arbogajt, ber als ber magister militum zu 
Rom für bie enttráftete Herrichernation bas 
Abendland verwaltet und ber in ber Kon: 
ftantinsjtadt gum Kaifer gewordene djtliche 
magister militum Theodojius, ber bem rane 





ten feine Stellung nehmen will. Auf ben 
Borhöhen, wo dte Wippad fie Durchfließt, 
um nächftjüdlich bet Görz ben Iſonzo zu er: 
reichen, im Wetterjturm des Schlachttages, 
der [hon damals ihre Kraft zeritört, erlie: 
gen die italijd)en Truppen den Hilfsvöltern, 
hauptjächlich Goten, des Theodojius. Gos 
lange der lebt, hat bas Weltreich noch wies 
ber einen Herricher. Länger aber hält das 
Imperium nicht mehr. Diesmal in eigener 
Führung bridt aus den Bergen des Karit 
der Goteneinfall des Mlarich herunter — 
des echten Germanen, ber bie Weltherrjche- 
rin auf den Schlachtebenen befiegt und jame 
merlich nieberbeugt unb |donungspoll ver: 
gichtend weiterzieht, wobei ihn ber frühe Tod 
ereilt. Aber nun bleibt der Weg für die 
Wanderungsvblfer gedeutet. Attilas hun: 
nijdje Horden traben den Iſonzo abwärts, 
— ich auf Aquileja, löſchen die dritt— 
rößte Stadt Italiens für immer in ihrer 

lüte aus. In Italien erhebt ſich der Be— 
fehlshaber der geworbenen Germanen, Od— 
wafar, zum Heerkönig, der zugleich das Land 
regiert. Dod) rom enor thm einen 
neuen Goten, ben Wmalingen Theoderidh, 
mit feinem zahlreichen Bolte über den 2s 
Faſt auf bem gleichen Schlachtfeld von Wip— 
pad) und Iſonzo gejdlagen, wo 394 aud 
der —— pe muß Odwafar in die Ebene 
urüdweichen, wie heute ber bedauernswerte 
adorna, ber 1914 auf Seite der Bundes: 
treue lieber mit ben Deutjchen ausgezogen 
wäre, ftatt für bie 9Ibpofatenpolitit jid) er- 
folglos abzumatten. In Ravenna endlich 


eingeldjlojjen, muß Odwafar vor dem Dar, 


feren Oſtgoten fapitulieren. 

Weitum von Aquilejas altersgreijem Turm 
breitet fic) ein Teil ber Weltgejchichte, bes 
verlinfenden Wltertums, Der werdenden 
Mittelalterzeit. Und faum eindrüdlicher 
als an bielen Stätten wird es bem Deut: 
ſchen, daß immer bie jeinige, bie deutjche 
Beichichte, darin enthalten ijt. Wo aus den 
Alpen nordweftlid) bas Beäder bes Taglia: 
mento tritt, erhebt fih Gpilimbergo, und 
öftlich liegt Udine, welches ehemals ‚Weiden‘ 
ber beutjde Mund benannte. Den Gloden: 
turm, auf Dellen gelánberlojem Kranz id) 
ftehe, Dep zur Zeit Raijer Konrads II. ber 
Patriarh Poppo aus vornehmem deutichen 
Gefdjled)jt erbauen. Neichsdeutjche Adels: 
öhne und Fürjtengefippen haben burd) lange 

enfchenalter da unten im Dom das Hod: 
amt verjehen unb als reidjsunmittelbare 
Rirdhenfiirften in ber Pfalz bes Patriar: 
chats refidiert. Wenige befjere Vorlampfer 
butte der zeitlebens gebepte Kaifer Heinrich IV. 
als fe; darunter den mannbajten Ulrich, 


296 BEEFSFFITISEI Prof. Dr. Ed. Heyt: BESSseesssessssesA 


der vorher ber Abt des allzeit deutjcheiten, 
germanijdje Dichtkunft und Cpradje pflegen: 
ben Klojters St. Gallen gewejen war. 

Ins Gegenwartsgedenfen unferer jüng: 
ften fchweren Zeit [tebt eine Regierung bits 
ter unauslöjchlich eingegraben, unter ber 
man die Deutjchen mahnte, fie müßten durch 
Meltkultur die Anerfennung des Auslands er: 
werben, um nicht durch ‚Nationalismus‘ — die 
Worte Deutidhtum, Vaterland kannten diefe 
Neichsichreiber nicht — anitößig zu werden. 
Noch niemals, folange es bei ben Deutjchen 
Raijer unb de Regierende gegeben, hatten 
le&tere in Joldjem Grade fid) im Flugjand 
angelejener QAllerweltsformeln — fejtgetpatet 
und darüber nicht nur alles vergejjen, was 
bie Gejdidte am deutlichiten ee jondern 
fid) geradezu bie Augen gegen fie zugebun= 
den, um ungehinderter im Gegenteil wie 
eine Blindefuh Berumautappen. — Weltbe— 
mübung um Kultur unb minderer ational: 
F wurden als Brn ate Neuheit einem 

olfstum gepredigt, das, folange es in 
ben Weltgeſchicken mitgetan hat, feinen Bil: 
Dungsjinn und feine Tiichtigfeit eingejebt 
hat für minder fulturvolle oder für herun: 
tergefommene Nationen und früher oder 
Ipäter jedesmal den Schaden und das Ber: 
derben dabei gefunden hat, weil fid) mit 
feinem Ordnungs- und Bildungslinn fein 
ebenbiirtiger Nationalfinn zu vereinigen ver: 
modte, Darum find nicht nur edle große 
Germanenvilfer wie verwehte Spreu ver: 
— und vergangen, ſondern auch ihre 

erke ſind ihnen verdorben und zerſtört 
worden, in der Hand der Beſchenkten, die 
ſie nicht zu beſitzen wußten. Aber ſo, daß 
dieſe dann gemein behaupteten, was bei 
ihnen durch eigene Schuld verkam, das hät— 
ten bie Boten und andere Germanen ver: 
wiijtet, — jo beharrlich behaupteten, bis fie 
es Kéis jelber glaub en. 

In wohlgehaltenen Fluren, mit tragen: 
den, üppigen Bäumen durdjlaubt, liegt von 
Aquilejas Turm nad) Often, Norden, Weften 
bas angrenzende Friaul. Das hat nad) 
mehrhundertjähriger Verjumpfung erft wie: 
der die Regierung Maria Therejias hochge— 
bradjt. Go lag das Land im Altertum, 
nachdem das Aquileja des großen Techniker: 
volfes mit feinen Rolonijten umber erwuchs; 
jo jchilderte es um 200 m. Chr. Herodian, 
wie Die in Reihen gepflangten Bäume mit 
ben dagwijden hangenden Reben girlandene 
gleich die Yider der Provinz befränzten. Co 
war es aud) noch, als beutjdje Ritter in 
ben Burgfleden jaken, und die Kirchenfürften 
von ,V[glet', wie die Deutjchen jagten, die 
größten ber Grundherren waren und des 
Saijers Hoheiten zu verwalten hatten. Was 
Maria Therejia nahezu durch neue Urbar: 
madung der Gebiete von Gradisca und 
Aquileja zu befampjen hatte, bas war bie 
Vernachläſſigung, nachdem bier die Vene: 
gianer jpätmittelalterliche Sjerrjd)aft übten. 

Als ,Rulturpolitif’ bejchönigte deutſchen 
Mangel an Bewußtheit jene unjelige Lei- 


tung. ‚Rulturdünger‘ nennt’s bie wahr: 
haftige Geſchichte. Damit drüdt fie fein 
Schickſal, feine Gelbjtachtungslojigfeit aus, 
ben Ejelstritt, ben es nod) hinterher erhält. 
Bald als eindrudjdwere Tragödie ber als 
Barbaren geldjmübten Goten, die Italien 
regenerierten, bald im allmabliden 3ergebn, 
wie in den Marten Friaul, Trevijo, Berona. 
In der weiten Ebene liegen die deutichen 
Burgen, und fie grüßen vom fernen Alpen: 
pang Cpengenberg, bas in den mündlichen 
tamen aud) Gpielenberg hieß, Naun, dien, 
berg, Grünenberg, Auer|perg, Schärfenbera, 
Pramberg, Rabenjtein, (IJteu-)\Starhemberg, 
Portenau und ihrer mehr. Jest, da wir 
Cadornas Rüdzug auf den genaueren Kar- 
ten verfolgten, flimmerten uns Namen vor 
den Augen, von denen bie wenigiten — wir 
wurden ja lieber ,intelleftuell: — willen, 
woraus fie geworden find. Gpilimbergo, 
Cordenons,  Gajtelnuovo, Gronumbergo, 
Uruspergo, Soffumbergo, Brampero, Ravig= 
ftagno, Monforte. Wir jprechen ſchön tunjt: 
ebilbet. pom Maler Pordenone, ber aus 
ortenau gebürtig war. 
An ber Gebietsgrenze von Börz und 
Gradisca aber endet bie neuere GefüblIsau: 
ebórigteit zum Stalienertum. Weder die 
ewegungen in ber €ombarbet unb in Bes 
nezien gegen Ofterreid) 1848 haben bier ein 
Edo g wedt, nod) bie von 1859 und 1866. 
Und wenn aud) für den jebigen Krieg die 
eſchichtliche Feſtſtellung nod fehlen mu, 
0 bat bod) bem Bernehmen nad die ae: 
plante ‚Erlöjung‘ durch bie Italiener keine 
Gegenliebe gefunden, befundeten die Landes: 
vertretungen in Kaifer Franz Syolepbs Hand 
das Gegenteil. Die Freude der Bewohner 
von Görz, wo freilich gabIreidje Maroni— 
verfäufer, Haufierer mit Caramelli (ver: 
zuderten Stüjjen, Früchten), Barbiere und 
Kleingewerbler aus bem Königreiche wol): 
nen, war der übliche Ententejchwindel. 
Zenttd find zwar aud) die 2anbidjaften 
von Görz und Gradisca nidt. Nur eine 
Bildungsh tid ijt deutſch,  Snbujtrielle, 
Staatsbeamte, Alterspenfionäre, bie in die- 
len wunderbar DURCH Gegenden, deren 
Pflanzenwuchs näher der Riijte viel füdlicher 
als ber von Lugano ijt, mit ihrem Ruhe: 
gehalt leben, einzelne alte Adels: und Gols 
Datenfamilien, wenn fie aud) Staltenernamen 
haben, und die Lehrer, die an Erziehungs: 
anjtalten den deutjchen Unterricht erteilen. 
Das Bolt ift zu zwei Drittel jlowenijch, aljo 
llawijch, zum Drittel romanijd, aus Friau— 
lern und Stalienern gemijdjt. Die Friauler 
find von ihnen bie Alteinwohner, die Sta: 
liener Die früher oder jpäter Zugezogenen. 
Auch im Königreich, wo das SMalteni[dje 
die Alleingewalt bat, wohnen von ber Rarnt: 
ner Kammpgrenze bis an die Livenzamün: 
dung Die Friauler. Dazu reichen aus der 
Gegend von Flitſch Slowenen nod) etwas weft: 
lid) und fiidwejtlid) ins Königreich hinüber, 
Das Friaulijde oder in volflider Benens 
nung Furlaniſche ift fein Italieniſch. Es 


Kessen VBerjhollene deutjche Gefdidte in Venetien und Friaul 297 


ift eine jelbjtändige, alfo nur verwandte 
Sprade. Die Mundart ber alten illyrijchen 
Veneter, die wegen der römiſchen Herrichaft 
ftd) [pradjlid) lateinijierten. Ein V qe 
Provingdialeft, wie bas Bortugiefilche, Spa: 
niſche, ger rovengalijdje, tyran: 
zöliihe, Wallonijdhe, Rhatoromanijdhe, Ru: 
mänijche auch einmal waren. Die Römer 
als olitifervolf hatten nicht bie Torheit 
ber Ytorddeutiden, fidh über mundartliche 
Klänge — 3. B. ber Schweizer, Elſäſſer, 
Schwaben, der Ungarn, wenn fie deutſch 
Error — mit Überlegenheit zu amülieren. 
ie machten es wie die Englander, bie bie 
Gbinejen und Malaien, ohne bie Miene zu 
verziehen, in deren Pidginenglijd am: 
dren — wenn fie nur auf ihre Zeile eng: 
ifd) reden. Gie |djidten ihnen auch von 
Rultusminijteriums wegen feine Gramma: 
titer auf den Hals, bie mit ber *Daulerei 
eines gebundenen ‚Richtigen‘ die Leute ab: 
ichredten. Deswegen aber wird von allen 
jenen Bölfern, jest anderthalb Sjabrtaujenbe 
nad Roms enilämunbener Herrichaft, roma: 
niſch gefprodjen, fie find lateinijche Nationen 
eworden und geblieben, obwohl fie niemals 
atiner, noch Stalifer, |onbern das ver|djie: 
denite tonft urjprünglich waren. 

Daß bie Friauler nicht im Mittelalter 
aur italienijden Umgangsipradhe übergin: 
gen, bie bas Florentinijde ijt, erflart [id) 
wieder aus ber deutſchen Herrichaft, von 
der nachher nod) mit Daten unb Grenzen 
zu ſprechen ijt. Ebenjo wie fie blieben die 
Braubundner, als zum deutjchen Reid) und 
jpáter zur Gidgenoffenjchaft gehörig, von 
Italien abgejdnitten. Drum |pradjen aud 
jie ben alten Provingdialeft, ben ber Iateini: 
fierten Rater. Drittens aus demjelben Grunde 
gibt es nl Romanen in Tirol, 
öftlich von Brixen, bte fogenannten Ladiner. 
Tirol war, entgegen einer Jrredenta-Fabel, 
ftets ein zulammengehöriges Land, wo es 
feine alten Gebiete Italiens zu erlöjen gibt. 
Südtirol war früher auch weit Ddeutjcher. 
Als Goethe nad) Italien fuhr, verzeichnete 
er: „Hier bin ich nun in Roveredo, wo Die 
Sprache fih abjchneidet.” Das ijt gut ſüd—⸗ 
lid) von Trient. Heute liegt bas Sjinübers 
idjwantfen ins Italienijche ein gut Teil nörd: 
lih von Trient, und man darf zufrieden 
jein, wenn man in Calurn fein 3Piertel Ters 
laner auf beut|d) befommt. (Nebenbei, ich 
ipredje höflich deutjch, wo die Leute bem 
mit Wbficht feindlich find. Davon ein an: 
dermal.) 

Syene drei Spradfleden auf der Karte, 
Rhatoromanijd, Ladinijdh und Furlanijd, 
faBt die Philologie bes lieben Syftems wegen 
gern zujammen. Gie haben aber feine Ber: 
bindung, als daß fie imjelhaft erhaltene 
Mundarten des altrömijch - italilchen Alpen: 
randes find. — 

Dugg mi dis, che soi allegre 
Mat mio cur nissun mel viod, 
T der Anfang eines modern. furlanijhen 


tebes[iebes, nicht ohne gebildet italtenijd)e 
Velbagen A Rlafings Monatshejte. 


Einflüffe. Tutto mi dice, ch'io sia allegro, 
mal mio cuor nessun mi vede, wär's in 
italienijdjer ‚Poefie‘, wenn ich’s jehr wört. 
lid) made: „alles jagt mir, ich jet heiter, 
aber niemand in mein Herz“ (Text mit: 
eteilt und bent|d) überlebt vom Grafen 
orl Coronini). 
wei jebr verjchieden geartete Bolts: 
eriheinungen ftoßen bier jet gujammen auf 
dem Boden der alten Grengmarfen des 
mittelalterlichen — Reiches, Slawen, 
die ſich nach dem Verebben der großen 
Völkerwanderung gegen die Adria und in 
die e ti vorſchoben, und Fur— 
laner. Jugendlich im Volksweſen die Slo— 
wenen, unerſchöpflich in Naturmythen, Sa— 
en, märchenartigen Erzählungen, dörflichen 
räuchen, Feſten, alten und neuen Liedern, 
die durchweg das anmutig Poetiſche, die 
ſinnende Weichheit, auch Zagheit ſlawiſcher 
Volkslyrik haben. Nicht weniger ſanges— 
luſtig bie Furlaner, aber ohne das Hel 
dunkel romantiſchen Sinnierens, unverhüllt 
wunſchvoll, viel von realiſtiſchen Anſpielun— 
en darin, auch ſolchen des Spottes und 
eibes. Die Art eines lebensälteren Bol» 
les, von Der zwei Sjabrtaujenbe ‚Rultur‘ 
ben zarteren Schmelz haben herunterreiben 
miijjen. Dafür bildeten fie bas Gelbitgefühl 
aus, das Rednerijde, Rhetoriſche, die be: 
liebte ISmprovijation, aud) in der Weile, 
daß Buriden und Mädchen, wenn fie Jom: 
merabendlid) beim Brunnen oder am Ein: 
ang bes Ortes in Gruppen fid) müßig ver: 
ammeln, fid) ihre Wugenblidsverje zujingen, 
das Sdnippijdhe dem Keten Antwort gibt. 

Der Name Friaul leitet ſich ab von bem 
Römerort Forum Julii, der unter den Lan: 

obarden zu größerer Bedeutung fam und 
fändiger Gig eines Herzogs wurde. Es i 

as heutige Cividale nächſt ber öſterreichi— 
iden Grenze, Dellen Name jchledhthin ‚die 
Stadt‘ bejagt; ein Heines Neft von wenig 
taujend Einwohnern, bejto reicher an Reften 
feiner Erinnerung. Noch unter Karl dem 
Broßen, der die Langobardijd -italijde 
Krone mit ber fräntifchen vereinigte, behielt 
grian diefe Herzöge, und fie waren des 

aiſers hauptſächliche Borfampfer gegen die 
von Weftungarn die Reichsgebiete bedrohen. 
den vielplündernden Awaren. Durd Karl 
wurde Friaul zu einer ftarten Grenzprovinz 
erweitert, indem mit diejen langobardijch: 
italifhen Nordoftgegenden aud) Slawonien, 
Teile Rarntens, Kroatiens, Dftriens, um 
nene Bezeichnungen zu brauchen, verbunden 
wurden. 

Sd übergehe die reichlich verwicelten 
Teilungen und Abänderungen diefer oe 
marfenverwaltung im Lauf ber farolingt 
iden und ottonijden Gejdidte und des das 
zwiſchen liegenden Jelbjtändig:italilchen Kö— 
nigtums des Berengar von Friaul und am: 
derer WBerjönlichkeiten. Die Hochpolitijche 
Wichtigkeit jener Gegenden in ihrer Lage 
gegen die Adria, bie Balfanhalbinjel und 
bie in Ungarn erjdienenen Madjaren, deren 


32. Jahrg. 19171918. 2. Bo. 20 


208 Tess PVrof. Dr. 


Neiterjchwärme die Züge ber Awaren wies 
berbolten, veranlafite Otto den Großen, 
Groffriaul von Italien abzulöfen und es in 
die Hand feines Bruders Heinrich, der 
Bayern als Herzogtum innehatte, zu legen. 
Co umfafte bas mit ber jüblid)en und jid- 
Oftlid)en Reidspolitif vorzugsweile betraute 

ayern fee die von Vajowaren be: 
— Marken Oſterreich, Steier, Kärnten, 
azu die Marken Krain, Iſtrien, Aquileja 
oder Friaul im engeren Sinne, und Verona. 
Von der Pomündung um den Gardaſee 
erum auf den Ortler zu läuft die deutſche 

eichsgrenze, jelbftverfiändlich alfo Südtirol 
und das Bistum Trient einſchließend, die 
ſtets Reichsgebiet geweſen find. 

Unter Kaiſer Otto L hat ſich dieſe Ord— 
nung trefflich bewährt. Unter Otto II. 
wadten wieder alte jdjmübild): bayerijche 
EN burd) die Herzöge ek die 

eide des Raijers Rettern waren, jo daß 
bei einer etwas gewaltjamen und nicht ſehr 
KSE Neuregelung im Jahre 976, bie 
ayern mit Echwaben gujammenlegte, ba: 
für ein jelbjtändiges Herzogtum Kärnten 
abgezweigt wurde, bas fih mit auf bie 
Darten Iſtrien, Friaul, Verona erjtredte. 
m Reihe gehörten fie natürlich auch Jo. 
ie fid) in den Deutjchen bie Überlieferun 
bieler Zugehörigkeit cinwurgelte, das trit 
in vielen Zügen hervor, aud) in den Be: 
danfenfreijen der epijd)en Sagen. Theoderich 
ber Große, ber trog feiner weit bejjeren 
Berdienite um Oftrom unb bie Jozial ver: 
lebten jpätrömijchen Italiener fih in ftetig 
größeren Umriſſen ju dem bewundertiten 
aller germanijden Helden auswuds, bis 
nad Island hin, ward fiir ben in Mie 
rona waltenden mddtigen König gehalten, 
Dietrid) von Berne, obwohl er dort nur eine 
SE Pfalz hatte und Ravenna feine 
egterungshauptitadt gewelen ijt. Auch als 
Herzog Bertold V. von Zähringen, der ein 
bie deutjchen Sagen und (pen liebenber, 
ftolzer Herr war, im burgundijchen Reichs: 
teil an der Aare eine junge Stadt anlegte, 
gab er ihr den Namen eines neuen Berne 
oder Bern. Mit ‚Bären‘ hat ber Name 
Bern jo wenig au tun, wie der von Berlin, 
trog allen Heraldifern, welde bie Vorgän— 
er ber jhlimmen Etymologen von heute 
And, die in dem Mijjenjchaftsteil ber Bei- 
ur ihr Unwejen treiben. 
ine Rolonijation Friauls mit deutjchen 
Bauern, Handwerfern, Gewerbetreibenden, 
wie fie zur Mittelalterzeit bis an den jieben= 
biirgijden Rarpathentrang oder bis weit 
Ja id nad) Polen zogen, hat nicht [tattge- 
nden. Golde bejiedelnden Auspflanzungen 
pajjen fiir Die minder well ad cur bal ſpär⸗ 
lich bewohnten Gebiete. Größere Leeren 
boten ſich auf den ſüdlichen Berghochflächen 
zwiſchen Gardaſee und Vrenta, wohin denn 
noch bajowariſch-deutſche Alpenbauern ge— 
pu find; fie haben die heutigen ‚dreizehn 
emeinden‘ und ‚jieben Gemeinden‘ (dieje 
um Gdlegen oder ‚Ajiago‘) angefiedelt. 


Gb. Heyd: BESsssesesssss4d 


riaul dagegen hatte feit alten D aus 
fenetern (DUyriern), römiſchen Rolonijten, 
Langobarden, endlich ben befdeiden fic 
hereindrüdenden Clowenen im Often eine 
allzu ausreidjende Bevöllerung, um mod) 
bcut[d)e Bauern aufnchmen zu Tonnen. Da- 
egen gingen erbloje Herrenjohne und Ritter 
in das Yand, gerne gejehn und gefördert 
von den Inhabern der Martgrafichaften, 
die fie mit Butsherrichaften und *Burgleben 
ausftatten fonnten. Go leiten fi, um me: 
nige ftattlidje gu nennen, die Grafen von 
Colloredo und bie von Gollalto auf ſchwä— 
bijdje Geſchlechter guriid; die großen amis 
licn der Wlpenlander, wie bie Eppenjtein, 
Zeltſchach, Mosburg, Peilftein, hatten viel: 
ad) in Frigaul Grunbbejib, ber ritterliche 
chnsadel der Patriardhen von Aquileja 
war jaít durchweg deuticher Geburt. Das 
alles bat gemacht, daß bier gunádjit bie Ent» 
widlung eine ber deutichen Ähnliche ward. 
Vie italienische Gejdidte ijt bie der macht: 
voll aufjteigenden Stadtrepublifen, bie fd 
mit einem Untertanengebict umgeben und 
den darin wohnenden Adel in ihre Mauern 
iehn. Dagegen in ber Beronejer Mart und 
in Friaul behauptet jid) die Führung der 
lands und burgjälligen Wdelsgejchlechter, 
bleiben die Städte in Herrenhänden, bis 
endlich, in ben Berfallzeiten des mittelalter: 
lichen Reiches, bie Herrichaft Benedigs zum 
Übergewicht fommt und fie nun aud in 
bielen Gegenden mehr das italienijche Ge: 
präge an die Oberjlade bringt. 

Auch bas 976 geſchafſene große Herzog: 
tum Kärnten zerjplittert. Wie die Steier- 
marf wurde bie frainijdhe abgezweigt, die 
Marten Ijirien und Friaul famen an die 
Patriarden von Aquileja als Inhaber ihrer 
Reichsverwaltung. 

Linie eines Puftertaler Gejchlechtes find 
die GN von Gürz, die um 1500 ausge: 
jtorben find. Diefe urjprünglichen Inhaber 
der farntnijden Grafidjajt Yurn erlangten 
die weltliche Schußvogtei des Batriardiass 
— ein Verhältnis, das ähnlich wie bei den 
englijden Schutzherrſchaften die Neigung 
enthält, den zu Bejchügenden, wenn es mög: 
lid) wird, allmáblid) aufzuejlen. Am Un: 
fang des 13. Jahrhunderts fam es zu einer 
Schlichtung derartiger Anſprüche unb Strei- 
tigteiten, worin der Patriarch dem Grafen 
die unumjchräntte Hoheit über Stadt und 
Herrjdhajt Görz einrüumte. Die Witwe 
eines Ipäteren Grafen, der 1323 ftarb, bie 
bayerijche Herzogstodhter Beatrix, war eine 
jo frajtvolle Regentin, wie je ein Mann; 
nad) dem Tode des Patriarden Pagano 
wurde ihr bie ganze weltliche Verwaltung 
von Aquileja, jowie bas Generalfapitanat 
in Friaul anvertraut. Das Wejentlicde, 
Daucrnde ijt, daß feit 1202 die fejte Grenze 
ber Grafídjaft Görz gegen das in verwor: 
rene Kämpfe geratene DOberitalien bejtand. 
Und ba bei dem Wusjterben der Grafen auf 
Grund alter Erbverträge Raijer Maximi: 
lian I. nadjfolgte, ift fie damals die habs: 








EEEA Verſchollene deutjche Gejd)id)te in Venetien unb Friaul 299 


burgijde geworden. Im Kriege der Liga 
von 1508 eroberte Maximilian von Benedig 
eine Anzahl DOrtichaften und Gebiete, dar: 
unter Aquiteja felbjt, woraus die Grafſchaft 
Gradisca geformt unb mit edt, vereinigt 
wurde. Geit ber 3Beje&ung Aquilejas durch 
bie Benegianer 1451 war Paine lebte Bedeu: 
tung als d EE erlojchen. Diejer 
wurde |päter als Erzbistum nad Udine 
verlegt. | 
Durdh Spaltung des alten Sprengels im 
Jahre 575 gab es aud) in Grado einen Patriare 
en. Zum atriarden von Grado hielt 
d) Benedig, wodurd er politijd) deffen 
ertzeug ward, wie denn auch ſchließlich 
bas *jatriardjat von Grado nad) Bencdig 
übertragen worden ijt. Aus bielen Ber: 
Itnijjen entjtand an ber Riijte mehr Sta: 
len als im nördlichen Gebiet. 
Schon die erwähnte aquilejijd)e Verwal: 
tung Der —— Beatrix war ein 
Merkmal bes Wettbewerbs der neuen Stadt— 
herren im Gebiet. Freilich waren auch ſie 
umeiſt noch ghibelliniſch, d.h. fie lehnten 
ſich ihrer Stellung und Vorteile wegen an 
das Reich an, wie die berühmten Scaliger 
von Verona. Feſt durchgreifende Reichs— 
ewalt gab es nicht mehr. Im Ringen der 
—— untereinander iſt ſchließlich die 
Herrſchaft Venedigs auf der ‚terra ferma‘, 





Gantt Georg. Radierung von Wilh. Fahrenbruch 


im Gebiet von — und Verona, bis an 
den Ortler die Siegerin geworden. 

Vom deutſch-friauliſchen Adel ſind manche 
Familien ins Reich zurückgegangen und be— 
gegnen uns in der öſterreichiſchen Kriegs- und 
Staatsgeſchichte mit befannten Namen. Seit 
dem 13. Jahrhundert waren um ſo mehr 
italieniſche Nobili in die Städte von Ve— 
rona und Friaul eingewandert. Zu ihnen 
gehören auch die della Torre oder Torriani 
aus Mailand, die durch die friaulijd) - öfter: 
reichiichen Beziehungen als Thurn und Taxis 
mg Deutjchland gefommen find. 

[s ldngjt Benedig im Friauliſchen gebot, 
flingt zu neuartiger Erinnerung der Name 
einer jener italienijierten deutichen Burgen 
auf. Durd) Irene von Spilimbergo, bie die 
Scdjülerin Tizians war, des großen Furla: 
ners aus Pieve di Cadore im Alpengebirge. 
Mod niht zwanzigjährig ftarb fie zu Be: 
nedig, und bicjer frühe Tod jteigerte jo hod 
ben Ruhm ihrer Begabungen in allen Kün- 
ften, daß weitum bie italilchen Dichter, dar: 
unter Tajjo, fid) zu einem Bande Trauer: 
poelien auf fie vereinten. Tizian Dat Die 
etwas bürgerlichen Gejichter von ihr und 
ihrer Schweiter Emilia gemalt. Ihr Bater 
war ber friaulijde Edelmann Adriano da 
Spilimbergo, ihre Mutter jtammte aus dem 
venezianijchen Nobiligeſchlecht ba Ponte. 


n2 
© 
* 





H 


Mit jechzehn Bildern nad) Aufnahmen der Berliner Illuſtrations-Geſellſchaft, von $yri& 
Rihard und von Zander & Labiſch in Berlin 


OtCcecececcecceceecccececccececceeeccececececcccccececccccce(coe33333333233232332333323322323222332333233223222232259232?50 


er allerneuejte und beltebtejte SUtobe- 
|port in ber Berliner Theaterwelt 
Ih jet bas Entdecfen von Genies. 
Zwar ijt nod) teins dabei heraus: 

efommen; aber wie nad) Lejfing 
niht bas Finden einer Wahrheit, jondern 
das Cudjen banad) den höheren Genuß be: 
reitet, jo lajjen auch diefe mit einer elet: 
triſchen Diogeneslaterne ausgerüjteten Su- 
der unb Spürer fidy’s |djon genügen, wenn 
fie in ihrem dunflen Drange einmal jah: 
lings mit den Köpfen aneinanderjtoßen und 
dann, von [autem Hall erjchredt, fic) in die 
gejpannten und abgejpannten ee leud: 
ten, ftatt in das eines Genius. ei diejer 
Komödie — der beften, dic der Theaterwinter 
uns gebradjt hat — find nur bie armen Ent: 
bedien zu beflagen, die auf den Genieſam— 
meljtellen (wir haben deren ſchon verjchie- 
dene) abgegeben und herumgereicht, plößlich 
ihre Blößen hell von 
der Diogeneslaterne 
beleuchtet jehen und 
nun, unbemmbarer 
$üderlidjfeit preis: 
gegeben, in ein fo 
fives Dunfel fliich- 
ten müſſen, wie fie 
es ohne die jportliche 
Stöberwut Berlin 
WW s nicht verdient 
und nicht nötig ge: 
habt hätten. 

Lebt ba ein ehr: 
lider  Gdriftiteller, 
ein achtbarer fym: 
pathijder Diann von 
vierzig Jahren, na: 
mens Hermann Effig, 

eboren in Trudtel: 
Gen Er bat ſchon 
ver|djiebene Bühnen» 
itüde gejchrieben, 
Trauerjpiele, 3. B. 
„Furchtlos und treu" 
und ,Der Held vom 
Wald”, Lujt}piele a. 
B. „Die Glüdstub", 
„Der Schweineprie- 









die dazu gehörigen Gtüde nidt aufge 
rührt hätte. Aber er folte mum etn. 
mal ‚durchgejegt‘ werden. Zu Ddiejem 
Swed erhielt er zunächſt einen Literatur: 
preis — ber ijt leicht gu haben und bat 
bei ber uneingeweihten Menge nod) immer 
eine gewille Geltung; Dann wurden Ber: 
liner Theater in größerer Anzahl gleich: 
geitig attadiert und bearbeitet, bis fid) ihrer 
berbeiließen, das Genie jalvenartiq mit 
drei verjchiedenen Meifterwerten zu tte 
tommen zu laffen. Eine fraftvolle Offen- 
jive an drei Einbrucdhftellen Ai leid), einge: 
leitet durch journalijtiiche Ntebeltöpfe und 
Basabbläjer, bie bas peli pb überfallene 
Publifum betäuben und wideritandsunfabig 
machen jollten. Zwar AE der Zen: 
jor diejen ftrategiichen Meijterplan, indem 
er dem Lejjingtheater bie lung : 
bot, aber dafür rückten bas Königliche Schau: 
eee und bas 
leine Theater furg 

: vor Weihnadten in 
leidjem Schritt und 
ritt zu Ehren Effigs 
vor, um alsbald zu 
gemeinjamen Uneh: 
ren pe panifartt: 
gen zug anzu: 
treten. An ber Hof» 
bühne er[djien ber 
„Heldvom Wald“, 
der in Wirklichkeit 
ein Held vom Theater 
und nicht einmal ein 
guter war. Der Thea: 

. tergctte des Schau: 
\pielhaujes, ber ohne» 
hin einzig ift mit fei: 
nen sch überflüjft: 
en Beigaben, ent: 
ielt einen Auffas 
des Verfaljers über 
bie Bolfsbrdude im 
Hotzenwalde, einem 
infel bes ſüdweſt— 
lichenSchwarzwalds, 
die ſeinem Stück zu— 
grunde liegen. Dieſe 


ſter“, „Ein Tauben— ländlichen Sitten dre⸗ 
— go ina Dr. Max Pohl als alter Bauer in Ejfigs „Held oe at be ee 
b 


trog Delen Titeln 
ein unbeſcholtener 
Schhriftiteller jein und 
bleiben, wenn man 


vom Wald“, die befte jchaujpielerijche Leitung an 
dem unglüdlichen Abend. i [i 
Olten, fein gramumflorter Blid find wohl zu ver: 
iteben. Sein Sohn bat den „Mordllapf“ betommen, 
und er felber bat in dieſem Trauerjpiel eine längere 
Rolle zu jpielen, ber ?irmite! (Kgl. Schaujpielbaus) 


reichung des „Mord: 
Hapjes", d. an 
tödlichen ntzet: 
tels, den jid Die 


Die Diijtere Vliene des 


EEEEEEAA Karl Streder: Aus den Berliner Theatern BSSZSZZI 301 


offenbar einem ber Cntbeder, bot ein Gymna: 
fiaft a SEH an, und eine Tame forie ibm: 
„Hein! Nein! Nein!“ ins Gejidt. in fold) 
wiijter Theaterſtandal folte eigentlich unter 
Leuten von Kultur lich von jfelbjt verbieten, 
aber freilich: aud) der Wurm friimmt fid), wenn 
er getreten wird ... Wenn ber bürjtige Stoff diejes 
,Subbanbels" etwa im Truchtelfinger Vollstalen: 
ber unter ‚Allerlei‘ mit awangig geilen erzählt wird, 
5 mögen bie Lefer dices Literaturgweiges es 
d) gefallen laffen, wenn aber bie Theaterbejucher 
einer Broßjtadt einen ganzen Abend damit an: 
geödet werden, fo ijt es erllárlid), daß fie toben 
und jchreien. Es war eine jauere Woche ... 
Sft ber betulide Entdederiport Sprecathens 
in diefem Fall tláglid) entgleijt, fo bat er dafür 
an anderer Ctelle, von mehr Verftändnis und 
pea gs el bedient, einige Erwartungen er» 
wedt. linter dem vielverheißenden Ramen ‚Das 
junge Deutſchland' bat fih, geführt von Max 
Reinhardt, eine Befellichaft gebildet, bie bem her: 
anwadjenden Dichtergeſchlecht bas Sprungbrett 
anf die Bühne zuredytlegen will. en erjten 
Sprung madıte freilid) ein Toter, Der im Som: 





Eine ber Dorfſchönen in Ef: 
S „Held vom Wald” (Fri. 
od), um Oerctwillen er 

Mordllapf verabreidt wird 

(Kgl. Schauipielhaus) 


männliche Dorfiugend im 
Rampf um bie Liebjte zu 
geben pflegt. Bon diejem 
altehrwürdigen ` ofze 
brauch durfte man wenig. 
ftens erwarten, daß er 
einige dramatiſche Auf: 
ung und Cpannung 
b ngen werde. Aber nidts 
dergleichen, bas Ganze 
entpuppte fic) als eine Vor⸗ 
führung lebender Bilder 
aus einem Solfstracd: 
tenmufeum, als ein Aus: 
ftattungsftüd mit verbin: 
dendem Text in ſchwä—⸗ 
biſchem Dialelt, jo lah: 
mend ins finblide per: 
breitert, daß man vor 
Langerweile beinahe den 
Mordklapf befam. 

Um fo anregender war 
dafür drei Tage |päter 
bie Voritellung von Eſ— 

gs Luſtſpiel „Der Kuh- 

andel“ im Kleinen 
beater. Aber leider 
ging dicje Anregung nicht 
von bem Stück aus, bas 
an Schwächlichkeit feines: 
leichen Judyt, jondern vom 
Rublitum, das ohne Gage 
mitjpielte. Es rebellierte. 
weimal Eſſig in einer 
Sodje war ihm denn bod) 


i i i Aus ber Elfiqwodhe. Im ,Rubbhandel” hat ber Hauptlehrer Rindfleiſch 
Cate Es gilts, dune en d per A — A erhalten, aber pe Sieb 
, , m feine Bute, Frau Helene Rindile Ar mmermann), ewig treu 
unentwegt Klatjchenden, (Kleines Theater) 








| l (221094, $3(pjmaq;) 98 aa Uy am (planag; dun) pg Bung, aoq 
sonva qum mvjud IQI €3(pojg  "uaunuo] uajupqaq) Aua nf | e wip E 13Q9M 13186101 d p 
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Leben 





$ "Sgszzeseeeeeesegesesgeeseegeeegesggeeeegegesgesgeseeeegeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeneeeeeeeeeeeeegeeeeeee 


BSVSSSsosesa”dl Karl Streder: 


Aus den Berliner Theatern SIE 33331 303 





Marquis Pofa (Mlexander 9Dtoifft) und Don Carlos (Raul Hartmann), die beiden Diosturen, bie in die 
jem Winter hod am Himmel bes ,Deutidhen Theaters” ftanden und Taujende zur Schau lodten 


mer 1916 gefallene 
blutjunge Dichter 
Reinhard Gorge 
fam mit feinem Erits 
ling, er jelber nennt 
es [eine ,dDramatijde 
Cenbung': „Der 
Bettler“ in einer 
Mittagsvorjtelung 
des Deutſchen Thea— 
ters zu Wort. Ein 
Drama? Nein. Ein 
2.008: in dem der 
ichter fein großes 
Wollen anfiindigt — 
unb [o als Eröffnungs= 
dichtung bes ‚jungen 
Deutjchland‘ von bop: 
peltem Ginn — das 
gärende Chaos einer 
jungen oetenfecle. 
Bedenflich [timmt|d)on 
der Stoff. Es ijt das 
Beiden der Unfertis 
gen, auch ber Dilet- 
tanten, fid) felber mit 
ihren unflaren Wün— 


hen und Sehnſüch— 


ten im Gegenjah zu . 


den Nöten des Lebens 
und Berufs daritellen 
zu wollen. Als ob 





bilipp tt ber Don 
eutihen Theaters 


nicht gerade dazu Di- 
[tang gehörte! Und doch 
— wir bei Rein: 
arb Gorge ae 
auf. Denn ein Terzett, 
bas bier der Dichter 
mit dem ‚freunde‘ 
unb dem Magen’ ans 
ftimmt, hat nicht nur 
einen reinen, vollen 
Klang, es jhöpft aud) 
das Thema aus ber 
Tiefe. Der geldjáfts: 
unfundige, welt: und 
menjchenfremde Dich: 
ter ga pase troßig 
dem  woblmeinenben 
Rat pre aie (id) 
in bie Welt zu fügen, 
und [tóbt den Mäzen, 
der thm ein forgen» 
freies Echaffen gewäh— 
ren will, eigenfinnig 
vor den Ropf: eine 
eigene Bühne will er 
haben, nur auf einem 

anz bejonderen, für 

n Eë Inftru« 
ment fann er ben Ton 

nden, der in Die 

wigfeit biniibers 
flingt. Go gerjchellt 





— LAITI IL aLa SE BSE SEDGE SOSH POSS OMS 0DOO9O90002222520000000€0900000255600520005856002€99*9 09090909099»? *$e609009*9009909000000000000020949992009009000099022250000€0€0 HASSLE] 


im Deutjchen Theater: Elfe Heims als Königin 


„Don Carlos 


d 


= 


EFEE Karl Streder: Aus den Berliner Theatern 305 


fein Ideal an der 
Wirllidfeit. Bei al- 
lem Äberſchwang ijt 
ber Dichter in ber 
Darjtellung dieſer 
drei Menjchen von 
wohltuendem Realis- 
mus. Der Mäzen fo- 
wohl wie der freund 
find ganz vernünftige 
Leute, durchaus nicht 
ines 4a m 
ihnen fogar recht ge: 
bem. Das ift ja re 
lich gerade bas Tra: 
golde: der Dichter 
paßt nicht in die Welt. 
Aber diefe Wirklich: 
teitstreue wird abge- 
Ion von gejpenftijchen 
‚onen, mit ande: 
ren Worten der Na: 
turalismus wird mit 
Symbolen burdjjebt: 
im Raffeehauje ber 
Literaten und Der 
Halbwelt jehen wir 
ein dichteriſch empfun- 
denes oe bobler 
Beichäftigfeit, groß: 
ſtädtiſcher ‚AUftuali- 
täts’gier und Gitten- 
lofigfeit. Eine höchſt 


mertwiirdige Beweglichkeit ber ale: 
die wie ein fih brebenber Scheinwer 





Marie Fein als Prin’eifin Eboli in der „Don 
Carlos Aufführung des Deutjden Theaters 


er 





leuchtet, Menſchen 
und Dinge abtafıet, 
läßt bieje Bilder er: 
Idyeinen und ver 
gre — plóflid) 
ipt, ben Chor ber 
antifenTragödie geift- 
voll nahhahmend, eine 
Reihe todberciter Flies 
er da, Einheit in 
feiner poring tnr in 
en harten Geſichts— 
iigen; bie fnappe 
rofa gleitet unmert: 
lid) in ticfflingenden 
fers über, auf bas 
Gewirr und Gelicher 
der Liebhaber mit den 
Dirnen folgt jchwe- 
rer Orgelton. Go der 
erjte Wit. Mit ihm, der 
jtrablend ausflingt, 
at Der Didter das 
elen (de feines 
Wertes gegeben. Ter 
übrige Teil bes Sra: 
mas hebt fic) als eine 
Ichauerliche Familien: 
tragödie ohnejichtbare 
f'erbinbung mit dem 
Vorhergehenden ab. 
Des Didyters Water ift 
wahnſinnig —bie nahe 


Berwandtichaft von Genie und 3Babnjinn [oll 
jo, ein wenig deutlich und einfad, betont 





Man tann fid) — niht wahr? — vertranenerwecendere Gefichter vorftellen als Diele drei Mordgeſellen 
aus der „Winterballade” (Bruno Tecarli, Vant Weaener, Emil Jannings), aber fdwerlid tann man He 
beffer barftellen (Deutjches Theater) 


306 baee: Karl Streder: BSSSSSS3ISFI3Z3S3ZZZU 


werden — die Mutter fiedht in 9Ingit und Sorge 
dahin, der Sohn erlöjt beide burd) Gift. Hier 
flajft ein tiefer Nig durch bas Gange, offenbar 
ijt Gorge ingwijden ftarf von Strindberg 
beeinjluBt worden, nur läßt er bejjem be- 
dngjttgende — und Logit ſtark 
vermiſſen; Widerſprüche und Willkür herr— 
ſchen, die Vorgänge find an den Haaren 
erbeigezogen und oft von ermüdender Weit- 
eig lei. Und dod): immer wieder blin- 
en wahrhaft geniale Szenen auf, jo wenn 
der Sohn dem irrfinnigen Water (der fibri» 
gens recht vernünftig |prid)t) einen Cala: 
mander fommanbiert unb bie verängiteten 
Frauen fommentmäßig ‚mit reiben‘. Kurz: 
um, ber jo früh Verftummte war trog allen 
Sugendfehlern, ja gerade wegen der Art 
Diejer Fehler ein Berufener, feine Wohnnng 
ift jener SUlagnetberg, der die Augen und 
bie Herzen mádjtig anzicht, wo das junge 
Didtergejdledt vom Adel des Sturm und 
Tranges Debt: die Leng, Büchner, Grabbe. 
Gein „Bettler“ ijt ein Werf, wahrhaft ge: 





Schlußakt in Dehmels Menſchenfreunde“. 

Chriftian Wad (Albert Ballermann) erfennt in legter Stunde unter der 

linden Hand der Vflegerin (Ilta Griming), Daß ein biüchen Güte von 

Menſch gu Menſch mehr wert tit, als alle grobe Wohltätigteit, mehr aud) 
als alles Übermenidyentum Leeiflugtbeater) 


Die gerfurdhte Menichenruine 


[pidt mit Mängeln und Sdhwiden — aber 
erfüllt von jener verwegenen Unbefiimmert- 
* jener träumeriſchen Sehnſucht, jenem 
erben Trog und endlich jenem erſchüttern⸗ 
den Notſchrei der Prometheiden ... Max 
Reinhardt war der rechte Künjtler, den hoch: 
bg Träumen dieſes Tidjters pban- 
ajtijdje Gejtalt zu geben, feine ,dramatijde 
Gendung” zu erfüllen. Scdyaubilder von un- 
vergeßlihem Reig fpannten fih um fhau- 
ſpieleriſche Glangleijtungen von Paul Wer 
ener, Helene Thimig, Gertrud Eyjoldt, 
rnit Deutſch und Emil Gannings. 

Nad) der Jugend ijf man auf ber Gu 
in der Berliner Theaterwelt — mit Redt 
troß allen HA ungen und Ausrutſchern. 
Springt aber in biejer 9tüdjd)au bie Frage 
auf: wo id) im heurigen Theaterwinter am 
meijten braujenbe, ftürmijche apod auj 
ber Bühne gejehen babe, jo muß id) wahr: 
age rg geitehen: bei einem Dichter, der 
eit mehr als hundert Jahren tot ift. Schil: 
lers Don Carlos bat am Deutjchen Theater 

den jtärliten Erfolg der 

Spielzeit di cms (wodyen» 

lang war fein Plag zu 

baben, wenn man T 
nicht [ange im voraus be: 

Apr unb er verdantt 

elen Grfolg  lebiglid 

bem jugendliden Feuer 
und Uberjdwang, dem 
wolfenbod) aufflammen: 
den Godelzug, den Die 

Darftelung ganz fhile» 

tijd) traf. Max Reinhardts 

arlos: Aujführungen 

Wie jeit bem Jahre 1909 

cfannt. Moiſſis Poſa gab 
- ihnen jhon Damals bas 

Qepráge. Aber es war 

fein ebenbürtiger Carlos 

da, und aud) der König 

Dep zu wünjchen übrig. 

Segt bat das Deutjche 

Theater — leider nicht auf 

lange mehr, — in Paul 

Wegener einen Philipp 

unb, was widjtiger ijt, 

in Paul Hartmann einen 

Carlos, die dem reifer 

und vertiefter gewordenen 

Moiſſi — das 

Höchſte dieſes Schiller— 

ſchen Jugendwerks her: 

auszuzaubern vermögen. 

Dies Höchſte aber beſteht 

darin, daß wir beim Zu— 

chauen nicht nüchterne 

erſtandsmenſchen blei— 
ben, ſondern daß der Adel 
und die Hoheit dieſes be— 
ſchwingten Dichters uns 
völlig überwinden und 
wir ſchließlich mit beben⸗ 
der Ergriffenheit zu ihm 
aufſchauen, von deſſen 


EFE Aus den Berliner Theatern BESSsSesessed 307 





Anfcheinend ftellt das Bild nur drei Teríonen dar 


den Fink und Fliederbuülchzualeich (febr tuitig) verfó 


in Wirklichkeit find es vier, ba Bajjermann (lints) 
rvert. Neben ibm Bla Grüning als 


güritin, geichäf: 


tig in latid unb Wohltatigleit, redts Nee Parlamentarier und jartajtijder 
e Zell 


Lippen bie dentiche Eprache bald wie holde 
Mufif, bald wie Eturmeswehen flingt, in 
Dicjem Hohenliede ber Freibeitsliebe, edler 
Sreunb|d)ajt und Menſchengröße. — 

Das wenigftens ijt bas Erfreuliche an ben 
nachfolgenden Dramatitern, daß fie nicht zu 
diejer neuerdings mehr und mehr fid) breite 
madenden Eippe gehören. Es darf nicht 
als bas [cte Zeichen der Edjtheit und Größe 
eines Didjters gelten, daß man ihn lieben 
tann. Das trijjt auj Ridard Dehmel unb 
Gerhart Hauptmann gewiß zu. Won 
Hauptmanns Winterballade habe id) in met 
ner legten Theaterrundichhau bier ſchon oe: 
fagt, daß fie enttáujd)t hat, es bleiben nur 
nod ein paar Bilder von der pr Dee 
Darjtellung nachgutragen. Die Tragödie 
jelbjt hätte viclleicht tiefer gewirlt, wäre man 
niht vorher auf die Quelle ihres Gtoffs, 
auf Selma Lagerlöfs Erzählung „Herrn 
Arnes Shag” aufmerffam gemad)t worden. 
Co aber erwartete man von der Geftaltun 
bes zarten Jungfräuleins Elfalil gerade bet 
dem — [o elfiiher Weſen wie Hannele, 
Ottegebe, Gerjuind — aud) Pippa und Rau: 
tendelein gehören hierher — das was Haupt: 
manns eigenjtcs Gebiet und Können ift, 
aber Dier verjagte er diesmal, ihm war's 
mehr ums Grauslide zu tun. Cine Über: 


rajdjung brachte Rihard Dehmel mit feinem 
Drama „Menſchenfreunde“. Lange hat 
der große Lyriler vergebens um bie aim: 
bes SDramatifers gerungen, jet endlich, mit 
infunbjünfaig Jahren, bat er ein leijes aber 
tarf an bie Geele greifendes Srauerjpiel 
eihaffen. Sein Multimillionär Chrijtian 
fad), belajtet mit ſchwerer Schuld, jeelijch 
ein überlegener Herrenmenich, ipottet inner: 
lid) über bas grenzenloje Wohltun, durch 
bas er fid) als ‚Menfchenfreund‘ einen Na: 
men gemadj, wie über ben 9Infláger, ber 
ihn durch jene Schuld vernichten will. Zieler 
Gelbjtpeiniger verachtet bie Gelbjtgerechtig: 
teit und Heuchelei der Melt wie thre Stra: 
fen: ohne Beftändnis ftirbt er einjam, feine 
legten Augenblide verflärt durch das bißchen 
ee it ee eines cinfaden eibleins. 
Das ift eine Geftalt, die nur ein überlege: 
ner Dichter ſchaffen und die nur ein Künijt: 
ler wie Bafjermann fo erid)ütternb nad): 
bilden tann: mit allen Schauern einer von 
Gelb[tqual zerrütteten Seele, mit allen Mert- 
malen des Pathologiſchen und bod) einer 
trobigen in fid) verbijjen gujammengefauerten 
&rajtnatir, 
Die zerfurdyte Menjchenruine, von wilden 
Haar unb grauem Bart umjtarrt, die Baſſer— 
mann bier jdjuf, war das frajjejte Gegen: 


908 BSSsssssesesy Karl Streder: Mus Den Berliner Theatern IBé3£363£3€63636362€ 


fterfchaft darſtellt. Das 
ujtipicl felb[t hat bei ber 
Prejje größtenteils eine 
ablehnende Haltung ge- 
funden. Man fühlte fih 
wohl verjtimmt über die 
einjcitige Rarifierung bes 
Sournalijtenftandes ; aber 
jeder andere Stand muß 
sae einmal auf Der 
Bühne herhalten. Dah 
man bejonders in Wien 
über die febr deutliche 
Sofaljárbung — man 
— von einem lüj- 
etüäd — nicht eut 
war, läßt jid) denten. 
Gicht man von Der gro- 
ben Bergerrung, nament» 
lich des erjten Altes, ab, 
die nur äußerlich einen 
wahren Wnjdein hat, fo 
bleibt bie Grundidee: dah 
ndmlid) ein germanbter 
junger Mann unter zwei 
verjdjicbenen. Decnamen 
„Die Lebensgefährtin“ lints (Rola Bertens) Debt nicht wie ein „Rind in einander feindlichen 
der Freude” aus, obwohl Caltens Einatrerreibe fo benannt iit. Das Blättern mit fic) jelbft 
arme pernadjlàliigte Weibchen des großen Heldendarfiellers (Ferdinand cha olemijiert und 
Bonn) bat allen Glanz und alle Wärme Des Lebens ihrem — Stern NT oP 
überlaffen (Rammerfpiele) lie ce Rat igh 
en wird, au 
ftüd zu dem glatten, RE se gigerlhaft: iftolen zu fordern und als Doppel:Ich auf 
(wëlleg Finkund Fliederbuſch, diefer dem Rampfplag zu erjdcinen — luftig genng. 





ti 
oppelrolle, bie er indemgleichnamigenStüd Das Stiid wurde, wie aud) Dehmels Drama, 
von ArturSchnitler mitvollendeter Meiz im Lejjingtheater unter Barnowstys Spiel: 





Drei „Ainder der Freude” von Felix Salten. Die beiden Nebenbubler (rechts Hermann Thimig, in der 
Mitte Ferdinand Bonn) wiiniden jid) —— zum Teufel. Johanna Terwin iſt Lien in Berlegen: 
heit, welchem der beiden Wünjche fte beipflidten foll (Rammeripiele) 


eSPCSOSSSSSSSSSSeSSSOSSSSSGeeeeraeseeresn »-—n——n. nn... ...n„...u........ 





r Beterlein : 
b, Darum : 


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Peterlein bat fein ER 


uperlluge Biga (Erita Gläßner) und 
erte Straße nad) Cteinagd) (Theater in der Königgräßeritraße) 


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310 Bessey] Karl Streder: Aus den Berliner Theatern III ZZ 


ordnung ert TA dargeitelt und hat 

fih gegen alle Widerjprüche e Sh ag 
Glüd hatte and) ein anderer Wiener (fie 
haben alle bei uns Blüd, beinahe joviel wie 
die Budapeltcr), ber in Gchniglers Fub: 
ftapfen wandelt: Felix Galten mit jeinen 
„Rindern der Freude“, die im Rammere 
Ipielhaufe für einige Monate Quartier be- 
legt haben. Die Kunſt des Ginafters hat 
Galten tedjnijd) febr jauber ausgebildet, er 
verjteht es, ein merfwiirdiges Borfommnis 
ober eine plychologiiche Frage in eine tnappe 
dramatijdeHandlung umzufegen, fo gwar, daß 
id mit einer überra|djenben Sdlugwendung 
gelöft wird. r bat jo 


dlagartig-wifi 

den befannten alten der Novelle gewiljer: 

maßen für die Bühne abgerichtet. Gefiibls- 
nicht bei ibm zu finden, 


wärme ijt — 
ſeine Geſtalten ſind lediglich Spielmarken, 
als ſolche nicht apne Wert. Überhaupt bat 
die Technik bet unjeren Dramatifern in [ebter 
Zeit aujjallenbe Fortjdritte gemadt. Ram 
ba im „Theater in der KRöniggräßer 
Straße“ een Name ebenfo lang und häß— 
lich, wie fein Bühnenhaus intim und hübſch 
ift) ein junger, in weiten Kreijen unbefann: 
ter Dichter namens Wilhelm Gtüdlen 
mit einem Drama „Die Straße nad) 
Steinaynd” zu Wort, bas ein uraltes, ver: 
braudjtes Motiv, den Kampf ums Weib, in 
bejonderer Faſſung zeigt. Nicht ein Wort 
iit in dem ganzen Ctüd zuviel gejagt, bie 
eig liher, bie Szenen fo zujammen: 
edrängt, das meijte lebenswahr, in der Be: 
euchtung oft neu und angiebend. Ob nicht 


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In Georg Reides „Blutopfer“ jehen wir das junge Pajtorentidterdhen (Marija Leito) — 


eine gewiſſe ſeeliſche Einſchränkung dem 
Dichter einmal zum Verhängnis werden 
wird, läßt ſich nach dieſer Probe nur ver— 
muten, nicht entſcheiden, vorläufig wird man 
dies Talent im Auge behalten müſſen. 
Wandten ſich die bis hier begleiteten Biih- 
nenjd)riftiteller mit großer Einmiitigfeit von 
dem großen Weltgejhehen ab, das uns 
alle nun bald vier Jahre in Atem hält, fo 
bat ein Kon befannter Dichter, Georg 
Reide, jozujagen den Kriegsitier bei ben 
Hörnern gepadt, er bat in einem breit aus: 
gejponnenen Drama „Blutopfer“ den ge- 
waltigen Rahmen bieles Bölterfrieges um 
eine Yicbestragóbie eigener Art gezimmert. 
Per Lyrifer Weide mad)t fid) in Ae von der 
,9oltsbübne" gutgejpielten und freundlich 
aufgenommenen $yünjalter des öfteren ange: 
nchm bemertbar, Ar Szenen, jo die auf 
dem abgebrannten Gebóft und im Offigiers- 
fajino, find plaftiid geformt, im ganzen aber 
ijt zuviel GewolltsDramatijdes in bem Wert, 
man bat nidjt ganz mit Unrecht an Reides 
Randsmann Gudermann erinnert bei der 
Ag ei mit der Bater und Sohn um 
bas junge Weib ftreiten, und bei bem roman- 
tijd) nnbejtimmten Charafter Ddiejes Ge: 
höpfchens jelbjt. Den meijten Vorgängen 
chit bie Wahricheinlichteit und den Ge: 
prdden oft der vorwärtstreibende Motor. 
mmerbin ijt der große Wurf ber Beachtun 


wert; geradezu Bewunderung aber verdien 


die Tatjache, baB cin *Bürgermei[ter von Ber: 
lin während bicies Krieges nod) zu jo weit: 
ausholenden bramatijd)en Taten 


eit findet. 





[den den beiden Nebenbublern, dem Vater (Eduard v. Winterftein) und feinem Sohn ( 


Hartmann) troft:, UH unb ratlos, bas Blutopfer abnenb. 
iher Gude (Fri Ridhard) ( 


poln 


n der Mitte als Mittler ein 
oltsbühne am Bülowplat) 











[s wir mit lehmverflebten Ellenbogen 
A und durdgejdcucrten Knien in der 
say Septemberjonneam Mauerfeelagen 
BLO) und plößlid) hinter uns ber neue 
i Transport aus Holftein ftand, zwei 
Dugend Abad ol aphid blanf und neu wie 
3innjolbaten auf bem Weihnadtstijd, jab 
id) am rechten Flügel einen wohl vier:ig: 
jährigen Unteroffizier mit verwittertem Gee: 
mannsgelicht, geſtußtem Schnurrbart, waſſer⸗ 
blauen, nervöjen Augen, Krähenfühchen und 
Trauring. Mijdung von Fertigkeit und Un: 
ficherheit. Unter dem Drud des Tornilters 
{auernde, im Koppelfig und in der Gewehr: 
haltung verjtedte flüchtige Eleganz. Aus 
dem Rahmen der Studenten fiel er ein wenig 
eraus, trat aus bem Glicb auf mid) zu und 
ellte fid) He vor: „Heim.“ 

„Auch Kriegsfreiwilliger?” frug id) ihn. 

Er bejabte zögernd, verlegen werdend. 

„Und jhon Unteroffizier?“ Ich bin im: 
mer jo neugierig. 

Da liefen viele traurige Falten über fein 
fturmbdurdwiiblics Gefidjt, und er fah bitter 
an mir vorbei und ſchwieg. 

8 


B 8 

Ich ſpürte, daß ich in dem gedrungenen, 
älteren Dianne etwas verwundet hatte und 
ging nun mit doppelter Liebe neben ibm ber. 

as Köpfezufammenfteden hinter feinem 
Rüden beadjtete id) nidjt und richtete mich 
freudig daran En mit wie traditionell milis 
tárijdjem Schimpfen er die längiten Märjche 
ertrug, wie gewandt er im Quartier den 
Tornilter abwarf, wie er im Schlamm ber 
Randitraße D jelbjt mn vorfam, in 
jchneidigem Kaſinodeutſch im Straßengraben 
politifierte, feine Friedensjehnjucht mit Sekt— 
wetten befräfiigte und fid) von mir einzig 
und allein helfen lich, wenn ihm an Regen: 
tagen und auf Hungermärjchen feine jchweren 
Bremer Zigarren ausgegangen waren. 

Überhaupt imponierte er uns, Die Leute 
parierten ihm, und er führte jeine Gruppe 
im den er|ten Gefechten mit wortfarger Ma: 
növergewandtheit. Wurde einer von feinen 
Leuten verwundet, [o begleitete er dejjen Auf: 
jchrei mit einem harten Fluch; fiel einer, jo 
zudten einen Trommelwirbel lang die trau- 
tigen Falten über fein Geficht, weiter nichts. 
B 


8 B8 

Un der Pilica ging der Oftoberabend mit 
diden Nebeln nieder. Wir hatten bie jchwe: 
ren Tage von Iwangorod hinter uns; nun 
umfing uns wieder bie abenblidje Ruhe 
eines tief in den Sumpf ber Flußniederung 
gejtod)enen Grabens. Brettergejchü ahr A 
verjtopfte Stellen im Graben wehrten als 
Embryonen der fiinftigen Unterftände die 


- bon Erich Vent/her 








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naffe Traurigfeit ab, bie draußen von Wei: 
ben und Briicden tropjte unb wandelten den 
herben, erniten Gerud) der einjamen Wiejen 
in enggerüdtes $Rebagen. Tie Vormittags» 
fonne, bie fid) mandyınal durd) bie |d)meren, 
raftlojen Wolken brad) und einen zeitver: 
idilajenen Bujden Nergißmeinnidyt am Fluß: 
rand beglißerte, löjte uns langjam aus Der 
Bellemmung der Gel durdyatmeten Cdjladyt, 
die Nafe labte fidh wieder am Duft zer: 
fo iter SC und der ungalante Cpie: 
gel rief Den Ramm aus der Tiefe des durd: 
einandergewiiblten Tornijters, rief den Bart: 
Huber, ben Rompagniehciligen, herbei, daß 
er mit legendenhajten Vlartyrien fein Miratel 
vollbringe. 

Cogar der Ginn für bie Rompagniege: 
ichäfte erwachte jur Freude ber Ehrgeizigen, 
unb ber Feldwebel umbrummte mit blauen 
Aftendedeln ben BVataillonsunterftand. Es 
lag etwas in der Luft von Beförderung und 
Zufunftsmufif, man riet, adyjelzudte, topf- 
Ichüttelte und ſuchte das Ciegel auf ben 
Lippen des Schreibers mit braunen, etwas 
angenäßten und deshalb Dampfenden Glimm: 
ftengeln zu jchmelzen. 

Ich pflege bei SEN Gelegenheiten felt- 
am jpige Ohren zu befommen. Alle Lü- 
ternheit meiner erwachenden Lebensgeifter 
richtete fic) nun a auf den Spieß als 
höchſtes Idol, und id) horchte beim Shupe 
ber Dunfelheit taftend den Graben entlang, 
was Dieler und jener von meinen Ausfidten 
büd)te. Sd) fam in Betracht. Sd) war dran. 

Ich ftdrte gerade den Rranfentrager Pelta 
beim Doppelfopf mit dem Roman meiner 
militärijchen Vergangenheit, als ber Feld- 
webel mit jehr jupiterhaften Schritten den 
Batailonsunterftand verließ. 

Zweiundeinhalbe Minute jpäter jchlug 
der Ka ein: Unteroffizier Heim — Leut: 
nant! 

Die Pilica war nicht tief genug, um mid) 
darin zu ertränfen. — 

Heim ging zur Meldung beim Komman—⸗ 
deur an mir vorüber. Cr ftrid) mit ber 
Hand über meine neidijch gefrümmten Schul: 
tern und [ub mid) zum jpäten Abend ein in 
jeinen Unterjtand. 

Auch das nod! Als wenn man mit feiner 

— Frau im gleichen Fahrſtuhl 
ährt! — Schwermütig hing der Nebel im 


Weidenbaum wie ein zerriſſener Schleier. 
ag 


88 
Eine Kerze mit mattem, j|djimmernben 
Sol burd)bümmerte den engen, niedrigen 
retterperid)lag, in bem der Leutnant mit 
einigen pflajterartigen Abzeichen feiner neuen 
Würde ja und lächelnd an einer Feldpoft: 


319 eeh Grid Wenticher: d 


farte [djrieb. Eigentlich war fein Gelicht viel 
weicher und jünger geworden. 

Na ja, wenn man den Marjchallltab aus 
bem Kochgeſchirr filcht! 

Liebenswert war er bod), wie er mir Pla 
madjte und wir beide vergnügt nebenein- 
ander JaBen, bie Knie JO en und Die 
Köpfe zwilchen bie Knie gebüdt, wie ber 
neugebadene Burjche ein heißes Getränf und 
einen Wurftzipfel brachte, und wie wir beide 
mit eingeflemmten Armen Mahlzeit hielten. 

Dann blies er das fladernde Yicht aus, daß 
bie raujchende Sjerb[tnadjt durch die Bretter: 
jpalten zu uns bereinjah, und formte mit 
ſchweren, ftahltlingenden Worten nad) feinem 
Willen mein Herz. — 

„Bor zwanzig Jahren — Gie fonnten 
damals ben 3apfen[treid) nod) niht von 
ber Reveille unterjcheiden — bin id) [d)on 
einmal Leutnant geworden, ein anderer als 
heut. Ich war jehr Ko uud gab den Rames 
raden feine jchlechte Bowle. Den Degen hielt 
id) gwijdjen den Knien, wie ein Mädchen |cine 
neuge|denfte Puppe nicht aus den Armen läßt, 
unb bie jchmalen Achſelſtücke fühlte id) wie 
das Boldgefleht bonapartiiher Marſchälle 
auf meinen Schultern. Die Ehre, bie Be: 
fehlsgewalt —, bas fpiirte id) voll heraus. 
Wie die Konditorei fih umfrempelte, wenn 
wir eintraten, wie die Gardinen raufchten, 
wenn wir bummelten, bas alles fojtete id) 
mit Stolz, erſchöpfte äußerlich den Glanz 
des Berufs, und weil ich dazu pünktlich, par: 
jam, fleißig, ehrgeizig, vergnügt und umgäng: 
lich war, Pte es nicht am lobenden Gdjul: 
terflopfen: ‚Heim, Sie find bod) ein Pradhttert!‘ 

„Es klappte alles über Erwarten, Befich- 
tigungen und Rritifen. Als id) das Ata: 
demieexamen beitand, wollten die Danfbar- 
feit und das Glüd heiß in mir auflteigen 
wie Rnabentranen. Wher ich zog die Kippen 
chief, wie um ein ſcharfes Kommando zu 
geben, und bejdjájtigte bie quellenben Augen 
mit meinen Handjduben. Sentiments paB: 
ten bod) nicht in unjern Beruf. Es jchien 
mir einzig darauf angufommen, wie unjere 
Stiefeletten glänzen, wie wir die Quadrille 
beherrjchen. Jedes QGejdjüjt, bas wir be: 
traten, jeder Zivilift, den wir grüßten, alles 
mußte dod) ausgefudjt und bedadt fein. 
Was jollten ba Gentiments? Gelinnung 
jelbjtverjtändlih, Gefühl Grofchenzigarre. 
Punktum. 

„Nun, Berlin nahm mich feſte in ſeinen 
eleganten Wirbelwind. Ich war rieſig ge— 
ſellig und überall, in Theater und Bar, auf 
Rennen und Baſars, erntete ich jenes ganz 
nichtsſagende Lächeln, das man ſo leicht für 
einen Scheck auf die Zukunft hält. Mein 
Herz war ein Spitzglas voll Kohlenſäure; ich 
lächelte mich immer mehr hinauf, und alles 
klappte weiter über Erwarten. Daß ich über 
mein Portemonnaie ebenſo ſchnell die Ge— 
walt verlor wie über meinen Hoſenlatz und 
den ganzen Kadaver, das merkte ich gar nicht. 
Sd) war eben hohl wie eine Paute. Tier: 
gartenjtraße und Drefjel, die Manichäer 





nahmen mid) in ihre Mitte. Im Tatterjall 
hielten mir Cchieber ihre Rigarettendojen 
entgegen. Ich ſchwamm in der Jauhe Diefer 
ganzen überjättigten, grundfaulen Gründer. 
eit. Und dann ging es bergab wie bas 

affer vom ——— Nach außen machte 
ich bis zuletzt Bum, bum!, ein junger, vor— 
patentierter Hauptmann, dem man eines 
Tages den ſchlichten Abſchied gab. Geſchei— 
tert am falſchen Augenmaß für das Leben. 

„Tenn weil fein Beruf [o hart, |o gezwun: 
gen und MM pni d ijt wie ber bes Offi- 
giers, bedarf auch feiner p des inneren, 
per|d)miegenen Friedens. er unter uns 
nicht ein Herz bat, frild) unb voll wie ein 
Knabenlachen, ber verdorrt an der Form. 
Unjere Pflidt ift niht bie Biigelfalte, Jon» 
dern ber ganze Mtenjd. Wir find nicht bem 
Wiirfel und nicht der Schürze verlobt, fon» 
dern der Fahne. Die Fahne aber ijt ber 
König. Was will nun der König von uns? 

„Der Broße König verbot feinen Offizieren 
das Heiraten, wie bie Rirde es ihren Ge- 
weibten verbietet. Ihre Sinne follten ents 
brennen in ihrer Piht. Es folte fein 
In für fie geben als ihr Revier, feine 

amilie als ihe Peloton. feinen Felttag außer 
der Revue, Aljo zu Mönchen gebändigter 
Kraft, zu Märtyrern der Liebesnot, gut 
Priefterjdaft ber eijernen Pfliht nnb Der 
eijernen Nation madte er uns. Das if 
preupildjer (Get, bas find bie Ipartanijchen 
Grundlagen unjeres Lebens! 

„König Wilhelm vermahnte uns, arm zu 
bleiben. Bon Pelzen und Krebseſſen per 
ſprach er fid) nichts Gutes für unjere Mus: 
teln und unjern Mut. Aber den Reichtum 
itraffer Gelbjtbeichränfung, pflichtgeweihter 
Entbehrung |djnfte er uns. Die Arbeiter 
dürfen murren um ihren Stundenlohn, wir 
jolen bas Leben verdingen, um ein gutes 
Gewijjen zu haben. 

„So wollten unjere Könige, will die Fahne 
ihre Offiziere jehn. Solange in uns das 
Gewiſſen der Überlieferung jchlägt, bleiben 
wir die Armee von Leuthen und Wörth, ein 
eiicrnes Bolt. Das ijt unfer Geijt, unfer 
Glück und Stolz!” — 

Sd) trant ben legten Schlud aus meinem 
Feldbecher. „Meinen Dant, Herr Leutnant!” 

Draußen ftanden bie Polten wie junge 
Gidjen. — 


8 & 

Warum wurden wir mitten in der Nat 
alarmiert? Die Höhen des andern Ufers 
und der Steg, der lints übers Waſſer führte, 
waren noch niht fichtbar. Die Feldtiichen, 
bie wie gejpenftifde Rieſenfahrzeuge den 
— von Borki her herantrabten, und 
der Brei, der den kalten Leibern halb mecha— 
niſch eingetrichtert wurde, bedeuteten nichts 
Gutes für den kommenden Tag. 

Uber der ſchlafbefangenen, taumelnden 
Kolonne erwachte mit Zirpen und Zwitſchern 
die Dämmerung. Das Wiſpern des erſten 
Morgenwindes Hang jo unverlierbar tief in 
Den Obren wider, wie die Wugen verliebt das 


` Jo g ag Lugagnan ‘Garde E aq uoa amgoulnyy o(plizojum ‘Jl 10a Aluplebaug aplynoq : 





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über Den Erdrand quellende Licht, das Baftige 
Gewölk und den tropfenden Raien tranten. 
Sm Gefühl einer beraufbámmernben Schlacht 
treibt bas junge Blut mit doppelter Kraft, 
unb bas bedrohte Leben lodert in feltjam ge: 
reiftem, gejchärften Cinnesleben. Wie bie 
Erde rod) bei der lebten Raft, das vergißt 
man [o wenig wie den Anblid des lebten 
Gehöftes. Die Empfindung wadjt mit der 
Nähe des Todes. 

in Halt auf dem Dorfplak von Ctro: 
miec. Borm Bataillon hielt ein Reiters- 
mann, feldgrau mit violettem Samt. 

„Ein Sonntag [propt aus der Morgen: 
bümmerung! Gottesdienft daheim wie hier! 
Vernehmt thr das ferne Glodenlauten? Urs 
beitjame Hände [inb für euch um Ge[ang: 
bücher gerungen. Lippen zittern für euch 
beim Lobe den Herrn. Erkennt ihr nicht 
9Intli& für Antlig im Gotteshaus? Den 
tiefen Baterunjer: Frieden ?“ | 

So traten wir barhaupt ein, jeder in die 
Kirche feiner Heimat, und unjere Mütter 
alteten die Hände um unjere pochenden 
D SE Das ftoßweile Taden, und Knats 
tern, bas Windgeheul und Berften ber Gras 
naten und das Dröhnen galoppierender Ros 
lonnen hörten wir nur als ftill von der Orgel 
brechendes Ryrielets. Die Sonne brad) wie 
zur Hundstagszeit burd) die Fenfter und malte 
das Whrengold ihrer Felder in wandernden 
Rringeln an die Wand. Wir gingen don 
weit ausgejchwärmt bem Feinde entgegen 
unb faken bod) nod) bidjtgebrüngt in den 
alten Sanfen. 

Nur einer unter uns, ein junger Freis 
williger, batte andere Gebanten. Ein Bottes« 
eg hatte er nicht, um darin niederzuligen. 

n feiner GroBiítabt hatte man fic) Sonn: 
tags tüdjtig ausgeichlafen. Er war plótjlid) 
in feltjamer Ginjamteit fid) felbft tiberlajjen. 
Das Unfertige und innerlich Unreife feines 
Lebens begann ihn zu drüden. Der Ropf 
wurde ihm heiß aus Angſt vor bem großen, 
ichwarzen Tor. TFiebernd zählte er E 
tabe nad: fein Geld, feine Bücher, feine 

mmiungen und feine Tennishembden. Die 
ganze Rechnung ftimmte nicht. Wenn nun mit 
einem Bleilchwirren die Macht über bas alles 
erlojchen wäre! Er wurde im Geben jchamrot 
über dies lächerliche Fragment eines Lebens, 
dies Iprijdje Gedicht mit vielen Gedanken— 
tridjen. Er jab an fih herab. Er hatte weder 
ie Anöpfe noch das Kreuz, und von dem 
anderen, unvergänglichen Kreuz über allen 

eldengräbern wußte er ja nichts. Es hatten 
id) felbjtjichere Plane in fein Gehirn einge: 
baut wie Granit. AN diefe Plane, die Reis 
fen, die Städte, die Arbeiten gehörten zum 
Banzen. Er wanderte mit heifer Gtirn 
treug unb quer: es war ja unmöglich, daß 
dies Gebäude [djemenbajter, ftolzer Gedanten 
einen Riß befommen jollte zum Einjtürzen! 
Gang unmóglidj! Er mußte jid) mit Händen 
und ‚ßen wehren gegen den Tod und feine 
unabjehbaren Folgen, nur heute nod) übrig: 
bleiben, Tage, Wochen, er mußte nachholen, 


Belhagen & Klafings Monatshefte. 


i Der alte Hauptmann BESZZSZSZZZZZZ 313 


von vorn anfangen, vollenden! Nur nicht 
in bielem furgen Sonnenlauf verlöjchen wie 
eine zerdrüdte Fliege | 

Da beulten Granaten von vorn heran. 
Cie fuchten witternd nad Aufichlag und 
Erde. Sie ftürzten wie Eijen. Bor den Füßen 
bes Freiwilligen lag aufplumpfend ber ſchwei— 
gende (ijentórper, voll verhaltener Kraft 
p morden. Der Arme ftarrte gebannt die 

inge an, die den Körper nod) fejjelten. Er 
wartete mi bie Gxplojion — Gefunden. 
Langfam löften fid) feine ineinanbergetnirid): 
ten Kiefer, segonn er an einen Blindgänger 
zu glauben. Und wieder rauidjte die Luft 
von den unlichtbaren Vögeln des Todes mit 
ihrem wachjenden, finnelähmenden Lied. Alle 
lamen von redts ber. 

Die Linie lag ftil, feiner wagte zum an: 

dern zu jehen, jeder hielt bie Arme über 
die Erde gepreßt wie über fein Grab, und 
bie Zeit rajjelte wie bas Herz eines Sterben: 
ben. Da ratterte es links los, und im jelben 
Augenblid mábten die Patronenbänder feinb: 
lider Majchinengewehre bie an die Erde 
eldjmeiBte Linie entlang. Keiner jah und 
örte, was bie Garbe am rechten Flügel 
auszurichten begann; jeder erwartete nur 
von Atemzug zu Atemzug den Stich burd) 
di: Hüften, den Schmerz im Knie, die Stid: 
not ber getroffenen Lunge, das Dunfeln bes 
Lichtes. Näher und näher fam das Höh: 
nijde Pfeifen, von Mann zu Mann wuds 
in rajenbem Tanz das Summen bes Mee 
talls tn der Luft. Haarſcharf über den eige: 
nen Körper [djlug das Blei hin. Cin tur: 
zes Aufatmen. Ein Regen der Glieder. Hier 
und dort tropfte zwar Blut, aber die Gra: 
naten batten fid) bod) in nußlofer Wut ver: 
wühlt, und bie Maſchinengewehre hatten um 
eine Körperlänge gu bod gejchoffen. Das 
Feuer verebbte und jchwieg. 

Die Leiber zitterten vor warmem — 
an ihrer Unverſehrtheit, am Wiederfinden 
und Wiederſehn. Wie aus tiefer Narkoſe 
zurückkehrend, ſah man die zackigen Ränder 
der Erdſchollen, den Morgendampf über der 
braunen Erde. 

Aber da ſtand ſchon der Leutnant Heim 
und zeigte wit dem Degen vorwärts. 

Im jungen Freiwilligen ſträubte ſich jede 
Sehne gegen die mitreißende Geſamtbewegung 
nad vorn. Granaten und Patronen hatten 
ibm faft bie Gewalt über fih geraubt. War: 
um nicht liegen bleiben, nur eine Stunde, 
liegen wie im wärmjten Bett, eben mit der 
Erde und veritedt in ihren weichen Schollen ? 
Warum gleid) weiter, warum dem Tod nad): 
laufen wie ein Gtierfämpfer? Er wußte 
ganz genau, daß die Stille des Dörfchens 
da unten verlogen war, daß in jedem Fenſter 
Gewehre lagen. Er traute ben Rinnen und 
Genfungen der weiten Niederung nicht. Seine 
flimmernden Augen jaben überall in der Luft 
weiße Wöltchen jdywimmen. Er jab den Tod 
vor fid) als unbegreiflichen, häßlichen, Rif. 
Wie er fih felbjt zerlegt und grübelnd 
beobadjtet hatte, jo verjtand er jept fein 


32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bd. 21 








314 


Sterben mit ber feinften, quälenditen Gee 
nauigfeit. Aller Folgen war er fid) bewußt. 
Das durfte ja nicht fommen, das durfte ja 
nicht fein! Nur heute nicht! Liegen bleiben! 

Sie Jprangen gruppen: unb zugweije, 
Die eiferne Form bes Zujammenhaltes lof: 
ferte fih. Born begann Gewehrfeuer, juhend, 
drohend, warnend. Gein Zug verharrte aufs 
atmend in der Dedung eines trodenen Stich: 
.grabenus. Er fühlte die ſchützende Erdwand 
‘warm wie einen Ofen, er rollte fih zujams 
men, um fih ein neues, Leben zu zimmern. 
Gr atmete tief gegen eine Wurzelfajer. 

Da ragte wieder der Degen des Zugführers 
nad) vorn, ba jchnitt ber falte Sprungbefehl 
durch feinen zarten (Frieden. 

Ein Blid nad) redjts und linfs. Die 
£ameraben fahen nicht nad) ao Seder in 
ich er verjunfen, willenlojes Werkzeug 

es Kommandos. 

Er fampfte, zögerte, ver|pátete fih, blieb 
liegen. Er rollte fid) wieder zujammen, er 
tredte fid) aus, als hätte er fid) ein Haus ge: 

aut, Er erzählte fih, daß er jid) beim Hin: 
werfen an die ſchräge Brabenwand ben Rnöchel 
verjprungen habe. Diejer verdammte Schmerz! 
Dreimal erzählte er es fih. Behnmal. Er 
wurde nicht ruhig in feinem Berjted, maß 
bald den wadjjenden Abſtand zu feinen 
Kameraden und bordjte auf feine Bruft. Er 
[hloh die Augen und wollte jdlajen, bis bie 
fühle Dunfelbeit fame. Er meinte, jchon 
Stunden zu liegen, und es waren erft Ee 
tunden. Die ven wurde jo jchleppend ſchwer 
und jab ibn jo jchredlich an. 

Da polterte hinter ihm die Erde. Gtims 
‘men und fauchender Atem jchlichen fid) an 
feine Cinjamfeit heran. Der legte Zug feis 
ner Rompagnie! Sollte er fidh tot jtellen, jid) 
befiiblen und bemitleiden lajjen? Ihm müß— 
ten ja Doc) die Lippen beben! Wie bas Jüngite 
Bericht tlapperte das hundertfadhe Gehänge 
beran. Bald würden fie fein graues Tuch 
ehn, ihn erfennen, unverwundet, gebedt, ben 

eigling, den Drüdeberger, zu jchade zum 

terben, hinter dem Rüden der opfernden 
Helden das Leben, feinen Viammon umtlart: 
mernb! Es raunte um ihn herum. Er ſchob 
bie Anöchel hin und her und ächzte vor Schmerz. 
Er jchielte und erfannte neben fid) Leutnant 
Heim. Der rief ihn an und frug. Er IU 
wie er verlegen wurde, wie jeine Augen 

aderten, wie tönern und finbijd) bie Gee 
hidhte mit bem &nódjel beraustam. Mitten 
im Erzählen broch er ab. Alle Strafgewalt, 
bie Diacht über Leben unb Tod jpriübte ibn 
aus den Augen bes dicht an feiner Seite liegen: 
ben Worgejegten an. Er jah den Revolver 
am Gurt des Dffiziers. Er zudte wie ein 
Merbrecher. 

Da liefen die traurigen Falten über das 
leidgefurchte Gejicht bes alten Hauptmanns, 
der ibm leije übers Genid [trid). 

„Junge, mein Junge!“ 

Der Freiwillige Ichluchzte auf. Er hatte 
am liebjten jeinen Kopf in den Schoß des 
Siannes gelegt und alles gebeichtet. Es 


Grid) Wentider: BS3SISSTSSSSSS33535 


ing ein jeltjam umbegendes Bertrauen vom 

Führer aus, es rig ibn aus ber Aderfalte 
empor, es madte ibn warm unb furdtlos 
in der Kette aufrechter Männer, viel ficherer 
als in ber einjamen Furche. 

Kein Wort fiel zwijchen Leutnant und 
Mustetier. Aber von Herz zu Dera e ein 
Strom, ein Stahlguß von hitbe un idt. 
Wie ein neues, höheres Leben, nad) innen 

erichtet und innerlich ftarf, jauchzend in 
elbjtüberwundener freiheit, webte es ben 
tetwilligen von den hohen benadbarten 
dultern an, und er tat feine Gdjulbigteit. 

& 


8 8 
Die Schlacht ſchwoll an wie die Weichſel 
im März. Sie wirbelte uns zwei Tage lang 
umher, ohne Eſſen und Trinken, ohne Ruhe 
und Schlaf. Wir lagen die Nacht hindurch 
in flacher Stellung und ſtarrten in den 
roten Himmel. Bis zum frühen Morgen 
rauſchte die heiße Brandung. In der Bor: 
mittagsjonne lagen wir awijden entjeelten 
Körpern. Bald jagte uns die Bleipeitiche 
in Jübem Gdyeden zurüd, über loderen 
Erdboden, in dem der Stiefel ohnmädti 
verjanf, durch ermüdende Gümpfe, bur 
Eme ene Steingeröl. Wir blieben tm 
aller liegen, uns an Weidenäjte flammernd. 
wie bie 
Erde eines Bolles, bas lange niht gelacht 
Due Der Wind geht wie ein Schlummer: 
ied, und das Heu duftet nad Mohn. Die 
Erdſchollen brechen auf wie Lippen, bie 
trinten wollen. Schön vor WAbendmiidigfeit 
it Polen, deine hölzernen Scheunen ‚ind 
wie bunfle Wiegen, feine Ebenen wie offene 
Cárge, und wer barinnen marjdiert ift, 
dem hat der Tod etwas ins Ohr gejagt. 
Rechts ging die Garde vor. Hünen, iyrie» 
fen, Ihön und gewaltig. Links [djoben fih 
nterjtiigungen ein, Wejtfalen. Wir tampfs 
ten uns wieder den verlorenen Boden giu: 
rüd, hinter Mieten und Scheunen Atem 
a tnieten jchießend im Gteingeröll, wir 
tampften fugelumjchwirrt, über bie [odere 
Erde. Blutüberjtrömte Glieder, bittende 
Augen und leijes Wimmern ſchwammen 
Zeit ig uns. Die Nachmittagsjonne malte 
en Baditeinturm von Grabow, ber wie ein 
Schornjtein aus einer Hausruine ragte, noch 
röter. Die Artillerie tampfte um den Turm. 
Das Dorf herum war glimmernder Schutt. 
In der Dämmerung (hoffen wir mit zer: 
rijjenem Anjchluß, weit vorgejchoben, Siege 


—— —— Polen, ſe me nid 


ber Ede eines &atenbofes hervor. -Die Ziegel 
prajjelten vom Dad) und zerichlugen auf bem 
Sjoipilajter. Die Ställe gähnten mit leeren 
Türen. Linie um Linie, ein langer, grauer 
Ctrid) nad) dem andern, wie Windungen eines 
EENG quollen bie ruſſiſchen Wellen 
aus einer Genfung hervor, Gie famen im 
gleichmäßigen Abjtänden ohne Feuer und 
Lärm näher und näher. - Zu unjern Seiten 
wurden die deutſchen Linien zurüdgedrüdt, 
Aber für uns gab es vor voller Duntelbeit 
fein Zurüd mehr über die bedunasloje, weite 
Cirede Feld. Co blieben wir allein mit dem 





{ 


EFE Der alte Hauptmann BESSSesseescsed 315 


inblidjen Bajonetten, allein wie Rinder, bie 

Dunteln vergeblich nad) bem Bater rufen. 

Da zagte und ftöhnte mancher in bie aer: 
reißende Hede. Das Schlachtfeld abfühlend, 
nahm der Feind den einjamen Hof aufs 
Korn, und bie Patronen Hitjchten um Giebel 
und Gparren. Der Ganitätsgefreite 30g 
feufzend Streu aus den Ställen und breitete 
fie auf dem Boden der beiden leeren Bauern« 
ftuben aus. Ohne Licht und Lampe ver: 
lorot er bie erften Berwundeten. Der Mond 
ab wie ein fugliges Rnochengelent herein. 
Die weißen Hemden und Binden und aufs 
und niederglubende —— leuchteten in 
der dumpfen, ſich füllenden Stube Der 
Sanitätsgefreite, der nicht Licht zu ſchlagen 
wagte, ſcherzte und tröſtete und zitterte ſelbſt 
dabei. Denn die ſtumpfen Feindesmaſſen 
wälzten ſich heran, um den kleinen Sterbe— 
poſten im weißen, einſamen Haus wie eine 
Sandbank zu überſchwemmen. Tot oder ge— 
fangen — darum würfelte dieſer grauſame, 
unheimliche Abend. 

Draußen flog ein Flüſtern durch den gus 
fammengeballten Knäuel der mit ber Hede 
verjdlungenen WBerteidiger. Stiefel pregen 
die Haustür auf. „Plaş! Achtung!“ Ein 
Arm bing jchlaff vom wagredt getragenen 
Körper herab und jchleifte auf der Erde 
einen Degen mit. Zwei Augen glübten in 
bie dichtgefüllte Stube. Leonidas! Vers 
wunbdete, bie vor Schmerzen taum liegen 
fonnten, madten Pla und häuften Stroh 
gujammen. Cin großer, ſchwerer Leib fant 
m bie zärtlich umdrängte Streu. 

Leutnant Heim, mit Durchichoffener Bruft, 
ohne Klage. 

„Kameraden!“ — 

Draußen kämpfte der Freiwillige, bie 
Lider [djmer von ber Abendnäjje, die Glies 
ber zitternd vor Kälte und Erregung. Wie 
Fiebergedanten ftoben bie alten Bilder von 
geftern früh heran. Er tajtete bilfejudjend 
nad) rechts Der Plagg bes Leutnants war 
feer. Reiner, der ihm die Hand driiden, der 
ibn halten und peli ie der ihm den 
— vor den ugen fortlöſchen 
onnte! Cr merkte, wie feine Musteln er: 
lahmten und ſeine Nerven verſagten, wie 
der alte, entſetzliche Seelenkampf zwiſchen 
Ich und Pflicht ſich unerbittlich erneuerte. 
panget Durft, Schwäde liefen wie Amei— 
en an ibm bod. Das Elternhaus, eine 
Straße mit gejdjorenem Raſenſtreif, eine 
Chopinbiijte und viele zugejchlagene Hefte 
| einem Gerüſt von zartem Zitronene 
d Noten in farmoifinrotem Umjdlag, 

anuffripte mit dem gleichmäßig jchönen 
Anflug von Perfönlihteit und Handichrift, 
bewundernde Augen wie unbewegte Opfer- 
ferzen im aie Get aderzarten Mädchengelicht, 
eine Sigarrentijte voller Zopfichleifen — das 
alles rig ihm bas Herz aus ber *Brujt. Und 
nun ber alte Hauptmann fort! Cr fampfte 
und wehrte gegen bie quälenden Bilder an, 
aber fie wuchlen mit den Gchatten und 


Ge Abend und dem Whrenfeld von 


quollen aus den Winkeln hervor und bed: 
ten ihn dichter und dichter ein: Der neue, 
grünliche Hut mit dem violetten Band und 
dem revolutionären Knid, bie gelbrote Rras 
watte, bie in ber ganzen ZTöchterjchule 
„Hummermayonnaije“ Bief und die ihm als 
fingerid)males Band graztös über bas blaue 
Sjadett flederte, Hoſenſtege, bie feinem An- 
ug eine zwingende Spannung gaben, aus 
er die Knie wie jehnige Kraft ee? 
ten, ein filberner Wrmreif um fein weißes. 
Gelenf, PBhotographien von zartem Gepia: 
| melz, indas jein Profil wie Marmorſplitter 

nitt, in der Konditorei ber Verkaufstijch 
und Torten, bie wie runde Commerbeete 
glühten, Schlaglahne, die als wattiger Bauj 
auf ber Raffeetaffe Jhwimmt... Und er bi 
in bie Dornenbede, und das Gewehr rutjchte 
ihm in den Händen. 

Da ſchlug eine Patrone bird) feine bei 
den Knie. Auf bem Rüden lag er unb 
wiiblte bie Finger in die Erde. Der Schmerz 
chnitt burd) den ganzen Leib und brüdte 
as Herz ab. Das Blut [hoß aus den 
gerfledderten Hojen und aus der [plittrigen 
Gelenfmajje. Wor diejen hängenden, zer» 
brodjenen Unterjchenteln efelte er fidh felbit. 
Man [djnitt ibm mit einem Meſſer bte Stic 
fel auf, jabelte rund um bie Wunde berum, 
man rth bie —— auf. Aſchfahl wurde 
er in die volle Stube getragen und weinte 
inbrünſtig wie ein Kind. Und wieder wie 
draußen zuckten Meſſer und Feile über dem 
Brei von Knochenſplittern. Mit einer Zange 
wurde ein mitgeriſſener Hemdfetzen aus dem 
Blut gezogen. ie zerjchmetterten Knie 
ließen jid) taum verbinden vor wildem 
Schmerz. Der gene fuchelte mit ben 
Armen in der Luft. Gr ließ fid) nicht zu: 
reden, er ächzte und Jchrie. 

... Uns libriggebliebenen erlaubte gerade 
jehi die Duntelheit, uns nad hinten zurüd: 
u gielen in den großen, ſchützenden Ber: 
anb. ir riefen ins Haus. Ein paar 
Leidtverwundete famen mit. Und dann 
richteten wir legten Schüßen uns aus den 
Trümmern der Weidenhede hod), ftrecdten bie 
erjtarrten Glieder, |preizten die überreizten 
singer und umfingen nod) einmal mit 
angem, langem Blid den aufgewiiblten 
Burghof, den riejigen Brunnenhebel, die 
Ihwarzen Ställe und bas flagenbe, unge: 
el Haus, bas erft wie tot dagelegen hatte, 
und in dem wieder Blut puljte, Beflemmung 
jeufzte, unten glühten. Es ftand jchledht 
um fein neues Leben, weil es mitten zwijchen 
den Feuern lag, weil es nur eine Dolageriijtete 
Lehmmand dem Hlatjchenden Blei und nur 
eine zerjchlagene Tür den Häjchern entgegen» 
des Aus bem Durcheinander feines Hofes 
tieg 9taud) von Blut oder Ajche. Sn ſolchem 
windjchiefen Rugelfang mit feinem mee 
jtenden Trümmerzaun mußten wir bie lef 
ten, gelähmten, tobjdjwadjen, niedergezwun: 
enen Bolten unjerer Treue zurüdlajjen, bes 

iederjehens ungewiß. Während wir wei: 
ter unb weiter Durch bie Kugeljtreuung zurüd» 


21° 


316 ee eeh Crid Wentſcher:. 


froden, umlobt, umbeult, umborften von ber 
Schlacht, jaben wir nod) ben SEH 
vorn in ber niedrigen Tür eben, im Kampf 
zwijchen Sch und CS mit dem jede Schlacht 
unjere Dartbebrángten SC erfüllt. Dann 
ſchlug vorn die Tür. Er blieb. 


8] : 8 
Nun waren ſie ganz allein, eine ſeuf— 


zende, wehrloſe, eng aneinandergedrängte 
erde. Durch die kleinen, offenen yah 
en ſchimmerte fabl der Mond. Draußen ente 
brannten und feuerwerften jprühende Qe: 
ido[je. Niemand jprad) in Dem wogenden 
Lärm. Mal jeufzte einer und fapte nad) feiner 
Wunde. Mal Höhn e einer nad) Waſſer. 
Einer gab dem andern wortlos eine Zigas 
rette ab. Ins Stroh gejchmiegt, todmüde, 
oben fie jchräg in den Mond. Auch der 
teiwillige begann vor EEN fampf: 
os zu träumen. Die großen, verjdjlungenen 
Beete bes Fiebergartens zogen an ihm vor: 
über. Nur der Sanitätsgefreite [tanb aufrecht 
und gelund und ging EE den [anggejtred* 
ten Körpern umber, fnienb, wajdend, am 
Verband ziehend. Wie ein Streicheln glitt ab 
und zu ein magerer Trojt von jeinen bleichen 
Lippen. Nun ging er für einen ?Ingenblid 
in die andere, leergebliebene Stube hinüber, 
nad) einer flachen Schüjjei, nad) einem ver: 
eijenen Löffel, nad) einem liegen gebliebenen 
E Ce? zu judjen. — — — 

„Jeſus Chriftus!” Auffchrei aus allen Lips 
pen. Schuttwolken [tieben auseinander. Holz 
und Riejel jprigen umber. Die Mauern 
brödeln nieder, Der Erdboden zittert. In den 
Ohren dröhnt und jtopft bas Rraden. Die 
Stube nebenan mit bem Ganitätsgefreiten 
ein wirbelnder, prajjelnber Granatentricd)ter. 
Das halbe Haus zulammengejftürzt, zerrijjen, 
zerbrodyen 

Und nun? Jefus, was ijt bas? Die 
Ichreienden Männer ziehen erfaltend Die 
Beine an. Wor ihren weitaufgeriljenen 
Augen glüht die Tiefe bes fauchenden Gras 
nattridjters wie ein Roblenbeden. Über bem 
Ge|parre verültelter Balten, Bretter und 
Nagel tanzt Ruß. Die jhmußigen Ballen 
von Staub, Splittern und Erde, Die über 
dem frater dampien, befommen rötliche 
Ränder, Werden Dualm. Rauchſchwaden 
jteigen über dem zilchenden, rauichenden, 
prajjelnden Berüjt empor. Zwängen lid) Durch 
Rig und Loch und legen fid) wie Betäu— 
bungsmasfen über Dlund und Nafe. Ein 
weißer Stic) zlingelt in die roten Erdwolken. 
Gelbe Schlangen flattern durch den Schutt. 
Sie faugen jid) an den Kleidern des mit 
dem 9Int.i& zur Erde liegenden, jtarren und 
fteifen &rantentrágers felt. Cie nähren fih 
von Faſern und Maſchen, jie leden nad) Holz, 
ipringen über, verquellen, loben, fnattern — 
lammen! 

Brandgranate! Das Haus brennt! 

Und dte Herzen der tapferen Soldaten 
ftürmen zum Brechen. Gengende, glutende 
Hige unb tnojpender, quellender Rauh beizen 
die [tarren Augen und treijchenden Stimmen. 





= 
< - 
Ca < 


Die Zähne knirſchen wie harter Schnee, die 
Leiber trimmen fih wie Raupen auf gliiben- 
dem Herde. Cie fauern fih an den Wänden 
ujammen, fie Wopen die Füße von fih, fie 
Eon auf, tajten in bie Flut von $1nalm, 
taumeln im Kreis umber und brechen zus 
fammen. Gie rufen ihre Mütter an und 
beten, beten jd)reienb laut, hajtig unb glutvoll. 
Einer liegt lang in der Ede, webflagend, mit 
durchſchoſſenem Rüden, er jtemmt trog aer: 
fleijchender Schmerzen im 9tüdgrat Rud um 
Rud feinen Oberkörper empor, er ladt 
wild und fieghaft, ftügt jid) ſchon in die 
Arme, friimmt jhon bie Haden zum Auf: 
ſtehn, hebt bie Knie und jchlägt röchelnd 
urüd. Ein anderer Debt langjam auf, 
Paman in den Hüften, Debt mit weißglü- 
benben Wahnfinnsaugen die Kameraden an, 
reißt bie blutige Binde von ben Schläfen, 
Ichiebt dann jeelenruhig bie Rehte zwiſchen 
zwei 9todtnópfe und beginnt eine rührende, 
patriotijche Rede zu halten, von Bismard 
und Ctallmeijter Froben, von der Königin 
Quije und dem Tiljiter Frieden. Er bricht 
Ichaudernd ab, fauert fic) zur Erde wie eine 
Rage und jpringt ins Fener. Andere, die 
jih nicht erheben Tonnen. frieden umber, 
en Mund voll Erde; bie zerjchmetterten, blut» 
verflebten Füße jchleifen rajchelnd durchs 
Stroh, bie Fäuſte podjen fid) an ben Wan: 
den wund, um einen Ausgang zu finden. 

Der Freiwillige liegt jtill mit feinen aer» 
brodjenen Knien und ftarrt ben alten Haupt» 
mann an. Gr fiebt nicht nad Funken und 
Dampf. Er adtet niht auf ſchmelzendes 
Blei unb vertohltes Gebalf. Unverwandt 
tarrt er den alten Hauptmann an und bobrt 
ih in feine Augen. Er fieht fid) feige tm 
(Graben, bem Rugeljchwirren entrüdt, er fühlt 
fih ertappt, geltreichelt, geftablt, berauldt, 
trunfen gemacht, mitgerifjen, betört, tolltühn 
eworden, unb jo ohne Ende durchwandern 
P büámmernben Gedanfen die beiden blut: 
rünjtigen Oftobertage, hinter denen das alte 
Leben, bas fatte, bequeme, fid)ere, nüchterne 
Hinddmmern ohne Herzensnot aus taujenb 
Connen [eudjtet, bis er bem Leutnant aus 
jhmalen Berzweiflungslippen ein einziges, 
hajjendes Wort in die Augen jchleudert: 
„Warum ?“ 

„Meine Pflicht!” dröhnt es durch ben 
Brandlärm zurüd. 

Und bas Feuer wächſt. Dort. faut es 


war nod) am diden Selstim. aber bier 
I es fid) [den wie ein Mäuschen den 
djlanfen Pfoften herab und züngelt nad) 


dem Stroh. Tie erjten Funken fallen in bie 
trodene Streu und verldjden nod) Andere 
glimmen fed einen Halm entlang. Bren» 
nende Splitter fallen herab und zünden jid) 
rundum fengende Herde an, Und die tragende 
Stidluft und prejjenbe Hige quälen noch 
roher bas junge, jid) wehrende Leben. 

Da tauchen liber dem Bret gen zwei 
Arme aus den wattigen Qualmwolfen und 
heben feinen ſchweren, madtlojen Leib gegen 
eine verbundene Bruft. Der Schmerz zieht und 





BSSSSSSSSEsAasssy Der alte Hauptmann BSSSSSSSZZZ3A 317 


jticht und podt und [chneidet jo rajenb in 
jeinen Wunden, daß ihm die Sinne vergehen. 
Er hört nod) den gelenden Wundjchrei, er 
fieht nod einen brennenden Yirmel — Flam: 


men — pane — Kohle — Aſche, dann 
pe fein Kopf bleiſchwer bintenüber in tiefe 
etäubung. 


® B8 8 
Leutnant Heim trägt mit ganzer Man— 
neskraft den — Soldaten in ſei— 
nen Armen und rennt in bie Nacht hinaus. 
Die Brujt fängt zu fchmerzen an. Die 
Zungen pumpen wie eine Maſchine. Er 
tann nicht weiter. Kugeln jchlagen dicht ums 
i ein. Er muß jid) niederleqen ins najie 
ras. Reuchend liegt er ein Weilchen ftill. 
Und die dentiden Linien mit ihren jucenden 
[ammentetten find nod) fern, unendlich fer 
o febr er mit feinem Leib ben Bewußtloſen 
ſchützen tann, jie müjjen weiter, müſſen im 
beut|djen Graben fein, bevor es |djummert 
und bell wird. 

Wieder ringt er fid) taumelnd auf, zwingt 
eine Dammernde, jchwindelnde Sdwade 
nieder unb [táblt die frampfhaft zudens 
den Arme mit WBaterliebe und Bruder: 
gedanfen und rennt in die Nacht. Um Hals 
und Maden flemmende Enge wie von [djup: 

iger Gijenfrauje. Jn den Schultern eine 

ahmung, die wehtut, eine Schwäche, bie 
ichmerzt. Lange, eijige Schmerzitrahlen rie: 
feln Die Geiten entlang und nijten fic tief 
in Hüften, Knie und Anöcdel ein. Gr 
ihwantt mit feiner Laft. Er jtolpert über 
Erdfrumen. Er darf niht mehr laufen. 

Atemringend mäßigt er jid) zum Schritt, 
aufrecht zwijchen den Fronten, von Freund 
und Feind umfirrt und umbrummt. Ab 
unb au ein zärtlich jtreifendes, ftreichelndes: 
„Junge, mein Junge!” — Läuft ibm der 
Schweiß [o warm über die Haut? Cr [iebt 
uad bem Verband unterm aufgefnöpften 
S3Bajffenrod. Wie mit rotem Wein begojien! 
Die Wunde hat neues Leben und neuen Strom 
vonder Körperbewegung. Und der Verband 
icheuert hin und ber, jd)eint wohl nicht mehr 
feft genug zu figen, rutſcht. Die Schulter: 
musfeln jchwellen an. Bis unter die Achſeln 
beißt der Schmerz. Und die tragenden, jchlep: 
penden Arme brennen bis in bie Finger: 
ipigen wie bóllijdes Fever. Er muß jid 
wieder nieberlegen, ruhig atmen, Erde riechen, 
Tau jchlürfen, die Finger lodern, bie Arme 
ihwingen. Uber ihm ijt's, als erblaßten 
ihon die Sterne. Darum hebt er von neuem 
den jchweren Körper an. 

Er ftrauchelt und bricht in die Knie gu- 
tid. Es wird ibm Ddunfel und wirbelig 
por Den ugen, und flbelteit tupft in feiner 
Reble bod) bis in den Mund. Er tann nicht 
mehr aujfredjt gehn. Er fann nicht mehr 
aufrecht jtehn. Kriechen muß er, fo langjam 
es ſchafft. So ſchiebt er den Freiwilligen 
und fid) felbit Elle um (lle den naber 
leuchtenden deutjchen Linien zu. Uber das 
reiBt ibm fajt die Arme aus den Gelenten. 
Immer tiidijder, baltlojer [odert jid) die 


Schleife des Verbandes, Er muß wieder 
mal liegen bleiben und verjucht dabei, auf 
dem Rüden den Knoten fejter zu tnüpfem, 
aber es gelingt ihm nicht. Halme und 
Reijer, über die er fried)t, verlletten ſich 
mit Rod und Verband. Das eine Ende 
des blutgetrünften Tuches fällt nieder und 
chleift durch ein Saatfeld. Noch fünf, feds 
ewegungen, und er verliert den ganzen 
Berband. Er ftarrt auf die unter ihm De: 
gende Leinwand und auf feine unbeidjütte 
Wunde und Triecht weiter, blutend und ſtöh— 
nend, Geine Obren jummen wie Telegra: 
phenftangen, während er bas ofjene leid 
über einen Cturgader |djiebt. Die Wunde 
flebt voll Erde und Schmuß. Er fühlt, wie 
eine Kräfte [d)minben, wie das ien lang: 
am feine Schmerzen und Qualen einlullt. 
ber weiter treibt’s ibn, den bleichen, ſchla— 
fenden Mund zu retten, der fo — 
gefragt hatte. Und der deutſche Graben iſt 
nicht mehr fern. Siehe, da ſtarrt die Gewehr— 
reihe wie ein Zaun! 
aſſer. — Ein breiter, ſchläfriger Gra— 
ben wehrt den beiden den Weg, hängende 
Weidenzweige kräuſeln ſeinen Silberſpiegel. 
Was tun? Sie können weder hinüberſprin— 
gen, noch kann der Leutnant allein mit ſei— 
ner fajt hindurchwaten. Er muB ſich in 
den Schlamm wälzen wie ein Igel. Das 
Waſſer ſchießt eiſig um ſeinen Leib, der 
weiche, untiefe Moraſt fühlt fic) eflig an 
wie Samt. Mit letzter Kraft hält er das 
ſchlafende Haupt ſeiner doppelt ſchweren 
Bürde über Waſſer. Und er kriecht durch 
den Graben und muß vor Not verhalten, 
den andern und ſich das flache Ufer hinauf— 
zuſchieben. Auf den naſſen Kleidern liegt die 
trodene Luft wie Froſt. Wie im Traum 
hört er bie nahen Stimmen im Graben, 
deutiche faute. Aber nun fommt er nicht 
weiter. Sterben möchte er, Ohren und Augen 
in Erde wühlen, jcylafen, nur [djlafen, wenn 
nicht der andere wäre. 

Plößlich erwacht ber ge o, holt tief 
Atem. Der finneraubende Schmerz ijt ver: 
dämmert. Es tidt nur noc in den Knien wie 
eine Zafdjenubr. Breit jtredt er bie Arme aus 
und jpreigt die Finger. Aus Mund und Nafe 
chnaubt er ben brandigen Geſchmack und den 
tidigen Roblenjtaub von Qualm unb Rand. 
Durch bas Dumpfe Gebirn zieht eine betlem: 
mende, zujchnürende CErftidungserinnerung. 
Aber nun — wie Jüß und rein und friid) 
buftet bie blaue 9tadjt! Wie Kiefern am 
Meer! Wie jchäumige Wellenfamme fühlt 
der Wind! Wie jprudelt jeder Atemzug im 
erwachenden Blut! Co anf bem Ruden 
liegen, flach auf der Erde, und die Bruſt 
heben und wieder jenfen, um die Schläfen 
unendlihen Raum zu leben, zu wachjen, zu 
wandern! D Leben! 

Sn feine Augen fenft fid) ein bläulich 
blajjes, erbbeid)miuttes Gelicht mit brechens 
den, wandernden Yugen. Miles im Mond— 
licht. Er entjinnt fid) bes Leutnants. Srgenb: 
wo in der Ferne glimmt eine Hausruine, 








318 Brxe-:—:-:-:-:-] Frieda Senffen: Am Wellengrab 3333333333 


gang in Der ar wird Ddeutjch — 
r erinnert fih langſam und reimt zuſam— 
men. Mit Wunderaugen wandert er zitternd 
die verſchlafene Strecke nach, aus der Spar— 
renglut, über Geld, Stoppeln, Saat, Sturz» 
erde, Wieſe, Waſſer, bis er dem Leutnant 
aus zuckenden Lippen ein ei ips liebendes 
Wort in die Augen alübt: „Warum?“ 
WMei — ne — Pflicht!“ 

Und ber alte Hauptmann umflammert 
nod) einmal feine Ratt wie ein Stier, der 
ben Pflug über Felſen führt. 


