THE UNIVERSITY
OF ILLINOIS
LIBRARY
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Bu berieben durch alle Buchhandlungen und poft
bien, In der eitungspreisiiße ber beati
Reldspoh unter gen È Riafings Monatöbelte‘
eingetragen. Das erjte Sch (September) tann
fenus bur) die oit: A nitalten en werben.
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meiner Heinen Stadt. Gine a
| Mmoollenbete Romanhaljte. Bon 2
Hermann geil, .. . S
‘tt alte Menges, Ballade von 5
ear von wetiepigg..... . 12 3
Die Abwehrſchlachten in der Š
Champagne und an der :
isne. Mierzehn Bilder (in :
ilebrud) und Text von Š
KaR Vollbehr, Kriegsmaler :
| bet — des deut⸗ i
1 us. $
Rovalis und feine Zeit. Bon :
: wo 3. Bieffer. Mit einem :
ins des Dihters . . . . 29 $
PP Hainhofer in Augs: S
ug Cin Kaufmann, Kunit- x
freund und diplomatijher Agent :
e 17. Jahrhunderts, Bon Dr. :
y Adolf Srüning. Mit vier: E
m Abbildungen. . . . . . Š
wet Shug auf dem Bardan: :
n. Eine Erzählung aus Alba: S
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von Borwin Garlis. . 46
ird Bon Prof, Dr. Mariin
| Sittusbilper 3. a
Ider. Neun Gemälde von
pen Ojfwald in Fatfimiles
og E Text von Dr. Raul
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: C s griebrid Fretja.
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F * breibtiih und aus der
} erkitatt: Künftlertraum. Gil:
y Mller 1917. Bon Prof. Jo:
: gines Gos . EM...
H E ts} pend Ron Hans
d Neues dom B D e d D . e e
i we üd)ertijd) Von
E Karl Gtreder i ‚a MEE
merte Rundfdan: Ein
And: Fund im Schlofie zu
x — Kriegstagebücher von
LM Solibehe und Prof. Max
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Seite
Slevogt — SHolabildwerfe von
Stanislaus Hell — Feitichrift zum
Banden Beitehen des Berliner
Runitgewerbe: Diujeums: Berliner
Gilentunitgug. Bon Hermann
Sn — Zu unjern Bildern . 100
Sunitbeilagen :
„Es wird gefdafft...! Bild:
nis eines U:Boot:Viannes. (Be:
mälde von Prof. Wrnold Bud.
affimileorud . . . . Titelbild
Gelbe °Wjtern. Gemälde von
Carl Piepho. Fatlimiledrud 8—9
ZBájderinnen am Tiberftrand.
Bemälde von Franz Dreber.
afjimiledrud . . . 43—49
ilbnis einer jungen Frau.
"Gemälde von Rudolf Helle,
Fakſimiledruck . . 56—57
Bodjprünge. Gemälde von Proj.
Hanns Pellar. Fakjimiledrud 83—89
Bildnis einer Dame. Gemälde
von Helene von der fechas
Taklimiledrud . . . . . 96—97
(Finidjaltbilber :
In den Dünen. Gemälde von
Prof. Robert Poekel berger.
Tondrud . 59—
Schloß Hartenfteinin Gadjen.
Künjtleriihe Aufnahme von
Ernit ——— in Zwickau.
Tondruck . . 60—61
Bildnisbiijte in Gijen. Bon
Hans Schwegerle. Tondrud 64—65
Hausquartett. Stabterung von
Prof. Ulex Edener . . . 72—73
Rrtegswinter. Gemälde von
Hans Baluj det. Tondrud 80—81
Selbjtandiges Textbild:
General ber Sjnfanterie Otto
von Below, der Führer der
deutichen Armee gegen Italien.
a von — PIERRES
u E ;
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Umjdlagzethnung und Buchſchmuck von
Seinrid) Wieynd in Dresden.
Snjerate :
Morderer WUngeigentetl . . 1-8
Darunter folgende Sonderabteilungen:
Tidterpenjionate 4
lnterridtsanitalten 4
SEtLAuBalen- Ae. e x D
Hotels. 5
MWinterjport u. Wintertur 5
1
Anzeigenteilam Schluß.
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77Iſſer werden nicht alt. So wohl ber
XN 2 Notar Trefz mit feinen jechzig
b EN): a pel s unb jo febr er am
BAZ eben bing, eines Mittags im Mai
de traf ibn der Schlag, und am nad
Fi Ben Morgen trug ſchon der Leichenbitter
~ s Mit feinem Gebilfen bie Nachricht von feinem
4 Lode durch die eritaunte Stadt. „Sa lieber
Bott, ber Trefz,” hieß es überall. „Man
darf bod) feinem mehr trauen. Überhaupt,
—bie alten guten Bürgersleute fterben halt
—--- allmablid) weg, erft voriges Sage nod) der
— "Gdiffirt, und jegt ber Notar Trefz!“
=; Un diejem Vormittag hatte es die Witwe
nicht ruhig. Zwei alte Freundinnen, bie ihr
T beizuftehen gefommen waren, brachten bie
-bergagte Frau burd) die Aufzählung aller
EU pidum den unb alles pelle was durch:
aus nicht vergeflen werden
` Od ung unb taten jelber wenig als reden
und trólten. Und eben diefes wäre entbehr:
> he gewejen, denn die Frau Notarin hatte
—— Jemen Grund untröftlidy zu fein, und war
E: ts. aud) niht. Aber fie war vom fchnellen
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urfte, in Bers
Erleben betäubt, von den plöglich erjtandenen
P Bitwenpfücten und Trauerjorgen beängitigt,
| und bewegte fih in der ungewohnten Frei-
beit nur fchüchtern und traumbefangen,
- indi end nebengu im Gchlafzimmer ihr
Tyrann und Quälgeilt [tillelag, deffen Tod
‚und AU ba Lona jie immer wieder fiir
= Augenblide vergaß und deffen ‚ärgerlich bes
fehlende Stimme wieder zu hören fie immer:
i ~ guigewartig war. Erjdroden unb beflommen
— $8 fie hin und wieder, und jo d es
d m Haufe war, [dien es ihr bod) jeltfam
CR zu fein. Der Notar war nicht leicht ge
| Porben. Mls ein frájtiger und [tolagejinnter
‘Menih, ber fein Leben lang befohlen hatte
| sWelhagen &Riafings SRonatébefte, 32. Jahrg. 1917/1916. 2. Bd.
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n einer fleinen Stadt
3 ‚Eine unbollendere Romanhälfte. Bon Hermann Heffe
3997 33333335 33333933333332?3?3?23332333?333?333333233?(393323333333333333333333033333333333?3?3333323332332?33??3330?33?? 32222329
unb an gute Tage gewöhnt war, hatte er
fih bem Tode niht ohne Grol und Fluden
ergeben und war [djlieBlid) in wahrer Ber»
zweiflung geftorben, da er nicht einjab, warum
er nun, wo die wahrhaft guten Zeiten ber
Altersrube bevorftanden, mitten aus feinem
Leben und Befig hinweg folle. Obwohl E
laute Stimme jdjon gebrochen unb fein Blid
won getrübt war, hatte er bis gum legten
ugenblid gezürnt und gejcholten unb fein
Weib für alles verantwortlich gemati.
Im Erdgeſchoß bes zweiltödigen jchönen
aujes war es feierlich Dm Dort lag bie
mtsftube bes Berjtorbenen, bie nun ges
ſchloſſen war, und der Gebilfe und ber
Lehrling gingen in Gonntagstleidern, ver:
legen » oh über den unerwartet einge:
eiertag, in ber Stadt |pagierer.
BON EDEN
te ganze Stadt wußte nun von bem
Todesfall, und wer über ben oberen Markt
ging, unterließ es niht, aufmerflam und
neugierig nad) bem Trauerhaufe zu jchauen,
bas feit Jahrzehnten dajtand und bas alle
taujendmal gejehen hatten und an dem heute
bod) jeder einen Schein von Ungewohntem,
von Seierlichkeit und großem Ereignis wahr:
nefinen fonnte. Sym übrigen war an bem `
Haufe nichts Auffallendes zu bemerken als
bie gejchlofjenen Laden bes Erdgeicholles,
die thm etwas halbjichlafend Conntáglid)es
aben. Die helle, beinahe jommerliche Sonne
bien flar und weiß auf ben Marftplag unb
auf bie Häufer, auf bie Brunnen und Bante,
und malte treulid) neben jeden Fenfterladen,
neben jede 3Bortreppe, jedes Scharreijen einen
Heinen Schatten. Der große $ in
hund von ber oberen Apothete hatte jeinen
vornehmen Blak neben bem alten, vorge»
neigten Prelljtein an ber Marltede inne, an
Nahdrud verboten, Copyright 1917 by Belhagen A Kiafing 1
2
den Laden bes Buchhändlers und des Huts
machers waren bie neumobijdjen Martijen
sa a eb 0d) vom Bühel herab aus ben
Schulhäufern Hang Rnabengejang dünn und
leicht durch die fröhliche Luft.
egen Mittag, nod) ehe die Schulen fic
aujtaten und den jonnigen, ftillen Plak Ober:
fluteten, fam um die Ede vom Flujje ber
ein Mann oder Herr in gutem Anzug mit
einer hellbraunen £eberta|dje in der Hand
in rubigem Schritte gegangen, [djaute blin:
zelnd den lichten Blas PEE rüdte |pielenb
am [teifen Hute unb ſchritt jicher über den
angen Markt bem Trefgijden au u,
in Dellen Tor er peridjmanb. Im kühlen
lur rüttelte er an beiden Türen und [djien
ürgerlid) darüber, daß feiner ber Angeftellten
ba war. Tann Dien er raih die Treppe
empor, läutete an der Blastüre und trat,
als ibm aufgemadt war, fogleidy ins Wohn»
zimmer, bas eben erft von den beiden Trijtes
rinnen vetlajjen war. (Gr nahm den Hut
vom blonden Ropfe, blidte um fih und rief:
„Mama, wo but bu denn?“
„Bleich, gleich!“ rief fie von Hinten ber.
„Ad grüß’ Gott, Hermann!“
„Brüß’ Gott.“
Er nahm die Hand, bie fie ihm entgegen
e[tredt batte, und nad) einem verlegenen
uten — er mit veränderter, leiſer
timme: „Xebt er noch?“
_ Die Frau, bie [eit dem frühen Morgen
im Zeuge und nod zu feinem Geufzer ge:
tommen war, fant plötzlich auf einen Gejlel,
brad in Tränen aus und jchüttelte den
Heinen Kopf. Verwirrt und etwas unmutig
tat der Eohn ein paar Schritte. Die Frau
war fchnell wieder aufrecht.
„Willſt du zu ihm?” fragte fie.
„Nachher. Wann ift er bent — —?“
„Heut nadt, oder eigentlich, es war jhon
Morgen.“ Und da fie ihn ärgerlich werden
jah, fügte fie jdjnell hinzu: „Ich habe bir
gleih nochmals telegraphiert.“
‚„Eo jo," jagte er. „Sa, ih will einmal
hinüber geben. Ift er im Schlafzimmer?“
Cie ging mit ihm, und als fie bas per:
dunfelte Schlafzimmer betraten, nahm fie
ne Hand. Leiſe führte fie d zu des
aters Bette, wo er jchweigend |tehenblieb,
und jtieß alsdann einen GFenfterladen auf.
Da fam ein Streifen von goldenem Tages:
lit in bie Tüjiernis und Idien bis aum
Lager des Toten hinüber. Diejer la at
mit gerade gerichteten Gliedern und fejtem
Geſicht, und ber Sohn beugte fid) über ihn.
Er fublte, dag ihm nun eine Traurigfeit
wohl anjtiinde, und er hätte gern eine Träne
gezeigt. Dod) als er eine fleine Zeit in das
väterliche Gejid)t geblidt hatte, fand er es
einem eigenen jo ähnlich, daß ihm war, er
ehe fid) jelber alt unb tot, und darüber
apte ibn ein Grauen, jo daß er einige Zeit
ewegungslos verharrte und den Blid nicht
von bem Toten trennen fonnte, Darauf ging
er bebut|am, zog den Laden wieder zu und
winfte der Mutter, binauszulommen,
Herman Helle:
jeines Baters Natur hatte, mußte an fih
nee um nicht ein Wort des Tadels zu
agen. Und die Witwe |pürte es und mertte
wohl, daß fie ftatt bes alten Tyrannen, ber
drüben lag, nun einen jungen babe. Frets
lich, fie fonnte wegziehen, konnte fic) Loss
maden, niemand fonnte fie zwingen, Die
Magd im Haufe zu. bleiben. Allein fie
wußte wohl, jie würde bod) bleiben und bas
alte Leben würde weiter gehen, nicht bejjer
und nicht ſchlimmer. Wer einmal nadges
eben und ein halbes Leben lang einen
—— Willen über ſich gehabt hat, der
muß ſtärker im Rückgrat ſein als die Frau
Trefz, wenn er nochmals ein eigenes und
freies Leben beginnen will.
Nah Tiihe fam ?*Bejud) Zuerſt ber
Altnar Kleinjchmied, bann ber Oberamt:
mann. Gegen ben Aktuar benahm jid) der
Herr Dr. Trefa freundlich, dod) würde:
voll, für den Dberamtmann aber hüllte er
(id) im Berbindlichteit unb feine Lebensart.
Er war — ſeine Zugehörigkeit zum
oberſten Range der ſtädtiſchen Geſellſchaft
von allem Anfange an zu betonen.
Am ſpäteren Nachmittag erſchienen, noch
immer mit ſchwarzen Röcken angetan, der
Gehilfe und der Schreiberknabe, die der
Dottor hatte holen lajjen. Sie mußten im
Hinterjtüblein die |oeben vom Diucter ge:
fommenen Todesangeigen falzen, in ſchwarz—
ranbige Umijchläge jteden und adrejjieren.
Cie taten ihre Feiertagsröde ab, arbeiteten
in Hemdärmeln und taten widerwillig und
bejd)ámt ihre Pflicht, wie Hündlein, bie einen
unerlaubten ose men und nun Aur
gepfifjen fih ihrer Abhängigfeit erinnern,
nwillig durchlas der Gehilfe den erten
Trauerbogen, ber ihm in die Finger fam:
»Jiad) Gottes unerforjd)lidjem Ratſchluß ents
ichlief heute früh gegen jedys Uhr unjer heiß—
eliebter Gatte und Later, Schwager und
heim Anton Friedrich Trefz, Yiotar” ujw.
Wenn der feierlich traurige Ton Deler
Z€rauerbotjd)jaft nidjt völlig echt war, jo
waren es dafür aud) bie Rundgebungen der
Bejuder und Tröjter nicht alle. Wlan wußte
wohl, daß die fleine verblühte Frau Notar
es unter dem harten Regiment des jeligen
Trefa nicht herrlich gehabt babe, unb man
wußte ebenjowohl, wie günjtig ber uners
wartet frühe Hıngang des Vaters für die
Pläne und lusjicjien des Jungen war.
Der war dreißig Jahre alt und hätte eigents
lid) ber Mitarbeiter und Teilhaber jeines
Alten werden folen. Uber der unge Trefz
harte an der Univerjitat ftudiert und fühlte
id) feinem altmodijhen und weniger ges
bildeten Vater fo febr überlegen, daß die
beiden nicht miteinander hatten ausfommen
fónnen. So war ber Sohn, künftiger Zeiten
harrend, einjtweilen fern von der Heimat
im Bureau eines Advokaten unterge)dlupyt
und hatte darauf gewartet, daß fein Water
alt werde und thn bod) nod brauchen und
Statt deffen tonnte er nun,
holen miüjje.
weit über die blübenbjten Dofen bins
aus, fid) geradezu ins warme eft jegen.
8 BR
fiberaus prüdjtig war bas Begräbnis des
Notars am Dritten Tag nad) feinem Tode.
Es gab wohl feinen, ber ben Berjtorbenen
gt batte. Aber bie Teilnahme und
Neugier ber Menjchen drängen fic) gerne zu
jo rajdjen, unerwarteten Todesfällen. Der
gejunDe, wenig naddenfende Bürger, wenn
er vernimmt, es fei ber und Der ganz plötz—
lid) weggeltorben, zudt gujammen und fühlt,
es könnte wohl aud) ibm einmal jo geben.
Er tritt yum Nachbar, jagt: „Weißt du ſchon?“
und fniipft an den Todesfall ernjthaft einige
gangbare Setradtungen über bie Hinfällig-
teit bes menjdjlidjen Lebens. i
Die meijten aber waren zum Begräbnis
gomme weil jie heimlich fühlten, daß ber
lofar Trefz eine von ben guten, weithin
er unentbehrlichen Figuren ihrer
aterjtadt gewejen war. Es gibt in jeder
Ctabt ein Dugend ſolche, ohne die man [id)
bie Bafje und das Rathaus und die Regel:
bahn gar nicht denten möchte, Männer von
auffallender großer Statur mit großen Bärten,
oder glattrajierte vornehme Gelichter, oder
|pige, bagere Alte mit Schnupfdojen und
Stöden. Es find nicht immer die tüchtigjten
und für Das gemeine Wohl bejorgtejten
Männer, aber es find Charafterfiguren,
deren Erſcheinung zum Bilde der Stadt
gehört, deren 9Inblid befriedigt und deren
(Grup man jdjágt. Cin folder war Trefz
gewejen, zudem ein demofratijdher Parteis
mann und Bejiger eines jtattlichen Vermö—
gens. So fam es, daß feine Allernädjiten
wenig um ihn zu trauern fanden, während
er der ganzen Stadt fehlen |djien und
niemand bet der Beerdigung eines fo bedeu-
tenden Mannes fehlen wollte.
Die bejdjeibene Wiutter hatte fein Auge
dafür, fie wünjchte bang unb ermiidet jid)
aus dem Lärm unb QGejdü[t und Reden:
miiffen Diejer Trauertage heraus. Deſto
ftoljer blidte der junge Dr. Tref3 auf
die gewaltige Zahl der Leidtragenden und
nahm den 5* Vater und ſeinem Hauſe
dargebrachten Ehrenzoll wie ein Feldherr
entgegen, zuerſt heimlich vom Fenſter aus,
dann öffentlich und kühn, als er neben der
Mutter feierlich hinter dem Sarge her aus
dem Haufe trat. Der Leichenwagen war
—— — und der Sarg mit
ränzen ganz bedeckt. Angeſichts der Menge
und des langſam anziehenden und hinweg—
fahrenden Sargwagens fing die Witwe ſtill
zu weinen an, der Dekan trat an ihre Seite,
und der Zug begann ſich feierlich zu ent—
falten, während nod) der halbe Markt voll
Wartender [tanb.
Der nádjjite Weg zum Kirchhof wäre durch
bie Kronengaſſe gewejen, aber diefe war gar
pees und es jah aud) weit beffer aus, daß
er Zug, eine Schnedenlinie um den Ort
feines Entjtehens bejchreibend, fid) über ben
In einer Meinen Stadt BESSSOLCLLCGLCLGLaA 8
ganzen langen Marktplatz hin entwidelte,
ellen mäßige Schräge bas Überjehen er:
leidjterte. Als der reichlich geld)müdte Lei-
chenwagen unten gegen Die te bor ti bin
um die Marktecke ſchwenkte, blidte ber hinter:
herichreitende junge Notar einen 9Ingenblid
p unb weidete fein ern|tes Auge am
nblid bes großen Plages, ber rings vom
wogenden Trauerzuge umjcritten unb von
pomii Feierlichteit erfüllt war. Im Zuge
dritten die Männer voran, faft alle mit
STE EN befleidet, deren manche fic) im
onnenſchein ihrer Blantheit erfreuten, wäh:
rend andre, ältere von vergejjenen formen,
in Gig wohlmeinenden 9taubeit dem Inte:
elnden Lichte troßten und nur bie vor:
rüngenben Büſchel feiner Hajenhaare leije
jilbern erjchimmern ließen.
Beim Durdwandeln des Rircdhhofeingan:
ges an der grafigen Mauer vorbei fing die
itwe abermals zu weinen an. Es erging
ihr wie ben meilten, daß bier beim Eintritt
in die fühle Feierabendluft ber Bräberftatt
unb beim Raujchen bes vermoojten Friedhof:
brunnens monde frühere Bänge zum jelben
traurigen Ziele ihr einfielen, vom Gang hin:
term Garge der Grofmutter ber bis zu dem
mit bem eigenen Kinde.
Hod über diefer ganzen Feierlicdfeit aber,
auf halber Höhe des Berges im Graje, lag
derjenige, dem wir die meijten unjerer Ger:
bersauer Kenntnijje verdanken, ber junge
DEAN Lautenjdlager, und jab der ganzen
Sade nachdentlid) zu. Er nahm, trog [einer
Aufmertjamteit für alle heimijchen Greig:
nijje, felten an ihnen jelber teil, ba er fih
unter. vielen Leuten nicht wohlfühlte, aud)
mangeiten ihm bie für jolche Gelegenheiten
vom Brauche geforderten Kleider, die er fid
als ein einjam lebender Menſch ohne Bas
milie lediglich ber Begräbnijje wegen nicht
taufen mochte. Deſto genauer beobadtete
er, was zu jeinen Füßen vorging, und war
vielleicht der einzige, ber bie ganze ‘Bedeu:
tung bieler Vorgänge kannte. Denn er liebte
eine fleine Etadt und wußte: wohl, was
jeder alte Weißbart und jeder grünjdjillernbe
alte Gehrod in einem joldyen Gemeinwejen
bedeuteten. So nahm er an dem Begräbnis
des alten Trefz in feiner Meije herzlich teil
und hätte, wäre es darauf angefommen,
wohl mehr als jeder andre Mitbürger dafür
gegeben, den prächtigen Sem wieder leben:
ig in den Straßen wandeln zu jehen. Es
tat ihm leid um diefe vortrefflide Figur,
unb ba er fie dem Leben verloren wußte,
tat er bas Seine fie bem 9Inbenfen zu retten,
und zeichnete den Notar Trefz aus bem Ge:
dächtniffe in fein Tafchenbud), worin jchon
viele jolche Figuren ftanden und wandelten.
Er nahm bei diejer Gelegenheit, da er den
Alten fertig hatte, eue AG den Jungen
vor, ber ihm in feiner Würde und anj hn:
lichen Trauer taum minder gefiel. Er gerd:
nete mit leichten Strichen, bie ibm teine
Arbeit waren, bie breite Gejtalt vom glän:
genden Zylinder bis zu bem Faltenwurf ber
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-— ` 2 1
1*
4 REECH Hermann Helle: IGeaaaoaoOcGoOgpocGocox3sa
ſchwarzen Hoje, vergaß den leichten Fettwulft
im faftigen Jtaden nicht und nicht das dide,
etwas jchweinerne Augenlid; ja er tat biejen
auszeichnenden Bejonderheiten |o viel Ehre
an, dab fie bald bie Sjauptjadje an dem
Dianne zu fein jchienen. Und ba nun bie
ganze Figur troß ber ernjttraurigen Haltung
etwas burdjaus Frohes, ja Feiltglüdliches
erhalten hatte, gab er dem fo gezeichneten
Manne ftatt des Gejangbuches eine unge:
d Pfingitroje in die Hand. Es wird
päter Zeit fein, Dem Zeichner dieje Neigung
zu gelegentlichen Roheiten näher anzumerfen.
nzwilchen verlief unten im "nattigen
Bottesader die jchöne Feier mit allem Blanze.
Es jprachen, nad) der Rede bes Delans, ber
Stadtjchultheiß und ber Vorjtand des demos
fratijchen Gejangvereins, es |prad) ber Ge:
nior bes Gemeinderates, und wer irgenb
i. zu ben Berechtigten zählen durfte, ver-
äumte Die nme Handlung niht, an bas
offene Grab zu treten, binabgubliden und
eine fleine Handvoll Tannenzweige hinunter
zu werfen, worauf er mit erjchütterten Mienen
urüdtrat, um fic) bie grünen Nadeln vom
ebrod zu wijdjen. Manche zeigten in diejem
Tun eine bedeutende Übung und Be extigung
der Formen, monde hatten aud) Unglü
und jtolperten oder trugen die aufgerafften
SE wieder mit fih hinweg. Der alte
eeljorger jah dem allem in jeiner Giite
ernithaft zu, legte der Witwe tröjtlich bie
Hand auf den Arm und erjab bald den
Yugenblid, EP Schlußverſe zu ermahnen,
ber aus fo vielen alten und jungen Kehlen
ſchön und mächtig empor[tieg und fih in ber
lauen SUtailuft letje berganwärts verlor.
Für ben in feiner grünen Höhe verweilen:
den Hermann Lautenjchlager war es nun
ein n UAnblid, die bunfle Menge in
Haufen und zögernden Gruppen den Fried—
di verlajjen und über den Brühel und die
rüde Le fih ftadteinwarts verlieren zu
leben. Gar manche von den Trauergängern
nahmen den Anlaß wahr, die Bräber der
eigenen Angehörigen zu bejuchen und nod
ein wenig in dem vertrauten Raume zwi:
Iden den jchiefen, grünen Mauern zu ver:
weilen. Alte Frauen biüdten jid) über frijche
oder verwahrlojte Kreuze, Kinder tafteten
auf Grabjteinen den alten Injchriften nad,
junge rauen bogen an lieben Gräbern eine
Rojenranfe und einen verwilderten Efeu—
weig zurecht unb lamen darüber ins Ge-
Gah mit bem Friedhofgärtner, der fih
während der Feier verloren hatte, nun aber
wieder in ber grünen Schürze mit bem Brass
rehen feiner Tätigkeit oblag.
Schön war es auch zu jeben, wie nad
dem Berlaufen ber legten Zögerer der alte
Kirchhof wieder in feine jchattige Rube per,
jant, wie über dem frijchen, gelben Grab-
hügel der Gartner die vielen Rrange ordnete,
wie bie Meijen und Amſeln zurückkehrten,
unb der grüne Wintel fein altes, verzaubert
jdlafenbes Ausjehen wieder gewann. Aud
ber Brühel, die Brühelftraße und die untere
Brüde lagen jebt wieder in ihrer Stille, bie
Rajtanien, [oon gum Blühen geriiftet, batten
ihr Bogelleben in ben Aſten und ihre ſchweren
Schatten um fich ber.
Lautenſchlager war mit feiner heutigen
Arbeit zufrieden und fonnte fid) an feinem
Grashange, jah über bie jpikgieblige, [teils
gebaute Stadt unb das enge Wiejental bin:
weg und blätterte zwijchenein in feinem Tas
Ichenbuche, worin er das Leben diefer jelben
Stadt aufzuzeichnen pflegte. Der junge
Menih war jonderbarerweije einer von den
gang wenigen Gerbersauern, die von ihren
itbürgern mit Mißtrauen und faft mit Ge—
häſſigkeit betrachtet wurden und nicht richtig
mit ihnen zu leben unb zu reden veritan«
den, obwohl er feine Heimatjtadt bejjer
fannte und mehr liebte als irgendeiner.
Schon daß er ein Künjtler geworden war,
pate der Stadt niht; bod) verzieh man es
ibm, da er neuerdings als Zeichner in gro:
Ben Zeitjchriften einen gewijjen Namen ge:
wonnen hatte. Warum er aber, ba er nun
doch mit feiner Runjt Gliid zu haben Iden,
immer bier dp eim jag, jtatt in Jteapel ober
Spanien viel |djónere Gegenden zu malen
oder in Kunſtſtädten mit jeinesgleichen zu
leben, bas verjtand man nicht unb deutete
daran mit Mißtrauen. Ferner [huf er nd
SBerád)ter unb bittere Feinde dadurch, ba
er feit mehreren Jahren feine großen, ſchö—
nen Bilder mit Burgen unb Süttern mehr
malte, wie er früher mehrere bier ausgejitellt
hatte, jonbern jtatt dejjen nichts anderes trieb
als bie Wintel feiner Vaterjiadt und die Fis
guren ihrer Bürger auf fleine Blätter zu zeich-
nen. Das Schlimmite freilich) war aber, daß
er dieje — mit einer leiſen, grauſamen
Ubertreibung ins Komiſche zog und ſchon
ganze Reihen von grotesken Philiſterkarika—
turen, deren jede man in Gerbersau ſehr wohl
kannte, in Blättern veröffentlicht hatte. Jeder
Betroffene zwar hatte ſich getröſtet und das
durch gerettet gefühlt, daß bald nad) ibm
jelber fein Nadybar daran gefommen war;
aber man fand diefe ganze unwiirdige Tä-
tigfeit weder für den Maler nod) für die
Stadt ehrenvoll und fonnte dieje jeltjame
Art von a AL is unb Heimatliebe nicht
begreifen. Es war aud) [hwer mit ibm um:
zugehen. Oft jprad) er wochenlang taum
mit einem Menſchen und trieb jid) in ber
Gegend umber, dann er|djen er plößlich
wieder bet einem Abendjchoppen, tat freund«
ſchaftlich und jchien gar nicht zu wiljen,
wie wenig man ihn liebte.
In 3Birllidjfeit wußte er bas wohl. Er
wußte genau, daß Behagen und Gleid)bes
redtigung für ihn bier in ber Bürgerjdyaft
niemals zu finden waren, daß feine Freuden
unb Gedanten nicmand verjtand und Daß
man feine Rarifaturen für die Miſſetaten
des Vogels anjab, ber jein eigenes lieft bes
ſchmutzt. Dennod febrte er, jo oft er es
eine Zeitlang mit dem Leben anderwärts
verjucht hatte, immer wieder nach Gerbersau
guriid. (Er liebte bie Stadt, er liebte die
P2222 In einer fleinen Stadt BSESESST3E3ZI 5
Landjdaft, er liebte dieje enggiebligen, alten
dujer und flobig gepflajterten Gajjen, er
lebte dieje Bürger und ihre Frauen und
Kinder, die 2.Iten und Jungen, die Reichen
und Armen. Hier in der Baterjtadt gab es
feinen Stein unb fein Ge[idjt, feinen Gruß unb
feine Gebärde, bie er nicht im Innerſten ver»
Honn. — er ſeit Be Rnabenjah:
ren gelernt Dtenjchen zu beobadyten und die
vielfältigen, lieben Wunderlichteiten bes Ae:
bens mit Uufmerfjamfeit zu betrachten, bier
wußte er von jedem Haufe und jeder Perſon
— Geſchichten, hier war alles kleinſte
eben bis in die letzte Falte hinein ihm ver—
traut und durchſichtig. Er hatte auch an
anderen Orten gelebt und Menſchen und
Städte angeſchaut, er war in Rom und Mün—
den und Parts gewefen, hatte fid) an den
Umgang mit geretjten und verwöhnten Mens
Iden gewöhnt, deren hier feine zu finden
waren. Er hatte aud) in Rom und in Paris
gezeichnet, und mandes gute Blatt, aber
nirgends ging fein Bleiitirt jeder launigen
Geringfiigigfett jo treu und aufmerfjam und
0 begliidt nad), nirgends gewannen Die
latter einen fo reinen, gejättigten Aus-
drud, |pradjen nirgends fo rein und innig
bie bejondere Mundart des Ortes. Er wußte
nicht genau, wieviel Berbersauer Philifter:
tum in ibm jelber jtede, bod) wußte er wohl,
daß feine unerbittliche und liebevolle Rennt:
nis bes bieligen Lebens gerade bas war,
was ei von ben Mitbürgern [djieb und
ihnen fremd madjte. Um es fura zu Jagen:
fein ganzes Tun bier war Gelb[tbeobad)tung
und Gelbitironie, und wenn er den alten
errn Tapezierer Linfenheil ober ben jungen
riſeur Wadenhut farifierte, jo fchnitt er
mit jedem Gtriche weit mehr ins eigene
Fleijd als in bas bes Gezeichneten. Und jo
war bieler Sonderling von Riinjtler, ber ben
Ruf eines erdfräftigen Wutodthonen und
naiven Heimatfiinjtlers bejak, in aller Heim:
lichteit ein ganz verdorbener Menih, ba er
d) über einen [djónen und zufriedenen Le-
ens3zuftand IW machte, den er im Herzen
liebte und beneidete. Er ya bie feind—
[elige Abneigung gegen alles intelleftuelle
reiben, bas nur die Bewohnheitsjünder
ao ice afters haben.
iejer junge Mann, ber träg auf feiner
Matte lag unb bas jchöne, heitere Flußtal
betrachtete, war biejes Genujjes gar nicht
wert, und bod) war er leider der einzige
Gerbersauer, ber diefes jelben Benujjes wirt-
lid) fähig war. Und indem er die Karita-
tur bes jungen Trefz nochmals begutadtete,
blieb ibm nicht verborgen, daß biejer Diann
ein ebenjo echter und gejunder Gerbersauer
war wie er felbjt ein entarteter, und daß es
der Zwed und der Wille der Natur jei, an
biejem Orte Weſen zu erzeugen und zu hegen,
bie bem jungen Itotarsjohne glichen und
nicht dem zeichnenden Sronifer. Und wenn
er jeden Prellftein der Stadt aufs treulichjte
abzeichnete, er fonnte fich mit alledem nie:
mals das urtümliche Heimatsredht erwerben,
das er heimlich entbehrte und das der Notar
zu jeder Stunde feines Lebens bejaB und
unbedenklich ausübte.
B] BE 8
Dem jungen Lautenſchlager konnte, als
oem eobadjter und Chronijten des
'ebens feiner Stadt, nicht verborgen bleiben,
was ohnehin von ber Biirgerjdaft beachtet
und viel beiprodyen wurde, daß nämlid) der
junge Dr. Trefz, nod) über bie Erbjchaft des
väterlichen An shens hinaus, mit Cifer dar:
auf bedacht war, in der Baterftadt Ehre zu
gewinnen. Er übernahm feines Baters Nos
tariatsgejchäft. Das alte mejfingene Schild»
lein mit dem väterlichen Namen ließ er weg:
maden und bängte dafür einen großen
Emailſchild mit feinem eigenen Namen auf,
wobei er auf ben Bujak bes Doftortitels
verzichtete. Einige Kollegen und Mißgönner
Ichlojfen daraus, biejer Titel jtehe bem Sohne
Trefz’ überhaupt nicht zu; bod) fand fic) nie:
mand, der das unterjudt hätte, und die feit
Sahren daran gewöhnte Busen: redete
nad) wie vor ben ftudierten Jtotar mit dem
Ihönen Ehrentitel an. -
Mocdte er nun Dottor fein oder nicht,
jedenfalls nahm er jeine Gade in die Hand
wie ein Mann, der Pläne hat und nicht ge:
jonnen ift, auf den Heinjten davon zu vers
— Vor allem gab er ſich Mühe, ſeine
edeutende geſellſchaftliche Stellung von allem
Anfang an zu betonen und zu ſichern. Das
war nun keineswegs leicht und forderte
manches Opfer, denn es gehörte zur Erb—
ſchaft ſeines Alten nicht nur das ſchöne Haus,
Gut und Amt, ſondern auch der alte Ruf
eines er fia Königs in ber demofratijchen
La den jedermann bereit war aud) dem
ohne zu gönnen. Der aber neigte im Herzen
weit mehr zur Beamtenjchaft hinüber, er wäre
ie gerne Referveoffizier geworden und hätte
ie Laufbabn eines Rihters eingejdlagen,
wäre er davon nicht kurzerhand durch feinen
Bater abgehalten worden. Nun ftand er am
Scheidewege, heimlich voll Sehnjudht nad)
der Welt der Titel und Orden, von der Um:
ebung jedoch) wie von der eigenen Vergangens
Beit auf eine bürgerliche Rolle hingewiejen.
Ziele wählte er denn aud) und tat nichts
Dagegen, daß jedermann Die —
Taten feines Großvaters und die vielen Wahls
reden feines jeligen Vaters als ein ſelbſtver—
ſtändliches Guthaben auf ſeine Perſon über—
trug. Dagegen gab erin ſeinem Auftreten eine
unwandelbare Achtung vor Macht und Ehre
kund, entfaltete eine mäßige, doch ſtrenge
Eleganz in der Kleidung und drückte nicht
jede Hand, die fein Vater gedrückt hatte.
Er wohnte bei der Mutter unb genoß jo
den Vorteil, von Anfang an als Herr einer
ftandesgemäßen Haushaltung dagujtehen, wie
er Denn aud) Bejuche met mit der Mutter
gemeinjam machte und empfing. Ohne das
Gejchajt irgend zu vernadjlá| igen, tat er allen
Anforderungen ber Trauerzeit Genüge und
brachte jedes Opfer, das die Gitte verlangte.
Co lentte Hermann Trefz bie Augen feiner
Mitbürger auf fid) und umgab fid) mit ber
ihüßenden Mauer eines tadellojen Rufes,
während feine große unb breite Geftalt gleich
der feines Baters Homa ebot und baldige
Unentbebhrlidfeit ahnen 2
Mander AUltersgenojfe jah mit Neid zu,
wie er von Tag zu Tag gedieh und Ghid
mae Man jah: dies war ein Dlann, Dellen
eg zu jtädtilchen und gejellichaftlichen Ehren
ührte, aur Dtitgliedichaft vieler Beretnsvore
tände und Ausjchülle, zum Hauptmann ber
Feuerwehr, zum Gemeinderat und vielleicht
nod) weiter — Neidloſe Zuſchauer hat—
ten ihre Wonne an dieſem Aufſtieg eines
künftigen Großen und genoſſen in ſeinem
Anblick den Glanz der Heimat, ſie empfanden
dieſen Sieger als ihresgleichen, als einen
glänzenden Vertreter ihrer Raſſe und Art,
und bei bem großen Kreiſe dieſer Gutgeſinn—
ten ward er mit den Jahren, wie es einſt
ſein Vater geweſen war, zum Symbol und
ſchönen Ausdruck echten Gerbersauertums.
Bedauerlicherweiſe ergab ſich zwiſchen ihm
und dem Kunſtler Lautenſchlager, der ihn
ſchätzte und beinahe bewunderte, fein freunds
ſchaftliches Verhältnis. Die beiden waren
nahezu Altersgenoſſen, fie fannten ſich von
den Schuljahren her und hatten ſich bei den
ſeltenen Anläſſen, da ſie einander etwa wie—
der begegnet waren, geduzt und als Schul—
kameraden begrüßt. Nun aber, da Trefz
dieſen Menſchen zum Mitbürger haben und
ihm täglich auf der Gaſſe begegnen ſollte,
trat eine tiefe Abneigung gegen ihn zutage,
wie er fie taum gegen einen andern Lands=
mann empfand. Gr hatte eine Begrüßun
mit ihm vermieden und ibn, fo oft fie (id)
unterwegs begegneten, mit gemejfenem Gruß
abgetan, und Lautenjdlager war darauf ein-
gegangen, er hatte genau in berjelben Weife
zurüdgegrüßt, Jogar mit einer Note von
Hochachtung, aber er hatte dabei feinen fiib:
len, unterjuchenden DMtalerblic nicht abitellen
lónnen, und eben diejer Blid war dem Notar
im Herzen zuwider. Er fand ibn [potti[d)
oder Dod) zu prüfend und heimlich überlegen,
obwohl er nicht |o gemeint war, und er [tellte
fih öffentlich ohne Rückhalt zu denen, bie den
Künjtler als einen meinetwegen begabten,
aber verbummelten und nicht ernſtzunehmen—
ben Mienfdhen bezeichneten.
Nun geldjab es an einem Wintertage kurz
vor Weihnachten, dag Dr. Trefa zur oe:
wohnten Stunde den Heinen Salon des Bars
biers Ölichläger betrat, fih in feinen Gejjel
niederließ und, da es Sonnabend war, den
an bielem Tage [tets aus ber Hauptitadt
eintreffenden ‚Hans Sachs‘ verlangte, ein
beliebtes Wißblatt, bas zu halten in den
guten Familien nicht wohl anging, das die
jüngeren Herren aber im Wirtshauſe oder
beim Friſeur zu finden und zu betrachten
gewohnt waren. Der Barbier, der dem vor—
nehmen Kunden zuliebe einen Reiſenden,
deſſen Bedienung er eben begonnen, dem
Gehilfen überlaſſen hatte, riß lächelnd den
grauen Papierumſchlag von einer daliegens
Hermann Helle: BESSSSeSSeseessesid
den Poftjendung, ſchälte bas Wigblatt ber:
aus und übergab es dem Dottor. „Sie find
ber erjte, ber es lieft, Herr Dottor, es ift
erit vor zehn Minuten angefommen.“
Trefz, dem diefe Bierteljtunde beim Fris
leur immer eine erwünjchte Rubepauje war,
legte feine gi arette auf den Rand bes
marmornen des unb entfaltcte, während
Olſchläger ibm die Gerviette umband, mit
Behagen den neuen ‚Hans Gads. Der
Barbier arbeitete bebenbe mit Geifenpinjel
und Schale, ftets bedacht, ben Gajt nicht
zu ftdren, und biejer bejdjaute mit Bers
nügen bas Titelblatt, bas einen betannten
Hottie als Wöchnerin fariftert daritellte.
eiter fam eine Gerichtsizene, die einen
wider bas Wigblatt jchwebenden Prozeß
daritellte und worin bie Figur des Hans
Cadjs als 9Berurteilter zu jehen war, jams
merlid) nad) gefallenem Spruch jid) zum
Henter wendend, der ihn grinjend erwartete,
Und wieder fam ein politijd)es Blatt, und
dann fam eine Geite, Darunter ftand (le:
ganz in Krähwintel‘, und taum hatte Trefz
das Blatt überjehen, jo faltete er es zuſam—
men und ftedte es in feine Tajche. Der Bars
bier, über bie heftige Bewegung erjchroden,
wid) mit dem Raſiermeſſer vorjuchtig zurüd
und erlaubte fid) einen fragenden blid.
Herr Trefz aber erklärte jid) nicht. Nur
beim Weggehen bat er um die Erlaubnis,
das Blatt mitzunehmen, die Der Meeiſter
wohl ober übel gewähren mußte. Die Zeid:
nung aber, bie von biejem Yugenblide an
den Notar, den Barbier und die Stadt in-
tereffierte, ftellte den Dr. Trefa bar, im
Behrod deforativ allein in weiper Fläche
ftehend, in der linten Hand eine große Pfingit:
roje, in ber rechten den Zylinderhut haltend.
Als Wik war diefe Zeichnung weiter nicht
bedeutend, fie zeigte nur leije angedeutet in
einigen fomijden Falten einen ftillen Wider:
ftreit der febr tadellojen Kleidung mit dem
Körperbau und den Bewegungen (res Trä-
ers, diejer felbjt aber war als Typus feijter
ürgerlid)feit jchön und Iu|tig, mit mehr
Liebe als Bosheit dargeftellt, und bas Blatt
war von Hermann Lautenjchlager gezeichnet.
Die Stadt hatte nun wieder eine Belegen:
beit, fid) über ben frivolen Künitler zu er»
zürnen und dabei verjchwiegen jid) über den
Streich zu freuen, der diesmal einen Anger
jehenen und Wlbelannten traf, und Die
Nummer des Hans Sads‘ ging überall von
Hand zu Hand, wo der Betroffene nicht in
der Nähe war. Diefer felbjt befam nichts
davon zu hören und fonnte mit aller Be:
mübung nicht feititellen, weldes bie Meis
nung der Mitbürger über bie Ungeheuerltd:
teit fei. Denn wagte er es, tm Gelprád)
darauf leije anzujpielen, jo wollte man ent:
weder gar nichts willen, oder man lächelte
leiht unb tat fo, als fei diefe Gade Dod)
nicht wert, daß davon geiprodyen werde.
Dennoch reijte Trefz eines Tages nad) ber
kee unter Mitnahme der jchlimmen
eidjnung, und [prad) bei einem angelebenen
\
ees In einer Heinen Stadt Lee 7
Rechtsanwalt vor, ber ihn follegial empfing
und bem er feinen Wunſch mitteilte, den
Zeichner diejes ehrenrührigen Bildes wegen
— zu belangen. Der Rechtsanwalt
ächelte ganz leicht, als er das Blatt betrach—
tete, und ſagte: „Ja, das habe ich auch ge—
ſehen. Übrigens ein prachtvoller Zeichner.
Und Sie meinen alſo, er habe Sie perſön—
lih in beleibigenber Abſicht taritiert? Cin
gewiſſer Anklang von Ähnlichkeit ift ja vor:
handen, gewiß. Aber das kann für Sie
ebenſogut eine Ehre ſein. Der Reichskanzler
iit ſchon zwanzigmal im ‚Hans Sachs‘ tari:
tiert worden und hat nod nie geflagt.”
Der Anwalt ſchloß damit, bap er von ber
Klage ern[tlid) abriet und Trefz als fluger
Mann jah wohl, daß er burd) öffentliches
Verhandeln die Gahe nicht bejjer machen
tónne. Go ließ er davon ab, behielt aber im
Herzen einen bitteren Haß gegen ben jchänds
lichen Maler, bejjen bojlid)en Gruß er von
nun an nicht mehr erwiderte. Mehrmals
nod) nahm der Riinjtler beim Begegnen jeinen
Hut vor dem Dottor ab, bald ehryurdtsvoll,
bald ironijd, dann geb aud) er es auf, mit
bem Manne in ein Verhältnis zu tommen,
unb lieB thn laufen.
Es war Hodjommer geworden, und die
in bem engen, tiefen Flußtal unbeweglid
SH ende Schwüle machte ben empfindliden
aler jo frant, daß er tagelang zu Haufe
liegen blieb und faum zu den Pen
ausging. Er litt häufig an ſolchen Depre]:
fionen, die ihn mandmal zum Wein in bie
Gajthaujer und zu einem recht unfeinen
Sedjerleben, mandmal aud) auf zielloje Aus:
flüge ins Gebirge trieben, von welchen er
verwahrlojt und abgerijjen wiederzufehren
pflegte, unb diefe Unregelmäßigteiten hatten
viel zu feinem ſchlechten Ruf beigetragen.
Nad eigen ihlaflojen Nächten und mut:
los franten Tagen raffte Yautenjchlager jid)
eines Abends auf und e jeine Woh-
nung in der hochgelegenen Borjtadt. Er trug
feinen gewöhnlichen leichten Sommeranzug
unb hatte einen alten Lodenfragen auf dem
Arme, dazu eine große blecherne Botanijier:
büchje auf Dem Rüden, und in der Hand einen
altmodilchen, feltjamen Spagzierjtod, ben er
von [einem Bater geerbt hatte, und der, von
oben bis unten aus einem gelben jtarten
Holze geichnißt, einen auf einem Bein Weber:
den er Stord — welcher den
Kopf nad) unten bog unb den ſpitzen Schnabel
RRE auf bie Brujt gedrudt hielt.
Mit bieler jelben Ausrüftung hatte der
Conberling feit feinen einjamen unb unbe:
biiteten Gugendjabren viele feiner jchönjten
und auch übeljten Geiten bingebradt. Stod
unb Blechbüchje, antel und Wanderhut
waren ihm Freund und voll von Grinne:
rungen. Langfam und jchwerfällig jtieg er
an ben lebten Häufern der Stadt vorüber
bergan und ins Freie, wo er bald im abend:
lichen Walde verihwand, Er ging nicht den
2 nad, Jondern quer burd) Wald und
Schluchten, bie er von Kind auf tannte, und
im Berganfteigen fühlte er mit Dem Tannen:
ie und dem Whbendwinde tröjtlich die
rinnerungen an hundert jolde Waldnächte
— Aufatmend ſah er von der
etzten Höhe auf die Stadt zurück, wie fie
flein und gedrüdt in ihrem engen Keſſel lag,
und er wußte wie jedesmal: ob feine Flucht
ibn bis in ferne Länder ober nur bis zum
nädjlten Hügelzug führen werde, ob fie Tage
oder Wochen dauerte, er wiirde dod) wieder
beimfebren, in Gerbersau leben und alle
Kraft jeines armen und unzufriedenen Les
bens daran jegen, diefe wunderliche Stadt
und ihre Bürger abzuzeichnen. Auf die Wans
derung aber hatte er keinerlei Malzeug und
nicht einmal ein Skizzenbuch mitgenommen.
Während der zwei Wochen, bie er aus:
blieb, ging in Gerbersau mancherlei vor,
bas thn zu anderen Zeiten interefjiert hätte,
Unter anderem beging die Witwe Rimmer:
[en in ber Diafonengalje ihre längit betannte
Duartalsfeier. Dieje P lebte jett bem Tode
ihres Mannes als ?BejiBerin eines fleinen
Haujes in austómmlidjen, ja reichlichen Vere
báltnijjen, die fie jebod) aus Vorſicht unb
anerzogener Cflaventugend niht genoB.
Vielmehr vermietete fie bas Haus bts auf
drei — und lebte wie eine arme Frau
oder Dienſtmagd, mit Waſchen und anderen
niederen Arbeiten beſchäftigt und in alten,
— Kleidern gehend. Sie war jedoch
eine Art von Quartaljäuferin und bekam
einigemal im Jahre ihren Anfall, wobei ſie
ſich in plötzlich ausbrechendem Leichtſinn
ihrer vergnüglichen Umſtände erinnerte, die
en Kleider ihrer beiten Tage hervor»
udjte und [id) in eine Art von Dame vers
wandelte. (ie blieb alsbann am Wtorgen
e lange liegen, legte dann Die
einen Kleider an und frijierte fid) mit
Hoffart, darauf bereitete fie ein gutes Mits
tagsmahl und legte fic) nad) diejem auf dem
Kanapee eine Stunde oder zwei zur Rube.
Gejtárft trat fie jodann den Weg nad) bem
Keller an, trug zwei oder drei Flaſchen Wein
herauf und jegte in der jonntäglichen Cup:
penjchüjjel eine Bowle an, die fie reichlich
meee und ftundenlang mit dfterem Rojten
etreute, bis ber höchſte Wohlgejchmad ers
reiht war. Mit biejer Bowle lebte fie fid)
nun auf einen guten Plag am Fenſter im
den Lehnitubl, tranf langjam den *Borrat
aus und jchaute dazu hochmütig auf Die
Straße hinab, wo häufig die Kinder fih
anjammelien, um fie bet ihrem einjamen
Tun zu beobadjten, wie fie dajak, zuweilen
ein Glas leerte und mit dem einbrechenden
Abend allmählich rot und ftarr im Gelicht
wurde. War die Schüjjel leer, jo war das
Tagewerf beendet und die Witwe juchte
ohne Liht ihr Lager auf, um den folgenden
Tag genau auf diejelbe Weile zu beginnen
und binzubringen, bis fie genug hatte und
mit Seufzen zum gewohnten ärmlichen Les
ben zurücdtehrte. Lautenjchlager hatte fie
einmal gezeichnet, wie fie jtarr und gejpen«
ftij an ihrem TFenfter jap, jchön gekleidet
ESCHE HE SCH HET FE Hermann Helle: IE ——
und bod friliert, einfam mit der großen
Bowle bejdjáftigt. Er hatte eine Vorliebe
r bie jonberbare Frau, beren ur ea
eiden und Fehler er wohl zu verftehen
glaubte, und batte fic) jchon oft vorgenom:
men, einmal bei ihr Wohnung zu nehmen
und fie bejjer fennen zu lernen. Es war
aber nie dazu gefommen, denn ber Künftler
pere gwar Pon jeit Jahren im Sinn, feine
isherige Wohnung zu verlajjen, und hatte
aud) mehrmals gefiindigt, war aber am
Ende bod) immer figen geblieben, wo er
[don feit Jahren Jap.
Der Dr. Trefa wurde während Lauten:
Ihlagers Abwejenheit in den Gemeinderat
gewählt. Es Hatte ihm wenig Mühe ge:
maht, bas zu erreichen; eine andere Gade
aber bejchäftigte ihn zurzeit jehr fort,
Cs lebten in Gerbersau, neben anderen
Nachllängen verjunfener Zeiten, aud) einige
Refte des uralten Sc aiia fort. Die
Mehrzahl der alten Zünfte freilich war eins
gejdlafen ober in gewöhnliche Vereine per:
wandelt worden. Zwei wirfliche y cus
aber waren nod) vorhanden, birefte Erben
jolcher mittelalterlider Sinftitutiogen. Qa:
pon war es bie eine, bie Zunft zu den Fär—
bern, die dem Notar foviel zu denfen und
u wünjchen gab. Diefe Zunft war vor
EE eine patrtatjd)e und febr vor:
nehme gewejen, im gent der Zeiten aber
nahezu ausgejtorben, jo daß fie zurzeit nur
nod) aus drei F he bejahrten Herren bes
ftand, bie zufällig alle drei Hageſtolze waren.
Dieſe drei hielten nach altem Braud) mehr:
mals im Sabre Zujammentünfte, gaben jähr:
lid) ein Zunjtefjen und einen Faltnadtsball
und hatten in ihrem eigenen Dane: das im
übrigen vermietet war, eine bejondere Zunft:
Ba bewahrt, wo am alten Getdfel bie
Aci appen und Wndenfen verjchol-
lener Gejchlechter Dingen und wo Die Drei
Spatlinge bei ihren Jeltenen Zuſammenkünf—
ten an einem gewaltigen, eichenen Tijdhe
faßen, der Raum für dreißig Gebede bot.
Das Ausjterben ber Färberzunft war eine
vielbejprochene Gade in Gerbersau, denn
dieje Gemeinjdaft bejaB außer ihrem Haufe
ein ftattlides Vermögen, bejjen jährliche
Zinſen teils an die Erhaltung bes Haujes
und ber Zunftitube, teils an den Ball und
das berühmte üppige Gahresmabl, teils an
Armenjpenden und Unterjftügungsgelder ver:
wendet wurden; beim einmaligen Aufhören
der Zunft aber folte bas gejamte Kapital
jamt dem Haufe der Stadt zufallen.
Dies unnüß lagernbe Vermögen nun,
Dellen Zinjen auf eine jowenig zeitgemäße
Art vergeudet wurden und Dejjen Verwal:
tung zu einem Teile in jeinen Händen lag,
hatte bem Notar Trefz langft in die Augen
geltochen. Geit langem Hatte er bie Gejete
der Färberzunft ftudiert und eine Lifte der
wenigen Familien angelegt, deren Angehö—
rige dort aufnahmefähig waren. Hielt man
à genau an ben Wortlaut ber Urkunden,
o gab es zurzeit außer ben drei Mitgliedern
in der ganzen Stadt nur einen einzigen
Mann, bem das Recht bes Beitrittes guges
ftanden wäre, Das war der reiche Fabri-
fant Werner, ber aus Gtolz jowohl, um
nicht bes Jnterejfes an den Zunftgeldern
verdächtigt zu werden, wie deg e Ab:
neigung gegen die derzeitigen Mitglieder
auf fein Recht. verzichtet hatte.
Dem Notar wollte es nun feltfam und
ungeheuerlich jeheinen, daß das uralte, jchöne
Zunftvermögen |o lächerlich brad) liege und
bie Zinfen von drei launigen Syunggelellen
alljährlich Teichtfertig vergeudet würden. Er
237 längjt den Plan, fid) den Zutritt zur
unft zu ermöglichen und alsdann Ordnung
in deren Angelegenheiten zu bringen. lls
Beirat in der Bermögensverwaltung fannte
er die drei Zünftler wohl unb hatte Gelegen=
heit gehabt gu beobadjten, daß ihr Anführer
ber jüng|te von ihnen, der lebtge Rentier
Julius Dreiß, war. Der hatte, entgegen
der joliden Art feiner alten Familie, niht -
nur nicht geheiratet und febr früh jid) als
beruflojer Privatmann zur Ruhe gelebt, jon:
dern leider auch feit feiner Rnabengeit eine
Neigung zu Wohlleben und Bequemlichkeit
an den Tag Zä, welche in Gerbersau
niemand gewillt war als ein Talent zu bes.
tradjten, und bie man ihm nur barum halb
und halb verzieh, weil er ein Jpakiger Herr
war und das bejaß, was bie Gerbersauer
einen goldenen Humor nannten.
Dielem Julius Dreiß ſuchte fid) ber
Dr. Trefa nun bei jeder Gelegenheit zu
nähern und zu befreunden. Dreiß hatte
nichts Dagegen und ließ fid) bie Freundlich—
feiten bes geachteten Mannes gerne gefallen,
bod) meinte er [jhon nad) furger Zeit dieje
Aufmerkſamkeiten nicht mehr ber Wngiehungs=
frajt feiner Perjon zujchreiben zu Set Zi
jondern jah als Ziel ber Trefziichen Be:
mühungen die Aufnahme in bie Farbergunft
und die Teilnahme an deren jchönem Gelb,
tum fid) verbergen. Bon bem Augenblick
diejer Entdedung an madte fih Mr ein
Vergnügen daraus, ben durchſchauten Jtotar
mehr und mehr mit einer gönnerhaften Leut:
leligteit zu behandeln, bie den Doktor gwar
utpeilen aufs äußerjte reizte, bie er aber
in Geduld ertrug. Häufig jah man bie bei:
den Herren im Nebenzimmer des Adlers
bei einer Flajche Pfälzer ober bet einem
Kaffee und Kartenjpiel zufammenjigen, den
Dottor aufmerfjam und jdjmeidjlerijd) um
Dreißens Bunjt bemüht, den frohen Gung:
gejellen in ul” biel Ahnungslofigfeit.
Das Schauſpiel Diejer eigentümlichen
reundichaft zwilchen bem forreften, ftolzen
Notar und dem als Wibbold befannten
Zünftler dauerte lange genug, daB aud
Hermann Lautenjdlager [id) feiner nod) er:
freuen fonnte.
Der Dialer fehrte eines Tages, da der
Hochſommer fid) abgetüblt hatte, mit fonn-
verbranntem Gejidt unb Lët eer Kleidern
aus feiner Berwilderung heim. Wohlgemut
zog er Durd bie Galggajje und über den
Ab Ld NRA TIN io
:
:
;
i
:
>
3
Gelbe Whtern.
Gemälde
von
Carl Brepho
THE LIBRARY
CF THE
3618
EE In einer Heinen Stadt BESSELAAR 9
Marktplag in der Heimat ein, fute feine
ebenfalls verftaubte und verwahrlofte Woh—
nung auf und padte vor allem die grobe
bledjerne Botaniſierbüchſe aus. Der Hohl»
raum diefer 3Büdjje war in zwei Hälften
eteilt. Jn ber einen waren Stadjtbemb,
domm, Seife und Zahnbürfte des Wane
derers untergebradt, die andre war erjüllt
von einem ege senna ee und
Reichtum an Glasflajdden, Korten, Papier:
ſchachteln, Wattepddden und anderen wun:
derlihen Geräten, zwiſchen denen einige
auf Schnüre gezogene Kränze von getrod;
neten Apfelſchnitzen auffielen. We diefe
Dinge legte der Maler jorglos beijeite, dann
309 er aus ben Brufttajchen feines Mantels
unb Rodes mehrere Schadhteln, bie er mit
einer zärtlichen, juwelierhaften Sorglidfeit in
die Finger nahm und der Reihe nad) öffnete.
Da zeigte [i denn in den Schachteln,
auf feine Nadeln geipießt, bie gefamte Beute
des jommerlichen Wanderzuges, ein paar
Dugend neu gefangener Schmetterlinge und
Käfer, unb einen um den andern hob Raus
tenjchlager an feiner Nadel bedächtig heraus,
drehte thn begutachtend vor feinen Augen
und EC ibn zur weiteren Behandlung bet:
feite. Dabei ging in feinem jcharfen Dialer:
blid eine fnabenhafte Freude und beglüdte
Kindlichkeit auf, bie niemand dem einjamen
unb oft boshaften Menjchen zugetraut hätte,
unb über fein mageres, ironijches Geficht lief
wie Morgenlidht ein leifer Glanz von Güte
und Danfbarfeit.
Wie es ein jeder rechte Künftler nötig hat,
er fei jonft von welder Art er möge, jo
M aud) Lautenichlager durch alles Ges
triipp [eines — ten und flackernden
Lebens ſich einen Weg bewahrt, auf dem er
jederzeit für Augenblicke in das Land feiner
Kinderjahre zurüdtehren fonnte, wo für ihn
wie für jeden Menjchen Mtorgenglang und
Duelle aller Kräfte verborgen lag, und das
er niemals ohne Andacht betrat. Für ibn
war es der er Farbenſchmelz frifcher
Schmetterlingsflügel und golden gleiBenber
Käferjchilder, ber ibm mit Echlüjfeln der
Erinnerung das Paradiestor öffnete und
deffen Anblid feinen — für Stunden die
SC und danfbare Empfänglichleit ber
nabenzeiten wieder gab.
PRorfidtig trug er feinen Shag in bas
fleine Nebenzimmer, wo in zwei großen
MWandjchränten feine ganze Injeftenjamms
lung aufbewahrt rubte und deffen Arbeits»
tijd) mit Spannbrettern, 9tabelfartons, Sted:
Dien. popat, Pinzetten, Scheren,
Benzinaläschen, Heinjten Zangen und an:
deren Yerfzeugen eines wobhlausgeriijteten
Snfeftenjiammlers bebedt war. Er ging jo:
gre daran, bie geipiebten Käfer in Die
äften der Sammlung einzureihen, die
Schmetterlinge aber mit gebulbiger Gorg:
falt auf Gpannbrettern auszujpannen. Da
blidten ihn entfaltet bie wunderbaren Fliigel
an, braune und graue wollige mit matt
gepuderten Farben, filbern weiße mit frijtal:
lenen Adern und frobfarbige mit metallen
leuchtendem Email. Für jeine Augen waren
dieje Schmetterlingsflügel bas Schönfte von
allem, was ein Auge leben tann, wie
andre empfängliche Menjchen etwa Blumen
oder Mooje oder die Farben der Vieeress
oberflade allem anderen Augengenuß vor:
ziehen, und bei ihrem 9Inblid gewann er
das, was ihm jeit Jahren fehlte, ir Wugen:
blide wieder, nämlıd) das finblid) zufriedene
Wohlgefalen an den Gegenftdnden der
Natur, das Gefühl von Zugehörigkeit und
Scöpfungsnähe, bas man nur im Lieben
unb genauen ®Berftehen natürlicher Dinge
zu finden ——
Als indeſſen der Abend kam, verſorgte
er ſeine Beute in einigen Blechkäſten zwiſchen
befeuchteten Papierblättern, um ſie geſchmei—
dig zu erhalten, dann holte er Tib eine
Flaſche Wein aus bem Keller, Brot unb Sale
nebenan im Laden, aß auf bem iyenjterbrett
figend mit bem ‘Blid auf bte abendliche Gajje
und — ſodann Die kleine Studierlampe
an. Uber ein volles Skizzenbuch gebeugt ging
er fünftigen Wrbeitsplanen nad), wie ja joldye
gute tunden nad) ber Heimfehr von einer
efreienden Wanderung oft die beiten Ge:
Danfenbringer find.
In feinem Sfigzenbud) fand fid) bie Ges
Holt des Dr. Trefz vier» oder fünfmal
wieder, jie war ihm unvermeidlich geworden,
und er fühlte mit Befriedigung, daß er in
ihr ben reinen Typ des Gerbersauer Phis
lijters gefunden habe. Indem nun feine
Gedanfen, an feinem vereinzelten Bilde
bajtenb unb durch bie friedliche 9Ibenbbes
Jdaftigung gegen bas Tal ber Jugender—
innerungen gerichtet, bie heimatlichen Figuren
liebevoll um)pielten, ftand plötzlich mit übers
rajchender Deutlicdfeit das Bild bes jungen
Trefa vor ihm auf, wie er als Schulknabe
gewejen war, ja er vermochte fih feiner nod)
aus der Zeit zu erinnern, da der jebige
Notar bie erjten Hojen getragen hatte.
Oft ſchon hatte ber Maler bis zur Bers
weiflung darunter gelitten, daß eine zähe
nhdanglidfeit ihn immer wieder und wieder
nötigte, die f[leinbiirgerlide Welt feiner
Baterftadt in einzelnen Figuren feitzuhalten,
ohne daß es ihm je gelungen war, in einer
irgendwie abjchließenden Arbeit diefe Welt
für immer zu bezwingen und jid) vom Halle
u Schaffen, und mehrmals im Laufe der
Fahre hatten ihn Plane bejchäftigt, die darauf
zielten, ihn in einer — Leiſtung
von dieſem Zwang zu befreien. Nun ſtand
ein ſolcher Plan ungeſucht vor ſeiner Vor—
ſtellung, aus hundert Quellen ber Beobach—
tung und Erinnerung bis in Rinderjahre
urück genährt und bejtimmt, verlodend und
dech, und er griff alsbald mit ganzer
Seele Danad. Der Baumeilter, ber nad)
miibjamen ®erjuchen im outen Augenblid
den flaren Grundriß bes Haujes, das er
bauen will, gefunden hat, und der Mufifer,
bem aus zwanzig wirren Gfizzenblättern
plóplid) bas Gefüge einer Symphonie jchön
10 Mermam Helle:
und orgüni|d) entgegenblidt, fühlt augen:
blids alle Kräfte jeines Weſens nad) diejer
Aufgabe hin drängen, fie RK groß ober Hein,
unb fieht fih von einem jük quälenden Fieber
ergriffen, das nicht zu [tillen ift als durch
die Vollendung bes tm Innern geldjauten
Wertes, unb diefe Ergriffenheit und quälende
Begierde ift von berjelben Art und aus ber:
felben Quelle wie bie Liebe eines jungen
Mannes zu einer Frau. Gejteigert und übers
tlar [teben Gntjdjlüjje ba wie Träume, in
melden unerfüllte heimliche Wünjche in ber
Tiefe bes Unbewußten ihre Erlöjung finden.
So war ber Zujtand des Malers, als er
beim Schein der Lampe ungejudht feinen
Plan vor jid) ftehen jab. Er wollte in einer
Reihe von Zeichnungen das Epos des (Per: . BR
bersauer Bürgers erzählen, und diejer Bürger
mußte der Notar Trefz fein.
Man folte ibn jehen, wie er als Neuges
borner feinem Papa dargereicht, vom Stadt
pfarrer getauft. als Dreijähriger mit der
eriten Sate geſchmückt, als Sechsjähriger zur
Schule gebradt wurde. Er follte vom eriten
Apfeldiebjtahl bis zur erjten Liebjchaft, von
der Taufe bis zur Konfirmation und Hoch»
zeit, er folte als Schüler, als halbreifer
Symnaliaft, als Student, als Kandidat, als
Bräutigam, als Gemeinderat und Beamter,
als Redner und als Jubilar, als Vereins:
vorftand und jdjlieBlid) als Bürgermeijter
dargejtellt werden, jtets derjelbe Trefz, ber
Typus des ftrebjamen Bürgers, der mit
großer Energie und großem Stolze kleinen
Zielen nadgeht und fie alle erreicht, ber
bejtdndig zu tun hat und niemals fertig und
niemals begnügt ift und bod) von ber eriten
Hole bis zum Begräbnis chem bleibt,
Dellen Unerjeglichleit jeder tief empfindet
und ber bod) als tröjtlichen Grjat einen
Nachwuchs hinterläßt, in welchem von der
Najenwurzel bis zum Fuß, von der Mund:
art bis zur Tenfart ber aus Urzeiten Der:
auf gezüchtete Typ des Baters wohlerhalten
und bedeutjam fortgebildet erjcheint.
Als Hermann Lautenjchlager, von ber
großen Idee bewegt und nad) feinem Schlaf
verlangend, ziemlich |pát in guter Laune
nod) den Adler aufjuchte und fih zu einem
Schoppen Traminer jebte, Jah er dort den
Dr. Trefz3 bei feinem neuen Freunde Julius
Dreiß figen und hatte feine Freude an ihm, als
fei er fein Eigentum und laufe lediglid) zu fei:
ner Belujtigung auf der Welt umber. Trefz
hatte fich bet feinem Eintreten verjtimmt abge:
wandt. Dejto vergnügterbegrüßteihnder Herr
Dreiß, jaerbat, als merke er nichts vonTrefzens
Abneigung, den Ankömmling aufs freundſchaft—
lichſte, an ſeinem Tiſche Platz zu nehmen.
Der Maler fühlte einen Augenblick Luſt,
die Einladung anzunehmen und den ge—
kränkten Jugendfreund in Verlegenheit zu
bringen. Doch war er in allzu verſöhnlicher
Stimmung, als daß er es getan hätte.
„Die Herren haben miteinander zu reden,“
ſagte er dankend, „und ich bleibe ohnehin
nicht lang. Proſit, Herr Dreiß!“
„Profit, * Lautenſchlager,“
herüber. „Ihre letzten Zeichnungen haben uns
allen einen Heidenſpaß gemacht — nicht wahr,
Herr Dottor?”
Trefa gab teine Antwort. Er fog mif.
vergnügt an feinem Wein und fpürte zum
erftenmal eine Ahnung davon, daß dtefer
un|gmpatbijdje Julius Dreiß ein Bundes:
enojje des widerlihen Malers und daß
eide, ohne es gerade zu willen und zu wol»
len, feine Feinde feien.
Und in der Tat fam Dreiß mit dem
Maler zurzeit recht häufig gujammen, und
was der Notar heut abend mit Dreiß oe:
[aubert batte, fam morgen |djon zu Lauten-
— Ohren.
E? gg
Als ber Sommer zu Ende ging, begann
Dr. Trefz auf die Früchte feines HH
lichen Umganges mit Herrn Dreiß ungeduldig
zu werden. Er [ub ben Freund zu einem
Sonntagsausflug ein und eröffnete ihm in
der Goldenen Krone zu Kriiglingen bei einer
Flaſche Affenthaler feine — Wünſche.
„Sehen Sie,“ ſagte er eindringlich, „es
wäre doch unverantwortlich, eine altehr⸗
würdige Vereinigung wie Ihre Färberzunft
einfach ausſterben zu laſſen, nur weil von
den eigentlich zunftfähigen Familien keine
Nachkommenſchaft mehr da ijt. Cie ſollten
den einen und andern tüchtigen Mann zu—
laſſen, der Leben und Regſamkeit in die
Zunft brächte, ſich der Geſchäfte annähme
und die Geſelligkeit anregte. So bin ich zum
Beiſpiel, wie Sie wiſſen, mit einem Teil der
Verwaltung Ihres Zunftvermögens betraut
und habe einen Einblick in Ihre Geſchäfte.
Als Mitglied der Zunft nun würde ich nicht
nur auf die Gebühren verzichten, die ich für
die kleine Arbeit der Verwaltung anzuſpre—
chen habe, ich würde auch den etwas altmodi—
ſchen Gang Ihrer Geſchäfte zu verbeſſern
wiſſen und die Rentabilität Ihrer Kapitalien
bedeutend erhöhen können. Überhaupt, da
id) in ber legten Zeit das Vergnügen hatte,
Sie näher fennen zu lernen und in einen fo
freundichaftlihen Umgang mit Ihnen zu
tommen, wäre es mir eine freude, aud)
Ihrer Zunft mit anzugehören, und ich darf
bod) [^ hoffen, daß mein Aufnahmegejud)
Ihre Befürwortung fände?”
,GemiB," antwortete Dreiß nachdenklich,
„aber Sie werden ja wohl willen, welches die
Vorbedingungen einer Aufnahme find. Mei-
nes Wijjens find Sie mit feiner von ben zunft=
berechtigten Familien nahe genug verwandt.“
„Das weiß ich,“ gab Trefz ohne weiteres
u. „Aber immerhin ift meine Mutter eine
tothfuß und mit den Dreißen Ihres Stam:
mes vervettert. Und außerdem weiß ich, daß
im Laufe der Jahrhunderte zweimal Die
Zungtmitgliedjchaft an Nichtiberechtigte per:
[eben worden ijt. Einmal fogar an einen
Auswärtigen, ber fih das Bürgerrecht nur
erfauft batte. Gie Tonnen doch nicht im
Ernſt eines Zufalls wegen Ihre ganze Zunft
eingeben laffen.”
In einer Meinen Stadt PEERAA ARAKA 11
„Das haben wir nod nicht im Sinn. Bu-
nüdjit find wir nod) drei lebende Mitglieder,
mit deren 9Ibjterben es ja nicht jo jehr prefs
Rent Und jdjieBlid) wäre bas Aufhören
er Sunjt gar tein jo großes Unglüd. Einen
rechten Sinn Bat fie bod) Ton lange nicht
mehr, und bet ihrer Auflöjung ginge ihr
Vermögen an die Stadt über, bie es |djon
braudjen fónnte. Wir zahlen Steuern ge:
nug, da würde eine Heine Aujbeljerung nichts
Ihaden.“
Das konnte Trefa als Mitglied bes Ges
meinderats nicht leugnen. Er wiederholte
nur, wie jchade es wäre, wenn man eine Jo
alte und ſchöne Inftitution müßte erlöjchen
feben, unb bat den andern, jeinen Antrag
um Aufnahme zu überbringen. _
Darauf nun batte Dreiß Ion lange ge:
wartet. Er die eine [djnelle Antwort
und freute fih, bielen Philijter in Ern
Händen gu willen und ibm einen Dentzettel
u geben. Denn als *Bbilijter er[djien ibm
er Notar, obwohl Dreip jelber fein kleinerer
war. Er Hatte als bequemer Junggelelle
eine Abneigung gegen alle Streber und Um:
triebler, es war J nur ſeine Trägheit
und ſeine Luſt am Witzemachen, die ihn
ſeine tüchtigeren Mitbürger als Philiſter
verachten ließ. In den Jahren feiner Zus
ehörigkeit zur Zunft hatte er dort das große
ort geführt und fid) namentlich als Ber-
anitalter des jährlichen Faſtnachtsfeſtes Ber:
vorgetan, und ba ibn fonjt feine Arbeit oder
Gorge bejdhdftigte, war ibm das Spa:
machen allmählich zum Beruf geworden.
un war in der Zunft eine lange Weile
nichts richtig £u|tiges mehr pajjiert, und
Dreiß begriipte diejen Anlaß zu einem Nar:
renjtreid) mit Freuden. Gleich allen Müßig—
gängern und unerniten Menjchen war ibm
nichts willfommener, als gelegentlidy einen
andern von fid) abhängig zu jeben und feine
ua ge Macht zu mi,brauchen. Co berief
er alsbald eine — ein, die er im
Einverſtändnis mit den gle.chgültigen Mit:
gliedern zu einem ſchönen, feſtlichen Abend—
eſſen geſtaltete. Von einem Kellner ſorg—
fältig bedient, unter demütiger Leitung des
iridjmirtes, jaßen bie drei nid)tsnubigen
nggejellen an bem zehnmal zu grogen
unitilde beijammen, agen, was ibnen gut
dien, und tranten Rotwein dazu, hatten die
alten jilbernen SCH der Väter vor [id)
fteben unb famen fih drolig und widti
vor. Sn einer lujtigen Rede erzählte Dreig
von dem Anliegen des Tr. Sa worüber
wenig Berwunderung entitand, da ähnliche
Gejuche nicht eben Jelt. an fie gelangten.
Statt jebod) ben WEEK? einfad) unb
fadjlid) abzuweijen, beſchloß Dreiß ibn erft
ein wenig zum Beien zu halten, unb der
Dialer — gab ihm vortreffliche
Ratſchläge dazu. Und fo erhielt denn nad)
einigen Tagen der Notar ein feierliches
Schreiben von der Färberzunft, worin er be—
— —
"ab ah 7 ab an Se
oq =.= eg
= s/s sa
deutet wurde, fein Anliegen fchriftlich mit
ausführlicher Begründung und unter Beis
fügung eines EE? Stammbaumes
gu wiederholen. Die Aufforderung war
übrigens jo eeh, baB der Notar
trog einer leijen Witterung bes Gegenteils
ie ernjtnahm und mit der Herjtellung einer
chönen Kopie feines Stammbaumes viele
Kë Abendſtunden hinbradte.
ielen Stammbaum jamt einem langen
Schreiben ließ er bem ehrenwerten Borjtande
der Zunft übergeben und wartete jodann
eine gute Weile vergebens auf Antwort, in:
Dellen bie Zunftherren den Anlaß zu mehres
ren Sitzungen, Frühltüden und Meinen Ges
lagen wahrnahmen.
— aber bekam Trefz einen zierlichen,
rachtvoll kalligraphierten Brief mit dem
chweren — Begierig ſchloß er ſich
in ſeiner Schreibſtube ein, entfaltete und las,
und war ſelbſt jetzt noch einen Augenblick
im ungewiſſen, ob es ſich um Ernſt oder
Spaß handle. Tann aber wurde ihm tlar,
daß er gum Narren gehabt worden fei, und
es gab fortan in Gerbersau feinen heftigeren
Gegner der Zunft als ihn. Das Schreiben
hatte gelautet:
„Hochgeehrter Herr Doktor!
Shr Antrag ijt ber wohledlen Zunft an
Färbern zu Händen gefommen und f.hlen
wir die Ehre wohl, bte uns damit angetan
wird. Mit großem Vergnügen wären wir
bereit, Ihrem werten Anjuchen zu entjpres
chen, wenn nicht früher gefaßte Entichließuns
gen uns Dies leider erichweren würden.
Unjre wohledle Zunft zu Farbern beiteht,
wie Ihnen wohl befannt, zurzeit aus nur
drei Mitgliedern, welche alle drei fich des
Eheitandes enthalten haben, jo daß nad)
ihrem einjtigen Ableben die Zunft erliid)t
und ihre Habe der Stadt Gerbersau zufällt,
Dies ift unfer aller Dieinung und Wille,
unb was nun Ihre werte nivage betrifft,
jo find wir mit Greuden bereit, Cie, bod):
geehrter Herr, in unire Zunft aufzunehmen,
wenn wir bie Gewipheit haben, dak hiers
durch unjere früheren Nbfichten nicht ge:
Ihädigt werben.
Mir haben daher die Ehre Ihnen mit:
zuteilen, daß Ihrer Aufnahme nichts ents
.gegenjtebt, jofern Sie bet erfolgendem Eins»
tritt jiġ jchriftlich und eiblid) verpflichten,
niemals in den (bejtanb zu treten. Gollte
diefe einzige Bedingung Ihren Beifall nicht
nenen, jo müßten wir allerdinas zu unjerem
ebaucrn auf die Ehre verzichten, bie Ihr
Beitritt uns andernfalls bedeuten würde.“ -
eB
Ceit im Hans GCadjs' feine von Lautens
ſchlager gezeichnete Karikatur erjchienen war,
hatte Trefz einen jold)en Ärger nicht mehr
erlebt. Den Bruß des Herrn Dreiß, Der ibm
andern Tags begegnete und mit dem freunde
lichiten Yächeln den Hut zog, hätte er am
liebjten mit einem Faultichlag beantwortet.
E GE
9 A ) s LEE = NY L
owe Der alte Ulenges
| | Cie Ballade bon Karl von Derlepfeh
f
AS Da fprad) der alte Menges, Dod) Alter weiß zu faffen,
Der tapfre General: Was keine Kugel trifft,
»Hd), wollte Gott, geláng' es Und was bie Schlacht gelaffen,
3u ftürmen nod einmal ! Das nahm ein fdjleidjenb Gift.
Der ew’ge Sdjütgengraben Daheim unb ganz im ftillen,
Der ift mein em'ges Ceid! Was keiner fiet unb hört,
Die Sappen unb bie IDaben Schamhaft unb wider Willen
Derderben beutfdjen Sdjneib! Stieg Menges in die Erd’. —
Der Kampf mit Cift und Tücken Dod fieh! Am Dünabogen
Dom Feind erfunden ward, Da zieht bes Tlad)ts ein Hauch,
Sid) drücken unb fid) bücken Der krauft des Narocz’ Dogen
Das ift nicht beutfdje Art! Und baufcht einen Mantel aud).
Und ob's mid) gleidh gefährde — Da [d)reitet längs dem Graben,
Pot; Kuckuck Element! — Ganz offen, ungedeckt,
Id) fteig' nid)t in die Erde Der Geift bes alten Knaben,
Dor meinem letzten End’ !« Bod)ftáàmmig aufgereckt:
UST,
Da ftand er auf der Wiefe Ein Reft aus jenen Tagen
Dorm Feinde, groß und breit, Dom ritterlidyen Krieg,
Am Rock bie rote Biefe, Da nod ein Manneswagen
Die blizte meilenweit. Und Kühnheit trug ben Sieg! —
Im Hagel von 6Gefdjo[fen So fdjreitet er bedddtig
Ging offen er umber, Die deutfchen Poften ab.
Als wenn für ihn gegoffen Da flüftert's übermädhtig:
j Nod) keine Kugel wär’! »Den Alten hält kein Grab.«
\ (4 Und wie fein blind Dertrauen Der Ruffe fiebt's mit Bangen
IN Den Führer nie verläßt, Und krümmt fic) wie ein Durm:
[) So jubelten bie Grauen: »Der Menges kommt gegangen,
»Der Alte. ber ift feft!« — Das deutet neuen Sturm!«
Die Zowehrſchlachtem
in ber
D
Shampagné und an der Aisne
Bilder und Text von Ernſt Dollbehr, Kriegsmaler bei
der Heeresgruppe des Deutfchen Kronprinzen
3333333233333333?333323333333333233333323233333333333333333?23323320233393233033?2?2?22033333333?3323?3j33322?(0?2?2?2322)22?5
Das Maffiv von Moronpvilliers
einem öden Kiefernwald der Cham:
pagne liegt ein großes Waldlager.
S ps Es ijt eine Anfammlung von ein:
H fachen Bretterhütten, bie mit ſchwar—
zer Dachpappe verkleidet und mit
Kiefernzweigen gegen Fliegerjicht belegt find.
Da, wo bombenjtdjre Unterftande gebaut
waren, hoben fic) bie herausgeworfenen wei-
Ben Rreidemajjen grel vom braunen Wald-
boden ab. Außerhalb diejes Nadelwaldes war
[don der Frühling mit blühenden Bäumen
und jungem Grün eingezogen, und blauer
Himmel wölbte fic) über diefe Frühlings»
pradjt. Hier aber im Walde Gr bie Men-
jhen fein Interejje für den Frühling. Das
menjdjlide Hirn mußte hier intenfiv arbei-
ten. Hier lag der Divifionsitab und fann,
wie er mit Sitfe leiner braven Goldaten
über die gewaltigfte franzöſiſche Dffenfive
an der nahen Champagnefront Herr würde,
wie er bie Gtellungen gegen bas mórbe:
riijhe Geldjü&feuer unb gegen bie anftiir-
menden Menſchenmaſſen halten tinne. —
Unheimlich war der Wald in feiner melan-
choliſchen Stimmung, während an der Front
bie lebte Stunde bes Weltgeridts herein:
gebrochen: ihien. — Eine armjelige Bretter:
ude, mit einer Schlafgelegenheit aus Ma-
Ichendrahtgeflecht, einem dreibeinigen Stuhl
und einem Tijd war mein armjeliges Quar:
tier. Man jah mich aber wenig in diejen
fürftlichen Gemächern. Ich war [tets vorn
an der Front auf einem Baumgipfel und
malte von hier bei Sonnenjchein, oder bei
aufziehendem Regen und Nebel Ctimmimgs:
bilder und viele Panoramajtudien vom
&[gebiet. Alles dies fol |páter vereinigt
ein großes Bild vom Gelände der Abwehr:
ichlacht geben. fiber ben von Granaten auf-
ewiiblten, dennoch ftellenweije vom Früh—
ingsgrün überzogenen Wiejen erhoben fih
bie beipgumitrittenen Bergrüden, der Fichtel:
berg, der Pöhlberg, Keilberg, die Bärenburg
mit ihren amphitheatralijchen Schluchten,
der Hochberg und der Lug ins Land. Dieje
freidigen Bergwellen hoben jid) beim Malen
der Sauptbil er gejpenjtijd vom jchwarz-
blauen Gewitterhimmel ab. Die hellen 9taud):
fahnen der einjchlagenden Granaten und
Minen verjuchten eine Verbindung zwijchen
Himmel und Erde zu [djajfen.
Wn ber Wisnefront
Einige Tage jpáter fah id) vor mir bas
dem Fort Brimont fih anjchließende Kampf-
gelände der franzöliihen Offenjive. Für
mid) altes befanntes Gelände. Ich erfonnte
en im Trommelfeuer liegenden Winterberg,
jah bie zerftörten Orte Craonne, Corbeny,
„Juvincourt, die berüchtigte Höhe 108 und bie
danebenliegenden Steinbrüche, jah Berry au
bac mit feiner Gasfabrif, bie in ben Kämpfen
1914 jchon eine große Rolle fpielte und die
id) Damals jo oft gemalt. Ich jah die Höhen
91 und 100. Alle diefe marfanten, heißum—
ftrittenen, langgejtrectten Hügel hoben fid) jest
rellweif, von Granaten zerwühlt, aus Dem Ge:
jamtpanorama heraus, dazwiſchen zweiund⸗
reißig ſchwarze Punkte, die zerſchoſſenen fran—
öſiſchen Tanks und am Himmel fünfzehn Feſ—
lballons. Im MBordergrunde der völlig
zerichoffene Ort Buignicourt, welcher laut
den bei den Gefangenen gefundenen ‘Befehlen
das erjte Ziel der franzöliichen Infanterie
vereint mit ben vorbredjenden Tanffolonnen
am erften Tage ber Dffenlive fein folte. —
Dies Ziel haben die Franzojen nicht erreicht,
denn jie fonnten an bieler breiten Wisne-
front trog bes wahnfinnigen Ginjabes von
Tants, Granatfeuer, Gas und Menſchen
nur eine geringfügige Einbudtung bei der
Höhe 108 erzielen. In ber GE, haben
bie Franzoſen diefe 9Ingrijfs|telle an der
Aisne bei der Höhe 108 nicht einmal zu er-
weitern verjudt, wohl hauptjächlich, weil
dadurch ihre rechte Flanke übermächtig bloß»
gelegt worden wäre. Gie [inb zwar vom
16. April ab in immer neuen Gtürmen ges
gen die Höhen 108, 91 und 100 angelaufen,
aber es tft ihnen trog bes ftärliten Feuers
fein Erfolg bejdieden gewejen.
Tants
Am 16. April 1917 gwifden 7 und 7/,8 Uhr
früh ſahen unjere 9Irtillerijfen plötzlich ihre
Cdubitellungen von vorwärtsitrebenden
Menichen erfüllt. Rechts am Aisnegrund und
linfs an der Miette eilten franzöjilche Tant:
ejhwader im Ganjemarjd den Angriffs-
olonnen voraus.
Get dem Bewegungsfriege hatte es fo
etwas für unjere Artillerie nicht mehr ge:
geben. Lebende Ziele und dann dazu Tants,
bie von uns über 9Bifier unb Korn unter
Teuer genommen werden konnten. Wann
war es den braven Ridtfanonieren mal ver:
gönnt gemejen, felbft das Ziel zu jehen,
worauf fie im Schweiße ihres Angefichtes
hießen mußten? Jedes Gejchüß, ganz gleich,
in welcher Richtung es vorher gehenden
hatte, wurde herumgerijjen, zum Teil aus
den Dedungen gefahren, und nun ergoß jid)
von allen Geiten ein Feuerhagel auf den
(Fortjegung auf Seite 19)
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Panorama des Gefechtsfeldes am Chemin bes Dar
I
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ESSI Ernft Vollbehr: Die Abwehrichlachten in der Champagne u. an der Wisne Gi 19
dahinfahrenden Tanfwurm. Won den beiden
Kolonnen in Ctürfe von je zwanzig bis
dreißig Tants befam die Hälfte Volltreffer.
Die Tantfolonnen waren dadurd) jofort zum
Stiljtand gefommen. Man [ab die Fran:
ofen aus den Tants herausjtürzen und
fid bie brennenden Uniformen vom Leibe
reißen. Die frangofijdhen — Sinjfanterijten
brüdten fih jdjleunigit aus ber — ren
Nähe, zumal die Munition und die Benzol:
bebálter bei einigen Tanfs explodierten. Die
Tants madjen ‚tot. Das Feuer ber Ar-
tillerie brachte das TFortichreiten ber fran:
öſiſchen Infanteriemafjen gum Stehen. Jetzt
Pate auch ber Gegenftoß unjerer Infanterie
ein. Uber bie bis dahin ‚tot‘ |djeinenben
Tants, bei denen unjere Infanterie adhtlos
vorbeigejtürmt war, wurden plóblid) wieder
lebendig und ee itellentpeije in Den
Rüden der vorjtiirmenden deutjchen Reihen.
Das befam ihnen jdjledjt. Die nun bereits
eingejd)ojjene Artillerie brachte mit wenigen
Schüjjen wiederum Ungetüme zum Explos
dieren, |o daß fid) der Weit veranlaßt jab,
ſchleunigſt nad) rüdwärts zu entweichen, was
ihnen nur gelang, weil fie fid) mit Hilfe von
ebelbomben hinter einer undurdhlichtigen
Raudwand veritedten. Biele find nicht ent:
tommen, denn ich fah ja allein zwijchen Miette
unb ber Yisne zweiunddreißig Ungetiime zwi-
jhen unb hinter den Linien zerjtört liegen.
Ich wollte natürlich bie Tanks aud) von
der Nähe jehen und malen, hatten fie doch
friegsgejchichtliche Gleck: während Der
franzöſiſchen Difenlive erlangt. Durchs She-
renfernrobr batte ich genau beobachten fine
nen, baB einige dicht an unjeren Gräben
lagen und von dort aus gemalt werden
fonnten. Darauf fubte mein Entſchluß, ben
id) auch gleich tags darauf ausführte. Der
librer, ber mich bei Suvincourt an ber
egegabelung laut Divilionsmitteilung er:
warten jollte, war ausgeblieben, und aufs
Beratewohl über freies Feld in Richtung
der Tants zu laufen, war trog der Dämmes
zng nicht ratjam.
eim Warten auf bielen Führer aber
hatte id) bas Glück Offiziere zu treffen, bie
in bie vorderjten Stellungen gingen, fich jo:
gar als gute Belannte von mir von der
ombreshöhe entpuppten und mid) in bie
richtigen Laufgraben bradten. Ich [djlid)
immer näher an die Tants heran, jchaue
dabei aud) mehrmals über ben Grabenrand.
Was fehe id) dort? Bier [d)marae, breite,
unförmige Geftalten mit zwei diden Hinter:
und dünnen Morderbeinen. Die richtigen
Cpufgeitalten, bie um den mir gunádjt
liegenden Tant Berumlaufen. Ich traute
taum meinen Augen und jdjrieb dieje Er-
Iheinung bem Morgennebel zu. Was waren
es? Vier Rriegsphotographen, bie ein jchwar:
E Tuh über den Kopf hatten und den
ant von allen Geiten photographierten. Syd)
itrebte bei biejem photographijden Atelier
vorbei zum nächiten Tant, um diejen mit
drei babeiliegenben im Morgenlicht zu malen.
Co Stand ich auf freiem Felde, außerhalb
des [djiiBenben Grabens, dicht neben meinem
Modell, ohne zu ahnen, wie nahe der Feind.
Ich ließ mir jogar Zeit zum Malen. Die
Morgennebel verichwanden aber bald, bie
Franzoſen betamen Sicht, fonnten das Leben
und Treiben der photographierenden Gol-
daten beobadten, unb da ihnen ja wohl
nicht gerade viel darum zu tun war, daß
wir Deutjche diefe Zeugen ihrer traurigen
Blamage photographieren, ſchoſſen fie mit (Ge:
wehrgranaten, worauf die Bhotohelden foe
fort im Graben verjchwanden; id) aber, ber
id) durch meine Modelle gegen feindliche
Sicht geldbiibt war, fonnte noch eine frieqe-
rilche Mote, ben rötlichweißen Rauh der (5e:
webrgranaten, mitmalen. Die $yarbenjtiaae
war bereits vollendet, und außerdem waren
nod alle genauen Maße ber Tants notiert
und niedergezeichnet, als ich mit meinen
Mallahhen gezwungen wurde in den Graben
u |pringen. Ich war glüdlich, daß id) bie
ants im Bilde fejtgehalten hatte. Séi?
will ich hier gleich alles, was ich über Tants
gejehen und gehört habe, niederjchreiben.
Die Tants follen hinter ben Cturmbatails
lonen vorgehen und diefe erft hinter fih la]:
len, wenn jie auf Hindernijje, wie Blod:
häufer, Drahtverhaue ftoßen. Der Tant foll
(id dann auf diejes Hindernis werfen, es
vernichten, und jobald bieles erreicht ijt, fid)
der feindlichen Artillerielicht entziehen, da
dieje bie größte Gefahr für bie Tants find.
Der Hauptzwed ber Tants ijt, ber deutjchen
Infanterie Angſt einzuflößen.
Die Schußfarbe ber Gants wird bird) alle
möglichen Farben in willfiirlider Anordnung
erftrebt. Je vier Wagen haben das gleiche
Zeichen, 3. B. Herz: As, Kreuz-As, Schippen=
As, Raro-As. Dieje Zeichen find von uns zuerft
irrtümlich als Genferfreuz angejehen worden.
Tants Tonnen vor und riidwarts laufen und
auf der Stelle drehen. Aus Ausjagen von
gefangenen Tanfbejakungen geht hervor, daß
die Tants ganz unzuverläjlig und jehr bei»
Jerungsbediirftig find, dak bie Frangojen
aber dennoch die Hoffnung auf ihre Erfolge
nicht aufgeben wollen. Andere Gefangene
waren der Meinung, daß mur bie [|frupel:
loje 3eitungspropaganba den Bau Diejer
wenig wideritandsfähigen Majchinen ver:
anlaßt habe. Andere jagten nur: „Pas en-
core assez a point,“
Der Winterberg
Wie genau glaubte id) bas ganze Kampf:
gelände bes Winterberges zu fennen, da id)
dort 1914/15 joviel erlebt und gemalt habe.
Ih war damals Augenzeuge, als im Sep:
tember 1914 Craonne von den Gadjen ge:
türmt wurde. Sd) malte gleich danad)
Craonne und betitelte das Bild „Das gers
itórte Craonne”. (Grit jet dürfte id) dtejen
Titel beniüten, erft jebt ift es wirklich zer:
ftdrt, denn es ijt völlig vom Erdboden vers
ſchwunden.
Ich ſah damals auch die Gefechte von
2*
23 UR en e a, - -— le D T "> gf d S 2 ay éi * >a E SE — — A J — — gar TO ee f?
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22 Ernſt Vollbehr:
damals über St. Croix hinweg das Pans
orama vom Winterberg. (Siehe als Vergleich
das Bild im erjten Kriegsbildertagebud) bes
Künftlers, Verlag F. Brudmann, Münden).
Die nád)jten Tage verlebte id) auf einem
Beobadtungspunfte, um von dort aus ge-
naue, detaillierte Studien für ein großes
Dioramabild diejer blutgetrantten Front ber
franzöſiſchen Offenlive zu malen. Cs gelan
mir gut, da ftets flare Gicht war, und i
jur genaueren Orientierung häufig im Feſſel—
alon aufjteigen fonnte.
Bove Chateau
„Bove Chateau liegt unter ftändigem Feuer,
jo daß es gang eg tlie iit, daß Cie
dort malen fonnen!“ — „Die Franzoſen
idjieBen viel mit Gas dorthin, aljo, wenn
Cie fid) von Ihrer Idee, dort malen zu
wollen, nicht abbringen laffen, müjjen Cie
Ihre Gasmasfe [tets aufhaben.” Sd) ließ mich
nieht abhalten und wanderte troßdem zum
Bove Chateau. Ich mußte aber in aller Herr:
gottsjrübe heraus und- mußte einige Zeit
meinen Weg vor unjeren Batterien ente
lang nehmen. Mein Trommelfell wollte fajt
plagen, wenn neben mir urplóblid) eine
Batterie feuerte. Der Weg zum Schloß,
den id) von 1914 her ebenfalls nod) in ſchöner
Erinnerung hatte, jab fiirdterlid) aus:
Granattridter an Granattricter, tote, ftin=
tende Gäule und zerichojjenes Kriegsma—
terial. Die zerfplitterten Alleebäume lagen
treug und quer über ben CHE — Zwijden
odergelben, Se ar rbbaujen, die
wohl von ſchwerſten franzöfiichen Kalibern
ftammten und gwijden Baumleiden lagen
die von der Miorgenjonne bejdienenen legten
Trümmer des Bove Chateau. Traurige Refte
einftiger Herrlichkeit. Nichts erinnert mehr
an bie ſtolze, leichtjinnige Zeit Ludwigs XIV.,
ber von Paris auf diefen Höhen für feine
„Damen“ den bequemen Höhenweg, den jest
jo beigumftrittenen Chemin des Dames bat
bauen lafjen, um mit bicjen „Holden“ Schäfer—
[piele im Bove Chateau und im Part au
treiben. Ob es Cage oder Wirklichkeit, weiß
id) nicht, wenig|tens geht es bier von Mund
zu Mund. Ein blak »grünblauer Himmel,
überjät mit Schrapnellwolten und einem pio:
letten Schleier am Horizont, an dem
rötlichweiß der Winterberg mit den Reiten
von Hurtebije, Rlofter Bauclaire und Bou:
conville abbob, bildeten den Hintergrund zu
den weißen Schloßrejten. Trog der graufigen
Verwültung und den großen Beiahren hodte
id) in einem Granattridjter und malte bas
traurige Motiv in feinen reichen, herrlichen
Tarbtontraften. In Sicht bes Feindes, bei
hellem Wetter jdjliden wir uns zurüd über
den Boverüden zur Yandftraße. 5 web, fein
Auto war für mid) ba und mein Tagespro»
gramm lautete, bap id) nod) am jciben Morgen
mit einem Fellelballon aufjteigen folte.
“ea — — u
| NS
Blid von ber Parfmauer von Bove Chateau auf bas Befechtsgelände am Winterberg
Sm Vordergrund Bouconville, Wilettes- Grund, auf Der Höhe bas Klojter Bauclaire, Hurtebije, wiles
ge BSSSoa Die Abwebhridhladten in der Champagne und an der Aisne BIS 23
ne laz
Zmije Sm Feffelballon
jen, X} Wel gewaltige
talib Kontralte mußte ich
n lac ri Kriege erleben!
n legir en nod nabe der
ge Ker — i raufigen
H me ſitzend
is XI ADM si —
ir fe M 900 "an
en je einem Sicile
tes bc riebenbadjter im Fef-
dät ſelballon, erhoben
art r Über ber unter mir
| wei Gusgebreiteten, ver:
Jh; rüdt gewordenen
imme! Welt. Es war ein
m vie hon engere Mare
m E en bier oben. Jad
Reiter Süden lab ich über
Kor Reims Geer bis
mz _ tief tn Die gapogne
ufiger — nach
bod: über bem rotaufleuc-
eds tenden Winterberg
ide weit na antreid),
dee jo weit, i raus
über oa ‘ab rikſchorn⸗
ler eine und von ber
spro E beſchienene
E fcheinend im Frieden
lagen, jab. Nah Nor:
eck über Laon hin:
3 a, ich bie ganze
^
— iſche
ront, an der langen
eihe der deutſchen
eſſelballons erkennt⸗
ich, bis weit zur Som⸗
me. Im unter mir
; liegenden Gelände der
tobenden Schlachten.
plagten unaufhörlich
Granaten und rijjen
bas Erdreid) bod) bir:
auf. Oft fah man die
topilchen Gd A
den Feuerüberfä
Form von hoe
SE Dellen Gin:
iate en im ilettes
Dan fah das
Infbligen gen
und feinbliden (Qe:
Ihüßen. Der rabad
tungsoffigier hatte nes
ben mir die Aufgabe,
unjere Mörfer, mit de-
nen er telepbonijd)
verbunden war, ein:
Kap; Ben. Er er
ehr mit der Wir
bieles — Gin[djie *
ufrieden zu ſein,
ER er ließ nicht nad,
bis id) trof meines
intenfiven Mtalens
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Der Winterberg im feindlichen Feuer
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24 Ernſt Volbebr: BSsesessessssssssi
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8 Blid auf bas Maſſiv Moronvilliers D
Sntereffe an feiner Tätigkeit zeigte und eben»
falls burd) bas Glas dem Schießen zujah
und gerade Augenzeuge wurde, wie ein fran:
gn es Munitionslager in bie Luft flog.
achdem der Offizier jo feine Aufgaben
glänzend gelöft und nun für meine Tätigkeit
etwas Zeit fand, wurde mir das gewaltige
Panorama genau erflärt. Ich wußte nun
cnau jeden Wald, kannte den Stand der
feinbli en Wrtillerien, jedes Dorf und jede
Stadt. Ich fah ben Wiiettebadgrund in
pas opi Gr „S“⸗Form, fah Guvincourt,
err) au bac, bie Höhen 108, 91 und 100.
Cab ein heigumftrittenes, |pinnenmebenar:
tiges Schiigengrabengewirr, Millionen weiße
Granattridter und bann auch von hier wieder
die vielen zerſchoſſenen Tants. Ich jah fable
oder braungebrannte oder griine Walder, aus
denen es unaufhörlich aujbli&te und leichte,
Hobe, mit einem Ring endende 9taud)fabnen
ber Geſchützabſchüſſe auffteigen. Alles diejes
eingerahmt mit den duftig weichen Farben
der Ferne des tee und des Himmels.
u uns Hang Militärmuſik herauf, jo beut-
lid) hörbar, dak fein Ton verloren ging.
Bis 10'/, Uhr abends war ich oben, malte,
ihaute und bewunderte. Dann wurden wir
ee Sé zur nächtlichen, aber warmen
rdoberflähe. Ich war in einer anderen,
ja bejjeren Welt gewejen, hatte ungeheure
Ginbrüde fammeln und mit Farben zu Pa:
pier bringen Tonnen,
Am andern Morgen vor feds Uhr war
id) ſchon wieder bod) und malte. Das ganze
Rriegspanorama lag nod) friedlich und feiers
lid) vor uns, bis ber Gegner wieder anfing
und den andern zum Erwidern hay bern
Ein franzöfifcher Flieger wollte jid) bem
9tad)barballon nähern, er wurde aber von
unjeren Ballonabwehrgejhügen mit Gperrs
feuer umgeben, jo daß es nicht gelang bers
anzulommen.
S jah malerifd aus, als die weißen Leucht⸗
granaten-Ketten unaufhörlich aufftiegen. Un:
willtürlich jah id) jentrecht tn bie Tiefe, um
u [dauen, welchen Weg id) mit dem Fall:
SN an dem id) fejtgebunden war, zurück—
legen würde, falls wir angegriffen würden
und in ber Tiefe verjchwinden müßten.
Wir wurden ein Stüd heruntergeholt, aber
ba die Gefahr bald wieder vorbei war,
fonnten wir jchnell wieder in 900 Meter Höhe
pergen: Wieder hatte id) gute Siht und
alwetter, nur war es Winditille ge:
worden, und der Ballon drehte fih oft um
feine Achje, fo daß id) Mühe hatte, beim
Malen ftets den Punkt bes gewaltigen Rund:
blides wiederzufinden, ba derjelbe durch bie
Drehungen bes Ballons während des Nies
derichauens auf den Stizzenblod aus meinem
Gelichtsfeld verjhwunden war. Nur nicht
die Nerven verlieren und ftets einen Aus—
weg finden. Hier bejtanb er darin, fih
im Gelände ganz markante Runfte zu juchen,
EESE Die 9[bmebr|djadjten in der Champagne und an der Aisne zz 95
von denen man jofort wieder auf ben Buntt,
ben man gerade malte, über|pringen fonnte.
Die Rämpfe am Chemin des Dames
Durd) weite, grele, rote Mohnfelder, in
denen Pferde grajten, Dinburd), dem fih
hod) auf einem weien auftürmenden Laon
mit feiner mächtigen Kathedrale entgegen,
dort herumgebummelt, alle von Anfang des
Krieges liebgewonnenen Plage wieder auf:
gejudt, wohl gleich wiedergefunden, aber
alles ftart verändert vorgefunden.
Wieder mußte id) um 4'/, Uhr im Morgen:
rauen zur Cie vorfabren unb bas lebte
Stüd zu Fuß laufen. In einem einftmals
ſchönen Objtgarten, in einem Märchen von
rotem Mohn, neben einem, von einer Gra-
nate umgejftürzten hohen Strohdach eines
Gartenbausdens, as von Ddunfelroten
unb roja Rletterrojen überwuchert und wo
jelbft bie Branattrichter bird) bie wuchernde
Blumenmenge gemildert waren, lag ai auf
der Erde und malte, nur mit der oberen
älfte des Kopfes durch bie Brejde ber
artenmauer herausjchauend. Sch malte
die in feinbläulichem Dunft liegende Befechts=
pod bes Chemin bes Dames. Sn meinem
üden ging in einer S3auberprad)t und
An die Sonne auf, die mich als
ünjtler beranidjte und mich von meiner
detaillierten Terrainjtudie ablenten wollte.
Sch wollte und mußte aber bei der Stange
bleiben und Unterlagen für ein großes Bild
D "aL ~ y
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bes hier bald tobenden Gefechtes malen.
Sd) mußte artig und ganz genau das Ter:
rain ftudieren und malen. Sch [al bie
Trümmer ber Ortſchaften Filain, Pargny,
die vielen Lauf: und Schützengräben, die
germen am Chemin des Dames, Die Steils
abhänge, das ausgelaufene in der Wilette-
(bene hingebettete Bajjin d’Alimentation,
von dem ein widerlidjer Gerud) von ben
——— Zentnern der dort verdorbenen
arpfen zu mir herüberdrang, den Aisne—
Dijetanal, ber bier bald in einem Erdtunnel
verjdwindet. So entitand das hier mit
abgebildete vierteilige Panorama, das id)
mir jo genau einprägen fonnte, dak id)
während bes großen Gefedte im Terrain
trog Morgendämmerung Bejcheid wußte. —
Aljo, ein ege el aid Sonnenaufgang
durfte mich bei biejer pedantifden Arbeit
nicht — und zum Malen locken, auch
durften die vielen Mücken und Bremſen
mich nicht in die Flucht ſchlagen, oder nahes
feindliches Feuer mich erſchrecken.
Der 8. Juli 1917
Ein eigentümliches Gefühl beſchlich mich,
als id) aus meinem tiefen Unterſtand heraus:
trod, in bie Nacht binausblidte und mir die
Gtaffelei und bas leere Papier, welches bald
mit Bildern von den Sıhreden ber Schladht
bebedt fein würde, zurechtlegte. — Der im
Abnehmen befindliche Mond trat aus den
Wolfen und beleuchtete alles gejpenfterhaft.
Jamis
X Die Trümmer von Bove Chateau während der franzöfiihen Offenfive am Winterberg
96 IESSE) Crit Vollbehr:
^ LIS
WW e^
2
d. d
Die Hille am Chemin bes Dames: Die Sturmvorbereitun u den Kämpfen am 8. Juli 1917
& SE ` Gemalt von 4.26—4 30 fri. * 3 8
Flammenwerfer beim Sturm am 8. Juli 1917 am Chemin des Dames. Gemalt von 4.30—4.45 früh
pezex-:$39] Die Abwehrjhladhten in der Champagne und an der Aisne 97
Rod pet Minuten, dann wird es 4 Uhr 26,
die feitgejebte Zeit Des Beginnens bes Deut:
Idien Angriffes fein und dann die Hölle auf
bem Chemin des Dames losgehen. Ich
prüjte vorher im verborgenen nochmals
ichnell mit Hilfe einer Tajdenlaterne meine
goce, damit id) bei ber Dunfelheit und
ufregung nicht in eine faljche tauche. Mod
eine Winute, und als diefe in Spannung
verftrichen war, ftand id) grel beleuchtet ba
unb mußte mid erft duden, um nidt vom
Feinde gejehen zu werden.
Wie der Dirigent mit dem
Taktſtock fein Orcheſter er:
wachen läßt, jo wurde hier
die gewaltige Rriegsmajdine
in furdjtbarer Art in Gang
ejegt, [o furchtbar jehanrig
Ke und jo exaft arbei:
tend, daß in ber Zeit bes
Wirfungsfeuers von unjeren
Diinenwerfern und unjerer
leichten und ſchweren Artils
lerie wohl alles vernichtet
wurde, was der Feind in
feinen erjten beiden Graben
aufgebaut hatte. Die tyran:
zojen batten ſcheinbar ihren
Kopf vollitändig verloren,
denn fie jandten hunderte
farbige Gignalrafeten im
Wirrwarr durcheinander zum
Himmel, fo daß bas (ange
wie ein in bie Luft neflogenes
Riefenfenerwerf ausjchaute.
dj mußte meine Gfizze
bereits weglegen, denn das
Bild änderte jid) völlig, jebt
fam der Sturm jelbji mit
dem gleichzeitig einjegenden
Gperrjeuer unferer Artillerie
und das MWorarbeiten der
Cturmtrupps mit den Flam:
menwerfern. Alles war bald
in Bulverdampf gehült, in
dem die Flammen ftändig
aufbligten und die Ränder
der aufgeballten Damypjwol-
fen grell beleuchteten.
Bald nah dem Anfang
bes Kampfes [tiegen aus bem
og unb Dunjt, über dem
aus frijhem blauem Mors
genbimmel ber Mond herab:
ihien, eine ganze Reihe weißer deutjcher
Leudttugeln gen Himmel, das Zeichen, daß
das ganze Sturmziel erreiht war. Auch
diefen ergreifenden Moment mußte ich mit
Anjpannung aller meiner Nerven in wee
nigen Minuten malen.
Ein Ddeutjcher Infanterieflieger erjchien
ganz niedrig über uns, flog über bie neu
eroberten Stellungen und griff mit jeinem
Majchinengewehr in den Kampf ein. Uniere
Kämpfer gaben Zeichen, damit der Flieger
über ihr Borwärtstommen dem Divifionss
ftab Bericht abgeben fonnte. Auch hier das
„Das Sturmzliel ifl. erreicht.“
Rejultat: ‚Ale Sturmziele erreidjt' Es
war allmáblid) bell geworden und es war
die hödjite Zeit, daß id) aus der feindlichen
Sicht beraustam und meine najjen Bilder
in Sicherheit bradjte. (Eben im tiefen Erd-
loc) jißend und ee trintend, wurden wir
wieder herausgerufen. Ein ftolzer franzö—
en mit achtundzwanzig Gefangenen
tand vor uns. Der Mayor grüpte uns taum
und tat jebr hochnäſig, während feine Soldaten
ſchweißtrieſend daltanden, aber ftillvergnügt
ER
Gemolt am R Anti 1917 am Chemin
bes Dames von 415—6 Ubr frub
uns guladten und riefen: „Bien content,
bien content, la guerre finie pour nous.“
Weiter erzählten fie: „Vier Wochen find wir
in der Ganjtelung am Chemin des Tames
ewejen unb find nun glüdlidj, daß wir
berans nd.“ Ter Major erzählte fpäter:
„Ich habe es neahnt, daß bie Deutiden bente
angreifen würden. Es lag fo in der Luft.
Als das Trommelfeuer einjebte, wuhte ich,
woran id) war. Sch bin jojort beraus:
ejprungen und habe meinem Regiment
Pinel nod Berftärtungen vorgefandt. Sch
jelbft bin in meinen Unterjiand zurück—
28
efprungen, und dann waren die Deutjchen
hen ba. Es ift wirklich alles jehr jchnell
gegangen.“ Wir mußten ihm in allem völlig
red geben.
le Gefangenen wurden in einen Keller
geführt, bie Verwundeten aber gleich zum
azarettunterftand. Im Keller umarmten
fie fih mit ben immer neu dazujtrömenden
Gefangenen und küßten fic) gegenfeitig.
Draußen fam wieder ein neuer großer Trupp,
geleitet von nur einem deutjichen Soldaten,
der ohne jegliche Waffe, nur mit einer Gas-
maste ausgerüjtet war. Ich fand |páter im
gelde aud) einige verjprengte Franzoſen, die
mich bilfejuchend anriefen und die Hände
hielten. Ich winkte ihnen und führte
e, während fie über das ganze Gelicht grin-
en, zur Gefangenenjammeljtelle, und das
luftige Gerüd)t entitand dadurd, baB id)
als ,Rriegsmaler ebenfalls Gefangene ge:
madjt hätte. Die Gefangenen warfen thre mit
Säden übernähten äng, weg und fegten
SE ihre Mtiigen auf. Meine ——
hob einen Helm zum Andenken für mich auf.
Sch erfuhr, daß in den vorderſten fran—
adjijden Graben durch das Minen: und
Ylammenwerferfeuer alles vernichtet und in
den beiden babinterliegenben Linien alles
gefangengenommen worden fei, daß gerade
Ernft Volbehr: Die Abwehrichlachten in der Champagne u. an ber Wisne Bog
während der nächtlichen Stunde, als ber
Angriff losging, die Feldfüchen herangetom:
men waren und daß fie Sonntagsejjen und
AT y erhalten hätten. Cinige waren
beim Waſchen ihrer Hemden überrajcht wor:
den und fonnten fih nur notdürftig anfleis
Den. Die era Eë wurden j|páter in
Trupps von je Mann (allmáblid) waren
es 800 geworden) abtransportiert.
Mad langen Irrfahrten hatte id) das
Glüd, mit Seiner Exzelleng dem Divifions:
pran gujammengutreffen unb in feinem
uto bei ftrdmendem iy Mi zurüd gefahren
gu werden. Gin guter Kognat, eine Porte
aſſe Kafes, fage und jchreibe drei Spiegels
eier belebten meine Lebensgeiſter wieder.
Da meine Aufgabe hier gelöjt war, fonnte ich
ins Oberfommando der Heeresgruppe Deuts
iher Kronprinz aurüdtebren und hatte dort
die große Ehre, an der Hand meiner vielen
neu ent[tanbenen Bilder von ber Champagne=
unb Aisnefront Geiner Raijerliden Hoheit
Vortrag halten zu dürfen und dort von ben
maßgebenden Gtellen die Erlaubnis zur
Veröffentlihung dieſer hier abgebildeten
— Bilder zu erhalten, damit ‚die da—
eim‘ Jeben, wie bie Rampffront und bie Ge:
ehte, von denen bie Heeresberichte jopiel
melden, ausjehen.
(3. ve, 4
Par, de A
P Ein Held aus den Kämpfen am Chemin bes Dames &
sen bie Jugend erfüllt war von
GAYS Ichönen Träumen und ſchwärme—
on) y rijden Zielen, ber rettet bis in
Ch JS pe legten Tage einen warmen
SU Nadhglang, Herz und Hirn zu
Wer möchte fih heute nicht ein:
erquiden.
mal auf eine [tille Trauminjel flüchten, wo»
bin Gorge und Not der Gegenwart nicht
dringen, wo alle Ängſte ber Zeit ihre Macht
verloren? Unferen von den Schreden bes
Krieges verjtirten Gemiitern will es faft un:
glaublich erjcheinen, dak es einmal eine di
ab, wo eine fiihne Schar jugendlicher Geijter
ebte, deren Plan und Ziel es war, bieles
ganze verworrene Leben in barmoniid)e Dich»
tung auszubauen, aus ben gyflopijden Trüm—
mern Diejes Dajeins ein Kunftwert ebel[ter
E zu geltalten; deren Berge ver:
jebenber Idealismus Welt und Menjchheit
in eine höhere, reinere Sphäre erheben zu
fónnen meinte; deren fefte Überzeugung es
war, daß die Erfüllung diefes Schönheits:
traumes nur von der Kraft unjres Willens
abhängig und
eine unbedingte
Forderung an
unfer bejjeres
Mtenfdentum
lei. Aus ben
phantajtijden
Träumen der
Romantit weht
es herüber wte
a le de
Jugend. Was
gäben wir dar:
um, wenn wir
mit der Kraft
ihres Zauber:
Hobes diefe in
Schmerz und
Not erftarrte
Melt berühren
fönnten, daß fie
jugendlid) blüh—
te und glau:
bensfroh lä—
helte. Gerade
die Harte der
Zi madt uns
uft, einmal
ben ſtärkſten ih-
rer 3auberer
heraufgube-
ichwören, dem
fid die Türen
der lebten Ge:
Heimnijje, in
die Die anderen
Romantifer ge:
waltjam zu
bringen ver:
Novalis unb feine Beit m
Bon Dr. C. A. Pfeffer = 992
& Novalis. Mad einem Ctid) von Eduard Eichens al
judjten, von felber öffneten, damit er uns
Pr mit feinen pergüdten, gläubigen Augen
dieje in Jammer verjunfene Welt zu feben.
Eine Frage, bie, an [id) müßig und gwed:
los, bod) fo mandes beraubte SC heute
bewegt, führt uns leicht dëi ihm: „Was wäre
aus thm geworden? ar es Böttergunft,
die ihre Lieblinge früh zu fid) ruft, ober war
es Tiide bes Schidjals, bie die Beften um
ihr Beftes betrog?” Auch vor dem frühen
nde bes begabteften ber Romantifer ftehen
wir vor ber Frage, ob bie Blütenfülle feiner
Jugend überreiche Frucht verſprach, ober ob
das Übermaß der Blüte alle Lebensfraft vor
der Zeit verzehren und die Frucht in der
Blüte töten mußte? Über feinem ſchwärme—
rildjen 9Intli& mit ber gedanfenreichen Stirn
liegt ber Glang Ba Berflärung. Es ijt
bas Cdjdjal eines Euphorion, bas fid) vor
uns aujtut und uns mit Schmerz und web:
miitigem Entzüden erfüllt. Novalis ift bte
poetilche 9Berfórperung der ewigen Jugend
diejer träumereichen Romantif. Er war ihr
Idealvertreter,
mit dem ſie alle
Zweifelnden
unb Bedenk—
lichen zu bekeh—
ren gedachte.
Und keiner war
dazu geeigneter
als er, dieſe
Aufgabe zu er—
füllen; denn er
beſaß in höhe—
rem Maße als
ſie alle, was ſie
für ihr Beſtes
hielten, und er
warihnenüber—
legen an dem,
was den ande—
ren fehlte und
was ſie um den
Kredit bei den
ach ſo nüchter—
nen Menſchen
bringt — da—
mals und heute.
Novalis hätte
vielleicht den
Ungläubigen
bewieſen, daß
man Roman—
tiker ſein und
doch im tätigen
Keben feinen
Mann ſtehen
tann. — lls
Dichter nannte
er fid) Novalis.
Alles, was in
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Panorama bes Befechtsfeldes am Chemin bes
EEA Ernft Volbehr: Die Abwehrſchlachten in der Champagne u. an der Aisne Sl 19
Dabinjabrenden Tanfwurm. Bon ben beiden
olonnen in Ctürfe von je zwanzig bis
dreißig Tanfs befam die Hälfte Volltreffer.
Die Tanffolonnen waren dadurd) jofort zum
Ctillitanb gefommen. Man fah die Fran-
ofen aus den Tants herausftürzen und
io bie brennenden Uniformen vom Leibe
reißen. Die franzöliihden Snfanterijten
drückten fih jchleunigft aus der gefährlichen
abe, zumal die Munition unb die Benzol:
bebalter bei einigen Tanfs explodierten. Die
Tants machten ‚tot. Das Feuer ber Ar:
tillerie brachte bas SFortichreiten ber fran-
öſiſchen Infanteriemaffen zum Stehen. Jest
ete auch Der Gegenjtoß unjerer Infanterie
ein. Mber bie bis dahin ‚tot‘ |djeinenben
Tants, bei denen unjere Infanterie adtlos
vorbeigeftiirmt war, wurden plötzlich wieder
lebendig und ſchoſſen ftellenweije in den
Rüden der vorjtürmenden deutjchen Reihen.
Das befam ihnen jdjledjt. Die nun bereits
eingeſchoſſene Artillerie brachte mit wenigen
Schüſſen wiederum Ungetüme zum (Gxplo:
dieren, |o daß fih der Reit veranlaßt jab,
Ichleunigjt nad) rüdwärts zu entweichen, was
L jer nur gelang, weil jie fic) mit Hilfe von
tebelbomben hinter einer undurdlichtigen
Rauchwand veritedten. Biele find nicht ent-
tommen, denn id) [ab ja allein zwijchen Miette
und der Yisne zweiunddreißig Ungetiime zwi-
Jaen und Hinter den Linien zerjtört liegen.
Sch wollte natürlich die Tants aud) von
ber Nähe jehen und malen, hatten fie bod)
friegsaeldjid)tlidje Bedeutung während der
franzöfiichen Dffenfive erlangt. Durchs She
renfernrobr hatte ich genau beobachten fone
nen, Dak einige dicht an unjeren Grab
lagen und von dort aus gemalt wen
fonnten. Darauf fuBte mein Entihluß,
ich auch gleich tags darauf ausfiibrte. =
Sprer, ber mich bei Yuvincourt al
JBegegabelung laut Divilionsmitteili
D Ute, war ausgeblieben, un
€ über freies Feld in F
laufen, war troß bei
auf biejen F
lüd Offiziere gu
t Stellungen g
fannte von
E
ww.
SH
ant vor
ftrebte be
vorbei zumf
drei Dabeilied
4
Co Stand ich auf freiem Felde, außerhalb
bes Ihüßenden Grabens, dicht neben meinem
Modell, ohne zu ahnen, wie nahe der Feind.
Sd ließ mir jogar Zeit zum Malen. Die
Morgennebel verjdwanden aber bald, die
Franzoſen befamen Sicht, fonnten das Leben
und Treiben der photographierenden CoL
daten beobachten, und da ihnen ja wohl
nicht gerade viel darum zu tun war, daß
wir Deutjche diefe Zeugen ihrer traurigen
Blamage photographieren, [hoffen fie mit Ge:
wehrgranaten, worauf bie Photohelden jo»
fort im Graben verjchwanden; id) aber, ber
id durch meine Modelle gegen feindliche
Sicht geſchützt war, fonnte nod) eine friege-
riiche Note, den rötlinweißen Rauch ber Ge:
wehrgranaten, mitmalen. Die Farbenſtizze
war bereits vollendet, und außerdem waren
noch alle genauen Mage der Tants notiert
und niedergezeichnet, als ich mit meinen
Malſachen gezwungen wurde in den Graben
zu |pringen. Ich war ghidli, dak id) die
Tants im Bilde fejtge hatte. Seht
will ich hier gleich alle: über Tants
gejehen und gehört I jeiben.
Die Tamis jolen batail-
lonen | " h laj-
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ihm prattijd, lebenstiidjtig und gielftrebend
war, bieB gorma Leopold Freiherr von Hars
benberg. Als ſolcher wurde er zu Sberwieber:
ftedt im Mtansfeldijden am 2. Mai 1772 ges
boren, Der Dichter Novalis wurde der Welt
gejdentt im Todesjahre feiner Braut Sophie
von Kühn, 1797. Nur vier Jahre ließ ihm
bas Cdjidjal von ba ab Zeit, zu beweijen,
daß er eine dichteriſche Begabung allererjten
Ranges war. Am 25. März 1801 ging er
hinüber in das große Ratjel und hinterließ
Kach Perehrern die [d)meralid)e Freude, an
einem unvollendeten Werte weiter zu [innen
unb die Golbbarren feiner königlichen Ge:
banfen|djáge auszumünzen. — Die fablen
äußeren Lebensdaten und -ftattonen verraten
bei ihm weniger als bei anderen Menſchen,
was in ihm Eigenart und höheres Wejen
entwidelte. Bis zu dem entjcheidenden Jahre
fonnte es fogar — als hätten wir es
mit dem normalen Lebenslauf eines harm—
los heiteren, begabten Menſchen zu tun, der,
aus guten Kreiſen ſtammend, auf die guten
Beziehungen ſeiner Familie vertrauend, mit
leichten Verirrungen, aber ohne größere Um—
wege ſicher ſeinen Weg in geordnete und
nährende Beamtenverhältniſſe geht. Aber
wäre Hardenberg weiter nichts als das ge—
weſen, hätten auch die tiefgreifenden Erleb—
niſſe nicht aus ihm den Dichter Novalis ge—
macht. Vielleicht haben, ungeſehen von den
Augen der Welt, ſchon die erſten acht Jahre,
die er in ſeltſamer geiſtiger Stille und Starre
verbrachte, und aus der er durch eine
heftige Krankheit aufgerüttelt ſein ſoll, die
Keime des Genius in ihm entfaltet. In der
faſt klöſterlich abgeſchiedenen Einſamkeit des
väterlichen Stammſitzes in Oberwiederſtedt
vollzieht ſich langſam, Milan be und in
feltener Harmonie bie Milchung ber elter:
lichen Grbteile. Aus dem Namen Harden:
berg hört es fih heraus wie Tüchtigfeit und
Bodenftändigfeit. Bon dem gebildeten, Hor
fen und berben Bater, ber Bergfach [tubiert,
in ber Hannöverſchen Hoffanglet gearbeitet
und am Siebenjährigen Kriege teilgenommen
atte und der wiederum auf die verjorgende
telung eines Galinendireftors in Weißen:
els zurüdgriff, als er einjah, Dak ihm feine
erhdltnifje bte Tändliche Muke nicht geitat:
teten, bat der Sohn das gefaßte und frijche
Cidjabfinben mit den Pflichten und Forde:
rungen des Alltags, das den Romantifer
Novalis vor feinen berufsjcheuen Freunden
auszeichnet und an Goethes geniale Biel:
leitigfeit erinnert. Eine innere Erwedung,
die auf bas Sdidjal des Sohnes vorbeutet,
* der Vater erlebt, als ihm ſeine erſte
rau nach glücklicher Ehe durch eine Blat—
ternepidemie entriſſen wurde. Er hatte ſein
Geſchick als eine Warnung des Himmels auf—
gefaßt, hatte ſeiner bisherigen Lebensführung
entſagt und ſich in den Schutz der Herrn—
huter geflüchtet. Dieſe ſtrenge Frömmigkeit,
vertieft durch die zur Melancholie geneigte
Religioſität der zarten und weichen Mutter,
der zweiten Frau des Vaters, einer gebores
pBeeeee-——-—--34 Dr. C. A. Pfeffer:
nen von Boelzig, haben den Kern gebildet
u ber gläubigen, an den Willen bes Schick—
fats TERME ent unb pon feiner Güte iiber:
geugten ebensauffaffung des Dichters,
immt man dazu den feinen Märchenſinn,
der in biejer Etille feinen Goldftaub über
bie Kindesjeele [treute, unb den drohenden
Todesfeim, ben er wie die übrigen zehn Ge:
\hwifter in fein junges Leben aufnahm, an
dem bie meilten von ihnen, wie er, früh hin—
fiehten, Jo hat man notdürftig die Linier
zujammen, aus denen man bie Wege feines
Gejchides lejen könnte. Als er früh gereift
und erfabrungsburjtig, acht Fe in die
Welt hinaustritt, erfaßt er [türmi|d) und bes
gliidt zuerit in Jena, wo er jid) mehr noch
an Schillers [ittlidjer Größe als an feiner
Poefie und an den von Reinhold vertretenen
Ideen Kants begeiftert, bann in Leipzig, wo
n Friedrich Schlegel für die romantijden
läne gewinnt, was jeinem innerjten Wejen
gleichgerichtet und förderlich ift. Dabei ift
es bezeichnend für fein gwijdjen Icharfer Bers
—— Me unb ſchwärmeriſcher Myſtik
icher ſchwebendes Weſen, daß er ohne ſchwe—
ren Kampf ſich von Schiller die Abſicht
widerraten läßt, ſich ebenfalls ausſchließlich
der Dichtung hinzugeben, und daß er in
See neben barmlojem Sichveritriden in
des Lebens Berlodungen und in tiefem Ers
griffenwerden von ben romantijdjen Traums
ejpinften, zielbewußt feine Studien in ber
d uciiterei, Miathematif und Chemie auf den
Ipäteren Beruf einjtellt und wiederum, bei
voriibergehender Abneigung gegen die Pläne
feines Vaters für ihn, fid) beicheidet und
früher als Goethe die Überzeugung gewinnt,
daß es fein Raub an feinem höheren Berufe
ift, mit der Glut feiner künſtleriſchen Gebr:
juht in der Schmiede des Alltags zu ftehen,
‘mit größter innerer Freiheit das Muß zu
einem Ich-will adelnd. Immerhin wird feine
Berührung mit den Gebantentreijen ber Ros
mantif für diefe und ber ibn entjcheidend.
Wie Goethe in Herder jeinen Entdeder und
MWegführer fand, ehe er durch bas aufwiih:
lende Erleben mit Friederife ben entſcheiden—
den Zuſammenſchluß gwijden den neuen
Ideen und feinem eigenen dichteriichen (e:
nius fand, jo mußte ähnlich Novalis von
den revolutionären romantijden Ideen ers
riffen werden, ehe aud) aus ihm ein Seſen—
Dem den vollendeten Dichter ſchuf. Der Ver
gleid) mit Goethe ijt nicht gezwungen. Wie-
der und wieder lodt es, von einem zum
anderen hinüberzubliden. Und Goethe jelbft,
der in Novalis einen fiinftigen Imperator
der Literatur fah. hat uns ben Ausblid ers
öffnet, daß ein vollendeter Novalis febr wohl
an Goethes dichteriiche und menjchliche Größe
Derangereidjt hätte. — Der Blanz und die
Wehmut ber Sejenheimer Idylle liegen über
Novalis’ Glüdstraum in Grüningen, der
nod) erjchütternder und für den Künltler
noch wedender endigte, als jene. Novalis
war nad) Abſchluß jeiner Studien in Leipzig
und in Wittenberg, wo er 1794 fein Fads
' mann
ESISFTSISSISHIISIITZZN Novalis und feine Zeit |
examen madjt, von feinem Bater nad) Senn:
ftedt in Thüringen geldjidt zum &reisbaupt:
Juft, damit er dort eine praftijche
Ausbildung in ber Galinenverwaltung ge:
nbjje. Mit Ernit, Eifer und genialer Bes
berrjdjung ergreift Novalis feine Arbeit dort,
bis er im nahen Brüningen auf dem Gute
des Herrn von Rodenthien deffen Stieftochter
Sophie von Kühn tennen lernt und „eine
Rierteljtunde” über fein Herz und fein Gdjid:
fal entjcheidet. Novalis war einundzwanzig,
Copbie taum dreizehn. Es könnte erftaun-
lich jcheinen, daß die &inberbünbe einer Drei:
zehnjährigen einen jo entjcheidenden Eingriff
it das Schidjalsgewebe des Dichters tun
fonnten. Ob Sophie [o war, wie Jtovalis
und feine {Freunde fie jahen, — ein unge:
mein reizvolles, faprigidjes Geſchöpf, fiir
dejien „Grazie und bimmilijdje Anmut“ es
teine Worte gäbe, das „von Schönhrit um:
glänzt und von Majejtät umkleidet“ \ich „wie
ein überirdiihes Mejen“ bewege, das auf
Freunde und Angehörige des Dichters un:
iiberjteblidjen Zauber übte, oder ob bie bera:
loje Forſchung (Heilborn) fie zu entjchleiern
fudjt als ein wenig gebildetes, frivoles Ge:
ichöpf, das in Jeinem Weſen das etwas derbe,
aber jrijd)e Milieu der ländlich freien Le-
bensjreude widerjpiegelt — darauf fommt
es legten Endes nicht an. Sophie war fiir
Movalis jo wie er fie jah und erlebte. Man
mug fih nur vergegenwärtigen, was ber
Romantifer in der Liebe juchte, um zu wür—
digen, wieviel bieje Liebe fiir den Dichter
bedeutete. Wud) ba bringt Novalis ben leben:
digen Beweis für die äjthetijchen Theorien
feiner Freunde. Er erlebt, was fie zum Teil
nur erdadıten, und bas gibt ihm das Über-
ewicht über fie als Menjch und als Dichter.
as die Romantifer von dem eres
wijden Mann unb Weib in gejellichaftlichen
eziehungen, in Liebe und Ehe träumten
und verlangten, erhob fid) turmbod) über
die fláglidje Zufriedenheit der „Viel-zu—
Vielen“. Das, was man landläufig unter
Geſellſchaft verjtand, war für fie nichts als
ein „Dlojait geichliffener Karikaturen“, bas,
was man für Ehen ausgab, nicht mehr als
„KRontubinate“, im beiten Falle provijorilche
Berjuche, en:fernte Annäherung an wirkliche
Ehe. Die Mtenjchen erichienen ihnen wie
Serrbilber ihrer felbjt, wie Hohn und Spott
auf das Gbenbilb Gottes. Der wahrhafte
Menſch habe das Ziel, Gott gleich zu werden;
denn „Bott will Götter“, wie Novalis jagt.
Er bat die Aufgabe, fih feines bejjeren Ihs,
oder wie Novalis es ausdrüdt, „feines tran:
Jzendentalen Gelbjt, bes Ihs feines Ich“ zu
bemádjtigen. Und zu biejem SHinaufent:
wideln zum wahrhaften Menjchen, ber dem
fibermenjden Niegiches jebr ähnlich ijt, ber
zugleich 3Utenjd) unb Menjchheit fein muB,
diene ibm, neben allem Erhebenden ſonſt,
nichts mehr und bejjer, als die Liebe zu
einem Wejen, das ihn aus ber gerrijjenen
Zweiheit von Mann und Weib zurüdtühre
in Die ideale Einheit Menſch, bie nad) Schleier:
31
machers Blaubensartifel einmal bejtand vor
biejer unjeligen, alle Qualen der Geynjucht
ertlärenden Zerjplitterung. Dann aber ijt
Die Liebe niht nur perjönliche Beglüdung,
KE eine heilige und höchſte Wujgave,
id) vermtttels des anderen mit ihm und
Durd ihn zu dem Spealbilde feiner felbjt
zu entwideln. Dann ijt das Sichfinden zweier
Menjchen nicht gliidlicder Zufull, jonbern
Cternenwille und Weltenichidjal, bas er:
fämpft und verdient fein will. Von ba aus
Delt ber Romantifer an Bräute und Frauen
ang andere Yorderungen, als der Durd):
— Da fallen die üblichen, ärm—
lichen Anſprüche an Schönheit und Reife,
da ſtürzen bie Schranken von Jayren und
Altersunterjchieden. Karoline war elf Jahre
älter als Shelling, Doroıhea neun Yayre
älter als Friedrich Schlegel. Diejer heilige
3 rieb, fic) vermittels der Liebe, wie jeglichen
erhebenden und lauternden Erlebens in Runjt
und Leben zu gottübnlidjen Weſen aufzus
Ihwingen, ijf ihnen auf dieje Weije gleich—
bedeutend mit Religion. Runjt, Liebe, Reli:
gion werden ein Begriff, bie Beliebte Heili-
genverehrung, ihr Leib ein Altar, vor bem
der Mann die Gottheit anbetet. Go jagt
Novalis: „Es gibt nur einen Tempel in der
Melt: bas ijt der menjchliche Körper. Nichts
ijt jeliger, als dieje hohe Gejtalt. Man be:
rührt den Himmel, wenn man einen Pien:
ichenleib betajtet,^ Die Geliebte ijt ihnen
der Weg und ein Wiittler zu Gott, wie
Chrijtus felber, vollendete Liebe vollendeter
Gottesdienjt, unb die höchſten Geſchenke ber
Liebe nicht weniger als die Gnadengaben
bes Abendmahls. So ijt es nidyt Blase
phemie, wenn in Novalis’ herrlicdyer Abend:
mabhlshymne, in der diefe eibabenen Vor:
fielungen von dem Ideal menjchlicher Be-
zichungen und feine abnungsvollen Tı äume
der Allbejeelung aujammenj|trómen, himm-
liihe und irdijde Liebe zu innigjter Yer:
fme qua eins werben:
enige wijfen
Das Geheimnis der Liebe,
Fühlen Unerjättlichkeit
lind ewigen Durft.
Des Wbhendmabls
Göttliche Vedeutung
Sit den irbijd)en Sinnen Rätſel.
Aber wer jemals
Bon heißen geliebten Lippen
Atem des Lebens jog,
Wem heilige Glut
In zitternde Wellen das Herz ſchmolz,
Wem das Auge autging,
Daß er des Himmels
Unergründliche Tiefe mak,
Wird effen von feinem Leibe
Und trinten von feinem Blute
Ewiglich.
Einſt ijt alles Leib,
Ein Leib,
Sn himmlijhem Blute
Shwimmt das Jelige Baar. — — —
Ob, dab das Weltmeer
32 poS9ss3tx——---2) Dr. ©. A
Schon errötete
Und in duftiges Fleiſch
Aufquölle der Wee
Nie endet bas ſüße Mahl,
Nie lüttigt die Liebe fid) — —
eaten die Nüchternen
inmal gefoftet,
Alles verließen fie
Und festen jid) zu uns
Yn den Tilh der Sehnjudht,
Der nie leer wird! —
Und wenn wir einmal hören, wie im
„Heinrich von Diterdingen“ dicfer zu feiner
Geliebten Mathilde, bem verflarten 9Ibbilbe
der Sophie, |pridjt, jv ahnen wir, wie fid
ihr irdijches Abbild in des Dichters Seele
ipiegelte, wie er es mit allen Juwelen feiner
hochfliegenden Sehnſucht [d)miidte, und wie
er fie fdon zu Lebzeiten umpdichtete zu
einem verllärten und ihn vertlärenden
Wejen. „Meine Mathide,” jo jagt Heinrich,
„erit jebt fühlte ich, was es heißt unjterblid)
gu fein.” Und Mathilde: „Lieber Heinrich,
wie unenblid) gut du bik, welcher herrliche
(et fpridit aus bir. bin ein armes,
unbedeutendes Madden. Wie du mid) be:
ſchämſt! Bin id) bod) nur burd) did), was
id) bin. Ohne dich wäre id) nidts. Was
ijt ein Geijt ohne Himmel, und du but der
Himmel, der mid) trägt und erhält... Ich
begreife nidjts von ber Ewigfcit, aber id)
büd)te, bas müßte bie Ewigfeit fein, was
id) empfinde, wenn id) an bid) dente.” Und
Heinrih: „Ja, Mathilde, wir find ewig,
weil wir uns lieben... D Geliebte, der
Himmel hat dich mir zur Verehrung gegeben.
Sd) bete did) an. Du bijt die Heilige, die
meine Wünſche zu Gott bringt, durch bie er
fih uns offenbart, durch bie er mir die Fülle
leiner Liebe funbtut. as ijt bie Religion,
als ein unendliches Einverjtändnis, eine ewige
Bereinigung liebender Herzen. Du bijt die
göttliche Herrlichkeit, Das ewige Leben in
der licblicjten Hülle.“ Wenn Novalis jo für
Sophie fühlte, gleichviel, ob fie es wert
war, oder ob, wie felbjt jein Freund Schleier:
moder es angedeutet hat, fie mehr ein Ge:
ſchöpf feiner Wünjche und jciner Phantaſie war
und als joldyes Glang und Höhe aus feiner
Geele lieb, wenn fie ihn jo fühlen machte,
jo Tonnen wir ermejjen, welche Glüdjeligfeit
ihm feine Liebe zu ihr bejdjerte, wie froh
er fein bisheriges Leben nach jeder Richtung
erhöht und geläutert genoß und — wie un:
jJagbar niederjchmetternd es für ihn war,
als das Gdhidjal ihm riejes jugendliche
Hötterbild zerichlug. Eine Zeitlang glaubte
er mit der Kraft feines Willens den Arm
bes Würgers aufhalten zu fónnen, er rang
mit ibm Brutt an Bruft in taujend Qualen
der Hoffnung und Verzweiflung. Aber Sophie
Ktarb trog einer wiederholten Operation in
Jena, die fie von einem TFrauenleiden be:
freien. jollte. Seine Sonne, um Die er feine
Welten freijen ließ, war in Macht verjunten
und ang feine Ceele nad. us dem ftrah-
lenden Sonnenjüngling wird der jchwärme:
Pfeffer: SCHI IE IC Ic HZ el
rilde Sänger der Nacht, in ber er die Ur:
mutter verehrt, von ber alles tommt, zu ber
alles geht. Menſchen fonnten ihm nicht
SIE? in feinem Jammer. Ihnen gegenüber
lieb er deshalb aud) gefaßt und heiter und
lebte weiter mit ihnen in ihrer ibm fremden
und verwailten Welt. Ihn aber tröjtet und
rettet der Dichter in ibm. Gem Genius
d ibm, in den zerichlagenen Trümmern
eines Glüds den Grundjtein zu feinem
Werf und feinem Ruhm zu finden. Die
tiefe NReligiofität, bie den Urgrund feines
Mejens machte, neu erlebt und neu geboren,
durchtränft und durchſtrömt fein Denten und
Schaffen. Die „Hymnen an die Nacht“
(inb die fünjtlerild)e Frucht biejer brünjtigen
Hingabe an jeinen Schmerz, mit dem er rang,
bis er ihn Jegnete. Ceinem pofitiv gläubigen
Vertrauen dem Schickſal gegenüber ent:
\prechen die großen, tröjtlihen Wahrheiten,
bie er in Diejem Rampfe fand: „Wieine
Liebe ijt zur Flamme geworden, bie alles
Irdilche nachgerade verzehrt. Meine Kräfte
ipe mehr zu: als abgenommen. Zufrieden
in id) ganz. Die Kraft, die über den Tod
erhebt, babe id) ganz neu gewonnen — es
feimt fhon ein fünjtiges Dajein in mir.“
(Brief vom 28. März 1797 — am 19. war
Sophie geftorben.) Er erfannte in des
Schidjals Fügung die Gnade der Berufung
zum Höheren. Es entjprach feinem Glauben,
daß „Unglüd der Beruf zu Gott" fei, daß
man deshalb ftolz auf feinen Schmerz fein
fole, ba er eine „Erinnerung unjeres hohen
Ranges” fet. Mehr denn je wird ibm
Chrijtus, ben bie Romantifer als Freund und
Gefährten liebten, Herold unb Vorkämpfer
in der Überwindung des Todes. Der Stolz
bes von Fichte gefundenen, allmädytigen
Ich entziidte Novalis zu den Worten: „Was
ih will, bas tann ich.“ „Bei Vienichen ijt
fein Ding unmöglidy.“ Heil und Rettung
Idien ibm dicle Allmadht in feinem Elend.
Er glaubte, es tomme nur auf feinen Wil-
lensentjchluß an, feiner Sophie nachzuſterben,
den Schmerz fid) in bie Bruft zu ftoßen, lang:
jam und in Wolluft, etwa wie &Ieijts Pent bet:
lea den Jammer über ihre zerbrochene Ehre,
ihr nachzufterben, wie Eduard feiner Ottilie
in ben Wahlverwandtichaften. „Unjer ganzer
Körper ijt jchlechterdings fähig, vom Geijt
in beliebige *Remegung gejekt zu werden.
(s wird vielleicht nur von ibm abhängen,
einen Stoff zu bejeelen. Dann wird er
vermögend fein, jid) von feinem Körper zu
trennen, wenn er es für gut befindet —“
jo triumphiert der Dichter, — Der Kern:
gedanfe feiner in Stimmung und Gedanfen
wunderjam berauichenden Hymnen, die 1799
im „Athenäum“, der jammelnben Zeitjchrift
Dicjer Sturmgeijter, erjchienen, fteht in den
Fragmenten: „Leben ijt der Anfang des
Todes, Das Leben ijt um des Todes willen.
Der Tod ijt Endiqung und Anfang, Shei-
bung und nähere Selbjtverbindung zugleich.
curd) den Tod wird die Redultion voll:
endet.” Gein Wille befreit ihn von Der
Pass — — —
Gewalt des Todes und findet in dem Nichts
ſein All. Auch da wird bei Novalis Leben,
was den anderen nur Begriff war. Er—
ſchütternd klingt die melodiſche Klage ſeiner
ſchönen Seele an unſer Ohr, endigend in
triumphierenden Siegerruf:
Getroſt, das Leben ſchreitet
Zum ew'gen Leben hin,
Von innerer Glut geweitet
Verklärt ſich unſer Sinn.
Die Sternwelt wird zerfließen
Zum goldnen Lebenswein,
Wir werden ſie genießen
Und lichte Sterne ſein. —
Ein bitterſüßes, ergreifendes Ringen hebt
in ibm an. Der Dienjdy kämpft mit bem
Künitler in ibm. Bald muß er fühlen, daß
feine Kräfte nadjlajjen, dab fih in ihm
etwas an Die jchöne Welt halt „mit flam-
mernben Organen“. Geine Gelbjtvorwiirfe,
das frajtjudjen an ihrem Grabe fhügen
ihn niht. Es Hilft ibm niht, daß er die
Zeit zu betrügen juht, indem er von Copbiens
Todestage an eine neue Zeitrechnung beginnt,
daß er fid) mit den Ideen des Galvanismus
berreundet, einen höheren Sujammenbang
mit der Berllärten zu finden: Das Leben
[odt und zieht, bis |djlieplid) Menſch und
Riinjtler in ihm drängen, den ſchönen,
widerjpenftigen Ctoff ber Welt in neue
Form zu prejjen. Und jchneller als er ge:
glaubt hatte, 30g das Leben wieder trium-
phierendD ein in fein verlajjenes Herz. Im
Dezember 1797 war Novalis nad) Freiberg
gegangen, um fich im Hüttenwejen umzutun,
ehe er in bie Galinenfarriere hineinginge.
Dort treffen Anregungen und Erlebnijje
perjdjiebener Art aujammen, die ihn ber
Welt zurüderobern. In Freiberg lehrte der
Geologe Werner, ein Mann von Boethijchem
Geijte. Durd ihn wird Novalis ben Naz
turwillenjchaften nod) näher gebradt, denen
alle Romantifer größtes Interejje widmeten,
Jhon um neue Zugänge zu ben großen
Gebheimnijjen von Natur und Menic zu
fuchen. Novalis fand in ihm feinen Führer
auf der Gude nad) dem 3ulammenbange
aller Dinge. Ein Kleines Romanfragment,
die „Lehrlinge zu Cais”, mit bem einge:
legten entzüdenden Märchen von Hyazint
und Rojenbliit, das fünjtlerijd) nod) unreif,
bod) den künftigen Weijter verrät, ijt Die
Frucht biejer Befanntjichaft mit Werner und
jeinen fosmijdjen Entwidlungsideen. Die
Wahrheit bes Märchens, bas den Ginn des
Romans poetijd Bu One aD ijt, daß
bas Wijjen uns mit der 9iatur entzweit,
daß wir bie €ójung aller uns bewegenden
Ratjel der Natur um uns jdjlieplid) nad
allen Umwegen und Irrwegen in der eigenen
Bruft piven Ver von Cehnjudt und
Wijjensodurjt in bie Welt getriebene Hya=
zinth fintt, als er ben Borhang von dem
verjchleierten Bilde zu Gais hebt, jeiner
verlajjenen Rojenblüt in die Arme. — Zu
gleicher di wird Novalis burd) jd)rift[idjen
und perjónlidjen Berfehr mit bem Senenjer
$SRelbagen A Klajings Monatshefte.
I Novalis unb feine Zeit Bessie Se]
Kreife tiefer als zuvor in bie Ideen ber
Romantik eingeführt, bie damals in Jena
Den $jodjii& hatte, und mad) in biejem
reife bie ganze erjte Entwidlung ber ro:
mantijden Schule mit. Berdanft er feinen
Eltern bie fiir ihn verbindliche religidje
Grunbanjdjauung, jo vermittelt ihm Die
Romantik feine ajthetijdhen Grundgelege.
Die wie dort wächſt er jchnell über feine
ehrmeijter hinaus. mmer weiter und freier
Ipannt fein Genius die Flügel. Die Schlegel
merten bald, daß fie thm nichts mehr zu
geben haben. Mur der Bhilojoph Shelling,
Dellen pantheijtijher Naturauffafjung No—
palis aus eigener Geele zuneigte, und der
Dichter Tied haben auf ihn tieferen Çin-
fug gewonnen. Perſönliches Verjtändnis
fand er namentlich in Freiberg im Haufe
bes Bergrats von Charpentier, deffen Tochter
Julie im bald aus der tröjtenden Freundin
eine zweite tiefe Liebe und zweite Braut
werden jollte. Schon ein Jahr nad) Sophiens
Tode, 1798, war er mit ihr verlobt. Ta
aber Stovalis an feiner Verehrung für die
verflarte Sophie fejthielt, ift es interejlant
zu verfolgen, wie er lid) aus Diejer inner:
lichen Doppelliebe rettet. Wiederum hilft
ibm ber Dichter, ben Menjchen zu über:
winden. Um Julie mehr und mehr fein Herz
einräumen zu Tonnen, muß er Eophie immer
Kox? und höher entrüden, bts fie ibm
djiieBlid) zum höchſten Symbol weiblicher
Liebe wird und völlig mit feiner poetifchen
Erfafjung des Marienkultus zufammenfließt.
Aus feinen „Marienliedern“ erfahren wir,
wie er das jchrrere Problem Ion, ` Gein
tief religiöjes Bedürfnis hatte die liebliche
Beitalt ber Gottesmutter ohne alle Dogma:
tidje Beengung und Verpflichtung erfaßt.
In der Mittlerfchaft zwiichen ibm und dem
Höchſten werden fie und Sophie eins. In-
dem er fo feine Sophie zu ben Unfterblichen
erhebt, ſchafft er dem irdiſchen Glüde Blak,
das er, feinem Wejen getreu, gleichfalls in
religidjer Wndadht und im Aufblid zum
Höchſten genießt. - So- jagt er in feinem
Gedidt „An Julie“:
Dak id) mit namenlofer Freude
Befährte deines Lebens bin
Und mid) mit tiefgerührtem Ginn
Am Wunder deiner Bildung meine —
Daß wir aufs innigfte vermablt,
Und ich Der deine, Du Die meine,
Dak ich von allen nur die eine,
Und diefe eine mid) gewählt:
Dies danten wir dem fien Wefen,
Das fih uns liebevoll erlejen.
O! laß uns treulich ihn verehren:
Co bleiben wir uns einverleibt.
Wenn ewig jeine Lieb’ uns treibt,
So wird nichts unfer Bündnis [tóren.
Yin feiner Ceite Tonnen wir
Getrojt des Lebens Laften tragen,
Und felig zueinander jagen:
Ccin Himmelreich beginnt jdjon hier.
Wir werden, wenn wir hier verschwinden,
Sn jeinem Arm uns wiederfinden, —-
32. Jahrg. 1917 1918. 2. Bo. 3
es Ee ess Dr. C. AL.
Ta, Sophiens und Syultens Liebe ftromten
ihm gleid)jjam über bie irbijd)e Vereinzelung
hinaus zum Begriff des Ewig : Weiblichen
zuJammen, bas unter Dem Synibol der Wiuts
ter Wiaria in den lieblidjen Gejtalten ver:
forpert, ihn binanzog. Turd) bie in den
„Dlarienliedern“ gejungene Verehrung der
Viaria Hingt warm und füylbar ber Nad-
tlang feiner irbijdjen Liebe zu Sophie bin:
Durch, derart, daß zwiſchen geijtiger Lyrif
unb zarteiter Licbespoejie taum eine Sdjeide-
wand bleibt. Go in bem frinjten:
Ich fche bid) in taujenb Bildern,
Paria, lieblid) ausgedriidt,
Dod) teins von allem tann dich jdildern,
Wie meine Geele dich erblidt.
Sd) weiß nur, daß der Welt Getiimmel
Seitdem mir wie ein Traum verwebt,
Und ein unnennbar jüßer Himmel
Dir ewig im Gemiite fteht. —
Aus ben jid) daran anjchließenden , Geijt-
lichen Liedern“ eine fatbolijierenbe Neigung
berauszubhören, wäre ebenjo faljd) wie aus
dem gleichzei.ig entworfenen Aufjage „Chris
itenbeit oder Europa“ Renegatentum her:
auszulejen, wie es, mabridjeinlid) in Hin-
bli auf andere Romantifer, gejchehen ijt.
Die „Beiltlichen Lieder“ führen ihren (Gegen:
beweis von jelbjt. Eins von ihnen, „Wenn
alle untreu werden“ ift in bie protejtantis
Iden Bejangbücher aufgenommen. Aber aud)
aus dem durch Schleiermachers „Reden über
die Religion” angeregten Aufjage tann nur
villiges Mißverſtehen eine Werherrlichung
des Katholizismus Derausbeuten. Novalis
fteht darin auf demfelben Ctanbpuntte wie
der proteftantijde Prediger und Freund.
Beide waren der Anfidt, daß bas religiöfe
Bedürfnis fih jenjeits jeder beengenden
firchlichen und dogmatijchen Form fein Recht
juchen dürfe, daß Religion als reine Gefühls—
und Herzensjad;e eigene perjönliche Ange:
legenbeit fei, daß es legten Endes ebenjo
viele Religionen wie Individuen geben
müjje; und beide waren der Überzeugung,
daß eine Neugeburt der religiójen Formen
notwe.ıdig und gwar nur aus der deutichen
Seele zu erhoffen fei. Man jollte bas darin
ausgejprodjene nationale Gelbjtgefühl den
oft als fosmopolitijdje Schwärmer geſchol—
tenen. Romantilern nicht vergejlen. Die
Charafterijitf, bie Schleiermacher in feinen
Reden von den Engländern vor mehr als
hundert Jahren gab, hat fih heute deutlich
genug als richtig bewiejen. Es wäre gut
ewejen, jie hatte früher zu einer Erfenntnis
wrer Scheinheiligkeit und Nüßlichkeitspolitif
geführt. Das Ideal Novalis’ fteht über Bibel,
Dogmen und jeder bejtehenden Konfeljion
und jucht nad) einer neuen Gemeinid)aft
aller wahrhaft Religidjen. Nur vergleichend
preijt er die Zeit, wo es einen fatholijden
d. b. gemeinjamen und einzigen Glauben
gegeben habe, und daß eine foldje Zeit wieder
zu erjehnen und zu ſchaffen fei, obne diejelbe
firdjlid)e Form annehmen zu müjjen. Auch
34
Pfeffer: MBEK KZZ K es 3:421
fein jcheinbarer Vorwurf gegen die Refor:
mation erflart fih baburd), indem fie ibm
nicht als jold)e, |onbern nur als Unterbredyung
ber Kultur und als Wufldjung diejer beglüden»
ben Gemeinjamteit aller Gläubigen beflagens:
wert erjdeint. Wer einigermaßen mit den
religiöjen Ideen der Romantif vertraut ijt,
veriteht und begreift auch da. Mit Stolz
fönnen wir den vertrauensvollen Ausblid
des Dichters lejen: „Deutſchland geht einen
langjamen, aber fidyeren Gang vor bem
übrigen Staaten voraus. Während dieje
burd) Krieg, Spekulation und Parteigei|t
beſchäftigt Wie bildet fid) ber Deutjde mit
allem Fleiß zum Genojjen einer höheren
Epode der Kultur, und Ddiejer Vorſchritt
muß ibm ein großes Übergewicht über Die
anderen im Laufe der Zeit geben... Mod
find alles nur Andeutungen — aber fie
verraten bem hijtorijden Auge eine uni-
verjelle Individualität, eine neue Gejdjid)te,
eine neue Dienjchheit; bie jüpe[te Umarmung
einer jungen überrajdjten Rirde und eines
liebenden Wichjias in ihren taujend Gliedern
zugleich. Das Neugeborene wird das Ab—
bild feines Waters, eine neue goldene Zeit
mit dunklen, unendlichen Augen, eine pro:
pbetijd)e, wundertätige und wundenbeilende,
tröjtende unb ewiges Leben entzündende Zeit
ein... Die Chrijtenheit muß wieder leben:
Dig und wirfjam werden und fic) wieder
cine fichtbare Kirche ohne Riidjidt auf Lan:
desgrenzen bilden, bie alle nad) bem Über:
irbijdjen dürſtigen Geelen in ihren Schoß
aufnimmt. — —“
Das um des höheren Swedes wegen ver:
Härte und bijtorijd) verjdobene Bild des
Miittclalters haite Novalis von Tied über:
nommen. Wud) da mug man geredt fein
und über der den Romantifern vorgewor:
fenen biltorijchen Fälſchung des Mittelalters
nicht vergejlen, daß obne bicje bewufte
Miederentdedung des Miiitelalters aud) alle
Dabei neugehobenen Schätze altdeuticher Kite:
ratur und Runjt und damit wiederum wejent:
lide Quellen des wiedererwadenden Na—
tionalbewußtjeins verjd)üttet geblieben wären.
Tid hatte in der Freundſchaft mit Novalis
Troft und Erjak geludt fiir ben Verluſt
jeines früh verjiorbenen Freundes Waden:
roder. Novalis verdankt dem Freunde den
legten wichtigen Fortichritt von der poeti»
jaen Bhilofophie zur reinen Poefie und die
wichtigjten fiinftlerijden Anregungen für
jein leßtes und bebeutenbjtes Wert, den
leider mit feinem Leben Fragment geblie-
benen Roman „Heinrich von Ofterdingen”,
entjtanden aus Anregung und Widerjpruch
zu Goethes Wilhelm Meijter. In den Tagen
Des Rummers war der Roman bes von
den Romantitern bauptjád)lid) eben wegen
Diejes Wertes als thr Altmeiſter, von
Novalis als „wahrer Statthalter bes poe:
tilen Geiltes auf Erden“ gepriejenen
Dichters Grquidung und Troft gewejen.
Was ihn wie alle Romantifer, denen das
Sd) und feine bejtmóglidje Ausbildung im
SSS SSS] Novalis unb feine Beit ëss ll
MitteIpuntt der Welt ftand, an dem Ro-
mane Goethes entziidt hatte, war eben, daß
es der erite große Sd): und Bildungsroman
war. Anfangs hatte aud Novalis von diefem
Gejiditspunfte aus mur Begeilterung und
Lob fiir ibn gehabt, bis ihm, dem Ungeniig-
jamen, überall zu ben lodendjten und gejährs
Doten Gebantenbólfen und Lebensforde-
rungen mühelos Wujftrebenden, aud) Goetbes
Roman nod zu viel Geniiglamfeit und
Eichbejcheiden barg. Daß in einem Rampfe
gwijden Welt und Künſtlertum ſchließlich
das lebtere die Waffen ftreden jollte, wider:
prah dem, was jid) Jiovalis in Überein:
immung mit feinen Freunden als Ideal
bingejtellt hatte. Nach 9[Injid)t der Romans
titer mußte jeder wirklich gebildete Menjch
ein Künſtler fein. Künjtler nicht in bem
Sinne, dağ cr Dë auf einem be[timmten
Gebiete probuttip — ſondern daß ihm
hao an bie Runjt Kern und Mitte bes
ajeins wäre. Und wiederum waren Die
SRomantifer ber Anficht, daß der Teutiche
allein dazu Anlage habe, da niemandem
jonjt Rünftlertum js ernite Sjergensjadje fei.
Go war ihnen ber Künjtler einfach ber
Jtormalmenjd). Wenn aber in allen Menjchen
der Riinjtler lebendig geworden wäre, dann
müſſe es aud) möglich fein, das Leben felbft
zur Poejie, das Dafein zum Kunftwert zu
entzaubern. Novalis’ ſchönheitsſeligem Wejen
ihien es ein lícines, dieſes Dornröschen:
wunder zu voll ichen. Wenn man einige
feiner Fragmente hört, wie: „Das Höchſte
tit bas Berjtändigite, das Näcdhite, das Uns
entbebrlid)ite", ober: „Die Poefie ijt bas ab:
iplut Reelle.” „Dies ift ber Kern meiner
Philoſophie: Je poctijder, je wahrer.” „Der
Gates ift ber Poet.“ — „Es liegt nur an
ber Schwäche unjerer Organe unb Celbjt:
verehrung, daß wir uns nicht in einer Feen:
welt erbliden. Alle Märchen find nur
Träume von jener heimatlicher Welt, die
überall und nirgends ijt.“ — „Nichts ift bem
Geijte erreichbarer als bas Unendliche“ — jo
begreift man aud), was Novalis bald in wad-
jender Abneigung gegen den Wilhelm Meijter
einzuwenden hatte. Auch Goethe hatte ja
in jeiner Jugend, als ber Roman nod) „Wil:
helm Meijters theatraliiche Sendung“ hieß,
der Künſtler über die Welt triumpbhierend
fiegen laffen wollen. Gegen die Weisheit, bie
Goethe jemen Helden in den „Wanderjahren“
lernen ließ, bäumte fid) der jugendliche
Idealismus Novalis’, der in ber Überzeu—
gung gliihte, bie Zauberfraft bes Künitlers
miijje objtegen, alles Irdilche aufiaugen,salles
SDtatericlle und Reelle zu höherem Wejen
adeln. Go veritehen wir, wie jein Urteil über
den Wilhelm Meijter immer härter wird bis
u dem apbhorijtiihen: „Wilhelm Wleifters
Bebrinhre oder bie Wallfahrt nad) bem Adels-
dip.om.“ Gein Programm flingt aus den
Worten: , Wilhelm Meifters Lehrjahre find ge:
wiljermaßen durchaus projaijd) und modern.
Das Romantijche geht darin zugrunde, aud)
die Naturpoejie, aud) das Wunderbare.”
35
Jnbidjterijd) im höchſten Grade, was ben
Gcijt betrifft, fo poetijd) aud) bie Darjiellung
ift.” „Goethe wird und muß übertioffen
werden — aber nur wie bie Alten über:
troffen werden können, an Gehalt und Kraft,
an Wannigfaltigteit und Tiefſinn — als
Künjtler eigentlich nicht.“ — Und Novalis,
dem ohne Poſe und fiinjtlerijde mie menjch:
lide Unaufrichtigleit das Wirkliche PBoefie
und die Roejie 9Birllid)feit waren, macht jid)
ans Wert, diejes echt romantifde Buch zu
ichreiben. Wud) fein ,Heinrid) von Cfter-
dingen“ jollte cin Bildungsroman fein, aber
mit entgegengejegtem Plan und Ziel: der
Dichter die Welt überwindend, bas Cubjeft
bas Objeft dadurch, daß es fid) bis ins Un:
endliche erweitert. Deshalb mute der Ro-
man auch binausreid)en über bie willfürlichen
Scyranten der Erde, hinaus bis ins Senjeits
hinein um die vom Dichter ausgehende Ent:
zauberung bis ins £ebte durchführen zu tön-
nen. Ale Wunder und Requifiten ber ro:
mantijden Zauberwelt und alle bie Ent:
bedungen von ber Yiadticite des menj:
lichen Geelenlebens follten daran mitarbei-
ten. Sm WViittelpuntte, als Symbol der alles
bejiegenden Sehnſucht, bes Gudens nad) dem
Schluffel aller Ratjel unter und über ben
Sternen: die blaue Blume, von da ab das
Symbol der Romantik fdjledjtbin, bie Zau-
berblume, bie nad) einem thiiringijden Mär—
den ben, der fie in der Gohannisnadt am
Kyffhäufer findet, in ben Bejiß aller Güter
ber Welt fegt. Bei Novalis fließt dicfes
Natur ymbol zuſammen mit bem Spealbild
jeiner Sophie, bie in ber Mathilde bes Ro:
mans bód)ie Berfidrung findet, die ihn
führt und aufwärts zieht, unterjtiikt von
dem Zauberer Klingsohr, in bem fid) Goethi-
ide Züge jpiegeln. Cine Wpotheoje der
Poeſie, der welterlölenden, weltenjdyöpfen:
ben Künſtlerſchaft folte der Roman werden,
dDeffen Fragment Brößtes verjpridht. Aber
bas Schickſal jdjlog bem Träumenden Die
verzüdten Augen. Oder nahm es ihm die
Rinde von dem Blid, ihn größere Wunder
idjauen zu lajjen, als er fie träumen konnte;
ibm die legten Gebeimnijje zu offenbaren,
von denen er mehr erahnte, als jeder andere
Cterblidje? In kurzer Spanne Zeit zerbrach
das Schickſal zwei großen Dichterbegabungen,
die jede auf ihre Weiſe über Goethe hinaus
ſtrebten, Kleiſt und Novalis, das künſtleriſche
Werkzeug und entrückte ſie aus Erdenleid
und Crbenaliid zu bejjeren Cternen. No:
palis war der Blüdlichere. Gerade, als bie
Erfüllung feines Gliidstraumes winfte, als
er ein verjorgendes Amt gefunden und Julie
e gedadte, rif ihn bas ererbte
teiden ſchnell dahin. Julie pflegte ihn. In
Harmonie und Schönheit, in une jchlittertem
Vertrauen in bie Güte und Weisheit der
göttlichen Gejegmäßigfeit ging er hinüber
in feine Heimat der Träume — die ,reinjte
unb liebenswürdigite Berfirperung eines
gom, unjterblichen Geijtes", wie fein Freund
ied ihn nannte.
3*
— —
| Stiid vom Tit
w-— "
Al NNS |
Fu N
elblatt bes Hainhoferihen Stammbudys
Philipp Hainhofer |
in Augsburg '*—-
AS SS
ANN
M | C.
a
STE
Sin Kaufmann, Runftfreund und diplomatifcher
Agent des 17 Jahrhunderts.‘ Don Dr. Adolf Brüning
——SyxEMer Hätte fic nicht einmal in
MO jeinem Leben bie Gliidsgalojden
(de
i bes Anderjenichen Märdyens ge-
wünjcht, um für eine furze Zeit
| in das Meer der Vergangenheit
zu tauchen und Menichen und Zuſtände
alter Zeiten eigenen Leibes zu belaujchen ?
Aber ba trog aller wunderbaren Forijchritte
der Menjchheit, bie felbjt bie kühnſten Träume
wirklich gemacht hat, die Erfüllung diejer
Sehnjudt uns wohl immer verjagt bleiben
wird, just man wenigitens in alten Briefen,
Tagebiüchern und Erinnerungen ben heim:
lichen Reiz zu fojten, der in jold) unmittel-
barem Verkehr mit der Vergangenheit liegt.
Co hat wohl jhon mander mit vielem
Vergnügen die Crinnerungen bes Hans
von Schweinichen, des getreuen Hausmar:
[halls der Herzöge von Liegnitz, gelejen, ber
uns ein jo lebendiges, anjchauliches Bild
deutichen Lebens in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts gegeben er er aber
tennt bie Briefe und Reijeberidte Philipp
Hain hofers, des Augsburger Patriziers, der,
im Jahre 1578 geboren, jene für Deutjch-
[anb jo verhängnisvolle Zeit des Dreipig-
jährigen Krieges bis fur vor dem Friedens:
feature, bis zum Sabre 1647, erlebte? Frei—
lich find fie nicht, wie bas Tagebud) bes
Ichlefiichen Ritters, bequem zugänglich ge:
maht und für jeden Bejchmad zubereitet.
Nur ein Meiner Teil feiner fchriftlichen Auf:
zeichnungen ijt in wijjenjdajtliden Werten
abgebrudt, das meijte jchlummert nod) in
den Archiven, und das ganze Material
würde im Abdrud eine ftattlide Reihe von
Bänden ausmachen.
Aus bieler 9iadjfajfenidjaft, wozu nod
als SUuftrationen eine Anzahl bódjit mert-
würdiger Runftwerfe tommen, bie Hainhofer
igre Entitehung verdanfen, fteigt nicht nur
die Verjönlichkeit eines ber interefjantejten
Männer feiner Zeit greifbar hervor, jonbern
wir erhalten aud) einen tiefen Einblid in
die politijchen und religiójen Verhältniſſe
pe Tage, in die Kunftbeftrebungen und
nsbejondere aud) in das Leben an den
Fürftenhöfen. In Hainhofer felbft treffen
wie in einem Brennpunkte viele Ctrablen
der damaligen Kultur zufammen. Tenn er
war einer der vieljeitigiten und vielgewand:
teften Männer jener Zeit. Er vereinigte in
fid Berufe, die heutzutage unverjöhnlich
auseinanderzujtreben ſcheinen. Man dente
nur, er war Kaufmann und zugleich aid)
Diplomat. Er war Runftiammler und Runit:
— und auch mit dieſen Worten iſt ſein
erhältnis zur Kunſt ſeiner Zeit nicht er—
chöpft. Sein Vater war vom Kaiſer Ru—
olf II. in den Adelſtand erhoben worden.
Ihm felbjt hatte feine Stellung als diplo-
matijcher Agent ben Titel eines pommer}den
und liineburgijden Rates eingetragen, und
in feiner Baterjtadt befleidete er kt früh
hohe Ehrenämter.
Seine Erziehung war bie ber Göhne ber
höheren Stände der damaligen Zeit, für
die es, abgejeben von der Theologie, nur
bas Redtsitudium aab. Nachdem er zu
Ulm, wohin feine früh verwitwete Mutter
den aus Augsburg vertriebenen evangeli-
ien Predigern gefolgt war, bie Schule
bejucht, bezog er, nod) nicht jechzehn Jahre
alt, mit feinem Bruder Hieronymus in Be:
gleitung eines Präzeptors bie damals weit:
berühmte Univerjität zu Padua. Geine wei-
— — — — —
— — —
EIIIIFEZEI Dr. Adolf Brüning: Philipp Hainhofer in Augsburg B3323 37
tere Ausbildung ergänzte er durch Reifen
in Italien, Deutichland unb den Niederlan:
den, auf denen er fih insbejondere bem
Studium fremder Spraden widmete, fo daß
er, wie feine geitgenoffen von ihm rühmten,
in fieben Spradyen bewandert war. Das
Stalienifche, bas damals in Deutfchland
etwa die Stellung einnahm, wie im 18. Jahr:
hundert das Franzöliiche, beherrichte er fait
wie feine Wtutterjpradhe. Nach vollende:
tem dreiundzwanzigiten Jahre „ließ er fid)
mit ehelichen Pflichten ein gegen Jung:
frau Regina Waiblingerin“, und ein Jahr
Ipäter wurde er mit feinem Bruder zujam:
men in ben Grogen Rat feiner Baterjtadt
berufen.
Da Hainhofers faufmänniihe Tätigkeit
— er bejaß eine Art von Agentur: und
Rommiffionsgejdhajt — mit feinem Diplo»
matijdjen Gewerbe aufs engite verbunden
war, möge gunddjt diefe Seite feiner Be-
rufstätigfeit näher beleuchtet werden.
In einer Zeit, wo nod niht wie heute
der Telegraph in einigen Stunden von
allen midjtigeren Dingen, bie auf dem Erd:
ball gejdjeben, Kunde gibt und es aud)
nod) feine grengen gab, erfuhr der ges
wöhnlihe Cterblidje überhaupt nicht ober
vielleiht nur nad) Woden durch ein Flug:
blatt von ben Händeln der Welt. Fürjten
und jonjtige zahlungsfähige Perjonen mußten
fih Daher, um auf dem laufenden zu bleiben,
an ben Mittelpuntten des Handels: und Gelb:
perfebrs bejondere Agenten halten, die ihnen
regelmäßig Nachrichten von den wichtigjten
Ereignijjen zujandten.
Der Oheim Philipp Hainhofers Hatte
vierzig Jahre lang in folder Rorrejpondenzg
mit ben Königen von Frankreich ge[tanben.
Mad) feinem Tode im Sabre 1607 wurde
Sag Ais der den erfranften Oheim Ion
drei Sabre [ang in biejem Amte vertreten
batte, als Agent von
Heinrid IV. in Beital:
lung genommen. Im
folgenden Jahre jchloß
er mit bem Marfgrafen
Friedrich von Baden:
urladj einen Vertrag
als Sorrejpondent ab,
und im Sabre 1610 bat
ibn der Herzog Philipp lI.
von Pommern in einem
ichmeidyelhaften Schrei:
ben in feine Dienfte zu
treten. Er begründete
Km Bitte damit, daß
ie beide benjelben Bor:
namen batten, beide
wilde Männer im Wap:
pen führten und beide
Linguijfien (Spradhfor-
jcher) und Liebhaber der
Künfte feien. Später
trat rage aud in
ähnliche eziehungen
zum Herzog Wilhelm V.
Bildnis des Philipp Hatnbofer
Ausſchnitt aus bem ($emálbe auf Seite 43
von Bayern, und feit 1625 ftand er zu dem
Herzog Auguft b. J. von Braunjchweig in
einem näheren Berbaltnis, bas bis zu feinem
Tode währte,
In den Briefen, bie er etwa alle Wochen
an diele Fürſten |djidte, pflegte er zunächſt
bie politijden Angelegenheiten zu behan:
deln, dann über bejondere Bor —
etwa ein ſchlimmes Unwetter oder eine große
Feuersbrunſt, zu berichten und endlich ſeine
eſchäftlichen Anerbietungen u. dergl. aus:
f rid) vorzubringen, jo dak ihr Inhalt
ajt bem einer heutigen Zeitung entſpricht.
Die Dauer der Zeit, bie eine joldje Bericht:
erjtattung erforderte, mag ein Beilpiel aus
der E Philipp 11. von Pom:
mern erläutern. Bon der Ermordung Hein:
ridjs IV. durch Ravaillac, bie am 14. Wat
1610 in Paris erfolgte, erfuhr der Herzog
erit am 30. Mai burd) einen Brief Hain:
hofers, ber, nebenbei bemerkt, den Gejuiten
bie Schuld an dem Meuchelmorde zujchiebt.
a Diejer Berichterftattung hatte Hain:
hofer jebr häufig die $Fürlten, in deren Dienft
er ftand, als Gejandter bei verjchiedenen
enu zu vertreten. fiber alle dieje und an:
dere Reijen ren Hainhofer Berichte von der
größten Ausführlichkeit binterlajjen, bie für
uns eine wahre Fundgrube für die Rultur der
damaligen Zeit find. Für uns ijt unter an:
derem von bejonderem Sinterejje der Bericht
jeiner Reife nad) München von 1612, in bem
Hainhofer uns die ältejte ausführliche Be:
Ihreibung von München, jowie eine gute
Charatterijtif SDtaximilians I. gibt, ber T
ítiige ber fatbolijd)en Partei, ber in feinem
xande ben alten Glauben mit unerbittlicher
Folgeridtigfeit wieder aufrichtete. Sn bes
evangeli|djen a "Ee Scdilderung er:
— er als das Muſter eines Regenten,
gegen ſich ſelbſt und andere. Ihm
eite ſteht eine liebenswürdige Gattin,
die es verſteht, in launi—
ger Weiſe die Wolken von
der Stirn ihres Gemahls
zu verſcheuchen. Für die
damaligen engen Ver—
hältniſſe Miündens ijt es
bezeichnend, daß alle
Abende die Torwärter
und ebenjo die Baftwirte
Zettel mit den Namen
der am Tage angefom.
menen Perjonen bem re:
gierenden Herzoge, dem
alten Herzog Wilhelm V.
und dem Bürgermeijter
übergeben mußten. Daß
Maximilian diefe Zettel
auch perjönlich burd)lab,
geht daraus hervor, daß
er aud) auf diejem Wege
einmal Sainhofers zuiäl:
lige Anwejenheit in Mün—
den erfuhr und ihn zu
fih bitten ließ. ain:
hofer lobt bie treffliche,
tren
zur
38 Bbo3sos99Sg ES Dr. Adolf Brüning: [343«393]3]ocaoaooog
gute Ordnung in allen Dingen am Mün:
chener Hofe, die jchnelle Bezahlung und das
nüchterne, pille und friedliche Leben.
Nicht weniger interejjant ijt Hainhofers
Bericht über jeine Reije nad) Stettin, die
er im Jahre 1617 unternahm, um dem
Herzog Poilipp feinen fiir ihn gefertigten
fojtbaren Kunſtſchrank, das Modell eines
ſüddeutſchen Gutshofes und einen filbernen
Nähkorb fiir bie Herzogin zu überbringen.
Bon jedem Tage feiner Reije, die von
Augsburg nad) Ctettin nicht weniger als
zwanzig Tage dauerte, gibt er Rechenschaft,
oft febr ausführlich und genau, oft nur mit
wenigen, aber inhaltsreichen Worten, fo
3. B. gleich vom zweiten Tage feiner Reife.
„Am 4. Wugujt mittags zu Monheim, da
man den Haufen Nadeln macht; bie Bür—
ger — alles evangelijih gewejen, jebt aber
unter Pfalzgraf Wolff Wilhelms Regierung
leider fein evangelijd) Exerzitium mehr hat.“
Und jo weiß er uns von jeder Station etwas
zu erzählen, pielfad) anjcheinend nur unbe:
deutende Dinge, bie aber bod) bie Lebens:
verhältnijje jener Zeit trefflid) fennz: ichnen
oder in irgend einen Geelenwinfel der Do:
maligen Menſchheit Hineinleuchten. Go er:
ählt er von Jena, daß es damals adjt:
Ge Studenten gehabt und dieje unlängit
ajt eiren Aufruhr erregt hätten, weil bei
der Teuerung bie Profejjoren bas wöchent:
liche Rojtgeld von einem Taler ben in Kon—
viften lebenden Studenten hätten erhöhen
wollen. Jn Leipzig fällt ihm die foftbare
Kleidung der jungen und alten Damen auf,
in Süterbog lobt er Zimmer, Bett und
Speijen bes Balthaujes, bas damals als
das bejte in Deutjdland galt, und in Berlin
hört er von der gehäjligen Feindjchaft ber
dortigen Reformierten und Evangeliſchen
und erzählt, daß aus bem Dome alle Altare,
Bilder und Kruzifixe geräumt feien unb er
jest ganz weiß jet mit Ausnahme der grünen
Gitter und der Teppiche auf den Emporen.
In Stettin angefommen, wird er auf bas
guvorfommendite und freundlichite vom Her:
30g aufgenommen, Dellen Bild Hainhofer
mit Liebe malt. Philipp II war ein Fürft
von ausgezeichnetem Charakter, milde in
feiner Gefinnung, von tiefer Frömmig—
teit, man mödte ibn das evangelijche
Begenjtüd des frommen fatbolijd)en Herzogs
Wilhelm V. von Bayern nennen, von dem
Hainhofrr erzählt, daß er fih wie ein Ra:
nonifus trüge unb in feiner Einjiedelei zu
CdjleiBbeim wie ein Mönch lebe. ‘Philipp II.
hielt tägli längere Gebetsübungen ab,
den ganzen Sonntag pflegte er in feiner
Kirchenloge zu figen und geiltliche Bücher
zu lejen, er aß dann den ganzen Tag gar
nichts „oder bisweilen, für die Magen:Öde,
nur ein Brühlein“, Während fein Bruder
Ulrich ein eifriger Jäger war und den Herzog
bei den nicht zu umgebenden Trinfgelegen:
heiten, objchon |onit am pommerjchen Hofe
große Mäßigkeit herrjdte, zu vertreten ha.te,
waren des Herzogs Liebhaberei Bücher und
Runftwerfe. Es hing das freilich mit feinem
Irántlidjen Zujtande gujammen. „Das We-
dal wird dem Herzog underweilen von
Flüſſen geplagt und debilitiert; Ihre Fürſt—
lihen Gnaden aber nehmen es als eine
göttliche väterliche Heimjuchung gar geduldig
auf unb erfreuen ji), daß nur ber Kop
wohlauf 2 als der mehr regieren muß,
denn Die Füße.“
Den grogen Rundenfreis, der in den Brie-
fen und 3Reijeberid)ten des Diplomaten Hain:
hofer erjcheint, bedient ber Raujmann Hain:
hofer nun in ber mannigfadjten Weije, jo
daß man ihn einen ‚Wertheim des 17. Jahr:
Dunberts' genannt Bat. Außer Runjtwerten
und jonjtigen Sammelobjelten naturwijjens
Ichaftlicher oder ethnographiicher Art waren
es bejonders Yuxusariıfel, wie fie von bem
blühenden Augsburger Bold: und Gilber:
d)miebegetperbe, von den Runfjttijdlern,
brmadern, Mechanifern ujw. hergeitellt
wurden. Dann aber aud) alle möglichen
anderen Dinge: Wagen und Sanjten, Pferde
und Hunde, Kleider und Kleiderjiofie, Viedi-
tamente und ‘sarfiims, Waffen und Pulver,
Urkunden und Bücher ujw. Auch lieh er
feinen fürjtlihen Patronen größere Geld:
ummen, deren Miedererlangung ihm nicht
elten die größten Schwierigfeiten machte.
n gewijjem Cinne gehören in den Kreis
feiner N Geſchäfte fogar feine
Briefe und Berichte, ba er jid) Dielelben
entweder im Baujchquantum oder aud) ein-
zeln bezahlen ließ. Er rechnet wiederholent:
lich feinen fiirjtlidjen Adrejjaten feine viel-
fachen Rorrejponden3foften vor: „Schreiber-,
Poſt- und Botenlohn, Smiraglio (Schmier:
gelder?) unb Rerehrung.”
Aber er verfaujte nidjt nur alle diefe Dinge,
fondern er vermittelte aud) eine Art von
Taufhhandel zwiichen den verjchiedenen
Fürltlichfeiten. Durch feinen Gönner, ben
Sergog Auguft b. J. zu Braunjchweig, ließ
er zum Beijpiel dem Rurfiirjten von Bran:
denburg von einem Wunjche des Herzogs
Wilhelms V., der Reliquien von Heiligen,
insbejonbere ganze Körper, zu erhalten trad-
tete, Mitteilung machen, Dieier janbte dar:
aufhin Reliquien aus dem alten Altar der
SBfarrfirdje in Berlin nad) Mündyen und
erhielt dafür burd) Hatnhofer als Gegen
leijtung drei paar große englijche Hunde und
zweilange und vier turze Münchener Biichjen.
Geine Waren kaufte Hainhofer teils auf
den großen Meſſen in Franfjurt a. M., die
er jäyrl.ch bejuchte und wo eru a. mit bol:
ländijchen Kaufleuten zufammentraf, teils auf
den Märkten in Augsburg und den in jener
My häufig Jtattfindenden Berfteigerunaen.
r hielt einen eigenen Reiſenden und erhielt
jelbjt regelmäf;ig Bejuche von reijenden Hans
delsleuten. Auch unterhielt er [tánbige Han:
delsbeziehungen zum Auslande, bejonders
zu Italien, wo er in Florenz an feinem
Bruder Chrijtoph einen tüchtigen Bertreter
hatte, ferner zu Franfreich, England, § ol-
land, Spanien und Portugal. Als eine
CSSSSoseeesessa# Philipp Heinhofer i in — Besessssss
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& Der Pommeride Aunftichrant. Aufbewahrt im Königl. Runftgewerbemufeum gu Berlin Eé
Verbindung von Runftiammlung und Waren:
lager muß feine viclbejudjte Stunjttammer
en werden, da er nicht nur jammelte,
um fid) an den Tingen zu erfreuen, jondern
auch, wie fid) Gelegenheit bot, uni: werte und
MNaturprodufte, die damals in jeder Runftfam-
mer vereinigt waren, aus derjelben verfaufte.
Aber er handelt nicht nur mit fertigen
Waren, fondern lich aud) joldje von den
Augsburger Kiinftlern und Handwerfern
berliellen, um [ie felbjt Dann an ben Mann
zu bringen. Ter gewaltige Riidjdlag, ben
Teutj — Handel, der Atem der Na—
tion‘, durch die Verſchiebung des geſamten
& 9tabmenitüd bes Shadhbretts im Pommerſchen Kunftihrant. Ebenholz mit Silbereinlage a
Weltverfehrs infolge der Entdedung der | Gemeinwohl jorgende Bürger in ben Vor:
überjeeijchen Lander erlitten, jo daß an die | dergrund trat, entzieht fid) unjerer Beur-
Stelle des Deutichen teilung.
Kaufmanns ber hollan- Neben fleineren Ga:
bilde und englildje lanteriee und Luxus:
trat, jowie die politi- waren, wie 3. B. Necef-
Ihe Lage hatten fidh jaires, Schreibzeugen,
aud) in Augsburg ftart Riechbüchſen ujw., wa-
füblbar gemacht. Sim rem es bejonbers fog.
Jahre 1614 fallierten Kunftichränte ober Ka-
die Weljer, und ein binette, bie er in per-
Banferott folgte dem Ichiedenen Größen und
anderen. Den darben: Preislagen beritellen
den Riinjtlern und ließ und dann mit aus:
Handwerkern Arbeit führlichen Beſchreibun—
zu verichaffen, war gen und Preisfuranten
Sjainbofers, des ‚Ba: ausbot. Bei belonbers
ters aller Riinjtler‘, umfangreichen Stiiden
eifriges Bemühen. Er pflegte er fi) wohl
ſchoß ihnen Geld vor aud) vor ihrer Anfer:
und verhandelte dann Eines per zwölf in Holz geihnittenen Retiers tigung eine Beſtellung
ihre Werte am feine in der Tafel auf der Riidjeite des Schrantes Darauf geben zu laffen.
fürftlichen Klienten, Drei der größten
oder andere faujfrüjtige Perjonen. Wie- | diejer Runftichreine haben fid) nod erhalten:
weit dabei mehr ber feinen Vorteil wahr: | Der jog. Bommerjche Aunftfchrant im Kunft:
nehmende Kaufmann oder der für das | gewerbe-Mujeum zu Berlin, der Florentiner
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Allegorie ber Aftronomie Alegorie der Architektur
Sn Eilver getriebene Reiieis an den Außenfeiten bes Pommerſchen fuuftidrantes
eessen Philipp Hainhofer in Augsburg
Sdranf im Palazzo |
Pitti guGloreng und |
der Schrant Gujtav
Adolfs in Upjala.
Der erfte war im Auf⸗
trage Philipps II.
von Pommern an—
gefertigt worden. Er
wurde von Hains
bofer auf be Be
erwähnten Reije in
Stettin 1617 tiber»
BSSssessesssd 41
öffentlihung über
den „Pommerſchen
Runftichrant“, in
Bemeinihajt mit
Beheimrat nlius
Selling vom Schrei—
ber bieles Aufiages
— eben, er:
chien im Jahre 1905
bei Ernſt Wasmuth
in Berlin. Auf fie
geben unjere Abbil»
reiht. Ein Bild im dungen zurüd.
Pommerjden &unit: Der Florentiner
ſchrank Hellt diefe Gdranf hat Hain:
Übergabe in einer boer große Gorge
idealen, niht mit . emadt. Er bat ibn
derWirllicfeit iiber: ange Jahre bin:
einftimmendenForm Kamne in ziervergo!detem Silber aus dem Inhalt durch vergeblich mit
dar, denn nur der bes Pommerjgen Kunſtſchrankes der größten Reflame
Aunfttiichler Ulrich
als „das ahte Wun:
Baumgartner war mitgereilt, die der der Welt“ angeboten, unter andern dem König
andern im Bilde ericheinenden Ludwig XIIL, Chrijtian IV. von Sünemarf und dem
Riinftler und Handwerfer fehl: englij
, H "n 1628 d
Ramm aus bem Toiletteaerät
im Bommerjiden KRunufchrant
ten, ebenjo das Heine Söhndhen
Hainhofers, ein Patenkind des
Herzogs, bas im Vordergrunde
mit einem Hunde fpielt, und
das turg vor ber 9teije gejtorben
war. Der GSchrant fam nad)
bem Ausjterben bes pommerjchen
de s eben]o wie bas
anb an Brandenburg Mit
anderen Bejtänden der Runft:
tammer bes Hohenzollernhaujes,
bie ebenjo wie 3. B. bie in Wien,
Dresden und Rajjel zum Grund:
itod ber fpáteren Mujeen wurde,
gelangte er 1876 in bas unit:
gewerbe-Muſeum zu Berlin. Eine
aus Mitteln ber Orlop- Stiftung
unterjtüßte, großangelegte Ber:
[dent zu madjen.
en und |panijchen Hofe, bis jdjlieBlid) im Jahre
rgbergog Leopold von Tirol ibn kaufte, um ibn
bem Großherzog Ferdinand ll. von
ostana zum Ge:
Den Verkauf des dritten Cdjranfes begleitete ein
dentwürdiges hijtorijches Ereignis. Am 24.
morgens 10 Uhr hielt
Gujtav Adolf, ‚der
Ruhm der ganzen
Welt, der ‚Löwe
von WMitternadht‘,
jeinen feierlichen
Einzug in Augs:
burg, von der evan:
eliihdhen Bürger:
haft, bie folange
unter dem Drude
des Reftitutionsedit:
tes gejeufzt hatte,
als Befreier aus al:
ler Not peace und
von der Stadt mit
reihen Gejdjenfen
empfangen, einem
mit vielen Roftbare
teiten und Gelten:
Zu ber Runjt und
atur ausgeftatteten
Runjtidrein, fünf
Gilbertruben, einem
Fuder Wein, zwei
Wagen Hen und jed)s
Zuber Fijden. Die
wertvollite der (9a:
ben, der Runftjchranf,
war zu biejen Zwek—
fen am jelben Mor:
en von Philipp
ainDofer für 6500
mare angefaujt wor:
en.
Und Guftav Adolf
freute fidh des felte-
nen Gejdjenfes. Er
pril 1632,
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Gabel unb W:eff:r in araviertem Silber
Aus dem Inbalt bes Pommerſchen
Runjtidrantes
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8 Bild des auf Seite 38 erwähnten Modells eines ſüddeutſchen Gutshofes 8
Im Königlichen Reichsarchiv zu Munchen
ließ ſich von Hainhofer, den dieſe Gunſt hoch
beglückte, E den Schrein und feinen
Inhalt vorführen. Nadh icinem, nur wenige
Monate jpäter erfolgten, Tode in ber Schladht
bei Yüßen wurde der Gd)rant nad) Ecyweden
gebrad)t, wo er feit 1694 in der Biblio:
thet der Univerfitat an llpfala ——
wird. In einem prächtigen vierbändigen
Werke iſt er vor einigen Jahren von dem
Oberhofintendanten des Königs von Schwe—
den, John Böttiger, beſchrieben worden.
Dieſe Kunſtſchreine ſind architektoniſche
Wnujfbauten aus Holz und haben nebſt ihren
tifchartigen Unterjäßen eine Höhe von 2 bis
2'i, Dieter. Cie find mit einer großen An:
abl von Gdicbladen und Fächern verə
qd und aufs reichite innen und außen
mit Gemälden, Gilberielicfs, (mails ver:
chiedener Tedhnif, Holzintarjien, Mo—
aiten njw. ausgejtattet. In die Wandung
nb eingelajjen italienishe Niellen nnd
ronzeplafetten, €imoujiner Emails, Buchs—
und Glfenbeinjchnigereien u. a., jo daß fie
nebjt dem reichen Inhalt ein Kompen:
bium aller RKiinfte und Techniten dar:
Bellen. Ter Anhalt bejtebt bei bem Pom:
merijhen Kunjtid;rant im wefentlicen
ans Hausgeräten: Tafelgeſchirr, Toiletten
jadjen, einer Hausapothete, ferner mathe:
matijden und ajtronomifden Inftrumen=
ten, SHandwerfszeug, einer Spieluhr uſw.
Ter Cd)ranf zu Upfala enthält alle mög:
lichen Dinge: ‚Arteficialia‘ und ‚Naturalia‘,
eine Münzen: und Medaillenfammlung, Mis
niaturen, Reliefs und Statuetten, Waffen,
chineſiſche Porzellane, ferner cine Muſchel—
und Diineralienjammlung, jowie andere Na—
turprodufte, met Raritdten und Ruriojen
aus überſeeiſchen Ländern, irsbejondere aus
Wejtafrifa und Brajilien. Er jtellt daher
im Heinen eine Runjifammer dar, wie fie
damals auszufchen pflegte, wie ja aud) ihr
Swed ein ähnlicher war, zum Kunjtgenuß
und zur Unterhaltung zu dienen, denn auf
wirflide Berwendbarfett waren auch Die
Geräte des Pommerſchen Kunftichrantes
niht berechnet.
Die Bilder, Statuetten und Reliefs der
Schränte jelbjt waren durch eine einheitliche
Idee verbunden. Beim Florentiner Cd)cant,
der zugleich aud) als Hausaltar unb Gd)reib-
tijd) dienen fonnte, war die ganze Heils-
gejdichte Chrifti angebradt. Lie Darjtel-
lungen an dem ponimerjd)en Echreine bilde»
ten einen .Mifrofosmos, eine Enzyklopädie
ber phyſiſchen und jittlichen Welt‘, in der
Überlieferungen der mittelalterlichen Cola:
ftit fid) mit humaniſtiſchen Gebanten zu mert,
—
1
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ase
BSS 3:]:2329:23232:932]]) Philipp Hainhofer in Augsburg BEZZI KKZ 43
wiirdigem Verein verbinden. Das Widhtigite
war, dağ viel dabei zu denten, au petu:
lieren: war. Beigefiigte Bejchreibungen und
perans Verzeichnijje bieten den Faden, der
en Bejiger bieier Kunſtſchränke durch bas
Labyrinth von Behältern, Schubladen und
Gebeimjádjern führen mußte. Für uns eine
große Cpiclerei, die damals aber durchaus
ernjt genommen wurde,
Sjainbojer jelbjt entwarf bas Programm
und Die Grundidee zu biejen Gebilden, Wialer,
wie Rotterhammer und Rager, ftanden ihm
in bielen und anderen fünitlerijchen Ange:
legenheiten mit Rat und Tat zur Seite, und
eine ganze Schar von Kunſthandwerkern
führte unter [einer jtändigen Oberleitung
und Auflicht bie Arbeit aus. Troßdem dieje
Runjtidranfe unjerer Anſchauung monjtrós
ericheinen, es [tedt in ibnen doch viel Ge:
hmad und Runitfertigfeit. Die farbige Wir:
ng ijt barmonijd, bie Cilberarbeiten,
Emails und monde andere Werte gehören
zu ben feinften Dingen ihrer Art, alles ijt
mit größter Sorgfalt und Cauberfeit aus:
eführt. Und unfer Urteil wird nod) be-
cheidener, wenn wir an die vielen Bejchmad:
Iofigfeiten denten, bie uns gerade bie legten
Jahrzehnte beldert haben.
Überhaupt wird man die ganze 3eitful-
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tur, bie fic) fo Har in Hainhofer und feiner
Hinterlajjenichaft abjpiegelt, nicht zu gering
enjdàgen dürfen. Es war eine Zeit des
Überganges: auf die bürgerliche Rultur, die
jeit dem 14. Jahrhundert jo reiche Blüten
getragen, folgte im Laufe bes 17 Jahr—
— eine höfiſche Kultur. Ter Augs:
urger Bürger und Kaufmann Hainhoſer
ijt ein Fürftendiener, wenn aud) das Für—
ftenregiment zu feiner Zeit nod) ein Abſo—
lutismus von d)riitlid)-patriardjalijd)er Fär—
bung‘ war. Schon waren, nad)bem das
Jahrhundert der Entdedungen und der Re:
formation den geijtiaen Horizont jo gewaltig
erweitert hatte, die Brundlagen einer neuen
Weltanſchauung burd) die geiltvollen Bedan:
ten eines Ropernifus und Galilei gelegt wors
den, aber die mittelalterliche Sbeentpelt, bie ja
auch heute nod) nicht ausgeftorben ijt, lag
bod) nod) übermädhtig auf allen Geijtern.
Mod) galt ber Wiirolog mehr als der Nitro:
nom, der Alchimiſt mehr als ber Chemifer.
Aber vergejjen wir nicht, daß aus der Zau—
bertüche des Alchimilten im 18. Jahrhundert
ein jo wichtiger Stoff wie bas ‘Porzellan
entitand, und daß bie vielen medjaniidjen
Cpielereien, bie uns bei Hainhofer begegnen,
bod) wiederum die Fortichritte einer Wiffen:
\chaft kennzeichnen, auf ber fic) bie [pátere
a Die Übergabe des jegt in Berlin aufbewahrten Kunftichrantes an den Herzog Philipp
44 (pessseesessesessesssesssey Dr. Adolf Brüning: PAZZ KZ EZA 3334243436352]
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Der Kunſtſchrank in ber Univerfität zu Upfala. Borderanficht bei geöffneten Türen m
Entwidlung ber Naturwillenichaften auf-
bauen d nd aud) aus jenem naiven
SInterejje an den in den Kunfttammern an:
RE d Erzeugnijjen ber Runft und
atur jollten bod) ſchließlich wiffenjdaftlide
Gedanfen geboren werden.
So ift Hainhofer für uns ein wichtiger
Vertreter der gcijtigen Kultur jener Tage.
Was er aber feiner Zeit jelbjt gewejen,
das möge am beiten der Nachruf feines
Freundes Johann Balentin Andreae fagen:
‚Sein UAndenten werden alle bewahren,
[BE$3$3$3$323032303032] Philipp Hainhofer in Augsburg MZZ 45
-— ` mm wee», e? Rea |
Eg Der ftunitidrant im Palazzo Pitti zu Florenz. Vorderanſicht bei geöffneten Türen
melde die Willenfchaften und Sprachen unermüdlicher Cchüßer er war. Die zahl:
lieben, nicht minder bie Künftler und Wert:
leute jeder Art, bie er, felbjt Architekt, mit
bewundernswerter Einjicht leitete, aber aud
bie Fürſten, deren —“ er ſorglich und
fleißig vollführte, ja die Religion ſelbſt, deren
loſe Schar ſeiner Freunde aber, mit der er
in ununterbrochenem wiſſenſchaftlichen Ver—
kehr ſtand, wird es beklagen, daß dieſer Quell
ſtrömen aufgehört, dieſe ſo uneigennützige
irkſamkeit ihr Ende gefunden habe.‘
Coben Beten)
Hm jonnigen Trieft war es, daß Hans
Rriejen die Frau feines Herzens,
Bwendolin Herbert, zum erjten
> Diale jab.
Ter Oberleutnant war durd Ka-
binettsorber vom 2. Ceptember 1913 zum
Detachement nad) Sfutari in Albanien vers
jet worden, nadydem er einige Jahre in
Ditafien Tienjt getan hatte. Auf ber Durd):
reile mußte er fid) in Trieft im deutjchen
Generaltonjulat melden und traf dort einen
alten Gchulfameraden, Philipp Berthold,
als Ronjulatsjefretdr, Am Nachmittag ſchlen—
derten fie gemeinjam auf dem jtarf beleb-
ten Corfo.
„Schöne Pferde und [djóne Frauen find
nun bod) einmal bie Hauptjache im Leben,“
mette der leichtlebige Freund, „und beides
fonnen Cie hier jeben. Wher daß Gie jest
nad) Stutari, der neuejten deutſchen Garni:
jon, geben, darum beneide id) Sie. Gie
werden alles dort finden, was das Leben
interejjant und erregend geftaltet, politijche
Intrigen und Niederträchtigkeiten ſchlimm—
per Art und unter Umftänden äußerjt felt-
ame Abenteuer.”
„Sie tun ja gerade, als wenn id in ein
modernes Wiärchenland ginge."
„Albanien ijt ein Märchenland,“ [agte
der Freund voll Überzeugung und malte
bunte Bilder von dem Leben und Treiben
in Gfutari. Briefen lachte vergnügt. Coviel
hatte er fid) von Cfutari nicht verjprochen.
Plötzlich wurde er von feinem Freunde
leije angejtoBen, der gleid) darauf zwei
Tamen griipte, bie in einem febr eleganten
Wagen japen, an dem verjchiedentlich und
in auffallender Weiſe bie Fürſtenkrone om:
gebrad)t war. Die rechts fikende Dame
grüßte jehr liebenswürdig wieder, während
die andere, ohne cine Miene zu verziehen,
einen kurzen Bid auf beide Herren warf,
um Dann wieder geradeaus zu jehen.
„Sagen Gie mir, bitte, wer die beiden
waren,” fragte Briefen lebhhaft. „Bejon:
ders Die eine ber Damen jah jehr vornehm
aus und machte einen ganz anderen Ein:
——— alle anderen Damen, die ich bisher
ier ſah.“
„Daher ſtieß ich Cie ja and an, ba Gie
wahrjcheinlich wenigjtens die cine Diejer
Damen nod häufig in Ihrem Gfutari
wiederjehen werden. Haben Cie bie auf-
fallenden Giirjtenfronen anf bem Wagen und
Geldjirr gejehen? Die Dame rechter Hand
ift eine leibhafte Prinzejjin und fogar eine
d 0 4.9
ee was bod) immerhin eine Celtens
eit ijt.
„Haben Cie ſchon von Javor Bolane ge
hort, bem Fürſten der Rajtrati? Er belitt
ungeheure Guter im Norden von Albanien
und bat in den lebten Jahren durch Bere
lauf von Wäldern an italienijche Unter:
nehmer einige Millionen verdient. Den
SFürftentitel hat er fid) wahrideinlicd felber
zugelegt, und der legte türfiiche Palha hat
thm benjelben gegen eine beträchtliche Summe
bejtätint. Voriges Jahr hat der alte Herr,
der häufig in Stalien verweilte, fid) wieder
verheiratet, und gwar mit einer nod) ganz
jungen, aber [hon red)t forpulenten Italie:
nerin. Das war die PBrinzejjin Bolane, die
wir eben jahen.“
„Und die andere Dame, bie neben ihr
laß?“ fragte Briefen.
„Ja — eigentlich) weiß ich wenig ober
nichts von ihr. Nur, daß Sie die Frau des
englijdhen Konfuls in Gfutari ijt, bes all:
madticen Herbert, und dak fie eine Irin
fein fol. Nun, Sie werden fie ja wahr:
\cheinlich) bald fennen lernen. Hüten Gie
Ihr Herz!“
Das war die erfte Begegnung Briejens
mit Gwendolin Herbert. Am nächſten Mors
gen fuhr er mit bem Echnelldampfer Hohens
lobe des djterreidifden Lloyd ab. Der Lärm
der Ausfahrt aus dem Triejter Hafen war
vorüber. Allmählich verjdwanden die Riijten
in blauender Tämmerung, und die Reiſen—
den begannen, fih irgendwo am Oberded
(in längere Zeit gemütlich einzurichten. Brie-
en wählte einen Licgejtubl möglidyit abjeits,
um ungejtört vor fid) hintraumen zu Tonnen,
In diejem Augenblide hatte er bas Ge:
fühl, daß ihn jemand anjähe. Unwillkürlich
wandte er den Kopf. Wn der Reeling ftand
eine Dame, die jofort mit gleichgültigem
Ausdrude an ihm vorbeijah. Da durchfuhr
ibn eine beige Welle. Sofort hatte er jte
wicdererfannt, Die einzige Ericheinung, bie
in Triejt feine Aufmerkſamkeit erregt batte.
Sie blidte geradeaus auf die ferne Küjten:
linie, über ber jid) bie Rauchfahne eines
Dampfers wie eine Wolfenbant lagerte. Go
fonnte er fie ungeitört betrachten.
Es fam nidjt häufig vor, dat eine Frau
ihm auf den erjten Blid gefiel, und nod
dazu eine Engländerin. Nad) den dunklen
Augen und den brünetten Haaren hätte
man fie freilich für eine Südländerin halten
fünnen. Aber die weiche, hingebende Kinie
ber Romanin fehlte. Faft herbe wirkte dic
BIEHFFIFFTFA Borwin Barlig: Der Schuß auf dem Bardanjol 47
flante Geftalt. Was ihn aber eigentlich
anzog, war nicht nur bas Belicht, bas taum
arbe geigte und gerere de nicht ber
dminfmode verfallen war. Auch ber fühl
abweijende und bod) etwas traurige Blid
batten es ihm nicht angetan.
Vielleicht war es bte Bornehmbeit und
Sicherheit, die aus jeder Hé Bewegungen
jprad. Aber ähnliche Erjcheinungen hatte
er häufig in Deutjchland gejehen, ohne daß
gerade diefe Art Frauen ihn bejonders an:
30g. Auch neigte er viel mehr zu den a
ten, blonden norddeutichen Geftalten, wäh:
rend jede allzu brünette Frau thm bas un:
— Getübl erregte, einem rätjelhaften
efen gegenüberzujtehen, deffen Charafter
Höhen und Tiefen barg, die zu ergründen
vielleicht reizvoll, aber fiber auch gefährlich
war. Und bod) fühlte er gerade diefer Frau
egenüber ein merfwiirdiges, magnetilches
[uibum, bas ihn Bette und leije in
ibm fortgitterte. Da wandte fie fih um,
ftreifte ibn mit einem falten, gleichgültigen
Blide und ging mit [angjamen, wiegenden
Schritten bas Promenadended entlang. —
Briejen war warm geworden. Trogdem
die Sonne ein Dunftfchleier verhüllte unb
das Schiff in voller Fahrt dahinzog, diinfte
ihn die Die unerträglich. „Scirocco,“ hörte
er einen Ojterreichijden Offizier faqen, ber
in Begleitung von zwei Damen vorüberging.
Abends lag er wieder an Ded. Die
Schwüle war immer * unerträglich, und
während fahles Wetterleuchten die ferne
dalmatiniſche Küſte erſcheinen ließ,
ſchicke bie Schiffskapelle die aufreizenden
Klänge der Toska herüber.
Seine ſchöne Unbekannte hatte er nod
nicht wiedergeſehen, aber das Schiff konnte
is nicht verlajjen haben, das fühlte er ins
inttiv. Und er verjentte fih in reia:
volle unb pbhantajftijhe Gedanfen, bie fih
ausjdjlieBlid) um die dunfeldugige, eigens
artige Frau bewegten.
Gerade über Feine Liegeftubl befand
fid das offene Sentier bes Damenjalons,
aus bem er jchon jeit einiger Zeit ein Balb:
lautes Gejprad engl Der Leute vernommen
hatte. Als er einmal den Namen Clutari
hörte, achtete er genauer auf. Zum Berjtehen
des Inhalts reichte fein Englijd aus, und
bald folgte er voller Snterefje ber Unterhal:
tung, bie zwijchen zwei Herren ftattfand.
Dieſe verdammten Deutjchen miijjen fich
doh in alles mijdjen," jaate eine Stimme.
„Erit landen fie ein Setadjement in Stutari,
wo fie nicht bas geringite zu Indien haben,
und je&t wollen jie fogar einen ihrer prin:
zen auf ben albanijden Thron leben.
„Überall tommen fie uns in den Meg,“
meinte der andere, „Ihre Zeitungen jagen
immer, die Welt fet groß genug, daß Eng:
[anb und fie nebeneinander ihre Geſchäfte
betreiben fónnten. Gewiß, das jtimmt.
Aber bie Deutfchen haben die Gemütlichkeit
im Geichäftsleben verdorben. Überall fahren
ihre Reijenden umber und unterbieten die
guten englifden Waren mit billigen Schund:
attifeln, Früher ging man morgens einige
Stunden ins Geldált unb in bejonbers
wichtigen Zeiten aud noch nachmittags.
Das genügte. Aber feit dicje Deutjchen von
morgens bis abends auf dem Büro figen,
muß man es wohl oder übel gerade jo
machen, um niht in Rüditand zu tommen.
Der Teufel fol fie holen.”
„Ceterum censeo, Carthaginem esse de-
lendam," meinte ber erjte mit feiner derar:
tig engien Ausiprahe ber befannten
orte des alten Cato, mit denen er täglich
im römiichen Genat zur Zerftörung Rar:
tbagos aufforderte, daß Briefen eine gewijje
Zeit nötig hatte, bis er den englijden (Ge:
mütsmenjchen völlig begriff.
„Sollen fie uns nur einen beut[djen Prins
zen nad) Albanien jchiden,“ F der
andere, „ſo wollen wir ſchon dafür ſorgen,
daß er bald abgewirtſchaftet bat. Dann
können wir unſeren Freund Ibrahim, den
ägyptiſchen Prinzen, präſentieren. Zuver—
läſſig ſind alle dieſe Niggers ja auch nicht,
aber wenn wir ihm eine anſtändige jährliche
Dotation ausſetzen, wird er ſchon nach unſerer
Pfeife tanzen.“
Damit Got die Unterhaltung, und die
beiden Engländer begaben fih in den Rauch:
falon, wo fie fid) bei Whisty und Goda
niederließen. l
Briejen verbradte die ſchwüle und €.
[o wunderbare Nacht im Liegeftuhl auf Sed.
Und während aus bem Raudfalon Die
Stimmen vergnügter öfterreichifcher Offiziere
ertönten, träumte er feiner nddjten 3utunft
entgegen, bie ihm voll ber feltiamjten unb
geheimnisvolliten Greignijje gu fein jchien.
Gwendolin verließ ihre Rajiite fura vor
der Einfahrt in die Boche von Cattaro.
Der Cdhirotfo hatte fait — —
Stunden gedauert und ihr jeden Lebensmut
enommen. So ſehr ſie die Wärme liebte,
kg die Hike Indiens war ihr felten läjtig
eworden, Diele entnervende Treibhaus:
chwüle bes abriatijdjen Südwindes verur:
lachte ihr jedesmal Migräne.
(ls bie Jungfer das Frühltüd ans Rett
gebracht, hatte jie nur einen Schlud Tee
enommen und war jofort wieder in ſchmerz—
aftes Dahindämmern verjunfen. Cie mußte
ger feit geichlafen haben, denn wie fie die
ugen nad) einiger Zeit dier war Der
Kopfichmerz verjdywunden. Lurd) das halb
offene, runde Kajütenfeniter fam ein fiib'er
Haud herein, und das Schiff machte lebhafte
Cdlingerbewegungen. Gott fei Tant, das
war ber erfrijdhende Nordwind, die Bora,
bie einem wieder neues Leben bradjte.
Das Klingelzeichen hatte die Stewardeh
hereingerufen, bie jofort bie Jungfer holte,
mit deren Hilfe trog ber Schwanfungen des
Schiffes die Toilette bald beendet war. Betiy
empfahl dringend, für heute einen ganz
ſchwachen Haud von Rot aufzulegen, aber
48 ees SEH Borwin Carlig:
obgleich der Spiegel der jungen Frau ein
elblich blajjes Belicht zeigte, lehnte fie ab.
Es lohnte wirklich nicht, jid) für das ‚People‘
auf dem Schiff jchön zu machen.
Ziele lauten öſterreichiſchen Offiziere mik-
oT ihr im höchſten Grade. Das waren
ür fie überhaupt feine Herren, denn ein
Gentleman trägt Uniform nur im Dienit,
ganz gewiß aber nie auf der Reife. Und
ie wenigen Vergnügungsteijenden, bie wei:
ter nad) Korfu oder Griechenland wollten,
zählte fie zur Kategorie der ‚Cape Tuiskes‘,
Zieler Ausdrud ftammte von einer däni-
Iden Freundin, bie Damit eine gewille Corte
von deutichen Reijenden bezeichnete, bie man
zu jeder Tageszeit und an jedem Orte in
dem gewiß jehr praftijden, aber feineswegs
Ihönen Cape und Lodenrod antrifft.
Was ſonſt nod) auf dem Schiff war —
italieniſch Lager ën Dalmatiner, bosnijche
Cerbofroaten, Montenegriner und Griechen,
meijt Kaufleute in Geichäften unterwegs
und mebrjad) von ihren Frauen begleitet —
war für Gwendolin einfach Balfangefindel.
Jtachdem fie das Ser verſchmähte Früh:
ſtück er hatte, fühlte fie fid) wie ein
neuer Menſch. Ein verjtohlener Blid in
den fleinen Tajchenjpiegel, der hinten in
einer Rapfel eine winzige Puderquajte ent-
hielt, zeigte ihr, daß fie wieder etwas Farbe
befommen hatte, was ihre Lebensfreude
denn Dod) fteigerte.
Leichten Schrittes ftieg fie bie [teile Treppe
um Bromenadended Zonk ebt empfand
i es febr angenehm, daß fie |djon in Riid-
idjt auf bas raubere Klima Cettinjes ein
wärmeres Koftüm gewählt hatte, während
ihr geftern beim Wehen des heißen Wüſten—
windes jelbjt ihr dünnes Geidenfleid un-
erträglich geworden war.
Cie fam nod gerade zur rechten Zeit.
Die ‚Hohenlohe‘ durchſchnitt die jchmale
Einfahrt der berühmten Boche, die ganz
einem nordilchen Fjord gleicht. Schon oft
hatte Gwendolin diefe Reife gemacht, aber
aud) heute wieder bebte fie in Erwartung
bes unvergeßlichen Cindruds, wenn fidh mit
einem Schlage die Einfahrt weitet und Die
gewaltige Bucht von Cattaro mit ihren
bimmelanragenden Bergen vor einem liegt.
Nun jab fie jhon in ber Sterne bie wei-
Ben Häujer Gattaros, ganz am Ende ber
Bucht, Dicht unter der ragenden Höhe des
Lowcen, der bereits eine Schneehaube trug.
Sm unmittelbarer Nähe des Meeres wirkten
feine zweitaujend Meter ganz gewaltig, und
drohend Jahen die diilteren Whhange auf das
lienliche Bild unter ibm herab.
Ter englijche Konſul in Gettinje war im
Frühjahr mit ihr oben gewejen. Boller
nterejje hatten fie jid) von Dem englijd
Jprechenden montenegrinijchen Offizier, der
dort fommandierte, Die Befejtigungen er:
Hären lajjen. Der Yowcen war uneinnehm:
bar mit jeinen jteilen Hängen und feinen
ftarfen Befeltigungen, und feine Kanonen
beberrjdjten den größten Teil der Bocce, jo
daß Öfterreich bes [djónem und gewaltigen
Hafens nicht froh werden fonnte. „Nur am
äußeriten Ende, diht an der Einfahrt bei
Cajtelnuovo hatte es fih eine Flottenjtation
eingerichtet.
„Das wäre ein Hafen für England,“ hatte
ber Ronful leife gemeint. „Die Kriegsflotten
der ganzen Welt könnten hier ficher anfern,
und wir würden jhon dafür jorgen, daß ber
Vomcen nicht [ange uneinnehmbar bliebe.
Golde Feitungen find, bejonders hier im
Baltan, viel leichter mit Gold als mit Cijen
und Blei zu erobern. Außerdem madjt es
weniger 9[ufjeben und pflegt beide Teile zu
befriedigen.“
„Warum nehmen wir ihn uns niht ein»
fad)?“ hatte Gwendolin mit der barmlojen
Naivität englijdjer Weltanſchauung gefragt.
„Das geht bod) nicht jo ohne weiteres,”
meinte der Diplomat. Groß geworden in
der Schule englijdhen Wuslandsdienites,
wußte er genau, daß es bei einer jeden
neuen Beligergreifung darauf antam, Daß
England entweder den Anjchein eines un—
trüglichen Rechtes hatte ober ſonſt wenigjtens
als Befreier unb Beſchützer eines unters
brüdten 9Bolfsitammes ericheinen fonnte.
Wud) Gwendolin war — troßdem fie iri-
fher ae ae — der feiten Anlicht, daß es
für jedes Volt nur ein großes Gliüd fein
fönne, ber Segnungen englijder Herrichaft
bang zu werden. Auch für bte Volter
bes [iib Aal Balfans, bejonders für bas
arme unglüdliche Albanien, empfand fie ein
tiefes Mitleid und hätte es als Gegen für
diefe Lander betrachtet, wenn Englands
mächtige Hand ihnen eines Tages zugleich
mit feiner Herrichaft Kultur und Wohlitand
brüdjte.
Debt legte bie ‚Hohenlohe‘ in Cattaro an,
und ein großer Teil ber Paffagiere [tieg
aus. Gwendolin rief auf ttalieni|d) ein paar
Leute heran und beauftragte fie, ihr Gepäd
zu dem fleinen Hotel zu bringen, von wo
pas Pojtauto nad) Cettinje abzugehen pflegte.
Im Speilezimmer des Hotels aber traf
jie Baron Traubenberg, den ruffijden Mili-
tärbevollmädhtigten aus Cettinje.
„Daß ich ein ſolches Glück haben würde,
noch heute die |djón|te Frau Albaniens zu
leben, das hätte id) mir nicht träumen laffen,”
jo begrüßte fie der ftets liebenswürdige
Ruffe. „Sie wollen gewiß in unfer ſchauder—
hajtes Gebirgsneit, diejes von Gott verlaf-
lene Gettinje."
„gu meiner Freude, lieber Baron, fehe
id), daß Sie unverändert berjelbe geblieben
find, feit wir uns nicht jaben: ber aufrich-
tige Bewunderer ber Frauen und Der une
verbejjerliche Werächter des hübjchen Get:
tinje.“
„Verehrteſte, ſchönſte Frau, Sie befinden
fidh in Doppeltem Irrtume. Erftens find
Cie die einzige Frau, die ich wirklich vers
chre, weil Ste jo warme und gar nicht eng:
liie Augen haben, und zweitens pafe ich
außer meiner montenegrinijden Räuberhöhle
— — —— — — ows.
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( Der Shuk auf dem Bardanjol BESSSessesesa 49
ämtliche Städte, bie fleiner find als Peters-
urg. Aber nun nehmen Gie Plaß, effen
Cie etwas, und dann vergönnen Gie mir
bie Gnade, Cie in meinem Auto mitzuneh:
men. Sd) batte bier unten zu tun und bin
jebt jederzeit, jobald Cie es befeblen, zur
Abfahrt bereit."
Eine Stu de fpäter jchob fih bas Auto
langjam die fteile eljenitraße hinauf, deren
ungezäblte, immer wiederlehrende Cerpen:
tinen eine Höhe erreichen, bie ber des Pi-
[atus über dem Luzerner Gee ent[prid)t.
Bwendolin war begeiltert, — ihr
bod) bie Fahrt nichts Neues bot. „Sehen
Sie nur, Baron, wie fich bei jeder Biegung
bie Ausficht erweitert und wie das Bild
ftets ein anderes wird. Gebt bat man Ion
die ganze Boche in ihrer vollen 9[usbeb:
nung zu Füßen, noch etwas höher, und wir
tönnen bie Ujerberge der Bucht überbliden,
wir werden linfs bie albanijdjen Berge und
vor uns bas Meer fehen.” Gie war ganz
pi ce) in ihrer Freude,
er ehemalige Petersburger Bardeoffizier
blieb trog feiner Mee eg Montenegros
nicht unempfindlich für Die Reize ber groß:
artigen Natur, deren Genuß ibm nod) er:
höht wurde durch bie Anwejenheit ber jun:
gen, [djóubeitstrunfenen Frau.
„Ich glaube [idjer," fagte er, „daß die
ganze Adria, ja felbjt bas Mittelmeer nir:
E eine Stelle von ähnlicher, gewaltiger
djónbeit aufzuweijen hit.”
Das Auto hielt. Ziſchend fodte der
Dampf aus dem Kühler. An einer Quelle
bemühte (id) der Chauffeur, ben Durft der
beiBaclaujenen Mafchine zu ftillen.
Baron Traubenberg zeigte zur Höhe des
Lowcen, der immer nod) drohend über ihnen
tagte. Dann wies er auf einen Hügel unten
vor Cattaro. Dort war ein öjterreichijches
Hort.
„Und diefe Zwerge bilden fih ein, fie
finnten mit ihren armjeligen Befeltigungen
unjeren Lowcen in Schach halten, von Dellen
Höhen man jeden Mann und jedes Ge[djiif
dort unten einzeln wegpußen tann.”
„Warum jagen Cie ‚unjer‘ Lowcen, Ba:
ton? Eoviel ih weiß, ijt bas Königreich
ber | dywarzen Berge bod) nod) keine Kolonie
des heiligen 9tuBlanbs," meinte bie jchöne
tau mit leicht |póttijd)em Lächeln. „Oder
olite es wahr fein, was man mir erzählt
at, daß Cie im Falle eines Krieges gegen
jterreich dazu beftimmt find, bie tapferen
Montenegriner zum (iege anzuführen ?“
Der gewanbte Weltniann war nicht fo
leicht in BerlegenDeit zu bringen. „Ihre
Randsleute [predjen bod) aud) von Agypten
fo, als wenn es ihnen gehörte, während es
feinen jelbftändigen Fürjten, den Khediven,
bat, der allerdings nod) nominel dem ‘Be:
errſcher aller Gläubigen tributpflid tig ijt.
tan fällt eben leicht in ben Fehler, fid) mit
einem Yande, in bem man lebt und mit dem
uns enge Beziehungen pertnüpjen, volltom:
men au affimilieren.”
Belbagen & Alafings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918 2 Bd.
Gar zu gerne hätte die felbitfichere Eng»
länderin ihren geld idten Begleiter noch ges
fragt, ob er in der Tat am orthodoxen Neus
jabrstage bie ruſſiſchen Cubventionsgeld r
erjönli an die Miinijter und Generale
ontenegros auszuzahlen pflegte, wobei
tets Diejenigen bejjer fort famen, die fic
im vergangenen Jahre allen Wünjchen bes
weißen Zaren bejonders gejügig gezeigt hat:
ten. Gie wollte aber die thr als Fran zus
ftehende Freiheit nicht zu weit treiben und
wußte aud) nicht ganz Ke ob fie damit
vielleicht ein ihr anvertrautes politijches (Ge:
Deimnis verriete.
Unterdejjen war bas Auto wieder fahr:
bereit. Bon neuem feuchte es bie unends
lichen Gerpentinen in die Höhe, unb nad)
Verlauf einer Stunde war das Panorama
hinter ihnen verjdwunden. Berhältnis»
mäßig eben ging es jegt weiter, dafür hatte
aber die Gegend den trojtlojen Gbaratter
der Rarftlandjd aft angenommen.
„Warum haben nur bie Montenegriner
thre Hauptitadt in bielen óbe[ten und ver:
lafjenjten Teil ihres ganzen Landes ange:
legt?” fragte Gwendolin. „Das Innere bes
Landes fol bod) jo wunderbar done Ge:
genden haben, unb aud) bas malerijche An—
tivari gäbe eine reizende Rejideng, bie fogar
einen "Bergleid) mit Montecarlo nicht zu
denen brauchte,“
„Sie haben in der Tat redjt. Das Sm
nere des Landes ijt meijt pom erlejener
Schönheit. Mit meinem Auto habe id) es
nad) allen Ridjtungen durchftreift. Ich babe
Gemſen bei Nitjifch geichoffen und mid) nad
Der an dem ausgezeichneten Bier ber öjter:
reidjijdjen Brauerei bes freundlichen Städt-
dens erfreut. Sd Babe folajins Munis
tionsfabrit bejidbtigt und die ungeheuren
Urwälder feiner Umgebung durdjitreift, id)
habe bei Andriewiga auf Bären gejagt und
war el Anjtand auf albanijdje Banditen,
bie dort- bie nahe Grenze zu überjchreiten
pregen, Ta, id) habe fogar in dreitägigem
itte auf Gaumpfaden die wunderbar frudt:=
baren und blühenden Gefilde von Ipet ers
reiht, wo ih im Rlojter Decani bei dem
Abte zu Gaft geladen war. Überall ift Mon—
tenegro unvergleichlich viel jdjóner, als in
bielem entſetzlichen Gettinje, in bas mid) ein
ungnädiges Gejcdid verbannt Dat."
„Ja, Sie find entjeglich zu bedauern, Sie
Armer,” meinte die fddne Frau. „Aber
jeben Sie, da tommen ja Jdon die erjten
Häufer Ihrer geſchmähten Reſidenz zum
Vorſchein. Ich tann mir nicht heljen, id)
Een bas Gtädtchen allerlicbjt. Wie ein
chmuder, fleiner Badeort am einjamen
Meeresftrande, fo liegt es mit feinen wets
Ben Häuſern unb grünen Garten inmitten
der Steinwiijte. Aber id) vergaß unglaubs
licherweife, ganz nad) Ihrer Frau zu fragen.
Hoffentlich geht es ihr gut?“
„Sch dante Ihnen febr, es geht Anna
Micharlowna ausgezeichnet, denn fie befindet
fid) nicht bei mir. Nach ihrem legten Briefe,
4
50 eege Borwin Carlig: ——0———
den ich vor zwei Woden wier: war fie
nod in Biarriß, jet wird jie aber wohl
ihon in Paris fein. Die Blüdliche — wer
doch aud) dort fein fonnte, losgelöjt von den
Freuden bes | moni Herdes!“
Gwendolin jeufzte leicht vor jid) bin. Auch
is fühlte fih überall wohler unb freier, als
et fid) zu Haufe.
Debt hielt bas Auto vor dem JC
Gebäude ber englijdjen Bejandtichaft. Baron
Traubenberg verab|djiebete fic) mit einem
Handkuffe von feiner Begleiterin.
„Haben Cie vielen Dant für die herrliche
Sabet in Ihrem [djónen Wagen, und follten
ie einmal ein paar Tage Zeit haben, jo
würden Mr. Herbert und id) uns febr freuen,
wenn Gie uns in Cfutart bejudten.”
CH 8 B]
Das Hotel Europa in Cettinje be[tbt eine
Heine freundliche Dependance, dicht gegen:
liber bem fürftlichen Konat. Hier war Fuad
gani Bei untergefommen. Er reijte mit
einem amerifanijden 9Bajfe, der auf den
Namen para, Green aus Denver lautete.
Unter der Regierung Abdul Hamids war
er Offizier der albanijden Leibwache gewejen,
der einzigen Truppe, welder ber unglüdliche,
verbitterte Menjchenfeind vertraute. Aber
er hatte fid) verdadtig gemadt. Cinige
Jahre, bie er als junger Mann auf einer
Wiener Schule verbradte, ließen ihn die
türfijdjen 9Berbültnijje mit anderen Augen
anjehen, als es fid) für einen ottomanijchen
Offizier gehörte,
Eines Nachts mußte er auf ein amerifani-
ihes Schiff fliehen, bas ihn in bas Land der
Sreiheit brachte. Hier merkte er allerdings bald,
wie bie gerühmte amerifanijde Freiheit vor
allem Darin ae daß der jtellungsloje
hungernde Menjch fih einen Pla ausjuden
durfte, wo er, ohne daß fih irgend jemand
darum kümmerte, unbebelligt fterben konnte.
In letter Not fand er einen Landsmann,
der ihn aufnahm. ls er dann die Sprache
völlig beherrjchte, fam er mit feiner natür«
lichen Intelligenz |djnell vorwärts. Zum
Schluß bejaß er eine recht gut en Praxis
als Rechtsbeiltand, und feine Kenntnis der
Balfanjpradhen führte thm eine Menge
Klienten aus bem füdöftlichen Europa zu.
Da fam der Baltanfrieg, ber auch Albanien
bie Befreiung bradjte. Die Gerben, bie
plündernd und brennend bis zur Adria vor:
gedrungen waren, mußten auf öjterreichijchen
und italienijchen Einjpruch wieder zurüds
gehen. Und Nikita, ber nad) Ejjads Verrat
in dem unbezwungenen Sfutari einzog, wurde
burd) Landungsdetachements ber Dreibunds:
mächte, denen fid) jofort aud) eine englijde und
franzöſiſche Abteilung anſchloſſen, trog feiner
toli tenben Protefte zum Verlaſſen bes albani:
Idien Gebietes gezwungen. Alle Drohungen
Rußlands, das feinen Freund ber jchwarzen
Berge auf jede Weile unterjtüßte, blieben
vergebens. Wegen Albanien wollte es die
Entente nod) nicht zum Kriege tommen laffen.
Jedenfalls jollten aber das englifde und fran:
zöſiſche Detachement verhindern, daß fid) ber
Dreibund etwa zu feft dort einnijtete.
Die Londoner Konferenz beriet über die
Grenzen und Die politijche Geftaltung bes
Landes, und alle albanijden Patrioten hofften
auf eine neue und glänzende Zukunft. Nach
Stalien, nad) Wien und" bejonders nad)
Amerika, tiberallhin wo verbannte ober aus=
ewanderte Albaner lebten, flogen bie Genie
reiben, um alle Wohlgefinnten zurüdzus
rufen, bie bas Baterland je&t brauche.
eg an Fuad war der Ruf ergangen, und
ploglid erfaßte ihn bas Heimweh nad) feinen
wilden Bergen. Und nun war er auf der
Sjeimreije in fein Baterland, das Land bes
größten Heldentums und des niedrigiten
errates, bas Land der unverjöhnlidhiten
Blutradhe und der hHöchiten Ehrerbietung
vor den Frauen. Geit fünfzehn Jahren hatte
er es nicht mehr gejehn.
Er jtand am Fenjter und [djaute zu bem
fürftlichen Konat heriiber. Dort wohnte der
größte Feind feines Volkes, ber ſchlaueſte
und geriljenfte Bejchäftsmann, der gleichwohl
feinen Kindern ein liebevoller Water und
jeinem Lande ber befte Monarch gewejen
war. Ihn vor allen galt es zu befampfen.
Es flopfte an der Tür, und auf das
„come in“ trat ein Sotelfelner ein.
„Ach, bu bijt es,“ jagte Fuad, „was bring[t
du Neues?“
„Du mußt fort von bier, fo bald wie
möglich, ich bin ficher, du wirft beargwöhnt
und bereits beobachtet. Auch ich darf nur
ein paar Minuten im Zimmer bleiben, jo
lange als id) braudhe, um Feuer anzumachen.
Sonft tomme aud) id, ben man bier für
einen Griechen hält, in Verdacht.“
Die Unterhaltung wurde auf albanijd) und
im Flüjterton geführt,
„But, ich werde morgen früh nad) Cfutari
abreijen," jagte der Amerikaner, n
Die Freunde hier gejproden und weiß,
alles in guten Händen ijt. Haft du fonft
Neues gehört? Meldet Hamdi nichts Inter:
effantes aus bem Konat?”
„Er berichtete nur, daß unfer Feind, ber
rulijde Baron, beim König in Ungnade
BE En jet. Die bielige Polizei macht alle
tiefe, bie von irgendwelchen verdadtigen
oder aud) nur prominenten Perjonen Oe:
ichrieben werden, in febr gefdidter Weile auf
und verjchließt jie wieder ohne einen Zenſur—
permerf zu maden, jo daß der Empfänger
nichts Davon merft. Alle irgendwie politijch
oder auch Jonjtwieinterejjanten Briefe werden
bem König in den Konat geldjidt, der faft
die gleiche Freude an der Entdedung polis
tilder Intrigen wie von Liebesaffaren hat.
Auch Briefe vom Baron Traubenberg find
geöffnet worden und darin liegt bas Komiſche
der Sade: fie enthielten eine Schilderung der
hicfigen Zujtände, der Stadt, der Geſellſchaft
unb nicht am wenigiten des Hofes. Cie follen
voll bes boshaftejten Cpottes fein. Wm
Ihlechtejten tommen der König jelber und
der Kronprinz weg. Du fannjt bir die Wut
Bose Der Shuk auf dem Bardanjol BSSSeeeees4s 51
bes alten Herrn denten. Schon feit vielen
Tagen will er ben Ruffen nicht mehr feben.
Dicler. aber weiß nicht, was los ift und hat
Ihwarzen Verdacht wegen einer politijchen
Schwenkung zu Öjterreich. — „Und nun leb’
wohl, deinen Wagen für morgen früh werde
ich bejtellen. Laß bid) bitte abends nicht
mehr auf der Straße feben. Du weißt, wie
leicht man bier aul immer verjchwindet.“
Mit feltem Händedrud jchieden die beiden
Albaner voneinander.
Fuad trat von neuem ans Fenfter, denn
drüben beim Konat war eine Bewegung ein:
getreten. Aus dem hübjchen weißen Gebäude
traten mehrere Diener heraus und brachten
zwei Lehnſtühle, die fie vorne auf ber Pros
menade vor bem Konat niederjegten.
Gleich darauf erjchien der König in Be-
gleitung eines Herrn und nahm auf dem
einen ber Seſſel Pla, während fein Bes
gleiter diht hinter ihm Reben blieb. Und
jest fanden die berühmten Audienzen Hot,
ie der König nad) alter £anbes[itte auf
offener Straße einem jeden feiner Untertanen
a Wurde ber Kreis, ber fic) um den
önig bildete, zu groß, dann jchritt unauf—
alg ein Poliziſt ein und verteilte den
ndrang ein wenig. Jur als eine reijende
englijche Familie fih mit befannter Unver:
jchämtheit heranzudrängen verjuchte, wurde
der Polizift grob und der Engländer laut,
was iejentlid) zur Erheiterung der Montes
negriner beitrug.
Voller Intereffe, aber mit haßerfülltem
— ſah Fuad dem landesväterlichen
alten zu. Einem jeden ſeiner Untertanen,
der mit einem Anliegen kam, reichte der
König die Hand, fiir jeden hatte er freundliche
Worte und geduldiges Zuhören.
Und bieler Mann war feit Jahren wie
eine reiBenbe Beitie über bas albaniiche Volt
bergefallen und hatte Hundertfache Blutjchuld
auf fid) geladen...
& 8 E
Schon früh am Morgen war Fuad unter:
wegs. Cin Meiner Wagen jollte ihn mit
jeinem einzigen Koffer nad) 9tjáta befördern,
von wo ber Dampfer nad Cfutart abging.
Erft führte der Weg ziemlich eben durch
ein Gewirr von Ispartien und Geröll:
halden, wo nur im den tiefiten Stellen
winzige Heine der von der Tätigkeit ber
Menichen zeugten. Jedes urbar gemachte
Stiiddhen Feld war mit mannshohen Dtauern
umgeben, aus den Steinen errichtet, Die man
aus dem Felde hatte fortbringen miijjen,
bevor man bier jähen und pflanzen konnte.
Allmählich wurde die Gegend freundlicher,
bin und wieder jah Fuad einen Baum oder
größere Stüde bebauten cers.
Und jet tauchte mit einem Schlage eine
lange Kette blauer, hoh ragenber Berge
auf, deren höchſte Gipfel [hon den erjten
weißen Schleier bes herannahenden Win:
ters trugen. Dort lag Albanien, jein pets
geliebtes Vaterland, dort waren feine Ber:
wandten, feine Blutsbriider, feine Stammes»
genoffen. Start ſchlug ihm das Herz in
maßlojer, ungebändigter Freude, und fait
mit Erftaunen merfte er, wie er jelber im
Inneriten nod) ber alte geblieben war, ein
echter Sohn bes großen Cfanberbeg.
Eine Stunde |páter etwa erreichte er bas
peanon Stadthen Rhäka mit feinen
Iumenwuchernden Gärten und ber hübjchen
Wintervilla König Nititas.
Auf dem Heinen Flujje, der in ben Cfi:
tarijee mündet, lag |chon ber Dampfer zur
Abfahrt bereit, der ihn bis zum Abend in
fein Heimatsland bringen Jollte.
Gerade wollte er den Dampfer befteigen,
als ein Radfahrer in halsbrecherijcher Fahrt
bie [teil abfallende Straße herabjaufte. Uns
willfiirlid) wartete Fuad einen Nugenblid.
Der Antömmling fprang vom Rade und,
ohne fih um den Albaner zu kümmern,
begab er jid) auf das Schiff und madte
dem Kapitän irgendeine Mitteilung. Dann
wandte er fih guriid, [tieB Fuad wie aus
Verjehen heftig an und murmelte irgends
eine Entjehuldigung, jchwang fid) von neuem
auf fein Rad und war nad) or Zeit
verjhwunden. Auf bas flete Gtüdchen
Papier, bas er hatte fallen laffen, fegte
Fuad fofort feinen Fuß, um es gleich darauf
in feiner Taſche zu bergen.
Debt ertönte die Abfahrtsglode des
Dampfers, und bald darauf begann fih ber
alte Kaften [angjam zu bewegen.
Das Schiff gehörte einer italienijchen
Geſellſchaft. Es hatte die erften zwanzig
Jahre feines Dafeins als Küjtenfahrer gee
dient, jebt fuhr es bereits jeit langer Zeit
auf bem Cfutarijee und wunderte jid) jelber
darüber, daß fein alter rofliger Refjel immer
nod) niht explodiert war, und daß Die
morjden Planten bisher nod notdürftig
den manchmal nicht unbetradtliden Wellen
bes Gees widerjtanden hatten,
9tadj einer halben Stunde wurde ber
Gee erreiht. Debt atmete Fuad auf. Die
größte Gefahr war überwunden.
Ungejehen entfaltete er das gefundene
Papier und las den in türfij len Buchjtaben
gejchriebenen Inhalt. Gr lautete: „Dinijter:
rat hat geftern abend bejdjlojjen, in etwa
zwei Wochen bas Gebiet ber Hoti unb Gruda
zu überfallen. Borlicht in Virpagar.”
Der Albaner zerriß das Papier in fleine
Ctüdden und warf fie in den Gee. Dann
fehrte er auf bas Vorderded zurüd.
Hier war eine ganz internationale (De:
jelljchaft verjammelt. Faft alle Reijenden
wollten nah Sfutari, wo jet Angehörige
jeder europäilchen Nation vorhanden waren.
Meiſt waren es öjterreichijche und italtenijdje
Bejchäftsreilende, bie nach ber Beleitigung
ber Türtenherrichaft den Augenblick gefom-
men glaubten, Gewinn bringende Unters
nehmungen in Albanien ins Leben ju rufen.
Auch viele Wergnügungsreijende befanden
fid darunter, bie Cfutari bejuchen wollten.
Engliſche und franzöfiiche Laute wurden hors
bar; denn es fehlte nicht an Angehörigen
4°
der internationalen Detachements oder der
in Ctutari begangen fremden Konſuln.
quad, der das SItalientjche sehen bes
E madte fid) mit dem Kapitän bes
annt und ftellte ne thm als Wmerifaner vor,
um auf alle Galle feinen *Beijtanb zu finden.
fanglam näherte fih ber Dampfer dem
Stadtden Virpazar, wo er anlegen wollte,
um diejenigen 9ieijenben aufzunehmen, die
mit Der einzigen Eijenbahn, bte Montenegro
bejigt, vom Hafen Antivari herfamen. Hier
war etwa zwei Stunden Aufenthalt, den
aft alle 9teijenben benugten, um auszus
teigen und Diittag zu effen. Wher der Al—
baner blied an Bord, eingedenf der Wars
nung, bie er erhalten. Unter ber Bejagung
des Schiffes befand fic) ein Landsmann.
Kaum [idjtbar hatte er das Zeichen des
Adlers gemadt, indem er feiner linten Hand
eine bejtimmte form gab. Und auf diejelbe
Weile war bas Zeichen erwidert worden,
jo daß Fuad jebt wenigitens die Bewißheit
pate ein Mitglied des albanijden Geheim:
undes zu feiner Unterftüßung zu haben,
der bereit war, jederzeit jein Leben im
Dienfte bes Vaterlandes zu opfern.
Dann fam der Zug an, unter der Beteis
ligung der ganzen unbejchäftigten Bevölke—
tung Birpazars, bie fid) bieles täglich nur
einmal eintretende Ereignis nicht entgehen
ließ. Gs läutete zur Abfahrt, und langjam
füllte (id) Das Schiff mit Haufen von Gepád
unb neu bagufommenben Reijenden. Bue
legt fam der Kapitän, der heftig mit einem
montcnegrinijden Gendarmen brut, Gie
traten jdjlieBlid) 3u Fuad heran, und ber
Kapitän eröffnete ihm, dağ auf Befehl ber
montenegrinijden Behörden der Dampfer
nur dann bie Erlaubnis zur Abfahrt er:
Dielte, wenn er fic) zu einer Unterredung
an Land begäbe.
Der Albaner fette feine enee
Miene auf, ertlárte, er fet ein Bürger des
GE Ameritas und dächte gar niht daran,
as Cdjiff zu verlaffen. Vom Kapitän vere
langte er, ch vor Zudringlicdfeiten zu be:
ſchützen, ſonſt würde er burd) bie Botjchaft
in Rom unbedingt jeine Abjegung fordern.
Doch der Montenegriner zeigte einen jihrift:
lichen Befehl bes Mtinifteriums vor und bes
Honn auf der Auslieferung Fuads.
Jetzt geriet der vermeintliche Amerikaner
in belle Wut. Er erklärte, dag Wmerifa alle
Montenegriner ausweifen laffen würde, daß
es eine Flotte [djiden könnte und daß er
wenigitens bie ftrengite Beitrafung des un:
verichämten Gendarmen verlangen müßte.
Dann verſchwand er nad) unten, und ber
Dampjer madıte fid) abfahrtbereit. Berjchie:
denen Reifenden war ber Zwiſchenfall nicht
verborgen geblieben; zwei Engländer nah:
men die Partei des Wmerifancrs und redeten
heftig auf den Kapitän unb ben Gendar:
men ein.
Auf einmal ftieh le&terer einen Schrei
der Wut aus und zeigte nad) dem Hinter:
teil des Schiffes. Dort jah man eine fleine
Jole eiligft Davonrudern. Es waren Fuad
und fen Landsmann von ber Schiffsbe—
jagung.
Cdjleunigft lief ber Gendarm ans Land
und jchrie nad) den Zollwächtern, bie jid) in
einem fleinen Häuschen am Hafen aufbiel=
ten, während bie Pajjagicre bes Schifſes
volljier Erregung ben Garg Zeen folgten.
„Fahren Gie ab, Rapitän,” drien die Eng:
länder, ,fatren Cie ab und verjucen Cie
den Unglüdlichen zu retten.“ Und als der
Kapitän noch zögerte, nahm der eine von
ihnen eine derartig drohende Gtellung ein,
daß ber feige Staltener es vorzog, fid) nicht
nieberboxen au lajjen, jondern den Befehl
zur Abfahrt gab.
Unterdejjen begannen einige Zollwächter
auf bie Flüchtigen zu jchießen, w. brenb ber
Gendarm mit amet anderen den Verſuch
machte, ein Motorboot zum Anfahren zu
bewegen.
Unter ben zulegt an Bord gefommenen
9te'Jenben befand jtd) aud) Hans Brieien. Er
gene von Cattaro ben fletnen Dampfer nach
ntivari benug§t und jab jid) jet beim erjten
Anblid ber albanijhen Berge gleidh einem
Abenteuer gegenüber. Voller Spannung
ftand er an ber Reling und fah, wie die
Bemwehrjchüffe immer dichter beim Boote ins
Wafler jchlugen. Plötzlich ließ ber eine ber
Snjaffen das Ruder fallen und ſank gleich
darauf au Boden. in Freudenſchrei ber
Montenegriner beantwortete ben gelungenen
Treffer, während Gdjredensrufe auf bem
de ertónten, bas [id) gerade langlam
bem Fahrzeuge näherte.
Jegt mußten bie Montenegriner ihr Schie=
Ben einjtellen, weil ber Dampfer bas Boot
erreicht batte. Ein Halttau wurde herunter«
geworfen, der unverwundete Inſaſſe ergriff
es, aber im nádjiten Augenblid fenterte bas
Boot, verurjadht durch eine ungeldjidte Bes
wegung bes Dampfers, ber SE nicht hatte
Hoppen Tonnen.
Gellend freildjten ein paar Frauenſtim—
men auf, aber im gleichen Augenblid fhwang
[i eine Geftalt uber Bord und ver|djwanb
in den grünen Fluten des Gees. Dann
tauchte der Schwimmer wieder auf und war
in wenigen Gtößen bei ber umgejchlagenen
Jolle. Hier hielt fic) ber Werwundete anges
llammert, während fein Gefährte, bas Tau
feithaltend, jchon eine Strede vom Dampfer
mitgeichleppt war.
Briejen hatte [hon einmal vor Tfingtau
einen Matrojen vor dem Ertrinten gerettet,
aber Diejer fih verzweiflungsvoll an ihn
büngenbe Werwundete madte ibm dod
Ihwere Mühe. Dazu fingen die Montenes
griner aufs neue an zu jchießen.
Gnblid) nad) bangen fünf Minuten hatte
der Italiener feinen Dampfer wieder am
das Boot heranmandvriert, und gleich bars
auf befanden fid) alle gerettet an Bord.
Mit lauten Zurufen und Handeflatidhen
wurde Briejen enıpfangen. Er wandte aber
feine Aufmerkjamteit zunächjt bem Berwuns
Sn den Dünen
Gemälde von Prof. Robert Poekel berger
EE( Der Schuß auf bem Bardanjol Beseesesesssed 53
deten zu, der einen Schuß durch den Ober:
arm erhalten hatte. Mian rief nach einem
Arzte, ber aber nicht vorhanden war.
Während ber verwundete Fuad in der
Rajiite des Kapitäns gebettet wurde, holte
Briefen aus feinem Koffer bas Verbands—
pädchen, das er von jeinem Aufenthalte in
Ojtajien ber nod) bei fih führte. Dann
begab er jid) zu dem Albaner und fonnte
gerade noch verhindern, Daß der Kapitän
die Munde, bie nod) blutete, mit Waſſer
reinigen wollte. Der Borjdrift nad) legte
er, ohne bie Wunde irgendwie zu berühren,
den Berband am. Gebr zujtatten tam es
ibm, daß er wenigitens joviel englijd) |pradh,
um fic) verjtändlich machen zu Tonnen,
Fuad hatte in halber Betäubung dage:
legen, bis ihm der Kapitän einen Schlud
Rognaf beibradjte. Das ungewohnte Ge:
tranf, das bisher wohl niemals über Die
Lippen des rechtgläubigen Muhamedaners
efommen war, mochte ibm wie höllilches
—— im Magen brennen, bewies aber um
ſo ſtärker ſeine wiederbelebende Wirkung.
"erfolgen die Feinde mich nod?” war
eine erjte Frage, und als der Kapitän ihm
aate, daß er in voller Sicherheit wäre unb
bap aud) jein Begleiter, der albanijche
Matroje, gerettet fei, wandte er fid) an
Briefen. „Wer ift der mutige Dann, bem
id) mein Leben verbante ?”
„Sch bin Ddeutjcher Offizier unb gehöre
zu bem $Bela&ungsbetadjement in Stutari.
(s war mir eine heron Freude, einem
Angehörigen der großen amerifanijden Na-
tion einen Dienjt erweijen zu fönnen.“
„Ich bin amerifanijcher ea id jagte
Fuad, „aber Albanien ijt mein ?Baterlanb.
lind niemals vergibt ein Schiptar, ein Adler:
john der ewigen Berge, einen ihm erwiejenen
Dienft. Wenn Gie einen Wunſch haben
werden, welcher Urt er aud) jet, dann rufen
Cie mich herbei. Sd) bleibe in Sfutari und
werde ftets zu Ihrer Verfügung fein. Gie
Tonnen von jebt an über mein Leben
verfügen.“
Briefen dankte dem anjcheinend jebr er:
regten Albanier aufs —— meinte aber,
daß jener wirklich kein ſolches Aufheben
wegen des kleinen Dienſtes zu machen brauche.
Er ſei ein vorzüglicher Schwimmer und würde
jedem anderen Menſchen in ähnlicher Lage
ebenſo beigeſprungen ſein. —
Am fpdten Nachmittage fam Skutari in
Sicht. Auf Deck hatte ſich eine große Gruppe
gebildet, die voller Intereſſe den ungeheu—
ren grünen Garten betrachtete, in welchem
die Stadt liegen jollte. Das einzige aber, was
man vom za aus jehen fonnte, waren
die hohen weiken Säulen mehrerer Mina:
rette und der Turm des großen fatbolijdjen
Domes.
Fuad Fani Bei lag in einem Liegeftuhl
inmitten der Gruppe und erzählte auf die
Bitten einiger Damen von feinem Schidjal
und von dem feines Landes. Als ber Dampfer
auf dem Gee bie albanijche Grenze überjchritt,
batte Fuad feine Reijemüße mit dem weißen
ges bes Albaners vertaujd)t.
Jegt wies er nad) redjts, wo bie Gonne
gerade hinter einem mächtigen Bergrüden
verjhwand. Das dort war der Tarabojd,
an deffen Namen fih die ruhmreiche Ber:
teidigung Gfutaris Inüpfte. Bekanntlich
wurde ber 3Balfantrieg durch einen Überfall
Montenegros eröffnet, bas RN jid)
durd einen Sjanb|treid) in ben Beſitz bes
[don lange heißbegehrten Stutari zu jegen.
Es hieß aud, daß ber gewandte Gejdjájts:
mann Nikita bet biejer Gelegenheit eine
große Baille-Spefulation an der Parijer
örje gemadt babe, bie ihm Millionen ein:
brachte. Sn Sfutari [tanb damals nur eine
Ihwade türfijde Divijion. Auf bem Taras
bojd, bem Bardanjol und einigen anderen
umgebenden Bergen lagen alte verfallene
Befeftigungen, bie weder ein Geli nod)
ein Maſchinengewehr enthielten. Dazu fam,
dağ die Albaner die Türten als Ginbring:
linge anjaben, mit denen fie in Deier Fehde
gelegen batten. Jetzt aber vereinte ber ge:
meinjame Feind die alten Gegner.
Die gejamte männliche Bevolterung Stus
taris und der umliegenden Dörfer eilte zur
Verteidigung der Stadt herbei. Da gab es
feinen Unterjchied mehr zwiichen Muſelma—
nen und Ratholifen, jest galt es nur eines:
Das gemeinjame Baterland zu jdjiigen.
Der tiirfijdhe Divijionsfommandeur Riza
Paſcha organijierte in tattrájtigiter Weije
die Verteidigung der Stadt, unterjtüßt von
Eſſad Paſcha, bem nod von der Türkei ein:
gelegten Zivilgouverneur. Tag und Nadıt
arbeitete man, Schüßengräben entjtanden
rings um Die Feltung, und die umliegenden
Höhen wurden zu Forts ausgebaut. Will
man auf den Tarabojch hinaufreiten, fo ge:
braucht ein gut tletternbes Pferd zwei Stuns
ben auf dem |djmalen, mit hohem Geröll
bebedten Saumtierpfad. Und pier hinauf
wurden nicht nur Feldgeſchütze und Majhi-
nengewehre gebracht, jonbern fogar jchwere
Haubigen, jede von 20 Maultieren gezogen,
auf Wegen, bie erft anzulegen waren.
Unterdejjen war ber *Bormarid) ber Mon=
tenegriner nicht ungehindert vor jid) gegan—
gen. Gang Ytordalbanien ftand in Waffen
egen den tüdijdjen Feind, Hinter jeder
Felsipihe, in jedem Bujhe jak ein Albaner
und jdjtdte fein mörderijches Blei den Monte:
negrinern entgegen. Und als nad) unge:
Berluiten die eriten Cpit&en des
eindes fih Skutari näherten, welches fie
jest in wenigen Tagen zu nehmen Dojiten,
da ſchlug ihnen ein Hagel von Gejdojjen
entgegen, daß fie jid) entichließen mußten,
eine fórmlidje Belagerung anzufangen. Biel
Munition fonnte ja in Gtutari nicht fein,
und jo mußte ihnen die Stadt früher oder
jpäter in die Hände fallen.
Aber niemals haben fie die Stadt er:
obert. Als ſchon faft bie ganze europätiche
Tiirfet in den Händen der Feinde war, als
die Serben plündernd und mordend bis zur
54 Bee Borwin Carlig: B
Adria vordrangen und Durazzo und Medua
bejegt batten, da hielt fih Sfutari allein
nod, trot aller wütenden Angriffe der Mon:
tenegriner.
Unterdeffen war ber tapfere tiirfijde Ge-
neral, Riga Palha, von feiger Mörderhand
gefallen, und Ejjad hatte bas Kommando
in Gfutari übernommen. Auch er fette ben
Widerftand zunächſt nod) kraftvoll fort, aber
täglich wurden die Nationen fleiner, und die
Munition mar faft erichöpft.e Da verluchte
Nikita es mit tüdildem Verrat. Er bot
Eſſad eine große Summe Geldes und ver:
ſprach, feine Ernennung zum Fürſten von
Albanien burdjjuje&en. Diejer Verlodung
fonnte der ehrgeizige Mann nicht wider:
fteben. So übergab er die Stadt, bie fid)
rubmvoll und von ganz Europa bewundert
zehn Monate gehalten hatte. —
Der Albaner leie und blidte mit
feinen ſchwarzen, begeilterungsvollen Augen
zu ben bümmrigen Höhen des Taraboſch
hinüber, der Gtätte höchſten albani|djen
Ruhmes. Sein ſchmales Geſicht war gerötet
von ber 9[njtrengung feiner —— die
er anfangs mit faſt gleichgültigem Tone,
Log in immer größerer Erregung hervor:
tiep. Syebt jchmerzte ibn feine Wunde, und
ein leichtes {Fieber ma an ihn zu jdjütteln.
Voller Snterejje batte alles, was englijch
verjtand, ibm zugehört. Wud) Frau Herbert,
die Zeuge feiner Rettung gewejen war, fühlte
fid) tief erjchüttert Durch Die begeilterte Shil.
derung des gliihenden Patrioten. Was fie
bisher in Sfutari von Albanien gejehen und
gehört hatte, war nicht gerade das ae
gewejen. Bielleicht fam aud) hinzu, dab jie
nod) feinen Albaner gejproden hatte, der
ihre Mutterſprache fließend Si can und
daß in ihren politijden Kreijen nur weg:
werfend von bem albanijdjen ‚Belindel‘ ge:
Iprochen wurde,
Unterdejjen brad) die Nacht mit tropifcher
Gejdwindigfeit herein. Bald darauf hielt
der Dampfer, noch etwa einen Kilometer
vom Lande entfernt, weil der geringe Waſſer—
jtand bes Gees ein näheres Heranfahren
verbot. Eine Maffe Kleiner Boote um:
Ihwärmte quer das Schiff, um die Fahr:
gälte ans Land zu bringen, und die Eigen:
tümer priejen in allen Sprachen die Bors
züge ihrer Fahrzeuge an.
Eine halbe Stunde jpäter betraten alle
Paſſagiere bas Land, wo fie jogleid) ber
gange Zauber des Orients umfing, der fih
Her unmittelbar an der Schwelle des Abend:
landes nod) gänzlich unverfäljcht erhalten hat.
WW &
28
Am anderen Morgen ftand Briefen vor
feinem Kommandeur, dem Major Wächter.
Er hatte feldgraue Uniform angelegt, dazu
Den Tropenhelm, wie es die Vorfchrift für
das Detachement in Skutari erforderte. In
aufrechter Patung und ohne eine Miene zu
verziehen, hörte Wächter die Meldung Brie-
jens an, dann erft reichte er ibm die Hand
und bat ihn, Pla zu nehmen.
id aus Ihren Perjonalpapieren
weiß,“ jagte er, „waren Cie einige Sabre
„Wie
im Wuslande. Gie wiffen alfo idjon unges
fabr, wie es Draußen zugeht, denn bas Leben
ift überall, wo (id) wie hier eine internatio:
nale Gejelljchaft zufammenfindet, annähernd
das gleiche. Es hätte übrigens feinen Zwed,
Ihnen heute jchon einen Vortrag über bie
iejigen Verhältnijje und PBerjünlichkeiten zu
alten. Gie miijjen fid) jelber umjeben und
ugen und CANA offen halten. pundit
müſſen Cie Beluche madjen. Die Befuchs:
lifte finden Cie auf bem Gejchäftszimmer
beim Wdjutanten, Leutnant von ‘Platen.
Zu den Bejuchen bei den Kommandanten
der anderen Detachements müjjen Sie jid)
meine Begleitung gefallen laffen. Der bie:
fige Braud erfordert es, daß jeder von uns
jetne Offiziere perjónlid) vorjtellt. Alle om:
deren Bejuche aber, bei verjchiedenen höheren
Dffizieren der Detachements, bei den frems
den Konſuln — Deutjchland allein bat feinen
Konful hier — und bei den Autoritäten ber
Stadt, Tonnen Gie allein machen. eut:
nant von Platen gibt Ihnen einen albanis
iden Dragoman mit, der alle Wohnungen
tennt und Sie auf Ihrer Srojdjtenjabrt bes
gleiten wird. Zum Schluß nod) eines: Ich
möchte nicht nur Ihr Kommandeur jein, der
jtrengen Auges über Ihr dienjtliches und
außerdienftliches Verhalten wacht. Sd) möchte,
dak Cie mid) aud) als älteren Kameraden
und Freund betrachten, der Ihnen ftets mit
Rat und Tat zur Geite fteht. Für jeden
jungen Menjchen tommen einmal im Leben
— Lagen, in denen er nicht aus noch
ein weiß. In ſolchem Falle bitte ich Sie,
kommen Sie zu mir. Was Sie mir dann
erzählen, das erzählen Sie dem älteren Ka—
meraden und nicht Dem Kommandeur, Und
nun Gott befohlen.“
Ein fefter Händedrud, und Briefen war
entlajfen. Er entfernte (id) mit bem anges
nehmen Gefühl, nicht nur einen wohlwols
lenden, fondern auch einen flugen und oer:
ftandigen Vorgeſetzten befommen zu haben.
Wächter begab fih an feinen Schreibtijch
unb fegte ben dienjtlichen Bericht fort, ben
er gerade begonnen hatte. Er |d)rieb: Die
Engländer haben uns wieder einmal einen
Streich gefpielt. Bisher war der ältejte Of—
zier bier ber öfterreichiiche Dberjtleutnant
opp, der als folder ben Vorlig in der
Regierungsfommifjion führte, bie aus den
Kommandanten ber fünf Detachements ge:
bildet wurde. Das hatte die Engländer
ion lange geärgert, unb vor einigen Tas
gen wurde der englijdje Oberjtleutnant ab»
gelöft und durch einen Oberſt erfegt, der
nun den WVorjig in der Kommiſſion ver:
langt. Wir haben aus ficherer Quelle ers
fahren, daß ber neue Dberjt feinem Dienjt-
alter nad) höchſtens Oberjtleutnant fein
fönnte. Es fdjeint überhaupt, als wenn die
Engländer die gewiß recht praftijde Ein»
ridtung haben, ihren im Wuslande tomman:
dierenden Offizieren je nad) Bedarf einen
V(, Der Schuß auf bem Bardanjol BSSeeseesesea 55
auf bas heimtjche Patent bleibt.
Der Öfterreicher proteftierte, und ich ſchloß
id) ibm an. Da uns aber der Italiener
im Stiche ließ, wurden wir überjtimmt und
ber englilche Dberjt zum Borfigenden ernannt.
Daraufhin der Dberjtleutnant Bopp aus
ber Rommijjion ausgejchieden, und a? ers
bitte Befehl darüber, ob id) mid) bem Auss
tritt anjchließen fol. Ich würde es fiir
praftijder halten, wenn ich weiter an Den
Rommi Kata oi teilnähme, weil fonft
unjere Gegner vollig Ee Hand haben.
Wie ich von zuverläjligen Agenten erfahre,
fol ber englijde Ronjul Herbert überall im
Lande gegen Ojterreid) und uns Stimmung
zu machen verluchen. Hierzu ftehen ibm
reid)lidje Mittel zur Verfügung. Und in
bielem Lande, wo jeder Europäer nur das
nad) gewertet wird, wieviel Geld er aus»
Beben tann und will, werden dieje Beftres
ungen wohl bald Trrolg haben.
ontenegro bat es bisher immer nod)
nicht gewagt, dte ihm von der Londoner
Konferenz zugeſprochenen Gebiete der Hoti
und Gruda zu bejegen. Dieje beiden rein
albanijden und dazu noch fatholijden
Stämme haben gejdworen, fid) bis zum
legten Diann einem montenegrinijchen Gin:
marjche zu widerjegen. Montenegro [heint
bie Echwierigteiten eines Feldzuges in Die:
jem unwirtlichen, gánglid) wegelojen Gebiete
nicht zu verfennen und hat vor einigen
Tagen wieder einmal bei der 9tegierungs:
fommijjion in Cfutari Borjtellungen erhoben
und verlangt, daß wir die Albaner zur Räu—
mung des jtrittigen Gebietes veranlajjen
jolen. Da der ?Bejeblsbereid) der Kom:
mijfion aber nur die Stadt und die nadfte
Umgebung umfaßt, jo haben wir wohl un:
Ss Bereitwilligfeit, aber zugleich unjere
achtlojigfeit betont.
Es fcheint fo, als wenn englijdes und
anzöliihes Geld an verfdiedene der bie:
gen Stämme gegeben worden ijt, um fie
u veranlajjen, bet einem montenegrinijchen
Einmariche ihren Stammesgenofjen nicht zu
Hilfe zu tommen. Nun heißt es allerdings,
dah ben Wlbanern für Geld alles feil tei
Sd Babe aber bie durch manhe Beobad:
tungen begründete Anjicht, daß die Albaner
wohl bereitwillig jedes ihnen angebotene
Geld nehmen, daß fie aber troßdem nod
lange nicht das tun, was daraufhin von
ihnen erwartet wird...
Zielen Beridjt übergab Wächter einem
feiner Offiziere, ber mit einem fleinen öjter:
reichiichen Flußdampfer bie Bojane, bie aus
dem Gee entipringt, bis zum Meere hinab-
fuhr. Hier freugte der prächtige deutſche
Panzerfreuzer ,Goeben , ber bie Weiterbeför:
derung der rar nad) Berlin übernahm.
Briejen hatte fih unterdejjen bei Haupte
mann Hagen in der Rajerne gemeldet. Das
Heine beutidje Detachement von 120 Mann
war in einer ehemaligen Schule in ber
Hauptitraße der Stadt, der Rue internatio-
d eren Rang zu geben, ber aber ohne Eins
mi
nale, untergebradt. Bor dem Gebäude ftand
ein Bolten neben einem ſchwarz-weiß⸗rot ges
ſtrichenen Scilderhaufe und machte fein
Honneur vor Briefen mit derartig ftrammen
Griffen, daß es für jedes deutjche Soldaten-
herz ein wahres Vergnügen fein mußte. Ein
aar albanijde Straßenlümmels äfften
adjenb bie Bewegungen des *Bo[tens nach, die
ihrem orientalijdjen Bequemlichkeitsgefühle
befremdend und fomijd) zu er ſchienen.
Für Brieſen aber wirkten nach all dem ſüd—
lichen Schlendrian die ſtrammen Griffe und
kurzen, klaren Antworten ſeiner neuen Unter⸗
gebenen geradezu anheimelnd.
Hagen empfing ſeinen Kompagnieoffizier
mit großer Freundlichkeit, hielt ihm jedoch
ſogleich eine lange Rede über die Schwierig:
feiten, Die einem iiberall entgegentreten und
jedem nad) furgem bier das ganze Leben
verleiden mußten. Das internationale Trei-
ben war p unjympathijd, bie Albaner
erflarte er für faul und Hinterlijtig, und bas
Klima fónnte fein Menjch auf bie Dauer
ertragen. Lieber heute als morgen ginge
er wieder nad) Deutjchland zurüd.
Nach Erledigung einiger dienitlicher Fra: -
en begaben fih bie Herren in das deutjche
afino, das fid) auf der „Place bes Offi-
ciers” befand. Hagen erzählte, daß die ans
fánglid) namenlojen Straßen und Plätze jebt
alle getauft wären. Jedes Detachement
hatte in feinem ihm zugewiejenen Viertel
die Namen gegeben. Go fand man im
deutjchen Teile die Mtoltfe-, Goeben: und
Scharnhorftitraße und natürlich einen Biss»
mardpla unter vielen anderen.
Das Innere bes Rafinos war hidjt eins
fad), aber freundlich ausgeftattet. Beim
Eſſen erzählte Briefen von feiner Reije, ver:
\hwieg aber die Rettung Fuads, weil er
lich Ihämte, von einer Tat zu erzählen, die
hm als durchaus nichts Bejonderes er|djien.
Dagegen erfunbigte er fic) beiläufig nad)
der jchönen, Jchlanfen und dunfeldugigen
Frau, bie er in ak im Wagen der Prins
zellin Bolane und |páter wieder auf ber
‚Hohenlohe und dem fleinen italientjdjen
Schiff gejehen hatte.
„Das war ohne Zweifel Mrs. Herbert,
die Frau bes hiejigen englijden Ronjuls,“
jagte ber Adjutant, ber kleine Platen. „Sie
tit aber feine Engländerin, jondern fol, eine
Srländerin fein, woher fid) wohl aud) ihr
brünettes, ganz unenglijdhes Ausjehen ers
Härt. Gie werden fie bald fennen lernen,
denn wir alle verkehren viel in ihrem golt:
lichen Haufe.“
„Schade, daß fie diefen efligen, ſchmacht—
febigen Italiener jum Freunde hat,“ meinte
Hagen, „der Kerl ijt mir in ber Seele aus
wider, mit feinen jchwarzen Loden und Er
ner tremolierenden Tenorjtimme. Ich weiß
nicht, warum fie fid) mit ihrem Manne nicht
verträgt. Er ijt allerdings bedeutend älter
als fie, d aber etwas Wornehmes und
Cympatbildjes in feinem Wefen.“
Platen, der etwas bejjer orientiert zu fein
56
base hielt den Engländer fiir feineswegs
p vornehm an Gefinnung, mie man feinem
Außeren nad) annehmen konnte. Wahrjcheins
lich hatte bie arme Frau unter feiner falten
Gleichgültigkeit ſchwer zu leiden.
Mit einem leichten Gefühle bes Unbe-
hagens hatte Briefen diejem Geſpräche au:
ebórt. Ehe er wußte, wer die jdjóne Uns
befanitie war, hatte er [ie unwilltürlid) als
ein JBejen betrachtet, bem man jid) nur mit
Ehrfurcht nähern durfte. Get Idien ihm
der Duft bieler |djeuen, falt unbewußten
Berehrung, bie er der Fremden entgegen:
gebradt hatte, verflogen, jeit er fie Durch
die Bemerkungen feiner Kameraden in ben
Staub des Alltags gezogen jab.
28
Das Heine Hotel National war bis aufs
lebte Zimmer bejeßt, und ber gewandte Wirt,
ein öjterreichiicher Kroat, hatte alle Hände
voll zu tun. Geine junge und hübjche Frau
hätte ihn deme unterjtüßt, aber bas Duldete
er nicht. Gr mar voll brennender Ciferjudt,
jeit er gejehen hatte, welchen Eindrud feine
Frau auf die sfterreichijden Offiziere machte,
die täglich bie ſchönſten Blumen ins Haus
idjidten. Unhöflich durfte er nicht werden,
wenn die fejden Leutnants ihr bie aufdring:
lidjten Schmeicdheleien jagten, die jie im
Sntereffe bes Bejchäfts‘ bereitwillig anhörte.
Da 30g er es vor, jie von jebt ab gänzlich
unfidtbar zu madjen. Er führte eine Art
Haremsſyſtem ein, aß allein mit ihr in
einem Der hinteren Zimmer und verbot ihr
jemals die Gajtráume zu betreten.
Hier hatte Briefen Wohnung genommen,
bis er irgendwo etwas anderes finden würde,
Denn es ging im Hotel National zu wie in
einem Taubenjchlag, und nur am Tage war
es verhältnismäßig ruhig. Sobald es aber
dunfelte, erwadte bas Leben auf ber Straße
vor dem Hotel und in bem die ganze Nacht
eöffneten Kaffee, bas fih gerade unter feinem
immer befand.
(fs war die Zeit bes muhammedanilchen
Faftenmonats, des Ramadan. Von Sonnen:
aujgang bis Untergang darf der Rechtgläu—
bige weder arbeiten noch irgend etwas effen.
Daher jchläft er während Dieler Zeit und
erhebt fid) erft gegen Abend. Im Augen:
blide des Gonnenunterganges ertönt ein
Böllerfhuß von ber Zitadelle, und fofort
jtiirgt alles mit Hungrigen Mägen über bas
Eſſen ber, das bereits dampfend auf den
Tiſchen ftehen muß. Und dann hebt ein
Keben aus, das falt bem TFajchingstreiben
vergleichbar ijt und bie ganze Nacht om:
dauert. Der llnteridjieb liegt nur darin,
daß lediglich bie Männer fih an bem Treiben
auf der Straße und in den Raffeehaujern
beteiligen, während bie jtrenge Gitte des
Harems die Frauen im Haufe fefthält.
Augenblidlich jchien es, als wenn bie
Politif dazu herhalten mußte, bejonbers leb—
hafte Stimmung zu erregen, denn fajt um:
unterbrochen ertónte bie albanijd)e National:
bymne — eine italieniihde Kompojition
Borwin Carlig: I
neueren Datums —, die von allen begetitert
witgejungen wurde, und überall verjammels
ten Redner eine Shar Zuhörer um fic, bie
mit lautem Handeflatichen treffende Stellen
begrüßten. Dazu machten berumziehende
italienijde Mandolinenjpieler, einige Dreh—
orgeln und verjdiedene automatijdje Ham—
merflaviere ben nötigen mufifalijden Lärm.
Die eriten Tage hatte Briefen voller Sn»
terefje biejem jeltjamen orientalijchen Treiben
gugeldaut. Als er aber nad) den täglichen
njtrengungen des Dienftes aud) nadjts
feine ungejtórte Ruhe mehr fand, ba ent:
ſchloß er jid) ernitlich, jobalb wie möglich
eine andere Wohnung zu Indien.
Geine Bejuche bei den verheirateten Fa—
milien hatte er auf Platens Rat nod) ver=
ihoben, bis er bie Damen jelbjt auf dem
Tennisplake oder bei anderer Gelegenheit
fennen lernte; worauf er dann auch von den
meijten jogleid) aufgefordert wurde, zu ihnen
zu fommen.
Platen jagte ibm, daß man bejonbers
nad englilcher Anjchauung niemals unauf:
gefordert in einem Haufe Bejud) madden
Tonne, Jeder jucht fid) felber ben ibm Got
jenden Berfehr aus. |
Ru feinem Bedauern hatte er daher
Bwendolins Betanntjchaft bisher noch nicht
emat; er [ab fie nur einige Male zu Pferde,
tets in Begleitung des italientjden Marine—
offiziers, der wirklich ihr erflarter Berehrer
zu fein ſchien. Gie ritt im Sjerrenji& mit
langem geteilten Rod, und er bewunderte
die Bewandtheit, mit ber fie ohne Hilje ihren
Heinen, jchnittigen Polopomy bejtieg, um
gleich Darauf die ungepflajterte Straße ber:
unterzugaloppieren. Mit einiger Schaden=
* bemerkte Brieſen, daß der Italiener
id nicht jo ſicher im Cattel fühlte und
wahrjcheinlich eine langjamere Gangart Dies
jem mit ‚voller Fahrt voraus‘ vorgezogen
haben würde. —
Heute verabredete er fih mit bem Stabs«
arzt Braune zum Nachmittagstonzert im
jardin public, wo bie englijche Kapelle fon=
zertieren folte.
Die beiden Herren hatten fih gut herauss
gebradt, um Ehre vor der fritiihen Damen:
welt einzulegen. Zu ihren jchneeweißen, neu
aufgebügelten € inenanzügen mit den pos
nen Knöpfen bildete bte dDunfelblaue Mütze
mit dem weißen Streifen einen fleibjamen
garbenfontrajt. Briejens fdlante Gejftalt
überragte feinen Begleiter um einiges.
Sein jcymales Geſicht mit der großen 9taje
unb dem Kleinen Schnurrbart zeigte einen
gewiſſen Ausdrud von Schroffheit und Gelbjt:
bewußtjein, ber ihn leicht bet anderen Mans
nern unbeliebt machte. Der Arzt hatte ein
völlig glattes Gejicht, aus Janitären und aus
Schönheitsgründen, wie er jagte. Um feine
durch feinen Bart geihüßten Mundwintel
jpielte häufig ein fletnes, boshaftes Lächeln.
Er war als großer Damenfreund befannt.
Im jardin public berridte ‚großer Be:
trieb‘, wie Braune jagte. Falt die ganze
dnis
[
Bi
Gemälde von Rudolf Zelle
(Bon König Ludwig III. von Bayern erworben aus der Ausstellung
D
ep
im Münchener Glaspalaft, Sommer 1917)
gr Vit
we Uem
erg wit
BESSSCCHHT ESF TFT Der Schuß auf dem Bardanjol Bessesiss3esd 57
— a unb vergnügungsjüchtige Ges
fellichaft Stutaris war zugegen, um der engs
lijchen Militärfapelle zu laujchen und haupt:
jachlid), um zu flirten. Unter ber Damen:
welt wog der dunkle jüdliche ip vor.
Die Herren jpraden zwei hübjche, aber
ziemlich auffallend gefleidete junge Mädchen
an, Töchter bes griehiihen Ronjuls. Beide
Teile radebrechten ein nicht ganz einwand—
freies Franzöſiſch, was Buch einige Miß—
verftandnijje zu mehrfacher Heiterteit Ber:
anlaj[ung gab. Man verabredete, fidh morgen
auf ber Rollſchuhbahn zu treffen, die die
Staliener in ihrer Rajerne angelegt hatten.
Hier |pielte dreimal in der Woche die Muſik,
und große zwanzigligige Autos fuhren alle
halbe Stunde von dem Innern der Stadt
bis zu der außerhalb gelegenen Rajerne.
Plötzlich [ab Briefen Gwendolin in Be:
gleitung. von zwei englijden Offizieren fom:
men. Gie nidte Dr. Braune mit taum mert:
lihem Neigen des Kopfes, aber jehr liebens-
würdig zu, worauf bieler ehrerbietigft grüßte.
Unwillfirlid) war Briejen errötet unb drgerte
fih dann jelber darüber.
„Warum grüßte bie Dame Gie eigentlich
guerjt?“ fragte er den Dottor. „Sind Gie |o
gut befannt mit ihr?”
„Lieber Briefen, Ste follten “one
fon von Ihrem Aufenthalte in Oſtaſien
wijjen, daß die englifde Dame zuerjt grüßt.
SBill fie einen Bekannten bemerfen, dann
nidt fie ibm zu, andernfalls zeigt jie, daß
fie nicht gegrüßt und jedenfalls nicht ange:
redet jein will. Es tft ähnlich [o wie die
Sitte ber muhammedanijchen Völker bei bem
Grue zwiſchen hod unb ineo Immer
wartet der Untergebene ben Gruk des Höher:
— ab. Nur falls er fit, erhebt er
ih unb erwidert bann ebhrjurdtsvoll den
Gruß,
wird.“
Cie begrüßten jet ben öfterreichilchen
Ronjul, Baron Cotta, ber eine pifante Polin
Ir Frau hatte. Die lebhafte, Heine Dame
ber ihm vielleicht gnädig zuteil
orderte Die Herren für einen der nächſten
age zu einer Reittour auf den Bardanjol
auf, wo man bie türtijdjen Berjchanzungen
bejehen wollte.
Blei darauf fam Platen, der Briefen
eine bien|tlide Angelegenheit mitzuteilen
hatte, worauf man fih verabjchiedete. Auf
dem elle KEE erfuhr Briejen, um
was es jich handelte.
Der albanijdje Gebeimbunb folte in einer
beftimmten Straße etn großes Waffenlager
angelegt haben. Auh fanden dort nächtliche
Bulammentünfte ftatt. Eine fleine deutjche
und eine englijche Abteilung jollten heute
abend um elf libr gleichzeitig und von ver:
ichiedenen Geiten in das betreffende Haus
einbringen und verjudjen, bie Berjchwörer
aufzuheben.
Yslaten unterrichtete Briefen genau und
empfahl ibm, fih recht in acht zu nehmen,
weil man nicht jidjer war, ob die Albaner.
Widerjtand leijten würden. Bon der Feuer:
waffe follte jedenfalls nur im Notfalle Gee
brauch gemacht werben.
8 8
Um halb elf Uhr rückte Brieſen mit ſeiner
ſtarken Patrouille von der Kaſerne ab. In
der hellerleuchteten Rue internationale
herrſchte der allnächtige Trubel. Als aber
die kleine Abteilung in eine der Nebengaſſen
einmarſchierte, verſtummte nach kurzer Zeit
jedes Geräuſch. Nur die Hähne, die auf
em Balkan faſt die ganze Nacht hindurch
krähen, hielten ihr unvermeidliches Konzert
ab. Es war heller Mondſchein, ſo daß man
auch in dieſem kaum erleuchteten Gewirr
von Straßen vollkommen ſeinen Weg er—
tennen fonnte. Cin alter Sergeant, ber
jeden Winfel von Sfutari fannte, übernahm
die Führung.
gait eine Vierteljtunde fchlich fid) die Pa-
trouille vorjichtig weiter, Dann machte der
Sergeant das Zeichen zum Halten, und alles
barg fid) in den tiefen Schatten einer be:
jonders hohen Mauer.
Jest ging ber Gergeant mit äußerfter
Vorſicht allein weiter und fam nad) einigen
Minuten mit ber Meldung. zurüd, daß jid)
aud) die Engländer jhon auf dem bejoble-
nen Poſten befänden. Er hatte die Uhren
verglichen, jo daß man genau um elf Uhr
gleichzeitig vorgehen fonnte.
Briejen bejprad) nod) einmal mit feinen
Leuten den Auftrag, und fünf Minuten vor
elf Uhr trat bie Patrouille vorlichtig an.
Kurz vor der bejtimmten Zeit hielt alles an
einer hohen Steinmauer, durch bie eine mit
Ichweren Balten verichlojfene Türe führte.
„Schade, daß wir feine Leitern mitge:
nommen haben,” flüjterte Briejen dem Sere
eanten zu, „das Tor wird uns lange Wider:
tand leilten.“ Diejer aber wußte Rat. Im-
mer zwei Mann hoben einen dritten Dod),
bis er die Krönung der Mauer erreichte und
fid) emporjchwang. Sobald ber erjte oben
war, 30g er den nächiten zu fid) herauf, Jo
daß binnen furgem der größte Teil der Pa-
trouille bie Mauer übertlettert hatte.
Plöglidy ertónte aus bem Innern bes
Gartens ein gelender Pfiff, worauf Briefen
leinen Leuten zurief, ihm das Tor von innen
zu öffnen. Trotzdem Dieles verjchlojjen war,
wurde mit einigen Axthieben in furger Zeit
ein Eed Sie großes Loch gejdjlagen, dDurd
welches der Reft ber Patrouille einjteigen
fonnte,
Debt fam ein alter Albaner, der den
weißen Turban der Hodjchas trug, das Beis
chen der firchlichen Beamten, mit einer Laz
terne in der Hand ben Eindringlingen ent:
gegen. Mit dem Dolmetjcher ent|panm fid)
\ogleich ein erregter Wortwechlel, den Briefen
unterbradj, indem er feinen Leuten befahl,
Ichnell auf das Haus vorzugehen, um dort
einzudringen. Der Albaner lief, die Hände
zum Himmel hochhebend, neben Briefen ber,
dem der Dolmeticher erklärte, daß nach Auss
lage bes Hodichas Ich nur Frauen und
Kinder im Haufe befanden, die unter feinen
58 Borwin Carlig: BESSSSSSSSS3333ZzZN
Umftänden von fremden Augen gejehen were
den dürften.
In diefem Augenblide ertönte mehrfaches
Bewehrfeuer vom Haufe m dem (o bar:
auf ein Hurra aus englildjen Kehlen folgte.
Aufgeregt liefen bie Deutjchen vorwärts.
Da prallten aud) ihnen Schüſſe aus dem
gänzlich dunklen Hauje entgegen.
„Hinlegen,“ fommanbierte Briefen mit
ruhiger Stimme. „Standvilier und lang:
james Schüßenfeuer auf die Fenſter ab-
eben.“ (leid) darauf fnallten die erjten
djüjfe, und das Klirren von Fenſterſcheiben
zeigte an, daß jie gefejjen hatten. |
egt hörte das Feuer aus dem Haufe
auf, und Briefen befahl, daß die Hälfte der
Patrouille weiter feuern und der Reit in das
Haus eindringen folle. In wenigen Minuten
waren die Eingänge erbrochen, worauf Bries
fen durch ein Signal Jeiner Trillerpfeife das
Zeichen zum Einjtellen des Feuers gab.
Vorſichtig betraten die Deutihen das
Haus, wo man alsbald mit ben von ber
anderen Geite eingejtiegenen Engländern zu:
jammentraf. Innen fand man feinem eins
igen Menjden mehr vor, nur ein toter
I baner mit einem Schuß durch die Bruft
lag am Eingange zum Keler.
Die Engländer machten fih [ogleid) an
die Durdhjuchung des Gartens, während
Briefen mit feinen Leuten in den Keller vor:
Drang, wo man denn unter Stroh ver[tedt
ein großes Waffenlager entbedte-
0 waren aber die übrigen Albaner ges
blieben? Unmöglich fonnte der Tote allein
bieles Starke Feuer unterhalten haben. Wud)
ber Hodjcha war verjdwunden.
Nach langem, erfolglojem Suchen mar:
[djierten die beiden Patrouillen wieder ab,
nachdem ein englilher "Botten im Haufe
zurücgelajjen war. Noch am gleichen Abend
meldete Briejen bem Major Mächter, daß er
leider nur den einen Teil jeines Auftrages
hatte erfüllen Tonnen,
8 88 B8
Der Konjul Robert Herbert jaß am nad):
ten Morgen in jeinem Arbeitszimmer au:
ammen mit Oberjt Brandon.
„Das ift ein jebr unangenehmer Fall,
mein lieber Freund,” meinte er fopfichüttelnd.
„Diejer getötete Albaner farm uns Die ganzen
Sympathien bier verfcherzen, ganz davon
abgejehen, daß man niemals weiß, wie bieles
verdammte Bolt mit feiner blödfinnigen Blut:
rode fih benehmen wird. Können wir nicht
wenigitens beweijen, daß bie Deutichen den
Albaner (ee haben und daß unjere Leute
nur fo nebenbei etwas mitgejchojjen
Dberit Brandon badjte nad). Er war
nicht gerade febr Icharflinnig, aber ein offener
und ehrlicher Soldat. |
„Eine eflige Gejdidte bas," meinte er.
„Sc hatte meinen Tommies befohlen, nur im
äußerten Notfalle zu fchieBen. Als ihnen
aber die Kugeln um die Nafe flogen, da
waren fie niht mehr zu halten. Mein
Regimentsdirurg bat den Toten joeben
jeziert und mir gemeldet, daß er auch bas
Geſchoß, das leider ein englijches ift, gefun=
den bat.“
Herberts Miene wurde febr ernft. „Ich
glaube nicht, daß man |o ohne weiteres ein
englijdes Gejchoß von einem deutjchen unters
ſcheiden fann. jedenfalls verpflichte id) Gie
im Namen ber foniglidjen Politik, bie ich
bier vertrete, daß weder Cie nod) ber Chi—
rurg ein Wort davon verlauten laffen, daß
der Albaner von einem englijden Geſchoß
getroffen fein fünnte. Ich verlange im Gegens
teil, daß Sie bei der Auslieferung des Toten
an feine Verwandten die Vermutung aus:
jpredjen, daß eine beutlde Kugel ion e:
tötet hat. Und nun, good bye, unb bebenten
Cie jtets, Dak Cie hier nicht Soldat, jondern
aud) Potitifer fein miijjen.”
Migmutig ging Brandon feines Weges.
Geiner Natur widerjtrebte der ihm gewor:
dene Auftrag. Aber, was half es? Wenn
bas Baterland es verlangte, hatte ber Gol:
bat zu gehorchen.
Herbert Hingelte und befahl bem eintre:
tenden Diener: „Fragen (Cie Mrs. Herbert,
ob nod" jebt —— kann.“
Nach wenigen Minuten kam der Diener
zurück und meldete: „Mrs. Herbert erwartet
(Euer Gnaden.”
Gwendolin jak im Reittleide vor ihrem
Schreibtijche, auf bem nur einige Photo-
graphien ihrer Freundinnen ftanden. Gie
örte mit Schreiben auf und warf ihrem
Manne einen erjtaunt fragenden Blid zu.
„Entiehuldige, meine Liebe, wenn id) bid)
lo Ge T H Hoffentlich haft bu gut ge=
aten s”
Unwilltürlich zögerte er einen Augenblid.
„Womit kann id) dir dienen ?^ fragte (mert:
dolin freundlich, aber fühl.
„Wir miiffen nämlich einmal ernithaft
miteinander reden,“ jagte Herbert, „jo jebr ich
derartige immer unerquidliche Auseinander=
fe&ungen bajje. Es muß aber fein. Wie du
weißt, find leider unjere petuniáren Berhält«
nijje nicht mehr bie glänzenditen, feit bein
Vater fid) in die ungliidlide Baummwoll:
Ipefulation eingelajjen dat und uns bie bis-
ber gegebene Zulage nicht weitergeben fann
oder will.“
„Er tann es nicht, mein armer Bater!”
Gwendolin |prad) erregt. „Er würde fein
lebtes für mid) bingeben, aber er weiß
augenblicdlid) jelber faum, wie er Die
Schwierigkeiten überwinden fol. Das ift
bir bod) ebenjogut befannt, wie mir,“
„Ic bin aud) weit entfernt, deinem Bater
irgendeinen Vorwurf zu machen. Wher, wie
du weißt, habe id) bie teure politijde Kar:
riere nur in Rückſicht auf Deine väterliche
Zulage einjchlagen Tonnen, Mir lag vor
allem daran, bid) in interejjante und ange:
je bene Verhältnijje zu bringen, wodu deinen
Anfprüchen und deiner Schönheit gemäß
auftreten fonnteft. Dest |tebe id) aber vor
‘Der Wahl, entweder meinen Abjchied zu
nehmen, damit wir in irgendeinem Heinen
BeeEXEXEXEXEXEXRB Der Shuk auf dem Bardanjol BESZ 59
Neft als Paupers ben Rejt unjeres Lebens
verbringen, oder id) muß mid) bier derartig
auszeichnen, daß ich alsbald die mir in einem
folhen Fall romans, jehr gut dotierte
Stelle im indijchen Minijterium erhalte.“
Der Konjul beugte fih weit por.
Stimme fant faft gum Fliijtertone.
„Bitte, werde nicht ungeduldig, [onberm
höre mir ruhig gu. Cs gibt für uns Eng:
länder mur emen politifhen Wahlſpruch:
rizht or wrong, my country, was mit flaren
Morten heißt, dag wir in der Wahl unjerer
Mittel jfrupellos fein miijjen, wenn es das
Wohl und Wehe Englands bedeutet. Mag
es uns perjönlich nod) Jo unangenehm fein:
wenn das Baterland es verlangt, darf uns
fein Opfer zu Dod) fein. Und ein foldhes
Opfer tönntelt bu jebt unjerem Lande bringen
und uns felber zu gleicher Zeit nügen.”
„Bor allen Dingen wohl das lebtere."
Bwendolin hatte einen verddtliden Aus-
drud in der Stimme. „Aber fage mir kurz
eraus, womit id) England helfen fann.
u weißt, id) bin Srin, eine Tochter jenes
Landes, das ihr Engländer auch ftets nad)
euren politijden Grundjäßen regiert habt.
Aber immerhin fühle ich mich verpflichtet,
England zu nügen, wo id) fann."
„sch bin bir febr dankbar, liebe Freundin,“
jagte Herbert, „und id) hoffe, bu wirft mid)
richtig verjtehen. Es handelt ſich um fol⸗
endes: ,Der Capitano Sons ein tág-
iher Begleiter, a wöchentlich einmal bte
Tajche mit den Rurierbriefen des italieni-
iden Ronluls auf feinem Dampfer nad) der
Bojanamündung zu bringen, wo fie ein Tor:
pedoboot in Empfang nimmt. Der eine
Schreiber auf bem italienijdem Konjulat
fteht in unferen Dienften. Bon ihm habe id)
einen Abdruck des Qebeimidjlüjjels zu der
Ruriertajde erhalten und bin bereits im Bes
fige eines Nadjchlüffels.“
Herbert hüjtelte leicht. „Meine Idee ijt
nun folgende: ‚Du bittejt | rn bid) auf
feiner nádjten Reife zur Bojanamündung
mitzunehmen. Abſchlagen wird er es Dir
gewiß nicht. Eine zuverläjjige Agentin wird
dich als deine Rammerjungfer begleiten. Sd)
bin ficher, daß bu mit einiger Bejchidlich-
feit ihr bie nötige Zeit verjchaffen wirit,
bie Tafde zu öffnen und den Inhalt ber
Briefe zu photographieren.”
grager jah er Gwendolin an.
br erftes Gefühl war bas des Efels bei
diefer Zumutung. Unmwilitürlich fühlte fie,
daß es vor allem perlönliche Gründe waren,
die ihren Dann auf biejen Weg der niedrigen
politijden Spionage trieben. Gie fragte:
„Welchen Vorteil verjprichjt du dir für Eng:
land, wenn du bie Berichte bes Italieners
erfährt? Außerdem wird man bod) fpäter
licher bemerfen, daß bie verjiegelten Briefe
geöffnet waren, und der Verdacht muß dann
auf mid) fallen.“ |
„über ben legten Punkt tann id) bid) be:
ruhigen. Wir find im Befige eines Vers
fabrens, jeden verjchlojjenen, ja verltegelten
(eine
Brief in fürzefter Zeit zu öffnen und wieder
u verjchließen, ohne daß dem Empfänger
as geringjte auffällt. Wenn du ber 9[gentin
nur fünfzehn Minuten Zeit verichaffjt, dann
enügt es. Und N im jchlimmiten Falle
anm dir nicht viel pafjieren. Du leugneſt jede
Gemeinjdaft mit deiner vermeintlichen Jung:
er, und Ferucci wird fid) in jeinem eigenen
nterejje hüten, bie Gade an bie große
Glocke zu bringen." ;
‚Aut eines muß ich bid) aber aufmerkſam
machen,“ jagte Gwendolin. „Ferucci ijt ver:
liebt in mid. Das ift in unferem Klatſch—
neft Cfutari fajt für niemand mehr ein ($e:
GENE, Fürchteft bu nicht, daß id) meinem
Rufe aufs ernitlichite Taben würde, wenn
ih zwei Tage allein mit ihm auf einem
Cat bliebe Zu |
„Dein guter Ruf ift über jeden niedrigen
Verdacht erhaben,” erklärte Herbert, „und
ich perjönlich fühle mich frei von Gijerjudyt.
Sd) weiß, daß bu viel zu [tolg bat, um
diejem eitlen Kapitän Beranlafjung zu geben,
ih deiner Guntt rühmen zu Tonnen, Da
er bedauernswerte Ferucci aber verliebt
in bid) ift, muß es bir bod) ein leichtes fein,
ihn im geeigneten Augenblid für eine Vier:
teljtunde derart zu fejleln, daß er fih fchon
am Biele feiner Wünjche glaubt. Die kleine `
Enttäujchung, die er ſchließlich erleiden wird,
tann thm nur eine gute Lehre fein, feine
unverjchämten Neigungen nicht wieder zu
einer rau, wie bu es but, zu erheben.“
Bwendolins anten ages Gehiiht ber Em:
pörung über ihren Mann wid) einer tiefen
Hoffnungslofigfeit und Gleichgültigteit. Eine
Terjtändigung war zwilhen ihnen beiden
nicht möglich. Hier [tanben td) zwei völlig ver:
Ichiedene Befühlswelten gegenüber, zwijchen
denen es feine Bride mehr gab. Und indiejem
Augenblid jagte fie fih innerlich gänzlich
von ibm los. Wor einem offnen Bruh
freilich jcheute fie fid) nod) zurüd.
„Verſprechen fann id) dir noch nichts Be:
ittmmtes," jagte fie, „ich muß mir bie Gace
überlegen.“
Damit ftand fie auf, um das Zimmer
zu verlajien.
„Bewiß, liebes Kind, überlege es dir und
bebenfe immer, du leiltejt unjerem Water:
lande einen großen Dienjt. Und — neben:
bei bemerft — uns wirft du es ermöglichen,
jo weiter zu leben, wie wir es uns jelber
Ihuldig find.”
Damit verbeugte er fih forreft und ehrer:
bietig und begab jid) in fein Arbeitszimmer
zurück.
Dort holte er einen Brief aus ſeinem
Schreibtiſch und las ihn noch einmal durch.
Das Schreiben war von ſeiner Freundin,
der ſchönen, aber ſehr auffallenden Frau
eines Levantiners, der an der Banque Otto—
mane angeſtellt war. Sie hatte thm in letzter
Seit mit ihren ewig wachjenden Anſprüchen
viel Geld gefojtet und feine pefuniaren
Schwierigfeiten nod) erhöht.
Cie ſchrieb aus Getiinje:
= —— de, dd E a.
wë "Te ub Te @ 2 m
60
„Lieber Freund und Gebieter eines armen,
unglüdlihen Frauenherzens! Gie willen,
was Cie aus mir gemadt haben. ch war
eine leidlich zufriedene, faft gliidlidje Frau
in meiner fletnen Hduslidfeit, gebo en und
getragen von der Liebe - und ag Eee
meines Mannes, dem d jebt mit jo ſchnö—
bem Undanfe gelohnt habe. Wher bas Schick—
jal war jtarfer, als mein leider zu ſchwacher
und nadjgiebiger Wille. Gie find mein
Schidjal geworden. Gie haben in mir
Wünſche erwedt, bie id) vorher nicht fannte.
Cie haben mid) Anſprüche gelehrt, die id)
mir jelber niemals hätte befriedigen Tonnen
unb die mir jet unentbehrlich find. Wenn
Cie jo bie Veranlajjung wurden, daß ich
mich nicht mehr wohl fühle in meinen be:
icheidenen Berhältnijjen, daß es mid) binaus:
drängt, bie Welt kennen zu lernen und das
Leben voll zu genießen, fo haben Sie auch jebt
die Verpflichtung, mir weiter zu helfen, mir
weiter beizujtehen.
Cie fagten mir kürzlich, Dak Ihre augen:
blidlichen Geldverhaltnifje nicht die beiten :
wären. Gie Tonnen fih denten, wie jehr
mich bas für Sie betriibte.
Aber denfen Sie, was mir geftern paffierte.
Sch jpra mit General Popovic, meinem
alten, väterlichen Freunde, über die Ber:
hältniffe in Gfutari. Und im Laufe ber
Unterhaltung jagte er mir, weld) Sinterejje
Montenegro daran habe, über bie italieni-
Iden Abſichten betreffend Albanien. orientiert
zu fein. Für eine gute, authenijche Nach»
richt, bie id) ibm verſchaffen fonnte, würde
er mir bis zu 100000 Kronen geben fünnen.
Das Geld jtammt von rufjiicher Seite.
Und ba fam mir fofort bie Idee, daß
vielleicht uns beiden geholfen wäre Ihre
rau hat Beziehungen zu einflußreichen
talienern. Gollte fid) da nicht irgend etwas
machen laffen? England ijt ja gänzlich un:
beteiligt dabei, fo daß Ihr Gewijjen tn feiner
Weiſe belaftet würde.
Sd) gebe bielen Brief dem engliichen
Kurier mit, ben ich neulid) burd) Cie tennen
lernte und den Cie mir als zuverläjlig be:
ae le In drei Tagen hoffe ich wieder
in Skutari gu fein und zähle die Stunden,
bie mich von Ihnen trennen.”
Der Brief, der feine Unterjchrift trug,
wanderte in den Ramin,
BB 8
Brieſen ſchlenderte durch die Stadt.
Verkäufer zogen zu Fuß oder auf kleinen
Eſeln ſitzend durch die Straßen, Kalte Li—
monade oder warmen Tee aus eigenartigen
Iangbáudjigen Flaſchen, Gebäck, unter Glas:
käſten vor dem Staube geſchützt, boten ſie
aus, Lokum, die ſo beliebte gutſchmeckende
Näſcherei, türkiſchen Honig, lebendes Geflügel,
an den Beinen gefeſſelt und ſo am Eſel
hängend, Hols von den Bergen zum Heizen
und Schnee ebendaher zum Kühlen wurden
mit gellender Stimme zum Raut angeboten.
Sn fajt jedem Hauje befand jid) ein Vo:
den, deren Beliger met untätig vor feinen
Borwin Barliß: |
Waren hodten, im Munde [tets eine Siga:
rette und neben ſich eine Taſſe wp eo Und
vorbei 30g es in bunter Folge: Das Bolt
ber Straße, met Muhammedaner, in zer:
ichliffenen, aber immer malerijden Kleidern,
eine Ravalfade von Offizieren mit ihren
Damen, bie einen Ausritt machten, fatho-
liihe Albanerinnen in pradtvollen, [hwer
oldgejtidten Kleidern, elegante albanijche
ans mit ihrem täglich neuaufgebügelten
weifen Fes, ein Dugend wilder Gejellen aus
den Bergen, zu Pferde mit langer, blanter
Randare, die neugierig aber wiirdevoll die
Shake ber Broßitadt bewunderten. Dazwi:
ien einige europdijde Geftalten in der
unfleidjamen Tract bes Abendländers, Ge:
werbetreibende, WBergnügungsreijende und
Abenteurer und ab und zu eine dichtver:
ichleierte Muhammedanerin. Endlid in
buntem Gemijd) die Offiziere und Goldaten
fait aller GroBmádjte in ihren verjchieden-
artigen Uniformen.
Briefen ging langjam die Rue internatio-
nale hinunter und mußte jeden Augenblid
irgendeinen Offizier grüßen oder ben Gruß
eines Soldaten erwidern, der met nur läſſig
geleijtet wurde.
Da fam eine deutjche Patrouille im Gleidh-
ge bheranmarjdiert und begegnete einem
ranzöliihen Offizier. „Achtung, Augen
rechts!“ ertónte laut das Kommando des
Befreiten, und während die Köpfe berum:
flogen, erdröhnte bas Pflafter von dem Paz
rabe|d)ritt der ſchweren deutichen Stiefeln,
daß die Fenjter zitterten. Alles war einen
Augenblid ftehengeblieben und hatte der
Patrouille nachgejehen. Die fremden Offi:
tere lächelten e n menig über ben preußiichen
Raradedrill, während die Albaner begeijters
ten Beifall zollten.
Briefen jchlug bas Herz vor freudigem
Stolze über feine waderen Jungens. Dann
aber erfaßte ihn mit Macht ber Gegenjag
gwifdjen diejer ganzen, leichtlebigen, inter»
nationalen Schar und ber erniten deutjchen
Art. Und wie ein Bild ftieg es in ibm auf,
hervorgerufen durch die fleine Patrouille:
Siitet euch, ihr Bolfer ber ganzen Welt und
laßt uns unjere Wege gehen! er uns an=
greift, fabt Eiſen an!
Sm erniten Gedanfen verjunfen erreichte
er durch eine Reihe von Gajjen und Bähchen
ben Rand ber Stadt unb [trebte jet ber
etwa eine halbe Stunde entfernten Sitavelle
gu. Rings Derridjte tiefe Ginjamfeit, und
nur bas Abendläuten bes Domes Hang von
ferne herüber.
Langjam und einjam Hien er bergan.
Aber als er eine Feine Anhöhe erreichte, jah
er plößlich) eine Dame mit einem Offizier
auf fic) gufommen. Unwilltürli trat er
einen Schritt aurüd hinter einen elfen,
denn er glaubte Gwendolin erfannt zu haben.
Gleich darauf ſchämte er fid), hier vielleicht
als Lauſcher zu erjcheinen. Gest aber, wo
er jid) einmal verborgen hatte, war es (Um
peinlich, plöglich bervorgutreten.
- — — eo — `
Aus deutjhen Landen: Schloß Hartenftein in Sachjen
Künftleriihe Aufnahme von Ernft Schneider in Zwidau
pet!
—
— —À
—_—
PSSA Der Schuß auf dem Bardanjol ees 61
Mad einiger Zeit hörte er Stimmen und
eine Art von erregtem Wortwechjel, worauf
er porjidjtig Ausıchau hielt.
Es mar in der Tat Gwendolin in Bes
gleitung von Kapitän Qyerucci. |
Nachdem fie dem Italiener den heutigen
Wusritt abgejagt hatte, war er zum Tee
bei ihr erjdjienen und hatte fie gebeten,
ihn zum Bajar zu begleiten, um Teppiche
zu outen, (Grit wollte fie nicht, aber als
tyt Mann eifrig zuredete, doh endlich
ten Teppich zu erftehen, auf den te ſchon
ſeit Wochen handelte, entſchloß ſie ſich kurz.
Von ihrem Mann ſchon ſeit langem ver—
nachläſſigt, war F rucci bisher gerade bas
gewejen, was Do eine anjtändige Gnglán:
derin unter einem idealen Flirt voritellt.
J: enn Fer ıcci einmal in feiner italienijchen
Yeidenjchaftlichleit etwas zu eifrig wurde,
dann hatte fie es ftets in Der Hand gehabt,
ibn rechtzeitig in s Schranken zurüds
zuweijen. Einige Male war es He aller:
dıngs zweifelhaft geworden, ob ihr das auf
dıe Dauer gelingen würde. Denn bei aller
NBeichheit, bie er anfcheinend bejaß, war
Dod) manchmal in feinen Augen ein Flim:
mern aujgeleudjtet, bas es ibr geraten ers
jcheinen ließ, mehr auf ber Hut zu fein.