8 

Wir lagen im Graben, zitternd von den 
Schauern der Nacht. Unſere Herzen ſchlu— 
gen warm und offen jedem Gefühl unb jeder 
richeinung entgegen. Es floh ein Blutftrom 
von Zärtlichleit von einem zum andern wie 
gwijden einer Mutter und ihrer Frucht. 
Die Shreden ber Schlacht hatten uns 
burd)gefnetet, zermürbt und zerwühlt bis 
gut Herrichaft einer tiefen, jeltiamen, fleden= 
jen Liebe in uns. Einer erbobte des andern 
Stirnwehr. Kam eine Kugel gejdwirrt, [o 
gitterte jeder um feinen Nachbar. Es war 
ein wortlojes Schenten und Empfangen, eine 
reine, nie wiederfehrende Geelenvereinigung. 
Und bie nadte, leiderfahrene Bejcheidenheit 
nahm jeden Zwiebad als Freundſchaftsſchwur, 


Am Wellengrab 


Bon Halmftadt fuhren wir durchs Kattegat. 

Es war ein Küftenjchiff, bas wenig Paſſagiere Dat. 

In Läſö ging der Kurs nod mal an Land. 

Dort fam ein Mann an Bord, zwei Madden an der Hand. 
Cie trugen Kränze, Smmortellentrünge, groß und ſchwer; 
Drei Körbe Blumen bracht’ der Bootstnecdht hinterher. 


Co auf Reifen gehn? Wir jahn uns an, 
Dod leije |prad) zu uns der Steuermann: 
„Die holen wir in jedem Jahr bier ab. 

Fran, der Mutter Grab. 


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Wie ſeltſam! 


Sie fahren zu der 
Vor Jahren ſchon, als einſt 
Sind ſie gerettet, nur die 


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Wir ſtanden barhaupt. 


„Volldampf voraus!“ 


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ein Schoner fant, 
rau ertrant. 
Wir find um Mitternadt jo an bem Ort!“ - 
Und einer gab dem andern ftill das Wort. 
Wie jonft am Mittag, wenn die Sonne lacht, 
War alles jeht an Ded, als naht’ bie Mitternadht. 
Dumpf tlang die See, bas Schiff hielt an. 
Leije traten dann 
Die Drei an Bord; fie jaben ftumm herab 
Und warfen ihre Kränze auf der Mutter Grab. 
Cie jchütteten bie Rofen hinterher. 
Wir beteten und bumpj auf tlang bas Meer, 
gerente Kranz unb Blüten, nahm ins Grab fie auf. 
ie Mädchen weinten laut unb jchluchzten auf. 
Der Ruf Hang hart und frill, 
Wir fabn den Blumen nad, und alle weinten ftill, 
Und reichten ftumm den dreien Hand um Hand, 
Ein alter Bootsmann wies zum Himmel, der voll Sternen ftand 


Frieda Jenſſen 


jedes Erdkiſſen als tolesBehagen und die janft 
en Often |dumenbe Dämmerung bes neuen 
Tages als großes, glodenjtartes Glüd. 

a war ein Schatten vor uns. Etwas 
Duntles jchlic) el uns zu wie ein großes 
Tier. Zwei verjdlungene Körper. wei 
Menſchen, zwei beutjdje Soldaten. Augen, 
in ihrer Starrheit wie verjtridt mit einem 
Ziel, bligten uns an. Über ein vergerrtes 
Gefidt liefen viele traurige Yalten. Zwei 
frampfhaft fdjíagenbe Arme fdoben uns 
unjern reinigen über die Bruftwebr, 
lenften ihn baltend, [djend, Iajjenb in unfere 
ausgebreitete Liebe wie einen Täufling. 
Aus dem Schoß ber Rompagnie ward er 
dem Schoß des Waterlandes gereicht, und 
alle tamen mit leijen Schritten zu ihm. 

Als aber über der Walitatt mit Zirpen und 
Zwitichern bie chose, erwadhte, als 
ber Morgenwind zu faujeln und wilpern 
anhub wie ein feiner Geigenjtrid, als aus 
den grauen Schichten über der Erde Halme 
und Zweige fih löften und regten, from 
einer über bie Brujtwehr und fand unjern 
toten Führer — lacelnd. Wir zogen ibn 
gu uns berein und haben ihn begraben. 

ber eins haben wir Ee begraben, ein 
Ctüd von thm, das niht fterben tann. 
Das trugen wir in unjern Herzen fort. 


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& Neues bom Bichertifd 8 


Von Karl Ctreder 


SECEEEREE CECKKCKE TE KE KEK KCKNKS KECK CE CECE CECE CCC ECC CC CEC II IIIIIFIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII7@ 


Guftav Frenfjen, Die Brüder (Berlin, G. Grote'ſche Berlagsbudhandlun 


Rarl Gjellerup, Der goldene Zwei 
Sde 


lippi, SJugendliebe (Berlin, Auguft 


) oe 
(Leipzig, Quelle & Meyer) — Felix Sri, 
rl) — Peter Rojegger, Das Bud von 


den Kleinen (Leipzig, L. Staadmann) 





in neuer Buftav Frenſſen, nod) 
dazu einer, deffen Stoff und Mes 
lodie, Darjtelungsart unb — Um: 
fang fid) auffallend dem Jörn Uhl 
nähern, verdient es (on, alsSpitzen⸗ 
reiter der nachfolgenden fleinen Erzähler: 
Ravalfade voranzutraben. Nicht als ob (£r: 
folg ein SBertmeller jet. Ronnte es bod) ein 
mittelmäßiger Roman des jeichten Herrn 
Stilgebauer in zwei Jahren — 
(1904, 1905) zur höchſten Auflageziffer ber 
deutſchen Erzählungsbücher bringen. Dane 
lich nur bant unlauteren Diitteln: bem ohren» 
betäubenden Gelen feiner Marttjchreiers 
trompete, den —— feines Tams 
tams — während Jörn Uhl in der Stille, 
von Mund zu Mund, durch eine Summe 
von Eigenſchaften wirkte, die den Erfolg 
wenigſtens zu einem Teil erklären. Dieſe 
Eigenſchaften, zu denen ich ſo frei bin auch 
einige feiner Fehler zu rechnen, met voll: 
gebt ber neue Roman Frenfjens Die 
rüber auf. Er ift im Brunde genommen 
eine zweite, etwas erweiterte, hier und da 
perbejjerte Auflage des Jörn Uhl, wenn fih 
aud bie Menſchen natürlich verändert haben 
unb bie Stimmung nicht die von 1870, jon 
bern von 1917 ijt. 

An fih ein bedenkliches Zeichen. Denn 
es iit bie oft gelebene Poetendämmerung: 
Schriftiteller, bie als verheißende Dichter be: 
ginnen, werden durch einen großen Erfolg 
verführt, fidh Joe, zu wiederholen und fo 
auf einer Stufe zu verharren, bie fie im 
Rampf mit Schwierigkeiten wahrjcheinlich 
überjchritten hätten; zu diejen Gelbjtfopijten 

ehören u. a. Spiel agen und fogar ber 
Böberftehende Scott. Hier liegt ein [tid)bal» 
tiger Grund, der gegen die unbedingte Ber: 
Demand junger Talente, von der id) an 
anderer Stelle diejes Heftes |preche, ins Ge: 
wicht fält. Immerhin muß man Frenjjen 
ugeitehen, daß er fid) gegen bie Dublettens 
irent eit, wie Fontane es einmal ausdrüdt, 
reblid) gewehrt bat, Er wollte durchaus 
nicht auf ber Gtufe feines Erfolgromans 
ftehen bleiben. Er wagte fih fogar in ſchöpfe— 
riicher Abſicht an die größten Gejtalten her: 
an, bie unjere Menjchenjiedlung tennt; aber 
bier (Hilligenlei, das Bismardepos) gerade 
wurde ibm das zum Verhängnis, was thm fo 
oft als ſchlichtem Alltagsichilderer feine Bore 
züge gibt: fem bewußter Cecljorgerblid, 
ber alle Menjchen feiner Erzählungen wenn 
nicht als feine Konfirmanden, jo bod) als 


HUTUUTUTUTUTUTUTUTUTUTUT020 1010201010102 U2 0 OUT OTUTUTUTUTU Vii 





feine Gemeinbemitglieber unb Beichtlinder 
an[iebt, denen er ihre Fehler vorhalten und 
den rechten Lebensweg weilen muB. Da 
[deiterte er in beiden Fällen fláglid), und 
man [ab pló&[id) bie Abgrenzungen feines 
Vermögens wie eine von Knids umzirkte 
Holjteinjdje Koppel vor fih. Schweigen wir 
davon. Alfo nun — könnte man [djlieBen —, 
als Gupborion abgejtürzt, hat er jid) wieder 
auf bie Uhlen und Kreyen feines Kirchipiels 
bejonnen, ijt gu deren jeelilcher Betreuung 
— Das wäre zuviel geſagt. 
ieſer wohlmeinende he Dann, 
der in feinen Büchern freilich viel zu oft bas 
Wort Not gebraucht, fab fein deutjches Volt 
in wirklicher Not, in der denkbar jchweriten. 
Da fdjlug ibm das Herz, er mußte zugreifen. 
Mute helfen. Mußte zeugen für unjere ge: 
rehte Gadje. Er fühlte den enticheidenden 
9[ugenisist, ber die Dichter ruft und ei be: 
lonbers, Gujtav fFrenjjen, ber es jo oft vers 
ftand, bas dumpte Gefühl feiner Landsleute 
aufzubellen, ihre ftodende Zunge durch das 
treffendDe Wort au erlöjen. Bon biclem 
Drange tief erfaßt, fehrte er wieder bei ben 
Menſchen feiner Hetmat ein: die [tarte Be: 
wegung, bie Durch bas gejamte Deutſchtum 
rg von hier aus zu erfaffen — fo ein 

elt und Settbild romanbaft aufzurollen. 
Denn jdjon öfters wußte er von einem ein: 
lamen Gehöft im SHolltenlande aus das 
ganze Ringen Deutjchlands im 9Beltgeld)eben 
Darzujtelen, von einem Storchneſt auf der 
Scheunenfirft aus einen QDuerjchnitt durd 
die Welt zu legen. Und biejer ewige Nöte: 
[uder ift aud) in feinem neuen Wert am 
tößten ba, wo die Not feiner blauäugigen 

eniden am größten ift: im Todeshagel 
der Glodt. diesmal ber Seeſchlacht am 
Ctagerraf — da redt fih Bujtan Frenſſen 
gewaltig auf, höher noch als in jeiner be: 
rühmten Schilderung der Schlacht bei Grave: 
lotte fteht er da, ein Epifer ganz großen 
Stils, ein deutjicher Tyrtäos von wunder: 
pun: Schärfe bes Schauens und mitretben- 
er Gewalt der Sprache. Unter ben vier: 
unbbreiBig Kapiteln des Buchs find es diefe 
vier (23—25 und 30), bie es weit hinaus 
eben über alle Erzählungskunſt unjerer 
tiirmifden Zeit. Um diejer vier Kapitel 
willen muß man das Buch fejen. 

Und bie übrigen dreißig? Lohnen aud 
fie der Mühe? ür Liebhaber von Geduld» 
Jpielen: unbedingt!... Frenſſen [d^ ilDert uns 
bie Schidjale der Familie Ott. Gie wohnt 


390 FESFISSFSSSFSSFHZFTN Sort Streder: 
feit Menfchengedenten auf ihrem einfamen, . 


von Bappeln umjdhirmten Gebóft, nahe ber 
Nordjee. Gin hodgewadjenes Bauernges 
ſchlecht, hager und breitjchultrig, ficher beim 
fügen und Mähen, unjidjer im Leben mit 
anderen Menjchen. Unzählige Rinder mim: 
mein im Haus. Die meiften haben die alte 
Dumpfe Bauernart des Waters, der nicht 
laden und niht fingen, taum ly mar 
hängend reden tann; einige aber find von 
anderem Schlag, dem der beweglichen Mutter, 
die einer Shifferfamilie entitammt (es tjt 
der gleiche Gegenjag wie zwijchen ben Uhlen 
und Kreyen im Jörn Uhl). So fommt der 
Zwiejpalt in die Familie. Eggert Ott, vom 
Geſchlecht der Mutter, ein munterer, fhein: 
bar leichter Junge, ber gern die Mundhars 
monita und Flöte jpielt, ijt Dem Water wes 
ensjremb, er verfteht ihn nicht. Da begibt 
id) eines Abends etwas Gchredliches — 
wenigitens will der Dichter uns glauben 
machen, daß es [d)redlid) fet —: im Duntel 
ertönt vom Heuboden ein jchriller, langges 
zogener T. Yn einem ber nädjjten Abende 
wieder. Niemand weiß, wer der Pfeifer ge: 
wejen ijt. Der Bater hat Eggert im Ber: 
dacht, und diefe Anjicht fegt jid) tn ber ganzen 
Beaend burd) Eggert, der bei feiner [ebs 
dou Art ein überweiches Herz hat, ift 
inderleicht zu leiten, wenn man an ihn 
glaubt; aber diefe ungerechte Bejchuldigung 
madjt ibn bart wie Stein und voll eiliger 
Feindſchaft gegen feine ganze Heimat. Er 
will nichts mehr von ihr wijjen und geht 
nad) Wmerifa. Die Familie daheim aber 
wird darob zwielpältig, verjtört und lebt in 
ſchwerer Kriſis dahin. 

Es kommt dem Roman ſehr zuſtatten, daß 
bald der Krieg ausbricht, denn ſonſt würde 
der Starrkopf —— wohl nie in die Heimat 
zurückkehren und die Familie würde zerfallen. 
So aber kämpft er mit, einem U-Boot 
wird ihm der rechte Arm a peihoilen, und 
er jd in bie Heimat zurüd, freilich nicht 
ins Baterhaus; aud) ber Einarmige bleibt 
itórrijd) und unverjöhnt, bis der Bater ibm 
öffentlich in der Kirche Abbitte tut, wobei 
er ohnmächtig a Mp ipu 

Und bas alles wegen jenes Pfiffs vom 
Heuboden! 558 Seiten beichäftigen uns auf 
bas anagelegentlid)ite mit den Folgen bieles 
fis, bem Dreh: und Angelpunft bes gans 
en Romans. Nur die Achtung vor dem 

idjter SFrenjjen tann einen davor bewahren, 
diefe Pfeifergeichichte rundweg als läppiich 
zu bezeichnen. Gelbjt wenn man die poetijche 
und betentunsiltbe, ja voltseraieberijd)e Ab— 
fidt bes Dichters durchaus jhagt und ihr 
gern monde jyeinbeit, vor allem aber ein 
ernjtes Wollen aubilligt. Ihm ijt diefe Ges 
Ihichte gewiß nur ein Beilpiel und Ginns 
bild. Wie bie Otts auf ihrem einjamen (Ge: 
bont leben: jchwerfällig, großipurig, eigene 
finnig und hochmütig, jo, meint er, wohnen 
aud) bie meiiten Deutjichen: zu jcharf von ber 
übrigen Menſchheit abgetrennt, jeder in fei» 
nem (Eigenen und „wir wundern uns Au febr 





über andere Menſchen, wie fie anderer Art 
find. Wir reißen bie Augenbrauen zu hoch 
gegen bie anderen Dienjchen, und zwar aus 
Hodmut. Wir vergefjen immer, dab drüben 
überm Seid) aud) Menſchen wohnen.“ 

Darin liegt gewiß etwas Wahres. Und 
[don weil wir Deutichen nad) den Erfah» 
rungen ber legten Jahre nichts Schlimmeres 
tun können, als pharijdijd uns jeder Gelbjit: 
erfenntnis zu verjchliegen, wollen wir uns 
hüten, darüber leicht hHinwegzugehen. Es fei 
ugegeben, dak wir zum mindejten in ber 

ehandlung anderer Völker und in ber Er: 
lenntnis ihres Geelenlebens, ihrer Anſchau— 
ungsart febr im Argen [teden, daß es hierin 
von Brund aus anders werden muß, wenn 
wir ein gliidlid) Wolf werden wollen. Uber 
jo, wie Frenſſen feinen Borwurf formt — ich 
d ibn an ber entjcheidenden Stelle wört: 
ich rar — paßt er bod) wohl mehr 
auf die Engländer und Amerifaner als auf 
bas deutiche Volt, von bem jhon Klopitod 
jagt: „Nie war gegen bas YWusland ein 
anderes Volk geredyt wie bu," bas die Lites 
ratur, Runft und Wilfenfchaft der ganzen 
Welt mit fo liebevollem Rerjtändnis ver» 
folgt, wie fein anderes. Es ift bier nicht 
ie Stelle, auf bie politijde Geite ber Frenſ— 
Wie f'ebrmeinung einzugehen, jonjt fónnte 
arauj bingewiejen werden, daß gerade die 
injulare Abgeichloffenheit der Engländer und 
ihre hodmitige GroB|purigteit einen Kraft» 
fattor ihrer Politik ausmachen, wozu fid) frei: 
lich eine ber unjeren weit überlegene Diplo: 
matie unb bie Runft fremde Voller ficher zu 
behandeln, gejellen. 

Sit allo ber erzieheriiche Zwed bes 910. 
mans diesmal nidjt ganz einleuchtend, fo 
ermüdet fein fonftiger Inhalt — immer abe 
geleben von den genannten vier Kapiteln — 
durd) bie Weitjchweifigfeit und Redſeligkeit 
des Vortrags. eben Eggert werden now 
die Qebenstdidiale feiner beiden Brüder 
Harm und Reimer verfolgt: der eine fällt, 
der andere zieht am Schluß des Romans 
nach einem Urlaub wieder in den Krieg. In 
der Schilderung ihres Snnenlebens erfreut 
manche feine "heobaigfuma. Aber — 
Geck dieje ‚Brüder‘ wichtiger nimmt als 
te es jchließlich verdienen, werden wir bod 
nicht warm bet ihnen, fie find zu romanhaft 
eleben, es wird zuviel über fie und von 
ihnen geredet, a re oft vortreff- 
lich gezeichnet, lenten ab, Beiwert überwuchert. 
Dem Ganzen fehlt wieder bie Rompofition, 
ber Blid für bas Wejentliche und der rechte 
Stil; Cdlidjtbeit wechjelt unvermittelt mit 
Pathos, realtitijdje Schilderung mit bem eins 
tönigen Lehrton einer Nachmittagspredigt. 
Denen Humorlofigfeit erjchredt förmlich 
ei dem Verſuch einige Mebengejtalten, fo 
rau Klaus Ott, frei nad) grip Reuter zu 
eichnen. Bejjer geraten find diesmal die 
tiebesizenen. Der Dichter hat. jid) glüd: 
licherweije endlich befreit von feiner — 
Art, erotiſche Dinge zu behandeln — jenem 
Schwanken zwiſchen ſchulmäßiger Aufklärung, 


PISSSFIIFISFSFSSFZZZZN Neues vom Büchertiſh BSSssesesesse4d 321 


peridóümter Andeutung und plumper Deut: 
lichkeit —, er ijt ganz Dichter geblieben, das 
Debt ihm bejjer und feinen Liebesleuten aud. 
Der ganze Zwiejpalt biejer Dichternatur 
offenbart fih in bem Gegenjaß gwijden ber 
Zerfahrenheit und Stiljdwantung des Gan- 
zen und der wahren Wkeilterjchaft in den 
Darftellungen ber Seegefedte. Wieder folgt 
Frenſſen hier feiner alten Gewohnheit, dem 
mündlichen Erzählen des jchlichten Soldaten 
fih völlig anzupajjen, höchitens hie und da 
einen ganz leijen einfachen Schmud anzu: 
jeben. Das macht dieje Schlachtſchilderungen 
o einzig und erhebt fie weit über die in 
30las AN rami brad, fogar nod) über bie 
in Stendhals ,£artauje' und bie der Lilien: 
cronjden Kriegsnovellen: daß fie nirgends 
ben GBelichts:, Gedanfen- und Befühlstreis 
des einfaden Soldaten überjchreiten. Darum 
werden fie bleiben, jolange die e Kr 
bleibt... Frenjjen ijt fonft auch in biejem 
Buch ber treue, wohlmeinende Waterfant: 
john von einfadjem Wejen, den wir jchäßen; 
und wer ein paar jandige Wege nicht Icheut, 
verjäume nicht mit ibm zu feinen ‚Brüdern‘ 
au geben, er findet dort zwar feine pſycholo— 
(den Verrenfungen, teine Artiſtenkünſte und 
Miliftifchen Kringel, auch feinen Literaten: 
Snobismus — aber [lichte Erzählerart und 
ein paar Gelidter, in deren Nähe man es 
Ion eine Weile aushält. Wir lernen unjer 
Wolf durch dies Buch wieder näher tennen, 
.bejeelt von ber Sehnſucht nad) allem Tüch: 
tigen, bie Guftav Frenjjen und ben Wiens 
chen, bie er jchildert, fo gut [tebt. 

Kann man jyrenilen eigentlich nur bann 
erecht werden, wenn man feine Erzäh— 
ungen aus der Zeit und ihren *Be[trebunaen, 

ihren Ideen und Kämpfen ableitet, ihr ‘Ber: 
bältnis zu Bolt und Leben aufdedt, jo hat 
bas Schaffen eines anderen ehemaligen Getjt: 
lidenRarl Gjellerups etwas Zeitentrücd: 
tes, bas ben Lefer wie jtille Rlojterluft ume 
fängt. Diefer urſprünglich däniſche, jest 
eingedeutjchte Dichter und Nobelpreisträger 
(eine ftille literarijche Liebe von mir feit mehr 
als zwanzig Jahren, feit ich ihn als (Gr: 

ähler in einer mir nabejtehenden Berliner 
hein tennen lernte) bat in feiner Jugend 
Daheim die morbijde Literaturbewegung 
durchgekoftet, bann, ein einjam Werdender, 
fid) an deutſcher *Bbilojopbie gejdult und 
it von feiner erften Schaffensjtufe — „Ein 
Sünger der Germanen“, , Wuthorn”, „Paftor 
Mors” u.a. — an der Hand Schopenhauers 
in Den fernen Often gewandert; was er 
dort erlebte, diejer Nachdentliche, erzählen 
uns feine inbijdjen Dichtungen „Pilger Ra- 
manita”, „Das Weib bes Mollendeten“, 
„Die SBeltmanberer". Heimgefehrt jab er 
die Stätte Janet Kindheit mit neuem Auge: 
„Die Hügelmübhle“, „Reif fürs Leben“. Setzt 
fand er den „Goldenen Zweig“ und 
pflüdte ihn als Sieger im Haine der Diana 
Nemorenjis, jenem Heiligtum, wo verfolgte 
Miffetäter ein Aſyl finden, wenn fie im 
9tingfampf nicht unterliegen. CEs ijt eine tiefe 


mujijde Dichtung, ein Rob: uud GCiegesge: 
lang auf den Tod des großen Pan und 
die Wuferftehung Chrifti, zugleich auf den 
Zujammenbrud bes morſchen Römerreichs 
unb bie aujjteigenbe Morgenröte des Ger: 
manentums. Dieje große Rulturwende, durch 
Tahrtaujende vorbereitet, auf Gabrtanjende 
hbinausweijend, ift, erftaunlich genug, in die 
Geſchehniſſe eines einziges Tages alamen 
gedrängt. „Dichtung und Stovellenfran;" 
nennt Gjellerup fein Werf, in Wahrheit 
fügen fid) bie Jcheinbarlojen Blätter zu einem 
fejten Gebilde, einem &unjtiperf, das jeder 
äjthetijchen Forderung: Kompojition, Beidh- 
nung, Cbarafterijtif und Farbengebung 
Genüge tut. In gartefter, innerlichiter Didh- 
terwerje ift bier ber gewaltige Umjdwung 
zur Chrijtenlebre in einfachen Menjchen dar: 
geitellt (S. 138—140); äußerjte Sparjamteit 
in der Beichreibung, fajt verftedter köftlicher 
Humor (Kap. 5 unb 8), klaſſiſche Ruhe, form: 
vollendeter Stil find einige ber Borzüge 
Gjellerups in biejem Wert, bas Der germa: 
nijden Rajje und ber froben Botjchaft aus 
Bethlehem gewidmet ijt. In leuchtendſten Far- 
ben jtrablt das Sinnbild bes Ganzen : bie gol: 
bene Galeere des Tiberius, als fie bren- 
nend im Gee verlinkt, über deffen Silber: 
jpiegel ber Zwiegejang bes geopferten Ger: 
manenpaares in hyperboreiſcher Glüdjelig: 
leit verballt. 

Freilich, bie Vorzüge bieler Dichtung find 
Au weni säi id, als daß fie an ber 
literarijden ‘Börje ‚gefragt‘ werden fónntc. 
Da fält mir ein anderes Buch durch feine 
bobe — een Auge:Jugendliebe 
von Felix Philippi. Ich nehme es zur Hand, 
denn ich geſtehe errötend, daß ich von dem 
Verfaſſer noch ſo gut wie nichts geleſen habe. 
Wie? höre ich fragen, von Felix Philippi 
noch nichts geleſen? Mit Verlaub: nein. 
Ich hatte an ſeinen Bühnenſtücken genug. 
Die pue Made biejer rein auf ben äußeren 
Effekt zugejchnittenen Snbu[triebramatif, bie 
von Sfandalgejdhidten, Berühmtheiten der 
Geridtsjale und der Zeitgejchichte Tebte, 
ohne eine Spur Ddichterijchen Hauchs oder 
menjchlicher Liebe — veranlaßten mid) in wei- 
tem Bogen um jedes Buch von Felix Phi: 
lippi herumzugehen. Nun habe id) feine 
Sugenbliebe gelejen. Gie ijt nicht fo 
\hlimm wie id) gefürchtet hatte. Ein emp: . 
fehlenswertes Eiſenbahnbuch; man bat es 
bis Hirihberg oder Weimar oder Liibect 
durchflogen und fih dabei größtenteils leid: 
lich unterhalten. Philippi ſchildert Umwelt 
und Menſchen, bie er genau tennt. Cine 
Raufmannsfamilie im alten Berlin. Robert, 
der einzige Sohn des wohlhabenden Tud): 
handlers Grumfow, wählt mit dem nur 
zwei Jahre jüngeren Buchhalterstöchterchen 
Grete auf. us Der Kinderfreundjchaft 
wird richtige Liebe. Gie fojten fie ein paar 
Jahre — jo zwijchen fiebzehn und zweiund: 
zwanzig — gehörig aus. Dann aber bejtebt 
Bater Grumfow, inzwijchen Kommerzienrat 
geworden, auf einer jtandesgemäßen Heirat 


329 E Karl Streder: Neues vom Biidertiidh$ BESSA] 


jeines Robert — unter ftandesgemäß meint 
er eine anjtändige Anzahl Nullen an der 
Mermögensziffer, Der bann die Braut als 
legte Rul angehängt wird. Robert fügt 
fih, er heiratet einen weiblichen Gelbjad 
aus Hamburg, und das verzweifelte Gretd)en 
geht zum Apotheker, in Dellen Haufe fie 
wohnt, um jid Gift — nein bod), um Den 
— ek zu ehelichen. Go endet die 
ugenbliebe, Dieje, wie man fieht, nicht 
gerade originelle und nicht gerade nur von 
Itarfjprühender Dichterphantafie auszuden: 
tende Gejdjid)te wird in bebaglid)em Plau- 
derton, jozujagen bei der Zigarre, erzählt, 
ber legte Teil in ftraffer Technif. Alt-Ber— 
lin ijt nicht übel gejchildert, und auch bie SDten- 
Iden haben echte Lofalfarbe, allerdings nur 
dinne Wajlerfarbe, bis auf den Vater Grum: 
tow, der eine — Geſtalt geworden iſt, 
vielleicht weil der Verfaſſer unbewußt ihn 
aus eigenen Weſenszügen zuſammengeſetzt 
hat. Die Vorbilder des Erzählers ſind leicht 
zu erkennen: ein wenig Fontane, mehr Georg 
Hermann; der Verſuch Dickens nahezukommen 
iſt bei Julius Stinde geſtrandet, ja, man 
trifft vielleicht das Rechte, wenn man den 
Epiker Philippi ſich als das Produkt einer 
gciftigen Ehe zwijchen Stinde und der alten 

arlitt vorjtellt, bie ja übrigens beide viel 
gelejen wurden. Antangs wird das Be: 
mühen bes Berfajjers, jid) in jeder Zeile 
überlegen: wigig zu zeigen, zur Dual für 
den Lejer, (fo beißt es ftatt Bater und Mut: 
ter aufdringlich oft Verfaſſer und Verfaſſerin), 
jpater gibt ie bas; ein leicht jpäßeinder 
Tonfall plát|d)ert munter dahin, und an 
manden Gtellen, jo bei ber gelungenen 
Äberrafhung der Mutter auf der Hurm: 
freien Studentenbude ihres Sprößlings, bricht 
jo etwas wie wirklicher Humor burd) Sonſt 
find bie Dumorijtilden Abſichten met oer: 
fehlt, fie jchlagen in Wik und Gpott um, 
weil es dem Verfaſſer an Liebe mangelt. 
Das zeigt fih bejonbers in der Schilderung 
ber alten Tänzerin und ihrer verbliihten 
Tochter, bie greifbar deutlich Didens nad) 
geftaltet find, nur daß Philippi bie heimliche 
Träne fehlt, die Dos Lächeln des großen 
Humorijten gerade bet jolden armen Ha- 
ſcherln wundervoll verflart. In engiter Ber: 
bindung hiermit fteht das Verlagen aller 
efiiblvoll gemeinten Stellen bei Philippi. 

enn er gleid) auf der zwölften (eite in 
den Gelee Wendungen eine Elegie 
über bie Vergänglichkeit alles Irdiſchen, 
über Graber und Auferjtehung jchmalzig 
hinlegt, benft ein Lefer, ber nur halbwegs 
zwiſchen faljdjem und echtem Gefühl unter: 
\cheiden tann, weniger an diefe Ernithaftig- 
leitet als an den Büfettichranf, wo früher 
bie Rognafflajche [tanb. Offenbar ijt bem Ber: 
fajjer jelber dabei übel geworden, denn 
\päter verjährt er anders; wenn es gilt 
eine „Gefühlstiite aufzumachen“ (wie fein 
Grumfow jen. berlinijcd) jagen würde), bezieht 


[BESS SESS LS SESS SS ETS SS SSS SSS SS SSIS SSS3 


er bie Riihrung einfad) von irgendeinem Ain: 
rifer, er brudt drei ober vier Berje ab; wo: 
zu find denn Die Spezialilten da? Und fie 
liefern in biejem Fall gratis. Es ijt ganz 
diejelbe billige Stimmungsmade, wie wenn 
Ke Paul Lindau in feinen Schauipielen, 
obalb das dide Rührei tam, auf dem 
Klavier gefühlvol ein Lied von Schubert 
jpielen ließ. Das Befte an diejem Roman 
ilt bie höchſt praftilche Wernunftrede, mit der 
Vater Grumfow feinem Jungen die Jugend: 
ejelet feiner Liebestrene aus bem Ropfe 
redet: ba fit jedes Wort bes lebens: und 
ejchäftstlugen Engroshändlers, und man 
Di daß in biejer ,Gugendliebe” bes Ber: 
ajlers Herz im Grunde weder bei der Jugend 
nod) bei der Liebe ijt, jonbern bei den Kaf- 
lenjcheinen bes Rommerzienrats®rumfow jen. 
Das ijt feine Schande, jeder Baum wadft 
nad jeiner Art, und Y: ber nüchterne Gee 
Ihäftsjinn hat feinen Wert. Nur muß es 
dem Beurterler erlaubt fein, in ſolchem Fall 
bas fübn umgeworfene Mäntelchen holder 
Schwärmerei mit leilem Lächeln ein wenig 
zu lüpfen. 
Da id) den Rognaf leider mit ber Ber: 
— alles Irdiſchen in Verbindung 
ringen mußte, wollen wir uns zum Schluß 
wenigſtens an einem kühlen Trunk aus 
einem Bergquell, einem kriſtallhellen, ſilbern 
perlenden erlaben. Wir finden ihn bei 
einem Wirte wundermild an der Grazer 
Berglehne: Peter Roſegger kredenzt ihn 
in ſeinem Buch von den Kleinen. Das 
iſt wirklich erquickend. Man geht froh und 
geſtärkt ſeines Weges weiter und ertappt ſich 
ei einem nachdenklichen Lächeln, wenn man 
ih etwa der Art erinnert, in der Peter 
ojegger feinem Cepp das Wunder eines 
jolhen Bergquells erfiárt. Mir find diefe 
fleinen —— des ſteieriſchen Dichters 
lieber als ſeine großen Romane, zumal als 
ſeine ſchiefen Problemdichtungen. Hier iſt 
er ganz bet ſich zu Hauſe, im Werkeltags— 
fleid, bier ſucht er nicht, es * ihm alles 
in die Hand, und wenn er lehrhaft wird, ſo 
wird er es in der liebenswerteſten, ſchalkhaf— 
teſten Weiſe, halb neckend bis zur Ausge— 
laſſenheit, halb mit einem tiefen verſteckten 
Ernſt, vor allem aber mit unendlicher Liebe. 
Scheinbar ſpielend weiß er doch die Friſche 
ſeiner Beobachtung in beſte realiſtiſche Form 
zu kleiden. Roſeggers Heiterkeit und Her— 
zensgüte vereinen ſich in dieſer Auswahl 
kleinerer Schriften mit ſeiner ſtillen Nach— 
denklichkeit zu einem einzigen Weſen, das 
wie ein großes Rind ausſchaut, es ijt erwach— 
jen und fann Dod) lahen wie Kinder lahen, 
oft auch rollt ihm ein Tranlein über das 
nod) lächelnde Rotbädchen. Sieht man aber 
näher zu, Jo erfennt man in Diejer wunder: 
lieben Geftalt, bie jo vieles in jich vereint, 
dengroßen Weltjegner, Humor geheißen, den 
man [o jelten zu Geſicht befommt auf unjerer 
armen Erde. 





e Slluftrierte Rundfchau e 


ORCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC II IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII7O 


garbig bebrudte Stoffe der EEO eM, geineninbu[trie — Modelle 


ber Magdeburger Run Soest von Sie 
e 


ilmersdorf, Radierung von Elfriede 


Betender Krie Bildwerf von 


Stadt Berlin: 


er, 


SCH, laffe für granen AN e 
— bag" SE er 
enbtlanbt—S9teue 


Silberarbeiten von Friedr. Schmid in Nürnberg — Arbeiten in Gilber 
unb Zinn von Hans Frei in Bajel — Zu nu Bildern 









TPS PLP EEG 





biesmaligen 
Rundſchau bieten bem Aug e bes Be: 
ſchauers diesmal etwas ganz Bejonderes, 
etwas Frohes und Freudiges: ichöne Farbe 
und ſchöne Form in technijcher Verwertung 
Dr Stoffe. Und zwar — das ift bas Ent: 
cheidende! — nicht in der bisher, mehr oder 
minder ausjdjlieBlid) bevorzugten Art der 
Weberei, in ber die verjchieden gefärbten 
Gingelfaden von Kette unb Einjchlag aus» 
jdlaggebend find, jondern im Drudver: 
fahren auf bem fertigen Gtoff. Gewiß 
wird die Weberei in ihrer unendlich reichen 
Anwendungsfähigkeit immer eine erſte Rolle 
ſpielen, aber neben ihr eroberte ſich der 
Flächendruck während der legten Jahrzehnte 
einen immer breiteren Raum. Nicht aulebt 
wohl, weil er unmittelbarer, einfacher zum 
Auge und damit auch zum Gefühl bes Bes 
ſchauers ſpricht. Technijche Bervollfomm: 
nungen bes an fid) ja uralten Werfahrens 
jpreden mit: bie immer wachſende Aus- 
eftaltung gerade der deutjchen Farbenindu- 
rie, deren Unnadahmlidfeit während des 
Rrieges von unjeren Gegnern [o bitter emp: 
funden wurde, bie bejjere Durchbildung ber 
Holzichneider,de- 
nen die Wieder: 
gabe der Ent. 
würfe in ben 
Drudftempeln 
obliegt; dann 
aber, und wahr: 
lich nicht gulebt, 
die rege Teils 
nahme echter 
fünftlerijcher 
Aräfte an jenen 
Entwürfen. Das 
alles ijt auch ber 
Oberheſſiſchen 
Leineninduſtrie 


zugute Wu: 


ie Abbildungen unjerer 


men, bie a ue 
ter ber 4 rung 
von Louis Marx 
(Marx & ne 
EN e eler 
eltruf er: 
Saxton bat. Die 
ProfefjorenHans 
Su ar A: 
eib, € 
it, Br. ‘paul, 


dann Frau DOT berger in Frantfurt a. M. 


€ «4 8 IT TEE 8) 








Druchkſtoff ber Oberheſſiſchen Qeineninduftrie Marx & Klein: 


Entwurf von Frau v. Kardorff 





OG GY 
SOOM 







DOD aae | SD 


: (e 4 MAVAN N | 
WARA 


i 


WW pes Y A 


4 S ENER CN 
CES) ON déi" pani 
D Ki TA N Vi 


Deddhen in Druditoff ber Oberheſſiſchen Leinen» 
induftrie Marx & Aleinberger in Frankfurt a. M. 
Entwurf von Prof. H. Gbriftianfen 


Kardorff unb Karl Walfer find für fie in 
hervorragender Weije tätig gewejen und 
aben am guten 
erte unermiid: 
lid und erfolg: 
reid) mitgebaut. 
Dn erfter Linie 
heſſiſch oder CH 
Darmftadt 
\dhaffende Künſt⸗ 
ler * ty SUR 
ja überhaupt in 
Heffen — Gat⸗ 
tung des Kunſt⸗ 
ewerbes einer 
eneidenswerten 
verſtãndnisvol⸗ 
len rderung 
kon ein tann. 
wereRrieg 

und EU eit 
mo er ei: 
ter] selten auf 
den glüdhaft be: 
tretenen Pfaden 
erjchwert, teil- 
teile verfperrt 
aben. Kommt 
endlich der frie- 
den, jo wird deito 
rüftiger gearbeis 


_ 
= 
Y E 
LA A WE 2 


394 ESeoeixexex3393]) Suftrierte Rundidau 


tet, bas gute Alte 
ausgebaut und 
Neues di 
werden. ellen 
fann man ge 
wiß fein. — 

ie &unitge: 
werbejchuleDlag: 
deburg, Fachklaſ⸗ 
je für grauentlei: 
dung, Weg wie 
immer, ietet 
wieder eine Mo- 
ben|djau. Ic 
babe Tons ein: 
mal, im März: 
Deft 1917, über 
dieUrt undWeiſe, 
in welder Die 
genannte Schule 
unjere deutſchen 
Frauen und Mäd— 
chen anzukleiden 
gedenkt, ziemlich 
ausführlich ge— 
ponepen und ha: 
e damals aud 
die erfldrenden 
(oder entidjulbi: 
enden) Auslaf- 





Drudftoff_ der Oberheifiichen Leineninduftrie Marx & Klein: 
berger in Frantfurt a. Mt. Entwurf von Prof. H. Chriftianjen 








nungen, Die viel- 
leicht bie ` Gi 
enart‘ ber in 
Magdeburg be: 
liebten 9tidjtun: 
gen nod) jchärfer 
berportreten laf- 
jen als Die frii- 
beren Photogra= 
phien, bedauere 
ich eigentlich, 
nicht ` Ion im 
März härter 
gegen bie e 
mubungen ` Der 
Schule um eine 
beut|de Mode 
vorgegangen zu 
jein. Was fie uns 
heut bietet, ift 
wirklich met nur 
Künfıtelei, Flitter 
und Tand, uns 
würdig ber jwe: 
ren Seit, in der 
wir leben. Die 
beiden Wtodelle, 
die wir an bieljer 
Stelle wiederge 
ben,jind noch leid. 


ungen des Direktors ber di DENE DE ee lihgemäßigt. Biele der übrigen geben in ihrer 


bes im übrigen jehr verdienjivo 


en Prof. Bof- 


jpielerijden,angeblid geſchmackvollen, in Wirk⸗ 


elt, im Auszug wiedergegeben. Mad ben lichkeit fogar ungragidjen, nur um jeden Preis 


jegt vorliegenden Modebildern, farbigen Seid): 


Druditoff der Soberseimidien, —— ai & fleinberger in Frankfurt a. M. BB 
n 


urf von Lucian Bernhard 


eigenartigen Wu 


ahung bis an bie Grenze 








PSSSZIIIIIEISFSZTZN Slultrierte Rundichau 


des Unmöglichen. 
Wenn das die 
‚Deutihe Mode 
von heute ijt oder 
die ‚deutjche‘ 
Mode der Zus 
funft fein fol, 
bewabre mid) der 
Himmel Davor. 
Nad ihr getlei: 
bete Damden 
würden, glaube 
ich, fogar in ber 
eg Ac Lauents 
zienftraße giem- 
lid) auffallen. 
Schade um bie 
verlorene Mühe 
unb Arbeit, Die 
unzweifelhaft an 
diefe Modelle ans 
ewendet worden 
tft. Um ein übriges 
zu tun, will id) 
aber die Bejchrei- 
bung einer ber 
von uns wieder: 
egebenen or: 
agen nad) den 
Angaben der 


für Frauentl 


Drudito 
berger 


In 





EN aus der 
e 


dung der Magdeburger 
Runftgewerbeichule 


achklaſſe 





der Ob 
a 


> fleide 


ange: 
lebter gezo: 
gener Bolant 
gleicht die un: 
tere Länge 
wieder aus. 
Die Vorder— 
teile bes 
fnapp an: 
Ichließenden 
Leibchens fal: 
len in zwei 
abgerundeten 
Sipfelit, bie 
drei Rüden: 
teile in Drei 
edigen Shok: 
pattern u 
den oben ftar 
gi ae 
ten Rod. Aus 
dem  fleinen 
runden, vorn 
lich etwas zu— 
Ipigenden 
Halsaus: 
ſchnitt fällt 
ein breiter 
Kragen aus 
Glasbatijt in 
fteiler Linie 
über Die 
Schultern. Er 
hat vorn eine 
weftenartige 
Berlänge: 


Leineninduftrie, Marx & Klein: 
Entwurf von Prof. Emil Orlit 








Movdelltleid „Delft“ aus der Fachllaffe hr 
Frauentleidung Der Magdeburger Kunit: 
gewerbejchule 


[£34343€3€3€3€3€3«3€3«34]. 325 


einjchalten: 
Model Delft‘. 
Der hellblaue, 
mit DdDunfelblauer 
Mujterun be: 
drudte eiden: 
voile des Kleides 
ift nad) einem in 
der Kunſtgewer— 
beſchule entſtan— 
denen Entwurf 
hergeſtellt. Dazu 
iſt M bas Leib: 
chen ſchlichtblauer 
Chinakrepp ver— 
wendet, der dünn 
enug iſt, um das 

uſter des un— 
tergelegten Stof— 
fes durchſcheinen 
zu laſſen. Der 
mäßig weite Rock 
iſt über einem 
ellblauen Unter: 
leid mit Schlei— 
fen aus em 
blauen China: 
trepp gerafft. 
Ein dem Unter: 


— hier 


e 
LI 
LU 
a 
LU 
LU 
LU 
H 
* 
a 
L] 
a 
9 
. 
. 
LU 
e 
e 
LU 
. 
9909909090999 9009090000900909,090090090000000000000000000000000000000000900709000000000900000090000000000000*7 


3290 A Illuſtrierte Rundihau EICH HZ ZI ZZ Zu 


, bie in abgerundes 
* pibe unter bem Bür: 
tel hinabreidt, unb wird 
vorn mit fleinen Perl: 
mutterfnópfen gefdloj: 
jen. Ein [dmaler Gür- 
tel aus weißem Sand: 
ſchuhleder hält von ber 
EE ab die vor: 
deren Zipfel des Leib: 
2 unb bie Enden bes 
tagens feft. Der mäßig 
weite Puffärmel jchließt 
am Ellenbogen mit einem 
breiten Auff lag aus 
weißem Battift. 
on biejem odefirles 
tl peed yd rk ad 
äftigen Schritt zu zwei 
ernitbaften würdigen Kä 
beiten übergeben, b 
der nore geboren h et 
Zuerftfeidas nei: 
wert genannt, das Sie 
Plehn gef affen hat, der 
‚Betende Krieger. Das 
Ihlichtsreife Werk ijt von 
einem Kunftfreunde zur 


Plehn. Bon einem Runf 





Betender Krieger. Bildwerk von Ife 


eund zur Auf: 


ftellung im Leipziger Rojental geftiftet 


tal geftiftet worden. Die 
zweite Arbeit jtellt fid) 
als eine neue Radierung 
der hodbegabten El- 
friede Wendtlandt, bie 
beionders Durd) reizvolle 
EW befannt 
wurde, dar und gibt das 
Rriegergedenfblatt von 
Wilmersdorf- Berlin wie- 
ber. Es ward vom Ma— 
giltrat der Stadt Wil- 
mersdorfbei einem Wett- 
bewerb aus etwa fie- 
benhundert eingejandten 
Yrbeiten ausgewählt. — 
Gute, jehr gediegene Cil; 
berarbeiten fteuerte uns 
der er Edeljchmied 
Qriedrid) Cdjmib bei, 
einer von ben Riinftlern, 
in denen bie alten Über: 
tennap Niirnbergs 
EIE, WE zus 
ie jilbergetriebene 
Schale mit Dedel er: 
ideint uns als ein ſel⸗ 
ten ſchönes Stück. 


Aufſtellung im anmutigen Leipziger Roſen⸗Sehr geſchmackvoll find aud) die Heinen Bier: 


d Zen, , SE —— a * M 2 
ALLES JRDSCHE ST y 'OLLENDET- UND DAS HIMMLISCHE GEHT AUF 


ZUM EHRENDEN GEDAECHTNIS UNSRES MIT 
EP SEIN LEBEN HINGAB FUER U 


DANKBARE BERLIN-WILMERSDORF ZR 










2 — 


NSER 


NG , 
NN i 
^ — l 





> 


Kriegergedentblatt der Stadt Berlin: Wilmersdorf Radierung von Elfriede Wendtlandt 








Bl————-—ÉEXGIE SUuftrierte Rundſchau ees ZZ ZZ 327 





























Beier in Silber getrieben 
Entwurf und Musführung 
von Friedr. Schmid in 
Nürnberg 


diesmal ein Beitrag 
ein über einem deut- 
Iden Meijter, ber all: 
mäblich zu den &laj- 
jifern herangeriictt ijt: 
Anton Graff. Die Aus⸗ 
itellungen des legten 
Jahrzehnts haben den 
großen Umjdwung zu 
jeinen Bunjten herauf: 
geführt, wie fie uns 
überhaupt bewiejen, 
daß wir jo manchen 
deutihen Dialer un: 
terichäßten und dak 
eine Zeit, die als 
funftarm, als troden 
und nüchtern ange: 
jehen wurde, wertvolle 
Schäße hinterließ, die 
nun wieder Beachtung 
und fogar Bewun— 
derung finden. Für 
die bejjere Schätzung 
Grajfid)er Gemälde in 


arbeiten von Hans 
grei in Bajel. Das 
gilt Jowobl für den 
zierlichen Anhänger 
in Silber und grünem 
Stein, wie Be Die 
eigenartigen Zinn: 
platten. Hans Fret 
benußt gern antite 
Motive; auch Die 
Salambo zählt zu 
Diejen, Die Punierin, 
ber G. Flaubert in 
jeinem gleichnami- 
en ausgezeichneten 
Roman ein Dent: 
mal gelebt bat, das 
der Weltliteratur an- 
gehört. Außerſt ge- 
Ihidt hat Hans Frei 
die Rieſenſchlange 
Salambos zur Aus: 
füllung ber Rundung 
jeines Wertes be: 
nußt, — 

Das Heft leitet 


breiteren Krei- 
jen tritt aber 
auch die Mög: 
lichkeit ber De 
bigen ie: 
dergabe Hinzu. 
Hierfür zeugen 
auch unjere ſchö— 
nen Ginjdjalt: 
bilder, nicht zu: 
lebt bas köſt— 
liche Titelbild in 
einen feinen ab- 
gewogenen Tü: 
nen. — Zwilchen 
©. 240 und 241 
jchalteten wir 
ein Gtilleben 
ein von Rudolf 
Otto, dem Dres: 
dener, der Dies: 
mal wieder Die 
berrlidjten 
Dinge — Dinge, 
die minbejtens 
wir Broßitädter 


Schale mit Dedel in Silber getrieben 


Entwurf und Ausführun 


von Friedr. Schmid 


in Nürnberg 





Stammtifchftänder 
Entwurf und Ausführung 
von Fried. zen in Nürn= 
erg 


nur nod) vom Hörenjagen 
tennen, auf feiner Staf- 
Da verewigt hat. — Prof. 

rana Hoffmann in Ber: 
lin widmete feine Runjt 
dem alten Corvey, wo 
jein unjterblidjer Bater, 
der ao von ‚Deutjch: 
land, Deutjchland über 
alles — als Bibliothefar 
nad) 1860 wirfte, wo er 
1874 ftarb. Während Teile 
bes Schlofjes vor einiger 
Zeit von einem ftarfen 
Brand) daden heimgejucht 
wurden, dürfte Das feine 
„zeehäuschen“ im Part, 
das der Sohn zum Bor: 
wurf feines Gemaldes 
(nad) Geite 248) wählte, 
erhalten geblieben jein. — 
Aus der Reihe unjerer 
farbigen Blätter möchten 
wir weiter bejonders das 
fraftvolle Frauenbildnis 
von Carl Hans Schrader: 





398 BESSSSSHHES HESSEN Muftrierte Rundihau III HH HZ ZZ Zu 


Belgen heraushe- 
ben (3w.6.280u.281 
eingejchaltet): ein 
Gemälde von aus: 
gelprodjener Cha: 
rakteriſtik, ein ſcharf⸗ 
geprägter Kopf, die 
anze Geſtalt in 
arbe und Haltung 
aſt kühn auf den 


bläulich angehauch⸗ 


ten Hintergrund 
— Wir 

euen uns, Den 
jungen Riinjtler, ein 
Mitglied der Mün- 
chener Sezeſſion, un⸗ 
ſern Leſern mit die— 
ſem feſſelnden Bilde 
näher bringen zu 
dürfen. Er wird 
nod) von ſich reden 
maden. — us 
Brafls Kunfthaus 
in München, ber 
immer gut und ge: 
ſchmackvoll verjehe: 
nen Galerie, erwar: 
ben wir bas eigen: 
artige Gemälde von 


Otto Franz „Im Schneefturm” (gw. ©. 288 freijen, bes Dr. 
u. 289 eingefügt.) Ein glüdlicher Griff bes 
Künftlers und glänzend durchgeführt: zwei 


Schneeichuhläufer, 
Halde, durch 


Andromeda 











iht nebeneinander fid chem 
vorwärtstämpfend über die [djneebebedte 
as rajenbe Unwetter, mit ſcharf Rekerei! 








Anhänger in Silber und Email mit grünen Steinen 
0 e 


Bon Hans Frei in Ba 





Binnplatten von Hans Fret in Bafel 






[diffe vor Oeſel“ (na 
geftehen, daß id) fol 
Werf mandjen Kriegs: oder Marine: 
malers vorziehe — man verzeihe mir meine 


angelpannten Mus⸗ 
feln — bas (Gange 
voll Kraft und Be- 
wegung. — Endlich 
in Doppeltondruf: 
fen gwetfiinjtlerijde 
Aufnahmen, die den 
vielen {Freunden ed: 
ler Lichtkunſt gewiß 
— bereiten und 

nregung geben 
werden. Die eine 
einganb[djajts: und 
Lierbild, „Shaf: 

erde in Der Lüne— 

urger Heide“, von 
Deters mit feinſtem 
Berjtändnis, mit ge: 
radezuerjtaunlicher, 
vorbildlicher Abwäs 

ung von Richt unb 

chatten, von Hell 
und Dunfel erfaßt 
und aufgenommen 
(nad ©. 232). Das 
andere ein echtes 
und rechtes beweg- 
tes Rriegsbild eines 
Liebhaberphotogra- 

Den aus Marine: 


p 
. Spieth, „Deutjche Kriegs: 


©. 312). Sd) muß 
Lichtbild jo mans» 


$$. v. Sp. 


Salambo 


Nachdruck verboten. Alle Rechte vorbehalten. Zuichriften an bie Schriftleitung von Belbagen & Rlafings 
Monatsheften, Berlin W 50. — Für bie Schriftleitung verantwortlich: Hanns bou Fobeltig in Berlin. 
— Für Chterreid: Ungarn Herausgabe: Friefe & Lang, Wien I. 


RVerantwortlidher Schriftleiter: Otic 








| Briefe, Wien I, Bräunerftr. 3. Berlag: Belhagen & Riajing in Berlin, Bielefeld, Leipzig, Wien. | 


Drud: Fiſcher & Wittig in Leipzig. 














"pe "nm geile von 2 ont “ia a Kriegsaufſchlag. 
bezie dur alle B Diungen und 
= * der ` efunasprelsihe ber Den chen 
„te E: Klafings Monntöbeite” 2 
$e eft (September: 
nftalten bezogen werten 2 2 


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3 
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Et 4 — Höffner Gortfetzung) 
* (nag on n der Speijet dicht 
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Wilhelm Trübner. Bon Sans 
Rojenhagen. Mit dem Bildnis 
bes Künftlers und fünfzehn teils 

weile mehrfarbigen Abbildungen 


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der Erften Kammern. Bon 


Hofrat Prof. Dr. ers 
e Lo ër Kr 
in Rundlauf, Erzählung von 
Anjelma Heine. . 
e | Das — in Qibed. 
\ j weum bürgerlicher Woh: 
| i von der sere nance 
H tedermeierzeit on 
' j | Wat De Karl Gdaejer. . . 
4, Pte Hofe operin Minden. Bon 
HM 09: b. 
d Gedich von Hugo 
4 
Bern; em Bardaniot. 
Eine Erzählung aus Albanien 
Ke von Borwin Barlit (Schluß) 
| Bon ausgegangenen Smpor: 
ei A : Der Werdegang ber Havanna- 
SC zigarre. Ron Bictor Ottmann. 


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it zehn Abbildungen nad) photos 

eege 1 poesie Aufnahmen . 
—— | Sie Buen unb ihn das 
T logilden Grundlagen des 
D eutigen Ruplands. Lon Ge: 
gano. 9 eimrat Prof. Dr. Theod. Shies 


pu - Mann in Berlin . . 

h „Der Bater des Berliner u 
i mors,” Bon Rarl Gtrecder. 

Mit drei Bildern 

Jeunes vom Büdertid. Ron 

Kar! Streder Se eM 


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Zur bee Gehen undSedeutung 


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| Mädchen nicht. 
| Seele jchwebte in die veildjenblaue Damme: 
| rung, bie in feinem Ctrid) am Horizonte 









WelhagensKlafings sr 


Monatshefte 


20nd Paul Defar Höcker ^5: 


9 32 Jahra./ April 1918 / 8. heft | 
PS NR DE E E ON FEN) A 





ccc Deutfd)je Seele —— 
Fin Buch von Heimat, Wanserfchaft und Liebe 
SA BonTJohannes Sóffnec =L 


— Fortlegung — 






och auf bem Feljen über bem Wicer 
ER ftand Giacomo, der Ziegenhirt, 
NIO) den breiten Schattenhut in der 
Ce Hand, im Rüden geftiigt auf 
den langen Dornenftod, jah in die weite 
Ferne, wo die rote Sonne auf dem tiirfis- 
blauen Meer fih wiegte und fang. Geine 
Tiere drängten fih um ihn, hoben den Kopf, 
Ichnupperten und jtießen ihn voll Ungeduld 
mit den Schnauzen, denn fie waren fatt, 
wollten in den Stall und gemolfen fein, 


batten nichts von dem Feuerball auf bem 
Wafjer, nichts von der linden Abendluft und 


. von Biacomos Belang. Wher er hatte alles 


vergejjen, und wie bie Sonne in das Meer, 
tauchte er in GCebnjud)t und Schmerz, dak 
die allerliebjte Giulietta ihn nicht erhören 
wollte, weil er nur ein armer Ziegenhirt 
war, und bie Sonne malte dod) feinen zer: 
rijjenen Mantel jo reid) und prádjtig und 
bing ihm Purpur um die Schultern wie 
einem Königsjohn. Wher jo etwas jehen Die 
Und Giacomos verliebte 


Donn. und wartete, daß Die Sonne unter: 
ginge; fein Lied war fiber dem Waſſer tla- 
gend und rubelos wie eine Taube, die nicht 
findet, wo ihr Fuß ruben tann. 

Wd fo zu lieben, 

Weldhe Pein! 

Liebft bu mich, fag es mir, 

Ja oder nein! 

Barten fuhren zu Lande, und ihre roten 

Gegel brannten; die Filcher zogen ihr Garn 


ein, und in den Neben hing Silber und Gold. 
Blau und rojenfarben liefen bie Wellen an 
den Strand, jpielten mit Mujcheln und 
Kiejeln und Filchchen wie mit bunten Edel: 
Heinen, und alles war Farbe und Klang und 
Schönheit und Traum außerhalb der Welt. 

Jungfrau Wieje jak im geflodtenen Stuhl 
unter den Palmen am Weer; die Werel 
Ihwangen janft im Whendhaudh, und auf 
der Lehne fab der Papagei, fnabberte wäh: 
lig an einer Dattel, denn er hatte fic all 
die Süßigkeiten und £ederbijjen des Landes 
libergefrejjen, war bid und behäbig geworden 
wie ein Rentner und wandte faum den 
Kopf, wenn Jungfrau Wieſe aud) noch jo 
zärtlich zu ibm jprad). Die linde Luft, Him: 
mel und Sonne hatten ihrem dünnen Blut 
und ihrem welfen Leib gut getan und ihr 
ein Gtüd Jugend gejchentt im Herzen. Frei- 
lid) bas war ein Trunf zur Nacht, war ein 
Atemzug voll Baljam zum allerlegten Dial. 
Ter leije Wind trug zu ihr herüber, was 
Giacomo, der Ziegenhirt, fang: 

Liebe wird Sterben, 
Sterben, ja ja, 


Höret man nimmer, 
Mein oder ja. 


Sterben. Schlafen. — Mus dem Abend 
tamen Gedanken. Hier war rings, wohin 
die Seele jab, ewiges Leben; hier war nicht 
Herbit, nod) Winter, nicht Welfen, nod) Ber: 
geben; Palmen, Lorbeer und Zypreſſen, das 
alles jtand und leuchtete unb blieb wie es 
war. Im Nußbaum daheim Dingen jest die 
legten Sommerfäden, und über Das Land ging 


Belbagen & Klafings Monatäheite. 32. Jabra. 1917/1018. 2. Bd. Jlacbtrud verboten, Coryright 1915 by Velhagen & Klajing 22 


330 ÜESSESESEHESESEICHE3ESEEEl Johannes Höffner: 


nod) einmal ein buntes Farbenjpiel vor dem 
Tod, und dana% fielen die Blatter fanft und 
fadt auf die fühle Erde. Es mußte einer 
fid) rüjten auf den Abſchied und fih Ios: 
machen von ber jchönen Welt. Und wenn 
der Freund fam, anzuflopfen, daß man mit 
ihm gehen follte, mußte man in der Heimat 
fein und nicht in der Fremde. Denn fonft 
mußte man in ferner Erde liegen oder eine 
lange Reife machen im engen Rämmerlein, 
der Leib, der ruhen folte, ward gejchüttelt 
und geftoßen, und der Lärm des Lebens tat 
dent Schlummer weh. 

Die Sonne war hinab, und Biacomo trieb 
feine Herde hernieder zu den Hütten, die 
Sider zogen bie Barten auf den Gand und 
Jungfrau Wiele fprad) zu ihrem Herzen: 
‚Still, fei ftill, wir SC heim.‘ — 

& 28 

Eines Morgens — von Jungfrau 
Wieſes Stübchens die grünen Läden zurück— 
geſchlagen und die Fenſter weit aufgetan, 
daß die Luft und die Sonne hinein konn— 
ten, und Jungfrau Wieſe ſtand, legte die 
Hand auf die Bruſt und atmete den kühlen 
Hauch, ſah im Nußbaum die letzten Sommer— 
fäden und war froh und glückſelig, daß das 
alles wieder ihr ‚eigen war. Ter Papagei 
tangte auf feiner Stange hin und Der, ſchüt— 
telte die Federn und weßte den Schnabel, 
badte in bie Connenblumenferne, daß fie 
nach allen Geiten fprigten, und begehrte 
Feigen und Datteln, jah fid) im Zimmer 
um fremd und verwundert, drehte unwillig 
den Kopf und |djrie in ben Hof wie cin 
großer Herr: „Presto, presto, Giulia, presto, 
presto, maldetto,“ perjtellte bie Stimme und 
jagte fein wie eine Beige: „Ben levato, si: 
gnor, ben levato“, und frie wieder: „Giulia, 
sei tu là? Mandorla, presto, presto!“ Aber 
Giulia hörte ihn nicht, und Jungfrau Wieje 
fam mit einem Stidden und drohte ihm, 
er folte Hl fein. Uber nad) einem Weil- 
chen fing er wieder an, plapperte alles durch— 
einander und war wie ein Menjch, der alles 
ausframt und vermengt, was er nicht ver: 
arbeitet hat. Schließlich war er bes Spre- 
dens jatt, Jebte fih dick und eigenfinnig Dit 
unb pfiff fid gum Croft das Santa Lucia, 
fo weich und ſchmelzend, wie Giacomo, der 
Ziegenhirt, wenn er ber Giulia unter dem 
Drangenbaum ein Ständchen bradte. 

Eugen Bitterling ftand auf dem Umgang, 
beugte fid) über die Brüftung, und nahm 
von dem grünen Geidenpapier, das für 
gBeibuadjten im Schub lag, [djfug es um 
- bas ‚fleißige €'iesd)en', an bem vor lauter ro: 
fenfarbenen Blüten faum ein Blatt zu jehen 
war, ging, Jungfrau Wieje zu begrüßen, 
unb Danfte Bott, dah fie nod) zur rechten 


Kee Se) 


Zeit heimgelommen war und er daran den= 
fen fonnte, für den Winter eingufaufen. 
Danah fam aud Karl Asmus, und da 
Jungfrau Wiefe ihn neben fid) jah, jdlant 
und um einen Kopf größer als fie, erjd)rat 
Jie ordentlich; es war, als tate fie einen 


Blit in Werden und Vergehen und die 


Flüchtigfeit der Zeit; fie hielt feine warme, 
jtarfe Hand zwilchen ihren welfen Fingern, 
forjdte zagend in feinem Blid, ward froh, 
daß feine Augen fo hell und offen waren 
wie vordem und daß feine Seele rein ge- 
blieben war. Und dann ward fie rot, jo 
leicht und zart wie ein Nojenblatt vor dem 
Entfalten, und plößlich war eine [elige Stunde 
aus ihrem Leben vor ihr, da Johann Ku- 
chenrenter vor ihr ftand und ihr in bie 
Augen blicte, als er von feiner erjten Fahrt 
fam; bie Matrojfenmüße jaß ihm tm Naden, 
die [angen Bänder flatterten im Gominer- 
wind um den Hals, der jo braun war wie 
eine &ajtante, er nahm fie in die Arme und 
drücke fie, als wollte er fie zerbrechen und 
hängte thr ein Kettlein um, aus Iautereri 
Gold geflodten; bas lag nun unten im 
Schrank bei welfer Blumen und vergilbten 
Briefen. Das Kettlein, das liebe Kettlein! — 
Die Tränen famen ihr, die alte Wunde blu: 
tete von neuem, und Karl Asmus lachte ihr 
zu und wußte nicht, welchen Schmerz er ihrem 
Herzen antat. Alle Wunden, die die Baume int 
Frühling und im Sonmter litten, vernarbten, 
ehe der Winter fam, aber die Wunden, die 
Liebe |djlágt, Ichließen fid) nimmer, da mußte 
erft eine behutjame Hand ein Herz ans 
rühren, daß alles fid) ſchloß und [tille ward. 
Jungfrau Wiefe wandte fid) ſchnell ab 
und Dolte ein Bud mit vielen Bildern, 
darin war alles zu fehen, das Meer, die 
Palmen, 3Balájte und Kirchen, Bildwerfe in 
Marmelftein und Malereien, daran einer 
fid) nicht fatt Jehen konnte. „Ja, Karl, das 
ilt nod) taufendmal jchöner, wenn einer alles 
mit eigenen Augen [eben fann. Da geht 
einem Alten das Herz noch einmal auf, und 
einem Jungen erft, bent mag es wohl fein, 
als wäre er auf einem andern Stern.” 
Wer jagt, daß einem die Welt verjchloffen 
ijt, wenn er aud) im engen Rämmerlein [ibt, 
und daß einer vom led muß, wenn er 
reifen will? Wer die Seele auf Wander: 
ſchaft jdjidt, der fieht mehr, als er je mit Leib: 
[iden Augen ſehen fann, und es Bat man: 
cher im dunklen Winkel gelelfet und vor 
aller Schönheit diefer Welt getrunten. Dod 
wenn das Blüd ibm hold war und ihn in 
die Weite trug, daß fein Fuh gehen fonnte, 
wo fein Herz hon [ange vordem gewejen 
war, ijt ihm wohl Wehmut und Schmerz 
angeflommen, daß die Wirklichkeit minder 


PS SSPE SSE SSSI Deutiche Ceele 


fü war denn der Traum; wenn Das 
Land aud war, wie es einer fih gedacht 
und gemalt, der Himmel und das Meer, die 
Berge und die Täler, jo war dod) vieles 
da, das machte die Sinne ſchwer. Denn es 
ijt mit der Erde wie mit bem Menfchen, fie 
hat Seele und Leib. Es ijt alles gut, fos 
[ange einer im fliegenden Koffer fibt und 
babinfábrt über Städte und Lander und 
Meere, aber wenn er ben Fuß auf ben Bo: 
den fegt und in bas Gewühl fommt und unter 
bie Schidfale, fangen die Schmerzen an. 

PWorderhand aber reijte Sort Asmus nod) 
im Geift, und wie an feinem Rammerfenfter 
bie falten Winde an den Scheiben rüttelten, 
war er über Jungfrau Wiejes Gejchent im 
warmen Süden, unter Sonne und Palmen, 
fab die Orangen rot wie die Sonne beim 
Untergehen in bem buntlen Blattwert jtehen, 
ftand in bámmernben Kirchen und vor leud)- 
tenden Bildern, vor Engeln und Menjchen, 
unb es fam ein Wohlgefallen und eine Süßig— 
feit über ihn, daß ibm das Herz hätte zer: 
fpringen mögen. Er mußte an das Zeislein 
denten, wie es vor ibm gejtanden in ber 
Nacht beim Mondenſchein. — 

BE CH CH 

Das ward ein furjweiliger Winter, 
denn an Arbeit war fein Mangel. Kon: 
ful Lobedang baute fid) ein Haus am der 
Eee, unb Meijter Bolduan hatte mit den 
Schlöſſern und was fonjt in fein Fad ſchlug, 
alle Hände voll zu tun; ber Konjul wollte 
in dem neuen Haus Weihnachten feiern, 
und in dem großen Gaal follten drei Chrift- 
bäume ftehen, einer für bas Perjonal, einer 
für die Rinder und einer in der Mitte bis hod) 
an die Dede für die heilige Dreieinigfeit ganz 
allein, und, es jollte eine Chrijtnadt werden, 
wie auf dem Feld bei Bethlehem. Da hie 
es fchuften, wenn alles zur rechten Zeit im 
ot fein follte, und bie largen Tage nußen. 
Ob aud ber falte Wind bird) bas große Haus 
ging, bas [pürte einer nicht, bie Arbeit war 
wie bie liebe Sonne im Sommer, wenn fie 
fie es Jo recht gut meint und auf die Stirn 
den hellen Schweiß treibt, und machte das 
Herz bell und froh. 

Sa, wer feine Arbeit hatte, der war wohl 
gut dran. Wher es waren auch viele in 
der Stadt, die mußten feiern; der Hafen 
lag im Eis und der Schiffe famen wenig, 
der Bettler wurden viel, aus der Fremde 
und aus der Stadt, und alle mitleidigen 
Geelen füllten ihnen die Hände und fragten 
nicht vicl nad) Dant und Würdigfeit, wie 
Sungfrau Wieje mit ihrem guten und mild: 
tätigen Herzen. Die ließ feinen davon ohne 
einen Bullen ober einen Grofchen oder ein 
warmes Stid für den Hals oder die Brutt, 





unb als eines Tages frijd) aus dem Ge: 
füngnis und vor rot Happernd Martin 
Hagedorn auf feinen Krüden babertam, 
winfte fie ihn heran, gab ihm durchs Fen: 
Her zu elen und zu trinten und er: 
mahnte ibn: „Martin, Martin, weißt du 
wohl, dak bir die Füße genommen find, 
weil du damit bóje Wege gegangen bijt? 
Aber bas ift nod) nicht das größte Ungliid, 
bas einen treffen fann, Es mag wohl einer 
als Krüppel leichter in den Himmel tommen 
denn einer, der feine gefunden Glieder Dat." 
Martin Hagedorn machte ein Gejid)t wie 
vor dem Pfarrer im Gefängnis, als fet er 
ganz zerknirſcht, aber als er Davonhumpelte 
und fih taum gewendet hatte, lachte er und 
fteuerte am Lads vorüber die Straße hinab, 
geradenus zur Herberge, einen zu finden, 
der ibm mit Gebajtian Freudenjprungs Geld 
die Tafchen füllen folte; er wollte dann 
manchen Tag herrlid) und in Freuden leben 
und fih feinen Finger nak machen. Und da 
auf biefer Erde die richtigen Brüder [id) 
immer zufammenfinden, Jo ſaß in der Ede 
beim eijernen Ofen hinter einem Achtel Bit: 
tern Hein Botterlitfer aus Warnemünde, 
Baudredner, Afrobat unb Landftreider, 
unb wartete auf einen feinesgleiden. Es 
dauerte nicht lange, ba waren Martin Hage- 
dorn und Hein Botterliffer ein Herz und 
eine Geele, betujchelten über Dem Schnaps: 
duft, wie fie bas Ding bei Eebajtian Freut: 
denjprung drehen wollten, und wälzten fid) 
auf ber ausgehedten Schandtat wie ein 
Dadel auf einem Luder im Wald. Derweil 
ledte fid) der Teufel nach den beiden fon 
das Maul, und der alte Belegenheitsmacher 
ging bin, richtete bei Sebaftian Freuden: 
iprung alles zu, daß nichts miplánge, und 
ladjte fid) bie Hude voll, wenn der Kauf: 
mann fic) feinen Schaden bejehen würde, 
denn er |djielte jchon lange nad) dem alten 
Beizfragen und gijtete fih, daß er fid) nicht 
faffen ließ. 

Gebaftian Freudenſprung hatte ein ver: 
Ichwiegenes Hinterzimmerchen nad) bem Bars 
ten hinaus mit doppelten Türen und Fen: 
fterladen aus eichenen Brettern, darin waren 
bie jungen Herren von der Schule, bie es 
dazu Hatten, bet Zigarren und Bayeriſch 
Bier [ujtig bis in bie jpáte 9tadjt, lagen 
mit gläjernen Augen um den Tijd, wenn ber 
Morgen fam und meinten, jo müjje man bas 
Leben Ichäumen laffen. Cebajtian Freuden: 
Iprung ſchaffte herbei, was fie wollten, bie: 
nerte um fie herum, als wären fie große 
Herren und wußte auch mandem zu andern 
zu verhelfen als bloß zu Bier und Wein. 

(fs ging laut her in dem Kleinen Hinter: 
zimmer, mit BZutrinten und in bie Ranne 

99 + 


332 Johannes Höffner: NICH ZH ZH AZ Zee Ze Ze Zt 


ftcigen, mit Gejohle und Gebriill. Die bun: 
ten Müßen hatten jie ins Genick gejchoben, 
wie fie es von den Studenten gejeben, die 
Rapiere Hatjchten in die Bierpfüßen auf dem 
Tijd, die Petroleumlampe an der Dede 
qualmte, und im Nebenzimmer vor der Tür 
jag Gebajttan Freudenſprung, Dütete feine 
Lammer vor dem Wolf und berechnete nad) 
den Liedern und den Stimmen, wie weit es 
mit ihnen war, Debt fonnte er bald bas 
dritte 9(djtefd)en Herbeirollen. Sie waren 
beim Rundgejang: 

„Rundgelang und Rebenjaft 

Lieben wir ja alle, 

Darum leert mit Jugendlraft 

Echäumende Pokale, 

Bruder Deine Liebjte heipt —“ 
Und Klaus Drajehn, ber an ber Neihe war, 
warf fid) in bie Brujt, dak das jchwarz: 
weiß:blaue Band jid) Jpannte, log und brüllte: 
„Zeislein“, und der Chorus ſchwoll an: 

„Sie foll leben, 

Taujend Küjje toll fie dir 

Scheffelweije geben... 

Rundgelang und Rebeitjajt 

Sieben wir ja alle...“ 

Cebajtian Freudenjprung rieb [id) bie 
Hände und rechnete: heute bradjten fie es 
auf eine halbe Tonne, es war ein guter Zug 
drin. Die Guttonen waren dod) Mords: 


terle, an die famen Die anderen Berbindunz, 


gen nicht ran, bie Germanen nicht und nicht 
bie Vandalen. 

Unterdejjen fam Martin Hagedorn daher: 
gehumpelt mit Hein Botterliffer, jette fid 
auf die [teinerne Treppe vor dem Laden, legte 
die Krüden freuzweis über feine Beine und 
nahm den Hut in die Hand, als bettelte er. 
Der Alrobat nahm einen Schlud aus Der 
Schnapsflajche, jpudte in die Hände, frod) 
durch bas Kellerfeniter wie ein Krebs, ftieg 
von unter Der durch die Falltiir in den Laden 
und ging im Schein der Straßenlaterne dem 
Geldſchrank zu Leibe mit Brecheilen und 
Hammer, aber Gebajtian Freudeniprung 
hörte nichts, denn feine Ohren waren voll 
von Rundgelang und Nebenjaft. Seine Frau, 
die über dem Laden Ichlief, hörte im Ein: 
drufeln durch den Gejang wohl das Ge: 
bämmer und Boltern, meinte aber Gebajttan 
(lige den Hahnen in ein neues Faß und 
lächelte fid in den Traum hinein, weil das 
Geſchäft blühte, und jchüttelte einen Apfel— 
baum, daß ber Boden dröhnte Als fie 
alle herunter hatte, war and Hein Bot: 
terliffer mit jeiner Arbeit zu Rande ge: 
fonımen, ftopfte ben Bettelbeutel und alle 
Tajdhen voll, nahm, was er fand, redete vor 
lauter Vergnügen mit dem Baud) und hatte 
mit dem Geldjdrant ein lujtiges Gejprad: 
„Rat? Wat bu em jeagen Jchuft, bem ollen 


Snajterbart, wenn hei di fröggt: ‚Oh min 
leiw Iſenſchapps, wat bon fo leer? Mat 
fiefft Du mi an as en utnommen Gwin? 
Denn jeggem man: i, hier wär ein, De hadden 
Tung as an Bull und lifft de Bodder, wo 
Det Bodder liffen fann. Un nu adjüs, und 
wenn du wedder völlig bon. máglid), Friind- 
fen, id tam wedder. Awerſt gram di nid, 
wenn dat en beten länglich duert.” Damit 
taftete er fid) aus der Tür durch den Gang 
auf den Hof. Der Hund inder Ede bei der 
Remiſe fpigte wohl die Ohren, aber hob den 
Kopf nicht von ben 3Borberpjoten, denn er 
war es gewöhnt, daß fid) bald diejer, bald 
jener in die Eden tappte, und ließ ben Vaga- 
bunden ungejchoren in den Garten. Und 
die Finfternts ſchlug hinter Hein Botterlifter 
zujammten. 

Mitternacht war längjt vorüber, und Mar- 
tin Hagedorn wartete immer noch vor der 
Tür; die Steine fühlten ihn wie Eis durd) 
und durch bis ins Bedärm, und er flapperte 
mit den Zähnen wie ein Stord. Eine Rage 
fam aus dem Rellerlod und jtrid) höhniſch 
vorbei, als hatte Hein Botterliffer ihre Gejtalt 
angenommen und fame zu jeben, was mit 
dem Spießgejellen werden würde. Gr ſchlug 
mit der Rriide nad) ihr, denn Kagen waren 
ibm ein Breuel; wo einem eine Ober nen Weg 
lief, fonnte einer jid) nur trollen, ba war 
alles umſonſt und vorbei. (Co jchüttelte er 
die Bettelpfennige aus dem Hut in bie Tajde, 
frabbelte fih Hod) und humpelte davon, wo 
er ein Lager fände zur Naht. Ga, wo 
denn? Und nicht zu weit. Im Lads auf 
dem Hof unter Dem Bretterdad ftand Die 
alte Ralejche für Die Gejdaftsreijenden, wenn 
fie bet Regen über Land mußten. Tie hatte 
ein Berde und Glasfenfter und Bollterjige, 
wenn auch alt und zerrijlen, da jehlief einer 
wohl wie Gott in Frankreich. Sm Lads 
war nod ein Leben wie bei einer Hochzeit; 
in der Küche wurde gebraten und gejotten, 
ein Duft ging über ben Hof, daß einem ar: 
men Scluder das Waller im Maul zuſam— 
menltef. Wenn biejer verfluchte Afrobat und 
Bauchredner einen nicht betrogen hatte, Dann 
Ionnte man aud) figen und jid) auftragen 
lajien. Und Martin Hagedorn ftieh die 
Krüden fluchend zwilchen bie Hofiteine, daz 
Das dünne Eis auf dem red jplitterte und 
Iprißte. Es war ein ſchweres Stüd in die 
Kalejhe zu kommen, aber dann fa er 
ſchön und weich, legte die Krüden auf 
den Rückſitz, wijdte bie beſchlagenen Fenſter 
ab und jah fih das Treiben in den Galt: 
jtuben an, Meijter Bolduan gerade ins Ge: 
Dt, wie er Die Karten auf den Tijd) bicb. 
Meiſter Windelband [trid) bie Stiche und 


PERSFHTTTTHEHTITETTT Deutihe Seele mex2eocemacoaoeog 333 


das Geld ein und hatte einen Kopf fo 
rot wie die Mamfell in der Küche. Im 
anderen Zimmer jaßen die Reilenden um 
den Gefttübel und jtießen an; ber Kellner 
fam und Dienerte und ftellte eine gebratene 
Gans auf den Tilh. Da wurde dem Srüppel 
jo wehmütig, dağ er hätte heulen mögen; 
der Magen friimmte fih ibm, als wollte er 
ibm aus dem Leibe friechen. So weh hatte 
ibm ber Hunger noch nie getan, Indem 
itieg eine Spur von Gerduchertem in feine 
Raje, unb ba er dem nachging, fand er in 
der Wagentafche zur Seite an der Tür eine 
3Hurit, jo bid wie ein Frauenarm, und 
geriet in Friedrichs, bes Hausknechts, heim: 
liche Speijefammer, darin er verjtaute, was 
hier und da durch Gunjt oder Zufall für ihn 
abfiel; aber Martin Hagedorn fragte nidt 
lange, auf wen Die Wurjt lauerte, faute auf 
beiden Baden von einen Zipfel zum an: 
dern, [chlief und ſchnarchte bald, daß der alte 
Magen in den morjchen Federn wacelte wie 
ein Schmerbauch beim Lachen. Und es war 
eine Nacht, darin prellte ein Spigbube den 
andern. 
88 c8 
Als Sebajftian Freudenjprung int Viorgen- 
jonnenjdein des neuen Tages feinen Echaden 
bejah, jprang er bis an die Dede, aber nicht 
vor Freuden, und hätte jid) zerreißen und 
alles fura und Hein jchlagen mögen. Mber 
die Vernunft fiel ibm in den Arm, und er 
ging hin und zeigte den Einbruch an. Der 
Werdadht fam wohl auf Martin Hagedorr, 
aber er war nirgends zu finden; in Der 
alten Ralejdje fuchte ihn niemand; er jchlief 
darin bis an den Abend, da er jid) in ber 
Punfelheit auf: und davon machen fonnte, 
vielleicht, dak er nod) ben ungetreuen Rum: 
pan aufgabelte und ihm abnehmen fonnte, 
was ifm gehörte. Meijter Bolduan aber 
befam von Konſul Lobedang den Auftrag, 
vor bie Rellerjenjter bes neuen Haufes dop: 
pelte Bitter zu machen, und mußte mit Karl 
Asmus bis tief in bte Nacht hinein ſchmie— 
den und nieten, wenn er fertig werden 
wollte. Zwei Tage vor Weihnachten tat er 
den legten Schlag in dem Landhaus am 
Meer, warf ben Hammer in die Ede, pru- 
itete mit diden Baden in die falte Luft, daß 
der Atem aus jeinem Munde ging wie 
Dampf aus einem Ventil und fagte: „Das 
joll uns einer nahmaden, Karl. Wir 
haben uns das Felt reblid) verdient. Gleich 
morgen in Der Frühe mach’ did) fort. Gung, 
Sung, nirgend up de Welt jchmedt de Stu- 
ten jo Jäut as bi Muddern. Ach, Karl, id 
müdjt moll nod) eis jon Jung melen as du, 
bat war en Tid, wenn ein buten den Schnei 
wiiltern däht und be Modder reep ut de 


Dir: ‚Albert, wo bliwwft du denn? De 
Raufen fteiht al upen Diſch.“ 

Wm andern Morgen aber blies ein Sturm, 
als wollte er die ganze Stadt ins Meer wehen; 
im Hafen tanzten die Schiffe an ihren Anter- 
fetten wie 3irfuspferbe, bie hohe Schule 
gehen, die Sciffsleute froren bis auf die 
Leber und fluchten, denn fein Grog und fein 
Branntwein machte mehr warm, dräng: 
ten fid) in bie Cpelunfen wie die Winter: 
fliegen zum Kachelofen, und ließen fid) deit 
Gejitanf von Zigarren, Schnupftabat und 
Rnoblaud nicht anfechten Die Straßen wur: 
den blant wie eine Tenne, und fein Stäub: 
chen lag mehr darauf, Karl Asmus hatte 
die Hojen in den GStiefeln, bie Müge mit 
dem diden wollenen Schal um das Kinn 
fejtqebunden, ftemmte den berben &notenjtod 
auf unb [dob fid in das Stürmen und 
Treiben, denn wenn die Heimat ruft, dann 
muß man auf ten Weg, und wenn es nod) jo 
Ihlimm wäre. Die Häujer lagen bald hinter 
ibm, aber als er hinaus fam aufs Feld, rif 
der Sturm ihm die Filipe vom Boden und 
den Atem vom Munde, der Schnee pfiff und 
fuhr daher wie Diinenjand; Erde und Himmel, 
es war alles eins und ftand vor jeinen Augen 
wie Milch. Eine Stunde und zwei ftemmte 
er fid Schritt für Schritt durch das Un- 
wetter, wollte es zwingen und fonnte es 
bod) nicht, bing voll Schnee nnd Eis am 
ganzen Leib, und feine Knie waren matt 
wie ausgeleterte Scharniere. Er mußte Hei: 
mat Heimat lajjen und umkehren, jo hart 
es ihn auch antam, denn im andern Jahr 
wer weiß, wo er dann Weihnachten feierte. 
Wenn nur der Menjch immer wüßte, wozu 
etwas gut ift. 

Im Graben am Wege lag Martin Hage- 
dorn matt und bem Tode nahe; ber Froft 
fraß fid) von den Füßen und Armen her in 
ihn hinein, und der Sturm fcharrte ihn in 
ben Schnee wie ein verhungertes Haslein. 
Nur bie Krüden waren nod) zu leben und 
der Kopf, zwilhen den Wimpern erfroren 
die Tränen. In feinem Herzen war ein 
bitterlidjes Rufen, feine Gedanfen waren 
bei den toten Gpagen, bie oben vor feinem 
Rammerfenfier jteif und. ftarr in der Rinne 


gelegen hatten zur Winterzeit, und vor feiz 


ner Seele ftand das plób&lidje SBijjen von 
bent, was davon wohl einer hätte lernen 


tünnen. Wher Gott: Vater nahm ihn nod) 


einmal in die Doble Hand, fein Leben zu 
bergen und zu wärmen, und wollte bas legte 
an ihn wenden, ob er noch werden wollte. 
Karl Asmus, da er vorüberging und der 
treibende Schnee ihm nun im Rüden Jap und 
die Augen nicht mehr blendete, ward bes Häuf— 
hens zur Cette gewahr, der Krüffen und der 


334 Lessee Johannes Hhöffner: Sees 


Miike, fniete bei bem Gejellen nieder, jeharrte 
ibn aus, fühlte den Puls geben, wenn 
aud) fo leije wie aus einem Vogelherzen, 309 
den Rod ab, breitete ihn Martin Hagedorn 
über Geſicht und Bruft, lief mit dem Sturm 
was er fonnte, Hilfe zu holen und thn unter 
Dad) zu bringen. Ein Ausbau ftand im 
Feld; ba wohnte Peter Sadbartb, ber Gm: 
der. Nicht lange, fo fuhren fie ben Erfrore: 
nen auf dem Karren in die Stadt vor Mei: 
Her Bolduans Haus, und Karl Asmus rif 
die Tür auf und rief: „Wir bringen Martin 
Hagedorn; er ift im Sterben.” Der Dei: 
Her fam und fapte an, und Martin Hage: 
Dorn war wieder, wo ihm joviel Gutes ein: 
mal nahe gewejen war, lag gebettet dicht 
neben bem grünen Tannenbaum; von feinen 
Kleidern riefelte der ſchmelzende Schnee 
iiber bie weiß gejcheuerten Dielen, und bie 
Meifterin blidte voll Grimm und Bosheit. 
„Bolduan, bas muß ich fagen, das ijt mir 
eine ſchöne 3Beldjerung zum Heiligen Chrift, 
einen Toten unter dem Weihnachtsbaum 
und einen Lumpen dazu. Schaff' ibn mir 
fort und auf der Stelle.” Aber ber Meifter 
nahm fie beim Arm und fchob [ie in bie 
Küche. „Beller ein Dieb als ein Mörder, 
cs ift nod) Leben in ihm.“ 

Indem fam der Arzt, Danticrte mit Pfla: 
fter und Mefjer, bis Martin Hagedorn die 
Augen aufichlug und aus dem duntlen Reich 
nod) einmal guriidfam. Meilter Bolduan 
wollte ibn wohl bei fih behalten, aber weil der 
Arzt wollte, mußte er ins Spital. So widelten 
[ie ihn warm ein und trugenihn wieder hinaus 
auf den Karren, und die Meifterin fam mit 
einem Tuh und wijchte bie Lahe auf, bic 
er dagelafjen Hatte. Im Spital ward er in 
ein [ates Bad getan, banad) in ein weiches, 
reines Bett, und es war wie in dem Mär: 
chen, Darin der Bagabund über Nacht König 
wird, fid) mit großen Augen nmfieht und 
nicht weiß, wie ibm geichehen iit. Eine 
Schweſter rüdte ihn in ben Kiffen zu: 
recht, trdnfte ihn, redete mit ihm und 
freundlich), daß es ihm im Herzen brannte 
wie Feuer, Denn er war ein Schubiad und 
Tunidtgut und nicht wert, dak einer ihm 
Gutes tat. Da der Abend nabte, und Die 
Gloden läuteten durch Sturm und Schnee: 
geftöber unb bie Seufzer der Kranten ein: 
ander begegneten, fam leije und janft von 
der Kapelle ber über den Hof das Lied von 
der heiligen 9tadjt und ging von Bett zu 
Bett und Domp and bei Martin Hagedorn 
ftill, und da er bie Augen wendete, jah er 
wohl feine Mutter neben fid), bie [eate Die 
Hand auf feinen Arm. Und er jpra(f) wie 
im Traum: „Müde bin ich, geh zur Nuh.” 
lind ba er an den Bers fam: Hab’ id) Un- 


recht heut getan — da war fein ganzes Leben 
in einem hellen Licht und alles offenbar, was 
er auf dem Gewijjen hatte. Er wandte bei 
Kopf ab und meinte bitterlich in die Federn 
hinein, und es merfte im ganzen Gaal teiner, 
was ba vorging. Es ijt in der heiligen Naht 
wohl mehr Traurigfeit in der Welt als einer 
weiß, es ijt auch nicht gejagt, daß dort, wo 
der Helle Baum brennt, immer eitel Glüd 
und Freude ift. Freilich bem Meijter Bol- 
duan fehlte nichts; im Ofen bullerte das 
Teuer, und ob der Sturm in dem Scorn: 
Hem Beute wie ein Schloßhund, war cs in 
der Stube fo mollig wie im Badhaus, auf 
dem Tijd) Stand ber Puter, ber jid) vor ein 
paar Tagen mod) unter dem Nußbaunt fei- 
nes Lebens gefreut hatte, und Mtejjer und 
Gabel ftedten ihm in der Bruft, daß einer 
fie griffe und ben jaftigen Braten teilte. Der 
Meifter ledte fid) die Lippen, fam und zer: 
legte das Tier mit Würde und Andacht; 
es war ein Effen, bas Ronjul €obebang 
nicht verachtet hätte. Aber Karl Asmus 
hatte feine rechte Luft an dem Chrijibraten, 
das Herz war ihm jchwer, denn es war das 
erfte Seit, Das er nicht Daheim feierte, und es 
war eine Ahnung in ihm, daß es damit 
nun aus wäre für immer und er nimmer: 
mehr würde mit Vater und Mutter um 
ben Baum figen. Der Meijter wifdte fid) 
den Mund, jd)jnitt cine Keule ab und Iegte 
fie beijeite. „Sch meine, die wird Traugott 
Bitterling morgen zu pab tommen.“ Die 
grau Inurrte etwas, der Meijter aber ftellte 
lich gleihmiütig an ben Ofen, bordjte in das 
Wetter, lagte: „Wohl dem, der unter Dad) 
nnb Fach ijt,” und dachte bod) nicht an bie, 
die auf Dem Meer fein mußten oder auf dem 
Wege. Mander war, dem ging es in Dieler 
Naht hart ant Tode vorbei wie Martin 
Hagedorn am Morgen, und es war nicht 
von ungefähr, daß Karl Asmus’ Gedanken 
immer wieder um Hans Ramps Hütte ftri- 
den. Die lag unter der Düne am flachen 
Strand, war jdjief und baufällig und Hatte 
jo wenig Kraft fid) in den Sturm zu legen 
wie ein altes Weib, zitterte bei jedem Stoß 
vont Dad bis zum Keller; von Stunde 
Au Stunde rollte bas Waffer weiter über 
ten Strand und näher an die Schwelle, und 
die Heulboje vorn an ben Bänken jchrie 
immer lauter und gräßlicher. Als die Nacht 
Dereinbrad), jchäumte die Gee Durd bas 
He in die Stube und in den Stall; da zog 
er die Kuh heraus, und die Frau nahm die 
Kinder bei der Hand, und fo wantten fie 
durd) das Wetter iber Die Dünen, wo die 
Delle Kirche ihnen den Weg wies. 

Das war wohl ein betrübter Heiliger Chrijt 
fiir Hans Ramps, daß er mit Weib und Kind 





Nacht, unb wuhte nicht, ob er es morgen 
nod fand. Aber an ber See wird einer ge: 
[ajjen, und das Herz nimmt hin ohne Be: 
denten unb Murren, was fein mug. 

8 8 

Es gibt viele dunkle Stunden, ſolange der 
Menſch auf Erden wandelt, und die Nächte 
ſind länger als die Tage, und wenn ein Wet— 
ter kommt, kommt es in der Finſternis; wer 
dann auf dem Wege iſt, der mag nach einem 
Schein ſuchen, dem er nachgeht. Ein Licht 
in der Finſternis, das iſt Troſt und Zuver— 
ſicht und Hoffung, das ruft und winkt: hier 
iſt ein Obdach, wo einer ſich bergen kann. 
Hans Kamps war um dieſe Stunde nicht 
der einzige, dem die Kirche den Weg zeigte 
durch die Nacht. 

Auf dem Meer fuhr Robert Wockenfuß, 
jah das Fiinflein im Land [teben wie ein 
Glimmen im verfohlten Tannenjcheit, hatte 
die Heimat [o nah und fonnte dod) nicht zu 
ihr. Die ,9Bilbemintje^ war im gurgelnden 
Waller und in ber heulenden Luft, bie zer: 
jegten Gegel fnatterten wie Schüßenfeuer, 
und Bredher um Brecher jchölte über das 
Ded. Gerard Doelen ftand auf der Brüde 
und batte ein Tau um den Leib, und Ro- 
bert Wodenfuß hing mit Armen und Füßen 
neben ihm in den eijernen Gelánberjprojjen. 
Der Steuermann lag im Rade und feine 
Arme waren wie Stahl; ob das Rad jchrie 
und Achte und ftöhnte, es mußte, wie er 
wollte; die Sdijfsleute ftanden unten, je: 
der an feinem Plaß, und wußten, auf dem 
Bugfpriet jag der Tod. Gerard Doelen 
idrie dem Steuermann ins Obr: „Dat 
Richt; ſühſt bu bat Lücht?“ und jtredte den 
Yirm in den Sturm und die jyin|ternis. In: 
bem fam ein Heulen dahergeflogen, wie ein 
Wolf heult in ber Nacht, und Robert Woden: 
fuB ftierte hinaus, ber Shred jab ibm im 
Raden. Es war, als zerrijje vor ihm die 
Naht: Da lag die Hütte von Hans Ramps, 
pie Boje heulte und frie an Steuer: 
bord, und ehe Robert Wodenfuß nod 
pas Wort aus der Keble hatte: „Doelen, 
Doelen, be Bink“, fam Krahen und Split: 
tern. Die „Wilhelmintje“ op mitten ent- 
zwei, eine Welle trug ihn, als flóge er durch 
Die Luft, warf ihn an den Strand und bradte 
ibn in Die Heimat auf eine andre Weije, als 
Doelen ihm verjprochen hatte. Als er zur 
Belinnung fam und fid) umjab, ftand er dicht 
bei Hans Ramps’ Hütte, watete durch bas 
Ichäumende Waller und [tieg bie Düne Hin: 
auf, dem Licht der Kirche zu, wie vor furzem 
der Filcher, fam nad) Hauje, ba ber Chrift- 
baum brannte, trat in bie Tür, und die Mut- 
ter frie laut auf, als erdaftand in den trie- 


[239393930322 33$3917 3931932 39323932] Teutjhe Seele EI Zee HZ 3 335 
aus feinem Häuschen mußte bei Sturm und 


fenden Kleidern. Sie meinte, es wäre ein Ges 
ſpenſt, aber als fie ihn [predjen hörte und ihn 
betaftete, daß er von Fleifd) und Blut wäre, 
weinte fie, daß fie ihn gejund wieder Hatte, 
unb der Boden mantfte ihr unter den Füßen, 
da fie hörte, daß er aus bem Meer tame. 
Der Bater befam einen Kopf jo groß wie 
ein Eimer und ward fo rot, als hätte er 
cine Flaſche Malvafier auf einen Zug ge 
trunfen, wie er an die gottesläfterlichen Res 
ben dachte, mit denen er fih über ben mif 
ratenen Jungen ausgelajjen hatie, und all 
fein Zorn und Grimm war dahin. Er nahm 
den Jungen, brakte ihn in bie Rammer an 
den warmen Ofen, mijchte ihm einen Eräf> 
tigen Trunf, legte ihm trodene Kleider an 
und fonnte fid) nicht genug tun, dieweil bie 
Mutter in der Kühe das Mahl rüftete, her: 
vorbolte, was fie an Lecterbijfen hatte, und 
bie Mägde antrieb, daß fie flogen wie Balle. 

Und jebt war die „Wilhelmintje“ dahin, 
und Gerard Doclen jprang nimmermehr 
auf einem Bein, hielt feine Pfeife zwijchen 
ben braunen Zähnen und fing. feinen Jun- 
gen mehr. Die Rnedte waren hinaus an 
den Strand mit Stangen und Fadeln, aber 
der Sturm blies die Lichter aus; [o [aut 
fie auch frien, es tam nicht Stimme nod Ants 
wort, nur die Gee brüllte ihnen entgegen 
wie ein wildes Tier. 

Am andern Morgen hatte fid) der Sturm 
gelegt; der Himmel ftand tlar und buntel: 
blau, und ber Froſt fnijterte in der Erde 
unb auf den Bäumen im Schnee. Hans 
Ramps jtampfte mit zagem Herzen über die 
Dünen. Aber ba er über die Höhe glupte, [tanb 
es unverjehrt, bie Rage jak vor der Tür und 
miaute nad) Milch, und der Hahn frábte in 
den Morgen, als wäre nichts gejchehen. Da 
tieb Hans Ramps fid) die Augen. „Tunner: 
Ihlag, wat's bit?" Der Strand zur Red: 
ten und zur Linten war gelb wie eine Wiefe 
im Frühling von Butterblumen, dicht bei 
dicht lagen zwilchen Schiffsgerät und Plans 
fen Wpfeljinen und Zitronen, und mitten 
inne auf dem Rüden Gerard Doelen, hatte 
die Arme ausgejtredt und [die Filchaugen 
weit offen und fab Starr in den Himmel, 
wie wohl einer des Sommers in Gras und 
Blumen liegen mag und den Himmel trinfen 
und nimmer genug befommen. 

Hans Ramps nahm den Kapitän und trug 
ihn in die Totenfammer bei der Kirche mit 
Stampfen und Reudjen. Das ganze Dorf war 
auf den Beinen, denn Gerard Doelen war jeit 
vielen Jahren ber erjte fremde Mann, den 
die See hier ans Land geworfen hatte. 
Es drängte fich einer um Den andern in Die 
Tür, redte den Hals und mußte bie of- 
jenen. Augen jehen und die ftarren Hände, 


336 IESSE EES SSES) Johannes Höffner: Tee Set 


bis der Krüger Wodenfuß fam, ein Laten 
über ben Toten bedte und die Tür oeridlop, 
Da liefen fie an den Strand unb lafen die 
fremden Früchte auf, groß und Hein. Au— 
quit Rottichalf, ber Afritander, fand Gerard 
Doelens Pfeife im Tang, trodnete fie ab 
und klopfte bie maffe Wide heraus, jtopfte 
jie und blies den warmen Rauch in bie falte 
Luft, liep die Sonne auf dem neufilbernen 
Bejdlag blinten und jagte zu dem Schnei: 
der TFeuereiß, Der gerade in eine Wpfeljine 
big, daß ibm die Kälte bird) alle Zähne 
fuhr: „Son Pip, banad) bem id min Seb: 
tag janft. Wenn ein man warten Tomm, 
de fricht allens.” 

28 28 & 

Die Blode rief, daß es Beit wäre zur 
Vire und aufzuhören mit Sammeln 
und Suchen unter dem Gtrandgut, aber 
mand) einer ftopfte feine Ohren zu und blieb 
unten am Meer, wer men, es fand einer 
wohl nod) bejjeres als Apfelfinen oder eine 
Pfeife. Wud Paftor Neumann Hatte fein 
Teil erwijcht, nämlich für feine Predigt, nahm 
den Untergang der „Wilhelmintje“ und all 
die Schreden ber Nacht in die Auslegung 
hinein und ließ bie Leute beimgeben mit 
dem Schauder int Herzen, daß es für einen 
Menſchen nichts Schredlicheres gäbe, denn 
einen Schiffbruch. Wenn das and) nicht 
jehr wethnadtlid) war, Jo war es bod) Heil: 
jam. Und der Külter Drafehn, da er die 
Kirche zugeſchloſſen batte, ging mit jchweren 
süßen bie Dorfitraße entlang, Jah auf den 
3ertretenen, Weg und hob den Blid nicht, 
denn er hatte den Schiffbruch im eigenen 
Haufe; es war ein Brief gefommen, daß 
der Sohn mit Schimpf und Schande von 
der Schule gejagt war, und was jonjt nod) 
darin gejtanden hatte, daran trugen Die 
Eltern wohl ihr Leben lang. 

Derweil jak Klaus Drafehn auf ber La: 
itadie in einer Cpelunte, trant jid) alle Scham 
und allen Ärger fort. Drei Tage trieb er 
es jo und vertat auch das legte, was in 
ieiner Geele nod) an Scheu und Gewijjen 
war, bis thm die Knie fchlotterten, bas graue 
(Flend ihn padte und er im Hof der Cdjente 
auf einer leeren Tonne jop und in die Nacht 
winunerte. Am Dlorgen, da Klaus Drafehn 
Maujd) und Elend ausgejchlafen und jid) 
Schwiemel und Wlterigfeit aus den Mugen 
qewajden hatte, machte er fid) auf zum Stadt: 
theater, bat und bejd)wor den Direftor him: 
melhoch, er jollte ihn nehmen und ihm ben 
Weg zur Kunſt auftun, denn wo ein Drang 
wäre Au Hohen, da ware auch die Kraft. 
(Fr redete falt wie Marquis Boja vor dem 
Köntg Philipp, und der Direktor faltete die 
runden Finger über Dem Bauch, drehte die 


Daumen umeinander, fniff die bartlojen 
Sippen ein und fagte f[chließlich: er wolle 
es perjudjen, ber Künjtler Erdenwallen fei 
gwar dornig, aber ein Talent brace fih 
immer Bahn, und es wäre im Schauijpieler: 
beruf wie im Goldatenftand, ba ein jeder 
Den Marihallitab im Tornifter trüge und 
jelbjt ein Schneiderlein ein hoher Herr wer: 
den könnte. „Ja, ja, mein Lieber, was einer 
wird, bas wird er aus fid) jelbjt. So ijt es 
und fo bleibt es: fein Cdjidjal ſchafft jid) 
jelbjt der Mann.” 

Am Abend jdon jtedte Klaus Drafehn 
in einem Landsfnehtwams, maridjierte mit 
aufgeworfener Brujt vor einem türfilchen 
Zelt auf und nieder, ſchwang bie Got: 
pene Hellebarde, wehrte, wenn einer den 
Cdlummer bes Feldherrn zu Hären fid) oer: 
maß, Der fid) im übrigen hinter den &ulijjen 
an einer Bocdwurft mit Sauerkraut ftarfte, 
unb glaubte wirklich, er hätte fein Schickſal 
in Die Hände genommen und wäre auf dem 
trodnen. Aber er war doch nur ein armer 
Schiffbrüchiger und trieb auf einer elenden 
Plante dahin, ans Land ober ins Meer, 
wer wollte das jagen? 

38 eg 

Wenn einer Echiffbruch leidet, das liegt 
nicht an den Klippen, am Nebel oder am 
Sturm, das liegt am Steuer, am Rompaf, 
am Ballajt ober an ber Karte und an mans 
herlei anberm bei Fahrzeug und Schiffs— 
mann. Darum fommt der eine an allem 
vorbei, und der andere geht unter. 

Karl Asmus wußte fein Sdifflein wohl 
zu lenten, war zwar nod) nahe dem Land, 
aber jtenerte Dod) |djon bem offenen Meere 
zu, da die Wellen lang und hod und mit 
Schaumfronen liefen, und der Wind wartete, 
lich in bie Tegel zu jegen und zu proben, 
wer es führte. Manche Stunde nach Feier- 
abend arbeitete er in der Werkitatt, dah die 
Wangen ibm brannten, hatte Meilter Bol: 
Duans funftvolles Schloß vor fih, es nad- 
zubilden bis ins fleinjte, daß er losgeſpro— 
chen würde vor der Zeit und, wean der 
Sommer fame, hinaus fónnte in die weite 
Welt. Wenn er bes YFetertags oder jonit 
einmal ein Ctünbdjen bei Jungfrau Wieje 
jag, und bas traute Stübchen liebreid) um ibn 
war, Ja er dennoch Darin wie ein Vogel im 
Käfig. Seine Gedanfen liefen jhon auf den 
Straßen der Erde und durch Städte, an Stro- 
men und auf Bergen; und er framte aus, was 
an Gehnjucht in feinem Herzen war und wo: 
bin er wandern wollte, wenn er des Lehrling: 
tums los wäre und ledig. Da wäre ber Kyff— 
häujer, darin Ratjer Notbart gejeffen und 
aeichlafen hätte am Tilh von Marmelſtein, 
und die Wartburg tm Thüringerwald mit 


Sëegeegeegeeegerg:eessgsegeegseeeeggeegeegeeeeegegeersegegegeeeeeegeeggeegegeeeeeeeeeeeegeegggegggëgëggëeeegeëeeegeegegeeegee 


uS Zl 4 do ie! MDD EE na anh —— — — 


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Gemälde von Prof. Wilhelm Claudius 


Altländer Bauernhof. 





DIBIIEEXARARIRYRYRYRYR] Deutiche Seele 337 


Luthers Gemach und dem Tintenklecks, vor 
dem der Teufel auf und davon gefahren 
wäre, der Rhein und die Alpen und das 
Land Italien. Jungfrau Wieje fab ihn 
an mit heimlichem Schmerz, fie wußte, 
daß an ben Wegen Dornen ftehen und daß 
einer nicht allein die Füße fid) wund läuft 
auf den harten Cteinen. Aber das war 
nicht anders. Die Jugend wollte hinaus 
und mußte hinaus. Wer niht ins Ge: 
Drange und in bie Gefahr fam, ber wurde 
wohl nimmer tüchtig und ein Mann. Und 
He fraute dem Papagei bas Köpfchen und 
nidte Karl Asmus zu: „Ja, Karl, das ift 


wahr, die Welt ijt wohl weit und [d)ón und. 


bat viel zu verjdenten, aber wenn einer 
holen will, was ihn reich und glücdlich machen 
fann, ber muß fid) eilen und die Stunde 
nugen und Darf fid) nicht aufhalten und 
muß umfehren zur rechten Zeit, ſonſt jchlägt 
das Tor hinter ihm zu, und er ijt verloren 
tür alle Ewigfeit.“ 

Als Ditern vor der Tür ftand, hatte Karl 
Asmus bas Gejellenftüd fertig, ein Schloß, 
|o blant wie ein gejchliffenes Schwert; wenn 
ver Schlüffel fidh brebte, [prangen Die Riegel, 
vies- nad) vorn und zwei nad) oben und 
unten, Die Widerhafen Ipreizten fih, und 
es war, wie wenn ein Augenltd auf: und 
niederjchlägt. Der Snnungsmeijter bejah es 
von allen Seiten, aber jo jehr er auch juchte, 
da war fein Fehl nod) Tadel. Karl Asmus 
ward losgejprodhen, und Meiſter Bolduan 
ging mit ibm heim und war jo Wolz, als 
bätte er jelbjt fein Bejellenftüc gemacht. Und 
dem jungen Gejellen jang es im Herzen wie 
eine Merde über vlühendem Klee. Er redte 
Den Kopf jo frant und fret aus den Schultern 
wie ein Junfer, ber zum Ritter gejdlagen 
war. (be fie ins Haus traten, ſchlug Meiſter 
Bolduan ihm jo recht mit Wucht auf 
die Schulter: „Alsdann, Karl, nun ginge 
es alfo hinaus in die Welt und wäre 
einer auf Dem Wege, ein Mann und ein 
Wieifter zu werden. Sch wollte, ich wäre an 
deiner Statt, aber ber Gungbrunnen iit ver: 
trocknet bis auf den Grund, denn Der Weiber 
ind zu viel gewejen, bie darcin gejtiegen find. 
Wir müſſen uns zufriedengeben, und aud 
die alten Tage haben ihr Gutes.“ 

Karl Asmus machte ein feliges Geficht. 
Ta war ein Weg, und es blübten Blu: 
men zur Nechten und zur Kinten, und von 
Raunt zu Baum flog ein Vogel, der war 
jo bunt und [u|tig, wie er nod) nie einen 
gejehen, rief und lodte, es wäre nun an 
der Zeit, und er jollte tommen. Aber 
da war ein Tor, und wer da Hindurdging, 
dem würde ein Schwert in die Ceele ge: 
itoßen, daß einer nicht gar zu leicht und 


übermütig von Donnen zöge; es fam zuvor 
ber Abſchied von allem, damit bas Herz ver: 
wadjen war und worin es Wurzel geſchla— 
gen hatte, denn es taftet fein Menjch jid) 
tiefer in den Boden als in der Kindheit 
und Jugend. Das war ein dunkler Tag, 
und alle Blümlein ließen die Köpfe Hän- 
gen, ob auch die helle Sonne belebend am 
Himmel ftand und die Elternliebe und 
die Heimatluft um ihn war wie der Süd: 
wind um Die Beilden im März, ba er 
Rater und Mutter noch einmal am Hals 
hing und fie laffen mußte. Das war bod) 
anders als damals, da ihm ter Reijefajten 
auf den Wagen gejdoben wurde und er mit 
Paftor Neumann Hinausgefahren war ins 
Vand. Aber er machte fih hart und tat 
luftig, und es blieb bod) nicht verborgen, was 
in feinen Gedanten war, denn Vater und 
Mutter Jahen nicht mit den Augen, Jondern 
mit der Seele und fie fanden beide nod) 
lange am Bodenfenfter auf dem Dad. Ob 
er nur nod) ein Pünktchen in der Ferne war, 
jte Jaben ibn, als jtände er vor ihnen. Aber 
aus der Turmlufe blidte diesmal fein Mar: 
lenefen ihm nach, denn es war in der Stadt 
im Dienjt und follte fid) bei fremden Leuten 
umtun und lernen. — 

Am Abend zuvor, da Karl Asmus wan- 
dern wollte, brachte die Meijterin einen 
Braten auf den Tijd und Kartoffeljalat Do: 
zu; der SUleijter ftellte eine Flaſche Wein 
in Die Mitte, ſchenkte ein, [tie an und 
wiünjchte ibm Glüd auf ben Weg. Alls 
die Frau hinaus war, nod eine Süßigfeit 
zu bringen zum Bejchluß, holte er aus und 
lobte den Rhein und war bald in Riides- 
beim und fagte: „Karl, bas ift ein Paradies. 
Da geht einem das Herz auf, und daran 
darf feiner vorbei. Wenn Du hinein: 
fommit vom Mäufeturm im Binger Lod, 
an den Burgen vorbei, geht zur Linken ein 
Weg ab, ein wenig den Hang hinauf, da 
fteht ein Haus im Grünen. Rofen blühen 
an den Wänden, und ein goldener Schlüjjel 
jhwingt über der Tür; da Hopf an und 
grüß' das Handwerk und frage, ob einer 
fid) nod) bejinnt auf Albert Bolduan aus 
Bommerland; er ließe bas Wnndjen grü- 
Ben, wenn es nod) lebe, er hätte es nimmer 
vergeffen, und in ein paar Jährlein möchte 
er jelber wohl tommen und jehen, wie fie es 
triebe und wie es ihr ginge.“ Er jah dabei 
mit jolcher Seligfeit in fein Glas, als wäre 
des Himmels Pforte vor ihm aufgeiprungen, 
und in feinen Augen blinfte es, von Wein 
oder von Moller ober von beibem; er jebte 
das Glas an und tranf es aus gang till, 
als tränfe er von feiner goldenen Tugend. 
Inden fam Die Meifterin mit einem Pud= 





338 | 


ding, Jo gelb wie ein Kanarienvogel, denn 
bie Eier waren nicht gejpart, fah dem 
Mann ins Gelicht, wie ibm die Lider rot 
waren und die Augen feucht und dachte: 
‚Der Bolduan hat dod ein gar zu gutes 
Herz, dak der Abſchied ihm fo ſchwer 
wird, als zöge ihm der eigene Sohn dahin.‘ 
Zu Karl Asmus aber jagte fie und [chob 
ibm bie Schüfjel bin: „Rang? zu und bas 
ordentlich; in ber Fremde muß einer krumm 
liegen mandesmal und wird nicht gefragt, 
daß er effen fol. Die Fremde ift ein farges 
Weib und fieht auf das Ihre, was, Bol: 
Duan?” Und der Meifter nidte und ſchenkte 
bent Gejelfen den Reft ein: „Schon wahr. 
Aber auch bei vollen Töpfen tann einer ver: 
Dungern.^ Die Meifterin Tun die Augen 
ein und forjchte auf feiner Stirn, aber fie 
fam nicht dahinter, wie er es meinte. 