Durd die Straße ber Cattler unb bie
der Bäder waren fie zu den Bold» und Gil-
berarbritirn gefommen, die ihre feinen Fili-
granarbeiten an ojjenem Feuer mit gejchidter
$,anb heritellten. Dann famen fie durch bie
Straße der Zuderbäder, wo Gwendolin einem
tleinen Zigeunermädchen mit großen, bung:
rigen Augen eine Tüte Votum ſchenkte. Dicht
hinter ber gerudjvollen Ctrape ber Fiſch—
büntler lag der ruhige Platz ber Teppid):
ee wo anjcheinend eben weniger Ber:
ehr mar, fo daß die wü.digen Herren fih
Kë alle zu einer Tajje vig e b i Dem reich»
en Wiitgliede der Gilde, Mahmud Effendi,
eingefunden batten. Ihre Läden blieben
unterdejjen ruhig offenitehen. Diebe gab es
niht, folange feine Mitteleuropäer in Der
Nähe waren.
Als Gwendolin und ihr Begleiter fih
Mahmuds Laden näherten, Honn alles ehr»
rdjtsooll auf, aber erft als Gwendolin
ihnen zunidte und Ferucci die Hand grüßend
ur Müge erhob, danften fie mit tiefem Ca:
aam, der Urform des militdrijden Grufes,
ben bie ganze Welt von den Muhammes
danern entlehnt bat. Sogleich entfernten
id) bie Gajte, und Mahmud forderte feinen
ejuch mit unendlichen Berbeugungen auf,
feinen Laden zu betreten.
Der Diener reichte ben Bälten Zigaretten
und Kaffee, während ein Teppich nad) bem
anderen auf dem Boden ausgebreitet wurde.
Mahmud, der englijd) jprad), pries die
Vorzüge jedes feiner Stücke. Gwendolin
pen dieje Prozedur ficher ſchon zehnmal
ei früheren Bejuchen durchgemacht, aber
immer wieder fand [ie Vergnügen daran,
die herrlichen Erzeugniffe einer orientalifchen
Kunft zu bewundern, deren Mufter als Erb:
ftiid in einzelnen tyamilten oder Dörfern ber
Teppichknüpfer von Generationen Ler vererbt
wird, jo daß jedes Dorf immer nur ein und
das;elbe Muſter tennt, bas ohne Borlage von
jedem zn gleichmäßig bergeltellt wird.
Bwendolin hatte es bejonders auf einen
alten *Budjara abgejehen, unb bei ihrem
wodenlangen Handel war Mahmud Idon
von feinem urjpriingliden Preiſe um fujt
zweihundert Kronen beruntergegangen. Er
wußte genau, daß fie nur pieles einen Tep:
pidjs wegen gefommen war, tat aber, als
wenn er feine Ahnung mehr davon hätte.
Und Gwendolin madte es ebenjo, fragte
bald bei diefem, bald bei jenem Teppich nad)
bem Preije, bis jchließlich ber langumitri teı.e
Buchara zum Vorichein fam. Da meinte fie
[p obenhin: „Wieviel wollten Cie let; cs
Mal für bieles Stüd haben?” Und Mal:
mud nannte ihr genau die Cumme, bei der
er vor vier Tagen Itebengeblieben war.
Nun ging der Handel los, der für eben
SEEN, der eseilig bat, eine Heite Quelle des
rgers ijt, Denn wenn er fid) nicht genügend
Zeit läßt, bann muß er alles, was er tanfi,
viel’ gu teuer bezahlen. Für den Orientalen
lelber aber ijt diejes Handeln gerade Die
höchite Freude, und geachtet wird von ihm
nur der Europäer, ter nicht ungeduldig
wird, jondern fid) den Handel viel Zeit und
viel Reden fojten läßt.
Dabei darf man niht etwa bie Waren
ſchlecht machen, ſonſt betommt man überhaupt
nichts mehr gezeigt. Je mehr man lobt, in
um fo bejjere Stimmung fommt der Händler
unb um jo eher ijt er geneigt, von feinem
Preije berunterauaeben.
Heute aber |djien Ee wirflid an
der Grenze feines niedrigiten Preiles anges
langt zu A denn er erwiderte alle niedris
pum Angebote mit Hochziehen der Aupen:
rauen, Heben und Cenfen des Kopfes und
einem energijchen ‚Jod‘, was die Steigerung
in ber Ablehnung bedeutet. Gwendolin ers
hob fid) aud) heute wieder, ohne gelauft zu
haben, unb man verabjchiedete fidh bantenb
von dem alten Händler.
Zieler füBte Gwendolin die Hand und
beteuerte, daß ihm jeder Beſuch von ihr die
rópte Freude bereite und daß fie möglichjt
häufig tommen möge, um fic) an feinen
eppichen zu freuen. Man merkte ihm firms
lid) die Hochachtung an, Die er vor Deler
Dame hatte, mit der es fidh derartig gemüts
lid) handeln ließ. Mis fie den Bajar vers
ließen, tam eine fühle Brije vom Tabarojdh
herunter, und $yerucci madte ben Vorjchlag,
den Riidweg an der Zitadelle vorbei zu Fuß
zu machen. Gwendolin willigte nach einigem
Zögern ein, und erft als fie etwa zehn Mis
nuten gegangen waren und man feinen
Menichen mehr in der Nähe jab, tam ihr der
Bedante, daß fie es ja veımeiden wollte, fo
allein mit Ferucci zu fein. Gie bat ibn ba:
ber, umgufehren und wieder auf Die große
Straße zurückzugehen, da es jchon früh buntel
zu werden teg,
62 Borwin Carlig: |
Da hielt der Italiener ben Augenblid für
gefommen, einen Wnfturm auf ihr Herz au
verjudjen. Er machte ihr SE Vorwürfe
über ihr zurücdweijendes Benehmen, [prad)
von jeinerun on ee kone, Treue und Ber:
ehrung und daß er hoffe, endlich einmal
Gnade bei ihr zu finden. Gwendolin per:
juchte, der Gace eine |cherzhafte Wendung
zu geben, aber Ferucci A Us an feinen
eigenen Worten beraufcht. it glühenden
orten und bem ungezügelten Temperament
des Güdländers SET er von feiner Liebe
und von der Schönheit Gwendolins, die ihn
verriidt made.
Plötzlich verjuchte der Italiener, fie zu
füjjen. Sie wandte nur energiid) den Kopf
urüd und jab ihn mit großen Augen an.
Da jant er vor KÉ nieder und umjdlang
bebend vor Leidenjchaft ihre Knie.
Bwendolin [tieB einen leichten Schrei aus,
denn wie aus dem Boden gewadjen ae
löglich drei Albaner vor ihnen. Ferucci
biel bieles Zujammenfahren für den legten
ejt ihres Widerjtandes und wollte fie ge:
rade in feine Arme jchließen, ba jab er ihre
ftarr nad) vorne — Augen.
Erſchrocken blidte er fid) um und bemerkte
nun auch die drei Männer, die keinen ver—
trauenerwedenden Eindruck machten. Der
eine ſtand zehn Schritte vor ihnen auf dem
Wege. Sein linkes Auge war verbunden,
dazu Hatte er eine alte albaniſche Piſtole
in der Hand, oC im Gtadtgebiet
von Gfutari alles Waffentragen verboten
war.
Die zwei anderen hielten jid) in einiger
Entfernung. Ihr Anzug war zerlumpt, und
in den Handen hatten [ie große Rniippel.
Set fam der erjte Albaner bis auf zwei
Schritte heran und blieb ftehen. Wütend
über die Störung jchrie Ferucct ihn auf ita-
lienijd) an, doh ber Mann verzog teine
Miene, hielt in der einen Hand die Pijtole
und deutete mit der anderen auf den Leib
des Stalieners. Bleichzeitig rüdten aud) die
beiden anderen näher heran.
Bwendolin erjd)raf jurdjtbar. Das war
ein vegelrechter Raubanfall, und ihr Beglei:
ter hatte wahrjcheinlich als einzige Waffe
ben Dolch bes Geeoffiziers bei ftd). Einen
Wugenblic wurde ihr vor Angſt dunfel vor den
Augen, dann aber überwand jie ihre Schwäche
und fragte jyerucct, was die Lente wollten.
Zieler |prad) abwechjelnd italienijd) und
englijd) auf die Albaner ein, Die ihn aber
nicht verjtanden und nur mit einem Heben
des Kopfes antworteten. Da tat er einen
Schritt nad) vorwärts und forderte fie durch
Zeichen auf, fortzugehen. ber unbeweglich
blieben fie jtehen und madjen herausfors
dernde Bejichter, während der eine wiederum
auf den Leib Feruccis zeigte,
Sekt wurde der Italiener fleinlaut und
fagte zu Gwendolin: „Wäre id) allein, id)
wirde mid) feinen Augenblic befinnen, den
erjten von ihnen niebergu|djlagem. Aber jest,
wo (Cie bier find, tann id) es unmóglid)
wagen, Sie ben Zufälligfeiten eines Rampfes
auszujegen.“
„Nein, das dürfen Sie unter feinen Um:
tänden,“ rief Gwendolin angftvoll, „tun
Cie alles, was bie Leute von Ihnen ver-
langen. “wWielleicht find fie [hon mit etwas
Geld zufrieden.“
Unterdejjen famen bie Wegelagerer, un=
geduldig murrend, nod) näher heran. Fe—
tucci 30g feine Börje heraus, um ihnen Geld
u geben. (ie wurde ihm fofort entrijjen.
ann 30g man ihm Uhr und Kette aus der
Taſche, und trog heftigen Sträubens fand
der Albaner in feiner inneren Rodtajche
auch eine gute neue Browningpijtole.
Geit bie Piftole bei ihm gefunden war,
wurde er ganz fleinfaut. Gwendolin hatte
ion freiwillig ihr Portemonnaie abgeliefert,
und jebt war gerade ber eine der Rauber
dabei, ihr bie lange goldene Kette vom
Halje zu reißen.
In diejem 9[ugenblid fam Briefen, ber
lid vorjidtig herangeſchlichen Hatte, mit
einem mddtigen ge bervorge}dojjen unb
jug den Albaner, der Gwendolin berührt
hatte, aus volliter Kraft mit ber Fauſt ins
Gefiht, |o daß er aus Nafe und Mund
blutend zurüdtaumelte. Dann zog er blig-
ichnell jeinen Gabel, fonnte aber feinen ber
beiden anderen Banditen mehr erreichen, da
jie jofort mit langen Sägen davongelaufen
waren. Und als er fi wieder nad) bem
guerjt von ihm blutig gejchlagenen umwandte,
entfloh aud) diejer unter Zurüdlafjung von
Bwendolins Portemonnaie mit derartiger
Ge|d)minbigfeit, daß Briefen fdon nad)
nes Zeit die Verfolgung aufgab.
temlos fam er zurüd und bob die von
dem einem Wegelagerer fallen gelajjene
Piltole auf. Es war ein jchönes, altes Stiid,
aber nicht geladen. WBerächtlich warf er fie
dem Italiener vor die Füße. Dann wandte
er fid) By Gwendolin, die jebt in fajjungs:
lojes Weinen ausbrad).
Beruhigend jprad er auf fie ein und ers
reichte es, daß fie thm alsbald unter Tränen
lächelnd die Hand reichte, bie er ehrfurchts—
voll fiijte. Cie fand auch endlich ihre Sprache
wieder und dankte Briejen als ihrem Retter
und Helden, der allein drei Feinde in bie
Fludt gejdlagen hatte.
„Sc weiß auch, wer Cie find,” jagte fie,
„es [heint Ihre Spezialität zu fein, anderen
Menichen das Leben zu retten. Ich babe
. Sie jofort wiedererfannt, denn ich werde
Ihre mutige Tat neulih auf dem Schiff
niemals vergejjen. Es war ein |chöner
Anblick, als Sie, ungeachtet ber um Gie ein:
Ihlagenden Schüffe, den unglüdlichen Mbas
ner vom ficheren Tode erretteten.“
Briefen machte eine abwehrende Hands
bewegung und wandte fih an den Staltener.
„Wie fonnten Gie es zulajien, daß eine
Dame in Ihrer Gegenwart überfallen wurde,
ohne daß Gie eine Hand rührten? Gie
geitatten, daß ich die Lady jebt in meinen
Schuß nehme, Cie haben fein Recht mehr
B22 Der Shuß auf dem Bardanjol
dazu, denn Cie haben fih wahrhaftig nicht
wie ein Mann benommen.“
In den Augen des Sitalieners aber blibte
ein heimtüdijcher, wilder Haß auf. Er iir:
digte Briejen teiner Antwort, jondern wandte
ſich y italienijd) an Gwendolin. „Wün—
jen Cie es auh, daß ich Cie verlaſſe?
Sie willen, daß ich nur auf Ihren ausdrüd:
liden Wunjch nicht tätlich gegen die Mba-
ner wurde.“
Gwendolin aber zudte bie Achjeln und
wandte fic) verächtlich ab.
Einen Augenblid noh zögerte der Stas
Itener, dann ging er, wilde neapolitani|dje
Berwünjchungen vor fid) hinmurmelnd, da:
von. Er fühlte nur allzu deutlich: außer
leiner Börje und feinen Wertjachen hatte
er auch die Frau verloren, deren Eroberung
er fid) ſchon eg? wähnte.
*Brielen fapte Gwendolin, bie immer nod)
voller Aufregung aitterte, mit zartem Griff
cb ben Arm und führte jie vorjidjtig
ort.
Reines von ihnen [prad) ein Wort, unb
als es jdjon Ddunfelte, erreichten fie den
großen mujelmanijchen Friedhof am Ein:
gange ber Stadt, wo in den dunklen 3»:
rejjen Hunderte von Zifaden ihrenlieblichen,
fait an den fleiner Gingvögel erinnernden
Gejang ertönen ließen.
Kurz darauf ftanden fie vor ihrem Dane:
Nod einmal dankte fie ihm mit furgen
Morten und jegte hinzu, daß fie ihn in
einigen Tagen zu fid) zum Tee bitten wiirde,
damit aud) Mir. Herbert feinen Dant ab:
Hotten könne.
BE 8 mE
Heute jdjlief Briefen trog bes nadtliden
Larmes bald ein. Mit feinem neuen Aben-
teuer war er nicht unzufrieden. Gr —
ſich als unerſchrockener Mann vor der Frau
gezeigt, für die er ſeit der erſten Begegnung
mehr als oberflächliches Intereſſe fühlte.
mmer wieder wanderten ſeine Gedanken
zu ihr zurück. Nicht nur ihre ſeltene Schön—
heit feſſelte ihn. Ihre ganze Art zog ihn
an. Er brannte voll Ungeduld darauf, ſie
näher kennen zu lernen, auch zu ergründen,
ob all die Reden, die er faſt täglich über
fie hören mußte, über ihr Verhältnis zu
ihrem Mann, über ihren Verkehr mit dem
widerwärtigen Ferucct, irgendwelche ernten
Unterlagen hätten, ob fie nicht vielmehr von
dem berüchtigten Klatſch Cfutaris geboren
worden waren. Wie |dnell war ber Ruf
einer Frau, einer jungen jchönen Frau be:
droht, zumal wenn dieje bejondere Eigen—
ot zeigte! Wie leicht tat man ihr unrecht!
Wie ſchwer war es für fie, jid) zu wehren!
Schon früh mußte Briefen in den Dienft,
der der Hike wegen bereits um zehn Uhr
beendet war. Im Hotel wieder angelangt,
wurde ibm die Karte von Fuad Fant Bei
heraufgejhidt. Er hatte den Namen feiz
nes kürzlich erworbenen Freundes fajt ver:
gejfen und freute fid) nun aufridhtig, ben
gewandten und liebenswürdigen amerilani«
Le e
Ree
S — —
—— 5752 T a“
63
ra Albaner wiederzufehen. Fuad ent,
huldigte fih, daß er noch nicht früher feinen
Bejud gemacht, es hätte aber fett feiner An—
funft gar zu viel für ihn zu tun gegeben.
Heute tomme er in einer dringenden, wie er
meinte, unauf/diebbaren Angelegenheit. „Sie
erinnern fih,“ jagte er, „daß vor zwei Tagen
durch eine beutjdje unb engliiche Patrouille
ein albanijdhes Waffenlager aufgehoben
wurde. Hierbei ijf leider einer meiner Lands:
leute erſchoſſen worden. Ihre Leute folen
in der Notwehr gehandelt haben, aber der
Tatbejtand bleibt bejtehen, daß ein Albaner
von deutjchen Soldaten getötet worden ift.”
Briejen jah erjtaunt auf. „Woher wollen
Cie wijfen, daß meine Leute den tödlichen
Schuß abgegeben haben? Es war buntel,
und der Tote wurde außerdem mitten im
Haufe gemmae
„Die Leiche ift von den Engländern fez
Eet worden, wobei man bas Deutliche (e:
hop fand. Die Angelegenheit hat nun
leider ein höchſt unangenehmes Machjpiel.
Gewiß bat man Ihnen don von der alba:
nijden Blutrache erzählt, biejer ungliidjelis
gen, aber fajt als heilig angejchenen Tradi:
tion meines Baterlandes, die |d)on unzählige
gamilien begimierte oder gar gánglid) ais:
rottete, Nun ift mir berichtet, daß bie Ver:
wandten des Toten bereits Nachforſchungen
nad) dem Tater veranjtaltet haben. Da es
natürlich unmöglich ijt, unter den Soldaten
ben Schuldigen zu finden, jo bat fid) nad)
der 9[njid)t der Angehörigen die Blutrache
gegen den Anführer jener Patrouille zu
richten, ber Cie ja leider waren. Sch fann
Ihnen nicht verhehlen, daß Sie fid) in einer
AO gefährlichen Lage befinden. Da Sie mein
tebensretter find, Dem id) Danfbarfeit bis
gum Tode jchulde, jo bin ich jofort zu Ihnen
gefommen, um Sie zu warnen und die nötigen
(PegenmaBregeln zu bejprechen.“
Briefen war nicht gerade angenehm Sa:
diefe Nachricht berührt, nahm fie aber do
etwas auf die leichte Schulter.
„Zunächſt, lieber Freund, möchte id) Cie
bitten, mir gu jagen, worin bas Weſen
Diejer Ihrer nationalen Gigentümlidjteit
eigentlich bejteht. Man hat mir vielerlei
darüber erzählt. Ich habe aber, offen ge:
(tanben, das meilt für Sagen oder dod
Übertreibung gehalten.“
,Seiber ijt bas lektere ein Irrtum. Go:
bald ein Albaner durch die Schuld eines
anderen umfommt, haben feine nächiten Bers
wandten die Verpflichtung, den Täter ihrer:
feits umzubringen. Das gejichieht nicht öffent:
lich, fjondern met durch einen Dolchſtoß von
hinten oder einen Schuß aus bem Hinters
halt. Der Vollzieher der Blutrade hat
nämlich alle Beranlajjung, felber unbefannt
zu bleiben, weil jid) nun bie Blutrache
wieder gegen ihn wenden muß. Nur wenn
es auf feine Weile gelingt, Den Täter
eines Mordes ausfindig zu machen, ruht
bie Blutrahe, und auf dem Grabe bes
Betöteten wird ein weißer Stein errichtet,
2 ` ep o 2 =. 7 —_ m LX. Au =
— to 2 2 2 2 2 Ze 2 6 2 4
64
ber fo langftehen bleibt, bis der Mord ges
[übnt tit
Für bie Verwandten aber ift ein iunge:
fühnter Mord eine große Schande, und |o:
lange ber Tater befannt ift und nod) lebend
berumläuft, darf fein anítünbiger Albaner
mit ihnen verfehren. Die Folgen Deler
alten und barbarijden Gitte, bie auf feine
SBeije auszurotten war, find für mein ars
mes WBaterland fehr verderbliche gewelen.
Und wenn man bier taum einen alten Viann
fieht, jo find niht nur bie ewigen Wufftande
gegen die Türken daran jchuld, Jondern zum
roen Teil ijt es aud) bie unjelige Blutracdhe.
ie Gebildeteren von uns kämpfen in Ges
meinjdaft mit den djrijtliden und mufel:
manijchen @eiftlichen gegen biele Gitte an,
aber bisher völlig vergebens.”
„Was geichieht mun," meinte Briefen,
„wenn der Täter das Land verläßt?”
„Auch dort erreicht ibn die Blutracdhe
früher ober jpäter mit tödlicher Sicherheit.
Die- zur Race verpflichtete Familie ruht
nicht eher, bis fie genügend Geld zuſammen—
gebracht bat, um eines ihrer dazu gecigne:
ten Mitglieder ausgurüjten. Diejer [deut
feine Mühen, feine nod) jo langwierigen
9tadjforidjungen unb im Notfalle aud) fein
Geld, um zu jeinem Ziele zu fommen. Und
[bon jo mandjer tavielbatte Todesfall in
om oder Mew dort hatte feine Urjadhe in
einer oft jahrelang zurüdliegenden alba:
nijden Blutſchuld.“
Trog aller perjónlidjen Tapferfeit war
Briefen bei diejer mit tiefitem Ernjte vorge»
bradten Cdjlberung niht ganz wohl zus
mute, und er fragte feinen albanijden
qreund, was er ihm denn zu tun riete.
quad fagte: „Es gibt ein jeltiames Mit:
tel. Dian tann jio nemad von der Blut:
rade freitaufen. an verhandelt mit den
Verwandten und einigt fih über den Wert,
den der Tote für [cine ane gehabt hat.
Allerdings fommt diefe Art ber Erledigun
hier äußerjt jelten vor, weil jaft fein Menj
imitanbe ift, eine folde immerhin hobe
Summe zu zahlen.“
„Und wieviel glauben Cie, daß id) in
meinem Falle zahlen müßte?” fragte
Briefen.
„sch glaube, daß die Angehörigen fid) mit
dreis bis piertaujenb Kronen zufrieden geben
würden.“
Einen Wugenblid Dien in Briefen der
hwarze Verdacht auf, dak Fuad vielleicht
elber nur getommen war, um ihn auf joldye
echt orientalijde Weile zu jchröpfen, aber
jofort verwarf er Dicjen Gedanken. Sener
Dann war ihm zn Dant verpflichtet und
in feiner ganzen — und Sprache
nag einer gemeinen Handlung unfähig.
ro5bem aber wollte ihm diefe ganz un:
glaublidje Gate immer nod) nidt einleuch-
ten, ganz abgejeben davon, daß er beim
beiten Wilen nicht imjtande war, eine der:
artige Summe aufjubringen. Gr war vers
mögenslos, und jeine Dlutter, eine arme
Borwin Garlib:
Dffizierswitwe, fonnte ibm nur mit Mühe
bie fleine monatlidje Zulage zahlen.
Kurz entſchloſſen jagte er daher zu Fuad:
„Ih tann und will Ihren Vorſchlag nicht
annehmen. Ich fühle mid) an dem Tode
bes Albaners gänzlidy unjchuldig. Eritens
laube id) nicht, bag er von einer deutjchen
ugel gefallen ift, und wenn es trogdem
der all war, dann haben meine Leute im
Dienjte geldojjen. Ihnen dante id) aufs
berzlichite für thre Warnung und wäre jeyr
dankbar, wenn Sie Ihren Einfluß bei den
Angehörigen des Toten aufbirten wollten,
fie davon zu überzeugen, daß fie fid) bei mir
an einem Schuldlojen vergreifen würden.
Sm übrigen ftehe id) hier auf Befehl memes
Raijers und bin bereit, alle Folgen, die
mein bien|tlides Vorgehen mir bereiten
fonnte, auf mich zu nehmen.”
Der Albaner jah ein, dak auf diefe Weile
von dem deutichen Offizier nichts zu errei-
den war: „Wenn (Cie vielleiht glauben,
dak mein Einfluß bei den Verwandten des
Toten ausfdlaggebend fein könnte, jo muß
id) Ihnen leider jagen, daß das niht der
Fal ijt, In allen Fragen der ?Blutradje
nimmt niemand Riidjidjt auf Wünfche oder
9tatidjláge anderer. Aber id) will mein
mögliches tun und hoffe menigitens, Cie
Re warnen zu Tonnen, falls Ihnen
unmittelbar Gefahr drohen follte."
Mit feitem Händedrud jdjieb Fuad von
feinem deutjchen Freunde, :
Dann begab er fic) in ben albanijchen
Klub, wo ibn wichtige Bejchäfte erwarteten.
Das flubbaus [ag in der Rue inter»
nationale und war ein hübjches zweijtödiges
Gebäude, von deſſem ode die blutrote als
banijde Fahne mit dem jchwarzen Adler
darin flatterte. Sm unteren Ctodwerfe war
ein Café, das zu jeder Tageszeit angefüllt
war mit lärmenden und heftig politijieren=
ben Albanern. Hier madjten jid) vor allen
die jüngeren Elemente breit, die fih irgend—
welde Vorteile von dem erft im Entitehen
begriffenen neuen jyürjtentume erhofften.
Viele von ihnen hatten ihre Bildung auf
italienijden ober ójterreidjijd)en G .hulen ers
halten unb jid) neben bem oberflädjlichen
europdijden Wijlen aud) bie Echattenjeiten
moderner Kultur angeeignet. Diejen jüng—
p Albanern war nidjts mehr heilig, un
er einzige Gott, zu dem fie fdjmoren, blieb
der Vorteil. Cine gut bezahlte Beamten:
[telfung, danad jtrebte jeder von ihnen,
Dem ernften patriottjdjen Cinne Fuads
entiprachen die politijden Jünglinge feiness
wegs. Er hoffte aber, daß der Ernjt ber
fonımenden Seiten aud) dieje mißleiteten
Stammesbriider nod) zu nüßlichen Patrioten
machen wirde.
Im erjten Stodwerf angelangt, betrat er
ein Zimmer, vor deljen Türe ein albanijcher
Gendarm Wade hielt.
Die beiden anderen Mitglieder bes Ge:
betmausfdujjes waren Lion zugegen. Den
Vorjig führte ber 60 Jahre alte Mehmed
"9999*99999999990*$?90099090090*50000000000000000000900990900$0000^000000009090900000000000000000000000000000000000009000000
Von Hans Schwegerle
Bildnisbüfte in Eijen.
SSSSSSSSSSSSSSESESSESSSHESSSSSSSSSSSSSESSSSSESSSSSSSSSSLSSSSSSSSSSSSSSSSSFSSTSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSESSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSGLSSSSSSSSSSSSSSSSSSOSSESOSOS
IHE LIBRARY
OF THE
UE DÉI en INNIS
ESSSSSISISIFZAN Der Schuß auf dem Bardanjol BSSessesesssa 65
Grabe Pafda, der bedeutende Befigungen
in der Nähe Stutaris bejaB, die aber wegen
der großen Lotterwirtichaft faum mehr Ein:
fünfte einbradten. Er war ehemaliger tür:
Hicher General und ein Freund Abdul Has
mids, weshalb die Syungtürfen ihn aus dem
Lande verbannt hatten.
Das dritte Mitglied, Kefir Bei Odhrida,
war trog feines türfijd)-albantjdjen Bei-
Titels Ratholif. Beſitzer eines gut gi
den Gejdafts in der Stadt Ochrida, er
bet bem jerbijchen Cinbrud) und hatte dabei
jein Vermögen eingebiift.
Grabe Pajdha eröffnete die Sitzung.
Sunádjit jprad er Fuad ben Dank ber
albanijden Batriotenliga aus, daß man dur
feine glüdlid) überbradyte Nachricht bie Hott
unb Gruda vor dem montenegrintichen Ein:
marjde batte warnen Tonnen, Ein Abges
fandter der beiden Ctámme wäre heute früh
angefommen und bate, von dem Komitee
empfangen zu werden.
Bleich darauf betrat ein Franziskaner in
brauner Rutte mit Neititiefeln und eng:
licher 9Utífe das Zimmer. Er war ber
Pfarrer aus Rapja Hotit, diht an ber mon:
tenegrinijden Grenze. Und er berichtete:
Alles war bereit, bte Montenegriner jo zu
empfangen, daß fie ein Wiederfommen niht
wagen würden. Zweitaulend gut ausge:
rüjtete Männer befanden fic) an ben Gren:
zen, wohl verjehen mit Gewehren und Diu:
nition. Jeder Weg, jede Bergipige war
doppelt bejebt und bewacht, und an den
— deg Engpajjen [tanben Steinlawinen
reit, um die Eindringlinge zu zerichmet:
tern, die es wagen würden, das freie Land
ber Schipetaren zu betreten. Die Frauen
und Kinder batte man nad dem Innern
e an. Norbereitete Wlarmferer fonnten
jeden 9[ugenblid aufflammen. Das Haupts
quartier der Stämme, wo die beiden Rai:
taftars fih aufbielten, befand fid) in ber
von den Miontenegrinern im vorigen Jahre
zeritörten Kirche von 9tapja. Bon hier ging
eine Linie zur Nachrichtenübermittlung bis
nad, Cfutari hin. Gie beftand aus einer
fortlaufenden Reihe von aufgeftellten halb-
wüchligen Burjchen, die [id) bie zu über:
mittelnben Nachrichten zuriefen. Celbjt nadts
waren furze Meldungen in einer halben
Stunde richtig über bie fajt vierzig Kilo-
meter lange Linie angelangt.
Nad btejem eingehenden Berichte wurde
der Piarrer entlajjen, nahdem man ihm für
den Fall eines montenegrinijchen Angriffes
lofortige Hilfe zugejagt hatte.
Sekt berichtete Kefir Bei, der gerade von
einer Orientierungsreije an der jerbijdjen
Grenze zurüd fam. Dort ftanden große
Dinge bevor. Als die Serben im vergan:
genen Jahre in Albanien einriidten, waren
alle waffenfähigen Männer in die Berge
entiloben, denn die Gerben hatten feinen
Albaner geidjont. Wer ihnen in die Hände
fiel, wurde in unmenjdlider Weije getötet,
Dann fam ber TFriedensichluß, und die Ger:
Relbagen A Klafings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bo.
ben mußten fic) bis an bie von der Lon:
doner Konferenz feſtgeſetzten Grenzen zurüd:
ziehen, wobei aber alle albanijden Städte
des Dftens wie Ochrida, Struga, Dibra,
Prijren, Djafova und Ipek in jerbijchen
Händen blieben.
Als jedoch die Albaner aus den Bergen
wieder zurüd in die Städte wollten, wo jid)
ihre {Frauen und Kinder befanden, trafen
fie überall auf jerbijche Soldaten, die ihnen
den Eintritt in das jeßt feindliche Land ver:
Sen, Wem es trokdem gelang, bie
Bolten zu Durchichleichen, der wurde in feiner
‘oon ergriffen und ohne Gnade er:
offen.
„Jet ftehen die Unjrigen zu taujenben auf
albaniichem Boden bid)t vor den ferbijden
Borpoften. Die Cebn|udjt nad) Weib und
Kindern lápt fie fajt wahnfinnig werden.
Außerdem reift die Ernte heran. Aber wer
jol die reiche Frucht einbringen, wenn fein
Mann da ijt? Da wollen wir jest, von aller
Welt verlajjen, uns jelber Berechtigteit per:
Ihaffen. Sn feds Tagen, um zwei Uhr Me.
türli]djer Zeit, alfo zwei Stunden na
Sonnenuntergang, werden auf einer Linie
von hundertundfünfzig Kilometern, von
Odrida nad Ipet, die ferbijden Vorpoſten
angegriffen und über den Haufen gerannt
werden. Ter Erfolg ericheint ficher, Glückt
der Überfall, bann nehmen unjere unglüd:
lihen Landsleute ihre Frauen und Kinder
gu fih, laden ihr bigden Hab unb But auf
unb gehen wieder über bie |djiigenben Gren:
gen Albaniens zurüd. Mißlingt er, fo haben
wir wenigitens bie Aufmerk amkeit Europas
auf uns gelenft, bas bie dm’ Elend gegen:
über nicht gleichgültig bleiben’ tann.”
Hiermit endete Rafirs Bericht, dem die
beiden anderen tief ergriffen gelaufcht hatten.
uad allein u ar bejorgt. Die Broßmächte
mußten doch helfen, wenn man ihnen alles
auseinander jebte. Er jelber wollte nad)
London fahren und in Downing Gtreet
— E erheben. England d dod
aud) bie Armenier vor den Berfolgungen
der Türfen gejchüßt.
Der alte Grabe aber nidte verneinend
mit dem Ropfe. „Es ijt alles vergebens,
auf uns hört bod) niemand, und bis du in
London irgend etwas erreicht haft, find
unjere Leute jelbjtändig und ohne Führung
losgegangen. Lajjen wir daher den Dingen
ihren Lauf und verjuchen wir durch unjeren
erfahrenen Rat die Greignifje günftig zu
beeinflujfen. Kefir Bei wird nod) heute mit
unjeren Bollmachten abreijen und vor Dibra,
wo wir den SE machen wollen, den
Dberbefehl übernehmen. Wir werden von
bier aus für Nachſchub von Munition Jorgen
und für alle Fälle eine fampffräftige Mann:
haft an den Grenzen bereitjtellen, um den
Flüchtigen einen Rüdhalt zu fichern.“
Damit jchloß die entjdjeibenbe Sitzung,
Die Den Gerben einige taujend ann foften
folte, ben Wlbanern aber unjagbares Unbeil
brachte. (Fortfegung folgt)
5
WANS WS Wa NA Wd NS INS Wi NA 8 NW 8 SA NA NA Wi 9 NW | NA)
= derte aus der jüdlichiten Ede ber
Champagne ein dreizehnjähriger
Rnabe heimlich und zu Fup nad)
Reims, um fid) ae wie
man Könige made. Gein eigenes Hand»
wer? folte der Königsiturz werden. Aber
nad) dem Gturze des Königtums wurde er
auch zum Erretter feines Vaterlandes aus
höchſter Gefahr, unb das verflärte bie Ers
innerung an ibn [elbjt bei ben Feinden
Frankreichs. Unter uns madjte Georg Büch—
ner Danton gum Helden feines ftárfjten bra:
matijdjen Wurfs, und nod) jüngft ijt erft
wieder eine Danton gewidmete Dichtung
über die Bretter bes Nürnberger Stadt:
theaters gegangen. Mächtiger jedoch als
Didterworte dient die ruljijdje Revolution
dazu, bas Gedadtnis an ben ent[djIojfeniten
Mann in — aufs neue zu wecken.
Sie verdeutlicht uns faſt mit aller Bewegung
und Farbe unmittelbaren Miterlebens, welche
Unordnung und Unruhe mit dem Ausbruch
der Revolution über Frankreich kam und
wie raſch unſere Nachbarnation damals
durch innere Kriege und durch Kämpfe mit
äußeren Feinden dem Abgrunde zutrieb. Wir
folgten im letzten Frühjahr und Sommer
bem raſchen Aufſtiege &eren|fis. Wir fühl:
ten, wieviel für Rußland und für uns da—
von abhing, ob er der Auflöſung Meiſter
würde. Hinter dem nervöſen, übernächtigen
Slawen aber, der mehr durd) rbetorildje
als organijatorijhe Begabung blenbete,
tauchte das Bild des Berteidigers Frant-
reihs mit urjprünglicher Gewalt wieder
auf. Er hatte geleijtet, was Kerenjti erft
leiſten jollte.
Danton ijt im felben Jahre wie Schiller,
faum zwei Wochen früher, zur Welt getom-
men, beide Sbealijten, beide Riinder natio-
naler Ehre, heißblütige Werteidiger der
Freiheit, ber eine aber ebenjo in ber perjin-
lihen Lebensführung wie nad) ber geiltigen
Artung gleich jehr Franzoſe wie der andere
Deutiher. Dantons Wiege ftand in Arcis
fur Aube in der de er entjtammte
ener in bejcheidenem Wohlitande dahin:
lebenden, adjtungswerten Familie. Er ftus
dierte die Rehte; 1780 zur Anwaltjchaft
ugelaflen, verlegte er feinen Wohnjig nad)
aris. Bom Gymnafium ber war feine Phan:
taie mit Morjtellungen republifanijden
Staatslebens erfüllt. Nun machte er jid) mit
ben Hauptjchriften ber jtaatswiljenjchaftlichen
und philojophiichen Literatur des Frankreich
jener Jahre, vor allem mit der ganzen Enzy—
Hopädie vertraut. Die Kenntnis des Eng:
[iden und Stalienijdhen erlaubte ihm aud
fremde Dichter und Schriftiteller zu Iejen.
Als Anwalt erlangte er bald ein gewilles
Anjehen. Im Jahre 1787 glüdte es ihm,
ur Rönigsweihe VE XVI. wan:
Danton
Bon Prof. Dr. Martin Spahn in Straßburg
unter die Anwälte beim Königlichen Rate
zugelajjen zu werden.
Unterdejjen Rn fid der Himmel über
Frankreich mit |djmeren Gewitterwolfen be:
bedt. Eben dDurdwogte eine Reihe von
Provinzen eine Erregung, die bier und da
ihon zu Borjpielen der Revolution führte.
In Paris felbft war es zu Gtreitigteiten
wijden ber Regierung und bem Höchlten
erichtshofe außer dem Königlichen Rate,
dem Parlamente, gefommen, das fid) von
alters ber auch politijd)e Berechtigungen bei:
maß. Der König hatte das Parlament zur
Strafe in die Proving verlegt. Das Mini:
fterium leitete damals der CErgbijdof £o:
menie be Brienne. Er entftammte jelbjt ber
Champagne. Einer feiner Vertrauten fam
mit bem jungen Danton über bie politifche
Lage ins Gejprad. Danton äußerte fis
mit einer Gicherheit unb Beftimmtbeit, die
jeinen Unterhalter ben politiihen Kopf in
thm erfennen ließen. Er ftimmte niht in
bie allgemeine Entrüftung über bas Bors
gehen der Regierung gegen bas Parlament
ein. Das hohe Ridhtertum fühle jid) als
privilegierter Stand nidt anders wie Die
Geijtlicdfeit ober der Adel. Auch ibm 7
es nicht um bas Wohl bes Bolfes. du
eile Die Zurüdverlegung des Parlaments
nad) Paris nicht. Dringlicher lei, daß bte
Regierung niht mehr mit den unvermeid-
lichen Berbefjerungen bes Gtaatslebens auf
(id) warten laffe, ben pon der Bernunft vors
gezeichneten Richtlinien folge, den Forde:
rungen des A eiltes, Den wahren Bedürf—
nijjen ber Menſchlichkeit Genugtuung per:
Ihaffe. Faft gleichzeitig |prad) fih Danton
aud) an anderer Stelle tm jelben Ginne aus.
Beim Wettbewerb um die Zulafjung zum
Königlichen Geridtshofe mußte er fid) über
die Riidwirfung ber politijden Lage des
Landes auf bie Rechtspflege äußern. Auch
hier zeigte er fih gegen bie Sache bes Parla:
ments gleichgültig. Der Horizont jchien thm
dülter. „Könnte man nur,“ to rief er aus,
„ven limjtura um ein Stenjdjenalter auf:
halten, jo würde fid) Durch bie Kraft ber
Dinge und ben Fortſchritt bes Lidtes alles
noch friedlich beilegen laffen.“ Fortan über:
zeugte er jid) täglich mehr, daß bas Ber:
derben unaujhaltjam würde. Als fid) Lo»
ménie im Jahre darauf feiner erinnerte und
ibn fragen ließ, ob er in bie Regierung ein:
treten wolle, lehnte er ab. Der Stand der
Dinge fei nicht derjelbe wie im vorigen Jahre.
Berbejlerungen genügten nicht mehr. „Dies
jenigen, bie jie verweigerten, haben ihr eige:
nes Leben verwirft. Wir find fiderer als je
am Borabend einer Revolution.”
Danton hatte nicht die Natur derjenigen,
bie feine Ruhe haben und feine Ruhe geben,
bis fie bas Beitehende umegeftiirgt willen.
ple Prof. Dr. Martin Spahn: Danton Keess
Dafür liebte er zu jehr den Genuk des Le-
bens und bas 2ujammenjein mit den Wei:
bern. Die 9(us|djweifungen verdarben ihn
Sei nidjt. Aus dem Sdmuge von Paris
ebrte er immer wieder einmal in die reine
Luft feiner Heimat, zu der zärtlich geliebten
Mutter zurüd. Damit er fich jebod) zu hel-
dilcher Tat aufrichtete, bie den ganzen Mann
beanjprudt und ihn über jid) ſelbſt erhebt,
bedurfte es erft eines völligen Wechjels der
Umftande. Bis dahin widerjtrebten aud)
Dantons Denfart und Bildungsgang der
Revolution. Gie hatten ihn über bie Enzy—
Hopädiften zu ben Phyſiokraten und insbe-
jondere zu Turgot geführt. Won Turgot
lernte er, daß es im Staatsleben ohne Maht
im Innern und nad) außen nicht abgeht,
daß jeder Staat, um leiltungsfähig zu biet:
ben, einer fejten und entjchlojjenen Regie:
rung bedarf. Der Einblid, den er als Un:
walt beim Königlichen Rate gelegentlich in
die Staatsgejchäfte nehmen fonnte, beftärtte
ihn in feiner Meinung. Er half aljo nicht
den revolutionären Geift in Frankreich ſchü—
ten. Als aber burd) Fe Torte ber Regie:
rung bas Königtum um jetn Wnjehen fam,
po fth Danton bald in bie vorderjte Reihe
erer, die nunmehr alles und von Grund
aus ändern und neu bauen wollten.
Wie bie metten Männer der Revolution
war Danton Freimaurer. Dadurd) fam er
E in Beziehung zu den Kreien. wo bie
üheſten Anjchläge auf die beftehende Ord—
nung beranreiften. Cr bereitete im Guli
1789 den Sturm auf die Baltille und Ans
fang Oftober die Überführung bes Königs
von Berjailles nad Paris aufs tütigite mit
vor. Aber in bie Nationalverfammlung, die
vom Mai 1789 an Frankreich neu ordnete,
war er nicht gewählt worden. Er mußte
feine Laufbahn zum politijden Machthaber
auf dem nicht mit einem Schlage ans Ziel
übrenben Wege über bie Gemeinde: und
epartementsverwaltung von Paris zurüde
legen. Der wg be von Paris hob fih
während Der ationalverjammlung nur
allmählich, jedoch ftetig. Er wurde groß in
dem Fahre, ba die gejeßgebende Verſamm—
lung die Nationalverjammlung ablöfte. Mit
Baris jtieg Danton empor.
Am 18. September 1789 fand die Eröff:
nungsjikung des eriten revolutionären Ge:
meinderates von Paris |tatt. Danton Hatte
feinen Wohnfig damals in den Dijtrift ver-
legt, ber nad) bem Klofter ber Cordeliers
emen Namen führte; denn in dem Di-
ift glühte ein leidenſchaftlicheres poli-
tildes Leben als in irgendeinem andern.
Danton [djmang fid) zum Vorjigenden ber
vom (Pejeb vorge)ehenenDijtriftsverjammlung
empor. Er bradjte es dahin, daß er dem
Brauche entgegen immer wieder zum Bor-
figenden gewählt wurde. Er verjammelte
den Diſtrikt fajt täglich. Auf feinen (Gin:
fluß geitüßt, nötigte er ben Bertretern des
Diltrifts tm Gemeinderate ein imperatives
Mandat auf. Sie widerftrebten und bantten
67
ab. Aus ber Ergänzungswahl ging er felbft
mit feinen nädhiten er als Gieger
hervor. Der Gemeinderat legte Cinjprud
egen das eigenwillige Verfahren des Di:
faites ein. Der Streit fam bis an die Na:
tionalverjammlung, Dantons 3übigfeit und
Rüdjichtslofigfeit behaupteten das Feld. se
hatten fih bie Geijter über ben Zwilchenfa
nicht berubigt, als fid) ber Diftrift allen als
Zufludts|tatte anbot, bie wegen allzu fort:
ge|d)rittener Anfichten mit ber Staatsgewalt
bes neuen Frankreich zujammenftießen. Der
Beſchluß brachte Danton mit dem begab:
teften aller *Bariler Bollsaufwiegler, mit
Marat, in die erte Beziehung. Schon redete
man in Paris von der Republik ber Cordeliers.
Schon glüdte es Danton aber aud, das
enge Gehege der fommenben Kämpfe hinter
fid) zu laffen und an bem Ringen um bie
Staatsverfaffung fid) Anteil gu verjdaffen.
Der Unbändigfte unter den Pariſer Radifalen
der Anfänge der Revolution fehrte dabei auf
einmal bie andere Seite feines politifchen
Charatters, — Taktik und Oppor:
tunismus hervor. Es |djien ihm jest das
anaa dazu beizutragen, dak der wad:
fende Einfluß ber Gemäßigten in ber Na-
tionalverjammlung niht dte Oberhand ges
winne. Schon arbeitete Mirabeau an einer
SBerftánbigung der Jtationalverjammlung mit
dem Könige. Im Zujammenwirfen mit feis
nen bisherigen Gegnern in Paris wagte fih
Danton vom September 1790 bis zum Som:
mer 1791 A in bie vorderite finie
vor. Er trat Jowohl Mirabeau wie La:
fayette ins 9Intli& entgegen. — hatte
er erkannt, daß vor allem Die Wiederver—⸗
legung der Regierung von Paris verhindert
werden mußte. Er tat bas Geine, damit
der erte Verjuch im April nicht gelang. Als
dann der König in der Nacht vom 20. zum
21. Sunt wirtlic entfloh, aber an der Grenze
feitgehalten wurde, forderte Danton an ber
Gptibe eines Häufleins Getreuer jofort, daß
die Monarchie abzufchaffen und die Republit
auszurufen wäre. Bei einem großen Feſte
auf dem Marsfelde am 17. Juli 1791 ſollten
die Maſſen dafür begeiſtert werden. Die
Pariſer Bourgeoiſie war jedoch noch nicht
bereit mitzugehen. Ihre Führer fanden
ſogar den Mut, Danton und den Seinen
auf dem Marsfelde ſelber mit Gewehr:
feuer zu antworten. Für den Augen—
blick wurde die republikaniſche Bewegung
völlig überwältigt. Danton entfloh mit
Mühe und Not nach England. Doch konnte
er im September zurückkehren. Im No—
vember kam er in eine leitende Stelle der
Pariſer Gemeindeverwaltung. Dadurch ers
hielt er die Möglichkeit und die Machtmittel,
den Anſturm gegen das Königtum mit grö—
ßerer Ausſicht auf Erfolg aufs neue vorzu—
bereiten.
Im April 1792 erklärte Frankreich an
Preußen und Sſterreich den Krieg. Bom
Mai des Jahres ab wurde Paris wieder
unruhig. Danton hatte die Fäden der Be—
D*
08 (fxx—39303:3 93-3939] Prof. Dr. Martin Spahn: f
wegung feit in Händen. Als fid) bie Frem-
den im Juli an[djidten, bie Grenze zu über:
freiten, ohne daß genügende 9(bwebrmaBs
nahmen getroffen waren, jcehlug die Stunde
ber Entſcheidung. Danton ging noch für drei
Tage nad) Arcis, um feine Pe
Gefhäfte zu regeln unb feiner Miutter Lebe-
wohl zu fagen. Alles war überlegt und
angeordnet. ‚Wie ein Soldat‘ legte er fih
am 9. Auguft abends für einige Stunden
mit ruhigen Nerven zu Bett. Um ein Uhr
wurde er gewedt. In allen Gtadtteilen
waren Bataillone aus republifanijd oe:
nnten Glementen berangebilbet worden.
us der Provinz Derbeige|trómte Scharen
Kriegsfreiwilliger jchloffen (id) ihnen am.
Sobald ihr Eingriff Jichtbar wurde, ea be
Danton perjönlich ben. gone ber Natio—
nalgarben, die fiir ben König und bie (e:
mäßigten fämpften. Auf bie Maſſen machte
die Anklage Eindrud, dak ein Schlag gegen
das Bolt geplant gewejen und der Aufitand
ibm nur zuvorgefommen fei. Die National-
garden wurden außer Gefecht gent. Dann
ging es gegen die Tuillerien. Die Schweizer,
ie bie königliche Familie ſchützten, wurden
niedergemegelt, die fóniglid)e Familie jelber
in Die Gerangenfchaft gejchleppt und bie
Ióniglidje Gewalt für aufgehoben erklärt.
Danton war dort, wohin er die Revolution
gleich in ihren Anfängen geleitet wijjen
wollte. Er batte ganze Arbeit gemadt.
Das Mlinijterium nahm den Sieger bes
10. Auguft als Syujtigminijfer in den Schoß
ber Regierung auf. Danton widmete
d aber vor allem den Vorkehrungen da=
ir, daß bie Republif jet endlich fobald
wie möglich verkündet wurde, jowie ber
Organijation bes Kampfes gegen den äußes
ren Feind. Gein Leben gipfelte in dem
Jahre, das auf ben 10. Auguft folgte.
Damals offenbarte fih in ibm alles, was
an Diännlichleit unb Mannhaftigfeit in ihm
war. ‘Freilich zeigt fid) uns auch hier nicht
das Bild eines reifen und reinen Mannes,
ber be|timmte hohe Ziele vor Augen hat
und ihnen in gleidjmapiger, äußerjter Ans
ftrengung all feiner Kräfte zuitrebt. Es
bleibt bie Vorſtellung eines ſtürmiſch dahin-
wogenden Cajeins. Nur hat fih deffen
Wellenſchlag zu höchſter Macht und Breite
ejteigert, und eine Muſik von erhabener
ewalt brauft uns aus ihm in reicher
Stimmfiihrung entgegen. Jede Bewegung,
bie Danton machte, ließ Das Gemeine wet-
ter als jemals [rüber hinter fih. Wurde
er gleich nicht zum Helden, fo fam er bem
Heldenhaften bod) nahe. Anfangs padte
es ibn wie ein Staujd) Wildefte Leiden:
haft peitjchte ihn auf. Er wurde zu Ar:
eitsleijtungen fabig, die er jonft nicht im
entferntejten erreichte. Er [tanb ebenjo jeinen
Mann als Arbeitstraft in der Regierung,
wie er unermüdlich als Redner an den
Tagungen des Parlaments oder den Ber
satungen des Gafobinerflubs teilnahm. Mir
erbliden ihn tiber den andern in einer nicht
nur [djeinbaren ober eingebilbeten Hove, ne
ührer und Bezwinger, bie Lin Die
üfte gejtemmt, wie er auf der Tribüne von
mehr als einem Beobachter gejchildert wird,
die Rechte ausgeftredt, in rajchem Wechſel
befehlend, vorwärtstreibend, Rechenſchaft
betid)enb und antlagebereit. Grogartig wirkt
vor allem feine Bleichgültigleit gegen alle
Anwürfe und Berleumdungen. Er erfuhr es
reidjlid, daß fid) der Neid in Demofratien
nod) häßlicher an die Tüchtigen heranjchleicht,
wie unter andern Verfaflungsformen. Durch
die Schattenjeiten deines Lebenswandels bot
er ben Neidern Blößen genug. Mber, jo
jagte er, „der Haß ift meiner Natur fremd ;
id) babe fein Bedürfnis danach“.
Der Erfolg bes Aufjtandes vom 10. Auguft
drohte anfangs einen völligen Auseinander:
brud) Frankreichs und feine fichere Niederlage
nad) fid) gu ziehen. Niedergeichlagenheit befiel
alle, Jeder hielt fih in fetner Wohnung.
Keiner traute dem andern. Die Heerführung
jelber wollte dem vorjtoßenden Feind ben
Weg jogleid) bis an die Marne freigeben.
Im Dlinifterium fah niemand, der Dantons
Zatlraft und Sicherheit teilte. Die Minifter
berieten, ob fie von Paris weggehen hind Die
Regierung über die Loire verlegen follten.
Damals ließ Danton jeinen berühmten Ruf
„Die Herzen hoch!“ erjdjallen. „Ihr wißt,“
|o wandte er fih an feine Amtsgenoſſen,
„daß Frankreich in Paris ijt. Wenn ihr ben
Fremden bie Hauptitadt laßt, jo liefert ihr
ihnen Frankreich aus.” Die Regierung blieb
in Paris. Nach der Gefangennahme der
töniglihen Familie hatte Danton daran
ebadjt, bie Königin, das Weib, in bie
Simai Ichaffen zu lajjen. Später hat ibm
die Sdharfricdterarbeit ber Guillotine mehr
und mehr an Herz und Nieren gegriffen.
Er war fein Bluthund. In den eriten Sep-
tembertagen jebod) meinte er dulden zu müjjen,
daß Marat ben Auswurf ber Hauptitadt auf
die Gefangnijje hegte und greulidje Mord:
taten verrichten lich. Die Geptembermorde
haben Dantons Andenten mitbefledt, mehr
befledt fajt als das bes Anftifters. Mit
Grund aber läßt einer ber feinjten Züge in
Büchners Dantonzeichnung ihn den Gedan-
len an bas feige Hinjdladten wehrlojer
Opfer nicht wieder loswerden. Dantons Gin:
vernehmen mit Marat ijt taum anders zu
deuten, als daß er um jene Zeit noch im
Zujtande der erjten, [tárfjten Erregung war,
daß er bie ibm entgegenjtehenden Wider
itánbe nod) nicht auf ihre Tragweite abgus
Ihägen vermochte und durch die Freigabe
des Weges fiir Marat die Anhänger des
Königs unb Die Gemápigten, bie in Wahr»
beit Lon in Baris nod) die Mehrheit be:
Jaken, einzuichüchtern rechnete. In ber Pros
ving wedjelte Danton gleichzeitig Hunderte,
vielleicht Taujende von Beamten. Jn viele
Gemeinden jchidte er Gelinnungsgenojjen,
um Dort bie Wahlbewegung für den Kon:
vent in Fluß zu bringen. Der Konvent
jollte verfaflungsgemäß an die Stelle der
l— =
Lu 2
ER bee Berjammlung treten, um das
idjal bes Königtums zu entjcheiden. Er
fonnte am 20. September eröffnet werden.
Schon tags darauf wurde bas Königtum
— und drei Tage ſpäter die Repu—
blik erklärt. Inzwiſchen hatte ſich Danton
wei: auf die Führung des Heeres Einfluß
verſchafft. Er hielt zu bem General Du:
mouriez, ber dem von der Oberleitung beabs
en Rüdzug über bie Marne wider:
ebte. Bei Balmy machten die Preußen
und Öfterreicher halt. Gleich darauf gingen
Ke wieder über bie Grenzen zurüd. er
inter war für bie Riiftungen gewonnen.
Danton zeigte fih in biejem Augenblick nod)
ang von der Erwartung beherricht, daß bie
jjramolen nur voll Gelbftvertrauen zum
ngriff überzugehen brauchten, um die Na—
tionen rinasum zum Aufruhr gegen ihre
Könige aufzubieten und einen allgemeinen
Krieg für die Sade der Freiheit zu ents
felleln. Er nannte den Konvent ftolz einen
Ausihuß zur Aufwiegelung aller Wolter.
Es jchwebte ihm aud) vor, daß fih bie mit
Franfreihs Hilfe demofratifierten Lander
freiwillig zur Annahme derjelben Staats:
einrichtungen und zur Hingabe an diejelben
Verfaſſungsgrundſätze entidjlieBen, ja fogar
fid) Frankreich in irgendeiner orm am:
gliedern würden. Um jid) dem Ziele rajcher
zu nähern, verjuchte er fih jelbjt in der
Diplomatie. Dod verließ er fid) nicht dar:
auf und erwog mit Dumouriez beizeiten, mit
Frühjahrsanfang durd) Belgien bis nad
Holland vorzujtogen und von dort aus die
beiden deutfihen Mächte in ber Flanfe zu
fajjen.
Es waren die Anfänge mit ihrem unge:
tümen Schwung, ihren Übertreibungen, ihrer
Fernficht weit über bie erreichbaren Ziele
hinaus, aber aud) mit ihrem hinreißenden
Eindrud auf Dantons Umgebung, mit der
ihnen innewohnenden und Danton über
fid) jelbjt hinaus erhebenden Kraft. Die
Seele Sorte | habe, E [agt ein franzö—
Oe iltorifer, in ber Schidlalsjtunde der
tation in Danton $yleild und Blut ange:
nommen. Bald jdjulten thn die Erfahrungen.
Sie |djüienen aus ihm einen Staatsmann
maden zu folen. Er fand ein richtigeres
Maß für bie Dinge. Er nahm aud) feinen
[obernben (Get in fejtere Zudt. Er trat,
um nod) das Wort eines anderen franzöfis
iden Gejchichtsjchreibers zu erwähnen, tn
die erlaudte Familie der großen Baumei-
Her am Staate Frankreich ein, zu der jchon
Ludwig XL, Heinrich IV., NRichelieu und
Ludwig XIV. gehörten. Bezeichnend ijt, wie
er unmittelbar nad) bem Belchlufje, dab bas
Königtum — t ſei, noch einmal ſtutzte.
Nicht piers ließ er bie Republi€ als Staats:
form der franzöliihen Nation ausipredjen.
Der König war ber ficdtbare Ausdrud ber
Einheit bes Landes, feiner Zuſammengehö—
rigfeit und Unteilbarfeit bem Auslande gegen-
über. Rif feine Bejeitigung nicht eine Brejche
in den Ctaatsbau, die durch die Republif
69
nicht ausgefüllt werden fonnte, fondern dur
ihre Grflárung e recht jinnfallig wurde
Unter weldyem Zeichen, mit welchem Recht
fonnten bie republitani|d)en Machthaber von
den Provinzen fordern, daß fie fid) aud)
fünftig zujammenordneten, und von den
Ständen der Nation, daß fie alle für einen
tünben? Es gab freilich fein Zurüd mehr.
ber die zwei Tage der Beiinnung bewogen
Danton dod den Konvent zu beftimmen,
daß bie Republif vom Geſetze ausdriidlid
als einig und unteilbar bezeichnet wurde.
Beruhigt fühlte er fid) aud) baburd) nicht.
Als wenn der König, eben um biejer Schwäche
ber Republif willen, jolange er lebte, leicht
guriidfehren fónnte, rajtete Danton nicht
mehr, bis Ludwig aus dem Wege geräumt
war. Is Urheber der Hinrichtung des Kö:
nigs befannte er fid) Weis mit erhobener
Stimme. Er jab fie, wenn etwas, als eine
Staatsnotwendigfeit an.
Noch über dem Ringen zwijchen König:
tum und Republik |paltete fid) der Konvent
in zwei große Parteien, die Gironde und
den Berg, die wütend einander befämpften.
Die Anhänger 9tobespierres, ber fih jelbit
zum Berg zählte, ziehen [páter Danton
girondijtiicher Gejinnung. In ber Tat be:
jaB er manche Cigenjdaften, die ihn dort:
bin drängten. Aber er war fein Partei-
mann. Er wäre gerne zwijchen ben Par:
teien und über ihnen geblieben, er [trebte
nad) Einfluß auf beide. Ungezählte Male
bejdwor er den Konvent, die Keidenjchaften
um des Baterlandes willen zu mäßigen, die
Meinungen auszugleichen. „Entjagen wir
pod) allen Üibertreibungen. Keine Wort:
jtrettereten! Rein Gegánt! Ginigen wir uns
brüberlidj. Es geht um unfer aller Heil.“
Die Parteien hörten ihn dt, Er war
jelber nicht ohne Schuld daran. Bon ber
Gironde trennten ihn perjönliche Gegenjábe,
denen die Mängel feines Lebenswandels
nicht fremd waren. Der Berg dagegen um:
ihmeichelte ihn. Schon im Januar Ile:
derten ibm einige Girondijten den Verdacht
ins Gelicht, dak er den König nur entfernt
abe, um jeine eigene Diktatur zu betreiben.
lufbraujend wie er war, wies er die Ver:
leumdung von fic); fie verjtummte jedoch
nicht wieder. Sein Herrenmenjchentum, das
lich in Diejen Monaten voll entfaltete, for-
erte zu ihr heraus. Er war in den nddjten
Women längere Zeit von Paris abwejend.
Er weilte an der Front. Ctatt daß es aber
nad) Holland vorwärts ging, mußten Die
Franzoſen abermals über ihre Grenze zurück—
gehen, Der feindliche Einbruch wiederholte
(id) bedrohlicher als im Sommer des Bor:
jahres. Im Lande hatten fid) unterdejjen die
ber Revolution feindlichen Kräfte gejammelt.
Im Weiten flammte der Bürgerkrieg unter
den Bauern und dem ffeinen Adel der Bendce
ihon auf. Das Berderben aber jchien un:
abwendbar zu werden, als Dumouriez, von
der radikalen Entwidlung im Innern ane
gewidert, zum Feinde überlief. Wohl op
70 pBeeeeeeeee9. Prof. Dr. Martin Spahn: Lee
er bie Truppen nicht hinter fih her; dow
beraubte fie lis Berrat bes ubere Dans
ton war auf den Angriff ber Ofterreider
hin nad) Paris zurüdgeeilt, um den Ron:
vent zur — Mé zu ermahnen und
zu den duBerften Maßregeln zu bereden.
Die Fehde der Parteien mußte aufhören.
Statt Dellen jah er jid) bald von neuen
Vorwürfen umlauert. Nachdem er nod) ein:
mal beim Heere gewejen war, ftellte er fid)
am 30. März und am 1. April feinen Geg:
nern in ber Verjammlung. Er war jdon
völlig in die Abwehr gedrängt. Wie er fie
führte und wie er bes Anfturms Herr wurde,
das age einen tiefen Einblid in fein
inneres Wejen und peona aud) heute nod
einen Nachgeichmad feiner bejonderen Be-
' gabung als Redner und Agitator.
Die Gegner zwangen Danton an beiden
Tagen zum Sprechen, ehe fie felbft aus bem
Berfted hervorfamen. Er mußte gleichjam
auf gut Blüd in den Nebel ftechen. Die
Luft jdjmirrte von Anklagen gegen ihn.
Uber nod) waren bie Anklagen nicht faBbar
enug in Worte gekleidet. Go fonnte er
Por natürlichen Fähigteiten anes nur
wenig gebrauchen. Er wiederholt jid), und er
iprad) ohne rechte Spige, ohne rechten Wider:
hall. Man werde niht wagen, ibn des Ehr:
geiges unb des Tradtens nad) ber Tyran:
nis au bejchuldigen, nur weil er ein heißes
Temperament und raube Formen habe. Man
ließ ihn reden. Als er aber am 1. April
u feinem Blake zurüdgefehrt war, erhoben
Ka feine Gegner gum allgemeinen Angriff
gegen ihn. Gie fteigerten ihe Verdächtigun—
gen bis zu dem Rufe, daß ſich die Mitglieder
des Konvents verpflichten müßten, den Tod
zu geben dem, der verſuchen würde ſich zum
Könige oder zum Diftator aufzuwerfen.
Darüber geriet die Berjammlung in einen
Zuftand Höchfter Erregung. Alles jprang
auf und [tredte bie Arme wie zum Eide vor
(id. Danton hatte eine Weile pepe zu⸗
gehört. Nun rief er ingrimmige Scheltworte
dazwiſchen. Er wollte antworten. Aber einer
ſeiner Gegner kam ihm durch einen Antrag
auf ſofortige Abſtimmung zuvor. Einſtimmig
wurde die weitere Verhandlung in einen
Ausſchuß verwieſen. Danton hob dennoch
zu ſprechen an. Als er jedoch unterbro—
chen wurde, gab er kampflos nach. Er
war ſchon wieder im Begriffe ſich niederzu—
ſetzen, als plötzlich die ganze Linke des Hauſes,
von einer unwillkürlichen Bewegung fort—
geriſſen, ihn beſtimmte, ſich Gehör zu er—
zwingen. Von ihrem Jubel umtoſt, eilte er
ur Tribüne zurück. Der Präſident bedeckte
in Haupt, Stille verbreitete jid) im Saale,
unb auf bie Frage, ob die Berfammlung
Wh Be dab Danton rede, verweigerten ihm
GO jeine Gegner nidjt mehr das Recht ba:
gu. Ebenjo rat: und ziellos wie er fid) 3u-
vor geäußert hatte, ebenjo überwältigend
war ihm nun die Macht des Wortes ges
eben. Die Feinde Hatten fih enthüllt.
ie Freunde atmeten mit ihm im felben
Atemguge, ihr Blut raujdte mit bem feinen
im felben Schlage, eleftrijde Ströme fluteten
gwijden thm und fhe bin unb ber. Er
dankte ihnen gunddjt dafür, daß fie ihn in
den Kampf zurüdtrieben, als er [Hon ver:
zichtet hatte. „In jchweren Tagen mäßigte
td) mich, weil es mir bie Greigni||e zu ge»
bieten jdjienen. Ihr flagt mid) jebt Der
Schwäche an. Mit Recht; id) bezeuge es vor
ganz iyranfreidj.^ Schreie ber Gntrüjtung
wie ber Zuftimmung erftidten feine Stimme
ir mehrere Augenblide. Drohend fehrte er
id) der Rechten gu. Wher trog ber Klangfülle
ebedte ein neuer Sturm von
sas n unb Widerjpruch feine Worte. Er
mußte sulehen, dak er bie Verjammlung durch
gröbere äßigung erft in feine Gewalt betam.
ann erjt fonnte er von der Berteidigung
zum Angriff übergehen. Er jchilderte darum
nod) einmal, wie wenig Gelegenheit ibm ges
geben war, den General, ber joeben Landes»
verrat geübt hatte, in der Treue gegen das
Baterland zu erhalten. Er berie? RD dar:
auf, wie er fid) von je um bie Autorität des
Konventes bemühte, und daß er deshalb
felbft von feinen perjönlichen Feinden im
Konvent mit Achtung geiprochen habe. Alle
Klugheit und Geduld aber hätten ein Ende,
wenn man fid) von denen, bie ber aufge
wandten Hen Bi ihren Beifall nicht per»
Innen dürften, binterrüds angegriffen fühle.
un war bie Verjammlung dort, wo er fie
haben wollte. Da jchleuderte er denn feinen
Gegnern aufs neue ins Geſicht, daß nicht
er, |onbern fie ben Tyrannen zu retten vers
juht hätten. Gie, nicht er, feien wider Paris,
wider bie Hauptitadt. Aus den Reihen vor
ihm rief ihm einer zu: „Macht nicht viel
orte, [tebt Rede und Antwort!” Er fapte
bie eben hervorgejtoßenen Anjchuldigungen
nod) einmal in jd)neibenber Kürze zulammen
unb fügte 9Injpielungen hinzu, daß nicht nur
der Kinten, jondern auch den Zuhörern auf
den Galerien das Blut in den Adern fodte.
Plöglih ftand im Saale aud Marat auf:
recht, mit vorgeftredter Hand und begann
gleich Danton zu reden. Wie furze Ge:
wehrſalven praffelten die Worte aus bei:
der Männer Munde im Wechjelfeuer auf
die Gironbi|ten nieder. Die beiden größten
SUteilter in der Aufreizung der Gemüter, über
die Die Revolution verfügte, warfen i die
Bälle ihrer Vernichtung drohenden Bered»
jamfeit gegenjeitig zu. Die Linke und Die
Galerien begleiteten die Wusrufe der beiden
Führer wie im Chor. Die Aufregung im
Haufe überjtieg alles Map. Die Rechte fam
nicht mehr dagegen an, fie hatte das Spiel
verloren. eften Schrittes, |o fagte Dan:
ton, fei er von ber erften Stunde an auf
den volljftindigen Umſturz ausgegangen.
Mit einer großen Gebütbe ber Huldigung
wandte er [id an bie Galerien und das
durch fie vertretene Bolt von Paris, die
Blüte ganz Frankreichs. „Ich werde be:
teilen, daß id) allen *»Berjud)ungen wie Ans»
\hlägen widerftand.” „Fragt ihr, was
einer Stimme
PSSSSSSSIISSSFSFZZIA Danton
mein Berbreden war, wohlan, n verteidigte
Paris.” Ein letter Zwilchenrufer verjuchte
ibn aus der längit elt e Sicherheit zu
bringen. „Und Grommel zx Danton beugte
fid Ichäumend vor Wut gegen den Wage:
balfigen vor. „Ein Niederträcdhtiger ruft mir
zu, Daß id) Cromwell gleiche. Ich lade ihn
vor bie Bejamtheit der Station. ch ver:
lange, Dak ber Elende, ber joldjer Scham:
lofigfeit fähig war, bejtraft unb in bie Abtei
gom werde. Glaubt ihr übrigens, daß
omwmell ein Freund der Könige war?”
Ein dritter geb ibm die Antwort darauf
urüd. „Selber ijt er König geworden!“
a entfubr Dantons Munde eines feiner
itolzeften Worte, ohne alle Furcht davor,
daß feine Offenheit ihn um den Erfolg feiner
Beredjamfeit zu bringen vermodte: „Bes
fürchtet wurde er, weil er ber Gtärfite in
jeinem Lande war. Auch bier wird ber:
jenige, ber den Tyrannen Frankreichs nieder:
Ichmetterte, gefürchtet, weil bie Nation mit
thm ift. Nun wohl,“ jo wandte er fih wieder:
um zur Linfen Ge „ſchließt euch zuſam—
men gegen die eiglinge die den Tyrannen
Ihonen wollten. Ruft das Bolt auf, damit
es fid) in Waffen vereinige, gegen den Feind
draußen und um den Feind drinnen zu zer:
malmen. Zerjchmettert durch bie Kraft und
bie Unerjchütterlichkeit eures Charalters bie
PRerbreder, alle die 9I[rijtofraten, alle die
Bemäßigten, alle bie uns im Konvent ver:
leumdeten. Reine Berftändigung mehr mit
erh I^ Der Redner, fo unterbricht ber
erfjammlungsberidt die Wiedergabe ber
Rede, ^» immer aufs neue zur Linfen bin,
unb oft Zeigte er mit der Hand auf bie
Mitglieder der entgegengelebten Seite bes
Gaales. Die Berjammlung und bie Gale:
tien begleiteten ihn mit ununterbrochenen
Beifallsausbrühen. „Ihr De wieder ein:
mal an der Lage, in ber id) mid) in diejem
Augenblide befinde, wie nötig es ijt, daß
ihr entſchloſſen feid und allen euren Feinden
den Krieg erflart, wer es auch fet. Ihr
wen eine gejchlojjene, Reihe bilden. Ihr
wollt feinen neuen König; euere Aufgabe
ift es vielmehr, jeden Gedanken daran auch
denen auszutreiben, bie daran arbeiteten,
den — en Tyrannen im Lande zu be—
halten. d gebe vorwärts mit ber Republik!
Gehen wir im gleiden Schritt. Wir werden
jehen, ob wir ober unfere Berleumder bas
Ziel erreidjen. Ich hatte mich zurücdgezogen
in die Zitadelle der Vernunft. Mit dem
ichweren QGejdji& der Wahrheit ziehe id)
daraus hervor, und zu Staub werde id) zer:
reiben bie Unbolde, die es wagten mid) an-
zuflagen.“
Die Bironde richtete he von dem Schlage,
den ihr Danton am 1. April verjebte, nicht
wieder auf. Aber fie legte ihre Hand auch
nicht in bie feine, als er jdjon wenige Tage
wieder zur Verjöhnung mahnte. Die Ber:
handlungen famen täglıd) mübjamer von ber
Stelle. Danton jdjaute die Lage des Bater-
landes unterdeffen bejtändig ernjter am. Er
71
Honn von allen Eroberungs: und Weltbe:
glüdungsplänen ab. Am 14. April [prad)
er darüber, daß der Konvent mit ber republi-
lanijdjet Tugend Ctaatstunft verbinden
müfje. (s gülte die Grenzen Frantreids
zu verteidigen, Dagegen nicht, fic) in das
Leben anderer $Bólfer eingumijden. Im
Juni vermochte er den Konvent dazu, in
die Verfaſſung felbft bineingu|d)reiben, dah
Frankreich nicht mehr fein Gebiet zu ver:
rößern beabjichtige und feinen Krieg barum
De adjaffen feiner Gpanntraft |
in Nachlaſſen feiner Spanntraft [prad)
ion daraus. Der Efel vor all dem Ge:
menjdel um ibn ber würgte an ibm. Cr
wurde bes politijchen Betriebes und ber ruhe:
lojen Tätigfeit überdrüffig. Die weichen
Stimmungen, wozu er mit feinen Miters:
enoe nod aus den Tagen Rouſſeaus und
ertbers neigte, febrtem zurüd. In rajd)
aufiteigender Riihrung pflichtete er einem
Antrage bei, daß ſowohl er wie die Führer
der Bironde freiwillig in die Verbannung
nad) Bordeaux gehen Jollten, um dem Kon-
vente den friedlichen Abſchluß feiner Arbei:
ten zu ermöglichen. Dann freilich, als das
—— ber Parteien ohne Rückſicht
auf die äußere Lage immer ärger wurde,
ſtieß er ſich wieder voran und ea er
ben 10. Auguft in den Tagen vom 31. Mai
bis zum 2. Suni gegen bie Gironde; er brad)
ihr bas Riidgrat. Ohne fid) durch die ver:
faljungsmäßige Unverleglichkeit der Bolts:
vertreter beirren zu e e erreichte er Die
Verhaftung und den Ausflug von etwa
adjtgig Girondijten, darunter aller Führer,
aus der Rammer. Es war eine umjtürzle:
rildje Handlung, die an Tragweite bie Ab»
ihaffung des di Ile beinahe nod) iiber:
traf. Jn feinen Augen aber redjtjertigte
lie ber Erfolg
Die durch die Annahme der Republif er:
—— gewordene erneute Umbildung der
erfaſſung konnte nun in raſchem Zuge be—
endigt, die Aufmerkſamkeit auf die innere
und äußere Gefahr geſammelt werden. Die
Scheu vor Danton ſtieg unwillkürlich aufs
dE Im Juni wählte ihn der Konvent
alt gleidzeitig zum Leiter feiner Sitzungen
wie gum Wtitgliede des —
ſes. Der Ausſchuß war in den letzten Mo—
naten mehr und mehr zum Träger der Re—
gierungsgewalt geworden. Jene Würde
nahm der Gefeierte an. Die Mitgliedſchaft
des Wohlfahrtsausſchuſſes dagegen ea er
aus. Zu tief batte ihn der Vorwurf der Gi-
ronde verwundet, daß fein Ehrgeiz auf die
Diktatur gerichtet jet. Selbjt einen Eid ſchwur
er Bereit daß er an ber Regierungsgqewalt
feinen Anteil haben wollte. Trokdem |djidte
er fid) nod) erft zu feiner wichtigften und
folgenreichiten 2eijtung für das Baterland an.
Bei der Wusriiftung bes Heeres hatte Dan:
ton Mitarbeiter von hervorragender Giite
unb für die Führung junge Generäle von
das Höchſte verjprechendem Talent ges
funden. Aber nun drohte eine nene Schwie—
72
rigfeit alle Unjtrengungen zu entwerten. Die
feit Beginn der Revolution gehemmte Ber:
jorgung von Paris ftodte völlig. Den Maſſen
in Der Sauptiadt nabten Hunger und Krant:
heit. „Eine Regierung,“ jo betannte Danton,
„die für das Volt nicht mehr das tägliche
Brot zu beichaffen vermag, läuft Gefahr,
in Trümmer zu gehen.“ Wieder verſchmähte
er es nicht, Mittel von en Gewalt»
famteit anzuwenden; aber jie halfen über
die furdtbarjten Wochen Hinweg. Bor
allem jedoch legte er (id) am 1. —
vor dem Konvente dafür ins Zeug, daß
Frankreich wieder eine den Namen ver—
dienende ſtarke Regierung bekäme. „Einmal
erlaſſene Geſetze müſſen befolgt werden,
oder die Republik verfällt nichtendender Zer—
rüttung, wenn nicht gar der Auflöſung.“
Keines der Räder, von denen Frankreich
feinen Antrieb empfangen hatte, war nod)
vorhanden. Alles geſchichtlich Uberkommene
jk die Revolution zerjtört. Nur ein tünft-
iher, ein vorläufiger Neubau war bis auf
beljere Zeiten denkbar. Der Wohlfahrts:
aus|djuB, unterftiigt von bem ebenjo repo:
lutiondr entjtandenen Revolutionstribunal,
dem Blutgeridte, das der Konvent im März
auf Dantons — beſtellt hatte, ſollte
nach ſeinem Plan durch Sendlinge von
Paris aus alle Departements unter ſeine
Aufſicht nehmen, ſie reinigen, beruhigen und
verwalten. Das eine und unteilbare Frank—
reich [ollte baburd) wieder wahrhaft feft gue
— — friſch aufgezäumt, gezügelt
unb lenkſam gemacht werden. Was Danton
ur|prünglid) davon abgejchredt batte, den
Umſturz herbeiführen zu helfen, oie unver:
meidlide Schwächung der Ctaatsgewalt,
traute er fid) jebt, nad) der Vollendung ber
Revolution, angefommen auf ber höchſten
Stufe feines Politifertums, mit einem legten
Aufgebot an Kraft und Beredjamfeit zu
überwinden. Zwar fanden Dantons Worte
im Konvent nur bedingten Beifall. Die
Demagogen, bie ihn umringten, ver-
gaBen nicht, dak Wendungen, wie er [ie
gebrauchte, von den WMtajjen leicht ent:
jtellt und Ziele, wie er fie jtedte, leicht an:
eſchwärzt werden fónnen. Gie [timmten
ibn deshalb am andern Tage fogar nieder.
Dn ber Stille jedoch merften fih Männer
wie Robespierre und Ct. Juft oder andere
ehr wohl, was ihnen ber Ehrbarijte und am
wenigjten Berednende aus ihrer Mitte an
Richtlinien vorgezeichnet hatte. Ohne Auf»
hebens davon zu machen, überjeßten fie feine
SRatidjláge während der nadjten Wochen in
die Wirklichkeit. |
Nun aber hielt es Danton im Gattel
nicht länger mehr aus. Er reijte anfangs
Oftober in die Heimat, um volle feds
Woden ihrer Rube zu genießen. Ende
Movember fehrte er zurüd. Geine Ab—
BEESESSHESSSE HESSEN Prof. Dr. Martin Spahn: Danton ii
wejenheit batte Robespierre, ber ibm an
uriprünglidjer Kraft weit unterlegen war,
fid) vorzudrängen erlaubt. Danton mei
dete ibm ben Vorſprung niht. Er fprang
ibm fogar bei, weil er ihn tm Kampf mit
einem Gegner jab, den auc er bitter
hakte. Geiner Herkunft gemäß hatte er als
Politiker in allen Fragen des Wirtichafts-
lebens immer ausgejprochen bürgerlich emp-
funden. Das Eigentum galt ihm als heilig,
aud) als alle andern Werte, gutenteils unter
jeinen eigenen Schlägen, ihre Geltung ein-
büßten. Auch fonft batte es im Anfange
unter den Revolutiondren faum ſozialiſtiſch
geitimmte Männer gegeben. Erft im Laufe
des Jahres 1793 mebi (id) thre Zahl. Ge-
führt wurden fie von bem Pariſer Hébert.
Robespierre verjuchte Dellen tnadjjenben Ein-
fluk zu brechen, und Danton half ibm mit
ſolcher Hingube dabei, daß er die Schlacht
auf dem Höhepunkte weit mehr als Robes:
pierre jelber leitete. Daß fih biejer eines
Tages aud) an feiner Perjon vergreifen
lónnte, e außerhalb aller fiberlegung
Tantons. Er glaubte [id) burd) feine Ber
bien[te um die Revolution und burd) feine
wilde Stärke unantaftbar. Jn ber Whjpan:
nung nad) dem Äbermaße menjdjlidjer Lets
tungen im jahre vorher war er aber im
Arcis milde und vollends müde geworden.
Shm war es des Blutvergießens genug. Er
lehnte fid) nad) ber Herrjdaft von Geſetz
und Ordnung und nad) ber Riidfehr hei-
terer Bildung. Es jchien ibm aud) gut,
wenn ber Krieg beenbigt würde. Geine
Maht und bte Zahl feiner Anhänger
waren nod) immer |o groß, daß er fid) eme
Mehrheit hatte fhaffen Tonnen, Sym Dezember
wurde er nod) einmal in den MWohliahrts-
ausihuß gewählt, aber aud) jebt blieb er bei
feinem Eide. War es nun oes auf
den einmal fundgegebenen Entſch B oder
war es Ermattung, von da an wurde ihm
der Schwur ee Verhängnis. Schon im
März wagte Robespierre ihn und feine nåd»
ften Freunde anguflagen und hinter bem
agi ipeo ber auf bie Guillotine zu jchiden.
im le5tes Mal flammte Dantons oat
auf, als er vor feinen Ridtern bas Bi
jeines Anteils an der Revolution entrollte,
voll edler Glut und voll männlichen Gtolzes,
feiner jelbjt ficher, in fnappen, OR edd a
Striden. Ohne Klage, ohne Widerwehr,
ging er von der Gtätte feiner Verteidigung
zur Stätte des Todes — feine ber großen
menjchlichen Erjcheinungen, die bas Gellet
der Erdgeborenen geadelt und erhöht haben,
in einer Welt aber, bie 3ujammenbradj, ein
von der Gottheit Bezeichneter, einer der
mutig war und nicht jid) ſelbſt juhte, einer,
der aufwärts wies, der Vorläufer ber neuen
Ordnung, auf bie unjere weltlichen Nad:
barn in Staat und Gejelljdaft barrten.
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TRE LIERAAY
OF THE
pen ` "me
8B €dulreiterin. Gemälde von Eugen Dfiwald
Zirkusbilder-
FR Feulich ſprach ich einen großen Herrn
LS Ke) vom Theater. Der erzählte mir,
WEG) wie beim Ausbrud) des Weltkrieges
CHG, G alle Leute vom Bau gemeint hät:
: ten: es wäre vorläufig mit der
Bühne vorbei, fein Menſch würde in die
Komödie yo wollen, während draußen
der blutige Rampf tobte Nun aber fei es
ana anders gefommen, nie hätten die
Theater bejjere Gejchäfte gemadt, vollere
SE er geleben als jegt. Go j|prad) ber
eile, und er hat redjt. Man mag fih
innerlich dazu ftellen, wie man will: ber
Drang nad) 3er[treuung ift [tárfer geworden
von Sriegsmonat zu Kriegsmonat. Und
Bat m Theater gilt, das gilt aud) vom
irfus.
Wenn id) an den Zirkus benfe, [teigen
allerlei Jugenderinnerungen in mir auf.
Erinnerungen aus längjt vergangenen fried-
licen Tagen.
Kinder waren wir. Durch die Straßen der
feinen Stadt ſchwankt ein abenteuerlicher
Zug. Boran ein halbes Dugend Männer
in Zylindern und fchwarzen Roden. Die
ſchwitzen vor Sonne und Arbeit, denn es ijt
ein glutheißer Julitag, und unausgejeßt
blajen fie in die verbeulten Trompeten und
Bombardons, jchlagen die große Trommel,
laffen die Beden flirren. KAS ihnen reitet
eine glänzende Schar auf herrlich geld)müd-
ten Roffen. geu Herren mit mächtigen
Blumen im Knopfloh, Damen von über:
irdijdher Schönheit, im dunfeln Tuchkleid
und runden Hütchen, im flitterbejäten Gage:
rod. Auf einem Gjel Bodt ein rotbefradter
Affe in Generalsuniform, und den Schluß
bildet ein Iujtiges Baar zu Fuß, der dumme
Auguft und ber Muſchi-Clown. Ein Zirkus
ijt Da! Und wer es nicht weiß, bem ver:
fündet es auf bem Markte einer der vor:
nehmen Herren, daß ber 3irfus Tomafini
(id mit Genehmigung der hohen Obrigfeit
die Ehre geben werde, einem p. t. Publifum
von Sdilda und Umgegend in den Anlagen
bes Schüßenhaujes fetne rübmlid) befannten
Attraktionen vorzuführen. Mit [eud)tenben
Augen und geipigten Ohren [tanben wir
— und ſchauten und lauſchten. Auch
den Alten ſchien die bunte Augenweide eine
erwünſchte Abwechſlung in dem Einerlei des
kleinſtädtiſchen Alltags, und ſo pilgerte denn
was Beine hatte des Abends vor das Tor.
Nicht immer hatte der Zirkus dort ein großes
Zelt aufgeſchlagen, in das man nur hinein—
durfte, nachdem man an der Kaſſe bei der
würdigen und geſtrengen Frau Direktorin
für teures Geld ein Billett erſtanden hatte,
74 Fossssssesse] Zirlusbilder von Eugen Ojfwald ëss e)
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Cpürlidje Weide. Gemälde von Eugen Offwald
denn durch die Rigen ber Leinwand fonnte
man leider |o gut wie nichts von all den
gligernden Herrlichkeiten ergattern. Go ein
wandernder Zeltzirtus, der war eigentlich
zu vornehm, zu fojt|pielig für uns. Biel
büb|djer war es, wenn jid) die Künitler
unter freiem Himmel produzierten. Da Honn
—
3
Erf | man als Zaungaſt
i außerhalb des durd
einen Gtrid für Die
ag nt ag gezo⸗
genen Bezirkes, und
wenn in der Pauſe die
niedliche Panneaurei—
terin mit Dem zinner—
nen Teller zum Ein—
ſammeln freiwilliger
Gaben kam, da konnte
der Wohlhabende ſich
durch einen flappern-
den Sechſer bas Recht
zu weiterem Genuß er:
faufen, und Der mit
leerem Beutel durfte
ohne Scheu ein wenig
beijeite jchleichen, um
wieder am Plate zu
ké ‚obald bie bet
ende Riinjtlerin ver:
77" Ichwunden war. Bon
gg unjerm balbgejtoble-
nen Standort konnten
zumal wir Kinder nicht alles jehen, was
ih in dem von fladernden Flammen
erleuchteten Rund der Manege begab.
Vor uns türmten fih bie ſchwarzen Rüden
ber Zuſchauer. Lautes Gelächter erjcholl;
nun madte gewiß der Clown feine Cpáfe.
Aber umſonſt redten wir die Halle. Da,
E Zum Auftreten bereit. Gemälde von Eugen Offwald Sé
nixus Text von Dr. Paul Weiglin PSSSSSSSSE 75
a Cdulpferbe, der Stolz bes Birtus. Gemälde von Eugen Oſſwald x
eime €üde! Flint hindurdgejpaht! Bier jubeln mit, aber ein leiſer Schauder durchrie—
peaditiagel|dicrte Shimmel traben mit niden- felt uns bod). Niemals werden wir das Bild
ven Federbüſchen. Ein fiihner Reiter lenit vergejjen? den bunteln Himmel, den glikern-
jie, auf ihren glatten Rüden [tebenb. Shon den Geiltänzer, bie jtarrende Bolfsmenge. Un:
it alles wieder vorbei.
Aber nun werden wir
für monde Entbeh—
rung entihädigt. Hod)
über den Häuptern der
Menge jpannt fic ein
Geil. Bon rotem Licht
iit es Dell beleuchtet.
Ein Wiann in engan:
liegenbem buntem Ge-
wande, einen Stab in
der Hand, betritt es,
prüfenden Fußes glei-
J Rt — oe
weigt. Uns
ftodt der SHerzichlag
vor Erregung. Lang:
Ga unb jicher bewegt
id) ber Wiutige der
Mitte, dem andern
Ende zu. Nun dreht |
er um unb jchneller |j > f ^t
tehrt er zurüd. Brau- 79 ; : ENN IUS
jender Beifall ertönt. EN a 9 4 Met Zen,
Er lächelt, als ob er " s x foes MAN uu "AN ais a Ta al
nidts Sonderliches i rrr m
vollbradjt babe. Wir 3 Bei ben Ponys. Gemälde von Eugen Oſſwald
Rem, wae.
twsa
` E
fi
D
a
Zei
%
Ki
76
bewußt jpürten wir zum erjtenmal, wie uns
bie Runft vor fremden en erichauern
gei als jollten wir jelbjt in ihnen ver:
infen.
Bald fam ein fiberffuger unter den Spiel:
gefährten und wußte zu berichten, jo ein
Wanderzirfus im grünen Wagen jet nur
eine Diirftige Einrichtung. Da gäbe es in
der großen Ctabt gang andere Dinge zu
jeben. Renz, Builh, Schumann — vor denen
müſſe fid) bie namenloje Gauflerbande, ja
jelbjt ber wadere Tomaſini verjteden. Die
hätten nicht ein Dugend Pferde oder zwei,
londern hundert und mehr und dazu (le:
Gi Der Zugang zur Manege
Gemälde von Eugen Offwald
fanten und Affen, Efel und Bebras, ja jelbft
drejlierte Lowen und Geehunde die Menge.
Die gäben ihre Vorſtellungen nicht in einem
luftigen Zelt oder gar unter freiem Himmel,
DE in einem feften Bau, der für viele
aujende Pla bite. Dergleichen miiffe
man gejeben haben, um mitreden zu fonnen.
Wir beneideten bie Weitgereilten nicht wenig
um ihre Kenntnis. Wir abnten jelbftver:
tändlich nicht, daß ber Blanz unjeres erjten
Sirfuserlebnijjes burd) fein anderes zu über:
bieten war, und jehnten uns nad ben Wun-
dern der Großſtadt. Cie jollten uns werden.
Eines Tages bejuchten wir einen lieben,
uten Ontel in Berlin. Die Eltern waren
ob, uns auf ein paar Ferienwoden Iosau:
Zirkusbilder von Eugen Offwald [24343€3€343€343$3€333€340
fein. Mit wohlgefülltem $yreBfober zogen
wir aus ben halbländlichen und naprhaften
Befilden der fleinen Stadt, um am Wohn:
fig des Raijers und Königs gegen Wurft
unb Gdinfen ein Häuflein Bildung einzu.
tau|djen, und zu bieler Bildung dnx nad
unjerer Meinung nicht nur das Aufziehen
der Wade und Zeughaus nebjt Ruhmes:
— ſondern auch der Beſuch des Zirkus.
r ftand vor allem andern auf bem Pro—
ramm, und bie freundlichen Verwandten
Gren ein, Dak wir recht hatten, zumal auch
dem Berliner vor zwanzig oder dreißig Jah—
ren der Zirkus und feine Riinfte mehr viel:
leicht nod) als heute ans Herz
gewadjen waren.
Die vollgepfropfte Pferdebahn
hält. Die Reihe Vordermänner
an der Solle ſchmilzt allmählich
zujammen, und endlich bat ber
Ontel feine Billette befommen.
Geine Frau und vier Kinder
haben derweile im Borraum
gewartet. Den eigentiimlid
jtrengen Ctallgerid) atmen wir
begierig ein. Wir wijjen, er
gehört dazu. Er zeigt uns an,
daß wir am rechten Orte find.
— „Männe, findeft du es nicht
langweilig mit den Billetts?
Die könnten bod) wirklich einen
Schalter mehr aufmaden! Gie
willen Dod), daß in den legten
fünf Minuten...“ Wir ſchieben
uns in einer ſchwatzenden, brün:
genden Menge dem Cingang
zu. — „Garderobe jejatrgit ab:
jeben, bitte! Jawohl, Jummi—
idjube, gewiß, ben Hut, meine
Dame — zwanzig YFennje, bie
SBerjon; zehn retour!“ — „Bil:
lett, bie Herrjchaften, bitte, Bil:
lett!“ — „So, nun batten wir
das endlich,“ jagt bie Tante und
geht auf einen Spiegel zu (eine
ode links, ein Wujchel rechts).
Wir andern warten auf fie.
Mun ift fie fertig, ſucht uns.
„Aber was rennt ihr denn Daz
GJ von? Co eilig ijt es bod) nicht 2
— „Programm, bie ’errichaften?
Poftfarten? Programm? Eins? Zwei?
Eins genügt? Zwanzig Fennje, bitte!
Dante! Fünfte Reihe Iinfs !^
Wir treten ein. Die Manege liegt noch
im Halbdunfel. Wir wundern uns, wie Hein
jie ift. Cie jcheint uns nicht viel größer als
die, in der Herr Tomaſini jetn Wejen trieb,
Wir beachten nicht, daß uns bie mächtige
Höhe des Taujende faljenden Riejenraums
über ihre Ausdehnung taujdt. Won ber
Hohe herab tönt |djneibige Blechmufif. Die
apelle, unter Zeitung des Herrn Wladimir
Kraſinsky, jpielt ihr le&tes Konzertitüd.
Wir hören jonft gern jo [djmetternbe Muſik,
aber heut begreifen wir nicht, daß einige
freundliche Zuhörer in die Hände klatſchen.
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Seëermssegegeeeggegeegsgesgeeerspreeeegeeeneegergsgerggegegegeegggeggegr SESS SHSSEFTESESTHSSSSSSSESSESSSSSSSSSHSSSSSSHSSHESSSSSHSSSSSSSHSSSSSESSSSSSSSSSSESSSSSSSSSSSSSESSSSSSSSESSESSESSESSSESOSSOS
78 Zirkusbilder von Eugen Oj[malb Lessel
Das alles hält bod) nur auf! Fangt bas
Eigentliche nicht bald an? Am Eingang
zur Manege ftehen ein paar blantgejcheitelte
Der in roten Roden und betrekten Hojen.
ie [preigen ihre Finger in frijdgewa)dene
weiße S$janbjdjube. . Ein anderer Herr in
Ihwarzem Frad tritt ein und |pricht mit
ihnen. Sie nehmen eine adjtungsvolle Hal-
tung an. Wer mag es fein? Da plófltd)
ftrablt der Zirkus in vollem Licht. Auf einem
Schimmel trabt eine Dame in weißem Reit-
leid herein. Die Vorftellung beginnt. Was
bie Reiterin Ieijtet, [heint uns zunächſt nicht
jonderlich fünftlich zu fein, aber nun — was
tit bas? Der Schimmel jchreitet nad) bem
Tatt ber Mtufif. Mit zierlidem Nachdruck
legt er bie jchlanten Beine. Unmerflich Ientt
ibn feine lächelnde Herrin. Er jhäumt ins
Gebiß. Es fieht aus, als ob er tanzt. Nein,
er tanzt wirflid)! Und als ber dantbare
Beifall einjebt, da (inft er mit den Vorder:
beinen in die Knie, tiefer, immer tiefer —
nod) ein wenig! mahnt ibn bie faht top-
fende Peitide ber Reiterin — und erweilt
uns [o auf anmutigfte Weije feine Hochach—
tung. Hopla! Rajh jpringt er auf, und
ihon ift er verjchwunden.
Acht Herren in Zylindern und TFräden
reiten feierlich in Die — und halten
mit ernſten Mienen ihren Umzug. Bald
werden ſie auch den letzten Reſt ihrer Würde
verlieren. Ein Bündel Hoſen wird in das
Rund geworfen. In aller Eile heißt es vom
Pferd ſpringen und eins der Beinkleider er—
wiſchen und überſtreifen, um alsbald wieder
Dreſſierte Elefanten. Gemälde von Eugen Oſſwald
die Gäule zu beſteigen. Aber auf einmal
find nur nod) ſieben Pferde ba ; eins ift aus-
eſchieden, und wer von den Reitern am
angſamſten iſt, muß ſich beſchämt von hin—
nen ſchleichen. Sieben reiten nun die Runde.
Auf ein Zeichen müſſen ſie heraus aus den
Sätteln, ſich der Hoſen entledigen und wie—
der hinauf auf die Pferde. ieder fehlt
eins, und wieder wird einer der Reiter aus
dem Spiel verbannt. So geht es weiter,
bis um das letzte Roß ſich der Kampf der
ausdauerndſten und flinkeſten Hoſenmätze
entſpinnt. Schon ſcheint der eine geſiegt zu
haben. Er haſtet bereits e den Rüden
des trabenden Pferdes, da gleiten ihm die
Hojen in die Knie. WVergeblich angelt er
nad) oben. Gein Nebenbubler zerrt ihn herab
und jdwingt fid), glüdlicher als er, hinauf.
Das iit ein Spaß. Der Zirkus dröhnt vor
Laden. Für harmloje £ujttgteit ijt und bleibt
die Menge bod) immer am empfanglidjten.
Was mag nun fommen? er bat den
ge Ein Balancierfiinjtler will fih zeigen.
Sin Tilh, ein Stuhl, allerlei Stangen und
jonjitige Geräte werden hereingebradt. Plöß:
lich ertönt ein wunderliches Gelächter, "ot
wie das Schreien eines Papageien. Da ift
er, aller Liebling, Coro der Clown! Wer
fennt ihn nicht, und zum ÜÜberfluß ijt in
großen Buchſtaben — ſeinen Rücken ge—
chrieben, wie er heißt. Schlenkernden
Schrittes wandelt der weißgepuderte, weit—
gewandete kleine Mann durch die Arena,
einen ſilbernen Fiſch an einem Bindfaden
hinter ſich durch den Sand zerrend. Er
dE: )3:G23$3232323239]] Text von Dr.
lacht, und Taujende lahen mit. Er jchießt
Purzelbäume und zieht fih dabei den Rod
aus und an. Er nimmt feinen Hut mit
der wallenden Wollfeder und fegt damit die
Dianege jauber. Er legt fih dem Publifum
zu Füßen, die Beine gejpreizt, den Kopf
elenft, als ob er aus Gummi ftatt aus
Haut und Knochen bejtände Er [tebt auf
und Dumpelt auf einem Bein, denn das
andere hat er aus Vergeßlichkeit noch hinter
ben Ohren liegen. Als der Balancierkünſt—
ler mit.» feiner Nummer beginnt und jid)
einen Turm baut, auf deffen ſchwankendem
Untergrund er gleich bem Zappelphilipp im
Struwwelpeter, nur glüdlicher, mit feinem
Ctuble wippt, ver[äht Coro die Manege.
Wir würden faum bemerken, wie [till das
gejdiebt, wenn er nicht neben unjerm Plas
binausginge Er Bat ein ganz ernites Ge:
licht, wenn man es genauer betrachtet, und
wir erinnern uns, daß der dumme Auguft
des Herrn Gomajini einmal mit todeserniter
Stimme erflárte: „Die Herrjchaften brauchen
nicht zu denten, daß id) ben Blödjinn hier
zu meinem Vergnügen made. ch werde
ganz gut dafür bezahlt, und um zehn Uhr ift
alle Schande vorüber.“ Es war das erfte-
mal, daß wir etwas von der Schwermut des
Humorijten ahnten, bie — fie eignet ihm mehr
als man glauben módjte — ibn vom bloßen Wit:
bold unterjcheidet und uns nicht nur lachende
Tränen in den Augen zu treiben vermag.
X MWohlverdiente Ruhe.
Gemälde von Eugen Oſſwald
Paul Weiglin FF ZZ 79
Der Balancierkünftler ift zu Ende. Der
Herr Direktor zeigt feine berühmten Frei-
heitsdrejjuren. Hinter dem Vorhang und
in den Stallungen wird fieberhaft gearbeitet.
Drei chineſiſche Trapezkünſtler ftehen bereit.
Cie bejtreiten die nádjte Nummer. Ein
Feuerwehrmann geht als — der Sicher:
heit langjam auf und ab. in Zebra in
rotem Schmud wird vorbeigefiihrt. An den
Wanden ftehen und hängen alle möglichen
Dinge: bunte Reifen in ganzen Bülcheln,
mehrere davon mit Geidenpapier verklebt,
eine Drehorgel, eine mächtige papperne
Truhe, eine Tonne, bie jemand als Auto-
mobil vorführen wird, ein römijcher Triumph:
wagen, große Balle, mit denen die f[ugen
Pferde fpielen jolen, Hunde und Ragen und
Affen auf Stangen und Pulten, Wagen und
Fahrrädern — eine Dame, gekleidet wie eine
Prinzeſſin, wird fie vorführen. Kutſcher laufen
mit bunten Gatteldeden herum. Aufgeregt
biegt der Herr Ctallmei|ter um die Ede und
ruft: „Sind die Ponys nod nicht vorn?
Rakt euch bod) niht immer basjelbe Jagen!
Ih fann bod) nicht jedem von euh ‘nen
Nachtwächter [tellen! Raus mit bem Hajjan!
Schodjchwerebrett, bie Leute folen bod) bei
ihren Pferden bleiben! Muhammed, Ali,
aufgepaßt! Vorwärts, raus mtt ben Bäulen!
Gletd) [inb bie Rappen fertig — da — nun
tebt ber Direftor wieder mutterjeelenallein
in ber Manege!“ In Holzpantinen flappert
80 BESSERE Zirkusbilder von Eugen Oſwald sees
ein zierliches 1iyigürdjer zum Stal; den
Wbendmantel hat fie feft um den bloßen
unb die nadten Arme gewidelt,
baujdhig ſchwankt das turze Röddyen; bie
dünnen ?Beindjen jteden in grünjeidnen
&rifots. Ein Athletentrio fegt feine Ge-
widte gujammen. Lautlos und jelbitzufrie:
den jpaziert ein Ejel herum. „Hat (id) ber
Didtopf wieder losgemadht?” Gem Abend:
gang wird jah unterbroden.
Pauje. Cin ſchwarzer Strom Menjchen
Jchiebt fih durh bie Ctallgajjen. Gleich:
mäßig flappert bie Geldbüchle, in der fiir
einen wobltatigen Swed gejammelt wird,
und ebenjo gleichmäßig flappert ber Gag:
„Bitte bie Herrichaften weitergehen! Nicht
ftehen bleiben!” Die Glefantem Jdauteln
thre Köpfe und ftreden bettelnd die Riijjel
vor. „DO,“ jagt eine Dame, „find das jchöne
Tiere! Und alle gleich groß! (inb die alle
von derjelben Mutter?” Der Wärter lächelt
ein wenig und jchüttelt mit dem Kopf.
„Bitte die —— — weitergehen!“ —
„Mutti, ſieh mal, die kleinen Pferdchen!
Die ſind aber niedlich! Und der gute Eſel!
Und da iſt ein Pudel! Iſt der auch abge—
richtet?“ — „Bitte, nicht ſtehenbleiben! Die
Vorſtellung beginnt gleich wieder. Es hat
ſchon einmal geklingelt!“ Wir kehren um
und bewundern den ſeiltanzenden Pudel,
belachen den Eſel, auf deſſen geduldigem
Rücken der Auguſt allerlei drollige Künſte
verübt, ſtaunen über die Elefanten, die ſich auf
unwahrſcheinlich kleine Kübel ſtellen und ſich
ſogar auf den Hinterbeinen aufrichten. Und
aud) die Pferden holen fih ihren Künftler-
ruhm, indem ſie unermüdlich einer ſchwarzen
Stute, auf der der Herr Direktor hohe Schule
reitet, zwiſchen den Beinen durchlaufen. —
Wieviel Arbeit und SA wieviel Phan-
tajie und Wig [teden in |o einem Zirkus:
abend, unb Dod) ijt bas Publifum diejer
Schhauftüde mit ber Zeit müde geworden, jo
daß die Direktoren zu allen möglichen Mit:
teln greifen mußten, um fic) gutbejuchte
Sjüujer zu fichern. Aufregende Tierdrejjuren
wurden vorgeführt. Çin bejegter Kraft:
wagen rollte über eine von einem Athleten
geltiigte Briide. In einem Rieſenrad rafte
ein Radler fopfunten feine gefährliche Schleife.
Die Pferdedrejjur, die Reitkunft, bie noch in
den achtziger und neunziger Jahren in erjter
Reihe ftanden, traten hinter ſolchen ameri-
fanijchen 9Berblüjfungstünjten zum Schaden
des Zirkus immer mehr zurüd, und am
Ende bildete den Schlager des Abends die
Pantomime, die zwar mit erjtaunlicher
Technik zujammengezimmert war, bie jedod)
an den Geift der S3uidjauer bie denkbar
geringiten Anſprüche jtellte. Auch im Kriegs:
winter 1914 auf 1915 feierte fie wieder ihre
Auferſtehung. Rojafengreuel in Galizien,
Franktireurtämpfe in Belgien, Feltungsbe:
lagerung in Frankreich, Unterjeeboottrieg —
alles das konnte man mit wenig „Genuk“
im Zirkus jehen, der damit feinem Todfeind,
dem Kinematographen, nadjeijerte. Zugleich
aber zeigten fih bier und dort Borboten der
Genejung, indem fid) bie Direftoren wieder
darauf befannen, daß bie Hauptperjonen im
dus ber Reiter und das Pferd, nicht ber
imiter und ber Wlajchinenmeijter find.
Vielleicht daß dem Zirfus auf biejem Wege
ber alte Glang nod einmal bejchieden ijt.
& 8g B
. Die Malerei [tanb immer in einem freund:
[iden 3Berbültnis zum 3irfus. SFahrend
Wolf — bas war ein bunter Stoff, malerijd)
aud), wenn man ben Begriff im veralteten
Sinne bes Launijden, Unordentlichen faßte.
So jaben Knaus und Meyerheim den Zirkus
und feine Leute. Die Bilder von Eugen
Oſſwald, dem diefe Plauderei gewidmet ift,
[inb etwas anders entjtanden. Oſſwald bat
nicht in bie Mtanege und in die Ställe als ein
liebenswiirdiger Beſucher gegudt, der nad)
brauchbaren Stoffen für feine Malkunſt Jucht,
jondern er hängt mit Leib und Geele an
diejer Zirfuswelt.e Immer wieder hat er
jeine Kunſt in ihre Dienfte gejtellt. Gein
Auge freut fid) jeden Abend aufs neue an
den Liht: und Farbenwundern, die er, abge:
E von allem Artijtentum, verjchwenderijch
pendet. Aber fein Herz ergüßt fih E am
dem Drolligen Trott eines jchwarzen Pferd-
dens, an den finblidien Späßen bes Hans:
wurjt. Er ijt allen 9Infed)tungen der Welt
zum Troß ein rechter Junge geblieben, der
laut aufjubelt, wenn ibm mal ein Stiidden
Sonne den Pel wärmt, der aber aud) ohne
lonberlidjes Murren lid) trübe und falte
Tage gefallen läßt. Er hat in der partes
und rauhen Mutt bes Zirfus oft genug die
alte Wahrheit erfüllt gejehen, daß nur der
Wort zur Arbeit Gegwungene, ob Menih
oder Tier, recht erzogen wird, und hat auf
der andern Seite nicht minder oft erfahren,
wie furzes Blüd alle Mühſal vergejjen mat.
Er jelbjt, ber jebt als Perens in einem
bayerijhen Landwebhr-ISnfanterie- Regiment
pent. Ichrieb uns, als wir ibn um einige
ngaben über feinen künſtleriſchen Entwid»
lungsgang baten, in feiner natürlichen Art
darüber EH „Dein Leben ift nicht
jo interejjant, daß es mit bem Zirfusartifel
verwoben werden jollte. — Bor meiner Mi—
litärzeit ftudierte ich bas Bauhandwerk, was
ich aber gerne fallen Dep, nahdem ich mid)
auf den Architefturbüros langweilte. Mit
einundzwanzig Jahren fing id) an, meine
Neigung zum Tierzeichnen und die Liebe
pum Tier felbft mir zum Verdienſt zu maden.
dj [tubierte dann als Vierundzwanzigjäh-
riger bis zum achtundzwanzigiten bet Sein:
rid) Zügel in München. 1908 hatte id) meine
Schulden weg und foviel erjpart, daß id)
einen Freund in Petersburg bejuchen und
drei Monate Finnland, Mosfau, bie Krim,
Ronjtantinopel, Genua leben fonnte. —
Paris, London folgten und zweimal donn:
ten und Palajtina — aber die Neigung zum
Tier und meine perjónlidje Unabhängigfeit
bleiben bie Sjauptjadje."
Dr. Paul Weiglin
& Kriegswinter, Gemälde von Hans 3Balujdjet a]
(HE LIBRARY
Das wehrhafte
taulein
Be fSríebricbfSreffac v —
3s waren jchwere Wochen, bie fid)
4 nur langjam und zögernd von
jo dem Lebenstnäuel des Fräulein
4 Gottliebe abjpannen, Allein jag fie
neben bem Kranten, ber in feinem
Namen herausitieß, bie fie nicht
annte unb von Schlachten unb Pliinderuns
e abelte. Nur bis zur Tür wagte fid)
uffin und IS von ferne nad) den
Shünldjen bes Fräuleins. Einmal war bes
Nachts * Joſias gekommen und hatte ſich
nicht entſagen können, den Scheitel bes ſchla—
[eem Mädchens zu ftreiheln. Davon war
Vieber lag,
e erwacht und hatte im dunklen Stalle bas
ewand des Pfarrherrn verjdwinden jehen
wie einen Traumjchatten.
Gelbjt Jammer, der Hund, jchnupperte
nur mit ber Naje miftranijd in ben Ber:
Se een Leide, bie Rake, war das
erite Weſen des Haufes, bas id zu längerem
Aufenthalt einjtellte. Cines
fie das Fräulein auf ihrem Schoße liegen.
Harte Arbeit und manderlet Efel war
in u überwinden, um ben bilflojen, jchweren
ann zu pflegen, deſſen Leib vom Fieber
BOCH ward. ber aus bes Kranten
eden erfannte jie ein gutes Mannesgemüt.
Das war feiner von den wiijten Gejellen, wie
fie fid) in ber übergorenen Zeit jo häufig
[onec jondern ein Krieger, ber ba mit bem
ode rang.
Am fünften Tage fam der Rittmeijter
gum erjten Male zum Bewußtjein. Mit
groben, offenen Augen fah er bas jchöne
adden in gutem Gewande an feiner Geite
figen. Gr fragte: „Seid oe es jelbjt, Fräu—
lein, die Ihr mich pflegt?“
Gottliebe nidte. Der Rranfe ward un:
ruhig. Er jchaute fih nach rechts und lints
um und ward des le Berichlages
wahr, in dem er rubte eine Gedanfen
See zurüd, juchten Crinnerungen und
wangen Die Morte von feinen Lippen: „Wo
it mein Wachtmeifter ?“
Sd) bitte Gud), fapt Gud) in Geduld,“
bat Gottliebe, „wir haben (ud) aufgenom:
men, denn ich fand Euh frant am Straßen:
rande liegen.“
„Krant am Gtraßenrande?“ fragte ber
3tittmeifter unb Ichaute bas Fräulein am.
„Bin ich denn nicht nad) Schloß Herrenbrud
ge ttten? Und Ihr? Sd) jab Gud) bod) Ion
einmal? Aber mid) dünkt, Ihr wart ein
Mann unb truget emen Reiterhut. *
fRelbagen & Alafings Monatshefte.
orgens fand..
Die in bem heißen Hirn wie EN auf:
fodjenben Bilder verwirrten den Kranten.
Wieder verjanf er in bie unklaren 33or|tel-
lungen des Fiebers, bas ihn abermals zwei
Tage in Sak Banne hielt.
Is er aufwadte, fragte er: ee bin
alle niht a gel Herrenbrud) ?^ dachte
erbäi: lauſchte. „Herrenbruch? ef: ja
nicht jo fein, denn ich wäre der Galt
Des Sir Stuart Hamilton. Hörte id) nicht
feine Stimme, daß er mid) fortwies, weil ich
die Seuche hatte? Und Ihr, Fraulein, wer
feid Ihr, daß Ihr ve d getrauet, den Seuche:
tranten — —
„Ich bin Fräulein Gottliebe von Herren—
bruch und nahm Euch auf, ſo gut ich's ver—
mochte, um die Ungaſtlichkeit, die Euch wider—
fahre GE wettzumachen.“
Kranke horchte in ſich hinein und
ſagte: „Mein Puls ijt ſchnell. Es ijt nod
Sieber in mir.“
Bald hatte Gottliebe bie Gewißheit bas
Leben des Nittmeijters aerettet zu haben.
Gemah vernahm der Herr Achatius vom
Tode bes Wachtmeijters, und lüdenlos wuchs
ibm gujammen die Geldidte von feiner Ab-
weijung im Schloßtor bis zu feiner Unter:
ek im Verſchlage bes Stalles vom Pfarr:
Haufe au Gmmipringe.
Die Schwäche in ihm war nod) groß, fo
groß, daß er jelbjt in den wachen Minuten
die Augen geichlojjen put Als eines Tages
das ig Bottliebe neben dem Ruhen:
den jag, geldjab es, daß der Herr Joſias
mit ernfter Miene in ben Gtall trat im
Mantel und Ctiefeln, mit einer Pelzmütze
gegen das Wetter auf dem Kopf. Er jagte:
„Habe gente eine jeltjame Pflicht zu erfüllen,
Gottliebe. Muß hinaus auf Herrenbrud),
möchte aber zuvor Gud) abbitten, daß ich
ben Kranten nicht in mein Haus genommen
habe, jonbern im Stalle ruben ließ. Droben
auf Herrenbrud) haben fie bie Seuche aus:
zujperren gedacht, aber fie ift trog Graben
und Sugbriice hineingelan : und Hat fih
Opfer geholt: einen Kne eine Magd
und... deine Mutter, Gottlicbel^
Das Mädchen atmete tief auf und Iegte
ben Kopf zurüd. Gie war blag geworden,
aber fie Kat mit fejter Stimme: „Weine
Mutter!... Herr Joltas, ſprecht für mid an
ihrem Grabe ein Gebet. Indes will ich bier
bleiben und das für fie tun, was fie an dem
Kranten auf Herrenbrud hätte tun miijjen.” —
32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bd. 6
82 Ie gqrieorid) Frekſa: 3322242223: A He
Lange fab Gottliebe ftarr auf ihrem Stuble
und gedachte ber Mutter und bes Baters,
von dem ihr nur ferne, bfajje Erinnerungen
geblieben waren. Ein Bild ftand lebhaft
bor thr. Der Bater war im Winter über:
tajchend aus bem Feldzuge gefommen. ` Als
die Mutter im Hofe jeine Stimme vernahm,
war fie ibm auf der Treppe entgegengeftiirat.
Schloß Gottliebe bie Augen, fo jah fie den
großen Kopf bes Baters mit der hohen Stirn
unb dem braunen Bart vor fih, in dem fih
bas Gelicht der Mutter verbarg. Aber dann
wuchs jenes andere Bild in ihr auf: Die
Mutter in Gir Stuarts Armen! Und ein
Schluchzen rang fih aus ihrer Bruft.
Da fühlte fie eine heiße Hand an ihrem
Knie tajten und ihre gerungenen Hände er:
reifen. Der Herr Adyatius richtete jid) in
Pinen Bett auf und fragte: „Wer tat Euch
weh, Fräulein Gottliebe $“
ie fagte: „Die Seuche, die Euch per:
ſchont hat, ri die Mutter hinweg. Der Tod
|prang über Graben und Mauer. Sir Stuart
Hamilton vermochte nicht ihn abzuwehren!“
Bottliebe jchwieg. Als leijte fie einen
Schwur, jagte jie endlich laut zu fid: „Ich
hajje Sir Stuart Hamilton als meinen bit:
terjten Feind!“
Da fühlte fie einen Drud auf ihren Fin-
gern und ward gewahr, daß Herr Achatius
ihre Hände nicht [osgaelajjen hatte.
a8
8 a
Herr Yofias Rottner fdritt langjam in
jetnem Studierzimmer auf und nieder.
Es Hatte fid) beim Begräbnis der Frau
Magdalis nicht nur ein Grab aufgetan, bas
dann wieder verjchlojjen wurde. Des Pfarr-
herrn Blide waren auch in die Geelen der
beiden Männer gedrungen, die andem Brabe
Hunnen, Er batte gejehen, wie Sir Stuart
mit ber behandichuhten Hand in die Erde
gegriffen, um Die drei Hände voll Staub ins
Grab zu [treuen, wie es die Gitte gebietet.
(£s war eine berrijche — gung im Sue
greifen und SFortwerfen, während der Jung:
herr ungejdidt in der Erde wiiblte. Guftav
ooch belob wohl Fäujte, die paten,
aber nicht fejtgubalten vermochten.
Bei jeder Bewegung hatte der Bruder
Gottliebens mit einem *Blid den älteren
Mann gefragt, ob er aud) das Rechte tate.
Einer jo Starten inneren Abhängigkeit war
Herr Sjojias noch nie in feinem Leben be:
egnet. Er gab es brum auf, ein gutes
ort für Gottliebe bei ihrem Bruder ein:
zulegen, gewahrte er bod), daß der Engeljch-
mann Herr des Schloffes war.
Stil war er aus dem Bruftfriedhof Hin»
ausgegangen in den Hof, um wieder in den
Magen zu fteigen, der ihn heraufgeführt
hatte. Is er Bo in feine Deden gewidelt
hatte unb jag, waren Sir Stuart und der
Sungberr herangetreten. Sir Stuart hatte
ihm im harten, Tonfall bedeutet: „Pfarr:
herr, wir laffen dem törichten Mädchen nod)
eine furze wert, Danah werden wir [ie
holen und jet es mit Gewalt ... Gie ftebt
unter meiner und ihres Bruders Obhut. So
hat es bie fterbende Mutter gewollt.“
Hatte ber Yungherr hinzugefügt: „Redet
Gottliebe ins Gewijjen, Pfarrherr! Uns tut,
nachdem bie Frau Mutter gejtorben, eine
Hausfrau auf Serrenbrud) not.“ ;
„‚steiherrliche Gnaden finnen niht aljo
mit dem Mädchen verfahren!” hatte fidh der
Pfarrherr erbreijtet zu erwidern.
Da hatte ber Jungberr feinen engliſchen
Lehrmeiſter angeſchaut und geftammelt: „Wir
— nach Hausrecht, TIE
ir Stuart Hamilton aber hatte bem
&ut|der zugerufen: „Fahr zu!“ und dazu
etwas in englildjer Sprache gefludt, was
der Pfarrer nicht verjtand.
Sorgenvoll fdjritt der alte Mann auf und
nieder, hatte er bod) aus bem Gelichte bes
Engelſchmannes erfeben, daß der fid) aud)
Durch den Teufel in der Hölle nicht von bem
feitgefaßten Vorſatze würde abbringen Iajjen.
Es flopfte an die Tür, und herein trat
Gottliebe, blag unb bewegt. Sie jagte bit.
tend: „Werzeiht, daß ich zu Euch bringe.
Sd) Hatte gedacht, Ihr würdet in den Stall
fommen, mir von dem [ebten Begängnis ber
Mutter zu erzählen.“
Herr Joſias lab bas Mädchen lange an.
„Es find harte Mtenjdhen, die wider Euch
jtehen, Gottliebe!“ Das Fräulein nidte.
Da gab ber Pfarrherr Runde von allem,
was gejchehen war.
Das Fraulein fentte den Blid nicht, jon:
dern hörte ihn mit großen, offenen Augen
an, redte das Kinn trogig empor und jagte:
„Weiß nun, woranich bin mit meinem Erz:
feind! Aber er fol mid) nie ohne geladene
Piltolen finden. Und er weiß, Daß ich
treffe!“
Wie ein junger Ritter im Frauengewand
ftand fie bei bielen Worten ba. Der Pfarrer
erfannte bie Ühnlichkeit mit dem Bruder.
Dod war es nur eine Ähnlichkeit bes Kör-
pers, denn in bieler ſchlanken Geftalt war
jpürbar ein fefter Wille, deffen ber Freiherr
Gujtav Friedrich ermangelte.
Si 88
Mad diejem Tage, der Drohungen vers
hieß, verrannen bie Stunden gemad und
ruhig. Die Ruffin nahm fic ber Pferde an
und bewegte fie des Abends. Das fiel nie-
manden auf in der damaligen Zeit, denn
durd) Krieg und Seuche waren die Männer
rar geworden und viel Männerarbeit ward
durd) {Frauen verrichtet.
Da der Krante nicht mehr der ftündlichen
Pflege bedurfte, nahm das Fraulein wieder
ihre Mahlzeiten gemeinjam mit dem Pfarr:
Derrm ein. Gie berichtete mit Genugtuung,
daß es ihrem Pfleglinge von Tag zu Tag
bejjer ginge. Doch eine Wunderlichfeit, die
ibm geblieben war, dünkte fie als ber Krant:
heit Reſt. Jeden Tag gebrauchte er Worte,
die etwa [auteten: „Fräulein, fonnt Shr mir
nicht einen Potentaten nennen, der Krieg
führt?” Oder: „An diejen gräßlichen Frieden
werde id) nod) zugrunde gehen!” Oder: „Ihr
PBESESSHESSISHSHEHEHCHESSHEHEN Das wehrhafte Fräulein 88
müſſet es glauben, diefje Geude, bie uns
Reiter iiberfommen hat, ift bie Friedens:
jeuche,“ ober: „Werde nicht gefunden, jo mir
ein tüchtiger Krieg nicht bie Knochen ſtärkt.“
Co verrannen fier zwei Woden, als
eines Abends ans Haus gepocht ward. Die
Ruffin meinte, es möge wohl ein Betim:
merter aus der Gemeinde zum Pfarrherrn
fommen, und öffnete. Da ward fie von
dreien überrannt, die ungejtiim in den Gang
drangen, durch das Haus eilten und es von
oben bis unten durchſuchten.
Die Kuffin hatte, um fich zur Wehr zu
jegen, von ungefähr ein Holgbeil ergriffen.
Aus der Studierftube hörte fie den Pfarr:
herrn rufen: „Sie ift nicht im Haufe! Euch
ipreche id) bas Recht ab, in mein Haus zu
dringen. Das Fräulein fteht unter meinem
Sduge und unter bem Ghuge der Stadt.“
„Sit fie nicht Hier, fo ift fie bei ihrem
Roffe!” erflang eine fremde, hochmütige
Stimme, die alsbald in der Kuffin die Er:
leuchtung aufflanımen ließ: ‚Das ijt Cir
Stuart Hamilton!‘ Laut jdjrie fie auf: „Fein:
dio! Fräulein! Feindio! Mordio!“
Da hafteten die drei Cindringlinge bie
Treppe hinab in den Hof. Doh an ber
Türe bes Stalles fanden fie wehrhaft das
Fräulein mit zwei Halfterpijtolen in der
Hand. Zwei andere ftecten griffgerecht in
ihrem Gürtelband. Ruhig und talt zielte
jie auf ihren Bruder: „Wer einen Fuß von
der Schwelle herabjegt, ijt des Todes!”
Die Ruffin jchlich mit ihrem Hadbeil her-
zu, um zuzuſpringen, wenn es not tate. Als—
bald jab jie, wie Sir Stuart den Jungherrn
zurüddrängte, und hörte wie errief: „Geht
zu den Pferden! Sch fpredje allein mit ihr!“
Dann freugte er bie Arme und fagte zum
Fräulein: „Nur um jo mehr entzündet Euer
Trog meine Liebe! Schwache Weiber habe
ich zu jeder Zeit meines Lebens verachtet. Im-
mer babe id gewünjcht, ein Weib zu finden,
in dem ein jo fühner Geift wad fei, wie ihn
das Fräulein Mathilde von Herrenbruch,
meine einjtige Befiegerin, bejeffen. Der Be:
jig Eurer Liebe allein würde von mir Die
Schmach tilgen, bie mir vor Herrenbrud
widerfahren. Und es müßte fürwahr ein
heißes, ftürmijches Gejchlecht werden, das
wir beide zeugten! Ihr feid zu Großem
SE und follt nicht auf dem armfeligen,
deutjchen Boden ein fiimmerlides Los fin-
den. König Karl riijtet, und ich will ibm
mein Schwert zur Verfügung jtellen. Folgt
mir, eine Herzogfrone ijt Eurer gewiß!“
„Sir Stuart,“ antwortete das Fraulein,
„Eure Werbung ijt eine |d)limmere Beleidi:
gung, als bie Gewalttat zuvor. Sch bete
jegt ein ‚Baterunjer.. Gteht Ihr nod) da,
wenn id) gejprodjen habe: ‚und vergib uns
unjere Schuld, jo fällt mein Schuß.“
Sie redte jid) höher, als [ie zu beten be-
gann: „Unfer Bater, ber du but im Himmel,
geheiliget werde dein Name, dein Weich
tomme, wie im Himmel, alfo aud) auf Erden,
unfer taglid) Brot gib uns heute.“ Mit
diefen Worten bob fie Iangjam die Piftole
und fuhr fort, während der Finger den
Driider umjhloß: „und vergib uns..."
Dod ben Beichluß bieler Bitte wartete Sir
Stuart nicht ab. TFluchend eilte er durch den
Bang auf die Straße hinaus, während das
Fräulein weiter betete: „unjere Schuld, wie
aud) wir vergeben...“ Gie vollendete Die
Bitte nicht, [onberm rief mit jchneidender
Stimme: „Vlein!“
Die Ruffin fam aus dem Duntel des
Ganges hervor, nod) immer das Sjadbeil in
den beiden, nervigen Händen. Das Fräu—
lein gebot: „Beh und [chließe vie Pforte des
Haujes und fieh, ob alles jicher ift.”
Die Ruffin tat, wie ihr geheißen ward,
bod) als fie hinausjchaute auf die Gajje, er:
ſpähte fie feinen der Reiter mehr. Sie ver-
nahm nur noch den fid) entfernenden Huf-
ſchlag ber Roffe.
„Ausgewettert hat es!“ vermeldete fie mit
lauter Stimme dem Fraulein, bas noch im:
mer e Te im Hofe [tanb.
Da ent|pannte jid) der gejtredte Körper
des Mädchens. Sie wandte fih zum Stalle
zurüd, um nach ihrem Pflegling zu Jehen.
Tief er[taunte fie, als fie ihn im Hemd am
Pfoſten bes Stalltores ftehen jah, während
in der Rechten ber Stokdegen zitterte.
„Ihr feid auf, Herr Rittmeijter ?^
„Hörte Ge AN pernabm, dak es
um Euch ginge, und Juchte zu tun, was ritter=
liche Pflicht ift. Knochen und Sehnen find
nod) mürbe, aber vielleicht wäre ein uner-
warteter Stoß bod) gelungen.“
Bottliebe geleitete den Kranten zu feinem
Lager zurüd und brachte ihm fräftigende
Gpeile, denn fie war voller Furcht, dies Auf:
raffen des Körpers Tonne ihm jchaden.
Allein ber friegerijde Lärm ſchien den
Soldaten neu belebt zu haben, wie ein heilen:
der Trunf. Herr Achatius blickte jcharf und
Hor, er jtieß feine abgebrochenen Worte beim
Reden hervor, jondern band die Säße Aer:
lid) gujammen. „Womit, Fräulein Gott-
liebe, finnte ich alle die Mühe und Not wett:
madjen, bie Ihr für mid) getragen habt?“
„Berzeiht mir,“ antwortete bas Fraulein,
„daß ich nichts von Euch begehre. Ich habe
nur gutgemad)t, was droben in Herrenbrud)
an Euch gejündigt ward.“
„Willet Ihr nichts, wonad Euch liijtet,
auf bab ih’s Euch erfülle, wenn ich’s ver-
ma
Bas Fräulein jenfte die Augen, die von
ungefähr auf den Stoßdegen des Nittmeilters
elen. Es war eine edle Waffe, dreifantig,
iegjam wie eine Rute und verriet die Hand
eines Toledaner Meijters. Kunjtvoll war
bas Stichblatt mit Übungen und eingelegtem
Silber verziert. Gottliebe büdte fth. Gie
ergriff den Knauf und wog die Waffe in
der Hand. „Seid Ihr ein Meijter der
Fechtkunſt?“ fragte fie jinnend.
„Habe jchon vielen widerjtanden mit Säbel
und Stoßdegen. Bin nur einem begegnet,
der mirs gleich tat. War Sir Stuart, mein
6*
84 BERISSISSISSISFZZA Friebrid) Frekſa
Leutnant, da ich als Rornett bei den Wallos
nijden Kürafjieren ftand. Habe ihm, ber auf
jede Weije zu [oet verjtand, alles abge:
lernt, was er fonnte, und heute, ba fieben
Jahre verjtrichen find, in denen ich oft ben
egen führen mußte im Spiel und tm Grnit,
glaub’ id), wär’ er mir niht gewad)en."
„Habt Ihr meinen Feind, (Cir Stuart,
erfannt ?“
„Hatte nur joviel Kraft, um mich anzu:
Bauten zu dem einem Gtoß, den ich zu
libren vermocht hätte.“
Fräulein Gottliecbe fdwieg. Sie rollte
das $janbgelenf und ließ die Spike ber
Zoledaner Klinge in Kleinen Kreijen ſchwingen.
Endlich erhob fte fih, lenfte ben Degen und
jagte zu bem Rittmerfter, ber bie Augen groß
auf fie gerichtet hatte: „So bitte id) uch,
lehrt mid) fechten, jobald Ihr gejund feid!”
8 8B CH
An eirem [djónen, warmen Märzmorgen
fam Herr Joſias Rottner von einem Amts:
ange zurüd, der ihn zu den Armen und
lenden der Stadt geführt hatte. Es gab
um 1649 viel Jammer und Elend in deut»
[den Landen, jtarben bod) viele, die tüm:
merlid) bie Not bes Krieges überjtanden
—5 an Auszehrung und anderen Krank—
eiten des Elends und der Armut.
Herr Joſias gedachte ſich in die Ruhe
und Stille ſeines Hauſes zu bergen. r
freute ſich auf ein neues Buch, das ihm der
Ri Rat gejandt hatte, als Zeichen
feiner Zufriedenheit über bie Nechnungsord:
nungen. ls ber Geijtlide in den Haus:
gan trat, hörte er bajftiges Klirren von
e Bo das vom Hofe ber tlang.
Er erjdraf, denn er glaubte, Sir Stuart
abe einen neuen Überfall gewagt. or:
ihtig Iugte er in den Hof hinaus.
Im hellen Sonnenlicht gewahrte er zwei
Wanner in Hemden und Hojen. Die Köpfe
fonnte er nid)t erfennen. Bei den Jchnellen
Bewegungen erjdienen fie ihm wie graue
Klumpen. Sin Kraft und Vehendigteit jtießen
fie mit großen Etoßdegen widereinander.
Noch ftaunte ber WPfarrherr über das
Sdjaujpief, das feinen ftillen Hof in einen
9SBaffenpla& wandelte, noch vermochte er
Hd) nicht zujammenzureimen, was ba qe:
Ihab, als ibm bie Stimme der Ruffin in
die Ohren Hang: „Toude! Toude! Fräu—
[cin Gottliebe! Bravo! Bravo!“
Alsbald erjpähte Herr Dojias feine Be:
dienerin, Die in Der Ede des Hofes beim
Negenfaß ftand und begeiltert mit den nor:
tigen Armen einen Ceihloffel Jhwang. Die
beiden Fechter jenften bie Degen. Der eine
neltelte an feinem Halle und ang von feinem
Ropje ein Drabtgejtel. Nun erfannte ber
PBrarrherr den Herrn Achatius und pernabnt
icine Stimme: „Habt zwei Gänge mit mir
gemacht, Fräulein von Herrenbruch, bie mir
Bewißheit geben, Ihr werdet es in ber edlen
&un[t zur Meiſterſchaft bringen.“
Herr Joſias jchritt auf Gottliebe zu, die
ihr heißes, rotes Geſicht fretqemadt hatte
[S£3£3€3€343€343 3G 3E 34336338
von bem bergenden Bitter ber Drahtmaste.
Schlank und aujredjt ftanb fie ba. Den
rechten Fuß hatte [ie ein wenig vorgejchoben.
3m Gllenbogengelenf bes linten Armes hing
ber Drahtforb am Lederriemen, während bie
Fauſt bie Klinge unter dem Stidblatte um:
jpannt hielt, [o daß die — — Spitze
nach unten geſenkt war. Die braungoldenen
paare fielen ibr AC über den Rüden, Das
untel bes Ctalles, aus bem fid) unbeutlid)
bie Umriſſe eines Pferdefopfes abhoben,
geben den feinen Linien ber Geftalt einen
iefen Hintergrund, fo dab das Bild den
Pfarrherrn an die köſtlichen Tafeln gemahnte,
die er in — Studienzeit in den Nieder:
landen geldjaut batte. So fürnehm, Ge
und ſchön erfdien ihm das Mädchen, ba
ibm der Atem ftodte und er die thr auge»
dadten Worte der BWerwunderung und
leilen Tadels mos ausaulpredjen vermochte.
Mit einer freien, rttterlid)en Bewegung
reichte Gottliebe bem Pfarrherrn die bebanb:
ſchuhte Rehte und jagte: „Bott zum Gruß,
pete Softas! Ihr feid erjtaunt iiber mein
un und Treiben, aber Ihr wikt, daß id)
ftarfe und gewandte $yeinbe babe, Darum
rüfte id) mich, ihnen adelig zu begegnen.“
„Ste ijt es wert, die edle Runft zu üben,”
jagte ber Rittmeijter Achatius. „Ein bejjeres
Sjanbgelent, als es das Fraulein be[ibt,
fann bei einem fräftigen Mann nicht ge»
funden werden. Ihr Spiel in Knien, Hüften
und Fußgelenken t/t mujterhaft, ftarf und
behend! Gab es Gott, Pfarrherr, daß irgend:
ein Potentat wieder Heervolf zum Krieg
aufbietet. Ich würde in meiner Rompagnie
bent Fräulein gleich bie Stelle eines Kor»
netten anbieten, Hatte Exempel, daß tüh:
tige Weiber fid) gut_geichlagen haben.“
„Daß Gud) der Sinn nod) immer nad)
Krieg und Blutvergieken fteht. Möge der
Herrgott Euch dieje unpreislichen Gebanfen
aus dem vermejjenen Herzen nehmen!”
mahnte Herr Joſias.
„Sit bie Pflugſchar zum Adern gejchmiedet,
jo will fie adern. Ift das Schwert zum
Kämpfen gejchmiedet, fo will es fechten!“
gab Herr 9Idjatius zur Antwort.
Das flingflang der Schwerter wieder
holte jid) im Pfarrhauje jeden Tag. Es
war nur qut, daß ber Hof wohl geborgen
lag vor den ?Bliden ber Nachbarsleute.
Waren bod) Die nächtlichen Ritte nad) Fen-
jtade, die Fräulein Gottliebe jest in Be:
gleitung bes Nittmeijters Achatius machte,
aufgefallen, und ward [djon bie Gage aus:
gejponnen von zwei ſchwarzen Reitern, Die
feine Rube finden fonnten in ihrem Grabe,
Dieweil fie ihre unjterbliche Seele an einen
verborgenen Schaf gehängt hätten. Danah
wurde |püter ber Zwidel bes Plakes vor
dem Pfarrhauſe Reiters Unruh genannt,
Außer in den Fechtitunden ward zwilchen
dem Fräulein und Herren 9[datius wenig
aejproden. Er rief ihr Paraden zu und
Stöße, lehrte fie den blitichnellen Wechſel
von Dedungen und Ausfällen, bis fie bie
Ihwierigften Finten und Folgen aus dem
Handgelent jdjüttelte. Lobte er fie jehr, fo
[zagte lie: „Glaubt Ihr, Herr Achatius, dağ
d's bald Sir Stuart gleichzutun vermag?“
„Achtung und Geduld,“ mahnte der Ritt-
meijter, „muß der echte Hechter befigen.“
Unverdrofjen übte er mit dem Sfräulein
weiter. Waren aber bie cker vor:
über, fo fak er zumeiſt verjonnen in feinem
—— das nach dem Hofe gelegen war.
ann rief er wohl ſeinem Pferde Moor zu,
das aus dem Stall getrottet kam und den
Kopf in das Fenſter zu ihm hereinſtreckte,
um fid) von feinem Herrn ſtreicheln zu laffen.
8
An einem Maientage laſen die Bürger
der Stadt Fenſtäde auf einem Papier, das
am Wirtshaustor des Greifen angejchlagen
war, der Herr Fechtmeiſter Achatius habe
den Hochzeitsjaal für die Tage Montag und
Donnerstag gemietet, unb einem jeden wehr:
da en Dann [tünbe es frei, fid) unter ber
ettung bes Herrn Adatius und feines
Amanuenjis Cornelius in der Übung ber
edlen Kunſt zu befleißen.
Für bie Qm vom Adel und aud) für
bürgerliche Leute, die tätig waren in den
Geichäften von Fürlten und Staaten, hatte
es in jenen Tagen eine befondere Bedeutung,
daß fie neben der Feder eine gute Klinge
——— Auch war noch genug Luſt an
iegeriſchem Tun in der Bevöllerung ge—
blieben. So geſchah es denn, daß ſich viele
Waffenkundige aus der Landſchaft im Grei—
n einfanden. Nicht nur Alamodenarren,
ie bei jedem neuen Treiben dabei fein
mußten, jondern aud) Männer von Schrot
und Korn, bie es für Not eradjteten bas
eingeroftete Können wieder zu jchmeidigen.
n dem hoben alten irtshausjaale,
deilen Holztäfelung grau war von Alter,
berrichte bald ein frohes, mutiges Treiben,
bem von ber gotijden Galerie Damen vom
Mel, Batrizieringen und hübjche Bürger:
mädchen gern e Wl éi pflegten.
Die Renner bewunderten vor allem Rube,
Kraft unb Kunft des Herrn 9(djatius, ber
mit den ftärkiten Klingen ein aly ia s
Spiel batte. Aber bas Licht des Gaales
ging von bem Waffenfreunde bes Fedt-
ae Wa aus, Faſt frauenhaft erjchien bas
feine Antlig des jungen Cornelius, bas von
den nad) der Mode lang getragenen Loden
umflojjen war. Allein feinen traftigen Aus-
fällen und feinem ftarfen Handgelenf waren
nur wenige der herbeiltrömenden Herren
ewadjen. Im Gegenjak zu der Kecdheit
einer Waffenführung zeigte er fid) einfilbig
und verjchlojfen, wenn nad) den erregenden
Übungen des Tages die Herren mit dem
Fedhtmeifter Achatius fid) um den Eichen:
ttih ſcharten, um nachträglich feine Paraden
und Tinten zu beiprechen.
Nun begab es fih eines Tages, dah
Cornelius mit einem riejenhaften Riiraffier:
oke: fodt. Der Kampf zwiſchen ſchmieg—
amer Gewandtheit und gewaltiger Kraft,
j Das wehrhafte Fräulein seess 85
bie mit Runft gepaart war, fejjelte alle An:
wejenden jo febr, daß bieles Fechterpaar
von einem Dichten Ringe von Zujchauern
umgeben war. Als daher zwei Herren, die
gerade in den Gaal getreten waren, [id
mübten, in die vordere Reihe des Minges
zu bringen, erwachte in den unjanft beijeite
geldobenen Entriijtung, bie noch wuchs, als
die vom Trunte jchwere, jugendliche Stimme
bes einen Zudringlings bóbnijd) ausrief: „Es
wird bod) erlaubt jetn, fih bas neue Fedt:
phänomen anzujehen!“
„Wo bleibt ber Hofmeilter bes Freiherrn
von $S)errenbrud)?" fragte eine gereizte
Stimme. „Seit die Frau Mutter gejtorben,
ann zu
ave der junge Herr wohl ein
ein?“
„Dho!“ rief der Jungherr zurüd. „Sind
wir bier im edt[aale, lajftere id) Degen:
ipi&en gerne ein!“
(eid) banad) durchſchnitt bie [djarfe,
allen befannte Stimme Gir Stuarts ben
Raum: „Wer mich einen Hofmeijter nennt,
mag zuſehen, daß id) ihn mit dem Degen
nicht bo eiftere!“
Es öffnete fid) rechts und links eine Gaffe,
unb mühelos gelangte unter bem Murren
der beileite Tretenden Sir Stuart in die
vorber|te a
Der Kampf awijdhen Cornelius unb dem
Riirajfier war |o |pannenb geworden, dab
bie Blide der Zujchauer jid) wieder auf die
enden richteten. Plöglich jenfte Herr
ornelius den Degen vor feinem Gegner.
Er verbeugte fid): „Ich wurde [oeben toit:
hiert! Ich erkläre mid) für befiegt.“
Der Küralfier, ber bie Maste vom heißen
Kopfe nahm, rief: „Herr Cornelius, Ihr
jeid nicht nur guter Fechter, fondern aud
ein Mann von rae Hab’ es bei Gott
niht bemerft, daß ich Euch getroffen.“
lle Anweſenden waren noch voller Be:
wunderung über den — und des ritter⸗
lichen Eingeſtändniſſes des Herrn Cornelius,
als wieder der Freiherr von Herrenbruch
mit plumper Stimme dazwiſchen fuhr: „Hab'
es Euch ja gleich geſagt, Sir Stuart, daß
wir Sonderliches nicht ſehen werden. Mit
dieſem jungen Menſchen nimmt es ſelbſt ein
mäßiger Fechter alle Weile noch auf. Glaube,
er könnte noch viel dazulernen.“
Der junge ornelius, ber noch bie Maste
auf dem Kopf hatte, trat vor und fragte
mit Dumpfer Stimme: „Freiherr von Hers
renbruch, es gelüjtet mich febr danad, neue `
Ped. unb Folgen im Fechten zu erproben.
önnt mir vielleicht auch zeigen, wie man
junge Mädchen mit bem Echwerte bedroht.“
s war Totenjtille im Saal. Der Jung:
herr |djaute zur Seite auf Sir Stuart Ha:
milton. Da rief Herr Cornelius von neuem:
„War es eine Beleidigung, die id) Euch
jagte, und fein Scherz, |o bin id) bereit,
Cuh Genugtuung zu geben, fo Ihr es wagt
u verwetten, daß der Gieger dem Befiegten
en Willen auferlegen mag. Doch fet es
nicht wider die Ehre.“
86 Friedrich Trella:_ [243434343€24343434343€34 MRSA
Wis Herr Cornelius fprad, Hatte Gte
Stuart aufgebordjt. Seine Blide umtrei|.et
die ſchlanke Gedterfigur. Cin [póttijd es
Lächeln trat auf feine Lippen. Haltig
jlüfterte er Buftav Friedrich zu: „Tu's!“
„Scharfe Waffen ohne Masten und Schuß!”
rief Herr Cornelius. Der Gungherr nidte,
warf ben Rod, die Weite, bie Halsbinde ab,
während Herr Cornelius das Eijengitter
vom Ropfe den Dabei fielen ihm die langen
Loden vom Nacken über die Schultern und
verdedten bas elder von dem in ber ge:
büdten Ausfallitelung für ben Gegner nur
zwei bligende Augen erfennbar waren.
Die qs beiden, furzen Gänge zeigten,
daß ber Freiherr ein geübter Fechter war.
Dod mochte er wohl nod niht warm ge:
worden jeine, denn er hielt jid) in der Dedung
und überließ den Angriff bem Gegner.
Da rief beim Beginn des dritten Banges
Herr Cornelius plößlich mit einer hellen,
mädchenhaften Stimme: ,Briiderlein, du
ieinit vor den Waffen zu zagen!“
Der Freiherr |prang zurüd und jab auf.
Sein (Gegner hatte mit einer |djnellen Be-
wegung die braungoldenen Haare aus dem
Gendt gejtrichen, und ae — Friedrich er-
fannte, dak feine Schweiter ibm mit ber
Icharfen Waffe gegenüberjtand. Aber ehe er
ih von ſeinem Staunen erholen fonnte, jah
er fid) wiitenden Ausfällen ausgelegt, bie er
nur mit Mühe parieren fonnte. Er [tieB
hervor: „Sch will nicht!” Da war die Spike
eines Degen gebunden und ibm der Griff
durch einen Kreisihwung mit größter (Qe:
walt aus der Hand geprellt. Herr Cornelius
jenfte ben Degen und jagte: „Ihr dürft Euch
als bejiegt betrachten, Freiherr. Als meinen
Willen lege id) Euch auf, zehn Jahre das
Haus Sjerrenbrud) und die Landichaft zu
meiden und Euern Freund, Sir Stuart Ha:
milton, zu entlajjen.“
Die Menge jtöhnte bei diejem d EE
Ausgange bes jelt\amen Kampfes auf. Die
Stimmen ſchwirrten durcheinander. Da trat
der Freiherr von Sjerrenbrud), der feine Be:
jinnung wiedergefunden hatte, vor und rief:
„sch fordere Euch, Herren, als Zeugen auf.
Mich verließ bie Rube, als ich jah, dak ich
mit ber jcharfen Waffe im Kampf gegen bie
eigene Schweiter [tanb."
. „Aber die Ungewaffnete mit der Waffe
in der Hand zu bedrohen, fie ins Haus zu
zwingen, um fie an einen bergelaufenen
Fremden zu verfuppeln, Dazu mangelte dir
die Ruhe nicht, Bruder!“ rief Gottliebe.
„Was bat der Freiherr von Herrenbrud
getan?“ fragte der cine. „Hat er es wirklich
gewagt, bie Schweiter mit dem Schwerte zu
bedrohen?“ rief ein anderer. „Er gibt ja
alles dem Engelſchmann, warum jollte er
ihm nicht bie Schweiter geben wollen?“
„Wagſt bu es, allen Herren hier ins Ge-
licht zu leugnen, was ich dir vormerfe?” rief
(Bottliebe.
Bujtav Friedrich war blak geworden. Ihm
jeblten bie Worte, um der Anklage zu be-
gegnen. Da trat Sir Stuart vor und rief
mutig: „Für Augen, bie das Spiel gejehen
haben, liegt eine Dinterliitige Herausforde-
rung vor. Der Freiherr ward bejiegt, weil
er bie Schweiter erfannte. Hätte er’s vorher
gewußt, er hatte nicht gefämpft. Hätte fie jid)
nicht zu erfennen gegeben, [o hätte er gefiegt.”
„Der Kampf war ehrlich!” rief einer der
Sujdauer. „Sie bat ibm nur vergolten,
was er ihr getan !^ ein anderer.
„sch fordere einen jeden vor meine Klinge,
ber den Freiherr für en hält an das
Wort, bas ibm ein tolles Mädchen entriß!”
ſchmetterte Sir Stuart in den Gaal.
„So kreuzt die Klinge mit mir!” rief Gott-
liebe erregt dawider.
Der Kavalier [djüttelte den Kopf. Er
jagte ſpöttiſch: „Fräulein Gottliebe, Ihr
wißt, was für Gefühle ich für Gud) im Her:
zen trage. Ich fuhe im Kampf bem Mars,
nicht der Venus zu begegnen.“
Sm Gaal wuds die Erregung. Gir
Stuarts Hochmut hatte alle Gemüter aufge-
peitjcht, aber feiner wagte es, jid) mit bem
gefürchteten Degen zu mellen, Triumpbie-
rend durchſchweiften die Blide des Kavaliers
den vor ibm zurücdweichenden Kreis der
Gdywanfenben, als neben Gottliebe der Fecht-
meilter Achatius trat und zu Cir Stuart
ruhig und ernjt alfo fprad: „So Sbr's oer,
— Eure überlegene Kraft mit einem
ädchen zu meſſen, werdet Ihr's vielleicht
nicht ablehnen, einem alten Waffengefährten
Genugtuung zu geben, den Ihr todkrank von
der Schwelle des Hauſes fortwieſet, in dem
Ihr ſelbſt als Gaſt warm ſaßet. Tretet Ihr
nicht mit mir auf Toledaner Klingen an, ſo
erkläre ich, Freiherr Achatius von Sollern,
Euch, Sir Stuart Hamilton, als einen ſtin—
kenden Hundsfott!“
Sir Stuart war blaß geworden. Er warf
Rod und Weite ab. Alsbald ftanden fih
die beiden gegenüber.
Bon dem wiitenden, bligjchnellen Kampf,
der jeßt folgte und faft eine Stunde dauerte,
lebte bte Erzählung über ein Jahrhundert bei
den Anhängern der edlen Fechtlunjt weiter...
Mit geballter Fauſt unb blutunterlaufenen
Augen, die an einen ftipigen Stier gemahn»
ten, verfolgte der Freiherr von Herrenbrud den
Rampf feines Freundes auf Leben und Tod.
Ihm gegenüber rang Gottliebe, bie bic
Linke ‘int das Ichlagende Herz gepreßt hatte,
nad) Atem. Jede Bewegung des Herrn
Wdhatius jdwang in ihrem Körper nad.
Die Knie federten leicht, das Handgelent
fühlte bie Stöße und Drehungen mit.
Da geldjab es, dak plöglich Cir Stuart
uriidjprang. Die Linfe prekte er auf die
Rippen, fnidte in den Knien ein, ließ ben
Degen jinfen und fiel zurück.
»* babe ihn nicht getötet,“ jagte der
Rittmeijter, ber hochaufgerichtet bas Zuſam—
menbrechen feines Gegners verfolgte.
Ein Aufjeufzen ging durch die Menge.
„Bott bat entidjieben!^ Lotte fih von einem
Lippenpaar,
das wehrhafte Fraulein Besseeessssd
Der —— von Herrenbruch trat hinzu,
nahm den Freund in bie Arme, trug ihn
hinauf in ein Zimmer des Wirtshaujes .Ein
Chirurgus fam, um Gir Stuart zu verbin-
den. Er ward gefragt, wie es um den Ber:
wundeten ftiinde. Er berichtete, daß ein
Lungenjtidh Sir Stuart [ange auf ein ſchmerz—
. haftes Rranfenlager fejleln würde.
Am vierten Tage nad) ber Verwundun
des Freundes ritt Guftav Friedrich de
Sjerrenbrud) zurüd. Aber ba er an bas Tor
elangte, fand er bie Zugbrüde aufgezogen.
jus er GinlaB ck D trat feine Schweſter
auf die Zinne des Turmes und rief hinab:
„Halt es verwettet, zehn Jahre außer Lanz
bes zu bleiben. Reite denn hinweg. Was
bu bedarfit am Ausräftung und Geld, jolft
du beim herzoglichen Rat von Donop finden.“
Der Freiherr tobte und fluchte. Er [d)rie
nach feinen Dienern und Knechten. Allein
temer wagte es, an bas Tor zu gehen, denn
im Hofe Tak ber Rittmeijter, gerüftet mit
Mustete, Pijtole und brennenber Lunte auf
der Bant im Torweg.
Als fid) der Freiherr müde geflucht, ritt
er nad) Tsenftäde, um fein Redt zu ſuchen.
9tidt umſonſt haben die rehtstundigen
Römer die Belitenden als glüdlich geprie-
jen. Solange er nod) mächtig in feiner
Burg jag, hatte es niemand gewagt, mit
ihm anzubinden. Jetzt fand er nur fled-
tes Gehör. Es ward ihm vorgeworfen, er
habe feiner Schweſter ihr Gut vorenthalten.
Bon den Juriſten ward er gewarnt, in einen
Prozeß einzutreten. Ging er über die Straße,
jo hörte er Spottreden der Bürger: „Das
iit ber hie a der gegen feine Schweiter
im Waftentampfe unterlag.“
So fand Der Freiherr von Herrenbrud)
wider feine Schweiter nirgends Unterjtüßung.
Ter herzoglide Rat von Donop riet ihm,
außer Landes zu geben, ba aud) der Fürft
ihm ungnäbig gejonnen wäre.
Weil er feinen andern Ausweg fand,
fügte er fih alsbald in fein Los und 30g,
jobald es die Wunde Cir Stuarts erlaubte,
mit Diejem von Dannen.
a] 88 Bg
Drei Jahre führte Gottliebe die Zügel
auf Herrenbrudy und zeigte, dak eine tid:
tige SFrauenhand den Zaum beffer zu mei:
itern verjtünde, als bie behandſchuhte Fauft
eines Ravaliers Wlamode.
Sie ritt auf bie Felder, trieb bie Tag:
löhner zur Arbeit an und jcheute fid) nicht,
gegen robe Gejellen die Peitſche zu gebrau-
chen. Aber fie hatte auch bie rechte Güte zur
rechten Zeit, wie es der Herrin geziemt.
Jeden Morgen verjammelte ie in Der
Halle ihr Gefinde und betete mit ihren Leu-
ten, während die Suppe als guter Tages:
beginn den Andächtigen in die Naſen
bamp[te. Am Abend las fie Bibelftüde, zu
denen Herr Jofias Rottner ER erbauliche
Betrachtungen verfaßt hatte. Jeden zweiten
Sonntag ließ fie den würdigen, alten Herrn
mit der Ruffin holen, und er predigte am
87
Nachmittag in der Kapelle, denn das Frau-
lein hielt nichts davon, daß bas Befinde am
Sonntagnadmittag in die Stadt lief. „Acht
Stunden voll Saufen und Unflat,“ pflegte
jie zu jagen, ,fónnen nicht wettgemadt
werden ZC zwei Stunden &irdjgang."
War für fie immer ein Felttag, wenn der
Pfarrherr hirausgefahren tam. Sie ſaß mit
ibm in einem Heinen Turmzimmer. Als
dritter im Bunde war Herr Achatius dabei.
Bedienen aber ließen fie fid) durch bie Ruf-
fin, auf daß fein Belicht in biejen Grinne-
rungena Daa bineinwüchje, das nicht in
jenen Wochen der Verbannung im Pfarr:
hauſe zu Emmipringe dabeigewejen war.
Der Rittmeijter Achatius hatte fih ein
enges Gemah im Torturm eingerichtet und
felbiges als Zelt ausjtajfiert. Grobe Kein-
wand ftrebte zur Dede und ward bird) eine
dünne Stange gehalten. Er rubte wie ein Gol-
bat im Feldzuge auf einem niederen Lager,
neben dem Waffen handbereit lagen. Halbe
Tage lang hielt Herr 9[djatius mit einem
gernrohre Ausjchau nad) Reitern. Gewahrte
er jolbatijd)e Haltung und Waffen, jo [hwang
er fid) auf fein Rog, um zu erfragen, wo
es in der Welt einen neuen Krieg gäbe.
Allein es herrichten zwar nod Potentaten,
die Krieg führten, nur jchien es. bem Ritt-
meijter 9(d)atius nicht bas Rehte zu fein.
Denn im Greifen zu Fenſtäde, wo er nod)
einmal die Woche feinen Yechttag abbielt,
pflegte er am Eichentifch beim Wein auf die
Frage, wann er wieder auszöge, zu ant:
worten, jobald im heiligen rimijden Neid)
wieder ein gejunder Kriegszuftand bliibe.
Nur wenn es auf den Frühling zuging,
pflegte er davon zu reden, er wolle zum
Groftiirfen gehen und dort Kriegsdienite
nehmen. Schoß im März der junge Saft in
die Bäume, rumorte in ihm das Kriegsfieber
am wildeften. Dann gejdah es wohl, daß
er feinen Danteljad paden ließ, Waffen und
Kleider rüjtete und, um Abjchied zu nehmen,
des Abends nad) bem Gebet Gottliebe auf:
juhte. Doch jah er in das Tächelnde Belicht
bes Fräuleins, jo |prad) er nicht vom Abjchied:
nehmen, jondern erbat Urlaub zu einem
Heinen Ritt ins Land, Am fiebenten Tage
lenfte er gewöhnlich fein Rößlein nad) Her:
renbruch zurüd. In der Nacht, wenn das
Geſinde ſchon jchlief, langte er an und führte
fein Pferd felbjt in den Stall. Dana% be-
gab er jid) in fein Gemah, trant viele Hum-
en Weines und verjchlief den ganzen näch:
ten Tag.
Co madje er auf einige Monate die Ge»
danten fret von ihrer Unraft, bis bie Gebr:
juht nad dem alten Rrieqsleben wieder
mächtig wurde und ibn umtrieb.
Im vierten Jahre im Maien wurde Frau:
lein Gottlicbe zu bem herzoglichen Rat von
Donop nad) TFenitäde gerufen.
Der alte Herr empfing fie in Periide und
Amtstradht. Seine Züge waren ernit.
„Habe Nachricht von Gujtav Friedrich,
Fuerem Herrn Bruder, Fraulein Gottliebe,“
88 Friedrich Qret[a: BESSesssessessssa
jagte er. „3ft eine Zeitung, bie bedacht
werden will. Aber ehe id) Euch tünde, was
ich jelbft meine, müßt Ihr zuvor erfahren,
was geld)eben.
Euer Herr Bruder hat ein engeljd) Frau:
lein Zeie Icheint aus ber Verwandtichaft
bes Gir Stuart zu fein, ber im ſchottiſchen
Lande gefallen ijt. Euer ga Bruder hat
von en Gejponjin ein Knäblein gewon:
nen, Jo zu Johanni zwei Jahre zählen mag.
Sit aber die Diutter des Kindes aus dem
Leben vor einem Jahr abberufen worden
von biejer Erde.
Euer Herr Bruder felbjt wurde jchwer
verwundet und vermag feinen rechten Arm
nicht zu gebrauchen. Nun läßt er aus Hol:
[anb einen Brief an mich gelangen, in dem
er bittet, Ihr möget es zulafjen, daß er mit
dem Kinde me Sjerrenbrud) tomme. Er
vermißt fih auch, Friede und aft
en halten und bittet gar berglid), dak Ihr
bm alles Boje vergejjet.”
„Er bat alfo einen Erben für Herren:
bruh gewonnen!” jagte bas Fraulein.
„Bolt Ihr thm darob zürnen?”
Fräulein Gottliebe jdjüttelte den Kopf.
Hat mein Bruder in feiner Berblendung
öje an mir bes mit [o ijt es nicht ziemlich
= mich, Gleiches mit Bleichem zu vergelten.
itte Gud) barum, ifm zu Jchreiben, auf Her:
renbrud) würde alles gerüjtet, um ihn und
ben künftigen Freiherrn wohl aufzunehmen.“
Der Herr von Donop jeufate tief auf.
„Ihr wälzt mir einen jchweren Stein vom
Herzen,“ jagte er, „denn id) dachte, Ihr
würdet unwillig fein und (ud) des weigern.
Es hätte der Streit ein gutes Frejlen fiir
das Neichsgericht in Weblar werden können.
Möge Gott einen rechtichaffenen Mann vor
Prozeſſen hüten... So Ihr und Herr Adha-
tius heute mit mir fpeift, werdet Ihr einen
Petter bet mir finden, der feit bem Friedens:
ichluffe jhon zum zweiten Male nad) Weblar
reitet. irb fein Ende nehmen mit feinem
Streit vielleicht in fünfzig Jahren.“
Bern folgte das Fräulein der Einladung
ihres alten Bejchüßers. Auch [odte es fie,
Neues aus anderen Landjdaften des Reiches
zu vernehmen, denn in jenen Tagen er[ub-
ren bie Menjchen auf ihren Yandligen weni
von der Welt, und es fonnte geld)eben, bag
Nachrichten ein Jahr alt geworden waren,
ehe fie in aufhordyende Ohren froden.
Der Better aus den medlenburgijchen
Landen war ein freundlicher, breiter Junter,
der fid) ſchweigſam zu Tiſche lebte und feine
&innbaden zunächſt nur in Bewegung brachte,
um bie gute Nahrung kräftig zu zermalmen,
Dod nachdem er einige Flaſchen roten
Weines mit alle genoſſen hatte, zeigte
es fih, daß er fein Mundwerk aud) font qut
u brauchen wußte, denn fein Gett war voller
dinurrem und Abenteuer.
Da ber Rittmeijter ben medlenburgijden
Herrn feiner Gewohnheit gemäß fragte, ob
nicht ein Krieg in Auslicht ftünde, erzählte
er von einer [ujtigen Fehde, die ber legte
Herr auf Biirow gegen bie gute Stadt Goli-
wedel geführt hatte.
Der Herr auf Bürow hatte bet einem
Soltwedeler Brauer Bier getauft, ein bunfles,
Ichweres Bier, wie es in Halberftadt und
Einbed gebraut würde. Der auf Biirow
Kr mit zwei Freunden ein Fablein am
itertag ausgezedht, unb Dernad) babe fich’s
erfunden, daß im bem Yäßlein tote Maufe
RE jeien. Der von Bürow habe in die
tadt geld)rieben, der Brauer folle ein ander
Bier liefern und barfuj zu ibm herausgehen
unb um Berzeihung bitten.
Hatte die Stadt Soltmedel gejchrieben, in
Biirow gäbe es genug Mäufe, und es fei zu
unterjuden, ob es Bürowſche ober Colt.
wedeler Mäuje gewejen wären. Darauf fei
der Junter ergrimmt und habe gedroht, die
Straßen zur Stadt zu jperren. Hatte aber
die Rechnung ohne die furbrandenburgijden
Dragoner gemacht, bie bem luftigen Cer e
ein |delles Ende fegten. „Der Rurfiir
von Brandenburg,“ Ichloß der Better aus
Medlenburg, „hätte dem Hans Friedrich
pon Bürow ficher pardonntert, da Ables
noch nicht gejchehen war, Aber der Hitzkopf
brannte abends im Kruge, als die Reiter
ihn aufheben wollten, feine Bijtolen los. Ein
alter — — verſtand den Spaß ſchlecht
und jagte ihm ſelbſt heißes Blei ins Hirn. So
ging denn für ihn der luſtige Krieg gar übel
aus. Die auf Bürow aber ſuchen zurzeit in
der Welt herum nach einem neuen Herrn.“
Der Herr Achatius ſagte in Gedanken
verloren: „Waren doch meines Erinnerns
auf Bürow nod) drei andere Jungherren.“
„Sind Anno 47 alle Bürows an den
Blattern geftorben. Lebte banad) nur nod)
der Herr Hans Friedrid) unb die Tante
Unna Kordula.”
Der Rittmeifter Wdatius von Goller
wurde fehr blak. Mit weitaufgeriffenen
Augen [fdjaute er in die Runde, wie ein
Menjd, ber erwadt. Er fuhr fid) über bie
Stirn, als wolle er etwas fortjtreichen.
„Was ift Gud), lieber Freund?“ fragte
das Fräulein und jah ihn bejorgt an. Seine
Blide blieben in ihren Mugen getaucht:
„Wenn bem fo ift, wie der Junter erzählt,
wäre id) der Erbe auf Riirow, denn id) bin
von der Mutter der einzige des Blutes, der
dann nod) erbberedjtiat ijt.”
„So feid Ihr der Freiherr Achatius von
Gollern, nad) bem feit zwei Jahren pore
ergeben durch alle deutichen Lande?” rief ber
medlenburgijde Herr voller Staunen.
Und da der Herr Achatius nicht ja oder
nein [ugte, begann er in ibn gu dringen:
„Was zaudert Ihr nod) lange? Laßt Jatteln,
reitet hin und nehmet dic Güter ein. Gie gel:
ten als eines ber |chönften Lehen ber Mart.”
Der Rittmeijter wandte den Kopf lang:
fam zur Geite und jab Gottliebe an.
„€s ift Eure Pflicht, Freiherr!“ rief bas
Fräulein von Herrenbrud. „Wer fein or,
ejtammtes Land läßt, begeht Felonie an
einem ganzen Gejdledt!* `
Der Herr von Donop fügte hinzu: „Wenn
Ihr anibt noch länger auf Abenteuer be:
pue ollern, ba Euch bie Schollen Eurer
äter rufen, jo würde offenbar, daß der
Krieg edles Blut zu trüben vermag.“
Herr Adhatius antwortete auf diefe drin:
enden Reden nichts. Er vermochte feine
lide niht von Gottliebe zu wenden. (End:
fid) erhob er fid) und erbat Urlaub.
Am nächlten age fand ihn Fräulein
Gottliebe in feinem Turmgemad in Geban:
fen veriponnen.
Er verneigte jid) tief und jagte mit ſchwerer,
fuchender Stimme: „Was |djafft mir bie
Ehre, roule von Sjerrenbrid), dak Ihr
mid) felbjt in meinem Gemade aufjudt, ba
Ihr mid) bod) jederzeit rufen laffen tónnt ?^
Gottliebe Jab ihn milde an und erwiderte:
„sh weiß, Euer Leben ändert fih! Ahr
habt heute nacht viel abtun miijjen von der
alten Lebensriijtung, um leicht zu fein für
den neuen TFechtgang mit neuen Waffen,
denn id) gwerfle nicht, dak Ihr entichlojjen
fed, bas Erbe Eurer Vater einzunehmen,
as Gott Euch beftimmt hat. Indes habe
ih Eure Reife vorbereitet. Rudolf hat
Sattelzeug neu gerichtet. Ich habe ihm den
Iben gegeben, weil es ein altes, Dauer:
aftes Tier ift, und ein Handpferd ijt bereit
mit Deden und Mundvorrat. Co Ihr es
möget, finnt Ihr morgen in der Frühe auf
dem Ritt fein."
„Volt Ihr mid) fortweifen, Fraulein
Gott[iebe?^ fragte ber 9Rittmeijter.
„Würde Gud) immer bei mir behalten für
bas, was Ihr mir an Treue geleiftet habt,
oe Achatius,“ jagte Gottliebe, und ihre
ugen waren voll Sehnjucht. „Aber id)
ys es für Teufelei, wenn ein Weib einen
ann abbált von Beruf und Wert. Kommt
Ihr aber einmal wieder die Straße hierher
reen werdet Shr mir immer willlommen
ein als lieber Galt."
Der Herr Achatius erwiderte nichts mehr.
Er hatte die Finger der beiden Hände in-
einander geſchoben und preßte fie jo heftig,
daß die Knöchel fnadten. „Läßt mein Herz
tod bod) nicht von bier,” jagte er. „Dit mir
bod, als wäre id) angefdmiedet mit eifer-
nen Ketten, die niemand nicht fieht.“
Da rungelte Fraulein Gottliebe die Stirn:
„Wer mir felbjt fagt, er fei ein gebunbener
ave, den achte ich nicht für einen Mann.
Könnte es nicht glauben, dak Ihr Eure
Hand ruhen lajfet, wenn Gott Gud) jelbit
gebietet Aräugreifen und zu [djaffen."
_ Herr Udatius fentte den Kopf, als wäre
ihm ein verdammender Spruch vom Kriegs»
ericht aubiftiert. Er beugte fih, ergriff die
and des Fräuleins unb tüßte fie.
Am andern Morgen in der Frühe trat
e reiecta in ben Hof, Fraulein Gottliebe
von Herrenbruch erwartete ihn bei den Pfer—
bem. Cie penje jelbft jeden Riemen und
jede Schnalle nad. Beide Hände pU (ie
thm beim Abſchied. Sie jagte tein Wort,
mut ihre Angen ſprachen.
Das wehrhafte Frdulem d3:242€243€352423€ 383248. 50
Der Herr Achatius ritt zum Tore hinaus,
wie in einem Traum. In Prächten lag die
Maienlandichaft vor ibm, und als er ben
Kopf wandte, jah er aus einem (Gemadje
eine Frauenhand mit einem Tüchlein winter.
Als die Sonne im Mittag ftand, fand fie
den Herrn Achatius auf einer Raft in einem
ausgebrannten Haufe am Wege. Denn aller:
orts ftanden nod) Ruinen als Zeugen bes
großen Krieges, und um diefe verwüſteten Höfe
lagen die Äder vermooft, zurüdgewonnen vom
wuchernden Walde, verjunfen im SINE
Diefelbe Sonne, bie bem Herrn Achatius
und feinem Knechte beim Viable 3 und
den ag ae beim Grafen auf verwiijtetem
Ader, ſchaute aud) hinab auf das Haus
pereng, durch deſſen Räume das Fräu—
ein Gottliebe, ohne Ruhe zu finden, jchritt,
als fuhe fie, was fie verloren.
Und die Sonne ging auf und nieder einen
jeden Tag. Der Ichlante, hoffnungsgrüne
Frühling wid) bem gelben Sommer. j
Das goldene Korn ftand auf den Feldern
und neigte ſchwere Ähren, als Herr Achatius
diejelbe Straße, auf der er im Frühling
inausgeritten, zurüdtrabte.e Es wollte
bend werden. Am roten, heißen Himmel
ftand ein Dunft. Er ritt in den Stillen, leeren
Hof von Herrenbruch, [hwang fih aus bem
Sattel und |djritt ins Haus bimein.
Es war ftil und ruhig, denn bas Frau:
lein hatte bas Gejinbe zum Wbendgebet ver:
jammelt. Go gelangte er in bas Gemad
der Herrin und wartete bis fie fam.
Als Fraulein Gottliebe eintrat und Die
dunkle Mannesgeftalt in bem abendgeröteten
OC erblidte, prete fie bie Hände auf
die xs und atmete tief auf, als ſähe fie
eine Erſcheinung.
„Seid Ihr's denn leibhaft, 9[djatius ?"
fragte fie und da er nidte, fragte fie weiter:
welder Wind weht Euch zurüd? Habt
Ihr in der Heimat nichts gefunden, was
(ud) fe[tbielt ?
„sch bin gefommen, um Euch zu danten,”
ermiberte der Freiherr. „Als id) auf ber
Scholle bes Bodens ftand, ber meinem Ge:
Ichleht augebórt, wußte id), dak id) mid)
einwurzeln werde und daß bie Unraft ſchwin—
den wird, die mich umtreibt. Aber das alte
Haus liegt einfam in Wald und Bruh. Coll
es recht gehalten werden, bedarf es einer
Frau, bie im innern Kreije herrſcht.“
Das Rot im Fenfter ward dunkler. Die
Schatten im Raume erhoben fid) hod), wie
madjenbe, jchwarze Riejen. Nur bie Ge:
Hier und Hände der beiden Menjchen leuch-
teten nod) ſchwach.
„Seid Ihr gefommen, einen Kameraden
zu werben?“ fragte bas Fraulein mit tiefer,
erregter Stimme.
„obr wollt mir folgen?“ rief Herr Wha:
tius unb feine Worte flirrten, als zerbrächen
Ketten in ihm.
Sn dem dunfelgewordenen Zimmer hielten
fid) zweie umjchlungen und leken einander
nicht los.
- —
(Gind aus Des Merto
OCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC CC LE FFF IFIIFIIIIIIIFI III IPIIIIIIIIIIIIIIIDIIIIFIIIFIFIIIIIIIIIO
Künftlertraum. Cilvelter 1917
Bon Profeſſor Johannes Gis
jap in meinem großen, jdn
hergerichteten Atelier wie ein Fürſt
und empfing zu einem Felt.
Su meinen Füßen lag ein Hun:
derttauſend-Markſcheck als Magen,
unb bie Himmelsgöttin Phantafie, geſchmückt
mit Zapislazuli unb Amethyſt, ſchwebte mit
zaubervollem Lächeln um mid). Keine vor:
tragenden, feine nachtragenden Räte —
dafür ftanden Idealismus, Naturalismus,
Imprejfionismus, Rubismus und alle mög:
lichen anderen Ismen vor mir.
Als Zeremonienmeijter hatte id) an ber
Tür meine lange eiferne Bredftange poftiert,
die jedesmal an einen blechernen Waſſer—
eimer laut und vernehmlich jchlug, Jobald
ein neuer Gajt erichien, während neben ihr
ein gejchmeidiges Bleirohr als Hausdame
lehnte, bie fih vor jedem Eintretenden aufs
höflichite und anmutigfte pernetate.
Wie der Eimer zum erftenmal erdröhnte,
erjdjien auch gleich Der vornehmfte meiner
Gajte: Signore Marmor aus Carrara in
blendend weißem, reich mit Akanthus bejegtem
Habit, ein corpo di bacco... Dio mio! auf
den Lippen; fein nod) vornehmerer Better
aus Paros war leider unablömmlich, da er
bei feinem an Fleten leidenden Bruder auf
bem Pentelifon weilte. Mjo: Signore Mar-
mor mit Frau Bronze, geborenen Kupfer,
in jchimmernder Toilette à cire perdu —
einen mit einem Mäander bejäumten goldig
glänzenden Schleier umgebunden — begleitet
von ihrer älteren Tochter Patina, in jchönent,
malerijd) blau-griin oxydiertem Gewand,
Darauf der etwas leberfranfe Beitel Elfen:
bein, ganz in Gold gefaßt, was zu feinen
gelben Wangen und Händen vorzüglid) Honn:
mit Augen aus Opal und Adhat — ein Ab:
fommling eines gewijjen Phidias aus Athen.
Der führte die [d)ón geölte Frau Linda Holz
wie eine Madonna von Weit Stoß!
Dann tratidjte der alte Schlemmer Ton
mit weichen, |d)lappen Tritten wie ein Hippo:
potamus herein. Hinter ihm ber der jain
geichliffene Granit, ein Mann von feljen:
jejter Gejinnung, während fid) der von Sturm
und Wind verwitterte Mujchelfalt vom auf:
polierten Herrn Eijenguß einführen liek.
Cine Heine Pauſe, während der ich mit jedem
einige Worte wechlelte, dann erjchien ein allge:
mein angeltauntes, |hönes Brautpaar: Herr
Reidhgold mit Fräulein Silber, diefe in glän:
zender Toilette mit a jour gefaßten Juwelen,
begleitet von ihrer bejcheidenen Zofe Zinn.
Zum Schluß tauchte nod) ein ganz liebes,
reizendes Mädchen mit rübrenb naiven
Augen auf: Fräulein Terrakotta, die fid) oer:
pätet hatte, weil ihr Weg von Tanagra
ber jebr weit war. Cie war bejcheiden,
aber mit großem Gejdjmad gekleidet, wenn
ihr Roftüm aud) fhon etwas verbraudt und
die Farben jehr verbliden — |o daß von
diejen nur nod) Spuren übrig waren.
Am unjcheinbarften war, abgejehen von
feiner Majje, der weiche und gutmütige Herr
Ton. Diejer trug feine Kleider feucht auf
dem Leib, damit er weich blieb, weil er
jonjt — bejonders wenn er fih erbigte —
zu bart wurde und Gefahr lief zu plagen.
So hat jeder jein bejonderes Temperament.
Außerdem ging er ohne irgendwelchen
Schmud, während alle andern großen Staat
machten: fie waren poliert, ladiert, gefirnift,
geichliffen, fajtert, zijeliert und gepungt.
Der Blecheimer dröhnte wieder, unb es
erichienen von einem andern Eingang ber
Herr Wintel mit Frau Reißſchiene: er
jehr edig und fura — jie dagegen eine lange
Latte. Ganz belonberes Aufjehen erregten
bie Brüder Pinjel — der eine davon ein
richtiger Einfaltspinjel. Sie tamen mit einigen
Paletten, welche nod) voller Farbe waren.
Darunter das lichte Fräulein Oder: deren
Kippen dDufteten nad) Sandelholz, und am
Bujen trug fie ein Sträußchen von Parma:
veilden; ‘Fräulein Kremjerweiß, bet deren
Eintritt ji) der ganze Raum GC —
die Sntelligengfampen wurden erft fpäter
angezündet.
Ganz unerbeten erihhien zu meinem Er:
jtaunen nod) Herr Cdjlenbrian, zujammen
mit der wiijten Kofotte Kitſch, in ganz zer:
rijjenem Schlafrock Iotterig hereinjchlurfend
— beide wurden auf meinen Wint hin von
einem der Feltordner zurüdgewiejen.
Diele Feltordner traten jo recht in Funftion
als alle Gajte beilammen waren. Da war in
eriter Reihe der langbeinige Herr Zirkel, ber
dafür jorgte, daß alles in jdjónitem Kreije.
blieb. Dabei waren ibm bebilflid das
Ipindeldürre Fräulein Lot, die ruhige, og:
jittete Frau Wallerwage und ein rechter
Winkel von 90 Grad. Bon Beit zu Zeit
jaben dann nod) Herr Zollltod und Frau
Metermaß nad) dem Rechten.
Ich Hatte das Atelier mit den aller:
Ihönjten Gobelins geijhmüdt, auf denen
Landjdaften vom Olymp, von ber Afro-
polis und aus der Walpurgisnacht mit dent
DESSFIETEZT Profellor Johannes Gs: Künftlertraum. Gilvefter 1917 Ree 91
Peneios und mit jchönen, von der bleichen
Todesblume überwucherten Asphodeloswier
jen zu jehen waren. Darin ergingen fidh:
Zeus und Semele, Luna mit Endymion,
Plato im Gejprad mit Cofrates — von
Altibiades begleitet; Perifles mit feiner
Aſpaſia, dieje den Olympier: mit gluten:
den Augen zum Bau des Parthenon be:
geijternd; Deus, id) mit Hera zanfend,
und der gelehrte Doktor Fauft, wie er im
Sauberjpiegel die jchöne Helena erblidt.
Eine Landſchaft ge mir ganz bejonbers,
weil fie mich heimatlich berührte: bas war
die Burg von Nürnberg. Da jah man
Albreht Dürer — wie auf feinem Gelbft:
bilbnis —, Hans Gadjs, bie ‚Pfriemenweile‘
fummend, mit Adam Kraft, Behaim, Peter
Bilder und Beit Stoß aus ihrer Stamm:
fneipe in der Miorikfapelle an ber Sebalder:
Kirche fommend, mit Willibald Pirfheimer
aujammen den Burgberg ite or bear
Stadj»em alle meine Gajte jid) begrüßt,
umgejehen und angefreundet hatten, begann
das Diner; denn zu einer guten Stimmung
gehört ein wohlgefüllter Baud. Gerade zur
rechten Zeit famen nod) Herr Ciegellad mit
anz roter Nafe und Frau Briefmarke nebjt
Fräulein SBoftfarte — diefe von einer Welt:
reije nad) Pankow als unbejftellbar zurüd.
Das Arrangement des Diners hatten Herr
Eierjtab, Frau Hoblfehle, bie id) nod) von
meiners Baters — her beſaß, und
Frau Perlſchnur beſorgt. Mit Manna und
gebratenen Wachteln konnte ich der Kriegszeit
wegen nicht dienen; Kaviar gab's auch nicht.
Wenn nun das Mahl auch keinem lukul—
liſchen glich, ſo wähnten doch alle, noch viel
üppiger regaliert worden zu ſein. Denn ein
ganz ſeltener Zauber ließ die ramponierten
Teller und Gefäße als die auserleſenſten,
koſtbarſten Geſchirre und Becher erſcheinen.
Zu meiner eigenen Verwunderung ſchaute
das Atelier wie der allerſchönſte Speiſeſaal,
etwa wie der eines indiſchen Nabob oder
eines Dollarkröſus aus. Der Fußboden er:
glänzte in fein|tem Mojaif, in bem aus far:
bigen Steinen bie verlodenb|ten Cpeijen ein-
elegt waren: Hummer, Falanen, Wild:
Ichweine und Rehe; Auftern, Aal und Fo-
rellen, bie begehrteiten Früchte... jo, dak die
Gäſte glaubten, jie wären ihnen auf der Tafel
vorgejegt worden. Ich merkte ſehr wohl, wie
jie ſchmauſten und jchmasten, und hörte, wie
Diefer das Perlhuhn, jener die gebratene
Turteltaube, ein andrer den Rheinlads als
das gelungen|te der Gerichte pries. Gie
waren außer fid) vor Bonne, Anne ich
nod Lifdr von gejchmolzenen Perlen der
Kleopatra bringen ließ, wovon id) nod) eine
Amphora voll hatte.
Dak alles gut flappte, dafür jorgte bas
vorzügliche Küchenperjonal: da waltete Die
alte, eingefahrene Frau Drehicheibe mit ihren
Mädchen, dem Fräulein Gummiball, der
Spachtel und dem jchon etwas reiferen Frau-
lein Gliederpuppe mit wahrem Biereifer.
Nur bie Heine Wajleriprige war unzuvers
läſſig. Abgeſehen davon, daß fie ein gewij-
jes Verhältnis zu Herrn Ton hatte, war
überall gleich ein najjer Fled, wo fie ging
oder ftand, denn fie ledte gern. Zahlreiche
Reißzweden [tanben und liefen als Pilfolos
herum, während Frau Staffelei, zuſammen
mit Frau Modellierjdlinge, gut —
Ein ſchönes Mädchen ging mit ftrahlen:
dem Lächeln um den Tijd beri und jdjentte
jedem aus einer goldnen Schale ein: Am-
brojia mit einem Schuß Humor. Das war
bie Freude, ber ſchöne Götterfunten, ‚Tochter
aus Elylium‘ von Schiller, die über bas
Altägliche erhob.
Während der Mahlzeit flogen ‚Geflügelte
Worte‘ umher. Das eine plapperte immer:
zu: „Der Gott, der Gijen wadjen ließ“, „Üb
immer Treu und SReblidjfeit", das andere:
„Soweit die Deutlde Zunge Hingt“, „Der
wollte feine Knechte!“ Wieder eines hatte
ein Maul wie eine laufende Schuld, und
Ké fam ein ganzer Schwarm geflogen,
0 bap gar nichts mehr zu verjtehen war.
Als die Gajte nod bie Spargel in Die
Lange zogen, hielt ich eine turze Anſprache,
in ber id) ihnen für ihr Gridjeinen dankte
und glei Horaz jagte: „Durch euch non
omnis moriar!“ Als id) nod) der Bereit:
willigfett und tüchtigen fork meiner Ge:
jelen gedachte, quinquilierten jie alle, flirr-
ten Beifall, flapperten und ftampften. Einer
der Gajte erhob fid) und erwiderte mit einem
Panegyrikus auf mich, worauf ich mid) be:
idjeiben abwehrend verneigte.
Es fam auch nod) ein balancierender Knabe
in feiner urjprünglichen Geftalt, ſowie ich ibn
am Lützowufer tm Berlin auf dem Gelan-
der habe pendeln jehn und wie er mir dann
Modell gejtanden: Silvio, ein Heiner, ſchmut—
iger Stalienerjunge; diesmal nicht mit Kon:
— ſondern er hatte jetzt einen viel grö—
eren Kaſten age und rief, die Tafel
umfreijenb , in urfixem Berliner Jargon:
„Figuri, Figuri! Gauft [heene Gipsfiguri!
Meine Erreſchaften — allerjcheenjte Figuri
von Erren Profefjore!” Und erzielte damit
einen viel größeren Erfolg — einen Profit,
den er mit feiner Landsmännin, meiner
Wajferjdhipferin, welche er von der National:
galerie her fennt, redlich teilte. —
Nun wurde laut ein Extrablatt ausge:
rufen: „Wilfon, ber Snbianer!... Willon,
der Indianer!” Das erregte ungeheures
Aufjehen, denn fein Inhalt ließ den harteften
Granit erbeben, das Herz des Herrn Eilenguß
ihmol} wie Butter, und Frau Linda Holz
zitterte wie Ejpenlaub. „Wiljon fühlt jid)
als Häuptling aller Indianer und fegt
auf jeden deutjchen Stalp einen Preis von
1000 Pfund Sterling. Die graujame Prozedur
wird von den (Gnglánbern à la Baralong
jportmagig betrieben, und 2000 Holzſchiffe
ind bereits im Bau, die wertvollen Trophäen
ins Land bes legten der Mobifaner überzus:
führen. Außerdem wird jeder amerifanijche
Soldat mit einer Bibel ausgeriijtet, die zu:
gleich als Bombe dienen fann.“ —
(IBS: KRünftlertraum.
einen Daumen vom Koloß von Rhodos,
den Bart von der Sphinx des Pharao Chefren,
den Cdjilb der Pallas Athene,
eine San Alexanders des (Groben,
eine Klaue von Fajner, der den Nibelungen:
Hort gebiitet,
das Zepter Karls des Großen,
den Meißel Michelangelos,
das Ei des Kolumbus,
den Krüditod des Alten Frig,
Napoleons Dreijpig mit bem TFeldherrnblid
darunter,
bie Redftange, an ber Turnvater Jahn feinen
erjten Klimmzug verjuchte,
Bismards Pallaſch und feine drei Haare in
Ju enditilfaflung,
die eilens, filber« und goldbenagelte Wiege
Hindenburgs,
bie Milchflajche, aus ber Ludendorff mit Stra:
tegie gejäugt wurde,
einen gigel des ehemaligen Fliigeladjutan:
ten Mackenſen, den er bei mir im Atelier
hatte liegen laffen,
einen großen, ſchweren Beutel, indem der erfte
bal gie auf Zinjeszins liegt und fid) vere
mebrt.
WM meinen Gajten gingen nun erft bie
Augen auf, und fie jaben, während Chro:
nas feine Bahn weiterzog, wie die allerjüngjte
von feinen Töchtern — es war bas zwan:
igfte Jahrhundert — fiir einen Augenblid
p hielt unb ein ganz feines, lebendes
elen mir jorglid) aur Ceite legte, indem
jie SER jagte: „Da dir jede einzelne Minute
dein Leben lang lieb war — [o bejdjer' id)
dir heut zu deinem Felt ein ganz junges
Neues Jahr! Mög’ es dir recht viel Freude
bereiten.“ Und dann eilte fie ann nad,
Bewegt drängten meine Bälte auf mi
zu und gratulterten mir herzlich, einer na
dem andern — jeder auf Gene Art. S
aber ergriff behend meinen Pofal, der bis
an den Rand mit — Hoffnung ge:
Hilt war, und rief laut, in begeijternber Et:
itafe: „Das Neue Syabr! . . . Es leben alle
guten Geijter! Und unjerm Vaterland den
allerehrenvolljten Frieden!“
Da breitete fih über aller Geficht ein hei:
terer Schimmer, und ein jeder gab fid) einer
roligen Stimmung Din. Es dauerte gar
nicht lang — fieh, ba öffnet fid) die Tür,
und es erjcheint mein alter Freund Humor
mit einigen der beliebtejten von feinen Galgen:
vögeln. Das waren: Der Humorijt Ober:
länder als Gatyr von Pans Gnaden, der
Dramatifer Wilhelm Bujd als Doftor ber
Philofophie honoris causa, welder Titel ibm
von einer Fakultät zur CErforfdung der
Seelenfunde verliehen worden war, und der
Gimpltailfimus im anum der Eijernen Jung:
Iron in der TFolterfammer zu Nürnberg,
mit Dijteln und Stechpalmen in der Hand,
mit einigen feiner beliebteften Mitarbeiter:
Gulbranjjon und Th. Th. Heine darunter.
Der erjte — Oberlander — wirfte unge:
mein bebaglich dE feine Gemütlichkeit;
der Doktor ber Philojophie Buſch frappierte
Silvefter 1917 BESesesesesed 93
wie „Bieten aus bem Buſch‘. Während diefe
beiden wie mit hellem Gonnenjdein in bte
allerdüfterjten Herzen leuchteten, verlegte
ber Simpliziſſimus durch fein ftachliges Ge:
wand, wenn er auch zuweilen den Nagel
febr gut auf den Kopf traf: „Man darf
aber auch feine Trauben von den Dornen
unb feine eigen von den Dijteln erwarten!”
Alle dret liepen fih über Leidenſchaften,
Tugenden, £ajter, wie über jchlechte Gewohn»
heiten unjerer lieben Mitmenſchen vernehmen,
und während die meilten der Zuhörer fid
vor Laden ftugelten wie Rollmöpje, befreu:
Kär fid) bie Prüderie wie eine fromme
etichweiter, obgleich fie eben mod) einen
zweiten Frühling erlebte.
Nach biejem Intermezzo wurden Lebende
Bilder gejtellt, die, weil bie Intelligenzlam:
pen nicht genügend funftionierten, nod) durch
bejondere Genieblige erhellt wurden. Gie
wären [|djlieBlid) aber gar nicht nötig ge:
melen, denn bald darauf fhidte Sirius feme
belliten Strahlen, und Aldebaran verklärte
alles mit rojigem Licht.
In meinem fleinen Atelier nebenan hatte
id einen Rauchjalon eingerichtet, in dem
aus langen tiirfijchen Pfeifen — wurde,
in die hinein ich unter den Tabak Haſchiſch
emiſcht hatte — neugierig zu m wie Der wits
en würde... Gin Alldeuticher fah Wodan
und Donar mit feinem Hammer auf hohen
prabijtorijdhen Menhiren figen, den Helden:
mut der deutjchen Krieger bewundernd und
all feinen Annexionsgelüjten gujtimmend.
Ein Demofrat fal nicht nur das allgemeine,
gleidje Wahlrecht, jowohl für Frauen als
aud) für Kinder auf dem Wege, jonbern
forderte aud) noch laut bie Wiederfeier der
Saturnalien, bei denen bie Armen zu Tijche
figen und von den Reihen bedient werden
würden, Bei einem jonjt jdetnbar ganz Harm:
Injen fam feine wahre Gejinnung zutage: er
jah Laſſalle, ben „Begründer ber wahrhaft-
deutſchen Nation” — wie er ihn nannte -
burdjs Brandenburger Tor mit feinem
Roten Fuchs‘ — Der Helene von Dönniges
— einziehen, dort feierlich und devot begrüßt
vom alten Kaifer jamt Dellen ‘Baladinen.
Da bieler Schwärmer fid) aber bei Tijch zu
febr übernommen Hatte, fo fam ihm feine
weitere Schilderung nicht mehr vom Herzen,
jondern — alles aus bem Wagen: jo wie
es einjt bei Lajjalle bem armen Hans von
Bülow ergangen war, Wieder einer Jah Ta:
Jon KSE ae jden, aus denen ein Heer
von SHindenburgbiijten erwucd)s, bie derart
grimmig dreinichauten, daß es unfre Feinde
qraujte. Als jchließlich bet einem der Raucher
Brößenwahn ausbrad und er nicht nur
Schiller zitierte: „Millionen Jorgen Dafür,
daß bie Gattung beitebe, aber durch wenige
nur pflanzt bie Menfchheit fid) fort,“ jondern
auch jehr dringlich eine ihm würdige Ge:
nofjin aur Beweisführung forderte — da
ließ ich von meinem EN Feuerſchwamm
ein paar Stinkbomben legen... und alle
famen bald wieder zu lich.
04 Iesse SCans Bethge: Neujahrsiprud [B£343€3€3434343€3434353531
Mod eine ganz bejondre Freude war mir
beichieden: Klirrend und bróbnenb — ein
Elmsfeuer auf der Lange — erfdien mein
Acilleus aus Korfu! Er batte bas Gelumpe
der dortigen Eindringlinge, bejonders den
Bettler, den König von Serbien, ber ibm
Schmollis angeboten, fatt und wollte an bie
deutjche Front, den ‚Stall Europa‘ mitzu-
jaubern — vorher aber bod) nod) die Stätte
\ehen, wo er entjtanden fei. Er dankte mir für
die Mühe, bie id) mir mit ibm gegeben, und
iprad) die Hoffnung aus, daß wir uns bald,
recht bald ‚drunten im Land ber Phäaten'
wiederjähn. Sprach jodann begeiltert vom
Kaifer, küßte meine Kinder, ließ meine Frau
grüßen und eilte davon. We, alle waren
von feiner Pracht und feinem edlen Feuer
wie geblenbet!
Zum Schluß war dann dod noch Herr
Marmor aus Paros erjdjienen — das Met:
den feines Bruders auf bem Pentelifon war
war unbeilbar, aber nicht bebentlid). Und
wollte er nicht verläumen, mir aud) feine
Aufwartung zu maden. Er witterte, daß
vorher ein bedeutender Landsmann bage:
wejen und war gerührt, daß er nun bod) nod
den Boden betrat, auf bem der Sohn der
jilberfüßigen Thetis fura vor ihm gejtanden.
[les drängte um ben Mann, aus dem
nod) STAR Wig und fofratijde Philojo-
phie [trabIte. Er erzählte von ber Wande-
rung Der Geelen durch bie verjchiedenen
ormen des körperlichen Wejens, jprad) von
per Muſik ber bimmlilhen Sphären und
gab jchließlich nod) ein prächtiges Nätjel
zu ratem, über bas fic) ſchon attijche Whend-
gejellichaften amüliert hatten: „Ein Mann
und Dod) fein rechter Wiann wirft nad) einem
Vogel und doch feinem richtigen Vogel, mit
einem Stein und bod) feinen rechten Stein 2”
... Und als wir uns alle vergebens die Köpfe
zerbrachen — dies nur bilblid) genommen —
da gab er bie Löſung: Ein Eunuche wirft
nach einer Fledermaus mit einem Bimsitein.“
Co brachte ber Helene nod) attijches
Calg in meine Behaujung — aber das Felt
LÉI
am
ANAKAN AAAA rk?
JOQOWOIOIOKYOIOIOINQINOINIOQINO|OIOIOIO}
Ic
8
b
Neujahrsfprud
Ein Jahr ift fura, ein Jahr ift lang,
Sit voller Luft und Überſchwang,
Bol Langeweil und Weh.
Wir kleben jeufzend an der Zeit
Und jaujen bod) mit Spharentlang
Won Ewigkeit zu Ewigfeit
Wie Wind und Gand und Tee...
Hans Bethge
TIA OIOIOMOMOAOIOOOMMOIAOATOIOOOIOIOIONOMONOAOIAOMOACACICIOIOMOOKAIOOIA Ar A 2X
endete bod) anders als id) mirs zum zwei:
ten Male würde träumen laffen.
— — — (Es endete damit, daß die Illu—
fion, welde den ganzen Abend um uns
webte, nadydem De nod) goldene Apfel aus
ben Garten ber Hejperiden verteilt und Duft
von Wiyrrhen und Ambra verbreitet hatte,
ber fogar die Melancholie beraujdte — pop
bie Slufion, geldjmüdt mit [djónen antifen
Rameen, fih ganz allmählich in eine verblühte
Tuberoje verwandelte, die fid) entblätterte.
Die Bälte rauften fid) um die fallenden
lIilienförmigen Blätter, und diefem Vorgang
folgte eine Jolche Erniidterung, daß mand)
zartes Band, an biejlem Abend erit ge-
fnüpft, fid) jchon wieder Lotte, Ja, ein eben
erit angelpi&ter Bleijtift eritad) — jet, da
taum das Neue Jahr das Licht ber Welt
erblidt — erftad fogar Fräulein Glieder:
puppe, in die er fid) verliebt hatte, als er
erfonnte, daß fie nur ein mit fenjchem,
trodnem Stroh gefülltes Wejen — feine
Venus von Milo war.
Reine Lenormand hätte mir je voraus:
gelagt, daß mein Felt mit fold) einem débacle
enden würde! 9irgerlid) langte id) zu, meine
Bäfte allejamt in den großen Tontajten zu
werfen, nachdem id) fogar den Fategoriichen
Imperativ vergebens zu Hilfe gerufen. Sie
webrten jid) aber dermaßen, dab id) alle
meine Kräfte aufbieten mußte, ihrer Herr
gu werden, Und wie ich den jdjmeren Det-
el dann endlich über ihnen zuwarf — da
ſpürte id) bas gar an meinem eignen Leibe!
— — Davon erwadte ich... und fand mich
mit einer großen Beule, jo groß wie bie
Ratella, die Kniejcheibe des Ajax (wie ein
Diskus) neben meinem Bett auf dem Bo-
den liegen — Sogar mein Hundert-
tauſend-Markſcheck, der jid) bod) zum Hundert-
undfünfzigtaujend:Marfiched vermehrt hatte,
war verichwunden.
Nur nod) einen Apfel aus den Garten
der Helperiden hielt id) in ben Händen: der
war, als td) näher zujah, eine Schrippe aus
bem erfien Kriegsjahr 1914!
—— —
.
glototototototototototorototetetotetorerototorórotoróretototorotorotototototetororotok Xototototototoroeror NZ
CXotototetotototo:
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4
OLAKO AOKNAA
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& Neues bom Büchertifch e
Bon Rarl Streder
OC€CCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC CCE IF IIIIIIIIIIIDIIIIIIIIIIIFIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII30
Gord Fod, Sterne überm Meer, Tagebuchblätter (Hamburg, M. Glogau) —
Walter Flex,
Der Wanderer gwijdhen beiden Welten.
Abendmahl (Münden, Ostar Bed) — Klara Hofer, Bruder Martinus.
Bom großen
Ein
Bud) vom deutichen Gewijjen (Stuttgart, J. G. Cotta jhe Buchhandl. Nachflg.) — Ru:
dolf
Der
ergog, Die Stoltenfamps und ihre Frauen (Ebenda) — Rudolf Strag,
ilerne Mann (Berlin, Uljten & Co.) — S
obann Gillbof, Gurnjafob
Swehn, ber Wmerifafahrer (Berlin, Verlag der Täglichen 9tunbjdjau)
Won Deutjchlands heiligem Frühling,
jener früh bingeopferten Männer-
jugend, bie rings um des Vater:
wie ein edler
Kranz, Knoſpe an Rnojpe oe:
ichlojfen, liegt, wehen aus zwei Kriegergrä-
bern verwandte Geiftergrüße heran. Vom
Stagerraf ber eine, von der Snjel Ziel
der andere, tommen fie mie out Möwen—
Ihwingen daher, und ihr Meereshauch bat,
tert flüjternd in zwei aufgejchlagenen Bi:
dern. Gord Fodund Walter Flex —
deren Graber wie zwei weithinausgeitedte
Grengmarfen beutjdjer Meeresjehnjucht auf
fremden Eilanden liegen, von Wind und
Wellen umraujd)t — : wer hat euch totgejagt?
Gerade euer ebel|tes und höchſtes Leben ift
uns gerettet, und es war mehr als ein Wort:
bild, wenn ich von den Beiltergrüßen |prad),
die im den Blättern eurer Bücher raufen.
Man braudt nur wenige Seiten der Tage:
buchblätter Sterne überm Weer ge:
leſen zu haben, und fhon jtebt Gord Fod
lebendig vor einem, Der Finfenwärder
Jung’ mit ber Matrojenmüße auf ber freien
Stirn, mit den lachenden blauen Augen.
Auf feinem Geficht wie in feinen Büchern
ijt lautere Natur zu lejen, frildjer Seemanns»
jinn und heiße Liebe zur Heimat, vor allem
aber zum Meer und zum fröhlichen Seilen
(Segeln). Ein Dichter tann von einer Elbinjel
aus einen Querfchnitt durch die Welt legen.
(Bord) God war feine Heimat alles. „Unjere
Alpen,“ fchreibt er in biejem Buch, „find
untere Wolfen — ewig wandelbar und
ewig ſchön.“ Und an anderer Stelle: „Die
Heimat ijt ber Schlüjfel zu der Seele des
Menihen. Dann aber gibt es Mtenichen,
bie ber Schlüffel zu ihrer Heimat find.”
Gord Fod gehörte zur diefen Menſchen, er
war ber Gchlüjfel zu Land und Leuten
feiner Waterfant; fein deutjcher Dichter hat
uns bas Meer fo in feiner ganzen Herrlich»
leit und Gefahr gejungen, wie er. Das
Laden nennt er fetne "A ungmüble“, er hat
es als Heiner Junge on elernt, wenn
er auf feines Baters, des Hochleefilchers,
Gegelihiff an Bord fein durfte. „Als
Mutter fnüttenb auf den Lufen fak, als
Bater fröhlich:ernit am Ruder ftand, und
Rudolf unjere Fod bejorgte... Der große
[done Ewer Hüfte — ein Wilingboot, ein
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EOM landes Grenzen
«o
Königsihiff! Im Sommer wars — bie
grauen Segel flogen.“ Und bod) war Gord
tein gebantenlojer Schwärmer. Won ibm
jtammt bas jdjóne Wort: „Tu fannjt dein
Leben nicht verlängern noch verbreitern:
nur vertiefen, Freund.” Es tjt einer Ddiefer
„Sterne überm Meer”.
Gord Fod hatte es nicht leicht in feiner
Jugend. Not unb Entbehrungen blieben
ibm nicht er|part, aber fie waren für diejen
tapferen, ftarfen Menſchen wohl nicht jo
\hlimm wie der Zwang eines untergeord-
neten Berufs und aufreibender Tagesfron.
Er rang fid) durch und verlernte bas Laden
nit. Gerade war man auf feine erjten
Schriften aufmerfjam geworden, Ruhm und
Glück lachten ihm, da brad) der Krieg aus.
Er erlebte diefje Schickſalsſtunde Deutichlands
jo tief wie wenige. ,Romme was fommen
mag: id) halte mehr in Händen als id) je
zu halten glaubte, und Tonn bod) fterben,
wenn Deutjchland jterben foll! Deutichlands
Schidjal ijt aud) mein Gdjidjal!^... „Aber
aud) Dann, wenn viele Deutiche wieder in
ihren Alltag aurüdjinfen, wenn fie bas
ichöne Bleichgewicht wieder verlieren jollten,
jo wollen wir, will id) dod) feithalten, will
erade bann und Deshalb treu fein und
leiben. Die Saat Deler Zeit fol mir
niemand vertreten, und fein Unfraut foll
mir Dagwijdenfommen.” Er wurde einbe:
rufen, aber nicht, wie er es erjehnte, zur
Marine; er[t als er viele Monate fid) zu
Lande ausgezeichnet hatte, wurde ihm fein
Wunſch erit, er wurde zur Rriegsflotte
verlebt, als Beobadter hod) im Maſtkorb,
im „Krähenneſt“ der Wiesbaden, mit ber ibn
dann in ber Schlaht im CSfagerraf bie
Gee nahm. Dort war [djon fein Grogvater
und fein Oheim geblieben. Auf einer einen
idjmebijdjen Inſel, Stensholmen, liegt er
begraben. Mit höchſt jeltjamer Sehergabe
hatte er biejen Tod jdjon im Frieden vor:
ausgeahnt. In feinem Tagebuch findet fid)
Anfang Juni 1913 die merfwürdige Stelle:
„Im Skagerrak müjjen wir fein, wo Klaus
Mewes ertrunfen ijt. Daß fein Geift und
feine Kraft über mich fommen mod,
ten.” Den legten Sak follte jeder Deutiche
von Gord Fod auf fid) übertragen. Der
Beilt und die Kraft bieles ftarfen, lachenden
Menichen, an dem nichts faljch oder ver:
00 pf Karl Streder: Lë eet
bogen, nichts flein ober tribe war, bietet
fi in feinen Werfen wie ein tarer Jung»
brunnen unjeres Schrifttums. Und id) bin
überzeugt: wer bieje Tagebücher gelefen hat
oder aud) nur in ihrem Anhang die wun:
dervoll jrijdjen Bedichte: Matrojenlied, Tang:
lied, Mein junger Leutnant, Ob ich dabei
bin oder niht, Mien Gung to fien 5. Bes
burtsdag — der wird das Verlangen haben,
auch die anderen Bücher biejes ungewöhn—
2 fraftvollen Dichters, bie Erzählungen
,JStorbjee", „Seefahrtiftnot”, „Hein:
Godenwind” ujw., die im felben Verlage
erichienen find, tennen zu lernen. Er wird
nicht enttäufcht werden.
ine jcheinbar völlig andere Jtatur als
Gord) Fod ijt Walter Flex, der junge
Thüringer, aus einer Gilenadjer Gelehrten:
familie jtammend, jelber ſchon ein angehen:
der Gelehrter. Und bod): hat man beide
Dichter gelejen, jo findet man, daß unter
biejer äußeren Berjchtedenheit im Kern dot
Weſens eine ſolche Übereinjtimmung herr) dt,
wie fie nur gwifden zwei Dodjfinnigen
deutſchen Dichtern, bie €eper und Schwert
emeinjam im Wappen führen, möglich ift.
Die oben wiedergegebenen Worte, bie Gord)
pee in Der großen Schidljalsjtunde des Kriegs»
eginns |prad), würden fih auch im Munde
von Walter Flex nicht fremd ausnehmen,
vielmehr als ein inniger Ausdrud feines Det:
ligjten, opferjreubigiten Empfindens gelten
fónnen, In feinem „Wanderer zwijchen
beiden Welten“ fapt bicjer junge Leutnant
feinen Dienft fo auf: „Leutnantsdienft tun,
eißt: feinen Leuten vorleben, das Bor:
terben ijt Dann wohl einmal ein Teil
davon.” Bet ibm ift es jo gewefen. Ils
er auf Ofel fief, fümpfenb und fiegend,
feinen Leuten vorjterbend, da hatte er biejer
Tod ſchon oft innerlich erlebt, er fürchtete
ihn nicht, „Doch in ber ſchwächſten Stunde
aud) flebe ich nicht um mein Leben’ hatte
er im , Wanderer” gejungen und nur darum
gebeten und gebetet, daß eine frajtloje Stunde
nicht feine legte fet. Und Diejer Starte
fonnte Doch von [eltenjter Zartheit fein.
Im „Großen Abendmahl” Debt „das Weih:
nadtsmarden bes 50. Regiments“ — es
gehört zu den [djónjten Projadidtungen, die
je ein Krieg hervorgebradt hat. Und im
„Wanderer zwijchen beiden Welten” hat
Walter Flex einem gefallenen Freunde ein
Denfmal errichtet, von dem man wirklich
vorausjagen tann: aere perennius. Bes
ſchreiben läßt fid feine Schönheit mit ihrer
heimlichen Friſche fo wenig, wie die Herr:
lichkeit eines erwachenden Friihlingsmorgens.
Es find nur ſchmale Bandden, die Diejer
Krieger Binterlajjen Dat, aber diefe reinen
Wltarflammen eines berufenen Opferprieiters
werden nod) leuchten, wenn die BWeltfeners:
brunjt unferer Zeit längit erlojchen ijt.
Gord) Gord und Walter Flex! Geijter:
rüße aus Deutjchlands Deiligent Frühling
nd ihre Bücher, Wie rein und groß waren
diefe früh Gefallenen; in ihnen lebte das,
was wir alle von unferes Volkes Zukunft
— eine neue Jugend, ſtark und kühn,
die das Leben liebt, Wolken, Wieſen, Wald
und Waſſer; die mit herzandrängendem
Jubelgefühl wie im Entdeckerrauſch hinaus:
türmen will in die Ferne und Weite, alle
riſchen Winde eines neuen Weltglücks mit
hrem Stirnhaar ſpielen zu P — und
bie bod) in Augenbliden ber Not [djweig.
am unb pflichttren auf ihrem Heimatboden
tebt, jederzeit bereit, fiir ihn bas Herzblut
zu ver|trómen. Bon foldjem Sterben fprad
einer Diejer beiden einft bas Wort: „Großen
Geelen ijf ber Tod das größte Erleben.”
Wenn man von bieler Höhe kommt,
ift es nicht leicht, fid) fogletd) in bem MN-
tagsgewühl des Biichermarftes zurecht:
zufinden und nad neuen Werten zu fuchen.
Da fehe ich eine Brüde, die beide Welten mit:
einander verbindet. Auh Klara Hofers
Roman „Bruder Martinus” ift fein
Alltagsbuch. Wud) in ihm lebt ein hoher und
Hartert Ginn, ein unüberwindlicher Krieger:
geift, bem feine Höhenjehnfucht fremd ift —
ber Beilt Martin Luthers. Mit gutem Be:
badjt fann man fagen: fein Geiſt [ebt—
wirklich in biejem Buch. Eine feltene Fran
bat es gejchrieben, eine von denen, bie es
gu ben jtürfjtem und männlichiten Geelen
iebt. Diit tiefem 3Berjtánbnis ijt fie früher
Friedrich Hebbels Spuren nadgegangen
und hat in zwei Büchern von dem Ringen
und Werden Diejes durch fid) felbft gewor:
denen Dichters ein er[taunlid) bedeutendes
und verjtandnisvolles Zeugnis abgelegt.
Diesmal wählte fie feinen geringeren als
den großen Reformator zum Borwurf, und
aud) bier hat fid) ihre Hand nicht zu ſchwach
erwiejen für jo gewaltigen Wurf. Rein ge-
Ihichtlic) und dod vilionär beginnt bas
Rud; in einem gehaltvollen, abgetlarten
Etil wird uns fnapp, aber mit lebendiger
Farbigkeit Das Bild der Zeit gezeichnet, in
die Bruder Martinus hineinwädlt. Bewun:
dernswert ijt es, wie Klara Hofer biejem
Kebergeijt verfteht: wir erleben fein langes
Sagen und feine verzweifelten Geelentampfe
ebenjo innerlich mit wie feinen Überwinden:
mut, der [angjam zur Zuverficht und zu
fröhlicher Sicherheit ihre Bet aller Runft
der Umweltzeichnung bleibt Klara Hofer
ber Hauptiade volltommen gewadjen: aus
dem Fühlen und Denten Martin Luthers
heraus uns ein „Buh vom deutichen Ge:
wijfen,“ jo lautet der berechtigte Untertitel,
gu geben.
Bg RB BE
... Kürzlich hatte id) eine Unterredung
mit einem befannten Berliner Buchhändler,
Dellen Laden gedrängt voll Menfden war.
Trog Papiernot und jchlechten Zeiten hatte
bas Gejhäft nie fo geblübt wie jet. Na:
mentlich Unterhaltungsbiidher wurden be,
achrt: vor ein paar großen Gtapeln ftauete
EIFSSSFTSSISSFSSSTE Neuss vom Biidhertijd) BSS3SSSSS3334 97
jiġ die Raufermenge, es waren Guder-
manns Zitauijdje Geldjidten, Herzogs
Ctoltenfamps, in einigem ?[bjtanb davon
fam Straß mit feinem Eiſernen Mtann, wah:
rend bie majjenhaft auf den Markt gewor-
fenen Erzählungen bes Kurt Wolffſchen
Verlages im Verhältnis zu ihrer Reklame,
die vor feiner Whgejdmadtheit zurückſchreckt,
nicht jo Dorf begehrt wurden, vielleicht ge-
rade weil dem Deutjchen im Grunde feines
Weſens dies yankeehafte Anjchreien Doch zu-
wider ift. Nun war mir befannt, daß trog
Deler Erſcheinung — bas Weihnadhtsgeichäft
hatte 1917 bedeutend früher als jonit em:
gejegt — die Erzeugung im deutjchen Schrift:
tum während des Krieges madjgelajjen
hatte. Während 1913 nicht weniger als rund
35000 verjchiedene Bücher und Drudhefte
bei uns erjchienen waren (fidjerlid) ein um:
gejundes Zuviel), fant die Zahl der Buch:
titel im zweiten Kriegsjahr jhon auf 23558
und ift jegt infolge bes Bapiermangels nod)
weiter zurüdgegangen. Gleichwohl jtebt
Deutichland verhältnismäßig noch immer an
ber Spike Der literarijdjen Erzeugung.
Dah aber ber Bücherabfag im vierten
Kriegsjahr geitiegen ijt, hat zum Teil feinen
Grund wohl in der Schwierigkeit, Bejchenfe
anderer Art aufzutreiben. Dafür bietet die
neuere Unterhaltungsliteratur bequemjte Ge:
legenheit, ohne Bezugichein unb a A mär-
denbajte Preije, aud) ohne mit Erſatzſtoffen
vorliebnebmen zu müjjen, etwas zu faufen.
Denn bie altbewährten Lieferer in biejem
Fad) haben nod nicht verjagt, im Gegen:
teil, der Krieg unb was mit ibm zulammen»
hängt, bietet banfbaren Boden gerade für
den Unterhaltungsroman und wird natur
gemäß N ausgenußt. Schon im Fries
ben find für dieſen Literaturgweig Stoffe,
bie von vornherein die Möglichkeit von 31:
und Unfällen, wie von rajd) fortjchreitender
SH bieten, erwünjcht: Militär, Sport,
olonien, Börje, Polizei, Parlament, Hof-
leben, &unit, Diplomatie, Reifen ujw. Denn
da dieje Romane met vor ber Buchausgabe
in Zeitungen oder geo ctm abgedruckt
werden, jo muß ber Wunijch bes Redafteurs
nad) Rationierung des Romans, jo zwar,
daß jedes einzelne Maß der Tages: oder
Wodengabe in jid) eine gewijje Spannungs:
traft belibt, berüd[idjtigt werden. Weitere
Münjche bes Redafteurs deden fic) met
mit bem des Buchverlegers: der Unterhals
tungsroman darf niht zu flah, aber aud
nicht zu tief fein, er muß Fragen behandeln,
die IandLaufiges Snterejje haben; Tendenz
ijt möglichft zu vermeiden, erotijche und reli-
iöje, auch politijche Sagen (inb mit Zurüd-
attain zu behandeln — jo ijt auf allge:
meine Beliebtheit ohne Anjtoß, mit anderen
Worten auf Majjenabjak zu rechnen.
Die beiden vorliegenden Romane von
Straß und Herzog, den beiden Rudolphen,
erfüllen dieje Forderungen vollfommen, fie
haben darüber hinaus nod gewijje a
werte und find darum in ihrer Art erfreus
lid. Beide Verfaſſer haben es gejchict ver:
ftanden, Stoffe zu wählen, die, obwohl durd:
aus zeitgemäß und lebendig, Doch die eigent-
lihen Kampfhandlungen Hug vermeiden,
deren allzuhäufige Schilderungen nad) Omp—
teda und anderen id)mer zu überbieten find.
ergog fnüpft in feinem Roman Die
toltenfamps und ihre Frauen an
jeine befte Überlieferung: bie 9Bistottens an,
ben Arbeitjang feiner Wuppertaler Heimat.
Diesmal darf er nod) auf größeren Begehr fei-
nes Werts rechnen, denn die Könige des rhei-
nijch = wejtfäliichen — Snbujtriegebiets, die
Rrupps jelber, ihr Familienleben und thr ge:
Ichäftliches Werden find unter ben .Ctolten:
tamps: zu verjtehen. Wir erleben fie durch vier
Generationen: ein tüchtiges, aller Ehren wer:
tes Gejdledt. Neben dem Ablauf bes Fami-
lienlebens werden die verjdjiebenen Entwid-
Iungsitufen bes groben Snduftriewerfs, mit
ihren Nöten und Rüdjchlägen, ihren Zufällen
und vor allem mit der ftahlharten Cnergte
der Inhaber romanhaft veranjdjaulid)t. Mit-
unter mutet bie Darjtelung etwas marlitt-
haft an, mandes ijt überdeutlich und eine
leichte SE Sat in ben Mutterjzenen er-
innert an ‚Herzblättchens Zeitvertreib‘. Da:
für jpürt man immer Herzogs innere Bes
wegung, wenn er auf die Schilderung feiner
engeren Heimat, ber jchönen Sibetnlanbe
fommt. Da KS man mit. Sm übrigen
Happert bie geldjidte Technik des Zeitromans,
ber einen guten Stoff verarbeitet. Nur bas
lebte Kapitel pruntt in einem anderen Rleide.
Herzog verfällt hier, um die Bedeutung des
ausbrechenden Weltgewitters auch äußerlich
u fenngeidjen, in einen ſchwungvollen
—— der ein wenig nad) Kraft-
meierei und Phraſe [djmedt. Cr erinnert
an den polternden Galopprhythmus mit
taufend Ausrufungszeichen und |teten Wieder:
holungen der gleichen Worte, den wir aud)
in ber Herzogichen Kriegsiyrit jo oft finden.
Ein Gegenjtanb von ber Bröße diejes Welt:
frieges aber bedarf bes Bombajtes jo wenig
wie ber Chimborajjo eines Ruppeldad)s ober
einer Tiegichen .SBeltfugel.
Den Anfang des Krieges als Ende benubt
aud) Rudolph Strag in feinem Cijernen
Mann nur nüdjerner und jadlider als
Herzog. Straß judt, wie |djon im ‚Deutjchen
Wunder‘, die Faden flargulegen, die gum
liriprung, zur Schuld und zum erften
Verlauf des Weltbrandes führen. Dort
—F er den Größenwahn des ruſſiſchen
anſlawismus zum Ziel genommen, hier
aus eigener Anſchauung — denn Stratz kennt
Paris und ſogar, was für einen Deutſchen
mehr fagen will, Franfreid) — den Revanche—
Bann jenjeits bes Wasgaumwaldes, wie
er, (hon im Frieden, Jahr für Jahr drohen:
der wurde. Mit bem Zwangsverfahren bes
zwedjuchenden Stoffjichilderers wählt er feine
Geftalten fo, daß bie Handlung bald in Berlin
unb in Potsdam, bald im Eljaß, bald in
Paris, bald in Rom fpielen fann. Ein jolches
Verfahren ijt einfacher als der Laie glaubt,
Belhagen A Rlajings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bd. 7
O08 dERRRPB Karl Ctreder: Neues vom 3Büdjertijd) AZKARRA
ber Verfaſſer nimmt einen Parijer Politifer,
am bejten, wie bier, nad) greifbar deutlicher
Vorlage einen alten Hitfopf und Nevand)e:
fanatifer, Dellen Frau eine Italienerin ijt
und Delen Sohn vor dem Kriege im Eljaß
wegen Spionage verhaftet wird. Wenn dann
nod) bie Tochter biejes Deutjchfrejiers, der
in aris eine große Rolle fpielt, an einen
elſäſſiſchen Reidstagsabgeordneten verbhei-
ratet ijt, Der fiir Deutichland ijt, während
jein Sohn als franzöfticher Offizier Fällt
und nebenher ein badijder Fabrifant, der
zugleich ſozialiſtiſcher Arbeiterführer ift, den
Weg zu einer adligen Potsdamer Generals:
tochter findet — jo hat man ungefähr bas
Fadenſyſtem betjammen, das Diejer Webe:
arbeit zugrunde liegt. Den Einſchlag be-
jorgen Die allbcfannten Gejdjebnijje des
Kriegsverlaufs. Trog diejem allzu mecha:
nijden 9*Berfabren und dem etwas lauten
Klappen ber Majchine ift ber Roman nicht
nur fefjelnd durch feine ungemein lebendige
. und wechjelvolle Schilderung, er tft aud) ein
Seitdofument, in dem mit Umjicht und Ent:
Ihiedenheit aus den *Bolfsdjaratteren heraus
bas Ungeheuerliche diejes Weltringens er:
Härt wird. Es jeßt da manchen jdjarfen
Geitenbieb aud) auf bie jchwachen Geiten
der Deutjhen ab. Go, wenn ber alte
Franzoſe bei einer abrt burd) Berlin
ih lächelnd die Hände reibt angeljidts
der Hunderte von FFirmenaufichriiten in
idledtem Franzöliid und wenn er in
einer Aufgeblajenheit, freilich jdjief genug,
dazu meint: „Es ift bas ſchlechte Gewiljen.
Ziele Stadt empfängt das Ausland mit der
Höflichkeit eines Parvenus, weil fie jid) ihrer
Unebenbürtigfeit bewußt ift. ^ Golde Über:
hebung, meint Straß mit Redt, ware nad)
1871 nicht möglich geweien, [ie war erft ent:
jtanden, jeitbem Deutjchland ben Erdball
mit Freundjchaftsbezeugungen überjchüttete.
Und gerade wir, Die wir in Berlin leben
und Daher bas bewundernswert Tüchtige
Diejer 9[rbeitsitabt tennen, werden dem ts
tenjchilderer recht geben, der von den äußeren
(finbrüden der Straßen im Fremdenviertel
jagt: „Was bier auffallen jollte, mußte
Ichreiend und bunt, was man bewundern
jollte, aus Dem Ausland fein. Sm endlojen
Reihen raften bie Autos durch den lauen
Sommerabend zu Ijadora Duncan und der
Bawlowa, zu Carujo und der Duje. Parijer
Gbebrudjtüde lodten an den Litfaßjäulen,
ein Bartjer Conférencier zeigte den Deut:
Iden Eleganz, ein Barijer Schneider den
deutjchen Frauen die Sjojenróde der Parijer
Halbwelt, ein Parijer Aſthet die Körper:
fultur, Ein Franzoje in Amt und Würden
lebrte bas mulifaliichite Wolf der Erde die
Grundlagen ber Muſik, ein belgijder Pro-
fejjor das Volk des fortgejchritteniten Kunſt—
gewerbes bie Runftreqeln. Allons, ma pe-
tite!“ mabnten die franzöfilchen Bonnen.
Die Scshuleute zeigten bird) Armbinden, dak
He franaofild) konnten. Franzöſiſch waren
die Speiſekarten und bie Bejchäftsjchilder.“
— Es war nun freilich der verzeibliche Irr—
tum der Ausländer, daß fie dies Stüd der
Friedrichſtadt für Berlin oder gar für
Deutjchland hielten. Aber was hat diejer
Irrtum uns gejchadet!
Jn eine ganz andere Welt fühlt man jid)
verjeßt, wenn man nad) derartigen geichteften
Unterhaltungsromanen bewährter Technifer
ein Buch zur Hand nimmt wie „Jürnjakob
Swehn, Der Wmerifafabrer”, von
Johannes Gillhoff. Ein Wußenjeiter,
der liber Die zunftmäßig abgejtedte Bahn
des Literarijden munter hinweggaloppiert,
ein unverfälichtes Bolfsbud. In einem
halbzerfallenen Strohdadfaten Medlenburgs
wird SMirnjatob als Sohn eines Tagelühners,
eines Yirmiten der Armen — und Dod) unter
einem tanzenden Stern geboren. Ein Funfe
fällt in das Hüttchen; ein ungewöhnlich
Heller Geijt rumort früh in dem Jungen und
läßt ihm jeine Umwelt bald zu eng werden.
Neunzehn Jahre alt wandert Jürnjakob nach
Amerita aus. Zwei Jahre dient er Dort
als Knecht, und jdon dünkt es ihn an Der
Reit, fid) jelber Haus und Herd zu gründen.
(£r zählt fein Geld; es find 350 Dollars.
Damit macht er fid) auf bie Freiersfiige und
geht zu einer benachbarten Landsmannin,
zu „Miejchen“. Ich laffe ihn nun feine Lie-
beswerbung jelbit erzählen, die mit ihrem
trodenen Realismus und nüchternen Bauern:
verjtand geradezu einzig tit: „Es war Gonn-
tag nachmittag. Gie Lë mit dem fniütt-
ſtrumpf (Stridjtrumpf) vor der Tür. Ich
lebte mid) auch auf die Bank. Wir jpraden
vom Wetter und von ber MWirtichaft. Als
das bejorgt war, fragte ich: ‚Wiejchen, wo—
viel Geld haft bu gujammen? Cie bolte
ihren Beutel. Sie hatte qut 200 Dollars.
Sch legte meine 350 daneben und jaate:
Sd) weiß da eine teine Farm in der Nähe
von Springfield. Es find nur zwei Kühe
und zwölf Schweine da; aber für ben An-
fang ijt Das genug. Syd) will fie pachten,
wenn du mit mir gehen willit.‘ Cie faltete
ihre Hände und fudte eine Weile vor fih
bin. Dann jtri fie über die Schürze.
Als fie bas getan hatte, jagte jie Ga und
gab mir die Hand. Giehe, fo find wir
Brautleute geworden, und von dem Tage
an war id) glüdlich.“
So Icheinbar nüchtern, aber immer fej-
ſelnd durch feine fraftvolle Urjprünglichkeit,
erzählt Dies Buch das ganze Werden, Ramp:
fen und Gmporiteiaen jener Stedelung und
bebt fid) zum Schluß zu einem geitdofument
empor, Das für Den amerifanijchen nteil
an diejem Gewirr von Volferfampfen höchſt
fennzeichnend, der Klarheit, wie ber vater:
[ánbtid)en Treue biejes einfachen Mannes
das befte Zeugnis ausjtellt. Das Ganze ift
die Robinjonade eines Farmers, aejd)rieben
in ferniqem Bauerndeutſch, voll innerer
Wärme bei Scherz und Grnit Denn der
I\chalthaftebehaglihe Humor Frig Reuters,
Jeines $'anbsmannes, fehlt fo wenig wie Der
Gram eines tiefen Herzens.
^
"9999090900909909909909090000009000000000090900090000090000009000000000000000009900000000000900909000900000000»92009000000000900000
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General ber Infanterie Otto von Below, ber Führer ber beut[d)en Armee gegen Italien
Aus der Reihe der Bildniffe aus bem Großen Kriege von Prof. Arnold Buſch
Einzeltunjtblätter im Berlage ber Photographiihhen GBejellichaft, Berlin: Charlottenburg
q4**09009200050000000000000900009009000009099000200009000909099005000900000000000000000000/048€900000090000000900000000000000000000000000000990000000092900000000909000090000000000000000090000000009000090990
® Slluſtrierte Runoͤſchau &
e KEKE KEKE e t CEE LE CEKE CECE CECE CECE CCEKC LECCE CE KCC IT IF IIIIFIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII30
Gin Rembrandt-Fundim SchlofjjezuBerlin— Kriegstagebühervon Ernit
Bollbehr und Prof. Max Slevogt — Holzbildwerte von Stanislaus er
en bes Berliner Kunſtgewerbe—
— Weitidrift zum 50jábrigen
ee?
jeums: Berliner Eijenfunftguß. Bon
)(* Kit 0,GYO ) 5 — (PAS) (9) 6) DPOC (9A6 OAG) Site AG) OAS) DOIG
Unie ben äußerit zahl:
reihen Bildern im
Beli des preußilchen
Köntigshaujes — es find
ihrer mehr als 10000 —
gibt es jelbitverjtändlich
\ehr viele, bie zurüdge:
Delt find, weil man fie
des Hängens nicht mehr
für wert eradjtete. Ab
und an wird aber aud)
unter Diejen nod) ein
wertvoller;Fund gemadht.
Co entbedte jüngjt Ge:
heimrat Prof. Paul Sei:
del, Dem ja bie Runft-
jammlungen in den Kü-
niglichen Schlöſſern un-
terjtellt find, einen ohne
weifel ecdten Rem:
randt, über ben, bejtá-
tigend, jebt Exzellenz
von Bode tm Jahrbuch
der Königlich Preußiſchen
Sun[tjammlungen' berichtet. Es handelt fih
um das Bildnis eines Ruſſen, das, wie nun—
Im Rampfgraben. Verkleinerte Wiedergabe aus
bem 2. Bande der ,Rriegstagebiidher” des Malers
Bollbehr (Verlag F. Brudmann A.G. in Münden)
Studientopf eines Ruffen. Gemälde von
Rembrandt. Unlängft entdedt im Königl.
Schloſſe zu Berlin
u:
ermann Shmig— Zu unjern Bildern
ER EE EE EE E EE
ees
mehr feitgeitellt ijt, aus
dem Jahre 1661 jtammt,
alfo aht Jahre vor bem
Tode Rembrandts ge:
malt worden ijt. ie
aber fam er zu jeinem
Model? Herr von Bode
gone auch dafür eine
öſung gefunden zu ba:
ben. Er nimmt an, daß
ber Meifter in 9Imiter-
bam auf eine griechijch-
orthodoxe Pilgerkara—
wane geltoßen jet, Die
auf der Fahrt nad) bem
gelobten Lande begriffen,
in der großen niederlän=
bilden Hafenjtadt län-
gere Zeit feitgehalten
wurde. Längere Zeit,
denn es läßt fid) nach—
weijen, daß Rembrandt
erade 1661 eine ganze
nzahl Bilder gemalt
* die in einem gewiſſen Zuſammen—
ange mit dem neu aufgefundenen ſtehen.
„Er las,“ ſchreibt Geheimrat von Bode, „in
den herben, ausgearbeiteten Zügen die Ge—
ſchichte eines Lebens voll Not und Kampf,
von Entbehrung und Freudloſigkeit, aber
gemildert durch den Ausdruck ſtiller Ergebung
und ber Sehnſucht nad) Rube und Erlöſung.
Gerade banad) aber rang er jelbjt nad all
bem jchweren Unglüd, an bem er fih jelbjt
mitjduldig fühlte, diefen Frieden Juchte er,
verlajjen und betrogen von der Welt, mit
aller Kraft des Glaubens zu erringen.“ —
Der Breslauer Prof. Arnold Bujd bat
eine Reihe trefflicher ,Bildnijje aus bem
großen Kriege‘ erjcheinen laffen, aus ber wir
diesmal das Bild des jet joviel genannten
Generals der Infanterie Otto von Below
(Seite 99) veröffentlichen. Wir dürfen viel:
leicht in bas Gedadtnis unjerer Lefer zu—
rüdrufen, daß General von Below zu Ans
fang Des Krieges bas 1. 9telerveforps führte,
dann an der Spike der 8. Armee vor Riga
Honn, darauf an ber mazedonijchen Front
und, vorübergehend, eine Armee in Flan—
dern befebligte, bis ihn die Oberjte Heeres:
leitung auf bie a. 3. wichtigfte Stellung,
zur — der 14. Armee gegen Italien
i Gein Name wird für immer in der
preußijchen Heeresgejchichte unter den erjten
jtehen. — Bon Prof. Arnold Buſch ftammt
aud) bas Bild bes Kriegsmalers Ernjt Roll:
behr, ber in dem vorliegenden Heft durch
BESSSSSSISSSSSIZTZA WMuftrierte Rundihau BSSS3SB3S33334 101
"| ablehnend über Die
x Möglichkeiten ber
(uu — Kriegsmalerei. „Kunſt
"en it Gejtaftung," jagt
er u.a, „was fie nidjt
deuten fann, verjagt
fid) ihr. Diefe auf den
Kopf geltellte Umwelt
(desKriegsichauplaßes)
wird ben Menjchen in
uns tief treffen, den
Dariteller abjtoßen.
Das treuefte ‚Bild‘ von
ihr wird das móglidjit
erbarmlide Panopti—
hum geben.“ Propbete
rechts, Prophete links
— und ob die Wahr:
heit aud) bier in Der
Mitte liegt, wäre
nod) zu erweijen. Bei
aller Bewunderung des
großen Könnens Mei-
Her Slevogts tann aber
= ~ 7 — o : -
EF. TE *. paw > WESS
= ine: * -
A -
`
Bildnis Des RKriegsmalers Ernft
Rollbebr. Zeichnung von Prof.
Arnold Buſch. us dem 2. Bande
der ,friegstagebüd)-r" bes Mas
lers (rnit Vollbebr (Verlag
vg. Brudmann A.-G. in Münden)
feinen großen Beitrag ‚Abs
wehrihlachten‘ vertreten und
unjeren Lejern auch durd
frühere Beiträge wohlbefannt
ijt. Ernſt Bollbehrs Kriegs-
tagebücher erjchienen in zwei
itattlidjen Bänden bei %.
Brudmann in Münhen, und
wenn man diefe durchlieht,
ftaunt man immer aufs neue,
nicht etwa nur über die tünft-
lerijche Leiftung, |onbern über
die Findigfeit und Ausdauer,
mit denen der Maler zu jchaffen
veritand. Zu jchaffen unter
den denkbar jchwierigiten Ver:
haltnijjen; gleichviel ob von
einem Baumwipfel ober einem
Schornftein aus oder vom
— herab, jedenfalls
alt immer ‚unter erjchweren=
ben Umijtänden‘.
Es wird wohl erft einer
jpateren Zeit vorbehalten
bleiben müjjen, in Rube
Stellung zu den verjchiedenen
Arten und Abarten ber heu:
tigen Kriegsmalerei zu neh:
men. Aber fejjelnd ijt es
heut fdjon, ben ,Wfrobaten
des Pinjels‘ eine jchöpferijche
Kraft wie bie von Max Gle-
vogt gegenüberzujtellen. Auch
von ibm liegt ein Rriegstage-
bud‘ in glanzvoller Ausitat:
tung vor (Berlag Bruno Caf-
jirer in Berlin). Slevogt nun Gefangene Alpeniäger im Mittelichiff ber St. Pierrefirdhe in Douai
A rus x N ieb be eines Bildes in bem ,Kriegstagebud von
äußert fid) boot tritijd, ja ES EST Stevogt” (Verlag von Bruno Cajfirer in Berlin)
102
E
nicht verſchwiegen werden, daß jeine
‚Kriegsbilder‘ nicht jonderlich zu fef-
jeln vermögen. —
Stanislaus Hell ijt ein Tiroler
Kind und einer von denen, Die
ganz bird) fid) jelber geworden jind,
was fie find. Er hat bie Ziegen
gehütet, entdeckte früh bie Begabung
aut Holzichnigerei, bejudte die Schniß-
ſchulen zu Hal und Innsbrud, fam
nah München und Wien, wo jid) feine
Runjt zur Plaſtik größern Stils und
zur Malerei erweiterte, Schließlich
Bıldnisbüjte in Holz (bemalt) von St. Hell
Madonnenrelief. Holzbildwert von Stanislaus Hell X
|, Inapp gewor:
| Die
Sluftrierte Rundihau Iesel
jiedelte er nad) Berlin
über, wo er feit Jah-
ren mit Erfolg wirft
und zumal durch jeinein
Holz gejchnigten Bild-
nijje reiche Anerken—
nung gefunden hat. —
as Königliche
Runftgewerbe- Minjeum
in Berlin fonnte in die-
jem Jahre auf ein fünf-
sigidbriges Beſtehen
zurüdbliden. Aus diez
jem Anlaß ijt eine ſchön
ausgejtattete Feſtſchrift
erihienen (Verlag F.
Brudmann in Mün—
chen), in ber fid) Her-
mann Gdmig im be:
|onberen mit Dem .Ber:
liner Eijenfunjtguß‘ be-
\häftigt,” von deffen
Erzeuqnijjen bas Mu—
jeum einen reihen Shag beligt. Wir haben in den
Heften bereits wiederholt bem Eiſenkunſtguß unjer
Interejje be:
wiejen, weil
wir überzeugt
jind, daß er,
jahrzehnte—
lang weni
beachtet, ich
zu neuer Gel:
tung durch—
ringen wird.
Und zwar
nicht nur, weil
uns durch den
Krieg Kupfer
und Bronze
den find, fon-
Dern weil er
esan fid) ver:
dient, belebt
Au werden.
in Der
Feſtſchrift
wiedergegebe—
nen Werke
und Werkchen ſind faſt ſämtlich in der einſt hoch—
berühmten Berliner Königlichen Eiſengießerei her—
geſtellt worden; ſo wurde denn auch die Feſtſchrift
zu einer Geſchichte jener denkwürdigen Anſtalt, die,
1804 gegründet, neben Induſtrieerzeugniſſen und
Kriegsmaterial von Anfang an hauptſächlich künſt—
leriſche und kunſtgewerbliche Arbeiten herſtellte; übri—
gens gingen, ſeit 1822, auch Bronzegüſſe aus ihr
hervor. Erſt im Jahre 1873 wurde die Gießerei ge—
ſchloſſen; die Erbſchaft ging an inzwiſchen empor—
gekommene Privatgießereien über. Viele ihrer klei—
nen Schöpfungen werden heut von Sammlern heiß
umworben. So nicht zuletzt die vielfach reizvollen
Neujahrskarten, die mit 1805 ausheben und bis 1848
fortgeführt wurden. Es iſt ganz vergnüglich, ſich heut
Die Neujahrskarte von 1818anzuſehen, und wir bilden
Diejes gerade hundert Jahre alte Stiid deshalb ab. —
Bildnisbüfte in Holz von Stanislaus Hell
B SÉ 4 SUuftrierte Rundichau
Kleinbüiten: Fichte Bergrat Werner Herzog von Braunſchweig-Ols
Wus der Berliner Riniglidhen GilengieBerei. Wiedergaben von Lichtdrud:B dern in Hermann Cami,
Berliner GifentunitguB. (Berlag F. Brudmann A.G. in München)
Wir haben bereits oben des Prof. Arnold | Vorhang abheben läßt, das verrät die fidere
Buih alstreffliden Zeichners gedadht. Das Meijterhand. — Aus der langen Reihe
Titelbild des vorliegenden Heftes zeigt ibn | unjerer übrigen farbigen Einjchaltbilder
von einer anderen Geite: möchte id) aunádjt ein
es gibt ein Gemälde von = älteres Gemälde heraus:
ihm wieder, einen unjerer Deben, eine der Perlen
fernigen U:3Bootsmünner. der Hamburger unit:
Kraftvoll hebt fic) ber halle: Wäjcherinnen am
ichöne, wetterharte Kopf Tiberftrand von Franz
von dem lichten Unter: Dreber (zw. ©. 414 und
rund ab, flar bliden die C. 45). Ein geborener
ugen in die Weite, feder Dresdener (geb. 1822), hat
Wagemut und harte 3á- Dreber fajt fein ganzes
higfeit |predjen aus bem Leben in Rom zugebracdht,
gebräunten Gejidt. „Es in Dejjen Nähe er au
wird geichafft“, bas ijt bie 1875 jtarb. Troßdem [fait
rechte Unterjchrift zu bem alle großen deutjchen Mu-
Bilde. — Neben ben ‚Ins leen Werte von ihm be:
terieurs‘ (id) möchte einen figen, blieb er verhältnis:
Preis für eine gute Über: mäßig unbeadtet, wozu
tragung des Wortes aus: fein Wejen viel beige:
jegen; ‚Innenraum‘, ‚In: tragen haben fol. Im
nenteil‘, wie Duden ver: Anſchluß an die Runft der
deutjcht, flappt denn dod Rod und Preller malte
nicht redjt) find Still- er feine wunderbaren ita-
leben‘ allerart jet bejon- lienijden Ideallandſchaf—
ders beliebt und zumal ten. — Swet Frauen:
‚Blumenjtüde. Es madıt geitalten mögen jid) an-
fid) freilich gerade für bte reihen: ein Bildnis von
legteren, leider, ein blu- Rudolf Sjejje (nad) ©. 56),
tiges Halbtönnen bedent- ehr fein und vornehm in
lich breit. Wher ein Bild, uffajjung und Ton; bas
wie die ‚Gelben Altern‘ Werk eines jungen Mün-
(Gm. ©. 8 u. 9 eingelchal« cheners, ber, wenn wir
tet) von Carl Piepho an: recht unterrichtet find,
zujdauen, ijt ein wirklicher 1917 zum erjten Male im
Genuk. Wie ber Münche— Blaspalajt ausgeftellt hat.
ner Siinftler (übrigens Dann, zwiſchen Seite 96 u.
1869 in Frankfurt a. Mt. 97 eingejchaltet, ein über:
geboren) fein Gtilleben aus frijdjes, lebhaft wir:
aujammengebaut, wie er | ^ — d tendes Bildnis von He:
nile ore Beat in Mis — Ze, b. (p das
itte hingejtellt bat un he ie (iler larit ruftbild eines Mädchens,
id) von dem duntelblauen (Aus Hermann Saute, Citentuntigus) das — jehr hübic) erbadt
104 Alluſtrierte — eet
— ein Heines plajtijdjes Werk in der Hand hält. —
Unjer alter, junger Freund Prof. Hanns Pelar in
—— * gab uns feinen lujtigen Bodjprung' we
88), ein fedes Faunbildchen, bas [turf an
— phantaſiereichen erjten Merte erinnert, mit
denen der Meilter in München feinen jungen
Ruhm begründete. — Stimmungsvoll wie immer
Më fid) Der — Stuttgarter Prof. Ro—
ert Pötzelberger in ſeinem Dünengemälde; ang
einfad) und eindringlich die) . 52). Ic)
Jprad) oben von künſtleriſchen ifenarbeiten i älterer
Zeit und ber Möglichkeit, daß das Gijen bei den
Bildhauern unjerer Tage wieder zu Ehren gelangt.
Da ijt es denn fejfelnb, fold) ein neues Wert zu
jehen. Hans Schwegerle, $'übeder von Geburt (geb.
Briefbeihwerer (Aus H. Shmi, Berliner Eijentunitgup)
1882), aber jeit SE erfolgreih am Iſarſtrand
tätig, wo er auh unter Prof. W. v. Ruemann ftu-
Serie gehört zu den er|ten, bie bas Wagnis unter:
nahmen, Wir geben bie von ibm gefdajfene ifen-
te in einer
—V und
einer order:
anficht (auf ei
nem Blatt hinter
Geite 64 verei-
Tintenfab. (Aus Hermann Schmiß,
: Berliner GilentunitguB)
nes Gemäldes ein, bas bejondere Be:
adtung verdient. ‚Kriegswinter‘ nennt
es ber Riinftler: mögen unjere Lejer
jelbjt die Bufammenjtellung der ver:
tees auf dem Bilde verewigten
otive, in denen die Beredhtiqung der
Bezeichnung liegt, ergründen: von bem
trauernden Paar im Vordergrunde bis
m Dampfenden Lofomotive oben. —
in heiterer Klang tönt uns aus ber
Radierung von Prof. Alex Edener
P E bem ‚Hausquartett‘ (nad
72). — Bradtvoll find bie einzel:
SC Gejtalten und die Köpfe ber vier,
gan in ihrer Tonwelt aufgehenden
Zo und wohl Dilettanten. —
Zum Schluß wieder einmal ein Bild
aus unjerer lieben Heimat in einer
fünftlerijchen
Aufnahme von
(rnit Schneider
(zw. ©. 60 u. 61).
Das bier mei:
P `
me
fterlih wieder:
nigt), um Die j gegebene Schloß
ftarfe Eigenart EC Hartenitein liegt
bes Wertes zu ii unfern 3widau
fennzeichnen: bie H und gehört dem
eine langges H — Ge⸗
treckte Ropfform E. chlecht edv
und das früftige || burg; das gleidh-
ihöne Profil. — |j namige Gtädt-
Bon Hans Balu: N den ijt Sr
ichef, dem Ber: " E Die
liner Ge eſſioni— urtsſtätte on
lan Go — la iot - großen
zwiſchen den Gei- tederdichters
: Meujahrstarte für 1818 der Berliner en Eijenaießerei :
ten 80 u. 81 bie E Aus te Sainte. — Dies: ad, m Paul Sleming.
Wiedergabe ei: (Verlag F. Brudmann 91.:Q. in Münden) $). v. Sp.
Monats heften, Berlin W 50. — Für bie Sdriftleitung verantwortlich: Hanns pon Zobeltik in Berlin.
— Für Siierreih -Ungarn Herausgabe: Fricie & fang, Wien I.
Verantwortlidher Schriftleiter: Otte
| Frieje, Wien I, Bräunerftr. 3. Verlag: Belhagen & fllajing in Berlin, Bielefeld, Leipzig, Wien.
Drud: Fiſcher & Wittig in Leipzig.
|
| Nachdruck verboten. Alle Redte vorbehalten. Zufchriften an die Schriftleitung von Velhagen« Klaſings
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iler; mögen —
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n liegt, ergrunden: IM ke
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nden Lotomotive 0 - Seite
r Klang tönt se + Deutihe Seele. Ein Bud von
von ‘Prof. Ale wm imat, Wanderichaft und Lie be.
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dem bat: n Johannes Höffner . . 105
Bradhtool jm e Robert Sterl. ner Dr.
em und die Köpfe vr Paul Shumann Mit dem
rer Tonwelt ORT" Bildnis des Künftlers, vier Kunſt⸗
und wohl Diletta ` beifagen und dreizehn T-xtbildern
B wieder einmal m 5 " in ilebrud . 129
e lieben jone Ki Der manner von Reihenbera.
E" eck Milt:
Aufnahme E ii nsty Tam 142
EP roi oho ` Veutihlands riebenspolitit
| (med ME vor bem Welttriege. Bon
Wi 57 M E Max Sens . 144
| o cp Ecce homo, Gedicht ron Bern:
| gegeben $ hard Schäfer. . 148
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1 * i mp; LE Carl Bulde . . 149
und (OT ER lde Schwäne. Gedidt von
ii. Die E.Ulbredt: -Doujjin . 153
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uërg ei P E Sobeltig: IV. Übergangs:
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—* ggbeltit Bes alticum. Ron Dr. B. e
—* Sant, T tberm von Madan. . . . 171
echt ur | jot we auf dem Bardan:
: MB | ol. (ine Erzählung aus Ulba-
— on Borwin Garlis (Bort
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Theaterbrieg aus Wien. Bon
gubmig Siridfel» Mit zehn
Dern in Zondrud nad) photo:
oa Aufnahmen aus den
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und Gutmann . . . . - 194
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KRunjtiammeln — Bevorftehe bes. `
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Rriegsmedaillen ES = A?
Bildern. . . . — 2
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Bildnis ber Brinzefjin Adal:
bert von Breußen. Ge älde
von Prof. Walter Peterjen _
Fakſimiledruck . . Sitelbi
Dora. Gemälde von Prof. Ga 24
von Marr. Falfimiledrud 120-1
Schiffszieher an der Wolg ur
Bemälde von Prof. Robe GH
Sterl. Faffimiledrud . 28—12
Szenenbild aus s „Ariadne auf `
Naxos”. Gemälde von Prof. Ro |
bert Sterl. Fatfimiledrud 132— 32—1X
Hofordmefter in Peterhof. joy
mälde von Prof. Robert Ster UR
Salfimiledrud -~ . 3 — -ii
Begräbnis im Felde. Ge
von Prof. Nobert — Fat d,
fimilebrud . . 40—1
Der jhwarze Ritter. Gemälde
von Prof. Hans Looj den. b |
imiledrud . . 152- de
Sphinx. Gemälde von ‘Eugen À
Djjwald. Fatjimiledrud ` 176— 1
Pergola bei Cappuccini &
itubie von Prof. Carl Seopold
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mälde von Robert Sahn: Tone `
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Die Kathedrale zu Laon d
Radierung von Prof, Conrad St
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von Otto Pilz. Tondrnd 184 1 X
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Volkes im Dienſte ber Menſchlich⸗
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Umydlagzerdynung und Bucfhmud val
Seinrid) MWiennd in Dresden. 4
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Worderer Anzeigenteil >
Darunter folgende Sonderabteilungen:
Töchterpenſionate. e '
Hnterridtsanitaltem.
Seilanftalten
Hotels.
Pinaeigemnteil am ‘Smlug.
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Bildnis ber Prinzeffin Adalbert von Preußen
Gemälde von Prof. Walter Peterjen
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Fin Buch von Heimat Manderfchaft und Liebe
SA BonZJohannes Sóffnec AW
ben bet ber Windmühle über dem
Dorf lag Karl Asmus auf bem
Baud, ftredte bie bloßen brauns
De roten Füße in die milde Luft und
bütete die Büffel. fiber ibm fuhren die Winds
miiblenfliigel gleich ausholenden Schwertern
faujenb und ächzend vom Himmel nieder, als
wollten fie ihn mitten burdjid)neiben zwijchen
Hoje und Wams, mußten aber zur rechten
Zeit ausbiegen und konnten ihm nichts an-
haben; nur ihr pfeifender Drud [trid) an
feiner Warpjade wie ein falter Atem vor:
bei und wirbelte das [ture Haar durdeins
ander, das jo gelb und bell war wie hinten
am Horizont die Dünen im Sonnenjcein.
Da hinten von den Dünen her fam feucht
und falgig und fanft der Wind, trug einen
Gerud) von Teer unb Tang aus der Welt
mit fih, pfiff und Jang in den Sproffen unb
Cplintfegeln der Flügel, als [pielte Peters
mann, der Zigeuner, auf feiner Harfe;
es war ein Wunder, daß fid) von foldem
Haud die großen Flügel drehten und bie
Steine im Mahlwert, daß die ganze Mühle
[dütterte und bebte und an ber armdiden
fette, mit der ber Blod an die Winde ges
fefjelt war, wie ein gebändigtes Ungeheuer
rig unb zerrte. Und Sort Asmus jab in
die wirbelnden Flügel und dachte an den
Cprud, den fie legthin im Unterricht gehabt
hatten: Der Wind blájt, wo er will, und du
böreft fein Saufen wohl, aber du weißt nicht,
pon wannen er fommt und wohin er fährt,
und badjte an vieles, was er nicht fallen
fonnte, und es fam ihn eine Furcht vor der
guten alten Mühle an, unb er wußte nicht
warum.
Da ftedte der Müller oben aus dem
Seniter feine [pie Nafe, hielt die weiße
Miike in dem wehenden Wind feft und
ſchrie: „Asmus, pak up din Giijfel, be fiind
all in min Geerjt.“ Und Karl Asmus |prang
auf, als wäre eine Hornifje hinter ihm, lief
und [djeudjte, daß bie Alte ziſchte und bie
Jungen, ängftlidy mit den Flügeln jchlagend,
aus der Gaat liefen, die Schnäbel in die
Luft hoben unb mit den Ctummel[d)ymáng:
den aufgeregt wadelten. Danach legte er
fid) wieder auf den Bauch, hatte feine Augen
und Gedanfen eine Weile bei der unver:
nünftigen Herde und zählte, ob aud) bie
Giijjelfen alle beieinander wären. Gie waren
nod) nicht lange ausgefommen, ftanden in
dem grünen Gras leuchtend und gelb wie
Butterblumen und fo rund und quabblig wie
bie Eidotter, bie bie Mutter des Feiertags
bem Bater über Sped in die Pfanne jchlug,
aber aud) fonft wohl in ber guten jahres:
zeit, wenn die Hühner um die Wette legten.
Asmus zwinterte vergnügt über die Büffel
weg zur Geite, wo ein Häuschen lag ein
Ctüd vom Wege und allein, bas Fachwerk
weiß getündht, bas Gebalf und bie Fenſter—
laden himmelblau. Auf dem Zaune blinften
Töpfe und Butterfaß, und aus dem Shorn:
Hem quirlte Rauh und zog Ddurd ben
blühenden SRaftanienbaum, der über das
Strohdad jah. Dem Jungen war, als ride
Belhagen & Kiafings Monatöhefte, 22. Jahrg. 1017/1918, 2. B». Nachdrud verboten. Copyright 1918 by Belhagen & Mlafing 8
ke
106 MESSE SEEN Johannes Höffner: III HZ ZZ
er den Duft von gebratenem Sped, und bas
helle Waffer lief ibm im Munde gujammen,
denn Mittag war nab, und er hatte als rechtes
Pommernfind einen hungrigen Magen. Und
wie bie Mühle ibm in das Ohr flapperte,
meinte er den Vater am Webjtuhl zu hören,
wenn er den Ramm hart und im Taft gegen
bie fette ſchlug und das Cdjiffden Durch
den Aufzug jagte. Auf dem Giebel jchaufelte
lanft bie Wetterfahne, ein Dreimajter aus
roftigem Bled). Bei Sturm freijd)te er wie
eine Möwe vor lauter Luft, und wenn die
Wolfen niedrig gingen und [djmer, fuhr er
in fie hinein wie der fliegende Holländer.
Das Häuschen hatte früher einem Fijder ges
hort, Peter Gadegaft. Auf Dorjchfang war
er weggejadt, und feine junge Frau mochte
den Seewind nicht mehr riechen, unb Asmus,
ber Damajtweber, hatte das Anwejen für
wenig Geld gefauft. Und wenn aud das
Schiff auf dem Giebel nun nidt mehr zu
dem Gewerbe paßte, bas unter ihm getrieben
ward, ließ es Weber Asmus dod ruhig weiter:
fahren und jab es an als ein Weberſchifflein,
das in die Weite zu fahren Idien und bod)
nimmer vom lec fam. Es lag ibm aud)
nicht an, in die Welt zu fommen. Er war
genugjam Ddabergefabren mit Rangel und
Wanderftab, von Wgnetendorf über das
Gebirg ins Böhmiſche und nad Wien,
durch Deutjchland und Franfreid) und unter
den Weljden, und dankte Gott, daß er in
dem pommerjchen Dorf hängen geblieben
war, ein fleihiges Weib und fein gutes
Brot gefunden hatte; er wußte wohl, wie
ſchwer ein Weber fein biBd)en Dajein weben
muß und nicht auffommen fann gegen Die
Majdhine, die Tag und Naht jpinnen und
weben, ralem und jchaffen mag und nicht
müde wird und nidt alt. Die Weber in
Schleſien, die Dungerten und jeufzten, Daß
Bott erbarm, fie webten fic) [dier Die Aus—
gehrung an den Hals, und die Frauen
ichleppten den Sommer lang die jchwere
Leinwand von Stadt zu Stadt, von Haus
zu Haus, und der Beutel blieb [eer und die
Mot vor der Tür. Manch eine blieb auch
liegen auf ber Landftrake und ftarb in ber
Fremde, im Spital, wie feine Mutter, die
einft im Frühjahr von den Kindern fort ins
Hirichberger Tal gejtiegen war und nie
wieder heimgelommen. Und darum Tieß
Asmus, ber Damajtweber, teine Schlefilche,
die ihre Ware durchs Dorf trug, an feinem
Haufe vorbei, er hätte ihr denn Obdach und
Zehrung geboten und einen Taler mit auf
ben Weg gegeben: „Weil mein Mutter felig
a fu a Scyläjche gemet is. Nehmt’s Brinfele
und grüßt mir die Heimat.“
Ihm batte es Gott bejjer werben laffen,
als dem Bater und Großvater und Hatte
ibm einen Buben gejdenft, ber war mehr
wert als die halbe Welt. Ba, das Shiff-
lein oben auf dem Giebel war ihm lieb,
unb fein Ächzen und Kreijden Hang feinen
Ohren wohl. Das war das Schifflein feines
Sebens, tat als führe es ins Weite unb
blieb bod) ba, wo es feitgemadht war, wie
an einem Anter, an ber ftarfen 9(djje, um
bie es fid) drehen fonnte nad) allen Geiten
bes jchönen, fruchtbaren Landes, auf bem
ber lads jo hod wuchs wie ber Roggen
unb |o blau blühte wie der Himmel am
Sommertag, daß dem Webftuhl bie Arbeit
nicht mangele und auf den Wiejen bie
$eintüdjer [id) breiten fünnten wie Farer
Schnee.
Zwei Wetterfahnen waren fonjt nod) im
Dorf. Hans Kroll, der Schmied, hatte eine,
die batte er mit Fleiß und Runjt gehäm-
mert, folte ein jpringendes Roß fein und
glid) bod) nur einem mageren, abgelebten
Siegenbod und bradte dem Schmied viel
Kummer und Herzeleid. Denn wenn bie
Bauern famen, ihre Pferde bejchlagen zu
laffen, zwinferten fie zu dem im Winde
tanzenden und fnarrenden Getter hinauf,
grienten und jagten gwijden den Zähnen
durdy: „Dunnerichlag, Hann, din Bud medert
nich jchlecht.“ Der Schmied Jchludte um der
Rundjdhajt willen den Ärger Hinter den
Wodansbart, jchlug auf die Eijen, daß der
Hammerjchlag zur Dede jprigte, und fnurrte
grimmig: „Ach wat, Bud. Pierd bliemt
SBierb.^ Geine Frau war ernjt und ver:
jtandig und riet ibm, das mikratene Pferd
herunterzunehmen, aber er jchlug dann auf
den Tijd) und bonnerte in feinem Eigenfinn:
„Nu ier[t recht nich!“
Die dritte Wetterfahne frónte den Kirch»
turm, ein [tolger Hahn, ber ſchon längſt
eingeroftet war und bejtindig nad) Süden
zeigte, aud) wenn des Winters ber Nordoft
alles burd)blies, daß es Stein und Bein
fror. Er war aljo vollfommen unzuverläjfig
wie Petrus, an bejjen Verrat er mahnen
jollte. Aber daran dachte feiner, Jondern
alle meinten, damit jolle die Tätigfeit ihres
Predigers im Ginnbild dargeftellt fein, daß
er wachen jollte über feine Gemeinde, wie
ein Hahn über die Hennen und feine Stimme
laut und hell erheben und den Tag des
göttlichen Wortes verkünden.
Und wirklich, Prediger Neumanns Wirten
war jo bejchaffen; es gab im ganzen Dorfe
feinen, der ihm nicht am Herzen lag, und
jeine Stimme wedte jo manden aus dem
Schlaf, und mandes alte, pertnód)erte Herz
hordte wieder auf. (Cie hatten ibn alle
lieb, die Alten unb die Jungen, und wenn
BSSSSSSSISSISIIFIFFZN Deutihe Seele I
einer nur zu dem andern jagte: „Us Pree-
Her: — glänzten die Augen.
Karl Asmus jab bie Dorfftraße entlang.
Staujotat, ber Pliinfenfiihrer, fam mit feinem
Schimmel durd den Gand gezudelt, wadelte
auf dem JBagentajten bin und her und blies
auf feiner gelben Flöte, daß man ihm
Lumpen und Papier bringen follte; aber
die Türen taten fid) nicht auf, fo lenfte er
jettwarts zum Dorf hinaus, und als Schneider
Feuereiß mit einem Sad Eggen und Fliden
aus feinem Haus flabajterte, war 9taujotat
auf und davon. Der Schneider warf den
Sad burd) bas offene Fenjter auf feinen
Tiſch, redte die langen Arme in die Luft,
ging zum nahen Brunnen, 30g den Eimer
auf und jchlürfte daraus wie ein Pferd.
Darüber fam Prediger Neumann des Weges.
Herkules, fein gelb und weißer Schäferhund,
ſchoß ibm jaulend vorauf, unbändig vor
Freude, daß er von ber Kette war, und der
Schneider ließ den Eimer jählings in bie
Tiefe fahren, denn er jdjámte fih, daß er
fid von bem geijtlihen Herrn auf folder
Unmanierlichfeit und Unmabigfeit hatte be:
trappeln laffen, und 30g verlegen bie Müge.
Dod) Herfules verftand das faljch, ftürzte in
mächtigen Sägen daher, riß ibm bie Müge
aus der Hand und |dlenterte fie Hatjchend
um die Ohren, wie einen Gunghajen, den
er heimlich im Klee gegriffen hatte, warf fie
in die Luft und fing fie jaulend auf, bis fie
endlich im weiten Bogen in den Brunnen
fiel. Danah galoppierte er, bes fibermutes
für eine Weile fatt, feinem langjam dahin:
jchreitenden Pfarrer nad), ber feinen Ge-
banfen nadbing und von ber GSchandtat
hinter feinem Riiden nichts gemerft hatte,
und ging dann fittjam, bie Schnauze tief
gejenft, in feinen Fußitapfen, indem er hin
und wieder Liebfojungen fordernd mit der
Schnauze gegen bie nicht gerade unanjehn-
lide Wade feines Herrn ftief.
Der Schneider aber holte den langen
Sseuerhafen, ber der Lange nad) über ber
Leiter und bem Ledereimer unter ber Dach»
traufe hing und angelte nad) der zwar nicht
mehr neuen, aber immerhin noch für manhe
Jahre brauchbaren Ropfbededung, und, da
fie zum Glüd an einem SBrombeerftraud,
ber aus den Fugen ber Steinquadern Der,
vorwuchs, Hängen geblieben war, brachte er ie,
wenn aud) mit großer Mühe, Achzen, Stöhnen
und Fluchen, fajt unverjehrt über den Rand.
Karl Asmus lachte auf, wie er bas alles
mit anjab, und bie jungen Bänslein hoben
verwundert den Kopf, jaben |djief in den
Himmel, ſchlugen mit den furzen, niedrigen
Flügeln, und ihre Schwänzdhen gingen hin
und ber wie ein Lammergagel.
1 107
Es gab feinen jchöneren Pla als bier
oben bei der Mühle. Da jah man in das
Dorf wie der liebe Herrgott auf die Welt.
Aber der Habicht, ber hod über dem Kirch»
turm jchwebte und in weiten Windungen
fid aufwärts jchraubte, höher und höher
Hien, daß die Erde unter (bm wegjanf, ber
jah nod) mehr. Karl Asmus dachte, wer
das wohl alles jehen könnte — das weite
Meer hinter den Dünen, wo die großen
Schiffe fuhren, die Segler und die Dampfer,
bie aus den deutjchen Kolonien in Afrika
famen, aus Kamerun und £überi&lanb, wo
Reinhold Schmidt von den Wilden totges
Ihlagen war, und landwärts bie große
Stadt und den Leuchtturm von Jershöft
und im Dorf, überall auf den Höfen und in
ben Garten und auf den Wegen bie Küchel
und Enten, und der Habicht [udjte fid) aus,
wo er rauben und wohin er ftoßen wollte,
In der Tiefe unter ihm ftand eine Verde,
wie ein Heiner [djmaraer Punkt, aber Karl
Asmus hatte jcharfe Augen, er fah fie ge:
non, wie fie flatterte und ftieg. In bem
blauen Himmel hinein. Wer da oben ſchwe—
ben fonnte, im Blauen, ficher getragen von
ber Luft! Der Raubvogel fam in furgen
Schraubenlinien aus der Höhe, und plóblid)
fiel er wie ein Stein in jähem Gturz nad)
unten. Er [tiep. Dem Knaben Donn das
Herz ftill. Ob er die Lerche gejchlagen hatte?
Uber fie ftand in der Luft wie vordem.
Was mochte wohl jekt in feinen Fangen
verbluten? Warum mußte ein Habicht von
Lebendigem leben? Und mit einem Male
hörte er wieder bie Windmühlenflügel pfeifen
und faujen, wie fie über ibm herniederfuhren,
als wollten fie ihn mittendurch jchneiden, ber
falte Luftdruck hob feine Warpjade, und er
frod) ein Ende weiter, wo bie warme Sonne
im Graje lag, denn der Schatten der Mühle
war mittlerweile über feinen Pla gejchlichen.
Die Büffel waren nun fatt; fie hatten fih
um bie Alte herum niedergetan, wujelten
den mod) fjchwärzlichen Schnabel in den
flaumigen Federn oder ſchnappten wablig
nad einer Blumenknoſpe oder einer Fliege,
bis fie alle den Kopf halb unter die fiims
merlichen Flügel [tedten und döfig ins Weite
glupten.
Co eine Gans war bod) ein einfältiges
Tier und hatte ein Tangweiliges uud kurzes
Leben, von Mai bis nad) Martini — bann
war alles zu Ende. Dann lagen die Giijjelfen
ihon im Salz und hingen im Rauh. In
ihre Quftröhren tat man Erbjen und dörrte
fie im Badofen, und die fleinen Wicelfinder
Happerten fi) damit in den Gclaf und
rieben das judenbe Zahnfleijch damit. Auf
ben Reblfipfen aber jchrien bie Kinder durchs
8*
108 Iess Johannes Hiffner: BSSSSSSSS33333I
Dorf, daß es [djier, als wären all bie toten
Bänje nod) am Leben, und es war ein Ge:
Ichrei, daß Prediger Neumann fih bie Ohren
zubielt, wenn er über jeiner Sonntagspredigt
fab. Aber bas war nun einmal ber ausge:
machte Lohn dafür, daß fie bie grauen Nudeln
gerollt und gejchnitten batten unb der Mutter
zugereicht, wenn fie bie Vögel zwijchen bie
Knie flemmte unb [topfte, bis fie voll waren
bis oben an und leije verjchüchtert jauternd
in den Stall wadeln durften. Und zu Weib:
nadjten, wenn das Schwein fett und an ber
Reihe war, fam die Spidgans aus bem Rauch.
Eine mußte Karl Asmus ins Predigerhaus
tragen, das war der Dezem für das neue
Jahr, zwei blieben für den Tijd, und bie
andern wurden auf dem Wochenmarkt in
der Stadt verfauft. Weihnachten — woher
trug der Wind den Tannnenduft herbei?
Dann jaBen fie des Morgens in der Frühe
am fejtlich gebedten Tilh, ber Roſinenkuchen
Honn in ber Mitte, ber Baum war ange:
zündet, vor bem Gpiegel, dak fein Glang
fid) erbóbe, unb der Water ftimmte das
Weihnadtslied an, und die Mutter hatte
ihr jchönftes Tuch aufgelegt, darein hatte
ber Bater funftreid) die heilige Geſchichte
gewebt, die Hirten auf dem ‘Felde, bas
&inblein im Stall, die Darftellung im Tempel
unb bes Herodes Rindermord.
Da [tieg der Habicht hinter der Kirche
wieder bod) und [trid) jchräg nad) ber Gee zu
davon. Und indem der Junge ibm nadjab,
bis er im Blau verjchwunden war, ging es
ibm durd den Kopf, als wäre ber Menſch
um nichts beffer als der Habicht. Bei
Krüger Wodenfaut in der guten Gtube
hatte er ein Bild gejehen, darauf würgte ein
Fuchs eine Ente, über den beiden [tanb in
ber Luft lauernd ein Raubvogel, auf den
gielte der Jager, und hinter dem Jäger fam
der Tod geichlichen. Dabei fiel ibm ein, was
ber Vater immer jagte: ‚Den größten Rahen
bat die Erde, bie fript uns allzumal auf.’
Da unten an der Kirche lagen die Bräber.
Da hatten fie vor ein paar Tagen den
fleinen Hinrif Kledehn begraben, da hatten
fie alle gejungen und geweint. Er war in
bie Drejchmalchine gefallen, und hatte feiner
ihm helfen Tonnen, Der Knecht, deffen
9tadjlájjigfeit bas Ungliid verfchuldet, war
ins Gefängnis gefommen. Aber davon
wurde der kleine Hinrif nicht wieder leben:
big. Und als fie vom Begräbnis nad Haufe
gingen, batte ber Bater zu der Mutter ein
Wort gejagt, bas war in Karls Gedanfen
geblieben: ‚Der Menih hat die Majchine
ausgebadjt, daß er ihr all bie jchwere Arbeit
aufpaden fonnte. Das ift gegen bie Ordnung
(Gottes, weil ber Menſch im Schweiße feines
Angefichts fol fein Brot effen. Und barum
rädht fid) bie Majdine an ihm und Debt ibm
nah bem Leben‘ Aber es mußte doch
jon fein, jo was ausdenfen zu Tonnen,
einen Wagen, auf dem man wie Elias in
bie Luft fahren konnte unb bod) oben mit
ben Wolten jchweben und freijen, wie ber
Habicht.
Nun famen die Kühe von ber Weide.
Soden Krätte, der Hirt, Humpelte mit feiner
SReitjde Hinterdrein, Waller, der Hund,
rannte an ber Herde auf und nieder, wie
ein Artilleriewachtmeilter an der Batterie
auf bem Marjch, wenn bie Abjtände nicht
gehalten werden. Bor den einzelnen Ges
böften- löften fic) einzelne Kühe aus Der
Reihe und ftanden brüllend vor dem Tor,
bis ihnen aufgetan ward. Karl Asmus
judte nad den Kühen jeines Vaters. Die
Graubunte fhob wie immer voran, Die
Schwarze mit dem weißen Sattel fam hinten
mit den Ziegen. Aus dem Schulhaus trat
Küfter Drafehn. Er ging zur Kirche, um
Mittag zu läuten.
Indeſſen fap ber Damaftweber an feinem
Stuhl und wirkte bie lebten Ellen an bem
Geded für ben Herrn Landrat in ber Stadt,
ein flares Mufter von Rofen: unb Ptyrten:
fränzen; denn es war für feine jüngjte
Tochter zur Hochzeit. Zur Linfen vor den
Fenſtern bliihten Neltenjtöde rot wie Blut
und weiß wie Schnee, ein Flügel ftand offen
für bie milde Luft und flirrte leije, wenn
der Wind dagegen ftieß. Und Asmus fap
über die Leinwand gebeugt, ließ bie Pedale
geben und jpreizte die feinen Fäden ber
Kette bald fo, bald fo, ließ bas blante Schiff:
lein hindurch [djnellen und fhlug ben Ramm
Happernd unb im Taft gegen den Schuß. jpielte
auf den hölzernen Taften am Untergeftel mit
den Füßen wie der Kantor auf der Bodenflavi-
atur der Orgel, und all die Faden ordneten
fid) wie Töne zur Melodie, rannen aus dem
oberen Stodwerf durch die vieredig durch»
brochene Dede über Walzen, Stifte, Rader
und Mufterblätter und fügten fih dem Willen
des Meilters, daß feines anders lief, als thm
vorgejchrieben war. Und der Weber nannte
bas eine fromme Arbeit und meinte, daß
aller Weber oberjter Meijter der allmadtige
Herrgott fei, der fit an feinem Webjtubl
im Himmel und webt aus fette vnb Cine
Ihlag bas Leben ber SUlen|djen und ber
Völker.
Auf der Dönſe aber hantierte ſeine Frau
Karoline eifrig und laut mit dem Stampf—
eilen, fuhr in die dampfenden Kartoffeln,
bis ſie fein gemengt waren, und arbeitete
ſie mit Kleie durch, denn das Vieh wollte
aud fein rechtſchaffenes Mittag. Da hörte
fie ihre beiden Kühe vor bem Tore brüllen,
die Graubunte in tiefem Bağ, die Schwarze
Bell und ungeduldig, ftieß bas Stampfeijen
in das Faß und lief, ihnen aufzutun. Als
De ben Querbalten hob und bie Flügel auf:
jtieB, fab fie binterben bereindringendenRiiben
Herkules babinidjieBen und den Rater Peter
auf ben Rajtanienbaum jagen, erjchrad, denn
ber Pfarrer fonnte nicht weit fein, und fie
wurde ibn aud) alsbald gewahr, wie er in ben
Morgarten trat. Cie ließ bie Holzpantoffeln
ftehen, um ihrem Mann jo [djnell als mög»
lid) ben unerwarteten Bejud) anjagen zu
lónnen. Aber als fie ben Kopf zur Tür
bineinftectte, rief ber Pfarrer jchon burd)
bas offene Fenfter: „Das will id) meinen, bei
ſolchem Fleiß fol das Werf wohl feinen
Meifter loben. Grüß Gott, Asmus, wie
gebt's, wie fteht’s?“
Gin wenig verwirrt ließ der Weber von
der Arbeit ab, und während der Ramm
müde flappenb gegen die Kette ausjchwang,
ein paar Räder fnadten, ein Bleigewidt
niederfiel und bas entipannte Garn fih
lenfte wie die Drähte zwijchen zwei Teles
graphenftangen, ftand er auf, redte fid),
weil ibm Kreuz unb Lenden lahm und Feit
geworden waren vonr langen Giben, gab
dem Pfarrer auf die Frage einen guten und
zufriedenen Bejcheid, lehnte bejcheiden bas
Rob ab: wenn einer feine Gdjulbigteit tate,
wär’ es doh immer nod) zu wenig, und
nötigte ihn herein. Dod) ber jchüttelte den
Kopf und wehrte dazu mit der Hand. Her:
fules verftand wieder einmal die Bewegung
faljch, deutete fie mit Fleiß, wie Gulen[piegel
getan hätte, als eine Ermunterung in jeinem
Kampf gegen den Kater, der in dem dichten
Laub der Zweige wütend faudte und fnurrte,
jprang mit lautem Kläffen und Jaulen
immer wütender um den Baum und war
aufs tieffte beleidigt, als der erwartete Beis
fall ausblieb und fein Herr ihn mit drohend
erbobenem Stod auf die €anb[trape jagte,
wo er fid) bie Zeit zunädhft mit allerhand
itilen, biindijden Gewohnheiten vertrieb.
„So, Meijter Asmus, nun fónnen wir
reden. Alſo kurz heraus, denn bie Zeit des
Eſſens ijt ba, unb der Magen will fein Recht,
wenn einer von früh an über bem Leintuch
geſeſſen bat: id) tomme wegen Eures Jungen.
Der Karl liegt mir am Herzen. Er ift Euer
einziges Rind und hat einen hellen und
gejunden Berjtand. Aus dem ließe fih
etwas machen.“
Indes 30g Riifter Drafehn im Turm den
Blodenftrang und läutete Mittag; dazu
hatte Herkules auf der Landſtraße einen
neuen Anlaß zu jadjernbem Lärm gefunden,
eine Kröte, bie am Wegrand fid) durch bas
Deutihe Seele aere 109
Gras wählte, und fo, zwiſchen Blodenläuten
und Hundegeblaff, verbanbelte Prediger dies
mann mit dem Weber, was für Karl 9Ismul:
jens Leben von erheblicher Bedeutung war.
Geitwärts an der Hausede, hinter Dem Tor,
Honn Mutter Asmus und reinigte verdrieß-
lid) mit einem Strohwijd ihre Holzpantof:
feln, die derweil pon ben Kühen nidtsnugig
bejdjmugt waren, aber ihr Yirger über bie
unbanfbaren, mutwilligen und bammligen
Tiere war bald dahin, als fie hörte, was
ber Pfarrer von ihrem Jungen fagte.
Der trieb inbejjen feine Büffel langſam
den Hügel hinab und hatte mit ihnen feine
liebe Not, denn fie waren fatt und unbcbol:
fener als am nüchternen Morgen und bot,
perten und jtürzten bald das eine, bald das
andere den Hang hinab, fielen platt auf ben
vollen Kropf, rappelten fidy wieder bod) und
überfugelten fih von neuem. Das ſchwächſte
blieb flagenb unb piepjend vor einer Furde
jtehen, und Sort Asmus mußte es auf den
Arm nehmen wie ein Kind. Hinter der
Windmühle fam Tijchler Düstows Mar:
lenefen den Rain entlang gelaufen, [tellte (id)
lachend vor ihn: „Na, Radel, nu muß du em
oof börnen. Un nabjten legg em man in
be Weig’. Un bed em tau. So as dat us
Mudder mit us lütt Fielen deiht.“ Gie
hatte Mittag aufs Feld getragen, und ihre
Augen waren fo braun und blant wie
Rajtanien, wenn fie aus der Schale [pringen
und unter dem weißen Kopftuch blänterten
bie glattgeftrichenen Haare wie das Fell von
Predigers Liefe, wenn Wilhelm Pantel fie
Sonntags früh zur Fahrt aufs Filial ge:
jtriegelt batte. Und Karl Asmus madte
ein betuliches Gelicht, jchaufelte bas Güſſel
[anft wiegend hin und her. „Kiet eis, Mar:
lenefen, dat ward lif injlapen. Ging bu em
wat.“ Und Marleneten fang und jchwentte
ihren leeren Korb im Tatt.
„Sufe, [lebe Sufe, wat raſchelt im Strob?
Dat find be lemen Jüſſel, be bemmen teen Schaub,
De Cdjauiter bett Ledder, tein £eiiten dartau.
Drum gahn de lewen Jüſſel un hewwen teen Schaub.“
Das Giijfelfen blinzelte, tat die Augen
gu und wollte einjchlafen, ba ladjten die
beiden Kinder fo laut auf, daß es erjdrectt
Augen und Schnabel aufriß und jchrie und
die Alte ziſchend und Flügel jchlagend bers
beigeftürzt fam und bem Marleneten in die
braunen Waden bif.
Das Mädchen jab Ichalfhaft ben Knaben
an: „Nu, Radel, wat giwwft du mi für den
Gingjang ?"
Er dadte: ‚Sch wul bi wol een Buß
gewen’ unb fie: OF be mi wul een Buß
giwwt?’ Uber er langte in bie Tafche, wobei
bas Gansden ihm beinah vom Arm gefal
110 Iesch Johannes Höffner:
len wäre, unb reichte ihr ein Stiid Berns
jtein bin: „Da, is en Fleig in.“ Marlene—
fen hielt es gegen die helle Sonne: „Waraftig,
Radel, da is en Fleig in. Na fon Tüg
heww id aljüs janft. Schön Dank oof.”
Damit lief fie der Straße zu, dak ihre
Ridden flogen und das Kopftuch flatterte,
jah fid) nod) einmal lahend um und war
hinter den Häufern.
Als Karl Asmus feine Bänfe endlich auf
ebenem Weg hatte und auf den Hof trieb,
ftand die Mutter, den Gtippel mit Der
warmen Mittagsmildy in der Hand, mit
dem Bater in eifrigem Gelprad vor dem
Rubjtall, und der Vater fam auf ihn zu,
nahm fein Geliht in bie Inodhigen Hände
und jagte mit Stolz: „Der Herr Prediger
war übenb hier und will bir zu Johanni in
Unterrichtnähmen, daß aus bid) was Ordent:
liches werden fol. Du bot H was in bid), wo
man helfen müßt, daß es ans Licht fame.”
Der Junge wurde rot bis an bie ad:
lernen Haare, denn wenn der Prediger einen
in Unterricht nahm, das war mehr, als wenn
einem taujend Taler gejdjenft wurden. Wer
zum Prediger ging, das war nichts ge:
tingeres, als Samuel widerfubr, da er in den
Tempel genommen ward.
Behutjam jegte er das Giiffelfen auf den
Boden, dann lief er ums Haus, fletterte in
den Rajtanienbaum, darin vor furgem noch ber
Kater Peter gejejfen hatte, der jebt im Kuh-
ftal feinen Teller ausjd)ledte, und ließ bas
unverhoffte Ereignis burd) fein Herz geben,
bis ber Bater ihn durchs Fenfter zum Effen
rief.
B] B8 8
Prediger Neumann, ob ſeine Ehe gleich
kinderlos geblieben war, hatte mehr Kinder
als alle ſeine Amtsbrüder zuſammen. Denn
alles, was im Dorf an kleinem Kroppzeug
war, jedwedes, das er in das dicke Tauf—
regiſter eintrug, das ſah er als ſein eigenes
an und hatte es lieb, als wäre er dazu der
leibeigene Vater. Die Kleinen freilich hatten
vor ihm eine heilloſe Angſt, hatten allzumal
ein böſes Gewiſſen, gingen des Sommers
in die Pfarrerbſen auf dem Kamp und im
Herbſt über den niedrigen Zaun und durch
die Hecken in den Pfarrgarten auf die Bir—
nen und Apfel und Lambertsnüſſe, wenn
Herkules an der Kette lag, und darum liefen
fie, was fie tonnten, wenn ber Pfarrer da:
herfam, rijjen aus und riefen eins dem an:
dern zu: „De Preefter kümmt!“ Dabei [aber
fie nicht, wie er lachte und bas behäbige
Bäuchlein wadelte. Wher wenn fie zu Ber:
jtand gefommen waren, hatten fie feine Furcht
mehr, und hatten ihn alle lieb, ſchmückten
in der jchönen Jahreszeit ben Altar mit
Blumen vom Felde, und wenn er durds
Dorf ging, blieben fie artig ftehen, die Jun—
gen zogen bie Müge, bie Mädchen madten
einen Rnids und wurden rot.
Mand einer war aus dem Dorf hinaus-
gezogen in die weite Welt, hatte nichts ge-
habt, als was ibm Pfarrer Neumann in
bem jtillen Studierzgimmer mit auf den Weg
gegeben hatte, war draußen etwas Tüchtiges
geworden, hatte fid) ben Wind um bie 9tale
geben laffen und fein Glüd gemadt, wie
Albert Priebe, ber Geminardireftor im Bo:
ſenſchen, Richard Benthin, ber Broßreeder
in Danzig, von andern nicht zu reden.
Und nun war Karl Asmus in der Reihe,
und im Dorf nedten fie ihn und fragten,
wenn er, bie Bücher unter bem Arm, aus
dem Unterricht nach Haufe lief: „Na, Radel,
wo is bat, wenn us Preefter bi ben Deeg
aflleipe bábt ?" Dann lahte er über das
ganze Belicht, und gab den Spaß zurüd.
„Ach watt, min Eden fridjt hei nid) af.“
Zwar wußte der Pfarrer noh nicht, wo-
bin es mit ibm hinaus wollte, aber mit fad:
ten würde es fid) ſchon zeigen, denn er hatte
einen offenen Kopf und Luft am Lernen.
Vorerjt war es nod) in ber Zeit, daß er fid)
an das Neue gewöhnen mußte. Das war bei
allen jo. Zuerjt waren ihre Augen und Ge-
banfen um die ſchlichten birfenen Möbel,
bei Dem Edichränfchen, in dem das blante
Gilber blinfte, bet bem Bücherregal, bas bis
an die Dede reichte und mit alten, knacken—
ben Schweinslederbänden voll war bis oben:
an, bei Dem Schreibſchrank, ber, wenn Die
große Klappe niederfiel, viele Fächer zeigte,
bie allerlei Gebeimnijje bargen, bunte Tin
ten und SFarbitifte, feltene Münzen und De:
baillen, Fernrohre und VBergrößerungsgläjer
und anderes mehr, unb daraus Der Pfarrer
mandes Stüd bedadtjam hervorholte, wenn
der Unterricht es forderte.
Dann waren an den weifgetiindten Wän—
ben die Bilder. Da hing über dem Tijch-
chen, darauf ber Tabafsfajten jtand mit der
blauweißen Berlenftiderei im Dedel, eine
Landjdhaft mit Berg und Tal, mit Wald
und Schloß und Gee, daran rubevoll ein
Angler jak, war aus lauter Kort zierlid)
und funjtvoll gejchnitten, jo wie wirklich, daß
einer glauben konnte, er brauche bloß einen
Schritt zu tun, dann jtünbe er mitten brin
in all Der Herrlichkeit. Das war das Haupts
ftüct fürs Auge. Danah fam, was das Herz
anrührte: ein Ctid) von Tizians Zinsgros
.fden, auf bem der Heiland jo ernft und
wehmütig blidte, daß es einem bird) und
Durch ging, und daneben der breite und der
ihmale Weg, auf jenem jchwerbepadte Mten-
Iden, mühſam babintriedjenb, dem Werder:
ben zu; auf diejem, die leicht unb aller ttbi;
iden Laft ledig zur engen Pforte pilgerten,
unb Dazwijchen, auf abzweigenden Pfaden,
von dem einen zum andern Weg wechjelnd,
die ihrer bisherigen Wanderung überdrülfig
geworden, fid) befehrten zum Verderben oder
zur Geligfeit. Und ganz allein auf einer
Wand ein Bild unjeres alten Kaifer Wil-
helm, das trug ben Tag verzeichnet, an dem
ein Mörder auf unfer Baterland ewige
Schmad gebrad)t hatte, und ein Bers ftand
Dabei:
Mein deutidhes Bolt, o dente dran,
Was er an dir und was man ibm getan.
Sa, ba gab es viel zu bedenken für ein
junges Herz, und es war fein jchlechter Weg,
ben bie Blide an den Wänden entlang mad):
ten. Darum ließ Pfarrer Neumann feinen
Schüler [till gewähren, hielt in Fragen und
Erklären inne, daß er ihn nicht ftöre, ftand
auf und ftreichelte Herkules, der fchlafend
und träumend auf einer runden Strohdede
neben der Tür lag, ging auch wohl in die
Küche nebenan, um am Herdfeuer einen Fidis
bus zu entzünden und die Pfeife in Brand
zu jeken, oder flop[te gegen bas Quedfilber:
barometer in der Fenſterniſche und gegen bas
SBetterbüusd)en, ob die Witterung um[djla:
gen und der Dann mit bem Regenfchirm
[eine freundliche Frau ablójen wolle, tat bas
Fenjter auf und fütterte auf dem Sims bie
Tauben, bis er merkte, daß bie neugierigen
Augen fih müde fpagiert hatten und bie
Gedanfen wieder auf den |djmalen Weg der
Pflicht guriidgefehrt waren.
So,” jagte Pfarrer Neumann, holte ein
paar dide Wolfen aus bem Tabalstohr und
lebte fid) wieder Karl Asmus gegenüber an
den Tijd, „Jo, nun tann es weiter gehen.”
Er ftrid) mit bem Daumennagel in fraftigem `
Drud die widerjpenftigen Seiten des Buches
nieder, erzählte, wie Hagen den König
Günther für den Jchmählichen Plan gewann,
Siegfried zu ermorden, wie nod) immer in
der Welt Neid und Mißgunſt umgehen und
den Ctarfen und Aufrichtigen mit Hinterlift
unb Verrat nad) dem Leben tradten, wie
der Sohn Gottes jelbjt dem Werräter wäre
zum Opfer gefallen, und wie das ehrliche
deutiche Volt gebaBt werde von allen und
jeines Lebens und Gedeihens nicht ficher
wäre vor lauter Neidlingen. Und dann las
er bem aufhorchenden Knaben, der ihn mit
fragenden Augen und brennenden Wangen
anblidte, mit jtarfer und zorniger Stimme
unb unter Entwidlung mäcdtiger Dampf:
wolfen vor, wie Giegfried ermordet ward:
„Und während Siegfried trinferd fic beugte auf
Die Flut,
Warf Hagen durch das Zeichen den Ger ihm, daß
das Blut
Dentide Geele BESSSSSSSeccese”|d 111
Sm Strable [hoB vom Herzen bis auf [ein Gewand.
Mit wildem Aufichrei [dnellte ber Held empor vom
Brunnenrand,.
Wenn aud wund gum Tode, er bieb bod) auf ihn ein
Mit fo gewalt’gen Schlägen, dab manger Edelftein
Wirbelte vom Schilde und bieler fprang in Stüde,
Biel fehlte nicht, [o hätt’ er fid) geradt für Hagens
Tide.
Er bradte thn gum Straudeln mit feines Arms
(Gewalt.
Bon feinen Schlägen bróbnte ber Unger und ber Wald,
Wenn er nur gu Händen gehabt fein gutes Schwert,
Er bätte wohl dem Heudler s verdienten Lohn
beichert.
Seine Kräfte [hwanden, fein Angeſicht verblid:
Des nahen Todes Zeichen. Nicht länger hielt er fid):
Nieder in bie Blumen fant Frau £riembilbs Mann,
Snbes aus feiner Wunde immer nod) bas Blut ibm
rann.
Er fhalt aus Todesnotnur: Weh euch, feige Gefellen,
Bum Lohn für meine Dienfte mir treulos nahau:
ftellen.
Sch hielt end immer Treue; dafür büß’ td) jest.
Redenpflidten babt ibr an eurem — ſchnöd
verlegt .
Mit einem Krah ſchlug der Paftor das dide
Bud) zu. Er hatte fid) in hellen Zorn hinein:
gelejen und ſchlug auf den Tijd), dak das
Tintenfaß hopfte unb ber Ganjefiel, mit dem
er immer nod) jd)rieb, zu Boden flog. „Karl,
mert bir bas, bas elendefte Gubjeft ift ein
Feigling und ein Verräter.“
Karl nahm feine Bücher unter den Arm,
gab feinem Lehrer die Hand, und zwilchen
jeinen Augen ftand eine [harfe Falte. Wenn
er heute Otto Söhlke traf, wollte er es ibm
eintränten, daß er geitern feinen Freund
Robert Wodenfuß Hinterliftig in bie Dornen
geftoßen hatte, weil er in der Schule bie
Gebote beffer gefonnt hatte als er. Eine
Meile blieb er nod) im Pfarrhof ftehen,
hörte ben Wdebar flappern und jab zu, wie
die Stirdin bas Neft anflog und dabei die
Flügel um fid) ſchlug wie einen Mantel, aber
dann nahm er die Beine in die Hand, denn
er follte Schneider TFeuereiß fragen, ob der
Conntagsrod für feinen Bater aud) bei red-
ter Zeit würde fertig fein, und dann Jollte
er aus dem Krug Sdmierfeife holen, denn
feine Mutter wollte wajchen. Aber es ging
nicht [o jchnell, wie er glaubte. Bei dem
Schneider jak Auguft Gottjchalf, ber Afris
fander, auf bem Tijche, hatte wie jener Die
Beine unter den Leib gejchlagen, rauchte
aus einer Schiffspfeife und tühnte. Die Wil:
den hatten ibm in Südweſt ein Auge aus:
geichojjen, nun Iebte er jdjfed)t und recht
von feiner Invaltdenpenjion, lief den ganzen
Tag im Dorf umber, fap bald diejem, bald
jenem auf dem Sed und erzählte jeine Er:
lebnijje in fremdem Land und aus Dem
Hererofrieg: „Jau, Hinnerf, das ging da
nich fein zu. Da lagen wir drei Tage und
119 ESCH Iohannes Höffner: CC
drei Nächte bei Waterberg; des Tags brannte
bie Sonne als wie bóllijdjes Feuer, und des
9tadjts flapperten uns bie Zähn’ wie Grbfen
in ber Schweinsblaf’. Reiner von bie ſchwar—⸗
gen Hunde ließ fih feben, lagen vor uns
im Bufh, und wenn einer den Kopf aus
den Klippen [tedt', denn ließen die Teufel
die Kugeln fliegen, und wer jo fchnell war
wie unjere jelige Großmutter, der war dran.
Dalreiht. Die Kerls haben geſchoſſen — bas
glaubt feiner. Und alles englijdje Flinten.
Eine Wut haben wir auf diefe verflucdhten
Snglijdmens gehabt, hätten wir ihr gekriegt
und hätten wir gedurft, Rorl, id jegg bi,
wir hätten ihr totgejchlagen wie dDunnemals
Koſſät Müllern feinen tollen Hund. Alſo
wir liegen jchon den dritten Tag, und bie
Steine brennen wie unfer Badofen beim
Nadbaden, und die jung ts fo troden als
Dfenholz, die Augen liegen vor wie Bors:
Dorfer und auch jo rot und gelb, und jedes
Wort tut im Hals web, als [tád)' einer mit
bem Meſſer quer durch. Und hundert Schritt
nad) vorn, ba bläntert Wajjer, aber tann
feiner dazu, bie [djmargen Hunde |djieBen
ihn durch bie durjtige Gurgel. Martin Wend-
land liegt neben mir, bat die Rnarre auf
die Steine gelegt und ftöhnt wie ein Tier
und friecht näher und Jagt: Auguft, nu tann
id) nid) mehr. Und wenn es mein Tod is,
id muß ans Wajjer. Grüß’ Batern, wenn
es fein fol... ich hätt’ nicht anders og:
fonnt.‘ Zwiſchen Klippen und Buſchwerk
friecht er fort, und wie er bei Dem Waſſer—
lod) fómmt und ben Mund gerad’ dran
bat, da jchießen ihn die Halunfen rid:
tig tot.“
Er jpudte aus und [djnirdjelte Durch bie
Nafe, als fámen ihm die Tränen, aber es
war nur ein Trid, ber feiner Geldjidjte einen
Ihönen unb rübrjamen Abjchluß geben folte
unb ber nie verjagte. Der Schneider wadelte
miileibig mit Dem Kopf, die Arbeit ſchwamm
ihm vor den Augen und die frumme Nadel
fuhr ihm tief in den platten Daumen. Ein
dider Blutstropfen quol hervor, aber er
jagte nichts und fludte nicht unb verbiß
feinen Gdymerg, denn man mußte ein Held
fein wie Martin Wendland, und Karl Asmus
[ab den Afrifander groß und fragend an, und
jeine Augen waren weit fort und jahen bas
Waſſerloch, an bem Martin Wendland mit
durdyichojjener Gurgel lag.
Auguft Gottid)alt jog ſchmatzend an ber
furzen, hölzernen Pfeife, die über feinem
Tiihnen faltgeworden war und jagte [hwer
und langjam, wie er immer den Schluß por:
zubringen pflegte: „Jau, ba was hei dod.
Bei Nacht haben wir ihn geholt und infult.
Die Sterne far[untelten, und ganz hinten
brüHten bie Löwen.” Das lebte war zwar
gelogen, aber der Schneider jdjüttelte iid),
unb Rarl Asmus fchauerte es über den Rüden.
„Dei Löwen brüllten ?”
„Sau, Kadel, bei brüllten as de See bi
Nordweit. Dei Löwen dei freten in Afrita
be Minjchen as wi be Böfltüds. . $yinneras:
fing, dat wär da alljüs fein Zuderleden.
Da bett bat: [ted den Finger in be Ird unb
tiif, in wat Lande du bon:
Cr [dug fid) gegen bie Bruft und hielt
bem Schneider bie Pfeife unter bie 9taje:
„Feuereiß, ba tann ein dat Grujeln lihren.“
Indem badjte Karl Asmus an ben Mann,
ber auszog, bas Grujeln zu lernen, an feiner
Mutter Wajdhbottid und bie Schmierjeife,
ichob feine Bücher unter ben Arm und [tülpte
bie Müge auf ben bellblonben Kopf.
„Sa möt to Hus. Un be Rod most up
Sünnawend fahrig melen, Padder will to
Herrendijd gahn.” )
Der Afritander rief ibm nad: „Id war
em en Rarw int Ohr fchnieden. TFrugeslüd
an Schniders, be holen nid) Wurd.”
Wis Karl Asmus im Kruge an der Ton:
bant [tanb und der Krüger Wodenfuß bemb:
ürmelig mit ben diden, roten Händen in bas
Faß langte, bie Schmierjeife mit der Kelle
heraufgubolen, fam Auguft Gottjchalt mit
ichweren Schritten hereingeltampft, denn bei
dem Schneider war es ibm langweilig ge:
worden, fekte fid) bedächtig auf ben Holz-
[hemel zu Koſſät Pingel, der, den Kopf in
die Hand geftügt, in ein [hales Glas Bier
glupte, Bieb einen Brojchen auf ben Tijd
unb fdjrie: „En adjtel Bittern för den bur:
[tigen Wfrifander. Hüt war id ben Buern
up den Edelmann fetten.”
Der Krüger hatte den Kopf im Faß, am:
pelte und fragte ben Met ber Geife auf dem
Grunde zujammen und [agte wie aus dem
Keller: „Auguft, töw man en beten un brem:
mel nid. Dits bier en jwor un glibbrig
Ding.“
Der Wfrifander [pudte auf den mit weißem
Gand bejtreuten G[trid).
„Qat bi man Tid. Id heww dat nid) fo
Hild, as de Köſter up de Rindelbier,” wandte
(id) zum Nachbar und fing an: „Jau, Pingel,
bas ging nid) fein zu in Afrita. Da lagen
wir drei Tag un drei Nächt —“
Uber ber Kofjät ſchnitt Denfelipäne,
machte eine Flabbsfefe (boshaft verzogener
Mund) und fagte durch die Zähne: „Ach
wat, din Schnad pelt mi nid) Heft bu
Chwin, be dat Füer hewwen? Un Hammels
plagen di of nid.“
„Na denn nich, id war mi nich wed):
[mieten. Ne, bat bát Auguft Gottjchalt nich,
Sin Lebtag nid,“
Das Striegler-Quartett
Gemälde von Robert Hahn
Nah 9v — — me
—— — — —
Ein bumpfes Grollen rollte von ber Gee
ber ins Dorf. Tie GFenfterjdheiben flirrten
leije. Wieder. Mod einmal. Karl Asmus
|pipte die Meinen Ohren wie ein Eichhorn.
Der Krüger fuhr mit rotem Kopf aus der
Tonne und hielt die Kelle mit Geife ans
Ohr. Koſſät Pingel brüdte ben Daumen
auf das rechte Naſenloch und [djielte zur
Dede. Der Afritander wußte Bejcheid und
lahte bróbnenb.
„Rrrumps, mu gebt de Bälle los. Dat
jünd us Orlogſchipps. De jcheiten up Gee.
Mod is bat Speel unb Manövers. Awerjt
bat fümmt wol eis anners. Buten in Afrita
leggens bat alltohop. De Englander, Gott
[dall em verdDammen, be günnt us nid) Luft
unb nid) Licht, jo en binterlijtigen Was.
Wwerft bat kümmt nod anners. De ward
fid. nod) verfieren. He fhal us man in
Freden laten.”
Rrrumps. Wieder ein Schuß.
Karl Asmus zitterte vor Erregung. Als
er feine Geife hatte, lief er, was das Beug
hielt, bie Dorfitraße hinab. Am Kreuzweg
bei der Friedenseiche ftand Robert Woden-
fuB, minfte und frie: „Radel, foin, foin;
wi möten ben.“
Karl Asmus warf der Mutter Seife und
Bücher in das Küchenfenfter, zog Schuhe
und Strümpfe aus, und rannte mit feinem
Freund über ben Mübhlenberg dem Strande
zu. Die Zunge hing ihnen aus dem Hals,
ber Dünenfand ftiebte um ihre Beine, und
der jcharfe Strandhafer ftadh in bie Waden
wie Nadeln. Sie purzelten hin und [prangen
auf, bis fie oben auf ben Kämmen waren.
Auf der dunklen Höhe ſchwamm das graue
Beichwader, von den jd)rágen Connen[trablen
bejdienen, und Schuß auf Schuß dröhnte
durch bie Luft. Keuchend ftanden fie am
Ctranbe, Die Wellen fühlten die brennen:
den TFüße, der Geewind trodnete ihre
jchweißigen Ctirnen, ihre Augen waren
draußen auf der hohen Gee, ihre Ohren
warteten von einem Dröhnen zum andern,
das Herz |djfug ihnen bis an den Hals, und
es [prad) feiner ein Wort.
Rechts an den Dünen lagen die Fiſcher—
baujer wie Bogelbauer. Zwijchen vertrüp:
pelten Weiden fhautelten bie ausgelpannten
braunen Nege im Winde, bie bunten Rutter
[agen [till auf bem Trodnen, unb in dem
einen fap Hans Ramps, ber Lachsfiſcher,
batte ein Fernrohr unter den langen Augen:
brauen und [pábte aufs Deer.
„Ah, Kamps, latens us of eis babürd)
fielen.“
Der Silder ließ das Fernrohr finfen,
wie man einen Daft umlegt, jchielte feit:
wärts nad) den beiden Jungen, wijchte mit
Deutihe Seele Fee 113
ber Zunge bie Lippen aus und jagte guts
mitig: „Na, denn fümmt man bi mi Hier,
jett jud) dal. Na, ji Sclingels, denn trupt
man bier in.“
Rrrumps... Rrrumps... Rrrumps...
Rrrumps.
„Dunnerfiel; dat wär en Breitfied,“ er:
Härte Hans Ramps, rüdte ein Endden bis
gu, daß bie Jungen redts und linfs von
ibm *Bla& hatten, und ließ bald ben einen,
bald den andern durch bas alte Lotjenfern-
robr jehen.
Da jhwammen bie grauen Schiffe dicht
vor ihnen, als fónnte man fie mit der Hand
greifen, hoben unb jenften fic) mit dem Atem
bes Meeres wie Federn, bie Möwen tait:
melten um bie Maften, bie Wimpel flat:
terten, die Wellen jprigten, am Bug glángte
golden der Jtame, aus den Kanonen [djojjen
Teuerftrahlen, bann fam der Dampf und
erit lange nachher bas Rumpjen und Miurren
unb Grollen übers Meer.
Hans Ramps fakte die beiden mit feinen
breiten, roten haarigen Händen um die
Schultern unb framte feine taftijden Rennts
nijfe aus der Matrojenzeit aus. Das war
freilid) lange ber, daß er auf C. M. ©.
Brandenburg gedient hatte, aber es war
ibm, als wäre es geftern gewejen.
„Auf See, ba is bas nid) anners wie an
Land. oa hinge, linfs, dat fiind bie
feinen Kreuzer, bas is als wie Ravallerie,
de möten jid) an den Feind mit Jachten ran:
fühlen; en Sngfe bet to, bat fiind bie Pans
gerfreuger, bat is de Infanterie, de möt bei
fleinem bat Befecht upnähmen, un wat ba
jo bt, as Waterflöh, fiind de Torpedo:
boots, un gerad vör, bei [o rumpjen un
donnern, bat fiindD be Groten, be bemmen
bat Wurd un ftoppen dem Feind dat Mul,
dat fiind de Linienjdipps; tauirft dat
Flaggſchipp, do fitt de Admiral up, be bett
bat allens in fin Hand un Hölt all de
Schipps as an ne Schnur. Dat heit Pom:
mern, jo [tun bat in dat Weelenblad, be
annern möten Dütjchland, Preußen un Kaifer
Barbarojja wejen. Kinner, Kinner, ji ward
bat. nod) alens eis belewen. Lang nog
hewwen wi uns afgnagt un afqualt. Nu
[oll uns nod) ein von die fremden Halunfen
chief anjebn. Dat buert nid) mehr fo lang,
dunn jchlan wi em up bat gottesläfterlich
Mul, bat em be Odem wedbliwwt. To min
Tid,” und jebt jprad) er mehr au fid) jelbft
wie zu den Jungen, „to min Tid, wat hews
wen wi injtefen möten, in China un Wmes
rifa un wo wi benfamen. Dat wär, as kämen
wi ut bat Wrmenhus. Un up Helgoland, da
jatt us de Englander up de Näs un dabt,
as wär all Water in de Nordfee fin Speel,“
-
114 Bpeee—ÉáRYREXEYXREO Johannes Höffner:
Rrrumps ... Rrrumps.
„Kinner, Kinner, ji ward bat nod) bes
lewen. Dat Blatt wendt fid noch anners.”
Er faltete bie Hände unb fah weit, weit
in die Ferne. Die Schifferfräje wehte im
Geewind wie eine Mähne und ihm war,
als führe er wieder auf der Brandenburg
und ftand bod) nur auf einem alten Kahn.
Die Flagge fnatterte im Winde, es war auf
der Höhe von Ptaroffo, ein Engländer fam
vorbei, bie Kanonen bonnerten Galut, und
der Steuermann jchrie in bas Brüllen, daß
alle es hörten: „Gott verdamm ihn!“
Immer [djmádjer wurde bas Feuer; das
Gejdwader ftand |djon ganz Hein bod) am
Horizont; nun fdwanden bie Schorniteine,
nur die ſchwarzen NRauchjtreifen zogen vor
der niedergehenden Gonne.
„Sp,“ jagte Hans Ramps und nahm Karl
Asmus das Fernrohr aus den Händen, „borgt
is nid) idjenft. Nu is utdöfcht. Allwek Ding
hädd ein Ing, blot be Wuft, be bább twei.
Lopt man, dei Debt all uppen Dijd.”
Die Jungen fprangen aus dem Boot,
und jeder befam von bem Silder einen
woblgemeinten zärtlichen Schlag auf den
Hinterfteven. Robert Wodenfuß ſchlug auf
dem weißen, fejten Strand ein paarmal
Rad und ging auf den Händen zum Dant,
dann liefen fie in die Dünen hinein; denn
wenn auch jebt, wo es auf den Sommer
ging, Lux nicht mehr fo fett fiedelte und
feine Wurſt auf bem Tijde ftand, fondern
nur Grüße mit Zuder und Zimmt, war bas
doc für fie fein minder jchönes Effen.
Aber fie dachten je&t nicht daran. Ihre
Gedanfen waren mod) draußen auf bem
Waller. Und als fie eine Weile ganz ftill
nebeneinander gegangen waren, Jagte Robert
Wodenfug: „Radel, id gal to Gee. Un
wenn min Badder nid) will, denn loop id
weh.”
Bor dem Dorf fpielten die Kinder, wie
die Hafen im Feld, bevor es Abend wird.
Der Müller bejorgte feine Mühle für die
Nacht, lich die Gänge leer laufen, hielt bas
Werf an und nahm die Splintjegel aus den
Flügeln, daß fie dürr und gejpenjtijd in die
Luft ftarrten. Wilhelm Pantel, der Pfarrfnecht,
hatte ben legten Roggen zum Mahlen nad)
oben gefahren, ftand neben dem abge:
ftrangten Gejpann, hatte bie Hände in den
Hojentaichen und jah dem Müller bei feiner
Hantierung zu. Timm Göfeland, der Mül—
lerburjche," ein Holiteiner, der vor ein paar
Vionaten zugewandert war, ächzte und jtöhnte,
als er nad) des Tages Laft und Hige nod)
Die Ichweren Doppeljäcde in bie Mühle jchaffen
mußte, aber ba dachte er an den nahen
geierabend und daß auf einem ftillen Fled
jemand auf ihn wartete, und wie fein Herz
hüpften feine Beine die Treppe hinauf, und
die Arbeit fam zu einem guten Ende.
Unten am Hang ftand bas Ptarlenefen
auf einem Erdhaufen mitten unter ben Jungen
und Madden und zählte ab, Halb fingend,
halb [predjenb:
„Kam ein Mann von Elfenbein,
Rib den Müller von dem Stein,
Dnn Ritter vom Rob,
Den König vom Schloß,
Den Bauer vom Pflug,
Kriegt nimmer genug.“
Karl Asmus und Robert Wodenfuß tamen
nod) gerade zur rechten Zeit aus den Dünen,
und es ward ein Rennen und Jauchzen,
daß rings in den Bärten die Hühner, die
Ihon zum Stall wadelten und auffliegen
wollten, nod) einmal umfehrten, laut in ben
jinfenden Abend gaderten und jchreiend aus:
einanderjtoben, wenn eins der jagenden
Kinder an ihnen dichter voriiberflog. Alle
wollten fie bas Mtarlenefen haben, denn fie
war bie flinfejte und hatte bie rötejten
Wangen und bie bid|ten Zöpfe, an denen
bie roten Wollfädchen beim Laufen fo luftig
flatterten, und ihre Augen waren fo blant
und jo blau, wie der Himmel im Waffer.
Aber fie hielt fih jeden vom Leibe, Claus
Drafehn bih fie in bie Hand, als er fie feft-
halten wollte, und Hein Gadegajt ftieß fie
vor die Bruft, daß er lang binjdlug, gerade
an einer Ctelle, wo etwas lag, bas übel
rod, und er beſchämt beijeite ſchlich, fidh mit
Gras und Kraut notdürftig zu bereinigen.
Dod) einer friegte fie: Karl Asmus gudte
fie nur an, da Stand fie ganz [till und jchlug
die blauen Augen nieder.
Indem jchlug bie Whendglode an, und
die Kinder liefen, eins hierin, das andere
dahin, ein jegliches an feiner Eltern Tijd.
Asmus, der Weber, fap auf ber "Cor,
Ihwelle, auf der Nafe die große Hornbrille,
weil er weitlichtig war, und las bas neue
Wochenblatt. Durch den Staub der Straße
tamen bie Giijjelfen getrippelt, bie jebt auf
die gemeinjame Weide gingen, waren [don
recht anjehnlich geworden, wußten, was fie
darjtellten, und wadelten genau jo felbjt-
bewußt dahin wie bie Alten, obwohl fie gar
feinen Grund zur fiberBebung hatten, denn
jie waren ebenjo dumm wie ihre Eltern.
grau Asmus ging ihnen dur) bas Tor
mit ausgebreiteter Schürze liebevoll entgegen,
grüßte fie mit zärtlichen Worten und [ub
jie Jänftlich ein, in den Stall zu fommen,
weil es ein jdjweres Ding war, fie zur Ruhe
zu bringen, und fie fid) wie bie Heinen
Kinder erft jeden Abend lange nötigen und
treiben ließen.
„Püſch, püſch, püld)... wule, wule, wule,
wule. I du Hein, bu büft jii wo man half:
flog, bier geiht de Weg. Wat, bu wüft di
noch in den Dred leggen? Wule, wule,
wule, wule; püjch, püſch, püſch. Wat börft
bu nod be Fliidten Lat bat man up den
jpdten Amend bliewen. Dat Aten geht
vört Danzen.“ Und jo redete und [odte fie
und trieb mit ausgebreiteter Schürze, bis
fie fie alle im Stall hatte und_das große
Schloß vorlegte.
Indem aber hatte Peter, ber Rater, bie
Gelegenheit benußt, war in der Stube auf
ben Tilh geiprungen, hatte ein paarmal
nad) redts und linfs gejehen und bann
jeelenrubig bie Haut von ber Abendgriike
raßelahl weggeldledt, fic) auf den Heuboden
verfroden unb jdjnurrte voll Bebagen in
ſich hinein, als hätte er bas befte Gewijjen
von der Welt.
So fam Sort Asmus um die dide Grüße
mit Buter und Zimt und mußte fih an
einer Schnitte mit Pflaumentreude genügen
laffen. Aber fie |djmedte ihm wie ber
idónite Stuten, denn er war rechtichaffen
hungrig, hatte joviel an dem Tage gejehen und
zu guter Legt nod) bas Mtarlenefen gefangen.
Und all feine Gedanfen und alles, was
ber Tag ibm gebradjt hatte, nahm er mit
hinüber in feinen Traum unb erlebte alles
noch einmal, wie durch ein in hundert Far:
ben fpielendes Glas.
Uber nidjt alle jchliefen im Dorf. Die
frante Weftphalen, bie Armenhäuslerin, bie
bas Wjthma hatte, ächzte und ftöhnte bis in
die tiefe Nacht, und im Kruge faBem ein
paar Säufer und jpielten mit Auguft Gott:
ſchalk, bem Afrifander, Mih und Bafta um
einen Halben. Aber der Wfrifander gewann,
denn er fannte die Kniffe.
Im Pfarrgarten, in der Buchenlaube, dicht
am Kirchhof, jak Paftor Neumann und red:
nete mit dem Tag ab, auch mit feinem Leben;
oben in den Zweigen [|dj[ug die Nachtigall,
und wie er daran dachte, daß fie ihre toten
Kinder zu Grabe jonge, legte er die Hand
über bie Augen, und da feiner es fab, ließ
er die Tränen rinnen, denn das war feines
Lebens größter Schmerz, daß er [einen
Namen feinem Erben laffen konnte.
"Nicht weit von ihm, im dichten Gebüſch,
wijperte und fidjrte es; bas war Timm
Sökeland mit Alwine, ber Pfarrtidin, hatte
fein jüßes Spiel mit ihr, jtratte ihr die heißen
Wangen und driidte ihr bie Hand und fang:
„Der Windmüller mabit, wenn der Wind gut gebt,
Und die Mädchen, bie liebt er früh und fpat,”
daß fie ibm die Hand auf den Mund legte:
„Simm, Bull din Schnut. Herrgott, wenn
ein bat hürt.“
& 8 CH
Dentide Geele BESSSSSSeesesa 115
Die Tage gingen, einer immer heller und
heißer und herrlicher als der andere. Sn
den Badöfen dörrte das Malz für das
Grntebier; auf den Böden trodnete ber
Hopfen und füllte das Haus mit feinem
Duft. Das Meer brahte Morgen für Mor:
gen feine Frucht reichlich, und die Fiſcher
riefen ihre Ware aus bird) die Dörfer am
Strand entlang und wurden jeden Schwanz
los, denn bas Fleiſch war fnapp in biejer
Jahreszeit. Die jungen Wpfel faken in
Büjchen an den Zweigen, grün wie Wal-
nüſſe; die Kirjchen Teuchteten rot und gelb
aus ihrem dunklen Laub, darunter Spaßen
und Rernbeiger fic) verjtedten und Durch
feine Bogeljcheuche, durch fein gligerndes
Federſpiel fih fchreden ließen. Linden und
Holunder blüDten, und über den Kirchhof,
durch bie Gärten und an den Wegen ent:
lang fubr bald ein füßer, bald ein berber
Gerud, je nahdem ber Sommerwind [prang
und webte. Es war eine Jahreszeit, die
madte das Herz dankbar und froh, und
feiner prebigte lauter von Gottes Büte und
großer Herrlichkeit denn fie.
Darum jak aud) Paftor Neumann mit
Karl Asmus fdon längft nicht mehr in ber
engen Gtudierjtube, |onbern draußen im
Garten unter Bäumen und Blüten und
nahm alle Bilder und Bleichniffe und Be-
weije unb was er Jonjt brauchte, um Herz
und Bemüt zu füllen und den Kopf zu lich:
ten, aus all dem reichen Leben ringsumber,
hatte einen goldenen Schlüffel in feiner Hand
und ſchloß dem Knaben bie Schatzkammern
zu allen Wundern und Geheimnijjen auf,
bald bier, bald da, wie es fic) bot und
madte. Und dem Knaben ward es for,
wie weit und tief und heilig die Gotteswelt
wäre und daß da eine Stimme wäre in Tier
und Ctraud) und Baum, in Sonne, Mond
und Stern, in Waller und Stein, die nad)
dem Menjchen rief.
Durd die Büjche der Bienenlaube jchlüpfte
ein Sauntónig. In den Strahlen, die durch
bas Blattwerf fielen, ftand zitternd eine
Gonnenfliege. Karl Asmus fchlug bas
Herz bis an den Hals, und es lag ihm
[wer auf, wohin er einmal gerufen werden
wirde unb gejtellt, wenn es jo weit wäre,
Œs war fo ftill, Dag man die frufdjfen
fallen hörte, bie fih in den Zweigen löften,
und bie Immen jummen, bie nahebei ihren
Stand hatten, in fchwarzen, diden Trauben
vor den Fluglöchern Dingen und Hin und
wieder fliegend ohne Raft einem Trieb ges
horchten, ber in ihnen war von Wnbeginn
der Welt. Und wie fo die Andacht und
Nadhdenklidfert um Lehrer und Schüler Honn,
fuhr bumpf und dröhnend Trommeljdlag
116 BESSA Johannes Höffner: EE
daher, bie Dorfftrabe entlang fam eine
Zigeunerbande gezogen, ließ ihren Bären
tanzen, unb vor dem [|djmantfenben, grünen
Magen ber liefen ihre ſchmutzigen, ſchwarz⸗
haarigen Kinder auf den Händen. Damit
lamen bie Zigeuner in bes Paftors Unter:
richt, und er fagte: „Siehft du, Karl, wie
weit ber Menſch auch berum kommt in ber
Welt und hinaus, und würde er gerufen bis
an das Ende der Welt, eine Heimat muß er
haben, wohin er fein Herz dicen tann, in
bie es zurüdtehrt in ben [tillen Stunden ber
Erinnerung, fonft ift er ohne Halt und
ſchweift dahin, wie die Zigeuner und Bagan:
ten und ftirbt einmal in Verzweiflung und
Naht. Da, gud bir die Bienen an. Meis
Ienweit fliegen fie hinaus in das Land und
finden fic) immer wieder zurüd gum engen
Haus. Wie weit du aud) einmal fliegit, Karl,
die Heimat ruft dih, wie weit deine Ge:
danten aud) einmal geben, wenn du groß
bijt, die Heimat ber Geele ift eng und heim:
lid) und flein, die ift in Gottes Herz, und
ohne einzutragen barf[t du nicht heim.
Und bie Flüglein |preigt es nur aus, bas
winzige Tier, und [d)mebt und jchwirrt über
Berg und Tal, jdjneller als die Schwalbe,
braudt niht Karte und Wegweijer. und
findet fid) doch zurecht überall. Das tut
fein Menjd ben Bienen gleid, daß er
Flügel nehmen könnte und fliegen ans
äußerfte Meer. Und wo einer es wollte, da
hat er feinen Fürwig mit dem Tode gebüßt.
Da ift Ikarus gewejen, und Dädalus fein
Bater, bie banden fih Fittide an die Shul-
tern, deren Federn mit Wachs befeftigt
waren. Als fie aufitiegen und der Sonne
nabefamen, zerihmolz das Wachs, aber fie
fielen und ertranfen im Weer. Und in
unjeren Tagen, da fommen wieder welche,
maben fih an, was bem Menſchen verjagt
ift, wollen das Fliegen lernen unb verjudjen
Bott.“
Indem zerriß ein Braufen und Gurren
des Pfarrers Rede, und ein Vienenjdwarm
ftieg freijenb und jchwentend in den nahen
Wpfelbaum.
„Sp,“ fagte Paftor Neumann, „da find
uns bie Dmmen in den Unterricht geflogen.
Debt muß Wilhelm Pantel vors Brett.
auf, Karl!“
Im Dorf waren inzwijchen die Zigeuner
ausgejhwärmt, aus ihrem grünen Wagen,
der ausjah wie ein Bienenhaus, fo ein
neumodijdes für zwei ?Bolfer. Mährend
vor bem Kruge der Bär tanzte und das
Rajperle in feinem Rahmen jprang und
feine Späße madte, mit Tod und Teufel
(id [dug und Junge und Alte lodte, daß
die Häujer leer wurden und bie Tajchen ber
Bande voll, lagen fie vor ben Türen, ſchwarz
wie die Bienen vor dem Fluglod, zogen
einzeln auf die Höfe, ob etwas da wäre,
was mitgeben wollte, fnijfen die ſchmutz—
ftarrendDen, auf den Rüden gebünzelten
Rinder ins Bein, daß fie jámmerlid) jdyrien,
„vor Hunger, lieber Herr, vor Hunger“, ver:
fauften Ziegelmehl als Wunderpulver für
Kühe, die nidjt Mild) gaben, Hagebutten-
lórner gegen bie Trommeljudt, und Der
Krügerfrau, die mit verbundenem Ge-
fidt umber|djlürfte und ber vor lauter
Schmerz ber Tag leid war, ein Alräunchen
gegen bas Reifen, um den Hals zu tragen
bei Tag und bei 9tadjt, aber nicht bei
neuem Mond.
Nur einer verdiente fein Geld ehrlich,
bas mar Petermann, ber Harfner, ftand vor
den Türen und ließ die Saiten fingen. Das
weiße Haar fiel ihm über die Schultern,
ber lange Bart lag über bem Harfentopf.
Die alten Finger griffen und szitterten,
und das Auge war weit, weit fort, ganz
hinten in ber Welt. Die Melodien, bie-
er [pielte, fannte feiner. Karl Asmus und
bas SUtarlenefen liefen mit ibm von Haus
zu Haus. Das Mädchen meinte: „Dat flingt
as de Kloden im Turm un bruuft as de
Orgel up Wiehnadten.“ Der Junge aber
jagte: „Nee, dat bruuft as de Wind un fingt
as de Flüchts von be Möhl un as de Wellen
an den Strand“ — und es war ihm, als
fttege und flöge er. Go leicht war ibm.
Am Abend, als die Bande auf und das
von war, lagen bie Süujer friedlich unb [till
unb in tiefem Schlaf. Auh Martin Half:
papp, ber Nachtwächter, [hlief tn bem fleinen
Verſchlag neben der Kirche auf der Toten:
bahre vor aller Störung [idjer. Nur ber
Paftor war nod) wad) und im Weberhäus:
den Karl Asmus.
Der Bater jdjnardjte, daß die Bettftatt
zitterte, jchnappte hin und wieder ab, und
dann ging fein Atem leife, daß Karl Asmus
das Sanfte und ruhige Schnurdyeln der Mutter
hören fonnte. Das Blut flopfte in feinen
Schläfen. Er dachte daran, was der Pfarrer
heute vom Fliegen gejagt hatte, drehte alles
um unb um, jah die Sterne am Himmel
burd) die Scheiben jeitwärts flimmern, urd
ibm wudjs das Verlangen: wer fliegen finnte
unter dem Himmel hin, unter den Sternen
unb unter der Sonne, über der Erde [teben
wie ein Vogel und jehen vom Meer bis zu
den Bergen. ‚Herr Gott, dadte er, ‚ein Zeichen,
daß einer fliegen tann, daß ein Menjd fliegen
tann durch die Luft wie ein Bogel.'
Ein fladernder Schein ging bie Wand
entlang; flammte und zudte über bas Him-
melbett, darin die Eltern jchliefen, wie ein
BSSSOSSSaSSSSeaa deutſche Seele BEESSESSSSSSSA 117
Blig. Das Herz ftand ihm ftil. Das war
bas Zeiden! Er [prang aus dem Bett ans
genjter. Glühende Gunfen wirbelten wie
ein Bienenfhwarm durh bie Luft. Die
Kuh im Stall brüllte por Angft, und er
jcrie die Eltern wad: „Badder, Mudder,
Möhl brinnt!“
Der Zigeuner, der das Feuer an Die
Mühle gelegt batte, weil Timm Géfeland
ihn betrappelt hatte, als er einen Sad Korn
jtehlen wollte, und nicht jäuberlich mit ibm
gefahren war, fap jdon lange hinter ben
ſchwediſchen Gardinen im vierten Stod nahe
den Wolfen, flodt in feiner Zelle 9tobritüble
tagaus, tagein, 30g den Schmadhtriemen an,
ließ den Kopf hängen, wiewohl er ein durd-
Ihauter Schelm war. Und wenn fein Auf:
feher durch das Gidlod) jab, jo nad) bem
Mittag, wenn fie jatt waren unb fid) nicht
gern bewegten, ftand er am Fenſter und ließ
die bunflen Augen durch den Spalt ber
Lufttlappe ins Freie geben, ob. da hinten
am Walde wohl einer time, ber ihm die
Trallgen zerjägte und einen Strid brädhte,
der bis unten reichte... aber es fam teiner,
feinen Tag, und er mußte fiken bleiben,
flehten tagaus, tagein, und dazu fingen,
aber leije, Dag vor ber 3ellentür es nie»
mand höre:
„Dudel, bu:bubel, wat beftu in’ Sad?
Robbenftiert, Rattenftiert, Ennten Tobat.
Sn’t Tudthuus möt id fitten, in't Woeboorsneft.
: Dróg Brot möt id eeten, bat is fo min Beit.
Kolt Water mót id drinten, bat is jo min Wien,
Dor ídjall id vergnögt un luftig bi fien."
Indeffen ftand die Mühle langft wieder
auf ihrem alten Fled auf dem Berge, drehte
(id) ftos wie ein Pfau und mit viel Ge:
freijd) bald nad) Güden, bald nad) Jorden,
jo recht wettermenbijd), wie es fih fiir fie
giemte, |preizte bie funfelnagelneuen Flügel
und jagte einer den andern unb holten [id)
nimmer ein. Der Wind fuhr mit Pfeifen
und Lachen hinterher, und es war ein eitel
Iuftiges Spiel. Das Korn hatte gefchüttet
wie feit langem nicht, das Wert befam zu
ſchlucken, joviel es mochte.
Co fam ber Palmjonntag heran und bie
. Einfegnung. Die Rriigerfrau jaß in ihrem
Stuhl in ber Kirche, das Tajchentuch auf
bem diden Porft und ein Sträußchen ges
trodneter Riechblättchen darin, und lobte
Gott, daß fie wieder gejund war.
Die Frauen glupten verjtohlen nad ihr
bin. Ihre Wangen waren prall wie eine
Schweinsblaje, bie zum Trodnen im Winde
hängt, und glühten wie bie Pfingitrojen auf
ihres Baters Grab, unb feine derhen ver:
äftelten fid) darin, bunfelrot und lila und
bimmelblau. Das madjte der jüpe Schnaps,
ben fie des Abends vor dem Schlafengehen
heimlich in der Rombiije hinter die weißen
Zähne tippte, ehe fie bie Schentftube per:
wabhrte und verjchloß. Gie aber jagte, bas
wäre ein Grbteil von ihrem Water, ber
wäre aud) jo deftig gemejen. Nun jaf fie,
30g die Tine wie eine Gummijdnur und
quetjchte fie aus bem diden Hals mit folcher
Inbrunft, als eine junge Mutter ihr Rind
wiegt; dem Krüger neben ihr ging aber die
Luft kurz unb miibjam unter bem feftges
Inópften [djmargen Rod, ber ihm längjt zu
eng geworden war und in Falten und Rillen
um [eine Behabigfeit lag wie ein Schnür»
leib. Dazu bohrten die jpigen Vatermörder
(id ibm [djmergbaft in das überquellende
gett, unb [o konnte er mit bem Odem nicht
bausbalten unb blieb immer ein paar Tatte
zurüd. Die Frau ftieß ihn wohl mit bem
Ellenbogen in die Geite, aber er merfte es
nicht, denn feine Gedanfen waren weit fort
unb zimmerten an dem Lebensgliid feines
Jungen. Wenn Paftor Neumann ihm aud
feinen Unterricht gegeben hatte, folte bod)
etwas aus ibm werden, daß die Leute die
Mäuler aufrijjen. Da zudelte er wieder
bintennad, und Schneider TFeuereiß lachte
fih eins, obwohl er gar feinen Grund hatte,
fid über andere luftig zu machen, denn er
fletterte mit feiner dünnen Stimme auf ber
Tonleiter umber wie ein betruntener Dady
deder, ber es wagt, auf den Turm zu fteigen.
Cs war aber aud) fein leichtes Lied, bas
heute angejagt worden war, führte in Höhen
und Tiefen, daß bald die Frauen und bald
die Männer hängen blieben, zumal bei dem
vergwidten Kehrreim: „Triumph, Biltoria,“
und &iü|ter Drafehn, ber mit Lunge und
Kehlkopf die Orgel erleben mußte, hatte
einen jchweren Stand, ob aud) der Wfrifander
mit feiner Donnerjtimme ibm zu Hilfe fam,
daß die Fenſter in ihren dürftigen Bleiver:
glajungen zitterten. Dann lam es bod,
daß eine Stimme den ganzen Runftgejang
umwarf, daß es in der ganzen Kirche auf
einmal [till ward unb der Küjter allein blieb
und furg entjchlojjen in bie verjtummte (Ge:
meinde rief: „Ji Frugeslüd dahinne weeft
eis [till, ji finget den Triumph nich recht.
Sd war jud vörtriumpbhieren,“ und bas
,iriumpb, Triumph, $Biftoria" binauspo:
jaunte, als jollten draußen bie Toten aus
den Gräbern tommen. Die Frauen waren
alle rot geworden, jah eine die andere an
und Ddiinfte fih jede frei von aller Schuld.
Und ber Afritander ficl dem Riijter wieder
hilfreich in die Melodie, bie Frauen lebten
Ihüchtern und verzagt ein, TFeuereiß fletterte
wieder die Tonleiter auf und nieder, Die
Küftersfrau zog den Mund und ließ bie
118 BS3e9e———3:]4 Johannes Höffner: Lee
weiße Straußenfeder auf ihrem Rirdenhut
wippen, den ihr jeder im Dorf verdadte als
ein Schauftüd der Hoffart.
Über dem allen thronte auf dem Altar
bie holzgeſchnitzte Dreieinigfeit fo mild und
voll Nachſicht, Gott-Bater lächelte über feine
Menjdenfinder und Gott-Sohn nahm alles
gnädig an, was hier jeder viel oder wenig
bradjte und war nicht fo ftreng wie Die
Küftersfrau, bie hart und talt über ihre
[pibe Naje jah. Die Taube aber, der Heilige
Geijt, ber zwijchen den beiden, Water und
Sohn, mit ausgebreiteten Flügeln jchwebte,
wiegte fih janft auf ben Gebeten, bie aus
den Herzen ftiegen.
Gang hinten im Schatten unter dem Chor
fa Weber Asmus, hielt den diden Porſt',
das Gejangbud), ausgeftredt in ber dDürren,
langfingrigen Hand, daß Karoline, feine
Frau, gut einjehen fónnte, und neigte fid)
von Zeit zu Zeit über das Buchbrett, wenn
er ben ſchlechten Drud nicht recht lejen fonnte
oder bas Waffer in feinen Augen die Schrift
Ihwimmen madte.
Geine Stimme war zittrig und dünn,
und neben ihm die Frau verſchluckte manchen
Ton und hatte bod) fonft alles Hell und tar
berausgejungen; denn es war beiden redt
wehmütig ums Herz, daß fie ihr einziges
Kind jo bald Hinauslafjen jollten in Die
Welt wie in einen Nebel; der [djfug Hinter
ihm zu und war hinfort auf lange Zeit nichts
mehr zu hören und zu jehen. Cie hatten
ihn bas längjte gehabt, und nun er ging,
fam bas jtumpfe und einfame Alter, wurde
alles Laden und [jrijde Leben ringsum
ftumm, wie bes Abends, wenn die Sonne
weg ijt, unb immer jchneller rollte bas
Garn, bis das Ctüd rein zu Ende gewebt
war, der Kamm Teile ausjchwang, im
Turm bie Glode anhub, tief und bump,
und Martin Halfpapp, ber Kulengräber, die
Sdollen aushob und dazu das Baterunfer
betete. Dann hing ein Kranz mehr in der
Reihe an ber &ird)enmanb, und feine Cei:
denbänder vergilbten und zermürbten gleich
all den andern. Da jchließt eine Tür fih
zu; ba tut eine Tür jid) auf. Eine Quelle
Jpringt ins Licht, und eine andere verjiegt.
Zwei Wege gehen auseinander, einer gen
Morgen und einer gen Abend. Ruft den
einen das Leben, ruft den andern der Tod,
und es ijt fein größerer Schmerz, als wenn
Eltern fid) von ihren Kindern |djeiben müſſen.
Mitten in der Zeile jeufzte Weber Asmus
tief auf, und in dem ganzen Gotteshaus
war tein Gebet jo heiß und ftarf, denn
bieler Seufzer unter dem Dammrigen Chor.
Oft, wenn Weber Asmus an feinem Stuhl
gejejfen hatte, wenn es auf Feierabend ging,
die Kühe mit Brüllen heimfehrten, die niedrige
Sonne durch bas Fenfter über die [pielenben
Fäden geglitten fam und das Sdifflein bie
lebten Male dDurd) ben Aufzug glitt, hatte
er wohl gewünjht, daß fein Junge einmal
auf ber Weberbant figen folte wie er und
bas funftvolle unb befinnlidhe Handwerk
treiben, bas fo gut und heilfam für ben Men:
iden war, das Ordnung lehrte nad) innen
und außen und bie Geele zufrieden machte
und [till. Wie bas Cdjifilein glitt, her und
bin, bin und her, jchaffte fein Werf Tag für
Tag, lag des Abends bann [till und rubte
in feinem Bettchen neben dem Stuhl, und
fing im Dellen Morgenliht wieder an —
jo fam alles zu feinem Ende und Ziel, nur
Geduld, und bie Geele, bie hin- und herflog
zwilchen Diesjeits und Sjenfeits, gwijden
Himmel und Erde, fam aud einmal in
ihren ftilen Hafen. Es war ibm wohl ein
gutes und gejegnetes Handwerk geworden.
Aber bie Zeit ward anders, das Handwerk
lag auf den Tod, und am Webjtuhl lag
einer auf einem verlorenen Botten, Paftor
Neumann hatte wohl redht. Man mußte
mit der Zeit gehen. Da half alles Stemmen
nichts. Die Technik, hatte er gejagt, regiert
jebt bie Welt. Mer nicht unter die Rader
tommen wollte, der müßte der Machine
dienen. Wud) der Bauer auf jeinem Feld.
Das war ein Gegen und ein Fluh. Das
Inechtete, und das madte frei. Der We-
ber hatte nicht recht verjtanden, was ber
Pfarrer damit meinte. Aber er war es eins
verjtanden, daß fein Karl Schloſſer werden
folte und banad) Mtajdinenbauer. Luft
hatte er, und Paftor Neumann meinte, auch
bas Zeug. In Gottes Namen denn.
...„Zriumpb, Triumph, Biftoria...” Es
ging jebt wie geölt. Küjter Drafehn pujtete
hinter feinem Pult am Altar gleich Hans Rrolls
Blajebalg, wenn bei Glatteis den Bauern:
mübren die |djarfen Stollen untergejchlagen
wurden, und Auguft Gott]d)alf, ber Afritans
der, ftand ihm redlich bei; die Scheiben att:
terten in den Bleiverglajungen, bie vergilbten
Schleifen ber Totenfränze an den Wänden
wehten leije hin und ber, und dem verirrten
Zitronenvogel unter ber Balfendede wurde
angit und bange, wie er von den Tonwellen
auf und nieder getragen wurde, flatterte
irrend an den Fenſtern entlang unb [tief
lid) den goldenen Gtaub von den zarten
Ylügeln. Das war das Leben, und mand)
einer erfuhr dergleichen unter den Jungen
unb unter den Mädchen, bie heute ſchüchtern
und bie Augen unter fid) am Altar jagen
und morgen die Wanderjchuhe anzogen,
hinauszuwandern, aud) wenn fie daheim
blieben in Dorf und Flur.
Klaus
Drafehn und Robert Wodenfuß, hatte die
Nafe im Bud, die Augen jo groß als eine
Glasfirjhe und in bem Rnopflod ber
Ihwarzen Jade bas Myrtenjträußchen, wie
fie alle trugen. Wenn er aujjab, fiel fein
Blid auf die große Tafel mit dem Namen
der Männer, der alten und jungen, aus dem
Kirchipiel, bie 1870 in Frankreich gefallen
waren, bei Wörth, bei Gravelotte und Sedan,
bei Orleans und vor Paris: Den Heldentod für
König und Vaterland jtarben,.., und die
Stunde wurde ihm [o groß und hell, als würde
er gerüjtet und gegürtet für eine Schlacht
unb folte hinaus, die Arme zu regen und
den Mut, als jollte er tapfer fein wie ein
Held und fein Blut hingeben für eine heilige
Sade.
% CH
Wo ber Fluß fid) zu weiten begann, um
mit mächtiger Bruft fih ins Meer zu werfen,
lag die Stadt. Bor zwanzig, dreißig Jahren
nod) war bier nur ein fiimmerlides Handeln
und Treiben gewejen. In ben mageren
Raufmannsjtuben fauten die Buchhalter an
den- Federn, ftocherten mit dem Bleijtift in
den Ohren, zogen bie bürren Bolten zujam:
men unb bradten ben langen Tag um mit
Geufzen und Gähnen. Die Welt in ihren
Büchern reichte nicht weiter als bis Stettin
und Königsberg und Lübed, wenn ein
Schiff aus Stodholm fam und bas bunte,
fremde Wimpel über dem Pier flatterte und
die harten jchwedilhen Kommandos über
Ded tapften, war alles in Aufruhr und Be
wegung, ftand am Waſſer und rig bas Maul
auf.
Die Laftträger faken ben lieben langen
Tag am Hafen in der Sonne, jchoben den
Priem bald nad) redjts und bald nad links,
jpudten den braunen Speichel über die Tiet
nen SFilchkutter fort in die trägen Wellen
und blinzelten nad) Gee, ob nidt ein
Shiff fame. Und wenn das Blüd gut war
und in der ‘Ferne Dampf aufging, frien
fie wohl: „Shipp ahoi,” ftellten fid) breit:
beinig bin und [pudten in die Hände, aber
met war es eine Nußfchale, die nichts
brachte, was der Rede wert war und wobei
fid) ein Stüd Geld verdienen ließ, und oft
legte es überhaupt nicht an. Da half alles
nichts. Der Paftor in der Kirche mochte
Sonntag für Sonntag in der Kirche beten:
„Bott Jegne unjeren Strand,“ ba fam nichts
nach, als ein paar Züge Flundern und Rabel:
jau unb im Frühjahr bie Lachje. Und ber Gee:
fand flog und jtäubte, lag in den Straßen,
auf allen Tijchen, in allen Laden und auf
allen Büchern.
Aber dann war ein friiher Wind ge:
Deutihe Seele BESSSsSsesesesed 119
fommen; da war es anders geworden.
Gang langlam. Jabr für Jahr. Blut
unb Leben, Arbeit und Geld. Debt ſchrien
die Sirenen im Hafen bei Tag und bei Jtadjt,
wenn bie eleftrijden Bogenlampen wie Son:
nen über den dunklen Fluten jtanden und
ihre glißernden Garben zwijchen den Schiffen
unb ben Gternen hin und her laufen ließen
unb die Effen ber Werften ihre Lohen in
die Höhe und Finfternis warfen. Dampfer
qn Dampfer drängte fih am Kat, bie Mas
ten ftanden wie ein Wald, die Luft war
bunt von den Flaggen aller Lander, bie
Ketten raffelten und bróbnten, gewaltige
Kräne griffen über bie öligen Wellen, griffen
und hoben und ſchwenkten Rijten und Tonnen
von Schiff zu Land, von Land zu Schiff
vom frühen Morgen bis in bie jpäte Nacht.
Exhauftoren Jaugten den Bauch der Schiffe
leer, und das Korn lag zu Bergen in der
blinfenden Sonne wie lauter Gold. Scharfen
Gerud von Teer und Schweiß trug bie Gee:
luft weit ins Land, es durfte feiner mehr
am Waller figen oder Hinter den diden
Büchern und träumen. Das war nun vor:
bei. Die Arme regten DO, Die Federn
flogen, und die ganze Welt von Indien bis
Amerika ftand auf den Foliojeiten dicht beis
einander. Mank einer, der feine Naſe dar:
über beugte, war draußen gewejen und
wußte Bejchetd, manch einen padte aud bie
Sehnſucht, dak er alles ftehen unb liegen
Dep und fid) heimlich bavonmadjte, all die
Herrlicfeiten ber Gotteserde zu leben, von
denen er nur lejen oder auf dem Lager etwas
riechen fonnte.
Aber da war viel Neid in die Welt ge:
tommen und Haß, der Brot: und Futternetd,
der niedrigite, den es gibt, und über Gee
itanb es jchwarz unb ein Grollen und Murs
ren wie bas Gewitter. Der enalijdje
König glupte und jdjielte und wiirgte Die
Wut in fic) hinein, Fügelte und rechnete und
plante, nahm feine Tajche und ging auf
Reifen, ob er dem Better über dem Kanal
das Geſchäft verderben und bie Kehle zus
Ichnüren fonnte. Er hatte es jo eilig wie
alle Böjewichter, und wuhte auch, daß er
nicht mehr viel Beit hatte im Leben, denn
der Tod jap ihm am Halje.
Dod der beutjd)e Michel war nicht der
von ebebem. Er hörte, was der Ceeminb
pfi verjtand und niibte bie Zeit und wollte
den Tag nicht wieder verjdlafen, wie jchon
jo oft. Und war auch nad außen bin nod)
viel Hader und Zwilt im Land, Mißver—
fteben und Verfennen, im Herzen war das
ganze ‘olf einig, und im Jorden wie im
Güden war feiner, der auch nur einen Deut
rauben laffen wollte von dem, was Das
190 ees Johannes Höffner:
Waterland nad langer Zeit und in [d)merem
Ringen erworben hatte. `
Cs ging mit dem deutjchen Lande vors
wärts mit Volldampf. In den Geemannss
ftuben am Hafen ließen bie blauen Jungen
die harten Taler jpringen, |djlugen auf den
Tijd) und ferien: „Nee, wi latem us de
Bodder vom Brot nid) nábmen. Wi náb:
men bat up mit jedwerein.“ Und. dabei
grinften fie zu ben Tijchen hin, wo die Frem—
ben faßen, die Engländer und bie Frangojen
und jonjtwer, ber bie Deutjchen nicht riechen
fonnte Es modte tommen, was da wollte,
Draußen auf ber Reede ſchwammen die grauen
KRolofje im Waffer, [till wie Rrofodile, und
unter den runden Türmen lagen bie Kano:
nen auf der Wacht.
8
B8 B8
Der Reifefaften für Karl Asmus Honn
fertig ba und fni[terte nod) leije in den Fugen.
Tiihler Diistom hatte ibn gemadt aus
ſchwerem Gidjenbols, mit einem Schloß wie
an der Rirdhentiir, hatte feine Mühe gejchent
unb feine Roften und nicht nad) jeinem Ber:
dienjte gefragt, hatte ihn gebeizt und ge:
wadjt, mit Bändern und Hajpen funftvoll
ausgegiert, mit blanfen Nägeln aud) ein K
und ein A in das harte Holz getrieben. Die
Belle Frühlingsjonne fiel in die Wertftatt,
Jpiegelte fid) auf bem gewölbten Dedel, und
die flimmernden Strahlen ftanden an ben
ſcharfen Rändern ber blinfenben Bejchläge
wie eleftrijde Funken. Der Tijchler jtrid)
bald bier, bald da noch einmal mit dem
braunen $janbballen polierend über Die
Fläche, und als fein Fehl und Fledden mehr
daran war, rief er bas Marleneken, daß fie
den Kaften auf die Karre lüde und zu den
Mebersleuten brächte. Aber ihre flinfen
Füßchen wollten nicht vorwärts; ber Kaften
blintte, daß ihr bas Waljer in bie Augen
fam, und ob die Laft nicht jchwerer war,
als eine Fuhre Gras für bie Ziege, war es
ihr doch, als tarrte fie Eijen ober Blei.
Karl Asmus riihrte den Reis, dieweil die
Mutter bei ben Kühen war, als das Miar:
leneten, die Truhe in den Armen, fid) durch
die Tür zwängte, aber ehe er ihr beijpringen
fonnte, hatte fie den Kaften |djon mitten auf
die Diele gejtellt, jtand und jab ihn groß an
und tat jo munter wie beim Spiel. „Ita,
Radel, nu fann das in die Welt gehn.“ Er
legte die Kelle aus der Hand und fagte
leije: „3a, Dtarlen, nu geht das los. Das
muß ja fein. Dafür bin ich ein Jung.“
„Haft du fein Angſt?“
„Angſt? Nee, wovör hal id wol Angſt
hewwen? Freten ward mi ja fein ba buten.
Nee, Marlen, Angſt nih. Aber daß bier nu
alles ausis. Daßeinalles, was ein lieb bat —“
Sie fuhr mit dem Finger unter der Nafe
fort. Die Tränen jdjojjen gujammen; fie
wiirgte fie herunter. -
„Ach wat, Radel, bat ldppt di nid) wed.”
Cie ftredte ihm die Hand bin.
„Adjüs, Radel; bliew gejund in de grote
Stadt.“
Damit war ſie aus der Tür.
Karl Asmus ſtand und ſah den blanken
Kaſten an. Er dachte: ‚Der ſieht aus wie ein
Garg. Und als er ben Schlüſſel drehte,
meinte er, es müßte ein Toter brin liegen.
Aber unten auf dem Boden fag ein Päd:
chen in weißem Papier. Darin hatte das
Marlencfen ein Andenten gewidelt, ein Leje-
zeichen für die Bibel, und darauf ftand:
„Bott ſchütze Dich!“ Das hatte fie zwiſchen—
burd) beim Brasjchneiden heimlich in Papier:
fanevas geltidt, hatte [id) aud) den Finger
dabei blutig geftochen, und unten in der
Ede rechts war ein led, rund wie eine
Träne und rot wie Roft, unb war in bie
blauen Bergißmeinnicht gelaufen, bie um den
Rand [tanben und um die Schrift. Karl drehte
es bin und ber, und las, was darauf ges
[chrieben war, und hörte wieder bie Miarlen
fragen: „Haft bu fein 9Ingft ?^ Und es ging
ibm burdjs Herz, dak bie Welt doch wohl
ein gefährliches unb tiidijches Wajjer wäre,
darin [don mand) einer fein Leben gelajjen
hätte, unb eins wohl Angjt haben könnte,
wenn nicht einer wäre über Wolfen und
Waffer.
Borlichtig, als wäre es von Glas, trug
er bas Zeichen auf der flachen Hand in Die
Kammer, legte es in feine Ginjegnungs:
bibel zu dem gepreBten Myrtenzweig und
ging dann aud) wieder zum Herd, den Reis
zu rühren. Dod) bem war nicht mehr zu
helfen. Go ward bas lebte Mittagsmahl
ein brenglig Ejjen, fragte im Hals und ging
Ichwer ein, obgleid) 3uder und Zimmet reid:
lid) darüber lag. Aber es hatte ſüß fein
Tonnen wie Honig, es wäre bod) nicht anders
gewejen.
Am nádjten Morgen in der Frühe nahm
Karl Asmus Abſchied von Vater und Mutter,
von Peter, bem Kater, unb dem Nußbaum
vor der Tür, ben Süden und Güjjelten, die
eben ausgefommen waren und nod) unter
dem Herd faken, und von allem, was [onjt
im Hauje und auf dem Hofe war, aud von
dem Schiffchen oben auf dem. Giebel. Es
war ein bitteres und jalziges Geſchäft, fih
von feiner Kindheit zu jcheiden. — — —
Indeſſen holte Wilhelm Pantel die Pfarr:
gäule aus dem Stall, ſchlug dem Rappen,
der |pielerijd) nad) feiner Nafe fchnappte,
auf bas pormibige und gottloje Maul, und
jpannte [ie in beftigem und mürrijchem Gelbit:
Dora
Gemälde von Prof. Carl von Marr
(Bon König Ludwig Ill. von Bayern erworben aus ber Ausftellung
im Münchener Glaspalaft, Sommer 1917)
SZ Ar
EA)
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gejprad vor bas gelbe KRorbwägelchen; denn
er batte feinen Ader pflügen und fein leßtes
Korn bre|djen wollen und mußte ftatt deffen
ben Paftor und Karl Asmus in die Stadt
fahren.
„Dat is mi nu verbrubbelt.^ Er drängte
den Rappen an den Wagen „Trügg! Id
hal mi wohl irft vör bi up be Knei lig:
gen? Trügg!” s
Der Rappe ftapfte zur Seite und trat ihm
auf die große Behe. tyernanb [djüttelte ben
Fuß wie eine Rage, bie ins Naſſe getreten
ift, und gab dem Rappen eins mit dem
Strang über den Rüden.
„Döstopp! Wat tiimmt dian? Bült du
mall? Id war bi den Hund vör de Bein
binnen.“ Er legte bas Gebiß ein. „Mul
up! Wat? Dat paßt bi woll nich? Di fiind
wol de Tähn to badt? Töw, id war bi
bat wijfen.”
Er [djob bas Gejdjirr über ben Kopf und
àog bie Ohren vor. „Dat De hüt, atrat hüt
in de Stadt möt. Wat bruft he ben Bingel
bentofóbren? Kunn he nid) lopen? Me, bit's
to arg un to dull.“ Er gab bem Fuds
einen Schlag auf die Hinterhand. „Nu
fümmft du vörd Bredd. Bet to! Wat heftu
up de Gielen to pedden? Bün id din Wap?
Nee, Fründken.“
Er band die Zügel über Kreuz.
„Da is mi be Mom upfallen. Um jon
Bingel mot id al ftahn un liggen laten.
Wenn id rh min Eigen heww — op, was
feen Alf. Lat dat Gnagen fin.”
Co ſchirrte er mit viel Bram und Braß
bie Gäule an, 30g den Dunfelblauen Warp:
rod über und ftieg auf den Bod.
Da ftand die Frau in der Tür, hatte die
Arme in die Seiten gejtemmt und rief über
den Hof, daß bie Tauben am Brunnen auf»
flogen: „Na, adjüs Pantel. Un bring ood
jau un jau den Ralmüd mit. De is mi hod):
not.” Sie rafite den verjchlijjenen rojen«
roten flberrod. „Hier is all Lod) bi Loh.“
SBantel :pinfte ärgerlich mit der Hand.
„Ach wat, du Det alljüs ben Düwel to
braden.”
Sie nidte ibm wütend zu, und thr Kopf
wurde rot wie Feuer.
„Un du füft ut, as wenn du den einen
Freien heft un den annern nadbalen mut,
Na, vörirft brut id bi ja nid) to ſeihn.“
Indem erhob fih in der Wohnung ein
[anggeaogenes Rlagegejchrei, und bas Syünglte,
bas (milden, hub an zu brüllen wie ein
Gerberhund. Da fnuppte Wilhelm Pantel
mit ber geteerten Peitjchenjchnur um die
ipi&en Ohren und fuhr vor.
Und wie er, bas Brüllen Hinter fih
lajfenb, durd bas Tor rumpelte, ben
Deutide Geele BESSSSSesesseesed 121
roftroten Turmbahn in ber Morgenfonne
glühen fah und ben Riifter Drafehn bie
Frühglocke anläuten hörte, ftieg aus feinem
perbro|jenen Gemüt wie die Sonne aus
dem Nebel der trójtlidje Bedankte, daß es
bod) beffer wäre, in den ſchönen Tag hinein:
zufahren, als mit Hiih und Hott hinter bem
Pfluge zu gehen und ben Flegel über den
Kopf zu ſchwingen, daß er in ber Walhaut
tnarrte, und daß es bei Auguft Damerow
am Hafen eine Lungwurit gäbe, die nicht zu
verachten war. Und dabei fuhr er fid) mit
der breiten Zunge um den Mund, daß fie
um ein Haar an ber Nafe hängen geblieben
wäre. Als nun gar der Prediger ihm beim
Ginjteigen ein halbes Dugend Zigarren,
wenn auch nicht von den beften, in die Rods
tafche ſchob, fam das gute Wetter völlig
zum Durdbrud. Er zog die ftoppelhaarige
Lippe unter ber breiten Nafe gleich einem
Eichhorn hod, dak bie Schneidezähne in ber
Sonne. blinften wie Kilometerjteine, und
jprad bet fid) felbjt: ‚Na, id war ehr ben
Ralmiid man fópen. Denn as in de Schrift
fteiht: Wer fein Weib pflegt, pflegt fich
jelbft.'
Bor bem Weberhaufe hatte fid) ber Him
mel feines Gemiits bei fleinem wieder bes
zogen, als ber blante Reijefaften auf den
Bod fam und ihm die behagliche Sikgelegens
bett beengte, daß er fid) taum riiden und
rühren fonnte und mit Geſäß und Zigarren
in arge Gefahr fam. Aber wie Karl Asmus
bald dem Bater, bald der Mutter am Solle
bing unb laut meinte und die beiden Alten
(id) Die Augen wijchten, ward ihm weih und
rührfelig zumute, unb er mußte an feinen
Süngften, fein CEmilden, den Schreihals
denfen, wie es fein würde, wenn der einmal
in die Fremde ging. Er jdjnurdjefte durch
bie Nafe und überlegte, ob er ibm ein Pferd-
den oder einen, Riferitihahn mitbringen
jollte, außer Dem Rofinenjtuten.
Das Rorbwagelden hatte jhon mandes
Mal ein ſchweres Herz gefahren, wenn Paftor
Neumann Laft und Gorge und Jammer aus
jeiner Gemeinde mit fid) genommen hatte,
aber [o ſchwer wie heute war nod) nie ein
Herz darin gewejen. Dod) bie Pfarrgäule
merften davon nichts; fie warfen die Köpfe
unb fchlugen mit ben Schwänzen und wären
wohl auf und davon gegangen, wenn
Pantel fie nicht turzgehalten hätte; denn fie
hatten ein paar Tage gejtanden, rohen ben
frifchen Morgen, bie Salzluft und die Weite,
und ließen die Blähungen von fih wie
Kleingewehrfeuer.
8g 28
Was mag beffer fein gum Abſchiednehmen
von der Heimat, der Morgen oder der Abend ?
Belhagen A Rlañngs Monatshefte. 39. Jahrg. 1917/1918. 2 Bd. 9
122 Iesse Johannes Höffner:
Am Abend tommt bald bie alles bebedenbe
Nacht, und bie Heimat verfintt wohl bald
in Nebel und Dunfel, aber ihre Lichter
fuden und greifen nah dem wandernden
Rinde weit hinein in bas falte und drohende
und finjtere Land, das Herz zittert und
bebt und will nidt hinaus. Am Morgen
mag es wohl beffer fein, da ijt alles for
und bell und beftimmt, und wenn die Sonne
fo bell auf Adern und Wiejen liegt, die
Lerden fingen und die Störche die Flügel
flaftern und ins Blaue fahren, drängte die
Neugier und der Wagemut den frijchen
Sinn in die Weite. Paftor Neumann dadte
daran, wieer felbjt einmal war aus dem Bater:
hauſe gegangen; bas war aud) fo ein gol
dener Morgen im Frühling gewefen wie
heute, er mar aud) auf fo einem leichten
Wägelchen mit feinem Bater gujammen in
die Frühe gefahren, und als fie aus bem
Dorfe gefommen waren, hatte der Bater die
Hand über das grüne Land geredt und ge:
fagt: „Dartin, das ganze Land Debt bir
offen, joweit dein Auge reicht und viel, viel
weiter nod, wo bu aud) but, überall liegt
Gottes Sonne und Liebe, Aber die Heimat
hier unten ift nur Ginnbild und Gleidnis.
Wir haben hier feine bleibende Statt.“ Da
war er guten Mutes geworden, hatte Die
Tränen verjdludt und in die Welt geladt.
Wher am Abend, als er allein am fremden Ort
war, hatte er in bas Kiffen geweint, bis ber
Schlaf alles Leid von ihm genommen und
ibn im Traume ins Waterhaus getragen
hatte. — Ob Morgen, ob Abend, der Schmerz
fam Ion, Und fo fab er Karl Asmus von
der Seite an, mitleidig und gütig, und wußte,
was bie eríte Nacht in der Fremde ihm
bringen würde. Debt gingen feine Augen
tapfer und bell an ben Häujern entlang und
tranten fih nod) einmal an dem [üpen Glid
der Heimat fatt, zum legtenmal für lange
Beit.
Der Rauch früujelte fid) dünn und wort
über ben Schornfteinen, ftand einen Augen»
blid ftil, als wollte er nicht Ios, und wirs
belte Dann auf einmal jin bie blaue Höhe
und war dahin.
Da war mandes Haus im Dorf, da ging
viel aus dem GSchornitein. Die ftüjterfrau
fam die Straße entlang, trug einen Bled:
tuchen unter bem Arm zum Badofen und ward
vor Scham bunfelrot, daß Paftor Neumann
fie auf Joldjem Wege fah. Der Morgenwind
bob das Papier, darunter lag es gelb
wie Butterblumen, mit Mandeln und Ros
finem bid belegt, und fie ging ftrads babin,
bie ſpitze Nafe [hier geradeaus, blidte nicht
rechts nod) lints und merkte nicht, wie der
ſchwergewirkte Teig von bem Abichtedstuchen,
ben fie für ihren Klaus baden wollte, in
ben Staub flederte. Denn ihr Klaus follte
aud in ben nadften Tagen in die Stadt,
auf bie Präparandei, dah er Lehrer würde
wie fein Bater, aber nicht auf einem elenden
Dorf.
Die Hühner gaderten, bie Hähne frábten
unb liefen bergu, tragten den Teig aus
einander, hadten mit den Schnäbeln hinein
und wälzten ibn in dem Schmutze. Dod
nicht alle Hähne frábten an biejem Morgen,
bie am Abend noch mit viel Gejdrei aufge
flogen waren. Die Rriigerjde, die Woden-
fuben, batte ihren beiten Hahn am Kragen
und Ichlachtete ibn auf bem Hof, und bas
rote Blut tropfte in den Staub. Denn ihr
Robert war der dritte im Dorf, für den ein
Abſchied gerichtet wurde und ber aus ber
Heimat ging, aud) in die Stadt am Meer,
zum Herrn Konſul Schneidereit, in die
Drogenhandlung, als £ebrling.
Drei zogen aus dem Dorf auf die große
Weide draußen, das Leben blies und trieb
fie gujammen dahin. Und Martin Half»
papp tutete auf feiner Gchalmei daher,
bie Kühe, Schafe unb Ziegen, Kälber und
Färjen fanden fic) gujammen, einzeln und
zu zweien und dreien, Zoller jacherte bie
Dorfftraße auf und ab, apportierte einen
Stein oder einen Knüppel und biß gwifden:
durch einem wider|penftigem Tiere in bie
Hefe. Die Graue und bie Rotbunte aus
bem Weberhaus waren aud) darunter, wieg.
ten den Kopf und jchleppten die Füße, aber
ben Karl auf dem Wagen kannten fie nicht,
unb als er fie rief, globten fie ihn verbrieb»
lich an.
Hinten burd) bie Zielen ftapfte 9InguR
Gottidalf, der Afrikaner, hatte feine lange
Angelrute auf der Schulter und pfiff fid
eins, unb mandes Filchlein, bas nod unten
tm Bad munter |prang und [pielte, lag um
Mittag dürr und mit aufgelperrtem Raher
im der Sonne auf dem Gras.
Schneider Feuereiß ftand am Brunnen,
hatte bas grobe Hemd aus eigengemadter
Leinwand über die haarige Bruft geftreift
und wuih [fid bebüdjtig und gründlich.
Seine drei Jüngften faken nicht weit Davon
an ber Hede, ungewajden und ungelämmt.
Der eine quälte eine Schnede, die ihre Hör:
ner nicht berausftreden wollte, bie beiden
andern flopften Pfeifchen und fangen:
„Da fatt eis en Kreih am Weg,
Det wull gern Bibel lefe,
Bibel lefe tunn fe nid,
Rüm be ob un brew ehr wed,
Drew ehr tn bie Rönigstammer.
Bif, paff, aff."
Sn ber Schmiede fladerte bas Ferer. Der
Meifter trat mit dem Fuß ben Blajebalg
unb fdlug mit dem Hammer auf ben Am
boB, daß das Gijen fprigte wie Feuerwerk.
Und das luftige Klingen lief Hinter bem
Wagen her und mußte am Ende dod das
binten bleiben. Jn tiefem Gand ging es
bie Höhe hinauf, Der Braune lag jchwer
in der Giele und [chnardhte, denn der Fuchs
Dep ibn allein ziehen, ob Fernand ihn and
mit ber Peitide figelte. Aber er batte ein
bides Tell.
Da glänzte zur Linten das Meer; blau
und grün, und die Dünen ftanden in ber
Frühfonne |o gelb wie Klaus Drafehns
Abſchiedskuchen. Die weißen Cdjaumtümme
liefen in langer Zeile über bas dunkle Wafs
fer, weit draußen ftanb hoch und blendend
die Brandung. Ein Boot lag [djief am
Winde. Es führte ein Gaffeljegel und
barum war es Hans Ramps, der da draußen
Reuerte und Flundern fing.
Zur Rechten lag das Dorf ausgebreitet
im hellen Licht wie ein Bild in einem Bud.
Die Windmühle wintte mit ihren langen
Armen ben Abſchied berüber, über dem Nuß»
baum vor dem Weberhäuschen fuhr das
Schiff am Giebel über die grünen Blatter
wie Hans Ramps über die Wellen. Bom
Richturm aus dem Schalloch wehte ein
rotes Ridden, ein weißes Tuh, Karl As:
mus riB das grüne Hütchen von den blon:
den Haaren und ſchwenkte es und wintte,
als wäre es bie luftigite Sache von ber Welt,
aber das Herz wollte ihm dabei zeripringen.
„So,“ jagte Paftor Neumann, „jest mußt
bu vorwärts jehen. Du mußt ftandhaft und
tapfer fein. Das Herz nimmt die Heimat
mit, und inmitten der Fremde ift es bod) zu
Haufe. Hüte did) vor dem Heimweh, Karl,
vor dem faljchen Heimweh, bas einen rüds
warts zieht und Hand und Gedanfen lähmt.
Das rehte Heimweh, bas treibt und reißt
einen fort, daß einer etwas Tiidtiges wird
und feiner Heimat Ehre maht.”
Aber das Wort war Karl Asmus falt
und fremd, und er badjte: ‚Wenn einer alt
La bat er gut reden.‘
8
* Ein Menſch muß durch viele Hände, de
er fertig ift, was man bier unten fo fertig
beißt. Denn ber Menſch ift immer ein
Werdender, zeitlebens und nad dem Tode,
bis in bie dunfle Ewigkeit. Das Höchfte
fann er nie erreichen: es ift nod) feiner ges
worden wie Gott. Uber viele [inb geworden
wie ein Teufel.
Was einer wird, ba wirkt vieles inein«
ander, Offenbares und Werborgenes, das
tann feiner entwirren. Da ift bas, was
einer mitbringt aus Borgeiten im Blut und
an Fähigkeiten; da ift Umwelt und Beis
Deutihe Seele BSSSSSSessssssd 123
[ptel, Strid) und Himmel. Bor allem aber:
bie Hände, in bie er fommt. „Wer nicht in
die rechten Hände tommt," fagte Paftor Neu:
mann zu Asmus bem Weber unter bem
Nubbaum, als er aus der Stadt guriidfam,
„wer nicht in bie rechten Hände fommt, ber
tft verpfufcht für fein ganzes Leben. Es
müßte denn ein Wunder gejdehen.“
Und die rechten Hände finden jid) nicht
immer, fie finden fich nicht oft. Der eine
braucht dies, der andere jenes; [o find auf ber
ganzen Welt nicht zwei, bie gleicherweije
behandelt werden Tonnen, Und es würden
nod viel mehr Schaden leiden und vor bie
Hunde gehen, wenn der Menj allein von
diefer Erde wäre und feinen anderen Ur:
jprung hätte als ben Mutterleib. Go aber
ift einer ba, ber fteuert allen Dingen.
Paftor Neumann batte 91edjt: Karl As»
mus war in die rechten Hände gelommen.
Albert Bolduan, der Schlojjer, hatte in den
Sabren feiner Meifterichaft mand) Biirjd-
lein in den Fingern gehabt und jeden ge
modelt, gebogen und gezogen, gehämmert
und gefeilt, wie es ihm nottat, hatte ihm
die Tür aufgetan zur Tüchtigfeit, zu Aus:
tommen unb 9Injeben, und alle waren ge
raten, wohl und gut geraten, bis auf einen,
aber von dem nachher.
Der goldene Schlüffel, ber an funjftvol
verjchnörkeltem Arm über der Tür auf bie
Gaffe bing und, je nachdem, im Winde
Ichaufelte, in der Gonne blinfte und im
Regen erjt recht, war nicht allein ein Zei:
den feines Handwerks, jondern aud ein
Sinnbild in mandherlei Hinficht. Das Jagte:
Handwerk ijt ein golbner Schlüjfel. ‚Rannft
du was‘, [chließt er bie Türen auf, Haustüren
und Rirdentiiren und Ratstiiren. ,Rannft
bu mas', Öffnet er Cdja5fammern, bringt
Glüd unb Wobhlftand. Drei Schlüffel mußte
jeder rechte Meijter haben, ben Lebensſchlüſ—
jel, einen Schlüffel zum Herzen unb einen
Schlüſſel zum Himmelreih. Und Meijter
Bolduan hatte fie alle drei. Die Schloffer-
lun[t, meinte er, fei eine rechte Gottestunft,
und ein Schlojfer fet Gottes Handlanger,
der ftünde dem Herrgott im Himmel bei,
daß bas 7. Gebot zu feinem Recht tame, nur
war es dabei ein wenig |djmeralid, dab
einer von ber GCdjledjtigfeit ber Menjchen
lebte. Denn wenn Ehrlichkeit jedermanns
Gace wäre, wären Schloß und Riegel nicht
vonnöten, batten alle Schlofjer der Welt
ihr Handwert an den Nagel hängen
fonnen und an ben Amboß geben und Näs
gel und Hufeilen machen, wenn fie [don
mit Feuer und Gilen zu tun haben wollten.
Go aber war immer ein bitterer Rampf
gegen die Lift und Findigleit der Diebe,
Ch
und ein rechter Cdjojfer mußte finnen
Tag und 9tadjt unb ftudieren unb probieren,
wie er ihrer Schlihe Herr wurde und ihre
Aniffe au fchanden madte. Nein, es war
wabrlid) nicht leicht, fo gewiſſermaßen ein
Schloß vor bas 7. Gebot zu legen. Und es
fam aud) vor, daß der Teufel felbft in bie
Werkſtatt fam und an ber Drehbant ftand,
bie Zeile regierte und bie Gedanken und
aus bem GCdjlüjjel Dietrich unb Diebswerts-
zeug machte, wie bei Martin Hagedorn, dem
einzigen, der in Meiſter Bolduans Händen
nicht geraten war.
Als es fo weit war, daß er fein Gefellen:
ftd machen und danad in die Welt folte,
fid) den Wind um die Nafe wehen zu laffen,
ging er eines 9tadjts Hin und brad bei
Ronjul Friedrich) Auguft Lobedang am Neu-
markt den Gelb[djranf auf. Das war ein
ichweres Ctüd und fo|tete Schweiß, und er
mußte arbeiten bis an den Morgen. Aber
es lohnte fid) nicht, denn ber Ronjul war
ein vorlichtiger und gewißigter Mann, ber
in feiner Kaffe nicht mehr hielt, als unbes
bingt vonnöten war. Und weit tam Mar:
tin Hagedarn mit ben paar Kröten aud)
nicht. Eine halbe Stunde Weges im Lande,
im Klüßtowjchen Kruge, ba er fid) von bem
nächtlichen Gejchäfte [türfte und den Mor:
genimbiß nahm, friegte ihn ber Landjäger
Leonhard beim Schlafittchen, nahm ihm
den Raub ab, legte ihm die Handjdellen an,
brachte ihn mit Schimpf zurüd und führte
ihn durch die Stadt treug und quer, daß
jedermann ſähe, was für einen feinen Vogel
er [don am frühen Morgen auf dem Strid
gefangen Hätte.
Meifter Bolduan [tanb vor feiner Tür,
jah ftraßauf, [traBab, fchnappte Luft,
weitete die breite Brujt und ftrid ben
langen braunen Bart und witterte in das
Wetter, wie bas feine Gewohnheit war, ebe
er fid) an die Arbeit machte. Der goldene
Schlüjfel über ihm wehte im kühlen Morgen:
wind und blinfte der Sonne zu, bie in Der
MWollenwebergajje mild und gemádjlid) fpa:
zieren ging, des ſchönen Friihlingstages bei:
zeiten zu genießen. Und ba er den Land:
jäger mit bem Burjchen baberfommen fah,
redte er den Hals, wen er wohl diesmal
am Wickel hätte, unb ber £anbjáger rief
[dor von weitem, daß es durch bie ftille
Gaffe jchallte und die Leute neugierig aus
ben Fenſtern fuhren: „Gejtohlen bat ber
Hund. Cingebroden ift er. Beim Ronjul
Sobebangen hat er den Geldjdrant ausges
räumt,“ und febrte Martin Hagedorn, ber
fein Geſicht abwandte und [tórrijd) aur Seite
blidte, bem Meiſter zu. Da lief es buntel
über Albert Bolduans breites Geficht, er
Johannes Höffner:
[p — —
[59-519 5:99 «5:9 Ge
[pudte aus und warf bie Haustür ins Schloß,
rief in bie Rüche, wo feine Frau Marie am
Herde hantierte: „Der Krug geht jo lange
gu Waſſer bis er bricht. Martin hat geftoblen.
Leonhard hat ihn am Kragen.“ Er ftampfte
in bie Werfftatt, Inöpfte den langen Bart
unter bie Lederſchürze, frempelte bte Sjembs»
armel auf bis unter bie Achjeln, nahm den
ſchwerſten Hammer und [djIug auf bas Eifen,
als folte ber Amboß aer[pringen. Das war
der erite, ber ihm mißraten war und Schande
über ihn brachte. Aber er brauchte fid) nichts
vorzuwerfen. Er hatte es an nichts fehlen
laffen. Er hatte es mit dem Jungen oer,
judt in Gutem und in Böſem. Aus Dred
fonnte feiner einen Gchlüjfel madjen. —
Himmeltreuzmillionendonnerwetter nod) ein:
mal! Der Hammer fiel auf bas Gijen, dah
es jplitterte und bird) bas Fenſter fuhr unb
bie Scheiben auf bie Steine prajjelten, mit:
ten in das Tünen der Frauen hinein, die
auf bem Hof ftanden und mit Jungfrau Wieje
unb ber Meilterin berebeten, was gejchehen
wäre; ihre Diänner lehnten in den Fenftern,
hörten zu, und warfen aud ein Wort dazwi»
iden, jeder nad) feinem Beruf. Johann Wins»
belbanb, ber Schuiter, Glajer Strippentom,
und oben auf dem Ausgang, ber vorgeban-
ten Galerie, bie in ber Höhe des erjten
Stodwerfs um die Außenwand der Haujer
lief, Die den Hof einjd)lojjen, Traugott Bitter»
ling, der Schreiber, der mehr Kinder hatte,
als er ernähren konnte und [jid Tag und
Nacht die Finger frumm ſchrieb und ber
gern als Lehrling an Meifter Bolduans
Tilh gejejjen hätte, ber wiegte fein Jüngſtes
auf dem Arm, jchüttelte den Kopf. Und
bagmi|den gaderten die Hühner, [djadte
Strippentows zahme Eljter im Apfelbaum,
zwitjcherten bie Schwalben, und auf Jung:
frau Wiejes Schultern freijdte ber graue
Papagei, denn er wollte fid) auch bemert:
bar maden: „Was [agit du nu?”
Sept fap Martin Hagedorn jhon im
zweiten Jahr Hinter den eijernen Tralljen,
im Rittdhen hod über ber Stadt, fah weiter
als aus feinem Wlanjardenfenfter in ber
Sdlofferet, jah Hinten auf dem Meer die
Schiffe fommen und aus dem Hafen fahren,
und wenn es dunkel wurde den Leuchtturm
blinfen, daß fein Ceefabrer in Gefahr fame
und Schiffbruch litte, und Hätte darüber
naddenfen Tonnen, aber er tat es nicht.
Denn in ihm war unjruchtbares Land, bas
nahm nichts auf, bas gab nichts her. Über
fein Bett hatte ibm ber Meifter ein Bild
gehängt, vom verlorenen Sohn, wie er die
Cáue hütet und von ben Trebern zehrt;
von [einem Fenſter Hatte er die Bäume
blühen ſehen und Frucht bringen, und im
Winter lagen bie Spaglein tot und erfroren
in der Dadrinne, denn das Leben war hart
und Hunger und Not waren ein jchlimmes
Ding. Aber er hatte nichts gelernt und
nichts begriffen, und fein Herz war nidt
aufgeiprungen. Freilich — wenn er jebt in
die Stadt bernieberblidte, in bie Baffen und
auf bie Plage, da bie Menfchen frei und
fröhlich ihr Welen hatten, unb [ab in ber
Ferne aud) bie Schlofjerei, ben Hof, an dem
[o viele Menjchen beieinander wohnten und
thr Leben zimmerten, den Garten und den
Fluß, unb bie Weiden Dingen auf das
Waller und tranfen, dann bik es ibn in
die Augen, wenn er bes guten Eſſens und
Trinfens gedachte und an fein weiches Bett,
und nun mußte er das trodene Brot würgen,
auf der harten Pritjche liegen und hätte
jid vor lauter Bosheit zerreißen mögen.
So drehte und feilte er neue Plane, wie er
es flüger anfangen wollte und reich werden
ohne Schweiß, wenn der Pförtner ihm eines
Tages die Türe aufihloß unb er geben
fonnte, wohin er wollte. Aber bis dahin
war nod) gute Zeit.
Zwar hatte ibm der Zigeuner, der Brands
ftifter, ber in bie Zelle nebenan zur Linfen
getan war, verjprochen, ihm nad) feiner
Entlafjung zu einer Teile und zur Freiheit
zu verhelfen. Aber was fo ein Zigeuner
redete, war Wind. Wohe um Woche
wartete er vergebens, und mit den Zähnen
fonnte er die Trallgen nicht durchbeißen.
Und ber Aufjeher, ber 3Bejd)eib wußte und
ben &alfiber abgefangen hatte, höhnte: „In
biefem Bauerchen mußt du deine Zeit aus:
halten, mein Vögelchen, davon hilft bir fein
Gott und fein Zigeuner. Und was wir hier
haben, Spaten und Nachtigallen, Raben
und Nachtſchwalben und Wiedehöpfe, da
tann nichts rous, und wenn es fih den Kopf
einftößt.“
Man fol nichts wegwerfen und nichts
veradten. Was ber eine nidjt mag, Debt
ein anderer auf. Wo einer von [einer
Arbeit geht, fommt einer und greift zu
feinem Handwerkszeug.
Freilid, lange Zeit war Martin Hage:
dorns Plas in Meiſter Bolduans Wertftatt
leer geblieben, denn der Meilter hatte es
nicht verwinden Tonnen, daß einer in feiner
Hand zum Balgenftrid geworden war. Es
gab viel Meijter in. ber Stadt, und er wollte
fid) mit einem Lehrling nicht mehr bemängeln.
Aber dann war Paftor Neumann eines Tages
gefommen und hatte ihm ins Gewiljen ge:
redet, daß es nicht d)ri[tlid) und nicht menſch—
lid) wäre, um einer jchlehten Erfahrung
willen einem andern zu verjagen, worauf
der fein Leben bauen fonnte .Und wenn es
Deutſche Seele
125
aud) viele Meifter gäbe hier und anderswo»
jo wiffe er bod) feinen, bei bem einer bejjer
aufgehoben wäre, denn bei ihm.
Und nun ftand Karl Asmus in Meifter
Bolduans Wertitatt am Schraubftod und
mübte fid) um ben Feilftrid, daß er gerade
würde unb gleihmäßig, an der Kante fcharf
und ohne Grat. Denn der Strid) war die
Grundlage fiir die ganze Schlofferei; aus
bem Strid) wuchs bie Fläche und aus der
Fläche der Körper. Aus dem Strid) wurden
die Rundungen und Schweifungen, die tunft:
voll gejchwungenen Verzierungen und Ara:
besten, denn wo Runft war, mußte aud)
Schönheit und Gefalligfeit fein. Und nad)
ber Teile fam die Drehbant, wie in ber
Schule nad) der Schiefertafel das Schreib»
heft, nad) bem Buchjtabieren das geläufige
Lejen und nad) dem Zählen bas Dividieren
unb Multiplizieren und bie fniffligen Auf:
gaben. Es war ein weiter Weg bis zum
Runftwerf, dem Schloß, bas aller Diebeslijt
jpottete.
Und mit bem Hödjiten fing Meijter Bol:
duan feine Unterweilung an, holte bas blante
Schloß aus dem Schrant neben ber Dreh»
bant, ließ es im Licht blinfen und bligen,
drehte den Schüfjel und ließ es gehen, vier
Riegel nad) vorn und zwei Riegel nad)
oben und unten, ließ bie Widerhafen auss
einanber|preigen, und es war fein Rnaden
unb fein Quietjchen und fein Echnappen zu
hören, es war, wie wenn ein Augenlid auf
unb nieder jdjlágt. Und der Meilter jagte:
,Ciebjt bu, Karl, bas mad heute unter
Hunderten faum einer. Die Majchine hat
bie Runft tot gemadt unb bie Leute faul.
Es gibt wenig Meijter und viel Pfufcher,
und bie Zeit ift vorbei, da die Kunſt nad) Brot
ging; heut geht fie nad) Geld, will verdienen
ohne Schweiß, und Redlichkeit ijt felten ges
worden. Was einer werden will, muß er
ganz werden. Beller eines von Grund auf,
als von vielem etwas; wer eins von
Grund auf tann, ber fann alles. Bei der
Sade muß einer fein; bas ganze Herz und
der ganze Kopf muß der Arbeit gehören.
Man darf die Gedanfen nicht fpazieren
gehen lajjen. Arbeit ijt Arbeit, und eier»
abend ijt Feierabend. Einen Riegel feilen
unb feinen vor das Herz legen, das bringt
Berdruß.“
Und fo redete er wie Paftor Neumann,
und die GSchlofferwertitatt war wie die
Bienenlaube im Pfarrgarten, nur war ftatt
der frijden Luft ein ſchwerer Dunſt von
SI und Gijen da, es fummten feine
Bienen, fein Blütenduft zog daher und
fein Bogel fang. Es famen bie Gedan—
ten, unb fein Riegel war ba, bie Feile
126 DEE Johannes Hoffner:
wurde [hwer in der Hand und rutidte aus,
ber Strid) war verdorben. Und Meifter
Bolduan liep wieder bas Schloß geben,
zwei Riegel nad vorn und zwei nad oben
und unten, und die Widerhafen fperrten
fid) und waren blant wie Meffer. Schloffer
fein, das war anders als bloß Schrauben
drehen, wie fie bei C. F. Ifede, bem Eijen-
händler, auf der Laftadie im Kaften lagen
zu Hunderten, große und Heine, flache und
runde, und diht dabei bie Angelhalen, bie
(id) bie Matrojen für bie [ange Weile an
Land kauften und an die Schnüre banden.
So faen fie am Bollwerk, ließen bie Beine
mit den weiten, [djlenfrigen Hofen und ben
breiten Schuhen niederbaumeln, Jpudten den
Priem, wenn er ausgelutjcht war, ins Waller
und fingen Sholen. Ram eine ans Licht,
batten fie ihren Spaß mit ihr, flopften
fie mit ben riffigen Fingern, rechts und links,
einmal auf die weiße Bade und einmal auf
die rotgejledte ſchwarze. „So, min lütt
Quermul, nu Deftu lang nog in bat tole
Water rüm rajohlt, nu fief di eis in be
Welt üm, wo bat föt is und wo hell und
warm be Sünn bier bowen blünfert und
dient. Heſtu din Lebtag all [omat ſeihn?“
Und bie armen Dinger fperrten das Maul
auf, japiten und verdrehten bie Augen, und
bie Miatrojen fadjten bróbnenb auf. „Kiet
eis, fict, wat tretft bei fürn $ylun|dj. Dat
rütt bi hier bowen woll fermojt noch Teer,
nid? Dat gejollt bi? Nu fegg blots nod)
Gpidaal."
Gin Menih verträgt mehr als eine Fluns
ber. Er ftirbt nicht, wenn man ibn aus
feinem Clement nimmt. Cine Weile japft
er wohl, und die Luft wird ibm fnapp und
die Brut eng, bod) dann gewöhnt er fid).
Er mag wohl ein Amphibium fein. Fiir
zwei Welten ijt er gejchaffen und für mehr.
€ B8 88
Vier Meilen lagen nur gwijden Karl
Asmus und Ber Heimat, aber wenn einer
Heimweh bat, find vier Meilen wie hundert
und taujend. Er war wie ein Baum in
einem neuen Erdreich, ber nod) feine Wurzeln
geichlagen Bat und die Blätter hängen und
gilben läßt, wie ein Fohlen im fremden
Stall, wie ein $yild auf dem Trodenen.
Den Tag über ging es wohl an. Da fab
ber Echmerz im Cdraubjtod. Aber nad)
Feierabend, wenn er die Werfitatt gelehrt
und für ben Meijter bei Gebaftian Freu»
denjprung, bem Krämer, auf den andern
Tag eingeholt hatte, Grüße und Rolinen,
Mehl und Galz oder was jonjt vonnóten
war, unb danad in feinem Manjarden«
fammerden hodte ohne Licht, der Feuers:
gefahr wegen, lag es um fein Herz wie ein
eijerner Ring, nahm ihm die Luft und
ſchnitt ibm ins Fleiſch, daß er traurig ward,
als follte er fterben. An ben Sonnabenden
daheim hatte er zwijchen Bater und Mutter
auf der Bant unter dem großen Raftanien:
baum gejejfer, Peter, der Rater, lag auf
feinem Schoß und ließ fih bas fette Fell
nod) glatter ftreichen und jchnurrte, ber
Water erzählte von feiner Jugend, und bie
Mutter von ihrem 9Biebaeug, als wäre es
men|djidjes $yleijd) und Blut; die wohl-
riedenben Erbjen madten die Luft ſüß
wie 9tejeba und Rofen zugleih; ber Pfare
ter fam, gudte über den Zaun und bielt
Herfules am Halsband feft, daß er bem
Kater nicht jcheuche, oder Nachbarn fanden
fid) ein und beredeten die Tinge, die draußen
in der weiten Welt vor fich gingen. Und bie
Nacht fam fanft und ſacht, wie eine Feder fällt,
und der Cdjlaf fam, nod) ehe einer in bas
hohe Bett fletterte. Und an bas Marlee
neten dachte er, als fie ibn am Iebten Tage
gefragt batte: „Haft du fein Angſt?“ Nein,
Ungft batte er nicht, und tapfer wollte
er wohl fein, mutig aushalten unb zu
Ende bringen, was er fi) vorgenommen
hatte, aber das Heimweh, bas war |djfimmer
als Ungjt. Dann legte er das Kinn auf bie
gefalteten Hände und jah aus dem Fenfter
über den Strom und das Altmännerhaus
drüben und über bie Häujer, darüber ein
Raujden fam von bem Leben ber vielen
Menjchen. Die Augen madjte er groß, als
lónnte er weit da drüben bas Dorf liegen
und auf bem Weberhäuschen bas Gchifflein
ins Whendrot fahren fehen, aber da war
nichts als ein kühler Abend — Himmel und
ein blaffer Stern. Er hatte feinen, bei bem
er ben jchweren Kopf hätte anlegen und
Troft holen Tonnen und Liebe, die ihm fo
not war, wie einem jungen Bögelchen, das
gerade aus bem Neft ift unb Wärme braucht
in ber falten Welt und eine Hand, in ber
es fic) bergen tann.
Die Meifterin war eine ftrenge und rax:
luftige Frau, fnodjig und ftarf, hatte nie
ein Kind gehabt und Dantierte in ihrem
Hausweſen von früh bis |pát, fochte, jcheuerte,
wujch und redete nicht viel, troh ins Bett,
wenn es Dunkel ward, und |djnardjte wie
ein Dann. Der Mieijter ging des Abends
zu Bier nad) alter Gewohnheit jechs Häufer
weit in den Lads, wo der große goldene
Filh über der Tür mit dem Schwanz fchlug
und das Maul aufriß wie ein Bolfsredner,
wenn es ums Ganze gebt, und wo bie Nats
barn im. Hinterjtübchen am eichenen Tijd
auf ihn warteten, der Maler Geidelbaft,
Martin: Hiihnerjtrett, ber Nadler, unb Ge
| - ^ op së — ` ep "en "ep A "ep "en "ep ep "e
< ^25 25.7 — — a oo St. ab Ce o o n
baftian GFreudenjprung, ber Kaufmann; ber
Meifter [piefte Alf unb Bafta um einen
Halben und tam dabei in jeder Hinficht auf
feine Roften, denn er war bell wie ein £udjs
unb [as den Partnern die Trümpfe von ber
Naje ab; daneben fand er die Gemütlichkeit,
bie ihm daheim abging und bie jeinem be:
babigen Wejen [o not war wie dem Kürbis
das SBajjer. Des Connabenbs fand [id)
aud) Traugott Bitterling, der Schreiber, an
ben Tijd, aber nicht zu Spiel und Berluft,
fondern er fiebigte unb gab feinen Genf zu
fremden Trümpfen und mit Wugenplinfen
feinem Hauswirt, bem Schloffer, zarte Winte,
bis er ibn mit einem Glas Bayrilch trattierte.
Dann wijchte er fih ben Mund und wünjchte
eine gute Nacht, denn er hatte teine, mußte
Rinder wiegen mit der Linfen und die Rechte
auf und nieder geben laffen über bas Rang:
leipapier, mit Cdnórteln und Devotions:
ftridjen, mußte mit einem jchwülftigen Stil
fein mageres Brot verdienen. Wenn längſt
jedes Fenſter auf der Hofjeite dunfel war,
nur nod) bei Jungfrau Wieje das 9tadjts
fampdjen einen Kleinen, zittrigen Strahl Durch
den herzförmigen Wusidnitt bes Fenfters
labens in den alten 9tuBbaum warf, war
bei Traugott Bitterling Licht bis tief in die
Nacht hinein, und ber grüne Lampenſchirm
ftanb in dem halbhellen Fenfterrahmen wie
ein Bulett. Ja, Traugott Bitterling war
auch jo eine arme Geele, bie ein Heim:
web im Herzen trug, auf bellere Tage
hoffte und vom Bergangenen zehrte, Jahr
und Jahr, und jid) das Herz dürr und troden
gejchrieben hatte. Aber fein Regen fam, der
bas verdorrte Feld grünen made.
Es ift freilich jchlecht beftelt um eine
Geele, bie das Heimweh hat und vor Sehn⸗
ſucht welt wird unb den Kopf hängen läßt.
Uber wenn einer nod jung ift, nod
nicht Skelleln und Lajten der Ehe trägt und
bas Herz auf dem rechten Fled und offene
Mugen bat, ber tajtet fih facht unb ficher in
ben neuen Boden hinein, ftredt bie Wurzeln
nad) den fühlen Adern, bie im Erdreich rin:
nen, und die Blatter nad dem Tau, der
vom Himmel fällt. Die Kraft der Jugend
bat manches Geheimnis in fih. Und als
Rarl Asmus aus der Ferne mit feinen Ge:
danten zurüdtam und in die Nähe blidte
ringsum, fand er, daß ibm aud hier in ber
emde ein Ctüd Heimat gejchenft war,
er bem Fenſter unter dem Dachfirſt hatten
Schwalben ſich ein Neft gebaut, [hoffen pät
abends nod) zwitjchernd nad) ben [djmür:
menden Müden bin unb wider, und menn
fle zur Rube gefommen waren, dugten fie
neugierig aus dem Fluglod) auf bas Mens
[djenfinb unter ihnen, Hinter ber Berjdas
Dentige Seele BESSSEGSSsssed 127
lung zur Linten wohnte ein Paar Rotfebhl>
den, und in der Dachrinne unten [djilpten
bie Spaten. Das waren Freunde aus feines
Baters Haus, und er fonnte mit ihnen reden
von dem unb jenem, denn er perjtanb ihre
Sprade. Unten am Waller ftanden die
Weiden und tranfen wie am Bad daheim,
unb ber Holunder war aud da, der beim
SBeberbáusdjgen auf dem Hof neben dem
Holaftoß ftand; ber atmete ftreng und [üB,
und die weißen Dolden leuchteten aus der
Dämmerung wie Tauben am Gewitterhim-
mel. Und ein Stüd weiter unter bem Birn-
baum ftand eine Bant, bie war immer leer
unb rief, daß einer fame und fih jegte, aber
es fam teiner. |
Und eines Abends badjte Karl Asmus,
Darauf läßt es fid) fo gut fiken wie unter
einem Raftanienbaum, vielleicht aud) beffer,
ging und ftieß die Tür jeines Rammerdens
auf, fletterte bie Außenftiege hinab auf ben
Umgang wieder eine Leiter hinunter auf
den Hof, bann in ben Gemiijegarten am
Nußbaum vorbei bird) ein Stafetenpfirtden,
grün mit weißen Cpiben; nun ftand er am
Wafer, bórte bie Wellen gurgeln unb von
drüben ein [pátes Wajchholz flatidjen, ſchnitt
einen Weidenzweig, flopfte und ftrid ibn
unb madte fic eine Querpfeife mit fieben
Löchern, feste fih auf die Bant, blies in die
ftille Abendluft ein Lied nad) dem andern,
unb bas Waſchholz fdjlug den Tatt. Ob es
aud) nur ein bürftiges Inftrument war, bas
er an ben Lippen hatte, war es bod) genug,
daß feine gage Geele damit |predjen unb
fingen fonnte. Und er mochte Gott danten,
daß es ihm möglich war. Denn wenn einer
nicht fagen tann, was in ihm lebt, fo ober
fo, auf irgendeine Weife, Dann muß er per»
berben. Go wurde fret und wandelte fih
in Töne, was in feinem Herzen war. Das»
bei fam er auch zu dem Lied von Straßburg,
ber |djtveren, jüßen Weile vom Heimweh, bei
dem das Herz zittert vor Bangigteit und
bas weit hinausgeht über alle Dinge bieler
Welt. Das Mädchen, das drüben am Ufer
wujch, hörte auf und hielt bie naſſe Wajde
in den gefalteten Händen, und es wurde ihr
[o fdjmer um bie Bruft, daß fie taum atmen
lonnte; die Tränen liefen ihr über bie Wan»
gen, fie wußte nicht woher. Traugott Bitter»
ling, der bas Fenſter offen hatte, ließ bie
eder im Tintenfaß fteden, [tiigte den Kopf
in bie Hände und jab in bas gelbe Petroe
leumlicht, bis bie Frau, bie Rinderjtriimpfe
ftopfte, ibn beforgt unb müde fragte: , Trane
gott, fehlt bir was?” Da nahm er bie
Feder wieder in bie Hand und girfelte ben
Schnörkel tunftvoll und ruhig zu Ende. Und
Rarl Asmus blies unb war gar nicht mehr
128 Johannes Höffner:
auf dieſer Welt. Er hörte nicht, wie Gung:
frau Wieje durch ben Garten gejdliipft fam,
bis fie vor ihm ftanb, mit einem Conner
Ihirm, obwohl es Abend war, aber der Pa:
paget auf ihrer Schulter war ein empfinb:
liches Tier und mußte geborgen fein vor
Zug und Kühle, bie vom Waller fam und
mit den Spiken ihres Wiener Schaltuches
jpielte. Rarl Asmus erſchrak und ließ bie
Flöte finten, aber bann fah er, daß es Gung:
frau Wieje war, bie ba|tanb und ihn fragte:
„Du haft wohl Heimweh?" Da ftürzten
dem Jungen bie Tränen aus den Augen,
daß er nicht Antwort geben konnte, und
Sungfrau Ziele ftreichelte ibm die Wangen:
„Wer Heimweh hat, ift feiner von ben
Schlechteſten.“
An dieſem Abend fand Karl Asmus ein
Stück Heimat auch bei den Menſchen, und
das erſte Herz, das in der Fremde ſich ihm
auftat, war das Herz eines alten, vertrod:
neten Sjüngferleins, das ein Spott und ein
Cpeftafel war, wie es hochgeſchürzt bei
Regen und Sonnenjchein mit feinem Papagei
einberging, immer den Schirm über bem
jhmalen, vornübergeneigten Kopf auf dem
ipillrigen Hals, bas graufchimmernde Haar
geicheitelt und gewellt bis über bie Ohren,
darin lange goldene, mit ſchwarzem Schmelz:
9*"*"99*99909025000009000900000000€ 0090€99000009000900009090009992 090-0 ge
Eine aus:
gefptelte Rolle:
Sudanan,
ber Betreier
bes ruffifchen
**«490909099499949900000909909060009090000009000090968096022909900260060009209960229509009000065809090945804000000000280
Deutihe Seele [BES£3X333€*3€33€332€3€38
wert ausgezierte Gehänge blinferten; Die
roten Strümpfe brannten wie Mohn über
ben Lajfting|duben, und die bürren, fantigen
Waden waren wie Stengel. Die Rinder
ringsum [tanben am Rinnitein ftilI, tnidften
und jchwentten bie Mtiigen: „Guten Tag,
Jungfrau Wiele,“ fdnitten Gefichter hinter
ihr ber unb lidjerten, und feiner verwies es
ihnen, denn fie batten den Spott über fie
von ihren Eltern. Aber Jungfrau Ziele
nahm bie Welt wie einen Traum, hatte bie
Tür hinter fid) zugetan und lebte in einer
eigenen Welt, in ber feiner über fie lachte
und mit ihr feinen Spott hatte; ihr Herz
freilich verjcehrumpelte immer mehr von Jahr
zu Jahr. Und nun geldab es bei Karl
Asmus’ Flötenjpiel in ber Sommernadht,
daß ihr fnódjernes Herz ein jchüchternes,
grünes Schößlein trieb, wie wenn wieder
junge Tage fommen wollten, aber es war
nicht mehr bie fiige Mädchenliebe, bie fih
dem Leben in bie Arme werfen will, jondern
die Liebe, bie bas Alter beglüdt und nod)
einmal an diefe Welt tniipft und Rettung ijt
aus der Kälte der Tage, die ein Leben in
die Arme nimmt nad) Mutterart, um es
zu pflegen und zu ſchützen, wie Tiere [id) eines
Jungen annehmen, das ihnen nicht gehört,
nur weil es ihrer bedarf. (Fortiegung folgt)
Beid)jnung von
O : A.M. Cay :
H H
; H
* — Wioltes Im :
: Dienfte ber :
: Menichlichlett :
e
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Gemälde von Prof. Robert Sterl
Schiffszieher an ber Wolga.
ZEN
SE EZ Bea,
J ge E cat, SA
—
ECH
fas.
wy i
Dm Hafen von Nitrahan. SI[tubie von Prof. Robert Sterl
Fr ———— e —
er Sterl Bon Prof. DrPaul Schumann
©)
StürlundStirl: Sterl.
Ein Stirl ift ein ſpitzer
Begenitand in Form
eines Gtodes oder
einer Stange, 3. B.
eine Butteriterle, bie
gum "uttern bient,
ober ein Ofenftirl zum
Schüren bes Feuers.
Sucht man ben finn:
bildlichen Gebalt die-
jes Wortes als Mame
eines Mannes, fo
fommt man auf jebem
ber üblichen Wege
dazu, daß er Den
ichöpferiihen Willen
bezeichnet, ber fid) be»
tätigt burd) finnvolle
Bewegung an fid) un:
tätigen Stoffes. Gang
vorzüglich paßt diejer
Name auf unjern
Dresdner Dialer Ro:
bert Sterl, ber eine
traftvolle Perſönlich⸗
tert voll Gelb[tánbig:
feit und Eigenart ijt.
Durch fein ganzes Le:
- = ter! ijt ein edt fa
$ mindejftens-in bieler
wärts lautet er Girl ober nod)
vornehmer Stürl, in Mitteldeutjch-
[anb wird aus i vor r ein ä, aus
Birne: Barne, aus Wiirmer: Warmer, aus
x
sen; db Jame,
orm; ander:
0.012
ty
e e A
f «|
*
— —M — a
Selbjtbildnis des Künftlers. Zeichnung
ben, das jtets aufwärts ging, geht der Zug
ftarfen, eigenen Willens, der fih nicht ber
Manier eines Meiſters, eines lebenden ober
toten, unterordnete, jondern fi
p Meiſterſchaft emporarbeitete.
eiſching betonte kürzlich, daß bie öſterreichi—
aus Eigenem
Julius
ide Runjt neuerdings
ihre beiten Kräfte nicht
aus Wien oder andern
Großftädten, jondern
aus ländlichen Volks⸗
freijen gewinne. Auch
anderwärts fann man
bas jelbe beobadhten.
Robert Sterl gehört
zu diejen Kräften, bie
aus dem Lande oe:
fommen er unb er
it ein Cade, der
faft ununterbrochen in
Gadjen, in Gachjens
Hauptitadt Dresden
gelebt bat und bier
en bhodangejehenen
eijter geworden iit.
Ein feltener all,
denn in ber Riinjtler-
Ichaft gilt bie Frei—
zügigkeit, und muftert
man bie Lijten ber
Künftlerfchaft in ben
perjdjiebenen Deut:
Iden &unititábten, fo
erfennt man überall
eine bunte Miſchung
130 VP —/l Prof. Dr. Paul Schumann: 13332333233 333349
aus allen Bauen Deutichlands, zu ber bie
wanderlujtigen Gadjen ihr gut Teil beifteuern.
Robert Sterl aber hat feine SBobenjtánbigteit
NEE nicht etwa in ber Wahl ausjchließ:
ich jächliicher Vorwürfe zu feinen Gemäl-
den, wohl aber für feine Beton: und feine
Tüchtigkeit im Verein mit ber Gunft des
Gejdjids hat ihn dazu geführt, daß er heute
im Alter von fünfzig Jahren als Leiter einer
Meifterwerkitatt ber DresdenerRunjtafademie
eine angejebene Ctellung einnimmt und mit
Bußmann, Banger, Bradt, Liihrig, Grok,
Diez, Wrba an der Spike Der Dresdener
Künftlerjchaft fteht. Auch auswärts wadjt
jein Ruhm mit jeder größeren Ausjtellung.
Robert Sterl wurde am 23. Juni 1867
in Gropdobrik bei Leuben unweit Dresden
als Sohn eines Cteinmeten geboren, ber
ſchlicht und recht feine Gandfteine bearbei-
tete unb feine Familie notdürftig erhielt,
leider aber jdjon [tarb, als’ ber Sohn taum
lieben Jahre alt war. Die Mutter 30g nad)
Dresden. Frühzeitig zeigte fih bei dem
Knaben bie ausgejprochene Neigung zum
proh und Malen; bie Mutter legte ibm
eine Schwierigfeiten in den Weg, |o trat
Robert Sterl mit vierzehn Jahren in die
Dresdener Runjtafademie ein, und in regel-
mäßigem Gange fam er in die Meilter:
\ t x d ^
5 ` °
by HA * E
i * a GET € l ^
3 Grntearbeiter. Oljtudie
werfitatt von Ferdinand Pauwels, jenem
geborenen Belgier, ber über Weimar nad)
Dresden gefommen war und bier bie Fiber:
lieferungen der damals jo hochgeſchätzten
belgijdjen Hijtorienmalerei ber Gallait, De
Biefve, Wappers ujw. hütete. Freilich war
der Stern Diejer Bejchichtsmalerei Damals
ihon im Niedergang und ftrahlte nur nod)
aus in einer friedlichen, nicht aufregenden
Malerei von Anekdoten und Gittenbildern
in allerlei met gejchichtlichen oder aud)
zeitgenöjliihen Trachten, der jogenannten
(Penremaleret.
Auch Robert Sterl! malte aunádjit folde
Bilder, aber zu geldjid)tlid)en Trachten ver:
itanb er fid) keineswegs, nur zu Bildern aus
‘Der Gegenwart, Sele ates von Szenen aus
dem Leben, bie erjelbjtgejehen hatte, 3. B. einer
Veſper in der Dresdener Kreugfirde, einer
Gemadldeverfteiqerung, einem Betenden in
der fatholijdhen Hoffirdhe und ähnlichem.
Erfennt man in ihnen nod) bie Anweijungen
des Meijters figürlicher Anordnung, fo zeigt
(id Dod) ſchon [harfe Beobachtung im ein:
elnen Studium des wirklichen Lebens.
hon nad) einem Jahre fam es zum Bruche
zwilhen Meijter und Schüler, ber indes
weniger aus fiinjtlerijdhen Meinungsver:
\chiedenheiten als aus auseinandergehenden
Unlichten über Verſprechen
und Halten hervorgegangen
war. Gterl [tano nun anf
eigenen en und mußte
ji wie jhon vorher durch
Suftrieren und äbnliche
Brotarbeiten über Wajjer
halten. Die Not des Lebens
fennen zu lernen fand er
babet SE Gelegenbeit,
aber feine Gejchidlichteit yalr
ihm weiter: es war ihm bei-
jpielsweije ein leichtes, un-
genügend ausgeführte Bilder
zu Bilderbüchern tn Farben
zu jegen und [ie malerijd)
au beleben.
Diefe Arbeiten Gig cns
ten ihm fogar eine Weile
nach aris, wo er jid) vom
Januar bis zum September
1893 N um fic) in der
neujten Dtaleret umzujehen.
Man fann aber niht jagen,
daß er dort ganz neue An—
regungen empfangen babe
und von Paris als ein an:
derer heimgefehrt fei. Einen
ftarfen Eindrud madte nur
wrangois Millet auf ibn.
Dejjen Bauernbilder, die ohne
alle Verſchönerung die land-
liche Arbeit in ihrer Mühſal
und in ihrer jadjlidóen Kraft
veranjchaulichen, bejtärften
Sterl nur in jeiner Freude
an der Wiedergabe ebenjol:
cq Ger Vorgänge aus der Welt
BESTS 30 39:39 39 39] Robert Sterl «2«2«] 131
v T : Eo i ^-^ t Ga £ < 2
PE HM Ze SKI äs,
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` * Lahr `
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La]
Ed Spikenflipplerinnen. Gemälde 5
ber Arbeit, und zwar ber Arbeit mit
ber Fauſt und der PMtannesfrajft in freier
Natur, die ihn ſchon vorher [tarf anges
zogen hatten. Denn bereits 1889 war er
zum erften Male in die Eanditeinbrüche
von Pojtelwig an der Elbe gegangen, um
dort zu Jdauen, zu zeichnen und zu malen.
Sicherlich haben hierbei die Eindrüde aus
feiner frühejten Kindheit vom Werfplage
des Vaters mitgewirkt. Aus diejen Studien
in ben Poſtelwitzer Cteinbrüdjen entitand
als erite Frucht ums Jahr 1894 eine Folge
von Sllujtrationen für die Zeitjchrift ‚Uni:
verfum‘: Aus Sachſens Sandjtetnbriiden.
Auch Sterls Gemälde aus Dielen d hide
3. B. Studie aus einer Ziegelei, Marftizene
(1891), Dorfapothefe, Nah der Schule,
Dorfjunge, Brot abjchneidend, Junges Mäd—
den, Studienfopf (1892), Mädchen im Gar:
ten (1893) fanden Beachtung bet der Rritif
wie bei ben Kunjtfreunden und aud) bei
ben Riinftlern. In Dresden gärte es da-
mals unter ber jungen Künjtlerichaft. Die
Dresdener Runjt ging idc ber Überalte—
rung der führenden Wfademifer in ben 1880er
Jahren immer mehr abwärts und erlitt aus-
wärts jdjwere Niederlagen. Es fam zur
Spaltung: die jüngeren Künſtler, unterihnen
Karl Banger, Wilhelm Ritter, Paul Baum,
Wilhelm Claudius, ſpäter aud) Georg Lüh—
rig und Georg Miiller-BWreslau und andere
traten zu einer Gezejlion zujammen und
brachten friiches Leben in das [tillitebenbe
und verjumpfende Dresdener Runjtleben;
die imprejjionijtiiche Runt, bie Ginbrtds-
malerei mit ihrem Naturftudium im freien
Lidte begann ihren Giegeszug aud in
Dresden. Die Führenden unter diejen jun:
gen Künftlern Juchten aud) Sterl in ihre
treije zu ziehen. Ter aber war und blieb
ein Mann für fid) unb ging nicht mit ber
übrigen jungen Riinftlergemeinde nad) Gop-
peln und dem lieblichen Gebergrunde bei
Dresden, wo dieje im Borfrühling ihr Lager
aufichlug und in eifrigem Statur[tubiun neue
pear ſuchte.
er Freilichtmalerei huldigte ſelbſtver—
ſtändlich auch Sterl, aber er ging nach wie
vor ſeine eigenen Wege. In der Ziegelei
zu Mockritz, in den Gärten und Wieſen bei
Zſchertnitz und Leubnitz-Oſtra ſuchte er die
Vorwürfe zu ſeinen Studien und Bildern,
und in die Werkſtätten der Handwerker wan—
derte er, um ihnen bei der Arbeit zuzuſehen,
wie er es einſt als Kind im früheſten Alter
bei ſeinem Vater getan hatte. Einmal reiſte
132 E Prof. Dr. Paul Shuman: BSSSSSSS33334
er aud) mit Karl Banker in deffen heſſiſche
Heimat, wo fih damals in bem trachten=
reichen Zorte Willingshaujen an ber Schwalm
ein gejelliges SDtalerleben bei gemeinjamer
Arbeit entwidelte.
Aber nur einmal ging er in diefje Maler:
nieberla|]]jung. Wie er immer ein Dann
für fid) war, wählte er fid) im Jahre Dor:
auf das Dorf Holzburg in der Schwalm
um Orte feiner Studien, wo feine andern
aler jaßen, und bier blieb er auch den
angen Winter hindurch bis ins Frühjahr
hinein bei den Bauern. Da entitanden
ilder von Innenräumen mit ihren Jn-
laffen, Schafe im Schnee, Hohlweg, Schäfer
am Feuer, Schäfer am Bache, Märziug und
weitere Frühlingslandjchaften. Inzwiſchen
batte er auch den Vogelsberg zwilchen Fulda
unb Belnhaufen tennen gelernt. Die herr:
lide Landſchaft mit ihren weiten Buchen«
wäldern 3og ihn mächtig an, unb viel bejjer
als die beiden Bauern in ihren Tradten
Gemälde
Bildnis.
gefielen feinem [chlichter gerichteten Ginn
die einfadjen Bauern am Wogelsberg in
ihren unauffälligen Kleidern, me | ihre Haus:
arbeit, die Töpferei mit Brennen im eigenen
Ofen, ent[prad) feinen Neigungen, und [o
ing Sterl alljährlich dahin, bis er fih ſchließ—
ich felbft in Wittgenborn ein Kleines Haus
mit Malerwertitatt baute. Hier verlebte er
jährlich jechs bis fieben Monate mit feiner
Frau eine Reihe glüdlicher Jahre, und in
diejer Zeit ent[tanben viele Bilder aus bem
Landleben, von ländlicher Arbeit (a. B. Aus
ber Töpferwerlitatt) und Landjdajten, die
bes KRünjtlers hohe Freude an diejem töft-
lichen beut|djen Lande widerjpiegeln. Aber
aud) zu Haufe in feiner eigentlichen Heimat
arbeitete und ftudierte Ster! unablälfig wei-
ter — und wieder ganz bejonders bei den
Gteinbredern im ſächſiſchen Elbjandftein:
gebirge. Dabei bejchäftigten ibn ausſchließ—
lid) Die malerijdjen Aufgaben, denen Die
aufitrebende neue un amals nadging,
vor allem die Wiedergabe der ar
ben unter der Etnwirfung von Luft
unb Lidt und ber Bewegung in
unmittelbarer Lebendigfeit. Eine
ſchöne er Deler Studien war
das große Gemälde ,Heimfehrende
Arbeiter, das in Poſtelwitz ent:
itanb. Und bann famen die Bilder
der Arbeit felbft, nachdem es Gier!
in heißem Bemühen mad) vielen
Studien gelungen war, in überzeu=
gender Weile den Sanditein im hellen
Sonnenjdein zu malen und Bewe—
ungen ber Arbeiter mit rajd)em
intel oder Ctift feitzuhalten. Da-
mals jaben wir zum erften Male
mit Staunen diefe Bilder der Arbeit,
wie bie GCteinbredjer im prallen
Gonnen|djein in bas Gejtein bauen,
wie fie bohren unb [topen, wie fie
wudten und heben und fchieben,
wie fie alle ihre Kräfte anftrengen,
um des Gefteins Herr zu werden, die
Maffen in Bewegung zu jegen und
dem menſchlichen Gebraud) dienftbar
zu ye bt Eine echte Wirklichkeits:
funft, Dafeinsbilder voll Kraft, Gee
jundbeit und Natürlichkeit, bie über»
haupt den Brundzug und das We:
jen der Sterlſchen &un[t bilden. Er:
findungen ber Phantalie liegen ihm
ang fern, immer ift er durch bie
rjdetnungen ber —— elt,
des Daſeins und des Lebens zum
Schaffen angeregt worden, wie ſich
Gegenſtände und Menſchen in Licht
und Luft darſtellen, in Leben und Be:
wegung. Gang E aber zieht
ibn die körperliche Arbeit an, bet ber
der Arbeiter nod) wirklich eine Perſön—
lichkeit ift, nicht bloß ber Beobachter
einer ajdine, ein Radden in
| einem felbittätigen Getriebe eleftri:
Ee Kräfte. Bon Meunier unter:
a eidet fih Sterl dabei grundjäß:
SSS SSS SSSSOSSSSSS SS SSS SF SS SSSSFFSSSSSSSSSSSSSSSSFSSSSSSSSSSSSSSSSFSSSSSSSSSSSSSSSS —
Szenenbild aus Ariadne auf Naxos‘
Gemälde von Prof. Robert Sterl
— — — — — — —
— —
- “ns ES,
A) ebe Te
A € E M
- v “* e
EI
lih, indem er nie feine Arbeiter zu Helden,
u Trägern einer monumental gejteigerten Wns
en emporhebt, jondern fie immer in
voller Natürlichkeit |djilpert, in Wahrheit und
Echtheit. Auch bieje Runjt hat hohen Wert,
denn jie [enft unjere Blide auf einen Lebens:
treis, ber nicht minder anziehend und ehren:
wert und dabei notwendiger ijt als mancher
andere, den Die Kunjt fonft bevorzugt, und
Sterl zeigt uns ihn doh nicht in barer
Niüchternheit, jondern wie ihn ein Riinftler
Debt: jo lehrt er aud) uns, diefe Wirt-
lichfeit mit Künftleraugen jehen, uns zu er:
freuen an Bewegung und Leben, an Licht
und Farbe Ein Neuland jádjijdjer o
matfunjt war mit Diejen bedeutjamen Bil:
dern aus ben Cteinbrüchen ber ſächſiſchen
Schweiz burd) Sterl erobert. Erfreulicher:
reije ijt es aber nicht Mode geworden.
Denn die allgemeine Diode bedeutet immer
den baldigen Tod einer Runjtridtung.
Sterls Anjehen in der Dresdener Künſtler—
Ihaft Diego ununterbroden. An ber &unjt:
afabemie war ein Umjchwung eingetreten.
Mit Gotthard Kühls Berufung hatte er be:
penes bie moderne Kunſt zog mit ibm in
ie heiligen Hallen ber jtaatlichen oe Kan
ein, und Kühl, der bald eine herrichende
Stellung in ber Wfademie und im Dresdener
0393: 0393939393939] Robert Sterl 133
Steinbrud. Gemälde aA
Kunſtleben zu erringen wußte, war felbjt:
verjtändlich beftrebt, ber neuen "dung
frijdes Blut und Leben zuzuführen Er
wurde auf Sterls gejunde, frijche Kraft aufs
merfjam und zeigte jeine Neigung zu Dellen
Malerei, indem er mit ihm gemeinjam bei
(mil Richter in Dresden ausjtellte. Dann
aber peranlaBte er 1904 GSterls Berufung
an bie Kunftafademie als einer der Leiter
des Maljaals. Ein Kë glüdlicher Griff:
denn Cter[ war und ijt ja in erjter Linte
Maler, das will jagen ein Riinjtler der
Farbe, der Augen, der bie Natur mit voller
Borurteilslofigteit beobachtet und in fid) aufs
nimmt und jeglichen Gegenftand als Cre
jcheinung in ihren Farbenwerten, fei es in
vollen Sarben ober mit dem Etift auf Dell
und Dunfel vereinfacht wiedergibt, wie er fie
Debt. Ob er dabei mehr auf Vollendung
ausgeht — dies Wort natürlich im modernen
Cinne verjtanden, nicht im Sinne des Scharf:
lebers, ber fid) feine einzige winzige Cingels
bet entgehen läßt, jondern im Ginne Des
Bejamteindruds — oder ob er jid) mit ber
— Skizze begnügt, ob er zart mit
einem weichen Pinſel malt oder mit kräf—
tigen, derben Strichen ſeine Eindrücke feſthält
— ſiehe die Abbildung des trinkenden Ernte—
arbeiters a. ©. 130 — ob er ſich auf eine eine
134 beSsssssssssessse] Prof. Dr. Paul Schumann: Iesse eet
heitlihe Farbenhar—
monte in wenigen Tü-
nen bejchränft oder ob
er Jeine Farbenkunſt in
rauichenden Akkorden
einherjchreiten läßt,
immer ijt feine Mtaleret
voll Leben und Natür-
lichkeit, dd jede ge:
wollte Poje und Ma—
nier. Eine ſolche Runft
aber ift aud) ganz be-
jonders als Lehre
wertvoll und nützlich.
Einem Schüler, der
bet Gterl bie Natur
jehen, beobachten und
malen gelernt *
ſtehen alle Wege offen
zur Eindrucks- oder
* Aur Ausdrucks⸗
malerei, zur Entfal—
tung feiner Neigungen Q
und feiner Perjönlich:
teit dem Stoffe wie ber Ausgeftaltung nad).
Gterl gibt ibm das Werkzeug mit, das er
We: m fo — Weiſe beherrſcht,
as Malen nad der Natur und dem Leben,
die Fähigkeit, beides in aller Sorgfalt und
Gewiifenhaftigteit aufzunehmen und wieder:
zugeben und damit fih einen innern Gdjat
von Anjdauungen zu jchaffen, mit denen er
dann als Herricher frei jchalten tann, ohne
in Manier und Schablone oder gar in bloße
Nachahmung zu verfallen. Der gefeierte Ex-
refjionijt Franz Marc zeugt davon: feine
Frühen Tierjtudien befunden eine [taunens:
werte Schärfe der Beobachtung, eine Natur:
treue ohnegleichen, und erft auf diejem BN
Grunde baute er feine jo ganz perlönlich
ftilifierte Runjt, den gebändigten Fluß feiner
È Bote in Kafan. Slſtudie
1x bag? T |
ved a eee
SBajjermeibe. Aquarell
Xinien, feine ganz naturabgewandten Far:
benphantajien auf.
Wenn wir dés ftarf betonen, daß Sterl
jo feit fußt auf bem Boden ber Natur, fo
fonnte es jdjeinen, als wäre er nicht nur ein
Realijt, b. b. einer, ber fid) in der Wahl
feiner Stoffe an das Reale, das Gegenſtänd—
liche, bie Wirklichkeit hält, lonbern aud ein
Naturalijt, b. b. einer, ber diefe Wirklichkeit
in aller Treue bis in alle Einzelheiten ab:
jdreibt unb nad)bilbet. Dem ift nicht fo.
So wertvoll der Naturalismus, b. b. der enge
Anſchluß an die Natur, für bie Kunit ut
vor allem zu Zeiten, in denen bie Runjt, in
irgendwelche Manier verfallen, feine weitere
ejunbe Entwidlung findet, allo auf einen
— Nährboden zurückverſetzt werden,
zur Natur zurückkehren
muß, ſo kann der Na—
turalismus, die getreue
Abſchrift der Natur,
doch nie dauernd End:
wed ber Kunft fein.
eder echte Künitler
Debt die Natur ſchließ—
lich mit eigenen Augen,
in eigener we We
Daß es aud Gterl
tut, lehrt ein Blid
auf die Reihe von
Bildern, die wir in
arben bier wieder:
eben. edes feiner
ilder ift aud) eine
malerijdje Leiltung ; im
farbliden —
klang, in der ſtarken
Zuſammendrängung
des Eindrucks, in der
Lichtführung offenbart
ſich ſeine Eigenart, die
nirgends ins Fremd—
8 artige, Sonderbare
— ra
PSSSes sss see] Robert Sterl BSSSSessesesssessd 135
vorftößt, bas Befannte aber in neuem Maler:
erleben uns vorführt.
Dak Sterl! ein Riinjtler von feinjtem Ge:
Ihmad ijt, bezeugen vor allem feine Bild-
nijje. Nicht durch eigene Neigung ift er auh
zum Bildnismaler geworden, jonbern bird)
die Aufträge, die (id) ibm aufdrängten. Das
Bildnis ift im gewiljen Sinne ber Prüfitein
fiir jeden Maler. Die ganz moderne Runft
hat dieje Probe bisher jchlecht beitanden:
und zwar weil die jüngjten Dialer die Pers
jon reinweg zum Feld ihrer erfahrungslojen
SBerjudje, ihrer noch nicht geflärten Runft-
lehren und ihres auf Neues ausgehenden
Dranges madjen. Es fehlt ihnen noch ber
Gejhmad. (QGejdjmad und Genialitát, Ge-
ihmad und ehte Künſtlerſchaft jchließen ein:
ander feineswegs aus — man braudt nur
an 3Befasqueg oder van Dyd zu denten.
Robert Gier bot diejen echt fünjtlerijd)en,
nicht nur modijden Gejd)mad. Geine Bild:
nijje find jchlagend Ähnlich, fie erfaffen die
Perjönlichtert in ihrem Wefen, in ihren felt:
baftenben Zügen, auf ihr inneres Gein ge:
Dellt und in ihrem bezeichnenden Auftreten.
Niemals fieht man bet ihm bloße Pole, eine
auf irgenbmeldje Wirkung berechnete el
tung, eine SBebeutjamfeit, bie bem Dargeftell-
ten gar nicht eignet, Turgum Unnatur. Na-
türlichkeit, Gelbjtverjtändlichkeit ift auch bier
bas Streben Gterls, deffen ganzem Weſen
Unaufrichtigfeit, Gejpreiztheit, vorgetaujdte
Würde oder Eleganz völlig zuwider tft... Sind
ihm jo Wejenswahrheit in Geſicht und Hal-
tung bas erjte und wicdhtigjte Erfordernis
eines guten Bildnijjes, jo eint fid) damit
immer eine farbige rah yaad ee bte Diejem
Wejen ent|prid)t. Er lenft unjere Aufmerk—
jamfeit niht auf Unwejentliches, nicht a. B.
auf bie täujchende Wiedergabe von Samt
und Seide, Spiten, Perlen ober Gbeljteinen,
aber er vernadlajfigt diefe äußerlichen Zus
taten auch nicht bis zur Unfenntlidfeit aller
Formen und ftoffliden Gigenidjajten, ſofern
jie zur Kennzeichnung der Perjönlichkeit bei-
tragen, er weiß fie vielmehr zum einbeit-
lichen Gejamteindrud zujammenzufafjen und
dem Hauptzwed, ber Erfaſſung der ganzen
SBerjónlid)fett, bienjtbar zu machen. as
Bildnis der Königin Carola von Gadjen,
die er in |chlichter Bornehmbeit voll Milde
und Güte Dargeftelt Bat, die Bildnijje
bes alten Grafen Vitzthum, des Grafen
Lynar auf Liibbenau, des Rommerzienrats
Wiede in Zwidau, des Herrn L. Uble in
Dresden find bezeichnende Beilpiele diejer
Ofternadht in Mostau. Aquarell D
136 PEEESFESTEITSTEN Prof. Dr. Paul Chumann: Bececcooococd
geihmadvollen und echt künſtleriſchen Bild:
nisfunft Sterls. Das weibliche Bildnis, das
wir a. ©. 132 wiedergeben, zeigt dieje Kunſt
auf nicht geringer Höhe: bie jtraffe Haltung,
die willensitarte Hebung und Wendung des
Kopfes, ber von Dunflem Haar jo wirtjam
umrahmt wird, der lebendige Blid, der feft-
geichlojjene Mund, alles diejes Wejentliche
iit in gejdlojjener Wejensfennzeichnung
wirfjam und Iebenspoll hervorgehoben; das
anjchließende grünliche Gewand und die aol:
dene Kette betonen wohl die vornehme Ele—
ganz der Dame, drängen fih aber nicht im
mindelten vor, und bie ganze Erjdeinung
jteht in farbiger Harmonie auf bem rótlid)-
blauen Sintergrunde.
Wiederholt hat CterI auch die berühmten
Rapellmeijter Schuh) und Nikiſch gemalt,
jowohl als Cingelperjonen wie als Diri-
enten inmitten ihrer Kapelle. Nicht aus
Zufall, im Gegenteil, [hon aus feinen Ge-
mälden erfennt man leicht bie innere Ber:
wandtſchaft feiner Kunjt mit ber Mujit.
Sterl ijt in ber Tat eine Port mujifalijdje
Natur, und wenn er aud) jelbjt außer feiner
SFarbentunjt fein Injtrument jpielt, jo lebt
er bod) mit ganzer Geele in der Mufif.
Nicht leicht wird er eins der vornehmen
Sinfoniee und Rammermufjiffonzerte oder
eine ber großen Opern verjäumen, die zu
den Blanzpunften des hochentwidelten Dres:
dener Muſiklebens gehören. Die neuere Le:
nijde Austattung der Opern und Shau-
piele an der Königlichen Hofbühne zu Dres:
en fteht auf einer jolden Höhe, dak nicht
bloß das Ohr, jondern aud) bas Auge in fünit:
lerijchen Geniijfen jchwelgen tann. Hamlet
und Jedermann, PBarjifal und Ariadne auf
Naxos zeugen hierfür in mannigfaltiger
Meile. Den malerijchen Eindrüden, die fo
von der Dresdener Bühne ausgehen, ver:
danten wir 3. B. Sterls in echt mujitaltidjer
Stimmung aufgefaßtes Bild aus Ariadne
auf Naxos. Es gibt die Schlußjzene wieder,
wie Ariadne und Thejeus jid) finden, wäh:
rend zur Kinten der Gaftgeber und jeine
beiden pbhilijterhaften Gajte beim Zuhören
allmáblid) einjichlafen. Dieſe Handlung
mit ihrem Gegenjak der beiden Gruppen
hat den Künjtler natürlich) weniger gepadt
als bas malerijdje Bild, das verhältnis»
mäßig rubigjte in biefer wunderbaren Opern:
handlung, mit der großen, blauen, ruhigen
lähe und ihren malerijd) belebenben Farb:
eden. Den Vordeigrund beberrid)t bas im
rótlidjen Lichte verjchwimmende Gewimmel
der Inftrumente und ber Köpfe ber eifrig
|pielenben Mujifer. Gang zur Linten Debt
man Schuchs bewegte Bejtalt mit bezeichnen:
der lebendiger Pirigiergebärde.
Noch eine Reihe anderer wundervoller
Gemalde entitammen Sterls mujifalijcden
Meiqungen, 3. B.die Daritellung des Dresdener
SBetriquartetts — jet in der Königlichen Ge:
maldegalerie zu Dresden — und die beiden
Rapellmeijterbilder: der Dresdener Schud)
am Dirigentenpulte und der Leipziger Nikijch,
gleichfalls als Dirigent dargeftellt. fiber diejen
legten beiden — die Freunde diejer Hefte tens
nen fie, gleich dem ‚Betriquartett‘, aus früheren
Veröfrentlihungen — lregt der ganze ftim-
mungsvolle Zauber, ber ein malerijd) emp:
findendes Auge im verdunfelten Hauje padt,
wenn die Klänge ber Mtujif durch den Raum
Dahinraujden unb das Auge jid an Dem
gleitenden Spiel der Lichter und Schatten
erfreut, bas über Menſchen und Injtrumente
Dabinhujdt. Bei dem Bilde des Leipziger
Gewandhausfonzerts, dem ſtärkſten Ddiejer
Art als malerijdje Leijtung, fommt hinzu,
daß Nikiſch im vollen Licht aus ber Fülle
ber im Dujter verjchwimmenden Köpfe wirt-
jam herausgehoben ijt, und zwar in ftart
verinnerlichter Grfajjung ber Perſönlichkeit
bes Dirigenten, ber mit voller Anipannung
feinen Tontörper beberrid)t und begeiitert.
Zu biejen Bildern, die Sterl ber Muſik
verdankt, gehört aud) bas Hofordejter in
Peterhof, eine reizvolle Frucht einer feiner
ruljiichen Reifen. Es zeigt fein Können in
mannigfaltiger Hinficht. Wie geldjdt ift
der Ausjchnitt eines Heinen Teils bes Tons
förpers in den engen Rahmen gebradht —
ber Ausjchnitt genügt volljtandig, um uns
bas Gejamtbild zu vergegenwärtigen, unjere
Phantafie ergänzt es willig. ie eifrig,
ohne jeden Hıinblid auf einen etwaigen Be-
[hauer find bie Blajer bet ihrem Spiel, bas
die Augen aufs Notenblatt, die Lippen an
das Injtrument bannt, wie lällig bequem
und dabei wie jelbjtverftandlid) 3wedmüpig
iit die Haltung des Flotijten, wie echt und
überzeugend fteht der Rapellmeijter da, obs
wohl wir von ihm nur die Hälfte des Kör-
pers und nicht einmal den Kopf jehen, und
wie mirfjam find die roten Majjen ber Uni—
formröde Durch bas matte Blau der Ntoten=
pulte und die ſchwarzen Mützen ins Gleiche
gewicht gebradjt — ein Meiſterwerk ber
Runjt, gegenjätlid;e Farben im Zuſammen—
flange zu bändigen.
Überhaupt find bie ruſſiſchen Reifen für
Sterl überaus fruchtbar gewejen. Fünfmal
war er in Rußland. Ostar Bie hat in
einem reizvollen Aufſatz, Wolga betitelt, eine
Diejer ganz eigenartigen Retjen mit ihren
wunderbaren malerijden und muſikaliſchen
Ginbrüden und Erlebnijjen lebendig ges
Hilbert. Wir entnehmen ibm einige auf:
Härende Gage. „Die Gelegenheit war fol:
gende: Gergei Kufjewigti, ein Derporragen:
der Dirigent eines Moskauer Orcheiters,
unternimmt alle zwei Jahre mit feinen Leu-
ten eine Tour auf der Wolga, um in den
größten Städten an ihrem Ufer, vom mole:
rijden Jaroslaw bis zum halbaliatijchen
Aſtrachan Konzerte zu geben, und er hatte
die Liebenswiirdigfeit, mid) zur Begleitung
einzuladen. Sch war auf ber Wolga nicht
wie der gewöhnliche Reijende zu einer kurzen
Belichtiaung der Städte nach den Zeitmaßen
des Schiffsfursbuches, Jondern id) war aus:
giebig auf biejem mächtigen Waſſer in einer
erlejenen Gejelljchaft, in ber eigentümlichen
119 3139036 job uoa oqyypms@ "Jogasjogk ui 12jo(pioloG ; :
:
J Ke x. ` d oi 1
$ E s i 3057
t Ca? "3 i . dë 12:5
! P dz Selene. Slate
E oxide ass ER
—
Robert Sterl ee 137
Verbindung mit einem
berufliden Orcheſter,
—
mit einem Ordpejter —
mitten in weltenfernen, d c
mujitfremden Gegen-
ben, und unjer privater
Dampfer fannte nur
das Rursbud feiner
Konzerte, bisweilen
einen , bisweilen zwei
Abende oder nod
einen dritten auf dem
Riidwege, und durfte
jonjt fret dem Willen
feiner Gálte leben, Hä-
fen anlaufen, Nacht:
ruhe halten, Giefta auf»
Juden, Mertwürdig:
teiten bejehen, wie wir
wollten, ein jdwim-
mendes Hotel von eu-
ropáijdem Komfort i —
mitten in wilder Eth- — 8 Lafttragende Perjer. Aquarell t3
nologie, vier bis fünf
Woden lang... An einem hellen Morgen aller diejer polyphonen —— Be⸗
ſtieg mir das Bild auf: der Fluß! Der große, ziehungen... Debt foll er feine Sinfonie be:
ewige Fluß, ber alle Muſik diefer unbe: ginnen. Es ijt Frühjahr, und unfer Schiff
reijten Erde in jid) ſchließt, Anfang und Ende das erjte, bas ihn begrüßt hat. Das Wajjer
& Auf der Wolga. Gemälde à &
Belhagen & Alafings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2 Bo. 10
188 pee 9j Prof. Dr. Paul Shumann: BBSSSSsesssssad
türmt fid) vor Begierde bes Schmelzens, es
weitet fid) ins Unendlidye. Es bebedt Stadt:
teile unb Landjdaften. Der Plagg der Meſſe
von Niſchni-Nowgorod liegt jet noch unter
der Molga, ein Stüd des Tatarendorfes
von Kafan ift von der Stadt abgetrennt,
und an Rajan jelbjt fommt der Dampfer
drei Kilometer näher als im Sommer. Die
Commerwolga wird Injeln, Wälder, Wielen,
Dörfer freifajjen, bie Die Oe
bedt, bie Landeplage wandeln fih, bie Erde
wird grau und ftarf und erobert fid) Ge-
biete vom Waſſer. Wir find auf der Fahrt
Zeugen pieles Ergrünens und Erjftarfens.
as Schiff, bas fid) durh Eis gebohrt Hatte,
endete in ber tropijchen Sonne von Ajtrachan,
um ben Sommer zurüdzuerleben. Waller,
SBajjer, unendlides Waller im Triumphe
feines Frühlings gleitet vor dem Auge, bald
ein|tromig, bald beltaartig verzweigt, ein
Fluß von weiblichjter Energie, ber nur
zweimal, bei Rajan und bet Zaritlin, plöß:
— Richtungsantrieb bekommt, ſonſt U
gehen läßt, fic) anlehnt, fid) verteilt, fi
niiglid) macht unb dod) mit bem einzigen,
wie heimlichen Willen, alles was ihm be-
egnet, fid) zu unterwerfen, in Waffer zu
RER eg
„Drei Maler waren bei uns... ein Un-
ar... ein Jungruffe ... und Robert Sterl.
terl pflegte feine Spezialität: bie Hafen-
arbeiter und machte zu ihrer Verherrlichung
Ihon das Drittemal diefe Reife mit. Ein
Meiſter feines Faches, den id) liebgewann
um bes ernjten und unermiidliden Eifers
willen, mit. dem er feine Augen und feine
and in ben Dienft ber Kunſt ftellte...
terl jaß in aller Herrgottsfrühe für fid
allein auf Sed und jfizzierte die Träger
und bas Bolt, Filchereien und Prozelfionen,
um es dann in feincr als Atelier eingerich-
teten Kabine zu Ende zu führen. Schließ—
lid) hing es am Bromenadended zum Trod:
nen. it thm ftand id) gern und ſprach
über bie Eindrüde, Wie bie rüdlichtslojen
Farben auf ben Pferdebügeln ftrahlten, auf
den Kinderwagen, auf den Dächern, auf den
Ruppeln, golden, jilbergrün, blau, frei gegen
den Himmel. Wie die Linien fih aus Der
europäilchen Bertifale ins Horizontale wan:
Rajtträger. Gemälde 5i
—
— —
T iR VY e
Wrap S4
—
D
m
Ké
EJ
á -Jė
Robert Sterl B
a Kameraden. Gemälde g
delten, alles breit, niedrig, ajtatijcb, ein "d
wageredjt gewebter Majhen, in das fi
abgejebt bie Farben eintrugen, bisweilen
[darf und bejtimmt, bisweilen von leichtem
Dunft Barmoni|tert, um jede Tageszeit an-
ders und jeden Tag neu, diefe legte Wusein-
anderjegung des ausgejproden Erdhaften
mit dem ausgejproden Wallerhaften. Die
anhaltende Gewöhnung ließ uns Reize in
den Dingen entdeden, die dem üblichen
Reijenden verlorengehen. Gie lehrte uns
bas Perjönliche, in langen 9tuBerungen Gba:
rafter gewordene biejer Natur und noch mehr
Diejer Wtenjden. Zuerſt erjcheinen fie dem
Blid als majfive bunte Materie, als Ethno:
logie, als Rußland, als Armut und Körper:
ſchwere. Dann jchwindet diefe Neugierde;
wir jehen nicht mehr den Elenden, ben Ruj-
E Den Typ des Trachtenmujeums, wir
aljen diejes Hafengetriebe und Prozeljions:
gejhiebe in Der waljergejchwängerten, in
der ftaubfarbenen Luft von einem eigenen
Stil aus, ber alle malerijchen Möglichkeiten
einer Überjegung in den Geijt uns an bie
Hand gibt. Jest wird das Tragen zu einer
monumentalen Gejte, bas Schiifsleben zu
einem Differengierenden Milieu, bie Tracht
zu einem Bliken ungebrodjener Farben, bie
10*
140 paxextsexim -6x93-93Á393-] Prof. Dr. Paul Shuman: BeSsessss3ssssed
Luft zu einer Inftrumentation in wefentlide
Klänge, Rirdenfuppeln, langgeftredte Häus
jermajjen, Wolganatur und Gegelatem, Pries
ſtergewänder, Sarafane, Raftane, Chalats,
Bohlen und Fäſſer und Säde, alles eint fih
u einer Muſik, in ber ber einzelne Gegen:
Sand ins un rüdt, bie Akzente und
Tatte den Willen bes malenben Regiffeurs
daritellen und bie a pae ed zur SUtelobie
der Arbeit, biejer großen Arbeit ber Hände,
übe, Rüden, zur Kontur ber treibenden
nergie fid) erhebt. Go fand id) es in
Sterls Bildern. Wundervoll abgeftuft nad)
der Gtruftur jeder einzelnen Aufgabe Cs
ihien mir, daß er die malerijdje An:
Ihauung der Wolgaphänomene prägiler
traf als maner Ruffe. Mielleicht mußte
dazu ein Fremder fommen; denn die Ruffen
leben malerijd aus ihrem Lande weit
heraus.“
Die aht Bilder, die wir aus der Fülle
von Gterls ruffiiher Beute wiedergeben,
beitätigen nur, was Bie hier [o anregend
von ben malerijden Erlebnijjen bes Muſikers
und des Malers erzählt. Da ijt der Hafen
von 9I[tradjan mit bem himmelanragenden
Wald von Türmen und Maſten und ber
wimmelnden Fülle von Fiſchkähnen. Da liegt
ein Stüdchen Rajan vor uns mit ben niedri=
gen Häujern, die fid) längs bes Ufers breit
binerltreden, auf bem Flufje bie dichtgefüllten
Arbeiterboote wie in Hamburg, nur alles hier
in bunte Kleider gehüllt, während in Ham:
burg alles grau ausfieht. Da ijt wieder die
Wolga in ihrer endlojen, unüberjehbaren
Weite, im Bordergrunde ein Fährboot mit
Arbeitern ,bebángt mit Feten von bunten
Kleidern”. Da find im Gegenjaß hierzu
die ganzin grau gefleideten, —— enen,
Ichlanten Berjer die vom Dampfer die
Ihweren $yájjer ans Ufer tragen, in weiter
gerne am jenjeitigen Ufer bie Umriſſe von
Aftrachan. Dann ein einzelner Lajtträger
in rot und blau, tiefgebeugt von einem ge-
waltigen Ballen, in jdjwerfálligem Rhythmus
langjam vorwärtsjchreitend, der mächtige
Umriß hebt fid) wirfjam vom blauen Him:
mel ab. Noch großartiger fommt uns diefer
Rhythmus der Ieren körperlichen Arbeit
bet den vorwärts tiefgebeugten, felt fidh eins
ftemmenden Schiffsziehern an ber Wolga
zum Bewußtjein, wo ber Maler unjern Augen
nichts gönnt als das ziehende Mailer, bas
pon Gras bes llfers und bie |djleppenbe
unte Reihe ber angejpannten menjchlichen
du Arbeit und Rhythmus.
a ijt weiter Das wunderbare Bild der
Ojternadht in PMtosfau: wie plöglih um
Mitternadht bas Dunfel [trablenber Helle
weicht, überall Rafeten unb £eudjttugeln em:
porichießen und bie Lichter rings um Die
Galerien der Türme entflammen, der piel:
türmige Kreml wie ein Märchen aus Tau-
jendundeiner Nacht Hinter der Dunklen
Mauer aufleuchtet und fih vom tiefblauen
Himmel abhebt, das ganze lebendige Feuer:
ſpiel gejpiegelt von den Wellen bes leiſe
Dahinfließenden Stroms. Da ijt endlich bas
wie im Fluge aufgefangene und in wenigen
Ctriden bingelebte Bild der Wajjerwerhe,
eine Szene, bie Ostar Bie mit bem vollen
Erftaunen des Wefteuropäers alfo jchildert:
„Seht ift eine plögliche Aufregung am Waſſer.
(Gelbe Priejter tommen mit Sfono|taten und
£abernateln, treten in einen jchnell gezim—
merten Pavillon und |predjen ihre Gebete
über den Fluß. Gite weihen das Waller
und faum ijt es gejchehen, ftiirgen Wolf,
Träger, Klojterbettler, was nur glaubig ijt,
an das Ufer, wajchen fih Kopf, Bruft, Arme,
Ihöpfen ein Rannden Waller, trinfen es,
tragen es nad Hauje. Unjereiner hebt
ftarr daneben. Wir jehen ben unbejchreib-
lider Schmuß und Abfall unferer Kultur
im Fluß ſchwimmen und in die Kehlen diejer
Menjchen ohne Etel und Furdt gleiten.
Das Waſſer ift geweiht. Es tann nichts
Ihaden. Die Prieſter ziehen befriedigt
durch bie Stadt zurüd. Und wir grüßen
lie alle.“
Da hat man drei merfwiirdige Gegenjábe
dicht beijammen: den bedenkenlos wunder:
BEEN 9taturmenjdjen, den bafterienglau-
igen Rulturmenjden unb den wirklichteits-
gläubigen Riinjtler, ber fid) bes bunten tem:
peramentvollen Bildes freut und einen Augen=
Ihmaus für feine Mitmenſchen daraus maht,
dabei bie ruſſiſche Bolfsjeele in einem Aus:
blid erichließend. — —
Œs wäre undenkbar, daß einen Riinjtler
wie Sterl nidyt au ber Weltkrieg als Mien:
iden und Maler bis ins Snnerjte gepadt
eda Er war einer ber erjten, ber mit
tlaubnis ber Sjeeresleitung an bie Weft-
en feine Eindrüde in padenden Bildern
eithielt. Wenn man den Krieg von 1870 71
erlebt hat und fid) vergegenwärtigt, Gi welche
Weije damals bie Runjt von ibm befruchtet
wurde, was für Bilder bie Maler von da:
mals nad) dem Kriege jchufen, jo wird man
fih bei einem Vergleich mit ben Schöpfungen
Der Künftler im gegenwärtigen Kriege Des
ganzen Ernites und der Größe der Zeit be-
wußt, bie wir jebt Durdleben. Allerdings
[teben wir jet noch mitten drin im Rampfe,
und wohl werden erft nad) dem Kriege die
jtarfiten Wirkungen des furdtbar großen
Gejchehens aud) in ber nl fih äußern,
wenn wir erft den nötigen Abſtand von den
jeb* lid) Drängenden le, baben wer:
den — aber ernit und groß wird jicherlich
auch dieje SUR Runjt unter dem Gin:
flujje des Weltfrieges fein. Diejer Crnjt be:
ek ganz und gar Robert Sterls Kriegs:
ilder, zunächſt nureinzelneBorgänge aus Dem
Erleben an der Front. Kameraden nemt er
bas eine Bild: ein Blid in ben Schüßen:
graben, ein feldgrauer Soldat trägt den
Ihwerverwundeten Kameraden, dejjen gan:
zer Kopf in weiße Tücher pepati ift, tm
Graben entlang. Schwer laftet der Kür-
per des Hilflojen auf dem Riden bes Rame:
raden, Der tiefgebeugt vorwärtsichreitet, mit
S ging und dort in monatelangem Schaf:
12339 1299035 joij, uoa aqui “IIL uu siugpifog;
""99909090090009090000009000000000000000000000000000900000000000000000000000000€00000000000000000000000009000000000000000€0
-e0e9090940009000009*7000000900900000000000000000000000 *9999909009000000000009000000000000000000000000000000900000000000002»»*
der Rechten bes Verwundcten Arm fefthal-
tend, mit der Linten fih an ber Brabenwand
bintajtend. Drei Kameraden fhauen ihnen
nad, ein vierter liegt auf ber Ausjchau
nad) dem Feinde, ber der ergreifenden
ag iB bes in aller Schlichtheit geichilder:
ten Borgangs iiberjieht man faft die Mei-
fterichaft bes malerijden Wertes.
Diejes künftlerifche Feingefiihl, bas feiner:
lei Halden nad) Wirkung in die ergreifende
poma tragt, bebersi t aud) bte Grab:
egung: behutjam unb [till legen drei Feld»
graue den gefallenen Kameraden in feiner
weißen Umbiillung in bas rajch aufgeldjau:
te Grab; mit einem ftilen Gebet werden
ie ibm dann das jchlichte Holzkreuz hinjtel-
, das |djon bereit liegt... Ernit und
düfter liegt bie trübe Herbititimmung über
dem Lande, aus dem fon jo viele Kreuze
emporragen. Rriegerlos — [till und ergrif:
jtehen wir vor dem Bilde, das jo ein:
ringlid) den Grn[t des Krieges in fic trägt.
Weld echte Künftlerichaft jpricht daraus,
daß ber Riinjtler jid) jelbjt jo gänzlich aus-
aeichaltet hat und fo hinter fein Werk zurüd:
tritt, Das uns im Jnnerjten ergreift. Sur
aus Diejer Unaufdringlichkeit Ipricht ber
innere Anteil des Riinjtlers felbft an den
ernjten Vorgängen, bie er uns jo meilter:
al erg babet |o jehlicht mit feinen Mitteln
richtet.
Faft heiter wirft daneben das Bild ber
Straße in Craonne mit dem abjchließenden
Hügel, bem die Jádjfilden Soldaten ben aus
der Heimat geläufigen Namen des Winter:
bergs verliehen haben. Der Frühling |prießt
aus der hen eclafenbett rde; aber aus
ber gänzlichen Berlajjenbeit des Ortes, wo
141
nichts von frohem, arbeitsfreudigem Leben
zeugt, ſpricht aud) bier der Ernit des Krieges.
terl hat neuerdings aud) den öjterreichijch®
italienijchen — auplatz in.den Alpen
bejucht und reiche Dialerbeute heimgebradt.
Davon ift aber nod nidjts an die —
ekommen, und ſo iſt es nicht an der Zeit,
Ee davon zu lpredjen, wie biejer neue
Cdjauplat, die Welt der Alpen mit ihren
friegerijchen Snjajjen und Erlebnijjen, auf
ihn gewirkt hat. Starke Ginbrüde hat er
aud) dort empfangen, und zahlreiche neue
Werte find entitanden ober im Entitehen,
Zeugen des unermüdlichen Schaffens, ber
iier unerjdjopilid) jcheinenden ` Friden
Kraft Sterls, ber immer neue Eindrüde in
(id aufnimmt und mit noch jugendlicher
Lebendigfeit verarbeitet. !
Robert Ster! Debt heute auf ber Höhe
feines Lebens, feiner Kraft, feines Schaffens.
Ein Mann der Gegenwart, der Wirklichkeit,
des Lebens. Mühelos jchafft er aus mei:
iterfidem Können heraus. Farbe, Licht,
Leben find die Ziele feiner Arbeit; viel-
jeitig ijt jein Stoffgebiet, nichts ijt thm fremd
als Unnatur und Seblojigteit ; Bewegung,
Kraft, Arbeit im Bilde feitzuhalten, reizt und
treibt ihn vor allem zum Schaffen. Die Harte
Erfaſſung der Einzelheiten liegt ibm fern, aber
die Gejamtheit eines Eindruds mit ſprüh—
ender Lebendigkeit wie im Fluge feithalten
unb eben diejes Leben aud) im dDurchgeführ:
ten Bilde bewahren, das fann er wie fein
anderer. Reinerlei feititebenbe Gewohnheitse
malerei leitet ihn bei jeinem Schaffen, immer
ilt er frilch, neu, lebendig, fernhajt, gejund und
mannlid. Daß er jo bleiben mage ift unfer
Wunſch, dak er es wird, iſt unſere Überzeugung.
COAT Deet OO XC H (IK XC H A E XC XC XX XX CO OUO NONI Bis
; Ae
VA Der Schufter von Reichenberg \ A
Y Ballade von Margarete Miltfhinsty
Aen
WIS
Der Sehufter faf am Fenfterlein
Und 30g betrübt den Faden;
Die Frühlingeluft ſchwamm duftend ein
Wohl in ben engen Gaden.
Das Säßlein ffromt’ es auf und ab,
Mann, Weib und Kind, im Schritt und Trab,
— ©porengeflirr, Pantoffelgeflapp —,
Zur 2Bicfe vor den Toren,
Zum Frühling neugeboren.
Der Heine Gchuffer feufzend (prado:
Was iff das für ein Leben!
Gie laufen all dem Lenze nach,
3d) muß am Pechdrabt Kleben.
Und dod), wer paßt dem Reitersmann
Die ffolzen Gtulpenftiefel an?
Wer hat dem Madgdlein übern Spann
Go fein dag Maß genommen,
Daß ibm die Schühlein frommen?
Und wenn id) fo bas Gchublein bau’,
Go tu’ ihs in Gebanfen.
All was id) finn’ und hör’ und (dau,
Muß fih dazwifchen ranfen.
Was mir am Gaus voriibergeht,
Was mir der Wind ins Fenffer weht,
Was mir ing Herz gefchrieben fteht,
Mein Grübeln unverhohfen,
Das Hopf’ ich in die Gohlen.
Co wird's ein wenig Luff und Leid,
Wie es die Stunden bringen,
Gin wenig Grbenbaft und Streit,
Gin wenig Glodentlingen,
Gin Ubermut aud) bann unb wann,
Daß es bem braven Bürgersmann
Der rechte Schuh wohl (deinen fann
Zu erdefiherm Schreiten
Durch froh’ und trúbe Zeiten.
Doh wenn in goldner Hoffnungspradıt
Ain erften Maärzentagen
Der feidenblaue Himmel fadt,
Go heb’ id) voll Behagen
Das feinffe Leder aug der Truh
Und bau’ ein Parlein Rinderfchuh’,
Go winzig.zierlih, gude du!
í Zum allererffen dritte,
3| E Zur erften Lebensbitte.
WED wy
aac omonoomomoemomomomomomomonomoxwoN 9e xa E
Und zieht's mit Gang und Schall vorbei,
Gleich fahrt mir's in die Hände,
Daß id im Xadt nad) der Schalmei
Den Mädchenfchuh beende,
Mit Spang’ und Ring, fo blant und mt,
Als cb das Ding, bas drinnen ging,
Am fiebfien an zu tanzen fing —
Gie wird fih fchon befleißen,
Ihn fchnell im Tanz zerreißen.
Dod einmal war, da grau verhängt
. Go Erd’ alg Himmel lagen,
Mir war fo eng die ruft bedrängt,
{ind fernher ſcholl ein Klagen —
Co ſchwankt' es ſchattenſchwarz heran,
Ein Garg mit dunfelm Roßgefpann
Und hinten weinend Weib und Mann,
Die roten Fadeln glühten,
Die Funken fnifternd fprübten.
Has graue Nebeltuh verfchlang
Den Zug famt dem Chorale,
Ich aber faß zu Tode bang,
Rührt' Pfrieme nicht noch Ahle.
Das Weib fhalt um den Arbeitstag —
Da fchafft id) weiter trüb und zag,
Dod flang mir jeder Hammerfchlag,
Wie wenn ins Grab bie Schollen
Mit dumpfem Poltern rollen.
Als fertig lag das Unglüdspaar,
Berbarg ich’s im Geffelle,
Doc ba id) fern vom Haufe war,
Berfauft’ es der Gefelle
Und fagte, als id) wiederfam
{ind fragt’ und fhalt in Zorn und Gram:
G8 war ein Fremder, der fie nahm,
Sing eilig burd) die Gaffen,
Hat wohl die Stadt verlaffen. —
Am Fenfter fi’ id Tag um Tag
{ind fpdh’ nad) allen Eden,
Wer meine Schuh’ wohl tragen mag,
Und Tonne bod) nicht entbeden.
Go leb ich ohne Freud’ unb Hub,
Als trig’ ich ſelbſt die Unheilsſchuh',
Und benfen muß id immerzu:
Wo mag ber Wandrer gehen?
Was iff mit ibm gefthehen? .. .
Wir übernehmen bie faijerlid)e Wiir-
P de in dem Bewußtjein der Pflicht,
in deutjcher Treue bie Rehte des
Steichs unb feiner Glieder zu ſchüt—
zen, den Frieden zu wahren, die
Unabhangigteit Deutjchlands, gejtüßt auf die
ge Kraft feines Bolfes, zu verteidigen.
ir nehmen fie an in der Hoffnung, daß
bem deutjchen Bolfe vergönnt fein wird, den
Kohn feiner heißen unb opfermutigen Kämpfe
in Dauerndem Frieden und innerhalb der
Grenzen Au genießen, welche bem Baterlande
bie feit Jahrhunderten — Sicherheit
gegen erneuten Angriff Frankreichs gewäh—
ren. Uns aber und Unſern Nachfolgern an
der Kaiſerkrone wolle Gott verleihen, allzeit
Mehrer des Deutſchen Reichs zu ſein, nicht
an kriegeriſchen Eroberungen, ſondern an
den Gütern und Gaben des Friedens auf
dem Gebiet nationaler Wohlfahrt, Freiheit
und Belittung.“
Co lauteten die E dentwürdigen Worte,
mit denen am Abjchluß dreier fiegreider
Kriege König Wilhelm der Hobhengoller
Beat den Mund feines erjten SUtinijters, bes
Graten von Bismard, am 18. Januar 1871
in dem franzöliichen Königsichlojje zu Ber:
failles ber deutjchen Nation bie neuen Bahnen
ihres Lebens wies. Es war ber Taufjprud
des neuen Reiches, die Urkunde gleich:
jam, die in ben Grundftein unjeres natio:
nalen Staates gelegt worden ijt, bas Pro-
gramm der beiut|djen Politif und das Kenn-
wort, in dem unjer Bolf, fein Kaifer und
feine Fürſten Dente wie damals fih eins
willen. Wie jdwer aud) die inneren Kämpfe
ewejen find, die bas neue Reich feitdem er:
diittert haben — und wir wiljen, fie reichten
bis auf den Grund der Nation — in bem Be-
fenntnis zum Frieden find bie deutlichen
Parteien diefe Dreiundvierzig Jahre hindurch
einig gewejen, fo einig wie in der Stunde
bes 4. 9[ugu|it 1914, als ihre Führer im
Königsichloffe zu Berlin dem Entel Kaifer
Wilhelms, des Neichsgründers, die Hand
zum Treugelöbnis reichten, zum Zeichen, daß
es in biclem Kriege feine Parteien mehr,
nur Deutjche Bolfsgenojjen, Brüder auf
Leben und Sterben geben würde.
Nur ein Teil von dem, was unjere Väter
erjehnt und wovon fie geträumt hatten, ijt
im Jahre 1870 erreicht worden. Wir muß-
ten, um unjer Reid) gründen zu fönnen,
Millionen unjerer Brüder, ein volles Drit-
Deutidlands
Von Prof. Dr. Max Lenz e
d Za A
e ee, GK
8 )
tel unſerer Volkskraft, draußen laſſen. Und
wenn wir im Weſten und Norden die deut—
ſchen Grenzmarken wiedergewonnen haben,
ſo ſind den SEI? Volksgenoſſen —
im Südoſten der Inn und im Südweſten
der Rhein die Grenzen geblieben; mitten
durch die Stämme der Bayern und der Ale—
mannen, einſt beide die Eckpfeiler deutſcher
Größe, gehen heute die Trennungslinien.
Wir haben uns bennod) bejdjieben. Wir
— es mit angeſehen, daß Hunderttau—
ende, gezwungen oder verführt, in fremdem
Volkstum untergingen — aljo daß wir in
den Jahren unſeres jungen Reiches mehr
des deutſchen Blutes verloren haben als in
den Zeiten unſerer Zerriſſenheit und Ohn—
macht. Trotzdem hat uns niemals der Ge—
danke beherrſcht, die unerlöſten Brüder in
unſere politiſche Gemeinſchaft hinüberzu—
iehen, der für die Italiener und alle ſlawi—
* Stämme den Grundgedanfen bes
politiſchen Wollens bildet. Wir haben nichts
weiter gefordert und erwartet, als unſere
Macht im Schuß des Friedens entwickeln zu
fönnen.
Während wir aber jo unjerer Arbeit Iebs
ten, einzig darauf bedbaht, bie Güter bes
Friedens zu wahren und zu mehren, wans
delte fid) rings um uns her die Welt, bran
Rublands gewaltige Kraft über das Rat
pilhe Meer in die turanijden Steppen bis
an die Tore Indiens vor und über bie
SUtanb[djurei hinweg bis an die Geltade des
Gelben Meeres, raubte und rig England
alles an fih, was es auf dem weiten Erden»
rund an Beute für feine Begehrlichkeit fand,
baute Franfreid feine afritanijchen Be:
fiBungen zu einem mädtigen Kolonialreich
aus, das, vor jeinen Toren beginnend, bis
weit liber die Mitte des dunklen Kontinen:
tes S erjtredte. Wir aber blieben, unjerer
Einheit zum Trog, an unjere Baftionen ge:
ejfelt. ir litten es jchweigend, daß Die
taliener, denen unjere Heere, unjere Giege
ert zu ihrem nationalen Staat verholfen
hatten, fih jenen Rieſen zugejellten und,
durch fie gebedt, ja unter dem Schuße ea
Bündniljes mit uns jelbjt, ben Zorten, unjern
Freunden, Tripolis raubten und mitten in
der griechijchen Injelwelt jid) feitjegten; daß
Belgien, bas Geſchöpf der großen Mächte,
das nur ihrer Eiferjucht aufeinander das
Leben verdanfte, ein Zwittergebilde ohne die
Kraft und felbft ohne das Recht, auf eigene
EEA Prof. Dr. Max Lenz: Deutjchlands Friedenspolitif vor bem Welttriege B 145
gant Politik zu treiben, fid) bennod) am
ongo ein-Rolonialgebiet |djuf, größer, eins
bett Déier und zufunftsreicher als alle unjere
&olonten zujammengenommen. Es jchien fait
(denn jdjon wurden, unter Japans und
Ameritas Teilnahme, China und die Süd:
jee in bie allgemeine Bewegung hineinge-
riffen), als hätten wir unjere Einheit, uhr
neues Reih nur dazu gejchaffen, um nod
einmal eine Aufteilung ber Erde unter un:
fere Rivalen zu erleben. Gewiß, wir tamen
noch rechtzeitig, um uns ein paar Gtücde
von der nod) freien Erde zu jichern. Aber
was wollten, verglichen mit dem Raube und
ber Raubgier der andern, die wenigen Ro:
lonien bedeuten, welche ber Wagemut unje-
rer Kaufleute ober bie Abenteuerluft junger
Patrioten uns da oder dort verichafften:
ohne Zujammenhang miteinander und ohne
Berbindung mit der Heimat, im Machtbe-
reich der fremden Mächte gelegen, auf Gnade
und Ungnade ihnen GET E jobald fie
unjere $$einbe wurden! Auch unjere Solo:
nien waren auf Frieden gegründet: er bot
uns die einzige Möglichkeit, fie zu behalten.
In den neunziger Jahren, nad) dem Rück—
tritt Bismards, fam bei uns wohl die Mei—
nung auf, daß wir jeitbem in einen neuen,
umfaljenderen Abjchnitt unferer Politik bin:
eingelteuert wären, dak wir bas beengte
fejtländifche Dafein mit dem offenen Fahr:
majjer ber Weltpolitif vertaufcht hätten,
wie das Schlagwort lautete, das, ich weiß
niht von wem erfunden, plößgli da war
und bald bie öffentliche Meinung wie die
fireije unjerer Regterenden beherrichte: wir
wähnten, mit jenen Weltmächten bereits in
den gleichen Bahnen zu ziehen. Cine Bor:
ftellung, Die uns heute, nad) allem, was wir
bis zur Schwelle des Krieges hin erlebt
haben, feltjam genug anmuten muß. Das
limgefebrte ließe fid) wohl mit größerem
Rechte behaupten. Gerade, Dak wir mit jenen
anderen nicht Schritt halten fonnten, daß
uns bie Bewegungsfreiheit von Jahr
zu Jahr mehr genommen, unjere Abjperrung
von den Quellen ber Macht bejtánbig ver-
mebrt, der Einfluß auf den Gang ber gro:
Ben Politif ftetig verringert ward, ijt bas
Charafterijtijde fiir bie beiden Jahrzehnte,
Die Dem "Kriege — — ſind. So—
lange Bismarck am Ruder des Staates
ſtand, iſt die Stimme Deutſchlands im Rate
der Völker wahrlid) nicht ungehört geblie—
ben. Unter ſeinem Vorſitz trat nach dem
Frieden von St. Stefano in Berlin der Kon—
reß zuſammen, der bis auf weiteres die
—— ſchlichtete, welche Rußlands Sieg
über die Türken im Orient aufs neue auf—
gewirbelt hatte. Er war es, der, als erſter
unter den eüropäiſchen Staatsmännern, dem
Khediven von Ägypten den Weg vertrat.
Er vereite[te 1884 durd) bie Rongo-Ronfe-
reng Englands Plan, die Mündung jenes
gewaltigen Stromes in feine Gewalt zu
bringen und damit für alle Zufunft die be:
berr|djeube Stellung im Innern des ſchwar—
zen Kontinents an fih zu reißen. Ihm ver:
danken wir den weitaus größten Teil unje:
rer Kolonien, ebenjo in ber Süpdjee, wie an
der Welt: und Ofttüfte 9[jrifas. Und das
alles lediglich auf bem Wege von Verhand:
lungen und Rorrejpondenzen, durch eine gee
\hidte Führung des diplomatijden Spiels,
ohne aud) nur ein Regiment mobil pu machen,
ein Schiff hinauszuichiden: feine [tolgen und
drohenden Gejten find dazu nötig gewejen,
jondern nur etwa eine Erklärung des Kang:
lers im Neichstage oder bie Sendung feines
Sohnes Herbert nad) London; zuweilen ge:
nügte bereits ein Zeitungsartitel ober, wie
in Yignpten, bie Sendung eines TFeldjägers,
um ben deutjchen RR Beadhtung
und Erfüllung zu fidern. Denn hinter allem
jahen die Rivalen die Macht und einen uner:
Ichütterlichen Willen: bie Hand zu Verhand—
lungen zu bieten, um ins Leere zu greifen,
ijt niemals Bismards Art gewejen.
Erft nad) feinem Abgang ijt alles anders
geworden. Zunächſt begannen wir felbjt
an unfern Kolonien faft das Intereſſe zu
-verlieren; und als wir es wiedergewannen
und der Wert ber neuen Belikungen von
Jahr zu Jahr mehr hervortrat, wuchjen die
Schwierigkeiten, fte zu behaupten und aus:
anche oder neue zu erwerben. Auker
tautichou und ein paar Jnjelgruppen in
ber Südſee haben wir jeitbem nur nod
Brenzregulierungen oder fleine Erweiterun:
gen unjerer afrifanijden Beligungen im Aus:
taujd) unjerer oder ber Anrechte anderer ge:
wonnen. Jn Den großen Fragen, den=
jenigen, in denen die Weltbewegung fih
vollzog, wurden wir mehr und mer aus:
geichaltet, oder wir hielten uns von Anfang
an zurüd, |o in Kreta und Perfien, in Ägyp:
ten und in Tripolis, auf dem Baltan und
bei den dornigen Verhandlungen über Ma:
rotfo, bis wir am Ende, hart am Rande des
Krieges vorüber, für eine Häglich Heine Ents
ſchädigung in bem Sumpfgelände des Kongo
zum völligen Verzicht auf allen legitimen
Einfluß über eines der reichjten Lander ber
Erde gebrad)t wurden.
An Gelegenheiten, einzugreifen, Anteil an
den Erwerbungen der andern zu nehmen,
bat es uns nicht gefehlt, uns jo wenig wie
SMalien und Franfreid. Denn jener Wett:
[auf der Mächte um die Unterjochung der
Melt vollzog fid) unter brennender Ciferjudt
und auf Grund von Gegenjáten, bie in bie
Tiefe der Jahrhunderte zurüdreichten. Mehr
als einmal find fie nahe daran gewelen, die
Waffen gegeneinander zu ergreifen; wir
brauchten nur unjer Schwert mit in die
JRagidjale zu werfen, fo war es ficher, daß
fie dorthin jant, wohin wir uns jtellten —
und ein guter Anteil an der Beute hätte
uns nicht entgehen finnen. Wir aber wiejen
alles von uns — um am Ende, als ohn
für unjere Friedfertigfeit und Ganftmut,
die Feindjchaft der ganzen Welt und die
Lajt eines Krieges auf uns zu laden, wie
ihn bie Erde nod) niemals Jah.
Wie ijt es Dahin gefommen?
Es mag parodox flingen und ijt bod) volle
Wahrheit: aus ber Hodfpannung aal
den Mächten jelbjt, — ſich über die Welt
hin ausbreiteten, iſt der Weltkrieg entſtanden.
Weil wir Frieden hielten, haben ſie uns mit
Krieg überzogen. Weil wir nicht mittun
wollten, haben fie ſich vertragen und ſich dazu
verbunden, uns mit vereinten Kräften nie—
derzuſchlagen.
war war für die Franzoſen das Haupt:
motiv, bas [ie in Den Krieg trieb, Der nie
ganz gelt lte und immer neu auflebende Hak
der gegen, Wher Jahre hindurd iit Doch
aud) er zurücdgetreten; wiederholt fam es
zwiſchen uns und ihnen zu einer Entjpan=
nung, und jederzeit waren wir bemüht, auf
der Grundlage des Frankfurter Friedens unjer
Verhältnis zu ihnen zu erleichtern. Zo
Hilfe fam uns dabei der alte Gegenjat
Frankreichs zu England, jowie ber neu auf:
tauchende zu Italien, bas die faum gewon—
nene Großmadtitelung im Mittelmeer jo:
fort zu dem natürlichen Rivalen der alten
Freunde machte. Wud) hätten bie Frangojep
von fid) allein aus niemals vermodt, eine
Verſchiebung der Machtverhaltnijje zu er:
wirfen; nicht einmal ihr ruſſiſches Bündnis
wäre imjtanbe gewejen, bas beutjd)e Syſtem,
das, auf Sſterreich und Italien gejtütt, Mittel:
europa von der Nordjee bis zur Donau und
Sizilien zulammenfaßte, zu erjchüttern, Erft
Englands Eintritt in die Reihe unjerer Geg-
ner bat das Verhängnis unabwendbar ge:
macht; erit als die beiden Riefen unter un:
jern Feinden jid) die Hand reichten, ijt die
Welt in Flammen gejegt worden.
Bemerfen wir aber, daß diefe beiden zu:
nüdjt als Freunde an uns herangetreten
iind, daß fie thre Geichäfte mit uns machen
wollten: Rußland jhon im Jahre 1876, als
- es uns anbot, mit ihm gegen Öjterreich zu
gehen, in dem Wugenblid, da es fid) zum
Kampf gegen die Türfei erhob; England
zwanzig Jahre jpäter, um die Zeit, als es
joeben den franzöfiichen Nachbar im Sudan
auf bas tiejjte bemuitigte, während fein
Gegenjak gegen Rußland nod völlig un:
geichlichtet, es jelbft aber bird) ben Bure:
trieg gefejlelt war; drei Jahre und länger
haben die englijden Diplomaten um uns
geworben, bevor fie fid) entjchloffen, das
Steuer herumzuwerfen.
och immer hört man, daß es ber Han:
delsneid gewelen jet, der England zum Kriege
gegen uns gereizt habe; den wirtichaftlichen
Konkurrenten Habe es unidjáolid) machen
wollen. Als ob es nicht Mittel genug an
Der Hand gehabt hätte, um uns wirtjchaft:
lid) ins Hintertreffen zu bringen, ohne jo:
gleich, wie die englilchen Zeitungen und fo-
aar engliihe Staatsmänner damals und
\päter wohl drobten, unjere wenigen Kriegs:
ichiffe zu perjenfen! Es bätte uns ja nur
von pen Märkten abzujperren brauchen, tiber
Die es auf beiden Hemilphären verfügte;
wie denn im der Tat der damals leitende
| Prof. Dr. Max Lenz: ët
englijde Minilter fic) mit joldden Plänen
getragen und fie ins Werf zu jeben verjucht
déi eben in den Jahren, wo er uns auf jene
ege zu verführen fih anjdjidte. Wud) folg-
ten dem Zeitabjdnitt, in bem Englands Wirt:
Ichaft vor dem fteigenden Andrang der deut:
Iden Wirtſchaftskraft ernjtlid) bejorgt zu
werden angefangen hatte, bald Jahre, in
denen fie felbit zu glänzender Entwidlung
gelangte und ji auf Die alten Grund:
age des Frethandels, unter der Die gro-
britannijdje Wirtfchaft fid) bie Erde unter:
worfen hatte, wieder aufs neue bejann —
gerade in den Jahren, wo die Einfreilung
des Deutſchen Reihes fih vollzog. Nie:
mals bat wirtichaftliche Konkurrenz an DO
unb für [id vermodt, die Mächte und
Machtgruppen gegeneinander in Krieg zu
bringen; es ijt nicht wahr, daß fie bie grund“
legende Kraft in ber gejichichtlichen Entwick:
lung bildet: viel tiefer und verzweigter
ind die Antriebe, welche bie politiiche Welt
in Bewegung jegen; mit dem Werden und
Wachlen, ben Dajeinsbedingungen, dem Ge-
nius Der Staaten jelbit find fie verwachſen.
Weit jtärfere Gründe müljen es aljo ge-
melen fein, denen England folgte, als es fid
entjchloß, jeine Politif in Bahnen zu leiten,
die mit jeinen feit einem Jahrhundert
feitgeBaltenen Ilberlieferungen im frajjejter
Widerfprud jtanben. Ein Deutichland, das,
wie bas alte Preußen, nur auf dem Konti-
nente mächtig bleiben wollte und England
in feinen weltumjpannenden Zielen nicht oe:
Wort hätte, würde dieſes am Ende ruhig
zwilchen jid) und feinen Feinden haben laſſen
fonnen. Etn Bolt, bas es nicht zu fürchten
hatte, brauchte es nicht mit ber Vernichtung
zu bedrohen. Es entjprad) vielmehr Der
engliichen Politik, jolche Mächte mit väter:
Iden Armen zu umjchliegen, fie in Dos
eigene Rielwajfjer aufzunehmen, unter den
Schuß englijder Schiffsgeſchütze jelbit zu
zu ellen — jreilid mit dem Vorbehalt,
ein Ausweichen aus der Fabhrlinie ihnen
nicht zu gejtatten und, wo es gelchah, fie jet
es zu vernichten oder gewaltjam hinter fidh
herzuziehen: der Weltkrieg hat dafür neue
Beiſpiele in Fülle gebradt.
Eben dies waren nun aber die Jahre, in
denen jene beiden Biganten unter den Mäch:
ten ber Welt [tárfer und unaufhaltjamer als
je um fih griffen. Rußland, das joeben feine
ſibiriſche Bahn vollendet hatte, griff jest
durch ganz Miien Hin: während es Iden
an der Djtkülte Stellung fapte, drängte es
gleichzeitig gegen Die indilchen Bergländer
vor; Schon 1895 ftanden rujjijde und eng:
liiche Truppen jid) auf dem Hochlande des
Pamir, von bem der Abjtieg in bas Strom:
land des Indus leicht war, gegenüber. Faſt
gewaltiger noch waren die Pläne, mit denen
England fid) trug: von Indien her drängte
es nad Beludichiitan vor, von Ägypten aus
unterwarf es Den Sudan; bie Niederwerfung
der Buren machte es zum Herrn von Süd—
ajrifa; von Kairo bis zum Rap und von
[sex-3::9393-93-] Deutjchlands Friedenspolitif vor bem Weltfriege >37] 147
ebendort bis rad) Indien jpannte es feine
Blide; Herrin bereits im Mittelmeer, jab es
tie Zeit berannaben, wo auch ber Spike
Ozean eine englijche See fein würde. Welch eine
Auslicht bot (id) thm aljo dar, wenn es ihm
gelang, Deutjchlands gewaltige Kraft für
ben Wnjdlug an feine Politif zu gewinnen!
Eben diefe Hoffnung aber gewährte
ibm Deutjchland nidjt. Wir waren jo fried-
fertig wie je, aber unter Englands Ghat:
ten zu fampfen lehnten wir ab. llnjere
Celb[tánbigfeit wollten wir behaupten. Un-
jere Ziele waren nod) Diejelben, zu denen
der Gründer unjeres Reiches fid) in Ber-
lailles befannt hatte. Wir forderten nur
Luft und Licht für uns jelbit, in ber Zuver:
lit, daß wir dann die Stellung in der
Welt, Die wir haben wollten und haben
mußten, erringen würden. Offene Tore,
freie Märkte und nichts anderes wollten wir
haben. Schon aber war die halbe Welt
verteilt, und die Stunde in ber Tat nicht
mehr fern, wo alles, was fih von der muha-
medanijchen Welt nod) frei erhalten hatte, in
die Hand jener vorjtürmenden Mächte ge-
raten mußte. England hatte fid) bisher nicht
eigentlich jeinbjelig gegen den Iſlam ver:
halten; mehr als einmal war es, zumal
Rußland gegenüber, als Schugmadt für
die Anhänger des Propheten aufgetreten;
war es Dod längſt, bereits von Indien Der,
cine mubamedaniide Maht geworden, eine
größere als jede andere der Welt, unb ge:
rade die Eroberung Agyptens, der jebt Die
des Sudans angeretht wurde, und alle Die
neuen Beligungen in UWfrifa und den inbijd)
perjijden Grensla:cben verjtarften diejen Cha-
ratter feiner Politik. Gliicdte es den Briten
vollends, nun auch nod das Stammland der
miubamebani|djen Religion, deren Heiligfte
Stätten, Metta und Medina, in ihre Gewalt
au bringen, jo mußte einem von ihnen gelegten
Ralifen die Nachfolge des Propheten weit eher
gebühren als dem Sultan in Ronjtantinopel,
pellen Ohnmadt bem, was diefe Würde von
ihrem Träger forderte, jo wenig entiprad).
Aud Rußland hatte in diejen Jahrzehnten
ununterbrodener Ausbreitung Millionen
neuer mubamedanijder Untertanen erhalten,
welde mit dem Sultanat in Konftantinopel
niemals in politijcher Berbindung geſtanden
hatten. Aber ber Gegenjak zwijchen ihm
und der Türfei war immer der ftärtjte ge:
wejen; denn das Kreuz auf der Hagia Sofia
aufzurichten, die Meerengen zu gewinnen,
entiprad) den ältejten Überlieferungen der rij:
fiihen Politif und bem Madtbediirfnis des
Zarenitaates jelbjt. Wie groß aljo aud) im:
mer die Reibungsfladhen zwijchen England
und Rußland fein mochten, dem Gultan
gegenüber fanden fie fih doch bereits bis zu
einem gewillen Grade zujammen. Nun aber
ftellte fih zwijchen ihnen beiden eine Macht
auf, für bie jener Gegenjag zwijchen
einem Kalifat von &onjtantinopel und von
Metfa nicht beftand, der vielmehr bie Ein:
heit der ganzen muhamedanijchen Welt am
Herzen liegen mußte. Wie tlar unjere Po-
litif dies Verhältnis empfand, beweilt ber
Ausjpruch unjeres Kaifers bei feinem Bejud)
Des beili en Landes (1898) in Damastus,
wo er iid) als den treuen jyreunb Der drei-
hundert Millionen Mtuhamedaner befannte,
welche die Erde — Wollten wir
aber ſolche Stellung behaupten und das Los
der Ausſchaltung vermeiden, das uns bei
weiterem Fortſchreiten Rußlands und Eng—
lands für den geſamten Umfang der öſtlichen
Hemiſphäre bereitet wäre, ſo mußten wir
eine Waffe haben, mit der Fragen entſchie—
den werden fonnten, welde nicht bloß auf
das ee Europas bejdranft waren,
eine Waffe, mit der wir England auf jeinem
eigenften Element, auf bem Meere, begegnen
fonnten. Dies war der Ginn bes Kaifer-
wortes vom Jahre 1899: „Bitter not ijt uns
eine ftarfe Flotte.” Nicht um unjere paar
Kolonien zu bejchüßgen, um unjere Flagge
gelegentlich in fremden Häfen zu zeigen und
rebelliihe Ranafen oder verjchuldete Klein:
ftaaten Südamerikas zur Raijon zu bringen,
haben wir unjere Kampfjchiffe gebaut (dazu
hätten ein Dugend Korvetten und Ranonen-
boote genügt), jonberm um uns die Freiheit
Der Bewegung zu erhalten, uns vor der Ab—
Ihnürung, bie uns drohte, zu retten, um die
Stellung unter den Mächten der Welt zu be:
Daupten, bie uns Der Schöpfer des Meiches
erworben hatte, und von der wir wieder
herabgedrängt werden Jollten. Wir wollten
jenen ebenbürtig bleiben, das Gleichgewicht
in der Welt, das jene Broßen zu zeritören
drohten, wollten wir heritellen oder fichern.
Geradejo hat ein Jahr nad) feinem Worte
von der Flotte unfer Kaifer den Sinn Der
deutichen Politif gedeutet. „Sch bin nicht
der Meinung,“ jo jprad) er am 3. Syult 1900
in Bremen, „daß unfer deutiches Volk vor
dreißig Jahren unter der Führung feiner
Fürſten gefiegt und geblutet hat, um jid) bei
großen auswärtigen Enticheidungen beijeite
Ihieben zu laffen. Gejchähe bas, |o wäre
es ein für allemal mit ber Weltmadtitelung
des deutſchen 9Boltes vorbei, und ich bin
nicht gewillt, es dahin tommen zu lajjen.“
Wir hätten das Erbe, das uns Bismard
und fein Kaifer erworben, verloren, wir
wären im Vergleich zu den anderen Mächten
der Welt wieder — was wir ge—
weſen waren, ein Kleinſtaat, wenn wir uns
nicht für den Kampf gerüſtet hätten.
Denn die Macht allein ijt es, welche in den
Händeln diejer Welt entjcheidet. Nur, wer das
Schwert zu führen weiß, wird auf Erden vor:
wärtsfommen, fein Recht behaupten fünnen;
jeder Fortjchritt ber Wirtſchaft wie der Kultur
hängt von bem Make ber Unabhängigteit ab,
das ein Staat in der Melt behauptet. Nie:
mals haben wir es abgeleugnet, daß auch wir
gleich den andern Macht beji&en und Macht
erwerben wollen; war bod) ber in der Na—
tion in der Zeit ihrer Erniedrigung ae:
jammelte und gejteigerte Wille zur Macht
der müdjtigite Antrieb in unjeren Kämpfen
148 Bosses] Bernhard Schäfer: Ecce homo BFISBS33Z33Z33I
um die Gewinnung der nationalen Einheit
ewejen. „Allzeit Miehrer bes Neiches zu
Fin“, jo lautete bas Gelöbnis unjeres alten
Raijers im Schlojfe zu Verfailles. Aber der
Sinn unjerer Maht war von jeher ein be:
jonderer, Das Ziel, bas wir unjerer Politif
iteden, liegt an einem anderen Ort, als dort,
wo bie Gegner es juchen. Das ift es, was
unjeren politijden Ehrgeiz von bem unjerer
Rivalen unterjcheidet; mit den tief|ten Wil-
lenstrieben, den höchſten Idealen unjerer
Nation, mit einer ee en (e:
Ihichte in ihren tragijdhen 9erfled)tungen
und ihren erbabenjten Erinnerungen, mit
unſerm ganzen Gein und Wollen hängt es
gujammen. Der beutidje Staatsgedante, mit
einem Wort, ijf ein anderer als der unjerer
Gegner, und darum ijt aud) die Richtung, in
ber wir unjere Macht in der Welt ausbrei:
ten wollen, eine andere. Syene wollen die
Welt unterjoden, wir aber bieten ben Völ—
fern, die unjere Freunde fein wollen, Frei:
ge und rieden und Treue um Treue.
Aus diefem Geijte ftammt das Belenntnis
unjeres alten Raijers Wilhelm I., das wir
an bie Spiße unjerer Betrachtung ftellten,
unb in bem feine eigene wundervolle Größe
gipielle; ihm find unfere Fürjten wie unjere
taatsmänner und unfer ganzes Bolt ohne
Unterjdied in den dreiundvierzig Jahren
— D Mëtte >
Kahl Steht ein Kreuz
Als legte Wehr
Nad wilder Schladht
Im Nebelmeer.
ECCE HOMO
Des Heilands Bildnis,
Marmorn, hebr,
In Trümmer flog’s;
Das Kreuz ijt leer.
ECCE HOMO
Dod bin vors Kreuz
Sant einer [dimer —
Mer gleicht dem Dulder
So wie der?
ECCE HOMO
Dd d od od Ld d d Lo LL hd 4 od Todd l4 dd A
Ne TLL LISTA TTA AAT ESAE IST
EK ;
Hall halla atta aaa aat n aa
Ecce homo
Stumm flagt bie Infchrift:
Stumm Hagt die Inſchrift:
Stumm flagt bie Injchrift:
Bernhard Schäfer (im Felde)
des Friedens, ben wir nur burd) unjere
Macht aufrechterhalten fonnten, treuge
blieben; ihm allein dient unjer Heer, das
mit unjerm Wolfe felbjt eins ijt; ibm and
die Flotte, bie unjere Flagge über alle Meere
trug und bereits unjern Feinden furchtbar
ward; alle Verträge, alle Bündnijle, bie wir
ichloffen, hatten diejes Ziel. An ihm hielten
wir feft, als wir unjern Freunden in der
Mot beiftanden. Diejer (Get leitete uns in
den Tagen, bie uns vor die furdtbarfte Ge:
fahr ftellten, in bie je ein Bolt geraten ijt;
aus ihm ſchöpfen unjere Armeen bie unver:
fieglid)e Geduld, ben unwiderjtehliden Hel-
Denmut, den fie im Rampfe gegen vielfade
fibermadt bewährten, und aus diefem Gen
Ihöpfen ihren Trojt bie Daheimgebliebenen,
die um ihre gefallenen Helden weinen;
mit ihm jegen wir uns aud) den Sdwad)s
mütigen entgegen, und er wird uns ans
ipornen, nidt nachzulafjen, bis wir ben
vollen Sieg in felten Händen halten und Die
Feinde ringsum befennen miijjen, daß wir
das 9tedjt haben, unjere Maht nad) unjerer
Weije zu fidern und auszubauen. Wir
willen wohl, daß wir nod) niht am Ende
(inb, und daß nod) ein gutes Stüd ber Ar:
beit vor uns liegt, aber wir halten feft an
der Lojung, die ein Hindenburg uns gab:
„Schwer ijt die Zeit, aber ficher der Steg.“
lal
Die Wrme weit
Warf er umber,
Wie ausgelpannt
Am Balfen quer.
Stumm Hagt die Injchrift:
ECCE HOMO
Sn Qualen duldend,
Ach, wie febr;
Verſchied ein Held.
Wer ijt es, wer?
Stumm tagt bie Infchrift:
ECCE HOMO
Cann er auf Ruhm?
Auf Wiederkehr?
Der Schmerzensmann
Verrät’s nidjt mehr.
Stumm Hagt die Infchrift:
ECCE HOMO
lallallallallallallallallallallallallallallallallallallallallalleisitalklsllaliallallallaltaflellallallsitsllsllallalallalla)
:3
BHERRRERROEEIRR HOER uada aaa aal ada Value aM RRRA RRKT
Der verheimlichte Maskenbal,
—— Novelle von Carl Dulce =
Te
Bama fap mit Tante Ferdinande
im Antifenjaal, die Uhr war zehn
Minuten vor fieben, und gleid)
mußte Papa erjcheinen. Mama
— fab in olivgrünem Gamtfleide,
grau von Haar und perlengejhmüdt, in 38e:
tradtung ihrer Schuhjpige verjunfen, denn
ihre Seele nahm feineswegs Anteil an den
Dingen, von denen Tante jyerbinanbe un:
ermiiblid) erzählte. Dieje, mit aufgerijfenen
Augen und in unbeherrichten Ausdrüden vor:
getragenen Schilderungen von Stübenernte
und Lentenot, von bedauerlichem gejellichaft:
lidem Zwielpalt bes Provinzadels, von
gräflichen 9Injid)ten unb freiberrlid)en Mei:
nungen waren Vtama jchlechterdings ver:
apt. Dod) fie wußte, es war vergebliche
übe, bem Gejprad andere Wendungen zu
eben, und fie wußte auch, es genügte voll:
ommen, daß fie mit balbem Ohr aubórte.
Alſo wartete fie mit Sanftmut, bis Papa
tommen wiirde. -
Aber auf einmal wurde Mama himmel:
angit.
Die Geldjidjte war námlid) jo: Von heute
an gerechnet genau in aht Tagen, am tommen:
den Sonnabend, jollte hier im Haufe ein Mas-
fenball jtattfinden. Diejen Mtasfenball hatte
Papa Tolfa verjprochen, weil Tolfa vor tur-
em das Whiturtum bejtanben hatte. Zu biejem
asfenball aber waren wohlerwogenerweije
Tante Ferdinande und ihr Mann nicht ein:
eladen, unb Mama hatte aus irgendwelchen
rünben verjaumt, hiervon Papa in Kennt:
nis zu jegen. Es fonnte nun aljo geichehen,
es würde gejdehen und es mußte gejchehen,
daß in ein paar Wlinuten Papa in das
Zimmer treten und fofort und abnungslos
von bem Mtasfenball zu |preden anfangen
würde. Tolfa war im Augenblid unerreich:
bar, denn [ie war oben und fleibete jid)
um. Und Papa lelbft vor feinem Eintreten
zu verltändigen, war ebenfalls unmöglich,
denn Papa benußte, des Autos wegen, am
Abend regelmäßig den Nebeneingang bes
Sjaules und ging von dort aus, ohne daß
fein Kommen bier unten gehört werden
tonnte, gleich in fein 9[nfleibegimmer, das
auf dem anderen Flügel bes Haujes lag.
Blieb alfo die einzige Hoffnung, dak Tolfa
verltändig genug jet würde, Papa recht:
zeitig abzufangen und zu unterrichten.
Alfo: Mama fap auf Kohlen. Erfahren
durfte Tante Ferdinande von dem Ptasfen-
ball nichts, denn Tante Ferdinande hätte
es todübelgenommen, daß fie übergangen
iae Oe Freundſchaft war ohnehin nicht
ehr groß.
Es flingelte, und gleich Darauf traten ber
Brofejfor Pfannenberg und Doktor Krämer
ins Zimmer, zwei Mufiffreunde, bie jeden
E
Ki an
v^ Is
SE
Sonnabend zum 9Ibenbejjen famen. Denn
jeden Sonnabend abend wurde im Haufe
mit Beige, Cello und Klavier eine teine
Rammermufif gemadjt. Mamas Seele liebte
bie Muſik.
Die Ungft von Mama war tatjadhlid un:
begründet. Denn Tolfa („ich heiße Tolfa,
aber ich würde mich lieber auf Walzer rei:
men“) hatte rechtzeitig an alles gedadt. Gie
hatte jtd) mit Umziehen beeilt, hatte, als
die Kleinen den Korridor entlang gejtürmt
waren, gemerkt, daß Papa eingetroffen war,
hatte Papa gleich im Arbeitszimmer auf:
gejucht und ihm erzählt, daß Tante La
nande por einer Stunde aus Kalthof ein:
getroffen fei, daß fie zum Effen bleiben wolle
und dak Papa um Himmels willen nichts
vom Maskenball jagen dürfe, denn Tante
erdinande und Ontel Archibald feien nicht
eingeladen. Was Papa denn aud, nad:
bem fie es zweimal gejagt hatte, denn Tur:
nad) Kontorſchluß war mit Papa |djwer zu
verhandeln, richtig verjtanden hatte.
Es war wie an jedem Abend: die Klei:
nen ftanden frijd) angezogen und bunte
Schleifen im Haar in heller Ausgelafjfenheit
unb jdjmabten: Tante Ferdinande ware mit
einem Fuchsgeipann gefommen und hätte
einen neuen Kutjcher. Tante Ferdinande
hätte Gravenfteiner Apfel mitgebradt und
Schofolade ... |o viel. Und Tante Ferdi:
nande hätte wieder jo furchtbar fomijdje
Anfichten gejagt und Cornelie wäre beinahe
berausgeplaßt. Papa hörte gutmütig und
geiltesabweiend zu, hob unſchlüſſig von fei-
nem Schreibtiſch Schriftjtüde auf, um fie,
ohne binaujeben, gleich wieder fortzulegen,
jog an jeiner Frackweſte, jab Itarr auf die
rongefigur neben feinem Schreibtiſch und
legte tajtenb die linte Hand auf das Hör»
rohr bes Telephons. Und während er wie
an jedem Abend zu zögern jchien, ob das
Telephongelpräd cut morgen verjchoben
werden fónnte, fpielte bie rechte Hand au:
nádjt in bem grauen ſpitzen Barte feines
flugen Belihts unb griff dann nad) einem
langen Bleiftift, um auf einen 9[breiBblod
mit Rieſenſchrift abgefürzte Worte, Buch:
ftaben und Zahlen aufzujchreiben. Das wa:
ren nämlich bie abendlichen Notizen für die
Arbeit von neun bis elf; jobalb es elf
ſchlug, erichien regelmäßig Papa nod einmal
unten in Mamas Zimmer, um noch eine
Weile zu plaudern, einen Schlud verdiinn-
ten Mojelweines zu ttinfen und die etwaigen
Bälte zum 9tadjbaujegeben zu ermuntern.
Und während Papa diefe Aufzeichnungen
madjte — es war leicht zu merten, dies und
das hatte ihn nod gequält, dies und das
war nun notiert und fonnte nachher er:
ledigt werden — wurde fein (Get freier und
150 Bess — — —
heller, ſtellte er mit verſteckter Luſtigkeit an
die Kleinen allerhand ſchulmeiſterliche Fra—
gen: Weshalb denn heute Cornelie von Fräu—
lein Zander [o ſcharf getadelt wäre („aber
nein, Papa, aber nein, Papa”), weshalb
Beate wieder Tintenfinger habe („aber nein,
apa, aber nein, Papa”), und weshalb Ebba
jid heute mit Cornelie gezanft habe („aber
nein, Papa, aber nein, Papa“).
Tolta, bie Neunzehnjährige, ftand in wei-
Bem Geidenfleide, eine Goldfette um den
Hals, fröhlich und blond daneben, ruhig den
Augenblid abwartend, dak Papa fid) ihr au:
wenden würde. Denn es war eine täglich ge:
iibte, Iuftige Art von Papa, jid) zuerjt immer
mit den Kleinen abzugeben, als ob Tolfa
gar nicht auf der Welt wäre, und dann
jedesmal aud) an fie überrajchende Fragen
zu Stellen, vor denen man jid) in acht zu
nehmen hatte.
Papa legte den Schreibitift hin, jab zur
Dede, ſchloß nod) für einen Augenblid bie
Mugen und wandte den Kopf Balblints in
der Richtung, in der hinter ibm Tolfa ftand.
„Darf man fragen, wieviel blaue fent:
nants heute Bejud) gemacht haben?“
„Zwei, Papa. Sie waren untröftlid, nur
Mama und mich anzutreffen.“
„Kann id) mir denten. Darf man fra:
gen, womit man fic) heute bejchäftigt hat?”
„Dit Blujenplatten und Jiad)benten,
Papa.”
„Ruß.“
Der Heine Papa legte den Kopf halb:
redjts und reichte. bie Wange. Dann um:
ſchloß er mit bem linten Arm Tolfa und
mit dem rechten die Kleinen.
„jo vorwärts, Kinder, die Uhr ijt fies
ben...
„Bergiß blog nicht, Papa, dak Tante
Ferdinande ..."
„Ih weiß, der Mastenball.” Gr blieb
ftehen: „Sag’ mal, ijt der Diastenball eigent:
lid) ihon in acht oder vierzehn Tagen?”
„Aber, Papa, heute in aht Tagen...”
„Dann babe id) aljo bod) recht gehabt.
Cs war nämlich Jo: Ich traf am Vormittag
am Freihafen den jungen Dottor Dahlitröm,
und biejer jd)redIid)e Menih bildete jid) ein,
per Maskenball fei heute. Er behauptete
das Heu und feit, Heute abend. Er und
ein paar von feinen Freunden bildeten fid
ein, jie jeien e Heute abend eingeladen. Zus
erit wurde ich jelber ganz fonfus und wußte
jelber nicht recht, ob heute oder in acht Tagen.
Dod) bann fonnte id) das aufklären.“
„Ich weiß, Papa. Doktor Dahljtröm Dat
ur Sicherheit nochmal telephonijd) ange:
Ka t. Ich war felbit am Telephon. Er
will auch bie beiden. anderen Herren in
Kenntnis jegen.”
„Nun aber fix, Kinder.“
8 88
Papa hatte eben Mama und die Güjte
begrüßt, als der Diener die Fliigeltiiren zum
Gpetjejaal öffnete.
Und nun jag man bei Tijd. UWntenan
Fl Carl Bulde: Ve 2-8]
die Kleinen, zwiichen den Kleinen und den
Bälten Fräulein Zander und ber Hauslehrer,
obenan Papa und Tante Ferdinande. Zu
Ehren von Tante GFerdinande brannten
außer dem Rrijtallfronleudter die eleftri-
iden Geitenlampen. An den großen, mit
hellem Leder bejpannten Wänden hingen
der Stolz bes Haujes, bie acht Dunklen Bilder
bolländiicher Meiſter, bie Mama mit in die
Ehe gebracht hatte. Denn Mama ftammte
aus Holland.
Und nun begann das Effen. Begann
mit Kaviar und Auſtern gleichzeitig, und der
ältere Der beiden Diener dentte Sherry ein.
Tante Ferdinande hielt leicht ihre Hand
über das Glas. Die Tante war rothaarig
und jommerjprojllig, lang und flad).
„Ih Hatte mid) heute, lieber Eduard,
mit Ablicht nicht anmelden laffen, um Alice
abzuhalten, meinetwegen Umijtände zu
madjen. Sd) ließ um fünf anjpannen, Ar:
djiibalb ijt nad) Pinneberg zum Kreistag, er
will den Landrat auf bie Landjtreiderplage
aufmertjam maden ... fie ijt nahezu italie»
niih, diefe anb[treidjerplage ... td) hatte
ein jo großes Bedürfnis, mal wieder mit
Alice zu plaudern und euh zu Tolfas
Examen zu gratulieren ... was id) hiermit
tue, lieber Eduard. Sd) Dachte mir jo: ein
warmer Gang und nachher ein Plauder-
tündchen am Ramin... dod man tann zu
dir tommen, wenn man will: man fommt
zu einem Felt. Man fommt zu Aujtern und
Kaviar, man trifft euh in Gala, man fommt
in glänzende, lichtdurchflutete Zále:^ — Tante
qerdinandes wimpernloje Augen jchweiften
mit einem furzlichtigen Girlandenblid durd)
den Gpeijejaal — „man Debt Alice feierlich
wie eine Fürſtin . . . Ardhibald und id) wa-
ren fürzlih tm Klojter, da hätteſt du da-
gegen dieje Wufmadung leben folen, bei-
nah jfandalös ... man fieht Tolfa preziös
wie eine Prinzejlin, wobei ich mir freilid)
bie Bemerfung nicht verjagen fann, daß bie
Pringefjinnen, Die ich gejehen habe, alles
andere als preziös waren ... fte müjjen es
vor meiner Zeit gewejen fein ober auch ba
nicht . . unb man [iebt dich, lieber Eduard,
man Debt bid) mit bem Wnjtand eines fpa-
niiden Granden ... wie mir ſcheint, etwas
grauer geworden .. .“
d ja. Papa vermied es, Tante Fer-
dinande anzujehn. „Es muß aud) Leute
geben, liebe — die ſich graue Haare
wachſen laffen...“
„Jedenfalls, lieber Eduard, man ſieht ſich
unb fragt.
„Dan fi
man, Tolfa
„Ber mitgenießt, Papa.”
Papa lachte mit furzem Blid und fagte:
„Lichtdurcyflutete Gals, meeinteft du, liebe
werdinande, um nur eins herauszugreifen.
Da das Zimmer Hiibjd groß ijt, brauche ich
Licht, denn id) tann unmöglich im Dunkeln
ellen, Da id) zu Mittag mehr jehlecht als
redit im Ratsfeller frühjtüde, will ich we:
ht fih und fragt,... was fragt -
nigjtens abends zu Hauje gut bedient fein.
Da neun Zehntel meines Lebens unfejtlich
hingehen, ijt mir bas übriggebliebene feft:
[ide Zehntel |párlid) genug. Ardibald und
du haben auf Ralthof die ganze Woche über
Sonntagsfrieden; ihr feid in ber beneibens:
werten Lage, jede Stunde am Tag zum Felt
zu machen. Das ijt ber Unterjdied, Dod)
geborene Gräfin.”
„Eduard... o, wie du ſpotteſt ... o,
wie bu jpotten fannjt ... Eduard, wir...
und jede Stunde ein Felt...“
Mama lächelte jdjonenb. Ihre Seele
liebte eine joldje Art von Unterhaltung
nicht. Sie jprad) gefliffentlich letje mit Bro:
fejjor Pfannenberg. Doh Tolfa beobachtete
Papa und Tante woe ee: mit innigem
Behagen, und da Papa dies merkte, gejchah
es d nur diefer Freude Toltas zus
liebe, daß er ein Dafein au Ralthof als
paradiefijden Sujtanb zu jdjilbern begann,
Tante Ferdinandes bürgerliche Herkunft ganz
zu vergeffen fien und mit ganz leichten
Sticheleien Ritterjdhaft und WWhnentultus,
Standesherrjchaft und Hofgang, königliche
Gnade und neunzadige Krone als Die er:
ireulidjiten Güter des Lebens pries. Er
fonnte bas ganz hübſch Jagen und er konnte
ganz hübſch gejchidt im ungewijjen laffen,
was zwiichen Ironie und Schmeichelei feine
ehrlide Meinung war. Bis er denn and
wirklich die Wirkung erzielte, Die er beab:
lichtigte: Denn wenn Tante Ferdinande jo
wie jekt, jcharf zugejegt mit Schmeichelei
und Ironie, wehrlos gemacht worden war,
pflegte fie feit Jugendtagen in ein tiern:
des Lahen zu verfallen, in einen unbeherrjch:
ten 3uftand, in dem fie mit erbobenem
Ropfe furze Kehlkopftöne, ahnlid) einem
NRöcheln, von fid) gab.
Tolfa nannte bas: Der fterbende Syphon.
(Fs war erreicht — Tante Ferdinande
di ces
od) nun griff Mama ein. Der ältere
der beiden Diener Honn außerdem gerade
mit verfteintem Gejicht hinter Tante Ferdi:
nande nnb verjuchte vergeblich, ihr bie Bra-
tenjchüjfel hinzureichen. Man mußte Tante
Trerdinande zu Hilfe tommen.
' Nun war es allerdings nicht ganz leicht,
Fragen zu ftellen, die einen ruhigen Gang
des Gejprads gewährleiſteten. Denn Tante
Ferdinande war reichlich anders geartet als
andere Leute; fie neiate immer zu jdrechaf-
ten Sive dba ru ihre YInjid)ten über land-
läufige Dinge litten an verzerrten Boritel:
lungen, und ihr ohnehin von geringen Ber:
itanbesgaben belajtetes Gemüt war immer
bereit, harmloſe Fragen mißzuverjtehen.
(fine bebende Wngjt vor Einbrechern und
yeuersbrunjt, vor Gewitter und Rinderfrie-
gen, vor Cholera und dem Zahnarzt paarte
itd) mit einer leichtverlegbaren Hoffart, einer
findliden Gutglaubigfeit und einer [tart
ins Liigenbhafte ausgebildeten Einbildungs—
fraft. Alſo fragte Mama, ob Tante Fer:
Dinande im Januar auf Ralthof unter bem
| Der verheimlichte Mastenball M3343434 32353: 383371] 151
Froſt zu leiden gehabt hatte. Sm der Stadt
jei es arg falt gewejen.
Tante Ferdinande beugte jid) weit über
ben Tijd) vor: „Zu leiden, Mice? Es war
zum MWahnfinnigwerden, Alice. Bei bem
Nordoft alle Zimmer voll Rauh, und mein
Schlafzimmer, den?’ dir bas an, fonnte über:
hae nicht gebeigt werden. Sch fab im
ela am Frühltüdstijch und flapperte, meine
Ialdytarme war des Morgens mit einer
Eistrujte bebedt . . . wir haben über adt
,.. adt Tage am Kamin jpeilen nuijjen.
Es war nicht auszudenfen, Alice.“
„Es wäre zu einer Zentralheizung unbe:
dingt zu ratem," jagte Mama janft. „Ihr
müßt das ernithaft in Erwägung ziehen.“
„Das geht nicht,“ jagte Papa düjter. „Ich
fürchte, liebe Alice, dazu barf[ft Du Ferdi—
nande nicht zureden.“
„Es geht auch wirklich nicht,“ lagte Tante
Ferdinande unlicher. „Wir haben uns don
vor Jahren einen Roftenanjdhlag machen
[ajjen. Denfbar wäre es, wurde gejagt, und
Archibald war auch beinahe dafür. Dod)
wir würden Drei Wochen [ang ich weiß
nicht wieviel hundert Leute im Schloſſe
aben ... wildfremde Lente, jchredliche
enjden, bie von jedem Zimmerjchlüflel
einen Abdrud nehmen fonnten, die alle Zu:
gänge bequem ausfundichaften, alle Wufbe-
wahrungsorte ermitteln fonnten ... Ic
wäre ja meines Lebens nicht einen Tag
mehr froh, wenn ich dächte . . . man Det bod)
in den Zeitungen, was alles Schreckliches
pajliert .. .“
„ja,“ jagte Tolfa, „wenn man das alles
DEDERE 2...“ .
Papa jchüttelte den Kopf. „Es geht aud)
aus hiftoriichen Gründen nicht, liebe Mice.
Ich weiß nicht, ob Sie unterrichtet find, Herr
Profeſſor. Auf der Befigung meiner Cou-
fine jpuft es námlid). Es ijt leider eine
von dem ganz an [bel untrennbare Tat:
lache, daß Die verjtorbenen Angehörigen bes
Haujes ... Verzeihung, bes Gejdjled)tes bas
Recht haben, zu |pufen. Gie üben damit
eine Art Auflichtsrat aus, eine Kontrolle in
fonjervativer Richtung. Um Diejer feudalen
Gewohnheit nachzugehen, find nicht nur
dunkle Korridore und große Schränfe, jon:
dern ganz bejonders alte Öfen und Ramine
unerläßlich. Ic weiß, daß mein verehrter
Better 9(rdjibalb, als er endlich ein Bades
zimmer anlegte, lid) monatelang bem nadt-
lichen Unwillen eines Angehörigen jeines
Beichlehts ausgejegt jab, und das gleiche
gejdah, als mein Better Wroibald jpäter
einen Wintergarten baute. Ob das nun die
Abneigung gegen rituelle Wajdhungen einer:
feits ober anderleits bie VBerwechjlung des
Regrifis Wintergarten mit einem beliebten
Berliner Spezialitätentheater war, tann da:
bingeftellt bleiben. Gs jpuft, und von
Zentralheizung ijt entichieden abzuraten.“
Tante jyerbinanbe zeigte ein äußerit
eridjrodenes Gelicht; ein Geſicht, bas and)
in alltäglichen Stunden Der niobibenDafte
—
159 BESSSEHFFERT Carl Bulde: Der verheimlichte Maskenbal
Yusdrud veráng[tigter Spannung nicht ver:
ließ; Dies Gelidt batte nad) pd dane
Torheit infolge der durch Heirat erlangten
Zugehörigkeit zum SHodadel einen Berflä-
run ECH burd)gemad)t und war nun von
eitel Standesbewußtjein erhellt.
Tante SFerdinande hob bie Nafe. „Über
dieje Dinge wollen wir nicht ferzen, lieber
Eduard. Es gibt Dinge, die du nicht ver:
Debt, weil bu fie nicht fennjt."
„Nein,“ jagte Papa, „darin muß id) bir
recht geben. Go oft id) auf Kalthof war,
hat es nicht geipuft. Sch geftehe, id) war
jedesmal etwas enttäufcht. Denn id) hatte
mid) des öfteren ‘eal die Lauer gelegt. Ein:
mal, meinte WUrdibald, hätte es aud) gefputt,
während id) ba war. Doh id) bin nod)
heute überzeugt, dak der Jagdhund den
Schirmjtänder umgertjjcit hatte.“
Mama lächelte unbeirrt janft.
Tante Yerdinande fah jchief zur Geite:
„Wenn jemand bas erlebt hätte, was id)
bubenbe Male babe erleben müjjen, bano:
qreiflide Gridjeinungen: ... ich wende ben
Kopf und plößlid) ijt ein Gelicht ba, bas in
Nebel zerrinnt ...“
„Bitte, bitte, Ferdinande, fogar handgreif:
lich,” bedauerte Papa.
„Bis auf dieje Stunde, lieber Eduard,
gebe id) mir Mühe, fobald id) —
von Kalthof bin, mich zu emanzipieren. Mich
ſelber in der Meinung zu ſtärken, daß ich
durch Trugbilder geäfft wurde ... Ich tue
das freilich ſtets in der Beſorgnis, für die
Ungläubigkeit Strafe erleiden zu müflen ....“
ama wurde das Gejprad langweilig.
„Vergeſſen Sie nid)t, Herr Doftor Krämer,“
jagte Wama, „daß wir nachher bie Es-dur-
Sonate bherausjuden. Ich fpielte gejtern
den erjten Caf, er ilt göttlich.“
Und nun wurde von Vtozart gejprodjen.
Der ältere der beiden Diener [d)entte Rot:
wein ein, der jüngere reichte eine Schüjjel
mit Hühnern. Cin Mädchen mit weißem
Häubchen [tano mit Schüſſeln neben ihm.
Die i nebenan flug acht. Tante Fer
binanbe Ichwieg. Bei den Kleinen geſchah
ein kurzes, feines Gelächter, bas fih auf einen
Blid von Fraulein Zander in ein gebor-
james Ridern verwandelte. Der junge Haus:
lehrer beugte jid) vor und fagte zu Tolfa:
„Bnädiges Fraulein hätten heute am Mühl-
weg Die Kinder Schlittihub laufen jehen
mijjen. Sogar viele Erwachjene beteiligten
(id. Ein prächtige Bahn. Wirklich Iobnens:
wert, das zu betrachten.“
Und Tolfa antwortete, ohne den Hause
lehrer anzuiehen: „Wenn Cie meinen...
dann fónnten wir vielleicht morgen . . .“
Dod fie unterbra fid. Ste fah auf
Papa, der den Kopf erhoben hatte und anf-
merffam nad) dem Nebenzimmer hinlanichte.
Sie Jah, daß aud) ploglid) Miama und Pro:
feffor Pfannenberg verwundert aufiaben.
Nebenan auf der Tiele wurde ein lautes
Klirren vernehmbar, ein Hirrendes, flappern:
des Stampfen. Tann war es wieder jtill.
Papa jah zu Tolfa hinüber.
„Was war das eigentlich?“
Tolfa entjann fih, daß fe auf der Diele
das Licht zu löſchen vergejjen hatte.
„Ja, was war bas eigentlih?“ fragte
aud) Mama und jab den älteren der beiden
Diener an. Der gab durd eine Bewegung
des Belichts zu verjtehen, baB er es aud)
nicht wiffe.
ante Ferdinande erzählte jet, während
die anderen jchwiegen: „Und dann batten
wir Ende Herbit im Park einen großen Fiſch—
zug ... Archibald Hatte den Graben ab:
frauen lajjen, wir batten ja zwei Jahre lang
die Karpfen in Rube gelajjen ... und, was
willjt bu glauben, wir batten fieben Bentner
Karpfen ...“
Da rajfelte es wieder. Und diesmal im
Antikenſaal. Ein lautes, jchleifendes, flap:
perndes Raſſeln, als ob jemand lauter Mes
talljtiide aneinanderjchlüge.
„ja, was ijt bas eigentlih ... was ift
bas..." rief Papa... rief... und im fel:
ben Wugenbli wurde die Tür faft lautlos
geöffnet und in der Tür gegen das Duntel
des Zimmers grell abgehoben ftand ferzens
gerade und groß wie ein Baum in blantge-
pußtem Panzer und geldjlojjenen Viſier ein
geharnijchter Ritter, ber mit Kopf und Han:
den rudweije unbeherrihte Bewegungen
machte, mit der Hand an den Helm griff,
da der Helm augen|djeinlid) wadelte, der drei
Sdhritte vorwärts ging und dann [aut und
rajjeInd, mit weitausholenden Schritten, von
oben bis unten ffappernb und rajjelnd an
ben Tijd) tobte...
Die Kleinen freijdhten auf, jaben auf
Tolta, bie bie Hände ladend vor bas Ge:
licht ſchlug ...
Das Dienſtmädchen reijdte auf und
rannte heraus...
Die beiden Diener widen aus und [tan:
den idjlotternb an der Wand...
Papa... ja, Wapa jah auf Tolfa, bann
auf Wama, wollte aufitehn, [hob den Stuhl
zurüd.... begann aus hellem $jalle zu
lahen ...
Der Gepanzerte ftieß gegen eine Anrichte,
wandte den Kopf, jtürmte vorwärts, jchien
offenbar die Tür fuchen, geriet anjtatt an
Die Tür an ben Speileaufzug, madjte febrt,
tobte an die andere Geite bes Jimmers zurüd,
ſtieß jet wieder an den Tijd, näherte fih Tol-
fa, tobte wieder zwei Schritt weiter, näherte
ſich Tante Ferdinande, die fid) röchelnd mit
ausgeitredten Armen |dredlid) groß erhoben
hatte, ftellte jid) vor Tante Ferdinande in
Rojitur, flirrte und fagte: „Höh“, flirrte
weiter, jtic an die Tir — diesmal an bie
richtige —, öffnete bie Tür, drehte fid) nod)
einmal um, jd)rie nod) einmal „Höh“ und
verihhwand,
Berihwand Mit Rajjeln und Rlappern
und Rlirren. Berihwand Man hörte draus
Ben frachend die Tür ins Schloß fallen.
Hallo, Aufruhr, Gelddhter. Tante perdi-
nande fap aerbrodjen, zulammengelunten,
Der ſchwarze Ritter
Gemälde von Prof. Hans Loofdjen
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BSESSSSSIZIZZTN (V. Albreht: Doufjin: Wilde Shwäne BSSsesesd 153
mit berabhangenden Armen auf ihrem Stuhl.
Der jterbende Syphon‘ röchelte unheimlich.
„Halt du... halt du... bas aud gejehn,
Eduard?” |
„Ja, ja, Ferdinande. Ich habe gejehen
er gehört. Er hat deutlich zu dir Hib’ ge»
agt.“
„Haft bu ihn aud) gejehn, Alice?“
ama war offengeltanben aud) erichrof:
len gewejen.
, Siebite gerbinanbe...es ijt ja zu Dumm
.. jo hör’ mid) bod an ... fo nimm did)
mal einen Augenblid zujammen und...“
„Er bat mid) angejehn,” jammerte Tante
Beratende: „Er hat mid) fofort herausges
annt ... Er jdjien fo furchtbar boje...
vielleicht wollte er mid) erwürgen.... er fam
mid) zu jtrajen . . ."
,GroB war er, und er hatte eine hübjche
Figur, Ferdinande ..." lobte Papa. "alt
bu gewiß, Dak es ein Ahne war? ... Halt
bu ibn erfonnt, TFerdinande ?“
„Aber er batte bod) bas Bilier herunter,
bas mufteft bu Doch jehn, Eduard...“
Sie ródjelte, jie jchüttelte fih, fie lich feinen
n Mort tommen, d gitterte nod), als fie mit
em |pi&en Zeigefinger auf Den Tiſch ftieß.
„Sp, Eduard, bu haft mid) oft genug
elránft mit deinem Gpott ... Mun halt
u es leibhaftig gejehn... in deiner eigenen
Wohnung ... Kinder... Das war ne Be:
ididte... Kinder...”
Nein, nein, aufzuklären war da nidts.
Wie eine Schlange züngelte Tante Ferdi-
nande bod, als zum wiederholten Male
Mama ihr flarmaden wollte, Ay das alles
mit rechten Dingen zugegangen jei.
„Nichts... nichts will id) hören... nichts
€ ee WOES...
Das Perjonal fam wieder, von Tolfa
herbeigeholt, bie Diener reichten Eis, Papa
Ihentte Tante Yerdinande ein Glas Rot:
wein ein, verjuchte fie zu beruhigen...
xototototorotototoroocyotototototototototobototototo
e
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Ya)
gu Xototoxootorototorotototororotetorototototorototoxorotc
Belhagen A Klajings Monatshefte.
Die Ichweren, müden Schwingen tampfen fih
Durd) Wind und Wetter hin zur nahen Gee,
Auf ihrer Flucht nod) wahrhaft königlich
Und weiß wie um fie ber der weiße Schnee.
E. Albrecht-Douſſin
„Nichts... nichts, lieber Eduard, ich bin
ja ganz ruhig ... ſiehſt bu denn bas nidt...
wo mir jolde Dinge bod) |djom reichlid)
drei dutzendmal pajjtert find... Nun hab’
id) endlich einen Triumph! Schade, daß Ar—
chibald nicht mit bier war. Nun muß er
endlid) Dod) aud) völlig belehrt fein ...
Kinder, bas war eine Gejdjidjte..."
„Romijch, Ferdinande,” jagte Papa. „Aber
Ped haft du bod). Wenn wir die Bejchichte
nicht alle miterlebt batten ... unglaubwiir-
dig bleibt fie bod), wie alle deine Gejdjid):
ten.“
„Nun, lieber Eduard,“ rief Tante Ferdi:
nande höhniſch und fampfbereit, „zweifelit
du jest gefallight etwa auch noch?“
„Ich tann mir nicht helfen, unglaubwiire
dig bleibt bie Beichichte bod). Ob bu [ie
weitererzählen willjt, liebe Ferdinande, mui
dir überlajjen bleiben. Ich möchte bir bei:
nah davon abraten. Jd) jedenfalls trage
Bedenken, fie morgen an ber Börje zu er»
zählen.“
Und damit wurde die Tafel aufgehoben.
ag 8 83
Tante Ferdinande erzählte bie Bejchichte
aber bod) weiter. Zuerjt an ihren Mann,
der zwei Tage jpäter an Papa einen groben
Brief ſchrieb, und dann an ihren ganzen
Provinzadel. Und bie Geſchichte wurde jehr
berühmt und hat in der Proving Worf zur
Belebung der Gejpenfterfurdt beigetragen.
Aus dem Mastenball aht Tage Ipäter
wurde übrigens nidjts. Denn Tolfa, die
fid) lieber auf Walzer reimte, friegte gleich
darauf bie Mafern, und das Feft mußte ab:
gejagt werden. Und da es bereits Anfang
März war, wurde der Mastenball aud nicht
auf [pater verjchoben, vielmehr durfte Tolta
mit Fräulein Zander auf drei Wochen
til bejuchen, und das war aud) eine
elohnung.
=-
KC CC CC CC ZC —
C
Milde Schwäne
Es jchneit und weht und treibt ben Wirbeltanz
Ins Aſpenholz und wirft den Torfbruch zu;
Die Lahen froren ein zu blauem Glanz
Und fradjen unter meinem Jägerſchuh.
:
g
:
Da ein Signal — woher, aus weißem AL? E
Die Wiejen niedrig überjtreichend ziehn :
Fünf Schwäne durd ben Flocenfall.
Cie feben mid) und ſchwenken ab und fliehn.
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e!
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OIQINOIOIOIOIO
AXOKOKOKOKOKOIOIOIKOKO]
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IIIIOIDODIRIRIRIRIRIRIRIRIRIRIRIRIRIR I OIRIRIDIRIRIR IDIRIRRIRIRIRIRIDIRIDRIRK X AOKOKOKOIKOXOIKOK2,
32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bo. 11
Abb. 1. Beifpiel einer Wetterlage, deren weitere Entwidlung für mindeftens drei Tage
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verantwortlich und richtig vorausgejagt werden fonnte
Dte Meteorologie im Weltfriege
Bon Leutnant b. L. Clößner
erade zu Beginn des Weltkriegs war
bie willenjchaftliche Meteorologie
Hy im Begriff, in einzelnen Teilges
EN bieten der Allgemeinheit betannter
. gu werden. Die Zahl der regelmäßigen Ab»
nehmer der täglich erjcheinenden Wetterkarten
und Borberjagen war im Anwadjen, in
Tageszeitungen und Seit[d)riften mebrten fih
bie Abhandlungen und Mitteilungen über
Witterungs: und Klima» Gr[djeinungen, und
die burd) Erlaß bes Königl. Preußijchen Dis
nifteriums für Unterrichtsangelegenheiten im
Januar 1912 verfügte Berüdfichtigung mes
teorologi|djer Lebhritoffe in allen preußijchen
Schulen begann ihre er[ten Früchte zu zeitigen.
Ziele Entwidlung rif mit ber Mobilmachung
jah ab. Dafür ergaben fich aber nun für die
iijjenidjaft[idje Meteorologie Anwendungs:
gelegenheiten in fo bedeutendem Umfange,
daß hierdurch eine [prungbait gefteigerte Ver:
allgemeincrung und Berwertung meteoro:
logijder Renntni[je eingetreten ift. Die Kriegs:
N
Gu
handlungen erforderten bie alsbaldige Nutz⸗
barmadjung meteorologijcher Beobadtungs:
und Arbeitsmethoden und geficherter Grtennt:
nijje fiir Heer und Truppe. Die in Inftituten
und Studierzimmern mit Fleiß und Scharflinn
in ſchwierigen Fragen errungenen Forſchungs⸗
ergebnijje wurden zum Grundftod für bie
Tätigkeit der Wetterdienftformationen des
Heeres, deren Aufgabe es ijt, bie Meteoro»
loyie der Berteidigung bes Baterlandes un:
mittelbar nugbar zu machen.
Bon den verjdjiebenen dem Heereswetter:
dient geitellten Aufgaben ift bie Aufftellung
zuverläfliger Wettervorherjagen bie wichtigite.
Die Durchführung größerer wie fleinerer
militärijcher Operationen wird in vielen
Fällen von ben Witterungsverhältnifjen ent,
Iheidend beeinflußt. Die Führer der zum
Angriff vorgetriebenen Ententearmeen haben
zwar wiederholt die Schuld für bas Miß—
lingen ihrer Unternehmungen der Ungunit
der Witterung zugejchoben, um die wahren
SSS Leutnant d. L.
Abb. a Meteorograpb der Firma
Bunge-BVerlin. Tintenregiftrierung
trodene Tage für die Wei-
terfübrung einer glüdlid)
eingeleiteten Dffenfive fein
tónnen, bas hat fidh erft
jebt wieder bei bem [teg:
reihen Einmarjd in Sta:
lien gezeigt.
An die Morherfagen
der beratenden militäris
(den Wetterdienititellen
werden [trenge Anforde:
rungen geftellt. Sie müj»
fen in tarer und beftimm»
Glößner: Die Meteorologie im Weltfriege BZZ 155
Gründe ihrer Nieder»
lagen zu verſchleiern.
Man muß aber im alls
gemeinen bie Kritif eng:
Didier Zeitungen, bie ber
Armeeführung wegen
des Fehlens zuverläj»
figer meteorologilcher
Dienftftellen an ihrem
flandrijden Frontab—
fchnitt bittere Borwürfe
gemadt bat, als durd:
aus berechtigt anerten:
nen. Bon welcher Be:
deutung einige Deitere,
Dasfelbe Gerät wie auf Abb. 8
mit Sdupbled
Abb. 8. Meteorograph der Firma Boſch⸗
Straßburg. 9tuBregifirterung
ter Ausdrudsweife gehals
ten fein. Redewendungen
wie „ftellenweife, vorüber:
gehend, vereinzelt, teils“
haben faft feinen Wert
und find im Heereswetters
dienft verpönt. Sie miijjen
anderjeits unbedingt Her
fein; die Folgen, die ein
Fehlſchluß bier nad) fid)
ziehen tann, [inb nicht zu
überjehen. Außerdem fol
len die Borberjagen für
Abb.5. Regiftrierftreifen eines Meteorographen. Aufftieg mit 5 Drachen, Lange bes ausgelaffenen Drabhe
tes 7900 m, erreichte Höhe 4730 m, tieffte Temperatur — 27,8 *, ftartfter Wind 18 msec., niebrigite Feuche
tigteit 20%. Uufftiegstag: 2 April 1917. Dauer: 8, — 11 !/, Bormittags
H?
156 (— Leutnant b. L. Cligner: ee et
größere Unterneh:
mungen auch nod)
möglichſt langfri-
Duo gegeben wer:
den. Das find For:
derungen, von des
nen Die eine Die
Erfüllung ber an:
deren bei bem Deis
tigen Stande ber
meteorologijchen
Wiffenjdaft — be:
eintrddtigt. Da
die Sicherheit unb
Beſtimmtheit ftets
gewahrt bleiben
müjjen, ift der
Meteorologe mei-
ftens gezwungen,
die Geltungsdauer
der Borbherjagen
auf kürzere Friſten
zu bemejjfem. Die
oft felbjt in ange:
jehenen Tageszeis»
tungen abgedrud:
ten Brophezeiungen unverantwortlicher Wit-
terungsverftändiger auf Woden und Mo:
nate hinaus find wertloje, von Gelbitver:
mejjenbeit zeugende Vermutungen, bie ber
erfahrene, wiſſenſchaftlich arbeitende Meteoro:
— — 2
d
F
Wbb. 6. Hilfsdrade vor dem Aufſteigen. Auf ein Bei:
den des Aufftiegsleiters wird ber Hilfsdrade los:
gelaffen und ,fegelt" unter gleichzeitigem „Einholen“
(mit Der Winde) an
Ee — EE
PK
Abb. 7. Füllen des Feffelballons am Windenhaus
Een
—
loge nicht ernſt
nimmt. Nur in
Ausnahmefällen
ijt er in der Lage,
bie Witterungsge:
ftaltung auf meh:
rere Tage hinaus
bejtimmt unb ficher
vorausguerfennen.
Die Karte vom
19. Februar 1916
2 Uhr nachmittags
(j. Seite 154) ftellt
eine jolde Wetter:
lage dar, deren
weitere Cntwid:
lung für mindes
[tens drei Tage
verantwortlich
und richtig voraus
gejagt wurde. Aber
auch bejtimmte und
jihere Vorherſa—
gen auf fiirgere
Seit, auf vierund-
zwanzig, zwölf
oder fedjs Stunden leben ein hohes Maß
von Einfiht, Erfahrung und Fleip voraus,
zumal (id) bie Borherjagen nicht nur auf
die Verhältnifje am Boden, jondern aud
auf die Zuftände ber oberen Auftichichten
a ee E: v
pooseeeeeeeesz£]) Die Meteorologie im Welttriege BIZZ] 157
Abb. 8. Beendigung eines Aufftiegs. Abtnüpfen bes Meßgerätes und bes Ballons vom Feffeldrabht
er[treden miiffen. — Es ift nicht zu leugnen,
daß im Anfange bes Krieges bie jorgfältige
Geheimhaltung der Wetternachrichten jeitens
ber Entente die ohnehin beftehenden Schwierig
teiten erhöhte. Durch jorgfältiges Sammeln
von Erfahrungen und zielbewußtes Weiters
entwideln bewährter und neueingeführter
Methoden ijt es aber dem deutjchen Heeres:
wetterdienjt gelungen, fid) von Nachrichten
aus England und Frankreich gänzlich un:
abhängig zu madhen. Die Engländer haben
in den großen Angriffen auf ihre Haupt:
ftadt handgreifliche Beweiſe dafür, daß bie
deutjchen Sjeeresmeteorologen, ohne Beobs
adtungen von London au haben, wohl in
der Lage find, rechtzeitig vorausguerfennen,
welde Winds und Bewöltungsverhältnifje
über ben britijden Inſeln zu erwarten find.
Im wejentlichen wurde diefe Unabhängig:
feitsmadung von Nachrichten aus den feinb:
[iden Ländern im Weften erreicht durch bie
(Grridjtung einer großen Zahl von Heerese
dradenwarten, deren Beobadtungen fiir bie
Wettervorherjage von ganz bejonderer Bes
158 I Leutnant b. L. Glópner: seess e
Missa. A ee men 7
` g
SAY y » "en. 5
^de, E m.
NS e
deutung find. Cie glei:
chen den zivilen aero:
logijhen Objervatorien
in Lindenberg, Fried:
ridjsbafen und König:
flein im Taunus, bie
ihon im Frieden be[tan:
den. Als *Beobad)tungs:
gerät dient der Meteoro-
graph (|. Seite 155), ber
eine Bereinigung von
Barograph, Thermo:
graph, Hygrograph und
Anemometer darftellt.
Jedes einzelne Deler
Mepgeräte jchreibt auf
RER
F
Abb. 11. Berfolgung des Pilotballons
mit bem Wusfadneidgerat (Theodoliten)
beruptes Papier oder
mit Tinte auf einer
Trommel bie angeaeig:
ten Werte als fturve
auf (f. Seite 155). Diefe
Rurven vermitteln die
Kenntnis bes Luftdruds,
der Temperatur, ber
fyeudjtigfeit und des
Windes bis in große
Höhen hinauf. Für den
prattiihen Gebrauch
werden bie Kurven in
Zahlenwerte umgejeßt
(ausgewertet.). Zum
Hodtragen des Bes
BESTATTET Die Meteorologie im Welttriege BESSSSE333A 159
8 ite d A TR] RE “>. te? co
H
4
Abo. su id. Lecmunbeobadtung an der Hütte — Auflegen eines Streifens auf die Trommel bes wind) dreibers
+
& Abb. 14. Turm für meteorologifche Beobadhtungen im Fede cd
160
BS3SS3S3S3333N Leutnant b. L. Glüfner: BBBSSssesssessy
J
8 Abb. 15. Arbeitsraum mit meteorologifhem Beobadtungsgerat 5
obadtungsgerdtes in bie oberen Luftſchichten
dienen bet ftartbewegter Luft Drachen, bei
geringen Windjtärten mit Wafferftoff gefüllte
Balone (f. Seite 156/157). Deren Feſſelung
erfolgt durch dünnen Stabldrabt, Klavier:
jaitendrabt, ber auf die Trommel einer Winde
aufgewidelt ijt; die Winde wird von einem
Motor angetrieben. Wenn große Höhen
(6000 — 7000 Meter) erreicht werden follen,
müfjen hinter dem vorderen Drachen bzw.
Ballon, bem das Beobadhtungsgerät mit:
gegeben wird, zum Tragen des Drabies
nod mehrere Hilfsdraden bzw. etn zweiter
oder dritter Ballon angejegt werben. Oft
ftehen „Bejpanne“ von mehr als fünf Sra:
den mit 10—15 Kilometer Draht draußen.
Die erfolgreihe Handhabung der TFellelauf:
ftiegsmethode und die jad)gemáBe Auswer:
tung der Kurven bes Beobadhtungsgerätes
erfordern eine reichliche Erfahrung und voll»
fommene Bertrautheit mit den aerologijden
SBerbüftnijjen und den in Betracht tommen:
den pbyfifalijen Geſetzmäßigkeiten. In
lebter Zeit ift man dazu übergegangen, bas
jest bejtebenbe aerologijche Netz durch regels
mäßig erfolgende meteorologijche Flüge nod)
engma)diger zu geftalten. Es fet bier nur
erwähnt, daß fic) die Bedeutung der aero:
logiſchen Beobadytungen mit deren Berwers
tung bei ber Wettervorherjage nicht erjchöpft;
für viele militärifche Zwede find bie Mej-
jungen der einzelnen Elemente in der Höhe
an fid) widtig.
Bon allen meteorologijd)en Vorgängen in
den oberen Schichten fommt ber Yinderung
der Höhenwinde die größte Bedeutung zu.
Einem erfahrenen Meteorologen nügt heute
die umfaljende Kenntnis der Strömungen
in der Höhe für bie Aufitelung einer Bor:
herjage mehr als bie Bodenbeobadtungen
einiger Auslandjtationen. Aber auch aus
unmittelbaren militärijhen Gründen find
dauernd Feltitelungen über bie oberen Strö-
mungen erforderlid. Die Höhenwindme]:
Oo T LS © |
BSISSSSSTIFZZN Die Meteorologie im Welttriege III 161
jungen find Die eins
zigen aerologijchen
Beobachtungen, bie
and) von den fonft
nur mit Bodenbeob-
adtungen beauf:
tragten Armee: und
Feldwetterwarten
angeſtellt werden (ſ.
Seite 159).
Eine ſolche Wind:
mejjung dauert je
nach der erreichten
Höhe oft über eine
Stunde; mandhe
Balone miijjen bis
liber 15 Rilometer
binaufgeldjidt wer:
Den. Nach Beendi-
gung der Mefjung
liegt aud) met gleich
deren Ergebnis vor;
bas ijt aber nur mög:
lid), wenn fih bem Beobachter ſchon zu Be:
ginn Der Meſſung ein Rechner zugejellt. Die
gleichzeitigen Höhenwindmeflungen des zur
Berfügung ftehenden weitausgedehnten Mees
werden für die Borherjagezwede meift zunächſt
zu Strémungsfarten verarbeitet, an Hand
deren man ein anlchauliches Bild gewinnt
—
Abb. 16. Beobachtung am Gewitteranzeiger
über die ſich voll—
ziehenden Anderun—
gen in der Maſſen—
verteilung der At—
mojpbäre.
DieBodenbeobad:
tungen der Feld—
wetterwarten erfol-
gen táglid) zu ben:
jelben Zeiten und
er[treden fid) auf alle
meteorologijchen
Elemente. Auf ©.
159 jieht man den
Beobachter, ber vor
mehreren Jahren
auf dem Pic von
Teneriffa in ähn:
lider Weife tätig
war, bei der Ab-
lejung an ber gedff-
neten Hütte. Das
Innere zeigt Die
Mefgerate, bie Durd) die unterbrodenen
Wände gegen Sonne gejhüßt, bem Luftzug
aber genügend ausgejebt find. Links vorne
Debt ber Thermograph; er jd)reibt für den
täglichen Gang der Temperatur eine Kurve.
Die celative Feuchtigkeit regijtriert Der im
Hintergrunde [tebenbe Hygrograph. Die quer:
Abb, 17. Der Führer einer Flat: (Flugabwehrlanonen:)Batterie empfängt eine meteorologi[d)e Meldung
162 BSSSsessessesoad Leutnant b. L. GlüBner: BESZ KEEA
liegenden ers mometers. Auf
mometerzeigen der mittleren
die täglich tief» Stange des Bes
kä bzw. En ——
empera mes a.
an, bte jentrecht ift bas Schalen:
ftebenben ` Die freug gerade
nen der Ermit- noch als Büntt»
telung der Luft: den zu erten
feuchtigfeit. Die nen. Die Wet»
anm an ber M d =
e ange: rlid) and
bradjten Qei- Befig eines
tungsbrübte Queckſilberba⸗
führen zu Fern⸗ rometers. Es
pio hee bb. 18. Wind Bballe einer § Wetterwarte in ein , Seftattet bieb.
Auf die Be- . MBinbmeBballe einer Heeres: Wetterwarte em lefung bes Ruft«
obadjtung bes Gebirgsborf im ir — F Hintergrunde ſind in brudes bis zur
Bodenwindes Benauigteit
verwendet bie Warte dauernd größte Gorg:
von Bruchteilen eines Zehntelmillimeters,
falt, denn er ift es ja, der giftige Gale vom | Ziele genauen Drucbeobadtungen find ere
nn ber: —— für
erbringen as nen
ge gia der Karten für
eben wir, wie die Luftdruds
€ We — verteilung in
mel Des großen Meereshöhe.
Windichreibers Die Rurve des
ein neuer Streis Quftdrudes
fen aufgezogen [d)reibt der Bas
wird. Hier wer:
ben die Augen»
blidswerte der
rograph. ints
neben biejem
Debt man im
Windrichtung ` Bilde a. ©. 160
mit Geſchwin⸗ ein ajpiriertes
bigleit aufge: Pſychrometer,
ſchrieben. Die bas zur Beftim»
Mittelwerte mung der Luft:
ber Windftärfe Abb. 19. Wohn: und Arbeitsräume ber Wetterwarte auf Abb. 21 feuchtigfeit
liefert bie elefs dient. Auf ©.
triſche Regiltrierung eines Schalentreuz:Ane: | 161 feben wir einen alten Spigbergen»$Forfcher
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e Abb. 90. Wetterwarte nahe ber Front auf bem öſtlichen Kriegsichauplage
I Die Meteorologie im Weltkriege BZZ] 163
em ftätten aufgeichlagen, wieder andere
haufen angefichts der feindlichen Bat:
terien im Gebirgsdorf (C. 162), in
einer felbftgezimmerten Hütte bod) oben
auf dem Berge, oder in Erdlicern und
Unterftänden nahe der vorderen Linie
(GC. 162 u. 163). Sie willen den Bor:
zug zu ſchätzen, der darin beftebt, daß
fie während des Krieges auf einem
ihrer Borbildung als Berufsmeteorologe,
Phyſiker, Lehrer, Ingenieur, Technifer,
Miechanifer entiprechenden Gebiete tätig
fein ténnen und werden ber Meteoro:
logie nad) dem Kriege treue Freunde
bleiben. Der SHeereswetterdienfi wird
jeinerfeits das, was er ber wijfen:
Ichaftlich zivilen Meteorologie an wiljen:
ſchaftlichen Vorausjegungen und Bore
arbeiten verdantt, vielfältig zurüder:
ftatten in der Summe feiner meteoro:
logijden Kriegserfahrungen und in
Geftalt einer reihen Sammlung mes
a teorologifher Beobadtungen, die in
x Abb. 21. Bergwetterwarte im Weiten t foldem Umfange mod) niemals vor:
gelegen Bat. Es ift zu hoffen, daß
als $jotdjer am Gewitterangeiger, ber für hierdurch Fortſchritte eingeleitet werden,
eleftrijde Fernentladungen empfindlich ijt. die auch auf bem Gebiete der Borberjage
Biele Warten befafjen fid) auh mit ber Be: fih dem Ziele nähern, bem gegenüber fih
obadtung der gefallenen Niederjchlagsmenge. bisher nur einige Phantaften den Anfchein
Um alle Beobachtungen tennen zu lernen, die zu geben verjuchen, als ob fie es fchon er:
von TFeldwetterwarten ausgeführt werden, reicht hätten.
wären einige Bejuche erforderlih. Da
gäbe es nod) |o mandes zu jehen,
was bier nicht aufgezählt und ab-
gebildet werden fann. Sede Beobad):
tung gelangt erft dadurch zu ihrer
Bedeutung, daß fie mit anderen zus
fammen bearbeitet und dann in Form
einer militärijhen Meldung oder in
Geftalt eines Gutadtens zur Berwen:
dung gelangt.
Die Wetterdienftjoldaten find aus
der Luftidiffertruppe bhervorgegan:
gen, mehr oder weniger gelehrt, und
werden von: ihren Kameraden, Ier,
bafterweife natürlih, ‚Qaubfröjche‘
genannt. Se nad bem vom fom:
manbierenben General ber Luftitreit:
fräfte befoblenen Einja ihrer Warte
find ihre lInterfunftsráume bald von
größerem, bald von geringerem Glanz,
aber zwedmäßig find fie alle, Mtande
Warte batte bas Glüd, im bejegten
Gebiet in einem neuzeitlich einge:
richteten Objervatorium untergufom:
men, wo für Beobadtung und wij:
jenjdaftlide Arbeit bie denkbar gün:
ftigiten Borbedingungen vorhanden
find. Andere haben ihre Wohnung ————— HERE
auf ben Trümmern alter Kultur: Abb. 2. $Beobadjtungsitelle im vorderen Graben
—
(Gand aus Dee Berate)
und aus
OCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC IF FID IFIP IIIIIDIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII370
Wie ich anfing
Erinnerungsſchnitzel von Fedor von Zobeltitz
übergangsjahre
Is id) zur Rejerve übergetreten war,
machte id) es wie weiland Julius
von Voß: id) zählte erft mal an ben
p Knöpfen ab, was id) nun werden
: jollte: Zandwirt, Schriftiteller, Ma—
ler, Schaufpieler, Raufmann oder tiirfijder
——— (denn bie bulgariſche Lodun
am erſt etwas ſpäter). Als Landwirt hätte id
ber väterlichen Befig übernehmen Tonnen, aber
jo hübſch er aud) war, jo ließ fih bod) feine
Geide auf ibm fpinnen. onjtantin von
Grimm hatte mir geraten, meinzeichnerijches
Talent ausbilden zu laffen; Georg Hiltl
wollte fchaufpieleriiche Begabung in mir ers
fannt haben; ein aer a Gefhäftsfreund
meines Vater wollte mid) in feinem Haufe
in der Havanna unterbringen; ein Graf
Pfeil, der viel in der Welt herumgefommen
war, meinte, ich tate am beiten, die friege-
riihe Konjunktur auszunüßen und in tiirfi-
ide Dienjte zu treten, fonnte mir auch gute
Empfehlungen mit auf den Weg geben.
Nun pflegte ih Rat mit meinem Bruder,
und ber flug mir vor, bei ber Schriftitels
lerei zu bleiben, da ich bod) idjon einmal
damit angefangen hätte, riet aud) mid) jour:
Pete vorzubilden, um gelegentlicd) eine
Korrelpondentenjtele im Wuslande übers
nehmen zu Tonnen, Und um das Dana
— einmal ein wenig näher kennen zu
ernen, empfahl er mich einem Bekannten,
einem früheren Premierleutnant P., der in
Kötzſchenbroda bei Dresden ein militäriſch—
literarijdes Inftitut begründet hatte und
einen redaktionellen Mitarbeiter juchte.
Ih machte mid) alfo auf den Weg in bas
liebliche Elbtal und wurde von Herrn
aud) freunblid) aufgenommen, wohnte in
feiner Billa und verjuchte mid) mit redlichem
Eifer in bie Bejchäfte einzuarbeiten. Aber
bas hatte bod) jeinen Hafen. Es ging nicht
|o, wie id) dachte, und wenn ich dachte, ging
es überhaupt niht. Die mir gejtellten Auf—
aben waren nicht immer nad) meinem Ge-
Pomad. Sd) folte beijpielsweije in Kötzſchen—
broda Berichte vom türkiſch-ruſſiſchen Kriegs:
\hauplaß |d)reiben, die dann heftographiert
und an eine Anzahl fleiner Zeitungen ver:
\hidt wurden, Mber an der Elbe die Ber:
bültnijje auf bem Schipfapafje an|djaulid) zu
bejchreiben, war immerhin eine etwas ge:
wagte Gade. Die ganze Geſchichte pakte
mir nicht febr lange, und fo empfahl ich mid
denn eines Tages meinem freundlichen Haus:
Der mir einen
wirt und fiedelte mit meinem einzigen Rof-
pe nad) dem nahen Dresden über, wo ich
don gelegentlich einen Redakteur der „Nach:
richten“ fennen gelernt hatte, der mich an
feinem Blatte anbringen wollte.
Daraus wurde nichts, weil der betreffende
Redakteur aus irgendeinem Grunde eines
Tages an bie Luft gelest worden war. Da-
für fand td) andere Verbindungen und machte
in den Drei Monaten meines Dresdner
Aufenthalts aud) mande nette Bekanntſchaft.
Durch einen weitläufigen Berwandten bei Hofe
wurde ich dem: Generaldireftor des Hof-
theaters, dem Grafen Platen, empfohlen,
reiplaß gewährte, jo daB id
meine er[ten Theaterberichte für ein Berliner
Blatt jchreiben konnte, das allerdings fo
iemlid) unter Ausjchluß der Öffentlichkeit er:
Ken und immer erjt nad) aebnmaliger
Mahnung ein mageres Honorar zu zahlen
pflegte. Nlichtsdeitomeniger ging id mit
or Sege CCS TER feit an meine
tiefe, zumal Oper und Schaufpiel in Dress
den unter ben Damen Malten, Scud, Röff:
ler, Ulrich und den Herren Buljs, Gudehus,
Gdjeibemantel, Dettmer, Bauer u. a. auf be:
beutenber fiinftlerijder Höhe Honn, d
Porth gebórte bamals nod) ber Hofbiihne
an, Dellen anmutige Tochter |päter den Prin:
en Georg zu Bentheim:Steinfurt heiratete.
as Nelidenz: Theater wurde —
Hugo Müller geleitet, mit dem mein Vater
oft genug am Dreſſelſchen Stammtiſch in
Berlin zuſammen geweſen war. Müller lud
mich auch in Dresden einmal zu einem ver—
gnügten kleinen Frühſtück im Engliſchen Gar—
ten ein, wo er mich gehörig unter Sekt ſetzte
und mir dann ſeine Not klagte. Die Gläubiger
ſchnürten ihm die Kehle zu. Er führte ſeine
Bühne mit feinem Verſtändnis, nur wenn
er ſelbſt RE auftrat, flappte es fel-
ten, weil er nie Jeine Rolle tonnte, auch
nicht in ben eigenen GStüden. Ich war ein:
mal Zeuge, wie er mitten in einer Szene
dem Gouffleur ein leeres Tintenfaß zujchleu:
berte; das Publifum glaubte, diele (eite
ausbredjenber Sjeftigfeit gehöre zur Rolle
— jie galt aber lediglich bem BWushelfer, ber
bas Stidwort faljd).gebradjt hatte. Hugo
Müller war damals nicht mehr der elegante
Mann von früher, bem es aud) Spaß madıte,
von einen Abjonderlichkeiten reden zu machen:
wenn er beilpielsweije den Spargel in weißen
Glackhandſchuhen verjpeijte, um fih nicht die
Fedor von Zobeltig: Wie id) anfing Issel 165
Fingerſpitzen mit der Butter zu befetten. Er
war [til geworden unb litt zeitweilig an
melanhofifiben Anwandlungen. Ein Lahr
jpdter mußte er fih einem Kompagnon an:
Ichließen, dann übernahm Ferdinand Deffoir
bas NRelidenz - Theater, aber erft ber Romifer
Karl führte es wieder zu neuer Blüte,
Sd wohnte in Dresden in ZBebels Hotel,
einem Kleinen Gajthaus ber Neuftadt, in bem
häufig die Offiziere der ſächſiſchen Provinz:
garnilonen abjttegen, wenn ye bie Refideng
ejuchten, und Hr da viele alte Freunde
von der Kriegsichule wieder. Da lernte id)
eines Tages auch einen jungen Herrn fennen,
der eben aus Saxon fam und mit dem mich
eine jahrelange — — verband, bis
ſie im Laufe der Zeit von ſelbſt ſich lockerte:
Baul von GSacgepansti, ben Leſern dieſer
ak als e emelge Mitherausgeber tein
remder. hnlichkeit des Schidjals führte
uns näher gujammen. Gzezepatsfi hatte
den Abſchied genommen und ſuchte gleich
mir nad) neuen Zufunftsmoglidfeiten, und
da er gleich mir Ichriftitellerijche Neigungen
(Ce D gos Véi wir uns zunädjlt zu einem
andden lodcrer Bedichte und Epigramme,
das freilid nie im Drud erjdjien. Wie
richtig er aber feine B'gabung erfannt hatte,
bewiejen feine jpäteren Romane, vor allem
„Die Falzgräfin“ und die prachtvollen „Spar:
tanerjünglinge“.
Eine andere interejjante Bekanntſchaft
aus jenen Tagen war für mid) Julius
Grofje, ber als Gefretär der Schillerſtiftung
in Dresden feinen pee Pe batte und bet
bem mid) ein heute perjdjollener Cdrijtjtel:
ler, Ludwig Habicht, einfiihrte. Grofje war
mit fuen langen, [djlid)t zu beiden Seiten
bes |djmalen Belichts herabfallenden Haare
eine febr marfante Erjcheinung. Seine poeti:
iden Dichtungen „Gundel vom Königsiee“,
„Das Mädchen von Capri” u.a. hatten
feinen Ruhm begründet; nur auf der Bühne
vermochte er nit recht feiten Fuß zu fajjen.
3d) wohnte auf feine Einladung bin ber
Erftaufführung feines Dramas „Tiberius“
im Hoftheater bei, entrüjtete indejjen Durch
meine Beifallstundgebungen diejenigen, denen
bie Römertragödie weniger behagte als mir.
Grojje fpeifte gewöhnlich im Rennerſchen
Bierlofal, wo 1d) häufig zu ellen pflegte,
und ftellte mich dort eines Abends einem
alten Herrn vor, den id) längſt unter der
Erde glaubte: Buftav Kühne, einem ber Let:
ten des „Jungen Deutjchland“, ber aber eben
nod) ein paar Schlußbände feiner berühm:
ten Rlofternovellen unter dem Titel „Witten:
berg und Rom“ Herausgegeben hatte. Er
ohne in einer Billa bei Dresden und Idien
mir ein etwas fnurriger, kurz angebundener
Herr zu fein. Mod eines anderen Schrift:
itellers gebenfe id) gern, den ich ſchon in
Kögichenbroda, wo er wohnte, tennen gelernt
hatte: Eugen thd von Dedenroths. Er
war beim Raijer franz: Grenabier-9tegiment
Offizier gewefen, hatte fidh bereits damals lite:
Far bejchäftigt und war infolgedejlen mit
feinen Borgejebten mehrfach in Widerftand
geraten, fo daß er — nahdem er nod
Sechsundſechzig eine Barde:-Landwehr: Kom:
pagnie geführt batte — ſchließlich als Haupt:
mann den Übjchied nahm. Was mir Herr von
Dedenroth aus den Anfängen feiner jchrift:
jtellerijchen Laufbahn erzählte, war bódjt
interejjant. Er war zu Beginn ber jechziger
Sabre mit einem Berliner Verleger namens
Werner tag! befannt geworden, der eine
Fabrik für Kolportageromane bejaB, lang
ausge]ponnener und grob zugejchnittener
Gejcdidten für bas Bolt, bie heftweile ver-
trieben wurden. Diejem Manne hatte er fid)
nun auf einige Zeit mit Leib und Ceele
verjd)rieben und ibm eine ganze Anzahl jo:
genannter „hiltorilcheromantijcher Erzählun:
gen“ zu je hundert Heften geliefert, Romane,
bie fid) met jhon durch ihren Titel harat:
terilierten, wie „Kleopatra, bie jchöne Bau:
berin vom Nil“ oder „Die Bluttaufe ber
deutichen Einheit” oder „Pole, Gude und
Franzoſe und der Karneval von Achtund:
vierzig“. Für diefe Mordsgeidhichten hatte
Dedenroth fid) aber ein gejälliges Pjeudo-
nym gewählt; da nannte er Ernſt Pi:
tawall. Sie braten ihm viel Geld ein, und
er riet mir wohlmeinend, es bod) aud) ein:
mal mit ſolchen *Bolfsromanen zu verjuden,
die man im Handumdrehen (Ee CR
rem Tonne, Die Hauptjache lei lich ftandig
fieigerndDe Spannung und aufregende Kapi:
teljdjliijje. Er fagte, wenn er ein Kapitel
mit einer höchſt geheimnisvollen Wendung
beendet hätte, jo fet er häufig jelbft neugierig
gewejen, wie es nun weiter geben würde;
aber das hätte fic) im Wirbel anderer Be:
ſchehniſſe bod) immer Ieid)t gefunden. Zeit:
weilig |d)rieb er täglich einen vollen Drud:
bogen. ertvoller als ber gute Rat biejes
lebr liebenswürdigen Menjdhen war mir
der Weg, den er mir zu bem Berleger Schöns
lein in Stuttgart eröffnete.
Schließlich fühlte p mid) in Dresden
nicht mehr am Plage. Wenn id) Geld hatte,
bummelte id) mit den alten Kameraden,
wenn id) teins hatte, erflärte id) mein irdi»
ihes Dajein für eine Überflülligfeit. Und
da bieles Gefühl der — igkeit wachſend
wurde, ſo ſiedelte ich na erlin über, um
mir dort eine Redaktionsſtellung zu ſuchen.
Mein Bruder, der inzwiſchen von den Garde—
füſilieren zu den Eiſenbahnern gekommen
war, wohnte um sb Zeit in einem großen
Gartenhauje in der Licterfelder Straße am
Fuße bes Kreuzbergs. Dort quartierte aud
id) mid) ein, jpäter folgte Szczepauski.
Unten lag eine Reftauratton für den Mittel:
Honn, deren Wirt, ber dide Herr Piper,
auch das Haus regierte, das ein für heutige
Merhaltnijje febr großer Garten mit altem
Baumbeltand umgab. Die erwünjchte Ne:
battionsijtelIung fand fih nicht fo rajh, obwohl
(id) ein neugewonnener Freund, Herr von
Leixner, lebhaft für mid) bemühte; einmal
war es beinalb jo weit, daß ich bei einer eben
gegründeten Zeitung, der „Union“, hätte
166 EFSFSFFFIFPFFIFTZEI Fedor von Sobeltib: [84243€3434243424343433333€3:1
eintreten Tonnen, bie von bem Regierungs-
rat Beuthner geleitet wurde — bas zerjchlu
fid) aber wieder. Dafür erhielt id) pure
Rermittlung des — d von Man:
teuffel Anwartichaft auf eine Stellung als
Polizeileutnant, woraus zu meinem Blüd
ebenfalls nichts wurde, Go ftiirgten wir
uns denn fopiüber in das Tintenfaß und
verzapften mit nimmer miidem un Feuille⸗
tons, Skizzen, ſchön EE Aufſätze aller:
art, Ce mannigfade Erzählungen. Szcze—
ansfi jchrieb damals feine erjte größere
ovelle, die „Gloire de Dijon“ hick und
wei Jahre [pater im „Kleinen Journal” zum
— tam. Wud ich fand meine Verbin—
dungen; es fing langjam an, es ging jdjon
— etwas miibjelig gwar und auf allerhand
Dornenwegen, immerhin begannen bod) aud
bereits ein paar Röschen zu blühen.
Eine Seitid)rift, bie mir gleich und be:
reitwillig ihre Cpalten öffnete, war bas
„Neue Blatt“, das Paul Lindau begründet
hatte und nun men Hiridh in Leipzig re»
digierte, gemen am mit dem „Salon“, fiir
ben ich gleichfalls tätig war. Hirjd war von
grobem Entgegentommen, und id) bin ihm
afür aud) immer dankbar gewejen. Nur
batte fein Berleger die Angewohnbheit, nicht
eher Honorar zu zahlen, ehe man nidt ein
Nachnahmemandat lage oder mit Klage
drohte. Das war feine Angewohnheit, und
an der hielt er eijern feft. Ahnlich machte
es Herr Giegmey, der eigentlich Giegbert
Meyer hieß und eine Monatsjchrift „Tutti
Ce? berausgab. Das war ein furiojer
err, ber früher in ber Ronfeftion beſchäf—
tig war und jih Dann mit Leiden|daft ber
Literatur in De Arme geworfen hatte, die
indeß nicht viel von ihm willen wollte. Er
ift, glaube ich, febr unglüdlid) im Srren:
hauſe verftorben. Auch journaltjtijd) begann
id) mid) zu beldjü|tigem. Schleſiſche, Köl
nifde und *Bojener Zeitung und die Berliner
Bürger:Zeitung, deren Feuilleton Leixner
rebigierte, brad)ten häufig Artitel von mir,
ebenjo bie Ctaaisbürger: Zeitung Dedo Mil:
lers. Mit dem „Berliner Tageblatt“ fam ich
durch bie „Pofals Premieren“ in Verbindung,
die der Redafteur Perl erfunden hatte:
Heine hauptftädtijche Blaudereien über alles
mögliche, bie an Der Gpite bes Iofalen
Teils abgedrudt wurden. Um die Politif
tümmerte id) mid) damals nod) nicht, Wirt:
Ihaftstrieg und Sozialiſtengeſetz waren mir
ziemlich gleid)gültige Dinge. Ter alte Perl
vom Tageblatt, der immer höflich fein fei-
Denes Rappden abnahm, wenn man in fein
Zimmer trat, bat mid häufig zu fic, um
mit mir eine neue Plauderei zu bereden und
zahlte mir aud) das damals höchſte Honorar,
nämlich fünfundzwanzig Pfennige die Zeile.
Wenn man fic bie Anwerjung darüber aus:
Helen laffen wollte, wurde ber Redaftions-
lefretár Herr Reinhold Schlingmann regel=
mäßig wütend und behauptete, er fei immer
nur am Gr[ten im. Honorarangelegenheiten
zu [predjen: er babe nod) andere Pflichten,
er fei ſowieſo überarbeitet, er jet reif für
ben Sclagflug. Wenn er fid) indefjen aus:
wütet batte, wurde er gang gemütlich, und
fam id) anfällig in abendlicher Stunde, fo
benubte er die Gelegenheit, mit feiner Arbeit
abzujchliegen und ging mit mir zu Gieden,
ein Glas Bier zu trinten unb über die
pi pu zu ſchimpfen.
$tad) bem Nobiling- Attentat machte mir ein
Buchhändler, mit dem ich gelegentlich zu tun
hatte, den Vorſchlag, eine Brojchüre über
die politijden Attentate bes legten Jahr:
hunderts zu jchreiben. Daran jet ungeheuer
viel zu verdienen. Sd) jebte mich denn aud
gleich mit einem guten Freund hin, und wir
tiegten es unter eifriger Mitbenugung des
Ronverjationslexifons wirflid) fertig, bie
bewußte Brojchüre binnen drei Tagen mit
Glang und Glorie abaufajjen. Gie wurde
idileunigit gedrudt, mit einem fnallroten
Umjchlag verjehen (ber aber unjere Namen
nicht nannte) und im Schaufenfter bes Buch:
handlers in ganzen Reihen- aufgeitellt. Und
nun warteten wir auf den Bolditrom. War:
teten und warteten, bis uns nad) einem hal:
ben Jahre bie franfende Mitteilung gufam,
daß es am zwedmäßigiten fein würde, bie
ganze Auflage einjtampfen zu laffen, da
nur zwölf Exemplare verfauft worden jeien.
So ráüdjte fih bie Gier nad) Erwerb.
Flotter [obnte jid) bie Tagesarbeit eines
Reporters, ber mit uns im gleichen Haufe
wohnte. Es war bas ein Fretherr von dem
Bottlenberg, genannt von Schirp: erft Offi-
ier, Dann Student, nun Sournalift, ein
fabetbaf flinter Menſch, Dellen Spezialität
ie jogenannten Polizgeinacdridten waren.
Er Hatte irgenbieldje Verbindungen auf
dem Polizgeiprajidium, wo er fih täglich ein-
fand, um das AUllerneuefte zu hören und die
ge ebenen Spuren zu verfolgen. Er jaufte
etändig in der Stadt umber und fahndete
nad) Unglüdsfällen, Verbrechen und Bran:
ben, über bie er in wilder Hebjagd ein
Dugend Zeilen zu Papiere brachte, bie auf
einer autograpbilchen Preſſe vervielfältigt
unb Dann auf bie Redaktionen getragen
wurden. Später begründete er eine Zeitung
— wenn id mid ips entjinne hieß jie Ser,
liner Figaro“ —, Die indes bald wieder
felig cano imme tle; rief ein Bureau ins
Neben, bas „alles madjte", wie auf bem
Firmenſchild zu lejen war, faufte eine Bar
und ein Sommer-Baridte in ber Hajenheide
und wurde bei allen feinen bunten Unter:
nebmungen jchließlih ein wohlhabender
Mann.
Im Piperſchen Biergarten verfehrte zeit»
weilig aud) ein Schriftiteller, ben ein tra-
gildes Cdjidjal in ber Dalldorfer Irren—
anjtalt enden ließ: Albert Lindner. Ich
jagte Ion, daß bieler Biergarten ein um:
gewöhnlich jchöner und Ichattiger war, und
wenn an den Sommerabenden das Bolt in
Scharen auf den Kreuzberg und nad Tivoli
jtromte, [o lockten die alten Bäume mit
ihrer weitausladenden Wipfelpracht viele
ESCHE TIEFE TIEFEN Wie id) anfing BESSSsesssessssd 167
herbei, die fid) den weiteren Weg erjparten
unb bier haltmadıten. Häufig jah man be-
fannte Gchanjpieler, jo den alten Helmer:
ding, der in der Nähe SIE dann Herrn
von $joxar und eine Anzahl Mitglieder des
Belle» Alliance: Theaters, au dem damals
nod Guido Thieljcher und Philipp, ber heu-
tige Opernjanger, in ihren Anfängen ges
hörten. Lindner jaß gewöhnlich allein in
einer Ede der Beranda bei einem Glaſe
SBeiBbier und freute fih immer, wenn id)
ibm ein Stündchen Gejellichaft leiftete. Er
war ein einfacher, bejcheidener, liebenswerter
Mann, aber vergrämt und verbittert. Gein
preisgetröntes Drama „Brutus und Collo-
jtinus“ und der Erfolg feiner „Bluthochzeit“
atten ibn mit frohen Hoffnungen erfüllt,
o dak er ben Lehrerberuf an den Nagel
bing, um jid) ganz ber Let zu widmen.
m Laufe eines Jahres |d)rieb er zwei
neue Dramen, „Marino Faliert” und „Don
Juan dD’Aujtria“, die aber feine Anerken—
nung fanden. Der Reichstagsprälident Sim:
jon batte thm eine Stellung als Bibliothe-
far des Reichstags verjchafft, der Lindner
indes nicht gewachſen war unb in ber er
fi unglüdliih fühlte. Dem alten Gdjul:
meifter war jeltjamerweije alles Bureaufra:
tijde oerbobt Als ich ihn tennen lernte,
war er bereits jeines Amtes enthoben wor:
den, ſchrieb aud) nicht mehr für die Bühne.
Gein legter bramatijdjer Berjud) war ein
barmlojer Ginafter gewejen, mit bem er von
einem Theater zum anderen haufieren ging,
ohne ibn unterbringen zu Tonnen, Als
oe aud) allen ihn ablehnte, ver:
öffentlichte Lindner die Inhaltsangabe des
Stüds tm Berliner jremdenblatt und ap:
pellierte an das Urteil bes Publifums, was
ibm natürlich ebenjowenig niigte. Dann
ichrieb er Novellen, die nicht über bas Mit-
telmaß binausragten, war nad) Begründung
des Kleinen Journals eine Zeitlang für bieles
feuilletonijtijd) tätig, Ka? fich aber mit ber
Redaktion und arbeitete nun für ein im
Cübipeften Berlins erjcheinendes Bezirks
blättchen, bas ibm für die Zeile zehn Pfen—
nige zahlte. Jn ber legten Zeit vor feinem
Sat hay ees galt fein grimmig[ter Haß
star Blumenthal, den er im Kleinen Jour:
nal bitter angriff. Übrigens flagte er nie,
unb wenn er von feinem Elend |pradj, tat
er es mit einem lächeln der Weltverachtung.
Indem Augenblid, ba der Herzog von Met-
ningen mit helfender nun in fein Ungliid
eingreifen wollte, verjagte ihm die Kraft.
Er batte bas Unglüd ertragen, aber Die
Ausficht auf ein neues Blüd jchmetterte ihn
Au Boden.
Erinnerungen aus der „Lichterfelder Straße
Eins“ Bat mein Bruder Hanns in feiner jo
betitelten Berliner Zigeunergejdhichte ver:
woben, und mir jelbit soi jene Tage
vielfa vor Augen, als ich meinen heute
vergejjenen Roman „Die Urmutsprobe“
[djrieb. Es war ein etwas ungeregeltes,
aber bod) recht unterhaltfames Leben, bas
wir in ber Budife bes 5* Piper führten.
Berlin war in den Jahren vor Achtzig
immer noch in der Entwidlung zur Groß:
jtadt; es hatte auch bie erjte Million feiner
Einwohnerzahl nod) nicht erreicht. Die Rana:
lijationsarbeiten waren faum in Angriff
genommen worden, in vielen Straßen gab
es nod) die berüchtigten Rinnjteine, die bei
jedem Plaßregen eine Überſchwemmung Ber:
vorriefen. Gebaut wurde allerdings gewal:
tig, denn Die Zeit der großen Wohnungs:
not war — nicht vorüber, aber in
dem ſtillen Wintel am RKreusberg merkte
man nicht viel davon. Der Kreuzberg ſelbſt
war der alte Sandhügel von ehemals; der
a Viltoriapart wurde erft ein
2 rgebnt jpäter in Angriff genommen.
ie Kichterfelder Straße sah ein vorſündflut⸗
liches e ia in der Belle: Allianceitraße
drängten fih nod) einftödige alte Häufer
zwilchen bie modernen Mietpaläfte. Aber
wenn Parade auf bem Tempelbofer Felde
pagum, jo wimmelte es bier von Menſchen.
nweit bes Palazzo Piper lag ber jogenannte
Raijerjtein. Bis hierher pflegte der alte
Kaijer Wilhelm gewöhnlich in einem Wa:
en zu bi dann erft [tteg er zu Pferde.
n eleftrijde Beförderung war natürlich
nod) nicht zu denten, immerhin hatte der
Pferdebahnverfehr eine erfledlid)je Ausdeh-
nung genommen. Der Omnibus jah jeiner
äußeren Gejtalt nad) genau jo aus wie heute,
nur fojtete der Innenpla zwanzig, der auf
dem Verded zehn Pfennige, ohne Rüdlicht
auf bie gefahrene Ctrede. Teiljtreden zu
billigeren *Pretjen wurden erft jpäter einge:
führt. Drojchlen erfter Klaſſe gab es nur
wenige, und die übrigen waren zum Teil
bóje Klapperkaſten; dafür zahlte man aud)
nur jechzig Pfennige für die „Tour“. Die
Rohrpojt war (mit fünfzehn Stationen) eben
eröffnet worden, über die Einrichtung von
gernipredjitellen las man bereits ver|djie:
Denes in ben Zeitungen, aber man glaubte
nod) nicht ‘° redit an diefe wunderlide
Cade. Lebhaft ging es in den Theatern
gu. Wm häufigften war id) in bem nur
einige Schritte von meiner Wohnung ent:
fernten Belle Alliance: Theater, das recht
gute Kräfte belaB unb in Dellen Sommer:
garten bayrilche Sänger „bei feftlicher Illu—
mination” zu jodeln pflegten. Unten in der
Lindenfirage lag das Stadttheater, von
Direftor Rojenthal umjidjtig, aber erfolglos
eleitet, und am Sobannistijd bas alte
allenbachſche Variete, in bem es ein paar
Jahre jpäter Direktor Rruje mit der Spiel:
oper und ber Operette verjudjte. Im Fried-
rid)-Wilhelmitadtijden Theater hatten die
Meininger ihre eriten Erfolge erzielt; unter
der Direktion bes , Rlabberabatid)"-Syoffmann
war es nun bie E ber Pariler und
Wiener Operette mit Kräften wie ber Stü—
bel, Rrén, Meinhardt, Schmidt, mit Co:
boda, Max Schulz, Broda, Buthery, Neu:
mann. Aus bem Orpheum in der Alten
SyatobsitraBe war bas Neuniontheater ge:
168 Fedor von Zobeltij: BSSS33BSS33333N
worden, bas Dann ber Schaujpieler Henne
nad) feinem Namen taufte und bas vor
furzem der Romifer Adolph Ernft über:
nommen hatte, um bier feine luftigen Lofal-
pojjen mit ben nie fehlenden Mädchenparaden
zu geben. Zu Kroll ging man eigentlich
nur zur Zeit ber Werhnadtsausftelungen
unb der Gommeroper. Engel hatte feine
Bühne erft fürzlih an Rudolf Bial, den bis»
berigen Rapellmeifter bes Wallnertheaters,
verpadjtet, aber Bial batte wenig Blüd, ob:
ihon er mit ben Bajtjpielen der Patti und
ber Ger|ter ganz Berlin auf bie Beine
bradte. Bon den Heinen Bühnen war das
American: Theater in der Dresdner Straße
bejonders beliebt. Unter der Direktion Heins-
dorf unb Reiff genoh es eine Zeitlang fogar
eine gewijje Berühmtheit, wenn Peil feme
burlesfe Szene „Hiridh in der Tanzitunde“
um *Belten gab; dann breit eine lange
eihe von Equipagen vor dem ſchmuckloſen
fleinen Bau, und in ben Logen drängte fih
ein Publitum von Dier ungewohnter Ele-
ganz. Das ganze Theaterchen war eigentlich
nur eine Bude, die Bühne winzig, bas Dr:
Hefter ein ,freualjaitiges", b. b. ein Pianino,
auf bem Kapellmeilter Thiele den Cinglang
begleitete. Das jogenannte Parfett bejtand
aus einigen Dugend Tijchen, an denen man
fein Glas Bier trinten und [o das Mate:
tielle mit ben Aſthetiſchen glüdlich vereinen
fonnte. Das Publitum bildete eine feltjame
Miſchung von Heinen Leuten aus der Nach:
barichaft, Studenten und Offizieren in Zivil,
bie gern Die Gelegenheit zu einem fröhlichen
Radau benüßten. So etitlitine id) mid), daß
eine leine „Bande jopeuje" von übermüti-
gen Kameraden es einmal fertig befam,
meinen harmlojen großen Bruder mit poli-
zeiliher Algewalt aus dem Lofal entfernen
u fajjen; nachdem er jelbjt mit Iadjenbem
iderjtreben an bie frijche Luft befördert
worden war, folgten wir übrigen ihm im
Gánjemarid) unter Abfingung des weltbe-
rühmten Liedes aus ,Sjirjd) in ber Tanz:
ftunde“: „Eins, zwei, drei, an ber Magd
vorbei, an ber Magd, an der Frau, an der
Bank vorbei, auf ben Pla zwei, dreil...”
Mit einer hübſchen Goubrette bes Thea-
terdjens hatte ich damals eine Heine Lieb-
ſchaft angefnüpft, bie mich jahrelang vor
anderen Dummbeiten jchüßte und der id)
nod) heute ein freundliches Bedenken be-
wahre. Da war ich denn nun natürlich viel
in dem närrilcden Mujenftall, in dem ber
jogenannte Urfomijdhe Bendix und die Ge-
brider Rihter, ein paar Tangfomifer, bie
eigentlid) Bater und Sohn waren, die Haupt:
Wopen der Vorführungen bildeten. Bendix
dichtete fid) feine ulfigen Berliner Golojzenen
lelbjt, bie in mandher Beziehung an bie
Eckenſteher Vtante-Literatur Der vierziger
Jahre erinnerten; auch bie Gebrüder Richter
waren erfinderijche Leute und riefen allabenb:
lid) mit ihrer parodiftijden „Feuerwehr in
Poſemuckel“ ungeheure Ladjtiirme wad.
Swijden die Einzelvorträge waren Heine
einaftige Vollen und Operetten eingejcho=
ben, für die man Hausdichter hatte, die
Herren Linderer und Franz. Linderer war
ein Kleiner, ſchüchterner Wb äer Herr, Franz
ein verbummeltes Genie, immer ſchwankend
zwilchen ausgelajjener Lujtigfeit und ſchwar—
zer Dielancholie. Er war dereigentliche ,,Dra-
maturg“ des American:Theaters, ein Origi—
nal von reinftem Waſſer, ber fid) feine Papier:
wäſche felbjt gujdnitt und in feiner großen
Gutberaigfeit ben lebten Brojchen mit andern
teilte. Sein Haupterwerb beftand darin, dak er
befanntenBühnenfchriftitellern Stoffe, Szenen
und ganze Gtüde lieferte; bejonbers mit
Eduard Yacobjon, bem Verfaſſer zahllojer
Poſſen, ftand er in reger Verbindung. Er
hatte aud) jonjt eine recht gewandte Feder:
ein billiger Wrtifel, ben er anonym über
Ostar Blumenthals dramatijches Erftlings:
wert „Wir Abgeordneten“ in der ‚Germania‘
veröffentlichte, erregte berechtigtes Aufjehen.
Das Americans Theater war derzeit ein fo
eigenartiges Kotal, daß es von mandjrlei
Berühmtheiten auf doa? wurde. Go jab
id) Emil Bradvogel dort einmal kurz vor
jeinem Tode, den Grafen Wilhelm von Bis:
mard, den Sofmaridjall Grajen PBerponcher
mit dem Oberjägermeifter von Meyrind,
ben GSeiltänzer Blondin, ber ſchon ben Sed):
gig nahe war, aber noch immer feine Pro:
menaden auf Gtelzen auf bem gelpannten
Drahtjeil unternahm — eines Abends aud)
Rofit, ber in Berlin gaftierte und fid) fo
fojtlid) amüjierte, daß er nad) ber EL.
lung nod) mit der ganzen Schaujpielergr]ell:
Ichaft ein paar Stunden in der Kleinen Kneipe
rehts vom Theatereingang zulammenblieb,
Gett auffahren ließ, unaufbörlich deutſch—
franzölildy radebredjte unb j|djlieBlid) über
ein paar Stühle |prang, um die körperliche
Gewandtheit feiner fünfzig Jahre finnfálltg
zu zeigen. Gpäter traf id) an im Haufe
der liebenswürdigen Frau p. L. wieder, in
dem viele Cdjauj|pieler verfehrten, u. a.
Giegwart Friedmann und Barnay, und wo
er wie ein Fürlt gefeiert wurde, was thm
gar nicht recht bebagte.
Inzwilchen hatte ich aud) neue jchriftitel-
leriihe Verbindungen gefunden, in Berlin
vor allem mit ber Nattonalzeitung, bei ber
mid) Frengel und ber damalige Beſitzer Ca:
lomon begünftigten, und mit bem Kleinen
Sjournal, das der Allerweltsmann Gtrois-
berg ins Leben gerufen hatte, um fid) nad)
dem Zujammenbruch feiner Exiltenz einen
neuen Aufihwung zu geben. Das Blatt,
das |páter mannigfade Wandlungen durd:
machte, war urjpriinglid) nad) bem Muſter
des Parijer „Petit Journal” begründet wor:
den und hatte eine Reihe tüchtiger Mit:
arbeiter, zu Denen u.a. auch Lindau, Frangos,
Lindner, Lorm, Bulthaupt, bie —
sorter und Emma Bely gehörten. Paul
indau hatte einmal (anonym) ein febr uns
terhaltendes Feuilleton „Morgenftündchen
einer Primadonna“ für das Blatt gejchrie:
ben, in dem er eine Anzahl Bettelbriefe met
Die Kathedrale gu Laon
Radierung von Prof. Conrad Sutter
: ITI
99999999 909000009990990000009009004299929900990090^*92000009000090009009009009090000090000909090000000090000900000090000000000000000000200000000000000000000000009000000000090090090000000900279 . o eeeeee ees o
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höchſt komiſcher Art wiedergab, die an die Wdes
lina Patti gerichtet waren; ein paar Berfajjer
diejer Bettelbriefe wollten daraufhin, obwohl
ihre Namen gar nicht genannt worden, flag:
bar werden, und Ctrousberg mußte fih er
mit ihnen ins Einvernehmen leben, um einem
Standalprozeß vorzubeugen. Der große
Mann von einft batte viel von jeiner gei:
ftigen und — Elaſtizität verloren,
war aber immer noch eine recht intereſſante
Erſcheinung und, wenn er in Stimmung war,
ein glänzender Plauderer. iron hatte
er SS? nod) abgeihwädte Wnwandlungen
feiner früheren Broßmannsjudt. Karl Emil
rangos erzählte mir gelegentlich, er fei ein»
mal, von Wien fommend, bet ibm gewejen,
um eine Anzahl Feuilletons mit ihm zu vers
abreden. Mian Jegte den Preis für ein
euilleton auf hundert Mark feft, und als
rangos zögernd fragte, ob er aud) auf
regelmäßige Abrechnung zählen dürfe, fab
Strousberg ihn erjtaunt an, flingelte dann,
ließ den Kajlierer tommen und rief ibm zu:
saben Cie Herrn Franzos DNA ——
arf Vorſchuß für zu liefernde Ware!” —
- Der Hauptleiter der Politif war ein gewiller
Stern, ber lange in Paris als Rorrejpons
dent gelebt unb in Brüffel den ‚Nord‘ ges
KS batte, aber nun ſchon ein bißchen
nfus geworden war; er wurde dann von
einem grimmen alten Leitartifler, Dr. Zeh:
lide, erlebt, ber bie lauwarme Politif des
ufte milten allmählich in ein fonjervatives
abrwajjer überleitete. Das Feuilleton hatte
dolf Gerjtmann, die tägliche Beilage Klei—
nes Samen:Syournal' ein aus Amerila ges
fommener, höchſt gewandter Sjournalift nas
mens €brenberg,\der fid) aber Dr. Carlotta
nannte unb mit feinen immer neuen Plänen
ausgezeichnet zu Strousberg paßte.
ine eigene kleine Redaftion führte ich
nebenbei. Mein- Bruder war mit einem
Herrn von Blajenapp —— einem ehe⸗
maligen Leutnant der Ziethenhuſaren, der
dann einen Verlag für militärwiſſenſchaft⸗
lide Literatur, die ‚Militaria‘ begründet
hatte, in bem die ‚Neuen militärijchen Blats
ter und die „Unteroffizier = Zeitung‘ erjchies
nen. Für dieje hatte th jhon von meiner
Garnijon aus mancherlei Kleinigteiten ges
Ihrieben, und als Glajenapp mir nun Die
Redaktion anbot, nahm id fie an trog bes
winzigen Gehalts, bas er mir zahlen fonnte,
Glajenapp war ein pradjtvofler Menje,
ftedte aud) voller Energie. Er hatte eine
volfstiimliche Beichichte bes Krieges Siebzig—
Einundfiebzig verfaßt: das Mtanuftript vers
brannte ihm, und ohne zu zögern, febte er
fid bin unb jchrieb bie ganze Arbeit nod
einmal. Aber er fam nie aus den Geld:
Ihwulitäten heraus. Wollte man Honorar
bei ihm abholen, jo gejichah es wohl, daß er
[agte: „Sehn wir mal nad, was in ber
Rolle ift!” Und dann jab er nad unb teilte
den el brüberlid) Die 9tebaftion ber
‚Unteroffizier Zeitung‘, bie ich zwei Jahre
führte, war eine furioje Arbeit. Die Hälfte
Wie id anfing BSSSESSSESSSTZA 169
des Blattes wurde aus anderen Zeitjichriften
e Di AB al die zweite Hälfte jtammte
zum großen Teil aus Unteroffizierstreifen,
und diefe Beiträge mußten natürlich immer
erft zurechtgeftugt und drudfabig gemadjt
werden. Es war aber bod) aud) wieder jehr
ſpaßhaft, mit biejer Welt und ihrer ſeltſam
einjeitigen sa lig ung, in Berbindung
u fteben. Man lernte dabei allerhand
eues tennen; das Jnterefjantefte war frei:
lich gewöhnli das, was nicht gedrudt
werden konnte. Co erhielt id) einmal ben
Artikel eines angebliden Gefreiten: „Wie
ich mir einen Leutnant dente,” ber jo voller
SA und boshafter Bemerkungen ftedte,
daß thn ſchon ein überlegener Geilt gejchrie=.
ben haben mußte.
Blüdlich entwidelte fih mein Verhältnis
zum Scyönleinjchen Verlag in Stuttgart, ber
eine ganze Anzahl voltstümlidjer Blätter
herausgab: bas ‚Bud; für Alle, bie ‚Chronif
der Zeit‘, die ‚Bibliothet bes Wiſſens unb
der Unterhaltung‘ und nod) andere, bie vers
Ichiedenen Provinzzeitungen als Unterhal:
tungsbeilagen beigegeben wurden. Die Ree
battion hatte als Grundſatz: jpannende Hands
lung unter Bermeidung fittlicher und fos
poe Probleme. Wm beliebteften waren
leine bijtori]d)e Novellen und Kriminalge:
k idjten, bie ich aud) zu Haufen lieferte und
e immer gut und SH nach Annahme
honoriert wurden. Es war geidjájtlid) ein
ausgezeichneter Verkehr mit den Cchönlein»
[den Redaltionen, aber man mußte jid) frei:
lid) den gebotenen Vorjchriften fügen, und
es fam denn auch vor, daß ich dann und
wann eine Arbeit unter der Motivierung:
„Zu bod) für unjere Blätter“ guriiderbielt.
Ein anderer würde vielleicht über itejem
nliterarijden Frondienft” bitter geklagt und
die Mujen angerufen haben. Daran dachte
ih gar nicht. Ich lebte am Schreibtiſche
febr — unter Iwan dem Schrecklichen
und Ludwig XIV., kämpfte im Dreißigjährigen
Kriege und im Aufſtand der Niederlande,
verkehrte mit Hochſtaplern und Falſchmün—
gern und hatte in meinen Pflichtſtunden das
angenehme Gefühl, auf bie gejamte Literatur
fröhlich pfeifen zu können. Geſchadet hat
mir diefe „Bergeudung der Arbeitskraft“
(wie mir Adolf Glajer gelegentlih mahnend
jagte) nicht im geringften, im Gegenteil, in
ber Technif, in der Beherrichung des Stoffes
unb ber Einteilung der Materie habe id)
dabei mandjerlei gelernt. Karl Frenzel er:
zählte mir einmal von ben Eritlingen feiner
eigenen Gchriftftellerei; in den fünfziger
ahren galten ibm die englilden Cenja:
tionsromane nod) als mujtergültiges Bor:
bild, unb nad) diefem Vorbild hatte aud) er
eine ellenlange Beichichte verfaßt, bie „Rette
unb Gin|djlag" hieß, bie er aber verleugnete,
als Robert Grup ibm gelagt hatte, dağ er
nod) nie jo etwas Verrücktes gelejen babe.
ig lächelte damals über diefe Jugend:
ünden wie id) heute über bie meinen.
Eine hübſche Erinnerung aus jener Zeit
Belbagen & Klafings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2 Bd. 12
170 B23xeexeie—3:—:5]1 Ruth von Oftau: Der Bronz
ijt mir der erfte — den man
in Weimar feierte. Es ſtrömte da alles zu—
ſammen, was Literatur hieß: Hopfen, Lin—
dau, Stettenheim, Auguſt Becker, Gerhard
Rohlfs, Groſſe, Gerhard von Amyntor (der
eben bekannter geworden war), Rittershaus,
SEN Edftein, Lubliner (derzeit nod)
Hugo Bürger genannt), Dahn, Fitger, der
alte Klette, L'Arronge, Rudolf Loewenftein,
Mölhaufen], rn ijfel, Pasqué, Schweis
del, Stinde, Wachenhujen und monde ans
dere. Wher aud) bie nod) Unberühmten
— ſich ſchnell zuſammen: Ernſt von
olzogen, Schulte vom Brühl, Johannes
Proelß, Hanſtein, meine Wenigkeit und noch
ein paar Jüngere bildeten einen Tiſch für
ſich. Vorſitzender war ein alter Herr, der
mittelmäßige Romane ſchrieb, dod) ein freuz-
braver Dann war: Friedrid) Friedrich, ge:
nannt ber Doppelfrige. Költliy war beim
Feſtmahl ein Zrinfjprud) auf bie Damen,
den der dide Rittershaus hielt, und ebenjo
frijd) und finnig ein zweiter auf bas Thii-
ringer Land, ben Fedor von Koeppen bei
bem Frühltüd ausbrachte, bas uns der Groß»
bergog auf der Wartburg gab und bei dem
ber Generalintendant Baron Loen unb der
&ammerberr Graf Wedel den hohen Gajt:
geber vertraten.
Fedor von Koeppen, der in feinen vater:
ländiichen Gedichten den Spuren Fontanes
folgte, lebte um diefe Zeit nod) in Leipzig,
jiedelte aber bald nad) Berlin über, wo id)
ibn zuerjt bei dem fünfzigjährigen Jubi:
läumsfejt des Tunnels über der Spree wies
derjah. Dieſer altberühmte literarijche Verein
exijtterte aljo wirflid) nod), unb bei dem
Jubiläum (das fid) übrigens nicht genau nad)
dem Griindungsdatum richtete) fanden fid)
mit erjtaunten Belichtern zahlreiche ehemalige
Mitglieder gujammen, die den Tunnel für
lang}t fanft entichlummert hielten. Koeppen
war Borjikender, das „angebetete Haupt“,
und führte das Zepter mit der vergoldeten
Eule; Kajlierer war ein [d)würmerijd) ver:
anlagter Photograph, ein verdrehtes Huhn,
Dellen fürchterliche Gedichte nur von feinen
intimjten Freunden bewundert wurden, ber
aber pon brennendem poetijhem Ehrgeiz
bejeelt war und es verftand, nad) und nad)
den legten Reit ber alten Tunnelberrlichkeit
an fid) zu reißen. Ebenjo war der Schrift:
* Wilhelm Grothe eine merkwürdige
erſönlichkeit, ein früherer Schauſpieler, dann
Buchhändler, endlich Schriftiteller,, ber eine
Maffe abenteuerliher Romane gejchrieben
hatte, aber nie auf den grünen Zweig fam
und jedesmal vom heulenden Elend gepadt
wurde, wenn er ein Bläschen zuviel trant:
Alles in allem ein abjonderliches Menfchen:
find. Zu ben Befuchern jenes Gunneljejtes
gehörten aud) Heinrich Geidel, Fontane,
Heyfe (der zufällig in Berlin war), Loewen:
Hen, ber eins feiner reizenden Kinderlieder
vortrug, der Oberfapellmeijter Wilhelm Tau:
bert, ber Gujtigminijter Friedberg, Geheim-
rat Kette, ber Militärſchriftſteller Max Gabns
und Herr Wollheim da Fonſeca, alles alte
Mitglieder, manhe von Begründung des
Vereins durd) Saphir an. Den Chevalier
Anton Wollheim da Fonfeca fehe id) nod)
vor mir: einen fleinen, diden jiidijden Herrn
im Frack mit weißer Weite und mit bunten
Drdensbändern beladen, eine em le fo:
mijche Figur und ein bont wikiger Menſch,
der bei der Beurteilung der vorgetragenen
„Späne“ aud) feiner Bosheit feine S ügel
anlegte. Er hatte ein abenteuerliches Leben
als Syournalijt, Theaterdireltor unb diplo:
matijdjBes Reptil hinter fih, behberrichte
dreißig Gpraden, hatte fid) in aller Welt
erumgetrieben unb in Portugal aud) bie
hevalierwiirde mit ber Namensbelehnung
da alae geholt und lebte nun in Berlin,
an jeinen farbigen Erinnerungen arbeitend.
Der literarijde Erfolg des Abends war
jedenfalls Jo, daß mir Heinrich Seidel, ba:
mals ein ftattlicher Dreißiger, Jagte, es wäre
bod) beffer gewejen, wenn der Tunnel bas
Stiftungsfeft niht mehr erlebt hätte. Für
mid) war bie Belanntjichaft mit Fontane
am intere|[ante[tem, den ich |páter öfters in
feiner traulihen Manjardenwohnung im
Sjohanniterhauje der Potsdamer Straße be:
juden durfte und von bem id) auch nod
einige Briefe aufbewahre, bie bartun, mit
welcher Herzensgüte er den jungen Anfänger
gu fördern verjudte. Die Tunnelgejellichaft
eſuchte id) nod) zwei: oder dreimal, ges
meinjam mit Hans Herrig. (Cie tagte in
der Wohnung ihres Kajlierers, des Photo:
graphen, führte aber nur nod) ein Schein:
dajein. Schließlich wurde mir bie Gade
langweilig, und da blieb id) Dann fort.
Xotototototototototototototototototetototototetotorotetotorotototototototototototototototototototetotot x
Der Kranz
Ic, habe um meine jchmerzende Stirn ch reichte bir meine Hände zum Tang
Einen Kranz von Rojen getragen,
Auf daß deine Augen nicht fragend
iren
Um Wunden, bie einft du gefdlagen.
Ruth von Oftau
— JOIOQIOIQOIOIOIOINIQOIOIOINQIIQQIOIOPOW QO YOAIQIOIO{OIOQINIQOIOO OOK OK
`
Und habe dein Lahen geduldet,
Aufjauchzte bas Lied — da fiel der
Kranz —
Da ſahſt du, was du verfchuldet....
IOOIQOIOIOMIOIOIOIOIOIOIOIN«
DAILY eS
2/230 9 ots C
Qie Einnahme von Riga war ein
wudtiger Schlag, der Deutjchland
die Herrichaft über bas baltijche
Land, aber feineswegs über bie
Ditfee fidjerte: jo wenig, wie etwa
Rußland [djon Herr bes Ditflügels des Mittel-
meers gewejen wäre, wenn jeine Heere den
überjpannten zarijchen Machtträumen gemäß
in Ronftantinopel eingumar[djieren vermodt
atten. Erft mit der Eroberung Ofels und
ämtlicher dem Rigaijchen Bujen vorgelagers
ten Inſeln eröffnete fih uns ber Blid ins
freie ‚Schwabenmeer‘, wie einft das große
nördliche Staubeden des Atlantifchen Ozeans
enannt wurde. Wenn irgendwo, [o zeigt
d) bier, wie der Krieg gleich einem Hephata«
ort wirft, Das die Schleier der Blindheit
x nächftliegende und bod) überaus wichtige
eltmadt:Schidfalsfragen von den Augen
nimmt. Wer hat (id) früher die Mühe ge:
nommen, über bas Zielen bes Oſtſeepro—
blems, feine gejdidtliden Wurzeln und
feine Bedeutung in.ben Kämpfen und polis
tijden Rrijen awijden den europäiſchen
Staaten nachzudenten ? —— lullte
fih der deutſche Michel in bem ſelbſtzufriede—
nen Bewußtſein ein, daß ſeine Flagge im
Handel auf der Oſtſee die erſte Stelle be—
Sir aise daß wohl im finnijden Hinterhalt
uland als militärijch bedroblider, aber
ur Eee troß allen 9tüjtungen ungefährlicher
Feind lauerte, dak im übrigen jebod) an
Diejer Front bas Eintreifungstnftern der Ens
tente unwirfjam fei, weil bie Dreizadgewalt
Albions fic) nicht hierher, vor die Tore
Mitteleuropas, eritrede. Tatſächlich
derlei Urteile im Grunde nichts als ein neuer
Beweis für die vielberedeten Schwächen un:
jeres politijchen deg Me insbejon«
dere dafür, daß wir bas Zielen ber eng:
Iifchen Staatsfunft nad unjerer eigenen Art
beurteilen und ihr feine Ziele zutrauen, bie
uns auf ben er[ten Blid pbantajtijd) erſchei—
nen. Für bem jelbjtüberzeugten Engländer
ibt es feine Utopie bes politiſch —
Daten, foweit bie Erde reiht. Er verjudt
alles. Jedes Ziel erjcheint ihm greifbar,
namentlich foweit es im Bereich der Ozeane
liegt, auf denen er nad) höherer Vorjehung
Herr ift; erreicht er es nicht voll nach weit:
ausjchauendem Plan, jo weiß er ae er:
fabrungsgemáB, daß minbejtens im Wege
von Ausgleichsgeihhäften fid) Gewinne für
den britifchen Handel und zur Erweiterung
unb Bervollfommnung des über alle Meere
fid) ausbreitenden Syſtems von Flottenjtüß:
puntten berausjdlagen laffen. Dementſpre—
Mare baltıcum_
Don
Dr. DC Freiherrn von Maday
waren :
TOI OTO ON EE
Ze?
( 4 i) | p A a
EE Ny RTPN
"d L «et.
— —
ML: S ) , APS
end ift bie ganze Geſchichte bes g
tachtgebiets und des Gtreits der Ufer:
völter um den Vorrang auf feinen Bewällern
gleihjam ein fortlaufendes Filmband, das
in wechjelnden Bildern die Künfte und Rniffe,
die teils auf geſchickte Biindnispolitif, teils:
auf Flottengewalt fih [tütenbe Taktik Von:
bons zur Be — und Entwicklung
ſeiner Herrſchaft über Wogen und ſchwim—
mende Waren auf allen Meeresteilen vers
anſchaulicht. Es erſcheint gewiß heute zeit—
gemäß, den Teil der Geſchichte Europas,
deſſen Laufwelle die Oſtſee war, von dieſem
Geſichtspunkt aus näher zu betrachten.
Pytheas von Maſſilia (Mtarfeille) nannte
die Bewohner ber Dftiee Guttonen, was
wahrjcheinlich foviel wie Goten heißen foll,
und wollte dort die große Injel Bajilta ent:
bedt haben, die, wie Plinius behauptet,
nichts anderes gewejen fet als bie Nordſee—
injel Abalus. Trogdem leitet man von
jenem Bafilia oder Baltia den Namen Bal:
tiles Meer ab: verjchwommen wie die
ganze politifche Vergangenheit des Nordens
tit |o bas erfte Wufodmmern von Gonnens
licht Durch bie Wolfen über bie Ojtice. Meinte
der griechiiche Seefahrer etwa die Inſel
Wollin, bas fagenhafte Bineta, wo die Wi-
finger die Syomsburg errichtet und fid) weit
und breit gefürchtet madjten? Jedenfalls
brandet ploglid) von dort, von der ultima
Thule, eine Springflut auf, deren Wellen:
ang die ganze Alte Welt in Aufruhr vers
fest Die erjten Wilingerfahrten des 8. bis
10. Jahrhunderts waren nichts als Geerduber:
gige; als bie ‚Djtmannen‘ England als
eute einzuheimjen gedachten, mußten fie
der überlegenen Feldherrenkraft Alfreds bes
Großen jid) beugen, fih taufen Toilen und
feine Oberhoheit anerfennen. Jest aber
werden bie Ytormannen Staatengründer.
Nachdem der fanatijdje Etelred ll. in ber
Briccius:Bartholomdusnadt alle auf feinem
Reidsboden jeßhaften Dänen hatte ermorden
lajjen, um fic) von ber Tributbürde des
Dänengeldes zu befreien, beginnt unter König
Svend Gabelbart die bünilde Eroberung
Englands, bie der große Knut vollendet.
Auf franzöliihem Boden jegen fid) mor:
männiſche Seefahrer nad) dem Tod des Gra:
en Odo, der Paris vor ihren ?Irgri fen ges
hüßt hatte, in ber römijchen Calli: Lug-
dunensis secunda. und gwar im Geb et von
Rouen feft, und erhalten es von Karl bem
Einfältigen als Krou: hen, bas fid) miblid)
bis zur Bretagne austehnt. Yee ve Rolle
He jchließlich als Waräger unter ihren Füh—
M 12*
172 pex Dr. B. L. Freiherr von Maday: BSZA ZEZE AAAA
rern Rurit, Sineus, Truwor als Begründer
bes Nowgorodichen Reihs geſpielt haben,
von dem aus fie bem Lauf des Dnjepr fol:
end bis zur Ufraina und dem Schwarzen
eer unb [dlieBlid) fogar nad) Ronfjtantis
nopel gelangten, wo ſchon 935 eine Wa:
räger: Xeibwache zur Stüße des ſchwanken—
ben byzantinijchen Thrones eingejebt wurde,
ift allbefannt.
Mit bem 12. Jahrhundert hat fih, dank
ber lineinigfeit ber jtandinavijchen Mächte,
bie in ber Ralmariidjen Union nur eine pa:
pue Auslöhnung fand, bas Szenenbild voll:
ommen geändert, und es erjdeint als Herr
der Ditjee eine faufmännijche Genoftenfchaft,
bie deutſche Denis Die Haupthandelsfon-
tore der Hanja im 12. Jahrhundert waren
Brügge und Wisby: bas eine für bie han»
delswirtichaftliche Beherrichung der Nordjee,
das andere für den gleichen Swed in ber
Ojtiee. Die Macht der großen Hafenjtadt
Si Gotland ging dann im 13. Jahrhundert
auf Lübeck über, als fie von bem Dänen:
lónig Waldemar Atterdag erobert und
furchtbar ausgeplündert, ihr Handel bird)
willtürlihe Zwangsmaßregeln unterbunden
wurde. Get verbanden fih bie Rontore in
der Konföderation von Köln zum Zwed, die
Sperre, die man in Gerber gwijden
ihrem Nord: und Oftjeefreis aufzurichten
gebadhte, durdyauftoßen ; 1369 wurde der Huns
ertjährige Krieg zwilchen Liibedd und Kopen:
5 en durch dejjen Eroberung entjchieden ;
Ibrecht von Medlenburg, ber Schweiterjohn
des Magnus Eritsjohn, erlangte mit Hilfe
der Hanja ben jchwedilchen Thron, diefe er:
hielt si ei bas Große Privilegium“ von
1368, und nun ftieg Die Macht des Bundes
um Zenit. Das mare balticum und alle
fetue Riijtengebiete ftanden in ber Sonne
[ángenben handels: und vertehrswirtichaft:
iden Aufihwunges: ein fraftig fließender
Wechſelſtrom des Giiteraustaujdes zog von
ben Gebieten ber Oder und JBeid)iel zu ben
Ditjeegeitaden und von dort aus in viel:
fader Bergweigung djtlid) bis Nowgorod,
dem ruſſiſchen Hauptlontor der Hanja, melt:
lich zur Nordjee, zu den ped chen Riijten
und bis gum Stahlhof an der Themje. Diefe
Slut aber trug zugleich das Volt der Pruffi
oder Pruzzen, das heißt ber Hugen, wiljens
den Preußen zur nationalen Machtentfaltung
und bhandelspolitijhen Bedeutung empor,
Shre Kaufleute brachten aus Polen, Ungarn
unb Moskowien Güter allerart herbei, die
dann auf ben Wogen der Oſtſee wejtwärts,
met nad) England dommen: es erjcheint
ebenjo bemerfenswert, daß diefe Waren, Be:
treide, Hölzer, Erzeugnijje der Weberei und
Spinnerei, jhon damals Diejelben waren,
bie noch heute im britijch-rujliichen Handel
bie erjte Rolle |pielen, wie es darafterijtijd
ijt, daß fhon zu jener Zeit die Engländer
verjuchten, jit) burd) Rapitulationen mit den
Hodmeijtern bes Deutjchen Ordens bejondere
Vorrechte für ihre Kaufleute in den preußis
(den Häfen zu jidern, aljo eine Art Ein—
E zu betreiben. Ständige
eibereien waren die Folge joldher Anſprüche,
bie aber bod) niemals eine bedrohliche Schärfe
aus dem einfachen Grunde annahmen, weil
England bei feinen GFlottenbauten auf den
über Preußen gehenden Holghandel durch:
aus angewiejen mar. Unterdejjen [ant aber
der Stern der Hanfa immer tiefer aus dop»
eltem Grund. Gie batte nod) fein geeintes,
fonder nur ein in jid) aerrijjenes, badern:
es Deutichland hinter fih, bas unfähig zu
traftvollem Schuß ihrer Flagge in ben Ramps
fen gegen neibijd)e Mächte war, bas viel:
mehr gerade durch feine llneinigteit felbjt
an den Wurzeln der Maht des Bundes,
des er|ten Schrittmacdhers deuticher Ceegel:
tung, Do Denn die Binnenitädte, die vom
Hanjebetrieb feinen unmittelbaren Vorteil
atten, machten fih unter erjtarfender Für—
engewalt von thm los; bie jelbitjüchtige
olitit übeds unter feinem berühmten
Riirgermeijter Wullenweber bewirkte den
Zuſammenſchluß bes burgunbijd) geworde:
nen Hollands mit Dänemark aur Abjdyütte-
lung bes Stapelgwangs, unb der Ceetrieg,
ber ob ber Gtreitjadye entbrannte, endete
mit dem Ropenhagener Frieden (1441), der
icheinbar nod einmal bas Machtgebot der
Hanfe aufrechterhielt, in Wirflicfeit aber
ihon den Berluft bes Nordfee-Einjlußgebiets
bejiegelte. Der andere Grund des Berfalls
der Sanie [ag in ihrer Politik jelbjt, deren
Geift oft und mit Redht in Vergleich zur
Tatil geftellt worden ijt, auf deren Grund:
lage England fein Weltreich aufbaute. Wie
Großbritannien in feiner Griinderperiode,
arbeitete bie Hanje vorab nad) der Norm
der mittelbaren Macdhtgewinnung. Gie per:
pate auf €anbesDobeitsred)te, dachte nicht
aran, Zandheere zur Berteidigung ber Bors
rechte und Einflußgebiete, bie hie überall jid)
zu fidjern wußte, zu unterhalten, [higte diefe
aber febr wirfjam durch ihre überlegene
Flotte und durch bas Syitem, alle für ihren
majjen Smperialismus' [trategild) ausjdlags
ebenden Stüßpunfte fremder Lander mög:
ichſt feft in den Griff zu befommen.
Mod) zwar hielt der Bund den Oſtſeekreis
felt in ber Faujt: mit der Entthronung König
brijtians IL. hatte Vübed im Berein mit
Danzig feinen Zwed, die Auflöjung der
ihrer Macht gefährlichen ſtandinaviſchen
Union erreicht. Dafür aber entitanden zwei
andere, gefährliche Gegner: England im We:
ften, Rußland im Olten. Das Auftreten
Gujtav Adolphs als Beſchützer ber protejtan:
tijden Lehre in Deutjchland hatte zunädhit,
nad) ben fiegreihen Kämpfen des großen
nordilhen Heerfiihrers gegen Polen und
Rußland, den erbofiten Erfolg, dak Shwe:
den durch den im Weitfälifchen me ibm
goes Yändergewinn, ber Die Herzog:
ümer Bremen, Werden, Vorpommern, halb
Hinterpommern und Wismar umfaßte, zu
ber bas ganze Ditleegebiet beberrjdenden
ifanbinapilden Bormadt wurde. Karl X.
befeftigte bieles Anjehen durch feine fübnen
Unternehmungen gegen Polen und Alexej
Michailowitih nod) mehr; aber bas große
Erbe, bas er hinterließ, wurde — ſchmählich!
— von ben Bormündern feines Sohnes ver:
tan. So war bie Bahn freigemadt für
Rußlands Vorſtoß gegen 3Borbereuropa hin.
Schon im 14. ie Gage atte man in
Mosfau, angelodt durch den FFilchreichtum
bes Nördlichen Cismeers, ein Auge auf Nor:
wegen geworfen; Grenzitreitigteiten mit bem
damals ohnmächtigen, von Danemarf regier:
ten Königreich führten zu einem Bertrag,
ber bie Linie des Lyngenfjords unweit
Trömsö als Grenze feitjegte. 1553 wurde
bann von englijchen merchant adventurers
bie Durdfahrt gum Cismeer gefunden und
dazu benuft, von Arhangel nad) Mostau
eine Handelsitraße zu Ge unb “jo ben
britijdjen Ginjlug in Rußland zu ftarfen.
Hundert Jahre |päter bewilligte bas Lon:
doner Rumpfparlament die Ylavigationsalte,
um bas Monopol der Holländer im über:
feeijden Fradtverfehr zu brechen und bie
Nordjee zu einem britiichen Teich zu machen.
Aber niht genug damit! Grommel, ber
geiftige Bater des britiihen Imperialismus
m der typijden Form der Verbindung von
puritanijchmuderifhem Glaubenseifer und
enialem Gejddftsjinn, er, ber als erjter auf
ibraltar als begehrenswerten Bejig hins
wies, gründete zugleich feinen Proteftanten:
bund zum offenfundigen Zwed, England
im ganzen Handelsbereich ber nordgermanis
jhen Bolter die Führerſchaft zu fichern, und
ließ, um ber erg tenes biefes Planes
willen, ein großes Geſchwader in ber Ditfee
einlaufen ; nur der Vorrang, ben bie bring:
lichere Eroberung Jamaifas und die Brands
geng Do Widerjader des Lord: Protel:
tors im Mittelmeer — ngland beanſpruchte,
bewirkte, daß ber Entwurf nicht durchſchlag⸗
kräftig zu Ende geführt wurde. Immerhin
batten fih die Briten eine Reihe Reſiden—
en‘ in den wichtigften Hafenftädten der Dit:
ee wie Riga, Danzig, ۟bed ge[djaffen unb,
wie es ineinem alten Rigaijden Bericht heißt,
„den grüpelten Teil bes Trafique mit Kram:
gut unb bes ausländilchen Negoce” an fich
gerifjen, als Peter ber GroBe bte Regierung
antrat unb, gemäß feinem DEDE ar
Programm über bie Erhebung bes Mosto:
titeritaats auf bie Ctufe eines Weltreichs
Chen Rangs burd) bie Eroberung der Tür:
tei, Ben, jelbjt Perfiens, vor allem an
der jee Rußland die Tür zum warmen
Meer freigumaden ftrebte. Um bieles Ziels
willen führte er ben zwanzigjährigen nordis
[den Krieg, der Rußland in die Reihe der
Seemädhte riidte; damit aber und mit jenen
egen Konitantinopel und den Perſiſchen
olf gerichteten Plänen fchlug er aud) jhon
bas ganze Regifter ber Gegenjáge zu Eng:
land an, Die heute burd) bie CEntentevers
brüderung fiinftlich zugedeckt, ficherlich jedoch
nicht abgeidjliffen find. Der ritterlich-draufs
ee Karl XIL, der große Held diejes
iegsbramas, ftürzte fic) nicht mutwillig,
173
wie es bie englijde Geldidtstlitterung
will, e) Ceelanb und von ba auf Kopen:
pagen, ondern in der durch bie politijde
age notwendig geforderten Taktik, der
Verihwörung züvorzukommen, die gegen
ihn SH eter, Auguft I. von Gachjen
unb Friedrich IV. von Dänemark angejtijtet
war und hinter der wieder England als
ftiller Geihyäftsgenoffe ftand. London fam
es gunddjt darauf an, Danemarf zu bemii:
tigen, Dejjen iiberjeeijder Handel mit dem
Emporblühen Ropenbagens fih traftvoll
entfaltete, und bas unter Führung Fried—
richs Il. nicht nur bie überjundijcdyen Lande,
fondern aud) ganz Schleswig zu gewinnen
und damit Herr aller Zufahrten zur Ojtiee
zu werden drohte. Darauf ging das Spiel
weiter. Admiral Norris wurde der Berehl
zur Bejegung Kronborgs bei Heljingör ge:
eben mit ber unverboblenen Abſicht, die
ei Malmö vor Anter ge angene rujjijche
Lotte zu vernichten unb jid) dauernd am
erejunb feitzujegen; erft im legten Augen«
blid ließ man in St. James von bem Plan
ab aus Furcht davor, daß der Zar zur Rade
furgem Galgenprozeg mit allen in feinem
Reich ober in den eroberten jtandinavijden
Gebieten greifbaren Briten machen werde,
Darauf verlangte London als ‘Preis für
feine Friedrich IV. geleijtete, aber im Grunde
wirfungsloje Hilfe von Dänemark die Abs
tretung Norwegens an Schweden, um den
REN Freund gang in den Griff zu
efommen; zugleich wurden noe brittine
— in der Oſtſee unter—
halten, die teils willkürlich unter ſchwediſcher
oder norwegiſcher Flagge ſegelnde Schiffe
mit Embargo belegten, teils Geleitzwan
ausübten und fo eine Art britijd)er Polize
auf den Gefilden der Ditjee einführten.
Während des Siebenjährigen Kriegs wurde
dieje Praxis technijch vervolllommnet. Eben
burd) bie eigentümlidje Miſchung von Ges
leite, Embargo: und RKaperredht, wie fie
England liebte, wurden bie Zuſtände der
Ditiee- Schiffahrt immer unjicherer, wobei
der britijche Weizen herrlich blübte, bis fid
1794 die drei [fanbinapijd)en Reiche zu einem
Bund für wechieljeitige Verteidigung der
Neutralität verbanden. Jepgt erjt zeigte ber
Brite unverhüllt fein wahres Geſicht. Er
forderte von Dänemark willfiirlid) und bers
ausfordernd die Cinjtelung alles Handels
mit Frankreich; darob tam es zum offenen
Streit, der ſchließlich fid) dahin zuipigte, daß
vom Union Sad alle bánijdjien unb jd)mes
bilden Schiffe, deren er babbaft werden
fonnte, mit Arreft belegt wurden, und daß
er jchließlich mit großem Geſchader vor der
Reede von Kopenhagen erjdien, um die
‚pfandweife Auslieferung Der däniſchen
lotte zu erzwingen, worauf die berühmte
eichiegung ber offenen Ctabt mitten tm
Frieden vor fid) ging, bei ber fid) 9teljon
mit ateifelbaftem Ruhm bebedte. Sechs Jahre
fpäter erfolgte ber ebenjo ſchmachvoll btplos
mati[d) vorbereitete wie militári[d) gewiljen«
174 Besse] Dr. B. 9. Freiherr von Matay: Lee)
los — und jeden Völkerrechts ſpot—
tende zweite Überfall auf Kopenhagen mit der
Wirkung, daß Friedrich VI. fein Los in die
Urne Napoleons warf, damit vom Regen
in bie Traufe fam und, nachdem England
bie vom Korjen gejchmiedete Waffe der
Feftlandsiperre zunichte gemacht batte, zum
Kieler Frieden fih bequemen, Helgoland
an Broßbritannien, Norwegen mit Ausnahme
von Island an Schweden abtreten mußte.
Die Einigkeit ber nordijden Mächte blieb aud
diesmal wie zuzeiten der Ralmarer Union
ein blutlojer Shemen. Im Zeichen kurz:
fichtiger Kirchturmpolitit fant Skandinavien
in den SHalbjchlummer, aus dem es nod)
heute nicht recht zu erwachen vermag, und
nun wandte fih Großbritannien, bas, je mehr
es in Mittelajien feine Weltmacht auszus
breiten begann, ein defto jchrofferer Gegner
Ruflands wurde, mit ganzer Maht gegen
—— 1854, alſo im ſelben Jahr, da
mit dem Beginn des Krimkriegs die Ver—
bündeten an den tauriſchen Geſtaden Ian:
deten, fuhr eine nach damaligen Begriffen
gewaltige Armada der Verbündeten von
vierzig Schiffen und über zweitaujend
Gejdiiken in die Oſtſee ein, eroberte
Bomarjund und ging erft bei SHelfing-
[ors und dann bei Reval vor Anter,
um bie rujliichen Häfen zu blodieren. Ihr
Vorhaben, jid) Rronjtadts zu bemädhtigen,
icheiterte freilich ebenjo wie der Plan der
Eroberung Gveaborgs mangels genügender
Truppenmact; die Angreifer mußten fich
mit ber wirfungslojen ?Berwiüjtung feftlan:
Dijden Küjtengebiets gufriedengeben, und
dem zwitterhaften Kriegsergebnis ent|prad)
der in Paris geld)Lojjene Friedensvertrag, in
dem England nur joviel erreichte, dak Ruß:
land verboten wurde, vor den Toren Stod:
holms auf dem ‘Malta der Ojtjee ein Swing:
uri aur Beberrjdhung des Djtfeehandels
aufzurichten.
Die geidjid)tfide Cntwidlung der balti-
den Machtfrage ijt jo geradezu ein Haffi-
ches Beilpiel für die Wahrheit jenes bes
fannten Bildes Wajhington Irvings von
der Spinne England, die bas Fädennetz
ihrer Geetyrannei über die ganze Welt ge:
[ponnen und, raublüjtern auf (hrer Inſel
lauernd, allenthalben ee Beute zufammens
gerant habe. Das S9Belen der modernen
onboner Ditjeepolitit ijt bas Spiegelbild
diejer altüberlieferten Methoden. Nachdem
E England mit Rußland im mittelajiati-
hen Vertrag verjtändigt hatte, jollten bie
Mittelmähte in einem weltumfpannenden
Ring erdrojjelt werden: im Bereich des
Indilchen Meers waren der Perfifde Golf,
die Straßen von Aden und Guez bie Eins
fretjungsbollwerfe, im Mittelmeer Zypern,
Malta, Gibraltar, Tanger, jowie bas am
Tau ber britijden Ententebündelei fe[tges
machte Frankreich und Italien, in der Nord-
fee bas in aller Heimlidfeit gleichfalls an:
re Belgien; an der Oſtſee aber Jollten
uBlanb und bie jchwedilch -[fandinavijden
Staaten die dienjtbaren Geijter des Macht:
ehrgeizes Weltbritanniens werden.