Jtadjber ging Karl Asmus zu Jungfrau 
3Bieje. Das war ein faurer Gang, und die 
Stuguhr vor dem Spiegel lief jo jchnell, als 
wollte fie die liebe Sonne überholen, und 
führte mit ihrem Pendeljchlag das Wort faft 
allein, wenn nicht gerade der Papagei eine 
Redensart aus der Nähe oder der Ferne 
holte und in Jungfrau Wiejes leije Rede 
fallen ließ wie einen Stein in ein [tilles Waſſer. 

Co faken fie, Karl Asmus am Tijch bei 
der grünbejdjirmten Lampe, Jungfrau Wiefe 
auf ihrem TFenfterplaß im tiefen Schatten, ber 
Papagei in einem [djmalen Lichtjtreif bim: 
zelnd ein wenig zur Seite. Da es Zeit war, 
holte Jungfrau Wieje aus bem Nähtiſchfach 
cine Brieftajde hervor, grün und blau und 
rot beftidt mit Rofen und Winden, bie rod 
nah Nußblättern und Lavendel, und legte fie 
Karl Asmus in bie Hand. „Wer in die Fremde 
geht, muß wandern fonnen wie es. ibm beliebt 
und darf niht Hängen bleiben um Arbeit willen 
und Berdienft. Du foljt bir die Welt an- 
jehen in al ihrer Pracht und Auge und 
Herz fih fattrinfen laffen an alli ihrer Herr: 
lichkeit.“ Damit nahm fie feinen Kopf in 
ihre alten Hände und tüpte ihn auf die Stirn, 
jo zart und [djeu, als wäre er aus Glas. 
(Fr wußte nit, wie ibm geſchah und 
fonnte nichts jagen vor ſoviel Liebe, aber 
die Tränen rannen ihm die Wangen ent- 
lang, und er küßte Jungfrau Wieje bie Hände, 
wandte fi) und ging aus der Tür wie aus 
einer Kirche. Der Papagei, dem wohl et: 
was bümmerte, es ginge bier um einen 
Abjchied, framte eine alte Erinnerung Der: 
vor, räujperte fid) und rief ihm nad: „Adjüs, 
Herr Bartels, nu gahn wi.” Jungfrau 
Wieſe aber jag nod) lange auf, fah in bas 
Yampenlidht und fann, und bie alten Wun: 
Den brannten als wären fie frijch. 

Am andern Morgen in der Frühe, ehe 


I Johannes Höffner: İB 


169494934 35 Si 3e 3$ 53 


bie Sonne aufging, ftand Karl Asmus auf 
dent Hof, bas Felleijen über ber Echulter 
und ben Wanderjtod in der Hand, tat 
nod) einmal das Herz auf, mitzunehmen, 
joviel er fonnte vom Garten, vom raujchen: 
ben Brünnlein, vom Nußbaun und vom 
Tenfter, dahinter das Zeislein geftanden 
war bei Tage und hatte ben Gommer ein: 
gejungen und im Mondenjchein bei Nacht, 
und ihm ward [o warm in der fühlen Mor: 
genluft, als blieje ihn das ‘Feuer von der 
Ejje an. Er fonnte nicht anders, er mußte 
nod) einmal auf der Bant am Wajjer figen. 
Die Finten jchlugen in den Zweigen, Gras- 
nüden liepen ihr Liedletr fteigen und fal- 
len wie filberne Kugeln auf einer Waſſer— 
funjt; eine fiige und ſchwere Sehnjudt war 
um ihn, daß er meinte, er wäre von Der 
Welt, und der Kopf wußte niht, was bie 
Hand tat, daß er unten aus dem Ranzen 
die Flite hervorgog und an die Lippen 
nahm. Die Vöglein wurden ftil und hör: 
ten zu, ba er das Lied blies vom Gei- 
ben und von Gottes Rat. Nur einmal nod) 
das Seislein fehen, von ferne nur und wie 
einen Schimmer! Der Sommer war nicht jo 
fern, und es hätte einer wohl warten mögen 
einen Monat und zwei, es wäre nichts 
verfäumt. Aber er hatte bleiben mögen ein 
Jahr und zwei, denn bas Zeislein Hatte 
feinen Gefallen mehr an dem Garten am 
Fluß, fam nimmer wieder und flog da- 
ber, wo Leimruten lagen und die Lockvögel 
riefen und wo das Neg zujammenjchlug. 
Karl Asmus, da das traurige Lied aus 
war, tat bie Flöte an ihren Ort, Holte 
einen Geufzer aus feiner Geele wie aus 
einem tiefen Brunnen, ftedte von den Blu: 
men an feinen Hut, Tulpen und Narziſſen, 
weiß und rot, ging durh Hof und Flur, 
drehte ben Schlüffel im Schloß fo Ieije wie 
ein Dieb in der Nacht, daß er niemandes 
Schlummer ftöre, und [djidte ein Stoßgebet 
zum Himmel, da er die Melt dicht vor der 
Tür liegen jah. Es war nod niemand 
wad), und zwijchen ben Häujern war eine 
Stille wie in einer Kirche; die Schritte hall- 
ten, als brächen [ie fid) im Kreuzgang und 
Gewölbe Als er um die Ede bog, jab er 
nod) einmal zu dem goldenen Schlüfjel über 
ber Cdjlojjerei, bann [djidte er feine Ge: 
banfen vorauf, bie Ctrape und ben Weg 
entlang wie ein Hiindlein, bas hin und wider 
läuft und fteht und fdaut, ob Der Herr 
fommt; vor dem Tor im Freien lag bas 
Land nod) weiß und grau wie ein weites 
SBajjer; der Nebel ging ibm bis an den 
Hals, und wo der Hafen war, ftanden die 
bewimpelten Majten heraus wie Rohr am 
See. Am mattblauen Himmel hingen die 


PSSSS SSS SSS ——— Deutihe Seele ZZ 339 


Lerden und fangen und fangen, eine heller 
als Die andere, denn fie fahen fchon bie 
Eonne fommen. Cin Wind fuhr daher in 
lurgen Stößen, übermütig wie ein Bidden; 
der Nebel ſchlug ineinander wie Rand) 
und Feuer, bie Sonne machte alles tar wie 
einen Krijtall, und die ſchöne Welt Iag da 
in Wieje, Wald und Land und Meer, als 
triige ber Herrgott fie daher auf feiner 
fladhen Hand. Filcherboote zegen hinter: 
einander wie eine Kette Enten vom Fang 
draußen dem Hafen zu. Aus bem Schinder: 
haus [tieg ein dinner Raud) in den Himmel, 
rein und blau, und dahinter ftand bas grüne 
Meer. Er fam an die Stelle, wo er am 
heiligen Abend Martin Hagedorn im Schnee 
gefunden hatte und ihm zu einem neuen 
Leben verholfen, und ein Stüd weiter qa: 
belte fih der Weg, aur Kinten ging er in 
Die Heimat und zur Redten in die Fremde. 
Karl Asmus ftieß den Ctod feft in bie 
Ichwarze Erde und zog landeinwärts. Hin- 
ter ibm jchrien bie Möwen, und vor ihm 
flog ein bunter Bogel von Baum zu Baum. 


8g 

Die Sonne brannte und war Dod) jchon 
über die Höhe fort. Karl Asmus hob den 
Hut aus der heißen Stirn und hielt Umſchau, 
wo ein Plätzchen im Grünen wäre, ein mil: 
ber Schatten unter Bäumen, dA einer ruhen 
Iónnte und warten, bis ber Tag kühl gewor- 
den war. Aber es war wie geftern und 
cBegc[tern ; die fdywargen Straßen liefen nod) 
immer zwilchen toten Echutthalden dahin, 
und Dunft und Qualm machten den Him- 
mel grau; Gjjen und Fördertürme ftanden 
ver[hwommen in der jchweren Luft, rubige 
Drabhtjeilbahnen hingen dDagwijden, und 
die Wagen trochen an ihnen entlang wie 
Fliegen, her und Din. Merlümmerte Blu: 
men ftanden am Megrand, farblos faft und 
Den Kelh voll 9tjdje und Staub; taum dak 
ein Bogel flog, und über der Erde und 
unter der Erde war ein Stoßen und Grol: 
len wie von fernem Gewitter. Es war ein 
trübfelig Wandern in diejem Strid), ba die 
Menichheit von Kohle und Gijen lebte und 
Die Mafdinen der Erde das Herz aus bem 
Leibe frejjen und die Gefahr auf ber Laner 
lag Tag und Nacht. Freilich wie folte es 
auch anders fein, wo das Feuer geholt wurde 
und das Erz für Pflug und Schwert, wo 
Dentidlands Rüftung und Wehr geld)ajfen 
ward, wenn es einmal not fein folte, zu 
fireiten bis aufs Blut. Im Pommerland 
war wohl friedlicheres Schaffen; ba tat man 
auch feine Arbeit vom Morgen bis an den 
Abend; aber mit Singen und frohem Her: 
zen, blieb an Licht und Sonne, grub den 
9(der und ftreute bie Saat, Iebte mit Pflanze 


und Gier und wartete geruhig, dak Gott 
jegnete mit wenig oder mit viel. 

Über drei Bodenwellen wanderte Karl 
Asmus und fand fein Plakden zur Raft, 
aber hinter der vierten wurde das Land all: 
máblid) grün, der Nebel wich, ein Wäldchen lag 
jeitwärts.. Hügelan ging ein Pfad über einen 
Anger und nicht lange, fo lag Karl Asmus 
unter Birfen und Buchen. Ein Wajferden 
verjiderte im Moos, blintte bald hier, bald 
ba und plätjcherte weiter unten im grünen 
Gero. Karl Asmus jchöpfte mit der hohlen 
Hand; tranfund war froh, daß er ben beſchwer— 
lihen Marjch hinter fid) hatte und am Abend 
den Rhein jehen Tote, Zwar waren es 
nod) vier Stunden, reichlich), wie fie ber 
Buds mipt, aber bas wollte er ſchon jchaf: 
fen, denn feine Füße hatten das Laufen 
gelernt. Wenn einer Durch Deutjchland ging, 
wurden Die Sohlen wie Schweinsleder, und 
es tat ihnen nichts mehr weh, fein Stein und 
fein Nagel im Schuh. Und wie das Moos: 
wäjjerchen neben ibm riejelte und ein Bogel 
anbub in den Birken und die Bienen flogen 
und Rajcheln und Zirpen um ihn war von dem 
heimlichen Leben im Gras, da vergaß er, 
daß er in der Fremde war. Die Flöte rief 
aus bem Ranzen und wollte gejpielt fein, 
Karl Asmus nahm fie an die Lippen und 
blies, und es mußte alles hinaus, was ihm das 
Herz bewegte, denn eine Quelle will ſprin— 
gen, und feiner Tonn fie vermauern. Da 
ſchrak er aus feinen Gedanfen, wie eine dinne 
Stimme fagte hinter ihm: „Ei fieh da, Brus 
der, ba können wir einmal mitlammen dem 
Herrgott und feinen Bäumen eins aufjpielen.“ 
Und indem er jid) umjab, jtanb da ein Mann: 
lein, jo Dürr wie ein Schneider und zum Durch: 
puften, hatte taum Fleiſch auf den Wangen; 
das ſchwarze veridjlijjene 9tódlein war grau 
von Staub, und aus dem Zipfel bing ein 
Cadtud) jo rot wie ein Fliegenpilz. Che 
Karl Asmus nod antwortete, halte er von 
jeinem Rangel eine Beige, ftrid) und [timmte: 
„Seht, |o mag es geben, blas, was Dir ge: 
fällt, id) will den Bart jchon halten.“ Die 
Beige ging neben der Flöte wie ein Mägd— 
lein neben feinem Burden, fang und jprang, 
nedte- und jdjmollte; es war ein Spiel an 
bem Moosbächlein, daß bas Eichkätzchen oben 
im Baum den Hals redte und die Obren 
Ipißte, fih auf bie Vorderfüßchen legte und 
nicht ein Harden rührte. Wher dann machte 
der Bogen einen Hopjer und hub eine Weiſe 
an, jo fremd und füß, als tame fie aus Dem 
blauem Himmel. Karl Asmus ließ die Flöte 
jinfen und tat wie das Eihhörnchen im Baum, 
und bas Männlein [tanb da, hatte bie grauen 
Augen voll Verzüdung. Endlich ließ bas 
Männlein den Bogen finten, band ihn jamt 


340 ([m:E3RXERREEGXEXEXeEXRE Johannes Höffner: d3434343€43432434 4343434343523 


der Geige am Rangel auf bem Rüden feit, 
jeufgte und fagte: „Ja, ja, bie Leute reden: 
der Hannes, bas dürre Geigerlein, hat alles 
verloren, Glüd und Liebe. Dem armen 
Schluder tut es not, gebt ibm und füttert 
ihn, daß der Wind ihn nicht umbläft. Bürjch: 
lein, glaubjt du wohl, daß der Hannes rei: 
cher ijf als fie alle und Speije bat, von der 
jie nicht willen? Wenn einer aud) alles 
verloren Bat, Gliid und Liebe, und nichts 
ijt mehr für ihn da, ja, da jpielt fich einer 
hinauf in bie Wolfen, wo Die Engel fin: 
gen, und der liebe Herrgott fjelbjt ftredt die 
Hand ous: Hannes, da mimm, Debt op: 
ringer aus denn ein Pfennig und macht 
Dod) bie Ceele fröhlich und jatt auf lange 
Zeit.“ 

Karl Asmus ftand auf: „Das war ein 
Spiel, bas vergißt einer nicht. Wenn meine 
Flöte jo fingen wollte wie die Beige am 
Rangel! Aber man muh zufrieden fein, und 
jeder treibt es, |o gut wie er fann. Auch 
bet meinem Gefpiel legt der Schmerz Wd 
hin.” Das Männlein lachte: „Was weißt 
du ſchon von Schmerz und Leid. Daga muf 
einer älter fein. Und wenn es fommt — 
Bürjchlein, Bürjchlein, du weißt nicht, wie 
bas tut. Aber alsdann, es ijt fühler gewor- 
den und man mag den Fuh wohl weiter: 
jegen. Wohin willit du?“ 

„Nach Köln. Es ijt wohl nod ein Stüd 
Dim, aber id) will es ſchon ſchaffen. Heut 
abend muß id) nod) ben Rhein jeben, wie 
die Sterne Darin ftehen.” 

„Da Tonnen wir nod) mitjammen wan- 
Dern über ein paar Hügel fort. Ich weiß 
Wege abjetts bird) bie Felder, Darauf einer 
Ichneller ans Ziel kommt, braudt nicht Staub 
zu ſchlucken und hört bie Machteln jchlagen 
und Dos Korn fingen.” 

Sie tamen aus dem Wald, und bas Männ— 
lein fragte: „Wo fommft du her?” 

„Aus Bommerland, vom Meer.“ 

Das Männlein nidte. 

„eo, Jo, aus Bommerland, vom Micer, 
Tas ijt weit, und hier weiß feiner davon, Ans 
Dieer, ans Meer, ja dahin war’ id) aud) 
wohl gern gezogen und hätte mein Spiel: 
zeug mögen von den Wellen lernen laffen 
und vom Gturm. Ter Rhein, der Iddi 
fein Waller dahin, den hält nimmermehr 
einer auf; ja, wenn einer wäre, wie ber 
Rhein. Aber ba liegt ber Knüppel beim 
Hunde, id) hab's gewollt und bin über die 
Berge gegangen, aber da ijt das Heimweh 
gelommen und bat mich Devumgerijjen Do: 
bin, wo mir alles begraben ijt. Ich Tonn 
nimmer fort und bin wie eine Ziege am 
Pflock. Wann willit du wieder heim?“ 

„In zwei Jahren oder dreien. Wenn id) 


nenug gelehen habe von der Welt ober wenn 
das Herz genug hat von der Fremde.” 

„Und dann?” 

„Ja, dann hänge id) einen goldenen 
Schlüſſel über bie Tür, treibe bas Handwerf 
und nehme, was tommt." 

Tas Männlein rig ein Hälmchen vom 
Wege und zerpflücte es. 

„Ja, Bürjchlein, wer bas tann. Wer bei 
der Stange bleiben fann und feiner Hantic= 
rung. Die Arbeit ijt ein ftaubig Ding, und 
das Herz wird darüber voller Spinnweben 
in allen Rammern; ich hab’ mein Leben nicht 
verlaufen mögen unter die Menichen; der 
eine jo, der andere fo; ber eine mag fatt 
werden von feinen Händen, der andere von 
jeinen Liedern. Was joll fid) einer an Welt 
und Menjchen halten? Da wird das Herz 
alt und falt. Sn der großen Stadt, ba gebt 
alles unter, was ein Menih vor den Tieren 
voraus hat, und das Geld madt fie blind 
und taub. Auf ber Pride über dem Rhein 
möcht’ id) ftehen mit meiner Fiedel, Die 
Saiten ftreichen und fingen laffen, was ge: 
jungen fein will; drei Tage und drei Nächte 
wollte ich ftehen und geigen, bis fie alle 
famen, groß und fein." 

Der Whendwind ging bird) bas Weizen: 
feld, im Gras fiel der Tau und die Wad: 
tel rief; fie "wanderten biigelauf, hügelab, 
unb immer ſchöner ward das Land mit 
Zielen und Breiten, Gebiijd und Wäldern, 
und ein feuchter Wind webhte daher, der 
fam vom Rhein. 

Da Stand das Männlein [till und wies 
mit der Hand in den Grund, wo ein Bad): 
lein blinfte. „Dort mußt bu entlang, bis 
bu auf bie große Straße fommit; bu fannit 
den Meg nicht fehlen. Sch will drüben ins 
Dorf; vielleicht daß einer da ijt, ber das 
Spiel hören mag." 

Damit trat er beijeite, ein Bujch nahm 
ihn fort und banad) der Grund. 

Karl Asmus wanderte bas Badlein ent: 
lang, Darin bie Fiſche Ipielten und nad) 
Mücken jprangen, fam auf die große Straße 
und ſchritt aus, denn es fing an zu Ddunfeln, 
und an dem matten Himmel ftanden jchon 
hier und da Sterne wie blinfende Nadelipigen, 
am Horizont hinter ihm ging ein Diijterer 
Schein auf, aber nidt vom Abendrot. Tas 
waren die Hochöfen im Bergland. 

Als die Nacht vollends hereinbrad, fam 
er in eine Stadt; die Laternen brannten, 
und es war von dem Himmel und jeinen 
Lichtern nichts zu jehen, jo breit machten 
fie fid) mit ihrem faljchen Schein. Aber dann 
ftand er auf ber Bride über dem Strom, 
der war dunkler als bie die Dunfeljte Nacht, 
die Sterne lagen auf feinem Grund wie 


Lesser Deutſche Seele SZ Resse aset B41 


Gold und Edellteine, er beugte ftd) weit über 
Die [teinerne Briijtung und faltete bie Hände, 
jo jehön war, was das Auge und die Seele 
jab. Er hörte nicht bie Menſchen hinter fid) 
wandeln und jhwaßen und lachen, thm war, 
als zöge das Herz ihn nad unten und er 
müßte hinunter in das majeltätijche Wogen 
und Wallen und jtd) tragen laffen ins Dieer 
und aus dem Meer wer weiß wohin. 

Indem flopfte ihm einer auf die Schul: 
ter, der hatte einen Hut auf jo jpi wie 
ein 3uderbut und eine furze Tonpfetfe 
zwiſchen den Zähnen, zwinferte ihn mit ein 
Baar Schweinsäuglein an und fragte: „Welt 
(hr op de Brüd üvvernachte? Werexkijert, 
tünnen lid) Beicheid gewwe; meer wefje einen 
goden Herbardh, et ftetht Pitter Mehlworm 
om Scheld. Do famen meer löd hen. Do 
tritt Ebr selte un 3’trinfe, bat well id meine, 
lin Pitter Mehlworm, dat eh ein, de gitt 
bat nich óperall." 

Karl Asmus war froh, dak ibm einer 
au einem Obdad) verhelfen wollte. Cie 
gingen beide durd) zwei buntle Gajjen, ba 
winfte am langen Urm ein Schild und im 
Saternenjchein war zu lejen: Gajthaus zum 
Lamm, und der Fremde fagte: „Is et nit 
wobr? Dat ging Möt.” 

Indem tat er die Tür auf, und ein Tunft 
von Tabat, Bier und Branntwein, Gejumme 
und Gegröle wälzte fih heraus; an Tijden 
und auf Bänfen Ropf an Kopf, der Qualnı 
hing von der Dede wie Sofitten, und Hier 
und dort [tano eine Lampe darin gleich dem 
Mond im Novembernebel; Würfelbecher 
flapperten, die Karten Hatjchten auf den 
Tijd, und bie Glajer wurden auf die Bret- 
ter gehauen, als wären fie aus Eiſen. 

Hinter ber Tonbanf Donn Pitter Mehl— 
worm, rund wie eine Tonne, die Zipfel: 
miige [chief auf bem Ohr, bie Yirmel aufge: 
trempelt und ein Biertuch hinter dem Schür— 
zenlaß, legte die Hand über die Augen und 
idjrie: ‚Marjagadergaß, wee ütt Denn do 
övber de Schewille? Citt Ehr bat, Tiinnes? 
Dat muß meer fage, wenn mer vom Deus 
wel jprich, fibt mer finge Stöß.“ 

Der Tünnes greinte. „Bitter Michlworm, 
hid bring id) Och en Wittſtock. Gitt et nod) 
en Bett vör den Herrn Uanderburich ?” 

„Datt well id) meine. Jumfer Drückchen 
weerd em et zeige. Mat, Jumfer Drück— 
hen?” 

Aber Jungfer Drückhen, die Kellnerin, 
die neben ihm ftand, ein derbes Menſch, 
Hüften wie ein Brabanter Gaul, ein Gejid)t 
jo rot wie Mohn, ftieR das Glas auf den 
Ablauf, tat als hörte fie nicht und frie 
über die Köpfe fort: „Wer fritt dat Bier?“ 

Einer griff Danad. Sie ſchlug ihm auf 


die Finger. „Du nid), Hänneschen. 
wed), et gitt jóns e Fimm.” 

Tiinnes drüdte Karl Asmus auf einen 
Stuhl in der Ede neben der Tür. 

„No paßt eens op, wat gejpielt weed.“ 

Damit winfte er dem Wirt mit der 
Hand. 

„Dat is en eigentümpliche Gad); ich han 
e Wood em Wertraue. Ehr wet, arbeide 
móbt mer eigentlich gar fein Plafier nich. 
Da de Arbeit erfunge hät, muß od) mal nix 
anderjh zu tun gehatt ban. Et eB vör 
Gott en Cdjanb, id ben no ald en ale 
Knopp wode, un fon immer nod) fei Geld ver: 
wahre. Dat Geldde weed all vergöd. Meer 
geiht allesdurd be Dranaaap.“ 

„Scho god, Tünnes, ich ben bch nod) önt: 
lid) en ber Knick. Hindeherum well meer daz 
von repe." 

Karl Asmus jak ba und mupte nicht, 
wachte er ober träumte er. Der Raud 
beizte ihm die Augen zu Tränen, und der 
Fuſeldunſt machte ibm übel. Neben ibm 
jaken drei Kerle, bie jahen aus wie Mord: 
brenner, Tießen bie Flaſche freijen und fangen: 

Ub' immer Treu und Redlicdteit 
Bis an Dein fübles Grab, 

Dann häß Do nix, dann trift bo nix, 
Nimp keiner dir was ab. 

Hinten aus der Ede jdrie einer: „Baas, 
en Finkeljochen un en Schneiderfarpfen.“ 
Die Kellnerin brahte den Branntwein und 
den Hering, [hob fih zwilchen ben Manns: 
leuten durch, die fniffen [ie in die Hüften 
und in die Arme, zwinferten und machten 
ihr Zeichen, aber fie mudte und zuckte nicht, 
Ihlug wohl mit der Hand nad) rechts und 
linfs, wie man Fliegen abwehrt, und hielt 
jie fid) mit wenig 3Jtübe vom Leibe. 

Unter der Lampe in der Mitte hob fih 
einer mit einer blauen Brille halb aus dem 
Stuhl, machte mit dem Kopf ein Zeichen 
nad) der Ede hin, wo Karl Asmus jah, und 
rief einem Budligen am Fenjter zu: „Sit 
ch et iipper Zid, Spet-Manes; lat den Freier 
nich ut em Rojdott.” Der Budlige Donn 
auf und zwängte fih zwilchen den Bänken 
durch und fteuerte auf Karl Asmus zu, aber 
Jungfer Drückchen walte daher, warf ihm 


Hand 


‚einen böjen 3Blid zu, ftellte ein Glas vor 


Karl Asmus auf den Tijh und flüfterte ihm 
ins Obr: „Dat is he nix vir fh. Madt 
jih flick op de Cid. Kommt, ich will euch 
euer Bett zeigen.“ Damit nahm fie ibn 
beim Arm, lachte bem Budligen ins Gejicht 
und führte Karl Asmus aus der Tür, über 
den Flur, eine Treppe in die Höhe und eine 
halbe, nahm die Flurlampe vom Ytagel und 
[eud)tete ihm im ein Sunmerden und alin: 
bete ihm ein Licht an. „Wohl zu ruben. 


342 WEXEXEXEXEXRRTYRYEXGIIE:EE Johannes Höffner: BEZZA AAAA ZE ZAZA 


Berwahrt Gud) die Tür gut. Da unten ijt 
das nichts für einen, wie Ihr feid.” 
CH B8 

Die Treppenſtufen ächzten unter ihrem 
Schritt; Karl Asmus jdjob den Riegel vor 


und dankte Gott, dak er ans der Hölle war, 


legte fid) in das blaugewiirfelte Bett, blies 
das Licht aus, tat die Hände auf ber Bruft 
übereinander, hörte eine Weile noch den 
Lärm von unten wie ein Ternes 9Bajfer und 
[lief ein, träumte dies und bas durchein— 
ander, von dem Männlein mit der Geige, 
vom Liinnes mit dem jpigen Hut, von dem 
Budligen und Jungfer Driidden, und war 
plöglich mitten in der Nacht wach und hell, 
denn ein Jammer war im Dunkel und ein 
Klagen, bas fam durch die dünne Wand 
neben feinem Bett und hörte nicht auf: „Ach, 
wär id) daheim geblieben, fie wäre nicht 
geftorben.” Und [o flagte es weiter und 
fagte fein Herzeleid der Wand, und die Wand 
jagte es Karl Asmus. Was mußte das für 
ein Kummer fein: nicht wiederfinden, was 
einer verlajjen hat und liebgehatt? Da war 
wohl eine arme Geele zu tröjten mit ſüßen 
Tönen, wie bas Männlein im Walde gejagt 
hatte, daß einem damit fónnte der Himmel 
aufgetan werden, Und er griff nad) dem 
Ranzen zu feinen Füßen, nahm die Flöte 
heraus und blies in der Dien Nacht fo 
lanft unb weid), wie eine Mutter das Rind: 
lein in der Wiege in den Schlummer fingen 
mag, bis bas Weinen und Schluchzen neben: 
an [till ward und ber Cdjlaf ibm das 
Holz aus den Fingern nahm. Am Mor: 
gen gudte er in die Stube, aber fie war 
leer; ber Gommerwind fam burd) bie offenen 
Fenſter, unb bie Gonne blinfte auf bem 
eidjenen Tijd, unb es war nichts zu merten, 
daß Dier vor wenig Stunden ein Menſchen— 
find vor Weh hätte vergehen mögen. Alle 
Vögel waren [djon ausgeflogen, nad) Futter 
oder nad) Raub, je nad)bent ihre Natur war, 
unb aus der Wirtsftube fam ein Gingen, Jo 
tief wie von einer Mannesjtimme: bas war 
Jungfer Driidden, die |djeuerte Tifde und 
machte fid) bie Arbeit leicht und Tur, 

„Ein jedes Ding 30 finger Bic, 

De Arbeit un de Freud, 

Dann bliew mer od) op fingem Sic 

Trog allem Krüß un Leid, 

Wat nog mid) all et Geld op Hauf, 

Wann et Gemöt bedröd, 

Weer ban, wat meer för Geld nit läuf: 

Te Frubjenn cf us (Glod: 

Gebiirftet und ſchmuck, als tate er ben 
erfien Schritt in die Fremde, den Hut ein 
wenig auf dem Ohr, die €infe am Ranzen 
und in der Rechten ben Stod, wollte Karl 
Asmus in den hellen Tag; bod) ba ftand 
Jungfer Drücken in der Tür, [temmte die 


Arme in die Seite und [af ihn liftig an: 
„No, Reih: Junge, wat gitt et zom Abjchied ?^ 
Und ehe er wußte, wie ihm geſchah, Hatte 
fie ihn in den Armen und gab ihm einen 
Sdmag, dak ihm der Odem wegblieb, drehte 
ihn in bie Sonne vor dem Haus, ftampfte 
wieder an die Arbeit unb fang zum SFeniter 
hinaus, daß Karl Asmus es noch an der 
Ede hörte: 

„Dat wat meer Köljhen eigen han, 

Dat fingt meer anderjch nit, 

Weil feiner fid) erzwinge tan, 

Wat im Geblót uns litt.“ 

Ja, bas rDeinijdje Blut. Das fod)t im: 
mer wie bie Trauben in ber Sonnenglut; 
es mag Sommer fein oder Winter, es ilt 
immer ein Wallen und Sieden und läßt ſich 
nicht dämpfen und jchlägt hinaus, wie es 
will, mit Feuer und Flamme, aber das Herz 
wird dabei nicht verzehrt und bleibt heil; 
und jung bis auf die alten Tage. 

Karl Asmus fühlte den Rug auf den 
Lippen brennen wie Pfeffer, denn das Drüd: 
den hatte Zähne wie cin Eber und brad) 
wohl einen Ochſen bie Knochen im Leibe 
entzwei, wenn es mochte. Wollte cincr vor 
ihrer Liebe beftehen, ber mußte ein Kerl fein 
wie der Holländer Michel, feds Ellen und 
eine Hand breit, oder fonjt einer, wie fie in 
Den Schaubuden fid) jehen ließen, mit cifer: 
nen Kugeln jpielten wie mit Bällen und auf 
deren Armen die Muskeln ftanden wie Berg 
und Tal. Und jo war er mit einemmal 
wieder bei dem Zeislein und ihren heimlichen 
Riiffen, die waren gemejen wie ein Rojen: 
blatt und hatten bod) gebrannt bis tief ins 
Herz, und ihre Narben vergingen nicht; wie 
eine Feder war fie in feinem Arm gelegen, 
die ein Lüftlein wegtragen mag, und dod) 
[o ſchwer, als tónnte fein Sturm fie fort: 
reißen. Er wußte nid;t, wie es fam und 
ibm gejchah, daß gerade jekt das Beis- 
lein in jeinem Ginn ftand, als wäre es 
lebendig und ginge neben ihm unter den 
alten Häujern der Gajjen; unb es ftad ibm 
in ber Bruft, daß er die Liebe hatte am 
Wege jteben laffen und ausge/dlagen, was 
ibm an Ciipigteit gugedadt gewejen war. 

Inden bog er aus dem Gewinfel, da 
[tanb ber Dom vor ihm, und feine Augen flet: 
terten und [prangen von Turm zu Turm, 
blieben an ben Gefimjen und Kreuzblumen 
hängen, wie Schwalben, und je näher er 
kam, um ſo ſchwerer ward ihm in der Seele, 
als ginge er unter einer Wolke, darein der 
Blig fahren will. Da er hineintrat durch bas 
Tor, verjchlug esihm ben Atem, daß erin einen 
verzauberten Wald gefommen wäre, darin: 
nen Die jteinernen Bäume in den Himmel 
wuchſen; es ftanden überall in den Bogen 






EES 





und Nifhen Männer und Frauen, als wären 
jie verzaubert und warteten, Daß einer bas 
Wort jprádje und den Bann aerrijfe und fie 
wieder Fleijd) und Blut gewonnen, hinab: 
ftetgen fónnten und wandeln, wohin fie 
wollten. AN die Wunder und Gebeimniije 
ringsum [ab einer wohl niht ab in Wo- 
den und Jahren, und das Herz erbebte, 
die Erde fonnte den Bau nicht tragen und 
er müßte zufammenftürzen mit Rraden, daß 
fein Stein auf dem andern blieb. Ja, wenn 
die Cáulen alles hätten allein tragen follen! 
Aber ba trug der Geiff und die Hunt ber 
fBauleute, die alles erjonnen und errechnet 
hatten, daß fein Steinlein fid) rühren durfte 
unb bie Schlußfteine in ben Bewölben alles 
bielten wie Gottes Hand bas Himmels: 
gewölbe und alles, was barinnen ijt. Daß 
den armen Menjchen gegeben war, jo Herr: 
liches zu bauen. Karl Asmus war Au: 
mute, als müßte er die Schuhe von den 
Füßen ziehen, und ob er anf den Zehen: 
ſpitzen ging, ballte es bod) wieder von oben 
und allen Seiten, als gingen viele mit ihm. 
Welt und Zeit [tanb draußen vor den hellen 
Portalen; es fonnte einer wohl vergeilen, 
bafj er ein Menſch war. Fremde famen, ein: 
zeln und in Gruppen, hatten Bücher in der 
Hand, fajen und ftanden und [djwabten wie 
auf der Gaffe; und Führer im roten Rod bete: 
ten alles her wie im Schlaf, waseinerim Dont 
gejehen haben mußte, und bie Menjchen Jahen 
dod über all dem nichts. „Hier, unter dieler 
Schieferplatte ift bas Herz der Königin 
Maria de’ Medici von Frankreich beigejeßt, 
fie bat...” Karl Asmus hinter der Säule 
fah durch den Stein wie durch Glas. Cin 
Herz, ein Menjchenherz unter dem Stein! 
Wer dadte bas aus? Das hatte aud ein: 
mal [o warm im Bujen geichlagen, alle 
Schmerzen gefühlt und alle Leiden, und lag 
nun bier; die Menjchen gingen darüber 
bin und wußten nicht, was das bedeutet: 
ein Herz unter einem Stein. Indem fagte 
eine zarte Stimme: , Gud’ nur, den Beicht: 
ftuhl. Hier fann man die Günden loswer: 
den, und wären fie wie Gand am Meer.” 
Ein Mann lahte und antwortete: „Frei: 
Dë, Shag, aber wir wollen es nur halten 
wie bisher; man muß fein eigener Priefter 
fein, Das maht bas Leben leicht und ver: 
gällt einem nicht bie Welt.” Da zitterte 
Karl Asmus am ganzen Leib und fakte nad) 
der Säule, denn bie ba jprad), die ſprach 
wie bas Zeislein, bas war bas Zeislein, 
das Zeislein hinter dem Gtein. Und wie 
die Gedanfen in jeinem Kopf wirbelten und 
die Gefühle im Herzen, gingen die beiden 
an ihm vorüber, modijch und gedenbaft ge» 
leidet; bas Mädchen, ein totes Lächeln auf 


SS Teuntje Seele BSSSSE:3333333I 343 


den Lippen, Jah mit einem leeren Blid iu 
jeine fragenden und erfdjrodenen Augen, 
und er [tanb jo ftarr wie bie grauen Männer 
in Den Niſchen; er wollte rufen: ‚Zeiss 
lein, but du’s, oder bift bu's nicht,‘ aber er 
fonnte nicht. Die Stimme war wohl des 
Zeisleins Stimme, und der Gang war wohl 
des Zeisleins Bang, aber fie war größer 
und trug Kleider, wie fie Das Zeislein nim: 
mer getragen hatte und in den Ohren ett 
Gehänge, bas bligte wie Sterne in ber Win: 
ternadt; das Zeislein hatte eine Haut zart 
wie Lilien und Narzilfen, aber hier blühten 
die Wangen wie dunkle Rofen, und die Farbe 
Honn [till, wuchs und fiel nicht und war wie 
auf einem Bild. Die Augen waren wohl 
des Zeisleins Augen, aber fie ftanden im 
Antlitz, als wären fie eingejeßt; es lag eii 
Ihwarzer Schatten darüber und ein bláu- 
licher darunter, bas mochte feiner anjeben. 
‚Nein,‘ ſagte er bei fid) felbjt, Gott fei gc- 
dankt und gelobt, bas ift das Zeislein nicht,‘ 
und dod) Hatte er furz zuvor gezittert und 
gebebt vor Shred und Freude, daß fie neben 
ibm ftehen könnte, 

Aber es war bas Zeislein bod). 

Es war mit dem Zeislein gegangen 
wie mit einer Blume, die am Wege jteht 
und wartet, die Farben jpielen läßt und die 
Augen wendet, ftrakauf, ftraßab, und gebro: 
chen fein will. Da geht einer vorbei, und 
bie 3Brujt wird ibm fo felig vor all der 
Schönheit, die da lacht, er möchte nichts lieber 
tun, als die Hand aus[treden und nehmen, 
was ihm blüht, aber er bringt es nicht übers 
Herz, Denn die Echeu vor dem heiligen £e: 
ben ijt zu groß, und er meint, was Gott fo 
wadjen läßt, darf ein Menjd) das töten? 
Aber ein andrer fommt daher, der Dat ein 
Herz wie ein Raubtier und dürftet nad) 
Reben, hat Gedanfen wie ein Teufel, ber 
nimmt, was er findet, und fragt nicht Bott 
nod) Gewijjen. Und wenn die Blatter fall 
geworden find und welf, wirft er das Blüm: 
lein fort, in den Staub, auf den Weg; 
fein Regen und Tau macht es wieder frijd) 
und lebendig, Füfe und Rader und Nägel 
gehen drüber hin, und es ift alles vorbei, 
es wäre denn, daß ein mitleidiges Herz es 
lähe und fände und mit fic) nähme, ob es. 
im Glale noch einmal zu fid) fame und Wur: 
gel jhlüge und ein Wunder an ibm gejchähe. 

Was Karl Asmus zu heilig gewejen mar, 
das hatte alsbald ein anderer an fich ge: 
rijjen, und bas Zeislein hatte ihm nicht ge» 
wehrt. Co war fie cinem Liebhaber zuge: 
fallen, fuhr mit ihm durch bie Welt und 
tranf bas Leben, als wäre es umfonft. Und 
da es nirgends merfwiirdiger zugeht als auf 
diefer Erde, fo mußte fie im Dom zu Köln 


344 im:m39::3:930:—:9393:9: Johannes Höffner: ICH ZZ — 


an Karl Asmus vorbei, der hinter der Säule 
tand wie ein Wegweijer zur Umfehr, aber 
fie fannte ihn nicht und lief weiter, wohin 
Herz und Blut fie trieben, und trug ihren leih: 
ten Sinn dahin, ber drüdte fie nicht; fie 
war wie bie meijten: eine Lajt auf jid) neh: 
men, wer mag das gern? 
8 8 
Welche Welt war ſchöner, die drinnen im 
Dom oder die draußen mit ihrem hellen 
Sonnenſchein und dem blauen Himmel und 
ber wehenden Luft? Das fonnte feiner 
jagen. Der Menſch braucht beides, jteht 
mitten brin gwijden Natur und Kunſt, zwi: 
iden der Runft Gottes und der Runjt der 
Menſchen, tut einen Atemzug bald aus die- 
jem Reid) und bald aus jenem, ijt wie ein 
Tijd) im Waffer, ber nad) oben muß und 
Luft ſchnappen, wie der Vogel in der Luft, 
ber auch wieder auf bie Erde muß und fann 
nicht immer oben bleiben. Jedes zu feiner 
Zeit. So nahm Karl Asmus den Weg 
wieder unter feine Füße, fragte fih durch 
von Gaffe zu Gaffe, bis er zum Layjtapel 
fam, daß er mit dem Dampfboot rhein: 
auf führe und vor Abend mod) bas 
Haus jähe, wie Mteijter Bolduan es ihm 
bejdrieben hatte: wenn man hineinfommt 
vom Mäujeturm Der im Bingerlod, an den 
Briiden vorbei, zur Linten den Hang hin: 
auf, fteht ein Haus im Grünen, und Rofen 
blühen an den weißen Wänden und ein 
goldener Sclüjfel ſchwingt über der Tür. 
Das mußte wohl jdón fein, ein Haus 
wie aus einer Spielzeugſchachtel. Er jebte 
Hd) aufs Geländer und blidte in das ſchie— 
Benbe Waller, und es war, als führe er 
ihon dahin, mit feinen Gedanfen vorauf. 
Schiffe famen und gingen, bradten ihre 
Laft zu Berg oder zu Tal. Dampfpfeifen 
idrien und Menſchen, ein dider Dunjt lag 
auf dem trüben Wajjer, blau und grün Frou: 
felten Ölfelder dahin, und der jtol3e Strom 
mußte alles leiden, was die Menſchen woll- 
ten, und im Sod gehen, ob er jchon frei 
geboren war. Uber ein- und zweimal im 
Jahr fam feine Zeit, da er gegen Menſchen— 
werf und Dienjchenfnechtichaft losbrad, bal 
alle inne würden, die Knechtichaft hatte feine 
Kraft nicht gebrochen, und was er trüge, 
trüge er freiwillig; wenn er wollte, fónnte 
er fid frei maden für alle Ewigfeit. 
Indem fdnaujte das Dampfboot heran 
wie ein Menſch, ber zu [hnel gelaufen ijt 
und dem Der Atem Tunn ward. Miele 
Menjchen waren auf Deck, belle Kleider und 
bunte Mützen, Laden und Singen und eitel 
flbermut. Karl Asmus hatte Mühe, ein 
Plätzchen zu finden, eng und jchmußig, zwi: 
chen Fällern und Stückgut, aber am Vor— 


derjteven mit freiem Blid auf die Fahrt. 
Und als bie legten Haujer dahinten geblie: 
ben waren, meinte er, er führe ganz allein 
auf bem Shiff hinein in die grünen Berge 
zur Nechten und zur Linfen. Schlöſſer, 
Burgen, Klöjter wanderten hod) oben vor: 
bei, wie Ritter unb Bilchöfe; er ftüßte 
den Arm auf das Felletjen neben fih, Ieate 
den Kopf in bie Doble Hand, badjte an nichts 
und wußte nur, dah nichts jdjóner wäre als 
die Welt. 

Die Wellen rannen unter dem Kiel fort, 
und Die Beit mit ihnen; die Sonne rollte 
ihon auf den Bergen entlang wie ein gol- 
dener Apfel und wollte ins Tal fallen, da 
legte das Shiff in Afmannshaujen an. 
Karl Asmus ging über den Steg und wollte 
durch Die Berge auf Rüdesheim zu Fuß, 
denn ein rechter Gejelle mußte gewandert 
fommen, und wenn es aud) nur die leßte 
Strede war. Als er durch ben Ort war, 
an der Kirche vorbei und an einem Wirts: 
Haus, drinnen es laut und Fröhlich Deraiua 
mit Singen und Lachen, ftand er am Weijer 
und las: nad) 9tübesbeim, und las das 
Wort mit joviel Zärtlichkeit, als wieje es 
ihn in feine Heimat am Meer. Dort war 
nun wohl feines Bleibens den Sommer lang 
— und ein Sommer am Rhein, was fonnte 
die Geele fid) bejjeres wiinjden. Das Herz 
war heiß vor Glüd und der Wald jo kühl; 
die Drojjeln Ichlugen im Laub, vor dem 
einer den Himmel nicht Jab, fein Lüftchen 
jtrid), und es regte fih fein Blatt. Der 
Weg lief bergauf, bergab, und in den Grün: 
den war ein Duft von fremden Kräutern, 
jo ſüß und Wort, daß einer trunlen werden 
fonnte. Blumen blühten aur Rechten und 
zur Linfen und tief hinein in die Dam- 
merung, |o weit das Auge reichte, rot und 
blau und gelb, und leuchteten, als hätten 
He vom Regenbogen getrunfen und wären 
lauter Licht. Ein Reh ditate aus dem Dun: 
fel hinter einem Buſch, hatte ein Glodlein 
um den Hals an einem Band jo rot wie 
Blut, und wenn es den Kopf wandte, län: 
tete es, als flige ein Grashalm gegen 
einen gläjernen Becher. Turteltauben riefen 
und flagten wie verzauberte Menſchen, Tran- 
rigleit flog daher wie Eulen, bie teiner hört, 
und das Herz in ber Brutt ftand jtill vor 
den Geheimniſſen, bie ringsum im Bann 
lagen und erlöjt fein wollten. Karl Ws: 
mus Dachte: Wie war bas Dun? Wann 
haft bu das gehört? Wann but bu durd) 
Jolden Wald qefommen? Und da war feine 
Seele wieder bet bem Zeislein und in der 
Macht, da fie im Garten neben ihm gejejjen 
hatte. Er mochte wandern, wo er wollte, 
das Zeislein fah ihm immer wieder am Wea. 





Bildnis einer türtifhen Dame 
Gemälde von Prof. Hugo Freiherrn von Habermann 


ÜSSSSHEHSHEHSHEUESCHTIEHSSSHEIEHEN Deutidhe Seele PEKAK] 345 


Indem [idjtete fid) der Wald und tat fih 
auf wie bie Wolfen, wenn das Wetter 
vorüber ijt; bird) bas jchimmernde Web: 
gelände ging es in das veildenfarbene Tal, 
aus bem das AUbendläuten fam, und da er 
Derumbog, lag das Städtchen vor ihm und 
der Rhein; zur Linfen aufwärts am Hang 
jab er ein weißes Häuschen mitten im Garten, 
mit Ranfen überzogen, und ein goldener 
Schlüſſel blinfte tn einem legten Sonnenftrabl. 
Nicht lange, jo brüdte er bas hölzerne Pfört: 
lein auf, ba jtand eine Frau vor ihm und 
ichnitt von den Rofen auf den Beeten am 
Steig weiße und rote, nidie ihm zu, als 
hätte fie auf ihn gewartet. Karl Asmus hielt 
den Hut in den Händen, meinte, das müßte 
gewiß bas 9inndjen fein, bas er von Meiiter 
Bolduan grüßen follte, bejtellte, was ihm 
aufgetragen war, und fragte um Arbeit 
Die Frau ward blab und rot, und wie bas. 
Blut auf ihren zarten Wangen jpielte, tat 
[ie Die Schere nieder, Jah ibn lange an und 
dann in die Weite über den dunklen Strom. 
„Bon Meilter Bolduan? Ta, bas ijt mand) 
Sährlein her, und viele Rofen find verblüht 
leitbem, und ein neuer Ctod ijt um das 
Haus gewadjen. Alſo er lebt nod)? Ich 
hätte geglaubt, er wäre geftorben. Komm 
ins Haus. Der Mieijter ijf unten im Ort 
und wird bald wieder ba fein. Du wirft 
bleiben Tonnen, denn uns fehlt ein Gefelle, 
und die Arbeit drängt.“ Als er am Tijd 
jag bei einem Echoppen Wein, mußte er 
erzählen, und bie Dieilterin fragte bald dies 
bald bas, ob der Meiſter Kinder habe und 
was für eine Frau, ob er nod) jo luftig jet 
und jánge, denn damals hätte er alle Ars 
beit mit Juchhet getan und eine Stimme 
gehabt, jo Dell wie ein Hammerjdhlag und 
eine Trompete, hätte geichafit für zehn, und 
ihr Bater hätte ihn mit Kummer ziehen 
laffen. Dabei jeufzte fie, denn ihr war es 
am meilten ans Herz gegangen, als er auf: 
jagte und davonzog, und fie hatte geglaubt, 
He fónne nie wieder froh werden ihr Leben 
lang. Wd), bas Herz war fo tief wie der 
Rhein, da fant viel in bte Tiefe, bas mehr 
wert war als das ganze Leben. Da glaubte 
einer wohl, da ruht es bis an ben Jüngiten 
Tag und fommt nimmer wieder hinauf. 
Und nun fam ein Wanderburjch Daher und 
iprad) ein Wort, und alles war wieder da! 
Ach, es war eine unbarmberzige Welt! Gie 
ging hinaus. „Sch will jehen, ob der Mei: 
iter jhon auf dem Wege iit." 

(ine Laube mar gwijden den Gemiije- 
beeten, dicht umzogen von Wein und blij- 
hendem Geifblatt, es fonnte fein Auge hin: 
durchlehen und fein Gonnenjtrabl, bie haud)te 
am Abend einen ſüßen Opferduft, und dare 


Melbagen E Klajings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2. 91b. 


innen jah die Tochter, 9innd)en geheißen wie 
die Mutter, und jchälte Erbjen aus für den 
andern Tag. Da rief fie hinein: „Es ijt ein 
rember im Haus, ein Gefelle aus Pom: 
merland, der bleibt zur Nacht, daß du es 
weißt und alles richten magit," ging bird) 
die Beete hin, fegte [id) auf die fteinerne 
Bant neben einem rinnenden SBajjer und 
jab ins Tal. Wher es war nidjt um den 
Mann, dak fie bie Augen auf den weißen 
Weg ſchickte, fondern um ihr Herz. Wo 
bie Biegung war, bet dem wilden Apfel- 
baum, ftand Albert Bolduan, jdjaute fidh 
um zum leßtenmal und |djwenfte den Hut, 
und die Rebjticde nahmen ihn fort, aber fein 
Singen war nod) in der Luft: Wde nun, ihr 
Sieben, gejchieden muß fein. 

Dak ein Bater bas eigene Kind um fein 
Glüd bringen tann. Nicht mit Ablicht und 
Willen, aus lauter Sorge und Liebe. Ein 
Wort ijt bald heraus, und feiner fann es 
wieder holen und ins Herz |perren, ob er 
auch Leid trägt immerdar. (Gin Wort aus 
dem Mund ijt wie ein Schwert aus Der 
Scheide, fährt und weiß nicht wohin, ſchnei— 
det und weiß nicht was. Es war an einem 
Sonntagabend nad dem Effen gewejen. 
Der Bater legte das Mieffer bin, jah [ie 
eine Weile an und bann den Bejellen und 
jagte: „Ja, bas Yinnden, das ijt wie ein 
$jaud), und wer fie nimmt, mag bald ein 
Witwer fein. Es wird mit ihr nichts ane 
deres als mit ihrer Mutter. Nicht fiir jedes 
Ding geht bie Ehe ins Himmelreich.“ Und 
Albert Bolduan wurde blaß wie der Kalt 
an der Wand. „Meilter, alsdann jo würde 
einer ein Mörder, wenn er bas Annchen 
nimmt.“ Damit ftand er auf und ging hin: 
aus an den Rhein, und ein paar Tage da: 
nad) war alles vorbei und gewejen. Biele 
Woden Hatte fie gejejjem, den Weg Dm: 
abgejehen wie Deut und gemeint, er miijfe 
Daherfommen und fie holen, an die Brut 
nehmen und jagen, daß ihm alles gleich fei 
und eine furze Geltgfeit beffer als feine; 
und wenn es nicht anders hätte jein fónnen, 
jie wäre gern gejtorben in feinen Armen; 
bas Glíüd wäre nicht zu tener bezahlt ge: ` 
wejen. Aber als er nicht fam, ein Jahr 
nicht und zwei, hatte ber Lufas angeflopft 
und nicht gefragt, ob fie zu zart jet für 
Hochzeit und Kinderkriegen, hatte fie genom- 
men, nüchtern und überleglam: „Das wird 
fid) meijen.^ Und ber Bater Hatte feinen 
Segen gegeben, tenn der Lufas war nicht 
von [o breiter und Hhandfelter Statur wie 
ber Pommer und mochte mit dem Ynnden 
wohl fdonjam Handeln. Freilich, um ein 
Haar wäre fie im Kindbett geblieben, ihr 
Leben Ding nur nod) an einem dünnen Fäd— 
23 


346 le::—3—:9393939:9:9:9:93:-] Johannes Höffner: PARAK SSI 


den, und ihre Seele war jchon auf dem 
Wege zur ewigen Celigfeit; aber es rief fie 
einer nod) einmal aurüd, Honn am Weijer 
und Jdwenfte den Hut und fang vom Wie: 
derjehen. Bei Licht gejehen, tonnte fie wohl 
zufrieden fein. Der Lufas war ein ftiller, 
braver Mann, fein Trinfer und fein Faulen- 
zer, ließ nichts verfallen vom Erbteil und 
mebrte mit Bedat. Er trug cs wohl jchwer, 
daß fein Erbe ins Haus fam und bas Ann— 
den bas einzige Kind blieb; aber daran 
war nichts zu ändern, und es mußte fid) 
einer damit abfinden. Rofen blühten um 
das Haus, aber drinnen ging es gerubjam 
zu, es tat jeder Das Geine und es fielen nicht 
viele Worte. Aber um die Feniter ftrich ein 
Warten und jah ins Land. 


& 88 E 

Die Meijterin legte bie Hand über die 
Augen, und da fie den Mann tommen fah, 
langlam und bedadtig den Pfad Hinanitei- 
gend, ging fie Durd) bas Hinterpförtchen 
ihm entgegen, thn zu bereden, der fremde 
Gejelle müßte bleiben, denn fie wollte ihr 
Herz nod) einmal tranfen aus dem Jüßen 
Becher ber Vergangenheit und von ihrer 
Jugend leben, ehe das Alter fam und ber 
Abend. 

Der Mann blies bebádjtig ben Pfeifen: 
rauch in die Luft, ftieR den Ctod ins Gras 
und Jagte aus dem trodenen Mundwintel: 
„Nit glei, Wnnde, nit glei. (Grjdjt emal 
anjebe. Mer barfs Kagel nit em Sad 
faafe.” Aber Karl Asmus gefiel ibm. Er 
jah ihn lange mit feinen grauen Augen an, 
ob er feinen Slid aushielte ohne Flackern 
und Unruhe, ging um ibn herum zweimal 
und dreimal und bejah ihn von vorne und 
hinten. Danach legte er ben Stod auf den 
Zuch und bie Miike dazu, tat die Pfeife 
aus dem Mund und reichte ibm die Hand. 
„Du bilcht nit unewe, und mer wolle nit 
knauſchele. Als du bleibjcht.“ Danad brachte 
er ibn über die Flur in bie Merkitatt, daß 
er jabe, wo er arbeiten jollte und mit wem 
Der Schwarze mit einer Stirn wie ein Breit 
und einer Naſe wie eine Zwiebel, bas war 
der Heiner aus Solothurn, ber ſchlug ihm auf 
die Schulter, als flige er auf einen Am: 
boß: es würde ibn nicht gereuen, denn hier 
lebte ner wie Gott in Frankreich, und die 
Madden wären nid)t |pröde, und es zierte fid) 
feine, aber freilich, es müßte einer verjtehen 
und Danach fein. Dabei Iniif er bas Auge 
ein und Ichielte hinüber zu dem Blonden, 
Dem Friedel, ber faum den Kopf hob und 
Karl Asmus miptrauijd) zunidte, denn er 
war wie Der Wieijter und ging um alle 
Dinge herum, ob fie aud) wären, wie fie 
Jdienen; er war langjam mit Worten, hielt 


jeine Gedanfen feft in bem Im alen Schä- 
bel und ließ nichts fremdes an fid) heran. 
Hatte bie Sonne den Heiner braun gebrannt 
bis auf ben fturen Naden, |o hatte fie den 
Friedel nur getüpfelt mit feinen Sommer: 
Iprofjen. Und ob er vom Rhein war, aus 
Badarad, hatte er bod) ein jchweres Ge- 
blüt und war ein tiefes 9Bajfer. Das war 
dem Heiner, bem [ujtigen Bruder, ber Die 
Blumen brad, wo fie wuchjen, und fid) nicht 
herumjdlug mit Wenn und Aber und Ob 
und Vielleicht ein gefundenes Frejjen, wenn 
er ftiheln und höhnen fonnte, dah dem 
Friedel der Kopf rot ward und er Dod) fein 
Wort berausbrad)te und [till hielt wie ein 
Schaf der Schere. Und da fie zum Abend: 
effen um den Tijd jaBen und in bie Schüjlel 
tunften, ward es Karl Asmus flar, was 
der Heiner gemeint hatte. Denn das mußte 
ein Blinder fehen, wie es mit dem Friedel 
Honn. Denn wenn er aud bie Nafe über bem 
Teller hatte, gingen die Augen dod von 
unten auf zu Yinnden, auf der andern Seite 
neben der Mutter, ob ein Blid dabherfame. 
Wher das Yinnden war wie ein Bild in der 
Kirche, als wüßte fie nicht, wie hübſch fie 
wäre; bie Wangen waren wie Milh und 
Blut, und die braunen Flechten lagen thr 
um den Kopf, wie der Maria die Krone. 
Karl Asmus dadte: ‚Das ijt nicht zu 
verwundern, daß Meijter Bolduan fein Herz 
bier gelajjen hat, wenn die Mutter gewejen 
ijt wie bie Tochter.‘ Es ging jtill ber bei 
der Mahlzeit, ein paar Worte vom Meiiter, 
ein paar Geufzer von der Meijterin, Die 
mit ihrer Geele weit fort war, ein paar 
Fragen vom Annchen, ein wenig lojes Ge: 
rede vom Heiner nach Eulenjpiegelart: „Dö 
Fuchs nimmt d Hiiener i fyr Nochberſchaft 
nit“ — das war alles. 

Als fie gegellen hatten und fatt waren, 
ebte fid Meiſter €ufas an das eichene 
Pult am Fenjter, Rehnung zu tun, dak 
nichts verjáumt würde und alles nad: 
qewicjen wäre auf Heller und Pfennig im 
Beihäft unb im Haushalt; die Meijterin 
hantierte in Küche und Rammer, bas Änn: 
chen ging in Den Garten, die Schneden vom 
Galat zu lejen, und der Friedel hinterher. 
Gr trug Wajjer vom Brunnentrog, darin die 
Bergquelle rann, und goß die Beete auf und 
nieder. Aber ba er die Augen bald redts 
bald linfs hatte, wo gerade das Annchen 
war und ein Kleid blinfte, lief manche Kanne 
auf ben Weg, und der Heiner, ber mit Karl 
Asmus auf dem Goller vor der Türe ftand, 
die Hände in den Hojentajchen Hatte und 
mit den legten Grojden vom verjuxten Wo: 
chenlohn Himperte, Jıhlug ein Lachen auf 
und rief thm zu: „Drüber und dernebe geht 


SSSSSSSSSS SS TS SS SSS TSS SS TEEN Deutjhe Seele III 3 3373837373733 331 347 


pil. Meinicht a: e hölzige Bueb (di e quil: 
diges SUleitidje wert.“ Wher ber Friedel legte 
die Ohren an den Kopf, tat, als höre er 
nichts, und glupte nur nach hinten, ob nicht 
etwa das Annchen bie lofe Redensart er: 
wijdt hätte, und da er fie fern hinter ben 
Büſchen jab, machte es ihm fein Herzeleid. 

fiber den Berg fam blak und iibernadtig 
der Mond in den Abend, der nod fo hell 
war wie ber Tag und feines Lichts bedurfte. 
Der Heiner gähnte, redte Arme und Schul: 
tern wie ein Rater, der vom Heuboden fommt, 
denn er war rechtichaffen müde, weniger 
von ber Arbeit als von dem Abend vor: 
her, ba er fid) in Mandel auf der Höhe ge: 
fahrlid) übernommen hatte, denn bie To: 
jepha hatte ibm anfgetijdt, Wein und Bra: 
ten; Herz was begehrit du. (Cie meinte, wenn 
eine nur den Mannsleuten den Wanjt füllte, 
würden fie nimmer der Liebe Jatt; fie hatte [don 
zwei Männer unter bie Erde gebradjt, den 
Nifolo mit der Liebe und den Hambojdt 
mit Freſſen, und war nod nicht zwanzig. 
Dod der Heiner nahm es mit ihr auf, im 
(fien unb in der Liebe, nahm ber Tage 
wahr, dadte: ‚Ma fa der Löffel licht us 
bó Hand gä, wenn mer g'nueg gälle Det, 
und wollte ihr [don ein Schnippden ſchla— 
gen, daß fie den Schnabel am Boden ab: 
wiſchen follte wie die Hühner. 

Er gähnte nod) einmal aus Leibesträften 
und fagte zu Karl Asmus: „So, Karli, ijd) 
Rit. Früeh is Bett unb [pot auf, iih alle 
fule Lüte Bruh. Kummſcht au aufi?” 

Das Bejellenftübchen lag oben im Giebel, 
jah nad Abend und auf den Rhein, Rofen 
ranften in bas jyen[ter, und jpäte Bienen 
jummten in dem füßen Duft. Drei Betten 
ftanden Darin, an jeder Wand eins, über 
jedem ein Heiligenbild, und vor jedem ein 
Stuhl, in der Mitte ein Tijd, fo weiß ge: 
jcheuert wie Linnen, zur Ceite neben Der 
Tür ein Cdjranf mit Herzen und Blumen 
blau und rot bemalt, und auf der anderen 
Seite bas Wajchzeug. Alles war fo blint 
und blanf und nirgends ein GStäubchen; 
jo war das ganze Haus bis in den lebten 
Winfel, und einer konnte gleich leben, wie 
es in den Herzen ausſah, die hier alles in» 
jtand hielten. Wan hätte wohl meinen 
jolen, daß vor joviel Sauberkeit alle unrein: 
lichen Gedanken hätten babinjabren miijjen, 
daß einer Jo voll Einfalt ward wie der jtille 
Friedel, aber dem Heiner wollte trog allem 
die Hike nicht aus dem Geblüt. Lenn 
Meiiter Lufas ihm in bie Seele redete, weil 
es ibm leid war um ihn, denn er verjtand 
jeine Arbeit, zog er bie Naje fraus und 
lachte: „Wenn der Diifel alt und miümp: 
felmögig (d, fo will er Waldbrueder werde. 


Me rupit be Gans, wo Federe het.” Da 
war nichts zu machen, und die Jugend mußte 
man austoben lajjen. 

Indem der Heiner die Kleider abtat, erzählte 
er, wie es tm Haufe zuginge, daß fie allejamt 
wären wie die Heiligen, aber wenn es aud) 
aus[djaute, als wären die Seelen fo flar wie 
das Waller vom Berge, wenn eine Hand 
voll Dred bineinfiele, wurde es fo flatrig 
wie Tümpelwajfer. „Rärli, i fag, glaubjd) 
oder glaubjd) nit, der Wolf frit bie zeich- 
nete Schof au, und es fliigt fet Bogel jo 
bód) er chunnt wieder abe, 's Läbe ifd, als 
man uff der Sjebahn fahrt, fo fit man em 
Diifel imme uffem Riigge. — Der Friedel und 
das Yinneli — ja brönn fo gern as i bite, 
aber’s Yinnelt brónnt nit, und der Friedel 
iih en arme Diifel unb bett fet eigne Hell; 
's iſch beffer wenig Gunjt, as e Sad voll 
Gerechtigkeit, und Dred löſcht au Für.“ 

Er ftand hemdärmelig am Fenfter und 
jah, wie der Friedel mit bem Waſſer daher: 
feuchte, und rief hinab: „Brueder, me foll 
nit 3’gäch i Haberbry byjje,“ unb es war 
ungewiß, ob er das Waljertragen meinte 
oder bas ?inndjen. 

Der Friedel warf ihm einen bójen Blid 
hinauf. 

„Du Blunzen, wo bid) in an Tag fiebt, 
lot ber in der Nacht gehn.“ 

Und der Heiner jdjlug vor Unbändigfeit 
auf bas Fenfterbrett. Er pfefferte bie Hojen 
auf den Stuhl und jprang in die Federn, daß 
es fradjte, fragte nod): ,Rarli, was mein}d, 
mer fi [ujdjtige Lüt,” aber Dann war er im 
Handumdrehen weg und [djnard)te, daß bie 
Bettitatt wanfte. 

Aber Karl Asmus hatte gar nicht alles 
verjtanden, was aus Heiners Mund geſprun— 
gen war wie Bode und Geien, nur dak 
eine: unbändige Luft am Leben und Kraft 
zum Arbeiten und zum Lieben in dem Ge: 
jelen jtedte und daß da ein Blut war, jo 
rot und heiß, wie es aud) in Bommerland 
Hop, Er mußte an Meijter Bolduan denten, 
bas war auch Jo einer, dem die Deftigkeit 
aus dem Leibe jpribte. 

Er nahm den Rock und febte fid) in bas 
legte Lidjt, holte das Nähzeug vor, denn 
eine Naht frie; er wollte es mit bem 
Geiſt ber Ordnung halten, ber im Haufe am 
Regiment war, ob auch der Heiner Dawider 
[ódte und banad) Ichlug wie ein Landsknecht 
mit der SHellebarde. 

Der Mond Diego höher aus den bunten 
Wolfen in den grünen Schein und jchaufelte 
im Rhein, bie Rofen Dufteten und am ſüße— 
item unter ihnen, bie jtarben; dazwilchen 
ringelte fid) von Zeit zu Zeit ein Tabat: 
wölfchen aus Meiſter Kutas’ Pfeife; der 

93% 


348 MBERESSIEHSSESSSEIESSERTIEN Johannes Hiffner: BSS3S3333333334 


Friedel ging immer nod) gwijden den Pee- 
ten und gop und fonnte [id) nicht genug tun; 
pas 9Bajfer riejelte auf die Pflanzen wie ein 
lanfter Regen im Mai; Phlox und Nelken, 
und Rosmarin und Lavendel und was Die 

leijterin ſonſt an Bierfraut gepflanzt hatte, 
hoben die Blätter und Köpfe und jaben dent 
Friedel in das heiße Geſicht; Karl Asmus 
idjidte bas Herz in den linden Abend und 
an den blintenben Strom, der dahin wallte, 
wie wohl die Ctróme bird) das Land Eden 
gegangen fein jollten, und es war jdon Jo: 
ein Sommerabend am Rhein, das ift, als 
wäre einer im Paradieſe. 

Der Naht war bas Maul vernábt, nod) 
ein paar Stiche um bas Gelb von Jungfrau 
Wiefe im Futter, bei Gelegenheit und zur 
Vorlicht, Dann tat er wie der Heiner. Im 
Halbichlaf hörte er den Friedel tommen mit 
AH und Seufzen, jah ihn wie ein Traum: 
biid auf ber Bettitatt figen, den Kopf in 
beiden Händen, als trüge er alle Schwere 
des Herzens darin, bis er nach einer Weile 
vor dem Bildchen an der Wand auf die 
Knie fiel und zur heiligen Cäcilie betete, als 
hätte fie aller Liebe Erfüllung in ihren Hän- 
den und brauchte nur an die Taten zu rüh— 
ren und alles Leid löfte jid) in fiigem Wohl: 
laut. Darüber ſchlief Karl Asmus ein; ein 
Klingen flog vor ihm ber und bradjte ibn 
in ein Land, das war ihm jo vertraut und 
er hatte es Dod) nie gejehen. Hobe, dunfle 
Bäume wuchjen darin, ein Himmel war dar: 
iiber gelpannt |o blau wie ein Türkis, und 
Vögel fiatterten mit Schwingen fo bunt wie 
ein Tautropfen in der Sonne, ihre Federn 
wallten wie goldene Schleier, und eine 
Stimme jpradj: ‚Wartet, es fommt nod) 
einer.‘ Indem iade er auf; es war mit: 
ten in der Nacht, und draußen im Garten 
auf bem Kies hörte er einen Schritt geben, 
auf und nieder, Der und bin; jo ftand er auf, 
jah hinab, und jab die Meijterin im Monden- 
ſchein, die batte Die Hand auf dem Herzen, 
als verhielte fie eine Wunde, wanderte zwi: 
Idien den Rofen und Beeten und war [o 
weiß wie die Blüten am Jasmin. Ja, es 
muß wohl einer vom Lager in der Nacht 
und wandern, wenn das Herz feine Mubhe 
findet und die Gedanken feinen Straud), 
Darin fie jehlafen gehen können. 

Und Sort Asmus troh wieder D in 
fein Bett, legte fic) auf die Seite, vielleicht 
daß der Dübjde Traum wiederfäme, aber 
der war längit bet einer andern Geele über 
dem Rhein, nicht gar weit in Sauer-Schwa— 
benbeim bei einem Büblein, es im Schlaf 
zu tröften, weil ibm ein Glastügeld)en in 
den Brunnen gefallen war; auf feinen 
runden Wangen war nod) das Jchmußige 


Cteiglein, darauf die Tränen gelaufen ma: 
ren. Und auf Karl Asmus’ Herz legte fid 
eine Hand, o fohwer wie ein Stein und 
madjte feinen Echlaf angftvoll und hart. 
88 8 8 

Karl Asmus fuhr hoch und meinte, es 
donnere, aber das war der Heiner, der ſtand 
im lichten Tag mitten im Zimmer, wie Gott 
ihn geſchaffen hatte, warf die Arme in die 
Luft, nach rechts und nach links, ließ es aus 
ſeinen dunklen Augen fahren wie Lanzen— 
ſpitzen und brüllte mehr denn er ſang: 
He, luſtig, ihr Chnabe! wenn i mi nit betrieg, 
I g'höre ne Trumme, mer müeſſen allt z'Chrieg! 

Mer wein is tapfer wehre, 
Der Cholbe brav umdjere 

Wei haue, wei ſteche-n agwenn das Wetter ſchlieg! 

Damit rief er die beiden zur Arbeit, daß 
ſie aus den Federn fuhren. Und ehe noch 
das Glöcklein von der Not Gottes, der Kloſter— 
kirche auf dem Berge, ausgeſchwungen hatte, 
hub in der Werkſtatt unten das Klingen an mit 
Meißel und Hammer im fröhlichen Dreitakt, 
und es war nicht not, daß der Meiſter Obacht 
gab. Freilich, wenn es einmal zum Ver— 
ſchnaufen kam, ſo fuhr der Heiner mit ſeinem 
loſen Maul daher und wiſchte dem Friedel 
eins aus, mehr aus Schelmerei denn aus 
Bosheit. „D' Pfuſcher effes Brot, und d 
Mödler leyde not. Friedel, wer graſet, da 
heuet nit, und wenn e Geiß ſtoße will, ſo muß 
fi Hörner ha.” Mber der Friedel hatte einen 
jtreitbaren Tag, ließ nichts fiber und blieb 
nichts |djulbig. „Laß det Gebees, wann id) 
did) in bie Klubbe frie’e, bas is mir e 
Schnauz; id) bin geſchliwwert vul, und wenn 
bu magit, kannſcht du mich hinnerum hewe.“ 
— „Sich recht, Friedel, mit G'walt dha man 
e Geib hingerume Iüpje.^ Damit ging er 
weiter bem Cijen zu Leibe mit Schlagen 
und Klingen, und jo hin und her, jebt mit 
dem Hammer und dann mit dem Wort. 
Und bas muß wohl jo fein, wo Luft am 
Schaffen ijt unb junge Burfden miteinander 
find. Es war auch eine Arbeit, daran einer 
feine Freude haben fonnte, war mehr Kunſt 
als Handwerf, und ber Meifel nagte aus 
Den blanten Platten Ranten unb Blattwerf, 
gleich Den NRojenitöden, bie an bem weißen 
Haufe zierlich tletterten ; ba fonnte einer and) 
bem eigenen Herzen nachgeben und ein Viglein 
Dagwijden jegen, ein fingendes oder brüten: 
bes, ein Rotkehlchen oder eine Trutichel, 
aud) eine Hajelnug, ein Eichhörnchen ober 
gar ein Reh, als Karl Asmus tat; einen 
Mädchenkopf und Schmetterling, das machte 
der Friedel; oder einen frahenden Godel, 
wie es Dem Heiner in den Ginn fam. Denn 
der Vicijter Lutas hielt es, wie fein Namens: 
vetter im Evangelium, mit der &unjt. Er 


ESSE FESSSS SETS SESS SSS 3838 3933] Deutihe Seele eieiei es set 349 


jtand fid) nicht ſchlecht dabei und hatte feine 
outen Abnehmer im Hollandijden, die fid 
bei ibm die Beichläge, Hajpen und Schlüjjel: 
ichilder verjchrieben, daß fie Damit den 
Truhen und Schränfen und dem mancherlei 
Hausrat, wie fie alles nad) alten Muſtern 
bilden ließen, ein Anjehen gäben, als waren 
jie viele hundert Jahr alt, und die Sammler 
und Liebhaber tüchtig ins Cala legten und 
Dabei jo ehrliche Augen machten wie Der 
liebe Herrgott jelbit. Aus [taubigen Bi: 
ern und Bildern mußte wieder ans Licht, 
was lange totgewejen war, aber auch aus 
den Kirchen ringsherum, aus dem Münſter 
in Straßburg und aus bem Dom zu Köln 
holte ber Meifter, was er braudte. Da 
iprang einem wohl bas Herz im Leibe, wenn 
aus dem rohen Eijen das Bild fam wie die 
Welt aus der Dunkelheit; jeder Tag Hatte 
jeine bejondere Gunjt und Gnade, Daß 
einer wohl zufrieden fein fonnte, wenn ber 
Feierabend fam und die helle Nacht mit 
den blauen Sternen am Himmel und den 
Glihwiirmden in Gras und Bujd. Der 
Heiner hatte feine bejonderen. Wege und 
Wechſel, der Friedel half bem Annchen bei 
den Blumen im Garten, und fein verdurfte- 
tes Herz tranf von ihrer Geitalt, bie jo Aer: 
lich zwijchen den Rojen Wonn, als wäre fie 
ihresgleihen, und wurde dod nicht geitillt, 
denn das Annchen war jpróbe und hatte 
Dornen und Dog ben Friedel, ehe er es jid) 
verfehen war, freilich nicht aus Luft, thm 
wehe au tun, jondern aus Unbedadt und 
Mutwillen. Der Friedel ließ es fid) gefal- 
lem und tró|tete fih, baB Meden und Liebe 
nicht weit voneinander wohne, zumal das 
Sinnden immer wieder ein qutes Wörtlein 
auf Die Wunde legte, denn ihretwegen jollte 
feiner einen Kummer tragen. Da mußte 
der Friedel fein Herz in den Stall jperren 
und ein Schloß davor legen und mußte Ge: 
duld haben, wie der Heiner jagte: „Vie mu 
der Zyt abwarte, wenn me jung Tube ha 
will, und me jell der Öpfel nit vom Baum 
ichüttle, gob er ryf ijh.“ Es wäre wohl 
alles gut geworden, es wäre aus dem Neden 
Liebe geworden und aus ber Cpróbigteit 
jüßes Gewähren, und aus zwei Herzen eins, 
wenn Karl Asmus nicht gewandert getom: 
men wäre Es war nicht von ungefähr, daß 
dem Friedel an dem Abend, da er zum er[ten: 
mal am Tijd jap, bie Kehle wie zugejchnürt 
war und das Herz wie ein Stein, als ftande 
ein Wetter am Himmel und wollte nieder: 
fahren. 

Worerjt zwar blieb alles wie es war, und 
wenn der Abend fam, war der Friedel bei 
dem Wnnden im Garten und Karl Asmus 
ging mit ber Meijterin die Graswege ins 


geld, oder jak aud) mit ihr in ber Rojen: 
laube und mußte immer wieder erzählen, 
was bie Meiſterin [hon fo oft gehört batte. 
Aber fie ward es nicht müde, Denn was aus 
Karl Asmus’ Munde fam, war nur Klang 
und Begleitung zu den alten Liedern in ihrer 
Seele und ging bur ein Land voll Gold 
und Connenjdjein, ob auch bie Sonne längit 
untergegangen war, Wher es wäre beffer ge: 
wejen aud) für die Weijterin, Karl Asmus 
wäre nimmer gefommen. Dod was fam, das 
fam, Das hatte feiner in feiner Hand, fo 
wenig wie am Himmel die Sterne. 

Das Herz, bas war das Fremde im Men: 
Idien, es wußte feiner, wie er mit ihm daran 
war. Es war ftarfer als Kopf und Arm, 
als Tod und Leben. Wenn einer einen Ring 
darum legen wollte von Eijen und einen 
welsblod darauf wälzen, was matte bas? 

Da war die Meilterin. Und ba war das 
Yinndhen. Die Tochter [ag auf ihrem Lager 
mit Schmerzen nicht anders denn die Mutter 
in Der Rammer nebenan, Herz bei Herz, 
nur eine Wand Dazwilchen, und es war das: 
jelbe Blut, bas jtrömte hier wie dort, und 
es war dasjelbe Leid, dort um eine Liebe, 
die verjunten war, und Hier um eine, die 
nicht fommen wollte. Das 9inndjen hatte 
die Hände über dem Elopfenden Herzen ge: 
faltet, zählte Stunden und Cterne; ihre 
Gehnjuht war bei bem jungen Gejellen 
aus Sommerlanb, und die heimliche Liebe 
Achrte von ihrem roten Blut wie der 
Wond von den Rojen. Des Tages 
war er vor ihr, wo fie ging und ftand, 
jie jab ihn bald awijden den Bäumen 
und bald im Gejtráud), hörte feine Stimme 
im Baum, wenn der Wind hindurdjtrid, 
und jein Laden aus der Quelle, die vom 
Berge fam. Die Mutter war gleid) am 
eriten Tag bange geworden um das Rind; 
jie Jab, daß wieder Drei Herzen umeinander 
waren, wie Damals, als der Schmerz über 
jie gelommen war, und daß bas Cdjdjal 
um Das ftille Haus ftrich und ein Leid Dor: 
aus werden fonnte, tiefer als der Rhein. 
Karl Asmus merkte es wohl, was in dem 
Yinnden vorging, wie ihr Auge nad) ihm 
juhte im Garten des Abends, wenn er auf 
und nieder ging, allein ober mit der Dici- 
jterin, und wie ihr Blid bavonjleg wie ein 
\cyeues Wöglein, wenn er bei Tijch unver: 
jebens von feinem Teller aufjah, und wie 
jie darauf wartete, ob er wohl beim Gießen 
ober Jonjtwie thr zur Hand geben wollte, 
Aber er Dachte an bas Zeislein und wußte 
wie bas tat, wenn einer Die Liebe aus dem 
Herzen reißen folte wie Unfraut; er wollte dem 
Friedel bas Blüd nicht nehmen und meinte, 


350 Johannes Höffner: Ise Zee Ze e 


mit der Zeit fommt wohl alles wieder in 
die Nichte und, wenn einer bas Fenſter nicht 
auftut, mag bas Schwälblein fliegen, Jolange 
es mag, es wird jdjon Hug werden und 
merfen, wo eins wartet, daß es bei ihm 
bauen fol. Wäre der Friedel nicht gewejen, 
dann war es wohl ein ander Ding, das 
Annchen war Top genug, daß man es lieb 
haben mochte fein Leben lang. Der Meijter 
merkte nichts, hatte feinen Kopf voll von 
Zeichnungen, Handel und Zahlen, war aud 
viel über Land, und wenn er zu Hauje war, 
bei feinen Büchern. Der Heiner hatte jeinen 
Spaß an bem Spiel; wenn er einen 
Blid auffing, pfiff er ganz leije auf bem 
hohlen Zahn, gwinferte aud) wohl der Mei- 
jterin zu, aber bie tat, als jähe fie es nicht. 
Dh,‘ dachte er, ‚Do mueB e angers robe, 
ging ihr nach in den Garten, deutete mit 
dem Kopf nad) bem 9inndjen und fagte: 
„E Sad voll Flöh iſch beffer- A hüete as 
junge Wyber.“ Die Meifterin jab ihn hart 
an: „Was fol bas Schwabe? Das Schwäße 
madjt alles ſchlimm.“ Danah ging er zu 
Karl Asmus. „No, Kärli, jet bijd) du das 
Kräutle uff der Suppe.“ Karl Asmus Honn 
bei ben Rofen und ließ ein Marientäferchen 
auf der Hand laufen, blies es an, daß es 
bie Flügelchen Hob und davon war in Die 
Dämmerung. „Sühſt, Heiner, Hols und 
bring mir’s wieder, wenn Du fannft. Auf 
einer Roje mag es figen, im Gras ober im 
Strauch, wo es will und ihm wohl ift.” Der 
Heiner [trid) ein paarmal den kurzen ſchwar— 
zen Bart. „Ha, Karli, das madt ber Chak 
fei Buggel. Das Hergetstühele (di, wo es 
iſch.“ Danad trat er bem Friedel auf dem 
Weg, wie er mit der triefenden Giepfanne 
daherfam: „Bäl, Friedel, d'Sunne (da Gnade 
gagange. Bal fo chanjch uff ber dütſche Soh: 
len lauffen. Ja, ja, jo (dis, Jo geht's, 
dV’Ehrlichkeit ijdh us ber Welt g’reilt, und 
der Kredit ijh ndrrijd) worde. De Meitſchi, 
jy ft Hein, jo trambe fie einem ijf d'Füeß; 
jy fi groß, fo trambe fi einem uffs Herz. 
Si wobr, de bijd) e arme Düfel und heſch 
fei eigen Hell.“ Da fuhr der Friedel herum, 
goß ibm das Waſſer über die Füße und 
Ihrie ihn an: „Id frie Di an be Kramwutich, 
Ihmeiß di uff de Bodden un benale di mit 
dide Knüwwel nmn Budel erum.” Seine 
Augen waren rot vor Zorn, und die Tränen 
jagen thm im Hals. Der Heiner aber [tedte 
die Hände in die Tajden, ftand breitbeinig 
in ber Wajjerlache. „Wenn me dWefpi 
jtiipft, Jo furre ji. Aber, bijd) guet, was me 
z'Nacht nol be Nine redt, giilt nit meh.“ 
Er ftampfte fort wie ein Bär aus dem Bach, 
und wohin er trat, war eine Waſſerſpur. 
Gr wollte noch hinauf nad) Mandel zur Jo: 


jepha, die jtanb in der Türe und auf bem 
Tijd) ein gebratenes Huhn, und jie warteten 
beide auf ihn jamt einem Echoppen Wein. 
Und während er den Bergweg hinanjtapfte, 
pfiff er fid) den Reim auf Solothurn: „Biel 
Heg und wenig Garte, weni Sped, aber vil 
Schwarte.“ Nicht lange, jo fap er oben am 
Tilh, und die Syolepba auf feinem Schoß, 
tranfen beide aus einem Becher und drüd: 
ten einander zwijchendurd, daß der Atem 
ihm wegblieb jo gut wie ihr. 

88 BS 8 

Der Friedel lag im Weinberg hinter dem 
Buſch, hatte die Stirn im Graſe und weinte 
darauf, daß bie Hälmchen meinen konnten, 
es wäre Tau vom Himmel. Wud) ein armer 
Teufel fonnte jeine eigene Hille haben. Es 
brauchte dem Friedel feiner zu jagen: das 
Ynnden will fein Herz an Karl Asmus 
Ichenten, bas jab er allein. Und daß er es 
nicht wenden fonnte, das brannte wie Feuer. 
Wenn er fid) ein Herz fakte, wenn er zum 
Meijter ging ober zur Mteijterin oder zum 
Yinnden felbit, daß er umfommen müßte ohne 
jie, und ein ehrlicher Menſch mochte wohl 
reden Dürfen. Aber das war alles auf eine 
Karte gelebt, und [djlug es fehl, war es für 
immer vorbei: er fonnte gehen, wie der Heiner 
jagte, mußte auf ber deutjchen Sohle laufen, 
und bie Steine und Dornen ftachen ihm ins 
nadte Fleiſch. Aber die Liebe ftad) noch viel 
mehr. Freilich war der Karl ein anjtandiger 
Menſch und tat, als jähe er bas Wöglein 
nicht vor feinem Fenſter flattern; es merkte 
einer wohl, daß er ein mitleidiges Herz 
hatte und fein Ceeldjen fangen wollte, bas 
einem andern fortgeflogen war. Aber das 
frap aud) im Gemüt, und es war beffer 
ein Arm voll Mißgunſt als eine Handvoll 
Mitleid, unb bas Yinnden fam davon nicht 
wieder. Wh, dak Gott erbarm, wäre ber 
Karl bod) nimmer gefommen! 

Der Friedel fiel ab von Tag zu Tag, 
ward wie ein Schatten und bleid) wie ber 
Mond, der des Nachts ins Fenjter jah, wenn 
er [id mit Seufzen und Kummer auf dem 
Lager wälzte, indes der Heiner und Karl 
Asmus bie tiefen Atemzüge aus: und ein: 
gehen ließen, denn fie hatten Ruhe mit 
ihrem Herzen und einen guten Schlaf. 
Die Mteijterin, wenn fie ihn über den Tijd 
hin anjah und das Yinnden daneben, dachte 
wohl: ‚Wie lange fol bas nod) gehn; das 
fann feiner mit anjehen,’ und wenn es nicht 
anders werde, miipte fie bod) ein Wort 
iprechen, vielleicht, daß alles fih löfte zu 
guten Ende und daß den jungen Herzen 
zu helfen wäre, Wher ihr jelbit, wer half 
ihr? Und eine Angit legte jid) um ihre 
Bruft, als fónnte etwas tommen, das fie 











TSESSSEIEHESSHSHEHEIEHEISSEHEEHTN Deutihe Seele PSBZARRKKKKKA] 351 


ummiürfe wie der Wind ein Holz, von 
außen ber aus der Welt, daraus Karl Ass 
mus berausgewandert war. Jeden Mor: 
gen, wenn der Poftbote daher fam, ftand fie 
am Pförtchen und wartete, denn nun, da er 
wußte, daß fie am Leben war und ihn nicht 
batte vergejjen Tonnen, da Karl Asmus alles 
berichtet hatte, wie es indem weißen Häuschen 
ging und ftand, würde er ba nidjt ein Wort 
oder einen Gruß haben, den er herichidte 
über Berg und Tal? Und eines Sonntags 
hielt fie den Brief in der zitternden Hand; 
im ber Rojenlaube brad) fie ibn auf, ein 
Ringlein fiel daraus von Eijen, und wo 
jonjt ein Stein fikt, war ein Vergißmeinnicht 
gebildet und rot von Roft wie von einem Bluts= 
tropfen; es war fein und zierlich gemacht für 
einen Mädchenfinger und ließ fid) nimmer 
von ihr aufjtreifen, es mochte bem 9inndjen 
pajjen, aber nicht ihr. Ihre Augen gingen 
die ungefügen Buchftaben auf und nieder 
das Herz tat ihr jo weh, und die Tränen 
fielen groß und heiß auf das Papier: Das 
Ringlein hatte er heimlich in der Wert: 
jtatt auf dem Berge gemadjt, kurz zuvor, ba 
er Davongegangen wäre, und hätte es ihr 
an den Finger fteden wollen, aber die Furcht 
wäre ibm angefommen, fie tónnte die Ehe 
nicht tragen und möchte ihm Herben mitten im 
höchſten Glüd. Freilich, er wäre ein Hafenfuß 
gewejen und ein Dummtopf, hatte dem Her: 
zen gehorden follen und nicht bem Schädel 
und bedenfen, daß ein anderer noch mitzu: 
|predjen babe bei Leben und Tod, Alber 
das wäre nun vorbei; aber nur in der Zeit 
nicht in feinen Gedanfen. Die Liebe von 
damals zwar, Die läge wie ein Totes in 
einem gläjernen Garg, und Die Geele 
jäke wohl oft davor, und es wäre Weh— 
mut geworden, was Sehnſucht gewejen 
war. Das Ninglein wäre verrojtet und 
würde ihr nicht mehr pajjen, aber fie möge 
es nehmen, weil es ihr bod) einmal zuge: 
dacht gewejen wäre, und ruhig an bie fiige 
Zeit gedenken, denn fie wären nun beide in 
ein bedächtiges Alter gefommen, und es 
hätte nimmermehr eine Gefahr. Da ließ 
die Meilterin den Kopf auf ihren Arm fal- 
len, Driidte den Reif an ihre Lippen, daß 
jie fajt bluteten. Die Rirdengloden gingen 
im Tal, und wie fie [djmangen, ftand ein 
Engel vor ihrer Geele mit einem bloen 
Schwert, und es ging ihr Durd) Mart und 
Bein, daß fie bejchworene Treue bräche und 
das Schlinmfte tate, was einem Mann von 
einer Frau gejchehen tann. Er hatte ihr nie 
etwas zuleide getan, es fehlte an nichts, was 
das Leben forderte, aber er wußte nicht, Daß 
He ein Herz in der Brujt hatte, das aud) 
fein Teil haben wollte. 


Den Berg hinauf fam ein Zug, Mädchen 
und Burjchen, mit Bändern und Blumen, 
jauchzten und fangen und zogen in ben 
Wald. So war das nun; es ging alles 
vorbei; wer einmal einjam geworden war 
und alt, den rief die Jugend nicht mehr, 
ber Job und wartete, bis ein anderer Zug 
daher fam, dann jtand er auf von jenem 
Chmerz und trat ftill hergu in die lebte 
Reihe. AH, wenn einer aller Lajt ledig 
werden fonnte! Gie ftand auf, ging 
den Hang in die Höhe, wie fie war, Durd) 
bie Weingärten zur Not Gottes; vor dem 
heiligen Bild in der Kapelle wurde bas 
Herz wohl wieder leicht; da fand fich eine 
Geele wohl wieder auf den rechten Weg. 
Das Ringlein hatte fie an ihren Bufen ge: 
tan, ba lag es dicht an ihrem Herzen. 

(s war ein jhwüler Tag. Das dinn: 
den jchlug bie Fenjterladen vor, daß es im 
Haufe fühl bliebe und der Bater fih legen 
lónnte, wenn er von Riidesheim hinauf- 
fame. Der Heiner war im Wald und lag 
unter einem Holderbujch, der Friedel fap am 
Brunnentrog und fijdte bie Käferlein aus 
bem Waſſer, wenn fie in ihrer Sommerfreude 
unverjehens dem Tode in den offenen Ra: 
den flogen. Karl Asmus ging unter den 
Bäumen und zwijchen den Beeten umber, 
jah zu, wie es blübte und wie die Früchte 
anjegten, hörte die Bienen Jummen und 
die Heupferdden zirpen. Da er Sehnjudt 
nad) einem grünen Plätzchen befam, wo 
einer von Der Heimat träumen tönnte, 
juhte er bie Rojenlaube, fann fid) in das 


-Dorf an der Gee und in den Garten am 


Fluh, und hatte wohl auf feiner Flöte bla: 
jen mögen, aber die lag wohlverwahrt und 
unberührt, Denn er wußte nicht, wie es fam 
bier hätte er fein Liedlein blajen mögen. 
Die Luft war jo warm und weich, da 
wurden die Lider ibm ſchwer, und der Schlaf 
fam über ihn und der Traum. Und wie er 
Ichlief, ftrich bas Yinnden durch ben Garten, 
juchte die Mutter und fand fie nicht, trat 
in bie Laube, ob fie dort wäre, und fah in 
Karl Asmus’ ftilles und feliges Geficht, denn 
er ſaß daheim oben im Nußbaum, Peter, ber 
Rater, rieb den Kopf an jeinen Knien, Die 
Mühle Happerte über dem Haus, und das 
Schifflein auf dem Giebel drehte fid) im 
leichten Sommerwind. Dem Sinnchen Wonn 
das Herz ftill, bas junge Blut jchlug thr ins 
Geficht, und es war, als fame alle Geligfeit 
der Belt über fie; fie nahm von der Roje an 
ihrer Bruft ein Blatt und ließ es nieder: 
fallen auf Karl Asmus Gm, nahm 
ein zweites und ein Drittes, und dann, da 
er niht wad) ward, beugie fie fid) und tipte 
ibn jo janjt und jacht, als ware ein viertes 


302 Ernjt Liffauer: Sn ber Speijefammer 


Blättlein herniedergefommen. Karl Asmus 
träumte von einem Bienlein, bas fam aus 
den Blumen vor dem Haus in ben Nußbaum 
geflogen, jchwirrte um ihn herum, und der 
Kater Peter jchlug danach mit der Pfote in 
die Luft; jebt fam es Dicht heran und ftreifte 
ihm bie Stirn mit den gläjernen Flügeln. 
Und wie er mit der Hand wehrte, hulchte 
das Yinnden davon. Indem wadte Karl 
Asmus auf; es war ihm, als wäre ein 
Schritt gegangen. Da ftand der Friedel im 
Eingang, und das grüne Licht, bas bird) 
das Blattwerk fiel, machte ibn fo fabl wie 
einen Toten im Sarg. Karl Asmus gähnte 
und redte fid). „Komm, Friedel, wir wollen 
ein wenig mitjammen ſchwatzen. Hier fist 
einer wie in Abrahams Schoß und braucht 
feinen Engel, der ihm die Zunge fühle.” 
Uber ber Friedel erwiderte fein Wort, 
wandte ji) um und ging davon, als hätte 
ihn die Sonne geftoden. 


Œs war ein trübjeliges Mittagsmahl, ob 
aud) alles auf den Tijd) fam, was einen 
jroblid) machen fonnte. Ger Wein in ben 
grünen Römern blinfte wie der Rhein im 
Mondenfchein, und die Hühnchen waren fo 
röſch, als hätte die liebe Gonne fie germen: 
det und gebraten und -beträuft. Wher der 
Meilter, der Heiner und Karl Asmus muß: 
ten bas Belte tun, fonft wäre alles wohl 
wieder in die fühle Rammer bet der Treppe 
gefommen, bie in den Keller ging. Sechs 
Denjchen jagen um den Tilh, drei Herzen 
waren leicht unb drei waren jchwer. Die 
Meifterin hatte die Augen vom Weinen rot, 
aber es fonnte auch von der Hike fein, die 
machte einen glühen und den andern blak, 
wie das Yinnden und den Friedel, und es 
gab welche, denen verjdlug jo ein ſchwüler 
Tag jeden Appetit. Das Wnnden hob faum 
Den 9Blid, und die Mieijterin jah über den 
Teller fort auf ein Sternlein im Leinentud, 
als jabe fie wer weiß wohin. Da jagte der 





Meifter und zerbrach ein Knöchelchen: „Es 
liegt etwas in der Luft“, und die Frau fal 
ibn erjchroden an, und ihr war nicht an» 
ders, als hätte er in ihrer Geele gelejen. 
Der Friedel befam einen Shred, dak Die 
Gabel auf dem Teller flirrte, die Gedanken 
ballten jid) in feiner Geele wie Wolfen, 
und was er vor fid jab, war wie Stahl 
und Blut. Wenn er bas Wnnden nicht 
haben durfte, ein andrer befam es nimmer: 
mehr. ls fie aufgeltanben waren und 
aus der Tür gingen, machte Heiner große 
Augen und flüjerte dem Friedel ins Ohr: 
„O ſchlimm Byt, ber MWyberfalender zeigt 
bis Wetter an.“ Aber der Friedel ftierte 
hinaus und hörte nichts und [tapfte davon. 

Am Abend ftanden bie dunflen Wolfen 
am Simmel, im Rhein lag Mitternacht, ob 
auch bie Sonne eben erft mit bem legten Rot 
den [chwarzen Himmel brennen ließ; Die 
grünen Lichter ber Dampfer jahen aus dem 
Tal wie Raubtieraugen, und hinter den 
Bergen fladerte der Schein der Blige. Aber 
das Wetter blieb dahinten und verzog fid) 
allmählich ins Land; ein Fühler Wind ftrid 
vom Wafjer her, und die ruhigen Sterne 
famen an ihr tröftliches Regiment. 


— ee — 


Um Mitternacht kam Heiner nach Haus 
mit einem Rauſch wie ein Heuſtadel, grölte 
in ſich hinein: „Z Byte bin i liederlig, und 
z' Zyte bin i guet,“ fiel ins Bett, wie er 
war und lag wie ein Toter. Karl Asmus 
blieb im tiefem Schlaf, ſein Herz ging wie 
ber Pendelſchlag einer Hausuhr, jo ruhig, 
unb bie Geufzer der Nacht fielen rings um 
ihn au Boden, 

Da rührte einer feine Schulter an, und 
wie er bie Augen aufjchlug, fniete im Däm: 
merlicht der Friedel vor feinem Bett. 

„Karl, ijd) mujh mit di rede, Sich muid 
Lob vun meine Gedanfe. Wann bu e Herz 
im Bukem Dojdjt, erbarm dich imer e arm 
Menſch“. (Schluß folgt) 


SCREKECEKEKEKCKCE KEE CEEC KEKE CECEKKCECEKCCCECEKECEL CE CLE IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIG 
D - 


C€CCCCCCCCCCCCC2253353323233232)2332322 


C€CCCccccccececcccceeccecc o53323»5532322323222232222 


eccceeccec 


Sn der Speijefammer 


Sn der Speijefammer, Bod) auf dem Bord an ber Rufe, 
Steht eine breitbaudig blautónerne Rrufe, 
Mondgelb find ihre Ränder gejäumt, 
Blänzige Spriger und Sprentel 

Gligern auf Füßen und Höhlung und Henkel, 
Als fet ein Lichtereme übergejchäumt, 

Was ward da gekocht inmitten der Naht? 
Hat wer in dem Topfe Mond eingemadt? 
Ein Mah Mondwein, fieben Mondeier, 
Mondweiß, Monddotter gequirlt zu Schaum, 
Nächten Winter zur Werhnachtfeier 
Kriegen’s bie Kinder im Traum. 


Ernjt Lijjauer 


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CECCECCECCCCECECECCCEECECCCECCCEECECECECCECECECCCECCCECCCECCCCECECCCCECCIIDIDIDIDIIIIII III IDII III III IDI II III I IDII III III IINA 


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SS SSS SSS SESSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSESSSEHLESESESSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSEESSSESESESEESES 


Stahlguß 


Gemälde von William Kraufe 


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ORR le han Gina bean aalt 
not pared 


ee un hat des Todes allzu ſchnelle Hand 
(e) aud) Wilhelm Triibner angerührt. 
GSiebenundjechzigjährig ijt er in fei- 
nem Karlsruher Heim am 21. Dezem- 
ber 1917 einem tüdijchen Influenza: 
anfall erlegen. Mit ibm ift ber bedeutendjte 
deutjche Dialer der Gegenwart babingeldjte- 
den. Es hat lange Daa. bis er als Diejer 
anerfannt wurde. Noch als ich vor reichlich 
ebn Jahren an diejer Stelle zum erjten 
ale über ibn jdjrieb, war es febr nötig, 
lorgfältig den Beweis zu führen, daß er zu 
den überragenden Erjcheinungen ber deutjchen 
Kunſt gehöre. Schon damals allerdings ſprach 
ich aus, daß er der größte Maler wäre, den 
Deutichland nad) Leibl hervorgebracht. In— 
wilden haben aud) bie emt Widerftre- 
enden fih zu ibm Pr aber immer 
nod) wird er hauptſächlich als Maler oe: 
feiert, weniger als Riinftler; vermutlich, weil 
die meijten finden, daß ibm ein wenig die geftal- 
tende Phantaſie mangele. 
Ziele Unterfcheidung mag 
nicht unberechtigt fein; bod) 
mindert fie nicht im gering: 
ften feine Berdienfte um und 
feine Bedeutung für die Runit. 
Phantafie und Gemüt find 
allerdings bejonders djarat- 
terijti]de Eigenjchaften der 
deutjchen — ti De 
weniger bezeichnen r fie 
ijt auch jenes dE iteqie 
ibl, bas in Trübners Schöp: 
ngen 3u fo vollendeten: 
Ausdrud fommt. Man darf 
fogar behaupten, daß gerade 
diejes Wirklichfeitsgefühl die 
größte Ctárfe der beutjd)en 
Runft ausmadt; denn ohne 
dieles ` wären Grünewald, 
Dürer, Holbein, Menzel und 
Leibl nicht bie großen Mei: 
fter, als die fie felbjt von 
den Gegnern deutſchen We: 
jens qeleiert werden. Gleich 
ihnen ftand Trübner mit fe- 
ften Füßen auf dem Boden 
der Heimat und fand auf 
der vertrauten Erde - foviel 
zu jehen, zu bewundern und 
zu malen, daß ihm die Zeit 
mangelte, auch noch zu träu— 
men und von Diejen Träus 
men zu berichten. Sein &ünjt: 
lerideal aber war, fid) den 
groben Alten, Rubens und 
embranbt, Hals und Belas: 
quez und außerdem Leibl als 
ebenbürtiger Dialer an bie 
Seite jtellen zu dürfen. Nicht, 


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indem er fie nachahmte, jonbern indem er ihre 
Runjt noch einmal erlebte. 

Trübner war nämlich mit einem erftaun: 
lid) feinen Ginn für die handwerklichen 
Qualitäten der Malerei begabt und ijt von 
frühefter Jugend an bemüht gewejen, alle 
handwerklichen Tugenden ſich anzueignen, 
die einem Maler nüglich fein Toten, Da: 
durch gelang es ihm aud, [hon in jungen 
Jahren Bilder hervorzubringen, bie neben 
den Werten der beiten Mtaler aller Zeiten 
fid) behaupten. Als Zweiundzwanzigjähriger 
war er bereits ein fertiger, faum nod zu 
übertreffender Meijter. Cr wurde als [older 
aud) von unvoreingenommenen Kollegen wie 
Leibl, Schuh, Thoma, Bittor Müller und 
anderen anerfannt; aber es gelang ihm ba: 
mals nicht, außerhalb jenes Riinjtlertreijes 
aud) nur bie geringfte Beachtung zu finden. 
Teils, weil feine Art in einem zu lebhaften 
Gegenjat zum Zeitgeſchmack [tanb, derjich der 


g9 Wilhelm Triibner 
Nach einer Aufnahme von Nicola Verfcheid in Berlin 


8 


354 BS] Hans Rofenhagen: BERZAIZ ZZZ 


Pjeudorenaijjance guwendet hatte, teils weil 
ihrem Wuffommen zu energiſch von der Künſt— 
lerpartei entgegengearbeitet wurde, die in den 
fiebziger und adytziger jahren des vergangenen 
dE e das Münchener Kunijtleben 
volljtändig beherrichte und an deren Cpibe 
Franz Lenba ftand. ler nd in Leibl und 
allen Malern, bie zu deffen Kreije gehörten, 
mit Recht feine gefährlichiten Konkurrenten 
und ließ fein Mittel unverjucht, * unſchädlich 
zu machen. Das iſt ihm auch über Erwarten 
elungen. Leibl, Thoma, Schuch, Hirth du 
— Viktor Müller, Theodor Alt ſchüttel— 
ten den Staub Münchens von ihren Füßen und 
zogen fih in bie Berge, nad) Frankfurt a. M., 
nad) Italien ober in fleine deutjche Städte 
guriid. Trübner allein blieb dort, um den 
Kampf DE Er war eben jung, 
hoffnungsvoll und bemittelt. Dod) aud) 
m SUufionen wurden ſehr ſchnell zerſtört. 
tan ſtellte ihn einfach dadurch außerhalb 
des Münchener Kunſtlebens, daß man 
ſeine Bilder, die heut zu den beſten Zierden 
der deutſchen Galerien zählen, regelmäßig 
von den Ausſtellungen zurückwies. 
Trübner hat unter den Widerſtänden, 





& 


Im Heidelberger Schloß. Gemälde (1873) 
Sm Befig des Großberzogl. $ianbesmujeums zu Darmftadt 


bie fid) ihm in München entgegenjtellten, 
außerordentlich gelitten, fogar bis tm fein 
Alter hinein; aber feine gabe Natur tannte 
fein Nachgeben. Er wußte fid im Recht 
und blieb allen Anfeindungen zum Troß 
in der Gtadt, bie er gern hatte unb bei 
jeiner Art. Und vielleicht ijf gerade Durd ben 
Kampf um feine fünftleriihe Exiltenz, den 
er in München zu führen hatte, feine fünjt- 
lerijdje Perjönlichkeit erft recht feft und rund 
geworden. Jedenfalls trug er aus Diejer 
Zeit einen unverjöhnlichen Hak gegen Len- 
bad) in fid. Er |prad) ihm wegen feiner 
Fähigkeit, Bilder in jeder gewünichten Art 
—— Vorgänger zu malen, alle Indivi— 
ualität ab und verglich ibn gern mit 
einem Barietétiinftler, der aufs täujchendjte 
berühmte Mtimen, wie Connentbal, Mitter- 
wurzer, Matfowsty, Raing, 3Bojjart, in ihrer 
Erjcheinung und Bortragsart fopiere, und 
den das unwiljende Publifum bejuble, weil 
es ihn m begabter halte als jeden einzelnen 
diejer Schaujpieler. Golder Imitator fei 
aber auf der wirfliden Bühne unmöglich 
und würde aud) von wirklichen Schaujpielern 
nicht als ihresgleichen betrachtet. Als id) im 
Herbit 1900 in einem 
zulammenfajjenden 
Bericht über die Pa- 
tijer Weltausitellung 
auf die üble Wirfun 
hinwies, bie Lenba 
durd) Entfaltung fei- 
ner Macht auf bie Ge- 
ftaltung ber deutſchen 
Runjta —— aus⸗ 
geübt hatte und ſeinen 
unglaublichen Egois— 
mus an den Pranger 
ſtellte, war Trübner 
Rn darüber. 
ie Bejcheidenheit ver⸗ 
bietet mir, das außer: 
ordentliche Lob bier 
zu wiederholen, das 
er meiner Arbeit |pen- 
bete; bod) ein paar 
Gage aus bem Ser. 
ben er mir damals 
d Begeifterung 
chrieb, möchte id) wie- 
dergeben, weil be: 
weijen, daß er meine 
Tat durchaus nidt 
etwa aus perjönlichen 
Gründen pries, Jon: 
dern in ibr eime Der 
aejamten dent] 
Künftlerfchaft erwie- 
EM Wobhltat Jab. Er 
dreibt aljo: „Es 
jdeint aud im 
Zeitungen nichts gegen 
Shr Vorgehen gejagt 
zu werden; ein Be- 
weis, daß der Fall reif 
war. Wes Faule 


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Wee EH Wilhelm Trübner Bs 


in unferen Runftzus | 
jtänden klarzuſtellen, 
halte id) für bie 
ſchönſte Aufgabe, die 
Sie zu Iójen haben. 
In unjerer Zeit ijt 
jo vieles faul auf 
Diejem Gebiet, es 
wären fonjft nicht 
bie Hauptfiinftler un- 
jerer Beit aus Den 
beutjden funitgen: 
tren jo verdrängt 
worden. Sd) dente 
an Feuerbad, Bid: 
lin, Leibl, Thoma 
und Klinger. Wud 
SUtengel und Lieber: 
mann ftehen eigent: 
lich) nebendraus, ob: 
gleih fie Ateliers 
in Berlin halten für 
einige Wintermona: 
te. Und ebenjo ne: 
bendraus waren in 
München Bittor 
Müller undSchwind. 
Sie beide waren auch dort nicht lange an: 
wejend, nur turg vor ihrem Tode. Bejonders 
ut bat mir aud) gefallen, daß Sie den Bor: 
hlag gemadt haben, in bas deutſche Haus 
Bilder aus der vorhergehenden Zeit ber deut- 
ſchen Runft zu hängen. Zielen ausgezeichneten 
(Sebanfen jollten Cie nod) öfter in Ihren 


Runftbejprehungen wiederholen unb immer - 


wieder nachdrüdlichit auf bas unverantwort: 
[ide Verſäumnis unjerer Genofjenichafts: 











Altenfchreiber bin: 
weijen. {Überhaupt 
wäre es angebradt, 
Die  Kunftgenofjen- 
ſchaften anzugreifen, 
bejonders deren lah: 
mes Snterefje für 
das wahre Del 
der Ee Diele 
Genojjen|djaften Ba: 
ben nie etwas getan 
E Leibl und nichts 
ür Thoma, [onbern 
haben immer nur 
dafür gejorgt, daß 
thre Vorſitzenden 
redit große Orden 
erhielten. Die Mün- 
dener Riinftler find 
mehr oder minder 
rte|peftable Leute, 
wie Gie in Ihrem 
Barijer Feuille: 
ton ganz  ridjtig 
bemerfen, und alle 
viel mehr auf ber 
Höhe ber Renaijs 
jancefunft als der von Ihnen angegriffene 
Surrogatfabrifant. Während in Berlin jdjon 
mehrere Leibl: Rolleftionen zu jehen waren, 
ijt bas in München nod nie der Fall ge- 
melen, Und warum? Weil der Haupt: 
intrigant Furcht bat, daß bem Publifum die 
Augen aufgehen könnten über feine eigene 
Armjeligteit.“ | 
Das Berfönliche in einem Runftwerf ftellte 
Trübner immer jehr hod, wohl weil er jelbft 





gimmermannsplat. Gemälde (1876). 