Die kürzejte Verbindung zwijchen Peters:
burg und England geht über Finnland, die
WUlandinjeln, das ſchwediſche Seengebiet
nad) Gotenburg und von da zum Tyne:
mouth nad) Jarrow, South Shields, News
cajtle oder zum Humber, nad) Grimsby und
Hull. Schweden dachte [hon vor dem Krieg
an die Schaffung eines Dampffährendienites
von Stodholm nad) Baltijdport- und Reval
einerjeits, von Gotenburg nad der Tyne:
miindung andererjeits; biete Entwürfe jollten
nunmehr nad Londoner Plänen mitteljt der
nordijden Weltlinie‘ in großzügigem Stil
durchgeführt werden. Cin gewaltiges Tras
jeft mit ber Leijtungsfabigtert mittlerer (Zee:
dampfer jollte aunád)]t Grimsby oder News
cajtle mit Gotenburg verbinden, von dort
der Verkehr über Land auf der Beltergöt:
landbahn nad) Stodbolm und auf einer neu
u bauenden Linie nad) Rappelstár (üdlich
jörkö) und weiter, wiederum durd) Fähren»
Dienft nach 9[bo geleitet werden, von wo
aus bie Reife auf den finnijden Bahnen
nad Petersburg peager gemelen wäre,
Man rechnete auf eine Bejamtfahrzeit von
annähernd fünfzig Stunden, gedachte damit
die Verbindung durch bas Hunnenland' über
Blijiingen: Berlin, bie immer nod) um drei
Stunden fürger ijt, aus dem Feld zu jdjlas
gen, und rechnete dabei gejchidt mit bem
Umitand, dag Schweden darauf bedacht fein
mußte, bie ungemeinen Borteile des Durch:
gangsperfebrs einzuheimjen. An diefe Ents
Séch ſchloſſen fih logijd) bie befannten
britijchen ‚Pachtgejchäfte tm baltijden Küſten—
land an. Ciel wurde in der Kriegszeit ein
Ditiees Kreta Englands. Auf der Halbinjel
Sworbe waren britijde Ingenieure jeit Jahr
und Tag mit ben Worbereitungen für 9[ns
lage [|tarfer Befeftigungen, natürlich zum
‚Shug Rußlands‘, bejchäftigt. Die nord-
weitlich einjchneidende Bucht von Tageladt
war nad) Londoner Berichten leicht zu einem
eräumigen Kriegshafen auszubauen. Dagö,
Worms, Moon, das ganze Snjelreich, bas
fid) Eitland weftlid) vorgelagert, zujamt
allen Gunden und Durchfahrten waren von
den Briten genau vermejjen. Auf Papen:
holm wurde eine rujjiiche Station für Waſſer—
pieger eingerichtet, über deren Zinnen der
nion Gad wehte; bie periobijd) vom Qe:
neralitab gemeldeten Angriffe unjerer dutt
ftreitfräfte auf die militärijchen Anlagen ber
Inieln galten fo im Grunde nicht Rußland,
jondern — ſo gut wie die Flüge über
den Kanal. Die Stockholmer Konferenz
wurde von engliſchen Agenten benutzt, um
mit den eſtniſchen Abgeſandten über Land—
käufe in großem Stil zu verhandeln. Hier-
nad) gingen an ber livlandifden Küfte in
britiihen Belfi über die weitläufigen Herrs
Ihaften Wredenhagen, Rurmal, EB, ferner
an ber ejtländijchen Riijte bie Injeln Rogö
unb Odensholm; beide deden die Reede
von Baltijchport, bas tatjählih), wie es
erfannte, beite
Eignung für einen rg hg erjten Ran:
ges beiigt. Wie weit die Meldungen zus
treffen, daß fid) die Engländer auf den der
— ecg Riijte vorgelagerten Inſeln
jórfó und Hogland heimi)ch gemacht haben,
läßt fid) nicht genau fejtjtellen; daß fie aber
auch bier planmäßig und betrieblam ihre
iele genau jo verfolgen wie im Süden des
innijdjen Bujens, geht mit aller Deutlich:
eit aus ihrer Tatigfeit in Nifolaiftadt ber:
vor. Die Hauptitadt bes Lans Wafa, einit:
mals gleidjen Namens wie biejes, 1852 nie:
bergebrannt, zu Ehren Nitclaus’ I. mit bem
neuen Namen umgetauft, ijt mit Petersburg
durch eine über Tammersfors führende Bahn
verbunden und ein Hauptumjchlagplaß für
Walderzeugnijje und Baumwolle mit gutem
Hafen unb einer Navigationsjchule. Unter
ritiider Leitung werden niht nur Bahn
und Hafen weiter ausgebaut, jondern find
= auf der die Einfahrt umflügelnden
Bajainjelgruppe ganz nad) dem Muſter von
Sjel Befeitigungen und GStüßpuntte von
Wajlerflugzeuggeichwadern angelegt worden.
Kurz, Englan Le dort ein zweites Aland
geihaffen, ein Bollwerk, bas genau jo wie
enes als Zwingburg vor Stodholms Toren
bie ſchwediſche Seefeſte Herndjand an ber
Mündung des Angermanelf bedrohte.
3u den vielen ehiefen Auffaſſungen über
die Berfreuzung ber groBmüdjtlid)en Gegen:
jake in ber one gehört vorab bie Weis
nung, Rußland betreibe die widerrechtlichen
Befejtigungsarbeiten auf Bomarjund haupt:
fähli nur um bes mittelbaren Zwedes
willen, ein Drucmittel zur SFreilegung des
Wegs nad) dem Nordkap an in Der Sand
u Eben, Demgegenüber [tebt die Tatjache
bit, daß Ausfalltore an ber Murmanküſte
oder bem Larangerfjord dem zariichen Reih
ebenjowenig jemals volle Verwirklichung des
ebnjiidjtig umworbenen deals freier Mus-
abrt nad) dem Meer Hin im Norden bieten
ónnte, wie im Süden und Often ber Ber:
ide Golf und bas Gelbe Meer, bie fämt:
ih nur bie Bedeutung von Güterjammel:
und Umjdlagplagen für bie Peripherie bes
ari[djen Staatsriejen bejigen würden, Gr:
op für die Dardanellen böten. Zudem:
hätte felb[t Rußland irgendwo in ben Lapp:
marten den freien Atlantijchen Ozean erreicht,
jo wäre fein Marſch in diejer Richtung auf
legter Stufe angelangt; weitereAusdehnungs=
möglichkeiten böten jid) nicht. England jtebt
zum Sprung nad Island bereit, um ihm eine
von den Orfneyinjeln über Shetland und Fa:
töer zum Taxafjord hinziehende Kette entge—
genzujegen, die feine Bebieterichaft über bas
Grenzgebiet vom Atlantijchen Ozean und Eis»
meer jidjert. Weiter war es, jeitbem Ruland
erft Die schwarze Erde der Ukraine erobert und
dann mit Hilfe ber mineralijdjen Bodenſchätze
der nördlichen lljergebiete des Schwarzen
Meeres immer mehr den Schwerpuntft der ine
duftriellen Entwidlung dorthin verlegt hatte,
zur Diode geworden, von bem Übergewicht der
Mare balticum Seeerei 175
wirtichaftlichen Intereſſen zu |predjen, bie
Petersburg nad) bem Bosporus und bem
Mittelmeer wiejen. In Wirklichkeit liegen
die Berhaltnijje jo, daß der Außenhandel
Nordrußlands ausgejproden ben Charafter
von Rolonialhandel hat; er verjorgt den
europäilchen Weiten vorzüglich mit Waren,
wie Getreide, Holz, Felen, Häuten, Flachs,
Butter, Eiern, Öltuchen, unb nimmt dafür
inbujtrielle Rohjtoffe, Halb: und Fertigfabri-
fate, wie Eilen, Stahl. Maſchinen, Kaut:
jut, Chemifalien, auf. Er überflügelte,
nachdem an ber Neige bes vergangenen Jahr—
bunderts bie füdrujliichen Häfen die Obers
hand gewonnen paride dieje jeit 1900 neuer:
dings, und England war es, das, während
es den Hauptanteil an der Getreideausfuhr
der Randlander des Schwarzen Meeres in
Wnjprud) nahm, aud) im Norden die Rolle
bes eriten Handelsherrn fpielte; beijpiels»
weije entfielen 1911 von der Geſamteinfuhr
Rigas auf England 130, auf TDeutjchland
nur 102, von ber Befamtausfuhr des Plages
auf jenes 145, auf bieles nur 77 Millionen
Mart. Es handelt fic jo für London beim
Blick nah bem BValtifum nicht nur barum,
bie Einkejjelung Deutjchlands von den Lands
fronten ber zugleich aud) an den Geefrons
ten lüdenlos zu madden, jonbern England
edadte aud) bas Mostowiterreich mitjamt
ne reihen fibirijden Hinterland, bas
eute Pfund und Dollar bundesgenojlens
djaftfid) zu durchdringen und eingudecen
uchen, zn einem ok tale th Indien, zu
einem gewaltigen, ibm dienjtbaren Robjtoff:
verjorgungsland zu maden. Jn ber eng:
lijchen Fachpreſſe ift bieles Programm mit
bem Zartgefühl, das John Bull überall
offenbart, wo es um den Handelsprofit gebt,
anz offen entwidelt worden; Der wenigen
tieren in9tüdjid)t auf bie Ententes
brüderichaft entfleibet, bejagt es e enbes:
Nachdem das zariſche Reid) umjonjt feine
Menſchenmaſſen im Anfturm gegen die Mit-
telmächte hat verbluten laffen, fommt es auf
bie wirtichaftspolitiiche Dedung bes verfah»
renen Bundesgeijhätts an. Gelbft wenn
Deutichland in Kurland figen bliebe, fónne
England dod fraft überwiegender Macht:
jtellung im Finnijchen und Bottnijden Meer:
bujen unjchwer den ganzen en Ditfee:
AE von den deutſchen Häfen ablenten,
o Dak dieje ihrer widhtigften Nährquellen
beraubt würden.
Der ſchmähliche Zufammenbrudh all biejer
Hoffnungen ift jebt endgültig bejiegelt;
alles, was England aur Abwendung ber
Gefahr ber 3Befejtiqung deutjcher Ubermadt
im Dftflügel der Ditjee unternommen Dat,
ift lediglich pour le roi de Prusse gejchehen.
Welche Enttäufhung! Die ganze Oſtſee—
Machtfrage jchiebt ei auf ein neues (e:
leife, das freilich, bet Licht bejehen, nur bie
Fortſetzung ber zu mittelalterlicher Zeit in
Bau genommenen, aber durch endlojen Has
ber der Uferjtaaten immer wieder unter:
wiiblten Fahrbahn ift. Seit dem Verfall
176 PEESEESA Dr. B. 9. Freiherr von Maday: Mare balticum IBEXE3(€(€3€2:1
bes Hanjebundes war die Politif aller Oft:
— — in hundertfältig wechſeln⸗
der Form daraufhin gerichtet, einen Riegel
gegen den doppelten Druck des Zarismus
und ber Machtanmaßungen Englands vor-
zujchteben; niemals find offenbar bellere Bor:
bedingungen für Die endgültige Löſung des
NS, an dem fid) ein Albrecht von
edlenburg, ein Gujtav Mdolf, Karl X.
und XIL umfonft gemüht haben, gegeben
gewejen als heute. Finnland befindet fid
in ganz ähnlicher Lage wie Schweden; po:
cy wie wirtféjaftlid) ijt bie Vorausjegung
ber Celbjtändigfeit, bie es gewinnen möchte,
Befreiung von boppeltem Drud ber bri:
tijd-rujjijdhen Bange! Was Polen ans
belangt, jo ift die Legende feiner wirt»
Ihaftlihen Abhängigkeit von Rußland
längit zerftört. Dennoch ift foviel richtig:
ericheinen bie Mtittelmadte als Nährquellen
ir den Gtrom feines gewerblichen Auf»
dwungs, |o find bas Baltifum und die
fraina die Hinterländer und die natürlichen
Ausmündungsgebiete biejer Flutung für die
Aufnahme feiner Ergeugniffe, für deren Bes
wegung nad) ben überjeeijchen Abjatgebieten
und zugleich für die utube der wichtig:
ten Rohſtoffgebiete. Die Gegenjäge zwi-
chen dem einjtigen Syagiellonenreid), dem
Ruthenentum und, wenn aud in geringerem
Mage, den Litauern, Ejten, Letten find ges
wif alt; über ihre Tiefe aber folte bas
Ideal des Ausbaus der mitteleuropäifchen
Wirtſchaftsgemeinſchaft in folder Form
ragen, daB deren vorgejchobene Grenzen
moglidjt diht an bas alte mostowitijche
Ctammlanb heranreidten und nördlich über
Riga und den Bottnilchen Bufen eine Brüde
nad) Finnland, fiidlid) über das Schwarze
Mteer die Verbindung mit dem Baltan und
bem Eleinajiatijchen Flügel bes Bierverbands
berjtellten. Rußland aber?
Die Machtitrebigfeiten Großbritanniens
unb bes ein|tmals aarijdjen Reihs kreuzen
fid) unverjöhnlich [o gut an ben Cunben wie
an ben Dardanellen. Wie ein Überfall Rons
ftantinopels für Petersburg feinen irgendwie
durchichlagenden Erfolge verbürgte, wie es
fein Ziel des freien Wegs zum Wiittelmeer
nur auf dem ee Xandweg entweder
über die untere Donau oder über Armenien
erreichen fónnte, jo wäre eine Beldiehung
und Bedrängung Gtodholms von Aland
aus idlicgtich nur ein Schlag ins Waffer:
die Flügel ber Doppeltür, bie zur Bat
über bie Oſtſee führt, find Kieler Bucht un
Kattegat. Wäre den überichwenglichen
Machtträumen der Petersburger Heger nicht
gerau jo wie im Schwarzen Meer und am
osporus, in der Ditjee rechtzeitig ein Riegel
vorgejchoben worden, dann hätte ficherlich
über furg ober lang ber alltujjiiche Größen—
wahn mit gleichen Gründen und Anmaßungen,
emäß denen er Ronftantinopel für fic in
njprud nahm, bie Schlüffel von Kopen:
hagen verlangt, freilich lediglich, um am Ska—
gerrat mit England ebenjo jdarf wie im
Bereich ber Agäis zufammenzuftoßen und in
der Oſtſee jede vernünftige, den natürlichen
Rechten ber Anrainer widerjprechende Gleich:
ewichtsordnung zu zerjtören, Schlöſſen
Ba aber bie jfandinavijden Staaten mit
Deutjchland zu einer Wirtichaftsgemeinichaft
gujammen, dann ftände 9tuplanb im Norden
vor genau Derfelben Lage wie im Güden:
vor einem Blod, gelagert um das Baltifum
und gebildet aus dem ‚nördlichen Bierbund‘
ber Mittelmächte, bes neugejdjajffenen Kö»
nigreichs Polen und Vordereuropas'. Schwe—⸗
den ebenjowenig wie irgendein anderer
Staat braudte in folder lanten: und
Riidendedung eine Wlanddrohung oder jon:
ftige mostowitijche Gefahr ernitlich zu fürdh-
ten, ebenjo wie Rußland ſelbſt aud) bier voll
und frei SUtitgenieBer der Früchte einer glüds
lihen Zukunft fein würde, welche die Bliites
zeit der Hanfe in den überlegenen Formen
moderner Tednif, Wirtfhaft und Kultur
wiedererftehen ließe...
Uralte Sagen rühmen Glandinavien als
das Hirn Europas, als Hauptorgan feines
fore teen | als Gig feiner Geijtigfeit und
feiner ttefften jeeliichen Empfindungen und
Ahnungen. Bon dorther fol der Heilbringer
unb Friedensfürjt der Menjchheit erjcheinen,
wie es die Edda fünbet:
Es fommt ein Reider zum Rreije ber Rater,
Ein Starter von oben beendet den Streit.
Mit ſchlichten Schlüjfen entjcheidet er alles;
Bleiben [oll ewig, was er gebot.
Ale jolde Verheißungen flingen heute nur
nod) wie vertragener Schall aus weiter
gene an unfer Ohr. Trog allen nordijden
inifterberatungen haben fic) die jfanbi:
navijden Mächte heute |o wenig wie ehes
mals über eine flare politijdje Linie
einigen vermodt, unb ob nod) eine iode
Bride ber Eintracht herzuftellen fein wird,
erſcheint anges ber betannten Briten:
[tebebienerei Jtorwegens zum mindeftens zwei⸗
felbaft. Um |o gewijjer find wir, dağ das
eroberte baltijde Land niht wieder aus
Deutiden Händen Delen wird, die ihm
einjt feine Kultur gebradt unb fie jest
mit Waffengewalt zurüderobert haben.
Riga jedenfalls wird fortan das At:
mungsorgan des unter beutjden Schuß ges
—— Oſtſeehandels und ein Hauptbellwerk
er Freiheit der Meere ſein, die im Balti—
lum unter ſchwarz⸗-weiß-roter Flagge ein
Ronen Sidus Blüdsgut aller an feinen Ge:
taden jigenden Nationen fein fol. Und der
rete Arm in der gangen Ditiee wird wies
berum in notwendiger ‘Berfettung von gliids
lichen Erfolgen und jegensreihen Wirkuns
en Deutichlands Maht in ber Nordjee bes
eigen unb ibm bie zuverläjlige Bürgichaft
older Sicherheit an allen Dieerestüften, von
ben baltijden bis zu den flandrijchen wers
ben, daß es allen britiichen Anfeindungen
mit bem Bewußtjein des Starten das ftolze
Trugwort des großen Oraniers entgegen»
legen fann: Saevis tranquillus in undis!
Spbinx
Gemälde von Eugen Ojjwald
CRE an Wie
Cine Erzählung ausAlbanien von Borwindarlit
— Fortſetzung —
ho od | ood oo oo LL a | | | oe ot | Ld | ot LL CN
Sieber Mr. Briefen!
Ich bitte Sie, wenn Gie nidts Seller
vorhaben, heute um halb fünf Uhr eine Tajje
Tee bei mir zu trinfen.
Ihre
Auf Wiederjehen!
Gwendolin Herbert.
Gerade hatte bie junge Frau den Brief
beendet, als im Garten ein Herr mit dem
weißen albaniichen res erjchien, ber einen
Arm in der Binde trug. Sogleich erfonnte
He den Durch Briefen vor ben Diontenegrinern
eretteten Albaner wieder. Der Diener
radte aud) bie Karte Fuad Fani Bies, ber
Mr. Herbert zu |prechen wünjchte.
„Führen Sie ben — hier herein.“
Fuad betrat das Zimmer, den Fes auf
ben Kopfe, verbeugte ſich tief und wieder:
holte, daß er Mr. Herbert zu ſprechen wünſche.
„Mein Mann kommt gleich zurück, und da
habe ich Sie zu mir herein gebeten, weil ich
mich erfundigen wollte, wie es Ihnen gebt.
Sd) befand mid auf dem Schiffe, als Gie
verwundet wurden, und interejlierte mid) febr
für Ihre Rettung. Bitte, nehmen Sie Pla
unb maden Cie es jid) bequem.“
Fuad bedankte fih und nahm bie kleid—
fame, weiße Rop[bebedung ab, die ber Muha-
medaner nur auf ausdrüdliche Aufforderung
ablegt. Seit er in der Heimat war, hatte er
die albanijchen Sitten wieder angenommen.
„Ih dante Ihnen, Mrs. Herbert, daß
Cie fid) für mein Schidjal interejjieren. Ich
weiß, bie Engländer haben ein großes Herz
für mein unglüdliches Land.“
„Ih bin Srin. Wir haben ftets Mit:
efühl für alle Unglüdlichen unb *Bebráng:
en, und Ihr Land liebe ich Ion feit den
erften Tagen, in denen id) es betrat. Hier
ndet man nod Männer von Mut und Ur:
prünglichkeit, bier find bie Frauen tugenb:
aft, arbeitjam unb bejdeiden, und zu allem
man fommt diefe [d)óne wunderbare Natur
mit all ihrer Herbheit und voe e?
Das Lob der Heimat aus jo jchönem
— — ſchien den heißblütigen Al—
aner in Begeiſterung zu verſetzen.
„O meine gnädigſte Herrin, da müßten
Sie erſt einmal das Innere Albaniens ſehen,“
agte er lebhaft. „Dort allein noch in Europa
inden Sie unverfälſchte Natur an Land und
Get Voie Gewiß, die Leute find arm und
ohne Kultur, aber dafür find fie freie Adler—
föhne, die niemand über fih anerfennen
und als einziges (Pele& die alten heiligen
Überlieferungen befolgen. Kein Fremder, der
-—
unjere Gewohnheiten achtet, bat hier bas ge:
ringjte zu fürchten, und wer gar eine Emp:
feblung von einem albanijden Freunde be:
ommt, der wird überall auf das —
und zuvorkommenſte aufgenommen.Und unſere
pene jollten Sie jehen, dort im Inneren:
tola find jie, und ohne Schleier geben fie
aufrechten Ganges einher. Wenn aber ein
Fremder ihnen begegnet, dann wenden Ir
ben Kopf ab, und fein Blid der Meugierde
ftretft den Unbefannten. Go jehr liegt gute
Sitte ihnen im Blute. Unberührt find fie,
wie die großen Urwälder, die niemals eine
Axt verlegt hat. In ber felsitarrenden,
wildzadigen Profletia, im Hochgebirgskeſſel
bes ?Bermo|d), ba gibt es nod) die Wälder
ber Urzeit mit taujenbjábrigen Eichen und
Tannen von hundert Meter Höhe. Dicht
dabei ragt der Stüljen empor, ben nod) fein
Mitteleuropäer erjtieg, das Wahrzeichen des
angen norddjtliden Albaniens. Aber bie
KA Albaniens ijt der herrliche Ochridajee,
röker, jchöner unb blauer nod als ber
arbajee. Wenn hierher einjt die Cijens
bahn führen wird, mit ber man von ber
Adria in einem halben Tage ben Gee er:
reichen könnte, bann werden fid) bie Rei-
jenden drängen, diefe wunderbare Welt fen:
nen zu lernen. Aber der Hauch der Urjprüng»
lichkeit und WEN wird verloren gehen.“
Gwendolin jab die dunklen, ſchwermüti—
gen Augen bes Albaners mit feuchten
[ange auf fi ruben unb hielt es Br
„Haben Gie an ich
Ihren Lebensretter, ben deutjchen Offizier,
[don wieder gejehen ?^
„Bewiß babe id) ihn fofort hier aufge»
fein $ meinen Freund, meinen Bruder, ber
bejjer abzulenten.
ein Leben für mid) dahin geben wollte und
em dafür das meinige auf ewig gehört.
Yas fein anderer getan hat, er tat es für
mich, den unbefannten Frembdling, ohne Dank
zu erwarten oder zu verlangen.“
Das über|djmenglidje Lob reizte Gwen:
dolin zum Widerjprucd.
„Bewiß, er bat Ihnen mit perjönlicher
Gefahr das Leben gerettet. Aber jchließlich
hätte bas bod) aud) jeder andere Dann ges
tan, der jung und gejund und ein guter
Schwimmer war.“
„Warum tat es denn fein anderer oder
machte aud) nur ben Berjuch ? Pielleicht übers
legten fie nod), ob es Io auch lohne, wegen
eines Unbefannten ein faltes Bad zu nehmen,
Mein Bruder aber überlegte nicht, er troßte
178 Weeer Borwin Carlig: I
dem Zoller und ben Schüjfen ber Tjchernas
gor d
iederum fühlte Gwendolin bei diejem
Lobe — fie wußte felbft nicht recht, warum —
eine unwilltürliche Gereiztheit gegen dieſen
Deutſchen in fid) aufiteigen.
„Vielleicht aber waren es, was ihn vorallem
dazu bewog, Ihnen, dem Unbefannten, bet:
m en, die vielen Zujchauer, bie er auf
em Schiffe hatte. Auch mir hat ber deutjche
Offizier übrigens fürglid) einen Heinen
Dienft geleitet, um den ich ihn in feiner
Zeile bat. Es jcheint faft, als ob er fidh bes
ftrebt, von feiner Perjon |prechen zu machen.“
„Sch jehe in ihm nicht nur meinen Les
bensretter, jondern aud) einen Mann von
Anftand und Mut. An meinenr Bruder
darf ich feinen Matel hängen laffen und
darum will id) Ihnen erzählen, was eigent:
lic) verſchwiegen bleiben müßte.“
Fuad richtet fid) jchärfer auf und begann:
„Briefen Bat kürzlich eine Patrouille fom:
mandiert, von ber einer meiner Landsleute
erſchoſſen wurde. Ich hörte, daß die Blut:
rade ber Anverwandten fih gegen den deut:
[den Offizier richten fole. Da es aud) für
mid) — iſt, die Blutrache zu verhin—
dern, ſo verſuchte ich wenigſtens, einen Frei—
kauf durch Geld zu ermöglichen, weil doch
der Deutſche ſelber nicht als Täter in Frage
kommen konnte, ſondern nur irgendein un—
bekannter Mann feiner Patrouille. Die Ans:
verwandten waren bereit, in Unterhandlun—
en einzutreten, aber Brieſen lehnte glatt ab.
ch ſchilderte ihm die Gefahren der Blut—
rache, denen ſo leicht niemand entrinnen
kann, ich flehte ihn an, einem ſicheren Un—
glück durch Geld aus dem Wege zu Geen
er lehnte wiederum ab. Er habe auf Befehl
feiner 3Borgejebten gehandelt und ftände
auch mit jeinem Leben dafür ein. Von einem
Rostauf wollte er nichts willen. Dieter
Mann, mein Bruder, das verjidjere id) Cie,
hat echten Mannesmut.“
„Und was gejdieht nun?” fragte Gwen:
bolin, „Wie werden Cie Ihren Bruder, wie
Sie Herrn Briefen nennen, Kee fonnen ?^
„Eine augenblidliche Gefahr befteht nicht.
Die Verwandten find fid) noch nicht ganz
einig, ob der Albaner aud) wirklich von einer
deutichen Kugel gefallen ift. Sobald id) aber
Gewipheit habe, daß eine wirkliche Gefahr
ihn bedroht, dann werde ich noch einmal
mein 9(uper[tes verjuchen und mid) unter
Umitänden an ben Ddeutihen Kommandeur
wenden.“ Er hielt inne, denn der Diener trat
ein und meldete, Mir. Herbert fei guriidgefehrt.
guad erhob fid), fegte feinen Fes auf und
machte die ehrjurdtsvolle, tiefe Verbeugung
bes Orientalen.
Gwendolin reichte thm die Hand, bie er
nad) albanijder Gitte füBte, und bat ihn,
fie bald einmal zum Tee zu bejuchen. Mit
bantbarem Blid, aber jchweigend verließ
Fuad das Zimmer und ftand gleich darauf
bem Ronjul gegenüber.
„Es ijf mir eine befondere Ehre einen
[o einflußreichen und befannten Patrioten
u begrüßen,“ [agte Herbert. „Womit tann
ich Ihnen oder Ihrem Lande einen Gefallen
erweijen? Bitte, legen Sie ab, nehmen Gie
Plaş und zünden Gie fid) eine Zigarette an.“
Die Herren fekten fih, und Fuad begann:
„Sie gejtatten mir, daß id) als Balber
Amerikaner fofort mit meinem Anliegen be:
inne. Ich möchte Cie bitten, bie Aufmert:
famteit Ihrer Regierung auf bie Vorgänge
an der ferbijden Grenze gu lenken. Gie
wijfen wohl, daß bie roli Regierung
taufenden meiner Landsleute den Wieder:
eintritt in bas jebt jerbilche Gebiet verweigert.
Mer es verjudt, Frau und Kinder wieder
zu jehen oder fein zurüdgelafjenes Beligtum
zu bergen, wird von den Gerben ohne Gnade
erſchoſſen. Das muß früher oder jpäter zu
blutigen Vorgängen er bei denen natür:
lid) meine unglüdlichen Landsleute den für:
zeren ziehen werden. Sſterreich fann uns
nicht helfen, weil Rußland die Serben unter:
jtiigt, ebenjo wie Frankreich, während Sta:
lien und Deutſchland unintereljiert find. Es
bleibt uns alfo nur übrig, an bie GroBmut
Englands zu appellieren. Wher id) made
Cie darauf aujmerfjam, dak Eile not tut."
„Sch werde unverzüglich meine Regierung
benadhrichtigen und bin überzeugt, daß man
Vorftelungen in Belgrad erheben wird.
Trokdem Tonn id) Ihnen nicht bie Schwie—
tigleit verhehlen, die darin beiteht, bap Al:
banien immer nod) feine jelbjtánbige Regies
rung bat, mit ber man verhandeln fonnte.
Warum einigen Cie fic nicht über einen
Fürften, ben Sie haben möchten? Wenn
von mehreren einflußreichen Geiten Alba
niens ber Wunjch nad) einer beftimmten
SBerjónlid)feit laut würde, dann werden die
Gropmadte nicht lange widerjprechen. Wie
denten Cie über die Kandidatur eines ägyp—
tildjen ——— Er iſt Muhamedaner wie
die meiſten Albaner, wohlhabend, was hier
ſehr ing ift, und würde ficher die Unter:
—— nglands finden.“
Fuad fehüttelte Teife wiegend den Kopf:
„Berade daß er Muhamedaner ift, IàBt mid)
feine Kandidatur nicht wiinfden. Wir Mus
hamedaner haben lange genug unter der
E unjerer Fürſten gelitten.
ebt wollen wir ein moderner Staat werden
und einen europäilchen Fürſten haben, der
uns auch nad) außen zu Wnjehen verhilft.”
Vor diefem wohl taum erwarteten Wider:
ftande Ienfte Herbert ein.
„Jedenfalls können Cie ficher fein, bag
England alles für Albanien tun wird, was
móglid) ift. Wir werden uns ja mie:
mals das Redt nehmen laffen, ein Hort ber
ſchwachen und bedrängten Völker zu fein.
Mas für blühende Lander haben wir aus
Indien und Agypten gemacht, von denen
unjere Feinde behaupten, daß fie unter uns
lerem Goce ſchmachteten. Kultur, Reichtum
unb Glüd haben wir überall verbreitet und
niemals die Citten oder bie Religion ber
Lander angetaftet, deren Verwaltung wir
A
BESSA Der Shuk auf bem Bardanjol BSSessesesd 179
vorübergehend übernommen haben, bis fie
eines Tages Hot genug fein werden, fih
lelbit zu regieren.“
quad fühlte, wohin Herbert zielte, hatte
aber bod) fein Verlangen nad der jegen:
bringenben englilchen Sjerrid)ajt, der ein
afen wie bas unvergleichliche Balona der,
lid) ein erjtrebenswerter Bijjen jein mußte.
Er empfahl fid) daher und ſprach [einen
Dant für bie verjprochene Hilfe aus.
Sm Garten traf er mit Baron Traubens
berg zujammen, den er Ke wieder er:
fannte, während jener feinen erbitterten
Gegner nod) niemals geleben hatte.
Jetzt möchte ich eine halbe Stunde lang
bem Geſpräche biefer beiden tüchtigen diplo:
matijden Geldaftsmanner zuhören können,‘
dachte Gre verbittert. ‚Wer weiß, was da
wieder für Unheil ausgehedt werden wird.‘
Am Nachmittage fura nad) vier Uhr be:
trat Gwendolin ihren Salon, um nod) einen
Blid auf alle Vorbereitungen zu werfen. Es
war ihr Empfangstag, an dem fie immer
zwijchen es unb jieben Uhr zu Hauje war.
Der Teetilh war in Ordnung, ber Ga:
mowar fiedete leicht. In vielen Bajen von
allen Größen und Formen prange etne ver:
ſchwenderiſche Fülle ber wunderbarſten Rojen.
Bwendolin trug ein mattgelbes Batijt-
fleib, bas wunderbar zu ihrem dunklen Haar
und Augen ftand. Sm Gürtel hatte fie einen
großen Strauß Mtarédal Niel:Rojen.
Herbert tam wie zufällig herein.
„Wie, du bift [don angezogen? Und fdin
aft Du aa? gemadht für deinen Lebensretter!
brigens. der junge Mann befindet fic) in
einer feineswegs beneidenswerten Lage. Sd)
Done heut: ein Mann feiner Patroutlle hat
ürzlich einen Albaner erjchojjen, und es ijt
nicht unmöglich, daß fid) die nicht ausgurot-
tende Blutrade jebt gegen ihn, als den An:
führer Der pte MEN richten wird.“
„Meinſt du wirklich, daß er fih in Gee
fahr befindet? Dann bie man thn dod
warnen, damit er fih vorjieht.“
d glaube, ba würde aud) bie größte
Vorſicht nichts helfen. Für ei gibt es nur
ein Mittel: jo bald wie möglich jeine Ber:
fegung —— und nad) Deutſchland
urüdtehren. arum läßt fid) übrigens
mee nicht mehr bet uns fehen? Hat er
es dem Deutichen libelgenommen, daß er
bid) und ibn jelbjt aus den Händen der Wege:
[agerer befreite? Es jcheint beinahe fo, und
das wäre mir nicht jehr angenehm. Du
weißt [don aus welchem Grunde.”
„Ferucci bat mich feit unjerem Abenteuer
gemieben. Daß er vor bem deutjchen Offis
ier eine recht flaglide Rolle gejpielt hat,
eugne ich nicht, und daß er ibn barum haſſen
wird, ijt bei feinem Temperament febr wahr:
ſcheinlich.“
„Du ſollteſt aber doch verſuchen, ihn wie—
der zu verſöhnen. Vermeide vor allem, daß
er etwa bier mit bem Deutſchen zuſammen—
trifft. Aber ich fürchte, diefer Herr Briefen
wird fowiejo nicht mehr lange hier fein.“
„Willſt bu jomit jagen, daß wirklich für
fein Leben Gefahr bejteht 2”
Herbert fonnte nur mit einem Achfelzuden
antworten, denn ber Gegenftand der Unter:
haltung betrat gerade das Zimmer. Gwendo:
lin hatte ihn abfidjtlid) eine halbe Stunde
vor dem Beginn ihres Empfanges einge:
laden, um ihm ohne die Gegenwart anderer
danten zu Tonnen,
Briejen fam mit Helm und Säbel in ber
Hand, war es dod) fein erjter *Bejud). Nach:
bem er Gwendolin die Hand gefüßt hatte,
begrüßte ibn Herbert mit gewinnender Herz:
lid)feit als den Erretter feiner Frau aus
einer höchjt unangenehmen Lage, wofür er
ihm ftets dankbar fein würde. Dann ent:
Ihuldigte er fih mit einer dienftlichen An—
gelegen gett,
rieſen fegte fid) zu Gwendolin, bie ihm
Tee reichte, und war bald mit ihr in der
befannten oberfladlicen Unterhaltung, die
nun einmal die Gitte bet einer neuen Be:
fanntjchaft fordert.
Aber er litt darunter. Diefe Frau, die
leine Gedanken [o ſtark bejdajtigt hatte all
die legten Tage, der er erft fürzlich einen
Heinen Ritterdienſt leijten fonnte, [hien mrar
von ihm zu erwarten, als das alltägliche
Gejprad der guten Gejellihaft. Bisweis
len, während jie vom Wetter und vom
Tennis, von den Wohnungsverhältniijen
in Gfutari und von bem geplanten Ausflug
auf ben Bardanjol jpraden, diinfte es ihm,
als ftreifte ihn ein jeltjamer Blid aus den
duntlen Augen. Dann huſchte wieder ein
Lächeln um ihre Lippen. alt als jpottete
fie feiner Ungewandtheit, vielleicht aud) ber
Fehler feiner englijchen Ausiprache.
Bis fie plöglich, dies nüchterne, nidjtss -
jagende Bejpräch unterbrechend, wie unter
einem jähen Entichluß, jagte: „Heute mor:
gen [prah ich Ihren Freund Fuad. Er ers
zählte mir von der Erjchießung bes Mba:
ners und jchien bejorgt um Gie.”
„Fuad hat aud) mid) gewarnt. Aber was
[oll ich Dagegen tun? Will es das Schids
fat, daß id) falle, jo ift es aud) hier im
Dienfte meines Baterlandes geichehen.“
„Sie dürfen nicht jo gleichgültig gegen
die Gefahr fein,” |prad) fie lebhaft weiter,
„Borhin noch hörte id) aud) von anderer
Seite, daß Ihr Leben bedroht ijt. Sie müſ—
jen etwas dagegen tun.“
„Sch nehme mich bereits in adjt. Glau:
ben Cie nicht, dah bas Leben keinen Wert
für mid) bat. Sim Gegenteil, feit einiger
Zeit ijf bas Dajein für mid) bejonders be:
gehrenswert.”
Da lagte fie furg und faft heftig: „Sie
miijjen abreijen von hier, und gwar jofort.
Es gibt fein anderes Wlittel für Ihre Net:
„Wollen Sie mid Ios fein?” Hagte Brie:
fen, fühlte jedoch im gleichen Augenblid bas
wenig Taltpolle ber Frage und jegte bins
180 Iess Borwin Garlif:
u: „Ich danke Ihnen von Herzen für die
nteilnabme, bie Cie an meinem Schidjal
haben. Aber Fuad felber hat mir gejagt,
baB wer ber — verfiel, nirgends in
der ganzen Welt mehr ſicher iſt. Für der—
artig bedrohlich indeſſen natie id) meine
Lage immer nod niht, und Fuad hat mir
aud) verjproden, mid) zu warnen, falls un:
mittelbare Gefahr bevorjtünde.“
Bwendolin konnte nur nod) erwidern:
„Sch bitte Cie, ver|predjen Cie mir wenig:
tens, alles zu tun, was in Ihren Kräften
teht, um biejer entjeglichen Gefahr zu ent:
gehen.“ Dann mußte fie fid) reuanfommens
den Bälten zuwenden.
Es waren Baron Cotta und feine fleine,
bewegliche Frau, bie lofort daran erinnerte,
daß morgen die von ihr arrangierte Partie
auf den Bardanjol ftattfinde. Tann 30g
He Briefen in ein längeres — wäh:
rend Gwendolin von Baron Traubenberg
mit großer Lebhaftigfeit begrüßt wurde.
Smmer neue Befucher tamen, und bald
war in dem ziemlich großen Zimmer faum
ein Pla fret. Die Unterhaltung wurde
aus|djlieplid). auf engli]d) oder franzöſiſch
SE Es gab genug Klatſch mit teils
amiijanten, teils boshaften Bemerfungen.
Traubenberg erzählte von feinem fiirgliden
Bejuh in Rom. Dort batte man den Bot:
Ichafter einer Großmacht gelegentlich einer
Bejellichaft im zärtlichen tête-à-tête mit einer
febr hiibjden Amerikanerin angetroffen. Seit
biejer Zeit hieß er nicht mehr L'ambassadeur,
fondern L’embrassadeur,
Als die Hausfrauenpflidten Gwendolin
endlich etwas mehr Ruhe vergönnten, gelang
es Baron Traubenberg, fid) einige Zeit uns
gejtört mit ihr zu unterhalten.
,Siebe Freundin,“ begann er leife, „Sie
wijfen, weld) aufrichtiges Intereſſe id) [tets
an Ihrem ia und Wohlergehen ge:
nommen babe. Um fo jehmerzlicher war ih
berührt, als ich vor einiger Zeit hörte, dap
Ihre finanzielle Lage in lekter Zeit ohne
irgendein Berjchulden SIhrerjeits fih ver:
Ichlechtert hat.“
„sh dante Ihnen für Ihre Teilnahme,”
gab jie ein wenig abwehrend zurüd. „Da
uns aber bod) niemand helfen tann, fo dente
ich, wir |prechen von erquidlicheren Dingen.“
„Halten Cie mid) wirklich für jo taftlos,
daß id) von einer derartig delifaten Ange:
legenbeit angefangen hätte, wenn id) nicht
ugleid) bie Möglichkeit jahe, Ihnen au bel:
Ion? Werden Cie nicht ungeduldig. ch
babe nur eine Bitte: wenn Ihnen mein gut:
gemeinter Borjdlag nidjt annehmenswert
er/deint, bann tun wir beide fo, als hätte
id) nie derartiges zu Ihnen geſprochen.“
Yragend, aber nun dod) hodjt neugierig,
jah Gwendolin den gewandten "Rullen an.
Er fuhr fort: „Glauben Cie mir, wie es
unzählige Male vortommt, daß fid) eine Dame
unjerer Kreije in Geldverlegenheiten befin=
bet, die ben Berlujt ihrer gejellichaftlichen
Stellung unvermeidlid) erjcheinen laffen. Es
-wadjen. Außerdem ijt unjere
bietet fid) aber häufig ein Ausweg: ber ber
Politik. Sie willen, wie hod politiſche Nad:
richten, bie manchmal wirklich geringfügig
find, von ben betrefienden Staaten gewertet
werden. Mein Mtinijter bes Außeren gibt
jährlich ungeheure Gummen aus für biejen
Zwed. Und von mem glauben Cie, daß bie
Mehrzahl diejer Nachrichten jtammen ? Bon
Damen der Gejellidjaft, entweder aus der
Diplomatie jelber oder aus Kreijen, bie in
er Berührung mit diejen [teben."
raubenberg hatte fid) weiter vorgebeugt.
Er flüjterte nur: „Dabei halten wir den
Brundjag aufrecht, niemals etwas au vers
langen, was gegen Die Snterejjen bes eige:
nen Landes ber Betreffenden ginge. Wber
alle Nachrichten, bie wir von ben Abſichten
anderer Staaten d eit fönnen, und feien
He manchmal nod) jo unid)einbar, bezahlen
wir in höchſt nobler Weile. Dak dabei die
ftrengjte Diskretion in unjerem eigenen Sin:
terefje liegt, können Cie Déi denten. ch ver:
jichere Sie, es gibt genug hochgeitellte Damen,
grauen von Gejandten unb Miniſtern, die
(id) auf dieje Weile ein Gabreseinfommen
von hunderttaujend Francs verdienen. Wie
denten Sie nun über meinen Vorjchlag, ben
id) Ihnen als wirtlih treuer Freund mache?
Dak Ihr Mann nidts davon erfahren darf,
ilt wohl jelbitverjtändlich.“
Bwendoiin wußte niht recht, ob fie über
bas Wnerbieten lachen ober fid) ärgern Jollte.
Cie hatte indeffen [hon zu lange in biplos
matijchen Kreijen gelebt, um bejonders ers
Lise zu fein. Auch fie ibr ein, daß thr
ann ja fiirglid) mit einer ganz ähnlichen
Angelegenheit an fie herangetreten war.
Alſo machte England es auh nicht. anders.
Aber der Gebante, Wgentendienfte zu lets
ften, war ihr bod) völlig unfahbar. Trog:
dem hielt fie es fir angezeigt, den —
nicht vor den Kopf zu ſtoßen. „Lieber Ba—
ron,“ meinte ſie, ae dante Ihnen für Ihr
Anerbieten und glaube bejtimmt, daß Ste
es nur in meinem eigenen Snterejje getan
dE Troßdem muß id) Ihnen eine abs
ebnenbe Antwort geben. Ich fühle mid)
einer derartig aufregenden — nicht ge:
s age durchs
aus n jo verzweifelt, daß id) au einem
ſolchen Nebenverdienjt greifen müßte.“
er Ruffe beugte fid) über bie ibm bars
ebotene Hand und erwiderte: „Was nicht
Peite ilt, fommt vielleicht morgen. Sd) bitte
nur, daß Gie fic) meiner erinnern, wenn
Cie mid) nötig haben. Ein Telegramm nad)
ER wird mid) fofort au Ihnen eilen
allen.“
B8 8
Der folgende Tag war einer jener wunder:
baren SHerbittage, voller Sonne und Duft,
dabei ohne Staub und Hike, wie nur das
AE e Klima des Baltans hervorzubringen
pflegt.
Vor den Toren von Skutari befindet ſich
ein uralter Feigenbaum, in deſſen ausge—
höhltem Stamme ein Albaner ſeine Kaffee—
ee Der Schuß auf dem Bardanjol BSSSseseesed 181
füche eingerichtet e Cs gibt hier wunders
vollen tirfijden Kaffee, bte Taſſe zu ein:
viertel Piajter, etwa vier Pfennig. Rings
um den Baum ftehen Bänte für bte Bälte,
bie gern und zahlreich den Alten bejuchen.
Hierher hatten Cottas die Teilnehmer an
bem geplanten Ritt beftellt.
Als Gwendolin mit ihrem Reitknecht ein:
traf, war bereits der größte Teil der Gefell-
joer verjammelt. Wn Damen waren auper
ber Baronin Gotta nod) die Frau eines öfters
reichijden Hauptmanns unb die Töchter bes
griedjijden Ronjuls erjchienen. Bon Herren
nahmen ‘Slaten und Briefen, [oie einige
öfterreichiihe und englijde Offiziere teil.
Alles jag um ben Feigenbaum herum und
trant Kaffee, während die Pferde von Ore
— gehalten wurden.
Die Baronin Cotta begrüßte Gwendolin
aufs lebhafteſte und frug, warum ſie denn
den Capitano Ferucci nicht mitgebracht hätte.
Unwillkürlich errötete die Irin trotz ihrer
eſellſchaftlichen Gewandtheit, ſagte aber, Lë
Keelt fajjend, daß fie Ferucci bereits feit
einigen Tagen nicht gejehen hätte.
„Bielleicht liegt ihm nod) das Abenteuer
in ben Gliedern, bas Gie kürzlich mit den
Wegelagerern gehabt haben,“ meinte Die
Baronin. „Sie können wirflid von Gliid
jagen, daß bie Cadje fo gut abgelaufen ift,
bant bes Sjingufommens von Herrn Briefen.”
Wieder errótete Gwendolin und pieles Mal
aus Yirger über den indisfreten Deutjchen.
Es Iden wahrhaftig, als hätte er fih als
ihren Retter aufgejpielt, während er bod)
wijjen mußte, daß thr daran liegen mußte, ben
unangenehmen Borfall möglichſt wenig be:
fanntwerben zu lajjen. Überall wurde fie
auf den Zwilchenfall angejprochen, und all-
guoft in Verbindung mit dem Namen Fez
tuccis. Auf das lebhaftejte bereute fie, den Stas
liener je gejellicyaftlich bevorzugt zu haben.
Briejens Chancen waren merklich gefun:
fen. Gwendolin empfing ihn bei der Be:
grübung jo fühl, daß er aunádjít formlid
ebrüdt wurde. Dann aber jtieg ein jo og:
junder Born über diefe launijche Weltdame
in ibm auf, daß er fic) entichloß, ihr gu:
nädjit gänzlich ferngubleiben.
Unterdejien hatte fih die Gefelljdhaft zu
Pferde gelegt, und zu zwei und zwei wurde
angeritten. Boran Gwendolin mit Cotta,
der Die Führung übernahm und das Tempo
angab.
ie Meine Baronin hatte fih Briefen
zum Begleiter erwählt unb wußte es einzus
ridjren, daß fie Jo ziemlich die legten waren,
um bejto ungejtörter mit ihm flirten zu fin:
nen. gunt wurde bie Drinajja durch:
uert, deren fleine Wajlerrinne felbjt in der
litte den Pferden taum die Knie nebte.
„Sie jollten bie Drinajja aber einmal im
tiihjabr feben," jagte bie Baronin, „dann
ijt ihr ganzes Flußbett, Dellen Ausdehnung
Sie jest nur an bem Beröll ertennen fónnen,
ein wilder, reißender Strom von über fünf:
hundert Meter Breite, jo daß wir von dem
jenfeitigen Teile des Landes völlig abge»
Ichnitten find, denn Brüden gibt es bier
nod) nicht.“
Bald bog bie Ravalfade in einen [djmalen
Hedenweg ein, den man nur einzeln hinter:
einander durchreiten konnte. Dian erreichte
ein Dorf, bas in ben grünen Büjchen und
Bäumen erft im legten Augenblide jichtbar
wurde. Faſt alle Hdujer waren zerjtört und
nicht ein einziges Dach mehr vorhanden. Jn
der Mitte du einem etwas größeren Plage
blieb man halten. Gwendolin war mit Cotta
abgeftiegen und |prad) mit einer entjeglich
elend ausfebenden Frau, bie zwei fleine
Mädchen bei fih hatte. Die Kinder bejaßen
als einziges Rleidungsftiid ein um Die
Hüften gejchlagenes, ab ae Tuh unb
darüber ein Ctüddjen Schafjell. Die Heinen
Dinger, blond und blauäugig, waren troß
ihres Schmußes febr niedlich. -
Gwendolin nahm die tleinfte auf ben
Arm, ftreichelte fie und gab ihr ein paar
Cüpigteiten gu ellen, während fie ber Muiter
ein größeres Gilberftüd reichte. Die arme
Frau hatte wohl nod) nie joviel Geld bei-
ammen gejehen, denn fie drehte bas Geld»
tüd bin unb ber und wußte nicht redjt, was
ie Damit anfangen jollte. Erſt als ihr Cotta
auf — ſagte, wieviel Piaſter es wert
ſei, wußte ſie ſich vor Erſtaunen und Freude
kaum zu faſſen.
Die Ankunft der wohltätigen Fremden
pote fid) wie ein Lauffeuer im Dorfe per:
reitet, und bald ftand ein aen bettel:
den Bolts um die Reiter berum, |o daß jeder
fein Kleingeld anbringen tonnte.
Die Baronin war niht febr entzüdt von
biejem Aufenthalt und madjte einige Bemer:
fungen über Gwendolins zur Schau getra=
gene Wobltatigteit. „est füpt jie fogar
das bredige Balg nod,” jagte jie, „lie wird
fih und uns nod) Läuſe veridjaffen."
Der Konful erzählte, während fie weiter
ritten, daß das ganze Dorf im vorigen
Winter von ben Wontenegrinern gerjtórt
worden wäre. „Die indolenten Bewohner
haben felbjtverftanbdlid) nod) nidjt bas ge:
ringíte getan, ihre Hütten wieder herzurich—
ten. Go ijt es leider überall. So will den
Albanern wirflid) nicht jede gute Eigenichaft
abjprechen, aber faul, faul find fie in er»
Ihredender Weiſe.“ :
Briefen aue fein Pferdchen etwas gurüd-
gehalten. Er dachte an Fuad und warf ein:
„Dit es wirklich immer Faulheit? Sd) tónnte
mir benfen, daß fie den (Glauben an bie
eigene Zutunft verloren haben. Was nügt
ihnen ihre Arbeit, wenn jeden Tag neue
Kämpfe über fie Dereinbredjen fónnen ?”
„Auch das mag mit|predjem." Cotta 30g
die Achjeln hod. „Ehe Albanien nicht einen
Fürſten hat, einen kraftvollen Herrſcher, eher
wird feine Ruhe über bas unglüdlidje Land
tommen. Aber wann wird, bei der Gifers
fucht ber Broßmächte, ein folcher Fürft feinen
Einzug halten Tonnen ?!“
Es wurde ein längerer Trab eingelegt,
182 FSS Borwin Carlig:
bis eine der beiden jenen Damen laut
um Schritt bat, weil ihr der Atem zugleich
mit der Fähigkeit, weiter englifd zu traben,
ausging. Man war aud) bereits am Fuße
des Bardanjol angelangt, ber mit feinem
rauen, faum bewachjenen $yelsgeróll trobig
in bie tief blaue Luft ragte.
Der Aufitieg begann.
„Der Weg, auf bem wir reiten," jagte
Cotta, „ift erft voriges Jahr, während ber
Belagerung von den Türken angelegt, jest
aber durch bie Wildwäller bes Frühjahrs
Kai großen Teiles wieder zerjtört. Hier
affte man die ſchweren Gejdjtibe, jedes mit
dreißig Ochſen davor, unter unglaublichen
Mühen bis oben auf den Berg, eine erjtaun:
lihe Zeitung." Der Weg wurde immer
ftetler und jchwieriger. Gtellenweile waren
ange Streden abgerutjcht, jo daß die Pferde
Da miibjam auf dem abjdiijjigen Geröll
ihren Weg juden mußten. Linfs ging es
teil bergauf, und nad) rechts fiel es ebenjo
jah herab bis zu einem tief eingejchnittenen,
laut tojenden Gebirgsbache.
Gotta merkte, daß Gwendolin nicht ganz
Ihwindelfrei war.
„Sehen Cie immer gerade aus oder madjen
Cie die Augen gu. Die Pferde find ganz
ficher. Nur wenn der Reiter jelber vor
Schwindel nad) einer Seite ftd) neigt, könnte
auch jein Pferd das Bleichgewicht verlieren.“
Bald wurde der Weg wieder beffer und
Gwendolin erholte jid) „Baron Cotta,”
jagte fie, um den Gedanten los zu werden,
er fie dauernd bejchäftigt hatte, „Jagen Gie
mir, wann hat Mr. Briefen Ihnen von uns
Wie: Zujammentreffen mit ben Wegelagerern
ei der Zitadelle erzählt?” Gie wollte Ge-
wißheit haben, ob er fic) wirklich als ihr
Netter aufgejpielt hätte,
„Briefen bat uns fein Wort davon ge:
jagt,“ gab ber Ronjul erjtaunt aurüd. „Im
Gegenteil! Als meine Frau ihn heute darauf
anrebete, behauptete er zuerit, daß bie ganze
Cade nicht |timme. Erft als fie ihm jagte,
daß Capitano Ferucci erzählt habe, wie er
bet dem ‚Rampfe‘ mit ben Raubern hingu:
gefommen wäre, mußte er es zugeben.”
Bwendolin wollte bem Ronjul den wahren
Latbeftand auseinanderjeßen, überlegte aber,
daß fie Dadurch nur noch mehr in unnötige
Redereien Bineinfommen würde. Es wurde
ion genug über fie und Ferucci geklatſcht.
Srüher wäre es ihr gleichgültig gewejen,
jebt aber war ihr der Gedanfe überaus
peinlich.
Der Weg näherte fid) bem Gipfel. Bet:
nahe alle Vegetation hatte aufgehört, und
im ganzen llmfreije berrichte eine fajt be-
ängitigende Stille. Weit und breit war fein
Tier, fein Menjch zu jeben. Dazu wurde
es allmählich recht fühlbar falt.
Sebt traf man auf bie erjten völlig erhal:
tenen Schüßengräben. Gogar bie gefüllten
Sandſäcke, mit denen bie Bruitwehren aufge:
füllt worden waren, lagen noch unverjebrt,
Hier wurde haltgemadht, bie Ordonnanzen
übernahmen die Pferde, und man begann
u Fuß die nähere Belichtigung der Bers
xe ug Der Ronjul madjte ben Er:
fldrer. Hier hatte immer etwa ein Bataillon
gelegen, das aber alle fünf Tage abgelöft
werden mußte wegen der bejonders im Winter
faft unerträglichen Kälte. Ohne Gdjubbad)
und ohne Feuer batten bie waderen tiirfi-
Iden Truppen den immer aufs neue wieder:
holten wiütenden Angriffen ber Montene—
griner widerjtanden. Denn, wenn es diejen
emp wäre, ihre Geldjiige auf bem Bar:
anjo — ad hätte Stutari nicht mehr
gehalten werden Tonnen,
S Ein paar Schritte weiter erreihte man
ie Höbe.
Bwendolin fühlte, daß fie etwas gutzu-
machen hatte. Go wandte fie jid) an Briefen,
ber fic) bisher abfichtlich ferngehalten. Da
er aud) jet ein wenig zuvorlommendes Ge-
iht machte, merfte fie, daß ihr abweijendes
ejen ihn getroffen batte. Und offen und
jeder Se md abgeneigt fagte fie: „Lieber
Herr Briefen, td) habe Ihnen ein Unrecht
eee das id) Ihnen in Gedanfen Au:
ligte.”
Da ſchmolz vor ber angebeteten Frau
jede Verjtimmung, und mit plößlich übers
— Gefühl ſagte er: „Sie können
tun mit mir, was (ie wollen. Was von
Ihnen fommt, ift immer das Schönfte und
Belte, bas es für mich überhaupt gibt."
Gebr geldjidt waren diefe Worte nicht,
das fühlte er felber. Daran war wieder
bas unglüdjelige Englijd ſchuld, bas er nicht
HAM ace beberr|dbte, um [tets bie richtigen
orte finden zu Tonnen, Aber wie er es
lagte und als er Je babet anblidte, wirkte
es bod) wie eine heiße Liebeserflarung.
Und wieder wurde Gwendolin rot...
„Sehen Cie nur,“ [prad) fie ſchnell, mit
dem Verſuch abgulenfen, i Cie nur dies
einzig |djóne Bild zu unjeren Füßen. Da
liegt unfer Gfutart wie ein Traum aus dem
Morgenlande mit feinen dunfelgrünen Bär:
ten, feinen weißen Häujern und dem Dugend
Ichlanten Dtinaretts. Und dahinter ber bläus
lid) verjchwimmende, mächtige Gee, einge»
rabmt von ben düfteren Bergen Montenegros.
Millen Sie, daß ih bie Abjicht habe, in
nádjter Zeit einen Ausflug ins Innere zu
madjen? Die Pringelfin Bolane ME mid)
eingeladen, fie auf ihrem Konat in ber
frati zu bejuchen. Sch brenne darauf,
diejes leltjame Land näher tennen zu lernen.“
„Und id) werde allein bier zurüdbleiben...“
Er hatte ihre Hand ergriffen.
Langſam entzog fie ibm die Hand wieder,
jah ibn aus ihren dunflen Augen an und
jagte: „Gute Freunde wollen wir fein und
bleiben. Nichts weiter will ich hören. Auch
wenn Cie mich auf dem Rüdwege begleiten,
dürfen Gie nur von barmlojen Dingen
ſprechen.“
Etwas mißmutig hatte die kleine Baronin
Cotta den beiden zugeſchaut. Sie „Meine
Herrſchaften, vergeſſen Sie über ſich ſelber
pis der Schuß auf dem Bardanjol BBSSSessessesd 183
nicht völlig uns andere, Wir wollen auf:
brechen, KE überrajcht uns bie Dunfelheit.”
So jak man auf, und wieder ging es ben
gleichen [teilen Weg hinab. Briefen hatte
es eingerichtet, biejes Mal mit ber jchönen
Srin ganz hinten zu reiten, felbft bie Ordon:
nangen hatte er veranlaßt, vor ihnen zu
bleiben.
Schweigend ritten He eine Zeitlang dahin.
An einer Felsklippe ſaßen zwei |chwarze
Bögel, doppelt jo groß wie Krähen und mit
mäcdtigem Schnabel. Faſt unheimlid) und
urweltlich jaben fie aus. ,Rolfraben find
es,“ jagte Briejen, „die heiligen Bögel Wotans,
die bet uns in Mitteleuropa fait ausgeitor:
ben find. Auker in aoologildjen
babe ich noch feinen gejeben.”
Test erhoben fih bie beiden ſchwarzen
Gejellen jchwerfällig und [d)raubten jid) in
langjamen Windungen in die Höhe. Ihr
tiefes Rab: Rab war der einzige Laut in
ber ſonſt gänzlich verlaffenen Gegend.
„Baren Sie in Bayreuth?“ fragte Gwen:
dolin plöglih. „Erinnern Cie fih, wie Wo:
tans Raben auffliegen, Tur bevor Siegfried
fält?”
Dod gleich darauf überfiel fie ein heißer
Schreden. „Bitte, laffen Sie uns jchnell den
anderen folgen. Sch möchte nicht mehr |o
allein hier GES reiten. Ich habe 9Ingit."
Briefen blieb halten, denn fein Pferd
batte fih einen Stein in ben 9u getreten
und ging nur nod auf drei Beinen. Er
rief einer Ordonnanz zu, zurückzukommen,
und bat Gwendolin, unterdejjen allein weiter:
zureiten. Einen Augenblid zögerte fie, als
aber ihr Begleiter abjaB und nad) feinem
Pferde jab, ritt fie Iangjam weiter.
Sn biejem Wugenblid fiel ein Shuk.
Briefen hörte das Pfeifen des Geſchoſſes
unb ben Rugeljdlag ganz in ber Mähe.
CErjdroden jab er fid) nad) Gwendolin um,
deren Pferd einen Sat nah vorn getan
batte. Da rief bie Orbonnana: „Das Pferd
ijt geld)ojjen," und als Briejen hinblidte,
legte jtd) fein Schimmel auf die Seite,
Ichlug nod) einmal mit einem Hinterbein aus
und war tot.
Unwilltürlich pes Briefen ber Ge:
dante: ‚Du wirft beſchoſſen! Im nächiten
Augenblid warf er jid) in Dedung Hinter
einen Felſen. Die 9teitgejelljd)ajt war etwa
fünfzig Schritte weiter vorn haltengeblieben.
Sofort ee Briejen: „Weiter reiten mit den
Damen!“ und dann: „Bitte, Platen, fommen
Sie mit einer Ordonnang hierher.“
Einen Augenblid war wilde Aufregung;
bann bradte ber Ronjul mit der Macht
feiner Stimme wieder alles in Gang, und
aud) Gwendolin, bie fid) guerft zu Briefen
aurüdbegeben wollte, wurde von zwei eng:
lilden Leutnants in die Mitte genommen
und veranlaßt weiter zu reiten.
Als Platen mit einem der öjterreichiichen
Offiziere und zwei Ordonnanzen zurückkam,
rief ihm SBrielen, nod) immer liegenb, au:
„Der Schuß galt offenbar mir.
ärten
Cie wijjen
wegen ber pee: ür bie anderen ijt
aljo feine Gefahr. Der Schuß fam bier lints
von der Höhe, id) ſchätze aus breibunbert
Meter Entfernung. Ich tann aber feinen
Menjchen dort jehen.“
Platen par bie Felspartien mit feinem
Zeißglas ab, fand aber teine Spur des Atten:
täters ober aud) nur eine verdächtige Bes
wegung.
an verabredete: Briefen follte eines ber
Ordonnangpferde be[teigen und immer rechts
von einer Drdonnanz reiten, Diele als
Dedung benugend, denn auf einen Schuld»
lojen würde nicht gejchoffen werden. Das
tote Pferd wurde abgejattelt, das Zaumzeug
unb den Sattel nahm eine Ordonnanz zu
fih aufs Pferd, während die dritte zu Fup
nebenher ging.
Nad fünf Minuten fegte man fid) wie
verabredet zu Pferde und se einer balben
Stunde erreidjte man den Fup bes Bardan:
jol, wo man mit ber nod) gang aufgeregten
Gejellihaft wieder gujammentraf.
Alles redete auf Briefen ein, jeder hatte
andere Bermutungen, und bie öjterreichiiche
Hauptmannsfrau wollte mit Bejtimmtbheit
einen Albaner hinter einem Felſen gejehen
Leiw Es war aber auf der Seite, von der
ein Schuß gefallen war.
Gwendolin allein jagte fein Wort und
jah Briejen nur mit großen Augen an.
An der Rue Internationale trennte man
fid), und Gwendolin bat Briefen, fie nad)
Haufe zu bringen, Es war jhon ziemlich
dunkel geworden.
Raum hatte man fid) verabjchiedet, als
Gwendolin losbrad): „Ich weiß es bejtimmt,
Cie find verloren, wenn Gie jid) nicht um:
ebenb von der Blutrache freifaufen. Ihr
— Fuad hat es mir ſelber gejagt. Cie
dürfen feinen faljden Stolz haben, und wenn
Cie jid) zehnmal im Recht fühlen. Dafür
[inb Cie bod) zu gut, und dafür halte ich
Sie auch für zu verjtändig, daß Gie fih nicht
der Gefahr ausjegen, auf derartige unwiir-
dige Weile umzukommen.“
Leije antwortete Briejen: „Ich fann nicht.“
„Sch bitte Cie aus bem tiefiten Grunde
meines Herzens, denten Sie an Ihre Mutter.
Denten Gie an alles, was Ihnen lieb ift,
denten Cie auch ein wenig an mid) und ret:
ten Cie fih.”
„Sc würde Ihretwegen in ben Tod geben,
weshalb jollte ich nicht erft recht Shretwegen
leben? Und bod) fann ich nicht tun, was
Cie von mir erwarten. Sd) Ichäme mich, es
Ihnen zu [jagen und dod, Ihnen tann id
es nod) am erjten geitehen: ich bin fo arm,
daß id) auf feine Weile bie Dreitaujend Kronen
Löſegeld, bie nad) Fuads Anjicht nötig find,
aufbringen Tomm."
„Aber bas ijt bod) unmöglich. Wenn
Ihre Frau Mutter es nicht tann oder wenn
Cie feine reichen Verwandten haben, dann
werden Kameraden Ihnen das Geld geben
oder Ihr Staat gibt es, jobald Cie aus:
einanderjegen, dak es nötig ijt."
184 seess Borwin Carlig:
„Meine Rameraden find eben[o arm wie
ich lelber. Bon ihnen könnte id) nichts be:
tommen, obgleich id) feinen Augenblid zweifle,
daß fie ihr legtes mit mir teilen würden.
Und unjeren Ctaat — nein, nein! Gie
tennen die gewijjenhafte preußijche Sparjam«
teit nicht. Ich muB mein Schidjal auf mid)
nehmen, und ich verfichere Cie, ich werde es
meinen Feinden nicht leicht machen.“
„Aber das ift bod) wider alle —
rief Gwendolin gequält. „Es iſt doch wahn—
innig, wegen lumpiger hundertundvierzig
fund einen Menſchen in den ſicheren Tod
zu treiben. Aber ich — ich — werde es nicht
dulden, id) werde mit Fuad ſprechen, i
werde zu Ihrem Kommandeur gehen, i
werde an Ihren Geſandten in Cettinje ſchrei—
ben; es muß doch einen Menſchen geben, der
Ihnen helfen kann.“
„Einem armen preußiſchen Leutnant hilft
kein Menſch, der muß Dé elber helfen. Und
dies ijt ganz gut jo. ber Ihnen, meine
liebe, liebe {rau Gwendolin“ — zum erjten
Male wagte er es den Namen ganz leije
auszujpredyen — „Ihnen dante id aus tief:
[ter Geele.”
€ie waren vor Gwendolins Hauje ange:
tommen. Gie war nicht mehr im —
ein Wort zu ſprechen. Leiſe weinte ſie vor
ſich hin.
Vorſichtig hob er ſie vom Pferde und
brachte ſie bis an die Türe. Ein letzter
Blick, unter Tränen cae hEn traf ihn und
fie jagte leije: „Ich muß Sie morgen |pre=
den.“ Dann war fie verjdywunden.
B]
H Major Wächter Gi aus der Rajerne
zurüd, wo er das Gjjen der Diannichaften
eprobt hatte. Es gab Echweinejleijch mit
Sauerfraut, eine Delifatejje für Gflutari,
wo der Hammel und das Huhn faft aus:
ſchließlich bas Küchenprogramm bebherrjden.
Da hatten fih denn die Deutjchen in
ihrer Rajerne eine fleine Schweinezudyt om:
gelegt und machten Leber: und Blutwürjte
wie in der Heimat. Freilich war bie Tri-
dinenjdau eine in Skutari nidyt geübte
Gace; aud) einen Veterinär bejaB bas Dez
tachement nicht, |o bap Major Wächter ben
GStabsarzt bitten mupte, fih biejer für ihn
neuartigen Aufgabe zu unterziehen.
Als Wächter feine Wohnung betrat,
meldete ibm der Burjche, daß Oberitleut:
nant Bopp, der Kommandeur des öfter:
reichiſchen Detadjements, ihn zu [predjen
wiinjche.
Freundſchaftlich begrüßten fid) bte Herren,
die bier jtets Hand in Hand arbeiteten.
Bopp hatte feinem deutſchen Kameraden
bas Du angeboten, und Deler nannte ihn
aljo nad) öjterreichiicher Sitte Herr Obert:
leutnant und Du,
,Jia, Wächter, wie geht es dir? Haft du
Sirger gehabt mit deinen Leuten? Tu Debt
jo penjif aus. Oder haben die Frangojen
bid) wieder einmal nicht anjtändig aegrüßt 2“
„Nein, Herr Oberjtleutnant, diejes Mal
Du
wirft wohl fhon gehört haben, dak geftern
auf meinen Oberleutnant, den Briejen, ges
ift es eine ganz eigenartige Gade.
ſchoſſen worden ift. Nun boat er einen
Freund bier unter den Albanern, bei bem
er heute morgen war, um bie Gade mit
ihm zu bejpreden. Der — Fuaed heißt er —
ijt zu meiner großen Überrajchung ber Ans
ct, daß der Schuß unter feinen Umſtän—
en von einem Albaner abgegeben fein
fönne, weil nad) uralter albanijdher Tradi-
tion niemals in Gegenwart einer Frau eine
Bewalttätigleit verübt wird.
„un ift es ja fatiirlid) möglich, daß ber
gelirige Schuß von irgendeinem entiprun:
enen Verbrecher abgegeben ijt, wie fie
djlieBlid) jede Broßjtadt hervorbringt, wo:
u man bod) aud) Cfutart rechnen tann.
ber bie Tatjache bleibt bejtehen, pop die
Familie des kürzlich erjchojjenen 9IIbaners,
ber zu den Gftelis Fa die Meinung
hat, fie müſſe bie Blutjchuld an uns Deut-
iden rächen. Wenn es fih gejtern nur um
den Überfall eines beliebigen Verbrechers
ali — warum wurde denn gerade Brie-
ens Pferd getroffen? Ich bin leider über:
geugt. daß es ein Aft bieler wahnwikigen
lutrade ijt, und muß gefteben, ich fühle
mich ziemlich ratlos.”
„Ja, mein lieber Freund, ba muß man
naddenfen,” jagte Bopp. „Ich bin ja fo
beiläufig aud) mit den Sitten biejer Albaner
betannt, und ich babe immer nod gefun»
Den, dak fih bier faft alles mit Geld arran:
gieren läßt. Alsdann zahlt man halt jein
Geld, und die Cadje ijt erledigt. Wenn
bu illit, will ich gerne ben Cotta veran»
laffen, mit den Cfrelis zu verhandeln.“
„Ic dante bir jehr, Herr Oberitleuinant,
wë deinen freunblidjen Rat, muß dir aber
agen, daß Briejen nicht die Abſicht hat,
einige Taujend Kronen für eine Gadje her:
zugeben, bie er im Dienftliden Wuftrage
unternehmen mußte.“
„Da jdau ber, der Herr Oberleutnant
Briefen! Ja, bas ijt ein jchneidiger Herr,
der läßt fid) lieber totjchieBen, bevor er ein
Geld ausgibt. Sehr forjd) und jehr unflug.
Aber wenn er halt nicht will, dann mußt
du ibm mit Staatsmitteln aushelfen.“
„Dein lieber Herr Oberjtleutnant, bas
ift es ja gerade, was mir KRopfzerbrechen
madt. Stell’ bir, bitte, vor, was die Leute
im friegsminijterium für Augen machen
werden, wenn id) plößlich dreitaujend Mark
hs Erledigung von albaniſcher Blutrade an:
orberte, Ich würde [jofort auf meinen
Gerfteszuftand unterjudjt unb burd) einen
Nachfolger erjekt werden, der jid) nicht
Jolde Märchen aufbinden. läßt.“
„Alſo, ba fann man nichts machen,“
meinte Bopp, „dann müſſen wir bie Sache
biplomatijd) angreifen. Wer weiß denn mit
Cicherheit zu jagen, daß thr Deutjche den
Ctreli erjchuffen habt? Niemand. Sd) bin
jogar ber Anjicht, daß es die Engländer
waren, Gib mir hundert Kronen für den
BSS SSS Sse Der Schuß cuf bem Bardanjol Bese eee sss
Kawaſſen unferes &onjulats, und der Menn
eht nod) heute abend ín allen Raflıes
berum und erzählt, daß bie Engländer ien
treli erjchojjen haben und nur euch Deut:
chen der Tat verdäcdtigen, weil ihr Dod)
egt den Prinzen Wied als Fürſten hierher
[sides wollt. Wlindeftens wird bas Die
ngebórigen wieder zweifelhaft mod en,
oder was nod) viel beffer wäre, wir |djieben
die ganze fatale Ge,djid)te überhaupt den
Gnglánbern in bie Schuhe, bie uns Lier
unter dem Decdmantel ber Humanitat bod)
Hetz nur Scywigzigfeiten bereiten.“
Aber aud) dieje diplomatiſche‘ CErledi-
ung leucdhytete Wächter nicht recht ein. Es
am ihm zu niedrig vor, den Engländern,
die fid) bisher ftets fameradichartlic) be:
nahmen, einen jolchen Streich zu |pielen.
Er banfte aljo feinem öjterreichijchen
Freunde für bie gute Abjicht, die er jid)
nod überlegen miijje, und bat: „Aber nun
fage mir, Herr Oberftleutnant, womit id)
ir dienen tann?”
„Ja, MWächterle,“ meinte Bopp, „das ift
eine Delifate Angelegenheit, und id) weiß
nicht, wie bu mit deinen altpreußijchen
Grundjägen darüber denten wirft Aljo,
alsdann den Tatbeſtand. Du weißt, daß
fid) am hieſigen Orte ein fogenanntes
Café cantant befindet, bas von den Cols
daten und aud) den Offizieren faft aller
Detachements bejudt wird. Tie Damen,
es find augenbliclidh etwa ein Dugend, find
ja nicht gerade ſchön, dafür aber aud) nicht
leor tugendhaft.
„Nun bin ich der Meinung, man fann
bier, wo bie Colbaten jo gar feinen Ver:
ehr haben, ben *Bejud) biejes gewiß jtart
anríidjigen Lofals nicht verbieten, ohne große
linguiiiebenbeit hervorzurufen. Außerdem
würden unjere Leute doch hingehen, und
wir wären zu fortwährenden Ctrafen ge:
mungen, Schon mebhifad ijf es dort zu
rügeleien getommen, vor drei Tagen aber
hat ein Italiener einen meiner Leute in
den Bauch geitochen. WUllerdings haben
meine braven Dalmatiner dajür die Ita:
liener jo verarbeitet, daß fünf von ihnen
im Rranlenwagen fortgejd;ajjt werden muß:
ten.
„Mit unjerem italienijchen Kollegen, bem
Epontini, babe id) bie Sade id)on in Ord:
nung gebradjf. Wir find es ja aus Triejt
ber gewohnt, die Kaßgelmadyer als unjere
größten Feinde zu berachten, mit denen
man nun einmal end) Deutjchen zuliebe
verbündet fein muB. Aber joldje Falle
dürfen nicht zu bourg vorfommen, fonft
leidet bie Dilziplin darunter.
„Ih babe daher einen Gedanken gehabt,
wie man den Pejuh vorhin erwähnten
Cafés regeln fonnte Cpontini tjt dicjes Mal
ausnahmsweije mit mir einverjtanden, und
wenn auch bu nod) deine Zultimmung gibit,
dann taben wir in der Kommiljion Die
Diajorität, unb bie Gnaländer, bie Her
wieder mit m.ralijdjen Bedenfen tommen
Qelbagen A Klajings Vtonatsheite. 32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bo.
185
werden, find iiberftimmt. Mjo, fhau Der,
Wachter, was id) mir ausgeden{t hab’.“
„Ich will bas Café militàrijd) organijieren.
Zunädjt wird es allen Zivilperjonen vers
boten. Und jodann wird ber Beſuch tage:
weile für Die einzelnen Nationen frei ge:
geben. Zum Beijpiel: am Montag Deutſch—
land, am Dienstag Öjterreih: Ungarn, am
Mittwoch Frankreich, am Donnerstag Sta:
lien und am Freitag England. Den cams:
tag batte id) als Ruhetag fir bie Damen
angejegt, und der Sonntag jollte den Herren
Difizieren vorbehalten bleiben. Was meinjt
bu zu meinem Worjdlag, einfad) jchenial,
was?“
Wächter meinte: „Sch werde deinen An—
trag gerne unterjtüßen, denn id) halte ihn
taijádjlid) für praftiih. Dag meine Offiziere
jelbjtverjtändlich nicht bas Lofal bejucyen
werden, Das tut ja nidjts zur Gade.”
»Mljo abgentadjt," jagte Bopp, „und dann
Servus, lieber Jreund, id) babe mod) zu
tun.”
„Auf Wiederfehen, Herr Oberjtleutnant,
und vielen Dant für deine gute Abjicht
vorhin.”
Kurz nad) dem Fortgange Bopps lieh
Ié ihon wieder cin vejucher melden. Auf
einer Wijitentarte fiand: Sjmael Wibaritijd),
Korreipondent der Freien Preſſe.
„Führen Cie den Herrn herein!“
Ein tleiner gewandter Miann im alba:
nijyen res betrat das Zimmer und be:
grute Wächter im fliegenden Deutſch. Mier,
zeihen Sie, Herr Major, wenn ich Ihre
fojibare Scit in Anſpruch nehme, aber eine
fur Deutſchland höchſt wichtige Wngelegen:
heit veranlagt mich, Cie aujzujuchen.”
„Wollen Cie slat nehmen. Darf id)
Ihnen zu rauchen anbieten, Herr Ribarit}d ?^
Wächter reichte bie Zigarette feinem Be:
jucher einzeln mit drei Fingern der rechten
Hand hin, wie es die Gitte des Drients
erjordert.
„Ich bin fo frei, Herr Major.“ Das war
die Antwort des Whendlantes, bie allerdings
nicht frei, |onbern recht jervil tlang.
„Herr Wiajor. Kennen Cie das hier er
Iheiuende Blatt, den Taraboſchi? Sch ver:
mute nein, denn Gie fünnen ja nicht alba:
niih. Es würde aud) fein Vergnügen für
Cie fein, biejles ordinäre Blatt zu lejen,
das täglich gemeine Angriffe gegen jier-
reich und Deutjchland enthält.“
„Wird die Zeitung nicht mit italienijchem
Gelde unterjtiitt ?^
„Sie jagen ,unter[ti bt, Tas Blatt wird
überhaupt nur von ttalteniicher Ceite ge: `
halten. Wir Albaner weijen jede Gemein:
Idiot mit bielem Unternehmen zurüd,”
„Uber bie Zeitung wird, joviel idy lebe,
häufig auf ter Straße getauft und jcheint
mir dadurch Dod) einigen Einfluß zu be:
gen. Außerdem follen die Redalteure Al:
baner fein.“
„Yeider haben fid) einige gewillenloje
Exijtengen gefunden, die ben Stalienern
13
186 Borwin Carlig: 3 a.
SHandlangerdienite leilten, Dod) werden fie
von der Mehrzahl meiner Landsleute ver:
achtet. Wenn Sie aber gejtatten, Herr Ma—
jor, Dann überlege id) Ihnen den heute mor:
en erjchienenen Leitartifel, der Die freche
fen Angriffe gegen Deutjchland enthält.“
„Ich bitte Cie darum.”
i Ribaritjc begann: „Die Überjchrift ift:
Muß Albanien jid) alles gefallen laſſen?
Dann heißt es weiter: Wie unjere Leer
wijfen, haben die Verhandlungen der Groß:
mächte wegen eines für unfer Waterland zu
erwählenden Fürjten bisher nod) fein Res
jultat gezeitigt. Hierzu erfahren wir aus
eingeweihter Quelle folgendes: Auf Bor:
\hlag bes Königs Karol von Rumänien
jolen Siterreid) und Deutjchland bereit fein,
eine Kandidatur bes Prinzen von Wied,
eines Neffen des Königs, zu unterltüßen.
Pian hofft aud) die Zujtinmung Ruplands
unb Italiens zu erlangen, jo daß Damit Der
Bring die größten Chancen auf unjeren
Thron hatte.
Natürlich) haben wir fofort eingehende
Erfundiqungen nad) dem fraglichen Prinzen
angejtellt und folgendes in Erfahrung ge-
brad)t Der Pring von Wied gehört zu
einem Der vielen leinen gänzlich unbedeu-
tenden SFürjtengejchlechter, von denen es in
Deutjchland wimmelt. Er ijt etwa 40 Jahre
alt, augenblidlid) Major im preupiiden
(Seneraljtabe und befigt |o gut wie fein Ber:
mögen. Nun ijt es betannt, Daß jeder wirkliche
Pring in Deutjdland mit 20 Fahren jchon
Major und mit 40 Jelbitverjtändlich General
ijt. Entweder ift der Pring von Wied allo
gar fein richtiger Prinz, oder er Dat irgend
etwas begangen, weshalb ihn der deutjche
Raijer nicht jeinem Range gemäß befördert
at
Zweitens hat er fein Vermögen, er müßte
aljo bie Kojten feiner Hofhaltung aus Den
Einkünften unjeres armen Landes bejtreiten.
Da aber für unabjehbare Zeit Albanien peti:
niärer Unterjtiigung von außen her dringend
bedarf, fo bliebe nichts anderes übrig, als
eine verhängnisvolle Schuldenwirtichaft an:
zufangen. Und einen jolchen Fürjten will
man uns aufdrängen! Willen wir uns
denn alles gefallen laffen, find wir bereits
eine Kolonie Öjterreichs oder ein deutjcher
Bafallenftaat?
Wir für unfer Teil proteftieren aufs
eneratichite und hoffen, daß alle wohlgejinnten
Patrioten Darin mit uns einig find. Wir
verlangen von unjerem zukünftigen Mbret,
daß er nicht zu uns fommt, um das unglück—
liche Land noch weiter auszujaugen, Jondern
um geordnete ?Berbáltnijje, Wohljitand und
Sicherheit zu bringen. Und dazu gehört in
eriter Linie Reichtum. Dieje Bedingungen
finden wir voll erfüllt bei einem Prinzen,
dejien Wohnlig hier tm Orient jid) befindet
und Der außerdem Die Religion der über:
wiegenden Mehrzahl unjerer Bolfsqenojjen
hat. ür einen mittellojen deutjchen Brine
gen aber bedanfen wir uns.“
Ribaritid hatte geenbet, jah Wächter an
und fragte: „Was gedenfen Cie, Herr Ma—
jor, darauf zu tun?“
Wächter überlegte einen Wugenblid. Dann
erwiderte er: „Ich will Ihnen mit einem
tlirfijden Sprichwort antworten: ‚Die Hunde
belle, aber bie Karawane zieht weiter.”
„Und Cie werden nichts gegen ben Tara:
bojchi unternehmen, fih niht einmal erkun—
digen, aus welder Quelle biejer verleumdes
rijdje Wrtifel jtammt ?^
„Id babe nicht bie Abjiht. Rann ih
Jonjt noch mit etwas dienen?“ Damit erho
jid) Mächter, und da der Albaner fab, dah
bie Unterredung beendet fein folte, empfahl
er fid) unter Beteuerungen der Anhänglichteit
an Deutjchland. =
Wächter |djidte feinen Burjchen zu Platen
und ließ ibn bitten, mit den albanijdjen
(Sebeimaften zu ihm an fommen.
Als Diejer bald el erjdien, ftellten
jie feft, daß Simael 9tibarit]d) eine feineswegs
wohl beleumundete Vergangenheit bejaß und
verdächtig war, im engliiden Colde zu
iteben.
Wächter lachte vor jid) hin: „Dem Jüngling
habe id) gleich feine gut gejpielte Entriijtung
nicht geglaubt. Wahricheinlich hoffte er in
Erfahrung zu bringen, wie weit die An:
gelegenheit des Prinzen Wied Ion vor:
gejchritten ijt.” — Da dieſer Fall erledigt ihien,
jagte Platen: „Herr Miajor, vorhin hat mid)
Mrs. Herbert dringend gebeten, fie jofort
aufzujuchen. Ich fand fie in ziemlicher Gr:
regung vor, Gie war geftern in der Nähe,
als Briejens Pferd erſchoſſen wurde, und
ijt überzeugt, daß er binnen furzem einem
neuen 9Lttentat zum Opfer fällt, wenn es nicht
gelingt, ihn von der Blutradhe freizufaufen.
Mit echt englijdher Unerfahrenheit bildet
fie fid) ein, daß wir Kameraden oder aud
der deutjche Staat bie Lojejumme für Briefen
zahlen müßten, da er jelber anjcheinend nicht
dazu imjtande fei. Ich verjudhte ihr aus»
einander zu jeßen, daß es fih hier wahr»
Iheinli gar niht um einen albanijchen
Anjchlag gehandelt habe, ba in Anwejenheit
von Damen ftets bie Belja*) gehalten
wird. Aber fie war nicht zu überzeugen.
Cie wurde immer erregter, warf mir lin:
fameradichaftlichkeit unb Mitleidlofigfeit vor
unb meinte jchließlich, daß jeder Menſch in
jolhem Falle die Verpflichtung habe, bem
andern zu helfen. Es tat mir leid, dab id)
ihr feine Antwort geben fonnte.“
„Die Sache geht mir aud) immer im Ropfe
herum,“ antwortete Mächter. „Jedenfalls
wollen wir Briejen in nächjter Zeit zu feinem
Kommando außerhalb der Stadt verwenden,
und jollten fic) bie Anzeichen verjtärten, daß
tatjächliche Gefahr für ihn vorliegt, dann
werde id) ihn unter irgendeinem Borwande
nach Deutichland zurüdjchieten. —“
Yin demjelben Tag erhielt Baron Trauben:
berg folgendes Telegramm:
| *) Beffa bedeutet aufalbanifch: der Friede.
BESSFISSPIIIIZITN Der Shuk auf dem Bardanjol EKK] 187
Baron Traubenberg, Cettinje!
Ich bedarf jofort 3000 Kronen und ers
warte Ihre weiteren Snjtruftionen. Ants
wort erbitte pojte rejtante. G.
Er antwortete:
Banque Ottomane hat Anweifung erhal:
ten, Ihnen Gewünjchtes bei perjönlichem
Ericheinen auszuzahlen. Bin in einigen Zo:
gen in Skutari. T.
8g ee
Aus ſchweren Träumen war Gwendolin
am Morgen nad) bem ereignisvollen Aus:
fuge erwadt. Grit jpát war fie eingejchlafen
' unb litt dann fortwährend unter beäng:
e Boritellungen, die ihren Halb:
lummer zur Qual madjten. Gegen Morgen
er ilie? fie feft, und als die Jungfer fie
pedem fam, batte fie nod) ein alüdjeliges
Lächeln auf den Zügen. Was [ie aulebt
geträumt hatte, wußte fie nicht mehr genau,
nur febr jüß war es jewejen.
Dod) taum bejann De jid) zur Wirklichkeit,
als aufs neue ein jäher Shred über fie fam.
Die Jungfer brachte einen Strauß wunder:
voller roter Rofen ans Bett. Sie braudyte
nicht zu fragen. Die Rojen konnten nur
von ihm jein, bem der Tod auf den Ferſen
[auerte. Auf einer dabei liegenden Karte
frug er an, wann er fommen dürfte.
Bn Bett Jdrieb fie bie Antwort, und
dann blieb fie nod) eine Zeitlang liegen und
dachte alles wieder durch, worüber fie jid)
ihon gejtern Mar geworden war.
Briejen liebte fie, darüber konnte fie nicht
im Zweifel fein. Er war nicht der erite Dann,
der jie begehrend ihr nahe trat. Wenn man
in feiner jebr glüdlichen Ehe lebt, dann findet
fic) bet jeder jchönen Frau eine Anzahl Be-
werber an. Ob Briefen aud) zu denen ge:
ürte, die jede Gelegenheit ausnußten und
ödhftens ein bedauerndes Achſelzucken fans
den, wenn fie einmal feinen Erfolg batten?
Dod) Jo jah er nidjit aus. Er war fer
fein Dann, der jhon viel von Frauen geliebt
war. Zu einem VBerführer fehlte ibm jede
Routine. Wie ungeichidt und fait unbeholfen
waren feine heißen Worte gewejen. Und
gerade darum wirkten jie wie von einem
unwiderjtehlichen Drange geboren.
Bwendolin geftand jid) ein, daß es ihr
ein wunderjames Gefühl qewejen war, dieses
kel gejdnittene, wenig liebenswürdig aus:
auenbe Gejidht in heißer Glut brennen
gu jehen. Aber fie empfand die Unmöglich—
it, mit bielem Manne harmlos zu flirten,
Hier mußte man rechtzeitig Einhalt gebieten,
jonjt fam es zu einer Katajtrophe.
löglich fiel thr ein: ‚Sch liege Hier und
dente am eitle Liebesgejchichten, während
draußen bas Schidjal jeinen Weg gebt. Er
jelber fann oder. will jid) nicht helfen, feine
Kameraden ftehen ibm nicht bet. Alſo muß
ich für ihn handeln.‘ Und entichlojfen führte
jie durch, was fie jid) gejtern abend in later
Stunde vorgenommen hatte.
Bei Platen madyte fie einen Berjuch, von
dem fie fih Ihon vorher nicht viel verſprach.
Dann hatte fie zu Fuad geſchickt, ber um:
gehend ihrem Rufe folgte.
Der Albaner fah blag und übernädhtig
aus. Man merfte ibm die WWrbeitslajt an,
die er für fein Vaterland vollbradhte. Als
er Gwendolin wieder jab, ftieg eine fable
Nöte in feine fait fanatijchen Geſichtszüge.
„Womit kann ich der ſchönen Frau dienen,
die ein Herz hat für unſer armes Vaterland?”
fragte er mit ein wenig bebender Stimme,
,Sieber Fuad Bei, ich weiß, Cie find ein
Freund von Mr. Briefen. Wie Tonnen Gie es
zulajien, daß Ihr Bruder, wie Sie ihn felber
nannten, von Ihren Landsleuten getötet
wird?”
Wild fuhr der Albaner in die Höhe bei
Diejer Beichuldigung. „Wer meinem Bruder
nur ein Haar frümmt, ber ijt bes Jicheren
Todes gewiß. Ich habe die Sfrelis wijfen
lajjen, daß ich feinen Mann ihres Stammes
verjdjonen werde, wenn fie es wagen, ibn
anzurühren.“
„Und glauben Sie dadurch Ihren Freund
ſicher zu bewahren? Ich habe mir ſagen
laſſen, daß auch die Ausſicht auf die grau—
famfte Strafe feinen Albaner abjchredt, die
Blutrache zu vollbringen.“
„Noch idjmebt mein Bruder nicht in un:
mittelbarer Gefahr.“
„Und geitern wäre er beinahe getötet
worden,“ rief Gwendolin heftig.
„Wer gejtern auf ihn gejchojjen hat, bas
werde id) bald wijjen. Ein Albaner war
es nicht.“
„Ich hoffe, dak Sie recht haben. Wher
wie lange [dhon waren Cie Ihrem Lande
fern. Wer weiß, ob fic) nicht unterbejjen
manches geändert hat, bas Gie noch nicht
völlig überjehen können.”
Fuad zudte bie Achſeln, und Gwendolin
fuhr fort: „Auch ich bin Ihrem Freunde zu
Dank verpflichtet. Und ich darf nicht Die
Schuld auf mein Gewijjen laden, nicht alles
verjucht zu haben, was zu jeiner Rettung
beitragen fünnte. Er jelber will fid) nicht
von ber Blutjchuld jreifaufen, jo werde id)
es denn für ihn tun, und ich bitte Cie, bas
dazu Nötige zu veranlajjen.“
Tiefes Erjtaunen malte fih auf Fuads
Zügen. Endlich jagte er: „Glauben Cie, daß
id) biejen Weg nicht ſchon erwogen hätte,
wenn ich ibn für jo einfach Dielte. Will
mein Bruder fic) mit den Skrelis einigen,
dann muß er in feterlicher Sermonie mit
ihnen zujammen tommen, um eigenbandig
das Sühnegeld zu übergeben. Sch tenne
fein Herz, bas von tiefiter Kühnheit, aber auch
von unermeplidem Stolze erfüllt ift. Und
nur, um thn nicht tödlich zu beleidigen und
mir feine Liebe nicht für immer zu verjcherzen,
habe id) nicht einmal in Gedanken gewagt, ilm
das Weld anzubieten, bas td Tur thn dahin:
qeben würde bis auf den legten Reſt meines
Vermögens.“
Aber Gwendolin war nicht ſo leicht mutlos
zu machen. Wenn ſeine Liebe zu ihr wirklich
Kan
188 TESSSHSSSHESCHS HESSEN Borwin Garli5: MEZZE ZEZE ZE ZEZA ZA ZA]
jo groß war, wie fie es nah allem glauben
mußte, dann würde er von ihr das Geld
annehmen. Was er dem Freunde vielleicht
verweigerte, der Geliebten mußte er es
gewähren.
„Sch werde verfuchen, einen Meg zu
finden, daß unjer Freund mir feine Ablage
gibt. Wie id) bas machen werde, lajjen Cie
meine Gorge fein. Um eines nur bitte id)
Cie, geben Sie fofort gu den Ctrelis, eröffnen
Cie ihnen, dak Mr. Briefen zu Verhand—
lungen mit ihnen bereit fei.“ |
Snftinfiiv erfaBte ber Albaner, wie Gier:
dolin auf Briefen einwirten würde, und mit
einem Cdjage war ihm alles tlar. Gem
Freund liebte bie Frau und wurde wieder
geliebt.
„Sch werde alles tun, was Cie von mir
perlarger, und feit id) wei, was Sie joeben
mich fühlen liegen, Tonnen Cie ebenfo über
mein Leben verfügen, wie mein Bruder.”
Bwendolin jtredte thm bie Hand entgegen.
„Sc dante Ihnen, Fuad Bei, und follte es
einmal nötig fein, daß id) Ihre Hilfe gebrauche,
dann werde id) Cie jojort zu mir bitten.
Daß aud) Ihr Freund ebenjo wie jeder
andere von unjerer Unterredung nichts er:
fahren darf, ijt wohl jelbitver[tánblid)."
„ch gebe jet zu den Cfrelis. Das Lojes
geld fol dreitaufend Kronen betragen, wie
mir jchon befannt war.“
Debt gob es für Gwendolin fein Zurüd
mehr. Was fie für fidh jelber niemals
getan hätte, was ihr noch gejtern ein un:
möglicher Gedanfe erjdien, heute fand fie
es jelbjtverjtändlich.
Und erft als das Telegramm an Baron
Traubenberg abgegangen war, eijfrat fie
bei dem Gedanken, jid) Diejem ffrupellojen
Manne in die Hände gegeben zu haben. —
Jtachmittags fam Briefen. Er fand feine
nervöje, erjchlitterte Frau, wie er es vermu:
tet hatte, jondern ruhig und fajt heiter be:
grüßte ibn Gwendolin, als wenn gelternnichts
von Bedeutung vorgejallen wäre, ‚Ihr [djeint
das Spiel mit bem Herzen ebenjowenig Eins
drud zu machen wie bas mit bem Tode,‘
dachte Briefen mit leichter 3Bitterfeit. Dann
jragte er: „Wie haben Sie geichlafen nad)
dem gejtrigen anjtrengenden Riit?”
„Ich dante, gut. Und bejonbers muß id)
Ihnen für das ſchöne Aufwachen danken,
dejjen Urjache Ihr wundervoller Roſenſtrauß
war. Sit es Ihnen recht, wenn wir einen
feinen Weg durd bie Stadt machen? IH
möchte etwas unter Menſchen fein.”
Yanglam jchlenderten fie der Rue Inter:
nationale entgegen.
„Seben Gie Diele vielen aufgeregten
Menſchen,“ fagte Gwendolin, „es muk jid)
etwas Ernſtes eretquet haben.“
Überall liefen Albaner umber und riefen
fid irgendwelche Vachrichten zu, Die an:
Icheinend febr wichtig und febr erfreulich
waren. 9(us Der Ferne ertönten braujendes
Rufen und Dazwilchen wildes Gejchret.
„Laſſen Sie uns näher heran gehen,“ meinte
OMENS eifrig, ,id) muB wijjen, was vor:
eht.”
N Bor bem albanijden Klub war bie CtraBe
völlig geiperrt. Auf dem Balton bes oberen
Stodwertes jtand ein junger Albaner und
telt bie blutrote Fahne mit dem ſchwarzen
dler in der Hand. Er Idien den Verſam—
melten Nachrichten vorzuleien. Wenn er
eine "Boule madte, bann jdjrie bie ganze
Geſellſchaft, und er jdjwentfte die Fahne hin
und ber. Zuletzt ſtimmte alles bie albanijche
Nationalhymne an, wobei die allgemeine
Begeijterung den Gipfel erreichte.
S,auptmann Hagen traf mit Gwendolin
und Briefen zujammen. „Willen Sie, was
bier vorgeht?“ rief fie auch im zu.
„Soviel id) in Erfahrung bringen fonnte,
jol bas albaniidje Gebeimtomitee die Nach:
richt befommen haben, daß an der jerbijchen
Grenze ein Aufruhr der Albaner ausge:
broden ift. Cie wollen fogar kon im
Beſitz der Städte Dibra und Priſren fein.“
„Uber das wäre ja unglaublich,“ meinte
Bwendolin. „Die | prey De nba ete Wiba:
ner jollen die jieggewohnten Serben fo einfach
über den Haufen gerannt haben? Das tann
id) taum fajjen.^ ,
„Es wird aud) wohl nicht wahr fein,”
Jagte Hagen. „Dies aufgeregte Volt madt
aus jeder Mide einen Elefanten, und was
JdjlieBlicd) von dem großen albanijden Siege
übrigbleibt, bas ift ein Überfall auf einem ein:
zelnen jerbijchen — Wie wollen außer—
dem die Albaner Nachrichten von der Grenze
haben, die fünf volle Tagesritte von hier
entfernt iſt, während wir es durch den Tele—
raphen oder die öſterreichiſche Radioſtation
et erfahren hätten, falls wirtlid) irgend
etwas von Bedeutung vorgefallen wäre ?“
„Wahricheinlich wird es jid) [o verhalten,”
meinte Briefen. „Aber id) mód)'e bod) vor:
idjlagen, daß wir ben fleinen Weg zur Radio:
ftation machen. Sn einer Gtunde etwa
pflegt der Abendbericht ba zu fein. Viele
leicht weiß man dort jhon etwas.“
Gwendolin war jofort bereit, und Hagen
verabichiedete fic. Er liebte es nicht, mit
Damen aud) nur einen Augenblict länger
beijammen zu fein, als unbedingt nötig war.
Die beiden bogen von der Hauptjtraße
ab und famen zu dem großen fatholijden
Dome. Er zeigte ftarfe Spuren der Beſchie—
Bung, und bas Innere war völlig aerjtórt.
„Sier tann id) Ihnen Auskunft geben,“
jaqte Bricjen, „warum die VDlontenegriner
gerade ben Dom fih zur Zielicheibe genome
men haben, Die bieligen Ratholifen be:
haupten, daß es ledigli bie Wut Der
Orthodoxen gewejen wäre, bie die Rathos
liten mehr haften als bie Muhamedaner.
Ich alaube aber, der Grund lag darin, daß
die Wiontenegiiner von ihren jehr entferne
ten Beobadhtungspoften nichts weiter von
ber Stadt leben fonnten, als ben Dom, Und
naturgemäß baben fie ftd) dann nad) dieſem
Sielpuntt eingeichojjen, wobei er jelbitver«
ltändlich bie metten Treffer abbefam. Liber
POSS SSS] Der Shuß auf dem Bardanjol [B | 189
jehen Cie, ba haben wir |djon bie ei
Hotton, man Hort gerade fein Gerdujd) b
Motors, alfo wird anjcheinend ein Tele:
gramm aufgenommen.“
Der öjterreichtiiche Poften jalutierte und ließ
den deutſchen Offizier anjtandslos pailieren.
Im Innern wurden fie von dem Difizier
begrüßt, der bie Auflicht batte. Er war
ihnen befaunt und teilte mit, daß gerade
em febr intecejjanter Funtſpruch über wich—
tige Vorgänge an der ſerbiſch-albaniſchen
Grenze eingelaufen wäre.
Gleich darauf brachte ein Angeſtellter das
Telegramm, und der Sſterreicher las vor.
„Südſlawiſche Korreſpondenz meldet aus
Belgrad: Heute früh wurden die geſamten
ſerbiſchen Potierungen an der albaniſchen
Grenze von ſtart überlegenen Banden anges
griffen. Der Angriff erſolgte völlig über—
raſchend, jo daß ein Teil ber Vorpoſten über:
wältigt wurde, während die anderen auf
Befehl aurüdgingen. Die Ctábte Dibra und
Prijren find von ben Cerben freiwillig ge:
räumt, vor den Toren von Djafova wird
nod) getámpft. Verjtärkungen find im An:
marid, um Die aujitandijden Albaner für
den — 6 beifall zu beſtrafen.“
Alſo haben die Albaner doch recht ge—
habt,“ riet Gwendolin. „Aber wie war es
móglidj, daß fie jchon genaue Nachrichten
bier hatten, ehe ber Telegraph es uns mel:
dete? Es gibt immer neue unerflärliche
Vorgänge in diefem merkwürdigen Lande.“
Langlam gingen fie nad) der Stadt zu:
rüd und bejpraden die intereflanten und
für Albanien jo wichtigen Greignijje. Vor
einer Moſchee, bie von einem alten Fiedhof
umgeben war, madjten fie halt.
Ein italienijcher Geeoffizier fam ihnen
entgegen, es war Ferucci. Als er die beiden
erblidte, febrte er |chroff um, ohne zugrüßen.
Gwendolin fagte leije: „Haben Cie den
wütenden Blid bemerft? Er wird uns nie
verzeihen, daß wir thn neulich in feiner
anzen erbärmlichen Feigheit erfannt haben.
Sch d) babe geradezu Angit vor ihm. Kom-
men Gie, wir wollen einen Blid in den
Briedhof werfen.“
Gleid) am Cingange ftand bie Mtofchee
mit ihren beiden |dlanfen Diinaretts. Die
Eonne war am Untergehen, und in diejem
Augenblid erjdjien auf einer ber hochragen=
den Turmjäulen der Wluerzin, um zum
Abendgebet zu rufen. Jn qutturalen Tönen
drang der Lobgejang zu Allahs Ehre durd)
bie abenblid) jtillen Straßen und fand fein
Edo von all ben anderen benachbarten
Minaretts. Mad den vier Himmelsridtungen
wandte fi) ber Muezzin, Damit feiner der
Bläubigen jein Gebet und die abendlichen
Wajdungen vergäße. Wer in der Jiábe war,
begab fid) in bie Moſchee, andere breiteten
in einer jtillen Gde oder in einem Hausflur
den Gebetsteppid) aus, nahmen die ſüdöſt—
[ide Richtung gen Wieffa und verrichteten
fniend mit tiefen Verbeugungen die An—
rufung Allahs, bes Allmächtigen.
Debt näherten p» — Männer dem
Brunnen vor ber Wiojchee, ſtreiften die Fup:
— ab und wuſchen ſich an dem Jor,
delnden Wajfer Hände, Gelicht und Filipe.
Jn Der Moſchee jagen aud) einzelne Frauen,
hinter einer dicht vergitterten Empore,
Gwendolin und Briejen hatten jid) bem
Friedhof gugewendet und wanderten lang:
jam zwiichen den Hohen wegen Gteinen
ent'ang, bie in malerijcher Unordnung um:
herjftanden. Brieien wunderte es, daß bie
Grabitätten nicht bejjer gepflegt waren und
daß Blumen und Bujchwerk in wilder Lippig:
teit awijden den Gräbern wucherten.
„Wenn der Tote bejtattet ijt, kümmern fid
die Orientalen nicht weiter um den Ort, wo
ihre Angehörigen liegen,“ erklärte Gwendo:
lin. „Die Friedhöfe dienen als öffentliche
Parts, bie Kinder jpielen hier, und am Freie
tag, dem mubamedanijden Sonntag, higen
die Frauen auf den Gräbern, aber nicht um
zu trauern, jondern um ungejtört zu jchwats
zen und ihre mitgebrad)ten Epvorräte zu
verzehren. Gtets find iann und Frau
nebeneinander begraben. Der Grabjtein
des Mannes tränt oben den in Stein ge:
hauenen es, berj:nige ber Frau eine Roje,
die jo viele Rnojpen zeigt, als fie Kinder
— hat Gewiß eine anmutige Sitte. —
Ind bier ſehen Sie das Grab von Riza
Paſcha, dem tapferen türfijchen Lerteidiger
von Cfutari, ber von dem ſchurtiſchen Eſſad
Paſcha ermordet ſein ſoll. Leider bedroht
den feigen Mörder nicht die Blutrache,
denn Riza war kein Albaner.“
Bei dieſen Worten kam es ihr wieder
zum Bewußtſein, daß ihr ja noch das
Schwerſte bevorſtand. Was heute morgen
nod) ein leichtes zu fein ſchien, fam ihr plötz—
lich unſäglich ſchwer vor.
Beide hatten es bisher faſt ängſtlich vermie—
ben, von dem geſtrigen Vorfalle zu ſprechen
Nun aber unterbrad) Gwendolin das [ajtenbe
Schweigen, das nur von einem einzigen
Ihwingenden 9I[fforbe ber fingenden Yita:
den erfüllt war, E bat ihren Begleiter,
lich neben fie zu feg
Ein flehentliches Gebet idjidte fie zu ihrem
Herrgott empor und begann: „Ich habe
eine Bitte an Gie, cine jehr grobe Bitte, die
id) niemals an einen Mien chen richten würde,
von dem ich annehmen fonnte, daß er mid)
mißverltände, Wir fennen uns erjt turge
Reit, und bod) ift es mir, als wären wir
jon alte Freunde, [o viel haben wir ge:
meinjam erlebt.”
Uberrajdt Forchte Briefen auf. Hier
Jprad) ein Menſch zu ihm in tiefjter Seelen—
not; die Frau, bie eranbetcte als bas Vers
ehrungwirdigite, bas er fannte, bedurfte
jener Hilfe. „And gälte es mein Leben
und meine Gelicfeit: „Sie fonnen voll über
mich verfiiaen, das ſchwöre id) Ihren “
„Sch nehme Ste beim Wort. Und das
Anliegen, Das id) habe, betrifft tatjäch! d)
Ihr Leben.” Noch einmal zÖgerte fie, bebend
vor Angſt, wie er ihr Anerbieten aujjajjen
190 Iesse SH Borwin Garlig: [2€£2€2:3:2«3€3:3€343€434342:343523
würde. Dann fuhr fie, all ihre Kraft zu:
jammenraffend, fort: „Sie willen jo gut wie
td) felber, dak Ihr Leben an einem Fa:
den hängt. In jedem Wugenblide fann Die
tödliche Kugel Cie treffen. Sie jelber und Ihre
Kameraden können nıcht helfen, während ich
es vermag, und mir Dürfen Sie eine Bitte nicht
abichlagen. Sie miijjen fid) von der Blut-
Ichuld Zeiten und zwar jofort. Da Gie
das Geld nicht zur Verfügung haben, fo
flebe id) Sie an, nehmen Cie es von mir
als Darlehen, bas Sie zurücdgeben, jobald
Cie Tonnen, Denfen Gie daran, was Gie
mir foeben gejchworen haben.“ Gie jchwieg
und fah ibn in —“ Erwartung an.
Brieſen war einen Augenblick wie erſtarrt.
Dann fiel er vor Gwendolin auf die Knie
und ergriff ihre Hände, die er bebend vor
tiefſter Erregung küßte.
Leiſe ſtreichelte ſie ihm über ſein blondes
pant. „Mein lieber, lieber Freund, dafür, daß
ie mein Wnerbieten annehmen, dafür dante
ih Ihnen von ganzem Herzen.“
Da erhob er ich langjam und jab ihr ſchmerz—
lih bewegt in bie Augen. „Sie liebe Sie, eins
ige Frau! Verlangen Sie von mir, was
Cie wollen, aber nicht bas. Stolz bin id)
und unjagbar glüdlid) über Das Opfer, bas
Cie mir bringen wollen. Aber wollte id) es
annehmen, bann würde id) jede Achtung vor
mir jelber verlieren und aud in Ihren
Augen wäre ich nicht mehr der gleiche.“
„Oh, diejer törichte Stolz, der euh Männer
erfüllt! Ift es Denn eine jo ungeheuere
Gace, von einer Frau etwas anzunehmen,
was Shr felber jeden Augenblid für irgend»
eine beliebige Perjon tun würdet, die fid
in Not befindet? Sagen Sie mir einen ver:
niinftigen Grund, weshalb Sie mir die Bitte
abichlagen ?“
„Weil ich Sie liebe,” |prad) er einfach.
Da flammte jie auf. „Und wenn Cie mich
wirklich lieben, Dann gerade müßten Ste mir
diejes Opfer bringen. Was Cie einer ane
deren Frau mit Redt abichlagen würden,
mir, Die Cie zu lieben vorgeben, dürfen Ste
es nicht verweigern,“
„Es gibt mur eine Möglichkeit,“ [aate
Briejen mit fejter Entichlojfenheit. „Ge:
iteben Cie mir, baB Cie meine Liebe er:
widern und werden Cie Die Weine, Dann,
aber auch nur dann tann ich Ihr Ynerbieten
annehmen.”
Bwendolin ſchlug die Hände vor ihr Ge:
Dt und fing an, unaufhaltjam vor fid) hin-
zujchluchzen, bis fie endlich mit leijer, tränen:
eritidter Stimme begann: „Wein Viann und
ich find uns Schon feit Jahren völlig entfvemdet,
und wenn es noch nicht zu einer Trennung
fam, jo lag bas daran, Da mir jeder Stans
bal aufs ttefite zuwider ijt. Auch bielten
mich qemeinjame Intereſſen und Lebensge—
wo nbeiten an feiner Seite feit, troßdem er
und ich als Irin polttijd) vtelfad) anders
denten. Sch met allerdings aud), dal er
ion lange eigene Wege geht, aber an der
nötigen Rückſicht hat er es nod) niemals fel
len laffen. Dann fam bieles Jahr ein Un:
alüd über uns. Mein Vater verlor den
größten Teil jeines Vermögens, und id) jtehe
jet jo gut wie mittellos da. Ich bin aljo
ezwungen, bet meinem Dlanne zu bleiben,
Kin wenn id) einen anderen liebte und mir
nichts Cchöneres denten könnte, als thm fiir
immer zu folgen. Sd) weiß, daß Cie nichts
bejigen, als Shr Dffiziersgehalt, das für
Cie jelber faum ausreicht. Wie Liege lid
da eine Diöglichkeit denten, dak Sie fid) eine
grau aufbürden, bie ebenfalls arm ijt?”
Tieferjchüttert hatte Briefen dies Geſtänd—
nis angehört, bas ibn bejeligte, weil er jid)
wieder geliebt fühlte, und ihm zugleich jede
Hoffnung nahm.
„Deine arme Freundin, Sie befiken felber
fein Geld, wie Sie mir eben anvertrauten,
und von Dem wenigen, bas Cie fih vielleicht
gerettet haben, wollten Cie mir mod
abgeben. Jetzt jehen Cie doch ganz gewiß
ein, daß ich niemals Ihr edelmütiges An:
erbieten annehmen fann. Um eines aber
bitte ich Cie, laffen Sie mid) weiter Ihr
treuer Freund fein, geftatten Sie mir fo oft
als móglid) in Ihrer Nähe zu verweilen.
Und die Hoffnung miüjjen Sie mir laffen,
daß eines Tages bod) nod) ein giinjtiges
Geſchick uns zulammenführen wird.“
Gwendolin jah ein, daß fie verjpielt batte.
Enttäujcht Durch Briejens ftarren illen
und bod) gliidjelig zu gleicher Zeit, war fie
mehr entjchlojjen, als je, feine Rettung in
Die Hand zu nehmen. Und jogleich fam eine
große, ftile Rube über fie.
„Was find Cie n ein jchredlich forrefter
Mann, Ste jchwerfälliger Deuticher. Lieber
lajjen Sie fid) von einem halbwilden Albaner
totidlagen, als daß Sie von mir eine Heine
Befälligteit annehmen... Ihre Freundin
aber bleibe ih...“
„Sch bin ſchon glücklich,“ jaate Briefen,
„wenn ich in Ihrer Nähe jein tann, wenn
ich Ihre Stimme vernehme, Ihnen manchmal
in die Augen jehen und bie geliebten Hände
küſſen dari.”
Und während fie Durch den verwilderten,
blüteduftenden Friedhof langlam und a5:
aernd, als wäre jeder Schritt und jede Ge
tunde fojtbar, zurüdgingen, Duldete fie es,
dal er vorjichtig und 3aürtlid) mit feiner
rechten Hand ihre linte immer wieder [trei
helte und ltebfojte.
8 88 B5
Schon früh am anderen Tage erhob fih
Bwendolin. Ihr war zumute wie einem
Kinde am Weihnadtsmorgen. Go freudig,
jo erwartungsfroh hatte fie fid) feit Jahren
nicht gefühlt. Shr, ber finderlojen Frau,
die ihren Mann nicht mehr lieben fonnte,
war bas Leben oft fhal und zwedlos er:
Ihienen. Und, um nicht nachdenten zu mit:
jen, unt fid) nicht immer wieder daran zu
erinnern, dah fie eigentlid) ein unniiger
Menſch war, jtürzte fie fic) in die Zerjtreus
ungen Der Bejellichaft. Befriedigung fand fie
hier nicht — dazu war jie nicht oberflädh:
ees Der Schuß auf dem Bardanjol rec ZZ 191
lid) und nicht leichtfinnig genug —, aber
wenigitens vorübergehend Vergeſſenheit.
est war alles mit einem Schlage an:
ders. Es gab einen Menjchen, der fie liebte
und ber ihrer bedurfte. Es galt nicht nur
jein Leben zu retten. Gie wollte aud) feine
treue Zuneigung erwidern, ihm eine gute
Sreunbin jem und dabei bod) eine Frau
ohne Wiafel bleiben.
Co betam ihr Leben wieder Sinn und
Inhalt. Und mit bem erwachenden Frohſinn
ihrer Natur fühlte fie eine ungeahnte Tat:
fraft in jid), bie fie befähigen mußte, alle
Widerjtande zu bejeitigen.
Cie ging entichlojjen zu Major Wächter
und ließ fih melden.
Sehr überrajcht erhob fid) Wächter, als
fie eintrat. Er tikte feiner jhönen Bejuches
rin ebrfurdjtsvoll die Hand und jagte:
„Welches außerordentliche (Ereignis ver:
Ichafft mir bie Ehre eines derartigen Bes
judjes? her, bitte Mrs. Herbert, nehmen
Sie zuvor Pla.“
Gwendolin jeßte fih ohne eine Spur von
Berlegenheit. Sie wußte, um was fie fampfte.
„Allerdings ijt es etwas Außerordentliches,
was mid) zu Ihnen führt, Herr Wäch—
ter, und id) wage es and) nur, weil id) Sie
als einen Mann von Herz und von Taft
fennen gelernt babe.” |
Wächter verbeugte fid) ſchweigend. Gwen-
dolin fuhr fort: „Bitte erlajjen Cie mir alle
Umjchweije. Ich weiß, daß Cie als Soldat
die jadjlidje Kürze würdigen. Es handelt
ftd um folgendes: Herr Leutnant Briejen
des mir vor einiger Zeit einen Dienjt oe:
eiltet, Den id) ibm auf feine Weiſe vergels
ten fonnte. Jet aber bietet fich für mid)
eine Gelegenheit, wenigjtens einen Teil bes
Dantes abjujtatten. Bon feinem Freunde,
Fuad Bei, weiß id, dag Blutrade ihm
droht, und daß er fid) aus wohl begreiflidem
Stolz weigert, die Angelegenheit durch Geld
p erledigen. Ich hätte jchon Fuad gebeten,
en Albanern das nötige Geld auszuzahlen,
wenn ich nicht wüßte, daß nad) den Landes:
fitten Zem eine feierliche Zulammentunft
beider Teile gehört. Es ift jomit unmóg:
lich, bie unjelige Sahe ohne Herrn Briejens
Wiſſen aus der Welt zu räumen. Von mir
würde er jelbjtverjtandlid) niemals Geld,
auch nur leihweije annehmen, ‚ebenjowenig
wahrjcheinlich von irgend jemand anderen.
Der einzige, bem er ein foldes Angebot
nicht abjdlagen fónnte, das find Sie...
„Und nun betrachten Sie mid, bitte, ein-
mal niht als Dame und nicht als Ange:
bórige einer fremden Nation, fondern nur
als einen Menjchen, ber einem anderen, dem
er zu tiefftem Dante verpflichtet ijt, aus einer
großen Lebensgefahr retten will, Dann
müjjen Gie meine Bitte erfüllen und das
Geld von mir annehmen, um es in Ihrem
eigenen Namen an Briefen zu geben.“
Sie jchwieg und jah erwartungsvoll auf
Wächter, ber mit feinem Zuge feines ernjten
Gefidtes verriet, was in ibm vorging.
-
„Was Gie mir Jagen, Mrs. Herbert, ift
mir jo unerwartet, daß ich nicht imftande
bin, Ihnen fofort eine Antwort zu geben.
Cie haben fid) mabridjeinlid) [don darüber
ewundert, daß id) jelber nicht Briefen das
'ojegelb zur Verfügung ftellte. Aber Offen:
heit gegen Offenheit: id) bin nicht dazu im:
jtande. Sd) jtamme aus einer armen Gol:
Datenfamilie und verfüge außer meinem Ge:
halt über feine Einkünfte, — Was nun Ihren
großmütigen Worjchlag betrifft, jo miijjen
Cie mir Zeit zur Überlegung laffen. Aber
jobald wie möglich follen Cie Bejcheid be:
tommen, und ich bitte Sie zu glauben, dab,
wie meine Antwort auch ausfallen möge,
id) nur eine Richtjehnur kenne, nad) der
id) handeln werde: mein eigenes Gewijjen
und meine Ehre als Mann und Ddeutjcher
Offizier. Alle perjönlichen Rückſichten, Die
mir die Annahme Ihres Anerbietens ers
winjcht oder aud) bot peinlich erjcheinen
lajjen fónnten, werde id) beijeite lajjen.“
Cie merkte, Dak vorläufig nichts weiter
zu erreichen war, und erhob ih. Wächter
geleitete fie bis an bie Treppe, und fie ging
ruhig und ohne Erregung fort.
Der Major zündete fih eine große und
ehr jchwere Havanna an und dadte nad.
Hier war endlich bie fo ſehnlichſt von ihm
gejuchte Möglichkeit, feinem pradjtigen Ojfi-
gier aus Der drohenden Gefahr zu helfen.
Durfte er aber annehmen? Er ftellte fich
die Möglichkeit vor, daß die Angelegenheit
Ipäter einmal vor ein Ehrengericht füme.
Was für Gelichter würden jeine Kameraden
machen, die über feine Ehre aburteilen joll-
ten, wenn fie hörten, daß er Geld ange:
nommen hatte von einer Dame, Die außer:
dem nod) Die Frau des als bejonders deutſch—
feindlich befannten enalijdjen Ronjuls war.
Ein Schauder fuhr ihm über den Rüden.
Piit feiner Karriere war es Däer vorbei,
Dazu fam, daß es ihm jelber bódjit pein—
lid) war, bieles Bejchent anzunehmen. Und
ein jolches war es bod) ie jelbjt
wenn er und Briefen fic alle Mühe geben
würden, die Schuld allmählich abzutragen.
Dak Mrs. Herbert bie Sade bitter ernft
nahm und ficher bie beiten Abjichten hatte,
fühlte er. Wer fennt fic) aber in ben Lau-
nen einer Frau aus? Heute war es ihr —
ohne Zweifel — eine Herzensangelegenheit,
und morgen vielleicht erzählte fie einer Freun—
din ihr Geheimnis, das dann feines mehr war.
Und nun die legte Probe. Konnte er es
vor fid) jelber und feinem Gewiljen verant-
worten? Hier jdywantte er nicht lange. Die
innere Stimme verlangte gebteterijd Die
Unterjtügung des Kameraden, wenn ibm
aud) Die äußeren Umjtände nod) jo jebr gegen
fein Gefühl gingen.
Aber nur als äußerftes Mittel wollte er
die Hilfe der Engländerin annehmen, erft
wenn alle anderen Diöglichfeiten erichöpft
waren. Und vor allem durfte fein Dienjch,
ant wenigiten Briejen felber, etwas davon
erfahren. Wächter ftand auf, feine Havanna
192 p23€:-:$:232] Borwin Garlik: Der Schuß auf bem Bardanjol zzz
war falt zu Ende, fein Entſchluß ftand feft.
Ein telephonijcher Anruf bewirkte, daß fein
Adjutant gleich darauf bei ihm erjchien.
„Herr Viajor haben befollen ?“
»Mieber Platen, id) beabjichtige diefe um:
erquidlidje Geſchichte Briejens mit den Sfrelis
endgültig aus Der Welt zu fchaffen. Bitte
begeben Gie jid) zu Fuad Bei und teilen
Cie ibm mit, b. B wir geneigt wären, den
Strelis für die Erledigung der Blutrade
eintanjenb Kronen zu zahlen. Sollten dieje
damit nicht einperjtanpen fein, bann bekom—
men fie gar nichts, und ich werde Briejen
jo bald wie móglid) nad) Seutid)lanb zurück—
Iden, Sch dente, biejem prattiid)en Argu-
ment werden bie etwas reichlich auf ihren
Vorteil bedachten Herren Albaner fih wohl
nicht verid lieben.
„Bertraulid) teile ich Ihnen mit, daß ich
die Abjicht habe, Briefen das Geld teils aus
bem Dispojitionsfond, teils perjónlid) vor
Mere Und nun veriuchen Gie, Fuad
alb zu finden, und bitten Cie ihn um
einen ſchnellen 98ejdjeib. Ich lege Wert
darauf, bie Sache möglichjt rajd) erledigt
a jehen. Go, das war alles, Sd) dante
hnen.“
Einige Stunden ſpäter trat Fuad bei
Gwendolin ein, die ihn ſofort mit der Frage
überfiel: „Haben Sie ſchon mit den Skrelis
geiprod;en ?^
Der Albaner war bereits genügend Euros
püer, oder vielmehr 9(merifaner geworden,
um bieles unvermittelte 3urüdfommen auf
ben Geger.|tanb ihrer gejtrigen Unterhaltung
nicht aus feinem orientaliichen Empfinden
heraus für taftlos zu halten. Er meinte
lächelnd: „Mit den Sfrelis wäre ich einig, aber
eine andere Schwierigkeit ijt aefommen, Die
mich veranlaßt, Ihnen darüber zu berichten.”
„Bitte erzählen Cie jchnell, was pajliert
ijt!“ rief Gwendolin erregt. „Uber legen Sie
ab." Gemejjen fegte fid) Fuad ihr gegenüber.
Die bem Orientalen angeborenen, jtets etwas
feierlichen Bewegungen hatte jelbjt der jahr:
zehntelange Aufen:halt in dem Hajftenden
Dollarifa nicht an bejcitigen vermodt. Yang:
fam legte er jcinen weißen es auf einen
neben ihm ftehenden Ctubl und begann erft
nad) einer Heinen Pauſe, jo daß das heiße
iriiche Blut ber ſchönen Fran ihre Erwartung
faum mehr bezwingen fonnte:
„Major Wachter hat mir focben durch
Herrn von Platen mitteilen lajien, dah er
den Sfrelis als leßtes Angebot taufend Kro-
nen Löſegeld betet. Wollen fie bas nicht ans
nehmen, jo follen bie Unterhandlungen ab:
gebroden werden. Dd) dente mir, daß man
meinen Bruder Briejen dann nach Deutjd):
land zurüchenden wird.”
„Und was haben Gie Platen geſagt?“
„sch babe mir gedacht, dah es bejjer wäre,
dem Kommandeur erft zu antworten, wenn
id) mit Ihnen gejprochen_ hätte,“
„oh wie Recht haben Ste daran getan!”
„sch weih, daß mein Bruder Ihnen tener
tit,” perjebte Der Albaner einjad), erreichte
aber bod) bie unbeabjidtigte Wirkung, bag
bas beige Blut ihr in dte Wangen jdjof.
„Herrn von Platen habe id) sunádjit barauj
aufmertfam gemacht, daß bie Ubrei,e Briejens
nad) Teutichland thn nie por ber Blutrache
Ihüßen würde... .*
„Was fol aber nun gejchehen,“ klagte Gwen:
dolin, „wenn diefe bals[tarrigen Deutjchen
jeder Vernunft ungugánglid) find? Halten
Gie es denn für iüglid), dak die Cfrelis
lich mit taujend Kronen begnügen ?^
„Zaujend Kronen bedeuten meinen Lands:
leuten eine große Cumme. Das Löjegeld
wird aber nidjt nur nad) dem Werte des
Getóteten, jondern aud) nad) bem Anſehen
des Mörders ober Anftifters bemejjen. Die
Etammesältejten haben es auf dreitaufend
Kronen feitgejeßt, wovon jid) nichts mehr her:
unterhandeln läßt. Um jo weniger, als ich ge:
fiern bereits auf Ihren Wunſch hin den Sfrelis
erflärte, daß fie bas volle Lojcgeld erhalten
jollten. Gie jagten mir dod, dab Sie ficher
wären, alles arrangieren zu können.“
Gwendolin geriet in peinlid)fte Verlegen:
heit Unmöglid) tonnte fie Jagen, Dak Briefen
ihr Anerbieten glatt abgelehnt hatte, und
daß aud) Wächter ihren Vorſchlag zu ver:
werfen |djien. — Und dajiir hatte fie jtd)
einem Dianne wie Traubenberg in die Hand
gegeben! Wenn nun ihr ganzes Opfer ver:
gebens war, und obendrein der Beliebte jeiz
nem unvermeidlichen Schidlal verfiel...
Plötzlich fam ihr eine Erleuchtung, [o daß
fie aus ihren Sinnen emporjube und Fuad
anjah, der anjdeinend in Gedanfen ver:
junten zum Fenſter binausblidte.
„Lieber Fuad, wenn Cie mich unterjtüßen
wollen, dann habe id) Dofjentlid) einen Aus:
weg gefunden!“
Auf einen fragenden Blick bes Albaners
fuhr fie fajt triumpbhierend fort: „Sie mijjen
Major Wächter jagen, bie Sfrelis wären mit
taujend Kronen — riebon: unb id) gebe Ihnen
bie librigen gweitaujend. Gelbjtverjidndlid
Dat cus par] Herr von Briejen nichts davon
ahnen. Glauben Cie, daß es gehen wird?”
Einen Augenblid dadhie Fuad nad, dann
jagteer: „Es |djeint mir wirklich ber befte Aus:
weg zu jein. Nur um eines muk id) Cie
bitten, Inijen Cie mid) die feble:.den-awei-
taufend Kronen geben. Bedenken Gie, es
handelt fid) um meinen Bruder.“
Aber bas wollte fie nicht zulaffen. Wm
liebiten hätte fie ihm erwidert: ‚Bei mir
handelt fid) um viel Höheres als um einen
Bruder. Es geht um den einzigen Menſchen,
wegen deffen es fid) mir nod) zu leben lohnt,
für den id) Chre und Gtellung, Wobljtand
und Anſehen, ja mid) jelber in Leben und
Sterben geben würde.‘
Und fie verlangte Jo energijd ihr Redt,
Briefen zu beljen, dak Fuad nachgeben mußte,
„Heute nod) hoffe id) alles fo zu erledigen,
wie wir es wiinjden,” jagte er. „Tann
tann unjer Freund wieder beruhigt idjlajen
und“ — mit leijem Lächeln fügte er cs
hinzu — „wir beide auch.“ (Fortiegung folgt)
|
Lotte Lehmann an ber K. KR. Sjofoper in Wien als „Manon“
(Zu dem nachfolgenden „Wiener Theaterbrief” — Aufnahme aus dem Atelier Sever in Wien)
Von Ludwig Hirjchfeld
Mit zehn Bildern nad) Aufnahmen von Seger, dD’ Ora, Cobé und Gutmann in Wien
PCECCECNEE CECEEEEE KEKE ECE EE KE KEE CECE KEKE CE KC CECE CCC CECE IIIIIIIIIIIIIIFIIIIIIIIIIIIFIIIIIIIIIII IIIIIIIIIIIIIIIIG
FA usverlauft!”... „Sämtliche Logen
5 und Cibe vergriffen!” ... „gür
say Samstag und Sonntag alles aus:
verfauft!’ ...
i Grüne und rote Streifen ver:
fünden es triumpbierend auf allen Plakat—
Jäulen, bei allen Theaterfafjen. Ziele Streifen
find quer über die Theaterzettel geklebt, dak
man faum lejen fann, was für ein Stüd
eigentlich geipielt wird, wer es verfaßt Dat,
wer Darin mitwirft. Offenbar ijt das heut:
zutage ganz mebenjádjlid). Biel wichtiger
als der Inhalt und der Wert ber neuen
Ctüde ijt die Zatjadje, daß man teine
Karten befommt. Wusverfaujft, alles aus:
verfauft... Die bunten Qusrftreifen find
jozujagen das Motto und Leitmotiv diejes
vierten Wiener Kriegswinters. Deutlicher als
alle ajthetijden Betrachtungen und alle Kri-
titen erzählen fie wuchtig, daß es y dem
Theatermarft jebt genau fo bejtellt ijt wie
auf anderen Märkten: große Geldflüjligkeit,
fauffraftige Abnehmer, |türmijdje Nach—
frage, Preis Nebenjache, jede Ware findet
ihren Käufer...
Um Gottes willen,
das find ja lauter
Wusdriide ous Dem
Börjenbericht und
aus dem Finanz:
und Handelsteil.
Es tut mir auf:
richtig leid, damit
einen WienerThea:
terbericht beginnen
gu miijjen, aber ich
ann nichts dafür,
es ift wirflich fo.
Das neue Geld, die
neuen Wtillionäre,
die neuen Wiener:
jie bejtimmen jest
auch das Theater:
getriebe. Mian
drängt fid) in die
Hofoper, in Die
Konzerte, Denn
ernjte Muſik ift ele-
gant. Je erhöhter
Die Breije, defto eif-
riger drängt man
fid). Um einen Gig
bet einer Neuauf—
führung im Burg:
theater Tom nft man
mit allen Mitteln,
Lijten und Verbin:
Harry Walden in Ludwig Fuldas £uitipiel „Die verlo
rene Tochter” K. K. Hofburgtbeater in Wien (Phot. Ora)
dungen, weil man dann zwei, drei Stunden
lang ganz bejtimmt zur guten Gejellichaft
zählt. Wher aud) gewöhnliche Abende, na:
mentlid) den Samstag und Conntag, will
man jebt nur im Theater verbringen. Cehr
begreiflih, wohin denn fonft? Goll man
jid) in das jdjled)tbeleudjtete und -bebeiste
traute Heim jegen und Trübjal blajen, in
ein Kaffeehaus ohne Kaffee oder in ein Gajt-
haus ohne Bier? Auch die immer jchwie:
riger werdende Ernährung ift offenbar mit
eine ber llrjadjen, warum bie dramatilche
Runft gar jo gut gedeiht. Ausvertauft, alles
ausverfauft: Bei Tag die Lebensmittel und
abends bie Theaterfarten ...
Sekt muß id) mir aber einen ordentlichen
Rud geben, um aus Deler vulgären Alltäg—
lidjfeit herauszufinden in die abgetlárte
Tonart des zurüdblidenden Theatertrititers,
der einen $jalbjabresberid)t erjtatten jol.
Beinahe hätte ich jet wieder gejchrieben:
besten or hk Ja, wenn id) bier mit
ablen und Summen arbeiten dürfte, ba
wäre Diejer Theaterbrief eine leichte Ar:
it: eine einfache
Aufitelung der
Bruttveinnahmen
und SReinertrag:
nije der Wiener
Theaterleiter, Ber:
toner, Verfaſſer,
der tanzenden und
(ingenben Lieb»
linge. Aber eine
fünjtleri]de, eine
äjthetijche und lite:
rarijde Aufſtel—
lung, das ilt jehr
ſchwierig. aan
nung wird nicht
gut ausgehen, aber
man fann es ja im:
merhin verjuchen.
Es fommen immer
wieder Zahlen da-
zwijchen, fogar bei
Den Hofthea-
tern. Gie haben
im Weltkrieg wirt-
lich eine großartige
wirtichaftliche Ent:
widlung durchge—
maht: von Der
volfstümlichen Er:
mäßigung der Ein:
trittspreife im Bin
ter 1914 bis zur
PESSSSSSSSSSSSSSSSSESY Ludwig Hirſchfeld: Theaterbrief aus Wien BEZZI 195
jüngiten gründlichen Erhöhung, die es einem
bejdyeidenen Mitteljtandsmenjchen, ber fo
ungejd)jidt war, ben Anjchluß an die große
Zeit der Konjunktur und Kriegsgewinne zu
verjäumen, einfad) unmöglidy madjt, fidh
einen Abend im Burgtheater zu leijten. Bei
jolhen unpopulären reijen ift es wohl
Ihwer, ein voltstümliches öfterreichiiches
Programm durchzuführen, wie es ber neue
Burgtheaterdirettor Hofrat von Millentovid
plant. Er will Rai-
mund, Neſtroy und bie
zeitgenöjfiihen Cer,
reicher jpielen, er will
in Diejem Haufe Der
norddeutichen Dialekte
den öjterreichijchen
Dialekt zu Ehren brin-
gen und hat deshalb
einige Volksſchauſpie—
ler gewonnen, voran
unleren beiten und
größten: Ulexander
Girardi. Wie fid)
Girardis urodjterreidi-
iher Art in ben feier-
lichen Goldrahmen
des Burgtheaters eins
fügen wird, ob bas
Naturell jtárfer fein
wird oder der Rahmen,
Das ijt heuer das et:
gentlid)e Burgtheater:
ereignis, Dem man er:
wartungsvoll entge:
genjieht. Bis jebt hat
der neue Direftor nur
bie von feinem Bor:
gänger Thimig erwor:
benen Neuheiten Her-
ausgebradjt: Fuldas
„Berlorene Tod:
ter", den reichsdeut-
Iden Luſtſpielerfolg
des vorigen Jahres,
der durd) feine Harm:
lofigfeit die Kritik ver-
ftimmt Bat, aber bie
Zuſchauer andauernd
unterhält. Es ijt fo-
jagen eut in bürger:
iden Rreijen [pielen-
bes Romtejjenjtüd, ein
Genre, auf das man
fid im Burgtheater
noch immer uniibertrefflich verjteht. Auf bie:
jen guten, alten Burgtheaterton ijt heute aud
Harry Walden jchon abgejtimmt, der einen
unperidjümten Schwerendter und Redtsan:
walt ganz reizend und in unwideritehlichen
MWinterjportfojtümen jpielt — aljo, bas muß
man Doch gejehen haben.
Dann gab es nod) einen neuen Schön:
herr: das Schaujpiel , Frau Guitner’. Es
ijt injofern ein echter Schönherr, als es alle
befannten Züge und CEigentiimlidfetten des
Dichters, feine ftarfen und feine jchwachen
Seiten in ziemlicher $Bolljtánbigteit zeigt.
Auch diesmal hat er nad) einem ganz ein:
[aden Etoffe gegriffen: die Tragödie der
alternden, finderlojen Frau, bie einer jünge:
ren Bla maht. Frau Euitner, eine Land-
främerin, bat jid) burd) mühjame Arbeit
einen bejcheidenen Wohlſtand erwirtichaftet
und erfennt jet, ba fie ihn gujammen mit
ihrem jüngeren, gutmiitigen, energielojen
will, wie nidtiq und
Mann genießen
Thea Rofenquijt als Sonja im „Zarewitich“ von Gabryela Zapolsta
Deutiches Bolfstheater in Wien.
(Phot. Cobé)
jinnlos aller Beliß ijt und wie leer bas
Haus ohne Kinder. Als fie merft, daß an
Diejem Schmerz, mit bem fie tapfer und rauh
fampft, aud) thr Mann leidet, nimmt fie
nad biblijdem Beijpiel eine junge Magd
ins Haus. Es fommt alles, wie Frau
Guitner es befürchtet und zugleich gewollt
hat. Das Mädchen, ein daraftervolles, aut:
berziges Gejdopf, hält jtd) wohl tadellos,
und aud) der Mann ijt zum WBerführer viel
zu unbebolfen, aber rau Guitner muß
\chließlich Dod) erfennen, daß ihre Stunde
Alex. Girardi als Echmierendireltor
rc
Theaterbrief aus Wien
fondern ber übliche
Dpernitoff, ber dur
die Vertonung Joſe
Reiters, eines braven
Oſterreichers, der [id)
niht recht durchſetzen
tann, aud) niht an
Kraft —— hat.
Mian hört Wagneran—
klänge, ſchöne Chöre,
aber feinen großen Ein»
fall, jpürt Fleiß und
ehrliche 9(bjid)t, aber
tein ee Kee Tem:
perament, feine finns
lide Wärme. 3u be:
merten wäre nod), bab
ber Textdidter Max
Miorold mit dem neuen
Burgtheaterdireftor
Hofrat von Millenfovid
identijd ijt, ber jebt
vermutlich feine Luſt
und auch feine Zeit
mehr haben wird, die
übrigen bewährten Ela]:
iler Dramen zu
pernbüchern — umzu—
arbeiten...
Und wie geht’s denn
dem Direktor Wallner
im Deutjden
BWolfstheater? Ich
danfe der Nachfrage,
recht gut. Geine erite
Gaijon hat er mit Rund»
ebungen, Affären und
Wée gi perbrad)t,
197
Alex. Girardi als Dichter Ferdinand
jebt begnügt er fih mit Sauter in „Das Ende vom Lied“
vollen Häujern. Gr bat (Phot. Gutmann)
in ,Durdlaucht gaiítiert*
(Bhot. Gutmann)
tes, zur Neben [||
handlung. Die |
eine Anzahl gu:
Ier Darijteller
Hauptyandlung
ijt bier merfwiir-
Digerweije ero:
tijd) unb bej[tebt
Darin, daß Der
Bogt, Graf Sees
dort der ſchönen
Elsbeth, dem
Weibe Tells,
nadjitellt, Daß
E Widerſtand
ihn zur Bösartig⸗
keit reizt und daß
ſie ſich ihm bei—
nahe, um ihr
Kind zu retten,
hingeben würde,
wenn nicht Wes
zeitig zum leg-
ten Aktſchluß
Tells Pfeil ge—
ponet fame. Alfo
urdjaus tein Hanfi 9tiefe (Ghost) und Alex. Girardi (Valentin) in Rai:
deutjches Drama, munds ,Serid)menber". Stadttheater in
ien. (bot. Seger)
nad) Wien ge-
bradjt und auper:
bem, wenn id)
nicht irre, Die
pierundvierzig
beiten neuen
. Gtüde erworben,
u benen aber
ie bisher ber:
ausgebradten
Neuheiten offen:
bar nicht gebó:
ren, denn Dieje
waren ziemlich
ſchwach. Frau
Gabryela 3a:
polsfa,dieneue
polnildje Bird):
Pfeiffer unb
glüdlid)e Beſitze—
rin der „War:
Ichauer Zitadel—
le“, bat einem
„Zarewitſch“
198 PESSESSSSESSSA Ludwig Sjr|djelb: Iesse HB]
das Leben gejdhenft, aber ber Knabe ijt
nicht fräftig geraten. Er hat die für einen
Thronfolger durchaus unzuläjlige Eigen:
\haft, die Frauen nicht P mögen. Was tut
man in einem joldjen Fall ? Man nehme eine
junge Tänzerin und verfleide fie als Tidher-
— worauf der dramatiſche Kuchen
nach Vor
—
`
"e
x
.
Di
Wi:
E er
2 Ki
J e 1
Lona Schmidt in Rudolf
athie, jcheinbare Liebe, aus der Ernjt wird,
Tod bes alten Zaren, Thronbefteiqung des
jungen, und zurüdbleibt eine weinend rejig:
nierende enttäujchte Kellnerin Ratie ... ad)
jo, das ift jaber Schluß von „Alt:Heidelberg“.
Es ijt aud) jo eine SEH fitichige 9Ingele-
genheit, eines jener Stiide, bei denen die Kri-
tit jchimpft unb das Bublifum Karten
fauft... Was es bei ber Komöde , Panik
der Herzen“ von Alfred Fefete nicht
chrift aufgeht: Freundſchaft, Sym:
olgers Mtardenfpiel „Das Ende vom Lied“
Stadttheater in Wien. (Phot. Seger)
getan hat. Diejer junge Mann mit dem unga-
riſchen Namen ijt ein Wiener, ber in Berlin
lebt. Er gibt fid) in dem Gtüd jebr bedeu-
tend, tief unb literarijch, im Grunde ijt es
aber doch nur die alte Ehebiegungsgeichichte
ohne bejondere Mendung, ohne Ee
Wit. Das Berliner Künſtlerpaar Karl Foreft
und Traute Garljen debütierte an bem Abend
jehr erfolgreid). Hier
auf der „Thomas:
Kantor“, eine deut-
fhe Komödie von Ar—
| min Friedmann,
5» "Ae ge. zx]
einige jauber und jorg:
| faltig — bramatijierte
Rapitel aus der Bio-
prope Johann Ge:
ajtian ‘Bahs, und
gwar jene, in Denen
er ſich als reiferer
Witwer nod einmal
verbeiraten will und
ftatt der JBirtidjafterin
Sybilla emmerbirt
die junge Anna ZE
dalena Wülden wählt,
die er eigentlich für
einen feiner beran-
wacjjenden Söhne be-
itimmt bat.
Über bie lebte Volfs-
theaterneubett möchte
ih am. liebjten gar
nichts jagen. Es ift
für jeden Berehrer Ar»
thur Schnißlers,
und das find wir in
Mien eigentlich alle,
febr peinlich, über eine
neue Arbeit biejes
Dichters in jedem
Sinne abfällig ſpre—
den zu müjjen. Aber
feine neue Komödie
„int unb Flies
derbujh“ enthält
wirklich gar nichts von
dem künſtleriſchen
Mert, den im beiten
Sinne wienerijchen
Zügen, um derent:
willen wir Schnibler
lieben und jchäßen.
Cie will eine Journa:
lijtenjatire fein. Wenn
jie es nur wäre! Aber
auch die leidenſchaft—
lihen Journaliſtenhaſſer, und an denen
fehlt es in Wien wirklich nicht, Zommen
Dabei nicht auf ihre Koften. Die Satire en
nämlich weder echt nod) wikig. Dazu fehlt
es ihr vor allem an Gadfenntnis, denn
die Schilderung bes Stebattionsgetriebes in
einer großen Tageszeitung ift von einer er—
jtaunlich naiven Whnungslofigfeit. Oder war
es Schnigler um ben Luftigen Einfall zu tun ?
Wenn er nur luftig wäre! Jn jener Redal:
!
?
l
--—-m -
E Theaterbrief aus Wien PBesessssssssd 199
tion, die Durd die Bank aus Ginjaltspin:
jeln und Charalterſchwächlingen beiteht, ijt
ein junger Menjd) namens $ylieberbu|d), ber
rajd) vorwärts fommen will und deshalb
über Ddenjelben Gegenjtand im liberalen
Blatt jcharf demofratijdhe Artikel jchreibt
und in einem fonjervativ-flerifalen Salon:
blättchen unter dem Namen Fink das Gegen:
teil. Er greift fih lelbjt gehällig an, wird
genötigt, fid) jelbjt zu fordern, auf dem Duell:
plag gejteht er den Schwindel vergnügt ein,
die Chejredafteure reipen fi) um ihn, die
€aujbabn der&harafterloiigfeit jtebt ihm offen.
Diejes Ichwantmäßige Soppeljpiel entwicelt
fih aber nicht feih und übermütig, jondern
an mit einer ganz malen Technif,
ie fid) in den widtigften SUtomenten mit
redjeligen EE weiterbhilft. An
mandem gehaltvollen Wort erfennt man ab
und zu: bte Komödie ijt ja bod) von Arthur
rile et Aber in feine gejammelten Werte
wird pieles jonberbar ſchief und verworren
geratene unerfreuliche Stüd faum aufgenom:
men werden...
Was gibt’s denn heuer f |
in Ungarn? O, alls | 7.4
mögliche Gute: Fett,
Sped, Schweinefleiſch,
Eier, Butter, Mehl, aber
die Grenze ift unerbittlich
gejperrt, und nur drama-
tilde Genüjje Dürfen nad)
Sfterreih ausgeführt wer:
den. Die ungarijde Gr.
zeugung ift jedoch heuer
nicht jo gut geraten wie
jonjt, und jo haben wir
bisher von dort nur einen
einzigen Erfolg bezogen:
Franz Herczegs Ro:
mödie „Blaufuchs“, feit
drei Monaten das Zug:
ſtück des Theaters in ber
Syoletitabt und ja and
in Berlin jchon befannt.
Herczeg, der mit jeinen
früheren Arbeiten nie weit
über jeine Heimat hinaus
gelangt ift, bat ee
in dermondänen Art Mol-
nars verjudjt und aud)
ein bißchen an Henri Bec-
ques ,"Barijerin^ ange:
Iehnt. Der Reig bes
Stüdes liegt in feiner
wixigen Piychologie, fei-
nent geijtig beweglichen
anmutigen Dialog; ben
ungewöhnlichen großen
(rolg ber Wiener Auf:
fübrung verdanft es aber
ausjchließlich ber perjón-
lihen Angiehungsfrajt
Leopoldine Ronjtantins,
für die diefe Rolle bas
ridtige Inſtrument ijt,
auf dem fie ihr ganzes
Mizzi Günther in Ralmans Operette „Die
ohann Sırauß: Theater in Wien. (Phot. Sever)
blendendes Können vorjpielen fann. Auf ber
anderen SJarno:Bühne, bem Stadttheater,
gaftiert Girardi bis zu feinem Eintritt
ins "ag eee in älteren und neuen
Rollen. Außer feinem Schujter Weigl und
dem unerreidjten Balentin, den er jest,
von Hanfi 9tieje als Ros! fetundiert, auch
den Berlinern vorgefpielt bat, ſchuf, ber
Riinjtler eine neue Figur: den im Wiener
Vormärz genialijd) verfommenen Lyrifer
getan Sauter, deffen Literatur: und
iebesjchidjale den etwas unflaren Inhalt
von Rudolf Holzers Wärcdenipiel„Das
Ende vom Lied” bilden. Eine neue febr
[ujtige Girarbirolle ijt fein Schmierendireftor
in dem flotten Zbeaterjtüd ,Durdhlaudt
D von Paul Franf und Julius
Wilhelm. Bn jolden übermütigen Auf:
gaben lebt jid) Girardis urwüchſige Komit
am beten aus, und hoffentlich wird ibm
und uns aud) im Burgtheater bas Laden
nicht vergehen.
Der neuejten Dramatif begegnet man
ajdingsfee”
200 Ludwig Hirſchfeld: Theaterbrief aus Wien BSSBsassoea
nurin entlegeneren Tergan Die Neue
Wiener Bühne bradte gwijden zwei
— Jargonſchwänken Georg Kaiſers
„Bürger von Calais“, in den Kam—
merſpielen war noch ein Schauſpiel
Alfred Feketes „Die Verhüllte“ zu
jeben, eine nicht febr glüdlidje Abwand—
lung des Themas der „Schiffbrücdhigen“
und außerdem eine gründlich daneben ge:
ratene erotijdhe Komödie „Fröſchchen“,
wieder von Babryela Zapolsta. Die
Volksbühne verjuchte mit bejcheidenen
Rofy Wergynz in Nedbals Operette „Die
Mitteln eine Aufführung von „Vaſanta—
jena“, madjte darauf mit bem Erftlings-
mert eines jungen Schweizers, Siegfried
Gideon, dem mehr durchgeijtigten, als
dramatiichen Schaujpiel „Arbeit“ befannt,
Dal aber bod) erft 3 Kaſſen, als
allenberg kam und mit ihm die wohlbe—
kannte Ealo Schimek“. Geitdem
geht biejes literarijdje Theater auf einmal
länzend und tann nad sonore Zeit bie
afel „Ausverkauft“ BE en. — Das
alles war nur eine Hack ein Um:
weg zum fieqreichen Refrain des Wiener
Theaterlebens unb der heißt nad) wie vor:
Operette, In einer Zeit, deren Theaterjinn
öne Saskia“
Garl: Theater in Wien. (Phot. bro) Seit mag flein ober aroB,
TTTI eeeeeegegeeeeeg i
fait ausfdlieblich auf gedanfenloje Zerſtreu—
ung und barmloje Ablenkung eingeltellt ijt,
bat fie natürlich) die größten Kriegsgewinne
gu verzeichnen. Die „Rofe von Stam:
ul“ blüht feit einem Jahr, bas „Dret:
mäderlhaus“ fieht, wie wohl aud) in
Berlin, im dritten Jahr Mutterfreuden in
Form einer Fortjegung entgegen. Kein Wun:
der, daß die Leute vom goldenen Operet-
tenhandwert unentwegt nad) derjelben Schab-
Ione weiterarbeiten, weil nur Das oe:
füllt, was bereits einige hundert Male
germ bat. Nach diejem
ejchaftspringip ift bie neue
Ralman: Operette des So:
bann Pg pee pau
ters „Die Faldhings:
S " perfertigt: Münchener
ihing, verlobte Fürjtin,
junger Wtaler, reine Liebe,
Enttäufhung, Duell, gebro:
dene Herzen, Tränen, Welt-
ſchmerz — mit einem Wort:
jie friegen fic. Zu Diefer
unfreiwilligen Parodie bes
Genres hat Ralman mit den
erprobtenMitteln der „Czar:
Dasfiirjtin” und unter Ver:
wendung einer älteren Mru-
fit eine Anzahl gut berech:
neter, aber erfindungsichwa=
her Nummern gejdrieben,
bie nad) zweihundertmali=
ger?Inftrengung og Roger
lid) bod) melodiös Jeir und
ins Ohr geben werden. Ter-
lelben Gejdjidjte in Grün
begegnet man im Carl:
theater bei Nedbals
neuer Operette „Die ſchö—
ne Saskia“, nur daß bie
Gade in Holland und in
der Schweiz jpielt, zwiichen
einem Maler unb feinem
Modell, bas fih als feine
Witwe ausgibt: reine Liebe,
Enttäufhung, gebrochene
Herzen, Tränen und fo
weiter — [iebe oben.
ijt immer Dasjelbe. Die
nllijd oder wild bewegt
ein, die Wiener Operette verharrt bet ihrer
tt, fie verharrt und erjtarrt und wird IR
troß aller großen Erfolge bod) jelb
dadur
zugrunde richten...
ber, aber, wozu diefe ajthetijde Entri-
(tung? Das bat bod) gar feinen Swed.
Gerade jebt, während id) diefe Gntrüjtung
in meine im hineinflopfe, [tebt
drüben an ber Plafatwand ein 3ettelam:
fleber und flebt gemütlich grüne unb rote
Duerftreifen an: ,9[usverfaujt!^ .. . „Alle
Logen und Eibe vergrifien!“... „Für
Samstag und Sonntag alles ausverkauft!“
... Dagegen fommt feine Rritif auf. Schade
um jedes Wort.
S en OL `
echsundfiebzigjährig' hat George
¢ Clemenceau das Ziel erreicht, das
jeiner Natur nad) von ihm am
bejtigiten begehrt werden mußte:
Er ijt nicht blog Minijterpräjident
der Republik Frankreich, was er jdjon vor:
bem einmal gewejen war, jondeın, wenn and)
nicht dem Namen nad) Diktator, |o doch mit
biftatorijdjen Befugnijjen ausgeitattet, in
einem Augenblid zur Herrichaft berufen, wo
das aerjplitterte Land einen mächtigen, ja
fait tyranniihen Willen begehrt ober dod
unbewußt winjdt. Wie lange der „Tiger“
— jo nennt man George Clemenceau jhon
feit mehr als zehn Jahren der wiitenden
Prante wegen, mit der er gegen alle feine
Gegner — und wer ijt nicht lem Gegner ge:
wejen, der irgendwelche Bedeutung oder
irgendweldyen Einfluß hat? — losgeht, wie
lange aljo der Tiger neben dem von ihm
wütend befämpften Poincaré bie Bejchide
ranfreichs leiten wird (ich |d)reibe dieje
eilen Mitte Dezember), das ijt allerdings
recht zweifelhaft. Man könnte faft glauben,
daß im Augenblide, wo diejer Berjuch, einen
Umriß feiner Werjönlichfeit zu geben, in
Drud erjcheinen wird, er jelbjt jchon wieder
gon Oppoſitionsmann gewor`en ijt, ber er
rei Biertel feines Lebens gewejen war. Und
der er trog allem feiner Natur nach ift.
George Clemenceau ift als Sohn eines
Arztes 1841 in der Vendée geboren worden.
Gr tam, wie alle jungen Franzoſen, die
Söhne halbwegs begüterter Eltern find, mit
achtzehn oder neunzehn Jahren in bas Stus
bentenviertel von Paris, hat dort; wiederum
der franzöliihen Tradition folgend, ben
väterlichen Beruf aufaenommen, Medizin
[tubiert, fein Doftordiplom erworben und
als 9Irmenargt — bei uns würde dies Ka]:
fenarzt heißen — feine Praxis auf dem Berge
Montmartre begonnen. Aber jhon während
er in der Rlinif und im Anatomiejaal arbei-
tete, 309 es ibn zum Journalismus. Er
wurde jtäntiger Mitarbeiter eines der vielen
Rampfblätter, bie das Jahrzehnt zwiichen
1860 und 1870 djaratterijieren, und ein Jours
naltjt ijt er fein Leben lang geblieben: ein
leidenſchaftlicher Rritifer ber Tagesereignijle,
eigenwillig, mcijt in jeinem Blatt der eigene,
ber einzige Herr, und fern den Durch gefell-
[bonia Bande verknüpften Kreifen der
oulevarbprejje. Wenn andere Politifer, die
in jjranfreids irnerer oder äußerer (Ge:
Ichichte Bedeutung gewonnen haben, ihre
Herkunft vom Anwaltsberuf nie verleugnen
-Iönnen — und Das ift ber im franzöjiichen
Parlamentarismus häufigite Fall —, jo ijt
George Clemenceau ein Beilpiel für Den
Politifer, ber nad) Richtung, Ziel und Form
feines Wiıtens immer die Verwandtichaft
mit ber Tagesprejje bezeugt. Die perjon-
Dig SON
WEY
_ =
lichen Gaben Clemenceaus waren ſchon febr
früh zu erkennen gewejen. Er jchrieb und
Ee gleich eindrudsvoll. Troßdem ijt er
pat zu den äußeren Zeichen politijcher Macht
gelangt: er mußte, was bejonders in Frant:
reich, Dem Lande der jungen Minijter, auf:
fallend ijt, fechsundjedjiqg Jahre werden, be:
vor er das erjtemal einen Miniſterſeſſel ein:
nehmen durfte und furz darauf aud) das
erjtemal Minijterpräfident war. Das hatte
natürlich feine guten Gründe. Wenn ein hoch»
begabter Menſch unbeliebt ijt, weil er mit
unbeugjamer Härte dem Ziel, bas ibm feine
Natur vorjchreibt, nachgeht, wird ihn das
jtets in gemijjem Mae in feiner Karriere
hindern. Geit er, faum dreißig Jahre alt,
aus Ymerifa, wohin er eine Studienreije
unternommen hatte — und woher er jeine
Brau, von der er dann gejchieden wurde,
mitbrachte —, aurüdfam, ijt er immer von
mindejtens drei Wierteln feiner Berufs:
follegen, ſowohl denen ber Prejje wie der
PBolitif, gefürchtet, ja gehaßt worden; und
er jelbjt hat ben meijten bedeutenden oder
gar einjlußreihen SUlenjd)em, mit denen er
ın Beziehung trat, vielleicht mit ganz ge:
ringen Unterbrechungen, heftige Gefühle ber
Abneigung entgegengebradht. Er hat aud
aus feinem Herzen nie cine Mlördergrube
gemacht und jid) bejonders in jpäteren Gah:
ren in ber Rolle des fajt berufsmäßigen
Minifterftürzers gefallen. Bei dem Jüng—
ling und jungen Mann war folche Haltung
ae Ausflug febr ftarfer politijder Emp-
indungen, einer gewiſſen, wenn aud) meijt
negativen Sjingertjjenbeit, eines Enthujias:
mus, Der fid) jedod) paradoxerweije immer
mehr im Berjtören als im Aufbauen aus-
prägte. Sn jpäteren Jahren hatte man ja
allerdings den Eindrud, daß George Cle-
menceau lieber auf der. linten als auf Der
rechten Bant jibt, weil das jeinen ihm Jelbjt
wohl bewußten Gaben beffer entipricht, Daß
er jtets Den, ber zur Macht gelangt, be:
fämpft, aber nicht etwa, um jelbjt zu Amt
unb Wirde au tommen, Jondern weil feine
geiltige und feetiihe Verfaſſung ihm ſolchen
Kampf, ſolchen Widerſpruch gegen die vox
populi auferlegt. Und nun in den allerletzten
Jahren, denen er ben Namen ‚der Tiger, ver:
dankt und in denen er in feinem Blatt, das
befanntlich zuerjt ,L'homme libret (der frete
Menjch), dann als die Herrichaft der Zenjur
begann, ,L'homme enchainé (der Vtenjch
in Ketten) hieß, jede Standalaffäre aufarıff,
um einen einflußreichen Mann unmöglich zu
machen, durfte man mit Redt den Ein:
drud haben, daß George Clemenceau Die
Macht eines fimplen Miniſters ober auch
Miinifterprajidenten unter gewöhnlichen 33er:
haltnijjen gar nicht mehr anjtrebte, Jon:
dern erft Dann feinen Blak auf der Bank
Velhagen & Rlajings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2 Bd. 14
der grundjaglid) Nein: Sagenden verlajjen
wollte, wenn ibm eine ganz auerordent-
[ide Machtbefugnis eingeräumt würde; ans
ders gejagt, wenn er als der Retter des
Baterlandes erjcheinen fonnte, berufen oe:
rade von jenen, bie er bis zur Stunde wis
tend angegriffen hatte. Und diejen Triumph
eines Lebens hat George Clemenceau ja
wenigitens fiir ben Augenblic erreicht. Der
Präſident ber Republif, gegen den Glemen:
ceau Jahre hindurch in den wildeften Aus—
brüchen des Zorns gebebt hatte, derjelbe
Boincare, dem Clemenceau niht allein als
ein politijcher, ſachlicher Gegner, jonberm
eradezu als periönlicher Todesfeind gegen:
liberjtand, war gezwungen, eines Nachmit—
tags Herrn Clemenceau zu fid) zu berufen
und ibm unbejd)rántte Bollmachten zu geben.
George Clemenceau hat den Reig diejes Mo—
ments ficherlich mit allen Fähigkeiten feiner
gewiß nicht einfachen Natur als Krönung
eines fampfreichen Yebens, in bem es Höhen,
aber auch tiefe Stürze gab, qenojjen. Er hat
dann aud in wenigen Stunden fein Kabinett
gefunden, in Dem eigentlich) nur er weit:
reichende Stimme hat, und mit jeiner erjten
Regierungshandlung, feiner erften program:
matijchen Rede in der Kammer zeigte er
aud), daß er mit berjelben Sntenjitát, mit
ber er die Regierung und die 3enjur imt
bejonderen bis zur Stunde befehdet hatte,
nun widerjprudslojen Gehorjam fordern und
jeden Angriff gegen feine Autorität mit allen
Mitteln abwehren würde Die Hier ange:
deutete Wandlung fann allerdings ben taum
überrajchen, ber die politijde Vergangenheit
Clemenceaus tennt. Denn jchon einmal, gez
rade ein Jahrzehnt vorher, hatte Clemens
ceau, als er zur Regierung fam, mit Der
gleichen Unbefiimmertheit das meijte von
dem vergejlen, was er tags zuvor gefordert
hatte: Freiheit, Demofratie und was ſonſt
zum radikalen Programm gehörte. Man darf
aber nicht meinen, daß dies Beweije für
einen baltlojen oder gar verlogenen Chas
raiter find; ja, bet aller Gegnerjchaft Cle-
menceau gegenüber, zu der die Deutſchen
gewiß Grund haben, wäre es ungerecht, thn
auf Grund folder Wandlungen einen Streber
zu nennen, der tut, was feinem perjönlichen
Ziele im Augenblid am vorteilhafteiten ift.
So geradlinig war und ijt eben Wejen und
Erſcheinung biejes Mannes nicht, in dem
ein jtarfer Wille Betätigung verlangt.
Wer bas Bildnis Clemenceaus anfieht,
das Manet, der große franzöliiche Impreſ—
jionijt, gemalt hat, wird Jogleich ahnen, daß
er eine verältelte, aber auch ungemein ftarfe
Natur vor jid) hat. Die Niejenjtirne, der
ein wenig Ipiße, fable Schädel mit den ftar-
fen Ruochen, dte leidjtgelblidje Haut, der
bujchige, weiße Schnurrbart und nicht zulett
Die nervigen und nervöſen Hände find Mert-
male einer männlichen Erjcheinung, die weder
durchaus typiſch franzöſiſch ijt, noch tiber:
haupt dem menjchlichen Mittelmaß angehört.
Hier ijf aus geijtigen und jeelijd)en Gaben
W. Fred: — —
gemiſcht ein Mann geworden, der, natürlich
auch durch die Erlebniſſe eines langen und
bunten Daſeins geformt, ebenſoviel Skepti—
zismus, ja Zynismus allem menſchlichen Tun
anderer gegenüber empfindet und äußert,
wie er ein unbejchränftes Vertrauen zum
eigenen Det, zum eigenen Handeln hat. Und
dieje Sntenjitát ijf er auch ımjtande, auf an:
dere zu übertragen. Hier liegt vielleicht bas
Geheimnis der Wirkung Clemenceans jelbit
feinen Feinden gegenüber, bie — da⸗
für, daß er jetzt eine überwältigende Mehr—
heit, ſowohl in der Kammer, wie im Volke
für ſich hat. Die Lebenskraft, die ſich im
Außeren Clemenceaus ausprägt wie in jedem
Wort, das er ſchreibt oder ſpricht, wirkt mit
einer förmlichen Suggeſtivkraft. Man hat
nicht mit Unrecht gelagt, daß die Mahl
Glemenceaus zum Wlinijterprälidenten eine
DBerzweijlungstat Boincares war, ja mehr
als bas, ber Ausdrud einer verzweifelten
Situation bes gejamten franzöliichen Bolfes.
Wenn in anderen Ländern in folden Bers
— ein Koalitionsminiſterium ge—
ildet wird, weil man meint, durch eine Ver—
einigung gegneriſch geſinnter Männer das
Vaterland zu retten, weil ſie dennoch in
einem einig ſind, daß nämlich ihr Land
gerettet werden müſſe, ſo iſt hier, charakte—
riſtiſch genug für die franzöſiſche Denkweiſe,
der gegenſätzliche Vorgang zu beobad»
ten. Der Feind aller großen Politiker
wird zur Regierung berufen, mit größeren
Vollmachten ausgeſtattet als je etn Miniſter—
präſident vor ihm, vielleicht weil man hofft,
daß gerade ſein Ungeſtüm, ſeine Wildheit
ihn befähigen werden, die verwirrte Situa—
tion zu löſen, anders geſagt, den gordiſchen
Knoten zu zerhauen. Nur das franzöſiſche
Volk und die es vertreten, können ſo leicht
vergeſſen, was früher war, um einen Mann
mit der Vergangenheit Clemenceaus zum
Retter des Vaterlandes zu berufen. an
hatte ja nicht wenig zu vergeſſen bei Clemen—
ceau; die einen dies, die anderen jenes; faſt
alle perſönliche Angriffe. Während des Pa—
namahandels war auch auf ihn ein recht
derber Schmutzflecken gefallen, ob mit Recht
oder Unrecht iſt nicht zu entſcheiden, aber
ſelbſt wenn man an die perſönliche Ehre und
Unbeſtechlichkeit Clemenceaus glaubt, was
wohl mit Recht unparteiiſche Beurteiler ſei—
nes Weſens tun, ſo bleibt doch, von allem
Perſönlichen abgeſehen, übrig, daß er in ſehr
weſentlichen Augenblicken der Vergangenheit
Frankreichs verſagt hat.
Die widerſpruchsvolle und doch ſo ſtarke
Wirkungen erzielende Perſönlichkeit Clemen—
ceaus verlangt, daß man ein wenig nach
den Tatſachen ſeines Lebens fragt. Es iſt
ſchon geſagt worden, daß er von Beruf Arzt
iſt, daß er aber nur kurze Jahre ſeine Tätig—
feit als praktiſcher Arzt ausgeübt hat. Mur
einmal Dat die Öffentlichteit Gelegenheit ge:
habt, ibn als Jolchen tennen zu lernen und
die ijf nur erwähnenswert, weil jie Clemen-
ceau im Licht ber zeitgenöjliichen Beurteilung
—— —— Der
Während einer Rammerfitung ijt fein
ollege Guyot ohnmadtig geworden, und
Clemenceau eilt thm zu Hilfe. (Gr unter:
ſucht ibn und verfündet: „Nichts Ernites, in
vierundzwanzig Stunden ijt er wieder ge:
fund.” Am nádjten Tag war Guyot tot,
und die Parijer ließen fih den Wig nicht
entgehen, Glemenceaus ärztliche Diagnojen
feien ebenjo faljch wie feine politijden. Er
elbit mag dazu gelächelt haben, denn, wenn
liber von dem ungeheueren Bertrauen ge-
prochen wurde, Pas er zu fid) jelbjt bat, jo
arf anderjeits aud) nicht verjchwiegen wer
den, daß er von jenem echt franzöſiſchen Beilt,
ben man gern Eiprit nennt, ftets genug hatte,
um feine Berfönlichkeit und ihre Stellung in
der Welt mit einiger Ironie anzujehen.
Ein einziges Beijpiel dafür: Als er nad)
feiner legten Diktatur gejtürzt wurde, ver:
Dep er das Palais bes Miniſterpräſidenten
ohne Gepad, aber mit einem Wig. Er war
nämlich bei feiner Ernennung gar nicht in
Bie Amtswohnung iüberjiebelt und durfte
deshalb ruhig jagen: „Hatte ich nicht recht?
Sch bin mit einem Regenfdirm ins Mini:
fterium gefommen, verlajje es mit einem
Spagierftod, ber TC stoner babe id
aljo nicht.“ Das ijt eine ?[nefbote, die zu:
fällig fogar tatjächlich wahr ijt, aber wie die
meijten Anekdoten hat fie überdies innere
Wahrheit, die mehr ijt als bie äußere. Cie
eigt den Clemenceau, der fic) in feinen
ämpfen Icheinbar immer von perjönlichen
Motiven leiten läßt, dod) aud) als einen
Mann, ber fid) nicht jo ernjt nimmt, daß er
im Augenblid des Sturzes lächerlich wird.
WW 8 8
Der Student, junge Arzt hatte fleißig für
Zeitungen geſchrieben, in Verſammlungen
gejproden. Als die Republik proklamiert
wird, wählt man ihn zum Bürgermeiſter des
Stadtteils Montmartre und Mitglied der
Nationalverſammlung. Er iſt dann wäh—
rend der Commune Vermittler zwiſchen den
widerſtreitenden durch den Bürgerkrieg auf—
ewühlten Parteien und bekommt in der
pe bas Mandat, das Belleville, der
nit allzu gut beleumundete Stadtteil in
aris, zu vergeben bat. Den gleichen Kreis
atte Gambetta vertreten, und Clemenceau
wurde, lolange er DOppolitionsmann war,
der Dbejtigite Gegner Gambettas; trobbent
werden manche finden, daß er in feinem
Mejen und auch im Ablauf feines Wirtens
manche Ähnlichkeit mit Gambetta hat. Dann
allerdings, als er Minijter geworden war
und in Nizza bas Denfmal Gambettas ent:
büllt wurde, hielt er ihm eine jchöne Feſt—
rede... und es mag fein, daß dem Damals
aud [don nicht mehr jungen Clemenceau
KIT monde ÄÜhnlichkeit zwiichen feinem
eben und bem Des Mannes, ben er nun
feierte, Durch den Kopf gegangen ijt.
Schon Zola hatte erfannt, wieviel jtarfe
Fabigteiten in Clemenceau ruhen, nur aufge-
rufen werden miijjen, um dem Lande zu
nügen, und hatte es beflagt, da er über:
Tiger 936333833333 ZZ ZZ 203
[ange auf den rechten Wirfungsfreis warten
mue, Der Name Clemenceaus wird erit
an jenem Tage auch über die Grenzen feiner
Heimat hinaus betannt, als er, damals nod)
ein rabifaler Zeitungsjchreiber, mit einem
Worte den allmächtigen Ferry ftürzt. Ein
Zwilchenruf Clemenceaus jchleuderte ben
Dliniiterprälidenten Gules gerry aus ber
Bahn; Clemenceau rief ibm in ber Rammer
zu: „Allez vous-en!* und Ferry hatte zu
gehen. Bon dem Tage an gilt Clemenceau
mit Recht als ber größte Politifer der (oit:
loirs im Palais Bourbon, als der Mann,
vor bem jede Regierung zu zittern hat,
Dejfen Spezialität es war, Rrijen vorzus
bereiten und Dann den enticheidenden Mugen:
blid richtig zu finden, um den Miniſter zu
ftiirzen. Clemenceau Dat inzwijchen cine
Reihe von Blättern gegründet, ,Guftice’,
‚Bloc, Aurore. Dieſe Blatter bildeten fait
zehn Jahre lang fein Forum. Sn der Ram:
mer jelbjt war er unmöglich) geworden. Er
galt, weil dem Prinzen von Wales, bem ſpä—
teren König Eduard, eng befreundet, als
Berräter feines 3Raterlanbes, und man joblte
ibm jpóttijd) englijdje Spottrufe zu, wenn
er jpredjen wollte. Damals ijt bas ganze
Land Franfreid) gegen England, und Cles
menceau ilt unten durch, weil er fiir Eng:
[anb ijt; jet ijt Frantreid) durch die Freund:
Ihaft mit England in den Weltkrieg hinein:
qerijjen worden, und Clemenceau hat in der
Oppojition bie unheilvolle Saat reifen fehen,
die von jenem König Eduard im Verein mit
feinen franzöjtichen Freunden ausgeftreut
worden war. Clemenceau war aber damals
nicht nur als ein von England Bejtochener
ausgezijcht worden, er bat auch in Der
Aurore’ den Dreyfusfampf auf der Seite
der AUufrechten mitgemacht und als einer der
witfungsvolliten Belämpfer des Militaris-
mus eine große Gemeinde um fidh verjam:
melt. Das ijt derjelbe Clemenceau, der |päs
ter bie dreijährige Dienitzeit für alle Frans
zojen als Witnijter dDurchjegte und Heute zum
Diktator gekürt wird, weil er jchärfer als
irgendein anderer den Wilitarismus predigt
und bas Heil Frankreichs nur in einem Sieg
der Waffen Sieht.
Die Freundſchaft Glemenceaus mit König
Eduard von England tit wohl mit einer der
Gründe, bie feine ablehnende Stellung gegen
Deutjchland bewirften. Denn im Gegenlaß zu
einer großen Jahljeiner Kollegen im polittjd)en
und journalitilchen Beruf Frankreichs und
Englands tann man von Clemenceau nicht
lagen, daß er ein Feind Deutjd)er (rt aus
blindem Chauvinismus iit. Clemenceau
weiß recht viel von fremden Weſen, bat eine
große weit über Fachliches hinausgehende Bils
dung, und wenn er an deutiche Dichter oder
Philoſophen erinnert ober fie zitiert, fo ijt
das gewiß nicht nur eine Literarijche Mire.
(ft bat ja auch jefbjt mit einem eigenen
Werte den Weg zum Ddeutichen Publikum
gejucht, ober wenigitens dieje Reſonanz nicht
ungern gejehen: eut jehr reizvolles Theater:
14*
904 W. Fred: |[2494242434324342424242-: 24 ZZ ZZ]
[tid Clemenceaus „Der Schleier bes Glüds"
it in Deutjchland und Oſterreich gejpielt
worden. „Ter Echleier des Cliids” ijt nad)
Inhalt und Cpradje, im Gegenjaß zu ber
fonjt bet Clemenceau Start zutage tretenden
Erdenichwere, ja fogar Brutalität, ein bra:
matijches Gedicht philofophijcher Art mit
jeeliihen Problemen und Weltanjchauungss
fragen jpielend, und eine merfwiirdige per:
Jönliche Art, bie Dinge bes Lebens zu leben,
ofienbarend. Auf diejes Wert näher einzus
gehen, ift hier wohl nicht angebradht, ba es
lich ja darum handelt, Clemenceaus Gejamt:
ericheinung fid) vom Hintergrunde feiner Zeit
und feines Wiilieus abheben zu laffen, bejon:
ders aber bie Gründe jeiner Wirkung — im
Guten und Böſen, im Bojitiven wie Nega:
tiven — über mindeltens zwei Generationen
anzudenten. Immerhin muß darauf hin:
gewiejen werden, daß er noch eine Reihe
anderer literarijcher Arbeiten gejchaffen hat:
La Mielée jociale‘, Le grand Wlan‘, Les
[us forts’ ujw.; denn dies gibt einen Begriff
einer Lebensfiille und Arbeitskraft — be:
jonders wenn man fid) vergegenwärtigt, daß
er all dies ſchrieb neben einer intenjiven
politijdjen Tatigteit und dem Preſſedienſt,
ber ihn nicht allein Gründer und Heraus:
geber von Tageszeitungen fein ließ, jondern
der ihm aud) Tag um Tag einen Leitartifel
abverlangte — etwa durd vierzig Jahre.
Clemenceau ijf aber auch eine rezeptive
Natur. (Co wie er in einer Zeit, in der
bas Reifen, bejonders nach anderen Welts
teilen, nod) gar nichts Gewöhnliches war, nad)
Wmerifa ging, bie Lebensverhaltnifje dort zu
Meet jo ijt er aud) mehrmals in unjeren
"ändern gewejen; mehr als das, perjónlidje
samilienbeziehungen mehrfacher Urt ver:
fnüpfen ihn mit Öjterreichern und Ungarn.
Trog alledem konnte |djon ber, der Clemens
ceau in den Jahren vor Algeciras und
Marotto |prad), merfen, daß er Deutjchland
durdyaus nicht liebte; anders bejjer gejagt,
er ift einer jener Beurteiler deutjchen Wejens,
die unbedingt und aufrichtig am ein zwie—
jpaltiges Deutjchland glauben, an ein Deutjch-
land, das burd) Goethe, Beethoven und alles
Gute charafterijiert wird, und ein anderes,
das imperialijtilch ijt, von SFeldwebeln regiert
wird und Die große Gefahr für alle anderen
europdijdhen Lander darftellt. Schon 1871
war Clemenceau gegen den Braliminar:
frieden mit TDeutichland gewejen und wenn
er auch weit entfernt war, von der llnbe:
dingtheit und 3ábiafeit, mit der andere Po:
litifer, wie zum Beijptel Barres, gegen
Deutſchland jdriebem und ſprachen, fo iit
Dod) bie Revancheidee in ibm lebendig gee
wejen. Manchmal jah es vielleicht jo aus,
als fonne er an einen 9Liisafeid) denten. Im
wejentlichen aber gehörte er zu jenen, Die
den Krieg zwijchen Frankreich und Deutſch—
land nicht nur für unvermeidlich hielten,
jondern fogar vorbereiteten.
Als Clemenceau 1906 das eritemal Mi-
nijter und einige Zeit darauf Miniſterprä—
fident wurde, fragten ihn feine bisherigen
Kollegen von ber Preſſe: ob er denn glaube
(id halten zu fünnen. Cie dachten nicht mit
Unredt daran, wie viele Feinde er jid) ges
ſchafſen habe, und wohl auch, daß er bisher
feine Ctarfe als *Bolitifer mehr in der salle
des pas perdus, dem berühmten Vorraum
zur Deputiertenfammter, bewielen habe, aljo
im Sntrigen|piele und im Kampf gegen
eine Sache, als in ber pojitiven Regierungs:
arbeit. Mit einem oft zitierten Wort er:
widerte Clemenceau, indem er eine damals
an allen Straßeneden von Paris plafatierte
Rellame einer Yutomobilfirma auf jid) an:
wendete: „Sch bin wie der pneu michelin.”
Das Plafat diejes Gummireifens nämlich
trug bie Unterjdrift: „Je bois l'obstacle"
(id) trinfe, id) fauge jeden YRiderjtand).
Clemenceau wollte damit jagen: je mehr
Hemmungen meiner Natur entgegengeitelli
werden, je mehr Kämpfe ich zu bejtehen
habe, dejto eher habe ich Gelegenheit, meine
Kraft zu entfalten und geheime Fabigfeiten,
die ın mir ruhen, zu erweden; er wies fo
mit bemerfenswerter Ginfid)t in feine eigene
SRerjónlidjfeit aud) auf den Reig Hin, der
für ihn eben im Kampf an fic liegt. Daß
er fid) gleichzeitig ober in den Jahren jpäter
— gern eine Regierungsſtütze nennt,
as will nicht allzuviel ſagen. Es iſt ſchon
erzählt worden, daß er als Miniſterpräſident
ſeine demokratiſchen Anſichten bald genug
fahren ließ; der Winzeraufſtand, der gerade
damals ausbrach, zeigte ihn gleichzeitig ſo—
wohl als einen ſchlauen Diplomaten, der
den Führer der Gegenpartei, indem er ihn
der Lächerlichkeit preisgab, unmöglich madte,
wie auch als unerbittlichen Tyrannen, der ſi
durchaus nicht ſcheute, gegen das Volk, Er
bellen Freiheit er fo ott große Worte ge:
funden hatte, Gejdiige auffahren zu laffen.
In bieler Periode feines Lebens zeigt fich
am ftarfiten, wo in Clemenceaus Veran:
lagung ber wejentliche Mangel jtedt. Er ijt
Politifer, ijt Gournalift von großen Gaben,
aber fein Gozialpolitifer, und zwar fehlt
ibm bie fogiale Ertenntnis wie das joziale
Gefühl im glei hohem Maße — trog
mandes Merluchs in biejer Richtung. Jn
Ifartem Gegenja& zu englijden Staats:
männern, wie 3. B. Lloyd George, bie teils
aus eigener Veranlagung, teils von der Zeit
belehrt, oder aud), was bejonders fiir Lloyd
George zutrifft, nad) deutſchen Vorbildern
den Joztalen Kampf in feinen friedlichen und
in feinen friegerijchen Formen als bas wid)»
tigite Problem ihrer Zeit zu betrachten om:
fingen, hat George Clemenceau, allerdings
vor jeiner Regierungszeit, wenn er es als
Mittel gegen einen gebaBten Gegner brauchen
fonnte, aud) Diejen Kreis von Fragen nicht
unbeachtet aclajjen; er Dat aber nidjt be
arifien, daß bier ber Brennpunit alles wejent:
lichen Wirfens für einen modernen Staats:
mann ruht. Dies ift die Grenze, bie feiner
Begabung gelegt ift, und an bieler Grenze
ijt er als Winijterprajident im Jahre 1906
Leer FS SSSSSS SS 3039 30 3232 30 3032 32:2] Der Tiger [343434243434342:343434343:23] 205
geicheitert, an dieſer Grenze ſcheitert ſchließ—
lid) und endlich auch feine perjönliche
Entwidlung. Drei Jahre währte die Zeit,
bie Clemenceau das erjtemal auf der Re-
gierungsbanf figen durfte. Er wurde ges
ſtürzt, als er es fid) nicht verfagen konnte,
das legte Wort zu behalten, als das Wort
mit ibm durchging und er in öffentlicher Rams
merfigun Telcaljé vorwarf, daß der Krieg
mit Deut/chland während der Viaroffotrije
nicht geführt wurde, weil man fid) in Frant:
"reich zu ſchwach gefühlt hatte. Clemenceau
mochte recht haben, aber er hatte vergeilen,
daß fein Volk fic) das in öffentlicher Sitzung
fagen läßt, bejonders wenn ein jolches Wort
über Die Landesgrenze hinausichalt. Go
mußte er die attgenblidlidje Schlagfertigfeit
mit bem Werluit ber unmittelbaren politi:
[den Wirtjamteit für eine Reihe von Jahren
bügen. Allerdings darf man nicht vergejjen,
dag er Durch feine Zeitung — Die Weis
die gleiche blieb, wenn fie auch den Namen
wedjjelte — immer nod) Macht genug auss
übte. Clemenceau, ber nun [djon ber alte
Clemenceau wurde, allmählich fogar ber
reije Clemenceau, febrte zu [einer politi:
ie Sugendliebe zurüd, zum Radifalismus,
um Schimpien und Toben gegen jeden
ann, der Bedeutung oder Einfluß zeigte.
Bleichviel, ob es Heimatsgenofjen waren oder
Rundesgenojjen oder Feinde, er hat, feit ber
Weltkrieg begann, bejonders eben o Wiljon
oder Kereniti maßlos geſchmäht wie die Män—
ner, bie in jyrantreid) gerade am Ruder waren
oder Ausjicht hatten, ans Ruder zu tommen.
Einbheitlichleit und Harmonie bes Wefens,
Ronjequeng bes Tuns find nun einmal nicht
die Gigenidjajtem des „Tigers“. Derfelbe
Mann, ber als Minifterpräjident auf Die
Bergarbeiter, die ihr foziales Recht verlang:
ten, jchießen ließ, trofjbem er auf ein demo:
fratijch= jozialpolitifches Programm früher
eingejhworen war, tobte gegen Poincaré,
weil ihm der autofratijder, freiheitsfeind:
licher Tendenzen — wohl mit Recht — fhul:
big ſchien. Die Rache, bie er ihm bei ber
Mahl in Berjailles geſchworen hatte, hat er
in der vielfältigjten ern in feinem freien‘
und ‚gefejlelten Mann‘ geübt und teine
Standalaffäre war ibm ſchlecht genug, um `
egen den Präſidenten ber Republif zu hegen.
n Ddiejen Kämpfen gegen Caillaux und
Maloy 3. B., aber aud) gegen viele ans
dere, ijt er oft bis weit über die Grenzen
des Ladherliden Dinausgegangen, aber fein
Einfluß ijt, mas eben ber Lebensfraft, die
in ibm wohnt, zuaufchreiben ijt, während
der Kriegsjahre trokdem groper geworden.
As Mitglied bes Genats und Vorſitzen—
der des le fand er ein
banfbares {Feld für feine [fete Luft an
Krijen, er ftürzt den Generalijjimus Joffre,
wie er chedem Ferry gejtürzt bat und ohne
Zweifel auch Poincaré gejtürzt hätte, wenn
Diejer nicht im lebten Augenblick lieber bas
Opfer der Gitelteit gebrad)t und den Tod:
feind zum Machthaber eingejett hatte.
Es ift fein Zweifel, daß, um [olde
Wirfung ausüben zu können, man einen
weiten Kreis von Anhängern haben muß,
und zwar bejonders unter der anonymen
Menge, den Zeitungslejern, ber großen
Maſſe des Volles. Dieje Reſonanz bengt
Clemenceau im höchſten Grade, und er niibt
fie aus, ob er nun das Wiittel der Zeitung
oder bes gefprodjenen Wortes braucht. Jour-
nalijten feiner Art find ja in jyrantreid) we:
niger felten wie bei uns. Es ijt eine aus:
geiprochen perjünlidhe Wirkung, bie da
von einem Menſchen auf einen großen Teil
ber Bevölferung ausgeht, und fie ijt bei
Clemenceau vielleicht deshalb gut zu be
greifen, weil bei all feiner Hemmungslofig:
teit feine Anhänger bod) [tets oder fait Weis
das Gefühl haben, daß er bas, was er jagt,
aus eigener innerer Überzeugung heraus
aus|prid)t, wenn es aud) nur für bem
9Stugenblid jelbjt fein Wieinen ijt. Die
Kluft, bie Clemenceau von den anderen
frangöfifhen SBolitifern [djeibet, die entweder
YWovofaten von Beruf find oder dod Ad—
vofatenjeelen haben, gum allergrößten Teil
mit einem rabital jogialiflijden Programm
perjönliche, recht materialijtijdje Snterejjen
verbinden, ijt febr groß; und bei bem Ber:
se gwijden dem wilden Tiger, ber fid)
auf feine Opfer ftürzt unb die Wlinifter nur
jo zerpflüdt, dabei aber fiir jeine eigene
Berjon aniprudyslos ijt, ein unermiidlider
Fechter, ein reizvolles Bild allen jenen,
die an Lebenskraft Freude haben, und
den anderen, die von frühelter Jugend
an mad) Stellen und Gtellungen futen,
eine Hand die andere wajden lajjen,
einen Kettenhandel treiben awilden Re:
ierungsmandaten, Unterjtaatsijefretariaten,
SBräfetturen und auch deutlicher ausge:
prägten Beli in der Form von Anteilen
an Altienunternehmungen oder Zeitungen
— — Diejer !ergleid) fällt eben doch gu:
guniten Glemenceaus aus unb erflárt Die
Wirtung, die er auf feine Celer, und
über ben Lejerfreis feiner Blätter hinaus
auf bas franzöliihe Volt, übt. Und aud
wir, denen er feindlich gegemüberjteht, dür-
fen ihn nicht in bie Reihe ber Ctreber oder
gar ber Gewinnfiidtigen ftellen. Er ijt ein
Augenblidsmenjch, darf jelbjt Dann, wenn
er von der einen Überzeugung zu der anderen
libergugehen jcheint oder wirklich übergeht,
nicht moralijd) gewertet, fondern nur als
eine wirklich amoralijde Natur angejeben
werden, als ein Mann, ber in der Reals
politit des Tages fiets nur nad) bem wirt:
janjten Mittel fragt und es unbedenklich
mabit, wenn es auch Kartätichen, oder in
anderen aud) nicht ſympathiſchen Fallen Ent:
hüllungen aus dem Privatleben eines Geg:
ners find, der aber immer eine Entſchul—
digung für fid) hat, daß er nämlich für fid)
nur Das eine will, was jede ftarfe Per-
jonlichfett mit 9tedjit verlangen darf: Die
Möglichkeit, fid) auszuwirfen. Die Lat ber
‘Tiger’ nun — wer weiß, wie lange?
& Neues bom Büchertifch S
Mon Karl Streder
OtCecececcececeeeccececccccceccececcecceeccecececceccccecccce(ce.cea233333233323323222033333233323332332333333213233233323235520
Jakob Schaffner, Der Dehant von Gottesbiiren (Berlin, ©. Filmer) — Ru:
dolf Hans Barti, Lufas Rabejam (Leipzig, L. Ctaadmann) — Grnit Zahn,
Nacht (Stuttgart, Deutſche Terlags:Anftalt) — Georg’Hermann, Einen Sommer
lang (Berlin, Ulftein & Co.) — Rihard Voß, Das Haus ber Grimani (Stutt«
aart, I. Engelhorns Nachfl.)
oblauf, laßt uns einen Turm bauen,
des Spike bis an den Himmel
reiche, daß wir uns einen Namen
machen! ber der Herr fuhr
zornig Bernieber und verwirrte
ihre Sprache.
Co bept es 1. Mo]. 11 von den deutjchen
Romanichriftitellern um 1917—18. Und folh
ein babplonildjer Turm (deffen Höhe nicht
ganz der Höhe unjerer „idealen Forderung“
entjpricht) ijt gefährlich; will man einen ein:
einen Bauſtein berausziehen, um ihn zu
etradjten, jo ijt zu befürchten, Daß der ganze
Turm über einen herfallt und „Nezenjenten“
erichlägt, fo ein hartes Wort Goethes er:
üllend, ber felber Regenjent war... Wie
ilft man jid? Mean fängt an, von oben:
er abzutragen, derweilen ruht bie große
tafle fidjer auf fid) jelber... Und ihon
länzen zwei befannte 9tamen oben an Der
innenfrone, als winften fie, nur zuzugreis
fen, es Iobne (ich gewiß: es find Jakob
Schaffner und Rudolf Hans Bartid.
Beide fommen von ber beiten Schule Der,
bie es für deutſche Erzählungskunſt gibt, von
Gottfried Keller. Das Hat oberflächliche
Rinfenijten — vielleiht qute Leute, aber
— Muſikanten — dazu verführt, in die
Belt zu tuten, die Schüler ſeien Dem Meiſter
ebenbürtig. Und da ſolche gedankenloſe
Gleichſtellungen, infolge jener Etikettierſucht,
an der die Kritik in Deutſchland geradezu
krankt, Waſſer auf die Mühle der Verleger—
reklame leiten, bleibt nun kein neues Buch,
zumal Schaffners, vor bem Umſchlagplakat,
das den „Erben Gottfried Kellers“ anpreiſt,
Kale Und doch tit, abgejehen von ber Tas
chung über Srößenmaße, gerade fein neues
Bud Der Dedhant von Gottesbüren,
wie übrigens jchon frühere Werte, der
lebendige Beweis für eine erheblich größere
Innenverwandtichaft Schaffners mit Wil:
helm Raabe, als mit Keller. Schaffners
beite Bejtalten find immer Hungerpaitoren,
deren Echnjucht weit über Werfeltaq und
Umwelt hinauswächſt. Auch diejer Dedant
von Gottesbüren ijt, fo gemeint, eine
zwielvältige und ungelöjte Natur. Gein
tatholiicher Glaube genügt thm nicht, eine
ftarfe Neigung zu fünjtlerilder Betätigung
auf ber einen, Das Verlangen nad) traulicher
Menjdenwarme auf der anderen Seite füh-
ren Gielen ſchwachen Charakter in die Irre
und lajjen ihn beinahe in weltbürgerlichem
Wohlgefallen jid) verlieren. Es ijt die be:
fondere Kunſt Schaffners, diejen Dechanten
hinter den Begebnijjen zu zeigen, wie er
meijt nur feinen Schatten, den Schatten eines
ernjten, fragenden, ringenden Menjchen, über
die übrigen Gejtalten wirft: über feinen
Neffen Heinz, den tatfriichen Feldjoldaten,
über bie ftille Heldin Linde, eine der ers
greifendften Mädchengeitalten ber neuen Lites
ratur, und ihren menjdlid)-werblidem Gegen:
jag, die abgebrühte Großjtädterin Rlinafe.
Auf diefe rantevolle 9SBernunitgláubige, die
von einer englijden Mutter jenieits bes Ra:
nals geboren, in Berlin als Deutjche [id
„gebildet“ hat, gieBt Schaffner bie ganze
Schale feines Dichterzorns. Heinz ſchwankt
zwilchen den beiden Boten der Weiblichkeit
[ange þin und ber; daß er jdjieBlid) ber
Klingje ins Garn geht, bat der Dichter nicht
recht glaubhaft gemadjt, aber ber Lejer achtet
faum auf folhe geheimen Einwände, denn
die Tragödie der Linde ift mit einer Größe
und riihrenden (Cdjidjtbeit geitaltet, da
man völlig im Bann der Dichtung ftebt.
Weiß uns dod) biejer wunderliche und wun:
berliebe Poet fogar am Cterbetijjen eines
armen Hundes beinahe zu Tränen zu rühren,
— wie denn Ion im ‚Boten Gottes‘ die
Todesizene des Hundes Stummel ein Meiſter—
ftii war. Friſch und rein ijt Schaffners Sip:
pofrene, Die groben Mittel rein äußerlicher
Epannung, bie heute üblich find, verjchmäht
er jo offenkundig. daß er aufregende Kampf:
ſzenen aus dem Kriege an ben Anfang jtellt
und dann zu Stillen häuslichen und jeeliichen
Kämpfen abbiegt, ohne uns Dod) zu ermiiden.
(fr vermeidet aud) den herfommilichen Ab:
ihlu. Daß feine Menichen, vor allem der
Dechant jelber, zur Bejinnung über jid) jelbft,
zur Einkehr und Lauterung gezogen werden,
Diinft ihn bas Wejentliche. Stille Siegerin
bleibt die Tote, Wn ihrer Bettitatt über:
fommt ben Dedanten einmal die Sehnjudt
nach ihrer herzhaften Natur, nad) ihrer ein»
fachen Yebensfrömmigfeit. Wher er erfennt,
„daß auch dies nur ein Symbol ijt, daß Die
Wahrheit viel tiefer und jchwieriger leat”.
Schaffner, der legtbinfichon in Gefahr war,
ih in eine gewilje überlinnliche Manier zu
verirren, ftelt mit feinem Dechanten wieder
unter flarerer Tagesjonne. In feiner Stillen,
fajt träumeriichen Urt, im fejten Glauben
an die ewige Celbjternenerung im Weltge—
triebe, führt uns diejer tiefgütige Poet feine
Bronzebildwerf von Otto Pilz
Perdegruppe |
WESSSEHEIESEHE Karl Streder: Neues vom Biidertijih BZZZZZZZ 207
Etwas frausföpfig und
wunderlich, eigenfinnig und buntjchedig, aber
aud) fchalfhajt und )celmijd) — ein gold:
echter Humorilt. Er hat ein volles Redt,
fid) über bie Klingje zu ärgern, wenn fie
„aus einem ganz auf verjtandesmapiger
Jtervenipannung aufgebauten allerneuejten
Roman vorliejt, bejjen Figuren ſchon an jid)
wie Ausbrütungen eines fiebernden Hirns
wirkten, und Ddefjen Vorgänge unheimlich
und wiiblend aus franfen Gründen aufbra=
den, um ebenjolchen zuzutaumeln, während
ein jchmerzlich überwacher Geiſt glofjierend
über Dem Ganzen jchwebte, wie eine unfaß—
liche ` Läjterung des Lebens und Gottes“.
Sreilich jo fieht vielfach der von Urteilslojen
und von eistalten Spetulanten angepriejene
„neue Roman“ aus.
Halten wir uns lieber an Dichter, die mit
ihrem SHerzblut fchreiben, denen Liebe zu
Menih und Tier, Brüderlichkeit zu Baum
und Strauch ein natürliches Gefühl ift. Wie
weiß uns gleich zu Beginn feines Romans
Lufas Rabejam der Sjterreicher Rudolf
Hans Bartjch mit einer jubelnden Bor:
frühlingsitimmung zu ergreifen, die alle
Kreatur liebend umfängt. Vian meint Klänge
aus Ewald Strajjers ‚Vorfrühling' zu hören,
wo über dem ‘Braujen der kühlen Lüfte in
Knoſpenzweigen plößlich bas frilchgewajchene
Eilberblaudes Märzhimmels auflacht. „Bom
Mandelbaum,” heißt es da, „wehten Die
Blütenblätter wie lauter £iebesbriefdjen fil
bern in den blauen Himmel hinaus.“ Man
freut fih nach biejem Auftakt in der Spans
nung auf ein jugendfriiches Werf, wie die
‚Zwölf aus der Stetermarf. Und wirflich
bat Bartich hier eine Fortjegung jenes dichtes
riihen Dlorgentraums verjudjt; wieder find
nicht weniger als ein Dugend ſchwärmeriſcher
Weltbiirger, liebe Taugenichtje und Eigen:
brötler, auf der Suche nad) Blüd und Gott.
ı Zutage liegt bie Anfnüpfung der Fäden:
wir leben Othmar Kantilener wieder, den
vielfach begnadeten und heimlichen Medi-
zinmann, wie er, ein Bierziger jekt, vom
(Grabe der Frau von Rarminell fommt, bieles
damals wunderjichönen Frauenrdtjels, bas
nun gelöft im Erbbegräbnis liegt. Beinahe
wäre Othmar, als er träumend und ganz in
Bedanfensverjunfen vom Grabe zurüdtehrt,
von einem Ddaberjaujenden Kraftwagen über:
fahren worden, in dem ein junges, elegantes
Herrchen fit — fein natürlicher Sohn, ber
zum Grabe feiner Mutter fährt, der Frau
von Rarminell... Ein Sinnbild? Die Ju-
gend überfährt das Alter? Man denft an
den alten yona: in Sohn Gabriel Bork:
mann — ad), um es gleidh herauszuſagen:
man denft an fo vieles in biejem Roman,
was man anderswo gelejen hat... Es ift
unbejdadet aller Vorzüge, die aud) dies
Werf auszeichnen, bod) eine bei Bartjch dies»
mal befremdende Erjiheinung, dak er fait
alles aus zweiter Hand gibt. Freilich hat
er bei fih jelber die metten Anleihen oe:
madt. Aber [eine Wiederkehr zu jenem
bejonberen Wege.
Frühwerk mutet an, wie wenn jemand den
Einfall hätte, eine Studentenliebe nad) zehn:
jähriger Zwilchenzeit plößlicy nen einzu:
füdeln... Ramen nicht bieles Erzöfterreichers
allerliebfte Anmut und diberitrómenbe Ge:
fühlsjeligfeit jo oft Dergerquidenb und ver:
jöhnlich Dagwijdhen, man würde das Bud
ablehnen und Bartich daran erinnern, dak
er weniger Denter als Diufifant ijt. Denn
bie Weisheit, bie Diejer Gottjucher-Roman
predigt und Die feinen eigentlichen Inhalt
ausmacht, ift nicht nur uralt, fie ift auch
[don überzeugender begründet worden. Genes
altinbijd)e „Das but du”, die Brüderlichkeit
zu Bujd und Baum, Wolfe und Vogel
bildet ben Rernpunft der Lehre Lufas Rabe:
jams. Gebr jchön; aber, um bei ber Wahrheit
Au bleiben, diejes Evangelium ijt zu albe:
fannt und bier zu oberflächlich behandelt,
aud) zu weichlich= werbilch verftandDen, um
lößlich als ungeahnte Götterweisheit emp:
unden zu werden. Wohl läßt es fic) den:
fen, daß dieje Ntaturreligion, bte jedem Emp:
fänglichen im Blute liegt, eine neue große
Gemeinde fände, aber dann müßte ein Kün-
ber von ganz anderer Beiltes- und Geelen:
gewalt fommen, als Diejer dDürftige Rabejam
und der hinter ihm ftehende Rudolf Hans
Bartih. Zwar judjt er feine Lehre zu er:
bóben und zu ftarfen, indem er aus aller:
hand nahrhaften Fleiſchtöpfen najdjt; man
findet Broden vom Meiſter (dart, vom
heiligen Franziskus, von Angelus Silejius,
aud) Teljtoi, Nietzſche und nicht zum wenig-
Hen Seius tauchen wiederholt in der Erinne:
rung auf, aber gerade wenn Lutas 9tabejam
zum Bergprediger wird, und jo zum Ber:
[eid) mit dem Wanderer aus Nazareth vers
ihre erfennen wir feine Blößen. Und feine
ganze Lehre mutet jchließlich wie ein pagi
fiſtiſcher Abklatſch alles dejjen an, was von
den Evangelijten bts zum heutigen Tag über
grieden und Bottjeligkeit gejagt worden ijt.
Das Icheint jebt billige Weisheit, wo wir
alle von den Höllenjchreden diejes Daner-
frieges entjegt find. Trokdem wiirden wir
das Buch lieben, wenn nicht durch jeine
Iheinbare Wärme ein falter Hand des
Sajjes und der fleinlidjen Parteiltcdhfeit
zöge. Wher es iit im Grunde ein Fehde:
bud) gegen alles Norddeutſche. Wir wollen
es Rudolf Hans Bartſch nicht verdenfen,
daß feine Lieblings|tadte Rom, Salzburg,
Paris und Graz find (wer liebte fie nicht ?),
und wenn er von einem Staatenbund träumt,
der Ojterreid), Bayern und Schwaben um:
faBt, jo wollen wir ihn aud) darin nicht
tören und nur ein [eres Lächeln über dieje
weitblidende Wirklichkeitspolitikunterdrücken.
Auch wenn er für alle Bolfer, Stämme und
Rajjen liebevolles Verjtändnis 3eiat, nur bei
Den Ytorddeutiden ein ihm typilch erjchei:
nendes „in Reih und Glied” bejpöttelt, mit
feiner Sympathie aber jogleich wieder be:
ginnt, Jobald er weiter nordwärts fommt,
zu den Dänen — find wir ihm nicht aram.
Seder Dichter bat das Necht, feine Liebe
208 Karl Streder: [3E3L3L32 3232 3333 eet
und jeinen Sab offen zu befennen, und ich
wenigjtens behalte mir demgegenüber das
Redt vor, ihn aud) bann nod) als Dichter
zu |düten, wenn er meinem Bolfsijtamm
egenüber unhöflich ober ungeredyt wird,
Selbjt im ſchlimmſten Fall ijf uns da nod
ein befreiender Blid nad) oben und ein lei:
jes: o sancta simplicitas heimliche Abwehr
genug. Aber gegen offenfundige Geldjid)ts:
fälſchung wird man fih jdjlieBlid) bod) wohl
nod) wehren dürfen. Bon ſolchen Fäljchun:
gen nur ein paar: „Diterreich hatte beinah
allein die dreifache Ubermadjt des Reiches
der zermalmenden Ziffern (Rußland) auf:
guhalten.” Oder wenn Bartſch es fo bar:
Wellt, als ob in den Gebirgsfampfen die
Siterreicher bie eigentlichen Kämpfer, bin:
gegen die „Hurrarufer“ und „oltelbijchen
Etrammijteher“ (jo!) lediglich bie ſchikanöſen
Nörgler in Uniformvorjchriften gewejen
wären (S. 284f.). Es wäre leicht, gegen
Dicje Ungeheuerlichkeiten in drei Zeilen eine
Gegenrednung aufzumachen, Die einiger:
maßen erdrüdend wäre, es brauchte nur
nad) den Schidjalen von Serbien, Rumä—
nien, Rußland und Italien in btejem Kriege
gejragt zu werden — aber es Diepe dod) be:
denklich tief hinabjteigen, in Diejer großen `
Zeit, wenn wir um Heldentaten feiljchen
wollten. Lajien wir Bartjch feinen Glau:
ben: „Wir SÖjterreicher find berufen, die
beutidje Seele zu erlójen"^ (S. 235). Wir
wünſchen nur, daß wir pon piejer Erlöjung
bald etwas jpüren möchten, vorläufig Debt
Bartſch jefber mod) nicht jonberlid) erlöjt
aus. Wierft er denn gar nicht, wie er feinem
anzen Buch das Fundament weggräbt mit
iejem blinden Hap? Wie? Du Autos
Rabeſam-Bartſch prebigit uns die alver:
jtebende Brüpderlichfeit zu Pflanze und Tier
uno du but nicht einmal innerlich groß und
[ret genug, deinen menjchlichen Bruderjtamm
zu verjteben, weil er es jeit Jahrtauſenden
nicht jo leicht hatte, wie ihr Südländer,
jondern im Kampf mit harten Wintern und
magerem Boden ernjter, berber, methodi:
iher, im Kampf mit raubgierigen 9tad)batn
joldatijder wurde? Grloje dich felber erft,
du Armer, ehe Du uns ben Weg zur Er:
löjung weijen willſt, laß uns deine eigene
Liebe jehen, ehe Du uns ein Evangelium
der Liebe prebigjt. Das find ernite Fragen,
man Jon jie nicht mit Schwärmerei ins
Blaue und mit Flötenjpiel, Die vier Jahre,
die wir als treue Bundesgenojjen aushalten
mußten, waren bitterlich jchwer, aber fie
waren aud) aroß und erbebend. Wer
im vierten biejer Gabre von Höbenluft
\hwafelt und dabei jelber in den menjch:
lichen Miederungen Hohler Prahlereien,
neidiider Kleinlichfeiten und Nebenbuhler—
gefühle fibt, Der macht Feine fonderlich be:
netdenswerte Figur vor Mit: und Nachwelt.
Aber es verjohnt, daß diefes im Smnerjten -
ja doc) Ichließlich tiefmelodijde Poetenweſen
in feinem Vertrauen wie in feinem Abſcheu
nod) ganz jugendlich — trog feiner fünfunde
vierzig Jahre — Ichwärmt. Ohne Wirklich:
feitsjinn, obne erfennbares Ziel wie ohne
Technik über|djwingt das Wert in weichli.ver
Blüdsjehnjucht. Bartjd) ijt ganz und gar fein
„Realpolitifer“, er verfennt die Völker, von
denen er ſpricht, völlig, Jofern De feine Mad:
barn feiner engeren Heimat find. Co rühmt er
an ben Englandern ihr „Berjtändnis frem:
ben Wejens“, an ben Franzojen ihre Ritter»
lichkeit gegen den Feind, und als bie Grazer
Bataillone unter dem Jubel der Bevölkerung
blumengeſchmückt in den Krieg ausmarjchier:
ten, läßt er gerade eine Schwedin eine
\pöttilhe Bemerkung dazu maden. Er fennt
aljo bes Englanders hochmütige Berachtung
und Abweijung fremden Wejens nicht, nicht
die durchaus unritterliche Art, in Der, we:
nigitens in biejem Kriege, bie Franzoſen fid)
ihren Feinden gegenüber gezeigt haben, er
weiß nicht, daß gerade ein Schwede der legte
ijt, ber ausziehenden Kriegern nachjpottet.
So haben wir die beruhigende Gewipheit,
daß des Brazers völlkerpſychologiſches Urteil
auch über feine norddeutichen Bundesgenoj:»
jen arg an der Wirklichkeit vorbeijchießt, wir
belächeln feine Ausfälle als Wlujifantens
3 — behalten ihn als Dichter gern und
chätzen auch in dieſem Buch ſeine noch im—
mer frühlinghafte Jugend ebenſo wie ſein
nächtlich ſtrömendes Gefühl, das im Mond—
glanz aufleuchtet, und endlich ſeine weitaus—
geſpannte Sehnſucht, die wie ein Regen—
bogen über allem Geſchehen ſteht, jo hod:
gemut und ſo buntfarbig.
Bon bem im Wärzwind flatternden Man—
tel bes Nie Schülers wendet fid Der
Flid auf einen jauber gebürjteten ſchwarzen
Gehrod. Zu Menſchen von gebiegener Kul-
tur, ererbter und gepflegter, führt uns Er nft
Zahn in feiner Erzählung Nacht. Aber
die barter bel aed die nicht nur in Dem
Dargejtelllen Wenjchenfreis, Die auch in
Zahns Stil und epijd)er Gorm jo angenehm
berührt, hindert ihn nicht, zur Tiefe hinab:
zulteigen, wo das unbegreifliche Cdjidials:
walten der ewigen Mütter wohnt. Geine
Nacht‘ ut fein mondbeglänztes Zauberreich,
es ijt Die furchtbare Jtad)t des Blinden.
Arme Spes, bie bas Blüd an der Seite Des
Sugendgejpielen Chrijtlieb ſucht. Suerjt
zwar findet fie es, als aber ihre Augen er:
blindet find, ba verlieren fie aud) dieſes
Glüdes Spur, ber geliebte Mann wird
langjam, aber unabwendlid) zu der jüngeren
Echweiter hingezogen, einem Hellen Rind
mit frohen Yugen, das aud) vollfommen
findlid) nod), feiner Neigung entgegentommt.
Es ijt bas 3artejte an Diejem zarten Buch:
die Schilderung Diejer heimlichen Däntmter:
ae unb Wandlungen der Ceclen, das
Kehrloje diejer im Grunde guten und auf:
rechten Menichen gegen ein unerbittliches
Schickſal. Der jeclijdhe Tajtlinn der Blinden
tit jo fein, daß fie Die Wahrheit jchon fühlt,
bevor die beiden anderen fie noch erfannt
haben und ehe fie jelber fie begreifen tann.
Wie dieje [tillen Helden des Alltags dann
9*999099000000000000009000000900009000000900009000900000009000000900009000900000000090000900000000000000000000099000000000000000
Pergola bei Cappuccini. OSlftudie von Prof. Carl Leopold Vok
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ee EES SEH Neues vom Biidertijdh I2€«342434243€343«3«3«24|. 209
langjam und ihre Wunden verbergend wie:
der zu dem gangbaren Weg des Rechts au:
rüdgelangen, erreiht in der Daritellung
jene Höhe verinnerlichter Erzählungskunſt
nicht ganz, ijt aber immer nod) jo jchlicht-
ergreifend und echt, Dag man diejen Roman
unbedenklich zu ben jeelenvolliten des volts-
tiimlihen Schweizers zählen tann. Als id)
das Bud) ausgelejen batte, fam mir eine
Erinnerung an meinen legten Aufenthalt in
Göjchenen. Zwei Jahre vor dem Kriege
war's. Im großen Wartejaal des Bahn:
bofs ging Ernjt Zahn einer würdigen frem-
den Dame entgegen, nahm ihr das Hand:
täſchchen ab und geleitete fie freundlich
plaudernd zum Ausgang. Unvergeßlidy ijt
mir dieje Dienitleijtung, weil in ihr eine
nicht zu bejchreibende innere Bornehmbeit
lag. Auch jeine Bücher find gute Wegweijer
für frauen. Er führt ficher, denn er tennt
die Wege, bie er geht, er erfreut Durch gue
ten Anjtand, er weiß unterwegs zu unters
halten und mand einer nimmt er ficherlich
dabei nod eine fleine Lajt ab.
Bon biejler ſchlichten Natürlichfeit wäre
Georg Hermann etwas zu wünjchen. Er
wird es nicht glauben wollen, er wird
es entidjieben beitreiten, daß aud) er „Ge—
müat“ bat, aber ich fage es ihm gerade
auf den Kopf zu. Er ſucht fein Herz zu ver
jteden hinter Wikeleten und einem überlege:
nen Gatyrlddeln oder hinter etwas probig
vorgetragenen Runjtfenntnijjen, aber fein
beiter Tag wird bod) ber fein, wo er ein:
mal ganz [till und bejcheiden feiner unver:
jtellten Empfindung folgt. Auch in feinem
neuejten Roman Einen Sommer lang
vermeidet er es durchaus, uns über feine
äfthetilchen Studien im unflaren zu laffen.
Aber gerade als ein joldher Kenner müßte
er wijjen, daß der Stil und Klang, Der fei-
nen Biedermeier-Erzählungen recht gut Honn,
fih nicht ohne weiteres auf das Jahr 1899
übertragen läßt. Die Kleinmalerei und Ctri-
chelfunjt, der müde rejignierte Ton feiner
Syettdjen: Gebert' s Romane Debt unjerer Zeit
nicht an, jelbjt nicht im Eichenjchatten des
Wildparfs, wo der Roman fpielt. Der Roz
man? Ift es denn einer? Der Rerfajjer
verneint es. Er beginnt: „Dieje Gejchichte,
die feine Bejchichte ift“... und er bat recht
damit. Dak Annchen und Hannden Linden:
berg verlobt find, die eine mit einem an-
gehenden Redtsbeflijjenen, bie andere mit
einem angehenden Schriftiteller, gehört zur
Borgeihichte. Daß fie fih, um die Cent:
lichteit zu vermeiden, einen Sommer lang
im Wildpark bei Potsdam aufhalten, würde
die eigentliche Gejdidjte ausmachen, wenn
$
PER
Se
De
Sr
ER SE 2
A) (
SE
während bieles Sommers wirklich etwas
geichähe. Aber obgleich ber junge Schrift:
Heller immer ein in Der Nähe befindliches
Unglüd wittert, obgleid ein wirklicher Gelb|t:
morb beiläufig vorfommt und die Liebes»
epilobe bes Baumeilters zu einer Kleinen
itilen Tragödie oder genauer gejehen: Zragi-
fomödie auswadjt, jo berührt Das uns und
die eigentlichen Hauptgeftalten bod) taum,
fie leben ahnungslos in ihrem Gommerverjted
dahin, und am CdjluB des Buchs find wir
eigentlich nicht weiter als am Anfang. Aber
dieje gutbürgerlichen Berliner find treffend
gezeichnet, und, trot bem gejuchten Cartas:
mus, bod) mit heimlicher Liebe. Mitunter
fällt einem bei Hermanns Träumereien das
Wort bes Zarathujtra ein: „Doch wer fih
vor meinem Dunfel nicht jdjeut, der findet
aud) Rojenhange unter meinen Zypreſſen.“
Das Bud) ijt nichts für ben Durchſchnitts—
lefer. Man muß fid) durch viel gejuchte (Get,
reichelei und gezierten Spott den Weg bab:
nen, um zu biejen Rojenhangen zu gelangen.
Es ijt ihade, Dak Georg Hermann das rechte
Bindemittel feiner teilweije jehr bedeutenden
künſtleriſchen Bejonderheiten fehlt: wirklicher
Humor. Was er bietet, ijf Humorerjaß ...
Wenn diejer gute Beobadter, der wirkliches
Gefühl bat, nur nicht immer nod) glauben
wollte, er müjje es hinter herbeigequaltem
Spott veriteden.
Suht Hermann in „Jüßem, feligem Ver-
proe einen Gommer lang“ (Liliencron) bie
ot unjerer Zeit zu vergeflen, jo ſucht der
weniger zujammengejeßte, nebenbei adjtund:
ſechzigiährige Rihard Bok ihr auf ben
Grund zu gehen. In feinem Roman Das
Haus der Grimani ift er bejtrebt, ben
Unterſchied zwijchen deutſchem und franzöli:
Idem Weſen Harzulegen, ihre Unvereinbarteit
nachzuweiſen. Zu diejem Behuf nimmt er als
Gegenjage Oberbayern und Monaco, [djilbert,
wie ein deutiches&delfräuleinindervornehmen
Brüfjeler Penjion durch die Freundſchaſt mit
einer Franzöſin und |páter Durd die Liebe
zu threm Ieidjtjertigen Gatten in bie Gefahr
der Verweljchung gerät, aus der fie durd)
ihren Wetter Hanns Wolfram, den baye:
riihen Jungherrn, errettet wird. Die Skiz—
zierung Der franzöliichen Riviera ijt bas Beite
an dem Buch, aud) ber bejtridenbe Glanz
bes vornehmen pBarijertums mit feinem
inneren Wurmjtich ijt Der gezeichnet, in
allem übrigen bleibt die Erzählung ber:
tómmlidjer Durchjchnitt, oft wird die Hand
des Zeichners fahrig; im allgemeinen aber
lieft ji) der Roman gut für jemand, der
nichts weiter als ein paar Stunden leidlicher
Unterhaltung jucht.
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ON [9/7 ©
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e Slluftrierte Runoͤſchau e
OtCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC 2 33332233333239239333323323322333333333233333332322220?032:230
Die Verfteigerung der Sammlung von Kaufmann — Zwei Büher vom
&un[tjlammeln — Bevorftehendes auf bem Runjftmarft — Vertaufsergeb:
nijje ber großen Runftausjtellungen im Sommer 1917 — Prof. Carl von
Marr zu S REN 60. Geburtstag — Münchener Kriegsmedaillen — Bu
intern Bildern
CEET
Die Sammlung von Kaufmann und ihre Verfteigerung in Berlin am
4. bis 6. Dezember. Bon Gebeimrat Dr. Wilhelm von Bode
Hie Verjteigerung der Sammlung bes vor zeigte fid) bie
etwa adt Jahren verftorbenen Profer Sammlung in
jors Rihard von Kaufmann war ein Er: ihrer ganzen
eignis nicht nur im Runjthandel, jondern Bedeutung als
jelbjt im Berliner eine 33ereini:
Leben, aud) in gung von ed)
Diejer aufgereg: ten und zum
Lippo Memmi, Mtadonna
Erworben um 700 Mart, bezahlt
mit 68200 Darf
ten Rriegszeit —
vielleicht jogar in:
folge Derjelben.
Ter [jtarfe drei-
bändige Katalog
in feiner willen:
ſchaftlichen und
doch fnappen Be:
handlung mitden
gutenLidtdruden
fait aller Gegen:
itánbe (etwa 600
Nummern), Die
Dauer und der
Andrang zur
Ausitellung wie
der Verlauf und
Erfolg ber Bers
lteigerung waren
gleich jenjattonell.
Die Sammlung war in Berlin freilich wohl:
befannt; ber Beliger, ber durch nahezu fünf:
undzwanzig Jahre daran gejammelt hatte,
hat fie jederzeit gern gezeigt und für zahl:
reihe Ausijtellungen außerhalb Berlins be:
reitwilligjt eine Auswahl daraus zur Ber:
fügung geftellt.
lung im alten Ge:
zejlionsgebäude,
in bem [ieben
Oberlid)tráume
mit ber Gamm-
{ung gefüllt was
ren, eine fiber:
rajdjung jelbit für
mandhe, Die fie
aus dem Kauf:
mannſchen Hauſe
kannten, in dem
ſie zu ſehr ge—
drängtund mande
Stücke zum Teil
als Dekorationen
verwendet waren.
In dieſer ge—
räumigen, gu—
ten Aufſtellung
Trotzdem war die Ausſtel—
Teil ausge—
zeichneten
Werken der be—
ſten und man—
cher ſehr in—
tereſſanten
Meiſter vor
allem der alt—
niederländi⸗
ſchen, wie der
deutſchen und
zum Teil auch
der italieni—
ſchen Schule
des 14. bis zum
16. Jahrhun—
dert. Und mit
den Gemäls
den Hatte Ris
dard von Kaufmann
Carlo Crivelli, Legendenizene
Erworben um 200 Dlart, perfauft
um 42350 Wart
in ähnlicher Zahl
Werfe der Plaftit wie der Kleintunft u
bes Runftgewerbes der gleichen
eit und
Schule jomie eine Anzahl guter Möbel und
Deforationsftiide vereinigt, die im großen
und ganzen den Gemälden an Wert zwar
nicht gleichtamen, aber bod) eine Reihe her-
vorragender und feltener Gtüde entbiel-
Linkes Gd ber Predella mit der Drufiana-Legende von Lauro Padovano
Auf ber Verfteigerung der Sammlung Kaufmann mit den beiden anderen Stüden
der Bredella an den Rronpringen Rupprecht von Bayern gelangt um 165000 Mark
peooeeseeeeeseeep Sluſtrierte Rundſchau 211
ten und ſich mit den
Bildern zu einem
einzigen Ganzen
verbanden, wie es
aus Diejer M in
deutihem Privat:
belih, wie es jelbjt
in England oder
Frankreich in diefer
Mannigfaltigteit
und joldjem Reid-
tum nicht zum zwei-
tenmal vorhanden
war.
Dak die Verfteige:
rung einer folden
Sammlung ſelbſt
vor dDemRriege einen
^ = bei KE Breis >
zielt haben würde,
ne, A e
e, SD Mick matter War zweifellos; aud;
Berfteigerung bezahlt mit 46000 Mt. war die Mindeit:
Ihäßung von mehr
als drei Millionen Mart, zu der die Firma Caffirer
& Helbing der Familie den Berfauf garantiert haben
jol, nicht übertrieben mit Rüdficht auf bie während
des Krieges außerordentlich gefteigerten Preije und
bie immer zunehmende Knappheit der „Ware“. Aber
der Erlös der Verfteigerung — fajt zwölf Mil-
lionen Marl, wozu für die Käufer nod) 10 Prozent
Aufihlag hinzukam —, die höchſte Summe, bie
bisher auf ir:
gendeiner Runft-
verjteigerung ets
reicht worden ift,
überftieg bod) die
libniten Hoff:
nungen oder —
Behitdtungen
um das —
te, ja faſt um das
Dreifache. Das
Ergebnis iſt für
die Beteiligten
ewiß hocher⸗
Freut, für un:
ere Kunſtver—⸗
hältniffe aber
lebr betrübend,
ja zum Teil jogar
tief bejchämend!
F op * Sep ~ Die allgemeine
an Tt, nts
Grö SK x 98 om Bon Gebeimrat p. reife cng —*
Kaufmann um 1250 Markt eingetauſcht, tle gegenuber
bezahlt mit 374000 Mart der Zeit, in der
die Sammlung
ie Medie worden ijt, ift ja begreiflich und
redjtigt; bas Verſtändnis für bie ernjte primi:
tive Kunſt ift jeither jehr gewadjen und hat fih all
mábfid) in weite Rretje verbreitet, unb damit ijt
aud) bie Bewertung ber Werte diejer Kunft ehr
gefttegen. Dennoch iit es phantajtijd, daß burd)
die Re BAER als bas Zwanzigfadhe von
dem, wofür die Sachen erworben find, erzielt wor-
ben ijt. Nicht etwa faliche Reklame burd) ben
Ratalog, der vielmehr ganz fritijd) und zurüdhaltend
abgefaBt war, aud) nicht fünjtlidje Treiberei ober
— —
nee üble Angewohnbeiten mancher
uftionen waren ſchuld daran, piel:
mehr war die Leitung der Verfteigerung
eine vorgliglide, durchaus angeme)»
Aleji. Moretto, Bildnis des Mt. M. Savelli
Bezahlt mit 220000 Mart
ende Yublifum, der Mangel an Ge:
mad, bie Unfenntnis des fünjtle:
rijchen wie bes Marftwertes und vor
allem bas aufdringliche PBrogentum,
bas jid) vielfad) dabei geltend machte.
Gang — ür bas Runt:
verjtändnis der Raufer war die
Gleicdgiiltigfeit, mit ber fie mit bem
Gelde um jid) warfen, wie der Um:
(tanb, daß gerade bie Zahl der ge:
wöhnlichen und felbjt die wenigen
ſchlechten Stüde unjinnig bod) bezahlt
en die Schuld trugen allein bas tau-
Altarflügel von Gerard David. Sn Genua
erworben um etwa 110 Mart, auf der Ber:
fteigerung bezahlt mit 115500 Mart
— Bruegel, Das Schlaraffenland
Auf der Merfteigerung bezahlt mit 341000 Mark
worden find. Selbſt eine
Fälſchung, bie im Ka:
talog und fogar vom Verfteigerer ausdrüdlich als
ſolche bezeichnet wurde, erreichte nod) einige Taufend
Dirt Jacobsz, Bildnis eines Man:
nes. Bezahlt mit 111100 Mart
Mart. Zahlreiche
Gegenjtande, die
einige Hundert oder
höchſtens einige
Taujend Mark wert
waren, wurden auf
Zehn: oder felbjt
auf mehrere Zehn:
taujend Mark ge:
trieben.
Auch die beiten
Bilder wurden fait
ausnabmlos um
das Doppelte oder
Mehrfache ihres
Wertes überzahlt.
Ich nenne nur das
kleine Porträt eines
alten Mannes, das
mit Au Igeld um
374000 Wart von
einem Händler erjtanden wurde, während es Der
Beliger um 1250 Mark von einem biejigen Gomm:
ler eintaujchte, ber jehr wohl wußte, daß es fih
um einen echten Roger handelte,
ausjchied, weil die Er:
haltung idjledt war
und eine jtarfe Nejtaus
ration verlangte. Frei—
lid) waren die Preife
damals — vor fajt Dreis
Big Jahren — für
primitive Bilder im all:
gemeinen febr gering.
So habe id) bie zwei
Flügelbilder von G. 3a:
vid für Herrn v. Kauf:
mann jetnergeit in Ges
nua aujammen um et:
wa 110 Mark erworben
(verfauft mit 115500
Mart), die Madonna
von Lucas von Leyden
etwa um 90 Warf (ver:
faujt zu 154000 Warf),
Nicolas Froment,
worben um 1240 Mart, als Das höchſtbezahlte Bild verfauft mit 429000 Mart
> KC u — 1 * " Ka *
Illuſtrierte Rundſchau BESSSessesesseessd
die Madonna von L. Memmi zu 700
Mark (verkauft zu 68200 a
den reizenden fogenannten Crivi
u 200 Markt (vertauft zu 42350
Dart), den [ogenannten Froment
zu 1240 Mark (verfauft zu 429000
marty, ben B. Strigel zu 380 Mart
(verfauft zu 71500 Mark), den G.
Schiavone zu 700 Mart (vertaujt zu
46000 Mart) uff. Diejen Riejenge:
—— ſteht kaum bei einem eingi en
mal an jin ein Berlujt, nidt ein:
an Sa gegenüber.
der Beute aus der Berfteige:
* "Hat das Ausland nicht unwejent-
lich teilgenommen. Holland bat bird)
die Sammler Onnes und Frau Kron:
ner nahezu für eine Million (bant
unjerer ſchlechten Valuta immer für
die Hälfte) einige der beiten früh-
niederländilchen Bilder
erworben,
Geburt Chrifti vom Aeri er der Dirgo inter
Birgines. Wom GStadelj
aber das Bild Frantfurt a. M. erworben um 100100 Mart
den Muieum in
= ————-
—— —
Auferweckung Lazari. Von Geheimrat v. Kaufmann er—
A Muftrierte Rundidau BSSSSSSSS3334 213
ebenſo Nor⸗
wegen
durch den
ſehr ver—
ſtändnis⸗
vollen
Sammler
Langaard,
ber feine
Sammlun:
gen Der
StadtEhri:
jtiania ver:
maden
wird, vor
allem aber
Öfterreich,
wo bie Käu⸗
fer faft aus:
ſchließlich
Kriegsge⸗
winnler
ſind, die ſich
erſt als
Sammler legitimieren müſſen. Nahezu ein
wiinftel (den SIE nad, nicht nad dem
künſtleriſchen Wert!) ijt in Deutjchland ge:
blieben. Die große Menge biejer Ctüde ift
nicht an Gamm:
ler oder a Pek
gegangen, fon:
dern nur zu viel
an Leute, die
auch eine Erin»
nerung am Die
Berfteigerung
en und ihren
amen unter
den Gteigerern
genannt willen
wollten. Bon
unjeren altbes
währten und bo:
2 auch in der
emejjung der
Preije vorlichti-
en Sammlern
Babe fih fajt
nur bie Herren
Dr. von Pann:
wig und Dr,
Eduard von Giz
mon, unter den
neueren der jehr
eifrige, aud
iero bi Giovanni Tedesco, höchſte Preiſe
ngelsfigur von der 1586 aer: nicht ſcheuende
itórten ettet inte abe.
Bon Generaltonjul von Wein: Otto Henfell in
Hans von Rulmbad, Bildnis
Dem Kaifer Friedrid:Mujeum in
erlin zugefallen
berg in Frankfurt a. M. erſtei— Wiesbaden,
gert um 127600 Mart Chillingworth
in Nürnberg und
Buſch in Mainz mit Erfolg an der Auktion
beteiligt. Unjere Mtujeen — kräftig mitge—
ſteigert und haben, dank der Unterſtützung
ihrer Gönner, auch eine kleine Zahl der
wichtigſten Bilder erhalten, freilich gleich—
falls zu allzu hohen Preiſen. So das
Städel:Mufeum in Frankfurt (neben der
Ihönen bemalten Bronzeplatte) die treff-
lichen Bilder von Bojd) und bem “feta a
der Virgo inter Virgines”, bie Pinafothef in
Münden das Schlaraffenland vom alten
Pieter Bruegel, das Germanijde Mujeum
in9türn:
berg ben
logen.
Schüch⸗
lin (nicht
ſehr teus
er), die
Dresde⸗
ner Ga:
lerie ein
paar der
Bilder
von Lus
cas Cras
nad) b.
Plt. Das
vielleicht
aller:
beite
Bild, die
rößte
redella
von U.
£ucas Erana% b. d. Bildnis
Bon ber Dresdener Galerie getauft um
Mans 83600 Mart ©
tegnas
ak odd id in Padua, Lauro Padovano,
wurde erfreulicherweije bird) Prof. Otto Lang
fiir Den Rronpringen von Bayern gelichert, und
zwar zu einem Preiſe, der keineswegs über:
"trieben genannt werden tann. Prof. Lang jteis
— für die Pinakothek auch den Bruegel und
eteiligte ſich lebhaft an den Bemühungen,
die Mittel für den hohen Preis durch Bei—
träge von Muſeumsgönnern zu gewinnen,
at aber keineswegs — wie ihm zu ſeinem
chrecken nachgeſagt worden iſt — das Bild
ſelbſt der Pinakothek geſchenkt. Die Ber—
liner Muſeen wären leer ausgegangen, da
ſie auf ein paar der für ſie wertvollſten Stücke
Leuchterengel in Holz aus Niederbayern, um 1530
Dem Kaiſer Friedrich-Muſeum in Berlin zugefallen
214 13( Illuſtr ierte Rundichau 3E3:3:383:373:323 30373234
weit überboten wurden, hätten wir uns nicht
bier mit Beihilfe am Katalog unb — nicht
am wenigjten — an der Zujammenbringung
der Sammlung vorher einige der für uns
bejonders wichtigen Bilder und Gfulp:
turen als Gejchent ber
Familie von Kaufmann
unb der Auftionsfirma
lie die Heine Dias
onna auf der Rajenbant |
in der Art des Meijters cc er-
von Flémalle, bas Jüngs GÄ
lingsportrat von H. von
Rulmbad, bie ganz
frühe bóbmijde Kreu-
jigung, die beiden leudes
erhaltenden Engel und
einen mit (rett den Gra:
vierungen — gejd)müdten
Rlappaltar aus Metall.
Die Wirkungen diefer
fBer|teigerung werden fih
alsbald geltend machen,
und zwar feineswegs in
erjreulidjer Weife: die
( Wi
bh
A. Kä, S
Reliquiar aus dem 8.
nehmen. Für bie Beliger werden fid) aber
infolge des Yirgers und der Mißgunſt, welche
die hohen *preije in weitelten Kreilen des
Rublitums hervorgerufen haben, noch weit
empfindlichere Wirkungen herausitellen, die
auch für die öffentlichen
Runjtiammlungen die
fibeljten Folgen Haben
fónnen. Die Pläne zur
Beiteuerung des Gun,
zelt ee unjthandels,
der Auktionen uff. werden
von neuem porgebradjt
werden, ein Antrag auf
ein Ausfuhrverbot von
Runjtwerfen ward in ben
Zeitungen verkündet: ba
wird es einen harten
Kampf fojten, damit Die
Runftjammlungen und
die Kunſt bei uns nicht
ſchwer gejchädigt werden.
Zurzeit müjjen wir, wie
wir ben Kriegsgewinn-
lern bie Ganje, Fett und
fpreije werden wieder ahrhundert andere Nahrungsmittel
außerordentlich) fteigen, egablt mit 1067 Dart überlajjen müjjen, um uns
bie Ware bei den Kunfthändlern wird mit Wrufen, ftadtijher ‚Leberwurjt‘ unb
taum zugenommen haben, da fie bet den
hohen WPreijen nur wenige Ctüde für [id)
erwerben fonnten, bie Abgabe guter &unjt:
werte aus WPrivatbejig und ihr Abzug
nad) dem 9[uslanbe wird dagegen nod) Au:
Grjabitofjen zu begnügen, aud) mit Erjaß:
funft zufrieden fein. Wir hoffen aber, daß mit
dem Frieden allmählich wie ein Bänjebraten,
jo aud) ein Kunſtwerk dem einfachen &unit:
freund wieder erjdjminglid) werden wird.
Stanalpfeife ber Danziger Scifierinnung, Cilberarbeit aus Dem gern bes 16.
Auf ber Berfteigerung der Sammlung Kaufmann beaab
Bie pronen Verfteigerungen ber legten Zeit | gujammenfaft.
aben jelbjtverjtändlich
bas Sntereffe weitefter Kreife
po So e wohl ange:
racht, bie Aufmerkſamkeit auf
fleine Bände zu lenten,
ie vom Runftjammeln erzäb:
len. Der eine [tammt aus der
bewährten Feder unjeres Mit:
arbeiters Dolph Donath,
en über „Biychologie bes
unjtjammelns” und liegt be:
reits in 2. Auflage vor (Ber:
lin, Rihard Carl Schmidt
& Gol: ein febr gejcheites,
auf gründlicher Beherrichung
des ganzen Ctoffes und viel
perjonlider Erfahrung auf:
A Buch, bas die gejamte
ntwidlung des Sammel:
wejens |darfundeindrudsvoll ` G
tof. Carl von Marr, der Pra:
dent der Mün
genoffenidjaft, feiert
urtstag am 18.
abrbunberts. 36 cm lang
t mit 66 Mart
Der zweite — „Das Runft:
jammeIn^ von Lothar Brieger
(Münden, Delphin : Verlag)
— führt recht praftijch in bas
gleiche Gebiet ein; er betont
weniger die gejchichtliche Seite,
bringt dafür aber anregende
Einzelheiten über einzelne
Sammelzweige, wie a. B. Dies
tallarbeiten, Reramif, oftafia=
tijdhe Kunſt. — Übrigens ift
bie Zeit der großen Beriteiges
rungen feineswegs abgeichloj:
jen. Es fommt aunádjit im
Februar bei Cajfirer & Helbing
die berühmte + erfiner Gomm:
lung von W. Gumpredt an bie
Reihe, bie u.a. außer Holzbild—
werten und Porzellan einen
etwas umftrittenen Hobbema,
einen fleinen feinen Teniers
ner Riinftler-
einen 60.
ebruar
b. 5%, einem
Mierevelt, ei:
nen Nicolas
Praes bringen
dürfte. Bedeu⸗
tender wird bie
Bemäldejamm:
lung des Kül-
ner Frhrn. v.
Oppenheim im
Märg auf den
Markt wirten,
Fe ai 1914
x verſteigert wer:
wegen, oma oe den ge te, aber
bei Rriegsauss
Wir haben ba:
bruh guriidgezogen wurde.
mals (September:
heft 1914) ausführ-
lich die fojtbare Ga:
lerie gewürdigt, bie
vielleicht nicht bie
geldliche Schäßung
der Sammlung
Kaufmann errei-
chen, aber jedenfalls
auch ein ‚Ereignis‘
wird. Rud. Lepfe
in Berlin bat die
Berfteigerung über:
nommen. — Daß
übrigens aud) die
heutige Runjt nicht
gerade jchlechte Ta:
e bat, lehren bie
gebnijje ber gro:
Ben Ausſtellungen
bes Jahres 1917.
Co überjlügelte ber
Münchener Glas:
palajt mit einem
Erlös von 1 147 500
Mark alle früheren
Borderieite
tunft
Silujtrierte 9tunb|djau BS3SS3S33S33334 215
Die Ranke:
ſchmiede
Denkmünze
von Karl Goes
Schaumünzen auf den Weltfrieg. IMuftrationsproben aus dem Werte „Die Münchner Medaillen:
er Gegenwart. Bon Dr. Max Bernhart (Verlag von R. Oldenburg in München)
Erfolge; Die
Diijjeldorfer
Wusjtellung er:
gab nahezu
600000 Warf,
in Berlin wur-
de von 313
Nummern et:
wa ein Drittel
verfauft. —
Unjer treuer
Gönner und
zen rof.
orl v. Marr
in Wünden,
SBrüjibent der
dortigen Riinjtlergenojjenjhaft und damit
Seiter ber Ausſtel—
lungen im Münch—
ner Glaspalajt,
feiert am 18. Fee
bruar feinen 60. (5e:
burtstag. Ein
Deutjch - Amerika:
ner fam er 1878 zu
uns und ijt em
uter, echter Deuts»
cher geworden, fei:
ner Gejinnung und
| jeinem Schaffen
nad. Über Weis
| mar und Berlin zog
er nad) Münden,
wo er jid) bald ganz
ſeßhaft madte. Sm
Sommer 1889 be»
tiindete er mit
Einen gewaltigen
Gemälde ‚Die Fla:
ellanten‘ Ruf und
ubm und ijt bis:
d im jteten Auf:
ieg geblieben, jo
Dentmünze von Gan Wyſocki
Orüdieite)
Rückſeite
216 BSSSssSssSsssssss] Mlujtrierte Rundjdau
verjchiedenen Zielen und Aufgaben er, ber
linermüblidje, zuftrebte: in wundervollen
dekorativen Werten, in vortreffliden Bild:
nijjen, in gedanfen= und gejtaltenreichen re:
ligtöfen Bildern, in fejjelnben Allegorien —
unjerer Bejten ei:
ner! Möge ibm
ein reichgejegneter
en end, s mF A —
üllt wie bisher | Ne C
von ftraffer Ar: Hine À
beit, werden! — — WENT" A
Sm kunftfrohen ac In FAJA
München bat auh
bie deutſche Dent-
und Schaumünze
einen neuen ftar-
fen Aufihwung
genommen, vornehmlich in ber Ridtung,
bie den daraftervollen Guk an bie Stelle
der Prägung fegen will; die Anjtalt von
Georg Hitl wirtte bier babnbredjenb mit.
Wir bringen eine Anzahl neuer Kriegs:
medaillen, die zum "Beien gehören, was
die Zeit hervorgebradht bat. Gie mögen
gleichzeitig als Beijpiele ber jchönen bild»
lihen Ausitattung gelten, die bas auf S.215
genannte Werk auszeichnet. Auf 64 Bilder:
tafeln, die 419 Abbildungen vereinen, bietet
es eine höchſt ſchätzens⸗
werte Überſicht, ber ein
jadjfunbiges Begleit-
wort vorangejtellt ijt.
Möge das jdjone Bud)
bem ,BVolfslied der
Skulptur‘, wie man die
Schaumünze wohl oe:
ngnnt hat, neue Freuns
de gewinnen. —
em fiinjtlerijden
Schmud des vorliegen:
den Heftes gibt das
Gejamtwerf Robert
Sterls, bes ausgezeich-
neten Dresdeners, wohl
bas ftarfite Geprage.
Unjere Lefer werden
ihre Freude haben an
Den farbenpradtigen
Bildern, die aud) die
jcheinbar — einfadjiten
Borwiirfe mit Leben:
digkeit und Kraft erfüllen. — Unfer Titel:
bild bringt das Bildnis der Frau Prinzejlin
. Adalbert von Preußen, geborenen Prinzej:
jin Adelheid von Sacjen- Meiningen. Prof.
Walter Peterjen, ber Düfjeldorfer Meijter,
fand eine danfbare und mit erlejenem
Geihmad durchgeführte Aufgabe in ber
Wiedergabe der ſchönen Züge ber anmutigen
Denfmii
ne von Adolf Daumiller Ar: :
Münchner Medaillentunjt, Verlag R. Oldenburg in München)
ZtEP ELTE `
rett
red rg
8 P nd f
: "
S Y ia-
Denkmünze von Ludwig Gies
(Aus Bernhart, Münchner Medaillenkunſt)
Nachdruck verboten. Alle Rechte vorbehalten. Zuſchriften an die Schriftleitung von Velbagen & Klaſings
Monats heften, Berlin W 50. — Für bie Schriftleitung verantwortlich: Hanns vou Zobeltitz in Berlin.
— Für Sſterreich-Ungarn Herausgabe: Frieſe & Yang, Wien I.
Frieſe, Wien I, Bräunerſtr. 3. Verlag: Velhagen & Klaſing in Berlin, Bielefeld, Leipzig, Wien.
Drud: Fifer & Wittig in Leipzig.
Be See St SF Sh SO St Sl SO SS SSIS
Fürſtin, der Gattin unjeres jugendlichen
Ceehelden. — Gleic) einer Erinnerung an
vergangene Jahre wirkt bas Rarnevalsbild
von Prof. Hans Loofden in Berlin (nad)
©. 152 eingefügt). Eine Erinnerung, die
man auch jest
—
nicht miſſen möch—
te, ſowenig, wie
a
man den 9tüdblid
auf fröhliche Ju—
genbtage entbeh«
ten fann. — Ob
wir freilich jobald
wieder zur Sphinx
pilgern werden, zu
der Eugen Ojjwald
eine broll:ge Kara:
wane führt (zw.
©. 176 u. 177), bleibe babingejtellt; Voraus—
jehung wäre, daß bie vielgeliebten Bettern
jenjeits bes Yirmelfanals artig flein beigeben
— aber aud) das wird fommen! — Und bei
der Wanderung nad) dem Lande, in bem Die
ar onen blühen, find wir ja jchon ein gut
Stüd Wegs vorwärts gelangt. Das hüb—
Kr Pergolabild vom Prof. Carl Leopold
of, bas wir hinter Sette 204 einjdjalteten,
mag bie Sehnjudt derer verjtärfen, die ihr
iones Geld im Lande Stalien wieder los
werden wollen: ich pil:
gere, wenn die Friedens
taube erjdienen ift,
nach ber dalmatinijchen
Riijte! — Robert Hahn
errapte mit ſcharfem
Blid bas gefeierte Dres:
dener Gtriegler: Quart-
tett, bas jo mancher Ve:
jer und monde Lejerin
bewundert haben wer:
den (zw. ©, 112 u. 113).
— Cin zweiter Dres:
dener von hohen Gaben,
der Bildhauer Otto
Pilz, gab uns eine
jtolze Gruppe bau:
mender Roffe (nad)
©. 184). und endlidy fet
nod) der fräftigen Ra:
dierung von Prof. Cons
rad Cutter in Mün—
chen Ge ©. 168 u. 169)
ebadjt. Der Künjtler |piegelt hier ein
tüd ber Hindenburgfront ab: bas alte €aon
mit ber Kathedrale. Geit er bas ſchöne
Blatt jchuf, ijt bie Zerjtörung über bie ebr:
wiirdige Stadt hereingebroden. Aber nicht
dur bie vielgejchmähten Barbaren und
Hunnen, jondern durch frangojijde Granaten
von Wiljons Gnaden! H. v. Sp.
s Max Bernhart,
—
Verantwortlider Sdriftleiter: Cie
Gattin unleres
Gleich einer E
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ns Loolden im Beda ie
ügt). Cine Fo)
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pden! A E: den Berliner Theatern.
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—— LX, Bildern in Tondrud nad)
ente cuit A e agmen ber Berliner Sllujtra:
en ze, Kë 1 in ejellidjaft, von Frig Rihard
AE a nb von Sanber.9abijd)in Berlin 300
^E t alte Hauptmann. Kriegs:
iw X E von Grid) Wentjcher 311
$ m Wellengrab. Brit von
| » Btieda Jenjien . 318
x “les vom Büchertiic. Bon
f sil Karl Streder . 319
1 Unittierte Rund] hau: Farbig
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Monatlid ein Heft zum Preiſe von 2 Mart.
Su — durch alle Buchhandlungen und Poft-
anftalten. In Der Seitungspreislifte der Deut den
Reihspoft unter —— & Mi lafings Mouarsye re“
—— das erſte Sch (September) fann
einzeln burdj bie Poft- nitalten ezogen werden.
i
" Seite
pots Graff. Bon Dr. Max Os
Bern. 5 leds (FinidjaItbilbern
Gi fimiles und Tondrud mus
cn teilweije "Ee
* ane nad Werfen
217
Denie, Seele Roman von qo»
hannes Höffner (Fortjefung) 229
T preuBildje Politit auf
me Wiener Rongreh. Bon
- Prof. Dr. Paul Herrein Leipzig 255
er unt in ben Bad. Er:
ect Hlung von Aug ufte Supper 260
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zum. Gedicht von Frik
264
d einmal —: Rriegsbil:
A Dom ber Oftfront. Zehn
in aide von Amandus Faure
on an miles Wiedergabe. Text
f Brandt. 265
Goethe 4 a Harz. Bon arl
Sternaux - 273
Der Shug auf bem Bardan:
pas alt“ iol. Eine Erzählung aus Alba:
CCCCECECECCECEECCECEK C EE CC ECL EO CCECECECEECCCCECECCECCCCECCCCEECECE Ce é «EC C CK $cCeceucesecevecescecconsceccesce EE E EE
Se Stoffe ber Oberheſſiſchen
tenindujtrie — Modelle der
PESÉSCEEECCKV€€6£6€22222222222 222222222222222
"YR.
tetet tet ccecc
ceceeceeccerceercecr(ecece ceetee 9999993999:
—
Magdeburger Aunfigewerbefiin
Fachklaſſe Pe ee
Betender Krieger, Bildwerk voy
Sje Plehn — Krie —
der Stadt Berlin- ilmersd
Radierung von Elfriede 3
Ianbt — Rene Sifberarbeiten
Friedr. Schmid in Nürnberg =
Arbeiten in Silber und inn v vol
Hans Frei in — — Zu unſern
Bildern. . . . — e.
Runjtbeilagen: B
GrüfingobannaGrbmutbvo
Bünau, geb. von Shönfe
Gemälde von Anton Ge a
Fallimiledıud . . AA
Des Rünftlers Gattin mit ihr m
Tihterdhen. Gemälde von Ane
ton Graff. pei 22-
Graf Johann Hilmer 9Lbolpl
von Schönfeld, Gemälde 1 von G
Anton Graff. Fakjimiledrud 2
Der Schaujpieler Konrad t Ete
hof. Gemaldevon Anton Gre fT.
Fakſimiledruck . .
Stilleben. Gemälde von Rude f
Otto. Fatfimiledrud . . 2
Das Teehausim Partvon Core
vey, Gemälde von Prof. Frans
Hoffmann: Fallers eben,
gatjimiledruð `. . 248-
Damenbildnis. Gemälde von
Carl Hans Shrader- Bel gen: 3
gatjimilebrud . . a
3m Sd neefturm, Genie por $,
Otto Frang. Fatfimiledrud 2 288-
Einjchaltbilder:
Heinrid X., Fürft Reup Bis
terer Linie. Gemälde von At Gë
ton Graff. Tondrud . . 2
Schiller im 8. Lebens “fine 2
Gemälde von Anton f.
Tondrud . .
Aus deutihen Landen: Seims
fehrende Schafherde in‘
Liineburger Heide Künfe
lerijhe Wufnahme von R. gie: Ss
Tondrud .
Deutſche Friegsſchiffe
Dejel, Künſtleriſche un er
von Dr. §.Spteth, Marine-Dbe
Aſſiſtenz— ett d. Ref. . > o ee
Selbſtändige Textbilders |
Bildnis von Geheimrat Prop
Dr. Theodor Birt. Ravie ing.
von Hermann Kätelhön se
Gantt Georg. Radierung vow
Wilhelm Fahrenbrum we
n *
*
Umſchlagzeichnung und Buchſch ef:
Heinrid Wieynd in Dr
Snjerate.
Worberer Angeigente il
darunter folgende Sonderabtellungent
Tidterpen{tonate. . 229 2
linterri dtsanftaltem, H
$eilanitalten . . 222 +
$ jotels. e e ion . BEBE .
Unzeigenteil am Schluß. *
Uus Dopis tata
CCEEECCECCCECKCCCECCCECCCCCO32222222020ÍÜAI
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Welhanensklafin
EE,
eber: Hanns von Schu A
Pound Baul Defar höcker
32Jabta. / CJtlárz1918 / 7.Beft
Rosse en an —
— Graff Don Dr Max Osborn
mas ijt bas Weſentliche künſtleriſcher Reichtum, um [jid rings auszubreiten. —
E Strömungen, daß fie nicht nur die Die Deutiche Kunſtgeſchichte weiß davon
N (8 Kier Kc Ynjchauungen über ein Lied zu fingen. Solange die Alleinherr—
e Ziele und die Mittel ber Runjt Ichaft ber afademijdhen Syſteme währte, die
überhaupt und ihrer Gingelgebiete von der amtlichen Kunftauffaffung zu Bes
umgejtalten, neu befruchten und
mit vordem ungeahnter Kraft
künftigen Lebens erfüllen, jon-
Dern zugleich ber gegenwarti-
Eton für weiteStref-
und Bezirke ihrer Bergan-
et, die bisher im Duntel
SCH, Die Augen öffnen. Fede
Epoche bat nicht nur ihre
‚moderne Runft‘, jondern auch
ihre ‚moderne Runitgeichichte‘.
Die Stellung zu den Grund:
edanfen und ben Meiſtern
r früheren Zeit verjchiebt
dh, Gefeiertes und Um-
wärmtes Jinfen im Wert,
ernachläjligtes und Bergan-
u fteigen zu neuer Schät—
gung empor, WBerborgenes
wird ans Licht des Tages
gezogen. Keine Generation
mmt allein mit der Runit
aus, Die fie erzeugt, Die
durch ihre Jugend ganz von
felbjt den Charafter des Pro-
blematijdjen nod) nicht ab-
Aach bat. 9tad) einem Nta-
b irejon. jehnt fie fich zualeich
öglichfeiten zurückblik—
fend zu genießen, Zujammen:
hänge zwijchen dem Einft und
pem Heute herzujtellen, das
eigene Streben Durch Bezie-
moon zu Schöpfungen der
orzeit fejter im Boden zu ver:
anlern. Nicht nur neue Ten:
dengen tauchen auf, jondern,
e
: ^ : Selbitbildnis des &tünitlers im 58. nt ae N
avett umfajjender, ein neuer Ausichnitt aus dem Gemälde in ber Dresdener Galerie
fielbagen & Klajings Monatsheſte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2.80. 9iad)trud verboten. Goyycigbt 1918 by Belhagen & Klajing 15
218 Iesse ees) Dr. Max Osborn: (Bi3s3See3s333333384
ginn bes 19. Jahrhunderts abjtammten, [hien
Die gejamte Arbeit der bildenden Riinjte des
18. Jahrhunderts jo gut wie gar nicht vor:
handen zu fein. Was jenfeits bes Klaſſizis—
mus lag, wurde falt völlig totgelchwiegen.
Die alte Anſchauung, daß ` mit Carjtens
eine Neugeburt der beutidjen Kunſt vollzogen
pone, jceint unausrottbar. Giner der be:
annteften älteren Berliner Architelten er:
ablte mir einmal, wie Rihard Lucae feinen
Schülern, von ihnen ftiirmijd bedrängt, nad)
langem Gträuben einen Bang durchs Ber:
liner Schloß bewilligte und am Portal, ehe
bie Belichtigung begann, bie Wißbegierigen
ftrengen Antligesmit der Mahnung begrüßte:
Aber bas age ich Ihnen, meine Herren, alles
bejehen und — jofort wieder vergejjen!‘ Den
klaſſiziſtiſch erzogenen Architekten de Ba e:
lindes Grujeln über ben Rüden bei dem Ge:
danken, er Tonne dazu beitragen, daß feine
zur von den Bazillen ber Schlüterſchen
arodfunjt angeftedt würden. Er ſchauderte
davor zurüd, angehende Baumeijter vor die
Friederife von Helldorf geb. Gräfin Hobenthal.
madtigen Schöpfungen Ddiejes Genies zu
telen und jo möglicherweile mitjchuldig
aran zu werden, daß jie ‚verwilderten‘.
Was hier für bas Gebiet der Architektur
und der dekorativen Plajtif galt, traf aud)
für die Malerei zu. Die afademijche Über:
— hatte auf das Zeichneriſche und Kom—
poſitionelle, das der K lie als bejtim:
mendes Element neueingeführt hatte, Jo hohen
Wert gelegt, daß man die außerordentlichen
malertjchen Qualitäten ber voraufgegangenen
Zeit iiberjah. Merkwürdig, wie lange fih
diefe Srrtürmer hielten. Sie reichten bis
ans Ende des 19. Jahrhunderts und [djienen
nod) Geltung zu behalten, als bie Runftan:
Ihauungen, aus denen fie hervorgegangen
waren, láng|t abgedanft batten. Gie blie-
ben einfach danf einer allgemeinen Bequem:
lichkeit am Leben, und erft als man nad)
1900 die — der neuzeitlichen Malerei
BEL zu betradten begann, fam der
mjdwung. Nun erfannte man, daß bie
malerijden Anjchauungen der Gegenwart
nitt vom Himmel her:
abgefallen waren, jon:
dern bas Schlußglied
einer langen Entwid:
lungsfette darjtellten,
daß feit bem 17. Jahr:
undert, alfo feit der
berwindung Der$30d)-
renaijjancefun|t durd)
eine wejentlih auf
e: unb Licht ge:
telte Malerei, eine ein»
ige gerade Linie in
larer Fortführung
bis auf unjere Tage
reichte und ber Klaffi-
ismus nur eine Unter:
redjung Ddiejer logie
iden Entfaltung be-
deutete. So erſchien
plötzlich die ſchöpferi—
ſche Tätigkeit des 18.
Jahrhunderts in neuer
Beleuchtung. Aber es
dauerte ziemlich lange,
bis man einigerma—
ßen überſah, was hier
alles an wirklichen
Werten vorhanden iſt.
Kein Wunder; denn
die SN Oe im
heutigen Sinne ijt ja
eine Tochter eben jener
Beit, Die bas Bor:
urteil gegen bie Ro:
en gebar. Die
Forihung hatte fid
bisher jo gut wie gar
nicht mit bielem met:
ten Gebiete beichäftigt.
Es fehlte völlig an
Vorarbeiten, und fo:
bald man die allgemei:
Gemälde nen Vorjtellungen, die
Wee Anton Graff SH Z ZI AZAZ 219
mam aus gelegentlicher Bejchäftigung mit
Werfen jener Seit gewann, fejter begründen
wollte, tappte man im Dunfeln.
Erjt jebt liftet id) ber Schleier allmáb:
lid), nicht zu guter Legt dant ber großen
Ausjtellung, bie in Darmjtadt im Sommer
des Syabres 1914 veranitaltet ward unb für
die der Ausbruch des Krieges einen jo jähen
Abbruch bedeutete. Hier empfing man zum
Heinrich XII., Fürft Neuß älterer Linie als Erbprinz.
Gemälde
erftenmal einen zujammeufaljenden Über:
blid über bie beutjdje Malerei von etwa
1650 bis 1800. Die alte Wuffajjung, dak
der Dreißigjährige Krieg, deffen verheerende
Folgen wahrlich nicht unterichägt werden
Dürfen, ber gelamten fiinjtlerijden Zeugungs—
fraft Deutjchlands mit einem Schlage den
Garaus gemacht habe, galt allerdings jhon
lange nicht mehr als unbejtreitbarer Leitjaß.
15*
920 ee Ee) Dr. Max Osborn: ([2424343434343534343€ 3424243521
Eine pit, bie in ber Baufunjt Werke hers
vorgebradt hat wie bie Schlöſſer, A en
unb Klöſter, bie nad) bem Weitfäliichen
— emporwuchſen, konnte auch in der
alerei nicht ganz und gar verſagt haben.
Gewiß, der große 3eitabid)nitt ber deutjchen
Stenatjfancefunjt war dahin, und ohne die
graujigen Stürme des enblojen Religions:
frieges hätte Das 17. Jahrhundert bem 16.
nicht bie Wage halten fónnen. Der unge:
heuere Berlujt an nationalem Bermögen,
an Bolfstraft und Kultur, das Hereinbre-
den von Not und Teuerung, Selbjtjudt und
Noheit mußten fid) auch im Niedergang der
Künfte fpiegeln. Wher der unterjdyäßt dod)
die angeborene Macht des deutichen Beiites,
ber annimmt, es fei nun mit allem zu Ende
gemejen. Schon bas wadjende Bedürfnis
nad) bem höfiſchen Bepränge, das fih ge:
rade um 1700 in den Reſidenzen der zahl:
lojen deutjchen Füriten nad) Parijer Muſter
bemerkbar madjte, jette engere Beziehungen
au Runjt und Künjtlern voraus, als wir fie
lange Zeit für möglich hielten. Man braucht
uur auf Berlin zu bliden, das erft unter
König Friedrich August I. von Sadjen
Gemälde B nainis am Taſchenberg in Dresden
dem Großen Kurfürften und feinem Sohne,
dem erjten preußilchen König, zu einer Refi-
Dengitadt von anjehnlichem YWupern heran:
wuchs — um zu erfennen, daß man bei der
Beurteilung diejes Zeitraums mit der For:
mel vom Untergang alles Schönen nicht
auskommt.
Das 18. Jahrhundert aber hat ſchon nach
dem, was wir heute davon kennen, geradezu
eine neue Blüte hervorgebracht. Die Nach—
wirkungen des Krieges waren auch jetzt noch
nicht überwunden; ie. über ein Jahrhun—
bert jollte es dauern, bis fie völlig wieder
eingeholt wurden. Die politiihen 3ujtánbe
in Deutjchland waren auch jet nichts meni:
ger als erquidlich, und an Kriegen jeblte es
wahrlich nicht. Trotzdem war bie Zeit von
Kunſt erfüllt.
Die Malerei hatte daran einen ftattlichen
Anteil. Und wie immer feit dem Begin
ber Nenaijjance, zu deren wichtigſten Dierk»
malen bas Wiedererwachen ber menjchlichen
Perjonlidfert gehört, riidie aud jet Das Por:
trät in bie erjte Linie. Max Liebermann bat
einmal das hübjhe Wort geprägt: ‚Das
Bildnis tjt der Parade:
marjd) des Riinjtlers’
— das [timmt von
Giotto bis heute. Rein
guverlajjigerer Grab:
mejjer Iápt fih finden,
als die Art, wie Der
Künftler lid) au ben
Individualitäten fei-
ner J3eitgenojjet per:
hält. Die gepflegte Bor:
tratfunjt, bie nun bas
endende 18. Jahrhun:
dert erreichte, gibt uns
allein einen Maßſtab
für die Höhe der male:
riihen Kultur der Zeit.
ine Reihe von Ein:
elausftellungen haben
in ben legten Jahren
hierüber aufgellärt.
Borab die beiden Un:
ternehmungen in Gad):
jen; bie Leipziger Bor:
trátid)au von 1912 und
bie Dresdener Bedächt:
REDE E von n:
ton Graff tm Jahre
19183. Daß Gadjen
dabei in ben Border-
grund tritt, ift Durch:
aus begründet. Denn
der Hof der Wettiner
war einer ber bedeut:
jamiten Mittelpuntte
fürftlider Kunſtpflege
in ganz Deutjchland.
Anton Graff war uns
allerdings aud) vorher
fein ‘Fremder mehr.
Shon lange hatte bas
neuerwachte Interejje
Heinrich XIII, Fürſt Neuß älterer Linie. Gemälde von Anton Graff.
m ..n....n...:.u.nun...:..u..n.m..:.:...„................©.
mg
eegeeeeeeegëgëgeeeegeëgeeeeegeegeegggeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeegegeeeseggeegegegeeeegesgegggesegesegeegszseggeeseeggeeegeegeeeseeeesesdeaegeeessressg
SOS SSOSOSSSSSSESSSOSSSSSSSSSSHSOSSSSSSSSHSSSSHSSSS eeeegegeeeeeggggegggegeegegeggggegeggeegeegeestegggeegeeegepeegeeezseegg
Jac LIERANY
OF THE `
ae "` LINGIS
Henriette Craven geb. Leveaux
Gemälde im Mujeum zu Weimar
für Die Zeit vor und um 1800 fi
mit ibm bejchäftigt. Aber nun erft
erfennen wir mit voller Deutlich:
feit, was er in Wahrheit bedeu-
tete: ein großes Zujammenfajjen
ber Runjtiibung des Jahrhunderts,
einen *Brennjpiegel malerijcher
Strömungen, in dem fih bie
Gtrahlen der —
der — und der künfti⸗
gen Malerei treffen. Gein Lebens:
werk zeigt uns, wie die Kunſt ſeiner
Zeit noch im Höfiſchen wurzelte,
wie fie Dann aber, energijd) aus:
ten die weiten Kreije bes
ürgertums in ihren Bann 309.
(8 zeigt uns — und Dos eine
hängt mit dem anderen aufs in:
nigite zufammen —, daß bie Lies
benswürdigfeit und Anmut des
Rofofo langjam in bie Schlicht-
beit eines Jachlichen Realismus
überging. Reine Rede davon, daß
Graft etwa jolde Wandlungen
bewußt vollzogen hatte. Er ift
ein redlicher Sohn feiner Tage,
ein &ünjtler nod) im alten guten
MWerkitattfinn: ein treuer Diener
feines Sandwerfs. Rein geift:
reicher Umftiirgler, ber ben Ge-
jchmad feiner Zeit jelbftherrlich
Silbe ig jondern mehr der
olljtreder eines allgemeinen Ent:
8
Gemälde in der S
| 221
RATE saad eg; von dem er fih
tragen läßt. an braudt Graff
nid)t num pag wieder maßlos zu
überjhägen. Golde Überſchweng—
lichkeiten fee meilt nur einen
neuen Rüdichlag zur Folge. Was
Graff feiner Zeit und der Nachwelt
gab, tjt ftarf und wertvoll genug, um
eine ruhig abwägende Betradtung
aushalten zu Tonnen, Man hat
nicht nötig, verzüdte Xoblieder an:
zuftimmen; man tann vielmehr
ruhig aud) feine: Schwächen einge:
jteben, um dann feine Vorzüge nod)
lebbajfter zu empfinden.
as jeinem Lebenswerfe für
uns die bejondere Bedeutung gibt,
ift bie großartige Reihe der Na:
men, bie aus dem Katalog feiner
Bilder tingen. Es war thm be:
Ichieden, ber Bildnismaler ber glor:
reid)jten Zeit deutſchen Gei[teslebens
gu werden, und wir dürfen es als
ein hohes Blüd preijen, daß bie
Aufgabe, das 9Intlit der führenden
Männer vom Ausgang des 18. Jahr:
bunderts der Zukunft aufzubewah-
rem, einen [oldjen Erfüller fand.
Graff durfte Lelfing und Schiller,
SE und Wieland, Gellert und
abener, Nicolai unb Ramler, GeB:
ner und Bodmer, den alten Mojes
Der Aſthetiker Johann Georg Sulzer
jth E a 8
tbibliothek zu Winterthur
299 ( Dr. Max Osborn: ([24343434343534343435343434 25381
Mendelsjohn und den jungen Körner malen.
Die norddentihen jyürjten, Politifer und
SFeldherren der Zeit JaBen ihm. Und neben
den Männern die anmutigen und geiltvollen
Frauen der von Hidjten *Bilbungsinterejfen
getragenen Epoche. Wäre es ibm nod) ver:
gönnt gewejen, Goethe und SFriedrich ben
Groken nad) dem Leben zu malen, jo würde
die Galerie der Broßen feines Zeitalters faum
eine Lüde aufweilen. Graff ward durch bie
Gnade bes Cdjidjals für bie Zeit bes fride-
rizianijden Preußen dasjelbe, was [páter für
die Heldenzeit des deutſchen Raijerreids
rang Lenbad werden jollte — nur daß der
ältere Meilterin ber Redlichkeit und Treue, mit
Der er fein Bildneramt verjab, ben jüngeren
weit in den Schatten ftellt.
Arbeit und wieder Arbeit tjt Grafis Leben
gewejen. Für feine Hauptzeit hat er jelbjt
ein Verzeichnis angelegt, das jeden mit hic:
Her Achtung erfüllt. Danah hat er von
1756 bis zu feiner Berufung nad) Dresden
im Sabre 1766 nicht weniger als 270 Bild:
nijje gemalt. Bon 1766 bis zu jeinem Tode
1813 find es gar 943. Daneben fteht Die
Rleinigfeit von 416 ‚Kopien‘, womit wohl
in ber Sjauptiadje die zahlreichen Wieder:
Ré Der Berliner Theologe Johann Joachim Spalding. Gemälde
holungen ber eigenen Werfe gemeint find;
jodann 322 Zeichnungen mit Silberitift, zu:
met Vorarbeiten für die Bildnijje, und
über 300 Miniaturen. Einige Landjdaj-
ten und Radierungen fommen endlich) nod
hinzu. Falt bis zu dem Tage, da er, ein
Siebenundjiebzigjähriger, Die Augen jchloß,
hat er Binjel und Palette nicht aus Der
Hand gelegt. Gelbjt bas Augenleiden, bas
ihn in jpäten Jahren immer quälender pei-
nigte, fonnte feine Tätigkeit nicht ernitlich ge-
fübrben. Er fannte feine andere 3Bejriebi:
gung als emſigſte Prlichterfüllung, die thn
jo febr in ihren Bann 30g, daß er für bas
äußere Behagen des Daleins fait unempfind-
lid) wurde. Geine Lebenshaltung war ein
Mujfterbild rührender 9In|pritd)sIojtgteit. Die
Malerin €uije Seidler, die uns durch Goethe
und die Dresdener Maler Gajpar David
Friedrih und Kerjting wobhlbefannt ijt, bat
uns fein Heim in Dresden gejdjilbert: ‚Er
bewohnte auf bem Altmarkte nur eineinziges
großes Zimmer mit zwei jyen|tern. Dies
war feiner ganzen Lange nad) durch eine
ipaniidje Wand geteilt; in der einen Hälfte
war des Künjtlers Atelier aufgejchlagen, bier
hantierte er, bier empfing er den 3Bejud) der
Mufe. In der anderen
Abceilung hielt fid) fei-
ne Familie auf; Diejer
Raum war Wobn:,
Eh: und Schlafzimmer
— alles in einem.‘ Auch
das ein interejjanter
und —— Ge⸗
genſatz zu Lenbach, der
in einem fürſtlichen
Palazzo arbeitete.
Deutlich erkennen wir
daraus, wie Graff
ſeinen Beruf noch als
oe im edeljten
inne erfaßte, und
wie fein ganzes Wejen
auf Einfachheit und
Cadjlidjfeit geftellt
war, alem Nebenwert
abbolb.
Dennod) muß man
bei Graff oft genug
an Franz Lenbach
denten. Denn beide,
durd) ein Jahrhundert
getrennt, Wellen viel-
leicht bie einzigen
deutſchen Beilpiele für
jene höchſte Gattung
desBildnismalersdar,
die feit Jahrhunderten
in ben Niederlanden,
in England, in Frank:
reid) 3ablreidje Wer:
treter bejaß: des Bild-
nismalers, der um
fein Lebenswert eine
ganze SBortrütfultur
begründete und einen
Dos kinfllers Ga ttin mitihrem Jochterchen-
| Gomalde won Anton G
Im Bej ih; des Kunft verons Zu Winterthur
— e *
p
Jee Anton Graff BSSesessessssesssed 223
angen Rulturabjdnitt in den Augen der
Nachfahren ihren eigentlichen Ausdruck ver:
leibt; der nicht nur mit überragender Be:
gabung das Fad des Bildnijjes als feine
einzige Spezialität ausbildet, jondern eine
durchaus perjönliche Bildniskunft, bie zugleich
den Kunſtgeiſt ber ganzen Zeit zuſammen—
faBt, an deren beiten WBertretern erprobt.
Und nod) einen weiteren Bergleichspunft
ibt es. Go verjdieden die Art der beiden
Menjchen und ihrer Kunſt im Grunde ge:
wejen — auf einem Felde haben fie fih bod)
getroffen: beide verfolgten in ihrer reifiten
Beit den Weg, das Wejen ihrer Menſchen
vor allem im Auge zu erfaffen, ihren Blid
als ben Schlüjjel zu ben Geheimfächern ihrer
Seele zu betrachten und zugleich als ben An—
gelpunft der malerijdjen Anordnung. Es
gibt von Lenbads Hand Studien und Gliz-
zenblätter, bie vor der eigentlichen Dialarbeit
entjtanden und im Grunde nichts wiedergeben
als das Auge des Modells, ficher erfaßt und
hingejegt, nur von wenigen flüchtigen Umriſſen
des übrigen Antliges umrahmt. Bon Graff
bejigen wir dergleichen nicht. Wher wir tönn-
ten uns jebr wohl benfen, daß er jid) in ähn-
lider Weije vorberei-
tet hatte. Denn and)
bei thm fibt bier bas
Schwergewicht bes
angen Bildplanes.
$ lod merfwiirdiger er-
jcheint ber Vergleich,
wenn wir beobadjtert,
daß Graff völlig wie
ipáter Lenbad) in bie:
jen Schöpfungen fei-
ner Meijterjahre, das
ganzeBildviered in ein
Helldunfel babet und
ben £idjtitrabl, ber in
bie Schattenlagen her:
einleuchtet, unmittel:
bar auf bas Auge und
jeineunmittelbare Um—
gebung lenft. Zenbad)
richtete (id) jpäter bei
jolden Hellduntelfom-
pojitionen unmittelbar
nad den alten Mei-
jtern, bie er jo oft fo-
piert hatte, a er fie
ichließlich faft |djüler:
Baftnadjabmte. Grafi
dagegen hat diefe Art
offenbar ganz aus
Eignementwidelt. Um
jo tiefer und einbring:
licher ift bte Wirkung,
die er erreicht.
Die Anfänge unjeres
Meilters hielten [id)
Durdaus in den Rich:
tungen der Zeit. Der
am 18. Jtovember 1736
in Winterthur gebo-
rene Maler empfing
den eriten Unterricht in feiner jchweizerijchen
Baterjtadt bei Ulrich Schellenberg, der ihm
nicht mehr als die Grundlagen des Hand:
werfs vermitteln fonnte. Früh bat Graff
dann die Heimat verlajjen, zuerft in Wugs-
burg fein Glück verjucht, wo er jid) mit dem
befannten Rupferjteder Bauje zu gemein-
jamer Arbeit verband, dann eine Zeitlan
in München und Regensburg fih aujgebal:
ten, bis er im Jahre 1766 als SNE
nad) Dresden gezogen wurde. Diele Be-
rufung war nicht nur von perjónlidjer,
—5 — zugleich von funjt- und fulturges
hidtlider Bedeutung. Graff ward in Dres-
den für die Akademie gewonnen, bie zwei
Sabre vorher begründet war. Es war
ein alter Plan des ſächſiſchen Hofes gewejen,
ber Damit erfüllt wurde. Kurfürſt Auguft II.,
zugleich König von Polen, würde feinen Liebs
lingsgedanten wohl jhon früher in bie Tat
umgelegt haben, hätten nicht bie Stürme bes
Siebenjährigen Krieges bie Dresdener Kunſt—
pflege völlig ins Stoden gebracht, Nun jtarb
er im Jahre des Friedensſchluſſes 1763, und
erft fein Nachfolger fonnte den Plan ver:
wirklichen. Augujt II. hatte als Grundjaß
Der Maler Daniel Chodowiecti
Gemälde im Bett ber Königl. Altademie ber fünfte zu Berlin
994 I Dr. Dax Osborn:
ausgejproden, die Dresdener 9Ifabemie folle
eine deutjche werden. Jet aber wurden fünf
Italiener und zwei Frangojen in die Profej:
lorenitellen berufen, jo daß Graff an dem
jungen Snftitut geradezu die Aufgabe zufiel,
bie nationale Kunſt zu vertreten und zu pfle=
en. Denn der Schweizer, aus deutſchem
ee entjprojjen und in feiner ganzen Art
beutid) gejinnt, darf ruhig zu den Unjeren
gezählt werden.
In Dresden nun entfaltete er eine unge:
mein geichäftige Tätigkeit. Er muß ohne
Übertreibung vom frühen Morgen bis in die
jinfende 9tadjt gearbeitet haben. Reichtiimer
hater gleichwohl nicht gejammelt. Denn wenn
wir aud) bet den Preiſen feiner Bildnijje,
für bie er in den erften Jahren fünfundzwan:
ig Taler, |páter faum je über fünfzig
ler erhielt, den höheren Geldwert des
18. Jahrhunderts in Anrechnung bringen,
jo bleibt die Entlohnung immer nod) |pär:
lid) genug — was jelbjt diejer bedürfnisloje
Mann gewiß jdjmer empfunden hat. Wir
begreifen darum jehr wohl, daß er bei den
amtlichen Aufträgen, die ihm zuteil wurden,
mehr mit der Hand als mit dem Herzen bei
ber Arbeit war, und wirklich war alles das,
Philipp Erasmus Reich, der Beliger ber Weidmannihen Buchhandlung
in Leipzig Gemälde im Beji ber Univerjitätsbibliothef zu Leipzig
was die große Dresdener Ausjtellung zur.
GSäfularfeier feines Todes an reprüfjentati-
ven Bildern vereinigte, verhältnism |
nur von geringem Werte. Namentlich
jebte der Inhalt eines Gaales in 3Rermun-
derung, Der den höfiſchen Bildnijjen pom
Graff eingeräumt war. Sm der Nusitat-
tung war auf Diejen Raum bejonberer
Nahdrud gelegt. Aber was an den Wane:
den hing, verjekte ben Beſchauer suf in
Bong Auguft, feiner Gattin Marie Amalie:
ugulte, der ‘Pringeffinnen Maria Anna `
und Caroline, des Rurfiirften und fpätes;
ten Königs Anton und feiner Gattin, Des:
Prinzen Clemens und des Prinzen Xaver,
des Prinzen Karl unb des Prinzen Maxi-
milian, und wie die hohen Herrſchaften
alle hießen, find nichts als üblihe Schau—
ftüde im Gejchmad ber Zeit, bie faum in
einem Zuge eine höhere Begabung verraten.
Lächelnd fühlte man nad hundert und bugs:
dertfünfzig Jahren bie miBmutige Ergeben-
eit, mit ber ber Künjtler an dieje ibm offen=
ar herzlich gleichgültigen Aufgaben heran-
trat. Daß die Kurfürften und Könige felbit,
bei denen man Iebbajteres Interejje bes Maz
lers vorausjegen fonnte,
nicht bejjer gelangen als:
ihre Familien und ihr Ho
itaat, mag jeltjam
ren. Aber es jcheint, dab
Graff auch bier nur eben-
ichlecht und recht ein Amt
ausübte und fich nicht mit
einem inneren Wejen ge
eſſelt nd Eine eingi
usnabme war GER Ä
len: das Bildnis der z
fiirjtin Maria Antonia,
gorenei Pringejjin vor.
ayern, bas mit den aar-
ten Budertönen des Intar-
nats, mit dem Diurdj[idti-
gen Ihmargen Tülltuch
und den koketten blauen
Schleifen unterm Kinn, am
Arm, an der Bruſt ein
feines Stück Rotofomalerei
bildete. Wielleiht oder
— hatte an dieſem bef-
eren Gelingen die Perjin=
lidjfeit der Rurfiirjtin ih-
ten wohlgemejjenen Mrt-
teil. Bei ben anderen
Fürftenbildern hatte man
das Gefühl, dak zwijchen
dem Model und dem
Künftler ein ungeheuerer
leerer Raum flaffte —
Nae jo |djien es, war eine
rüde ge|d)fagen.
Beller fand fid Graff
mit ben Mtitaliedern bes
Wdels ab. Auch bierbet
findet fid) genugjam Of-
figielles, Unperſönliches
Heiterkeit. Dieje Bildnifje des Ru
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ISSN Anton Graff [(24i2:342:24242424232:242«2:340 295
Uber die feine Kultur ber ſächſiſchen Aris
ftofratte jorgte offenbar dafür, daß fid) zwi:
hen ihren Mitgliedern und dem großen
Künftler, bem fie jid) gegeniiberjahen, engere
Beziehungen herausbildeten. Zwar für die
Intimität ber Seelenmalerei Graffs fommen
auch bieje Arbeiten erft in zweiter Linie in
Betracht; aber eines fand er dabei, was fein
Auge reizen und feinen Malerfinn entaüden
mente! bie lo|tbaren &ojtüme ber vorneh:
men Herrjchaften mit ben blaffen Farbenhar:
monien ber Zeit, ben erfejenen Stoffen und dem
amiijanten, zu allerlei
Schnörkeln verwend:
baren Stebentverf,
den Rüſchen, Spigen,
Stidereten, Borten,
Periiden, Orden und
Shmudjtüden. Cine
elegante, gepfente,
| orglam:
gemalte Por:
trüátgelellidajt mar:
idiert bier auf. Etwa
Graf Schönfeld, jadjis
iher QGejanbter am
Wiener Hofe, im roten
Ctaatsrod. Oder ber
prächtige Johann Ge:
orge Chevalier be Gas
xe, furfiirftlicber Feld⸗
mar[djall und Gouver:
neur von Dresden,
Stiftshauptmann von
Heldorf, ein wohlbe—
leibter Herr im grauen
Rod. Gadjen-Weimas
tiler Staatsminijtcr
von irit), Goethe:
Iden Wngedenfens, in
dunfelblauem Roftiim.
Ronfiftorialpräfident
Freiherr von Gaertner,
Heinrid) XII. Fürft
von Neuß d. L., der
ſächſiſche Konferenz»
minijter Graf von Gin:
fiedel und ber Ram:
merberr von Carlos
wif auf Bodelwiß, mit
friiher Lebendigfeit
der Haltung hidjtplas A
ittih Hingemalt. Noch Gab
\höner freilich find aud) Hier bie Bildniffe
der Frauen. Bezaubernd vor allem das ber
Sreifrau Johanna Sophia von Fritſch in
ſchwarzer Mantille, mit rotgefütterte"t Get:
denfragen. Oder bas ber Drei Fräulein
von Bieth und Boijenau: die eine mit roter
Mantille; bie mittlere in einem rojabraun
und weiß geftreiften Seidenkoſtüm; die dritte
mit den entgiidenden blauen Schleifchen.
Oder die geſchminkte Kofetterie der Gräfin
Erdmuthe Friederife von Bünau. Oder die
reizende Gräfin Schönburg in grünblauem
Kleid mit dem duftigen Riijdenarrangement
im pifanten Ausjchnitt.
Aber jchließlich find bas alles doh nur
vorzügliche LXeijtungen eines Rotofomalers,
ber ganz im (til ber von Frankreich her
übertragenen 3eitmode arbeitete und fi
der großen Gejamtheit feiner Kollegen eini:
— konventionell einordnete. Auch die
einheit und Zartheit der Farbenſtim—
mungen, die Anmut und Geſchicklichkeit in
Haltung und Bewegung, die liebenswürdige
Sicherheit ber Auffaſſung, bie man fo jtart
empfindet, daß man auf bie Ahnlichkeit ber
Bildnifje ſchwören möchte, gehören bem all:
Gräfin Beftufcheff geb. von Garlomit. Gemälde Ba
gemeinen Zeitgut an, bas Graff gewiß mit
ungewöhnlicher Begabung nu&te, Dod) ohne
etwa bier einen Führerpoſten beanjpru=
chen zu dürfen. Was ihn erft zu dem
Meiiter machte, den wir verehren, und Dellen
Geltung niemals jchwinden wird, bas ift ber
Katalog feiner Bildnijje der großen Zeit:
genojjen, bie er hinterlaljen. Hier erft war
er ganz Anteilnahme und Leidenjchaft. Hier
erft ber Geelenfiinder, ber bie äußere Er:
Jcheinung feiner Menjden als Jichtbaren
Ausdrud ihres innerjten Weſens gab.
Bor diejen Bildnijjen der Dichter, Phi-
lojopben, Gelehrten, Künjtler empfinden
226 Iesse Dr. Max Osborn: WEZZE Ze Ze Ze ZZ Zc 3:8
wir den gewaltigen Zug der Zeit, ihr Stre-
ben auf tiefes Erfaſſen der Wahrheit in ber
Natur und im Menſchentum, in der Willen:
(daft wie in der künſtleriſchen Verklärung
des Wirklihen, im ftaatliden wie im indi-
viduellen Leben. Meiſt find es nur die
Köpfe, die Graff uns zeigt, und aller Geiit,
der hinter diejen Stirnen arbeitet, jcheint
Hid) in den Zügen des Antliges, im Blid
des Auges, in der Konzentration der Be:
Frau Alex. Reg. Boehme geb. Heer, die Gattin des turjadjifden Hof:
du t ‚biltoriograpben Sob. Gottlob Boehme
Gemalde im 3Bejit ber Königl. Gemäldegalerie zu Dresden
leuchtung, in bie bas Geficht getaucht ijt, in
Der Harmonie der Farben zu offenbaren. Oft
aber treten auch die Hände dazu, um in
\prechend [ebenbiger Bewegung vom Tem:
perament der Perjönlichkeiten Nusdrud au
geben, oder gar Die ganze Geftalt wird fidt-
bar, wie etwa bei dem meilterhaften ‘Bor:
trat des Dresdener Landichaftsmalers
und NKupferjtechers Adrian Binga, der,
aus Ct. Gallen jtammend, ein Schweizer
Landsmann Graffs und falt gleichzeitig mit
ihm nad) Dresden berufen worden war.
Die Hauptitadt an der Elbe und das jädhli-
ide Land führten ihm aud) den Gatirifer Ra-
bener, den furfiirjtliden Leibargt Dr. Hähnel,
den Dresdener Gchriftiteller C. U. Förſter,
ben Biirgermeifter Hering von Baugen und
den Leipziger Banfier und 9Ratsbaumeijter
Eberhard Heinrich Lohr zu. :
Der Stadt Leipzig aber perbantte Graff
einen Auftrag, wie ihn jobald fein Deutfcher
Riinjtler je erhalten
hat. Dort lebte als
Teilhaber ber beriihm-
ten Weidmannſchen
Buchhandlung, zu de-
ren Verlag bie beiten
Köpfe Deutjchlands ge-
hörten, Philipp Eras-
mus Reich, ber den im-
pojanten Plan fate,
eine Galerie berühm:-
ter und bedeutender
Zeitgenojjen zu Jor,
fen. Mit den meilten
hatten den Leipziger
Mäzen perjönliche Be-
ziehungen verbunden,
Den anderen bradhte
er aus ber Ferne De-
jondere Verehrung ent-
gegen. Leider find wir
über die Art, wie
Reich feinen Plan an:
fapte und durchzufüh—
ren begann, nicht un-
terrichtet. Doch willen
wir, daß feine Galerie
bei jeinem Tode im
Sabre 1787 immerhin
ion vierundDdreikig
Bildniffe umfaBte, die
jeine Witwe 1809 beim
vierbunbertjábrigen
Jubiläum der Leip-
ziger Univerſität dic-
jer zum Geſchenk mad-
te. Su der Galerie,
die heute in der Uni-
verſitätsbibliothek anf-
bewahrt wird, Hat
Graff vom Jahre 1769
an mit der jtattlidjen
3abl von jedsund-
zwanzig Bildnijjen bei-
getragen ; Darunter be:
finden fid) die Köpfe
von Leſſing und Mendelsjohn, Chrijtian Fe:
lix Weike, Hagedorn und Gellert — eine fei-
ner föjtlichiten Schöpfungen —, von ben
Riinjtlern Lippert und Barve, den er in Leip:
zig wiederfand. Dazu noch das Porträt von
Reid) jelbjt, bas gleichfalls eine Arbeit von
bejonderem Wert wurde.
(fine ganze Anzahl ber Sehsundzwanzig
aber wohnte in Berlin, und jo tam Graff
im Auftrage Reichs in die preußiiche Haupt:
ont, wo er im Jahre 1771 zum erjten Male
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Shiller im 28. Lebensjahre
Gemälde von Anton Graff
(Im Körner: Mujeum zu Dresden)
THE LIBRARY
Of THE
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were, wars
Sai] Anton Graff AZZA 227
Der Idyllendichter Salomon Beßner
Silberftiftzeihrung
einfebrte, um oft wiederzutommen. Wir
nannten jdjon Mendelsſohn. Daneben aber
entjtanden bier für bie Leipziger Galerie Die
herrlichen Bildnijfe von Ramler, von Cho-
Dowiecfi, mit bem ihn bald
innigeperjönliche Freund) daft
verband, von dem Theologen
Johann Joachim Spalding,
Dellen ausgezeichnete Bildniſſe
einen Sthmud der Bildnis-
abteilung der Nationalgalerie
bilden, und von bem Philoſo—
phen und Ptathematifer Jo—
Dann Georg Sulzer, bem be:
rühmten 9Berfajjer der „Allges
meinen Theorie ber jchönen
Künfte“, ber zu Graff tn engjte
verwandtjchaftliche Beziehun:
gen trat, ba der Künſtler fid)
mit feiner Tochter — ver⸗
mählte. Wud) hier traf Graff |
auf einen Landsmann; denn
Sulzer, der in Berlin als |
Brotefforam Soadjimstalichen
Gymnajium wirkte, jtammte
gleichfalls aus Der weiz.
Schließlich aber hat Graff auch
die Heimat in ſpäteren Jah—
ren er zweimal aufgejudht.
In den [Jahren 1781 und 1796
unternahm er Reifen nad)
der Schweiz, denen wiederunt
eine Reihe feiner vorzüglich:
ften Werfe ihre Entite ung
verdantte, arunter Die
$Bilbnijje der trefflichen
Herren Elias Biedermann,
Chrijtoph. Ziegler und
Hans Ulric) Hegner, jámt:
lid) SchultheiBen von Win:
Bildnis eines unbefannten Malers.
terthur, fowie der Kopf Bodmers in
Zürich.
Jtatürlid) bejd)ránfte fid) die Tätigfeit in
Leipzig und Berlin nicht auf bas Thema
der Neichichen Galerie. Daneben ent[tanben
in diefen Stätten zahlreiche andere Bild:
nijfe, ebenjo wie auf ben Jonjtigen Fahrten
durch Deutjchland, die Graff unternahnı.
So malte er 1764 in Augsburg Lavater, den
er dort durch Sulzer tennen lernte. Go
1794 in Neuſalz Chrijtoph Kaufmann, ben be:
rühmten ‚Apojtel ber Geniegeit’. Herder
wurde von Graff in Karlsbad porträtiert.
Sn Weimar felbjt ijt ber Künftler nie ge:
melen ` feine Bildnifje Schillers und Wie:
lands entitanden in Dresden. Der größte
aber fehlt —: Goethe. Esijt wie ein Sda:
bernad bes Schickſals, dak es en nicht ver:
gönnt war, bie großartige Reihe feiner Bor:
träts ber Zeitgenojjen mit dem ihres gei:
ftigen Hauptes zu frönen. In Berlin war
es namentlich) Chodowiecki, ber Dem Freunde
Aufträge vermittelte und ihn aud in Bezie:
Dung zum Hofe bradte. Dabei wirft dann
wieder Graffs Tätigkeit für bie Ronigsfamilie
ein grelles Edhlaglicht auf bie damaligen
Berliner Berhältnijje. Friedrich der Große
wollte von Ddeutjcher Malerei ebenjfowenig
etwas wijjen wie von deutjcher Dichtung, und
wenn er Grethe abgelehnt hatte, fo ave
ibm aud Graff nichts jagen. Die Bilder
Gemälde
998 —Besssssssssssssssay] Dr. Max Osborn: Anton Graff
des Königs von
Graffs Hand find
erjt nach dem Tode
Friedrichs fret nad)
anderenDriginalen
hergejtellt. Man
darf vermuten, daß
bier ein Auftrag
der verwitweten
Königin zugrunde
lag, Die jelbit in
jener Beit Graff
laß. Einen Protel-
tor aber fand Der
Dresdener Wraler
— und auch das ijt
bezeichnend fiir die
Berliner Zujtände
— in dem Prinzen
Heinrich, Dem Bru-
der Friedrichs bes
Gropen, der, wie
allentbalben, ſo
auch bier als Füh—
rer ber gegen den
König gerichteten
Fronde auftrat. Die großen Porträts Grafis
vom Prinzen Heinrid) wurden die beften
Ctüde jeiner repräjentativen Arbeiten.
Se näher aber die Menſchen Graff ftanden,
3 Grafis Sohn Karl.
Eq Der Aupferjteher Johann Friedrid Bauje. Gemälde E23
|
—
Bleiftiftzeichnung B
um Jo höher [tieg feine Zunft ber Darjtellun
Rein Wunder, dak aum Beften, was er geſchaf⸗
fen bat, nun aud bie 3Bilonijje feiner Gattin,
\einer Rinder und — feine Selbjtbildnifje gehö-
ren, fo die wundervollen
Gruppen, in benen er jid) im
Rreije ber Geinigem ober
mit DerGattin vor bem Bor:
trät des Schwiegervaters
Sulzer malte. Das tiefe Be-
hagen eines glüdlichen Le-
bens ftrablt aus biejen Wer-
fen. Und riihrendD ift es zu
verfolgen, wie er gleich
den großen Bildnismalern
anderer Völker, etwa glei
Rembrandt oder glei
Reynolds, bas Geheimnis
bes eigenen Antliges zu
erforjchen tradtete, von
der Zeit jugendlicher que
ide bis zum Berjall bes
Alters, das wohl jeine
(rjdeinung verändern,
aber nicht Die — und
Hoheit feiner Kunſt min-
dern fonnte. Das Gelbit-
bildnis des Greiſes, das
die Dresdener Galerie be—
ſitzt, erichüttert uns durch
die unbeſtechliche Ehrlich—
keit, mit der hier ein Mann
an der Grenze ſeines Erden⸗
wallens von fih Rundegibt,
und dann wieder im Hands
werfseifer bie eigene Tragit
vergaß, die ihm nun, nicht
anders wie alles, was er
jahrzehntelang [tubiert nnd
gemalt hatte, lediglich Ob—
left feiner Kunſt war.
Der Sdaufpieler Konrad Ekhof
Gemälde von Anton. Graff
rU o iM
—Deutf
che Seeley
Fin Buch von Heimat Wanderſchaft und Liebe
vá BonFohannes Sóffnec —A—
— Jortfegung —
MAMMA RT
raugott Bitterling hatte längjt die
Lampe gelöſcht und jchlief einen
sy untubigen Cdjlaf; bie Wederuhr
vor feinem Bett tidte burd) bas
offene Fenſter in den Hof unb Garten
hinaus, ber Laufbrunnen, aus bem eine
lebendige Quelle jprang und über den Rand
fort in einem gemauerten Rinnjal zum Fluß
tiejelte, plätjcherte fact, aber Jungfrau
Miele fand nod) nicht zu Bett, fab in Nacht:
jade unb Nachthaube auf ihrem *Bettranb,
fab in bie Porzellanbilder ihres Nachtlämp:
dens unb jann und framte in ihren Ge:
danten umber wie ein Rind in feinen Spiel:
jaden. Diufit war in ihrem jtillen Zimmer:
den. Gingen und Flöten. Süße, jelige
Miufif. Und bann ftand fie auf und kehrte
mit ihren zittrigen Fingern die Fächer in
ben Schränten unb in ben Rommoden bird)
unb burd, bis fie bie Flöte gefunden hatte
aus jchwarzem Ebenholz mit einem filbernen
Ring, auf dem zu lejen war: Unjerm lieben
Wieje in Danfbarfeit. &onjul Friedrich Aus
guft Lobedang, bei bem alle Künftler einen
Stein im Brett hatten und bem folde Goins
nerjdaft mit dem Haufe am Heumarft über:
tommen war, hatte fie bem Etadtmulikus
in bejonberer Anertennung verehrt. Tenn
Sungfrau Wiejes Water blies dies Inſtru—
ment mit Snbrun[t und Gefdid, unb feiner
fonnte wie er im Freilhüg ben Ruf des
Käuzchens machen, daß allen ein Grujeln
über die Haut ging, wenn es aus der Wolfs:
ſchlucht über das Parkett jchrie. Aber jebt
war er tot, unb feine Flöte war ftumm.
Und Karl Maria war aud) tot und hin; für
die janfte, ſüße und unjchuldige Mufit hatte
feiner mehr Ginn. Jet waren die Tuben
und Pojaunen obenauf; jekt fpielte man
Wagner, bie Mufit, die einherfuhr wie Roffe
und Wagen und Reiter.
Es war eine jhlimme Nacht fiir Junge
frau Wieje, denn aud) als fie Ion jchlief
unb bie ipige Nafe aus bem Dedbett in ben
matten Schein ber 9tadjtlampe jtedte, [tans
ben Die wirren unb fraujen Grinnerungen an
ihrem Bett und drängten fih in ihren Traum
und irrtem ihr Herz.
Am anderen Morgen jak Sort Asmus
auf einem umgeftiilpten Zuber am Brunnen,
[dug die blanten Zähne in bas deftige
Scwarzbrot und fütterte bie Hühner nicht
nad ber Geredjtigfeit; auch der weljche Hahn,
ber mit fcheelen Augen tüdiid) im Rreife
ftrich, befam mehr als er verdiente, ba bod)
Neidhadmmel und Gierfdliinger immer leer
abziehen müßten. Aber Karl Asmus war
in diefem Fall wie der liebe Herrgott und
ließ feine Gonne [deinen über Boje und
Gute. Die Echreiberfrau fah ihm hinter
den Gardinen zu, jchüttelte den Kopf und
fhalt bei fid) gleich ber Eljter im Nußbaum,
wie man mit ber teuren Gottesgabe fo leidjt:
fertig umgeben fönnte, Cie nahm jedes
Krümchen in adt, unb es reichte bod) nicht
bin und ber; fie blieben allermeijt hungrig
tagaus, tagein. So ein Rid-in:die- Welt wußte
nod) niht wie Hunger tat. Aber er würde
es wohl nod) erfahren.
Als Karl Asmus mit bem 9Riebaeug fein
WSrübitüd geteilt batte, den zudringlichen
Hennen bie leeren Hände hinhielt, daß er
nun nichts mehr habe, und dann aus dem
Brunnen einen Trunt jchlürfte, hätte er fich
um ein Haar verjhludt, wie er über bie
Doble Hand Jungfrau Wieje dahertommen
jah, eine grasgrüne Schleife vor ber Bruſt
und eine Brojhe aus Goldbled) darin, fo
groß wie ein Hühnerei; bie roten Ctrümpfe
leuchteten wie Mohn im Juli; der Papagei
auf ihrer Schulter, ber fih aus irgendwelchen
dunklen Zujammenhängen heraus an die
Seit erinnerte, ba er zur Gee gefahren war,
ichrie gellenb wie eine Tampfpfeife: „Mann
über Bord!“ Dann aber, da er in ihrer
Hand die Flite blinfen jah, zog er bie Zunge
zurüd, bie braun und bidlid) war wie eine
Zirbelnuß, legte den Kopf auf die Ceite
und flötete: „Blau blüht ein Blümelein, das
heißt Bergißnichtmein.“
Damit war Jungfrau Wiefe bei Karl
Asmus, drehte ben gelbfeidenen, perjdjlijfes
nen Schirm in der Sonne über ihrem Kopf,
daß er darum ftand gleich einem Heiligens
ihein, und reichte ihm die Flöte hin: „Tars
auf läßt es fid) beffer jpielen, mein Junge,
als auf der anderen.” Und da Karl Asmus,
bem vor Berlegenbeit die Nöte über das
Beficht lief wie ein Flammenjpiel, nicht
wußte, was er jagen und ob er jie nehmen
jollte, ftedte fie ibm das Ding hinter den
Lag der 2eber|d)ürge und ging davon. Der
930 SSS HESS EEE Johannes Höffner:: III FI HF ZI
Papagei rieb den Kopf an ihrer Wange und
fagte mit füßer, weicher Giimme: „Liebes
Kind, artiges Rind, gutes Kind,“ aber plöß:
lid) wandte er fih mit gejträubten Halss
federn rüdwärts gegen ben follernden Hahn
und frächzte tief und zerbrochen gleich einem
Truntenbold: „Olles 9Balrof."
Karl Asmus fletterte indeffen flint wie
ein Eichhorn die Stiegen hinauf in feine
Kammer, um nod) [chnell auf einen Ctups
bie Flite zu probieren, blies und vergaß
bie Welt, bis Meijter Bolduans mächtiger
Bah in den engelgleichen Distant fuhr und
bas [djóne Lied von bem grünen *Bógelein
mitien entzweiriß. Da warf er bie Flöte
in feinen Kaften und [prang, daß bie Haden
flogen, und wäre um ein Haar bem Meijter
von oben in die Arme gejegelt, wenn der
Umgang fein Geländer gehabt hätte. Die
Trehbant, an ber ber Meijter hantierte,
Jprigte die Späne gegen die Scheiben, bie
geile freiichte bagmijd)en wie ein altes Weib,
ber der Kater bas Mittag aus der Pfanne
geitoblen hat, aber um Karl Asmus’ Ohren
tangte ein jüßer Cingjang und war [djulb,
dal der Strid) nicht ward, wie er folte.
Am Abend, als die Nacht unter den Bäus
men am Fluß lag, während in den Kronen
fid) nod) bie lichte Sommerdämmerung jchaus
teite, juchte er die ‘Banf unter bem Birn:
baum wieder heim, und der Pla war ihm,
als fennte er ihn wer weiß wie lange.
Er ließ feine junge Geele fingen und fein
Herz atmen unb feine Gedanten wandern
gleid) bem Wajler zu einem Biel, bas er
nicht fannte, wo aber eine unbejchreibliche
Geligfeit wartete in einem Garten gleich
dem Paradies an vier filbernen Etrömen.
Sungfrau Wieje hatte fid) ganz [till unb
heimlich einen Schemel weiterhin an das
Dier getragen, in ein Gasmingebiijdh, und
ihr Herz trant bie vollen, fühlen Töne wie
ein Kräutlein den Tau, fie war mit ihren
Bedanten nicht mehr jo Idien und ſchüchtern
wie am Abend zuvor, tat mit teder, wenn
aud) zittriger Hand bas Pförtlein zum Gars
ten der Vergangenheit auf, ob da unter bem
Kraut und Gejiriipp wohl nod) verborgene
Blumen blühen mochten, und fand ihn voll
Eornenichein und Vogeljang. Mitten in der
Wildnis Donn blühend der Rofenitrauch, von
dem Johann &ud)enreuter, der Steuermann,
ihr zum Abſchied die ſchönſte Blüte gebrochen
unb an den ?Bujen geitedt hatte, bevor er
mit dem „Kehre wieder” nad) Batavia ge:
fegelt war. ber bas Meer hatte ihn vers
Jdlucdt, er war nicht wiedergelommen, ob
fie gewartet batte Jahr für Jahr; das Lamp:
chen, bas ihre Seele ans Fenſter gejtellt hatte,
war matt geworden, und die Flamme war
zujammengefunten und ausgebrannt. Gie
hörte das Meer braujen unb den Sturm
geben und jah die Klippen ragen unb das
Schiff zerjchellen; ein Mann trieb auf bem
Sdaum, eine Hand redte (id) hod. Da jchlug
fie bie Hände vor bas dürre Belicht und
teinte bitterlid. Dod) Johann Kuchenreuter
war gar niht tot. Er jaB in Danzig mit
Weib und Kind, batte eine anjehnliche Ree:
derei und freute jid) feines Lebens und Ans
jebens. Jungfrau Wieje aber wollte davon
nichts wijjen und hören. Es gab viele Rudjens
reuter in der Welt, und viele, bie Johann
hießen, und wenn er wiedergefommen wäre,
wäre er zu ihr gefommen, denn er war ein
ehrlicher Menjd. Und folh Glaube war für
das zerbrechlihe Jüngferlein das TFeniter,
darum ihr einjames Leben fid) rantte, jonjt
wäre es wohl längjt zertreten worden von
ber Unbarmpberzigteit der Welt.
Allmählich aber, je mehr die Kühlung auf
die Erde fiel, wurde es in der Jungfrau
ruhig und [till, und ihre Gedanfen jaBert
wie ermattete Vögel im Gedjt, wenn der
Habidt abgelajjen hat, fie zu jagen. Der
Papagei hatte den runden Kopf unter den
Flügeln und blábte fih in regelmägigem
Atem; fie jah hinauf in den tiefen Himmel,
ber alles Sonnenlicht getrunfen hatte und
[att war: in ben Häujern droben wurden die
Lidter angezündet, große und kleine. Aber
es waren dort oben aud) Unterjchiede, und
es wohnten dort oben aud) Reiche und Arme
und niht lauter Blüdliche. Ihre Empfins
dungen wurden gewiegt von den fanjten
Melodien, und ihre Augen wanderten durd
die Himmeljtraßen, bier um eine Ede, dort
über einen Blak, machten mit einem Schritt
bunberttaujenb Vteilen und wurden dod nicht
müde und jpazierten durch das Weltall wie
durch eine Stadt. Und Karl Asmus blies,
als wenn ein Kind hüpft: Wer bat die
ſchönſten Sdajden. ‚Ad, dachte Jungfrau
Wieje, ‚wenn jet der Mond fáme. Denn
der ift ein Freund aller einjamen Geelen
und ein treuer Gefährte, wenn Menjchen
ferne find. Aber er tam nicht und batte
Geſchäfte auf der anderen Seite der Welt.
Eine Klinte ging. Weiter Bolduan tam
aus dem Lads, hatte bie [cte Runde ges
wonnen und war guter Dinge, hörte das
Spiel am Waſſer, und wollte jehen, wer bas
wäre. Uber da ftand Jungfrau Wieje an
ber Pforte und flülterte: „Das ijt Karl,
der Lehrling. Das darf man nicht Hären,
Woran einer feine Freude Bat, fol feiner
zerichlagen.“ Meiſter Bolduan [trid) den
langen Bart und ging leije fort. Es war
immerhin beffer, es blies einer auf der Flöte
als auf einem 3tadjjdjlüjjeL Und Jungfrau
|
j
|
PSSA Deutjhe Ceele BEZZA 981
Wieſe war glüdlid) wie eine Mutter, bie
bem träumenden Rinde die Fliegen abwehrt.
Wm andern Morgen, als fie bie Laden
zurüdichlug unb die Fenſter auftat, als bie
feuchte Frühluft ihr ben Suit vom Nuß—
baum ins Zimmerchen webte, das Morgen:
rot über bem nebligen Waller ftand und
feine Menjchenfeele (id) regte, nur die Finken
und Amjeln und Grasmiicen lebendig waren,
hatte fie die Welt jo lieb wie vor vielen
Jahren und [prad) bei fih felbjt: ‚Sch muß
ibm was Gutes tun,‘ ging bin unb jcheuerte
das alte, verrojtete Waffeleijen blant, jchürte
ein Feuer auf dem Herd, riihrte einen Teig
und but, daß ihre jdjmalen Wangen branns
ten wie ihre roten Strümpfe. Sie |djidjtete
bie Waffeln Reihe bei Reihe, und die Schüjjel
wuds und blübte wie eine gelbe Georgine.
„Sp,“ jagte fie, „nun tann der Sonntag fom:
men,” ftreute Ruder über das Gebad und
ftellte es in ben Glasfdranf neben den Chis
nejen, der mit dem Kopf wadelte, aber nicht
weil er alt war, Jondern aus lauter Weisheit.
Der fiipe Ruchenduft zog über den Hof,
und Glajer Strippentow, der vor der Tür
feinen Ritt jchlagen wollte und das Leinöl
mit der Kreide mengte, warf bie Nafe
ärgerli bin und ber, wie ein Dadel, ber
zweierlei Spuren wittert und nicht weiß,
jol er zur Rechten ober [oll er zur Kinten.
Er bokte fid, daß auf feinem Tijd nie
etwas (utes [tánbe, denn fein Weib war
eine Schlampe und verjtand nichts, und wenn
er ihr vorbielt, wie andere Männer gepflegt
würden, 30g fie ein |djiefes Mtaul. „Als die
Leute find, jo brat man ihnen. Wie der
SBerbienit, jo bie Bunft. Erſt das Ei und
bann bie Gerjte.” Aber es ift nicht gut,
wenn eine Frau den Mann fnapp hält, bann
wird er naſchhaft und gudt in fremde Töpfe.