Sn der Runfthalle gu Hamburg 3 





356 BEREITET 


jo ganz Perjönlichkeit war, ſchon als junger 
Mann. Darum ijt es mir eigentlich immer 
jehr iiberfliijjiq erjchienen, ihn gegen den 
Borwurf zu verteidigen, er habe [eine 
Hunt von Courbet und Leibl bezogen. 
Uber es mußte fein, weil ihm das ron den 
Schriftitellern, bie ihn nicht mochten, immer 
wieder vorgehalten wurde. Wenn diefe 
uten Leute nur gewußt hätten, wie wenig 
nlage Trübner zum Ntachahmen einer frem- 
den Urt bejak! Es exiltiert von ihm Die 
Kopie eines Stubensidjen Bildes. Trog aller 
Mühe, die er fih damit in Brüffel gegeben 
gelang es ihm doh nicht, das Beſon— 
des großen Vlamen aud) nur im ent: 





SSCSSSSSSSSSSSSSSESSSSHSESSESSESSES — —— —, ——,— —— — — — — @aeeeeseeeeee 


IR Ad So CA Ed a 04. nn SE wer  — * X Km 


| 


: H Bildnisgruppe. Gemälde (1875). 


EEE Hans Rojenhagen: 





In der Stadtijdhen Galerie zu Düfjeldorf 





ferntejten zu treffen. Die Kopie ijt eim echter 
Trübner geworden und erinnert nur im 
Begenitändlichen daran, daß es [o um ein 
Bild von Rubens handelt, Die künftleriiche 
SBerjonlidjfeit Trübners ftand im eng 
Zulammenbhange mit feiner menjchlidhen, wie 
das bei bedeutenden Künftlern immer Der 
all ift. Trübner war niemals, aud) in 
jungen Jahren nicht, ein beweglicher > 
Er bejaß zwar einen großen Gbrgeta, 

auch reidjlid) Joviel *Bblegma. Sinn 
für jchönes Handwerf war ihm — 
Er rührte vielleicht vom Bater her, u⸗ 
welier war, und zwar einer der tiidtigiten 
feines Faches. Deſſen Wunſch ging dapin, 














(na 


I corm m 


ee Ee Wilhelm Triibner $2424243434343€3434343434] 357 





& Studienfopf. Gemälde (1901) A 


daß fein Sohn Wilhelm das gleiche Hand: 
wert ergreifen folte, und damit er es gut 
erlernen fónnte, |djidte er bas junge, blonde 


Biirjhden nad) Hanau auf die Hochichule 
ber Goldjdmiedefunft. Das ließ biejer fid) 
ruhig gefallen; denn er fonnte da ganz gut 
nebenbei jeiner Neigung zum Zeichnen und 
Malen frönen. ls er dann einmal in den 
Ferien nad) Heidelberg ins Elternhaus Au: 
rüdfebrte, brachte er feine heimlichen Ur: 
beiten mit und erreichte Dann Durch bie Für: 
jprade Anjelm GFeuerbads beim ftrengen 
Bater bie Erfüllung feines Wunjches, Maler 


zu werden. Und er hat die Erfahrungen 
der Hanauer Zilelierfchule, Die ihm dort etn: 
geflopte Liebe zu jauberer, jchöner, Hg oe 
tiger Arbeit einfad) auf die Malerei über: 
tragen. Er hatte volles Verjtändnis dafür, 
daß gutes Handwerk den goldenen Boden 
ber Hunt bildet, und [tubierte in feiner 
Jugend aufs eifrigfte bie Bilder ber alten 
Meiſter in den europaijden Galerien in der 
Hauptjache daraufhin, mit welchen Mitteln 
und Farben die Riinjtler der S ll gengen 
ihre Wirfungen erzielt haben. Und er brachte 
aud) feinen Freund Schuch zu Ddiejer Art 


358 M 


der methodischen Unterjuchung, wofür deffen 
Tagebücher Zeugnis ablegen, die angefüllt 
find mit Farbenanalyjen aller möglichen 
alten und modernen Bilder. 
Auch geijtig war Trübner nicht bejonders 
beweglid). Er hat zwar über Kunjt und 
tünjtleriiche Angelegenheit und Fragen er: 
ftaunlic) tiefe Gedanfen gehabt und jie mit 
bemerfenswerter Schärfe und Klarheit des 
Ausdruds in feinen verjchiedenen Schriften 
niedergelegt; aber er war nicht befähigt 
oder vielleicht auch nur zu bequem, jid) 
eiltig in andere Perjönlichleiten zu vertie- 
* ausgenommen, wenn er von anderen 
dazu angeregt wurde. Das war bis zu 
einem gewiſſen Grade in dem erſten Jahr— 
ehnt tel Münchener Aufenthalts der 
all, während welcher Zeit er in intimem 
Verkehr mit geiltig fo Deal en Men: 
Iden wie Bayersdorfer, Martin Greif, Karl 
Schuch, dem jpäteren Galeriebireftor Cijen- 
mann, Du Prel und Ludwig Speidel ftand. 





j Hans Rojenhagen: 


Wilhelm Tribner sees et 


Aus biejem Abjchnitt feines Lebens rühren 
daher auch feine beiten Porträts her, Por- 
träts, in denen er fid) nicht nur daran hielt, 
was feine guten Dialeraugen wahrnahmen, 
jondern in denen auch eine piychologiiche 
SUN jtedt. Man dente nur am Die 
Bildniſſe von Schuh, Martin Greif, Joſeph 
Gungl, Bürgermeilter Hofjmeilter, feiner 
Eltern und feines Bruders! Später, als 
dieje geiltige Wnipannung von außen nicht 
mehr erfolgte, tritt bas Pſychologiſche in 
Trübners Bildnijjen völlig hinter der bra: 
vourdjen Malerei zurüd. Cie erhalten etwas 
Stillebenartiges, zeichnen jid) aber vor an= 
deren Porträts immer nod) dadurdy aus, 
daß fie mit großem Auge gejehen, daß fie 
in Der maleriihen Auffaljung den Schöp: 
fungen der größten Meijter ber Bergangen: 
heit ganz nahe find. 

Wie unverwiijtlid) ftarf und einheitlich 
bie Perjonlidfeit des Malers war, beweiit 
nichts deutlicher als der jcheinbare Bruh 


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Alt im Freien. 


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Gemälde (1898) 


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360 (pSsSsessessessse]] Hans Rofenhagen: Wilhelm Trübner seess zez zl 


in feiner Entwidlung in den achtziger Jab: 
ren. Damals wollte Trübner fid) bie öffent: 
lihe Wnerfennung, bie er mit feinen rein: 
malerischen Leitungen nicht zu erringen ver: 
mochte, durch einen Wechjel des Inhaltlichen 
jeiner Bilder erzwingen. Es war Die Zeit, 
da Bodlin und Piqlhein mit ihren Ken: 
taurenbildern, Munfaczy mit feinem ‚Bol: 
gatha‘ und Guſſow mit feinen realijitichen 
Genrebildern viel bewundert wurden. Mjo 
begann aud) Trübner verliebte Kentauren: 
pärchen, Ofeaniden, Bigantenjchlachten, eine 
Kreuzigung, Theaterjzenen, vergnügte Schu: 
jterjungen, Offigtersburjden mit bem Markt— 
torb und Münchener Wachtparaden zu mas 
len, teilweije in einer feltjam fteifen und 
ungelenten Urt; denn figurenreiche Kompo: 
fitionen lagen ihm eigentlid) nicht. Trog: 
alledem haben diefje Schöpfungen, jo unbe: 
holfen fie viclleicht gegen bie Leijtungen an= 
derer Meiſter wirfen, MWorzüge, Die diefe 
nicht bejiken. Gelbjt in ihren Mängeln nod) 
liegen jie feinen Zweifel übrig, daß be Werte 
eines höchjt talentvollen, ganz individuell 
ıchaffenden Malers waren. Wie unter den 





Bildnis. Gemälde (1876) 


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Händen des Midas alles zu Gold wird, jo 
wurde unter den Händen Trübners, auch 
Die für ihn ungeeignetiten Vorwürfe, gute 
Malerei. 

Merfwiirdig, bod) ganz feiner Beran: 
lagung gemäß war es, daß bie beiten male- 
tijden (Gebanfen Trübner immer nur im 
Angelicht der Natur famen. Ihr jak er 
jtets mit friichen und reinen Sinnen gegen: 
liber. Je weiter er in feiner Entwidlung 
voranichritt, um jo weniger dachte er daran, 
ihr Gewalt anzutun. Hatte er in feiner 
Jugend nod) nad) jdjóner toniger Malerei 
qejtrebt, fo jebte er in Den beiden lebten 
Jahrzehnten feines Lebens die ftärtften 
$'ofalfarben, wie fie bie Wirflichfeit bot, mit 
ungebeurer Kühnheit nebeneinander. Dan 
dente an fein Bildnis des Großherzogs von 
Baden, den er in feiner bli&eblauen Dra- 

oneruniform auf einem Rotfuds vor einer 
bel riinen Parklandichaft gemalt hat, oder 
an Feine Landichaften aus dDiejer Zeit mit 
dem Jonnendurdhalühten Grün, das dem 
Grün der Wirklichkeit an Glanz und Pracht 
nichts nachgibt. Er war eben, um das jdjóne 








(FOST) A01pu1A01  “UIQUG uoa '( (praqaus sDoa?ioQdoig) saq qraldquy ‘SPNG 


eeeegeeeeegeeeeggegeeeeeeeegeesgeesggeeggegegeegggegegggeegegeggggegeegeeeggegeeeeeggggpgeegeggeoeggegeegeeezoacGegegeegeeeegegeggeegeeegegsegegeeeeeeezegegeeegeeegeeeeeeerregegegeeggzgggeseegegeegeeeggeeegem 


>...» 
@eecoceoe 





-—n...nnnnnn.nn. nn nn EEE ERBE RET TER TET ET ERBE FT EO ER TREO TE PTR OO RER ERE EEE EHE OOSOSOOO T E 
Seggeeeeeeeeeeeegeeeeeeegeeegeeeggegegegeeeeeezgssggeesëgrggegeegesssssegggssgeegegeegesegeegessggegeeeeeegeeeeesssesegzeeeeeeegeg 


24 


369 PESSESSESSA Hans Rofenhagen: Wilhelm Trübner seess et 


Wort Leonardos zu 
ge ebrauchen, als 

zünftler ber echte 
Sohn ber Natur, ber 
jeine Mutter von 
Ungeliht zu Ange- 
(idt ſchauen durfte 
und dem fie nichts 
verjagte. 

Die Originalitat, 
das Berjönliche jtet: 
fen bei ihm jedod) 
nicht nur in ber Mrt, 
wie er die Wirklich» 
feit anjah und was 
er aus ihr machte, 
Jondern vor allem 
auch in feiner Mal: 
weile. Wenn man 
jeinegroßzügige Art, 
einen fulttvierten 

Farbengejchmad 
und feine Fähigkeit, 
alle Einzelheiten der 
Natur auf große 
harmonijde Wir: 
tungen zurüdzufüh: ` 
ren, rühmt, fo ift t3 
damit Dod) nur ein 
Teil feiner Runjt hervorgehoben. Das Wun: 
derjamfte an feinen Leijtungen ijt bie höchſt 
eigenartige, ganz perjönliche Malweiſe. Gie 
it von feinen Schülern und von einigen 
Viitgliedern der ehemaligen Künftlergruppe 
Die Scholle‘, wie Büttner, Pub, ja fogar 





Landhaus am Gee. 


von rik Erler nad: 
geahmt worden; 
aber feiner hat ihn 
erreicht, alle haben 
nur eine Mtanier aus 
bem gemadt, was 
bei ibm bod) größte 
Urjprünglichfeit, in 
tuitive Nußerung ſei⸗ 
= at enies war. 

enn er hatte 
nämlich eine ganz 


eigentüm i 

ge Malweile, durch 

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verlieh, doch 

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etwas Mof 

weil fie im E 

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eine feiner Gtarn- 
Gemälde (1911) berger lee Saana- 


Wer Trübners Lebenswert genau fennt, 
weiß, daß aud) er feine Auseinanderjegungen 
mit den jogenannten ‚Richtungen‘ gehabt 
bat. Reine von bielen jebod) bat nermodt, 
ihn aus den Sattel zu werfen. Er made 
jeine Berbeugungen vor der Hiltorien= Der 





Part Knorr am Starnbergerfee. Gemälde (1909) 


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* 


964 ees Hans Rojenbagen: [[253€3434343434343434243435353280 


Benre:, ber Phantafiee und der Hellicht: 
Maleret; aber er blieb dant feiner ftarfen 
SBerjónlid)feit und aud dant feinem Phlegma 
immer Trübner. Er legte fid) jede neue 
Kunſt- oder Mallehre ftets auf feine Art und 
für jeine Gewohnheiten zurecht, und fo war fie 
unter feinem Binjel jdjon nicht mehr das, was 
He fein wollte. Ich perlönlich halte es für 
ausgejchlojjen, daß er durch ben franzöfijichen 
Smprefjionismus zu den hellen, leuchtenden 
und [tarffarbigen Bildern feiner legten Pe- 
riode gefommen ijt. In ihnen Elingt, meiner 
Überzeugung nad), bie Freilichtmalerei aus, 
wie fie in den legten Jahren feines Aufent- 
gs in München betrieben wurde. Man 
ann [fid ja gar nichts GBegenjäßlicheres 
denten als eine Landſchaft von Trübner und 
eine jolde von Monet, und bei einem Ber: 
gleiche würde der Franzoſe wahrhaftig nicht 
gewinnen; denn bie größere phyſiſche Kraft 
unb Gejundheit ijt bet bem beutidjen Maler. 
Was die fpateren Bilder Triibners von feinen 
früheren unterjcheidet, ijt die erft nad und 
nad) erlangte außerordentlihe Kühnheit, 
Sicherheit und Freiheit in der Wiedergabe 
des Lichtes. Kein Mtaler vor ihm und feiner 
neben ibm Bat bie unfägliche Schönheit des 


deutichen Waldes, fein geheimnisvolles Suntel 
und feine jmaragdne E t unter Der Gonne, 
fein Raujchen und feine 


üble, ben [amtnen 


Schimmer bes Moosbodens und bas Mur— 
meln der Quelen |o zauberhaft in Bilder 
gefaßt. Was Trübner zu diejen in imma- 
teriellem Blanze leuchtenden Farben gebradjt 
hat, find, auger den Bildern der alten deut- 
iden Maler, bie Glasmalereien ber gotijchen 
Kirchen, bie er nie genug bewundern und 
rühmen fonnte. 

Obgleich Trübner ein nüchterner, Tor, 
benfenber, allem Überfhwang und phanta: 
itilem Weſen abholder Mann war, [tedte 
dennoch ein Stüd Romantifer in ihm. Wie 


Tiebte und fannte er fein heimatliches Heidel- 


berger Schloß und wie entrüjtet war er, als, 
vor fünfzehn Jahren etwa, jdjnóbe Reftau- 
tierungen daran vorgenommen werden foll- 
ten! Gr griff damals jogleich zur Feder, um 
den Frevel zu verhindern. Es war ein hoher 
Genuk, mit ibm felbjt burd) den alten 
Bau zu wandern, den er nod) in feiner Un: 
beriihrtheit gefannt hatte, und zu hören, wie 
bieles und jenes [rüber aemeleit war. Er 
wußte in ber deutſchen S?tenaijf[ance bejjer 
Bejcheid als mander Runjtgelehrte und war 
ein erfolgreicher Sammler, der viele fojtbare 
und feltene Stüde fein eigen nannte. Bor 
allem liebte er aud) Waffen unb Riijtunge:r, 
bie er eifrig zulammentrug. Der Romans 
tifer in thm hat die Bilder gemalt, die ihn 
und feinen Sohn in ritterlichen Rüftungen 





3 Wusblid auf den Starnberger Zee. Gemälde (1911) & 


SSES EES EES SES) Wilhelm Trübner PSSSSSSSSSSSU 365 


barjtellen. Jörg nannte er feinen Sohn nad 
des 3Berlidjingers Buben, ber [o frijch feinen 
Diut und feine Liebe gum Waffenhandwert 
befennt. Weiß man um diefe romanti[dje 
Neigung, jo findet man jchließlich, bag Bilder 
wie ‚Adelheid und Franz‘, ‚Tilly in der Domi: 
nifanerfirde‘’, ‚Friedrichs des Schönen Ges 
fangennahme in ber Glodt bei Ampfing‘ 
gar nicht jo jehr außerhalb feines Wejens la: 
gen. Auch jeine Vorliebe für das Pferd unb feine 
genaue Kenntnis vom Körper bieles ritter- 
lichen Tieres hingen damit zufammen. Ceit 
Velasquez find nicht 
bejjere Reiterbildnijje 
emalt worden alsvon 
rübner, weil er wie 
jener in der edlen Reit: 
tunjit ein Erfahrener 
war. 
Madhdem es etwa 
um bie Jahrhundert: 
wende gelungen war, 
dem Künjtler einen 
Zeil ber thm gebiih- 
renden öffentlichen An— 
ertennung zu verjchaf: 
fen, gingen jeine alten 
ee nunmehr 
in der Weile unent- 
wegt weiter gegen ihn 
vor, bap jie feine frühe- 
ren Schöpfungen mit 
einem Sale lobten, 
jeine jpätere Tatigfeit 
aber für minderwertig 
erklärten, um dadurch 
den Erfolg Trübners 
bis zu einem gewijjen 
Grade unwirfjam zu 
machen. Mit Dbiejem 
Manöver hatten fie 
eine gange Weile 
Blüd; denn in der Tat 
erreid)ten fie, Daß 
für die Galerien Au: 
nächft nurältere Bilder 
Trübners, deren UAn- 
fauf dem Maler we: 
nige ®orteile mehr 
brachte, erworben wur: 
ben. Erft feit etwa 
ehn Jahren hat fein 
ben fteigender P 
uhm auch die neue: 
ren Bilder des Rünjtlers galeriefähiggemadht. 
Drit allergrößtem Recht; denn fie eben den 
älteren Arbeiten in nichts nad) und eebe 
wenn ihre farben ebenjo harmonifd zuſam— 
mengewadjen jein werden wie die jener, 
vielleicht noch höher gejhäßt werden, weil 
jie die legte Phaſe feiner Meifterjchaft reprá: 
jentieren. Aus eigener, mehr als dreißig: 
jähriger Beobadtung fann id) verlichern, 
daß alle friichgemalten Bilder Trübners 
aud) nicht annähernd die Wirfung aus: 
übten, bie fie nad) einigen Jahren machten. 
Das lag an der Gewohnheit des Künitlers, 








prima zu malen, b. h. bie einmal mit Farbe 
gebedte Fläche unter gar feinen Umjtänden 
nod) einmal mit bem Pinfel zu übergehen. 
(s gab bei ibm fein Zurecdhtftimmen der 
pom durch Ubermalen und Lafieren; er 
— vielmehr beim Malen ſchon 
die ſpätere Wirkung ſeiner Farben und 
ſeines Pinſelſtriches und ließ ſo den augen— 
blicklichen Eindruck, an dem den meiſten 
Malern alles liegt, außer Betracht. Auch in 
dieſer rein techniſchen Angelegenheit offen— 
barte ſich ſeine Meiſterſchaft und ſeine Ab— 


—— 


Geheimrat Prof. Engler. Gemälde (1909). Kä 


fibt, nicht für den ?[ugenblid, jondern für 
die Ewigkeit zu affer. 

Ebenfalls aus eigener Erfahrung fann ich 
berichten, daß es unglaublid) ſchwierig war, 
bas erite Bild Trübners in eine deutjche 
Galerie zu bringen. Gelbjt ber jo fortid)ritt: 
lid) gejinnte Direktor ber National:Balerie 
lehnte anfänglich ab, den Riinjtler in bieler 
Weije auszuzeichnen. Erft als der Maler 
fid) erbot, bei S Hoe Una bes jchönen lo: 
ters auf ber Sjerreninjel im Chiemſee‘ das 
in feinem Beliß befindliche Bild von Hans 
Thoma ‚Schwarzwaldlandichaft mit Ziegen: 


366 Besse Hans Rojenhagen: 


herde‘ ber National: Galerie zum Geſchenk zu 
maden, entjdjfoB Hugo von Tſchudi fid) zu 
dem Ankauf. Der &ünjtler hatte bieles Opfer 
nicht zu bereuen; denn bald folgten andere 
Galeriedireftoren dem Beiſpiele Tichudis, 
und im Laufe von zwanzig Jahren nahm 
die Galeriefabigfeit Trübners einen Umfang 
an, ber dem Maler eine überreiche Genug: 
tuung bot für ein PBierteljahrhundert voll 
SBerfennung und Enttäujchungen. 

Auch darin war der Künltler ein echter 
Deuticher, daß er Freundfchaft und Treue 
hielt. Niemals hat er bie EN feiner 
Jugend vergejjen. Welche tiefe Verehrung 
Dat er Leibl bis über bas Grab hinaus be: 
wahrt, wie bing er an Schuch und Thoma! 
Wie dankbar hatte er Feuerbad in Erinne: 
rung! Und mit welcher glühenden Überzeu— 
gung trat er für die Menjchen ein, die er 
lieb hatte! Wen er als feinen Freund ers 
fannt hatte, für den wirkte er, wie er nur 
fonnte. Er bejap, was bei Künjtlern durch: 
aus nicht immer der Fall ijt, ein jehr bant: 
28 


Wilhelm Trübner seess sl 


bares Herz und vergaß nie, was ein Menſch 
ibm Gutes angetan. Ich hatte feine Ge: 
legenheit, ibn zu feinem ledgighten Geburts: 
We vor der Öffentlichkeit zu beglückwünſchen, 
und doc) |chrieb er mir: „Daß ich bielen Tag jo 
feiern konnte, ijt hauptſachlich Ihr Verdienſt.“ 
Was hatte ich denn getan? Nichts, als da— 
hin gewirkt, daß Deutſchland Trübner als 
einen ſeiner beſten Söhne und Künſtler an— 
erkennen ſollte. In voller künſtleriſcher Kraft 
iſt er dahingeſchieden dieſer Große. Das be— 
zeugen, beſſer als alle Worte es können, die 
köſtlichen Landſchaften der letzten Jahre vom 
Starnberger See, von Stift Neuburg und 
aus Baden-Baden. Das deutſche Volk hat 
allen Grund über Trübners Tod zu trauern; 
denn, wie der Dichter ſagt: 


„Denn Künſtlergrößen löſen ſich nicht ab, 

Wie Schildwacht Schildwacht an des Kaiſers Grab. 
Sn immer längeren PBaufen kehren fie; 

Denn immer fdwerer wird Die Harmonie, 

Bis endlich alle weicht, und der Planet — 

Wie jegt ber Menjch, fein Sohn, vielleicht vergeht!” 


Lefer, bie fid) bes weiteren über bie Runjt Wilhelm Trübners unterrichten wollen, feien auf Hans 
Rofenhagens weitausholende Buch-Darſtellung verwiejen, die, gleich biejem Wuffak aud) mebrfarbig 
illuftriert, als Band 98 ber &nadfupBiden ,Riinitler-Monographien” im Berlage von Bel- 
bagen & Klafing erfdienen ijt. Kurz vorm Tode Trübners ift aud fein Gefamtwert, in 450 einjarbigen 
Abbildungen vereinigt, als Band 26 der „Klaſſiker ber Kunft in Gefamtausgaben” bei der 
Deutihen Verlags-Anſtalt in Stuttgart herausgetommen. Bei ber Würdigung biejer, von Dr. Jof. Mug- 
Beringer herausgegebenen Beröffentlichung ijt — aud) bei der Unvollitändigkeit, Die aus manderlei 
äußeren Gründen nicht zu umgehen war — im befonderen der urkundliche Wert zu fhägen, ber einer 
folden nod) unter den Augen des Kiinftlers entitandenen Zuſammenfaſſung zuzuſprechen iit. 


Inſel im Starnberger See. 





Gemälde (1908) 52 





B^ PARAT TIAE IER 


Senn große prinzipielle Fragen im 
Leben ber Gegenwart in ben Bor: 
WS dergrundtreten,richtet fih der Blid 
ge unwillfiirlid) auf deren frühere 
; " Entwidlung. Gewiß tann uns die 
geichichtlihe Betradtung niemals lehren, 
was wir tun follen; denn jede Zeit hat ihre 
beionderen Aufgaben und Borausjegungen. 
ber fie tann uns den Blid dafür hären, 
welde Funktion umijtrittene Einrichtungen 
bisher für das Gejamtleben erfüllt haben, 
aus welden Bedürfnilien heraus fie ent: 
jtanden find, was an ihnen wejentlich und 
dauernd, was zeitlich bedingt ift. 
Augenblidli nimmt unter allen Proble: 
men des inneren Ctaatslebens die Zujam: 
menjegung der Parlamente das Jnterejje 
am meijten in Wnjprud. Es birgt eine große 
Zahl anderer Fragen in fid) und führt ben 
Betrachter immer wieder auf bie grundlegens 
den Prinzipien alles politijchen Lebens zurüd. 
Faſt alle Parlamente der Jebtzeit find 
nad bem jogenannten Zweilammeriyitem 
aufgebaut. Neben einer aus mehr oder min: 
der allgemeinen Wahlen hervorgehenden 
Bolfsfammer fteht noch eine weitere parla: 
mentarilhe Körperjchaft, die nach einem 
anderen Gejidjtspunfte gujammengejest ift. 
Dieje Erjcheinung ijt um jo merfwiirdiger, 
als Die modernen Parlamente betanntlid) 
durch allmähliche Umbildung oder bewufte 
Umgejtaltung aus den mittelalterlichen Stän: 
Den erwadjen find, diefe aber falt überall 
eine ganz andere Gliederung aufweijen. Auf 
dem ganzen europäilchen Feſtlande waren 
die alten Stände nicht in zwei, jondern in 
drei bis vier gleichberechtigte KRörperjchaften 
geteilt, bie getrennt berieten und beichlojjen; 
erft wenn fie unter fih und mit der Regie- 
rung einig geworden waren, fonnte ein gül- 
tiger ,9Ib|djteb' gujtande tommen. Meeiſt 
bildete die Geiltlichkeit einen Beratungs: 
tórper für ſich; Daneben finden wir den hohen 
und niederen Adel, bald getrennt, bald ge- 
meinjam tagend; ferner die Wertreter der 
Städte und in manchen Ländern aud) die 
der Bauern. Der alte deutſche Reichstag zer: 
fiel vor 1806 in Die drei Kurien der Rurfür: 
Hen, der Fürjten und Herren, und der Städte. 
Die franzöfiichen General|tánbe jeßten fid) 
vor 1789 aus der Geijtlidfett, dem Adel 
und dem dritten Stand aujammen. Nur in 
einem einzigen Lande bejtanb bie heute iib- 
lihe Zweiteilung ſchon im Mittelalter; und 
in der Tat hat von diejem Lande aus und 
unter feinem Einfluß bas Zweikammerſyſtem 













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ut Helchidite und Bedeutung - 
e» egen zen an) 
on Geh. Hofrat frof. Dr Eric; Brandenburg 


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feinen Siegeszug durch bie Welt angetreten. 
Dieles Land tjt England. 

In England gab es [hon feit bem 14. Jahr: 
hundert zwei jtändilche Körperſchaften, bas 
House of Lords und bas House of Com- 
mons, Jn dem er[teren jaB neben dem hohen 
Adel auch bie obere Geiltlichkeit des Lan: 
des; in dem lebteren topen gemeinjam die 
ÜBertreter des niederen Adels, der Gentry, 
nad) Grafſchaften gegliedert, und bie Abge: 
ordneten der zum Parlament durch Be- 
rufung der Krone zugezogenen Städte. Die 
Entjtehung diejer Zweiteilung wird man nur 
aus den bejonderen Borausjegungen der 
englijden Entwidlung begreifen Tonnen, Die 
Snjel war im Jahre 1066 von ben Nor: 
mannen erobert worden; den normännijchen 
Herrichern folgten Könige rein franzöfilcher 
Wbjtammung. Gie blieben nod) jabrhun- 
dertelang ihrer Bildung, Sprade und Ge: 
jinnung nad) Frangojen, Gie bradten ihre 
normännijchen und weitfranzölilchen Betreuen 
mit nad England, gaben ihnen bie Bis- 
tiimer und die großen Lehen und regierten 
mit ihrem Rat. Ihnen gegenüber fühlten 
(id) alle übrigen Gtände des Bolfes als 
Einheit; ber nationale Rik ging mitten bird) 
den Adel hindurd), während bas Bewuft- 
jein ber gemeinjamen angelſächſiſchen 91b: 
jtammung den eingejejjenen fleineren Land- 
abel mit dem jtädtilchen Bürgertum verband 
unb eine jo jcharfe Trennung zwilchen Adel 
und Bürgertum verhinderte, wie fie auf dem 
Feltlande üblich war. Die Zweiteilung bes 
Parlaments bildete hier aljo ben Ausdrud 
und das Ergebnis der jcharfen nationalen 
Zweiteilung der Bevölkerung. Weil in den 
übrigen Ländern Europas Gage Berhält: 
nijje nicht bejtanden, blieb diefe Erjcheinung 
bis zum 18. Jahrhundert auf England be: 
ſchränkt. 

Erſt in der Zeit der Aufklärung und der 
beginnenden Reaktion gegen den überall 
berrjchend gewordenen Abjolutismus begann 
man auf dem Fejtlande die englilden Gin: 
richtungen als Vorbild zu betracdten. War 
bod) England das einzige Land, bas in den 
Berfallungsfämpfen der PR — 
Sahrhunderte bte Rinigsmadt eingujdrane 
fen und ber politijden Freiheit Spielraum 
zu |dajfen veritanden hatte, während fonft 
überall ber Abſolutismus fiegreich geblieben 
war. Der wirffamfte Prophet des Bedan: 
fens von der Muſtergültigkeit der englijden 
Werfajjung wurde Piontesquieu in feinem 
Geijt der GejeBe’. Er war es aud), ber 


368 MESSEN Geh. Hofrat Prof. Dr. Grid) Brandenburg: re ZEZE ZEZA] 


guerjt eine theoretijde Begründung für bas 
Zweikammerſyſtem zu geben verjuchte. Ein 
guteingerichteter Staat, jo führte er in An: 
lehnung an Die politiſchen Denter des Alter: 
tums aus, muß die verjchiedenen politijchen 
Prinzipien in richtiger Mijchung enthalten. 
Im Königtum fieht er bas monardifde, im 
Oberhaus das art|tofratijd)e und im Unter: 
Ce Das bemotratijdje Prinzip vertreten. 

ie arijtofratijhen Kräfte ber Bejellichaft 
bedürfen einer legitimen Bertretung inner: 
halb ber Seil weil fie jonjt mit Na— 
turnotwendigfeit zu Feinden ber bejtehenden 
Ordnung und zu einem Element ewiger Un: 
ruhe und Bedrohung werden müjjen. Ferner 
bildet bie Herrjchaft einer einzigen Verſamm— 
lung nad) Montesquieus An t eine ebenjo 
\hwere Gefahr für die Freiheit, wie die uns 
bejdrantte Regierung eines einzelnen Mens 
iden. Stamentlid) wenn fie durd Wahl aus 
dem Geſamtvolk hervorgegangen ift, bedarf 
es neben ihr eines mäßigenden und zurüd: 
haltenden Elementes, um der Entwidlung 
des politijdhen Lebens die nötige Ruhe und 
Stetigtcit zu geben. Der arijtofratijche Ge 
nat‘ darf allerdings niht ganz aleid)be- 
redjtigt neben ber Bolfsfammer jteben; in 
allen Fragen, bie mit ber Belteuerung zu 
tun haben, darf er nicht mitberaten, Jondern 
muß auf das Redt, gefübrlidje Beſchlüſſe 
zu verhindern, bejchräntt fein. Er tann 
aljo derartige Bejete, welche bie Bolfsfam- 
mer bejdlofjen hat, nur im ganzen anneh» 
men oder ablehnen. 

Auch in biejer Beziehung fnüpft Mtontes- 
quieu an bas damals bereits geltende englijche 
Staatsreht an. In England hatte das 
Unterhaus von Anfang an die Steuern allein 
feitgeltellt und auf die Bewohner verteilt, 
weil ber im Oberhaus vertretene Adel [teuer- 
fret war und daher an biejer Frage gar 
fein Interejfe nahm. Über die Verwendung 
der bewilligten Summen, aber verfügten 
beide Häuſer gemeinjam mit bem Köntgtum. 
Als |páter bie 9Berbáltnijje andere wurden, 
die Steuerfreiheit des Adels fortfiel, blieb 
dieje alte Gewohnheit beftehen. 

Englands zunehmender Mohlitand und 
wadjende Macht wurden damals mit Vor- 
liebe auf die Vortrefflichfeit feiner politijden 
Einrichtungen zurüdgeführt. Montesquieu 
bewies, daß fie den Forderungen ber Berz 
nunft entjprächen. Das praftijdje Vorbild 
und die theoretijde Forderung ftimmten aufs 
befte zujammen. Überall judjte man nad) 
Ginrichtungen, bie den verhaßten Abjolutis= 
mus erjeben und eine gedeihliche Weiter: 
entwidlung bes Staatslebens gewährleiiten 


jollten; bier jchienen fie fid) von felbft zu 


bieten, während bie alten Stände der eigenen 
Lander fid) als ohnmächtig erwiejen hatten. 
Alles Dies zulammen verlieh dem Bedanten 
des fonjtituttonellen Staates mit bejchräntter 
Monarhie und Zweifammeriyitem eine ge- 
waltige Durchichlagstraft. 

In diefer auf engliihem Boden erwach- 
jenen, durch Montesquieus geiltigen Einfluß 


theoretijch gerechtfertigten Einrichtung haben 
wir Die erjte, aber * die einzig mögliche 
yori bes Zweikammerſyſtems vor uns. Wir 
önnen fie als den englijdjen Typus bezeich— 
nen. Das Oberhaus repräjentiert ben arijto: 
fratiichen Teil der Gejelljchaft; man gehört 
zu ibm auf Grund angeborenen Rechtes; 
der König tann zwar neue Bejchlechter dort: 
hin berufen, fie dadurch unter den hohen 
Adel des Landes aufnehmen; aber ftets tjt 
der Sig im Oberhauje, einmal verliehen, 
erbliches tyamiliengut; niemals tann er bem 
einzelnen etwa auf Lebenszeit verliehen 
werden. In der englifden Berfaflung der 
legten Jahrhunderte ift bas Beburtsprinzip 
zwar nicht ganz ftreng feitgehalten worden; 
Die Bilhöfe und die höchſten Rihter des 
Landes gehören ihm fraft ihres Amtes an, 
jolange fte dies befleiden; und ber Adel ber 
|páter in ben NReichsverband eingetretenen 
Gebiete Schottlands und Irlands wählt 
nur Vertreter in bejchräntter Zahl, die teils 
lebenslänglich, teils nur auf bejtimmte Zeit 
Mitglieder find. Aber unter den etwa jeds- 
hundert Lords, die das Haus gegenwärtig 
aufweilt, find nur fiebenundfiebzig *Berjonen, 
die nicht kraft erblichen Rechtes in ihm figen. 
Und daran, daß der König feine Peers auf Le- 
benszeit ernennen darf, ijt alleninderungsver: 
Iden gegenüber —— feſtgehalten worden. 
Man Bet bielem Typus feine Herkunft 
aus ber vorrevolutiondren Epoche Deutlich 
an. Er hat etwas Altertümliches und Ebr: 
würdiges, ignoriert aber völlig bie Tatjache, 
daß ber Grundadel in der modernen Welt nicht 
mehr bie joziale und wirtichaftliche Bedeu» 
mog befigt wie in früheren Syabrbitnberten. 
don am Ende des 18. Jahrhunderts 
erjcheint daneben ein zweiter Typus, der 
jeine erjte Ausprägung in Amerika gefunden 
bat. Jn den auf demokratiſcher Grundlage 
erwadjenen Gemeinwejen der Neuen Welt 
gab ee feinen hohen Adel von derartiger 
Macht und derartiger gejellichaftlicher Bor: 
zugsitelung wie in Altengland. Aber mit 
dem gejunden praftijdjen Sinn des Angel- 
ſachſen erfannten aud) die Wmerifancr die 
großen Vorzüge einer Teilung der Bolfsver- 
tretung in zwei Häujer; das Prinzip der 
gegenfeitigen fiberwadjung und Beſchrän— 
ung jollte gewahrt bleiben; aber einen ari[to: 
fratiihen Charatter jollte bie an bie Stelle 
bes Dberhaujes zu Jegende Körperjchaft 
nicht haben. Wie folte fie aljo beichaffen 
jein? Mian fam, dem ganzen Charakter der 
amerifanijden Gemeinwejen gemäß, auf ben 
Gedanfen, aud) fie aus Wahlen hervorgehen 
zu laſſen. 


— Die Bundesverfaffung der Bereinigten 


Staaten von 1787 ging von dem Gedanfen 
aus, daß in einem Bundesjtaat gleichberech: 
tigter Glieder nicht nur das Bejamtvolf ein 
Recht auf Vertretung im Parlament habe, 
jondern auch ber Cingelftaat. Daher bes 
timmte fie, daß der Senat aus je zwei Ber: 
tretern aller Einzeljtaaten ohne Rückſicht 
auf Größe oder Bevölkerungszahl bejtchen 


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BESSSSHEHFFET Zur Gejdidte und Bedeutung der Erften Kammern BZZ 369 


folle. Ihre Wahl wurde ben Parlamenten 
ber Cingelftaaten übertragen und follte jtets 
auf jedjs Jahre erfolgen. Um wählbar zu 
fein, mußte man mindeitens dreißig Jahre 
alt, neun Jahre Bürger der Vereinigten 
Staaten und Bewohner desjenigen Ctaates 
fein, den man vertreten follte. Beide Haus 
fer haben gleidye Rechte; die Finanzgeſetze 
tommen zuerjt an bas Reprajentantenhaus, 
fonnen aber vom Genat verbejjert werden. 

Das Prinzip, daß im Senat die einzelnen 
Teile des Ctaatsgebietes ihre Wertretung 
finden follen, ericyeint am ſelbſtverſtändlich— 
Hen für ben Bundesitaat; aber es tit feines: 
wegs nur dort durchführbar. Auch die Vers 
fajjungen mander amerifanijder Einzel— 
taaten — wie diejenige von Maſſachuſetts 
(1780) — beruhen darauf, wenn aud) bier 
nod) ber (runbbeji& als unterjcheidendes 
Merfmal hingutritt. In Europa ift diefer 
Typus vornehmlich in Franfreid) zur Wn: 
wendung gelangt. 

Als Franfretd) nad) dem Ausbruch ber 
großen Revolution daranging, jid) eine neue 
Berjajjung au geben, jchwebte wohl den 
meijien gunddjt das englijche Muſter vor. 
Über es war praftijd unmöglich, es zum 
Borbild zu nehmen Gin arijtofratijches 
Oberhaus hätte fid) ja aus den gejchworenen 
Feinden der Revolution zufammenjegen müſ— 
fen; ibm einen erheblichen Einfluß einzus 
räumen, wäre politiidjer Gelbjitmord ges 
wejen. Co entjdjieb fid) bie fon[tituierenbe 
Jiationalperjammlung für bas Eintammer: 
Ver Das Anwadjen ber demofratijden 

ejtrebungen in den nádjiten Jahren fonnte 
die Neigung zur Einführung eines arijtofras 
tilden Oberhauſes nur nod) weiter herab» 
drüden; daher berubte jelbjtverjtändlicd) aud 
die jafobinijde Berjajjung von 1793 auf dem 
Einfammeriyitem. Dann aber führte die bin: 
tige Seit der Schredensherrichaft zu ber prat: 
tiihen Erfahrung, weldje furdtbare Gefahr 
[er die Freiheit in ber Tyrannei einer einzigen 

erjammlung liegen fonne. Die gebildeten 
und bejigenden Elemente, bie bas Syatobiner: 
regiment gejtürzt hatten, führten in Der 
Verfaſſung von 1795 bas Zweitammeriyitem 
ein. Die Feindſchaft gegen Adel und Kirche, 
die 2n te beherrichte, ließ freilich bas eng: 
liſche Syſtem ebenjowenig anwendbar er: 
icheinen wie vor jedjs Jahren. Man griff 


daher zu einem gewählten Genat, wie in 


Wmerifa, wich jedoch in den Einzelheiten 
jtarf von bem amerifantiicher Syitem ab. 
Der Rat der Alten‘, beitehend aus 250 Mit» 
gliedern, erhielt nicht bie volle Gleichberech— 
tigung mit bem ,GejeBqebenden Körper‘ von 
500 Abgeordneten. Er durfte niemals ein 
Geſetz zuerjt beraten, jondern bie Bejchlüjje 
der andern Rammer nur en bloc annehmen 
oder ablehnen. Inſofern ſtand er jchlechter 
da, nidjt nur als der amerifanijhe Senat, 
fondern auch als bas englijde Oberhaus. 
Dagegen erhielt er bas Recht, bie Sigungen 
bes Parlaments an einen andern Ort zu 
verlegen. Der Rat der Wlten wurde von 


genau demfelben Wahltörper gewählt wie 
der Rat der Fiinfhundert; wählbar war je 
bod) nur, wer nidjt unter AN Date alt 
und entweder verheiratet oder Witwer und 
mindeitens fünfzehn Jahre auf bem Gebiet 
ber Republif wohnhaft war. Im Gegenjaß 
zu Amerifa erjhien alfo der Senat nid 
als Vertretung der lofalen und provingiellen 
Intereſſen, fondern der älteren, erfahreneren, 
bepädt oeren, im Bolfsleben fejter veranfer- 
ten Schichten. 

Ziele Verfaffung hat nur vier Jahre be: 
ftanden. Nach bem miBalüdten Experiment 
mit einem Dreifammerfyitem in der Kon: 
julatsverfajjung von 1799 und ber Zeit 
bes napoleonilchen Raijertums erhielt Frank: 
reich 1814 eine Berfajjung, die jid) jcheinbar 
dem englijdjen Vorbild anjdjfop, in Wahr: 
heit aber einen neuen, dritten Typus des 
Zweikammerſyſtems barjtellte. Die ,Pairs: 
fammer‘ folte nämlich bejtehen aus den 
Mitgliedern des königlichen Hanjes und 
einer unbejtimmten Anzahl, vom König nad 
Belieben auf Lebenszeit oder erblid) ernann: 
ter Mitglieder, Neben Geburt und Wahl trat 
bier als drittes mögliches Prinzip der Zujam: 
menjegung bie föntgliche Berufung, Ste blieb 
in Frankreich maßgebend bis 1848; auf ber: 
Kai Grundlage ruht die italienijche Ver: 
ajjung und die Berfaffung des zweiten 
franzöliichen &aijerreid)s von 1852. 

Dagegen kehrte Franfreid) nad) dem Sturz 
Napoleons III, wieder au bem amerifanijchen 
Syitem zurüd. Die VBerfajfung von 1875 
beitimmt, daß der Senat aus 300 Mitgliedern 
bejtehen foll, von denen 225 in den einzelnen 
Departements und Kolonien von einer 
hierzu bejonders berufenen Berfammlung 
auf neun Sabre gewählt werden. Dieje fegt 
fid) im wejentlicyen aus den Gelbitverwals» 
tungstörpern diejer Bezirke gujammen, fo dah 
die lofalen Intereffen bei der Wahl ftart 
zur Geltung tommen. Der Reit von 75 Mit: 
gliedern follte anfänglid) von der National: 
verjammlung gewählt werden; diefe Be: 
ftimmung ift jedoch [pater aufgehoben wor: 
den. Der Senat ijt ber Deputtertenfammer 
vollitändig gleichberechtigt; ber Prälident 
ber Republif darf die leBtere nur mit feiner 
Suitimmung auflöjen. 

Die hier kurz gejchilderten Typen ber 
Alone un unb Rompeteng der erften 

ammer fehren mit allerlei fleinen Abwei: 
dungen in den Verfaſſungen der übrigen 
Lander wieder. Wir bejchränfen uns hier 
darauf, ihre Erjcheinungsformen in Deutjch: 
land nod) etwas genauer ins Auge zu fallen. 

Bon den ältejten beutid)en Berfajlungen 
lehnt fic) bie banrijde von 1818 eng an den 
——— Typus von 1814 an; nur iſt 

as €rnennungsredjt des Königs infofern 
bejchränft, als er zu erblid)en ‚NReichsräten' 
nur adlige SFideitommißbejiger ernennen 
darf, deren Grundvermögen eine bejtimmte 
Steueritufe erreicht. Berde Kammern find 
gleichberechtigt. Die badijche Verfaſſung von 
1818 ruht auf derjelben Grundlage, tennt 


370 (eb. Hofrat Prof. Dr. Erih Brandenburg: BSSsseseessa 


aber neben den vom König ernannten Mit: 
zliedern ber erften Rammer nod) geborene 
titglieder (Prinzen und Etandesherren), jo- 
wie joldje, bie es kraft ihres Amtes oder 
bird) Wahl find; nämlid ben Landesbijdof, 
wei Vertreter der Univerfitäten und adt 
— des grundherrlichen Adels. In 
Württemberg (1819) findet fih nur eine er: 
hebliche Abweichung: dak nämlich die Zahl 
ber vom König erblid) oder lebenslanglid 
ernannten Wtitglieder den dritten Teil ber 
übrigen Mitglieder (Prinzen und Ctanbes: 
herren) nicht überjteigen darf. Zu ber glei: 
den Gruppe gehört aud) die ſächſiſche Bers 
fajfung von 1831, nur daß bier das Bes 
tufungsredt des Königs eingejchräntt ijt auf 
ehn lebenslanglid) ernannte Nitterguts= 
hebber und feds ftadtijde Bürgermeiſter, 
während die erjten Bürgermeilter der beiden 
alien Städte kraft ihres Amtes Mitglieder 
er erjter Rammer find. (QGigentümlid) ijt 
Gadjen bie Beftimmung, daß bei einer 
Meinungsverjchiedenheit beider Kammern 
über eine Regierungsvorlage, wenn ein Bere 
(ud) gütlidjer Einigung Icheitert, bie Bor: 
lage als angenommen gilt, wenn nicht in 
der ablehnenden Rammer zwei Drittel der 
Stimmen dagegen find. In dem hannover: 
iden Staatsgrundgeleg von 1833 ijt bas 
Ernennungsredt bes 
geichräntt auf Majoratsbejiger mit bejtimmt: 
tem Ginfommen, zwei Geijtliche und vier 
weitere Mitglieder, von denen eins auf 
Lebenszeit ernannt werden tann, Die übrigen 
nur für bie laufende Situngsperiode. 

Der große Revolutions/turm von 1848 
brachte überall das ältere Verfaſſungsrecht 
ins Wanten. Bon den damals neuentitans 
denen Brundgeiegen fieht bas öſterreichiſche 
einen Cenat vor, ber aus den lóniglid)en 
Prinzen, einhundertfünfjig von ben be: 
deutenditen Grundbefigern gewählten Ber: 
tretern und beliebig vielen vom Kaifer 
el Lebenszeit berufenen Mitgliedern bes 
itebt. Dagegen geht die am 4. März 1849 
vom Raijer oftroyierte, 1851 wieder aufge- 
bobene zweite öjterreichiiche Verfajlung zum 
amerifanijcdben Typus über, indem fie ben 
Landtagen der einzelnen Kronländer das 
Recht gibt, das Oberhaus auf zehn Jahre 
gu wählen. Überhaupt zeigt bie unter Dem 

rud der Revolution einjegende Bewegung 
einen deutlichen Zug mad) biejer Richtung. 
Die deutſche 9tetd)sverfajjung der Pauls: 
firche wollte ein Ctaatenbaus nad) dem 
Mufter bes amerifanijdjen Cenates einfub: 
ren, bejtehend aur Hälfte aus gewählten 
Wertretern ber Einzellandtage, zur Hälfte 
aus von ben Regierungen ernannten Mit: 
gliedern. Die preußilche oftroyierte Verfaf: 
lung vom 5. Dezember 1848 fah eine erjte 
Rammer von 180 Gliedern vor, bie durd 
die Provinziale, Bezirks- und Rreisver: 
tretungen gewählt werden follten. Ähnliche 
Beltimmungen wurden damals in bie mei: 
ften eingelftaatliden Grundgejege aufge» 
nommen. 


önigs ebenfalls eins ` 


Nah dem Scheitern der Revolution jest 
überall eine entgegengele&te Strömung ein. 
Comeit bie Verfajjungen niht ganz bejei- 
tigt wurden, wie in Öjterreich, wurden [ic 
rücdwärts revidiert; bie Beitimmungen über 
bie Zujammenfegung ber eriten Kammern 
wurden mit geringen Beränderungen jo wie: 
derhergeitellt, wie fie bis 1848 beftanden 
hatten. Am bedeutjamften war es, daß aud 
in Preußen diefe Richtung völlig zum Siege 
gelangte. Die Berfajjung von 1850 fah nod 
eine aus verjchiedenen Beltandteilen ge: 
mijchte erfte Rammer vor: neben den tö- 
niglichen Prinzen und CtanbesDerren jollter 
vom König auf Lebens-eit ernannte Mit: 
glieder figen, jebod) folte ihre Zahl den 
zehnten Teil jener erbliden Patrs nicht 
liberfteigen. Außerdem follten aber neungig 
gewählte Vertreter ber S5ódj|tbeitenerter und 
dreißig von den GBemeinderäten gewählte 
Bertreter der größeren Städte ihr angehö— 
ren. Nach englijdjem Borbild wurde ber 
eriten Rammer bei Finanzgefegen nur bas 
Recht zur Annahme oder Ablehnung im 
ganzen zugebilligt. Durch bas Geje& von 
1853 wurde aber dem König bas ausſchließ— 
lide Recht gegeben, die Zufammenjegung 
ber eriten Rammer zu bejtimmen. Er madte 
im folgenden Jahre davon Gebraud, indem 
er fie in das ‚Herrenhaus‘ umwmandelte. 
In ibm fien wieder aus erblidem Recht 
die Prinzen, Standesherren und erblid) be: 
rufenen Broßgrundbeliger; ferner von be, 
ftimmten Grundbejigerverbänden, den Unis 
verlitäten unb einer Anzahl von Städten 
prüjentierte' Mitglieder; endlich eine be: 
liebige Anzahl vom Könige auf Lebenszeit 
berufener ‘Berjonen. Nur in bem Präſen— 
tationsredt der erwähnten Rorporationen 
ge fid) ein Reft bes ur[prünglid) geplanten 

ablredjtes erhalten. 

Ale Veränderungen, bie feitdem an ben 
deutjchen Berfaflungsbeitimmungen über bie 
erften Kammern vorgenommen find, betref: 
fen nur Einzelheiten und haben weder deren 
Zujammenfegung nod) deren Rechte im 
Prinzip verändert. Tas neue Deutjche Reich 
bat bas Einkammerſyſtem dent wobl 
jind aud) in ber Seit ber 9tetd)sgrünbung 
verjhiedene Plane zur Errichtung eines 
NReichsoberhaujes aufgetaucht; fie find aber 
daran gefdeitert, Daß eine befriedigende 
Stellung einer ſolchen Körperjchaft neben 
Bundesrat als der Vertretung der verbün: 
deten Regierungen fih niht finden Lief. 
Daher ift das Problem ber Geltaltung der 
eriten Kammern heute nur für die Einzel: 
ftaaten von Bedeutung; bier aber bejigt es 
eine außerordentlich große Wichtigkeit. 

Wenn wir uns fragen, ob die Gründe, 
bie zur Annahme bes Zweikammerſyſtems 
in den meilten Staaten, aud in allen deut» 
Iden Einzelftaaten, geführt haben, nod) heute 
ihre Berechtigung befigen, jo wird fid) das 
laum beftreiten laffen. Die Bevölterung 
eines Rulturlandes bildet aud) heute nod) 
feine einheitliche, gleichartige, ungegliederte 


EE Zur Gejdidte und Bedeutung der Erjten Rammern EBBSSA 371 


Maffe von einzelnen, wie es bie Demofratie 
ets möchte, jondern ein reichgegliedertes 
p[tem. QAltüberlieferte Unterjdyiede in Be: 
fig, Anſchauungen und Xebensweile, neue, 
infolge ber raptden wirtjchaftlichen Entwid: 
[ung  eingetretene fogiale Berjchiebungen 
liedern das Bolt aud) heute in eine große 
nzahl verjchiedenartiger Gruppen, bic eine 
jehr veridjiebene Bedeutung für bie Bejamt: 
heit haben. Se jtürfer in ber Entwidlung 
der legten Jahrzehnte bie Tendenz hervors 
getreten ift, bei ber Gejtaltung des Wahl: 
rechts zur zweiten Rammer von allen biejen 
Unterichieden abzujehen und alle einzelnen 
Staatsbürger als fo[dje mit dem gleichen 
Stimmredt auszuftatten, dejto größer wird 
die Gefahr, bal diejenigen 9Bolfstreije in 
ihrem politijden Ginflug zum Nachteil des 
Ganzen zurüdgedrängt werden, deren Bes 
deutung nicht auf ihrer Zahl, fondern auf 
ihren geijtigen und materiellen Leijtungen, 
nicht auf der Quantität, jondern auf der 
Qualität beruht. Man tann gewiß an fih 
darüber ftreiten, ob es nicht richtiger und 
praftijcher wäre, nur eine Rammer zu haben 
und in ihrer Zujammenjegung die Gliede- 
rung des Bolfes zum vollen Ausdrud tommen 
zu lajjen. Da aber bie Entwidlung überall 
einen anderen Bang genommen hat, und 
da bas allgemeine gleiche Wahlrecht fid) ba, 
wo es einmal eingeführt ijt, unmöglich wies 
der bejeitigen läßt, fo bleibt im Intereſſe 
eines gejunden Ctaatslebens fein anderer 
Ausweg übrig, als neben bie ben Maſſen— 
willen repräjentierende zweite Rammer ein 
anders geartetes Gegengewicht au ftellen. 
Die jchwierige Aufgabe der Gegenwart ijt es, 
die eriten Kammern fo zu geitalten, daß fie 
diejen Swed aud) wirflid) erfüllen Tonnen, 
ie mir [djeint, ijt dazu eine poll[tánbige 
Bleichberechtigung beider Kammern erforder: 
(ih. In England Bat man in den lebten 


Jahren vor dem Kriege bem Oberhauſe feine 


frühere Stellung faft völlig genommen, ins 
bem man es in ber gejamten Gejekgebung, 
nicht nur in Sinansfranen auf bas Redt 
beichränft Bat, einen autjchiebenden Einfluß 
yu üben. Die enticheidende Snftang ijt jest 
allein das Unterhaus; es fann über jeden 
Einjprud der Lords glatt binmeageben. Im 
Begenjag dazu will man in Preufen bas 
Borredt der zweiten Rammer in Finanz— 
fragen bejeitigen, falls dort das allgemeine, 
an Wahlrecht zur Durdfiihrung gelangt. 
tiefem Gtreben liegt das richtige Gefühl 
ugrunde, daB das Zweikammerſyſtem 
nnlos ift, wenn jchließlid) bod) eine Ram: 
mer allein entjcheivet. Wud) in den oroben 
Republiten — Amerifa und Franfreid) — 
iind beide Häufer einander gleichberechtigt. 
Borausjegung dafür ijt freilich eine Zuſam— 
menjegung ber eren Kammern, bie ber Deu: 
ECH Gliederung ber Gejellidjaft entipricht. 
ährend im 19. Jahrhundert überall ge: 
waltige joziale Verjchiebungen ftattgefunden 
Haben und das Wahlrecht zur zweiten Ram: 
mer Durchgreifend verändert worden ift, 


haben die erften Rammern diejenige Form 
behalten, bie fie in Der o vorwiegend 
agrarijdjer Geftaltung bes Wirtjchaftslebens 
unb einer entiprechenden Schichtung der Ge» 
jellichaft erhalten hatten. Cie find in den 
alten Formen erjtarrt, während ringsum 
Neues entítanben ijt. Aber wie fol man 
bie notwendige VBerjüngung bewirfen? Goll 
man dabei am Prinzip ber Geburt und ber 
erblichen Beredhtigung fefthalten oder Die 
lóniglidje Berufung oder — die Wahl 
zur Grundlage ihrer Zuſammenſetzung neh— 
men, oder ſoll man alle dieſe Möglichkeiten 
nebeneinander zur Anwendung bringen? 
Wenn man als oberſtes Ba im Auge 
behält, denjenigen Gejellichaftsgruppen, bte 
einen bejonderen Wert fiir die Gejamtheit 
beligen, gegenüber bem rein mechanijchen 
Prinzip der Zahl eine Vertretung zu Jichern, 


jo bietet bie Grblidjfeit der Sige dafür eine 


ſchlechte Garantie. Die Schichten, deren 
Bertretung gewährleijtet werden fol, Tonnen 
dann niht ihre beiten Leute fenden, jonbern 
der Zufall ber Geburt ift allein ent|d)eibenb. 
Die Berufung durd) bie Krone führt zur 
Bevorzugung folder Perjönlichkeiten, von 
denen der Herricher eine Unterftiigung feiner 
augenblidlichen Abjichten erwartet. Wenn 
ihr feine Schranten gezogen find, —— 
ſie eine willkürliche Umgeſtaltung der Mehr— 
durch den ſogenannten ‚Bairsichub‘. 
[ber aud) die Wahl hat manches gegen ſich. 
Es ift außerordentlich jchwierig Lët beitim» 
men, nad) meldjem Prinzip bie Wahltörper 
zulammengejegt werden follen. Die Ber: 
tretung der lofalen Berwaltungstörper, bie 
anz andere Aufgaben haben als der Staat, 
äßt fic) taum mit jadhlichen Gründen recht: 
fertigen. Gibt man jold)en Gruppen, Die 
Hid) burdj Beli, Bildung, Alter heraus» 
heben, das Wahlrecht für die erjte Rammer 
und läßt ihnen zugleich dasjenige für Die 
zweite, fo jchafft man ein Doppelwahlredht, 
was immer feine Bedenken hat. Greift man 
auf die Berufsgruppen zurüd, wie es heut 
in Deutjchland vielfach vergeichlagen wird, 
jo erheben natürlich alle Berufe Anſpruch 
auf Vertretung, und es ift eine völlig un: 
lösbare Aufgabe, einen Maßſtab für bte ge: 
rechte Verteilung der Sige zu finden. | 
Es ift hier nicht ber Ort, Vorjchläge für 
eine praftijde und den EE Der 
Gegenwart entjprechende Lojung zu machen. 
Nur auf die bijtoriid)en Vorausjegungen und 
—— der Aufgabe ſollte hingewieſen 
werden. Die Löſung zu finden iſt Sache 
der praktiſchen Staatsmänner. Möge es 
ihnen gelingen, eine neue, den heutigen |o: 
zialen Verhältniſſen ent|predjenbe Alan 
menjetung der erjten Rammern durchzufüh: 
ren. Dann werden fie neben die bisherigen, 
heute jämtlich veralteten Typen eine neue, 
deutjche Form parlamentarijher Macht: 
perteilung ftellen Tonnen, Die anderen Böl 
fern ebenjo zum Vorbild zu werden vermag, 
wie in früherer Zeit bie Gintidtungen Eng: 
lands, Ameritas und Frantreids. 


Gin Rundlauf 
C Cosi eon Änfelma Heine 





ilibald Quenfel Iiep das Auto 
halten. Er hatte in feinem Bä— 
deter von einer Burg gelejen, 
bier in der Nähe von Wieran, 
die zum Rauf geboten wurde. 
Gin altes Tiroler Ndelsgefc)lecht hatte da 
drei Dienjchenalter hindurch in großer Bradt 
und €ujtbarleit gehaujt, bis fein Reichtum 
zu Ende ging. Als dann fein Bauer mehr 
liefern, fein Jude mehr borgen wollte, fiel 
die ganze Herrlichkeit an die anbjdjaftss 
gemeinde, Die ihre Gerichtsbarkeit darin 
einrichtete, jchließlich aber, ba den beleibten 
Ratsherren der Aufitieg dort hinauf zu 
miibjam wurde, bie verjtaubten Alten wieder 
ke zur nahen Rreisftadt, im 
urgichloß bte wohlerhaltenen Gemächer des 
Rofotofliigels an reide Fremde vermietete, 
die mittelalterlid) weiten Gale aber bes 
älteften Burgteils zu Heinen Wohnungen 
einrichtete für die Armen bes Tals. bas 
Dialer famen mandmal hinauf, nijteten fi 
in dem nod unverjehrten Wachtturm ein 
und [tellten ihre Staffeleien in den Burghof. 

Alles das reizte den jungen Mann, der 
joeben, hübjch, lebensgierig, kunſt- und liebes 
gejättigt und mit einem Geheimnis im Her: 
zen aus Stalien fam und nun auf dem Heim: 
wege gern mod) ein bißchen Luft einjam: 
melte. Get fah er die Burg. Gie ftand auf 
einem fablen Hügel jenjeits der f'anbjtraBe 
und bes Flüßchens. Ihre laubumwmadjenen 
Mauern und Türme vermittelten warm zwis 
jhen den weit den Berg hinauffletternden, 
grauen Edjindeldächern bes armjeligen Tals 
Dorfes und den gelbleuchtenden, hohen Ges 
birgsichroffen. 

Willibald Quenſel fchlüpfte aus feiner 
Telzd.de heraus. Cin bißchen fröjtelnd, 
Es war nod früher Herbjt, er aber verwöhnt 
Durch bas italieniid)e Klima. 

Langſam und genieplid) jchritt er über bie 
fonnenwarme Brüde am Ufer entlang, das 
von rotbefrüchteten Ebereichen eingefaßt war, 
Es rod) nad) Brombeeren, Pilzen und Tanz 
nennadeln. Laubbdume, jchon rot gefärbt, 
webten raujchend. Mun ftieg er den fteilen, 
zwiſchen Geroll getretenen fad hinan, den 
man thm — hatte. Moos und Un— 
kraut wucherten in den Vertiefungen des 
— Hier und da Reſte behauener 

teine. Einmal eine kopfloſe Gipsfigur. 

Die Burg hatte ſich eine Weile geduckt, 
um bald wieder emporzuwachſen. Und nun 
hob fie fih jchlant ihm entgegen. Er jab 
geborjtene Torbogen, jcheibenloje Fenfter, 
einen Eäulengang ohne *Rebedung, wilder 
Wein wogte wie ein hellroter Vorhang 
über bie Wiauern, eine Zugbrücde ftand 
halben Leibes über bem ganz verjchütteten 





n 
Gum 








und vergrünten Graben. Zwei runde Baum: 
ftamme dienten an ihrer Stelle zum Stege. 

Im Burghof bot jid) ein überrajchendes 
Bild. Mitten unter der ftrengen Herrlich: 
feit von Bogenhallen, Renaijjancegtebeln 
und — — ſteinerne Merkzeiger der 
Zeit, die über das Schloß hinweggegangen 
iſt — breitete ſich ein buntes und doch arm— 
ſeliges Durcheinander von Ziegen, Kindern, 
Schweinen, Hühnern, Katzen, Hunden und 
erboſt ſchwaßenden Weibern. Säuglinge 
weinten, Knaben brüllten, Kinderwindeln 
hingen am Akazienbaum und an ben Rofen: 
büjchen. Ein äußerjt mirtiames Gegenipiel 
von Pracht unb Vernachläſſigung. Ein klei— 
ner, mutiger Cpi& wollte dem Eindringling 
an die Hojen, wurde aber durch eine bar 
tige Frauensperjon zurüdgerufen, bie heran: 
tam unb fic) als Pförtnerin auswies. Gie 
holte denn aud, ohne groß zu fragen, ein 
Bund müdjtiger Schlüſſel herbei, und Wil: 
libald fonnte bie wundervolle Dedenwölbung 
des Nitterjaales genießen, bie fid) in gar: 
tejter Berdjtelung zu Säulenſchäften nieder: 
jenfte. Zu feinem heftigen Berdrug aber 
bewegte fih unter Ddicjer Rojtbarfeit unbe 
hindert ber Hauptviehbeftand der kleinen 
Gemeinde bier oben, mubte, mederte und 
bübte, wieherte, gaderte und [tanf jedes 
nad) feiner Eigenart. Der Banfettjaal nun 
gar, der höher lag, war völlig verunjtaltet: 
mit Schalwänden in eine Reihe fleiner Ge 
lajje geteilt, in denen die bedürftigen gm 
milien ſchmutzig und perbrojjen thr Welen 
trieben. Ein paar ftumpfe Mite oben im 
Halbduntel einer 9tijdje beilammen, die starb: 
fede ber Durdjonnten Blasfeniter auf ihren 
Belichtern, die leichenblau und blutigrot ge: 
tupft jchienen. Willibald war erleichtert und 
bald völlig bingerijjen, als die Führerin 
ihn endlich zu dem Rofofojliigel der Burg 
führte, ber augenblidlit) ganz [cer Honn. 
Da war kojtbarjtes Bebäu und Gerät nod) 
wohlgefügt beijammen. Willibalds Hand 
trih fenneri]d) und bewundernd über das 
edle Gemajer der Tijche und [djmeidjelte fich 
zärtlich über die kunſtvollen Schnißereien 
und Umriffurven der Bettpfolten, Schränte, 
Türen und Truhen. Er fragte die Bärtige 
nad) bem Preile der ganzen Beligung, ber 
jo niedrig geltellt war, daß unwiderſteh— 
lich in jeinem wünjchereichen, noch durch 
feinen WBideritand erjchredten Herzen die 
Idee auftauchte, Burg und Umring zu fei: 
nem Beliß zu machen. 

Als er wieder im Auto fab, weich in feine 
Deden eingewidelt, bewegte er diefe Bor: 
telung eifrig bin und ber. Konnte er fih nicht 
ein Erbteil jhon jest EB EN lajien ? 

Und nun tauchten ihm die Bilder jeines 





Elternhaujes auf, in bem er jebt wieder zu 
game fein folte. Wud) ganz frühe Bilder. 
r jab fid) etwa fiebenjährig, hübſch in 
braunen Gammet gefleidet, mit blonden 
Roden über bem Spigentragen, neben jeiner 
immer ein wenig jeufzenden Mutter am 
Fenſter ftehen und auf ben Holzplag Dim: 
unterjehen, auf dem jein Vater lang, bager, 
in Sembsármeln gwijden den Zimmerleuten 
fand unb mit feinem langen Bleijitjt bans 
tierte. Ganz anders fah er aus, als 
oben in den Zimmern. Da war er immer 
im guten Wnguge und ging porjidjtig zwi: 
iden ben Nippesjchränfen umber, nichts um: 
jumerfen. Da unten aber hatte er eine laute 
Stimme, ging rajh und fräftig und griff 
aud) jelber einmal zu. „Der langbeeniyte 
Ni nannten ibn bie Leute, weil er 
eral war unb unvermutet dreinfuhr. 

Der kleine Willibald liebte ben Holzplab. 
Und jegt nod, da in feinem dahinjaujenden 
Auto, meinte er wieder, den liebbefannten 
jäuerliden Gerud) geichälter Stämme zu 
atmen. Gchien die Sonne heiß, bann tonn: 
ten fie jo wundervoll nad) Rien und Bienen 
duften, ganz wie im Sommer. Herrlidy) war 
auch bas Bligen, Schnarchen und Kreiſchen 
der Säge, bas Bräufch der fallenden Plan: 
fen. Und es war ihm immer ein grauen: 
volles Entzüden gewejen, mit anzujehen, 
wie bie Axt tiefe Wunden in das leid 
des Baumes bDieb, das hell und unaijbór: 
(id bebend zu atmen jchien, jo daß man 
denten konnte, es leide Schmerz. Das Rind 

at bann immer eine tiefe Zärtlichteit ges 
fühlt und unausjpredlidhe CEbrfurdt vor 
biejem entzweigten und entlaubten Geheim= 
nis der Natur, bas feine majejtätijche Nadts 
du jo ftolg unb ftumm dem Menjdenauge 
injtredte. Cine Zärtlichkeit, wie er fie fur 
bie vollgrünen Bäume des Waldes nidjt 
hatte. Denen fonnte er lächelnd und Dod): 
mütig die Rinde entlangjtreiden: „Ich weiß 
alles von euch.” — 

Draußen begann jett langlam bie Dam: 
merung Tal und Ferne zu verjdjleiern. Der 
Chauffeur fies ab und zündete die Auto» 
fichte an. Dann ging es weiter. Willibald 
Duenjel lehnte fic) zurüd. Morgen früh 
ihon würde er zu Hauje jein. — — — 

Holzhändler Quenjel hatte ganz flein an» 
gefangen. In bem Hauje, bas ihm heute 
gehörte, waren feine Eltern Portier ges 
melen. hinten im Hof im Keller. Später 
hatte man ihm, ber zu einem Tijchler in 
die Lehre fam, oben auf dem Boden eine 
Dadfammer angewiejen, und als er endlich 
als Zimmermannsgejelle eine wohlhabende 
Böttcherstochter heiratete, war er in das 
dritte Stodwert hinaufgezogen. Schließ— 
ih, ba er WMeilter wurde, fein Wohl: 
jtand fid) mebrte, fing er einen Holz: 
handel an und erwarb die große Wiefe bin: 
ter dem Haufe als Lagerplag. Da ftarb 
jeine Grau. Ron allen Kindern, bie fie ihm 
tm Laufe der Jahre geboren hatte, lebte nur 
Otto, ber altejte Sohn. Der war bereits 


SH 9Injelma Heine: 


Ein Rundlauf BSSS3SSS3334 373 


in Rußland, um dort bie Sjolgeintáufe für 
den Bater zu überwachen, als der nun Fünf— 
igjährige wieder heiratete. Geine neue 
rau war ein blutarmes, adliges Fräulein, 
das im Haufe eines Gejchäftsfreundes fran: 
Ke Unterricht gab, in deren hodmutige 
tagerfeit und pregibje Wlanieren er jid) 
jah verlicbte und beren Hiljlojigfeit thn 
rührte. Aus ihrer hofinungslojen Luge Der: 
aus nahm fie jeinen Antrag an uno [djal: 
tete fortan mit ber Miene emer beleidigten 
Königin in feinem Hauje. $Xuenjel war ihr 
zuliebe in die zweite Etage ibergeyedelt. 
Da ging fie umber, unruhig und unguyries 
den, tte te bie Jlippes auf ihrem Schreiotiſch 
um und wieder um, jtäubte jie ab unb pupte 
blanf, was nur irgend Doan jid) eignen 
wollte. Zulegt aud) nod) die Bildernagel 
und bie Hajpen bes Klaviers. Der flee 
Wilhelm war ihr eingiges Kind. Als er 
in die Schule fam, nannte fie thn Willibald. 
Sn feinem vierzehnten Jahre tat jte ibn — 
der Vater gab ihr hierin völlig freie yand 
— ein paar Eijenbahnjtationen entjernt in 
ein vornehmes Snpitut, wo er mit ben Goh: 
nen von kleinen Wodligen und höheren We: 
amten fih auf einen ‚jtandesgrmaßen Ber 
ruf vorbereiten follte. Offizier ober Diplo: 
mat wünjchte jie jid). Er jerbjt zeigte wenig 
Ehrgeiz, lernte leicht und arbetiele wenig, 
las alles, was ibm in die Hände tam, dia) 
tete, malte und ımponierte jeinen Wittjaylis 
lern durch allerlei Talente, femen Leyrern 
aber gar nidjt unb blieb daher in man: 
den Klaſſen figen. ls ibn aber der 
Vater nad) dem Freiwilligenexamen vom 
Gymnajium nehmen und tn fein Geſchäſt 
bringen wollte, widerjeyjte er fid) aus auen 
Kräften. Er bewies, mit nod) etwas mutie: 
render Stimme, vom Beifall der bewundern: 
den Mutter unterjiügt, dem Water aufs 
flarjte, daß feine, Wiliibalds, Aufgabe niwt 
jet, mit Werttagsarbeit fid) Geld au ver: 
dienen, ba ja der Vater genug und reidjlid) 
gujammengebradt babe fur pe alle, jondern 
er fühlte es als jeine Wiijjion, ben Yereriag 
wieder einzuühren in bas Leben der Wien: 
iden. „Hohes und Gropes” wollte er jaf: 
fen, rief er im Gijteltone aus. „Der per 
armten Welt den Glauben an die Freude 
zurücterobern, die WMenſchheit erlöjen, Die 
lic) jo hartnädig an den Alltag tlammire 
und nichts Bejjeres verlange“ — bier uhr 
feine Stimme wieder in hoble Tiefen hinab 
— „als unterzugehen in ber Wieren, aus: 
blidlojen Arbeit.” — „Warum madjt bu zum 
Beilprel nicht längſt Feierabend, Papa? 
bod) nur, weil bu niemals gelernt haft, bid) 
mit irgend etwas anderem zu bejcyäftigen 
als mit der Arbeit.” 
„Nee, bas habe ich nicht, ba haſte recht, 
Wilhelm,” jagte ber Bater geduldig. 
Willibald aber fuhr ergieherijd fort: „Ich 
habe über dieje Dinge ernjthaft nadjgedadt, 
Papa, und ich fage bir: bas Wort Glüd 
muß wieder lebendig werden im Bewußiſein 
der Menjcyen, nicht als Zufälliges und Ber: 


374 Anſelma Heine: I 


ponines; bas man betradjtet als etwas, 
as einem gs gufommt, weil man glaubt, 
nur für bie Pflicht ba zu fein. Weißt du, 
was Nietzſche jagt?“ 

Der alte Duenjel wußte es nicht. 

„Er jagt: Freiheit fid) [djajfen und ein 
heiliges Nein aud) vor der Pflicht, dazu bes 
darf es des Löwen.“ 

r fġüttelte fein weiches, blondes Haar. 
Gr tam fid) wie ein €óme vor. „ch weiß 
nicht, ob bu mid) verftehlt, Papa?” fragte er 
nachlichtig. | 

Der Alte nidte. „Du willft bein Geld 
leben,“ jagte er dann troden. 

Die Mutter brüdte Willibald bie gai: 
Cie fand Papa unbeid)reiblid) ordinär. Willi- 
bald lächelte verjóbnlid). ie hätte er aud) 
bem guten, alten Manne mit jeinen alt: 
mobijdjen 9Inidjauungen die modernen Ideen 
flarmaden fónnen! Er jab auf bas ge: 
[ra magere Geficht, aus deffen Luft- 

raun die Augen Hein und jehr hell hervor: 

blidten. Liebenswürdig legte er beide Arme 
um den Hals des Alten und küßte ibm die 
Wange. — 

Willibald wurde auf dem Gymnaſium gee 
laffen bis zum Abiturientenexamen, bas er 
Ihließlich aud) ganz gut bejtand. Freilich 
erit nad) feinem einundzwanzigjten Geburts: 
tage. 

Inzwilchen war Otto Quenfel nad Haufe 
guriidgefehrt und bem Bater mit feinem oe: 
wiljenhaften Fleiß eine erwünjchte Gite 
geworden. Er heiratete bie Tochter eines 
reichen Vidbelfabrifanten, und das große ver: 
Ihwiegerte Gejhäftswejen wirkte aufs gün- 
Itigite zurüc auf bie fid) immer weiter aus: 
breitenden Unternehmungen des alten Quen: 
fel, bie bet aller Solidität einen genialen 
Zug aufwielen. Go war denn Willibald 
vorerft entlajtet und fonnte feinem Water 
die Erlaubnis und bas Geld abjdmeideln 
ix ein llniverjitáts|tubium. Gegen den 

unjd) feiner Mutter, bie ihn zum Juriſten 
machen wollte, hatte er Runjtgejchichte ge: 
wählt unb als Gtudienorte Florenz und 
Rom. Zwei Jahre blieb er in Stalien, 
ihidte viele Bilder, bie er getauft hatte, 
nad) Haufe, Skulpturen, Bronzen und ſonſt 
ſchöne Beweije feines ſammleriſchen Fleipes, 
id)rieb [ange Tagebuchbriefe an bie Eltern, 
für jpäter zum Drud bejtimmt, die Willi: 
balds Mutter bet allen Freunden herum: 


zeigte. — 

B eg BB 
Die Freude war groß über ben Heims 

gefebrten. 


Die Prutter führte thn jogleid) mit Wichtig: 
feit in die Beletage. Bei feiner Abreije 
war fie nod) vermietet gewejen. Jet [tanb 
das ganze Haus zur Verfügung der Familie 
Duenjel, und die Dlutter hatte fiir Willibald 
ein luxuriöjes Schlafzimmer, WnfletdDegimmer 
und Atelier hergerichtet. Nun war er als 
Riinjtler abgejtempelt. Alle Bilder, bie er 
jemals gemalt hatte, waren pietätvoll auf 
Stafjeleien aufge[tellt, eine Gliederpuppe 





ftrecite gefpenftijd bie Arme nad) ibm aus, 
malerijde Draperien hingen an ben Wan: 
den. Frau Duenjel umarmte den Sohn. 
„Damit bu fiebjt, id) unterjtüge Deine künft: 
leriichen Beitrebungen.“ Dann zeigte fie ibm 
nod) das ,Herrengimmer', mit bem fie ihren 
Mann beglüct „datt, Da war über der 
Tür ein großer Ritterichild aufgehängt und 
über einem fellbededten Lager Waffen aller: 
art; der ganze Raum mit harten — 
ken und — ſtilvoll beſtellt. 

Der alte Quenſel blinzelte ſeinen Sohn 
ſchlau beiſeite. „Ich ſitze nicht mehr ſo 
gerne dritter Klaſſe.“ Und er nahm ihn 
mit hinauf nach dem Speicher, wo er ſich 
ſein früheres Lehrlingsſtübchen wieder eim: 
p hatte, mit jeinem alten, tintenbe: 
leiten Schreibpult, einem breiten 9toBbaar: 
jofa, auf dem Schlummerrolle und Kiffen 
Bingen: „Nur ein Bierteljtündchen“, bie ihm 
eine erjte rau geftidt batte. Ein Bold: 
ſchglas ftand auf bem Tijch, unb die Wände 
waren bepflajtert mit ben verblaßten Photo: 
rapbien feiner Familie. Hier randjte er. 
as die Zeitung unb fühlte fid) wohl. 

Willibald ertappte fid) darauf, daß er m 
fait um Diejen Zufludtsort beneibete. 
hatte fih darauf gefreut, alles bier wie 
früher zu finden, Menjchen und Dinge un: 
verrückt, wie auf ihn wartend. Nun war 
alles verändert. Unzufrieden jab er aus 
dem SFeniter hinaus, vor bem fih je5t an 
Stelle bes Holzplages ein Ziergarten aus» 
jtredte mit Teppichbeeten und Palmengrup- 
pen. Gelbjt die Straße hatte ihr vertrautes 
Rorjtadtwejen abgelegt, war verbreitert, bic 
meilten Häujer Durch anipruchsvollere erjegt 

Rater $1uenjel hatte fih feinen Schlafrod 
angezonen, auf bas gelichtete Haar eine 
runde Hausmiige gelebt und raudte. „Ja, 
ja,“ ſagte er philofophiid, „das bat alles fr 
lei. Wäſen.“ 

Willibald fniff ein Auge zu und betrad- 
tete bas leitlid) bejonnte Behagensbild. ‚Ein 
echter Biedermeier,‘ dachte er. Aber er Dachte 
es zärtlid und hatte feinen Bater lieb da: 
bei. Da aud) der Alte ibn mit Wohlge: 
fallen anjah, war er |djon im Begriff, ibm 
lein Gejtändnis abzulegen, ging aber dann 
bod) lieber hinauf zu Stiefbruder Otto, der 
jegt mit Frau und Söhnen in bem dritten 
Stodwerf bes Quenſelſchen Haufes wohnt: 
und der von jeher eine — Bewunde- 
rung für Den talentvollen und jorglojen 
Jüngſten des Haujes zeigte. 

Er fand ihn in Zeichnungen und Bered: 
nungen vertieft, während jein Rleinfter am 
Fenjter faB und ein Gedicht für bte Schule 
lernte, laut, mit predigthafter Betonung 
Goethes „Wandelnde Glocde”. 

Gs war ein Kind, bas wollte nie 
Bur Kirche lid) bequemen.“ 

Bald faken die Brüder auf dem Gofa, 
tranfen Mein, raudten und Willibald er, 
zählte. Er tat es lebhaft und ein wenig fab: 
rig. Endlich ſchwieg et, „Die Hauptjache ift,” 
jagte er dann fleinlaut, „ith bin verheiratet.” 





n hats b eg ins 
tie peat oe Saute en 
plärrte das Rind. 

Und nun erfuhr der Bruder, Willibald 
habe fic) auf Capri befinnungslos in eine 
der [dónen Gteinträgerinnen verliebt, Die 
dort erhobenen Hauptes und mit ben Schrit- 
ten von griedjijd)en Böttinnen Die Stein: 
laften vom Meere nad) der Inſel hinauf: 
befördern. Und da ihre Gunjt nicht anders 
zu gewinnen gewejen, habe er fih, mündig, 
wie er ja war, zur Trauung entichlojjen. 

„Und Sonntags fand es ftets ein Wie 
Den Weg ins Feld zu nehmen.“ 

Debt befand fic) bie junge Fiametta 
Quenjel in einer Mailänder Erziehungs: 
anftalt. Willibald zog ihr Mliniaturporträt 
aus ber Tajche. Es war von einem gefdid: 
ten italieni]jdjen Riinftler gemalt und jtellte 
ite bar als [trablenb anmutige Falfnerin. 

Was nun zu tun fei? fragte er ver: 
trauend, 

Der gute Otto fagte fein Wort. Er hielt 
das [djóngerabmte Bild [ange und bebut: 
jam zwijchen feinen breiten Händen. Dann 
feufgte er. 

er Kleine lernte: 
„Die Mutter fpridt; bie Glode tönt 
Und fo ijt’s bir befoblen 
Und bont bu bid) nicht bingewóbnt, 
Sie tommt und wird bid) holen.“ 

„Sit fie nicht ſchön?“ fragte Willibald 
alübenb. 

Otto nidte, „Aber deine arme Mama,“ 
fagte er dann. „Die ganze Stadt wird bar: 
über reden.“ 

Willibald madte ein tugendhaftes Ge: 
fibt. „Was benfjt du bir, ich will fie bod) 
natürlid) nicht hierher ins deen bringen. 
Bewahre, nein. So naiv bin ich nicht. Und 
darum — habe id) mir etwas ausgedacht, 
das in unfer aller Snterejje liegt.“ Und er 
begann von der Tiroler Burg zu reden. 

„SH babe mir gedacht,“ Tate er — ob: 
gleih ibm bas in bielem Augenblid zum 
erften Male einfiel — „man könnte großen 
Nugen aus der Burg ziehen, etwa einen 
Luftturort ba oben machen. Dente bod, 
wie belucht ber fein würde. Und weißt du, —“ 
ber heftige Wunſch zu überreden, gab ibm 
immer Neues ein — „Lit deinen Schwieger: 
vater wäre da oben bie reine Fundgrube. 
Stelle bir vor: bie herrlidften Möbel aus 
dem 16. bis 18. Jahrhundert. Und Bauern: 
möbel in bec Umgegend foviel bu willſt. I 
jelbjt würde große ?Beftellungen bet eu 
machen, um die Säle wieder jtilgemäß ein: 
guridjten. Stühle * ich geſehen!“ Er 
nahm einen Bleiſtift aus der Taſche und 
zeichnete auf das weiße Tiſchtuch. „Und 
oben im Bankettſal Debt ein Tijd) —!“ 
Wieder zeichnete er. 

Otto Le lachverftändig auf bas Damalt: 
tud). „Man müßte darüber mit Papa reden,“ 
lagte er endlich gutmiitig. 

„Du beiter Kerl,“ Willibald flopfte ibm 
dankbar bie Wangen. Er ftand auf, von 
feiner Geligtcit emporgetrieben. 


j Ein Rundlauj 


(6B33333:388S3sesed 375 


„Und wenn ich dann da oben mit meinem 
Ihönen £iebdjen fige, bann weiß id) erit, 
wozu bie ganze Beldverdienerei hier unten 
mit Schuften und Sparen gut ijt.” Er lachte 
[róblid) auf. 

„Ste tommt und wird bid) Holen” 
jagte bas Rind. — — — 

Frau Quenjel wurde beinahe ohnmadtig, 
als jie von Willibalds heimlidjer Ehe erfuhr. 
Der Bater Iadjte. Zum erjtenmal erkannte 
er fic) jelbjt in feinem Jüngjten wieder. Er 
bejprad) es mit Otto, daß ber nad) Tirol 
reijen und fid) bie Sache anjebn folle. War 
der Preis nicht zu hod gegrijien, To hatte 
Papa gegen den Kauf nichts einzuwenden. 
Denn er mujte nur zu wohl, daß er feinem 
Neftling nichts abjchlagen fonnte. — 

Nachmittags mahte Willibald einen langen, 
einjamen Spaziergang. Er fprach erregt Ge: 
dichte vor fih bin und fühlte fih als ein 
Grlejener, Dann ging er zum Fluß hinunter 
und fuhr mit einem der [jdjmalen Kähne 
zur Ctabtpart-Sinjel hinüber, die mit bunteln, 
runden Bäumen unbeweglid) dalag. Wm 
Ufer, bie Pappelallee durcyjchreitend, bie 
mit ihren Ianggejtielten, unaufhörlich zittern: 
den Blättern jchon herbſtlich troden mur: 
melte, mußte er pliglid) an die nadten 
Stämme auf des Baters früherem Holzplaß 
Denfen, bie unter dem Beil jo ftolz gelitten 
hatten. Er befam Luft, den friidjen fäuer: 
then Gerud) des gefällten Holzes wieder zu 
fpiiren; wieder zu fühlen, wie er damals 
fühlte. 

Er ging über bie Schiffsbrüde ber Alt: 
ftadt zu, durch winflige (Gallen und Häufer, 
Durdichlupfe, bie er von Kind her kannte. 
egt ftanden da bie — und 
Werkſtätten, die ſeinem Vater gehörten, 
dahinter lag fein neuer großer Zimmerplag. 
Er öffnete das Holgtor und trat ein. Die 
Sägen bli&ten, fdnardten und freijdjten, 
mit Dumpfem Schlag fielen bie Planten zu 
Boden, von den geltapelten Brettern flogen 
bie Hummeln auf, die ba am Harz geriijjelt 
hatten, und über den nadten Stämmen, Die 
auf der Erde hingeftredt lagen, zitterte rofig 
die Morgenjonne, wie über lebendes Fleifd. 

Er [tano eine Weile und atmete Rind: 
Heitserinnerungen. Die Gonne blenbete, fo 
daß er nur unbeutlid) den langen, Diirren, 
alten Arbeiter jah, der in Hemdsärmeln 
und Halsihal an einem Brett herumban: 
tierte mit weitausholenden, gewaltfamen 
Bewegungen, bie |pärlichen Haarjtrahnen 
flogen dem Alten um den Kopf herum. 

„Bapa!“ Willibald befam Herzklopfen 
vor Mipbilligung. „Aber Papa, was madft 
du denn?“ Er trat näher an ihn heran. 
,Celbit Handanlegen, das haft bu dod 
wirklich nicht mehr nötig, Papa, bas ſchickt 
fih faum nod) für dich.“ Zu feinem Ärger 
hörte er feine Stimme, wie es ibm mand): 
mal bet (rregunaen nod) gejdjab, zum 
&inberbistant umjcylagen. 

Der Vater jah ihm flüchtig in das junge, 
erzieherijch gefaltete Geſicht. „Das if nun. 


376 1Y Unfelma Heine: IBARRE IZZZA 


eben mein Pape Er fügte weiter. In 
bas Achzen und Quietſchen des Holzes hinein 
jagte er dann nod): “olsen ajjen bringt 
Glod. mein Gunge. Du báltit ja immer [os 
viel anf Glück.“ (fr lachte váterlid). 

Wilibald jab ibm mod) eme Weile zu. 
Sn einem fonderbar zwieſpältigen Edam: 
gefühl. Er ſchämte fih fiir Papa, dag er 
lid) hier wie ein gewöhnlicher Arbeiter hins 
telte und jchämte fid) zu gleicher Zeit auch 
für fic) felbjt, weil er Lo ploglid als 
Müßiger und Wnmagender fühlte. Zu guter 
Legt aber ſchämte er jid) am meiften Diejer 
Edam, befann jid) zur rechten Zeit auf feine 
Pringipten und hielt fid) feit an ihnen. Co 
jagte er denn ſchließlich lájjig zu Papa: 
„Für den, der feine anderen Jntereffen hat, 
mag das Holzanfajjen vielleicht ſchon Gliid 
bedeuten. 3d) aber — id) interejjiere mid) 
nicht mehr fo febr fiir Holz. Für mid) ijt 
es nur eine liebe Rindererinnerung.” 

Dem Alten [tieg das Blut gu KRopfe, er 


lachte auf. „So, du interejjierit bid) nicht 
für Holz? WUusgezeichnet! Als ob das 
Holz bid) banad) fragte. Nee, mein Söhn: 


hen” — und er legte ibm feine braune 
adrige Hand auf die fiinftlerijde Sammet: 
joppe — ,babernad) gebt's nich. Das Holz, 
das fommt fdon ganz von felber mit bir 
mit. Ganz von jelber. Ob du willft oder 
nicht. Der Menih,“ jet hob er die Hand, 
wiirdig, prophetenbaft, „der Menſch wird 
eboren zwijchen Holz, fofern er nämlich in 
jeiner Mutter Bett zur Welt fommt, und 
er friecht aud) wieder hinein ins Holz, wenn 
er ausgelebt hat. Unterwegens da [ibt er 
auf der hölzernen Schulbanf, aud) am Kneip— 
tiſch, mig: liber ben Tanzboden, Holz, alles 
Holz. Nee, nee, Wilhelm” — er hatte Däi 
an das Willibald nie gewöhnt — „lerne du 
nur beizeiten Dart Holz bohren, fonit kriegt 
du dcin Yebtag nichts zuſtande. Holzanfajjen 
bringt Blüd, das hat jhon fo fei Wajen.” 


— — — — — —— — — — — — — — 


Es waren die letzten Worte, die Willi— 
bald von ſeinem Vater hörte. Als er ſpät 
abends von einem Zuſammenſein mit ſeinen 
— nach Hauſe kam, erfuhr er, den 
Alten habe draußen auf dem Holzplaß ein 
Herzichlag getroffen. Tot hatte man ihn in 
jein Haus gebrad)t. 

8 8 88 

Wilibald erftes Jahr als Burgherr zeigte 
durchaus nicht jenes lächelnde Feſttagsgeſicht, 
das er fid) erträumt hatte. Der Kauf war 
gut erledigt, bie JL ieberberftellungsarbeiten 
im Gange, aber bas jd)óne €iebd)en, bas hier 
oben felig mit haufen jollte, fam nicht. Cie 
war, da fie cin Kind erwartete, jehr gegen 
Willibalds Wunſch nach 
Eltern zurücdgefchrt und wenige Woden 
nad) ber Geburt des Kleinen mit dem 
Dialer, der damals thr Porträt gemacht und 
dabei wohl ihre Schönheit allzuwohl erfaßt 
hatte, nad) Baris entwichen. Das Kind 
batte fie guriidgelajjen. 


Capri zu ihren- 


Willibald brachte das —— kleine 
Bündel ſeiner Mutter, die in ihrer Witwen— 
einſamkeit ſich des kleinen Pfleglings freute. 
Er ſelber aber hockte verſcheucht unb grüb: 
leriſch in bem alten Wachtturm, ben er [jid 
als Sinterimsaujentfalt Ieiblid) wohnlid 
hatte machen lajjen unb [ab melandjoliid 
hiniiber nad) ber Burg, in ber ein Heer von 
Gefdajtigen ben Blütenbehang von dem 
alten Gemäuer rig, daß es nadt und ehr: 
würdig [tarrte. Er jab, wie Geriijte aufge: 
Ichlagen wurden, Steine und Hölzer aufge 
Bun und hörte ben betäubenden Lärm der 

rbeit. Um dem Gerdujd) und dem Staub 
zu entgehen, war er D den ganzen Tag 
unterwegs, jtöberte die Umgebung nad) 9IIter: 
tümern aus, faujte die Bauernhdujer leer 
und bejuchte Trödler und Unterhändler in 
den benachbarten Städten. Allmählidy madhte 
ibm dieje — * Freude, ſein Körper 
dankte für die reichliche Bewegung in der 
Luft, der er ſich bei jedem Wetter unterzog 
er wurde breit und männlich und mand 
mal, wenn er die Leute da beim Bauen [o 
geld)meibig Klettern, jo frajtpoll tragen jab, 
liberfam ihn eine ungeduldige, rein körper: 
liche Tatfraft, bie er fid) bod) jelbft nicht 
recht eingejtehen wollte, War er bod) Der 
Herr, der Qeijtermen]d), der Führer, bet 
(id) zu bewahren hatte fiir bas Jdeale. 

Abends dann, wenn der Bau in Rube 
lag, fab er lange einfam am Turmfeniter und 
ſpürte in bie Finſſernis hinaus, bie von ben 
Geriidhen von Schutt und Cteinjitanb und 
vom Duft gefällten Holzes wundervoll WÉI 

ogen wurden. Und wenn er das leije 

aujchen hörte, bas die Nacht ihm braite, 
meinte er bas &reijen der Säfte zu ver 
nehmen, bas in ben toten Stämmen wieder 
aufwache und rede. 

Oft aud) famen bie Ardhitelten, Maler 
und Steinmegen, bie er hierherberufen hatte. 
Man beugte fid) über Pläne und Rechnungen, 
jprad) über Kunft und bejab Willibalds 
Sammelmappen. — 

Gr jelbjt wandelte fid) allmählich, ohne 
das zu merfen, vom Genteßenden und Wn: 
ordnenden zum Lernenden, er fonnte bald 
einfac an der Art des bearbeiteten Holzes 
genau die Gnt[tebungsaeit des Wertes beur: 
teilen. Und trieb er das zuerjt als eine Art 
von belujtigendem Sport, fo gewann er ſchließ— 
lid) ein jo ernites, ja leidenichaftliches Syn 
terejje an dem Gegenftande felbjt, daß er 
feine Mühe fcheute, bie ihn tiefer und völ 
liger in das Wejen nicht nur bes einzelnen 
Gejchaffenen, vielmehr des Cdjaffens jelber 
eindringen lich. Suleft war feine 3Bbantajie 
jo ganz erfüllt von ben Formen, mit denen 
er fi unausgejegt umgab und bejdjüftiate, 
dak fie ihm aleid)jam tiberquoll zu eigenen 
Entwürfen, bie er unter feinen Augen aus: 
führen ließ. Gem liebjter Aufenthalt wurde 
die große Tijchlerwerlitatt, bie er im Burg: 
fried hatte einrichten [ajjen. Auch machte 
er fid) mit den DJnftrumenten und Hand: 
griffen dort befaunt und erprobte fid) mand): 


""*"9"99909€99099099099*909999900909909099999*9909900999999970090900099900090000900*0990090*9^^^^^"^^909*900999000900^0000009009000000000000€ 


Gemälde von Wilhelm Fahrenbrud 


Wm Brunnen. 





SSSSSSSSSSES SS SSS SSSSSSSSSES FSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSOSSSSSSEISSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSS SSSSSSSSSSSSSSSSSSSSLCESSSSSSSESS 


..o...„.ssn.n..........un................020000000000007000020000000000900000009090909006900000000 EBDSSESESSSSSSSSSOSSSSSSSESSSESSESSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSESOSSSSSSSSSSSSSSSSESSSSSSOSSCSSSSSESEESESESSESSESESE 


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mal bei ber €Bieberber[tellung eines Liebs 
linasgerätes. 

Co verging die Zeit. Zulegt war bie 
ehemalige Cilhouette der Burg, bie man 
aus alten Bildern fannte, aufs glüdlichite 
wiedergewonnen. Vian widmete fidh bereits 
der inneren Wusftattung. Ta gab es tag: 
lich neue Entdedungen, überall tamen über: 
gipite Herrlichfeiten an Fresken und Schnit— 
ereien zutage, Namentlich ber Bantett: 
gue periprad) ein Rulturdofument erjten 
Ranges zu werden. Jede diejer Gntbedungen 
und Überrajchungen aber lodte, ja verpilid): 
tete zu immer neuem Forſchen, immer neuem 
SRieberber[tellen. Das Geld lief wie Wajjer 
burdj Willibalds Hände. Dafür häuften 
fid in den Kellergewölben, in denen Die 
in der Burg auigefundenen Gadjen unter: 
geitellt waren, wahre Schäße an. Mand: 
mal nadjts, wenn Willibald nicht jchlafen 
fonnte, ſchlich er fih mit einem Laternchen 
hinunter in die Keller, leuchtete bald diejem 
Ihönen Altertume ins Bejicht, bald jenem, 
jtrid) liebfojend über Gäulenichwellungen, 
Schnißreien und gebaudjte Formen. Heim: 
lid), wie ein Liebhaber vom Stelldichein 
urüdhujcht, ftieg er dann wieder hinauf in 
Fein einjames QTurmzimmer. 

Und die Burg wuchs und wuchs, fegte 
Türme an und Zwilchenflügel, dehnte fid) 
über den Hof hinüber jenjeits bes Burg: 
grabens zu Wirtjchaftsgebäuden und Stallun= 
gen. Manchmal tam jie Willibald vor wie 
ein [chönes Tier, bas man jung und herren» 
Ios in jeinen Beſitz gebracht Dat unb bas 
num Hof wird, gefräßtg und eigenwillig und 
uns bedroht. s famen Stunden, in denen 
er die Burg verwiinjdte. Aber Otto half 
und riet. Gr leitete des Bruders Anſtalten 
auf den Weg geichäftlicher Unternehmungen, 
beredete ihn eine ſyſtematiſch betriebene 
Nachbildung ber ſchönſten alten Ctüde ein: 
guleiten. Er hatte im Zorte unten ein paar 
geihidte Handwerker gefunden, bet denen 
die alte gute Handwerfstradition des Mit: 
telalters nod) nicht erlojchen war, Die leitete 
er an, ließ jie Ausbejjerungen vornehmen 
und ſchickte ein paar ber jüngeren nad) 
SUtündjen in die Runjtgewerbejchule. 


& E PR 

Im Frühling bes fünften Jahres gab 
Millibald Guten jein Einzugsfelt. Er hatte 
ur Feier ein Feſtſpiel gedichtet, bas er im 
Burghof von Cdjaujpielern aufführen ließ: 
‚Burg Feiertag‘. Es war ſymboliſch. Seine 
Mutter, in prächtigem Renaiſſancegewande, 
ftellte Frau Freude dar, er jelbjt war König 
Teiertag, das Söhnchen, Fortunato getauft, 
Jop auf einer feinen, blumengejchmücten 
Empore und nahm die Huldigungen Der 
Dorfjugend entgegen, bie als Pagen gefleidet, 
$Rofenfránge im Haar, fiir jedermann Wein 
und Früchte umberreichten. Kleine Mädchen 
führten Tänze auf und jangen. Bom Turm 
Iáutete bie (Gode. Cine Fahne mit dem 
Mappen von König Feiertag — eine rots 
blühende, bornenloje große Rofe — wehte 


Belbagen A Klajings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2 Bd. - 


Ein Rundlauf BESSSeeseesssA 377 


am befrangten Tore. Es tamen viele ‘Fremde, 
ren, Œs war wie eine Wallfahrt. 
„Tie Wallfahrt nad) der Freude” fagte Willis 
bald in feiner Anjprache, bie er, fein Söhn— 
den im Arm, vom Goler aus hielt. 

Das Felt wurde in allen Zeitungen bes 
Jprodjen, Willibalds Perjon, von ber Aureole 
eines romantijdjen Liebesjdidjals umwoben, 

ab bald dem ganzen Tal und weit darüber 
Findus Stoff zur Legendenbildung. Man 
pilgerte zur Burg hinauf, fah, bewunderte 
und blieb, da ber Burgherr großartigite 
Bajtfreundjchaft übte, gerne droben. or 
allem [nd Willibald fih Riinfiler ein. Er 
hatte den einen Flügel der Burg ganz „den 
Unfterblichen“ gewidmet, dort faken Dichter, 
Maler, Gelehrte und &unitliebDaber, jogen 
an der Vergangenheit und freuten jid) der 
Gegenwart. Abends verjammelten bie Aus» 
ermáblten jid) bann im NRitterjaal. Der 
Burgberr jpielte bie Laute und fang, andere 
[oigier. an nahm bie fojtbaren Gewän— 
er aus den & ruben, verfleidete jid) und ließ 
in Bers unb Profa feiner Phantafie freien 
Lauf. Die Gajtgimmer füllten jid), in ben 
MWirtichaftsgebäuden wurde gefocht unb ge: 
braten nad) Seren al, die Ställe jtanben 
voll 9tu$: und Reittieren — die alte Luft: 
barfeit und Pracht war wieder aufgewacht 
in der Burg, ganz jo wie Willibald jid) bas 
erträumt batte. 

Da war aber etwas in ihm, bas nicht 
ganz zufrieden war mit Diejer Erfüllung. 
Das Blut feines Baters in feinen Adern 
revoltierte gegen die Berjchwendung ringsum. 
Und |o gab er ben Worjtellungen feiner 
Mutter, pen Vorſchlägen feines Bruders 
nad: Aus dem Gansfouct wurde ein Gajt: 
205, ein Paradies für Menjchen, bie der 

analitát der üblichen Luftturorte entgehen 
und für ihr Gelb Poejie haben wollten. Es 
wurde das, was Willibald damals feinem 
Bruder vorgefabelt hatte, um ihn bem Burg: 
lauf williger zu jtimmen. 

Wher Otto $3uenjel war flug genug, feinen 
Bruder nie daran zu erinnern. 

Es hatte dem jungen Burgherrn nicht an 
Tröjterinnen gefehlt, bie fid) feines verwits 
weten Zuftandes annehmen und gern Burg» 
SEET werden wollten. Aber Willibald 

rachte es nie recht über ein unverbindliches 
Betändel oder eine weiche, läjlige Hinneigung 
heraus. Überhaupt war es jeltjam, daß er 
all bieles Feierhafte, bas bod) fein Lebenss 
ziel gewejen, nur mit halben Cinnen pers 
anjtaltete und genok. Manchmal fam er lich 
vor wie nur zu (Got ba oben. [ibera 
fien er entbehrlich: im Büro, wo Ange: 
ftellte mit Schreibereien und Rechnereien 
reichlich zu tun hatten, bet den Galten, für 
deren Behagen feine Mutter jorgte. Gie 
räjidierte mit Hingebung und Geldjid, war 
in den neuen PBilichten wieder jung geworden, 
u Gelajfenheit und Würde gelangt. Das 
Deeg Wohl ber Burgeinwohner lag in 
den Händen eines flugen jungen Mädchens, 
bas jid) um die Wirtjchaft unb die Bers 


25 


378 A Anſelma Heine: Ein Rundlauf Keser el 


pflegung fümmerte. Gie war die Tochter 
bes KRreisarztes aus dem Tal, fröhlich, praf- 
tijd) und verjtändig und mit einem feinen 
Cinn für alles Schöne. Miandmal, wenn 
Wilibald fih im Schwarme einjam fühlte, 
dachte er an fie als eine Zuflucht. Vorerſt 
aber ließ er fid) treiben. Mit bom one 
tollte und jpielte der ‚unge Water freilich 
ausgelafien und das Rind Dep fid) bas in 
anmutiger Verwöhntheit adjtlos gefallen. 
fiberall aber blieb irgendein Überſchuß in 
SBillibalos Seele, ber feinen Ausweg fand, 
eine unbewegte Kraft, die [alt weh tat. 
Eines Nachmittags jchlenderte er wieder 
ziellos umber, ging in das buntbepflanzte 
Bärtchen, bejah die Ställe, bie Geräteſchup— 
pen und fam zur Ausbejjerwerfitatt feines 
Furgtilchlers, vor derem großen offnen Glas- 
fenjter er [teben blieb und bineinjdaute. 
Drinnen war es leer, die Sonne ipielte mit 
bem Holaftaub unb mob Lidtbriiden daraus 
vom Boden zum TFenjterbogen. Willibald 
trat ein. Der wohlbefannte Holz. und $yirnis: 
gerud) tat ibm gut. Da [tanben gerbrodene 
Etühle umber, hintende Pradttijche, geborjtne 
Türfüllungen lagen auf bauchigen Kommo— 
den, deren Politur erneuert werden Jollte, 
alles Darrte Der grates miihevollen 
9tusbefjerung. Willibald [trid) Jchmeichelnd 
über bas [dne Tijchornament. Cine 
€ómenpfote war davon a aby Pp Er 
unterjuchte fie, auf dem [taubigen Gagebod 
figend, wie ein wundes Lebewejen. Dann 
betrachtete er das Brett, an bem der Tijchler 
erade arbeitete. Es jollte gekürzt werden. 
undervolles ftarfes Eichenholz mit fráftiger 
Bogenzeichnung. Unwillfiirlid) zog er A 
lame Qünİtlerjoppe aus. Er betam Luft zu 
agen. Bon einem Tannenftamme her, der 
am Boden lag, duftete es fo frattig! Ein 
Gerud) von Kien und Bienen ft eg aus bem 
bejonnten Holze. Förmlich berı f nb. Er 
fing an zu jägen, lang, gebüdt, mit weit 
ausholenden Bewegungen. Cine eigentüm: 
lide Luft fam über ibn babet, bie *Bejrie- 
bigung eines rein fórperlidjen Tatendranges. 
Er arbeite jtärter, feine Truft I jid, er 
fühlte € chweißtropfen über fein Gelicht laufen, 
ein Blüdsgefühl burdjjtrómte thn, bas etwas 
Seiligcs hatte in feiner unausjprechbaren, 
nur duntel und der gefühlten Bollfommen: 


beit. 

„Achch, ahd,“ machte die Säge, Baum— 
mebl riejelte duftend, ein Holzſtück Hatjchte 
u Boden. 

Willibald blidte auf. Da jah er — das 
Entjegen drängte fih ibm wie ein harter 
Rall in die Halshöhle, er Jah feinen Va: 
ter lang, gebiidt, mit weggewehtem Haar, 
hemdärmelig, bie Gage in der Hand, wie 
erjiarrt in aemaltjam ausbolender Bes 
wegung. Die Augen unbeweglich nad) ibm 
gerichtet. 

„Papa?“ fagte er furchtiam. Er hörte 
es fid) jagen, ernüchterte daran und verjtanDd, 


daß es fein eigenes Spiegelbild im Werl: 
ftattsfenjter war, bas er erblidte. Aber fein 
Herz tlopfte drdhnend und trieb Fangeball 
mit all feinem Blute. Das Gefühl, etwas 
lMnerbórtes erlebt zu haben, blieb. Mecha— 
nijd) beugte er fih wieder über feine Arbeit, 
um zurüdzufinden in bie Wirklichkeit. — 

„Aber Papa!” 

Kam aud) das wieder? Wher die Stimme 
war jünger als die jeinige Damals gewejen, 
eine Rinderftimme. Fortunato ftand Da, 
Lapa in braunem Sammet gefleidet, weiche 

londe noden fielen über feinen Gpiren: 
fragen. „Was madjt du denn, Papa? Wie 
fomijch du bift in Sembsármeln. Und warum 
tuft Du bas jelber? Wir haben doch Leute 
genug, die jowas tun können?” Geine großen 

ugen waren ergieberijd) auf feinen Bater 
gerichtet. 

Der blidte Kä ein paarmal jonderbar 
um. Gr ftrich fih Das Haar glatt. 

„KRommft du nicht?“ fragte Fortunato. 
„Sch [oll dich zum Veipern holen Fraulein 
Helene hat unter ber Wlazie deden laffen, 
und Madame Recgnifoff läßt bejtellen, es 
wäre jebr unhöflich, fie warten zu lajien.“ 
Dann, da fein Vater noch immer nicht ant- 
wortete, wurde es ihm unheimlich und er 
lief davon. 

Willibald ftand im Gonnenjchein und 
fror. Cine Erjdeinung aus dem Senjeits ? 
Eine Mahnung, die ihn auf baldigen Tod 
vorbereiten follte, auf feinen Tod, vielleicht 
Ion heute? 

Etwas wie Zorn ftieg in thm auf. Das 
wollte er nicht! Sterben jeßt, ba er zum erjten: 
mal bas Blüdlichjein tennen gelernt hatte, 
bas wirflide Blüdlichjein. Und er hörte 
die alte Stimme jeines Baters jagen: „Holz 
alle bringt Gliid, mein Junge, du hältjt 
ja joviel auf Gliid.” Und wieder: „Lerne hart 
Holz bohren.” Scheu ſchaute er noch einmal 
nad) bem Fenſter. Aber Fortunato hatte 
es im Vorbeigehen zugedrüdt. Das Spiegel: 
bild war verjchwunden. 

Nachdenklich wufch er fic) am Ziehbrunnen 
die Hände, wilchte jid) mit feinem Taſchen— 
tud) die Stirn und ang feine Joppe wieder 
an. Aber ibm blieb das Gefühl eines Stokes, 
den er empfangen, der ihn weggelchleudert 
hatte von allem Gewohnten. Draußen 
läutete die Turmglode en Ta 
mußte er auf einmal an die ‚Wandelnde 
Glode' denten, Er Hatte Dë nie wieder 
an das Gedit erinnert. Get fam ihm 
eigentlich nur eine einzige Zeile daraus ins 
Gedächtnis: ‚Sie fommt und wird bid) holen.‘ 
Sa, fie hatte thn geholt, bie jtrenge Hüterin 
ber Pilichten. Und plötzlich verftand er alles 
von jeinem Leben: Wie er weggerannt war 
von Arbeit und *flidten, und wie bas 
Benichen felber, dem er nadhgejagt, ibn 
wieder zu Pflicht und Arbeit zurüdfinden 
lieb. Einen Rundlauf hatte er gemadjt. 
Der war nun beendet. 