Und wie ber Glajer erft einmal den Rucens
buj weg hatte, warf er ben jchmierigen
Klumpen auf den Blod, ſchnüffelte bie Haus»
wand entlang, bis er vor Jungfrau Wiefes
Küche jtand und burd) das offene Fenſter
rief: „Guten Morgen, Jungfrau Wieje, ba
habt Shr aber in aller Herrgottfrühe einen
Buden gebaden, ber jid) gewajchen hat, einen
Buden, der nicht von Pappe ijt, einen [djónen
Buden, einen Jüßen Kuchen, einen Butters
fudjen, einen Kuchen, der fic) ſehen laffen
tann. Wie jagte Ejau, ba er müde vom
Felde fam? Laß mid) fojten bas rote Gee
richt.” Jungfrau 9Bieje bot ihm ein Teller:
chen über bas Fenſterſims, wenn auh nicht
gern, und |o war ber Glajer ber erjte, ber
zu fojten befam, was für ihn nicht gebaden
war, jtand und ftopfte mit den freidigen
Fingern die mürben Waffeln in ben [d)mar:
zen und verjtoppelten Mund. „So,“ [agte
er, „was gut [djmedt, das ijt jchnell pet:
ſpült; jchönen Dant, Jungfrau 9Bieje, das
war mir eine rechte Herzitärtung. Er jdjurrte
davon, da Jungfrau Wieje thm nicht mehr
gab, unb war in feinem Herzen voll Neid,
daß bie alte Schachtel jo ein behäbig Leben
führte und fo warm und weich jag wie ein
Eichhorn in feinem Weit.
Freilid, davon big feine Maus einen
Faden ab. Jungfrau Wieje wohnte in
einem Schmudfäjtchen, und es glänzte alles,
als wäre es eben aus der Werlitatt ge:
fommen und war bod) viele Sabre alt,
hundert und mehr. Drei Stübchen hatte fie:
eins für den Feiertag nad) vorne heraus,
darin fap fie hinter den Gardinen des
Sonntags, wenn bie gepußten Leute babers
lamen und bie Yiebe Hand in Hand in das
Land und an das Meer ging. Dann hatte fie
ein lila Wlpaffafleidcden an, um das die Boz
lants in dunkler Tönung ftanden wie Beils
denfrünge, ein Bud) im Schloß und bas
Ctridgeug in ben dürren Händen, und [ab
alles zugleih, Schrift und Majhen und
Spaziergänger. Dann fam aud) wohl bie
Sonne, ließ bie bünnbeinigen Mahagoni:
möbel leuchten wie roten Wein unb holte
den Ambraduft aus den pfaublauen Pol
Hen und malte Jungfrau Wiejes matte
Wangen mit zartem Rojenhaud) wie pers
blichenes GCeibenbanb.
Und ein Zimmerden hatte fie für den
Witag, bas lag nad) dem Hof zu im
Schatten des breitgeäfteten Nußbaumes, und
um das YFenfter rantte wilder Wein. Das
vor ftand ber 9tábtijd mit Knäuelbecher,
Garnwinde und Stein, der bunt geblümte,
tiefligige Obrenftubl unb ber Ctünber für
den Papagei, denn er konnte nicht immer
auf ihrer Schulter figen und mußte um
mander Umjtände willen [id) aud) zu bem
harten Holz bequemen, und tat bann, als
jage er im Maſtkorb und jchrie, als ginge
es gegen den Sturm: „Hoi ahoi, Schipp
ahoi!” An der Längsjeite tat bas weitges
ihweifte Sofa feine behäbigen Arme auf,
wie eine Mutter, die viele Kinder hat und
alle auf ihren Schoß nehmen will; zur
Kinten neben der Tür ber Haubenjchrant
und gegenüber zur Rechten die Servante
mit ben gejdjliffenen Scheiben; an der vierten
Wand bie Kommode, darauf Kelchvajen mit
Strohblumen, und darüber von Smmergriin
umwunden ein verblaßtes Bild Johann
&udjenreuters, der lebte, ob er gleid) tot war,
Das dritte Simmerdjen war für Die
Nacht und ben fargen Schlummer, jechs Schritt
in die Lange und drei Schritt in bie Quere,
im Altoven Hinter grünem Vorhang das
Bett, [d)mal und jdwarg wie ein Sarg,
239 (Ee REECH Johannes Höfner: IEGEEXXEIGGGGOGGG33]
aber für Jungfrau Wiefes dürftigen Leib
reidjlid) und völlig, wie für einen Want
und Wielfraß ein franzöfiihes Bett. Da
fonnte einer wohl tief und felig fdjlafen,
er durfte nur nicht fo ein flatterndes Herz
und jold) feines Gebór haben wie Jungfrau
Wieje, die ihre Gedanfen fo viele Wege
[djidte und in bie Ctille horchte, mas bars
aus ſpräche. Zwar auf bem Bettijchchen,
neben ber Nachtlampe, bie Durd) die ‘Por:
zellanbilder jo janft jchimmerte wie Boll:
mond im D'ai, ftand ein Fläſchchen mit
fRalbrian, aber bas war ein Mittel, auf bas
nicht mehr Berlak war wie auf einen dled:
ten 3abler oder einen Schneider. Das war
nun einmal nicht anders: zu alten Leuten
fommt der Schlaf nicht gern, denn er möchte
ihnen die Erdentage nod ein wenig längen.
Die Jugend freilih, was weiß bie von
langen 9iádjten? Tie wirft fid) in bem
Schlaf wie in ein Wafjer, und wenn ber
Morgen ba ijt, glaubt fie, fie hätte erft
einen Atemzug getan und lebt bod) jede
Macht ein ganzes Leben. In buntem Bautel-
[piel betommt fie Wunder unb Sdage ju:
geworfen, bie feine Zukunft je ihr bringt,
damit ihr nidyt bange wird vor ber Kälte
der Melt und nad) jeder Bitterfeit und Cnt:
täufchung die Hoffnung bleibt.
Zehn Meilen tief unter allem Bewußtjein
lag Karl Asmus in feinem harten Bett,
lang und gerade, als wäre er auf Holz ges
bunden, bie finb[id) weiße Bruft fret und
der Nacht fid) entgegendehnend. Durd) bas
offene Senfter tam bie Kühle und legte fid)
ihm auf Sinn und Herz, daß fein Traum
fo rein ward und tlar wie ber Sternens
himmel, der draußen Donn, Er träumte,
Sungfrau 9Bieje wäre jung und [djón, hätte
ihn bei der Hand und führte ihn bergauf
burdj einen Wald zu einer Quelle, die
jprang aus einem gläjernen Feljen, und ein
Bogel, wie der Regenbogen jo bunt, fa
daran und tranf, Das war Jungfrau Wiejes
Papagei, aber er fannte ihn nicht, fannte
aud) nicht bie |pringenbe Quelle, und fie
war bod) unten auf dem Hof unb plätjcherte
burd die Naht Dann jprang ein Fiſch
heraus, batte Flügel wie ein Vogel und
flog in den Himmel hinter den Bäumen
und wurde nicht Heiner, fondern immer
größer, bis er die Sonne verdedte und der
blaue Schatten auf der Erde ftand. Da
fing der Wald an zu brennen, die Flammen
tanzten von Zweig zu Zweig, aber es ward
feiner verzehrt wie bei Dem feurigen Dorn:
buid) in ber Heiligen Schrift. Das waren
die flimmernben Sonnentringel, bie durch
bas Blattwerf des Birnbaumes fielen und
an ber Dede feines Rämmerleins fpielten.
Die Schwalben flogen an den Wänden ent:
lang nad) Morgenfutter und fingen Die
Miiden, bie ibn in der Nacht geitochen
batten, und zwilchen ben Blumenftöden, die
er in Sigarrenfijten und Blechbüchſen vor
bas Fenſter gepflanzt hatte, 9telfen und Gud
burd)benaaun und wohlriechende Erbjen, wie
bas alles daheim im Garten geftanden hatte,
wippten bie Rottehlhen. Es war Karl Ass
mus, als würde er gerufen, bie Gloden von
St. Marien läuteten den Conntag ein, und
im Altmännerhaus über dem Fluß ging ein
Harmonium. Da fuhr er aus dem Bett,
denn er folte mit bem Meijter zur Kirche. —
Am Sonntag nadmittag dedte Jungfrau
Ziele den Kaffeetijd. Aber nicht im Feier:
tagsjtübchen an der Straße. Go ein Qunge
war jchüchtern und fonnte Malheur haben,
und auf dem Tijd war nod fein Fled und
fein Schade. Cie gupfte an der Dede, fie
tiidte bie Tafjen, wilchte einen Haud) von
ber blinfenden Raffeemafdine, und es war
ihr fo feierlich zu mute, als fame Gott weiß
wer zu Bejud, und damit hatte fie recht,
denn mit Karl Asmus fam das junge, warme
Leben in ihr einjames Stübchen. Und als
er ihr gegenüber fergengerabe auf der Stuhl-
lante fab, fie mit feinen blauen Augen an:
blidte und die Hand mit ber Taſſe zaghaft
vorftredte, daß jie ihm gefüllt würde, und
beidyeiden und bod) voll Verlangen vpn den
Waffeln nahm, tat ihr altes Herz fo jchnelle
Schläge, daß fie glaubte, es wollte gerjpringen;
fie mut, : fih von bem breiten Sofa in den
Arm nehmen laffen, und legte bie Hand über
bie Augen, als wäre fie müde. Ja, bas war
ein rechter Feiertag, wenn fie aud) im Al-
tagsftübchen fab.
Draußen in Hof und Garten war es ftill
wie in einer Kirche. Gie waren alle fort,
bie bier ihre Nefter gebaut hatten. Meiſter
Bolduan hatte die Meilterin ausgeführt,
an den Strand zum Konzert. Maler Seidel»
baft war in ben Schüßengarten gezogen und
übte fid) am Scheibenftand für das Königs»
Ihießen; Johann Windelband war im Walde
unb [udjte Kagenpfötchen unb Taujendgüldens
traut zum Tee, denn er [itt an ben Nieren
unb am Magen und war fein eigener Dottor.
Glaſer Strippentow hatte fid) zu Verwandten
aufs Land aufgemadt, ob aus dem büuers
lichen Wohlſtand eine Geite Sped oder
jonft etwas für ihn abfiele, denn Jungfrau
Miefes Waffeln hatten es ibm angetan,
unb er hatte es fatt, alle Tage Griige zu
ellen, Auch Traugott Bitterling war eins
mal mit Rind und Kegel auf und davon
und auf einen Anger am Fluß eingefallen,
wo es nichts ftoftete und er ben Tiſch bedte
mit dem, was er in der Taſche trug.
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Die Raffemaldhine war leer; die legten
Tropfen ließ Jungfrau Wieſe auf ein Ctüd*
chen Buder rinnen für den Papagei zur
9tadjt. Auf bem Kuchenteller gwijden ben
legten Waffeln blinzelten die Rojen und
Veilchen, aber Karl Asmus konnte nicht
mebr, jo febr Jungfrau Wieje aud) nótigte.
Da fagte fie: „So, mein Junge, nun hat
der Leib genug, je&t fommt etwas fiir ben
Geift; jegt wollen wir lejen“. Cie langte aus
ber Bücherſchwebe neben dem Sofa ein Buch
fo blau wie Rornblumen, mit einem Schnitt
[o blant wie bie liebe Sonne in ben Hundss
tagen für Rarl Asmus, ein anderes großes,
abgegrifienes, die Stunden der Andacht, für
fich, feste fih in ben Ohrenjtuhl am Fenſter
und [djlug bie Betradtung vom glüdlichen
Leben auf. Der Papagei jah ſehnſüchtig auf
feinem Ständer [till und drehte bie Augen
wie ein Ceftierer, über ben bie Verzüdung
fommt, denn er hatte vor Büchern einen
beillojen Refpeft, weil bie Matrojen, wenn
fie ihre Räubergeichichten lafen, ihm ben
Schnabel zuzubinden pflegten, damit er ihn
bielte unb fie nicht durch jein Bejchrei ftörte.
Karl Asmus aber war an der jalzigen
See, wiewohl er bei Jungfrau Wieje in der
Stube fab, fuhr mit Enoh Arden hinaus
aufs hohe Meer wie früher mit Hans Ramps’
Fildhtutter, und bas Marleneten hieß bier
Annie Lee; dann wartete er auf der eins
famen Snjel im Ozean, in glühender Sonne.
Das Herz Ihlug ibm bis an den Hals und ber
Atem ftand ibm ftil, wann Rettung fame.
Rein Segel fam von Tag zu Tag, nur täglich
Stieg auf Die Sonn’; in Scharladpfeile broden
Ibr Licht bie Palmen, Farrentrauter, Schluchten,
Und gliibend lag fie auf den Waſſern ojtwärts,
Und glübend lag fie über feinem Ciland,
Und gliibend lag fie auf ben Waſſern weitwärts,
Dann wölbten fid) am Himmel große Sterne,
Und bobler brütete der Ozean; drauf wieder
Des Sonnenaufgangs Scarlad: nur fein Segel!
Indem ging die Glode der Haustür, der
Metiter fam und rief nach ibm.
Jungfrau Wiele widelte ibm Waffeln ein
und [tedte fie ibm in bie Tajde.
„Nimm nur mit. Bei dir ijt der Magen
noch arößer als das Herz. Das Bud aud.
Wenn du es aus haft, tannjt bu ein anderes
haben.”
Und dann ging fie und brachte ein Licht.
„Damit du auch des Abends Iejen magit.
Licht darf man nicht jedem geben, denn nicht
jeder tann die Flamme hüten. Wher du bijt ein
verjtändiger Junge. Du wirjt bebutjam fein.“
8 88 eB
Es ift ein ewiges Wandern in ber Welt,
fBegegnen und Sceiden. Einer fommt, ber
andere geht. Das ijt zwar eine alte Cache
unb lommt in jeder Menſchengeſchichte vor,
Belbagen & Rlafings Monatshefte.
Deutiche Seele
REFERATE ES)
233
aber es fommt bod) immer Neues dabei
heraus. Das gibt bas Mtufter im Leben,
wie bas Schiffchen auf bem Webjtubl.
Jungfrau Wieje batte recht. Nicht jedem
durfte man ein £idjt geben. Robert Wodens
fub 3.8. war fo einer, ber nidjt verjtand,
damit umzugehen; er hätte dem Konjul
Briedrid) Auguft €obebang am Heumarkt
um ein Haar ein Feuerchen angezündet, bas
Brandmeijter Bohnenfant mit allen Gpriten
der Stadt jobald niht hätte [ójdjen mögen,
fadelte bei ben Benzinfäſſern mit einem
MWachsitod umber und fuchte ben Grojden,
der ihm tags zuvor unter Die Dauben ges
rollt war. Und es wäre gegangen wie fo
oft, daß um eines elenden Brojchens willen
Taujende zum Teufel gefahren wären, wenn
nicht Lindemann, ber Flafdenipiiler, zur
rechten Zeit Dagugefommen wäre und ihm
die Flamme aus der Hand unb ein paar
hinter bie Ohren geichlagen hätte. „Bon
idt und Schießgewehr möten Rinnsfipp
ehre jpillrigen Ginger laten.” Er fonnte froh
fein, daß bie Sache damit abgrtan war und
nicht an die große Glode und vor den Ron:
jul fam, denn der war ein barter Mann,
der nicht viel Federlejens machte. Freilich
war Herr Lobedang aud nicht von Anfang
an gerade und glatt in die Höhe gewadhjen,
jondern hatte viel leiden müjjen, ehe er ges
wadjen war; aber nun war er ein großer
Mann, hatte das väterliche Krämchen in ber
Wollenwebergaſſe [hon vor Jahren an Seba:
[tian Freudenſprung verfauft, ber nun aud
bei fleinem mit Pfennigen und Gedjjern ein
Bermögen machen wollte. Aber foviel er
aud) |djarrte, bas Häuflein blieb bod) immer
wie ein Maufwurfshügel, weil feine Welle
ibn bod) und weiter brad)te, wie den Heinen
Hriedrid) Auguft Lobedang, ba der Seewind
gefahren fam, als feiner es ahnte, und die
Welt mit vollen Segeln den Strand anjteuerte
und die Taue ans Land warf: wer fie fing,
hatte bas Glüd beim Schopf, das heißt bas
Geld.
Sekt war bas Bürfchchen mit ben kurzen
Hojen und Oe Beinen Konful, hatte Orden
und Ehren; in feinem Laden drängten fih
die Menjchen wie Fliegen um den Honig:
topf, durch bas breite, eilenbejchlagene Tor
amijdjen den beiden finbsboben Kugeln aus
Stein Donnerten bie Fradtwagen von früh
bis ſpät, brad)ten Güter und führten Güter
fort; in ben Buchhaltereien beugten zwei
Dugend junger Leute die glattgejcheitelten
Köpfe über die Bücher, ließen die dürren
Ziffern durch ihr Gehirn marjchieren und
waren es zufrieden, wenn fie nad) Feierabend
eine Handvoll Leben nehmen durften, denn
die Stadt war üppig und luftig und an Ber:
82. Sabrg. 1917/1918. 9. Bb. 16
934 SSS] Johannes Höffner: Lee
gniigungen, groben und feinen, war fein
Mangel. Am Halen war Mufif und Tanz
bis an ben Morgen. In feinem Geheim:
tontor, hinter den griingepolfterten Türen
fab Konſul Lobedang, ftügte Das runde, aus:
rajierte Rinn in bie furgfingrige Greifhand
und ftudierte Tag für Tag, wie er feine
Figuren fegen könnte, um die englijde, bie
franaójildje ober aud) bie deutſche Konkurrenz
zu jchlagen, unb ftand nicht auf, er hätte
denn ben befien unb ſicherſten Zug gefunden.
Und ob er jid) nur felten bliden ließ, wußte
er bod) um alles, was im Bejchäft vorging,
denn für ibn wadte fein Auge und jein Ohr,
Auguft Schüßler, ber Proturift, hatte zur
Kinten ben Laden, zur Rechten die Kaffe und
vor [id die Bucdhhalterin, tat als ob er
Ichrieb und [dielte bod) wie ein uds.
Alles ging wie bie Räder einer Maſchine,
unb feiner wagte ein unnüßes Wort ober
eine Pauſe zur unrechten Zeit, denn bas
graue Auge hinter bem zenter hielt fie alles
jamt in Zudjt und Bann.
Freilich, über die Gedanfen hatte er feine
Macht, und wenn der Feierabend fam, das
Tor zujchlug, bie eijernen Rolläden nieder:
rajjelten, bie Beldjchränte ihr Maul zugetan
hatten, die Pferde in den Ställen müde und
zufrieden jdjarrten, war es mit Auguft Schüß-
lers Macht vorbei bis auf den anderen Tag.
Mur Robert Wodenfuß war ihm überants
wortet aud) über Nacht, hatte feine Rammer
neben bem Profurijtenzimmer, über bem Tor:
weg hinter eijernen Trallgen wie ein Gefans
gener, mußte Stiefel pugen und Kleider reis
nigen und Bier um die Ede aus dem Lads
bolen.
Zwang ift gut, aber nicht für jeden. Der
eine biegt fic), Der andere zerbricht, es fommt
drauf an, aus was für Holz einer ijt. Und
vollends zum Beruf will einer nicht ge:
zwungen fein, jondern gewonnen, denn was
einer wird, Das wird er von innen, aus dem
Herzen, überall. Wenn Robert Wodenfuß
es getroffen hätte wie Karl Asmus, wenn
er nicht awijden Ballen und Regale und
Rechenmajdhinen gefommen wäre, jonberm
zu Menſchen von Fleijd und Blut, wäre er
wohl mit der Zeit ein tüchtiger Kaufmann
geworden, wäre zu Anjehen gefommen wie
Ronjul Lobedang. Aber wie es jet mit ihm
Honn, mochte der Prokuriſt recht haben: „Was
ein Dösbartel ijt, bleibt ein Dösbartel; du
bringit es bein Lebtag zu nichts.“ Und bie
Gebilfen Dieben thn umber und machten fich
über ibn lujtig, wenn er in feiner breiten
landlithen Gprade bie Kunden nad) ihren
Wünjchen fragte und feine Augen nach
Baldrian ober Bullrids Salz, Anis oder
was jonjt verlangt ward, über Die Aufs
Ihhriften an den Kälten und Töpfen geben
und ratlos an der Wand auf- und nieder:
flattern ließ. Er war wie eine Ente auf
dem Trodnen, wurde ruppig und jtruppig
und hatte trübe Augen. Auf dem Waller,
im Sturm, Dod) auf bem Maft, wenn das
Wetter ging unb die Wellen, da hätte er
wohl auf bem often fein wollen unb ein
Tauwerf hantieren, wie Hans Ramps es ihn
gelehrt hatte, aber bier lag es ihm in den
Gliebern wie Blei. Gem Herz war auf dem
Mecr und hatte bas Weltweh, und dagegen
gibt es nidjts, Das Heimweh fdjláit wohl
ein, aber bas Weltweh wählt wie die Flut.
Draußen im Hafen lagen die Schiffe, ſchau—
felten an ihren Ketten und warteten, daß
jie hinaus könnten unb über die Wellen
ftampfen unb den Sturm ger[djneiben. Bom
Speicher aus jah man die Schiffe tommen
und gehen. Und, wenn niemand um bie
Wege war, ließ Robert Wodenfuß feinen
Blid davon. Die Tränen jtiegen ihm in
bie Augen und fielen je nachdem zwiſchen
die Cennisblátter, auf den Indigo oder in
das Öl unb jdjmammen oben darauf und
waren dod jo ſchwer. Dann drüdte er wohl
bie roten Fäuſte vor die Augen und jchrie
in den Wind, der durch die Luten fuhr, als
wüßte ber um fein ganzes Herzeleid: „Id
bull bat nich mibr ut! Wig und wahr:
haftig, id bull bat nich mibr ut, id loop
wed.” Aber er fand nicht ben Maut.
Gines Tages tam Auguft 9Rottidjalf, ber
Afritander, in den Laden und kaufte Fiſch—
witterung, und als er Robert hinter dem
Zadentiih fab, Ichlug er die Hände ins
einander: „Robert, Gung, wo jühft bu mi
ut? Wo lett bi Dat? Wat is mit bi? Du
wärſt bod) jo Jhmud un fo glatt as en
Bullfater. Bertell eis!“
Aber Robert 9PodenfuB fchüttelte den
Kopf und ließ die Arme hängen, als wären
jie von Holz, und einer ſagte hinter ibm:
„Unterjteh dich!" Da wußte ber 9Ijrifanber
genug, da es mit dem Jungen war wie
mit einem verpriigelten Hund, ſchlug auf
den Tijd), daß eine Flaſche mit fliidjtiger Salbe
umjtürgte, und bróbnte durch den Laden:
„Robert, weh tein Apentroß. Hier is tein
Leibeigenſchaft und fein Sklaverei. De Tijd
wär vörbi. Gat wir ja nod) jchöner, Dat
jiind wi in Pommerland nid) wönnt. Ringel,
jegg eis, woveel Föt hejtu? Un woran ihal
ein fien öt bruten? Wat? Frog eis dat
$jüsten upt Feld. Te Welt is weit, un wo
Ichient bie leewe Sinn immer,“
Wer einem Bogel das Türen im Käfig
auftut, weiß nicht, ob es zum Guten ober
zum Schlechten ijt. Denn in ber jyreibeit
lauern bie Gefahren, Kagen und Warder
BOBO Deutihe Seele BESSSSESSSSsaq 235
unb was fonft nad) warmem Leben trachtet,
unb an den Heden liegen die Bogeliteller,
unb es fängt fic) einer bald in einem an:
dern Garn.
Am Abend, als ber Profurift ihn nad)
Bier fdjidte, holte Robert Wodenfuß fein
Bündel unter dem Bett hervor, ftellte unten
vor bem Tor den Krug hinter die jteinerne
Kugel zur Rechten, lief an den Hafen, ob
er einen fände, ber ibn mitnähme in bie
Welt, unb traf einen, der auf ibn [auerte.
Das war Gerard Doelen, ber Kapitän ber
Bart Wilhelmintje, eines Schneiders Sohn
aus Wintershagen bei Stolpmünde, der
feinen wenig anjehnlichen und jpöttlichen
Namen Wilhelm Plötrich beizeiten an den
Nagel gehängt hatte, den Bart trug wie
bie Schifier in Amfterdam, und wer in feine
wäjjlerigen, grünen Fiſchaugen fab, glaubte,
er wäre aus Zwolle. Er fab auf einer
leeren Teefijte neben feinem Schiff, faute auf
bem Dlundjtüd der kurzen Pfeife unb blies
den 9taud) ins Whendrot, jtügte bie Ellbogen
auf bie Knie und fnurrte vor fid) bin, wie
ein Hund, ber bellen will. „Wo fhal id nu
en Sung berndhmen? Hebben möten wi
ein. Cteblen geibt nid. Gn Rotterdam, da
giwwt bat woll wef, äwerft be ollen Hol»
länder, bei jünb alltobop man fört Eten.
De bammlid) Stüermann. Wat möt bei
den Sung be Trepp runner [djmieten? He
tun fid bat Gnid ajbreden. Bwerft en Bein
is oof nog.” Indem hob er die grünlichen
Augen auf und jah Robert Wodenfuß mit
feinem Bündel baberfommen und rief:
„Stüermann, id glow, da fümmt ein.” Der
Steuermann fam über die Brüde, breitete
die Arme aus, als wollte er ein Schwein
fangen: „Na, Jung, bi könnt wi bruten.”
Und che Robert Wodenfuß nod) recht be:
griff, gab er thm eine Drehung nad) rechts:
„Sp, nu grad ut, und denn be Mas lang.
De Kombüs, de ftinft drei Meilen gegen
den Wind; da fridjt bu vörirft wat vör be
Schnut; bat Tüg ward bi Frang Potter
gewen; [ett em be wijen. Un wenn nod)
wat to |preden is, dat fümmt bernabjten.”
Eine Ziehharmonila jpielte ‚Im Krug
zum grünen frange, und Robert [ag in ber
ftidigen Kombüſe, aber ejjen konnte er nichts.
Am andern Morgen jedod, als fie bei qutem
Mind ins Licht fuhren und an den Banker
vorbei waren, als Robert Wodenfuß in
das Tauwerf enterte und bie Gegel jebte
wie ein Alter. und die Augen ibm [o hell
leuchteten wie bie Sonne, die aus dem Meer
fam, rieb Gerard Doelen fih bie Hände,
ledte über die diden Lippen wie nad) einer
Tinte Boldwajjer und jprad) bei fid) felbft:
„Doelen, Doelen, id glöw, dat wir fin ſchlich—
ten Fang. Dei Gung hätt wat wed)! Co,
un nu will id gabn unb mi den Bort af:
nehmen. Wenn of fein Frugenminjd um
de Weg is, be bat genicrlid) wär, [o is bat
bod) wegen de Schidlichkeit.‘
Wis Robert Wodenfuß auf der Höhe von
Sershift war und dide Grbien mit Sped
loffelte, fing in bet Stadt bie Arbeit an.
Meijter Bolduan ging wieder an das Grabs
gitter für ben Paftor primarius von St. Dias
tien. Der war nad) und nad) ins Wohi
leben geraten unb im Fett erjtidt, wie bas
aud) nicht anders gehen tann, wenn einer
fid zum Frühſiück ein Shod (ier in die
Pfanne [fdjagen läßt. Der Meijter batte
bei jeinem Drehen und Feilen recht gottlofe
Gedanfen und hätte ftatt der Zweige und
Blätter am liebjten etliche Zierate aus dem
Cdjlaraffenlanb darein gewebt, aber er legte
feinem Schalt Zügel an, denn es ging ums
Geld und die Reputation.
Der warme Gonnenjdein lag auf dem
Hof, die Hühner paddelten im Staub, der
Hahn frábte, der Puter follerte, bei Tobias
Bitterling jdrien die Kinder, Blajer Strips
pentow [djlug feinen Kitt, und Jungfrau
Wieſe jchüttelte von Zeit zu Zeit bas Staub—
tud) aus dem Fenſter. Karl Asmus han:
tierte bie Geile jhon geſchickt unb fidjer unb
arbeitete im Groben vor, was ber dier ier
mit Feinheit und Sorgfalt ausführte. Ins
bem fam ein belles Singen von drüben ber:
„2a, la, la,
Der Sommer, der ift da.”
Da hielt der Meijter inne, ftieß bas Fens
Her auf unb rief: „Das muß wahr fein,
das Zeislein ijt wieder im Land. Jest weiß
einer, wie weit wir im Jahr find. Grüß’
Bott, Zeislein, wir haben auf dich gewartet.“
Und von drüben tam ein Ctimmdjen, ein
zierliches, unjchuldiges Ctimmdjen. „Schd
nen Dant, Meiſter. Um ein Haar wär’ id)
nimmer gefommen. Die Mutter war trant,
Weik Gott, ich wär’ geftorben, wenn ich nicht .-
hergedurft hätte.“
Und damit Dub fie wieder zu fingen an,
Luftiges und Trauriges und Kedes umeins
ander, war bald näher, bald ferner, jegt im
Hof und dann im Garten und unten am
Maffer, als flöge ein Vogel von Aft zu
Wit, von Baum zu Baum, ins Gras und
zum Trinten, aber nicht gar zu weit vom
Neft, und hörte nicht auf den ganzen Bors
mittag und machte die Arbeit leicht und kurz,
Nach Feierabend, als Karl Asmus zu
Jungfrau Wieje ging, ftand das Zeislein im
lidten Kleid auf dem Umgang, hatte bie
diden, braunen Fledien um den Kopf ge:
wunden wie einen Kranz, bie Hände gejaltet
auf bem Holz, bie Augen am Himmel bei den
16*
036 BESETZTE Johannes Höffner:
rofenroten Wolfen über den Bäumen, bie
Wangen ein wenig hohl und blab, aber die
Rippen fo rot wie bas Korallentettlein um
ben [djmalen Hals, unb die Eljter jtelzte auf
ber Brültung daher, fam und pidte an dem
blanfen Ring auf ihrem Finger.
Karl Asmus fonnte feine Augen nicht
[osmadjen von der hellen Gejtalt. Es war
ibm, fie ſchwebe auf Wolfen, und die Engel
müßten tommen und ihr über bie Cchulter
leben. Indem ließ fie den Blid fallen und
lächelte, Dak ihm das Blut in die Wangen
ſchoß und er über ben Hof lief, als brennte
es hinter ihm. Go fragte er Jungfrau Wieje
gleid), was es mit dem Zeislein auf fid
Babe, woher es füme und wer es fet.
Jungfrau Wieje ftrich thm über bas fture,
blonde Haar unb hob ibm das Kinn.
„Das Zeislein ift die Enkelin vom Maler
Geidelbaft und wohnt in der großen Stadt.
Das 3eislein ijt ein [ojes Ding, unb wenn
fie groß ift, tann fie einen mit ihrem Ginge.
jang wohl in den Wald loden, daraus er
nicht wieder heim findet.“
Aber Karl Asmus verftand fie nicht und
dachte, bas wäre ganz in der Ordnung, das
Beislein unb der Wald, die müßten beieins
ander fein, und es gäbe nichts, was [doner
" wäre als bie grüne fFinfternis unter den
Bäumen und wenn einer darunter bleiben
tönnte fein Leben lang. Und wie er dann
ging, Mehl, Rofinen unb Ruder zu holen,
denn Jungfrau Wieje wollte wieder baden,
weil der Sonntag berbeifam, jab er in feis
nen Gedanfen bas Zeislein auf bem Mus:
gang fteben und füßer lächeln denn alle
Rofinentuchen.
Als es dunkel geworden war, wollte er
mit feiner Flöte in ben Garten am Wajjer,
aber da fab bas Zeislein auf der Bank und
zirpte ein Liedchen wie eine Grille, und thr
Kleid blinfte burdjs Gebüſch wie der Nebel
auf dem Fluß. Da jchli er fid) davon,
jab in feinem Rammerlein am Sentier und
blies bie [djón|ten Lieder, bie er fonnte, daß
bas Rotkehlchen nod) einmal aus feinem
Neft fam, fid) nahe bei fegte, bas Köpfchen
drehte und mit bem Echwänzchen wippte,
als wollte es lernen. Das Zeislein unten
im Garten [pibte bie Ohren, hielt bas Köpf—
chen jchief und horchte in bie glajerne Luft,
woher bas Süße Spiel fame. Drüben beim
Altmännerhaus war es nidjt. Wie folte
es aud)? Alte Diänner haben fiible, welte
Lippen und mögen nidjt Flöte blajen, haben
vom Leben genug und fennen nidjt Sehne
[fudit mehr von Menſch zu Menſch, und ihre
Geele mag in irdijden Garten nicht mehr
figen und träumen. Nur daß vielleicht einer
einmal bie Ziehharmonita ber jungen Tage
aus ber Lade hervorjuchte, zitternd über bie
Tajten fingerte und ein mübes Lied über
den Fluß jchidte, jo müde unb matt wie
ber eigene flache Atem.
Blakgolden [djob fid) ber Gommermond
über bas Haus. Und indem bes 3eisleins
Seeldhen ben Tönen nadjging, jah es Karl
Asmus im Fenjter figen und die Flöte blin-
fen, faltete die Hände über den Knien,
wandte fein Auge von dem Spieler in ber
Luft und ließ die Melodien ihr Herz wiegen
und tragen wie eine keier. bie ein Haud
hierhin und dorthin weht, bald nad) oben
und bald nad unten.
Der Mond ftieg, und der Giebel ward
Dell wie am Tage, unb unter ben Bäu-
men lag blaue Dämmerung. Das Zeislein
war wie im Traum und wußte nicht wie
ibm gejdah; ob es wollte oder nidjt, es
mußte unter den Bäumen tanzen, wie oben
die Flöte ging. Und Karl Asmus [fab in
ben Mond, fein Gefidjt war in dem Schein
jo weiß wie des "Zeisleins Kleid, und ihm
war, als hätte er einen Ring um die Bruft,
war weit unb hoch über alle Welt, [pielte,
was [eine Geele ihm eingab, unb in ibm
war etwas gebunden, das Elagte und wollte
erlöft fein. Und bas Beislein tangte, lang=
jamer oder fchneller, traurig oder mit Freunde,
wie gerade bie Weife war, bog den zierlichen
Leib unb jchwentte bas Ridden und hörte
nicht auf, wie aud) bie Zeit floh. Bis Jung:
frau Wieje aus bem Gebüſch trat und fie
ins Leben rief, daß fie zufammenjchrat und
die Hand auf bas Elopfende Herz legte.
„Nun, Zeislein, id) büdjte, es wär’ Zeit
zum Neft und zum Tanzen zu fpat. Eind
die Füßchen nod) nicht müde genug? Fret:
lich, wenn der Karl jpielt, das geht einem
ins Herz unb in bie Glieder; einer muß
weinen, unb ber andere muß tanzen.“
Das Zeislein [trid) bie Haare aus ber
Stirn unb holte tief Atem, fah Jungfrau
Wieje immer nod) erjdroden an und fand
fid) nicht guredt.
Jungfrau Wiefe ffopfte ihr bie heißen
Mangen. „Beh beim, Zeislein; es wird
fühl, und vom Wajjer fommt der Nebel;
geb beim, damit bu nicht Schaden nimmit.“
Das Zeislein, ob es nod) gern zu ber
Flöte hätte tanzen mögen bis in bie tiefe
Nacht, lief davon; bie Gartentiir flappte
unb oben im Giebel bas Fenjter; eine Wolke
30g über den Mond, und Jungfrau Wiefe
leufzte, daß bier bas Sdhidjal jpänne und
Fäden zöge zwilchen zwei Menſchenkindern,
ſo jung ſie waren, und wenn einer ſie zer—
ſchneiden wollte, es würde alles nichts hels
fen. Ein Menſchenkind muß auf den Weg
der Jiatur und durch alles hindurch, es bleibt
ibm nichts erjpart, was von der Erde ift,
unb muß leiden, was thm eingeboren iit,
und dulden, was ihm gefchidt wird, wie die
Pflanze auf dem Feld, Regen und Sonnen:
ihein, Hagel und Sturm, und alle Feinde,
bie von feinem Blut zehren.
: BB 8
Freilich vorerſt blieb alles wie es war.
Denn nicht immer ſtößt Liebe aus der Luft
wie ein Falke, ſondern treibt es mit den
Menſchen wie die Katze mit der Maus. Das
war ein Verſtecken und Belauern, ein Horchen
und Obren|pigen und Wittern. Jn ber
Frühe, wenn bie Gonne aufging, bub das
Beislein an mit feinem Gefang, hielt es mit
ben Gefieberten in den Zweigen, und ward
erh til, wenn der Tag ging. Und bes
Abends jak Karl Asmus mit der Flöte im
Syeníter unb das Zeislein unter den Bäumen
auf der Bant, aber Lied und Flötenſpiel waren
nicht mehr jo unbewußt wie vordem, fon:
dern es war Gehnfudt und Verlangen darin,
Beriteden und Cudjn, wie ber Bogel zur
Früblingszeit in die Dunfelheit ruft bod)
aus der Luft, bis eines ihm Antwort gibt.
Und es hörte feiner, was in den Tönen
war, denn Jungfrau Wielje, und das Herz
gitterte ihr um das eine wie das andre, am
meijten aber doh um Karl Asmus, weil
ihm das Herzeleid fo nahe war. Wenn Die
Dämmerung tam, war ibm fo weh in ber
Bruit, viel weher, als an dem Tag, da er
die Heimat hatte laffen míjjen; feine Seele
war jo zag und fürchtete fih vor bem Gar:
ten und den bunflen Bäumen, und er wäre
bod) am liebften die Stiege hinabgeflettert
und hätte neben bem 3eislein figen mögen und
[pielen, weich und leije unb jüß wie ein Traum
bis an den Morgen, und wäre nicht müde
geworden. Aber wenn er an ber Tür feines
Rammerdens ftand und die zitternde Hand
auf der Klinte hatte, erjchral er, als [tánbe er
vor einem verbotenen Gemadh. Bis ein
Abend fam, da [prang die Tür von felber auf.
Der polle Mond ftand am Himmel zum
zweitenmal, jeitbem das Zeislein war ges
flogen gefommen. Karl Asmus jaß im
Fenlter, unb die Flöte in feiner Hand blintte
wie Silber und war bod) ſchwarz wie Ebens
holz. Er legte bie Lippen daran, aber einen
Ton bradjte er nicht heraus, denn es war
auf feiner Bruft eine Hand, bie Dbrüdte jo
jchwer, daß ihm ber Atem verging; er jab in
der Tiefe des Zeisleins Kleid jdyweben wie
einen Nebel, und Gejang fam von unten,
jo ſüß wie ein Blumenduft und fo leije, daß
feiner es hörte, denn er allein:
Sm Rofengarten
Will ich Dein warten,
Im grünen Klee,
$m weıßen Schnee.
Deutihe Seele BS333333333331 237
Da ging er wie ein Nachtwandler zur
Rammer hinaus, durd) bas fnarrenbe Pfört:
lein in den bunflen Garten ohne Furdt,
unb bas eislein ftand in ber filbrigen
Dämmerung, hatte ein Rranalein von Feld:
blumen auf, und das dunkle Haar flimmerte
und jprühte. Sie nahm ibn bei der Hand
wie einen Blinden und führte ihn zur Bant.
„Nun warte id) bier ben dreißigiten Tag
und hätte dich nicht gerufen; aber morgen
muß ich fort, und ber Abſchied ift gefommen.
Den legten Abend [olljt du mir hier auf der
Bant fpielen. Du folft fpielen, und id)
will tanzen.“
Und Karl Asmus tat, wie das Zeislein
wollte, fag und [pielte, und bas Zeislein
lebte bie Füßchen unb tanzte vor ibm Do:
hin zu feinen Weiſen wie am erjten Abend,
bog ben zierlichen Leib und warf die Arm:
then, bis das firünglein in den Gand fiel
und zertreten ward. Gie lahte dazu. „Es
ftehen viele Blumen in der Welt zur Some
merzeit, ba tann man brechen, joviel man
mag.“
Er fpielte unb das Zeislein tanzte, und
als es Jatt war, fete es fih neben ibn, nahm
ihm die Flöte fort und wollte blajen, aber es
fonnte nicht und bradjte nichts heraus als
ein hobles Saufen. Und da er bie Flite
zu einer neuen Weile wieder an die Lippen
brachte, zitterte er bis ins Herz, denn es
war, als fei das Holz wie warmes Fleiſch ges
worden und als berühre er ihren weichen
Mund. Er blies und wußte nicht was, aber
es war. jo füh, daß dem Zeislein bie Tränen
lamen, Gie rüdte dicht an ihn heran und
rührte fih nicht, unb ihr warmer Atem [trid)
an feiner Wange vorbei wie Südwind,
Da er innebielt, legte fie ihm die Hand
auf ben Urm. „Nun jollit bu mir fpielen,
was id) will und gern babe. Cpiele mir:
Robin 9[bair.^ Aber er konnte es nicht.
„Ih will es dir vorjingen.” Und fie fang
dicht an feinem Chr:
Treu und berainniglid)
Robin Adair,
Taujendmal grüß’ td) bid),
Robin Adair.
Hab’ ih bod) monde Nacht
Echlummerlos bingebradt,
Immer an bid) gedadyt,
Robin Adair.
Zwei-, dreimal fang De es ihm vor, bis
er es konnte; unb bie beiden jungen Geelen
waren voller Celiafeit und gar nicht mehr `
auf der Welt; fuhren dahin wie auf einem
Schifflein in den filbernen Himmel, rund
um den Mond unb die Wolfen, waren wie
Schmetterlinge und Libellen. Biseine Stimme
rief: „Zeislein, wo fiecft Du? Gest gebt's
zu Bett und bie Tür wird verjchlojjen!“
238 Johannes Höffnerr: Ce
Da legte fie bie Arme um feinen Hals
und tüpte ihn mit ihren heißen Lippen mit:
ten auf den Mund, dağ er nicht wußte, wie
ibm geídjab. Dann wirbelte fie berum unb
war fort, ftand an ber Gartenpforte ftill,
warf eine Kußhand ins Duntle und jang nod)
eine Weile aus dem Fenfter in bie Abend:
ftile die Melodie, bie er von ihr gelernt
batte. Und er gab Antwort auf der Flute,
bis es drüben ftil ward. Da ftiigte er ben
Kopf in die Hand, und die Tränen fielen auf
ben Boden zu dem zertretenen Kranglein.
Wm andern Morgen — ad) da war fein
Zeislein mehr, das gelungen hätte über
Garten und Hof, nur die Eljter frächzte, und
der Himmel war fo grau wie eine Nebel»
frähe. Beim Frühſtück jah ihm bie Meijterin
ins Gejidt. „Jung, was bijt bu fo blak?
Du bift bod) nicht trant?” Aber ber Meijter
fuhr dazwiſchen: „Ach was, die Arbeit wird
ibm [hon wieder rote Baden machen,” [tippte
feine Semmel ein, [dob Karl Asmus den
Brotlorb hin: „Da nimm dih was, und
ftipp bid) in, denn wird dich wieder beffer
fin," unb gog aus ber übergelaufenen Mildh
mit dem jchwicligen Zeigefinger Gtriche
und Rringel unb badjte ärgerli an das
geitrige Spiel im Ladys, denn er hatte mehr
verloren, als er jid) gejebt batte. Ga es
war jo, niht immer macht Spiel bas Herz
froh, ob einer nun Karten [pielte oder Flite.
Der Meilter hatte recht. Bei der Arbeit
wurden Karl Asmus die Wangen wieder
rot wie jon|t, denn es ging heiß ber; es
war fein leichtes Ctiid, das Gitter für
den Pajtor primarius zujammenzuichweißen
und zu nieten, und felbjt bem Meiſter wurde
bie Hand müde und taub. Am Abend aber
war Karl Asmus wieder blaj wie am Mors
gen, und fein Herz war unruhig und flatterte
wie ein Vogel im Käfig; das Weinen jaß
ibm in der Kehle, und in den Augen hatte
er joviel Tränen, wie er fiir Jungfrau Wieje
SRajjer vom Brunnen trug. Die brauchte
nicht zu fragen, ob ihm etwas fehle; die
wußte, wie es mit ibm ftand, rübrte nicht
daran und wußte, wie jold)em jungen Schmerz
fürs erfte zu helfen wäre; fie holte ihm etwas
CiiBes aus bem Glas[d)rant, ließ thn mit dem
Papagei plappern und jpielen und gab ihm,
ehe er zu feiner Rammer jtieg, ein Kleines,
grünes Bändchen in die Hand, darauf ftand
in goldenen Budjtaben: Goethes Gedidte.
Die mochte er leſen; darin jtand, was jchwere
Herzen leicht madte und was ein Menſch
um Liebe leiden mochte. Wordem hätte er
fie gewiß nimmer verftanden, aber nun hatte
fein Herz fid) aufgeſchloſſen wie eine Blume
bem Tau — — — — — — — —
Rarl Asmus fab am Fenfter wie am
Abend zuvor und las bei bem weißen Mons
denlicht in dem Büchlein, das Jungfrau
Wieje ibm gegeben hatte, und es war ihm,
als hörte er in ber fjerne vom Himmel Der
eine Mujil, wie er fie nod) nie vernommen,
als wäre in ber Luft ein Singen und
Schwingen von wunderbaren Tönen, und
als fame er aus jengender Commerglut in
einen fühlen Buchenwald, darinnen Die
Quelen ricfelten und die Vögel langen und
der Wind webte unb das Moos Dduftete.
Die Dämmerung lag unter den Bäumen
träumte er, aber hinten wurde es bell; wo
ein Weg ging, ba fam ihm jemand ents
gegen, unb er fannte ihn nicht und wußte
niht, wer er war, bis bie Geftalt ihm
ganz nahe war und bas Marlenefen vor
ihm ftand, thn mit traurigen Augen anjah
unb fragte: „Wo fommit bu ber?“ Das
Herz ſchlug ibm fo laut, als hätte er großes
Unredt getan und müßte ihr abbitten, was
er an ihr verjdjuldet; er legte den Kopf in
bie hohle Hand und [djug das Bud zu;
er hörte, wie jemand ihn rief, und lief
bie Dorfitraße entlang und den Berg bins
auf zur Mühle, wo die Güſſelken im Grafe
lagen unb mit den jdjmargen Echnäbelcdhen
in den gelben Daunen wujelten, und wartete,
daß bas DMtarlenefen fame, denn er hatte ja
[don thre Stimme gehört. Danah war er
in einer großen Stadt, ba ftanden bie Haufer
jo hod, daß man den Himmel taum fab,
und er ftand vor einem Haus mit taufend
Fenſtern, die waren alle buntel und jchwarz
wie bie Nacht. Nur eins war hell, ganz oben
unter dem Dad, unb wenn man hinauf:
feben wollte, mußte man den Kopf ganz
weit nad) hinten biegen: da ftand bas
Zeislein im Lidt, löfte ihr Haar und
ließ es über die Gculter fallen und
lachte...
Karl Asmus feufate, als fame er aus
tiefem 9Rajjer; im Garten ftand die Bant,
und die Banf war leer, das Reislein war
fort, und ob er es jemals würde wieder:
leben, das wußte Gott. Bom Hafen ber jchrie
mit dem Nachtwind eine Girene über die
Stadt. Ein Schiff fuhr hinaus in das weite
Meer, an deffen Straßen jtanden feine Weg:
weijer, und es fand fih bod) zurecht durch
alle Klippen und Fährnijje, denn die Magnets
nadel hielt es auf der richtigen Bahn. „Wenn
einer nur einen Kompak in ber Brujt hat,
der fommt [djon guredjt.^ Das war Paftor
Nenumanns Wort, wenn er des Abends auf
feinem Spaziergang bei bem Weberhäuschen
am Zaun ftehenblieb und zwijchen den roten
Malven hindurh mit den Weberleuten
redete und der Alte jein Herz auftat, was
wobl mit jeinem Rarl werden wiirde in der
großen Welt.
Freilid), ein Bater ift immer in Angit
und Gorge um den Sohn, mehr als eine
Mutter, denn er tennt fein Blut und tennt
die Gefahren unb war ihnen felber nab, mußte
fie leiden und weiß, daß viel Reue vonnöten
ift, ehe einer ein Mann wird. Aber wenn
ein Rogel erjt aus dem Neft ift, was hilft
da Pfeifen und Loden? Er fliegt, wohin
es ibn treibt, und {ft er aus bem Schuß unb
Gebiijd und bem hegenden Gebórn, darinnen
er zur Welt fam, wer will wijjen, wasibm
begegnet? Es gibt zuviel Fährnis und Liften
unb Laurer unter bem Mond, Fährnis in
der Luft und auf Erden, am Tag und in
ber Naht noch mehr; es gibt Ragen und
Falten und Marder; es gibt Wicjel unb
Frettdhen, bie jo Hein find, daß einer fie in
der Fauſt zerdrüden könnte mit einem Griff,
aber wenn einer nicht acht bat, verbeißen fie
fid in Gurgel und der, daß er verbluten
muß, ebe Hilfe fommt. Und bie Bogeljteller
mit Garn und Ruten, bas find die jchlimms
ften, figen hinter bem Gebiijd) verborgen und
[páben und lajjen ben Lodvogel rufen und
äffen Gimpel und Drojjeln, Dumme und
Kluge, und wenn das Reh zuichlägt, ift es
um Glück gefchehen und um Freiheit, und
hilft alles Jammern nidts: denn ein Bogel:
fteller bat fein Herz.
Da war Robert Wodenfuß, um den die
Mutter meinte und der Vater jid) den Schlag
an ben Hals ürgerte, weil er mit feinem
Stolz vor ben Leuten zum Cpott geworden
war; er batte den Jungen auf einen nahr:
haften Zweig, in einen grünen Baum [eten
wollen, aber nun war er auf und davon, und
feiner wußte, wohin er geflogen war. Und
im ganzen Dorf legte feiner für ihn ein
gutes Wort ein als Auguft Rottjchalt, ber
Ajritander, und der wußte aud), marium,
Klaus Drafehn, der Lehrerjohn, ſchlug aud)
nicht zum Beften ein, jo febr die Mutter
aud) mit ibm prablte und ibn herausitrich.
Er war ein windiges Biirjd)den, bem es
nidjt um das Lernen ging, jondern um die
Stadt unb bas MWergnügen, job fidh bie
bunte Müge ins Genid, zupfte das rote
S üdlein aus ber Brufttafche, ließ den feides
nen Schlips flattern und bas Spasterjtidden
zwijchen den Fingern tanzen und den billis
gen Giegelring blinfen, lag in den Kondi:
toreien und bradjte das Geld Durch, bas Die
Mutter ibm au[tedte; oder er wippte jtrands
auf, ftrandab wie eine Bachſftelze, hatte ein
Mädchen rechts unb ein Mädchen lints, trat-
tierte jie mit gegierten Redensarten und lobte
Deutide Geele BSBSSSSssssesseai 239
fid) bie ftädtifche Art, bie bod) SES war
als bas Wlarlenefen daheim.
Sa, es fonnte feiner willen, was er an
feinen Kindern erlebte. Aber Paftor Neus
mann jchüttelte den Kopf, wehrte mit ber
Hand und blieb dabei: „Um den Karl braudt
feiner bange zu fein, ber fommt von feinem
Weg nicht ab."
Als bas Zeislein fort war, war der Some
mer vorbei. Die Abende wurden lang und
dunkel unb die Nächte fühl. Immer höher
ftieg der Nebel über ben Flug und ftand
bis an Karl Asmus’ KRammerfenjter wie
ein Meer unb wanfte nicht; die Schwalben
zogen fort, bas Rotkehlchen flatterte um
das leere Neft und rief nad) den Jungen,
aber die waren über alle Berge, faken weit
hinter der Stadt, wo die reifen Beeren an
ben Wegiträuchern hingen und taten fic) giite
lid), waren ihre eigenen Herren, brauchten
fid) nicht mehr von den Alten füttern zu Lok .
fen und waren des ewigen Cincrleis ledig,
ließen fid) immer weiter loden von blauen
unb roten Lederbijjen bis an ben Wald,
darinnen bie Dohnen [djon bunt beitedt
waren und bie Sdjlingen warteten, daß eins
das Köpfchen hineinjtede. Das Laub im
Garten wurde rot und gelb wie der Abends
bimmel, unb ob aud fein Windhauch ging,
jo fiel es doch, bald bier ein Blatt und bald
dort, als hätte eine unfichtbare Hand es fadt
und lautlos abgefdnitten. Bom Nußbaum
auf dem Hof fprangen Die Nüſſe aus ben
grünen Schalen gwijden das Hühnervolf,
daß es gadernd auseinanderjtob, unb ber
Puthahn follerte herbei, ob er fie jchluden
tónnte. Die Eliter aber badte mit ihrem
harten Schnabel darauf los, bradjte ben
Kern heraus und flog mit höhniſchem Kichern
davon, als wollte jie jagen: „Wlan muß ein
Ding vom richtigen Ende anjajjen. Man
muB einer Cade zu Leibe geben." Das ift
eine Weisheit, bie liegt auf der Straße. Aber
es hebt fie nicht jeder auf. Um erjten nod),
wer ein Cdjlm ijt, aber aud) ber nicht
immer.
Martin Hagedorn auf dem Berg Hinter
ben eijernen Tralljen im Cpinnbaus hatte
es wieder einmal vom verkehrten Ende ans
gefangen, hatte es jatt befommen, auf den
Zigeuner zu warten unb in den Dunklen
Herbjtnächten mit einer Glasjcherbe das
Bitter aus bem Lager geihabt, Haarbreit
um Saarbreit, bas Bettlaten zerrijjen und
zum Strid gedreht und wäre mit allem
alüdlid) zu Rande gefommen, wenn das
Seinengeug nicht mürbe gewejen und gerijjen
wäre, daß er jammerlic) in bie Tieje jtürzte
unb mit zerbrochenen Gliedern liegen blieb,
Jun war er im Lazarett und ein Krüppel
240 Johannes Hiffner: BSSSesesssessssd
unb mußte an Krüden gehn. Geine arbeits»
[eue Geele freilich fand jid) aud) damit ab
unb meinte, daß es nicht das [djledjtejte
wäre, wenn einer durd) die Welt bumpelte,
denn folh Bebredyen machte mitleidige Leute
in bie Tajche greifen und ficherte einem eine
einträgliche Rente bis an den Lebensabend;
es braudjte feiner einen Ginger zu rühren,
nur ein Spriidlein berzujagen und bie Müge
binzubalten. Das war auch nidt zu per:
achten. Und wenn er felber feinen großen
Schlag mehr tun fonnte, es gab genug, Die
gern Halbpart machten und die goldenen
Hühndyen holten, wenn er ihnen nur den
Stall zeigte. Es gab genug unten in der
Stadt, bei denen was zu holen war. Und
bei Nacht, wenn der Nachbar rechts und der
Nachbar lints jid) im unruhigen Schlaf bins
und bermarfen im Fieber und im böjen Ges
willen, zählte er fie immer wieder in Ge:
danten her, denen einer von ihnen Reichtum
abzapfen konnte. Der erjte aber jollte Sebajtian
Frendenſprung fein, denn bet dem wußte er
Bejcheid und wollte bem Spießgejellen ſchon
den Weg weijen, daß er nicht fehlichlug.
Und er jaf} draußen vor der Tür auf dem
Stein, hatte bie Krüden frenzweis übers
einander gejdlagen und den Kopf in bie
Hand geftüßt, als Jchliefe er, und jpähte bod)
ftrafauf, jtraßab in bem fladernden Laternen:
idein, ob Gefahr tame. Bis dahin freilich
mußte er nod) manchen Stuhl flechten, aber
mit der Zeit piliidt man Rofen. Freilicd
nicht in jedem Fall. Tobias Bitterling zum
Beilpiel ja nun jdjon Jahr und Tag und
ihrieb fid) bie Finger trumm, glaubte, in
einem Gartlein müßte bod) auch einmal
eine Knoſpe aufbredjien und ein Röslein
ftehen mit ſüßem Duft, und es blieb bod)
alles beim alten, die Dornen waren wohl
ba, aber blühen wollten fie nicht.
Nun ftand der Winter wieder vor der
Tür, und woher jollte Tobias Bitterling
nehmen, was not tat: warme Kleidung für
die Kinder, Kohlen und Torf und Beleuchs
tung vom frühen Nlachmittag bis in Die
jpate adt. Er fap und rechnete bis die
dürftigen Zahlen vor feinen rot geränderten
Augen tanzten, aber es blieb dabei, es reichte
nicht bin und ber, jelbjt wenn er bei Gebajtian
Freudenſprung anjchreiben ließ, und das war
auch nicht geichentt, und der große Pojten
war nicht jo leicht abgejitoBen wie Tag für
Tag ein Heiner. Wenn einer mit Schulden
anfing, ber fam um Kopf und Kragen. Wenn
er etwas verlaufte? Es war nichts anderes
ba als das Sofa, und das machte den Kohl
nicht fett. Es half nichts; man mußte dem
Winter die Zähne ausbredjen jo gut es ging.
Er nagelte Tucheggen in die Türrahmen,
verfittete bie Scheiben, verflebte alle Riten
ber flapprigen jyeniterjüllungen mit Papier
unb Düngte bie diden Strohvorhänge ein,
bie von außen bem Wind unb der Kälte
wehren follten und darin bie Cpagen ſich
einfujdelten und bet bem armen S.hreiber
ein warmes Dbdad) fanden. Danad) zog er
mit feinem Wrbeitstijd in die Küche, fete
das lange Winterrobr in ben Kochojen und
leitete es durch die Stube nebenan in den
Sdornjtein der gegenüberliegenden Wand
und nubte fo alle Wärme, daß nichts ums
tommen fonnte. Und wenn es gar zu talt
war, ftedte er die Kinder ins Bett, dak fie
faen wie die Spdglein im Stroh. Als er
jo fein Neft heraerichtet und jedes Löchlein,
Durd bas der Wind hätte blajen und jchlüps
fen Tonnen. verjtopft und verichlojjen hatte
wie ein Eichhorn im Walde, holte er auf
einem Handwägeldhen, was er an Heizung
braud)te, halb Torf, halb Kohlen, ftand auf
dem Hof und wilchte den Schweiß von der
Stirn, jeufzte und dachte: ‚Nun mag der
Winter fommen. Er wollte es jhon ſchaf—
fen. Nur Krankheit durfte nicht tommen.
Dann freilid) wußte er nicht ein nod) aus!
Und wie Tobias $Bitterling jo zaghaft in
die Zufunft [ab und das Herz thm jchwer
wurde vor bem, was ihn trejjen fonnte, war
jhon ein Herz mit ibm und feiner Not be:
Ihäftigt und fann, wie ihm zu helfen ware.
Da Gungirau Wieſe gefunden hatte, auf
weldje Weile fie Dem Schreiber etwas zus
tommen laffen fónnte, obne daß es ihn
franfte, jchlug fie das Fenſter auf und rief
über den Hof: „Herr Bitterling, einen Augen:
blid!“ ging, bolte einen Stoß vergilbter
Motenftiide und reichte fie ibm bin: „Sie
find ja ein [o geidjidter Menjd. Könnten
Cie mir diefe Noten abjdreiben?“ Der
Schreiber ftand, und bas Blut ſchoß ibm in
bie blajjen Wangen in ber Freude fiber die
unverhoffte Arbeit, unb Jungfrau Wieje
framte in ihrem Nähtiſch, legte zehn Taler
in feine Hand und nidte ibm zu: „Tas
macht viel Mühe und nimmt Ihnen andern
Sherbienit. Es ijt billig, daß ich es im voraus
bezahle.” Tobias Bitterling glaubte, er wäre
im Traum, und wußte faum das rechte Wort
zu finden, und wie er vor lauter (Glod vers
legen jtotterte, brachte der Papagei auf Jung»
frau Wiejes Schulter alles ins reine und
Jprach janft und zuredend: „Cage dante mein
Kind, mein Püppchen, mein Schnuteten.“
Dann aber, als Tobias Bitterling ihwan:
fend Davonging, frie er aus vollem Hals:
„Steuerbord, langjam voraus!“
Jungfrau Wieje hatte eine linde Hand
und ein autes Herz, und Tobias Bitterling
war nicht ber einzige, Dem fie einen Not:
Stilleben. Gemälde von Rudolf Otto
(Sm Belit der Kal. Hoffunjthandlung Emil Richter in Dresden)
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THE LIBRARY
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PEISISHHEFISI THU Deutiche Geele |
ojden in die Hand driidte, wenn ber
inter fam, Auf der Laftadie, in ben Win:
teln ber Gaſſen war Armut und Elend ge:
nug, blajje Frauen mit rotgeweinten Augen,
die auf den Mann warteten, und er fam
nicht wieder, lag mit feinem Schiff unten im
Dieer ober verdarb in fremdem Land an
Fieber und GCeude, Jungfrau Wieje be:
dachte fid) nicht lang und fragte nicht viel
unb jah es einem an, ob er die Wahrheit
jprad; fie gab, wie fie konnte, um Johann
Riichenreutcrs willen, ber auch draußen ges
blieben war im najjen Grab, und auf den
fie gewartet und um den fie geweint jo
manches Jahr. Und ob aud) jedesmal, wenn
jo ein armes verlajjenes Weib im ſchwarzen
Kopftuh an ihre Tür flopfte und ihr bas
Herz aus|djüttete, ber alte Schmerz aufs
neue an ihr müdes Herz griff, ließ das
fremde Leid fie fchnell vergejjen, worum der
Tod fie betrogen hatte.
Da denft einer immer, daß niemand mehr
zu tragen hat, denn er jelbjt, und daß es
feinen jteileren Weg gibt, denn ben feine
Füße geben miiffen, und wenn er jid) um:
Ihaut und adj gibt, wird er gewahr, daß
ber Beladenen mehr find als der Leidten
und Ledigen.
Der Glafer Strippentow ging umber, als
wäre er irr. Das Haar hing ibm in bie
Ctirn, und bie Augen fladerten, fonnten
feinen anjehen und fuhren aus zur Rechten
unb zur Linken; er achtete auch auf feinen
Gruß und Zujprud, und wenn er ben Ritt
ſchlug, jchrie er unb fluchte, als hätte er fein
SBejen mit einem Menſchen; und er war bod)
fonft ein tiller und bejcheidener Mann. Aber
jedes Jahr, wenn die Blätter fielen, fam es
über ibn und trieb ibn um und madte ibn
wie ein Tier und jedes Jahr jchlimmer. Die
grau ließ ibn laufen und hantieren und
nahm es fid) nicht mehr zu Herzen, wie in
jungen Jahren; fie wartete ab, bis er wieder
zu [id tam, und hätte eine [inde Hand und
ein weiches Herz haben müjjen, wie Gung:
frau Wieje, denn der Blajer war ein armer
und bejammernswerter Miann, hatte eine
[dere Schuld auf dem Herzen und wurde
fie nimmermebr los.
Gr war ein junger Burjch und auf der Wan:
derichaft im Stolpiichen und hätte wohl [ingen
mögen, daß ibm die Welt offen ftand. Uber
ber Ranzen drüdte ihn, und der Weg wurde
ibm jauer, und fein Gemüt troh am Boden
wie eine Schnecke, denn der Sommer war
dahin, Die Wolfen zogen, und der Wind
blies über Heide und Ploor, und er wußte
nicht, wo er zur Wacht fein Haupt nieberlegen
folte. Es war ihm wider den Ctrid) ge:
gangen. Der Meiſter batte ibm unvermutet
aufgejagt, und nun war es verjpielt und
vorbei, er mußte tippeln zur jchlimmen
Jahreszeit und hatte bod) gehofft, er würde
den Winter über warm figen können und
geborgen. Sm Frühling, wenn die Verde
Ihlug und ber Rudud rief und einer fein Bett
unter den grünen Bäumen machen konnte,
am Duell jid) maldjen unb in ber Sonne
lic) trodnen, derweil das Hemd am Aft lüf:
tete, und bie Stiefel über ben Stod hängen,
ein Strdugden an den Huf fteden und an
ber CtraBe fih [chen an bem, was eine
milde Hand bot, bas war wohl ein ander
Ding, da war die Welt wohl ein Paradies,
wohin fid) einer aud) wenden modjte. Aber
jo im dünnen SXódlein und mit leerem
Magen, wo der Wind blies und die Najje und
Kälte aus der Erde ftieg und mit tnódjer:
nen Händen ans Herz griff, da konnte einer
Zeit und Welt verfluchen.
Die Sonne fiel, und die Woltenftreifen
am Horizont überliefen blau und rot, bie
Heide gab ben biüjtern Schein wieder, und
die Moorlöcher ftanben jchwarz und ges
Jpenfterhaft wie die Pforten der Hölle; bie
Nebel quollen empor wie Dampfrajten und
flogen, und es war, als bielte einer ihn an
einem Ranzen feft, und der Wegweijer vor
ihm redte die Arme wie ein Galgen.
Da fam am Kreuzweg von ungefähr ein
Gelelle, idjmang ben Stod und rief ihn an:
„Brüß’ Bott, Bruder! Das heißt man eine
gute Gelegenheit, wenn zwei Füchſe einan:
ber Ober den Strid) laufen. Da Tonnen wir
mitjammen marjdieren, denn die Gegend ijt
öde und das Wirtshaus weit, bie Luft ijt
Ihwer, und Mutter Grün ift uns 9.:d)t mehr
gewogen, aber zu zweien wollen wir uns
(don Zeit und Weil’ vertreiben. Holla,
Bruder, wir wollen eins fingen, dann läuft
der Weg, und die Füße merten es nicht.“
Damit wirbelte er den Stod wie ein Tam:
bourmajor, wenn bie Rniippelmuljif an bie
Reihe tommen fol, und jang in den Nebel;
Es ftebt ein Wirtshaus an der Lahn,
Da kehren alle Fubhrleut an,
Frau Wirtin figt am Ofen,
Die fFubrleut um den Zijd) herum,
Die Gajte find bejoffen.
„Pog Donner, Bruder, warum hältjt du
nicht ben Part?”
Der Glajer fhüttelte den Kopf. „Zum
Singen braudt es Luft und Geld unb einen
warmen Rod.“ Er flaqte fein Leid unb
fluchte in den Abend über den Hundsfott
von Meiſter, den Leutejchinder und Beutels
jchneider, ber ibm den Stuhl vor die Tür
gelegt batte ohne Grund und Recht.
Der Ramerad lachte unbändig und ſchlug
mit ber Faujt vor feine Stirn. „Kerl, Kerl,
242 Bre: 3 RXXR3$3-3$3€3 Johannes Höffner:
da fieht fid) einer bod) vor, folange es Zeit
ift. Wenn es Brei regnet, hält bod) einer
den Löffel hin. Meinem Bater feinem Sohn
tann jo was nidjt widerfahren.“ Er tippte
mit dem Daumen gegen bie Bruft. „Brus
ber, merfjt bu was? Da fibt es, daran hab’
id) genug für viele Tage. Wie heißt es?
Wer die Arbeit tennt, ber reißt fih nicht
danadı.“
Cs war bunfel geworden, und feiner
fonnte den anderen faum von Angelicht
leben.
Der Glafer fragte beflommen: „Woher
fommit bu zu foviel Geld?“
„a, Menſch, wie wir gebaut find —
wenn du willjt, gefunden, aber es muß einer
danach judjen, in Kaften unb Schränfen und
wo jonjt etwas liegt.“ Er frabte die Kehle
tein und fing wieder mit Gingen an:
Frau Wirtin hat aud einen Dann,
Der fpannt den Fubrleut’ jelber an,
Er jdentt vom allerbeiten
Ulrichiteiner Frudtbranntwein
Und fegt ihn vor ben Gajten.
„Weiß Gott, Bruder, wenn wir unter
Dah und Fach find, laffen wir was drauf:
gehen und [pülen den perbammten Moor—
rauh aus der Kehle. Das fol nod) ein
fibeler Abend werden.“
Aber der Glajer gab feine Antwort, denn
wie ber Nebel aus dem Moor, jtieg aus
jeinem Herzen ein Gedanfe und brodelte
und wirbelte, nahmihm Atem und Belinnung,
und als ihm ber Rerjtand wieder fam, lag
der andere am najjen Boden, erwürgt und
iot. Er wiühlte ibm bie Tafden um und
um, aber er fand feinen roten Heller, denn
der Gejelle war ein Liigenmaul gewejen und
ein Spottvogel wie Till Eulenjpiegel, hatte
dem Glajer bas Maul wäjjerig madden
wollen und nicht bedacht, daß zwijchen zwei
Vienichen in der Heide bei Nacht und Nebel
der Teufel gehen könnte,
Das war nun zwanzig Jahr Der und
länger, und der [uftige Gejell war vermorid)t
und vermodert, und über jeinem vergejjenen
Grab mids Gros. Aber über die Tat
wollte feins wadjen, denn des Blajers
Reue wiihlte immer wieder auf, was die
Zeit gudecden und bergen jid) mübte. Das
halbe Leben hätte er geben mögen, wenn er
nur ber Cd)ulb [os und ledig würde. Aber
der Gridjlagene ftand vor ihm und wir:
belte den Ctod und Ire: „Das halbe
Leben? Das ijt nicht genug. Sd) will das
ganze. Unter bem nun und nimmermehr!”
Jedes Schr, wenn der Herbjtwind durd bie
dürren Blätter ging wie burd) Totengebeine,
fam er wieder und forderte und drobte und
ging dem Glajer nicht von der Geite; erjt
SA 2 SO SA SO St Sl St SOS NSP 3$ SO Se
jah er ihm burdjs Fenjter bei feiner Arbeit
zu, Wie er mit dem Diamant bas Glas
ribte und brad, bann fam er ins Haus,
Honn neben ihm, wenn er den Kitt ſchlug
und hielt die Hand vor den Hammer, wenn
er niederfuhr, fab mit ihm zu Gijd) und
fragte: „Schmedt’s, Bruder? Pog Blig, eine
Suppe will ausgelöffelt fein.“
Des Nachts Ichlurrte er vor fein Bett, als
hätte er Wafjer in den Gtiefeln, rieb fid)
die Hände und lachte. „Freilich, freilich,
Kamerad, du haft es gut, lieg/t im Warmen
und weich und nicht unter dem Rajen bei
den Würmern. Wirft es aud) nod) zu jpüren
friegen, wie bas tut, wenn ein {fuder Erde
auf bir liegt und das Waffer bir in den
Raden läuft, möchteſt auf und fannjt nicht
Hand noch Fuß rühren und mußt fein [till:
liegen, bis es Reveille bläjt. Wher ein feiner
Tag wird das nicht fein, bas fannft bu mir
glauben.“ Der Glajer zog bas Dedbett über
den Kopf, aber es half ihm alles nichts, denn
es war wie Glas, und er jah burd) und
durd), ächzte und ftöhnte, bis ber fable
Morgen durd) bas Herz in den Fenjterladen
jab. Acht Tage ging bas fo, ba ftand des
Radts der Erjchlagene vor ihm und wintte
ibm. „Bruder tomm, nun ijt es Zeit. Nun
mußt du wandern wie in jungen Tagen,
braudjit nidjt Strümpf nod) Schuh, nicht
Rod nod) Ranzen, aber wenn du fein Licht
haft, ijt es ſchlimm bejtellt.“ Der Blajer flog,
und die Zähne jchlugen ihm gegeneinander;
fein Weib neben ihm [djnardjte und träumte
luftige Dinge von Jungfrau Wieſes buns
tem Papagei, der jak in einem Epiegeljaal,
batte eine Nachtmüße auf und bejab fih von
vorne und hinten. Da ftand er auf, tappte
fid durch bie Finfternis in den Keller und
erbüngte fih. Am Morgen [djrie die Frau
ihren Sjammer auf den Hof, und allen, die im
Haufe wohnten, ging es talt über den Rüden,
als fie famen, den Toten zu bejeben, der fo
verzerrt und entjtellt auf feinem Lager [id)
ftredte, als hätte der Teufel ihn erwürgt.
An ber Kirchhofsmauer, abjeits hinter
dem Gebiijd), bei Reilighaufen unb vermo:
dernden G&otenfrüngen, tulte man ihn ein;
tein Segen wurde über ihm geiprodhen, und
feine geweihte Erde fiel auf jeinen Garg,
bap ber (Qered)tigleit genug getan wäre,
unb fein (brbarer Sirgernis zu nehmen
brauchte, daß einer neben ibm läge, der fic
jelbjt umgebracht hatte. Es bedadhte feiner,
wie groß die Verzweiflung fein muß und
wie tief verjtridt Das Herz, wenn einer bas
Pförtlein auftut aus eigener Macht, por dem
jeder jonjt zittert und bebt.
—
Es war nicht von ungefähr, daß des Da—
maſtwebers Gedanken in dieſer Zeit mehr
bei dem Sohne waren denn je und eine
Sorge ibn umflatterte wie eine Taube. Blut
tann nidt von Blut, und ob Weiten es
trennen, es rollt und flopit, und feine Wellen
Ihidt es in bie Ferne, dab Gignes (ignes
finde. Und barum ahnt und weiß ein Vater:
berz, wenn dem Kinde Gefahr nahe ijt.
Der Winter fam. Das Eis ftand über dem
Fuß. Die Möwen ftrichen weit ins Land.
Der Nordojt blies tagaus, tagein, und im
Manjardentämmerlein ftanden die Eisblus
men am Fenſter und tauten nicht mehr auf.
Traugott Bitterling jak und fror, ob er aud)
nod jo gut gejorgt hatte, und die Finger
waren ihm Hamm unb die Knie fo talt, bie
Screiberei ging ihm nicht von der Hand,
und Die Taler von Jungfrau Wieje waren
dahin bis auf fünf, und der Winter war noch
lang. Aber er tat, als hätte er reichlich
und nicht zu leiden und hätte um alles in
der Welt vor feiner Tür ftehen mögen und
bitten. Weihnachten freilih), das wurde
wieder ein dunkles und trauriges Felt, ein
Syabr [páter aber war es vielleicht anders, und
es mußte fid) einer an der Hoffnung dahin:
tajten jem Leben lang. Und wenn er in
der falten Nacht mühjam die Feder über
das Papier brachte und das Herz ihm gar
zu ſchwer ward, [tanb er auf für eine Weile
und ſchlich fact und heimlich hinaus, wo
Frau und Kinder jchliefen, hörte ihren ruhigen
Atem und jah beim Lichtjchein, der aus der
Kühe tam, ihnen in das friedliche Ange:
ficht, jeufzte, daß er ihnen das Leben nicht
bejjer machen fonnte, und ging mit neuem
Mut an feine Arbeit bis lange nad) Wlitters
naht. Arbeit, bas war nidjt nur Brot,
bas war aud) ein Mittel gegen allerhand
Gedanten. Bor bem Schlafengehen aber tat
er nod) einmal bas Fenſter auf und fal) zum
Himmel. Tief jog er die falte Winterluft in
die jchmale Bruft, tat bas flapprige Fenfter
zu, ließ bie Strohmatte fallen und beſchloß
den Tag, lag in feinem dürftigen Bett wie
auf eitel Daunen, und ob die Sorge neben
ibm jtand, [chlief er bod) fo janft und felig,
als wären alle Reichtüimer der Erde fein, bis
am frühen Morgen die Not und Arbeit mie:
der rief, wenn drüben in der Schlojjerei bas
Hämmern und Klingen anhob. Denn Meifter
Bolduan hatte alle Hände voll zu tun und
war auf dem Pojten, noch ehe es lichtete,
Karl Asmus mußte tüchtig heran und jchaffte
bald joviel wie ein Bejelle, hatte bem Meiſter
jeden Handgriff abgejehen und hantierte mit
Teile, Meißel und Bohrer, als jpielte er, hatte
all bie unniiBen Bedanten hinter fidh, den Kopf
frei und nichts mehr in der Brujt, was ihm
SSIS Deutihe Seele SH HH ZZ ZZ ZZ 948
die Arbeit verleidet und die Hand gelähmt
hätte. Das Zeislein [tanb an feinem Him:
mel wie ein ferner, matter Gtern, und wenn
feine Gedanten bei den Gommerabenden
unter den Bäumen im Garten waren, flug
jein Herz bod) nicht [d)neller, denn es hatte
alles von fic) getan, was es wirr machen
lonnte und unruhig.
Sn feinem &ámmerlein über dem Fluß
war es fo jtill wie draußen, wo der Schnee
lait und bart und ohne Erbarmen über
allem Leben lag; ba jak bie Dohle im Baum
den ganzen Tag und trádjate, aber ein Vogel
jang nimmer mehr, unb fein buntes Feders
chen blinfte in der Sonne. Zur [djónen Zeit
hatte er wohl feine Geele auf Reifen ges
Ihidt mit füßen Liedern und fih in die
blauen Fernen gefpielt, wo die Wolfen
gingen und die Sterne ftanden, im Morgen:
unb im Abendrot. Das war nun abgetan
und dahin. Denn in der Flöte fah ein Zauber
und Bann und wollte nicht weichen; das war
immer nod, als [tánbe darauf der weiche
Haud) von Kuh und Lippen, unb wenn er
fie anjeßte, flug es über ibm zufammen wie
eine heiße Macht, unb in feinem Ohr war
ein Lduten und Klingen, als gingen taujend
Gloden. Da batte er einen Haß auf das
Ihwarze Holz betommen, daraus Duntel und
Schwüle das Herz irrte und [odte; er hatte
es am liebjten in ber Werkſtatt zu Aſche vers
brannt und in den Wind geftreut, wenn es
nicht ein Geſchenk gewejen wäre und an fih
ein unjchuldig Ding. Nun lag es tief im
Kaften verjtedt und mochte liegen Jahr und
Tag; er blies bem toten Holz fein Leben
mehr ein. Go jah der Winter des Abends
bei ibm, wenn er den Kopf über den Büchern
hatte, und es war fein Laut in der Rammer
zu hören, als daß bin und wieder die Flamme
Iprübte oder ein Blatt tnijterte oder ein tiefer
Atemzug aus ber Bruft jid) losmadhte. Freilich,
bas war fein Fliegen in Weiten und Fers
nen, das war ein Wandern auf der fe en
Erde unb abgemejjenen Wegen, burd) Städte
und Länder; ba mußte einer zwijchen den
Häufern und Menſchen bleiben, lernte fremde
Sitten, Handel und Wandel, madte Bes
fanntjchaften und fand Freunde und ers
fonnte, wie die Bosheit ausjchaute und wie
bie Ehrlichteit, wie bie Liige fich ftellte und .
wie die Wahrheit, fand die Welt Din:
gebreitet in Licht und Schatten, und wurde
flug für bie Zeit, wenn er jelber einmal
wandern müßte und hinaus in die Fremde,
Freilich mar es gut, jo die Bücher zu fih
reden zu laffen, aber das Bud) allein tut es
nicht, Denn es lernt feiner, er fame denn
ins euer und jpürte am eigenen Leibe, was
er tun und lajjen muß. Darin hatte Jung:
044 Johannes Höffner: BSSSS3S3S33S33333I
frau Wiefe recht, und Karl Asmus konnte
fid) zu Herzen nehmen, was fie fo bet Gee
legenheit ibm zu einem Buch mit auf den
Meg gab, wenn er des Abends manchmal
in ihrem warmen Ctiibdjen jag und ihr por:
las. Im Ofen fladerte das Feuer, und
Jungfrau Wieje lehnte im Ohrenftuhl, hatte
die Diirren Hände im Schoß gefaltet und jah
in das Spiel der Flammen. Der Papagei
auf ihrer Schulter blinzelte zwiicdyen Traum
und Wachen, und wenn die Zeit getommen
war und er meinte, daß man zur Rube
geben könnte, plujterte er fich bid auf, als
ob er fröre, gähnte und fagte mit einer
alten, dürren Stimme: „Süßes Kind, liebes
Kind, wer bringt das Rind zu Bett?” Dann
tat Jungfrau Wieje ihn in den Käfig, breiz
tete ein Tuch über ihn, Karl Asmus ging
unb Gungjrau Wieje fah ibm wohl nad,
wie er groß wurde und ſchlank und bie Stirn
fih hob und die Echultern fih redten und
er aus den Kinderjduben wuds, Tag für
Tag ein wenig. —
gg CH BB
Immer tiefer fanfen bie Nächte, und im:
mer bunfler wurden bie Tage, und ber
dunfelfte war nahe, ber bod) der hellite ijt
und ber jeligjte. Wenn Weihnadten fommt,
madden fid) in Ferne und Fremde viel tait:
jend Bedanten auf, und bie deutjche Seele
wandert über Tal und Hügel, über Meer
und Land, bis fie Die Herberge findet, wo
die Liebe auf fie wartet und ausjdaut in
bie Finjternis und horcht, wo Schritte gehn,
Kein Fremder tann begreifen, was große
Geligfeit in diejem Feſt verborgen unb be:
Ichlojjen liegt und warum die deutjche Sehns
fucht in feiner Zeit größer ijt Denn in Diejer.
Und ob einer jung oder alt ijt, Kindheit
und Baterhaus find dem alten fo nal) als
dem jungen, vielen mit lauter Wonne und
Güßigfeit, manchen mit Leid und Tränen,
wie Robert Wodenfuß, dem Turchbrenner.
Der lag in feiner Hängematte, und die heiße
Macht jtand über ihm, in den Segeln fap
taum ein Hauch; bie „Wilhelmintje“ fhau:
telte gwijden ben Salomoninjeln jdjon fieben
Tage, und es war nicht abzujehen, wann ein
Wind fih erheben würde, daß jie heraustäme
aus der Blut und Hölle, Kein Schlaf wollte
in feine brennenden Augen tommen und auf
fein aerrijjenes Herz, und die Tränen liejen
auf das harte Geegrasfijien, wie er an
die Heimat dachte, an Water und Sutter
unb alles, was er [iebgebabt hatte und ver:
[ajjen. Da meinte einer, feine Heimat wäre
bas Vieer; aber das war nicht überall das:
jelbe, und Heimat war bod) nur auf den
Wellen, die an den Strand jdjlagen, an dem
einer aufgewacjen ijt, und Die Wieere ber
gremde find Heimat nimmermehr. Das
Meer, bas er liebte, bas waren die Dünen
am Dorf, bie Stranddijteln und die pers
früppelten Föhren, bas waren die Fiſcher—
bäujer, bie aus bem gelben Sand jaben mit
ihren jchwarzen Kappen, das war Hans
Ramps, wenn er bie Gegel feste und die
Nege legte. Aber nun famen Sehnſucht unb
Reue zu |pát, und ob es ihm bas Herz ab:
ftieß, er fonnte nicht umfebren und mußte
Durch, Die Sterne am Himmel funfelten
wohl wie in Bommerland nimmer, aber fie
batten fremdes Licht, und feiner ſchien und
Honn über dem fernen Dorf an der Ditiee.
Da lag jest der fühle Schnee, unb ein flarer,
Hiller {friede ftand ringsumber; alles Leben
war in ben $)üujern und Ctállen, wie bie
Bäume zur Winterzeit den Gaft in die ins
neriien Wurzeln ziehen; SUtenjd) und Tier
mijdjten ihren Odem unter einem Dach wie
in ber heiligen Maht. Auf dem Herd
fladerte das Feuer, und die Scheite prajjel:
ten bis an den jpäten Abend, denn es gab
viel zu fochen und zu baden auf das hohe
gelt, daß bie Herzen froh würden unb bie
Tiihe voll; Ejjen unb Trinfen durften nidh}
mangeln, wenn die Lichter am Baum brann:
ten unb bie Gloden durch den Winter riefen.
Biel ſüßer Tuft war um die niedrigen Häufer
ber, vor den Türen und unter dem Stroh:
dad), von Harz und Kuchen, und wenn die
Suntelbeit einfiel, gingen bie Menſchen durch
den weichen Echnee einher, lautlos wie die
Engel und Geijier, und die Kinder jchauerten
ob der Schatten vor ben Fenjtern zujammen,
jaben Gejidjter und heimliche Gejtalten und
legten Die Hände ineinander, jahen in ben
Himmel und jongen, Jede Nacht wanderte
Robert Wodenfußens Herz den weiten Weg
und wurde matter von Tag zu Tag; die
Gebn|ud)t verzehrte ihn, und als der heilige
Abend fam, lag er bei dem Cdjornitein im
gieber. Gerard Doelen, ber Kapitän, beugte
fid) über ibn und bordte auf den fliegenden
Atem, fah ibm in bie brennenden Augen,
ob fie ihn kannten und fragte fic) hinter ben
Ohren. ‚Doelen, Doelen, wat ward Plötrich
bartau jeggen. Düwel, Düwel, bit bet em
ornlid) am GCdjlafittdjen, Jung, bu warft
mi bod) nid) wechbliwen? Un wo löppt mi
in de Südſee upituns wedder ein to? Der
Steuermann fam mit einer Buddel Sjamaitas
rum und goß ibm einen tüdjtigen Schlud
zwijchen bie gerrijjenen Lippen. „Sup, Jung,
jup. Dat geibt üm Dod un Lewen. Jimerit
jon Schylud von dijje Urt, be bringt bi wol
wedder uppen Damm.“ Und der Junge
ibludte und jchludte und fühlte es wie ein
euer im den Adern brennen, viel heißer
aber brannte ihm jein Herz vor Freude, daß
er Daheim war, und er war in feinen Fiebers
träumen jeliger als je in Wirflidfeit und
Wachen, fang das Weihnadtslied [aut in
die fremde Nacht, und Doelen drüdte und
faltete die Hände und fagte: ,Herrgott,
Steuermann, bat Billige Felt. Um ein Haar
bädd id em vergüten!^ E
Robert Wodenfuß war der erite, der am
heiligen Abend in das Dorf fam aus ber
weiten Ferne, ob ihn aud) feiner jah. Da:
nad) fam Klaus Drafehn im Schlitten mit
flingenden Schellen, fag in $yuBlad und
SRelgmiüte fed und [tolg wie ein Junter, die
Peitſche tnallte und die Hunde bellten, als
fame wer weiß wer. Als es Dunfel gewor:
. den war, ftand Karl Asmus auf dem Berge
vor dem Dorf [till und voll Wndadt mit
glühenden Wangen und [ab hinab auf die
geliebte Heimat, wie fie Hil und geborgen
und felig in fid) jelbjt unter thm lag und jo
füß redete, daß er wieder ba wäre. freilich,
was fie jagte, fonnte einer nicht in Worte
fajjen, das war nichts für den Kopf und
ben Berjtand, bas war nur für das Herz.
Unter ihm ftanden die Lichter der Heimat
wie Kerzen im Schnee, hier eins und ba
eins, fleine und große. Und bie Sterne im
Tal leuchteten jo ernjt und [till wie bie ber
Höhe. Das war bie heilige Nacht, bie mit
Engelsflügeln ob der Erde jchwebte, und
Karl Asmus ging ins Dorf hinunter wie
in ein Gotteshaus.
Bei ber farre fiel ein breiter Lichtjtreif
weit über die Straße, und bas mußte fo fein,
denn wenn bas Pfarrhaus nicht am helliten
Ieudjtete, war es um eine Gemeinde jchlecht
beitellt. Paftor Neumann jop und fiudterte
die heilige Gejchichte, hatte das ſchwarze
Rappden nad hinten geichoben und über
den Augen einen grünen Schirm, ftieß bie
SBolfen aus der langen Pfeife und jann über
bie Worte nad), bie er jhon jo rielmals
burdjbadjt und ausgelegt hatte und bie bod)
immer wieder in neuen Farben leuchteten,
wie gerade das Herz gejtimmt war, leicht
oder jchwer. Damit fam einer nicht zu
Ende fein Leben lang. Die Worte waren,
als [prádje fie ein Rind, und der Sinn war
tiefer als der Himmel, der war wie eine
Leiter, bie zu den Sternen führte; man ftieg
und [tieg von Jahr au Jahr eine Sprojje
und zwei und drei, ater es waren ihrer zu
viel; da mußte zulegt einer einen auf feine
Flügel nehmen und tragen, fonjt fam man
nidjt hinauf. Und ber Pfarrer legte bie
Hand auf bie Stirn unb Ichloß bie Augen
und ließ fid) lehren von einer Stimme, Die
nicht pon biefer Erde war. Karl Asmus
aber ging vorüber, jo [eije und jacht er nur
lonnte, als möchten fonjt fein Schritt und
Deutihe Seele R242424343€434343534343«2434]. 245
ber fniridjenbe Schnee ibn in feinen Ge:
danken ftören.
Tiſchler Diisfow ftanb auf einem Stubl
unb pubte den Baum, bángte bunte Papier:
fetten in bie Zweige, Apfel und goldene
Niijfe, bie Frau hielt ein Licht und reichte
ibm zu. Ein Schatten huſchte Hinter ber
Hede ums Haus, ein Röckchen wippte und
Pantsffelden Happerten, und Karl Asmus
beugte fic) über ben verjchneiten Kreuzdorn
unb rief: „Marleneten, Mtarlenefen!“ Da
fam ber Schatten zurüd, ein Gelichtchen
jpabte ums Haus, und dann fprang bas
Marlenefen durd) ben tiefen Schnee, wie ein
Käbchen, bas bie Pfötchen [djont unb, reichte
ibm bie Hand über bie Hede fort: „Ach,
Radel, bat du eis wedder kümmſt! Go lang
hätt bi fein nich jethn.” — „Jau, Marlenefen,
bat is nid) anners, wenn ein lihrt, tann ein
nid) wedlopen.” Ihre Augen waren [o
blant, und ein Giinfchen ftand darin, bas
tam don einem hellen Stern am Himmel;
Karl Asmus hätte fie am liebjten ans
Herz genommen, aber die Dornen waren
gwijden ibm und ihr und nod) etwas ans
deres, bas ihm ben Augenblid ftörte und
ibm in bie Bruft ftad; er liep bie Hand
los und modte nicht bleiben. „Nacht of,
Marlenefen, morgen war id bi von de Stadt
vertellen.“ Beim Meberhäuschen flopfte er
ans iyen|iter; von der Haustür wurde ber
Riegel weggeichoben. Da hing er der Mutter
am Hals, und auf dem Flur ftand der Vater
mit der Laterne und jagte: „Na, Sung, da
biijt du ja; nu man fix binnen und lat di
bejeihn.”
So fam Karl Asmus nad) Haufe, aber
es ging ihm mit der Heimat wie mit dem
Marlenefen. Da war Weg unb Steg ver:
Ichneit, als er am andern Morgen mit ihr
im hellen Licht auf ber Dorfſtraße [tanb und
erzählte, wie es in der großen Stadt Aus
ginge, was einer fah und hörte, dies und
das und vielerlei, aber vom Garten am
Fluß und vom Flötenſpiel fein Wort. Er
fam fid) vor wie ein Lügner und war fremd
und beflommen, denn hinter all feinen Wor:
ten und Gedanfen ftand das Zeislein, zart
und weiß im Mondenjchein, und machte ihm
Herz und Zunge jchwer.
Das Viarlenefen hatte die Hände unter
der Cchürze, ihre runden Wangen brannten
in der [djarfem Luft, waren [o rot wie Die
9tpfel am Tannenbaum, und ihr warmer
Atem ftäubte in Reif zu Boden.
Ter falte Winter ftand zwijchen ihm und
ihr. Ceine Augen waren nidt wie früher;
in feinen Worten uaren nicht mehr Scherz
und Zärtlichkeit, er ftand vor ihr, als hätte
fie ihn nie in ihrem Leben zuvor gejeben.
246 ESBS SAAAAT Johannes Haffner:
Und plögl’ch jdjittelte fie fid) und fagte:
„Ick möt binnen, mi frit.“ Karl Asmus
ging bie Dorfitraße entlang, als hätte er
ein Unredt getan, und es lag bod) nur
alles daran, daß es ein Wiederjehen war
zur unrechten Zeit.
Wenn zwei fid) wiederjehen, bie fid) lieb
haben, muß es im Sommer fein, wenn Blue
men im Lande ftehen und Bäume ranjden,
wenn die Federwolken über ben tiefen Him-
mel ziehen wie Schwäne und bie Lerden
aus dem Korn fteigen auf ben Rain zwi:
[den ben $yelbern, daß fie dicht beieinander
gehen miijjen und die Hände fid) ftreifen und
fajjen. Dann muß alle Fremdheit und Scheu
von binnen, und es fommt alles wieder, wie
es vordem war. Und was ein Herz ge:
jiindigt bat in Gleichgiiltigfeit oder Berge]:
jen, wird jüpe Reue, bie Geelen tun fid
auf wie im Gonnenlidt bie Winden, bie
rechts und lints burd) Gras und Buſch fid)
jclingen, fo weiß unb rein, als wäre nie
ein Staub darauf gefallen. Aber im falten
Winter, in Froft und Cd)nee — das ijt eine
Ihlechte Zeit, bie tut nicht gut. Da friert
Wort und Herz, der [harfe Wind bläjt alle
Wärme fort, und es tann nichts Jchmelzen
und dabinfinfen, daß bie alte Liebe grün
und frijd) bervorfame. l
CH 8 8
Jungfrau Wieſe hatte die Weihnachts—
pyramide aus der Bodenkammer geholt,
hatte ſie mit bunten Lichtern beſteckt und mit
Papierblumen frifch umwunden, die Sonne
mit den Englein, die im warmen Luftſtrom
ſich im Reigen ſchwangen, von Maler Sei—
delbart neu vergolden laſſen, daß ſie leuch—
tete wie das leibhaftige Geſtirn am Himmel
ſelbſt; in den Stockwerken war die heilige
Geſchichte aufgebaut von der Verkündigung
bis zur Anbetung der Weiſen aus dem
Morgenland, und es lagen auch Nüſſe und
Pipfel, Pfefferkuchen und Naſchwerk darauf,
damit Karl Asmus in ihrem ſtillen Stüb—
chen noch einmal das Feſt feiern könnte,
wenn er wiederkäme. Zur Rechten und zur
Linken ſtanden mannshoch die hölzernen
Armleuchter mit Wachskerzen ſo dick wie in
der Kirche, das ſollte ein Glanz werden wie
bei Konſul Lobedanz, der an die hundert
Lichter auf die Zweige ſteckte. Der Roſinen—
ſtollen lag im Glasſchrank und blinkte, als
wäre Eis auf ihm gefroren, und das Mar—
zipan war auch fertig und brauchte nur
uoch mit glühenden Nadeln gebräunt und
gebrannt zu werden. Aber dazu kam Jung—
frau Wieſe nicht mehr. Denn als die Glok—
len von St. Katharinen das Felt einläuteten,
legte fie fid) und ward jterbenstrant, Der
Papagei tam unb fletterte am Bettpfojten
hod, tat, was ihn feiner gelehrt hatte und
legte das dichte Gefieder an die falte, welfe
Wange, als wollte er fie wärmen, jtrid) mit
dem groben Schnabel fanft über bie ſchmalen
Kippen unb ließ den Kopf traurig hängen,
weil feiner zu ibm ſprach. Jungfrau Wiefe
hatte die matten Augen auf der Nacht—
lampe, jah wie das Licht jo mild wie Mons
denjchein bie porzellanenen Bilder malte,
den Wald in Schnee und die Wieje mit Blu:
men, und war in ihrer Kindheit, ba die
gleichen Bilder in ihre Nächte geleuchtet
batten, wenn fie frant war; ... bie Arznei—
flaidje ftand Daneben und im Glas mit Waſſer
der Löffel zum Einnehmen, die Uhr tidte
wie bas Herz in ber Bruft, ber dad ter
blies die Straße entlang, und von Zeit zu
Zeit fam die Mutter unb beugte jid) über
fie, zu hören, wie ihr Atem ginge; bann
hielt fie die Augen gejdlofjen, als ob fie in
tiefem Schlummer läge und ließ ihre Bedan=
fen weiter auf bunten Wegen gehn. Nun
war fie einjam und [o müde, ihre Gedanfen
Ichleppten jid) wie Schneden, der Atem war
jo leicht und kurz wie ber eines Vögelchens,
und ihre gelbe runglige Hand lag auf der
Dede ausgejtredt, als folte einer tommen
unb fie fajjen, aber es war nod) nicht Zeit
und das f'ebensíidjt war nod nicht beim
legten Fünkchen; fladerte ein Weilden und
gewann noch einmal Kraft und blieb in der
Reihe. Als Karl Asmus wiederfam, war
bas Cdjlimmite überjtanden: Jungfrau Wieje
ließ ihn vor ihr Bett fommen und lächelte
lanft und entriidt, denn fie jah ibn im mat:
ten Licht des Lämpchens vor jid) eben. wie
Johann Rudenreuter, dem fie näher fam
von Tag zu Tag. Gie legte ihm die leichte
Hand in die feine, darin bas warme, jtarte
Leben zu |püren war, driidte fie, joweit ihre
Schwachheit reichte, und jagte leije aus ihren
Gedanfen: „Ja, die Erinnerung, bie Erinnes
rung muß eines feithalten, Karl; bie glück—
lidjen Zeiten liegen in der Vergangenheit
und nicht in ber Sufunjt.^ Dann mufte er
nebenan die Lichter angiinden unb ben Vor—
hang zum Altoven fortziehen, und es ward
aud) in bem Kranfenjtübchen jo bell, als
Jchiene bie Gonne. Die Pyramide drehte ph,
unb die Sterne blibten, bie wadfernen Engel
Ichwebten dahin, und bie Gejtalten wander:
ten vorbei, bald diefe, bald jene, Maria und
Jofeph und Elifabeth, bie Hirten und Ochs
und Gjelein, als kämen fie allejamt, Menjch
und Tier und bie himmlifden Sjeer[djaren,
bie Rranfe zu bejuchen und zu grüßen. Cine
Spieluhr ging, und ihre Töne waren fo janft
und fern, als fielen fie mit dichten Sdyneefloden
vom hohen Himmel nieder; die Blödlein,
die bie Englein in Händen hielten, läuteten
SSES Deutide Seele BESSSSSeSessses4d 217
jo ſüß Ddagwijden, und der Papagei fagte
in der Erinnerung an feine Fabhrenszeit tief
und nadjbentflid) wie ein alter Mann: „Bier
(Glajen.^ Dabei jchlief Jungfrau Wieje janft
unb jelig ein und ging im Traum zwilchen
Sonne, Mond und Sternen, und Karl Us:
mus jaB unb jab in bie Lichter, und es
war fein Schmerz und feine Wehmut in
feinem Herzen wie daheim, denn hier hatte
Zeit und Welt feine Gewalt.
B 8 28
Der Winter wurde immer härter. Sm
Januar ftand der Froſt in der Haren Luft
wie flirrendes Glas. Jungfrau Wiefe fam
Jobald nicht wieder bod), und mand Stünd—
lein nad) Feierabend war Karl Asmus um
fie wie ein Sohn, rüdte ihr bie Kiffen au:
recht, reichte ihr Arznei und las ihr vor,
und als fie aufjtehen durfte, leitete er fie
bebutjam bird) bas Stübchen, bald zum
enjterplak und bald zum Gofa, und fie
ftreidjelte ihm ftumm die Hand und war
bantbar wie ein Tier, bem ein Menjch Gutes
tut, wenn es fied) unb wund ijt. Im Sr üb:
jahr, als ber Jtugbaum wieder Sprojjen trieb,
die Finfen im Garten jchlugen, bas Rotkehl—
chen hinter bem 3Berjdjlage vor Karl Asmus’
Kammerfeniter bas alte Neft wieder inftand
lebte, war Jungfrau Wieje wieder einiger:
maßen bei Kräften und fonnte ins Bad, nad
dem Süden, wo Die Sonne die Diinnen Adern
mit neuem Blut füllt, wie der Gaft in die
Bäume jteigt. Eines Sonntagsmorgens, da
bie Gloden läuteten, hielt der Wagen vor
ber Tür. Jungfrau Wieje fletterte mit ihrem
Papagei mühlam zwiſchen Schadteln und
Hotten hinein, zog das Wiener Schaltud
feit um die Schultern und wintte den Nadz
barn, bie vor den Türen jtanben, nod) ein-
mal Abſchied zu. Der Schreiber bradjte ihr
einen Strauß Narziſſen, und Karl Asmus
jtand ganz hinten, denn er ſchämte fih, daß
ibm die Tränen famen. Die Kaleſche rum
pelte davon, der Papagei pfiff ein [ujtiges
Lied, und die Nachbarn jaben ihr nach, wie
damals dem Leichenwagen, in dem Glajer
Strippentow abreijte; bie Micifterin jchüttelte
den Kopf und fagte: „Wenn ein int Bad
mot, Denn is bat jchlicht mit em beitellt.
Meinft du wol Bolduan, of bei wedder
fiimmt? Un wo bliwwt denn de Mögel?
Ten midt id woll var ben Cpeigel hewwen.“
Dag ein Menſch joweit reifen mußte, um
gejund zu werden! Man hätte meinen follen,
dah die Heimat für jeden bas befte Heilmit:
tel wäre. Die im WUltmännerhaus hatten
fein anderes, faken in der milden Sonne
und jtredten ihr bie zitternden Hände und
Füße entgegen, ſchloſſen bie Augen und ats
meten den ſüßen Duft ein als Arznei und
Heraftarfung. Freilich, bie 9lrate mußten es
wijjen, denn fie faben in bie Menſchen hinein
nicht wie ber Uhrmacher in bie Uhr, nur daß
alle wußten, daß ein Menſch anders und
mehr wäre, und es war doch wohl nicht jo,
daß Sonne Conne und Frühling Frühling
war, und daß jedes Herz genejen mußte,
wenn bie Erde zu neuem Leben tam und
Blüd und Seligkeit bradhte.
Im CH
Im Nußbaum zwiſchen ben lichten Blat:
tern flimmerte bie Sonne. Die Raijertros
nen ließen bie [d)meren jyeuerbIumen hängen,
die leuchteten wie Burpur und Blut, die Tuls
pen taten ihre Keldye auf, bas Sonnenlicht
zu fajjen wie goldenen Wein, bie Hummeln
taumelten über bie Hyazinthen, trunfen von
bem jtarfen Duft, unb die Taujendjchöndyen
wanden dide, bunte &ránge um die blühen:
den Beete, wie fein Bärtner fie hätte binden
mögen; und vom Nußbaum fiel aus verbor:
genen Blüten goldener Staub wie Tau.
Aber Jungfrau Wiejes luftige Fenjter zwins
ferten nicht mehr in ben Garten und fpiels
ten mit feinem ConnenftrabI weder jpät,
nod) früh, die grünen Laden lagen darüber
wie Yugenlider, und es war, als jchliejen
jie. Die Eljier jpazierte tavor auf und ab,
äugte und wartete, es jollten bie Hajpen
flirren unb ein Brödlein herausfliegen, aber
ba tat fid) nichts auf, ob jie aud) gegen bas
Holz flog und mit ben Ylügeln flug und
Ihrie. Und Karl Asmus war ebenjo bei den
genftern, jah über der Arbeit von Zeit zu
Zeit nad) den grünen Laden und meinte, fie
müßten zurüdgejchlagen werden und es müjte
eine Hand fid) Deraus[treden, aber er mußte
fid) Dareinfinden, daß ein freundlicher Schein
aus jeinem Leben dahin wäre für eine Weile,
Er ftand an Edyraubftod unb Drehbant und
arbeitete für drei, daß SDieijter Bolduan über
bas breite Gefidt lahte und ihm auf die
Schulter flopíte. „Junge, bat geiht bi ja
müdjtig von de Hand. Da fehlt aum Ge:
felen nicht mehr viel. Dan ümmer tau,
dann jpredt fet bi los vör be Tijd. Tenn
ftetht bir de Welt open. Denn fo magft du
bórd) bat lewe Tütjichland lopen, joweit be
Hewen [teibt. Wd Gung, bu glöwjt nih, wo
Ihön bat is.“ Er job bie Hände hinter
ben Lederfdurz unb fah in ben blauen Him:
mel und in ben Sonnenjchein, und feine hellen
Augen blintten wie Stahl. „Jung, Jung,
wenn ein upren Barg fümmt und jüht dat
Land liggen blag un rot un grün, un bowen
an Hewen [teibt die Gunn, bier an Dorp un
da an Dorp, hier en Turm un da en Turm,
un tijden al dat Speel geiht en Water,
blinfert unb glibert jo bunt as en Regen:
bogen, und binnen, wo de Hewen [id mit de
248 B
Fäut [temmt, liggt bat fo witt as Schnei un
Jo blag as Stahl, dat wär bat Alpenland,
wo de Barg vel bujenbmal höger fiind as
St. Ratharinen ehr Klodenftauhl. Wenn ein
jung is, ba tann ein veel jeihn, äwerft wenn
ein in be Soabr fümmt un en Wif hätt und
wat vörftellen jchall, denn is bat vörbi, denn
is ein anbunnen, denn fitt ein mit in dat
Buerfen und möt fingen, wenn he of nid)
mag. Karl, nimm di bat woahr, jo lang din
Fäut jung find un bi Omer Barg un Tal
brügen. Wenn ein in de Welt fit nid) üm-
liebt, be ward nix rechts.” Damit nahm er
ben Meißel wieder zur Hand und trieb ihn
in Das gabe Gijen und pfiff dazu bas Lied
von ben Burjchen, bie über den Rhein zogen,
und fein Herz war bei den Abenteuern
und Freuden der Wanderichaft; in dem
mädhtigen Leib rumorte das Blut, und auf
den bloßen Armen [djwollen bie Musteln
und jchlugen Feuer aus dem Stahl. Das
Pinndenin Rüdesheim, bas möchte einer wohl
nod) einmal wiederjehen. Freilich, freilich,
manches Yährlein lag dazwilchen, da wurden
bie Lippen welt und blah, und das Herz wurde
fühl und modte wohl nichts mehr hören von
dem, was vergangen war. Und bie Laube
im Weingarten, ob fie nod ftand? Aber
der Strom, der floß wie immer, Jpiegelte
Berge und Türme und Menjden, nur an:
dere Liebe jaß daran unb herzte und füpte
(id); es war immer das gleiche Spiel. Aber
das 9inndjen, fo ſüß war wohl teine wieder
über Dem Wajjer gewelen.
Wm Abend im Lads verbruddelte ber
Meijter fid) jedes Colo, denn das 9inndjen
wollte ihm nidjt aus dem Ginn, und fein
Herz war am Rhein. Derweil fab Karl
Asmus am Brunnen und [dülte Kartoffeln,
war ebenjo weit fort wie ber Meijter, hatte
feine Gebanfen in bie weite Melt gejchickt
und malte fic) bas Land, wie es fein würde,
wenn er hinaus durfte und Deutjchland jehn.
Und drüben auf ber Galerie gwijden den
Hemdden und Windeln auf der Leine ftand
aud) einer. Traugott Bitterling, der Schrei:
ber, hatte die Feder für ein Weildjen aus:
gelpriBt, ließ fid) vom Abendwind die Augen
fühlen, nnb feine Sehnſucht warf das Rangel
über bie Schulter und jpazierte ins Tal zum
Ybendrot, wo ein Wirtshaus ftand und am
langen Arm ben grünen Kranz [d)wentte und
den Wanderer rief, daß Speis und Trant
bejtelIt jet und das Bett gemad)t, darin einer
weich und wohlig ruben fonnte, bis bie liebe
Gonne ihn wad jchien zum fröhlichen Wan:
bern in Gras und Tau. Und beim Abichied
jtand ber Wirt vor der Tür, 309 bie Kappe,
wünjchte glüdliche ele und ließ ihn ziehen
wie einen großen Herrn. Aber das lag alles
Johannes Höffner:
im Weiten und hinter den Bergen. Vorerſt
war es mit thm noch bejtellt wie mit ber
Fledermaus, bie fid) im engen Hof verflog,
er mußte hübſch daheim unb bei Feder und
Tinte bleiben, daß Weib und Kind ihm nicht
verhungerten. Doch einmal flug die Stunde
aud) ihm, wenn die Kinder groß waren und
die Sorgen dahin, dann wollte er nod) ein-
mal jung werden, die Bruft lüften, die ver-
jejfenen Glieder reden unb [id) bie Welt be-
jebn, wie [ie ſchön war, bes Grojdjens nicht
achten unb in der Fülle haben, was er in
der Jugend fid) gewiinjdt hatte; einmal, ad)
einmal fam wohl feine Beit.
Karl Asmus ſchoß in die Höhe wie ein
junger Baum, ber zu den erjten Blüten um:
fegt, trug die Stirn frei und Bod), unb in
den Straßen und am. Strand jaben die
Madden nad) ihm, drehten fih in ihrem
Sonntagsjtaat, ladten ihn an und batten
bod) fein Gliid, denn feine Augen waren
anderswo. Und wenn der Meifter ibn [djidte
und er in die engen Gajjen am Hafen mußte,
ans Bollwerk oder auf die Laftadie, [aBen die
angemalten Weibsbilder in ben Kneipen bine
ter den verräucherten Scheiben, zielten mit
Bliden nad) ihm, bie waren wie Feuer und
Gift, redten den Hals und machten ihm
Zeichen, denn jo ein junges, unverdorbenes
Blut fonnte ihnen gefallen und war etwas
anderes als bie ausgefodjten Cchiffsleute,
bie mit ihnen umgingen wie mit Stüdfaß
und Tranftonne. Aber Karl Asmus hielt
feine Straße, denn feine Geele war ohne
Arg und unwiljend, und fein heimliches Be:
gehren |pábte nad) Gelegenheit; [eine Ges
danten waren in freier unb reiner Luft wie
bie bunten Wimpel, bie ob den Schiffen flat:
terten, und fein Herz war wie bas flare
Wajler, darin der Himmel jid) fpiegelte, ohne
Trübung. Doc) in der Ferne war ein Herz
um ibn in Unruhe, je näher der Sommer
fam, rechnete dies Herz nach, wie lange es
nod) wäre, bis das Zeislein wieder durch
Hof und Gatten jánge, der heiße Abend-
wind durch bie Wipfel ging. Und Jungfrau
Wieje jchrieb an Karl Asmus einen Brief von
der Schönheit diejer Welt, von den Balmen
am Meer und der Luft wie Baljam jo
lind, und daß bie Gejundheit vom Himmel
herniederfiele wie Tau, und die Erde wäre
wie ein Paradies. Aber fie wäre bod) am
liebiten in ihrem Stübchen daheim, mödhte
in Hof und Garten jehen und das Brinn-
lein raujchen hören. Karl Asmus méd,te
ihr Antwort geben, wie es ginge und ftiinde,
und wenn das Zeislein fame, jollteer es grügen
unb acht geben, daß ihr fein Leid geıchäbe,
denn jie Tonne jet ihre Augen nicht über ibm
haben und fie wäre ein unbedadtes Rind.
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LÀ
THE LIBRARY
| OF THE
mnie
Karl Asmus las und las, und das Blut
ftand ibm bis unter die Stirn; er wußte
nicht, was er aus bielen Worten madjen
folte unb wie bem Zeislein ein Leid ge:
leben könnte. Das Zeislein, bas Zeislein!
Er ängitete fih, daß er fie wiederjehen follte,
und hätte bod) vor freude weinen mögen-
Jeden Morgen, wenn in ber Werfitatt die
Arbeit anhob, das Eijen freijdte unb bas
Teuer raujdjte, ber Blafebalg mit tiefem
Atem ging, bordjte er, ob ihr Ctimmdjen
auf dem Wege lei, den Sommer einzujingen,
bis endlich in einer Frühe bas Lied von
drüben fam und Meilter Bolduan das Fen:
fter aufitieß und rief: „Brüß’ Gott, 3eis:
lein, da but bu ja wieder. Wir haben auf
bid) gewartet einen falten Winter lang.“
Drüben auf dem Umgang ftand das Zeislein
im Connenjdein, lodte und minfte ihm zu:
„Meiſter Bolduan, bas Gahr ift. mir ge:
melen wie zehn. Jn der großen Ctabt ijt
der Sommer wie Gras zwijchen den Steinen,
aber hier fann einer in die Baume und in
die Blumen jehn, daß einem das Herz vor
Freude jpringen mag.” Meiſter Bolduan
katte die Hand über den Augenbrauen und
blingelte und jchmunzelte, tat bas Fenfter
wieder zu und jagte: „Unjer Zeislein bat
fid) herausgemaufert, bas muß wahr fein,
Raum, daß einer es wiedererfennt. Augen
hat es, die bligen wie die liebe Sonne, und
it aud) nidt mehr gar jo blaB und bas
Mieder ijt prall wie ein Hefetuden. Wetter
nod) einmal, was ijf bas ein Marjellhen
geworden.“ Das Annchen von Rüdesheim
ladjte in feine Gedanfen, und das Herz
tat ibm web; er jah den Stahl im Feuer
glühen und feufzte: „Ja, Karl, wenn einer
jung wäre und ledig. Aber bas ijt verjpielt,
und man liegt beim alten Eijen.“
Karl Asmus hörte nicht, trat bas Rad, als
follte es zeripringen, und ließ bie Spindel
wirbeln, daß die Funken ftoben, und draußen
fang das Zeislein und verjchlug ihm den
Atem. Ihre Stimme war voller und tiefer
als im vorigen Jahr, bie Lieder waren
ſchwermütig und dunfel und voller Gehn:
juht, wie wenn der Vogel im Garten jchlägt
zur Vollmondzeit im Mai. Als es duntel
ward, die blajjen Sterne am jommernäd):
tigen Himmel ftanden, hordte Karl Asmus
aus feinem Kämmerlein in den Garten
binunter, hielt den Atem an und regte fidh
nicht, wie die Pforte Tute und das Beis:
lein mit leichtem Schritt daherfam, nad)
oben hinauf das Lied vom Rojengarten
fang, wie vor einem Jahr — er aber
regte fid) nicht, fürchtete fih und gab nicht
Antwort, wie fehr aud) bie Cebnjudjt ibm
das Herz zerjchnitt. Am andern Abend, ba
Deutihe Seele BESSSsseeessesd 249
das Zeislein wiederfam und ihr Lied in ben
Abend jchidte, daß es ihn hole, warf er fid)
aufs Bett und brüdte den Kopf in die Kij-
fen, bis taujenb Gloden in feinem Ohr ihr
Gingen überläuteten, hielt fic) an den eijer:
nen Gtäben feft, als führe er auf einer
Plante über das Meer, und bie Wellen woll-
ten ibn fort[pülen, bis es unten gang [till
geworden und die dunkle Traurigkeit aus
der Tiefe ftieg. Am dritten Abend fang bas
Zeislein nidt, fam aud nicht, fo febr er
auch bordjte. Da hielt er es nicht aus, holte
die Flöte hervor, [djlid) nach unten, febte
ih auf bie Bant unb blies, was aus
dem Herzen wollte, und als das Zeislein
vor ihm Honn, warf er die Flöte ins Gras
und jchloß fie in bie Arme. „Zeislein, Zeiss
lein, ich tann von bir nicht laffen, und wenn
id) fterben müßte.“ Und das Beislein lag
\hwer an feiner Bruft, als wäre alles Leben
von ihr gewichen, bing an jeinem Hals wie
ein eingejchlafenes Kind und war bod) jo
leiht und zierli wie in Hof und Garten
eine Grasmüde, hielt ibm die [djmalen
Lippen hin, und [djoB die Augen. Ihre
Schultern zitterten, und von ihrem Haar
ging ein Duft aus wie von den Lidtnelfen
des Abends auf dem Feld, wenn der Tau
fällt und ber Wachteltönig ruft, woher Ant-
wort fame. Jn ber Sommernadt ijt alle
Liebe mad), bie im Frühling nod) träumte
von bem, was ihrer warte und haudt ihren
heißen Atem in die warme Luft; die Nach:
tigall jubelt und weint, da ein Herz im ans
dern [tirbt. Go ijt erjte Liebe: unjchuldig
und wahrhaftig und weltvergejjen, anbád):ig
unb [deu und voll Anbetung und Ehrfurcht,
und ein Engel fteht vor der Tür und hütet
und wehrt, denn ein Teufel liegt auf der
Kauer und wartet, ob feine Zeit fommt, und
fann nidjts Reines leiden, er muß es vers
giften. Und bas Zeislein jaB bei Karl As-
mus auf ber Bank, und beide fprachen fein
Wort, hatten Hand in Hand gelegt, jpürten
das Blut, als fame es hinüber von dem
einen zum andern, ließen jid) von ber Gelig:
feit der Liebe wiegen und tranten von ihrer
Cufigfeit, hatten bie jungen Leiber dicht
aneinandergejchmiegt, aber bie Gefahr hatte
nod) Pla zwiſchen ihnen und madte fie
bange, als täten fie unrecht, und wenn ein
Laub rajdjelte von einer Maus oder einem
Maulwurf, jdrafen fie gujammen, es fónnte
einer fie finden.
Die Uhr von Gantt Katharinen falug
PRiertelfiunde um Bierteljtunde. Da [aj bie
Zeit im Turm, nagte mit ihrem einzigen
Zahn an der welten, hängenden Lippe und
[tie den harten Anöchel immer wieder gegen
die Glode, denn fie ijt allen Liebenden und
Belbagen & Alafings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2. Vd. 17
250 Iesse Johannes Höffner: [343424242€2€3€4233€42:32€2537 2€1
aller Jugend gram, neidet ihnen Das warme
Blut und den Himmel, möchte alles alt und
báplid) unb runzlig machen, wie fie jelbjt
ijt, läßt bie glüdlichen Stunden in die Tiefe
Ihießen wie Steine und die traurigen nieder:
gehen wie eine Feder, die immer wieder vom
Boden fid) hebt und nicht Rube findet; fie
mahnt und nörgelt bei Tag und Nacht, und
es hilft feinem, ob er jid) aud) die Obren
gubielte und mit Wachs verjtopfte. Das
Zeislein |prang auf und tat einen Geufzer
jo |djmer, als müßte fie vom Leben Abjchied
nehmen, aber ebe fie ging, breitete fie bie
Arme weit auseinander, weit genug für
Simmel und Sterne. „Einmal, nod) einmal
jolljt bu mich füjjen. Nacht und Tag find
gar jo lang.” Und als Karl Asmus [ie ums
fing, zärtlich und voll ſüßen Zagens, ließ fie
die Lippen nicht von den jeinen, drängte
diht an feine Bruft, daß ihre Herzen fih
ſchlagen hörten, und hauchte immer wieder:
„Küſſe mich, ftüjje mid), jonjt muB ich ver-
geben —"
Das Zeislein war fort, ein Schatten am
genjter oben blieb Karl Asmus nod) für ein
Weilchen, bann war er ganz allein, ging an
das Waſſer, hörte auf die Wellen, die
raufchten, unb mußte weinen, wie damals,
da bas Zeislein Abjchied nahm. Aber jest
vor lauter Blüd, daß fie fein eigen war,
und ber Strom wallte, und es war, als
führte er alle Tränen, die Liebe und Blüd
und Leid auf Erden je geweint haben.
Am andern Morgen, da das Zeislein im
Hofe und im Garten fang von Treue und
Sehnjudt und Heimlidfeit, ftand das Herz
ihm [till, daß bas alles für ibn allein ware und
feiner es wüßte, und er gönnte niemandem
die Tuben Lieder und meinte, Der Meiſter
bejtähle ihn, wenn er bordjte und das Gijen
talt werden ließ. Aber bas ift nun einmal
jo, wo ein Lied hinausgeht, ein Herz zu
juchen, find viele Ohren, vor bie es tommt
und viele Geelen, bie es trifft.
Da jag Tobias Bitterling über [einer
miibjeligen Schreiberei, Dem ward fo froh
und der Sommer nod einmal fo lieb, ba
bas junge Lied um ibn fliegen würde; feine
Augen gingen über bie |hwarzen Buchftaben
wie über Blumen und Wieſen, wenn ber
Mai gefommen ijt. Und da war unter ihm
der Schulter Windelband, der jak auf feinem
Dreibein, jah die liebe Woche lang die Welt
nicht anders als in feiner Waſſerkugel Hem
wie ein Spielzeug, ben Nubbaum, den Hof
und ben Garten, und das Zeislein ftand
darin gleich einem Püppchen aus Porzellan,
Der Stiefel zwiichen feinen Knien glitt zu
Roden, feine Gedanfen waren weit fort.
Sj.besmal wenn das jeisleim wiederfam,
famen ihm die alten Zeiten vor die Geele,
da fein eigenes Kind |o im Garten geitan=
ben hatte; bann war es gegangen in die
Welt und war wiedergefommen, hatte unter
der Tür geitanben, behängt mit ritter und
Tand, ben Federhut jchief auf dem Kopf,
die Wangen angemalt und Augen wie eine
von ber f'ajtabie. Das Blut war ibm in
den Kopf geichofjen, als rühre ibn der Schlag,
er hatte den Rniertemen genommen und fie
von der Schwelle gejagt, fo jebr die Mutter
auch gejchrien batte. Wo war fie jegt? Rann
einer fein Fleilh und Blut pergejjen ? Er
jeufzte und nahm den Gtiefel wieder zur
Hand und jhlug mit dem Hammer auf die
Goble, daß fein Ton von draußen fein Ohr
traf. Er wäre bei der Arbeit mit feinem
Schmerz wohl fertig geworden, aber da
jprad) die Frau aus ber Ede, wo fie ein
Huhn rupfte, ein unbejonnenes und törid)-
tes Wort, und es half ihr nichts, daß fie es
verwünjchte, faum daß es von ihren Lippen
war: „Die fingt jid) aud) noch einmal um
ihre Geele. Cold) ein Ding und ſolche Lie:
der!” Indem [prang der Schufter auf, warf
den Hammer hin, daß es dröhnte und die
Zur ins Schloß und ging, wohin ber Geijt
und fein Weib ihn trieben. Als er noch Haufe
fam um die Dämmerung, Jop ihm der blau=
rote Raujd) auf den Wangen, und die Frau
leitete ihn wie ein Rind, padte ihn ins Bett,
legte ibm ein kaltes Tuh auf den Kopf und
Ihwieg ganz DU: denn fie wußte, was ibm
angefommen war, und daß ihr unbewachtes
Wort ihn umgeitoßen Hatte, jette fidh) hinter
den Ofen und weinte Tränen auf ein fables
Land, bas darob bod) nicht wieder grün
ward,
Heiße Tage famen. Die Hühner paddel:
ten in dem grauen Ctaub, lagen am Zaun
unter ben Büſchen und blinzelten nad) den
liegen, bie fie umjummten; die (Gitter ſaß
auf bem Brunnenrand und fühlte jid) von
Zeit zu Seit in bem riejelnden Zoller. wo
es über bie Mauer rann, ſchöpfte mit dem
Schnabel und fpr $te die Tropfen über bas
jtablblaue, glänzende Gefieder; ber Nu,baum
duftete über den Hof. Tie Nächte waren
ftill und ſchwül und ſchwer; feine Kühlung
fiel von den Sternen. Der Atem der Erde
war voll Glut und Verlangen und war dod
vor wenig Wochen nod) jo leicht unb froh
gegangen wie ber eines Kindes; alle be:
glüdende Celigfeit war brennende Leiden:
ſchaft geworden.
Auf der Bank war ein Seufzen und Ber:
langen, und Die beiden jungen Herzen bes
horchten und belauerten einander, und es
ſprach feines ein Wort, bas Zeislein nicht und
niht Karl Asmus. Angſt und Cehnjucht
und Beflemmung war um fie ber, als wollte
die Erde zn ihren Füßen fic) auftun und
fie in die Tiefe reißen. Das 3eislein trieb
auf ihrer Liebe dahin wie auf einem Strom,
lag in Karl Asmus’ Armen, los von aller
Welt und allem Belinnen, und in ihren
weichen Riijjen war fein Verjagen mehr und
feine Scheu. Cine Tür war da und ein
Schlüſſel im Schloß, es brauchte ihn einer
nur anzurühren, und die Tür jprang auf,
und man fonnte nehmen, was das Herz
wünjchte. Aber eine Stimme jprach in ber
gerne, ganz weit, nur wie ein Flültern, und
warnte Karl Asmus, er fónnte alles vere
Tieren. Go jaBen fie und tranfen das Gift
der heißen Nacht, den fremden, ſüßen, vers
gehrenden Trunf ber Sehnſucht, bis das
Zeislein aufjchredte aus Traum und Ber:
lorenheit, fid) ben bittenden Armen entwand
unb Davonlicf. :
Rarl Asmus blieb eine Weile gang [till
und mochte die Geligfeit, bie um ihn war
gleich einer Wolfe, nicht verjcheuchen, aber
dann ftand er auf, [hwer und benommen,
ging ans 9Bajjer, jah die Wellen jpringen
und rinnen, und ob Die jyiniternis darüber
lag, war bod) ein Flimmern darin und ein
Leudten von den Gonnenjtrablen, die fie
des Tages gefangen hatten und in ihren
fühlen Ginger hielten, denn das Waſſer tut
wie bas Leben, reißt alles Leuchtende in jid)
hinein und madt alle Gegenwart, mag fie
noch jo voll von heißer Liebe fein, zu falter
Vergangenheit und zu einem wirbelnden
Spiel der Erinnerung.
Sndeffen ftand das Beislein in ihrem
Stübdyen, batte bie Kleider abgeworfen und
Dep bie Luft ihre Glieder ftreideln, fah
mit ftarren Augen in das Licht, wie Die
lamme ftieg und fant, brennen mußte und
fid) verzehren. Als Karl Asmus nad) ge:
raumer Zeit über den Hof fam, in jeine
Rammer zu geben, jah er an des Zeisleins
Fenſter ihren Sıhatten ftehen, wie das Licht
die janften Linien ihres Leibes auf den
weißen Vorhang malte, und in feinem Her-
zen züngelten Gedanfen auf, daß er hätte
Schreien mögen. Die Adern flopften ihm,
und ibm war, als ftürze Welt und Himmel
ein, und die Sterne müßten auf die Erde
fallen, bis bes Beisleins Schatten fid) über
bie Flamme beugte, als wolle er fie fiijjen,
und bas Licht erlojh. Da ftieg er jchwer
in feine Rammer, eine Traurigfeit lag auf
feiner Brujt, als wären ihm Water und
Mutter tot, und feine Seele war wie ein
Papier im Windwirbel. Er warf jid) neben
feinem Bett auf bie Knie, brüdte die heiße
Stirn in die heißen Hände und lich feine
Bejühle jagen, wie fie wollten. Aber nad)
Deutiche Seele 251
einer Weile riB er fid) hod, machte Licht
und las tief in die Nacht hinein die (e:
\hichte vom Raijer Oftavianus, daß in dem
fremden Land und bei den fremden Mens
Iden feine Seele wieder ftil und Hor würde
wie ein heller Wintertag.
Am andern Abend nahm Karl Asmus
die Flöte vor wie zuerjt, ba er bem 3eis:
lein jpielte, und hörte nicht auf mit Blafen,
Jo jehr das Zeislein aud bettelte. Denn fie
wollte wieder an feiner Bruft liegen und
trunfen werden von der ſüßen, heißen Liebe,
feines Leibes Leben jpüren und fein junges
Blut und ihm hingegeben fein, als wäre fie
von ihm ein Ctiüd.
Die Töne gingen durch die Dämmerung
unter dem Nachthimmel und den Baume
tronen rein und erdgelöft dahin wie durch
eine Kirche, unb bod) zitterte Karl Asmus
das Herz in ber Brutt, Er war jo lebt
Judtsvoll und rubelos wie der Vogel im
Lenz, wenn ber Siidwind ihn treibt, und
das Zeislein neben ihm war wie ber Schat—
ten am Fenſter, daß er die Augen nicht zu
ihr wenden modjte, und meinte, er fähe ihre
holden Glieder ohne Hülle. Er mußte feiner
jelbjt wehren mit aller Kraft, ließ bas ſchwarze
Holz nicht von den Lippen und hätte dod
lieber das Zeislein füjjen mögen. Und all
gemah gewannen die Lieder Macht, daß die
Gedanfen jid) niederlegten, und die Geele
fonnte zwilchen ihnen hindurchgehen, und es
ängitete jie nichts. Karl Asmus ward froh,
Dak er Meijter über fidh jelbjt geworden war
und bas Zeislein ihm neu gejdenft und daß
er fie zum Abend füllen fonnte [o innig und
in Unjduld, als wäre es zum erjtenmal,
Aber bas Zeislein ging traurig davon, arm
und Durjtig und verzagt. Wenn Licbe jo
jein jollte, dabei perjdjmadjtete das Herz
und perborrte das Blut. Wo Liebe war,
ba waren Flammen und jchlugen von Herz
zu Herz, und ob fic einen verzehrten, es war
bod) Geligfeit über Himmel und Erde. Wo
Liebe war, ba war eine Flut und riß alles
Belinnen fort; ein Sturm fuhr dahin und
trug einen über alle Menſchen. Liebe wollte
genommen fein und wollte fid) geben mit
Ceele und Leib, wenn fie echt war und wahr:
haftig. Und bas Zeislein dachte an bie Gage
von Barbara Birfholg; die hatte in alten Seis
ten auch alles bingegeben um Liebe, hatte
einen Gejellen lieb gehabt mehr als fid) jelbft
und nad) nichts gefragt, nicht nad) Ehre und
Schande und ihrer Geelen Celigfeit. Heims
lich auf dem Anger hinter den Weiden am
Fluß, Abend für Abend, wo der Richtplaß
nahe war und die Leute die Beilter ber (Be:
benften witterten und jid) fernhielten. Keiner
wehrte ihr, nicht Bater nod) Mutter, denn
17?
959 e:ee9exexesxeiie::] Johannes Höffner: [RBBB
He glaubten ihrer Rede, daß es der Herzog
wäre auf der Burg, der ihrer begehre, und
dak Gliid und Reichtum auf fie warte und
große Ehre. Eines Tages war fie mit dem
Licbften davon und fam nicht wieder. Da
rief der Bater die Zunft zufammen: es
Tonne nicht anders fein, ber Herzog Dielte
fein Kind auf der Burg im tiefen Verlies,
und bie Leineweber zogen aus mit (ien
und Stangen, lauerten dem Herzog auf, als
er von ber Jagd fam, und hätten ihn ere
Ihlagen, wären bie Schufter nicht herzus
gelaufen und hätten ihn errettet. Des zum
Dant [djenfte der Herzog ihnen einen Plas
zu Spiel und Tanz und die Geredtjame, alls
jábrlid) ein Feſt zu feiern auf feine Roften.
Das war dreihundert Jahr her und länger;
fein Herzog jak mehr auf der Burg, jon:
dern ein Rentmeijter des Königs und 3og
Gteuern ein, aber die Bejchichte war nicht
pergeller, und wenn der Sommer über bie
Höhe ging und das Eonnenrad bergabwärts
rollte, feierten bie Schulter ihren Tag, und
ob es auch um den Herzog war und um Die
Tapferkeit der Zunft, dachten bod) alle, bie
jungen wie bie alten, an Barbara Birt:
holg und ihre Liebe, und mancher tat es
ihr gleich an Lift und Heimlichkeit.
„Sp,“ Jagte bas Zeislein, als der Abend
wieder in ben dien hing und fie vor Sort
Asmus im Garten ftand, „heut mußt du
bie Flaite beijeite tun, heut miiffen wir tanzen.
Am Sonntag ift das Cdjulterfejt, Meiſter
Windelband hat mich eingeladen, und du
follit mid) führen. Da wollen wir vor allen
beieinander fein und brauchen uns niht zu
verjteden im Garten unter den Bäumen.”
Karl Asmus Jehiittelte den Kopf und ließ
die Flöte finfen. „Ich tann nicht tanzen.“
„Darum foljt du es lernen. Das ijt nicht
ihwerer als auf dem Holz blajen. Und
ſchöner.“
Sie raffte das Röckchen, zeigte, wie man
die Füße ſetzte zu Walzer, Polka und Ländler,
drehte ſich und tanzte, nahm ihn bei der
Hand, zählte den Takt und lachte, wenn er
aus dem Schritt fiel. Sie ward nicht müde,
bis er den erſten Tang begriffen hatte und
den zweiten und dritten, objchon in ihm ein
Widerjtreben war; eng und enger 30g [ie
thn an fid) und fühlte nichts um fid) her als
feine Nähe und tanzte, baB fie ganz von
Hiem fam. Ihre Schultern gingen auf und
nieder, und ihre Brujt wollte das Mieder
Iprengen, Da ließ fie ibn Ios, bing an fei-
nen Augen, wartete und dachte, dak Karl
Asmus fie wieder in feine Arme jchließen
jollte. Aber ihm war bie Kehle wie Au:
geichnürt, und er ríibrte fid) nicht. Der auf:
gehende Mond jchien ibm ins Gejidt, das
war blak wie der Ralf an der Wand, und
ein tiefer Geufzer fam aus feinem Herzen:
„Ach Zeislein, liebes Zeislein, es ijt jpät
unb die Nacht ijt ba." |
„Sch wollte, es würde nimmer Tag und
der Mond bliebe am Himmel ftehen in Gig:
teit!” Damit wirbelte fie fid) berum und
tangte den Weg hinab, wo der Fluß raujdte,
trat auf die Spiilbanft über bem Wajler,
jah dem blauen Licht zu, wie es in den
Wellen blinfte und jprang wie lauter Fiſch—
chen, und wo es ruhig war, ftand der Mond
und winfte als aus einem tiefen Brunnen.
Cie febte fid), tat Schuhe und Strümpfe ab
und ließ das fühle Wafler um die heißen
Füße rinnen, aber Herz und Schläfen hörien
zu brennen nicht auf.
Cie rief in ben Garten: „Es ift Iauter
Silber im Fluß!” Und Karl Asmus fam,
jah bas Mondlicht ſchwimmen und in den
Wellen jpielen; die Flammaden hüpften von
Ufer zu Ufer, unter den Büſchen fort und
auf unb ab, bes Zeisleins Füße ſchim—
merten und bligten wie Schuppen, und in
ihrem Iojen Haar leuchtete es von blinten:
den Tropfen. Gie |djópfte aus dem Fluß
mit ihren Händen; das Zoller rann atis
Iden den Fingern Hindurd und [prübte
gunfen wie Stahl unter Dem Hammer.
Ale Wirklichkeit ſchwand, und alles war
angerührt von beiml. der Macht und ver:
wandelt; eine Angjt [tieg in ibm auf, als
ftande er in eines Zaubers Bann. „Beis:
lein, Zetslein, in der Tiefe lebt mancherlei.
Wenn ein Arm nad) dir griffe und zöge
bid) hinab!“ Da fuhr fie zurüd, cin Shred
ging durch ihr Herz, und ein Zittern lief
über ihre Haut. Bah 30g fie die Füße empor,
jprang auf und bebte wie ein Eipenlaub,
nahm Schuh und Strümpfe und lief über
den harten Weg, als wäre ihr einer auf
den GFerjen, der ihr nad) dem Leben ftánbe.
Karl Asmus rief ihr nad: „Gute Nacht,
Zeislein, gute Naht!“ Uber [ie hörte nicht
unb antwortete nicht.
Eine Weile jah Karl Asmus noch zu des
Seisleins Fenſter hinauf, aber es blieb
dunkel, und Tobias Bitterlings Lampe fdjidte
allein ihren Schein in den ſchwarzen Nuß«
baum, darin bie Eljter job, den Kopf unter
den Flügeln, hod oben auf bem äußerſten
Zweig, daß fie munter würde vom eriten
Sonnenftrahl unb bie Tauwiirmer nicht Zeit
hätten, fid) vor ihrem Schnabel zu bergen
und bie gierigen Hühner ihr nicht zuvor»
fämen. Aber diesmal war fie betrogen.
Denn bald nad) Mitternacht wuchs der Him:
mel voll Wolfen, der Mond verlor feinen
Sdetn, ber Donner rollte und Regen Ttürzte
nieder, und fie mußte von ihrem Gif, taus
melte mit najjem Gefieder in eine jchüßende
Höhlung unb mußte figen bleiben, aud) als
es bell wurde, denn es gob in Strömen und
wollte nicht aufhören. Da hüpfte fie jchließ-
lid) jchwerfällig von Zweig zu Zweig und
auf den Umgang, Jette fih vor Tobias
Bitterlings Küchenfenfter und bettelte fich
einen Diirftigen Heringsfopf.
B]
Drei Tage regnete es und drei Nächte.
Das Zeislein jak auf bem Umgang jeden
Tag, jah in den grauen Regen, hörte auf
das Riefeln in der Rinne, ob es nadjliefe
und bie Wolfen fid) teilten, und ihr Herz
fühlte fih nicht, badjte an Rub und Liebe
unb an das et und hätte weinen mögen
um bie verlorene Zeit.
Aber als der Conntag fam, ftand ber
ſchönſte Gommertag über der Welt; ber
Himmel leuchtete wie Geide, als wäre ber
liebe Bott den Schujtern bejonbers gewogen
und hätte der Schuhe nicht vergejjen, die
Grilpinus den Armen gemadjt hatte, wenn
das Leder dazu aud) gejtohlen war und feine
fBarmberaigteit ibm feinen Pfennig foftete.
Nad bem Mittag wuchs vor ber Her:
berge nidt weit vom Goldenen Lads der
Feltzug Glied um Glied, ward bunt und
faut; bie feidene Fahne wehte im frifchen
Seewind, bie Pauken bróbnten, und die
Hörner jchmetterten über dem Lachen und
Cdjergen; Bruder Armel und Bruder Halb
Sieben, die luftigen Gefellen, [prangen
in vierfarbigem Yams vorauf, ließen die
Pritjche flatjdjen und die Kappe flirten, aus
ben Fenſtern famen Brojchen geflogen und
Pfennige und mitunter ein Taler, und die
Kinder drängten um fie ber unb fangen:
Unjer Bruder Ärmel, der fol leben,
Seine Geele fet vergniigt,
Dun fein Liebchen aud) Daneben,
Weil fie ihn fo herzlich liebt.
Und die Paare, die hinter ber Fahne
famen, zwei Straßen lang, jahen einander
in die Augen, bie alten ein wenig web:
mütig, in der Erinnerung an bie holden
Tage, bie nicht wiederfehrten und voll
Schmerz, daß bas Herz anfing talt zu wer:
den, und die jungen jelig und übermütig,
weil ihnen die Zukunft gehörte,
Das Zeislein aber ging dahin, im rofen:
roten Kleid, ein Rettlein von Bernitein um
den Hals, und bie Augen in ber Ferne,
hielt Karl Asmus fo feft bei der Hand, als
fonnte fie ihn verlieren, und wiünjchte, bas
felt wäre vorüber und fie fónnte mit ihm
allein fein unter den hoben, buntlen Bäumen.
Das Zeislein in Karl Asmus’ Armen war
beim Tanz jo leicht wie ein Blatt, ihre Augen
leudjteten wie der Himmel, ihre Füßchen
Deutſche Seele
er 4» e ——
<a aan aa
253
wollten über den Raſen fliegen wie bie
Schmetterlinge; aber Karl Asmus fam mit
ihr nicht in ben gleichen Schritt, denn bie
vielen Augen ringsumber irrten ihn und er
mußte mit dem Zeislein innehalten mitten
im Tanz, fie an ihren Pla führen und
andern lajjen, bie bald um fie waren wie
die Bienen. Da ftand er, fah ihr nad) und
war dem Weinen nah, wie fie ferner und
ferner fih drehte, bald biejem, bald jenem
an der Bruft lag und nicht müde ward.
Einmal [djidte fie ihre Blide nad) ihm aus,
aber banad) niht mehr. Als dann Klaus
Drafehn, bie bunte Miike ted im Genid,
den Arm um fie legte unb fie fid) mit ibm
im Sommerwind wiegte, linfsherum tanzte
und rechtsherum, machte er fid) heimlich
fort, und der Tag war ihm verdorben und
leid. ‚Den Abend,‘ dachte er, Den Abend
gehört fie feinem andern mehr.‘
Aber am Abend unter den Bäumen fap
er und verzehrte fid) in Cebnjudyt, fab ben
Himmel dunkler und duntler werden, bis
über bas Zoller wieder ein Schein fam und
der Mond fid) ftill und mild über die Kite
ftellte. Wher nichts regte fih, feine Tür ging
unb fein Schritt nabte, nur ein Schnarcdhen
fam aus einem offenen Fenſter durch ben
Hof und Garten; das war ber Meijter, bem
das Bier bie Glieder ſchwer unb den Schlaf
tief machte. Mitternacht war längft vorbei,
da fnarrte das Pförtchen, und das Beislein
laß auf dem Schoß von Karl und fdlang bie
Arme um feinen Naden, [trid) ibm die Wangen
und legte die heißen Lippen auf feinen Mund.
„Kein anderer fol den Arm um mid
legen als du allein. Die ganze Macht folft
du bei mir fein, bis an den lichten Mor:
gen, wenn die Sonne fommt, Weißt du nun,
wie gut ich dir bin?” Gie legte ihren Mund
ganz dicht an fein Ohr und flüfterte fo heiß,
daß er glaubte, das Herz müßte ibm ver:
brennen. Und dann war fie fort, und es
war nits an feiner Geite als ber blaffe
Mondenjdein. Er ftand auf mit ſchwerem
Blut und ſchweren Gliebern, ſchlich dahin
wie ein Dieb, durch ben Hof, über bie
Treppe, den Umgang entlang, an Tobias
Bitterlings Wohnung vorüber, bis er an
bes Zeisleins GFenfter war. Da ftand fie
drinnen im Mondenjchein [o weiß wie ein
(et, war nicht mehr ein dunkler Schatten
auf bem Borhang, war Fleijd und Blut; um
ihre zarten Glieder floß bas Mondenlicht wie
Spinnweben, und ihre Wrme waren ausge:
breitet. Da fam eine furdtbare Angft, und
er hörte eine Stimme, Die brófnte burd)
fein Herz: ‚Hüte bas Zeislein, daß thm
fein Leids gejchieht.‘ Das war nidt Gung:
frau Wiejes Stimme mehr, das war Die
254 I Johannes Höffner:
Stimme Gottes, die gwijden ihn und bas
Zeislein fuhr gletd Donner unb Blig, daß
er nicht beginge, was er nimmermehr wie:
ber gutmadjen fonnte und was ihn brennen
mußte fein Leben lang. Die Hand jchlug er vor
die Augen, lief den langen Umgang zurüd
und hinauf in feine Rammer, unbefiimmert
um den Hall der Schritte auf dem hohlen Holz
legte den Kopf an das Fenſterkreuz und gite
tere am ganzen Leib. Das Zeislein aber
lag auf ihrem Bett, hatte das brennende
Beliht in ben fijjet und weinte, daß es
ibt das Herz abjtieß, weil nun ihre Liebe
fterben wollte, und ihre Ceele verging vor
Scham und bebte vor dem Tage, der jchon
über den Fluß fam.
8 8
Es gibt Zuſammenhänge zwiſchen dem
Menſchen und der Kreatur, und niemand
kann ſagen, wer ſie knüpft.
Am Morgen, da das Zeislein blaß und
matt und mit entleertem Herzen in ben Garten
ging, fand fie unter bem Nußbaum die El:
fter [eblos und jtarr; fie hatte einen Broden
Gift aufgelefen irgendwo als einen Leder:
bien und ihr Leben lajjen müjjen um bes
$ebens willen. Das Zeislein hatte in ber
Nacht joviel Tränen geweint, jeßt hatte fie
feine mehr; fie nahm das Tier an ihr Herz,
ftreichelte das grüngoldene Gefieder, küßte
die gejchlojfenen Augen und fang von des
Vogels und ihrer Liebe Tod, fo Teije und
traurig wie ber Güdwind in Zyprejjen:
Die Bliimlein alle, die fie mir gab,
Die follt ihr legen au mir ins Grab —
Dann grub fie mit ihren Händen ein Bett:
den unter dem blühenden Mohn, ber wie bas
Leben leuchtete und in dem bod) ewiger Schlaf
wohnte, legte hinein, was nod) gejtern fidh im
Licht gefreut hatte, und all ihr Glüd dazu,
Den andern Tag war fein Zeislein mehr zu
fehen nod) zu hören, niht am $yen[ter und
nicht im Garten, und beim GFeierabendlauten
jagte Meilter Bolduan, indem er den legten
Schlag auf ben Ambok tat und den Ham:
mer in die Ede warf: „Nun ift unfer Som:
mervöglein wieder auf und davon und ein
Sahr dahin. Die Jugend, ja die Jugend,
Die muß einer fid) wahrnehmen, die ijt vor:
über, wie eine Schwalbe fliegt, und feiner
bringt fie Dir guriid.” Indem blies er nod)
einmal das Feuer am und jah in die Flammen,
tat ein Gijen hinein und fah wie es glühte, aber
er legte es nicht auf ben Ambok, jonbern
ließ es ein Spiel für feine Gebanten fein.
Karl Asmus febrte die Späne von Der
Drehbanf fort, war bet den Worten des
Meiſters rot geworden wie die Glut auf dem
Herde, und der Schmerz ſaß ibm im Halje
wie ein Meſſer, baj er jid) um Liebe und Selig:
Deutiche Sele [2:32:22
feit gebradjt batte, aber er tat leichtherzig,
und jagte: „Ach, SUleijter, id) bin nod) jo
jung, mein Weg ift noch lang, und es mag
nod) genug blühen rechts und linfs, da
braudt fih einer nur zu büden und er
windet fid) den jchönjten Strauß.“
Der Meijter [trid) den langen Bart: , Wer
weiß, Karl, wer weiß? Den Tag muß einer
nugen, den Tag und bie Gtunde, Über
unjern Weg laufen viele Füße vor uns, und
nad) den Blumen greifen viele Hände, aber
zulegt muß einer zufrieden fein mit dem,
was bie andern ibm laffen.”
Er ließ die Flamme finten und löſchte
die Kohlen. „So, und nun wollen wir leben.
was bie Meiiterin uns aufgetragen bat.
Sd) habe einen rechtichaffenen Hunger.”
Als es bunfel geworden war, mußte Karl
Asmus in den Garten am Fluß. Das Herz
ließ ibm feine Rube, er mußte atmen, wo
das Zeislein feine heiße Liebe in bie Luft
gehaudt hatte und wo die Giigigteit ber
Tage nod) unter den Weiden hing.
Auf der Bank fag eine weiße Rolfe, well
ihon und im Sterben. Damit nahm das
Zeislein Abjchted von ibm für immer; ein
Ctüd von feiner Jugend war dahin und
ein Ctüd von feinem Herzen. Wes Keben-
dige und alles Tote ijt |chwer, daran trägt
ein Menſch wie am einem Gtein. Go lag
die Rofe in feiner Hand. Er trug fie in
feine Rammer, fegte fie ins Glas, ob [ic
nod) einmal ermadjen wiirde, und [tellte fie
ans Fenſter in ben Mondenicdein.
In der Nacht, ba der jchwere Schlummer
auf ihm lag, hob bie Rofe fid) ins Licht,
und ein fiber, feiner Duft webte daher. Karl
Asmus war im Traum bei bem Zeislein
auf der Cpülbanf am Wajjer, wie fie bie
Wellen um ihre bloßen Füße gleiten Lief,
die glänzten wie Gilber im Glas. Da griff
ein Arm aus der Flut und das Zeislein
Ichrie auf, warf die Arme hod, jah ibn
nod einmal an — und ihr Plaß war leer.
giniternis fiel vom Himmel, die Wellen
gurgelten; er rief nad) dem Zeislein, aber
feine Antwort fam, und bie Angjt lähmte
ihm Hand und Fuß. Indem hörte er hinter
lich eine Stimme: „Nimm deine Flite und
blaje.“ Und er blies, jo zart erfonnte, ba
wurde es im Waſſer hell und heller, der
Schein ging Durch die Nacht, als ftiege aus
den Wellen der Mond, ein Arm fam aus
Dem Waller und Jdimmerndes Haar, und
bas Zeislein ftieg empor, das Mondlicht
um fih wie ein Schleier. Er tat bie Arme
weit auf und wollte rufen, da wachte er auf,
jah fih wire und erjchroden um, aber es
war fein 3eislein ba, nur die Roje am
Fenſter blühte in ben Mond. (orti. folgt)
K
Q
auf dem
SY Die preupifche Bolitit 0)
GN WE ee rep GC
Bon Prof. Dr Dou Herre in Leipzig >
N
OtttCCCCCCCCCCECCCCCECCECCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC 323333233932039333233233339333933333333233333332323(/322232352O
cie Macht bes franzöſiſchen Solda—
tenfaijers war zufammengebrochen.
„Da liegt aljo das mit dem Blute
jo vieler Millionen gefittete, durch
die abjurdejte und verruchtejte Ty-
rannei aufgerichtete ungeheure Gebäude am
Boden; von einem Ende Deutjdlands bis
a anderen wagt man auszujprechen, daß
tapoleon ber Schurte und ber Feind des
menjchlihen Gejdledhts ift, und dag bie
Ihändlichen Felleln, in denen er unfer Later:
[anb hielt, zerbrochen find, und die Schande,
womit er uns bebedte, in Strömen franzö=
* Blutes abgewaſchen ijt.” So malten
ich die Dinge im harten, aber gerechten Auge
des Freiherrn vom Stein, und man verſteht
es, daß zumal Preußen in ſeinem Geiſte eine
Neuordnung der europäiſchen Machtverhält—
niſſe forderte. Preußen war die Seele des
groben Bölterfampfes gewejen, feine Bolts-
eidenſchaft hatte ibm den enticheidenden
eijtigen Schwung gegeben, und es hatte die
ürfjten Opfer an Gut und Blut gebradt.
robe nationale Hofinungen bejeelten die
weiteften Rreije, und Graf Bol, der Mi:
Ska des Auswärtigen, verjicherte ben preu-
Bilchen Diplomaten in einem 9tunb|d)reiben:
„Bir Tonnen uns ber gewiljen Erwartung bin:
eben, unjere Wünſche für ben Blanz und die
acht Preußens volljtandig erfüllt zu jehen.”
Das ftand für die preupijdhen Batrivten
feft: Der Staat, ber bas meijte für die Nie:
derwerfung Napoleons geleiltet hatte, fonnte,
inmitten des Kontinents noch unfertig und
bes Ausbaus bedürftig, eine bejondere Be-
rüdfichtigung feiner Großmachtintereſſen
beaniprudjen. Der Generalquartiermeijter
mamng, war nur der Dolmetjd) ber allges
meinen Stimmung, da er dem befreundeten
Gneijenau erörterte: „Wenn wir nicht in
demjelben Verhältnis vergrößert werden wie
Oſterreich und Rußland, wenn wir uns von
dem öiterreichiichen Syſteme der Familien
apanage täujchen und Maing und Jülich
entreißen lafjen, jo tann es die Nation, bie
joviel getan hat, nicht vergeben. Beſſer ein
neuer Krieg als eine große Enttäuſchung.“
Im Hauptquartier waren die Blicke vor—
wiegend nach Weſten gerichtet; der Grenz—
hub gegen das in fteter Unruhe und Muy
regung befindliche Franfreid) nahm hier das
Sauptinterejje in ge Ru dem mili-
tärijchen Gelichtspuntt fügte die Regierung
ben der ftaatlihen Ausweitung im beut|d)en
Umtteife, und nod) in Paris hatte der Staats:
tangler Fürſt — in einer Dent:
(rift über bie Neugeftaltung Europas (vom
29. April 1814) die preußijchen Forderungen
für ben Friedensihluß dahin umfchrieben,
dak Preußen einerjeits auf bas ehemalige
hohenzolleriſche Gebiet von Ansbach und Bay:
reuth Verzicht leilten, dagegen Pojen bis
ur Warthe, einjchlieglich Thorns, ganz Sad):
en, Weitjalen, Berg und die Rheinlande von
aing bis Wejel, jowie eine Iſthmus“Ver—
bindung durch Südhannover erhalten jollte.
Indeſſen nur en mit dem bejieaten
Frankreich war in Paris abgejdlojjen wor:
den, und zwar auf der Grundlage des
Standes von 1792. Die weitere Regelung
der jtaatlichen B.rhältnijje batte man einem
nad) Wien zu berufenden europadijden Rone
grejje vorbehalten, auf bem Die vier groß-
mädhtlihen Gieger die Liquidation bes
napoleonijchen Ay lg vornehmen wollten.
Trokdem vermochten England, Rußland und
Siterreid), die europáijden Grokmadte
im weiteren Sinne, [hon tn der franzöjijchen
eier wenigjtens bie Grundzüge ihres
ewinnanteils fejtzulegen. Preußen allein
mußte die volle Ungewißheit feines zukünf—
tigen Cdjidjals in & uf nehmen, da bie
9teuorbnung feiner Verhältniſſe unlöslich mit
ben verjchiedenartigen Fragen Mitteleuropas
verfnüpft war, deren Löſung der Wiener
Rerfammlung überlafjen fein folte. Won
Anbeginn hatte es den Nachteil feiner geo:
graphiichen Lage zu tragen und war fomit
ganz dem CR der Mächte auf
dem Kongreß ausgeliefert. Auch bie Bünd-»
nisabmadungen gewährten ibm im einzelnen
feinerlei Sicherung, denn fie beſchränkten fid)
auf bie Zujage der Wiederherjtelung im
Umfange, den es 1805 bejejjen hatte, und
ließen es völlig offen, wege Gebiete dafür
verwendet werden jollten. Jtur ber &aliid)er
prap Nu Rußland verbürgte Preußen den
Belig Alt-Preußens ſowie derjenigen pol:
nijden Sanb[tridje, bie eine Verbindung
gwijden Weltpreußen und Schleſien bildeten,
und bejtimmte die in Norddeutichland zu
erwartenden Groberungen, mit Ausnahme
ber Beliungen bes Haules — —— zur
Entſchädigung und zur Herſtellung eines ab—
erundeten und zuſammenhängenden preujis
Dag Staatsgebtetes. Er gewährte jomit
e einen wertvollen 9tüdbalt an Ruß:
and, band aber deffen Unterjtügung, zumal
hinfichtlid) bes Gewinnes Cad)ens, an Die
Uberlajjung ber et och Polens, und es
war in dielem Zufammenhange von großer
Bedeutung, daß fih der Zar Alexander I.
jeit dem endgültigen Giege über Napoleon
mit dem Plane trug, bas alte Königreid)
Polen wiederherzuftellen und, mit einer Ber:
faſſung ausgeltattet, in Perjonalunion mit
Rußland zu vereinigen. Ohne fih fonft
über Die Ginzelbeiten diejer Regelung aus:
256
guten. beitand er hartnädig auf ber Eins
eztehung Thorns, ber für Preußens Grenz»
jiherung unentbebrliden Weichjelfejtung,
und |djuf fo eine Entfremdung zwijchen ben
befonders eng verbündeten Staaten.
Mit biejen SE begab (jid) Preußen
auf den &ongreb. Da der vor Eröffnung
ber Verhandlungen unternommene Berjuch,
den Zaren von der Verfolgung des erweiter:
ten polnijden Programms abzubringen und
das Leet Wie Bu runtkendebert wiederher:
zuftellen, ergebnislos blieb, war die preupijd)e
Bolitit darauf gewiejen, nad) beiden Geiten
in Fühlung zu nehmen; bod) war es immer:
din eine wertvolle Frucht jenes Schrittes,
daß Alexander ausbrüdlid) aujagte, Preus
Ben bei ber Gewinnung ganz Cadjens be:
de u fein. Aber es war für die preu:
ildjen Unterhändler von vornherein bedent:
lid), fid) mit Oſterreich und England, die
ihrerjeits feft aujammen|tanben, allgujehr
einzulaffen. In voller flbereinjtimmung bes
fampften diefe bie poma Pläne des Zaren,
deren Lerwirflidung Rupland dem Herzen
Europas bebroblid) nabebradte unb über:
aupt eine gefährliche Starfung ber rujjijchen
adtitelung bedeutete; Preußen jollte
nun mithelfen, das gefährliche Projekt zu
Falle zu bringen. Diejes aber jette fih, in:
bem es ben anders gearteten nterejjen
Ojterreidjs und Englands zum Giege per:
balf, der Gefahr aus, ber Unterjtiigung
des Durch engere Verpflichtungen gebundenen
Rußland verlujtig zu geben, ohne daß feine
JBün|de inbezug auf Sadjen irgendwelche
Sicherung erfuhren; ja es bejtand die Mög:
lichleit, daß es auf Roften Ruplands dann
jelbjt mit weiterem polnijdem Gebiet ent:
Ihädigt wurde, von bem es fih en
wollte, foweit es feiner nicht zur jtaatlichen
Abrundung bedurfte. Preußen mar bemge:
mäß auf der einen Geite als Wermittler
wilchen den in ber polnijchen Frage erwad):
jede Parteien wohl geeignet. Auf der andes
ren jedoch wurde ibm die Durchjegung ber
eignen Snterejjet dadurch erheblich er:
ſchwert, und jo war der preußijchen Diplo»
matie allerdings eine überaus ſchwierige
Aufgabe gejtellt. Nur mit Hilfe einer ftar-
fen und jelbjtändigen Ctaatstunjt konnte fie
rope Erfolge erringen. Bejtanden aber ba:
ür die Vorausjeßungen ?
Dn perjónlidjer Hinjicht ganz gewiß nicht.
Hardenberg war zwar ein Huger Diplomat
von tiefer Bildung, der fih in ber poli-
tilchen SFeinjpinnerei bes Ancien Régime auss
gezeichnet ausfannte, aber mit feiner Neigung
u bequemem Leidjtjinn und gqutmiitiger
Dperflächlichkeit war er das Gegenteil eines
Mannes jtarten Entſchluſſes und felten Durch
altens. Gein bedeutendjter Mitarbeiter
Bilhelm von Humboldt verfügte zwar liber
bie Gaben bes weitblidenben Staatsmannes,
war aber für die diplomatiſche Kleinarbeit
nicht hervorragend veranlagt, und es war
nicht wenig jtörend, daß der Ctaatstangler
in |charfem, perjonlidjem (Gegenjat zu ihm
Prof. Dr. Paul Herre: see e
ftand. Die übrigen Bertreter Preußens, wie
Stägemann, Jordan und Hoffmann, füllten
ihren Pla als tüchtige unb zuverläjlige
Beamte ausgezeichnet aus und Minden von
bem Durchſchnitt ber Unterhandler vorteilhaft
ab, wie fie denn mit Humboldt die jachliche
und gründliche Art bes preupijdjen Staates |
heh bezeichnend verfdrperten und in ber
erjammlung genießender €ebenstünj[tler eine
Welt fiir di daritellten. Aber ben Dlangel
ber preußilchen Diplomatie konnten auch
ihre vorzüglihen Eigenſchaften nicht aus»
gleichen: eine Mtattigfeit des Willens und ein
geringer Grad von (inbeitlid)feit, an denen
aud) des Königs Eigenart eine große Mit-
huld trägt. Schließlich wirkte felbjt bie
nwejenheit des Freiherrn vom Stein, ber
als Gajt des Zaren an den Beratungen teil:
nahm und mit den amtlichen Wertretern
Preußens regen Gedanfenaustaujd unter:
bielt, nicht immer förderlidy hinjichtlich ber
ge}dtolfenen Zujammenarbeit der preußijchen
iplomatie, und es war bezeichnend für die
ihr zugeteilte Rolle, daß thr als militärijcher
Berater niht Gneijenau beigegeben war,
ber bedeutendite Kopf der Armee und ber
eniale Bortämpfer des verjüngten Preu-
Ben, jonbern Rnejebed, ber mittelmäßige
Repradjentant ber alten Schule, von dem
Gneijenau meinte, daß er „jeinen Ausgebur:
ten burd) Gyitematilierung den Anſchein
von Tiefe zu geben wiffe”.
Entjicyeidend aber für ihre Wirkſamkeit
war das Verhältnis, bas die Preußen aum
bhabsburgijden Kaijerjtaate unterhielten. Auf
der einen Ceite fühlte Friedrich Wilhelm UL
ganz richtig, dab Ofterreid) feinem Staate
übelgefinnt war; „man will mich zum Regie-
rungsrat bes Railers machen“: fo erflárte er
——— Auf der anderen jedoch hielt er
eſt an dem dualiſtiſchen Programm, das
heißt an ber Gemeinſamkeit Oſterreichs und
Preußens in Deutſchland, und noch über—
zeugter tat das Hardenberg. Demgemäß
war der kaiſerlichen Regierung noch in
Paris der Antrag unterbreitet worden, die
öſterreichiſche Herrſchaft am Oberrhein wie—
derherzuſtellen und Ofterreid) ſomit wieder an
der Verteidigung ber Wejtgrenze zu beteili:
gen. — Die Habsburger dachten
gar nicht daran, derartige Verpflichtungen
auf ſich zu nehmen. Mit größtem Geſchick
verſtand es Fürſt Metternich, der Meiſter
politiſchen Trugs und Intrigenſpiels, ſeine
eigentlichen Ziele zu verbergen, die vielmehr
dahingingen, Preußen an die Weſt- und Oſt—
grenze zu verweiſen und die Mittelſtaaten
Deutſchlands zu erhalten und zu ſtärken, um
ſie gegen den Nebenbuhler auszuſpielen.
Hardenberg und die Seinigen ließen ſich
über bie wahre Geſinnung Oſterreichs täu—
jhen, und anſtatt ſelbſtbewußt ihre eigenen
Wege zu gehen, brachten ſie immer wieder
zum Ausdruck, welchen Wert ſie auf die Ge—
meinſchaft mit dem Kaiſerſtaat legten. Es
war dem Kanzler — eine Genug—
tuung, daß er Schulter an Schulter mit den
EE Die preubiihe Politit auf dem Wiener SongreB BSSiseed 257
beiden andern ,beut|den Gropmüádjten"^ —
aud) England wurde Hannovers wegen als
jolde bingejtellt — in die Verhandlungen
des Rongrejjes eintreten fonnte.
Aber jchneller noch als ohnehin zu be:
fürchten war, ging ben preußiichen Unter:
bändlern in Wien die Initiative verloren,
die fie auf Grund ihrer Bermittlerrolle aus»
üben wollten. Indem er bie Intrige mit
derjelben Meiſterſchaft handhabte wie bie
Rüdfichtslofigkeit, gelang es bem Fürſten
Talleyrand, ber bas wiederhergeitellte bour—
bonijde Frankreich mit ber gleichen GCelbjt:
perjtánblid)feit vertrat, wie er vorher im
Snterejje ber Revolution und Napoleons tätig
gewejen war, feinem Gtaate wieder Gig
und Stimme im Areopag der europäijchen
Gropmadte zu verichaffen. Im jchroffiten
MWiderjpruch zu den geheimen Abmachungen
der verbündeten Gieger erzwang er alImáb:
lich für RE den jchuldbeladenen Be:
fiegten ie Mitentjcheidung in den Fragen
er Gebietsverteilung, und mit wachjendent
Erfolg arbeitete er zumal den preußilchen
Abjichten entgegen, ganz von dem Ziele er-
füllt, eine allzu — Stärkung der
von ſtarkem ftaatliden Willen vorwärtsge—
tragenen norbbeut|den Broßmacht zu ver:
hindern. Bon ber Tatjache ausgehend, daß
biejer gefährliche preußiſche Nachbar an
Rußland einen wirlfamen Riidhalt hatte,
näherte er fid) gleichzeitig England, deffen
Gegenjag zu Frankreich mit ber Begründung
bes neuen niederländilhen Staatswejens
eine erhebliche Abſchwächung erfuhr und das
zu Rußland in wachjende Gegneridjajt trat,
wie auch Siterreid), bas fih gegenüber dem
preußijchen Aufitieg ebenfo ablehnend ver:
hielt wie gegenüber ber rullildjen Ausbrei—
tung. Das Hauptmittel aber, veg leat ich
‚der Mephijtopheles bes Kongreſſes bediente,
war der Legitimitatsgrundjak. Der einjtige
Revolutionar bemädhtigte fih eines ber wid):
tigiten Requifite ber alten Staatskunſt unb
jptelte es im Intereſſe feines Staates erfolg:
reich gegen bie fortjchreitende Entwidlung
aus.
Go verwidelten fid) bie Dinge überall zu-
ungunjten der preußijchen Forderungen.
Zwar tam Hardenberg anfangs in bezug
auf den Hauptpunft, die Erwerbung Sad):
ene ein wenig vorwärts; laut einem mit
upland Ende Geptember abgejchlojjenen
Vertrage trat am die Gtelle ber bisherigen
ruffiihen Verwaltung bie preußifche in dem
eroberten Lande, und bie beiden anderen
deutjchen Broßmächte — dieſem nicht
bedeutungsloſen Wechſel zu. Wher die Bor:
ausjegung d ein joldes Entgegenfommen
blieb bie he heen gegen die polni-
jen Pläne des Zaren, und immer deut-
licher trat hervor, daß es insbejondere Met-
ternid) darauf anlegte, bie polnijche Frage
unächſt zu einer bejriebigenben Lojung zu
ringen und danad erft dem Jächlilchen Pro—
blem nábergutreten, Als Hardenberg im zu:
nehmenden Gefühl! ber Unficherheit über die
Erfüllung der preupildjen Wünfche die Ber:
treter Here und Englands durch eine un:
mittelbare Anfrage nötigte, Farbe zu beten:
nen, erbielter von pem(nglánber die Antwort,
daß bie Zurüdjchiebung der ruſſiſchen Grenze
nad Often vorerjt durchgejekt werden müſſe,
während ber Djterreicher bas [tart vertlaue
jelierte Zugejtändnis ganz Sachſens an bie
Borausjegung band, daß fih Preußen in
der polnijden Frage mit Öfterreich identi-
fiaiere. ZBeldjen Sinn diefe Erklärung hatte,
erwies bereits die gleichzeitige Ablehnung
des preußijchen Antrags, im Snterejje bes
gutiinftigen deutjchen Gejamtjtaats bte be:
per ende Rheinfejtung Maing bem begebr:
iden bayerijchen Diittelftaat vorzuenthalten.
Eine nod) vernehmlichere —— jedoch
rat eine Note, die Metternich Anfang
ovember an Rußland richtete und in der
er für Preußen bie Weichjellinie forderte,
die weder bem preußijchen Programm ent»
ſprach, nod) Rublands Wnerfennung finden
fonnte. Und bie Ee Iteigerte ſich,
als Hardenberg feinerjeits die Linie febr
viel weitlicher zog und fid) daraufhin bie
öſterreichiſche Erklärung gefallen ale
mußte, daß die K. K. Anfichten in wejentlichen
Punkten von den preußilchen abwiden.
Er bes immer offenfunbiger werdenden
Ubelwollens ber SE jedoch hielt
er an feiner Politi jet; nad) wie vor be:
jeelte ibn ber Glaube an bie Notwendig:
a bes preußiſch⸗öſterreichiſchen 3ujammens
gebens.
Ein entjchiedenes Auftreten hatte in bic»
[er Lage Preußen — noch an das Ziel
einer Wünſche führen können. Noch hatte
die Minierarbeit Talleyrands nicht völlig
den Boden unterqraben. Noch war Lord
Gajtlereagb, ber englijche Unterhandler, für
eine Perjon von aufridtiqem Wohlwollen
ir Das preußijche Interejje erfüllt. Noch
chwankte namentlich Metternich jelbft in ber
Stellungnahme zur Jächjiichen Frage. Es
wäre ohne eet möglich gewejen, durch
einen ftarfen Drud zumal auf Öfterreich bie
erlebnte Garantie: Erklärung hinſichtlich
Sadjjens zu gewinnen, ohne baB man des:
wegen bie Politi ber Gemeinjamfeit aufgus
eben braudjte. Aber feiner der Bertreter
Be war befähigt, die Dinge jo zu
jehen und den Weg dahin gu bejo reiten.
Nielmehr jchlug man eine andere Richtung
ein, Die der preugijden Politit jener Tage
mehr entjprad) und den möglichen vollen
Erfolg zu einem halben machte.
König Friedrich Wilhelm II. griff am
5. November 1814 —— in den Gang
der Verhandlungen ein. In der Sorge,
daß das Zuſammengehen mit Öfterreich und
England in der polnijden Frage Preußen
allaujebr Rußland entfremde, ohne ibm bes
züglich Sachſens Sicherheiten zu ver|djajfen,
verjtändigte er fich in vertraulidher Aus»
jprade mit dem Zaren, ber ihm zeitlebens
der nahe Freund blieb, mit der Wirkung,
daß er feinen Unterhändlern verbot, weiter
258 EEE Prof. Dr. Paul Herre:
feindlid) gegen Rußland Mee ean Der
liberrajdende Schritt war feine Handlung
jtarfen Entjdlujjes, jondern ber Art des
Königs ent|predjenb mehr ein Erzeugnis
ängjtlicher Unficherheit. Cie war aud nicht
der Ausgang einer von Brund aus neuen
Politik, jondern bedeutete jchließlich eine Rück⸗
wendung zu ber ur|prünglid) bejchlojjenen
unpartetijchen Bermittlertatigfett. Im Augen:
blid freilid war fie eine Störung der Bes
rednungen und Ublichten Hardenbergs, bod)
d biejer fein Necht darüber Klage zu
ühren, denn fein Weg fonnte in der Art,
wie er ihn ging, ebenjowenig Erfüllung brin-
gen. lImgefebrt wirkten diejelben Voraus»
jegungen dahin, daß aud) bie von Friedrich
Wilhelm wieder gewiejenen Bahnen nicht
zum Biele führten. Die Gunft der Lage
blieb ungenußt, und wie den Bagen [tets bas
Glück verläßt, jo verjchlechterten jid) jettdem
Schritt für Schritt die Gewinnausfidten
Preußens.
Der Grundidee zufolge judte man zunädhft
in einer Mittelitellung in bleiben. Eine
Zeitlang liefen die nad Wien und Peters:
burg führenden Linien nebeneinander her,
und wie in einer Art von Arbeitsteilung
iprad) der Kanzler mehr nad) Metternich,
der König mehr nad) Alexander hin; nur
daß dem nicht feine politiiche Berechnung,
Jondern diplomatijde Unficherheit zugrunde
lag. Indeſſen mehr und mehr famen bie
wahren — gelo ea i zum Wusdrud,
unb in ber zunehmenden Gegnerjchaft Cer
reihs, Englands und Franfreids gegen bie
beiden andern neuverbundenen Broßmächte
wurde Preußens Riidwendung zu Rußland
ein fejtes EH Als Früchte des
wiedergewonnenen Vertrauensverhältniſſes
gewann Friedrich Wilhelm am 11. November
vom Zaren die Barantiezuficherung ganz
Cadjlens und vierzehn Tage jpäter bas Zus
geitändnis, Thorn zu einer Kr Stadt au
madjen. Go ftellten fih die Parteien immer
id)roffer einander entgegen. Get Mitte No:
vember enthüllte Metternich den Standpuntt,
nur Teile Sadjjens an Preußen gelangen
zu laffen, und unter der wachjenden Wirkung
bes von Talleyrand ausgejpielten Schlag:
worts ber Legitimitat ftehend, jchloß fid)
Gaftlereagh biejem Borgehen an. Der Ber:
treter Frankreichs aber konnte nun die Früchte
feiner geheimen Arbeit ernten und offen in
die Reihe der Feinde Preußens treten. Wohl
verjudte Hardenberg aud) jebt bie Verbin:
bindung mit SOfterreid) aufrechtzuerhalten.
Sm Zujammenhang mit bem Eindrud, dak
ber Sar fid) nicht entidieden genug für die
preubijden Anſprüche einjege, entitanb aud)
das viel bejpdttelte Schreiben vom 3. De:
gember an Dietternich, bas bas Zujammen:
eben SÖjterreihs und Preußens zum Heile
eutichlands als DONE. binftellte und
fih fogar zur Berufung auf das Dichterwort
veritieg:
(£s borften auf derjelben Riefeneiche
Der Doppeladler und der Schwarze War.
—— Die Dinge ſpitzten ſich immer weiter
u, und ſchon traten zu den diplomatiſchen
nterhändlern wieder die Offiziere. In
Berlin arbeitete ber Generaljtab einen Kriegs»
plan aus, und es wurden Zurüftungen für
die Mobilijation getroffen. Tatjählich wa:
ren bie Verhältnilje noch erniter, als man
in ber preußilhen Kanzlei wußte. Denn
dem unermüdlihen Talleyrand gelang es
am 3. Januar 1815, ein SBerteibigungsbiinb-
nis zwijchen Öfterreich, England und Frant-
reid) zum Abjchluß zu bringen, bas fid) tn ben
nächſten Wochen durch den Zutritt fleinerer
Staaten nod) erweiterte und nad) ber gehei-
men Abſicht des Betreibers die Ntiederwerfung
des erichöpften Preußen zum Ziele hatte.
Das war der Höhepunkt ber Krije ber
Koalition. Keine der Broßmädte, ausge»
nommen Das gedemütigte Frankreich, wollte
einen neuen Waffengang. Man erfannte
auf allen Geiten, dap man Ntachgiebigfeit
zeigen mußte, und Jo fam man fih, mit der
eriten Sigung bes neuen Fünferausſchuſſes
(9. Januar) beginnend, Schritt für Den
entgegen, um in Beftigem Feillchen über (Ent:
idübigungen, Austaujhe und Abtretungen
ein befriedigendes Ergebnis herbeizuführen.
Auch Preußen mußte nun bod) von feinen
Forderungen nachlaſſen. Hardenberg bat den
Diterrei dien reunben die unglüdliche
„Übereilung“ nicht nadgetragen. Schon am
19. Januar entichloß er fic, von dem Wn:
Pee auf ganz Sachſen zurüdzutreten und
id) mit ben weftliden und nördlichen Ge-
bieten zu begnügen. Als Erjak für Leipzi
das England ber norbbeut|djen Gropmact
nicht gönnte, tonnte er endlich bas in andes
rem Ginne nicht minder wichtige Thorn ere
werben, auf bas ber Zar jchweren Herzens
Verzicht leijtete. Go wurde man einig. Ahn—
lid) wurden die preuBilden Anſprüche in
bezug auf Nord: und Weftdeutichland ger
modelt, und es war gleichlam ein Dantes:
Iobn ber Gejdhidte, dak die Zweiteilung,
wie fie in üblem Vorbedacht durch bie Zu:
weijung ber Rheinlande, auch der deutjchen
Gebiete des linten Ufers, erreicht wurde und
der bie verbindende Brüde durch Süd-Han—⸗
nover verjagt blieb, eußen unb Deutjch-
land nicht zum Berderben jondern zum Heile
ausihlug. Ein diplomatijder Erfolg war
bieler Ausgang ebenjowenig wie ein Ent:
gelt für bie unvergleichlichen Leijtungen des
preupijden Staates und Volles in ber Gr:
hebungsgeit. Wergegenwärtigt man fih, zu
welhem traurigem Ergebnis gleichzeitig bie
Röjung der deutfchen Frage auf dem Wiener
Kongreß geführt wurde, jo begreift man den
Unmut, der die militärijchen Kreije nicht
nur, [onbern das Bolt im weiteften Sinne
eger bas Wert der Diplomaten erfüllte,
an verjteht es, daß im Anjchluß an den
en erneuten Kampf gegen den
apoleon der Hundert Tage zumal bie mili
tárijden Führer Preußens die bange Gorge
befiel, auch bieje Gelegenheit zu fraftvoller
Weiterführung des nationalen Baus werde
pase Die preugijdhe Politit auf bem Wiener $ongreB BESSSS34 259
verjaumt werden. Man ftimmt dem alten
Blücher innerlich gu, ber den König nad
dem herrlichen Stege von Belle Alliance bat:
„die Diplomatifer anzuweifen, daß fie nicht
wieder verlieren, was der Soldat mit feinem
Blutopfer errungen hat“. Man wird von
dem genialen Gneijenau im Tiefften gepadt,
der leidenjchaftlich bie Erfüllung der natio-
nalen Forderungen heilchte, wenn „die Ver:
adjtung der Völker gegen ihre Regierungen
nicht nod) geltetgert werden folle".
n bem uralten wx zwilchen Mili-
tär und Diplomatie, gwijden Schwert und
Seder haben gewiß nicht immer Die erjten
A
recht, und das Feld ber einen ift nicht bas
der andern. Aber man halte fid) vor Augen,
daß in ben friegerijden Zeitungen, die bie
Einjegung des Blutes fordern, die Voltstraft
am unmittelbarjten zum Ausdrud gelangt,
und man wird es für billig erachten, daß der
in fübler Beratung und Verhandlung ges
Ichaffene Ausgleich ihnen nicht wiberlorede:
Syebenfalls hat die Bejchichte denen recht ge:
geben, bie damals vor hundert zen
auf der Grundlage des berechtigten Staats:
un Stark: gegen bas Mißverhält—
nis zwijchen Leillung und Lohn aufgelehnt
haben. Und das wird immer fo fein!
D
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.ss...u....u........2.0.......„.„......0.....,.,..s...... .......n.u.u...,...:.n:0.........>©.
red |
TER Us öden, von Steingetriimmer über:
GI: ſäten Schutthalden, bie wie vor:
WHOIS geichobene Moränen zu ben Füßen
tee, bewaldeter Berge liegen,
tritt der 9[[tbad) in ein leichtge-
welltes, immer flacher und immer breiter
werdendes Wiejental, um hier jelbft allmäh—
lid) flacher und breiter gu werden.
Hinten in den Bergen war er ein mutwil-
liger, etwas zerfahrener und fih über die
eigene Richtung und Beitimmung niht ganz
flarer Burjde gewejen. Das fam daher,
weil ibm von allen Geiten reichlich und
mübelos zufloß, was er brauchte, und weil
er jeinen Lauf nehmen durfte, wie es ihn
gelüjtete. Go bildete er ba einen Tümpel
und dort einen Wajjerfall, bog einmal links
unb einmal rechts ab, verjiegte gelegentlich
und ſchwoll wieder an, jchäumte hier und
jaumte dort — fura, er tat, was er modte
unb hatte feinen Herrn über fid).
Borne in den Schutthalden änderte *
das. Da nahmen ihn Felstrümmer in ihre
harte Mitte, und wo er ausbrechen wollte,
zerſchlug er ſich den Kopf. Im Wieſental
aber wieſen ihm die Vorkehrungen der Men—
ſchen den Weg, Uferbauten und Stellfallen
von einer nüchternen, hartmäuligen Uner—
bittlichkeit, denen nirgends beizukommen war.
Da wurde das Füllen zahm wie ein zu—
gerittener Gaul. Aber war auch die ſchäu—
mende Fröhlichkeit in dieſer Zahmheit unter—
gegangen — ein Niederſchlag von ihr blinkte
immer noch aus dem klaren, flachen Waſſer.
Wer bie Augen dafür hatte, ber jah fie zu
allen Jahreszeiten. Ob fie aud) anders
brein|djaute im Frühling, wenn Vergißmein⸗
nicht an den Ufern blübten, anders im Som:
mer, wenn Forellen unter ben grünen Strabh-
nen der Algen ftanden und windvertragene
Wijhe duftenden Heus wie jeltiame Shiff:
lein auf den Wogen talab zogen, anders im
erbjt, wenn PBfefferminz und Baldrian gil-
end übers Waller hingen und moderndes
Raub jid) an den Uferwänden ftaute, und
wieder anders im Winter, wenn Eiszaden
dieje Uferränder jäumten und Die aden
Wogen dunkler und glafiger talwärts wans
derten, als gingen fie ungern aus der flim:
mernden, verjchneiten Ginjamtfeit, wo Der
Gisoogel fdillernd von Ufer zu Ufer jtrich
unb ber Fuchs hinter den ellen bellte.
(£s waren nicht allzuviele, bie ben Ober:
lauf bes Altbaches fannten unb im feine
Haren Wajjer Dinein|djauten. Cin paar
Jäger aus einer fernen Stadt, bie in den
Stetnhalden den Fuchsbau judten, dann
bie Mähpder und Mähpderinnen, die auf den
Wiejen arbeiteten und fih am Uferjaum
nieberjebten zur Veſperzeit. Manchmal aud
irgendein fremder Wanderer, der von den
belebten und beliebten Straßen abgebogen
der nun auf den Bad oben war, [id) an
ibm freute, ober aud) fih über ibn ärgerte,
weil er ein Hemmnis war, über bas weit und
breit feine Brücke führte.
In Diefer Lage wollte einmal fold ein
en über bie dunfelgrünen, vom
aller glitihigen Balfen und Bretter eines
feinen Gtellwerfs turnen. Er war ein
roker, ftattlider, aber nicht mehr ganz
junger und niht mehr ganz gewandter
Dann, der eine Brille auf ber Nafe und
einen berben 3Banber[teden in ber ir trug.
Es |djien ibm eine Heine Gade, diejen
unbedeutenden Bad) auf ſolche Weile zu
überqueren. Ein leijes, faft belujtigtes
Lächeln |pielte um feinen bartlofen Mund,
ein verträumtes Glangen trat in feine Augen,
als er den Fuß au bas naſſe Holzwerk
und ſeinen eigenen Weg pest batte, und
gelt
ebte.
Vielleicht date er daran, daß er ferm in
Rleinajien und Melopotamien, in Syrien
und Baläjtina ganz andere Gewäſſer in ganz
anderen Lagen überjchritten und bezwungen
hatte. Vielleicht aber auch fiel ihm ein, wie
er als fleiner Junge jede Brüde über jeden
Bad verjhmäht und mit bejonderer Wonne
über Ceidjlelr und Planfen geturnt Hatte,
Die nicht für dDiejen Swed bejtimmt waren.
Es war im Juni, zur Zeit ber Heuernte.
Der Tag war heiß, und ein Gewitter [tanb
hinter den fernen Bergen. Faft aus Sdeitels
höhe ftrahlte bie Sonne, und bie Mähder, die
am frühen Morgen die jaftigen Wieſen ge-
mabt batten, fonnten ruhig die weitere Ar:
beit vorläufig ihrem himmliſchen Gebilfen
überlaſſen. Weit und breit war fein Menſch,
und in der heißen Luft zitterte und wob
der Hauch bes fterbenden Grales, als feien
es bte taujend und aber taujenb ruhe: und
raltlojen Geijterchen ber hingemordeten Blüs
ten, bie ba burdjeinanberirrten.
Der Mann im Bad tat ein paar Schritte.
Er tat fie mit ber jorglojen Sicherheit eines,
ber ben unicheinbaren Gegner unterjchäßt
und es nicht für der Mühe wert hält, fid)
mit Borjidt zu wappnen.
Shon im nádjten Augenblid gab es ein
Schwanfen, ein Ausgleiten und dann einen
jchweren, Hatjchenden Fall ins hellauf:
gijdende Waller, daß taujend |djáumenbe
Cprifer und Tropfen in die Runde [tiebten.
Der Bach gurgelte eine Weile, jchlug
Wellen und Blajen, als freue er fid) un:
bändig bes Abenteuers, bas bie Bleichför:
migfeit feiner — unterbroden hatte.
Dann taudte ber Mann aus bem Bild.
Mehr verwundert als entrüjtet oder entjegt
ihaute er drein, und er warf erft einen
Blid in die Runde, ob niemand feinen Un:
Ke bemerft und beladt Habe; dann erit
haute er feinem Lodenbhut und feinem Wane
EA Augufte Supper: Der Sturz in ben Bad) 261
berjteden nad), bie beide treulos und per:
gnügt mit ben lachenden Wellen talab zogen.
it ein paar großen Schritten, die *
dige Wolken aus der Ba Mk aufriibrten,
gewann Doftor Schmid, der Wanderer, das
grüne Ufer.
Dann "e er guerft feinen Habjeligfeiten
nad) unb fijdte fie glüdlid) aufs Trocfene.
Traurig und um eine unterhaltiame Reife
betrogen, lag das zerbeulte, triefende Hüt—
tein neben dem Gtod im Gras. Dottor
Schmid zog den Kittel ab und warf ibn
dazu, dann ftreifte er nod) bie Kniehoſe bere
unter unb die Bamajchen, breitete alles fein
fäuberlich aufs bórrenbe Gras und legte [id)
tn den linterfleibern daneben.
Und jo, auf dem Rüden unter ber fen:
genden Sonne liegend, die Arme ſchützend
über Geliht und Kopf gededt, lag er und
lahte; lahte nad) langer Zeit einmal wie-
der lautlos und Gerd
Adh ja, das Lahen war ibm vergangen
geweren, taum ein Lächeln nod) geblieben.
arum? Ya marum?
Doktor Schmid [pürte und rod, wie ber
pig Dampf aus feinen Kleidern jtieg. Gelt:
am woblig war ibm das. Es Idien ibm,
als öge die fengende Sonne hundert drit-
fende Dinge aus dem — — daß
alles mit dem Waſſerdampf verfliege in der
zitternden Sommerluft.
Wie hatte er bod) fo dunkel, ſchwer und
unlösbar empfinden Tonnen, was nun unter
der Sonne zerging wie alter Schnee!
War er vielleicht der einzige auf der
Welt, bem Unrecht geidjeben, bem fein Lez
benswerf verefelt, ja unter den Händen weg:
genommen worden war? Der einzige, der
einjam feinen Weg gehen mußte? Der ein:
ige, ber eine unehrliche Haushälterin hatte?
er einzige — — tragifomijd) erjchtenen
ibm all die fletneren und fleinjten feiner Leis
den, Die er "m gujammengeballt au einer
Ihwarzen Gdjidjalsmolfe über feinem Leben
geleben hatte.
Die Conne [og und fog. Wie in einem
Dampfbad lag er am $?Badjesranb, und bas
leije Gludjen und Gurgeln der Wellen drang
wie verhaltenes Lachen in feine Obren. Der
Bedante [tieg in ihm auf, daß er jid) nun
bald umwenden miijfe, um aud) auf dem
Rüden troden zu werden. Aber er brachte
die Energie nicht auf. Cin wobliges, müs
bes Behagen hielt ihn fejt. Er dachte nicht
mehr; ohne fein Zutun glitten bie Gedanten
vorüber wie Badwellen, bald aufblinfend,
bald ftumpf, lautlos und rajtlos. Was fie
doch alles vorübertrugen! Bon außen ber,
von einem erreichten Ufer herüber erjchaute
er fein Leben wie eine fremde Cade. Ja,
der Doktor Otto Schmid, ber alle diefe Dinge
durchgefochten und durd)genojjen hatte, war
ibm ein fremder Burſche, war eine rt oe:
Ichäftiger, betrieblamer Schauipieler fiir das
ruhige, unveränderliche Sch, bas von innen
beraus dem bewegten Berlauf der Dinge
achtſam zujah.
Und nun, da bieles innerfte Ich nicht
mehr mittat unb mitlitt, jonbern nur fhau:
end über allem jchwebte, nun entwirrten fih
auf einmal jo viele Faden, unb bie ſchwer—
Hen Berwidlungen wurden ganz einfach).
Daß damals bei den jchönen Grabungen
unfern des Tigris jener andere, jener laute,
jeibitjichere, gewalttätige Kollege die Leis
tung an Do gerijjen und alle Freuden und
Erfolge, alle Ehren und Verdienſte fiir jid)
in Anſpruch genommen hatte, obgleich er,
Dottor Schmid, alle entjdjeibenbe Arbeit
E und gwar mit heißem Herzen ge:
eiltet hatte — das war nun auf einmal
gar nicht mehr unerflärlich und unerträglich.
Mußte es denn nicht fo Ier War nidt
das Laute unb Brutale auf der Erde dazu
da, daß es bas Gtille und Andäcdhtige tot»
Ichlage?
Schrie nicht bas ſchrille Zirpen ber Brillen
und SHeujchreden ringsum im Gras jede
leijere Stimme zutod? Tat es barum not,
die Schöpfung für perpfuldjt und verfehlt
zu halten? — War es nicht viel einfacher
und darum viel flüger, zu glauben, daß
aud) das Laute, bas Freche, bas Taltloje
irgendeinen Ginn, irgendeine Beltimmung
babe im Welthaushalt? — Was hätte er,
Dottor Schmid, davon gehabt, wenn er
durch feine Grabungen berühmt geworden
wäre über die halbe Erde?! — Gr mußte
leije lahen. Komiſch tam es ihm vor, fid)
als berühmten Wann zu denten. Er, ber
die Stille, bie Einjamfeit, bte Menfchenferne
E [eibenidj)aftlid) juchte unb liebte, er, ber
don manchmal eine Schnede beneidet hatte,
weil fie in ihrem Haus für [id) allein ijt, er
hätte doch nichts Redtes anzufangen ges
wußt mit dem lauten Ding Ruhm, das
ewig [peftafelt, ewig einen flappernben
Schwarm und Schwanz nad) fid) zieht.
Dagegen jener andere verjtand die Sache
zu nehmen. Gein jhwammiges Zielen quol
auf unter ben Ruhmesjtrömen, wurde immer
ftattlider und gewaltiger angujeben, und
das mochte vielleicht ber Gace ber Gra:
bungen nügen, mochte ihr neuen Kredit,
neue Anteilnahme verjchaffen unter joldjer,
bie, wie es in Der Bibel heißt, „leben, was
por Augen (tz, Und weil — nad) der glei:
den Quelle — der Menſch in Bauſch und
Bogen von bieler Corte ijt, jo lag es tlar
am Tage, daß es nicht eine Verfehrtheit und
Ungeredtigteit, ſondern eine jchlaue Zattit
ber Weltregierung war, daß fie für gewille
Botten und gewijje Swede nicht nad) ber
Tiidhtigfeit, jondDern nad) ber Reprajentabis
lität auswählte.
Doktor Schmid drehte jid) jet bod) um
und ließ fid) bte Sonne auf den Rüden
\cheinen. Lanajam tat er es und bebaglid),
und da er bie Urme nun frei befam, Dies
weil er das Gendt nicht mehr jdiigen
mußte, ftredte er fie hoch über den Kopf
ins bebe Gras. Dabei war eine leije,
ruhige und objektive Meugier in ibm, was
die Sonne nun wohl aus feinem Rüden
962 I[BEXEEXEXEXEELEXP Augufte Supper: TIEIEI Ic ZAZA ZA A ZZ
permis aen möge, nahdem fie aus der
ebrüdten Brujt bte alte, quälende Beichichte
vom fernen Tigris uid vom overefelten
Rebenswert Berausgejogen und in eitel
Dampf aufgelöjt hatte. Die Grillen und
Heujdreden zur Seite bes Liegenden jchwie-
en einen Augenblid. Es mod)te fie erjchredt
haben, baB der fremde Klog Leben zeigte.
ber in ber feligen Durddrungenheit von
Wert, Schönheit und Bedeutung ihres Can:
ges fingen fie alsbald wieder an, und der
ad) hatte Mühe, Dann und wann mit fei-
nem leijen Schäumen und Gurgeln zum
Wort zu tommen. Gelang es ihm, jo niipte
er fräftig ben Augenblid.
Dottor Schmid hörte alles und beadtete
alles. Er mußte jid) jchwer verwundern,
daß er, ber fid) im [tillen immer jo viel auf
feine Entdederaugen zugute getan, fih jo febr
auf fie ve lajjen hatte, dag er heute rings
um fid) ber ein aeheimes Treiben jah und
empfand, das früher nie für ibn dagewejen
war. Ein fajt inbriinftiges Vergniigen be:
reitete es ihm, zu jeben und zu jpüren, daß
alle Kreatur nur fih und ihr Tun wichtig
nimmt, daß es nidt menid)lidje Anmakung
ober menjdlides Vorrecht allein ijt, Dies
gu tun. ;
Und die Sonne, bie fernheritrahlende,
unirdiſche, die machte aud) für die Menjchen
nichts Belonderes, und jenes Wejen, das
nod) weit hinter ber Gonne Honn, bas
mochte oft eines Heimchens Zirpen mit dem
Gingen eines fröhlichen Mädchens ober mit
bem Rollen eines Donners verwechjeln, denn
von jo weit ber war wohl alles der gleiche
Laut? —
Ein wohliges Stöhnen entrang fid) ber
Bruft des Liegenden. Wd) — einmal los:
fommen! — lostommen von feiner und von
aller Wichtigkeit! Einmal aufgelöjt, auf:
gelogen, hineingezogen werden im ein ans
deres Etwas, das alle Verantwortung, alle
Bewußtheit auf fic) nimmt! Er jpürte auf
einmal, wie ungeheuer müd er immer ge:
melen war, ohne es zu willen. Mit gejchloj:
jenen Augen lächelte er. Wanderungen, ein:
Jame, weite Wanderungen hatte er gemadt,
ftudiert hatte er, gelejen, gearbeitet, ja ges
Ihlemmt hatte er manchmal. Und alles
nur, um von Diejem tiefen, unbewuften
Miidjein [osaufommen, um den Dottor
Schmid loszuwerden, den jchweren, faum zu
Ichleppenden Gejellen.
Die Sonne fog und fog. Der Lieqende
befam Die Voritellung, es zlingelten kleine
oldene Flämmchen aus feinem Rüden, aus
toen Armen, aus feinen Fingerjpigen. Wie
war das out, wie war das wohlig! Da
fam nun alles heraus, was immer inwendig
gebrannt hatte. Auch bie Gade mit jener
blonden, [d)ónen Frau, bie thm einmal fait
bas Leben aetoltet hatte.
Nicht, als ob er, verliebten Narren gleich,
en nad) Strid oder ‘Pijtole geariffen
atte, nachdem er eingejehen hatte, daß Die
Blonde jid) nicht ihm zuneige. O nein, das
war viel jchlimmer gewejen, weil es nicht
fo ungejtiim, fo ftiirmijd, jo wildwütend
aberfam. Langſam, leije bohrend und fref-
fend, wie ein |cleichendes Gift, fam ibm
durch jene Frau bie Menjchenveradhtung ins
argloje Serg geſchlichen, langjam lernte er
erfennen, daß mit bem Betten unb Reinjten,
was er in jid) batte und gläubig unb Ger:
trauend zeigte, ein tändelndes Spiel getrieben
wurde.
Langjam begriff er, dak bas ſchöne, blonde
Wejen ein dunkler, plumper Rieje an Gelbft-
Kat und tiefinnerlider Unwahrhaftigteit
ei, eine Lichtgeitalt, bie ein häßlicher Teufel
regiere.
Was waren das für Tage, bis er bieler
Ertenntnis fret ins Geficdt jah! Wie wehrte
er fid), wie jchüttelten ihn die innerlichen
Krämpfe! Wie wollte er hundertmal lieber
an fid), an JENEM ganzen bisherigen Werde-
gang, an allem Buten in der Welt zweifeln
unb irrewerden, ehe er zugab, daß die Ge:
liebte feiner unwert fei.
Die Conne jog und fog. Dottor Schmid
legte den Kopf auf die Arme War es
wohl der Miihe wert ele damals jo
furchtbar zu leiden? Geit bie Wunde ver:
narbt war, hatte er bie Frage oft geftellt.
Aber immer mit jenem leijen Einjchlag von
Beringihägung für bie Menjchen und von
Zynismus ben E gegenüber, der ihm
Sech war jeit jener bitteren Enttäu—
ung.
Heute aber ftellte fein jeltjam Iosgelójtes
Sd) die Frage ganz ſachlich.
Und jadjid) fam and die Antwort.
„Sa,“ hieß es, „gewiß war's der Mühe
wert. Es wird in der Welt ja jopiel Un:
nüßes getan; aber gelitten wird nie unniig.
Denn mit dem Leiden wird das Sd) gefüt:
tert. Feſtgewachſen jißt es im legten Grund
aller Dinge, und es ijt darauf angewiejen,
bab man ihm feine Gpeije bringe, Damit es
jtarf werde und fön, eine a pra Rebe
am ewigen Weinjtod, Und diefe Speije
beißt: Leiden.“
Doktor Schmid mußte ein wenig lachen.
Das balbbürre Gras jtad) ibm ins Belicht
unb fißelte ibn, und es fitelten ihn bie felt-
jamen Worte.
„Ach was,” fagte er ohne Laut, „das Ich
wird bod) mit ganz anderen Tingen gefüt:
tert als mit Leiden. Schau’ bid) mal um,
mit was jeder fein Sd) füttert, unb es wird
ihön fett und groß davon. Es wartet aud
gar nicht, bis man ihm etwas bringt. Es
holt jid) jchon, was es braudt unb nad)
was ihm der Sinn [tebt."
Die Grillen und Heujchreden jchwiegen
wieder einen Augenblid, als jet ihnen etwas
überraichend gefommen, und in dieje Stille
hinein tlang es: „Darin trrjt bu eben, Dot-
tor Schmid. Darin irrt ihr alle. Das I
it [til und unverrüdbar. Und Leiden i
jeine Speije. Was fic Futter holt an allen
Krippen und auf allen Gajjen, unb was fo
fett und groß und wohlgenährt in euch wird,
"= — —
bas ift bas Sid) nicht.
Das ift ber Schau»
fpieler, ber einen Namen trägt. Das Sd
bat feinen Namen. Es beißt nur Sd). Und
aud) inbem man es Sd) nennt, legt man
ibm eine Larve über." Cin leijes Klingen
bes Rachen jchwebte vorüber.
Mit gefammelter Kraft jegten bie Grillen
ein, das der Liegende über den Lärm er:
keins und unwillig mit der Faujt ins Gras
dlug.
Aber bas reute ihn alsbald, denn es
mußte ba ein jpiger Ctein unter den trod:
nenden Schwaden gelegen haben, ber zu:
Hoch, als man ibn Pistia.
Dottor Schmid richtete fih anf. Es war
ibm abjonberlid) zumut, als er ba den Mann
in Unterfleidern im Gras figen und die
Stüde ringsum zum Zrodnen ausgebreitet
jah. Wie wenn er von weit ber tomme
und erjt wieder in den Dottor Schmid hin:
einidjlüpfen miijje.
Er fuhr fid) über Das Haar, bas warm,
aft beth von der Sonne und voller Gras:
alme war. ung und bubenbaft fam er
id) da vor, wie ein feder Bengel, der im
Heuboden geturnt und einen Kopfitand ge:
wagt bat,
ach leiner Brille fuchte er, bie er neben
fidh gelegt hatte, und wie er jo Derum:
fingerte, fam ihm der Stein in bie Hand.
Sr bejah ihn unb mußte laden. Nun
war alfo der alte Toftor Echmid bod) wies
ber da, der feinen Stein unbejehen lajjen
fonnte.
Und nun febte er jhon haftig die Brille
auf. Mit dem Stein war es ohne Zweifel
etwas Bejonderes. Es war ein Kleiner Ate:
gelbroden mit Brandjpuren. Lief nicht der
limes ba berum — ober —
Ein breites und behäbiges Lahen Hang
hinter bem Cib5enben auf, ber erjchrocden
ben Ropf wandte.
Ein Bauer ftand da, mit der Gabel über
der Schulter. „Hänt Cie babet?" Ie
er, einen furzen Griff nad) feiner Kappe
madend und bann in bie Hände fpucend,
als eile es zur Arbeit.
Dottor Schmid fpiirte, wie er für diefen
Banern eine fomijde Figur fein müſſe.
Und er wunderte fih, bap thn das nicht
ärgerte. Gejtern hätte es ihn ficjer gedr-
ert. Zwijchen jest und SCH lag Die
tunde, ba die Sonne verborgene Bitter:
teiten, verborgene Feſſeln, verborgene Blei»
ewichte aus dem Snnerjten herausgejogen
Batte, daß fie R in nichts zerrannen.
„Badet 2” jagte er lachend, bie Mundart
bes Mähders nadahmend.
Hund, wenn
ſchmeißt —“
Der Bauer fuhr mit feiner Holzqabel
ins fnijternbe Heugras. „Gut jo,“ rief er,
„heut ijt Dr Tag dazu. Heut trodnet mer
wieder. Aber i? — i' bin emol an Wlartint
"neig'floge', wo’s ſcho' Eis g’hätt hot. Gell
ijdt e Sauerei gwe —“
Er hielt inne in feiner Arbeit und fuhr
scht. wie Dr
ibn dr Herr ins Wajjer
Der Sturz in den Bad sees ees 268
fid) mit Dem Arm über bie triefende Stirn
und jdjaute | den andern, als warte er,
was der dazu fage.
Der Dottor war aufgeftanden und en
feine Oberfleider, wie weit fie troden jeien.
Seine Rniehoje hielt er hoch und jchüttelte
bie Halme davon ab, und dabei fiel ihm
ein, Dag er ein gar [djónes Bild abgeben
müjje am Bachesrand in Unterfleidern auf
weiter Flur,
Als ein ganz Neues, Niedagewejenes ge:
noß er es, fomilhe Figur zu jein. Das
war allem, was er Bisher erlebt, jo ents
gegengejeßt, rip thn fo aus ber alten Haut
heraus, daß ibn etn Ubermut antam. „Was
tut's!^ rief er bem Bauern zu. „In Ddiejen
Bad) fallen ift fein Unglüd. Wud im Wine
ter nicht. Die Augen werden einem bell
davon.“
Der Mähpder legte feine Babel nieder und
fam langjam näher. „So heißt’s,“ jagte er,
„S Müllers Marie, die wilt’, bie, wo mi’
domols an ihrem Ofe trodnet hot, bie hot
glei’ g'jaat: ,Wricel’ — bot je g’jagt — Mi=
el, 's iſcht dei’ Schade’ net. Du wirjt hell
apo'.'^
Doktor Schmid [dlüpfte in bie Hofe.
„Na — und feid Sbr's geworden F”
Der Bauer jchaute in den ziehenden Bad.
Auf feinem jchwigenden, harten yes
war nidjts adjenbes. Eher etwas Nach—
benflidjes, Ctrenges. „© Lunge’entzün:
bung ban i' g'friegt. Biel ausg'itanbe' ban
© —" entgegnete er fura, fa|t abweijend..
Wie ein rajdhes Schauen zog es vor
Doktor Schmid vorüber: durch Leiden ijt
fein Sd) gefüttert worden.
Er nahm feinen trodenen Kittel vom
Boden auf und jchlüpfte langjam hinein.
„Jta ja," fagte er, „jo eine Krankheit, die
ibant oft vieles aus einem hinaus, was
nicht hergehört.“
Der Mähder nidte. Seine Augen widen
nicht von dem Bad. eije, fajt murmelnd
jagte er: „Des Waller hot mir de Wei’
austriebe’.“
Dottor Schmid nejtelte an feinen Ga:
majchen. ‚Ach jo,‘ Dachte er, ‚du warft einit»
mals ein Cäufer. Nun ja, wir haben alle
unjere Dunfeln Stellen, bald jo, bald jo —'
Und indem er dies Dachte, ward er jid) be:
wut, wie unberührt und blind er bod) ime
mer am allen Menjchen vorübergegangen
war, die nicht feine Snterejjen geteilt oder
getreuzt, nicht in feine, von Beruf und Bile
dung umgrenzte Schicht gehört hatten.
Einen Augenblid lang wurde thm ſchwin—
delig. Er wußte nicht, ob vom Niederbüden
oder von ber großen, fremden Weite, bie
ibm vorübergezogen war, angefüllt mit
Mienfden, Menjchen, Menjihen, die alle ihre
inneren und äußeren Kämpfe durdfodten.
Er richtete jid) auf und [tülpte bas jons
nenwarme Hiütlein aufs zerzaujte Haar.
„Der Bad) ijt ein Sexenmeijter," jagte er
halb ernit, halb jcherzhaft, „man jollte jeden
einmal bineinwerfen.“
204 BESSISISSSIZIA grig Arlt: Der Traum BSSSSSSSTS333331
Der Bauer ftieß mit bem Schuh ein Häuf—
lein Heu in die Wellen, daß es tanzend tal:
abjubr. „50,“ jagte er, „bald e jeder hätt’
's nötig, bald e jeder ijt überzwerch. Und
für en monde wär’s ’s beit’, mer tät ihn
e Stiindie unters Waller halte.” —
Dottor Schmid [djaute in bas verjchwißte,
lederne Gejid)t bes Mannes, bas feine Lei-
benjdjaft, nur eine harte Belajjenheit zeigte.
Und, als ob es ihm jemand gejagt hätte,
dachte und wußte er: Ger da tennt alfo
aud) bie Corte vom Tigris, bie ba erntet,
wo fie nicht gefat hat.‘
Ein kurzes Lahen fam aus des Bauern
Mund. Er fuhr fid) übers nafje Gejid)t und
jagte: „Dr Herrgott wird jo mole, wege
was Kerle auf b'r Welt rumlaufet, wie —“
er ftodte und machte eine wegwerjende Bes
wegung mit der Hand, als jet es nicht der
Miihe wert, auszureden.
Der Doktor jchaute jet auch ins flare
SBajjer. Wie fein ins Bäuerliche überjegter
Doppelganger fam ihm auf einmal der
Mähpder vor. „Ja,“ jagte er langjam, „es
wird feiner umjonjt auf der Welt fein.”
Der andere nidte, „Weiß Gott, mer
braucht net bloß Weize’, mer braudt au’
Haderling.” Er lachte leije mit einem Grin:
fen, bas tiefe Linien in fein Gelidjt jchrieb,
und fuhr fort: „Aber erft, feit à im Bad
g’lege’ bin, weiß i' des. Vorher hätt’ © ihm
de’ Krage umdrehe' Tonne, unb [einer
Schweſter au.” — — Er nannte feinen
Namen und jchaute ben niht an, zu bem
er ſprach. Wie zu fid) jelber redete er, und
der Dottor fragte nidts.
War’s nicht, als führe ibm der Bauer
da die Probe vor aufs Exempel, das er am
eigenen Leib gemacht hatte? Bis auf bie
Blonde hinaus — oder more eine Braune,
eine Schwarze? — [timmte alles.
Der Mähder ging auf feine hölzerne
Gabel zu und jpudte wieder in bie Hände.
„D Ürbet ijt immer wieder 's Bet, was
mer bot auf dr Welt,“ fagte er, und fing
an das Heu zu wenden.
Und Doftor Schmid wog den Ziegelbroden
mit den Brandzeichen in der Hand. Cin
warmer Strom ging ihm dabei durchs Her
wie er ihn niht mehr verjpürt hatte feit
Den Tagen ber Berbitterung. „a,“ fagte
er, und jein Blid leuchtete auf, „Arbeit;
aber man muß helle Augen dazu haben.“
Der Bauer ladjte. „Im Bac liege’ muB
mer 3’erjt — Jonft ijdt’s nix —“ l
Seije ſchäumend und gurgelnd zogen bie
flaren Waſſer zu Tal, die Grillen und
Heimden jchrien, bie Männer gingen ihrem
Werte nn und über allem lahte fern und
gütig bie Sonne.
E EE EE EE OSH
OSS SOOO
Der Traum
Bon
yrik
Geftern hatt’ id) den fonderbaren Traum:
Sd) wär’ ein Rofenbaum.
Sd) wuchs an einem himmelblauen Gee
Auf blumig grünem Ufer in bie Hih’.
Bon roja Rnojpen eine volle Schar
Trug id im Blätterhaar.
Da fam den Rain lang plaudernd Hand
in Hand
Ein Parden über Land.
Im Reifrod fie, er mit Zylinder,
Und harmlos jpringenb wie bie Kinder.
Die maken an dem Stamm voll Gdjelmeret,
Wie hod die Liebe jei:
Die bimmelan in meine Krone drang,
Bis eine Knojpe jprang.
Draus drängt fid) |plitternadt ein Heiner
Wicht
Ans Sonnenlicht.
Wie Glockenklöppel in der freien Luft
Schwingt er die Beinchen in dem Roſen—
duft.
Arlt
Und die ihm Wiege war, die Knoſpe zart —
Das ijt |o Syungenart —
Ctreut er gerpfliidt aufs Paar [djneebeden:
dicht;
Mir träumt’: Sd) war’ der Widt.
Das Paar jedoch in bräutlich heißer Luft
Saß Bruft an Bruft.
s tranf aus Küſſen Hochzeitswein,
Schloß fid) im Rojenftiibchen ein,
Mir aber gönnt es, ber ibm [duf das
Glüd,
Nicht einen einz’gen Blit.
Sd) beige drum mid) über Kelches Rand
Vol Unverftand,
Denn eh’ id) wußte, wie ber Sturz geldjab,
Sd) mid) tief unten auf dem Paare fah
Sch wollte jchrein unb wachte auf im Lallen:
Bin aus dem Bett gefallen.
3 Blid aus dem Schügengraben auf bie Diina.
Gemälde von Amandus Fo
eric (fs war einmal—: C0 reo
Rricasbilder bon der ER v
Zehn Gemál&c von Amandus faure Sext von Rolf Brandt
12 s war nah ber Schlacht von Tannen:
d USD berg in den Septembertagen 1914.
e Der Krieg ftand vor mir wie ein
Ze Nieje, Dellen bumpfer Atem mid)
niederwarf. Die Mondnächte waren
von einer zauberhaften Weichheit in dieſen
SCH erbjttagen in der feinen Stadt Roffel.
on der Gtnbierfam:
mer bes Raplans, bei
dem x. in Quartier
lag, fo Jah ich Abend für
end in bie licht»
welche Dammerung
bes Domplabes, und
Abend für Abend fuhr
ber Nachtwind mit be:
hutjamen gingern
d Die eg ie, bie
lau und jchwarz
Im dee Lidte bo:
gen. Am Tage lag ber
taub in Wa ik
grauen JBolfen|d)ma:
den über allen Stra:
Ben, den Feldern, ben
feinen Gebóften, fo
weit man vom Walle
des alten Gdjlojjes in
die Ebene liden
fonnte. Die Rolonnen
gogen nad) Gerdauen,
Unterftand an der Düna.
Velhagen & Klafings Monatshefte.
nad Nordenburg, die Regimenter marjchier:
ten ber Armee Rennentampf entgegen. Id)
hielt es nicht aus in dem Mondichein und
dem bligenden Mittagslicht ber fleinen bli:
blanten Stadt, ich bat den Herrn Kaplan,
mich hinauf auf den Kirchturm zu führen,
von dem man weiten Blid haben mußte.
Gemälde pon Amandus Faure Bg
82. Jahrg. 1917/1918. 2. Bd. 18
966 WERE Rriegsbilder von der Oftfront.
Wir jchritten fnarrenbe Stufen hinauf,
das jchwere Glodenjeil zitterte, jo oft id)
es ftreifte. Oben auf der Plattform und
bei den Gloden webte trotbem nur ein
leichter Wind.
Man konnte weit in bas Land leben, über
die roten Cpiefgeugbüd)er von Röſſel Din:
weg, hinweg über den Staub der Rolonnen
bis an Die Konte wellige Berglinie, von Der
jeltjame jchwarze Wolfen aufitiegen. Ehe
die Dämmerung über Dörfer und Hügel
Ichleierte, fárbte fid) ber Abendhimmel Dell:
rot, und als die Schatten unjerer Körper
nicht mehr auf ber Plattform blieben, Ion:
dern [ang und jeltjam verzerrt weiter wan-
derten, wurde Der Himmel dunfelrot. Es
war wie der Schein von brennenden Dör—
fern, wie ich ihn ſchon fannte, aber es war
nod) greller. Der rote Whendhimmel lag
über dem jebt Dunflen und [tillen Land, als
ob er niemals verblajjen wollte. Che ich
niederftieg in Die heimeligen Schatten der
jhmalen Gajjen, hörte id) wie fernes Ge-
witter Die Ranonen.
Dann [tanb eine Woche lang, zwei Wochen
[ang — id) weiß es nicht mehr, wie lange es
war — ber rote Schein über Ditpreußen,
der ſeltſam Ddunfelrot glühende Abend-
himmel.
Als ber rote Himmeljchein mit ben |páten
Herbittagen verblid), Ioderten am Horizont
bie Brände des ruſſiſchen Riidgugs. Bis
auch ihr Schein verblaßte, und wir an grauen
Novembertagen in der „Wafjerfeftung“ Oft-
preußen lagen. Wenn id) tn Dielen eriten
Gemälde von Amandus Faure esses
Kriegswinter in Djtpreußen —
kommt es mir vor, als ſeien die Wolken da—
mals beſonders tief über dem Lande geſegelt,
als Ge das Schneetreiben dichter als jonit
die YFernen verhängt. Die Armee Below
hielt mit ihren ſchwachen Sivilionen Die
UAngerapplinie, hielt die Mtajurijden Seen;
in Goldap, in Lyd, dicht Hinter Gumbinnen
laßen bie Ruffen, und von der Bzura, von
der polnijden Weichjel, von Lodz tamen bie
Kunden von großen Schlachten, deren Zu:
jammenbang und deren Auswirkung man
nicht erfannte. Man fühlte nur dumpf, daß
dort ein ungeheueres Spiel gejpielt wurde,
Hindenburg und Ludendorf zwangen dort
in einjamer Feldherrngröße ein ungeheueres
Schlachtenſchickſal. Mit einem halben Dugend
beut|djer Korps und den ölterreichiich-unga:
rilden Bundesgenojjen warfen die beiden
Giganten die gejammelte Wucht von zwei
Millionen ruſſiſcher Bajonette von den deut:
iden und öſterreichiſchen Grenzen zurüd.
Bon der unerhörten Kühnheit und Größe
ihrer Strategie hatten wohl die wenigjten
in Deutjchland eine Borjtellung, bie wenig:
ten aud) abnten, von welder Enticheidungs:
were dies Ringen in Polen war.
© bitterer Winter in Ojtpreugen 1914!
Immer dünner wurde die Linie, und in den
verhangenen Nächten an der Front in Ma-
juren meinte man den Donner der Ent:
ſcheidungsſchlachten aus Polen herüberzu—
Oren...
Dann, Anfang Februar, fam Lärm in die
dumpfe Stille der ojtpreußilchen Front. Die
Ed Zweite Stellung. Gemälde von Amandus Faure 5
EFEE Es war einmal —: Text von Rolf Brandt BSS] 267
Blid auf Friedridjtadt, Römerhof, Injel Poſſul und die Düna. Gemälde von Amandus Faure
Borbereitungen zur Winterjchlacht begannen;
ununterbrochen rollten bie Eijenbahnzüge,
unb eines Tages jab man Hindenburg in
Snjterburg. Der ern war vollendet,
ber Feldherrnſtab fenfte jid), bie Schlacht,
bie Ditpreußen endgültig befreite und den
Umſchwung im Often einleitete, begann...
Es ijt mir in Diejen Tagen oft gewejen,
als ob ein gewaltiger Belang burd) das
Heer raujchte, ein Gejang ohne Worte, den
bod) jeder hörte, ber über GSchneetreiben,
Not, Kälte hinaufichlug über ber ftegreichen
Armee zu dem weiten, grauen TFebruarhim:
mel. ieder fehe ich bas Bild von dem
befreiten Stallupönen. Es war bei grauen:
dem Sorgen, ein blajjes Liht rann über
die graujchwarzen, zerjchojlenen Häufer. Die
Truppe jchlief nod, es war fein menjchliches
Wejen auf den Ballen zu jehen. In einer
StebenitraBe [hrie mit zerreißendem Ton ein
jterbendes Pferd. Es rod) nad) Brand und
nad) Was. Man hörte ben Widerhall ber
Hufe meiner Pferde auf dem Steinpflafter
und hörte bas Knirſchen der Rader, wenn
jie über Gewehre, Uniformen, Stüde von
eilig/t gejcehlachtetem Vieh |d)nitten. Es war
wie eine Erldjung, als bei jteigender Sonne
Scharen von Qe idees Ruffen, bie Offi-
iere an der Spike, von Kibarty her über
en Marktplatz Tp wurden.
Weiter rafte bie Schlacht; bis be in Den
Wäldern von Guwalti das Schidjal ber
ruſſiſchen Nordarmee vollzog und die legten
Divijionen die Waffen [tredten. Bei Ma—
farce, auf bem Schlachtfeld, auf bem fih ber
legte Surd)brudjsverjud) bes Generals Bul-
atte, übernachtete ih. Die Bewohner der
ate hatten faum ein ck dafür, welche
Entiheidung fic) in ihrer Nähe abgeipielt
hatte. Gie jahen mit a und neu:
gierigen Augen auf unjere Hantierungen
und hatten den Mund voll taujenb Fleiner
Wünſche und Bitten, während fie fid) die
Hände reinigten, mit denen fie bie Gefallenen
ON hatten. Als einzige Beleuchtung
ab es einen langen, hellbrennenden Kien:
pan. So wie vor fünfhundert und wie vor
taujend Jahren lief bier bas Leben weiter.
Was ijt bie Welt? Wo ijt die Welt? Was
d Ruland? Was ijt Deutichland ? ve
ilt bie große —— Die ganze Melan—
oe er polnilchen ER lag über
orf und Hügel und Aderfeld. Am Abend
ging ich durch bie Dorfitraße. Nicht einmal
mehr Raud) früujelte aus den Hütten. Dey
Himmel war ein goldenesbligendes Tuch. Der
Vollmond leudjtete wie eine weiße Perle.
Ale Dinge warfen jchwere, tiefblaue Shat:
ten auf den leicht zufammengefrorenen Schnee:
Die Hohe, ſchwarze Silhouette eines Zieh:
brunnens hob fid) aus dem Feld. Daneben
fe ein jchweres, plumpes Kreuz. Die Be:
talt bes Gefreuzigten glänzte filbrig unter
dem Zermorjdten Holzdach. Die Sterne
ar die Kälte wuchs. Man hörte jeden
aut. Jn der Ferne ein leichtes Grollen:
bie ſchweren Gelchüge von Grodno. Ganz
fern am Horizont wieder ein roter Schein:
brennende Dörfer.
Die Winterfchlaht ijt zu Ende. Neues
Spiel und Gegenjpiel würfelt in eistalten
18*
fate, bes alten Sjaubegens, ent[djieben
268 EA Es war einmal —: Kriegsbilder von ber Oftfront BEZZE ZZ 381
Märztagen auf den
Cdjladjtfelbern von
Suwalfi, aber auf
deuticher Seite geht es
nur nod um Verſchleie—
rung, die Stunde für
ben Vormarſch auf die
ruſſiſche Feltungslinie
ift nod) nicht reif.
Im Mai, wie ein
Auftakt zu den Ereig:
nijjen, Die fid) zwei
Monate jpäter abrol:
len, löſt Wi bann aus
der wieder eritarrten
Ditfront der Hand:
itreid) auf Libau. Man
hatte den Krieg für alt
gehalten, und bod) wie
jung war jein Wejen
damals nod, wie leicht
lag feine Lajt trot
allem auf dem Her:
en gegen die Stunden jebt, ba er wie ein
— Nachtmahr über allem Fühlen
itzt und alle hellen Gedanken an ſich trinken
will! Die Mtarine hatte mit manchen ihrer
Schiffe der Sjtjeeflotte überhaupt nod) feinen
Schuß gelöjt, und als es zum Ausjegen Der
Landungsabteilung fam, wollte jeder in die
Pinajjen, um an bie Rujjen zu tommen.
Es gab ja überhaupt nicht viel Berlufte um
Sibau, es war Krieg im Mai, und bie
deutiche Stadt |djien vielen wie ein jchönes
Mädchen, um bas jdjnell und fühn geworben
el Wegimentsiítabs: Kiihe. Gemälde von Amandus Faure 57
Mannjihhaftsunterjtand an ber Zong, Gemälde pon Amandus Faure
wird. Ich jaB in ber Pinaffe bei einer ber
Landungsabtetlungen. Wir laujtem gegen
die Mute in der Nähe ber jcheinbar e oos
ten Batterien am Süditrande, Man erfannte
deutlich den jchönen weißen Badeltrand, bie
Anlagen, das Kurhaus und ſchräg davor
einen ziemlich [teilen grünen Wall,
„Dei jchieten wohl gar nid, bie Ruffen?”
fragte ziemlich enttáujd)t ber Dtaat am Steuer.
„Bewehre jchußfertig, bereit zur Landung,”
befahl der Leutnant zur Gee, ber bas Detache:
ment fommanbierte, und 30g den Revolver.
INVI SNQUVU uoa sqyowmsg 9 ‘jauzylPizqauL ug
EENEG
2 Der Hof Smilgus. Gemälde von Amandus Faure E
Wir waren jebt breibunbert Meter vom
Gtranbe etwa, da prajjelte es los, id) unter:
Ee deutlich den trodenen Ton eines Mtas
\hinengewehrs. Ted, ted, ted... dazwiſ en
kräftiges Schnellfeuer von SR EH ie
Geſchoſſe jchlugen ein paar Meter vor um:
jerm Boot ein.
„Dat gift dide Luft,” fagte ber Maat.
Wir ju d abzufchwenten, gleichzeitig flog
ein Torpedoboot heran, legte jid) dicht an
den Strand zwilchen uns und ber Küfte und
fing an zu funfen. Dann jaujte es über
unjeren Kopf, der Heine Kreuzer hinter uns
begann die Linie mit Granaten zu belegen.
G [^ ber zweite Schuß jdien in ber Schanze
zu figen.
Wm andern Tag jah id) die Wirkung bes
Feuers. Ein nee Mafjengrab ber ge:
jallenen Rujjen. Man hatte Blumen darauf
gepflanzt und ein jauberes, helles Kreuz ge:
zimmert. Cine junge beut|dje US Honn
dabei, fie machte ein |o ſchweres Belicht, daß
id) fie fragte: „Waren Libauer unter den
Befallenen?“
„Ah, es waren nicht bie Unfrigen, bie
Toten waren von irgendwo weit her, aber
es waren alte Männer, und Die werden
Kinder gehabt haben und Frauen, und die
en werden fein wie ih. Mein Mann
teht in den Karpathen .. .“
Der Kriegshafen, Libaus gewaltigfte An-
lage, ber über eine Milliarde Rubel getojtet
haben jolf, lag leer und verödet. Nach ber
eejdlad)t von Schtujima war er wertlos
geworden, weil er feiner Flotte mehr als
Balis dienen fonnte. In den mächtigen
Majdhinenhallen wurden bie Majchinen erft
gar nicht montiert, bie Dods blieben Ieer,
die prächtige Kathedrale wurde nur gelegent:
et von ein paar orthodoxen Hafenarbeitern
bejucht, und bas Marine-Offigtersfajino, bas
eher einem Schloſſe als einem Difiziers:
falino ähnelt, blieb verſchloſſen. Zwijchen
den Gletjen ber Hafenbahn wuds Gras,
unb das Waller des leeren Hafenbafjins
Ihlug Icharfe Wellen gegen den einjamen
Strand.
Es war aud) das einzige echt Ruffijdhe
in Libau, bas man finden konnte, der ver:
lajjene SKriegshafen. Die Beamten, die
bas rulfifche Kontingent der Stadt gebildet
hatten, waren abgezogen, und es blieben
Deutjche, Letten, Juden, Polen und Litauer.
Aber auf bas Politijde, das jeßt, ba bie
Waffen jchweigen, im Often die Hauptrolle
jpielt, war man nicht an er|ter Stelle eingejtellt.
Es war Krieg, in bem wir Niegten, und dem
einfachen Empfinden des ar|djierenben
war es Jelbjtverjtändlich, daß bie Deutjchen,
bie ibnen bas eu und Haus öffneten, be:
freite deutjche Brüder blieben. Noch jtárter
wurde dann dies Gefühl, als fid) hinter bem
Schleier unſerer Kavallerie unjere Divifionen
gegen bie Düna und gegen bie Miſſe ſchoben
und faſt ganz Kurland in unſere Hand kam.
Ich lernte die po Y erit im November
1915 tennen, als fte Sade wieder erftarrt
war und auf dem größeren Teil der Linie
nur feltene Schüjfe über die breite grau:
fließende GStromjchrante fielen. Nur bei
Besse Es war einmal —:
Diinaburg brannte noch der Bewegungs:
kampf.
Ende Oktober war der Schloßberg unter
dem Einſatz von unſerer ſchwerſten Artillerie
pesas worden. Cin paar Tage nad) ber
roberung jab id) von Jeiner dei auf bie
Dünaebene hinab. Auf der fladhen Kuppe
des Berges hatte ein |djónes Gutshaus ge:
poren und war eine ftattlihe Brauerei in
etrieb gewejen. Die mächtigen Krater un:
jerer Granaten jaßen neben dem Gutshaus,
das durcheinander geworfen war, als hätte
ein 9tieje mit den alten Mauern gelpielt.
Ein fleines a ar war verjchont ge:
blieben, jonjt war das große Gut mit Schloß
unb Brauerei, mit Ctüllen und Gartner:
wohnungen, mit Ravalierhaus und Kapelle
ein Trümmerhaufen. In einem Keller, ben
fis ein Offizier als Quartier gejudt hatte,
anden ein paar gerettete Mahagonimabel
und an den weißgetünchten Wänden hingen
ein paar Ölbilder, gute Olbilder, aus ber
Kapelle. Die Maria lächelte [till auf den
Knaben in ihrem Arm hernieder, bie heimat:
loje Mutter Gottes, bie ber deutjche Offizier
vor bem rujfjijden Feuer bewahrt hatte.
Der jebige Beliger bes Kellers hatte ben
Sturm aul ben CdloBberg mitgemadt.
Hinter ben Wirtichaftsgebäuden hatten fih
die rujjijden Rejerven jammeln wollen. Als
die erjten Granaten einjchlugen, waren bie
EQ Im Kriegshafen Libau. Gemälde von Amandus Faure
Text von Rolf Brandt Br3s33 3331 271
Ruffen auseinandergerannt, und ihre Offi-
ziere hatten fie nicht mehr zum CECR
wingen Tonnen, „Unten brannte SMlIuxt. Wir
Kapen herunter. Durd! In ber Rirde
lagen die paar Einwohner, die geblieben
waren, auf den Knien, als wir eintraten.
Die rulfiiche Artillerie jchlug ungeheure Wir:
bel. Wer wußte, wie es weiter gehen jollte?
Ein Organijt aus unjerer —— ſetzte
fid an bie Orgel und fpielte: ‚Ein’ feſte
Burg‘. Die Geſchütze ſchrien laut vagui] en.
Da fingen wir alle an poem gtere
unb V Here ai und Einwohner. Die
ganzen Berje. Man hörte bas Braujen in
der Luft nicht mehr.
gegen bie Kirchhöfe.”
Eben, da id) über den Hügel hinter bem
Herrenhaus nad) der Stadt hinunterblidte,
fing bas rulfilde Feuer auf die tote Stadt,
in deren Kellern nur heimliches Leben at:
mete, wieder an. Unter ben fablen Bäumen
im Part lag ein Kleiner Stein: „Ma douce
gaie petite chienne Folie, fidtle amie de
six ans 1892 — 98". © merfwiirdige Zeit,
da man Heinen Hunden Dentmäler feste!
Das Schloß war Ruine, bie alten Baum:
riefen des Parts waren zeriplittert, über
dem gelben Laub leuchtete der Stein der
Spielerei einer Gräfin und ihr lebendiger
Jagdhund ftreifte durch bas tote Schloß,
war nicht fortzubringen, wie bie Pförtnerin
Dann ging’s weiter
ERS) m Park gu Weimar, nicht weit von
Gar» Goethes Gartenhaus und der Sm
CRNA Y > nah, daß man am windftillen
y^ Zagen ihr feiles Raufchen gerade
noch hören, daß man den Schimmer
bes 9Bajjers durch bas Gegweig von Weide
und Erle gerade nod) leben tann, Debt an
einer Weggabelung ein feines Monument.
(Ffeu bat es, wie |o vieles hier, faft ganz
überranft. Wer aber näher zufieht, dem
bleibt ber Cüulen|tump[ mit der Schlange
nicht ftumm. Drei Worte leuchten ihm, in
den Gtein eingegraben, entgegen: ‚Genio
huius loci‘ lauten fie... Dem guten Geijte
diejes Ortes! Goethe felbjt hat den Stein ge:
febt. Erinnerung verband ihn mit der Stätte.
TIraumbefangen, es raujdt der nahe Fluß,
es flüjtern rings bie Bäume, es wandern am
Himmel die Wolfen, ftehen wir davor, halbes
Ahnen bedrängt das Herz. Und von bes
Steines ftummer Mahnung gerührt, denfen
wir geheimnisvoller Stunde, wir, in immer
erneuten Geldjleditern, von Ewigkeit zu
Ewigfeit.
Genio huius loci... noch zwei Gejdwijter
Bat bas fleine Dionument im Part zu Wei-
mar, beredtere, niht ganz fo rätjelvolle.
Zwei Tafeln. Die eine tft tm den Fels eim-
gelaffen, ber bas Römiſche Haus trägt. Die
andere lehnt an dem Rajenhang, der hinter
Goethes Gartenhaus aufiteigt, über bem
Steintijd), an dem Goethe am liebjten ge:
jeffen. Beihwörung haucht uns entgegen:
„Hier im ftillen gedachte ber — ſeiner Ge—
l
ebten;
Heiter ſprach er zu mir: Werde Kai Beuge, du
Stein
Sod erbebe did) nicht, bu Halt dE viele Ge:
ellen;
Jedem Felfen der Flur, bie mich, den Glücklichen,
nabrt,
Jedem Baume bes Walds, um den id) wandernd
mich Ichlinge:
Dentmal bleibe des Glüds! ruf’ id) om weibenb
unb frob.
Sod bie Stimme verleih’ id) nur bir, wie unter ber
$
enge
Einen die Mufe fid) wählt, freundlich die Lippen
ibm küßt.“
Drei [idjtbare Male, denen bie Stimme
verliehen, in alle Zufunft hinein von per:
raujdten Glüdesitunben Goethes zu tinden...
drei Monumente genio huius loci, und der
ute Geift war immer jene Frau, um die
oetbe tiefites Leid und Glüd der Erden:
finder getragen: Charlotte von Stein. Er
trug es mehr als zehen Jahre, er trug’s nicht
nur in Weimar, er trug es überall, wohin das
Schickſal ihn in diejen Jahren zwiichen 1776
und 1786 geführt, und der Gteine, die un:
He pda von biefen ſüßen SUtarterm finden,
tft Legion. Denn wo auch nur er weilte, er hat
immer an das ftille Haus am Parfrand zu
Weimar gedacht, wo heiße Sehnſucht Nacht fur
Nacht um ihn die Hände faltete. Die Tage:
»
} Goethe im Harz =
Bon Rarl Sternaur 2
bücher und die Briefe finds, die ftatt ber
Steine dafür zeugen, aud) fie monumenta
liebender Erinnerung wie jene drei in Weis
mar, und wer, diefe Tagebücher und Briefe
fromm im Gedächtnis tragenb, durch Die
Lande wandert, bie das Herz Deutjchlands
find, ber begegnet auf Schritt und Tritt
den unlichtbaren Steinen, bie an Goethe mah:
nen und an bie, bie er fo heiß geliebt und
bod) allein im Traum umfangen hat... er
Debt im Gei[te, von feiner Erinnerung nicht
betrogen, in manhe Baumesrinde gejchnitten,
in manche Felswand gefragt, auf monde Ta»
pete dig eri in manches TFenfter geribt
die dret Worte: genio huius loci, wie er fte
im Part zu Weimar, hart an der Chauſſee
nad) Belvedere, in Wirklichkeit gejehen Dat.
Bon joldjen nicht in Erz und Stein fih deute
lid) fünbenben Stationen bes Goethemeges
jollen diefe Zeilen |prechen.
E
ag e
Goethe im Harz? Sofort fegt die Cre
innerung ein: natürlich, Hargreije im Win»
ter‘! Und bod) ijt diefe — im Winter,
bie durch bas wundervolle Gedicht des Acht:
undzwanzigjährigen, das auf ihr entſtand,
und durch die ebenſo wundervolle Brahmsſche
Rhapſodie Ewigkeitsprägung erhalten hat,
nur eine, die erſte, und Goethe iſt danach
nod dreimal im Harz geweſen. Schon all
ein der Einfluß, den die drei Brodenbelitei-
gungen auf Goethes ‚Fauft‘ gehabt haben,
jollte ein Wiffen barum über bas enge Gebiet
ber Forſchung hinaus zumindeft bei allen
denen vorausjeßen laffen, bie immer wieder
mit allen Sinnen ben romantijden Zauber
der Walpurgisnadte inden beiden Teilen des
aut’ nacherleben und nadjempfinben fine
nen; fet es im Theater, wenn all der Hexen:
ipuf auf ber balbbellen Bühne vorübertau:
melt und Fauft unb Mephijtopheles durdh
— — zum Brocken eler
jet es in der Stille des abendlichen Zimmers
bei der Lektüre, wenn das Auge zu ber
Stelle gelangt: „Harzgebirg. Gegend von
Gdjierfe und Elend,“ jet es tm Kongertfaal,
wenn Mendelsjohns Vertonung ber ,Gr[ten
Walpurgisnadt' au Mufit werden läßt, was
bisher nur als Wort in uns gebrannt...
aber bas Wiffen barum ift |párlid). Nicht
alle dee Goethes haben wie bie erjte
des Winters 1777 dichteriſche Verklärung
efunden, und fo viele unb fo reiche Zeiten
fei nea Lebens der Dichter |püter fid) und
uns aud) nadherzählt hat, gerade über die elf
Jahre in Weimar, die bis zur Italieniſchen
Reife reihen und bie das Berhaltnis zu
Frau von Stein mit dem zartejten Duft über:
baudjt, bat er fid), Diller wie über die [pà:
teren Jahre mit © iler, ausgejchwiegen.
Wer fid) in bieje Zeit verjenten will, ift auf
die Tagebücher und die Briefe, vorzugsweile
274 BEFSSITESISTIEFIETI Ludwig Sternaux: BBBsseeeeeesessa
auf bie Briefe an Charlotte von Stein, an=
ewiejen, bie auch jebt nod), wo [ie längit
bon vielfad) zugänglich find, bem großen
Rejerfreis, der wohl Gedidte und Romane,
nicht aber foldye Dinge zu lejen shag e all:
viel Schwierigkeiten bereiten, als daß er
ch über den flüchtigen Genuk am einzelnen
inaus ein Bild der ganzen Zeit daraus
aufbauen fonnte.
nb doh! Wie organilch fügt fih, geht
man erft einmal an diefe ‚Arbeit‘ heran, ein
Steinden ans andere, um ſchließlich bas
wunderbare Mojail zu ergeben, das Goethes
Leben gerade in Dieter jtrablenden, von Ju:
gend und Liebe verflarten Zeit, taujendfarbig
auf Goldgrund ale Tag ſchließt
ftd) an Tag, Wohe an Woche, Jahr an Jahr,
unb über allem |teht in milde jchimmernder
Gloriole: „Alles um Liebe“. Und fo fteigen
denn aud, gewedt vom Willen zur Hin:
gabe, aus der Bergefjenbeit die Epochen ber:
auf, um die bisher ungewiljeftes Zwielicht
itterte. ,Goethe im Harz‘ — bislang eine
Formel, die wenig oder nichts bejagte und
öchſtens bielen oder jenen einmal zu ben
Gedichten ee ließ, um dort die ‚Harz:
reije tm Winter‘ mit mehr oder weniger
Verftändnis nachzulefen — diefe eritarrte
ormel wird zu leidenjdaftdurdglutetem
eben, bas Stumme gewinnt Sprache und
zieht den Freund der deutſchen Landſchaft in
ähnliche Zauberkreiſe wie anfprudsvollere
die Schilderung ber Italieniſchen Reife.
88
Es war Ende November 1777. Weimar
lag bereits im Winterfchlaf. Da unternahm
der Herzog eine Jagd auf wilde Schweine
im Eiſenachſchen. oetbe, über bie erjte
wilde Zeit in Weimar [djon längft hinaus
und Frau von Stein, der ‚lieben rou, be:
reits ganz bingegeben, ftand der Sinn nad)
anderem als lautem SJagdvergnügen; er hatte
einen ‚wunderjamen geheimen WReijeplan‘,
erwirtte fid) kurzen Urlaub und wollte erft
Leen wieder mit ber Jagdgeſellſchaft zus
ammentreffen. Ihn befümmerten namlid
— wie er jelbjt mehr als vierzig Jahre |päter
in der Campagne in SFrantreich‘ erzählt —
Briefe eines jungen Theologen aus Werni-
erode, eines gewijjen Plefjing, den tiefite
Kan e Nöte quälten und ber fih an Goethe,
den berühmten Dichter des ‚Werther‘, um
Hilfe gewandt hatte. Ihn wollte er bejuchen.
Bleichzeitig wollte er einmal das parses
Bergwejen aus eigener Anſchauung fennen
lernen, um bas, was er dort jepen würde,
nugbringend für bas in Perfall geratene
Bergwert in Ilmenau, das wieder in Gang
gebracht werden jollte, zu verwenden. An
diefe ‚Reife auf den Harz‘ hatte er [djon
lange gebadjt, jebt verwirklichte er fie. Um
29. November bricht er auf, ‚in wunderbaar
dundler — ſeiner Gedanken, wie
er an Frau von Stein ſchreibt. Weitere
Briefe an diefe, fein ‚lieb Gold‘, bas Tage:
bud unb bie jchon erwähnte na traglide,
allerdings nicht gang genaue Beldreibung
bes Befuchs bei Pleffing in Wernigerode
aus ber Campagne’ geben ein prächtiges,
faft Iüdenlojes Bild bteler erjten Harzreije,
bas nod) ergänzt wird durch bie literarijde
Erflärung des Gedidts ‚Harzreile im Win:
ter‘, bie Goethe jelbjt 1821 im 3. Band von
Kunſt und Altertum‘ auf den Kannegießer:
Iden Deutungsverjud) hin veröffentlichte.
Ein „bizarres Abenteuer‘ nennt er felbjt in
diejer Erklärung bie Reife, und bizarr ge»
nug war fie. Ganz alleine reitet er los, in
Nacht und Schnee hinein, immer im ftiller
Seelengwiefprade mit der geliebten Frau,
bie an allem teilnehmen muß; er heißt Weber,
ilt ein Dialer, hat Jura ftudiert, beträgt fih
le gegen jedermann und ijt überall wohl
aufgenommen, hat auc) bisweilen Heimweh.
Notizbuchblätter, in heftigitem Mitteilungs:
drang den Briefen |djnell noch nachgeſandt,
geben die Stationen im einzelnen an! Im
regnerijden Elbingerode, bod) gouyen Rübe»
land und Dreiannenhohne gelegen, formen
fid) bie erften Berfe des unfterblichen Gedidts:
„Dem Geier gleich,
Der, auf idweren Morgenwolten
Mit fanftem Fittich rubend,
Nah Beute jchaut,
dwebe mein Lied!”
Der Beſuch ber Baumannshöhle, in der er
bei SCH idit bewundert, wie bie ‚ſchwar—
gen armormajjen, aufgelöjt, zu weißen
fryftallinijden Säulen und Flächen wieder:
hergejtellt‘ find, läßt ihn das Begonnene,
wieder ans Tageslicht zurüdgefehrt, ‚mit
ganz frijdem Ginn‘ Fortleben ... auf Klip:
pen fibt er herum und zeichnet und Dichtet.
Und |d)reibt ingwifden nad) Weimar, als
ob er in der Cinjamfeit ber Harzberge fih
jo recht bejonnen hätte: „Sch hab’ Sie wohl
jebr lieb," träumt von ber Grünen Stube.
Am 3. Dezember ijt er in Wernigerode, bei
Pleſſing. Tie fo[tlide Erzählung bieles
abenbliden Bejuhhs in der Campagne
deutet reizvollit den ‚damaligen liebevollen
Zultand feines Innern‘; bas Wbenteuerlide
— Goethe gibt fic) nicht zu erfennen, hört
fih lelb[t aus Plejlings Munde feines Schwei:
ens wegen anflagen, muß jid) gleidjjam
Lu entiutdigen, liiftet aber gl alledem
nicht bie bebaglidje Mtasfe — verleiht bem
Banzen die Spannung einer Novelle, und
bie winfligen (Gallen Wernigerodes, gel im
Schnee, darüber ber fternenflare Winterhim-
mel, ergeben ein Bild von bezauberndem
Reiz! Dak Goethe den armen Pleffing nun
im Stiche läßt, thn nicht mehr am andern
Tage wieder aufjucht, jondern fortreitet, ift
wieder ganz er felbjt. Für ibn war bie Sache
eben abgetan. Wie tief er aber bod) die
flüchtige Epijode feeliich empfand, das be:
zeugt die tyortjeBung des Gedidts:
„Sit auf deinem Plalter
Water der Liebe, ein Ton
Seinem Obre vernehmlicdh,
So erquide jein Herz!
Öffne den umwöllten Blid
fiber bie taujenb Quellen
Neben bem Durftenden
In der Wüfte!”
Und das Notizbuch nennt weiter: Ilſen—
burg, Boslar. Die nr ergänzen: „Einganz
entjeglid) Wetter hab td) heut ausgeitanden.
Was die Stürme für Zeugs in diejen Bebürgen
ausbrauen ijt unfaglid, Sturm, Schnee,
Schloßen, Regen, und zwey Meilen an einer
Slordwand eines Waldgebürgs her ...“ In
Goslar aber ijt er „wieder in Mauern und
Dächern bes Ulterthums verjendt“. Bon ben
Harzbewohnern jagt er: „Wie jehr ich wie:
der, auf diejem Dunklen Suge, $iebe zu der
Rlaffe enjchen gefriegt habe, bie man Die
niedere nennt, die aber gewiß vor Gott die
ale ift. Da find bod) alle Tugenden bei:
ammen, Bejchränttheit, Geniigjamteit, grader
Sinn, Treue, Bene über das leidlichite
Gute, Harmlojigteit, Dulden, Ausharren.* Cr
bejucht die Bergwerte am Rammelsberg, die
Hüttenwerte an der Oter, fährt in Clause
tal in die Gruben ein, wo er beinahe von
herabjtiirzender Wade erichlagen wird. Er
empfindet es als feltjam, „aus der Reichs:
ftadt, bie in und mit ihren Privilegien vers
modert, bier heraufzulommen, wo von unter:
irdiichem Segen bie Bergitädte jröhlich nad:
wachſen“ und jchläft fid) am 9. Dezember in
Wltenau von all dem CErlebten ber legten
Tage ‚unendlich‘ aus. Nun jedoch, wo er
fid) immer ‚tiefer ins Gebiirg gejendt‘, feine
Sehnjudt, ben Broden zu bejteigen, ber Er:
füllung nabe ijt, nehmen die Briefe an Frau
SH Stein fajt hymnijden Charalter an:
Was jol id) vom Herren fagen mit Feder:
fpulen, was für ein Lied foll id) von ihm
fingen? im Augenblick wo mir alle Proje
p Poefie und alle Poefie zur Proje wird.”
m 10. Dezember erflimmt er den Broden,
vom Torfhaus aus, über Schnee und Eis
hinweg — allein geleitet vom Förſter aus
dem Lorfhaus. Das Motizbud) meldet:
„Was ift ber Menjh, daß bu fein ge:
dendeft.“ Es war ein halsbrecherilches
Unternehmen — und war ein Erlebnis von
Ewigteitswert. Mun lüftet er auch das Ge:
mus, in bem er fidh jelbjt vor ber qe:
iebten Dr geborgen hatte, waren Dod)
jogar alle Briefe an fie ohne Ortsangabe
ewejen! „sh will Ihnen entbeden (jagen
ies niemand), Daß meine Reije auf den
Harz war, dak ich wünjchte ben Broten zu
efteigen, und nun, Liebjte, bin ich Deut
oben gewejen T.
fiber Claustal, Andreasberg, Lauterberg,
Duderjtadt — immer in Nebel, Rot und
Regen —, über Mübhlhaufen gelangt er am
15. Dezember, alfo nach reichlich vierzehn
Tagen, nad) Gijenad), wo er die herzogliche
Sagngelellihaft vollzählig antrijt. Aber
e Jagd war aus, und zwei Tage |päter
ür er jhon wieder in Weimar. Yo er das
Gedicht vollendet hat, ijt ungewiß, vielleicht
nod) unterwegs, vielleicht auch erjt in Wei-
mar. Wie ftarf der Eindrud der Broden:
befteigung aber gewejen jein muß, das gibt
der pjalmenartige Schluß der ‚Harzreije im
Winter’ ergreifend wieder — es ijt, als ob
ber Brodenjturm darin fein uraltes Lied
Goethe im Harz BESSsesessssses| 275
fingt, vom leilen Säufeln bis zum wütenden
tfan, es ijt, als ob man erbebend bie
Donner einer Beeipozenjgen Sinfonie hörte.
88
T zi die i weite EN im September
1783, jechs Jahre |päter aljo, unternommen,
ieBen die Quellen fparlider. Reine ipatere
— nichts Dichteriſches, kein Tage—
buch legen Sengn nis Davon ab; wir find
allein auf bie Briefe an Frau von Stein
angewiejen.
m 6. September tritt er die Reife an,
diesmal mit Fri von Stein, Lottes Lieb:
lingsjohn, gujammen, den Goethe befannt:
lich Anfang 1783 zu jid) genommen hatte und
erzog. Er bejuchte zunächſt in Langenftein
die Eran von Branconi, bie Jong Frau‘,
wie jie allenthalben hieß, die er 1779 in
Laujanne tennen gelernt hatte. Gie war
die Geliebte des Herzogs Karl Wilhelm
erdinand von Braunjchweig. Lotte von
tein war ein wenig eiferjüchtig auf fie, und
Goethe nedt fie in einem Briefe, daß fie
„immer Sturm und leidig Wetter gemacht“
hätte, folange er bei der Kat Ze ge:
melen ware... Sn Halberjtadt will er dann
die Herzogin erwarten, aber ein fleiner Ab:
ftecher von zwei Tagen führt ihn und Frig
erit nad) Blankenburg, von wo aus [ie
bei ſchönſtem Herbftwetter bas Bodetal
bejudjen: ‚Wallfahrt nad) bem Rostrapp'.
Goethe wünjcht, daß Frau von Stein babei
gewejen wäre, als er ‚mit Frigen auf einem
großen in den Fluß gejtürgten Granitſtück
zu Mittag gegeljen babe ... wie heimli
unb reigenb mutet das an, wenn man jelbft
bas Bodetal genau tennt und dort in frühen
Jahren jelbjt mit einem väterlichen Freunde
auf den blantgewajchenen Steinen herum:
eflettert ijt! Nur wird es ja gu Goethes
Boiten nod) etwas unwirtlicher ausgejehen
haben als in meinen Rnabenjahren, und
einen ‚Waldfater‘, wo man Forellen friich
aus der Bode effen konnte, wird es aud)
noch nicht gegeben haben! — Tags drauf
waren die beiden dann ‚im Riibelande’,
haben die Marmorbrühe und die Mühle
bejichtigt, Goethe eee Erinnerungen auf:
friſchend, Frig bie Baumannshöhle gezeigt,
unb immer bat er Frau von Stein an ben
ſchönſten Stellen ‚jehnlich‘ zu fih gewünjcht
. „bier im [tillen gedachte der Liebende
jeiner Geliebten“, mag er nun von uralter
Steinbriice herab auf ons, Dahinſchießen bes
Waſſers geftarrt und Heinen Bligerwellen
Brüße aufgetragen haben nah bem ftillen
Kochberg, oder mag er in mandjem Feljen,
mander Klippe ‚Gejellen‘ jenes Steins be:
rüßt haben, ber im Garten am Gtern über
Feiner Lieblingsjige in ben Raſenhang ein:
gelajjen war, Dentmäler des Glüds! — Und
nad) furgem zweiten Aufenthalt in Halbers
jtadt, wo — die Herzogin eingetrof—
fen war, geht's dann am 17. September
nach Claustal und JSellerfelb, wo Goethe
id) ‚recht in feinem Clemente‘ befindet; er
eut fih, daß er mit feinen ‚Spekulationen
276 SSS] Ludwig Gternaux:
über die alte Krufte der neuen Welt‘ auf
dem rechten Wege ijt, und ‚füttert fic) mit
Steinen an. Wm 21. September erflettern
fie, vom Oberberghauptmann von Trebra
aus Oe geleitet, vom Torfhauje aus
den Broden; ber alte Förſter Degen vom
Torfhaus ertennt Goethe, den er 1777 durch
Schnee und Eis auf den Broden geführt
hat. Er meint: „Nun! da kommen Gie
denn bod) nod) einmal, in einer bejjeren
Jahreszeit den Broden zu bejuchen,“ und
fährt fort: „Sie würden Damals, als Gie
mitten im Winter von mir — daß
ich Sie auf den Brocken führen ſollte, mi
mit allen ihren guten Worten doch gewi
nicht beredet haben, Ihr Führer zu ſein,
wenn nicht eben durch ben gar zu ftarfen
rojt eine harte. Rinde über den tiefen
chnee gezogen gewejen wäre, bie uns tra:
en fonnte,^ Nun, diesmal war der Auf:
Rieg nicht Jo gefährlich und bejchwerlich, und
„oben auf dem Gipfel auf den alten Klip-
pen”, wo Goethe wohl die erjten wirklichen
Eindrüde für bie Brodenjzenerie bes ,Fauft'
empfing, bat er fih nad) Lottes ferner Woh:
nung — * und ihr ‚die Gedancken ber
(ebhaffteften Liebe‘ zugeſchickt — derweilen
ihr Knabe, der Sohn eines anderen und ibm
doch lieb wie fein eigener, um ihn herum:
iprang. Auch bier: Genio huius loci! —
Damit hatte bie zweite Harzreije a Ende
erreiht. Denn Gottingen, wo Caroline
Michaelis, bie jpätere Frau Sdlegels und
Scellings, un flüchtig lab und jehr bewun-
verte, und Gajjel, wo Goethe am Hof Be:
hide machte, gehören nicht mehr hierher.
e — 8
Und zum dritten: Ein Jahr fpater! Er-
holungs-, Dienjt: und $yor| djungsreije in eins.
Denn Goethes geologildje Studien hatten
inzwijchen immer fejtere Geftalt ange:
nommen, waren aus früher Spielerei zu
ern|ter wijfenidjaftlidjer Betätigung gewor:
ben: ber (Get, der alle Gründe und Mb-
ründe des Geins durchdrang, rätjelte am
Realften, ege ue e am Boden der
alten Mutter Erde. Hofrat Kraus war
diesmal ber Begleiter, Georg Melchior
Kraus, auf Goethes Betreiben, ber ibn ſchon
1769 in Frankfurt a. Di. tennengelernt hatte,
jeit 1780 Direktor ber neu gegründeten Weis
marer Jeidjen|djufe. Er jollte das, was
Goethe auf bieler dritten Harzreije inter:
effant büntte, im Bilde fefthalten, und durch
die Zeichnungen Kraus’, bie leider bis auf
wenige, bie in einem Werte Trebras ver:
öffentlicht find, unzugänglich find, erhält diefe
Reife nod) mehr willenjchaftlichen Charatter.
Zielen bezeugt aud) das ernithaft geführte
‚Geognoftiihe Tagebud) der SHarzretije‘,
Hauptquelle find aber aud) hier die Briefe
an erat von Stein, dieje unerjchöpflichite
Fundgrube, und diefe Quelle ijt diesmal
bejonders interejjant, weil das Berhältnis
wijden Goethe und Lotte von Ctein fidh
Lan dem Puntte näherte, wo es fein Dar:
liberhinaus mehr gab; ber Giedepunft war
[o gut wie erreicht, und das unjagbar herr:
lide Gedicht, bas Goethe von diejer Reife
aus, aus Braunjdweig, an die Geliebte
richtet, jenes:
„Bewiß, id) ware [hon jo ferne, ferne,
Coweit bie Welt nur offen liegt, gegangen, `
Bezwängen nicht übermädt’ge Sterne,
Die mein Geſchick an deines angebangen,
Daß r^ in bir nun erft mid) tennen lerne.
Mein Bitten, Tradjten, Hoffen unb Verlangen
Allein nad bir und deinem Wefen drängt,
Mein Leben nur an deinem Leben hängt”
Ipricht bod) am deutlich ften für jenes ſchon
zwiejpältige Gefühl, das ihn in gleicher Meije
von Diejer Frau entfernte wie wieder zu
ihr hintrieb und das erft in der Flucht nad)
Karlsbad zwei Jahre Ipäter Erlölung fand.
Am 8. Auguft begann bie Reife. Gie
bradte Goethe eigentlich nur 3Befanntes und
SBertrautes. Erinnerung gibt auf Schritt
und Tritt —— Geleit. So heißt es
einmal in den Briefen an Charlotte: „Ich
Eë mid) bie Berge wiederzujehen, die id)
don vor Jahren mit Sehnjudt zu Dir im
Herzen beftiegen habe.“ Und ein andermal:
„Wie Deine Liebe mir nah ift, mag id) nicht
jagen. Bor fieben Jahren jchrieb id) Dir aud)
von bier ..." bas war in Elbingerode.
fiber Zellerfeld und Goslar geht es nad)
Braunfchweig, wo Goethe bei Hofe zu tun hat,
längere Tage, und von Braunjchweig über
Goslar, den Broden, das Bodetal, nad) einem
neuerlichen Beſuch bei Frau von Branconi,
„la fée de Langenstein dont tu — ſchreibt
er an Frau von Stein — ne seras pas ja-
louse“, zurüd nad) Weimar zu ‚sa douce,
son adorable amie“, Hauptpunfte find auf
diejer Reife eigentlich nur ber Broden und
bas Bodetal mit dem Ne Ei Den
Broden befteigen die beiden Retjenden von
Goslar aus am 4. Geptember, — es ijt
das dritte: und [ebtemal, daß Goethe oben
ilt. Sie finden diesmal [don ein Broden:
haus vor, und Goethe zeichnet fid in das
Fremdenbud mit bem folgenden Cprudje
aus bem „Altronomicon“ bes Manilius ein:
„Quis coelum posset nisi coelere munere nosse
Et reperire deum nisi qui pars ipse deorum est,
d. 4. Sept. 1784 Goethe.“
Am Bodetal, das fie von Elbingerode — Rübe—
[anb aus, dem Flußlauf abwärts folgend,
hinabwanderten, haben [te dann „alle ellen
der Gegend angellopft“, und ,frauje bat
ganz tójtlidje Dinge gezeichnet“. Tiber ‚den
SRoBtrapp' enthalten die Briefe nichts mehr,
Hier erzählt das ‚Beognoftiihe Tagebuch‘
trog feiner Kürze und Trodenheit Ger und
wer awijden den Zeilen zu lejen verjteht
und das Bodetal bei Trejeburg tennt, der
wird fid mit einiger Phantajie ausmalen
tónnen, wie Goethe und Kraus fid) durch die
zerflüfteten Schluchten und Engpäſſe Hin:
qualten. Ab und zu halten die beiden inne.
Dann fliegen Felleijen und Dlanteljad ins
Gras. Kraus greift zu feiner Gfizzen:
mappe. Goethe aber, immer nod jugend»
lid) Schlank, in Neiferod und Dreijpig, ſchrei—
tet gelaffen zwijchen den wirren iyelstriüm:
mern bin und ber, betlopft gebiidt Wand
um Wand, und jein Hammer lodt aus den
ftarren Granit Hall und ſprühende Funfen.
Ift es ein Menjd oder ijt es mehr als ein
enih, ber da ben jtummen Bergen ihr leg-
tes Geheimnis entreißen will?... „werde mir
Zeuge, du Stein!” Wer hat’s gejprochen ?
iemand. Cin Nahhal des Herzens Ont
uns. Aber bod) find diefe Steine, diefe wil:
den TFellen längs der Bode Zeugen Dellen,
daß em (Grober jie einjt angerührt, bei ihrem
CErflingen vielleicht an bie dee: gedacht hat,
die er, adj! fo bald verlajjen folte, um fie
nie wiederzufinden. „Lebe taujenbmal
wohl!” — das tjt bas legte Wort, bas fie da»
mals aus dem Harz erhielt. Es wohnt
nod) jest im Echo der heiligen Harzberge.
*
1805. Schiller iſt im Mai geſtorben.
Um den kränkelnden, alternden Goethe
— er iſt jetzt ſechsundfünfzig Jahre alt! —
älelt bie Einſamkeit. ie Hälfte feines
afeins babe ibm Schillers Tod entrijjen,
flagt er dem neuen Freunde par Da
ad e ihn im Juni ber Philologe Fried-
rid) Auguft Wolf aus Halle. und muntert
ihn ein wenig auf. Schon im Juni erwidert
Goethe mit feinem Sohne Auguft den Be:
[ud bes umgänglichen, wiljensreichen und
Betz beitergeltimmten Mannes, und unter:
nehmungslujtig fahren alle drei gl vierzehn
Tage nad) dem nahen Harz. Es ijt Goethes
vierte und lebte (ER
Wie anders fah er die Berge wieder, die
er einjt im erſten Raufche junger Liebe er:
ftiegen! Achtundzwanzig Jahre waren es
ber, daß er abemteuertutite mitten im Winter
auf den Broden geflettert war; jebt fah er
ibn von weitem, von Thale aus, winfen...
er lodte ihn nicht mehr. Mehr als die Berge
reizten ihn diesmal feltjame Menſchen.
Ihnen galt die Reife. Goethe jelbjt hat fie
ausführlih in feinen Annalen gejchildert;
ftellenweije gehört diefe 1822 abgefaßte, viel
u wenig befannte Schilderung zum Schön:
en, was wir in Profa überhaupt von
Goethe bejiken; bejonders gegen bas Ende
blüht die Harzlandichaft nod) einmal in fo
wundervollen {Farben auf, daß man gerade:
zu bingerijjen wird und nur bedauert, daß
der Dichter in biejen Annalen nicht aud auf
bie Harzreilen von 1783 und 1784 nod) ein:
mal eingegangen ijt. Aber aud) bier mag
er wohl niht an etwas haben rühren wol:
len, was er für immer begraben hatte...
die Wunde, die er Frau von Stein geichlagen
hatte, jchmerzte wohl am Detten ihn!
Ja, ein wie anderer war er geworden,
als er diefe vierte Harzreije antrat. Ein
Leben lag hinter ihm. Die italtenijche Reife
hatte ihn von der Frau getrennt, die ihm
ein[t Inhalt und Sinn des Lebens gewejen,
eine andere hatte ihm den Sohn geboren,
der jet im Wagen neben ihnen Top, Diele
erhielt jebt liebevolle Briefe, an jene diftierte
er nur einen höflichen Bericht. Freier als
diejen beiden gegenüber äußerte er jid) zu
Goethe im Harz |
>.»
> 2
fa.
| 277
den Freunden: zu feinem Herzog und zu
Belter, unb zwei aus SR Briefe an Carl
Auguft find es denn aud, bie die befte Ergän—
zung zu derSchilderung in ben Annalen bilden.
tan fuhr zunächſt von Halle nad) Magde:
burg, wo Goethe ber Dom mit feinen alten
Kailerjtatuen bejonders intereffierte, bann
nad) Helmftädt, wo man ben GConberling
Beireis, einen regelrechten Vorfahren ſpä—
terer apu Gejtalten, bejuchte, be:
jab fid) in Harbfe ben [djónen Beltheimjchen
Part mit feinen jeltenen auslandifden Hal:
gern, Tehrte auf bem Gute bes ‚tollen Hagen‘
ein, ging gerne und willig in dem wint»
ligen, fttmmungsvollen Mittelalter Halbers
itabts mit feinem Dom und feinen nod)
nahen Bleim- Erinnerungen auf und landete
endlich im Bodetal. Goethe jab es nun zum
dritten Male, und nad) der Schilderung, bie
er gibt, |djeint es nie [o ftarf auf ibn ge:
wirft zu haben wie gerade diesmal. Gab er
mit anderen Augen? Wirkten die Erinne:
rungen, bie ihn mit biejer jchönften Stelle
bes Harzes vertnüpften, verflarend? Hörte
er im Echo ben geliebten Namen, ben er
einft Jo oft in dieje Berge und Täler ge:
rufen? Cab er fid) wieder mit Fri von
Stein auf den Steinen der Bode ſitzen? ...
wer will es wiffen? Bor langen, langen
Jahren hatte er einmal ‚im Rübelande‘, hart
unter ber zauberhaften Baumannshöhle, auf
einer Brüde geftanden und in das eilig
dahinftürzende Waller der ‚Bude‘ geldjaut;
damals trugen die Wellen Grüße nad) Wei:
mar; jeßt [tanb er am ‚Sammer‘ in Thale,
ruhig ftrdmte der Fluß in feinem niederen
Gerollbett dahin, jo ruhig und gelaffen, als
ob es gar feine Eile, feine Aufregung gäbe,
ftaute jid) am Wehr und wurde ftiller,
dunkler Spiegel. Die gropen, dunklen Dichter»
augen jahen und begriffen es: Abbild des
‘Lebens, das verraujcht und ftille wird wie
biejer Fluß. Da rief ein Klang ibn, fam von
irgendwo: „Lebe taujendmal wohl!” — was
qualte ihn der Klang im Ohr? Er wandte fid).
fiber Ballenftedt, Afchersleben, Gónnern
ging’s wieder nad) Halle. Im — lärmte
der halbwüchſige Auguſt. Und über Lauch—
ſtädt gelangte man dann bald nach Weimar.
Da war Goethes letzte Harzreiſe aus. An der
Stelle aber, wo ſein Auge zum letzten Male
jenes unvergleichliche Panorama, das Roß—
trappe und Hexentanzplatz mit dem Bode—
tal zuſammen bilden, umfangen hat, ſteht
ein Stein. Man ſieht ihn nicht, denn er iſt
nicht ſichtbar. Es iſt ein imaginärer Stein.
Aber manche ſehen doch die Worte, die dar—
auf ſtehen. Auch ſie lauten: Genio huius loci!
ür uns aber gilt, was Goethe einmal
— drei Jahre ſpäter — an die Malerin
Karoline Bardua ſchrieb: „Der Brocken wird
noch eine Weile auf ſeinen Füßen ſtehen
bleiben, und die Spur des Roßtritts auch
nicht jo bald verlöſchen“ ... nein, Jo bald
nicht, und mit ihnen wird die Erinnerung
an Goethe dauern, dem fie Jo oft Erjchütter
rung und ttefjtes Erlebnis gewejen.
jm
Crs SC an —
ine Erzählung ausAlbanien son Borwin Garlitz
— Fortſetzung —
Ermemmmmmmmmmmmmmmmmmmmmrmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmrmmmmmmmmmmmas
y^^ wei Lage |päter ritten Briefen und
Wi Fuad gen Often, begleitet von zwei
Gendarmen und einigen bewaff:
neten Albanern.
Die Satteltajche Fuads barg den
Beutel mit bem Lojegeld. Dreitaujend Kronen
in Wirtlicfeit — eintaufend nad) Briejens
Annahme. Es war nicht leicht gewejen, ihn
gut Annahme auch nur der legten Summe zu
ewegen, und Major Wächter hatte ich ich
tid) ein Mtachtwort |predjen miijjen. Und
die Gorge, nad) Deutjchland zurückgeſchickt
gu werden, wenn er weiter widerjtrebte, gab
den legten Ausjchlag: jebt von Gwendolin
fih trennen zu miijjen, erjchien ihm uner:
träglich.
ie große Ebene, bie Cfutari von bem
Gebirge des inneren Landes trennt, erlaubte
durchwegs einen flotten Trab, jo daß in
einer Stunde ber Eintritt in bie Berge er:
reicht war.
Briefen oi nad) der Uhr und jagte: „Es
ijt bereits die Zeit, zu ber bie leren
tunft beginnen folte.“
„Wir haben jet nod) einen [teilen Auf»
ftieg von etwa einer Stunde,” bemerfte Fuad,
„dann aber find wir jdn im Lande ber
Ctreli und gleich darauf beim Gtrelehan,
dem Wirtshaus, wo die andern uns erwar:
ten. Die Albaner pflegen nicht jehr pünft«
lid) zu fein, jchon weil fie feine Uhren be-
figen, und außerdem ijt es beffer, daß Cie
als deutjcher Offizier ihre höhere Stellung
dadurch anzeigen, daß Cie fpäter als Die
übrigen Teilnehmer anfommen.“
Auf halber Höhe wurde den Pferden eine
Pauje von fünf Minuten zum Verjchnaufen
elajjen. Bon bier fonnte man Skutari und
fajt den ganzen Gee überbliden.
Bald begann der Aufitieg aufs neue, und
ber Weg wurde jchließlich jo jchlecht, dak
Briefen es mandmal nicht für möglich hielt,
au Pferde vorwärtszufommen. Iber nie:
mals jtieg ber voranreitende Gendarm ab.
Yin Schwindelnden Abgründen ging es por:
bet, wo der Pfad jo jdymal wurde, daß die
Pferde um Zenttmeterbreite am unjicheren
Mande geben mußten. Durd) Schutthalden,
die abbrödelten und rutjichten, arbeitete man
(i hindurch.
(nblid) wurde die Ausſicht wieder fret.
quad wies nad) vorn: „Sehen Cie dort das
Häuschen didt am Hange? Das ijt der
Han, der Blak unjerer Zuſammenkunft.“
In diefem Wugenblide hörte man von
al
II
drüben ber ein Iebhaftes Gewebhrfeuer, und
leije ſummend und pfeifend flog eine Anzahl
von Geſchoſſen über ihre Köpfe fort.
Reiner der Albaner verzog eine Miene,
jo daß auch 3Briejens jähes Stugen fofort
verflog.
„Das gilt unferer Begrüßung,“ erflärte
Fuad, „und T ein Zeichen der $yreube unb
eine Ehrung für uns.
Als fie fid) Dem Han náberten, jahen fie
eine Anzahl von Pferden, alle mit Satteln
auf den Rüden, die, frei herumgehend, fih
ihr Futter juchten. Eine Shar von Alba:
nern [ag im Schatten eines &a[tanienbaumes
und erhob fid) beim Herannaben des Zuges.
Briejen grüßte zuerjt als ber Höherftehende
mit dem albanijchen ‚Nogat Geta’, worauf
die Antwort im Chor aud) ibm ein langes
Leben wünjchte.
Dann wurde abgeftiegen, und Briefen
ging mit Fuad zu dem Han, ohne fid) um
die Sfrelis weiter zu fümmern. Denn nod)
Ichwebte ja die Blutjchuld zwiſchen ihnen.
Bor dem Haufe waren Zijdje unb Banke,
die beiden nahmen Plak, und als der Wirt
fragte, ob fie Kaffee ‚alla Franfa‘ oder ‚alla
Turfa‘ wünjchten, bejtellten fie den leßteren.
Nach einiger Zeit fam ein Abgejandter
der Ctrelis und fragte Fuad, aus weldem
Grunde ber deutjche Offizier in ihr Land
gefommen wäre.
„Der deutjche Offizier ijt einer der tapfer:
jten Männer jeines Landes und außerdem
mein Bruder. Er hat gehört, daß die Sfrelis
Klage gegen ihn führen wegen des Todes
einer en Angehörigen. Mein Bruder fühlt
fih unjhuldig an dem Tode bieles Mannes.
Da aber vielleicht einer feiner Soldaten die
tödliche Kugel abgejdojfen haben tann, und
mein Bruder den innigiten Wunſch bat, mit
dem tapferen Stamme der Gfrelis nicht nur
in Frieden, fondern fogar in Freundſchaft
zu leben, jo ijt er hierher gefommen, um
Löſegeld zu bieten vor ber BVerjammlung
der Älteſten, wie es Die Gitte erfordert. Geh
bin zum 3Bairaftar und melde ibm unfer Be:
gehren.” Der Albaner ging und fam nad) eini»
ger Zeit zurüd, „Der Bairaftar läkt Euch
Jagen: Der Stamm der Cfrelis bat die größte
Ehrfurcht vor dem mächtigen Stamme Der
Deutjchen und ijt über ben — eines
ſeiner Angehörigen hocherfreut. Niemals
hat einer der Unſrigen es für — ge⸗
halten, daß ber tapfere Deutſche abſichtlich
unſeren Bruder erſchoſſen hat. Aber der
A Borwin Garlitz: Der Schuß auf bem Bardanjol. 33:33:34 279
befte Beweis dafür, daß ber Deutjche unfer
Freund ijt, liegt darin, daß er hierher fam,
um ein £ójegelb zu zahlen, wie es ber
Würde feines eigenen Landes und dem Werte
des Toten ent|pridjt. Die Ültejten haben
wei ?Bertreter bejtimmt, welche mit den
tigen das Nähere beiprechen follen.”
Suad überjegte Briejen die Rede und
ichidte dann zwei feiner Leute mit, bie ge:
nau injtruiert waren.
„Seht geht nod) ein langer Handel um bas
€ojegelb vor fid), Der nun einmal dazu ge:
bört. Die Glrelis fordern anfánglid) viel
mehr, als fie au betommen hoffen. Dabei
preijen jie Die Vorzüge des Toten, während
unjere Vertreter wieder Ihre Tugenden her:
vorzuheben haben. Das wird einige Stun:
den dauern, und während diejer Zeit können
wir uns durch Schießen nad ber Scheibe
unterhalten, weil dieje Bejchäftigung uns in
den Augen der Sfrelis bejonders heben wird.
Sch babe Cie barum aud gebeten, Ihre
Fernrohrbüchſe mitzubringen.“
Fuad fdjidte nad) ben Bewehren und fah
fid) nad) einer pajjenben Scheibe um. Unter:
Dellen waren bie Sfrelis aber aud) Ion auf
den gleichen guten Gedanfen gefommen, fih
die Zeit mit Schießen zu vertreiben.
Zwijchen zwei etwa einhundertundfünfzig
Meter entfernten Bäumen war ein Hammel:
fell als Scheibe ausgejpannt. Sjiernad)
Ichoffen nun aber nicht etwa bie einzelnen
Schützen, Jondern bie ganze Getellichatt ver:
feuerte gleichzeitig eine große Mtenge von
Batronen, und nach einiger Zeit jah man
nad, wie oft das Yell durchlöchert war.
Briejen war jchon befannt, dak die Albaner
gerade teine glänzenden Schützen wären,
und hatte bie Abjicht, ihnen mit feiner Fern:
To Me zu zeigen, was ein beutjdjer
Schütze leiften fonnte.
Fuad entbedte eine vieredige Blechtanne
unb kaufte fie Dem Wirte ab. Es war eine
der unter dem Namen ,Tennefen‘ im ganzen
Orient befannten Gefäße, in denen die Stan:
dard Dil Compagny überall hin ihr Petro:
leum verjdidt. Fuad erzählte, daß biejes
die einzigen Gefage find, bie ins Innere
des Landes zu fommen pflegen, daß fie da:
er von ben Albanern zu ben mannigfad):
ten Berwendungen gebraucht werden.
Diejes ,Tennefen' ftellte Briefen in etwa
zweihundert Dieter Entfernung derartig auf
einer Felsipige auf, Daß es bei jeder Be:
rührung umfallen mußte. Dann ging er
urüd, richtete fein Fernrohr genau auf bic
Entfernung ein und Juchte fid) einen geeige
neten Punft gum Pflegen. Gejpannt be-
obadteten bie Cfrelis diefe Borbereitungen
unb hörten jelber mit Schießen auf.
Briefen legte auf bem Aſte eines Baumes
an und ließ jid) Zeit zum Zielen. ls end:
lid) der Schuß fnallte, fiel im gleichen dingen:
blid das Tennefen um, worauf eine madtige
ssreude unter den Albanern entjtanb, Die
ihrer Bewunderung durd) Händellatjichen
Ausdrud verliehen.
Da nabte fih ein Albaner auf fchweiß:-
bebedtem, völlig erichöpftem Pferde, jprang
ab, eilte auf Fuad zu und blieb in ehrer-
bietiger garang vor ihm fteben.
„Bas ring] du, waderer Haji, und wo»
her kommſt du
„Beltern morgen ritt id) vor den Toren
Prijrens ab, jechsmal wedjelte ich mein
Pferd, und der Schlaf fab meine Augen
nicht. Ich bringe Runde von den Brüdern.“
„Was geſchah, feit ihr Prijren nahmt ?*
„Die Stadt wurde von zwei jerbijchen
Bataillonen mit Majchinengewehren overs
teidigt, gegen die alle wütenden Anftürme
der Unjrigen vergebens waren. Als aber
bie Madt fam, ba gejchah ein Wunder, das
die Serben nie vermutet hätten. Es gelan
Waffen in die Stadt zu Ihmuggeln, die in
den Sjaremlifs verjtedt wurden. Kein waffen:
fabiger Albaner war ja in der Stadt, nur
rauen und Rinder. Wber unjre Frauen
un ihrer Männer wert. Die Mot des
aterlandes, bie Sehnſucht nad) ihren Ge:
liebten, liep fie für turze Zeit weibliche
Scheu vergejlen. Als wir mitten in ber
Nacht zum Sturme anjegten, da ertónten
u
im Rüden der Gerben aus allen Häujern
heraus Gdjüjje. Der Feind glaubte jtd) vere
ratem unb ergab fih nad) furzem Rampfe.
Go haben unjere Brauer die Stadt erobert.“
Der Albaner, dem der Schweiß von der
Stirn perlte, jchöpfte tief Atem, ehe er weiter
berichtete. „Aber es blieb uns pe vergonnt,
die Stadt zu halten. Der Gerbe brachte Bers
jtarfungen heran. Und als feine Artillerie:
geſchoſſe in die Stadt einjdlugen, ba bes
ſchloſſen die Alteſten bie Auswanderung.
Während die Männer vorn im Kampfe
lagen, padten die Frauen bas Unentbehr:
Gite auf die Pferde, nahmen die Kinder
an die Hand und wanderten fort in Der
Richtung auf die |djub&bringenben Berge.
Die reihen Häufer, die blühende Ernte, der
in Jahren des Blüds erworbene Hausrat,
alles mußte bem beutegierigen Feinde über:
lajfen werden. Aber während die Kinder
weinten, fam fein Wort der —— über die
Lippen der Frauen. Faſt zwölf Stunden
dauerte der Auszug, dann war die blühende
Stadt leer, und langſam zogen aud) wir
Männer uns vor dem übermächtigen Feinde
zurüd. Wis id) fortritt, da waren die Frauen
ihon im Jicheren Schuße der Berge, deren
Eingänge bie Unjrigen unerjchüttert hielten.
Man fandte mid aus, um bieles alles in
Sfutari zu melden. Zehntaufende von Flücht«
lingen willen nicht, wohin fie weiter ziehen
jolen, und was das Cdjlimmite ijt, [ihon
jest droht Nahrungsmangel. Hilfe ijt brin:
gend nötig.“
Als ber Hafi geenbet hatte, jagte Fuad:
„Bleibe hier im Han. Bis morgen früh er»
báltit du Nachricht von uns aus Gfutari,
die Du den Brüdern überbringen Jolljt.“
Dann berichtete er Briejen tur} von ben
Borfällen und jagte, da feine Kan e
Unwejenheit in Sfutart nötig fei. Er wolle
280 E Borwin Carlig: I
mit den Cfrelis reden, damit bie Zeremonie
abgefiirgt würde.
Bu darauf trat Briefen in den Kreis
der verjammelten Männer. Der wiirdige
Bairaftar begrüßte ihn mit feftem Handichlag.
Er belaB nur einen Arm. Den anderen
batte er im Kampf mit ben Tiirfen verloren.
Da er aus diefem Grunde die Büchje nicht
führen fonnte, bing ein furger Karabiner
über feiner Schulter, den er mit einem Arm
bediente. Seine zwei türfijden Orden, bie
er voll Stolz trug, bewiejen, daß er nicht
immer „gegen“ die Türken gefampft Hatte:
Er hielt eine lange Rede, deren End:
rejultat war, daß man bas Ljegeld an:
nehmen wollte. Fuad warf ihm den Beutel
mit Gold hin und führte Briefen, während
bie Sfrelis eifrig zählten, unter einem Bors
wand zur Geite: er durfte nicht jehen, wie
rok die gezahlte Summe war. Dann jebten
E alle gujammen, tranfen Kaffee, und Brie:
en mußte eine Zigarette bes Bairaftars an:
nehmen, die biejer felber gedreht und an:
eledt Hatte. Endlich war alles beendet.
tiejen [djüttelte jedem der Männer die
Hand, und der Bairaftar verjidjerte ihm,
daß er von jest ab Freund und Bruder
ber Cfrelis jet.
aber drängte nad) Gfutari, wo ibn
ernjte und dringende Bejchäfte erwarteten,
WW E 88
Baron Traubenberg war bet Sjerberts
zum Tee.
Die Herren belpradjen die politijden Er:
eignijje der legten Tage, während Gwendo:
lin zubörte, ohne fic) an ben Erörterungen
su beteiligen.
„Das war eine fine flberrajdjung für
die Gerben, bieler unvermutete albani[dje
Angriff,“ jagte ber Ruffe. „Uns in Gettinje
ift ber Shred aud) ordentlich in bie Glieder
gefahren. Der König, ben id) in letter Zeit
wenig gejehen, läßt jet feinen Abend ver:
eben, ohne mich zu fih zu bitten. Wir
ben dann zu dritt, mit dem Miniſter des
Wugeren, im Arbeitszimmer des Königs,
ber uns höchſt eigenhändig ben tiirtijden
Kaffee bereitet. Der König ijt auf die Serben
nicht gerade gut zu fpreden, weil er in Er:
ane Ar bap mit geheimer Unter:
ügung ber Regierung ein Komplott ge:
idjmiebet worden ijt, bas die Bereinigung
mit Montenegro erjtrebt, wobei bie monte:
negrinijche Dynajtie natiirlid) ausgelchaltet
werden folte,
„Bejonders ijt er auf ben ferbijchen Ge:
jandten eingejchnappt, von dem er uns fol:
gendes allerliebjtes Stückchen erzählte. Bei
einer Bridgepartie im Klub, an welcher der
ölterreichijche unb ber jerbijche Gelanbte mit
nod) zwei anderen Herren teilnahmen, be:
merft der Bfterreicher, der höchſt wißige
Baron Breindl, daß der Serbe fortwährend
ben Berjud) macht, ibm in bie Karten zu
feben. Plögli jagt er ibm: ‚Vous jouez
comme un régicide' (Cie fptelen wie ein
£onigsmórber) Der Gerbe wird rot und
ftottert ganglid) außer Faſſung gebradt:
Ich weil nicht, Exzellenz, was Cle bamit
lagen wollen.‘ (Qretnbl aber tut, als wenn
nidjt bas geringite vorgefallen wäre, fon-
dern [pielt ruhig jeinen ‚sans atout' weiter.“
Die Geldjid)te erregte allgemeine Heiter:
feit, und Gwendolin fagte, daß fie dieje böje
Abfuhr dem Gerben von Herzen górme.
Geit ber Bluttat im Belgrader Konat fet
ihr die ganze Nation widerwärtig.
Herbert bm hinzu: „Auch jest wieder
begeben die Gerben Greueltaten, bie wahr:
idjeinlid) bie Empörung ber — Kultur-
welt hervorrufen werden. ie behandeln
jeden Albaner als Rebellen, garden alle al:
banijhen Orte an und flagen die Bez
wohnerjchaft, einjchließlich Frauen und Rin:
der tot. Ich begreife freilich ihre Wut über
den unvermuteten albanijden Überfall.“
„Die Albaner find tatjächlich bas nichts»
würdigite Gefindel, das fih denten läßt,
unb verdienen feine Schonung,“ meinte Trau»
benberg. „Niemals greifen fie einen Feind
im offenen, ebrlidjen Rampfe an, und es tft
burdjaus fein Geheimnis, daß man einen
en bier |djon für zehn Kronen
erfaufen fann.“
Rum erjtern Male griff Gwendolin in
bas Belpräd ein: „Be lagte fie heftig,
„die armen Leute find untultiviert und Häufig
raujam. Aber eine feige und ehrloje Ge»
[mung Babe id) nod) nie bei ibnen bemertt,
agegen oft Züge von Ritterlicdfeit.“
„Mit ſchönen Frauen ijt jchwer zu ftreiten.
Vielleicht haben Cie bisher Gliid gehabt.
Aber jebt, verehrter Konſul,“ wandte er fic
an Herbert, „möchte id) Ihr Augenmerf noch
wi eine andere Frage lenten. Gie willen,
daß ben Montenegrinern ber Beli Des
Gebietes ber Hott und Gruda zulteht. Es
ift nicht — daß nun, wo die
erben überall den Aufſtand niederwerfen
und ſchon im Begriff ſind, in das eigentliche
Albanien vorzudringen, auch Montenegro
den Augenblick für gekommen erachtet, in
Nordalbanien einzumarſchieren. Wie wird
ſich England dazu verhalten?
Der Engländer überlegte einen Augen»
blid, dann entgegnete er: „Wir beide find
alte Freunde, ganz davon abgejehen, dah
unjere Sntereffen mit den Ihrigen in diefem
Lande die gleichen find: nämlich ms mite
SR Nl des Dreibund + Cini es.
orgen Sie vor allem dafür, daß die braven
Montenegriner nidt in gewohnter Weise
jengen unb plündern, um ber öffentlichen
Meinung feinen Grund zur Erregung zu
eben. Dann verjprehe id) Ihnen, daß
ngland im beiten Falle einen harmlofen
Proteft erlajjen wird. Sch werde jedenfalls
in meinen Berichten in feiner Weije gegen
Montenegro Partei ergreifen.”
Traubenberg bebanfte jid) und begann
jest von anderen Dingen zu erzählen,
Nad einiger Zeit empfahl Da Herbert,
weil er nod) in Gejddften zu Baron Cotta
miijfe. Er ließ als gewandter Weltmann
m
—
feine Frau fte )
Freunden allein, um fein unbegrenztes Ber
trauen zu zeigen und ihr die Möglichkeit
tets eine Zeitlang mit CS
er:
u geben, fid) ungeſtört ausſprechen zu
iten. Er wußte, daß fie nur, wenn er
ihr alle benfbare Freiheit ließ, bei ibm
aushalten würde und vertraute auf ihr,
wie er ſchätzte, kühles Temperament.
So hatte er aud) jede Bemerkung darüber
unterdrüdt, daß Gwendolin jet täglich mit
— uſammenkam. Morgens, ſobald
der Dienſt beendet war, holte der deutſche
Offizier ſie zum Reiten ab, und nachmit—
tags pflegten beide meiſt einen Spaziergang
durch die Stadt zu machen. Perſönlich war
ihm der Deutſche mit ſeinem ſtrengen, kalten
Geſicht ger unjympathijd, auch ärgerte er
fid, daß Ferucct nod) immer mit Gwendo—
lin grollte. Seine gelegentlichen feinen Be:
mertungen über die wichtige Aufgabe, bie
ihe nod) mit dem Italiener bevorftand,
überging fie aber geflijlentlich.
Seht war fie mit Traubenberg allein
und fühlte, daß ein entjcheidender Kampf
bevoritand. Der Ruffe bot ihr eine feiner
Zigaretten an, bie aus ber faijerlidjen Fabrif
in der Krim ftammten, und eröffnete das
Gefecht. Solche Augenblide waren Höhe:
puntte in feinem Leben, wenn er mit fühler
Berehnung die Schidjale eines Menſchen
leiten fonnte. „Werehrte Freundin, ich bin
liidlid) darüber, daß Sie mir die Möglich:
eit gegeben haben, Ihnen aus einer kleinen
Berlegenheit zu — und ich hoffe, daß
Sie aud) weiterhin meine getreuen Dienſte
annehmen werden.“
„Ich dante Ihnen aujridjtig, Baron,”
jagte Gwendolin mit leichtem Zittern in ber
Stimme, „daß Cie mir [o [dell geholfen
haben. Aber id) hoffe beftimmt, jobald nicht
wieder in bie Lage zu tommen, Ihre Hilfe
in Anfpruch nehmen zu müjjen."
„Im Gegenteil, id) erwarte in Ihrem
eigenen Snterejfe, daß wir jet — wenn id)
[o fagen darf — in bauernber gejchäftlicher
Verbindung bleiben werden. Ich babe Ihnen
bereits neulich eröffnet, daß für Sie irgend
ein Rifilo oder etwas, bas gegen Ihre vater:
ländiihe Pflicht — niemals daraus
entſtehen wird, während Sie andererſeits
in die Lage kommen werden, unbeſchränkt
über die Summen zu verfügen, die eine
Dame von Welt nun einmal zum Leben
nötig d:
„Und was verlangen Cie von mir?“
„Wie ich jhon fagte, es handelt jid) um
Kleinigkeiten, um Nachrichten, bie Sie zus
fällig erfahren, um Borbereitungen unjerer
emeinjamen $yeinbe und beiten Falls um
lane, die England mit Rußland Hand in
Hand ausführen will, Ihr Mann erfährt
von üfterreichiichen ober italtenijchen Ab—
Dien. feine Agenten berichten ibm über
deutfche Intrigen oder über die Anſichten
bes uns verbündeten Frankreich. Sie hören
auch im Gefprad mit ben Damen ber übrigen
Ronfuln irgend etwas, das Ihnen der Er:
Der Shuk auf bem Bardanjol BAZZAZ 281
wähn ng wert ericheint. fiber alles das
maden Cie fid) Heine Notizen, bie Cie am
beiten in einem perjónlid) an mid) adref:
fierten Brief unjerm biefigen Ronjul über:
geben.” Er fab Gwendolin an, als erwarte
er eine Antwort. Als diefe aber ausblieb,
fuhr er etwas lebhafter fort: „Für dieje
fleinen, ftändigen Bemühungen könnte id)
Ihnen ſchon ein recht nettes Syabresgebalt
ausjegen. Sollten Gie einmal eine wid):
tigere Angelegenheit erfahren, fo werden Ste
jeben, bap Rußland nicht Aer, » o
verftändli wäre es natürli auch febr
wünjchenswert, wenn Sie gelegentlid) Cine
blid in die Berichte Ihres Mannes tun
lónnten. Wenn wir willen, was das be:
eundete England von uns erwartet, dann
nb wir um fo eher in der Lage, diefen
ün|den momóglid) fdjon guvorzufommen
unb Dadurd) unjer [o nötiges Zufammen
arbeiten nod) inniger zu geltalten."
„Nein, bitte verlangen Cte bas nicht von
mir. Das ift unmöglich.“ Gwendolin hatte
den Kopf gejentt. Setzt richtete fie ibn auf
und ſprach [djarf weiter: „Überhaupt tann
ih Ihnen nicht perbeblen, daß die ganze
Gade mir derartig niedrig vorfommt, dab
id) jede Gelbjtachtung verlieren würde, wenn
ich Das tate, was Cte von mir fordern.“
Traubenberg hatte ein böjes Lacheln. Er
30g bie Achjeln Bod). „Berehrte Freundin,
das hätten Cie fid) dod FS überlegen
fonnen. Ich will Sie gewiß nicht zu etwas
wingen, das Ihnen zuwider ijt, aber Gie
Ui (inb bod) an mich Berangetreten und
haben ben erjten Schritt getan.“
„Beil iD mid) in einer Notlage befand,
aus der id) feinen anderen Ausweg jab.
Bitte, Baron Traubenberg, laffen Ste mir
wenigftens Zeit. Gie befommen Ihr Geld
ſelbſtverſtändlich zurüd, aber ein wenig ge»
dulden müffen Ste fih.“
Derartige Gewiſſensbiſſe bei feinen Opfern
noch im legten — waren dem ſchlauen
Ruſſen nicht unbekannt. Da mußte man
etwas ſchärferes Geſchütz auffahren. So
leichten Spieles kam man bei ihm nicht da—
von. Erſt ſich Geld leihen und dann nichts
dafür leiſten, das war ſo recht Frauenlogik.
„Ich ſelber befinde mich auch in einer
Zwangslage, meine verehrte Freundin,“
ſagte er. „Das Geld, was ich Ihnen ſchickte,
iſt nicht mein Eigentum. Es gehört unſerem
Auswärtigen Amte, das für jede Ausgabe
aud) eine Gegenleijtung erwartet. Wenig:
tens in biejem Falle muß ich von Ihnen
verlangen, daß Cie aud) Ihrerjeits einiges
leilten. Haben Cie jpäter feine Luft mehr,
dann Debt es Ihnen jederzeit frei, von une
lerem Abkommen zurücdzutreten.“
Er dachte: ‚C'est le premier pas, qui coûte
— nacher wird fie jdon von jelber wieder»
fommen, und außerdem habe ich fie dann
ganz anders in der Hand und will fie jdon
tanzen laffen.‘
„Baron, Ste find ein alter Freund und
jehen, in welcher Not und Angſt ich mid)
Belhagen A Rlafings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bd. 19
989 Iesse ee Ee Borwin Carlig: BESS SeSesessesssss4
ande ..." Bittend bob [ie bie Hände
och.
„Sch bin in erfter £inie ein Mann ber
Politif — aber wir werden ja jehen, was
geichehen Tonn, Jetzt bitte ich jedoch mid
zu beurlauben. Sch habe nod) andere dienft-
liche Angelegenheiten hier zu erledigen.
flbrigens hoffe id) troß alledem, daß id) in
ipátejtens aht Tagen den erjten Brief von
Ihnen erhalten werde. Andernfalls würde
id) mir erlauben, nad) diejer Zeit perjönlich
vorgujpreden und mir bie erbetenen Aus»
tünjte zu holen.“
aum war er gegangen, als Gwendolin
in ihr Schlafzimmer ftiirgte und Do weinend
vor Scham und Empörung aufs Bett warf.
Zieler unverjdamte Barbar mit ben Allüren
des Weltmannes, was hatte er gewagt, ihr
zu fagen! Jn biejem Wugenblic wäre fie
imftande gewejen, einen Albaner für zehn
Kronen zu dingen, um ihn Dinterrüds er-
ichießen zu laffen. Allmählich erft wurde fie
ruhiger und badjte: ‚Dh, Hans Briefen, wenn
du wüßtelt, was ich für dih getan habe!
Wher du darfjt es niemals, niemals erfahren,
was für eine elende Spionin id) beinettpegen
werden muß. Du wäreſt imjtande, mid) zu
verachten mit deinem unbeugjamen, ftrengen
Gefühle für Anftand und NRechtlichkeit. Aber
gerade darum liebe id) bid) um |o mehr.‘
Unterdejjen fap Herbert in feinem Ge:
Ihäftszimmer, das von niemand außer fet:
nem vertrauten Gefretär betreten werden
durfte, und jchiefte folgendesChiffertelegramm
nad London:
„Baron Traubenberg aus Cettinje hat
verjucht burd) Beltechung eines meiner An-
eitellten in ben Beli meiner Berichte zu
ommen. Gein Angebot ift |djeinbar ange:
nommen worden, Ich erbitte Wnweijung,
ob und weldje fingierten Beridyte id) thm in
die Hand fptelen fol.”
Dann begab er fih an bas PMtafrophon,
das ihn durch einen perjtedt angebrad)ten
Apparat mit dem Zimmer feiner Frau ver:
band und das er joeben erfolgreich benugt
hazes jedes dort aud) nod) fo Ieije geflüſterte
ort fonnte er verjtehen. Als er fid) über:
zeugt hatte, daß niemand mehr dort war,
rieb er fid) vergnügt bie Hände. Wenn diefe
Gade gelang, dann haste er feiner Regie:
rung einen wertvollen Dienjt geleijtet, der
ibm nicht vergejjen werden würde.
Geiner Frau gegenüber wollte er weiter
den Harmlojen jpielen. Go fonnte [ie ihm
wider ihren Willen vielleicht mehr nügen,
als durch Die Sache mit Ferucci. Snnerlid)
fühlte er fogar eine gewilje Bewunderung
für Gwendolin. Wie gejdjidt hatte fie fid)
dem jdjlauen Ruffen gegenüber benommen!
8 g c
8
Einige Tage |páter traf Baron Cotta
auf der Straße mit Major Wächter zu:
jammen.
„Wie gut, Herr Major, dak wir uns hier
begegnen. Ich bätte Gie ſonſt aufluchen
miüjjen. Wenn Gie einen Augenblid Zeit
haben, dann Tonnen wir in mein Bureau
gehen, id) habe wichtige Dinge mit Ihnen
gu be|predjen."
Wächter [timmte zu, und die Herren be:
gaben fih in das nicht febr entfernte Amts»
gebäude Ojterreid-Ungarns, in deffen unterem
Stodwerte fih bie Bolt ber Doppelmonarchie
befand, die ebenjo wie Italien eine eigene
Poftanjtalt in Skutari unterhält.
In einem nad) dem Garten zu gelegenen,
uteingerichteten Zimmer nahmen die Herren
lag. Nachdem bie unvermeidlide Bigas
rette angezündet war und der Ronjul nad
angenehmer morgenländijcher Gitte Kaffee
bejtellt hatte, begann er: „Schlimme Nad-
richten — Gie willen es — haben wir von
ber jerbijchen Grenze befommen; bie alba:
nijde Tragödie dort geht ihrem Ende ent»
gegen, und Nd aby Szenen [pielen jid) in
bem unglüdlichen Lande ab. Gchlimmere
find leider zu erwarten. Der Auffitand ijt
nad) anfänglichem Erfolge überall gefcheitert,
und bie Gerben fallen jet wie bie Raub»
tiere fiber das arme Bolt ber. Eines nur
haben die Albaner erreicht: ihre Frauen und
Kinder haben fie mit fih genommen und
über die Grenzen ins Innere des Landes
abgejchoben.“
Bedächtig entzündete Cotta feine zweite
Zigarette, wartete, ob ber Deutjche etwas
einwerfen würde. Da dies nicht gefdab,
fuhr er fort: „Diefe grobe Anhäufung von
Menjchen verurjadt aber in bem nur ſchwach
bevdlferten Lande eine Hungersnot, bie tag:
taglid) zunimmt. Unſer Ronjul in Tirana
berichtet, daß dort und in Elbajan über
20000 Flüchtlinge ole find, deren
CH zum großen Teile unmöglich ijt.
Mir haben bereits ein Schiff mit Nahrungs:
mitteln nad) Durazzo beordert, bie von dort
mit Laftautos auf der einzigen Chaufjee, bie
es in Albanien gibt, bis Tirana vorgebradjt
werden folen. Bon hier werden wir Trag:
tiertolonnen ausrüſten und fie bis ah bte
Grenze bei Prijren vorjdiden, um wenig:
jtens der größten Not etwas zu fteuern.
Wud England hat fih bereit erflärt, mit
Geld und Nahrungsmitteln zu helfen, wäh-
rend wir von Stalten nod) feine zulichernde
Antwort erhalten tonnten. Die jchlimmite
Hungersnot wird demnach wohl bald bejei«
tigt fein, aber es gibt nod) andere Sorgen
politijd)er Art. Die Gerben, nicht zufrieden
damit, die Albaner wieder über ihre Gren:
zen guriidgetricben zu haben, find ihrerjeits
in Albanien eingefallen. Belgrad hat auf
unjere Brotefte wie immer geantwortet, dah
wir faljch unterrichtet wären, verweigerte
aber gleichzeitig unjeren Ronjuln in Brifren
unb Monajtir die Erlaubnis, fid) an Die
Grenze begeben zu dürfen. Daraufhin Bat
die Dionarchie jid) mit Berlin in Verbindung
gelebt und beantragt, daß je ein deutjcher
und öjterreichilcher Offizier von hier nad) ber
Grenze entjendet werden folen, um die Ber:
Haltnijje dort feitzuftellen. Goeben erhielt ich
die Nachricht, dak Berlin zugeftimmt hat.
CSS SSSA Der Shuk auf bem Bardanjol BSsseesessd 283
Sft Ihnen, Herr Major, ſchon etwas dare
über befannt ?“
„Bis jet noch nicht, Herr Konful, aber
es wird jhon noch tommen.”
„Run, ich wollte es Ihnen nur für alle
Fälle mitteilen, damit Sie Ihre Borberei»
tungen treffen und fid) Ion mit Oberitleut:
nant Bopp bejprechen Tonnen."
„Ich dante Ihnen jehr und werde jofort
zum Herrn Oberitleutnant geben."
Einige Stunden ſpäter [prad) er mit
Briefen.
„Lieber Briefen, id) habe einen ebenjo
wichtigen, wie ehrenvollen Auftrag fiir Sie.
Sie haben von den "^ a an der fer:
bilden Brenze gehört. Alles Nähere werden
Cie von Oberjftleutnant Bopp erfahren, ber
eingehende Berichte darüber bejigt. Unjere
Regierung ijt mit ber öjterreichijchen über:
eingetommen, je einen Offizier an die fer:
biicye Grenze in der Gegend von Prijren zu
iiden. Die Herren follen melden, ob und
wo fic) bie Serben Brenzüberjchreitungen Au:
ichulden tommen laffen. Bon öjterreichiicher
Seite ijt der Hauptmann Pleg bejtimmt,
während ich Cie in Ausficht genommen habe.
Beitimmend für mid) waren nicht zuleßt Ihre
uten Beziehungen zu den Albanern, wobei
td) in eriter Linie an Ihren Freund Fuad
dachte. Id) bin überzeugt, daß er Ihnen
mit Rat und Tat behilflich fein wird, be:
jonders bei ber Ausrüftung Ihrer fleinen
Expedition, denn Cie follen aud) drei unjerer
Leute mitnehmen. Ihre Aufgabe erfordert
Fatt und Gejdjid. Unter Umſtänden ot Dei
Cie fid) mit ben ferbijden militäriſchen Aus
toritäten in Verbindung jeben, was Ihnen
vielleicht eher rant wird, als Ihrem
öfterreichiichen Kollegen, bem die Gerben
von vornherein Mißtrauen entgegenbringen
werden. Bon öjterreichilcher Seite foll iibri-
gens eine Stafettenverbindung von vier Ra:
valleriepoften gelegt werden, bie es Ihnen
ermöglicht, in etwa zwei Tagen Nachrichten
von dort hierher gelangen zu laffen. Ich
gebe Ihnen für alle Fälle eine Beheimchiffer
mit. Heute und morgen haben Cie nod) Zeit,
(id) Ihre Ausrüftung zu bejorgen. Das nötige
Geld wird Ihnen der Zahlmeijter anweijen.
Mächtigen werden Cie wohl met in den
dortigen Hans, wo fie mit Anjeftenpulver
nicht baren dürfen, falls Sie nicht in irgend:
einem Dorfe mit fatholijcher Bevölferung
beim Pfarrer unterfriedjen fónnen.^
Trog ber Freude, bie Briefen über feinen
Auftrag empfand, war fein erjtes Gefühl:
Syebt muß id) mid) bod) von Gwendolin
trennen.‘ (Gr beihloß, möglichſt alle Bor:
bereitungen bis morgen mittag 3u vollenden,
um den Nachmittag noch fiir die Beliebte
fret zu haben. Schnell ſchrieb er ihr ein
paar Worte und meldete feinen Beſuch für
morgen nachmittag an.
Dann begab er fid) zum Oberftleutnant
Bopp, mit dem er alles Weitere vereinbarte,
und ſuchte Jchließlich feinen Kameraden auf
der Expedition, den Hauptmann etj auf,
den er bereits als liebenswürdigen, flotten
unb febr jchneidigen Offizier kannte.
Pleg war Ion mitten in feinen Vorbe—
reitungen. „Servus, Herr Ramerad, das ift
aber Gs daß ich mit Ihnen zufammen bie
Ehr’ haben werde. Was meinen Cie, follen
wir nicht bu zueinander jagen, wie es fih
für amer Reijende o bte zujammen in
die Wildnis geldjidt werden?“
Briefen war natiirlid) einverjtanden.
„Und nun will ich bir eins jagen, Herr
Ramerad, ihr Deutjche ver[tebt ja bod) nichts
von derartigen Ausrültungen, während id)
ion in ber jchönen Stadt Mojftar in Gar:
nijon geltanden bin, wo wir qu unjeren
Train auf Tragetieren verladen haben. Alſo
hau ber. Du überläßt mir die ganze Gorge
für unjere Ausrüftung und beteiligft bid)
nachher nur an ben hoften. Die nötigen
Tragetiere Dellt mein Detachement. Auch
zwei Zelte gehen mit, ein fleines für uns
und ein größeres für bie SUtannjdjaft. An
Proviant werden wir Refs, Marmelade und
genügend Ronjerven aufladen, dazu einen
Spiritusfoder für Tee und Kaffee. Fleij
befommen wir unterwegs und zur Not au
Maisbrot für bie Mannichaft. Schön jchmedt
es nicht, aber es befommt gut. Dann werde
id) nod) mindeftens fünfundzwanzig Flajden
Piljener Bier mitnehmen, für mehr langt
leider der Pla niht, was Kr bedauerlich
ilt. Denn wie fol der Menih "ue Zeit
ohne Pilfener Bier leben fünnen? Natürlich
ftede id) Taroffarten zu mir, mein Zug:
führer tann als dritter mitjpielen.“
Ladend mußte Briefen befennen, daß er
leider nur Cfat jpielen Tonne. worauf ber
DÖfterreicher meinte, fold) Elend könne es
aud) nur in Deutjchland geben. „Nimm’s
halt nicht für ungut, Herr Ramerad. Mls»
dann Tonnen die Karten guriidbleiben.”
Comit ſchien alles Dan befte geordnet,
und Briefen erbot jid) nur nod), mit Hilfe
von — einen ſprachkundigen Dolmetſcher
zu beſorgen, was Pletz dankbar annahm.
Brieſen ging zum Hotel National, wo
Fuad wohnte.