+ 


Aus unjerer Kriegsmappe: 


999909009000000090990000000000009000009090090000900004*0000000000000029*90000090 9090000000*0900000000000000990000000000000^ 


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bees. Lake (STE BERT 


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Soldat einer Sturmabteilung beim Sprung aus dem Graben 
Zeichnung von Prof. Ernit Liebermann 


95* 


Diele im Schabbelhaus zu Liibed 


Bemälde von Wilhelm Bedmann 




















An” Bon Pre 


Fr gibt nod) immer Menjden von 
d'Ee Geſchmack und Urteil, die unjere 
ANS Muſeen Kirchhöfe ber Kunſt nennen. 
RI Sie wollen mit diefem harten Ur: 
RS teil jagen, daß ihnen bas organijdje 
Berwachienjein oder der aufällig gewordene 
Zujammenbhang eines Runjtwerfs mit jeiner 
Umgebung als ein ganz wejentlicher Teil 
—— lebendigen Wirkung erſcheint. Aus 
ieſer lebendigen und lebengebenden Umwelt 
ein Werk herausreißen, um es einzufügen in 
bie unanſchauliche, abſtrakte Syſtematik einer 
Muſeumsanordnung komme alſo einem, wenn 
— mp egräbnis gleich. 
in großer Kleiderſchrank, vom Alter ge— 
ſchwärzt, mächtig wie ein Haus, ſteht in ſeiner 
Geck tijden Stattlidfeit als Erbjtiid von 
Gejdledtern in der Diele eines Bauernhaujes 
und erzählt von fei- 
nem und Des Haujes 
Schidjalen; wandert 
er in die Gtadt, jo 
bleibt jeine Schönheit 
wohl diejelbe; aber es 
bleibt nur eine inter- 
ejjante Barianteeines 
kunſtgeſchichtlich feft- 
geitellten Möbeltypus 
übrig, wenn er in 
die Reihe jeiner Ber: 
wandten eingeordnet 
ift. Daß eine barode 
Sandjteinmadonna an 
einer Würzburger 
——— ihrer be— 
ſten Wirkung verluſtig 
eht, wenn man ſie 
ins Muſeum bringt, iſt 
eur abe Und 
es gibt jogar Maler, 
die erzählt haben, daß 
die mäßige Kopie ber 
me reg Madon- 
na Sixtina in ber Klo- 
fterfirde zu Piacenza 
an ber alten Gtelle, 
für bie emt bas Ori- 
ginal gejdaffen wor: 
den ift, in ber alten 
Umrahmung, hod über 
dem Altar, viel jtärfer, 
unmittelbarer und ein: 
[eud)tenver wirfe, als 
das von allen Ent: 
jtehungsbedingunger 
[osgeló]te Original | 
jelbit in ber Dresdener 
Galerie. Sogar bie un: 
abhängigiten Werte 


. 
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ey fin Muleum bürgerli 
coon der Renaiffance-bis zurBiedermei 


cher Wohnungsfunft 









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D] 










Schaefer, 


ber Hunt, bie Gemälde, bie von ihren Rah: 
men umgrenzt und von der Umwelt losgelöjt 
thr Leben führen, find aljo doch nod häufig 
in threm Ausdrud beeinflußt von dem Licht, 
der Architektur, der Stimmung des Raumes, 
in dem [ie leben; um wie viel mehr alle Zeus 
a angewandter, architeftoniicher Runt. Aus 
olchen Überlegungen ijt der heute allgemein 
anerfannte Wunjch entitanden, für bie Or: 
— des Muſeumsbeſitzes Räume zu 
chaffen, die einer planvollen Aufſtellung 
Platz genug und geeigneten Hintergrund 
BE damıt wenigitens ein Teil jener alten 
Wirkung aud) an der Gtätte bet Maſſen— 
aufbewahrung alter Runjtwerfe wieder leben- 
dig werden fann. In Schweden und Dane: 
mart bat man zuerjt vor etwa einem Men- 
Ihenalter damit begonnen, ganze Bauern» 





Faſſade bes Haujes mit bem Sandfteinportal von 1590. Darüber ein gefd)miebe: 
ter Ausleger mit bem Weinfrang, bem ortsüblichen Schild ber Weinhandlung 


389 IXEEEEECAÆASEEA Prof. Dr. Karl Schaefer: III IT ZZ ZZ 


häufer jamt ihren Stuben und in den Stuben 
wieder alle Einridtungsitiide bis ins Kleinſte 
zu erwerben und als Mujeumsgegenitand 
Tr aet be Für bie darn bäuer: 
lider Runft hat man dies Beijpiel unjerer 
nordilhen Nachbarländer in Deutjchland 
ihon an vielen Orten nadgeahmt, nament: 
lid) an ber Waſſerkante, in Sdleswig-Hol- 
Hen, in Weltpreußen und im Gebiet ber 
Unterwejer. Für bie mufeumsmäßige Auf: 
bewahrung bürgerlicher Runft war ber echte, 
jeitdem in Danzig und Flensburg nadjge: 
ahmte Berjud) LV der Art das Schabbel: 


haus in Lübeck. 

Wer es niht aus eigener Anjchauung 
tennt, findet fid) in bem bunten Vielerlei ber 
Räume eines Jolchen hanjijdhen Kaufmanns: 
haujes nicht [o leicht gured)t. Auch in ben 
SHanjeftädten find es nun fdon rund Dun: 
dert Jahre Ber, daß man aus biejen um: 
ftandlich und weitläufig gebauten alten Giebel- 
häujern hinauszog, um in den Garten vor 
dem Tor ein fleines, modernes Wohnhaus 
zu haben. Nur das Kontor pflegt der Kauf- 
mann nod in der Altſtadt zu behalten; feine 
Speicherräume aber liegen wieder draußen 
im Hafengebiet. Das alte Raufmannshaus 
mußte einft Wohnung und Speicher und 
AUrbeitsräume unter einem Dach vereinigen, 


Renaijjancetajelung Der Diele mit eingebautem Geſchirrſchrank von etwa 1760 





und aus biejem Zujammenfajjen fo verjchie: 
dener Bedür Ne entjtand gerade feine leben: 
dige, baufünjtlerijch lo unerjchöpflich reiche 
Raumwirfung. Da ijt zunächjt der Haupt: 
raum des — die hohe, weiträumige 
Diele, die faſt das ganze Erdgeſchoß von 
einer Brandmauer zur andern und von der 
gouron bis nahe an die Haustür einnimmt. 
orn an der Straße fallen neben dem Ein: 
gang nur zwei Zimmer ab, die für Geichäfts: 
méie und Bejude gedient haben mögen, 
und Dagwijden fteht ber gemauerte Herd 
mit bem rieligen Rauchfang darüber, auf 
Dellen Bort die nötigen blanten Kupfer- und 
Meifinggeräte hängen und ftehen. Durd 
Holzwände mit vieljprojjigen Fenitern hat 
man bie Sjerb|telle zu einem geichloflenen 
Riidhenraum gemadjt. Auf ben großen Stein: 
sis ber Diele herricht bes Werftags reges 
eben. Wenn in Gáden, Ballen und Fajjern 
bie Raufmannsgüter angefahren werden, rollt 
die Schar der ‚Träger‘ fie Durd) bie Haustür 
herein; ein Teil lagert zu baldigem Berfauf 
auf ber Diele; ber Reft wird mit dem großen 
Tretrad, bas im Dachgeſchoß eines jeden die: 
jer Häujer eingebaut jteht, durch die Kade- 
lufe in der Dede der Diele hodgewunden, 
um auf einem der niedrigen Speicherböden 
zu lagern, die oft zu vier und Ka überein: 
ander das hohe Sattel: 
dach des Hauſes einneh⸗ 
men. Aber dieſer grobe 
Geſchäftsbetrieb iſt es 
nicht allein, für den die 
helle, feſtlich wirkende 
Diele beſtimmt iſt. Das 
erkennt man ſchon an 
dem hohen etäfel, 
das wie eine üppige 
Renaiſſancefaſſade mit 
ierlicher Säulen- und 
ogenarchitektur und 
mit phantaſievollem 
Schnitzwerk ander gan: 
en Langswand fih 
* nd dieſe Tä- 
elung ijt jo alt wie 
das Haus jelbjt; fie 
entitand Anno 1595 
gleichzeitig” und aus 
dem gleihen Gei 
vollendeterHochrenaijs 
fance wie das mächti 
Durch zwei Gejehoje 
emporgefiihrte nb: 
jteinnortal bes Haufes. 
Uls das Bedürfnis 
nah Bequemlichkeit im 
18. Jahrhunderteinan: 
beres geworden war, 
ließ nä der ?Beliber 
des Haujes, unbefiim: 
mert um den verblüf: 
fenden Gegenja& des 
Stils, mitten in Diejes 
Renaiffancegetafel ei: 
nen [ujtig und phan: 


ees Tas Schabbelhaus in Liibed MARAR KKZ 383 





' = 
ur, ZE A 


1 





Speijefaal im Erdgeihoß bes Wohnflügels. £anbidjftstapeten unb Mobiliar vom Ende des 18. Jahrh 





384 Iessen Prof. Dr. Karl Schaefer: Sas Schabbelhaus in £übed AKAZ ZA 


taftijd bewegten Befchirrichrant einbauen, ber 
in feinen gebauchten und gejchweiften Formen 
ein echtes Kind bes Rofofo geworden ift. 

Bis in bieje Zeit hinein hatten fid) bie 
Bewohner mit engen Wendeltreppen behol- 
fen, wie fie vom Mittelalter ber nod) im 
16. Jahrhundert ganz allgemein in Deutſch— 
land die einzig übliche Form der Treppe bilde- 
ten. Nun — am Ende des 18. Jahrhunderts — 
als bie 9tofofold)nórfel ben Handwerkern noch 
in den Fingern lagen, ließ man dafür die bei- 
den breit und behäbig aufjteigenden bequemen 
Treppenläufe anlegen, die umjtändlich und ver- 
chwenderijch bie Verbindung zu den oberen 

äumen nad) vorn und d bo im Haufe 
heritellen. — Ein zauberhaft jchönes Gebilde 
ilt dieje Diele, unerjchöpflich in ihrer wech: 
jelnden Stimmung, im Dämmerlidht des 
Abends, im hellen Mittagsjonnenjchein, ber 
in den hundert Glasjcheiben Ipiegelnd fih 
fängt, oder im Kerzenlicht des Abends; ewig 
neu und überrajchend, voll bebaglidjer Eden 
und reizpvoller Surd)blide. Unter ben in 
Liibed noch erhaltenen Dielen verdient dieje 
an Raumjchönheit die Bewunderung, die ihr 
zuteil wird, am meilten. 

Zu wohnen pflegte man in der Zeit, als 
bas Schabbelhaus gebaut wurde, in Lübeck 
in dem ‚Flügel‘, einem hinter der Diele an 


Blid im bie Diele (vom Hoffeniter aus) mit ber Haupttreppe (etwa 1780), 
Dahinter die Küche, über ber zwei Gefindeftuben angeordnet find 





der einen Geite bes Bartenhofes tief nad) 
hinten reichenden zweijtüdigen Bau, der 
viele hohe Feniter zwiſchen einzelnen Pfeilern 
unb eine [tatt[id)e Stodwerfshöhe bejak. 
ier findet man Wohn: und Feitzimmer im 
rdgeſchoß; darüber lagen im erjtem Stod 
ewiß ehemals die Schlafräume. Wie diefe 
ohnräume ausgejtattet waren, als ber Er: 
bauer des Haujes nod) lebte, davon wiljen 
wir nichts. Nur bie Umfaflungsmauern, die 
Abmefjungen der feineswegs dunfel und eng, 
londern jehr wohnlich und heiter geitalteten 
Räume find noch bie alten. Und im Erd: 
geihoß liegt mit vier hohen Fenjtern und 
ebenjo hohen Spiegeln an ben Zwilchenpfei: 
lern ber langgejtrecte fejtlide Saal mit ben 
anbjdjaftstapeten, die über den hellgrau 
— Lambris die ganze Wandfläche 
is zur Hohlkehle der Rokokoſtuckdecke ein— 
nehmen. Jeder Leſer der ‚Buddenbroofs‘ 
von Thomas Mann erinnert ſich der Bedeu— 
tung, bie im alten Lübeck das Landſchafts— 
zimmer einjt batte, man liebte es bier im 
rauhen Norden, wo der Summer jhon fo 
ET gekürzt ijt und diijtere Ntebeltage 
jo häufig find, fid) an den Feiertagen um- 


RA zu jehen von arfabijd) anmutigen Land- 


haften, aus denen die Götter Griechenlands 

oder wenigitens einige luftwandelnde Liebes- 
paare Die bei Tijdje 
Cibenben freundlich 
anjahen, jenes heitere 
lotere Bolt, bas um 
Diejelbe Zeit in gier- 
lid) gelpreiater Porzel⸗ 
lanplaftit zu — 
ten aus der Meißener 
Manufaktur in das 
Haus des wohlhaben— 
den Bürgers eindrang. 
Und es bedurfte feiner 
Künftler von nambaj- 
tem Ruf, um folde 
Heiterkeit an bie mit 
Leinwand beipannten 
Wände zu zaubern: 
DieMeifter destübeder 
Dialeramts — fonnten 
bas mit Hilfe ber vie- 
len Augsburger, Am: 
fterdDamer oder gar Ba: 

‚ tifer upferiticne, die 
[ie in Händen hatten, 
gar wohl. 

Gut erhalten, wie es 
bis 1904 im Gebraud 
war, ift aud) heute 
nod) das Kontor des 
Hausherrn. Gs ijt über 
dem Hauseingang mit 
einer bewundernswers 
ten Gejchidlichkeit jo 
gelegt, Dak der Kauf: 
mann nad) vorn die 
Straße, nad) hinten, 
wenn er nur die Tiir 
öffnete, die Diele und 


T, e| 


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388 PESSA Prof. Dr. Karl Schaefer: Das Schabbelhaus in Lübed [f2i3«2«2«2:2:8 


damit den ganzen Betrieb feines Gejchäftes 
überbliden fonnte. Der gemütlihe Hams 
burger Kachelofen, Pult und Kontorbod, 
an den fimplen Wänden Bilder von den 
ftolgbenamjten Gegelidiffen, mit ben Nas 
men biejes und jenes bieberen Rapitdans, 
ber fie lange Sabre für feinen Herrn 
auf gemádjlidjer Fahrt nad) Riga oder Hel- 
jingfors durch bie Ditjee geführt bat; Ge: 
Ihättsbücher und Proben von alten Tabat: 
padungen und anderen Rolonialwaren liegen 
umber und ftellen den Beichauer mitten Din: 
ein in das WE fidere Leben eines 
alten Gejdaftsbetriebs aus der Zeit, die 
nod) feinenDrajtverfehr und feine Dampf: 
Irajt fannte. — 

D war das Haus — als ein ans 
jehnliches Bermadtnis des wohlhabenden 
Bädermeilters Schabbel die Stadt fübed 
in den Stand jeßte, es zu erwerben, um zu 
erhalten, was außen und innen von bielem 
ftolgen Beilpiel alter bürgerlicher Wohnkultur 
vorhanden war, und es im übrigen auszu— 
bauen zu einem Mufeum neuer und anjchaus 
lichjiter Art. 

Das ijt im Laufe eines Jahrzehnts 
unter der Mtitwirfung des Bauamts, bes 
Muſeums und vieler durd) ihre Spenden 
gerne zu dem ovolfstiimliden Wert bet, 
tragenden Bürger, unter denen man den 
Kenner der Geſchichte bes €übeder Wohn: 
Baujes, ben befannten Privatgelehrten Prof. 








Cirud bejonders zu nennen nicht vergei: 
E darf, aufs liebenswürdigite gelungen. 

as aus dem Abbruch oder Umbau alter 
MWohnhäufer an Tapeten, Kadjelöfen, Mo: 
biliar und Hausrat fid) darbot, wurde zu 
einer Folge von Zimmern vereinigt, bie vom 
Barod bis zum Biedermeier, fogar bis in 
die Zeit um 1850 bis zur lebten Einzelbeit 
aus Sübeder *Beli& von den Ctiltpanblungen 
der lebten zwei Jahrhunderte erzählten. 
Und was ein Mujeum der alten Art nicht 
vermöcdhte, bas ijt bier erreicht, weil jedes 
Ding an feinem natürlichen Plage fteht. 
Weil nirgends pedantijches Syitem zu fpiiren 
ift, weil alle Glasjdranfe mit erdriidend 
langweiligen Anjammiungen gleichartiger 
Begenitände vermieden find, gewinnt jedes 
diejer Stilgimmer fein eigenes Bejicht, wirft 
barmoni|d) und natiirlid) im ganzen bes 
Haujes, und im einzelnen in den Teilen 
jeiner Ausjtattung. 

Wud) bas hat Ba bewährt, daß man in 
der Stadt, in deren Kellern feit alters ber 
BVordeauxwein fih jo ausgezeichnet zur Reife 
entwidelt, in der Diele des Haujes den Be: 
trieb einer Weinwirtſchaft gejtattet bat, die 
den weiten Räumen zu einiger Gtaffage 
verhilft, und zugleich Auflicht und Verwal: 
tung des Haujes in willfommener Weije er- 
leichtert, |o daß bie Erhaltung und Der 
Ausbau bes Schabbelhaujes teine Zufchüfie 
aus [tábtijd)en Mitteln erfordert. 


wy LL y dëi 
a E A Y y 


Barodzimmer mit alter Belourtapete im Erdgeicdoß des Wohnflügels. Erite Hälfte des 18. Jahrhunderts 
Die für den Auflag benutten aht Photographien find gemadt worden von Dr. (y. Stoedtner in Berlin 





Kontor im Schabbelhaus zu Lübeck 
(Durch bie offene Tür iiberfieht man ben weiten Raum der Diele) 


Gemälde von Wilhelm Bedmann 





fe-Hofoper in 


‘Bon da CBop- G6, — —— 


Witindyen 





WEE 


Le 


wem grellen Licht bes Krieges haben 
14 wir in viele Kulturerſcheinungen 
a) 











bis in ihre Iebten Falten hinein 
leben Tonnen, Wtancherlei Ertennt: 
" nijfe, von denen wir uns bird) be: 
fondere Einflüffe abdrängen ließen, erjchlojs 
jen jid) uns von neuem. 

Aus joldjer Belinnung, bereichert durch 
Weite der Sicht und rajchere — re 
des Gefiibls entwidelt fih ber Wille zur 
Erlangung höherer Guten auf allen Ge: 
bieten. Und in jo träcdhtigen Äbergangszu— 
jtanden bedenkt der ernithafte Menſch pri: 
fend bejonders bas Gebiet, in welchem er 
aus Neigung fih feelijd) angejiedelt hat, 
Dellen Möglichkeiten, Dellen Gefahren er fennt. 

Dap unfer Verhältnis zur Kunſt ſich nad) 
den Erjchütterungen des Krieges ändern 
(vielleicht nur langjam ändern) wird und 
muß, gemäß ber neu erfannten Bedürfnilfe 
des deutſchen Volkes, fühlen ſchon viele. 
Diele Bedürfnijfe find weitaus jtärfer als 
(id bisher bargetan hatte, fie haben aber 
aud) größere und wabrjdjeinlid) einfachere 
Linien. — 

Hier will id) nur ben Verſuch machen, 
die Wertveränderung der Deutlden Oper 
Durch den — zu betrachten. Die ſitt— 
lichen, die vaterländiſchen Aufgaben, die ſie 
auf ſich zu nehmen hat, werden deutlich 
werden. 

Wir haben der Bühne gegenüber uns 
nach und nach immer bewußter in einem 
nur äſthetiſch reizbaren Zuſtand befunden, 
und die von ihr ausgehende Wirkung nicht 
mehr als moralild) empfinden wollen, ja bte 
Abſicht jolcher Wirkung als rüdjtändig ab: 
gelehnt. Das ift in bezug auf bas moderne 

chauſpiel oft genug gejagt worden. Der 
lediglich á[tDeti]d) ret3bare 3ujtanb Bat aber 
in den legten Jahren aud) der Oper gegen: 
über bejtanden und daß fie überhaupt mit 
oral etwas zu tun haben foll, daß ethijde 
Wirkungen von ihr zu fordern find, bleibt 
den meilten von ihren Bejuchern unbewußt. 
Theater und Moral find in ihren Zujam: 
menbángen und in ihren Widerjprüchen ein 
von vielen Fehden belebtes Feld. Mon 
Rouſſeaus Anlicht, brieflid) gegen d'Alem— 
bert geäußert, Daß das Theater im Namen 
der Moral zu verwerfen fet, bis zu Schillers 
Aufſatz: „Die Schaubühne als moraliidje 
Anjtalt“, wird man jid) immer zwijchen fan: 
tigen Gegenjagen berumitoßen. 

Alſo von der Oper! Wielleicht Tonn man 
jagen, Jelbjtverjtändlich unter Ausicheidung 
der mit Herz und Intelligenz wahrhaft mus 
jifalt)d) Hörenden, daß thr Publikum in zwei 
Gruppen einzuteilen tjt. Die eine, größere, 
will Durch bie Muſik, in Verbindung mit 
den bunten Vorgängen auf der Bühne, auf 


angenehmite Art vom Alltag hinwegagetragen 
werden (ein Schopenhauer: Zitat ijt hier uns 
umaänglidh: Aus der paſſiven Natur des 
Gehörs erklärt jid) bie fo eindringende, fo 
unmittelbare, |o unfehlbare Wirfung Der 
Muſik auf den Geijt, nebjt der ihr bisweilen 
folgenden, in einer bejonberen Erhabenheit 
der Stimmung bejtehenden Nachwirkung. 
Die in fombinierten rationalen Zahlenver: 
— erfolgenden Schwingungen der 

öne verſetzen nämlich die Gehirnfibern in 
gleiche Schwingungen). Dieſen undeut— 
lich phyſiologiſch Genießenden gerade 
entgegengeſetzt findet die andere Gruppe, in 
wachſamer Ce WEEN liber ihre Auf- 
nahmefabigfeit, eine ftarfe Ruft bes Ber- 
itanbes an fübnen und farbigen Klang» 
reizen. Gie ſchwelgt in äjthetiiher Wonne 
bei ber jchwindelerregenditen Künſtlichkeit 
der Snitrumentation. (id) bas polyphone 
Prunfgewand für feine muſikaliſchen Erfin— 
dungen jo gligernd zu weben als er nur 
vermag, und als es dem Bejchmad feiner 
Geele zujagt, ift Gigenred)t bes Schaffenden. 
Aber nicht nur der belorgte Beobachter, 
jondern in allererfter Linie ber Schaffende 
jelbjt, darf bem Wufnehmenden nicht das 
lebiglid) äjthetiihe Vergnügen zubilligen, 
jid) am Handwerfliden und Klangwerflichen 
zu entzüden, den mufifalijden Gedanken 
aber zu überhören, ja, ihn gar nicht mehr 
zu Iden, 

Diele find die Mufitihädlingel Sie find 
die Apoftaten von ber metaphyliichen Welt, 
als welcher bas Weſen ber Muſik entitvómt. 
Cie find wie die Angehörigen einer Gette, 
denen über den beraujchenden Formen ihres 
Rultes die einfad):reine — — abhan⸗ 
den kommt. Es liegt überdies in der Natur 
der lediglich äſthetiſchen Reize, daß ſie des 
Wechſels bedürfen, und das Geſchäft des 
Götterſtürzens und-erhöhens ijt thre Begleit— 
erſcheinung. 

Für ſie war Richard Wagners Werk eine 
Wichtigkeit von vorgeſtern geworden. Die 
hochgeſchwungene Ganzheit ſeines Deutſch— 
tums ward vielleicht zu unbequem, denn es 
verpflichtet zu jehr... Wir wollen feinen 
Augenblick vergellen, Daß es verpflichtet! 
Und das Bermadtnis des deutjchen 3Uteijters 
wäre von ihnen vertan worden, wenn es 
überhaupt vertan werden fonnte, Was un: 
möglich ijt. Die, Durch bie wir wurden, was 
wir find, find jo ganz und gar Teil des 
volfijden 3Bejens, daß feine neue „Richtung“ 
ihr Wirken ausmerzen tann. 

Der Krieg brad) aus. Und mas ſchon vorher 
aus Der jah einjegenden Parfifalbewequna, 
die ein ahnungsichweres, religtöjes Bedürf— 
nis in breiten Schichten erfennen liek, iid 
ankiindigte, offenbarte jid) nun völlig: Wag: 


eessen Ida Boy⸗Ed: Die 


ners Wert war uns ber Ausdrud deutſcher 
Cinigfeit, beutid)en Willens, deutjcher Art. 
Alerorten verlangte man nad ibm. Die 
geiteigerten Ausbrüche wiederholten fid) da 
unb dort, deren wir Älteren uns nod) von 
1870 71 ber erinnern: das Publifum jaudste, 
wenn Giegfried fein Schmiedelied mit bem 
gewaltigen Hieb und Ruf endete: „So ſchnei— 
det Ciegiriebs Schwert.“ — Aber die Herzen 
verlangten nidjt nur nad) Wagner. Es fand 
eine Wbfehr von auslánbijdjer Muſik über: 
i ftatt, bas Bedürfnis nad) Deut[djer 

ujif nahm einicitigen Charakter an — aus 
begründeter S9totmenbigfeit! Denn je voll: 
fommener in einem Runjtwerf (id) bie Natio- 
nalität ihres Schöpfers ausjpricht, e 
höher fteht es in feiner Art, bejto jchärfer 
aber wird es in politijd) erregter Zeit bem 
jeeliihen Bedürfnis einer andern Station 
widerjpreden. Man fonnte es ir bei 
einigem —— Nachdenken ſehr gut 
verſtehen, daß unſere Feinde fih fo heftig 
gerade gegen Wagner wehrten. Zwiſchen 
dem Weſen einer Muſik und dem Weſen 
eines Volkes beſteht eben Identität. 

Daß wir dieſe Begierde nach deutſcher 
Mufit polen: a eine Art von Celbj[tbejtn: 
nung. Unjere Mufit jpricht zu uns von uns! 
Sn der Zeiten 9Raubeit und Not ruft fie 
uns bas Wijjen zurüd von unjerer Fähigkeit 
um Weichen und Zarten; im lang laftenden 

rud mahnt fie uns, ihn jteigernd, an unjern 
Mut; Bellemmung  entjliebt beim hellen 
Klange frischer Melodit Niemals haben 
wir ber Muſik [o jehr bedurft wie jet und 
wie wir ihrer nad) dem Kriege bedürfen 
werden. 

Unjere Heeresverwaltung, bie ja nicht mehr 
und nicht weniger geworden ijt, als eine Volfs: 
betreuerin und Woltserzieherin, hat durch— 
aus die Wichtigkeit ber Runjt, vor allem bie 
ber Mujif fur die Stimmung der Soldaten 
erfannt, AM dieje Millionen Männer an 
der Front und unmittelbar hinter ihr ber 
dürfen der feeliihen CErquidung. Gottes: 
wort hatte fie von Anfang an hinausgelei- 
tet. Bald jollte aud) die Mufit zu ihnen 
fommen, fie, Die bem Got esdienit eine ebenjo 
eindringliche und feierliche Heljerin zu fein 
vermag, wie fie dem Drama eine jtrenge 
und Der Komödie eine fröhliche ift — in der 
wunderbar rütjelbajten Unausjchöpfbarteit 
ihres Wejens. — 

Niemals wurden Konzerte (bie oft bem 
Biihnenmapigen fid) náberten und ausſchließ— 
lich deutſche Muſik brachten), niemals Opern: 
aufführungen mit fo leidenjchaftlicher Hin: 
gerijjenheit aufgenommen, wie dort. ‘Bilder 
des Schredens entglitten Dem gemarterten 
Gedächtnis; ermattete Seelen Jpiirten ans 
feuernde Belebung; Männer, die fürchteten, 
daß ihre Kultur ihnen wie von felbjt in den 
Robheiten des Kriegs entgleiten müßte, jaud)a: 
ten dem Bei. von neuem zu, den fie als 
unverlierbar erfannten. 

Nun follte man denken, daß auch im 
Lande biejer glüdjeligen Nähe zur deutjchen 


Hofoper in Münden BSSSSSZA1 391 


Mufit ihr Recht geworden wäre, Das ijt 
aber mit bewußtem VBorjag auf bem Gebiet 
der Oper leider an jehr wenigen Stellen der 
wall. Sm Konzertjaal hat immer bie deutjche 
Muſik überwogen. f 

Aber die Oper betreffend: id) Babe Ur: 
[auber gelprodjen, viele, aller Bildunasftufen, 
bódjiter unb jchlichtejter. Sie waren erfüllt 

ewejen von rührender Cebnjudjt nad Gr: 
ebung dur) Diufit und bramatijd)e Ge: 
ſchehniſſe. Aber fie fanden auf ber deutjchen 
Bühne ‚Mignon‘, ‚Traviata‘, ‚Margaretye‘ 
unb den ganzen Beftand an ausländijcher 
Repertoire-Opern’. Nun daß man da und 
dort die plumpiten, noch lebenden Be ` 
Ihimpfer Deutſchlands vom Tantiemeborn 
verbannt hatte. 

Mildernd fet eingejchaltet, daß bei den 
immer mehr zujammenichrumyfenden Gbóren 
unb Wrbeiterperjonal bas alt Eingejchulte 
leichter herauszubringen ift. Was aber wies 
berum einen böjen Rüdjchluß auf die Spiel» 
plane vor dem Kriege aufnötigt. 

Wir gehen, aud) nad) einem glin[tigen 

rieden, einer febr jchweren Zeit entgegen, 

d) meine nicht jo in wirtichaftlicher Be 
giehung wie in ethijher. Darüber braucht 
weiteres hier nicht gejagt zu werden. Nur 
einen jcheuen, kurzen Bhd muß man darauf 
werfen, daß bas politijdje Leben bedrohlich 
für unjere Kultur werden tann. Und man 
darf wohl Niegjche recht geben, wenn er 
jagt: „Notwendig gerät ein Wolf, von der 
unbebingten (Geltung ber politijdjen Triebe 
aus, in eine Bahn áuBer[ter VBerweltlichung, 
deren großartigſter, aber auch erichredlichiter 
Ausdrud das römijche Imperium ijt.” Wir 
Tonnen noch hinzufügen: und das englijde 
Meltreih! Das Sinken der fiünjtlerijd)en 
Schöpfertraft in England muß auf uns 
wirfen wie eine Warnung! 

Der plattejten Werweltlihung entgegen 
qu wirfen vermögen nur zwei Gewalten: 

eligion und Runjt. Religion und Gtaat 
fönnen nidjt ohne einander bejteben und 
bedingen fih gegenjeitig. Aber aud) Kunſt 
und Wolf können einander nicht entbehren, 
It bie eine nicht abjterben, bas andere nicht 
inten. 

So drängen fid) nah dem Kriege allen 
Künjten verantwortungsvolle Pflichten auf. 
Bor allem dem Theater, als der Stätte, die 
lich der Menge wie bem Erlejenen gleicher: 
weije öffnet, die alfo nicht arijtofratijch ab» 
geſchloſſen, nicht von unüberjteiglichen inang: 
ſchranken umgeben, jondern recht eigentlich 
des Voltes ijt! 

Ic, jagte oben, daß man bisher nur an 
wenigen Etellen mit gedanfenvollem Bors 
jak bie deutſche Miufif auf der Bühne pflegt. 
In Münhen aber ijt man von dem Willen 
getragen, Durch fie Dem Yleuaufbau des 
Waterlandes, feiner geijtigen Reinigung und 
Wufhellung zu dienen; mit ihrer fittlicher 
Gewalt das 3olfstum über feine bisherige 
Höhe hinauszuftetgern. Alles was jegt dort 
geichieht ijt im gewijlen Sinne Vorarbeit 


392 PESZSIELSBSTEZZZI Ida Bon: ©): [3434334 3434343343433€£3€83683€3$ 343 


für ein ganz großes Ziel, bas hier nur ans 
edeutet werden fann: ohne auf bas, aus» 
Fhliehlich dem Werte Wagners gewidmete, 
dem beutjdjen Wolfe heilige Bayreuth in 
irgendwie „verdrängender Abſicht jtörend 
ae zu wollen, bont man, daß das 
ünchener Brinzregenten- Theater in bedeus 
tender Erweiterung und Umwandlung feiner 
früheren |ommerlidjen ‚sFeitjpicle‘ der Blas 
fein wird, wo alle beut|djem Meiſter und, 
als ihre Nachichaffenden, die erlejeniten 
Be aller deutjhen Künftlerfchaft bem 
Volle und — dem Ausland zeigen folen, 
wie groß und [djn, bie jtolge Etirn zur 
Sonne gewendet, bie deutiche mujitbramas 
tile Kunſt fid) durch den Krieg hindurch 
nicht nur behauptet bat, ſondern all ihre 
YWusdrudsmittel nod) zu einem viel feiner 
gejchliffenen Sn[trument herausarbeitete, als 
es bisher |djon war. Zur Erfüllung biejer 
vaterlandijden, großgejtellten Aufgabe ges 
— zwei Dinge. Das eine hat den harten 
amen, der während des Kriegs jeden Tag 
es ungezählte Zwede an ele Obr mit 
ittender Betonung [djlágt: Geld! Das 
andere ift: eine erlejene Künſtlerſchar, bie 
einem Leiter von gliihender Gnt|djlojfenbeit 
und höchſtem Kunftwillen freudig foigt. Und 
die tm Ctil fo ficher gejdult ilt, baB bie 
—— ge Einfügung von Gajten diejen 
til nicht zu erjehüttern vermag. — 
Münhen bat jchon immer eine CR 
bejejjen, deren Ruf weit hinaushallte, bis 
in Die fernften Lander. Die biltorijche, 
wenn leider aud) nur jo furze Epodye, wo 
unter Ludwig II. Hans von Bülow und 
Ricard Wagner dort wirkten, hat ihren 
Plak in der Rulturgelchichte ber Dienjchheit. 
Aus den |päteren Zeiten leuchten uns Namen 
entgegen, wie Hermann Levi, Ernit von Hof- 
jart, Rihard Strauß, Felix Mottl. Und 
immer find es vor allem Wagner und Mo: 
art gewejen, denen in Jommerlichen Felt: 
P ielacite, wie im ftändigen Wrbeitsplan, 
hingebender Eifer, mit höchſtem Gtilgefühl 
verbunden, diente. Diejer Rahmen ijt nun 
auf bas wundervollite erweitert. Das Pflicht— 
SE unb die Begeilterung eines der bes 
rufenjten Nachſchaffenden, bie an den deut: 
iden Dirigentenpulten figen, bat — 
Meiſter über die Schwelle gerufen. München 
iſt der Platz geworden, wo man das Werk 
ans Pfitzners mit Inbrunſt pflegt; es hat 
pern, ſtark beſucht und immer wieder freudig 
aufgenommen, ſtändig in ſeinem Spielplan, 
die an anderen Bühnen nur in großen Pau— 
jen einſtudiert werden, um nad) einer ach— 
tungsvollen Berbeugung der Kritik jd)nell 
wieder zu verjdwinden. In Münhen find 
Cornelius’ ‚Barbier von Bagdad‘, Webers 
‚Euryanthe, Marſchners ‚Hans Heiling‘ 
ben Bejuchern der Oper vertraute und be: 
BET Erjdheinungen; Kloje bat mit „Ilſe— 
ill‘ feinen Platz und von Lorging gibt es 
bezaubernde Wiufterauffiihrungen, aus denen 
Der deutjche Humorund ſchlichte Poeſie lächeln. 


Als nad) ben legten Sommerferien fid) die 


Türen ber Opernhdujer wieder öffneten. 
fonte man feitjtellen, b1B, wenn aud) end: 
lid) im vierten Kriegswinter ber Verjuch zu 
einiger Bejjerung fid) anzuzeigen [djien, fait 
überall ber bejdjdmenbe Reigen ‚Traviata‘, 
Mignon, ,Wtargarcthe’ begann, bódjitens 
nod) burd),(GGarmen bereichert. Natürlich ba: 
zwilchen aud) Wagner, in jener Ahnungs— 
lofigteit und Geldjmadsunbejangenbeit, die 
nicht |pürt, was ſolche Nachbarſchaft offen: 
bart. München aber bot in Hofoper und 
Prinzregenten: Theater dem Beſucher zum Bes 
ginn mie für bie Dauer der ganzen Cpiel: 
zeit im edlen Wechjel neben den faft voll: 
zähligen Muſikdramen Wagners, .Parfifal' 
einge|djlojjen, unb Pfigners drei gewaltigen 
Opern, die obengenannten Merfe. Es feblte 
auch nicht bie ganze Reihe ber unvergleich- 
lihen Mozartaufführungen, zu denen im 
Frieden die Mozart:Gemeinde des Auslandes 
erbeitam, Daß dem berühmten Sohn der 
tabt, Richard Strauß und feinem Werk jhon 
zu — Malen mit Hingabe vorberei— 
tete feſtliche Aufführungen gewidmet wurden, 
ergänzt dies Bild unermüdlicher Arbeit. Und 
was im Frühſommer vorigen Jahres die 
Pfitzner-Woche der deutſchen Kunſt an Ehren 
ab, hat damals die ganze Preſſe gewürdigt. 
ine Tat von vaterländiſcher Bedeutung 
war auch das Gaſtſpiel der ganzen Münchener 
Oper mit bem ‚Baleftrina‘ in der Schweiz. 
Dak in Deutjdland während des Krieges 
ein Wert von bieler tragiihen Wucht und 
verflärten  (Ergebenbeit vollendet werden 
fonnte, daß ein fo zahlreidyer &unjittórper 
es in jolcher eindringlichen Meiſterſchaft zum 
Grtónen zu bringen vermodte, war ein ge: 
radezu erhabenes Zeugnis V deutjches 
SRejen. Der Jubel, der tn Bajel, Bern und 
Zürih Pfigner, den Komponijten, Bruno 
Walter, den Dirigenten, und Karl Erb, ben 
Sänger des ‚Balejtrina‘, umraujchte, Deler 
Syubel, in bem nad) allen Berichten Staunen 
D Ehrfurcht mitbebte, er galt nicht ihnen 
allein — — 

Dies alles ift Vorarbeit? Nein. Es ift 
be. Bereitihaft [hon — ſchon erlangte 

ihe. 

Nur wo alle Kräfte vom Intendanten 
herab bis zum bejcheideniten Mitgliede der 
Bejamtkünftlerfchaft ge eee erfullt jind 
von Der fittliden Würde der Runft, von 
ihrer erziehlichen Gendung, Tonnen folce 
Leijtungen erreicht werden. 

Der Intendant der Anekdote hat fih längſt 
überlebt; ich glaube aud) an den fleinjten 
Hoftheatern wird man ihn nicht mehr fin: 
den. ener, von dem zur Charafterijierung 
erzählt wurde, daß er auf den 9Roridjlag 
feines Oberregiljeurs bod) einmal etwas von 
Shafejpeare zu geben, unwillig gejagt habe: 
„Scyäljpier? — bleiben Sie mir damit vom 
Leibe, Ihre Hoheit, die Brinzeifin Fanny, 
findet bie Modernen unanjtändig.“ 

Der moderne Intendant ijt ein gejchulter 
Theatermann und bat fein Fad verwal: 
tungstechniſch wie tünjtlerid) in ernjter Arbeit 





Die Hofoper 


beberridjen gelernt, ehe ihm ein Amt wird. 
Dennoch aber find bie Renntnijfe unb ift die 
angeborene Eignung felten, wie fie fidh beim 
Baron Clemens von Franfenjtcin erwiejen 
haben. Er benpt auch, fo wirft es wenig: 
tens auf ben Außenftehenden, vor allem die 
große Klugheit, feinem Generalmufifdirettor 
bas Betätigungsgebiet nicht eiferliichtig eins 
zuengen. Denn er, als jehr begabter Rom: 
ponilt, wird wohl wijjen, daß das Nach: 
jchaffen in viel weiterem Sinn, als man fid 
umeilt far macht, cin immer wieder Neuz 
hafien ijt. Harmonijches Zufammenwirten 
der oberften Vorjtände bringt jedem Kunſt— 
inftitut Gedeihen. — Was ijf nun Bruno 
Walter, der Beneralmujildireltor? Er ift 
das Temperament, Das in dem Leben der 
Münchener Hofoper pulfiert, er der feurige 
Wille, ber große Pläne faBt und durchſetzt, 
er, der beilpielloje techniihe Könner, der 
Gängern wie Snjtrumentali[ten auf den Pro: 
ben ein Wert in feine feiniten Beitandteile 
zerlegt und es ihnen bann wieder als ganzes, 
robes Erlebnis aufbaut. Die Proben Bruno 
alters find allen Beteiligten eine Hod: 
Joule und haben bie ftaunende Bewundes 
rung anderer Dirigenten gefunden, bie Din: 
einlaufchen durften. 

Als er nah Münhen fam, fand er bie 
Strenge des Stils und ber gejamten Runit: 
arbeit jehr gelodert. Felix Wiottl, der Une 
peraeBbare, defjen 9tame uniterblich verbunden 
mit Wagners Werf bleibt. konnte in den bitteren 
Lebensumjtanden feiner legten Jahre nicht 
mit ber alten Beglüdtheit und vor allem 
nicht mit der tragenden Bleichmäßigfeit von 
einjt am Wert Tein. Künjtler fühlen fid 
ihrer rajden Entwidlung am en wenn 

e einen augleid) Klaren und fordernden und 
bnen doch jeelijd) verwandten Willen über 
fis ertennen ; vor allem auch, wenn fie jpüren, 
aß fie ihrer Individualität gemäß jid) ent- 
alten dürfen. Go begann denn an ber 

ünchner S$ofoper eine ftetiqe und groß— 
beichwingte Arbeit. Es fehlt Bruno Walter 
niht an Helfern von Starten Eigenichaften. 
$jojfapellmeijter Heß ijt eine Kraft von 
explojiver mufifaliicher Ganzheit; von ihm 
fann man vartierend fagen: jeder Soll ein 
Muſiker. Mit immer frijcer Kräftigfeit 
weiß Hoffapellmeijter Rohr feine Aufgaben 
feit anzupaden; aud) er ein wichtiger Mit— 
arbeiter. 

Die Erfolge habe ich Ion angedeutet. 
Nicht alle Kräfte, die daran beteiligt find, 
finnen bier eingehend belichtet werden, Bor 
allem ijt es immer bas Orcheſter, deffen eins 
elne Riinftler in der J(nonomitát verichwin: 
Der und bie in ber Selbitlojigfeit geübt find, 
als Gruppe am Ruhm des Ganzen teilzus 
nehmen. Wn der Schar der Sänger und 
Eängerinnen fällt auf, daß viele von ihnen 
wirklich fingen können; die Beiangstechnif, 
fait ein Menfchenalter in Deutjchland ver: 
nachläjligt, bat im allgemeinen wieder einen 
oben Grad erreicht. In der Weihe der 

ünchener gelten als Die hervorragenditen 


Belbagen & Klafings Monats fe. 


32. Rahra 19171918. 2. Bd 


in Miüncder sees 3237383733731 393 


Stimmtednifer die Damen Boletti und 
Svogiin, bie Herren Bender, Broderjen und 
Erb. Marie Jvogün ift ein tinftlerifdes 
Doppelmwejen. Auf dem Ronzertpodium und 
in einigen Bühnenaufgaben erwedt fie Staus 
nen als Roloraturphänomen, das mehr zum 
Runjtverftand als zum Herzen fpricht. Aber 
in der gejanglichen und daritelleriichen Ge: 
ftaltung jugendlichjter Weiblichkeit weiß fie 
mit ihrer befeelten Anmut bas Gemüt zu 
bezaubern. Der Ruf von Hermine Bofetti 
ift feit vielen Jahren wohlbegründet. Paul 
Bender, ber Meiſterſänger und große Schau: 
jpieler, gilt als Operntragode wie als 
Sn unerreiht. Gein Abu Hallan, 

smin, van Bett, fein Don Juan (Don Juans 
le&tes Abenteuer von Braener), fein Gurne- 
manz und Wotan ftehen als eine Erfüllung 
ba. Broderjens Art, dem Heiteren lebens: 
wiirdiq zuaewendet, findet aud) in [djarfer 
Charatterifierungsfunjt, wie in lyriſchen Auf: 
gaben bedeutende Erfolge; ein Wieljeitiger 
auch er, wie Bender und Erb. Karl Erb 
hat durch ben beicelten Klang feines Tenors, 
wie durch eine belonbere mimijche und gei: 
tige Veranlagung im feltenen Grade die 
Fähigkeit myjtiiche Leidfabhigteit zu geitalten. 
Sein SBarfifal, *Baleitrina, Armer Heinri 
und Floreſtan offenbaren es. Uber au 
auf neuen, fchwierigen Wegen weiß er alle 
Anforderungen zu erfüllen und er war 
Shreder (‚Der ferne Klang‘) ein Huger Mit: 
arbeiter, Dieſe vier Künitler find, mit der 
wıindervollen, Jchönlinigen ‘Berard, Die 
Hauptträger der Mozart: Abende. — Otto 
Wolff ijt im Übergang ins heldiſche Fah 
beariffen, wobei ibm die metalliiche, teno: 
rale Kraft feines Organs und ein frilches, 
unbelajtetes Erfajjen der Aufgabe glücliche 
Morbedinqungen find; ein gejchäßter Par: 
lifal auch er und ein mannbafter Ciegnot 
(9tole vom Liebesgarten), ls ein ganz 
ftarfes Eigenweſen zwingt Frau 3benta Faß— 
bender ben Aufnehmenden in ihre Gewalt. 
Cie tit wohl die echtejte Sjolde, bird) Mottls 
SUtetiterbanb und tiefite Wagner: Kenntnis ges 
bildet; ihrer von jungfräulichem Glanz ums 
leuchteten Briinhilde jteht bie DdDiijtere Heros 
bias in Jchnöder Lajterhaftiqfeit gegenüber; 
ihre Eleftra ijt von einer Gejchlofjenheit bes 
Haſſes, in die hinein fein Strahl bes Lichts 
u dringen vermöchte, — Das von Leben 
— Fräulein Krüger, die ernſte 
Luiſe Willer ſind Künſtlerinnen von Rang. 
Von den Namen, die im Vordergrunde 
ſtehen, ſind noch die der Damen Reinhardt 
und Färber anzufügen, ſowie die des geiſt— 
voll geſtaltenden Dr. Schipper, der Herren 
Bauberger, Gillmann, Schützendorf, Gruber 
und Geiß. Wer ſchmunzelt nicht bei dem 
legten Namen! Jeder Münchener ganz 
gewiß. Geiß iſt von jenen, die ſolchen 

redit beim Publikum haben, daß ſie nur 
aufzutreten brauchen, um ſchon von beifäl— 
ligem Vergnügen empfangen zu werden. — 
Bertha Morena, Fritz Feinhals und Hein— 
rich Knote ſcheiden hier aus: ſie ſind nur 
26 


304 PESESSSCHSSEHHEHE SEEN Hugo Calus: 


als Gajte nod) der Münchener Oper verbuns 
ben. Tie technijchen, raumfiinjtlerijden unb 
malerijc : Deforativen Kräfte, bie in Mün— 
chen den Aufführungen die äußeren Farben 
und notwendigen Illuſionen geben, find zus 
met mit clüdlid)en Ginfällen und Geftal- 
tungen erfolgreid. Auf bielem Gebiete 
[inb bie angelebenen Namen v. Fuchs, Wirt, 
Klein und Kirjchner bem fnappen Bericht 
einzuzeichnen. 

Die Münchener wiffen wohl, was fie an 
Diejem ragenben Aufbau fünjtlerijd)er Taten 
und ihrer Träger bejigen. Aber audy ganz 
Deutjchland fol fid) deffen bewußt werden, 
denn für es wird diefe Arbeit mit ge: 
leiftet. — 

Mancher durddadte wohl einft in in: 
nerer Unjchlüfjigfeit lerne Stellung zur Oper. 
In meiner Jugend hielt id) mit dem. alten 
Bottiched die Form für volltommenen Uns 
finn. Aber bann wurde uns nad) und nad 
Magners Wert erjdjlojjen unb durd ibn 

elangte man auf den Weg zur Erkenntnis. 

ir willen nun um die Aufgabe des Deut: 
hen Wlufifdramas, bes deutjchen Muſik— 
luftipiels. Ein Wort führt auf die rechte 
Fährte. Es heißt: Symbol! Wenn bie be: 
wegte Handlung auf der nay be vorüber: 
ieht, fet fie ber Mythe, der Legende, ber 

ejhichte entnommen, erwadt in uns bie 
Tätigfeit eines verdoppelten Aufnahmever: 
mögens. inter dem, was von der Bühne 
herab unb aus dem Orcheſter herauf jingt 
und flingt unb farbig lebt, erjchließt jid) 
uns nod) eine zweite Welt. — Ich dente, 
als Beilpiel, an bie Meijterjinger’ mit ihrer 
bunten Füle Iieblid) : ern|ten Gejchehens aus 
beutjdjem Volfstum; an bie ‚Entführung‘ in 
all ihrer bürftigen Handlung innerhalb des 
Rahmens eines Theaterorients; an Pales 
ftrina, wo fich über dünner, halbverwiſchter 
Linie aus italienijder Muſikgeſchichte ein gro: 
Bes. ergreifend leidvolles Gemälde aufbaut. 

er|djiebener als bie Bül;nenvorgänge biejer 
drei Wunderwerfe tann nichts fein; verjchie= 
dener auch nicht ber mufifalifde Stil. Und 
Dennod) wird bie Miufif jedes diejer Werte jo 
befruchtend auf die Seele hinüberwirfen, ba 
fie, überlichtig und überhörig, nod) bie meta: 
phyliihe Welt hinter bem Dargeftellten er: 
ahnt. Weil eben all diefe Diujit von ihrem 


Marmortafel BSSSSS333333 I 


völkifchen Wejen und deshalb ihr felbjt vers 
wandt, ja ein Teil von ihr ift. 

Gewiß will ich nicht jagen, daß ein min: 
bertvertiger Menjd, wenn er in die genann— 
ten Mujiforamen geht, als ein erleuchtetes 
Beichöpf wieder heraustommt. Aber ber 
ethijch gejund Empfängliche wird fidh in ber, 
gerade in den Stimmungen geftdrft und 
erhoben fühlen, deren er für feine Zujtände 
— Und das wird er für ſich vielleicht 
pan} licht jo empfinden: Glüd und Lebens: 

ejabung werden ibn mutvoll erfüllen, wenn 
er bie ‚Wleilterjinger‘ jah; aus der Entfüh— 
rung‘ wird er reinen und zufriedenen Herzens 
heimfehren; in jdjmeralid)en Erſchütterungen 
wird er durch ben Paleſtrina hindurch auf 
Höhe ber Befaßtheit, über die alltägliche 
Erdgebundenheit bhinausgeführt werden. 
Sd) glaube aber nicht, Daß irgendein Wert 
anderer Nationalität jo in uns bincinwirfen 
tann, gemäß dem QGeje& ber zwilchen den 
Nationen aufgerichteten Ccheidewand, die bas 
legte Berjtändnis füreinander nicht zuläßt 
unb die wir mit Entjegen erft ganz in Die: 
em Kriege erlannten. (£s jcheint, daß jede 

ation auch ihre metaphyſiſche Welt für fid 
bat, offenbar haben muß, jonjt wäre viel 
von bem Erlebten gar nicht möglich og: 
wejen! Hier tommen wir aber an orphilche 
ge binter den Grenzen ber Menſch— 
eit — — — 

Gang gewiß geben uns aud) Werte aus: 
[ánbildjer Herkunft, vor allem Die ber Gite 
ren Staliener, finnliche Freude an jchwelges 
riſcher Melodit, pradhtvollen Temperaments: 
ausbriiden und Klangreizen, mit Wirkung 

emäß dem oben ageführten Schopenhauer: 

ditat Und der ‚Barbier von Sevila, mie 
‚Aida‘ find zwei hinreißende Aufjührungen, 
bie man im Münchener Cpiclplan niht 
mijjen módjte. 

Sekt aber drängt uns alles zur ſeeliſchen 
Berührung mit der metaphyitiden Welt, 
wie fie fid), uns erhebend, hinter unjerer 
deutichen Mujifdramatit offenbart. Deshalb 
darf man es als etbijd)e Prlicht in gegen: 
wärtiger und nächſtzukünftiger Zeit erfennen, 
bie beutjd)e Oper zu pflegen und das Wolf 
immer mehr zu ihr zu erzichen. Möchten 
viele große Bühnen bem Beijpiel ber Dlüns 
chener Hofoper folgen! 


SECEEEECEEKEKKKCEKKE CECE CCCCCCCCCCCCCCCECCC CC CECE KK ELLE 723333333333 3333333333333333333333333333333333333333)30 


Do 


ttCtCtCCCCCCCCCCCCCCCC IIIIIIIIIIIIIIIIII9 
CECECECECKLELCCCK CCE 9999999999999 99339 


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a 


Marmortafel 


Cie ſchaufeln nun Schon Jahr und Jahr 
Tie Cdjlade, wo Pompeji war, 

Palaft und Tempel und Altar. 

Yun haben fie den Grund durchſucht; 
Yas fanden fie? In wirrer $ [udjt 
Und bod) erreid)t vom LavaquB 
Manner, ertranft im Lavafluß — 

ch feinen einzigen Frauenfuß. 

Yo wohl die Frau’n geblieben find? 
Beim fiedjen Ahn; beim lieben Kind... 


Hugo Salus 


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BS) Der Bdup CO 
Cour dem — 2) 
Eine Erzählung ausAlbanien von Borwindarlit 


emmmmmmmrmmmmmmmrmmmmmmmmmmrmrmmmmmmnmmmmmmmmmmmmmmmmmmrnmimin i 


Davos, April 1914. 
Dottor Turbans Sanatorium. 
,Sieb[te, einzige Freundin! 

Endlich tann ich Ihnen zufriedenftellende 
Nachrichten über mein Befinden geben. Bei 
der heutigen Unterjuchung erklärte der Arzt 
bie Lunge für völlig ausgeheilt, doch foll 
ich p Sicherheit nod) etwa vier Woden 
im Sanatorium bleiben. 

Debt. wo ich weiß, daß unfere [ange 
Trennung in nicht zu ferner Zeit vorüber 
fein wird, will td) auch gerne nod) dieje 
legten Wochen bier aushalten. Wenn id) 
bas eritemal Ihnen gegenüberjtehen werde, 
folen Sie feinen Schonungsbedürftigen in 
mir leben, jonbern in voller Kraft und 
Gejundheit möchte ich Ihnen erjcheinen. 

Schon jest würden Sie jid) wundern über 
mein Wusjehen. Das ftandige Liegen in 
der laren Hodgebirgsjonne hat mid fo 
braun gebrannt, als wenn id) an einer 
ajrifanijden Expedition teilgenommen hätte, 

Mein Doktor ijt durchaus damit einver: 
Hor pen, daß id) von hier wieder nad) Cfi: 
tari zurüdgehe, bod) will ich vorher wenig: 
pore nod) für ein paar Tage zu meiner 

tutter nad) Riel. Wm 1. Juni läuft mein 
Urlaub ab, und dann, dann endlich fol id) 
(Cie wieder jehen. Sd) mag nod) gar nicht 
daran denten, jo unmabrjdjeinlid) Ichön er: 
[d)eint es mir; id) darf es mir nicht aus: 
malen, jonjt vergebe id) vor Cebnjud)t, und 
id) babe Ihnen bod) verjprocdhen, vernünftig, 
ganz vernünftig zu fein. 

Wie id) allen Ihren Wünſchen nachlomme, 
eben Sie jhon daraus, daß id) bisher aus: 
djlieBlid) von meinem Befinden und meis 
nen Plänen für die nddjte Zeit berichtet 
pave. Aber Cie machen es mir ja in Sbrem 
egien Briefe zum Borwurf, daß ich immer 
nur von meinen Gedanfen jpreche, die nun 
einmal jtets bei Ihnen find und weit über 
Alpen und Adria fort Cie zu erreichen 


juhen — 

Wenn ich jet dafike und Ihr geliebtes 
Bild betradjte, das vor mir jteht, dann 
fommt mir alles jo unendlich weit zurück— 
liegend, jo ganz unwahricheinlich und mär: 
d)enbajt vor. Dieje jchöne und elegante 
Dame fol einmal mitten in einem wilden 
Lande bei einem armen, niedergefchojjenen 
Manne in nächtlicher Hütte geweilt haben, 
wo jie mit zarter Hand jeine Schmerzen 
linderte. Untaplich ericheint es mir. Dann 
hole id) mir wieder alle Briefe hervor, die 
ih von Ihnen erhielt — meine kleine Raf: 


jette ift fdjon fajt damit angefült — und 
por mir heigen Sie auf, umgeben von allem 
Zauber echtejter Weiblichkeit. 

Wie gut tenne id) Cie und alle Ihre 
innerjten Gefühle und Regungen aus ben 
vielen lieben, unvergeplidjen Worten, bie Sie 
mir jandten. Gie find Dod eine andere 
als die große Dame der Welt, bie jo Ichön, 
bod) aud) jo unnabbar in Ihrem Bilde vor 
mir Debt, Sd) glaube, id) werde jehr ſchüch— 
tern ungeidjidt fein, wenn id) Cie zuerjt 
wieder jehe. Sd) werde Zeit gebrauchen, 
die Frau meiner Träume und die vornehme 
Dame, bie mir in vielem nod) fremd blieb, 
wider in einem Bilde zu vereinen, 

Und vor uns beiden werden Entſchlüſſe, 
Entjdheidungen ftehen, die nicht weiter pers 
[hoben werden dürften. Ich braude fie 
nicht zu nennen, ich módjte Ihr Herz heut 
nicht bejchweren. Aber Liebe und Gewiljen 
und Ehre erlauben uns leider nicht, daß die 
Verhältniſſe fo bleiben, wie fie find. 

Leben Sie wohl, Cie einziges, liebites 
Helen. nad) bem ich mid) fehne in unbän: 
diger Zeiben|djaft. Morgen jchreibe ich 
mehr. Shr Hans.” 


B8 8 8 
Einige Tage darauf erhielt er einen Brief 


von Gwendolin. 
„Mein lieber Freund! 

Gewiß ſind Sie ſchon ungeduldig und 
vielleicht auch etwas traurig, daß ich ſeit 
acht Tagen nichts von mir hören ließ. Aber 
ich bin ſchuldlos daran. Morgen ſoll zum 
erſten Male wieder eine Poſt von hier ab— 

ehen, und da will ich Ihnen heute einen 
angen und lieben Brief ſchreiben. 

Unſere Verbindung mit Cettinje iſt unter— 
brochen, ſeit der italieniſche Dampfer, auf 
dem wir damals zuſammen hier ankamen, 
infolge einer Keſſelexploſion untergegangen 
und ſein Stellvertreter nod) nicht eingetrofſen 
iſt. Und an der Bojanamündung herrſchte 
die letzten Tage eine derartige Bora, daß 
die Barre unpaſſierbar war. Auch ich bin 
daher ſeit unendlicher Zeit ohne Nachricht 
von Ihnen, was ich um ſo ſchmerzlicher emp— 
finde, Da Sie mich derartig verwöhnt haben. 

Wenn id) bod) endlich wüßte, wie lange 
Cie nod in Davos bleiben müjjen. Diem 
Mater hat mid) dringend gebeten, ihn im 
Suni zu bejuchen. Es handelt jid) aud) um 
wichtige BEINE Angelegenheiten, auch 
um dte Ordnung einer Erbjchaft, die mir 
jüngit von einem Verwandten unerwarteters 
weile zufiel. Gie werden mid) nicht mif 


26* 


300 ESSTSSCHE SCH HESS SF FE Borwin Carlig: Lee 2:233] 


verftehen, Cie Lieber, Lieber, wenn ich fage, 
daß mir dies Fortgehen von hier als eine 
Erlöjung erjcheint — und mir bei bem Ge: 
danten, daß Sie bald bherfommen könnten, 
tiefite Schmerzen bereitet. Ich möchte um 
feinen Preis der Welt, daß Ste in Sfutari 
einträfen, während ich nicht dort bin. 

Gie haben leider recht, wenn Gie aus 
meinen Briefen herauszufühlen glaubten, 
daß bas Zujammenjein mit meinem Manne 
mid) aufs jchwerite bebrüdt. Unjere Che 
bejteht ja überhaupt nur nod) dem Scheine 
nach, und längft wäre id) zu meinem Vater zus 
rüdgegangen, wenn mtd) nicht eines Davon 
abgehalten hätte: der Gedanfe an Ihre 
Riidtehr hierher. Ich tann nicht für immer 
nad) England abreijen, ohne mich zuvor 
mit Ihnen ausgejprodhen zu haben. Ich 
weiß, Sie nehmen das Leben nicht leicht wie 
jo monde Vianner, und id) bin in vieler 
Beziehung jchwerfjällig geworden, obgleich 
Cie mid) ja immer als bie JBeltbame hin: 
ftellen, die ich wirflid) nur äußerlich bin. 

Mad) bem, was zwilchen uns vorgefallen 
ijt, fönnen wir nicht [o ohne weiteres aus» 
einandergehen. Wir beide würden nie wies 
ber unjeres Lebens froh werden. Wir wollen 
Klarheit haben für die Zutunft, und dazu 
müjjen wir uns aus|predem. Wann darf 
id) Cie hier erwarten? 

Jun muß id) Ihnen noch mankes er: 
zählen, was in [ebter Zeit vorgefallen ift. 

Zunächſt wird Sie die Mitteilung eines 
Dieligen Blattes interefjieren, bie ich Ihnen 
in der Überjegung beilege. Diejelbe lautete: 
Unjere Lejer werden fih gewiß nod) bes 
&apitáns $yerucci erinnern, der längere 
Zeit bier in Gfutari fommanbdiert war, 
bis er plóflid) im vergangenen Herbjt nad) 
Italien zurüdberufen wurde, Wir erhalten 
nun aus Neapel folgende Nachricht: Geftern 
früh fand die Polizei bei einer jag ur ei 
im Keller eines verrufenen Haujes in Torre 
del Greco bie Leiche bes Capitano Ferucci, 
der Dem hiejigen Hafenfommando angehörte. 
Der an|djeinenb Ermordete war an einem 
der Balten des Kellers aufgehängt, bod) fo, 
daß jeine Füße gerade nod) den Erdboden 
berührten. In feiner 3Bru[t jtedte ein Dolch 
von fremdlandijder Arbeit. Die Unters 
juhung bat gegen bie Snjajjen bes Haujes 
nidjits Belajtendes ergeben. Anſcheinend 
peels es jid) um ein Opfer der Viaffia.‘ 

sas jagen Cie zu dem entjetItdjen Ende 
Teruccis? Gewiß hat er fein Gdjidjal per: 
dient, aber bie Nachricht Hat mid) bod) jebr 
erjbüttert. Wie id) font dariiber dente, 
wage ich Ihnen nicht zu fchreiben. 

Aus ben Zeitungen werden Gie wohl 
Jhon wiljen, daß die Wiontenegriner fic 
durch einen plößlichen Überfall in ben Belig 
des Landes Der Hoti und Gruda gejegt 
haben. Hier berrichte jtarfe Erregung dare 
liber, bejonbers bei den albanijden Patrio: 
ten, bie jid) jofort bejchwerdeführend an den 
neuen Fürſten, den Prinzen Wied, in Dus 
ra330 gewandt haben. Er wird ihnen 


aber auch nicht viel helfen können, denn 
ber Güden des Landes befindet fih im 
hellen Aufruhr, der, wie es heißt, durch 
griechiſche Agenten angeitiftet ijt. 

Da ber Fürſt bisher nicht über irgend» 
welche Ek verfügt, ijt er madtlos. Durch 
eine Anzahl bollánbijder Injtruftionsojf- 
ztere fol aber jebt zunächſt eine Polizei: 
truppe ausgebildet werden, die wenigitens 
den Anfang zu einer Heinen Armee daritellt. 

Hier begreift fein Menih, warum Der 
Fürft das Heine und ungejunde Durazzo jid) 
als *Refibena ausgejudt bat, während unfer 
|diónes GCfutari bie gegebene Hauptitadt 
wäre. Sch nehme an, dag ibm die Anweſen— 
beit ber GE Detachements peinlich war, 
die ja ſchließlich eine felbjtändige Macht 
neben ibm bilden. Anderſeits hätte er bod) 
aber ftets Hilfe und Beiltand bier gefunden, 
während er fih in Durazzo ganz in bie Hände 
des ffrupellojen Gjjab Balha gegeben hat. 

Sd) weiß niht, ob Ihr Freund Fuad 
Ihnen [djon mitteilte, baB er jih jet eben: 
is in Durazzo befindet, wo er eine An: 
telung im Dtinifterium gefunden bat. Wie 
Sie wohl wiljen, befand er fid) auch bei der 
Deputation, die den Prinzen in Deutjchland 
aufjuchte. Es tut mir leid, daß wir ben treuen 
Mann niht mehr bier haben. Wie gerne hatte 
ich mandymal mit ibm von Ihnen gejprochen. 

Dagegen bejudt mid) Dottor Braune 
häufig und beweilt mir eine rührende Ber: 
ehrung, weil er in mir, gänzlich unberech— 
tigterweije, Ihre Lebensretterin erb[idt. 

Und nun, lieber Freund, will ich jchließen. 
Sch hoffe febr, febr, daß Ihre Gefunbbeit 
Shnen bald geftatten wird, zu fommen. 

laube, Cie dürfen niht mehr allzulange 
Eortbleiben, jonjt werde ich ſchließlich nod) 
ganz trübjinnig und mel nG id, 

Sdreiben Sie mir, bi.te, jo oft Sie tön- 
nen. Ihre Briefe find augenblidlid das 
einzige, Das mir neuen Lebensmut bringt, 
den id) manchmal recht nötig babe. 

Immer Ihre Gwendolin. 


BB 8B E 

Eiuige Woden darauf traf Briefen wie: 
ber in Cfutari ein. Gr fam diejes Mal von 
der Bojana her und wurde am Hafen von 
SBádjter und ben übrigen Offizieren, die 
unterdejjen um zwei Xeutnants vermehrt 
waren, mit größter Herzlichleit empiangen. 

Wie batte er jid) auf feine Riidfehr ge: 
Bir und mit weld glübenben ‘Farben das 

iederjehen mit Bwendolin ausgemalt. Und 
nun war nichts daraus geworden. 

Nod in Trieft befam er einen Brief von 
ihr, bap fie in unaufichiebarer Angelegenheit 
jofort nad) England miüjje. Eine wichtige, 
Dre ihre beiberleitige Zufunft entjcheidende 

enbung jet eingetreten. Sn Gtutari jand 
er dann eine 9tad)rid)t aus Rom vor, die 
ibm weitere Aurtlärung gab. Gie jchrieb: 
„Mein lieber, lieber Hans, id) glaube, bafi 
id) alle Auslicht babe, mid) als die glüd: 
lichſte pron bezeichnen zu können, die es gibt. 
Was Du immer als fier erwartet haft und 


[SS Fe HE SETS HSS ISI Der Schuß auf bem Bardanjol BESZ 397 


woran td) nie zu — wagte, iſt wirklich 
eingetreten. Ich bin durch den Tod meines 
Onkels in den Beſitz eines Vermögens ge— 
kommen, das mich unabhängig von allen 
äußeren NRüdjichten madjt. Es "n bod) nicht 
anders im Leben: nun er jtebtunjerem Glüde 
nichts mehr im Wege, unb ich habe nur ein 
*Benreben, alle Schwierigteiten fo jchnell 
wie möglich aus dem Wege zu räumen. 

Eewip ift nod) manches Unangenehme zu 
erledigen. Ich fürchte die Schwierigteiten, 
bie mein Mann einer Scheidung entgegen: 
jeten wird, unb ein wenig fürchte id auch 
die unvermeidlichen bójen Nachreden, die 
uns nicht erjpart bleiben werden. Aber 
Deine Yiebe, an die ich glaube wie an das 
Evangelium, wird mir alles leicht machen und 
mir Deut und Fenighit geben, wenn id) 
jd,wad) werden follte. 

Sd) muß lebt nad) Irland wegen einiger 
Formalitäten des Gejtaments. Ron Dort 
will id) aud) meinem Manne die Mitteilung 
maden, daß id) nicht bei ibm bleiben tann. 
Wo aber follen wir uns wiederjehen? Jd) 
tann mir nicht denten, dah Du bald wieder 
Urlaub nehmen darfit. Nach Skutari tann 
ich nicht gurudfommen. 

Uber jehen und jpredjgn muß ich Dich. 
Ru lange jhon habe ich mid) nad) Dir ge: 
bangt, um es «rtragen zu können, jett wieder 
pr unabjebbare Zeit Dih miffen zu follen. 

un babe ich eine Sbee Cine febr liebe 
Freundin von mir ijt die Frau des englijchen 
Konjuls in Durazzo. Gie tann ich jederzeit 
bejuchen. Dort, dente ich, wirft Du mid) aufs 
Indien können, und wir bejpredjen bann alles 
für unjere Zufunft. 

In etwa vier Wochen fann id) dort fein. 
Sd) bin halb náürrijd) vor Freude, Dich 
wiederzujehen. Bitte telegrapDiere mir nad) 
Dublin, Regent Street 6, dag Du mid) lieb 
bait und daß Du nad) Durazzo kommen 
wirit. Ewig Deine Gwendolin.” 

‘Briefen hielt es für das bejte, feinem 
Kommandeur und väterlichen Freunde alles 
zu gejteben unb feinen Rat und Beiltand zu 
erbitten. 

„Ich dante Ihnen, lieber Briefen, für das 
Vertrauen, bas Gie mir entgegenbringen,“ 
jagte Wächter ernjt. „Es ift ein verantwor: 
tungsvoller Schritt, ben Cte vorhaben. Ich 
tenne Frau Gwendolin gut und jchäße fie. 
Aber ich darf Ihnen aud) nicht die großen 
Bedenten verheblen, bie fid) einer Joldjen Vers 
bindung entgegenj.ellen. Dak Ihre Erwählte 
bie Frau eines anderen ift, mit dem fie nicht 

lüdlid) gelebt hat, das bedeutet meiner An: 
Bou nad) das wenigjte. Geſchiedene Frauen 
pflegen häufig in der zweiten Ehe bejonders 
glüdlid) zu werden und zu beglüden. 

„Was id) aber jehr bebentlid) finde ift, daß 
Frau Gwendolin einer fremden Nation ans 

ebórt. Wenn fie auch Brin ijt, jo jtand fie 

ngland bisher minbe|tens nid)t mit Ab: 
neigung gegenüber. Wielleicht — joweit id) 
beurteilen fann — trifft jogar das Gegenteil 
zu. Außerdem ijt Frau Gwendolin in ganz 


anderen Berhältnijfen groß geworden, als 
in denen, in Die Gie jie bringen werden. 
Es gehört febr viel Gntjagung, febr 
viel Tatt auf beiden Geiten dazu, wenn 
eine joldje Ehe glüdlidy auslaufen foll. Da: 
u fommt nod), daß Sie jelber unvermögend 
Kat unb baburd) in ein 9Ibbüngigteitsper: 
bültnis zu Ihrer gufiinftigen Frau tommen 
miijfen, bas nicht jeder Wiann ertragen tann. 
Sd) muB Ihnen daher raten, nicht nur als 
Borgejetter, jondern als freundichaftiidjit 
ejonnener Ramerad, überlegen Cie jid) den 
Schritt nad) allen Geiten, ehe Sie jid) und 
die Frau, bie Cie lieben, in ein nicht wieder 
gutzumachendes Unglüd ftürzen.“ 

„Jh bin mir aller Schwierigkeiten voll: 
bewußt,” entgegnete Briejen feft. „So aber, 
wie wir beide miteinander jtehen, wirde 
ich es als ein Verbrechen halten, wenn id) 
nicht alles an unjere Bereinigung jette." 

Ich fehe, bier ijt nichts mehr zu maden,” 
lagte Wächter miteinemleijen Laceln. „Dann 
tann id) Ihnen aljo nur Glüd wiinjden und 
Ihnen jede Unterftügung meinerjeits vers 
jprechen. Ich hatte jomiejo bie Abjicht, dem- 
nád)t einen meiner Offiziere nad) Durazzo 
zu |djiden, Es geht in ber neuen Reſidenz 
etwas drunter und drüber, und es ijt von 
Wichtigkeit, daß id) über die dortigen mulis 
tárijdjen Verhältniſſe auf dem laufenden 
gehalten werde. Da fid) Ihr Freund Fuad 
tn Durazzo befindet, jo ijt es mir willtoms 
men, daß ich gerade Cie jdjiden tann. Gie 
werden durch Ihren Freund febr viel jchneller 
und bejjer über alles unterrichtet werden, 
als irgendein anderer.“ 

„Und wann bejeblen Herr Major, ba 
id) abreijcn foll ?^ : 

„ch dente, Cie warten nod) ein bis zwei 
Wochen, auf ein paar Tage tommt es dabei 
nicht an. Sie fónnen es jid) ja fo einr.chten, 
bag Cie gerade tur} vor rau Gweidolin 
in Durazzo eintreffen.” 

Wächter hatte fidh leben toe überlegte 
anjcheinend, wie er einfleiden jollte, was er 
nod) zu fagen hatte, hinzufügen mußte. Es 
fiel ihm fidjtbar nicht leicht. Endlid) begann 
er: „Jet muß ich Ihnen aber nod) Mit- 
teilung von einer Angelegenheit machen, die 
Sie fonft wohl niemals erfahren haben 
wiirden. Als Cie damals Durch die Blut: 
race des Gfrelis bedroht in unmittelbarer 
Lebensgefahr fdjmebten, madjte id) mir die 
größte Sorge um Gie und wußte nicht wie 
Ihnen zu helfen fet. Da fam Frau Gwen: 
dolin zu mir mit bem ... dem jeltjamen 
Vorſchlag, dak fie bas Löſegeld von dreis 
taujend Kronen geben wolle. Dest finde 
id) es ja begreijfid), warum fie damals jo 
bejorgt war und mir feine Rube ließ. Gie 
verlangte nämlich, daß ich Das Geld von 
ihr annehmen jollte, um es Ihnen weiter zu 
leihen, weil fie genau mupte, daß Gie es 
von ihr niemals genommen batten. Gie 
Tonnen jih denten, daß die Lage nicht ganz 
einfach für mih war. 

„Sc fand endlich eine andere Löſung — 


898 Borwin Garlíb: 


dant unjerem ffeinen Dispofitionsfonds und 
Ihres Freundes Fuad Vermittlung. Co 
Idhafften wir die leidige Angelegenheit aus 
der Welt. Verichweigen aber fann id) Ihnen 
Frau Gwendolins Anerbieten nicht, um fo 
weniger als es mich felber tief ergrifien 
hatte. Sd) muß Ihnen aud) gelteben, daß 
ich nicht ganz Däer bin, ob Fuad... ober ob 
rau Gwendolin ſchließlich zu ben taujend 
ionen aus meinem Fonds die fehlenden 
zweitaujfend Kronen end geldjojfen bat . . ." 
Briefen ſchwieg. In feiner Seele támpite 
ein harter Rampf. Er war vertrauensjeli 
auf Fuads Merlicherung eingegangen, bob 
bie Cfrelis fid) mit bem Löjegeld von tau: 
fend Kronen einverjtanden erflart hätten. 
Mimmermehr hätte er die Löjung, die er 
jebt erjuhr, annehmen Tonnen : nicht von dem 
reunde, jicher aber nicht von der geliebten 
rau ... ber Frau eines anderen. Aud 
jest nod) empörte fid) fein Stolz. Er preßte 
ie Zähne aufeinander, bie Lippen waren 
ihm wie verjiegelt. 
Gd, erhob er fid), immer nod) ſchwei— 


gend. 

Der Major empfand tiefes Mitleid, fühlte, 
was in ber jungen Offizieren Ceele vorging. 
„Briejen,“ fagte er, „lieber Briefen, glauben 
Cie dem älteren Dianne, daß in jebem Men: 
Ichenleben Lagen vorfommen, die jo auper: 
gewöhnlich find, daß man fie nicht in dem 

ewöhnlichen Schema unterbringen tann. 
agen, bie jchließlich nicht mit dem Bers 
tande, bie nur bird) das Herz zu entjchei- 
en find.“ Er reichte Briejen die Hand: 
„And nun aeben Cie mit Bott!“ 

Wie im Traumwmandel ging Briefen bann 
durch bie woblbefannten Straßen. Und in 
feinem Zimmer jak er lange, lange und jann 
unb jann. Bisweilen zudte ein jäher Schmerz 
in ibm auf: wie follte er vor Gwendolin 
hintreten ? Sollte er jebt, jet, wo bas Glod 
Km Pforten vor ibm geöffnet haben jchien, 

e bod) nod) verlieren? Ctand niht jeine 
Ehre auf dem Epiel? Hatte er feine Ehre 
ion verjpielt? €ebte er nicht nur nod) 
Durch bas Gnadengeſchenk einer Frau? Und 
wenn es Die geliebtejte aller Frauen war: 
würde er je überwinden können, daß fie für 
ihn gezahlt hatte, elenbes Geld gezahlt? 

Dann jah er wieder Wächters gutes Ge: 
ko vor fid) und hörte jeine ernfien Worte, 
ab fein rubiges Lächeln. Wenn diejer Mann, 
bieler ausgezeichnete Offizier, bieler pflicht: 
treue Ramerad jdliehlid) in bie Löſung og: 
willigt batte — jelbjt wenn es mit Wider: 
ftreben gewejen war — jo mußten die Ver: 
haltnijje ibit bod) überzeugt haben, daß fie 
Die einzig mögliche und daß jie minbejtens 
nicht unebrenhaft war. 

... es blieb da freilich ein Reit... 

Aber Gwendolin — Gwendolin — 

Shr war er nur tiefften SHerzensdant 
Ichuldig. Ge ſchärfer er alles iiberdachte, 
deito mehr fam thm erjt zum Bemußtjein, 
was für ein Opfer fie ibm batte bringen 
wollen. Welchen Kampf mußte es ihrem 


zarten Empfinden gefoftet haben, ehe fie fid) 
entichloß, zu Wächter, tem fremden Offizier, 
gu geben und ibn um einen Dienjt zu bitten, 
er fie |o leicht in ein faljdes Licht jegen 
fonnte. ; 

Vor feinem Bedenfen war fie zurückgeſcheut. 
Immer hatte fie nur den einen Zwed vor 
Augen, ben einen Gedanfen in der Scele ge 
habt, ihn zu retten. Aus Todesgefahr zu 
retten! Shr fonnte fein Borwurf gelten. 
Nur Liebe vermochte gutgumaden, was 
$iebe geopfert hatte! 

Co wurde Briejen in den Gedanken an 
Gwendolin allmählich ruhiger. 

Der Reit freilid — der blieb! Wher er 
fühlte: biejen inneren Kampf, den mußt bu 
mit bir allein ausfedten. Shr, ber Geliebten, 
erjpare ibn! Und barre der Zeit, bie viel- 
leicht aud) in dir die lebte Wunde jchließt. — 

Coviel wie in den nächſten Tagen batte 
Briefen nod) niemals telegraphiert. Die 
Depejchen zwilchen Dublin und CSfutari flos 
gen bin und ber. Für Gwendolins Gehn: 
juht gingen Briefe viel zu langlam. Das 
ber jandte fie ZE PE die [ang waren 
wie Briefe und ein Feines Vermögen fojteten. 

Eines Tages aber fonnte Gwendolin den 
Tag ihrer Abreije telegraphieren, und Brie— 
jen erbat daraufhin die Erlaubnis, jid) bent 
nächſt nad) Durazzo begeben zu dürfen. 

Wächter willigie ein und riet ibm, fid) 
einem italieniichen Offizier anzujchließen, der 
an cod feinem Detachement dorthin gejcbidt 
wurde, — 

An einem frühen Morgen Ende uni 
fuhr Briefen von Sfutari ab. Cein Rurjche 
mit einem größeren Kofier begleitete ihn. 
Bis zum Hafen benußten bie Herren ein 
italtenijd)es Laftauto. 

Am Ausgange der Stadt famen fie an 
ber Moſchee mit dem Friedhof vorüber, auf 
dem Riza Pajda Ce liegt, unb Brie— 
jen Dadte an den Abend, wo ^r mit Gwen: 
bolin auf dem Grabe bes tapferen Turfen 
laß, als ber Muezzin zum Gebete rief und 
die Zifaden fangen. Hier waren fie beide 
zum erjten Male fid) ihrer Liebe voll bewußt 
geworden. Debt bildete der ganze Friedhof 
ein wogendes Feld von lila Scyhwertlilien, bie 
wunderbar au ber grellweißen Steinmauer 
unb den dunfelgrünen Zypreſſen ftanden. 

Am Hafen bradte ein Motorboot fie an 
Bord der ‚Dlarghera‘, eines Heinen Fluß» 
dampfers, Der wegen ber Untiefen der Bo: 
jana nur einen halben Meter Tiefgang hatte, 
|o daß für bie Maſchine tein Pla unter 
Ded war und fie daher oben darauf Stehen 
mußte, Durch diefe gewiß praftijd)e Anord: 
nung wurde aber die jowiejo jywüle Tem: 
peratur des heißen Gommermorgens nod 
erheblich gejteigert. Den Herren war es 
jelbjt in ihren dünnen Tropenanzügen faft 
unerträglich. Bleiern [aftete die glühende 
Luft über Flug und Hafen. Auch bie Whe 
fahrt brachte taum Grleichterung, da ber 
Dampjer nur any langjam in bem jchwie: 
rigen Fahrwaſſer babinlrod). 





eessen Der Shuk auf bem Bardanjol Bseseseesessad 399 


Senjeits ber Barre lag ein italienijcher 
Torpedojä.er, der .Fuljiliere', ber bie Offi— 
aere nad) Durazzo bringen follte. Die giem: 
lich flache Riijte bot wenig Snterejjantes. 
Mad) einiger zeit wurde ein größeres Schiff 

ejidjtet, Das der Kapitän als cinen eng: 
(den Kreuzer erfannte. Bald darauf war 
Medua erreicht. Hier tamen die Berge 
wieder dicht an bie Küſte heran, doch blieb 
der ‚Fuljiliere‘ [omeit entfernt, daß man nur 
mit dem Glaje bie wenigen Häujer des 
EE erfennen konnte. 
er Kapitän madte fie auf eine dichte 
Raudwolfe aufmerfjam, bie oberhalb Medua 
hinter den Bergen hervorfam. 

„Dort brennt es jchon feit gejtern,“ fagte 
er. „Bon Medua fommenbe Sieijenbe ers 
zählten, daß bie Aufjtändijchen im *Bormarid) 
~ auf Durazzo find und alle Ortidjaften, Die 
es mit dem Fürſten gehalten haben, an= 
ginden. Es werden jdjmere Tage für Tu- 
ra3330 fommen. Sch babe gehört, dağ wir 
nod) einen. unjerer Kreuzer dorthin jchiden 
wollen. Der ‚Dandolo‘ liegt ja ihon da 
und Debt dem Fürſten jederzeit aur Ber: 
fügung, falls er fid) in feiner Sjauptitabt 
sa mehr jidjer genug fühlen folte.” 

riejen hatte das Gefühl, als wenn bas 
Unbeil, bas über bas junge Fürſtentum hers 
aufzog, bem Italiener eine gewijje Genug» 
tuung bereitete. 

Nad weiteren zwei Stunden fam Durazzo 
in Sicht. Hier traten bie Berge wieder weit 
vom Ufer zurüd, die Stadt liegt in einer 

roen Elene. Als man jchon jo nahe dem 

Sajen war, daß man die Dienjchen am Ufer 
unterjcheiden fonnte, mußte ber ‚Fujliliere‘ 
nod) mehrere Kilometer weit nad) Güden 
fahren, um dort bie Einjahrt in bie aud 
bier befindliche Barre zu juchen. 

Endlid legte man nicht weit vom Ufer 
entfernt an. Während einige Boote vom 
Lande berfamen, erklärte der Kapitän feinen 
Bälten die Stadt. Das große weiße (Pe: 
bäude gleidh linfs neben der Landungsbriicde 
war Der fiirjtlide Konat, ehemals Sig ber 
türtijhen ‘Berwaltungsbehorden. Rechts daz 
von lagen Die Häujer des Zollamtes, des 
Djterreidjijden Lloyds und der öjterreidhis 
cen und italienijden Pot. Das war aud 
$ ziemlich alles, was jid) von bejjeren Ge: 
bäuden in Durazzo bejanb. Gelbjt Ejjads 
Konat war nur eine Heine einjtódtae Villa, 

Über den fürjtlichen Konat hinweg jah 
man eine Anhöhe mit einer alten Ruine. 
Dies war bie Zitadelle, auf der jebt eine 
Batterie ftand, die Italien dem Fürjten zum 
Geſchenk gemacht hatte. Sie feuerte, jo daß 
man teutlich die Stellung eines jeden der 
vier Bejchi Be erkennen fonnte. 

„Die Aufſtändiſchen jcheinen einmal wieder 
einen Angtif zu machen,“ meinte ber Sta: 
lieuer. „Seit etwa adt Tagen liegen fie 
Boon ziemlich didt vor der Stadt, haben 
aber bisher vor den Geichügen nod) immer 
einen betllojen thejpeft gezeigt.“ 

Die Boote waren herangefommen, und 


die Ojfigtere nahmen Abjchied von dem galt: 
liyen Rommancanien, 33r.ejen jollte jid) bei 
jeınem Wejandten melden, fand aber zunächit 
memanden, Der (bm den Weg zeigen fonnte. 
Ziemlich ratios |tanb. er mit feinem Burs 
\yen und dem großen Kofler an der Lanz 
Dungsbrude unb Jab, weldje Wujregung das 
Teuer der Batterie verurjadte. Beri.tene 
Wendarmen galoppierten zum fürgtlichen 
Konat hin, vor bem zwei Albaner auf Hotten 
jtanben, unb ein Trupp albanijdjer Infans 
terie eilte im £anfjdjritt eine enge Gaffe 
hinauf. Gie waren als Soldaten nur an 
einer roten Binde mit bem jchwarzen Adler 
am rechten Arm kenntlich. 

Sept tam ein Offizier mit zwei Albanern 
zu jerde angejprengt. Er trug eine Art 
von deutjcher jyelbunijorm, aber aud) mit 
e Ge albanijd).n Binde anb bem weis 

en Mes, 

Als er Briefen bemerkte, madjte er halt, 
grüpte und jagte: „Beltatten Gie, 2 ich 
mid) vorjtelle, id) bin Wiajor Ferjen, Roms 
mandant Der firjtliden Kavallerie.” 

Briejen nannte Yiamen und Abjichten und 
bat um Unterjtiigung. „Haben Ste "don 
Quartier, Herr Kamerad?“ 'ragte Ferjen. 
Und als Briejen verneinte, meinte er: „Dann 
werden (ie jo leidyt nichts nebr finden. 
Darf id) Ihnen vorläufig meine Behaujung 
anbıeten? Ein Bett ınd inen Stuhl fann 
id) Ionen jedenfalls tod) veridjagfen." 

Briejen najm danfbarjt an, bis ^r etwas 
anderes gifunden haben würde, 

„xeider fann id) jelber nicht mitfommen, 
denn es ſcheint, als wenn die Aufitändijchen 
einen Angriff beabjicytigen, und th will das 
ber meine Meute alarmieren. Sd) gebe Ihnen 
aber eine Ordonnanz mit, Die etwas deutſch 
verjteht und Ihnen behilflich fein tann. Und 
nun auf Wiederjehen, die Pflicht ruft.“ Das 
mit ritt er Davon, 

Unter Führung des Wlbaners erreichte 
Briejen durd) ein Gewirr Heiner jd)mufiger 
Gakuen, in denen es unbeinilid) ſcharf nad 
Bodyett und &noblaud) bujtete, die Woh: 
nung jerjens, die aus zwei Zimmern in 
einem unjcyeinbaren Hausdyen bejtanb. 

Ulis der Burjche mit bem Gepud antam, 
bas von zwei Yigeunern getragen wurde, 
jagte Briejen: „Hier werde id) wohnen, 
Pen Gie alles aus, legen Cie den Schlaf: 
jad an die Wand und vergefjfen Sie ja bas 
Wiostitonch niht. Wo C.e jelber ſchlafen 
werden, wird fih nod) finden, aber aud) Gie 
dürfen nicht ohne Wlüdenjchleier ruben. 
Tiejes Durazzo ijt eines der jchlimmiten 
giebernejier, die es gibt. Sd) gehe jet, um 
nud) beim Gejandten zu melden.“ 


8 8 

Vor einer elenden Holzbaracke hielt der 
führende Albaner und meinte, hier müſſe 
ber Geſandte Deutſchlands wohnen. Zur 
Grfunbigung begab er jid) in einen dort bes 
findlihen Gemüjeladen und führte dann 
Brieien burd) den Hof und eine enge Treppe 
hinauf. An einer Holztür jtand „Philipp 


400 Betecetete steep esse] Borwin Barlig: "ses: SSRI 


Bertold, Secrétaire be Légation” und fo: 
leid) erinnerte fid) Briefen des Freundes, dər 
thm Triejt gezeigt hatte. Gr tlopfte an, trat 
ein, und groß war bie gegenjeitige Freude, 
„Wie tommen Gie hierher?“ Diejelbe 
Frage ertönte gleichzeitig. Briefen erklärte 
jeinen Auftrag, und Bertold erzählte, daß 
er Bejandtjchaftsjetretär und einzige Stütze 
des Gejandten ware. „Und wie finden Cie 
unfer Bejandtichaftspalais ?^ jette er lachend 
hinzu. „Außer biejem meinem Zimmer bes 
lit aud) ber Gejandte nur einen einzigen, 
wenn aud) etwas größeren Raum, in dem 
er jchläft, arbeitet und Bejuche empfängt. 
Nicht jebr würdig für Deutjchland, werden 
Cie denten, aber was follten wir machen? 
Die Ernennung fam ona plößlid), und es 
war beim bejten Willen unmöglid), irgend» 
eine geeignete Wohnung zu finden. Ales 
war |don von Bjterreich und Stalien be 
Ihlagnahmt, und das einzige jogenannte 
de das es bier gibt, batte aud) nicht ein 
immer zu vergeben. Syd) werde Gie aber 
jest beim Herrn Gefandten anmelden.“ 

Er flopfte an die Tür bes Nebenzimmers, 
in Der er verjdjwand, um gleid) darauf 
Briefen hereinzubitten. 

Briefen meldete fih und erzählte von 
feinem Auftrage. Der Geiandte bat Play 
zu nehmen und entjichuldig:z fid) auch jofort 
wegen der Wohnung. Gie war in ber Tat 
rührend, dieje Unterfunft des Wertreters 
eines der mächtigiten Staaten. Ein Feld: 
bett, ein Waſchtiſch, ein Cdreibtijd), nod) 
ein anderer Tijch, ein paar Stühle und als 
einziger Luxusgegen|tand ein Triumphflapp- 
ftubl. Das war alles. Die Wälche und 
Kleider des Herrn Gejandten, jowie bie Aften 
ber Gejandt) Haft befanden jid) in verjchies 
denen umberjtehenden Kiften und Koffern, 

Er jelber, ein nod) verhältnismäßig junger, 
äußerjt lebenswiirdiger Viann, war aus der 
Konjulatstarriere hervorgegangen. Yad 
einigen freundlichen Worten entichuldigte er 
fi mit Arbeit und Dub Briejen zum Abend 
ins Hotel Europa ein, wo er jtets zu ejjen 
pileate. 

Bertold dagegen hatte noch Zeit und hielt 
feinem Freunde gleich einen kleinen Vortrag 
über Durazzo. Es Iden feine Spezialität 
zu fein, den politijden Fremdenführer zu 
machen. Nachdem die Zigaretten entzündet 
waren, begann er: „Unier jüngites Fürjtens 
tum liegt, unter uns gejagt, anjcheinend in 
den lebten Zügen, fo daß aud) die hielige Ges 
landtichaftsherrlichfeit — oder vielmehr Mi— 
jere — Demnddjt ihr Ende erreichen wird. 

„sm Süden an der Grenze tobt der Auf: 
Honn und hat fid) bereits aller Gebiete be: 
madtiqt, wo griechiſch orthodoxe Albaner 
wohnen. Ste wollen lieber zu Griechenland 
gehören, als fid) der vorwiegend mujelmas 
niidjen Regierung unterwerfen, bie vor allem 
durch (jjab vertreten wird. 

„Dieier Eſſad Palda bildet ein Kapitel 
für fih, und es ift nicht einfach, ibm voll: 
tommen gerecht zu werden. Ehrgeizig, jelbjts 


füchtig, verlogen, beftechlich, für feinen eige: 
nen Worteil zu jeder Schandtat bereit: das 
ijt fo eine tfeine Mujterlarte von Liebens: 
wiirdigfeiten, bie jeine Feinde ibm zuſchrei— 
ben. Er mag von allen diejen Eigenichaften 
einiges haben, immerhin bleibt vielleicht nod) 
ein Teil von Patriotismus übrig. 

„Anfangs hat er jider ben Giirften unter: 
ftügen wollen. Als er bann aber jab, ban 
es Diejem nicht gelang, fih genügenden Ein: 
fluß zu Derihaffen, jcheint er eine Schwen: 
tung zu Italien gemadjt zu baben unb jieht 
das Heil Albaniens jet wahrjcheinlidy in 
einer tt alienijchen VBorherrichaft. Sbm gegen: 
über gibt es nur zwei Möglichkeiten, Die td) 
am liebjten dem ;Fürjten jelber vorjdlagen 
möchte. Entweder Gjjab aufhängen zu laſſen 
oder ibn mit unumjchräntter Diachtbefugnis 
Au verjehen. Das erjtere wäre bas praktiſchere 
und finnte dem Fürſten jofort zu großer 
Boltstümlichteit verhelfen, wenn er bie gro: 
Ben Güter ae bejdjlagnabmen und our: 
teilen ließe. Aber aud) auf die zweite rt 
wäre Eſſad vielleicht nod) dem Fürſten zu: 
rüdzugewinnen, Anjtatt deffen wird ihm 
jebt mißtraut, und es heißt, er jolle des Lan: 
des verwiejen werden. Dieje Maßnahme 
wäre natiirlid) bie allerunglüdlidjite und 
wird infolgedejjen wohl zur Ausführung 
tommen.“ 

Bertold zündete fic) die zweite Zigarette 
an und berichtete mit einem gewiſſen iro: 
nilden Behagen weiter: „Was augenblid: 
lid) den Beltand des Fürſtentums unmittel: 
bar in frage ftellt, ift ber Aufitand der 
mubamebantidjen Bevölferung bier in ber 
Dritte bes Landes. llrjprüngltd) ift er fidjer 
bird) italienische Agenten und deren Be: 
itedjungsgelber hervorgerufen worden, und 
Eſſad hat, wenn er ibn aud) vielleicht nicht 
unterftiijte, jo Dod) niht mit allen Mit: 
teln gegen ihn gearbeitet. Er wollte ge: 
beten werden, wollte jid) mit allen Mad)t: 
befugnijjen befleiden lajjen und dann als 
Retter des Landes und der Dynafjtie er» 
Icheinen. Sekt find bie Aufjtändigen immer 
frecher geworden und haben fogar jhon die 
Stadt Durazzo bejchojjen, bie fie in weitem 
Bogen umlagert halten, jo dak bem Fürſten 
außer feiner Haupijtadt und dem Ylorden 
des Landes, Das Durd) die Detadements 
ber Broßmächte im Jaume gehalten wird, 
nichts mehr übrigbieibt. 

„Srgendweldye Truppen, bie nur halb: 
wegs Diejen Jamen verdienten, bett der 
Fürſt nicht. Cinigermagen zuverläjjig find 
etwa zweihundert, von Den holländiſchen 
Injtruftionsoffizieren ausgebildete Gendar- 
men. Dazu tommen mod) einige Taujend 
albanijder Krieger, bie aber nur den Ramen 
einer bewaffneten Horde verdienen. Die 
wenigen Holländer verjuden, unterjtüßt von 
einigen ehemaligen beutidjen und öſterreichi— 
iden Offizieren, etwas Ordnung und Dilziplin 
in die Gejellichaft zu bringen. Solange die 
Regierung nod) regelmäßig ben Sold an die 
Truppen auszahlt, wird es wohl gehen, aber 





Junge Witwe 


Gemälde von Peter v. Hamme 


der Schuß auf dem Bardanjol 401 


es heißt ſchon, daß das Geld in der Regie— 
rungskaſſe faſt zu Ende iſt, und dann iſt es 
aus mit der Herrlichkeit.“ 

„Kennen Sie den Major KE bei dem 
ic) Unterfunft gefunden habe?“ fragte 
Briefen. 

„Natürlich fenne ich ihn. Er hat es in 
der Deutiden Armee bis zum Fahnenjunter 
der Kavallerie gebradht, ging [páter in tür: 
fildje Tienite, war mit Enver in Tripolis 
und bat jid) jest vor etwa zwei Monaten 
bem Fürſten zur Verfügung geltellt. Da er 
viel von Werben verjteht, hat ihn ber Fürſt 
mit ber Aufjicht über feine eigenen Pferde 
betraut und ihn gleichzeitig zum Major und 
Kommandanten der ganzen Kavallerie er: 
nannt, Die immerhin etwa eine Esfadron 
Dorf ijt. Er:gilt als ein febr rüdjichtslofer 
Draufgänger und pajjionierter Soldat.“ 

Brivjen bedankte jid) für bie umfajfende 
Auskunft und verabjchiedete fih bis zum 
Abend, wo er mit Bertold zujammen beim 
Gejandten im Hotel Europa effen folte. 

Sn feiner Wohnung angelangt, fand er 
ihon alles ganz gemütlich eingerichtet vor. 
yerjen hatte nod) ein Bett bejorgt und fo: 

ar einen &leiberid)rant, jo dak ber Burjche 
ereits bie Sachen auspaden konnte. Auch 
ein Frübitüd war angerichtet, zu dem fein 
freundlicher Gajtgeber thn einlud. 

Natürlich) bildeten die militärischen Er: 
eignijje Das Hauptthema der Unterhaltung, 
und es war ‘Briejen jehr willfommen, dağ 
er auf dieje Weije jo jchnell und gut unter: 
richtet wurde, ý 

erjen war durchaus Optimijt. Er wollte 
Durazzo, bas nur auf einer ſchmalen Enge, 
die durch ausgedehnte Giimpfe führt, am: 
gegriffen werden konnte, mit hundert zuver— 
lälııgen Leuten ein Jahr lang halten. 

Jum waren ja allerdings die Aufſtän— 
bilden zehn: bis fünfzehntau)end Mann ftart 
und den fiirftliden Truppen bei weitem über: 
legen, die dafür aber zwei Batterien und 
aht Majdhinengewehre belaßen. Ginmal 
waren Die Feinde allerdings jchon jo nahe 
an der Stadt gewejen, dah verirrte Belchojle 
bis an den fürftlichen Konat flogen. 


Si 88 

Am nádjiten Morgen fucdhte Briefen feinen 
Freund Fuad auf, bem ein Büro in einem 
der kleinen Zimmer des fürjtlichen &onats 
angewiejen war. Groß war Die Freude des 
Miederjehens, bie belonbers den Albaner 
derartig eiregte, Dak Briejen einem jchon 
damals gehegten Wunjche nuchfam und den 
Freund bat, fid) mit ibm auch als äußer: 
lides Zeichen der Brüderſchaft zu duzen. 
Geriihrt und faum der Worte madtig ſchloß 
der Wibaner ihn in feine Arme, und Die 
beiden jo gänzlich verjdiedenen SUtánner 
taujdten ben Bruderkuß. 

Zunächſt mußte Briejen erzählen, wie es 
ibm bisher ergangen war, Natürlich ſprach 
er aud) von feinen Beziehungen zu Gwen: 
dolin und ber Hoffnung auf ihre baldige 
Vereinigung. Fuad war ganz begeijtert 


darüber und meinte, daß er fih bie jchönite, 
bejte unb tapferjte Frau ausgejudt habe, 
bie es gäbe. Daran, daß [ie bie Frau eines 
anderen war, nahm er nicht ben geringjicn 
Anſtoß. (Gbejdjeibungen waren bet ben Diu: 
bamedanern nichts Seltenes. 

Dann berichtete Fuad über Albanien. Er 
jab febr trübe in bie Zufunft und jchien ttejbe: 
brüdt. „Ich weiß mir und meinem Baterlande 
feinen Rat mehr,“ Jagte er jeufzend. „Ule 
ohne Ausnahme wollen von unjerem armen 
Lande immer nur nehmen und feiner bringt 
etwas, Gewiß' will unfer Fürjt das Beje, 
aber die Grokmadte geben ihm bie ver: 
Iprochene Anleihe nicht, ohne die er maht: 
los ijt. Rein Menſch bier fann es begreifen, 
warum bein mächtiges Baterland einem 
jeiner Prinzen die Erlaubnis gegeben hat, 
den albanijchen un zu bejteigen, um ihn 
dann hilflos dort [e zu lajjen.“ 

„Lieber Fuad,“ jagte Briefen, „Deutjch: 
land ijt an Albanien nicht interejjiert und 
hat immer nur das ?Bejtreben, zu vergin: 
dern, daß feine beiden Bunbesgeriöffen, Diter: 
reih und Italien, fic) jemetmegen ver: 
unetnigen. Es gibt tn Deutjchland viele 
Fürjtengeichlechter, bie Ion mehrfach Dion: 
archen Fir fremde Länder gegeben haben, 
ohne daß wir irgendwelche politijchen Ab— 
jichten Dabei hatten. Dente bod) nur an 
Bulgarien oder Rumänien. Wenn ein deut- 
ier Pring fid) auf einen fremden Thron 
begibt, Dann muß er fid) allein weiterhelfen. 
Bon Deutjchland hat er höchſtens wohlwols 
lende Sympathien zu erwarten.“ 

„Das verjtehe ich nicht,“ meinte Fuad, 
„und ebenjo wie mir geht es allen anderen. 
Rimm einmal den Yall, ein frangojijdyer 
ober italienijdjer Prinz wäre Fürſt von 
Albanien geworden. Ic, glaube, feines der 
beiden Lander hätte fid) die Gelegenheit ents 

eben laffen, jegt bier dem Fürjten zu Hilfe 

ruppen zu landen. - Aber jo wie bie Sathe 
nun einmal ftebt, ift bie Lage bes Fürjten 
hoffnungslos.“ 

„Was macht denn aber Pring Favor? Er 
[oll bod) mit mehreren Taujend Mann von 
Bolane Ber in Anmarjch fein, um dem Fürs 
ften zu helfen?” 

„Allerdings marjchiert er heran, und fein 
Weg wird durd) die Trümmer der zerjtörten 
und brennenden Dörfer bezeichnet. Geine 
wilden dhrijtlidjen Maliſſoren tennen feine 
Schonung gegen alles, was mulelmanijd) ijt, 
unb morden und plündern. Ihnen fommt 
es vor allem darauf an. Beute zu machen, 
und der Pring felber erhält vom Fiirjten 
täglich zehntaujend Kronen zur Unterhaltung 
feiner Krieger. Won diejen Leuten erwarte 
und hoffe ich nichts Gutes." 

„And Eſſad *Bajdja ?^ 

„Eſſad hält es mit bem, Der bie größte 
Macht beiigt, und das jcheint ihm augen: 
blidiid) Italien zu fein. Die einzige Hoff: 
nung, Die ich habe, ift bie, daß jchlieklich 
bod) nod) eine Grofmadt, am liebjten wäre 
mir Ofterreid), bas ausgezeichnet mit ben 


402 BESSERES Borwin Carlig BSSSeses=3SSessssi 


Muhamedancrn umzugehen weiß, unfer Land 
beiegt und erjt einmal geordnete Verhält— 
nijje berjiellt. Unter feinem Schuße tónnte 
dann ber Fürſt fid) einleben. In biejem 
Sinne arbeitet außer mir noch eine Anzahl 
gleichgelinnter Patrioten. Aber Italien und 
aud) England intrigieren überall aufs 
ſchlimmſte. €etteres halt fid) jcheinbar zurüd, 
unterjtügt und ermutigt Stalien aber cuf 
jede Weile, um es immer weiter in Die 
Feindſchaft mit Sjterreid) hineinzutreiben.“ 

Fuad jchwieg, und Briefen wußte nicht, 
wie er ibm Diut gujpredén follte. Wud 
ibm jchien nad) allem, was er gefehen und 
aebórt hatte, bie albanijche Tragödie ihrem 
Ende zuzugehen. 

Gwendolin hatte ihre Ankunft mit bem 
‚Baron Brud, bem Schnelldampfer des 
Lloyd, angemeldet. Das Telegramm fam 
aus Bari, von wo fie einen italienijchen 
Dampfer bis Antivari benugen wollte, um 
dort auf den ‚Baron Brud' umzujteigen. 

Früh um jede Uhr morgens lief das 
Schiff auf der Reede von Durazzo ein, wo 
es in ziemlicher Entfernung vom Lande 
anfern mußte. Durch Fuad erhielt Briefen 
ein Motorboot gejtellt, mit bem er jchon 
lange die Ankunft bes Dampfers erwartete, 
jo daß er jojorf an Bord jteigen fonnte. 

Tief jahen fid) die beiden Slüdlichen in 
die Augen und wußten, daß nichts mehr fie 
trennen würde. Dann fuhr Briejen Gwen- 
dolin mit ihrer Jungfer unb dem Bepäd 
an Land, und er hatte trog aller Glückſelig— 
feit doch nod) Zeit, über die Unzahl von 
Koffern zu erjtaunen, bie eine Dame auf 
Zeilen mit fid) zu nehmen vermag. 

Sn ihrem febr hübjch eingerichteten Him, 
mer fand Gwendolin einen Brief ihres 
Mannes vor, den fie nur mit Herzflopfen 
öffnete. Gr jd)rieb: ,Liebe Gwendolin. Ich 
none Deine Nachricht empfangen, daß Du 

id) von mir trennen willjt, und irre wohl 
nicht, dah Deine große Erbjdaft in eriter 
Linie dazu Die Veranlafjung tjt. Ich gebe 
Dir aber folgendes zu bedenken. Du fannft 
mir nicht den Vorwurf madjen, daß id) Dich 
in unjerer Ehe irgendwie in Deinen Nei: 
gungen behindert habe. Wenn wir aud) in 
egter Zeit nur nod) wie Freunde zufammen 
lebten, jo geſchah es bod) deshalb, weil Du 
jelbjt es jo wolltejt. Auch fonjt führten wir 
ein Leben, das in jeder Hinlicht Deinen 
Wiinjchen und Neigungen ent|prad). Beh 
tann Dir jdjn mitteilen, daß mir bie Be: 
rufung ins indische Miniſterium ficher ift, 
wo wir eine Ctellung einnehmen werden, 
um die uns viele beneiden Tonnen, 

Eine Echeidung würde uns beiden große 
Unannehmlichfeiten bringen, mir würde fie 
in der Karriere fchaden, und wie man bei 
uns Au Hauje über eine geichiedene Frau 
Denft, bas weißt Du ja felber am beiten, 
Ich mache Dir daher den Vorſchlag, weiter 
als gute {Freunde beilammen zu bleiben, im 
übrinen aber uns gegenjeitig das Redt au: 
zugelichen, gu tun und lajjen, was wir 


wollen. Du fiebft, daß id) bir bas Hußerite 
ugeitehen will, bas eine Frau von einem 
Leen Vianne verlangen tann. 

Auch auf eine andere, etwas unangenehme 
Sahe muß id) nod) Dein Augenmert richten. 
Du erinnerjt Dih Teiner Angelegenheit mit 
Baron Traubenberg. Leider bat mein Ge 
heimjefretar Wind davon befontmen. Nun 
ijt es ja völlig ausgejdlojjen, daß er fid) 
das geringjte merten lajjen würde, Jolange 
Du meine Frau bunt, denn er hofft durch 
mich auf eine weitere gute 9Injtellung. Wenn 
dieje Rüdfichten aber für ibn fortjallen, jo 
it es immerhin bentfbar, daß er eines Tages 
jpredjen fónnte, Bon den etwaigen [traf» 
rechtlichen Folgen will id) gar nicht reden, 
aber mit Der Möglichkeit mußt Du rechnen, dak 
Tein Vaterland Tir für ewig verjperrt bliebe. 

Sd) hoffe, Du wirjt Dir alle dieje Gründe 
forgfältig überlegen, id) felber habe eine viel zu 
große Meinung von Deiner Klugheit, als 
daß ich Dir einen nicht wieder gutzumachen: 
den Schritt zutrauen fonnte. Jedenfalls bitte 
id) Sid) barum, dab Du fobald wie möglich 
zu einer Ausiprache hierher fommit. 

Bis dahin bin id) in BEE 

obert.” — 


Wis Briefen fid) bet Bratfords melden 
ließ, empfing ihn Lady Georgina allein. 
Cie war eine große, ſchlanke Erjcheinung 
von vornehmer Häßlichkeit, wirkte aber durch 
ſchöne und gütig blidende Augen febr Tom: 


pathifd) 

„Es freut mid) Ka, daß Cie uns bes 
ſuchen,“ fagte fie. ,*Bejonbers für meine 
NEE Bwendolin, über die id) mir in 
egter Zeit manchmal jchwere Gorgen ges 
madt babe. Ich dente, fie wird gleich fom: 
men, ihren Freund zu begrüßen.“ 

Da trat bie Erwartete gud) ſchon ins 
Zimmer, und Lady Georgina ließ taftvoll 
die Liebenden auf einige Seit allein. 

Mit jchnellen Worten berichtete Gwen: 
dolin von dem Briefe ihres Mannes, ohne 
natürlich bie Cache mit Traubenberg zu ers 
wähnen. „Ich werde den Kampf mit ihm 
aufnehmen,“ jagte fie. „Ich dente, es wird 
nicht allzu ſchwer fein, daß er mid) frei 
läßt, wenn ich ibm nur genügend Geld 
dafür biete,“ 

Zu einer Erwiderung, zu einer Ausjprache 
fam Brieſen nidt. enn gerade als er 
Bwendolins Hände gefaßt hatte und särtlich 
fiigte, gerade daß er gejagt: „Ich dante bir! 
Wie ih bir dante!” — traten Bratfords mit 
erregter Miene wieder ein. Der Konſul 
hielt eine foeben eingelaufene Depejde in 
der Hand und teilte, nad) flüchtiger Vor: 
itellung, mit bebender Stimme den Inhalt 
mit. Das Telegramm enthielt bie Nach: 
richt von der Ermordung des öjterreichiichen 
Thronfolgers und jeiner Gemahlin in Gera: 
jewo durch ferbijche Mörder. 

Das jchredli.ye Ereignis blieb an diesem 
gor nage ber ausſchließliche Gejprád)ss 
tojf. E 


e. WS 8 


D: 33:39-39:93 Der Schuß auf dem Bardanjol 403 


Die Ereigniffe drängten fidj. — 

Fnad teilte feinem {Freunde mit, er habe 
Gewipheit, bag italienische Spione mit den 
Aufitändiichen in Dauernder Verbindung [táns 
ben. Er bezeichnete bejonders einen ‘Pros 
feilor unb einen in Durazzo anjálfigen Kauf: 
mann, bie auch täglich im Hauje bes italies 
nilchen Gejandten verkehrten. 

Briefen madhte dem Viajor Ferfen bier: 
von Mitteilung. der fic) mit einem der hol: 
ländijhen Dfriziere in Verbindung fegste. 
Syn der Jtad)t wurden die Italiener verhaftet 
unb ins Unterjuchungsgefängnis gebracht. 
Cojort aber erhob der italienische Gejandte 
Protejt und verlangte bie Beitrafung fFer: 
jens und des Holländers. An Briejen wagte 
er jid) allerdings niht heran, machte abet 
Konful Bratford davon Mitteilung, daß der 
Deutiche in gefährlicher geheimer Verbin: 
dung mit einlußreichen Albanern ftiinde. 

Zieler teleqraphierte an Herbert nad) 
Stutari und erbat fih Auskunft über Bries 
jen. Shon am gleichen Tage erhielt er fols 

ende Antwort: „Briefen ijt höchſt gefábrs 
iher Cpion, Dellen Bejeitigung mit allen 
Mitteln erjtrebt werden muß. Er weiß Ge: 
eimnijje, bie aud) für England gefährlich 
inb. Baron Traubenberg teilt mir mit, 
op Montenegro im Falle eines ſerbiſch— 
Öjterreichiichen Konflittes Serbien unterjtügen 
wird. (Er wird morgen in Durazzo eins 
treffen und Ihnen näheres erzählen.“ — 

Yn einem der nächſten Tage unternahmen 
bie Aufjtändijchen einen neuen Angriff auf 
die Stadt. 

Sobald bie Gefdiike von der Zitadelle 
herab donnerten, begab fih Briejen dorthin, 
um nad) dem Stande bes Gefedjtes zu jehen. 
vum mit jeinem Burjden, beide mit 

rownings bewaffnet, gelangte er in fünf» 
zehn Viinuten in bie Nähe der alten Ruine, 
wo die Batterie ganz offen aufgefahren war, 
denn der Gegner batte ja teine Geſchütze, 
um das euer zu beantworten. 

Ter Batterieführer. ein junger Holländer, 
der ausgezeichnet beutid) jprad), bat Briefen 
nábergufommen und erklärte thm die Stel: 
lungen beider Gegner. „Sie jeben, daß Du- 
razzo auf einer Art von Halbinfel liegt, 
deren eine Seite Durch einen großen Sumpf 

ebildet wird. Hierdurch bleibt für einen 
ngtiff auf bie Stadt nur ein etwa fünf: 
hundert Meter breiter Strid) an der Gbaujjee 
nad) Tirana zur Verfügung. Cie Tonnen 
die Straße deutlich jeben. Dort in den 
Riifchen vor den legten Häufern der Stadt 
befinden fih unjere Stcllungen, ziemlich 
leihte Schützengräben. Weiter nad) vor: 
wärts, dort wo bie Cchrapnells meiner 
Batterie plagen, liegen überall in bem Buſch— 
wert unb in ben Modern bes unebenen Boz 
bens einzelne Gruppen des Feindes. Geine 
Haupttrajte halt er viel weiter zurüd aus 
Reijpett vor meinen Geſchoſſen.“ 

Briefen beobachtete durch feinen Beib, 
daß ab unb zu einzelne Yeute bes Feindes 
weiter vorliefen. Sie hatten es jhon ges 


lernt, fid) im Wrtilleriefeuer zu bewegen. 
Da er aber bod) von hier oben zu wenig 
jah, befdjloB er, fid) weiter vor zu begeben, 

Zunädjt ging er zurüd in die Stadt, bie 
in beillojer M regund war, In einer der 
engen Straßen begegnete er bem Fiirften, 
der wohl vom Rampfplaße guriidfam. Geine 

roke, jchlante Figur in einer prächtigen 
bantafieuniform mit weißem Fes und lane 
nem Sieiberbu|d) wirfte großartig. Tiefer 
(rnit lag auf ben blaffen, etwas eingefals 
lenen Zügen, Wn feiner einen Ceite ritt 
der deutſche Hofmarichall, an der anderen 
ein albanijder Adjutant. Etwa dreißig Als 
baner in wilden, malerischen &ojtümen folg: 
ten, Als Briefen grüßte, banfte der Fürſt 
mit freundlichem Lächeln. Shon zweimal 
hatte Briejen vergebens verjucht, eine Aus 
dieng zu befommen, Dod) war ber Fürft 
jedesmal bejchäftigt gewejen. 

Mad) etwa einer halben Stunde erreichte 
er das Ende der Stadt, eg he geraume 
Zeit vorher hörte er bas Pfeifen ber Ge: 
inebrgejd)ojje unb mehrfad) einen laut flats 
len pen Einjchlag in einem ber Hausdächer. 

inter den legten Häujern ftand ein Trupp 
Ilbaner, bei denen er feinen Quartierwirt 
qerjen erfannte, ber heftig auf bie Leute 
einredete. 

,Geben Sie mehr nad) rechts,“ jchrie ihm 
— zu, „ſonſt werden Sie totgeſchoſſen. 

ie Kerle haben ſich heute ſo nahe heran— 
gewagt wie noch nie. Vorn in den Schützen— 
pee liegen nur etwa hundert Gendarmen, 

ie dringend Unterftügung brauchen. Aber 
lauben Cie mir, daß es móglid) ijt, meine 
Merle vorwärts zu bringen? Lergebens habe 
id) es mit Drohungen und Bitten verjudht. 
Cie verlangen jet bier an Ort unb Ctelle 
eine Zulage zu ihrer Lohnung, bie id; ihnen 
dod) nicht geben fann. Dabei fonnen jeden 
Augenblid bie Gendarmen über den Haufen 
gerannt werden. Es ijt zum Berzweifeln 
mit biejer elenben Bagage.” 

„oft bas alles an Truppen, was augen» 
blidlid) bier ijt?” fragte Briefen. „Damit 
können Cie bod) die Stadt nicht halten,“ 

„Drinnen im Ort wimmelt es noch von 
Bewaffneten,“ jchrie $yerjen erregt, „aber 
entweder find fie bejtod)en oder feige, jeden: 
falls habe id) feinen dazu bewegen können, 
mit mir herauszufommen,. Aber drei von 
meinen Rameraden, ein Deuticher und zwei 
Siterreicher, find nod) dort und verfuchen ihr 
möglichites. Cine einzige Rompagnie Deuts 
ler Truppen bier, und ich wollte die ganze 
Bande bis nad) Tirana zurüdtreiben.“ 

„Wo find denn die Majchinen.ewehre ?^ 

„Bott jet Dank, die ftehen bier verteilt 
in ben legten Häujern der Stadt. „Zwei 
wadere hollandiſche Offiziere find bei ihnen 
und bei jedem Gewehr als Bedienung ein 
ehemaliger Ddeuticher oder öjterreichiicher 
Unteroffizier. Gie bilden unjere legte Res 
ferve, wenn ber Gegner heranfommen folte.” 

Sn bicjem Augenblide ertönte von rechts 
ber bas belle, idjarje Tad: Tad eines Mas 





ihin ngewehrs, bem fich alsbald ein zweites 
anſchloß. „Set fommen fie uns Dod) über den 
Hals!” rief Ferjen. „Machen Sie, daß Cie 
ortfommen, was wollen (Cie fih bier tot- 
hießen laffen von biejem Gefindel? Für 
mich ijt es ja leider meine verdammte Pflicht 
und Cdjulbigteit." 

Debt jchlugen die Gejchofle derartig 
häufig in der Nähe ein, daß Briejen es 
vorzog, fid) zu entfernen. Er hatte in ber 
Tat hier nichts zu tun. Außerdem aber 
padte ibn plöglich jchwere Gorge um Gwen: 
dolin. Wer weiß, was gejchehen fonnte, wenn 
der Feind [iegreid) und plündernd in Durazzo 
einaog. 

d ichnell er fonnte, eilte er in die Stadt 
zurüd, zum Haufe Bratfords. Die Nachricht 
von der bedrobliden Nähe des Feindes 
mußte fid) ſchon verbreitet haben, denn überall 
jah er flüchtende Familien, die fid) zum 
Hafen begaben, wo ie Aufnahme auf einem 
der öjterreichiichen oder italienischen Schiffe 
zu erhalten hofften. 

Im Haufe des Ronjuls war helle Auf: 
regung. Bratford fam gerade mit ber Nach— 
richt zurüd, daß ber Fürſt fid) mit feiner 
Familie auf den italientjdjen Kreuzer be: 

eben babe. Much bie Gejanbten unb Kon: 
Kr jolten ſchon im Aufbruch begriffen fein. 
Lady Georgina ſchrie nad) ihren Dienit: 
boten, bie anjcheinend bereits — wa⸗ 
ren, worauf fie in Tränen ausbrad). 

Briefen ftieg ohne weiteres die Treppe 
aut um fih y Geliebten zu begeben. 

or ihrer Türe blieb er überraicht jtehen, 
denn er glaubte eine Männerjtimme zu 
hören, und vermutete, dak es ihr Dann 
lein könnte. Schon wollte er fehrtmacdhen, 
als er Gwendolins Stimme in derartiger 
Erregung vernahm, daß er fid) entjchloß, 
ür alle d alle in ber Nähe zu bleiben, falis 

ie Beliebte jeines Schußes singe Hinter 

einem Schrank dicht bei ihrer Zimmertür 
ftellte er jid) auf und fühlte fein Herz [o 
wild und fieberhaft pochen, daß es ihm bis 
in den Hals hinein |d)lug. 

Die Gewehrſchüſſe ber Albaner, die ihn 
Iura vorher tobbrobenb umjdwirrten, hatten 
ein Blut taum in Wallung gebradjt. Wit 
alt ſteptiſcher Ruhe hatte er gefühlt, wie 
ein pridelnbes Gefühl von Neugier und Luft 
am Rampfe thn padte und fejthielt. Jetzt 
[aate fein innerjtes Empfinden ibm: Geb fort 
und erniebrige Dich nicht, indem du den 
Raucher madjt. Aber um Gwendolins wil: 
len mußte er bleiben: ihr jchien hier Gefahr 
u drohen. Er preßte fein Ohr jo dicht an 

ie Wand, daß er trot bes Dröhnens der 

Kanonenichläge, bie jeden Wugenblid das 
Haus erjchütterten, fajt alles hören fonnte, 
das drinnen geiprochen wurde. 

Schon nad) den eriten Worten wußte er, 
daß es jedenfalls nicht Ronjul Herbert war, 
den Gwendolin allein bet jid) empfangen 
batte. Gin brennendes Gefühl der Eiferjucht 
wollte in ibm autiteigen. Gleich aber ſchämte 
er jid) dejjen. Und er hörte auch, daß bas 


| Borwin Barlig: Lass) 


Geſpräch drinnen gejchäftlichen Charafter 
tru 


g. 

Bwendolin |pradj in ftarfer Erregung: 
„Sch flebe Sie an, verlangen Gie nidyts 
Weiteres von mir. Sd) fann und will Ihnen 
feine weiteren Dienite leijten!“ 

Eine Mannerjtimme, deren einjchmeicheln: 
ber und bod) leicht brobenber Ton ibm jehr 
befannt vorfam, entgegnete: „Rerehrte Frau, 
Cie haben einmal den erjten Schritt getan 
und ihn, wie ich glaube, nicht zu bereuen 
gehabt. Warum wollen Cie mir jeßt auf 
einmal Ihre Unterftügung verweigern ?“ 

„Beil td) einjab, weld) jdjmeres Unredt 
ich beging. Außerdem tann ich Ihnen mit» 
teilen, daß ich nicht wieder in das Haus 
meines Mannes zurüdtehre, Jondern mid 
Icheiden laffe.” 

„Zu bielem Entichluffe fann id) Sie nur 
aufrichtig beglüdwünjchen, jo leid es mir 
unjerer gejchäftlicyen BerbindDung wegen tut. 
Cie aber fann id) nicht aufgeben. Gie haben 
fid einmal dem großen Spiele der Politik 
bingeaeben und find ibm verfallen. Wud 
bier fónnen Gie von großem Nuten fein, 
wenn Gie nur wollen. ` weiß, wie inni 
Cie mit Lady Georgina befreundet find, ane 
außerdem jagt man, daß ein deuticher Offi- 
jer fid) auffallend um Cie bewirbt. Wenn 

ie diefe beiden Quellen nur genügend aus: 
nugen wollten, fünnten Cie mir manches 
Sn berichten.“ 

Diefes Mal fam ihre Entgegnung faft 
Deiler vor gewaltjam unterbrüdter Erregun 
hervor: „ch fage es zum legten Male, id 
wünjche Gie nie wieder zu jehen. Ich bitte 
Cie, mein Zimmer fofort zu verlajjen.“ 

Sekt nahm die Männerjtinme einen Dro: 
henden Ton an. „Es tut mir leid, einer 
Dame gegenüber gu energijd)en SUtaBregeln 
Ichreiten zu miijjen. Aber da Cie mid) das 
zu zwingen, Jo made id) Cie darauf aufs 
mertjam, daß Gie jid) in meiner Hand be: 
finden. Sd) perfórpere hier die Maht Ruf: 
lands. Die Reichweite meiner Witttel ift 
unbegrenzt, und ich ſchwöre Ihnen, daß id) 
jie rüdjichtslos anwenden werde.” 

„Dein Vaterland wird mid) zu jchüßen 
wijjen.“ 

,Seiber haben Gie dabei vergejjen, dak 
England wohl taum einer Landesverraterin 
beijpringen wird.“ 

„Jetzt babe id) mir aber genug von Ihnen 
gefallen laffen,“ jchrie Gwendolin. „Sofort 
hinaus aus meinem Zimmer, ober id) rufe 
nach ber Sienerid)aft." 

Briejen vernahm ein paar jchnelle Schritte 
nad) ber Zimmertiir, deren Sdhliiffel gleich 
darauf von innen zugedreht wurde, worauf 
bie Männerjtimme jagte: Debt find Sie 
gefangen, meine Gnadigfte. Chretien Sie, 
bitte, jovicl Cie wollen. Die tapferen Bes 
wohner diejes Haujes find bereits vor ein 

aar lumpigen Gdbiijjen der albantjden 
Freiſcharen ausgerijjen." 

Da war es mit Briejens Gelbjtbeberr: 

hung vorbei. Mit einem Sprunge war er 


DESS SEH Der Shuß auf dem Bardanjol BSSSsessssess; 405 


an der Tür, bonnerte mit ber Fauſt Do: 
gegen: „Aufgemacht, oder ich trete bie Tür 
ein!“ 

Einen Augenblid berrichte drinnen Stills 
jchweigen. Dann rief Gwendolin angitvoll: 
„Hilf mir, Hans!“ 

Gerade wollte ber Deutiche fid) mit der 
Wucht feines nervigen Körpers gegen die 
Tür werfen, als diefe fidh öffnete und er fih 
Auge in Auge mit Traubenberg befand. 
$tajenb vor Wut griff er in bie Tajche, 30g 
feine Browning und hielt fie bem Baron 
vor die Brujt. „Laffen Sie Mrs. Herbert 
in Ruhe, oder id) jchieße Cie über den Haus 
fen wie einen wilden Hund.“ 

„Ich dachte, Sie wären deutjcher Offizier 
unb fein Dleuchelmörder.“ 

„Und id) hielt Sie bisher für einen Edel» 
mann!” jchrie Briejen. „Jetzt jebe ich, dak 
Cie ein ae Schurfe find!“ 

„Es ijt fein &unjtitiid, grobe Beleidi— 
ungen zu jagen, wenn man einem wehr: 
ojen Manne eine geladene Piltole auf die 
Brujt fegt,” entgegnete Traubenberg höhniſch. 

Briejen ließ bie Browning jinfen. „Wollen 


Gie mir Genug: ung geben für die Beleis 
bigunger Die Ste Mirs. Herbert zugefügt 
haben?“ 


„Wenn Mrs. Gwendolin Cie dazu er: 
mächtigt, und vorausgejeßt, dak meine Re: 
terung es mir gejtattet, mit dem größten 
ergnigen. Was beredjtigt Cie aber zu 
cee daß ich dieje Dame hier beleidigt 
abe $“ 

„Weil ich es mit eigenen Ohren hörte!“ 
rief Briefen, immer nod) todjend vor Wut. 

„Das wollte id) nur willen. Alſo erjt 
Iaujden, bann mich mit der Waffe bedrohen 
und mir jdjlieblid) pöbelhafte Beleidigungen 
ins (Gendt jchleudern, bas könnt ihr deut: 
Iden Herren! Mit ber junge feid ihr ja 
immer groß genug. Wirs. Herbert, id) gra: 
tuliere Ihnen zu diejem Liebhaber,“ 

Einen Augenblid fürchtete Gwendolin, 
daß Briefen den 9tujjen niederjdlagen würde. 
Cie jtieß einen Schrei des Entiegens aus. 
Das bradjte ihren — zur Beſinnung. 
Gewaltſam nahm er ſich zuſammen und ſagte 
mit halblauter Stimme, aber unwillkürlich 
in die deutſche Sprache zurückfallend: „Heraus 
mit Ihnen, Sie Schuft! Wenn Sie noch 
ein einziges Wort ſagen, dann werfe ich Sie 
eigenhändig die Treppe hinunter.“ 

Ein irrlichterndes Glimmen in den ſtahl— 
blauen Augen feines beutjdjen Gegners vers 
anlaßte ben Rujjen zum Rückzug. Cine 
flüchtige Berbeugung vor Gwendolin, ein 
lalter?Blid auf feinen Feind und Die furzen 
Worte: „Dieje Stunde follen Sie mir biigen.^ 
Dann war er verichwunden. 

Cie hörten feine Tritte fid) nad) unten 
entfernen, während die jyenjter von einer 
Reihe fdnell jid) folgender Kanonenſchüſſe 
erzitterten. Einen Augenblick jaben die Vies 
benden jid) ftumm in Die Augen. Dann 
lag Gwendolin in feinen Armen nnd rief: 
„Nette bid) und mich vor feiner Rade!” 


Da gab es ein leijes Klirren am Fenfter 
und einen flatjchenden Schlag gegen Die 
Wand, von ber ein müdes Bejchoß herunter: 
fiel. Unwilltürlich audten beide zujammen, 
und rajch 30g Brielen die Geliebte beijeite 
unb bat fie, fih auf das Gofa in der Zim: 
merede zu leben, wo fie außerhalb ber Schuß— 
richtung war. 

„Die Aufſtändiſchen fcheinen bieles Dial 
(rnit zu maden.“ Und als er ihre Angit 
bemerkte, fügte er hinzu: „Aber bu braudjjt 
bid) feinen Sorgen hinzugeben. Gelbjt wenn 
die Stadt erobert wiirde,. hätten wir von 
den QAlbanern taum etwas zu befürchten. 
Trokdem mußt bu fo fdnell wie móglid) 
fort. Sd) will jebt bas Fenfter verbarris 
fadieren, Damit du deine Gaden paden 
lannit." 

Als er aber einen großen Schrank vor 
bas Fenſter ziehen wollte, tam er allein ba: 
mit nicht zujtande, jo daß er fid) jchlieglich 
ihre Hilfe gefallen lajjen mußte, während 
[ie tapfer gegen ihre Furcht anfampfte. 

„Dy wirjt mit ber Zeit nod) eine richtige 
ne meinte er lachend, „die Feuer: 
taufe halt bu heute jchon empfangen. — 
Wo bleibt aber eigentlich deine Jungfer?” 

„Ich babe fie zur Llondagentur gejchidt, 
um zu erfragen, wann ein Tampfer nad) 
Stutari geht. Hier im Haufe waren ja alle 
Dienftboten jchon ausgerijjen." 

„Und bu but allein bier geblieben, du 
mutige Frau?“ 

„Sb, ich hatte feine febr große Angit, 
wußte id) bod), daß bu mich holen würdejt, 
wenn wirkliche Gefahr drohte.“ 

„So laß mid) hnel meinem Burfchen 
Beicheid jagen, ber unten wartet. Er jol 
zu Fuad geben und ihn bitten, uns einige 
Heute hergujdiden, Damit wir dein Gepad 
zum Hafen bringen Tonnen," . 

Briefen ging und fam bald darauf in 
Begleitung von Betſy aurüd. Das arme 
Ding zitterte an allen Gliedern und [ab jid) 
ihon von den Aufjtändiichen erjdojjen oder 
gebenft, Aber fie brachte die gute Jtachricht, 
baB in zwei Stunden ein Dampfer geben 
wiirde, der alle Fremden, bie Die Stadt ver: 
lajjen wollten, nad) Gfutari bringen jollte, 

Mad einiger Zeit fam aud Fuad mit 
mehreren feiner Albaner und berichtete, daß 
der Angriff ber Aufjtändiichen nod) einmal 
abgejchlagen fei, und dah für den Augen: 
blid feine Gefahr drohe. Auch ber Burjde 
lebrte zurücd und bradte ein Telegramm von 
Major Wächter, der Briejen anwies, in drei 
Tagen nad) Sfutari zurüdzufonımen, 

(fine Stunde jpäter nahmen die Lieben: 
ben Abſchied auf ber Landunagsbriicte. 

„Binnen kurzem bin id) wieder bei bir," 
flüfterte Briefen ihr zu, „dann erzählſt du 
mir in Rube, was ber jdujtige 9iujje von 
dir wollte, Habe deshalb teine Sorgen. 
Sd) werde bid) beichügen, und wenn Die 
ganze Welt gegen uns ware.“ 

Tann fah Gwendolin in ber Barkaſſe, 
Dic jie zum Dampfer bradte, und nod lange 


400 Ee E SEHE ETF Borwin Garlitz: — 


wehte ihr weißes, flatterndDes Tuh bem 
Liebften ben Abichiedsgruß. 
Unmittelbar bevor fe das Schiff beitieg, 
begegnete ihnen ein Motorboot mit Der 
Ihwarzsroten albanijchen Flagge am Steven. 
Es trug ben Fürjten ber Schiptaren in den 
Konat guriic zum legten Alte feiner alba: 
nijchen Herrlichkeit. 
8B 


CH 

Gwendolin war ſchweren Herzens nah Stu: 
tari gefahren: jie wußte, dak dort eine Begeg: 
nung mit ihrem Dianne unvermeidlich war. 

Sn der Tat fand er fid), jeltjam jchnell 
von ihrer Ankunft unterrichtet, fajt jofort 
im Hotel Europa, wo fie abgejtiegen war, 
ein und ließ fid) nicht abwetjen. Er bat, 
zuerjt jehr höflich, daß fie in fein Haus Aus 
rüdfebre. Er bat — er bejhwor fie ſchließ— 
lid Gie blieb unerbittlich. 

„Und was nun? Was milljt du eigent: 
lich?“ fragte er dringend, mit drobendem 
Unterton in der Stimme. 

„Sch Ichrieb es bir jhon. Die Trennung 
von dir!“ 

Er lahte. „Das find PBhantafien. Was 
jollte mid) veranlajjen, bid) freigugeben Sr 

Da bot fie thm Geld. Cin Drittel, die 
Hälfte ihres Vermögens. Und wieder lahte 
er nur. Dann fpielte er ben Beleidigten, 
|prad) von Gitte unb Moral, und dak es 
gegen feine Ehre gebe, über joldje Wnerbie- 
tungen nur zu verhandeln. Yur allzu bes 
[timmt fühlte jie, er wollte ben Nießbraud) 
threr ganzen Habe fid) dauernd fichern. 

Und jclieplid) ging er zu offenen Dro- 

ungen über. Wenn fie wirllid) ihre Ab: 
ich: Durchjegte und ibn für immer virlieBe, 
dann würde er nicht nur dafür jorgen, daß 
fie niemals wieder nad) England zurück— 
fchren könne, jondern aud) erreichen, daß 
ihr Vermögen, als bas einer Laändesver— 
räterin, bejdjlagnahmt würde, 

Dieje Drohung madjte Gwendolin futen. 
Cie war bod) die Tochter eines erfahrenen 
Beihhäftsmannes. Gegen eine joldje unver: 
pete Gemeinheit mußte fie mit über: 
egener Lift vorgehen, Go ließ fie fid) auf 
weitere Be predjungen ein, um Herbert bin: 
zuziehen. Wn ihren Redjtsanwalt teleqras 
phierte fie aber nod) am gleichen Tage ge: 
naue Anweijungen, ihr Vermögen jo ſchnell 
wie móglid) flüjjig zu machen unb es ficher 
zu hinterlegen. 

Schon nad) wenigen Tagen erhielt fie die 
Nachricht, daß mit Ausnahme eines nicht 
e ſchnell zu verfaufenben Gutes ihr übriges 

ermögen in Sicherheit wäre, 
Bg 


B8 88 
Inzw'iſchen war aud) Briefen in Stutari 
eingetroffen, hatte fic) jofort bei feinem 
Kommandeur gemeldet und Bericht über die 
SfRorgünge in Durazzo erjtattet, Beionders 
interejlierte Wächter bie Wermutung, dağ 
Stalien ein faljdjes Spiel mit bem Fürſten 
trieb und fider mit Eſſad Paſcha, vielleicht 
jogar mit ben Aufſtändiſchen intrigterte. 
„Leider habe ich auch bier die gleichen 


Erfahrungen gemadt. Die Italiener, un: 
lere jogenannten Verbündeten, werfen uns im 
Einverjtändnis mit Engländern und Fran: 
ojen einen Rniippel nad) dem anderen zwi: 
Gen die Füße. Die Folge davon ijt, dağ bie 
Sſterreicher voll gerechter Empörung über die 
treulojen Ragelmader find, wie fie die Ita: 
liener verächtlich nennen. Wugenblidlid 
wäre tein Krieg tn Ojterreich jo populär mie 
der gegen den langjährigen Bundesgenojjen. 
Gelbjt die meudjlerijdjen Gerben find nicht 
derartig verbaBt. Sollte es unter diejen Ums 
ftänden gu einem europáijdjen Konflikt tom: 
men, jo wird viele Geldjidlid)feit ber Diplo- 
matie dazu gehören, unjere beiden Verbün— 
deten bei berjelben Stange zu halten.“ 

Als Briejen alle Grlebnijje und Beobad: 
tungen erzählt hatte, banfte ibm Wächter 
aufs würmjte für ben gelungenen Erf Ig 
jeiner Eendung, ber feinen Erwartungen 
durchaus ent|prad). „Sch werde nicht per: 
fehlen, Cie in meinem nádjjten Bericht nad) 
Haufe bejonders zu erwähnen.“ — — 

Schnlichft unb voll banger Sorge hatte 
Gwendolin den Geliebten erwartz:. Als fie 
lich jebt wiederfahen, war ihnen, als wenn 
jie jahrelang getrennt gewejen wären, und 
immer up neue fogten de jich törichte und 
bod) jo bedeutungsvolle Worte. 

Endlih rig fih Gwendolin los. „et, 
Siebiter, folljt bu meine Beichte hören. 
Schlimm genug ijt fie. Aber du wirjt mir 
verzeihen, denn alles, was id) tat, geſchah 
einzig Deinetwegen.“ 

Und dann berichtete fie. Bon ber Angſt 
um fein Leben, bas ber Blutrache verfallen 
war, von ihren Bemühungen, ihren Sorgen, 
ihrer Verzweiflung, die fie jchließlich, als fie 
feinen anderen Weg mehr jab, in die Hände 
Traubenbergs führte. Won jeher hatte fie 
ibn als — Freund eingeſchätzt, 
auf deffen Zuverläſſigkeit und Taktgefühl 
ſie feſt rechnete. Mun aber mußte Me zu 
ibrem GSchreden einjehen, daß unter der 
Wiuste bes liebenswürdigen Helfers das 
mostomitifde Raubtier jtedte, das fein gee 
fargenes Opfer nie wieder los laffen wollte. 

Auch von ihrem Manne jprad) fie. Wie 
er fie zum ?Berrat an Ferucci veranlajjen 
wollte, jo daß fie ibm gegenüber feine Gez 
wijjensbijje mehr empfinden konnte. Aber 
er war jchlauer als alle anderen. Ihr Ge: 
heimnis mit Traubenberg erfuhr er durch 
einen geheimen Apparat in feiner Wohnung, 
und feit biejer Zeit zwang er fie, fingierte 
Berihte an den Rujjen zu jdiden. Das 
Geld, das fie dafür erhielt, ftedte Herbert 
ein. Und jebt, wo fie fic) endlich freimachen 
wollte von all dem Schmuß und all der 
Erniedrigung, ba brobten ihr Mann und 
Traubenberg gleichzeitig mit Enthüllungen. 
„alber was and über mich hereinbredyen 
folte, alle Berachtung der Welt will ich auf 
mich nehmen, wenn ich nur dich behalte, dich 
unb Deine Liebe, bie mid) über alle Fährnijje 
binwegtragen wird in ein glüdjeliges Leben 
an deiner Geite,“ 


BSS Der Shug auf dem Bardanjol BSSssesssesd 407 


Gie {eb ihn mit leuchtenden, ermartungs- 
vollen Augen an. Schon fniete er vor ihren 
Füßen. 


Tief untergetaucht in fein Gedächtnis, 
vergejien waren alle die Sorgen, Bedenten, 


- bie er in feinem jdjweren Einn getragen und 


immer wieder durchgrübelt hatte. „Wie du 
für mid) gelitten haft, Geliebte!” jagte er 
Ieije unb zärtlıh. „Was bu für mid) getan 
haft! Wie tann ich es je, je vergelten ?“ 

„Durch xiebe, Hans... wenn überhaupt 
en gwijden uns die Rede fein 

arf!” 

Ganz tief beugte er fic und barg feine 
Stirn in ihrem Schoße. Langjam, mit leichter 
an ftrich [ie ibm fein Haar. „Du Lieber... 

u Guter...“ Und fie füßte ihn auf bie 
Stimm, umfaßte fein Beficht mit beiden $5án- 
den, richtete es hod. „Du Lieber!” jagte 
fie nod) einmal. Und plößlich brannten ihre 
Rippen aufeinander. 

Pläne jcdymiedeten fie für die Zukunft. 

„Am beiten ift es, wir reifen zujammen 
nad 9[merifa und lajjen alle die wider 
wärtigen und gemeinen Menſchen hier zurüd. 
Was meinit bu, Liebjter ?” 

Briejens Stirn umrmólfte fih. Mit fo 
fd)nellem Entichluffe allem, was ihm bisher 
lieb und wert gewejen war, Lebewohl zu 
Jagen, ber Mutter, bem Baterlande, dem 
Heere, dagegen [tráubte fih bie bodenjtäns 
dige Natur bes Norddeutichen. 

„Du barfit nicht vergeiien, Liebling, daß 
id mit Traubenberg nod ein Wörtchen zu 
jprechen babe. Glaubjt bu, ich könnte es 
Kal, dağ er bid) ungejtraft beleidigen 

urfte?“ 

In Todesangft ſprang fie hod. „Haft 
bu die Abjicht, bid) mit diefem nichtswür: 
digen Ruffen zu fchlagen? Sch flebe Did) 
an, wenn du mid) lieb haft, bann gib diefe 
entjegliche Idee auf.“ Und als fie feinen 
unentjdjojjenen Ausdrud bemerfte, jebte fie 
fait heftig hinzu: „Ich werde es niemals 
geitatten. örjt bu, niemals.” 

Schließlich erreichte fie, daß er verfprad, 
nicht nur ihre augenblidlichen Echwierig: 
teiten, jonbern aud) ihre en di mit 
Mächter zu befpredhen. Zu bejjem klaren 
und redtliden Werjtande hatte fie volljtes 
fBertrauert, 


BR 8 ag 

Gwenrolin hatte ber Jungfer befohlen, 
ihr bas Effen auf das Zimmer zu bringen. 
Ta meldete Betſy einen BWejucher, der 
fie in dringender Angelegenheit zu prehen 
wünſche. uf der wenig ſauberen Viſiten— 
tarte jtand: Ssmael Ribaritid, und dahinter 
die geſchriebenen Worte „muß die Lady in 
perſönlicher Angelegenheit ſofort ſprechen“. 

Nach kurzem Zaudern ſagte Gwendolin: 
„Führen Sie den Herrn herein, bleiben Sie 
aber im Nebenzimmer, damit ich Sie ſofort 
rufen kann.“ 

Herr Ribaritſch, der angebliche Korre— 
ſpondent ber Freien *Brejje', betrat Das 
Zimmer. Nach einigen Redensarten und 


Entſchuldigungen übergab er einen Brief, 
in dem fie loq eid) Traubenbergs Handjchrift 
erfannte. k 

Einen Augenblid wurde ihr dunfel vor 
Augen. Dann öffnete fie entjchlojjen ben 
Umichlag und las: „Verzeihen Sie, Mrs. 
Herbert, daß ich nicht perjónlid) zu Ihren 
fomme, aber ich wollte mich nicht wieder der 
Gefahr ausjegen, einem gewiljen flegelhay:en, 
niht jatisfattionsfähigen Deutſchen zu be: 
negnen. Diejer Brief ijt in ber Sprache der 
Diplomatie ein Ultimatum und jtellt Ihnen 
zwei Dinge zur Wahl. Entweder Cie ge: 
währen mir morgen eine ungejtörte Unter: 
redung — ich befinde mich hier bei meinem 
Freunde, dem [franaójijden Ronjul — oder 
ich fehe mid) zu meinem Leidweſen genötigt, 
bem englilchen Gouverneur von Gflutari 
einige höchſt interejlante Mitteilungen über 
den Landesverrat einer gewijjen Perjönlich« 
feit zu machen. Ich hoffe, die Vernunft 
wird Ihnen den richtigen Weg zeigen. Dem 
Überbringer, ber in meinen Dienjten [tebt, 
fónnen Sie vertrauensvoll, auch mündlich, 
Shre Antwort übermitteln. Ich Toile Ihre 
Hände und wäre unglüdlich, wenn id) Ihnen 
einige Berlegenheiten bereiten müßte. 

Konftantin Traubenberg.” 

Einen Augenblid überlegte Gwendolin 
analtvollen Herzens, aber ber Gedanfe am 
den Freund gab ihr ungeahnten Mut. „Bitte 
lagen Sie dem Herrn Baron, daß ich meinem 
Manne bereits von allem Mitteilung ae: 
madjt hätte. Er fónne jid) aljo weitere Be: 
miihungen er|paren." 

Ein furges Ropfniden, und Ribaritſch, 
ber ehrenwerte Rorrejpondent des Wiener 
Blattes, bie Rreatur Traubenbergs, war 
entlafien. Dann rief fie Betiy herein, bes 
fahl Tee zu machen und bei ihr im Zimmer 
zu bleiben. Gie jchrieb an den Geliebten 
unb legte den Brief bes Ruffen bei. Ihrem 
Mann teilte fie furz mit, daß Trauben: 
berg mit (Gntbüllungen beim Gouverneur 
gedroht hatte, weil fie nicht weiter für 
thn fpionteren molle, Gie babe ibn aber 
iviijen laffen, daß ihr Mann von allem unter: 
riditet ware. Nachts mukte Ben bei ihr 
Idioten, denn (tren erregten Jterven war ein 
Alleinſein unertraglid. — — — 

Früh am nádjiten Morgen Fand Briejen 
vor feinem Kommandeur. „Herr Viajor, 
id) tomme heute in einer privaten 9[nge: 
legenheit, in der ich weniger ben Wunjch 
meines 3Borgelebten als den Rat des älteren 
Kameraden erbitte." 

„&s freut mid) aufrichtig, Briefen, daß Cie 
Vertrauen zu mir haben. Bitte, erleichtern 
Cie Shr Herz, denn darum handelt es fih 
bod) wohl,“ Jette er lächelnd hinzu. 

„Es ijt nicht allein eine $jergensange: 
leaenbeit, aber es hängt bod) jedenfalls ba: 
mit aujammen," verjebte Briefen und er: 
zählte nun alles offen und rüdhaltlos dem 
älteren Freunde. Er verichwieg auch bie 
Rerfehlungen nicht, bie Gwendolin für ibn 
begangen und burd) bie fie nun in eine 





408 BS 


doppelt |dhwierige Lage, jowohl ihrem Manne 
wie Traubenberg gegenüber, gebradjt war. 
Wud) feine Abjicht, ben Ruffen zu fordern, 
befannte er. 

Mit tiefem Ernfte nahm Wächter diefe 
Mitteilungen entgegen. 

„Sie jehen, wie recht ich Hatte, als ich 
Cie feinergeit vor der Verbindung mit einer 
Ausländerin warnte. Aber bier helfen alle 
Ichönen Reden nichts mehr. Wir müllen 
uns in Rube die Sache überlegen und dann 
tatkräftig EE Zunächſt möchte ich 
eines willen: Haben Sie bie Wbfidt, dem 
Wunſche von Frau Gwendolin zu entiprechen 
und zugleich mtt bem Militärdienft Ihr Bater- 
[anb aufzugeben? Jn diejem Falle dürfte 
die Lojung ja nicht allzu jchwierig fein.“ 

„Ich glaube, es wäre ber ſchwerſte Ent: - 
Ihluß meines Lebens, die Uniform auszu— 
ziehen und Deutjchland zu perlajjen. Sch 
würde es aud) nur dann tun, wenn es feinen 
anderen Weg gäbe und es mir unmöglich 
—— würde, die Geliebte bei uns in 

hren heimzuführen. Und das wäre der 

all, wenn IS ber Mittelpunft eines großen 

fandals würde. ihr entjagen, das bebe 
mein Leben zerjtören, und nichts auf ber 
Welt wäre imftande, mir Erjaß für bas Ber- 
Iorene zu gewähren,“ 

„Das ijt jehr Ihlimm, Briefen, aber viel- 
leicht nicht etnmal.unnatiirlid. Wielleicht 
wird eine perjönliche REDEN mit Trau: 
benberg ihn oavon überzeugen, daß es aud 
im Snterejje der rujjijdjen Spionage liegen 
dürfte, daß von uns aus die Sade nicht an 
die große Glocke gebracht wird. Ähnlichen Be: 
weisgriinden dürfte wohl auch unfer Freund 
Mr. Herbert augánglid) fein. Jedenfalls will 
id) mein möglichjtes verjudjen. Und was bie 
Forderung an Traubenberg betrifft, jo dente 
ich, daß er fid) bod) wohl als ber Beleidigte 
betrachten dürfte. Warten wir alfo erit en- 
mal ab, ob feine Regierung es ihm gejtatten 
wird, fic) mit Ihnen zu Schlagen, wie er por: 
fichtigerweije gleich bemerkt bat." | 

Eine Ordonnanz trat ein und brachte ein 
Radiogramm von der Funtenftation. Erniten 
Belichtes und Vid p las Mächter ben In- 
bait, bann [aate er: ,,Ofterreid) hat ein Ulti- 
matum an Gerbien gejtellt. Wenn der Jn- 
halt, ber bier nur im Auszuge mitgeteilt 
wird, den Tatjachen ent|prid)t, dann tjt die 
Möglichkeit eines Krieges nur allaunabe 

erüdt, — Wollen (Cie jet aud) nod) nad) 
merita gehen?” 

„Wenn Deutjchland in Gefabr ift, dann 
ift es ſelbſtverſtändlich, daß alle feine Söhne 
fie) um es jcharen. Halten Herr Major wegen 

es jerbijdjen Konflittes einen allgemeinen 
Krieg auch nur für möglich?“ : 

„Der Zünditoff liegt gehäuft feit Jahren. 
Das merten wir hier im Yuslande und im 
täglichen Berfehr mit ben Gegnern am beiten. 
Seder Funke Tomm den Brand unlöjchbar 
machen, jelbjtf bicjes berechtiate Ultimatum 
an bas Land ber Königsmörder, für das 
eigentlid), außer upland, fein Menſch in 


i Borwin Carlig: BZZ 


<< SS EEE 


ang Europa Sympathien hat. jedenfalls 

Balte id) es für Durchaus wahrjcheinlich, Daß 
man unfer Detadyement aus Sfutart zurück— 
ee wird. Sd rate Ihnen alio, perarm- 
allen Sie Frau Gwendolin, jobalb wie mög- 
lid) von bier abgureijen, am beiten nad 
Deutjchland, ober wenn fie das niht will, 
nad) der Schweiz. Warum hält fie fih bier 
iiberhaupt nod) auf, wo fie taglid) Schwierig- 
leiten von ihrem Manne ober bem Rujjen 
zu erwarten hat?” 

„Sie verjucht durch Unterhandlungen eine 
qiitlide Einigung mit ihrem Manne zu ere 
reihen, weil fie gegen feinen Willen erft 
nad) febr langer et bie Cd)eibung Durch 
jegen fónnte. Wher bei ber jebigen Lage 
garte auch ich es für angezeigt, daß fie jo- 

ald wie möglich von hier abreijt.” 

Briefen nahm danfend ?Ibidjieb von feinem 
E unb Hugen Kommandeur, 
den er bewunderte und liebte wie einen Bater. 

Auf der Straße traf er zur größten Ber: 
wunderung feinen Blutsbruder Fuad, den er 
joeben erft in Durazzo —— hatte. Mit 
kurzen Worten berichtete dieſer. Eſſad war 
verhaftet und des Hochverrates beſchuldigt. 
Gleichzeitig hatte man ihn, als ber Freunde 
Ichaft Ejjads verdächtig, aus Durazzo aus: 
gewiefen. „Ich glaube nicht, daß man es 
wagen wird, gegen Ejlad ernjtlid) vorgu- 
gehen. Wahrſcheinlich wird man thn nur 
des Landes verweilen, um ihn damit völlig 
den Stalienern in die Wrme zu treiben. Der 
arme Fürjt, ben ich aufrichtig bedauere, denn 
er wollte und will immer das Beite, ſchwankt 
von einem Extrem ins andere. Sjeden Men- 
ien, der einigermaßen mit dem Lande ver: 
traut ijt, fragt er um feine Meinung. Und 
wie es natürlich ift, gibt ihm ein jeder einen 
anderen Rat, je nad) feiner Auffaſſung oder 
aud) nad feiner politijden Stellung.“ 

„And was wird nun gejd)eben ?^ 

„Das hängt lebiglid) von ben Großmäch— 
ten ab. Befommt der Fiirft in den nädhiten 
vier Woden feine neue Anleihe bewilligt, 
dann ift es aus mit feiner Herrlichkeit, vor: 
ausgejebt, daß bie Aufitändilchen nicht be: 
reits vorher in Durazzo eindringen.” 

Als fie ſchon mit Handdrud ſcheiden 
wollten, hielt Fuad den Freund nod) ein: 
mal feft. 

„Dein armes, armes Bolt!” jagte er 
Ihmerzlih. „Wie wird man es in ganz 
Europa jchmähen, es als undanfbar, ja als 
ehrlos bejdjimpjen! Man weiß ja nicht, mit 
welcher Hinterlijt, mit welchen Mitteln man 
es in Parteien gejpalten hat, wie es von aus: 
wärtigen Agenten, fretltd) auch von einbei- 
mijchen, Durd) Ehrgeiz und durch Geld anf: 

eltachelten TFührern bearbeitet worden ift. 
tein armes Volt!“ Heftig brüdte er Brie: 
lens Rechte. „Dent wenigitens bu, wenn 
bu fern fein wirft, nicht jdjled)t von Alba: 
nten —“ 


& &8 
Herbert hatte Traubenberg im franzöji: 
ien Ronjulat aufgejucht. Die beiden Freunde, 


> 





Gemälde von Prof. Carl Albredyt 


Stilleben. 


ere e ess EE 


E wd A Ant 
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* - 


seess Der Shug auf dem Bardanjol BSBSessssessd 409 


bie fid) aufs tiejfte mißtrauten, gingen ums 
einander berum, wie zwei jchlaue ‘Füchie. 
Syeber wußte, daß der andere etwas wußte, 
aber feiner wußte, wieviel der andere wußte, 
Jad ben einleitenden Worten begann Her: 
bert ben Angriff. 

„Meine Frau teilt mir mit, fie wäre in 
Durazzo mit Ihnen zulammengetroffen. 
Haben Cie fih gut dort unterhalten ?^ 

„Virs. Herbert war jo freundlich, mich zu 
empfangen. Leider war fie nicht von der 
guum Suvortommenbeit, bie id) fonit ftets 

ei ibr fand.“ 

„Was fonnte [ie für eine Beranlaffung 
dazu haben, Ihnen, unjerem alten und treuen 
Freunde gegenüber ?“ 

„Ein junger deuticher Offizier jchien eini: 
gen Einfluß auf ihre Gntidjliepungen zu 
haben, jo dak id) biejem Herrn meine gegen: 
teilige Anficht nicht verheblt habe.” 

„Das freut mid) auperorbentlid). Wud 
ich halte den Einfluß bieles noch reichlich 
—— jungen Menſchen nicht für vor— 
tei. Haft.“ 

„Sch bin jedenfalls jehr betrübt darüber, 
das Vertrauen von Pirs. Herbert verloren 
zu haben, obwohl id) mich, nad) Maßgabe 
meiner geringen Kräfte, [tets ertenntlid) ge: 
zeigt habe.“ 

„Lieber Baron, wem [jagen Cie das? 
Reiner wie id) ijt fo überzeugt von der Un— 
eigennüßigfeit Ihrer Freu: dichaftsgefühle. 
Leider muuen wir aber jebt mit ber Tat: 
fache rechnen, daß meine Frau anderer Mei- 
nung geworden ijt, und dağ fie vielleicht 
fogar threm jeßigen Berater, dem jungen 
deutjchen Offizier, ein nicht zu rechtfertigen: 
bes Vertrauen gejchentt hat.“ 

„Davon bin ich überzeugt. 
läßt jid) dagegen machen?“ 

„Bor allen Dingen dürfte es bod) wohl 
in unjerem Intereſſe liegen, daß bie bis: 
rn Freundſchaftsbeziehungen zwiichen 

bnen und meiner rau nicht unnötig be: 
lannt werden. Gie jdjeint aber bie Befürch— 
tung zu haben, Sie fónnten in Ihrem Be: 
lanntentreije darüber reden.“ 

„Aber, lieber Freund, bas war bod) nur 
ein Scherz. Wir in Rußland lieben es, die 
Damen ein wenig zu erjichredten.“ 

„Ich babe im Ernjt aud) gar nichts anderes 
von Ihnen erwartet, verehrter Freund. Was 
mid) aber bod) etwas beunrubiat, ijf das 
Nertrauen, bas meine Frau dDiejem Herrn 
Briefen geldjenft hat. Die Deutjden find 
meijt inbisfre,." 

„Ich babe bie Vermutung, dak ber junge 
Miann eine durchaus begreifliche Verehrung 
für Virs. Gwendolin bejigt. Aus Diejem 
Grunde dürfte er es bod) wohl vermeiden, 
unnötig über Tinge zu reden, bie geeignet 
wären, anf ben guten Ruf einer Came aud) 
nur den fleinjten Schatten zu werfen. Mller: 
dings hat er als jchwerfälliger Deutjcher, 
ber feine Ungewandtheit mit bem tanen 
Prlidjt entjdjulbiat, leider feinem Komman— 
deur einiges erzählt. Dieſer Diajor Wächter 


Wher was 


Belhagen A Klajings Monatshefte. 32. Jahrg. 19171918. 2 Bd. 


ift ein redjt beachtenswerter Mann, von bem 
man fid) als Wegner nichts (Gutes zu vers 
Iprechen bat. Er war geltern bei mir, und 
wir beide waren uns darüber einig, daß der 
tadelloje Ruf Ihrer Frau Gemahlin für ims 
mer unantajtbar daftehen miijje." 

„Daß dieje Deutiden ihre vorwikige Nafe 
in alles hineinjteden mijjen,” rief Herbert, 
dem man jest zum eriten Male feine innere 
Gereiztheit anmertte. „Gebe es der Himmel, 
daß ihre Flotte bald auf bem Grunde ber 
Nordſee liegt." 

„Und bag unfere Koſaken in Berlin eine 
ziehen,” jegte der Rujje hinzu. „Aber leider 
mug ich Ihnen bie als distret zu behandelnde 
9teuigfeit mitteilen, daß Öjterreich fein Ulti- 
matum gegen Gerbien aus Angjt vor uns 
zurüdzielen wird. Diejes Mal fommt es 
nod) ler zum Kriege,“ 

Der Engländer zog die Achſeln hod): „Ich 
weiß davon. Wie gern möchte ich dies [tánbig 
Treier werdende Deutſchland bejiegt und er: 
niedrigt am Boden jehen. Aber ihr Ruſſen 
habt ja, ebenjo wie bie Frangojen, teinen 
Schneid mehr. Dabei würde Ölterreich wie ein 
Kartenhaus gujammenbreden, und Deutſch— 
land allein ware in wenigen Wochen verloren. 
Doc anjtatt dieje günjtige Gelegenheit aus» 
gunugen, redet alles vom rieden, und feiner 
eurer Diplomaten hat den Wut, einmal ener: 
giſch aufzutrumpfen.“ 

„Unſer Tag kommt auch noch. Seien Sie 
davon überzeugt, lieber Freund. Man muß 
nur nichts übeıjtürzen. — Was aber Ihre 
Gattin anbetrifft, jo möchte id) Ihnen emp: 
fehlen, [ie jorgfältig überwachen zu lajjen, 
bont jie in ihrer Umerfahrenheit niht dod 
nod) irgendwelche Torheit maht, die uns 
vielieicht unjere Stellung fojten könnte.” 

„Verlaſſen Cie jid) darin ganz auf mid, 
lieber Baron. Cie macht feinen Schritt, 
ber mir nicht gemeldet würde, und ſchreibt 
feinen Brief, ben ich nicht in bie Hand 
befame. — Da wir beide aljo einig find, jo 
geitatten Cie mir. daß id) mid) empfehle, id) 
habe nod) zu tun. Sm übrigen dante ich 
Ihnen herzlichſt für bie verjtändnisvolle und 
tafterfiillte Yirt, wie Cie unjere fleine An— 
gelegenheit behandelt haben. Ich tann Cie 
verjichern, id) babe aus unjerer heutigen 
interejjanten Unterhaltung viel gelernt.” 

,Sieber Freund, id) bin es, der Ihnen zu 
danten hat. Es war mir wie ftets jo aid) 
bieles Dial eine erlejene Freude, mit einem 
jo erfahrenen Tiplomaten wie Cie ein Stünds 
chen verplaudern zu Dürfen.“ 


& 8 a] 

Bwendolin entjchloß fih, bem Rate Wad: 
ters folgend, zur 9Ibreije, nadydem fie noch 
einmal vergeblich perjud)t hatte, von ihrem 
Manne bie Sujtimmung zur Scheidung Au 
erlangen. Der Lloyddampfer follte jie bereits 
am nadjten Tage von Vieduanad) Triejt brine 
gen. Dod) die VBorboten bes heranfjteigenden 
europdijden Bewitters machten einen Ctrid) 
aud) durch ihre Abſicht. Die erte drohende 
Nachricht, bie ganz Sfutari in ficberhajte 
27 


410 ee 3393939353939] Borwin Carlig: Z ZH ZZ 


auftegung verjegte, war bie öjterreichijche 
Rriegserfldrung an Gerbien. 

Nod am gleichen Tage befam Gwendo- 
lin einen Brief ihres Mannes, ber fie [hwer 
beunrubigte. Er teilte ihr mit, daß das 
englijde Detachement bereits am folgenden 
Tage Skutari verlajjen würde, um von 
Viedua nad) Malta eingejchifft zu werden. 
Auch bie ganze englilche Kolonie folle fid 
bem Transport anjdlieBen, da damit zu 
rechnen fei, daß Cfutari binnen furgem von 
allen *Beja&ungsbetead)ments geräumt würde 
und bann ohne Cd)uf den Aufitändijchen 
preisgegeben jet. Er erwarte von ihr, daß fie 
lich in btejem erniten Wugenblice bewußt jein 
würde, eine Engländerin zu fein, deren Blah 
an der Geite (hrer Landsleute wäre. Unter 
feinen Umjtänden würde er dulden, daß fie 
ihren Verkehr mit ben Deutichen fortjebte, 
die vielleicht [hon morgen die Feinde Eng: 
lands wären. Er jelber bliebe mit bem Ron: 
julatsperjonal in Gfutari unb [telle ihr aud 
jebt noch anheim, wenn fie nicht mit dem 
englijden Detadyement abreijen wolle, wies 
der in jein Haus zurüdzufehren, wo er ihr 
volle Sicherheit verbürgen könne. 

Cie hatte den Brief taum gelejen, als 
Briefen fid) bei ihr melden lieh, Er fam, 
voll von neuen Nachrichten unb in feltfam 
gehobener Stimmung: der Soldat war in 
ibm erwacht, feit er annehmen fonnte, daß 
der Krieg beporjtanb. Gie aber war aufs 
höchſte erregt Durch bie neue Zumutung ihres 
Mannes. „Ich laffe mid) nicht zwingen. 
Erft vor kurzem hatte er mir gejchrieben, er 
fonne mid) als Spionin zur Anzeige bringen 
und mir Englands Boden für immer ver: 
ſchließen. Unjcheinend vergaß er, daß ich 
eine Srlánberin bin, deren Vorfahren jo oft 
und in jdmablicdjter Weile von England 
unterbrüdt und mißhandelt wurden. Dest 
ilt mein Blak an deiner Seite! Sh will 
bir folgen, wohin bu mich führſt.“ Briefen 
aber fühlte für gewiß, daß er Gwendolin 
gegen jede gewaltjame Maßnahme ihres 

tannes |dji5en tönnte. Was fonnte ihr 
eldjeben, ſolange fie unter feinem Schuße 
Hand, wo er fie im Ytotfalle mit ben (Ge: 
wehren feiner waceren deutjchen Jungen 
verteidigen wiirde, 

Und dann erzählte er. Ein Telegramm 
war eingelaufen, das wiederum bie Miöglich- 
teit eines Krieges gegen Rußland und Frant: 
reich betonte. Am ubernddjten Tage jhon 
jolien bas deutſche und öjterreichiiche Deta- 
dement gemeinjam in Medua verladen wer- 
den, wo man den Llonddampfer jolange feft- 
hielt. Bon einem Kriege gegen England 
aber fónnte feine Rede jem, Das war, 
glaubte er verjichern zu Tonnen. nur ein 
CShredihuß ihres Mannes. Er wiirde Joe 
fort mit Wächter fprechen, daß fie fih dem 
Transporte anſchließen könnte. 

Dann riet er thr noch, auf das Schreiben 
ihres Mannes gar nicht zu antworten und 
fid) möglichſt nicht zu weit vom Hotel und 
der Dicht Dabeiliegenden deutſchen Kajerne 


zu entfernen. Er jelber hatte nod) ben gan: 
zen Tag zu tun, denn bie jchnelle Abberus 
fung at berte eine Menge der nötigjten und 
wichtigften Anordnungen. Wenn [ie erfi 
auf dem Schiffe beilammen wären, Dann 
wollten fie alles Weitere bejpred)en. Wor: 
auslichtlich freilich Tonne er fie erit am nad: 
Hen Diorgen wieder aufjuden, um ihr alles 
Nähere wegen der Abfahrt mitzuteilen. 


Si 

Mod während der Nacht meldete die Ra- 
Dioftation ben Rriegsausbrud zwijchen 
Deutſchland⸗Oſterreich und Rußland: Frank: 
reid). Der nüdjte Morgen bradte Briefen 
jo viele dDienjtlide Obliegenheiten, daß er 
erit gegen Mittag ins Hotel gehen fonnte, 
um Gwendolin die Nachricht zu überbringen, 
fie würde am nächſten Wiorgen gleichzeitig 
mit bem Detachement in einem Wagen nad 
Medua befördert werden. 

Hier aber hörte er von ber ganz erreg- 
ten Jungfer, daß ihre Herrin jdon am 
aen Morgen nad) bem (mpjange eines 

riefes fortgegangen und bisber nod) nicht 
guriidgefommen fet. 

Ein tödlicher Schreden befiel Briefen, und 
jofort dachte er an einen Anſchlag ihres 
Miannes. Cilends — er zu Wächter und 
bat ihn um Rat und Unterſtützung, um die 
Geliebte zu finden. Der Major hatte in die: 
jem Augenblide Wichtigeres zu tun, als jid) 
um Herzensangelegenheiten feiner Untergebes 
nen zu kümmern. 

„Es tut mir unendlich leid, lieber Brie- 
jen. Wher jebt muß ich alle Zeit und alle 
meine Sorgfalt auf bas Wohl und Wehe 
unjeres Detachements richten. Und auh Sie 
bitte ich, |o leid es mir tut, in eriter Yinie 
an den Dienft zu denten. Ich fann feinen 
meiner Offiziere dabei entbehren.“ 

Briefen nahm die Hand an den Tropen: 
helm: „Zu Befehl.“ Aber fein Geſicht drückte 
die Verzweiflung leines Herzens aus. Da 
[aate Wächter: „Für eine halbe Stunde will 
id) Sie beurlauben. ch rate Ihnen, gehen 
Cie zu Fuad. Wenn einer Ihnen bier helfen 
tann, Dann ift er es." 

Danterfiillt ftiirzte Briefen davon und 
hatte das Gliid, den treuen Albaner jogleich 
zu finden. Mit bajtigen Worten und re: 
genden Bullen teilte er Dem Freunde alles 
mit und flebte um feine Hilfe, für die er 
ibm ewig dankbar fein würde. 

Einen Augenblid fab Fuad fchweinend 
ba, dann fagte er bedächtig, aber mit feiner 
pom Entichlojfenheit: „Sei unbejorgt, ich 

ürge bir für Frau Gwendolin mit meinem 
Leben.“ 

„Aber morgen früh Ion marichiert bas 
Detachement ab. Wie wilit bu fie bis da: 
bin finden, wenn ihr Mann fie gewaltjant 
verborgen hält?” 

„Ob id) fie bis dahin finden werde, bas 
wage id) jelber nicht zu hoffen. Wher er: 
fahren werde ich ihren Ka Ee und 
dann foll feine Macht bes ſchurkiſchen Ena: 
landers fie zurüdhalten. Gelbjt bie durch 


BEISSIFIFISFZTN Der Shuk auf dem Bardanjol BSSsssessed 411 


das Rilferrecht geheiligten Räume des Kons 
julates werden mich nicht jchreden. Mit 
Hilfe meiner Adlersjöhne werden wir fie be: 
freien unb ins Innere des Landes bringen, 
wo teine jchuftigen Diplomaten durch inter: 
nationale Gejete gejchügt werden. Dort im 
Harem eines meiner Freunde ijt fie vor allen 
Stadjitelfungen ficher, bis du fommit, fie zu 
polen, oder bis fie ungehindert zu bir reifen 
ann.“ 

Die unbeugfame Sicherheit unb Entjchlo]: 
fenheit, bie aus den Worten bes Albaners 
Jprad), gab feinem deutjchen Freunde die 
Hoffnung zurüd. Wenn Fuad ihm nicht bel: 
fen fonnte, Dann war aud) alles andere ver: 
gebens. Es hieß die Zähne zulammenbeißen 
und jegt nur noch an den Dienjt des Vater: 
landes zu denten. 

Mit heißen Danfesworten und innigem 
Händedrud wollte er io von dem Freunde 
verabichieden, bod) biejer fah ihn mit feinen 
großen tiefduntlen Augen an und jagte: 
„Du gebjt in den Krieg, und ich gehe in ein 
Unternehmen, das Erfolg oder den Tod 
bringt. Bielleicht jehen wir uns nie wieder.“ 
8 


8 

Am anderen Morgen marſchierten das 
deutſche und das öſterreichiſche Detachement 
von Skutari ab, wo ſie faſt anderthalb Jahre 
geſtanden hatten, während die Franzoſen 
und Staliener noch dort blieben. 

Die legten Ctunben in berjelben Stadt 
mit feindlichen Truppen hätten beinahe zu 
einem Konflikt Nee Die ——— — 
Goldaten hatten die deutſchen Offiziere nicht 
mehr gegrüßt. Da aber famen fie bei Ma: 
jor Wächter an ben Unredten. Er jchidte 
zu dem franzöliichen Kommandanten und 
ließ ibm jagen, wenn deffen Leute nicht bis 
zum legten Augenblid feinen Offizieren die 
gebührende Achtung erwiejen, dann würde 
er jofort die Feindjeligfeiten eröffnen. Das 
half, und ber Franzoje entidbulbigte fid. — 

Wächter ritt mit den Offizieren an ber 
Cpisge feiner Truppe Ale jprachen von 
bem bevorjtehenden Kriege und hatten nur 
ein erlangen, ſchnell nad) Deutichland zu 
tommen, um 3ujammen mit ben Kameraden 
gegen die Feinde loszubrechen. 

Nur Briefen ritt jtill und todestraurig 
dahin. Bon Gwendolin hatte er nichts 
mehr erfahren, und fein 2Berjud), Fuad nod 
einmal zu |prechen, war vergebens gewejen. 

Nach achtitündigem Marſche durch die 

gliihende Sonne bes woltenlojen Sommer: 
tages wurde Mledua erreicht, wo der Lloyd: 
Dampfer auf der Reede lag. Hter erfuhr 
man, daß die Engländer ihre Cinjdiffung 
am vergangenen Tage jo eiljfertig betrieben 
re bal te nicht einmal die ſchönen 
zferde der Offigtere mit verladen fonnten. 
Cie [liegen die Tiere eintad) laufen; mehrere 
von ihnen waren von Albanern aufgegriffen 
und wurden den Deutſchen und Biter: 
reichern zum Kauf angeboten. $yajt jeder der 
beutjidjen Herren erjtand jid) für ein Spott: 
geld ein jchönes Feldzugspferd. 


Die Öfterreicher, die bereits in ber Nacht 
abmarjchiert waren, hatten bie Einjdiffung 
ihon fajt beendet, fo daß aud) bas deutjche 
Detachement nicht mehr [ange zu warten 
hatte. Am jpäten Nachmittage war endlich 
alles glüdlidy verladen, und ber Dampfer 
wollte fih gerade in Bewegung jegen, als 
ein Auto die [teile Straße nad) dem Hafen 
EE aus bem mit einem weipen 

ude gewinkt wurde. 

Briefen bemerlte als erfier den n 
hegenden Wagen. Blikartiq durchfuhr ibn 
der Gedante, bas fann nur ‚lie‘ fein, und 
er ſchrie bem Kapitän ein „Halt“ di Dberfts 
leutnant Bopp gab aud) den Befehl zum 
Stoppen, denn der Kraftwagen konnte aud) 
eine wichtige Nachricht bes Djterreidjijd)en 
Konjulats aus Cfutari bringen. 

Die Inſaſſen ftiegen aus, und Briefen 
verjuchte vergebens mit feinem Zeißglaje zu 
erfennen, ob die Beliebte es wirflid) war. 
Da rief aud) Schon Platen: „Es ijt Mrs. Her: 
bert mit drei Wlbanern.” Seht war es aud 
mit ber Faſſung Briejens vorbei. Zum erjten 
Male, feit er denten fonnte, rannen ihm die 
heißen TFreudentränen über bas Belicht. 

Zehn Minuten jpáter legte ein fleines- 
Boot am Dampfer an, bem Gwendolin ent: 
itieg, während Fuad mit zwei bewaffneten 
Wibanern zurüdblieb und dem gleich darauf 
abfahrenden Dampfer nachwintte. 

Mit bonnernben Hurrarufen wurde Gwen: 
bolin empfangen, denn jedermann im ganzen 
Schiff wußte bereits von den wedjelvollen 
Scidjalen bes Liebespaares. Die num end: 
lid) Vereinten konnten zunädjt ihr Gliid gar 
niht voll begreifen. Der Kapitän [tellte 
liebenswürdigerweije feine Rajiite zur Ber: 
fiigung, und bier fand Gwendolin endlich 
Gelegenheit, ihre Erlebnijje zu erzählen. 

Ein Albaner hatte einen Brie? gebradjt, 
ber anjcheinend pon Fuad fam, und in bem 
lie dringend erjucht wurde, jofort bem Boten 
zu folgen, weil es (id) um eine wichtige An— 
gelegenheit für Briejen handle. ‘Frei von 

Irgwohn folgte fie Dem Manne bis an ein 
Haus in einer der Nebenftraßen. Hier bedeu: | 
tete er ihr mit einem Wint, durch bie hohe 
Bartenpforte einzutreten. Gie tat es, fühlte 
aber im gleichen Wugenblic ein dichtes Tuch 
um ihren Kopf geworfen, das fie am Schreien 
verhinderte. (Grit im Haufe wurde fie be: 
freit, wo fie fid) zu ihrem Erjtaunen Traus 
benberg gegenüber befand. 

Ter 9tujje entidjufbigte fid) febr, daß er 
zu Diejem gewaltjamen Mittel babe greifen 
miijjen. Ihm wäre nichts anderes übrig» 

eblieben, da er nicht gulajjen könne, daß 
Re als Mitwiſſerin wichtiger politijher Ge- 
beimnijje in den Händen der Deutjchen 
bliebe. Natürlich folle ihr nicht bas ge: 
ringjte gejcheben, laber er müſſe fie einige 
Seit bier fejthalten, um fie bei nächiter Ge: 
legenbeit nad) Gettinje bringen zu laffen. 

Alle ihre Bitten, fie fret zu geben, all 
ihre Verjptechungen, daß fie nichts verraten 
wolle, blieben vergebens. Auf ihre Frage, 


27* 


412 Bessey Borwin Garlik: Der Schuß auf bem Bardanjol Rese ees 


ob aud) ihr Mann mit im Romplott fei, ent: 
egnete ber Rujje, er wäre bod) nod) etwas 
——— als ſein verehrter Freund Herbert. 

Dann wurde ſie allein gelaſſen unter der 
Obhut einer Montenegrinerin, die für ſie 
ſorgte, ſie im übrigen aber ſtreng bewachte. In 
Verzweiflung und mit ohnmächtigen Selbſt— 
anflagen wegen ihrer Unvorſichtigkeit ver— 
bredte fie Die nád)|ten vierundzwanzig Stun: 
den, Dann fam Traubenberg zurüd und eröff: 
nete ihr, daß fie fid) zur Whretje nach Cettinje 
fertigmaden folle. Wieder wurde ihr der 
Kopf mit einem Tuche verhüllt, und man 
brachte fie durch den Garten bis ans Tor. 

In btelem Augenblide hörte fie ein wil: 
bes Bejchrei, und einige Schüſſe fielen. Gleich 
darauf wurde das Pud entfernt, und fie 
erfannte Fuad und feine Getreren als thre 
Retter. Traubenberg und drei feiner Selfers- 

elfer wurden gefefjelt abgeführt. Gin Auto 
tand jchon bereit. 

Während der ganzen halsbrecherijchen 
pe auf der furchtbaren albanijchen Straße 
atte fie immer nur ein Gebet vor fich hin 
geiprochen: „Lieber Gott gewähre es mir, 
daß id) ihn nod) antreffe.” Und nun war 
ie bei ihm, und feine Macht der Welt jollte 
ie wieder trennen. 

Uber was aus feinem Feinde, bem ſchur— 
Hilden Ruffen geworden war, bas mußte 
Briefen bod) erft nod) willen. 

„Fuad läßt ihn ins Innere von Albanien 
bringen,“ Jagte, unter Tränen lachend, Gwen: 
dolin. „Dort wird er weit von aller Kultur, 
ohne die er nicht leben zu Tonnen glaubt, fo 
lange fejtgebalten, bis Rußland ein ge: 
bórtges Löjegeld gezahlt bat. Tamit will 
Fuad feine Getreuen belohnen.“ 

Der große Llonddampfer zog gegen Abend 
langjam an ber Mündung der Bojana por: 
über. Die unertraglide Hike des Tages 
war einer wundervoll lauen Kühle gewichen. 

Wn ber Reeling lehnten Gwendolin und 
Briejen Arm in Arm. Keinen Augenblid 
wollte jie den Geliebten mehr Icslajjen, den 
fie fo bald wieder hergeben mußte, damit er 
in den Krieg ziehen fonnte. Troßdem fie 
nod nicht geichieden war, hatte Briejen fie 
allen Kameraden als feine Braut vorgeitellt, 
um von vornherein ihrem Verhältnis jeden 
Cdjein ber Untlarheit zu nehmen. 

Debt blidten fie über die gelblich:weißen 
Majjer ber Bojana nach den fernen Höhen 
Albaniens, die blau: |chwarz in der legten 
Abenddämmerung gegen den gelbsroja Him: 
mel ftanden. 

Leb’ wohl, bu ſchönes wildes Land,“ 
agte Gwendolin träumerijch, „immer werde 
id) an dich zurückdenken.“ 

Und Briejen ergänzte: ,Leb’ wohl, Mba: 
nien! Yttemals werde id) bid) vergeilen.“ 

Da trat Wächter zu ihnen: „Tarf id) 
das glüdliche Brautpaar einen Wugenblic 
Hären? Sd) finde es ja nur zu begreif: 
lid), lieber Briejen, daß Cie, über ber 
iden Frau Gwendolin Krieg und Welt: 
ereignijje vergejjen. Da ift es Denn ganz 


ut, wenn Ihr alter Freund Wächter etwas 
liber Cie und Ihre junge Braut nachdentt. 

„Alſo aunádjt bie neuejten Nachrichten. 
Wud England bat uns den Krieg erklärt. 
Snjolgedeffen werden wir nicht mehr bis 
Triejt fahren, jondern fdjon in der Bucht 
von Cattaro ausladen, wo wir in Gaitel: 
nuovo die Gilenbabn erreichen. Darf id) 
mich bejdjeiben erfunbigen, ob bie Rriegs- 
erflärung Englands aud) eine foldie in 
Shrem jungen Glüde hervorrufen wird ?“ 

„Lieber treuer Freund.” jagte Gwendolin, 
„lo jehr ich über den Krieg gwijdhen Eng- 
[anb und Deutjchland traurig bin, jo wenig 
tann bas unjere Liebe beeinflujjen. Wud 
bin ich nicht umſonſt Irländerin; erft die 
lebte Beit freilich hat mid) bas recht er» 
fennen laffen. Außerdem ift mir burd) eine 
Sntrige meines Mannes der Aufenthalt in 
England unmóglid) gemacht worden. Gie 
jeben, id) muß dorthin geben, wo Hans 
bleibt.“ 

„VBerehrte Frau Gwendolin, mein guter 
Briefen ijt ber beneidenswertejte Mann, ben 
es gibt. Wher er Dat den Kopf jet viel zu 
voll mit Gebanten an Cie, Daher muß id) 
ein wenig für ihn und Gie jorgen. Gie find 
Ihrer Nationalität nad) Engländerin, würs 
ben alfo während bes Krieges bei uns in 
Deuticdyland eine höchſt ſchwierige Stellung 
haben. Ich rate Ihnen daher, acben Sie nad) 
der Schweiz. Dort find Sie Ihrem Sans faft 
eben jo nahe, wie in Deutjchland, können ibm 
Ichreiben und ihn, wenn es nötig fein jollte, 
aud) nicht algu |djwer erreihen. Tafür jind 
Cie aber in der Schweiz völlig unabhängig 
und fónnen tun und lajjen, was Cie wollen.“ 

Die Liebenden nahmen den Worichlag 
freudig anf. Es war tatſächlich bie beite 
und einfadjte Löſung. Tann gingen fie 
mit Wächter zujammen hinunter, wo fie in 
einem bejonberen leinen Calon zu dritt bas 
Abendejjen einnahmen. Und während aus 
dem grofen Gpetjejaal „Tie Yacht am 
Rhein” und „Deuticyland über alles" erflang 
und das Hurrarufen fein Ende nahnı, leer: 
ten fie mit Dem treuen Freunde ein Glas 
auf eine glüdliche Zufunit. 

E? 


B8 88 

Schon nad) wenigen Wochen erhiclt Brie- 
fen bas Gijerne Kreuz. Wor Verdun fiel er, 
Eër verwundet, in franzöſiſche Gefangen: 

att. 

Nad) monatelangen Bemühungen erreichte 
es Gwendolin burd) Verwendung bes ame: 
rifanijden Ronjuls, daß er als Gchwers 
franfer nad) ber Schweiz entlajjen wurde, 
Seine Lunge, bie thm wieder zu Joren 
machte, wurde die Urſache feiner Befreiung. 

Am Luzernerſee hatte Gwendolin, deren 
Scheidung inzwijchen ausgejprocdhen worden 
war, ein großes Canatorium erworben und 
es ganz in den Dienſt der Kriegsfi.rjorge 
geitellt. Hier, nur im Kreiſe ihrer Berwun: 
deten, bie jie vergötterten, fand bald darauf 
die Kriegstrauung ftatt, bie Gwendolin und 
Hans Briejen für immer vereinte, 





Bildnis des Pfarrers und Dichters Karl Ernit Knodt 
(geitorben zu Bensheim, 30. September 1917) 
Zeichnung von Prof. Wilhelm Bader 





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in den Lager: 


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tWerdegang 


> u ben Benüjjen, die wir uns unter dem 
Drud der Zeit abgewöhnt haben, 
d gehört auch bie „echte“ Zigarre, 







e SC) die Importe, worunter man all: 
' ‚gemein bie Havannazigarre vet: 
itebt. Cie ift ein Quxusartifel, gewiß, aber 


jo mandes ſonſt feinesweqs auf Luxus er: 
pichte Männerherz hing bod) an ber fchlanten, 
braunen Tochter Wejtindiens und ruft fid) 
nun in fdwaden Augenbliden wehmuts: 
und jehnjuchtsvoll ihr Bild zurüd. In den 
erften zwei Kriegsjahren gab es nod) echte 
Zigarren zu rauchen. Aber dann wurde ber 
Genuk immer jeltener und fojtipieliger, und 
ſchließlich, als aud) bie angebliche Republif 
Kuba, die in Wirklichkeit, zum Kummer 
aller freiheitlich gefinnten Rubaner, von 
Wajhington aus regiert wird, uns unter 
dem Zwang der Entente den Krieg erflaren 
mußte, hatte es mit den Smporten ein Ende. 
Ihre Liebhaber müſſen fid) jebt mit ande: 
ren, minder erlejenen Kräutern begnügen. 
Sn jolcher Betrübnis wendet fid) bas Ge: 
mut gern zu holderen Zeiten zurüd. Des: 
halb hofft auch diefe Plauderei dem Freund 
einer guten Zigarre nicht ungelegen zu tom- 
men. Gie ladet ibn zu einer Gebantenreije 
nach jenen jonnigen Geftaden ein, wo Die 
Königin aller Zigarren gedeiht und von wo 
jie in en Zeitläufen ihren Triumph: 
zug über die Meere nad) allen Teilen der 
jest Jo greulid) verunjtalteten Erdfugel om: 
tritt. Der Berfaffer hat kurz vor Ausbruch 


Hier liegt, in Blatter von trodenem Palmbaft verpadt und 
y gepreßt, ber Rohtabak und barrt feiner Berichiffung ins Ausland 


Bon ausgegangenenImporten: : 
: der Hadannazigarre 


ew Bon Victor Ottmann —Z- 


raum einer 


Bigarren : Fattorei 
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des Krieges auf Kuba geweilt, feine Trop 
rungen alfo an Ort und Stelle gejammelt. 

Kuba erzeugt ungeheure Mengen von 
Tabat, aber genau jo, wie in großen Wein: 
baugebieten die feinen, teuren Kagen in 
quantitativer Hinfiht weit hinter dem Maj- 
jenproduft der mittelmäßigen Weine zurüd: 
bleiben, bejchränft fih ber feinfte Rubatabat 
auf ein verhältnismäßig fleines Gebiet ber 
großen Inſel, námlid) auf bie im Weiten 
gelegene Provinz Buelta Whajo. Es ijt feine 
Landſchaft von jenem tropijden liberjdwang 
der ed und Sarben, wie die Phantafie 
bes Nordländers jie fid) ausmalen mag, fie 
Hellt fid) im Gegenteil eigentlich ziemlich 
nüchtern dar: weite Ebenen, auf denen jedes 
Fleckchen Erde dem Bau der Tabatpflanze 
nugbar gemadt ift, und wo nur bier und 
da bas weiße Gemduer der Haziendas, 
Gruppen ber Ichönen, Ichlanten Rinigspalme 
und am Horizont bie Umrijje der blauen 
Organosberge dem Auge einige Abwechjlung 
bieten. Das ijt bie flajjilde Heimat des 
wertvolliten Tabafs der Welt, hier bejiken 
die rühmlich befannten Havannahäujer, die 
Upmann, Partagas, Henry Clay, Alvarez, 
Bod und wie fie alle heißen mögen, ihre 
ee Sad hier feimen und gedeihen unter 
liebevoller Obhut die breitblättrigen Stauden 
der ebeljten Arten der großen Solanazeen: 
gattung Nicotiana. Es find anjpruchsvolle, 
verwöhnte Gewächle, und fie verlangen fat 
dasjelbe Maß liebevoller Pflege wie die 


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Bud in ben Trodenraum ber Faltorei. Hier werden auf Gejtellen, gu tleinen Bündeln gepadt, die an- 


gefeuchteten Tabatsblatter getrodnet und zur Garung gebradt. 


Weinrebe in den wertvolliten Lagen des 
Rheins und ber Mofel. 

Bon dem umftandlicden Hergang ber Ta- 
bafsernte und ber er[ten Trodendarre auf 
der Plantage fet hier in großen Zügen nur 
age gejagt, Dak bie abgelchnittenen Blätter 

luftigen Schuppen oder aud) im Freien 
auf Stangengerüjten getrodnet werden und 
dann nad) der Sortierung, zu Büjcheln ge- 





in Driidender 9tifotinbunit erfüllt ben Raum 
bunden und in Ballen aus trodenem Palmen- 
baft verfchnürt, in bie Faftoreien von Ha— 
vanna wandern, um dort den weiteren Ga- 
rungsprozeß und den Werdegang zur Zi: 
garre Durdgumaden. Diele Faftoreten find 
äußerlich ziemlich unjcheinbare Gebäude in 
den Vorſtädten Havannas und laffen den 
Unfundigen nicht ahnen, welche Schäße des 
teuerjten Rrautes in ihren Räumen aufge: 





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Im Hofe der Faltorei find flotte tubanijdje Burjchen damit bejchäftigt bie gebündelten Tabatblatter 


anzufeuchten und 


eiBig zu ſchwenken 














IS Von ausgegangenen Importen PZZ 415 





UJ 


Dieje Frauen ziehen die ftarfen Rippen aus den zur Einlage bejtimmten Tabalsblättern 


peichert liegen. Jede Firma hat ihre be: 
jonderen Methoden, bie Tabatpflanze groß 
zu En und bie geernteten Blätter zu be- 
handeln; eben deshalb gibt es jo viele Ver: 
I\hiedenheiten im Gejchmad der Havanna: 
zigarren. Wir wollen nun einmal eine ber 
lerjtungsfabigjten Manufafturen bejuchen, 
und zwar jene des wohlbefannten Haufes 
H. Upmann, aus dem aud) unjere photo: 
e gen Aufnahmen ftammen. Es ijt, 
wie jdn der Name 
verrät, eine beutjd)e 
Mi jie wurde im 
abre 1844 von dem 
Bremer Kaufmann 
Hermann Upmann be: 
gründet und befindet 
(id) nod) heute in ben 
p ber Familie. 
ie Firma Upmann 
gehört mit etwa fieb- 
ig anderen Havanna: 
äujern zu den „Inde— 
pendents”, d. b. jenen 
Zigarrenfabrifanten, 
die bem amerifanijden 
Havanna-Trujft fern: 
jtehen unb fih des 
verbiirgen, daß ihre 
Erzeugnijfe nicht nur 
aus ehtem Rubatabat 
bejtehen, jondern aid) 
lediglich auf Ruba Der: 
eftellt werden. Diejer 
inet ijt nicht un: 
nötig, weil feit einigen 
Jahren, und zwar be: 
[onbers von feiten ber 
zum Truft gehörigen 


ar, majjenhaft „Importen“ auf den 
tarft tommen, bie fih zwar auch „Havan: 
nas“ nennen, aber tatjadlid) auf dem ame: 
rifanijden Fejtland, in Florida, oder ber 
ameritanijchen Antilleninjel Portorico fabri- 
ziert werden. jene Firmen haben dort 
— errichtet und laſſen den 

abak dort verarbeiten, um den hohen 
Zoll zu umgehen, der auf den in Ha— 
vanna fertiggeſtellten Zigarren laſtet, und 


ke 





— 


Ziele Arbeiter befaſſen fih mit dem feinſten Teil der Importe, bem Ded: 
blatt. Cie jondern Die Dedblätter nad) ihrer Beſchaffenheit und ziehen die 


ftarfen Rippen heraus 


416 ee ee SS Victor Ottmann: (iB 


ae — Vae toe — —— m i nen o * 





Ein Saal ber gigarrenmidler. Es wird in bem vornehmften. Havannafattoreien ausidblieBlid) mit der 


Hand gewidelt. 
Bilde im 


um  bement[predjenb billiger liefern zu 
tónnen. 

Kehren wir nad) bieler fleinen Abſchwei— 
fung zur Manufattur zurüd. Unjer freund: 
licher Führer, jelbjtverftändlich aud) ein Deut: 
iher, geleitet uns zuerſt in bie Trodenraume, 
wo der von der Plantage eingebrachte Tabat 
dem Bärungsprozeß unterzogen wird. Hier 
möge nun gleich ein allgemein verbreiteter 
Irrtum beridtigt werden, der die „friſche 
Havanna“ betrint, „Friſche“ Zigarren in 
dem Ginne, als ob bie Tabafblatter, aus 
denen fie gemacht find, nod) vor ganz fur: 
em auf dem Felde grünten, gibt es nicht. 

an fann unter einer ,[rijdjen" Zigarre 
ridjtig nur mE je veritehen, bie nad) ihrer 
Wanderung über das Meer foeben beim 
Zune eingetroffen ijt, aljo nod) das volle 

roma und einen gewijjen Grad natürlicher 
Feuchtigkeit befigt. Es vergehen in der Fatto- 
rei viele Monate, ehe bas vom Felde einge: 
lieferte Tabatblatt zur Verarbeitung fommt; 
ja oft bleibt der Rohtabaf ein Jahr und 
länger im Ballen liegen. Während bes 
wodenlangen Lagerns in Bündeln auf Lat- 
tengeriijten werden durch bie Bärung Die 
SEN aufgelöft und unter 
der Einwirkung gewiſſer mifrojfopifd Heiner 
Spaltpilze aromatijch duftende Subjtanzen er: 
eugt. Die für das Sigarrenbedblatt be: 
et D jorgfáltig ausgejudten Blätter 
werden angefeuchtet und in fleinen Päd: 
den geprept, damit fie die zum Wideln 
nötige Ebenmäßigfeit erhalten. Es herrjcht 
ein eigentümlich jchwerer, ſüßer Nikotindunſt 
in den Lagerrdumen, der feineswegs unan: 


ngefabr dreihundert Arbeiter figen in dem Saal. Mitten unter ihnen 
intergrunde rechts) auf erhöhtem Stuhl der von ihnen angeftellte 


t (auf unferem 
orlejer 


genehm ijt, aber die Nerven und Atmungs: 
organe des nicht daran gewöhnten Bejuders 
auf bie Dauer bod) jehr in Anipruch nimmt. 

Ehe ber Rohtabaf nad) der erjten Garung 
ut Verarbeitung fommt, muß er durch An- 
Soutien den nötigen Grad von Gejdmeidigs 
teit — Das EE junge Burjchen 
im Hofe ber Faktorei, indem fie die Tabat- 
bündel in fließendes Wafler tauchen und 
dann ausjchwenfen. Einen Tag jpäter wan: 
dern die Blätter in einen Saal, wo ein paar 
Dugend Frauen und Mädchen, an Fällern 
jigend, die diden Mittelrippen herausziehen 
und bie beiden Blatthaljten forgfaltig auf: 
ſchichten. Nahdem die Blätter etwas ge: 
trodnet find, wird jener Tabat, der zur Ein: 
lage beftimmt ijt, in bie Fäſſer verpadt und 
nochmals einer Nachgärung unterworfen, die 
je nad) der Qualität des Tabafs vierzehn 
20d: bis jechs Monate dauert, während die 
Dedblätter ohne weitere Bärung jofort ver: 
arbeitet werden Tonnen, Die feinjten ée 
dectblatter Kë jehr teuer und Toten mehr 
als viertaujend Mart für den Ballen; die 
leihten Sorten fühlen fih zart wie dünne 
Seide an, die jchweren bid und fett. Wegen 
ihrer &Ro|tbarfeit werden fie den Zigarren: 
modern vom Meilter immer nur in kleinen 
Päckchen zu fünfundzwanzig Stück gegen Quit: 
tung gugeftellt. Bevor der Tabat jebod) in 
ben Widlerjaal wandert, wird er abermals 
eingehend geprüft und von den Meijtern 
oe Makgabe der veridjiebenen Qualitäts: 
werte jorttert. 

Begeben wir uns nun in ben Wicklerfaal. 
Wir ftuken, denn ein merfwiirdiges Geraujd) 











PSSST ee Von ausgegangenen Importen (34243€4343434343€3634| 417 


tönt uns aus ihm ent: 
gegen. In den Ha: 
vannahäujern find 
rundjäglih alle Ma: 
Py inen verpönt, jede 
Arbeit wird mit der 
geleitet. Was 
ijt das aber für ein 
Geradujd im Widler: 
faal? Deflamiert da 
nicht jemand? Unſer 
Führer öffnet die Tür; 
wir treten in einen 
drüdend heißen Gaal, 
in bem etwa dreihundert 
Männer wie in einer 
riefigen SE reis 
enweile an ildjen 
en. Und jebt [eben 
wir aud) ben Deflama: 
tor: er thront auf einem 
erhöhten Stuhl in ber 
Mitte des Saales und 
lieft, ben Kopf bald hier: 
bin, bald dorthin wen: 
dend, mit laut jchallen: 
der Stimme und fhau: 
Ipieleriiher Betonun 


9 

aus einem Buche vor. Dieje Vorlejer find in 
allen Havannamanufalturen zu le fie 
werden von ben „Tabaqueros“, den 

jelbft bezahlt und lejen ihnen morgens Die 
Brune ſpäter Bücher unterhaltender und be: 
ebrenber Art vor, und die Leute folen um fo 
fleißiger arbeiten, je mehr bas Behörte fie in- 


tereiltert. 


Sehen wir uns die Tabaqueros etwas 





— 





— 

Ein wichtiger 

Poften ift der 

bes ,Celeftors', ber bie fertigen Seren prüft, und nad) Farbe, Ausfehen 

unb Güte ber Arbeit jondert. ein geichidtes Auge unterjcheidet etwa 90 

Sorten ‚Feblfarben‘ und fonftwie — orte Bigarren werden dabei ganz 
ausgefdieden 


näher an, fie find an Bejucher gewöhnt und 
lafjen jid) Dadurch nicht [tóren. Es find durch: 
idlern, gängig Rubaner, mit dem blutlos braun: 

Iden Teint ihrer 9tajje. Die meijten haben 
trog ber Hike ben Hut auf bem Kopf und 
lajjen fid) ben Freitabak |djmeden, den ihnen 
die Faktorei in reich bemejjener Menge lie: 
fert. Unjer Führer mad) uns auf einen 
der better Arbeiter aufmerfjam. Der Mann 


-———— = 


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Die nochmalige Überprüfung der edlen Importen wird von ben höheren Beamten der Faktorei beiorgt. 


Es handelt 


d) bier um Zigarren, bie im Kleinverlauf bis zu 10 Mart das Gd often 


418 ( Victor Ottmann: EICHE HH I I HI ZZ 





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Die fertigen Zigarren werden mit Leibbinden verfehen und dann in die Kifthen gelegt 


verfertigt nur ganze feine Zigarren, von 
denen Das Stüd in Teutjchland vor dem 
Kriege zwei bis drei Mart fojtete, mitunter 
aud) mehr. Geine Hand padt aus dem vor 
ihm liegenden Tabathaufen die Einlage, mit 
fait mathematijcher KE gerade joviel, 
wie er für Die zu widelnde Zigarre braudt, 
er zupft, dreht und rollt fie gwijden den 

ingern, gibt ihr Die nötige Dide und 
lange und widelt bann jorgfältig bas Ded: 
blatt — die ah eines ganzen Tabafblattes 
— berum. Tas hört jid) alles jebr leicht an, 
verlangt aber eine jahrelange Schulung der 
Hand und des Auges, denn die Zigarren 
miifjen in bezug auf Feſtigkeit und Geftalt 
ganz gleichmäßig ausfallen und folen nur 
möglichſt felten an jenen Schönheitsfehlern 
leiden, Derentwegen fie |päter bet ber Revie 
Ki zum Ausjchuß verurteilt werden. Ein 
olcher Elitearbeiter verfertigt höchjtens hun- 
dert Zigarren am Tage und erzielt dafür im 
Stüd bn vierundzwanzig bis achtundzwanzig 
Mark. Von den RENE Corten ver: 
fertigt ein guter Arbeiter bis gu dreihundert 
Stüd am Tage, bei einem Verdienſt von 
zehn bis fünfzehn Mart. 

Die fertigen Zigarren wandern in Biin- 
deln von fünfzig Stüd in einen anderen 
Raum, in dem wieder tiefite Stille herricht. 
Hier walten die „Selectors“ ihres wichtigen 
Amtes, die Prüfer. Sie breiten die Zigarren 
auf Tafeln vor fid) aus, nehmen eine nad 
der anderen in die Hand und ech fie mit 
dem Auge und dem Tajtgefühl auf ihr Aus» 
jehen, * Länge, Stärke, OC und 
\onjtigen Eigenjchaften bin. e teurer Die 
Zigarrenjorte, dejto Jorgfáltiger natürlich die 
Prüfung. Ein gut gejchulter, hochbezahlter 


Gelector befit eine wunderbare Unterjchei- 
bungsgabe, ungefähr ebenjo wie in anderen 
Fidem ber Weinpriifer ober der Tee: und 
ta ques "d age DES bes ye nur 
einen Haufen völlig gleichförmiger Zigarren 
erblidt, da ——— er etwa Se 
Abarten, bie vom „claro“ bis zum „maduro“ 
eine reiche Cfala ber feinften T 
fungen durchlaufen. igentlid) ift ja Die 
arbe von feiner Bedeutung fiir den Ge|djmad 
unb ben Grad der „Schwere“ einer Zigarre, 
aber die Raucher legen nun einmal großes 
Gewicht auf bejtimmte Farben, fie halten 
eine Zigarre für um fo leichter, je heller fie 
ijt, und Diejen Wünfchen und fleinen Bor: 
urteilen muß der Fabrifant entgegenfommen. 

Sind die Zigarren geprüft und jortiert, 
jo werden fie mit Papierringen verjeben. 
jenen „Leibbinden“, deren Aufdrud dem 
Kenner verrät, mit wem er es zu tun bat, 
und dann in Kiſtchen verpadt. Die Heine 
Sigarrenfijte in ihrer heutigen Form wurde 
erjt 1859 von einem Havannafabritanten 
erfunden, bis dahin exportierte man Die 
Zigarren nur gebündelt in großen Badungen 
von fünfhundert bis e engl ug Ctiid. 
drüber wurden bie Kifthen ausjchließlich 
aus Zedernholz angefertigt, weil fein Duft 
fih mit bem ber Zigarre vorzüglich verträgt, 
aber jeitbem das Zedernholz teuer geworden 
ijt, verwendet man für geringere Sorten 
ern — Holz von ähnlichem Aus— 
ehen. Neuerdings ſind auch Luxusverpak— 
kungen in Geſtalt von fein polierten, ver— 
ſchließbaren Kaſſetten und zierlich gearbei- 
teten Schränkchen Mode geworden; der 
wirkliche Kenner jedoch ſteht ſolchen „Auf— 
machungs“-Künſteleien immer mit einigem 


ee Von ausgegangenen Importen Mzz 334 33333] 419 


Miptrauen gegenüber, ihm gilt der Inhalt 
und nicht das Gewand. Zur Aufmachung 
ehören aud) die „Etiquetas“, die über: 
djwenglid) reid) mit Gold prunfenden, wun- 
derbar E Bilder auf den Innen: 
dedeln der Kiſtchen. Gie wurden vor 
dem Kriege fait ausjchließlich in Deutjchland 
— und erſt in der Faktorei aufgeklebt. 
s wäre ja ein leichtes, dieſe me à ehr 
naiven Bildchen auf eine fiinjtlerijd) höhere 
Stufe zu bringen, aber um der Tradition 
willen läßt man es dabei bewenden, und 
auch der Raucher würde die altvertrauten 
Etiquetas IDEEN ungern vermiljen. 
Durd das Einlegen in bie &ijten und ere 
— erhalten die bis dahin 
anz ebenmäßigen Zigarren ihre teilweis 
antige Form. Wie mannigfach übrigens 
die —— geformt ſind und zu welchen 
Abſonderlichkeiten ſie es dabei bringen, da— 
r bietet bie Modellſammluug der Upmann: 
chen Faktorei ein intereſſantes Anſchauungs⸗ 
material. Man ſieht hier in Holz nachgebildet 
ſämtliche Formate, die das Haus jemals 
auf den Markt gebracht hat, neben liliputani— 
ſchen Zigärrchen von der Größe eines kleinen 
Fingers unglaubliche Rieſen, die man ganz 
= als fletnen Gpagierjtod tragen könnte. 
ie teuerjten Kräuter — es gibt Jolche, bie 
im Laden aht Mart fojten, und [ie werden in 
viel größeren Mengen abgejeßt als der „ge: 
wöhnliche” Raucher ahnt — zeichnen fid) falt 
immer durch ftattliche Formate aus. Aber 
auch bei der ipe liegt bas vernünftige 
Maß in der Vitte, fie fol weder zu groB 
nod) zu Hein fein und jede ungewöhnliche 
orm vermeiden, weil derartige Zigarren 
unmöglich gut gewidelt fein Tonnen, Die 
Importen von [rüber hatten rein walzen= 





förmige Geftalt, die Fabrifation bevorzugt 
neuerdings wieder biejes Format als das 
an lee 
ie Zigarren find nun verpadt, bie Rijt- 
den werden zugenagelt und treten mit Tau- 
fenden von ihresgleichen bei nächiter Ge: 
legenbeit bie Reife über bas Weltmeer an. 
ée Havannaernten joeben eingetroffen“, 
jo lautet ein paar Wochen jpäter ber ver: 
hethungsvolle €odruf der großen Zigarren: 
ie in unjeren Zeitungen, und mit 
djmungelnber Vorfreude läßt jid) dann der 
Raucher im Laden eine Reihe von Kijtchen 
feiner Lieblingsmarfen öffnen, um die lieb: 
lich Duftenden Kräuter auf ihr renter 
zu prüfen. Und wenn er ein wirflicher 
Kenner ijt, dann läßt er die — ach leider! — 
[o teuren Importen nicht allgulange zu Hauje 
lagern, es jet denn, daß er fid) eines guten 
Smportenjdranfes erfreut, ber bie empfinb: 
lihen Zigarren vor ber Berflüchtung bes 
Aromas und einer zu Worten Austrock— 
nung bewahrt. Denn eine zu trodene Ha: 
vanna, bie bei einem fanften Drud zwilchen 
ben Fingerſpitzen förmlich kracht, ift nur nod) 
ein ſchwacher Abglanz ehemaliger Pradt. 
Dan hört oft Ausdrüde ber Berwunderung 
über den hohen Preis der Havannazigarren. 
Mad dem Kriege werden fie wohl aud) 
faum billiger jein, eher teurer. Denn da 
die Herren Nordamerifaner nur einen gün- 
tigen Augenblid abwarten, um Kuba, das 
He tatſächlich don völlig in der Tajche 
haben, aid) offiziell oe Délai? jo liegt eine 
Durdgreifende Monopolijierung und entipre= 
chende ?Berteuerung des ganzen fubanijden 
Tabafs durchaus im Bereich der Möglich: 


feit. Die Ausfichten ber Qualitätsraucher 
find alfo nicht eben rolig. 


Die BZigarrentiftchen 
werden mit den bunten 
— an der Fa: 
britmarten beflebt 


Die hiftorifchen 
— 


und pfychologi 
des heutige ulna 


on Oeheimrat Prof. Dr Theodor Shiemann inBerlin 


Qie ruſſiſchen Volksſtämme, Die 
unter der jfanbinavi|djen Dynaftie 
ber Rurifer im 9. und 10. Jahr: 
hundert zu einer jtaatlichen Gin: 

à beit Get wurden, beitehen 
aus drei Hauptgruppen: Broßrujjen, Weiß: 
rullen und Ufrainern, von denen bie Iebteren 
|pradjlid) und ethnographijch ein bejonderes, 
den Güdjlawen ——— Volkselement 
darſtellen. Sie haben im 16. und 17. wie 
zu Anfang des 18. Jahrhunderts für ihre 
Selbſtändigkeit mit den Polen wie mit den 
Großruſſen gekämpft, ſind aber ſchließlich als 
politiſcher Faktor ausgeſchieden, ſeit die durch 
Peter den Großen angebahnte und von 
Katharina II. durchgeführte Germaniſierung 
des Zarenhauſes eine nach Weſten gerichtete 
Eroberungspolitik einleitete, die das Ruß— 
land ſchuf, das ſich bis zum Zuſammenbruch 
behauptet hat, den die Revolution vom März 
1917 brachte. 

Es genügt für unjere Zwede, die legten 
hundert Jahre biejer Entwidlung ins Auge 
zu fajjen. 

Als WUlexander I. dem ihm zugefallenen 
Teil Polens — Kongreßpolen wie man es 
nannte — 1816 eine Berfajjung oftronierte, 
wurde von ihm damit ber erjte Schritt zur 
Verwirklichnng eines Planes getan, den er 
urjpriinglid) im Gegenjak zu ber ibm un: 
heimlichen allgemeinen Wehrpflicht Preußens 
gelobt hatte. „Er begiinftigte die innere Aus: 
ildung und Konjolidierung einzelner natio: 
naler Gebiete feines großen Reichs, Finn: 
lands, wo er bem Grofberaogtum das Rehen 
Wyborg und Wlt:Karelien zufügte und 
bie alte Verfaſſung aufrechterhielt,; der Dit: 
leepropingen, deren Verfaſſung er bejtehen 
ließ und denen er dur) Aufhebung ber 
Seibeigenid)jaft eine bejondere Trennungs- 
linie von dem übrigen Rußland gab, Bo: 
[ens und jelbjt €itauens, erjterem durch eine 
eigene Berwaltung und Verfaſſung, und 
[ecbterem Durch eine bejondere Armee, indem 
das litauijde Korps nur aus Litauern 
refrutiert wurde, endlich bes taurijchen Cher- 
jones und feiner Angrenzungen. Das übrige 
Rupland, den eigentlichen Kern feines Rei- 
ches, wollte er bejto fejter in fid) fonfolidieren 
und Durch Dicjen Die anderen Teile des Reichs 
möglichſt im Zaum halten. Das Syſtem der 
Witlitarfolonien, welde nur in diejen Teil 
des Neiches abgelegt waren, war der Schluß: 
Deum des Gebäudes, wie er es in Diejem 
Sinne jid) dachte, und in diejen Kolonien 
jollte das Kernland die Mittel finden, Die 
Herrichaft über bie Nebenländer feitzuhalten.” 

Geine Pläne jcheiterten an der Ungeduld 
der Polen und an der Entriijtung, mit der die 
bejtgebildeten Männer feines Heeres die Be- 





günftigung der fremdftämmigen Grenzlande 
und die furchtbare Tyrannei anjchauten, mit 
der das Syſtem ber Militärkolonien durchge: 
führt wurde. 

Die Folge war, dab gleichzeitig der Plan 
u einer polnijden Revolution, die nad 
Verwirflidung bes Ideals eines Polens 
vom Meer zum Wteer ftrebte, und einer 
rujjijden Revolution rette, bie in ihren 
Zielen eine erjtaunlidje Whnlidfeit mit der 
Revolution vom März 1917 zeigte. Was fie 
erreichen wollte, war eine ruſſiſche Fördera— 
tivrepublif, Bejeitigung des Raijers und 
leines gejamten Haujes und Aufbau eines 
idealen S9tedjtsitaats, für den freilich alle 
biftorijchen — fehlten. 

Die ruſſiſche Revolution ſcheiterte im De— 
zember 1825; es iſt der ſogenannte Aufſtand 
der Dekabriſten, im Grunde war es eine 
Militärrevolte, bei der ruſſiſche Ariſtokraten 
die Führer und betrogene Soldaten die 
Werkzeuge waren. Boden im leibeigenen 
Volk der Bauern hatte die Bewegung nicht. 
Fünf Jahr danach, im November 1830, brach 
die erſte polniſche Revolution aus, die am 
8. September 1831 mit der Erſtürmung War— 
ſchaus zuſammenbrach. Beides, der Deka— 
briſtenaufſtand und die polniſche Revolution, 
hat den Gang der weiteren Entwicklung 
Rußlands in verhängnisvoller Weiſe be— 
ſtimmt. Die Regierung Nikolaus L, bie ba- 
mit eingeleitet wird, iſt fortan auf zwei 
Hauptgedanken gerichtet: Niederhaltung 
aller nationalen Regungen in Polen und 
Herſtellung voller Uniformität innerhalb des 
Geſamtreiches. Die Trias: Rechtgläubig— 
keit, Selbſtherrſchaft, Volkstümlichkeit wurde 
die Richtſchnur für all ſein Tun im Inneren 
des Reiches. Rechtgläubigkeit aber bedeutete 
Zugehörigkeit zur — — Kirche, 
die SECH ie alleinberechtigte Ronfejfion 
werden jollte, Selbſtherrſ at war dem 
Kaifer ber durch feine Schranfen eingeengte 
Abjolutismus, und unter WBoltstümlichkeit 
veritand er die unbedingte Vorherrichaft des 
Großruffentums. Das erjte biejer Schlag: 
worte: NRechtgläubigfeit führte zu Gewiſ— 
jenszwang und zur Zwangsmiſſion unter 
Proteftanten, Ratholifen, Unierten und Alt: 
He Ge die Gelbjtherrjdaft aur Unter: 

rüdung aller Gedanfenfreiheit, Verfolgung 
der Willenichaft und jeder 9tegung jelbitän: 
digen Willens, der als voltstiimlid) bezeich: 
nete Nationalismus zu einer rüdjichtslojen 
Ruffifizierungspolitif. Es war eine völlige 
Abwendung von der liberalen Gedanfenwelt, 
welche die Anfänge Mexanders I. beherrſcht 
hatte. Mad) außen madjten die Prinzipien 
Nikolaus I. fid) Dadurd geltend, daß er, joweit 
jeine Hand reichte, liberale Regungen in Eu: 

















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ESELA Prof. Dr. Th. Schiemann: Die Grundlagen bes heutigen 9tuflanbs g2«29 491 


ropa zu unterdriiden bemüht war, um ihr aw 
liberjliefen nad) Rußland zu verhindern. Cein 
Begenjaß au feinem Schwager Friedrich Wil: 
helm IV. geht auf dejfen Reformpläne zurüd, 
die, wie der Zar richtig erfannte, ſchließlich in 
Verleihung einer Rertaffun auslaufen muß— 
ten; Die deutjchen Ginbeitebereebunden erſchie⸗ 
nen ihm als gefährliche Utopien, und ganz un— 
verſöhnlich ſtand er der Polenpolitik des 
Königs entgegen. 

Die in den vierziger Jahren entſtandene, 
an mißverſtandenen Hegelſchen Gedanken er— 
wachſene Richtung der Slawophilen hat 
ſich Nikolaus zu eigen gemacht, zugleich 
aber den aus gleidjer Wurzel geborenen 
Ynardhismus, Dellen nicht übertrumpfter 
Vertreter 3Bafunin war, ins Leben gerufen, 
Die heutigen fozialiftiichen Maximalijten, die 
Bolıchewili. ftehen auf dem Boden ber (Ge: 
danten, die *Batunin vertreten hat. Auch die 
ufrainiihe Frage ift unter Mifolaus zum 
eriten Wale mit nationalen Anjprüchen auf: 

etreten. Es ift wichtig, bie Gejchichte jener 
amals geicheiterten Beltrebungen etwas 
sags fennen zu lernen, 

n den legten Monaten des Jahres 1815 
war in Kiew eine ufraino-jlawijde Gefell- 
Ichaft gegründet worden, zu ber unter anderem 
der Profeſſor Wdjuntt Rojtomarow, ber Dich: 
ter Schewtschento und der als Schriftiteller 
befannte Leh er bes 3. Petersburger Gym: 
najiums &ulijd) gehörten. Sie nannten bie (5e: 
jellidjaft nad) ben Slawenapojteln Gejelljdjaft 
zum heiligen Kyrill unb Methodius und 
nahmen zum Ziel ihrer Bejtrebungen die 
geijtige und politifche Vereinigung der Glo 
wen; jebod) jo, daß jeder ſlawiſche Stamm 
eine bejondere, felbjtandige Stellung erhals 
ten follte. Als joldje Stämme wurden von 
ihnen anerfannt: Die Südrujjen ober Ukrai— 
ner, bie Nordruffen nebjt den Weißrujien, 
die Polen, die Tichechen neben ben Slowin: 
zen (Rajjuben), bie Laujiger, bie Illyro-Ser— 
ben nebft Kroaten und Bulgaren. Jeder 
Ctamm folle eine Wolfsregierung erhalten 
und vollige Recdtsgleichheit feiner Mitbür— 
ger aufredterbalten. Regierung, Gejeßge: 
bung, Gigentumsred)t und Bıldungsitand 
jeien auf die heilige Religion Jeju Chriſti 
zu begründen, Gleichheit der Bildung und 
Sittlichkeit follten *Borbebingungen zur Teils 
nahme am Regiment fein; ein all,emeiner 
altifawi]djer Reichstag aus Bertretern aller 
Ciümmte das Werf Tränen, 

Dieſe Cave bildeten unter der Bezeichnung 
‚Hauptgedanten‘ bas Statut ber Hejellichaft, 
bas Durd bie ‚VBornehmiten Borjchriften‘ 
weiter ergänzt wurde Is Abzeichen tru- 
gen die Wiitglieder einen Ring oder ein 
Heiltgenbild mit der Abbildung beider 
$jeili;en; fie verpflichteten ſich eidlich all 
ibre Kräfte und ihr Vermögen in den Dienit 
der Geſellſchaft zu ftellen und unter feinen 
Umſtänden ihre Viitglieder zu verraten. Cie 
wollten bemüht fein, fonfejjionelle Gegenjäße 
auszugleichen, für Yu Hebung der Yeibeigens 
Ihajt zu wirten und Die Kenntnis Des 


Lejens und Schreibens zu verbreiten. Gie 
verdammen endlich den gottlojen Brundjat 
daß der Swed die Mittel heilige. — Weit 
bedeutjamer als dieje Leitjäße war bo: 


egen cin der Regierung in die Hände ges 
fallen Manujtript, bas die Oberfdyrift 
ührte: ‚Das Gele& Gottes‘, 


In Bunbertneun furzen Paragraphen jucht 
esnachzuweijen, dah die Demofratijde Staats 
form die von Bott gewollte fei, die Slawen 
aber als auserwabltes Volt Gottes berufen 
lie zu verwirklichen. Der Schwerpuntt fällt 
auf bie Ausführumgen am Schluß, ber nad) 
biltoriihen Darlegungen von mehr als 
zweifelhafter Beweistraft, bie Ufraine und 
bas Rojafentum als die Verwirklichung der 
wahren jelbjtlojen und demofratijcden rein 
pe feiert. „Aber bie Deutide, bie arin 

fatharina, bie unfeujd)e, weltliche, gott: 
lofe Mörderin ihres Gatten, bat aud) der 
Freiheit ber Rojafen ein Ende bereitet. Die 
Ufraine ftarb, aber es jchien nur fo, fie [ag 
im Grabe und war niht tot; denn ihre 
Stimme, die das gelamte Slawentum zu 
Freiheit und Brüderlichteit aujrief, erilang 
in der ganzen jlamijdjen Welt. Tie Stimme 
der Ukraine ward laut in Polen, als am 
3. Mai 1791 bejdjlojjen wurde, dap es feine 
Herren unter ihnen geben folle, und daß in der 
Republit Polen alle frei fein jollten. Dasjelbe 
aber batten jhon hundertzwanzig Jahre früger 
bie Ufrainer gewollt. Und bie Stimme der 
Ulraine erjcholl in Mtosfowien, als nad) dem 
Tode des Zaren Alexander die Rujjen ten 
Zaren und ben Adel verjagen und alle 
Slawen nad) göttlicher SBorid)rift, ungertrenn: 
lid) und nicht gewaltjam mit Dlosfau vereini: 
gen wollten. Das wollte bie Ulraine jchon 
zweihundert Jahre vorher. 