Fuad ſaß in ſeinem höchſt ais»
aeitatteten Arbeitszimmer und verabjchiedete
gerade drei Albaner. Hocherfreut begrüßte
er den Freund, beitellte beim Kellner den un:
vermeidlichen Kaffee und bot Zigaretten an.
„Ich weiß, marum Cie zu mir fommen,“
jagte er lächelnd. „Ich habe draußen bereits
zwei meiner zuverläjligiten Leute, die jeden
Weg im Innern tennen und außerdem ge:
nügenb deutjch verjtehen, um Ihnen in allem
behilflich zu fein.”
Briejen bedankte fih einigermaßen er»
jtaunt, vermied es aber zu fragen, wodurd
jein Freund bereits um fein Anliegen wußte.
„Seien Cie nicht bóje," erklärte Fuad
weiter, „daß ich alle Ihre Schritte jo genau
bewachen ließ, aber id) hielt es im Intereſſe
Ihrer perjönlichen Sicherheit fiir nötig. Gite
haben einen Feind hier, ber höchſtwahrſchein—
[id) auch ben fiberfall auf dem Bardanjol
19*
284 EES) Borwin Carlig: BSSSSSS3IS3333333N
veranlabte. Wir find ihm ah auf ber
Spur, haben ibn aber mit Sicherheit nod)
nicht fejtlegen Tonnen, Um jo mehr hielt id)
es für nötig, Cie niemals unbewadt aus:
eben zu fatten. Auf jedem Ihrer Schritte
Folgt Ihnen einer meiner beiten Spürhunde,
der mir für Ihr Leben haftet und, wie id)
fher hoffe, auch eines Tages Ihren Gegner
zur Gtrede bringen wird.“
„sch weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen
danten fol, lieber Fuad, für alles, was Gie
meinetwegen tun. Cines haben Gie mir tat:
Tächlich bewiejen, daß bie gerühmte albanijche
Treue fein Märchen ijt."
„Ic. bin glüdlich, bag Sie meinem Bater:
. lanbe diejen Jeinen [tolaelten Ruhm zubilligen.
Ganz bejonders aber habe id) mid) gefreut,
baf gerabe Cie, mein Freund und Bruder,
dazu beitimmt find, uns Geredtigteit gegen
ben Ichlimmften unjerer Feinde, ben Gerben,
Au verichaffen. In Albanien wird man Ihnen
überall aufs [reunblidjte entgegenfommen
und zu jedem Dienjte bereit fein, denn der
Name Hanfi Aeman, Hans der Deutiche,
ift in der ganzen Mirdita und Maliſſa als
der meines Bruders ae Wollen
Sie fchnell und ficer eine Nachricht, ob
dienftlicher oder privater Natur, nach Dier
gelangen [ajjen, jo übergeben Cie den Brief
einem der beiden Dolmetjcher, und in |päte:
* ftens jechsunddreißig Stunden wird er hier
bei feinem Empfänger anfommen. Und zum
SC nod eins. Goll id Ce in Ihrer
Abwejenheit über irgendeine Perjönlichkeit,
die Ihnen lieb ijt, wachen laffen?“
Briefen aógerte einen Wugenblid, dann
fagte er: „Mrs. Herbert hat mir einen jehr
großen Dienit leilten wollen, für den id) ihr
ewig dankbar fein muß. Ich glaube aller:
dings nicht, daß fie jemals Ihrer Hilfe be:
bien wird. Es wäre aber bod) ein Gc-
fühl der Beruhigung für mid, wenn id)
wüßte, daß fie auf alle Fälle einen wach:
jamen Freund zur Verfügung Dat."
„Sie bat einen Bruder in mir," verjebte
der Albaner einfad. „Sch habe bie Ber:
mutung, daß fie den gleichen Feind fürchten
muß, der auch Ihnen ſchon nadjjtellte. Aber
jie [oll bebütet fein, als wenn ber jidjere
Schuß bes Harems fie bedte."
B] 88 8
Gwendolin und Hans Brieſen gingen die
Rue internationale hinunter in der Rich—
tung den Baſar.
„Es ſoll alſo nun wirklich für längere
Zeit das letztemal ſein, daß wir uns ſehen,“
ſagte die ſchöne Frau mit leiſer Wehmut in
der Stimme.
„Ja, liebe Gwendolin, id) muß morgen
in aller Frühe fort. Det Dienſt ruft mich,
da gibt es keinen Widerſpruch.“
„Wie danke ich dem Himmel, daß ich kein
Mann geworden bin. Diejer blinde Gebor-
jam gegen die Befehle der Vorgeſetzten, denen
man nicht wiber|predjen darf! Ich glaube,
id) wiirde fd)on nad) dret Tagen dejertieren,
Warum nehmen Cie nicht lieber ben Ab—
Ihied, um ein freier Mann zu fein?“
Briefen lachte über diefe echt englijden
Wnjdauungen feiner |chönen Freundin. „Ja,
mein Gott, was foll el denn aber fonft an:
fangen? Geld bejige ich nicht, und ich Hänge
an meinem jchönen Beruf!
„Das begreife id) wirkli niht. Aller:
dings fol ja ber Offizier bei Ihnen in
Deutjdland eine bejonders angejehene Stel:
lung haben, was bei uns niht der Fall iit.
Sd) würde mid in London niemals mit
einem Offizier in — auf der Straße
zeigen können, und unſere Herren legen nach
dem Dienſt ſofort Zivil an, weil die
für nicht als ſehr anſtändig gilt.“
„Dann allerdings möchte ich auch nicht
engliſcher Offizier ſein,“ ſagte Brieſen.
„Übrigens dante id) meinem © lé da
y. Soldat geworden bin, denn ſonſt würde
id) Sie niemals tennen gelernt haben.“
Gwendolin fchürzte bie Kippen. „Was
haben Cie |djlieBlid) von mir? Sch bin
Ihre gute Freundin und erlaube Ihnen,
daß Sie mir ein wenig den Hof machen.
Aber wenn Gie mid) niht tennen gelernt
hätten, dann würden Cie jegt mit einer an:
deren Frau flirten, die Ihnen vielleicht mehr
fein würde, als id) es tann.“
„D, Gwenbolin, reden Sie nicht jo! Bon
Ihnen fann ich diefen oberfládjlidjen Ton
nicht vertragen. Schon in Trieft, wo id)
Sie im Wagen ber Prinzellin jah, haben
Sie mir einen unverlöjchlihen Eindrud ge:
madt. Und wenn Cie es mir aud vers
boten haben, davon zu jprechen: heute, wo
id) weiß, daß id) Sie für lange nicht wieder
ſehen fol, muß id) Ihnen jagen, daß id) nicht
ruben werde, bis ich Ste errungen babe.
Und follte id) darüber zugrunde —
„Mein armer, lieber Freund! under
eſchehen heutzutage nicht mehr, und unſer
Fa tit ganglia) hoffnungslos. Wud) die
größte Liebe müßte [d)lieBltd) in ber grauen
Hoffnungslofigteit des Alltags untergehen.“
„Mögen Ste jagen, was Sie wollen, ich
lajje mir meinen Glauben nicht nehmen, und
id) babe die gewille — t, daß einſt
auch unſer Tag, der Tag unſeres Glückes,
kommen muß. Sonſt wäre das Leben nicht
wert, weiter gelebt zu werden.“
Schweigend gingen ſie weiter. Er un—
lücklich und niedergedrückt, trotz aller ſeiner
oam en, fie bebend vor Stolz unb Ges
ligfeit über den Mann, deffen Herz ihr ge
hörte. Wie nahe waren fie fid) in ber furzen
Zeit ihrer Belanntichaft gelommen. Gegen:
jeitig hatten fie fid) ihre Lebensjchidjale
erzählt und bald gefunden, daß fie troß der
änzlich ver|djiebenen Berhältnijje in allen
S ranen des Herzens und auch bes Berftan-
des übereinſtimmten. Mit 3artelter Gorg:
falt, bie fhon ihre fleinjten Wünſche oder
Gefühle im voraus abnte, fühlte fie fith um:
eben, bewunderte feinen Tatt und fein ver:
Händrtisnolles Eingehen auf jede ihrer in:
nerjten Seelenregungen. Und zuihremeigenen
niform
Keess ELESSE Der Shuk auf bem Bardanjol BELSK 285
Erichreden jagte fie fih in einer Stunde ber
Selbjtbetradtung, daß fie anfing, thre Eicher:
Heit zu verlieren. Aber fie wollte [tart blei:
ben, wollte nimmermehr in feinen Augen ihre
unnabbare Reinheit und damit ficher jeine
Achtung verlieren.
nterbejlen hatten fie fid) dem Gewirr
des großen Bajars mit feinen zweitaujend
Laden genábert. Es war ber Tag des
Pferde: und Gjelmarftes, und hunderte ber
aufgewedten, munteren Tiere wurden von
den Beliern den Käufern vorgeführt. Ein
Albaner zeigte einem frangofijcden Offizier
bie Vorzüge feines Heinen Schimmels.
Dicht vor dem Bajar führt ein jehr fteiler
Weg, mit Gers bededt, zur Zitadelle em:
or. Dielen Weg ritt der Albaner etwa
Fünfsig Schritte hinauf, madte bann febrt
unb trieb fein Pferd mit Peitſche und Spo:
ren zum vollen Lauf an.
Gin kurzes Sichweigern, dann ftiirgte bas
Tier, mehr als es lief, den [teilen Geröll:
pfad hinab mit unregelmäßigen, heftigen
Sprüngen, dabei jeden größeren Stein ver:
meidend, ftolpernd, rutidjenb, aber niemals
ad: und erreichte jchließlich ben ebenen
oben, wo es durch einen barbarijd hef:
tigen Rud an der ungeheuren, blanfen Rane
Dare faft auf der Stelle pariert wurde.
„Das fol mal einer auf bem Concours
in Paris nachmachen,“ meinte ber eine Fran:
goje. Doh der andere, anjdeinend jchon
länger in Gfutari zu Haufe, jagte: „Das ift
eine Probe, bie Gte tágli eves fönnen.
Wenn das Pferd bei bieler halsbredherijden
Übung nur die geringfte Schramme an Den
Beinen davonträgt, ijt der Rauf ungültig.“
Briejens ritterliches Herz empörte fid) bei
bieler Schinderei, während Gwendolin be:
gehen ben Schneid des Reiters und die
eidjidlid)feit des Pferdes bewunderte.
Briefen machte den Vorſchlag, zum Ab—
ſchied nod) einen Gang auf bie end zu
unternehmen. Langjam ftiegen jie den ftei-
len Pfad zu dem alten BWenegianerfajtell
hinauf, wo ihnen taum ein Menjch begeg:
nete. Nur als Briefen fid) einmal unver:
ane umblidte, jah er hinter der legten
egung des Weges einen Albaner ftehen.
Alnjer Schußengel folgt uns," jagte er
zu Gwendolin.
Jetzt bettaten fie bas alte Tor mit den
peri en Steinmauern, bie bisher nod) je:
ber Beſchießung getroßt hatten. Ein dunfler
Bang führte auf einen weiten, lichtdurch:
ftrömten Hof, auf dem fih eine Mtilitarwade
befand, bte am heutigen Tage von den Sta:
lienern gefte—lt war. Die Gebäude, bie einft
ay ftanden und vom venezianiſchen Statt-
alter von Albanien bewohnt waren, bil:
deten nur nod) miüjte Triimmerhaujen. Er:
balten waren allein bie mächtigen Ring:
mauern und bie Kellergejchojje, bie ber
Wade als Unterfunft dienten. Auh eine
fleine romaniſche Kapelle, dicht an die Mauer
geld)miegt, war ber Zeritörung entgangen.
n emer Öffnung der Mauer [tanben
drei englijdje Soldaten bei einem Helio:
raphen, der Verbindung mit dem englijden
djladjtidjiif unterhielt, bas draußen im
Meere vor der Bojanamündung freugte.
„Laſſen Cie uns hinauf geben, oben auf
bie höchfte Stelle der Mauer, wo der Flag:
genmaft fteht,“ Jagte Gwendolin. „Dort tjt
eine Bant, auf ber ich ſchon öfter geträumt
habe.“ Bald erreichten fie bie Denfwiirdige
Stelle, wo an bemjelben Mafte, friedlich
vereinigt, bie Flaggen derjenigen fünf Groß:
mádjte flatterten, bie Detachements in Sfu-
tari unterhielten. Sie ſetzten fih nieder,
und Briejen zeigte mit der Hand nad den
albanijdjen Bergen hinüber, bie drohend in
wunderbarer Majeftät heriiberjdauten.
„Dorthin wird mein Weg geben —“
Da bligte in Gwendolins Augen ein Ent:
Ihluß auf. „Auch id) will fort von bier.
Auch id) will nad Albanien hinein, wo id)
Ihnen Gite He ne bin.“
Und als Briejen jie ungläubig fragend
anjab, fagte fie: „Sie wilfen, id) bin mit ber
SBringelfin Bolane, wenn auch nicht befreun:
det, jo bod) gut befannt. Gie befindet [id)
jegt auf ihrem Konat in Bolane und hat
mid) — ich [prad) Ihnen wohl ſchon einmal
davon — mebhrfad) eingeladen, fie zu be:
judjen. Bisher wollte mein Dann mir nie
die Erlaubnis geben, jebt aber bietet [id)
eine gute Gelegenheit für mid. Die Prin-
ejfin ſchrieb mir noch geftern, daß fie bei
Dé eine große Anzahl der armen Flücht:
linge aufgenommen habe, und bat mid, ihr
bod) Nahrungsmittel und Kleidungsftüde
gugujenden. Ich weiß, daß in wenigen Ta:
gen eine engli|dje Hilfsexpedition dorthin
gehen wird. Der werde id) mich anjchließen,
um mich mit der E ber Gaben an
die albanijchen Frauen zu befajjen.“
Faſt ein wenig ſchelmiſch jab fie Briefen
an. „Niemand, auch mein Diann nidjt, tann
mir einen Vorwurf wegen bieles wobltatt-
gen-Zwedes machen, und id) erreiche es, daß
id) Ihnen um mindeftens zwei Tagemärjche
näher bin, daß ich um jopiel früher Ihre
Briefe erhalte und, falls Ihnen etwas zu:
itoBen folte, jdjnelle Hilfe ſchicken tann.”
Ganz bejeligt und [trablenb vor Freude
war fie über ihren Plan.
Und Briefen, der glüdliche Unglüdliche,
hätte fih bieles Mal nicht durch einen ab:
weilenden Blid aus den dDunflen Augen
zurüdhalten lajjen, jondern war gerade im
Begriff, bie geliebte Frau troß allen Wider:
ftrebens in feine Arme zu jchließen, ba be:
merkte er hinter einem Mauervorjprunge
den Schatten feines albanijdjen Schußengels,
den er jebt aus innerjtem Herzen ver:
wiin)dte.
So ergriff er wenigitens ihre Hand und
jagte ihr joviel |djóne, liebe und törichte
Worte ins Ohr, daß das Blut ihr heiß über
das Geſicht [trómte. Gang ſchwach und
willenlos war fie in Diejem Augenblid, und
ein plóblidjer Schwindel fam über fie, fo
daß fie die Augen jchließen mußte. Bis fie
e
2 ab ab Ze
fid) endlich gewaltjam aufraffte und ftam-
melnd bat: „Laſſen Cie uns geben .. ."
& 8] 88
Auf bem Frühftüdstiich fand Gwendolin
am nächſten Wlorgen einen Brief von Trau-
benberg, der äußerjt vorlichtig gehalten
war und in dem er [ie nur bat, ibm bod)
bald einmal von ihrem (rgeben zu jd)reiben;
er miijje jih Jonjt wirklich wieder perjönlich
nad) ihr umſehen.
‚Der Rujje hält feft, dachte fie, ‚was er
einmal in den Händen zu haben glaubt.
Wud) barum jchon muß id) von Sfutari fort.
In den Bergen ber Malijjia wird er mid
nicht auffuchen und würde aud) faum lebendig
wieder beraustommen.
Nun galt es nod), Herbert von ihrer Ab:
idt in Kenntnis zu jeßen. Der Diener
agte, Der Herr Konful jet in feinem Ge:
heimburcau, und als Gwendolin thn herauf:
bitten ließ, fam er aud) nad) einiger Zeit
unb entjdjulbigte fih, daß er gerade bei ber
Arbeit gewejen wäre.
Bwendolin jegte thm ihre Pläne ausein-
ander und jchien jo feft entjd)Iojjen, daß Her:
bert es für. gut hielt, feinen ernjten Wider:
jprud) zu ergeben. Nach einigen Bedenken
und Einwendungen nahm er thr aber dod
das Verjprechen ab, nicht länger wie vier:
zehn Tage fortzubleiben.
In biejem Augenblid erjdien der Geheim-
jetretár, entjchuldigte fid) bet Gwendolin und
bat Herbert, jofort in dringender ?Ingelegen-
heit herunterzutommen, Der Ronjul [|prang
erregt auf, jtieß eine Art Gntidjulbigung
hervor und verließ eilends das Zimmer.
Einen unverjd)lojjenen Brief, den er in der
Hand gehalten hatte, ließ er auf bem Tijche
liegen. Gleich darauf jah Gwendolin, wie
er mit bem Gefretdr zujammen eiligjt bas
Haus verlief.
Cie nahm den Brief, ber das Format
ber Dienjischreiben hatte, jab, daß es ein
Bericht an das Foreign Office war, und las
ihn. Nach einigen allgemeinen, den Sienjt
in Gfutart betreffenden Gaden fam Herbert
auf Viontenegro zu jprechen. Hier Donn be:
jonbers ein 9[bjab, ber ihre Aufmertjamteit
erregte. Er lautete: „Ich bin nach wie vor
ber Wietnung, dah es nur in unjerem eiae:
nen Snterejje liegen fann, wenn wir Die
ruſſiſche Politik in Montenegro mit allen
Kräften unterjtüßen. Ein Hafen, wie bie
Boche von Cattaro, darf niemals völlig in
die Hände der Hjterreicher fommen. Sc)
erlaube mir die Anfrage, ob wir nicht jo
weit gehen Tonnen, Wiontenegro willen zu
[ajjen, daß wir einen etwaigen ölterreichifchen
Angriff auf den Lovcen niemals aulajjen
werden? Wit meinem Freunde, bem Baron
Traubenberg in Cettinje, ftehe id) mich aufs
bejte. Wir taujchen beide riidbaltsIos die
uns gemeinjam berührenden Nachrichten aus
und arbeiten in den albanijden Fragen
Hand in Hand.“
Das war etwas für Traubenberg. Es
mußte ihn aufs Dbodjte interejlieren, daß
A Borwin Garli5: BSSS3ISSS3S3333333
nn loyal mit ibm zulammen arbeitete.
ußerdem konnte diefje Mitteilung bie eng-
lijdhen Plane in feiner Weije jchädigen,
würde fie vielleicht fogar nod) fördern.
Raſch Ichrieb Gwendolin bte betreffenden
Gage ab und ai D dann den Brief wieder
auf bie alte Stelle. Gie fam jid) bod) wie
eine 3Berbredjerin vor. Dieſes folie aber
auch das einzige und Iebtemal fein, daß fie
Lei Traubenberg arbeitete. Es jollte, jo
tellte fie fid) vor, eine Art Losfauf fein, ein
ena iger es p
leid) darauf fam Herbert zurüd unb er:
ihien jehr erfreut, daß der Brief jcheinbar
unberührt auf dem Tijche lag. Dann begab
er fic) in fein Bureau, wo er an einem, an
dem Schreiben angebrachten Geheimzeichen
voller Vergnügen Koppes. daß ber Bogel
auf den Leim gegangen war.
Diejes erfte Mal hatte er abfidjtlid) nur
verhältnismäßig belangloje Dinge in bem an:
geblidjen Berichte gejdrieben. Erjtens wollte
er Traubenberg ſicher machen, und dann folte
Gwendolin gre durd) ben ziemlich harm:
Iojen Inhalt dazu verleitet werden, Den
Spionagedienft A leilten. Er wußte, dab
fie beim erjten Verſuch eine ganz bejonbers
hohe Geldjumme als Entgelt erhalten würde,
um fie für weitere Dienfte gefiigtg zu machen.
Das war allgemeiner Braud) beim geheimen
Nachrichtendienite, ber jchließlich in jedem
Staat mehr oder weniger der gleiche ijt.
Co große Summen, wie Rußland für diefe
Sede ausgab, fonnte allerdings jelbjt das
reiche Foreign Office nicht aufbringen.
Wenn dann Gwendolin erft einmal Gee
Ihmad an der Sache gefunden hatte, bann
wollte er ihr [päter ganz einfad) mitteilen,
daß er von ihrer Spionage unterrichtet fei.
Damit befam er fte völlig in die Hand
und konnte verlangen, daß jie Traubenberg
die Ba jo aufpiette, wie er es haben
wollte. Den fchlauen Ruffen derartig hin:
ters Licht zu führen, bereitete ihm ein ganz
bejonderes Vergnügen.
Als er alles Gejchajtlide erledigt Hatte,
fiel ihm ein, daß ja heute Sonntag war.
Eine englijdje Kirche gab es nicht in Sku—
tari, aber er fühlte Dod) das Bedürfnis, eine
Stunde ber inneren Weihe und Cammlung
zu vollbringen. Co holte er fih denn feine
Bibel hervor und las anbadjtsvoll dort, wo
er fie zufällig aufihlug. Man mußte als
uter frommer Brite bod) feinen firdliden
onntagspflichten gerecht werden. —
8 28
Unterdeſſen war Gwendolin zu Oberſt
Brandon gegangen, um feinen Rat wegen
ihrer Teilnahme an der englijhen Hilfsex:
pedition nah Bolane zu erbitten.
Brandon verhehlte ihr die Schwierigfeiten
einer folchen Reife nicht und batte alle mög:
lichen Bedenken. Zwet Tage lang von mor:
gens bis abends würde der Marſch dauern,
denn bie Tragtiere fónnten nur in lang:
[amen Schritt pormürtstommer, Bejondere
Schwierigkeiten machten die Unterkunft und
BSFISFIIFSFFFFTN Der Shub auf bem 3Barbanjol Kësse 287
Berpflegung einer Dame, die allein mit jo
vielen Männern zujammen wäre, denn ihre
Jungfer, die wohl nicht reiten Tonne, müßte
ihon aus diefem Grunde zurüdbleiben.
Bwendolin aber beharrte auf ihrem Ente
ſchluß, und Brandon riet ihr darauf, jid) mit
Kapitän Richards, dem Leiter der Expedition,
weiter zu belpred)en. Brandon jelber führte
fie zu ibm, der in ber englijden Rajerne mit
Doktor Headly und einem Werwaltungs:
beamten die Vorbereitungen betrieb.
„Hier, Vir. Rihards,” jagte der Oberit.
„Hier bringe ich einen Teilnehmer an Ihrer
Expedition und bitte Sie, Mrs. Herbert
Ihre bejonbere Unterftügung zuteil werden
u laffen. Sie wird Ste bis nad) Bolane
begleiten. wo jie bei ber Prinzejlin zu Galt
geladen ijt.”
„Sch freue mich außerordentlich“ — lächelnd
verbeugte jid) Rihards, — „Daß Lady Gwen:
dolin uns Die-Ebre erweijen will, mit uns zu
reifen, und ich bin Her, daß ein jeder ber
Gentlemen und Boys fih ebenjo geehrt füh-
fen wird.“
„Werde ich Ihnen nicht zu große Unbe:
quemlidfetten machen?” fragte Gwendolin,
„Aber nicht bte geringiten. Ich will alles
aufs Befte arrangieren, denn id) babe jhon
Erfahrungen auf meiner Hochzeitsreife ge:
fammelt, bie ich mit meiner Frau nad) den
Quellen des Nils machte. Darf ich gleich
ein paar fragen an Sie ftellen ?“
‚Sch bitte bes Mr. Richards.”
Pr rag ie in drei Tagen reijefertig
fein ?“
„Ja.
„Kann Ihre Jungfer reiten?”
„Kein, leider nicht. Ich werde ohne [ie
ausfommen mülfen.“
„Das madj nichts. Ich babe einen fa:
molen Boy, Bill NRodefeller. Er ijt aber
fein Verwandter bes Olfinigs. Sd) garan:
tiere, daß er Sie frijieren tann und Ihnen
auch jonjt helfen wird, wie die befte Jung:
P.
„Sch werde Mir. Rodefellers Dienjte faum
in Anipruch nehmen.“
„Können Gie zwei Tage lang etwa adt
bis zehn Stunden im Gattel figen?”
„Ich hoffe ficher.”
„Wollen Cie in einem Feldbette im Zelt
djlajen, oder wagen Gie es, bie Gajtfreund-
haft eines fatholijcden Priefters in 9Injprud)
u nehmen, in dejjen Ort wir die Jlacht per:
ringen wollen?”
„sch glaube, dak ich den Herrn Pfarrer
um Quartier bitten werde.“
„Nehmen Sie Ghre beiden Pferde mit?"
„Ich wollte E nur den Baldaquin
mitnehmen, denn Die en ift auf febr ftet-
lem Boden niht ganz zuverläſſig.“
„But, dann nehme id) nod) ein Referve:
ferd für Cie mit. Die Hauptfragen wären
omit erledigt, und alles Weitere werde ich,
wenn Cie gejtatten, Ihnen übermorgen mit:
teilen.“
„Vielen Dant, Herr Rihards, für die
liebenswürdige Auskunft, bie Cie mir nicht
nur als den geborenen Unternehmer zu Ex:
peditionen, fondern aud als perfetten Gent:
leman erjcheinen läßt. Nun will ich Sie aber
nicht weiter in Ihrer Arbeit ftören. Noch:
mals vielen Dant und auf Wiederjehen.“ —
28 & 8
Da war ein Tag der Aufregung für
Skutari.
Morgens um ſieben Uhr ſollte die eng—
liſche Hilfsexpedition abmarſchieren, aber
ſchon eine halbe Stunde vorher war faſt
die ganze fremdländiſche Kolonie mit Herren
und Damen auf dem Hofe der Kaſerne ver—
ſammelt. Ein großer Teil erſchien zu Pferde,
um eine Strecke mit zu reiten, die übrigen
wollten wenigſtens das Ereignis mit anſehen.
Auch viele Albaner waren gekommen, um
dem Auszug der Kolonne beizuwohnen, die
den Ihrigen Hilfe bringen wollte.
Natürlich ging. es nicht ohne Reden ab.
Baron Cotta, der Doyen der fremden Kon:
juln, Jprad) auf bie Mtildtatigfeit Englands,
das fogar eine feiner jchönjten und beliebte:
ten Damen zu ben Notleidenden Iddie, und
hloh mit einem Hod auf Gwendolin, der
tapferen 3Bertreterin. Englands.
Auch ber Biirgermeijter von Stutari redete
Albaniich, bas von einem Dolmetjcher ins
SC Te überjegt wurde, auf bie fünf
ejabungsmadte Sfutaris und bradte fein
Hod out Albanien aus, was bern zu
feiner Rede nicht paßte. Die Mufif aber fakte
die Gade falid) auf und Jpielte hinterein:
ander die Hymnen aller Mächte, was febr
lange dauerte und Die Dffiziere wenig er:
freute, bie nun mindeltens gehn Minuten
ma bie Hand an der Mütze JE mußten.
nblid) jebte fid) der Zug in Bewegung.
Boran bie englijde Kapelle, dann die Offi-
iere Der Expedition mit Gwendolin in der
litte, denen alle berittenen Herren und
Damen folaten, und zum Schluß der Kolonne
bie jchwerbeladenen fünfzig Pferde.
Gwendolin fah reizend aus in ihrem ge:
teilten Rhafirod und einem Tropenhelm. Mit
[autem Hurra wurde fie ron ben Zurüde
bleibenden verabjdiedet. Wud) Herbert be:
fand fid) unter ben Vittreitenden und nahm
mit vollendeter Höflichkeit bie Komplimente
entgegen, die ibm von allen Geiten über
jeine tapfere Frau gemacht wurden.
Wohl zwei Kilometer lang ging der Zug
burd) die Rue internationale, Die Dicht
voller Menſchen ftand. Aus allen $yenitern
ah es heraus, und jogar hinter ben Gitter:
täben ber Rawejjen lugten neugierig und
Iden bie Damen bes Harems hervor.
Es war eine glänzende Reflame für Eng:
land, ben Beſchützer und Wohltäter aller
Unglüdlichen unb Werfolaten,
Wor den Toren der Stadt blieb die Ra:
pelle zurüd, und als man fid) nad) einer
Stunde dem (fingange der Berge näherte,
verabjchiedeten lich auch Die begleitenden
Herren und Damen, und nur Herbert ritt
nod eine teine Ctrede weiter und nahm
9088 BESSHEHCHESEHE ST SE Borwin Carlig: Bi
bann [o liebevollen Abjchied von Gwendolin,
daß man an dem gefeltigten Gliide Ddiejer
Ehe feinen Zweifel aes fonnte.
Als Gwendolin dann von ber erften Höhe
einen Blid auf die fid) fortwährend win:
dende Straße zurüdwarf, jah fie, dak die
Kolonne fajt einen Kilometer lang geworden
war. Wo ein Tier zu gan lam ober eine
€ajt rutichte, mußten bie Nachfolger fo lange
warten, bis man bie Schäden behoben hatte.
Das verzögerte natürlid) bie Marjchge-
Ihwindigteit febr, |o daß erit nach fünf
Stunden ber Pak erreicht war, hinter bem
ih das innere Albanien öffnete. Hier bei
em eriten Dorfe, bas feit Dem Eintritt in
die Berge gaer wurde, jollte ein längerer
Halt und Mittagpauſe gemacht werden.
Ein Feuer wurde jchnell angezündet, über
bem bas Mittagejjen, bejtehend aus mit:
ebradten Konjerven, aufgewärmt wurde.
in Heiner Tijd) mit Feldſtühlen Honn jchon
bereit, und bald ſaßen die drei Engländer
vergnügt beim Mahle. Brot und Chianti
in der befannten bidbüiudjigen Flajche gab
es Dazu, und zum Schluß Parmeſankäſe und
Wajfermelonen. Lange, |djerate Gwendolin,
hätte fie nicht jo köſtlich gogo
9tad) einer Stunde Aufenthalt ging es
weiter. Der Weg wurde jest immer [chlechter
und ftellenmeije geradezu gefabrlid. Mehr:
ae lagen in den Schlünden der Gteilabfälle
eitwärts des Weges die Gerippe von ab:
EE Pferden. Wenn GwendolinSchwin:
bel zu befommen fürchtete, jchloß fie em:
fad) bie Augen und überließ fid) willenlos
em — Baldaquin, der ſie, ohne
jemals zu ſtolpern, über alle Schwierigkeiten
des Weges hinwegtrug.
Während in der Nähe Skutaris alle Hänge
gänzlich unbewaldet waren, reichte hier bts
auf bie hidjten Spiken der Berge ein dichter
Laubwald, der fhon überall in den ver:
diedenjten rotbunten Tönen des Herbjtes
dimmerte. Zweimal ging es tief hinunter
unb ebenjo oft wieder bergauf, bis auf eins
mal der höchſte Pah erreicht war, von bem
(id) eine wunderbare Auslicht bot. Hier wurde
wieder ein Halt eingelegt, denn ein Kleiner
Han bot die Gelegenheit, frijden Kaffee zu
befommen. Während der Albaner an offenem
Teuer den Kaffee in einem Kupfergejäß mit
langem Gtiele fochte, nahm Rihards bie
Karte vor, um fid) uber bie Gegend zu orien:
tieren. ,
Dann erklärte er Gwendolin bas groß:
angr Panorama.
„Weit hinter uns Tonnen Cie ganz ver:
jhwommen nod die Adria ertennen, wäh»
rend Die Dagwijdenliegenden Berge bei Stu-
tari uns Jdon gang flein erjcheinen. Links
leben Gie über Montenegro den hohen Berg
mit einer nad) bem Meere zu geneigten
Nafe. Das ijt der berühmte Lovcen, Die
ſtärkſte Feſtung der jhwarzen Berge. Weiter
vorwärts fommt dann bte Kette ber nord:
albanijden Alpen. Die fpiken Baden, die
ihon überall mit Schnee bebedt find, find
bie Profletia, der faft gänzlich unbewohnte
Teil Albaniens. Daran anjchließend folgt
bas Boragegebirge, deffen äußeriter und
höchiter Punit ber Sfiiljen ift. Cie feben
den mächtigen Berg, ber in einem Wollen-
tranze verjchwindet. Er bildet bas Wahr:
zeihen von ganz Nordoftalbanien und ift
erit ein eingiges Mal von Mitteleuropäern
eritiegen. Wor uns jehen Cie ein Gewirr
von Bergfetten, bie bis nad) bem jerbijchen
Mazedonien fid) fortjegen.”
„Und wo liegt Brijren ?" fragte GwenDdolin.
„Eben dort vor uns. Wenn wir fünf
Tage ununterbrodhen weitermarjdierten,
würden wir in der Nähe der Stadt fein,
wo einjt Dunjchan ber Große eine mächtige
Burg bejaß, von der er bis Konftantinopel
und Belgrad, von Galonifi bis Gfutari
herrſchte.“
Sinnend ſah Gwendolin in die verſchwim—
mende Ferne. “Dort alfo weilte ber Freund.
Vielleicht ſtand er auch auf einer der Höhen
und blickte ſehnſüchtig gen Weſten, wo er
die Geliebte wußte.
Jetzt kam der Wirt mit dem Kaffee. Dur
den Dolmetſcher befragt, erklärte er, da
bis zu dem Dorfe, wo genächtigt werden ſollte,
noch eine Stunde Wegs ſei. Der Pfarrer wäre,
wie er d alae wüßte, zu Haufe. Das war
Richards jehr angenehm zu hören, denn er
hatte fid) bod) |djon Sorgen gemadjt, wo er
WC Gwendolin unterbringen folte.
ebt wurde wieder aufgebrochen, aber
aus der angejagten einen Stunde wurden
drei, |o daß es faft dDunfelte, bevor fie bas
Tagesziel erreichten.
er Pfarrer, ein nod junger Mann, der
don in Rom gewejen war und fließend
italieniſch [prad), I Gwendolin voller
Freude auf. Nur zu ellen könne er ihr nichts
anbieten, da feine eigene Nahrung fait nur
aus Brot mit Paprita oder Knoblauch be»
kee Das Haus jah redit qut unb
reundlih aus, und aud bas Bett madhte
einen vertrauenerwedenden Eindrud.
Da die Tragtiere mit ihrem Bepäd now
nicht angefommen waren, wuld) Gwendolin
(id nur notdürftig mit bem genebten Hand»
tuhe. Gleich darauf ließ and Richards
ihon zum Wbendefjen bitten, bas in ber
Stube des Pfarrers eingenommen wurde.
Der geijtlide Herr ſprach dem guten Chianti
eifrig zu und wurde bald recht lebhaft.
Als bann Gwendolin zu Bette geben wollte,
fand jie bereits ihre ganzen Goen aufs
lorafáltigite ausgepadt. Sogar die Bummi:
badewanne mit warmem Waller darin batte
ber geldjidte Rockefeller bereitgejtellt und bas
Mostitoneß über dem Bette befeftigt.
Am nächſten Mittage famen jie in Bo:
[ane an. Bereits eine Stunde vorher hatte
Prinz Javor fie an ber d von etwa
seed berittenen Männern feierlich emp:
angen. Der berühmte Fürſt der Kaftrat:
war ein älterer, wohlbeleibter Herr von guti
miitigem Wusjehen, gekleidet in jchwarzen
Gehrod, mit totem Schhlips und weißem Fes.
ee Eeer Der Schuß auf bem Bardanjol Ise 289
Gr war über ben erlefenen Beſuch aufs
höchſte begliidt. Der Einzug in feine foge-
nannte Reſidenz vollzog ` unter [autem
Geldret und vielen $yreubenidjüjjen. Bor
dem fleinen Gebirgsorte war an beiden
Geiten des Weges eine unüberjehbare Reihe
von Menſchen aufgeftellt.e Lints der Straße
tanden die Frauen und Kinder, rechts die
tanner und größeren Knaben.
„Das find bie armen Flüchtlinge,“ Jagte
Prinz Javor, „von denen wir jest [d)on falt
fünftaufend Dier haben. Es ijt gut, daß Ste
mit Brot und Kleidung tommen, denn hier
gibt es moe mehr zu ejjen, und fon ijt
eine Anzahl Kinder gejtorben."
Jest fingen die Flüchtlinge ein betüuben:
bes Bejchrei an und umringten bie Pferde
ber 9Intómmlinge. Dod) des Prinzen Be:
gleiter machten rüdjichtslos T , jo dağ
weitergeritten werden fonnte. Dicht vor dem
fürftfien Ronaf, einem nicht übermäßig
großen zweiltödigen Gebäude, wurde halt»
gemacht. Die didliche Pringeffin ftand auf
einem Balfon und winfte Gwendolin zu.
Da näherte fid) eine Abordnung der
Flüchtlinge, und Pring Javor bat, bab man
bie Leute jegt anhören möge. Aus ber
Schar der Männer trat ein etwa fünfzehn»
jähriger Rnabe hervor und begann alsbald
auf englijd) eine wohlgejegte Rede, bie er,
ohne zu jtoden, mit hoher gelender Stimme
bas Er jchilderte bas Unglüd ber Flücht—
linge, die Niedertracht der Gerben und pries
das Wohlwollen des großen Englands, das
ihnen nicht nur aus der augenblidlichen Not
pue jollte, jondern aud) bie Gerben ge:
eet beftrafen miijfe.
idarbs erwiderte mit einer gleichfalls
langen Rede, die Stüd für Stüd von dem
Knaben überjegt wurde. Dann ftieg man
ab und betrat den Konat, wo alle von der
Prinzejlin aufs herzlichſte willfommen ge:
heißen wurden. Gwendolin umarmte [ie unb er:
zählte von ihrer jchönen interejlanten Reife.
wld) der Weg ijt fdredlid,” ftöhnte die
gute Frau, „ich fann das Reiten gar nicht
aushalten unb [ajje mich immer von zwei
Männern in der Sänfte tragen. Natürlich
eht das nicht febr jchnell, jo daß id) von
tutari vier Tage bis Bolane gebraudhe.”
Gwendolin konnte fih denten, daß das
Reiten für die gewiß zweihundert Pfund
[fuere Prinzeifin tein Vergnügen war.
Sie wurde dann auf ihr Zimmer geführt,
wo fie eine jebr geſchickte ſchwarze Dienerin
empfing, bie bereits in Agypten bei einer
Lady in Stellung gewejen war.
Auch einen Brice fand fie vor, und mit
ftartem- S$jeraflopfen erfannte fie Briejens
Handſchrift. Er teilte ihr nur fura mit, daß
er wohlbehalten bis an die Grenze bei
Prijren ge ommen, dort aber von den fer:
bijden Worpoften aufgehalten worden fei.
In den nüdjiten Tagen wolle er ausführlich
Ihreiben. Gein einziger Gedante, feit er
Cfutari verlajjen habe, wäre die Frau, ber
er für ewig fein Herz gejdentt hätte,
Beritohlen führte Gwendolin die geliebten
Zeilen an me Sippen. — — —
Seit mehreren Tagen war Gwendolin
nun jchon in Bolane,
(leid am Morgen mad) ihrer Ankunft
nahm fie jid) mit Eifer der armen Flücht:
linge an, deren Elend unbejchreiblicy war.
Die Leute EE eigentlid) nur Dos gerettet,
was fie auf bem Leibe trugen. Dabet waren
es met Bewohner aus den Stadten und
Dörfern der Ebene, die bereits eine höhere
Kultur bejaBen und viel verwöhnter waren,
als die harten Kinder der Berge.
Vor allem fehlte es an Unterfunft und
Nahrung. In den wenigen quien des
Ortes fonnte die Hälfte der rauen und
Kinder unterfried)en. Alle übrigen ver:
brachten die Nächte ohne Deden um die Feuer
bhodend. Befonders, wo jebt bie Nahrung
äußerft fnapp wurde und der Winter bevor:
ftand, mußte die Lage binnen fürge|ter Zeit
zu einer &ata[tropbe führen.
Es wurde daher von Richards im Ein:
vernehmen mit dem Prinzen bejdjlojjen, jo:
fort alle marjchjähigen Leute nad) Sfutari
in Bewegung zu jegen. Dort boten bie ehe:
maligen türfijd)en Rajernen, die jet leer
ftanden, genügend Unterfunftsmöglichkeiten.
Nad einigen Tagen war denn auch der
größte Teil der Flüchtlinge abmar|djert,
unb nur einige Hundert ſchwache Frauen
und Rinder zurüdgeblieben, die erft einmal
wieder zu Kräften tommen jollten. Für diefe
fonnte man jet in ausreichender Weiſe
forgen, und mit größtem Eifer gab lich
Gwendolin bieler Arbeit bin, ohne daß Die
lebr bequeme Prinzejlin fie anders als mit
gutgemeinten, aber unbrauchbaren Ratjchlä=
gen unterjtüßte.
Bisweilen mußte Gwendolin bod) lächeln
über bie dide Italienerin, bie von ihrem
bequemen Lehnftuhl aus unter Achzen und
Stöhnen das große Hauswejen, woyl ober
übel, zu regieren juchte. Geit ihrem legten
Zujammenjein in Trieft hatte fie wieder um
einige zwanzig Pfund zugenommen, jprad)
von einer gewaltigen Entfettungsfur, bie fie
für das Frühjahr oie Ahlen jah mit unver:
Diem Neid auf die |djlante, jportgejtählte
ejtalt der Freundin und nalchte fajt ohne
Unterbrechungen Süßigkeiten. Albanieninter:
ejlierte jie gar nicht, fle fand es abjcheulich.
Aber von Rom jchwärmte fie in ber höchſten
Begeijterung, und das Ziel ihrer Wünjche
war, endlich wieder einmal einen ganzen
Winter am Tiber leben zu fónnem. „Sa,
wenn ber Fürſt —“ ftöhnte fie dann — „ja
wenn mein Dann nur wollte oder fonnte,
Uber die ewigen Wirren in diejem furdt-
baren Lande geben ja feine Ruhe. Und
dazu diefe verriidten Sroßmächte mit ihrem
Streit, mem fie das Fiirjtenfronden Ulba:
niens aufjegen fole. Jetzt fol es ja ein
Deutiher werden... Dieje Deutjchen...
überall miijjen fie ihre Hand im Spiel haben!
Nun, nun, mir ift es fchließlich gleichgültig,
wen bas Krönchen und das Thrönchen drücen
290 Iesse Borwin Carlig: I
wird... ad), liebe Gwendolin, bitte, reiche
mir bod) einmal bie &onfeftid)ale heriiber...”
Richards war mit feiner geleerten Ko-
Ionne ſchon nad) zwei Tagen wieder ab-
marjdiert, um neue Lebensmittel zu holen.
Nur zwei Soldaten blieben bei bem Reft
der Vorräte auriid,
Die anftrengende Tätigkeit lenkte Given:
Dolin ein wenig von dem fernen Freunde
ab, an den fie jonft — denken
mußte, bis ein längerer Br von ihm ſie
in hellſte Erregung verſetzte, denn er kün—
pate die Beendigung feines Auftrages an
und wollte GE in zwei Tagen in Bolane
fein. Jet fand fie feinen Augenblid Rube
mehr. Hier, mitten in Albanien, den Freund
wiederzufinden, unbeobachtet vonneugierigen
und mipgiinftigen Dienjchen: bas war etwas
jo Wunderbares, fajt Märchenhaftes, daß fie
vor innerer feliger Unrajt fait verging.
Hierin wurde e aud) nur wenig geftört
durch einen Brief Traubenbergs, den ihr
ber rujjijde Konful Durch einen Albaner
nadjandte. Er bejtátigte furz den Empfang
der wertvollen Sendung. Wohl ſchoß Gwen:
bolin bas Blut ins Gericht, als jie Den Brief
liberflog, und wieder fühlte fie die Scham
in fih brennen. Aber bod) war ihr, als
liege das alles weit, weit unter ihr. Blieb
ein Rejt, jo mußte auch der überwunden
werden,
Am nächſten Morgen zu früher Stunde
aber fam die jdjmarge Rammerjungfer und
meldete, daß Fuad Yani Bei angefommen
jet und fie dringend zu |prechen wünjche.
Bwendolin bate daß irgend etwas Bejon-
deres vorgefallen war. Unten traf pe guad
im Gejpracd mit dem Prinzen. Er begrüßte
He in feiner gewohnten, tiefehrerbietigen
Weije und jagte jotort lebhaft: „Mein Brus
der, unfer gemeinjamer Freund, ift in Ge-
fahr! Geit geftern nachmittag, wo id) von
Skutari aufbrad, bin ich ohne Raft geritten,
denn Gile tut not. Sekt muß id) meinen
Leuten eine Stunde Erholung geben. Dann
geht es weiter auf friichen Pferden, bie ber
Bring uns Stellt. Lange habe id) nachgedacht,
wie wir unjerem Freunde am jicherjten helfen
fönnten. Schließlich fam ich zu dem Ent:
ſchluſſe, Sie zu fragen, ob Cte uns begleiten
wollen. Was uns Männern vielleicht un:
moglid) ijt, wird unter Umjtänden Ihnen,
der Frau, gelingen.“
„Um Gottes willen, was bedroht ihn?“
Bwendolin rief es erregt, fakte fid) dann
aber — als ſie den etwas erſtaunten
Blick des Prinzen bemerkte. „Wenn Sie
mich und meine ſchwachen Kräfte gebrauchen
können, dann will ich mich ſogleich Ihnen
anſchließen. Aber vor allen Dingen ſagen
Sie mir, was Sie für ihn fürchten?“
„Ich möchte Ihnen jetzt nur ſoviel ſagen,
daß ich in Erfahrung brachte, ihm würde auf
ſeinem heutigen Marſche aufgelauert werden,
und zwar in einem tie Kier Tale,
Das er gegen das Ende des Tages erreichen
will, Wir fonnen, wenn wir ununterbrochen
reiten, darauf rechnen, noch vor ihm dort
zu fein. Gelingt uns das, dann haben Sie
nichts weiter nötig, als jid) bis zu unjerer
Rückkehr hierher niemals aus der Nähe mei:
nes Bruders zu entfernen. Denn fein Ml-
baner, und wäre er jonft auch der größten
Verbrechen fähig, wird jemals in Anweſen—
heit einer Frau eine Gewalttat begeben.
Sind Cie einverftanden, dann wollen wir
in einer Stunde aufbrechen und unterwegs
erzähle id) Ihnen alles Nähere.”
quad verabredete nod) mit dem Prinzen,
daß ein Teil von Delen Leuten ihn beglei:
ten, ein anderer Teil mit dem nötigen Ge
pad für die Unterkunft während der Nacht
und für bie Verpflegung folgen jolle. Dann
lebten fid) die Herren zum CEjjen hin und
bejpradjen bie legten politijchen Greigniije.
Als Fuad zu feinen Leuten Deraustrat,
fand er Gwendolin jdjon bereit. Die Brin:
zejlin batte ihr nod) im lebten Augenblid
dringend abgeraten und begriff es nidjt, wie
man jid) eines fremden Mannes wegen, und
nod) dazu eines Deutjchen, in derartige Ge:
fahren und Unbequemlia teiten begeben Tonne,
Cie lächelte aber dabei überlegen, vermutete
wohl eine Neigung Gwendolins, was ihr
die Angelegenheit wenigitens verjtändlich
machte. Natürlich war bie qute, Dide Dame
jelber febr für Liebesgejchichten eingenom:
men, nur Unbequemlidfeiten durften nicht
daraus entjtehen. Dann verzichtete fie lieber.
Als Gwendolin mit Fuad und feinen
zwölf Begleitern abritt, rief jie ihnen in
ihrer ausgejprochenen Butmütigfeit nach, Daß
jie bis jpätejtens morgen mittag ihre Rüd:
febr zujammen mit Briefen erwarte, der
dann hoffentlich einige Tage bei ihnen blei:
ben wiirde.
Raum waren fie allein, als Gwendolin
voller Ungeduld fragte: „Seht, Fuad Bei,
müjjen Gie mir alles aufs genauejfte erzäh—
len, wer und was unjeren Freund bedroht.”
Und Fuad begann: „Seit damals auf
dem Bardanjol der Schuß auf Briejen fiel,
war ich feft überzeugt, daß fein Albaner als
Täter in Trage fame. Sd) Torldte nun
nad), was für einen Feind unfer Freund
wohl bier babe, und argwöhnte jchlieglich,
daß Ferucci der Gahe nicht ferniteben könne,
Nachdem id) ihn burd) beauftragte Leute
eine Woche lang hatte beobadjten laffen,
wurde fejtgeitellt, daß er heimlichen *Bertebr
mit drei Albanern unterhielt. Dieje hatten
(id jahrelang als Arbeiter in Italien auf:
gehalten und befanden fih erft feit kurzer
Zeit wieder in Cfutari, wo fie eigentlich
teine fejte Bejchäftigung betrieben. Cs war
ganz offenfichtlich, daß Ferucci fie zu irgend»
welchen unjauberen Sweden in feine Dienjte
genommen hatte, Da einer von ihnen häufig
in der Nähe von Briefen gejehen wurde, Dep
ich biejen jeitdem auf Schritt und Tritt be:
wachen, denn ich abnte *Bójes.
„Beitern morgen meldete man mir, daß
zwei der Albaner am Tage vorher ins Jne
nere abgereijt wären, während der dritte ers
franft in einem Han beim Bajar läge. Co:
fort begab ich mich mit zwei meiner Ber:
trauten zu dem Rranfen, der an einem
ichweren Malaria:Anfall litt. Meine Be:
mübungen, irgend etwas von ihm zu ers
fahren, blieben zunächſt erfolglos. Da er
aber fogar leugnete, Ferucci aud) nur zu
tennen, wurde mein Verdacht zur Gewifhert.
Sch drohte alfo, ihn dem deutſchen Detache:
ment zu ped du bas ihn ohne Gnade
erichieken würde, verjprad thm aber ander:
feits bei einem offenen Gejtändnis volle
Straflofigfeit und eine große Belohnung.
Dod ber Buriche blieb verftodt. Da ari
id) zu bem lebten Mittel, bas id) einem
Landsmanne gegenüber nur jehr ungern ans
wende, ich drohte, ibn auf offenem Marfte
von den Gendarmen auspeitichen zu laffen.”
Fuad [adjte. Es tlang bitterböje.
„Dieje ſchärfſte Drohung half,“ fuhr er
dann fort. Er gejtand: Er und feine zwei
Genojjen hatten damals ben Überfall auf Sie,
meine gnädigite Herrin, und auf Ferucct ges
macht, weil fie nichts mehr zum Leben be:
jaen. Er verlicherte aber, daß fie niemals
beabjidtigten, irgendwelche Gewalt anzuwens
den. Als Dann unfer Freund dazu fam, ent:
flohen jie, fonnten aber die goldene Uhr mit
Kette und ein Armband des Stalieners mit jid)
nehmen. „Da ein Händler im Bafar ihnen nur
ein paar Piaſter * die Sachen bot, machten
ſie den Verſuch, Ferucci ſelber die geraubten
Gegenſtände zum Rückkauf anzubieten. Ein
ſehr geſchickter Unterhändler verſtand es, den
Italiener zu bewegen, ihnen drei Pfund zu
bewilligen und bet ber Madonna Strafloſig—
keit zuzuſichern. Außerdem machte er den Vor—
ſchlag, ſie in ſeine Dienſte zu nehmen, wo ſie
ſich ein ſchönes Stück Geld verdienen könnten.
„Bei einer Zuſammenkunft ſetzte er ihnen
auseinander, daß Brieſen ſein Todfeind
wäre, gegen den er die Pflicht der Blut—
rache auszuüben habe. Seine Mutter ſei
aus Korſika gebürtig, wo man ebenfalls die
Blutrache kenne. Ihr habe er geſchworen,
den deutſchen Offizier zu beſeitigen, und
hierzu brauche er Unterſtützung. Als ſie
noch ſchwankten, erinnerte er daran, daß
der Deutſche einen von ihnen blutig ge—
ſchlagen habe, wodurch allein er ſchon dem
Tode verfallen ſei, weil ſonſt ewige Schande
über ben Beprügelten tommen würde. Diejer
Grund wurde ausjdlaqqebend. Außerdem
jidjerte Ferucct demjenigen, ber den tödlichen
Schuß abgeben würde, zwanzig Pfund, den
beiden anderen je zehn ‘fund zu.
„Am näditen Tage lauerten fie Briefen
am Bardanjol auf. Schon beim Hinwege
hi der Anſchlag erfolgen, bod) weigerten
ich bie Albaner aufs energijchite, in Gegen:
wart von rauen Die Gewalttat au voll:
bringen. Auch auf dem Rückwege war der
Deutjche ftets mit den Damen zulammen,
Da ergriff Ferucct jelber das Gewehr eines
der Wibaner und feuerte den Schuß ab, der
Briejens Pferd tötete. Sie verbreiteten Dann
in der Stadt, Dag der Wnjdjlag von den
Der Schuß auf bem Bardanjol BSssesesssessed 291
Gfrelis re jei. Trog aller Bemühuns
pen bot fid) jpäter niemals mehr eine Ge»
egenbeit zur Ausführung ihres Planes. Als
aber Briefen an bie ferbilche Grenze ge:
[didt wurde, erwadte bei Ferucci aufs neue
Hoffnung. Er bradte in —— auf
welchem Wege Briefen von dort gurudtom:
men würde. An einer Stelle muß er eine
tiefe Schlucht paſſieren, die ſich gut zu einem
Überfalle eignet. Der eine der Albaner war
dort bekannt und erbot ſich zur Ausführung.
Ferucci konnte Skutari nicht verlaſſen, ohne
Verdacht zu erwecken. So brachen die bei—
den anderen geſtern abend allein auf. —
„Das war das Geſtändnis des Albaners,“
ſchloß Fuad. „Ich ließ mir dann noch aufs
penons te Den Ort bes geplanten Überfalles
eld)reiben und ging fofort zu Major Wächter,
Bon ihm erfuhr id), daß Briejen fhon heute
im Laufe bes Nachmittags die bewupte
Stelle erreichen würde. Eile war aljo ges
boten. Ich teilte Wächter mit, id) ware
Der. nod) vor Briejen dort angufommen,
und verabredete mit ihm, daß jogleid) eine
Abteilung von zehn deutichen Soldaten mit
Dr. Braune hierher in Marjch gejegt wer:
den folle, Dann juchte ich meine 3uverlá]:
Lë Leute und bie jchnelliten Pferde au:
ammen und ritt bie ganze Nacht durch bis
heute morgen. Gebe es der Allmächtige,
daß wir nod) zur Zeit tommen.”
Gwendolin war der — — voll tief-
ſter Sorgen gefolgt. Als Fuad aber geendet
hatte, da kam eine faſt gläubige Zuverſicht
über ſie. Vor dem Unbekannten fürchtete ſie
ſich. Jetzt aber, wo i wußte, was ihrem
Freunde drohte, zweifelte fie feinen Augen:
blid, daß fie und Fuad ihn vor dem heim:
e Anichlage retten würden.
„Ihre ganze Erzählung,“ jagte fie, „Hingt
derartig märchenhaft, bap id) fte immer nod)
nicht Toten tann. Diejer Ferucci wäre wirt-
lid) ein feiger, binterliftiger Mörder? Wie
ift bas nur möglich ?^
„Sie tennen nicht bie unbändigen Leiden:
ſchaften biejler Giiditaliener. Cr ijt nicht
der erite, ber aus Eiferjucht und verſchmäh—
ter Liebe zum S3erbred)er wurde.”
„Warum tritt er bann Briefen nicht offen
gegenüber als Mann gegen Dann, wenn er
lich durch thn beleidigt fühlt? Go tief id)
auch ein Duell perab|djeue, es wäre Dod) nicht
jo unendlich niedrig wie feine jebige Hand»
lungsweije.“
„Wahrjcheinlich fürchtet er für fein toft-
bares Leben,“ ſagte Fuad adjlelgudeno, „fein
Leben — das jebt mir verfallen ijt."
„Sie wollen ihn töten?” fragte Gwendos
lin erichroden. „Warum bringen Cie ibn
nicht zur Anzeige, jo daß er Die verdiente
Strafe erhält ?“
„Weil th nicht weiß, ob er wirklich zum
Ichimpflichen Tode verurteilt würde, und
weil ich den, der meinem Bruder ein Leid
antun wollte, mit eigener Hand erjchlanen
will,” erwiderte ber Albaner mit finfterer
Entſchloſſenheit.
299 ne Zen \ 2,2
Unterdeffen ging ber Marſch ununterbro:
chen fort. Wo eine Stelle ebenen Bodens es
erlaubte, wurde ein Trab eingelegt. Dod
viel zu felten waren diefe furgen Wugenblicde
für Die innere Ungeduld und Aufregung, die
beide gleichmäßig erfüllte.
„Roh vier Stunden haben wir vor uns,“
erklärte pine einmal, als er nad) der Uhr
gejehen Hatte.
Und weiter ging es, immer weiter ohne
Raft und Rube.
E" BB 8]
Preg unb Briefen waren früh am Mor:
gen — Beide froh und guter
aune. Ihren Auftrag hatten jie zufrieden:
ſtellend erfüllt und babet viele intereſſante
Erlebniſſe gehabt. Jetzt marſchierte es ſich
wundervoll in der würzigen, ſonnendurch—
fluteten Herbſtluft des Gebirges.
Es war zehn Uhr geworden, und es ſollte
jetzt eine dreiſtündige Mittagsraſt eingelegt
werden. Die beiden Offiziere und bie alba-
nijdjen Führer jaken ab, die *Badpferbe
wurden abgejattelt, und bald brodelte das
Mittagsejjen über einem Iujtigen Feuer.
Leider zogen Dunfle Wolfen herauf, unb nad)
einiger Zeit begann es erft langjam und
bamf' in Strömen zu regnen. Pleg jchimpfte
wie ein Rohrjpak, meinte aber [djlteBlid):
„Das hört heute niht mehr auf. Ich tenne
dieje Art von Regen. Gegeſſen —— wir,
und die Pferde ſind abgefuttert und getränkt.
Sd) made den Vorſchlag, gleich weiter zu
mar)dieren, dann Tonnen wir in drei Stun:
den in Hani Rogan fein, wo wir die Nacht
bleiben wollten.“ Briefen war einveritan:
ben, und nad) fünfzehn Minuten war bie
Heine Abteilung wieder im Marſch.
Die berggewohnten öfterreichiichen Sol-
daten waren febr frijd), während bie waderen
Ojtfriejen burd) den ungewohnten Gebirgs=
marih dod) etwas angejtrengt ausfaben.
Jtad) zwei Stunden erreichten fie ein tief
eingejchnittenes Tal, in Dellen Grunde ein
wilder Gebirgsbad) babinbraujte, der durch
den heftigen Regen Dorf angejhwollen war.
Zweimal mußte bas Wafjer durchjchritten
werden, wobei ein Tragtier beinahe ertranf.
„But, daß wir nicht länger gewartet
haben,” meinte Briejen. „In einer Stunde
wäre der Bach unpajjierbar, und wir tönn-
ten unter Umjtänden bis zum nädhiten Mor:
gen bier warten müjjen.“
Der Weg 3og fic jet in vielen Win:
dungen aufwärts. Gie waren vielleicht nod)
zweihundert Preter von dem oberen Rande
des Tales entfernt, als fie auf der Höhe
einen Trupp von etwa fünfzehn Reitern er:
blidten, die gerade den Abſtieg begannen.
Da der Regen einen Augenblid ausjebte,
faken Pleg und Briefen ab, um durch ihre
Glajer bie Antömmlinge zu betrachten.
„Ich fehe einen Mann mit Tropenhelm,“
Jagte Briejen, „das Tomm nur ein Offizier
aus Cfutari fein.“
In diejem Augenblide fielen zwei Schülfe
von der gegentiberliegenden Seite der Schludht.
Borwin Carlig: 3323323437353:
— —
Brieſen griff ſich unwillkürlich nach der Bruſt,
wo er eine ſtarke Erſchütterung verſpürt hatte.
Langſam ſetzte er ſich auf: Die Erde nieder
und fing zu huſten an, wobei ihm roter
Schaum aus dem Munde kam.
„Ich bin getroffen,“ ſagte er leiſe zu Pletz,
„nih glaube Lungenjdug.“ Dann fam eine
große Müdigkeit über ibn, er ftredte fid) aus
und hatte bas Gefühl einzufchlafen. — —
Wie lange er geichlafen wußte er nicht,
aber todmüde fühlte er fih a 3 immer.
Einen Augenblid verfudte er bie Augen zu
öffnen, ſchloß fie aber wieder vor bem Scheine
einer fleinen Lampe. — tauchte alles
in ht Bedächtnis wieder auf.
r batte einen Schuß befommen, wahr:
| einlid) in die Brujt, dann war er einge:
lafen, wußte bod) aber bunfef, was mit
ihm geldjab. Man Hatte ihn verbunden
und dann lange, lange Zeit weitergetragen.
Nur eines verjtand er nicht: In feinen Trau-
men war Gwendolin jtets bei ihm gewefen.
Er hatte ihre Stimme gehört, ihre weichen,
jorglamen Hände gefühlt und war glüdlich
und ruhig durch ihre Gegenwart.
Und jest fam Ieije und zärtlich ihr Name
über feine Kippen. Da fühlte er fid) vor:
lichtig umjchlungen, ein weiher Mund legte
fid) ganz zart auf den feinen.
Das war fein Traum mehr, das war
jelige Wirklichkeit. „Liebjter,“ bat fie, „ou
mußt ganz ftil und ruhig fein, damit du
mir bald wieder gejund wirft.”
„Und wenn ich jterben muß,” jagte Brie-
en „wäre ich glüdlich, in deinen Armen dem
ode entgegenzugehen.”
Er ließ den Arm finfen, mit dem er fie
umfangen hatte, und lag mit glüdjeligem
Ausdrud und ruhig atmend ba.
Schließlich jchlief er aufs neue ein mit
leije geröteten Wangen. Langjam jchlich die
Nacht in dem einen albanijdjen Han zu
Ende, während Gwendolin feinen Augenblid
von feinem Lager wich. Wh und zu jah Fuads
bejorgtes Gejicht herein, bod) entfernte er
id) immer wieder beruhigt, wenn er den
reund ohne Anjtrengung atmen hörte,
Wm Morgen wurde der Berwundete auf
eine hergerichtete Bahre gelegt, die wegen
der Enge des Weges immer nur von zwei
Männern getragen werden konnte. Fuad
duldete nicht, Daß Die beutjdjen Soldaten
ihren Leutnant trugen. Seine Albaner Ger:
— es weit beſſer, jeder Unebenheit aus
em Wege zu gehen. Er ging ſelber zu Fuß
dicht hinter dem Freunde, während Gwen—
dolin zu Pferde in einiger Entfernung folgte.
Nad dem anſtrengenden, aufregenden Tage
und ber Durdwadten 9tad)jt fonnte fie fih
faum mehr im Gattel halten. Aber das
gne ber großen Liebe brannte in ihren
ugen und gab ihr ungeahnte Kräfte.
Pleg war bei Tagesanbrud) vorausges
ritten, um Dr. Braune zu benadhridti-
gen. Noch am Bormittage fam er in Bo:
lane an, wo alles zur Aufnahme von Brie-
jen hergerichtet wurde, während Braune von
ees Der Schuß auf dem Bardanjol BSESSSSSTZA 293
einem Albaner begleitet dem Verwundeten
entgegenritt.
rt erreichte den Zug gegen Mittag, wo
ein längerer Halt burdjaus nötig wurde,
denn bie Träger konnten trog der fortwäh—
renden Ablöjung nicht mehr recht vorwärts.
Briejen war ohne Belinnung, aber anjdjei-
nend fieberfrei. Braune unterjuchte den
von uad angelegten Verband, den er nicht
zu erneuern brauchte. |
Dagegen madte ihm Gwendolin einige
Bejorgnijje, bie während des Haltes in tiefe
Obnmadt gefallen war. Auch für fie mußte
eine Tragbahre — werden.
Erſt ſpät am Nachmittage wurde Bolane
erreicht. Braune nahm den Verwundeten
in eingehende Unterſuchung und ſtellte feſt,
daß eine unmittelbare Gefahr nicht vorlag.
Das Mauſergeſchoß hatte die rechte Bruſt—
feite glatt durchſchlagen. Am Einſchuß war
überhaupt kein Blut ausgefloſſen, und nur
der Ausſchuß zeigte eine größere Verletzung.
Das Geräuſch in der Lunge war ſehr gering
und der Auswurf jetzt frei von Blut.
Er begab ſich zu Gwendolin und teilte
ihr mit, daß Brieſen vorausſichtlich in eini—
en Wochen wieder hergeſtellt wäre, Bis—
Ber hatte fie fih durch bie Erregung auf-
rechterhalten, jebt aber brad fie zujammen.
Als bie Brinzejjin und die ſchwarze Dienerin
jie mit Mühe zu Bette gebracht hatten, gab
eine Morphiumjprige ihr tiefen Schlaf.
Noch am gleichen Abend tamen die durch
Fuad fofort von der Stelle des Attentats
ausge|djidten Albaner zurüd und meldeten,
daß die beiden Schuldigen erjchoffen wären.
Ein Ausdrud tiefer Befriedigung flog über
bie Züge bes Albaners. Jest galt es noch
ben Sjaupt|djulbigen zu fajjen. Aber große
Borlicht war nötig, denn ſchwere Ungelegen-
fonnten entjteben, wenn Stalien
übne für den Tod feines Angehörigen vers
langte.
Es tamen einige Tage ungeltörten Gliids
für bie Liebenden. Gwendolin, bie fid) nad
einer ruhigen Nacht wieder ganz frijd) fühlte,
übernahm jelbftverjtändlich die ‘Pflege. Wher
ihr Herz war voll jdjwerer Gorgen.
Was folte nun gejchehen? Nach allem,
was bisher zwijchen ihnen vorgefallen, fonnte
es zu einer ruhigen Freundjchaft nie mehr
tommen. Dazu empfanden fie beide viel
heiß und leidenjchaftlih. Doch während
D fid jo ihren armen Kopf zermarterte,
zeigte jie ihm ftets das gleiche ftrablende
Lächeln eines ungetrübten Gliides.
Ya, was follte geichehen? Wie fonnte
ie Ji) u ihrem Manne jtellen, wie er zu
ihr? Shre innerjte Überzeugung zwang bo
u einer Trennung, hundert äußere Gründe
fierten fid) diejer entgegen. Zunächſt wenig:
tens. Gie wußte nur allaugut, wie man in
England, wo man fonft jo vieles zu verzeihen
geneigt war, eine —“ Frau beurteilte,
wie man ſtets dem Manne recht, ihr unrecht
gab. Shr würde man doppelt unrecht geben,
a Herbert allezeit Den Schein einer glüd:
lichen Ehe aufrechtzuerhalten gewußt hatte.
Und wenn fie all denr troßte, wenn fie fein
Haus verließ: wo follte Je binflüd)ten, wo
eine neue Heimat finden
Aber es war ba nod) etwas anderes, bas
c immer aufs neue erbeben madjte: gin
ie, verließ fie Skutari, Jo bedeutete bas au
ben 9[bjdjieb von bem Geliebten! Gie e
wohl: Du mußt aud) bas auf bid) nehmen.
Aber fie badjte an bie Trennung mit [o
wehem Herzen, daß fie den Entjchluß immer
wieder zurücdichob.
Und zu allem tauchte nun bod) bte graue
Sorge vor Traubenberg aufs neue in S
Geele auf. In Scham und Reue. ie
würde es Briefen auffajjen, wenn er bereinit
durdy irgendeinen unfeligen Zufall, durch
einen — des Ruſſen vielleicht, erfuhr,
daß ſie ſich zur Spionage erniedrigt hatte?!
Zu einem Dienſt, der thr heut als wider:
wärtig im höchſten Grade erjchien!
Stunde auf Stunde lag fie in den Näch—
ten und grübelte und grübelte — — —
Da fam ang ein Brief ihres Mannes,
ber Jofort ihre Riidfehr verlangte. In Stu:
tari waren bereits bte unglaublichiten Ge-
rüd)te über fie und Briefen im Umlauf, bie
nur durd) thr perjönliches Erjcheinen be:
hoben werden konnten. Sie mußte gehor:
den. tod... BEE Af
Ein weber Abſchied trennte die Lieben:
den. Gie beide fühlten, daß diefe fchönfte
Zeit ihres jungen Glüdes nicht wiederfehren
würde. „Niewillich ruben, bisid) bid) errungen
babe," rief er ihr nad. Dann war fie ver:
Ihwunden, und nur der Hand ihres Kleides
unb die Erinnerung ihrer zarten Lieblichkeit
— in ſeinem einſamen Krankenzimmer
zurück.
Wochen vergingen. Schon nahte das
Weihnachtsfeſt heran, und der erſte ſtärkere
Schneefall bedeckte Albaniens öde Gefilde
bis tief in die unterſten Täler hinab.
Prinz Javor war ſchon vor längerer Zeit
mit ſeiner dicklichen, gutherzigen Frau nach
Stalien gereiſt, wo Ge ja itets den Winter
zuzubringen pflegten. Gein ga ger Haus
aber war Briefen geöffnet geblieben, der
außer jeinem Burkhen nod) einen Gas
nitätsunteroffizier als Pfleger bei fid) be:
telt.
3 Alle acht Tage hatte Braune den bejchwer:
lichen Ritt von Skutari gemadjt, um fih
nad) feinem Patienten umgujehen, bem diefer
Beſuch ftets bie größte Freude in feiner
Langeweile bereitete. Dann mußte Braune
erzählen von allem, was jid) Neues in Sku—
tari und in Der Welt ereignet hatte, und
Briefen wurde nicht müde im Fragen. Nur
nad) der einzigen Frau erfundigte er fich
nie. Dod) der Dottor wußte von jelber,
welche Medizin bie befte fiir ben Benejenden
war, und fonnte ftets irgend etwas Liebes
904 EEE Borwin Garlik: Der Schuß auf dem Bardanjol Igé2esexepe3e3ed
von Bwendolin erzählen, bie er als Die
Lebensretterin feines Kameraden anjah.
Allmählich aber wurde es Hidjte Zeit,
an ben Riidtransport nad) Skutari zu Den:
fen, denn wenn erjt einmal der große Schnee:
fall einlebte, hörte jeder Berfehr im Innern
auf. Dabei madjte Briejens Befinden dem
Arzt immer noch rechte Sorge. Die Wunde
war allerdings jchnell und gut verheilt, aber
die Yungentätigfeit gefiel thm gar nidft.
Mit möglichiter Sorgfalt wurde alles LG
ben Marilh vorbereitet. Platen ließ es ftd)
nicht nehmen, den Freund jelber abzuholen,
und aud) Fuad war mit einigen jeiner Ges
treuen erjchienen. Der Patient wurde in
einer Art von Lehnſtuhl auf einen Pak:
gänger gelebt, deffen Bewegungen nur ganz
geringe ll en machten,
Da Brielen bie eriten Stunden gut über:
ftand, wurde bejdjlojjen, nur ein 9tadjtquar:
tier unterwegs zu nehmen, damit er defto
eher in gute Pflege Tome, Der Pfarrer,
bei dem Gwendolin übernachtet, gab aud
ihm bereitwillig jein Fremdenzimmer ber.
Als er dann am zweiten Tage nachmittags
im Lazarett von Sfutari eintraf, fühlte er
DO bod) recht ſchwach und SCH, Sein
Zimmer fand er angefüllt mit Blumen, die
ihm bie Damen der Stadt in verjchwendes
rijder Fülle geſchickt hatten.
Ein |djóner Strauß roter Rofen war von
ihr, bie ihm aud) ein paar liebe Worte
ſchtieb. In Bolane hatte er jeden dritten
Tag einen Brief erhalten und wieder be:
antwortet. Fuad jorgte bird) fidere Boten,
daß thre Briefe niemals in faliche Hände
famen. Und diejer dauernde Berfehr hatte
bie Liebenden vielleicht nod) näher gebradjt,
als es ein jedes perjönliches Zujammenjein
vermodjte. Biele feiner innerften Regungen,
die Briejen niemals gewagt hätte, ihr münd:
lid) anzuvertrauen, lernte fie jo tennen, und
fie begriff jebt erft vollfommen feine ganze
PVerjönlichkeit in ihrem Gemijdh von Voter
entjichlojjener Männlichkeit und einer fajt
findlich Iheuen Zurüdhaltung. — — —
Zwei Tage jpäter war Wächter bei Brie-
jen, der bereits wieder aufjtehen durfte und
die Erlaubnis hatte, einige Stunden im
Garten zu figen, wo bie Mittagsjonne
immer nod) Die wunderbarfte Wärme
brachte.
, Sieber Briefen,” fagte er, „ich habe lange
mit Dottor Braune gejprochen und ebenjo
mit dem öjterreichiichen Arzt, ber Gie ja
aud) eingehend unterjucht hat. Beide Kol-
legen find jid) darin einig, daß Cie fo jchnell
wie möglich von hier fort müjjen, um fih
an einem anderen Orte völlig auszubeilen.
Das bielige Klima ift Ihrer jtart mitaenont:
menen Lunge im höchſten Grade jchädlidh.
Ich habe bereits einen Antrag gemadt, daß
Cie auf Staatsfojten irgendwo die ſchlechten
Wintermonate verbringen, damit Cie zu
Beginn der guten Jahreszeit wieder hier
fein können. Übermorgen gebt ein Trans:
port von Wblojungsmannjdjajten von hier
zur Bojanamündung und von dort mit der
‚Breslau‘ nad Zrtejt. Die droite halten
Cie für reilefábig, fo bah ih aljo in Ihrem
eigenen nterejje bitte, jid) Dem Transport
anaujdjliepen. Es wird mir Ki ſchwer,
Sie fortzulaſſen, denn Sie haben ſich in der
kurzen Zeit Ihres Hierſeins nicht nur als
ein tüchtiger und pflichtgetreuer Offizier er—
wieſen, ſondern auch die Liebe aller Kame—
raden erworben. Dafür bin ich dann aber
— Sie im nächſten Jahre friſch und ge—
und wieder bei uns zu ſehen.“
Brieſen verzog keine Miene, dankte dem
wohlwollenden Vorgeſetzten und erklärte ſich
bereit und fähig zur Abreiſe. Innerlich aber
trug er den Tod im Herzen. Dies war das
Ende feines kurzen Liebestraumes; er fühlte
es nur allzu ſicher. —
Und dann kam der Abſchied von Gwen—
dolin. Ihr erſtes Wiederſehen ſeit den glück—
lichen Tagen in Bolane war zugleich die
Trennung für lange, vielleicht für immer.
Die Bank bod) oben auf ragender Zitadelle
hatten fie aufgejudt, und wieder flatterten
die Fahnen der Großmächte über ihnen, wie
in Der erften Zeit ihrer feimenden Liebe.
Der Anblid des geliebten Mannes mit
den |djmalen, eingefallenen Wangen und den
todtraurigen Augen jchnitt ihr tief —
aber mit keinem Worte, mit keiner Miene
verriet ſie die quälende Pein um die Zu—
kunft, die bittere Trennungsnot und die
bohrende Sorge um ſeine ſchwankende Ge—
ſundheit. Durch Fuad wußte ſie, wie ernſt
es um ihn ſtand. Um ſo feſter wollte ſie
ſelber ſein und dem Freunde den unerſchüt—
terlichen Glauben an ſie und ihre Treue in
die ungewiſſe Zukunft mitgeben.
Früher war Brieſen der Mutige, Hoff—
nungsfreudige geweſen, der niemals den
ſtarken Glauben verlor, daß ein glücklicher
Tag ſie einſt vereinen würde. Beet war
fie es, die mit helen und tapferen Augen
Jeine Zweifel und Sorgen zu bannen ver:
juhte und es jchließlich erreichte, dak
neuer Lebensmut bie finfteren Gebantern
vertrieb.
„Ih will bir ſchreiben, Liebfter, jo oft es
mir modglid ift. An allem, was ich tue und
benfe, GH du ftets teilnehmen und immer
wijfen, daß es für mich nur Dë einen Les
benszwed, nur ein Ziel aller Wiinjde und
Handlungen gibt: die Vereinigung mit bir.
Dann wirft du es faum merten, wie weit
wir voneinander entfernt find, denn unjere
Bedanten werden immer dicht beieinander
fein. Auch du wirft mir ftets mitteilen, was
du erlebjt und was bu denfit, dann lebe ich
und denfe id) mit dir. Schreibe mir poft-
lagernd, dann braud)it bu feine Gorge um
unberufene Augen zu haben. So wird bie
Entfernung uns nicht trennen, jondern nur
noch inniger vereinen.“
Und als ber legte Abſchied fam, Donn
fie tief atmenb vor thm und ſprach nur nod
das eine: „Wir jehen uns wieder,“
(Schluß folgt)
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Berfchollene deutſche Geſchi
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Bon Drot Dr.Cduard Hen fA
F2 d d d pd pd p ed d AAN
Fin paar Woden vor Ausbruch bes
ffo Rrieges and id) auf bem Gloden-
EN turm bes Doms von Aquileja.
WI Se, Aquileja ijt bie antite Worgänges
— TOS rin Benedigs und feine unfreiwils
lige Mtutterftadt. Es hat etwas Überwälti—
gendes, wie uns in dem, von ping iae dn
reidjilder Willenjchaft verwalteten SUtujeum
ba brunten im Garten ber Zedern und Bra:
natbüjche ber Luxus und bte um jede Kunft-
bildung bemühte Raujffraft eines großen
Stadtwejens entgegentritt, deffen [tetnerne
Quadern budjtäblih aus ber Erde vers:
Ihwunden find. Denn bie Lajtfahne bes
werdenden Benedig holten fie zum Bau,
verbrachten fie von einer Lagune zur andern.
Was zurüdblieb, ijt ein machtvollſter Gin:
drud bes Gejdjid)tlid)en. Mit ihrer ganzen
Treffjicherheit hat wieder einmal bie nod)
ke ihren punijchen Kriegen ftehende
oma den Pla auserjehen, hat fie ihre
grobe Militärjtation, deren trapezfürmiger
mriß vom Turm aus fih burd) bie Kand-
proge und Krautgärten zieht, an die Riijte
er illyriihen Veneter gelegt, den Kauf-
le sigh unb bemannten $$[otten der Herrin
ets unmittelbar erreichbar. Bläulich im
jüdlichen Sonnenglaft rahmt die weite Ebene,
wo die Beneter bas Land bebauten, der hohe
ferne Kranz der Alpen ein. Dort vom Nor:
ben aus den Bergen, welche den Taglia:
mento entjenden, jchauten nad) Italien Din:
unter Die tapferen, leichtgemuten Selten,
denen es militärilch zuvorzufommen, Tout:
mannijd einen weitreichenden Bermittlungs:
punkt zu geben galt. Hinter bem Oftwall,
über ben Sjonzo weg, wohnte eine nod) ge:
er ere Wolferwelt von Sllyrern,
annoniern, Jazygen, die einmal den Ml-
penriegel durdhftoßen und ebenfalls in bie
lodende Sjalbinfel binunterfluten fonnten,
bevor deren Herrichaft von der Stadt am
Tiber genaer: EC fein mochte. Co:
lange Rom in Kra Be hat feine alljeits
dem Angriff guvorfommende Grofpolitif
auch den Landesriegel im Mordoft in nadt:
voller Torwadht — Dann erſt ſollte
es ſich erfüllen, was ſechs Jahrhunderte
PEE ber fluge Senat und ein verjtändnis»
volles Bolt vorausgejehen. Am Iſonzo wer:
den fortan Italiens Schidjale militärisch
entichieden. Im pagre 394 ftehen fich dort
mit ihren Heeren die Machthaber des Weftens
und Dftens gegenüber, ber deutjche Franfe
Arbogajt, ber als ber magister militum zu
Rom für bie enttráftete Herrichernation bas
Abendland verwaltet und ber in ber Kon:
ftantinsjtadt gum Kaifer gewordene djtliche
magister militum Theodojius, ber bem rane
ten feine Stellung nehmen will. Auf ben
Borhöhen, wo dte Wippad fie Durchfließt,
um nächftjüdlich bet Görz ben Iſonzo zu er:
reichen, im Wetterjturm des Schlachttages,
der [hon damals ihre Kraft zeritört, erlie:
gen die italijd)en Truppen den Hilfsvöltern,
hauptjächlich Goten, des Theodojius. Gos
lange der lebt, hat bas Weltreich noch wies
ber einen Herricher. Länger aber hält das
Imperium nicht mehr. Diesmal in eigener
Führung bridt aus den Bergen des Karit
der Goteneinfall des Mlarich herunter —
des echten Germanen, ber bie Weltherrjche-
rin auf den Schlachtebenen befiegt und jame
merlich nieberbeugt unb |donungspoll ver:
gichtend weiterzieht, wobei ihn ber frühe Tod
ereilt. Aber nun bleibt der Weg für die
Wanderungsvblfer gedeutet. Attilas hun:
nijdje Horden traben den Iſonzo abwärts,
— ich auf Aquileja, löſchen die dritt—
rößte Stadt Italiens für immer in ihrer
lüte aus. In Italien erhebt ſich der Be—
fehlshaber der geworbenen Germanen, Od—
wafar, zum Heerkönig, der zugleich das Land
regiert. Dod) rom enor thm einen
neuen Goten, ben Wmalingen Theoderidh,
mit feinem zahlreichen Bolte über den 2s
Faſt auf bem gleichen Schlachtfeld von Wip—
pad) und Iſonzo gejdlagen, wo 394 aud
der —— pe muß Odwafar in die Ebene
urüdweichen, wie heute ber bedauernswerte
adorna, ber 1914 auf Seite der Bundes:
treue lieber mit ben Deutjchen ausgezogen
wäre, ftatt für bie 9Ibpofatenpolitit jid) er-
folglos abzumatten. In Ravenna endlich
eingeldjlojjen, muß Odwafar vor dem Dar,
feren Oſtgoten fapitulieren.
Weitum von Aquilejas altersgreijem Turm
breitet fic) ein Teil ber Weltgejchichte, bes
verlinfenden Wltertums, Der werdenden
Mittelalterzeit. Und faum eindrüdlicher
als an bielen Stätten wird es bem Deut:
ſchen, daß immer bie jeinige, bie deutjche
Beichichte, darin enthalten ijt. Wo aus den
Alpen nordweftlid) bas Beäder bes Taglia:
mento tritt, erhebt fih Gpilimbergo, und
öftlich liegt Udine, welches ehemals ‚Weiden‘
ber beutjde Mund benannte. Den Gloden:
turm, auf Dellen gelánberlojem Kranz id)
ftehe, Dep zur Zeit Raijer Konrads II. ber
Patriarh Poppo aus vornehmem deutichen
Gefdjled)jt erbauen. Neichsdeutjche Adels:
öhne und Fürjtengefippen haben burd) lange
enfchenalter da unten im Dom das Hod:
amt verjehen unb als reidjsunmittelbare
Rirdhenfiirften in ber Pfalz bes Patriar:
chats refidiert. Wenige befjere Vorlampfer
butte der zeitlebens gebepte Kaifer Heinrich IV.
als fe; darunter den mannbajten Ulrich,
296 BEEFSFFITISEI Prof. Dr. Ed. Heyt: BESSseesssessssesA
der vorher ber Abt des allzeit deutjcheiten,
germanijdje Dichtkunft und Cpradje pflegen:
ben Klojters St. Gallen gewejen war.
Ins Gegenwartsgedenfen unferer jüng:
ften fchweren Zeit [tebt eine Regierung bits
ter unauslöjchlich eingegraben, unter ber
man die Deutjchen mahnte, fie müßten durch
Meltkultur die Anerfennung des Auslands er:
werben, um nicht durch ‚Nationalismus‘ — die
Worte Deutidhtum, Vaterland kannten diefe
Neichsichreiber nicht — anitößig zu werden.
Noch niemals, folange es bei ben Deutjchen
Raijer unb de Regierende gegeben, hatten
le&tere in Joldjem Grade fid) im Flugjand
angelejener QAllerweltsformeln — fejtgetpatet
und darüber nicht nur alles vergejjen, was
bie Gejdidte am deutlichiten ee jondern
fid) geradezu bie Augen gegen fie zugebun=
den, um ungehinderter im Gegenteil wie
eine Blindefuh Berumautappen. — Weltbe—
mübung um Kultur unb minderer ational:
F wurden als Brn ate Neuheit einem
olfstum gepredigt, das, folange es in
ben Weltgeſchicken mitgetan hat, feinen Bil:
Dungsjinn und feine Tiichtigfeit eingejebt
hat für minder fulturvolle oder für herun:
tergefommene Nationen und früher oder
Ipäter jedesmal den Schaden und das Ber:
derben dabei gefunden hat, weil fid) mit
feinem Ordnungs- und Bildungslinn fein
ebenbiirtiger Nationalfinn zu vereinigen ver:
modte, Darum find nicht nur edle große
Germanenvilfer wie verwehte Spreu ver:
— und vergangen, ſondern auch ihre
erke ſind ihnen verdorben und zerſtört
worden, in der Hand der Beſchenkten, die
ſie nicht zu beſitzen wußten. Aber ſo, daß
dieſe dann gemein behaupteten, was bei
ihnen durch eigene Schuld verkam, das hät—
ten bie Boten und andere Germanen ver:
wiijtet, — jo beharrlich behaupteten, bis fie
es Kéis jelber glaub en.
In wohlgehaltenen Fluren, mit tragen:
den, üppigen Bäumen durdjlaubt, liegt von
Aquilejas Turm nad) Often, Norden, Weften
bas angrenzende Friaul. Das hat nad)
mehrhundertjähriger Verjumpfung erft wie:
der die Regierung Maria Therejias hochge—
bradjt. Go lag das Land im Altertum,
nachdem das Aquileja des großen Techniker:
volfes mit feinen Rolonijten umber erwuchs;
jo jchilderte es um 200 m. Chr. Herodian,
wie Die in Reihen gepflangten Bäume mit
ben dagwijden hangenden Reben girlandene
gleich die Yider der Provinz befränzten. Co
war es aud) noch, als beutjdje Ritter in
ben Burgfleden jaken, und die Kirchenfürften
von ,V[glet', wie die Deutjchen jagten, die
größten ber Grundherren waren und des
Saijers Hoheiten zu verwalten hatten. Was
Maria Therejia nahezu durch neue Urbar:
madung der Gebiete von Gradisca und
Aquileja zu befampjen hatte, bas war bie
Vernachläſſigung, nachdem bier die Vene:
gianer jpätmittelalterliche Sjerrjd)aft übten.
Als ,Rulturpolitif’ bejchönigte deutſchen
Mangel an Bewußtheit jene unjelige Lei-
tung. ‚Rulturdünger‘ nennt’s bie wahr:
haftige Geſchichte. Damit drüdt fie fein
Schickſal, feine Gelbjtachtungslojigfeit aus,
ben Ejelstritt, ben es nod) hinterher erhält.
Bald als eindrudjdwere Tragödie ber als
Barbaren geldjmübten Goten, die Italien
regenerierten, bald im allmabliden 3ergebn,
wie in den Marten Friaul, Trevijo, Berona.
In der weiten Ebene liegen die deutichen
Burgen, und fie grüßen vom fernen Alpen:
pang Cpengenberg, bas in den mündlichen
tamen aud) Gpielenberg hieß, Naun, dien,
berg, Grünenberg, Auer|perg, Schärfenbera,
Pramberg, Rabenjtein, (IJteu-)\Starhemberg,
Portenau und ihrer mehr. Jest, da wir
Cadornas Rüdzug auf den genaueren Kar-
ten verfolgten, flimmerten uns Namen vor
den Augen, von denen bie wenigiten — wir
wurden ja lieber ,intelleftuell: — willen,
woraus fie geworden find. Gpilimbergo,
Cordenons, Gajtelnuovo, Gronumbergo,
Uruspergo, Soffumbergo, Brampero, Ravig=
ftagno, Monforte. Wir jprechen ſchön tunjt:
ebilbet. pom Maler Pordenone, ber aus
ortenau gebürtig war.
An ber Gebietsgrenze von Börz und
Gradisca aber endet bie neuere GefüblIsau:
ebórigteit zum Stalienertum. Weder die
ewegungen in ber €ombarbet unb in Bes
nezien gegen Ofterreid) 1848 haben bier ein
Edo g wedt, nod) bie von 1859 und 1866.
Und wenn aud) für den jebigen Krieg die
eſchichtliche Feſtſtellung nod fehlen mu,
0 bat bod) bem Bernehmen nad die ae:
plante ‚Erlöjung‘ durch bie Italiener keine
Gegenliebe gefunden, befundeten die Landes:
vertretungen in Kaifer Franz Syolepbs Hand
das Gegenteil. Die Freude der Bewohner
von Görz, wo freilich gabIreidje Maroni—
verfäufer, Haufierer mit Caramelli (ver:
zuderten Stüjjen, Früchten), Barbiere und
Kleingewerbler aus bem Königreiche wol):
nen, war der übliche Ententejchwindel.
Zenttd find zwar aud) die 2anbidjaften
von Görz und Gradisca nidt. Nur eine
Bildungsh tid ijt deutſch, Snbujtrielle,
Staatsbeamte, Alterspenfionäre, bie in die-
len wunderbar DURCH Gegenden, deren
Pflanzenwuchs näher der Riijte viel füdlicher
als ber von Lugano ijt, mit ihrem Ruhe:
gehalt leben, einzelne alte Adels: und Gols
Datenfamilien, wenn fie aud) Staltenernamen
haben, und die Lehrer, die an Erziehungs:
anjtalten den deutjchen Unterricht erteilen.
Das Bolt ift zu zwei Drittel jlowenijch, aljo
llawijch, zum Drittel romanijd, aus Friau—
lern und Stalienern gemijdjt. Die Friauler
find von ihnen bie Alteinwohner, die Sta:
liener Die früher oder jpäter Zugezogenen.
Auch im Königreich, wo das SMalteni[dje
die Alleingewalt bat, wohnen von ber Rarnt:
ner Kammpgrenze bis an die Livenzamün:
dung Die Friauler. Dazu reichen aus der
Gegend von Flitſch Slowenen nod) etwas weft:
lid) und fiidwejtlid) ins Königreich hinüber,
Das Friaulijde oder in volflider Benens
nung Furlaniſche ift fein Italieniſch. Es
Kessen VBerjhollene deutjche Gefdidte in Venetien und Friaul 297
ift eine jelbjtändige, alfo nur verwandte
Sprade. Die Mundart ber alten illyrijchen
Veneter, die wegen der römiſchen Herrichaft
ftd) [pradjlid) lateinijierten. Ein V qe
Provingdialeft, wie bas Bortugiefilche, Spa:
niſche, ger rovengalijdje, tyran:
zöliihe, Wallonijdhe, Rhatoromanijdhe, Ru:
mänijche auch einmal waren. Die Römer
als olitifervolf hatten nicht bie Torheit
ber Ytorddeutiden, fidh über mundartliche
Klänge — 3. B. ber Schweizer, Elſäſſer,
Schwaben, der Ungarn, wenn fie deutſch
Error — mit Überlegenheit zu amülieren.
ie machten es wie die Englander, bie bie
Gbinejen und Malaien, ohne bie Miene zu
verziehen, in deren Pidginenglijd am:
dren — wenn fie nur auf ihre Zeile eng:
ifd) reden. Gie |djidten ihnen auch von
Rultusminijteriums wegen feine Gramma:
titer auf den Hals, bie mit ber *Daulerei
eines gebundenen ‚Richtigen‘ die Leute ab:
ichredten. Deswegen aber wird von allen
jenen Bölfern, jest anderthalb Sjabrtaujenbe
nad Roms enilämunbener Herrichaft, roma:
niſch gefprodjen, fie find lateinijche Nationen
eworden und geblieben, obwohl fie niemals
atiner, noch Stalifer, |onbern das ver|djie:
denite tonft urjprünglich waren.
Daß bie Friauler nicht im Mittelalter
aur italienijden Umgangsipradhe übergin:
gen, bie bas Florentinijde ijt, erflart [id)
wieder aus ber deutſchen Herrichaft, von
der nachher nod) mit Daten unb Grenzen
zu ſprechen ijt. Ebenjo wie fie blieben die
Braubundner, als zum deutjchen Reid) und
jpáter zur Gidgenoffenjchaft gehörig, von
Italien abgejdnitten. Drum |pradjen aud
jie ben alten Provingdialeft, ben ber Iateini:
fierten Rater. Drittens aus demjelben Grunde
gibt es nl Romanen in Tirol,
öftlich von Brixen, bte fogenannten Ladiner.
Tirol war, entgegen einer Jrredenta-Fabel,
ftets ein zulammengehöriges Land, wo es
feine alten Gebiete Italiens zu erlöjen gibt.
Südtirol war früher auch weit Ddeutjcher.
Als Goethe nad) Italien fuhr, verzeichnete
er: „Hier bin ich nun in Roveredo, wo Die
Sprache fih abjchneidet.” Das ijt gut ſüd—⸗
lid) von Trient. Heute liegt bas Sjinübers
idjwantfen ins Italienijche ein gut Teil nörd:
lih von Trient, und man darf zufrieden
jein, wenn man in Calurn fein 3Piertel Ters
laner auf beut|d) befommt. (Nebenbei, ich
ipredje höflich deutjch, wo die Leute bem
mit Wbficht feindlich find. Davon ein an:
dermal.)
Syene drei Spradfleden auf der Karte,
Rhatoromanijd, Ladinijdh und Furlanijd,
faBt die Philologie bes lieben Syftems wegen
gern zujammen. Gie haben aber feine Ber:
bindung, als daß fie imjelhaft erhaltene
Mundarten des altrömijch - italilchen Alpen:
randes find. —
Dugg mi dis, che soi allegre
Mat mio cur nissun mel viod,
T der Anfang eines modern. furlanijhen
tebes[iebes, nicht ohne gebildet italtenijd)e
Velbagen A Rlafings Monatshejte.
Einflüffe. Tutto mi dice, ch'io sia allegro,
mal mio cuor nessun mi vede, wär's in
italienijdjer ‚Poefie‘, wenn ich’s jehr wört.
lid) made: „alles jagt mir, ich jet heiter,
aber niemand in mein Herz“ (Text mit:
eteilt und bent|d) überlebt vom Grafen
orl Coronini).
wei jebr verjchieden geartete Bolts:
eriheinungen ftoßen bier jet gujammen auf
dem Boden der alten Grengmarfen des
mittelalterlichen — Reiches, Slawen,
die ſich nach dem Verebben der großen
Völkerwanderung gegen die Adria und in
die e ti vorſchoben, und Fur—
laner. Jugendlich im Volksweſen die Slo—
wenen, unerſchöpflich in Naturmythen, Sa—
en, märchenartigen Erzählungen, dörflichen
räuchen, Feſten, alten und neuen Liedern,
die durchweg das anmutig Poetiſche, die
ſinnende Weichheit, auch Zagheit ſlawiſcher
Volkslyrik haben. Nicht weniger ſanges—
luſtig bie Furlaner, aber ohne das Hel
dunkel romantiſchen Sinnierens, unverhüllt
wunſchvoll, viel von realiſtiſchen Anſpielun—
en darin, auch ſolchen des Spottes und
eibes. Die Art eines lebensälteren Bol»
les, von Der zwei Sjabrtaujenbe ‚Rultur‘
ben zarteren Schmelz haben herunterreiben
miijjen. Dafür bildeten fie bas Gelbitgefühl
aus, das Rednerijde, Rhetoriſche, die be:
liebte ISmprovijation, aud) in der Weile,
daß Buriden und Mädchen, wenn fie Jom:
merabendlid) beim Brunnen oder am Ein:
ang bes Ortes in Gruppen fid) müßig ver:
ammeln, fid) ihre Wugenblidsverje zujingen,
das Sdnippijdhe dem Keten Antwort gibt.
Der Name Friaul leitet ſich ab von bem
Römerort Forum Julii, der unter den Lan:
obarden zu größerer Bedeutung fam und
fändiger Gig eines Herzogs wurde. Es i
as heutige Cividale nächſt ber öſterreichi—
iden Grenze, Dellen Name jchledhthin ‚die
Stadt‘ bejagt; ein Heines Neft von wenig
taujend Einwohnern, bejto reicher an Reften
feiner Erinnerung. Noch unter Karl dem
Broßen, der die Langobardijd -italijde
Krone mit ber fräntifchen vereinigte, behielt
grian diefe Herzöge, und fie waren des
aiſers hauptſächliche Borfampfer gegen die
von Weftungarn die Reichsgebiete bedrohen.
den vielplündernden Awaren. Durd Karl
wurde Friaul zu einer ftarten Grenzprovinz
erweitert, indem mit diejen langobardijch:
italifhen Nordoftgegenden aud) Slawonien,
Teile Rarntens, Kroatiens, Dftriens, um
nene Bezeichnungen zu brauchen, verbunden
wurden.
Sd übergehe die reichlich verwicelten
Teilungen und Abänderungen diefer oe
marfenverwaltung im Lauf ber farolingt
iden und ottonijden Gejdidte und des das
zwiſchen liegenden Jelbjtändig:italilchen Kö—
nigtums des Berengar von Friaul und am:
derer WBerjönlichkeiten. Die Hochpolitijche
Wichtigkeit jener Gegenden in ihrer Lage
gegen die Adria, bie Balfanhalbinjel und
bie in Ungarn erjdienenen Madjaren, deren
32. Jahrg. 19171918. 2. Bo. 20
208 Tess PVrof. Dr.
Neiterjchwärme die Züge ber Awaren wies
berbolten, veranlafite Otto den Großen,
Groffriaul von Italien abzulöfen und es in
die Hand feines Bruders Heinrich, der
Bayern als Herzogtum innehatte, zu legen.
Co umfafte bas mit ber jüblid)en und jid-
Oftlid)en Reidspolitif vorzugsweile betraute
ayern fee die von Vajowaren be:
— Marken Oſterreich, Steier, Kärnten,
azu die Marken Krain, Iſtrien, Aquileja
oder Friaul im engeren Sinne, und Verona.
Von der Pomündung um den Gardaſee
erum auf den Ortler zu läuft die deutſche
eichsgrenze, jelbftverfiändlich alfo Südtirol
und das Bistum Trient einſchließend, die
ſtets Reichsgebiet geweſen find.
Unter Kaiſer Otto L hat ſich dieſe Ord—
nung trefflich bewährt. Unter Otto II.
wadten wieder alte jdjmübild): bayerijche
EN burd) die Herzöge ek die
eide des Raijers Rettern waren, jo daß
bei einer etwas gewaltjamen und nicht ſehr
KSE Neuregelung im Jahre 976, bie
ayern mit Echwaben gujammenlegte, ba:
für ein jelbjtändiges Herzogtum Kärnten
abgezweigt wurde, bas fih mit auf bie
Darten Iſtrien, Friaul, Verona erjtredte.
m Reihe gehörten fie natürlich auch Jo.
ie fid) in den Deutjchen bie Überlieferun
bieler Zugehörigkeit cinwurgelte, das trit
in vielen Zügen hervor, aud) in den Be:
danfenfreijen der epijd)en Sagen. Theoderich
ber Große, ber trog feiner weit bejjeren
Berdienite um Oftrom unb bie Jozial ver:
lebten jpätrömijchen Italiener fih in ftetig
größeren Umriſſen ju dem bewundertiten
aller germanijden Helden auswuds, bis
nad Island hin, ward fiir ben in Mie
rona waltenden mddtigen König gehalten,
Dietrid) von Berne, obwohl er dort nur eine
SE Pfalz hatte und Ravenna feine
egterungshauptitadt gewelen ijt. Auch als
Herzog Bertold V. von Zähringen, der ein
bie deutjchen Sagen und (pen liebenber,
ftolzer Herr war, im burgundijchen Reichs:
teil an der Aare eine junge Stadt anlegte,
gab er ihr den Namen eines neuen Berne
oder Bern. Mit ‚Bären‘ hat ber Name
Bern jo wenig au tun, wie der von Berlin,
trog allen Heraldifern, welde bie Vorgän—
er ber jhlimmen Etymologen von heute
And, die in dem Mijjenjchaftsteil ber Bei-
ur ihr Unwejen treiben.
ine Rolonijation Friauls mit deutjchen
Bauern, Handwerfern, Gewerbetreibenden,
wie fie zur Mittelalterzeit bis an den jieben=
biirgijden Rarpathentrang oder bis weit
Ja id nad) Polen zogen, hat nicht [tattge-
nden. Golde bejiedelnden Auspflanzungen
pajjen fiir Die minder well ad cur bal ſpär⸗
lich bewohnten Gebiete. Größere Leeren
boten ſich auf den ſüdlichen Berghochflächen
zwiſchen Gardaſee und Vrenta, wohin denn
noch bajowariſch-deutſche Alpenbauern ge—
pu find; fie haben die heutigen ‚dreizehn
emeinden‘ und ‚jieben Gemeinden‘ (dieje
um Gdlegen oder ‚Ajiago‘) angefiedelt.
Gb. Heyd: BESsssesesssss4d
riaul dagegen hatte feit alten D aus
fenetern (DUyriern), römiſchen Rolonijten,
Langobarden, endlich ben befdeiden fic
hereindrüdenden Clowenen im Often eine
allzu ausreidjende Bevöllerung, um mod)
bcut[d)e Bauern aufnchmen zu Tonnen. Da-
egen gingen erbloje Herrenjohne und Ritter
in das Yand, gerne gejehn und gefördert
von den Inhabern der Martgrafichaften,
die fie mit Butsherrichaften und *Burgleben
ausftatten fonnten. Go leiten fi, um me:
nige ftattlidje gu nennen, die Grafen von
Colloredo und bie von Gollalto auf ſchwä—
bijdje Geſchlechter guriid; die großen amis
licn der Wlpenlander, wie bie Eppenjtein,
Zeltſchach, Mosburg, Peilftein, hatten viel:
ad) in Frigaul Grunbbejib, ber ritterliche
chnsadel der Patriardhen von Aquileja
war jaít durchweg deuticher Geburt. Das
alles bat gemacht, daß bier gunádjit bie Ent»
widlung eine ber deutichen Ähnliche ward.
Vie italienische Gejdidte ijt bie der macht:
voll aufjteigenden Stadtrepublifen, bie fd
mit einem Untertanengebict umgeben und
den darin wohnenden Adel in ihre Mauern
iehn. Dagegen in ber Beronejer Mart und
in Friaul behauptet jid) die Führung der
lands und burgjälligen Wdelsgejchlechter,
bleiben die Städte in Herrenhänden, bis
endlich, in ben Berfallzeiten des mittelalter:
lichen Reiches, bie Herrichaft Benedigs zum
Übergewicht fommt und fie nun aud in
bielen Gegenden mehr das italienijche Ge:
präge an die Oberjlade bringt.
Auch bas 976 geſchafſene große Herzog:
tum Kärnten zerjplittert. Wie die Steier-
marf wurde bie frainijdhe abgezweigt, die
Marten Ijirien und Friaul famen an die
Patriarden von Aquileja als Inhaber ihrer
Reichsverwaltung.
Linie eines Puftertaler Gejchlechtes find
die GN von Gürz, die um 1500 ausge:
jtorben find. Diefe urjprünglichen Inhaber
der farntnijden Grafidjajt Yurn erlangten
die weltliche Schußvogtei des Batriardiass
— ein Verhältnis, das ähnlich wie bei den
englijden Schutzherrſchaften die Neigung
enthält, den zu Bejchügenden, wenn es mög:
lid) wird, allmáblid) aufzuejlen. Am Un:
fang des 13. Jahrhunderts fam es zu einer
Schlichtung derartiger Anſprüche unb Strei-
tigteiten, worin der Patriarch dem Grafen
die unumjchräntte Hoheit über Stadt und
Herrjdhajt Görz einrüumte. Die Witwe
eines Ipäteren Grafen, der 1323 ftarb, bie
bayerijche Herzogstodhter Beatrix, war eine
jo frajtvolle Regentin, wie je ein Mann;
nad) dem Tode des Patriarden Pagano
wurde ihr bie ganze weltliche Verwaltung
von Aquileja, jowie bas Generalfapitanat
in Friaul anvertraut. Das Wejentlicde,
Daucrnde ijt, daß feit 1202 die fejte Grenze
ber Grafídjaft Görz gegen das in verwor:
rene Kämpfe geratene DOberitalien bejtand.
Und ba bei dem Wusjterben der Grafen auf
Grund alter Erbverträge Raijer Maximi:
lian I. nadjfolgte, ift fie damals die habs:
EEEA Verſchollene deutjche Gejd)id)te in Venetien unb Friaul 299
burgijde geworden. Im Kriege der Liga
von 1508 eroberte Maximilian von Benedig
eine Anzahl DOrtichaften und Gebiete, dar:
unter Aquiteja felbjt, woraus die Grafſchaft
Gradisca geformt unb mit edt, vereinigt
wurde. Geit ber 3Beje&ung Aquilejas durch
bie Benegianer 1451 war Paine lebte Bedeu:
tung als d EE erlojchen. Diejer
wurde |päter als Erzbistum nad Udine
verlegt. |
Durdh Spaltung des alten Sprengels im
Jahre 575 gab es aud) in Grado einen Patriare
en. Zum atriarden von Grado hielt
d) Benedig, wodurd er politijd) deffen
ertzeug ward, wie denn auch ſchließlich
bas *jatriardjat von Grado nad) Bencdig
übertragen worden ijt. Aus bielen Ber:
Itnijjen entjtand an ber Riijte mehr Sta:
len als im nördlichen Gebiet.
Schon die erwähnte aquilejijd)e Verwal:
tung Der —— Beatrix war ein
Merkmal bes Wettbewerbs der neuen Stadt—
herren im Gebiet. Freilich waren auch ſie
umeiſt noch ghibelliniſch, d.h. fie lehnten
ſich ihrer Stellung und Vorteile wegen an
das Reich an, wie die berühmten Scaliger
von Verona. Feſt durchgreifende Reichs—
ewalt gab es nicht mehr. Im Ringen der
—— untereinander iſt ſchließlich die
Herrſchaft Venedigs auf der ‚terra ferma‘,
Gantt Georg. Radierung von Wilh. Fahrenbruch
im Gebiet von — und Verona, bis an
den Ortler die Siegerin geworden.
Vom deutſch-friauliſchen Adel ſind manche
Familien ins Reich zurückgegangen und be—
gegnen uns in der öſterreichiſchen Kriegs- und
Staatsgeſchichte mit befannten Namen. Seit
dem 13. Jahrhundert waren um ſo mehr
italieniſche Nobili in die Städte von Ve—
rona und Friaul eingewandert. Zu ihnen
gehören auch die della Torre oder Torriani
aus Mailand, die durch die friaulijd) - öfter:
reichiichen Beziehungen als Thurn und Taxis
mg Deutjchland gefommen find.
[s ldngjt Benedig im Friauliſchen gebot,
flingt zu neuartiger Erinnerung der Name
einer jener italienijierten deutichen Burgen
auf. Durd) Irene von Spilimbergo, bie die
Scdjülerin Tizians war, des großen Furla:
ners aus Pieve di Cadore im Alpengebirge.
Mod niht zwanzigjährig ftarb fie zu Be:
nedig, und bicjer frühe Tod jteigerte jo hod
ben Ruhm ihrer Begabungen in allen Kün-
ften, daß weitum bie italilchen Dichter, dar:
unter Tajjo, fid) zu einem Bande Trauer:
poelien auf fie vereinten. Tizian Dat Die
etwas bürgerlichen Gejichter von ihr und
ihrer Schweiter Emilia gemalt. Ihr Bater
war ber friaulijde Edelmann Adriano da
Spilimbergo, ihre Mutter jtammte aus dem
venezianijchen Nobiligeſchlecht ba Ponte.
n2
©
*
H
Mit jechzehn Bildern nad) Aufnahmen der Berliner Illuſtrations-Geſellſchaft, von $yri&
Rihard und von Zander & Labiſch in Berlin
OtCcecececcecceceecccececccececceeeccececececcccccececccccce(coe33333333233232332333323322323222332333233223222232259232?50
er allerneuejte und beltebtejte SUtobe-
|port in ber Berliner Theaterwelt
Ih jet bas Entdecfen von Genies.
Zwar ijt nod) teins dabei heraus:
efommen; aber wie nad) Lejfing
niht bas Finden einer Wahrheit, jondern
das Cudjen banad) den höheren Genuß be:
reitet, jo lajjen auch diefe mit einer elet:
triſchen Diogeneslaterne ausgerüjteten Su-
der unb Spürer fidy’s |djon genügen, wenn
fie in ihrem dunflen Drange einmal jah:
lings mit den Köpfen aneinanderjtoßen und
dann, von [autem Hall erjchredt, fic) in die
gejpannten und abgejpannten ee leud:
ten, ftatt in das eines Genius. ei diejer
Komödie — der beften, dic der Theaterwinter
uns gebradjt hat — find nur bie armen Ent:
bedien zu beflagen, die auf den Genieſam—
meljtellen (wir haben deren ſchon verjchie-
dene) abgegeben und herumgereicht, plößlich
ihre Blößen hell von
der Diogeneslaterne
beleuchtet jehen und
nun, unbemmbarer
$üderlidjfeit preis:
gegeben, in ein fo
fives Dunfel fliich-
ten müſſen, wie fie
es ohne die jportliche
Stöberwut Berlin
WW s nicht verdient
und nicht nötig ge:
habt hätten.
Lebt ba ein ehr:
lider Gdriftiteller,
ein achtbarer fym:
pathijder Diann von
vierzig Jahren, na:
mens Hermann Effig,
eboren in Trudtel:
Gen Er bat ſchon
ver|djiebene Bühnen»
itüde gejchrieben,
Trauerjpiele, 3. B.
„Furchtlos und treu"
und ,Der Held vom
Wald”, Lujt}piele a.
B. „Die Glüdstub",
„Der Schweineprie-
die dazu gehörigen Gtüde nidt aufge
rührt hätte. Aber er folte mum etn.
mal ‚durchgejegt‘ werden. Zu Ddiejem
Swed erhielt er zunächſt einen Literatur:
preis — ber ijt leicht gu haben und bat
bei ber uneingeweihten Menge nod) immer
eine gewille Geltung; Dann wurden Ber:
liner Theater in größerer Anzahl gleich:
geitig attadiert und bearbeitet, bis fid) ihrer
berbeiließen, das Genie jalvenartiq mit
drei verjchiedenen Meifterwerten zu tte
tommen zu laffen. Eine fraftvolle Offen-
jive an drei Einbrucdhftellen Ai leid), einge:
leitet durch journalijtiiche Ntebeltöpfe und
Basabbläjer, bie bas peli pb überfallene
Publifum betäuben und wideritandsunfabig
machen jollten. Zwar AE der Zen:
jor diejen ftrategiichen Meijterplan, indem
er dem Lejjingtheater bie lung :
bot, aber dafür rückten bas Königliche Schau:
eee und bas
leine Theater furg
: vor Weihnadten in
leidjem Schritt und
ritt zu Ehren Effigs
vor, um alsbald zu
gemeinjamen Uneh:
ren pe panifartt:
gen zug anzu:
treten. An ber Hof»
bühne er[djien ber
„Heldvom Wald“,
der in Wirklichkeit
ein Held vom Theater
und nicht einmal ein
guter war. Der Thea:
. tergctte des Schau:
\pielhaujes, ber ohne»
hin einzig ift mit fei:
nen sch überflüjft:
en Beigaben, ent:
ielt einen Auffas
des Verfaljers über
bie Bolfsbrdude im
Hotzenwalde, einem
infel bes ſüdweſt—
lichenSchwarzwalds,
die ſeinem Stück zu—
grunde liegen. Dieſe
ſter“, „Ein Tauben— ländlichen Sitten dre⸗
— go ina Dr. Max Pohl als alter Bauer in Ejfigs „Held oe at be ee
b
trog Delen Titeln
ein unbeſcholtener
Schhriftiteller jein und
bleiben, wenn man
vom Wald“, die befte jchaujpielerijche Leitung an
dem unglüdlichen Abend. i [i
Olten, fein gramumflorter Blid find wohl zu ver:
iteben. Sein Sohn bat den „Mordllapf“ betommen,
und er felber bat in dieſem Trauerjpiel eine längere
Rolle zu jpielen, ber ?irmite! (Kgl. Schaujpielbaus)
reichung des „Mord:
Hapjes", d. an
tödlichen ntzet:
tels, den jid Die
Die Diijtere Vliene des
EEEEEEAA Karl Streder: Aus den Berliner Theatern BSSZSZZI 301
offenbar einem ber Cntbeder, bot ein Gymna:
fiaft a SEH an, und eine Tame forie ibm:
„Hein! Nein! Nein!“ ins Gejidt. in fold)
wiijter Theaterſtandal folte eigentlich unter
Leuten von Kultur lich von jfelbjt verbieten,
aber freilich: aud) der Wurm friimmt fid), wenn
er getreten wird ... Wenn ber bürjtige Stoff diejes
,Subbanbels" etwa im Truchtelfinger Vollstalen:
ber unter ‚Allerlei‘ mit awangig geilen erzählt wird,
5 mögen bie Lefer dices Literaturgweiges es
d) gefallen laffen, wenn aber bie Theaterbejucher
einer Broßjtadt einen ganzen Abend damit an:
geödet werden, fo ijt es erllárlid), daß fie toben
und jchreien. Es war eine jauere Woche ...
Sft ber betulide Entdederiport Sprecathens
in diefem Fall tláglid) entgleijt, fo bat er dafür
an anderer Ctelle, von mehr Verftändnis und
pea gs el bedient, einige Erwartungen er»
wedt. linter dem vielverheißenden Ramen ‚Das
junge Deutſchland' bat fih, geführt von Max
Reinhardt, eine Befellichaft gebildet, bie bem her:
anwadjenden Dichtergeſchlecht bas Sprungbrett
anf die Bühne zuredytlegen will. en erjten
Sprung madıte freilid) ein Toter, Der im Som:
Eine ber Dorfſchönen in Ef:
S „Held vom Wald” (Fri.
od), um Oerctwillen er
Mordllapf verabreidt wird
(Kgl. Schauipielhaus)
männliche Dorfiugend im
Rampf um bie Liebjte zu
geben pflegt. Bon diejem
altehrwürdigen ` ofze
brauch durfte man wenig.
ftens erwarten, daß er
einige dramatiſche Auf:
ung und Cpannung
b ngen werde. Aber nidts
dergleichen, bas Ganze
entpuppte fic) als eine Vor⸗
führung lebender Bilder
aus einem Solfstracd:
tenmufeum, als ein Aus:
ftattungsftüd mit verbin:
dendem Text in ſchwä—⸗
biſchem Dialelt, jo lah:
mend ins finblide per:
breitert, daß man vor
Langerweile beinahe den
Mordklapf befam.
Um fo anregender war
dafür drei Tage |päter
bie Voritellung von Eſ—
gs Luſtſpiel „Der Kuh-
andel“ im Kleinen
beater. Aber leider
ging dicje Anregung nicht
von bem Stück aus, bas
an Schwächlichkeit feines:
leichen Judyt, jondern vom
Rublitum, das ohne Gage
mitjpielte. Es rebellierte.
weimal Eſſig in einer
Sodje war ihm denn bod)
i i i Aus ber Elfiqwodhe. Im ,Rubbhandel” hat ber Hauptlehrer Rindfleiſch
Cate Es gilts, dune en d per A — A erhalten, aber pe Sieb
, , m feine Bute, Frau Helene Rindile Ar mmermann), ewig treu
unentwegt Klatjchenden, (Kleines Theater)
| l (221094, $3(pjmaq;) 98 aa Uy am (planag; dun) pg Bung, aoq
sonva qum mvjud IQI €3(pojg "uaunuo] uajupqaq) Aua nf | e wip E 13Q9M 13186101 d p
VE Sa, zur IURE EC IU daug d NT TEE a fM of nm tan
999499999999 999999 9909000900909 EES SS SLOSESESSSSSTOSESESSSESSSSSSSSESETSS OSES TOESEESSEEESESESESSEESSE SOROS OR SESEEE SESH eeeseneeebebeseneeetebeesesescencecnee „n..nnn..n......
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Leben
$ "Sgszzeseeeeeesegesesgeeseegeeegesggeeeegegesgesgeseeeegeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeneeeeeeeeeeeeegeeeeeee
BSVSSSsosesa”dl Karl Streder:
Aus den Berliner Theatern SIE 33331 303
Marquis Pofa (Mlexander 9Dtoifft) und Don Carlos (Raul Hartmann), die beiden Diosturen, bie in die
jem Winter hod am Himmel bes ,Deutidhen Theaters” ftanden und Taujende zur Schau lodten
mer 1916 gefallene
blutjunge Dichter
Reinhard Gorge
fam mit feinem Erits
ling, er jelber nennt
es [eine ,dDramatijde
Cenbung': „Der
Bettler“ in einer
Mittagsvorjtelung
des Deutſchen Thea—
ters zu Wort. Ein
Drama? Nein. Ein
2.008: in dem der
ichter fein großes
Wollen anfiindigt —
unb [o als Eröffnungs=
dichtung bes ‚jungen
Deutjchland‘ von bop:
peltem Ginn — das
gärende Chaos einer
jungen oetenfecle.
Bedenflich [timmt|d)on
der Stoff. Es ijt das
Beiden der Unfertis
gen, auch ber Dilet-
tanten, fid) felber mit
ihren unflaren Wün—
hen und Sehnſüch—
ten im Gegenjah zu .
den Nöten des Lebens
und Berufs daritellen
zu wollen. Als ob
bilipp tt ber Don
eutihen Theaters
nicht gerade dazu Di-
[tang gehörte! Und doch
— wir bei Rein:
arb Gorge ae
auf. Denn ein Terzett,
bas bier der Dichter
mit dem ‚freunde‘
unb dem Magen’ ans
ftimmt, hat nicht nur
einen reinen, vollen
Klang, es jhöpft aud)
das Thema aus ber
Tiefe. Der geldjáfts:
unfundige, welt: und
menjchenfremde Dich:
ter ga pase troßig
dem woblmeinenben
Rat pre aie (id)
in bie Welt zu fügen,
und [tóbt den Mäzen,
der thm ein forgen»
freies Echaffen gewäh—
ren will, eigenfinnig
vor den Ropf: eine
eigene Bühne will er
haben, nur auf einem
anz bejonderen, für
n Eë Inftru«
ment fann er ben Ton
nden, der in Die
wigfeit biniibers
flingt. Go gerjchellt
— LAITI IL aLa SE BSE SEDGE SOSH POSS OMS 0DOO9O90002222520000000€0900000255600520005856002€99*9 09090909099»? *$e609009*9009909000000000000020949992009009000099022250000€0€0 HASSLE]
im Deutjchen Theater: Elfe Heims als Königin
„Don Carlos
d
=
EFEE Karl Streder: Aus den Berliner Theatern 305
fein Ideal an der
Wirllidfeit. Bei al-
lem Äberſchwang ijt
ber Dichter in ber
Darjtellung dieſer
drei Menjchen von
wohltuendem Realis-
mus. Der Mäzen fo-
wohl wie der freund
find ganz vernünftige
Leute, durchaus nicht
ines 4a m
ihnen fogar recht ge:
bem. Das ift ja re
lich gerade bas Tra:
golde: der Dichter
paßt nicht in die Welt.
Aber diefe Wirklich:
teitstreue wird abge-
Ion von gejpenftijchen
‚onen, mit ande:
ren Worten der Na:
turalismus wird mit
Symbolen burdjjebt:
im Raffeehauje ber
Literaten und Der
Halbwelt jehen wir
ein dichteriſch empfun-
denes oe bobler
Beichäftigfeit, groß:
ſtädtiſcher ‚AUftuali-
täts’gier und Gitten-
lofigfeit. Eine höchſt
mertwiirdige Beweglichkeit ber ale:
die wie ein fih brebenber Scheinwer
Marie Fein als Prin’eifin Eboli in der „Don
Carlos Aufführung des Deutjden Theaters
er
leuchtet, Menſchen
und Dinge abtafıet,
läßt bieje Bilder er:
Idyeinen und ver
gre — plóflid)
ipt, ben Chor ber
antifenTragödie geift-
voll nahhahmend, eine
Reihe todberciter Flies
er da, Einheit in
feiner poring tnr in
en harten Geſichts—
iigen; bie fnappe
rofa gleitet unmert:
lid) in ticfflingenden
fers über, auf bas
Gewirr und Gelicher
der Liebhaber mit den
Dirnen folgt jchwe-
rer Orgelton. Go der
erjte Wit. Mit ihm, der
jtrablend ausflingt,
at Der Didter das
elen (de feines
Wertes gegeben. Ter
übrige Teil bes Sra:
mas hebt fic) als eine
Ichauerliche Familien:
tragödie ohnejichtbare
f'erbinbung mit dem
Vorhergehenden ab.
Des Didyters Water ift
wahnſinnig —bie nahe
Berwandtichaft von Genie und 3Babnjinn [oll
jo, ein wenig deutlich und einfad, betont
Man tann fid) — niht wahr? — vertranenerwecendere Gefichter vorftellen als Diele drei Mordgeſellen
aus der „Winterballade” (Bruno Tecarli, Vant Weaener, Emil Jannings), aber fdwerlid tann man He
beffer barftellen (Deutjches Theater)
306 baee: Karl Streder: BSSSSSS3ISFI3Z3S3ZZZU
werden — die Mutter fiedht in 9Ingit und Sorge
dahin, der Sohn erlöjt beide burd) Gift. Hier
flajft ein tiefer Nig durch bas Gange, offenbar
ijt Gorge ingwijden ftarf von Strindberg
beeinjluBt worden, nur läßt er bejjem be-
dngjttgende — und Logit ſtark
vermiſſen; Widerſprüche und Willkür herr—
ſchen, die Vorgänge find an den Haaren
erbeigezogen und oft von ermüdender Weit-
eig lei. Und dod): immer wieder blin-
en wahrhaft geniale Szenen auf, jo wenn
der Sohn dem irrfinnigen Water (der fibri»
gens recht vernünftig |prid)t) einen Cala:
mander fommanbiert unb bie verängiteten
Frauen fommentmäßig ‚mit reiben‘. Kurz:
um, ber jo früh Verftummte war trog allen
Sugendfehlern, ja gerade wegen der Art
Diejer Fehler ein Berufener, feine Wohnnng
ift jener SUlagnetberg, der die Augen und
bie Herzen mádjtig anzicht, wo das junge
Didtergejdledt vom Adel des Sturm und
Tranges Debt: die Leng, Büchner, Grabbe.
Gein „Bettler“ ijt ein Werf, wahrhaft ge:
Schlußakt in Dehmels Menſchenfreunde“.
Chriftian Wad (Albert Ballermann) erfennt in legter Stunde unter der
linden Hand der Vflegerin (Ilta Griming), Daß ein biüchen Güte von
Menſch gu Menſch mehr wert tit, als alle grobe Wohltätigteit, mehr aud)
als alles Übermenidyentum Leeiflugtbeater)
Die gerfurdhte Menichenruine
[pidt mit Mängeln und Sdhwiden — aber
erfüllt von jener verwegenen Unbefiimmert-
* jener träumeriſchen Sehnſucht, jenem
erben Trog und endlich jenem erſchüttern⸗
den Notſchrei der Prometheiden ... Max
Reinhardt war der rechte Künjtler, den hoch:
bg Träumen dieſes Tidjters pban-
ajtijdje Gejtalt zu geben, feine ,dramatijde
Gendung” zu erfüllen. Scdyaubilder von un-
vergeßlihem Reig fpannten fih um fhau-
ſpieleriſche Glangleijtungen von Paul Wer
ener, Helene Thimig, Gertrud Eyjoldt,
rnit Deutſch und Emil Gannings.
Nad) der Jugend ijf man auf ber Gu
in der Berliner Theaterwelt — mit Redt
troß allen HA ungen und Ausrutſchern.
Springt aber in biejer 9tüdjd)au bie Frage
auf: wo id) im heurigen Theaterwinter am
meijten braujenbe, ftürmijche apod auj
ber Bühne gejehen babe, jo muß id) wahr:
age rg geitehen: bei einem Dichter, der
eit mehr als hundert Jahren tot ift. Schil:
lers Don Carlos bat am Deutjchen Theater
den jtärliten Erfolg der
Spielzeit di cms (wodyen»
lang war fein Plag zu
baben, wenn man T
nicht [ange im voraus be:
Apr unb er verdantt
elen Grfolg lebiglid
bem jugendliden Feuer
und Uberjdwang, dem
wolfenbod) aufflammen:
den Godelzug, den Die
Darftelung ganz fhile»
tijd) traf. Max Reinhardts
arlos: Aujführungen
Wie jeit bem Jahre 1909
cfannt. Moiſſis Poſa gab
- ihnen jhon Damals bas
Qepráge. Aber es war
fein ebenbürtiger Carlos
da, und aud) der König
Dep zu wünjchen übrig.
Segt bat das Deutjche
Theater — leider nicht auf
lange mehr, — in Paul
Wegener einen Philipp
unb, was widjtiger ijt,
in Paul Hartmann einen
Carlos, die dem reifer
und vertiefter gewordenen
Moiſſi — das
Höchſte dieſes Schiller—
ſchen Jugendwerks her:
auszuzaubern vermögen.
Dies Höchſte aber beſteht
darin, daß wir beim Zu—
chauen nicht nüchterne
erſtandsmenſchen blei—
ben, ſondern daß der Adel
und die Hoheit dieſes be—
ſchwingten Dichters uns
völlig überwinden und
wir ſchließlich mit beben⸗
der Ergriffenheit zu ihm
aufſchauen, von deſſen
EFE Aus den Berliner Theatern BESSsSesessed 307
Anfcheinend ftellt das Bild nur drei Teríonen dar
den Fink und Fliederbuülchzualeich (febr tuitig) verfó
in Wirklichkeit find es vier, ba Bajjermann (lints)
rvert. Neben ibm Bla Grüning als
güritin, geichäf:
tig in latid unb Wohltatigleit, redts Nee Parlamentarier und jartajtijder
e Zell
Lippen bie dentiche Eprache bald wie holde
Mufif, bald wie Eturmeswehen flingt, in
Dicjem Hohenliede ber Freibeitsliebe, edler
Sreunb|d)ajt und Menſchengröße. —
Das wenigftens ijt bas Erfreuliche an ben
nachfolgenden Dramatitern, daß fie nicht zu
diejer neuerdings mehr und mehr fid) breite
madenden Eippe gehören. Es darf nicht
als bas [cte Zeichen der Edjtheit und Größe
eines Didjters gelten, daß man ihn lieben
tann. Das trijjt auj Ridard Dehmel unb
Gerhart Hauptmann gewiß zu. Won
Hauptmanns Winterballade habe id) in met
ner legten Theaterrundichhau bier ſchon oe:
fagt, daß fie enttáujd)t hat, es bleiben nur
nod ein paar Bilder von der pr Dee
Darjtellung nachgutragen. Die Tragödie
jelbjt hätte viclleicht tiefer gewirlt, wäre man
niht vorher auf die Quelle ihres Gtoffs,
auf Selma Lagerlöfs Erzählung „Herrn
Arnes Shag” aufmerffam gemad)t worden.
Co aber erwartete man von der Geftaltun
bes zarten Jungfräuleins Elfalil gerade bet
dem — [o elfiiher Weſen wie Hannele,
Ottegebe, Gerjuind — aud) Pippa und Rau:
tendelein gehören hierher — das was Haupt:
manns eigenjtcs Gebiet und Können ift,
aber Dier verjagte er diesmal, ihm war's
mehr ums Grauslide zu tun. Cine Über:
rajdjung brachte Rihard Dehmel mit feinem
Drama „Menſchenfreunde“. Lange hat
der große Lyriler vergebens um bie aim:
bes SDramatifers gerungen, jet endlich, mit
infunbjünfaig Jahren, bat er ein leijes aber
tarf an bie Geele greifendes Srauerjpiel
eihaffen. Sein Multimillionär Chrijtian
fad), belajtet mit ſchwerer Schuld, jeelijch
ein überlegener Herrenmenich, ipottet inner:
lid) über bas grenzenloje Wohltun, durch
bas er fid) als ‚Menfchenfreund‘ einen Na:
men gemadj, wie über ben 9Infláger, ber
ihn durch jene Schuld vernichten will. Zieler
Gelbjtpeiniger verachtet bie Gelbjtgerechtig:
teit und Heuchelei der Melt wie thre Stra:
fen: ohne Beftändnis ftirbt er einjam, feine
legten Augenblide verflärt durch das bißchen
ee it ee eines cinfaden eibleins.
Das ift eine Geftalt, die nur ein überlege:
ner Dichter ſchaffen und die nur ein Künijt:
ler wie Bafjermann fo erid)ütternb nad):
bilden tann: mit allen Schauern einer von
Gelb[tqual zerrütteten Seele, mit allen Mert-
malen des Pathologiſchen und bod) einer
trobigen in fid) verbijjen gujammengefauerten
&rajtnatir,
Die zerfurdyte Menjchenruine, von wilden
Haar unb grauem Bart umjtarrt, die Baſſer—
mann bier jdjuf, war das frajjejte Gegen:
908 BSSsssssesesy Karl Streder: Mus Den Berliner Theatern IBé3£363£3€63636362€
fterfchaft darſtellt. Das
ujtipicl felb[t hat bei ber
Prejje größtenteils eine
ablehnende Haltung ge-
funden. Man fühlte fih
wohl verjtimmt über die
einjcitige Rarifierung bes
Sournalijtenftandes ; aber
jeder andere Stand muß
sae einmal auf Der
Bühne herhalten. Dah
man bejonders in Wien
über die febr deutliche
Sofaljárbung — man
— von einem lüj-
etüäd — nicht eut
war, läßt jid) denten.
Gicht man von Der gro-
ben Bergerrung, nament»
lich des erjten Altes, ab,
die nur äußerlich einen
wahren Wnjdein hat, fo
bleibt bie Grundidee: dah
ndmlid) ein germanbter
junger Mann unter zwei
verjdjicbenen. Decnamen
„Die Lebensgefährtin“ lints (Rola Bertens) Debt nicht wie ein „Rind in einander feindlichen
der Freude” aus, obwohl Caltens Einatrerreibe fo benannt iit. Das Blättern mit fic) jelbft
arme pernadjlàliigte Weibchen des großen Heldendarfiellers (Ferdinand cha olemijiert und
Bonn) bat allen Glanz und alle Wärme Des Lebens ihrem — Stern NT oP
überlaffen (Rammerfpiele) lie ce Rat igh
en wird, au
ftüd zu dem glatten, RE se gigerlhaft: iftolen zu fordern und als Doppel:Ich auf
(wëlleg Finkund Fliederbuſch, diefer dem Rampfplag zu erjdcinen — luftig genng.
ti
oppelrolle, bie er indemgleichnamigenStüd Das Stiid wurde, wie aud) Dehmels Drama,
von ArturSchnitler mitvollendeter Meiz im Lejjingtheater unter Barnowstys Spiel:
Drei „Ainder der Freude” von Felix Salten. Die beiden Nebenbubler (rechts Hermann Thimig, in der
Mitte Ferdinand Bonn) wiiniden jid) —— zum Teufel. Johanna Terwin iſt Lien in Berlegen:
heit, welchem der beiden Wünjche fte beipflidten foll (Rammeripiele)
eSPCSOSSSSSSSSSSeSSSOSSSSSGeeeeraeseeresn »-—n——n. nn... ...n„...u........
r Beterlein :
b, Darum :
i
Peterlein bat fein ER
uperlluge Biga (Erita Gläßner) und
erte Straße nad) Cteinagd) (Theater in der Königgräßeritraße)
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310 Bessey] Karl Streder: Aus den Berliner Theatern III ZZ
ordnung ert TA dargeitelt und hat
fih gegen alle Widerjprüche e Sh ag
Glüd hatte and) ein anderer Wiener (fie
haben alle bei uns Blüd, beinahe joviel wie
die Budapeltcr), ber in Gchniglers Fub:
ftapfen wandelt: Felix Galten mit jeinen
„Rindern der Freude“, die im Rammere
Ipielhaufe für einige Monate Quartier be-
legt haben. Die Kunſt des Ginafters hat
Galten tedjnijd) febr jauber ausgebildet, er
verjteht es, ein merfwiirdiges Borfommnis
ober eine plychologiiche Frage in eine tnappe
dramatijdeHandlung umzufegen, fo gwar, daß
id mit einer überra|djenben Sdlugwendung
gelöft wird. r bat jo
dlagartig-wifi
den befannten alten der Novelle gewiljer:
maßen für die Bühne abgerichtet. Gefiibls-
nicht bei ibm zu finden,
wärme ijt —
ſeine Geſtalten ſind lediglich Spielmarken,
als ſolche nicht apne Wert. Überhaupt bat
die Technik bet unjeren Dramatifern in [ebter
Zeit aujjallenbe Fortjdritte gemadt. Ram
ba im „Theater in der KRöniggräßer
Straße“ een Name ebenfo lang und häß—
lich, wie fein Bühnenhaus intim und hübſch
ift) ein junger, in weiten Kreijen unbefann:
ter Dichter namens Wilhelm Gtüdlen
mit einem Drama „Die Straße nad)
Steinaynd” zu Wort, bas ein uraltes, ver:
braudjtes Motiv, den Kampf ums Weib, in
bejonderer Faſſung zeigt. Nicht ein Wort
iit in dem ganzen Ctüd zuviel gejagt, bie
eig liher, bie Szenen fo zujammen:
edrängt, das meijte lebenswahr, in der Be:
euchtung oft neu und angiebend. Ob nicht
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In Georg Reides „Blutopfer“ jehen wir das junge Pajtorentidterdhen (Marija Leito) —
eine gewiſſe ſeeliſche Einſchränkung dem
Dichter einmal zum Verhängnis werden
wird, läßt ſich nach dieſer Probe nur ver—
muten, nicht entſcheiden, vorläufig wird man
dies Talent im Auge behalten müſſen.
Wandten ſich die bis hier begleiteten Biih-
nenjd)riftiteller mit großer Einmiitigfeit von
dem großen Weltgejhehen ab, das uns
alle nun bald vier Jahre in Atem hält, fo
bat ein Kon befannter Dichter, Georg
Reide, jozujagen den Kriegsitier bei ben
Hörnern gepadt, er bat in einem breit aus:
gejponnenen Drama „Blutopfer“ den ge-
waltigen Rahmen bieles Bölterfrieges um
eine Yicbestragóbie eigener Art gezimmert.
Per Lyrifer Weide mad)t fid) in Ae von der
,9oltsbübne" gutgejpielten und freundlich
aufgenommenen $yünjalter des öfteren ange:
nchm bemertbar, Ar Szenen, jo die auf
dem abgebrannten Gebóft und im Offigiers-
fajino, find plaftiid geformt, im ganzen aber
ijt zuviel GewolltsDramatijdes in bem Wert,
man bat nidjt ganz mit Unrecht an Reides
Randsmann Gudermann erinnert bei der
Ag ei mit der Bater und Sohn um
bas junge Weib ftreiten, und bei bem roman-
tijd) nnbejtimmten Charafter Ddiejes Ge:
höpfchens jelbjt. Den meijten Vorgängen
chit bie Wahricheinlichteit und den Ge:
prdden oft der vorwärtstreibende Motor.
mmerbin ijt der große Wurf ber Beachtun
wert; geradezu Bewunderung aber verdien
die Tatjache, baB cin *Bürgermei[ter von Ber:
lin während bicies Krieges nod) zu jo weit:
ausholenden bramatijd)en Taten
eit findet.
[den den beiden Nebenbublern, dem Vater (Eduard v. Winterftein) und feinem Sohn (
Hartmann) troft:, UH unb ratlos, bas Blutopfer abnenb.
iher Gude (Fri Ridhard) (
poln
n der Mitte als Mittler ein
oltsbühne am Bülowplat)
[s wir mit lehmverflebten Ellenbogen
A und durdgejdcucrten Knien in der
say Septemberjonneam Mauerfeelagen
BLO) und plößlid) hinter uns ber neue
i Transport aus Holftein ftand, zwei
Dugend Abad ol aphid blanf und neu wie
3innjolbaten auf bem Weihnadtstijd, jab
id) am rechten Flügel einen wohl vier:ig:
jährigen Unteroffizier mit verwittertem Gee:
mannsgelicht, geſtußtem Schnurrbart, waſſer⸗
blauen, nervöjen Augen, Krähenfühchen und
Trauring. Mijdung von Fertigkeit und Un:
ficherheit. Unter dem Drud des Tornilters
{auernde, im Koppelfig und in der Gewehr:
haltung verjtedte flüchtige Eleganz. Aus
dem Rahmen der Studenten fiel er ein wenig
eraus, trat aus bem Glicb auf mid) zu und
ellte fid) He vor: „Heim.“
„Auch Kriegsfreiwilliger?” frug id) ihn.
Er bejabte zögernd, verlegen werdend.
„Und jhon Unteroffizier?“ Ich bin im:
mer jo neugierig.
Da liefen viele traurige Falten über fein
fturmbdurdwiiblics Gefidjt, und er fah bitter
an mir vorbei und ſchwieg.
8
B 8
Ich ſpürte, daß ich in dem gedrungenen,
älteren Dianne etwas verwundet hatte und
ging nun mit doppelter Liebe neben ibm ber.
as Köpfezufammenfteden hinter feinem
Rüden beadjtete id) nidjt und richtete mich
freudig daran En mit wie traditionell milis
tárijdjem Schimpfen er die längiten Märjche
ertrug, wie gewandt er im Quartier den
Tornilter abwarf, wie er im Schlamm ber
Randitraße D jelbjt mn vorfam, in
jchneidigem Kaſinodeutſch im Straßengraben
politifierte, feine Friedensjehnjucht mit Sekt—
wetten befräfiigte und fid) von mir einzig
und allein helfen lich, wenn ihm an Regen:
tagen und auf Hungermärjchen feine jchweren
Bremer Zigarren ausgegangen waren.
Überhaupt imponierte er uns, Die Leute
parierten ihm, und er führte jeine Gruppe
im den er|ten Gefechten mit wortfarger Ma:
növergewandtheit. Wurde einer von feinen
Leuten verwundet, [o begleitete er dejjen Auf:
jchrei mit einem harten Fluch; fiel einer, jo
zudten einen Trommelwirbel lang die trau-
tigen Falten über fein Geficht, weiter nichts.
B
8 B8
Un der Pilica ging der Oftoberabend mit
diden Nebeln nieder. Wir hatten bie jchwe:
ren Tage von Iwangorod hinter uns; nun
umfing uns wieder bie abenblidje Ruhe
eines tief in den Sumpf ber Flußniederung
gejtod)enen Grabens. Brettergejchü ahr A
verjtopfte Stellen im Graben wehrten als
Embryonen der fiinftigen Unterftände die
- bon Erich Vent/her
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naffe Traurigfeit ab, bie draußen von Wei:
ben und Briicden tropjte unb wandelten den
herben, erniten Gerud) der einjamen Wiejen
in enggerüdtes $Rebagen. Tie Vormittags»
fonne, bie fid) mandyınal durd) bie |d)meren,
raftlojen Wolken brad) und einen zeitver:
idilajenen Bujden Nergißmeinnidyt am Fluß:
rand beglißerte, löjte uns langjam aus Der
Bellemmung der Gel durdyatmeten Cdjladyt,
die Nafe labte fidh wieder am Duft zer:
fo iter SC und der ungalante Cpie:
gel rief Den Ramm aus der Tiefe des durd:
einandergewiiblten Tornijters, rief den Bart:
Huber, ben Rompagniehciligen, herbei, daß
er mit legendenhajten Vlartyrien fein Miratel
vollbringe.
Cogar der Ginn für bie Rompagniege:
ichäfte erwachte jur Freude ber Ehrgeizigen,
unb ber Feldwebel umbrummte mit blauen
Aftendedeln ben BVataillonsunterftand. Es
lag etwas in der Luft von Beförderung und
Zufunftsmufif, man riet, adyjelzudte, topf-
Ichüttelte und ſuchte das Ciegel auf ben
Lippen des Schreibers mit braunen, etwas
angenäßten und deshalb Dampfenden Glimm:
ftengeln zu jchmelzen.
Ich pflege bei SEN Gelegenheiten felt-
am jpige Ohren zu befommen. Alle Lü-
ternheit meiner erwachenden Lebensgeifter
richtete fic) nun a auf den Spieß als
höchſtes Idol, und id) horchte beim Shupe
ber Dunfelheit taftend den Graben entlang,
was Dieler und jener von meinen Ausfidten
büd)te. Sd) fam in Betracht. Sd) war dran.
Ich ftdrte gerade den Rranfentrager Pelta
beim Doppelfopf mit dem Roman meiner
militärijchen Vergangenheit, als ber Feld-
webel mit jehr jupiterhaften Schritten den
Batailonsunterftand verließ.
Zweiundeinhalbe Minute jpäter jchlug
der Ka ein: Unteroffizier Heim — Leut:
nant!
Die Pilica war nicht tief genug, um mid)
darin zu ertränfen. —
Heim ging zur Meldung beim Komman—⸗
deur an mir vorüber. Cr ftrid) mit ber
Hand über meine neidijch gefrümmten Schul:
tern und [ub mid) zum jpäten Abend ein in
jeinen Unterjtand.
Auch das nod! Als wenn man mit feiner
— Frau im gleichen Fahrſtuhl
ährt! — Schwermütig hing der Nebel im
Weidenbaum wie ein zerriſſener Schleier.
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88
Eine Kerze mit mattem, j|djimmernben
Sol burd)bümmerte den engen, niedrigen
retterperid)lag, in bem der Leutnant mit
einigen pflajterartigen Abzeichen feiner neuen
Würde ja und lächelnd an einer Feldpoft:
319 eeh Grid Wenticher: d
farte [djrieb. Eigentlich war fein Gelicht viel
weicher und jünger geworden.
Na ja, wenn man den Marjchallltab aus
bem Kochgeſchirr filcht!
Liebenswert war er bod), wie er mir Pla
madjte und wir beide vergnügt nebenein-
ander JaBen, bie Knie JO en und Die
Köpfe zwilchen bie Knie gebüdt, wie ber
neugebadene Burjche ein heißes Getränf und
einen Wurftzipfel brachte, und wie wir beide
mit eingeflemmten Armen Mahlzeit hielten.
Dann blies er das fladernde Yicht aus, daß
bie raujchende Sjerb[tnadjt durch die Bretter:
jpalten zu uns bereinjah, und formte mit
ſchweren, ftahltlingenden Worten nad) feinem
Willen mein Herz. —
„Bor zwanzig Jahren — Gie fonnten
damals ben 3apfen[treid) nod) niht von
ber Reveille unterjcheiden — bin id) [d)on
einmal Leutnant geworden, ein anderer als
heut. Ich war jehr Ko uud gab den Rames
raden feine jchlechte Bowle. Den Degen hielt
id) gwijdjen den Knien, wie ein Mädchen |cine
neuge|denfte Puppe nicht aus den Armen läßt,
unb bie jchmalen Achſelſtücke fühlte id) wie
das Boldgefleht bonapartiiher Marſchälle
auf meinen Schultern. Die Ehre, bie Be:
fehlsgewalt —, bas fpiirte id) voll heraus.
Wie die Konditorei fih umfrempelte, wenn
wir eintraten, wie die Gardinen raufchten,
wenn wir bummelten, bas alles fojtete id)
mit Stolz, erſchöpfte äußerlich den Glanz
des Berufs, und weil ich dazu pünktlich, par:
jam, fleißig, ehrgeizig, vergnügt und umgäng:
lich war, Pte es nicht am lobenden Gdjul:
terflopfen: ‚Heim, Sie find bod) ein Pradhttert!‘
„Es klappte alles über Erwarten, Befich-
tigungen und Rritifen. Als id) das Ata:
demieexamen beitand, wollten die Danfbar-
feit und das Glüd heiß in mir auflteigen
wie Rnabentranen. Wher ich zog die Kippen
chief, wie um ein ſcharfes Kommando zu
geben, und bejdjájtigte bie quellenben Augen
mit meinen Handjduben. Sentiments paB:
ten bod) nicht in unjern Beruf. Es jchien
mir einzig darauf angufommen, wie unjere
Stiefeletten glänzen, wie wir die Quadrille
beherrjchen. Jedes QGejdjüjt, bas wir be:
traten, jeder Zivilift, den wir grüßten, alles
mußte dod) ausgefudjt und bedadt fein.
Was jollten ba Gentiments? Gelinnung
jelbjtverjtändlih, Gefühl Grofchenzigarre.
Punktum.
„Nun, Berlin nahm mich feſte in ſeinen
eleganten Wirbelwind. Ich war rieſig ge—
ſellig und überall, in Theater und Bar, auf
Rennen und Baſars, erntete ich jenes ganz
nichtsſagende Lächeln, das man ſo leicht für
einen Scheck auf die Zukunft hält. Mein
Herz war ein Spitzglas voll Kohlenſäure; ich
lächelte mich immer mehr hinauf, und alles
klappte weiter über Erwarten. Daß ich über
mein Portemonnaie ebenſo ſchnell die Ge—
walt verlor wie über meinen Hoſenlatz und
den ganzen Kadaver, das merkte ich gar nicht.
Sd) war eben hohl wie eine Paute. Tier:
gartenjtraße und Drefjel, die Manichäer
nahmen mid) in ihre Mitte. Im Tatterjall
hielten mir Cchieber ihre Rigarettendojen
entgegen. Ich ſchwamm in der Jauhe Diefer
ganzen überjättigten, grundfaulen Gründer.
eit. Und dann ging es bergab wie bas
affer vom ——— Nach außen machte
ich bis zuletzt Bum, bum!, ein junger, vor—
patentierter Hauptmann, dem man eines
Tages den ſchlichten Abſchied gab. Geſchei—
tert am falſchen Augenmaß für das Leben.
„Tenn weil fein Beruf [o hart, |o gezwun:
gen und MM pni d ijt wie ber bes Offi-
giers, bedarf auch feiner p des inneren,
per|d)miegenen Friedens. er unter uns
nicht ein Herz bat, frild) unb voll wie ein
Knabenlachen, ber verdorrt an der Form.
Unjere Pflidt ift niht bie Biigelfalte, Jon»
dern ber ganze Mtenjd. Wir find nicht bem
Wiirfel und nicht der Schürze verlobt, fon»
dern der Fahne. Die Fahne aber ijt ber
König. Was will nun der König von uns?
„Der Broße König verbot feinen Offizieren
das Heiraten, wie bie Rirde es ihren Ge-
weibten verbietet. Ihre Sinne follten ents
brennen in ihrer Piht. Es folte fein
In für fie geben als ihr Revier, feine
amilie als ihe Peloton. feinen Felttag außer
der Revue, Aljo zu Mönchen gebändigter
Kraft, zu Märtyrern der Liebesnot, gut
Priefterjdaft ber eijernen Pfliht nnb Der
eijernen Nation madte er uns. Das if
preupildjer (Get, bas find bie Ipartanijchen
Grundlagen unjeres Lebens!
„König Wilhelm vermahnte uns, arm zu
bleiben. Bon Pelzen und Krebseſſen per
ſprach er fid) nichts Gutes für unjere Mus:
teln und unjern Mut. Aber den Reichtum
itraffer Gelbjtbeichränfung, pflichtgeweihter
Entbehrung |djnfte er uns. Die Arbeiter
dürfen murren um ihren Stundenlohn, wir
jolen bas Leben verdingen, um ein gutes
Gewijjen zu haben.
„So wollten unjere Könige, will die Fahne
ihre Offiziere jehn. Solange in uns das
Gewiſſen der Überlieferung jchlägt, bleiben
wir die Armee von Leuthen und Wörth, ein
eiicrnes Bolt. Das ijt unfer Geijt, unfer
Glück und Stolz!” —
Sd) trant ben legten Schlud aus meinem
Feldbecher. „Meinen Dant, Herr Leutnant!”
Draußen ftanden bie Polten wie junge
Gidjen. —
8 &
Warum wurden wir mitten in der Nat
alarmiert? Die Höhen des andern Ufers
und der Steg, der lints übers Waſſer führte,
waren noch niht fichtbar. Die Feldtiichen,
bie wie gejpenftifde Rieſenfahrzeuge den
— von Borki her herantrabten, und
der Brei, der den kalten Leibern halb mecha—
niſch eingetrichtert wurde, bedeuteten nichts
Gutes für den kommenden Tag.
Uber der ſchlafbefangenen, taumelnden
Kolonne erwachte mit Zirpen und Zwitſchern
die Dämmerung. Das Wiſpern des erſten
Morgenwindes Hang jo unverlierbar tief in
Den Obren wider, wie die Wugen verliebt das
` Jo g ag Lugagnan ‘Garde E aq uoa amgoulnyy o(plizojum ‘Jl 10a Aluplebaug aplynoq :
{HE LIBRARY
or THE
Ié
een V
wr
über Den Erdrand quellende Licht, das Baftige
Gewölk und den tropfenden Raien tranten.
Sm Gefühl einer beraufbámmernben Schlacht
treibt bas junge Blut mit doppelter Kraft,
unb bas bedrohte Leben lodert in feltjam ge:
reiftem, gejchärften Cinnesleben. Wie bie
Erde rod) bei der lebten Raft, das vergißt
man [o wenig wie den Anblid des lebten
Gehöftes. Die Empfindung wadjt mit der
Nähe des Todes.
in Halt auf dem Dorfplak von Ctro:
miec. Borm Bataillon hielt ein Reiters-
mann, feldgrau mit violettem Samt.
„Ein Sonntag [propt aus der Morgen:
bümmerung! Gottesdienft daheim wie hier!
Vernehmt thr das ferne Glodenlauten? Urs
beitjame Hände [inb für euch um Ge[ang:
bücher gerungen. Lippen zittern für euch
beim Lobe den Herrn. Erkennt ihr nicht
9Intli& für Antlig im Gotteshaus? Den
tiefen Baterunjer: Frieden ?“ |
So traten wir barhaupt ein, jeder in die
Kirche feiner Heimat, und unjere Mütter
alteten die Hände um unjere pochenden
D SE Das ftoßweile Taden, und Knats
tern, bas Windgeheul und Berften ber Gras
naten und das Dröhnen galoppierender Ros
lonnen hörten wir nur als ftill von der Orgel
brechendes Ryrielets. Die Sonne brad) wie
zur Hundstagszeit burd) die Fenfter und malte
das Whrengold ihrer Felder in wandernden
Rringeln an die Wand. Wir gingen don
weit ausgejchwärmt bem Feinde entgegen
unb faken bod) nod) bidjtgebrüngt in den
alten Sanfen.
Nur einer unter uns, ein junger Freis
williger, batte andere Gebanten. Ein Bottes«
eg hatte er nicht, um darin niederzuligen.
n feiner GroBiítabt hatte man fic) Sonn:
tags tüdjtig ausgeichlafen. Er war plótjlid)
in feltjamer Ginjamteit fid) felbft tiberlajjen.
Das Unfertige und innerlich Unreife feines
Lebens begann ihn zu drüden. Der Ropf
wurde ihm heiß aus Angſt vor bem großen,
ichwarzen Tor. TFiebernd zählte er E
tabe nad: fein Geld, feine Bücher, feine
mmiungen und feine Tennishembden. Die
ganze Rechnung ftimmte nicht. Wenn nun mit
einem Bleilchwirren die Macht über bas alles
erlojchen wäre! Er wurde im Geben jchamrot
über dies lächerliche Fragment eines Lebens,
dies Iprijdje Gedicht mit vielen Gedanken—
tridjen. Er jab an fih herab. Er hatte weder
ie Anöpfe noch das Kreuz, und von dem
anderen, unvergänglichen Kreuz über allen
eldengräbern wußte er ja nichts. Es hatten
id) felbjtjichere Plane in fein Gehirn einge:
baut wie Granit. AN diefe Plane, die Reis
fen, die Städte, die Arbeiten gehörten zum
Banzen. Er wanderte mit heifer Gtirn
treug unb quer: es war ja unmöglich, daß
dies Gebäude [djemenbajter, ftolzer Gedanten
einen Riß befommen jollte zum Einjtürzen!
Gang unmóglidj! Er mußte jid) mit Händen
und ‚ßen wehren gegen den Tod und feine
unabjehbaren Folgen, nur heute nod) übrig:
bleiben, Tage, Wochen, er mußte nachholen,
Belhagen & Klafings Monatshefte.
i Der alte Hauptmann BESZZSZSZZZZZZ 313
von vorn anfangen, vollenden! Nur nicht
in bielem furgen Sonnenlauf verlöjchen wie
eine zerdrüdte Fliege |
Da beulten Granaten von vorn heran.
Cie fuchten witternd nad Aufichlag und
Erde. Sie ftürzten wie Eijen. Bor den Füßen
bes Freiwilligen lag aufplumpfend ber ſchwei—
gende (ijentórper, voll verhaltener Kraft
p morden. Der Arme ftarrte gebannt die
inge an, die den Körper nod) fejjelten. Er
wartete mi bie Gxplojion — Gefunden.
Langfam löften fid) feine ineinanbergetnirid):
ten Kiefer, segonn er an einen Blindgänger
zu glauben. Und wieder rauidjte die Luft
von den unlichtbaren Vögeln des Todes mit
ihrem wachjenden, finnelähmenden Lied. Alle
lamen von redts ber.
Die Linie lag ftil, feiner wagte zum an:
dern zu jehen, jeder hielt bie Arme über
die Erde gepreßt wie über fein Grab, und
bie Zeit rajjelte wie bas Herz eines Sterben:
ben. Da ratterte es links los, und im jelben
Augenblid mábten die Patronenbänder feinb:
lider Majchinengewehre bie an die Erde
eldjmeiBte Linie entlang. Keiner jah und
örte, was bie Garbe am rechten Flügel
auszurichten begann; jeder erwartete nur
von Atemzug zu Atemzug den Stich burd)
di: Hüften, den Schmerz im Knie, die Stid:
not ber getroffenen Lunge, das Dunfeln bes
Lichtes. Näher und näher fam das Höh:
nijde Pfeifen, von Mann zu Mann wuds
in rajenbem Tanz das Summen bes Mee
talls tn der Luft. Haarſcharf über den eige:
nen Körper [djlug das Blei hin. Cin tur:
zes Aufatmen. Ein Regen der Glieder. Hier
und dort tropfte zwar Blut, aber die Gra:
naten batten fid) bod) in nußlofer Wut ver:
wühlt, und bie Maſchinengewehre hatten um
eine Körperlänge gu bod gejchoffen. Das
Feuer verebbte und jchwieg.
Die Leiber zitterten vor warmem —
an ihrer Unverſehrtheit, am Wiederfinden
und Wiederſehn. Wie aus tiefer Narkoſe
zurückkehrend, ſah man die zackigen Ränder
der Erdſchollen, den Morgendampf über der
braunen Erde.
Aber da ſtand ſchon der Leutnant Heim
und zeigte wit dem Degen vorwärts.
Im jungen Freiwilligen ſträubte ſich jede
Sehne gegen die mitreißende Geſamtbewegung
nad vorn. Granaten und Patronen hatten
ibm faft bie Gewalt über fih geraubt. War:
um nicht liegen bleiben, nur eine Stunde,
liegen wie im wärmjten Bett, eben mit der
Erde und veritedt in ihren weichen Schollen ?
Warum gleid) weiter, warum dem Tod nad):
laufen wie ein Gtierfämpfer? Er wußte
ganz genau, daß die Stille des Dörfchens
da unten verlogen war, daß in jedem Fenſter
Gewehre lagen. Er traute ben Rinnen und
Genfungen der weiten Niederung nicht. Seine
flimmernden Augen jaben überall in der Luft
weiße Wöltchen jdywimmen. Er jab den Tod
vor fid) als unbegreiflichen, häßlichen, Rif.
Wie er fih felbjt zerlegt und grübelnd
beobadjtet hatte, jo verjtand er jept fein
32. Jahrg. 1917/1918. 2. Bd. 21
314
Sterben mit ber feinften, quälenditen Gee
nauigfeit. Aller Folgen war er fid) bewußt.
Das durfte ja nicht fommen, das durfte ja
nicht fein! Nur heute nicht! Liegen bleiben!
Sie Jprangen gruppen: unb zugweije,
Die eiferne Form bes Zujammenhaltes lof:
ferte fih. Born begann Gewehrfeuer, juhend,
drohend, warnend. Gein Zug verharrte aufs
atmend in der Dedung eines trodenen Stich:
.grabenus. Er fühlte die ſchützende Erdwand
‘warm wie einen Ofen, er rollte fih zujams
men, um fih ein neues, Leben zu zimmern.
Gr atmete tief gegen eine Wurzelfajer.
Da ragte wieder der Degen des Zugführers
nad) vorn, ba jchnitt ber falte Sprungbefehl
durch feinen zarten (Frieden.
Ein Blid nad) redjts und linfs. Die
£ameraben fahen nicht nad) ao Seder in
ich er verjunfen, willenlojes Werkzeug
es Kommandos.
Er fampfte, zögerte, ver|pátete fih, blieb
liegen. Er rollte fid) wieder zujammen, er
tredte fid) aus, als hätte er fid) ein Haus ge:
aut, Er erzählte fih, daß er jid) beim Hin:
werfen an die ſchräge Brabenwand ben Rnöchel
verjprungen habe. Diejer verdammte Schmerz!
Dreimal erzählte er es fih. Behnmal. Er
wurde nicht ruhig in feinem Berjted, maß
bald den wadjjenden Abſtand zu feinen
Kameraden und bordjte auf feine Bruft. Er
[hloh die Augen und wollte jdlajen, bis bie
fühle Dunfelbeit fame. Er meinte, jchon
Stunden zu liegen, und es waren erft Ee
tunden. Die ven wurde jo jchleppend ſchwer
und jab ibn jo jchredlich an.
Da polterte hinter ihm die Erde. Gtims
‘men und fauchender Atem jchlichen fid) an
feine Cinjamfeit heran. Der legte Zug feis
ner Rompagnie! Sollte er fidh tot jtellen, jid)
befiiblen und bemitleiden lajjen? Ihm müß—
ten ja Doc) die Lippen beben! Wie bas Jüngite
Bericht tlapperte das hundertfadhe Gehänge
beran. Bald würden fie fein graues Tuch
ehn, ihn erfennen, unverwundet, gebedt, ben
eigling, den Drüdeberger, zu jchade zum
terben, hinter dem Rüden der opfernden
Helden das Leben, feinen Viammon umtlart:
mernb! Es raunte um ihn herum. Er ſchob
bie Anöchel hin und her und ächzte vor Schmerz.
Er jchielte und erfannte neben fid) Leutnant
Heim. Der rief ihn an und frug. Er IU
wie er verlegen wurde, wie jeine Augen
aderten, wie tönern und finbijd) bie Gee
hidhte mit bem &nódjel beraustam. Mitten
im Erzählen broch er ab. Alle Strafgewalt,
bie Diacht über Leben unb Tod jpriübte ibn
aus den Augen bes dicht an feiner Seite liegen:
ben Worgejegten an. Er jah den Revolver
am Gurt des Dffiziers. Er zudte wie ein
Merbrecher.
Da liefen die traurigen Falten über das
leidgefurchte Gejicht bes alten Hauptmanns,
der ibm leije übers Genid [trid).
„Junge, mein Junge!“
Der Freiwillige Ichluchzte auf. Er hatte
am liebjten jeinen Kopf in den Schoß des
Siannes gelegt und alles gebeichtet. Es
Grid) Wentider: BS3SISSTSSSSSS33535
ing ein jeltjam umbegendes Bertrauen vom
Führer aus, es rig ibn aus ber Aderfalte
empor, es madte ibn warm unb furdtlos
in der Kette aufrechter Männer, viel ficherer
als in ber einjamen Furche.
Kein Wort fiel zwijchen Leutnant und
Mustetier. Aber von Herz zu Dera e ein
Strom, ein Stahlguß von hitbe un idt.
Wie ein neues, höheres Leben, nad) innen
erichtet und innerlich ftarf, jauchzend in
elbjtüberwundener freiheit, webte es ben
tetwilligen von den hohen benadbarten
dultern an, und er tat feine Gdjulbigteit.
&
8 8
Die Schlacht ſchwoll an wie die Weichſel
im März. Sie wirbelte uns zwei Tage lang
umher, ohne Eſſen und Trinken, ohne Ruhe
und Schlaf. Wir lagen die Nacht hindurch
in flacher Stellung und ſtarrten in den
roten Himmel. Bis zum frühen Morgen
rauſchte die heiße Brandung. In der Bor:
mittagsjonne lagen wir awijden entjeelten
Körpern. Bald jagte uns die Bleipeitiche
in Jübem Gdyeden zurüd, über loderen
Erdboden, in dem der Stiefel ohnmädti
verjanf, durch ermüdende Gümpfe, bur
Eme ene Steingeröl. Wir blieben tm
aller liegen, uns an Weidenäjte flammernd.
wie bie
Erde eines Bolles, bas lange niht gelacht
Due Der Wind geht wie ein Schlummer:
ied, und das Heu duftet nad Mohn. Die
Erdſchollen brechen auf wie Lippen, bie
trinten wollen. Schön vor WAbendmiidigfeit
it Polen, deine hölzernen Scheunen ‚ind
wie bunfle Wiegen, feine Ebenen wie offene
Cárge, und wer barinnen marjdiert ift,
dem hat der Tod etwas ins Ohr gejagt.
Rechts ging die Garde vor. Hünen, iyrie»
fen, Ihön und gewaltig. Links [djoben fih
nterjtiigungen ein, Wejtfalen. Wir tampfs
ten uns wieder den verlorenen Boden giu:
rüd, hinter Mieten und Scheunen Atem
a tnieten jchießend im Gteingeröll, wir
tampften fugelumjchwirrt, über bie [odere
Erde. Blutüberjtrömte Glieder, bittende
Augen und leijes Wimmern ſchwammen
Zeit ig uns. Die Nachmittagsjonne malte
en Baditeinturm von Grabow, ber wie ein
Schornjtein aus einer Hausruine ragte, noch
röter. Die Artillerie tampfte um den Turm.
Das Dorf herum war glimmernder Schutt.
In der Dämmerung (hoffen wir mit zer:
rijjenem Anjchluß, weit vorgejchoben, Siege
—— —— Polen, ſe me nid
ber Ede eines &atenbofes hervor. -Die Ziegel
prajjelten vom Dad) und zerichlugen auf bem
Sjoipilajter. Die Ställe gähnten mit leeren
Türen. Linie um Linie, ein langer, grauer
Ctrid) nad) dem andern, wie Windungen eines
EENG quollen bie ruſſiſchen Wellen
aus einer Genfung hervor, Gie famen im
gleichmäßigen Abjtänden ohne Feuer und
Lärm näher und näher. - Zu unjern Seiten
wurden die deutſchen Linien zurüdgedrüdt,
Aber für uns gab es vor voller Duntelbeit
fein Zurüd mehr über die bedunasloje, weite
Cirede Feld. Co blieben wir allein mit dem
{
EFE Der alte Hauptmann BESSSesseescsed 315
inblidjen Bajonetten, allein wie Rinder, bie
Dunteln vergeblich nad) bem Bater rufen.
Da zagte und ftöhnte mancher in bie aer:
reißende Hede. Das Schlachtfeld abfühlend,
nahm der Feind den einjamen Hof aufs
Korn, und bie Patronen Hitjchten um Giebel
und Gparren. Der Ganitätsgefreite 30g
feufzend Streu aus den Ställen und breitete
fie auf dem Boden der beiden leeren Bauern«
ftuben aus. Ohne Licht und Lampe ver:
lorot er bie erften Berwundeten. Der Mond
ab wie ein fugliges Rnochengelent herein.
Die weißen Hemden und Binden und aufs
und niederglubende —— leuchteten in
der dumpfen, ſich füllenden Stube Der
Sanitätsgefreite, der nicht Licht zu ſchlagen
wagte, ſcherzte und tröſtete und zitterte ſelbſt
dabei. Denn die ſtumpfen Feindesmaſſen
wälzten ſich heran, um den kleinen Sterbe—
poſten im weißen, einſamen Haus wie eine
Sandbank zu überſchwemmen. Tot oder ge—
fangen — darum würfelte dieſer grauſame,
unheimliche Abend.
Draußen flog ein Flüſtern durch den gus
fammengeballten Knäuel der mit ber Hede
verjdlungenen WBerteidiger. Stiefel pregen
die Haustür auf. „Plaş! Achtung!“ Ein
Arm bing jchlaff vom wagredt getragenen
Körper herab und jchleifte auf der Erde
einen Degen mit. Zwei Augen glübten in
bie dichtgefüllte Stube. Leonidas! Vers
wunbdete, bie vor Schmerzen taum liegen
fonnten, madten Pla und häuften Stroh
gujammen. Cin großer, ſchwerer Leib fant
m bie zärtlich umdrängte Streu.
Leutnant Heim, mit Durchichoffener Bruft,
ohne Klage.
„Kameraden!“ —
Draußen kämpfte der Freiwillige, bie
Lider [djmer von ber Abendnäjje, die Glies
ber zitternd vor Kälte und Erregung. Wie
Fiebergedanten ftoben bie alten Bilder von
geftern früh heran. Er tajtete bilfejudjend
nad) rechts Der Plagg bes Leutnants war
feer. Reiner, der ihm die Hand driiden, der
ibn halten und peli ie der ihm den
— vor den ugen fortlöſchen
onnte! Cr merkte, wie feine Musteln er:
lahmten und ſeine Nerven verſagten, wie
der alte, entſetzliche Seelenkampf zwiſchen
Ich und Pflicht ſich unerbittlich erneuerte.
panget Durft, Schwäde liefen wie Amei—
en an ibm bod. Das Elternhaus, eine
Straße mit gejdjorenem Raſenſtreif, eine
Chopinbiijte und viele zugejchlagene Hefte
| einem Gerüſt von zartem Zitronene
d Noten in farmoifinrotem Umjdlag,
anuffripte mit dem gleichmäßig jchönen
Anflug von Perfönlihteit und Handichrift,
bewundernde Augen wie unbewegte Opfer-
ferzen im aie Get aderzarten Mädchengelicht,
eine Sigarrentijte voller Zopfichleifen — das
alles rig ihm bas Herz aus ber *Brujt. Und
nun ber alte Hauptmann fort! Cr fampfte
und wehrte gegen bie quälenden Bilder an,
aber fie wuchlen mit den Gchatten und
Ge Abend und dem Whrenfeld von
quollen aus den Winkeln hervor und bed:
ten ihn dichter und dichter ein: Der neue,
grünliche Hut mit dem violetten Band und
dem revolutionären Knid, bie gelbrote Rras
watte, bie in ber ganzen ZTöchterjchule
„Hummermayonnaije“ Bief und die ihm als
fingerid)males Band graztös über bas blaue
Sjadett flederte, Hoſenſtege, bie feinem An-
ug eine zwingende Spannung gaben, aus
er die Knie wie jehnige Kraft ee?
ten, ein filberner Wrmreif um fein weißes.
Gelenf, PBhotographien von zartem Gepia:
| melz, indas jein Profil wie Marmorſplitter
nitt, in der Konditorei ber Verkaufstijch
und Torten, bie wie runde Commerbeete
glühten, Schlaglahne, die als wattiger Bauj
auf ber Raffeetaffe Jhwimmt... Und er bi
in bie Dornenbede, und das Gewehr rutjchte
ihm in den Händen.
Da ſchlug eine Patrone bird) feine bei
den Knie. Auf bem Rüden lag er unb
wiiblte bie Finger in die Erde. Der Schmerz
chnitt burd) den ganzen Leib und brüdte
as Herz ab. Das Blut [hoß aus den
gerfledderten Hojen und aus der [plittrigen
Gelenfmajje. Wor diejen hängenden, zer»
brodjenen Unterjchenteln efelte er fidh felbit.
Man [djnitt ibm mit einem Meſſer bte Stic
fel auf, jabelte rund um bie Wunde berum,
man rth bie —— auf. Aſchfahl wurde
er in die volle Stube getragen und weinte
inbrünſtig wie ein Kind. Und wieder wie
draußen zuckten Meſſer und Feile über dem
Brei von Knochenſplittern. Mit einer Zange
wurde ein mitgeriſſener Hemdfetzen aus dem
Blut gezogen. ie zerjchmetterten Knie
ließen jid) taum verbinden vor wildem
Schmerz. Der gene fuchelte mit ben
Armen in der Luft. Gr ließ fid) nicht zu:
reden, er ächzte und Jchrie.
... Uns libriggebliebenen erlaubte gerade
jehi die Duntelheit, uns nad hinten zurüd:
u gielen in den großen, ſchützenden Ber:
anb. ir riefen ins Haus. Ein paar
Leidtverwundete famen mit. Und dann
richteten wir legten Schüßen uns aus den
Trümmern der Weidenhede hod), ftrecdten bie
erjtarrten Glieder, |preizten die überreizten
singer und umfingen nod) einmal mit
angem, langem Blid den aufgewiiblten
Burghof, den riejigen Brunnenhebel, die
Ihwarzen Ställe und bas flagenbe, unge:
el Haus, bas erft wie tot dagelegen hatte,
und in dem wieder Blut puljte, Beflemmung
jeufzte, unten glühten. Es ftand jchledht
um fein neues Leben, weil es mitten zwijchen
den Feuern lag, weil es nur eine Dolageriijtete
Lehmmand dem Hlatjchenden Blei und nur
eine zerjchlagene Tür den Häjchern entgegen»
des Aus bem Durcheinander feines Hofes
tieg 9taud) von Blut oder Ajche. Sn ſolchem
windjchiefen Rugelfang mit feinem mee
jtenden Trümmerzaun mußten wir bie lef
ten, gelähmten, tobjdjwadjen, niedergezwun:
enen Bolten unjerer Treue zurüdlajjen, bes
iederjehens ungewiß. Während wir wei:
ter unb weiter Durch bie Kugeljtreuung zurüd»
21°
316 ee eeh Crid Wentſcher:.
froden, umlobt, umbeult, umborften von ber
Schlacht, jaben wir nod) ben SEH
vorn in ber niedrigen Tür eben, im Kampf
zwijchen Sch und CS mit dem jede Schlacht
unjere Dartbebrángten SC erfüllt. Dann
ſchlug vorn die Tür. Er blieb.
8] : 8
Nun waren ſie ganz allein, eine ſeuf—
zende, wehrloſe, eng aneinandergedrängte
erde. Durch die kleinen, offenen yah
en ſchimmerte fabl der Mond. Draußen ente
brannten und feuerwerften jprühende Qe:
ido[je. Niemand jprad) in Dem wogenden
Lärm. Mal jeufzte einer und fapte nad) feiner
Wunde. Mal Höhn e einer nad) Waſſer.
Einer gab dem andern wortlos eine Zigas
rette ab. Ins Stroh gejchmiegt, todmüde,
oben fie jchräg in den Mond. Auch der
teiwillige begann vor EEN fampf:
os zu träumen. Die großen, verjdjlungenen
Beete bes Fiebergartens zogen an ihm vor:
über. Nur der Sanitätsgefreite [tanb aufrecht
und gelund und ging EE den [anggejtred*
ten Körpern umber, fnienb, wajdend, am
Verband ziehend. Wie ein Streicheln glitt ab
und zu ein magerer Trojt von jeinen bleichen
Lippen. Nun ging er für einen ?Ingenblid
in die andere, leergebliebene Stube hinüber,
nad) einer flachen Schüjjei, nad) einem ver:
eijenen Löffel, nad) einem liegen gebliebenen
E Ce? zu judjen. — — —
„Jeſus Chriftus!” Auffchrei aus allen Lips
pen. Schuttwolken [tieben auseinander. Holz
und Riejel jprigen umber. Die Mauern
brödeln nieder, Der Erdboden zittert. In den
Ohren dröhnt und jtopft bas Rraden. Die
Stube nebenan mit bem Ganitätsgefreiten
ein wirbelnder, prajjelnber Granatentricd)ter.
Das halbe Haus zulammengejftürzt, zerrijjen,
zerbrodyen
Und nun? Jefus, was ijt bas? Die
Ichreienden Männer ziehen erfaltend Die
Beine an. Wor ihren weitaufgeriljenen
Augen glüht die Tiefe bes fauchenden Gras
nattridjters wie ein Roblenbeden. Über bem
Ge|parre verültelter Balten, Bretter und
Nagel tanzt Ruß. Die jhmußigen Ballen
von Staub, Splittern und Erde, Die über
dem frater dampien, befommen rötliche
Ränder, Werden Dualm. Rauchſchwaden
jteigen über dem zilchenden, rauichenden,
prajjelnden Berüjt empor. Zwängen lid) Durch
Rig und Loch und legen fid) wie Betäu—
bungsmasfen über Dlund und Nafe. Ein
weißer Stic) zlingelt in die roten Erdwolken.
Gelbe Schlangen flattern durch den Schutt.
Sie faugen jid) an den Kleidern des mit
dem 9Int.i& zur Erde liegenden, jtarren und
fteifen &rantentrágers felt. Cie nähren fih
von Faſern und Maſchen, jie leden nad) Holz,
ipringen über, verquellen, loben, fnattern —
lammen!
Brandgranate! Das Haus brennt!
Und dte Herzen der tapferen Soldaten
ftürmen zum Brechen. Gengende, glutende
Hige unb tnojpender, quellender Rauh beizen
die [tarren Augen und treijchenden Stimmen.
=
< -
Ca <
Die Zähne knirſchen wie harter Schnee, die
Leiber trimmen fih wie Raupen auf gliiben-
dem Herde. Cie fauern fih an den Wänden
ujammen, fie Wopen die Füße von fih, fie
Eon auf, tajten in bie Flut von $1nalm,
taumeln im Kreis umber und brechen zus
fammen. Gie rufen ihre Mütter an und
beten, beten jd)reienb laut, hajtig unb glutvoll.
Einer liegt lang in der Ede, webflagend, mit
durchſchoſſenem Rüden, er jtemmt trog aer:
fleijchender Schmerzen im 9tüdgrat Rud um
Rud feinen Oberkörper empor, er ladt
wild und fieghaft, ftügt jid) ſchon in die
Arme, friimmt jhon bie Haden zum Auf:
ſtehn, hebt bie Knie und jchlägt röchelnd
urüd. Ein anderer Debt langjam auf,
Paman in den Hüften, Debt mit weißglü-
benben Wahnfinnsaugen die Kameraden an,
reißt bie blutige Binde von ben Schläfen,
Ichiebt dann jeelenruhig bie Rehte zwiſchen
zwei 9todtnópfe und beginnt eine rührende,
patriotijche Rede zu halten, von Bismard
und Ctallmeijter Froben, von der Königin
Quije und dem Tiljiter Frieden. Er bricht
Ichaudernd ab, fauert fic) zur Erde wie eine
Rage und jpringt ins Fener. Andere, die
jih nicht erheben Tonnen. frieden umber,
en Mund voll Erde; bie zerjchmetterten, blut»
verflebten Füße jchleifen rajchelnd durchs
Stroh, bie Fäuſte podjen fid) an ben Wan:
den wund, um einen Ausgang zu finden.
Der Freiwillige liegt jtill mit feinen aer»
brodjenen Knien und ftarrt ben alten Haupt»
mann an. Gr fiebt nicht nad Funken und
Dampf. Er adtet niht auf ſchmelzendes
Blei unb vertohltes Gebalf. Unverwandt
tarrt er den alten Hauptmann an und bobrt
ih in feine Augen. Er fieht fid) feige tm
(Graben, bem Rugeljchwirren entrüdt, er fühlt
fih ertappt, geltreichelt, geftablt, berauldt,
trunfen gemacht, mitgerifjen, betört, tolltühn
eworden, unb jo ohne Ende durchwandern
P büámmernben Gedanfen die beiden blut:
rünjtigen Oftobertage, hinter denen das alte
Leben, bas fatte, bequeme, fid)ere, nüchterne
Hinddmmern ohne Herzensnot aus taujenb
Connen [eudjtet, bis er bem Leutnant aus
jhmalen Berzweiflungslippen ein einziges,
hajjendes Wort in die Augen jchleudert:
„Warum ?“
„Meine Pflicht!” dröhnt es durch ben
Brandlärm zurüd.
Und bas Feuer wächſt. Dort. faut es
war nod) am diden Selstim. aber bier
I es fid) [den wie ein Mäuschen den
djlanfen Pfoften herab und züngelt nad)
dem Stroh. Tie erjten Funken fallen in bie
trodene Streu und verldjden nod) Andere
glimmen fed einen Halm entlang. Bren»
nende Splitter fallen herab und zünden jid)
rundum fengende Herde an, Und die tragende
Stidluft und prejjenbe Hige quälen noch
roher bas junge, jid) wehrende Leben.
Da tauchen liber dem Bret gen zwei
Arme aus den wattigen Qualmwolfen und
heben feinen ſchweren, madtlojen Leib gegen
eine verbundene Bruft. Der Schmerz zieht und
BSSSSSSSSEsAasssy Der alte Hauptmann BSSSSSSSZZZ3A 317
jticht und podt und [chneidet jo rajenb in
jeinen Wunden, daß ihm die Sinne vergehen.
Er hört nod) den gelenden Wundjchrei, er
fieht nod einen brennenden Yirmel — Flam:
men — pane — Kohle — Aſche, dann
pe fein Kopf bleiſchwer bintenüber in tiefe
etäubung.
® B8 8
Leutnant Heim trägt mit ganzer Man—
neskraft den — Soldaten in ſei—
nen Armen und rennt in bie Nacht hinaus.
Die Brujt fängt zu fchmerzen an. Die
Zungen pumpen wie eine Maſchine. Er
tann nicht weiter. Kugeln jchlagen dicht ums
i ein. Er muß jid) niederleqen ins najie
ras. Reuchend liegt er ein Weilchen ftill.
Und die dentiden Linien mit ihren jucenden
[ammentetten find nod) fern, unendlich fer
o febr er mit feinem Leib ben Bewußtloſen
ſchützen tann, jie müjjen weiter, müſſen im
beut|djen Graben fein, bevor es |djummert
und bell wird.
Wieder ringt er fid) taumelnd auf, zwingt
eine Dammernde, jchwindelnde Sdwade
nieder unb [táblt die frampfhaft zudens
den Arme mit WBaterliebe und Bruder:
gedanfen und rennt in die Nacht. Um Hals
und Maden flemmende Enge wie von [djup:
iger Gijenfrauje. Jn den Schultern eine
ahmung, die wehtut, eine Schwäche, bie
ichmerzt. Lange, eijige Schmerzitrahlen rie:
feln Die Geiten entlang und nijten fic tief
in Hüften, Knie und Anöcdel ein. Gr
ihwantt mit feiner Laft. Er jtolpert über
Erdfrumen. Er darf niht mehr laufen.
Atemringend mäßigt er jid) zum Schritt,
aufrecht zwijchen den Fronten, von Freund
und Feind umfirrt und umbrummt. Ab
unb au ein zärtlich jtreifendes, ftreichelndes:
„Junge, mein Junge!” — Läuft ibm der
Schweiß [o warm über die Haut? Cr [iebt
uad bem Verband unterm aufgefnöpften
S3Bajffenrod. Wie mit rotem Wein begojien!
Die Wunde hat neues Leben und neuen Strom
vonder Körperbewegung. Und der Verband
icheuert hin und ber, jd)eint wohl nicht mehr
feft genug zu figen, rutſcht. Die Schulter:
musfeln jchwellen an. Bis unter die Achſeln
beißt der Schmerz. Und die tragenden, jchlep:
penden Arme brennen bis in bie Finger:
ipigen wie bóllijdes Fever. Er muß jid
wieder nieberlegen, ruhig atmen, Erde riechen,
Tau jchlürfen, die Finger lodern, bie Arme
ihwingen. Uber ihm ijt's, als erblaßten
ihon die Sterne. Darum hebt er von neuem
den jchweren Körper an.
Er ftrauchelt und bricht in die Knie gu-
tid. Es wird ibm Ddunfel und wirbelig
por Den ugen, und flbelteit tupft in feiner
Reble bod) bis in den Mund. Er tann nicht
mehr aujfredjt gehn. Er fann nicht mehr
aufrecht jtehn. Kriechen muß er, fo langjam
es ſchafft. So ſchiebt er den Freiwilligen
und fid) felbit Elle um (lle den naber
leuchtenden deutjchen Linien zu. Uber das
reiBt ibm fajt die Arme aus den Gelenten.
Immer tiidijder, baltlojer [odert jid) die
Schleife des Verbandes, Er muß wieder
mal liegen bleiben und verjucht dabei, auf
dem Rüden den Knoten fejter zu tnüpfem,
aber es gelingt ihm nicht. Halme und
Reijer, über die er fried)t, verlletten ſich
mit Rod und Verband. Das eine Ende
des blutgetrünften Tuches fällt nieder und
chleift durch ein Saatfeld. Noch fünf, feds
ewegungen, und er verliert den ganzen
Berband. Er ftarrt auf die unter ihm De:
gende Leinwand und auf feine unbeidjütte
Wunde und Triecht weiter, blutend und ſtöh—
nend, Geine Obren jummen wie Telegra:
phenftangen, während er bas ofjene leid
über einen Cturgader |djiebt. Die Wunde
flebt voll Erde und Schmuß. Er fühlt, wie
eine Kräfte [d)minben, wie das ien lang:
am feine Schmerzen und Qualen einlullt.
ber weiter treibt’s ibn, den bleichen, ſchla—
fenden Mund zu retten, der fo —
gefragt hatte. Und der deutſche Graben iſt
nicht mehr fern. Siehe, da ſtarrt die Gewehr—
reihe wie ein Zaun!
aſſer. — Ein breiter, ſchläfriger Gra—
ben wehrt den beiden den Weg, hängende
Weidenzweige kräuſeln ſeinen Silberſpiegel.
Was tun? Sie können weder hinüberſprin—
gen, noch kann der Leutnant allein mit ſei—
ner fajt hindurchwaten. Er muB ſich in
den Schlamm wälzen wie ein Igel. Das
Waſſer ſchießt eiſig um ſeinen Leib, der
weiche, untiefe Moraſt fühlt fic) eflig an
wie Samt. Mit letzter Kraft hält er das
ſchlafende Haupt ſeiner doppelt ſchweren
Bürde über Waſſer. Und er kriecht durch
den Graben und muß vor Not verhalten,
den andern und ſich das flache Ufer hinauf—
zuſchieben. Auf den naſſen Kleidern liegt die
trodene Luft wie Froſt. Wie im Traum
hört er bie nahen Stimmen im Graben,
deutiche faute. Aber nun fommt er nicht
weiter. Sterben möchte er, Ohren und Augen
in Erde wühlen, jcylafen, nur [djlafen, wenn
nicht der andere wäre.
Plößlich erwacht ber ge o, holt tief
Atem. Der finneraubende Schmerz ijt ver:
dämmert. Es tidt nur noc in den Knien wie
eine Zafdjenubr. Breit jtredt er bie Arme aus
und jpreigt die Finger. Aus Mund und Nafe
chnaubt er ben brandigen Geſchmack und den
tidigen Roblenjtaub von Qualm unb Rand.
Durch bas Dumpfe Gebirn zieht eine betlem:
mende, zujchnürende CErftidungserinnerung.
Aber nun — wie Jüß und rein und friid)
buftet bie blaue 9tadjt! Wie Kiefern am
Meer! Wie jchäumige Wellenfamme fühlt
der Wind! Wie jprudelt jeder Atemzug im
erwachenden Blut! Co anf bem Ruden
liegen, flach auf der Erde, und die Bruſt
heben und wieder jenfen, um die Schläfen
unendlihen Raum zu leben, zu wachjen, zu
wandern! D Leben!
Sn feine Augen fenft fid) ein bläulich
blajjes, erbbeid)miuttes Gelicht mit brechens
den, wandernden Yugen. Miles im Mond—
licht. Er entjinnt fid) bes Leutnants. Srgenb:
wo in der Ferne glimmt eine Hausruine,
318 Brxe-:—:-:-:-:-] Frieda Senffen: Am Wellengrab 3333333333
gang in Der ar wird Ddeutjch —
r erinnert fih langſam und reimt zuſam—
men. Mit Wunderaugen wandert er zitternd
die verſchlafene Strecke nach, aus der Spar—
renglut, über Geld, Stoppeln, Saat, Sturz»
erde, Wieſe, Waſſer, bis er dem Leutnant
aus zuckenden Lippen ein ei ips liebendes
Wort in die Augen alübt: „Warum?“
WMei — ne — Pflicht!“
Und ber alte Hauptmann umflammert
nod) einmal feine Ratt wie ein Stier, der
ben Pflug über Felſen führt.
8
Wir lagen im Graben, zitternd von den
Schauern der Nacht. Unſere Herzen ſchlu—
gen warm und offen jedem Gefühl unb jeder
richeinung entgegen. Es floh ein Blutftrom
von Zärtlichleit von einem zum andern wie
gwijden einer Mutter und ihrer Frucht.
Die Shreden ber Schlacht hatten uns
burd)gefnetet, zermürbt und zerwühlt bis
gut Herrichaft einer tiefen, jeltiamen, fleden=
jen Liebe in uns. Einer erbobte des andern
Stirnwehr. Kam eine Kugel gejdwirrt, [o
gitterte jeder um feinen Nachbar. Es war
ein wortlojes Schenten und Empfangen, eine
reine, nie wiederfehrende Geelenvereinigung.
Und bie nadte, leiderfahrene Bejcheidenheit
nahm jeden Zwiebad als Freundſchaftsſchwur,
Am Wellengrab
Bon Halmftadt fuhren wir durchs Kattegat.
Es war ein Küftenjchiff, bas wenig Paſſagiere Dat.
In Läſö ging der Kurs nod mal an Land.
Dort fam ein Mann an Bord, zwei Madden an der Hand.
Cie trugen Kränze, Smmortellentrünge, groß und ſchwer;
Drei Körbe Blumen bracht’ der Bootstnecdht hinterher.
Co auf Reifen gehn? Wir jahn uns an,
Dod leije |prad) zu uns der Steuermann:
„Die holen wir in jedem Jahr bier ab.
Fran, der Mutter Grab.
=
E KEES KK
^-
*
Wie ſeltſam!
Sie fahren zu der
Vor Jahren ſchon, als einſt
Sind ſie gerettet, nur die
EEE
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—
Wir ſtanden barhaupt.
„Volldampf voraus!“
SKC
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MCOKOKOKOKOKOKOKOKOREOKOROROKONKORONEONCMC EHE EEE DEREK ONE E
ein Schoner fant,
rau ertrant.
Wir find um Mitternadt jo an bem Ort!“ -
Und einer gab dem andern ftill das Wort.
Wie jonft am Mittag, wenn die Sonne lacht,
War alles jeht an Ded, als naht’ bie Mitternadht.
Dumpf tlang die See, bas Schiff hielt an.
Leije traten dann
Die Drei an Bord; fie jaben ftumm herab
Und warfen ihre Kränze auf der Mutter Grab.
Cie jchütteten bie Rofen hinterher.
Wir beteten und bumpj auf tlang bas Meer,
gerente Kranz unb Blüten, nahm ins Grab fie auf.
ie Mädchen weinten laut unb jchluchzten auf.
Der Ruf Hang hart und frill,
Wir fabn den Blumen nad, und alle weinten ftill,
Und reichten ftumm den dreien Hand um Hand,
Ein alter Bootsmann wies zum Himmel, der voll Sternen ftand
Frieda Jenſſen
jedes Erdkiſſen als tolesBehagen und die janft
en Often |dumenbe Dämmerung bes neuen
Tages als großes, glodenjtartes Glüd.
a war ein Schatten vor uns. Etwas
Duntles jchlic) el uns zu wie ein großes
Tier. Zwei verjdlungene Körper. wei
Menſchen, zwei beutjdje Soldaten. Augen,
in ihrer Starrheit wie verjtridt mit einem
Ziel, bligten uns an. Über ein vergerrtes
Gefidt liefen viele traurige Yalten. Zwei
frampfhaft fdjíagenbe Arme fdoben uns
unjern reinigen über die Bruftwebr,
lenften ihn baltend, [djend, Iajjenb in unfere
ausgebreitete Liebe wie einen Täufling.
Aus dem Schoß ber Rompagnie ward er
dem Schoß des Waterlandes gereicht, und
alle tamen mit leijen Schritten zu ihm.
Als aber über der Walitatt mit Zirpen und
Zwitichern bie chose, erwadhte, als
ber Morgenwind zu faujeln und wilpern
anhub wie ein feiner Geigenjtrid, als aus
den grauen Schichten über der Erde Halme
und Zweige fih löften und regten, from
einer über bie Brujtwehr und fand unjern
toten Führer — lacelnd. Wir zogen ibn
gu uns berein und haben ihn begraben.
ber eins haben wir Ee begraben, ein
Ctüd von thm, das niht fterben tann.
Das trugen wir in unjern Herzen fort.
n
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we
M CC pee He UE WECM MHC EE ENN EEE
& Neues bom Bichertifd 8
Von Karl Ctreder
SECEEEREE CECKKCKE TE KE KEK KCKNKS KECK CE CECE CECE CCC ECC CC CEC II IIIIIFIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII7@
Guftav Frenfjen, Die Brüder (Berlin, G. Grote'ſche Berlagsbudhandlun
Rarl Gjellerup, Der goldene Zwei
Sde
lippi, SJugendliebe (Berlin, Auguft
) oe
(Leipzig, Quelle & Meyer) — Felix Sri,
rl) — Peter Rojegger, Das Bud von
den Kleinen (Leipzig, L. Staadmann)
in neuer Buftav Frenſſen, nod)
dazu einer, deffen Stoff und Mes
lodie, Darjtelungsart unb — Um:
fang fid) auffallend dem Jörn Uhl
nähern, verdient es (on, alsSpitzen⸗
reiter der nachfolgenden fleinen Erzähler:
Ravalfade voranzutraben. Nicht als ob (£r:
folg ein SBertmeller jet. Ronnte es bod) ein
mittelmäßiger Roman des jeichten Herrn
Stilgebauer in zwei Jahren —
(1904, 1905) zur höchſten Auflageziffer ber
deutſchen Erzählungsbücher bringen. Dane
lich nur bant unlauteren Diitteln: bem ohren»
betäubenden Gelen feiner Marttjchreiers
trompete, den —— feines Tams
tams — während Jörn Uhl in der Stille,
von Mund zu Mund, durch eine Summe
von Eigenſchaften wirkte, die den Erfolg
wenigſtens zu einem Teil erklären. Dieſe
Eigenſchaften, zu denen ich ſo frei bin auch
einige feiner Fehler zu rechnen, met voll:
gebt ber neue Roman Frenfjens Die
rüber auf. Er ift im Brunde genommen
eine zweite, etwas erweiterte, hier und da
perbejjerte Auflage des Jörn Uhl, wenn fih
aud bie Menſchen natürlich verändert haben
unb bie Stimmung nicht die von 1870, jon
bern von 1917 ijt.
An fih ein bedenkliches Zeichen. Denn
es iit bie oft gelebene Poetendämmerung:
Schriftiteller, bie als verheißende Dichter be:
ginnen, werden durch einen großen Erfolg
verführt, fidh Joe, zu wiederholen und fo
auf einer Stufe zu verharren, bie fie im
Rampf mit Schwierigkeiten wahrjcheinlich
überjchritten hätten; zu diejen Gelbjtfopijten
ehören u. a. Spiel agen und fogar ber
Böberftehende Scott. Hier liegt ein [tid)bal»
tiger Grund, der gegen die unbedingte Ber:
Demand junger Talente, von der id) an
anderer Stelle diejes Heftes |preche, ins Ge:
wicht fält. Immerhin muß man Frenjjen
ugeitehen, daß er fid) gegen bie Dublettens
irent eit, wie Fontane es einmal ausdrüdt,
reblid) gewehrt bat, Er wollte durchaus
nicht auf ber Gtufe feines Erfolgromans
ftehen bleiben. Er wagte fih fogar in ſchöpfe—
riicher Abſicht an die größten Gejtalten her:
an, bie unjere Menjchenjiedlung tennt; aber
bier (Hilligenlei, das Bismardepos) gerade
wurde ibm das zum Verhängnis, was thm fo
oft als ſchlichtem Alltagsichilderer feine Bore
züge gibt: fem bewußter Cecljorgerblid,
ber alle Menjchen feiner Erzählungen wenn
nicht als feine Konfirmanden, jo bod) als
HUTUUTUTUTUTUTUTUTUTUTUT020 1010201010102 U2 0 OUT OTUTUTUTUTU Vii
feine Gemeinbemitglieber unb Beichtlinder
an[iebt, denen er ihre Fehler vorhalten und
den rechten Lebensweg weilen muB. Da
[deiterte er in beiden Fällen fláglid), und
man [ab pló&[id) bie Abgrenzungen feines
Vermögens wie eine von Knids umzirkte
Holjteinjdje Koppel vor fih. Schweigen wir
davon. Alfo nun — könnte man [djlieBen —,
als Gupborion abgejtürzt, hat er jid) wieder
auf bie Uhlen und Kreyen feines Kirchipiels
bejonnen, ijt gu deren jeelilcher Betreuung
— Das wäre zuviel geſagt.
ieſer wohlmeinende he Dann,
der in feinen Büchern freilich viel zu oft bas
Wort Not gebraucht, fab fein deutjches Volt
in wirklicher Not, in der denkbar jchweriten.
Da fdjlug ibm das Herz, er mußte zugreifen.
Mute helfen. Mußte zeugen für unjere ge:
rehte Gadje. Er fühlte den enticheidenden
9[ugenisist, ber die Dichter ruft und ei be:
lonbers, Gujtav fFrenjjen, ber es jo oft vers
ftand, bas dumpte Gefühl feiner Landsleute
aufzubellen, ihre ftodende Zunge durch das
treffendDe Wort au erlöjen. Bon biclem
Drange tief erfaßt, fehrte er wieder bei ben
Menſchen feiner Hetmat ein: die [tarte Be:
wegung, bie Durch bas gejamte Deutſchtum
rg von hier aus zu erfaffen — fo ein
elt und Settbild romanbaft aufzurollen.
Denn jdjon öfters wußte er von einem ein:
lamen Gehöft im SHolltenlande aus das
ganze Ringen Deutjchlands im 9Beltgeld)eben
Darzujtelen, von einem Storchneſt auf der
Scheunenfirft aus einen QDuerjchnitt durd
die Welt zu legen. Und biejer ewige Nöte:
[uder ift aud) in feinem neuen Wert am
tößten ba, wo die Not feiner blauäugigen
eniden am größten ift: im Todeshagel
der Glodt. diesmal ber Seeſchlacht am
Ctagerraf — da redt fih Bujtan Frenſſen
gewaltig auf, höher noch als in jeiner be:
rühmten Schilderung der Schlacht bei Grave:
lotte fteht er da, ein Epifer ganz großen
Stils, ein deutjicher Tyrtäos von wunder:
pun: Schärfe bes Schauens und mitretben-
er Gewalt der Sprache. Unter ben vier:
unbbreiBig Kapiteln des Buchs find es diefe
vier (23—25 und 30), bie es weit hinaus
eben über alle Erzählungskunſt unjerer
tiirmifden Zeit. Um diejer vier Kapitel
willen muß man das Buch fejen.
Und bie übrigen dreißig? Lohnen aud
fie der Mühe? ür Liebhaber von Geduld»
Jpielen: unbedingt!... Frenſſen [d^ ilDert uns
bie Schidjale der Familie Ott. Gie wohnt
390 FESFISSFSSSFSSFHZFTN Sort Streder:
feit Menfchengedenten auf ihrem einfamen, .
von Bappeln umjdhirmten Gebóft, nahe ber
Nordjee. Gin hodgewadjenes Bauernges
ſchlecht, hager und breitjchultrig, ficher beim
fügen und Mähen, unjidjer im Leben mit
anderen Menjchen. Unzählige Rinder mim:
mein im Haus. Die meiften haben die alte
Dumpfe Bauernart des Waters, der nicht
laden und niht fingen, taum ly mar
hängend reden tann; einige aber find von
anderem Schlag, dem der beweglichen Mutter,
die einer Shifferfamilie entitammt (es tjt
der gleiche Gegenjag wie zwijchen ben Uhlen
und Kreyen im Jörn Uhl). So fommt der
Zwiejpalt in die Familie. Eggert Ott, vom
Geſchlecht der Mutter, ein munterer, fhein:
bar leichter Junge, ber gern die Mundhars
monita und Flöte jpielt, ijt Dem Water wes
ensjremb, er verfteht ihn nicht. Da begibt
id) eines Abends etwas Gchredliches —
wenigitens will der Dichter uns glauben
machen, daß es [d)redlid) fet —: im Duntel
ertönt vom Heuboden ein jchriller, langges
zogener T. Yn einem ber nädjjten Abende
wieder. Niemand weiß, wer der Pfeifer ge:
wejen ijt. Der Bater hat Eggert im Ber:
dacht, und diefe Anjicht fegt jid) tn ber ganzen
Beaend burd) Eggert, der bei feiner [ebs
dou Art ein überweiches Herz hat, ift
inderleicht zu leiten, wenn man an ihn
glaubt; aber diefe ungerechte Bejchuldigung
madjt ibn bart wie Stein und voll eiliger
Feindſchaft gegen feine ganze Heimat. Er
will nichts mehr von ihr wijjen und geht
nad) Wmerifa. Die Familie daheim aber
wird darob zwielpältig, verjtört und lebt in
ſchwerer Kriſis dahin.
Es kommt dem Roman ſehr zuſtatten, daß
bald der Krieg ausbricht, denn ſonſt würde
der Starrkopf —— wohl nie in die Heimat
zurückkehren und die Familie würde zerfallen.
So aber kämpft er mit, einem U-Boot
wird ihm der rechte Arm a peihoilen, und
er jd in bie Heimat zurüd, freilich nicht
ins Baterhaus; aud) ber Einarmige bleibt
itórrijd) und unverjöhnt, bis der Bater ibm
öffentlich in der Kirche Abbitte tut, wobei
er ohnmächtig a Mp ipu
Und bas alles wegen jenes Pfiffs vom
Heuboden! 558 Seiten beichäftigen uns auf
bas anagelegentlid)ite mit den Folgen bieles
fis, bem Dreh: und Angelpunft bes gans
en Romans. Nur die Achtung vor dem
idjter SFrenjjen tann einen davor bewahren,
diefe Pfeifergeichichte rundweg als läppiich
zu bezeichnen. Gelbjt wenn man die poetijche
und betentunsiltbe, ja voltseraieberijd)e Ab—
fidt bes Dichters durchaus jhagt und ihr
gern monde jyeinbeit, vor allem aber ein
ernjtes Wollen aubilligt. Ihm ijt diefe Ges
Ihichte gewiß nur ein Beilpiel und Ginns
bild. Wie bie Otts auf ihrem einjamen (Ge:
bont leben: jchwerfällig, großipurig, eigene
finnig und hochmütig, jo, meint er, wohnen
aud) bie meiiten Deutjichen: zu jcharf von ber
übrigen Menſchheit abgetrennt, jeder in fei»
nem (Eigenen und „wir wundern uns Au febr
über andere Menſchen, wie fie anderer Art
find. Wir reißen bie Augenbrauen zu hoch
gegen bie anderen Dienjchen, und zwar aus
Hodmut. Wir vergefjen immer, dab drüben
überm Seid) aud) Menſchen wohnen.“
Darin liegt gewiß etwas Wahres. Und
[don weil wir Deutichen nad) den Erfah»
rungen ber legten Jahre nichts Schlimmeres
tun können, als pharijdijd uns jeder Gelbjit:
erfenntnis zu verjchliegen, wollen wir uns
hüten, darüber leicht hHinwegzugehen. Es fei
ugegeben, dak wir zum mindejten in ber
ehandlung anderer Völker und in ber Er:
lenntnis ihres Geelenlebens, ihrer Anſchau—
ungsart febr im Argen [teden, daß es hierin
von Brund aus anders werden muß, wenn
wir ein gliidlid) Wolf werden wollen. Uber
jo, wie Frenſſen feinen Borwurf formt — ich
d ibn an ber entjcheidenden Stelle wört:
ich rar — paßt er bod) wohl mehr
auf die Engländer und Amerifaner als auf
bas deutiche Volt, von bem jhon Klopitod
jagt: „Nie war gegen bas YWusland ein
anderes Volk geredyt wie bu," bas die Lites
ratur, Runft und Wilfenfchaft der ganzen
Welt mit fo liebevollem Rerjtändnis ver»
folgt, wie fein anderes. Es ift bier nicht
ie Stelle, auf bie politijde Geite ber Frenſ—
Wie f'ebrmeinung einzugehen, jonjt fónnte
arauj bingewiejen werden, daß gerade die
injulare Abgeichloffenheit der Engländer und
ihre hodmitige GroB|purigteit einen Kraft»
fattor ihrer Politik ausmachen, wozu fid) frei:
lich eine ber unjeren weit überlegene Diplo:
matie unb bie Runft fremde Voller ficher zu
behandeln, gejellen.
Sit allo ber erzieheriiche Zwed bes 910.
mans diesmal nidjt ganz einleuchtend, fo
ermüdet fein fonftiger Inhalt — immer abe
geleben von den genannten vier Kapiteln —
durd) bie Weitjchweifigfeit und Redſeligkeit
des Vortrags. eben Eggert werden now
die Qebenstdidiale feiner beiden Brüder
Harm und Reimer verfolgt: der eine fällt,
der andere zieht am Schluß des Romans
nach einem Urlaub wieder in den Krieg. In
der Schilderung ihres Snnenlebens erfreut
manche feine "heobaigfuma. Aber —
Geck dieje ‚Brüder‘ wichtiger nimmt als
te es jchließlich verdienen, werden wir bod
nicht warm bet ihnen, fie find zu romanhaft
eleben, es wird zuviel über fie und von
ihnen geredet, a re oft vortreff-
lich gezeichnet, lenten ab, Beiwert überwuchert.
Dem Ganzen fehlt wieder bie Rompofition,
ber Blid für bas Wejentliche und der rechte
Stil; Cdlidjtbeit wechjelt unvermittelt mit
Pathos, realtitijdje Schilderung mit bem eins
tönigen Lehrton einer Nachmittagspredigt.
Denen Humorlofigfeit erjchredt förmlich
ei dem Verſuch einige Mebengejtalten, fo
rau Klaus Ott, frei nad) grip Reuter zu
eichnen. Bejjer geraten find diesmal die
tiebesizenen. Der Dichter hat. jid) glüd:
licherweije endlich befreit von feiner —
Art, erotiſche Dinge zu behandeln — jenem
Schwanken zwiſchen ſchulmäßiger Aufklärung,
PISSSFIIFISFSFSSFZZZZN Neues vom Büchertiſh BSSssesesesse4d 321
peridóümter Andeutung und plumper Deut:
lichkeit —, er ijt ganz Dichter geblieben, das
Debt ihm bejjer und feinen Liebesleuten aud.
Der ganze Zwiejpalt biejer Dichternatur
offenbart fih in bem Gegenjaß gwijden ber
Zerfahrenheit und Stiljdwantung des Gan-
zen und der wahren Wkeilterjchaft in den
Darftellungen ber Seegefedte. Wieder folgt
Frenſſen hier feiner alten Gewohnheit, dem
mündlichen Erzählen des jchlichten Soldaten
fih völlig anzupajjen, höchitens hie und da
einen ganz leijen einfachen Schmud anzu:
jeben. Das macht dieje Schlachtſchilderungen
o einzig und erhebt fie weit über die in
30las AN rami brad, fogar nod) über bie
in Stendhals ,£artauje' und bie der Lilien:
cronjden Kriegsnovellen: daß fie nirgends
ben GBelichts:, Gedanfen- und Befühlstreis
des einfaden Soldaten überjchreiten. Darum
werden fie bleiben, jolange die e Kr
bleibt... Frenjjen ijt fonft auch in biejem
Buch ber treue, wohlmeinende Waterfant:
john von einfadjem Wejen, den wir jchäßen;
und wer ein paar jandige Wege nicht Icheut,
verjäume nicht mit ibm zu feinen ‚Brüdern‘
au geben, er findet dort zwar feine pſycholo—
(den Verrenfungen, teine Artiſtenkünſte und
Miliftifchen Kringel, auch feinen Literaten:
Snobismus — aber [lichte Erzählerart und
ein paar Gelidter, in deren Nähe man es
Ion eine Weile aushält. Wir lernen unjer
Wolf durch dies Buch wieder näher tennen,
.bejeelt von ber Sehnſucht nad) allem Tüch:
tigen, bie Guftav Frenjjen und ben Wiens
chen, bie er jchildert, fo gut [tebt.
Kann man jyrenilen eigentlich nur bann
erecht werden, wenn man feine Erzäh—
ungen aus der Zeit und ihren *Be[trebunaen,
ihren Ideen und Kämpfen ableitet, ihr ‘Ber:
bältnis zu Bolt und Leben aufdedt, jo hat
bas Schaffen eines anderen ehemaligen Getjt:
lidenRarl Gjellerups etwas Zeitentrücd:
tes, bas ben Lefer wie jtille Rlojterluft ume
fängt. Diefer urſprünglich däniſche, jest
eingedeutjchte Dichter und Nobelpreisträger
(eine ftille literarijche Liebe von mir feit mehr
als zwanzig Jahren, feit ich ihn als (Gr:
ähler in einer mir nabejtehenden Berliner
hein tennen lernte) bat in feiner Jugend
Daheim die morbijde Literaturbewegung
durchgekoftet, bann, ein einjam Werdender,
fid) an deutſcher *Bbilojopbie gejdult und
it von feiner erften Schaffensjtufe — „Ein
Sünger der Germanen“, , Wuthorn”, „Paftor
Mors” u.a. — an der Hand Schopenhauers
in Den fernen Often gewandert; was er
dort erlebte, diejer Nachdentliche, erzählen
uns feine inbijdjen Dichtungen „Pilger Ra-
manita”, „Das Weib bes Mollendeten“,
„Die SBeltmanberer". Heimgefehrt jab er
die Stätte Janet Kindheit mit neuem Auge:
„Die Hügelmübhle“, „Reif fürs Leben“. Setzt
fand er den „Goldenen Zweig“ und
pflüdte ihn als Sieger im Haine der Diana
Nemorenjis, jenem Heiligtum, wo verfolgte
Miffetäter ein Aſyl finden, wenn fie im
9tingfampf nicht unterliegen. CEs ijt eine tiefe
mujijde Dichtung, ein Rob: uud GCiegesge:
lang auf den Tod des großen Pan und
die Wuferftehung Chrifti, zugleich auf den
Zujammenbrud bes morſchen Römerreichs
unb bie aujjteigenbe Morgenröte des Ger:
manentums. Dieje große Rulturwende, durch
Tahrtaujende vorbereitet, auf Gabrtanjende
hbinausweijend, ift, erftaunlich genug, in die
Geſchehniſſe eines einziges Tages alamen
gedrängt. „Dichtung und Stovellenfran;"
nennt Gjellerup fein Werf, in Wahrheit
fügen fid) bie Jcheinbarlojen Blätter zu einem
fejten Gebilde, einem &unjtiperf, das jeder
äjthetijchen Forderung: Kompojition, Beidh-
nung, Cbarafterijtif und Farbengebung
Genüge tut. In gartefter, innerlichiter Didh-
terwerje ift bier ber gewaltige Umjdwung
zur Chrijtenlebre in einfachen Menjchen dar:
geitellt (S. 138—140); äußerjte Sparjamteit
in der Beichreibung, fajt verftedter köftlicher
Humor (Kap. 5 unb 8), klaſſiſche Ruhe, form:
vollendeter Stil find einige ber Borzüge
Gjellerups in biejem Wert, bas Der germa:
nijden Rajje und ber froben Botjchaft aus
Bethlehem gewidmet ijt. In leuchtendſten Far-
ben jtrablt das Sinnbild bes Ganzen : bie gol:
bene Galeere des Tiberius, als fie bren-
nend im Gee verlinkt, über deffen Silber:
jpiegel ber Zwiegejang bes geopferten Ger:
manenpaares in hyperboreiſcher Glüdjelig:
leit verballt.
Freilich, bie Vorzüge bieler Dichtung find
Au weni säi id, als daß fie an ber
literarijden ‘Börje ‚gefragt‘ werden fónntc.
Da fält mir ein anderes Buch durch feine
bobe — een Auge:Jugendliebe
von Felix Philippi. Ich nehme es zur Hand,
denn ich geſtehe errötend, daß ich von dem
Verfaſſer noch ſo gut wie nichts geleſen habe.
Wie? höre ich fragen, von Felix Philippi
noch nichts geleſen? Mit Verlaub: nein.
Ich hatte an ſeinen Bühnenſtücken genug.
Die pue Made biejer rein auf ben äußeren
Effekt zugejchnittenen Snbu[triebramatif, bie
von Sfandalgejdhidten, Berühmtheiten der
Geridtsjale und der Zeitgejchichte Tebte,
ohne eine Spur Ddichterijchen Hauchs oder
menjchlicher Liebe — veranlaßten mid) in wei-
tem Bogen um jedes Buch von Felix Phi:
lippi herumzugehen. Nun habe id) feine
Sugenbliebe gelejen. Gie ijt nicht fo
\hlimm wie id) gefürchtet hatte. Ein emp: .
fehlenswertes Eiſenbahnbuch; man bat es
bis Hirihberg oder Weimar oder Liibect
durchflogen und fih dabei größtenteils leid:
lich unterhalten. Philippi ſchildert Umwelt
und Menſchen, bie er genau tennt. Cine
Raufmannsfamilie im alten Berlin. Robert,
der einzige Sohn des wohlhabenden Tud):
handlers Grumfow, wählt mit dem nur
zwei Jahre jüngeren Buchhalterstöchterchen
Grete auf. us Der Kinderfreundjchaft
wird richtige Liebe. Gie fojten fie ein paar
Jahre — jo zwijchen fiebzehn und zweiund:
zwanzig — gehörig aus. Dann aber bejtebt
Bater Grumfow, inzwijchen Kommerzienrat
geworden, auf einer jtandesgemäßen Heirat
329 E Karl Streder: Neues vom Biidertiidh$ BESSA]
jeines Robert — unter ftandesgemäß meint
er eine anjtändige Anzahl Nullen an der
Mermögensziffer, Der bann die Braut als
legte Rul angehängt wird. Robert fügt
fih, er heiratet einen weiblichen Gelbjad
aus Hamburg, und das verzweifelte Gretd)en
geht zum Apotheker, in Dellen Haufe fie
wohnt, um jid Gift — nein bod), um Den
— ek zu ehelichen. Go endet die
ugenbliebe, Dieje, wie man fieht, nicht
gerade originelle und nicht gerade nur von
Itarfjprühender Dichterphantafie auszuden:
tende Gejdjid)te wird in bebaglid)em Plau-
derton, jozujagen bei der Zigarre, erzählt,
ber legte Teil in ftraffer Technif. Alt-Ber—
lin ijt nicht übel gejchildert, und auch bie SDten-
Iden haben echte Lofalfarbe, allerdings nur
dinne Wajlerfarbe, bis auf den Vater Grum:
tow, der eine — Geſtalt geworden iſt,
vielleicht weil der Verfaſſer unbewußt ihn
aus eigenen Weſenszügen zuſammengeſetzt
hat. Die Vorbilder des Erzählers ſind leicht
zu erkennen: ein wenig Fontane, mehr Georg
Hermann; der Verſuch Dickens nahezukommen
iſt bei Julius Stinde geſtrandet, ja, man
trifft vielleicht das Rechte, wenn man den
Epiker Philippi ſich als das Produkt einer
gciftigen Ehe zwijchen Stinde und der alten
arlitt vorjtellt, bie ja übrigens beide viel
gelejen wurden. Antangs wird das Be:
mühen bes Berfajjers, jid) in jeder Zeile
überlegen: wigig zu zeigen, zur Dual für
den Lejer, (fo beißt es ftatt Bater und Mut:
ter aufdringlich oft Verfaſſer und Verfaſſerin),
jpater gibt ie bas; ein leicht jpäßeinder
Tonfall plát|d)ert munter dahin, und an
manden Gtellen, jo bei ber gelungenen
Äberrafhung der Mutter auf der Hurm:
freien Studentenbude ihres Sprößlings, bricht
jo etwas wie wirklicher Humor burd) Sonſt
find bie Dumorijtilden Abſichten met oer:
fehlt, fie jchlagen in Wik und Gpott um,
weil es dem Verfaſſer an Liebe mangelt.
Das zeigt fih bejonbers in der Schilderung
ber alten Tänzerin und ihrer verbliihten
Tochter, bie greifbar deutlich Didens nad)
geftaltet find, nur daß Philippi bie heimliche
Träne fehlt, die Dos Lächeln des großen
Humorijten gerade bet jolden armen Ha-
ſcherln wundervoll verflart. In engiter Ber:
bindung hiermit fteht das Verlagen aller
efiiblvoll gemeinten Stellen bei Philippi.
enn er gleid) auf der zwölften (eite in
den Gelee Wendungen eine Elegie
über bie Vergänglichkeit alles Irdiſchen,
über Graber und Auferjtehung jchmalzig
hinlegt, benft ein Lefer, ber nur halbwegs
zwiſchen faljdjem und echtem Gefühl unter:
\cheiden tann, weniger an diefe Ernithaftig-
leitet als an den Büfettichranf, wo früher
bie Rognafflajche [tanb. Offenbar ijt bem Ber:
fajjer jelber dabei übel geworden, denn
\päter verjährt er anders; wenn es gilt
eine „Gefühlstiite aufzumachen“ (wie fein
Grumfow jen. berlinijcd) jagen würde), bezieht
[BESS SESS LS SESS SS ETS SS SSS SSS SS SSIS SSS3
er bie Riihrung einfad) von irgendeinem Ain:
rifer, er brudt drei ober vier Berje ab; wo:
zu find denn Die Spezialilten da? Und fie
liefern in biejem Fall gratis. Es ijt ganz
diejelbe billige Stimmungsmade, wie wenn
Ke Paul Lindau in feinen Schauipielen,
obalb das dide Rührei tam, auf dem
Klavier gefühlvol ein Lied von Schubert
jpielen ließ. Das Befte an diejem Roman
ilt bie höchſt praftilche Wernunftrede, mit der
Vater Grumfow feinem Jungen die Jugend:
ejelet feiner Liebestrene aus bem Ropfe
redet: ba fit jedes Wort bes lebens: und
ejchäftstlugen Engroshändlers, und man
Di daß in biejer ,Gugendliebe” bes Ber:
ajlers Herz im Grunde weder bei der Jugend
nod) bei der Liebe ijt, jonbern bei den Kaf-
lenjcheinen bes Rommerzienrats®rumfow jen.
Das ijt feine Schande, jeder Baum wadft
nad jeiner Art, und Y: ber nüchterne Gee
Ihäftsjinn hat feinen Wert. Nur muß es
dem Beurterler erlaubt fein, in ſolchem Fall
bas fübn umgeworfene Mäntelchen holder
Schwärmerei mit leilem Lächeln ein wenig
zu lüpfen.
Da id) den Rognaf leider mit ber Ber:
— alles Irdiſchen in Verbindung
ringen mußte, wollen wir uns zum Schluß
wenigſtens an einem kühlen Trunk aus
einem Bergquell, einem kriſtallhellen, ſilbern
perlenden erlaben. Wir finden ihn bei
einem Wirte wundermild an der Grazer
Berglehne: Peter Roſegger kredenzt ihn
in ſeinem Buch von den Kleinen. Das
iſt wirklich erquickend. Man geht froh und
geſtärkt ſeines Weges weiter und ertappt ſich
ei einem nachdenklichen Lächeln, wenn man
ih etwa der Art erinnert, in der Peter
ojegger feinem Cepp das Wunder eines
jolhen Bergquells erfiárt. Mir find diefe
fleinen —— des ſteieriſchen Dichters
lieber als ſeine großen Romane, zumal als
ſeine ſchiefen Problemdichtungen. Hier iſt
er ganz bet ſich zu Hauſe, im Werkeltags—
fleid, bier ſucht er nicht, es * ihm alles
in die Hand, und wenn er lehrhaft wird, ſo
wird er es in der liebenswerteſten, ſchalkhaf—
teſten Weiſe, halb neckend bis zur Ausge—
laſſenheit, halb mit einem tiefen verſteckten
Ernſt, vor allem aber mit unendlicher Liebe.
Scheinbar ſpielend weiß er doch die Friſche
ſeiner Beobachtung in beſte realiſtiſche Form
zu kleiden. Roſeggers Heiterkeit und Her—
zensgüte vereinen ſich in dieſer Auswahl
kleinerer Schriften mit ſeiner ſtillen Nach—
denklichkeit zu einem einzigen Weſen, das
wie ein großes Rind ausſchaut, es ijt erwach—
jen und fann Dod) lahen wie Kinder lahen,
oft auch rollt ihm ein Tranlein über das
nod) lächelnde Rotbädchen. Sieht man aber
näher zu, Jo erfennt man in Diejer wunder:
lieben Geftalt, bie jo vieles in jich vereint,
dengroßen Weltjegner, Humor geheißen, den
man [o jelten zu Geſicht befommt auf unjerer
armen Erde.
e Slluftrierte Rundfchau e
ORCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC II IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII7O
garbig bebrudte Stoffe der EEO eM, geineninbu[trie — Modelle
ber Magdeburger Run Soest von Sie
e
ilmersdorf, Radierung von Elfriede
Betender Krie Bildwerf von
Stadt Berlin:
er,
SCH, laffe für granen AN e
— bag" SE er
enbtlanbt—S9teue
Silberarbeiten von Friedr. Schmid in Nürnberg — Arbeiten in Gilber
unb Zinn von Hans Frei in Bajel — Zu nu Bildern
TPS PLP EEG
biesmaligen
Rundſchau bieten bem Aug e bes Be:
ſchauers diesmal etwas ganz Bejonderes,
etwas Frohes und Freudiges: ichöne Farbe
und ſchöne Form in technijcher Verwertung
Dr Stoffe. Und zwar — das ift bas Ent:
cheidende! — nicht in der bisher, mehr oder
minder ausjdjlieBlid) bevorzugten Art der
Weberei, in ber die verjchieden gefärbten
Gingelfaden von Kette unb Einjchlag aus»
jdlaggebend find, jondern im Drudver:
fahren auf bem fertigen Gtoff. Gewiß
wird die Weberei in ihrer unendlich reichen
Anwendungsfähigkeit immer eine erſte Rolle
ſpielen, aber neben ihr eroberte ſich der
Flächendruck während der legten Jahrzehnte
einen immer breiteren Raum. Nicht aulebt
wohl, weil er unmittelbarer, einfacher zum
Auge und damit auch zum Gefühl bes Bes
ſchauers ſpricht. Technijche Bervollfomm:
nungen bes an fid) ja uralten Werfahrens
jpreden mit: bie immer wachſende Aus-
eftaltung gerade der deutjchen Farbenindu-
rie, deren Unnadahmlidfeit während des
Rrieges von unjeren Gegnern [o bitter emp:
funden wurde, bie bejjere Durchbildung ber
Holzichneider,de-
nen die Wieder:
gabe der Ent.
würfe in ben
Drudftempeln
obliegt; dann
aber, und wahr:
lich nicht gulebt,
die rege Teils
nahme echter
fünftlerijcher
Aräfte an jenen
Entwürfen. Das
alles ijt auch ber
Oberheſſiſchen
Leineninduſtrie
zugute Wu:
ie Abbildungen unjerer
men, bie a ue
ter ber 4 rung
von Louis Marx
(Marx & ne
EN e eler
eltruf er:
Saxton bat. Die
ProfefjorenHans
Su ar A:
eib, €
it, Br. ‘paul,
dann Frau DOT berger in Frantfurt a. M.
€ «4 8 IT TEE 8)
Druchkſtoff ber Oberheſſiſchen Qeineninduftrie Marx & Klein:
Entwurf von Frau v. Kardorff
OG GY
SOOM
DOD aae | SD
: (e 4 MAVAN N |
WARA
i
WW pes Y A
4 S ENER CN
CES) ON déi" pani
D Ki TA N Vi
Deddhen in Druditoff ber Oberheſſiſchen Leinen»
induftrie Marx & Aleinberger in Frankfurt a. M.
Entwurf von Prof. H. Gbriftianfen
Kardorff unb Karl Walfer find für fie in
hervorragender Weije tätig gewejen und
aben am guten
erte unermiid:
lid und erfolg:
reid) mitgebaut.
Dn erfter Linie
heſſiſch oder CH
Darmftadt
\dhaffende Künſt⸗
ler * ty SUR
ja überhaupt in
Heffen — Gat⸗
tung des Kunſt⸗
ewerbes einer
eneidenswerten
verſtãndnisvol⸗
len rderung
kon ein tann.
wereRrieg
und EU eit
mo er ei:
ter] selten auf
den glüdhaft be:
tretenen Pfaden
erjchwert, teil-
teile verfperrt
aben. Kommt
endlich der frie-
den, jo wird deito
rüftiger gearbeis
_
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Y E
LA A WE 2
394 ESeoeixexex3393]) Suftrierte Rundidau
tet, bas gute Alte
ausgebaut und
Neues di
werden. ellen
fann man ge
wiß fein. —
ie &unitge:
werbejchuleDlag:
deburg, Fachklaſ⸗
je für grauentlei:
dung, Weg wie
immer, ietet
wieder eine Mo-
ben|djau. Ic
babe Tons ein:
mal, im März:
Deft 1917, über
dieUrt undWeiſe,
in welder Die
genannte Schule
unjere deutſchen
Frauen und Mäd—
chen anzukleiden
gedenkt, ziemlich
ausführlich ge—
ponepen und ha:
e damals aud
die erfldrenden
(oder entidjulbi:
enden) Auslaf-
Drudftoff_ der Oberheifiichen Leineninduftrie Marx & Klein:
berger in Frantfurt a. Mt. Entwurf von Prof. H. Chriftianjen
nungen, Die viel-
leicht bie ` Gi
enart‘ ber in
Magdeburg be:
liebten 9tidjtun:
gen nod) jchärfer
berportreten laf-
jen als Die frii-
beren Photogra=
phien, bedauere
ich eigentlich,
nicht ` Ion im
März härter
gegen bie e
mubungen ` Der
Schule um eine
beut|de Mode
vorgegangen zu
jein. Was fie uns
heut bietet, ift
wirklich met nur
Künfıtelei, Flitter
und Tand, uns
würdig ber jwe:
ren Seit, in der
wir leben. Die
beiden Wtodelle,
die wir an bieljer
Stelle wiederge
ben,jind noch leid.
ungen des Direktors ber di DENE DE ee lihgemäßigt. Biele der übrigen geben in ihrer
bes im übrigen jehr verdienjivo
en Prof. Bof-
jpielerijden,angeblid geſchmackvollen, in Wirk⸗
elt, im Auszug wiedergegeben. Mad ben lichkeit fogar ungragidjen, nur um jeden Preis
jegt vorliegenden Modebildern, farbigen Seid):
Druditoff der Soberseimidien, —— ai & fleinberger in Frankfurt a. M. BB
n
urf von Lucian Bernhard
eigenartigen Wu
ahung bis an bie Grenze
PSSSZIIIIIEISFSZTZN Slultrierte Rundichau
des Unmöglichen.
Wenn das die
‚Deutihe Mode
von heute ijt oder
die ‚deutjche‘
Mode der Zus
funft fein fol,
bewabre mid) der
Himmel Davor.
Nad ihr getlei:
bete Damden
würden, glaube
ich, fogar in ber
eg Ac Lauents
zienftraße giem-
lid) auffallen.
Schade um bie
verlorene Mühe
unb Arbeit, Die
unzweifelhaft an
diefe Modelle ans
ewendet worden
tft. Um ein übriges
zu tun, will id)
aber die Bejchrei-
bung einer ber
von uns wieder:
egebenen or:
agen nad) den
Angaben der
für Frauentl
Drudito
berger
In
EN aus der
e
dung der Magdeburger
Runftgewerbeichule
achklaſſe
der Ob
a
> fleide
ange:
lebter gezo:
gener Bolant
gleicht die un:
tere Länge
wieder aus.
Die Vorder—
teile bes
fnapp an:
Ichließenden
Leibchens fal:
len in zwei
abgerundeten
Sipfelit, bie
drei Rüden:
teile in Drei
edigen Shok:
pattern u
den oben ftar
gi ae
ten Rod. Aus
dem fleinen
runden, vorn
lich etwas zu—
Ipigenden
Halsaus:
ſchnitt fällt
ein breiter
Kragen aus
Glasbatijt in
fteiler Linie
über Die
Schultern. Er
hat vorn eine
weftenartige
Berlänge:
Leineninduftrie, Marx & Klein:
Entwurf von Prof. Emil Orlit
Movdelltleid „Delft“ aus der Fachllaffe hr
Frauentleidung Der Magdeburger Kunit:
gewerbejchule
[£34343€3€3€3€3€3«3€3«34]. 325
einjchalten:
Model Delft‘.
Der hellblaue,
mit DdDunfelblauer
Mujterun be:
drudte eiden:
voile des Kleides
ift nad) einem in
der Kunſtgewer—
beſchule entſtan—
denen Entwurf
hergeſtellt. Dazu
iſt M bas Leib:
chen ſchlichtblauer
Chinakrepp ver—
wendet, der dünn
enug iſt, um das
uſter des un—
tergelegten Stof—
fes durchſcheinen
zu laſſen. Der
mäßig weite Rock
iſt über einem
ellblauen Unter:
leid mit Schlei—
fen aus em
blauen China:
trepp gerafft.
Ein dem Unter:
— hier
e
LI
LU
a
LU
LU
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LU
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9909909090999 9009090000900909,090090090000000000000000000000000000000000900709000000000900000090000000000000*7
3290 A Illuſtrierte Rundihau EICH HZ ZI ZZ Zu
, bie in abgerundes
* pibe unter bem Bür:
tel hinabreidt, unb wird
vorn mit fleinen Perl:
mutterfnópfen gefdloj:
jen. Ein [dmaler Gür-
tel aus weißem Sand:
ſchuhleder hält von ber
EE ab die vor:
deren Zipfel des Leib:
2 unb bie Enden bes
tagens feft. Der mäßig
weite Puffärmel jchließt
am Ellenbogen mit einem
breiten Auff lag aus
weißem Battift.
on biejem odefirles
tl peed yd rk ad
äftigen Schritt zu zwei
ernitbaften würdigen Kä
beiten übergeben, b
der nore geboren h et
Zuerftfeidas nei:
wert genannt, das Sie
Plehn gef affen hat, der
‚Betende Krieger. Das
Ihlichtsreife Werk ijt von
einem Kunftfreunde zur
Plehn. Bon einem Runf
Betender Krieger. Bildwerk von Ife
eund zur Auf:
ftellung im Leipziger Rojental geftiftet
tal geftiftet worden. Die
zweite Arbeit jtellt fid)
als eine neue Radierung
der hodbegabten El-
friede Wendtlandt, bie
beionders Durd) reizvolle
EW befannt
wurde, dar und gibt das
Rriegergedenfblatt von
Wilmersdorf- Berlin wie-
ber. Es ward vom Ma—
giltrat der Stadt Wil-
mersdorfbei einem Wett-
bewerb aus etwa fie-
benhundert eingejandten
Yrbeiten ausgewählt. —
Gute, jehr gediegene Cil;
berarbeiten fteuerte uns
der er Edeljchmied
Qriedrid) Cdjmib bei,
einer von ben Riinftlern,
in denen bie alten Über:
tennap Niirnbergs
EIE, WE zus
ie jilbergetriebene
Schale mit Dedel er:
ideint uns als ein ſel⸗
ten ſchönes Stück.
Aufſtellung im anmutigen Leipziger Roſen⸗Sehr geſchmackvoll find aud) die Heinen Bier:
d Zen, , SE —— a * M 2
ALLES JRDSCHE ST y 'OLLENDET- UND DAS HIMMLISCHE GEHT AUF
ZUM EHRENDEN GEDAECHTNIS UNSRES MIT
EP SEIN LEBEN HINGAB FUER U
DANKBARE BERLIN-WILMERSDORF ZR
2 —
NSER
NG ,
NN i
^ — l
>
Kriegergedentblatt der Stadt Berlin: Wilmersdorf Radierung von Elfriede Wendtlandt
Bl————-—ÉEXGIE SUuftrierte Rundſchau ees ZZ ZZ 327
Beier in Silber getrieben
Entwurf und Musführung
von Friedr. Schmid in
Nürnberg
diesmal ein Beitrag
ein über einem deut-
Iden Meijter, ber all:
mäblich zu den &laj-
jifern herangeriictt ijt:
Anton Graff. Die Aus⸗
itellungen des legten
Jahrzehnts haben den
großen Umjdwung zu
jeinen Bunjten herauf:
geführt, wie fie uns
überhaupt bewiejen,
daß wir jo manchen
deutihen Dialer un:
terichäßten und dak
eine Zeit, die als
funftarm, als troden
und nüchtern ange:
jehen wurde, wertvolle
Schäße hinterließ, die
nun wieder Beachtung
und fogar Bewun—
derung finden. Für
die bejjere Schätzung
Grajfid)er Gemälde in
arbeiten von Hans
grei in Bajel. Das
gilt Jowobl für den
zierlichen Anhänger
in Silber und grünem
Stein, wie Be Die
eigenartigen Zinn:
platten. Hans Fret
benußt gern antite
Motive; auch Die
Salambo zählt zu
Diejen, Die Punierin,
ber G. Flaubert in
jeinem gleichnami-
en ausgezeichneten
Roman ein Dent:
mal gelebt bat, das
der Weltliteratur an-
gehört. Außerſt ge-
Ihidt hat Hans Frei
die Rieſenſchlange
Salambos zur Aus:
füllung ber Rundung
jeines Wertes be:
nußt, —
Das Heft leitet
breiteren Krei-
jen tritt aber
auch die Mög:
lichkeit ber De
bigen ie:
dergabe Hinzu.
Hierfür zeugen
auch unjere ſchö—
nen Ginjdjalt:
bilder, nicht zu:
lebt bas köſt—
liche Titelbild in
einen feinen ab-
gewogenen Tü:
nen. — Zwilchen
©. 240 und 241
jchalteten wir
ein Gtilleben
ein von Rudolf
Otto, dem Dres:
dener, der Dies:
mal wieder Die
berrlidjten
Dinge — Dinge,
die minbejtens
wir Broßitädter
Schale mit Dedel in Silber getrieben
Entwurf und Ausführun
von Friedr. Schmid
in Nürnberg
Stammtifchftänder
Entwurf und Ausführung
von Fried. zen in Nürn=
erg
nur nod) vom Hörenjagen
tennen, auf feiner Staf-
Da verewigt hat. — Prof.
rana Hoffmann in Ber:
lin widmete feine Runjt
dem alten Corvey, wo
jein unjterblidjer Bater,
der ao von ‚Deutjch:
land, Deutjchland über
alles — als Bibliothefar
nad) 1860 wirfte, wo er
1874 ftarb. Während Teile
bes Schlofjes vor einiger
Zeit von einem ftarfen
Brand) daden heimgejucht
wurden, dürfte Das feine
„zeehäuschen“ im Part,
das der Sohn zum Bor:
wurf feines Gemaldes
(nad) Geite 248) wählte,
erhalten geblieben jein. —
Aus der Reihe unjerer
farbigen Blätter möchten
wir weiter bejonders das
fraftvolle Frauenbildnis
von Carl Hans Schrader:
398 BESSSSSHHES HESSEN Muftrierte Rundihau III HH HZ ZZ Zu
Belgen heraushe-
ben (3w.6.280u.281
eingejchaltet): ein
Gemälde von aus:
gelprodjener Cha:
rakteriſtik, ein ſcharf⸗
geprägter Kopf, die
anze Geſtalt in
arbe und Haltung
aſt kühn auf den
bläulich angehauch⸗
ten Hintergrund
— Wir
euen uns, Den
jungen Riinjtler, ein
Mitglied der Mün-
chener Sezeſſion, un⸗
ſern Leſern mit die—
ſem feſſelnden Bilde
näher bringen zu
dürfen. Er wird
nod) von ſich reden
maden. — us
Brafls Kunfthaus
in München, ber
immer gut und ge:
ſchmackvoll verjehe:
nen Galerie, erwar:
ben wir bas eigen:
artige Gemälde von
Otto Franz „Im Schneefturm” (gw. ©. 288 freijen, bes Dr.
u. 289 eingefügt.) Ein glüdlicher Griff bes
Künftlers und glänzend durchgeführt: zwei
Schneeichuhläufer,
Halde, durch
Andromeda
iht nebeneinander fid chem
vorwärtstämpfend über die [djneebebedte
as rajenbe Unwetter, mit ſcharf Rekerei!
Anhänger in Silber und Email mit grünen Steinen
0 e
Bon Hans Frei in Ba
Binnplatten von Hans Fret in Bafel
[diffe vor Oeſel“ (na
geftehen, daß id) fol
Werf mandjen Kriegs: oder Marine:
malers vorziehe — man verzeihe mir meine
angelpannten Mus⸗
feln — bas (Gange
voll Kraft und Be-
wegung. — Endlich
in Doppeltondruf:
fen gwetfiinjtlerijde
Aufnahmen, die den
vielen {Freunden ed:
ler Lichtkunſt gewiß
— bereiten und
nregung geben
werden. Die eine
einganb[djajts: und
Lierbild, „Shaf:
erde in Der Lüne—
urger Heide“, von
Deters mit feinſtem
Berjtändnis, mit ge:
radezuerjtaunlicher,
vorbildlicher Abwäs
ung von Richt unb
chatten, von Hell
und Dunfel erfaßt
und aufgenommen
(nad ©. 232). Das
andere ein echtes
und rechtes beweg-
tes Rriegsbild eines
Liebhaberphotogra-
Den aus Marine:
p
. Spieth, „Deutjche Kriegs:
©. 312). Sd) muß
Lichtbild jo mans»
$$. v. Sp.
Salambo
Nachdruck verboten. Alle Rechte vorbehalten. Zuichriften an bie Schriftleitung von Belbagen & Rlafings
Monatsheften, Berlin W 50. — Für bie Schriftleitung verantwortlich: Hanns bou Fobeltig in Berlin.
— Für Chterreid: Ungarn Herausgabe: Friefe & Lang, Wien I.
RVerantwortlidher Schriftleiter: Otic
| Briefe, Wien I, Bräunerftr. 3. Berlag: Belhagen & Riajing in Berlin, Bielefeld, Leipzig, Wien. |
Drud: Fiſcher & Wittig in Leipzig.
"pe "nm geile von 2 ont “ia a Kriegsaufſchlag.
bezie dur alle B Diungen und
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„te E: Klafings Monntöbeite” 2
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Rojenhagen. Mit dem Bildnis
bes Künftlers und fünfzehn teils
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der Erften Kammern. Bon
Hofrat Prof. Dr. ers
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Anjelma Heine. .
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\ j weum bürgerlicher Woh:
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' j | Wat De Karl Gdaejer. . .
4, Pte Hofe operin Minden. Bon
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Eine Erzählung aus Albanien
Ke von Borwin Barlit (Schluß)
| Bon ausgegangenen Smpor:
ei A : Der Werdegang ber Havanna-
SC zigarre. Ron Bictor Ottmann.
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it zehn Abbildungen nad) photos
eege 1 poesie Aufnahmen .
—— | Sie Buen unb ihn das
T logilden Grundlagen des
D eutigen Ruplands. Lon Ge:
gano. 9 eimrat Prof. Dr. Theod. Shies
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i mors,” Bon Rarl Gtrecder.
Mit drei Bildern
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Zur bee Gehen undSedeutung
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| Mädchen nicht.
| Seele jchwebte in die veildjenblaue Damme:
| rung, bie in feinem Ctrid) am Horizonte
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Monatshefte
20nd Paul Defar Höcker ^5:
9 32 Jahra./ April 1918 / 8. heft |
PS NR DE E E ON FEN) A
ccc Deutfd)je Seele ——
Fin Buch von Heimat, Wanserfchaft und Liebe
SA BonTJohannes Sóffnec =L
— Fortlegung —
och auf bem Feljen über bem Wicer
ER ftand Giacomo, der Ziegenhirt,
NIO) den breiten Schattenhut in der
Ce Hand, im Rüden geftiigt auf
den langen Dornenftod, jah in die weite
Ferne, wo die rote Sonne auf dem tiirfis-
blauen Meer fih wiegte und fang. Geine
Tiere drängten fih um ihn, hoben den Kopf,
Ichnupperten und jtießen ihn voll Ungeduld
mit den Schnauzen, denn fie waren fatt,
wollten in den Stall und gemolfen fein,
batten nichts von dem Feuerball auf bem
Wafjer, nichts von der linden Abendluft und
. von Biacomos Belang. Wher er hatte alles
vergejjen, und wie bie Sonne in das Meer,
tauchte er in GCebnjud)t und Schmerz, dak
die allerliebjte Giulietta ihn nicht erhören
wollte, weil er nur ein armer Ziegenhirt
war, und bie Sonne malte dod) feinen zer:
rijjenen Mantel jo reid) und prádjtig und
bing ihm Purpur um die Schultern wie
einem Königsjohn. Wher jo etwas jehen Die
Und Giacomos verliebte
Donn. und wartete, daß Die Sonne unter:
ginge; fein Lied war fiber dem Waſſer tla-
gend und rubelos wie eine Taube, die nicht
findet, wo ihr Fuß ruben tann.
Wd fo zu lieben,
Weldhe Pein!
Liebft bu mich, fag es mir,
Ja oder nein!
Barten fuhren zu Lande, und ihre roten
Gegel brannten; die Filcher zogen ihr Garn
ein, und in den Neben hing Silber und Gold.
Blau und rojenfarben liefen bie Wellen an
den Strand, jpielten mit Mujcheln und
Kiejeln und Filchchen wie mit bunten Edel:
Heinen, und alles war Farbe und Klang und
Schönheit und Traum außerhalb der Welt.
Jungfrau Wieje jak im geflodtenen Stuhl
unter den Palmen am Weer; die Werel
Ihwangen janft im Whendhaudh, und auf
der Lehne fab der Papagei, fnabberte wäh:
lig an einer Dattel, denn er hatte fic all
die Süßigkeiten und £ederbijjen des Landes
libergefrejjen, war bid und behäbig geworden
wie ein Rentner und wandte faum den
Kopf, wenn Jungfrau Wieſe aud) noch jo
zärtlich zu ibm jprad). Die linde Luft, Him:
mel und Sonne hatten ihrem dünnen Blut
und ihrem welfen Leib gut getan und ihr
ein Gtüd Jugend gejchentt im Herzen. Frei-
lid) bas war ein Trunf zur Nacht, war ein
Atemzug voll Baljam zum allerlegten Dial.
Ter leije Wind trug zu ihr herüber, was
Giacomo, der Ziegenhirt, fang:
Liebe wird Sterben,
Sterben, ja ja,
Höret man nimmer,
Mein oder ja.
Sterben. Schlafen. — Mus dem Abend
tamen Gedanken. Hier war rings, wohin
die Seele jab, ewiges Leben; hier war nicht
Herbit, nod) Winter, nicht Welfen, nod) Ber:
geben; Palmen, Lorbeer und Zypreſſen, das
alles jtand und leuchtete unb blieb wie es
war. Im Nußbaum daheim Dingen jest die
legten Sommerfäden, und über Das Land ging
Belbagen & Klafings Monatäheite. 32. Jabra. 1917/1018. 2. Bd. Jlacbtrud verboten, Coryright 1915 by Velhagen & Klajing 22
330 ÜESSESESEHESESEICHE3ESEEEl Johannes Höffner:
nod) einmal ein buntes Farbenjpiel vor dem
Tod, und dana% fielen die Blatter fanft und
fadt auf die fühle Erde. Es mußte einer
fid) rüjten auf den Abſchied und fih Ios:
machen von ber jchönen Welt. Und wenn
der Freund fam, anzuflopfen, daß man mit
ihm gehen follte, mußte man in der Heimat
fein und nicht in der Fremde. Denn fonft
mußte man in ferner Erde liegen oder eine
lange Reife machen im engen Rämmerlein,
der Leib, der ruhen folte, ward gejchüttelt
und geftoßen, und der Lärm des Lebens tat
dent Schlummer weh.
Die Sonne war hinab, und Biacomo trieb
feine Herde hernieder zu den Hütten, die
Sider zogen bie Barten auf den Gand und
Jungfrau Wiele fprad) zu ihrem Herzen:
‚Still, fei ftill, wir SC heim.‘ —
& 28
Eines Morgens — von Jungfrau
Wieſes Stübchens die grünen Läden zurück—
geſchlagen und die Fenſter weit aufgetan,
daß die Luft und die Sonne hinein konn—
ten, und Jungfrau Wieſe ſtand, legte die
Hand auf die Bruſt und atmete den kühlen
Hauch, ſah im Nußbaum die letzten Sommer—
fäden und war froh und glückſelig, daß das
alles wieder ihr ‚eigen war. Ter Papagei
tangte auf feiner Stange hin und Der, ſchüt—
telte die Federn und weßte den Schnabel,
badte in bie Connenblumenferne, daß fie
nach allen Geiten fprigten, und begehrte
Feigen und Datteln, jah fid) im Zimmer
um fremd und verwundert, drehte unwillig
den Kopf und |djrie in ben Hof wie cin
großer Herr: „Presto, presto, Giulia, presto,
presto, maldetto,“ perjtellte bie Stimme und
jagte fein wie eine Beige: „Ben levato, si:
gnor, ben levato“, und frie wieder: „Giulia,
sei tu là? Mandorla, presto, presto!“ Aber
Giulia hörte ihn nicht, und Jungfrau Wieje
fam mit einem Stidden und drohte ihm,
er folte Hl fein. Uber nad) einem Weil-
chen fing er wieder an, plapperte alles durch—
einander und war wie ein Menjch, der alles
ausframt und vermengt, was er nicht ver:
arbeitet hat. Schließlich war er bes Spre-
dens jatt, Jebte fih dick und eigenfinnig Dit
unb pfiff fid gum Croft das Santa Lucia,
fo weich und ſchmelzend, wie Giacomo, der
Ziegenhirt, wenn er ber Giulia unter dem
Drangenbaum ein Ständchen bradte.
Eugen Bitterling ftand auf dem Umgang,
beugte fid) über die Brüftung, und nahm
von dem grünen Geidenpapier, das für
gBeibuadjten im Schub lag, [djfug es um
- bas ‚fleißige €'iesd)en', an bem vor lauter ro:
fenfarbenen Blüten faum ein Blatt zu jehen
war, ging, Jungfrau Wieje zu begrüßen,
unb Danfte Bott, dah fie nod) zur rechten
Kee Se)
Zeit heimgelommen war und er daran den=
fen fonnte, für den Winter eingufaufen.
Danah fam aud Karl Asmus, und da
Jungfrau Wiefe ihn neben fid) jah, jdlant
und um einen Kopf größer als fie, erjd)rat
Jie ordentlich; es war, als tate fie einen
Blit in Werden und Vergehen und die
Flüchtigfeit der Zeit; fie hielt feine warme,
jtarfe Hand zwilchen ihren welfen Fingern,
forjdte zagend in feinem Blid, ward froh,
daß feine Augen fo hell und offen waren
wie vordem und daß feine Seele rein ge-
blieben war. Und dann ward fie rot, jo
leicht und zart wie ein Nojenblatt vor dem
Entfalten, und plößlich war eine [elige Stunde
aus ihrem Leben vor ihr, da Johann Ku-
chenrenter vor ihr ftand und ihr in bie
Augen blicte, als er von feiner erjten Fahrt
fam; bie Matrojfenmüße jaß ihm tm Naden,
die [angen Bänder flatterten im Gominer-
wind um den Hals, der jo braun war wie
eine &ajtante, er nahm fie in die Arme und
drücke fie, als wollte er fie zerbrechen und
hängte thr ein Kettlein um, aus Iautereri
Gold geflodten; bas lag nun unten im
Schrank bei welfer Blumen und vergilbten
Briefen. Das Kettlein, das liebe Kettlein! —
Die Tränen famen ihr, die alte Wunde blu:
tete von neuem, und Karl Asmus lachte ihr
zu und wußte nicht, welchen Schmerz er ihrem
Herzen antat. Alle Wunden, die die Baume int
Frühling und im Sonmter litten, vernarbten,
ehe der Winter fam, aber die Wunden, die
Liebe |djlágt, Ichließen fid) nimmer, da mußte
erft eine behutjame Hand ein Herz ans
rühren, daß alles fid) ſchloß und [tille ward.
Jungfrau Wiefe wandte fid) ſchnell ab
und Dolte ein Bud mit vielen Bildern,
darin war alles zu fehen, das Meer, die
Palmen, 3Balájte und Kirchen, Bildwerfe in
Marmelftein und Malereien, daran einer
fid) nicht fatt Jehen konnte. „Ja, Karl, das
ilt nod) taufendmal jchöner, wenn einer alles
mit eigenen Augen [eben fann. Da geht
einem Alten das Herz noch einmal auf, und
einem Jungen erft, bent mag es wohl fein,
als wäre er auf einem andern Stern.”
Wer jagt, daß einem die Welt verjchloffen
ijt, wenn er aud) im engen Rämmerlein [ibt,
und daß einer vom led muß, wenn er
reifen will? Wer die Seele auf Wander:
ſchaft jdjidt, der fieht mehr, als er je mit Leib:
[iden Augen ſehen fann, und es Bat man:
cher im dunklen Winkel gelelfet und vor
aller Schönheit diefer Welt getrunten. Dod
wenn das Blüd ibm hold war und ihn in
die Weite trug, daß fein Fuh gehen fonnte,
wo fein Herz hon [ange vordem gewejen
war, ijt ihm wohl Wehmut und Schmerz
angeflommen, daß die Wirklichkeit minder
PS SSPE SSE SSSI Deutiche Ceele
fü war denn der Traum; wenn Das
Land aud war, wie es einer fih gedacht
und gemalt, der Himmel und das Meer, die
Berge und die Täler, jo war dod) vieles
da, das machte die Sinne ſchwer. Denn es
ijt mit der Erde wie mit bem Menfchen, fie
hat Seele und Leib. Es ijt alles gut, fos
[ange einer im fliegenden Koffer fibt und
babinfábrt über Städte und Lander und
Meere, aber wenn er ben Fuß auf ben Bo:
den fegt und in bas Gewühl fommt und unter
bie Schidfale, fangen die Schmerzen an.
PWorderhand aber reijte Sort Asmus nod)
im Geift, und wie an feinem Rammerfenfter
bie falten Winde an den Scheiben rüttelten,
war er über Jungfrau Wiejes Gejchent im
warmen Süden, unter Sonne und Palmen,
fab die Orangen rot wie die Sonne beim
Untergehen in bem buntlen Blattwert jtehen,
ftand in bámmernben Kirchen und vor leud)-
tenden Bildern, vor Engeln und Menjchen,
unb es fam ein Wohlgefallen und eine Süßig—
feit über ihn, daß ibm das Herz hätte zer:
fpringen mögen. Er mußte an das Zeislein
denten, wie es vor ibm gejtanden in ber
Nacht beim Mondenſchein. —
BE CH CH
Das ward ein furjweiliger Winter,
denn an Arbeit war fein Mangel. Kon:
ful Lobedang baute fid) ein Haus am der
Eee, unb Meijter Bolduan hatte mit den
Schlöſſern und was fonjt in fein Fad ſchlug,
alle Hände voll zu tun; ber Konjul wollte
in dem neuen Haus Weihnachten feiern,
und in dem großen Gaal follten drei Chrift-
bäume ftehen, einer für bas Perjonal, einer
für die Rinder und einer in der Mitte bis hod)
an die Dede für die heilige Dreieinigfeit ganz
allein, und, es jollte eine Chrijtnadt werden,
wie auf dem Feld bei Bethlehem. Da hie
es fchuften, wenn alles zur rechten Zeit im
ot fein follte, und bie largen Tage nußen.
Ob aud ber falte Wind bird) bas große Haus
ging, bas [pürte einer nicht, bie Arbeit war
wie bie liebe Sonne im Sommer, wenn fie
fie es Jo recht gut meint und auf die Stirn
den hellen Schweiß treibt, und machte das
Herz bell und froh.
Sa, wer feine Arbeit hatte, der war wohl
gut dran. Wher es waren auch viele in
der Stadt, die mußten feiern; der Hafen
lag im Eis und der Schiffe famen wenig,
der Bettler wurden viel, aus der Fremde
und aus der Stadt, und alle mitleidigen
Geelen füllten ihnen die Hände und fragten
nicht vicl nad) Dant und Würdigfeit, wie
Sungfrau Wieje mit ihrem guten und mild:
tätigen Herzen. Die ließ feinen davon ohne
einen Bullen ober einen Grofchen oder ein
warmes Stid für den Hals oder die Brutt,
unb als eines Tages frijd) aus dem Ge:
füngnis und vor rot Happernd Martin
Hagedorn auf feinen Krüden babertam,
winfte fie ihn heran, gab ihm durchs Fen:
Her zu elen und zu trinten und er:
mahnte ibn: „Martin, Martin, weißt du
wohl, dak bir die Füße genommen find,
weil du damit bóje Wege gegangen bijt?
Aber bas ift nod) nicht das größte Ungliid,
bas einen treffen fann, Es mag wohl einer
als Krüppel leichter in den Himmel tommen
denn einer, der feine gefunden Glieder Dat."
Martin Hagedorn machte ein Gejid)t wie
vor dem Pfarrer im Gefängnis, als fet er
ganz zerknirſcht, aber als er Davonhumpelte
und fih taum gewendet hatte, lachte er und
fteuerte am Lads vorüber die Straße hinab,
geradenus zur Herberge, einen zu finden,
der ibm mit Gebajtian Freudenjprungs Geld
die Tafchen füllen folte; er wollte dann
manchen Tag herrlid) und in Freuden leben
und fih feinen Finger nak machen. Und da
auf biefer Erde die richtigen Brüder [id)
immer zufammenfinden, Jo ſaß in der Ede
beim eijernen Ofen hinter einem Achtel Bit:
tern Hein Botterlitfer aus Warnemünde,
Baudredner, Afrobat unb Landftreider,
unb wartete auf einen feinesgleiden. Es
dauerte nicht lange, ba waren Martin Hage-
dorn und Hein Botterliffer ein Herz und
eine Geele, betujchelten über Dem Schnaps:
duft, wie fie bas Ding bei Eebajtian Freut:
denjprung drehen wollten, und wälzten fid)
auf ber ausgehedten Schandtat wie ein
Dadel auf einem Luder im Wald. Derweil
ledte fid) der Teufel nach den beiden fon
das Maul, und der alte Belegenheitsmacher
ging bin, richtete bei Sebaftian Freuden:
iprung alles zu, daß nichts miplánge, und
ladjte fid) bie Hude voll, wenn der Kauf:
mann fic) feinen Schaden bejehen würde,
denn er |djielte jchon lange nad) dem alten
Beizfragen und gijtete fih, daß er fid) nicht
faffen ließ.
Gebaftian Freudenſprung hatte ein ver:
Ichwiegenes Hinterzimmerchen nad) bem Bars
ten hinaus mit doppelten Türen und Fen:
fterladen aus eichenen Brettern, darin waren
bie jungen Herren von der Schule, bie es
dazu Hatten, bet Zigarren und Bayeriſch
Bier [ujtig bis in bie jpáte 9tadjt, lagen
mit gläjernen Augen um den Tijd, wenn ber
Morgen fam und meinten, jo müjje man bas
Leben Ichäumen laffen. Cebajtian Freuden:
Iprung ſchaffte herbei, was fie wollten, bie:
nerte um fie herum, als wären fie große
Herren und wußte auch mandem zu andern
zu verhelfen als bloß zu Bier und Wein.
(fs ging laut her in dem Kleinen Hinter:
zimmer, mit BZutrinten und in bie Ranne
99 +
332 Johannes Höffner: NICH ZH ZH AZ Zee Ze Ze Zt
ftcigen, mit Gejohle und Gebriill. Die bun:
ten Müßen hatten jie ins Genick gejchoben,
wie fie es von den Studenten gejeben, die
Rapiere Hatjchten in die Bierpfüßen auf dem
Tijd, die Petroleumlampe an der Dede
qualmte, und im Nebenzimmer vor der Tür
jag Gebajttan Freudenſprung, Dütete feine
Lammer vor dem Wolf und berechnete nad)
den Liedern und den Stimmen, wie weit es
mit ihnen war, Debt fonnte er bald bas
dritte 9(djtefd)en Herbeirollen. Sie waren
beim Rundgejang:
„Rundgelang und Rebenjaft
Lieben wir ja alle,
Darum leert mit Jugendlraft
Echäumende Pokale,
Bruder Deine Liebjte heipt —“
Und Klaus Drajehn, ber an ber Neihe war,
warf fid) in bie Brujt, dak das jchwarz:
weiß:blaue Band jid) Jpannte, log und brüllte:
„Zeislein“, und der Chorus ſchwoll an:
„Sie foll leben,
Taujend Küjje toll fie dir
Scheffelweije geben...
Rundgelang und Rebeitjajt
Sieben wir ja alle...“
Cebajtian Freudenjprung rieb [id) bie
Hände und rechnete: heute bradjten fie es
auf eine halbe Tonne, es war ein guter Zug
drin. Die Guttonen waren dod) Mords:
terle, an die famen Die anderen Berbindunz,
gen nicht ran, bie Germanen nicht und nicht
bie Vandalen.
Unterdejjen fam Martin Hagedorn daher:
gehumpelt mit Hein Botterliffer, jette fid
auf die [teinerne Treppe vor dem Laden, legte
die Krüden freuzweis über feine Beine und
nahm den Hut in die Hand, als bettelte er.
Der Alrobat nahm einen Schlud aus Der
Schnapsflajche, jpudte in die Hände, frod)
durch bas Kellerfeniter wie ein Krebs, ftieg
von unter Der durch die Falltiir in den Laden
und ging im Schein der Straßenlaterne dem
Geldſchrank zu Leibe mit Brecheilen und
Hammer, aber Gebajtian Freudeniprung
hörte nichts, denn feine Ohren waren voll
von Rundgelang und Nebenjaft. Seine Frau,
die über dem Laden Ichlief, hörte im Ein:
drufeln durch den Gejang wohl das Ge:
bämmer und Boltern, meinte aber Gebajttan
(lige den Hahnen in ein neues Faß und
lächelte fid in den Traum hinein, weil das
Geſchäft blühte, und jchüttelte einen Apfel—
baum, daß ber Boden dröhnte Als fie
alle herunter hatte, war and Hein Bot:
terliffer mit jeiner Arbeit zu Rande ge:
fonımen, ftopfte ben Bettelbeutel und alle
Tajdhen voll, nahm, was er fand, redete vor
lauter Vergnügen mit dem Baud) und hatte
mit dem Geldjdrant ein lujtiges Gejprad:
„Rat? Wat bu em jeagen Jchuft, bem ollen
Snajterbart, wenn hei di fröggt: ‚Oh min
leiw Iſenſchapps, wat bon fo leer? Mat
fiefft Du mi an as en utnommen Gwin?
Denn jeggem man: i, hier wär ein, De hadden
Tung as an Bull und lifft de Bodder, wo
Det Bodder liffen fann. Un nu adjüs, und
wenn du wedder völlig bon. máglid), Friind-
fen, id tam wedder. Awerſt gram di nid,
wenn dat en beten länglich duert.” Damit
taftete er fid) aus der Tür durch den Gang
auf den Hof. Der Hund inder Ede bei der
Remiſe fpigte wohl die Ohren, aber hob den
Kopf nicht von ben 3Borberpjoten, denn er
war es gewöhnt, daß fid) bald diejer, bald
jener in die Eden tappte, und ließ ben Vaga-
bunden ungejchoren in den Garten. Und
die Finfternts ſchlug hinter Hein Botterlifter
zujammten.
Mitternacht war längjt vorüber, und Mar-
tin Hagedorn wartete immer noch vor der
Tür; die Steine fühlten ihn wie Eis durd)
und durch bis ins Bedärm, und er flapperte
mit den Zähnen wie ein Stord. Eine Rage
fam aus dem Rellerlod und jtrid) höhniſch
vorbei, als hatte Hein Botterliffer ihre Gejtalt
angenommen und fame zu jeben, was mit
dem Spießgejellen werden würde. Gr ſchlug
mit der Rriide nad) ihr, denn Kagen waren
ibm ein Breuel; wo einem eine Ober nen Weg
lief, fonnte einer jid) nur trollen, ba war
alles umſonſt und vorbei. (Co jchüttelte er
die Bettelpfennige aus dem Hut in bie Tajde,
frabbelte fih Hod) und humpelte davon, wo
er ein Lager fände zur Naht. Ga, wo
denn? Und nicht zu weit. Im Lads auf
dem Hof unter Dem Bretterdad ftand Die
alte Ralejche für Die Gejdaftsreijenden, wenn
fie bet Regen über Land mußten. Tie hatte
ein Berde und Glasfenfter und Bollterjige,
wenn auch alt und zerrijlen, da jehlief einer
wohl wie Gott in Frankreich. Sm Lads
war nod ein Leben wie bei einer Hochzeit;
in der Küche wurde gebraten und gejotten,
ein Duft ging über ben Hof, daß einem ar:
men Scluder das Waller im Maul zuſam—
menltef. Wenn biejer verfluchte Afrobat und
Bauchredner einen nicht betrogen hatte, Dann
Ionnte man aud) figen und jid) auftragen
lajien. Und Martin Hagedorn ftieh die
Krüden fluchend zwilchen bie Hofiteine, daz
Das dünne Eis auf dem red jplitterte und
Iprißte. Es war ein ſchweres Stüd in die
Kalejhe zu kommen, aber dann fa er
ſchön und weich, legte die Krüden auf
den Rückſitz, wijdte bie beſchlagenen Fenſter
ab und jah fih das Treiben in den Galt:
jtuben an, Meijter Bolduan gerade ins Ge:
Dt, wie er Die Karten auf den Tijd) bicb.
Meiſter Windelband [trid) bie Stiche und
PERSFHTTTTHEHTITETTT Deutihe Seele mex2eocemacoaoeog 333
das Geld ein und hatte einen Kopf fo
rot wie die Mamfell in der Küche. Im
anderen Zimmer jaßen die Reilenden um
den Gefttübel und jtießen an; ber Kellner
fam und Dienerte und ftellte eine gebratene
Gans auf den Tilh. Da wurde dem Srüppel
jo wehmütig, dağ er hätte heulen mögen;
der Magen friimmte fih ibm, als wollte er
ibm aus dem Leibe friechen. So weh hatte
ibm ber Hunger noch nie getan, Indem
itieg eine Spur von Gerduchertem in feine
Raje, unb ba er dem nachging, fand er in
der Wagentafche zur Seite an der Tür eine
3Hurit, jo bid wie ein Frauenarm, und
geriet in Friedrichs, bes Hausknechts, heim:
liche Speijefammer, darin er verjtaute, was
hier und da durch Gunjt oder Zufall für ihn
abfiel; aber Martin Hagedorn fragte nidt
lange, auf wen Die Wurjt lauerte, faute auf
beiden Baden von einen Zipfel zum an:
dern, [chlief und ſchnarchte bald, daß der alte
Magen in den morjchen Federn wacelte wie
ein Schmerbauch beim Lachen. Und es war
eine Nacht, darin prellte ein Spigbube den
andern.
88 c8
Als Sebajftian Freudenjprung int Viorgen-
jonnenjdein des neuen Tages feinen Echaden
bejah, jprang er bis an die Dede, aber nicht
vor Freuden, und hätte jid) zerreißen und
alles fura und Hein jchlagen mögen. Mber
die Vernunft fiel ibm in den Arm, und er
ging hin und zeigte den Einbruch an. Der
Werdadht fam wohl auf Martin Hagedorr,
aber er war nirgends zu finden; in Der
alten Ralejdje fuchte ihn niemand; er jchlief
darin bis an den Abend, da er jid) in ber
Punfelheit auf: und davon machen fonnte,
vielleicht, dak er nod) ben ungetreuen Rum:
pan aufgabelte und ihm abnehmen fonnte,
was ifm gehörte. Meijter Bolduan aber
befam von Konſul Lobedang den Auftrag,
vor bie Rellerjenjter bes neuen Haufes dop:
pelte Bitter zu machen, und mußte mit Karl
Asmus bis tief in bte Nacht hinein ſchmie—
den und nieten, wenn er fertig werden
wollte. Zwei Tage vor Weihnachten tat er
den legten Schlag in dem Landhaus am
Meer, warf ben Hammer in die Ede, pru-
itete mit diden Baden in die falte Luft, daß
der Atem aus jeinem Munde ging wie
Dampf aus einem Ventil und fagte: „Das
joll uns einer nahmaden, Karl. Wir
haben uns das Felt reblid) verdient. Gleich
morgen in Der Frühe mach’ did) fort. Gung,
Sung, nirgend up de Welt jchmedt de Stu-
ten jo Jäut as bi Muddern. Ach, Karl, id
müdjt moll nod) eis jon Jung melen as du,
bat war en Tid, wenn ein buten den Schnei
wiiltern däht und be Modder reep ut de
Dir: ‚Albert, wo bliwwft du denn? De
Raufen fteiht al upen Diſch.“
Wm andern Morgen aber blies ein Sturm,
als wollte er die ganze Stadt ins Meer wehen;
im Hafen tanzten die Schiffe an ihren Anter-
fetten wie 3irfuspferbe, bie hohe Schule
gehen, die Sciffsleute froren bis auf die
Leber und fluchten, denn fein Grog und fein
Branntwein machte mehr warm, dräng:
ten fid) in bie Cpelunfen wie die Winter:
fliegen zum Kachelofen, und ließen fid) deit
Gejitanf von Zigarren, Schnupftabat und
Rnoblaud nicht anfechten Die Straßen wur:
den blant wie eine Tenne, und fein Stäub:
chen lag mehr darauf, Karl Asmus hatte
die Hojen in den GStiefeln, bie Müge mit
dem diden wollenen Schal um das Kinn
fejtqebunden, ftemmte den berben ¬enjtod
auf unb [dob fid in das Stürmen und
Treiben, denn wenn die Heimat ruft, dann
muß man auf ten Weg, und wenn es nod) jo
Ihlimm wäre. Die Häujer lagen bald hinter
ibm, aber als er hinaus fam aufs Feld, rif
der Sturm ihm die Filipe vom Boden und
den Atem vom Munde, der Schnee pfiff und
fuhr daher wie Diinenjand; Erde und Himmel,
es war alles eins und ftand vor jeinen Augen
wie Milch. Eine Stunde und zwei ftemmte
er fid Schritt für Schritt durch das Un-
wetter, wollte es zwingen und fonnte es
bod) nicht, bing voll Schnee nnd Eis am
ganzen Leib, und feine Knie waren matt
wie ausgeleterte Scharniere. Er mußte Hei:
mat Heimat lajjen und umkehren, jo hart
es ihn auch antam, denn im andern Jahr
wer weiß, wo er dann Weihnachten feierte.
Wenn nur der Menjch immer wüßte, wozu
etwas gut ift.
Im Graben am Wege lag Martin Hage-
dorn matt und bem Tode nahe; ber Froft
fraß fid) von den Füßen und Armen her in
ihn hinein, und der Sturm fcharrte ihn in
ben Schnee wie ein verhungertes Haslein.
Nur bie Krüden waren nod) zu leben und
der Kopf, zwilhen den Wimpern erfroren
die Tränen. In feinem Herzen war ein
bitterlidjes Rufen, feine Gedanfen waren
bei den toten Gpagen, bie oben vor feinem
Rammerfenfier jteif und. ftarr in der Rinne
gelegen hatten zur Winterzeit, und vor feiz
ner Seele ftand das plób&lidje SBijjen von
bent, was davon wohl einer hätte lernen
tünnen. Wher Gott: Vater nahm ihn nod)
einmal in die Doble Hand, fein Leben zu
bergen und zu wärmen, und wollte bas legte
an ihn wenden, ob er noch werden wollte.
Karl Asmus, da er vorüberging und der
treibende Schnee ihm nun im Rüden Jap und
die Augen nicht mehr blendete, ward bes Häuf—
hens zur Cette gewahr, der Krüffen und der
334 Lessee Johannes Hhöffner: Sees
Miike, fniete bei bem Gejellen nieder, jeharrte
ibn aus, fühlte den Puls geben, wenn
aud) fo leije wie aus einem Vogelherzen, 309
den Rod ab, breitete ihn Martin Hagedorn
über Geſicht und Bruft, lief mit dem Sturm
was er fonnte, Hilfe zu holen und thn unter
Dad) zu bringen. Ein Ausbau ftand im
Feld; ba wohnte Peter Sadbartb, ber Gm:
der. Nicht lange, fo fuhren fie ben Erfrore:
nen auf dem Karren in die Stadt vor Mei:
Her Bolduans Haus, und Karl Asmus rif
die Tür auf und rief: „Wir bringen Martin
Hagedorn; er ift im Sterben.” Der Dei:
Her fam und fapte an, und Martin Hage:
Dorn war wieder, wo ihm joviel Gutes ein:
mal nahe gewejen war, lag gebettet dicht
neben bem grünen Tannenbaum; von feinen
Kleidern riefelte der ſchmelzende Schnee
iiber bie weiß gejcheuerten Dielen, und bie
Meifterin blidte voll Grimm und Bosheit.
„Bolduan, bas muß ich fagen, das ijt mir
eine ſchöne 3Beldjerung zum Heiligen Chrift,
einen Toten unter dem Weihnachtsbaum
und einen Lumpen dazu. Schaff' ibn mir
fort und auf der Stelle.” Aber ber Meifter
nahm fie beim Arm und fchob [ie in bie
Küche. „Beller ein Dieb als ein Mörder,
cs ift nod) Leben in ihm.“
Indem fam der Arzt, Danticrte mit Pfla:
fter und Mefjer, bis Martin Hagedorn die
Augen aufichlug und aus dem duntlen Reich
nod) einmal guriidfam. Meilter Bolduan
wollte ibn wohl bei fih behalten, aber weil der
Arzt wollte, mußte er ins Spital. So widelten
[ie ihn warm ein und trugenihn wieder hinaus
auf den Karren, und die Meifterin fam mit
einem Tuh und wijchte bie Lahe auf, bic
er dagelafjen Hatte. Im Spital ward er in
ein [ates Bad getan, banad) in ein weiches,
reines Bett, und es war wie in dem Mär:
chen, Darin der Bagabund über Nacht König
wird, fid) mit großen Augen nmfieht und
nicht weiß, wie ibm geichehen iit. Eine
Schweſter rüdte ihn in ben Kiffen zu:
recht, trdnfte ihn, redete mit ihm und
freundlich), daß es ihm im Herzen brannte
wie Feuer, Denn er war ein Schubiad und
Tunidtgut und nicht wert, dak einer ihm
Gutes tat. Da der Abend nabte, und Die
Gloden läuteten durch Sturm und Schnee:
geftöber unb bie Seufzer der Kranten ein:
ander begegneten, fam leije und janft von
der Kapelle ber über den Hof das Lied von
der heiligen 9tadjt und ging von Bett zu
Bett und Domp and bei Martin Hagedorn
ftill, und da er bie Augen wendete, jah er
wohl feine Mutter neben fid), bie [eate Die
Hand auf feinen Arm. Und er jpra(f) wie
im Traum: „Müde bin ich, geh zur Nuh.”
lind ba er an den Bers fam: Hab’ id) Un-
recht heut getan — da war fein ganzes Leben
in einem hellen Licht und alles offenbar, was
er auf dem Gewijjen hatte. Er wandte bei
Kopf ab und meinte bitterlich in die Federn
hinein, und es merfte im ganzen Gaal teiner,
was ba vorging. Es ijt in der heiligen Naht
wohl mehr Traurigfeit in der Welt als einer
weiß, es ijt auch nicht gejagt, daß dort, wo
der Helle Baum brennt, immer eitel Glüd
und Freude ift. Freilich bem Meijter Bol-
duan fehlte nichts; im Ofen bullerte das
Teuer, und ob der Sturm in dem Scorn:
Hem Beute wie ein Schloßhund, war cs in
der Stube fo mollig wie im Badhaus, auf
dem Tijd) Stand ber Puter, ber jid) vor ein
paar Tagen mod) unter dem Nußbaunt fei-
nes Lebens gefreut hatte, und Mtejjer und
Gabel ftedten ihm in der Bruft, daß einer
fie griffe und ben jaftigen Braten teilte. Der
Meifter ledte fid) die Lippen, fam und zer:
legte das Tier mit Würde und Andacht;
es war ein Effen, bas Ronjul €obebang
nicht verachtet hätte. Aber Karl Asmus
hatte feine rechte Luft an dem Chrijibraten,
das Herz war ihm jchwer, denn es war das
erfte Seit, Das er nicht Daheim feierte, und es
war eine Ahnung in ihm, daß es damit
nun aus wäre für immer und er nimmer:
mehr würde mit Vater und Mutter um
ben Baum figen. Der Meijter wifdte fid)
den Mund, jd)jnitt cine Keule ab und Iegte
fie beijeite. „Sch meine, die wird Traugott
Bitterling morgen zu pab tommen.“ Die
grau Inurrte etwas, der Meijter aber ftellte
lich gleihmiütig an ben Ofen, bordjte in das
Wetter, lagte: „Wohl dem, der unter Dad)
nnb Fach ijt,” und dachte bod) nicht an bie,
die auf Dem Meer fein mußten oder auf dem
Wege. Mander war, dem ging es in Dieler
Naht hart ant Tode vorbei wie Martin
Hagedorn am Morgen, und es war nicht
von ungefähr, daß Karl Asmus’ Gedanken
immer wieder um Hans Ramps Hütte ftri-
den. Die lag unter der Düne am flachen
Strand, war jdjief und baufällig und Hatte
jo wenig Kraft fid) in den Sturm zu legen
wie ein altes Weib, zitterte bei jedem Stoß
vont Dad bis zum Keller; von Stunde
Au Stunde rollte bas Waffer weiter über
ten Strand und näher an die Schwelle, und
die Heulboje vorn an ben Bänken jchrie
immer lauter und gräßlicher. Als die Nacht
Dereinbrad), jchäumte die Gee Durd bas
He in die Stube und in den Stall; da zog
er die Kuh heraus, und die Frau nahm die
Kinder bei der Hand, und fo wantten fie
durd) das Wetter iber Die Dünen, wo die
Delle Kirche ihnen den Weg wies.
Das war wohl ein betrübter Heiliger Chrijt
fiir Hans Ramps, daß er mit Weib und Kind
Nacht, unb wuhte nicht, ob er es morgen
nod fand. Aber an ber See wird einer ge:
[ajjen, und das Herz nimmt hin ohne Be:
denten unb Murren, was fein mug.
8 8
Es gibt viele dunkle Stunden, ſolange der
Menſch auf Erden wandelt, und die Nächte
ſind länger als die Tage, und wenn ein Wet—
ter kommt, kommt es in der Finſternis; wer
dann auf dem Wege iſt, der mag nach einem
Schein ſuchen, dem er nachgeht. Ein Licht
in der Finſternis, das iſt Troſt und Zuver—
ſicht und Hoffung, das ruft und winkt: hier
iſt ein Obdach, wo einer ſich bergen kann.
Hans Kamps war um dieſe Stunde nicht
der einzige, dem die Kirche den Weg zeigte
durch die Nacht.
Auf dem Meer fuhr Robert Wockenfuß,
jah das Fiinflein im Land [teben wie ein
Glimmen im verfohlten Tannenjcheit, hatte
die Heimat [o nah und fonnte dod) nicht zu
ihr. Die ,9Bilbemintje^ war im gurgelnden
Waller und in ber heulenden Luft, bie zer:
jegten Gegel fnatterten wie Schüßenfeuer,
und Bredher um Brecher jchölte über das
Ded. Gerard Doelen ftand auf der Brüde
und batte ein Tau um den Leib, und Ro-
bert Wodenfuß hing mit Armen und Füßen
neben ihm in den eijernen Gelánberjprojjen.
Der Steuermann lag im Rade und feine
Arme waren wie Stahl; ob das Rad jchrie
und Achte und ftöhnte, es mußte, wie er
wollte; die Sdijfsleute ftanden unten, je:
der an feinem Plaß, und wußten, auf dem
Bugfpriet jag der Tod. Gerard Doelen
idrie dem Steuermann ins Obr: „Dat
Richt; ſühſt bu bat Lücht?“ und jtredte den
Yirm in den Sturm und die jyin|ternis. In:
bem fam ein Heulen dahergeflogen, wie ein
Wolf heult in ber Nacht, und Robert Woden:
fuB ftierte hinaus, ber Shred jab ibm im
Raden. Es war, als zerrijje vor ihm die
Naht: Da lag die Hütte von Hans Ramps,
pie Boje heulte und frie an Steuer:
bord, und ehe Robert Wodenfuß nod
pas Wort aus der Keble hatte: „Doelen,
Doelen, be Bink“, fam Krahen und Split:
tern. Die „Wilhelmintje“ op mitten ent-
zwei, eine Welle trug ihn, als flóge er durch
Die Luft, warf ihn an den Strand und bradte
ibn in Die Heimat auf eine andre Weije, als
Doelen ihm verjprochen hatte. Als er zur
Belinnung fam und fid) umjab, ftand er dicht
bei Hans Ramps’ Hütte, watete durch bas
Ichäumende Waller und [tieg bie Düne Hin:
auf, dem Licht der Kirche zu, wie vor furzem
der Filcher, fam nad) Hauje, ba ber Chrift-
baum brannte, trat in bie Tür, und die Mut-
ter frie laut auf, als erdaftand in den trie-
[239393930322 33$3917 3931932 39323932] Teutjhe Seele EI Zee HZ 3 335
aus feinem Häuschen mußte bei Sturm und
fenden Kleidern. Sie meinte, es wäre ein Ges
ſpenſt, aber als fie ihn [predjen hörte und ihn
betaftete, daß er von Fleifd) und Blut wäre,
weinte fie, daß fie ihn gejund wieder Hatte,
unb der Boden mantfte ihr unter den Füßen,
da fie hörte, daß er aus bem Meer tame.
Der Bater befam einen Kopf jo groß wie
ein Eimer und ward fo rot, als hätte er
cine Flaſche Malvafier auf einen Zug ge
trunfen, wie er an die gottesläfterlichen Res
ben dachte, mit denen er fih über ben mif
ratenen Jungen ausgelajjen hatie, und all
fein Zorn und Grimm war dahin. Er nahm
den Jungen, brakte ihn in bie Rammer an
den warmen Ofen, mijchte ihm einen Eräf>
tigen Trunf, legte ihm trodene Kleider an
und fonnte fid) nicht genug tun, dieweil bie
Mutter in der Kühe das Mahl rüftete, her:
vorbolte, was fie an Lecterbijfen hatte, und
bie Mägde antrieb, daß fie flogen wie Balle.
Und jebt war die „Wilhelmintje“ dahin,
und Gerard Doclen jprang nimmermehr
auf einem Bein, hielt feine Pfeife zwijchen
ben braunen Zähnen und fing. feinen Jun-
gen mehr. Die Rnedte waren hinaus an
den Strand mit Stangen und Fadeln, aber
der Sturm blies die Lichter aus; [o [aut
fie auch frien, es tam nicht Stimme nod Ants
wort, nur die Gee brüllte ihnen entgegen
wie ein wildes Tier.
Am andern Morgen hatte fid) der Sturm
gelegt; der Himmel ftand tlar und buntel:
blau, und ber Froſt fnijterte in der Erde
unb auf den Bäumen im Schnee. Hans
Ramps jtampfte mit zagem Herzen über die
Dünen. Aber ba er über die Höhe glupte, [tanb
es unverjehrt, bie Rage jak vor der Tür und
miaute nad) Milch, und der Hahn frábte in
den Morgen, als wäre nichts gejchehen. Da
tieb Hans Ramps fid) die Augen. „Tunner:
Ihlag, wat's bit?" Der Strand zur Red:
ten und zur Linten war gelb wie eine Wiefe
im Frühling von Butterblumen, dicht bei
dicht lagen zwilchen Schiffsgerät und Plans
fen Wpfeljinen und Zitronen, und mitten
inne auf dem Rüden Gerard Doelen, hatte
die Arme ausgejtredt und [die Filchaugen
weit offen und fab Starr in den Himmel,
wie wohl einer des Sommers in Gras und
Blumen liegen mag und den Himmel trinfen
und nimmer genug befommen.
Hans Ramps nahm den Kapitän und trug
ihn in die Totenfammer bei der Kirche mit
Stampfen und Reudjen. Das ganze Dorf war
auf den Beinen, denn Gerard Doelen war jeit
vielen Jahren ber erjte fremde Mann, den
die See hier ans Land geworfen hatte.
Es drängte fich einer um Den andern in Die
Tür, redte den Hals und mußte bie of-
jenen. Augen jehen und die ftarren Hände,
336 IESSE EES SSES) Johannes Höffner: Tee Set
bis der Krüger Wodenfuß fam, ein Laten
über ben Toten bedte und die Tür oeridlop,
Da liefen fie an den Strand unb lafen die
fremden Früchte auf, groß und Hein. Au—
quit Rottichalf, ber Afritander, fand Gerard
Doelens Pfeife im Tang, trodnete fie ab
und klopfte bie maffe Wide heraus, jtopfte
jie und blies den warmen Rauch in bie falte
Luft, liep die Sonne auf dem neufilbernen
Bejdlag blinten und jagte zu dem Schnei:
der TFeuereiß, Der gerade in eine Wpfeljine
big, daß ibm die Kälte bird) alle Zähne
fuhr: „Son Pip, banad) bem id min Seb:
tag janft. Wenn ein man warten Tomm,
de fricht allens.”
28 28 &
Die Blode rief, daß es Beit wäre zur
Vire und aufzuhören mit Sammeln
und Suchen unter dem Gtrandgut, aber
mand) einer ftopfte feine Ohren zu und blieb
unten am Meer, wer men, es fand einer
wohl nod) bejjeres als Apfelfinen oder eine
Pfeife. Wud Paftor Neumann Hatte fein
Teil erwijcht, nämlich für feine Predigt, nahm
den Untergang der „Wilhelmintje“ und all
die Schreden ber Nacht in die Auslegung
hinein und ließ bie Leute beimgeben mit
dem Schauder int Herzen, daß es für einen
Menſchen nichts Schredlicheres gäbe, denn
einen Schiffbruch. Wenn das and) nicht
jehr wethnadtlid) war, Jo war es bod) Heil:
jam. Und der Külter Drafehn, da er die
Kirche zugeſchloſſen batte, ging mit jchweren
süßen bie Dorfitraße entlang, Jah auf den
3ertretenen, Weg und hob den Blid nicht,
denn er hatte den Schiffbruch im eigenen
Haufe; es war ein Brief gefommen, daß
der Sohn mit Schimpf und Schande von
der Schule gejagt war, und was jonjt nod)
darin gejtanden hatte, daran trugen Die
Eltern wohl ihr Leben lang.
Derweil jak Klaus Drafehn auf ber La:
itadie in einer Cpelunte, trant jid) alle Scham
und allen Ärger fort. Drei Tage trieb er
es jo und vertat auch das legte, was in
ieiner Geele nod) an Scheu und Gewijjen
war, bis thm die Knie fchlotterten, bas graue
(Flend ihn padte und er im Hof der Cdjente
auf einer leeren Tonne jop und in die Nacht
winunerte. Am Dlorgen, da Klaus Drafehn
Maujd) und Elend ausgejchlafen und jid)
Schwiemel und Wlterigfeit aus den Mugen
qewajden hatte, machte er fid) auf zum Stadt:
theater, bat und bejd)wor den Direftor him:
melhoch, er jollte ihn nehmen und ihm ben
Weg zur Kunſt auftun, denn wo ein Drang
wäre Au Hohen, da ware auch die Kraft.
(Fr redete falt wie Marquis Boja vor dem
Köntg Philipp, und der Direktor faltete die
runden Finger über Dem Bauch, drehte die
Daumen umeinander, fniff die bartlojen
Sippen ein und fagte f[chließlich: er wolle
es perjudjen, ber Künjtler Erdenwallen fei
gwar dornig, aber ein Talent brace fih
immer Bahn, und es wäre im Schauijpieler:
beruf wie im Goldatenftand, ba ein jeder
Den Marihallitab im Tornifter trüge und
jelbjt ein Schneiderlein ein hoher Herr wer:
den könnte. „Ja, ja, mein Lieber, was einer
wird, bas wird er aus fid) jelbjt. So ijt es
und fo bleibt es: fein Cdjidjal ſchafft jid)
jelbjt der Mann.”
Am Abend jdon jtedte Klaus Drafehn
in einem Landsfnehtwams, maridjierte mit
aufgeworfener Brujt vor einem türfilchen
Zelt auf und nieder, ſchwang bie Got:
pene Hellebarde, wehrte, wenn einer den
Cdlummer bes Feldherrn zu Hären fid) oer:
maß, Der fid) im übrigen hinter den &ulijjen
an einer Bocdwurft mit Sauerkraut ftarfte,
unb glaubte wirklich, er hätte fein Schickſal
in Die Hände genommen und wäre auf dem
trodnen. Aber er war doch nur ein armer
Schiffbrüchiger und trieb auf einer elenden
Plante dahin, ans Land ober ins Meer,
wer wollte das jagen?
38 eg
Wenn einer Echiffbruch leidet, das liegt
nicht an den Klippen, am Nebel oder am
Sturm, das liegt am Steuer, am Rompaf,
am Ballajt ober an ber Karte und an mans
herlei anberm bei Fahrzeug und Schiffs—
mann. Darum fommt der eine an allem
vorbei, und der andere geht unter.
Karl Asmus wußte fein Sdifflein wohl
zu lenten, war zwar nod) nahe dem Land,
aber jtenerte Dod) |djon bem offenen Meere
zu, da die Wellen lang und hod und mit
Schaumfronen liefen, und der Wind wartete,
lich in bie Tegel zu jegen und zu proben,
wer es führte. Manche Stunde nach Feier-
abend arbeitete er in der Werkitatt, dah die
Wangen ibm brannten, hatte Meilter Bol:
Duans funftvolles Schloß vor fih, es nad-
zubilden bis ins fleinjte, daß er losgeſpro—
chen würde vor der Zeit und, wean der
Sommer fame, hinaus fónnte in die weite
Welt. Wenn er bes YFetertags oder jonit
einmal ein Ctünbdjen bei Jungfrau Wieje
jag, und bas traute Stübchen liebreid) um ibn
war, Ja er dennoch Darin wie ein Vogel im
Käfig. Seine Gedanfen liefen jhon auf den
Straßen der Erde und durch Städte, an Stro-
men und auf Bergen; und er framte aus, was
an Gehnjucht in feinem Herzen war und wo:
bin er wandern wollte, wenn er des Lehrling:
tums los wäre und ledig. Da wäre ber Kyff—
häujer, darin Ratjer Notbart gejeffen und
aeichlafen hätte am Tilh von Marmelſtein,
und die Wartburg tm Thüringerwald mit
Sëegeegeegeeegerg:eessgsegeegseeeeggeegeegeeeeegegeersegegegeeeeeegeeggeegegeeeeeeeeeeeegeegggegggëgëggëeeegeëeeegeegegeeegee
uS Zl 4 do ie! MDD EE na anh —— — —
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m;
Gemälde von Prof. Wilhelm Claudius
Altländer Bauernhof.
DIBIIEEXARARIRYRYRYRYR] Deutiche Seele 337
Luthers Gemach und dem Tintenklecks, vor
dem der Teufel auf und davon gefahren
wäre, der Rhein und die Alpen und das
Land Italien. Jungfrau Wieje fab ihn
an mit heimlichem Schmerz, fie wußte,
daß an ben Wegen Dornen ftehen und daß
einer nicht allein die Füße fid) wund läuft
auf den harten Cteinen. Aber das war
nicht anders. Die Jugend wollte hinaus
und mußte hinaus. Wer niht ins Ge:
Drange und in bie Gefahr fam, ber wurde
wohl nimmer tüchtig und ein Mann. Und
He fraute dem Papagei bas Köpfchen und
nidte Karl Asmus zu: „Ja, Karl, das ift
wahr, die Welt ijt wohl weit und [d)ón und.
bat viel zu verjdenten, aber wenn einer
holen will, was ihn reich und glücdlich machen
fann, ber muß fid) eilen und die Stunde
nugen und Darf fid) nicht aufhalten und
muß umfehren zur rechten Zeit, ſonſt jchlägt
das Tor hinter ihm zu, und er ijt verloren
tür alle Ewigfeit.“
Als Ditern vor der Tür ftand, hatte Karl
Asmus bas Gejellenftüd fertig, ein Schloß,
|o blant wie ein gejchliffenes Schwert; wenn
ver Schlüffel fidh brebte, [prangen Die Riegel,
vies- nad) vorn und zwei nad) oben und
unten, Die Widerhafen Ipreizten fih, und
es war, wie wenn ein Augenltd auf: und
niederjchlägt. Der Snnungsmeijter bejah es
von allen Seiten, aber jo jehr er auch juchte,
da war fein Fehl nod) Tadel. Karl Asmus
ward losgejprodhen, und Meiſter Bolduan
ging mit ibm heim und war jo Wolz, als
bätte er jelbjt fein Bejellenftüc gemacht. Und
dem jungen Gejellen jang es im Herzen wie
eine Merde über vlühendem Klee. Er redte
Den Kopf jo frant und fret aus den Schultern
wie ein Junfer, ber zum Ritter gejdlagen
war. (be fie ins Haus traten, ſchlug Meiſter
Bolduan ihm jo recht mit Wucht auf
die Schulter: „Alsdann, Karl, nun ginge
es alfo hinaus in die Welt und wäre
einer auf Dem Wege, ein Mann und ein
Wieifter zu werden. Sch wollte, ich wäre an
deiner Statt, aber ber Gungbrunnen iit ver:
trocknet bis auf den Grund, denn Der Weiber
ind zu viel gewejen, bie darcin gejtiegen find.
Wir müſſen uns zufriedengeben, und aud
die alten Tage haben ihr Gutes.“
Karl Asmus machte ein feliges Geficht.
Ta war ein Weg, und es blübten Blu:
men zur Nechten und zur Kinten, und von
Raunt zu Baum flog ein Vogel, der war
jo bunt und [u|tig, wie er nod) nie einen
gejehen, rief und lodte, es wäre nun an
der Zeit, und er jollte tommen. Aber
da war ein Tor, und wer da Hindurdging,
dem würde ein Schwert in die Ceele ge:
itoßen, daß einer nicht gar zu leicht und
übermütig von Donnen zöge; es fam zuvor
ber Abſchied von allem, damit bas Herz ver:
wadjen war und worin es Wurzel geſchla—
gen hatte, denn es taftet fein Menjch jid)
tiefer in den Boden als in der Kindheit
und Jugend. Das war ein dunkler Tag,
und alle Blümlein ließen die Köpfe Hän-
gen, ob auch die helle Sonne belebend am
Himmel ftand und die Elternliebe und
die Heimatluft um ihn war wie der Süd:
wind um Die Beilden im März, ba er
Rater und Mutter noch einmal am Hals
hing und fie laffen mußte. Das war bod)
anders als damals, da ihm ter Reijefajten
auf den Wagen gejdoben wurde und er mit
Paftor Neumann Hinausgefahren war ins
Vand. Aber er machte fih hart und tat
luftig, und es blieb bod) nicht verborgen, was
in feinen Gedanten war, denn Vater und
Mutter Jahen nicht mit den Augen, Jondern
mit der Seele und fie fanden beide nod)
lange am Bodenfenfter auf dem Dad. Ob
er nur nod) ein Pünktchen in der Ferne war,
jte Jaben ibn, als jtände er vor ihnen. Aber
aus der Turmlufe blidte diesmal fein Mar:
lenefen ihm nach, denn es war in der Stadt
im Dienjt und follte fid) bei fremden Leuten
umtun und lernen. —
Am Abend zuvor, da Karl Asmus wan-
dern wollte, brachte die Meijterin einen
Braten auf den Tijd und Kartoffeljalat Do:
zu; der SUleijter ftellte eine Flaſche Wein
in Die Mitte, ſchenkte ein, [tie an und
wiünjchte ibm Glüd auf ben Weg. Alls
die Frau hinaus war, nod eine Süßigfeit
zu bringen zum Bejchluß, holte er aus und
lobte den Rhein und war bald in Riides-
beim und fagte: „Karl, bas ift ein Paradies.
Da geht einem das Herz auf, und daran
darf feiner vorbei. Wenn Du hinein:
fommit vom Mäufeturm im Binger Lod,
an den Burgen vorbei, geht zur Linken ein
Weg ab, ein wenig den Hang hinauf, da
fteht ein Haus im Grünen. Rofen blühen
an den Wänden, und ein goldener Schlüjjel
jhwingt über der Tür; da Hopf an und
grüß' das Handwerk und frage, ob einer
fid) nod) bejinnt auf Albert Bolduan aus
Bommerland; er ließe bas Wnndjen grü-
Ben, wenn es nod) lebe, er hätte es nimmer
vergeffen, und in ein paar Jährlein möchte
er jelber wohl tommen und jehen, wie fie es
triebe und wie es ihr ginge.“ Er jah dabei
mit jolcher Seligfeit in fein Glas, als wäre
des Himmels Pforte vor ihm aufgeiprungen,
und in feinen Augen blinfte es, von Wein
oder von Moller ober von beibem; er jebte
das Glas an und tranf es aus gang till,
als tränfe er von feiner goldenen Tugend.
Inden fam Die Meifterin mit einem Pud=
338 |
ding, Jo gelb wie ein Kanarienvogel, denn
bie Eier waren nicht gejpart, fah dem
Mann ins Gelicht, wie ibm die Lider rot
waren und die Augen feucht und dachte:
‚Der Bolduan hat dod ein gar zu gutes
Herz, dak der Abſchied ihm fo ſchwer
wird, als zöge ihm der eigene Sohn dahin.‘
Zu Karl Asmus aber jagte fie und [chob
ibm bie Schüfjel bin: „Rang? zu und bas
ordentlich; in ber Fremde muß einer krumm
liegen mandesmal und wird nicht gefragt,
daß er effen fol. Die Fremde ift ein farges
Weib und fieht auf das Ihre, was, Bol:
Duan?” Und der Meifter nidte und ſchenkte
bent Gejelfen den Reft ein: „Schon wahr.
Aber auch bei vollen Töpfen tann einer ver:
Dungern.^ Die Meifterin Tun die Augen
ein und forjchte auf feiner Stirn, aber fie
fam nicht dahinter, wie er es meinte.
Jtadjber ging Karl Asmus zu Jungfrau
3Bieje. Das war ein faurer Gang, und die
Stuguhr vor dem Spiegel lief jo jchnell, als
wollte fie die liebe Sonne überholen, und
führte mit ihrem Pendeljchlag das Wort faft
allein, wenn nicht gerade der Papagei eine
Redensart aus der Nähe oder der Ferne
holte und in Jungfrau Wiejes leije Rede
fallen ließ wie einen Stein in ein [tilles Waſſer.
Co faken fie, Karl Asmus am Tijch bei
der grünbejdjirmten Lampe, Jungfrau Wiefe
auf ihrem TFenfterplaß im tiefen Schatten, ber
Papagei in einem [djmalen Lichtjtreif bim:
zelnd ein wenig zur Seite. Da es Zeit war,
holte Jungfrau Wieje aus bem Nähtiſchfach
cine Brieftajde hervor, grün und blau und
rot beftidt mit Rofen und Winden, bie rod
nah Nußblättern und Lavendel, und legte fie
Karl Asmus in bie Hand. „Wer in die Fremde
geht, muß wandern fonnen wie es. ibm beliebt
und darf niht Hängen bleiben um Arbeit willen
und Berdienft. Du foljt bir die Welt an-
jehen in al ihrer Pracht und Auge und
Herz fih fattrinfen laffen an alli ihrer Herr:
lichkeit.“ Damit nahm fie feinen Kopf in
ihre alten Hände und tüpte ihn auf die Stirn,
jo zart und [djeu, als wäre er aus Glas.
(Fr wußte nit, wie ibm geſchah und
fonnte nichts jagen vor ſoviel Liebe, aber
die Tränen rannen ihm die Wangen ent-
lang, und er küßte Jungfrau Wieje bie Hände,
wandte fi) und ging aus der Tür wie aus
einer Kirche. Der Papagei, dem wohl et:
was bümmerte, es ginge bier um einen
Abjchied, framte eine alte Erinnerung Der:
vor, räujperte fid) und rief ihm nad: „Adjüs,
Herr Bartels, nu gahn wi.” Jungfrau
Wieſe aber jag nod) lange auf, fah in bas
Yampenlidht und fann, und bie alten Wun:
Den brannten als wären fie frijch.
Am andern Morgen in der Frühe, ehe
I Johannes Höffner: İB
169494934 35 Si 3e 3$ 53
bie Sonne aufging, ftand Karl Asmus auf
dent Hof, bas Felleijen über ber Echulter
und ben Wanderjtod in der Hand, tat
nod) einmal das Herz auf, mitzunehmen,
joviel er fonnte vom Garten, vom raujchen:
ben Brünnlein, vom Nußbaun und vom
Tenfter, dahinter das Zeislein geftanden
war bei Tage und hatte ben Gommer ein:
gejungen und im Mondenjchein bei Nacht,
und ihm ward [o warm in der fühlen Mor:
genluft, als blieje ihn das ‘Feuer von der
Ejje an. Er fonnte nicht anders, er mußte
nod) einmal auf der Bant am Wajjer figen.
Die Finten jchlugen in den Zweigen, Gras-
nüden liepen ihr Liedletr fteigen und fal-
len wie filberne Kugeln auf einer Waſſer—
funjt; eine fiige und ſchwere Sehnjudt war
um ihn, daß er meinte, er wäre von Der
Welt, und der Kopf wußte niht, was bie
Hand tat, daß er unten aus dem Ranzen
die Flite hervorgog und an die Lippen
nahm. Die Vöglein wurden ftil und hör:
ten zu, ba er das Lied blies vom Gei-
ben und von Gottes Rat. Nur einmal nod)
das Seislein fehen, von ferne nur und wie
einen Schimmer! Der Sommer war nicht jo
fern, und es hätte einer wohl warten mögen
einen Monat und zwei, es wäre nichts
verfäumt. Aber er hatte bleiben mögen ein
Jahr und zwei, denn bas Zeislein Hatte
feinen Gefallen mehr an dem Garten am
Fluß, fam nimmer wieder und flog da-
ber, wo Leimruten lagen und die Lockvögel
riefen und wo das Neg zujammenjchlug.
Karl Asmus, da das traurige Lied aus
war, tat bie Flöte an ihren Ort, Holte
einen Geufzer aus feiner Geele wie aus
einem tiefen Brunnen, ftedte von den Blu:
men an feinen Hut, Tulpen und Narziſſen,
weiß und rot, ging durh Hof und Flur,
drehte ben Schlüffel im Schloß fo Ieije wie
ein Dieb in der Nacht, daß er niemandes
Schlummer ftöre, und [djidte ein Stoßgebet
zum Himmel, da er die Melt dicht vor der
Tür liegen jah. Es war nod niemand
wad), und zwijchen ben Häujern war eine
Stille wie in einer Kirche; die Schritte hall-
ten, als brächen [ie fid) im Kreuzgang und
Gewölbe Als er um die Ede bog, jab er
nod) einmal zu dem goldenen Schlüfjel über
ber Cdjlojjerei, bann [djidte er feine Ge:
banfen vorauf, bie Ctrape und ben Weg
entlang wie ein Hiindlein, bas hin und wider
läuft und fteht und fdaut, ob Der Herr
fommt; vor dem Tor im Freien lag bas
Land nod) weiß und grau wie ein weites
SBajjer; der Nebel ging ibm bis an den
Hals, und wo der Hafen war, ftanden die
bewimpelten Majten heraus wie Rohr am
See. Am mattblauen Himmel hingen die
PSSSS SSS SSS ——— Deutihe Seele ZZ 339
Lerden und fangen und fangen, eine heller
als Die andere, denn fie fahen fchon bie
Eonne fommen. Cin Wind fuhr daher in
lurgen Stößen, übermütig wie ein Bidden;
der Nebel ſchlug ineinander wie Rand)
und Feuer, bie Sonne machte alles tar wie
einen Krijtall, und die ſchöne Welt Iag da
in Wieje, Wald und Land und Meer, als
triige ber Herrgott fie daher auf feiner
fladhen Hand. Filcherboote zegen hinter:
einander wie eine Kette Enten vom Fang
draußen dem Hafen zu. Aus bem Schinder:
haus [tieg ein dinner Raud) in den Himmel,
rein und blau, und dahinter ftand bas grüne
Meer. Er fam an die Stelle, wo er am
heiligen Abend Martin Hagedorn im Schnee
gefunden hatte und ihm zu einem neuen
Leben verholfen, und ein Stüd weiter qa:
belte fih der Weg, aur Kinten ging er in
Die Heimat und zur Redten in die Fremde.
Karl Asmus ftieß den Ctod feft in bie
Ichwarze Erde und zog landeinwärts. Hin-
ter ibm jchrien bie Möwen, und vor ihm
flog ein bunter Bogel von Baum zu Baum.
8g
Die Sonne brannte und war Dod) jchon
über die Höhe fort. Karl Asmus hob den
Hut aus der heißen Stirn und hielt Umſchau,
wo ein Plätzchen im Grünen wäre, ein mil:
ber Schatten unter Bäumen, dA einer ruhen
Iónnte und warten, bis ber Tag kühl gewor-
den war. Aber es war wie geftern und
cBegc[tern ; die fdywargen Straßen liefen nod)
immer zwilchen toten Echutthalden dahin,
und Dunft und Qualm machten den Him-
mel grau; Gjjen und Fördertürme ftanden
ver[hwommen in der jchweren Luft, rubige
Drabhtjeilbahnen hingen dDagwijden, und
die Wagen trochen an ihnen entlang wie
Fliegen, her und Din. Merlümmerte Blu:
men ftanden am Megrand, farblos faft und
Den Kelh voll 9tjdje und Staub; taum dak
ein Bogel flog, und über der Erde und
unter der Erde war ein Stoßen und Grol:
len wie von fernem Gewitter. Es war ein
trübfelig Wandern in diejem Strid), ba die
Menichheit von Kohle und Gijen lebte und
Die Mafdinen der Erde das Herz aus bem
Leibe frejjen und die Gefahr auf ber Laner
lag Tag und Nacht. Freilich wie folte es
auch anders fein, wo das Feuer geholt wurde
und das Erz für Pflug und Schwert, wo
Dentidlands Rüftung und Wehr geld)ajfen
ward, wenn es einmal not fein folte, zu
fireiten bis aufs Blut. Im Pommerland
war wohl friedlicheres Schaffen; ba tat man
auch feine Arbeit vom Morgen bis an den
Abend; aber mit Singen und frohem Her:
zen, blieb an Licht und Sonne, grub den
9(der und ftreute bie Saat, Iebte mit Pflanze
und Gier und wartete geruhig, dak Gott
jegnete mit wenig oder mit viel.