Aber ber Defpot ließ es nicht zu; bie 
einen endeten ihr Leben am Galgen, andere 
quälte man in ben Bergwerten, wieder ans 
dere ließ man von ben Ticherfejjen umbrin: 
gen. Und es berricht ber Defpot über die 
drei flawijden Ctamme, er regiert über fie 
Durch Die Deutjchen, er bringt ihnen Anſtek— 
fung, macht fie zu Rriippeln, verdirbt ihre 
gute ſlawiſche 9tatur und erreicht dod 
nichts. Denn die Stimme ber llfraine pers 
ſtummt nicht Die lltraine erjteht aus ihrem 
Grabe, und wiederum ergeht ihr Aufruf an 
die jlawijden Brüder, und fie hören ihren 
Ruf, und das Slawentum wird jid) erheben, 
und es wird weder Zaren nod) Zarewit) 
nod) Barin mehr geben, weder Fürſten no 
Grafen, weder Herzöge nod) Exzellenzen, 
weder Pane mod) Bojaren nod) Knedte, 
weder in Grofrugland nod) in Polen, nod in 
der Ufraine, nod) bet ben Tſchechen, Kroaten, 
Gerben ober Bulgaren. Und die lltraine 
wird eine unabhängige Republif im jlawis 
ſchen Bunde werden, Tann wird alles Wolt 
jagen, indem es auf die Stelle met, wo 
auf der Karte Ufraine jtebt: Ties ijt der 
Stein, den ber Bo umeijter verworfen hatte, 
der fol nunmehr der Eckſtein werden.“ 
Nikolai hat mit Der Gejlljgaft des heili- 


499 pzxertiextyex9x93939] Prof. Dr. Theodor Shiemann: eet 


gen Kyril und Methodius furgen Pros 
ek gemadjt, in aller Heimlidfeit. Die Welt 
Eu von den ketzeriſchen Gedanten nidts 
erfahren, die in Rußland umliefen. Er felbjt 
laubte, daß es franzöfiiche unb polnifche 
Einfliffe feien, auf bie jie aurüdge[übrt 
werden müßten. Roftomarow wurde ver: 
bannt, Schewtichento unter bie Soldaten 
geitedt, bie minder Rompromittierten verjebt 
und unter polizetlicje Auflicht gejtellt. Sie 
hatten alle verjudjt fih Dadurd zu retten, 
daß fie jenes ,Geje& Gottes‘ für ein pol: 
nijches Elaborat erklärten, und behaupteten, 
die Bereinigung aller Slawen unter ber 
Dberherricyaft des Zaren Mifolaus erjtrebt 
zu haben. — 

Die bald darauf ausbrechende große Ne: 
volution von 1848 ch aud) für Rußland eine 
Periode fteter Unruhen und zahlreicher Baus 
ernaujftände gewejen, bie ausnahmslos bluti 
unterdrüdt worden find, und als ——— 
die Stürme in Weſt- und Mitteleuropa ſi 
legten, ba ſchien das Rußland Nikolaus 1. 
mächtiger dazuſtehen als je vorher. In 
jtummem Geborjam beugte Europa fic vor 
dem unumjchräntten Selbſtherrſcher in ee 
burg. Dann aber folgte die Kataltrophe 
bes Krimfrieges, an der 9tifolaus felbjt und 
fein Syitem gujammenbrad. 

Alexander Il. trat feine Regierung an und 
nad) einer Periode unjicheren Gdwanfens 
begann eine neue Ara für Rußland. Das 
Jahr 1861 bradjte bie Aufhebung der Leib- 
eigenjchaft, mit ber ber rujfijde Bauer als 
politiver politijder Faktor in die Gejchichte 
eintreten jollte. Große Reformen in Juſtiz 
und Verwaltung, jdjlieBlid) bie Einführung 
ber allgemeinen Wehrprlicht, bahnten, wie 
es |dien, eine neue Zeit an. Aber das 
Falen der jtaatlichen Feſſeln gab den natio: 
nalen Inſtinkten freie Bahn. Cine zweite 
polniſche Revolution, die blutig unterdrücdt 
wurde, ließ den zeitweilig verftummten Nas 
tionalismus in neuer Form wieder auftaus 
hen. Las Clawopbilentum wurde zum ‘Bane 
ruſasmus, b. D. Die Forderungen Nikolaus I. 
nad) nationaler Uniformität wurden jest als 
Forderungen ber rujjiichen Intelligenz der 
Regierung von unten ber oftroyiert, womit 
bann eine neue Phaje der Ruſſifizierungs— 
politi in den Grengmarfen eingeleitet wird. 

Eine zweite Yu erung diejer Sinjtinfte ijt 
der Rankemisinne: der uns bereits im ‚Be: 
leg Gottes‘ der Ukraine entgegengetreten ift, 
der die Befreiung der jlawijchen Brüder 
— wobei die Polen immer ausgenommen 
werden — von fremder Herrichaft anjtrebte 
und der ben Kaifer Alexander II, in ben 
Türfenfrieg treibt, Dellen Epilog burd) ben 
Berliner Kongreß eine wütende Feindjchaft 
gegen Preußen und jchließlidy gegen alles 
Deutjche reifen läßt. 

Zielen Entwidiıngn parallel geht eine 
dritte 9tegung ber rujjijchen Inſtinkte: Der 
Nihilismus, ber fid) ui feinen Anfängen zu- 
nadjt in ben Bahnen des frajjejten As 
terialismus bewegt und banad) infolge einer 


altruiftifchen Welle, bie durch bie Seele der 
rujfiihen Jugend 309, fid) Dem Drang bin: 
gibt, ben rujjijdjen Bauer politijd) aufzu— 
Hären; aud) bas war ein Gebante, ber im 
‚Gejeß Gottes‘ aum Ausdrud getommen war! 
Man zog ins Volt, um thm Berjtändnis 
für bie inzwiſchen gereiften revolutionären 
Bedanten einzuflößen. Turgenew hat in fei- 
nen Romanen diefe beiden erjten Stadien 
bes rulliichen 9tibilismus meijterhaft geſchil— 
bert. Die Berfolgungen, die das ‚Gehen 
ins Bolt nad) jid) zogen, führten zu bem 
neuen terroriltiihen Stadium in der Ent: 
widlung des Nihilismus, das am 1. März 
1881 mit der Ermordung Alexanders ll feinen 
eriten Höhepunkt erreichte. Die Regierung 
Alexanders lll., die jyftematijc) bie liberalen 
Reformen feines Waters rüdgängig zu 
machen bemüht war, und zugleich bie shan: 
talie bes Bolfes durd) Vorbereitung eines 
Krieges gegen Deutjchland, ber 1887 aus: 
brechen follte, von den inneren Problemen 
ablenf:e, erreichte durch Diajjenverhaftungen 
und Verſchickungen wirflid), daß ber terro: 
riſtiſche Nıhilismus zu Ende feiner Regie: 
rung überwunden Iden, Daß es nur Scyein 
war, bas Feuer unter ber Aſche weiter: 
glimmte und [dieBlid) in hellen Flammen 
loderte, zeigte die — ſeines Sohnes 
und Nachfolgers Nikolaus II. Schon 1895 
bildeten ſich ſozialdemokratiſche Organiſa— 
tionen und es fanden Die erjien Arbeiter— 
aus|tánbe ftatt. Im März 1898 trat ein 
Kongreß aller fogialijttjden Wereine Ruß: 
lands in Minsk gujammen, der jid) zur ruj- 
ſiſchen fogialdemofratijdhen Arbeiterpartei 
tonjtituierte unb ein — annahm, in 
welchem es hieß, das ruſſiſche Volk würde 
fortan nicht bitten, ſondern fordern und je 
mehr man ihm gebe, um fo mebr verlangen. 
Gein Biel fei SBetámpfung des Kapitalismus 
und bes Abſolutismus bis zum vollen Ciege 
des ſozialiſtiſchen Gedankens. Die Teilneh: 
mer am Minster Rongrejje aber find, als 
fie im ‘Begriff waren auseinander zu gehen, 
alle verhaftet und verjdidt worden, jo daß 
bie Partei gejprengt |djien. Aber jchon 1902 
zeigte fid), Dak es wiederum ein Irrtum Der 
Regierung war, wenn fie fid) nunmehr Kee 
glaubte, Die Bewegung jdjlug in bte Ion 
lange gärenden Kreije ber rujjijden Stu- 
benten|djajt hinüber und eraot was be: 
jonders gefährlid) war, bie Bauern. Zuerit 
im Poltawajden, danad) in Hurst, Sd Ede 
Tihernigow, 9Boronejd), Sjaratow fanden 
Naubzüge ber Bauern gegen bie Gutsbe itzer 
itatt. Das Schlagwort, daß alles Land den 
Bauern gehöre, heute bas gefährlichſte der 
revolutionären Lojungsworte, wurde laut 
und von der revolutionären Literatur durch 

ana Rußland verbreitet. Die Mipernte der 
Sabre 1902 und 1903 fteigerte die Erregung 
ber Bauern. Im Juli 1903 fand ein großer 
Urbeiterausitand in Südrußland jtatt, der 
neben den Forderungen des Achtjtundentages 
und höheren Wrbeitslohnes eine Weihe allge: 
meiner politijdjer Forderungen vorbradte 


EI Die hiftorifhen und pfochologifchen Grundlagen des heutigen Rußlands 493 


und in dem drohenden Verlangen nad) Bes 
rufung einer rufjijden Konjtituante gipfelte. 
Es jdjloB fid) daran ein Aufruf zu bewaff: 
neter Erhebung, falls bie Regierung dieje 
Li ti pi ik nicht erfülle.e Aber nod) zwei 

abre gingen bin, ehe im Zujammenhang 
mit bem enttäujchenden Verlauf des japa: 
ni’chen Kriegs der Wusbrud) wirklich ere 
folgte. Cine UArbeiterdDemonjtration unter 
subrung bes Priefters Gapon, bie von ber 

egierung blutig niedergejchlagen wurde, 
gab am 22. Januar 1905 das Signal zur erjten 
panruſſiſchen Revolution, deren Verlauf bier 
nicht erzählt werden fol. (Cie ift furchtbar 
blutig gewejen unb führte nad) vergeblichen 
Berjuchen des Zaren, durch halbe Zugejtänd: 
nijje bie Erregung zu bejänftigen, am 26. ye: 
bruar 1906 zur Berufung einer Volksver— 
tretung auf Grund des allgemeinen geheimen 
bireften Wahlrehts. So trat am 10. Mai 
die erjte rujjijde Duma zujammen, die am 
17. Drai aufgelöft und am 5. März 1907 
durch eine zweite Duma erjebt wurde, bie 
fih bis zum Juli behauptete. An ihre Stelle 
trat dann auf Grund eines neuen reaftio=- 
nären Wahlrehts am 28. Oftober 1908 Die 
dritte Duma, deren Nachfolgerin, die bis vor 
turzem noch vegetierende, tatjächlich macht: 
loje vierte Duma, am 28. Movember 1912 thre 
Sitzungen eröffnete. Was dazwijchen liegt 
ijt die Vorbereitung zu den Dingen, die wir 
feit 1914 erlebt haben. 

Suchen wir den politijdhen Inhalt ber 
neun yee zwijchen 1905 und 1914 zuſam— 
menzufajjen, jo jehen wir, daß die gewaltige 
revolutionäre Erhebung, mit der diefe Pe— 
riode anbebt, daran Icheiterte, daß fie feinen 
anerfannten Mittelpuntt hatte, ber bie bis: 
paraten revolutionären Elemente zujammen: 
zufaſſen und aujammenaubalten imjtande ge: 
melen wäre; vorübergehend fien es Der 
Fall zu fein, als ein Generaljtreif im Of» 
tober 1905 ausbrad) und auf ben roten 
Schreden der Revolution der Kiche Sret: 
fen einer Pöbelherrſchaft folgte. Aber die 
Führer diejer Bewegung blieben anonym, 
und als Ende Dezember bas Sjemenower 
Regiment bie Emeute in Mtosfau nieder: 
warf, wo fih eine provijorijde Regierung 
organiliert batte, brad) aud) ber Verſuch 
eines zweiten Generaljtreifs zulammen, Die 
nad) Abjchluß des Friedens mit Japan am 
17. Oftober 1905, aus Sibirien zurückſtrömen— 
ben Truppen, bie jid) ebenjo zuchtlos er: 
wiejen, wie bie Truppen an unjerer Front 
nad) dem März 1917, wurden flugerweile 
von der Regierung, jobald fie ben Ural über: 
Ichritten, in ihre heimatlichen Dörfer ent: 
lajjen und fanden bereits, daß bic Regie- 
rung im Innern geliegt hatte und der Mos— 
fauer Aufjtand niedergeworfen war. Aud) 
bat es weder ein organijiertes Vorgehen der 
fBauern|djaft, nod) eine zielbewuhte Aktion 
der Fremdvölker gegeben. Finnland wurde 
durch Herftellung feiner Verfaſſung beruhigt, 
bie Bauernrevolten in ben Ditieeprovinzen 
durch bas jelbjtändige Vorgehen der baltis 


[den Deutichen und durch bas ſchließliche 
Eingreifen rujliiher Truppen niedergeworfen, 
ber Verſuch einer Erhebung Polens recht: 
zeitig erjtidt, Mteutereien einzelner Garni» 
jonen und ber Flotten im Baltijden unb 
Schwarzen Dleer überwunden und fo Die 
Einheit des Reiches und feine Stellung als 
Großmacht behauptet. Aber die Aktion eins 
elner Terrorijten und terroriftiicher Organi: 
Kazen Dauerte fort, und in der erjten und 
zweiten Duma ift ber Verſuch gemacht wor: 
ben, die zweifellos vorhandenen Kadres einer 
neuen antidynaftijden Revolution wieder 
zu gemeinjamem Borgehen zujammenzufajjen. 
Bon entjcheidender Bede: tung aber war, 
dak Soldaten, Bauern und Arbeiter eine zeit: 
weilig jiegreiche Revolution erlebt hatten und 
daß bie Erinnerung daran lebendig blieb, 
Das Minifterium Stolypins, das mit kräf— 
tiger Hand die Ordnung berzuitellen ver: 
[udjte, jeßte bier ein, und vermochte durch 
eine großangelegte Agrarreform die Bauern: 
ſchaft zeitweiliı zu beruhigen. Stolypin hat 
aud) bie Wahlreform durchgejegt, bie Die 
zahme dritte Duma aus ber Wahlurne Der: 
vorgehen ließ. Dieje neue Wahlordnung war 
I, angelegt, daß fie bie Fremdvölker in einer 
inorität ließ, bie ihnen jeden bejtimmen: 
den Einfluß nahm. Der Duma. jelbjt aber 
wurde nicht mehr als ein beratendes Boz 
tum eingeräumt. Da Stolypin daneben 
durch ftrenge Maßregeln bie aufgeregte Gus 
end, |peziell an den Univerjitäten, nieder: 
belt. bas Syitem der Ruſſifizierungspolitik 
und ein Regiment bureaufratijden Swanges 
fonjequent fortjegte, ijt es begreiflich, daß 
die Zahl feiner Feinde Hetto wuchs. Es find 
mehrfach Attentate gegen ihn gerichtet wors 
den. Einem derjelben, an dem feine eigene 
geheime Polizei beteiligt war, ijt er ſchließ— 
lid) am 18. September 1911 in Kiew zum 
Opfer gefallen. Mit ihm aber jchwindet die 
legte Perjönlichkeit, bte imftande geweien 
wäre, bie gärende ruſſiſche Welt in bte Bah— 
nen einer ruhigen Entwidlung zu leiten. 
Bon jeinen OT ijt feiner ber unge: 
heuer jchwierigen Aufgabe gewachſen ge: 
melen, bte er übernehmen mußte. Bis zum 
März 1914 lag bas Minijterpräjidium in 
Händen Kofowzows, ihm folgte der alte 
Goremfin, der nod) im Amte ftand, als 
ber 4. Auguft 1914 den Weltkrieg zum Aus: 
bruh brachte. In der Zeit gwijden 1912 
und 1914 bat fid) aber nicht nur ber Melt: 
trieg, Jondern aud) die Revolution vorbereitet, 
denn Rußland hat den Krieg erzwungen, 
um einem neuen 1905 zu entgehen. Weder 
Kokowzow noch Goremfin hatıen verhindern 
lónnen, daß jid) ein ungebeurer Umjdwung, 
trog bes reaftiondren Wahlgejeges vom 
D Suni 1908, in der Haltung ber Duma 
vollzog. Die dritte Duma war mit vier: 
malıgem Singen ber Raierhymne begrüßt 
worden, als Die vierte Duma eröffnet wurde, 
berichtete bereits ein Rorrejpondent des Jour— 
nal bes Débats‘ aus Petersburg, ein hervor» 
ragender ruljijcher Politifer habe ihm gejagt: 


494 PESSSCcSSES Prof. Dr. Theodor Sdhiemann: Kasel 


„Wir find fein liberales Bolt, wir find ein 
ſozialiſtiſches Bolt.” Die Parteien, aud) die 
Dttobriften, deren Programm monardji[d: 
fonjtitutionell war, gingen zur nationalijti« 
iden Organijation über, deren Führer in 
der vierten Duma der Profejjor Mtiljufow 
war. Sm Hintergrunde aber ftanden und 
wiiblten die revolutionären Kräfte, bie in 
der Duma nicht vertreten waren. Un den 
Baltanwirren erbi&te fih die nationale Phan: 
tafie, und [don im April 1913 fchrieb mir 
ein patriotijqjer, nod) monardjijd) gejinnter 
Ruffe über die immer weiter um fidh grei: 
fende Deutjchenfeindfchaft: „Die Prole- 
tarier und Anhänger des Umijturzes auf 
anardhiftiiher Grundlage ſuchen jet alle 
Kräfte, die ihnen zur Verwirklichung ihrer 
utopijdjen Ziele brauchbar erjcheinen, heran: 
zuziehen. Niemand wünjcht bei uns fo lebt: 
lich einen triegeriichen Zujammenitoß mit 
Deutjchland, als bie fozialrevolutionären und 
bie anardjijtiich gefinnten Rreije. Die Ans 
änger der jlawophilen Richtung und die 
überzeugten Feinde Deutjchlands wünjchen 
den Krieg, weil fie alles Grnjtes glauben, 
daß nur ein glänzender Gieg über Deutich- 
land alles über Rußland eingetretene Un: 
gemad) wie mit einem Zauberjchlage befeis 
tigen werde. Auch träumen fie von Jil: 
liarde: fontributionen, bei deren Verteilung 
unter die einzelnen VBerwaltungszweige aud 
ihnen ein Anteil nicht entgehen werde... 
Ganz anders falfulieren und hoffen bie repo: 
Iutiondren Organijationen. Ihnen dient der 
Krieg zum Gignal (id) bereitzuhalten. Mit 
verhaltenem Atem werden fie bie pom Kriegs: 
ſchauplatze einlaufenden Nachrichten verjol: 
gen. Nad) dererjtenauthentijchen Bejtätigung 
einer Niederlage bricht der Sturm mit Ges 
walt los. Unjere bodenlos feige, in jyba= 
ritiſchem Wohlleben phyſiſch und moralijd) 
degenerierte höhere Geſellſchaſt mit den ver— 
bublten Weibern an der Spike, wird kopf— 
über bie Flucht ergreifen, ihnen wird der 
Allerhöchſte Hof, wo es von charafterlofen, 
Gencralsuniform tragenden, jporentlirrenden 
und neurajthenijchen Weibern wimmelt, nad): 
folgen, und bald wird Europa in. Kenntnis 
acjebt werden, daß in Rußland eine ſozial— 
dDemofratijche Republif mit Herrn Zeiten, 
Miljukow, Nabotow an Stelle der Monarchie 
getreten ijt. Im der Phantaſie unjerer radi- 
falzanarchijtiichen Sippe treibt aud) nod) eine 
andere Berlion ihren unbeimlid)en Gout, 
Mian rechnet aud) mit einem eventuellen 
Cieg bes mit Franfretd) und England ver: 
biindeten Rußland über ben verhapgten deut: 
Iden eind, Dann werde die Monarchie in 
Teut chland zujammenbrechen und einer ör- 
Deration von Republifen Wag machen. Der 
deutjichen Rataftrophe werde die Biterreichs, 
Italiens, Cpaniens und der altanjtaaten 
folgen, unb mit dem dann allein übrigge: 
bliebenen monardjijd)en Rußland hofft man 
danach leicht fertig zu werden.“ 

Dieie während der akuten Krifis, die uns 
das Frühjahr 1913 brachte, gejd)ricbenen 


Zeilen tragen, wenn wir von dem Schluß: 
lag über bie Sertrümmerung Deutjchlands 
abjehen, einen geradezu prophetijden Cha- 
rafter, den das d abr 1917 voll verwirflichte. 
Mir finden hier ben Schlüfjel für bas Ber: 
halten der oberen wie ber unteren Echichten 
des rujjijden Volkes beim Ausbruch bes 
Krieges. - Die Angjt vor dem drohenden 
Ausbruch einer Revolution, deren Vorberei- 
tungen bie rujfildje Polizei bis in das Detail 
fannte, ohne doch ihrer Herr werden zu 
Tonnen, ließen den Krieg, für den man feit 
Jahren gerüjtet batte und für ben man fid) 
biplomattjd) gejichert wußte, als ben 1etten: 
den Ausweg aus einer politijd) unhaltbar 
ewordenen Lage erjdjeinen. Wie bann ber 

ru herbeigeführt ward, welches der Bers 
lauf des Krieges für Rußland war und wels 
ches ber bunte Berlauf diejer blutigen Revo: 
lution, das zu erzählen, liegt mir fern. Wohl 
aber dürfte es von Interejje jein bie Frage zu 
beleuchten, wie jid) die außerordentlichen Gre 
folge ber Männer erflären lajjen, die jest 
an ber Cpibe Rußlands ftehen und beren 
Namen vor wenigen Monaten nur ben teni: 
gen befannt waren, bie mit ber Bejchichte ber 
ruſſiſchen Emigranten näher vertraut waren: 
Uljanow:Lenin und Braunjtein-Troghi. Ich 
beabfichtige niht, pſychologiſche Biogra— 
phien beider Männer zu geben. Ihre Bes 
deutung liegt viel weniger in ihren perſön— 
lichen Eigenjchaften, als darin, Daß fie 
energijch unb fonjequent die Gedanfen eines 
Dritten in die ruſſiſche Wirtlichkeit führten, 
die Gebanten bes geiltigen Vaters ber ruf: 
fldem Revolution in ihrer heutigen Gejtalt, 
des Grafen Leo Zoljtot. 

Graf Leo Golitoi ift wohl der einzige 
ruſſiſche Schriftiteller, ben bas gejamte Boll 
tennt und liebt und der durd) feinen anat: 
dulden Myftizismus jowohl in die Bedanten: 
welt der oberen ree Der Gejellichaft 
wie in bie unteren Maſſen des Volkes eine 
gebrungen ijt. Ale Schlagworte, mit denen 
Lenin und Troßfi arbeiten, find von ibm 
ausgegangen; er hat zwanzig Jahre feines 
Lebens daran gejegt fie zu predigen, mit 
all bem bewunderungswürdigen $yormtalent 
und lange Zeit — wenn "m nicht bis zus 
legt — mit der Jubjeftiven Wahrhaftigfeit, 
ber er bie werbende Kraft feiner ethilchen, 
rel aiólen und politijden Theorien zu dans 
fen bat. 

Seine Tätigfeit als politijd)er Agitator 
begann in den Sjungerjabren 1891 und 1892 
und hat bis zu jeinem Tode, als er S2jahri 
am 20. Movember 1910 ftarb, an fid) ei 
und an der Zufunft verzweifelnd, gewährt. 
Er trat zunächſt als Philanthrop auf, aber 
\hon 1894 hat er im feiner Schrijt Ober 
die Chrijtenverfolqung in 9iublanb', bie er 
veröffentlichte, um gegen bie Zwannsmaf: 
regeln zu prot.ftieren, durch welche Die ruf: 
liiche Regierung bemüht war, die den Mili- 
tärdienft ablehnende (efte ber Ducyoborzen 
p Gehorjam zu zwingen, die Gedan: 
en entwidelt, die Den eigentlichen Kern 





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Se] Die biftorifdjen und pindologilden Grundlagen des heutigen Rußlands 495 


[einer Weltanichauung bilden: bie Lehre, daß 
man fid) dem Böjen niht durch Gewalt, 
ondern bird) paljiven Widerjtand entgegen» 
egen folle, wobei er in fonjequenter Aus— 
ührung feines Grundgedantens fih außer: 
alb der Realität, nid)t nur der rujlilchen, 
Jondern überhaupt der menjdjlidjen Vers 
— und prinzipiell des Staatsgedan— 
ens ſtellt und in folgerichtiger Durchfüh— 
rung feiner Weltanjchauung ſchließlich auch 
alle Kultur als böſe und unchriſtlich negiert. 
Der Heilige Synod hat ihn darauf am 
9. März 1901 extommuniziert und damit 
nit nur in den Kreijen ber Gebildeten, 
bie in ibm den begabtejten aller ruijijd)en 
Erzähler verehrten, jondern aud) in den 
breiten Maſſen des Boltes tiefjte Entrüftung 
hervorgerufen. Ihn perjönlidy anzutajten, 
wagte man jebod) nicht. Er lebte nad) wie 
vor auf jeinem Gute Jasnaja Poljana und 
Inoue durch Anlegen bäuerlicher Tracht und 
urd) Verrichtung bäuerlicher Arbeit feinen 
Ctanbesgenojjen und zugleich allem Wolfe 
u zeigen, wie er jid) das Ideal der Lebens» 
führung eines rechten Ruffen und wahren 
briiten poritelle. Schon damals war ibm 
ber Bedante gereift, daß im Agrarftommunis= 
mus bas Allheilmittel für Rußland zu finden 
m, unb jo jider fühlte er jid) trog allem 
n feiner Ctellung, daß er am 10. Januar 
1902 einen Brief an Alexander III. ſchrieb, 
ber in ben Vorſchlag auslief, allen Privat: 
bejig an Grund und Boden aufzuheben und 
alles Land für Gejamteigentum zu ertlären. 
Als Ddiejer Brief im März 1905 in ber 
Zeitſchrift ‚Dswobojhdenije veröffentlicht 
wurde, bemertte id) dazu, daß, wenn ein folder 
Gedanfe in die Majje des Volkes einbringe, 
es einen Bauernfrieg geben werde, wie Die 
Welt nod) feinen geleben habe. Gest ijt 
bieler Krieg bereits entbrannt, feit Lenin 
unb Trogfi defretierten, daß ber von Ales 
xander lil. abgewiejene Gedanfe nunmehr 
SBirtlidjfeit werden folle. 

Während des japanijchen Krieges forderte 
Toljtoi die ruljtidjen Offiziere dirett zur 
Fabhnenfludht auf: „Tretet vor die Front 
eurer Abteilung, legt bie Abzeichen eures 
Difiziersitandes nieder, verneigt euch bis 
zur Erde vor ben Coldaten und bittet fie 
um WBerzeihung für all das Unheil, das ihr 
ihnen durch euren Betrug angetan habt.” 
Es war feine Antwort auf einen Soldaten: 
fatedjiismus des damals höchſt populären 
Generals Dragomirow, der die Soldaten 
aufjorderte, den Feind, wenn nicht anders, 
mit ihren Zähnen niederzuringen, und der 
in allen ruſſiſchen Rajernen angeſch agen war. 

Tie Entwidlung der Welt — fo fährt 
Tolltoi fort — abe dahin geführt, dak ber 
Kampf mit auswärtigen Feinden das uns 
tvabridjeinlid)jite wäre, jebt fei der Gegner 
der Armee, was man Die inneren Feinde 
nenne. Auch jeder Krieg mit anderen Maz 
tionen trage den Charafter eines Bürger: 
frieges. Sn Wirflichfeit würden bie Truppen 
nur nod gegen unbewaffnete Fabrifarbeiter 


Belhagen & Klafings Monatshefte. 


32. Jahrg. 1917/1918. 2 Bd. 


oder Bauern verwendet, womit auch bie 
militdrijche Dilziplin alle Berechtigung ver: 
loren babe. Ter Militärdienft fei eine Er: 
giehung zum Morden, unb das jchredlichite 
aller Verbrechen. Der Schluß bringt einen 
Appell an bas Gewijjen der Offiziere: „Wehe 
demWienichen, durch melden Ärgernistommt.“ 
Sn bem Gefprad mit einem engliichen 
Syournalijten po Tolftoi feine Gtel- 
lung unb die bes rufjijhen *Bolfes zum Gee 
icg folgendermaßen: „Was jollen wir mit 
den europäilchen Garantien für Beachtung 
ber Gejeke mahen? Idh beantworte die 
Frage mit der Erklärung, daß für bie Maffe 
des ruffiihen Volkes bas (eje gar nicht 
exijtiert. Es unterwirft jid) bem Gejeg, aber 
es läßt fid) von ibm niht leiten. Nicht die 
Unterwerfung unter bas Geſetz, Jondern 
beljen völlige Migachtung hat unfer Roll 
zu einem quien, ne und langmütigen 
gemacht. Und eben dieje Mißachtung macht 
unjere Beamten zu den grögten Schurken 
der Welt. Die Bolfsmajjen, die jede áuBer: 
liche Beſchränkung verachten, lajjen fid) von 
ihrem Gewijjen leiten. Die gebildeten Be: 
amten aber haben fih, indem fie bei ber 
nationalen Mißachtung des Beleßes bleiben, 
gleichzeitig vom Gewiljen befreit.“ 
tir fällt dabei ein Ausſpruch Gorfis aus 
einer feiner Novellen ein: „Das Bewiljen ift 
eine Kraft, meldje nur bie Schwachen bans 


gt. 

In Tolftois 1907 erichienener Schrift 
über die Bedeutung der rujlilchen Revolution 
finden fid) folgende Betradytungen: Alle (5e: 
jege, deren Beobachtung erzwungen ijt, find 
nichts anderes als eo ehe Um fol: 
chen Übeln zu entgehen, gibt es für bas 
rujjijde Volt nur eine Rettung: „Es [oll 
weder feiner Regierung gebord)en, die an 
ber unglüdlichen Gegenwart die Schuld trägt, 
nod) aud) fih nad) dem Borbilde abend: 
ländiſcher Nationen organijieren und eine 
Wolfsvertretung |djaffen, bte nod) viel ge: 
waltjamer ijt; als ein Monarh. tenn Die 
rujitidjen Bauern aufhören, allen obrigfeit= 
lichen ‘Perjonen und jeder gewaltjamen Regie— 
rung zu gehorchen, fo werden von jelbjt die 
Abgaben, das Militär, bie Bedrüdungen ber 
Tjchinovnits, bas Grundeigentum mit dem 
damit verbundenen Elend aufhören. Al 
diejes Unheil würde aujbóren, wenn mies 
mand ba fein werde, es aufred;tzuerhalten.“ 

Die eigentlich chriltliche Lehre verlange, 
daß alle Menjchen Bauern werden. Kirche, 
Wiſſenſchaft, Macht, Staat und 3ivilijation 
feien nichts als ungeheuerliche Verirrungen: 
bie Kirche, weil fie eine Verjammlung von 
Irrgläubigen und nicht von Wahrhaftgläus 
bigen fei; die Willenjchaft, weil fie nicht das 
wahre Aijjen, jonbern zujällige Betradytun: 
gen müßiger Köpfe biete; das Recht, weil 
es eine Cammlung ungered)ter Gelege fei; 
bie Zivilijation, weil fie die lügnerijchen und 
jhadliden, Durch Gewalt aufgedrängten 
Anjchauungen der abendländijchen Nationen 
verförpere. Ale Zivilijation fei Trug, von 
28 





um ai 
(vg m 





426 


bem bie Riidfehr aum Aderbau befreie, ber 
weder Runft, nod) Majchinen, nod) Snbujtrie 
brauche, bie nur ben Reihen gum Ergößen 
dienen, jonbern fih darauf bejchränten werde, 
zu Ichaffen, was bem Aderbau niiblich ijt, 
ohne ibn von dem Boden loszureißen und 
ohne feine Freiheit Ju mindern.“ Die Obrig: 
feit verlangt vom Menſchen, daß er bie Ges 
bote Gottes verlege, das ift Sünde. Wer 
fi von Günde frethalten wolle, — ihr 
aher den Gehorſam (88 Seiten, Moskau, 
Verlag Poſrednik, 15 Kop.). 

Über bie Nationalitätenfrage in Rußland 
entmidelt Tolftoi folgende Theorie in ber 
Parijer Revue bleue: Er wirft die Frage 
auf, ob nicht Rußland zerfallen werde, wenn 
die Bauern feinem Rate folgen und weder 
Abgaben zahlen, nod) Soldaten ftellen unb 
(id) überhaupt allen Forderungen des Staa» 
tes entziehen. Die Antwort lautet: „Dteiner 
Anſicht nad) ift diefe große Sammlung von 
Völtern, die man Rußland nennt, fur die 
Bauern und Arbeiter nicht nur nicht nots 
wendig, jondern ihren SIntereffen direft 
—* und die Hauptquelle ihres Unglücks. 

enn man euch durch Abgaben bedrückt, 
wenn man euch für ungeheure lm 
zahlen läßt, wenn man euch eure Söhne 
nimmt, um fie gegen Meute kämpfen zu 
laffen, die euch nichts le [o geldjiebt 
bas alles nur, weil man Polen, ben Raus 
fajus, Finnland, Turfejtan, bie Mandjchurei 
und andere Völker unter einer Obrigfeit gus 
jammenhbalten will, Rußland, das ihr durch 
euren Geborjam aufredterbaltet, ijt nicht 
nur eim großes Übel, jondern dazu nod) eine 

robe Gunde. Denn um Rußland zu ers 
hatten, muB man die Raufajier, Litauer, 
rmenier und Tataren zwingen zu leben, 
wie die Regierung will und nicht wie fie 
felb[t wollen.“ 

Sch weiß niht, ob Tolftoi bie Theorien 
Batunins und jenes ,Gele& Gottes‘ ber 
utrainijden Patrioten von 1846 getannt hat. 
Unwahrkbheinlicy ijf es feineswegs, ba ber 
Wortlaut |djon 1906 
rujliichen Gebeimpolizet veröffentlicht wor: 
den ijt, aber gewiß war es nicht die Quelle 
feiner JBeltan|djauung. Es find tief in der 
rujjiihen $9Boltsjeele ruhende Strömungen, 
die Durch ein halbes Jahrhundert voneins 
ander getrennt den gleichen jozialen, reli: 

idjen unb politiid)en Idealen nachgehen. 
as Eigentum der ruſſiſchen Intelligenz 
find fie nicht. Sn ihr ift der ruffifde Macht» 
und Eroberungsgedanfe lebendig geblieben, 
ber großruſſiſchen, nicht ufrainijden Urs 
|prungs ijt, und alle Wahrjcheinlichkeit jpridt 
afür, Dak Ichlieglich bie Wertreter Diejer 
roßrujliichen brutalen Ideale, bei denen ber 
Sal gegen ben deutjchen Nachbar im Fun: 
bament ihrer Anjchauungen liegt, im Chaos 
ber Bürgerfriege, die fid) wahrideinlid nod) 
lange fort] ben werden, als Gieger hervor: 
gehen werden. Gie werden Die Bundes: 
genoffen jedes Feindes fein, ber uns ers 





aus den Aften der. 


Prof. Dr. Th. Schtemann: Die Grundlagen des heutigen 9tuBlanbs BEZZA 


fteht, und im Hinblid auf diefe unvermeid» 
lide Zufunft ijt nichts wichtiger, als daß 
Deutjchland, bie fih thm heute nod) bietende 
Gelegenheit rüdlichtslos ausniigt und jeine 
Grenzen im Oſten durd eine feite und tübne 
Politik erweitert und fichert. Ich wage nicht 
zu behaupten, daß wir bei ben Friedens— 
verhandlungen, die tm Gange waren, ben rid: 
tigen Weg eingejchlagen Buben: um Diejes 
Biel zu erreichen. 

In einer Hinficht ift es ohne Zweifel ber 
Fall gewejen. ir haben den fidh je länger 
je mehr zujpigenden Gegenjat atoijd)en den 
Petersburger Wolfsfommiffaren und der 
ulrainijdjen Rada nicht ungenußt gelajjen, 
und — die Can en mit den 
Herren Trogti, Goffe, Ramenew und Radel 
burd) bie Schuld biefer Herren ben Charafter 
einer Berjdleppungspolitif annabmen, uns 
mit ben Bertretern ber Ufraine verjiändigt. 
Der —— der auf dieſem Wege 
zuſtande gekommen iſt, läßt ſich mit Recht 
als ehrenvoll und vorteilhaft für den Vier— 
verband wie für die Ukraine bezeichnen. Das 
ſüdweſtliche und ſüdliche Rußland iſt aus der 
Reihe unſerer Feinde ausgeſchieden und es 
ſind wirtſchaftliche Beziehungen vereinbart 
worden, die hüben und drüben ſchweremp— 
panee Notitände bejeitigen werden. Unter 

em Eindrud bieler Tatjade bat dann Herr 
Trogti die Demobilifierung der gejamten 
großrufliihen Front einfeitig proflamiert, | 
was feineswegs einem Friedensichluß gleich: 
fam und uns völlig freie D gab. Es 
war ein Irrtum, wenn gefolgert ward, dağ 
wir nunmehr gebunden jeien nod) das Abs 
laufen bes Termins einzuhalten, der für ben 
Waffenftiljtand unb deffen Kündigung urs 
[prünglid) ausbedungen wurde. Herr Trogti 
Si burd) fein einjeitiges Vorgehen alle frü: 
eren Vereinbarungen aufgehoben, und jeine 
Agitation, die auf Erregung einer Revo: 
lution in Deutichland und Öfterreich-IIngarn 
gerichtet ijt, bedeutete an fih einen Bruch 
bes Waffenitillitandes. Das von den Peters: 
burger Diaximalijten fortgejegte Wiiten gegen 
alles, was in den Grengmarfen bes eher 
maligen Raijerreichs Rugland fih nicht ihrer 
tyabne angeldjlojjen bat, ijt ein Hohn gegen 
jenes Programm vom Gelbjtbeitimmungss 
redjt ber Völker, durch welches Lenin und 
Trogti die Welt zu täufchen fuchten. Sie 
ind nicht Staatsmänner, jonbern Männer, 
ie bewußt bie verbrecheriichen Inſtinkte ber 
Maſſen aus|pielen, um ihre Zwede zu er: 
reichen. Diele Injtinfte, deren Gxijtena Graf 
Leo Tolftoi ignoriert, find für fie Realitäten, 
mit denen fie arbeiten, um Tolſtoiſche (5e: 
banfen ins Leben zu führen. Den Staat 
ohne Wiffenjdaft und Kultur, ohne (Eigen: 


tumsredjte und ohne Regierung, haben fie 
mit den Mitteln einer unerbórten Torannei 
tatjadlid) in Rußland begründet. Dah er 


fid behauptet, ijt — HOP, was ibn 
ablöjen wird, ift bas 
Zukunft. 


ätjel ber rujliichen 
(Beichrieben Mitte Februar.) 





m „Kleinen Theater‘ der Reichs— 
ee as fann man jebt allabend- 
id) „Nante, vier Bilder aus dem 

© 1 alten Berlin nach Adolf Glakbrenner” 

jeben. Aber Herr Publifus, der jid) 
hier durch bie zungengelenfige Schnoddrigfeit 
des (denitebers Nante, die bejd)rántte Be- 
bübigfeit bes Rentners Buffey und feinen 
pfiffigen Sohn ‚Willem‘ bas Zwerchfell er- 

Ichüttern läßt, irrt jehr, wenn er in Dielen 
Bildern den echten, rechten Blaßbrenner, den 
‚Bater des Berliner Humors‘, vor jid) zu 

haben glaubt. 

... Es ift bas Schiefjal jo manches Ga: 
tirifers, namentlich in politijd)em Bezirk, daß 
er im Laufe der Zeit mehr und mehr von 
jeiner einftigen ‚Bösartigfeit‘ verliert — 
im jelben Maße, wie die mit ihm lebendig 
gewejenen Seitfragen und Angriffsziele einem 
Ipäteren Gejchlechte fremd oder gleichgültig 
werden. Go mancher, der feiner Zeit grim: 
mig die Zähne zeigte und mit Iautem Klat- 
iden feine Spottgeißel ſchwang, ift ber SE 
welt nicht viel mehr als ein harmlojer Spaß: 
mader, bem man bejtenfalls noch Scherz, 
Satire, Ironie, aber faum tiefere Bedeutung 
uerfennt. Das auffallendjte Beilpiel hier: 
fir bietet der ſchärfſte und genialite Satiri- 
fer aller Zeiten, Jonathan Gwift. Es 
ift eine Zulturgejchichtliche Satire auf bie 
Satire, daß fein boshaftejtes Hauptwerk 
Gullivers Reifen im Lauf der Jahre zu 
einem Kinderbuch geworden ift, das bie 
Kleinen aller Lander noch vor Robinjon 
Crujoe auf Dem Weihnachtstijch vorfinden. 
Es ijt, wie wenn Rinder am Gtrande mit 
einer angelpülten Mine jpielen; freilich find 
die Zünder von einer vorfidtigen Zenjur ent» 
fernt worden, nicht vor 1905 hat man es in 
England gewagt, Swifts feuergefährlichen 
Text zum erjtenmal nad) bem Wortlaut zu 
druden. 

Weniger die Denn als die Zeit, die ja 
freilich bie unerbittlichite Zenjorin ift, bat 
unjerem deutjchen Ableger von Jonathan 
Swift -- wie alle Ableger iit er etwas 
tleiner als der alte Trieb — Adolf Glaf- 
brennerbie politijdjen Stacheln abgejtumpft. 
Seine bedeutendfte Dung, den „Neuen 
Reinefe Fuchs“, ber ſichtlich in Swifts 
Spuren wandelt, fennen heute nur wenige, 
und aud) in feinem verbreitetiten Wert: 
„Berlin wie es ift — und trinft^ werden 
weniger. die oft jehr jchneidenden politi- 
Idien Geitenbiebe, die ohne wejentliche 
PBaujen durch bie Luft pfeifen, beachtet, als 
die gemütlich=behaglichen Bilder aus dem 








e 
D 


Berliner Alltagsleben, bie Blaßbrenner mit 
meijterhafter SBeobadjtungsgabe zu zeichnen 
wußte. 
Und ohne Frage liegt hier die literatur: 
eichichtliche — Glaßbrenners. Was 
Sep Reuter fiir Mecdlenburg, Klaus Groth 
ir Holftein, Mart Twain für Amerika, 
bas ijt Adolf GlaBbrenner für Berlin, er Bat 
der bejonderen Eigenart des Berliner Hu: 
mors in der Weltliteratur Sik und Stimme 
verjchafft. Allerdings ijt es metjtens nicht ber 
eigentliche Humor in Reinfultur, wie wir ihn 
bet Cervantes, Didens, Reuter, Raabe und 
Gottfried Keller finden, er ift zu ftarf mit 
Satire verjchmolzen, um diejem eigentlichen 
Urproblem des Humors, wie es Die parem 
ten Dichter mehr oder weniger verfdrpern, 
ang nahe zu tommen. Denn Humor und 
atire haben wenig miteinander gemein; 
im Grunde find fie Gegenfiipler. ährend 
der Humor weltliebend, weltzufrieden und 
fröhli auf bie Unzulänglichkeiten bes Le- 
bens jdjaut, verjühnlich geftimmt durch den 
erhabenen Anblid auf das Weltganze und 
jeine Vernunft, lächelnd das Große im Klei- 
nen und das Kleine im Großen erfennt — 
2 die Satire eine verächtliche, boshafte 
iene, mit richtendem Ernſt ober verbitter- 
tem Spott geißelt fie bas Unvolllommene 
und Berfebrte, fie ijt keineswegs verjöhnlid) 
aeitimmt. Bejtenfalls ,madjt jte jid) Iujtig‘, 
will aber ben Gegenftand ihres Wißes burd): 
aus nicht [u|tig jeben, jondern ibm eins per: 
leben, daß er es fühlt. (QGlapBbremmer hatte 
für dieje feine Gatiren den Sednamen 
Brennglas gewählt, bas ift im er 
Sinne geijtreich: bet einer ge|djidten Umitel: 
lung jeines Namens met dies Pjeudonym 
zugleich auf die charafteriftiihe Art des 
Blaßbrennerichen Wikes hin. Die Sammel: 
linje des Brennglajes vereinigt- fo viele 
Strahlen auf einem *puntt, St er zunädjlt 
ungewöhnlich hell belichtet erjcheint, dann 
aber beginnt bie Stelle zu brennen ... So 
beleuchtet das ‚Brennglas‘ bie eigentlid) 
faujtijdje Art bes Glaßbrennerſchen Wipes; 
unter x“ vos verlteht ber Brieche nicht nur 
das Wnbrennen, jonbern im Plural aud 
bas djirurgiidje Brennen, bas Ausbrennen 
von Leibesjdaden. Und es ijt feine Frage, 
daß es bem ganz berlinijden Berliner Adolf 
Blaßbrenner aut diefe faujtijd)en Wirkungen 


feiner Schriften vor allem anfam, er war 


mehr ein Kämpfer als ein CpaBmadjer. 
Ein berlinijcher Berliner — es gibt aud 

nichtberlinijche, und gerade unter ben Shrift- 

jtellern ber Reidshauptitadt bilden fie bie 


28* 


428 E 


Mehrzahl — ijt GlaBbrenner wie fein zwei- 
ter. Er ijt dort geboren (1810), er ijt dort 
gejtorben (1876) und von den Jahren, bie 
gwijden feinem erjten und feinem lebten 
Schmerz liegen, hat er nur den vierten Teil 
anderswo — in Neuftreliß und Hambur 
— Ap See ohne auch während btejer Zei 
jeine Beziehungen, bejonders feine literari- 
iden, zur geliebten Baterjtadt ganz abzu: 
brechen. Jn der Leipziger SE in einem 
Haufe, das damals bie Bezeichnung „zum 
fliegenden Nop“ en allo gleidjjam an 
ber Krippe bes Pegajus, erblidte er das 
Licht; bie Mutter war eine echte Berlinerin, 





8. Heft von „Berlin wie es tjt und — 


der Bater ein geborener Schwabe, Befißer 
einer Schmudfederfabrif. Auch hierin könnte 
man eine jcherzhafte — des Schick⸗ 
ſals erblicken, wenige Schriftſteller haben 
ihren Kollegen in der Mit- und Nachwelt 
jo viele Gelegenheit geboten — und durchaus 
erfolgreich — jid) mit fremden Federn zu 
\chmücden, eben ben Blaßbrennerjchen Federn. 
Tahrzehntelang haben feine Berliner Typen 
und deren Ableger in Zeitungen, Wißblät: 
tern und nicht zum wenigiten auf der Bühne, 
das Wort ihres geijtigen Waters geführt; jo 
hat ber Berfajjer von „Robert und Ber: 
tram” bas ganze Geridjtsverhir Nantes 
liebevoll nadjempfunben und bis auf ben 
heutigen Tag tann man in [tánbigen Spalt: 
eden einiger altberlinijcher Zeitungen Nach: 








fommen bes Rentiers Buffen hinter bem 
Weipbierglaje über Zeitereignijje ‚eine Lippe 
riskieren‘ hören. 

Shon in früher Kindheit hat Adolf Glag- 
brenner als kleiner JBigbolb jid) unter feinen 
Spielgenofjen Geltung verjdajft, und eine 
ftarte EE Begabung verführte 
thn, öfter als den Eltern und ehrbaren Tan- 
ten lieb war, zur Nachahmung von Ange— 
ae und Belannten bes Haujes in ihren 

igentümlid)feiten. Auch eine bemerfens- 
werte 9tebnergabe wird bem pausbädigen 
Blondfopf aus dem ‚Fliegenden RoR nad- 
gerühmt, fie war es wohl, die ihn zu bem 
Wunjd) — Paftor zu werden ver: 
anlaßte, einem Wunſch, der nur 
burd) zeitweilige Schwindjuchts- 
eriheinungen des väterlichen Geld: 
beutels vereitelt wurde. Auf Dem 
Sriedrichwerderihen Gymnnajium, 
bas Adolf bejuchte, jchloß er früh 
Freundſchaft mit bem nur ein Jahr 
jingeren Karl Gubfow, fie bat thr 
Leben lang durdjgehalten; beide 
fühlten fih ja früh zum Tagesjchrift- 
tum und zur regen Teilnahme an den 
politijden pes SE bingezogen, 
beide find auch in ungefähr gleichem 
Alter ge|torben. Gutzkow erzählt 
in jeinen „Erinnerungen aus Der 
Rnabenzeit” mandes gemeinjfame 
Erlebnis mit GlaBbrenner, jo von 
Ces nabeltiefen Badegelegenheit im 

eidjbilb ber Pante. 

Auch Heine literarijdje Neigungen 
Beim die beiden Schultameraden zu- 
ammen, (djrareime und Ga wc 
verje auf unbeliebte Mitjchüler oder 
Lehrer ent[tanben zu gemeinjamem 
Ergögen und nährten den Hang zur 
Satire, ber ja aud) bei Gutzkow früh 
literarifch fih betätigte (feine „Briefe 
eines Narren an eine Närrin“ jchrieb 
er mit21 Jahren). Leider tonnte aber 
Blaßbrenner aus den angeführten 
Gründen feinen lebhaften Wunſch 
die Univerfität zu beziehen nicht aus: 
führen. Er wurde Kaufmann, ar: 


Berliner Schnapsläden. — zum pond in beitete jebod) in feinen Mufeftun- 


ben mit eijernem Fleiß an feiner 
wiljenjchaftlichen Ausbildung, jo daß er, als 
die Verhältniſſe fic) bejjerten, die Uni- 
verjität beziehen fonnte. Inzwijchen aber 
hatte er ſchon mit Zeitungen und Zeitichrif- 
ten Fühlung gejucht, einzelne Kleine Beiträge 
in Berjen und Proja, bie er unter anderem in 
dem von Saphir herausgegebenen ‚Berliner 
Courter’ veröffentlichte, Torben Beifall und 
ermunterten Adolf jdjot mit 22 Jahren 
fid) ein eigenes Organ zu gründen, Das 
Sonntagsblatt „Don Quixote”. Das Nene, 
bas Glagbrenner hiermit jdjuf und während 
feiner ganzen Tätigkeit als Schriftiteller ge- 
treulid) weiter entwidelte, war, wie jchon 
oben angedeutet, die Einführung des Ber: 
liner Volfswikes in bie Politif und Litera- 
tur. Diejer Berliner Bolfswik war bisher 





pex: 38393932] „Der Bater des Berliner Humors” Lee ze 429 


nur eine Kellerpflanze oder bejtenfalls ein 
Gajfenjunge gewejen. Glaßbrenner ftußte 
ibn joweit zurecht, daß er jid) aud) in bejjerer 
Gejelljchaft jehen lajjen fonnte, er ſtärkte fein 
Selbjtgefühl, indem er ihm flarmadte, daß 
er das eigentliche ‚Genie bes Berlinertums‘ 


jet. Da nun der Berliner Wik nicht auf 
den Kopf gefallen ijt, erfannte er das Rich: 
tige und Zeitgemäße in Glaßbrenners Mah: 


nung und — wie Fedor Wehl einmal in 
einer Studie über (QGlaBbrenner treffend 
jagt — : „Er fing von.da an, fid in alles 
zu mijden, was in Berlin pora. Er 
jeBte fid) mit den Stammgäjten der Kneipe 
u ber ‚fühlen Blonden', jchlich Déi ins 

heater ein, troh dem Prediger in den Jr: 
mel feines Talars, dem Staatsrat ins Porte: 
feuille, dem Schriftiteller in die Feder, bem 
jungen Mädchen m die Wangengriibden, 
ja, es gab eine Beit, in der er fogar cour: 
[091g war und verjtohlen unten an ben Stu: 
en des Thrones hodte.” 

Leider war in der damaligen politijden 
Stidluft ein jo frijches, übermütiges@ejchöpf 
wie diejer „Don Quixote“ unmóglid) es wurde 
ſchon 1833 wegen jeines 
politijden Freimuts ver: 
boten. Aber, wie Glaf- 
brenner in feinem „Dlär: - 
den vom Geift“ febr 
hibjd entwidelt: der 
Geijt läßt fid) nicht fam 
gen und niht bütteln: 
„Bott der Herr wird nun 
und nie Seinen Beilt auf: 

eben.“ Suchen ibn bie 
Büttel auf ber Straße 
oder in den Häufern zu 
fangen, ijt er felbjt tn 
Rellern und auf Dächern 
nicht feines Lebens der, 
ei, |o —: 

.Geift ſchlüpft in ein Kleines 


Dedt fi 
Sider ijt er ba genug, 
Wie fie jpábn und blättern.” 


Dies ‚Heine Bud‘, 
in bas fid) ber Glaß— 
brennerjche Spöttergetit 
vor feinen Häjchern fluid: 
tete, erichien 1832 unter 
dem bald berühmt gewor: 
denen Ramen „Berlin, 
wie es ijt — und trintt“. 
(fs fand mit feinem 
ichlagfertigen Wik, fei» 
nen unerjchöpflichen Gin: 
fällen in Der Sprache 
der Berliner Drofh ten: 
tutider imd Höfer: 
weiber weit über Die 
Grenzen Berlins und 


ud), 
zu mit Lettern; 





muntert, liep Glakbrenner Heftchen auf Heft: 
chen folgen. Bald war fein Edenjteher Nante 
eine jo weltbefannte fomijche Figur geworden, 
wie jpäter Reuters Snjpeftor Brajig. Und 
bod) war gerade bieje Gejtalt nicht ganz 
Glagbrenners Eigentum. Ytante hatte viele 
Väter. Aus Holteis ,Trauerfpiel in Berlin“ 
und aus einer Wiener Lofalpojje: „Staberls 
Reijeabenteuer” hatte der befannte Komiker 
Bedmann jid) einen Nante für das König: 
tädtiiche Theater zurechtgezimmert; im 
Martijden SUtujeum fann man ihn — in 
einer Ctatuette in Eijenguß, wie aud) in 
ber bier wiedergegebenen Lithographie von 
I. Shoppe — in biejer Maste jehen. Aber 
es ijt feine Frage, dak Glagbrenner, der 
Unerichöpfliche, diejer Gejtalt jehr viel von 
Eigenem gegeben bat. Ja, in der Geltalt 
bes Nante und in denen der Berliner Höfer: 
weiber maht ber GlaBbrenner|dje Humor 
— bier ein wirklicher, volfstiimlicer Humor, 
ber bod) über ber reinen Satire [tet — feine 
ansgelajjenften Sprünge. Ich laffe eine der 
luftigften Szenen, Nantes Verhör, bas aud 
in der erwähnten Darjtellung bes. Kleinen 
Theaters weidlid) aus: 
gebeutet ift, bier als 
Roftprobe folgen: 


Szene: Bimmer des Al: 
tuarıus. Der 9Iftuarius fit 
an einem Tiſche und jchreibt. 
Mante fteht vor ibm, er will 
jeinen Schnapswirt verfla- 


gen. 
ane Wie nennt Er 


i 
Nante: Du! 
Altuarius: Was foll das? 

.. Mante: Na ja! Du nenn’ 

id mir. Sd mer bod) nid) 

gu mir bórenjemal jagen! 

‚Altuarius: Wie Er heißt, 
will id) wiſſen. 

Mante: Wd fo, wie er 
beißt? Ja! Karnaljenvogel 
beipt er. 

Altuarius: Was? Mad)’ 
Er teine C üpe bier. 

ante: ott bewabre, 
wo werd’ id) mir denn fo- 
was als Untertan unter: 
fteben. Er beißt Rarnaljen: 
vogel, Der Wirt von Dem 

Sdnapsladen, den id bier 

anbangig maden will. Er 

Dragt nämlich immer eine 

jelbe Jade un eine jchwarze 

Kappe uf ben Kopp, von be: 

rowejen nennen wir ihn Kar: 

naljenvogel. Natürlich, er 
pfeift ood) zuweilen eenen 
oder mehrere. 

Altuarius: Sd) frage ja 
SC wie Er heißt (deutet auf 
ym). 

Rante: Ah jo, wie id 
heiße! Aha! Id glaubte, Sie 
meinten ihm, weil Cie Gr 
jagten; entiduldigen Sie!... 
Meine Kameraten nennen 
mir: Nante, der jebildete 
Lulei. 

Altuarius: Geboren ? 

Ytante: Gu, jeboren bin 





Brandenburgs hinaus 
eine Aufnahme, die für 
damalige Zeit bei|piellos 
iit. Durch den Erfolg er: 


Bedmann als „Edeniteber Nante” 


Farbige Lithographie nad) einer 
von Julius Shoppe Im Marti}den Mu: 
feum zu Berlin) 


id. Je suis!... 

Altuarius: Ich frage: wo 
Er geboren ijt? 

Yiante: Ach fo fo, wo? 
In de Roßitraße, aber als 


eihnung 


430 PESSE Sort Streder: „Der Bater des Berliner Humors” BZZ 


Menih. Seitdem id verheirat't bin, wohn’ id in Blaßbrenner Battein ben Gejpraden diejer 
DE SIEGE rg Berliner Bolfstypen nun eine Form gefun- 


Nante: Na, das jeht nod, wie Cie fehen. Gen Den, in Der er auch feine politijdjen Gedanken 


te unen » PAR cree wd äußern konnte, ohne daß bie Zenjur ibn des- 
t t, n, es ts . . 
Attuarius: Wie alt ift Gr? wegen fajjen fonnte ober wollte; der Scherz 


Mante: Ad in dieler Hinficht, wie? Ja — Sie Hat ja jelbjt bei einer jo grimmigen Behörde 
la — Ki isis — Reker einen Szreibrief. Gerade der Mut, feine 
) raucht i R s . fi 
ehe fe eens älter wird. Achtunddreißig, Herr Juftiz ; Überzeugung unbeirrt und jelbjt unter man: 
id bin jrade mit's Jahrhundert uf die Welt jetom: Mer Mißhelligfeit, die ihm daraus er: 
Mock id und vas Yenthunnert we Aged Satinas, wuchs — er wurde 1850 aus Medlen- 
Morjen is mein Geburtstag, wenn Sie mir viellei . . > 
wat ee wollen, da wer id er burg ausgewiejen und lebte bis zu feiner 
. Altuarius: Tummtopf! Wenn Er adtunddreipig Riidfehr nah Berlin in Hamburg — 
E n RERUM poss, Gehen. weht (NUURQNM ande cle 
Herr Juitiz, aber id will Ihn’n fagen: ma wird zu Menſch zu einer ſo liebenswerten Perſön— 
alt bet die jewöhnliche Art Rechnung mad) Adam lichkeit. 


Niejen. Sd päble jebt wieder zurüd, Damit mir bie Sch habe hier weder den Raum noch bie 
Gacie mar Jo keet Ablicht, ein ausführliches Bild vom Leben 

Nante: Ja, verjteht fic)! Wo wer’ id denn teene UND ae Adolf Glaßbrenners zu geben. 
Reljon haben! In Preugen!... Wenn't uf met, Mer fid) darüber näher unterrichten will, 


nen ie anfommt, bin id en Jude, aber jedoojt fann in einer Heinen Skizze von Rich ard 

evangelich. ; : — 
— Was war Er, bevor Er Eckenſteher Schmidt-Cabanis und vor allem in der 

wurde? umfaſſenden Monographie von Dr. R. Ro— 


Nante: Menſch! Immer un ewig Menſch. 

Wenn Sie übrigens meine Lebensbierjeoira be denhaujer leinen Wiſſensdurſt ſtillen. Am 
willen wollen, bie können Sie aud) jenießen. Kurz beſten aber wird er tun, wenn er des 
drauf, nahdem id Menſch jeworden war — (er zieht großen Berliner Humoriſten Schriften lieſt. 
die Schnapsflaſche heraus) entidhuld jen Ste! mir Sie ja en mehr als alles, was jtd über 
durichtert, bes viele Reden, jreift meine unjewohnte X g M Th d 

Kehle an — turg darauf aljo, nahdem id Menjd fie Jagen läßt. Das bidjterijd) wertvollite 
jeworben war, un natiirlic, bie erfte elterlide Keile Werf Glabbrenners ift bas fomijde Epos 
des Lebens über|tanben batte, jchidte mir mein Der neue Reinete Fuchs“. Hier ift e 
Bater, uf franzöfilch: mon père, in bie Schule. Hierin ”, —S d x „er 
lernte id) niſcht — und wurde mit einer Benjurund ein wirklicher Dichter, ber oft durch feine 


viel Keile baldigit entlajjen. Das war jut, was  ppetiidbe Storm und dur einen ilder: 
nun? Nun ftarb mein Vater und meine Mutter jung p Ihe 3 d! Bilder 


ins Ausland, vielleicht nad) Schöneberg, indefjen reid)tum überraſcht. Freilich iſt N. hier 
unjemiB. Das war aud jut, was aber nun? Nun aud) mehr als in feinen Projajlizzen aus 
überließ id mir jelber und jtudierte Straße, zettadier: dem Berliner Moltsleben der unerbittlid) 
ic USE GtraBenfunge — ulm. ath ſcharfe politiihe Gatirifer, ber er im 

Ziele Verhörſzenen find eine befondere Grunde immer blieb, mag er unjerem 
giebbaberei Blaßbrenners, fie tommen ähn: Geſchlecht aud) mehr als der lächelnde 
lich wiederholt in feinen Schriften vor und Gpakmader, ber wikige ‚Water bes Ber: 
immer find fie bejonders gelungen. liner Humors‘ erjcheinen. 





Mein Vaterland das lob’ id) mir! In Deutichland unter Einen Hut 
Man bringt nicht viele Köpfe bier Und das ijt für Die Hüter gut. 
Koloriertes Titeltupfer von Th. Hofemann im 27. Heft von „Berlin wie es ijt 
und — trinkt“: „Bilder-Schilder ober Sdilder- Bilder“ 


Neues bom Biichertifd) e 


Bon Karl Strecer 


O€teeteeeccecececceecccecccecceeceecceecceccececccccc(e ec IIIIDIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII39390 


Gerhart Hauptmann: Der Keer von Goana (Berlin, ©. Filher) — Franz 

Nabl: Das Grab bes Lebendigen (Berlin, Egon Fleijdel & Co.) — Carl 

Sternheim: Poſinsky (Berlin, Sjeinrid) $odjitim — Theodor Däubler: Wir 

wollen nidt verweilen (Dresden, Hellerauer Verlag) — Rafimir Edſchmid: 
Das rafende Leben (Leipzig, Kurt Wolff) 





Hauptmanns war bisher bes 
wundernswerter als feine epijche 
Entwidlung. Bor mehr als dreißig 
Jahren jchrieb er feine erjte Crs 
Bahnwärter Thiel (1887), vor 





ablung: 
La Jahren feinen legten Roman Atlan: 


tis (1912), fünjtlerild) unbedeutender als 
jene Erzählung und Ian vor bem Ozean: 
dampfer, ber Darin nntergebt, verungliüdt. 
Dazwiſchen ragt ber jtarfe Narr in Chrifto, 
Emanuel Quint auf feinem Kalvarienberg 
hod) empor, eine ber reiflten Schöpfungen 
des Dichters; aber zu ihm führt (von feiner 
fizzenhaften Worjtudie ‚Der Apoſtel“ ab: 
sehen) ein Zeitraum von dreiundzwanzig 
abren, in denen der (piter Hauptmann 
völlig verftummt war. Nun tritt er wieder 
auf den Blan mit einer Erzählung Der 
Reger von Goana, und wir erfennen 
in ihr eine Dichtung voll geiammelter Kraft, 
epilcher Ruhe und Schönheit — ein Zeichen, 
daß von einer ‚Berbrauchtheit' bieles Poeten, 
bie uns jeine Gegner einreden wollen, nicht 
die Rede fein tann. Hauptmanns novelle- 
lijtije Klein» und Feinfunjt, bte feine Sra: 
men jo oft in ihrem Fluß hemmt, ber er 
— in Atlantis eine jchmerzhafte 
nnäherung an die Bervolljtändiqungsjucht 
eines Neporterberichts nicht verwehrt, zeigt 
fih bier aufs age: geichliffen, gefeilt, 
poliert, ohne jid) bod) dem quellenreinen 
Strömen dichterijcher Bejeelung zu verfagen. 

Was an der Erzählung auszujegen iit, 
wollen wir vorwegnehmen, um nachher uns 
geltort bei ihren Borziigen verweilen zu 
önnen. Gelbjtandigfeit der Erfindung war 
nie Gerhart Hauptmanns Stärke; in letter 
Zeit |deint er mehr noch als früher auf 
dieje Eigenjchaft zu verzichten. An feinem 
legten Drama, der Winterballade, hatte 
Gelma Lagerlöf [tárferen Anteil als der 
Dramatiker, und in der vorliegenden Erzäh— 
lung folut er jichtlich den Spuren von Zo— 
[as La faute de l'abbé Mouret. Bei Sola 
wird ber fromme Priefter Serge Mouret, 
beraujdt von ben Urwalddiijten bes (Gar: 
tens ‚Le Paradou‘, erglübenb in finnlicer 
Liebe für Wibine, die unjchuldig » Ichuldige 
Tochter bes Wächters, ein arger Sünder — 
bier ergeht es bem jungen Prieſter Raffacle 
$jrancesco genau jo, nur dah ibn der er: 
wadende Frühling an den herrlichen Abs 
hängen des Monte Generojo von feinem 


dürren Brevier und jaro Weihraudduft 
zum Grünen unb 3Blüben der Natur betehrt 
unb Daß ber Raufd bes Lenzes ihn in die 
Arme einer zujammengejegteren Schönen 
treibt, ber Agata vom Berge, bie aus einer 
Geldywijterbelledung hervorgegangen ift. Die 
Unflange an 3olas eigentümlichites und in 
feiner Art jchönjtes Wert — üppig [trotenb 
von ber Phantajie eines bier unverfäljchten 
unb unverjtellten Romantifers — find deuts 
lid) und zahlreich. Go [timmen beide Dichter 
darin überein, daß fie entjchloffen die Uppigs 
teit ber Naturjchönheiten zur Rupplertn 
maden. Da heißt es bet Hauptmann: 


„Sn fatter Fülle raufchte der Waflerfall, fein 

Braufen Hang voll und jchwelgeriich... Wo gab es 
da irgend etwas in ber Watur, das nicht in ber 
Wandlung des Lebens begriffen und das ohne Seele 
war: etwas, Darin nicht ein Drangender Wille fid) 
betätigte?... . Ziſchten nicht und bewegten fid) nicht 
bie Blätter ber Lorbeer: und Buchendidichte, wenn 
er im Borübergeben fie ftreifte?... Wo alles quol, 
wo alles puljierte, jowohl in ibm, als um ibn bers 
um... Er berübrte den Stamm eines Rajtaniens: 
baumes unb fühlte, wie er bie Nahrungsſäfte durch 
(id) empordrängte. Er tranf Die Luft wie eine leben: 
dige Seele... Jeder Grashalm, jede Blume, jeder 
Baum, jedes Wein: und Efeublatt waren nur Worte 
einer aus bem Urgrund des Seims aufflingenben 
Sprade, bie in tiefjter Stille felbjt, mit gewaltigem 
Braujen endete.” 
Noch deutlicher wird bie Whnlidfeit, wenn 
lich ber Prieſter „als alleiniger Adam, alleinis 
ger Herr des Gartens Eden“ (bei Zola 
Je Paradou‘), „in der Fülle jündenlofer 
Schöpfung“ fühlt: 

„Bejtirne zitterten, himmliſch Mingend Glüdfeltg: 
teit. Gewölke brummten wie jchwelgerijch weidende 
Kühe, PBurpurfrüchte ftrömten jüße Entzudung und 
töitliche Labung aus, Stämme jdwigten duftendes 
Harz, Blüten ftreuten fojtlid)e Wurzen: allein dies 
alles hing Dod) von Eva ab, bie Gott als die Frucht 
der ;Früchte, bie Würze ber Würzen zwiichen all 
dieje Wunder gelegt hatte... Aller Gewürze Duft, 
ihre feinite Eſſenz batte ber Schöpfer in Haar, Haut 
und SFruchtfleiich ihres Körpers gelegt.... Und 
Adam zog feine Schuhe aus und trug feine Eva 
dort binüber... Und fie zertraten Narziilen und 
Diterlilien mit Dem ſchweren, faft trunfenen Gang 
der Liebenden.“ 

Dies alles flingt beinahe wörtlich an jene 
Erzählung 3olas an, die freilich jo ungolaijd 
wie fein anderes Wert von ibm ift, ganz 
vereinzelt in dem Diirren Naturalismus, 
ein jchwelgerijcher Romantiferranjfd. Schon 
in feiner erjten Novelle Bahnwärter Thiel‘ 
wandelt Hauptmann in Zolas Spuren, dort 
nod) rein naturalijtiich, inzwilchen hat er 
(id) weit von ibm entfernt und im Reger 
von Coana' erweilt er fih als ber reichere, 


439 PEETESSTISSZESTI Karl Streder: ERS SCHE ege 


mannigfaltigere Dichter von beiden. Für 
‚höhere Töchter‘ find beide Bücher nicht zu 
empfehlen, bas fei ausdrüdlich bemerkt, aber 
Hauptmann, obwohl er dem Bewagteiten 
nicht aus dem Wege geht, ift bod) ganz der 
germani[de Dichter tm QGegenja& zu dem 
romanijdjen, er vermag eine gewijje Keuſch— 
heit nod) im SHeiteljten zu bewahren. Zu 
Anfang jdjeint er Mühe zu haben, feine Er: 
ählung in Fluß zu bringen, bier ijt die 
Sprache mitunter jchwerjällig, jchleppend, 
auch ftört das unbebolfene Sich: Borjtellen 
bes Erzählers als „der Berfaljer“, „der Her: 
ausgeber diejer Blätter“, „der Beſucher“ oder 
„der Ílbermittler diejes NReifeabenteuers“. 
Man wird an den ,Chroniften’ in Emanuel 
Quint erinnert, ber aud) hichjt überflüllig 
iit Aber bald fommt Hauptmann über 
diefe kleinen Mängel hinweg, die Erzählung 
beginnt kräftig zu raufden. Hie und da er: 
innert nod) eine untünjtlerijdje Anhäufung 
pon Adjeltiven an feine Atlantis: Berirrung, 
aber das ijt nur au Anfang, wo wir an 
„ſchmutzigen, fenjterloien, fellerartigen Höh- 
len“ vorüber zu Herrlidfeiten einer gereiften 
Darjtellungstunjt gelangen. 

Die Tatjahhe, dak Hauptmann mit dem 
Reger von Goana: im vollen Saft bes 
bicbterild)en Schaffens [tebe, folte den Gpi: 
ter in ihm ermutigen — zu neuen Ufern 
lodt ein neuer Tag. Wir folgen in biejer 
Erzählung mit vollem Herzensanteil (ents 
üdt von ber poetilden Geftaltungstraft) 
einem Reger burd) alle Verjuchungen, durch 
ein tiefes Liebesgliid und freuen uns ber 
Entichlojfenheit, mit ber er feinem Zwei: 
bund ein freies Reidh in den Bergen grün- 
dete, bei Herdengeläut und Lawinendonner. 
Wir fhauen mit ihm von den Hängen des 
Generojo auf bie tiejblauen Geen von Au: 
gano, Como, auf den Lago Maggiore, hin: 
über qur filberblinfenden Alpenfette, hinab 
auf bte fruchtreiche lombardiidye Ebene und 
wir hören Durch Dies großgeartete Reidh der 
Erhabenheit und der Schönheit bas ewige 
Lied vom mächtigen Eros, der älter war 
als alle anderen Bötter, wie Vater Heliod 
und die orphijde Lehre fünben, der jünger 
ift als alle anderen Götter, wie bas Leben 
täglich lehrt. 

Won jo freiem Ausblid hinabgeftiegen — 
plótlid) eine unabjebbare Ebene durchwan— 
bernb, Die feinen Blid in die Höhe, feinen 
in die Tiefe gewährt, nur bes Alltags nüd: 
terne Gegenitände ant Auge voriiberfiihrt 
— fam id) mir vor, als id) nad) Hauptmanns 
Erzählung ben Dicbandigen Roman von 
grana Nabl: Das Grab bes Leben: 
digen burdjaderte, Faft jedshundert eng: 
un Geiten, darunter manchmal vier 

is fünf hintereinander ohne einen 9[bjat! 
Und was erzählt wird, ift anjcheinend bie 
alltáalidjite Geichichte von ber Welt. Ein 
Injpettor, in jeder Hinlicht ein muftergüls 
tiger Staatsbürger und vorfdriftsmapiger 
Beamter, hinterlakt bei jeinem verhältnis» 
mägig frühen Tode eine kleine Familie, bie 


fid) nun allein im Leben zurechtfinden muk. 
Gie tut es, indem fie (id) gleich einem Böll: 
den Rebhühner eng in einer Furche zujam: 
mendrüdt und nach der Welt wie nad 
einem Habicht blingelt. Die unbedeutende 
Mutter überläßt ganz der neunzehnjährigen, 
blutarmen Sojefine die Führung, und aud 
die beiden anderen Rinder, bie ſiebzehnjäh— 
rige Anna, ein einfaches, guthergiqes Mäd— 
chen und der verfrüppelte Walter Figen jid) 
ihrem berrijden Willen, der alles frem’ e 
von ihrem Familienring fernbilt. Cie met 
einen freilid) jchon etwas bejahrten und 
wunderlichen Freier Annas ab, rettet eifer: 
KO ben jungen Walter vor erotilchen 

erlodungen unb als allen biejen Torwäch: 
termaßregeln zum Trog ber arme Junge, 
ber allein in der Familie mufijd) veranlagt 
ift und unbezwingbare Gebnjudt nad) bem 
bunten Leben bat, unrettbar in ein Liebes» 
neg verjtridt jcheint, ba greift bie erregte 
Sojefine zu einem wunderlichen Mittel, ibn 
dem häuslichen — — zu erhalten, 
fie ſchließt thn tn den Keller ein und hält 
thn, ſchwachen Proteftverjuchen der Mutter 
und Schweiter gegenüber fiegreich, jtreng ge: 
fangen, Als die Polizei darüber fommt 
und ben (ingeferferten befreien will, madjt 
ofefine einen Mordverjudh an thm; als der 
miplingt, erbüngt fie fth. Die berztrante 
Mutter ftirbt in der Aufregung. Die beiden 
übrig Gebliebenen Walter und Anna halten 
nun thr Leben hindurch treu gujammen, in 
fleinem, anjprudlojem Rreije, in bem aud) 
bie paar alte Befannte aus früherer Zeit 
reunblid) wieder auftauchen, leben fie gus 
rieden und bejdaulid), wie gliidlid aus 
em Gchiffbrud) Gerettete, dahin. 

So nüdjtern und jadhlid der Roman aus» 
Hingt, tft auch bie Sprache, die jid) felten 
nur zu bem be|d)mingten Tonfall dichterischer 
Erregung emporbebt. Und bod) ijt Nabi in 
jedem Augenblid gang bei der Sache, oder 
i ei den Dtenjchen, bie er darſtellt. 
Er bat bie große epiidie Ruhe, bie heute 
jo felten unb barum getabe jo wertvoll ijt. 
Er bat bie große Einfachheit bes geborenen 
Graüblers. Er läßt nicht das gering e 
Ctridje[den außer adt, bas zur völligen 
Abrundung jeder einzelnen Beitalt, zur jiche: 
ren Begründung jedes CEreignijjes nots 
wendig tjt. Wie ein im Grunde fo [pieB: 
bürgerlides Mädchen zu einer [o unge: 
—— Tat kommt, daß die anderen 

amilienglieder ſich ohne erwähnenswerten 
Wideritand Dareinfiigen, ijt von den eriten 
Anfängen des Buchs mit taujenb feinen 
Stridjen, bie Icheinbar adjtlos gezogen find, 
begründet und wabridjeinlid) gemadjt. Ich 
babe mir von (eite 29 bis 448 Dreiunb: 
zwanzig Punkte notiert, bie zur Charafte: 
rijtif ber Joſefine beitragen und mit ficherer 
Hand zur Kataftrophe binjübren; ähnlich 
verhält es fih mit Walter, Dellen weiche, 
jehnjüchtige Seele zwilchen den drei Frauen 
verfümmert. Es (Cd alles. Die Bor- 
Gelcdicdte ijf etwas gu lang ausgejponnen 





UDIZIT UGA ↄqjyuioꝙ aojoicljobao waq pu snuo; : ujaog; ur SUNAM PLIL -13102 saq Bungismaanaıg IMJ) 





seess Neues vom Biidertifd 433 


und reidjlid) nüchtern; trotbem lieft man 
ohne Ermüdung weiter, denn man fühlt bie 
Liebe des Verfaſſers zu jeder Kleinigkeit 
(und er ift unendlid) reich an Kleinigkeiten), 
jeine ‘Freude am Erzählen, fein zähes Ein: 
dringen in jede Lebensgelle, die Kunſt ber 
Icheinbaren Runftlofigteit, die Schlidhtheit des 
an Überfluß Gewöhnten, die ftarfe Krone, 
die auf jtarfe Wurzeln deutet — fur eine 
nur bem aufmerfjamen Beobachter fid) voll 
erjdjlieBenbe Gediegenheit und Ctürfe, wie 
man jie in unjerem aufgepeitichten und haſti— 
en fteraturgetriebe felten findet. Dabei 
ijt Nabl Ojterreidjer — man glaubt es taum, 
wenn man die müde Weichlichkeit, Cd)wür: 
merei und überwade Beobachtung der 
Wiener Schule tennt. ` d 

Damit fjol ben Ojterreihern nichts Böfes 
nachgejagt werden, bie Modernitis ijt heute 
im Norden wie im Güden zu finden. Da 
jüllt mir ein jchmales Bänddyen, das fid 
zum Nablſchen Walzer wie eine Cpigmaus 
zum Elefanten verhält, in die Hand: Bo: 
instr, eine Novelle von GarlSternheim. 
Sd) leje ein paar Geiten, bie in einem ver: 
renftem, geradezu unjinnigen Deutſch ges 
Ichrieben find, und bin ſchon im Begriff, 
das 3Büdjeldjem mit einem leijen: „Sold 
Sdund wird nun gedrudt“ in bie Ede zu 
werfen, als mit eingällt: bieler Herr Sterns 
Heim ijt ja ein berühmter Diann, wenigitens 
wenn man feinen Freunden, Trabanten 
und Bejchöpfen glauben darf. Er ijt an 
drei Berliner Bühnen geipielt worden, und 
in einem angejebenen Literaturblatt las ich 
ping|t: „Die Jugend podt wieder am die 
Tür, die Jugend um Carl Sternheim.” Da 
wollen wir bod) jehn ... 

Gleich zu Anfang heißt es: 

„Aus ber wohlhabenden Geliebten Mittel“ (fol 
dicen Mitteln) „batte bei ihren Lebzeiten jo reichlich 
Broviant er in bie gemeinjame Wohnung geitaut, 
daß leibliche Berlegenbeit, bie im vierten Kriegs: 
jabr rings fdon peinli wurde zu rajd)er Tat, 
überjtürzten Ruderidlagen ihn nicht zwang... Sept 
aber jpreizte entfejiclt auf Liegegelegenheiten er 
Glieder und war beichämt, nur ein Arm- und Bein: 
paar zu haben... Nicht die leileite leibliche Regung 
unterdrüdte er, jondern jteigerte jie in allen Stationen, 
und in jeder monumentcte ichließlich natürlicher 
Transformismus...  (Gewolfte Volabeln madhen 
nur unfähig, im Kosmos finnlid) Borhandenes bis 
in den Kern zu greifen... Menn 3ebntel aller ge: 
Ihichtlichen Heldentat, leuchtete Poſinsky plötzlich ein, 
waren Folge von Unterernabrungsjujtanden geweien 
... Was liegt Hungrigen naber als jid) zu jattiqen? 
Da tlaffte mit blutigen Streifen leit: Hirn 
... Uber Diejer Ginbildung vergaß einen Mugen 
bli ganz feinen friichen Grimm Poſinsky und, bes 
JBieberfauers Boritellung bingelunten, vergewaltigte 
Neid ihn mit bem bevorzugten Rindvieh.. “ 

‚ Das find nur ein paar Etichproben. Go 
dichtet Carl Sternheim. Er jdjlbert in 
diejer verframpften Sprache, bie auf bedent: 
lichen geiftigen Verfall jchliegen läßt, einen 
widerliden Didwanjt vonsyamiter, der durchs 
Fenſter und durch ein Gudlod) in der Wand 
die Tragödie eines hungernden Schaujpieler: 
párdjens beobachtet. Es fommt zu einem 
itilen Rampf zwiſchen ihnen: 

„Erweiſen follte fid, wie ber Gitgelpeiite den 
Schledternahrten bei (Glaubens gleicher Inbrunſt 


immer leicht abid)mettert und im Hui vernichtet. 
Cdon früh am Wlorgen fott und briet am offenen 
Feufter in vielen Topfen Poſinsky lederes Aler— 
lei. Ein feiner Zwiebelduft, ftrenges Gewürz Me 
eindringlich zu bem Faſtenden Hinuber. Dem Ko 
felbit lief aus taujend Warjen Wajjer in Stürzen 
über ben Gaumen; bes suriedenden Zunge aber 
Dadjte er fid) bis gum Mabel berausbüngenp." 
Das ift der Geijt Carl Sternheims, „um 
den die Jugend podjt", Und Deler jelbe 
gerr Gternbeim erdreijtet fidh in eben diejem 
uch, Friedrich Schiller Jo zu charafterijieren: 
„Beitelzte Ritterichläge, Dolditöße und Herzbe— 
teuerungen; das geichwollene Gewald in ſchlechtem 
GSeutidj... Es erichten ibm, je länger er quirlend 
und rübrend nad)dadıte, bie Tatiadye um jo wider: 
wärtiger, jemand folle ein Redt haben, an fid) aus: 
geiucht albernes Zeug in fo bhodtrabender Sprade 
nod unter heutigen Umjtanden dem Publikum vor: 
autragen und es von dringenden Dingen zu feinem 
Sdwadhlinn binzulenten. ber der Komvdianten 
Strafvarteit, Die fid) zu folder Verrücktheiten Ber: 
fiinDern machten, gab es feinen Zweifel. Schuldig 
mit ibnen aber waren aud) Obrigteit und Bühnen: 
vorjtände, Die ben romantijden Daleinsfalichern 
eine Exiſtenz ermöglichten, ftatt, Daf durd Hunger 
je jdjneller verredten, Gorge zu tragen. Unwider— 
teblid) reizte thn der angehörten Wersreiben Ber 
logenbeit, ein paar jajtige Gemeinheiten in die Luft 
u fprengen ... Seit Jahrhunderten wurden fo 
ölter verblödet. Dem Pöbel jtanb vor größtem 
Jloniens bie Schnauze ftill, wurde er nur gereimt 
und gebundener Spradye vorgetragen...“ 


So Herr Sternheim über Friedrich Shil 
ler. Sede Bemerfung dazu würde nur die 
Wirfung abihwächen. Damit uns nicht bei 
längerem Verweilen vor biejem Bud, Übel: 
teit beichleiche, wenden wir uns ſchnell wirks 
licher Jugend zu. 

fiber das ‚Allerneueite‘ in der Literatur, 
bie ‚Allerjüngjten‘ aud) einmal ein Wort: 
lein zu hören, ijt ja wohl ein billiges Ber: 
langen bes Lejers. Sch fege als befannt 
voraus, daß bie vorlegte literariiche Mode, 
der Smpreilionismus, die Eindrudsfkunft,jchon 
veraltet und abgelöjt ijt von dem Expreſſio— 
nismus, der 9lusbrudstunjt. Freilich tann 
ich nicht dafür bürgen, daß wenn dies Heft 
ausgegeben wird, aud) bie legte Mode nicht 
jhon überholt ijt, etwa vom Gxplojioniss 
mus (ein Herr Kofojchfa vertritt ihn jhon) 
oder von dem Tadaismus, hergeleitet aus 
dem finnvollen Dada‘, dem eriten Stame 
melwort des zur CErfenntnis aufdänımern: 
ben Gäuglings. 

Das i| fein billiger Cdjera; jo etwas 
gibt es. Und wir wollen uns biiten, ledig: 
lid) darum, weil es uns befrembdet, von 
vornherein das Neue abzulehnen. In ber 
&unjít wie im Leben gilt bas (eje ber 
Blutauffrifchung, und wer dort, wo der Vors 
rat aufgezehrt ijt, neue Güter bringt, gleich: 
viel weldje, darf zum mindeften erwarten, 
daß man fie ohne Vorurteil wägt. Die Li- 
teratur ift fein Stauſumpf. Nur ein ángit: 
licher Baumeijter ColneB, der nicht frei von 
Schwindel ijt, hütet fih beim Wnllopfen der 
Jugend fröhlich Herein!’ zu rufen. Wer 
Dh innerlid) jung fühlt, der grüßt bie neue 
Yeidenjchaft, wenn jie anjtürmt, fampft, irrt, 
erobert — auch fie wird ja einmal (meift 
durch Zugeltändnijje) zum halben oder gan: 
zen Siege gelangen, dann riede machen 


434 IEA Karl Ctreder: Neues vom Büchertiſch —— 


und |don bejorgt fein miiffen, bas Erwor: 
bene burd) — vor Niedergang und 
TER gu Ihüßen... Go ijt bas 
eben. 


Es fei hingewiejen auf zwei Bücher aus: 
brüdlidjer Wusdrudsfunft. Ihre Titel rufen 
laut: „Wir wollen nidyt verweilen!“ und 
„Das rajende Leben”. Man benft an den 
‚Sturm‘, an ‚Die Aktion‘ — und hat jogleid) 
bas Weſen bes Expreffionismus vor Augen, 
es heißt Bewegung, worunter feineswegs 
das Tempo einer Schnede zu verjtehen ift. 
Vie Bilder des ‚Sturms‘ darf man jreilid 
nidt von ber Lfenbanf aus betradten. 
Seder Flieger fann uns jagen, daß ſchieſe 
Bilder nidyt immer unwahr find, ja ſchon 
jeder Rennreiter, ber eine ſcharfe Blech 
um die Wendeflagge madjt. Remegtes Leben 
ift bas Feldgeſchrei des is ea ein 
woblflingender Schlachtruf; jehen wir zu, 
was unter ihm erfampft wird. 

Tas erjte, was einem bei Betradhtung des 
Buds Wir wollen nicht verweilen 
von Th. Däubler auffällt, find die vielen 
Einniprüchlein, bie er anbringt. Über jedem 
Abſchnitt, auf jeder freien Ceite [tebt ein 
Zitätchen: lateinisch, griechiſch, italieniſch, 
englijch, bejonders franzöſiſch, aud) ein paar 
beutjdje find darunter. Für jemand, der 
unter feinen Umjtänden verweilen will, 
mutet bie bejdjaulid)e Muße, bie zum Mache 
Ichlagen und Auswählen all diejer Rojtbar- 
teiten gehört, nun etwas fonderbar an. Und 
bieler Eindrud wiederholt fid), wenn Däub: 
ler zu Anfang feiner Erzählung mit der 
Langatmigfeit eines GFrenjjen iiber feine 
Saduglingse und erwadenden Kindheitsein= 
brüde berichtet. Daß er ein Wunderlind 
war, fann er niht leugnen, er erinnert fid): 
„Mit bramatijd)er Rajchheit gebar id) meine 
Cpradje" unb „Echluchzend fore ich an der 
Mutter Bruft“. Immerhin folgt man mit 
Anteilnahme feiner Schilderung, bie fid) an 
einer Stelle, wo die Mutter das todfrante 
Schweſterchen mit erjchütternder Energie ins 
Leben zurüdruft, zu hoher dichterijcher Kraft 
lteigert. Man gerät unverjehens in eine mär- 
chenartige Vifion, die in Hingender Sprache, 
mit reichlid) gejudjter Alliteration und 
jtarfen Anflängen an 9tiebidje und Wagner 
verdeutlicht wird. Cine gepflegte Wort: 
funjt juht nad) neuen Farben: und Licht: 
ericheinungen, fie ſchnörkelt in romanijd): 

otijder $Ornamentit, Wieles ift echt ge: 
e aber alles jtürzt regellos und wirr 
über einen Der, wie eine im ‚Sturm‘ age: 
malte Häufermajje. Tiefe Art zu jchreiben 
mag wohltuender für den Berfajjer als für 
den Lejer fein. Cdjabe, daß monde wirf: 
liche Schönheit, jo bas Gintreten bes Be: 
griffes Gott in bie Kindheitsvorjtellungen, 
Dadurd) ver|d)üittet wird. ber das meijte 
ift Blendwerf. Manchmal glaubt man einem 
neuen Gedanken zu begegnen, aber fiebt 
man näher zu, find es nur umgeitellte Worte, 
die Durch thre jeltiame Werfnüpfung ver: 
blüffen. Bald bricht die Erzählung ab, bunt 


werden S&unjteinbrüde und Farbeneindriide 

auf Reijen durcheinandergewürfelt, jdjlieB- 
lid) endet das Ganze in langweiligen Re- 

tradjtungen über romanijche Bildkunjt. Schön: 

heitstrunfenes Yallen vermag das Unſchöp— 

Ge, legten Endes Unfähige nicht zu Ger: 
eden. 

Wie ein Ei bem andern — ohne deshalb 
bei den expreljioni[tilden Gepflogenbeiten 
bes Huhns „verweilen“ zu „wollen“ — gleicht 
Rajimir Edfd mid in ber eriten Hälfte 
leines Rajenden Lebens bem Artge— 
noffen unb Unverweilten. Das „Beſchä— 
mende Zimmer” enthalt Reijeandenfen eines 
wreunbes erotijder und künſtleriſcher Art. 
Wud bier unausgejegtes Liebäugeln mit 
romanijder Runjt, ein prableriihes Anf- 
gehen verjdrobener Reiſeeindrücke nebjt 

iebeserinnerungen ziemlich jdymieriger Art. 
Koje und niht einmal gelungene Bildchen, 
zum Schluß das tieffinnige Endergebnis: 
„Dan [oll feine Erinnerungen haben.“ Un: 
gleich höher [tebt bie zweite der beiden Er: 
Eet „Der tödlihe Mai“. Wie ein 

odverwundeter, Aufgegebener zum Dajeın 
wiedererwadht und von rajenber Lebensluft, 
Gdjünbeitstruntenbeit umhergeworfen wird, 
ijt mit ebenjo ftarfen wie inen Mitteln 
geftaltet. Hier fteigt bie 9Iusbrudstunjt auf 
einen Gipfel. ir gewinnen einen Ausblid 
auf das, was fie uns geben fünnte, wenn 
fie zum Inſtrument eines wirflid) großen 
Dichters würde. Man könnte jid) da jchon 
hineintrdumen: ein freies fünjtlerijches Ge: 
jtalten jchöpferiicher Geifter, hoch über alle 
armielige ‚Wirklichteitstreue‘ hinweg. 

Aber die bisherigen Vertreter der litera: 
rildjen Ausdruckskunſt [teen tief unter diejen 
Gipfeln. Was [ie Ausdrud nennen ijt Wort: 
dred,jelei, und was a vom Leben wijfen, 
(tammt aus einem Aunjtantiquariat.‘ Sie ` 
ind in dem Irrtum befangen, man Tonne 
die Geſetze der bildenden Runft, insbejondere 
der Malerei, ohne weiteres auf das Schrift: 
tum übertragen. Aber fdon Drama und 
Epos verlangen grundverjchiedene Technilen, 
wievielmehr Dichtung und Malerei. Es 
wäre für diefe von Schlagworten der Mode 
Betörten jdon ein Weg zur CErfenntnis, 
wenn fie fih bie Mühe geben wollten, einmal 

u unterjuchen, wieviel tn jeder großen ſchöp— 

M ciliben Dichtung an — Architektur zu fin: 
den ift, von jtrenger geijtiger Schulung ganz 
zu jchweigen. Bielleicht würden ihnen dann 
die Augen aufgehen über den Wert ihrer 
fofetten Pinjeleien. Aber — wie gejagt — 
‚Der toblid)e Mai‘ wäre ein Anfang. 

Nur follten fid) naive Jünglinge, bie in 
9tiBebüttel, oder Schievelbein, ober Ohrdruf 
modern dichten, wohl hüten, bier Anjchluß 
zu juchen. Denn bevor fie joweit find, mit 
ihrem jrijdjgebadenen Ausdrudswert einen 
Verleger zu beglüden — ift man voraus: 
lichtlicdy in Berlin, Wien und München längit 
über ben Explojionismus und Dadaismus bin: 
weg zu einem allerneuejten — ismus gelangt, 
pom Exprejjionismus gar niht mehr zu reden. 


e Slluftrierte Runoͤſchau & 


ORCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCECCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC2 233332323293323323323323323233333333300333233332322322222232520 


Der Verlauf der Galerie Carl von Hollitiher in Berlin — Der neue 


Tizian des Kaifer Friedridh:-Mufjeums gu Berlin — Neue Bücherzeichen 
von Hela Peters-Ebbede in Gottingen — Sanitäter-Dentmünzevon Karl 
(och in Münden — Zu unjern Bildern 







M Air A“ 
L 


Der Verfauf der Galerie von Sollitider in Berlin — Der neue 
Tizian des Kaifer Friedridh-Mujeums zu Berlin 





Bon Gebeimrat Dr. Wilhelm von Bode, Generaldireftor ber Kgl. Mufeen 


Wieder hat Berlin eine ſeiner großen Pri— 
vatgalerien alter Meiſter verloren: die 
Sammlung Holliticher ijt Ende Januar frei: 
bánbig an ein Handlerfonjortium verkauft, 
und alsbald ift bie Mehrzahl der wertvollen 
Bilder an einzelne Sammler weiterverfauft 
worden. Der 
*Beliber, 
öſterreichi— 
ſcher Unter— 
tan, obgleich 
ſeit einem 
Menſchen— 
alter in*Ber: 
lin anjájjig, 
bat einen 
öſterreichi— 
ſchen Händ— 
ler als Käu— 
fer bevor— 
zugt; baBer 
ne — 
ung nicht 
nad Oſter⸗ 
reich zurück— 
gebracht 





4 
SS a 


| hat, was 

Rob. Stephan von Calcar : = 
Bildnis des Attila Grimaldi ibm Jelbjt 
bei einem 


Runftausfuhrverbot erlaubt gewejen wäre, bat 
für Deutjchland den Vorteil gehabt, dak me: 
nigitens ein Teil der beten Bilder an hiefige 
Sammler übergegangen ijt, 
mebrere darunter auch an un: 
jer &aijer Friedrich Museum. 

So febr diefe rajde Auf: 
löjung einer Reihe unjerer 
rößten Sammlungen alter 
unft in Deutjchland und 
bejonbers in Beriin (joeben 
wird aud) bie Berjteigerung 
der bedeutendjten Sammlung 
von Frankfurt, bcr herrlichen 
Sammlung antifer Kleintunft 
aller Art von Frig vonGans, 
angefünbigt), wie wir fie feit 
Anfang bes vorigen Jahres 
beobadten, zu beklagen: ijt, 
fie war vorausauleben; von 
allen bisher verfauftenSamm: 
[ungen wußte man, daß Die 
Erben des Sammlers fie 
nicht halten würden. Alles 


« 


was wir ; = 






Carlo Maratta, Bildnis 8 


jterwerfe für unjere öffentlichen Samm 
lungen und die Bildung neuer Privatfamm« 
lungen in Deutichland oder Vermehrung 
der älteren. Auf lebteres fónnen wir nur 
wenig rechnen, da die großen alten Galerien 
in deutjchem Privatbejik bereits reich an 
ganz gewählten Stüden find und ihre Beſitzer 
udem an bie jegigen außerordentlichen 

riegspreije nicht gewöhnt [inb und an ihre 
— nach dem Kriege nicht glauben. 

agegen haben aus ber Galerie Hollitſcher, 


wichtig⸗ M 





Francesco Guardi, Blid über bie Piazzetta in Benedig m 





436 I- v9] Sluftrierte 9tunb[djau 






unjere größeren deutjchen 


KU die Bilder find ver: 
auft, nicht auch feine Bron: 
en und Antiquitäten) nicht 
einjeitig nur auf bie primis 
tive Runjt eingeftellt, wie 
dies Herr von Kaufmann ge: 
tan hatte; feine Galerie ent: 
pict italienifche Gemälde ne: 
en altnieberlánbijdjen, flä— 

mijdjen und holländilchen Bil: 
| dern. Bon den SHolländern 

war er ausgegangen, hatte 
| aber — wie jo viele ernite 
Sammler — mit der Zeit eine 


Geertgen tot St. Jans, Madonna 1 eim 
bejonbere Borliebe aud) für 


die frühen Meilter gewonnen ; jo ergab fid) bie Mannigfaltig: ` 


teit feiner Sammlung. Am ſpärlichſten waren die Italiener 
vertreten: burd) ein paar dekorative penegianijde Porträts 
vom Ende bes 16. Jahrhunderts, durch das tüchtige Bildnis 
einer jehr Jyompathijden jungen Dame von Carlo Maratta, 
jowie durch ver|djiebene Anjichten aus Benedig von A. Ca: 
nale und von 
beiden großen 


t. Guardi, 
eijter, denen in feinem malerijchen 


wie früher jhon aus den Berfteigerungen von Kaufmann 
und Knaus, mehrere neue Sammler in Deutjchland we: 
jentliden Zuwabs für ihre erft während des Krieges 
entitanbenen Galerien gewonnen; es ijt daher alle Ausficht 
vorhanden, daß der Krieg nad) Dieler Richtung nicht nur 
vernichtet, jondern aud) aufbaut. Gleichzeitig haben aud 
lujeen Erwerbungen von zum 
Zeil hervorragender Bedeutung gemacht. 

Herr von Hollitiher hatte fein Sammeln alter Gemälde 





(E 


Hans Memling, Bildnis 
ausgewählte Werke diejer 


Reig bie Sfigze eines Altarbildes von (9. B. Tiepolo 
nidt nadjitano. Ein Hauptwerf, bas ftattliche Bild: 
nis eines vornehmen Genuejen, bes Attila Grimaldi, 
lehrt einen an Ligian jid) an dlieBenden Meilter um 
1540 fennen, ber aber zugleid) [tarte niederlandijde 

lige aufweilt. Danah haben wir das Bild als ein 


fen. Das Berliner 
trägt, iftnament: 
lich in dem land: 
ſchaftlichen Hin- 
tergrund noch 
febr ftarf nieder: 
ländilch; in dem 
BildederSamm- 
lung Holliticyer, 
das etwa zehn 
Peter Paul Rubens Sabre Ipáter 
Bildnis feines Bruders Philipp entjtand, kommt 


ber italienijche 
Einfluß ftärfer zur Geltung. 

Unter ben Meijtern der älteren niederländifichen 
Schule war eine Anzahl der Kleinen, ga dem 
Namen nad unbefannten Künjtler in belonbers 
guten Bildern vertreten. Bon hervorragender Be- 
deutung waren aber zwei Gemälde, beide von eriten 
Künftlern in ihrer Art: ein Frauenbildnis von dem 
Brügger Meijter Hans Mtemling, und eine Madonna 
des Haarlemer Geertgen tot St. Jans. Wlemlings 
Ban: eine Dame in mittlerem (Iter, deren 

ejidjt aus der geldjmadovoll gelegten weißen Haube 
wie aus einem Rahmen herausjchaut, hat jene 








(erf bes in Italien jung verjtorbenen Tizian- Schülers 
SOR Stephan von Calcat bejtimmt, von bem das 
uvre und unjere Galerie die einzigen, thm traditionell 
ugeichriebenen Bilder, ie eke männliche Porträts, 
LP ild, Das die Jahreszahl 1536 


Anthonis van Dod, Die Auferftehung 
Chrifti 


wm 


Dal 








zarte Empfindung und wohl: 
tuende Rube, jene treffliche und 
bod) weiche Zeichnung, bie ge: 
rade die Bildnijje des vom 
Mittelrhein gebürtigen, aljo der 
—— nad) deutſchen Künſt—⸗ 
ers in hohem Maße auszgeich— 





Rembrandt, Bildnis ſeiner Schweſter 


nen. Ein ſeltenes Meiſterwerk 
ſehr verſchiedener Art, bedeutend 
auch dem Umfange nach, da die 

iguren lebensgroß ſind, war 

eertgens Maria mit dem Kind. 
In der realiſtiſchen Art, wie die 
Modelle unmittelbar aus der 
Umgebung gegriffen und mit faſt 
ängftlicher Treue dem Leben 
nachgebildet find (bas Rind ift 
das treue Ebenbild der Mutter), 
der kräftige warm:bräunlicheTon, 
trog ftarfer £otalfarben unb ber 
Ausjchnitt aus ber heimatlichen 
Landſchaft, in den bas Fenſter 
ben Blid öffnet, tennzeichnen 
aufs deutlichite den unverfäljch: 
ten Holländer; in TFeinheit der 


—— und ftarfer Modellierun 


| fteht; David Ze 


Illuſtrierte Rundihau BZZ] 437 


fommt ihm fein 
eitgenojje in den Niederlanden gleich. Die großen Fla: 
men bes 17. Jahrhunderts waren ziemlich voilitánbig 


| unb gut vertreten: Rubens mit bem Bildnis feines 


Bruders Philipp, einem tüchtigen Wert der früheren 


| Seit bes Meijters, und mit einer großen, tonigen Skizze 


aus der |päteren 
eit, David und 

bigail Ddarftel: 
lend; A. van Dyd 
mit einer Auf: 
— Chriſti, 
die in Wucht der 
Geſtalten noch 
einem Meiſter 

ubens nahe: 


niers u. a. mit 
einer Wirtshaus: 
aene, Die in ber 
tonigen, leicht 
tujdenden Art 
nod) an bie leg: 
ten Werte Brous 
wers jih ans 
ſchließt. 
Faſt doppelt 
e zahlreich als 
ie Maler aller übrigen Schulen zujammen weilt bie 
Sammlung bie bollánbijdjen Künftler auf; zumal bie 
Hauptmeilter waren fajt vollitánbig und zumeift in febr 
guten Werten vertreten. Gleich der 9[[tmeijter Frans 
Dis mit drei Gemälden, unter denen bas Kleinere 
ild einer jungen fifenden Frau mit anliegendem 
breiten Kragen, in ben —— Ai EBEN Händen ben 
Facer baltenb, ein fojtbares Wert ber jpäteren Jahre 
und für biele Zeit bejonbers liebevoll durchgeführt ift; 
bequem in ber Anordnung, in ben feften Ragen mi 
einem feinen Zug von Humor und Gutmiitigfert. Bon 
Rembrandt bejak Herr von Holliticher drei Gemälde, 
jenen Bildern von Hals womdglid nod) überlegen: 
bas behäbige, Jorgfältig burd)mobellierte und bejonders 
farbige Bildnis der bivefler bes Künftlers vom Jahre 
1633, das lebens 
ee ovale 
ild eines jun: 
gen Mannes mit 
reitemHut, zwei 
Jahre jpäter ge: 
malt, und, wohl 
Das bedeutendite, 
einen kleinen Stu—⸗ 
bientopf eines al- 
ten Mtannes um 
1645. Neben bie: 
en Meijtern er: 
heint Michael 
van Dtierevelt in 
feiner altväter: 
lichen Biederfeit 
fait nüchtern, 
aber Die beiden 
großen Bildnijje 
eines jüngeren 
Ehepaares zeig: 
ten bod) bie Tüd- 
tigteit bieler ot gg 





Jan van Goyen, Der Karren bet der Hütte 





Frans Hals, Bildnis B 


488 Ialluſtrierte Rund\idau 


teren jchlichten Porträtmeilter in Charafe 
terijtit und Zeichnung. Gelbjt jo gute Bei- 
jpiele, wie fie bie Sammlung von den jün- 
geren Borträtmalern ber holländijchen Schule: 
von P. 9tajon, U. Balamadesz und J. Ovens 
aufwies, bleiben hinter bieler vornehm zu: 
rüdhaltenden Auffajfung zurüd. 
Vorzüglid und reich 
war bie Auswahl der 


holländiſchen —— | 


gemälde. Die größere An— 3 "5 
ibt vom Schloß Bent: | 
beim, ein ernjtes Stim: 
mungsbild Jacob Ruis- 
baels aus feiner früheren 
Zeit wurde womöglih | —* 
nod) übertroffen durch die — 
kleine Skizze eines Fern— dis. À 
blids über die Landſchaft - De 


Lo 


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A 


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>» 
— 


Entgegenkommen der Käufer das wichtigſte 
Bild, die Madonna von Geertgen, an unſer 
Kaiſer Friedrich-Muſeum gelangt iſt und 
daß eri Sdhenfung des sBelibers unb eines 
anderen Bönners aud) zwei fleine, aber be: 
jonders reizvolle Meij.erwerfe: bie PBiaz: 
getta von Guardi und bie Skizze von Jacob 
Ruisdael fur unjere Ga: 
lerie gewonnen wurden. 
Sm Anjchluß an diefe 
R Erwerbungen jei bier aud 
mit wenigen Worten auf 
das große Hauptwerk bin: 
geme bas unjere Gas 
erie während des — 
e 










Ore: erworben und das _ feit 
E, | furgem im Tizian = Saal 
Be, ausgeftellt ijt, bie „Ve— 


nus mit Dem Orgel: 


bei Cleve mit wundervoll Ie 9 fw D | jpieler“* von Tiztan. 
aufgebauten Wolfen. Sehr de fOr 4 LINE Gi merfwiirdige Kompo: 
immungsvoll und unge- E 5m P ae es ijt Durd) bie bei- 
iübnlid) war M ein ba me, See N EM ben ähnlichen Bilder im 
Strandbild bei hellem + | Prado- Viujeum zu Mra: 





Mondichein von Wart van 
Der Meer. Cebr wirfungs- 
voll und eigenartig, Das 
eine zugleich durch Die 
bedeutende Staffage, waren die drei Bilder 
des Jan van Goyen, zu denen ein Cal. van 
Ruysdael ein wirfungsvolles Gegenftiid 
bildete. Ein fo lichtvolles, malerijch aufge: 
löjtes Bild wie der Halt vor dem Wirtshaus 
von Iſaac Ojtade bejigt feine beutidje Galerie. 

Unter ben Eittenbildern waren defonders 
bemerfenswert das vornehme Jünglings— 
porträt in ganzer Figur von G. Terbord, 
eine anmutige familien: E 
jgene von Jan Gteen, 
das „Trio“ von A van 
Ditade, das größere von 
drei Gemälden des Q. 
Brefelenfam und das 
reizvolle junge Meisje 
bei Kerzenlicht von ©. 
Dou. Für die farbige, 
dekorative Wirfung ber 
(ee roken Räume in 
einer Wohnung am Pa: 
rijer ‘lag hate Herr 
von Holliticher auch durch 
eine Heine Zahl von 
Stilleben gejorgt, von 
denen Die beiden großen 
—— ———— von U. 
van Beyeren zu deſſen 
Meiſterwerken gehören. 
Wertvoll war auch das 
kleinere Stilleben des J. 
van Streek, ber fid) eng G 
an Ralf anjchließt. 

Diejem furgem Abſchied von ber Galerie 
von Holliticher, an die ein reich illujtrier: 
ter, von Dax Friedlaender gemeinjam mit 
dem G.breiber diejes verfaßter Katalog die 
Erinnerung feitbalten wird, jet gum Schluß 
Die Mitteilung angefügt, daß durch bas 


Saat van Oftade, Ter Halt beim 
Dorfwirtshaus 





Jan Steen, Familienizene Ei 





drid jhon befannt; Dos 
Berliner Exemplar, Das 
erjt vor stg Ne Jahren 
im Wiener Runjtyandel 
aufgetaucht ift — im Jahr vor bem Kıiege 
[ud)te ber ermordete Erzherzog Franz Ferdi: 
nand das Bild für Öjterreid) gu jiyern — 
ftammt, jcheint’s, von Tizians Verehrer unb 
Gönner, bem Fürjtbijchof von Trient Grijto: 
foro Madruzzo. Das Urbild für dieje und ein 
paar andere, jebt verjchollene treue Wieder: 
holungen Dieter Rompofition ijt bie Venus 
in den Uffizien, bie Tizian 1548 für Kaifer 
Karl V. mit nad) Augs: 
burg nahm. Sn dicen er: 
weiterten Darjtellungen 
ift ein junger Orgeljpieler 
zu ben Fuͤßen der Venus 
angebradht, jedesmal cin 
anderer — wohl der Re: 
Heller —, wie auch der 
Kopf der Venus jtets an: 
dere bildnismäpige Züge 
zeigt. In un'erem Bilde 
glaubt man imDrgelipies 
lerden jungen Philipp II. 
zu ertennen. Darum 
erjcheint es begreiflich, 
daß das mit dem vollen 
Namen bezeichnete Bild 
allein bis in alle Ein: 
elheiten vom Meiſter 
Deg ausgeführt ijt, bag 
die Rompojition bejjer 
Durddadjt und feiner 
abgerundet ijt als in 
den Madrider Bildern, 
daß die Färbung bet aller Bradt bod) von 
groper Harmonie ijt. Das Gemälde ijt fiir 
die Berliner Galerie, bie von Tizian bis: 


ber nur Bildnijie bejag, eine Erwerbung 


von bejonberer Wichtigkeit. 
8] 88 a8 





b SMlujtrierte Rundihau BSSSsssssessss 439 


— | Die liebenswiirdige Kunſt der Exlibris fteht heute, 
) S wo bas Schenten fo jebr erjdwert tjt und wo 
die großen Luxusgaben früherer Zeit zum großen 
Teil unerreichbar find, im Bordergrunde. Die Mo— 
natshefte‘ haben dem anmutigen Kunjtzweig des 
perjönlichen Buchzeichens jhon immer erhöhte Auf: 
mertjamteit bewiejen, wie zahlreiche Wiedergaben 
es Dartun. Auch heute führen wir einige bejon: 
ders glüdlidje Schöpfungen von der Hand Hela 
Peters’, deren Kunſt als Malerin wiederholt zu 
Worte gefommen ift, ben Lejern vor. Die feine 
Hunt der Zeichnerin gelangt in diejen Blättern zu 
bejonders glüdlicher Geltung. Wie bie mustulöje 
Miannergejtalt, bie mit beiden Fauften in die Dor: 
nen und Rofen des Hags greift, den Namen wie 
die Embleme dazu zur Redten und Linfen im 
Codel den Beruf und die Staatsangehörigkeit bes 
Beſitzers andeutend, ein ausdrudsvolles Buchzeichen 
für einen Schafjenden, jo ijt bie feingliedrige, jchleier: 
umwebte, ro: 
jenfrangende 
Frauengeſtalt 
des mittleren 
Buchzeichens 
in der Anmut 
der Linienfüh— 
rung und Auffaſſung ein ideeller Vorwurf für das 
Bibliothefszeichen einer Frau. Çin reizender Ge: 
dante liegt bem oberjten, wohl für ben Gatten der 
&ünjtlerin bejtimmten Bibliothetszeichen zugrunde. Im 
Hintergrund das Elternpaar unter dem Lebensbaum, 
vorn im blumigen Graje das Kind, zur Geite die 
Laute, mit der YWeltfugel jpielend und |o in Willen: 
Ihaft wie Kunſt unmertlich bineingleitenb, nicht fern 
: per ihm ue 
> — IR eſchützende 
Pak Göttin der 
> 4 Lernenden, 

w Pallas 
| * Athene. — 
| | ne i 
| D ein nes d "alls 2 
| A5; | * Wert der | ` £LIL 

) Kleinkunſt ty 












~~ 
— 





E 
d a LIBRIS 


4 







bieten wir SS 
in der Die: W ie wk. 
Daille von x I D TA 
Karl Goeg, die als 9Inbenten für Sanitätsjol: 
Daten — iſt und auch der Dienſte ihrer treuen 
Helfer, der Kriegshunde, in anſprechender Weiſe 
edenkt. Beſonders der raſſige Kopf des Schäfer— 
Dudes, den bas Halsband mit ber Roten Kreuz: 
medaille jdjmíidt, verrät den geübten Blid des 
iportfunbigen Künftlers, an deffen Kriegsipott: 
medaillen pm unjere Lefer gern aus ben erjten 
Seiten bes Kriegs erinnern werden. Sn den Krieg 
und feine Schreden führt aud) die meilterhafteBülte 
des von der — Entſchloſſenheit des Kampfes 
A. eelere inenwerfers von Brofejlor Eduard 
s TLSNMI h 4 A = hc eyrer (n. ©. 368), einem Mitglied ber Holzbild: 
ch la IN. k | QUA teres aus Tirol, von ber der Bater Joſef 
RENNPN d ? J |  Beyrer und der Oheim Heinrich burd) zahlreiche 
| HK D k ON A Werte frommer Empfindung aus Jüddeutjchen 
Kirchen beitens befannt find. Mittelbar im Zu: 








: Bücherzeichen von Hela Peters: Ebbede in Göttingen 


440 BS3ne9eoeoeeheg Muftrierte Rundihau 333333323334 


jammenbang mit dem großen Erleben der 
Gegenwart S ebt aud) bas Krauſeſche Bild 
‚Stahlguß‘ (nad) ©. 352), in bem die jchwere 
Arbeit des Heimdienftes ben Kämpfern bie 
Zafep ſchmiedet, und in nicht minderem 
Maß das Gemälde Peter v. Hammes (nach 
S. 400), in deſſen 
ſchmerzvoller Frauen— 
erſcheinung etwas von 
dem unendlichen Jam— 
mer dieſer Blutopfer 
ittert, während das 
gr ©. 424 u. 425 eingr⸗ 
Ichaltete) Reiterbildnis 
den Arnolds das 
orträt eines Ulanen= 
offigiers, des Majors 
p. Willi), vor bem 
intergrund der Com: 
resbóbe, etwas vom 
freien Atem des Feldes 
in den Drud der Dei: 
matlichen Gegenwart 
bincinbringt. Das Bild 
iit Draußen an der Cote 
orraine — ent[tanber, 


unb es find darauf order 





Jahrhunderte, bei deffen Ctruftur bie Cage 
vom Roh Bayard ber pier Haimonsfinder 
per[tánblid) wird, auch unjeren Zeiten un: 
verloren geblieben, zumal burd) bie liebevolle 
Darftelungsfunft einer Reihe von Malern und 
Bildhauern, die uns diejen herrlichen Schlag 
oft mit der Gtrenge 

altmeijterlicher 9ruffal- 
jung wie bei Fahren— 
brud) — er ijt ein Sh: 
ler bes verjtorbenen 
ranffurter — Meiſters 
rig Boehle — permit: 
teit haben. Raſſig wie 
immerfommt Hugo von 
P binis mit bem 
Porträt einer türfijdjen 
Dame(n.S.344),bei bem 
beſonders die Farbenzu⸗ 
ſammenſtellung, durch 
die es in virtuoſer 
Weiſe geglückt iſt, dem 
überreichen Cdymud 
eine ihn durchaus un— 
aufdringlich wirkenlaſ⸗ 
ſende Unterlage zu ge— 
ben, zu bewundern iſt. 


in liebenswürdiger An— Sanitäter-Denkmünze von Karl Goetz in München In zwei entgegenge— 


paſſung an die Wünſche 
des Auftraggebers vier Ritter des Eiſernen 
Kreuzes J. Klaſſe vereinigt, die ſämtlich 
einer feinen Diviſionskavallerieabteilung 
angehören. Sie wies übrigens noch einen 
fünften Träger der Auszeichnung auf, der 
zur Zeit ber Gnt|tebung des Bildes aber 
ablommandiert war. Der Unterfdied zwi- 
Er ein[t und irt. wie er a. B. in ber Krieg» 
brung zum 9[usbrud fommt, tann nidt 
deutlicher werden, als 
wenn man dem Idmet- 
digenKavalleriftengaul 
des Porträts die der: 
ben, ſtarlknochigen Bra: 
banter Edyimmel des 
Fahrenbruchſchen Bil- 
des gegenüberjtellt (n. 
©. 376). Diejer pradjt- 
volle Tierichlag hat nur 
in bem gleid)en Dienft, 
in dem man ihn bier 
dargeitellt fieht, als 
gu tier für ſchwere 
alten, (id) in [tart ab- 
gejhwächter Form in 
die jebige Zeit retten 
finnen. Indes ift bie 
Freude an biejem herr: 
lihen Gaul, dem 
Cdjadjt: und Turnier: 
pferd 





jegte Pole der deut 
ien umftrittenen Heimat führen bie 9tabie 
rung von Paul Paejchte, ber in das Fluten 
und Branden bes 9erfebrs an der Gannos 
wigbriide in Berlin hineinbliden läßt (nad 
©. 420), während Wilhelm Claudius, ein 
Madhfomme des Wandsbeder Boten, in den 
weltabgejchiedenen Frieden eines herbitlichen 
Altländerbauernhofes geleitet (nad) ©. 846). 
Cnbolid, um den Friedensausflang des 
Heftes vollzumadhen, 
mags [fid Der fin: 
nige Dichter Karl Ernft 
Rnodt, der ‚Wald: 
pfarrer‘, wie er [id 
mit Borliebe nannte, 
wie rofeljor Wil: 
elm Bader ihn er: 
abt hat (nad) ©. 412 
eingejchaltet), STEI 
Dem fräftigen ib 
bes neutralen ‚Tulpen: 
[reunbes' auf dem Hin: 
tergrunb feiner blü— 
genon gelder (Titel: 
ild von Glja Preup- 
ner) und der Deut: 
Iden Gartenblumen im 
Spanforb des AI: 
brechtſchen Gtillebens 
ſeite (nad) ©. 408) GC 


cijenftarrender Canitater- Dentmiinge von Karl Goe in Münden laffen. $. 


Nachdruck verboten. Alle Rechte vorbehalten. Zuldriften an bie Echriftleitung von Velhagen A Klafings | 

Monatsheften, Berlin V 50. — Für bie Ecdhriftleitung verantwortlich: Hanns don Zobeltik in Berlin, 

— Für Citerreihh: Ungarn Herausgabe: Frieie & Yang, Wien I. Verantwortlicher Schriftleiter: Ctre | 

Briefe, Wien 1, Braunerfir. 3. Verlag: Velbagen & Klofing in Berlin, Bielefeld, Leipzig, Wien. 
Drud: Fiſcher & Wittig in Leipzig. 


— — — — — — — — — — — 





Velhagen @ Klasings 
EXPORT-ANZEIGER 


» Januar 1918 « 


eo 


No.5 » VII. Jahrg. 








Die deutsche Spielwaren-Industrie 
und das vierte deutsche Kriegsweihnachtsfest. 


BK obigem Titel konnten wir im Dezemberheft 
Nr. 4 hochbedeutsame Worte aus der Feder des 
Herrn Geh. Kommerzienrat Carl Craemer in Sonne- 
berg veröffentlichen. Es sollte eine Parade der deut- 
schen Spielwaren-Industrie folgen. Die immer stärker 
anwachsende Papiernot liess diese Absicht zuschanden 
werden und können wir in dieser Nummer diesem 
grosszügigen Plane nur eine bescheidene Verwirk- 
lichung zuteil werden lassen, 

Deutsche Spielwaren erfreuen sich allüberall in der 
Welt uneingeschränkter Wertschätzung, und die nach- 
verzeichneten Abhandlungen lassen recht sehr erkennen, 
dass der deutsche Fabrikant trotz der Kriegsnöte und 
riesiger Schwierigkeiten seine enorme Schaflensfreudig- 
keit nicht eingebüsst hat, im Gegenteil vielfach eine 


Sé den Fabrikationsbetrieben des Thiiringer Spiel- 

warenerzeugungsgebietes, diz während der ganzen 
Kriegszeit noch nicht stillgesanden haben, gehört 
auch die Firma Carl Harmus jr., Fabrik und Export 
gekleideter Puppen und Spielwaren in Sonneberg 
S.-M. Die bereits im Jahre 1871 gegründete Firma 
hat es verstanden, den Betrieb trotz vieler Einberufungen 
zum Heeresdienst und der Abwanderung eines grossen 
Teiles der weiblichen Arbeitskräfte zur Kriegsindustrie 
aufrechtzuerhalten. In den letzten zwei Jahren war 
die Firma sehr lebhaft für das neutrale Ausland be- 
schäftigt. Die Schwierigkeiten in der Rohmaterial- 
und Stoffbeschaffung brachten eine Verteuerung der 
Preise in ziemlicher Höhe mit sich. Auch behinderte 
der Mangel an Rohmaterialien die Lieferungen manch- 


staunenswerte Anpassungsfähigkeit an die neuartigen 
Verhältnisse bewiesen hat, wie dies auch aus den 
Waren hervorgeht. Möge sich der Lohn in einem 
baldigen guten Frieden zeigen! 


mal sehr, so dass vielfach zu Ersatzstoffen gegriffen 
werden musste, 
Die Haupterzeugnisse der Firma sind Puppen und 
Tiere, und gibt ein in vier Sprachen herausgegebener 
Katalog Aufschluss über mehrere Tausend einzelne 
e D 


» Artikel. 
(Fortsetzung S. 4.) 








GEL wert Se SEE OE, SER et Se JOE EO SE ISI IRI Se 2 Se Set Se XI Ser e e er za eer ele 


Deutsche Uebersecische Bank 


Aktien- Kapital Mk. 30,000,000.—. 


BERLIN W. 8, Mauer-Strasse 39 


seeeceessaee seeusesesess Gegriindet von der Deutschen Bank, Berlin. Seeeeeeseusnseescesceasss 








La OE 
>> zur zur ze Zur Zur za 


Niederlassungen unter der Firma 


Banco Aleman Transatlantico 


i 
Argentinien: Bahia Blanca, Buenos Aires, Cördoba, Mendoza, Rosario de Santa Fé, 
Tucuman. 
Bolivien: La Paz, Oruro. 
Chile: Antofagasta, Concepcion, Iquique, Santiago, Temuco, Valdivia, Valparaiso. 
Peru: Arequipa, Callao, Lima, Trujillo. 
Uruguay: 


Montevideo. 
Spanien: Barcelona, Madrid. 


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Brasilien: Petropolis, Rio de Janeiro, Santos, Sao Paulo. 


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Bremen: Deutsche Bank Filiale Bremen. 
Hamburg: Deutsche Bank Filiale Hamburg. 
Brüssel: Deutsche Bank Succursale de Bruxelles. 


Konstantinopel: Deutsche Bank Filiale Konstantinopel, 
> > > + + > + + + ¢ xut et ¢ + 4 ut xut ux + ¢ + + ¢ ¢ ¢ 4 4 
1917/18, No. 5. 


Vertretungen in: 


4 
D 
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+ 
+ 
* 
+ 
E 
5 
+ 
+ 
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+ 
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Velhagen & Klasings Export- Anzeiger. 


4 Die deutsche Spielwaren-Industrie und das vierte deutsche Kriegsweihnachtsfest. 














Abb. 2. 


Abb. 1. Baby im Steckkissen. 


Fabrikant: 


Einige Erzeugnisse greifen wir heraus und bringen 
sie im Bilde. Die Abbildung 1 zeigt ein Baby in 
Seide gekleidet im Steckkissen aus Rips mit gestickten 
Einsätzen. Die Grösse des Babys beträgt 28 cm. 

Eine bewegliche Puppe stellt Abbildung 2 dar. 
Die 40 cm grosse Puppe ist mit feinem Batisthemd 
mit Spitzen bekleidet und besitzt ein Uhrwerk, wodurch 
die Augen und der rechte Arm mit Flasche in Be- 
wegung gesetzt werden und eine Mamastimme ertönt. 
Die in Abbildung 3 dargestellte, ebenfalls 40 cın hohe 
Trachtenpuppe gehört in die Kollektion der Doppel- 
gelenkpuppen. Bekleidet ist sie mit weitem Flanell- 
rock mit bunten Bändern, weisser Batistschürze, Mieder 
und Häubchen. Abbildung 4 zeigt eine derselben 
Kollektion angehörige Puppe mit besticktem Rüschen- 
kleid und Haube. Eine Grösse von 45 cm weist die 
Doppelgelenkpuppe in Abbildung 5 auf. Sie wird in 
besserer Ausführung mit Batisthemd, Schuh und Striimpfen 
geliefert. Die Puppe hat Porzellankopf mit schöner 
Lockenfrisur und beweglichen Augen. 

Aus der Gruppe der weich 
gestopften Tiere bringt die 
Abbildung 6 einen sitzenden 
Bären aus feinstem Mohair- 
plüsch mit selbsttätiger Brumm- 
stimme. 

Wir könnten in dieser W eise 
noch viele bemerkenswerte Er- 
zeugnisse im Bilde bringen, 
doch hindert uns daran der 

e ~ . Raummangel, die Firma gibt 
| © ^ jedoch Interessenten gern Aus- 
: | || kunft über all die vielen Er- 
CE 8 





zeugnisse, die sich durch ihre 
Güte und Preiswertigkeit einer 
grossen Beliebtheit in den 
Händlerkreisen erfreuen, 
d Unter den bekannten Thii- 
| | ringer Spielwarenfabriken 
| i | nimmt die Firma Cuno & 
Otto Dressel, Sonneberg 
| F | S.-M., eine hervorragende Stel- 
| ; lung ein. 
| Die Gründung des Hauses 
dürfte in den Beginn des 
18. Jahrhunderts fallen; im 
Jahre 1764 sprach ein Vorfahr 
der Familie Dressel schon 
von dem alten Geschäft seines 
„Herrn Vatters‘‘, 

Die Firma verblieb ununter- 


Abb. 5. 
Doppelgelenkpuppe 
mlt beweglichen Augen. 
Fabrikant: 

Carl Harmus jr., 
Sonneberg S.-M. 





Bewegliche 
Puppe mit Stimme. 


Carl Harmus jr., 





| 


Ee, + 
ate, " e 
— LAU ` n uw 
— en EC en j 
Abb. 3. Trachtenpuppe. Abb. 4. Gelenkpuppe. 


Sonneberg S.-M. 


brochen im Besitz der Familie. Sie verdankt der vor- 
bildlichen Tatkraft ihrer Inhaber, die nicht nur ge- 
schaftliche, sondern auch kiinstlerische Ziele verfolgen, 
eine glänzende Entwicklung und ihre Stellung unter 
den führenden Häusern der Spielwaren - Industrie. 

Im Besitze der Firma sind eigene Fabriken von 
gekleideten Puppen (Marke C), Gelenkpuppen (hervor- 
ragende weltbekannte Marke , Jutta“), Lederpuppen 
und gestopften Puppen. Ferner unterhält sie ein sehr 
ausgebreitetes Sortiment in Sonneberger Spielwaren 
allerart, wie Tiere jeder Art aus Papiermasse, Holz, 
überzogen, gestopft, mechanisch usw., ferner Stürzen- 
schläger, Hampelmänner, Schiffe, Pferde und Wagen 
u. dergl. mehr. Sodann unterhält sie auch ein sehr 
umfangreiches Lager in Glas-Christbaumschmuck. 

Der Heim-Industrie gibt die Firma in weitestem 
Masse Arbeit und Brot. Viele Hunderte von Familien 
in Sonnebergs Umgebung, besonders dem sogenannten 
Sonneberger Hinterland, arbeiten, zum Teil ausschliess- 
lich, für die Firma Dressel. 

In der Nacht vom 14. zum 15. Mai 19 14 fiel ein 
grosser Teil der Gebäude einer Brandst ftung zum 
Opfer. Im Jahre 1915 brannte auch ein grosser Lager- 
schuppen am 
Bahnhof  nie- 
der. Unbeirrt 

durch den 
Krieg hat die 
Firma in be- 
deutend ver- 
grossertem 

Massstabe wie- 
der aufgebaut 
und zur Friih- 
jahrsmesse1917 
auch ihre Mu- 
sterausstellung 
in Leipzig ganz 
erheblich und 
mit — betricht- 
lichen Kosten 
erweitert. (Siehe 
Abb.7.) Dasneue 
Musterzimmer 
im ` Messhaus 
„Drei Könige‘‘, Petersstrasse, umfasst 325 qm. — 

Vertreten ist die Firma u.a, in Berlin durch Herrn 
Carl Stahl, Ritterstrasse 85. Auch unterhält sie Ver- 
tretungen an fast allen Hauptplätzen des Auslandes. 
Das Londoner Zweiggeschäft, 9 White Cross Strert 
E.C., erfreute sich bis zum Ausbruch des Krieges eines 





Abb. 6. Brummbär. 
Fabrikant: Carl Harmus jr., Sonneberg S.-M 




















Die deutsche Spielwaren-Industrie und das vierte deutsche Kriegsweihnachtsfest. 5 


ständigen Auf- 
schwungs. 

W eitreichende 
Vorkehrungen ha- 
ben es der Firma 
ermöglicht, trotz 
ausserordentlicher 

Schwierigkeiten 
ihre Betriebe auch 
während des Krie- 
ges  aufrechtzuer- 
halten. 

We kennt noch 

nicht die 
Käthe Kruse- 
Puppen, die all- 
gemein sich die 
Herzen der Kin- 
derwelt erobert ha- 
ben? Immer neue 
Modelle werden 











mit den Jahren 
trotz der tech- 
nischen Schwierig- 
keiten, die ihrer 
Bearbeitung ent- 
vegenstehen, eine 
Vollkommenheit 
in bezug auf For- 
menbildung und 
Ausstattung er- 
reicht, die berech- 
ugt, sie an die 
Seite aller besse- 
ren am Markt be- 
findlichen Puppen- 
köpfe zu stellen. 
Und in Hinsicht 
auf Haltbarkeit 
sind sie als un- 
übertroffen zu be- 
zeichnen, denn 


unter der persön- Abb.7. Aus dem Musterzimmer der Firma Cuno & Otto Dressel, Sonneberg S.-M. jene, aus welchem 


lichen Leitung der 

Frau Professor Kruse in der Werkstätte der 
Käthe Kruse-Puppen in Bad Kösen a, d. Saale 
gefertigt. Diese künstlerischen Puppen sind durch- 
weg 43 cm hoch, aus wasserdichtem Nessel gefertigt, 
also mite Wasser und Seife abwaschbar. Die Grund- 
puppen sind das Hemd- und Hosenmätzchen (siehe 
auch Abbildung Nr. 8). Nach eigenen Modellen wer- 
den Anzüge in dauerhaftem Material angefertigt, wo- 
bei besonders auf reizvolle Farbenzusammenstellungen 
geachtet wird. Die Häkel- und gestrickten Sachen 
sowie Stickereien sind Handarbeit. Ein von der Firma 
herausgegebener, künstlerisch gehaltener Katalog ge- 
währt einen Einblick in die Schaffensfreudigkeit, die 
in der Werkstátte herrscht und gibt zugleich einen 
wertvollen Überblick über die verschiedenen Mo- 
delle, die sámtlich durch Bekleidung gewonnen werden. 
Aus dem Hemdenmatz entstehen reizvolle Mädchen- 
gestalten, wie Püppchen in luftigen Sommer- und 
pelzverbrámten Winterkleidchen, Sportdamen, Schul- 
mädchen, Holländerinnen, tanzende Bulgarinnen usw. 
Der Hosenmatz lässt sich schnell verwandeln in einen 
Schulbuben, Kegelspieler, Soldaten, Bauern, Winter- 
sportler usw. 

Mit den Käthe Kruse-Puppen kann man stim- 
mungsvolle Gruppen zusammenstellen, erwähnt seien 
nur Szenen aus Haus und Hof, Küche und Stube, 

Auch als Kaffeewärmer kann eine solch künstle- 
risch ausgeführte Puppe dienen. 

Die Käthe Kruse- 


Material sie auch 
seien, zerbrechen oder sind brennbar, während ein 
Minerva- Puppenkopf weder zerbrechen noch verbren- 
nen kann. Die Ausführungsarten sind ebenso ver- 
schieden, wıe man sie bei anderen Fabrıkaten hat. Eine 
Grössenlinie hat in das Metall eingeprägtes Haar, eine 
andere glatte Köpfe, auf welche Haarperücken auf- 
zusetzen sind. Jede der Arten wird wiederum mit 
Brustteil und ohne solches, damit sie im Halse dreh- 
bar sind, geliefert. 

Welche Vorbereitungen zur fabrikinássigen Massen- 


-erzeugung dieser Köpfe gehören, geht daraus hervor, 


dass die Fabrikanten hervorragende, Puppenkörper, 
-Glieder und -Köpfe als Spezialität bearbeitende Model- 
leure beschäftigen, Werkstätten für Metallgraveure, Me- 
chaniker, Schlosser, Dreher, Klempner, Farbenspritzer, 
Maler, Augeneinsetzer usw. unterhalten und zahlreiche 
Präge-, Stanz- und Schneidemaschinen, Fallhämmer 
und viele andere Spezialmaschinen, teils mit Dampf- 
kraft, teils elektrisch betrieben, in Tätigkeit haben. 
Zur Friedenszeit befasste sich die Firma gleich- 
zeitig auch mit der Erzeugung von ganzen Puppen- 
körpern, von Köpfen und Gliedern aus Zelluloid, einem 
Material, dessen Wert augenblicklich jedoch zu hoch 

ist, um zu Kinderspielzeug Verwendung zu finden. 
Die Zahl der von der Firma beschäftigten Arbeiter 
ging zur Friedenszeit in die Hunderte, und da auch 
gekleidete Puppen und deren ganze Koniektion in 
Massen angefertigt werden, so sind allein mehrere 
hundert Heimarbeiterinnen 


Puppen bilden für unsere >.00009009009089000900 0000800000096 96H HEHE HEERES fiir dieselbe titig, teils mit 


Kleinen eine Labung, und 
Jubel herrscht überall, wo 
diese Puppen geschenkt 
werden. 
M “*puppenköpfe mit 
der Marke ,, Minerva: 
werden von der Firma 
Buschow & Beck, 
Nossen i, Sa., herge- 
stellt. Wäre der Artikel 
nicht schon vor etwa 30 
Jahren erfunden worden, 
so hätte er während der 
Kriegszeit erfunden wer- 
den miissen, da er wegen 
Mangel an fast allen 
anderen Materialien, aus 





Zuschneiden, Nähen und 
Ausstopfen von Stoffkor- 
pern, teils mit der Pe- 
rückenmacherei, mit Kopf- 
putz, Strumpf- und Schuh- 
macherei, 

Ihren Absatz finden 
die Erzeugnisse des Hau- 
ses Buschow & Beck in 
allen Kulturstaaten. (Siehe 
Abbildung auf Seite 1.) 
|" die Reihen der inter- 

essanten, empfehlens- 
werten Beschäftigungs- 
spiele gehört unstreitbar 
„Der Holzschnitzer". 
Es ist dies ein von der Fir- 


denen man Puppenköpfe 
herzustellen pflegte, un- 
entbehrlich geworden ist, 
— Minerva-Metallpuppen- 
köpfe haben aber auch 


Abb. 8 Hemdenmätzchen. 


Herstellerin: Werkstätte der Käthe Kruse -Puppen, 
Bad Kösen a. d. Saale. 


ma Eduard R. Meyer 
in Chemnitz i.Sa., Post- 
fach 30, herausgebrachtes 
Beschäftigungsspiel zur 
Förderung der Handfertig- 


6 Die deutsche Spielwaren-Industrie und das vierte deutsche Kriegsweihnachtsfest. 





Abb. 9. Beschäftigungsspiel „Der Holzschnitzer“. 
Hersteller: Eduard R. Meyer, Chemnitz i. Sa. 


keit für Kinder und Erwachsene. Ein Karton von 
„Der Holzschnitzer‘‘ enthält sechs verschiedene, ge- 
drehte Holzreifenteile. Diese werden in heissem Wasser 
erweicht, davon können Tiere, wie sie halbfertig und 
fertig bearbeitet dem Karton als Muster beiliegen, 
leicht abgespalten werden. Ein besonderes Schnitz- 
messer erleichtert dann die Vervollkommnung der Tier- 
figuren und schliesslich kann jedes Kind mit den auf 
Wunsch beigefügten sechs Farben die Tiere mittels 
eines feinen Pinsels bemalen. Trotz der Vielseitigkeit 
ist der Karton sehr billig. Die Firma bringt natürlich 
auch grössere Kästen heraus für Geflügel, für Jagdtiere, 
für Menagerietiere, für Haustiere, Für die Kinder und 
Erwachsenen bietet es einen eigenen Anreiz sich die 
Spielwaren selbst anfertigen und eine besondere Samm- 
lung vermittels des Kartons ,,Der Holzschnitzer‘‘ her- 
stellen zu können. Kein Wunder, dass die Firma 
schon recht beträchtliche Aufträge entgegennehmen 
konnte. Die Beliebtheit dieser Spiele wird sich zweifel- 
los noch steigern, handelt es sich doch um ein wirklich 
interessantes und dabei preiswertes Erzeugnis, Zu den 
weiteren Artikeln der Firma gehören ,,erzgebirgische'' 
Miniatur-Volkskunst-Spielwaren, die besonders geschätzt 
sind zur Unterhaltung für gross und klein. Für Sammler 
und als Nippsachen, sowie zu Geschenkzwecken eignen 
sie sich vorzüglich, Es gibt da Bauernstuben, Schulen, 
Märkte, Gärten, Stallungen, Eisenbahnen, Schiffe, Wagen, 
Schlitten und Autos. Auch wahre Prachtstücke befinden 
sich in der reichhaltigen Musterkollektion, wie z. B. 
eine Kirche im Erzgebirge zur Weihnachtszeit. Den 
guten Erzeugnissen „aus dem Erzgebirge‘‘ ist weiteste 
Verbreitung zu wünschen, 
Ft Kinder ein sinniges, unterhaltendes und dabei 
belehrendes Spiel ist das Modellierspiel „Plastic“. 
In einem sauberen, haltbaren Kasten finden sich Be- 
halter fiir die verschiedenfarbige Modelliermasse. Die 
beigegebenen Modellier- 
hölzer dienen zum Model- 
lieren, Ebenen der Flä- 
chen und Abgrenzen der 
Formen. Eine Schiefer- 
tafel ist zum Aufbau der 
Masse in plastischer oder 
Reliefform ebenfalls nö- 
tig und vorhanden. Grös- 
seren Kisten sind dann 
noch eine Anzahl Holzer 
beigefiigt, welche als Ge- 
rippe oder zum Befesti- 
gen grösserer Modelle 
dienen. Plastische Mo- 
delle zum Nachformen 
vervollständigen meist 


die Spiele. An Hand der jedem Kasten 
mitgegebenen Modelliervorlagen kann 
nun jedes Kind sofort beginnen. Fast 
jedes Modell wird mit Rollen, Bällchen 
oder eiförmigen Stückchen angefangen 
und dann durch Fingerdruck zusammen- 
. gefügt. Die schwarze Schiefertafel, die 
zugleich einen guten Hintergrund ab- 
gibt, verhindert auch ein Verschmieren 
der Masse auf andere Gegenstände. Über- 
haupt sind bei diesem Spiele alle un- 
nötigen Formen, Ole usw. vermieden, 
um ein Beschmutzen der Kleider zu um- 
gehen. Gut ausgefallene Modelle kann 
man mit einer Schellacklösung über- 
ziehen, um dieselben, damit fester ge- 
macht, dauernd aufheben zu können. 
Ersatz-Modelliermasse gibt es in allen 
einschlägigen Geschäften zu kaufen. 
Die beigegebene Abbildung Nr. 10 
zeigt zwei Kinder vor einem Modellier- 
kasten in herzlicher Freude über ein 
gelungenes Werk. Mit dieser Art von Spielen hat 
die Firma Otto Manjock, Erste Sächsische Plastine- 
fabrik in Dresden, den Kindern eine genussreiche 
Unterhaltung verschafft und es ist nur zu natürlich, 
dass immer weitere Kreise sich immer mehr dafür 
interessieren. Die Herstellungsmöglichkeit der Firma 
ist jedoch mit diesem Spiel noch nicht erschöpft. Sie 
bringt u. a. noch „Plastic“-Spiele für Perlen- und 
Muschelarbeiten, Kriegs- und Geländespiele, Fröbel- 
spiele: „Der kleine Kaufmann“, „Der Bilderkünstler“, 
„Die Kindermarkthalle** u. v. a. m. heraus, Der Um- 
satz der Spiele wächst dauernd, ein Zeichen praktischer 
Verwendbarkeit. 
Di bekannten Spielbälle der Firma Otto May, 
Mechanische Spielballfabrik in Ehren- 
friedersdorf in Sachsen, erfreuen sich einer immer 
mehr steigernden Nachfrage. Die ,,Globus''-Bàlle stellen 
die Spezialitat der Firma dar, Es sind dies mit Schwamm- 
füllung versehene Stoffbälle, die eine grosse Sprung- 
kraft haben. Diese Art von Bällen (siehe Abb. 11 u. 13) 
werden in bunten Farben hergestellt. Beliebt sind 
Bezüge in Nationalfarben, Sie haben sich namentlich 
den ausländischen Markt erobert, weil sie neben der 
hohen Sprungkraft, die die Balle fast den Gummi- 
billen gleichstellt, eine Unempfindlichkeit gegen Hitze 
und Kälte besitzen. Bei Nässe sind sie einfach zu 
trocknen und ist nachdem vielfach eine Erhöhung der 
Sprungkraft bemerkbar geworden. Die Firma ist bis 
zur Grenze der Leistungsfähigkeit beschäftigt, leidet 
jedoch sehr stark an den zur Fabrikation nötigen 
Materialien, wie Filz usw., so dass schon grosse Orders 
zurückgewiesen werden mussten. Auch ein immer 
stärker werdender Personenmangel tritt immer mehr 
zutage. 
Neben den „Globus“ -Bällen fabriziert die Firma 
noch Spielbälle mit Holzwollstopfung. 





Abb. 10. Kinder beim Modellieren, 
Herstellerin des Modellierspieles: Firma Otto Manjock, Dresden. 





Die deutsche Spielwaren-Industrie und das vierte deutsche Kriegsweihnachtsfest. r 


Abb. 11. Abb. 12. 
» Globus''- Ball sechsteilig. 


Eine weitere Besonderheit ist Christbaumschmuck 
(siehe Abbildung 12). Die ges. gesch. Pappbille sind 
weiss lackiert und mit Glasflimmer überzogen. Zum 
Aufhängen am Baume dient ein seidenartiger Henkel. 

Sobald wieder normale Zeiten eintreten, hofft die 
Firma der riesigen Nachfrage nach den vorgenannten 
beliebten Erzeugnissen gerecht werden zu kónnen. 

Kiss Pfiitzenfritzchen‘, so nennt sich ein neues 
" unzerreissbares Künstler- Kinderbilderbuch, das 
der Pfützenfritzchen-Verlag in Nürnberg, 
Bauerngasse 5, der Kinderwelt widmet.  Ausgestattet 
mit etwa 30 vielfarbigen Bildern eines ersten Mün- 
chener Künstlers schildert es in vorzüglich flotten 
Versen in 10 Geschichten die Hauptunarten unserer 
kleinen Lieblinge in lustiger und erzieherisch wirk- 
samer Weise. Seit Struwelpeters 
Zeiten ist dieses empfehlenswerte 
Bilderbuch wieder einmal ein voller 
Schlager, der von der Lehrerpresse 
als „ganz hervorragende Neuerschei- 
nung“ gepriesen wird. In den Käufer- 
kreisen hat die Neuheit begeisterte 
Aufnahme gefunden, wie die guten 
Kaufabschlüsse zur Leipziger Herbst- 
messe zeigten, wo dieser Schlager 
erstmalig ausgestellt war. Das bei- 
gegebene Bildchen stellt eine Wie- 
dergabe des prachtvollen bunten 
Titelbildes dar. Wünschen wir der 
deutschen Kinderwelt viel Vergnü- 
gen beim Studium des ,,Pfützen- 
fritzchens''! 

Ke der im Jahre 1889 von dem 

jetzigen Inhaber der Firma 
Armin Liebmann in Gera 
(Reuss) gegründeten Musikinstru- 
menten-Fabrik werden die in Fach- 
kreisen hochgeschätzten Ziehhar- 
monikas, Marke „Excelsior“, 
fabriziert. 

Die Zug- oder Ziehharmonika 
(französisch Accordéon), auch Berg- 
mannsklavier genannt, weil früher 
fast ausschliesslich nur von Bergleuten, Kohlengruben- 
arbeitern usw. gespielt, ist durch ganz bedeutende Ver- 
besserungen im Laufe der letzten 20 Jahre zu einem 
Volksinstrument im wahrsten Sinne des Wortes ge- 
worden! Namentlich hat hierzu die sehr beliebte Bau- 
art der sogenannten Wiener, auch Italiener genannt, 








Christbaumschmuck. 
Ges. gesch. Pappbälle mit Glasflimmer. 


Fabrikate der Firma Otto May, Mechanische Spielballfabrik, Ehrenfriedersdorf i. Sa. 


(zen 


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* a Dep 





Abb. 14. Neuartiges 
Künstler - Kinderbilderbuch. 


Pfützenfritzchen -Verlag, 
Nürnberg. 


Abb. 13, 
»Globus'- Ball vierteilig. 


wesentlich beigetragen. Die gefällige und handliche 
Form dieser Ziehharmonikas gestattet, chromatische 
Instrumente bis fünf Oktaven in verhältnismässig 
kleinem Format zu fabrizieren, ausserdem ermöglicht 
die Wiener Bauart eine hübsche, ja sogar luxuriöse 
Ausstattung (Neusilber, Perlmuttereinlage usw.), so dass 
diese Instrumente, welche ferner eine angenehme Ton- 
fülle besitzen, sich die Gunst weiterer Volkskreise er- 
obert haben. 

Auch in dem jetzigen, grossen Weltkriege spielt 
die Ziehharmonika eine Rolle, indem viele Tausende 
an unsere Kämpfer in die Schützengräben, an die 
Flotte usw. versandt werden. — 

Ferner fabriziert die Firma Armin Liebmann die 
gesetzlich geschützten Amabile-Musikwerke (mit 
auswechselbaren runden Metall- 
noten), die vorwiegend der Unter- 
haltung für Kinder, in Familien, 
Tanzkränzchen usw. dienen. Diese 
Instrumente erfreuen sich durch ihre 
angenehme, melodiöse Musik einer 
immer weiteren Verbreitung. 

Schliesslich sei noch die als dritte 
Spezialität fabrizierte Simplex- 
Harmonika erwähnt, ein me- 
chanisch spielbares Instrument in 
Bandonionform. Diese Harmonika 
ermöglicht den Unmusikalischen, 
sich eine angenehme Unterhaltung 
zu verschaffen, ja sogar bei etwas 
Übung, Virtuos zu werden! 

Die Instrumente der Firma Armin 
Liebmann sind auf mehreren Welt- 
ausstellungen mit ersten Preisen aus- 
gezeichnet worden, (Siehe Inserat S.15.) 
Ye dem Namen ‚Oleoplast‘ 

bringt die Kunst- und Ver- 
lagsanstalt „Oleoplast“ 
GmbH in Hamburg neuartige 
künstlerische Gemälde - Postkarten 
heraus. Die Karten sind Ölgemälden 
verschiedener Meister täuschend 
nachgebildet. An den Karten glaubt 
man die Pinselführung der Originale wahrnehmen zu kön- 
nen. Ohne Zweifel wird diese Neuheit in weitesten Kreisen 
viel Beifall finden und Sammler werden von den fort- 
schreitend erscheinenden Neuheiten mit Interesse Kennt- 
nisnehmen. Zu Geschenkzwecken und als Zimmerschmuck 
eignen die Oleoplast-Olgemilde-Postkarten sich sehr. 


Stoot 


8 Die Bedeutung der Pumpenfabrikation fiir andere Industrien. 


Die Bedeutung der 
für andere 


‚Apgesichts der hohen Bedeutung, die die Pumpen- 
fabrikation für fast alle anderen Industrien besitzt, 


dürfte es mit Rücksicht auf den 
nach dem Kriege zweifellos kom- 
menden allgemeinen wirtschaft- 
lichen Aufschwung von Interesse 
sein, auf ein grosses Werk für 
Pumpenfabrikation näher einzu- 
gehen. 

Zu den grössten Firmen auf 
diesem Gebiete gehört die im 
Jahre 1871 gegründete und aus 
kleinen Anfängen hervorgegan- 
gene Klein, Schanzlin & 
Becker- Aktiengesellschaft 
in Frankenthal in der Pfalz. 
Der Leiter des Unternehmens, 
aus dem die Mitbegründer Schanz- 
lin und Becker schon nach kurzer 
Zeit ausschieden, war von Anfang 

„an der Ingenieur Joh. Klein, 
Im Gründungsjahre beschäftigte 
die Firma 12 Arbeiter und be- 
fasste sich hauptsächlich mit der 
Herstellung von Armaturen. Nach 
und nach erweiterte sich aber mit 
der Vergrösserung des Betriebes 
auch das Arbeitsfeld; so kam 
besonders die Pumpenfabrikation 
hinzu, die heute von dem Unter- 


nehmen als weltbekannte Spezialität betrieben wird. 
Infolge der rastlosen Tätigkeit des Leiters der Firma 
konnte der in den 70er und 8oer Jahren des vorigen 








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Kommnerzienrat Joh. Klein +. 


2500 PS zur Verfiigu 
die Fabrik erheblich 





Pumpenfabrikation 
Industrien. | 


Jahrhunderts erfolgte allgemeine industrielle Aufschwung 
so wahrgenommen werden, dass die Firma bald zu den 


ersten Unternehmungen ihrer In- 
dustrie gezählt wurde. Im Jahre 
1887 wurde die Firma in eine 
Aktiengesellschaft umgewandelt. 
Heute umfassen die Fabrikanlagen 
einen Gesamtflicheninhalt von 
rund 200000 qm, und die Zahl 
der Beamten und Arbeiter be- 
trägt 4000. Das Aktienkapital 
ist nach und nach auf 3 Millionen 
Mark erhöht worden. 

Die mustergültigen Fabrik- 
bauten sind durchweg sehr tief, 
einstöckig und mit Oberlicht ver- 
sehen; der grösste Wert ist auf 
Übersichtlichkeit, Helligkeit der 
Räume und besonders auf voll- 
kommene Einrichtungen, mo 
dernste Werkzeugmaschinen und 
Vorrichtungen gelegt worden 
Für den Antrieb von mehr als 
1500 Werkzeugmaschinen, für 
Prüffelder und für die Beleuch- 
tung der Fabrik stehen Dampi- 
kessel von 1500 qm Heizfläche, 
ferner 2 Dampfmaschinen, 2 Um- 
former und 1 Turbogenerator nit 
einer Leistung von zusammen 
ng. Wührend des Krieges wurde 
vergróssert, 


Aus der Pumpenfabrik des Werkes ist eine Anzahl 


Europas bedeutendste Trinkwasserversorgung: Landesversorgung Niederstotzingen bei Ulm. 
Die Anlagen wurden ausgeführt von der Klein, Schanzlin & Becker Akt.-Ges. in Frankenthal, Pfalz. 





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Die Bedeutung der Pumpenfabrikation für andere Industrien. 9 





Vorratslager von Simplexpumpen. 


bekannter Pumpenkonstruktionen hervorgegangen. Von 
diesen hat besonders die Kleinsche Una-Pumpe 
grosse Verbreitung gefunden. Gh ichzeitig wurde dem 
Bau von sonstigen Pumpenarten, wie einfacher Kolben-, 
Dampf-, Zentrifugal- und Luftpumpen, als auch dem 
Bau von Kompressoren hohes Interesse zugewandt. In 
neuerer Zeit ist man auch zur Fabrikation von Hand- 
pumpen, wie Frankonia-, Handkolben-, Diaphragma-, 
Abessinier- und Flügelpumpen übergegangen. 

In grósserem Umfange betreibt die Firma heute 
den schon früh aufgenommenen Bau von Zentrifugal- 
pumpen für grosse Fórdermengen und Förderhöhen. 
Aus den Hochdruck-Zentritugalpumpen hat sich die 
bekannte Miniatur - Zentrifugalpumpe „Kleinod“ 
herausgebildet. 

Für die chemisch-technische Industrie hat die Firma 
eine ganze Reihe bewährter Spezialkonstruktionen von 
Zentrifugalpumpen geschaffen, die besonders zur Fórde- 
rung von allen Arten Säuren, Laugen oder verunreinigten 
Flüssigkeiten geeignet sind und vermöge ihrer gut aus- 
gebildeten Schaufelkonstruktionen auch aus hohem 
Vakuum saugen können. Diese Pumpen werden je 
nach der Art der Flüssigkeit aus Bronze, Stahlguss 
oder sonst säurebeständigem Material hergestellt. Für 
die Förderung von schleimigen und breiigen Mas-en 
werden Membran- und Plungerpumpen mit Kugel- 
ventilen geliefert. 

Bei allen Fabrikaten der Firma wird besonders 
darauf geachtet, dauernd Verbesserungen zu schaffen, 
und die Bestrebungen 
und Erfolge des Wer- 
kes in dieser Rich- 
tung sind auch all- 
seits anerkannt wor- 
den. Die (Jualität 
des zu verarbeitenden 
Rohmaterials wird im 
eigenen Laboratorium 
stetseinersorgfältigen 
Kontrolle ^ unterzo- 
gen; ebenso werden 
auch alle ausgehen- 
den  Fertigfabrikate 
ausnahmslos vor dem 
Versand genau ge- 
prüft und probiert. 
Die Gesellschaft ver- 
wendet jährlich für 
den inneren Ausbau 
des Betriebes bedeu- 
tende Summen, um , 
dadurch alle Betriebs- 
zweiye auf moderner 
Höhe zu halten und 





Transportable Diaphragmapumpe. 
Herstellerin: Klein, Schanzlin & Becker Akt.-Ges. in Frankenthal, Pfalz. 


Herstellerin: Klein, Schanzlin & Becker Akt.-Ges. in Frankenthal, Pfalz. 


durch wissenschaftliche Arbeiten und ständige Ver- 
suche auch den Anforderungen der Zukunft gerecht 
zu werden. Auf zahlreichen grossen Ausstellungen 
des In- und Auslandes wurden der Gesellschaft erste 
Auszeichnungen zuerkannt. 

Eine besondere Spezialität der Gesellschaft ist die 
Herstellung der für alle Industrien ausserordentlich 
wichtigen Kondenstöpfe, die der gefahrlosen wirtschaft- 
lichen und selbsttätigen Ableitung des Kondenswassers 
aus Rohrleitungen, Dampfzylindern usw. dienen; von 
Kleinschen Kondenstöpfen, die gleichsam den Standard- 
Kondenstopf darstellen, sind weit über eine halbe Million 
Stück im Gebrauch. 

Die Firma war auch auf der Leipziger Messe mit 
verschiedenen Spezialartikeln vertreten. Ausgestellt 
waren besonders Pumpen für den Export und die Land- 
wirtschaft, wie Handpumpen allerart und die bekannten 
Kleinschen Fliigelpumpen, Diese Pumpentypen nehmen 
innerhalb der ausgedehnten Fabrikation der Firma einen 
besonderen Raum ein; sie werden als Massenfabrikate 
in allen (Grössen und für alle Zwecke hergestellt und 
stets in grossem Vorrat auf Lager gehalten. 

Besondere Erwühnung verdient noch ein Pumpen- 
typ, den das Werk auf Grund seiner langjährigen Er- 
fahrungen zu einer Vollendung herausgearbeitet hat, 
die nicht mehr übertroffen werden dürfte: die so- 
genannten Simplexpumpen (schwungradlose Dampf- 
pumpen) für Kesselspeisung und Wasserfórderung. Sie 
arbeiten bei einem Druck bis zu r5 Atm. und 150 mi 
Fórderhóhe, sind in 
sich geschlossene 
Maschinen, die fer- 
tig zusammengestellt 
und geprüft zum Ver- 
sand kommen, keiner 
schweren Fundamente 
bedürfen, nach Her- 
stellung der Rohr- 
anschliisse sofort be- 
triebsfähig sind und 
in jeder Kolbenstel- 
lung sofort selbst- 
tätig anlaufen, sobald 
Dampf aufgelassen 
wird. Sie besitzen 
grosse Leistungs- 
fähigkeit bei ein- 
facher, solider Kon- 
struktion, geringem 
Raumbedarf und bil- 
ligem Preis. Alle Teile 
sind leicht zugäng- 
lich und auswechsel- 
bar, Gegenüber den 


10 Die Bedeutung der Pumpenfabrikation für andere Industrien. 


Duplexpumpen haben sie den Vorzug grösserer Ein- 
fachheit und dadurch bedingter grösserer Betriebs- 
sicherheit, während die Reparaturkosten er- 
heblich geringer sind, da die Simplexpumpe 
weniger bewegte, dem Verschleiss unter- 
worfene Teile hat; auch bedürfen sie ge- 
ringer Wartung, da wenig Schmierstellen 
und Stopfbüchsen vorhanden sind. Schliess- 
lich ist bei ihnen auch der Dampfverbrauch 
geringer, da nur ein Zylinder unter Dampf 
steht und die schädlichen Räume infolge- 
dessen kleiner sind. Simplexpumpen können 
innerhalb ihrer Leistungsgrenzen 
auf jede Hubzahl eingestellt 
werden, was hauptsächlich bei 
Speisung von Dampfkesseln grosse 
Vorteile bietet, da man die Pum- 
penleistung der Verdampfung des 
Kessels genau anpassen kann. 

Der im Jahre 1897 zum Kgl. 
» Bayer. Kommerzienrat und im 
Jahre 1915 zum  Ehrenbürger 
der Stadt Frankenthal ernannte 
Begründer des Werkes Joh. Klein 
trat 1906 in den Aufsichtsrat über 
und stellte als dessen Vorsitzen- 
der bis zu seinem am 23. Ok- 
tober 1917 erfolgten Tode seine 
reichen Erfahrungen und weit- 
gehenden Beziehungen .in den 
Dienst seines Werkes. An der 
Spitze der A ktiengesellschaft steht 
seit 1906 sein jüngerer Bruder, Direktor Jakob Klein, 
unter dessen tatkrüftiger und umsichtiger Leitung sie 
ihre jetzige Grósse und ihren Weltruf erlangte. 

Es dürfte auf der Hand liegen, dass das Werk 
wührend des Krieges in weitestem Umfange auch in 










Kleins Flügelpumpe. 
Herstellerin: 
Klein, Schanzlin 
& Becker Akt.- Ges., 
in Frankenthal, Pfalz. 








LITT „an 


den Dienst des Heeres und der Marine gestellt worden 
st; geliefert werden ausser direktem Kriegsmaterial in 
grosser Anzahl Pumpen für Schützengrabenentwässerung 
und andere Kriegszwecke. Im November 1916 trat 
die Gesellschaft in eine Fabrikationsgemeinschaft zu 
der weltbekannten Lederfirma Cornelius Heyl] in 
Worms, der 
sie ihre reichen 
technischenEr- 
fahrungen zur 
Verfügung 

stellte und so 
die Teilnahme 
an Arbeiten für 
den Heeresbe- 
darf in weitem 
Masse ermög- 
lichte. Ferner 
wurde kürzlich 
in Pirmasens 
eine Zweigfa- 
brik mit etwa 
600 Personen 
angegliedert. 
Die Gesell- 
schaft hat sich 
dadurch ein 
anerkennens- 
wertes Ver- 
dienst auch in 
nationalem wie 
humanitärem Sinne erworben, indem sie durch Um- 
stellung bisheriger an Arbeitsmangel leidender Be- 
triebe der Leder- bzw. Schuhfabrikation in solche der 
Kriegsindustrie es Hunderten von Arbeitern und 
Arbeiterinnen ermöglichte, auch weiterhin lohnenden 
Erwerb an ihren Heimatorten zu finden. 

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Kleins Kondenstopf. 
Herstellerin: 
Klein, Schanzlin & Becker Akt.- Ges, 
in Frankenthal, Pfalz. 


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Manner der Industrie. — Biicherbesprechungen. 11 





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He! Kommerzienrat August 

Ventzki in Graudenz, 
der Begründer der Maschinen- 
fabrik gleichen Namens, hat 
als Ingenieur seine hohen tech- 
nischen Kenntnisse, die er in 
Friedenszeiten so oft bewiesen 
hat, sofort nach Ausbruch des 
Weltkrieges dem kriegstech- 
nischen Gebiete zugewendet. 
Auch hier blühten ihm grosse 
Erfolge und in Anerkennung 
seiner hohen Verdienste ist ihm 
neuerdings vom österreichischen 
Kaiser, bei dessen Armee die 
wichtigen Erfindungen eben- 


Xototototototototorotororotorotototoroterototototc 





Kommerzienrat August Ventzki. 


|» Industrie. 


falls eingeführt sind, das Offi- 
zierskreuz des Franz Joseph- 
Ordens mit Kriegsdekoration 
verliehen worden. Von deut- 
scher Seite aus fanden seine si 
Leistungen gebührende Aner- Q 
kennung durch die Verleihung 

des Eisernen Kreuzes am weiss- : 
schwarzen Bande und verschie- 
dener Orden der Bundesfürsten. 

Der Sultan ehrte den bekannten 
Erfinder durch die Verleihung 

des Eisernen Halbmondes. 
Möge seine technisch - schöpfe- 
rische Tätigkeit noch weitere 
Erfolge zeigen. 


Bücherbesprechungen. 


Türkisch für Offiziere und Mannschaften. Gespräche, 
Wörtersammlung und Grammatik zum Selbstunterricht. 
Mit einem Anhang: Gespräche mit Verwundeten und 
Kranken. Von Wely Bey Bolland. 8°, 156 S., 
steif geheftet mit eingestecktem kleinen Soldaten- 
sprachführer. Mk. 4.80. Verlag von Wilhelm Violet 
in Stuttgart. 

Unsere nach dem Orient abgehenden Soldaten, Pfleger 
und Pflegerinnen können nichts Besseres tun, als sich mit 
diesem praktischen Führer zu versehen. Kenner und Nicht- 
kenner der türkischen Sprache und Schrift werden ihn mit 
gleichem Nutzen verwenden können. Übrigens ist dieses Buch 
infolge seines reichen Inhalts an praktischem Sprachstoff geeig- 
net, jedem Türkisch Lernenden vorzügliche Dienste zu leisten. 


Heliogabal. Von Louis Couperus. Nach dem holl. Original 
übertragen und bearbeitet von Else Otten. Geheftet 
Mk. 6.—, gebunden Mk 7.—. Verlag der Literarischen 
Anstalt Riitten & Loening, Frankfurt a. M. 

Diese Arbeit hat mit der ersten Schilderung des Lebens 
des rémischen Kaisers Heliogabalus von Aelius Lampridius 
nur die nackten Tatsachen der Geschichte gemein. Couperus 
überrascht in seinem Romane ,,Heliogabal“ durch die Fein- 
heit der Motivierungen, die unendliche Mannigfaltigkeit der 
psychologischen Beziehungen, durch die anschauliche Plastik 
der Charaktere, die dramatische Wucht der Handlung und 
den Reichtum der Bilder an gliihenden Farben. 


Indienfahrt. Von Waldemar Bonsels. Geheftet Mk.5.—, 
in Halbleinen Mk. 6.50. Verlag der Literarischen An- 
stalt Riitten & Loening, Frankfurt a. M. 

Bonsels sah das Wunderland Indien mit seinen besonderen 
deutschen Dichteraugen und so sehen und erleben wir es mit 
ihm, wenn wir dieses Buch lesen, das Indiens Wunder in den 
prachtvollsten Worten uns offenbart. 


Indien. Von Dr. Sten Konow, Professor fiir Kultur und 
Geschichte Indiens, Hamburg. (Aus Natur und Geistes- 
welt. 614. Bändchen.) Gebdn. Mk. 1 50, geheftet Mk. 1.20. 
Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1917. 
Bei der besonderen Stellung, die Indien innerhalb des 
britischen Reiches einnimmt, und den Hoffnungen, die man 
vielfach bei uns an diesen Umstand geknüpft hatte, spielt das 
indische Problem in den öffentlichen Erörterungen eine be- 
deutende Rolle. Das vorliegende Bändchen eines eingehenden 
Indienkenners, des schwedischen Gelehrten und jetzigen Pro- 
fessors am Hamburger Kolonialinstitut, Sten Konow, das 
ohne Leidenschaft und Parteinahme in das Verständnis des 
indischen Problems einführt, verdient Beachtung. Die von 
tiefer Sympathie für Indien getragene Darstellung gibt, aus- 
gehend von einer Erörterung der Bodenbeschaffenheit und 
klimatischen Verhältnisse Indiens ein Bild der Bevölkerungs- 
verhältnisse, der Rassen und Kasten, der Sprachen und Dialekte, 
wie der religiösen Verhältnisse, der Volkswirtschaft und Ver- 
waltung des heutigen Indiens. 
Der den Schluss der Darstellung bildende historische 
Überblick legt besonderes Gewicht auf Geschichte und Leistung 
der indischen Kultur. 


Winke für die Anlage und Führung der Registratur 
im neuzeitlichen Geschäftsbetriebe und bei 
Behörden. 

Im Verlag der bekannten Fabrik Stolzenberg, Oos- 

Baden, erschien soeben das oben genannte Werkchen, welches 

eine längst gefühlte Lücke in der Literatur über Bureaubedarf 





ausfüllt und zahlreichen Interessenten willkommene Belehrung 
und Aufklärung über die verschiedenen Methoden der Brief- 
ablage oder Registratur geben wird. 

Die Abteilung Registratur hat bislang an den wenigsten 
Stellen die Würdigung erfahren, die sie verdient, und die 
Auffassung war nicht selten, dass ein gerade von der Schule 
gekommener Lehrling genüge, um die Registratur auf Grund 
einiger flüchtiger, mündlich erteilter Instruktionen zu besorgen. 
Wer das Sıolzenberg-Buch über Registratur gelesen hat, wird 
anderer Meinung sein und einsehen, dass es auch bei der 
Briefablage Probleme gibt, welche gelöst sein wollen, und dass 
die sachgemässe Erledigung der Registratur eine Erfahrung 
verlangt, welche der Lehrling nicht besitzen kann. 

Nicht nur die Selbstgebraucher, also kaufmännische, indu- 
strielle und behördliche Bureaus würden gut tun, ein oder 
mehrere Exemplare des Buches (Preis Mk. 1.—) für ihre 
Registraturbeamten anzuschaffen, sondern auch die Beamten 
selbst sollten die kleine Ausgabe nicht scheuen. Für Handels- 
schulen ist das Werkchen direkt als ein Lehrbuch anzusprechen, 
welches weder in der Bibliothek der Anstalt selbst, noch in 
den Händen der Lehrer fehlen sollte, welche die angehenden 
Jünger Merkurs auszubilden haben. Das Buch bietet den 
Lehrern der Handelswissenschaft mancherlei Hinweise, wie 
sie das praktische Wissen ihrer Schüler nach wichtigen Rich- 
tungen erweitern können, und ganz besonders da, wo Muster- 
kontore den Schulen angegliedert sind, ist das Buch von nicht 
zu unterschätzendem Werte, so dass diese Anschaffung bestens 
empfohlen werden kann. 








— 
KLlat HELM 


FABRIKATION 


Buch- und Kunffdruck 
Lithographie Steindruck 


CSCHONERT 
LEIPZIG 94 


aphifche Kunffariffalt- 








12 Spediteur-Tafel. — Anzeigen. 





Basel (Schweiz). Breslau. Leipzig. 
Hediger & Co., Spedition, Lager- Gustav Knauer, Hofspediteur. Moritz Merfeld. 
haus, gegründet 1730. Uhlmann & Co., gegründet 1353. 
Berlin Danzig. Eibine. | Miinchen-Gladbach. 
— A Adolph von Riesen, gegr. 1808. Internationale Speditions- Gesell- 
Berliner Paketfahrt - Gesellschaft schaft m. b. H. 
Starke & Co., S., Ritterstr. 98/99. | Hamburg. 


Sassnitz a. Rügen. 


M xy & Schaeffer, Export- ý ; e - Ee ES 
EAE e $ Ga Y ir 1" Jordan & Berger Nachf., Bahn- C. Faust jr., Spedition u. Handel 
X * d a i * hofsplatz 1. G.m.b H. Fernspr. 3. 
. Warmuth, Spediteur, \. 2 (Regelmässiger Verkehr nach und 
3 Köln-Miülheim. von den nordischen Lindeni- 
Brasso (Ungarn). Karl Phil, Weber, gegr. 1844, Stettin. 
Ludwig Schmidt, Spezialdienst Auslandsspedition, Schiffahrts- Spediteur-Verein Herrmann & 
für Balkanstaaten. agentur, Lagerei. Theilnehmer. 












Julius Pintsch A.-G. 


Zweigniederlassung Frankfurt a.M. 





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Export- Anzeiger Heft 3, Novbr. 1915. 





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4 Die Leipziger Messen im Dienste des deutschen Kunstgewerbes. 


zu sehen, die entweder zum direkten Verkauf stehen 
oder der Industrie als Modelle dienen sollen, 

Für die hier in Rede stehenden Zwecke wird auf 
der Messe nicht mit Unrecht eine Ausstellung kunst- 
gewerblicher Erzeugnisse verschiedener Art nach dem 
Vorbilde der Museen als abwegig betrachtet. Kropf 
schlägt ein im Zentrum des Messbetriebes liegendes 
Gebäude für die Zusammenfassung der kunstgewerb- 
lichen Messausstellungen vor. Dabei wird die unent- 
geltliche Hergabe der für diese Ausstellungszwecke 
in Betracht kommenden Räume gewünscht. Begründet 
wird dieser Vorschlag: ‚Nur so ist es zu erreichen, 
dass diejenigen Industriellen, die in der Güte einwand- 
freie Dinge erzeugen, sich auch bereit erklären, diese 
gesondert auszustellen. Derartige Industrielle haben 
gewöhnlich bereits langjährige Verträge auf ihre ge- 
mieteten teuren Plätze.“ Kropf ist der Meinung, dass 
man daher von ihnen ‚unmöglich noch Geld für weitere 
Platzmiete verlangen‘ könne, 

Sicherlich ist zunächst einmal diese Geldfrage nicht 
die Hauptseite des Problems. Aber es will uns scheinen, 
als wenn der finanzielle Gesichtspunkt durch diese 
Forderung unnütz stark betont ist. So „geldscheu‘' 
sind glücklicherweise auch im Kunstgewerbe zahlreiche 
Interessenten nicht, dass sie von der Mietfrage ihre 
Beteiligung abhängig machen werden. Aller Wahr- 
scheinlichkeit nach werden die so in Betracht kom- 
menden Sondermieten für die Vertretung auch in dem 
kunstgewerblichen Messpalast für manche Zweige keine 
nennenswerte Rolle spielen. Vielleicht kommt man 
zu dem von Kropf gewünschten Ergebnis schneller, 
wenn man die Möglichkeit ins Auge fasst, nur die- 
jenigen Kunstgewerbezweige, die solcher Unterstützung 
bedürfen, zu begünstigen. Da zudem ja auch zahl- 
reiche Unternehmer kunstgewerblicher Erzeugnisse bis- 
her nicht auf der Messe waren, so fällt für diese der 
Gesichtspunkt doppelter Miete von vornherein fort. Es 
kann allerdings in manchen Fällen nötig und zweck- 
mässig sein, einzelne Vertreter bestimmter Kunst- 
gewerbezweige oder grössere Gruppen zunächst ein- 
mal durch Mietfreiheit oder Mietnachlass für die Be- 
teiligung an diesem Teil der Leipziger Messe zu ge- 
winnen. 

Im übrigen gehen Kropfs Vorschläge darauf hin- 
aus, allerdings durch die Mietfreiheit die Möglichkeit 
einer Art Zulassungsprüfung der auszustellenden Er- 
zeugnisse zu schaffen. Es heisst in dieser Hinsicht: 
„Die Waren, die dieses kunstgewerbliche Messhaus 
zeigen würde, müssten durch eine Kommission aus- 
gesucht werden, die gleichzeitig engste Fühlung mit 
den Fabrikanten, mit den Künstlern und Einkäufern 
unterhalt, die ein sachlich begründetes Verstündnis für 
die Wünsche dieser drei Gruppen hat. Dann würde 
es also ein Ehrentitel sein, in diesem Hause auszu- 
stellen, Eine Abstempelung, die noch weiter unter- 
strichen würde durch die Art der Aufstellung, der Aus- 
gestaltung der Ráume und der Drucksachen, Ist die 
Wahl der Gegenstande getroffen, so wiren sie dem 
Leiter dieses Hauses zu überantworten, der die Auf- 
stellung beaufsichtigt und den Verkehr zwischen den 
Parteien in die Wege leitet," Demnach würde hier 
allerdings der übliche direkte Messverkehr zwischen 
Erzeuger und Einkäufer fortfallen. Es würde sich 
zum mindesten zwischen den Fabrikanten und den 
Händler der sachverständige Leiter des kunstgewerb- 
lichen Messpalastes schieben. Die Idee wird im ersten 
Augenblick manchen Messfreund betremden. Aber 
auch hier wird es sich darum handeln, in der prak- 
tischen Umlernung einige Fähigkeiten zu entwickeln. 
Es schadet jedenfalls gar nichts, wenn sich auch die 
Formen des Messverkehrs weiterentwickeln, für be- 
stimmte Bedürfnisse neue Formen annehmen. Es 
leuchtet ein, dass eine derartige Mittelsperson Wün- 
schen und Anregungen aus kunstgewerblich interes- 
sierten Kreisen gewöhnlich viel objektiver gegenüber- 


stehen wird, als die Erzeuger selbst Umgekehrt 
wird er — entsprechende Fähigkeiten vorausgesetzt — 
nicht selten die Gesichtspunkte neuer kunstgewerblicher 
Richtungen usw. an Hand der für den Messbetrieb 
ausgesuchten Musterexemplare doch recht eindringlich 
zur Geltung bringen können. 

Den Betrieb in dem kunstgewerblichen Messpalast 
denkt sich Kropf im übrigen durchaus ‚‚messgemäss‘“, 
Denn: es muss also, um dem Sinn und dem Zweck 
der Messe zu entsprechen, für den Einkäufer möglich 
sein, in der kürzesten Zeit seine Wünsche und An- 
fragen zu befriedigen. Der Dilettantismus im Kunst- 
gewerbe, der sich bedauerlicherweise auch auf der 
Messe gelegentlich recht breit gemacht hat, müsste 
von der kunstgewerblichen Halle grundsätzlich ausge- 
schieden sein. Begründet wird diese Forderung da- 
mit, dass sonst der Besuch dieses Messpalastes den 
Eindruck des deutschen Kunstgewerbes verderben und 
den wünschenswerten guten Ruf der Messe in dieser 
Hinsicht gefährden könnte. 

Zweifelsohne kann in kunstgewerblicher Hinsicht 
die Messe in Zukunft, selbst wenn die im vorstehenden 
erörterte Idee auch in etwas anderer Form Verwirk- 
lichung findet, noch ausserordentlich viel leisten. In 
nicht wenigen Gewerbezweigen, die bisher auf der 
Messe ausstellten, liegen in der Tat die Verhältnisse 
so, dass infolge Unkenntnis künstlerischer Gesichts- 
punkte und berechtigter kunstgewerblicher Forderungen 
Fabrikate auf manchen Ständen zu sehen waren, die 
bei entsprechender Anregung von den Erzeugern ebenso- 
gut hätten in ästhetisch befriedigenderer Form ausgeführt 
werden können. Gelingt es, in irgendeiner Form die 
Beteiligung des Kunstgewerbes an den Messen wesent- 
lich zu fördern, so wird umgekehrt daraus auch für 
die gewöhnlichen Ausstellungen manche Befruchtung 
gezeitigt werden, Der Kunstgewerbler wird bei man- 
chen Erzeugnissen, die er zur Ergänzung seiner Aus- 
stellungen usw. braucht, die ästhetischen und sonstigen 
Gesichtspunkte zur Geltung bringen können, Dadurch 
werden viele Industrielle, Techniker und Erfinder oft 
auf Gesichtspunkte aufmerksam gemacht werden, die 
ihnen bis dahin mehr oder minder unbekannt waren, 
Es kommt hinzu, dass naturgemäss auch zahlreiche Er- 
zeugnisse für den normalen Messbedarf rein nach den 
Gesichtspunkten der Zweckmässigkeit für einen be- 
stimmten Gebrauch entstanden sind. Erst in der wei- 
teren Entwicklung kann dann die kunstgewerbliche 
Ausgestaltung ins Auge gefasst werden. Das wird 
natürlich bei grosser Beteiligung kunstgewerblicher 
Kreise auf zukünftigen Messen schneller als früher er- 
reichbar sein, Diese Interessenten werden ja neben 
der persönlichen Betonung ihrer kunstgewerblichen 
Anforderungen auch durch Fachpresse, durch Mess- 
vorträge usw. zu wirken suchen. Wir heben diese Ge- 
sichtspunkte darum hervor, um denjenigen Freunden 
der Leipziger Messe, die ebenfalls für entschiedenere 
Heranziehung kunstgewerblicher Interessenten sind, aber 
Bedenken gegen Gratisplätze usw. haben, zu zeigen, 
dass auch auf anderen Wegen dem Ziel mehr oder 
minder nahezukommen ist, 

Für den Gedanken eines kunstgewerblichen Mess- 
palastes mit finanziell unabhängiger Leitung durch ge- 
eipnete Künstler und Kunstgewerbler während der 
Messe macht Kropf noch die Tatsache geltend, dass 
die Leipziger Zusammenkünfte bis jetzt die einzige 
Möglichkeit sind, um die massgebenden Ein- und Ver- 
käufer der Industrie- und Gewerbezweige an einem 
Zeitpunkt zu treffen. Daraus folgert er mit Recht, 
dass es wünschenswert ist, dieses Zusammensein aller 
Faktoren, welche auf Güte und Form der deutschen 
Waren entscheidenden Einfluss haben, auch praktisch 
auszunutzen, um durchgreifende Verbesserungen künstle- 
rischer und ähnlicher Art zu erzielen. Zugegeben muss 
werden, dass bis zu einem gewissen Grade der ge- 
nannte Autor auch recht hat wenn er sagt, dass es 





Österreichs Haarhut- Industrie. — Handelsteil. — Bücherbesprechungen. 


5 





oft den Einkäufern gewisser Warengattungen schwer 
ist, dem Fabrikanten klarzumachen, was in kunst- 
gewerblicher Hinsicht gewiinscht wird, da beide in 
den wenigsten Fallen über das entsprechende Zeichen- 
talent verfügen. Auch die Adresse von Künstlern 
brauchbarer Art für diese Zwecke ist gewöhnlich un- 
bekannt, ja bisher kamen diese Kreise wohl auch 
überhaupt nicht auf den Gedanken, rechtzeitig einen 
Kunstgewerbler hinzuzuziehen. Als Ausweg hieraus 
sieht Kropf den Gang dieser Interessenten auf der 
Messe zur kunstgewerblichen Ausstellung vor, wo auch 
Entwürfe sein sollen, damit hier mit den Künstlern 
oder mit entsprechend gebildeten Vertretern die Fragen 
besprochen werden. 

Wenn wir auch nicht wissen, wann endlich einmal 
wieder Friedensmesse sein wird, so müssen wir uns 
doch klar sein, dass wir auch in dieser Hinsicht Vor- 
arbeiten zu leisten haben. Lassen wir es dahingestellt 
sein, ob die Messversuche in feindlichen und neutralen 
Ländern für die Zukunft Bedeutung behalten oder nicht. 
Auf alle Fälle müssen wir uns klar sein, dass nach 
dem Frieden die Kritik unserer jetzigen Feinde an den 
deutschen Erzeugnissen viel schärfer als jemals früher 
sein wird, Ob der Franzose in den Fragen des Ge- 
schmacks nun tatsächlich immer das Richtige trifft oder 
nicht, kann hier auch unerörtert bleiben, wenn es uns 


nur gelingt, die deutschen Industrien ganz allgemein 
dahin zu bringen, durchweg ihre Fabrikate auf der 
Messe in solcher Beschaffenheit auszustellen, dass tat- 
sächlich nicht mehr grobe Verstösse gegen grundlegende 
Gesichtspunkte der künstlerischen Gestaltung und der 
kunstgewerblichen Geschmacksbildung zu verzeichnen 
sind. 

Die Frage der Ausgestaltung der Leipziger Messe 
im Interesse der Qualitätsarbeit und der kunstgewerb- 
lichen Förderung ist sicherlich wichtig genug, um noch 
während der Kriegszeit die Interessenten zu beschäfti- 
gen. Von der glücklichen Lösung auch dieser Frage 
hängt nicht wenig die Zurückgewinnung ausländischer 
Absatzmärkte für die besseren deutschen Fabrikate 
ab. Uns muss jedenfalls daran liegen, in Zukunft noch 
viel mehr als vor dem Kriege durch Qualitätsarbeit zu 
wirken. Die Leipziger Messe ist aber das beste Spiegel- 
bild deutscher Leistungsfähigkeit. Zeigen in zukünf- 
tigen Friedensmessen die ausgestellten Waren der ver- 
schiedenen Branchen, dass neben der Güte der tech- 
nischen Ausführung auch der gute Geschmack 
auf seine Kosten kommt, so wird das dazu 
beitragen, für die deutschen Produkte willig Preise 
seitens der Einkäufer internationaler Art zu erzielen, 
die unserer Volkswirtschaft ausserordentlich zugute 
kommen werden. 


Österreichs Haarhut-Industrie. 


Di im vorigen Jahre in Deutschland verfügte Beschlag- 
nahme der rohen Hasen- und Kaninfelle und das damit 
ergangene Ausfuhrverbot für Hasen- und Kaninhaare hatte für 
die österreichische Haarhut- Industrie eine arge Bedrängnis 
zur Folge. Ja man fürchtete sogar eine Lahmlegung der Be- 
triebe durch den Mangel an Rohstoffen. Die österreichische 
Regierung hat nun nach längeren Verhandlungen mit der 
deutschen Regierung ein Abkommen geschlossen, wonach die 
wechselseitigen Beziehungen durch Entgegenkommen von 
beiden Seiten für die Kriegsdauer und auch für die Über- 


gangswirtschaft aufrechterhalten werden können. Österreich 
gestattet neuerdings die Ausfuhr eines Teiles der auch weiter- 
hin beschlagnahmten Hasen- und Kaninfelle nach Deutschland 
unter der Bedingung, dass das durch Veredlung gewonnene Haar, 
entsprechend der ausgeführten Menge Felle wieder an die öster- 
reichischen Hutfabriken zur Verteilung zurückgeführt werden 
muss. Die deutsche Regierung hat die Ausfuhr des Haares 
genehmigt. Mit der Durchführung der ganzen Geschäfte, in 
Deutschland wie in Osterreich, wurde ein Leipziger Haus be- 
traut. Für den deutschen Fellhandel gewiss eine Auszeichnung! 


Handelsteil. 


50 Jahre Dürkoppwerke. Eine der bekanntesten 
führenden Firmen der Maschinen-Industrie Deutschlands, die 
Dürkoppwerke A.-G., konnte jüngst auf ihr 50jähriges 
Bestehen zurückblicken. Aus den bescheidenen Anfängen 
einer kleinen Werkstatt mit 4 Gehilfen, die der jetzt noch als 
Generaldirektor an der Spitze des Werks stehende Nikolaus 
Dürkopp im Oktober 1867 errichtete, ist unter seiner tat- 
kräftigen und zielbewussten Leitung ein Werk von gewaltigem 
Umfang geworden, dessen Anlagen allein in Bielefeld, Berlin 


und Graz eine Bodenfläche von 300000 Quadratmeter bedecken, 
und das einschliesslich seiner Niederlassungen in Berlin, 
Brüssel, Chemnitz, Graz und Wien 6000 Angestellte und Be- 
amte beschäftigt. Am 1. April 1889 erfolgte die Umwandlung 
der offenen Handelsgesellschaft in eine Aktiengesellschaft mit 
einem Kapital von 2500000 M., das inzwischen auf 4500000 M. 
erhöht worden ist. Die Erzeugnisse der Gesellschaft: Näh- 
maschinen, Fahrräder, Motorfahrzeuge, Milch- und Ölschleu- 
dern geniessen seit Jahren Weltruf. 


Bücherbesprechungen. 


Von Deutschlands Industrie und Kunstgewerbe auf 
der Leipziger Messe. Von Jean Beck, Mün- 
chen. Herausgegeben vom Messamt für die Muster- 
messen in Leipzig. 

In schmuckem äusseren Gewande hat das Messamt für 
die Mustermessen in Leipzig den Wortlaut eines Vortrages, 
den der bekannte Münchener Kunstkeramiker Jean Beck 
kürzlich im Verein für deutsches Kunstgewerbe E. V. in Berlin 
gehalten hat, in Broschürenform herausgegeben und sich da- 
mit ein Verdienst erworben. Herrn Jean Beck, der berufensten 
Persönlichkeit, dieses wichtige Gebiet zu behandeln, ist übrigens 
jüngst vom König Ludwig von Bayern für seine Verdienste 
auf dem Gebiete des deutschen Kunstgewerbes das Verdienst- 
kreuz des heiligen Michael 4. Klasse verliehen worden. Der 
Raummangel gestattet leider ein besonderes Eingehen auf die 
hochwichtigen Ausführungen nicht und so sei nur gesagt, dass 
der Inhalt des Werkchens, ersichtlich aus den nachverzeich- 
neten Angaben, den Leser fesselt und zur restlosen Zustim- 
mung wohl allerseits veranlassen wird. Der Verfasser gibt 
für alle Stände der Industriellen und der Kunstgewerbe- 
treibenden beachtenswerte Fingerzeige, die von hohem Nutzen 
sein können. Inhalt: Geschichte und Bedeutung der Leipziger 
Messe. — Nachahmungen oder Rivalen der Leipziger Messe. 
— Welche Lehren gibt uns die vergangene Zeit? — Wie können 
wir den feindlichen Plänen zuvorkommen? — Die deutschen 
Erzeugnisse. — Berufung erfahrener Fachleute. — Invaliden- 
versorgung. — Aufsteigen betáhigter Kräfte. — Weitere Aus- 
blicke. Kunsthandwerk, Kunstindustrie. Das deutsche 
Kunstgewerbe. — Volkskunst und Heimarbeit. — Die würdigste 
Empfehlung deutscher Erzeugnisse. — Kennzeichnung der 
deutschen Arbeit. — Achtungsvolle Namen und Leistungen. — 


Japanische und chinesische Exportwaren. — Die tatkräftigste 
Vertretung im Auslande. — Schlussworte. 


Die Zukunft des Handelsstandes. Von Ingenieur Max 
Singer. Eine Kampfschrift, herausgegeben vom 
Anzengruber-Verlag Brüder Suschitzky, Wien—Leipzig. 


Der Aufstieg. Neue Zeit- und Streitschriften. No.3. Der 
typische Verlauf sozialer Bewegungen, Von 
Rosa Mayreder. 40 Pfg. — No.45 Friedens- 
vorschläge, Schiedsgerichte, Völkerbund. 
Von Josef Popper-Lynkeus. 80 Pfg. Heraus- 
gegeben vom Anzengruber-Verlag Brüder Suschitzky, 
Wien—Leipzig. 

Der Wirtschaftskrieg. Die Massnahmen und Bestrebungen 
des feindlichen Auslandes zur Bekämpfung des deut- 
schen Handels und zur Förderung des eigenen Wirt- 
schaftslebens. Herausgegeben vom königl. Institut 
für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der Universität 
Kiel. I. Abteilung: England, Bearbeitet von Ernst 
Schuster und Assessor a. D. Dr. Hans Wehberg, wissen- 
schaftlichen Hilfsarbeitern am Institut für Seeverkehr 
und Weltwirtschaft. Mk. 13.50. III. Abteilung: Japan. 
Bearbeitet von Konsul Leo Ulrich, z. Zt. wissenschaft- 
licher Mitarbeiter am königl. Institut für Seeverkehr 
und Weltwirtschaft. Mk. 9.—. Kommissionsverlag 
von Gustav Fischer in Jena. 

Die vorliegende Arbeit soll einen ersten Versuch dar- 
stellen, die ungeheure Zahl der Massnahmen und Bestrebungen, 
der Pläne und Handlungen, die man unter dem Worte Wirt- 
schaftskrieg zusammenfasst und deren Ziel der Kampf gegen 
den deutschen Handel und die deutsche Industrie ist, syste- 
matisch zu ordnen und in einem übersichtlichen Bilde darzu- 





6 Biicherbesprechungen. — Deutsche Werkzeugmaschinen. — Anzeigen. 





stellen. Die Verfasser sahen ihre Aufgabe einmal in dem Her- 
ausarbeiten der grossen Gesichtspunkte, der Hauptziele des 
Wirtschaftskrieges, daneben aber stand die andere Aufgabe, 
soweit ins Detail zu gehen, dass auch der Leser, der nicht 
aus einem mehr wissenschaftlichen oder politischen Interesse 
an diese Denkschrift herangeht, für sein praktisches Interessen- 
gebiet wichtige Einzelheiten erfährt. 

Den vorgenannten wichtigen Büchern dürfte eine weite 
Verbreitung, die sie verdienen, sicher sein. 


Jahrbuch 1918. — Die „Ständige Ausstellungs- 
kommission für die Deutsche Industrie“ hat soeben 
ihr Jahrbuch zur Versendung gebracht. Neben einem warm 
empfundenen Nachruf für den um das Ausstellungswesen 
hochverdienten Geheimen Kommerzienrat Heinrich Lueg 
und einem Hinweis auf den kürzlich auf Anregung aus der 


La 


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Industrie an der Geschäftsstelle der Kommission eingerichteten 
Leseraum enthält das Jahrbuch zunächst einen zusammen- 
fassenden Überblick über die verschiedenen Kriegsmessen 
des Jahres 1917. Dieser Bericht, der aus den Ergebnissen 
der Anstrengungen, die Deutschland, seine Feinde und die 
Neutralen mit der Veranstaltung von Messen gemacht haben, 
Ausblicke für die zukünftige Entwicklung zu gewinnen sucht, 
wird allen, die die Vorbereitung des kommenden Wirtschafts- 
kampfes aufmerksam verfolgen, willkommen sein. Eine längere 
Abhandlung über Rechtsfragen aus dem Gebiete des 
Ausstellungswesens dient dem Zweck, durch Klärung 
der einzelnen Fragen die Ausstellungsbeteiligung für die Zu- 
kunft auf eine festere Grundlage zu stellen. Ein Verzeichnis 
der im Jahre 1917 durchgeführten Ausstellungen sowie der 
bekannt gewordenen Ausstellungspläne bildet den Schluss des 
Jahrbuches, das für alle Wirtschaftskreise, soweit sie sich 
(Fortsetzung 8.7.) 


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Biicherbesprechungen. — Bezugsquellenregister. 7 





in der kommenden Friedenszeit des Werbemittels der Aus- 
stellungen und namentlich der Fachausstellungen bedienen 
müssen, von Bedeutung ist. 


Die neue Wirtschaft. Von Walther Rathenau. Her- 
ausgegeben von S. Fischer, Verlag, Berlin. Geh. Mk. 1.50. 

Die Umschichtung unserer Wirtschaft durch den Krieg 
und durch den Frieden ist das Thema der neuen Schrift von 
Walther Rathenau. Er untersucht das ungeheure Debet, das 
unsere Wirtschaft beim Friedensschluss zu verzeichnen haben 
wird und findet in einfacher, klarer, überzeugender Weise die 
Grundformel für die Heilung. Sie lautet: Steigerung, wo- 
möglich Verdoppelung unserer wirtschaftlichen Produktion. 
Wie diese zu erreichen sei, ist der zweite Gegenstand von 





Rathenaus Untersuchung; und auch hierfür findet Rathenau 
eine klare Formulierung. Diese Rathenausche Zukunftswitt- 
schaft ist gleich weit von einer kommunistischen Utopie wie 
von der zügellosen Freiheit der Privatwirtschaft entfernt. Es 
ist ein Buch, welches man lesen muss. 


Die Praxis der Handelspolitik. Von Max Schippel. 
Herausgegeben vom Verlag für Sozialwissenschaft 

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Der sozialistischen Leserschaft beschert der Verfasser mit 
diesem Buche einen guten Einblick in die Zolltarife sowie die 
Handelsvertragstechnik. Das Buch ist aber auch für Ange- 
hórige anderer Parteien ein wichtiges Nachschlagewerk und 
kann jedem, der sich unterrichten will, empfohlen werden. 





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Velhagen & Klasings Export- Anzeiger. Verantwortlich für die Schriftleitung H. Schönherr, für den Anzeigenteil G. Schräpler, 
g beide in Leipzig. Schriftleitung und Inseratannahme: Leipzig, Hospitalstr. 27. Druck von Fischer & Wittig in Leipzig. & 





Velhagen o Rlasıngs 
EXPORT-ANZEIGER 


» April 1918 » 


Se 


No. 8 » VII. Jahrg. 








Die neue Entwichlung der Weltwirtschaft. 
Von Dr. Karl Buchheim. 


Wen vor dem August 1914 von dem grossen euro- 

päischen Kriege die Rede war, den man damals 
schon erwartete, so fiel es doch kaum jemand ein, ihm 
eine so lange Dauer zu prophezeien, wie er nun tat- 
sächlich gehabt hat. Man meinte, die Unterbrechung 
des internationalen Verkehrs werde den Völkern nicht 
lange erträglich sein, die weltwirtschaftliche Interessen- 
verflechtung werde eine rasche Entscheidung erzwingen. 
Das war ja auch die superkluge Berechnung unserer 
Feinde, dass insbesondere die deutsche Volkswirtschaft 
die Absperrung vom Weltmarkt nicht werde ertragen 
können. Wider all ihr Erwarten ist aber unser Wirt- 
schaitsleben nicht zusammengebrochen. Unsere indu- 
strielle Produktion hat sich den Verhältnissen so an- 
passen können, dass sie die erzwungene Beschränkung 
auf den inneren Markt unseres Reiches und seiner Ver- 
bündeten ohne dauernden Schaden erträgt. Der Krieg 
hat uns gegen unseren Willen aus dem Mechanismus 
des internationalen Austauschsystems herausgenommen 
und hat uns bewiesen, dass wir nicht so abhängig vom 
Weltmarkte waren, wie wir selber glaubten. Dieser 


Nachweis unserer verhältnismässigen Unabhängigkeit 





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Argentinien: Bahia Blanca, Buenos Aires, Cördoba, Mendoza, Rosario de Santa Fé, 
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^ Bolivien: La Paz, Oruro. 

Chile: 
M Peru: Arequipa, Callao, Lima, 
^ Uruguay: Montevideo. 
A Spanien: Barcelona, Madrid. 
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Y Brasilien: Petropolis, Rio de Janeiro, Santos, Sao Paulo. 
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i Auszahlungen e Einziehung von Wechseln und Dokumenten e Besorgung aller sonstigen Bankgeschäfte 
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Velhagen & Klasings Export- Anzeiger. 1917/18. No. 8. 


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ist geeignet, das Bewusstsein unserer Kraft nachdrück- 
lich zu verstärken. Die alte Weisheit bewährt sich 
auch an unserer nationalen Wirtschaft und speziell an 
unserer Industrie, dass Not dem Starken zum Segen wird. 

Die neue Weltwirtschaft nach dem Kriege wird 
nicht wieder völlig in die Bahnen der alten einlenken. 
Wir müssen damit rechnen, dass die grossen über- 
seeischen Märkte Ostasiens, Amerikas und des briti- 
schen Reiches uns stärker verschlossen bleiben werden 
als vor 1914. Gewiss werden nicht alle Blütenträume 
der Pariser Wirtschaftskonferenz reifen. Nach deut- 
schen Qualitätswaren, besonders der elektrischen und 
chemischen Industrie, nach deutschen Farbstoffen und 
Medikamenten und manchem anderen hungert die Welt. 
Bei geschickter Wirtschaftspolitik können wir diesen 
Hunger auch dazu ausnutzen, auch noch anderem deut- 
schen Export wieder Türen zu öffnen, die ihm viel- 
leicht sonst gern verschlossen blieben. Aber man soll 
doch auch ja nicht denken, dass die nun schon fast 
vierjáhrige Zerstörungsarbeit der Ententegenossen an 
allen ihnen erreichbaren Exportpositionen des deut- 
schen Konkurrenten nutzlos gewesen sei, und dass die 
(Fortsetzung S. 4.) 











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4 _: Die-Verwendung von Selbstentladewagen im Eisenbahnverkehr. 


Pläne der Pariser Wirtschaftskonferenz gänzlich ins 
Wasser fallen würden. Das hiesse denn doch wohl 
den ‘starken Willen insbesondere unserer angelsächsi- 
schen Widersacher unterschätzen. Es liegt durchaus 
in der Natur der Sache, dass der Absatz ebensowenig 
wie der Rohstoffbezug in den Ländern gesichert sein 
kann, die politisch unsere Feinde sind und es vorläufig 
auf jede absehbare Zeit hinaus bleiben werden. Selbst 
wenn wir diese Positionen unserer wirtschaftlichen Be- 
tätigung jetzt wiedergewönnen, könnten wir doch zu 
jedem passenden Zeitpunkt erneut aus ihnen geworfen 
werden. Daran müssen wir denken, wenn wir die Be- 
deutung des entwicklungsgeschichtlichen Augenblicks 
für die Zukunft unserer weltwirtschaftlichen Arbeit be- 
greifen wollen. Da uns der Krieg einmal zwangsweise 
aus den überseeischen Verflechtungen herausgenommen 
hat, ist es klug, wenn wir aus der Not eine Tugend 
machen und den Schwerpunkt unseres Rohstoff bezugs 
wie unseres Exports auf Gebiete verlegen, die dem 
Einflusse unserer heutigen Feinde mehr oder weniger 
entzogen werden kónnen, 

Man kónnte nun daraus die Schlussfolgerung ziehen, 
Deutschland müsse sich ein so grosses Stück der über- 
seeischen Welt erobern, dass der wesentliche Teil 
unseres Rohstoff bezugs und unseres Exports dort unter- 
gebracht werden könne. Der blosse Wiedererwerb 
unserer Kolonien kónnte bei weitem nicht genügen. 
Wir würden die pazifischen bei jeder neuen Weltver- 
wicklung wieder verlieren und die afrikanischen auch 
kaum mit fühlbarem Vorteil behaupten kónnen. Ausser- 
dem aber sind die Kolonien, so wie sie waren, gar 
nicht fähig, unsere Wirtschaft in nennenswerter Weise 
zu stützen. Wir müssten also Kolonien erwerben, die 
in ganz anderem Grade leistungsfähig wären, als sie 
uns zur Verfügung stehen, selbst wenn wir unseren 
Besitz in Afıika beträchtlich ausdehnten. Die anderen 
Erdteile aber: Amerika, Australien, Asien, sind kein 
Boden für eine deutsche Kolonialherrschaft mehr, weil 
die Kolonialvölker selbst schon anfangen mündig zu 
werden und aktiv auf die Kolonialpolitik der euro- 
päischen Staaten zu reagieren. Die Vereinigten Staaten 
haben die erste antieuropäische koloniale Weltmacht 
errichtet; die Ostasiaten unter Führung Japans sind 
eben dabei, das gleiche zu tun; die Südamerikaner 
werden folgen. England ist der einzige europäische 
Staat, der sich neben diesen bodenständigen Welt- 
mächten in den überseeischen Erdteilen noch behauptet. 
Für einen anderen ist dort kein Platz, Von diesen Er- 
wägungen gelangt ein neues, höchst beachtenswertes 
Buch von Dr. Karl Hoffmann: ,,Das Ende des 
kolonialpolitischen Zeitalters; Grundzüge eines wirt- 
schaftsorganischen Genossenschafts - Imperialismus“ — 
Leipzig, F.W. Grunow, 1917 — zu dem Schlusse, dass 
das Zeitalter europäischer Kolonialherrschaft auf der 
Erde überhaupt im wesentlichen vorüber sei: Jede 
erneute Betätigung deutscher Weltpolitik am Pazifischen 
Ozean — in Amerika war sie ohnedies schon unmög- 
lich — wäre von diesem Standpunkt aus als zwecklos 
zu verwerfen. Das natürliche Feld dieser Weltpolitik 
wäre dann vielmehr allein der Umkreis der sogenann- 
ten „Alten Welt‘‘: Europa, Vorderasien, Afrika, Der 
Verfasser tritt demgemäss für den folgerichtigen Aus- 
bau unserer Mitteleuropa- und Berlin— Bagdad - Politik 
ein, Statt auf eine grosse kolonialpolitische Herrschaft 
soll die Mitarbeit Deutschlands an der wirtschaftlichen 
und kulturellen Entwicklung der Welt auf einen Ge- 


nossenschafts-Imperialismus der europäischen, balkani- 
schen und vorderasiatischen Staaten gestützt werden. 
In diesem genossenschaftlichen Imperium wäre dann 
nicht, wie im kolonialherrschaftlichen, so wie es Eng- 
land bisher verwirklicht hat, der führende Staat alleini- 
ger Nutzniesser der wirtschaftlichen Leistungen des 
Ganzen. Eine solche Stellung ist nicht mehr möglich, 
und das englische Reich selber wird sich vielleicht 
zu einem allbritischen Genossenschafts-Imperium um- 
bilden, in dem die Dominions mehr und mehr gleich- 
berechtigt neben das Mutterland treten. Das Genossen- 
schafts-Imperium des heutigen Vierbundes könnte sich 
nach Hoffmanns gut begründeten Ausführungen mit 
vielen Rohstoffen, z. B. Kohle, Metallen, Nahrungs- 
und Futtermitteln, schon heute selbst versorgen. Arbeits- 
kräfte wären fast überall vorhanden. Wolle, Baumwolle, 
Petroleum und Öle könne die Türkei liefern, wenn die 
europäischen Verbündeten für die Erweckung ihrer 
Arbeitskräfte und für das nötige Kapital sorgten. Die 
Gegenleistung der Türkei müsste vor allem darin be- 
stehen, dass sie ihre Erschliessung grundsätzlich dem 
Kapital der Bundesgenossen und nicht etwa wie früher 
dem französischen anvertraute. Die noch fehlenden 
eigentlich tropischen Rohstoffe, vor allen z. B. Kaut- 
schuk, müsste Afrika liefern. Die afrikanische Kolonial- 
politik wäre also wieder aufzunehmen, aber nur als 
notwendige Ergänzung, nicht als tragender Pfeiler 
unserer Weltwirtschaftspolitik. Die Aufgabe des deut- 
schen Exportes aber würde nicht mehr die Versorgung 
beliebiger Absatzmärkte auf der Erde sein, ganz gleich 
wo diese liegen, sondern er würde sein Augenmerk 
in erster Linie auf den grossen Markt des Gesamt- 
imperiums aller beteiligten Staaten und Völker zu 
richten haben. Dieser Markt würde ihm dann aber 
fast mit der Sicherheit eines Binnenmarktes in seiner 
ganzen gewaltigen Grösse zur Verfügung stehen und 
könnte ihm nicht von der angelsächsischen Missgunst 
verschlossen werden. Darüber hinaus könnte unser 
Export immer noch auf dem gesamten Weltmarkt er- 
folgreich konkurrieren, wo er es irgend vermag. In 
jedem Falle verfügte er über eine feste Basis inner- 
halb des genossenschaftlichen Imperiums und seine 
vornehmste Aufgabe wäre wahrhaft organisch innerhalb 
der mitteleuropäischen Wirtschaft und Politik. 

Die Weltwirtschaft ist im Begriff, sich in grosse 
Kreise um bestimmte Mittelpunkte zu gliedern. Der 
Krieg erleichtert uns mit seiner gewaltsamen Loslösung 
von der bisherigen weltwirtschaftlichen Verflechtung 
die Aufgabe ungemein, beim Neuaufbau unserer inter- 
nationalen Handelsbeziehungen der allgemeinen Ent- 
wicklungstendenz des Zeitalters Rechnung zu tragen. 
Natürlich ist es Aufgabe unserer Politik, den Kreis 
der wirtschaftlich befreundeten Nationen um die Zen- 
tralmächte Mitteleuropas so weit wie möglich zu ziehen. 
Der Abschluss des Friedens mit der Ukraine und die 
Vertiefung ihres Geyensatzes zu Grossrussland verschafft 
uns gerade jetzt die Aussicht auf einen neuen wirt- 
schaftlichen Bundesgenossen, auf den wir früher gar 
nicht rechnen durften. Die Ukraine deckt nach Osten 
die Stellung an den türkischen Meerengen, wo die 
Brücke von Europa nach Asien führt; sie vermag Roh- 
stoffe zu liefern und wird bei geeigneter Erschlies- 
sung unserem Export bald noch weit mehr Produkte 
abnehmen als jetzt, wo sie immerhin schon land- 
wirtschaftliche Maschinen, Hufeisen und ähnliches 
braucht. 





Die Verwendung von Selbstentladewagen im Eisenbahnverkehr. 


In der Februar - Sitzung des Vereins Deutscher Maschinen- 
Ingenieure behandelte Oberbaurat Diitting obiges Thema. 
Zunachst besprach er die Entwicklung dieser Wagenbauart in 
Deutschland, sowie die Vorteile, welche durch ihre Benutzung 
in Grossbetrieben erreicht werden können, ferner die Gründe 
für die ablehnende Stellung, welche die Eisenbahnverwaltung 
bisher gegenüber dem Wunsche auf ihre Einführung in den 


öffentlichen Verkehr eingenommen hat. Sie beruht darauf, 
dass bei der unvollkommenen Ausnutzung dieser Wagen mit 
einer erheblichen Zunahme der unwirtschaftlichen Leerläute, 
mit einer stärkeren Belastung der Züge und der Güterbahn- 
höfe und deshalb mit einer Steigerung der Verkehrsschwierig- 
keiten zuzeiten starken Verkehrs gerechnet werden muss. 
Selbst wenn es gelänge, eine Bauart für diesen Wagen zu 














Bücherbesprechungen. — Spediteur-Tafel. — Anzeigen. 5 


finden, die allen Ansprüchen des Verkehrs und der Gross- 
betriebe genügt, die also auch eine gute Ausnutzung des 
Wagens verspricht, so kann daraus in der Gegenwart und für 
die nächsten Jahre doch kein Nutzen gezogen werden, weil 
erst eine ausreichende Zahl davon beschafft werden muss und 
hierfür ein Zeitraum von acht bis zehn Jahren erforderlich 
sein wird. Es kommt aber bei den jetzigen hohen Löhnen 
und dem Arbeitermangel, womit auch für die Zeit nach dem 
Kriege gerechnet werden muss, darauf an, baldigst ein Mittel 
in die Hand zu bekommen, das eine erhebli.he Ersparnis an 
Zeit und Handarbeit beim Entladen von schüttbaren Massen- 
gütern aus Eisenbahnwagen herbeizuführen geeignet ist. 

Ein solches Mittel bietet sich in der Verwendung von 





—— —— 


Wagenkippern, die schon seit Jahren mit gutem Erfolge 
für das Überladen von Kohle aus offenen Güterwagen in Fluss- 
schiffe verwendet werden und neuerdings in mannigfachen 
Bauarten auch bei den Grossbetrieben Eingang gefunden 
haben. Auch Krananlagen mit Greifern und Becher- 
werke werden an manchen Stellen mit Vorteil zum Entladen 
von Schüttgütern aus Eisenbahnwagen benutzt. Die Erfah- 
rungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass überall auf dem 
Gebiete der Massenbewegung dıe Maschine mehr und mehr 
an die Stelle der menschlichen Hand treten muss. Dies gilt 
besonders auch für das Entladen der Eisenbahnwagen und 
deshalb ist es geboten, diesen Übergang so bald als möglich 
zu vollziehen. 


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Wir beziehen uns auf den Artikel im 
Export- Anzeiger Heft 3, Novbr. 1915. 


egt man doch die Hoffnung, dass sich mit diesem Lande 


recht rege Handelsbeziehungen anbahnen lassen. Diese An- 


bahuung wesentlich erleichtern will nun das Bulgarische 
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Staatsadressbuch. In sorgfältiger Weise von berufener Seite licher Grundlage, indem die bisher bestander 
zusammengetragen, enthält es eine gewaltige Fülle wissens- Wirtschaftsmassnahmen eschildert, s 

werten Materials. Das starke, in festem Einband vorliegende wicklungs-Richtlinien in ihnen festgestellt, Verüm 
Werk ist in bulgarischer und deutscher Sprache abgefasst und rungsmóglichkeiten in Erwägung gezogen, 
bringt auf über 1200 Seiten u. a. etwa. 34000 Adressen aus auch jene Verhältnisse klargelegt werden, von denen die Y 
Bulgarien und den besetzten Gebieten. Die Anordnung des schaft, die anzuwendenden Methoden und ihr Erfolg k, 
Buches ist wohldurchdacht und übersichtlich. Der dem Werke hängig sind oder doch beeinflusst werden. Dadurch bil 


innewohnende Wert wird wohl bald allseitig anerkannt werden. diese Sammlung von Vorträgen eine Art wirtschaftliche 

: : Landeskunde, die vor allem privatwirtschaftli i 

Das Türkische Reich. Veröffentlichungen des Instituts orientiert ist. f 
für internationale Privatwirtschaft (Welthandels- Das Werk ist in erster Linie für den wirtschaftlic 


Archiv) an der Handelshochschule Berlin. Heraus- Praktiker, also den Industriellen, den Kaufma 
gegeben von Professor Dr. Josef Hellauer. Preis den Bankier, wertvoll, det am den streng sachliche 
Mk.7.—. Verlag Ernst Siegfried Mittler & Sohn, Kgl. Darstellungen, die chit hier geboten werden, ein Urte 
Hofbuchhandlung, Berlin. über die so schwer zu fassenden türkischen Verhält, 

In diesem Werke haben es Fachleute unternommen, ihre nisse sich zu bilden vermag, vielfach auch Yer r 
Erfahrungen und Studien über die Türkei in einer Darstellung finden wird, schon früher empfangene Anschauu 





des Wirtschaftslebens dieses Landes zu verwerten unter Be- bessern. Es ist geeignet, ebenso übertrieben Optimismus 
rücksichtigung der natürlichen und sozialen Verhältnisse, von wie ungerechtfertigten Pessimismus bezüglich der Türkei rk- 
denen jenes abhängig ist. Die Einzelarbeiten sind dabei unter sam zu bekämpfen, r 
einem besonderen, einheitlichen Gesichtspunkte abgefasst, und Gerade wegen dieser Eignung ist das Buch auch Vol TE 
zwar ist es der des kaufmännischen und gewerblichen Unter- wirten irgendwelcher Art, Politikern, Beamten, 
nehmers als auch der des Angestellten, der in und nach der mit der Türkei zu tun haben, sowie jedermann, der an die 
Türkei hin geschäftlich arbeitet oder arbeiten will. Die Ant- eigenartigen, uns jetzt so eng verbündeten Larde Inte 
wort auf viele wichtige Fragen beruht auf wissenschaft- nimmt, wärmstens zu empfehlen. | 





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Bulgarisch-türkische Notizen. 


s sind in neuester Zeit für landwirtschaftliche Ma- 
schinen Höchstpreise eingeführt worden, und zwar: für 
Pflige 69 Lewa, Trieure 186—414 Lewa, Maisrebler 92 bis 
204 Lewa, Mähmaschinen aller Systeme "550 Lewa, Rüben- 
schneidemaschinen 80 Lewa, Dreschgarnituren 10820 bis 
27870 Lewa, Sensen 8—4 Lewa, Sicheln 2 Lewa, Schaufeln 
2.50—3 Lewa, Kreuzhacken 8.50 Lewa, Hauen 3 Lewa. 
Diese Preise sind von der D rektion für óffent'iche Für- 
sorge in Sofia festgesetzt und dürfen in keinem Falle bei 
Strafe überschritten werden. 


— = 


Man hat in der Türkei neuerdings Zwei neue Gesetze her- 
ausgegeben, von denen das erste eine Steuer auf Spielkarten 
betrifft, und zwar werden Spiele von 32, 86 oder 58 Karten 
gleichmássig mit einer Steuer von 5 Piaster getroffen. Diese 
Steuer wird in der Form einer Banderole auf die Pakete ein- 
geführt, so dass man die Karten nicht benutzen kann, ohne 
die Banderole zu zerreissen. Da hier in Konstantinopel, wie 
im ganzen Orient, ausserordentlich viel gespielt wird, be- 
sonders bei den Griechen und Levantinern, so ist leicht aus- 
zurechnen, dass eine derartige Steuer dem Staatsschatz ganz 
ansehnliche Beträge liefern muss. 


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gewesen. Viele Grossfeuer könnten 
bei Vorhandensein von Minimax ! 
vermieden werden. d 
Leopold Frhr. v. Schrenck-Notzing, 
Miinchen. | 


* Unabsehbares Unglück wäre ohne 
Minimax entstanden. Brandaus- 
bruch nachts, Schloss voller Offi- 
ziere und Mannschaften. | Viele 
Menschenleben wären vernichtet 
worden und Wertobjekt von meh- 
reren Millionen Mark verloren ge- 
gangen. v. Wollank'sche 
Rittergutsverwaltung, 
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nichts mehr zu retten gewesen wäre, 
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` Diefer Roman ift das einfache, tiefergreifende Shidfal einer ftarken 
Frau, die ihrem Gatten und feiner Kunft zuliebe aus der Ehe flieht, 
ihre Stelle einer paffenden Frau freimadt und felbft den Verdacht 
der Untreue auf fid) ladet, nur um dem geliebten Manne Olüd und . 
Erfolg zu fhaffen. Jm Rlofter lebt fie ungerechtfertigt, bis fie in N 

hohem Alter ihrem Sohne, dem Sorfttat Stein, die Wahrheit T 

fdenEt, damit zugleich den Glauben an die Mutter, das 
Vertrauen zur Frau überhaupt. Die Begebenheit ift 
bewegt, von frifhem Ausdrud, fpannend im 
Ton. Der Kampf diefer Frau Fommt in feiner 
ganzen tragifchen Kraft zum Ausdrud, 


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überlegen find! Deutfdje, merfet euch 


fir alle Zeiten, daß mit eurer CT E die amerilanifch-englifche Kodak ˖ Geſellſchaft 
chon vor dem Rriege mit Umerifa rund 50 Millionen Mart auf bie Kriegsanleihen unferer Feinde 


zeichnen fonnte! es gibt Beine deutfihen ,Kodats”. 


Diefe Be ` nung alg Gammelname für photographifche Apparate ift falfch; nur die 
Graeugniffe bet an-Rodat-Compagnie find darunter zu verfteben. Wer allgemein jede 
Ramera als Rodat bezeichnet, wirbt, zum Nachteil ber beut(den Snbuftrie, für bie Rodat- 


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Wer im Kriege gelitten hat 


ob körperlich, geistig oder finanziell, braucht deswegen nicht verzagen. Der Krieg hat so 
gründliche Veränderungen hervorgerufen, dass jeder, der den festen Willen hat etwas zu leisten, 
sich auch eine entsprechende Stellung in der Welt sichern kann. Gar mancher, der durch 
körperliche Schäden genötigt war, seinen Beruf zu ändern, ist durch diese Notwendigkeit erst dar- 
auf aufmerksam geworden, dass er auf einem anderen Gebiete viel besseres leisten, viel mehr ver- 
dienen und mehr innere Befriedigung fühlen kann. Die wenigsten Menschen gelangen ja auf Grund 
sorgfältiger Prüfung ihrer Fähigkeiten zu ihrem Beruf. Will man das, so muss man alle diese 
Fähigkeiten erst entwickeln, um sehen zu können, welche am meisten leisten kann. Diese Entwick- 
lung und Prüfung können Sie heute noch vornehmen und Ihr künftiges Leben danach einrichten, 
denn heute stehen viele Bahnen offen, die vor dem Kriege mit sieben Riegeln verrammelt waren. 

Bei sehr, sehr vielen ist der Geist durch die Länge des Krieges mit seinen Strapazen 
Rage worden, und sie betrachten nicht nur die Kriepsjahre als verlorene Jahre ihres 
Lebens, sondern sehen mit Schaudern der Zukunft entgegen, weil sie sich dem Wettbewerb 
geistig nicht mehr gewachsen fühlen. Diesen allen kann geholfen werden. Eine Klinge kann 
im Gebrauch stumpf und schartig werden, aber durch den Schleifstein kann sie nicht nur ihre 
frühere Schneide, sondern noch eine viel bessere bekommen, wenn die frühere den Höchst- 
Ze nicht erreicht hatte. Der Schleifstein allein tut es aber nicht, es bedarf der kundigen 

and des erfahrenen Fachmannes, die nicht alle Klingen nach derselben Schablone schleift, 
sondern jede für sich nach ihrem Härtegrad, ihrer Bestimmung usw. behandelt. 

Alle diese Bedingungen für die bestmögliche Entwicklung Ihrer Fähigkeiten, Ihres Willens 
und Charakters finden Sie in einem Unterrichtskurs (auch brieflich) in Poehlmanns Geistes- 
schulung und Gedächtnislehre. Sie erhalten dabei nicht nur die gedruckten Lehrhefte, sondern 
auch einen lebendigen Unterricht, in dem Ihnen die Erfahrung eines Vierteljahrhunderts an die 
Hand geht und Sie sicher von Stufe zu Stufe führt, wobei Ihr besonderer Fall jede Berück- 
sichtigung finden kann, was bei einem toten Buche unmöglich ist. Verlangen Sie heute noch 
den Prospekt (mit zahlreichen Zeugnissen) von L. Poehlmann, Amalienstr. 3, München A 50, 
lesen Sie ihn sorgfältig durch und Sie werden zur Überzeugung gelangen, dass Sie das ge- 
funden, wonach Sie lange gesucht haben. 








Wer Sprachen leicht, === 
sues Schnell und sicher 


lernen will, der wählt Poehlmanns neue Sprachlehrkurse: „Englisch leicht gemacht“, „Fran- 
zösisch leicht gemacht“, „Italienisch leicht gemacht“, „Russisch leicht gemacht*, „Spanisch leicht 
gemacht“: aufgebaut auf den Grundsätzen von Poehlmanns weltbekannter Gedächtnislehre. Wer 
heute Sprachen lernen will, hat nicht Zeit, jahrelang an einer Sprache zu lernen; er will und 
muss sie in ein paar Monaten geläufig sprechen, lesen und schreiben können. Das erreicht 
man am sichersten durch die Poehlmannschen Sprachlehrkurse, weil diese nicht nur zeigen was 
man zu lernen hat, sondern wie man es leicht lernen und dauernd behalten kann. Daher die 
glänzenden Erfolge! Ein paar Auszüge aus Zeugnissen: „Ich habe bereits mehrfach Sprachen 
nach den verschiedensten Systemen studiert, ohne jedoch die gewünschten Resultate bisher 
zu erzielen, während nach Ihrer Methode tatsächlich ein wirkliches Beherrschen der Sprachen 
schnell und leicht erreicht wird. A. W.* — „Das Werk bietet die beste Gelegenheit, eine 
Sprache in möglichst kurzer Zeit und mit geringerer Mühe als nach den alten Methoden be- 
herrschen zu lernen. E.K.“ — „So laufen auch die auf Ihrer Gedächtnislehre aufgebauten 
Sprachlehrkurse selbst den bekanntesten, brieflichen wie mündlichen Lerntheorien mühelos den 
Rang ab. Der Zeitverlust ist ungleich geringer, der Erfolg aber ein doppelter. G. D.* — Es 
eignen sich diese Lehrbücher, deren Studium in allen Teilen Interesse weckt und fördert, mit- 
hin für alle, welche, ob gut oder wenig begabt, ob mit oder ohne Lehrer, in kürzester Zeit 
eine moderne Sprache lernen wollen. Dr. phil. M. E., Rektor.“ 





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