Über drei Bodenwellen wanderte Karl
Asmus und fand fein Plakden zur Raft,
aber hinter der vierten wurde das Land all:
máblid) grün, der Nebel wich, ein Wäldchen lag
jeitwärts.. Hügelan ging ein Pfad über einen
Anger und nicht lange, fo lag Karl Asmus
unter Birfen und Buchen. Ein Wajferden
verjiderte im Moos, blintte bald hier, bald
ba und plätjcherte weiter unten im grünen
Gero. Karl Asmus jchöpfte mit der hohlen
Hand; tranfund war froh, daß er ben beſchwer—
lihen Marjch hinter fid) hatte und am Abend
den Rhein jehen Tote, Zwar waren es
nod) vier Stunden, reichlich), wie fie ber
Buds mipt, aber bas wollte er ſchon jchaf:
fen, denn feine Füße hatten das Laufen
gelernt. Wenn einer Durch Deutjchland ging,
wurden Die Sohlen wie Schweinsleder, und
es tat ihnen nichts mehr weh, fein Stein und
fein Nagel im Schuh. Und wie das Moos:
wäjjerchen neben ibm riejelte und ein Bogel
anbub in den Birken und die Bienen flogen
und Rajcheln und Zirpen um ihn war von dem
heimlichen Leben im Gras, da vergaß er,
daß er in der Fremde war. Die Flöte rief
aus bem Ranzen und wollte gejpielt fein,
Karl Asmus nahm fie an die Lippen und
blies, und es mußte alles hinaus, was ihm das
Herz bewegte, denn eine Quelle will ſprin—
gen, und feiner Tonn fie vermauern. Da
ſchrak er aus feinen Gedanfen, wie eine dinne
Stimme fagte hinter ihm: „Ei fieh da, Brus
der, ba können wir einmal mitlammen dem
Herrgott und feinen Bäumen eins aufjpielen.“
Und indem er jid) umjab, jtanb da ein Mann:
lein, jo Dürr wie ein Schneider und zum Durch:
puften, hatte taum Fleiſch auf den Wangen;
das ſchwarze veridjlijjene 9tódlein war grau
von Staub, und aus dem Zipfel bing ein
Cadtud) jo rot wie ein Fliegenpilz. Che
Karl Asmus nod antwortete, halte er von
jeinem Rangel eine Beige, ftrid) und [timmte:
„Seht, |o mag es geben, blas, was Dir ge:
fällt, id) will den Bart jchon halten.“ Die
Beige ging neben der Flöte wie ein Mägd—
lein neben feinem Burden, fang und jprang,
nedte- und jdjmollte; es war ein Spiel an
bem Moosbächlein, daß bas Eichkätzchen oben
im Baum den Hals redte und die Obren
Ipißte, fih auf bie Vorderfüßchen legte und
nicht ein Harden rührte. Wher dann machte
der Bogen einen Hopjer und hub eine Weiſe
an, jo fremd und füß, als tame fie aus Dem
blauem Himmel. Karl Asmus ließ die Flöte
jinfen und tat wie das Eihhörnchen im Baum,
und bas Männlein [tanb da, hatte bie grauen
Augen voll Verzüdung. Endlich ließ bas
Männlein den Bogen finten, band ihn jamt
340 ([m:E3RXERREEGXEXEXeEXRE Johannes Höffner: d3434343€43432434 4343434343523
der Geige am Rangel auf bem Rüden feit,
jeufgte und fagte: „Ja, ja, bie Leute reden:
der Hannes, bas dürre Geigerlein, hat alles
verloren, Glüd und Liebe. Dem armen
Schluder tut es not, gebt ibm und füttert
ihn, daß der Wind ihn nicht umbläft. Bürjch:
lein, glaubjt du wohl, daß der Hannes rei:
cher ijf als fie alle und Speije bat, von der
jie nicht willen? Wenn einer aud) alles
verloren Bat, Gliid und Liebe, und nichts
ijt mehr für ihn da, ja, da jpielt fich einer
hinauf in bie Wolfen, wo Die Engel fin:
gen, und der liebe Herrgott fjelbjt ftredt die
Hand ous: Hannes, da mimm, Debt op:
ringer aus denn ein Pfennig und macht
Dod) bie Ceele fröhlich und jatt auf lange
Zeit.“
Karl Asmus ftand auf: „Das war ein
Spiel, bas vergißt einer nicht. Wenn meine
Flöte jo fingen wollte wie die Beige am
Rangel! Aber man muh zufrieden fein, und
jeder treibt es, |o gut wie er fann. Auch
bet meinem Gefpiel legt der Schmerz Wd
hin.” Das Männlein lachte: „Was weißt
du ſchon von Schmerz und Leid. Daga muf
einer älter fein. Und wenn es fommt —
Bürjchlein, Bürjchlein, du weißt nicht, wie
bas tut. Aber alsdann, es ijt fühler gewor-
den und man mag den Fuh wohl weiter:
jegen. Wohin willit du?“
„Nach Köln. Es ijt wohl nod ein Stüd
Dim, aber id) will es ſchon ſchaffen. Heut
abend muß id) nod) ben Rhein jeben, wie
die Sterne Darin ftehen.”
„Da Tonnen wir nod) mitjammen wan-
Dern über ein paar Hügel fort. Ich weiß
Wege abjetts bird) bie Felder, Darauf einer
Ichneller ans Ziel kommt, braudt nicht Staub
zu ſchlucken und hört bie Machteln jchlagen
und Dos Korn fingen.”
Sie tamen aus dem Wald, und bas Männ—
lein fragte: „Wo fommft du her?”
„Aus Bommerland, vom Meer.“
Das Männlein nidte.
„eo, Jo, aus Bommerland, vom Micer,
Tas ijt weit, und hier weiß feiner davon, Ans
Dieer, ans Meer, ja dahin war’ id) aud)
wohl gern gezogen und hätte mein Spiel:
zeug mögen von den Wellen lernen laffen
und vom Gturm. Ter Rhein, der Iddi
fein Waller dahin, den hält nimmermehr
einer auf; ja, wenn einer wäre, wie ber
Rhein. Aber ba liegt ber Knüppel beim
Hunde, id) hab's gewollt und bin über die
Berge gegangen, aber da ijt das Heimweh
gelommen und bat mich Devumgerijjen Do:
bin, wo mir alles begraben ijt. Ich Tonn
nimmer fort und bin wie eine Ziege am
Pflock. Wann willit du wieder heim?“
„In zwei Jahren oder dreien. Wenn id)
nenug gelehen habe von der Welt ober wenn
das Herz genug hat von der Fremde.”
„Und dann?”
„Ja, dann hänge id) einen goldenen
Schlüſſel über bie Tür, treibe bas Handwerf
und nehme, was tommt."
Tas Männlein rig ein Hälmchen vom
Wege und zerpflücte es.
„Ja, Bürjchlein, wer bas tann. Wer bei
der Stange bleiben fann und feiner Hantic=
rung. Die Arbeit ijt ein ftaubig Ding, und
das Herz wird darüber voller Spinnweben
in allen Rammern; ich hab’ mein Leben nicht
verlaufen mögen unter die Menichen; der
eine jo, der andere fo; ber eine mag fatt
werden von feinen Händen, der andere von
jeinen Liedern. Was joll fid) einer an Welt
und Menjchen halten? Da wird das Herz
alt und falt. Sn der großen Stadt, ba gebt
alles unter, was ein Menih vor den Tieren
voraus hat, und das Geld madt fie blind
und taub. Auf ber Pride über dem Rhein
möcht’ id) ftehen mit meiner Fiedel, Die
Saiten ftreichen und fingen laffen, was ge:
jungen fein will; drei Tage und drei Nächte
wollte ich ftehen und geigen, bis fie alle
famen, groß und fein."
Der Whendwind ging bird) bas Weizen:
feld, im Gras fiel der Tau und die Wad:
tel rief; fie "wanderten biigelauf, hügelab,
unb immer ſchöner ward das Land mit
Zielen und Breiten, Gebiijd und Wäldern,
und ein feuchter Wind webhte daher, der
fam vom Rhein.
Da Stand das Männlein [till und wies
mit der Hand in den Grund, wo ein Bad):
lein blinfte. „Dort mußt bu entlang, bis
bu auf bie große Straße fommit; bu fannit
den Meg nicht fehlen. Sch will drüben ins
Dorf; vielleicht daß einer da ijt, ber das
Spiel hören mag."
Damit trat er beijeite, ein Bujch nahm
ihn fort und banad) der Grund.
Karl Asmus wanderte bas Badlein ent:
lang, Darin bie Fiſche Ipielten und nad)
Mücken jprangen, fam auf die große Straße
und ſchritt aus, denn es fing an zu Ddunfeln,
und an dem matten Himmel ftanden jchon
hier und da Sterne wie blinfende Nadelipigen,
am Horizont hinter ihm ging ein Diijterer
Schein auf, aber nidt vom Abendrot. Tas
waren die Hochöfen im Bergland.
Als die Nacht vollends hereinbrad, fam
er in eine Stadt; die Laternen brannten,
und es war von dem Himmel und jeinen
Lichtern nichts zu jehen, jo breit machten
fie fid) mit ihrem faljchen Schein. Aber dann
ftand er auf ber Bride über dem Strom,
der war dunkler als bie die Dunfeljte Nacht,
die Sterne lagen auf feinem Grund wie
Lesser Deutſche Seele SZ Resse aset B41
Gold und Edellteine, er beugte ftd) weit über
Die [teinerne Briijtung und faltete bie Hände,
jo jehön war, was das Auge und die Seele
jab. Er hörte nicht bie Menſchen hinter fid)
wandeln und jhwaßen und lachen, thm war,
als zöge das Herz ihn nad unten und er
müßte hinunter in das majeltätijche Wogen
und Wallen und jtd) tragen laffen ins Dieer
und aus dem Meer wer weiß wohin.
Indem flopfte ihm einer auf die Schul:
ter, der hatte einen Hut auf jo jpi wie
ein 3uderbut und eine furze Tonpfetfe
zwiſchen den Zähnen, zwinferte ihn mit ein
Baar Schweinsäuglein an und fragte: „Welt
(hr op de Brüd üvvernachte? Werexkijert,
tünnen lid) Beicheid gewwe; meer wefje einen
goden Herbardh, et ftetht Pitter Mehlworm
om Scheld. Do famen meer löd hen. Do
tritt Ebr selte un 3’trinfe, bat well id meine,
lin Pitter Mehlworm, dat eh ein, de gitt
bat nich óperall."
Karl Asmus war froh, dak ibm einer
au einem Obdad) verhelfen wollte. Cie
gingen beide durd) zwei buntle Gajjen, ba
winfte am langen Urm ein Schild und im
Saternenjchein war zu lejen: Gajthaus zum
Lamm, und der Fremde fagte: „Is et nit
wobr? Dat ging Möt.”
Indem tat er die Tür auf, und ein Tunft
von Tabat, Bier und Branntwein, Gejumme
und Gegröle wälzte fih heraus; an Tijden
und auf Bänfen Ropf an Kopf, der Qualnı
hing von der Dede wie Sofitten, und Hier
und dort [tano eine Lampe darin gleich dem
Mond im Novembernebel; Würfelbecher
flapperten, die Karten Hatjchten auf den
Tijd, und bie Glajer wurden auf die Bret-
ter gehauen, als wären fie aus Eiſen.
Hinter ber Tonbanf Donn Pitter Mehl—
worm, rund wie eine Tonne, die Zipfel:
miige [chief auf bem Ohr, bie Yirmel aufge:
trempelt und ein Biertuch hinter dem Schür—
zenlaß, legte die Hand über die Augen und
idjrie: ‚Marjagadergaß, wee ütt Denn do
övber de Schewille? Citt Ehr bat, Tiinnes?
Dat muß meer fage, wenn mer vom Deus
wel jprich, fibt mer finge Stöß.“
Der Tünnes greinte. „Bitter Michlworm,
hid bring id) Och en Wittſtock. Gitt et nod)
en Bett vör den Herrn Uanderburich ?”
„Datt well id) meine. Jumfer Drückchen
weerd em et zeige. Mat, Jumfer Drück—
hen?”
Aber Jungfer Drückhen, die Kellnerin,
die neben ihm ftand, ein derbes Menſch,
Hüften wie ein Brabanter Gaul, ein Gejid)t
jo rot wie Mohn, ftieR das Glas auf den
Ablauf, tat als hörte fie nicht und frie
über die Köpfe fort: „Wer fritt dat Bier?“
Einer griff Danad. Sie ſchlug ihm auf
die Finger. „Du nid), Hänneschen.
wed), et gitt jóns e Fimm.”
Tiinnes drüdte Karl Asmus auf einen
Stuhl in der Ede neben der Tür.
„No paßt eens op, wat gejpielt weed.“
Damit winfte er dem Wirt mit der
Hand.
„Dat is en eigentümpliche Gad); ich han
e Wood em Wertraue. Ehr wet, arbeide
móbt mer eigentlich gar fein Plafier nich.
Da de Arbeit erfunge hät, muß od) mal nix
anderjh zu tun gehatt ban. Et eB vör
Gott en Cdjanb, id ben no ald en ale
Knopp wode, un fon immer nod) fei Geld ver:
wahre. Dat Geldde weed all vergöd. Meer
geiht allesdurd be Dranaaap.“
„Scho god, Tünnes, ich ben bch nod) önt:
lid) en ber Knick. Hindeherum well meer daz
von repe."
Karl Asmus jak ba und mupte nicht,
wachte er ober träumte er. Der Raud
beizte ihm die Augen zu Tränen, und der
Fuſeldunſt machte ibm übel. Neben ibm
jaken drei Kerle, bie jahen aus wie Mord:
brenner, Tießen bie Flaſche freijen und fangen:
Ub' immer Treu und Redlicdteit
Bis an Dein fübles Grab,
Dann häß Do nix, dann trift bo nix,
Nimp keiner dir was ab.
Hinten aus der Ede jdrie einer: „Baas,
en Finkeljochen un en Schneiderfarpfen.“
Die Kellnerin brahte den Branntwein und
den Hering, [hob fih zwilchen ben Manns:
leuten durch, die fniffen [ie in die Hüften
und in die Arme, zwinferten und machten
ihr Zeichen, aber fie mudte und zuckte nicht,
Ihlug wohl mit der Hand nad) rechts und
linfs, wie man Fliegen abwehrt, und hielt
jie fid) mit wenig 3Jtübe vom Leibe.
Unter der Lampe in der Mitte hob fih
einer mit einer blauen Brille halb aus dem
Stuhl, machte mit dem Kopf ein Zeichen
nad) der Ede hin, wo Karl Asmus jah, und
rief einem Budligen am Fenjter zu: „Sit
ch et iipper Zid, Spet-Manes; lat den Freier
nich ut em Rojdott.” Der Budlige Donn
auf und zwängte fih zwilchen den Bänken
durch und fteuerte auf Karl Asmus zu, aber
Jungfer Drückchen walte daher, warf ihm
Hand
‚einen böjen 3Blid zu, ftellte ein Glas vor
Karl Asmus auf den Tijh und flüfterte ihm
ins Obr: „Dat is he nix vir fh. Madt
jih flick op de Cid. Kommt, ich will euch
euer Bett zeigen.“ Damit nahm fie ibn
beim Arm, lachte bem Budligen ins Gejicht
und führte Karl Asmus aus der Tür, über
den Flur, eine Treppe in die Höhe und eine
halbe, nahm die Flurlampe vom Ytagel und
[eud)tete ihm im ein Sunmerden und alin:
bete ihm ein Licht an. „Wohl zu ruben.
342 WEXEXEXEXEXRRTYRYEXGIIE:EE Johannes Höffner: BEZZA AAAA ZE ZAZA
Berwahrt Gud) die Tür gut. Da unten ijt
das nichts für einen, wie Ihr feid.”
CH B8
Die Treppenſtufen ächzten unter ihrem
Schritt; Karl Asmus jdjob den Riegel vor
und dankte Gott, dak er ans der Hölle war,
legte fid) in das blaugewiirfelte Bett, blies
das Licht aus, tat die Hände auf ber Bruft
übereinander, hörte eine Weile noch den
Lärm von unten wie ein Ternes 9Bajfer und
[lief ein, träumte dies und bas durchein—
ander, von dem Männlein mit der Geige,
vom Liinnes mit dem jpigen Hut, von dem
Budligen und Jungfer Driidden, und war
plöglich mitten in der Nacht wach und hell,
denn ein Jammer war im Dunkel und ein
Klagen, bas fam durch die dünne Wand
neben feinem Bett und hörte nicht auf: „Ach,
wär id) daheim geblieben, fie wäre nicht
geftorben.” Und [o flagte es weiter und
fagte fein Herzeleid der Wand, und die Wand
jagte es Karl Asmus. Was mußte das für
ein Kummer fein: nicht wiederfinden, was
einer verlajjen hat und liebgehatt? Da war
wohl eine arme Geele zu tröjten mit ſüßen
Tönen, wie bas Männlein im Walde gejagt
hatte, daß einem damit fónnte der Himmel
aufgetan werden, Und er griff nad) dem
Ranzen zu feinen Füßen, nahm die Flöte
heraus und blies in der Dien Nacht fo
lanft unb weid), wie eine Mutter das Rind:
lein in der Wiege in den Schlummer fingen
mag, bis bas Weinen und Schluchzen neben:
an [till ward und ber Cdjlaf ibm das
Holz aus den Fingern nahm. Am Mor:
gen gudte er in die Stube, aber fie war
leer; ber Gommerwind fam burd) bie offenen
Fenſter, unb bie Gonne blinfte auf bem
eidjenen Tijd, unb es war nichts zu merten,
daß Dier vor wenig Stunden ein Menſchen—
find vor Weh hätte vergehen mögen. Alle
Vögel waren [djon ausgeflogen, nad) Futter
oder nad) Raub, je nad)bent ihre Natur war,
unb aus der Wirtsftube fam ein Gingen, Jo
tief wie von einer Mannesjtimme: bas war
Jungfer Driidden, die |djeuerte Tifde und
machte fid) bie Arbeit leicht und Tur,
„Ein jedes Ding 30 finger Bic,
De Arbeit un de Freud,
Dann bliew mer od) op fingem Sic
Trog allem Krüß un Leid,
Wat nog mid) all et Geld op Hauf,
Wann et Gemöt bedröd,
Weer ban, wat meer för Geld nit läuf:
Te Frubjenn cf us (Glod:
Gebiirftet und ſchmuck, als tate er ben
erfien Schritt in die Fremde, den Hut ein
wenig auf dem Ohr, die €infe am Ranzen
und in der Rechten ben Stod, wollte Karl
Asmus in den hellen Tag; bod) ba ftand
Jungfer Drücken in der Tür, [temmte die
Arme in die Seite und [af ihn liftig an:
„No, Reih: Junge, wat gitt et zom Abjchied ?^
Und ehe er wußte, wie ihm geſchah, Hatte
fie ihn in den Armen und gab ihm einen
Sdmag, dak ihm der Odem wegblieb, drehte
ihn in bie Sonne vor dem Haus, ftampfte
wieder an die Arbeit unb fang zum SFeniter
hinaus, daß Karl Asmus es noch an der
Ede hörte:
„Dat wat meer Köljhen eigen han,
Dat fingt meer anderjch nit,
Weil feiner fid) erzwinge tan,
Wat im Geblót uns litt.“
Ja, bas rDeinijdje Blut. Das fod)t im:
mer wie bie Trauben in ber Sonnenglut;
es mag Sommer fein oder Winter, es ilt
immer ein Wallen und Sieden und läßt ſich
nicht dämpfen und jchlägt hinaus, wie es
will, mit Feuer und Flamme, aber das Herz
wird dabei nicht verzehrt und bleibt heil;
und jung bis auf die alten Tage.
Karl Asmus fühlte den Rug auf den
Lippen brennen wie Pfeffer, denn das Drüd:
den hatte Zähne wie cin Eber und brad)
wohl einen Ochſen bie Knochen im Leibe
entzwei, wenn es mochte. Wollte cincr vor
ihrer Liebe beftehen, ber mußte ein Kerl fein
wie der Holländer Michel, feds Ellen und
eine Hand breit, oder fonjt einer, wie fie in
Den Schaubuden fid) jehen ließen, mit cifer:
nen Kugeln jpielten wie mit Bällen und auf
deren Armen die Muskeln ftanden wie Berg
und Tal. Und jo war er mit einemmal
wieder bei dem Zeislein und ihren heimlichen
Riiffen, die waren gemejen wie ein Rojen:
blatt und hatten bod) gebrannt bis tief ins
Herz, und ihre Narben vergingen nicht; wie
eine Feder war fie in feinem Arm gelegen,
die ein Lüftlein wegtragen mag, und dod)
[o ſchwer, als tónnte fein Sturm fie fort:
reißen. Er wußte nid;t, wie es fam und
ibm gejchah, daß gerade jekt das Beis-
lein in jeinem Ginn ftand, als wäre es
lebendig und ginge neben ihm unter den
alten Häujern der Gajjen; unb es ftad ibm
in ber Bruft, daß er die Liebe hatte am
Wege jteben laffen und ausge/dlagen, was
ibm an Ciipigteit gugedadt gewejen war.
Inden bog er aus dem Gewinfel, da
[tanb ber Dom vor ihm, und feine Augen flet:
terten und [prangen von Turm zu Turm,
blieben an ben Gefimjen und Kreuzblumen
hängen, wie Schwalben, und je näher er
kam, um ſo ſchwerer ward ihm in der Seele,
als ginge er unter einer Wolke, darein der
Blig fahren will. Da er hineintrat durch bas
Tor, verjchlug esihm ben Atem, daß erin einen
verzauberten Wald gefommen wäre, darin:
nen Die jteinernen Bäume in den Himmel
wuchſen; es ftanden überall in den Bogen
EES
und Nifhen Männer und Frauen, als wären
jie verzaubert und warteten, Daß einer bas
Wort jprádje und den Bann aerrijfe und fie
wieder Fleijd) und Blut gewonnen, hinab:
ftetgen fónnten und wandeln, wohin fie
wollten. AN die Wunder und Gebeimniije
ringsum [ab einer wohl niht ab in Wo-
den und Jahren, und das Herz erbebte,
die Erde fonnte den Bau nicht tragen und
er müßte zufammenftürzen mit Rraden, daß
fein Stein auf dem andern blieb. Ja, wenn
die Cáulen alles hätten allein tragen follen!
Aber ba trug der Geiff und die Hunt ber
fBauleute, die alles erjonnen und errechnet
hatten, daß fein Steinlein fid) rühren durfte
unb bie Schlußfteine in ben Bewölben alles
bielten wie Gottes Hand bas Himmels:
gewölbe und alles, was barinnen ijt. Daß
den armen Menjchen gegeben war, jo Herr:
liches zu bauen. Karl Asmus war Au:
mute, als müßte er die Schuhe von den
Füßen ziehen, und ob er anf den Zehen:
ſpitzen ging, ballte es bod) wieder von oben
und allen Seiten, als gingen viele mit ihm.
Welt und Zeit [tanb draußen vor den hellen
Portalen; es fonnte einer wohl vergeilen,
bafj er ein Menſch war. Fremde famen, ein:
zeln und in Gruppen, hatten Bücher in der
Hand, fajen und ftanden und [djwabten wie
auf der Gaffe; und Führer im roten Rod bete:
ten alles her wie im Schlaf, waseinerim Dont
gejehen haben mußte, und bie Menjchen Jahen
dod über all dem nichts. „Hier, unter dieler
Schieferplatte ift bas Herz der Königin
Maria de’ Medici von Frankreich beigejeßt,
fie bat...” Karl Asmus hinter der Säule
fah durch den Stein wie durch Glas. Cin
Herz, ein Menjchenherz unter dem Stein!
Wer dadte bas aus? Das hatte aud ein:
mal [o warm im Bujen geichlagen, alle
Schmerzen gefühlt und alle Leiden, und lag
nun bier; die Menjchen gingen darüber
bin und wußten nicht, was das bedeutet:
ein Herz unter einem Stein. Indem fagte
eine zarte Stimme: , Gud’ nur, den Beicht:
ftuhl. Hier fann man die Günden loswer:
den, und wären fie wie Gand am Meer.”
Ein Mann lahte und antwortete: „Frei:
Dë, Shag, aber wir wollen es nur halten
wie bisher; man muß fein eigener Priefter
fein, Das maht bas Leben leicht und ver:
gällt einem nicht bie Welt.” Da zitterte
Karl Asmus am ganzen Leib und fakte nad)
der Säule, denn bie ba jprad), die ſprach
wie bas Zeislein, bas war bas Zeislein,
das Zeislein hinter dem Gtein. Und wie
die Gedanfen in jeinem Kopf wirbelten und
die Gefühle im Herzen, gingen die beiden
an ihm vorüber, modijch und gedenbaft ge»
leidet; bas Mädchen, ein totes Lächeln auf
SS Teuntje Seele BSSSSE:3333333I 343
den Lippen, Jah mit einem leeren Blid iu
jeine fragenden und erfdjrodenen Augen,
und er [tanb jo ftarr wie bie grauen Männer
in Den Niſchen; er wollte rufen: ‚Zeiss
lein, but du’s, oder bift bu's nicht,‘ aber er
fonnte nicht. Die Stimme war wohl des
Zeisleins Stimme, und der Gang war wohl
des Zeisleins Bang, aber fie war größer
und trug Kleider, wie fie Das Zeislein nim:
mer getragen hatte und in den Ohren ett
Gehänge, bas bligte wie Sterne in ber Win:
ternadt; das Zeislein hatte eine Haut zart
wie Lilien und Narzilfen, aber hier blühten
die Wangen wie dunkle Rofen, und die Farbe
Honn [till, wuchs und fiel nicht und war wie
auf einem Bild. Die Augen waren wohl
des Zeisleins Augen, aber fie ftanden im
Antlitz, als wären fie eingejeßt; es lag eii
Ihwarzer Schatten darüber und ein bláu-
licher darunter, bas mochte feiner anjeben.
‚Nein,‘ ſagte er bei fid) felbjt, Gott fei gc-
dankt und gelobt, bas ift das Zeislein nicht,‘
und dod) Hatte er furz zuvor gezittert und
gebebt vor Shred und Freude, daß fie neben
ibm ftehen könnte,
Aber es war bas Zeislein bod).
Es war mit dem Zeislein gegangen
wie mit einer Blume, die am Wege jteht
und wartet, die Farben jpielen läßt und die
Augen wendet, ftrakauf, ftraßab, und gebro:
chen fein will. Da geht einer vorbei, und
bie 3Brujt wird ibm fo felig vor all der
Schönheit, die da lacht, er möchte nichts lieber
tun, als die Hand aus[treden und nehmen,
was ihm blüht, aber er bringt es nicht übers
Herz, Denn die Echeu vor dem heiligen £e:
ben ijt zu groß, und er meint, was Gott fo
wadjen läßt, darf ein Menjd) das töten?
Aber ein andrer fommt daher, der Dat ein
Herz wie ein Raubtier und dürftet nad)
Reben, hat Gedanfen wie ein Teufel, ber
nimmt, was er findet, und fragt nicht Bott
nod) Gewijjen. Und wenn die Blatter fall
geworden find und welf, wirft er das Blüm:
lein fort, in den Staub, auf den Weg;
fein Regen und Tau macht es wieder frijd)
und lebendig, Füfe und Rader und Nägel
gehen drüber hin, und es ift alles vorbei,
es wäre denn, daß ein mitleidiges Herz es
lähe und fände und mit fic) nähme, ob es.
im Glale noch einmal zu fid) fame und Wur:
gel jhlüge und ein Wunder an ibm gejchähe.
Was Karl Asmus zu heilig gewejen mar,
das hatte alsbald ein anderer an fich ge:
rijjen, und bas Zeislein hatte ihm nicht ge»
wehrt. Co war fie cinem Liebhaber zuge:
fallen, fuhr mit ihm durch bie Welt und
tranf bas Leben, als wäre es umfonft. Und
da es nirgends merfwiirdiger zugeht als auf
diefer Erde, fo mußte fie im Dom zu Köln
344 im:m39::3:930:—:9393:9: Johannes Höffner: ICH ZZ —
an Karl Asmus vorbei, der hinter der Säule
tand wie ein Wegweijer zur Umfehr, aber
fie fannte ihn nicht und lief weiter, wohin
Herz und Blut fie trieben, und trug ihren leih:
ten Sinn dahin, ber drüdte fie nicht; fie
war wie bie meijten: eine Lajt auf jid) neh:
men, wer mag das gern?
8 8
Welche Welt war ſchöner, die drinnen im
Dom oder die draußen mit ihrem hellen
Sonnenſchein und dem blauen Himmel und
ber wehenden Luft? Das fonnte feiner
jagen. Der Menſch braucht beides, jteht
mitten brin gwijden Natur und Kunſt, zwi:
iden der Runft Gottes und der Runjt der
Menſchen, tut einen Atemzug bald aus die-
jem Reid) und bald aus jenem, ijt wie ein
Tijd) im Waffer, ber nad) oben muß und
Luft ſchnappen, wie der Vogel in der Luft,
ber auch wieder auf bie Erde muß und fann
nicht immer oben bleiben. Jedes zu feiner
Zeit. So nahm Karl Asmus den Weg
wieder unter feine Füße, fragte fih durch
von Gaffe zu Gaffe, bis er zum Layjtapel
fam, daß er mit dem Dampfboot rhein:
auf führe und vor Abend mod) bas
Haus jähe, wie Mteijter Bolduan es ihm
bejdrieben hatte: wenn man hineinfommt
vom Mäujeturm Der im Bingerlod, an den
Briiden vorbei, zur Linten den Hang hin:
auf, fteht ein Haus im Grünen, und Rofen
blühen an den weißen Wänden und ein
goldener Sclüjfel ſchwingt über der Tür.
Das mußte wohl jdón fein, ein Haus
wie aus einer Spielzeugſchachtel. Er jebte
Hd) aufs Geländer und blidte in das ſchie—
Benbe Waller, und es war, als führe er
ihon dahin, mit feinen Gedanfen vorauf.
Schiffe famen und gingen, bradten ihre
Laft zu Berg oder zu Tal. Dampfpfeifen
idrien und Menſchen, ein dider Dunjt lag
auf dem trüben Wajjer, blau und grün Frou:
felten Ölfelder dahin, und der jtol3e Strom
mußte alles leiden, was die Menſchen woll-
ten, und im Sod gehen, ob er jchon frei
geboren war. Uber ein- und zweimal im
Jahr fam feine Zeit, da er gegen Menſchen—
werf und Dienjchenfnechtichaft losbrad, bal
alle inne würden, die Knechtichaft hatte feine
Kraft nicht gebrochen, und was er trüge,
trüge er freiwillig; wenn er wollte, fónnte
er fid frei maden für alle Ewigfeit.
Indem fdnaujte das Dampfboot heran
wie ein Menſch, ber zu [hnel gelaufen ijt
und dem Der Atem Tunn ward. Miele
Menjchen waren auf Deck, belle Kleider und
bunte Mützen, Laden und Singen und eitel
flbermut. Karl Asmus hatte Mühe, ein
Plätzchen zu finden, eng und jchmußig, zwi:
chen Fällern und Stückgut, aber am Vor—
derjteven mit freiem Blid auf die Fahrt.
Und als bie legten Haujer dahinten geblie:
ben waren, meinte er, er führe ganz allein
auf bem Shiff hinein in die grünen Berge
zur Nechten und zur Linfen. Schlöſſer,
Burgen, Klöjter wanderten hod) oben vor:
bei, wie Ritter unb Bilchöfe; er ftüßte
den Arm auf das Felletjen neben fih, Ieate
den Kopf in bie Doble Hand, badjte an nichts
und wußte nur, dah nichts jdjóner wäre als
die Welt.
Die Wellen rannen unter dem Kiel fort,
und Die Beit mit ihnen; die Sonne rollte
ihon auf den Bergen entlang wie ein gol-
dener Apfel und wollte ins Tal fallen, da
legte das Shiff in Afmannshaujen an.
Karl Asmus ging über den Steg und wollte
durch Die Berge auf Rüdesheim zu Fuß,
denn ein rechter Gejelle mußte gewandert
fommen, und wenn es aud) nur die leßte
Strede war. Als er durch ben Ort war,
an der Kirche vorbei und an einem Wirts:
Haus, drinnen es laut und Fröhlich Deraiua
mit Singen und Lachen, ftand er am Weijer
und las: nad) 9tübesbeim, und las das
Wort mit joviel Zärtlichkeit, als wieje es
ihn in feine Heimat am Meer. Dort war
nun wohl feines Bleibens den Sommer lang
— und ein Sommer am Rhein, was fonnte
die Geele fid) bejjeres wiinjden. Das Herz
war heiß vor Glüd und der Wald jo kühl;
die Drojjeln Ichlugen im Laub, vor dem
einer den Himmel nicht Jab, fein Lüftchen
jtrid), und es regte fih fein Blatt. Der
Weg lief bergauf, bergab, und in den Grün:
den war ein Duft von fremden Kräutern,
jo ſüß und Wort, daß einer trunlen werden
fonnte. Blumen blühten aur Rechten und
zur Linfen und tief hinein in die Dam-
merung, |o weit das Auge reichte, rot und
blau und gelb, und leuchteten, als hätten
He vom Regenbogen getrunfen und wären
lauter Licht. Ein Reh ditate aus dem Dun:
fel hinter einem Buſch, hatte ein Glodlein
um den Hals an einem Band jo rot wie
Blut, und wenn es den Kopf wandte, län:
tete es, als flige ein Grashalm gegen
einen gläjernen Becher. Turteltauben riefen
und flagten wie verzauberte Menſchen, Tran-
rigleit flog daher wie Eulen, bie teiner hört,
und das Herz in ber Brutt ftand jtill vor
den Geheimniſſen, bie ringsum im Bann
lagen und erlöjt fein wollten. Karl Ws:
mus Dachte: Wie war bas Dun? Wann
haft bu das gehört? Wann but bu durd)
Jolden Wald qefommen? Und da war feine
Seele wieder bet bem Zeislein und in der
Macht, da fie im Garten neben ihm gejejjen
hatte. Er mochte wandern, wo er wollte,
das Zeislein fah ihm immer wieder am Wea.
Bildnis einer türtifhen Dame
Gemälde von Prof. Hugo Freiherrn von Habermann
ÜSSSSHEHSHEHSHEUESCHTIEHSSSHEIEHEN Deutidhe Seele PEKAK] 345
Indem [idjtete fid) der Wald und tat fih
auf wie bie Wolfen, wenn das Wetter
vorüber ijt; bird) bas jchimmernde Web:
gelände ging es in das veildenfarbene Tal,
aus bem das AUbendläuten fam, und da er
Derumbog, lag das Städtchen vor ihm und
der Rhein; zur Linfen aufwärts am Hang
jab er ein weißes Häuschen mitten im Garten,
mit Ranfen überzogen, und ein goldener
Schlüſſel blinfte tn einem legten Sonnenftrabl.
Nicht lange, jo brüdte er bas hölzerne Pfört:
lein auf, ba jtand eine Frau vor ihm und
ichnitt von den Rofen auf den Beeten am
Steig weiße und rote, nidie ihm zu, als
hätte fie auf ihn gewartet. Karl Asmus hielt
den Hut in den Händen, meinte, das müßte
gewiß bas 9inndjen fein, bas er von Meiiter
Bolduan grüßen follte, bejtellte, was ihm
aufgetragen war, und fragte um Arbeit
Die Frau ward blab und rot, und wie bas.
Blut auf ihren zarten Wangen jpielte, tat
[ie Die Schere nieder, Jah ibn lange an und
dann in die Weite über den dunklen Strom.
„Bon Meilter Bolduan? Ta, bas ijt mand)
Sährlein her, und viele Rofen find verblüht
leitbem, und ein neuer Ctod ijt um das
Haus gewadjen. Alſo er lebt nod)? Ich
hätte geglaubt, er wäre geftorben. Komm
ins Haus. Der Mieijter ijf unten im Ort
und wird bald wieder ba fein. Du wirft
bleiben Tonnen, denn uns fehlt ein Gefelle,
und die Arbeit drängt.“ Als er am Tijd
jag bei einem Echoppen Wein, mußte er
erzählen, und bie Dieilterin fragte bald dies
bald bas, ob der Meiſter Kinder habe und
was für eine Frau, ob er nod) jo luftig jet
und jánge, denn damals hätte er alle Ars
beit mit Juchhet getan und eine Stimme
gehabt, jo Dell wie ein Hammerjdhlag und
eine Trompete, hätte geichafit für zehn, und
ihr Bater hätte ihn mit Kummer ziehen
laffen. Dabei jeufzte fie, denn ihr war es
am meilten ans Herz gegangen, als er auf:
jagte und davonzog, und fie hatte geglaubt,
He fónne nie wieder froh werden ihr Leben
lang. Wd), bas Herz war fo tief wie der
Rhein, da fant viel in bte Tiefe, bas mehr
wert war als das ganze Leben. Da glaubte
einer wohl, da ruht es bis an ben Jüngiten
Tag und fommt nimmer wieder hinauf.
Und nun fam ein Wanderburjch Daher und
iprad) ein Wort, und alles war wieder da!
Ach, es war eine unbarmberzige Welt! Gie
ging hinaus. „Sch will jehen, ob der Mei:
iter jhon auf dem Wege iit."
(ine Laube mar gwijden den Gemiije-
beeten, dicht umzogen von Wein und blij-
hendem Geifblatt, es fonnte fein Auge hin:
durchlehen und fein Gonnenjtrabl, bie haud)te
am Abend einen ſüßen Opferduft, und dare
Melbagen E Klajings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2. 91b.
innen jah die Tochter, 9innd)en geheißen wie
die Mutter, und jchälte Erbjen aus für den
andern Tag. Da rief fie hinein: „Es ijt ein
rember im Haus, ein Gefelle aus Pom:
merland, der bleibt zur Nacht, daß du es
weißt und alles richten magit," ging bird)
die Beete hin, fegte [id) auf die fteinerne
Bant neben einem rinnenden SBajjer und
jab ins Tal. Wher es war nidjt um den
Mann, dak fie bie Augen auf den weißen
Weg ſchickte, fondern um ihr Herz. Wo
bie Biegung war, bet dem wilden Apfel-
baum, ftand Albert Bolduan, jdjaute fidh
um zum leßtenmal und |djwenfte den Hut,
und die Rebjticde nahmen ihn fort, aber fein
Singen war nod) in der Luft: Wde nun, ihr
Sieben, gejchieden muß fein.
Dak ein Bater bas eigene Kind um fein
Glüd bringen tann. Nicht mit Ablicht und
Willen, aus lauter Sorge und Liebe. Ein
Wort ijt bald heraus, und feiner fann es
wieder holen und ins Herz |perren, ob er
auch Leid trägt immerdar. (Gin Wort aus
dem Mund ijt wie ein Schwert aus Der
Scheide, fährt und weiß nicht wohin, ſchnei—
det und weiß nicht was. Es war an einem
Sonntagabend nad dem Effen gewejen.
Der Bater legte das Mieffer bin, jah [ie
eine Weile an und bann den Bejellen und
jagte: „Ja, bas Yinnden, das ijt wie ein
$jaud), und wer fie nimmt, mag bald ein
Witwer fein. Es wird mit ihr nichts ane
deres als mit ihrer Mutter. Nicht fiir jedes
Ding geht bie Ehe ins Himmelreich.“ Und
Albert Bolduan wurde blaß wie der Kalt
an der Wand. „Meilter, alsdann jo würde
einer ein Mörder, wenn er bas Annchen
nimmt.“ Damit ftand er auf und ging hin:
aus an den Rhein, und ein paar Tage da:
nad) war alles vorbei und gewejen. Biele
Woden Hatte fie gejejjem, den Weg Dm:
abgejehen wie Deut und gemeint, er miijfe
Daherfommen und fie holen, an die Brut
nehmen und jagen, daß ihm alles gleich fei
und eine furze Geltgfeit beffer als feine;
und wenn es nicht anders hätte jein fónnen,
jie wäre gern gejtorben in feinen Armen;
bas Glíüd wäre nicht zu tener bezahlt ge: `
wejen. Aber als er nicht fam, ein Jahr
nicht und zwei, hatte ber Lufas angeflopft
und nicht gefragt, ob fie zu zart jet für
Hochzeit und Kinderkriegen, hatte fie genom-
men, nüchtern und überleglam: „Das wird
fid) meijen.^ Und ber Bater Hatte feinen
Segen gegeben, tenn der Lufas war nicht
von [o breiter und Hhandfelter Statur wie
ber Pommer und mochte mit dem Ynnden
wohl fdonjam Handeln. Freilich, um ein
Haar wäre fie im Kindbett geblieben, ihr
Leben Ding nur nod) an einem dünnen Fäd—
23
346 le::—3—:9393939:9:9:9:93:-] Johannes Höffner: PARAK SSI
den, und ihre Seele war jchon auf dem
Wege zur ewigen Celigfeit; aber es rief fie
einer nod) einmal aurüd, Honn am Weijer
und Jdwenfte den Hut und fang vom Wie:
derjehen. Bei Licht gejehen, tonnte fie wohl
zufrieden fein. Der Lufas war ein ftiller,
braver Mann, fein Trinfer und fein Faulen-
zer, ließ nichts verfallen vom Erbteil und
mebrte mit Bedat. Er trug cs wohl jchwer,
daß fein Erbe ins Haus fam und bas Ann—
den bas einzige Kind blieb; aber daran
war nichts zu ändern, und es mußte fid)
einer damit abfinden. Rofen blühten um
das Haus, aber drinnen ging es gerubjam
zu, es tat jeder Das Geine und es fielen nicht
viele Worte. Aber um die Feniter ftrich ein
Warten und jah ins Land.
& 88 E
Die Meijterin legte bie Hand über die
Augen, und da fie den Mann tommen fah,
langlam und bedadtig den Pfad Hinanitei-
gend, ging fie Durd) bas Hinterpförtchen
ihm entgegen, thn zu bereden, der fremde
Gejelle müßte bleiben, denn fie wollte ihr
Herz nod) einmal tranfen aus dem Jüßen
Becher ber Vergangenheit und von ihrer
Jugend leben, ehe das Alter fam und ber
Abend.
Der Mann blies bebádjtig ben Pfeifen:
rauch in die Luft, ftieR den Ctod ins Gras
und Jagte aus dem trodenen Mundwintel:
„Nit glei, Wnnde, nit glei. (Grjdjt emal
anjebe. Mer barfs Kagel nit em Sad
faafe.” Aber Karl Asmus gefiel ibm. Er
jah ihn lange mit feinen grauen Augen an,
ob er feinen Slid aushielte ohne Flackern
und Unruhe, ging um ibn herum zweimal
und dreimal und bejah ihn von vorne und
hinten. Danach legte er ben Stod auf den
Zuch und bie Miike dazu, tat die Pfeife
aus dem Mund und reichte ibm die Hand.
„Du bilcht nit unewe, und mer wolle nit
knauſchele. Als du bleibjcht.“ Danad brachte
er ibn über die Flur in bie Merkitatt, daß
er jabe, wo er arbeiten jollte und mit wem
Der Schwarze mit einer Stirn wie ein Breit
und einer Naſe wie eine Zwiebel, bas war
der Heiner aus Solothurn, ber ſchlug ihm auf
die Schulter, als flige er auf einen Am:
boß: es würde ibn nicht gereuen, denn hier
lebte ner wie Gott in Frankreich, und die
Madden wären nid)t |pröde, und es zierte fid)
feine, aber freilich, es müßte einer verjtehen
und Danach fein. Dabei Iniif er bas Auge
ein und Ichielte hinüber zu dem Blonden,
Dem Friedel, ber faum den Kopf hob und
Karl Asmus miptrauijd) zunidte, denn er
war wie Der Wieijter und ging um alle
Dinge herum, ob fie aud) wären, wie fie
Jdienen; er war langjam mit Worten, hielt
jeine Gedanfen feft in bem Im alen Schä-
bel und ließ nichts fremdes an fid) heran.
Hatte bie Sonne den Heiner braun gebrannt
bis auf ben fturen Naden, |o hatte fie den
Friedel nur getüpfelt mit feinen Sommer:
Iprofjen. Und ob er vom Rhein war, aus
Badarad, hatte er bod) ein jchweres Ge-
blüt und war ein tiefes 9Bajfer. Das war
dem Heiner, bem [ujtigen Bruder, ber Die
Blumen brad, wo fie wuchjen, und fid) nicht
herumjdlug mit Wenn und Aber und Ob
und Vielleicht ein gefundenes Frejjen, wenn
er ftiheln und höhnen fonnte, dah dem
Friedel der Kopf rot ward und er Dod) fein
Wort berausbrad)te und [till hielt wie ein
Schaf der Schere. Und da fie zum Abend:
effen um den Tijd jaBen und in bie Schüjlel
tunften, ward es Karl Asmus flar, was
der Heiner gemeint hatte. Denn das mußte
ein Blinder fehen, wie es mit dem Friedel
Honn. Denn wenn er aud bie Nafe über bem
Teller hatte, gingen die Augen dod von
unten auf zu Yinnden, auf der andern Seite
neben der Mutter, ob ein Blid dabherfame.
Wher das Yinnden war wie ein Bild in der
Kirche, als wüßte fie nicht, wie hübſch fie
wäre; bie Wangen waren wie Milh und
Blut, und die braunen Flechten lagen thr
um den Kopf, wie der Maria die Krone.
Karl Asmus dadte: ‚Das ijt nicht zu
verwundern, daß Meijter Bolduan fein Herz
bier gelajjen hat, wenn die Mutter gewejen
ijt wie bie Tochter.‘ Es ging jtill ber bei
der Mahlzeit, ein paar Worte vom Meiiter,
ein paar Geufzer von der Meijterin, Die
mit ihrer Geele weit fort war, ein paar
Fragen vom Annchen, ein wenig lojes Ge:
rede vom Heiner nach Eulenjpiegelart: „Dö
Fuchs nimmt d Hiiener i fyr Nochberſchaft
nit“ — das war alles.
Als fie gegellen hatten und fatt waren,
ebte fid Meiſter €ufas an das eichene
Pult am Fenjter, Rehnung zu tun, dak
nichts verjáumt würde und alles nad:
qewicjen wäre auf Heller und Pfennig im
Beihäft unb im Haushalt; die Meijterin
hantierte in Küche und Rammer, bas Änn:
chen ging in Den Garten, die Schneden vom
Galat zu lejen, und der Friedel hinterher.
Gr trug Wajjer vom Brunnentrog, darin die
Bergquelle rann, und goß die Beete auf und
nieder. Aber ba er die Augen bald redts
bald linfs hatte, wo gerade das Annchen
war und ein Kleid blinfte, lief manche Kanne
auf ben Weg, und der Heiner, ber mit Karl
Asmus auf dem Goller vor der Türe ftand,
die Hände in den Hojentajchen Hatte und
mit den legten Grojden vom verjuxten Wo:
chenlohn Himperte, Jıhlug ein Lachen auf
und rief thm zu: „Drüber und dernebe geht
SSSSSSSSSS SS TS SS SSS TSS SS TEEN Deutjhe Seele III 3 3373837373733 331 347
pil. Meinicht a: e hölzige Bueb (di e quil:
diges SUleitidje wert.“ Wher ber Friedel legte
die Ohren an den Kopf, tat, als höre er
nichts, und glupte nur nach hinten, ob nicht
etwa das Annchen bie lofe Redensart er:
wijdt hätte, und da er fie fern hinter ben
Büſchen jab, machte es ihm fein Herzeleid.
fiber den Berg fam blak und iibernadtig
der Mond in den Abend, der nod fo hell
war wie ber Tag und feines Lichts bedurfte.
Der Heiner gähnte, redte Arme und Schul:
tern wie ein Rater, der vom Heuboden fommt,
denn er war rechtichaffen müde, weniger
von ber Arbeit als von dem Abend vor:
her, ba er fid) in Mandel auf der Höhe ge:
fahrlid) übernommen hatte, denn bie To:
jepha hatte ibm anfgetijdt, Wein und Bra:
ten; Herz was begehrit du. (Cie meinte, wenn
eine nur den Mannsleuten den Wanjt füllte,
würden fie nimmer der Liebe Jatt; fie hatte [don
zwei Männer unter bie Erde gebradjt, den
Nifolo mit der Liebe und den Hambojdt
mit Freſſen, und war nod nicht zwanzig.
Dod der Heiner nahm es mit ihr auf, im
(fien unb in der Liebe, nahm ber Tage
wahr, dadte: ‚Ma fa der Löffel licht us
bó Hand gä, wenn mer g'nueg gälle Det,
und wollte ihr [don ein Schnippden ſchla—
gen, daß fie den Schnabel am Boden ab:
wiſchen follte wie die Hühner.
Er gähnte nod) einmal aus Leibesträften
und fagte zu Karl Asmus: „So, Karli, ijd)
Rit. Früeh is Bett unb [pot auf, iih alle
fule Lüte Bruh. Kummſcht au aufi?”
Das Bejellenftübchen lag oben im Giebel,
jah nad Abend und auf den Rhein, Rofen
ranften in bas jyen[ter, und jpäte Bienen
jummten in dem füßen Duft. Drei Betten
ftanden Darin, an jeder Wand eins, über
jedem ein Heiligenbild, und vor jedem ein
Stuhl, in der Mitte ein Tijd, fo weiß ge:
jcheuert wie Linnen, zur Ceite neben Der
Tür ein Cdjranf mit Herzen und Blumen
blau und rot bemalt, und auf der anderen
Seite bas Wajchzeug. Alles war fo blint
und blanf und nirgends ein GStäubchen;
jo war das ganze Haus bis in den lebten
Winfel, und einer konnte gleich leben, wie
es in den Herzen ausſah, die hier alles in»
jtand hielten. Wan hätte wohl meinen
jolen, daß vor joviel Sauberkeit alle unrein:
lichen Gedanken hätten babinjabren miijjen,
daß einer Jo voll Einfalt ward wie der jtille
Friedel, aber dem Heiner wollte trog allem
die Hike nicht aus dem Geblüt. Lenn
Meiiter Lufas ihm in bie Seele redete, weil
es ibm leid war um ihn, denn er verjtand
jeine Arbeit, zog er bie Naje fraus und
lachte: „Wenn der Diifel alt und miümp:
felmögig (d, fo will er Waldbrueder werde.
Me rupit be Gans, wo Federe het.” Da
war nichts zu machen, und die Jugend mußte
man austoben lajjen.
Indem der Heiner die Kleider abtat, erzählte
er, wie es tm Haufe zuginge, daß fie allejamt
wären wie die Heiligen, aber wenn es aud)
aus[djaute, als wären die Seelen fo flar wie
das Waller vom Berge, wenn eine Hand
voll Dred bineinfiele, wurde es fo flatrig
wie Tümpelwajfer. „Rärli, i fag, glaubjd)
oder glaubjd) nit, der Wolf frit bie zeich-
nete Schof au, und es fliigt fet Bogel jo
bód) er chunnt wieder abe, 's Läbe ifd, als
man uff der Sjebahn fahrt, fo fit man em
Diifel imme uffem Riigge. — Der Friedel und
das Yinneli — ja brönn fo gern as i bite,
aber’s Yinnelt brónnt nit, und der Friedel
iih en arme Diifel unb bett fet eigne Hell;
's iſch beffer wenig Gunjt, as e Sad voll
Gerechtigkeit, und Dred löſcht au Für.“
Er ftand hemdärmelig am Fenfter und
jah, wie der Friedel mit bem Waſſer daher:
feuchte, und rief hinab: „Brueder, me foll
nit 3’gäch i Haberbry byjje,“ unb es war
ungewiß, ob er das Waljertragen meinte
oder bas ?inndjen.
Der Friedel warf ihm einen bójen Blid
hinauf.
„Du Blunzen, wo bid) in an Tag fiebt,
lot ber in der Nacht gehn.“
Und der Heiner jdjlug vor Unbändigfeit
auf bas Fenfterbrett. Er pfefferte bie Hojen
auf den Stuhl und jprang in die Federn, daß
es fradjte, fragte nod): ,Rarli, was mein}d,
mer fi [ujdjtige Lüt,” aber Dann war er im
Handumdrehen weg und [djnard)te, daß bie
Bettitatt wanfte.
Aber Karl Asmus hatte gar nicht alles
verjtanden, was aus Heiners Mund geſprun—
gen war wie Bode und Geien, nur dak
eine: unbändige Luft am Leben und Kraft
zum Arbeiten und zum Lieben in dem Ge:
jelen jtedte und daß da ein Blut war, jo
rot und heiß, wie es aud) in Bommerland
Hop, Er mußte an Meijter Bolduan denten,
bas war auch Jo einer, dem die Deftigkeit
aus dem Leibe jpribte.
Er nahm den Rock und febte fid) in bas
legte Lidjt, holte das Nähzeug vor, denn
eine Naht frie; er wollte es mit bem
Geiſt ber Ordnung halten, ber im Haufe am
Regiment war, ob auch der Heiner Dawider
[ódte und banad) Ichlug wie ein Landsknecht
mit der SHellebarde.
Der Mond Diego höher aus den bunten
Wolfen in den grünen Schein und jchaufelte
im Rhein, bie Rofen Dufteten und am ſüße—
item unter ihnen, bie jtarben; dazwilchen
ringelte fid) von Zeit zu Zeit ein Tabat:
wölfchen aus Meiſter Kutas’ Pfeife; der
93%
348 MBERESSIEHSSESSSEIESSERTIEN Johannes Hiffner: BSS3S3333333334
Friedel ging immer nod) gwijden den Pee-
ten und gop und fonnte [id) nicht genug tun;
pas 9Bajfer riejelte auf die Pflanzen wie ein
lanfter Regen im Mai; Phlox und Nelken,
und Rosmarin und Lavendel und was Die
leijterin ſonſt an Bierfraut gepflanzt hatte,
hoben die Blätter und Köpfe und jaben dent
Friedel in das heiße Geſicht; Karl Asmus
idjidte bas Herz in den linden Abend und
an den blintenben Strom, der dahin wallte,
wie wohl die Ctróme bird) das Land Eden
gegangen fein jollten, und es war jdon Jo:
ein Sommerabend am Rhein, das ift, als
wäre einer im Paradieſe.
Der Naht war bas Maul vernábt, nod)
ein paar Stiche um bas Gelb von Jungfrau
Wiefe im Futter, bei Gelegenheit und zur
Vorlicht, Dann tat er wie der Heiner. Im
Halbichlaf hörte er den Friedel tommen mit
AH und Seufzen, jah ihn wie ein Traum:
biid auf ber Bettitatt figen, den Kopf in
beiden Händen, als trüge er alle Schwere
des Herzens darin, bis er nach einer Weile
vor dem Bildchen an der Wand auf die
Knie fiel und zur heiligen Cäcilie betete, als
hätte fie aller Liebe Erfüllung in ihren Hän-
den und brauchte nur an die Taten zu rüh—
ren und alles Leid löfte jid) in fiigem Wohl:
laut. Darüber ſchlief Karl Asmus ein; ein
Klingen flog vor ihm ber und bradjte ibn
in ein Land, das war ihm jo vertraut und
er hatte es Dod) nie gejehen. Hobe, dunfle
Bäume wuchjen darin, ein Himmel war dar:
iiber gelpannt |o blau wie ein Türkis, und
Vögel fiatterten mit Schwingen fo bunt wie
ein Tautropfen in der Sonne, ihre Federn
wallten wie goldene Schleier, und eine
Stimme jpradj: ‚Wartet, es fommt nod)
einer.‘ Indem iade er auf; es war mit:
ten in der Nacht, und draußen im Garten
auf bem Kies hörte er einen Schritt geben,
auf und nieder, Der und bin; jo ftand er auf,
jah hinab, und jab die Meijterin im Monden-
ſchein, die batte Die Hand auf dem Herzen,
als verhielte fie eine Wunde, wanderte zwi:
Idien den Rofen und Beeten und war [o
weiß wie die Blüten am Jasmin. Ja, es
muß wohl einer vom Lager in der Nacht
und wandern, wenn das Herz feine Mubhe
findet und die Gedanken feinen Straud),
Darin fie jehlafen gehen können.
Und Sort Asmus troh wieder D in
fein Bett, legte fic) auf die Seite, vielleicht
daß der Dübjde Traum wiederfäme, aber
der war längit bet einer andern Geele über
dem Rhein, nicht gar weit in Sauer-Schwa—
benbeim bei einem Büblein, es im Schlaf
zu tröften, weil ibm ein Glastügeld)en in
den Brunnen gefallen war; auf feinen
runden Wangen war nod) das Jchmußige
Cteiglein, darauf die Tränen gelaufen ma:
ren. Und auf Karl Asmus’ Herz legte fid
eine Hand, o fohwer wie ein Stein und
madjte feinen Echlaf angftvoll und hart.
88 8 8
Karl Asmus fuhr hoch und meinte, es
donnere, aber das war der Heiner, der ſtand
im lichten Tag mitten im Zimmer, wie Gott
ihn geſchaffen hatte, warf die Arme in die
Luft, nach rechts und nach links, ließ es aus
ſeinen dunklen Augen fahren wie Lanzen—
ſpitzen und brüllte mehr denn er ſang:
He, luſtig, ihr Chnabe! wenn i mi nit betrieg,
I g'höre ne Trumme, mer müeſſen allt z'Chrieg!
Mer wein is tapfer wehre,
Der Cholbe brav umdjere
Wei haue, wei ſteche-n agwenn das Wetter ſchlieg!
Damit rief er die beiden zur Arbeit, daß
ſie aus den Federn fuhren. Und ehe noch
das Glöcklein von der Not Gottes, der Kloſter—
kirche auf dem Berge, ausgeſchwungen hatte,
hub in der Werkſtatt unten das Klingen an mit
Meißel und Hammer im fröhlichen Dreitakt,
und es war nicht not, daß der Meiſter Obacht
gab. Freilich, wenn es einmal zum Ver—
ſchnaufen kam, ſo fuhr der Heiner mit ſeinem
loſen Maul daher und wiſchte dem Friedel
eins aus, mehr aus Schelmerei denn aus
Bosheit. „D' Pfuſcher effes Brot, und d
Mödler leyde not. Friedel, wer graſet, da
heuet nit, und wenn e Geiß ſtoße will, ſo muß
fi Hörner ha.” Mber der Friedel hatte einen
jtreitbaren Tag, ließ nichts fiber und blieb
nichts |djulbig. „Laß det Gebees, wann id)
did) in bie Klubbe frie’e, bas is mir e
Schnauz; id) bin geſchliwwert vul, und wenn
bu magit, kannſcht du mich hinnerum hewe.“
— „Sich recht, Friedel, mit G'walt dha man
e Geib hingerume Iüpje.^ Damit ging er
weiter bem Cijen zu Leibe mit Schlagen
und Klingen, und jo hin und her, jebt mit
dem Hammer und dann mit dem Wort.
Und bas muß wohl jo fein, wo Luft am
Schaffen ijt unb junge Burfden miteinander
find. Es war auch eine Arbeit, daran einer
feine Freude haben fonnte, war mehr Kunſt
als Handwerf, und ber Meifel nagte aus
Den blanten Platten Ranten unb Blattwerf,
gleich Den NRojenitöden, bie an bem weißen
Haufe zierlich tletterten ; ba fonnte einer and)
bem eigenen Herzen nachgeben und ein Viglein
Dagwijden jegen, ein fingendes oder brüten:
bes, ein Rotkehlchen oder eine Trutichel,
aud) eine Hajelnug, ein Eichhörnchen ober
gar ein Reh, als Karl Asmus tat; einen
Mädchenkopf und Schmetterling, das machte
der Friedel; oder einen frahenden Godel,
wie es Dem Heiner in den Ginn fam. Denn
der Vicijter Lutas hielt es, wie fein Namens:
vetter im Evangelium, mit der &unjt. Er
ESSE FESSSS SETS SESS SSS 3838 3933] Deutihe Seele eieiei es set 349
jtand fid) nicht ſchlecht dabei und hatte feine
outen Abnehmer im Hollandijden, die fid
bei ibm die Beichläge, Hajpen und Schlüjjel:
ichilder verjchrieben, daß fie Damit den
Truhen und Schränfen und dem mancherlei
Hausrat, wie fie alles nad) alten Muſtern
bilden ließen, ein Anjehen gäben, als waren
jie viele hundert Jahr alt, und die Sammler
und Liebhaber tüchtig ins Cala legten und
Dabei jo ehrliche Augen machten wie Der
liebe Herrgott jelbit. Aus [taubigen Bi:
ern und Bildern mußte wieder ans Licht,
was lange totgewejen war, aber auch aus
den Kirchen ringsherum, aus dem Münſter
in Straßburg und aus bem Dom zu Köln
holte ber Meifter, was er braudte. Da
iprang einem wohl bas Herz im Leibe, wenn
aus dem rohen Eijen das Bild fam wie die
Welt aus der Dunkelheit; jeder Tag Hatte
jeine bejondere Gunjt und Gnade, Daß
einer wohl zufrieden fein fonnte, wenn ber
Feierabend fam und die helle Nacht mit
den blauen Sternen am Himmel und den
Glihwiirmden in Gras und Bujd. Der
Heiner hatte feine bejonderen. Wege und
Wechſel, der Friedel half bem Annchen bei
den Blumen im Garten, und fein verdurfte-
tes Herz tranf von ihrer Geitalt, bie jo Aer:
lich zwijchen den Rojen Wonn, als wäre fie
ihresgleihen, und wurde dod nicht geitillt,
denn das Annchen war jpróbe und hatte
Dornen und Dog ben Friedel, ehe er es jid)
verfehen war, freilich nicht aus Luft, thm
wehe au tun, jondern aus Unbedadt und
Mutwillen. Der Friedel ließ es fid) gefal-
lem und tró|tete fih, baB Meden und Liebe
nicht weit voneinander wohne, zumal das
Sinnden immer wieder ein qutes Wörtlein
auf Die Wunde legte, denn ihretwegen jollte
feiner einen Kummer tragen. Da mußte
der Friedel fein Herz in den Stall jperren
und ein Schloß davor legen und mußte Ge:
duld haben, wie der Heiner jagte: „Vie mu
der Zyt abwarte, wenn me jung Tube ha
will, und me jell der Öpfel nit vom Baum
ichüttle, gob er ryf ijh.“ Es wäre wohl
alles gut geworden, es wäre aus dem Neden
Liebe geworden und aus ber Cpróbigteit
jüßes Gewähren, und aus zwei Herzen eins,
wenn Karl Asmus nicht gewandert getom:
men wäre Es war nicht von ungefähr, daß
dem Friedel an dem Abend, da er zum er[ten:
mal am Tijd jap, bie Kehle wie zugejchnürt
war und das Herz wie ein Stein, als ftande
ein Wetter am Himmel und wollte nieder:
fahren.
Worerjt zwar blieb alles wie es war, und
wenn der Abend fam, war der Friedel bei
dem Wnnden im Garten und Karl Asmus
ging mit ber Meijterin die Graswege ins
geld, oder jak aud) mit ihr in ber Rojen:
laube und mußte immer wieder erzählen,
was bie Meiſterin [hon fo oft gehört batte.
Aber fie ward es nicht müde, Denn was aus
Karl Asmus’ Munde fam, war nur Klang
und Begleitung zu den alten Liedern in ihrer
Seele und ging bur ein Land voll Gold
und Connenjdjein, ob auch bie Sonne längit
untergegangen war, Wher es wäre beffer ge:
wejen aud) für die Weijterin, Karl Asmus
wäre nimmer gefommen. Dod was fam, das
fam, Das hatte feiner in feiner Hand, fo
wenig wie am Himmel die Sterne.
Das Herz, bas war das Fremde im Men:
Idien, es wußte feiner, wie er mit ihm daran
war. Es war ftarfer als Kopf und Arm,
als Tod und Leben. Wenn einer einen Ring
darum legen wollte von Eijen und einen
welsblod darauf wälzen, was matte bas?
Da war die Meilterin. Und ba war das
Yinndhen. Die Tochter [ag auf ihrem Lager
mit Schmerzen nicht anders denn die Mutter
in Der Rammer nebenan, Herz bei Herz,
nur eine Wand Dazwilchen, und es war das:
jelbe Blut, bas jtrömte hier wie dort, und
es war dasjelbe Leid, dort um eine Liebe,
die verjunten war, und Hier um eine, die
nicht fommen wollte. Das 9inndjen hatte
die Hände über dem Elopfenden Herzen ge:
faltet, zählte Stunden und Cterne; ihre
Gehnjuht war bei bem jungen Gejellen
aus Sommerlanb, und die heimliche Liebe
Achrte von ihrem roten Blut wie der
Wond von den Rojen. Des Tages
war er vor ihr, wo fie ging und ftand,
jie jab ihn bald awijden den Bäumen
und bald im Gejtráud), hörte feine Stimme
im Baum, wenn der Wind hindurdjtrid,
und jein Laden aus der Quelle, die vom
Berge fam. Die Mutter war gleid) am
eriten Tag bange geworden um das Rind;
jie Jab, daß wieder Drei Herzen umeinander
waren, wie Damals, als der Schmerz über
jie gelommen war, und daß bas Cdjdjal
um Das ftille Haus ftrich und ein Leid Dor:
aus werden fonnte, tiefer als der Rhein.
Karl Asmus merkte es wohl, was in dem
Yinnden vorging, wie ihr Auge nad) ihm
juhte im Garten des Abends, wenn er auf
und nieder ging, allein ober mit der Dici-
jterin, und wie ihr Blid bavonjleg wie ein
\cyeues Wöglein, wenn er bei Tijch unver:
jebens von feinem Teller aufjah, und wie
jie darauf wartete, ob er wohl beim Gießen
ober Jonjtwie thr zur Hand geben wollte,
Aber er Dachte an bas Zeislein und wußte
wie bas tat, wenn einer Die Liebe aus dem
Herzen reißen folte wie Unfraut; er wollte dem
Friedel bas Blüd nicht nehmen und meinte,
350 Johannes Höffner: Ise Zee Ze e
mit der Zeit fommt wohl alles wieder in
die Nichte und, wenn einer bas Fenſter nicht
auftut, mag bas Schwälblein fliegen, Jolange
es mag, es wird jdjon Hug werden und
merfen, wo eins wartet, daß es bei ihm
bauen fol. Wäre der Friedel nicht gewejen,
dann war es wohl ein ander Ding, das
Annchen war Top genug, daß man es lieb
haben mochte fein Leben lang. Der Meijter
merkte nichts, hatte feinen Kopf voll von
Zeichnungen, Handel und Zahlen, war aud
viel über Land, und wenn er zu Hauje war,
bei feinen Büchern. Der Heiner hatte jeinen
Spaß an bem Spiel; wenn er einen
Blid auffing, pfiff er ganz leije auf bem
hohlen Zahn, gwinferte aud) wohl der Mei-
jterin zu, aber bie tat, als jähe fie es nicht.
Dh,‘ dachte er, ‚Do mueB e angers robe,
ging ihr nach in den Garten, deutete mit
dem Kopf nad) bem 9inndjen und fagte:
„E Sad voll Flöh iſch beffer- A hüete as
junge Wyber.“ Die Meifterin jab ihn hart
an: „Was fol bas Schwabe? Das Schwäße
madjt alles ſchlimm.“ Danah ging er zu
Karl Asmus. „No, Kärli, jet bijd) du das
Kräutle uff der Suppe.“ Karl Asmus Honn
bei ben Rofen und ließ ein Marientäferchen
auf der Hand laufen, blies es an, daß es
bie Flügelchen Hob und davon war in Die
Dämmerung. „Sühſt, Heiner, Hols und
bring mir’s wieder, wenn Du fannft. Auf
einer Roje mag es figen, im Gras ober im
Strauch, wo es will und ihm wohl ift.” Der
Heiner [trid) ein paarmal den kurzen ſchwar—
zen Bart. „Ha, Karli, das madt ber Chak
fei Buggel. Das Hergetstühele (di, wo es
iſch.“ Danad trat er bem Friedel auf dem
Weg, wie er mit der triefenden Giepfanne
daherfam: „Bäl, Friedel, d'Sunne (da Gnade
gagange. Bal fo chanjch uff ber dütſche Soh:
len lauffen. Ja, ja, jo (dis, Jo geht's,
dV’Ehrlichkeit ijdh us ber Welt g’reilt, und
der Kredit ijh ndrrijd) worde. De Meitſchi,
jy ft Hein, jo trambe fie einem ijf d'Füeß;
jy fi groß, fo trambe fi einem uffs Herz.
Si wobr, de bijd) e arme Düfel und heſch
fei eigen Hell.“ Da fuhr der Friedel herum,
goß ibm das Waſſer über die Füße und
Ihrie ihn an: „Id frie Di an be Kramwutich,
Ihmeiß di uff de Bodden un benale di mit
dide Knüwwel nmn Budel erum.” Seine
Augen waren rot vor Zorn, und die Tränen
jagen thm im Hals. Der Heiner aber [tedte
die Hände in die Tajden, ftand breitbeinig
in ber Wajjerlache. „Wenn me dWefpi
jtiipft, Jo furre ji. Aber, bijd) guet, was me
z'Nacht nol be Nine redt, giilt nit meh.“
Er ftampfte fort wie ein Bär aus dem Bach,
und wohin er trat, war eine Waſſerſpur.
Gr wollte noch hinauf nad) Mandel zur Jo:
jepha, die jtanb in der Türe und auf bem
Tijd) ein gebratenes Huhn, und jie warteten
beide auf ihn jamt einem Echoppen Wein.
Und während er den Bergweg hinanjtapfte,
pfiff er fid) den Reim auf Solothurn: „Biel
Heg und wenig Garte, weni Sped, aber vil
Schwarte.“ Nicht lange, jo fap er oben am
Tilh, und die Syolepba auf feinem Schoß,
tranfen beide aus einem Becher und drüd:
ten einander zwijchendurd, daß der Atem
ihm wegblieb jo gut wie ihr.
88 BS 8
Der Friedel lag im Weinberg hinter dem
Buſch, hatte die Stirn im Graſe und weinte
darauf, daß bie Hälmchen meinen konnten,
es wäre Tau vom Himmel. Wud) ein armer
Teufel fonnte jeine eigene Hille haben. Es
brauchte dem Friedel feiner zu jagen: das
Ynnden will fein Herz an Karl Asmus
Ichenten, bas jab er allein. Und daß er es
nicht wenden fonnte, das brannte wie Feuer.
Wenn er fid) ein Herz fakte, wenn er zum
Meijter ging ober zur Mteijterin oder zum
Yinnden felbit, daß er umfommen müßte ohne
jie, und ein ehrlicher Menſch mochte wohl
reden Dürfen. Aber das war alles auf eine
Karte gelebt, und [djlug es fehl, war es für
immer vorbei: er fonnte gehen, wie der Heiner
jagte, mußte auf ber deutjchen Sohle laufen,
und bie Steine und Dornen ftachen ihm ins
nadte Fleiſch. Aber die Liebe ftad) noch viel
mehr. Freilich war der Karl ein anjtandiger
Menſch und tat, als jähe er bas Wöglein
nicht vor feinem Fenſter flattern; es merkte
einer wohl, daß er ein mitleidiges Herz
hatte und fein Ceeldjen fangen wollte, bas
einem andern fortgeflogen war. Aber das
frap aud) im Gemüt, und es war beffer
ein Arm voll Mißgunſt als eine Handvoll
Mitleid, unb bas Yinnden fam davon nicht
wieder. Wh, dak Gott erbarm, wäre ber
Karl bod) nimmer gefommen!
Der Friedel fiel ab von Tag zu Tag,
ward wie ein Schatten und bleid) wie ber
Mond, der des Nachts ins Fenjter jah, wenn
er [id mit Seufzen und Kummer auf dem
Lager wälzte, indes der Heiner und Karl
Asmus bie tiefen Atemzüge aus: und ein:
gehen ließen, denn fie hatten Ruhe mit
ihrem Herzen und einen guten Schlaf.
Die Mteijterin, wenn fie ihn über den Tijd
hin anjah und das Yinnden daneben, dachte
wohl: ‚Wie lange fol bas nod) gehn; das
fann feiner mit anjehen,’ und wenn es nicht
anders werde, miipte fie bod) ein Wort
iprechen, vielleicht, daß alles fih löfte zu
guten Ende und daß den jungen Herzen
zu helfen wäre, Wher ihr jelbit, wer half
ihr? Und eine Angit legte jid) um ihre
Bruft, als fónnte etwas tommen, das fie
TSESSSEIEHESSHSHEHEIEHEISSEHEEHTN Deutihe Seele PSBZARRKKKKKA] 351
ummiürfe wie der Wind ein Holz, von
außen ber aus der Welt, daraus Karl Ass
mus berausgewandert war. Jeden Mor:
gen, wenn der Poftbote daher fam, ftand fie
am Pförtchen und wartete, denn nun, da er
wußte, daß fie am Leben war und ihn nicht
batte vergejjen Tonnen, da Karl Asmus alles
berichtet hatte, wie es indem weißen Häuschen
ging und ftand, würde er ba nidjt ein Wort
oder einen Gruß haben, den er herichidte
über Berg und Tal? Und eines Sonntags
hielt fie den Brief in der zitternden Hand;
im ber Rojenlaube brad) fie ibn auf, ein
Ringlein fiel daraus von Eijen, und wo
jonjt ein Stein fikt, war ein Vergißmeinnicht
gebildet und rot von Roft wie von einem Bluts=
tropfen; es war fein und zierlich gemacht für
einen Mädchenfinger und ließ fid) nimmer
von ihr aufjtreifen, es mochte bem 9inndjen
pajjen, aber nicht ihr. Ihre Augen gingen
die ungefügen Buchftaben auf und nieder
das Herz tat ihr jo weh, und die Tränen
fielen groß und heiß auf das Papier: Das
Ringlein hatte er heimlich in der Wert:
jtatt auf dem Berge gemadjt, kurz zuvor, ba
er Davongegangen wäre, und hätte es ihr
an den Finger fteden wollen, aber die Furcht
wäre ibm angefommen, fie tónnte die Ehe
nicht tragen und möchte ihm Herben mitten im
höchſten Glüd. Freilich, er wäre ein Hafenfuß
gewejen und ein Dummtopf, hatte dem Her:
zen gehorden follen und nicht bem Schädel
und bedenfen, daß ein anderer noch mitzu:
|predjen babe bei Leben und Tod, Alber
das wäre nun vorbei; aber nur in der Zeit
nicht in feinen Gedanfen. Die Liebe von
damals zwar, Die läge wie ein Totes in
einem gläjernen Garg, und Die Geele
jäke wohl oft davor, und es wäre Weh—
mut geworden, was Sehnſucht gewejen
war. Das Ninglein wäre verrojtet und
würde ihr nicht mehr pajjen, aber fie möge
es nehmen, weil es ihr bod) einmal zuge:
dacht gewejen wäre, und ruhig an bie fiige
Zeit gedenken, denn fie wären nun beide in
ein bedächtiges Alter gefommen, und es
hätte nimmermehr eine Gefahr. Da ließ
die Meilterin den Kopf auf ihren Arm fal-
len, Driidte den Reif an ihre Lippen, daß
jie fajt bluteten. Die Rirdengloden gingen
im Tal, und wie fie [djmangen, ftand ein
Engel vor ihrer Geele mit einem bloen
Schwert, und es ging ihr Durd) Mart und
Bein, daß fie bejchworene Treue bräche und
das Schlinmfte tate, was einem Mann von
einer Frau gejchehen tann. Er hatte ihr nie
etwas zuleide getan, es fehlte an nichts, was
das Leben forderte, aber er wußte nicht, Daß
He ein Herz in der Brujt hatte, das aud)
fein Teil haben wollte.
Den Berg hinauf fam ein Zug, Mädchen
und Burjchen, mit Bändern und Blumen,
jauchzten und fangen und zogen in ben
Wald. So war das nun; es ging alles
vorbei; wer einmal einjam geworden war
und alt, den rief die Jugend nicht mehr,
ber Job und wartete, bis ein anderer Zug
daher fam, dann jtand er auf von jenem
Chmerz und trat ftill hergu in die lebte
Reihe. AH, wenn einer aller Lajt ledig
werden fonnte! Gie ftand auf, ging
den Hang in die Höhe, wie fie war, Durd)
bie Weingärten zur Not Gottes; vor dem
heiligen Bild in der Kapelle wurde bas
Herz wohl wieder leicht; da fand fich eine
Geele wohl wieder auf den rechten Weg.
Das Ringlein hatte fie an ihren Bufen ge:
tan, ba lag es dicht an ihrem Herzen.
(s war ein jhwüler Tag. Das dinn:
den jchlug bie Fenjterladen vor, daß es im
Haufe fühl bliebe und der Bater fih legen
lónnte, wenn er von Riidesheim hinauf-
fame. Der Heiner war im Wald und lag
unter einem Holderbujch, der Friedel fap am
Brunnentrog und fijdte bie Käferlein aus
bem Waſſer, wenn fie in ihrer Sommerfreude
unverjehens dem Tode in den offenen Ra:
den flogen. Karl Asmus ging unter den
Bäumen und zwijchen den Beeten umber,
jah zu, wie es blübte und wie die Früchte
anjegten, hörte die Bienen Jummen und
die Heupferdden zirpen. Da er Sehnjudt
nad) einem grünen Plätzchen befam, wo
einer von Der Heimat träumen tönnte,
juhte er bie Rojenlaube, fann fid) in das
-Dorf an der Gee und in den Garten am
Fluh, und hatte wohl auf feiner Flöte bla:
jen mögen, aber die lag wohlverwahrt und
unberührt, Denn er wußte nicht, wie es fam
bier hätte er fein Liedlein blajen mögen.
Die Luft war jo warm und weich, da
wurden die Lider ibm ſchwer, und der Schlaf
fam über ihn und der Traum. Und wie er
Ichlief, ftrich bas Yinnden durch ben Garten,
juchte die Mutter und fand fie nicht, trat
in bie Laube, ob fie dort wäre, und fah in
Karl Asmus’ ftilles und feliges Geficht, denn
er ſaß daheim oben im Nußbaum, Peter, ber
Rater, rieb den Kopf an jeinen Knien, Die
Mühle Happerte über dem Haus, und das
Schifflein auf dem Giebel drehte fid) im
leichten Sommerwind. Dem Sinnchen Wonn
das Herz ftill, bas junge Blut jchlug thr ins
Geficht, und es war, als fame alle Geligfeit
der Belt über fie; fie nahm von der Roje an
ihrer Bruft ein Blatt und ließ es nieder:
fallen auf Karl Asmus Gm, nahm
ein zweites und ein Drittes, und dann, da
er niht wad) ward, beugie fie fid) und tipte
ibn jo janjt und jacht, als ware ein viertes
302 Ernjt Liffauer: Sn ber Speijefammer
Blättlein herniedergefommen. Karl Asmus
träumte von einem Bienlein, bas fam aus
den Blumen vor dem Haus in ben Nußbaum
geflogen, jchwirrte um ihn herum, und der
Kater Peter jchlug danach mit der Pfote in
die Luft; jebt fam es Dicht heran und ftreifte
ihm bie Stirn mit den gläjernen Flügeln.
Und wie er mit der Hand wehrte, hulchte
das Yinnden davon. Indem wadte Karl
Asmus auf; es war ihm, als wäre ein
Schritt gegangen. Da ftand der Friedel im
Eingang, und das grüne Licht, bas bird)
das Blattwerk fiel, machte ibn fo fabl wie
einen Toten im Sarg. Karl Asmus gähnte
und redte fid). „Komm, Friedel, wir wollen
ein wenig mitjammen ſchwatzen. Hier fist
einer wie in Abrahams Schoß und braucht
feinen Engel, der ihm die Zunge fühle.”
Uber ber Friedel erwiderte fein Wort,
wandte ji) um und ging davon, als hätte
ihn die Sonne geftoden.
Œs war ein trübjeliges Mittagsmahl, ob
aud) alles auf den Tijd) fam, was einen
jroblid) machen fonnte. Ger Wein in ben
grünen Römern blinfte wie der Rhein im
Mondenfchein, und die Hühnchen waren fo
röſch, als hätte die liebe Gonne fie germen:
det und gebraten und -beträuft. Wher der
Meilter, der Heiner und Karl Asmus muß:
ten bas Belte tun, fonft wäre alles wohl
wieder in die fühle Rammer bet der Treppe
gefommen, bie in den Keller ging. Sechs
Denjchen jagen um den Tilh, drei Herzen
waren leicht unb drei waren jchwer. Die
Meifterin hatte die Augen vom Weinen rot,
aber es fonnte auch von der Hike fein, die
machte einen glühen und den andern blak,
wie das Yinnden und den Friedel, und es
gab welche, denen verjdlug jo ein ſchwüler
Tag jeden Appetit. Das Wnnden hob faum
Den 9Blid, und die Mieijterin jah über den
Teller fort auf ein Sternlein im Leinentud,
als jabe fie wer weiß wohin. Da jagte der
Meifter und zerbrach ein Knöchelchen: „Es
liegt etwas in der Luft“, und die Frau fal
ibn erjchroden an, und ihr war nicht an»
ders, als hätte er in ihrer Geele gelejen.
Der Friedel befam einen Shred, dak Die
Gabel auf dem Teller flirrte, die Gedanken
ballten jid) in feiner Geele wie Wolfen,
und was er vor fid jab, war wie Stahl
und Blut. Wenn er bas Wnnden nicht
haben durfte, ein andrer befam es nimmer:
mehr. ls fie aufgeltanben waren und
aus der Tür gingen, machte Heiner große
Augen und flüjerte dem Friedel ins Ohr:
„O ſchlimm Byt, ber MWyberfalender zeigt
bis Wetter an.“ Aber der Friedel ftierte
hinaus und hörte nichts und [tapfte davon.
Am Abend ftanden bie dunflen Wolfen
am Simmel, im Rhein lag Mitternacht, ob
auch bie Sonne eben erft mit bem legten Rot
den [chwarzen Himmel brennen ließ; Die
grünen Lichter ber Dampfer jahen aus dem
Tal wie Raubtieraugen, und hinter den
Bergen fladerte der Schein der Blige. Aber
das Wetter blieb dahinten und verzog fid)
allmählich ins Land; ein Fühler Wind ftrid
vom Wafjer her, und die ruhigen Sterne
famen an ihr tröftliches Regiment.
— ee —
Um Mitternacht kam Heiner nach Haus
mit einem Rauſch wie ein Heuſtadel, grölte
in ſich hinein: „Z Byte bin i liederlig, und
z' Zyte bin i guet,“ fiel ins Bett, wie er
war und lag wie ein Toter. Karl Asmus
blieb im tiefem Schlaf, ſein Herz ging wie
ber Pendelſchlag einer Hausuhr, jo ruhig,
unb bie Geufzer der Nacht fielen rings um
ihn au Boden,
Da rührte einer feine Schulter an, und
wie er bie Augen aufjchlug, fniete im Däm:
merlicht der Friedel vor feinem Bett.
„Karl, ijd) mujh mit di rede, Sich muid
Lob vun meine Gedanfe. Wann bu e Herz
im Bukem Dojdjt, erbarm dich imer e arm
Menſch“. (Schluß folgt)
SCREKECEKEKEKCKCE KEE CEEC KEKE CECEKKCECEKCCCECEKECEL CE CLE IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIG
D -
C€CCCCCCCCCCCCC2253353323233232)2332322
C€CCCccccccececcccceeccecc o53323»5532322323222232222
eccceeccec
Sn der Speijefammer
Sn der Speijefammer, Bod) auf dem Bord an ber Rufe,
Steht eine breitbaudig blautónerne Rrufe,
Mondgelb find ihre Ränder gejäumt,
Blänzige Spriger und Sprentel
Gligern auf Füßen und Höhlung und Henkel,
Als fet ein Lichtereme übergejchäumt,
Was ward da gekocht inmitten der Naht?
Hat wer in dem Topfe Mond eingemadt?
Ein Mah Mondwein, fieben Mondeier,
Mondweiß, Monddotter gequirlt zu Schaum,
Nächten Winter zur Werhnachtfeier
Kriegen’s bie Kinder im Traum.
Ernjt Lijjauer
7 w
CECCECCECCCCECECECCCEECECCCECCCEECECECECCECECECCCECCCECCCECCCCECECCCCECCIIDIDIDIDIIIIII III IDII III III IDI II III I IDII III III IINA
€€€€C€€€€C€€C€€€€6C€€C66222222222222222222222
eceéeceecee CEE EL CELE £€»302202022202220222022222)5
SS SSS SSS SESSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSESSSEHLESESESSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSEESSSESESESEESES
Stahlguß
Gemälde von William Kraufe
pauo A" wp t c
x -
CN,
—.
^
ORR le han Gina bean aalt
not pared
ee un hat des Todes allzu ſchnelle Hand
(e) aud) Wilhelm Triibner angerührt.
GSiebenundjechzigjährig ijt er in fei-
nem Karlsruher Heim am 21. Dezem-
ber 1917 einem tüdijchen Influenza:
anfall erlegen. Mit ibm ift ber bedeutendjte
deutjche Dialer der Gegenwart babingeldjte-
den. Es hat lange Daa. bis er als Diejer
anerfannt wurde. Noch als ich vor reichlich
ebn Jahren an diejer Stelle zum erjten
ale über ibn jdjrieb, war es febr nötig,
lorgfältig den Beweis zu führen, daß er zu
den überragenden Erjcheinungen ber deutjchen
Kunſt gehöre. Schon damals allerdings ſprach
ich aus, daß er der größte Maler wäre, den
Deutichland nad) Leibl hervorgebracht. In—
wilden haben aud) bie emt Widerftre-
enden fih zu ibm Pr aber immer
nod) wird er hauptſächlich als Maler oe:
feiert, weniger als Riinftler; vermutlich, weil
die meijten finden, daß ibm ein wenig die geftal-
tende Phantaſie mangele.
Ziele Unterfcheidung mag
nicht unberechtigt fein; bod)
mindert fie nicht im gering:
ften feine Berdienfte um und
feine Bedeutung für die Runit.
Phantafie und Gemüt find
allerdings bejonders djarat-
terijti]de Eigenjchaften der
deutjchen — ti De
weniger bezeichnen r fie
ijt auch jenes dE iteqie
ibl, bas in Trübners Schöp:
ngen 3u fo vollendeten:
Ausdrud fommt. Man darf
fogar behaupten, daß gerade
diejes Wirklichfeitsgefühl die
größte Ctárfe der beutjd)en
Runft ausmadt; denn ohne
dieles ` wären Grünewald,
Dürer, Holbein, Menzel und
Leibl nicht bie großen Mei:
fter, als die fie felbjt von
den Gegnern deutſchen We:
jens qeleiert werden. Gleich
ihnen ftand Trübner mit fe-
ften Füßen auf dem Boden
der Heimat und fand auf
der vertrauten Erde - foviel
zu jehen, zu bewundern und
zu malen, daß ihm die Zeit
mangelte, auch noch zu träu—
men und von Diejen Träus
men zu berichten. Sein &ünjt:
lerideal aber war, fid) den
groben Alten, Rubens und
embranbt, Hals und Belas:
quez und außerdem Leibl als
ebenbürtiger Dialer an bie
Seite jtellen zu dürfen. Nicht,
RAS
NS,
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NE
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Z,
C
indem er fie nachahmte, jonbern indem er ihre
Runjt noch einmal erlebte.
Trübner war nämlich mit einem erftaun:
lid) feinen Ginn für die handwerklichen
Qualitäten der Malerei begabt und ijt von
frühefter Jugend an bemüht gewejen, alle
handwerklichen Tugenden ſich anzueignen,
die einem Maler nüglich fein Toten, Da:
durch gelang es ihm aud, [hon in jungen
Jahren Bilder hervorzubringen, bie neben
den Werten der beiten Mtaler aller Zeiten
fid) behaupten. Als Zweiundzwanzigjähriger
war er bereits ein fertiger, faum nod zu
übertreffender Meijter. Cr wurde als [older
aud) von unvoreingenommenen Kollegen wie
Leibl, Schuh, Thoma, Bittor Müller und
anderen anerfannt; aber es gelang ihm ba:
mals nicht, außerhalb jenes Riinjtlertreijes
aud) nur bie geringfte Beachtung zu finden.
Teils, weil feine Art in einem zu lebhaften
Gegenjat zum Zeitgeſchmack [tanb, derjich der
g9 Wilhelm Triibner
Nach einer Aufnahme von Nicola Verfcheid in Berlin
8
354 BS] Hans Rofenhagen: BERZAIZ ZZZ
Pjeudorenaijjance guwendet hatte, teils weil
ihrem Wuffommen zu energiſch von der Künſt—
lerpartei entgegengearbeitet wurde, die in den
fiebziger und adytziger jahren des vergangenen
dE e das Münchener Kunijtleben
volljtändig beherrichte und an deren Cpibe
Franz Lenba ftand. ler nd in Leibl und
allen Malern, bie zu deffen Kreije gehörten,
mit Recht feine gefährlichiten Konkurrenten
und ließ fein Mittel unverjucht, * unſchädlich
zu machen. Das iſt ihm auch über Erwarten
elungen. Leibl, Thoma, Schuch, Hirth du
— Viktor Müller, Theodor Alt ſchüttel—
ten den Staub Münchens von ihren Füßen und
zogen fih in bie Berge, nad) Frankfurt a. M.,
nad) Italien ober in fleine deutjche Städte
guriid. Trübner allein blieb dort, um den
Kampf DE Er war eben jung,
hoffnungsvoll und bemittelt. Dod) aud)
m SUufionen wurden ſehr ſchnell zerſtört.
tan ſtellte ihn einfach dadurch außerhalb
des Münchener Kunſtlebens, daß man
ſeine Bilder, die heut zu den beſten Zierden
der deutſchen Galerien zählen, regelmäßig
von den Ausſtellungen zurückwies.
Trübner hat unter den Widerſtänden,
&
Im Heidelberger Schloß. Gemälde (1873)
Sm Befig des Großberzogl. $ianbesmujeums zu Darmftadt
bie fid) ihm in München entgegenjtellten,
außerordentlich gelitten, fogar bis tm fein
Alter hinein; aber feine gabe Natur tannte
fein Nachgeben. Er wußte fid im Recht
und blieb allen Anfeindungen zum Troß
in der Gtadt, bie er gern hatte unb bei
jeiner Art. Und vielleicht ijf gerade Durd ben
Kampf um feine fünftleriihe Exiltenz, den
er in München zu führen hatte, feine fünjt-
lerijdje Perjönlichkeit erft recht feft und rund
geworden. Jedenfalls trug er aus Diejer
Zeit einen unverjöhnlichen Hak gegen Len-
bad) in fid. Er |prad) ihm wegen feiner
Fähigkeit, Bilder in jeder gewünichten Art
—— Vorgänger zu malen, alle Indivi—
ualität ab und verglich ibn gern mit
einem Barietétiinftler, der aufs täujchendjte
berühmte Mtimen, wie Connentbal, Mitter-
wurzer, Matfowsty, Raing, 3Bojjart, in ihrer
Erjcheinung und Bortragsart fopiere, und
den das unwiljende Publifum bejuble, weil
es ihn m begabter halte als jeden einzelnen
diejer Schaujpieler. Golder Imitator fei
aber auf der wirfliden Bühne unmöglich
und würde aud) von wirklichen Schaujpielern
nicht als ihresgleichen betrachtet. Als id) im
Herbit 1900 in einem
zulammenfajjenden
Bericht über die Pa-
tijer Weltausitellung
auf die üble Wirfun
hinwies, bie Lenba
durd) Entfaltung fei-
ner Macht auf bie Ge-
ftaltung ber deutſchen
Runjta —— aus⸗
geübt hatte und ſeinen
unglaublichen Egois—
mus an den Pranger
ſtellte, war Trübner
Rn darüber.
ie Bejcheidenheit ver⸗
bietet mir, das außer:
ordentliche Lob bier
zu wiederholen, das
er meiner Arbeit |pen-
bete; bod) ein paar
Gage aus bem Ser.
ben er mir damals
d Begeifterung
chrieb, möchte id) wie-
dergeben, weil be:
weijen, daß er meine
Tat durchaus nidt
etwa aus perjönlichen
Gründen pries, Jon:
dern in ibr eime Der
aejamten dent]
Künftlerfchaft erwie-
EM Wobhltat Jab. Er
dreibt aljo: „Es
jdeint aud im
Zeitungen nichts gegen
Shr Vorgehen gejagt
zu werden; ein Be-
weis, daß der Fall reif
war. Wes Faule
—
^
e
"wit
e
-$
ei
4
4.
A
4.
rs
7
1 dX X ob Bebe
Wee EH Wilhelm Trübner Bs
in unferen Runftzus |
jtänden klarzuſtellen,
halte id) für bie
ſchönſte Aufgabe, die
Sie zu Iójen haben.
In unjerer Zeit ijt
jo vieles faul auf
Diejem Gebiet, es
wären fonjft nicht
bie Hauptfiinftler un-
jerer Beit aus Den
beutjden funitgen:
tren jo verdrängt
worden. Sd) dente
an Feuerbad, Bid:
lin, Leibl, Thoma
und Klinger. Wud
SUtengel und Lieber:
mann ftehen eigent:
lich) nebendraus, ob:
gleih fie Ateliers
in Berlin halten für
einige Wintermona:
te. Und ebenjo ne:
bendraus waren in
München Bittor
Müller undSchwind.
Sie beide waren auch dort nicht lange an:
wejend, nur turg vor ihrem Tode. Bejonders
ut bat mir aud) gefallen, daß Sie den Bor:
hlag gemadt haben, in bas deutſche Haus
Bilder aus der vorhergehenden Zeit ber deut-
ſchen Runft zu hängen. Zielen ausgezeichneten
(Sebanfen jollten Cie nod) öfter in Ihren
Runftbejprehungen wiederholen unb immer -
wieder nachdrüdlichit auf bas unverantwort:
[ide Verſäumnis unjerer Genofjenichafts:
Altenfchreiber bin:
weijen. {Überhaupt
wäre es angebradt,
Die Kunftgenofjen-
ſchaften anzugreifen,
bejonders deren lah:
mes Snterefje für
das wahre Del
der Ee Diele
Genojjen|djaften Ba:
ben nie etwas getan
E Leibl und nichts
ür Thoma, [onbern
haben immer nur
dafür gejorgt, daß
thre Vorſitzenden
redit große Orden
erhielten. Die Mün-
dener Riinftler find
mehr oder minder
rte|peftable Leute,
wie Gie in Ihrem
Barijer Feuille:
ton ganz ridjtig
bemerfen, und alle
viel mehr auf ber
Höhe ber Renaijs
jancefunft als der von Ihnen angegriffene
Surrogatfabrifant. Während in Berlin jdjon
mehrere Leibl: Rolleftionen zu jehen waren,
ijt bas in München nod nie der Fall ge-
melen, Und warum? Weil der Haupt:
intrigant Furcht bat, daß bem Publifum die
Augen aufgehen könnten über feine eigene
Armjeligteit.“ |
Das Berfönliche in einem Runftwerf ftellte
Trübner immer jehr hod, wohl weil er jelbft
gimmermannsplat. Gemälde (1876).
Sn der Runfthalle gu Hamburg 3
356 BEREITET
jo ganz Perjönlichkeit war, ſchon als junger
Mann. Darum ijt es mir eigentlich immer
jehr iiberfliijjiq erjchienen, ihn gegen den
Borwurf zu verteidigen, er habe [eine
Hunt von Courbet und Leibl bezogen.
Uber es mußte fein, weil ihm das ron den
Schriftitellern, bie ihn nicht mochten, immer
wieder vorgehalten wurde. Wenn diefe
uten Leute nur gewußt hätten, wie wenig
nlage Trübner zum Ntachahmen einer frem-
den Urt bejak! Es exiltiert von ihm Die
Kopie eines Stubensidjen Bildes. Trog aller
Mühe, die er fih damit in Brüffel gegeben
gelang es ihm doh nicht, das Beſon—
des großen Vlamen aud) nur im ent:
SSCSSSSSSSSSSSSSSESSSSHSESSESSESSES — —— —, ——,— —— — — — — @aeeeeseeeeee
IR Ad So CA Ed a 04. nn SE wer — * X Km
|
: H Bildnisgruppe. Gemälde (1875).
EEE Hans Rojenhagen:
In der Stadtijdhen Galerie zu Düfjeldorf
ferntejten zu treffen. Die Kopie ijt eim echter
Trübner geworden und erinnert nur im
Begenitändlichen daran, daß es [o um ein
Bild von Rubens handelt, Die künftleriiche
SBerjonlidjfeit Trübners ftand im eng
Zulammenbhange mit feiner menjchlidhen, wie
das bei bedeutenden Künftlern immer Der
all ift. Trübner war niemals, aud) in
jungen Jahren nicht, ein beweglicher >
Er bejaß zwar einen großen Gbrgeta,
auch reidjlid) Joviel *Bblegma. Sinn
für jchönes Handwerf war ihm —
Er rührte vielleicht vom Bater her, u⸗
welier war, und zwar einer der tiidtigiten
feines Faches. Deſſen Wunſch ging dapin,
(na
I corm m
ee Ee Wilhelm Triibner $2424243434343€3434343434] 357
& Studienfopf. Gemälde (1901) A
daß fein Sohn Wilhelm das gleiche Hand:
wert ergreifen folte, und damit er es gut
erlernen fónnte, |djidte er bas junge, blonde
Biirjhden nad) Hanau auf die Hochichule
ber Goldjdmiedefunft. Das ließ biejer fid)
ruhig gefallen; denn er fonnte da ganz gut
nebenbei jeiner Neigung zum Zeichnen und
Malen frönen. ls er dann einmal in den
Ferien nad) Heidelberg ins Elternhaus Au:
rüdfebrte, brachte er feine heimlichen Ur:
beiten mit und erreichte Dann Durch bie Für:
jprade Anjelm GFeuerbads beim ftrengen
Bater bie Erfüllung feines Wunjches, Maler
zu werden. Und er hat die Erfahrungen
der Hanauer Zilelierfchule, Die ihm dort etn:
geflopte Liebe zu jauberer, jchöner, Hg oe
tiger Arbeit einfad) auf die Malerei über:
tragen. Er hatte volles Verjtändnis dafür,
daß gutes Handwerk den goldenen Boden
ber Hunt bildet, und [tubierte in feiner
Jugend aufs eifrigfte bie Bilder ber alten
Meiſter in den europaijden Galerien in der
Hauptjache daraufhin, mit welchen Mitteln
und Farben die Riinjtler der S ll gengen
ihre Wirfungen erzielt haben. Und er brachte
aud) feinen Freund Schuch zu Ddiejer Art
358 M
der methodischen Unterjuchung, wofür deffen
Tagebücher Zeugnis ablegen, die angefüllt
find mit Farbenanalyjen aller möglichen
alten und modernen Bilder.
Auch geijtig war Trübner nicht bejonders
beweglid). Er hat zwar über Kunjt und
tünjtleriiche Angelegenheit und Fragen er:
ftaunlic) tiefe Gedanfen gehabt und jie mit
bemerfenswerter Schärfe und Klarheit des
Ausdruds in feinen verjchiedenen Schriften
niedergelegt; aber er war nicht befähigt
oder vielleicht auch nur zu bequem, jid)
eiltig in andere Perjönlichleiten zu vertie-
* ausgenommen, wenn er von anderen
dazu angeregt wurde. Das war bis zu
einem gewiſſen Grade in dem erſten Jahr—
ehnt tel Münchener Aufenthalts der
all, während welcher Zeit er in intimem
Verkehr mit geiltig fo Deal en Men:
Iden wie Bayersdorfer, Martin Greif, Karl
Schuch, dem jpäteren Galeriebireftor Cijen-
mann, Du Prel und Ludwig Speidel ftand.
j Hans Rojenhagen:
Wilhelm Tribner sees et
Aus biejem Abjchnitt feines Lebens rühren
daher auch feine beiten Porträts her, Por-
träts, in denen er fid) nicht nur daran hielt,
was feine guten Dialeraugen wahrnahmen,
jondern in denen auch eine piychologiiche
SUN jtedt. Man dente nur am Die
Bildniſſe von Schuh, Martin Greif, Joſeph
Gungl, Bürgermeilter Hofjmeilter, feiner
Eltern und feines Bruders! Später, als
dieje geiltige Wnipannung von außen nicht
mehr erfolgte, tritt bas Pſychologiſche in
Trübners Bildnijjen völlig hinter der bra:
vourdjen Malerei zurüd. Cie erhalten etwas
Stillebenartiges, zeichnen jid) aber vor an=
deren Porträts immer nod) dadurdy aus,
daß fie mit großem Auge gejehen, daß fie
in Der maleriihen Auffaljung den Schöp:
fungen der größten Meijter ber Bergangen:
heit ganz nahe find.
Wie unverwiijtlid) ftarf und einheitlich
bie Perjonlidfeit des Malers war, beweiit
nichts deutlicher als der jcheinbare Bruh
n. M `
F p
Alt im Freien.
= E
d —
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Gemälde (1898)
(8061) FQNUIG 220999 UR
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DEN
n MÀ
360 (pSsSsessessessse]] Hans Rofenhagen: Wilhelm Trübner seess zez zl
in feiner Entwidlung in den achtziger Jab:
ren. Damals wollte Trübner fid) bie öffent:
lihe Wnerfennung, bie er mit feinen rein:
malerischen Leitungen nicht zu erringen ver:
mochte, durch einen Wechjel des Inhaltlichen
jeiner Bilder erzwingen. Es war Die Zeit,
da Bodlin und Piqlhein mit ihren Ken:
taurenbildern, Munfaczy mit feinem ‚Bol:
gatha‘ und Guſſow mit feinen realijitichen
Genrebildern viel bewundert wurden. Mjo
begann aud) Trübner verliebte Kentauren:
pärchen, Ofeaniden, Bigantenjchlachten, eine
Kreuzigung, Theaterjzenen, vergnügte Schu:
jterjungen, Offigtersburjden mit bem Markt—
torb und Münchener Wachtparaden zu mas
len, teilweije in einer feltjam fteifen und
ungelenten Urt; denn figurenreiche Kompo:
fitionen lagen ihm eigentlid) nicht. Trog:
alledem haben diefje Schöpfungen, jo unbe:
holfen fie viclleicht gegen bie Leijtungen an=
derer Meiſter wirfen, MWorzüge, Die diefe
nicht bejiken. Gelbjt in ihren Mängeln nod)
liegen jie feinen Zweifel übrig, daß be Werte
eines höchjt talentvollen, ganz individuell
ıchaffenden Malers waren. Wie unter den
Bildnis. Gemälde (1876)
e
L
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MN
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H
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LJ
LU
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H
LU
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D
D
LU
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Händen des Midas alles zu Gold wird, jo
wurde unter den Händen Trübners, auch
Die für ihn ungeeignetiten Vorwürfe, gute
Malerei.
Merfwiirdig, bod) ganz feiner Beran:
lagung gemäß war es, daß bie beiten male-
tijden (Gebanfen Trübner immer nur im
Angelicht der Natur famen. Ihr jak er
jtets mit friichen und reinen Sinnen gegen:
liber. Je weiter er in feiner Entwidlung
voranichritt, um jo weniger dachte er daran,
ihr Gewalt anzutun. Hatte er in feiner
Jugend nod) nad) jdjóner toniger Malerei
qejtrebt, fo jebte er in Den beiden lebten
Jahrzehnten feines Lebens die ftärtften
$'ofalfarben, wie fie bie Wirflichfeit bot, mit
ungebeurer Kühnheit nebeneinander. Dan
dente an fein Bildnis des Großherzogs von
Baden, den er in feiner bli&eblauen Dra-
oneruniform auf einem Rotfuds vor einer
bel riinen Parklandichaft gemalt hat, oder
an Feine Landichaften aus dDiejer Zeit mit
dem Jonnendurdhalühten Grün, das dem
Grün der Wirklichkeit an Glanz und Pracht
nichts nachgibt. Er war eben, um das jdjóne
(FOST) A01pu1A01 “UIQUG uoa '( (praqaus sDoa?ioQdoig) saq qraldquy ‘SPNG
eeeegeeeeegeeeeggegeeeeeeeegeesgeesggeeggegegeegggegegggeegegeggggegeegeeeggegeeeeeggggpgeegeggeoeggegeegeeezoacGegegeegeeeegegeggeegeeegegsegegeeeeeeezegegeeegeeegeeeeeeerregegegeeggzgggeseegegeegeeeggeeegem
>...»
@eecoceoe
-—n...nnnnnn.nn. nn nn EEE ERBE RET TER TET ET ERBE FT EO ER TREO TE PTR OO RER ERE EEE EHE OOSOSOOO T E
Seggeeeeeeeeeeeegeeeeeeegeeegeeeggegegegeeeeeezgssggeesëgrggegeegesssssegggssgeegegeegesegeegessggegeeeeeegeeeeesssesegzeeeeeeegeg
24
369 PESSESSESSA Hans Rofenhagen: Wilhelm Trübner seess et
Wort Leonardos zu
ge ebrauchen, als
zünftler ber echte
Sohn ber Natur, ber
jeine Mutter von
Ungeliht zu Ange-
(idt ſchauen durfte
und dem fie nichts
verjagte.
Die Originalitat,
das Berjönliche jtet:
fen bei ihm jedod)
nicht nur in ber Mrt,
wie er die Wirklich»
feit anjah und was
er aus ihr machte,
Jondern vor allem
auch in feiner Mal:
weile. Wenn man
jeinegroßzügige Art,
einen fulttvierten
Farbengejchmad
und feine Fähigkeit,
alle Einzelheiten der
Natur auf große
harmonijde Wir:
tungen zurüdzufüh: `
ren, rühmt, fo ift t3
damit Dod) nur ein
Teil feiner Runjt hervorgehoben. Das Wun:
derjamfte an feinen Leijtungen ijt bie höchſt
eigenartige, ganz perjönliche Malweiſe. Gie
it von feinen Schülern und von einigen
Viitgliedern der ehemaligen Künftlergruppe
Die Scholle‘, wie Büttner, Pub, ja fogar
Landhaus am Gee.
von rik Erler nad:
geahmt worden;
aber feiner hat ihn
erreicht, alle haben
nur eine Mtanier aus
bem gemadt, was
bei ibm bod) größte
Urjprünglichfeit, in
tuitive Nußerung ſei⸗
= at enies war.
enn er hatte
nämlich eine ganz
eigentüm i
ge Malweile, durch
—
raft, anz u
verlieh, doch
fie p» nie, wie E
einen N
etwas Mof
weil fie im E
iier
er
er kena x:
jehe fid) m
mur eimmal i
eine feiner Gtarn-
Gemälde (1911) berger lee Saana-
Wer Trübners Lebenswert genau fennt,
weiß, daß aud) er feine Auseinanderjegungen
mit den jogenannten ‚Richtungen‘ gehabt
bat. Reine von bielen jebod) bat nermodt,
ihn aus den Sattel zu werfen. Er made
jeine Berbeugungen vor der Hiltorien= Der
Part Knorr am Starnbergerfee. Gemälde (1909)
— mmm, — — —— ———
— —
(SORT) A01pu140 “MPoqswmsaG dais
SPSS SS SOOT SS OHSS SSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSOSOSS *900009090090000000009000009999999999909999999900909099099000900*00000000000000000000320900000000000000000000000000,009000090909090000090000000
SMT AS Ones ae ee TT od
"995090000000000090909009000000002202200090€9 072^ ""099000909900000000000000000090000000990909000000099900000?900000000000000000000000000
"e9020009€99909009900590100^*^0090000000000000000000002000000009090900900099009909009009900900909*0009090420909909009909€0900900090000022279
*
964 ees Hans Rojenbagen: [[253€3434343434343434243435353280
Benre:, ber Phantafiee und der Hellicht:
Maleret; aber er blieb dant feiner ftarfen
SBerjónlid)feit und aud dant feinem Phlegma
immer Trübner. Er legte fid) jede neue
Kunſt- oder Mallehre ftets auf feine Art und
für jeine Gewohnheiten zurecht, und fo war fie
unter feinem Binjel jdjon nicht mehr das, was
He fein wollte. Ich perlönlich halte es für
ausgejchlojjen, daß er durch ben franzöfijichen
Smprefjionismus zu den hellen, leuchtenden
und [tarffarbigen Bildern feiner legten Pe-
riode gefommen ijt. In ihnen Elingt, meiner
Überzeugung nad), bie Freilichtmalerei aus,
wie fie in den legten Jahren feines Aufent-
gs in München betrieben wurde. Man
ann [fid ja gar nichts GBegenjäßlicheres
denten als eine Landſchaft von Trübner und
eine jolde von Monet, und bei einem Ber:
gleiche würde der Franzoſe wahrhaftig nicht
gewinnen; denn bie größere phyſiſche Kraft
unb Gejundheit ijt bet bem beutidjen Maler.
Was die fpateren Bilder Triibners von feinen
früheren unterjcheidet, ijt die erft nad und
nad) erlangte außerordentlihe Kühnheit,
Sicherheit und Freiheit in der Wiedergabe
des Lichtes. Kein Mtaler vor ihm und feiner
neben ibm Bat bie unfägliche Schönheit des
deutichen Waldes, fein geheimnisvolles Suntel
und feine jmaragdne E t unter Der Gonne,
fein Raujchen und feine
üble, ben [amtnen
Schimmer bes Moosbodens und bas Mur—
meln der Quelen |o zauberhaft in Bilder
gefaßt. Was Trübner zu diejen in imma-
teriellem Blanze leuchtenden Farben gebradjt
hat, find, auger den Bildern der alten deut-
iden Maler, bie Glasmalereien ber gotijchen
Kirchen, bie er nie genug bewundern und
rühmen fonnte.
Obgleich Trübner ein nüchterner, Tor,
benfenber, allem Überfhwang und phanta:
itilem Weſen abholder Mann war, [tedte
dennoch ein Stüd Romantifer in ihm. Wie
Tiebte und fannte er fein heimatliches Heidel-
berger Schloß und wie entrüjtet war er, als,
vor fünfzehn Jahren etwa, jdjnóbe Reftau-
tierungen daran vorgenommen werden foll-
ten! Gr griff damals jogleich zur Feder, um
den Frevel zu verhindern. Es war ein hoher
Genuk, mit ibm felbjt burd) den alten
Bau zu wandern, den er nod) in feiner Un:
beriihrtheit gefannt hatte, und zu hören, wie
bieles und jenes [rüber aemeleit war. Er
wußte in ber deutſchen S?tenaijf[ance bejjer
Bejcheid als mander Runjtgelehrte und war
ein erfolgreicher Sammler, der viele fojtbare
und feltene Stüde fein eigen nannte. Bor
allem liebte er aud) Waffen unb Riijtunge:r,
bie er eifrig zulammentrug. Der Romans
tifer in thm hat die Bilder gemalt, die ihn
und feinen Sohn in ritterlichen Rüftungen
3 Wusblid auf den Starnberger Zee. Gemälde (1911) &
SSES EES EES SES) Wilhelm Trübner PSSSSSSSSSSSU 365
barjtellen. Jörg nannte er feinen Sohn nad
des 3Berlidjingers Buben, ber [o frijch feinen
Diut und feine Liebe gum Waffenhandwert
befennt. Weiß man um diefe romanti[dje
Neigung, jo findet man jchließlich, bag Bilder
wie ‚Adelheid und Franz‘, ‚Tilly in der Domi:
nifanerfirde‘’, ‚Friedrichs des Schönen Ges
fangennahme in ber Glodt bei Ampfing‘
gar nicht jo jehr außerhalb feines Wejens la:
gen. Auch jeine Vorliebe für das Pferd unb feine
genaue Kenntnis vom Körper bieles ritter-
lichen Tieres hingen damit zufammen. Ceit
Velasquez find nicht
bejjere Reiterbildnijje
emalt worden alsvon
rübner, weil er wie
jener in der edlen Reit:
tunjit ein Erfahrener
war.
Madhdem es etwa
um bie Jahrhundert:
wende gelungen war,
dem Künjtler einen
Zeil ber thm gebiih-
renden öffentlichen An—
ertennung zu verjchaf:
fen, gingen jeine alten
ee nunmehr
in der Weile unent-
wegt weiter gegen ihn
vor, bap jie feine frühe-
ren Schöpfungen mit
einem Sale lobten,
jeine jpätere Tatigfeit
aber für minderwertig
erklärten, um dadurch
den Erfolg Trübners
bis zu einem gewijjen
Grade unwirfjam zu
machen. Mit Dbiejem
Manöver hatten fie
eine gange Weile
Blüd; denn in der Tat
erreid)ten fie, Daß
für die Galerien Au:
nächft nurältere Bilder
Trübners, deren UAn-
fauf dem Maler we:
nige ®orteile mehr
brachte, erworben wur:
ben. Erft feit etwa
ehn Jahren hat fein
ben fteigender P
uhm auch die neue:
ren Bilder des Rünjtlers galeriefähiggemadht.
Drit allergrößtem Recht; denn fie eben den
älteren Arbeiten in nichts nad) und eebe
wenn ihre farben ebenjo harmonifd zuſam—
mengewadjen jein werden wie die jener,
vielleicht noch höher gejhäßt werden, weil
jie die legte Phaſe feiner Meifterjchaft reprá:
jentieren. Aus eigener, mehr als dreißig:
jähriger Beobadtung fann id) verlichern,
daß alle friichgemalten Bilder Trübners
aud) nicht annähernd die Wirfung aus:
übten, bie fie nad) einigen Jahren machten.
Das lag an der Gewohnheit des Künitlers,
prima zu malen, b. h. bie einmal mit Farbe
gebedte Fläche unter gar feinen Umjtänden
nod) einmal mit bem Pinfel zu übergehen.
(s gab bei ibm fein Zurecdhtftimmen der
pom durch Ubermalen und Lafieren; er
— vielmehr beim Malen ſchon
die ſpätere Wirkung ſeiner Farben und
ſeines Pinſelſtriches und ließ ſo den augen—
blicklichen Eindruck, an dem den meiſten
Malern alles liegt, außer Betracht. Auch in
dieſer rein techniſchen Angelegenheit offen—
barte ſich ſeine Meiſterſchaft und ſeine Ab—
——
Geheimrat Prof. Engler. Gemälde (1909). Kä
fibt, nicht für den ?[ugenblid, jondern für
die Ewigkeit zu affer.
Ebenfalls aus eigener Erfahrung fann ich
berichten, daß es unglaublid) ſchwierig war,
bas erite Bild Trübners in eine deutjche
Galerie zu bringen. Gelbjt ber jo fortid)ritt:
lid) gejinnte Direktor ber National:Balerie
lehnte anfänglich ab, den Riinjtler in bieler
Weije auszuzeichnen. Erft als der Maler
fid) erbot, bei S Hoe Una bes jchönen lo:
ters auf ber Sjerreninjel im Chiemſee‘ das
in feinem Beliß befindliche Bild von Hans
Thoma ‚Schwarzwaldlandichaft mit Ziegen:
366 Besse Hans Rojenhagen:
herde‘ ber National: Galerie zum Geſchenk zu
maden, entjdjfoB Hugo von Tſchudi fid) zu
dem Ankauf. Der &ünjtler hatte bieles Opfer
nicht zu bereuen; denn bald folgten andere
Galeriedireftoren dem Beiſpiele Tichudis,
und im Laufe von zwanzig Jahren nahm
die Galeriefabigfeit Trübners einen Umfang
an, ber dem Maler eine überreiche Genug:
tuung bot für ein PBierteljahrhundert voll
SBerfennung und Enttäujchungen.
Auch darin war der Künltler ein echter
Deuticher, daß er Freundfchaft und Treue
hielt. Niemals hat er bie EN feiner
Jugend vergejjen. Welche tiefe Verehrung
Dat er Leibl bis über bas Grab hinaus be:
wahrt, wie bing er an Schuch und Thoma!
Wie dankbar hatte er Feuerbad in Erinne:
rung! Und mit welcher glühenden Überzeu—
gung trat er für die Menjchen ein, die er
lieb hatte! Wen er als feinen Freund ers
fannt hatte, für den wirkte er, wie er nur
fonnte. Er bejap, was bei Künjtlern durch:
aus nicht immer der Fall ijt, ein jehr bant:
28
Wilhelm Trübner seess sl
bares Herz und vergaß nie, was ein Menſch
ibm Gutes angetan. Ich hatte feine Ge:
legenheit, ibn zu feinem ledgighten Geburts:
We vor der Öffentlichkeit zu beglückwünſchen,
und doc) |chrieb er mir: „Daß ich bielen Tag jo
feiern konnte, ijt hauptſachlich Ihr Verdienſt.“
Was hatte ich denn getan? Nichts, als da—
hin gewirkt, daß Deutſchland Trübner als
einen ſeiner beſten Söhne und Künſtler an—
erkennen ſollte. In voller künſtleriſcher Kraft
iſt er dahingeſchieden dieſer Große. Das be—
zeugen, beſſer als alle Worte es können, die
köſtlichen Landſchaften der letzten Jahre vom
Starnberger See, von Stift Neuburg und
aus Baden-Baden. Das deutſche Volk hat
allen Grund über Trübners Tod zu trauern;
denn, wie der Dichter ſagt:
„Denn Künſtlergrößen löſen ſich nicht ab,
Wie Schildwacht Schildwacht an des Kaiſers Grab.
Sn immer längeren PBaufen kehren fie;
Denn immer fdwerer wird Die Harmonie,
Bis endlich alle weicht, und der Planet —
Wie jegt ber Menjch, fein Sohn, vielleicht vergeht!”
Lefer, bie fid) bes weiteren über bie Runjt Wilhelm Trübners unterrichten wollen, feien auf Hans
Rofenhagens weitausholende Buch-Darſtellung verwiejen, die, gleich biejem Wuffak aud) mebrfarbig
illuftriert, als Band 98 ber &nadfupBiden ,Riinitler-Monographien” im Berlage von Bel-
bagen & Klafing erfdienen ijt. Kurz vorm Tode Trübners ift aud fein Gefamtwert, in 450 einjarbigen
Abbildungen vereinigt, als Band 26 der „Klaſſiker ber Kunft in Gefamtausgaben” bei der
Deutihen Verlags-Anſtalt in Stuttgart herausgetommen. Bei ber Würdigung biejer, von Dr. Jof. Mug-
Beringer herausgegebenen Beröffentlichung ijt — aud) bei der Unvollitändigkeit, Die aus manderlei
äußeren Gründen nicht zu umgehen war — im befonderen der urkundliche Wert zu fhägen, ber einer
folden nod) unter den Augen des Kiinftlers entitandenen Zuſammenfaſſung zuzuſprechen iit.
Inſel im Starnberger See.
Gemälde (1908) 52
B^ PARAT TIAE IER
Senn große prinzipielle Fragen im
Leben ber Gegenwart in ben Bor:
WS dergrundtreten,richtet fih der Blid
ge unwillfiirlid) auf deren frühere
; " Entwidlung. Gewiß tann uns die
geichichtlihe Betradtung niemals lehren,
was wir tun follen; denn jede Zeit hat ihre
beionderen Aufgaben und Borausjegungen.
ber fie tann uns den Blid dafür hären,
welde Funktion umijtrittene Einrichtungen
bisher für das Gejamtleben erfüllt haben,
aus welden Bedürfnilien heraus fie ent:
jtanden find, was an ihnen wejentlich und
dauernd, was zeitlich bedingt ift.
Augenblidli nimmt unter allen Proble:
men des inneren Ctaatslebens die Zujam:
menjegung der Parlamente das Jnterejje
am meijten in Wnjprud. Es birgt eine große
Zahl anderer Fragen in fid) und führt ben
Betrachter immer wieder auf bie grundlegens
den Prinzipien alles politijchen Lebens zurüd.
Faſt alle Parlamente der Jebtzeit find
nad bem jogenannten Zweilammeriyitem
aufgebaut. Neben einer aus mehr oder min:
der allgemeinen Wahlen hervorgehenden
Bolfsfammer fteht noch eine weitere parla:
mentarilhe Körperjchaft, die nach einem
anderen Gejidjtspunfte gujammengejest ift.
Dieje Erjcheinung ijt um jo merfwiirdiger,
als Die modernen Parlamente betanntlid)
durch allmähliche Umbildung oder bewufte
Umgejtaltung aus den mittelalterlichen Stän:
Den erwadjen find, diefe aber falt überall
eine ganz andere Gliederung aufweijen. Auf
dem ganzen europäilchen Feſtlande waren
die alten Stände nicht in zwei, jondern in
drei bis vier gleichberechtigte KRörperjchaften
geteilt, bie getrennt berieten und beichlojjen;
erft wenn fie unter fih und mit der Regie-
rung einig geworden waren, fonnte ein gül-
tiger ,9Ib|djteb' gujtande tommen. Meeiſt
bildete die Geiltlichkeit einen Beratungs:
tórper für ſich; Daneben finden wir den hohen
und niederen Adel, bald getrennt, bald ge-
meinjam tagend; ferner die Wertreter der
Städte und in manchen Ländern aud) die
der Bauern. Der alte deutſche Reichstag zer:
fiel vor 1806 in Die drei Kurien der Rurfür:
Hen, der Fürjten und Herren, und der Städte.
Die franzöfiichen General|tánbe jeßten fid)
vor 1789 aus der Geijtlidfett, dem Adel
und dem dritten Stand aujammen. Nur in
einem einzigen Lande bejtanb bie heute iib-
lihe Zweiteilung ſchon im Mittelalter; und
in der Tat hat von diejem Lande aus und
unter feinem Einfluß bas Zweikammerſyſtem
UA
a i EES
ut Helchidite und Bedeutung -
e» egen zen an)
on Geh. Hofrat frof. Dr Eric; Brandenburg
4
llallallallallallallallallallallallallallallallallallalallallallallallallallallallallallallallallallallal lal lal lal La
lal
GGG A
feinen Siegeszug durch bie Welt angetreten.
Dieles Land tjt England.
In England gab es [hon feit bem 14. Jahr:
hundert zwei jtändilche Körperſchaften, bas
House of Lords und bas House of Com-
mons, Jn dem er[teren jaB neben dem hohen
Adel auch bie obere Geiltlichkeit des Lan:
des; in dem lebteren topen gemeinjam die
ÜBertreter des niederen Adels, der Gentry,
nad) Grafſchaften gegliedert, und bie Abge:
ordneten der zum Parlament durch Be-
rufung der Krone zugezogenen Städte. Die
Entjtehung diejer Zweiteilung wird man nur
aus den bejonderen Borausjegungen der
englijden Entwidlung begreifen Tonnen, Die
Snjel war im Jahre 1066 von ben Nor:
mannen erobert worden; den normännijchen
Herrichern folgten Könige rein franzöfilcher
Wbjtammung. Gie blieben nod) jabrhun-
dertelang ihrer Bildung, Sprade und Ge:
jinnung nad) Frangojen, Gie bradten ihre
normännijchen und weitfranzölilchen Betreuen
mit nad England, gaben ihnen bie Bis-
tiimer und die großen Lehen und regierten
mit ihrem Rat. Ihnen gegenüber fühlten
(id) alle übrigen Gtände des Bolfes als
Einheit; ber nationale Rik ging mitten bird)
den Adel hindurd), während bas Bewuft-
jein ber gemeinjamen angelſächſiſchen 91b:
jtammung den eingejejjenen fleineren Land-
abel mit dem jtädtilchen Bürgertum verband
unb eine jo jcharfe Trennung zwilchen Adel
und Bürgertum verhinderte, wie fie auf dem
Feltlande üblich war. Die Zweiteilung bes
Parlaments bildete hier aljo ben Ausdrud
und das Ergebnis der jcharfen nationalen
Zweiteilung der Bevölkerung. Weil in den
übrigen Ländern Europas Gage Berhält:
nijje nicht bejtanden, blieb diefe Erjcheinung
bis zum 18. Jahrhundert auf England be:
ſchränkt.
Erſt in der Zeit der Aufklärung und der
beginnenden Reaktion gegen den überall
berrjchend gewordenen Abjolutismus begann
man auf dem Fejtlande die englilden Gin:
richtungen als Vorbild zu betracdten. War
bod) England das einzige Land, bas in den
Berfallungsfämpfen der PR —
Sahrhunderte bte Rinigsmadt eingujdrane
fen und ber politijden Freiheit Spielraum
zu |dajfen veritanden hatte, während fonft
überall ber Abſolutismus fiegreich geblieben
war. Der wirffamfte Prophet des Bedan:
fens von der Muſtergültigkeit der englijden
Werfajjung wurde Piontesquieu in feinem
Geijt der GejeBe’. Er war es aud), ber
368 MESSEN Geh. Hofrat Prof. Dr. Grid) Brandenburg: re ZEZE ZEZA]
guerjt eine theoretijde Begründung für bas
Zweikammerſyſtem zu geben verjuchte. Ein
guteingerichteter Staat, jo führte er in An:
lehnung an Die politiſchen Denter des Alter:
tums aus, muß die verjchiedenen politijchen
Prinzipien in richtiger Mijchung enthalten.
Im Königtum fieht er bas monardifde, im
Oberhaus das art|tofratijd)e und im Unter:
Ce Das bemotratijdje Prinzip vertreten.
ie arijtofratijhen Kräfte ber Bejellichaft
bedürfen einer legitimen Bertretung inner:
halb ber Seil weil fie jonjt mit Na—
turnotwendigfeit zu Feinden ber bejtehenden
Ordnung und zu einem Element ewiger Un:
ruhe und Bedrohung werden müjjen. Ferner
bildet bie Herrjchaft einer einzigen Verſamm—
lung nad) Montesquieus An t eine ebenjo
\hwere Gefahr für die Freiheit, wie die uns
bejdrantte Regierung eines einzelnen Mens
iden. Stamentlid) wenn fie durd Wahl aus
dem Geſamtvolk hervorgegangen ift, bedarf
es neben ihr eines mäßigenden und zurüd:
haltenden Elementes, um der Entwidlung
des politijdhen Lebens die nötige Ruhe und
Stetigtcit zu geben. Der arijtofratijche Ge
nat‘ darf allerdings niht ganz aleid)be-
redjtigt neben ber Bolfsfammer jteben; in
allen Fragen, bie mit ber Belteuerung zu
tun haben, darf er nicht mitberaten, Jondern
muß auf das Redt, gefübrlidje Beſchlüſſe
zu verhindern, bejchräntt fein. Er tann
aljo derartige Bejete, welche bie Bolfsfam-
mer bejdlofjen hat, nur im ganzen anneh»
men oder ablehnen.
Auch in biejer Beziehung fnüpft Mtontes-
quieu an bas damals bereits geltende englijche
Staatsreht an. In England hatte das
Unterhaus von Anfang an die Steuern allein
feitgeltellt und auf die Bewohner verteilt,
weil ber im Oberhaus vertretene Adel [teuer-
fret war und daher an biejer Frage gar
fein Interejfe nahm. Über die Verwendung
der bewilligten Summen, aber verfügten
beide Häuſer gemeinjam mit bem Köntgtum.
Als |páter bie 9Berbáltnijje andere wurden,
die Steuerfreiheit des Adels fortfiel, blieb
dieje alte Gewohnheit beftehen.
Englands zunehmender Mohlitand und
wadjende Macht wurden damals mit Vor-
liebe auf die Vortrefflichfeit feiner politijden
Einrichtungen zurüdgeführt. Montesquieu
bewies, daß fie den Forderungen ber Berz
nunft entjprächen. Das praftijdje Vorbild
und die theoretijde Forderung ftimmten aufs
befte zujammen. Überall judjte man nad)
Ginrichtungen, bie den verhaßten Abjolutis=
mus erjeben und eine gedeihliche Weiter:
entwidlung bes Staatslebens gewährleiiten
jollten; bier jchienen fie fid) von felbft zu
bieten, während bie alten Stände der eigenen
Lander fid) als ohnmächtig erwiejen hatten.
Alles Dies zulammen verlieh dem Bedanten
des fonjtituttonellen Staates mit bejchräntter
Monarhie und Zweifammeriyitem eine ge-
waltige Durchichlagstraft.
In diefer auf engliihem Boden erwach-
jenen, durch Montesquieus geiltigen Einfluß
theoretijch gerechtfertigten Einrichtung haben
wir Die erjte, aber * die einzig mögliche
yori bes Zweikammerſyſtems vor uns. Wir
önnen fie als den englijdjen Typus bezeich—
nen. Das Oberhaus repräjentiert ben arijto:
fratiichen Teil der Gejelljchaft; man gehört
zu ibm auf Grund angeborenen Rechtes;
der König tann zwar neue Bejchlechter dort:
hin berufen, fie dadurch unter den hohen
Adel des Landes aufnehmen; aber ftets tjt
der Sig im Oberhauje, einmal verliehen,
erbliches tyamiliengut; niemals tann er bem
einzelnen etwa auf Lebenszeit verliehen
werden. In der englifden Berfaflung der
legten Jahrhunderte ift bas Beburtsprinzip
zwar nicht ganz ftreng feitgehalten worden;
Die Bilhöfe und die höchſten Rihter des
Landes gehören ihm fraft ihres Amtes an,
jolange fte dies befleiden; und ber Adel ber
|páter in ben NReichsverband eingetretenen
Gebiete Schottlands und Irlands wählt
nur Vertreter in bejchräntter Zahl, die teils
lebenslänglich, teils nur auf bejtimmte Zeit
Mitglieder find. Aber unter den etwa jeds-
hundert Lords, die das Haus gegenwärtig
aufweilt, find nur fiebenundfiebzig *Berjonen,
die nicht kraft erblichen Rechtes in ihm figen.
Und daran, daß der König feine Peers auf Le-
benszeit ernennen darf, ijt alleninderungsver:
Iden gegenüber —— feſtgehalten worden.
Man Bet bielem Typus feine Herkunft
aus ber vorrevolutiondren Epoche Deutlich
an. Er hat etwas Altertümliches und Ebr:
würdiges, ignoriert aber völlig bie Tatjache,
daß ber Grundadel in der modernen Welt nicht
mehr bie joziale und wirtichaftliche Bedeu»
mog befigt wie in früheren Syabrbitnberten.
don am Ende des 18. Jahrhunderts
erjcheint daneben ein zweiter Typus, der
jeine erjte Ausprägung in Amerika gefunden
bat. Jn den auf demokratiſcher Grundlage
erwadjenen Gemeinwejen der Neuen Welt
gab ee feinen hohen Adel von derartiger
Macht und derartiger gejellichaftlicher Bor:
zugsitelung wie in Altengland. Aber mit
dem gejunden praftijdjen Sinn des Angel-
ſachſen erfannten aud) die Wmerifancr die
großen Vorzüge einer Teilung der Bolfsver-
tretung in zwei Häujer; das Prinzip der
gegenfeitigen fiberwadjung und Beſchrän—
ung jollte gewahrt bleiben; aber einen ari[to:
fratiihen Charatter jollte bie an bie Stelle
bes Dberhaujes zu Jegende Körperjchaft
nicht haben. Wie folte fie aljo beichaffen
jein? Mian fam, dem ganzen Charakter der
amerifanijden Gemeinwejen gemäß, auf ben
Gedanfen, aud) fie aus Wahlen hervorgehen
zu laſſen.
— Die Bundesverfaffung der Bereinigten
Staaten von 1787 ging von dem Gedanfen
aus, daß in einem Bundesjtaat gleichberech:
tigter Glieder nicht nur das Bejamtvolf ein
Recht auf Vertretung im Parlament habe,
jondern auch ber Cingelftaat. Daher bes
timmte fie, daß der Senat aus je zwei Ber:
tretern aller Einzeljtaaten ohne Rückſicht
auf Größe oder Bevölkerungszahl bejtchen
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BESSSSHEHFFET Zur Gejdidte und Bedeutung der Erften Kammern BZZ 369
folle. Ihre Wahl wurde ben Parlamenten
ber Cingelftaaten übertragen und follte jtets
auf jedjs Jahre erfolgen. Um wählbar zu
fein, mußte man mindeitens dreißig Jahre
alt, neun Jahre Bürger der Vereinigten
Staaten und Bewohner desjenigen Ctaates
fein, den man vertreten follte. Beide Haus
fer haben gleidye Rechte; die Finanzgeſetze
tommen zuerjt an bas Reprajentantenhaus,
fonnen aber vom Genat verbejjert werden.
Das Prinzip, daß im Senat die einzelnen
Teile des Ctaatsgebietes ihre Wertretung
finden follen, ericyeint am ſelbſtverſtändlich—
Hen für ben Bundesitaat; aber es tit feines:
wegs nur dort durchführbar. Auch die Vers
fajjungen mander amerifanijder Einzel—
taaten — wie diejenige von Maſſachuſetts
(1780) — beruhen darauf, wenn aud) bier
nod) ber (runbbeji& als unterjcheidendes
Merfmal hingutritt. In Europa ift diefer
Typus vornehmlich in Franfreid) zur Wn:
wendung gelangt.
Als Franfretd) nad) dem Ausbruch ber
großen Revolution daranging, jid) eine neue
Berjajjung au geben, jchwebte wohl den
meijien gunddjt das englijche Muſter vor.
Über es war praftijd unmöglich, es zum
Borbild zu nehmen Gin arijtofratijches
Oberhaus hätte fid) ja aus den gejchworenen
Feinden der Revolution zufammenjegen müſ—
fen; ibm einen erheblichen Einfluß einzus
räumen, wäre politiidjer Gelbjitmord ges
wejen. Co entjdjieb fid) bie fon[tituierenbe
Jiationalperjammlung für bas Eintammer:
Ver Das Anwadjen ber demofratijden
ejtrebungen in den nádjiten Jahren fonnte
die Neigung zur Einführung eines arijtofras
tilden Oberhauſes nur nod) weiter herab»
drüden; daher berubte jelbjtverjtändlicd) aud
die jafobinijde Berjajjung von 1793 auf dem
Einfammeriyitem. Dann aber führte die bin:
tige Seit der Schredensherrichaft zu ber prat:
tiihen Erfahrung, weldje furdtbare Gefahr
[er die Freiheit in ber Tyrannei einer einzigen
erjammlung liegen fonne. Die gebildeten
und bejigenden Elemente, bie bas Syatobiner:
regiment gejtürzt hatten, führten in Der
Verfaſſung von 1795 bas Zweitammeriyitem
ein. Die Feindſchaft gegen Adel und Kirche,
die 2n te beherrichte, ließ freilich bas eng:
liſche Syſtem ebenjowenig anwendbar er:
icheinen wie vor jedjs Jahren. Man griff
daher zu einem gewählten Genat, wie in
Wmerifa, wich jedoch in den Einzelheiten
jtarf von bem amerifantiicher Syitem ab.
Der Rat der Alten‘, beitehend aus 250 Mit»
gliedern, erhielt nicht bie volle Gleichberech—
tigung mit bem ,GejeBqebenden Körper‘ von
500 Abgeordneten. Er durfte niemals ein
Geſetz zuerjt beraten, jondern bie Bejchlüjje
der andern Rammer nur en bloc annehmen
oder ablehnen. Inſofern ſtand er jchlechter
da, nidjt nur als der amerifanijhe Senat,
fondern auch als bas englijde Oberhaus.
Dagegen erhielt er bas Recht, bie Sigungen
bes Parlaments an einen andern Ort zu
verlegen. Der Rat der Wlten wurde von
genau demfelben Wahltörper gewählt wie
der Rat der Fiinfhundert; wählbar war je
bod) nur, wer nidjt unter AN Date alt
und entweder verheiratet oder Witwer und
mindeitens fünfzehn Jahre auf bem Gebiet
ber Republif wohnhaft war. Im Gegenjaß
zu Amerifa erjhien alfo der Senat nid
als Vertretung der lofalen und provingiellen
Intereſſen, fondern der älteren, erfahreneren,
bepädt oeren, im Bolfsleben fejter veranfer-
ten Schichten.
Ziele Verfaffung hat nur vier Jahre be:
ftanden. Nach bem miBalüdten Experiment
mit einem Dreifammerfyitem in der Kon:
julatsverfajjung von 1799 und ber Zeit
bes napoleonilchen Raijertums erhielt Frank:
reich 1814 eine Berfajjung, die jid) jcheinbar
dem englijdjen Vorbild anjdjfop, in Wahr:
heit aber einen neuen, dritten Typus des
Zweikammerſyſtems barjtellte. Die ,Pairs:
fammer‘ folte nämlich bejtehen aus den
Mitgliedern des königlichen Hanjes und
einer unbejtimmten Anzahl, vom König nad
Belieben auf Lebenszeit oder erblid) ernann:
ter Mitglieder, Neben Geburt und Wahl trat
bier als drittes mögliches Prinzip der Zujam:
menjegung bie föntgliche Berufung, Ste blieb
in Frankreich maßgebend bis 1848; auf ber:
Kai Grundlage ruht die italienijche Ver:
ajjung und die Berfaffung des zweiten
franzöliichen &aijerreid)s von 1852.
Dagegen kehrte Franfreid) nad) dem Sturz
Napoleons III, wieder au bem amerifanijchen
Syitem zurüd. Die VBerfajfung von 1875
beitimmt, daß der Senat aus 300 Mitgliedern
bejtehen foll, von denen 225 in den einzelnen
Departements und Kolonien von einer
hierzu bejonders berufenen Berfammlung
auf neun Sabre gewählt werden. Dieje fegt
fid) im wejentlicyen aus den Gelbitverwals»
tungstörpern diejer Bezirke gujammen, fo dah
die lofalen Intereffen bei der Wahl ftart
zur Geltung tommen. Der Reit von 75 Mit:
gliedern follte anfänglid) von der National:
verjammlung gewählt werden; diefe Be:
ftimmung ift jedoch [pater aufgehoben wor:
den. Der Senat ijt ber Deputtertenfammer
vollitändig gleichberechtigt; ber Prälident
ber Republif darf die leBtere nur mit feiner
Suitimmung auflöjen.
Die hier kurz gejchilderten Typen ber
Alone un unb Rompeteng der erften
ammer fehren mit allerlei fleinen Abwei:
dungen in den Verfaſſungen der übrigen
Lander wieder. Wir bejchränfen uns hier
darauf, ihre Erjcheinungsformen in Deutjch:
land nod) etwas genauer ins Auge zu fallen.
Bon den ältejten beutid)en Berfajlungen
lehnt fic) bie banrijde von 1818 eng an den
——— Typus von 1814 an; nur iſt
as €rnennungsredjt des Königs infofern
bejchränft, als er zu erblid)en ‚NReichsräten'
nur adlige SFideitommißbejiger ernennen
darf, deren Grundvermögen eine bejtimmte
Steueritufe erreicht. Berde Kammern find
gleichberechtigt. Die badijche Verfaſſung von
1818 ruht auf derjelben Grundlage, tennt
370 (eb. Hofrat Prof. Dr. Erih Brandenburg: BSSsseseessa
aber neben den vom König ernannten Mit:
zliedern ber erften Rammer nod) geborene
titglieder (Prinzen und Etandesherren), jo-
wie joldje, bie es kraft ihres Amtes oder
bird) Wahl find; nämlid ben Landesbijdof,
wei Vertreter der Univerfitäten und adt
— des grundherrlichen Adels. In
Württemberg (1819) findet fih nur eine er:
hebliche Abweichung: dak nämlich die Zahl
ber vom König erblid) oder lebenslanglid
ernannten Wtitglieder den dritten Teil ber
übrigen Mitglieder (Prinzen und Ctanbes:
herren) nicht überjteigen darf. Zu ber glei:
den Gruppe gehört aud) die ſächſiſche Bers
fajfung von 1831, nur daß bier das Bes
tufungsredt des Königs eingejchräntt ijt auf
ehn lebenslanglid) ernannte Nitterguts=
hebber und feds ftadtijde Bürgermeiſter,
während die erjten Bürgermeilter der beiden
alien Städte kraft ihres Amtes Mitglieder
er erjter Rammer find. (QGigentümlid) ijt
Gadjen bie Beftimmung, daß bei einer
Meinungsverjchiedenheit beider Kammern
über eine Regierungsvorlage, wenn ein Bere
(ud) gütlidjer Einigung Icheitert, bie Bor:
lage als angenommen gilt, wenn nicht in
der ablehnenden Rammer zwei Drittel der
Stimmen dagegen find. In dem hannover:
iden Staatsgrundgeleg von 1833 ijt bas
Ernennungsredt bes
geichräntt auf Majoratsbejiger mit bejtimmt:
tem Ginfommen, zwei Geijtliche und vier
weitere Mitglieder, von denen eins auf
Lebenszeit ernannt werden tann, Die übrigen
nur für bie laufende Situngsperiode.
Der große Revolutions/turm von 1848
brachte überall das ältere Verfaſſungsrecht
ins Wanten. Bon den damals neuentitans
denen Brundgeiegen fieht bas öſterreichiſche
einen Cenat vor, ber aus den lóniglid)en
Prinzen, einhundertfünfjig von ben be:
deutenditen Grundbefigern gewählten Ber:
tretern und beliebig vielen vom Kaifer
el Lebenszeit berufenen Mitgliedern bes
itebt. Dagegen geht die am 4. März 1849
vom Raijer oftroyierte, 1851 wieder aufge-
bobene zweite öjterreichiiche Verfajlung zum
amerifanijcdben Typus über, indem fie ben
Landtagen der einzelnen Kronländer das
Recht gibt, das Oberhaus auf zehn Jahre
gu wählen. Überhaupt zeigt bie unter Dem
rud der Revolution einjegende Bewegung
einen deutlichen Zug mad) biejer Richtung.
Die deutſche 9tetd)sverfajjung der Pauls:
firche wollte ein Ctaatenbaus nad) dem
Mufter bes amerifanijdjen Cenates einfub:
ren, bejtehend aur Hälfte aus gewählten
Wertretern ber Einzellandtage, zur Hälfte
aus von ben Regierungen ernannten Mit:
gliedern. Die preußilche oftroyierte Verfaf:
lung vom 5. Dezember 1848 fah eine erjte
Rammer von 180 Gliedern vor, bie durd
die Provinziale, Bezirks- und Rreisver:
tretungen gewählt werden follten. Ähnliche
Beltimmungen wurden damals in bie mei:
ften eingelftaatliden Grundgejege aufge»
nommen.
önigs ebenfalls eins `
Nah dem Scheitern der Revolution jest
überall eine entgegengele&te Strömung ein.
Comeit bie Verfajjungen niht ganz bejei-
tigt wurden, wie in Öjterreich, wurden [ic
rücdwärts revidiert; bie Beitimmungen über
bie Zujammenfegung ber eriten Kammern
wurden mit geringen Beränderungen jo wie:
derhergeitellt, wie fie bis 1848 beftanden
hatten. Am bedeutjamften war es, daß aud
in Preußen diefe Richtung völlig zum Siege
gelangte. Die Berfajjung von 1850 fah nod
eine aus verjchiedenen Beltandteilen ge:
mijchte erfte Rammer vor: neben den tö-
niglichen Prinzen und CtanbesDerren jollter
vom König auf Lebens-eit ernannte Mit:
glieder figen, jebod) folte ihre Zahl den
zehnten Teil jener erbliden Patrs nicht
liberfteigen. Außerdem follten aber neungig
gewählte Vertreter ber S5ódj|tbeitenerter und
dreißig von den GBemeinderäten gewählte
Bertreter der größeren Städte ihr angehö—
ren. Nach englijdjem Borbild wurde ber
eriten Rammer bei Finanzgefegen nur bas
Recht zur Annahme oder Ablehnung im
ganzen zugebilligt. Durch bas Geje& von
1853 wurde aber dem König bas ausſchließ—
lide Recht gegeben, die Zufammenjegung
ber eriten Rammer zu bejtimmen. Er madte
im folgenden Jahre davon Gebraud, indem
er fie in das ‚Herrenhaus‘ umwmandelte.
In ibm fien wieder aus erblidem Recht
die Prinzen, Standesherren und erblid) be:
rufenen Broßgrundbeliger; ferner von be,
ftimmten Grundbejigerverbänden, den Unis
verlitäten unb einer Anzahl von Städten
prüjentierte' Mitglieder; endlich eine be:
liebige Anzahl vom Könige auf Lebenszeit
berufener ‘Berjonen. Nur in bem Präſen—
tationsredt der erwähnten Rorporationen
ge fid) ein Reft bes ur[prünglid) geplanten
ablredjtes erhalten.
Ale Veränderungen, bie feitdem an ben
deutjchen Berfaflungsbeitimmungen über bie
erften Kammern vorgenommen find, betref:
fen nur Einzelheiten und haben weder deren
Zujammenfegung nod) deren Rechte im
Prinzip verändert. Tas neue Deutjche Reich
bat bas Einkammerſyſtem dent wobl
jind aud) in ber Seit ber 9tetd)sgrünbung
verjhiedene Plane zur Errichtung eines
NReichsoberhaujes aufgetaucht; fie find aber
daran gefdeitert, Daß eine befriedigende
Stellung einer ſolchen Körperjchaft neben
Bundesrat als der Vertretung der verbün:
deten Regierungen fih niht finden Lief.
Daher ift das Problem ber Geltaltung der
eriten Kammern heute nur für die Einzel:
ftaaten von Bedeutung; bier aber bejigt es
eine außerordentlich große Wichtigkeit.
Wenn wir uns fragen, ob die Gründe,
bie zur Annahme bes Zweikammerſyſtems
in den meilten Staaten, aud in allen deut»
Iden Einzelftaaten, geführt haben, nod) heute
ihre Berechtigung befigen, jo wird fid) das
laum beftreiten laffen. Die Bevölterung
eines Rulturlandes bildet aud) heute nod)
feine einheitliche, gleichartige, ungegliederte
EE Zur Gejdidte und Bedeutung der Erjten Rammern EBBSSA 371
Maffe von einzelnen, wie es bie Demofratie
ets möchte, jondern ein reichgegliedertes
p[tem. QAltüberlieferte Unterjdyiede in Be:
fig, Anſchauungen und Xebensweile, neue,
infolge ber raptden wirtjchaftlichen Entwid:
[ung eingetretene fogiale Berjchiebungen
liedern das Bolt aud) heute in eine große
nzahl verjchiedenartiger Gruppen, bic eine
jehr veridjiebene Bedeutung für bie Bejamt:
heit haben. Se jtürfer in ber Entwidlung
der legten Jahrzehnte bie Tendenz hervors
getreten ift, bei ber Gejtaltung des Wahl:
rechts zur zweiten Rammer von allen biejen
Unterichieden abzujehen und alle einzelnen
Staatsbürger als fo[dje mit dem gleichen
Stimmredt auszuftatten, dejto größer wird
die Gefahr, bal diejenigen 9Bolfstreije in
ihrem politijden Ginflug zum Nachteil des
Ganzen zurüdgedrängt werden, deren Bes
deutung nicht auf ihrer Zahl, fondern auf
ihren geijtigen und materiellen Leijtungen,
nicht auf der Quantität, jondern auf der
Qualität beruht. Man tann gewiß an fih
darüber ftreiten, ob es nicht richtiger und
praftijcher wäre, nur eine Rammer zu haben
und in ihrer Zujammenjegung die Gliede-
rung des Bolfes zum vollen Ausdrud tommen
zu lajjen. Da aber bie Entwidlung überall
einen anderen Bang genommen hat, und
da bas allgemeine gleiche Wahlrecht fid) ba,
wo es einmal eingeführt ijt, unmöglich wies
der bejeitigen läßt, fo bleibt im Intereſſe
eines gejunden Ctaatslebens fein anderer
Ausweg übrig, als neben bie ben Maſſen—
willen repräjentierende zweite Rammer ein
anders geartetes Gegengewicht au ftellen.
Die jchwierige Aufgabe der Gegenwart ijt es,
die eriten Kammern fo zu geitalten, daß fie
diejen Swed aud) wirflid) erfüllen Tonnen,
ie mir [djeint, ijt dazu eine poll[tánbige
Bleichberechtigung beider Kammern erforder:
(ih. In England Bat man in den lebten
Jahren vor dem Kriege bem Oberhauſe feine
frühere Stellung faft völlig genommen, ins
bem man es in ber gejamten Gejekgebung,
nicht nur in Sinansfranen auf bas Redt
beichränft Bat, einen autjchiebenden Einfluß
yu üben. Die enticheidende Snftang ijt jest
allein das Unterhaus; es fann über jeden
Einjprud der Lords glatt binmeageben. Im
Begenjag dazu will man in Preufen bas
Borredt der zweiten Rammer in Finanz—
fragen bejeitigen, falls dort das allgemeine,
an Wahlrecht zur Durdfiihrung gelangt.
tiefem Gtreben liegt das richtige Gefühl
ugrunde, daB das Zweikammerſyſtem
nnlos ift, wenn jchließlid) bod) eine Ram:
mer allein entjcheivet. Wud) in den oroben
Republiten — Amerifa und Franfreid) —
iind beide Häufer einander gleichberechtigt.
Borausjegung dafür ijt freilich eine Zuſam—
menjegung ber eren Kammern, bie ber Deu:
ECH Gliederung ber Gejellidjaft entipricht.
ährend im 19. Jahrhundert überall ge:
waltige joziale Verjchiebungen ftattgefunden
Haben und das Wahlrecht zur zweiten Ram:
mer Durchgreifend verändert worden ift,
haben die erften Rammern diejenige Form
behalten, bie fie in Der o vorwiegend
agrarijdjer Geftaltung bes Wirtjchaftslebens
unb einer entiprechenden Schichtung der Ge»
jellichaft erhalten hatten. Cie find in den
alten Formen erjtarrt, während ringsum
Neues entítanben ijt. Aber wie fol man
bie notwendige VBerjüngung bewirfen? Goll
man dabei am Prinzip ber Geburt und ber
erblichen Beredhtigung fefthalten oder Die
lóniglidje Berufung oder — die Wahl
zur Grundlage ihrer Zuſammenſetzung neh—
men, oder ſoll man alle dieſe Möglichkeiten
nebeneinander zur Anwendung bringen?
Wenn man als oberſtes Ba im Auge
behält, denjenigen Gejellichaftsgruppen, bte
einen bejonderen Wert fiir die Gejamtheit
beligen, gegenüber bem rein mechanijchen
Prinzip der Zahl eine Vertretung zu Jichern,
jo bietet bie Grblidjfeit der Sige dafür eine
ſchlechte Garantie. Die Schichten, deren
Bertretung gewährleijtet werden fol, Tonnen
dann niht ihre beiten Leute fenden, jonbern
der Zufall ber Geburt ift allein ent|d)eibenb.
Die Berufung durd) bie Krone führt zur
Bevorzugung folder Perjönlichkeiten, von
denen der Herricher eine Unterftiigung feiner
augenblidlichen Abjichten erwartet. Wenn
ihr feine Schranten gezogen find, ——
ſie eine willkürliche Umgeſtaltung der Mehr—
durch den ſogenannten ‚Bairsichub‘.
[ber aud) die Wahl hat manches gegen ſich.
Es ift außerordentlich jchwierig Lët beitim»
men, nad) meldjem Prinzip bie Wahltörper
zulammengejegt werden follen. Die Ber:
tretung der lofalen Berwaltungstörper, bie
anz andere Aufgaben haben als der Staat,
äßt fic) taum mit jadhlichen Gründen recht:
fertigen. Gibt man jold)en Gruppen, Die
Hid) burdj Beli, Bildung, Alter heraus»
heben, das Wahlrecht für die erjte Rammer
und läßt ihnen zugleich dasjenige für Die
zweite, fo jchafft man ein Doppelwahlredht,
was immer feine Bedenken hat. Greift man
auf die Berufsgruppen zurüd, wie es heut
in Deutjchland vielfach vergeichlagen wird,
jo erheben natürlich alle Berufe Anſpruch
auf Vertretung, und es ift eine völlig un:
lösbare Aufgabe, einen Maßſtab für bte ge:
rechte Verteilung der Sige zu finden. |
Es ift hier nicht ber Ort, Vorjchläge für
eine praftijde und den EE Der
Gegenwart entjprechende Lojung zu machen.
Nur auf die bijtoriid)en Vorausjegungen und
—— der Aufgabe ſollte hingewieſen
werden. Die Löſung zu finden iſt Sache
der praktiſchen Staatsmänner. Möge es
ihnen gelingen, eine neue, den heutigen |o:
zialen Verhältniſſen ent|predjenbe Alan
menjetung der erjten Rammern durchzufüh:
ren. Dann werden fie neben die bisherigen,
heute jämtlich veralteten Typen eine neue,
deutjche Form parlamentarijher Macht:
perteilung ftellen Tonnen, Die anderen Böl
fern ebenjo zum Vorbild zu werden vermag,
wie in früherer Zeit bie Gintidtungen Eng:
lands, Ameritas und Frantreids.
Gin Rundlauf
C Cosi eon Änfelma Heine
ilibald Quenfel Iiep das Auto
halten. Er hatte in feinem Bä—
deter von einer Burg gelejen,
bier in der Nähe von Wieran,
die zum Rauf geboten wurde.
Gin altes Tiroler Ndelsgefc)lecht hatte da
drei Dienjchenalter hindurch in großer Bradt
und €ujtbarleit gehaujt, bis fein Reichtum
zu Ende ging. Als dann fein Bauer mehr
liefern, fein Jude mehr borgen wollte, fiel
die ganze Herrlichkeit an die anbjdjaftss
gemeinde, Die ihre Gerichtsbarkeit darin
einrichtete, jchließlich aber, ba den beleibten
Ratsherren der Aufitieg dort hinauf zu
miibjam wurde, bie verjtaubten Alten wieder
ke zur nahen Rreisftadt, im
urgichloß bte wohlerhaltenen Gemächer des
Rofotofliigels an reide Fremde vermietete,
die mittelalterlid) weiten Gale aber bes
älteften Burgteils zu Heinen Wohnungen
einrichtete für die Armen bes Tals. bas
Dialer famen mandmal hinauf, nijteten fi
in dem nod unverjehrten Wachtturm ein
und [tellten ihre Staffeleien in den Burghof.
Alles das reizte den jungen Mann, der
joeben, hübjch, lebensgierig, kunſt- und liebes
gejättigt und mit einem Geheimnis im Her:
zen aus Stalien fam und nun auf dem Heim:
wege gern mod) ein bißchen Luft einjam:
melte. Get fah er die Burg. Gie ftand auf
einem fablen Hügel jenjeits der f'anbjtraBe
und bes Flüßchens. Ihre laubumwmadjenen
Mauern und Türme vermittelten warm zwis
jhen den weit den Berg hinauffletternden,
grauen Edjindeldächern bes armjeligen Tals
Dorfes und den gelbleuchtenden, hohen Ges
birgsichroffen.
Willibald Quenſel fchlüpfte aus feiner
Telzd.de heraus. Cin bißchen fröjtelnd,
Es war nod früher Herbjt, er aber verwöhnt
Durch bas italieniid)e Klima.
Langſam und genieplid) jchritt er über bie
fonnenwarme Brüde am Ufer entlang, das
von rotbefrüchteten Ebereichen eingefaßt war,
Es rod) nad) Brombeeren, Pilzen und Tanz
nennadeln. Laubbdume, jchon rot gefärbt,
webten raujchend. Mun ftieg er den fteilen,
zwiſchen Geroll getretenen fad hinan, den
man thm — hatte. Moos und Un—
kraut wucherten in den Vertiefungen des
— Hier und da Reſte behauener
teine. Einmal eine kopfloſe Gipsfigur.
Die Burg hatte ſich eine Weile geduckt,
um bald wieder emporzuwachſen. Und nun
hob fie fih jchlant ihm entgegen. Er jab
geborjtene Torbogen, jcheibenloje Fenfter,
einen Eäulengang ohne *Rebedung, wilder
Wein wogte wie ein hellroter Vorhang
über bie Wiauern, eine Zugbrücde ftand
halben Leibes über bem ganz verjchütteten
n
Gum
und vergrünten Graben. Zwei runde Baum:
ftamme dienten an ihrer Stelle zum Stege.
Im Burghof bot jid) ein überrajchendes
Bild. Mitten unter der ftrengen Herrlich:
feit von Bogenhallen, Renaijjancegtebeln
und — — ſteinerne Merkzeiger der
Zeit, die über das Schloß hinweggegangen
iſt — breitete ſich ein buntes und doch arm—
ſeliges Durcheinander von Ziegen, Kindern,
Schweinen, Hühnern, Katzen, Hunden und
erboſt ſchwaßenden Weibern. Säuglinge
weinten, Knaben brüllten, Kinderwindeln
hingen am Akazienbaum und an ben Rofen:
büjchen. Ein äußerjt mirtiames Gegenipiel
von Pracht unb Vernachläſſigung. Ein klei—
ner, mutiger Cpi& wollte dem Eindringling
an die Hojen, wurde aber durch eine bar
tige Frauensperjon zurüdgerufen, bie heran:
tam unb fic) als Pförtnerin auswies. Gie
holte denn aud, ohne groß zu fragen, ein
Bund müdjtiger Schlüſſel herbei, und Wil:
libald fonnte bie wundervolle Dedenwölbung
des Nitterjaales genießen, bie fid) in gar:
tejter Berdjtelung zu Säulenſchäften nieder:
jenfte. Zu feinem heftigen Berdrug aber
bewegte fih unter Ddicjer Rojtbarfeit unbe
hindert ber Hauptviehbeftand der kleinen
Gemeinde bier oben, mubte, mederte und
bübte, wieherte, gaderte und [tanf jedes
nad) feiner Eigenart. Der Banfettjaal nun
gar, der höher lag, war völlig verunjtaltet:
mit Schalwänden in eine Reihe fleiner Ge
lajje geteilt, in denen die bedürftigen gm
milien ſchmutzig und perbrojjen thr Welen
trieben. Ein paar ftumpfe Mite oben im
Halbduntel einer 9tijdje beilammen, die starb:
fede ber Durdjonnten Blasfeniter auf ihren
Belichtern, die leichenblau und blutigrot ge:
tupft jchienen. Willibald war erleichtert und
bald völlig bingerijjen, als die Führerin
ihn endlich zu dem Rofofojliigel der Burg
führte, ber augenblidlit) ganz [cer Honn.
Da war kojtbarjtes Bebäu und Gerät nod)
wohlgefügt beijammen. Willibalds Hand
trih fenneri]d) und bewundernd über das
edle Gemajer der Tijche und [djmeidjelte fich
zärtlich über die kunſtvollen Schnißereien
und Umriffurven der Bettpfolten, Schränte,
Türen und Truhen. Er fragte die Bärtige
nad) bem Preile der ganzen Beligung, ber
jo niedrig geltellt war, daß unwiderſteh—
lich in jeinem wünjchereichen, noch durch
feinen WBideritand erjchredten Herzen die
Idee auftauchte, Burg und Umring zu fei:
nem Beliß zu machen.
Als er wieder im Auto fab, weich in feine
Deden eingewidelt, bewegte er diefe Bor:
telung eifrig bin und ber. Konnte er fih nicht
ein Erbteil jhon jest EB EN lajien ?
Und nun tauchten ihm die Bilder jeines
Elternhaujes auf, in bem er jebt wieder zu
game fein folte. Wud) ganz frühe Bilder.
r jab fid) etwa fiebenjährig, hübſch in
braunen Gammet gefleidet, mit blonden
Roden über bem Spigentragen, neben jeiner
immer ein wenig jeufzenden Mutter am
Fenſter ftehen und auf ben Holzplag Dim:
unterjehen, auf dem jein Vater lang, bager,
in Sembsármeln gwijden den Zimmerleuten
fand unb mit feinem langen Bleijitjt bans
tierte. Ganz anders fah er aus, als
oben in den Zimmern. Da war er immer
im guten Wnguge und ging porjidjtig zwi:
iden ben Nippesjchränfen umber, nichts um:
jumerfen. Da unten aber hatte er eine laute
Stimme, ging rajh und fräftig und griff
aud) jelber einmal zu. „Der langbeeniyte
Ni nannten ibn bie Leute, weil er
eral war unb unvermutet dreinfuhr.
Der kleine Willibald liebte ben Holzplab.
Und jegt nod, da in feinem dahinjaujenden
Auto, meinte er wieder, den liebbefannten
jäuerliden Gerud) geichälter Stämme zu
atmen. Gchien die Sonne heiß, bann tonn:
ten fie jo wundervoll nad) Rien und Bienen
duften, ganz wie im Sommer. Herrlidy) war
auch bas Bligen, Schnarchen und Kreiſchen
der Säge, bas Bräufch der fallenden Plan:
fen. Und es war ihm immer ein grauen:
volles Entzüden gewejen, mit anzujehen,
wie bie Axt tiefe Wunden in das leid
des Baumes bDieb, das hell und unaijbór:
(id bebend zu atmen jchien, jo daß man
denten konnte, es leide Schmerz. Das Rind
at bann immer eine tiefe Zärtlichteit ges
fühlt und unausjpredlidhe CEbrfurdt vor
biejem entzweigten und entlaubten Geheim=
nis der Natur, bas feine majejtätijche Nadts
du jo ftolg unb ftumm dem Menjdenauge
injtredte. Cine Zärtlichkeit, wie er fie fur
bie vollgrünen Bäume des Waldes nidjt
hatte. Denen fonnte er lächelnd und Dod):
mütig die Rinde entlangjtreiden: „Ich weiß
alles von euch.” —
Draußen begann jett langlam bie Dam:
merung Tal und Ferne zu verjdjleiern. Der
Chauffeur fies ab und zündete die Auto»
fichte an. Dann ging es weiter. Willibald
Duenjel lehnte fic) zurüd. Morgen früh
ihon würde er zu Hauje jein. — — —
Holzhändler Quenjel hatte ganz flein an»
gefangen. In bem Hauje, bas ihm heute
gehörte, waren feine Eltern Portier ges
melen. hinten im Hof im Keller. Später
hatte man ihm, ber zu einem Tijchler in
die Lehre fam, oben auf dem Boden eine
Dadfammer angewiejen, und als er endlich
als Zimmermannsgejelle eine wohlhabende
Böttcherstochter heiratete, war er in das
dritte Stodwert hinaufgezogen. Schließ—
ih, ba er WMeilter wurde, fein Wohl:
jtand fid) mebrte, fing er einen Holz:
handel an und erwarb die große Wiefe bin:
ter dem Haufe als Lagerplag. Da ftarb
jeine Grau. Ron allen Kindern, bie fie ihm
tm Laufe der Jahre geboren hatte, lebte nur
Otto, ber altejte Sohn. Der war bereits
SH 9Injelma Heine:
Ein Rundlauf BSSS3SSS3334 373
in Rußland, um dort bie Sjolgeintáufe für
den Bater zu überwachen, als der nun Fünf—
igjährige wieder heiratete. Geine neue
rau war ein blutarmes, adliges Fräulein,
das im Haufe eines Gejchäftsfreundes fran:
Ke Unterricht gab, in deren hodmutige
tagerfeit und pregibje Wlanieren er jid)
jah verlicbte und beren Hiljlojigfeit thn
rührte. Aus ihrer hofinungslojen Luge Der:
aus nahm fie jeinen Antrag an uno [djal:
tete fortan mit ber Miene emer beleidigten
Königin in feinem Hauje. $Xuenjel war ihr
zuliebe in die zweite Etage ibergeyedelt.
Da ging fie umber, unruhig und unguyries
den, tte te bie Jlippes auf ihrem Schreiotiſch
um und wieder um, jtäubte jie ab unb pupte
blanf, was nur irgend Doan jid) eignen
wollte. Zulegt aud) nod) die Bildernagel
und bie Hajpen bes Klaviers. Der flee
Wilhelm war ihr eingiges Kind. Als er
in die Schule fam, nannte fie thn Willibald.
Sn feinem vierzehnten Jahre tat jte ibn —
der Vater gab ihr hierin völlig freie yand
— ein paar Eijenbahnjtationen entjernt in
ein vornehmes Snpitut, wo er mit ben Goh:
nen von kleinen Wodligen und höheren We:
amten fih auf einen ‚jtandesgrmaßen Ber
ruf vorbereiten follte. Offizier ober Diplo:
mat wünjchte jie jid). Er jerbjt zeigte wenig
Ehrgeiz, lernte leicht und arbetiele wenig,
las alles, was ibm in die Hände tam, dia)
tete, malte und ımponierte jeinen Wittjaylis
lern durch allerlei Talente, femen Leyrern
aber gar nidjt unb blieb daher in man:
den Klaſſen figen. ls ibn aber der
Vater nad) dem Freiwilligenexamen vom
Gymnajium nehmen und tn fein Geſchäſt
bringen wollte, widerjeyjte er fid) aus auen
Kräften. Er bewies, mit nod) etwas mutie:
render Stimme, vom Beifall der bewundern:
den Mutter unterjiügt, dem Water aufs
flarjte, daß feine, Wiliibalds, Aufgabe niwt
jet, mit Werttagsarbeit fid) Geld au ver:
dienen, ba ja der Vater genug und reidjlid)
gujammengebradt babe fur pe alle, jondern
er fühlte es als jeine Wiijjion, ben Yereriag
wieder einzuühren in bas Leben der Wien:
iden. „Hohes und Gropes” wollte er jaf:
fen, rief er im Gijteltone aus. „Der per
armten Welt den Glauben an die Freude
zurücterobern, die WMenſchheit erlöjen, Die
lic) jo hartnädig an den Alltag tlammire
und nichts Bejjeres verlange“ — bier uhr
feine Stimme wieder in hoble Tiefen hinab
— „als unterzugehen in ber Wieren, aus:
blidlojen Arbeit.” — „Warum madjt bu zum
Beilprel nicht längſt Feierabend, Papa?
bod) nur, weil bu niemals gelernt haft, bid)
mit irgend etwas anderem zu bejcyäftigen
als mit der Arbeit.”
„Nee, bas habe ich nicht, ba haſte recht,
Wilhelm,” jagte ber Bater geduldig.
Willibald aber fuhr ergieherijd fort: „Ich
habe über dieje Dinge ernjthaft nadjgedadt,
Papa, und ich fage bir: bas Wort Glüd
muß wieder lebendig werden im Bewußiſein
der Menjcyen, nicht als Zufälliges und Ber:
374 Anſelma Heine: I
ponines; bas man betradjtet als etwas,
as einem gs gufommt, weil man glaubt,
nur für bie Pflicht ba zu fein. Weißt du,
was Nietzſche jagt?“
Der alte Duenjel wußte es nicht.
„Er jagt: Freiheit fid) [djajfen und ein
heiliges Nein aud) vor der Pflicht, dazu bes
darf es des Löwen.“
r fġüttelte fein weiches, blondes Haar.
Gr tam fid) wie ein €óme vor. „ch weiß
nicht, ob bu mid) verftehlt, Papa?” fragte er
nachlichtig. |
Der Alte nidte. „Du willft bein Geld
leben,“ jagte er dann troden.
Die Mutter brüdte Willibald bie gai:
Cie fand Papa unbeid)reiblid) ordinär. Willi-
bald lächelte verjóbnlid). ie hätte er aud)
bem guten, alten Manne mit jeinen alt:
mobijdjen 9Inidjauungen die modernen Ideen
flarmaden fónnen! Er jab auf bas ge:
[ra magere Geficht, aus deffen Luft-
raun die Augen Hein und jehr hell hervor:
blidten. Liebenswürdig legte er beide Arme
um den Hals des Alten und küßte ibm die
Wange. —
Willibald wurde auf dem Gymnaſium gee
laffen bis zum Abiturientenexamen, bas er
Ihließlich aud) ganz gut bejtand. Freilich
erit nad) feinem einundzwanzigjten Geburts:
tage.
Inzwilchen war Otto Quenfel nad Haufe
guriidgefehrt und bem Bater mit feinem oe:
wiljenhaften Fleiß eine erwünjchte Gite
geworden. Er heiratete bie Tochter eines
reichen Vidbelfabrifanten, und das große ver:
Ihwiegerte Gejhäftswejen wirkte aufs gün-
Itigite zurüc auf bie fid) immer weiter aus:
breitenden Unternehmungen des alten Quen:
fel, bie bet aller Solidität einen genialen
Zug aufwielen. Go war denn Willibald
vorerft entlajtet und fonnte feinem Water
die Erlaubnis und bas Geld abjdmeideln
ix ein llniverjitáts|tubium. Gegen den
unjd) feiner Mutter, bie ihn zum Juriſten
machen wollte, hatte er Runjtgejchichte ge:
wählt unb als Gtudienorte Florenz und
Rom. Zwei Jahre blieb er in Stalien,
ihidte viele Bilder, bie er getauft hatte,
nad) Haufe, Skulpturen, Bronzen und ſonſt
ſchöne Beweije feines ſammleriſchen Fleipes,
id)rieb [ange Tagebuchbriefe an bie Eltern,
für jpäter zum Drud bejtimmt, die Willi:
balds Mutter bet allen Freunden herum:
zeigte. —
B eg BB
Die Freude war groß über ben Heims
gefebrten.
Die Prutter führte thn jogleid) mit Wichtig:
feit in die Beletage. Bei feiner Abreije
war fie nod) vermietet gewejen. Jet [tanb
das ganze Haus zur Verfügung der Familie
Duenjel, und die Dlutter hatte fiir Willibald
ein luxuriöjes Schlafzimmer, WnfletdDegimmer
und Atelier hergerichtet. Nun war er als
Riinjtler abgejtempelt. Alle Bilder, bie er
jemals gemalt hatte, waren pietätvoll auf
Stafjeleien aufge[tellt, eine Gliederpuppe
ftrecite gefpenftijd bie Arme nad) ibm aus,
malerijde Draperien hingen an ben Wan:
den. Frau Duenjel umarmte den Sohn.
„Damit bu fiebjt, id) unterjtüge Deine künft:
leriichen Beitrebungen.“ Dann zeigte fie ibm
nod) das ,Herrengimmer', mit bem fie ihren
Mann beglüct „datt, Da war über der
Tür ein großer Ritterichild aufgehängt und
über einem fellbededten Lager Waffen aller:
art; der ganze Raum mit harten —
ken und — ſtilvoll beſtellt.
Der alte Quenſel blinzelte ſeinen Sohn
ſchlau beiſeite. „Ich ſitze nicht mehr ſo
gerne dritter Klaſſe.“ Und er nahm ihn
mit hinauf nach dem Speicher, wo er ſich
ſein früheres Lehrlingsſtübchen wieder eim:
p hatte, mit jeinem alten, tintenbe:
leiten Schreibpult, einem breiten 9toBbaar:
jofa, auf dem Schlummerrolle und Kiffen
Bingen: „Nur ein Bierteljtündchen“, bie ihm
eine erjte rau geftidt batte. Ein Bold:
ſchglas ftand auf bem Tijch, unb die Wände
waren bepflajtert mit ben verblaßten Photo:
rapbien feiner Familie. Hier randjte er.
as die Zeitung unb fühlte fid) wohl.
Willibald ertappte fid) darauf, daß er m
fait um Diejen Zufludtsort beneibete.
hatte fih darauf gefreut, alles bier wie
früher zu finden, Menjchen und Dinge un:
verrückt, wie auf ihn wartend. Nun war
alles verändert. Unzufrieden jab er aus
dem SFeniter hinaus, vor bem fih je5t an
Stelle bes Holzplages ein Ziergarten aus»
jtredte mit Teppichbeeten und Palmengrup-
pen. Gelbjt die Straße hatte ihr vertrautes
Rorjtadtwejen abgelegt, war verbreitert, bic
meilten Häujer Durch anipruchsvollere erjegt
Rater $1uenjel hatte fih feinen Schlafrod
angezonen, auf bas gelichtete Haar eine
runde Hausmiige gelebt und raudte. „Ja,
ja,“ ſagte er philofophiid, „das bat alles fr
lei. Wäſen.“
Willibald fniff ein Auge zu und betrad-
tete bas leitlid) bejonnte Behagensbild. ‚Ein
echter Biedermeier,‘ dachte er. Aber er Dachte
es zärtlid und hatte feinen Bater lieb da:
bei. Da aud) der Alte ibn mit Wohlge:
fallen anjah, war er |djon im Begriff, ibm
lein Gejtändnis abzulegen, ging aber dann
bod) lieber hinauf zu Stiefbruder Otto, der
jegt mit Frau und Söhnen in bem dritten
Stodwerf bes Quenſelſchen Haufes wohnt:
und der von jeher eine — Bewunde-
rung für Den talentvollen und jorglojen
Jüngſten des Haujes zeigte.
Er fand ihn in Zeichnungen und Bered:
nungen vertieft, während jein Rleinfter am
Fenjter faB und ein Gedicht für bte Schule
lernte, laut, mit predigthafter Betonung
Goethes „Wandelnde Glocde”.
Gs war ein Kind, bas wollte nie
Bur Kirche lid) bequemen.“
Bald faken die Brüder auf dem Gofa,
tranfen Mein, raudten und Willibald er,
zählte. Er tat es lebhaft und ein wenig fab:
rig. Endlich ſchwieg et, „Die Hauptjache ift,”
jagte er dann fleinlaut, „ith bin verheiratet.”
n hats b eg ins
tie peat oe Saute en
plärrte das Rind.
Und nun erfuhr der Bruder, Willibald
habe fic) auf Capri befinnungslos in eine
der [dónen Gteinträgerinnen verliebt, Die
dort erhobenen Hauptes und mit ben Schrit-
ten von griedjijd)en Böttinnen Die Stein:
laften vom Meere nad) der Inſel hinauf:
befördern. Und da ihre Gunjt nicht anders
zu gewinnen gewejen, habe er fih, mündig,
wie er ja war, zur Trauung entichlojjen.
„Und Sonntags fand es ftets ein Wie
Den Weg ins Feld zu nehmen.“
Debt befand fic) bie junge Fiametta
Quenjel in einer Mailänder Erziehungs:
anftalt. Willibald zog ihr Mliniaturporträt
aus ber Tajche. Es war von einem gefdid:
ten italieni]jdjen Riinftler gemalt und jtellte
ite bar als [trablenb anmutige Falfnerin.
Was nun zu tun fei? fragte er ver:
trauend,
Der gute Otto fagte fein Wort. Er hielt
das [djóngerabmte Bild [ange und bebut:
jam zwijchen feinen breiten Händen. Dann
feufgte er.
er Kleine lernte:
„Die Mutter fpridt; bie Glode tönt
Und fo ijt’s bir befoblen
Und bont bu bid) nicht bingewóbnt,
Sie tommt und wird bid) holen.“
„Sit fie nicht ſchön?“ fragte Willibald
alübenb.
Otto nidte, „Aber deine arme Mama,“
fagte er dann. „Die ganze Stadt wird bar:
über reden.“
Willibald madte ein tugendhaftes Ge:
fibt. „Was benfjt du bir, ich will fie bod)
natürlid) nicht hierher ins deen bringen.
Bewahre, nein. So naiv bin ich nicht. Und
darum — habe id) mir etwas ausgedacht,
das in unfer aller Snterejje liegt.“ Und er
begann von der Tiroler Burg zu reden.
„SH babe mir gedacht,“ Tate er — ob:
gleih ibm bas in bielem Augenblid zum
erften Male einfiel — „man könnte großen
Nugen aus der Burg ziehen, etwa einen
Luftturort ba oben machen. Dente bod,
wie belucht ber fein würde. Und weißt du, —“
ber heftige Wunſch zu überreden, gab ibm
immer Neues ein — „Lit deinen Schwieger:
vater wäre da oben bie reine Fundgrube.
Stelle bir vor: bie herrlidften Möbel aus
dem 16. bis 18. Jahrhundert. Und Bauern:
möbel in bec Umgegend foviel bu willſt. I
jelbjt würde große ?Beftellungen bet eu
machen, um die Säle wieder jtilgemäß ein:
guridjten. Stühle * ich geſehen!“ Er
nahm einen Bleiſtift aus der Taſche und
zeichnete auf das weiße Tiſchtuch. „Und
oben im Bankettſal Debt ein Tijd) —!“
Wieder zeichnete er.
Otto Le lachverftändig auf bas Damalt:
tud). „Man müßte darüber mit Papa reden,“
lagte er endlich gutmiitig.
„Du beiter Kerl,“ Willibald flopfte ibm
dankbar bie Wangen. Er ftand auf, von
feiner Geligtcit emporgetrieben.
j Ein Rundlauj
(6B33333:388S3sesed 375
„Und wenn ich dann da oben mit meinem
Ihönen £iebdjen fige, bann weiß id) erit,
wozu bie ganze Beldverdienerei hier unten
mit Schuften und Sparen gut ijt.” Er lachte
[róblid) auf.
„Ste tommt und wird bid) Holen”
jagte bas Rind. — — —
Frau Quenjel wurde beinahe ohnmadtig,
als jie von Willibalds heimlidjer Ehe erfuhr.
Der Bater Iadjte. Zum erjtenmal erkannte
er fic) jelbjt in feinem Jüngjten wieder. Er
bejprad) es mit Otto, daß ber nad) Tirol
reijen und fid) bie Sache anjebn folle. War
der Preis nicht zu hod gegrijien, To hatte
Papa gegen den Kauf nichts einzuwenden.
Denn er mujte nur zu wohl, daß er feinem
Neftling nichts abjchlagen fonnte. —
Nachmittags mahte Willibald einen langen,
einjamen Spaziergang. Er fprach erregt Ge:
dichte vor fih bin und fühlte fih als ein
Grlejener, Dann ging er zum Fluß hinunter
und fuhr mit einem der [jdjmalen Kähne
zur Ctabtpart-Sinjel hinüber, die mit bunteln,
runden Bäumen unbeweglid) dalag. Wm
Ufer, bie Pappelallee durcyjchreitend, bie
mit ihren Ianggejtielten, unaufhörlich zittern:
den Blättern jchon herbſtlich troden mur:
melte, mußte er pliglid) an die nadten
Stämme auf des Baters früherem Holzplaß
Denfen, bie unter dem Beil jo ftolz gelitten
hatten. Er befam Luft, den friidjen fäuer:
then Gerud) des gefällten Holzes wieder zu
fpiiren; wieder zu fühlen, wie er damals
fühlte.
Er ging über bie Schiffsbrüde ber Alt:
ftadt zu, durch winflige (Gallen und Häufer,
Durdichlupfe, bie er von Kind her kannte.
egt ftanden da bie — und
Werkſtätten, die ſeinem Vater gehörten,
dahinter lag fein neuer großer Zimmerplag.
Er öffnete das Holgtor und trat ein. Die
Sägen bli&ten, fdnardten und freijdjten,
mit Dumpfem Schlag fielen bie Planten zu
Boden, von den geltapelten Brettern flogen
bie Hummeln auf, die ba am Harz geriijjelt
hatten, und über den nadten Stämmen, Die
auf der Erde hingeftredt lagen, zitterte rofig
die Morgenjonne, wie über lebendes Fleifd.
Er [tano eine Weile und atmete Rind:
Heitserinnerungen. Die Gonne blenbete, fo
daß er nur unbeutlid) den langen, Diirren,
alten Arbeiter jah, der in Hemdsärmeln
und Halsihal an einem Brett herumban:
tierte mit weitausholenden, gewaltfamen
Bewegungen, bie |pärlichen Haarjtrahnen
flogen dem Alten um den Kopf herum.
„Bapa!“ Willibald befam Herzklopfen
vor Mipbilligung. „Aber Papa, was madft
du denn?“ Er trat näher an ihn heran.
,Celbit Handanlegen, das haft bu dod
wirklich nicht mehr nötig, Papa, bas ſchickt
fih faum nod) für dich.“ Zu feinem Ärger
hörte er feine Stimme, wie es ibm mand):
mal bet (rregunaen nod) gejdjab, zum
&inberbistant umjcylagen.
Der Vater jah ihm flüchtig in das junge,
erzieherijch gefaltete Geſicht. „Das if nun.
376 1Y Unfelma Heine: IBARRE IZZZA
eben mein Pape Er fügte weiter. In
bas Achzen und Quietſchen des Holzes hinein
jagte er dann nod): “olsen ajjen bringt
Glod. mein Gunge. Du báltit ja immer [os
viel anf Glück.“ (fr lachte váterlid).
Wilibald jab ibm mod) eme Weile zu.
Sn einem fonderbar zwieſpältigen Edam:
gefühl. Er ſchämte fih fiir Papa, dag er
lid) hier wie ein gewöhnlicher Arbeiter hins
telte und jchämte fid) zu gleicher Zeit auch
für fic) felbjt, weil er Lo ploglid als
Müßiger und Wnmagender fühlte. Zu guter
Legt aber ſchämte er jid) am meiften Diejer
Edam, befann jid) zur rechten Zeit auf feine
Pringipten und hielt fid) feit an ihnen. Co
jagte er denn ſchließlich lájjig zu Papa:
„Für den, der feine anderen Jntereffen hat,
mag das Holzanfajjen vielleicht ſchon Gliid
bedeuten. 3d) aber — id) interejjiere mid)
nicht mehr fo febr fiir Holz. Für mid) ijt
es nur eine liebe Rindererinnerung.”
Dem Alten [tieg das Blut gu KRopfe, er
lachte auf. „So, du interejjierit bid) nicht
für Holz? WUusgezeichnet! Als ob das
Holz bid) banad) fragte. Nee, mein Söhn:
hen” — und er legte ibm feine braune
adrige Hand auf die fiinftlerijde Sammet:
joppe — ,babernad) gebt's nich. Das Holz,
das fommt fdon ganz von felber mit bir
mit. Ganz von jelber. Ob du willft oder
nicht. Der Menih,“ jet hob er die Hand,
wiirdig, prophetenbaft, „der Menſch wird
eboren zwijchen Holz, fofern er nämlich in
jeiner Mutter Bett zur Welt fommt, und
er friecht aud) wieder hinein ins Holz, wenn
er ausgelebt hat. Unterwegens da [ibt er
auf der hölzernen Schulbanf, aud) am Kneip—
tiſch, mig: liber ben Tanzboden, Holz, alles
Holz. Nee, nee, Wilhelm” — er hatte Däi
an das Willibald nie gewöhnt — „lerne du
nur beizeiten Dart Holz bohren, fonit kriegt
du dcin Yebtag nichts zuſtande. Holzanfajjen
bringt Blüd, das hat jhon fo fei Wajen.”
— — — — — —— — — — — — — —
Es waren die letzten Worte, die Willi—
bald von ſeinem Vater hörte. Als er ſpät
abends von einem Zuſammenſein mit ſeinen
— nach Hauſe kam, erfuhr er, den
Alten habe draußen auf dem Holzplaß ein
Herzichlag getroffen. Tot hatte man ihn in
jein Haus gebrad)t.
8 8 88
Wilibald erftes Jahr als Burgherr zeigte
durchaus nicht jenes lächelnde Feſttagsgeſicht,
das er fid) erträumt hatte. Der Kauf war
gut erledigt, bie JL ieberberftellungsarbeiten
im Gange, aber bas jd)óne €iebd)en, bas hier
oben felig mit haufen jollte, fam nicht. Cie
war, da fie cin Kind erwartete, jehr gegen
Willibalds Wunſch nach
Eltern zurücdgefchrt und wenige Woden
nad) ber Geburt des Kleinen mit dem
Dialer, der damals thr Porträt gemacht und
dabei wohl ihre Schönheit allzuwohl erfaßt
hatte, nad) Baris entwichen. Das Kind
batte fie guriidgelajjen.
Capri zu ihren-
Willibald brachte das —— kleine
Bündel ſeiner Mutter, die in ihrer Witwen—
einſamkeit ſich des kleinen Pfleglings freute.
Er ſelber aber hockte verſcheucht unb grüb:
leriſch in bem alten Wachtturm, ben er [jid
als Sinterimsaujentfalt Ieiblid) wohnlid
hatte machen lajjen unb [ab melandjoliid
hiniiber nad) ber Burg, in ber ein Heer von
Gefdajtigen ben Blütenbehang von dem
alten Gemäuer rig, daß es nadt und ehr:
würdig [tarrte. Er jab, wie Geriijte aufge:
Ichlagen wurden, Steine und Hölzer aufge
Bun und hörte ben betäubenden Lärm der
rbeit. Um dem Gerdujd) und dem Staub
zu entgehen, war er D den ganzen Tag
unterwegs, jtöberte die Umgebung nad) 9IIter:
tümern aus, faujte die Bauernhdujer leer
und bejuchte Trödler und Unterhändler in
den benachbarten Städten. Allmählidy madhte
ibm dieje — * Freude, ſein Körper
dankte für die reichliche Bewegung in der
Luft, der er ſich bei jedem Wetter unterzog
er wurde breit und männlich und mand
mal, wenn er die Leute da beim Bauen [o
geld)meibig Klettern, jo frajtpoll tragen jab,
liberfam ihn eine ungeduldige, rein körper:
liche Tatfraft, bie er fid) bod) jelbft nicht
recht eingejtehen wollte, War er bod) Der
Herr, der Qeijtermen]d), der Führer, bet
(id) zu bewahren hatte fiir bas Jdeale.
Abends dann, wenn der Bau in Rube
lag, fab er lange einfam am Turmfeniter und
ſpürte in bie Finſſernis hinaus, bie von ben
Geriidhen von Schutt und Cteinjitanb und
vom Duft gefällten Holzes wundervoll WÉI
ogen wurden. Und wenn er das leije
aujchen hörte, bas die Nacht ihm braite,
meinte er bas &reijen der Säfte zu ver
nehmen, bas in ben toten Stämmen wieder
aufwache und rede.
Oft aud) famen bie Ardhitelten, Maler
und Steinmegen, bie er hierherberufen hatte.
Man beugte fid) über Pläne und Rechnungen,
jprad) über Kunft und bejab Willibalds
Sammelmappen. —
Gr jelbjt wandelte fid) allmählich, ohne
das zu merfen, vom Genteßenden und Wn:
ordnenden zum Lernenden, er fonnte bald
einfac an der Art des bearbeiteten Holzes
genau die Gnt[tebungsaeit des Wertes beur:
teilen. Und trieb er das zuerjt als eine Art
von belujtigendem Sport, fo gewann er ſchließ—
lid) ein jo ernites, ja leidenichaftliches Syn
terejje an dem Gegenftande felbjt, daß er
feine Mühe fcheute, bie ihn tiefer und völ
liger in das Wejen nicht nur bes einzelnen
Gejchaffenen, vielmehr des Cdjaffens jelber
eindringen lich. Suleft war feine 3Bbantajie
jo ganz erfüllt von ben Formen, mit denen
er fi unausgejegt umgab und bejdjüftiate,
dak fie ihm aleid)jam tiberquoll zu eigenen
Entwürfen, bie er unter feinen Augen aus:
führen ließ. Gem liebjter Aufenthalt wurde
die große Tijchlerwerlitatt, bie er im Burg:
fried hatte einrichten [ajjen. Auch machte
er fid) mit den DJnftrumenten und Hand:
griffen dort befaunt und erprobte fid) mand):
""*"9"99909€99099099099*909999900909909099999*9909900999999970090900099900090000900*0990090*9^^^^^"^^909*900999000900^0000009009000000000000€
Gemälde von Wilhelm Fahrenbrud
Wm Brunnen.
SSSSSSSSSSES SS SSS SSSSSSSSSES FSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSOSSSSSSEISSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSS SSSSSSSSSSSSSSSSSSSSLCESSSSSSSESS
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mal bei ber €Bieberber[tellung eines Liebs
linasgerätes.
Co verging die Zeit. Zulegt war bie
ehemalige Cilhouette der Burg, bie man
aus alten Bildern fannte, aufs glüdlichite
wiedergewonnen. Vian widmete fidh bereits
der inneren Wusftattung. Ta gab es tag:
lich neue Entdedungen, überall tamen über:
gipite Herrlichfeiten an Fresken und Schnit—
ereien zutage, Namentlich ber Bantett:
gue periprad) ein Rulturdofument erjten
Ranges zu werden. Jede diejer Gntbedungen
und Überrajchungen aber lodte, ja verpilid):
tete zu immer neuem Forſchen, immer neuem
SRieberber[tellen. Das Geld lief wie Wajjer
burdj Willibalds Hände. Dafür häuften
fid in den Kellergewölben, in denen Die
in der Burg auigefundenen Gadjen unter:
geitellt waren, wahre Schäße an. Mand:
mal nadjts, wenn Willibald nicht jchlafen
fonnte, ſchlich er fih mit einem Laternchen
hinunter in die Keller, leuchtete bald diejem
Ihönen Altertume ins Bejicht, bald jenem,
jtrid) liebfojend über Gäulenichwellungen,
Schnißreien und gebaudjte Formen. Heim:
lid), wie ein Liebhaber vom Stelldichein
urüdhujcht, ftieg er dann wieder hinauf in
Fein einjames QTurmzimmer.
Und die Burg wuchs und wuchs, fegte
Türme an und Zwilchenflügel, dehnte fid)
über den Hof hinüber jenjeits bes Burg:
grabens zu Wirtjchaftsgebäuden und Stallun=
gen. Manchmal tam jie Willibald vor wie
ein [chönes Tier, bas man jung und herren»
Ios in jeinen Beſitz gebracht Dat unb bas
num Hof wird, gefräßtg und eigenwillig und
uns bedroht. s famen Stunden, in denen
er die Burg verwiinjdte. Aber Otto half
und riet. Gr leitete des Bruders Anſtalten
auf den Weg geichäftlicher Unternehmungen,
beredete ihn eine ſyſtematiſch betriebene
Nachbildung ber ſchönſten alten Ctüde ein:
guleiten. Er hatte im Zorte unten ein paar
geihidte Handwerker gefunden, bet denen
die alte gute Handwerfstradition des Mit:
telalters nod) nicht erlojchen war, Die leitete
er an, ließ jie Ausbejjerungen vornehmen
und ſchickte ein paar ber jüngeren nad)
SUtündjen in die Runjtgewerbejchule.
& E PR
Im Frühling bes fünften Jahres gab
Millibald Guten jein Einzugsfelt. Er hatte
ur Feier ein Feſtſpiel gedichtet, bas er im
Burghof von Cdjaujpielern aufführen ließ:
‚Burg Feiertag‘. Es war ſymboliſch. Seine
Mutter, in prächtigem Renaiſſancegewande,
ftellte Frau Freude dar, er jelbjt war König
Teiertag, das Söhnchen, Fortunato getauft,
Jop auf einer feinen, blumengejchmücten
Empore und nahm die Huldigungen Der
Dorfjugend entgegen, bie als Pagen gefleidet,
$Rofenfránge im Haar, fiir jedermann Wein
und Früchte umberreichten. Kleine Mädchen
führten Tänze auf und jangen. Bom Turm
Iáutete bie (Gode. Cine Fahne mit dem
Mappen von König Feiertag — eine rots
blühende, bornenloje große Rofe — wehte
Belbagen A Klajings Monatshefte. 32. Jahrg. 1917/1918. 2 Bd. -
Ein Rundlauf BESSSeeseesssA 377
am befrangten Tore. Es tamen viele ‘Fremde,
ren, Œs war wie eine Wallfahrt.
„Tie Wallfahrt nad) der Freude” fagte Willis
bald in feiner Anjprache, bie er, fein Söhn—
den im Arm, vom Goler aus hielt.
Das Felt wurde in allen Zeitungen bes
Jprodjen, Willibalds Perjon, von ber Aureole
eines romantijdjen Liebesjdidjals umwoben,
ab bald dem ganzen Tal und weit darüber
Findus Stoff zur Legendenbildung. Man
pilgerte zur Burg hinauf, fah, bewunderte
und blieb, da ber Burgherr großartigite
Bajtfreundjchaft übte, gerne droben. or
allem [nd Willibald fih Riinfiler ein. Er
hatte den einen Flügel der Burg ganz „den
Unfterblichen“ gewidmet, dort faken Dichter,
Maler, Gelehrte und &unitliebDaber, jogen
an der Vergangenheit und freuten jid) der
Gegenwart. Abends verjammelten bie Aus»
ermáblten jid) bann im NRitterjaal. Der
Burgberr jpielte bie Laute und fang, andere
[oigier. an nahm bie fojtbaren Gewän—
er aus den & ruben, verfleidete jid) und ließ
in Bers unb Profa feiner Phantafie freien
Lauf. Die Gajtgimmer füllten jid), in ben
MWirtichaftsgebäuden wurde gefocht unb ge:
braten nad) Seren al, die Ställe jtanben
voll 9tu$: und Reittieren — die alte Luft:
barfeit und Pracht war wieder aufgewacht
in der Burg, ganz jo wie Willibald jid) bas
erträumt batte.
Da war aber etwas in ihm, bas nicht
ganz zufrieden war mit Diejer Erfüllung.
Das Blut feines Baters in feinen Adern
revoltierte gegen die Berjchwendung ringsum.
Und |o gab er ben Worjtellungen feiner
Mutter, pen Vorſchlägen feines Bruders
nad: Aus dem Gansfouct wurde ein Gajt:
205, ein Paradies für Menjchen, bie der
analitát der üblichen Luftturorte entgehen
und für ihr Gelb Poejie haben wollten. Es
wurde das, was Willibald damals feinem
Bruder vorgefabelt hatte, um ihn bem Burg:
lauf williger zu jtimmen.
Wher Otto $3uenjel war flug genug, feinen
Bruder nie daran zu erinnern.
Es hatte dem jungen Burgherrn nicht an
Tröjterinnen gefehlt, bie fid) feines verwits
weten Zuftandes annehmen und gern Burg»
SEET werden wollten. Aber Willibald
rachte es nie recht über ein unverbindliches
Betändel oder eine weiche, läjlige Hinneigung
heraus. Überhaupt war es jeltjam, daß er
all bieles Feierhafte, bas bod) fein Lebenss
ziel gewejen, nur mit halben Cinnen pers
anjtaltete und genok. Manchmal fam er lich
vor wie nur zu (Got ba oben. [ibera
fien er entbehrlich: im Büro, wo Ange:
ftellte mit Schreibereien und Rechnereien
reichlich zu tun hatten, bet den Galten, für
deren Behagen feine Mutter jorgte. Gie
räjidierte mit Hingebung und Geldjid, war
in den neuen PBilichten wieder jung geworden,
u Gelajfenheit und Würde gelangt. Das
Deeg Wohl ber Burgeinwohner lag in
den Händen eines flugen jungen Mädchens,
bas jid) um die Wirtjchaft unb die Bers
25
378 A Anſelma Heine: Ein Rundlauf Keser el
pflegung fümmerte. Gie war die Tochter
bes KRreisarztes aus dem Tal, fröhlich, praf-
tijd) und verjtändig und mit einem feinen
Cinn für alles Schöne. Miandmal, wenn
Wilibald fih im Schwarme einjam fühlte,
dachte er an fie als eine Zuflucht. Vorerſt
aber ließ er fid) treiben. Mit bom one
tollte und jpielte der ‚unge Water freilich
ausgelafien und das Rind Dep fid) bas in
anmutiger Verwöhntheit adjtlos gefallen.
fiberall aber blieb irgendein Überſchuß in
SBillibalos Seele, ber feinen Ausweg fand,
eine unbewegte Kraft, die [alt weh tat.
Eines Nachmittags jchlenderte er wieder
ziellos umber, ging in das buntbepflanzte
Bärtchen, bejah die Ställe, bie Geräteſchup—
pen und fam zur Ausbejjerwerfitatt feines
Furgtilchlers, vor derem großen offnen Glas-
fenjter er [teben blieb und bineinjdaute.
Drinnen war es leer, die Sonne ipielte mit
bem Holaftaub unb mob Lidtbriiden daraus
vom Boden zum TFenjterbogen. Willibald
trat ein. Der wohlbefannte Holz. und $yirnis:
gerud) tat ibm gut. Da [tanben gerbrodene
Etühle umber, hintende Pradttijche, geborjtne
Türfüllungen lagen auf bauchigen Kommo—
den, deren Politur erneuert werden Jollte,
alles Darrte Der grates miihevollen
9tusbefjerung. Willibald [trid) Jchmeichelnd
über bas [dne Tijchornament. Cine
€ómenpfote war davon a aby Pp Er
unterjuchte fie, auf dem [taubigen Gagebod
figend, wie ein wundes Lebewejen. Dann
betrachtete er das Brett, an bem der Tijchler
erade arbeitete. Es jollte gekürzt werden.
undervolles ftarfes Eichenholz mit fráftiger
Bogenzeichnung. Unwillfiirlid) zog er A
lame Qünİtlerjoppe aus. Er betam Luft zu
agen. Bon einem Tannenftamme her, der
am Boden lag, duftete es fo frattig! Ein
Gerud) von Kien und Bienen ft eg aus bem
bejonnten Holze. Förmlich berı f nb. Er
fing an zu jägen, lang, gebüdt, mit weit
ausholenden Bewegungen. Cine eigentüm:
lide Luft fam über ibn babet, bie *Bejrie-
bigung eines rein fórperlidjen Tatendranges.
Er arbeite jtärter, feine Truft I jid, er
fühlte € chweißtropfen über fein Gelicht laufen,
ein Blüdsgefühl burdjjtrómte thn, bas etwas
Seiligcs hatte in feiner unausjprechbaren,
nur duntel und der gefühlten Bollfommen:
beit.
„Achch, ahd,“ machte die Säge, Baum—
mebl riejelte duftend, ein Holzſtück Hatjchte
u Boden.
Willibald blidte auf. Da jah er — das
Entjegen drängte fih ibm wie ein harter
Rall in die Halshöhle, er Jah feinen Va:
ter lang, gebiidt, mit weggewehtem Haar,
hemdärmelig, bie Gage in der Hand, wie
erjiarrt in aemaltjam ausbolender Bes
wegung. Die Augen unbeweglich nad) ibm
gerichtet.
„Papa?“ fagte er furchtiam. Er hörte
es fid) jagen, ernüchterte daran und verjtanDd,
daß es fein eigenes Spiegelbild im Werl:
ftattsfenjter war, bas er erblidte. Aber fein
Herz tlopfte drdhnend und trieb Fangeball
mit all feinem Blute. Das Gefühl, etwas
lMnerbórtes erlebt zu haben, blieb. Mecha—
nijd) beugte er fih wieder über feine Arbeit,
um zurüdzufinden in bie Wirklichkeit. —
„Aber Papa!”
Kam aud) das wieder? Wher die Stimme
war jünger als die jeinige Damals gewejen,
eine Rinderftimme. Fortunato ftand Da,
Lapa in braunem Sammet gefleidet, weiche
londe noden fielen über feinen Gpiren:
fragen. „Was madjt du denn, Papa? Wie
fomijch du bift in Sembsármeln. Und warum
tuft Du bas jelber? Wir haben doch Leute
genug, die jowas tun können?” Geine großen
ugen waren ergieberijd) auf feinen Bater
gerichtet.
Der blidte Kä ein paarmal jonderbar
um. Gr ftrich fih Das Haar glatt.
„KRommft du nicht?“ fragte Fortunato.
„Sch [oll dich zum Veipern holen Fraulein
Helene hat unter ber Wlazie deden laffen,
und Madame Recgnifoff läßt bejtellen, es
wäre jebr unhöflich, fie warten zu lajien.“
Dann, da fein Vater noch immer nicht ant-
wortete, wurde es ihm unheimlich und er
lief davon.
Willibald ftand im Gonnenjchein und
fror. Cine Erjdeinung aus dem Senjeits ?
Eine Mahnung, die ihn auf baldigen Tod
vorbereiten follte, auf feinen Tod, vielleicht
Ion heute?
Etwas wie Zorn ftieg in thm auf. Das
wollte er nicht! Sterben jeßt, ba er zum erjten:
mal bas Blüdlichjein tennen gelernt hatte,
bas wirflide Blüdlichjein. Und er hörte
die alte Stimme jeines Baters jagen: „Holz
alle bringt Gliid, mein Junge, du hältjt
ja joviel auf Gliid.” Und wieder: „Lerne hart
Holz bohren.” Scheu ſchaute er noch einmal
nad) bem Fenſter. Aber Fortunato hatte
es im Vorbeigehen zugedrüdt. Das Spiegel:
bild war verjchwunden.
Nachdenklich wufch er fic) am Ziehbrunnen
die Hände, wilchte jid) mit feinem Taſchen—
tud) die Stirn und ang feine Joppe wieder
an. Aber ibm blieb das Gefühl eines Stokes,
den er empfangen, der ihn weggelchleudert
hatte von allem Gewohnten. Draußen
läutete die Turmglode en Ta
mußte er auf einmal an die ‚Wandelnde
Glode' denten, Er Hatte Dë nie wieder
an das Gedit erinnert. Get fam ihm
eigentlich nur eine einzige Zeile daraus ins
Gedächtnis: ‚Sie fommt und wird bid) holen.‘
Sa, fie hatte thn geholt, bie jtrenge Hüterin
ber Pilichten. Und plötzlich verftand er alles
von jeinem Leben: Wie er weggerannt war
von Arbeit und *flidten, und wie bas
Benichen felber, dem er nadhgejagt, ibn
wieder zu Pflicht und Arbeit zurüdfinden
lieb. Einen Rundlauf hatte er gemadjt.
Der war nun beendet.
+
Aus unjerer Kriegsmappe:
999909009000000090990000000000009000009090090000900004*0000000000000029*90000090 9090000000*0900000000000000990000000000000^
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bees. Lake (STE BERT
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Soldat einer Sturmabteilung beim Sprung aus dem Graben
Zeichnung von Prof. Ernit Liebermann
95*
Diele im Schabbelhaus zu Liibed
Bemälde von Wilhelm Bedmann
An” Bon Pre
Fr gibt nod) immer Menjden von
d'Ee Geſchmack und Urteil, die unjere
ANS Muſeen Kirchhöfe ber Kunſt nennen.
RI Sie wollen mit diefem harten Ur:
RS teil jagen, daß ihnen bas organijdje
Berwachienjein oder der aufällig gewordene
Zujammenbhang eines Runjtwerfs mit jeiner
Umgebung als ein ganz wejentlicher Teil
—— lebendigen Wirkung erſcheint. Aus
ieſer lebendigen und lebengebenden Umwelt
ein Werk herausreißen, um es einzufügen in
bie unanſchauliche, abſtrakte Syſtematik einer
Muſeumsanordnung komme alſo einem, wenn
— mp egräbnis gleich.
in großer Kleiderſchrank, vom Alter ge—
ſchwärzt, mächtig wie ein Haus, ſteht in ſeiner
Geck tijden Stattlidfeit als Erbjtiid von
Gejdledtern in der Diele eines Bauernhaujes
und erzählt von fei-
nem und Des Haujes
Schidjalen; wandert
er in die Gtadt, jo
bleibt jeine Schönheit
wohl diejelbe; aber es
bleibt nur eine inter-
ejjante Barianteeines
kunſtgeſchichtlich feft-
geitellten Möbeltypus
übrig, wenn er in
die Reihe jeiner Ber:
wandten eingeordnet
ift. Daß eine barode
Sandjteinmadonna an
einer Würzburger
——— ihrer be—
ſten Wirkung verluſtig
eht, wenn man ſie
ins Muſeum bringt, iſt
eur abe Und
es gibt jogar Maler,
die erzählt haben, daß
die mäßige Kopie ber
me reg Madon-
na Sixtina in ber Klo-
fterfirde zu Piacenza
an ber alten Gtelle,
für bie emt bas Ori-
ginal gejdaffen wor:
den ift, in ber alten
Umrahmung, hod über
dem Altar, viel jtärfer,
unmittelbarer und ein:
[eud)tenver wirfe, als
das von allen Ent:
jtehungsbedingunger
[osgeló]te Original |
jelbit in ber Dresdener
Galerie. Sogar bie un:
abhängigiten Werte
.
H
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A
ey fin Muleum bürgerli
coon der Renaiffance-bis zurBiedermei
cher Wohnungsfunft
,
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ei
D]
Schaefer,
ber Hunt, bie Gemälde, bie von ihren Rah:
men umgrenzt und von der Umwelt losgelöjt
thr Leben führen, find aljo doch nod häufig
in threm Ausdrud beeinflußt von dem Licht,
der Architektur, der Stimmung des Raumes,
in dem [ie leben; um wie viel mehr alle Zeus
a angewandter, architeftoniicher Runt. Aus
olchen Überlegungen ijt der heute allgemein
anerfannte Wunjch entitanden, für bie Or:
— des Muſeumsbeſitzes Räume zu
chaffen, die einer planvollen Aufſtellung
Platz genug und geeigneten Hintergrund
BE damıt wenigitens ein Teil jener alten
Wirkung aud) an der Gtätte bet Maſſen—
aufbewahrung alter Runjtwerfe wieder leben-
dig werden fann. In Schweden und Dane:
mart bat man zuerjt vor etwa einem Men-
Ihenalter damit begonnen, ganze Bauern»
Faſſade bes Haujes mit bem Sandfteinportal von 1590. Darüber ein gefd)miebe:
ter Ausleger mit bem Weinfrang, bem ortsüblichen Schild ber Weinhandlung
389 IXEEEEECAÆASEEA Prof. Dr. Karl Schaefer: III IT ZZ ZZ
häufer jamt ihren Stuben und in den Stuben
wieder alle Einridtungsitiide bis ins Kleinſte
zu erwerben und als Mujeumsgegenitand
Tr aet be Für bie darn bäuer:
lider Runft hat man dies Beijpiel unjerer
nordilhen Nachbarländer in Deutjchland
ihon an vielen Orten nadgeahmt, nament:
lid) an ber Waſſerkante, in Sdleswig-Hol-
Hen, in Weltpreußen und im Gebiet ber
Unterwejer. Für bie mufeumsmäßige Auf:
bewahrung bürgerlicher Runft war ber echte,
jeitdem in Danzig und Flensburg nadjge:
ahmte Berjud) LV der Art das Schabbel:
haus in Lübeck.
Wer es niht aus eigener Anjchauung
tennt, findet fid) in bem bunten Vielerlei ber
Räume eines Jolchen hanjijdhen Kaufmanns:
haujes nicht [o leicht gured)t. Auch in ben
SHanjeftädten find es nun fdon rund Dun:
dert Jahre Ber, daß man aus biejen um:
ftandlich und weitläufig gebauten alten Giebel-
häujern hinauszog, um in den Garten vor
dem Tor ein fleines, modernes Wohnhaus
zu haben. Nur das Kontor pflegt der Kauf-
mann nod in der Altſtadt zu behalten; feine
Speicherräume aber liegen wieder draußen
im Hafengebiet. Das alte Raufmannshaus
mußte einft Wohnung und Speicher und
AUrbeitsräume unter einem Dach vereinigen,
Renaijjancetajelung Der Diele mit eingebautem Geſchirrſchrank von etwa 1760
und aus biejem Zujammenfajjen fo verjchie:
dener Bedür Ne entjtand gerade feine leben:
dige, baufünjtlerijch lo unerjchöpflich reiche
Raumwirfung. Da ijt zunächjt der Haupt:
raum des — die hohe, weiträumige
Diele, die faſt das ganze Erdgeſchoß von
einer Brandmauer zur andern und von der
gouron bis nahe an die Haustür einnimmt.
orn an der Straße fallen neben dem Ein:
gang nur zwei Zimmer ab, die für Geichäfts:
méie und Bejude gedient haben mögen,
und Dagwijden fteht ber gemauerte Herd
mit bem rieligen Rauchfang darüber, auf
Dellen Bort die nötigen blanten Kupfer- und
Meifinggeräte hängen und ftehen. Durd
Holzwände mit vieljprojjigen Fenitern hat
man bie Sjerb|telle zu einem geichloflenen
Riidhenraum gemadjt. Auf ben großen Stein:
sis ber Diele herricht bes Werftags reges
eben. Wenn in Gáden, Ballen und Fajjern
bie Raufmannsgüter angefahren werden, rollt
die Schar der ‚Träger‘ fie Durd) bie Haustür
herein; ein Teil lagert zu baldigem Berfauf
auf ber Diele; ber Reft wird mit dem großen
Tretrad, bas im Dachgeſchoß eines jeden die:
jer Häujer eingebaut jteht, durch die Kade-
lufe in der Dede der Diele hodgewunden,
um auf einem der niedrigen Speicherböden
zu lagern, die oft zu vier und Ka überein:
ander das hohe Sattel:
dach des Hauſes einneh⸗
men. Aber dieſer grobe
Geſchäftsbetrieb iſt es
nicht allein, für den die
helle, feſtlich wirkende
Diele beſtimmt iſt. Das
erkennt man ſchon an
dem hohen etäfel,
das wie eine üppige
Renaiſſancefaſſade mit
ierlicher Säulen- und
ogenarchitektur und
mit phantaſievollem
Schnitzwerk ander gan:
en Langswand fih
* nd dieſe Tä-
elung ijt jo alt wie
das Haus jelbjt; fie
entitand Anno 1595
gleichzeitig” und aus
dem gleihen Gei
vollendeterHochrenaijs
fance wie das mächti
Durch zwei Gejehoje
emporgefiihrte nb:
jteinnortal bes Haufes.
Uls das Bedürfnis
nah Bequemlichkeit im
18. Jahrhunderteinan:
beres geworden war,
ließ nä der ?Beliber
des Haujes, unbefiim:
mert um den verblüf:
fenden Gegenja& des
Stils, mitten in Diejes
Renaiffancegetafel ei:
nen [ujtig und phan:
ees Tas Schabbelhaus in Liibed MARAR KKZ 383
' =
ur, ZE A
1
Speijefaal im Erdgeihoß bes Wohnflügels. £anbidjftstapeten unb Mobiliar vom Ende des 18. Jahrh
384 Iessen Prof. Dr. Karl Schaefer: Sas Schabbelhaus in £übed AKAZ ZA
taftijd bewegten Befchirrichrant einbauen, ber
in feinen gebauchten und gejchweiften Formen
ein echtes Kind bes Rofofo geworden ift.
Bis in bieje Zeit hinein hatten fid) bie
Bewohner mit engen Wendeltreppen behol-
fen, wie fie vom Mittelalter ber nod) im
16. Jahrhundert ganz allgemein in Deutſch—
land die einzig übliche Form der Treppe bilde-
ten. Nun — am Ende des 18. Jahrhunderts —
als bie 9tofofold)nórfel ben Handwerkern noch
in den Fingern lagen, ließ man dafür die bei-
den breit und behäbig aufjteigenden bequemen
Treppenläufe anlegen, die umjtändlich und ver-
chwenderijch bie Verbindung zu den oberen
äumen nad) vorn und d bo im Haufe
heritellen. — Ein zauberhaft jchönes Gebilde
ilt dieje Diele, unerjchöpflich in ihrer wech:
jelnden Stimmung, im Dämmerlidht des
Abends, im hellen Mittagsjonnenjchein, ber
in den hundert Glasjcheiben Ipiegelnd fih
fängt, oder im Kerzenlicht des Abends; ewig
neu und überrajchend, voll bebaglidjer Eden
und reizpvoller Surd)blide. Unter ben in
Liibed noch erhaltenen Dielen verdient dieje
an Raumjchönheit die Bewunderung, die ihr
zuteil wird, am meilten.
Zu wohnen pflegte man in der Zeit, als
bas Schabbelhaus gebaut wurde, in Lübeck
in dem ‚Flügel‘, einem hinter der Diele an
Blid im bie Diele (vom Hoffeniter aus) mit ber Haupttreppe (etwa 1780),
Dahinter die Küche, über ber zwei Gefindeftuben angeordnet find
der einen Geite bes Bartenhofes tief nad)
hinten reichenden zweijtüdigen Bau, der
viele hohe Feniter zwiſchen einzelnen Pfeilern
unb eine [tatt[id)e Stodwerfshöhe bejak.
ier findet man Wohn: und Feitzimmer im
rdgeſchoß; darüber lagen im erjtem Stod
ewiß ehemals die Schlafräume. Wie diefe
ohnräume ausgejtattet waren, als ber Er:
bauer des Haujes nod) lebte, davon wiljen
wir nichts. Nur bie Umfaflungsmauern, die
Abmefjungen der feineswegs dunfel und eng,
londern jehr wohnlich und heiter geitalteten
Räume find noch bie alten. Und im Erd:
geihoß liegt mit vier hohen Fenjtern und
ebenjo hohen Spiegeln an ben Zwilchenpfei:
lern ber langgejtrecte fejtlide Saal mit ben
anbjdjaftstapeten, die über den hellgrau
— Lambris die ganze Wandfläche
is zur Hohlkehle der Rokokoſtuckdecke ein—
nehmen. Jeder Leſer der ‚Buddenbroofs‘
von Thomas Mann erinnert ſich der Bedeu—
tung, bie im alten Lübeck das Landſchafts—
zimmer einjt batte, man liebte es bier im
rauhen Norden, wo der Summer jhon fo
ET gekürzt ijt und diijtere Ntebeltage
jo häufig find, fid) an den Feiertagen um-
RA zu jehen von arfabijd) anmutigen Land-
haften, aus denen die Götter Griechenlands
oder wenigitens einige luftwandelnde Liebes-
paare Die bei Tijdje
Cibenben freundlich
anjahen, jenes heitere
lotere Bolt, bas um
Diejelbe Zeit in gier-
lid) gelpreiater Porzel⸗
lanplaftit zu —
ten aus der Meißener
Manufaktur in das
Haus des wohlhaben—
den Bürgers eindrang.
Und es bedurfte feiner
Künftler von nambaj-
tem Ruf, um folde
Heiterkeit an bie mit
Leinwand beipannten
Wände zu zaubern:
DieMeifter destübeder
Dialeramts — fonnten
bas mit Hilfe ber vie-
len Augsburger, Am:
fterdDamer oder gar Ba:
‚ tifer upferiticne, die
[ie in Händen hatten,
gar wohl.
Gut erhalten, wie es
bis 1904 im Gebraud
war, ift aud) heute
nod) das Kontor des
Hausherrn. Gs ijt über
dem Hauseingang mit
einer bewundernswers
ten Gejchidlichkeit jo
gelegt, Dak der Kauf:
mann nad) vorn die
Straße, nad) hinten,
wenn er nur die Tiir
öffnete, die Diele und
T, e|
smqno]g WINK ‘Jorg, uoa IGUI PIF n? snpáJoqqp(po un 3794% u219g0 190 Ins
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HESS :
388 PESSA Prof. Dr. Karl Schaefer: Das Schabbelhaus in Lübed [f2i3«2«2«2:2:8
damit den ganzen Betrieb feines Gejchäftes
überbliden fonnte. Der gemütlihe Hams
burger Kachelofen, Pult und Kontorbod,
an den fimplen Wänden Bilder von den
ftolgbenamjten Gegelidiffen, mit ben Nas
men biejes und jenes bieberen Rapitdans,
ber fie lange Sabre für feinen Herrn
auf gemádjlidjer Fahrt nad) Riga oder Hel-
jingfors durch bie Ditjee geführt bat; Ge:
Ihättsbücher und Proben von alten Tabat:
padungen und anderen Rolonialwaren liegen
umber und ftellen den Beichauer mitten Din:
ein in das WE fidere Leben eines
alten Gejdaftsbetriebs aus der Zeit, die
nod) feinenDrajtverfehr und feine Dampf:
Irajt fannte. —
D war das Haus — als ein ans
jehnliches Bermadtnis des wohlhabenden
Bädermeilters Schabbel die Stadt fübed
in den Stand jeßte, es zu erwerben, um zu
erhalten, was außen und innen von bielem
ftolgen Beilpiel alter bürgerlicher Wohnkultur
vorhanden war, und es im übrigen auszu—
bauen zu einem Mufeum neuer und anjchaus
lichjiter Art.
Das ijt im Laufe eines Jahrzehnts
unter der Mtitwirfung des Bauamts, bes
Muſeums und vieler durd) ihre Spenden
gerne zu dem ovolfstiimliden Wert bet,
tragenden Bürger, unter denen man den
Kenner der Geſchichte bes €übeder Wohn:
Baujes, ben befannten Privatgelehrten Prof.
Cirud bejonders zu nennen nicht vergei:
E darf, aufs liebenswürdigite gelungen.
as aus dem Abbruch oder Umbau alter
MWohnhäufer an Tapeten, Kadjelöfen, Mo:
biliar und Hausrat fid) darbot, wurde zu
einer Folge von Zimmern vereinigt, bie vom
Barod bis zum Biedermeier, fogar bis in
die Zeit um 1850 bis zur lebten Einzelbeit
aus Sübeder *Beli& von den Ctiltpanblungen
der lebten zwei Jahrhunderte erzählten.
Und was ein Mujeum der alten Art nicht
vermöcdhte, bas ijt bier erreicht, weil jedes
Ding an feinem natürlichen Plage fteht.
Weil nirgends pedantijches Syitem zu fpiiren
ift, weil alle Glasjdranfe mit erdriidend
langweiligen Anjammiungen gleichartiger
Begenitände vermieden find, gewinnt jedes
diejer Stilgimmer fein eigenes Bejicht, wirft
barmoni|d) und natiirlid) im ganzen bes
Haujes, und im einzelnen in den Teilen
jeiner Ausjtattung.
Wud) bas hat Ba bewährt, daß man in
der Stadt, in deren Kellern feit alters ber
BVordeauxwein fih jo ausgezeichnet zur Reife
entwidelt, in der Diele des Haujes den Be:
trieb einer Weinwirtſchaft gejtattet bat, die
den weiten Räumen zu einiger Gtaffage
verhilft, und zugleich Auflicht und Verwal:
tung des Haujes in willfommener Weije er-
leichtert, |o daß bie Erhaltung und Der
Ausbau bes Schabbelhaujes teine Zufchüfie
aus [tábtijd)en Mitteln erfordert.
wy LL y dëi
a E A Y y
Barodzimmer mit alter Belourtapete im Erdgeicdoß des Wohnflügels. Erite Hälfte des 18. Jahrhunderts
Die für den Auflag benutten aht Photographien find gemadt worden von Dr. (y. Stoedtner in Berlin
Kontor im Schabbelhaus zu Lübeck
(Durch bie offene Tür iiberfieht man ben weiten Raum der Diele)
Gemälde von Wilhelm Bedmann
fe-Hofoper in
‘Bon da CBop- G6, — ——
Witindyen
WEE
Le
wem grellen Licht bes Krieges haben
14 wir in viele Kulturerſcheinungen
a)
bis in ihre Iebten Falten hinein
leben Tonnen, Wtancherlei Ertennt:
" nijfe, von denen wir uns bird) be:
fondere Einflüffe abdrängen ließen, erjchlojs
jen jid) uns von neuem.
Aus joldjer Belinnung, bereichert durch
Weite der Sicht und rajchere — re
des Gefiibls entwidelt fih ber Wille zur
Erlangung höherer Guten auf allen Ge:
bieten. Und in jo träcdhtigen Äbergangszu—
jtanden bedenkt der ernithafte Menſch pri:
fend bejonders bas Gebiet, in welchem er
aus Neigung fih feelijd) angejiedelt hat,
Dellen Möglichkeiten, Dellen Gefahren er fennt.
Dap unfer Verhältnis zur Kunſt ſich nad)
den Erjchütterungen des Krieges ändern
(vielleicht nur langjam ändern) wird und
muß, gemäß ber neu erfannten Bedürfnilfe
des deutſchen Volkes, fühlen ſchon viele.
Diele Bedürfnijfe find weitaus jtärfer als
(id bisher bargetan hatte, fie haben aber
aud) größere und wabrjdjeinlid) einfachere
Linien. —
Hier will id) nur ben Verſuch machen,
die Wertveränderung der Deutlden Oper
Durch den — zu betrachten. Die ſitt—
lichen, die vaterländiſchen Aufgaben, die ſie
auf ſich zu nehmen hat, werden deutlich
werden.
Wir haben der Bühne gegenüber uns
nach und nach immer bewußter in einem
nur äſthetiſch reizbaren Zuſtand befunden,
und die von ihr ausgehende Wirkung nicht
mehr als moralild) empfinden wollen, ja bte
Abſicht jolcher Wirkung als rüdjtändig ab:
gelehnt. Das ift in bezug auf bas moderne
chauſpiel oft genug gejagt worden. Der
lediglich á[tDeti]d) ret3bare 3ujtanb Bat aber
in den legten Jahren aud) der Oper gegen:
über bejtanden und daß fie überhaupt mit
oral etwas zu tun haben foll, daß ethijde
Wirkungen von ihr zu fordern find, bleibt
den meilten von ihren Bejuchern unbewußt.
Theater und Moral find in ihren Zujam:
menbángen und in ihren Widerjprüchen ein
von vielen Fehden belebtes Feld. Mon
Rouſſeaus Anlicht, brieflid) gegen d'Alem—
bert geäußert, Daß das Theater im Namen
der Moral zu verwerfen fet, bis zu Schillers
Aufſatz: „Die Schaubühne als moraliidje
Anjtalt“, wird man jid) immer zwijchen fan:
tigen Gegenjagen berumitoßen.
Alſo von der Oper! Wielleicht Tonn man
jagen, Jelbjtverjtändlich unter Ausicheidung
der mit Herz und Intelligenz wahrhaft mus
jifalt)d) Hörenden, daß thr Publikum in zwei
Gruppen einzuteilen tjt. Die eine, größere,
will Durch bie Muſik, in Verbindung mit
den bunten Vorgängen auf der Bühne, auf
angenehmite Art vom Alltag hinwegagetragen
werden (ein Schopenhauer: Zitat ijt hier uns
umaänglidh: Aus der paſſiven Natur des
Gehörs erklärt jid) bie fo eindringende, fo
unmittelbare, |o unfehlbare Wirfung Der
Muſik auf den Geijt, nebjt der ihr bisweilen
folgenden, in einer bejonberen Erhabenheit
der Stimmung bejtehenden Nachwirkung.
Die in fombinierten rationalen Zahlenver:
— erfolgenden Schwingungen der
öne verſetzen nämlich die Gehirnfibern in
gleiche Schwingungen). Dieſen undeut—
lich phyſiologiſch Genießenden gerade
entgegengeſetzt findet die andere Gruppe, in
wachſamer Ce WEEN liber ihre Auf-
nahmefabigfeit, eine ftarfe Ruft bes Ber-
itanbes an fübnen und farbigen Klang»
reizen. Gie ſchwelgt in äjthetiiher Wonne
bei ber jchwindelerregenditen Künſtlichkeit
der Snitrumentation. (id) bas polyphone
Prunfgewand für feine muſikaliſchen Erfin—
dungen jo gligernd zu weben als er nur
vermag, und als es dem Bejchmad feiner
Geele zujagt, ift Gigenred)t bes Schaffenden.
Aber nicht nur der belorgte Beobachter,
jondern in allererfter Linie ber Schaffende
jelbjt, darf bem Wufnehmenden nicht das
lebiglid) äjthetiihe Vergnügen zubilligen,
jid) am Handwerfliden und Klangwerflichen
zu entzüden, den mufifalijden Gedanken
aber zu überhören, ja, ihn gar nicht mehr
zu Iden,
Diele find die Mufitihädlingel Sie find
die Apoftaten von ber metaphyliichen Welt,
als welcher bas Weſen ber Muſik entitvómt.
Cie find wie die Angehörigen einer Gette,
denen über den beraujchenden Formen ihres
Rultes die einfad):reine — — abhan⸗
den kommt. Es liegt überdies in der Natur
der lediglich äſthetiſchen Reize, daß ſie des
Wechſels bedürfen, und das Geſchäft des
Götterſtürzens und-erhöhens ijt thre Begleit—
erſcheinung.
Für ſie war Richard Wagners Werk eine
Wichtigkeit von vorgeſtern geworden. Die
hochgeſchwungene Ganzheit ſeines Deutſch—
tums ward vielleicht zu unbequem, denn es
verpflichtet zu jehr... Wir wollen feinen
Augenblick vergellen, Daß es verpflichtet!
Und das Bermadtnis des deutjchen 3Uteijters
wäre von ihnen vertan worden, wenn es
überhaupt vertan werden fonnte, Was un:
möglich ijt. Die, Durch bie wir wurden, was
wir find, find jo ganz und gar Teil des
volfijden 3Bejens, daß feine neue „Richtung“
ihr Wirken ausmerzen tann.
Der Krieg brad) aus. Und mas ſchon vorher
aus Der jah einjegenden Parfifalbewequna,
die ein ahnungsichweres, religtöjes Bedürf—
nis in breiten Schichten erfennen liek, iid
ankiindigte, offenbarte jid) nun völlig: Wag:
eessen Ida Boy⸗Ed: Die
ners Wert war uns ber Ausdrud deutſcher
Cinigfeit, beutid)en Willens, deutjcher Art.
Alerorten verlangte man nad ibm. Die
geiteigerten Ausbrüche wiederholten fid) da
unb dort, deren wir Älteren uns nod) von
1870 71 ber erinnern: das Publifum jaudste,
wenn Giegfried fein Schmiedelied mit bem
gewaltigen Hieb und Ruf endete: „So ſchnei—
det Ciegiriebs Schwert.“ — Aber die Herzen
verlangten nidjt nur nad) Wagner. Es fand
eine Wbfehr von auslánbijdjer Muſik über:
i ftatt, bas Bedürfnis nad) Deut[djer
ujif nahm einicitigen Charakter an — aus
begründeter S9totmenbigfeit! Denn je voll:
fommener in einem Runjtwerf (id) bie Natio-
nalität ihres Schöpfers ausjpricht, e
höher fteht es in feiner Art, bejto jchärfer
aber wird es in politijd) erregter Zeit bem
jeeliihen Bedürfnis einer andern Station
widerjpreden. Man fonnte es ir bei
einigem —— Nachdenken ſehr gut
verſtehen, daß unſere Feinde fih fo heftig
gerade gegen Wagner wehrten. Zwiſchen
dem Weſen einer Muſik und dem Weſen
eines Volkes beſteht eben Identität.
Daß wir dieſe Begierde nach deutſcher
Mufit polen: a eine Art von Celbj[tbejtn:
nung. Unjere Mufit jpricht zu uns von uns!
Sn der Zeiten 9Raubeit und Not ruft fie
uns bas Wijjen zurüd von unjerer Fähigkeit
um Weichen und Zarten; im lang laftenden
rud mahnt fie uns, ihn jteigernd, an unjern
Mut; Bellemmung entjliebt beim hellen
Klange frischer Melodit Niemals haben
wir ber Muſik [o jehr bedurft wie jet und
wie wir ihrer nad) dem Kriege bedürfen
werden.
Unjere Heeresverwaltung, bie ja nicht mehr
und nicht weniger geworden ijt, als eine Volfs:
betreuerin und Woltserzieherin, hat durch—
aus die Wichtigkeit ber Runjt, vor allem bie
ber Mujif fur die Stimmung der Soldaten
erfannt, AM dieje Millionen Männer an
der Front und unmittelbar hinter ihr ber
dürfen der feeliihen CErquidung. Gottes:
wort hatte fie von Anfang an hinausgelei-
tet. Bald jollte aud) die Mufit zu ihnen
fommen, fie, Die bem Got esdienit eine ebenjo
eindringliche und feierliche Heljerin zu fein
vermag, wie fie dem Drama eine jtrenge
und Der Komödie eine fröhliche ift — in der
wunderbar rütjelbajten Unausjchöpfbarteit
ihres Wejens. —
Niemals wurden Konzerte (bie oft bem
Biihnenmapigen fid) náberten und ausſchließ—
lich deutſche Muſik brachten), niemals Opern:
aufführungen mit fo leidenjchaftlicher Hin:
gerijjenheit aufgenommen, wie dort. ‘Bilder
des Schredens entglitten Dem gemarterten
Gedächtnis; ermattete Seelen Jpiirten ans
feuernde Belebung; Männer, die fürchteten,
daß ihre Kultur ihnen wie von felbjt in den
Robheiten des Kriegs entgleiten müßte, jaud)a:
ten dem Bei. von neuem zu, den fie als
unverlierbar erfannten.
Nun follte man denken, daß auch im
Lande biejer glüdjeligen Nähe zur deutjchen
Hofoper in Münden BSSSSSZA1 391
Mufit ihr Recht geworden wäre, Das ijt
aber mit bewußtem VBorjag auf bem Gebiet
der Oper leider an jehr wenigen Stellen der
wall. Sm Konzertjaal hat immer bie deutjche
Muſik überwogen. f
Aber die Oper betreffend: id) Babe Ur:
[auber gelprodjen, viele, aller Bildunasftufen,
bódjiter unb jchlichtejter. Sie waren erfüllt
ewejen von rührender Cebnjudjt nad Gr:
ebung dur) Diufit und bramatijd)e Ge:
ſchehniſſe. Aber fie fanden auf ber deutjchen
Bühne ‚Mignon‘, ‚Traviata‘, ‚Margaretye‘
unb den ganzen Beftand an ausländijcher
Repertoire-Opern’. Nun daß man da und
dort die plumpiten, noch lebenden Be `
Ihimpfer Deutſchlands vom Tantiemeborn
verbannt hatte.
Mildernd fet eingejchaltet, daß bei den
immer mehr zujammenichrumyfenden Gbóren
unb Wrbeiterperjonal bas alt Eingejchulte
leichter herauszubringen ift. Was aber wies
berum einen böjen Rüdjchluß auf die Spiel»
plane vor dem Kriege aufnötigt.
Wir gehen, aud) nad) einem glin[tigen
rieden, einer febr jchweren Zeit entgegen,
d) meine nicht jo in wirtichaftlicher Be
giehung wie in ethijher. Darüber braucht
weiteres hier nicht gejagt zu werden. Nur
einen jcheuen, kurzen Bhd muß man darauf
werfen, daß bas politijdje Leben bedrohlich
für unjere Kultur werden tann. Und man
darf wohl Niegjche recht geben, wenn er
jagt: „Notwendig gerät ein Wolf, von der
unbebingten (Geltung ber politijdjen Triebe
aus, in eine Bahn áuBer[ter VBerweltlichung,
deren großartigſter, aber auch erichredlichiter
Ausdrud das römijche Imperium ijt.” Wir
Tonnen noch hinzufügen: und das englijde
Meltreih! Das Sinken der fiünjtlerijd)en
Schöpfertraft in England muß auf uns
wirfen wie eine Warnung!
Der plattejten Werweltlihung entgegen
qu wirfen vermögen nur zwei Gewalten:
eligion und Runjt. Religion und Gtaat
fönnen nidjt ohne einander bejteben und
bedingen fih gegenjeitig. Aber aud) Kunſt
und Wolf können einander nicht entbehren,
It bie eine nicht abjterben, bas andere nicht
inten.
So drängen fid) nah dem Kriege allen
Künjten verantwortungsvolle Pflichten auf.
Bor allem dem Theater, als der Stätte, die
lich der Menge wie bem Erlejenen gleicher:
weije öffnet, die alfo nicht arijtofratijch ab»
geſchloſſen, nicht von unüberjteiglichen inang:
ſchranken umgeben, jondern recht eigentlich
des Voltes ijt!
Ic, jagte oben, daß man bisher nur an
wenigen Etellen mit gedanfenvollem Bors
jak bie deutſche Miufif auf der Bühne pflegt.
In Münhen aber ijt man von dem Willen
getragen, Durch fie Dem Yleuaufbau des
Waterlandes, feiner geijtigen Reinigung und
Wufhellung zu dienen; mit ihrer fittlicher
Gewalt das 3olfstum über feine bisherige
Höhe hinauszuftetgern. Alles was jegt dort
geichieht ijt im gewijlen Sinne Vorarbeit
392 PESZSIELSBSTEZZZI Ida Bon: ©): [3434334 3434343343433€£3€83683€3$ 343
für ein ganz großes Ziel, bas hier nur ans
edeutet werden fann: ohne auf bas, aus»
Fhliehlich dem Werte Wagners gewidmete,
dem beutjdjen Wolfe heilige Bayreuth in
irgendwie „verdrängender Abſicht jtörend
ae zu wollen, bont man, daß das
ünchener Brinzregenten- Theater in bedeus
tender Erweiterung und Umwandlung feiner
früheren |ommerlidjen ‚sFeitjpicle‘ der Blas
fein wird, wo alle beut|djem Meiſter und,
als ihre Nachichaffenden, die erlejeniten
Be aller deutjhen Künftlerfchaft bem
Volle und — dem Ausland zeigen folen,
wie groß und [djn, bie jtolge Etirn zur
Sonne gewendet, bie deutiche mujitbramas
tile Kunſt fid) durch den Krieg hindurch
nicht nur behauptet bat, ſondern all ihre
YWusdrudsmittel nod) zu einem viel feiner
gejchliffenen Sn[trument herausarbeitete, als
es bisher |djon war. Zur Erfüllung biejer
vaterlandijden, großgejtellten Aufgabe ges
— zwei Dinge. Das eine hat den harten
amen, der während des Kriegs jeden Tag
es ungezählte Zwede an ele Obr mit
ittender Betonung [djlágt: Geld! Das
andere ift: eine erlejene Künſtlerſchar, bie
einem Leiter von gliihender Gnt|djlojfenbeit
und höchſtem Kunftwillen freudig foigt. Und
die tm Ctil fo ficher gejdult ilt, baB bie
—— ge Einfügung von Gajten diejen
til nicht zu erjehüttern vermag. —
Münhen bat jchon immer eine CR
bejejjen, deren Ruf weit hinaushallte, bis
in Die fernften Lander. Die biltorijche,
wenn leider aud) nur jo furze Epodye, wo
unter Ludwig II. Hans von Bülow und
Ricard Wagner dort wirkten, hat ihren
Plak in der Rulturgelchichte ber Dienjchheit.
Aus den |päteren Zeiten leuchten uns Namen
entgegen, wie Hermann Levi, Ernit von Hof-
jart, Rihard Strauß, Felix Mottl. Und
immer find es vor allem Wagner und Mo:
art gewejen, denen in Jommerlichen Felt:
P ielacite, wie im ftändigen Wrbeitsplan,
hingebender Eifer, mit höchſtem Gtilgefühl
verbunden, diente. Diejer Rahmen ijt nun
auf bas wundervollite erweitert. Das Pflicht—
SE unb die Begeilterung eines der bes
rufenjten Nachſchaffenden, bie an den deut:
iden Dirigentenpulten figen, bat —
Meiſter über die Schwelle gerufen. München
iſt der Platz geworden, wo man das Werk
ans Pfitzners mit Inbrunſt pflegt; es hat
pern, ſtark beſucht und immer wieder freudig
aufgenommen, ſtändig in ſeinem Spielplan,
die an anderen Bühnen nur in großen Pau—
jen einſtudiert werden, um nad) einer ach—
tungsvollen Berbeugung der Kritik jd)nell
wieder zu verjdwinden. In Münhen find
Cornelius’ ‚Barbier von Bagdad‘, Webers
‚Euryanthe, Marſchners ‚Hans Heiling‘
ben Bejuchern der Oper vertraute und be:
BET Erjdheinungen; Kloje bat mit „Ilſe—
ill‘ feinen Platz und von Lorging gibt es
bezaubernde Wiufterauffiihrungen, aus denen
Der deutjche Humorund ſchlichte Poeſie lächeln.
Als nad) ben legten Sommerferien fid) die
Türen ber Opernhdujer wieder öffneten.
fonte man feitjtellen, b1B, wenn aud) end:
lid) im vierten Kriegswinter ber Verjuch zu
einiger Bejjerung fid) anzuzeigen [djien, fait
überall ber bejdjdmenbe Reigen ‚Traviata‘,
Mignon, ,Wtargarcthe’ begann, bódjitens
nod) burd),(GGarmen bereichert. Natürlich ba:
zwilchen aud) Wagner, in jener Ahnungs—
lofigteit und Geldjmadsunbejangenbeit, die
nicht |pürt, was ſolche Nachbarſchaft offen:
bart. München aber bot in Hofoper und
Prinzregenten: Theater dem Beſucher zum Bes
ginn mie für bie Dauer der ganzen Cpiel:
zeit im edlen Wechjel neben den faft voll:
zähligen Muſikdramen Wagners, .Parfifal'
einge|djlojjen, unb Pfigners drei gewaltigen
Opern, die obengenannten Merfe. Es feblte
auch nicht bie ganze Reihe ber unvergleich-
lihen Mozartaufführungen, zu denen im
Frieden die Mozart:Gemeinde des Auslandes
erbeitam, Daß dem berühmten Sohn der
tabt, Richard Strauß und feinem Werk jhon
zu — Malen mit Hingabe vorberei—
tete feſtliche Aufführungen gewidmet wurden,
ergänzt dies Bild unermüdlicher Arbeit. Und
was im Frühſommer vorigen Jahres die
Pfitzner-Woche der deutſchen Kunſt an Ehren
ab, hat damals die ganze Preſſe gewürdigt.
ine Tat von vaterländiſcher Bedeutung
war auch das Gaſtſpiel der ganzen Münchener
Oper mit bem ‚Baleftrina‘ in der Schweiz.
Dak in Deutjdland während des Krieges
ein Wert von bieler tragiihen Wucht und
verflärten (Ergebenbeit vollendet werden
fonnte, daß ein fo zahlreidyer &unjittórper
es in jolcher eindringlichen Meiſterſchaft zum
Grtónen zu bringen vermodte, war ein ge:
radezu erhabenes Zeugnis V deutjches
SRejen. Der Jubel, der tn Bajel, Bern und
Zürih Pfigner, den Komponijten, Bruno
Walter, den Dirigenten, und Karl Erb, ben
Sänger des ‚Balejtrina‘, umraujchte, Deler
Syubel, in bem nad) allen Berichten Staunen
D Ehrfurcht mitbebte, er galt nicht ihnen
allein — —
Dies alles ift Vorarbeit? Nein. Es ift
be. Bereitihaft [hon — ſchon erlangte
ihe.
Nur wo alle Kräfte vom Intendanten
herab bis zum bejcheideniten Mitgliede der
Bejamtkünftlerfchaft ge eee erfullt jind
von Der fittliden Würde der Runft, von
ihrer erziehlichen Gendung, Tonnen folce
Leijtungen erreicht werden.
Der Intendant der Anekdote hat fih längſt
überlebt; ich glaube aud) an den fleinjten
Hoftheatern wird man ihn nicht mehr fin:
den. ener, von dem zur Charafterijierung
erzählt wurde, daß er auf den 9Roridjlag
feines Oberregiljeurs bod) einmal etwas von
Shafejpeare zu geben, unwillig gejagt habe:
„Scyäljpier? — bleiben Sie mir damit vom
Leibe, Ihre Hoheit, die Brinzeifin Fanny,
findet bie Modernen unanjtändig.“
Der moderne Intendant ijt ein gejchulter
Theatermann und bat fein Fad verwal:
tungstechniſch wie tünjtlerid) in ernjter Arbeit
Die Hofoper
beberridjen gelernt, ehe ihm ein Amt wird.
Dennoch aber find bie Renntnijfe unb ift die
angeborene Eignung felten, wie fie fidh beim
Baron Clemens von Franfenjtcin erwiejen
haben. Er benpt auch, fo wirft es wenig:
tens auf ben Außenftehenden, vor allem die
große Klugheit, feinem Generalmufifdirettor
bas Betätigungsgebiet nicht eiferliichtig eins
zuengen. Denn er, als jehr begabter Rom:
ponilt, wird wohl wijjen, daß das Nach:
jchaffen in viel weiterem Sinn, als man fid
umeilt far macht, cin immer wieder Neuz
hafien ijt. Harmonijches Zufammenwirten
der oberften Vorjtände bringt jedem Kunſt—
inftitut Gedeihen. — Was ijf nun Bruno
Walter, der Beneralmujildireltor? Er ift
das Temperament, Das in dem Leben der
Münchener Hofoper pulfiert, er der feurige
Wille, ber große Pläne faBt und durchſetzt,
er, der beilpielloje techniihe Könner, der
Gängern wie Snjtrumentali[ten auf den Pro:
ben ein Wert in feine feiniten Beitandteile
zerlegt und es ihnen bann wieder als ganzes,
robes Erlebnis aufbaut. Die Proben Bruno
alters find allen Beteiligten eine Hod:
Joule und haben bie ftaunende Bewundes
rung anderer Dirigenten gefunden, bie Din:
einlaufchen durften.
Als er nah Münhen fam, fand er bie
Strenge des Stils und ber gejamten Runit:
arbeit jehr gelodert. Felix Wiottl, der Une
peraeBbare, defjen 9tame uniterblich verbunden
mit Wagners Werf bleibt. konnte in den bitteren
Lebensumjtanden feiner legten Jahre nicht
mit ber alten Beglüdtheit und vor allem
nicht mit der tragenden Bleichmäßigfeit von
einjt am Wert Tein. Künjtler fühlen fid
ihrer rajden Entwidlung am en wenn
e einen augleid) Klaren und fordernden und
bnen doch jeelijd) verwandten Willen über
fis ertennen ; vor allem auch, wenn fie jpüren,
aß fie ihrer Individualität gemäß jid) ent-
alten dürfen. Go begann denn an ber
ünchner S$ofoper eine ftetiqe und groß—
beichwingte Arbeit. Es fehlt Bruno Walter
niht an Helfern von Starten Eigenichaften.
$jojfapellmeijter Heß ijt eine Kraft von
explojiver mufifaliicher Ganzheit; von ihm
fann man vartierend fagen: jeder Soll ein
Muſiker. Mit immer frijcer Kräftigfeit
weiß Hoffapellmeijter Rohr feine Aufgaben
feit anzupaden; aud) er ein wichtiger Mit—
arbeiter.
Die Erfolge habe ich Ion angedeutet.
Nicht alle Kräfte, die daran beteiligt find,
finnen bier eingehend belichtet werden, Bor
allem ijt es immer bas Orcheſter, deffen eins
elne Riinftler in der J(nonomitát verichwin:
Der und bie in ber Selbitlojigfeit geübt find,
als Gruppe am Ruhm des Ganzen teilzus
nehmen. Wn der Schar der Sänger und
Eängerinnen fällt auf, daß viele von ihnen
wirklich fingen können; die Beiangstechnif,
fait ein Menfchenalter in Deutjchland ver:
nachläjligt, bat im allgemeinen wieder einen
oben Grad erreicht. In der Weihe der
ünchener gelten als Die hervorragenditen
Belbagen & Klafings Monats fe.
32. Rahra 19171918. 2. Bd
in Miüncder sees 3237383733731 393
Stimmtednifer die Damen Boletti und
Svogiin, bie Herren Bender, Broderjen und
Erb. Marie Jvogün ift ein tinftlerifdes
Doppelmwejen. Auf dem Ronzertpodium und
in einigen Bühnenaufgaben erwedt fie Staus
nen als Roloraturphänomen, das mehr zum
Runjtverftand als zum Herzen fpricht. Aber
in der gejanglichen und daritelleriichen Ge:
ftaltung jugendlichjter Weiblichkeit weiß fie
mit ihrer befeelten Anmut bas Gemüt zu
bezaubern. Der Ruf von Hermine Bofetti
ift feit vielen Jahren wohlbegründet. Paul
Bender, ber Meiſterſänger und große Schau:
jpieler, gilt als Operntragode wie als
Sn unerreiht. Gein Abu Hallan,
smin, van Bett, fein Don Juan (Don Juans
le&tes Abenteuer von Braener), fein Gurne-
manz und Wotan ftehen als eine Erfüllung
ba. Broderjens Art, dem Heiteren lebens:
wiirdiq zuaewendet, findet aud) in [djarfer
Charatterifierungsfunjt, wie in lyriſchen Auf:
gaben bedeutende Erfolge; ein Wieljeitiger
auch er, wie Bender und Erb. Karl Erb
hat durch ben beicelten Klang feines Tenors,
wie durch eine belonbere mimijche und gei:
tige Veranlagung im feltenen Grade die
Fähigkeit myjtiiche Leidfabhigteit zu geitalten.
Sein SBarfifal, *Baleitrina, Armer Heinri
und Floreſtan offenbaren es. Uber au
auf neuen, fchwierigen Wegen weiß er alle
Anforderungen zu erfüllen und er war
Shreder (‚Der ferne Klang‘) ein Huger Mit:
arbeiter, Dieſe vier Künitler find, mit der
wıindervollen, Jchönlinigen ‘Berard, Die
Hauptträger der Mozart: Abende. — Otto
Wolff ijt im Übergang ins heldiſche Fah
beariffen, wobei ibm die metalliiche, teno:
rale Kraft feines Organs und ein frilches,
unbelajtetes Erfajjen der Aufgabe glücliche
Morbedinqungen find; ein gejchäßter Par:
lifal auch er und ein mannbafter Ciegnot
(9tole vom Liebesgarten), ls ein ganz
ftarfes Eigenweſen zwingt Frau 3benta Faß—
bender ben Aufnehmenden in ihre Gewalt.
Cie tit wohl die echtejte Sjolde, bird) Mottls
SUtetiterbanb und tiefite Wagner: Kenntnis ges
bildet; ihrer von jungfräulichem Glanz ums
leuchteten Briinhilde jteht bie DdDiijtere Heros
bias in Jchnöder Lajterhaftiqfeit gegenüber;
ihre Eleftra ijt von einer Gejchlofjenheit bes
Haſſes, in die hinein fein Strahl bes Lichts
u dringen vermöchte, — Das von Leben
— Fräulein Krüger, die ernſte
Luiſe Willer ſind Künſtlerinnen von Rang.
Von den Namen, die im Vordergrunde
ſtehen, ſind noch die der Damen Reinhardt
und Färber anzufügen, ſowie die des geiſt—
voll geſtaltenden Dr. Schipper, der Herren
Bauberger, Gillmann, Schützendorf, Gruber
und Geiß. Wer ſchmunzelt nicht bei dem
legten Namen! Jeder Münchener ganz
gewiß. Geiß iſt von jenen, die ſolchen
redit beim Publikum haben, daß ſie nur
aufzutreten brauchen, um ſchon von beifäl—
ligem Vergnügen empfangen zu werden. —
Bertha Morena, Fritz Feinhals und Hein—
rich Knote ſcheiden hier aus: ſie ſind nur
26
304 PESESSSCHSSEHHEHE SEEN Hugo Calus:
als Gajte nod) der Münchener Oper verbuns
ben. Tie technijchen, raumfiinjtlerijden unb
malerijc : Deforativen Kräfte, bie in Mün—
chen den Aufführungen die äußeren Farben
und notwendigen Illuſionen geben, find zus
met mit clüdlid)en Ginfällen und Geftal-
tungen erfolgreid. Auf bielem Gebiete
[inb bie angelebenen Namen v. Fuchs, Wirt,
Klein und Kirjchner bem fnappen Bericht
einzuzeichnen.
Die Münchener wiffen wohl, was fie an
Diejem ragenben Aufbau fünjtlerijd)er Taten
und ihrer Träger bejigen. Aber audy ganz
Deutjchland fol fid) deffen bewußt werden,
denn für es wird diefe Arbeit mit ge:
leiftet. —
Mancher durddadte wohl einft in in:
nerer Unjchlüfjigfeit lerne Stellung zur Oper.
In meiner Jugend hielt id) mit dem. alten
Bottiched die Form für volltommenen Uns
finn. Aber bann wurde uns nad) und nad
Magners Wert erjdjlojjen unb durd ibn
elangte man auf den Weg zur Erkenntnis.
ir willen nun um die Aufgabe des Deut:
hen Wlufifdramas, bes deutjchen Muſik—
luftipiels. Ein Wort führt auf die rechte
Fährte. Es heißt: Symbol! Wenn bie be:
wegte Handlung auf der nay be vorüber:
ieht, fet fie ber Mythe, der Legende, ber
ejhichte entnommen, erwadt in uns bie
Tätigfeit eines verdoppelten Aufnahmever:
mögens. inter dem, was von der Bühne
herab unb aus dem Orcheſter herauf jingt
und flingt unb farbig lebt, erjchließt jid)
uns nod) eine zweite Welt. — Ich dente,
als Beilpiel, an bie Meijterjinger’ mit ihrer
bunten Füle Iieblid) : ern|ten Gejchehens aus
beutjdjem Volfstum; an bie ‚Entführung‘ in
all ihrer bürftigen Handlung innerhalb des
Rahmens eines Theaterorients; an Pales
ftrina, wo fich über dünner, halbverwiſchter
Linie aus italienijder Muſikgeſchichte ein gro:
Bes. ergreifend leidvolles Gemälde aufbaut.
er|djiebener als bie Bül;nenvorgänge biejer
drei Wunderwerfe tann nichts fein; verjchie=
dener auch nicht ber mufifalifde Stil. Und
Dennod) wird bie Miufif jedes diejer Werte jo
befruchtend auf die Seele hinüberwirfen, ba
fie, überlichtig und überhörig, nod) bie meta:
phyliihe Welt hinter bem Dargeftellten er:
ahnt. Weil eben all diefe Diujit von ihrem
Marmortafel BSSSSS333333 I
völkifchen Wejen und deshalb ihr felbjt vers
wandt, ja ein Teil von ihr ift.
Gewiß will ich nicht jagen, daß ein min:
bertvertiger Menjd, wenn er in die genann—
ten Mujiforamen geht, als ein erleuchtetes
Beichöpf wieder heraustommt. Aber ber
ethijch gejund Empfängliche wird fidh in ber,
gerade in den Stimmungen geftdrft und
erhoben fühlen, deren er für feine Zujtände
— Und das wird er für ſich vielleicht
pan} licht jo empfinden: Glüd und Lebens:
ejabung werden ibn mutvoll erfüllen, wenn
er bie ‚Wleilterjinger‘ jah; aus der Entfüh—
rung‘ wird er reinen und zufriedenen Herzens
heimfehren; in jdjmeralid)en Erſchütterungen
wird er durch ben Paleſtrina hindurch auf
Höhe ber Befaßtheit, über die alltägliche
Erdgebundenheit bhinausgeführt werden.
Sd) glaube aber nicht, Daß irgendein Wert
anderer Nationalität jo in uns bincinwirfen
tann, gemäß dem QGeje& ber zwilchen den
Nationen aufgerichteten Ccheidewand, die bas
legte Berjtändnis füreinander nicht zuläßt
unb die wir mit Entjegen erft ganz in Die:
em Kriege erlannten. (£s jcheint, daß jede
ation auch ihre metaphyſiſche Welt für fid
bat, offenbar haben muß, jonjt wäre viel
von bem Erlebten gar nicht möglich og:
wejen! Hier tommen wir aber an orphilche
ge binter den Grenzen ber Menſch—
eit — — —
Gang gewiß geben uns aud) Werte aus:
[ánbildjer Herkunft, vor allem Die ber Gite
ren Staliener, finnliche Freude an jchwelges
riſcher Melodit, pradhtvollen Temperaments:
ausbriiden und Klangreizen, mit Wirkung
emäß dem oben ageführten Schopenhauer:
ditat Und der ‚Barbier von Sevila, mie
‚Aida‘ find zwei hinreißende Aufjührungen,
bie man im Münchener Cpiclplan niht
mijjen módjte.
Sekt aber drängt uns alles zur ſeeliſchen
Berührung mit der metaphyitiden Welt,
wie fie fid), uns erhebend, hinter unjerer
deutichen Mujifdramatit offenbart. Deshalb
darf man es als etbijd)e Prlicht in gegen:
wärtiger und nächſtzukünftiger Zeit erfennen,
bie beutjd)e Oper zu pflegen und das Wolf
immer mehr zu ihr zu erzichen. Möchten
viele große Bühnen bem Beijpiel ber Dlüns
chener Hofoper folgen!
SECEEEECEEKEKKKCEKKE CECE CCCCCCCCCCCCCCCECCC CC CECE KK ELLE 723333333333 3333333333333333333333333333333333333333)30
Do
ttCtCtCCCCCCCCCCCCCCCC IIIIIIIIIIIIIIIIII9
CECECECECKLELCCCK CCE 9999999999999 99339
v
a
Marmortafel
Cie ſchaufeln nun Schon Jahr und Jahr
Tie Cdjlade, wo Pompeji war,
Palaft und Tempel und Altar.
Yun haben fie den Grund durchſucht;
Yas fanden fie? In wirrer $ [udjt
Und bod) erreid)t vom LavaquB
Manner, ertranft im Lavafluß —
ch feinen einzigen Frauenfuß.
Yo wohl die Frau’n geblieben find?
Beim fiedjen Ahn; beim lieben Kind...
Hugo Salus
€€eeeecceccccccecececce 3332222322223222222
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BS) Der Bdup CO
Cour dem — 2)
Eine Erzählung ausAlbanien von Borwindarlit
emmmmmmmrmmmmmmmrmmmmmmmmmmrmrmmmmmmnmmmmmmmmmmmmmmmmmmrnmimin i
Davos, April 1914.
Dottor Turbans Sanatorium.
,Sieb[te, einzige Freundin!
Endlich tann ich Ihnen zufriedenftellende
Nachrichten über mein Befinden geben. Bei
der heutigen Unterjuchung erklärte der Arzt
bie Lunge für völlig ausgeheilt, doch foll
ich p Sicherheit nod) etwa vier Woden
im Sanatorium bleiben.
Debt. wo ich weiß, daß unfere [ange
Trennung in nicht zu ferner Zeit vorüber
fein wird, will td) auch gerne nod) dieje
legten Wochen bier aushalten. Wenn id)
bas eritemal Ihnen gegenüberjtehen werde,
folen Sie feinen Schonungsbedürftigen in
mir leben, jonbern in voller Kraft und
Gejundheit möchte ich Ihnen erjcheinen.
Schon jest würden Sie jid) wundern über
mein Wusjehen. Das ftandige Liegen in
der laren Hodgebirgsjonne hat mid fo
braun gebrannt, als wenn id) an einer
ajrifanijden Expedition teilgenommen hätte,
Mein Doktor ijt durchaus damit einver:
Hor pen, daß id) von hier wieder nad) Cfi:
tari zurüdgehe, bod) will ich vorher wenig:
pore nod) für ein paar Tage zu meiner
tutter nad) Riel. Wm 1. Juni läuft mein
Urlaub ab, und dann, dann endlich fol id)
(Cie wieder jehen. Sd) mag nod) gar nicht
daran denten, jo unmabrjdjeinlid) Ichön er:
[d)eint es mir; id) darf es mir nicht aus:
malen, jonjt vergebe id) vor Cebnjud)t, und
id) babe Ihnen bod) verjprocdhen, vernünftig,
ganz vernünftig zu fein.
Wie id) allen Ihren Wünſchen nachlomme,
eben Sie jhon daraus, daß id) bisher aus:
djlieBlid) von meinem Befinden und meis
nen Plänen für die nddjte Zeit berichtet
pave. Aber Cie machen es mir ja in Sbrem
egien Briefe zum Borwurf, daß ich immer
nur von meinen Gedanfen jpreche, die nun
einmal jtets bei Ihnen find und weit über
Alpen und Adria fort Cie zu erreichen
juhen —
Wenn ich jet dafike und Ihr geliebtes
Bild betradjte, das vor mir jteht, dann
fommt mir alles jo unendlich weit zurück—
liegend, jo ganz unwahricheinlich und mär:
d)enbajt vor. Dieje jchöne und elegante
Dame fol einmal mitten in einem wilden
Lande bei einem armen, niedergefchojjenen
Manne in nächtlicher Hütte geweilt haben,
wo jie mit zarter Hand jeine Schmerzen
linderte. Untaplich ericheint es mir. Dann
hole id) mir wieder alle Briefe hervor, die
ih von Ihnen erhielt — meine kleine Raf:
jette ift fdjon fajt damit angefült — und
por mir heigen Sie auf, umgeben von allem
Zauber echtejter Weiblichkeit.
Wie gut tenne id) Cie und alle Ihre
innerjten Gefühle und Regungen aus ben
vielen lieben, unvergeplidjen Worten, bie Sie
mir jandten. Gie find Dod eine andere
als die große Dame der Welt, bie jo Ichön,
bod) aud) jo unnabbar in Ihrem Bilde vor
mir Debt, Sd) glaube, id) werde jehr ſchüch—
tern ungeidjidt fein, wenn id) Cie zuerjt
wieder jehe. Sd) werde Zeit gebrauchen,
die Frau meiner Träume und die vornehme
Dame, bie mir in vielem nod) fremd blieb,
wider in einem Bilde zu vereinen,
Und vor uns beiden werden Entſchlüſſe,
Entjdheidungen ftehen, die nicht weiter pers
[hoben werden dürften. Ich braude fie
nicht zu nennen, ich módjte Ihr Herz heut
nicht bejchweren. Aber Liebe und Gewiljen
und Ehre erlauben uns leider nicht, daß die
Verhältniſſe fo bleiben, wie fie find.
Leben Sie wohl, Cie einziges, liebites
Helen. nad) bem ich mid) fehne in unbän:
diger Zeiben|djaft. Morgen jchreibe ich
mehr. Shr Hans.”
B8 8 8
Einige Tage darauf erhielt er einen Brief
von Gwendolin.
„Mein lieber Freund!
Gewiß ſind Sie ſchon ungeduldig und
vielleicht auch etwas traurig, daß ich ſeit
acht Tagen nichts von mir hören ließ. Aber
ich bin ſchuldlos daran. Morgen ſoll zum
erſten Male wieder eine Poſt von hier ab—
ehen, und da will ich Ihnen heute einen
angen und lieben Brief ſchreiben.
Unſere Verbindung mit Cettinje iſt unter—
brochen, ſeit der italieniſche Dampfer, auf
dem wir damals zuſammen hier ankamen,
infolge einer Keſſelexploſion untergegangen
und ſein Stellvertreter nod) nicht eingetrofſen
iſt. Und an der Bojanamündung herrſchte
die letzten Tage eine derartige Bora, daß
die Barre unpaſſierbar war. Auch ich bin
daher ſeit unendlicher Zeit ohne Nachricht
von Ihnen, was ich um ſo ſchmerzlicher emp—
finde, Da Sie mich derartig verwöhnt haben.
Wenn id) bod) endlich wüßte, wie lange
Cie nod in Davos bleiben müjjen. Diem
Mater hat mid) dringend gebeten, ihn im
Suni zu bejuchen. Es handelt jid) aud) um
wichtige BEINE Angelegenheiten, auch
um dte Ordnung einer Erbjchaft, die mir
jüngit von einem Verwandten unerwarteters
weile zufiel. Gie werden mid) nicht mif
26*
300 ESSTSSCHE SCH HESS SF FE Borwin Carlig: Lee 2:233]
verftehen, Cie Lieber, Lieber, wenn ich fage,
daß mir dies Fortgehen von hier als eine
Erlöjung erjcheint — und mir bei bem Ge:
danten, daß Sie bald bherfommen könnten,
tiefite Schmerzen bereitet. Ich möchte um
feinen Preis der Welt, daß Ste in Sfutari
einträfen, während ich nicht dort bin.
Gie haben leider recht, wenn Gie aus
meinen Briefen herauszufühlen glaubten,
daß bas Zujammenjein mit meinem Manne
mid) aufs jchwerite bebrüdt. Unjere Che
bejteht ja überhaupt nur nod) dem Scheine
nach, und längft wäre id) zu meinem Vater zus
rüdgegangen, wenn mtd) nicht eines Davon
abgehalten hätte: der Gedanfe an Ihre
Riidtehr hierher. Ich tann nicht für immer
nad) England abreijen, ohne mich zuvor
mit Ihnen ausgejprodhen zu haben. Ich
weiß, Sie nehmen das Leben nicht leicht wie
jo monde Vianner, und id) bin in vieler
Beziehung jchwerfjällig geworden, obgleich
Cie mid) ja immer als bie JBeltbame hin:
ftellen, die ich wirflid) nur äußerlich bin.
Mad) bem, was zwilchen uns vorgefallen
ijt, fönnen wir nicht [o ohne weiteres aus»
einandergehen. Wir beide würden nie wies
ber unjeres Lebens froh werden. Wir wollen
Klarheit haben für die Zutunft, und dazu
müjjen wir uns aus|predem. Wann darf
id) Cie hier erwarten?
Jun muß id) Ihnen noch mankes er:
zählen, was in [ebter Zeit vorgefallen ift.
Zunächſt wird Sie die Mitteilung eines
Dieligen Blattes interefjieren, bie ich Ihnen
in der Überjegung beilege. Diejelbe lautete:
Unjere Lejer werden fih gewiß nod) bes
&apitáns $yerucci erinnern, der längere
Zeit bier in Gfutari fommanbdiert war,
bis er plóflid) im vergangenen Herbjt nad)
Italien zurüdberufen wurde, Wir erhalten
nun aus Neapel folgende Nachricht: Geftern
früh fand die Polizei bei einer jag ur ei
im Keller eines verrufenen Haujes in Torre
del Greco bie Leiche bes Capitano Ferucci,
der Dem hiejigen Hafenfommando angehörte.
Der an|djeinenb Ermordete war an einem
der Balten des Kellers aufgehängt, bod) fo,
daß jeine Füße gerade nod) den Erdboden
berührten. In feiner 3Bru[t jtedte ein Dolch
von fremdlandijder Arbeit. Die Unters
juhung bat gegen bie Snjajjen bes Haujes
nidjits Belajtendes ergeben. Anſcheinend
peels es jid) um ein Opfer der Viaffia.‘
sas jagen Cie zu dem entjetItdjen Ende
Teruccis? Gewiß hat er fein Gdjidjal per:
dient, aber bie Nachricht Hat mid) bod) jebr
erjbüttert. Wie id) font dariiber dente,
wage ich Ihnen nicht zu fchreiben.
Aus ben Zeitungen werden Gie wohl
Jhon wiljen, daß die Wiontenegriner fic
durch einen plößlichen Überfall in ben Belig
des Landes Der Hoti und Gruda gejegt
haben. Hier berrichte jtarfe Erregung dare
liber, bejonbers bei den albanijden Patrio:
ten, bie jid) jofort bejchwerdeführend an den
neuen Fürſten, den Prinzen Wied, in Dus
ra330 gewandt haben. Er wird ihnen
aber auch nicht viel helfen können, denn
ber Güden des Landes befindet fih im
hellen Aufruhr, der, wie es heißt, durch
griechiſche Agenten angeitiftet ijt.
Da ber Fürſt bisher nicht über irgend»
welche Ek verfügt, ijt er madtlos. Durch
eine Anzahl bollánbijder Injtruftionsojf-
ztere fol aber jebt zunächſt eine Polizei:
truppe ausgebildet werden, die wenigitens
den Anfang zu einer Heinen Armee daritellt.
Hier begreift fein Menih, warum Der
Fürft das Heine und ungejunde Durazzo jid)
als *Refibena ausgejudt bat, während unfer
|diónes GCfutari bie gegebene Hauptitadt
wäre. Sch nehme an, dag ibm die Anweſen—
beit ber GE Detachements peinlich war,
die ja ſchließlich eine felbjtändige Macht
neben ibm bilden. Anderſeits hätte er bod)
aber ftets Hilfe und Beiltand bier gefunden,
während er fih in Durazzo ganz in bie Hände
des ffrupellojen Gjjab Balha gegeben hat.
Sd) weiß niht, ob Ihr Freund Fuad
Ihnen [djon mitteilte, baB er jih jet eben:
is in Durazzo befindet, wo er eine An:
telung im Dtinifterium gefunden bat. Wie
Sie wohl wiljen, befand er fid) auch bei der
Deputation, die den Prinzen in Deutjchland
aufjuchte. Es tut mir leid, daß wir ben treuen
Mann niht mehr bier haben. Wie gerne hatte
ich mandymal mit ibm von Ihnen gejprochen.
Dagegen bejudt mid) Dottor Braune
häufig und beweilt mir eine rührende Ber:
ehrung, weil er in mir, gänzlich unberech—
tigterweije, Ihre Lebensretterin erb[idt.
Und nun, lieber Freund, will ich jchließen.
Sch hoffe febr, febr, daß Ihre Gefunbbeit
Shnen bald geftatten wird, zu fommen.
laube, Cie dürfen niht mehr allzulange
Eortbleiben, jonjt werde ich ſchließlich nod)
ganz trübjinnig und mel nG id,
Sdreiben Sie mir, bi.te, jo oft Sie tön-
nen. Ihre Briefe find augenblidlid das
einzige, Das mir neuen Lebensmut bringt,
den id) manchmal recht nötig babe.
Immer Ihre Gwendolin.
BB 8B E
Eiuige Woden darauf traf Briefen wie:
ber in Cfutari ein. Gr fam diejes Mal von
der Bojana her und wurde am Hafen von
SBádjter und ben übrigen Offizieren, die
unterdejjen um zwei Xeutnants vermehrt
waren, mit größter Herzlichleit empiangen.
Wie batte er jid) auf feine Riidfehr ge:
Bir und mit weld glübenben ‘Farben das
iederjehen mit Bwendolin ausgemalt. Und
nun war nichts daraus geworden.
Nod in Trieft befam er einen Brief von
ihr, bap fie in unaufichiebarer Angelegenheit
jofort nad) England miüjje. Eine wichtige,
Dre ihre beiberleitige Zufunft entjcheidende
enbung jet eingetreten. Sn Gtutari jand
er dann eine 9tad)rid)t aus Rom vor, die
ibm weitere Aurtlärung gab. Gie jchrieb:
„Mein lieber, lieber Hans, id) glaube, bafi
id) alle Auslicht babe, mid) als die glüd:
lichſte pron bezeichnen zu können, die es gibt.
Was Du immer als fier erwartet haft und
[SS Fe HE SETS HSS ISI Der Schuß auf bem Bardanjol BESZ 397
woran td) nie zu — wagte, iſt wirklich
eingetreten. Ich bin durch den Tod meines
Onkels in den Beſitz eines Vermögens ge—
kommen, das mich unabhängig von allen
äußeren NRüdjichten madjt. Es "n bod) nicht
anders im Leben: nun er jtebtunjerem Glüde
nichts mehr im Wege, unb ich habe nur ein
*Benreben, alle Schwierigteiten fo jchnell
wie möglich aus dem Wege zu räumen.
Eewip ift nod) manches Unangenehme zu
erledigen. Ich fürchte die Schwierigteiten,
bie mein Mann einer Scheidung entgegen:
jeten wird, unb ein wenig fürchte id auch
die unvermeidlichen bójen Nachreden, die
uns nicht erjpart bleiben werden. Aber
Deine Yiebe, an die ich glaube wie an das
Evangelium, wird mir alles leicht machen und
mir Deut und Fenighit geben, wenn id)
jd,wad) werden follte.
Sd) muß lebt nad) Irland wegen einiger
Formalitäten des Gejtaments. Ron Dort
will id) aud) meinem Manne die Mitteilung
maden, daß id) nicht bei ibm bleiben tann.
Wo aber follen wir uns wiederjehen? Jd)
tann mir nicht denten, dah Du bald wieder
Urlaub nehmen darfit. Nach Skutari tann
ich nicht gurudfommen.
Uber jehen und jpredjgn muß ich Dich.
Ru lange jhon habe ich mid) nad) Dir ge:
bangt, um es «rtragen zu können, jett wieder
pr unabjebbare Zeit Dih miffen zu follen.
un babe ich eine Sbee Cine febr liebe
Freundin von mir ijt die Frau des englijchen
Konjuls in Durazzo. Gie tann ich jederzeit
bejuchen. Dort, dente ich, wirft Du mid) aufs
Indien können, und wir bejpredjen bann alles
für unjere Zufunft.
In etwa vier Wochen fann id) dort fein.
Sd) bin halb náürrijd) vor Freude, Dich
wiederzujehen. Bitte telegrapDiere mir nad)
Dublin, Regent Street 6, dag Du mid) lieb
bait und daß Du nad) Durazzo kommen
wirit. Ewig Deine Gwendolin.”
‘Briefen hielt es für das bejte, feinem
Kommandeur und väterlichen Freunde alles
zu gejteben unb feinen Rat und Beiltand zu
erbitten.
„Ich dante Ihnen, lieber Briefen, für das
Vertrauen, bas Gie mir entgegenbringen,“
jagte Wächter ernjt. „Es ift ein verantwor:
tungsvoller Schritt, ben Cte vorhaben. Ich
tenne Frau Gwendolin gut und jchäße fie.
Aber ich darf Ihnen aud) nicht die großen
Bedenten verheblen, bie fid) einer Joldjen Vers
bindung entgegenj.ellen. Dak Ihre Erwählte
bie Frau eines anderen ift, mit dem fie nicht
lüdlid) gelebt hat, das bedeutet meiner An:
Bou nad) das wenigjte. Geſchiedene Frauen
pflegen häufig in der zweiten Ehe bejonders
glüdlid) zu werden und zu beglüden.
„Was id) aber jehr bebentlid) finde ift, daß
Frau Gwendolin einer fremden Nation ans
ebórt. Wenn fie auch Brin ijt, jo jtand fie
ngland bisher minbe|tens nid)t mit Ab:
neigung gegenüber. Wielleicht — joweit id)
beurteilen fann — trifft jogar das Gegenteil
zu. Außerdem ijt Frau Gwendolin in ganz
anderen Berhältnijfen groß geworden, als
in denen, in Die Gie jie bringen werden.
Es gehört febr viel Gntjagung, febr
viel Tatt auf beiden Geiten dazu, wenn
eine joldje Ehe glüdlidy auslaufen foll. Da:
u fommt nod), daß Sie jelber unvermögend
Kat unb baburd) in ein 9Ibbüngigteitsper:
bültnis zu Ihrer gufiinftigen Frau tommen
miijfen, bas nicht jeder Wiann ertragen tann.
Sd) muB Ihnen daher raten, nicht nur als
Borgejetter, jondern als freundichaftiidjit
ejonnener Ramerad, überlegen Cie jid) den
Schritt nad) allen Geiten, ehe Sie jid) und
die Frau, bie Cie lieben, in ein nicht wieder
gutzumachendes Unglüd ftürzen.“
„Jh bin mir aller Schwierigkeiten voll:
bewußt,” entgegnete Briejen feft. „So aber,
wie wir beide miteinander jtehen, wirde
ich es als ein Verbrechen halten, wenn id)
nicht alles an unjere Bereinigung jette."
Ich fehe, bier ijt nichts mehr zu maden,”
lagte Wächter miteinemleijen Laceln. „Dann
tann id) Ihnen aljo nur Glüd wiinjden und
Ihnen jede Unterftügung meinerjeits vers
jprechen. Ich hatte jomiejo bie Abjicht, dem-
nád)t einen meiner Offiziere nad) Durazzo
zu |djiden, Es geht in ber neuen Reſidenz
etwas drunter und drüber, und es ijt von
Wichtigkeit, daß id) über die dortigen mulis
tárijdjen Verhältniſſe auf dem laufenden
gehalten werde. Da fid) Ihr Freund Fuad
tn Durazzo befindet, jo ijt es mir willtoms
men, daß ich gerade Cie jdjiden tann. Gie
werden durch Ihren Freund febr viel jchneller
und bejjer über alles unterrichtet werden,
als irgendein anderer.“
„Und wann bejeblen Herr Major, ba
id) abreijcn foll ?^ :
„ch dente, Cie warten nod) ein bis zwei
Wochen, auf ein paar Tage tommt es dabei
nicht an. Sie fónnen es jid) ja fo einr.chten,
bag Cie gerade tur} vor rau Gweidolin
in Durazzo eintreffen.”
Wächter hatte fidh leben toe überlegte
anjcheinend, wie er einfleiden jollte, was er
nod) zu fagen hatte, hinzufügen mußte. Es
fiel ihm fidjtbar nicht leicht. Endlid) begann
er: „Jet muß ich Ihnen aber nod) Mit-
teilung von einer Angelegenheit machen, die
Sie fonft wohl niemals erfahren haben
wiirden. Als Cie damals Durch die Blut:
race des Gfrelis bedroht in unmittelbarer
Lebensgefahr fdjmebten, madjte id) mir die
größte Sorge um Gie und wußte nicht wie
Ihnen zu helfen fet. Da fam Frau Gwen:
dolin zu mir mit bem ... dem jeltjamen
Vorſchlag, dak fie bas Löſegeld von dreis
taujend Kronen geben wolle. Dest finde
id) es ja begreijfid), warum fie damals jo
bejorgt war und mir feine Rube ließ. Gie
verlangte nämlich, daß ich Das Geld von
ihr annehmen jollte, um es Ihnen weiter zu
leihen, weil fie genau mupte, daß Gie es
von ihr niemals genommen batten. Gie
Tonnen jih denten, daß die Lage nicht ganz
einfach für mih war.
„Sc fand endlich eine andere Löſung —
898 Borwin Garlíb:
dant unjerem ffeinen Dispofitionsfonds und
Ihres Freundes Fuad Vermittlung. Co
Idhafften wir die leidige Angelegenheit aus
der Welt. Verichweigen aber fann id) Ihnen
Frau Gwendolins Anerbieten nicht, um fo
weniger als es mich felber tief ergrifien
hatte. Sd) muß Ihnen aud) gelteben, daß
ich nicht ganz Däer bin, ob Fuad... ober ob
rau Gwendolin ſchließlich zu ben taujend
ionen aus meinem Fonds die fehlenden
zweitaujfend Kronen end geldjojfen bat . . ."
Briefen ſchwieg. In feiner Seele támpite
ein harter Rampf. Er war vertrauensjeli
auf Fuads Merlicherung eingegangen, bob
bie Cfrelis fid) mit bem Löjegeld von tau:
fend Kronen einverjtanden erflart hätten.
Mimmermehr hätte er die Löjung, die er
jebt erjuhr, annehmen Tonnen : nicht von dem
reunde, jicher aber nicht von der geliebten
rau ... ber Frau eines anderen. Aud
jest nod) empörte fid) fein Stolz. Er preßte
ie Zähne aufeinander, bie Lippen waren
ihm wie verjiegelt.
Gd, erhob er fid), immer nod) ſchwei—
gend.
Der Major empfand tiefes Mitleid, fühlte,
was in ber jungen Offizieren Ceele vorging.
„Briejen,“ fagte er, „lieber Briefen, glauben
Cie dem älteren Dianne, daß in jebem Men:
Ichenleben Lagen vorfommen, die jo auper:
gewöhnlich find, daß man fie nicht in dem
ewöhnlichen Schema unterbringen tann.
agen, bie jchließlich nicht mit dem Bers
tande, bie nur bird) das Herz zu entjchei-
en find.“ Er reichte Briejen die Hand:
„And nun aeben Cie mit Bott!“
Wie im Traumwmandel ging Briefen bann
durch bie woblbefannten Straßen. Und in
feinem Zimmer jak er lange, lange und jann
unb jann. Bisweilen zudte ein jäher Schmerz
in ibm auf: wie follte er vor Gwendolin
hintreten ? Sollte er jebt, jet, wo bas Glod
Km Pforten vor ibm geöffnet haben jchien,
e bod) nod) verlieren? Ctand niht jeine
Ehre auf dem Epiel? Hatte er feine Ehre
ion verjpielt? €ebte er nicht nur nod)
Durch bas Gnadengeſchenk einer Frau? Und
wenn es Die geliebtejte aller Frauen war:
würde er je überwinden können, daß fie für
ihn gezahlt hatte, elenbes Geld gezahlt?
Dann jah er wieder Wächters gutes Ge:
ko vor fid) und hörte jeine ernfien Worte,
ab fein rubiges Lächeln. Wenn diejer Mann,
bieler ausgezeichnete Offizier, bieler pflicht:
treue Ramerad jdliehlid) in bie Löſung og:
willigt batte — jelbjt wenn es mit Wider:
ftreben gewejen war — jo mußten die Ver:
haltnijje ibit bod) überzeugt haben, daß fie
Die einzig mögliche und daß jie minbejtens
nicht unebrenhaft war.
... es blieb da freilich ein Reit...
Aber Gwendolin — Gwendolin —
Shr war er nur tiefften SHerzensdant
Ichuldig. Ge ſchärfer er alles iiberdachte,
deito mehr fam thm erjt zum Bemußtjein,
was für ein Opfer fie ibm batte bringen
wollen. Welchen Kampf mußte es ihrem
zarten Empfinden gefoftet haben, ehe fie fid)
entichloß, zu Wächter, tem fremden Offizier,
gu geben und ibn um einen Dienjt zu bitten,
er fie |o leicht in ein faljdes Licht jegen
fonnte. ;
Vor feinem Bedenfen war fie zurückgeſcheut.
Immer hatte fie nur den einen Zwed vor
Augen, ben einen Gedanfen in der Scele ge
habt, ihn zu retten. Aus Todesgefahr zu
retten! Shr fonnte fein Borwurf gelten.
Nur Liebe vermochte gutgumaden, was
$iebe geopfert hatte!
Co wurde Briejen in den Gedanken an
Gwendolin allmählich ruhiger.
Der Reit freilid — der blieb! Wher er
fühlte: biejen inneren Kampf, den mußt bu
mit bir allein ausfedten. Shr, ber Geliebten,
erjpare ibn! Und barre der Zeit, bie viel-
leicht aud) in dir die lebte Wunde jchließt. —
Coviel wie in den nächſten Tagen batte
Briefen nod) niemals telegraphiert. Die
Depejchen zwilchen Dublin und CSfutari flos
gen bin und ber. Für Gwendolins Gehn:
juht gingen Briefe viel zu langlam. Das
ber jandte fie ZE PE die [ang waren
wie Briefe und ein Feines Vermögen fojteten.
Eines Tages aber fonnte Gwendolin den
Tag ihrer Abreije telegraphieren, und Brie—
jen erbat daraufhin die Erlaubnis, jid) bent
nächſt nad) Durazzo begeben zu dürfen.
Wächter willigie ein und riet ibm, fid)
einem italieniichen Offizier anzujchließen, der
an cod feinem Detachement dorthin gejcbidt
wurde, —
An einem frühen Morgen Ende uni
fuhr Briefen von Sfutari ab. Cein Rurjche
mit einem größeren Kofier begleitete ihn.
Bis zum Hafen benußten bie Herren ein
italtenijd)es Laftauto.
Am Ausgange der Stadt famen fie an
ber Moſchee mit dem Friedhof vorüber, auf
dem Riza Pajda Ce liegt, unb Brie—
jen Dadte an den Abend, wo ^r mit Gwen:
bolin auf dem Grabe bes tapferen Turfen
laß, als ber Muezzin zum Gebete rief und
die Zifaden fangen. Hier waren fie beide
zum erjten Male fid) ihrer Liebe voll bewußt
geworden. Debt bildete der ganze Friedhof
ein wogendes Feld von lila Scyhwertlilien, bie
wunderbar au ber grellweißen Steinmauer
unb den dunfelgrünen Zypreſſen ftanden.
Am Hafen bradte ein Motorboot fie an
Bord der ‚Dlarghera‘, eines Heinen Fluß»
dampfers, Der wegen ber Untiefen der Bo:
jana nur einen halben Meter Tiefgang hatte,
|o daß für bie Maſchine tein Pla unter
Ded war und fie daher oben darauf Stehen
mußte, Durch diefe gewiß praftijd)e Anord:
nung wurde aber die jowiejo jywüle Tem:
peratur des heißen Gommermorgens nod
erheblich gejteigert. Den Herren war es
jelbjt in ihren dünnen Tropenanzügen faft
unerträglich. Bleiern [aftete die glühende
Luft über Flug und Hafen. Auch bie Whe
fahrt brachte taum Grleichterung, da ber
Dampjer nur any langjam in bem jchwie:
rigen Fahrwaſſer babinlrod).
eessen Der Shuk auf bem Bardanjol Bseseseesessad 399
Senjeits ber Barre lag ein italienijcher
Torpedojä.er, der .Fuljiliere', ber bie Offi—
aere nad) Durazzo bringen follte. Die giem:
lich flache Riijte bot wenig Snterejjantes.
Mad) einiger zeit wurde ein größeres Schiff
ejidjtet, Das der Kapitän als cinen eng:
(den Kreuzer erfannte. Bald darauf war
Medua erreicht. Hier tamen die Berge
wieder dicht an bie Küſte heran, doch blieb
der ‚Fuljiliere‘ [omeit entfernt, daß man nur
mit dem Glaje bie wenigen Häujer des
EE erfennen konnte.
er Kapitän madte fie auf eine dichte
Raudwolfe aufmerfjam, bie oberhalb Medua
hinter den Bergen hervorfam.
„Dort brennt es jchon feit gejtern,“ fagte
er. „Bon Medua fommenbe Sieijenbe ers
zählten, daß bie Aufjtändijchen im *Bormarid)
~ auf Durazzo find und alle Ortidjaften, Die
es mit dem Fürſten gehalten haben, an=
ginden. Es werden jdjmere Tage für Tu-
ra3330 fommen. Sch babe gehört, dağ wir
nod) einen. unjerer Kreuzer dorthin jchiden
wollen. Der ‚Dandolo‘ liegt ja ihon da
und Debt dem Fürſten jederzeit aur Ber:
fügung, falls er fid) in feiner Sjauptitabt
sa mehr jidjer genug fühlen folte.”
riejen hatte das Gefühl, als wenn bas
Unbeil, bas über bas junge Fürſtentum hers
aufzog, bem Italiener eine gewijje Genug»
tuung bereitete.
Nad weiteren zwei Stunden fam Durazzo
in Sicht. Hier traten bie Berge wieder weit
vom Ufer zurüd, die Stadt liegt in einer
roen Elene. Als man jchon jo nahe dem
Sajen war, daß man die Dienjchen am Ufer
unterjcheiden fonnte, mußte ber ‚Fujliliere‘
nod) mehrere Kilometer weit nad) Güden
fahren, um dort bie Einjahrt in bie aud
bier befindliche Barre zu juchen.
Endlid legte man nicht weit vom Ufer
entfernt an. Während einige Boote vom
Lande berfamen, erklärte der Kapitän feinen
Bälten die Stadt. Das große weiße (Pe:
bäude gleidh linfs neben der Landungsbriicde
war Der fiirjtlide Konat, ehemals Sig ber
türtijhen ‘Berwaltungsbehorden. Rechts daz
von lagen Die Häujer des Zollamtes, des
Djterreidjijden Lloyds und der öjterreidhis
cen und italienijden Pot. Das war aud
$ ziemlich alles, was jid) von bejjeren Ge:
bäuden in Durazzo bejanb. Gelbjt Ejjads
Konat war nur eine Heine einjtódtae Villa,
Über den fürjtlichen Konat hinweg jah
man eine Anhöhe mit einer alten Ruine.
Dies war bie Zitadelle, auf der jebt eine
Batterie ftand, die Italien dem Fürjten zum
Geſchenk gemacht hatte. Sie feuerte, jo daß
man teutlich die Stellung eines jeden der
vier Bejchi Be erkennen fonnte.
„Die Aufſtändiſchen jcheinen einmal wieder
einen Angtif zu machen,“ meinte ber Sta:
lieuer. „Seit etwa adt Tagen liegen fie
Boon ziemlich didt vor der Stadt, haben
aber bisher vor den Geichügen nod) immer
einen betllojen thejpeft gezeigt.“
Die Boote waren herangefommen, und
die Ojfigtere nahmen Abjchied von dem galt:
liyen Rommancanien, 33r.ejen jollte jid) bei
jeınem Wejandten melden, fand aber zunächit
memanden, Der (bm den Weg zeigen fonnte.
Ziemlich ratios |tanb. er mit feinem Burs
\yen und dem großen Kofler an der Lanz
Dungsbrude unb Jab, weldje Wujregung das
Teuer der Batterie verurjadte. Beri.tene
Wendarmen galoppierten zum fürgtlichen
Konat hin, vor bem zwei Albaner auf Hotten
jtanben, unb ein Trupp albanijdjer Infans
terie eilte im £anfjdjritt eine enge Gaffe
hinauf. Gie waren als Soldaten nur an
einer roten Binde mit bem jchwarzen Adler
am rechten Arm kenntlich.
Sept tam ein Offizier mit zwei Albanern
zu jerde angejprengt. Er trug eine Art
von deutjcher jyelbunijorm, aber aud) mit
e Ge albanijd).n Binde anb bem weis
en Mes,
Als er Briefen bemerkte, madjte er halt,
grüpte und jagte: „Beltatten Gie, 2 ich
mid) vorjtelle, id) bin Wiajor Ferjen, Roms
mandant Der firjtliden Kavallerie.”
Briejen nannte Yiamen und Abjichten und
bat um Unterjtiigung. „Haben Ste "don
Quartier, Herr Kamerad?“ 'ragte Ferjen.
Und als Briejen verneinte, meinte er: „Dann
werden (ie jo leidyt nichts nebr finden.
Darf id) Ihnen vorläufig meine Behaujung
anbıeten? Ein Bett ınd inen Stuhl fann
id) Ionen jedenfalls tod) veridjagfen."
Briejen najm danfbarjt an, bis ^r etwas
anderes gifunden haben würde,
„xeider fann id) jelber nicht mitfommen,
denn es ſcheint, als wenn die Aufitändijchen
einen Angriff beabjicytigen, und th will das
ber meine Meute alarmieren. Sd) gebe Ihnen
aber eine Ordonnanz mit, Die etwas deutſch
verjteht und Ihnen behilflich fein tann. Und
nun auf Wiederjehen, die Pflicht ruft.“ Das
mit ritt er Davon,
Unter Führung des Wlbaners erreichte
Briejen durd) ein Gewirr Heiner jd)mufiger
Gakuen, in denen es unbeinilid) ſcharf nad
Bodyett und &noblaud) bujtete, die Woh:
nung jerjens, die aus zwei Zimmern in
einem unjcyeinbaren Hausdyen bejtanb.
Ulis der Burjche mit bem Gepud antam,
bas von zwei Yigeunern getragen wurde,
jagte Briejen: „Hier werde id) wohnen,
Pen Gie alles aus, legen Cie den Schlaf:
jad an die Wand und vergefjfen Sie ja bas
Wiostitonch niht. Wo C.e jelber ſchlafen
werden, wird fih nod) finden, aber aud) Gie
dürfen nicht ohne Wlüdenjchleier ruben.
Tiejes Durazzo ijt eines der jchlimmiten
giebernejier, die es gibt. Sd) gehe jet, um
nud) beim Gejandten zu melden.“
8 8
Vor einer elenden Holzbaracke hielt der
führende Albaner und meinte, hier müſſe
ber Geſandte Deutſchlands wohnen. Zur
Grfunbigung begab er jid) in einen dort bes
findlihen Gemüjeladen und führte dann
Brieien burd) den Hof und eine enge Treppe
hinauf. An einer Holztür jtand „Philipp
400 Betecetete steep esse] Borwin Barlig: "ses: SSRI
Bertold, Secrétaire be Légation” und fo:
leid) erinnerte fid) Briefen des Freundes, dər
thm Triejt gezeigt hatte. Gr tlopfte an, trat
ein, und groß war bie gegenjeitige Freude,
„Wie tommen Gie hierher?“ Diejelbe
Frage ertönte gleichzeitig. Briefen erklärte
jeinen Auftrag, und Bertold erzählte, daß
er Bejandtjchaftsjetretär und einzige Stütze
des Gejandten ware. „Und wie finden Cie
unfer Bejandtichaftspalais ?^ jette er lachend
hinzu. „Außer biejem meinem Zimmer bes
lit aud) ber Gejandte nur einen einzigen,
wenn aud) etwas größeren Raum, in dem
er jchläft, arbeitet und Bejuche empfängt.
Nicht jebr würdig für Deutjchland, werden
Cie denten, aber was follten wir machen?
Die Ernennung fam ona plößlid), und es
war beim bejten Willen unmöglid), irgend»
eine geeignete Wohnung zu finden. Ales
war |don von Bjterreich und Stalien be
Ihlagnahmt, und das einzige jogenannte
de das es bier gibt, batte aud) nicht ein
immer zu vergeben. Syd) werde Gie aber
jest beim Herrn Gefandten anmelden.“
Er flopfte an die Tür bes Nebenzimmers,
in Der er verjdjwand, um gleid) darauf
Briefen hereinzubitten.
Briefen meldete fih und erzählte von
feinem Auftrage. Der Geiandte bat Play
zu nehmen und entjichuldig:z fid) auch jofort
wegen der Wohnung. Gie war in ber Tat
rührend, dieje Unterfunft des Wertreters
eines der mächtigiten Staaten. Ein Feld:
bett, ein Waſchtiſch, ein Cdreibtijd), nod)
ein anderer Tijch, ein paar Stühle und als
einziger Luxusgegen|tand ein Triumphflapp-
ftubl. Das war alles. Die Wälche und
Kleider des Herrn Gejandten, jowie bie Aften
ber Gejandt) Haft befanden jid) in verjchies
denen umberjtehenden Kiften und Koffern,
Er jelber, ein nod) verhältnismäßig junger,
äußerjt lebenswiirdiger Viann, war aus der
Konjulatstarriere hervorgegangen. Yad
einigen freundlichen Worten entichuldigte er
fi mit Arbeit und Dub Briejen zum Abend
ins Hotel Europa ein, wo er jtets zu ejjen
pileate.
Bertold dagegen hatte noch Zeit und hielt
feinem Freunde gleich einen kleinen Vortrag
über Durazzo. Es Iden feine Spezialität
zu fein, den politijden Fremdenführer zu
machen. Nachdem die Zigaretten entzündet
waren, begann er: „Unier jüngites Fürjtens
tum liegt, unter uns gejagt, anjcheinend in
den lebten Zügen, fo daß aud) die hielige Ges
landtichaftsherrlichfeit — oder vielmehr Mi—
jere — Demnddjt ihr Ende erreichen wird.
„sm Süden an der Grenze tobt der Auf:
Honn und hat fid) bereits aller Gebiete be:
madtiqt, wo griechiſch orthodoxe Albaner
wohnen. Ste wollen lieber zu Griechenland
gehören, als fid) der vorwiegend mujelmas
niidjen Regierung unterwerfen, bie vor allem
durch (jjab vertreten wird.
„Dieier Eſſad Palda bildet ein Kapitel
für fih, und es ift nicht einfach, ibm voll:
tommen gerecht zu werden. Ehrgeizig, jelbjts
füchtig, verlogen, beftechlich, für feinen eige:
nen Worteil zu jeder Schandtat bereit: das
ijt fo eine tfeine Mujterlarte von Liebens:
wiirdigfeiten, bie jeine Feinde ibm zuſchrei—
ben. Er mag von allen diejen Eigenichaften
einiges haben, immerhin bleibt vielleicht nod)
ein Teil von Patriotismus übrig.
„Anfangs hat er jider ben Giirften unter:
ftügen wollen. Als er bann aber jab, ban
es Diejem nicht gelang, fih genügenden Ein:
fluß zu Derihaffen, jcheint er eine Schwen:
tung zu Italien gemadjt zu baben unb jieht
das Heil Albaniens jet wahrjcheinlidy in
einer tt alienijchen VBorherrichaft. Sbm gegen:
über gibt es nur zwei Möglichkeiten, Die td)
am liebjten dem ;Fürjten jelber vorjdlagen
möchte. Entweder Gjjab aufhängen zu laſſen
oder ibn mit unumjchräntter Diachtbefugnis
Au verjehen. Das erjtere wäre bas praktiſchere
und finnte dem Fürſten jofort zu großer
Boltstümlichteit verhelfen, wenn er bie gro:
Ben Güter ae bejdjlagnabmen und our:
teilen ließe. Aber aud) auf die zweite rt
wäre Eſſad vielleicht nod) dem Fürſten zu:
rüdzugewinnen, Anjtatt deffen wird ihm
jebt mißtraut, und es heißt, er jolle des Lan:
des verwiejen werden. Dieje Maßnahme
wäre natiirlid) bie allerunglüdlidjite und
wird infolgedejjen wohl zur Ausführung
tommen.“
Bertold zündete fic) die zweite Zigarette
an und berichtete mit einem gewiſſen iro:
nilden Behagen weiter: „Was augenblid:
lid) den Beltand des Fürſtentums unmittel:
bar in frage ftellt, ift ber Aufitand der
mubamebantidjen Bevölferung bier in ber
Dritte bes Landes. llrjprüngltd) ift er fidjer
bird) italienische Agenten und deren Be:
itedjungsgelber hervorgerufen worden, und
Eſſad hat, wenn er ibn aud) vielleicht nicht
unterftiijte, jo Dod) niht mit allen Mit:
teln gegen ihn gearbeitet. Er wollte ge:
beten werden, wollte jid) mit allen Mad)t:
befugnijjen befleiden lajjen und dann als
Retter des Landes und der Dynafjtie er»
Icheinen. Sekt find bie Aufjtändigen immer
frecher geworden und haben fogar jhon die
Stadt Durazzo bejchojjen, bie fie in weitem
Bogen umlagert halten, jo dak bem Fürſten
außer feiner Haupijtadt und dem Ylorden
des Landes, Das Durd) die Detadements
ber Broßmächte im Jaume gehalten wird,
nichts mehr übrigbieibt.
„Srgendweldye Truppen, bie nur halb:
wegs Diejen Jamen verdienten, bett der
Fürſt nicht. Cinigermagen zuverläjjig find
etwa zweihundert, von Den holländiſchen
Injtruftionsoffizieren ausgebildete Gendar-
men. Dazu tommen mod) einige Taujend
albanijder Krieger, bie aber nur den Ramen
einer bewaffneten Horde verdienen. Die
wenigen Holländer verjuden, unterjtüßt von
einigen ehemaligen beutidjen und öſterreichi—
iden Offizieren, etwas Ordnung und Dilziplin
in die Gejellichaft zu bringen. Solange die
Regierung nod) regelmäßig ben Sold an die
Truppen auszahlt, wird es wohl gehen, aber
Junge Witwe
Gemälde von Peter v. Hamme
der Schuß auf dem Bardanjol 401
es heißt ſchon, daß das Geld in der Regie—
rungskaſſe faſt zu Ende iſt, und dann iſt es
aus mit der Herrlichkeit.“
„Kennen Sie den Major KE bei dem
ic) Unterfunft gefunden habe?“ fragte
Briefen.
„Natürlich fenne ich ihn. Er hat es in
der Deutiden Armee bis zum Fahnenjunter
der Kavallerie gebradht, ging [páter in tür:
fildje Tienite, war mit Enver in Tripolis
und bat jid) jest vor etwa zwei Monaten
bem Fürſten zur Verfügung geltellt. Da er
viel von Werben verjteht, hat ihn ber Fürſt
mit ber Aufjicht über feine eigenen Pferde
betraut und ihn gleichzeitig zum Major und
Kommandanten der ganzen Kavallerie er:
nannt, Die immerhin etwa eine Esfadron
Dorf ijt. Er:gilt als ein febr rüdjichtslofer
Draufgänger und pajjionierter Soldat.“
Brivjen bedankte jid) für bie umfajfende
Auskunft und verabjchiedete fih bis zum
Abend, wo er mit Bertold zujammen beim
Gejandten im Hotel Europa effen folte.
Sn feiner Wohnung angelangt, fand er
ihon alles ganz gemütlich eingerichtet vor.
yerjen hatte nod) ein Bett bejorgt und fo:
ar einen &leiberid)rant, jo dak ber Burjche
ereits bie Sachen auspaden konnte. Auch
ein Frübitüd war angerichtet, zu dem fein
freundlicher Gajtgeber thn einlud.
Natürlich) bildeten die militärischen Er:
eignijje Das Hauptthema der Unterhaltung,
und es war ‘Briejen jehr willfommen, dağ
er auf dieje Weije jo jchnell und gut unter:
richtet wurde, ý
erjen war durchaus Optimijt. Er wollte
Durazzo, bas nur auf einer ſchmalen Enge,
die durch ausgedehnte Giimpfe führt, am:
gegriffen werden konnte, mit hundert zuver—
lälııgen Leuten ein Jahr lang halten.
Jum waren ja allerdings die Aufſtän—
bilden zehn: bis fünfzehntau)end Mann ftart
und den fiirftliden Truppen bei weitem über:
legen, die dafür aber zwei Batterien und
aht Majdhinengewehre belaßen. Ginmal
waren Die Feinde allerdings jchon jo nahe
an der Stadt gewejen, dah verirrte Belchojle
bis an den fürftlichen Konat flogen.
Si 88
Am nádjiten Morgen fucdhte Briefen feinen
Freund Fuad auf, bem ein Büro in einem
der kleinen Zimmer des fürjtlichen &onats
angewiejen war. Groß war Die Freude des
Miederjehens, bie belonbers den Albaner
derartig eiregte, Dak Briejen einem jchon
damals gehegten Wunjche nuchfam und den
Freund bat, fid) mit ibm auch als äußer:
lides Zeichen der Brüderſchaft zu duzen.
Geriihrt und faum der Worte madtig ſchloß
der Wibaner ihn in feine Arme, und Die
beiden jo gänzlich verjdiedenen SUtánner
taujdten ben Bruderkuß.
Zunächſt mußte Briejen erzählen, wie es
ibm bisher ergangen war, Natürlich ſprach
er aud) von feinen Beziehungen zu Gwen:
dolin und ber Hoffnung auf ihre baldige
Vereinigung. Fuad war ganz begeijtert
darüber und meinte, daß er fih bie jchönite,
bejte unb tapferjte Frau ausgejudt habe,
bie es gäbe. Daran, daß [ie bie Frau eines
anderen war, nahm er nicht ben geringjicn
Anſtoß. (Gbejdjeibungen waren bet ben Diu:
bamedanern nichts Seltenes.
Dann berichtete Fuad über Albanien. Er
jab febr trübe in bie Zufunft und jchien ttejbe:
brüdt. „Ich weiß mir und meinem Baterlande
feinen Rat mehr,“ Jagte er jeufzend. „Ule
ohne Ausnahme wollen von unjerem armen
Lande immer nur nehmen und feiner bringt
etwas, Gewiß' will unfer Fürjt das Beje,
aber die Grokmadte geben ihm bie ver:
Iprochene Anleihe nicht, ohne die er maht:
los ijt. Rein Menſch bier fann es begreifen,
warum bein mächtiges Baterland einem
jeiner Prinzen die Erlaubnis gegeben hat,
den albanijchen un zu bejteigen, um ihn
dann hilflos dort [e zu lajjen.“
„Lieber Fuad,“ jagte Briefen, „Deutjch:
land ijt an Albanien nicht interejjiert und
hat immer nur das ?Bejtreben, zu vergin:
dern, daß feine beiden Bunbesgeriöffen, Diter:
reih und Italien, fic) jemetmegen ver:
unetnigen. Es gibt tn Deutjchland viele
Fürjtengeichlechter, bie Ion mehrfach Dion:
archen Fir fremde Länder gegeben haben,
ohne daß wir irgendwelche politijchen Ab—
jichten Dabei hatten. Dente bod) nur an
Bulgarien oder Rumänien. Wenn ein deut-
ier Pring fid) auf einen fremden Thron
begibt, Dann muß er fid) allein weiterhelfen.
Bon Deutjchland hat er höchſtens wohlwols
lende Sympathien zu erwarten.“
„Das verjtehe ich nicht,“ meinte Fuad,
„und ebenjo wie mir geht es allen anderen.
Rimm einmal den Yall, ein frangojijdyer
ober italienijdjer Prinz wäre Fürſt von
Albanien geworden. Ic, glaube, feines der
beiden Lander hätte fid) die Gelegenheit ents
eben laffen, jegt bier dem Fürjten zu Hilfe
ruppen zu landen. - Aber jo wie bie Sathe
nun einmal ftebt, ift bie Lage bes Fürjten
hoffnungslos.“
„Was macht denn aber Pring Favor? Er
[oll bod) mit mehreren Taujend Mann von
Bolane Ber in Anmarjch fein, um dem Fürs
ften zu helfen?”
„Allerdings marjchiert er heran, und fein
Weg wird durd) die Trümmer der zerjtörten
und brennenden Dörfer bezeichnet. Geine
wilden dhrijtlidjen Maliſſoren tennen feine
Schonung gegen alles, was mulelmanijd) ijt,
unb morden und plündern. Ihnen fommt
es vor allem darauf an. Beute zu machen,
und der Pring felber erhält vom Fiirjten
täglich zehntaujend Kronen zur Unterhaltung
feiner Krieger. Won diejen Leuten erwarte
und hoffe ich nichts Gutes."
„And Eſſad *Bajdja ?^
„Eſſad hält es mit bem, Der bie größte
Macht beiigt, und das jcheint ihm augen:
blidiid) Italien zu fein. Die einzige Hoff:
nung, Die ich habe, ift bie, daß jchlieklich
bod) nod) eine Grofmadt, am liebjten wäre
mir Ofterreid), bas ausgezeichnet mit ben
402 BESSERES Borwin Carlig BSSSeses=3SSessssi
Muhamedancrn umzugehen weiß, unfer Land
beiegt und erjt einmal geordnete Verhält—
nijje berjiellt. Unter feinem Schuße tónnte
dann ber Fürſt fid) einleben. In biejem
Sinne arbeitet außer mir noch eine Anzahl
gleichgelinnter Patrioten. Aber Italien und
aud) England intrigieren überall aufs
ſchlimmſte. €etteres halt fid) jcheinbar zurüd,
unterjtügt und ermutigt Stalien aber cuf
jede Weile, um es immer weiter in Die
Feindſchaft mit Sjterreid) hineinzutreiben.“
Fuad jchwieg, und Briefen wußte nicht,
wie er ibm Diut gujpredén follte. Wud
ibm jchien nad) allem, was er gefehen und
aebórt hatte, bie albanijche Tragödie ihrem
Ende zuzugehen.
Gwendolin hatte ihre Ankunft mit bem
‚Baron Brud, bem Schnelldampfer des
Lloyd, angemeldet. Das Telegramm fam
aus Bari, von wo fie einen italienijchen
Dampfer bis Antivari benugen wollte, um
dort auf den ‚Baron Brud' umzujteigen.
Früh um jede Uhr morgens lief das
Schiff auf der Reede von Durazzo ein, wo
es in ziemlicher Entfernung vom Lande
anfern mußte. Durch Fuad erhielt Briefen
ein Motorboot gejtellt, mit bem er jchon
lange die Ankunft bes Dampfers erwartete,
jo daß er jojorf an Bord jteigen fonnte.
Tief jahen fid) die beiden Slüdlichen in
die Augen und wußten, daß nichts mehr fie
trennen würde. Dann fuhr Briejen Gwen-
dolin mit ihrer Jungfer unb dem Bepäd
an Land, und er hatte trog aller Glückſelig—
feit doch nod) Zeit, über die Unzahl von
Koffern zu erjtaunen, bie eine Dame auf
Zeilen mit fid) zu nehmen vermag.
Sn ihrem febr hübjch eingerichteten Him,
mer fand Gwendolin einen Brief ihres
Mannes vor, den fie nur mit Herzflopfen
öffnete. Gr jd)rieb: ,Liebe Gwendolin. Ich
none Deine Nachricht empfangen, daß Du
id) von mir trennen willjt, und irre wohl
nicht, dah Deine große Erbjdaft in eriter
Linie dazu Die Veranlafjung tjt. Ich gebe
Dir aber folgendes zu bedenken. Du fannft
mir nicht den Vorwurf madjen, daß id) Dich
in unjerer Ehe irgendwie in Deinen Nei:
gungen behindert habe. Wenn wir aud) in
egter Zeit nur nod) wie Freunde zufammen
lebten, jo geſchah es bod) deshalb, weil Du
jelbjt es jo wolltejt. Auch fonjt führten wir
ein Leben, das in jeder Hinlicht Deinen
Wiinjchen und Neigungen ent|prad). Beh
tann Dir jdjn mitteilen, daß mir bie Be:
rufung ins indische Miniſterium ficher ift,
wo wir eine Ctellung einnehmen werden,
um die uns viele beneiden Tonnen,
Eine Echeidung würde uns beiden große
Unannehmlichfeiten bringen, mir würde fie
in der Karriere fchaden, und wie man bei
uns Au Hauje über eine geichiedene Frau
Denft, bas weißt Du ja felber am beiten,
Ich mache Dir daher den Vorſchlag, weiter
als gute {Freunde beilammen zu bleiben, im
übrinen aber uns gegenjeitig das Redt au:
zugelichen, gu tun und lajjen, was wir
wollen. Du fiebft, daß id) bir bas Hußerite
ugeitehen will, bas eine Frau von einem
Leen Vianne verlangen tann.
Auch auf eine andere, etwas unangenehme
Sahe muß id) nod) Dein Augenmert richten.
Du erinnerjt Dih Teiner Angelegenheit mit
Baron Traubenberg. Leider bat mein Ge
heimjefretar Wind davon befontmen. Nun
ijt es ja völlig ausgejdlojjen, daß er fid)
das geringjte merten lajjen würde, Jolange
Du meine Frau bunt, denn er hofft durch
mich auf eine weitere gute 9Injtellung. Wenn
dieje Rüdfichten aber für ibn fortjallen, jo
it es immerhin bentfbar, daß er eines Tages
jpredjen fónnte, Bon den etwaigen [traf»
rechtlichen Folgen will id) gar nicht reden,
aber mit Der Möglichkeit mußt Du rechnen, dak
Tein Vaterland Tir für ewig verjperrt bliebe.
Sd) hoffe, Du wirjt Dir alle dieje Gründe
forgfältig überlegen, id) felber habe eine viel zu
große Meinung von Deiner Klugheit, als
daß ich Dir einen nicht wieder gutzumachen:
den Schritt zutrauen fonnte. Jedenfalls bitte
id) Sid) barum, dab Du fobald wie möglich
zu einer Ausiprache hierher fommit.
Bis dahin bin id) in BEE
obert.” —
Wis Briefen fid) bet Bratfords melden
ließ, empfing ihn Lady Georgina allein.
Cie war eine große, ſchlanke Erjcheinung
von vornehmer Häßlichkeit, wirkte aber durch
ſchöne und gütig blidende Augen febr Tom:
pathifd)
„Es freut mid) Ka, daß Cie uns bes
ſuchen,“ fagte fie. ,*Bejonbers für meine
NEE Bwendolin, über die id) mir in
egter Zeit manchmal jchwere Gorgen ges
madt babe. Ich dente, fie wird gleich fom:
men, ihren Freund zu begrüßen.“
Da trat bie Erwartete gud) ſchon ins
Zimmer, und Lady Georgina ließ taftvoll
die Liebenden auf einige Seit allein.
Mit jchnellen Worten berichtete Gwen:
dolin von dem Briefe ihres Mannes, ohne
natürlich bie Cache mit Traubenberg zu ers
wähnen. „Ich werde den Kampf mit ihm
aufnehmen,“ jagte fie. „Ich dente, es wird
nicht allzu ſchwer fein, daß er mid) frei
läßt, wenn ich ibm nur genügend Geld
dafür biete,“
Zu einer Erwiderung, zu einer Ausjprache
fam Brieſen nidt. enn gerade als er
Bwendolins Hände gefaßt hatte und särtlich
fiigte, gerade daß er gejagt: „Ich dante bir!
Wie ih bir dante!” — traten Bratfords mit
erregter Miene wieder ein. Der Konſul
hielt eine foeben eingelaufene Depejde in
der Hand und teilte, nad) flüchtiger Vor:
itellung, mit bebender Stimme den Inhalt
mit. Das Telegramm enthielt bie Nach:
richt von der Ermordung des öjterreichiichen
Thronfolgers und jeiner Gemahlin in Gera:
jewo durch ferbijche Mörder.
Das jchredli.ye Ereignis blieb an diesem
gor nage ber ausſchließliche Gejprád)ss
tojf. E
e. WS 8
D: 33:39-39:93 Der Schuß auf dem Bardanjol 403
Die Ereigniffe drängten fidj. —
Fnad teilte feinem {Freunde mit, er habe
Gewipheit, bag italienische Spione mit den
Aufitändiichen in Dauernder Verbindung [táns
ben. Er bezeichnete bejonders einen ‘Pros
feilor unb einen in Durazzo anjálfigen Kauf:
mann, bie auch täglich im Hauje bes italies
nilchen Gejandten verkehrten.
Briefen madhte dem Viajor Ferfen bier:
von Mitteilung. der fic) mit einem der hol:
ländijhen Dfriziere in Verbindung fegste.
Syn der Jtad)t wurden die Italiener verhaftet
unb ins Unterjuchungsgefängnis gebracht.
Cojort aber erhob der italienische Gejandte
Protejt und verlangte bie Beitrafung fFer:
jens und des Holländers. An Briejen wagte
er jid) allerdings niht heran, machte abet
Konful Bratford davon Mitteilung, daß der
Deutiche in gefährlicher geheimer Verbin:
dung mit einlußreichen Albanern ftiinde.
Zieler teleqraphierte an Herbert nad)
Stutari und erbat fih Auskunft über Bries
jen. Shon am gleichen Tage erhielt er fols
ende Antwort: „Briefen ijt höchſt gefábrs
iher Cpion, Dellen Bejeitigung mit allen
Mitteln erjtrebt werden muß. Er weiß Ge:
eimnijje, bie aud) für England gefährlich
inb. Baron Traubenberg teilt mir mit,
op Montenegro im Falle eines ſerbiſch—
Öjterreichiichen Konflittes Serbien unterjtügen
wird. (Er wird morgen in Durazzo eins
treffen und Ihnen näheres erzählen.“ —
Yn einem der nächſten Tage unternahmen
bie Aufjtändijchen einen neuen Angriff auf
die Stadt.
Sobald bie Gefdiike von der Zitadelle
herab donnerten, begab fih Briejen dorthin,
um nad) dem Stande bes Gefedjtes zu jehen.
vum mit jeinem Burjden, beide mit
rownings bewaffnet, gelangte er in fünf»
zehn Viinuten in bie Nähe der alten Ruine,
wo die Batterie ganz offen aufgefahren war,
denn der Gegner batte ja teine Geſchütze,
um das euer zu beantworten.
Ter Batterieführer. ein junger Holländer,
der ausgezeichnet beutid) jprad), bat Briefen
nábergufommen und erklärte thm die Stel:
lungen beider Gegner. „Sie jeben, daß Du-
razzo auf einer Art von Halbinfel liegt,
deren eine Seite Durch einen großen Sumpf
ebildet wird. Hierdurch bleibt für einen
ngtiff auf bie Stadt nur ein etwa fünf:
hundert Meter breiter Strid) an der Gbaujjee
nad) Tirana zur Verfügung. Cie Tonnen
die Straße deutlich jeben. Dort in den
Riifchen vor den legten Häufern der Stadt
befinden fih unjere Stcllungen, ziemlich
leihte Schützengräben. Weiter nad) vor:
wärts, dort wo bie Cchrapnells meiner
Batterie plagen, liegen überall in bem Buſch—
wert unb in ben Modern bes unebenen Boz
bens einzelne Gruppen des Feindes. Geine
Haupttrajte halt er viel weiter zurüd aus
Reijpett vor meinen Geſchoſſen.“
Briefen beobachtete durch feinen Beib,
daß ab unb zu einzelne Yeute bes Feindes
weiter vorliefen. Sie hatten es jhon ges
lernt, fid) im Wrtilleriefeuer zu bewegen.
Da er aber bod) von hier oben zu wenig
jah, befdjloB er, fid) weiter vor zu begeben,
Zunädjt ging er zurüd in die Stadt, bie
in beillojer M regund war, In einer der
engen Straßen begegnete er bem Fiirften,
der wohl vom Rampfplaße guriidfam. Geine
roke, jchlante Figur in einer prächtigen
bantafieuniform mit weißem Fes und lane
nem Sieiberbu|d) wirfte großartig. Tiefer
(rnit lag auf ben blaffen, etwas eingefals
lenen Zügen, Wn feiner einen Ceite ritt
der deutſche Hofmarichall, an der anderen
ein albanijder Adjutant. Etwa dreißig Als
baner in wilden, malerischen &ojtümen folg:
ten, Als Briefen grüßte, banfte der Fürſt
mit freundlichem Lächeln. Shon zweimal
hatte Briejen vergebens verjucht, eine Aus
dieng zu befommen, Dod) war ber Fürft
jedesmal bejchäftigt gewejen.
Mad) etwa einer halben Stunde erreichte
er das Ende der Stadt, eg he geraume
Zeit vorher hörte er bas Pfeifen ber Ge:
inebrgejd)ojje unb mehrfad) einen laut flats
len pen Einjchlag in einem ber Hausdächer.
inter den legten Häujern ftand ein Trupp
Ilbaner, bei denen er feinen Quartierwirt
qerjen erfannte, ber heftig auf bie Leute
einredete.
,Geben Sie mehr nad) rechts,“ jchrie ihm
— zu, „ſonſt werden Sie totgeſchoſſen.
ie Kerle haben ſich heute ſo nahe heran—
gewagt wie noch nie. Vorn in den Schützen—
pee liegen nur etwa hundert Gendarmen,
ie dringend Unterftügung brauchen. Aber
lauben Cie mir, daß es móglid) ijt, meine
Merle vorwärts zu bringen? Lergebens habe
id) es mit Drohungen und Bitten verjudht.
Cie verlangen jet bier an Ort unb Ctelle
eine Zulage zu ihrer Lohnung, bie id; ihnen
dod) nicht geben fann. Dabei fonnen jeden
Augenblid bie Gendarmen über den Haufen
gerannt werden. Es ijt zum Berzweifeln
mit biejer elenben Bagage.”
„oft bas alles an Truppen, was augen»
blidlid) bier ijt?” fragte Briefen. „Damit
können Cie bod) die Stadt nicht halten,“
„Drinnen im Ort wimmelt es noch von
Bewaffneten,“ jchrie $yerjen erregt, „aber
entweder find fie bejtod)en oder feige, jeden:
falls habe id) feinen dazu bewegen können,
mit mir herauszufommen,. Aber drei von
meinen Rameraden, ein Deuticher und zwei
Siterreicher, find nod) dort und verfuchen ihr
möglichites. Cine einzige Rompagnie Deuts
ler Truppen bier, und ich wollte die ganze
Bande bis nad) Tirana zurüdtreiben.“
„Wo find denn die Majchinen.ewehre ?^
„Bott jet Dank, die ftehen bier verteilt
in ben legten Häujern der Stadt. „Zwei
wadere hollandiſche Offiziere find bei ihnen
und bei jedem Gewehr als Bedienung ein
ehemaliger Ddeuticher oder öjterreichiicher
Unteroffizier. Gie bilden unjere legte Res
ferve, wenn ber Gegner heranfommen folte.”
Sn bicjem Augenblide ertönte von rechts
ber bas belle, idjarje Tad: Tad eines Mas
ihin ngewehrs, bem fich alsbald ein zweites
anſchloß. „Set fommen fie uns Dod) über den
Hals!” rief Ferjen. „Machen Sie, daß Cie
ortfommen, was wollen (Cie fih bier tot-
hießen laffen von biejem Gefindel? Für
mich ijt es ja leider meine verdammte Pflicht
und Cdjulbigteit."
Debt jchlugen die Gejchofle derartig
häufig in der Nähe ein, daß Briejen es
vorzog, fid) zu entfernen. Er hatte in ber
Tat hier nichts zu tun. Außerdem aber
padte ibn plöglich jchwere Gorge um Gwen:
dolin. Wer weiß, was gejchehen fonnte, wenn
der Feind [iegreid) und plündernd in Durazzo
einaog.
d ichnell er fonnte, eilte er in die Stadt
zurüd, zum Haufe Bratfords. Die Nachricht
von der bedrobliden Nähe des Feindes
mußte fid) ſchon verbreitet haben, denn überall
jah er flüchtende Familien, die fid) zum
Hafen begaben, wo ie Aufnahme auf einem
der öjterreichiichen oder italienischen Schiffe
zu erhalten hofften.
Im Haufe des Ronjuls war helle Auf:
regung. Bratford fam gerade mit ber Nach—
richt zurüd, daß ber Fürſt fid) mit feiner
Familie auf den italientjdjen Kreuzer be:
eben babe. Much bie Gejanbten unb Kon:
Kr jolten ſchon im Aufbruch begriffen fein.
Lady Georgina ſchrie nad) ihren Dienit:
boten, bie anjcheinend bereits — wa⸗
ren, worauf fie in Tränen ausbrad).
Briefen ftieg ohne weiteres die Treppe
aut um fih y Geliebten zu begeben.
or ihrer Türe blieb er überraicht jtehen,
denn er glaubte eine Männerjtimme zu
hören, und vermutete, dak es ihr Dann
lein könnte. Schon wollte er fehrtmacdhen,
als er Gwendolins Stimme in derartiger
Erregung vernahm, daß er fid) entjchloß,
ür alle d alle in ber Nähe zu bleiben, falis
ie Beliebte jeines Schußes singe Hinter
einem Schrank dicht bei ihrer Zimmertür
ftellte er jid) auf und fühlte fein Herz [o
wild und fieberhaft pochen, daß es ihm bis
in den Hals hinein |d)lug.
Die Gewehrſchüſſe ber Albaner, die ihn
Iura vorher tobbrobenb umjdwirrten, hatten
ein Blut taum in Wallung gebradjt. Wit
alt ſteptiſcher Ruhe hatte er gefühlt, wie
ein pridelnbes Gefühl von Neugier und Luft
am Rampfe thn padte und fejthielt. Jetzt
[aate fein innerjtes Empfinden ibm: Geb fort
und erniebrige Dich nicht, indem du den
Raucher madjt. Aber um Gwendolins wil:
len mußte er bleiben: ihr jchien hier Gefahr
u drohen. Er preßte fein Ohr jo dicht an
ie Wand, daß er trot bes Dröhnens der
Kanonenichläge, bie jeden Wugenblid das
Haus erjchütterten, fajt alles hören fonnte,
das drinnen geiprochen wurde.
Schon nad) den eriten Worten wußte er,
daß es jedenfalls nicht Ronjul Herbert war,
den Gwendolin allein bet jid) empfangen
batte. Gin brennendes Gefühl der Eiferjucht
wollte in ibm autiteigen. Gleich aber ſchämte
er jid) dejjen. Und er hörte auch, daß bas
| Borwin Barlig: Lass)
Geſpräch drinnen gejchäftlichen Charafter
tru
g.
Bwendolin |pradj in ftarfer Erregung:
„Sch flebe Sie an, verlangen Gie nidyts
Weiteres von mir. Sd) fann und will Ihnen
feine weiteren Dienite leijten!“
Eine Mannerjtimme, deren einjchmeicheln:
ber und bod) leicht brobenber Ton ibm jehr
befannt vorfam, entgegnete: „Rerehrte Frau,
Cie haben einmal den erjten Schritt getan
und ihn, wie ich glaube, nicht zu bereuen
gehabt. Warum wollen Cie mir jeßt auf
einmal Ihre Unterftügung verweigern ?“
„Beil td) einjab, weld) jdjmeres Unredt
ich beging. Außerdem tann ich Ihnen mit»
teilen, daß ich nicht wieder in das Haus
meines Mannes zurüdtehre, Jondern mid
Icheiden laffe.”
„Zu bielem Entichluffe fann id) Sie nur
aufrichtig beglüdwünjchen, jo leid es mir
unjerer gejchäftlicyen BerbindDung wegen tut.
Cie aber fann id) nicht aufgeben. Gie haben
fid einmal dem großen Spiele der Politik
bingeaeben und find ibm verfallen. Wud
bier fónnen Gie von großem Nuten fein,
wenn Gie nur wollen. ` weiß, wie inni
Cie mit Lady Georgina befreundet find, ane
außerdem jagt man, daß ein deuticher Offi-
jer fid) auffallend um Cie bewirbt. Wenn
ie diefe beiden Quellen nur genügend aus:
nugen wollten, fünnten Cie mir manches
Sn berichten.“
Diefes Mal fam ihre Entgegnung faft
Deiler vor gewaltjam unterbrüdter Erregun
hervor: „ch fage es zum legten Male, id
wünjche Gie nie wieder zu jehen. Ich bitte
Cie, mein Zimmer fofort zu verlajjen.“
Sekt nahm die Männerjtinme einen Dro:
henden Ton an. „Es tut mir leid, einer
Dame gegenüber gu energijd)en SUtaBregeln
Ichreiten zu miijjen. Aber da Cie mid) das
zu zwingen, Jo made id) Cie darauf aufs
mertjam, daß Gie jid) in meiner Hand be:
finden. Sd) perfórpere hier die Maht Ruf:
lands. Die Reichweite meiner Witttel ift
unbegrenzt, und ich ſchwöre Ihnen, daß id)
jie rüdjichtslos anwenden werde.”
„Dein Vaterland wird mid) zu jchüßen
wijjen.“
,Seiber haben Gie dabei vergejjen, dak
England wohl taum einer Landesverraterin
beijpringen wird.“
„Jetzt babe id) mir aber genug von Ihnen
gefallen laffen,“ jchrie Gwendolin. „Sofort
hinaus aus meinem Zimmer, ober id) rufe
nach ber Sienerid)aft."
Briejen vernahm ein paar jchnelle Schritte
nad) ber Zimmertiir, deren Sdhliiffel gleich
darauf von innen zugedreht wurde, worauf
bie Männerjtimme jagte: Debt find Sie
gefangen, meine Gnadigfte. Chretien Sie,
bitte, jovicl Cie wollen. Die tapferen Bes
wohner diejes Haujes find bereits vor ein
aar lumpigen Gdbiijjen der albantjden
Freiſcharen ausgerijjen."
Da war es mit Briejens Gelbjtbeberr:
hung vorbei. Mit einem Sprunge war er
DESS SEH Der Shuß auf dem Bardanjol BSSSsessssess; 405
an der Tür, bonnerte mit ber Fauſt Do:
gegen: „Aufgemacht, oder ich trete bie Tür
ein!“
Einen Augenblid berrichte drinnen Stills
jchweigen. Dann rief Gwendolin angitvoll:
„Hilf mir, Hans!“
Gerade wollte ber Deutiche fid) mit der
Wucht feines nervigen Körpers gegen die
Tür werfen, als diefe fidh öffnete und er fih
Auge in Auge mit Traubenberg befand.
$tajenb vor Wut griff er in bie Tajche, 30g
feine Browning und hielt fie bem Baron
vor die Brujt. „Laffen Sie Mrs. Herbert
in Ruhe, oder id) jchieße Cie über den Haus
fen wie einen wilden Hund.“
„Ich dachte, Sie wären deutjcher Offizier
unb fein Dleuchelmörder.“
„Und id) hielt Sie bisher für einen Edel»
mann!” jchrie Briejen. „Jetzt jebe ich, dak
Cie ein ae Schurfe find!“
„Es ijt fein &unjtitiid, grobe Beleidi—
ungen zu jagen, wenn man einem wehr:
ojen Manne eine geladene Piltole auf die
Brujt fegt,” entgegnete Traubenberg höhniſch.
Briejen ließ bie Browning jinfen. „Wollen
Gie mir Genug: ung geben für die Beleis
bigunger Die Ste Mirs. Herbert zugefügt
haben?“
„Wenn Mrs. Gwendolin Cie dazu er:
mächtigt, und vorausgejeßt, dak meine Re:
terung es mir gejtattet, mit dem größten
ergnigen. Was beredjtigt Cie aber zu
cee daß ich dieje Dame hier beleidigt
abe $“
„Weil ich es mit eigenen Ohren hörte!“
rief Briefen, immer nod) todjend vor Wut.
„Das wollte id) nur willen. Alſo erjt
Iaujden, bann mich mit der Waffe bedrohen
und mir jdjlieblid) pöbelhafte Beleidigungen
ins (Gendt jchleudern, bas könnt ihr deut:
Iden Herren! Mit ber junge feid ihr ja
immer groß genug. Wirs. Herbert, id) gra:
tuliere Ihnen zu diejem Liebhaber,“
Einen Augenblid fürchtete Gwendolin,
daß Briefen den 9tujjen niederjdlagen würde.
Cie jtieß einen Schrei des Entiegens aus.
Das bradjte ihren — zur Beſinnung.
Gewaltſam nahm er ſich zuſammen und ſagte
mit halblauter Stimme, aber unwillkürlich
in die deutſche Sprache zurückfallend: „Heraus
mit Ihnen, Sie Schuft! Wenn Sie noch
ein einziges Wort ſagen, dann werfe ich Sie
eigenhändig die Treppe hinunter.“
Ein irrlichterndes Glimmen in den ſtahl—
blauen Augen feines beutjdjen Gegners vers
anlaßte ben Rujjen zum Rückzug. Cine
flüchtige Berbeugung vor Gwendolin, ein
lalter?Blid auf feinen Feind und Die furzen
Worte: „Dieje Stunde follen Sie mir biigen.^
Dann war er verichwunden.
Cie hörten feine Tritte fid) nad) unten
entfernen, während die jyenjter von einer
Reihe fdnell jid) folgender Kanonenſchüſſe
erzitterten. Einen Augenblick jaben die Vies
benden jid) ftumm in Die Augen. Dann
lag Gwendolin in feinen Armen nnd rief:
„Nette bid) und mich vor feiner Rade!”
Da gab es ein leijes Klirren am Fenfter
und einen flatjchenden Schlag gegen Die
Wand, von ber ein müdes Bejchoß herunter:
fiel. Unwilltürlich audten beide zujammen,
und rajch 30g Brielen die Geliebte beijeite
unb bat fie, fih auf das Gofa in der Zim:
merede zu leben, wo fie außerhalb ber Schuß—
richtung war.
„Die Aufſtändiſchen fcheinen bieles Dial
(rnit zu maden.“ Und als er ihre Angit
bemerkte, fügte er hinzu: „Aber bu braudjjt
bid) feinen Sorgen hinzugeben. Gelbjt wenn
die Stadt erobert wiirde,. hätten wir von
den QAlbanern taum etwas zu befürchten.
Trokdem mußt bu fo fdnell wie móglid)
fort. Sd) will jebt bas Fenfter verbarris
fadieren, Damit du deine Gaden paden
lannit."
Als er aber einen großen Schrank vor
bas Fenſter ziehen wollte, tam er allein ba:
mit nicht zujtande, jo daß er fid) jchlieglich
ihre Hilfe gefallen lajjen mußte, während
[ie tapfer gegen ihre Furcht anfampfte.
„Dy wirjt mit ber Zeit nod) eine richtige
ne meinte er lachend, „die Feuer:
taufe halt bu heute jchon empfangen. —
Wo bleibt aber eigentlich deine Jungfer?”
„Ich babe fie zur Llondagentur gejchidt,
um zu erfragen, wann ein Tampfer nad)
Stutari geht. Hier im Haufe waren ja alle
Dienftboten jchon ausgerijjen."
„Und bu but allein bier geblieben, du
mutige Frau?“
„Sb, ich hatte feine febr große Angit,
wußte id) bod), daß bu mich holen würdejt,
wenn wirkliche Gefahr drohte.“
„So laß mid) hnel meinem Burfchen
Beicheid jagen, ber unten wartet. Er jol
zu Fuad geben und ihn bitten, uns einige
Heute hergujdiden, Damit wir dein Gepad
zum Hafen bringen Tonnen," .
Briefen ging und fam bald darauf in
Begleitung von Betſy aurüd. Das arme
Ding zitterte an allen Gliedern und [ab jid)
ihon von den Aufjtändiichen erjdojjen oder
gebenft, Aber fie brachte die gute Jtachricht,
baB in zwei Stunden ein Dampfer geben
wiirde, der alle Fremden, bie Die Stadt ver:
lajjen wollten, nad) Gfutari bringen jollte,
Mad einiger Zeit fam aud Fuad mit
mehreren feiner Albaner und berichtete, daß
der Angriff ber Aufjtändiichen nod) einmal
abgejchlagen fei, und dah für den Augen:
blid feine Gefahr drohe. Auch ber Burjde
lebrte zurücd und bradte ein Telegramm von
Major Wächter, der Briejen anwies, in drei
Tagen nad) Sfutari zurüdzufonımen,
(fine Stunde jpäter nahmen die Lieben:
ben Abſchied auf ber Landunagsbriicte.
„Binnen kurzem bin id) wieder bei bir,"
flüfterte Briefen ihr zu, „dann erzählſt du
mir in Rube, was ber jdujtige 9iujje von
dir wollte, Habe deshalb teine Sorgen.
Sd) werde bid) beichügen, und wenn Die
ganze Welt gegen uns ware.“
Tann fah Gwendolin in ber Barkaſſe,
Dic jie zum Dampfer bradte, und nod lange
400 Ee E SEHE ETF Borwin Garlitz: —
wehte ihr weißes, flatterndDes Tuh bem
Liebften ben Abichiedsgruß.
Unmittelbar bevor fe das Schiff beitieg,
begegnete ihnen ein Motorboot mit Der
Ihwarzsroten albanijchen Flagge am Steven.
Es trug ben Fürjten ber Schiptaren in den
Konat guriic zum legten Alte feiner alba:
nijchen Herrlichkeit.
8B
CH
Gwendolin war ſchweren Herzens nah Stu:
tari gefahren: jie wußte, dak dort eine Begeg:
nung mit ihrem Dianne unvermeidlich war.
Sn der Tat fand er fid), jeltjam jchnell
von ihrer Ankunft unterrichtet, fajt jofort
im Hotel Europa, wo fie abgejtiegen war,
ein und ließ fid) nicht abwetjen. Er bat,
zuerjt jehr höflich, daß fie in fein Haus Aus
rüdfebre. Er bat — er bejhwor fie ſchließ—
lid Gie blieb unerbittlich.
„Und was nun? Was milljt du eigent:
lich?“ fragte er dringend, mit drobendem
Unterton in der Stimme.
„Sch Ichrieb es bir jhon. Die Trennung
von dir!“
Er lahte. „Das find PBhantafien. Was
jollte mid) veranlajjen, bid) freigugeben Sr
Da bot fie thm Geld. Cin Drittel, die
Hälfte ihres Vermögens. Und wieder lahte
er nur. Dann fpielte er ben Beleidigten,
|prad) von Gitte unb Moral, und dak es
gegen feine Ehre gebe, über joldje Wnerbie-
tungen nur zu verhandeln. Yur allzu bes
[timmt fühlte jie, er wollte ben Nießbraud)
threr ganzen Habe fid) dauernd fichern.
Und jclieplid) ging er zu offenen Dro-
ungen über. Wenn fie wirllid) ihre Ab:
ich: Durchjegte und ibn für immer virlieBe,
dann würde er nicht nur dafür jorgen, daß
fie niemals wieder nad) England zurück—
fchren könne, jondern aud) erreichen, daß
ihr Vermögen, als bas einer Laändesver—
räterin, bejdjlagnahmt würde,
Dieje Drohung madjte Gwendolin futen.
Cie war bod) die Tochter eines erfahrenen
Beihhäftsmannes. Gegen eine joldje unver:
pete Gemeinheit mußte fie mit über:
egener Lift vorgehen, Go ließ fie fid) auf
weitere Be predjungen ein, um Herbert bin:
zuziehen. Wn ihren Redjtsanwalt teleqras
phierte fie aber nod) am gleichen Tage ge:
naue Anweijungen, ihr Vermögen jo ſchnell
wie móglid) flüjjig zu machen unb es ficher
zu hinterlegen.
Schon nad) wenigen Tagen erhielt fie die
Nachricht, daß mit Ausnahme eines nicht
e ſchnell zu verfaufenben Gutes ihr übriges
ermögen in Sicherheit wäre,
Bg
B8 88
Inzw'iſchen war aud) Briefen in Stutari
eingetroffen, hatte fic) jofort bei feinem
Kommandeur gemeldet und Bericht über die
SfRorgünge in Durazzo erjtattet, Beionders
interejlierte Wächter bie Wermutung, dağ
Stalien ein faljdjes Spiel mit bem Fürſten
trieb und fider mit Eſſad Paſcha, vielleicht
jogar mit ben Aufſtändiſchen intrigterte.
„Leider habe ich auch bier die gleichen
Erfahrungen gemadt. Die Italiener, un:
lere jogenannten Verbündeten, werfen uns im
Einverjtändnis mit Engländern und Fran:
ojen einen Rniippel nad) dem anderen zwi:
Gen die Füße. Die Folge davon ijt, dağ bie
Sſterreicher voll gerechter Empörung über die
treulojen Ragelmader find, wie fie die Ita:
liener verächtlich nennen. Wugenblidlid
wäre tein Krieg tn Ojterreich jo populär mie
der gegen den langjährigen Bundesgenojjen.
Gelbjt die meudjlerijdjen Gerben find nicht
derartig verbaBt. Sollte es unter diejen Ums
ftänden gu einem europáijdjen Konflikt tom:
men, jo wird viele Geldjidlid)feit ber Diplo-
matie dazu gehören, unjere beiden Verbün—
deten bei berjelben Stange zu halten.“
Als Briejen alle Grlebnijje und Beobad:
tungen erzählt hatte, banfte ibm Wächter
aufs würmjte für ben gelungenen Erf Ig
jeiner Eendung, ber feinen Erwartungen
durchaus ent|prad). „Sch werde nicht per:
fehlen, Cie in meinem nádjjten Bericht nad)
Haufe bejonders zu erwähnen.“ — —
Schnlichft unb voll banger Sorge hatte
Gwendolin den Geliebten erwartz:. Als fie
lich jebt wiederfahen, war ihnen, als wenn
jie jahrelang getrennt gewejen wären, und
immer up neue fogten de jich törichte und
bod) jo bedeutungsvolle Worte.
Endlih rig fih Gwendolin los. „et,
Siebiter, folljt bu meine Beichte hören.
Schlimm genug ijt fie. Aber du wirjt mir
verzeihen, denn alles, was id) tat, geſchah
einzig Deinetwegen.“
Und dann berichtete fie. Bon ber Angſt
um fein Leben, bas ber Blutrache verfallen
war, von ihren Bemühungen, ihren Sorgen,
ihrer Verzweiflung, die fie jchließlich, als fie
feinen anderen Weg mehr jab, in die Hände
Traubenbergs führte. Won jeher hatte fie
ibn als — Freund eingeſchätzt,
auf deffen Zuverläſſigkeit und Taktgefühl
ſie feſt rechnete. Mun aber mußte Me zu
ibrem GSchreden einjehen, daß unter der
Wiuste bes liebenswürdigen Helfers das
mostomitifde Raubtier jtedte, das fein gee
fargenes Opfer nie wieder los laffen wollte.
Auch von ihrem Manne jprad) fie. Wie
er fie zum ?Berrat an Ferucci veranlajjen
wollte, jo daß fie ibm gegenüber feine Gez
wijjensbijje mehr empfinden konnte. Aber
er war jchlauer als alle anderen. Ihr Ge:
heimnis mit Traubenberg erfuhr er durch
einen geheimen Apparat in feiner Wohnung,
und feit biejer Zeit zwang er fie, fingierte
Berihte an den Rujjen zu jdiden. Das
Geld, das fie dafür erhielt, ftedte Herbert
ein. Und jebt, wo fie fic) endlich freimachen
wollte von all dem Schmuß und all der
Erniedrigung, ba brobten ihr Mann und
Traubenberg gleichzeitig mit Enthüllungen.
„alber was and über mich hereinbredyen
folte, alle Berachtung der Welt will ich auf
mich nehmen, wenn ich nur dich behalte, dich
unb Deine Liebe, bie mid) über alle Fährnijje
binwegtragen wird in ein glüdjeliges Leben
an deiner Geite,“
BSS Der Shug auf dem Bardanjol BSSssesssesd 407
Gie {eb ihn mit leuchtenden, ermartungs-
vollen Augen an. Schon fniete er vor ihren
Füßen.
Tief untergetaucht in fein Gedächtnis,
vergejien waren alle die Sorgen, Bedenten,
- bie er in feinem jdjweren Einn getragen und
immer wieder durchgrübelt hatte. „Wie du
für mid) gelitten haft, Geliebte!” jagte er
Ieije unb zärtlıh. „Was bu für mid) getan
haft! Wie tann ich es je, je vergelten ?“
„Durch xiebe, Hans... wenn überhaupt
en gwijden uns die Rede fein
arf!”
Ganz tief beugte er fic und barg feine
Stirn in ihrem Schoße. Langjam, mit leichter
an ftrich [ie ibm fein Haar. „Du Lieber...
u Guter...“ Und fie füßte ihn auf bie
Stimm, umfaßte fein Beficht mit beiden $5án-
den, richtete es hod. „Du Lieber!” jagte
fie nod) einmal. Und plößlich brannten ihre
Rippen aufeinander.
Pläne jcdymiedeten fie für die Zukunft.
„Am beiten ift es, wir reifen zujammen
nad 9[merifa und lajjen alle die wider
wärtigen und gemeinen Menſchen hier zurüd.
Was meinit bu, Liebjter ?”
Briejens Stirn umrmólfte fih. Mit fo
fd)nellem Entichluffe allem, was ihm bisher
lieb und wert gewejen war, Lebewohl zu
Jagen, ber Mutter, bem Baterlande, dem
Heere, dagegen [tráubte fih bie bodenjtäns
dige Natur bes Norddeutichen.
„Du barfit nicht vergeiien, Liebling, daß
id mit Traubenberg nod ein Wörtchen zu
jprechen babe. Glaubjt bu, ich könnte es
Kal, dağ er bid) ungejtraft beleidigen
urfte?“
In Todesangft ſprang fie hod. „Haft
bu die Abjicht, bid) mit diefem nichtswür:
digen Ruffen zu fchlagen? Sch flebe Did)
an, wenn du mid) lieb haft, bann gib diefe
entjegliche Idee auf.“ Und als fie feinen
unentjdjojjenen Ausdrud bemerfte, jebte fie
fait heftig hinzu: „Ich werde es niemals
geitatten. örjt bu, niemals.”
Schließlich erreichte fie, daß er verfprad,
nicht nur ihre augenblidlichen Echwierig:
teiten, jonbern aud) ihre en di mit
Mächter zu befpredhen. Zu bejjem klaren
und redtliden Werjtande hatte fie volljtes
fBertrauert,
BR 8 ag
Gwenrolin hatte ber Jungfer befohlen,
ihr bas Effen auf das Zimmer zu bringen.
Ta meldete Betſy einen BWejucher, der
fie in dringender Angelegenheit zu prehen
wünſche. uf der wenig ſauberen Viſiten—
tarte jtand: Ssmael Ribaritid, und dahinter
die geſchriebenen Worte „muß die Lady in
perſönlicher Angelegenheit ſofort ſprechen“.
Nach kurzem Zaudern ſagte Gwendolin:
„Führen Sie den Herrn herein, bleiben Sie
aber im Nebenzimmer, damit ich Sie ſofort
rufen kann.“
Herr Ribaritſch, der angebliche Korre—
ſpondent ber Freien *Brejje', betrat Das
Zimmer. Nach einigen Redensarten und
Entſchuldigungen übergab er einen Brief,
in dem fie loq eid) Traubenbergs Handjchrift
erfannte. k
Einen Augenblid wurde ihr dunfel vor
Augen. Dann öffnete fie entjchlojjen ben
Umichlag und las: „Verzeihen Sie, Mrs.
Herbert, daß ich nicht perjónlid) zu Ihren
fomme, aber ich wollte mich nicht wieder der
Gefahr ausjegen, einem gewiljen flegelhay:en,
niht jatisfattionsfähigen Deutſchen zu be:
negnen. Diejer Brief ijt in ber Sprache der
Diplomatie ein Ultimatum und jtellt Ihnen
zwei Dinge zur Wahl. Entweder Cie ge:
währen mir morgen eine ungejtörte Unter:
redung — ich befinde mich hier bei meinem
Freunde, dem [franaójijden Ronjul — oder
ich fehe mid) zu meinem Leidweſen genötigt,
bem englilchen Gouverneur von Gflutari
einige höchſt interejlante Mitteilungen über
den Landesverrat einer gewijjen Perjönlich«
feit zu machen. Ich hoffe, die Vernunft
wird Ihnen den richtigen Weg zeigen. Dem
Überbringer, ber in meinen Dienjten [tebt,
fónnen Sie vertrauensvoll, auch mündlich,
Shre Antwort übermitteln. Ich Toile Ihre
Hände und wäre unglüdlich, wenn id) Ihnen
einige Berlegenheiten bereiten müßte.
Konftantin Traubenberg.”
Einen Augenblid überlegte Gwendolin
analtvollen Herzens, aber ber Gedanfe am
den Freund gab ihr ungeahnten Mut. „Bitte
lagen Sie dem Herrn Baron, daß ich meinem
Manne bereits von allem Mitteilung ae:
madjt hätte. Er fónne jid) aljo weitere Be:
miihungen er|paren."
Ein furges Ropfniden, und Ribaritſch,
ber ehrenwerte Rorrejpondent des Wiener
Blattes, bie Rreatur Traubenbergs, war
entlafien. Dann rief fie Betiy herein, bes
fahl Tee zu machen und bei ihr im Zimmer
zu bleiben. Gie jchrieb an den Geliebten
unb legte den Brief bes Ruffen bei. Ihrem
Mann teilte fie furz mit, daß Trauben:
berg mit (Gntbüllungen beim Gouverneur
gedroht hatte, weil fie nicht weiter für
thn fpionteren molle, Gie babe ibn aber
iviijen laffen, daß ihr Mann von allem unter:
riditet ware. Nachts mukte Ben bei ihr
Idioten, denn (tren erregten Jterven war ein
Alleinſein unertraglid. — — —
Früh am nádjiten Morgen Fand Briejen
vor feinem Kommandeur. „Herr Viajor,
id) tomme heute in einer privaten 9[nge:
legenheit, in der ich weniger ben Wunjch
meines 3Borgelebten als den Rat des älteren
Kameraden erbitte."
„&s freut mid) aufrichtig, Briefen, daß Cie
Vertrauen zu mir haben. Bitte, erleichtern
Cie Shr Herz, denn darum handelt es fih
bod) wohl,“ Jette er lächelnd hinzu.
„Es ijt nicht allein eine $jergensange:
leaenbeit, aber es hängt bod) jedenfalls ba:
mit aujammen," verjebte Briefen und er:
zählte nun alles offen und rüdhaltlos dem
älteren Freunde. Er verichwieg auch bie
Rerfehlungen nicht, bie Gwendolin für ibn
begangen und burd) bie fie nun in eine
408 BS
doppelt |dhwierige Lage, jowohl ihrem Manne
wie Traubenberg gegenüber, gebradjt war.
Wud) feine Abjicht, ben Ruffen zu fordern,
befannte er.
Mit tiefem Ernfte nahm Wächter diefe
Mitteilungen entgegen.
„Sie jehen, wie recht ich Hatte, als ich
Cie feinergeit vor der Verbindung mit einer
Ausländerin warnte. Aber bier helfen alle
Ichönen Reden nichts mehr. Wir müllen
uns in Rube die Sache überlegen und dann
tatkräftig EE Zunächſt möchte ich
eines willen: Haben Sie bie Wbfidt, dem
Wunſche von Frau Gwendolin zu entiprechen
und zugleich mtt bem Militärdienft Ihr Bater-
[anb aufzugeben? Jn diejem Falle dürfte
die Lojung ja nicht allzu jchwierig fein.“
„Ich glaube, es wäre ber ſchwerſte Ent: -
Ihluß meines Lebens, die Uniform auszu—
ziehen und Deutjchland zu perlajjen. Sch
würde es aud) nur dann tun, wenn es feinen
anderen Weg gäbe und es mir unmöglich
—— würde, die Geliebte bei uns in
hren heimzuführen. Und das wäre der
all, wenn IS ber Mittelpunft eines großen
fandals würde. ihr entjagen, das bebe
mein Leben zerjtören, und nichts auf ber
Welt wäre imftande, mir Erjaß für bas Ber-
Iorene zu gewähren,“
„Das ijt jehr Ihlimm, Briefen, aber viel-
leicht nicht etnmal.unnatiirlid. Wielleicht
wird eine perjönliche REDEN mit Trau:
benberg ihn oavon überzeugen, daß es aud
im Snterejje der rujjijdjen Spionage liegen
dürfte, daß von uns aus die Sade nicht an
die große Glocke gebracht wird. Ähnlichen Be:
weisgriinden dürfte wohl auch unfer Freund
Mr. Herbert augánglid) fein. Jedenfalls will
id) mein möglichjtes verjudjen. Und was bie
Forderung an Traubenberg betrifft, jo dente
ich, daß er fid) bod) wohl als ber Beleidigte
betrachten dürfte. Warten wir alfo erit en-
mal ab, ob feine Regierung es ihm gejtatten
wird, fic) mit Ihnen zu Schlagen, wie er por:
fichtigerweije gleich bemerkt bat." |
Eine Ordonnanz trat ein und brachte ein
Radiogramm von der Funtenftation. Erniten
Belichtes und Vid p las Mächter ben In-
bait, bann [aate er: ,,Ofterreid) hat ein Ulti-
matum an Gerbien gejtellt. Wenn der Jn-
halt, ber bier nur im Auszuge mitgeteilt
wird, den Tatjachen ent|prid)t, dann tjt die
Möglichkeit eines Krieges nur allaunabe
erüdt, — Wollen (Cie jet aud) nod) nad)
merita gehen?”
„Wenn Deutjchland in Gefabr ift, dann
ift es ſelbſtverſtändlich, daß alle feine Söhne
fie) um es jcharen. Halten Herr Major wegen
es jerbijdjen Konflittes einen allgemeinen
Krieg auch nur für möglich?“ :
„Der Zünditoff liegt gehäuft feit Jahren.
Das merten wir hier im Yuslande und im
täglichen Berfehr mit ben Gegnern am beiten.
Seder Funke Tomm den Brand unlöjchbar
machen, jelbjtf bicjes berechtiate Ultimatum
an bas Land ber Königsmörder, für das
eigentlid), außer upland, fein Menſch in
i Borwin Carlig: BZZ
<< SS EEE
ang Europa Sympathien hat. jedenfalls
Balte id) es für Durchaus wahrjcheinlich, Daß
man unfer Detadyement aus Sfutart zurück—
ee wird. Sd rate Ihnen alio, perarm-
allen Sie Frau Gwendolin, jobalb wie mög-
lid) von bier abgureijen, am beiten nad
Deutjchland, ober wenn fie das niht will,
nad) der Schweiz. Warum hält fie fih bier
iiberhaupt nod) auf, wo fie taglid) Schwierig-
leiten von ihrem Manne ober bem Rujjen
zu erwarten hat?”
„Sie verjucht durch Unterhandlungen eine
qiitlide Einigung mit ihrem Manne zu ere
reihen, weil fie gegen feinen Willen erft
nad) febr langer et bie Cd)eibung Durch
jegen fónnte. Wher bei ber jebigen Lage
garte auch ich es für angezeigt, daß fie jo-
ald wie möglich von hier abreijt.”
Briefen nahm danfend ?Ibidjieb von feinem
E unb Hugen Kommandeur,
den er bewunderte und liebte wie einen Bater.
Auf der Straße traf er zur größten Ber:
wunderung feinen Blutsbruder Fuad, den er
joeben erft in Durazzo —— hatte. Mit
kurzen Worten berichtete dieſer. Eſſad war
verhaftet und des Hochverrates beſchuldigt.
Gleichzeitig hatte man ihn, als ber Freunde
Ichaft Ejjads verdächtig, aus Durazzo aus:
gewiefen. „Ich glaube nicht, daß man es
wagen wird, gegen Ejlad ernjtlid) vorgu-
gehen. Wahrſcheinlich wird man thn nur
des Landes verweilen, um ihn damit völlig
den Stalienern in die Wrme zu treiben. Der
arme Fürjt, ben ich aufrichtig bedauere, denn
er wollte und will immer das Beite, ſchwankt
von einem Extrem ins andere. Sjeden Men-
ien, der einigermaßen mit dem Lande ver:
traut ijt, fragt er um feine Meinung. Und
wie es natürlich ift, gibt ihm ein jeder einen
anderen Rat, je nad) feiner Auffaſſung oder
aud) nad feiner politijden Stellung.“
„And was wird nun gejd)eben ?^
„Das hängt lebiglid) von ben Großmäch—
ten ab. Befommt der Fiirft in den nädhiten
vier Woden feine neue Anleihe bewilligt,
dann ift es aus mit feiner Herrlichkeit, vor:
ausgejebt, daß bie Aufitändilchen nicht be:
reits vorher in Durazzo eindringen.”
Als fie ſchon mit Handdrud ſcheiden
wollten, hielt Fuad den Freund nod) ein:
mal feft.
„Dein armes, armes Bolt!” jagte er
Ihmerzlih. „Wie wird man es in ganz
Europa jchmähen, es als undanfbar, ja als
ehrlos bejdjimpjen! Man weiß ja nicht, mit
welcher Hinterlijt, mit welchen Mitteln man
es in Parteien gejpalten hat, wie es von aus:
wärtigen Agenten, fretltd) auch von einbei-
mijchen, Durd) Ehrgeiz und durch Geld anf:
eltachelten TFührern bearbeitet worden ift.
tein armes Volt!“ Heftig brüdte er Brie:
lens Rechte. „Dent wenigitens bu, wenn
bu fern fein wirft, nicht jdjled)t von Alba:
nten —“
& &8
Herbert hatte Traubenberg im franzöji:
ien Ronjulat aufgejucht. Die beiden Freunde,
>
Gemälde von Prof. Carl Albredyt
Stilleben.
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seess Der Shug auf dem Bardanjol BSBSessssessd 409
bie fid) aufs tiejfte mißtrauten, gingen ums
einander berum, wie zwei jchlaue ‘Füchie.
Syeber wußte, daß der andere etwas wußte,
aber feiner wußte, wieviel der andere wußte,
Jad ben einleitenden Worten begann Her:
bert ben Angriff.
„Meine Frau teilt mir mit, fie wäre in
Durazzo mit Ihnen zulammengetroffen.
Haben Cie fih gut dort unterhalten ?^
„Virs. Herbert war jo freundlich, mich zu
empfangen. Leider war fie nicht von der
guum Suvortommenbeit, bie id) fonit ftets
ei ibr fand.“
„Was fonnte [ie für eine Beranlaffung
dazu haben, Ihnen, unjerem alten und treuen
Freunde gegenüber ?“
„Ein junger deuticher Offizier jchien eini:
gen Einfluß auf ihre Gntidjliepungen zu
haben, jo dak id) biejem Herrn meine gegen:
teilige Anficht nicht verheblt habe.”
„Das freut mid) auperorbentlid). Wud
ich halte den Einfluß bieles noch reichlich
—— jungen Menſchen nicht für vor—
tei. Haft.“
„Sch bin jedenfalls jehr betrübt darüber,
das Vertrauen von Pirs. Herbert verloren
zu haben, obwohl id) mich, nad) Maßgabe
meiner geringen Kräfte, [tets ertenntlid) ge:
zeigt habe.“
„Lieber Baron, wem [jagen Cie das?
Reiner wie id) ijt fo überzeugt von der Un—
eigennüßigfeit Ihrer Freu: dichaftsgefühle.
Leider muuen wir aber jebt mit ber Tat:
fache rechnen, daß meine Frau anderer Mei-
nung geworden ijt, und dağ fie vielleicht
fogar threm jeßigen Berater, dem jungen
deutjchen Offizier, ein nicht zu rechtfertigen:
bes Vertrauen gejchentt hat.“
„Davon bin ich überzeugt.
läßt jid) dagegen machen?“
„Bor allen Dingen dürfte es bod) wohl
in unjerem Intereſſe liegen, daß bie bis:
rn Freundſchaftsbeziehungen zwiichen
bnen und meiner rau nicht unnötig be:
lannt werden. Gie jdjeint aber bie Befürch—
tung zu haben, Sie fónnten in Ihrem Be:
lanntentreije darüber reden.“
„Aber, lieber Freund, bas war bod) nur
ein Scherz. Wir in Rußland lieben es, die
Damen ein wenig zu erjichredten.“
„Ich babe im Ernjt aud) gar nichts anderes
von Ihnen erwartet, verehrter Freund. Was
mid) aber bod) etwas beunrubiat, ijf das
Nertrauen, bas meine Frau dDiejem Herrn
Briefen geldjenft hat. Die Deutjden find
meijt inbisfre,."
„Ich babe bie Vermutung, dak ber junge
Miann eine durchaus begreifliche Verehrung
für Virs. Gwendolin bejigt. Aus Diejem
Grunde dürfte er es bod) wohl vermeiden,
unnötig über Tinge zu reden, bie geeignet
wären, anf ben guten Ruf einer Came aud)
nur den fleinjten Schatten zu werfen. Mller:
dings hat er als jchwerfälliger Deutjcher,
ber feine Ungewandtheit mit bem tanen
Prlidjt entjdjulbiat, leider feinem Komman—
deur einiges erzählt. Dieſer Diajor Wächter
Wher was
Belhagen A Klajings Monatshefte. 32. Jahrg. 19171918. 2 Bd.
ift ein redjt beachtenswerter Mann, von bem
man fid) als Wegner nichts (Gutes zu vers
Iprechen bat. Er war geltern bei mir, und
wir beide waren uns darüber einig, daß der
tadelloje Ruf Ihrer Frau Gemahlin für ims
mer unantajtbar daftehen miijje."
„Daß dieje Deutiden ihre vorwikige Nafe
in alles hineinjteden mijjen,” rief Herbert,
dem man jest zum eriten Male feine innere
Gereiztheit anmertte. „Gebe es der Himmel,
daß ihre Flotte bald auf bem Grunde ber
Nordſee liegt."
„Und bag unfere Koſaken in Berlin eine
ziehen,” jegte der Rujje hinzu. „Aber leider
mug ich Ihnen bie als distret zu behandelnde
9teuigfeit mitteilen, daß Öjterreich fein Ulti-
matum gegen Gerbien aus Angjt vor uns
zurüdzielen wird. Diejes Mal fommt es
nod) ler zum Kriege,“
Der Engländer zog die Achſeln hod): „Ich
weiß davon. Wie gern möchte ich dies [tánbig
Treier werdende Deutſchland bejiegt und er:
niedrigt am Boden jehen. Aber ihr Ruſſen
habt ja, ebenjo wie bie Frangojen, teinen
Schneid mehr. Dabei würde Ölterreich wie ein
Kartenhaus gujammenbreden, und Deutſch—
land allein ware in wenigen Wochen verloren.
Doc anjtatt dieje günjtige Gelegenheit aus»
gunugen, redet alles vom rieden, und feiner
eurer Diplomaten hat den Wut, einmal ener:
giſch aufzutrumpfen.“
„Unſer Tag kommt auch noch. Seien Sie
davon überzeugt, lieber Freund. Man muß
nur nichts übeıjtürzen. — Was aber Ihre
Gattin anbetrifft, jo möchte id) Ihnen emp:
fehlen, [ie jorgfältig überwachen zu lajjen,
bont jie in ihrer Umerfahrenheit niht dod
nod) irgendwelche Torheit maht, die uns
vielieicht unjere Stellung fojten könnte.”
„Verlaſſen Cie jid) darin ganz auf mid,
lieber Baron. Cie macht feinen Schritt,
ber mir nicht gemeldet würde, und ſchreibt
feinen Brief, ben ich nicht in bie Hand
befame. — Da wir beide aljo einig find, jo
geitatten Cie mir. daß id) mid) empfehle, id)
habe nod) zu tun. Sm übrigen dante ich
Ihnen herzlichſt für bie verjtändnisvolle und
tafterfiillte Yirt, wie Cie unjere fleine An—
gelegenheit behandelt haben. Ich tann Cie
verjichern, id) babe aus unjerer heutigen
interejjanten Unterhaltung viel gelernt.”
,Sieber Freund, id) bin es, der Ihnen zu
danten hat. Es war mir wie ftets jo aid)
bieles Dial eine erlejene Freude, mit einem
jo erfahrenen Tiplomaten wie Cie ein Stünds
chen verplaudern zu Dürfen.“
& 8 a]
Bwendolin entjchloß fih, bem Rate Wad:
ters folgend, zur 9Ibreije, nadydem fie noch
einmal vergeblich perjud)t hatte, von ihrem
Manne bie Sujtimmung zur Scheidung Au
erlangen. Der Lloyddampfer follte jie bereits
am nadjten Tage von Vieduanad) Triejt brine
gen. Dod) die VBorboten bes heranfjteigenden
europdijden Bewitters machten einen Ctrid)
aud) durch ihre Abſicht. Die erte drohende
Nachricht, bie ganz Sfutari in ficberhajte
27
410 ee 3393939353939] Borwin Carlig: Z ZH ZZ
auftegung verjegte, war bie öjterreichijche
Rriegserfldrung an Gerbien.
Nod am gleichen Tage befam Gwendo-
lin einen Brief ihres Mannes, ber fie [hwer
beunrubigte. Er teilte ihr mit, daß das
englijde Detachement bereits am folgenden
Tage Skutari verlajjen würde, um von
Viedua nad) Malta eingejchifft zu werden.
Auch bie ganze englilche Kolonie folle fid
bem Transport anjdlieBen, da damit zu
rechnen fei, daß Cfutari binnen furgem von
allen *Beja&ungsbetead)ments geräumt würde
und bann ohne Cd)uf den Aufitändijchen
preisgegeben jet. Er erwarte von ihr, daß fie
lich in btejem erniten Wugenblice bewußt jein
würde, eine Engländerin zu fein, deren Blah
an der Geite (hrer Landsleute wäre. Unter
feinen Umjtänden würde er dulden, daß fie
ihren Verkehr mit ben Deutichen fortjebte,
die vielleicht [hon morgen die Feinde Eng:
lands wären. Er jelber bliebe mit bem Ron:
julatsperjonal in Gfutari unb [telle ihr aud
jebt noch anheim, wenn fie nicht mit dem
englijden Detadyement abreijen wolle, wies
der in jein Haus zurüdzufehren, wo er ihr
volle Sicherheit verbürgen könne.
Cie hatte den Brief taum gelejen, als
Briefen fid) bei ihr melden lieh, Er fam,
voll von neuen Nachrichten unb in feltfam
gehobener Stimmung: der Soldat war in
ibm erwacht, feit er annehmen fonnte, daß
der Krieg beporjtanb. Gie aber war aufs
höchſte erregt Durch bie neue Zumutung ihres
Mannes. „Ich laffe mid) nicht zwingen.
Erft vor kurzem hatte er mir gejchrieben, er
fonne mid) als Spionin zur Anzeige bringen
und mir Englands Boden für immer ver:
ſchließen. Unjcheinend vergaß er, daß ich
eine Srlánberin bin, deren Vorfahren jo oft
und in jdmablicdjter Weile von England
unterbrüdt und mißhandelt wurden. Dest
ilt mein Blak an deiner Seite! Sh will
bir folgen, wohin bu mich führſt.“ Briefen
aber fühlte für gewiß, daß er Gwendolin
gegen jede gewaltjame Maßnahme ihres
tannes |dji5en tönnte. Was fonnte ihr
eldjeben, ſolange fie unter feinem Schuße
Hand, wo er fie im Ytotfalle mit ben (Ge:
wehren feiner waceren deutjchen Jungen
verteidigen wiirde,
Und dann erzählte er. Ein Telegramm
war eingelaufen, das wiederum bie Miöglich-
teit eines Krieges gegen Rußland und Frant:
reich betonte. Am ubernddjten Tage jhon
jolien bas deutſche und öjterreichiiche Deta-
dement gemeinjam in Medua verladen wer-
den, wo man den Llonddampfer jolange feft-
hielt. Bon einem Kriege gegen England
aber fónnte feine Rede jem, Das war,
glaubte er verjichern zu Tonnen. nur ein
CShredihuß ihres Mannes. Er wiirde Joe
fort mit Wächter fprechen, daß fie fih dem
Transporte anſchließen könnte.
Dann riet er thr noch, auf das Schreiben
ihres Mannes gar nicht zu antworten und
fid) möglichſt nicht zu weit vom Hotel und
der Dicht Dabeiliegenden deutſchen Kajerne
zu entfernen. Er jelber hatte nod) ben gan:
zen Tag zu tun, denn bie jchnelle Abberus
fung at berte eine Menge der nötigjten und
wichtigften Anordnungen. Wenn [ie erfi
auf dem Schiffe beilammen wären, Dann
wollten fie alles Weitere bejpred)en. Wor:
auslichtlich freilich Tonne er fie erit am nad:
Hen Diorgen wieder aufjuden, um ihr alles
Nähere wegen der Abfahrt mitzuteilen.
Si
Mod während der Nacht meldete die Ra-
Dioftation ben Rriegsausbrud zwijchen
Deutſchland⸗Oſterreich und Rußland: Frank:
reid). Der nüdjte Morgen bradte Briefen
jo viele dDienjtlide Obliegenheiten, daß er
erit gegen Mittag ins Hotel gehen fonnte,
um Gwendolin die Nachricht zu überbringen,
fie würde am nächſten Wiorgen gleichzeitig
mit bem Detachement in einem Wagen nad
Medua befördert werden.
Hier aber hörte er von ber ganz erreg-
ten Jungfer, daß ihre Herrin jdon am
aen Morgen nad) bem (mpjange eines
riefes fortgegangen und bisber nod) nicht
guriidgefommen fet.
Ein tödlicher Schreden befiel Briefen, und
jofort dachte er an einen Anſchlag ihres
Miannes. Cilends — er zu Wächter und
bat ihn um Rat und Unterſtützung, um die
Geliebte zu finden. Der Major hatte in die:
jem Augenblide Wichtigeres zu tun, als jid)
um Herzensangelegenheiten feiner Untergebes
nen zu kümmern.
„Es tut mir unendlich leid, lieber Brie-
jen. Wher jebt muß ich alle Zeit und alle
meine Sorgfalt auf bas Wohl und Wehe
unjeres Detachements richten. Und auh Sie
bitte ich, |o leid es mir tut, in eriter Yinie
an den Dienft zu denten. Ich fann feinen
meiner Offiziere dabei entbehren.“
Briefen nahm die Hand an den Tropen:
helm: „Zu Befehl.“ Aber fein Geſicht drückte
die Verzweiflung leines Herzens aus. Da
[aate Wächter: „Für eine halbe Stunde will
id) Sie beurlauben. ch rate Ihnen, gehen
Cie zu Fuad. Wenn einer Ihnen bier helfen
tann, Dann ift er es."
Danterfiillt ftiirzte Briefen davon und
hatte das Gliid, den treuen Albaner jogleich
zu finden. Mit bajtigen Worten und re:
genden Bullen teilte er Dem Freunde alles
mit und flebte um feine Hilfe, für die er
ibm ewig dankbar fein würde.
Einen Augenblid fab Fuad fchweinend
ba, dann fagte er bedächtig, aber mit feiner
pom Entichlojfenheit: „Sei unbejorgt, ich
ürge bir für Frau Gwendolin mit meinem
Leben.“
„Aber morgen früh Ion marichiert bas
Detachement ab. Wie wilit bu fie bis da:
bin finden, wenn ihr Mann fie gewaltjant
verborgen hält?”
„Ob id) fie bis dahin finden werde, bas
wage id) jelber nicht zu hoffen. Wher er:
fahren werde ich ihren Ka Ee und
dann foll feine Macht bes ſchurkiſchen Ena:
landers fie zurüdhalten. Gelbjt bie durch
BEISSIFIFISFZTN Der Shuk auf dem Bardanjol BSSsssessed 411
das Rilferrecht geheiligten Räume des Kons
julates werden mich nicht jchreden. Mit
Hilfe meiner Adlersjöhne werden wir fie be:
freien unb ins Innere des Landes bringen,
wo teine jchuftigen Diplomaten durch inter:
nationale Gejete gejchügt werden. Dort im
Harem eines meiner Freunde ijt fie vor allen
Stadjitelfungen ficher, bis du fommit, fie zu
polen, oder bis fie ungehindert zu bir reifen
ann.“
Die unbeugfame Sicherheit unb Entjchlo]:
fenheit, bie aus den Worten bes Albaners
Jprad), gab feinem deutjchen Freunde die
Hoffnung zurüd. Wenn Fuad ihm nicht bel:
fen fonnte, Dann war aud) alles andere ver:
gebens. Es hieß die Zähne zulammenbeißen
und jegt nur noch an den Dienjt des Vater:
landes zu denten.
Mit heißen Danfesworten und innigem
Händedrud wollte er io von dem Freunde
verabichieden, bod) biejer fah ihn mit feinen
großen tiefduntlen Augen an und jagte:
„Du gebjt in den Krieg, und ich gehe in ein
Unternehmen, das Erfolg oder den Tod
bringt. Bielleicht jehen wir uns nie wieder.“
8
8
Am anderen Morgen marſchierten das
deutſche und das öſterreichiſche Detachement
von Skutari ab, wo ſie faſt anderthalb Jahre
geſtanden hatten, während die Franzoſen
und Staliener noch dort blieben.
Die legten Ctunben in berjelben Stadt
mit feindlichen Truppen hätten beinahe zu
einem Konflikt Nee Die ——— —
Goldaten hatten die deutſchen Offiziere nicht
mehr gegrüßt. Da aber famen fie bei Ma:
jor Wächter an ben Unredten. Er jchidte
zu dem franzöliichen Kommandanten und
ließ ibm jagen, wenn deffen Leute nicht bis
zum legten Augenblid feinen Offizieren die
gebührende Achtung erwiejen, dann würde
er jofort die Feindjeligfeiten eröffnen. Das
half, und ber Franzoje entidbulbigte fid. —
Wächter ritt mit den Offizieren an ber
Cpisge feiner Truppe Ale jprachen von
bem bevorjtehenden Kriege und hatten nur
ein erlangen, ſchnell nad) Deutichland zu
tommen, um 3ujammen mit ben Kameraden
gegen die Feinde loszubrechen.
Nur Briefen ritt jtill und todestraurig
dahin. Bon Gwendolin hatte er nichts
mehr erfahren, und fein 2Berjud), Fuad nod
einmal zu |prechen, war vergebens gewejen.
Nach achtitündigem Marſche durch die
gliihende Sonne bes woltenlojen Sommer:
tages wurde Mledua erreicht, wo der Lloyd:
Dampfer auf der Reede lag. Hter erfuhr
man, daß die Engländer ihre Cinjdiffung
am vergangenen Tage jo eiljfertig betrieben
re bal te nicht einmal die ſchönen
zferde der Offigtere mit verladen fonnten.
Cie [liegen die Tiere eintad) laufen; mehrere
von ihnen waren von Albanern aufgegriffen
und wurden den Deutſchen und Biter:
reichern zum Kauf angeboten. $yajt jeder der
beutjidjen Herren erjtand jid) für ein Spott:
geld ein jchönes Feldzugspferd.
Die Öfterreicher, die bereits in ber Nacht
abmarjchiert waren, hatten bie Einjdiffung
ihon fajt beendet, fo daß aud) bas deutjche
Detachement nicht mehr [ange zu warten
hatte. Am jpäten Nachmittage war endlich
alles glüdlidy verladen, und ber Dampfer
wollte fih gerade in Bewegung jegen, als
ein Auto die [teile Straße nad) dem Hafen
EE aus bem mit einem weipen
ude gewinkt wurde.
Briefen bemerlte als erfier den n
hegenden Wagen. Blikartiq durchfuhr ibn
der Gedante, bas fann nur ‚lie‘ fein, und
er ſchrie bem Kapitän ein „Halt“ di Dberfts
leutnant Bopp gab aud) den Befehl zum
Stoppen, denn der Kraftwagen konnte aud)
eine wichtige Nachricht bes Djterreidjijd)en
Konjulats aus Cfutari bringen.
Die Inſaſſen ftiegen aus, und Briefen
verjuchte vergebens mit feinem Zeißglaje zu
erfennen, ob die Beliebte es wirflid) war.
Da rief aud) Schon Platen: „Es ijt Mrs. Her:
bert mit drei Wlbanern.” Seht war es aud
mit ber Faſſung Briejens vorbei. Zum erjten
Male, feit er denten fonnte, rannen ihm die
heißen TFreudentränen über bas Belicht.
Zehn Minuten jpáter legte ein fleines-
Boot am Dampfer an, bem Gwendolin ent:
itieg, während Fuad mit zwei bewaffneten
Wibanern zurüdblieb und dem gleich darauf
abfahrenden Dampfer nachwintte.
Mit bonnernben Hurrarufen wurde Gwen:
bolin empfangen, denn jedermann im ganzen
Schiff wußte bereits von den wedjelvollen
Scidjalen bes Liebespaares. Die num end:
lid) Vereinten konnten zunädjt ihr Gliid gar
niht voll begreifen. Der Kapitän [tellte
liebenswürdigerweije feine Rajiite zur Ber:
fiigung, und bier fand Gwendolin endlich
Gelegenheit, ihre Erlebnijje zu erzählen.
Ein Albaner hatte einen Brie? gebradjt,
ber anjcheinend pon Fuad fam, und in bem
lie dringend erjucht wurde, jofort bem Boten
zu folgen, weil es (id) um eine wichtige An—
gelegenheit für Briejen handle. ‘Frei von
Irgwohn folgte fie Dem Manne bis an ein
Haus in einer der Nebenftraßen. Hier bedeu: |
tete er ihr mit einem Wint, durch bie hohe
Bartenpforte einzutreten. Gie tat es, fühlte
aber im gleichen Wugenblic ein dichtes Tuch
um ihren Kopf geworfen, das fie am Schreien
verhinderte. (Grit im Haufe wurde fie be:
freit, wo fie fid) zu ihrem Erjtaunen Traus
benberg gegenüber befand.
Ter 9tujje entidjufbigte fid) febr, daß er
zu Diejem gewaltjamen Mittel babe greifen
miijjen. Ihm wäre nichts anderes übrig»
eblieben, da er nicht gulajjen könne, daß
Re als Mitwiſſerin wichtiger politijher Ge-
beimnijje in den Händen der Deutjchen
bliebe. Natürlich folle ihr nicht bas ge:
ringjte gejcheben, laber er müſſe fie einige
Seit bier fejthalten, um fie bei nächiter Ge:
legenbeit nad) Gettinje bringen zu laffen.
Alle ihre Bitten, fie fret zu geben, all
ihre Verjptechungen, daß fie nichts verraten
wolle, blieben vergebens. Auf ihre Frage,
27*
412 Bessey Borwin Garlik: Der Schuß auf bem Bardanjol Rese ees
ob aud) ihr Mann mit im Romplott fei, ent:
egnete ber Rujje, er wäre bod) nod) etwas
——— als ſein verehrter Freund Herbert.
Dann wurde ſie allein gelaſſen unter der
Obhut einer Montenegrinerin, die für ſie
ſorgte, ſie im übrigen aber ſtreng bewachte. In
Verzweiflung und mit ohnmächtigen Selbſt—
anflagen wegen ihrer Unvorſichtigkeit ver—
bredte fie Die nád)|ten vierundzwanzig Stun:
den, Dann fam Traubenberg zurüd und eröff:
nete ihr, daß fie fid) zur Whretje nach Cettinje
fertigmaden folle. Wieder wurde ihr der
Kopf mit einem Tuche verhüllt, und man
brachte fie durch den Garten bis ans Tor.
In btelem Augenblide hörte fie ein wil:
bes Bejchrei, und einige Schüſſe fielen. Gleich
darauf wurde das Pud entfernt, und fie
erfannte Fuad und feine Getreren als thre
Retter. Traubenberg und drei feiner Selfers-
elfer wurden gefefjelt abgeführt. Gin Auto
tand jchon bereit.
Während der ganzen halsbrecherijchen
pe auf der furchtbaren albanijchen Straße
atte fie immer nur ein Gebet vor fich hin
geiprochen: „Lieber Gott gewähre es mir,
daß id) ihn nod) antreffe.” Und nun war
ie bei ihm, und feine Macht der Welt jollte
ie wieder trennen.
Uber was aus feinem Feinde, bem ſchur—
Hilden Ruffen geworden war, bas mußte
Briefen bod) erft nod) willen.
„Fuad läßt ihn ins Innere von Albanien
bringen,“ Jagte, unter Tränen lachend, Gwen:
dolin. „Dort wird er weit von aller Kultur,
ohne die er nicht leben zu Tonnen glaubt, fo
lange fejtgebalten, bis Rußland ein ge:
bórtges Löjegeld gezahlt bat. Tamit will
Fuad feine Getreuen belohnen.“
Der große Llonddampfer zog gegen Abend
langjam an ber Mündung der Bojana por:
über. Die unertraglide Hike des Tages
war einer wundervoll lauen Kühle gewichen.
Wn ber Reeling lehnten Gwendolin und
Briejen Arm in Arm. Keinen Augenblid
wollte jie den Geliebten mehr Icslajjen, den
fie fo bald wieder hergeben mußte, damit er
in den Krieg ziehen fonnte. Troßdem fie
nod nicht geichieden war, hatte Briejen fie
allen Kameraden als feine Braut vorgeitellt,
um von vornherein ihrem Verhältnis jeden
Cdjein ber Untlarheit zu nehmen.
Debt blidten fie über die gelblich:weißen
Majjer ber Bojana nach den fernen Höhen
Albaniens, die blau: |chwarz in der legten
Abenddämmerung gegen den gelbsroja Him:
mel ftanden.
Leb’ wohl, bu ſchönes wildes Land,“
agte Gwendolin träumerijch, „immer werde
id) an dich zurückdenken.“
Und Briejen ergänzte: ,Leb’ wohl, Mba:
nien! Yttemals werde id) bid) vergeilen.“
Da trat Wächter zu ihnen: „Tarf id)
das glüdliche Brautpaar einen Wugenblic
Hären? Sd) finde es ja nur zu begreif:
lid), lieber Briejen, daß Cie, über ber
iden Frau Gwendolin Krieg und Welt:
ereignijje vergejjen. Da ift es Denn ganz
ut, wenn Ihr alter Freund Wächter etwas
liber Cie und Ihre junge Braut nachdentt.
„Alſo aunádjt bie neuejten Nachrichten.
Wud England bat uns den Krieg erklärt.
Snjolgedeffen werden wir nicht mehr bis
Triejt fahren, jondern fdjon in der Bucht
von Cattaro ausladen, wo wir in Gaitel:
nuovo die Gilenbabn erreichen. Darf id)
mich bejdjeiben erfunbigen, ob bie Rriegs-
erflärung Englands aud) eine foldie in
Shrem jungen Glüde hervorrufen wird ?“
„Lieber treuer Freund.” jagte Gwendolin,
„lo jehr ich über den Krieg gwijdhen Eng-
[anb und Deutjchland traurig bin, jo wenig
tann bas unjere Liebe beeinflujjen. Wud
bin ich nicht umſonſt Irländerin; erft die
lebte Beit freilich hat mid) bas recht er»
fennen laffen. Außerdem ift mir burd) eine
Sntrige meines Mannes der Aufenthalt in
England unmóglid) gemacht worden. Gie
jeben, id) muß dorthin geben, wo Hans
bleibt.“
„VBerehrte Frau Gwendolin, mein guter
Briefen ijt ber beneidenswertejte Mann, ben
es gibt. Wher er Dat den Kopf jet viel zu
voll mit Gebanten an Cie, Daher muß id)
ein wenig für ihn und Gie jorgen. Gie find
Ihrer Nationalität nad) Engländerin, würs
ben alfo während bes Krieges bei uns in
Deuticdyland eine höchſt ſchwierige Stellung
haben. Ich rate Ihnen daher, acben Sie nad)
der Schweiz. Dort find Sie Ihrem Sans faft
eben jo nahe, wie in Deutjchland, können ibm
Ichreiben und ihn, wenn es nötig fein jollte,
aud) nicht algu |djwer erreihen. Tafür jind
Cie aber in der Schweiz völlig unabhängig
und fónnen tun und lajjen, was Cie wollen.“
Die Liebenden nahmen den Worichlag
freudig anf. Es war tatſächlich bie beite
und einfadjte Löſung. Tann gingen fie
mit Wächter zujammen hinunter, wo fie in
einem bejonberen leinen Calon zu dritt bas
Abendejjen einnahmen. Und während aus
dem grofen Gpetjejaal „Tie Yacht am
Rhein” und „Deuticyland über alles" erflang
und das Hurrarufen fein Ende nahnı, leer:
ten fie mit Dem treuen Freunde ein Glas
auf eine glüdliche Zufunit.
E?
B8 88
Schon nad) wenigen Wochen erhiclt Brie-
fen bas Gijerne Kreuz. Wor Verdun fiel er,
Eër verwundet, in franzöſiſche Gefangen:
att.
Nad) monatelangen Bemühungen erreichte
es Gwendolin burd) Verwendung bes ame:
rifanijden Ronjuls, daß er als Gchwers
franfer nad) ber Schweiz entlajjen wurde,
Seine Lunge, bie thm wieder zu Joren
machte, wurde die Urſache feiner Befreiung.
Am Luzernerſee hatte Gwendolin, deren
Scheidung inzwijchen ausgejprocdhen worden
war, ein großes Canatorium erworben und
es ganz in den Dienſt der Kriegsfi.rjorge
geitellt. Hier, nur im Kreiſe ihrer Berwun:
deten, bie jie vergötterten, fand bald darauf
die Kriegstrauung ftatt, bie Gwendolin und
Hans Briejen für immer vereinte,
Bildnis des Pfarrers und Dichters Karl Ernit Knodt
(geitorben zu Bensheim, 30. September 1917)
Zeichnung von Prof. Wilhelm Bader
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Ein Blid
in den Lager:
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tWerdegang
> u ben Benüjjen, die wir uns unter dem
Drud der Zeit abgewöhnt haben,
d gehört auch bie „echte“ Zigarre,
e SC) die Importe, worunter man all:
' ‚gemein bie Havannazigarre vet:
itebt. Cie ift ein Quxusartifel, gewiß, aber
jo mandes ſonſt feinesweqs auf Luxus er:
pichte Männerherz hing bod) an ber fchlanten,
braunen Tochter Wejtindiens und ruft fid)
nun in fdwaden Augenbliden wehmuts:
und jehnjuchtsvoll ihr Bild zurüd. In den
erften zwei Kriegsjahren gab es nod) echte
Zigarren zu rauchen. Aber dann wurde ber
Genuk immer jeltener und fojtipieliger, und
ſchließlich, als aud) bie angebliche Republif
Kuba, die in Wirklichkeit, zum Kummer
aller freiheitlich gefinnten Rubaner, von
Wajhington aus regiert wird, uns unter
dem Zwang der Entente den Krieg erflaren
mußte, hatte es mit den Smporten ein Ende.
Ihre Liebhaber müſſen fid) jebt mit ande:
ren, minder erlejenen Kräutern begnügen.
Sn jolcher Betrübnis wendet fid) bas Ge:
mut gern zu holderen Zeiten zurüd. Des:
halb hofft auch diefe Plauderei dem Freund
einer guten Zigarre nicht ungelegen zu tom-
men. Gie ladet ibn zu einer Gebantenreije
nach jenen jonnigen Geftaden ein, wo Die
Königin aller Zigarren gedeiht und von wo
jie in en Zeitläufen ihren Triumph:
zug über die Meere nad) allen Teilen der
jest Jo greulid) verunjtalteten Erdfugel om:
tritt. Der Berfaffer hat kurz vor Ausbruch
Hier liegt, in Blatter von trodenem Palmbaft verpadt und
y gepreßt, ber Rohtabak und barrt feiner Berichiffung ins Ausland
Bon ausgegangenenImporten: :
: der Hadannazigarre
ew Bon Victor Ottmann —Z-
raum einer
Bigarren : Fattorei
art o
/ \ ` A
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des Krieges auf Kuba geweilt, feine Trop
rungen alfo an Ort und Stelle gejammelt.
Kuba erzeugt ungeheure Mengen von
Tabat, aber genau jo, wie in großen Wein:
baugebieten die feinen, teuren Kagen in
quantitativer Hinfiht weit hinter dem Maj-
jenproduft der mittelmäßigen Weine zurüd:
bleiben, bejchränft fih ber feinfte Rubatabat
auf ein verhältnismäßig fleines Gebiet ber
großen Inſel, námlid) auf bie im Weiten
gelegene Provinz Buelta Whajo. Es ijt feine
Landſchaft von jenem tropijden liberjdwang
der ed und Sarben, wie die Phantafie
bes Nordländers jie fid) ausmalen mag, fie
Hellt fid) im Gegenteil eigentlich ziemlich
nüchtern dar: weite Ebenen, auf denen jedes
Fleckchen Erde dem Bau der Tabatpflanze
nugbar gemadt ift, und wo nur bier und
da bas weiße Gemduer der Haziendas,
Gruppen ber Ichönen, Ichlanten Rinigspalme
und am Horizont bie Umrijje der blauen
Organosberge dem Auge einige Abwechjlung
bieten. Das ijt bie flajjilde Heimat des
wertvolliten Tabafs der Welt, hier bejiken
die rühmlich befannten Havannahäujer, die
Upmann, Partagas, Henry Clay, Alvarez,
Bod und wie fie alle heißen mögen, ihre
ee Sad hier feimen und gedeihen unter
liebevoller Obhut die breitblättrigen Stauden
der ebeljten Arten der großen Solanazeen:
gattung Nicotiana. Es find anjpruchsvolle,
verwöhnte Gewächle, und fie verlangen fat
dasjelbe Maß liebevoller Pflege wie die
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Bud in ben Trodenraum ber Faltorei. Hier werden auf Gejtellen, gu tleinen Bündeln gepadt, die an-
gefeuchteten Tabatsblatter getrodnet und zur Garung gebradt.
Weinrebe in den wertvolliten Lagen des
Rheins und ber Mofel.
Bon dem umftandlicden Hergang ber Ta-
bafsernte und ber er[ten Trodendarre auf
der Plantage fet hier in großen Zügen nur
age gejagt, Dak bie abgelchnittenen Blätter
luftigen Schuppen oder aud) im Freien
auf Stangengerüjten getrodnet werden und
dann nad) der Sortierung, zu Büjcheln ge-
in Driidender 9tifotinbunit erfüllt ben Raum
bunden und in Ballen aus trodenem Palmen-
baft verfchnürt, in bie Faftoreien von Ha—
vanna wandern, um dort den weiteren Ga-
rungsprozeß und den Werdegang zur Zi:
garre Durdgumaden. Diele Faftoreten find
äußerlich ziemlich unjcheinbare Gebäude in
den Vorſtädten Havannas und laffen den
Unfundigen nicht ahnen, welche Schäße des
teuerjten Rrautes in ihren Räumen aufge:
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Im Hofe der Faltorei find flotte tubanijdje Burjchen damit bejchäftigt bie gebündelten Tabatblatter
anzufeuchten und
eiBig zu ſchwenken
IS Von ausgegangenen Importen PZZ 415
UJ
Dieje Frauen ziehen die ftarfen Rippen aus den zur Einlage bejtimmten Tabalsblättern
peichert liegen. Jede Firma hat ihre be:
jonderen Methoden, bie Tabatpflanze groß
zu En und bie geernteten Blätter zu be-
handeln; eben deshalb gibt es jo viele Ver:
I\hiedenheiten im Gejchmad der Havanna:
zigarren. Wir wollen nun einmal eine ber
lerjtungsfabigjten Manufafturen bejuchen,
und zwar jene des wohlbefannten Haufes
H. Upmann, aus dem aud) unjere photo:
e gen Aufnahmen ftammen. Es ijt,
wie jdn der Name
verrät, eine beutjd)e
Mi jie wurde im
abre 1844 von dem
Bremer Kaufmann
Hermann Upmann be:
gründet und befindet
(id) nod) heute in ben
p ber Familie.
ie Firma Upmann
gehört mit etwa fieb-
ig anderen Havanna:
äujern zu den „Inde—
pendents”, d. b. jenen
Zigarrenfabrifanten,
die bem amerifanijden
Havanna-Trujft fern:
jtehen unb fih des
verbiirgen, daß ihre
Erzeugnijfe nicht nur
aus ehtem Rubatabat
bejtehen, jondern aid)
lediglich auf Ruba Der:
eftellt werden. Diejer
inet ijt nicht un:
nötig, weil feit einigen
Jahren, und zwar be:
[onbers von feiten ber
zum Truft gehörigen
ar, majjenhaft „Importen“ auf den
tarft tommen, bie fih zwar auch „Havan:
nas“ nennen, aber tatjadlid) auf dem ame:
rifanijden Fejtland, in Florida, oder ber
ameritanijchen Antilleninjel Portorico fabri-
ziert werden. jene Firmen haben dort
— errichtet und laſſen den
abak dort verarbeiten, um den hohen
Zoll zu umgehen, der auf den in Ha—
vanna fertiggeſtellten Zigarren laſtet, und
ke
—
Ziele Arbeiter befaſſen fih mit dem feinſten Teil der Importe, bem Ded:
blatt. Cie jondern Die Dedblätter nad) ihrer Beſchaffenheit und ziehen die
ftarfen Rippen heraus
416 ee ee SS Victor Ottmann: (iB
ae — Vae toe — —— m i nen o *
Ein Saal ber gigarrenmidler. Es wird in bem vornehmften. Havannafattoreien ausidblieBlid) mit der
Hand gewidelt.
Bilde im
um bement[predjenb billiger liefern zu
tónnen.
Kehren wir nad) bieler fleinen Abſchwei—
fung zur Manufattur zurüd. Unjer freund:
licher Führer, jelbjtverftändlich aud) ein Deut:
iher, geleitet uns zuerſt in bie Trodenraume,
wo der von der Plantage eingebrachte Tabat
dem Bärungsprozeß unterzogen wird. Hier
möge nun gleich ein allgemein verbreiteter
Irrtum beridtigt werden, der die „friſche
Havanna“ betrint, „Friſche“ Zigarren in
dem Ginne, als ob bie Tabafblatter, aus
denen fie gemacht find, nod) vor ganz fur:
em auf dem Felde grünten, gibt es nicht.
an fann unter einer ,[rijdjen" Zigarre
ridjtig nur mE je veritehen, bie nad) ihrer
Wanderung über das Meer foeben beim
Zune eingetroffen ijt, aljo nod) das volle
roma und einen gewijjen Grad natürlicher
Feuchtigkeit befigt. Es vergehen in der Fatto-
rei viele Monate, ehe bas vom Felde einge:
lieferte Tabatblatt zur Verarbeitung fommt;
ja oft bleibt der Rohtabaf ein Jahr und
länger im Ballen liegen. Während bes
wodenlangen Lagerns in Bündeln auf Lat-
tengeriijten werden durch bie Bärung Die
SEN aufgelöft und unter
der Einwirkung gewiſſer mifrojfopifd Heiner
Spaltpilze aromatijch duftende Subjtanzen er:
eugt. Die für das Sigarrenbedblatt be:
et D jorgfáltig ausgejudten Blätter
werden angefeuchtet und in fleinen Päd:
den geprept, damit fie die zum Wideln
nötige Ebenmäßigfeit erhalten. Es herrjcht
ein eigentümlich jchwerer, ſüßer Nikotindunſt
in den Lagerrdumen, der feineswegs unan:
ngefabr dreihundert Arbeiter figen in dem Saal. Mitten unter ihnen
intergrunde rechts) auf erhöhtem Stuhl der von ihnen angeftellte
t (auf unferem
orlejer
genehm ijt, aber die Nerven und Atmungs:
organe des nicht daran gewöhnten Bejuders
auf bie Dauer bod) jehr in Anipruch nimmt.
Ehe ber Rohtabaf nad) der erjten Garung
ut Verarbeitung fommt, muß er durch An-
Soutien den nötigen Grad von Gejdmeidigs
teit — Das EE junge Burjchen
im Hofe ber Faktorei, indem fie die Tabat-
bündel in fließendes Wafler tauchen und
dann ausjchwenfen. Einen Tag jpäter wan:
dern die Blätter in einen Saal, wo ein paar
Dugend Frauen und Mädchen, an Fällern
jigend, die diden Mittelrippen herausziehen
und bie beiden Blatthaljten forgfaltig auf:
ſchichten. Nahdem die Blätter etwas ge:
trodnet find, wird jener Tabat, der zur Ein:
lage beftimmt ijt, in bie Fäſſer verpadt und
nochmals einer Nachgärung unterworfen, die
je nad) der Qualität des Tabafs vierzehn
20d: bis jechs Monate dauert, während die
Dedblätter ohne weitere Bärung jofort ver:
arbeitet werden Tonnen, Die feinjten ée
dectblatter Kë jehr teuer und Toten mehr
als viertaujend Mart für den Ballen; die
leihten Sorten fühlen fih zart wie dünne
Seide an, die jchweren bid und fett. Wegen
ihrer &Ro|tbarfeit werden fie den Zigarren:
modern vom Meilter immer nur in kleinen
Päckchen zu fünfundzwanzig Stück gegen Quit:
tung gugeftellt. Bevor der Tabat jebod) in
ben Widlerjaal wandert, wird er abermals
eingehend geprüft und von den Meijtern
oe Makgabe der veridjiebenen Qualitäts:
werte jorttert.
Begeben wir uns nun in ben Wicklerfaal.
Wir ftuken, denn ein merfwiirdiges Geraujd)
PSSST ee Von ausgegangenen Importen (34243€4343434343€3634| 417
tönt uns aus ihm ent:
gegen. In den Ha:
vannahäujern find
rundjäglih alle Ma:
Py inen verpönt, jede
Arbeit wird mit der
geleitet. Was
ijt das aber für ein
Geradujd im Widler:
faal? Deflamiert da
nicht jemand? Unſer
Führer öffnet die Tür;
wir treten in einen
drüdend heißen Gaal,
in bem etwa dreihundert
Männer wie in einer
riefigen SE reis
enweile an ildjen
en. Und jebt [eben
wir aud) ben Deflama:
tor: er thront auf einem
erhöhten Stuhl in ber
Mitte des Saales und
lieft, ben Kopf bald hier:
bin, bald dorthin wen:
dend, mit laut jchallen:
der Stimme und fhau:
Ipieleriiher Betonun
9
aus einem Buche vor. Dieje Vorlejer find in
allen Havannamanufalturen zu le fie
werden von ben „Tabaqueros“, den
jelbft bezahlt und lejen ihnen morgens Die
Brune ſpäter Bücher unterhaltender und be:
ebrenber Art vor, und die Leute folen um fo
fleißiger arbeiten, je mehr bas Behörte fie in-
tereiltert.
Sehen wir uns die Tabaqueros etwas
—
—
Ein wichtiger
Poften ift der
bes ,Celeftors', ber bie fertigen Seren prüft, und nad) Farbe, Ausfehen
unb Güte ber Arbeit jondert. ein geichidtes Auge unterjcheidet etwa 90
Sorten ‚Feblfarben‘ und fonftwie — orte Bigarren werden dabei ganz
ausgefdieden
näher an, fie find an Bejucher gewöhnt und
lafjen jid) Dadurch nicht [tóren. Es find durch:
idlern, gängig Rubaner, mit dem blutlos braun:
Iden Teint ihrer 9tajje. Die meijten haben
trog ber Hike ben Hut auf bem Kopf und
lajjen fid) ben Freitabak |djmeden, den ihnen
die Faktorei in reich bemejjener Menge lie:
fert. Unjer Führer mad) uns auf einen
der better Arbeiter aufmerfjam. Der Mann
-———— =
tx»
Die nochmalige Überprüfung der edlen Importen wird von ben höheren Beamten der Faktorei beiorgt.
Es handelt
d) bier um Zigarren, bie im Kleinverlauf bis zu 10 Mart das Gd often
418 ( Victor Ottmann: EICHE HH I I HI ZZ
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Die fertigen Zigarren werden mit Leibbinden verfehen und dann in die Kifthen gelegt
verfertigt nur ganze feine Zigarren, von
denen Das Stüd in Teutjchland vor dem
Kriege zwei bis drei Mart fojtete, mitunter
aud) mehr. Geine Hand padt aus dem vor
ihm liegenden Tabathaufen die Einlage, mit
fait mathematijcher KE gerade joviel,
wie er für Die zu widelnde Zigarre braudt,
er zupft, dreht und rollt fie gwijden den
ingern, gibt ihr Die nötige Dide und
lange und widelt bann jorgfältig bas Ded:
blatt — die ah eines ganzen Tabafblattes
— berum. Tas hört jid) alles jebr leicht an,
verlangt aber eine jahrelange Schulung der
Hand und des Auges, denn die Zigarren
miifjen in bezug auf Feſtigkeit und Geftalt
ganz gleichmäßig ausfallen und folen nur
möglichſt felten an jenen Schönheitsfehlern
leiden, Derentwegen fie |päter bet ber Revie
Ki zum Ausjchuß verurteilt werden. Ein
olcher Elitearbeiter verfertigt höchjtens hun-
dert Zigarren am Tage und erzielt dafür im
Stüd bn vierundzwanzig bis achtundzwanzig
Mark. Von den RENE Corten ver:
fertigt ein guter Arbeiter bis gu dreihundert
Stüd am Tage, bei einem Verdienſt von
zehn bis fünfzehn Mart.
Die fertigen Zigarren wandern in Biin-
deln von fünfzig Stüd in einen anderen
Raum, in dem wieder tiefite Stille herricht.
Hier walten die „Selectors“ ihres wichtigen
Amtes, die Prüfer. Sie breiten die Zigarren
auf Tafeln vor fid) aus, nehmen eine nad
der anderen in die Hand und ech fie mit
dem Auge und dem Tajtgefühl auf ihr Aus»
jehen, * Länge, Stärke, OC und
\onjtigen Eigenjchaften bin. e teurer Die
Zigarrenjorte, dejto Jorgfáltiger natürlich die
Prüfung. Ein gut gejchulter, hochbezahlter
Gelector befit eine wunderbare Unterjchei-
bungsgabe, ungefähr ebenjo wie in anderen
Fidem ber Weinpriifer ober der Tee: und
ta ques "d age DES bes ye nur
einen Haufen völlig gleichförmiger Zigarren
erblidt, da ——— er etwa Se
Abarten, bie vom „claro“ bis zum „maduro“
eine reiche Cfala ber feinften T
fungen durchlaufen. igentlid) ift ja Die
arbe von feiner Bedeutung fiir den Ge|djmad
unb ben Grad der „Schwere“ einer Zigarre,
aber die Raucher legen nun einmal großes
Gewicht auf bejtimmte Farben, fie halten
eine Zigarre für um fo leichter, je heller fie
ijt, und Diejen Wünfchen und fleinen Bor:
urteilen muß der Fabrifant entgegenfommen.
Sind die Zigarren geprüft und jortiert,
jo werden fie mit Papierringen verjeben.
jenen „Leibbinden“, deren Aufdrud dem
Kenner verrät, mit wem er es zu tun bat,
und dann in Kiſtchen verpadt. Die Heine
Sigarrenfijte in ihrer heutigen Form wurde
erjt 1859 von einem Havannafabritanten
erfunden, bis dahin exportierte man Die
Zigarren nur gebündelt in großen Badungen
von fünfhundert bis e engl ug Ctiid.
drüber wurden bie Kifthen ausjchließlich
aus Zedernholz angefertigt, weil fein Duft
fih mit bem ber Zigarre vorzüglich verträgt,
aber jeitbem das Zedernholz teuer geworden
ijt, verwendet man für geringere Sorten
ern — Holz von ähnlichem Aus—
ehen. Neuerdings ſind auch Luxusverpak—
kungen in Geſtalt von fein polierten, ver—
ſchließbaren Kaſſetten und zierlich gearbei-
teten Schränkchen Mode geworden; der
wirkliche Kenner jedoch ſteht ſolchen „Auf—
machungs“-Künſteleien immer mit einigem
ee Von ausgegangenen Importen Mzz 334 33333] 419
Miptrauen gegenüber, ihm gilt der Inhalt
und nicht das Gewand. Zur Aufmachung
ehören aud) die „Etiquetas“, die über:
djwenglid) reid) mit Gold prunfenden, wun-
derbar E Bilder auf den Innen:
dedeln der Kiſtchen. Gie wurden vor
dem Kriege fait ausjchließlich in Deutjchland
— und erſt in der Faktorei aufgeklebt.
s wäre ja ein leichtes, dieſe me à ehr
naiven Bildchen auf eine fiinjtlerijd) höhere
Stufe zu bringen, aber um der Tradition
willen läßt man es dabei bewenden, und
auch der Raucher würde die altvertrauten
Etiquetas IDEEN ungern vermiljen.
Durd das Einlegen in bie &ijten und ere
— erhalten die bis dahin
anz ebenmäßigen Zigarren ihre teilweis
antige Form. Wie mannigfach übrigens
die —— geformt ſind und zu welchen
Abſonderlichkeiten ſie es dabei bringen, da—
r bietet bie Modellſammluug der Upmann:
chen Faktorei ein intereſſantes Anſchauungs⸗
material. Man ſieht hier in Holz nachgebildet
ſämtliche Formate, die das Haus jemals
auf den Markt gebracht hat, neben liliputani—
ſchen Zigärrchen von der Größe eines kleinen
Fingers unglaubliche Rieſen, die man ganz
= als fletnen Gpagierjtod tragen könnte.
ie teuerjten Kräuter — es gibt Jolche, bie
im Laden aht Mart fojten, und [ie werden in
viel größeren Mengen abgejeßt als der „ge:
wöhnliche” Raucher ahnt — zeichnen fid) falt
immer durch ftattliche Formate aus. Aber
auch bei der ipe liegt bas vernünftige
Maß in der Vitte, fie fol weder zu groB
nod) zu Hein fein und jede ungewöhnliche
orm vermeiden, weil derartige Zigarren
unmöglich gut gewidelt fein Tonnen, Die
Importen von [rüber hatten rein walzen=
förmige Geftalt, die Fabrifation bevorzugt
neuerdings wieder biejes Format als das
an lee
ie Zigarren find nun verpadt, bie Rijt-
den werden zugenagelt und treten mit Tau-
fenden von ihresgleichen bei nächiter Ge:
legenbeit bie Reife über bas Weltmeer an.
ée Havannaernten joeben eingetroffen“,
jo lautet ein paar Wochen jpäter ber ver:
hethungsvolle €odruf der großen Zigarren:
ie in unjeren Zeitungen, und mit
djmungelnber Vorfreude läßt jid) dann der
Raucher im Laden eine Reihe von Kijtchen
feiner Lieblingsmarfen öffnen, um die lieb:
lich Duftenden Kräuter auf ihr renter
zu prüfen. Und wenn er ein wirflicher
Kenner ijt, dann läßt er die — ach leider! —
[o teuren Importen nicht allgulange zu Hauje
lagern, es jet denn, daß er fid) eines guten
Smportenjdranfes erfreut, ber bie empfinb:
lihen Zigarren vor ber Berflüchtung bes
Aromas und einer zu Worten Austrock—
nung bewahrt. Denn eine zu trodene Ha:
vanna, bie bei einem fanften Drud zwilchen
ben Fingerſpitzen förmlich kracht, ift nur nod)
ein ſchwacher Abglanz ehemaliger Pradt.
Dan hört oft Ausdrüde ber Berwunderung
über den hohen Preis der Havannazigarren.
Mad dem Kriege werden fie wohl aud)
faum billiger jein, eher teurer. Denn da
die Herren Nordamerifaner nur einen gün-
tigen Augenblid abwarten, um Kuba, das
He tatſächlich don völlig in der Tajche
haben, aid) offiziell oe Délai? jo liegt eine
Durdgreifende Monopolijierung und entipre=
chende ?Berteuerung des ganzen fubanijden
Tabafs durchaus im Bereich der Möglich:
feit. Die Ausfichten ber Qualitätsraucher
find alfo nicht eben rolig.
Die BZigarrentiftchen
werden mit den bunten
— an der Fa:
britmarten beflebt
Die hiftorifchen
—
und pfychologi
des heutige ulna
on Oeheimrat Prof. Dr Theodor Shiemann inBerlin
Qie ruſſiſchen Volksſtämme, Die
unter der jfanbinavi|djen Dynaftie
ber Rurifer im 9. und 10. Jahr:
hundert zu einer jtaatlichen Gin:
à beit Get wurden, beitehen
aus drei Hauptgruppen: Broßrujjen, Weiß:
rullen und Ufrainern, von denen bie Iebteren
|pradjlid) und ethnographijch ein bejonderes,
den Güdjlawen ——— Volkselement
darſtellen. Sie haben im 16. und 17. wie
zu Anfang des 18. Jahrhunderts für ihre
Selbſtändigkeit mit den Polen wie mit den
Großruſſen gekämpft, ſind aber ſchließlich als
politiſcher Faktor ausgeſchieden, ſeit die durch
Peter den Großen angebahnte und von
Katharina II. durchgeführte Germaniſierung
des Zarenhauſes eine nach Weſten gerichtete
Eroberungspolitik einleitete, die das Ruß—
land ſchuf, das ſich bis zum Zuſammenbruch
behauptet hat, den die Revolution vom März
1917 brachte.
Es genügt für unjere Zwede, die legten
hundert Jahre biejer Entwidlung ins Auge
zu fajjen.
Als WUlexander I. dem ihm zugefallenen
Teil Polens — Kongreßpolen wie man es
nannte — 1816 eine Berfajjung oftronierte,
wurde von ihm damit ber erjte Schritt zur
Verwirklichnng eines Planes getan, den er
urjpriinglid) im Gegenjak zu ber ibm un:
heimlichen allgemeinen Wehrpflicht Preußens
gelobt hatte. „Er begiinftigte die innere Aus:
ildung und Konjolidierung einzelner natio:
naler Gebiete feines großen Reichs, Finn:
lands, wo er bem Grofberaogtum das Rehen
Wyborg und Wlt:Karelien zufügte und
bie alte Verfaſſung aufrechterhielt,; der Dit:
leepropingen, deren Verfaſſung er bejtehen
ließ und denen er dur) Aufhebung ber
Seibeigenid)jaft eine bejondere Trennungs-
linie von dem übrigen Rußland gab, Bo:
[ens und jelbjt €itauens, erjterem durch eine
eigene Berwaltung und Verfaſſung, und
[ecbterem Durch eine bejondere Armee, indem
das litauijde Korps nur aus Litauern
refrutiert wurde, endlich bes taurijchen Cher-
jones und feiner Angrenzungen. Das übrige
Rupland, den eigentlichen Kern feines Rei-
ches, wollte er bejto fejter in fid) fonfolidieren
und Durch Dicjen Die anderen Teile des Reichs
möglichſt im Zaum halten. Das Syſtem der
Witlitarfolonien, welde nur in diejen Teil
des Neiches abgelegt waren, war der Schluß:
Deum des Gebäudes, wie er es in Diejem
Sinne jid) dachte, und in diejen Kolonien
jollte das Kernland die Mittel finden, Die
Herrichaft über bie Nebenländer feitzuhalten.”
Geine Pläne jcheiterten an der Ungeduld
der Polen und an der Entriijtung, mit der die
bejtgebildeten Männer feines Heeres die Be-
günftigung der fremdftämmigen Grenzlande
und die furchtbare Tyrannei anjchauten, mit
der das Syſtem ber Militärkolonien durchge:
führt wurde.
Die Folge war, dab gleichzeitig der Plan
u einer polnijden Revolution, die nad
Verwirflidung bes Ideals eines Polens
vom Meer zum Wteer ftrebte, und einer
rujjijden Revolution rette, bie in ihren
Zielen eine erjtaunlidje Whnlidfeit mit der
Revolution vom März 1917 zeigte. Was fie
erreichen wollte, war eine ruſſiſche Fördera—
tivrepublif, Bejeitigung des Raijers und
leines gejamten Haujes und Aufbau eines
idealen S9tedjtsitaats, für den freilich alle
biftorijchen — fehlten.
Die ruſſiſche Revolution ſcheiterte im De—
zember 1825; es iſt der ſogenannte Aufſtand
der Dekabriſten, im Grunde war es eine
Militärrevolte, bei der ruſſiſche Ariſtokraten
die Führer und betrogene Soldaten die
Werkzeuge waren. Boden im leibeigenen
Volk der Bauern hatte die Bewegung nicht.
Fünf Jahr danach, im November 1830, brach
die erſte polniſche Revolution aus, die am
8. September 1831 mit der Erſtürmung War—
ſchaus zuſammenbrach. Beides, der Deka—
briſtenaufſtand und die polniſche Revolution,
hat den Gang der weiteren Entwicklung
Rußlands in verhängnisvoller Weiſe be—
ſtimmt. Die Regierung Nikolaus L, bie ba-
mit eingeleitet wird, iſt fortan auf zwei
Hauptgedanken gerichtet: Niederhaltung
aller nationalen Regungen in Polen und
Herſtellung voller Uniformität innerhalb des
Geſamtreiches. Die Trias: Rechtgläubig—
keit, Selbſtherrſchaft, Volkstümlichkeit wurde
die Richtſchnur für all ſein Tun im Inneren
des Reiches. Rechtgläubigkeit aber bedeutete
Zugehörigkeit zur — — Kirche,
die SECH ie alleinberechtigte Ronfejfion
werden jollte, Selbſtherrſ at war dem
Kaifer ber durch feine Schranfen eingeengte
Abjolutismus, und unter WBoltstümlichkeit
veritand er die unbedingte Vorherrichaft des
Großruffentums. Das erjte biejer Schlag:
worte: NRechtgläubigfeit führte zu Gewiſ—
jenszwang und zur Zwangsmiſſion unter
Proteftanten, Ratholifen, Unierten und Alt:
He Ge die Gelbjtherrjdaft aur Unter:
rüdung aller Gedanfenfreiheit, Verfolgung
der Willenichaft und jeder 9tegung jelbitän:
digen Willens, der als voltstiimlid) bezeich:
nete Nationalismus zu einer rüdjichtslojen
Ruffifizierungspolitif. Es war eine völlige
Abwendung von der liberalen Gedanfenwelt,
welche die Anfänge Mexanders I. beherrſcht
hatte. Mad) außen madjten die Prinzipien
Nikolaus I. fid) Dadurd geltend, daß er, joweit
jeine Hand reichte, liberale Regungen in Eu:
plc mog uaa — uyg ul — — js | WIG
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ESELA Prof. Dr. Th. Schiemann: Die Grundlagen bes heutigen 9tuflanbs g2«29 491
ropa zu unterdriiden bemüht war, um ihr aw
liberjliefen nad) Rußland zu verhindern. Cein
Begenjaß au feinem Schwager Friedrich Wil:
helm IV. geht auf dejfen Reformpläne zurüd,
die, wie der Zar richtig erfannte, ſchließlich in
Verleihung einer Rertaffun auslaufen muß—
ten; Die deutjchen Ginbeitebereebunden erſchie⸗
nen ihm als gefährliche Utopien, und ganz un—
verſöhnlich ſtand er der Polenpolitik des
Königs entgegen.
Die in den vierziger Jahren entſtandene,
an mißverſtandenen Hegelſchen Gedanken er—
wachſene Richtung der Slawophilen hat
ſich Nikolaus zu eigen gemacht, zugleich
aber den aus gleidjer Wurzel geborenen
Ynardhismus, Dellen nicht übertrumpfter
Vertreter 3Bafunin war, ins Leben gerufen,
Die heutigen fozialiftiichen Maximalijten, die
Bolıchewili. ftehen auf dem Boden ber (Ge:
danten, die *Batunin vertreten hat. Auch die
ufrainiihe Frage ift unter Mifolaus zum
eriten Wale mit nationalen Anjprüchen auf:
etreten. Es ift wichtig, bie Gejchichte jener
amals geicheiterten Beltrebungen etwas
sags fennen zu lernen,
n den legten Monaten des Jahres 1815
war in Kiew eine ufraino-jlawijde Gefell-
Ichaft gegründet worden, zu ber unter anderem
der Profeſſor Wdjuntt Rojtomarow, ber Dich:
ter Schewtschento und der als Schriftiteller
befannte Leh er bes 3. Petersburger Gym:
najiums &ulijd) gehörten. Sie nannten bie (5e:
jellidjaft nad) ben Slawenapojteln Gejelljdjaft
zum heiligen Kyrill unb Methodius und
nahmen zum Ziel ihrer Bejtrebungen die
geijtige und politifche Vereinigung der Glo
wen; jebod) jo, daß jeder ſlawiſche Stamm
eine bejondere, felbjtandige Stellung erhals
ten follte. Als joldje Stämme wurden von
ihnen anerfannt: Die Südrujjen ober Ukrai—
ner, bie Nordruffen nebjt den Weißrujien,
die Polen, die Tichechen neben ben Slowin:
zen (Rajjuben), bie Laujiger, bie Illyro-Ser—
ben nebft Kroaten und Bulgaren. Jeder
Ctamm folle eine Wolfsregierung erhalten
und vollige Recdtsgleichheit feiner Mitbür—
ger aufredterbalten. Regierung, Gejeßge:
bung, Gigentumsred)t und Bıldungsitand
jeien auf die heilige Religion Jeju Chriſti
zu begründen, Gleichheit der Bildung und
Sittlichkeit follten *Borbebingungen zur Teils
nahme am Regiment fein; ein all,emeiner
altifawi]djer Reichstag aus Bertretern aller
Ciümmte das Werf Tränen,
Dieſe Cave bildeten unter der Bezeichnung
‚Hauptgedanten‘ bas Statut ber Hejellichaft,
bas Durd bie ‚VBornehmiten Borjchriften‘
weiter ergänzt wurde Is Abzeichen tru-
gen die Wiitglieder einen Ring oder ein
Heiltgenbild mit der Abbildung beider
$jeili;en; fie verpflichteten ſich eidlich all
ibre Kräfte und ihr Vermögen in den Dienit
der Geſellſchaft zu ftellen und unter feinen
Umſtänden ihre Viitglieder zu verraten. Cie
wollten bemüht fein, fonfejjionelle Gegenjäße
auszugleichen, für Yu Hebung der Yeibeigens
Ihajt zu wirten und Die Kenntnis Des
Lejens und Schreibens zu verbreiten. Gie
verdammen endlich den gottlojen Brundjat
daß der Swed die Mittel heilige. — Weit
bedeutjamer als dieje Leitjäße war bo:
egen cin der Regierung in die Hände ges
fallen Manujtript, bas die Oberfdyrift
ührte: ‚Das Gele& Gottes‘,
In Bunbertneun furzen Paragraphen jucht
esnachzuweijen, dah die Demofratijde Staats
form die von Bott gewollte fei, die Slawen
aber als auserwabltes Volt Gottes berufen
lie zu verwirklichen. Der Schwerpuntt fällt
auf bie Ausführumgen am Schluß, ber nad)
biltoriihen Darlegungen von mehr als
zweifelhafter Beweistraft, bie Ufraine und
bas Rojafentum als die Verwirklichung der
wahren jelbjtlojen und demofratijcden rein
pe feiert. „Aber bie Deutide, bie arin
fatharina, bie unfeujd)e, weltliche, gott:
lofe Mörderin ihres Gatten, bat aud) der
Freiheit ber Rojafen ein Ende bereitet. Die
Ufraine ftarb, aber es jchien nur fo, fie [ag
im Grabe und war niht tot; denn ihre
Stimme, die das gelamte Slawentum zu
Freiheit und Brüderlichteit aujrief, erilang
in der ganzen jlamijdjen Welt. Tie Stimme
der Ukraine ward laut in Polen, als am
3. Mai 1791 bejdjlojjen wurde, dap es feine
Herren unter ihnen geben folle, und daß in der
Republit Polen alle frei fein jollten. Dasjelbe
aber batten jhon hundertzwanzig Jahre früger
bie Ufrainer gewollt. Und bie Stimme der
Ulraine erjcholl in Mtosfowien, als nad) dem
Tode des Zaren Alexander die Rujjen ten
Zaren und ben Adel verjagen und alle
Slawen nad) göttlicher SBorid)rift, ungertrenn:
lid) und nicht gewaltjam mit Dlosfau vereini:
gen wollten. Das wollte bie Ulraine jchon
zweihundert Jahre vorher.
Aber ber Defpot ließ es nicht zu; bie
einen endeten ihr Leben am Galgen, andere
quälte man in ben Bergwerten, wieder ans
dere ließ man von ben Ticherfejjen umbrin:
gen. Und es berricht ber Defpot über die
drei flawijden Ctamme, er regiert über fie
Durch Die Deutjchen, er bringt ihnen Anſtek—
fung, macht fie zu Rriippeln, verdirbt ihre
gute ſlawiſche 9tatur und erreicht dod
nichts. Denn die Stimme ber llfraine pers
ſtummt nicht Die lltraine erjteht aus ihrem
Grabe, und wiederum ergeht ihr Aufruf an
die jlawijden Brüder, und fie hören ihren
Ruf, und das Slawentum wird jid) erheben,
und es wird weder Zaren nod) Zarewit)
nod) Barin mehr geben, weder Fürſten no
Grafen, weder Herzöge nod) Exzellenzen,
weder Pane mod) Bojaren nod) Knedte,
weder in Grofrugland nod) in Polen, nod in
der Ufraine, nod) bet ben Tſchechen, Kroaten,
Gerben ober Bulgaren. Und die lltraine
wird eine unabhängige Republif im jlawis
ſchen Bunde werden, Tann wird alles Wolt
jagen, indem es auf die Stelle met, wo
auf der Karte Ufraine jtebt: Ties ijt der
Stein, den ber Bo umeijter verworfen hatte,
der fol nunmehr der Eckſtein werden.“
Nikolai hat mit Der Gejlljgaft des heili-
499 pzxertiextyex9x93939] Prof. Dr. Theodor Shiemann: eet
gen Kyril und Methodius furgen Pros
ek gemadjt, in aller Heimlidfeit. Die Welt
Eu von den ketzeriſchen Gedanten nidts
erfahren, die in Rußland umliefen. Er felbjt
laubte, daß es franzöfiiche unb polnifche
Einfliffe feien, auf bie jie aurüdge[übrt
werden müßten. Roftomarow wurde ver:
bannt, Schewtichento unter bie Soldaten
geitedt, bie minder Rompromittierten verjebt
und unter polizetlicje Auflicht gejtellt. Sie
hatten alle verjudjt fih Dadurd zu retten,
daß fie jenes ,Geje& Gottes‘ für ein pol:
nijches Elaborat erklärten, und behaupteten,
die Bereinigung aller Slawen unter ber
Dberherricyaft des Zaren Mifolaus erjtrebt
zu haben. —
Die bald darauf ausbrechende große Ne:
volution von 1848 ch aud) für Rußland eine
Periode fteter Unruhen und zahlreicher Baus
ernaujftände gewejen, bie ausnahmslos bluti
unterdrüdt worden find, und als ———
die Stürme in Weſt- und Mitteleuropa ſi
legten, ba ſchien das Rußland Nikolaus 1.
mächtiger dazuſtehen als je vorher. In
jtummem Geborjam beugte Europa fic vor
dem unumjchräntten Selbſtherrſcher in ee
burg. Dann aber folgte die Kataltrophe
bes Krimfrieges, an der 9tifolaus felbjt und
fein Syitem gujammenbrad.
Alexander Il. trat feine Regierung an und
nad) einer Periode unjicheren Gdwanfens
begann eine neue Ara für Rußland. Das
Jahr 1861 bradjte bie Aufhebung der Leib-
eigenjchaft, mit ber ber rujfijde Bauer als
politiver politijder Faktor in die Gejchichte
eintreten jollte. Große Reformen in Juſtiz
und Verwaltung, jdjlieBlid) bie Einführung
ber allgemeinen Wehrprlicht, bahnten, wie
es |dien, eine neue Zeit an. Aber das
Falen der jtaatlichen Feſſeln gab den natio:
nalen Inſtinkten freie Bahn. Cine zweite
polniſche Revolution, die blutig unterdrücdt
wurde, ließ den zeitweilig verftummten Nas
tionalismus in neuer Form wieder auftaus
hen. Las Clawopbilentum wurde zum ‘Bane
ruſasmus, b. D. Die Forderungen Nikolaus I.
nad) nationaler Uniformität wurden jest als
Forderungen ber rujjiichen Intelligenz der
Regierung von unten ber oftroyiert, womit
bann eine neue Phaje der Ruſſifizierungs—
politi in den Grengmarfen eingeleitet wird.
Eine zweite Yu erung diejer Sinjtinfte ijt
der Rankemisinne: der uns bereits im ‚Be:
leg Gottes‘ der Ukraine entgegengetreten ift,
der die Befreiung der jlawijchen Brüder
— wobei die Polen immer ausgenommen
werden — von fremder Herrichaft anjtrebte
und der ben Kaifer Alexander II, in ben
Türfenfrieg treibt, Dellen Epilog burd) ben
Berliner Kongreß eine wütende Feindjchaft
gegen Preußen und jchließlidy gegen alles
Deutjche reifen läßt.
Zielen Entwidiıngn parallel geht eine
dritte 9tegung ber rujjijchen Inſtinkte: Der
Nihilismus, ber fid) ui feinen Anfängen zu-
nadjt in ben Bahnen des frajjejten As
terialismus bewegt und banad) infolge einer
altruiftifchen Welle, bie durch bie Seele der
rujfiihen Jugend 309, fid) Dem Drang bin:
gibt, ben rujjijdjen Bauer politijd) aufzu—
Hären; aud) bas war ein Gebante, ber im
‚Gejeß Gottes‘ aum Ausdrud getommen war!
Man zog ins Volt, um thm Berjtändnis
für bie inzwiſchen gereiften revolutionären
Bedanten einzuflößen. Turgenew hat in fei-
nen Romanen diefe beiden erjten Stadien
bes rulliichen 9tibilismus meijterhaft geſchil—
bert. Die Berfolgungen, die das ‚Gehen
ins Bolt nad) jid) zogen, führten zu bem
neuen terroriltiihen Stadium in der Ent:
widlung des Nihilismus, das am 1. März
1881 mit der Ermordung Alexanders ll feinen
eriten Höhepunkt erreichte. Die Regierung
Alexanders lll., die jyftematijc) bie liberalen
Reformen feines Waters rüdgängig zu
machen bemüht war, und zugleich bie shan:
talie bes Bolfes durd) Vorbereitung eines
Krieges gegen Deutjchland, ber 1887 aus:
brechen follte, von den inneren Problemen
ablenf:e, erreichte durch Diajjenverhaftungen
und Verſchickungen wirflid), daß ber terro:
riſtiſche Nıhilismus zu Ende feiner Regie:
rung überwunden Iden, Daß es nur Scyein
war, bas Feuer unter ber Aſche weiter:
glimmte und [dieBlid) in hellen Flammen
loderte, zeigte die — ſeines Sohnes
und Nachfolgers Nikolaus II. Schon 1895
bildeten ſich ſozialdemokratiſche Organiſa—
tionen und es fanden Die erjien Arbeiter—
aus|tánbe ftatt. Im März 1898 trat ein
Kongreß aller fogialijttjden Wereine Ruß:
lands in Minsk gujammen, der jid) zur ruj-
ſiſchen fogialdemofratijdhen Arbeiterpartei
tonjtituierte unb ein — annahm, in
welchem es hieß, das ruſſiſche Volk würde
fortan nicht bitten, ſondern fordern und je
mehr man ihm gebe, um fo mebr verlangen.
Gein Biel fei SBetámpfung des Kapitalismus
und bes Abſolutismus bis zum vollen Ciege
des ſozialiſtiſchen Gedankens. Die Teilneh:
mer am Minster Rongrejje aber find, als
fie im ‘Begriff waren auseinander zu gehen,
alle verhaftet und verjdidt worden, jo daß
bie Partei gejprengt |djien. Aber jchon 1902
zeigte fid), Dak es wiederum ein Irrtum Der
Regierung war, wenn fie fid) nunmehr Kee
glaubte, Die Bewegung jdjlug in bte Ion
lange gärenden Kreije ber rujjijden Stu-
benten|djajt hinüber und eraot was be:
jonders gefährlid) war, bie Bauern. Zuerit
im Poltawajden, danad) in Hurst, Sd Ede
Tihernigow, 9Boronejd), Sjaratow fanden
Naubzüge ber Bauern gegen bie Gutsbe itzer
itatt. Das Schlagwort, daß alles Land den
Bauern gehöre, heute bas gefährlichſte der
revolutionären Lojungsworte, wurde laut
und von der revolutionären Literatur durch
ana Rußland verbreitet. Die Mipernte der
Sabre 1902 und 1903 fteigerte die Erregung
ber Bauern. Im Juli 1903 fand ein großer
Urbeiterausitand in Südrußland jtatt, der
neben den Forderungen des Achtjtundentages
und höheren Wrbeitslohnes eine Weihe allge:
meiner politijdjer Forderungen vorbradte
EI Die hiftorifhen und pfochologifchen Grundlagen des heutigen Rußlands 493
und in dem drohenden Verlangen nad) Bes
rufung einer rufjijden Konjtituante gipfelte.
Es jdjloB fid) daran ein Aufruf zu bewaff:
neter Erhebung, falls bie Regierung dieje
Li ti pi ik nicht erfülle.e Aber nod) zwei
abre gingen bin, ehe im Zujammenhang
mit bem enttäujchenden Verlauf des japa:
ni’chen Kriegs der Wusbrud) wirklich ere
folgte. Cine UArbeiterdDemonjtration unter
subrung bes Priefters Gapon, bie von ber
egierung blutig niedergejchlagen wurde,
gab am 22. Januar 1905 das Signal zur erjten
panruſſiſchen Revolution, deren Verlauf bier
nicht erzählt werden fol. (Cie ift furchtbar
blutig gewejen unb führte nad) vergeblichen
Berjuchen des Zaren, durch halbe Zugejtänd:
nijje bie Erregung zu bejänftigen, am 26. ye:
bruar 1906 zur Berufung einer Volksver—
tretung auf Grund des allgemeinen geheimen
bireften Wahlrehts. So trat am 10. Mai
die erjte rujjijde Duma zujammen, die am
17. Drai aufgelöft und am 5. März 1907
durch eine zweite Duma erjebt wurde, bie
fih bis zum Juli behauptete. An ihre Stelle
trat dann auf Grund eines neuen reaftio=-
nären Wahlrehts am 28. Oftober 1908 Die
dritte Duma, deren Nachfolgerin, die bis vor
turzem noch vegetierende, tatjächlich macht:
loje vierte Duma, am 28. Movember 1912 thre
Sitzungen eröffnete. Was dazwijchen liegt
ijt die Vorbereitung zu den Dingen, die wir
feit 1914 erlebt haben.
Suchen wir den politijdhen Inhalt ber
neun yee zwijchen 1905 und 1914 zuſam—
menzufajjen, jo jehen wir, daß die gewaltige
revolutionäre Erhebung, mit der diefe Pe—
riode anbebt, daran Icheiterte, daß fie feinen
anerfannten Mittelpuntt hatte, ber bie bis:
paraten revolutionären Elemente zujammen:
zufaſſen und aujammenaubalten imjtande ge:
melen wäre; vorübergehend fien es Der
Fall zu fein, als ein Generaljtreif im Of»
tober 1905 ausbrad) und auf ben roten
Schreden der Revolution der Kiche Sret:
fen einer Pöbelherrſchaft folgte. Aber die
Führer diejer Bewegung blieben anonym,
und als Ende Dezember bas Sjemenower
Regiment bie Emeute in Mtosfau nieder:
warf, wo fih eine provijorijde Regierung
organiliert batte, brad) aud) ber Verſuch
eines zweiten Generaljtreifs zulammen, Die
nad) Abjchluß des Friedens mit Japan am
17. Oftober 1905, aus Sibirien zurückſtrömen—
ben Truppen, bie jid) ebenjo zuchtlos er:
wiejen, wie bie Truppen an unjerer Front
nad) dem März 1917, wurden flugerweile
von der Regierung, jobald fie ben Ural über:
Ichritten, in ihre heimatlichen Dörfer ent:
lajjen und fanden bereits, daß bic Regie-
rung im Innern geliegt hatte und der Mos—
fauer Aufjtand niedergeworfen war. Aud)
bat es weder ein organijiertes Vorgehen der
fBauern|djaft, nod) eine zielbewuhte Aktion
der Fremdvölker gegeben. Finnland wurde
durch Herftellung feiner Verfaſſung beruhigt,
bie Bauernrevolten in ben Ditieeprovinzen
durch bas jelbjtändige Vorgehen der baltis
[den Deutichen und durch bas ſchließliche
Eingreifen rujliiher Truppen niedergeworfen,
ber Verſuch einer Erhebung Polens recht:
zeitig erjtidt, Mteutereien einzelner Garni»
jonen und ber Flotten im Baltijden unb
Schwarzen Dleer überwunden und fo Die
Einheit des Reiches und feine Stellung als
Großmacht behauptet. Aber die Aktion eins
elner Terrorijten und terroriftiicher Organi:
Kazen Dauerte fort, und in der erjten und
zweiten Duma ift ber Verſuch gemacht wor:
ben, die zweifellos vorhandenen Kadres einer
neuen antidynaftijden Revolution wieder
zu gemeinjamem Borgehen zujammenzufajjen.
Bon entjcheidender Bede: tung aber war,
dak Soldaten, Bauern und Arbeiter eine zeit:
weilig jiegreiche Revolution erlebt hatten und
daß bie Erinnerung daran lebendig blieb,
Das Minifterium Stolypins, das mit kräf—
tiger Hand die Ordnung berzuitellen ver:
[udjte, jeßte bier ein, und vermochte durch
eine großangelegte Agrarreform die Bauern:
ſchaft zeitweiliı zu beruhigen. Stolypin hat
aud) bie Wahlreform durchgejegt, bie Die
zahme dritte Duma aus ber Wahlurne Der:
vorgehen ließ. Dieje neue Wahlordnung war
I, angelegt, daß fie bie Fremdvölker in einer
inorität ließ, bie ihnen jeden bejtimmen:
den Einfluß nahm. Der Duma. jelbjt aber
wurde nicht mehr als ein beratendes Boz
tum eingeräumt. Da Stolypin daneben
durch ftrenge Maßregeln bie aufgeregte Gus
end, |peziell an den Univerjitäten, nieder:
belt. bas Syitem der Ruſſifizierungspolitik
und ein Regiment bureaufratijden Swanges
fonjequent fortjegte, ijt es begreiflich, daß
die Zahl feiner Feinde Hetto wuchs. Es find
mehrfach Attentate gegen ihn gerichtet wors
den. Einem derjelben, an dem feine eigene
geheime Polizei beteiligt war, ijt er ſchließ—
lid) am 18. September 1911 in Kiew zum
Opfer gefallen. Mit ihm aber jchwindet die
legte Perjönlichkeit, bte imftande geweien
wäre, bie gärende ruſſiſche Welt in bte Bah—
nen einer ruhigen Entwidlung zu leiten.
Bon jeinen OT ijt feiner ber unge:
heuer jchwierigen Aufgabe gewachſen ge:
melen, bte er übernehmen mußte. Bis zum
März 1914 lag bas Minijterpräjidium in
Händen Kofowzows, ihm folgte der alte
Goremfin, der nod) im Amte ftand, als
ber 4. Auguft 1914 den Weltkrieg zum Aus:
bruh brachte. In der Zeit gwijden 1912
und 1914 bat fid) aber nicht nur ber Melt:
trieg, Jondern aud) die Revolution vorbereitet,
denn Rußland hat den Krieg erzwungen,
um einem neuen 1905 zu entgehen. Weder
Kokowzow noch Goremfin hatıen verhindern
lónnen, daß jid) ein ungebeurer Umjdwung,
trog bes reaftiondren Wahlgejeges vom
D Suni 1908, in der Haltung ber Duma
vollzog. Die dritte Duma war mit vier:
malıgem Singen ber Raierhymne begrüßt
worden, als Die vierte Duma eröffnet wurde,
berichtete bereits ein Rorrejpondent des Jour—
nal bes Débats‘ aus Petersburg, ein hervor»
ragender ruljijcher Politifer habe ihm gejagt:
494 PESSSCcSSES Prof. Dr. Theodor Sdhiemann: Kasel
„Wir find fein liberales Bolt, wir find ein
ſozialiſtiſches Bolt.” Die Parteien, aud) die
Dttobriften, deren Programm monardji[d:
fonjtitutionell war, gingen zur nationalijti«
iden Organijation über, deren Führer in
der vierten Duma der Profejjor Mtiljufow
war. Sm Hintergrunde aber ftanden und
wiiblten die revolutionären Kräfte, bie in
der Duma nicht vertreten waren. Un den
Baltanwirren erbi&te fih die nationale Phan:
tafie, und [don im April 1913 fchrieb mir
ein patriotijqjer, nod) monardjijd) gejinnter
Ruffe über die immer weiter um fidh grei:
fende Deutjchenfeindfchaft: „Die Prole-
tarier und Anhänger des Umijturzes auf
anardhiftiiher Grundlage ſuchen jet alle
Kräfte, die ihnen zur Verwirklichung ihrer
utopijdjen Ziele brauchbar erjcheinen, heran:
zuziehen. Niemand wünjcht bei uns fo lebt:
lich einen triegeriichen Zujammenitoß mit
Deutjchland, als bie fozialrevolutionären und
bie anardjijtiich gefinnten Rreije. Die Ans
änger der jlawophilen Richtung und die
überzeugten Feinde Deutjchlands wünjchen
den Krieg, weil fie alles Grnjtes glauben,
daß nur ein glänzender Gieg über Deutich-
land alles über Rußland eingetretene Un:
gemad) wie mit einem Zauberjchlage befeis
tigen werde. Auch träumen fie von Jil:
liarde: fontributionen, bei deren Verteilung
unter die einzelnen VBerwaltungszweige aud
ihnen ein Anteil nicht entgehen werde...
Ganz anders falfulieren und hoffen bie repo:
Iutiondren Organijationen. Ihnen dient der
Krieg zum Gignal (id) bereitzuhalten. Mit
verhaltenem Atem werden fie bie pom Kriegs:
ſchauplatze einlaufenden Nachrichten verjol:
gen. Nad) dererjtenauthentijchen Bejtätigung
einer Niederlage bricht der Sturm mit Ges
walt los. Unjere bodenlos feige, in jyba=
ritiſchem Wohlleben phyſiſch und moralijd)
degenerierte höhere Geſellſchaſt mit den ver—
bublten Weibern an der Spike, wird kopf—
über bie Flucht ergreifen, ihnen wird der
Allerhöchſte Hof, wo es von charafterlofen,
Gencralsuniform tragenden, jporentlirrenden
und neurajthenijchen Weibern wimmelt, nad):
folgen, und bald wird Europa in. Kenntnis
acjebt werden, daß in Rußland eine ſozial—
dDemofratijche Republif mit Herrn Zeiten,
Miljukow, Nabotow an Stelle der Monarchie
getreten ijt. Im der Phantaſie unjerer radi-
falzanarchijtiichen Sippe treibt aud) nod) eine
andere Berlion ihren unbeimlid)en Gout,
Mian rechnet aud) mit einem eventuellen
Cieg bes mit Franfretd) und England ver:
biindeten Rußland über ben verhapgten deut:
Iden eind, Dann werde die Monarchie in
Teut chland zujammenbrechen und einer ör-
Deration von Republifen Wag machen. Der
deutjichen Rataftrophe werde die Biterreichs,
Italiens, Cpaniens und der altanjtaaten
folgen, unb mit dem dann allein übrigge:
bliebenen monardjijd)en Rußland hofft man
danach leicht fertig zu werden.“
Dieie während der akuten Krifis, die uns
das Frühjahr 1913 brachte, gejd)ricbenen
Zeilen tragen, wenn wir von dem Schluß:
lag über bie Sertrümmerung Deutjchlands
abjehen, einen geradezu prophetijden Cha-
rafter, den das d abr 1917 voll verwirflichte.
Mir finden hier ben Schlüfjel für bas Ber:
halten der oberen wie ber unteren Echichten
des rujjijden Volkes beim Ausbruch bes
Krieges. - Die Angjt vor dem drohenden
Ausbruch einer Revolution, deren Vorberei-
tungen bie rujfildje Polizei bis in das Detail
fannte, ohne doch ihrer Herr werden zu
Tonnen, ließen den Krieg, für den man feit
Jahren gerüjtet batte und für ben man fid)
biplomattjd) gejichert wußte, als ben 1etten:
den Ausweg aus einer politijd) unhaltbar
ewordenen Lage erjdjeinen. Wie bann ber
ru herbeigeführt ward, welches der Bers
lauf des Krieges für Rußland war und wels
ches ber bunte Berlauf diejer blutigen Revo:
lution, das zu erzählen, liegt mir fern. Wohl
aber dürfte es von Interejje jein bie Frage zu
beleuchten, wie jid) die außerordentlichen Gre
folge ber Männer erflären lajjen, die jest
an ber Cpibe Rußlands ftehen und beren
Namen vor wenigen Monaten nur ben teni:
gen befannt waren, bie mit ber Bejchichte ber
ruſſiſchen Emigranten näher vertraut waren:
Uljanow:Lenin und Braunjtein-Troghi. Ich
beabfichtige niht, pſychologiſche Biogra—
phien beider Männer zu geben. Ihre Bes
deutung liegt viel weniger in ihren perſön—
lichen Eigenjchaften, als darin, Daß fie
energijch unb fonjequent die Gedanfen eines
Dritten in die ruſſiſche Wirtlichkeit führten,
die Gebanten bes geiltigen Vaters ber ruf:
fldem Revolution in ihrer heutigen Gejtalt,
des Grafen Leo Zoljtot.
Graf Leo Golitoi ift wohl der einzige
ruſſiſche Schriftiteller, ben bas gejamte Boll
tennt und liebt und der durd) feinen anat:
dulden Myftizismus jowohl in die Bedanten:
welt der oberen ree Der Gejellichaft
wie in bie unteren Maſſen des Volkes eine
gebrungen ijt. Ale Schlagworte, mit denen
Lenin und Troßfi arbeiten, find von ibm
ausgegangen; er hat zwanzig Jahre feines
Lebens daran gejegt fie zu predigen, mit
all bem bewunderungswürdigen $yormtalent
und lange Zeit — wenn "m nicht bis zus
legt — mit der Jubjeftiven Wahrhaftigfeit,
ber er bie werbende Kraft feiner ethilchen,
rel aiólen und politijden Theorien zu dans
fen bat.
Seine Tätigfeit als politijd)er Agitator
begann in den Sjungerjabren 1891 und 1892
und hat bis zu jeinem Tode, als er S2jahri
am 20. Movember 1910 ftarb, an fid) ei
und an der Zufunft verzweifelnd, gewährt.
Er trat zunächſt als Philanthrop auf, aber
\hon 1894 hat er im feiner Schrijt Ober
die Chrijtenverfolqung in 9iublanb', bie er
veröffentlichte, um gegen bie Zwannsmaf:
regeln zu prot.ftieren, durch welche Die ruf:
liiche Regierung bemüht war, die den Mili-
tärdienft ablehnende (efte ber Ducyoborzen
p Gehorjam zu zwingen, die Gedan:
en entwidelt, die Den eigentlichen Kern
T) om a
Ss E? Pee ee ESA) "t eh | : * se a * Sp SS a BES SE ae
E ee oie 2 eM A3 ret es C3 Cee E eee Pie BAgGs e Ian SEZERE KALT GE
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Se] Die biftorifdjen und pindologilden Grundlagen des heutigen Rußlands 495
[einer Weltanichauung bilden: bie Lehre, daß
man fid) dem Böjen niht durch Gewalt,
ondern bird) paljiven Widerjtand entgegen»
egen folle, wobei er in fonjequenter Aus—
ührung feines Grundgedantens fih außer:
alb der Realität, nid)t nur der rujlilchen,
Jondern überhaupt der menjdjlidjen Vers
— und prinzipiell des Staatsgedan—
ens ſtellt und in folgerichtiger Durchfüh—
rung feiner Weltanjchauung ſchließlich auch
alle Kultur als böſe und unchriſtlich negiert.
Der Heilige Synod hat ihn darauf am
9. März 1901 extommuniziert und damit
nit nur in den Kreijen ber Gebildeten,
bie in ibm den begabtejten aller ruijijd)en
Erzähler verehrten, jondern aud) in den
breiten Maſſen des Boltes tiefjte Entrüftung
hervorgerufen. Ihn perjönlidy anzutajten,
wagte man jebod) nicht. Er lebte nad) wie
vor auf jeinem Gute Jasnaja Poljana und
Inoue durch Anlegen bäuerlicher Tracht und
urd) Verrichtung bäuerlicher Arbeit feinen
Ctanbesgenojjen und zugleich allem Wolfe
u zeigen, wie er jid) das Ideal der Lebens»
führung eines rechten Ruffen und wahren
briiten poritelle. Schon damals war ibm
ber Bedante gereift, daß im Agrarftommunis=
mus bas Allheilmittel für Rußland zu finden
m, unb jo jider fühlte er jid) trog allem
n feiner Ctellung, daß er am 10. Januar
1902 einen Brief an Alexander III. ſchrieb,
ber in ben Vorſchlag auslief, allen Privat:
bejig an Grund und Boden aufzuheben und
alles Land für Gejamteigentum zu ertlären.
Als Ddiejer Brief im März 1905 in ber
Zeitſchrift ‚Dswobojhdenije veröffentlicht
wurde, bemertte id) dazu, daß, wenn ein folder
Gedanfe in die Majje des Volkes einbringe,
es einen Bauernfrieg geben werde, wie Die
Welt nod) feinen geleben habe. Gest ijt
bieler Krieg bereits entbrannt, feit Lenin
unb Trogfi defretierten, daß ber von Ales
xander lil. abgewiejene Gedanfe nunmehr
SBirtlidjfeit werden folle.
Während des japanijchen Krieges forderte
Toljtoi die ruljtidjen Offiziere dirett zur
Fabhnenfludht auf: „Tretet vor die Front
eurer Abteilung, legt bie Abzeichen eures
Difiziersitandes nieder, verneigt euch bis
zur Erde vor ben Coldaten und bittet fie
um WBerzeihung für all das Unheil, das ihr
ihnen durch euren Betrug angetan habt.”
Es war feine Antwort auf einen Soldaten:
fatedjiismus des damals höchſt populären
Generals Dragomirow, der die Soldaten
aufjorderte, den Feind, wenn nicht anders,
mit ihren Zähnen niederzuringen, und der
in allen ruſſiſchen Rajernen angeſch agen war.
Tie Entwidlung der Welt — fo fährt
Tolltoi fort — abe dahin geführt, dak ber
Kampf mit auswärtigen Feinden das uns
tvabridjeinlid)jite wäre, jebt fei der Gegner
der Armee, was man Die inneren Feinde
nenne. Auch jeder Krieg mit anderen Maz
tionen trage den Charafter eines Bürger:
frieges. Sn Wirflichfeit würden bie Truppen
nur nod gegen unbewaffnete Fabrifarbeiter
Belhagen & Klafings Monatshefte.
32. Jahrg. 1917/1918. 2 Bd.
oder Bauern verwendet, womit auch bie
militdrijche Dilziplin alle Berechtigung ver:
loren babe. Ter Militärdienft fei eine Er:
giehung zum Morden, unb das jchredlichite
aller Verbrechen. Der Schluß bringt einen
Appell an bas Gewijjen der Offiziere: „Wehe
demWienichen, durch melden Ärgernistommt.“
Sn bem Gefprad mit einem engliichen
Syournalijten po Tolftoi feine Gtel-
lung unb die bes rufjijhen *Bolfes zum Gee
icg folgendermaßen: „Was jollen wir mit
den europäilchen Garantien für Beachtung
ber Gejeke mahen? Idh beantworte die
Frage mit der Erklärung, daß für bie Maffe
des ruffiihen Volkes bas (eje gar nicht
exijtiert. Es unterwirft jid) bem Gejeg, aber
es läßt fid) von ibm niht leiten. Nicht die
Unterwerfung unter bas Geſetz, Jondern
beljen völlige Migachtung hat unfer Roll
zu einem quien, ne und langmütigen
gemacht. Und eben dieje Mißachtung macht
unjere Beamten zu den grögten Schurken
der Welt. Die Bolfsmajjen, die jede áuBer:
liche Beſchränkung verachten, lajjen fid) von
ihrem Gewijjen leiten. Die gebildeten Be:
amten aber haben fih, indem fie bei ber
nationalen Mißachtung des Beleßes bleiben,
gleichzeitig vom Gewiljen befreit.“
tir fällt dabei ein Ausſpruch Gorfis aus
einer feiner Novellen ein: „Das Bewiljen ift
eine Kraft, meldje nur bie Schwachen bans
gt.
In Tolftois 1907 erichienener Schrift
über die Bedeutung der rujlilchen Revolution
finden fid) folgende Betradytungen: Alle (5e:
jege, deren Beobachtung erzwungen ijt, find
nichts anderes als eo ehe Um fol:
chen Übeln zu entgehen, gibt es für bas
rujjijde Volt nur eine Rettung: „Es [oll
weder feiner Regierung gebord)en, die an
ber unglüdlichen Gegenwart die Schuld trägt,
nod) aud) fih nad) dem Borbilde abend:
ländiſcher Nationen organijieren und eine
Wolfsvertretung |djaffen, bte nod) viel ge:
waltjamer ijt; als ein Monarh. tenn Die
rujitidjen Bauern aufhören, allen obrigfeit=
lichen ‘Perjonen und jeder gewaltjamen Regie—
rung zu gehorchen, fo werden von jelbjt die
Abgaben, das Militär, bie Bedrüdungen ber
Tjchinovnits, bas Grundeigentum mit dem
damit verbundenen Elend aufhören. Al
diejes Unheil würde aujbóren, wenn mies
mand ba fein werde, es aufred;tzuerhalten.“
Die eigentlich chriltliche Lehre verlange,
daß alle Menjchen Bauern werden. Kirche,
Wiſſenſchaft, Macht, Staat und 3ivilijation
feien nichts als ungeheuerliche Verirrungen:
bie Kirche, weil fie eine Verjammlung von
Irrgläubigen und nicht von Wahrhaftgläus
bigen fei; die Willenjchaft, weil fie nicht das
wahre Aijjen, jonbern zujällige Betradytun:
gen müßiger Köpfe biete; das Recht, weil
es eine Cammlung ungered)ter Gelege fei;
bie Zivilijation, weil fie die lügnerijchen und
jhadliden, Durch Gewalt aufgedrängten
Anjchauungen der abendländijchen Nationen
verförpere. Ale Zivilijation fei Trug, von
28
um ai
(vg m
426
bem bie Riidfehr aum Aderbau befreie, ber
weder Runft, nod) Majchinen, nod) Snbujtrie
brauche, bie nur ben Reihen gum Ergößen
dienen, jonbern fih darauf bejchränten werde,
zu Ichaffen, was bem Aderbau niiblich ijt,
ohne ibn von dem Boden loszureißen und
ohne feine Freiheit Ju mindern.“ Die Obrig:
feit verlangt vom Menſchen, daß er bie Ges
bote Gottes verlege, das ift Sünde. Wer
fi von Günde frethalten wolle, — ihr
aher den Gehorſam (88 Seiten, Moskau,
Verlag Poſrednik, 15 Kop.).
Über bie Nationalitätenfrage in Rußland
entmidelt Tolftoi folgende Theorie in ber
Parijer Revue bleue: Er wirft die Frage
auf, ob nicht Rußland zerfallen werde, wenn
die Bauern feinem Rate folgen und weder
Abgaben zahlen, nod) Soldaten ftellen unb
(id) überhaupt allen Forderungen des Staa»
tes entziehen. Die Antwort lautet: „Dteiner
Anſicht nad) ift diefe große Sammlung von
Völtern, die man Rußland nennt, fur die
Bauern und Arbeiter nicht nur nicht nots
wendig, jondern ihren SIntereffen direft
—* und die Hauptquelle ihres Unglücks.
enn man euch durch Abgaben bedrückt,
wenn man euch für ungeheure lm
zahlen läßt, wenn man euch eure Söhne
nimmt, um fie gegen Meute kämpfen zu
laffen, die euch nichts le [o geldjiebt
bas alles nur, weil man Polen, ben Raus
fajus, Finnland, Turfejtan, bie Mandjchurei
und andere Völker unter einer Obrigfeit gus
jammenhbalten will, Rußland, das ihr durch
euren Geborjam aufredterbaltet, ijt nicht
nur eim großes Übel, jondern dazu nod) eine
robe Gunde. Denn um Rußland zu ers
hatten, muB man die Raufajier, Litauer,
rmenier und Tataren zwingen zu leben,
wie die Regierung will und nicht wie fie
felb[t wollen.“
Sch weiß niht, ob Tolftoi bie Theorien
Batunins und jenes ,Gele& Gottes‘ ber
utrainijden Patrioten von 1846 getannt hat.
Unwahrkbheinlicy ijf es feineswegs, ba ber
Wortlaut |djon 1906
rujliichen Gebeimpolizet veröffentlicht wor:
den ijt, aber gewiß war es nicht die Quelle
feiner JBeltan|djauung. Es find tief in der
rujjiihen $9Boltsjeele ruhende Strömungen,
die Durch ein halbes Jahrhundert voneins
ander getrennt den gleichen jozialen, reli:
idjen unb politiid)en Idealen nachgehen.
as Eigentum der ruſſiſchen Intelligenz
find fie nicht. Sn ihr ift der ruffifde Macht»
und Eroberungsgedanfe lebendig geblieben,
ber großruſſiſchen, nicht ufrainijden Urs
|prungs ijt, und alle Wahrjcheinlichkeit jpridt
afür, Dak Ichlieglich bie Wertreter Diejer
roßrujliichen brutalen Ideale, bei denen ber
Sal gegen ben deutjchen Nachbar im Fun:
bament ihrer Anjchauungen liegt, im Chaos
ber Bürgerfriege, die fid) wahrideinlid nod)
lange fort] ben werden, als Gieger hervor:
gehen werden. Gie werden Die Bundes:
genoffen jedes Feindes fein, ber uns ers
aus den Aften der.
Prof. Dr. Th. Schtemann: Die Grundlagen des heutigen 9tuBlanbs BEZZA
fteht, und im Hinblid auf diefe unvermeid»
lide Zufunft ijt nichts wichtiger, als daß
Deutjchland, bie fih thm heute nod) bietende
Gelegenheit rüdlichtslos ausniigt und jeine
Grenzen im Oſten durd eine feite und tübne
Politik erweitert und fichert. Ich wage nicht
zu behaupten, daß wir bei ben Friedens—
verhandlungen, die tm Gange waren, ben rid:
tigen Weg eingejchlagen Buben: um Diejes
Biel zu erreichen.
In einer Hinficht ift es ohne Zweifel ber
Fall gewejen. ir haben den fidh je länger
je mehr zujpigenden Gegenjat atoijd)en den
Petersburger Wolfsfommiffaren und der
ulrainijdjen Rada nicht ungenußt gelajjen,
und — die Can en mit den
Herren Trogti, Goffe, Ramenew und Radel
burd) bie Schuld biefer Herren ben Charafter
einer Berjdleppungspolitif annabmen, uns
mit ben Bertretern ber Ufraine verjiändigt.
Der —— der auf dieſem Wege
zuſtande gekommen iſt, läßt ſich mit Recht
als ehrenvoll und vorteilhaft für den Vier—
verband wie für die Ukraine bezeichnen. Das
ſüdweſtliche und ſüdliche Rußland iſt aus der
Reihe unſerer Feinde ausgeſchieden und es
ſind wirtſchaftliche Beziehungen vereinbart
worden, die hüben und drüben ſchweremp—
panee Notitände bejeitigen werden. Unter
em Eindrud bieler Tatjade bat dann Herr
Trogti die Demobilifierung der gejamten
großrufliihen Front einfeitig proflamiert, |
was feineswegs einem Friedensichluß gleich:
fam und uns völlig freie D gab. Es
war ein Irrtum, wenn gefolgert ward, dağ
wir nunmehr gebunden jeien nod) das Abs
laufen bes Termins einzuhalten, der für ben
Waffenftiljtand unb deffen Kündigung urs
[prünglid) ausbedungen wurde. Herr Trogti
Si burd) fein einjeitiges Vorgehen alle frü:
eren Vereinbarungen aufgehoben, und jeine
Agitation, die auf Erregung einer Revo:
lution in Deutichland und Öfterreich-IIngarn
gerichtet ijt, bedeutete an fih einen Bruch
bes Waffenitillitandes. Das von den Peters:
burger Diaximalijten fortgejegte Wiiten gegen
alles, was in den Grengmarfen bes eher
maligen Raijerreichs Rugland fih nicht ihrer
tyabne angeldjlojjen bat, ijt ein Hohn gegen
jenes Programm vom Gelbjtbeitimmungss
redjt ber Völker, durch welches Lenin und
Trogti die Welt zu täufchen fuchten. Sie
ind nicht Staatsmänner, jonbern Männer,
ie bewußt bie verbrecheriichen Inſtinkte ber
Maſſen aus|pielen, um ihre Zwede zu er:
reichen. Diele Injtinfte, deren Gxijtena Graf
Leo Tolftoi ignoriert, find für fie Realitäten,
mit denen fie arbeiten, um Tolſtoiſche (5e:
banfen ins Leben zu führen. Den Staat
ohne Wiffenjdaft und Kultur, ohne (Eigen:
tumsredjte und ohne Regierung, haben fie
mit den Mitteln einer unerbórten Torannei
tatjadlid) in Rußland begründet. Dah er
fid behauptet, ijt — HOP, was ibn
ablöjen wird, ift bas
Zukunft.
ätjel ber rujliichen
(Beichrieben Mitte Februar.)
m „Kleinen Theater‘ der Reichs—
ee as fann man jebt allabend-
id) „Nante, vier Bilder aus dem
© 1 alten Berlin nach Adolf Glakbrenner”
jeben. Aber Herr Publifus, der jid)
hier durch bie zungengelenfige Schnoddrigfeit
des (denitebers Nante, die bejd)rántte Be-
bübigfeit bes Rentners Buffey und feinen
pfiffigen Sohn ‚Willem‘ bas Zwerchfell er-
Ichüttern läßt, irrt jehr, wenn er in Dielen
Bildern den echten, rechten Blaßbrenner, den
‚Bater des Berliner Humors‘, vor jid) zu
haben glaubt.
... Es ift bas Schiefjal jo manches Ga:
tirifers, namentlich in politijd)em Bezirk, daß
er im Laufe der Zeit mehr und mehr von
jeiner einftigen ‚Bösartigfeit‘ verliert —
im jelben Maße, wie die mit ihm lebendig
gewejenen Seitfragen und Angriffsziele einem
Ipäteren Gejchlechte fremd oder gleichgültig
werden. Go mancher, der feiner Zeit grim:
mig die Zähne zeigte und mit Iautem Klat-
iden feine Spottgeißel ſchwang, ift ber SE
welt nicht viel mehr als ein harmlojer Spaß:
mader, bem man bejtenfalls noch Scherz,
Satire, Ironie, aber faum tiefere Bedeutung
uerfennt. Das auffallendjte Beilpiel hier:
fir bietet der ſchärfſte und genialite Satiri-
fer aller Zeiten, Jonathan Gwift. Es
ift eine Zulturgejchichtliche Satire auf bie
Satire, daß fein boshaftejtes Hauptwerk
Gullivers Reifen im Lauf der Jahre zu
einem Kinderbuch geworden ift, das bie
Kleinen aller Lander noch vor Robinjon
Crujoe auf Dem Weihnachtstijch vorfinden.
Es ijt, wie wenn Rinder am Gtrande mit
einer angelpülten Mine jpielen; freilich find
die Zünder von einer vorfidtigen Zenjur ent»
fernt worden, nicht vor 1905 hat man es in
England gewagt, Swifts feuergefährlichen
Text zum erjtenmal nad) bem Wortlaut zu
druden.
Weniger die Denn als die Zeit, die ja
freilich bie unerbittlichite Zenjorin ift, bat
unjerem deutjchen Ableger von Jonathan
Swift -- wie alle Ableger iit er etwas
tleiner als der alte Trieb — Adolf Glaf-
brennerbie politijdjen Stacheln abgejtumpft.
Seine bedeutendfte Dung, den „Neuen
Reinefe Fuchs“, ber ſichtlich in Swifts
Spuren wandelt, fennen heute nur wenige,
und aud) in feinem verbreitetiten Wert:
„Berlin wie es ift — und trinft^ werden
weniger. die oft jehr jchneidenden politi-
Idien Geitenbiebe, die ohne wejentliche
PBaujen durch bie Luft pfeifen, beachtet, als
die gemütlich=behaglichen Bilder aus dem
e
D
Berliner Alltagsleben, bie Blaßbrenner mit
meijterhafter SBeobadjtungsgabe zu zeichnen
wußte.
Und ohne Frage liegt hier die literatur:
eichichtliche — Glaßbrenners. Was
Sep Reuter fiir Mecdlenburg, Klaus Groth
ir Holftein, Mart Twain für Amerika,
bas ijt Adolf GlaBbrenner für Berlin, er Bat
der bejonderen Eigenart des Berliner Hu:
mors in der Weltliteratur Sik und Stimme
verjchafft. Allerdings ijt es metjtens nicht ber
eigentliche Humor in Reinfultur, wie wir ihn
bet Cervantes, Didens, Reuter, Raabe und
Gottfried Keller finden, er ift zu ftarf mit
Satire verjchmolzen, um diejem eigentlichen
Urproblem des Humors, wie es Die parem
ten Dichter mehr oder weniger verfdrpern,
ang nahe zu tommen. Denn Humor und
atire haben wenig miteinander gemein;
im Grunde find fie Gegenfiipler. ährend
der Humor weltliebend, weltzufrieden und
fröhli auf bie Unzulänglichkeiten bes Le-
bens jdjaut, verjühnlich geftimmt durch den
erhabenen Anblid auf das Weltganze und
jeine Vernunft, lächelnd das Große im Klei-
nen und das Kleine im Großen erfennt —
2 die Satire eine verächtliche, boshafte
iene, mit richtendem Ernſt ober verbitter-
tem Spott geißelt fie bas Unvolllommene
und Berfebrte, fie ijt keineswegs verjöhnlid)
aeitimmt. Bejtenfalls ,madjt jte jid) Iujtig‘,
will aber ben Gegenftand ihres Wißes burd):
aus nicht [u|tig jeben, jondern ibm eins per:
leben, daß er es fühlt. (QGlapBbremmer hatte
für dieje feine Gatiren den Sednamen
Brennglas gewählt, bas ift im er
Sinne geijtreich: bet einer ge|djidten Umitel:
lung jeines Namens met dies Pjeudonym
zugleich auf die charafteriftiihe Art des
Blaßbrennerichen Wikes hin. Die Sammel:
linje des Brennglajes vereinigt- fo viele
Strahlen auf einem *puntt, St er zunädjlt
ungewöhnlich hell belichtet erjcheint, dann
aber beginnt bie Stelle zu brennen ... So
beleuchtet das ‚Brennglas‘ bie eigentlid)
faujtijdje Art bes Glaßbrennerſchen Wipes;
unter x“ vos verlteht ber Brieche nicht nur
das Wnbrennen, jonbern im Plural aud
bas djirurgiidje Brennen, bas Ausbrennen
von Leibesjdaden. Und es ijt feine Frage,
daß es bem ganz berlinijden Berliner Adolf
Blaßbrenner aut diefe faujtijd)en Wirkungen
feiner Schriften vor allem anfam, er war
mehr ein Kämpfer als ein CpaBmadjer.
Ein berlinijcher Berliner — es gibt aud
nichtberlinijche, und gerade unter ben Shrift-
jtellern ber Reidshauptitadt bilden fie bie
28*
428 E
Mehrzahl — ijt GlaBbrenner wie fein zwei-
ter. Er ijt dort geboren (1810), er ijt dort
gejtorben (1876) und von den Jahren, bie
gwijden feinem erjten und feinem lebten
Schmerz liegen, hat er nur den vierten Teil
anderswo — in Neuftreliß und Hambur
— Ap See ohne auch während btejer Zei
jeine Beziehungen, bejonders feine literari-
iden, zur geliebten Baterjtadt ganz abzu:
brechen. Jn der Leipziger SE in einem
Haufe, das damals bie Bezeichnung „zum
fliegenden Nop“ en allo gleidjjam an
ber Krippe bes Pegajus, erblidte er das
Licht; bie Mutter war eine echte Berlinerin,
8. Heft von „Berlin wie es tjt und —
der Bater ein geborener Schwabe, Befißer
einer Schmudfederfabrif. Auch hierin könnte
man eine jcherzhafte — des Schick⸗
ſals erblicken, wenige Schriftſteller haben
ihren Kollegen in der Mit- und Nachwelt
jo viele Gelegenheit geboten — und durchaus
erfolgreich — jid) mit fremden Federn zu
\chmücden, eben ben Blaßbrennerjchen Federn.
Tahrzehntelang haben feine Berliner Typen
und deren Ableger in Zeitungen, Wißblät:
tern und nicht zum wenigiten auf der Bühne,
das Wort ihres geijtigen Waters geführt; jo
hat ber Berfajjer von „Robert und Ber:
tram” bas ganze Geridjtsverhir Nantes
liebevoll nadjempfunben und bis auf ben
heutigen Tag tann man in [tánbigen Spalt:
eden einiger altberlinijcher Zeitungen Nach:
fommen bes Rentiers Buffen hinter bem
Weipbierglaje über Zeitereignijje ‚eine Lippe
riskieren‘ hören.
Shon in früher Kindheit hat Adolf Glag-
brenner als kleiner JBigbolb jid) unter feinen
Spielgenofjen Geltung verjdajft, und eine
ftarte EE Begabung verführte
thn, öfter als den Eltern und ehrbaren Tan-
ten lieb war, zur Nachahmung von Ange—
ae und Belannten bes Haujes in ihren
igentümlid)feiten. Auch eine bemerfens-
werte 9tebnergabe wird bem pausbädigen
Blondfopf aus dem ‚Fliegenden RoR nad-
gerühmt, fie war es wohl, die ihn zu bem
Wunjd) — Paftor zu werden ver:
anlaßte, einem Wunſch, der nur
burd) zeitweilige Schwindjuchts-
eriheinungen des väterlichen Geld:
beutels vereitelt wurde. Auf Dem
Sriedrichwerderihen Gymnnajium,
bas Adolf bejuchte, jchloß er früh
Freundſchaft mit bem nur ein Jahr
jingeren Karl Gubfow, fie bat thr
Leben lang durdjgehalten; beide
fühlten fih ja früh zum Tagesjchrift-
tum und zur regen Teilnahme an den
politijden pes SE bingezogen,
beide find auch in ungefähr gleichem
Alter ge|torben. Gutzkow erzählt
in jeinen „Erinnerungen aus Der
Rnabenzeit” mandes gemeinjfame
Erlebnis mit GlaBbrenner, jo von
Ces nabeltiefen Badegelegenheit im
eidjbilb ber Pante.
Auch Heine literarijdje Neigungen
Beim die beiden Schultameraden zu-
ammen, (djrareime und Ga wc
verje auf unbeliebte Mitjchüler oder
Lehrer ent[tanben zu gemeinjamem
Ergögen und nährten den Hang zur
Satire, ber ja aud) bei Gutzkow früh
literarifch fih betätigte (feine „Briefe
eines Narren an eine Närrin“ jchrieb
er mit21 Jahren). Leider tonnte aber
Blaßbrenner aus den angeführten
Gründen feinen lebhaften Wunſch
die Univerfität zu beziehen nicht aus:
führen. Er wurde Kaufmann, ar:
Berliner Schnapsläden. — zum pond in beitete jebod) in feinen Mufeftun-
ben mit eijernem Fleiß an feiner
wiljenjchaftlichen Ausbildung, jo daß er, als
die Verhältniſſe fic) bejjerten, die Uni-
verjität beziehen fonnte. Inzwijchen aber
hatte er ſchon mit Zeitungen und Zeitichrif-
ten Fühlung gejucht, einzelne Kleine Beiträge
in Berjen und Proja, bie er unter anderem in
dem von Saphir herausgegebenen ‚Berliner
Courter’ veröffentlichte, Torben Beifall und
ermunterten Adolf jdjot mit 22 Jahren
fid) ein eigenes Organ zu gründen, Das
Sonntagsblatt „Don Quixote”. Das Nene,
bas Glagbrenner hiermit jdjuf und während
feiner ganzen Tätigkeit als Schriftiteller ge-
treulid) weiter entwidelte, war, wie jchon
oben angedeutet, die Einführung des Ber:
liner Volfswikes in bie Politif und Litera-
tur. Diejer Berliner Bolfswik war bisher
pex: 38393932] „Der Bater des Berliner Humors” Lee ze 429
nur eine Kellerpflanze oder bejtenfalls ein
Gajfenjunge gewejen. Glaßbrenner ftußte
ibn joweit zurecht, daß er jid) aud) in bejjerer
Gejelljchaft jehen lajjen fonnte, er ſtärkte fein
Selbjtgefühl, indem er ihm flarmadte, daß
er das eigentliche ‚Genie bes Berlinertums‘
jet. Da nun der Berliner Wik nicht auf
den Kopf gefallen ijt, erfannte er das Rich:
tige und Zeitgemäße in Glaßbrenners Mah:
nung und — wie Fedor Wehl einmal in
einer Studie über (QGlaBbrenner treffend
jagt — : „Er fing von.da an, fid in alles
zu mijden, was in Berlin pora. Er
jeBte fid) mit den Stammgäjten der Kneipe
u ber ‚fühlen Blonden', jchlich Déi ins
heater ein, troh dem Prediger in den Jr:
mel feines Talars, dem Staatsrat ins Porte:
feuille, dem Schriftiteller in die Feder, bem
jungen Mädchen m die Wangengriibden,
ja, es gab eine Beit, in der er fogar cour:
[091g war und verjtohlen unten an ben Stu:
en des Thrones hodte.”
Leider war in der damaligen politijden
Stidluft ein jo frijches, übermütiges@ejchöpf
wie diejer „Don Quixote“ unmóglid) es wurde
ſchon 1833 wegen jeines
politijden Freimuts ver:
boten. Aber, wie Glaf-
brenner in feinem „Dlär: -
den vom Geift“ febr
hibjd entwidelt: der
Geijt läßt fid) nicht fam
gen und niht bütteln:
„Bott der Herr wird nun
und nie Seinen Beilt auf:
eben.“ Suchen ibn bie
Büttel auf ber Straße
oder in den Häufern zu
fangen, ijt er felbjt tn
Rellern und auf Dächern
nicht feines Lebens der,
ei, |o —:
.Geift ſchlüpft in ein Kleines
Dedt fi
Sider ijt er ba genug,
Wie fie jpábn und blättern.”
Dies ‚Heine Bud‘,
in bas fid) ber Glaß—
brennerjche Spöttergetit
vor feinen Häjchern fluid:
tete, erichien 1832 unter
dem bald berühmt gewor:
denen Ramen „Berlin,
wie es ijt — und trintt“.
(fs fand mit feinem
ichlagfertigen Wik, fei»
nen unerjchöpflichen Gin:
fällen in Der Sprache
der Berliner Drofh ten:
tutider imd Höfer:
weiber weit über Die
Grenzen Berlins und
ud),
zu mit Lettern;
muntert, liep Glakbrenner Heftchen auf Heft:
chen folgen. Bald war fein Edenjteher Nante
eine jo weltbefannte fomijche Figur geworden,
wie jpäter Reuters Snjpeftor Brajig. Und
bod) war gerade bieje Gejtalt nicht ganz
Glagbrenners Eigentum. Ytante hatte viele
Väter. Aus Holteis ,Trauerfpiel in Berlin“
und aus einer Wiener Lofalpojje: „Staberls
Reijeabenteuer” hatte der befannte Komiker
Bedmann jid) einen Nante für das König:
tädtiiche Theater zurechtgezimmert; im
Martijden SUtujeum fann man ihn — in
einer Ctatuette in Eijenguß, wie aud) in
ber bier wiedergegebenen Lithographie von
I. Shoppe — in biejer Maste jehen. Aber
es ijt feine Frage, dak Glagbrenner, der
Unerichöpfliche, diejer Gejtalt jehr viel von
Eigenem gegeben bat. Ja, in der Geltalt
bes Nante und in denen der Berliner Höfer:
weiber maht ber GlaBbrenner|dje Humor
— bier ein wirklicher, volfstiimlicer Humor,
ber bod) über ber reinen Satire [tet — feine
ansgelajjenften Sprünge. Ich laffe eine der
luftigften Szenen, Nantes Verhör, bas aud
in der erwähnten Darjtellung bes. Kleinen
Theaters weidlid) aus:
gebeutet ift, bier als
Roftprobe folgen:
Szene: Bimmer des Al:
tuarıus. Der 9Iftuarius fit
an einem Tiſche und jchreibt.
Mante fteht vor ibm, er will
jeinen Schnapswirt verfla-
gen.
ane Wie nennt Er
i
Nante: Du!
Altuarius: Was foll das?
.. Mante: Na ja! Du nenn’
id mir. Sd mer bod) nid)
gu mir bórenjemal jagen!
‚Altuarius: Wie Er heißt,
will id) wiſſen.
Mante: Wd fo, wie er
beißt? Ja! Karnaljenvogel
beipt er.
Altuarius: Was? Mad)’
Er teine C üpe bier.
ante: ott bewabre,
wo werd’ id) mir denn fo-
was als Untertan unter:
fteben. Er beißt Rarnaljen:
vogel, Der Wirt von Dem
Sdnapsladen, den id bier
anbangig maden will. Er
Dragt nämlich immer eine
jelbe Jade un eine jchwarze
Kappe uf ben Kopp, von be:
rowejen nennen wir ihn Kar:
naljenvogel. Natürlich, er
pfeift ood) zuweilen eenen
oder mehrere.
Altuarius: Sd) frage ja
SC wie Er heißt (deutet auf
ym).
Rante: Ah jo, wie id
heiße! Aha! Id glaubte, Sie
meinten ihm, weil Cie Gr
jagten; entiduldigen Sie!...
Meine Kameraten nennen
mir: Nante, der jebildete
Lulei.
Altuarius: Geboren ?
Ytante: Gu, jeboren bin
Brandenburgs hinaus
eine Aufnahme, die für
damalige Zeit bei|piellos
iit. Durch den Erfolg er:
Bedmann als „Edeniteber Nante”
Farbige Lithographie nad) einer
von Julius Shoppe Im Marti}den Mu:
feum zu Berlin)
id. Je suis!...
Altuarius: Ich frage: wo
Er geboren ijt?
Yiante: Ach fo fo, wo?
In de Roßitraße, aber als
eihnung
430 PESSE Sort Streder: „Der Bater des Berliner Humors” BZZ
Menih. Seitdem id verheirat't bin, wohn’ id in Blaßbrenner Battein ben Gejpraden diejer
DE SIEGE rg Berliner Bolfstypen nun eine Form gefun-
Nante: Na, das jeht nod, wie Cie fehen. Gen Den, in Der er auch feine politijdjen Gedanken
te unen » PAR cree wd äußern konnte, ohne daß bie Zenjur ibn des-
t t, n, es ts . .
Attuarius: Wie alt ift Gr? wegen fajjen fonnte ober wollte; der Scherz
Mante: Ad in dieler Hinficht, wie? Ja — Sie Hat ja jelbjt bei einer jo grimmigen Behörde
la — Ki isis — Reker einen Szreibrief. Gerade der Mut, feine
) raucht i R s . fi
ehe fe eens älter wird. Achtunddreißig, Herr Juftiz ; Überzeugung unbeirrt und jelbjt unter man:
id bin jrade mit's Jahrhundert uf die Welt jetom: Mer Mißhelligfeit, die ihm daraus er:
Mock id und vas Yenthunnert we Aged Satinas, wuchs — er wurde 1850 aus Medlen-
Morjen is mein Geburtstag, wenn Sie mir viellei . . >
wat ee wollen, da wer id er burg ausgewiejen und lebte bis zu feiner
. Altuarius: Tummtopf! Wenn Er adtunddreipig Riidfehr nah Berlin in Hamburg —
E n RERUM poss, Gehen. weht (NUURQNM ande cle
Herr Juitiz, aber id will Ihn’n fagen: ma wird zu Menſch zu einer ſo liebenswerten Perſön—
alt bet die jewöhnliche Art Rechnung mad) Adam lichkeit.
Niejen. Sd päble jebt wieder zurüd, Damit mir bie Sch habe hier weder den Raum noch bie
Gacie mar Jo keet Ablicht, ein ausführliches Bild vom Leben
Nante: Ja, verjteht fic)! Wo wer’ id denn teene UND ae Adolf Glaßbrenners zu geben.
Reljon haben! In Preugen!... Wenn't uf met, Mer fid) darüber näher unterrichten will,
nen ie anfommt, bin id en Jude, aber jedoojt fann in einer Heinen Skizze von Rich ard
evangelich. ; : —
— Was war Er, bevor Er Eckenſteher Schmidt-Cabanis und vor allem in der
wurde? umfaſſenden Monographie von Dr. R. Ro—
Nante: Menſch! Immer un ewig Menſch.
Wenn Sie übrigens meine Lebensbierjeoira be denhaujer leinen Wiſſensdurſt ſtillen. Am
willen wollen, bie können Sie aud) jenießen. Kurz beſten aber wird er tun, wenn er des
drauf, nahdem id Menſch jeworden war — (er zieht großen Berliner Humoriſten Schriften lieſt.
die Schnapsflaſche heraus) entidhuld jen Ste! mir Sie ja en mehr als alles, was jtd über
durichtert, bes viele Reden, jreift meine unjewohnte X g M Th d
Kehle an — turg darauf aljo, nahdem id Menjd fie Jagen läßt. Das bidjterijd) wertvollite
jeworben war, un natiirlic, bie erfte elterlide Keile Werf Glabbrenners ift bas fomijde Epos
des Lebens über|tanben batte, jchidte mir mein Der neue Reinete Fuchs“. Hier ift e
Bater, uf franzöfilch: mon père, in bie Schule. Hierin ”, —S d x „er
lernte id) niſcht — und wurde mit einer Benjurund ein wirklicher Dichter, ber oft durch feine
viel Keile baldigit entlajjen. Das war jut, was ppetiidbe Storm und dur einen ilder:
nun? Nun ftarb mein Vater und meine Mutter jung p Ihe 3 d! Bilder
ins Ausland, vielleicht nad) Schöneberg, indefjen reid)tum überraſcht. Freilich iſt N. hier
unjemiB. Das war aud jut, was aber nun? Nun aud) mehr als in feinen Projajlizzen aus
überließ id mir jelber und jtudierte Straße, zettadier: dem Berliner Moltsleben der unerbittlid)
ic USE GtraBenfunge — ulm. ath ſcharfe politiihe Gatirifer, ber er im
Ziele Verhörſzenen find eine befondere Grunde immer blieb, mag er unjerem
giebbaberei Blaßbrenners, fie tommen ähn: Geſchlecht aud) mehr als der lächelnde
lich wiederholt in feinen Schriften vor und Gpakmader, ber wikige ‚Water bes Ber:
immer find fie bejonders gelungen. liner Humors‘ erjcheinen.
Mein Vaterland das lob’ id) mir! In Deutichland unter Einen Hut
Man bringt nicht viele Köpfe bier Und das ijt für Die Hüter gut.
Koloriertes Titeltupfer von Th. Hofemann im 27. Heft von „Berlin wie es ijt
und — trinkt“: „Bilder-Schilder ober Sdilder- Bilder“
Neues bom Biichertifd) e
Bon Karl Strecer
O€teeteeeccecececceecccecccecceeceecceecceccececccccc(e ec IIIIDIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII39390
Gerhart Hauptmann: Der Keer von Goana (Berlin, ©. Filher) — Franz
Nabl: Das Grab bes Lebendigen (Berlin, Egon Fleijdel & Co.) — Carl
Sternheim: Poſinsky (Berlin, Sjeinrid) $odjitim — Theodor Däubler: Wir
wollen nidt verweilen (Dresden, Hellerauer Verlag) — Rafimir Edſchmid:
Das rafende Leben (Leipzig, Kurt Wolff)
Hauptmanns war bisher bes
wundernswerter als feine epijche
Entwidlung. Bor mehr als dreißig
Jahren jchrieb er feine erjte Crs
Bahnwärter Thiel (1887), vor
ablung:
La Jahren feinen legten Roman Atlan:
tis (1912), fünjtlerild) unbedeutender als
jene Erzählung und Ian vor bem Ozean:
dampfer, ber Darin nntergebt, verungliüdt.
Dazwiſchen ragt ber jtarfe Narr in Chrifto,
Emanuel Quint auf feinem Kalvarienberg
hod) empor, eine ber reiflten Schöpfungen
des Dichters; aber zu ihm führt (von feiner
fizzenhaften Worjtudie ‚Der Apoſtel“ ab:
sehen) ein Zeitraum von dreiundzwanzig
abren, in denen der (piter Hauptmann
völlig verftummt war. Nun tritt er wieder
auf den Blan mit einer Erzählung Der
Reger von Goana, und wir erfennen
in ihr eine Dichtung voll geiammelter Kraft,
epilcher Ruhe und Schönheit — ein Zeichen,
daß von einer ‚Berbrauchtheit' bieles Poeten,
bie uns jeine Gegner einreden wollen, nicht
die Rede fein tann. Hauptmanns novelle-
lijtije Klein» und Feinfunjt, bte feine Sra:
men jo oft in ihrem Fluß hemmt, ber er
— in Atlantis eine jchmerzhafte
nnäherung an die Bervolljtändiqungsjucht
eines Neporterberichts nicht verwehrt, zeigt
fih bier aufs age: geichliffen, gefeilt,
poliert, ohne jid) bod) dem quellenreinen
Strömen dichterijcher Bejeelung zu verfagen.
Was an der Erzählung auszujegen iit,
wollen wir vorwegnehmen, um nachher uns
geltort bei ihren Borziigen verweilen zu
önnen. Gelbjtandigfeit der Erfindung war
nie Gerhart Hauptmanns Stärke; in letter
Zeit |deint er mehr noch als früher auf
dieje Eigenjchaft zu verzichten. An feinem
legten Drama, der Winterballade, hatte
Gelma Lagerlöf [tárferen Anteil als der
Dramatiker, und in der vorliegenden Erzäh—
lung folut er jichtlich den Spuren von Zo—
[as La faute de l'abbé Mouret. Bei Sola
wird ber fromme Priefter Serge Mouret,
beraujdt von ben Urwalddiijten bes (Gar:
tens ‚Le Paradou‘, erglübenb in finnlicer
Liebe für Wibine, die unjchuldig » Ichuldige
Tochter bes Wächters, ein arger Sünder —
bier ergeht es bem jungen Prieſter Raffacle
$jrancesco genau jo, nur dah ibn der er:
wadende Frühling an den herrlichen Abs
hängen des Monte Generojo von feinem
dürren Brevier und jaro Weihraudduft
zum Grünen unb 3Blüben der Natur betehrt
unb Daß ber Raufd bes Lenzes ihn in die
Arme einer zujammengejegteren Schönen
treibt, ber Agata vom Berge, bie aus einer
Geldywijterbelledung hervorgegangen ift. Die
Unflange an 3olas eigentümlichites und in
feiner Art jchönjtes Wert — üppig [trotenb
von ber Phantajie eines bier unverfäljchten
unb unverjtellten Romantifers — find deuts
lid) und zahlreich. Go [timmen beide Dichter
darin überein, daß fie entjchloffen die Uppigs
teit ber Naturjchönheiten zur Rupplertn
maden. Da heißt es bet Hauptmann:
„Sn fatter Fülle raufchte der Waflerfall, fein
Braufen Hang voll und jchwelgeriich... Wo gab es
da irgend etwas in ber Watur, das nicht in ber
Wandlung des Lebens begriffen und das ohne Seele
war: etwas, Darin nicht ein Drangender Wille fid)
betätigte?... . Ziſchten nicht und bewegten fid) nicht
bie Blätter ber Lorbeer: und Buchendidichte, wenn
er im Borübergeben fie ftreifte?... Wo alles quol,
wo alles puljierte, jowohl in ibm, als um ibn bers
um... Er berübrte den Stamm eines Rajtaniens:
baumes unb fühlte, wie er bie Nahrungsſäfte durch
(id) empordrängte. Er tranf Die Luft wie eine leben:
dige Seele... Jeder Grashalm, jede Blume, jeder
Baum, jedes Wein: und Efeublatt waren nur Worte
einer aus bem Urgrund des Seims aufflingenben
Sprade, bie in tiefjter Stille felbjt, mit gewaltigem
Braujen endete.”
Noch deutlicher wird bie Whnlidfeit, wenn
lich ber Prieſter „als alleiniger Adam, alleinis
ger Herr des Gartens Eden“ (bei Zola
Je Paradou‘), „in der Fülle jündenlofer
Schöpfung“ fühlt:
„Bejtirne zitterten, himmliſch Mingend Glüdfeltg:
teit. Gewölke brummten wie jchwelgerijch weidende
Kühe, PBurpurfrüchte ftrömten jüße Entzudung und
töitliche Labung aus, Stämme jdwigten duftendes
Harz, Blüten ftreuten fojtlid)e Wurzen: allein dies
alles hing Dod) von Eva ab, bie Gott als die Frucht
der ;Früchte, bie Würze ber Würzen zwiichen all
dieje Wunder gelegt hatte... Aller Gewürze Duft,
ihre feinite Eſſenz batte ber Schöpfer in Haar, Haut
und SFruchtfleiich ihres Körpers gelegt.... Und
Adam zog feine Schuhe aus und trug feine Eva
dort binüber... Und fie zertraten Narziilen und
Diterlilien mit Dem ſchweren, faft trunfenen Gang
der Liebenden.“
Dies alles flingt beinahe wörtlich an jene
Erzählung 3olas an, die freilich jo ungolaijd
wie fein anderes Wert von ibm ift, ganz
vereinzelt in dem Diirren Naturalismus,
ein jchwelgerijcher Romantiferranjfd. Schon
in feiner erjten Novelle Bahnwärter Thiel‘
wandelt Hauptmann in Zolas Spuren, dort
nod) rein naturalijtiich, inzwilchen hat er
(id) weit von ibm entfernt und im Reger
von Coana' erweilt er fih als ber reichere,
439 PEETESSTISSZESTI Karl Streder: ERS SCHE ege
mannigfaltigere Dichter von beiden. Für
‚höhere Töchter‘ find beide Bücher nicht zu
empfehlen, bas fei ausdrüdlich bemerkt, aber
Hauptmann, obwohl er dem Bewagteiten
nicht aus dem Wege geht, ift bod) ganz der
germani[de Dichter tm QGegenja& zu dem
romanijdjen, er vermag eine gewijje Keuſch—
heit nod) im SHeiteljten zu bewahren. Zu
Anfang jdjeint er Mühe zu haben, feine Er:
ählung in Fluß zu bringen, bier ijt die
Sprache mitunter jchwerjällig, jchleppend,
auch ftört das unbebolfene Sich: Borjtellen
bes Erzählers als „der Berfaljer“, „der Her:
ausgeber diejer Blätter“, „der Beſucher“ oder
„der Ílbermittler diejes NReifeabenteuers“.
Man wird an den ,Chroniften’ in Emanuel
Quint erinnert, ber aud) hichjt überflüllig
iit Aber bald fommt Hauptmann über
diefe kleinen Mängel hinweg, die Erzählung
beginnt kräftig zu raufden. Hie und da er:
innert nod) eine untünjtlerijdje Anhäufung
pon Adjeltiven an feine Atlantis: Berirrung,
aber das ijt nur au Anfang, wo wir an
„ſchmutzigen, fenjterloien, fellerartigen Höh-
len“ vorüber zu Herrlidfeiten einer gereiften
Darjtellungstunjt gelangen.
Die Tatjahhe, dak Hauptmann mit dem
Reger von Goana: im vollen Saft bes
bicbterild)en Schaffens [tebe, folte den Gpi:
ter in ihm ermutigen — zu neuen Ufern
lodt ein neuer Tag. Wir folgen in biejer
Erzählung mit vollem Herzensanteil (ents
üdt von ber poetilden Geftaltungstraft)
einem Reger burd) alle Verjuchungen, durch
ein tiefes Liebesgliid und freuen uns ber
Entichlojfenheit, mit ber er feinem Zwei:
bund ein freies Reidh in den Bergen grün-
dete, bei Herdengeläut und Lawinendonner.
Wir fhauen mit ihm von den Hängen des
Generojo auf bie tiejblauen Geen von Au:
gano, Como, auf den Lago Maggiore, hin:
über qur filberblinfenden Alpenfette, hinab
auf bte fruchtreiche lombardiidye Ebene und
wir hören Durch Dies großgeartete Reidh der
Erhabenheit und der Schönheit bas ewige
Lied vom mächtigen Eros, der älter war
als alle anderen Bötter, wie Vater Heliod
und die orphijde Lehre fünben, der jünger
ift als alle anderen Götter, wie bas Leben
täglich lehrt.
Won jo freiem Ausblid hinabgeftiegen —
plótlid) eine unabjebbare Ebene durchwan—
bernb, Die feinen Blid in die Höhe, feinen
in die Tiefe gewährt, nur bes Alltags nüd:
terne Gegenitände ant Auge voriiberfiihrt
— fam id) mir vor, als id) nad) Hauptmanns
Erzählung ben Dicbandigen Roman von
grana Nabl: Das Grab bes Leben:
digen burdjaderte, Faft jedshundert eng:
un Geiten, darunter manchmal vier
is fünf hintereinander ohne einen 9[bjat!
Und was erzählt wird, ift anjcheinend bie
alltáalidjite Geichichte von ber Welt. Ein
Injpettor, in jeder Hinlicht ein muftergüls
tiger Staatsbürger und vorfdriftsmapiger
Beamter, hinterlakt bei jeinem verhältnis»
mägig frühen Tode eine kleine Familie, bie
fid) nun allein im Leben zurechtfinden muk.
Gie tut es, indem fie (id) gleich einem Böll:
den Rebhühner eng in einer Furche zujam:
mendrüdt und nach der Welt wie nad
einem Habicht blingelt. Die unbedeutende
Mutter überläßt ganz der neunzehnjährigen,
blutarmen Sojefine die Führung, und aud
die beiden anderen Rinder, bie ſiebzehnjäh—
rige Anna, ein einfaches, guthergiqes Mäd—
chen und der verfrüppelte Walter Figen jid)
ihrem berrijden Willen, der alles frem’ e
von ihrem Familienring fernbilt. Cie met
einen freilid) jchon etwas bejahrten und
wunderlichen Freier Annas ab, rettet eifer:
KO ben jungen Walter vor erotilchen
erlodungen unb als allen biejen Torwäch:
termaßregeln zum Trog ber arme Junge,
ber allein in der Familie mufijd) veranlagt
ift und unbezwingbare Gebnjudt nad) bem
bunten Leben bat, unrettbar in ein Liebes»
neg verjtridt jcheint, ba greift bie erregte
Sojefine zu einem wunderlichen Mittel, ibn
dem häuslichen — — zu erhalten,
fie ſchließt thn tn den Keller ein und hält
thn, ſchwachen Proteftverjuchen der Mutter
und Schweiter gegenüber fiegreich, jtreng ge:
fangen, Als die Polizei darüber fommt
und ben (ingeferferten befreien will, madjt
ofefine einen Mordverjudh an thm; als der
miplingt, erbüngt fie fth. Die berztrante
Mutter ftirbt in der Aufregung. Die beiden
übrig Gebliebenen Walter und Anna halten
nun thr Leben hindurch treu gujammen, in
fleinem, anjprudlojem Rreije, in bem aud)
bie paar alte Befannte aus früherer Zeit
reunblid) wieder auftauchen, leben fie gus
rieden und bejdaulid), wie gliidlid aus
em Gchiffbrud) Gerettete, dahin.
So nüdjtern und jadhlid der Roman aus»
Hingt, tft auch bie Sprache, die jid) felten
nur zu bem be|d)mingten Tonfall dichterischer
Erregung emporbebt. Und bod) ijt Nabi in
jedem Augenblid gang bei der Sache, oder
i ei den Dtenjchen, bie er darſtellt.
Er bat bie große epiidie Ruhe, bie heute
jo felten unb barum getabe jo wertvoll ijt.
Er bat bie große Einfachheit bes geborenen
Graüblers. Er läßt nicht das gering e
Ctridje[den außer adt, bas zur völligen
Abrundung jeder einzelnen Beitalt, zur jiche:
ren Begründung jedes CEreignijjes nots
wendig tjt. Wie ein im Grunde fo [pieB:
bürgerlides Mädchen zu einer [o unge:
—— Tat kommt, daß die anderen
amilienglieder ſich ohne erwähnenswerten
Wideritand Dareinfiigen, ijt von den eriten
Anfängen des Buchs mit taujenb feinen
Stridjen, bie Icheinbar adjtlos gezogen find,
begründet und wabridjeinlid) gemadjt. Ich
babe mir von (eite 29 bis 448 Dreiunb:
zwanzig Punkte notiert, bie zur Charafte:
rijtif ber Joſefine beitragen und mit ficherer
Hand zur Kataftrophe binjübren; ähnlich
verhält es fih mit Walter, Dellen weiche,
jehnjüchtige Seele zwilchen den drei Frauen
verfümmert. Es (Cd alles. Die Bor-
Gelcdicdte ijf etwas gu lang ausgejponnen
UDIZIT UGA ↄqjyuioꝙ aojoicljobao waq pu snuo; : ujaog; ur SUNAM PLIL -13102 saq Bungismaanaıg IMJ)
seess Neues vom Biidertifd 433
und reidjlid) nüchtern; trotbem lieft man
ohne Ermüdung weiter, denn man fühlt bie
Liebe des Verfaſſers zu jeder Kleinigkeit
(und er ift unendlid) reich an Kleinigkeiten),
jeine ‘Freude am Erzählen, fein zähes Ein:
dringen in jede Lebensgelle, die Kunſt ber
Icheinbaren Runftlofigteit, die Schlidhtheit des
an Überfluß Gewöhnten, die ftarfe Krone,
die auf jtarfe Wurzeln deutet — fur eine
nur bem aufmerfjamen Beobachter fid) voll
erjdjlieBenbe Gediegenheit und Ctürfe, wie
man jie in unjerem aufgepeitichten und haſti—
en fteraturgetriebe felten findet. Dabei
ijt Nabl Ojterreidjer — man glaubt es taum,
wenn man die müde Weichlichkeit, Cd)wür:
merei und überwade Beobachtung der
Wiener Schule tennt. ` d
Damit fjol ben Ojterreihern nichts Böfes
nachgejagt werden, bie Modernitis ijt heute
im Norden wie im Güden zu finden. Da
jüllt mir ein jchmales Bänddyen, das fid
zum Nablſchen Walzer wie eine Cpigmaus
zum Elefanten verhält, in die Hand: Bo:
instr, eine Novelle von GarlSternheim.
Sd) leje ein paar Geiten, bie in einem ver:
renftem, geradezu unjinnigen Deutſch ges
Ichrieben find, und bin ſchon im Begriff,
das 3Büdjeldjem mit einem leijen: „Sold
Sdund wird nun gedrudt“ in bie Ede zu
werfen, als mit eingällt: bieler Herr Sterns
Heim ijt ja ein berühmter Diann, wenigitens
wenn man feinen Freunden, Trabanten
und Bejchöpfen glauben darf. Er ijt an
drei Berliner Bühnen geipielt worden, und
in einem angejebenen Literaturblatt las ich
ping|t: „Die Jugend podt wieder am die
Tür, die Jugend um Carl Sternheim.” Da
wollen wir bod) jehn ...
Gleich zu Anfang heißt es:
„Aus ber wohlhabenden Geliebten Mittel“ (fol
dicen Mitteln) „batte bei ihren Lebzeiten jo reichlich
Broviant er in bie gemeinjame Wohnung geitaut,
daß leibliche Berlegenbeit, bie im vierten Kriegs:
jabr rings fdon peinli wurde zu rajd)er Tat,
überjtürzten Ruderidlagen ihn nicht zwang... Sept
aber jpreizte entfejiclt auf Liegegelegenheiten er
Glieder und war beichämt, nur ein Arm- und Bein:
paar zu haben... Nicht die leileite leibliche Regung
unterdrüdte er, jondern jteigerte jie in allen Stationen,
und in jeder monumentcte ichließlich natürlicher
Transformismus... (Gewolfte Volabeln madhen
nur unfähig, im Kosmos finnlid) Borhandenes bis
in den Kern zu greifen... Menn 3ebntel aller ge:
Ihichtlichen Heldentat, leuchtete Poſinsky plötzlich ein,
waren Folge von Unterernabrungsjujtanden geweien
... Was liegt Hungrigen naber als jid) zu jattiqen?
Da tlaffte mit blutigen Streifen leit: Hirn
... Uber Diejer Ginbildung vergaß einen Mugen
bli ganz feinen friichen Grimm Poſinsky und, bes
JBieberfauers Boritellung bingelunten, vergewaltigte
Neid ihn mit bem bevorzugten Rindvieh.. “
‚ Das find nur ein paar Etichproben. Go
dichtet Carl Sternheim. Er jdjlbert in
diejer verframpften Sprache, bie auf bedent:
lichen geiftigen Verfall jchliegen läßt, einen
widerliden Didwanjt vonsyamiter, der durchs
Fenſter und durch ein Gudlod) in der Wand
die Tragödie eines hungernden Schaujpieler:
párdjens beobachtet. Es fommt zu einem
itilen Rampf zwiſchen ihnen:
„Erweiſen follte fid, wie ber Gitgelpeiite den
Schledternahrten bei (Glaubens gleicher Inbrunſt
immer leicht abid)mettert und im Hui vernichtet.
Cdon früh am Wlorgen fott und briet am offenen
Feufter in vielen Topfen Poſinsky lederes Aler—
lei. Ein feiner Zwiebelduft, ftrenges Gewürz Me
eindringlich zu bem Faſtenden Hinuber. Dem Ko
felbit lief aus taujend Warjen Wajjer in Stürzen
über ben Gaumen; bes suriedenden Zunge aber
Dadjte er fid) bis gum Mabel berausbüngenp."
Das ift der Geijt Carl Sternheims, „um
den die Jugend podjt", Und Deler jelbe
gerr Gternbeim erdreijtet fidh in eben diejem
uch, Friedrich Schiller Jo zu charafterijieren:
„Beitelzte Ritterichläge, Dolditöße und Herzbe—
teuerungen; das geichwollene Gewald in ſchlechtem
GSeutidj... Es erichten ibm, je länger er quirlend
und rübrend nad)dadıte, bie Tatiadye um jo wider:
wärtiger, jemand folle ein Redt haben, an fid) aus:
geiucht albernes Zeug in fo bhodtrabender Sprade
nod unter heutigen Umjtanden dem Publikum vor:
autragen und es von dringenden Dingen zu feinem
Sdwadhlinn binzulenten. ber der Komvdianten
Strafvarteit, Die fid) zu folder Verrücktheiten Ber:
fiinDern machten, gab es feinen Zweifel. Schuldig
mit ibnen aber waren aud) Obrigteit und Bühnen:
vorjtände, Die ben romantijden Daleinsfalichern
eine Exiſtenz ermöglichten, ftatt, Daf durd Hunger
je jdjneller verredten, Gorge zu tragen. Unwider—
teblid) reizte thn der angehörten Wersreiben Ber
logenbeit, ein paar jajtige Gemeinheiten in die Luft
u fprengen ... Seit Jahrhunderten wurden fo
ölter verblödet. Dem Pöbel jtanb vor größtem
Jloniens bie Schnauze ftill, wurde er nur gereimt
und gebundener Spradye vorgetragen...“
So Herr Sternheim über Friedrich Shil
ler. Sede Bemerfung dazu würde nur die
Wirfung abihwächen. Damit uns nicht bei
längerem Verweilen vor biejem Bud, Übel:
teit beichleiche, wenden wir uns ſchnell wirks
licher Jugend zu.
fiber das ‚Allerneueite‘ in der Literatur,
bie ‚Allerjüngjten‘ aud) einmal ein Wort:
lein zu hören, ijt ja wohl ein billiges Ber:
langen bes Lejers. Sch fege als befannt
voraus, daß bie vorlegte literariiche Mode,
der Smpreilionismus, die Eindrudsfkunft,jchon
veraltet und abgelöjt ijt von dem Expreſſio—
nismus, der 9lusbrudstunjt. Freilich tann
ich nicht dafür bürgen, daß wenn dies Heft
ausgegeben wird, aud) bie legte Mode nicht
jhon überholt ijt, etwa vom Gxplojioniss
mus (ein Herr Kofojchfa vertritt ihn jhon)
oder von dem Tadaismus, hergeleitet aus
dem finnvollen Dada‘, dem eriten Stame
melwort des zur CErfenntnis aufdänımern:
ben Gäuglings.
Das i| fein billiger Cdjera; jo etwas
gibt es. Und wir wollen uns biiten, ledig:
lid) darum, weil es uns befrembdet, von
vornherein das Neue abzulehnen. In ber
&unjít wie im Leben gilt bas (eje ber
Blutauffrifchung, und wer dort, wo der Vors
rat aufgezehrt ijt, neue Güter bringt, gleich:
viel weldje, darf zum mindeften erwarten,
daß man fie ohne Vorurteil wägt. Die Li-
teratur ift fein Stauſumpf. Nur ein ángit:
licher Baumeijter ColneB, der nicht frei von
Schwindel ijt, hütet fih beim Wnllopfen der
Jugend fröhlich Herein!’ zu rufen. Wer
Dh innerlid) jung fühlt, der grüßt bie neue
Yeidenjchaft, wenn jie anjtürmt, fampft, irrt,
erobert — auch fie wird ja einmal (meift
durch Zugeltändnijje) zum halben oder gan:
zen Siege gelangen, dann riede machen
434 IEA Karl Ctreder: Neues vom Büchertiſch ——
und |don bejorgt fein miiffen, bas Erwor:
bene burd) — vor Niedergang und
TER gu Ihüßen... Go ijt bas
eben.
Es fei hingewiejen auf zwei Bücher aus:
brüdlidjer Wusdrudsfunft. Ihre Titel rufen
laut: „Wir wollen nidyt verweilen!“ und
„Das rajende Leben”. Man benft an den
‚Sturm‘, an ‚Die Aktion‘ — und hat jogleid)
bas Weſen bes Expreffionismus vor Augen,
es heißt Bewegung, worunter feineswegs
das Tempo einer Schnede zu verjtehen ift.
Vie Bilder des ‚Sturms‘ darf man jreilid
nidt von ber Lfenbanf aus betradten.
Seder Flieger fann uns jagen, daß ſchieſe
Bilder nidyt immer unwahr find, ja ſchon
jeder Rennreiter, ber eine ſcharfe Blech
um die Wendeflagge madjt. Remegtes Leben
ift bas Feldgeſchrei des is ea ein
woblflingender Schlachtruf; jehen wir zu,
was unter ihm erfampft wird.
Tas erjte, was einem bei Betradhtung des
Buds Wir wollen nicht verweilen
von Th. Däubler auffällt, find die vielen
Einniprüchlein, bie er anbringt. Über jedem
Abſchnitt, auf jeder freien Ceite [tebt ein
Zitätchen: lateinisch, griechiſch, italieniſch,
englijch, bejonders franzöſiſch, aud) ein paar
beutjdje find darunter. Für jemand, der
unter feinen Umjtänden verweilen will,
mutet bie bejdjaulid)e Muße, bie zum Mache
Ichlagen und Auswählen all diejer Rojtbar-
teiten gehört, nun etwas fonderbar an. Und
bieler Eindrud wiederholt fid), wenn Däub:
ler zu Anfang feiner Erzählung mit der
Langatmigfeit eines GFrenjjen iiber feine
Saduglingse und erwadenden Kindheitsein=
brüde berichtet. Daß er ein Wunderlind
war, fann er niht leugnen, er erinnert fid):
„Mit bramatijd)er Rajchheit gebar id) meine
Cpradje" unb „Echluchzend fore ich an der
Mutter Bruft“. Immerhin folgt man mit
Anteilnahme feiner Schilderung, bie fid) an
einer Stelle, wo die Mutter das todfrante
Schweſterchen mit erjchütternder Energie ins
Leben zurüdruft, zu hoher dichterijcher Kraft
lteigert. Man gerät unverjehens in eine mär-
chenartige Vifion, die in Hingender Sprache,
mit reichlid) gejudjter Alliteration und
jtarfen Anflängen an 9tiebidje und Wagner
verdeutlicht wird. Cine gepflegte Wort:
funjt juht nad) neuen Farben: und Licht:
ericheinungen, fie ſchnörkelt in romanijd):
otijder $Ornamentit, Wieles ift echt ge:
e aber alles jtürzt regellos und wirr
über einen Der, wie eine im ‚Sturm‘ age:
malte Häufermajje. Tiefe Art zu jchreiben
mag wohltuender für den Berfajjer als für
den Lejer fein. Cdjabe, daß monde wirf:
liche Schönheit, jo bas Gintreten bes Be:
griffes Gott in bie Kindheitsvorjtellungen,
Dadurd) ver|d)üittet wird. ber das meijte
ift Blendwerf. Manchmal glaubt man einem
neuen Gedanken zu begegnen, aber fiebt
man näher zu, find es nur umgeitellte Worte,
die Durch thre jeltiame Werfnüpfung ver:
blüffen. Bald bricht die Erzählung ab, bunt
werden S&unjteinbrüde und Farbeneindriide
auf Reijen durcheinandergewürfelt, jdjlieB-
lid) endet das Ganze in langweiligen Re-
tradjtungen über romanijche Bildkunjt. Schön:
heitstrunfenes Yallen vermag das Unſchöp—
Ge, legten Endes Unfähige nicht zu Ger:
eden.
Wie ein Ei bem andern — ohne deshalb
bei den expreljioni[tilden Gepflogenbeiten
bes Huhns „verweilen“ zu „wollen“ — gleicht
Rajimir Edfd mid in ber eriten Hälfte
leines Rajenden Lebens bem Artge—
noffen unb Unverweilten. Das „Beſchä—
mende Zimmer” enthalt Reijeandenfen eines
wreunbes erotijder und künſtleriſcher Art.
Wud bier unausgejegtes Liebäugeln mit
romanijder Runjt, ein prableriihes Anf-
gehen verjdrobener Reiſeeindrücke nebjt
iebeserinnerungen ziemlich jdymieriger Art.
Koje und niht einmal gelungene Bildchen,
zum Schluß das tieffinnige Endergebnis:
„Dan [oll feine Erinnerungen haben.“ Un:
gleich höher [tebt bie zweite der beiden Er:
Eet „Der tödlihe Mai“. Wie ein
odverwundeter, Aufgegebener zum Dajeın
wiedererwadht und von rajenber Lebensluft,
Gdjünbeitstruntenbeit umhergeworfen wird,
ijt mit ebenjo ftarfen wie inen Mitteln
geftaltet. Hier fteigt bie 9Iusbrudstunjt auf
einen Gipfel. ir gewinnen einen Ausblid
auf das, was fie uns geben fünnte, wenn
fie zum Inſtrument eines wirflid) großen
Dichters würde. Man könnte jid) da jchon
hineintrdumen: ein freies fünjtlerijches Ge:
jtalten jchöpferiicher Geifter, hoch über alle
armielige ‚Wirklichteitstreue‘ hinweg.
Aber die bisherigen Vertreter der litera:
rildjen Ausdruckskunſt [teen tief unter diejen
Gipfeln. Was [ie Ausdrud nennen ijt Wort:
dred,jelei, und was a vom Leben wijfen,
(tammt aus einem Aunjtantiquariat.‘ Sie `
ind in dem Irrtum befangen, man Tonne
die Geſetze der bildenden Runft, insbejondere
der Malerei, ohne weiteres auf das Schrift:
tum übertragen. Aber fdon Drama und
Epos verlangen grundverjchiedene Technilen,
wievielmehr Dichtung und Malerei. Es
wäre für diefe von Schlagworten der Mode
Betörten jdon ein Weg zur CErfenntnis,
wenn fie fih bie Mühe geben wollten, einmal
u unterjuchen, wieviel tn jeder großen ſchöp—
M ciliben Dichtung an — Architektur zu fin:
den ift, von jtrenger geijtiger Schulung ganz
zu jchweigen. Bielleicht würden ihnen dann
die Augen aufgehen über den Wert ihrer
fofetten Pinjeleien. Aber — wie gejagt —
‚Der toblid)e Mai‘ wäre ein Anfang.
Nur follten fid) naive Jünglinge, bie in
9tiBebüttel, oder Schievelbein, ober Ohrdruf
modern dichten, wohl hüten, bier Anjchluß
zu juchen. Denn bevor fie joweit find, mit
ihrem jrijdjgebadenen Ausdrudswert einen
Verleger zu beglüden — ift man voraus:
lichtlicdy in Berlin, Wien und München längit
über ben Explojionismus und Dadaismus bin:
weg zu einem allerneuejten — ismus gelangt,
pom Exprejjionismus gar niht mehr zu reden.
e Slluftrierte Runoͤſchau &
ORCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCECCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC2 233332323293323323323323323233333333300333233332322322222232520
Der Verlauf der Galerie Carl von Hollitiher in Berlin — Der neue
Tizian des Kaifer Friedridh:-Mufjeums gu Berlin — Neue Bücherzeichen
von Hela Peters-Ebbede in Gottingen — Sanitäter-Dentmünzevon Karl
(och in Münden — Zu unjern Bildern
M Air A“
L
Der Verfauf der Galerie von Sollitider in Berlin — Der neue
Tizian des Kaifer Friedridh-Mujeums zu Berlin
Bon Gebeimrat Dr. Wilhelm von Bode, Generaldireftor ber Kgl. Mufeen
Wieder hat Berlin eine ſeiner großen Pri—
vatgalerien alter Meiſter verloren: die
Sammlung Holliticher ijt Ende Januar frei:
bánbig an ein Handlerfonjortium verkauft,
und alsbald ift bie Mehrzahl der wertvollen
Bilder an einzelne Sammler weiterverfauft
worden. Der
*Beliber,
öſterreichi—
ſcher Unter—
tan, obgleich
ſeit einem
Menſchen—
alter in*Ber:
lin anjájjig,
bat einen
öſterreichi—
ſchen Händ—
ler als Käu—
fer bevor—
zugt; baBer
ne —
ung nicht
nad Oſter⸗
reich zurück—
gebracht
4
SS a
| hat, was
Rob. Stephan von Calcar : =
Bildnis des Attila Grimaldi ibm Jelbjt
bei einem
Runftausfuhrverbot erlaubt gewejen wäre, bat
für Deutjchland den Vorteil gehabt, dak me:
nigitens ein Teil der beten Bilder an hiefige
Sammler übergegangen ijt,
mebrere darunter auch an un:
jer &aijer Friedrich Museum.
So febr diefe rajde Auf:
löjung einer Reihe unjerer
rößten Sammlungen alter
unft in Deutjchland und
bejonbers in Beriin (joeben
wird aud) bie Berjteigerung
der bedeutendjten Sammlung
von Frankfurt, bcr herrlichen
Sammlung antifer Kleintunft
aller Art von Frig vonGans,
angefünbigt), wie wir fie feit
Anfang bes vorigen Jahres
beobadten, zu beklagen: ijt,
fie war vorausauleben; von
allen bisher verfauftenSamm:
[ungen wußte man, daß Die
Erben des Sammlers fie
nicht halten würden. Alles
«
was wir ; =
Carlo Maratta, Bildnis 8
jterwerfe für unjere öffentlichen Samm
lungen und die Bildung neuer Privatfamm«
lungen in Deutichland oder Vermehrung
der älteren. Auf lebteres fónnen wir nur
wenig rechnen, da die großen alten Galerien
in deutjchem Privatbejik bereits reich an
ganz gewählten Stüden find und ihre Beſitzer
udem an bie jegigen außerordentlichen
riegspreije nicht gewöhnt [inb und an ihre
— nach dem Kriege nicht glauben.
agegen haben aus ber Galerie Hollitſcher,
wichtig⸗ M
Francesco Guardi, Blid über bie Piazzetta in Benedig m
436 I- v9] Sluftrierte 9tunb[djau
unjere größeren deutjchen
KU die Bilder find ver:
auft, nicht auch feine Bron:
en und Antiquitäten) nicht
einjeitig nur auf bie primis
tive Runjt eingeftellt, wie
dies Herr von Kaufmann ge:
tan hatte; feine Galerie ent:
pict italienifche Gemälde ne:
en altnieberlánbijdjen, flä—
mijdjen und holländilchen Bil:
| dern. Bon den SHolländern
war er ausgegangen, hatte
| aber — wie jo viele ernite
Sammler — mit der Zeit eine
Geertgen tot St. Jans, Madonna 1 eim
bejonbere Borliebe aud) für
die frühen Meilter gewonnen ; jo ergab fid) bie Mannigfaltig: `
teit feiner Sammlung. Am ſpärlichſten waren die Italiener
vertreten: burd) ein paar dekorative penegianijde Porträts
vom Ende bes 16. Jahrhunderts, durch das tüchtige Bildnis
einer jehr Jyompathijden jungen Dame von Carlo Maratta,
jowie durch ver|djiebene Anjichten aus Benedig von A. Ca:
nale und von
beiden großen
t. Guardi,
eijter, denen in feinem malerijchen
wie früher jhon aus den Berfteigerungen von Kaufmann
und Knaus, mehrere neue Sammler in Deutjchland we:
jentliden Zuwabs für ihre erft während des Krieges
entitanbenen Galerien gewonnen; es ijt daher alle Ausficht
vorhanden, daß der Krieg nad) Dieler Richtung nicht nur
vernichtet, jondern aud) aufbaut. Gleichzeitig haben aud
lujeen Erwerbungen von zum
Zeil hervorragender Bedeutung gemacht.
Herr von Hollitiher hatte fein Sammeln alter Gemälde
(E
Hans Memling, Bildnis
ausgewählte Werke diejer
Reig bie Sfigze eines Altarbildes von (9. B. Tiepolo
nidt nadjitano. Ein Hauptwerf, bas ftattliche Bild:
nis eines vornehmen Genuejen, bes Attila Grimaldi,
lehrt einen an Ligian jid) an dlieBenden Meilter um
1540 fennen, ber aber zugleid) [tarte niederlandijde
lige aufweilt. Danah haben wir das Bild als ein
fen. Das Berliner
trägt, iftnament:
lich in dem land:
ſchaftlichen Hin-
tergrund noch
febr ftarf nieder:
ländilch; in dem
BildederSamm-
lung Holliticyer,
das etwa zehn
Peter Paul Rubens Sabre Ipáter
Bildnis feines Bruders Philipp entjtand, kommt
ber italienijche
Einfluß ftärfer zur Geltung.
Unter ben Meijtern der älteren niederländifichen
Schule war eine Anzahl der Kleinen, ga dem
Namen nad unbefannten Künjtler in belonbers
guten Bildern vertreten. Bon hervorragender Be-
deutung waren aber zwei Gemälde, beide von eriten
Künftlern in ihrer Art: ein Frauenbildnis von dem
Brügger Meijter Hans Mtemling, und eine Madonna
des Haarlemer Geertgen tot St. Jans. Wlemlings
Ban: eine Dame in mittlerem (Iter, deren
ejidjt aus der geldjmadovoll gelegten weißen Haube
wie aus einem Rahmen herausjchaut, hat jene
(erf bes in Italien jung verjtorbenen Tizian- Schülers
SOR Stephan von Calcat bejtimmt, von bem das
uvre und unjere Galerie die einzigen, thm traditionell
ugeichriebenen Bilder, ie eke männliche Porträts,
LP ild, Das die Jahreszahl 1536
Anthonis van Dod, Die Auferftehung
Chrifti
wm
Dal
zarte Empfindung und wohl:
tuende Rube, jene treffliche und
bod) weiche Zeichnung, bie ge:
rade die Bildnijje des vom
Mittelrhein gebürtigen, aljo der
—— nad) deutſchen Künſt—⸗
ers in hohem Maße auszgeich—
Rembrandt, Bildnis ſeiner Schweſter
nen. Ein ſeltenes Meiſterwerk
ſehr verſchiedener Art, bedeutend
auch dem Umfange nach, da die
iguren lebensgroß ſind, war
eertgens Maria mit dem Kind.
In der realiſtiſchen Art, wie die
Modelle unmittelbar aus der
Umgebung gegriffen und mit faſt
ängftlicher Treue dem Leben
nachgebildet find (bas Rind ift
das treue Ebenbild der Mutter),
der kräftige warm:bräunlicheTon,
trog ftarfer £otalfarben unb ber
Ausjchnitt aus ber heimatlichen
Landſchaft, in den bas Fenſter
ben Blid öffnet, tennzeichnen
aufs deutlichite den unverfäljch:
ten Holländer; in TFeinheit der
—— und ftarfer Modellierun
| fteht; David Ze
Illuſtrierte Rundihau BZZ] 437
fommt ihm fein
eitgenojje in den Niederlanden gleich. Die großen Fla:
men bes 17. Jahrhunderts waren ziemlich voilitánbig
| unb gut vertreten: Rubens mit bem Bildnis feines
Bruders Philipp, einem tüchtigen Wert der früheren
| Seit bes Meijters, und mit einer großen, tonigen Skizze
aus der |päteren
eit, David und
bigail Ddarftel:
lend; A. van Dyd
mit einer Auf:
— Chriſti,
die in Wucht der
Geſtalten noch
einem Meiſter
ubens nahe:
niers u. a. mit
einer Wirtshaus:
aene, Die in ber
tonigen, leicht
tujdenden Art
nod) an bie leg:
ten Werte Brous
wers jih ans
ſchließt.
Faſt doppelt
e zahlreich als
ie Maler aller übrigen Schulen zujammen weilt bie
Sammlung bie bollánbijdjen Künftler auf; zumal bie
Hauptmeilter waren fajt vollitánbig und zumeift in febr
guten Werten vertreten. Gleich der 9[[tmeijter Frans
Dis mit drei Gemälden, unter denen bas Kleinere
ild einer jungen fifenden Frau mit anliegendem
breiten Kragen, in ben —— Ai EBEN Händen ben
Facer baltenb, ein fojtbares Wert ber jpäteren Jahre
und für biele Zeit bejonbers liebevoll durchgeführt ift;
bequem in ber Anordnung, in ben feften Ragen mi
einem feinen Zug von Humor und Gutmiitigfert. Bon
Rembrandt bejak Herr von Holliticher drei Gemälde,
jenen Bildern von Hals womdglid nod) überlegen:
bas behäbige, Jorgfältig burd)mobellierte und bejonders
farbige Bildnis der bivefler bes Künftlers vom Jahre
1633, das lebens
ee ovale
ild eines jun:
gen Mannes mit
reitemHut, zwei
Jahre jpäter ge:
malt, und, wohl
Das bedeutendite,
einen kleinen Stu—⸗
bientopf eines al-
ten Mtannes um
1645. Neben bie:
en Meijtern er:
heint Michael
van Dtierevelt in
feiner altväter:
lichen Biederfeit
fait nüchtern,
aber Die beiden
großen Bildnijje
eines jüngeren
Ehepaares zeig:
ten bod) bie Tüd-
tigteit bieler ot gg
Jan van Goyen, Der Karren bet der Hütte
Frans Hals, Bildnis B
488 Ialluſtrierte Rund\idau
teren jchlichten Porträtmeilter in Charafe
terijtit und Zeichnung. Gelbjt jo gute Bei-
jpiele, wie fie bie Sammlung von den jün-
geren Borträtmalern ber holländijchen Schule:
von P. 9tajon, U. Balamadesz und J. Ovens
aufwies, bleiben hinter bieler vornehm zu:
rüdhaltenden Auffajfung zurüd.
Vorzüglid und reich
war bie Auswahl der
holländiſchen —— |
gemälde. Die größere An— 3 "5
ibt vom Schloß Bent: |
beim, ein ernjtes Stim:
mungsbild Jacob Ruis-
baels aus feiner früheren
Zeit wurde womöglih | —*
nod) übertroffen durch die —
kleine Skizze eines Fern— dis. À
blids über die Landſchaft - De
Lo
Ge, De
Tur €
‘i Bi!
A
"TY
i. x M
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| r TEES E
>»
—
Entgegenkommen der Käufer das wichtigſte
Bild, die Madonna von Geertgen, an unſer
Kaiſer Friedrich-Muſeum gelangt iſt und
daß eri Sdhenfung des sBelibers unb eines
anderen Bönners aud) zwei fleine, aber be:
jonders reizvolle Meij.erwerfe: bie PBiaz:
getta von Guardi und bie Skizze von Jacob
Ruisdael fur unjere Ga:
lerie gewonnen wurden.
Sm Anjchluß an diefe
R Erwerbungen jei bier aud
mit wenigen Worten auf
das große Hauptwerk bin:
geme bas unjere Gas
erie während des —
e
Ore: erworben und das _ feit
E, | furgem im Tizian = Saal
Be, ausgeftellt ijt, bie „Ve—
nus mit Dem Orgel:
bei Cleve mit wundervoll Ie 9 fw D | jpieler“* von Tiztan.
aufgebauten Wolfen. Sehr de fOr 4 LINE Gi merfwiirdige Kompo:
immungsvoll und unge- E 5m P ae es ijt Durd) bie bei-
iübnlid) war M ein ba me, See N EM ben ähnlichen Bilder im
Strandbild bei hellem + | Prado- Viujeum zu Mra:
Mondichein von Wart van
Der Meer. Cebr wirfungs-
voll und eigenartig, Das
eine zugleich durch Die
bedeutende Staffage, waren die drei Bilder
des Jan van Goyen, zu denen ein Cal. van
Ruysdael ein wirfungsvolles Gegenftiid
bildete. Ein fo lichtvolles, malerijch aufge:
löjtes Bild wie der Halt vor dem Wirtshaus
von Iſaac Ojtade bejigt feine beutidje Galerie.
Unter ben Eittenbildern waren defonders
bemerfenswert das vornehme Jünglings—
porträt in ganzer Figur von G. Terbord,
eine anmutige familien: E
jgene von Jan Gteen,
das „Trio“ von A van
Ditade, das größere von
drei Gemälden des Q.
Brefelenfam und das
reizvolle junge Meisje
bei Kerzenlicht von ©.
Dou. Für die farbige,
dekorative Wirfung ber
(ee roken Räume in
einer Wohnung am Pa:
rijer ‘lag hate Herr
von Holliticher auch durch
eine Heine Zahl von
Stilleben gejorgt, von
denen Die beiden großen
—— ———— von U.
van Beyeren zu deſſen
Meiſterwerken gehören.
Wertvoll war auch das
kleinere Stilleben des J.
van Streek, ber fid) eng G
an Ralf anjchließt.
Diejem furgem Abſchied von ber Galerie
von Holliticher, an die ein reich illujtrier:
ter, von Dax Friedlaender gemeinjam mit
dem G.breiber diejes verfaßter Katalog die
Erinnerung feitbalten wird, jet gum Schluß
Die Mitteilung angefügt, daß durch bas
Saat van Oftade, Ter Halt beim
Dorfwirtshaus
Jan Steen, Familienizene Ei
drid jhon befannt; Dos
Berliner Exemplar, Das
erjt vor stg Ne Jahren
im Wiener Runjtyandel
aufgetaucht ift — im Jahr vor bem Kıiege
[ud)te ber ermordete Erzherzog Franz Ferdi:
nand das Bild für Öjterreid) gu jiyern —
ftammt, jcheint’s, von Tizians Verehrer unb
Gönner, bem Fürjtbijchof von Trient Grijto:
foro Madruzzo. Das Urbild für dieje und ein
paar andere, jebt verjchollene treue Wieder:
holungen Dieter Rompofition ijt bie Venus
in den Uffizien, bie Tizian 1548 für Kaifer
Karl V. mit nad) Augs:
burg nahm. Sn dicen er:
weiterten Darjtellungen
ift ein junger Orgeljpieler
zu ben Fuͤßen der Venus
angebradht, jedesmal cin
anderer — wohl der Re:
Heller —, wie auch der
Kopf der Venus jtets an:
dere bildnismäpige Züge
zeigt. In un'erem Bilde
glaubt man imDrgelipies
lerden jungen Philipp II.
zu ertennen. Darum
erjcheint es begreiflich,
daß das mit dem vollen
Namen bezeichnete Bild
allein bis in alle Ein:
elheiten vom Meiſter
Deg ausgeführt ijt, bag
die Rompojition bejjer
Durddadjt und feiner
abgerundet ijt als in
den Madrider Bildern,
daß die Färbung bet aller Bradt bod) von
groper Harmonie ijt. Das Gemälde ijt fiir
die Berliner Galerie, bie von Tizian bis:
ber nur Bildnijie bejag, eine Erwerbung
von bejonberer Wichtigkeit.
8] 88 a8
b SMlujtrierte Rundihau BSSSsssssessss 439
— | Die liebenswiirdige Kunſt der Exlibris fteht heute,
) S wo bas Schenten fo jebr erjdwert tjt und wo
die großen Luxusgaben früherer Zeit zum großen
Teil unerreichbar find, im Bordergrunde. Die Mo—
natshefte‘ haben dem anmutigen Kunjtzweig des
perjönlichen Buchzeichens jhon immer erhöhte Auf:
mertjamteit bewiejen, wie zahlreiche Wiedergaben
es Dartun. Auch heute führen wir einige bejon:
ders glüdlidje Schöpfungen von der Hand Hela
Peters’, deren Kunſt als Malerin wiederholt zu
Worte gefommen ift, ben Lejern vor. Die feine
Hunt der Zeichnerin gelangt in diejen Blättern zu
bejonders glüdlicher Geltung. Wie bie mustulöje
Miannergejtalt, bie mit beiden Fauften in die Dor:
nen und Rofen des Hags greift, den Namen wie
die Embleme dazu zur Redten und Linfen im
Codel den Beruf und die Staatsangehörigkeit bes
Beſitzers andeutend, ein ausdrudsvolles Buchzeichen
für einen Schafjenden, jo ijt bie feingliedrige, jchleier:
umwebte, ro:
jenfrangende
Frauengeſtalt
des mittleren
Buchzeichens
in der Anmut
der Linienfüh—
rung und Auffaſſung ein ideeller Vorwurf für das
Bibliothefszeichen einer Frau. Çin reizender Ge:
dante liegt bem oberjten, wohl für ben Gatten der
&ünjtlerin bejtimmten Bibliothetszeichen zugrunde. Im
Hintergrund das Elternpaar unter dem Lebensbaum,
vorn im blumigen Graje das Kind, zur Geite die
Laute, mit der YWeltfugel jpielend und |o in Willen:
Ihaft wie Kunſt unmertlich bineingleitenb, nicht fern
: per ihm ue
> — IR eſchützende
Pak Göttin der
> 4 Lernenden,
w Pallas
| * Athene. —
| | ne i
| D ein nes d "alls 2
| A5; | * Wert der | ` £LIL
) Kleinkunſt ty
~~
—
E
d a LIBRIS
4
bieten wir SS
in der Die: W ie wk.
Daille von x I D TA
Karl Goeg, die als 9Inbenten für Sanitätsjol:
Daten — iſt und auch der Dienſte ihrer treuen
Helfer, der Kriegshunde, in anſprechender Weiſe
edenkt. Beſonders der raſſige Kopf des Schäfer—
Dudes, den bas Halsband mit ber Roten Kreuz:
medaille jdjmíidt, verrät den geübten Blid des
iportfunbigen Künftlers, an deffen Kriegsipott:
medaillen pm unjere Lefer gern aus ben erjten
Seiten bes Kriegs erinnern werden. Sn den Krieg
und feine Schreden führt aud) die meilterhafteBülte
des von der — Entſchloſſenheit des Kampfes
A. eelere inenwerfers von Brofejlor Eduard
s TLSNMI h 4 A = hc eyrer (n. ©. 368), einem Mitglied ber Holzbild:
ch la IN. k | QUA teres aus Tirol, von ber der Bater Joſef
RENNPN d ? J | Beyrer und der Oheim Heinrich burd) zahlreiche
| HK D k ON A Werte frommer Empfindung aus Jüddeutjchen
Kirchen beitens befannt find. Mittelbar im Zu:
: Bücherzeichen von Hela Peters: Ebbede in Göttingen
440 BS3ne9eoeoeeheg Muftrierte Rundihau 333333323334
jammenbang mit dem großen Erleben der
Gegenwart S ebt aud) bas Krauſeſche Bild
‚Stahlguß‘ (nad) ©. 352), in bem die jchwere
Arbeit des Heimdienftes ben Kämpfern bie
Zafep ſchmiedet, und in nicht minderem
Maß das Gemälde Peter v. Hammes (nach
S. 400), in deſſen
ſchmerzvoller Frauen—
erſcheinung etwas von
dem unendlichen Jam—
mer dieſer Blutopfer
ittert, während das
gr ©. 424 u. 425 eingr⸗
Ichaltete) Reiterbildnis
den Arnolds das
orträt eines Ulanen=
offigiers, des Majors
p. Willi), vor bem
intergrund der Com:
resbóbe, etwas vom
freien Atem des Feldes
in den Drud der Dei:
matlichen Gegenwart
bincinbringt. Das Bild
iit Draußen an der Cote
orraine — ent[tanber,
unb es find darauf order
Jahrhunderte, bei deffen Ctruftur bie Cage
vom Roh Bayard ber pier Haimonsfinder
per[tánblid) wird, auch unjeren Zeiten un:
verloren geblieben, zumal burd) bie liebevolle
Darftelungsfunft einer Reihe von Malern und
Bildhauern, die uns diejen herrlichen Schlag
oft mit der Gtrenge
altmeijterlicher 9ruffal-
jung wie bei Fahren—
brud) — er ijt ein Sh:
ler bes verjtorbenen
ranffurter — Meiſters
rig Boehle — permit:
teit haben. Raſſig wie
immerfommt Hugo von
P binis mit bem
Porträt einer türfijdjen
Dame(n.S.344),bei bem
beſonders die Farbenzu⸗
ſammenſtellung, durch
die es in virtuoſer
Weiſe geglückt iſt, dem
überreichen Cdymud
eine ihn durchaus un—
aufdringlich wirkenlaſ⸗
ſende Unterlage zu ge—
ben, zu bewundern iſt.
in liebenswürdiger An— Sanitäter-Denkmünze von Karl Goetz in München In zwei entgegenge—
paſſung an die Wünſche
des Auftraggebers vier Ritter des Eiſernen
Kreuzes J. Klaſſe vereinigt, die ſämtlich
einer feinen Diviſionskavallerieabteilung
angehören. Sie wies übrigens noch einen
fünften Träger der Auszeichnung auf, der
zur Zeit ber Gnt|tebung des Bildes aber
ablommandiert war. Der Unterfdied zwi-
Er ein[t und irt. wie er a. B. in ber Krieg»
brung zum 9[usbrud fommt, tann nidt
deutlicher werden, als
wenn man dem Idmet-
digenKavalleriftengaul
des Porträts die der:
ben, ſtarlknochigen Bra:
banter Edyimmel des
Fahrenbruchſchen Bil-
des gegenüberjtellt (n.
©. 376). Diejer pradjt-
volle Tierichlag hat nur
in bem gleid)en Dienft,
in dem man ihn bier
dargeitellt fieht, als
gu tier für ſchwere
alten, (id) in [tart ab-
gejhwächter Form in
die jebige Zeit retten
finnen. Indes ift bie
Freude an biejem herr:
lihen Gaul, dem
Cdjadjt: und Turnier:
pferd
jegte Pole der deut
ien umftrittenen Heimat führen bie 9tabie
rung von Paul Paejchte, ber in das Fluten
und Branden bes 9erfebrs an der Gannos
wigbriide in Berlin hineinbliden läßt (nad
©. 420), während Wilhelm Claudius, ein
Madhfomme des Wandsbeder Boten, in den
weltabgejchiedenen Frieden eines herbitlichen
Altländerbauernhofes geleitet (nad) ©. 846).
Cnbolid, um den Friedensausflang des
Heftes vollzumadhen,
mags [fid Der fin:
nige Dichter Karl Ernft
Rnodt, der ‚Wald:
pfarrer‘, wie er [id
mit Borliebe nannte,
wie rofeljor Wil:
elm Bader ihn er:
abt hat (nad) ©. 412
eingejchaltet), STEI
Dem fräftigen ib
bes neutralen ‚Tulpen:
[reunbes' auf dem Hin:
tergrunb feiner blü—
genon gelder (Titel:
ild von Glja Preup-
ner) und der Deut:
Iden Gartenblumen im
Spanforb des AI:
brechtſchen Gtillebens
ſeite (nad) ©. 408) GC
cijenftarrender Canitater- Dentmiinge von Karl Goe in Münden laffen. $.
Nachdruck verboten. Alle Rechte vorbehalten. Zuldriften an bie Echriftleitung von Velhagen A Klafings |
Monatsheften, Berlin V 50. — Für bie Ecdhriftleitung verantwortlich: Hanns don Zobeltik in Berlin,
— Für Citerreihh: Ungarn Herausgabe: Frieie & Yang, Wien I. Verantwortlicher Schriftleiter: Ctre |
Briefe, Wien 1, Braunerfir. 3. Verlag: Velbagen & Klofing in Berlin, Bielefeld, Leipzig, Wien.
Drud: Fiſcher & Wittig in Leipzig.
— — — — — — — — — — —
Velhagen @ Klasings
EXPORT-ANZEIGER
» Januar 1918 «
eo
No.5 » VII. Jahrg.
Die deutsche Spielwaren-Industrie
und das vierte deutsche Kriegsweihnachtsfest.
BK obigem Titel konnten wir im Dezemberheft
Nr. 4 hochbedeutsame Worte aus der Feder des
Herrn Geh. Kommerzienrat Carl Craemer in Sonne-
berg veröffentlichen. Es sollte eine Parade der deut-
schen Spielwaren-Industrie folgen. Die immer stärker
anwachsende Papiernot liess diese Absicht zuschanden
werden und können wir in dieser Nummer diesem
grosszügigen Plane nur eine bescheidene Verwirk-
lichung zuteil werden lassen,
Deutsche Spielwaren erfreuen sich allüberall in der
Welt uneingeschränkter Wertschätzung, und die nach-
verzeichneten Abhandlungen lassen recht sehr erkennen,
dass der deutsche Fabrikant trotz der Kriegsnöte und
riesiger Schwierigkeiten seine enorme Schaflensfreudig-
keit nicht eingebüsst hat, im Gegenteil vielfach eine
Sé den Fabrikationsbetrieben des Thiiringer Spiel-
warenerzeugungsgebietes, diz während der ganzen
Kriegszeit noch nicht stillgesanden haben, gehört
auch die Firma Carl Harmus jr., Fabrik und Export
gekleideter Puppen und Spielwaren in Sonneberg
S.-M. Die bereits im Jahre 1871 gegründete Firma
hat es verstanden, den Betrieb trotz vieler Einberufungen
zum Heeresdienst und der Abwanderung eines grossen
Teiles der weiblichen Arbeitskräfte zur Kriegsindustrie
aufrechtzuerhalten. In den letzten zwei Jahren war
die Firma sehr lebhaft für das neutrale Ausland be-
schäftigt. Die Schwierigkeiten in der Rohmaterial-
und Stoffbeschaffung brachten eine Verteuerung der
Preise in ziemlicher Höhe mit sich. Auch behinderte
der Mangel an Rohmaterialien die Lieferungen manch-
staunenswerte Anpassungsfähigkeit an die neuartigen
Verhältnisse bewiesen hat, wie dies auch aus den
Waren hervorgeht. Möge sich der Lohn in einem
baldigen guten Frieden zeigen!
mal sehr, so dass vielfach zu Ersatzstoffen gegriffen
werden musste,
Die Haupterzeugnisse der Firma sind Puppen und
Tiere, und gibt ein in vier Sprachen herausgegebener
Katalog Aufschluss über mehrere Tausend einzelne
e D
» Artikel.
(Fortsetzung S. 4.)
GEL wert Se SEE OE, SER et Se JOE EO SE ISI IRI Se 2 Se Set Se XI Ser e e er za eer ele
Deutsche Uebersecische Bank
Aktien- Kapital Mk. 30,000,000.—.
BERLIN W. 8, Mauer-Strasse 39
seeeceessaee seeusesesess Gegriindet von der Deutschen Bank, Berlin. Seeeeeeseusnseescesceasss
La OE
>> zur zur ze Zur Zur za
Niederlassungen unter der Firma
Banco Aleman Transatlantico
i
Argentinien: Bahia Blanca, Buenos Aires, Cördoba, Mendoza, Rosario de Santa Fé,
Tucuman.
Bolivien: La Paz, Oruro.
Chile: Antofagasta, Concepcion, Iquique, Santiago, Temuco, Valdivia, Valparaiso.
Peru: Arequipa, Callao, Lima, Trujillo.
Uruguay:
Montevideo.
Spanien: Barcelona, Madrid.
Banco Allemao Transatlantico
Brasilien: Petropolis, Rio de Janeiro, Santos, Sao Paulo.
Kontokorrent- und Depositenverkehr * Kreditbriefe, Akkreditierungen e Briefliche und telegraphische
Auszahlungen ® Einziehung von Wechseln und Dokumenten * Besorgung aller sonstigen Bankgeschäfte
Korrespondenten an allen grösseren Plätzen der Welt :: Eigene Telegraphenschlüssel.
Bremen: Deutsche Bank Filiale Bremen.
Hamburg: Deutsche Bank Filiale Hamburg.
Brüssel: Deutsche Bank Succursale de Bruxelles.
Konstantinopel: Deutsche Bank Filiale Konstantinopel,
> > > + + > + + + ¢ xut et ¢ + 4 ut xut ux + ¢ + + ¢ ¢ ¢ 4 4
1917/18, No. 5.
Vertretungen in:
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5
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Velhagen & Klasings Export- Anzeiger.
4 Die deutsche Spielwaren-Industrie und das vierte deutsche Kriegsweihnachtsfest.
Abb. 2.
Abb. 1. Baby im Steckkissen.
Fabrikant:
Einige Erzeugnisse greifen wir heraus und bringen
sie im Bilde. Die Abbildung 1 zeigt ein Baby in
Seide gekleidet im Steckkissen aus Rips mit gestickten
Einsätzen. Die Grösse des Babys beträgt 28 cm.
Eine bewegliche Puppe stellt Abbildung 2 dar.
Die 40 cm grosse Puppe ist mit feinem Batisthemd
mit Spitzen bekleidet und besitzt ein Uhrwerk, wodurch
die Augen und der rechte Arm mit Flasche in Be-
wegung gesetzt werden und eine Mamastimme ertönt.
Die in Abbildung 3 dargestellte, ebenfalls 40 cın hohe
Trachtenpuppe gehört in die Kollektion der Doppel-
gelenkpuppen. Bekleidet ist sie mit weitem Flanell-
rock mit bunten Bändern, weisser Batistschürze, Mieder
und Häubchen. Abbildung 4 zeigt eine derselben
Kollektion angehörige Puppe mit besticktem Rüschen-
kleid und Haube. Eine Grösse von 45 cm weist die
Doppelgelenkpuppe in Abbildung 5 auf. Sie wird in
besserer Ausführung mit Batisthemd, Schuh und Striimpfen
geliefert. Die Puppe hat Porzellankopf mit schöner
Lockenfrisur und beweglichen Augen.
Aus der Gruppe der weich
gestopften Tiere bringt die
Abbildung 6 einen sitzenden
Bären aus feinstem Mohair-
plüsch mit selbsttätiger Brumm-
stimme.
Wir könnten in dieser W eise
noch viele bemerkenswerte Er-
zeugnisse im Bilde bringen,
doch hindert uns daran der
e ~ . Raummangel, die Firma gibt
| © ^ jedoch Interessenten gern Aus-
: | || kunft über all die vielen Er-
CE 8
zeugnisse, die sich durch ihre
Güte und Preiswertigkeit einer
grossen Beliebtheit in den
Händlerkreisen erfreuen,
d Unter den bekannten Thii-
| | ringer Spielwarenfabriken
| i | nimmt die Firma Cuno &
Otto Dressel, Sonneberg
| F | S.-M., eine hervorragende Stel-
| ; lung ein.
| Die Gründung des Hauses
dürfte in den Beginn des
18. Jahrhunderts fallen; im
Jahre 1764 sprach ein Vorfahr
der Familie Dressel schon
von dem alten Geschäft seines
„Herrn Vatters‘‘,
Die Firma verblieb ununter-
Abb. 5.
Doppelgelenkpuppe
mlt beweglichen Augen.
Fabrikant:
Carl Harmus jr.,
Sonneberg S.-M.
Bewegliche
Puppe mit Stimme.
Carl Harmus jr.,
|
Ee, +
ate, " e
— LAU ` n uw
— en EC en j
Abb. 3. Trachtenpuppe. Abb. 4. Gelenkpuppe.
Sonneberg S.-M.
brochen im Besitz der Familie. Sie verdankt der vor-
bildlichen Tatkraft ihrer Inhaber, die nicht nur ge-
schaftliche, sondern auch kiinstlerische Ziele verfolgen,
eine glänzende Entwicklung und ihre Stellung unter
den führenden Häusern der Spielwaren - Industrie.
Im Besitze der Firma sind eigene Fabriken von
gekleideten Puppen (Marke C), Gelenkpuppen (hervor-
ragende weltbekannte Marke , Jutta“), Lederpuppen
und gestopften Puppen. Ferner unterhält sie ein sehr
ausgebreitetes Sortiment in Sonneberger Spielwaren
allerart, wie Tiere jeder Art aus Papiermasse, Holz,
überzogen, gestopft, mechanisch usw., ferner Stürzen-
schläger, Hampelmänner, Schiffe, Pferde und Wagen
u. dergl. mehr. Sodann unterhält sie auch ein sehr
umfangreiches Lager in Glas-Christbaumschmuck.
Der Heim-Industrie gibt die Firma in weitestem
Masse Arbeit und Brot. Viele Hunderte von Familien
in Sonnebergs Umgebung, besonders dem sogenannten
Sonneberger Hinterland, arbeiten, zum Teil ausschliess-
lich, für die Firma Dressel.
In der Nacht vom 14. zum 15. Mai 19 14 fiel ein
grosser Teil der Gebäude einer Brandst ftung zum
Opfer. Im Jahre 1915 brannte auch ein grosser Lager-
schuppen am
Bahnhof nie-
der. Unbeirrt
durch den
Krieg hat die
Firma in be-
deutend ver-
grossertem
Massstabe wie-
der aufgebaut
und zur Friih-
jahrsmesse1917
auch ihre Mu-
sterausstellung
in Leipzig ganz
erheblich und
mit — betricht-
lichen Kosten
erweitert. (Siehe
Abb.7.) Dasneue
Musterzimmer
im ` Messhaus
„Drei Könige‘‘, Petersstrasse, umfasst 325 qm. —
Vertreten ist die Firma u.a, in Berlin durch Herrn
Carl Stahl, Ritterstrasse 85. Auch unterhält sie Ver-
tretungen an fast allen Hauptplätzen des Auslandes.
Das Londoner Zweiggeschäft, 9 White Cross Strert
E.C., erfreute sich bis zum Ausbruch des Krieges eines
Abb. 6. Brummbär.
Fabrikant: Carl Harmus jr., Sonneberg S.-M
Die deutsche Spielwaren-Industrie und das vierte deutsche Kriegsweihnachtsfest. 5
ständigen Auf-
schwungs.
W eitreichende
Vorkehrungen ha-
ben es der Firma
ermöglicht, trotz
ausserordentlicher
Schwierigkeiten
ihre Betriebe auch
während des Krie-
ges aufrechtzuer-
halten.
We kennt noch
nicht die
Käthe Kruse-
Puppen, die all-
gemein sich die
Herzen der Kin-
derwelt erobert ha-
ben? Immer neue
Modelle werden
mit den Jahren
trotz der tech-
nischen Schwierig-
keiten, die ihrer
Bearbeitung ent-
vegenstehen, eine
Vollkommenheit
in bezug auf For-
menbildung und
Ausstattung er-
reicht, die berech-
ugt, sie an die
Seite aller besse-
ren am Markt be-
findlichen Puppen-
köpfe zu stellen.
Und in Hinsicht
auf Haltbarkeit
sind sie als un-
übertroffen zu be-
zeichnen, denn
unter der persön- Abb.7. Aus dem Musterzimmer der Firma Cuno & Otto Dressel, Sonneberg S.-M. jene, aus welchem
lichen Leitung der
Frau Professor Kruse in der Werkstätte der
Käthe Kruse-Puppen in Bad Kösen a, d. Saale
gefertigt. Diese künstlerischen Puppen sind durch-
weg 43 cm hoch, aus wasserdichtem Nessel gefertigt,
also mite Wasser und Seife abwaschbar. Die Grund-
puppen sind das Hemd- und Hosenmätzchen (siehe
auch Abbildung Nr. 8). Nach eigenen Modellen wer-
den Anzüge in dauerhaftem Material angefertigt, wo-
bei besonders auf reizvolle Farbenzusammenstellungen
geachtet wird. Die Häkel- und gestrickten Sachen
sowie Stickereien sind Handarbeit. Ein von der Firma
herausgegebener, künstlerisch gehaltener Katalog ge-
währt einen Einblick in die Schaffensfreudigkeit, die
in der Werkstátte herrscht und gibt zugleich einen
wertvollen Überblick über die verschiedenen Mo-
delle, die sámtlich durch Bekleidung gewonnen werden.
Aus dem Hemdenmatz entstehen reizvolle Mädchen-
gestalten, wie Püppchen in luftigen Sommer- und
pelzverbrámten Winterkleidchen, Sportdamen, Schul-
mädchen, Holländerinnen, tanzende Bulgarinnen usw.
Der Hosenmatz lässt sich schnell verwandeln in einen
Schulbuben, Kegelspieler, Soldaten, Bauern, Winter-
sportler usw.
Mit den Käthe Kruse-Puppen kann man stim-
mungsvolle Gruppen zusammenstellen, erwähnt seien
nur Szenen aus Haus und Hof, Küche und Stube,
Auch als Kaffeewärmer kann eine solch künstle-
risch ausgeführte Puppe dienen.
Die Käthe Kruse-
Material sie auch
seien, zerbrechen oder sind brennbar, während ein
Minerva- Puppenkopf weder zerbrechen noch verbren-
nen kann. Die Ausführungsarten sind ebenso ver-
schieden, wıe man sie bei anderen Fabrıkaten hat. Eine
Grössenlinie hat in das Metall eingeprägtes Haar, eine
andere glatte Köpfe, auf welche Haarperücken auf-
zusetzen sind. Jede der Arten wird wiederum mit
Brustteil und ohne solches, damit sie im Halse dreh-
bar sind, geliefert.
Welche Vorbereitungen zur fabrikinássigen Massen-
-erzeugung dieser Köpfe gehören, geht daraus hervor,
dass die Fabrikanten hervorragende, Puppenkörper,
-Glieder und -Köpfe als Spezialität bearbeitende Model-
leure beschäftigen, Werkstätten für Metallgraveure, Me-
chaniker, Schlosser, Dreher, Klempner, Farbenspritzer,
Maler, Augeneinsetzer usw. unterhalten und zahlreiche
Präge-, Stanz- und Schneidemaschinen, Fallhämmer
und viele andere Spezialmaschinen, teils mit Dampf-
kraft, teils elektrisch betrieben, in Tätigkeit haben.
Zur Friedenszeit befasste sich die Firma gleich-
zeitig auch mit der Erzeugung von ganzen Puppen-
körpern, von Köpfen und Gliedern aus Zelluloid, einem
Material, dessen Wert augenblicklich jedoch zu hoch
ist, um zu Kinderspielzeug Verwendung zu finden.
Die Zahl der von der Firma beschäftigten Arbeiter
ging zur Friedenszeit in die Hunderte, und da auch
gekleidete Puppen und deren ganze Koniektion in
Massen angefertigt werden, so sind allein mehrere
hundert Heimarbeiterinnen
Puppen bilden für unsere >.00009009009089000900 0000800000096 96H HEHE HEERES fiir dieselbe titig, teils mit
Kleinen eine Labung, und
Jubel herrscht überall, wo
diese Puppen geschenkt
werden.
M “*puppenköpfe mit
der Marke ,, Minerva:
werden von der Firma
Buschow & Beck,
Nossen i, Sa., herge-
stellt. Wäre der Artikel
nicht schon vor etwa 30
Jahren erfunden worden,
so hätte er während der
Kriegszeit erfunden wer-
den miissen, da er wegen
Mangel an fast allen
anderen Materialien, aus
Zuschneiden, Nähen und
Ausstopfen von Stoffkor-
pern, teils mit der Pe-
rückenmacherei, mit Kopf-
putz, Strumpf- und Schuh-
macherei,
Ihren Absatz finden
die Erzeugnisse des Hau-
ses Buschow & Beck in
allen Kulturstaaten. (Siehe
Abbildung auf Seite 1.)
|" die Reihen der inter-
essanten, empfehlens-
werten Beschäftigungs-
spiele gehört unstreitbar
„Der Holzschnitzer".
Es ist dies ein von der Fir-
denen man Puppenköpfe
herzustellen pflegte, un-
entbehrlich geworden ist,
— Minerva-Metallpuppen-
köpfe haben aber auch
Abb. 8 Hemdenmätzchen.
Herstellerin: Werkstätte der Käthe Kruse -Puppen,
Bad Kösen a. d. Saale.
ma Eduard R. Meyer
in Chemnitz i.Sa., Post-
fach 30, herausgebrachtes
Beschäftigungsspiel zur
Förderung der Handfertig-
6 Die deutsche Spielwaren-Industrie und das vierte deutsche Kriegsweihnachtsfest.
Abb. 9. Beschäftigungsspiel „Der Holzschnitzer“.
Hersteller: Eduard R. Meyer, Chemnitz i. Sa.
keit für Kinder und Erwachsene. Ein Karton von
„Der Holzschnitzer‘‘ enthält sechs verschiedene, ge-
drehte Holzreifenteile. Diese werden in heissem Wasser
erweicht, davon können Tiere, wie sie halbfertig und
fertig bearbeitet dem Karton als Muster beiliegen,
leicht abgespalten werden. Ein besonderes Schnitz-
messer erleichtert dann die Vervollkommnung der Tier-
figuren und schliesslich kann jedes Kind mit den auf
Wunsch beigefügten sechs Farben die Tiere mittels
eines feinen Pinsels bemalen. Trotz der Vielseitigkeit
ist der Karton sehr billig. Die Firma bringt natürlich
auch grössere Kästen heraus für Geflügel, für Jagdtiere,
für Menagerietiere, für Haustiere, Für die Kinder und
Erwachsenen bietet es einen eigenen Anreiz sich die
Spielwaren selbst anfertigen und eine besondere Samm-
lung vermittels des Kartons ,,Der Holzschnitzer‘‘ her-
stellen zu können. Kein Wunder, dass die Firma
schon recht beträchtliche Aufträge entgegennehmen
konnte. Die Beliebtheit dieser Spiele wird sich zweifel-
los noch steigern, handelt es sich doch um ein wirklich
interessantes und dabei preiswertes Erzeugnis, Zu den
weiteren Artikeln der Firma gehören ,,erzgebirgische''
Miniatur-Volkskunst-Spielwaren, die besonders geschätzt
sind zur Unterhaltung für gross und klein. Für Sammler
und als Nippsachen, sowie zu Geschenkzwecken eignen
sie sich vorzüglich, Es gibt da Bauernstuben, Schulen,
Märkte, Gärten, Stallungen, Eisenbahnen, Schiffe, Wagen,
Schlitten und Autos. Auch wahre Prachtstücke befinden
sich in der reichhaltigen Musterkollektion, wie z. B.
eine Kirche im Erzgebirge zur Weihnachtszeit. Den
guten Erzeugnissen „aus dem Erzgebirge‘‘ ist weiteste
Verbreitung zu wünschen,
Ft Kinder ein sinniges, unterhaltendes und dabei
belehrendes Spiel ist das Modellierspiel „Plastic“.
In einem sauberen, haltbaren Kasten finden sich Be-
halter fiir die verschiedenfarbige Modelliermasse. Die
beigegebenen Modellier-
hölzer dienen zum Model-
lieren, Ebenen der Flä-
chen und Abgrenzen der
Formen. Eine Schiefer-
tafel ist zum Aufbau der
Masse in plastischer oder
Reliefform ebenfalls nö-
tig und vorhanden. Grös-
seren Kisten sind dann
noch eine Anzahl Holzer
beigefiigt, welche als Ge-
rippe oder zum Befesti-
gen grösserer Modelle
dienen. Plastische Mo-
delle zum Nachformen
vervollständigen meist
die Spiele. An Hand der jedem Kasten
mitgegebenen Modelliervorlagen kann
nun jedes Kind sofort beginnen. Fast
jedes Modell wird mit Rollen, Bällchen
oder eiförmigen Stückchen angefangen
und dann durch Fingerdruck zusammen-
. gefügt. Die schwarze Schiefertafel, die
zugleich einen guten Hintergrund ab-
gibt, verhindert auch ein Verschmieren
der Masse auf andere Gegenstände. Über-
haupt sind bei diesem Spiele alle un-
nötigen Formen, Ole usw. vermieden,
um ein Beschmutzen der Kleider zu um-
gehen. Gut ausgefallene Modelle kann
man mit einer Schellacklösung über-
ziehen, um dieselben, damit fester ge-
macht, dauernd aufheben zu können.
Ersatz-Modelliermasse gibt es in allen
einschlägigen Geschäften zu kaufen.
Die beigegebene Abbildung Nr. 10
zeigt zwei Kinder vor einem Modellier-
kasten in herzlicher Freude über ein
gelungenes Werk. Mit dieser Art von Spielen hat
die Firma Otto Manjock, Erste Sächsische Plastine-
fabrik in Dresden, den Kindern eine genussreiche
Unterhaltung verschafft und es ist nur zu natürlich,
dass immer weitere Kreise sich immer mehr dafür
interessieren. Die Herstellungsmöglichkeit der Firma
ist jedoch mit diesem Spiel noch nicht erschöpft. Sie
bringt u. a. noch „Plastic“-Spiele für Perlen- und
Muschelarbeiten, Kriegs- und Geländespiele, Fröbel-
spiele: „Der kleine Kaufmann“, „Der Bilderkünstler“,
„Die Kindermarkthalle** u. v. a. m. heraus, Der Um-
satz der Spiele wächst dauernd, ein Zeichen praktischer
Verwendbarkeit.
Di bekannten Spielbälle der Firma Otto May,
Mechanische Spielballfabrik in Ehren-
friedersdorf in Sachsen, erfreuen sich einer immer
mehr steigernden Nachfrage. Die ,,Globus''-Bàlle stellen
die Spezialitat der Firma dar, Es sind dies mit Schwamm-
füllung versehene Stoffbälle, die eine grosse Sprung-
kraft haben. Diese Art von Bällen (siehe Abb. 11 u. 13)
werden in bunten Farben hergestellt. Beliebt sind
Bezüge in Nationalfarben, Sie haben sich namentlich
den ausländischen Markt erobert, weil sie neben der
hohen Sprungkraft, die die Balle fast den Gummi-
billen gleichstellt, eine Unempfindlichkeit gegen Hitze
und Kälte besitzen. Bei Nässe sind sie einfach zu
trocknen und ist nachdem vielfach eine Erhöhung der
Sprungkraft bemerkbar geworden. Die Firma ist bis
zur Grenze der Leistungsfähigkeit beschäftigt, leidet
jedoch sehr stark an den zur Fabrikation nötigen
Materialien, wie Filz usw., so dass schon grosse Orders
zurückgewiesen werden mussten. Auch ein immer
stärker werdender Personenmangel tritt immer mehr
zutage.
Neben den „Globus“ -Bällen fabriziert die Firma
noch Spielbälle mit Holzwollstopfung.
Abb. 10. Kinder beim Modellieren,
Herstellerin des Modellierspieles: Firma Otto Manjock, Dresden.
Die deutsche Spielwaren-Industrie und das vierte deutsche Kriegsweihnachtsfest. r
Abb. 11. Abb. 12.
» Globus''- Ball sechsteilig.
Eine weitere Besonderheit ist Christbaumschmuck
(siehe Abbildung 12). Die ges. gesch. Pappbille sind
weiss lackiert und mit Glasflimmer überzogen. Zum
Aufhängen am Baume dient ein seidenartiger Henkel.
Sobald wieder normale Zeiten eintreten, hofft die
Firma der riesigen Nachfrage nach den vorgenannten
beliebten Erzeugnissen gerecht werden zu kónnen.
Kiss Pfiitzenfritzchen‘, so nennt sich ein neues
" unzerreissbares Künstler- Kinderbilderbuch, das
der Pfützenfritzchen-Verlag in Nürnberg,
Bauerngasse 5, der Kinderwelt widmet. Ausgestattet
mit etwa 30 vielfarbigen Bildern eines ersten Mün-
chener Künstlers schildert es in vorzüglich flotten
Versen in 10 Geschichten die Hauptunarten unserer
kleinen Lieblinge in lustiger und erzieherisch wirk-
samer Weise. Seit Struwelpeters
Zeiten ist dieses empfehlenswerte
Bilderbuch wieder einmal ein voller
Schlager, der von der Lehrerpresse
als „ganz hervorragende Neuerschei-
nung“ gepriesen wird. In den Käufer-
kreisen hat die Neuheit begeisterte
Aufnahme gefunden, wie die guten
Kaufabschlüsse zur Leipziger Herbst-
messe zeigten, wo dieser Schlager
erstmalig ausgestellt war. Das bei-
gegebene Bildchen stellt eine Wie-
dergabe des prachtvollen bunten
Titelbildes dar. Wünschen wir der
deutschen Kinderwelt viel Vergnü-
gen beim Studium des ,,Pfützen-
fritzchens''!
Ke der im Jahre 1889 von dem
jetzigen Inhaber der Firma
Armin Liebmann in Gera
(Reuss) gegründeten Musikinstru-
menten-Fabrik werden die in Fach-
kreisen hochgeschätzten Ziehhar-
monikas, Marke „Excelsior“,
fabriziert.
Die Zug- oder Ziehharmonika
(französisch Accordéon), auch Berg-
mannsklavier genannt, weil früher
fast ausschliesslich nur von Bergleuten, Kohlengruben-
arbeitern usw. gespielt, ist durch ganz bedeutende Ver-
besserungen im Laufe der letzten 20 Jahre zu einem
Volksinstrument im wahrsten Sinne des Wortes ge-
worden! Namentlich hat hierzu die sehr beliebte Bau-
art der sogenannten Wiener, auch Italiener genannt,
Christbaumschmuck.
Ges. gesch. Pappbälle mit Glasflimmer.
Fabrikate der Firma Otto May, Mechanische Spielballfabrik, Ehrenfriedersdorf i. Sa.
(zen
f
* a Dep
Abb. 14. Neuartiges
Künstler - Kinderbilderbuch.
Pfützenfritzchen -Verlag,
Nürnberg.
Abb. 13,
»Globus'- Ball vierteilig.
wesentlich beigetragen. Die gefällige und handliche
Form dieser Ziehharmonikas gestattet, chromatische
Instrumente bis fünf Oktaven in verhältnismässig
kleinem Format zu fabrizieren, ausserdem ermöglicht
die Wiener Bauart eine hübsche, ja sogar luxuriöse
Ausstattung (Neusilber, Perlmuttereinlage usw.), so dass
diese Instrumente, welche ferner eine angenehme Ton-
fülle besitzen, sich die Gunst weiterer Volkskreise er-
obert haben.
Auch in dem jetzigen, grossen Weltkriege spielt
die Ziehharmonika eine Rolle, indem viele Tausende
an unsere Kämpfer in die Schützengräben, an die
Flotte usw. versandt werden. —
Ferner fabriziert die Firma Armin Liebmann die
gesetzlich geschützten Amabile-Musikwerke (mit
auswechselbaren runden Metall-
noten), die vorwiegend der Unter-
haltung für Kinder, in Familien,
Tanzkränzchen usw. dienen. Diese
Instrumente erfreuen sich durch ihre
angenehme, melodiöse Musik einer
immer weiteren Verbreitung.
Schliesslich sei noch die als dritte
Spezialität fabrizierte Simplex-
Harmonika erwähnt, ein me-
chanisch spielbares Instrument in
Bandonionform. Diese Harmonika
ermöglicht den Unmusikalischen,
sich eine angenehme Unterhaltung
zu verschaffen, ja sogar bei etwas
Übung, Virtuos zu werden!
Die Instrumente der Firma Armin
Liebmann sind auf mehreren Welt-
ausstellungen mit ersten Preisen aus-
gezeichnet worden, (Siehe Inserat S.15.)
Ye dem Namen ‚Oleoplast‘
bringt die Kunst- und Ver-
lagsanstalt „Oleoplast“
GmbH in Hamburg neuartige
künstlerische Gemälde - Postkarten
heraus. Die Karten sind Ölgemälden
verschiedener Meister täuschend
nachgebildet. An den Karten glaubt
man die Pinselführung der Originale wahrnehmen zu kön-
nen. Ohne Zweifel wird diese Neuheit in weitesten Kreisen
viel Beifall finden und Sammler werden von den fort-
schreitend erscheinenden Neuheiten mit Interesse Kennt-
nisnehmen. Zu Geschenkzwecken und als Zimmerschmuck
eignen die Oleoplast-Olgemilde-Postkarten sich sehr.
Stoot
8 Die Bedeutung der Pumpenfabrikation fiir andere Industrien.
Die Bedeutung der
für andere
‚Apgesichts der hohen Bedeutung, die die Pumpen-
fabrikation für fast alle anderen Industrien besitzt,
dürfte es mit Rücksicht auf den
nach dem Kriege zweifellos kom-
menden allgemeinen wirtschaft-
lichen Aufschwung von Interesse
sein, auf ein grosses Werk für
Pumpenfabrikation näher einzu-
gehen.
Zu den grössten Firmen auf
diesem Gebiete gehört die im
Jahre 1871 gegründete und aus
kleinen Anfängen hervorgegan-
gene Klein, Schanzlin &
Becker- Aktiengesellschaft
in Frankenthal in der Pfalz.
Der Leiter des Unternehmens,
aus dem die Mitbegründer Schanz-
lin und Becker schon nach kurzer
Zeit ausschieden, war von Anfang
„an der Ingenieur Joh. Klein,
Im Gründungsjahre beschäftigte
die Firma 12 Arbeiter und be-
fasste sich hauptsächlich mit der
Herstellung von Armaturen. Nach
und nach erweiterte sich aber mit
der Vergrösserung des Betriebes
auch das Arbeitsfeld; so kam
besonders die Pumpenfabrikation
hinzu, die heute von dem Unter-
nehmen als weltbekannte Spezialität betrieben wird.
Infolge der rastlosen Tätigkeit des Leiters der Firma
konnte der in den 70er und 8oer Jahren des vorigen
?
wh, y %
al EEE
E
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Kommnerzienrat Joh. Klein +.
2500 PS zur Verfiigu
die Fabrik erheblich
Pumpenfabrikation
Industrien. |
Jahrhunderts erfolgte allgemeine industrielle Aufschwung
so wahrgenommen werden, dass die Firma bald zu den
ersten Unternehmungen ihrer In-
dustrie gezählt wurde. Im Jahre
1887 wurde die Firma in eine
Aktiengesellschaft umgewandelt.
Heute umfassen die Fabrikanlagen
einen Gesamtflicheninhalt von
rund 200000 qm, und die Zahl
der Beamten und Arbeiter be-
trägt 4000. Das Aktienkapital
ist nach und nach auf 3 Millionen
Mark erhöht worden.
Die mustergültigen Fabrik-
bauten sind durchweg sehr tief,
einstöckig und mit Oberlicht ver-
sehen; der grösste Wert ist auf
Übersichtlichkeit, Helligkeit der
Räume und besonders auf voll-
kommene Einrichtungen, mo
dernste Werkzeugmaschinen und
Vorrichtungen gelegt worden
Für den Antrieb von mehr als
1500 Werkzeugmaschinen, für
Prüffelder und für die Beleuch-
tung der Fabrik stehen Dampi-
kessel von 1500 qm Heizfläche,
ferner 2 Dampfmaschinen, 2 Um-
former und 1 Turbogenerator nit
einer Leistung von zusammen
ng. Wührend des Krieges wurde
vergróssert,
Aus der Pumpenfabrik des Werkes ist eine Anzahl
Europas bedeutendste Trinkwasserversorgung: Landesversorgung Niederstotzingen bei Ulm.
Die Anlagen wurden ausgeführt von der Klein, Schanzlin & Becker Akt.-Ges. in Frankenthal, Pfalz.
— —
"occcc—— —
—— — € — ee ege,
Die Bedeutung der Pumpenfabrikation für andere Industrien. 9
Vorratslager von Simplexpumpen.
bekannter Pumpenkonstruktionen hervorgegangen. Von
diesen hat besonders die Kleinsche Una-Pumpe
grosse Verbreitung gefunden. Gh ichzeitig wurde dem
Bau von sonstigen Pumpenarten, wie einfacher Kolben-,
Dampf-, Zentrifugal- und Luftpumpen, als auch dem
Bau von Kompressoren hohes Interesse zugewandt. In
neuerer Zeit ist man auch zur Fabrikation von Hand-
pumpen, wie Frankonia-, Handkolben-, Diaphragma-,
Abessinier- und Flügelpumpen übergegangen.
In grósserem Umfange betreibt die Firma heute
den schon früh aufgenommenen Bau von Zentrifugal-
pumpen für grosse Fórdermengen und Förderhöhen.
Aus den Hochdruck-Zentritugalpumpen hat sich die
bekannte Miniatur - Zentrifugalpumpe „Kleinod“
herausgebildet.
Für die chemisch-technische Industrie hat die Firma
eine ganze Reihe bewährter Spezialkonstruktionen von
Zentrifugalpumpen geschaffen, die besonders zur Fórde-
rung von allen Arten Säuren, Laugen oder verunreinigten
Flüssigkeiten geeignet sind und vermöge ihrer gut aus-
gebildeten Schaufelkonstruktionen auch aus hohem
Vakuum saugen können. Diese Pumpen werden je
nach der Art der Flüssigkeit aus Bronze, Stahlguss
oder sonst säurebeständigem Material hergestellt. Für
die Förderung von schleimigen und breiigen Mas-en
werden Membran- und Plungerpumpen mit Kugel-
ventilen geliefert.
Bei allen Fabrikaten der Firma wird besonders
darauf geachtet, dauernd Verbesserungen zu schaffen,
und die Bestrebungen
und Erfolge des Wer-
kes in dieser Rich-
tung sind auch all-
seits anerkannt wor-
den. Die (Jualität
des zu verarbeitenden
Rohmaterials wird im
eigenen Laboratorium
stetseinersorgfältigen
Kontrolle ^ unterzo-
gen; ebenso werden
auch alle ausgehen-
den Fertigfabrikate
ausnahmslos vor dem
Versand genau ge-
prüft und probiert.
Die Gesellschaft ver-
wendet jährlich für
den inneren Ausbau
des Betriebes bedeu-
tende Summen, um ,
dadurch alle Betriebs-
zweiye auf moderner
Höhe zu halten und
Transportable Diaphragmapumpe.
Herstellerin: Klein, Schanzlin & Becker Akt.-Ges. in Frankenthal, Pfalz.
Herstellerin: Klein, Schanzlin & Becker Akt.-Ges. in Frankenthal, Pfalz.
durch wissenschaftliche Arbeiten und ständige Ver-
suche auch den Anforderungen der Zukunft gerecht
zu werden. Auf zahlreichen grossen Ausstellungen
des In- und Auslandes wurden der Gesellschaft erste
Auszeichnungen zuerkannt.
Eine besondere Spezialität der Gesellschaft ist die
Herstellung der für alle Industrien ausserordentlich
wichtigen Kondenstöpfe, die der gefahrlosen wirtschaft-
lichen und selbsttätigen Ableitung des Kondenswassers
aus Rohrleitungen, Dampfzylindern usw. dienen; von
Kleinschen Kondenstöpfen, die gleichsam den Standard-
Kondenstopf darstellen, sind weit über eine halbe Million
Stück im Gebrauch.
Die Firma war auch auf der Leipziger Messe mit
verschiedenen Spezialartikeln vertreten. Ausgestellt
waren besonders Pumpen für den Export und die Land-
wirtschaft, wie Handpumpen allerart und die bekannten
Kleinschen Fliigelpumpen, Diese Pumpentypen nehmen
innerhalb der ausgedehnten Fabrikation der Firma einen
besonderen Raum ein; sie werden als Massenfabrikate
in allen (Grössen und für alle Zwecke hergestellt und
stets in grossem Vorrat auf Lager gehalten.
Besondere Erwühnung verdient noch ein Pumpen-
typ, den das Werk auf Grund seiner langjährigen Er-
fahrungen zu einer Vollendung herausgearbeitet hat,
die nicht mehr übertroffen werden dürfte: die so-
genannten Simplexpumpen (schwungradlose Dampf-
pumpen) für Kesselspeisung und Wasserfórderung. Sie
arbeiten bei einem Druck bis zu r5 Atm. und 150 mi
Fórderhóhe, sind in
sich geschlossene
Maschinen, die fer-
tig zusammengestellt
und geprüft zum Ver-
sand kommen, keiner
schweren Fundamente
bedürfen, nach Her-
stellung der Rohr-
anschliisse sofort be-
triebsfähig sind und
in jeder Kolbenstel-
lung sofort selbst-
tätig anlaufen, sobald
Dampf aufgelassen
wird. Sie besitzen
grosse Leistungs-
fähigkeit bei ein-
facher, solider Kon-
struktion, geringem
Raumbedarf und bil-
ligem Preis. Alle Teile
sind leicht zugäng-
lich und auswechsel-
bar, Gegenüber den
10 Die Bedeutung der Pumpenfabrikation für andere Industrien.
Duplexpumpen haben sie den Vorzug grösserer Ein-
fachheit und dadurch bedingter grösserer Betriebs-
sicherheit, während die Reparaturkosten er-
heblich geringer sind, da die Simplexpumpe
weniger bewegte, dem Verschleiss unter-
worfene Teile hat; auch bedürfen sie ge-
ringer Wartung, da wenig Schmierstellen
und Stopfbüchsen vorhanden sind. Schliess-
lich ist bei ihnen auch der Dampfverbrauch
geringer, da nur ein Zylinder unter Dampf
steht und die schädlichen Räume infolge-
dessen kleiner sind. Simplexpumpen können
innerhalb ihrer Leistungsgrenzen
auf jede Hubzahl eingestellt
werden, was hauptsächlich bei
Speisung von Dampfkesseln grosse
Vorteile bietet, da man die Pum-
penleistung der Verdampfung des
Kessels genau anpassen kann.
Der im Jahre 1897 zum Kgl.
» Bayer. Kommerzienrat und im
Jahre 1915 zum Ehrenbürger
der Stadt Frankenthal ernannte
Begründer des Werkes Joh. Klein
trat 1906 in den Aufsichtsrat über
und stellte als dessen Vorsitzen-
der bis zu seinem am 23. Ok-
tober 1917 erfolgten Tode seine
reichen Erfahrungen und weit-
gehenden Beziehungen .in den
Dienst seines Werkes. An der
Spitze der A ktiengesellschaft steht
seit 1906 sein jüngerer Bruder, Direktor Jakob Klein,
unter dessen tatkrüftiger und umsichtiger Leitung sie
ihre jetzige Grósse und ihren Weltruf erlangte.
Es dürfte auf der Hand liegen, dass das Werk
wührend des Krieges in weitestem Umfange auch in
Kleins Flügelpumpe.
Herstellerin:
Klein, Schanzlin
& Becker Akt.- Ges.,
in Frankenthal, Pfalz.
LITT „an
den Dienst des Heeres und der Marine gestellt worden
st; geliefert werden ausser direktem Kriegsmaterial in
grosser Anzahl Pumpen für Schützengrabenentwässerung
und andere Kriegszwecke. Im November 1916 trat
die Gesellschaft in eine Fabrikationsgemeinschaft zu
der weltbekannten Lederfirma Cornelius Heyl] in
Worms, der
sie ihre reichen
technischenEr-
fahrungen zur
Verfügung
stellte und so
die Teilnahme
an Arbeiten für
den Heeresbe-
darf in weitem
Masse ermög-
lichte. Ferner
wurde kürzlich
in Pirmasens
eine Zweigfa-
brik mit etwa
600 Personen
angegliedert.
Die Gesell-
schaft hat sich
dadurch ein
anerkennens-
wertes Ver-
dienst auch in
nationalem wie
humanitärem Sinne erworben, indem sie durch Um-
stellung bisheriger an Arbeitsmangel leidender Be-
triebe der Leder- bzw. Schuhfabrikation in solche der
Kriegsindustrie es Hunderten von Arbeitern und
Arbeiterinnen ermöglichte, auch weiterhin lohnenden
Erwerb an ihren Heimatorten zu finden.
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Kleins Kondenstopf.
Herstellerin:
Klein, Schanzlin & Becker Akt.- Ges,
in Frankenthal, Pfalz.
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Deutfche Mafchinenfabrik&G
Manner der Industrie. — Biicherbesprechungen. 11
d
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J
d
®
^
D
5
He! Kommerzienrat August
Ventzki in Graudenz,
der Begründer der Maschinen-
fabrik gleichen Namens, hat
als Ingenieur seine hohen tech-
nischen Kenntnisse, die er in
Friedenszeiten so oft bewiesen
hat, sofort nach Ausbruch des
Weltkrieges dem kriegstech-
nischen Gebiete zugewendet.
Auch hier blühten ihm grosse
Erfolge und in Anerkennung
seiner hohen Verdienste ist ihm
neuerdings vom österreichischen
Kaiser, bei dessen Armee die
wichtigen Erfindungen eben-
Xototototototototorotororotorotototoroterototototc
Kommerzienrat August Ventzki.
|» Industrie.
falls eingeführt sind, das Offi-
zierskreuz des Franz Joseph-
Ordens mit Kriegsdekoration
verliehen worden. Von deut-
scher Seite aus fanden seine si
Leistungen gebührende Aner- Q
kennung durch die Verleihung
des Eisernen Kreuzes am weiss- :
schwarzen Bande und verschie-
dener Orden der Bundesfürsten.
Der Sultan ehrte den bekannten
Erfinder durch die Verleihung
des Eisernen Halbmondes.
Möge seine technisch - schöpfe-
rische Tätigkeit noch weitere
Erfolge zeigen.
Bücherbesprechungen.
Türkisch für Offiziere und Mannschaften. Gespräche,
Wörtersammlung und Grammatik zum Selbstunterricht.
Mit einem Anhang: Gespräche mit Verwundeten und
Kranken. Von Wely Bey Bolland. 8°, 156 S.,
steif geheftet mit eingestecktem kleinen Soldaten-
sprachführer. Mk. 4.80. Verlag von Wilhelm Violet
in Stuttgart.
Unsere nach dem Orient abgehenden Soldaten, Pfleger
und Pflegerinnen können nichts Besseres tun, als sich mit
diesem praktischen Führer zu versehen. Kenner und Nicht-
kenner der türkischen Sprache und Schrift werden ihn mit
gleichem Nutzen verwenden können. Übrigens ist dieses Buch
infolge seines reichen Inhalts an praktischem Sprachstoff geeig-
net, jedem Türkisch Lernenden vorzügliche Dienste zu leisten.
Heliogabal. Von Louis Couperus. Nach dem holl. Original
übertragen und bearbeitet von Else Otten. Geheftet
Mk. 6.—, gebunden Mk 7.—. Verlag der Literarischen
Anstalt Riitten & Loening, Frankfurt a. M.
Diese Arbeit hat mit der ersten Schilderung des Lebens
des rémischen Kaisers Heliogabalus von Aelius Lampridius
nur die nackten Tatsachen der Geschichte gemein. Couperus
überrascht in seinem Romane ,,Heliogabal“ durch die Fein-
heit der Motivierungen, die unendliche Mannigfaltigkeit der
psychologischen Beziehungen, durch die anschauliche Plastik
der Charaktere, die dramatische Wucht der Handlung und
den Reichtum der Bilder an gliihenden Farben.
Indienfahrt. Von Waldemar Bonsels. Geheftet Mk.5.—,
in Halbleinen Mk. 6.50. Verlag der Literarischen An-
stalt Riitten & Loening, Frankfurt a. M.
Bonsels sah das Wunderland Indien mit seinen besonderen
deutschen Dichteraugen und so sehen und erleben wir es mit
ihm, wenn wir dieses Buch lesen, das Indiens Wunder in den
prachtvollsten Worten uns offenbart.
Indien. Von Dr. Sten Konow, Professor fiir Kultur und
Geschichte Indiens, Hamburg. (Aus Natur und Geistes-
welt. 614. Bändchen.) Gebdn. Mk. 1 50, geheftet Mk. 1.20.
Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1917.
Bei der besonderen Stellung, die Indien innerhalb des
britischen Reiches einnimmt, und den Hoffnungen, die man
vielfach bei uns an diesen Umstand geknüpft hatte, spielt das
indische Problem in den öffentlichen Erörterungen eine be-
deutende Rolle. Das vorliegende Bändchen eines eingehenden
Indienkenners, des schwedischen Gelehrten und jetzigen Pro-
fessors am Hamburger Kolonialinstitut, Sten Konow, das
ohne Leidenschaft und Parteinahme in das Verständnis des
indischen Problems einführt, verdient Beachtung. Die von
tiefer Sympathie für Indien getragene Darstellung gibt, aus-
gehend von einer Erörterung der Bodenbeschaffenheit und
klimatischen Verhältnisse Indiens ein Bild der Bevölkerungs-
verhältnisse, der Rassen und Kasten, der Sprachen und Dialekte,
wie der religiösen Verhältnisse, der Volkswirtschaft und Ver-
waltung des heutigen Indiens.
Der den Schluss der Darstellung bildende historische
Überblick legt besonderes Gewicht auf Geschichte und Leistung
der indischen Kultur.
Winke für die Anlage und Führung der Registratur
im neuzeitlichen Geschäftsbetriebe und bei
Behörden.
Im Verlag der bekannten Fabrik Stolzenberg, Oos-
Baden, erschien soeben das oben genannte Werkchen, welches
eine längst gefühlte Lücke in der Literatur über Bureaubedarf
ausfüllt und zahlreichen Interessenten willkommene Belehrung
und Aufklärung über die verschiedenen Methoden der Brief-
ablage oder Registratur geben wird.
Die Abteilung Registratur hat bislang an den wenigsten
Stellen die Würdigung erfahren, die sie verdient, und die
Auffassung war nicht selten, dass ein gerade von der Schule
gekommener Lehrling genüge, um die Registratur auf Grund
einiger flüchtiger, mündlich erteilter Instruktionen zu besorgen.
Wer das Sıolzenberg-Buch über Registratur gelesen hat, wird
anderer Meinung sein und einsehen, dass es auch bei der
Briefablage Probleme gibt, welche gelöst sein wollen, und dass
die sachgemässe Erledigung der Registratur eine Erfahrung
verlangt, welche der Lehrling nicht besitzen kann.
Nicht nur die Selbstgebraucher, also kaufmännische, indu-
strielle und behördliche Bureaus würden gut tun, ein oder
mehrere Exemplare des Buches (Preis Mk. 1.—) für ihre
Registraturbeamten anzuschaffen, sondern auch die Beamten
selbst sollten die kleine Ausgabe nicht scheuen. Für Handels-
schulen ist das Werkchen direkt als ein Lehrbuch anzusprechen,
welches weder in der Bibliothek der Anstalt selbst, noch in
den Händen der Lehrer fehlen sollte, welche die angehenden
Jünger Merkurs auszubilden haben. Das Buch bietet den
Lehrern der Handelswissenschaft mancherlei Hinweise, wie
sie das praktische Wissen ihrer Schüler nach wichtigen Rich-
tungen erweitern können, und ganz besonders da, wo Muster-
kontore den Schulen angegliedert sind, ist das Buch von nicht
zu unterschätzendem Werte, so dass diese Anschaffung bestens
empfohlen werden kann.
—
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4 Die Leipziger Messen im Dienste des deutschen Kunstgewerbes.
zu sehen, die entweder zum direkten Verkauf stehen
oder der Industrie als Modelle dienen sollen,
Für die hier in Rede stehenden Zwecke wird auf
der Messe nicht mit Unrecht eine Ausstellung kunst-
gewerblicher Erzeugnisse verschiedener Art nach dem
Vorbilde der Museen als abwegig betrachtet. Kropf
schlägt ein im Zentrum des Messbetriebes liegendes
Gebäude für die Zusammenfassung der kunstgewerb-
lichen Messausstellungen vor. Dabei wird die unent-
geltliche Hergabe der für diese Ausstellungszwecke
in Betracht kommenden Räume gewünscht. Begründet
wird dieser Vorschlag: ‚Nur so ist es zu erreichen,
dass diejenigen Industriellen, die in der Güte einwand-
freie Dinge erzeugen, sich auch bereit erklären, diese
gesondert auszustellen. Derartige Industrielle haben
gewöhnlich bereits langjährige Verträge auf ihre ge-
mieteten teuren Plätze.“ Kropf ist der Meinung, dass
man daher von ihnen ‚unmöglich noch Geld für weitere
Platzmiete verlangen‘ könne,
Sicherlich ist zunächst einmal diese Geldfrage nicht
die Hauptseite des Problems. Aber es will uns scheinen,
als wenn der finanzielle Gesichtspunkt durch diese
Forderung unnütz stark betont ist. So „geldscheu‘'
sind glücklicherweise auch im Kunstgewerbe zahlreiche
Interessenten nicht, dass sie von der Mietfrage ihre
Beteiligung abhängig machen werden. Aller Wahr-
scheinlichkeit nach werden die so in Betracht kom-
menden Sondermieten für die Vertretung auch in dem
kunstgewerblichen Messpalast für manche Zweige keine
nennenswerte Rolle spielen. Vielleicht kommt man
zu dem von Kropf gewünschten Ergebnis schneller,
wenn man die Möglichkeit ins Auge fasst, nur die-
jenigen Kunstgewerbezweige, die solcher Unterstützung
bedürfen, zu begünstigen. Da zudem ja auch zahl-
reiche Unternehmer kunstgewerblicher Erzeugnisse bis-
her nicht auf der Messe waren, so fällt für diese der
Gesichtspunkt doppelter Miete von vornherein fort. Es
kann allerdings in manchen Fällen nötig und zweck-
mässig sein, einzelne Vertreter bestimmter Kunst-
gewerbezweige oder grössere Gruppen zunächst ein-
mal durch Mietfreiheit oder Mietnachlass für die Be-
teiligung an diesem Teil der Leipziger Messe zu ge-
winnen.
Im übrigen gehen Kropfs Vorschläge darauf hin-
aus, allerdings durch die Mietfreiheit die Möglichkeit
einer Art Zulassungsprüfung der auszustellenden Er-
zeugnisse zu schaffen. Es heisst in dieser Hinsicht:
„Die Waren, die dieses kunstgewerbliche Messhaus
zeigen würde, müssten durch eine Kommission aus-
gesucht werden, die gleichzeitig engste Fühlung mit
den Fabrikanten, mit den Künstlern und Einkäufern
unterhalt, die ein sachlich begründetes Verstündnis für
die Wünsche dieser drei Gruppen hat. Dann würde
es also ein Ehrentitel sein, in diesem Hause auszu-
stellen, Eine Abstempelung, die noch weiter unter-
strichen würde durch die Art der Aufstellung, der Aus-
gestaltung der Ráume und der Drucksachen, Ist die
Wahl der Gegenstande getroffen, so wiren sie dem
Leiter dieses Hauses zu überantworten, der die Auf-
stellung beaufsichtigt und den Verkehr zwischen den
Parteien in die Wege leitet," Demnach würde hier
allerdings der übliche direkte Messverkehr zwischen
Erzeuger und Einkäufer fortfallen. Es würde sich
zum mindesten zwischen den Fabrikanten und den
Händler der sachverständige Leiter des kunstgewerb-
lichen Messpalastes schieben. Die Idee wird im ersten
Augenblick manchen Messfreund betremden. Aber
auch hier wird es sich darum handeln, in der prak-
tischen Umlernung einige Fähigkeiten zu entwickeln.
Es schadet jedenfalls gar nichts, wenn sich auch die
Formen des Messverkehrs weiterentwickeln, für be-
stimmte Bedürfnisse neue Formen annehmen. Es
leuchtet ein, dass eine derartige Mittelsperson Wün-
schen und Anregungen aus kunstgewerblich interes-
sierten Kreisen gewöhnlich viel objektiver gegenüber-
stehen wird, als die Erzeuger selbst Umgekehrt
wird er — entsprechende Fähigkeiten vorausgesetzt —
nicht selten die Gesichtspunkte neuer kunstgewerblicher
Richtungen usw. an Hand der für den Messbetrieb
ausgesuchten Musterexemplare doch recht eindringlich
zur Geltung bringen können.
Den Betrieb in dem kunstgewerblichen Messpalast
denkt sich Kropf im übrigen durchaus ‚‚messgemäss‘“,
Denn: es muss also, um dem Sinn und dem Zweck
der Messe zu entsprechen, für den Einkäufer möglich
sein, in der kürzesten Zeit seine Wünsche und An-
fragen zu befriedigen. Der Dilettantismus im Kunst-
gewerbe, der sich bedauerlicherweise auch auf der
Messe gelegentlich recht breit gemacht hat, müsste
von der kunstgewerblichen Halle grundsätzlich ausge-
schieden sein. Begründet wird diese Forderung da-
mit, dass sonst der Besuch dieses Messpalastes den
Eindruck des deutschen Kunstgewerbes verderben und
den wünschenswerten guten Ruf der Messe in dieser
Hinsicht gefährden könnte.
Zweifelsohne kann in kunstgewerblicher Hinsicht
die Messe in Zukunft, selbst wenn die im vorstehenden
erörterte Idee auch in etwas anderer Form Verwirk-
lichung findet, noch ausserordentlich viel leisten. In
nicht wenigen Gewerbezweigen, die bisher auf der
Messe ausstellten, liegen in der Tat die Verhältnisse
so, dass infolge Unkenntnis künstlerischer Gesichts-
punkte und berechtigter kunstgewerblicher Forderungen
Fabrikate auf manchen Ständen zu sehen waren, die
bei entsprechender Anregung von den Erzeugern ebenso-
gut hätten in ästhetisch befriedigenderer Form ausgeführt
werden können. Gelingt es, in irgendeiner Form die
Beteiligung des Kunstgewerbes an den Messen wesent-
lich zu fördern, so wird umgekehrt daraus auch für
die gewöhnlichen Ausstellungen manche Befruchtung
gezeitigt werden, Der Kunstgewerbler wird bei man-
chen Erzeugnissen, die er zur Ergänzung seiner Aus-
stellungen usw. braucht, die ästhetischen und sonstigen
Gesichtspunkte zur Geltung bringen können, Dadurch
werden viele Industrielle, Techniker und Erfinder oft
auf Gesichtspunkte aufmerksam gemacht werden, die
ihnen bis dahin mehr oder minder unbekannt waren,
Es kommt hinzu, dass naturgemäss auch zahlreiche Er-
zeugnisse für den normalen Messbedarf rein nach den
Gesichtspunkten der Zweckmässigkeit für einen be-
stimmten Gebrauch entstanden sind. Erst in der wei-
teren Entwicklung kann dann die kunstgewerbliche
Ausgestaltung ins Auge gefasst werden. Das wird
natürlich bei grosser Beteiligung kunstgewerblicher
Kreise auf zukünftigen Messen schneller als früher er-
reichbar sein, Diese Interessenten werden ja neben
der persönlichen Betonung ihrer kunstgewerblichen
Anforderungen auch durch Fachpresse, durch Mess-
vorträge usw. zu wirken suchen. Wir heben diese Ge-
sichtspunkte darum hervor, um denjenigen Freunden
der Leipziger Messe, die ebenfalls für entschiedenere
Heranziehung kunstgewerblicher Interessenten sind, aber
Bedenken gegen Gratisplätze usw. haben, zu zeigen,
dass auch auf anderen Wegen dem Ziel mehr oder
minder nahezukommen ist,
Für den Gedanken eines kunstgewerblichen Mess-
palastes mit finanziell unabhängiger Leitung durch ge-
eipnete Künstler und Kunstgewerbler während der
Messe macht Kropf noch die Tatsache geltend, dass
die Leipziger Zusammenkünfte bis jetzt die einzige
Möglichkeit sind, um die massgebenden Ein- und Ver-
käufer der Industrie- und Gewerbezweige an einem
Zeitpunkt zu treffen. Daraus folgert er mit Recht,
dass es wünschenswert ist, dieses Zusammensein aller
Faktoren, welche auf Güte und Form der deutschen
Waren entscheidenden Einfluss haben, auch praktisch
auszunutzen, um durchgreifende Verbesserungen künstle-
rischer und ähnlicher Art zu erzielen. Zugegeben muss
werden, dass bis zu einem gewissen Grade der ge-
nannte Autor auch recht hat wenn er sagt, dass es
Österreichs Haarhut- Industrie. — Handelsteil. — Bücherbesprechungen.
5
oft den Einkäufern gewisser Warengattungen schwer
ist, dem Fabrikanten klarzumachen, was in kunst-
gewerblicher Hinsicht gewiinscht wird, da beide in
den wenigsten Fallen über das entsprechende Zeichen-
talent verfügen. Auch die Adresse von Künstlern
brauchbarer Art für diese Zwecke ist gewöhnlich un-
bekannt, ja bisher kamen diese Kreise wohl auch
überhaupt nicht auf den Gedanken, rechtzeitig einen
Kunstgewerbler hinzuzuziehen. Als Ausweg hieraus
sieht Kropf den Gang dieser Interessenten auf der
Messe zur kunstgewerblichen Ausstellung vor, wo auch
Entwürfe sein sollen, damit hier mit den Künstlern
oder mit entsprechend gebildeten Vertretern die Fragen
besprochen werden.
Wenn wir auch nicht wissen, wann endlich einmal
wieder Friedensmesse sein wird, so müssen wir uns
doch klar sein, dass wir auch in dieser Hinsicht Vor-
arbeiten zu leisten haben. Lassen wir es dahingestellt
sein, ob die Messversuche in feindlichen und neutralen
Ländern für die Zukunft Bedeutung behalten oder nicht.
Auf alle Fälle müssen wir uns klar sein, dass nach
dem Frieden die Kritik unserer jetzigen Feinde an den
deutschen Erzeugnissen viel schärfer als jemals früher
sein wird, Ob der Franzose in den Fragen des Ge-
schmacks nun tatsächlich immer das Richtige trifft oder
nicht, kann hier auch unerörtert bleiben, wenn es uns
nur gelingt, die deutschen Industrien ganz allgemein
dahin zu bringen, durchweg ihre Fabrikate auf der
Messe in solcher Beschaffenheit auszustellen, dass tat-
sächlich nicht mehr grobe Verstösse gegen grundlegende
Gesichtspunkte der künstlerischen Gestaltung und der
kunstgewerblichen Geschmacksbildung zu verzeichnen
sind.
Die Frage der Ausgestaltung der Leipziger Messe
im Interesse der Qualitätsarbeit und der kunstgewerb-
lichen Förderung ist sicherlich wichtig genug, um noch
während der Kriegszeit die Interessenten zu beschäfti-
gen. Von der glücklichen Lösung auch dieser Frage
hängt nicht wenig die Zurückgewinnung ausländischer
Absatzmärkte für die besseren deutschen Fabrikate
ab. Uns muss jedenfalls daran liegen, in Zukunft noch
viel mehr als vor dem Kriege durch Qualitätsarbeit zu
wirken. Die Leipziger Messe ist aber das beste Spiegel-
bild deutscher Leistungsfähigkeit. Zeigen in zukünf-
tigen Friedensmessen die ausgestellten Waren der ver-
schiedenen Branchen, dass neben der Güte der tech-
nischen Ausführung auch der gute Geschmack
auf seine Kosten kommt, so wird das dazu
beitragen, für die deutschen Produkte willig Preise
seitens der Einkäufer internationaler Art zu erzielen,
die unserer Volkswirtschaft ausserordentlich zugute
kommen werden.
Österreichs Haarhut-Industrie.
Di im vorigen Jahre in Deutschland verfügte Beschlag-
nahme der rohen Hasen- und Kaninfelle und das damit
ergangene Ausfuhrverbot für Hasen- und Kaninhaare hatte für
die österreichische Haarhut- Industrie eine arge Bedrängnis
zur Folge. Ja man fürchtete sogar eine Lahmlegung der Be-
triebe durch den Mangel an Rohstoffen. Die österreichische
Regierung hat nun nach längeren Verhandlungen mit der
deutschen Regierung ein Abkommen geschlossen, wonach die
wechselseitigen Beziehungen durch Entgegenkommen von
beiden Seiten für die Kriegsdauer und auch für die Über-
gangswirtschaft aufrechterhalten werden können. Österreich
gestattet neuerdings die Ausfuhr eines Teiles der auch weiter-
hin beschlagnahmten Hasen- und Kaninfelle nach Deutschland
unter der Bedingung, dass das durch Veredlung gewonnene Haar,
entsprechend der ausgeführten Menge Felle wieder an die öster-
reichischen Hutfabriken zur Verteilung zurückgeführt werden
muss. Die deutsche Regierung hat die Ausfuhr des Haares
genehmigt. Mit der Durchführung der ganzen Geschäfte, in
Deutschland wie in Osterreich, wurde ein Leipziger Haus be-
traut. Für den deutschen Fellhandel gewiss eine Auszeichnung!
Handelsteil.
50 Jahre Dürkoppwerke. Eine der bekanntesten
führenden Firmen der Maschinen-Industrie Deutschlands, die
Dürkoppwerke A.-G., konnte jüngst auf ihr 50jähriges
Bestehen zurückblicken. Aus den bescheidenen Anfängen
einer kleinen Werkstatt mit 4 Gehilfen, die der jetzt noch als
Generaldirektor an der Spitze des Werks stehende Nikolaus
Dürkopp im Oktober 1867 errichtete, ist unter seiner tat-
kräftigen und zielbewussten Leitung ein Werk von gewaltigem
Umfang geworden, dessen Anlagen allein in Bielefeld, Berlin
und Graz eine Bodenfläche von 300000 Quadratmeter bedecken,
und das einschliesslich seiner Niederlassungen in Berlin,
Brüssel, Chemnitz, Graz und Wien 6000 Angestellte und Be-
amte beschäftigt. Am 1. April 1889 erfolgte die Umwandlung
der offenen Handelsgesellschaft in eine Aktiengesellschaft mit
einem Kapital von 2500000 M., das inzwischen auf 4500000 M.
erhöht worden ist. Die Erzeugnisse der Gesellschaft: Näh-
maschinen, Fahrräder, Motorfahrzeuge, Milch- und Ölschleu-
dern geniessen seit Jahren Weltruf.
Bücherbesprechungen.
Von Deutschlands Industrie und Kunstgewerbe auf
der Leipziger Messe. Von Jean Beck, Mün-
chen. Herausgegeben vom Messamt für die Muster-
messen in Leipzig.
In schmuckem äusseren Gewande hat das Messamt für
die Mustermessen in Leipzig den Wortlaut eines Vortrages,
den der bekannte Münchener Kunstkeramiker Jean Beck
kürzlich im Verein für deutsches Kunstgewerbe E. V. in Berlin
gehalten hat, in Broschürenform herausgegeben und sich da-
mit ein Verdienst erworben. Herrn Jean Beck, der berufensten
Persönlichkeit, dieses wichtige Gebiet zu behandeln, ist übrigens
jüngst vom König Ludwig von Bayern für seine Verdienste
auf dem Gebiete des deutschen Kunstgewerbes das Verdienst-
kreuz des heiligen Michael 4. Klasse verliehen worden. Der
Raummangel gestattet leider ein besonderes Eingehen auf die
hochwichtigen Ausführungen nicht und so sei nur gesagt, dass
der Inhalt des Werkchens, ersichtlich aus den nachverzeich-
neten Angaben, den Leser fesselt und zur restlosen Zustim-
mung wohl allerseits veranlassen wird. Der Verfasser gibt
für alle Stände der Industriellen und der Kunstgewerbe-
treibenden beachtenswerte Fingerzeige, die von hohem Nutzen
sein können. Inhalt: Geschichte und Bedeutung der Leipziger
Messe. — Nachahmungen oder Rivalen der Leipziger Messe.
— Welche Lehren gibt uns die vergangene Zeit? — Wie können
wir den feindlichen Plänen zuvorkommen? — Die deutschen
Erzeugnisse. — Berufung erfahrener Fachleute. — Invaliden-
versorgung. — Aufsteigen betáhigter Kräfte. — Weitere Aus-
blicke. Kunsthandwerk, Kunstindustrie. Das deutsche
Kunstgewerbe. — Volkskunst und Heimarbeit. — Die würdigste
Empfehlung deutscher Erzeugnisse. — Kennzeichnung der
deutschen Arbeit. — Achtungsvolle Namen und Leistungen. —
Japanische und chinesische Exportwaren. — Die tatkräftigste
Vertretung im Auslande. — Schlussworte.
Die Zukunft des Handelsstandes. Von Ingenieur Max
Singer. Eine Kampfschrift, herausgegeben vom
Anzengruber-Verlag Brüder Suschitzky, Wien—Leipzig.
Der Aufstieg. Neue Zeit- und Streitschriften. No.3. Der
typische Verlauf sozialer Bewegungen, Von
Rosa Mayreder. 40 Pfg. — No.45 Friedens-
vorschläge, Schiedsgerichte, Völkerbund.
Von Josef Popper-Lynkeus. 80 Pfg. Heraus-
gegeben vom Anzengruber-Verlag Brüder Suschitzky,
Wien—Leipzig.
Der Wirtschaftskrieg. Die Massnahmen und Bestrebungen
des feindlichen Auslandes zur Bekämpfung des deut-
schen Handels und zur Förderung des eigenen Wirt-
schaftslebens. Herausgegeben vom königl. Institut
für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der Universität
Kiel. I. Abteilung: England, Bearbeitet von Ernst
Schuster und Assessor a. D. Dr. Hans Wehberg, wissen-
schaftlichen Hilfsarbeitern am Institut für Seeverkehr
und Weltwirtschaft. Mk. 13.50. III. Abteilung: Japan.
Bearbeitet von Konsul Leo Ulrich, z. Zt. wissenschaft-
licher Mitarbeiter am königl. Institut für Seeverkehr
und Weltwirtschaft. Mk. 9.—. Kommissionsverlag
von Gustav Fischer in Jena.
Die vorliegende Arbeit soll einen ersten Versuch dar-
stellen, die ungeheure Zahl der Massnahmen und Bestrebungen,
der Pläne und Handlungen, die man unter dem Worte Wirt-
schaftskrieg zusammenfasst und deren Ziel der Kampf gegen
den deutschen Handel und die deutsche Industrie ist, syste-
matisch zu ordnen und in einem übersichtlichen Bilde darzu-
6 Biicherbesprechungen. — Deutsche Werkzeugmaschinen. — Anzeigen.
stellen. Die Verfasser sahen ihre Aufgabe einmal in dem Her-
ausarbeiten der grossen Gesichtspunkte, der Hauptziele des
Wirtschaftskrieges, daneben aber stand die andere Aufgabe,
soweit ins Detail zu gehen, dass auch der Leser, der nicht
aus einem mehr wissenschaftlichen oder politischen Interesse
an diese Denkschrift herangeht, für sein praktisches Interessen-
gebiet wichtige Einzelheiten erfährt.
Den vorgenannten wichtigen Büchern dürfte eine weite
Verbreitung, die sie verdienen, sicher sein.
Jahrbuch 1918. — Die „Ständige Ausstellungs-
kommission für die Deutsche Industrie“ hat soeben
ihr Jahrbuch zur Versendung gebracht. Neben einem warm
empfundenen Nachruf für den um das Ausstellungswesen
hochverdienten Geheimen Kommerzienrat Heinrich Lueg
und einem Hinweis auf den kürzlich auf Anregung aus der
La
o—
Industrie an der Geschäftsstelle der Kommission eingerichteten
Leseraum enthält das Jahrbuch zunächst einen zusammen-
fassenden Überblick über die verschiedenen Kriegsmessen
des Jahres 1917. Dieser Bericht, der aus den Ergebnissen
der Anstrengungen, die Deutschland, seine Feinde und die
Neutralen mit der Veranstaltung von Messen gemacht haben,
Ausblicke für die zukünftige Entwicklung zu gewinnen sucht,
wird allen, die die Vorbereitung des kommenden Wirtschafts-
kampfes aufmerksam verfolgen, willkommen sein. Eine längere
Abhandlung über Rechtsfragen aus dem Gebiete des
Ausstellungswesens dient dem Zweck, durch Klärung
der einzelnen Fragen die Ausstellungsbeteiligung für die Zu-
kunft auf eine festere Grundlage zu stellen. Ein Verzeichnis
der im Jahre 1917 durchgeführten Ausstellungen sowie der
bekannt gewordenen Ausstellungspläne bildet den Schluss des
Jahrbuches, das für alle Wirtschaftskreise, soweit sie sich
(Fortsetzung 8.7.)
T
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in der kommenden Friedenszeit des Werbemittels der Aus-
stellungen und namentlich der Fachausstellungen bedienen
müssen, von Bedeutung ist.
Die neue Wirtschaft. Von Walther Rathenau. Her-
ausgegeben von S. Fischer, Verlag, Berlin. Geh. Mk. 1.50.
Die Umschichtung unserer Wirtschaft durch den Krieg
und durch den Frieden ist das Thema der neuen Schrift von
Walther Rathenau. Er untersucht das ungeheure Debet, das
unsere Wirtschaft beim Friedensschluss zu verzeichnen haben
wird und findet in einfacher, klarer, überzeugender Weise die
Grundformel für die Heilung. Sie lautet: Steigerung, wo-
möglich Verdoppelung unserer wirtschaftlichen Produktion.
Wie diese zu erreichen sei, ist der zweite Gegenstand von
Rathenaus Untersuchung; und auch hierfür findet Rathenau
eine klare Formulierung. Diese Rathenausche Zukunftswitt-
schaft ist gleich weit von einer kommunistischen Utopie wie
von der zügellosen Freiheit der Privatwirtschaft entfernt. Es
ist ein Buch, welches man lesen muss.
Die Praxis der Handelspolitik. Von Max Schippel.
Herausgegeben vom Verlag für Sozialwissenschaft
G. m. b. H., Berlin. Brosch. Mk. 2.—, geb. Mk. 3.—.
Der sozialistischen Leserschaft beschert der Verfasser mit
diesem Buche einen guten Einblick in die Zolltarife sowie die
Handelsvertragstechnik. Das Buch ist aber auch für Ange-
hórige anderer Parteien ein wichtiges Nachschlagewerk und
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Brasso (Ungarn). Karl Phil. Weber, gegr. 1844, Stettin. |
Ludwig Schmidt, Spezialdienst Auslandsspedition, Schiffahrts- Spediteur-Verein Herrmann & |
für Balkanstaaten. agentur, Lagerei. Theilnehmer., H
Velhagen & Klasings Export- Anzeiger. Verantwortlich für die Schriftleitung H. Schönherr, für den Anzeigenteil G. Schräpler,
g beide in Leipzig. Schriftleitung und Inseratannahme: Leipzig, Hospitalstr. 27. Druck von Fischer & Wittig in Leipzig. &
Velhagen o Rlasıngs
EXPORT-ANZEIGER
» April 1918 »
Se
No. 8 » VII. Jahrg.
Die neue Entwichlung der Weltwirtschaft.
Von Dr. Karl Buchheim.
Wen vor dem August 1914 von dem grossen euro-
päischen Kriege die Rede war, den man damals
schon erwartete, so fiel es doch kaum jemand ein, ihm
eine so lange Dauer zu prophezeien, wie er nun tat-
sächlich gehabt hat. Man meinte, die Unterbrechung
des internationalen Verkehrs werde den Völkern nicht
lange erträglich sein, die weltwirtschaftliche Interessen-
verflechtung werde eine rasche Entscheidung erzwingen.
Das war ja auch die superkluge Berechnung unserer
Feinde, dass insbesondere die deutsche Volkswirtschaft
die Absperrung vom Weltmarkt nicht werde ertragen
können. Wider all ihr Erwarten ist aber unser Wirt-
schaitsleben nicht zusammengebrochen. Unsere indu-
strielle Produktion hat sich den Verhältnissen so an-
passen können, dass sie die erzwungene Beschränkung
auf den inneren Markt unseres Reiches und seiner Ver-
bündeten ohne dauernden Schaden erträgt. Der Krieg
hat uns gegen unseren Willen aus dem Mechanismus
des internationalen Austauschsystems herausgenommen
und hat uns bewiesen, dass wir nicht so abhängig vom
Weltmarkte waren, wie wir selber glaubten. Dieser
Nachweis unserer verhältnismässigen Unabhängigkeit
Gk e-+- + + SEX ee ee } ee wert Se ISI NNI 281 2et 2 et 0o me @© mee ee e @ we: di:
Deutsche üeberseeische Bank
+
+
+
V BERLIN W. 8,
M sso9ERSOUESSEDGDEEDOSOSESON Gegründet von der Deutschen Bank, Berlin. aSPOBECOSEESORESDGREMPODS
* e
Á Niederlassungen unter der Firma
A Banco Aleman
+
Argentinien: Bahia Blanca, Buenos Aires, Cördoba, Mendoza, Rosario de Santa Fé,
M Tucuman.
^ Bolivien: La Paz, Oruro.
Chile:
M Peru: Arequipa, Callao, Lima,
^ Uruguay: Montevideo.
A Spanien: Barcelona, Madrid.
^ Banco Allemao Transatlantico
in
+
Y Brasilien: Petropolis, Rio de Janeiro, Santos, Sao Paulo.
A Kontokorrent- und Depositenverkehr * Kreditbriefe, Akkreditierungen » Briefliche und telegraphische
i Auszahlungen e Einziehung von Wechseln und Dokumenten e Besorgung aller sonstigen Bankgeschäfte
M Korrespondenten an allen grósseren Plátzen der Welt ::
M Bremen:
E . J Hamburg:
( Vertretungen in: ) Brüssel:
Velhagen & Klasings Export- Anzeiger. 1917/18. No. 8.
Transatlantico
Antofagasta, Concepcion, Iquique, Santiago, Temuco, Valdivia, Valparaiso.
rujillo. |
Deutsche Bank Filiale Bremen.
Deutsche Bank Filiale Hamburg.
Deutsche Bank Succursale de Bruxelles.
Konstantinopel: Deutsche Bank Filiale Konstantinopel,
ur uer um > ¢ ¢ ¢ ¢ ¢ ¢ 6 ¢ ¢ ¢. ¢@ ¢ ¢ XY XXE XA
ist geeignet, das Bewusstsein unserer Kraft nachdrück-
lich zu verstärken. Die alte Weisheit bewährt sich
auch an unserer nationalen Wirtschaft und speziell an
unserer Industrie, dass Not dem Starken zum Segen wird.
Die neue Weltwirtschaft nach dem Kriege wird
nicht wieder völlig in die Bahnen der alten einlenken.
Wir müssen damit rechnen, dass die grossen über-
seeischen Märkte Ostasiens, Amerikas und des briti-
schen Reiches uns stärker verschlossen bleiben werden
als vor 1914. Gewiss werden nicht alle Blütenträume
der Pariser Wirtschaftskonferenz reifen. Nach deut-
schen Qualitätswaren, besonders der elektrischen und
chemischen Industrie, nach deutschen Farbstoffen und
Medikamenten und manchem anderen hungert die Welt.
Bei geschickter Wirtschaftspolitik können wir diesen
Hunger auch dazu ausnutzen, auch noch anderem deut-
schen Export wieder Türen zu öffnen, die ihm viel-
leicht sonst gern verschlossen blieben. Aber man soll
doch auch ja nicht denken, dass die nun schon fast
vierjáhrige Zerstörungsarbeit der Ententegenossen an
allen ihnen erreichbaren Exportpositionen des deut-
schen Konkurrenten nutzlos gewesen sei, und dass die
(Fortsetzung S. 4.)
Mauer-Strasse 39
Eigene Telegraphenschlüssel.
oO + ¢ ¢ RT 6 ¢ ¢ ¢ ¢ ¢ ¢ 6 ¢ ¢ ¢ ¢ xut xut ut ut
er XL ET Et E ena
4 _: Die-Verwendung von Selbstentladewagen im Eisenbahnverkehr.
Pläne der Pariser Wirtschaftskonferenz gänzlich ins
Wasser fallen würden. Das hiesse denn doch wohl
den ‘starken Willen insbesondere unserer angelsächsi-
schen Widersacher unterschätzen. Es liegt durchaus
in der Natur der Sache, dass der Absatz ebensowenig
wie der Rohstoffbezug in den Ländern gesichert sein
kann, die politisch unsere Feinde sind und es vorläufig
auf jede absehbare Zeit hinaus bleiben werden. Selbst
wenn wir diese Positionen unserer wirtschaftlichen Be-
tätigung jetzt wiedergewönnen, könnten wir doch zu
jedem passenden Zeitpunkt erneut aus ihnen geworfen
werden. Daran müssen wir denken, wenn wir die Be-
deutung des entwicklungsgeschichtlichen Augenblicks
für die Zukunft unserer weltwirtschaftlichen Arbeit be-
greifen wollen. Da uns der Krieg einmal zwangsweise
aus den überseeischen Verflechtungen herausgenommen
hat, ist es klug, wenn wir aus der Not eine Tugend
machen und den Schwerpunkt unseres Rohstoff bezugs
wie unseres Exports auf Gebiete verlegen, die dem
Einflusse unserer heutigen Feinde mehr oder weniger
entzogen werden kónnen,
Man kónnte nun daraus die Schlussfolgerung ziehen,
Deutschland müsse sich ein so grosses Stück der über-
seeischen Welt erobern, dass der wesentliche Teil
unseres Rohstoff bezugs und unseres Exports dort unter-
gebracht werden könne. Der blosse Wiedererwerb
unserer Kolonien kónnte bei weitem nicht genügen.
Wir würden die pazifischen bei jeder neuen Weltver-
wicklung wieder verlieren und die afrikanischen auch
kaum mit fühlbarem Vorteil behaupten kónnen. Ausser-
dem aber sind die Kolonien, so wie sie waren, gar
nicht fähig, unsere Wirtschaft in nennenswerter Weise
zu stützen. Wir müssten also Kolonien erwerben, die
in ganz anderem Grade leistungsfähig wären, als sie
uns zur Verfügung stehen, selbst wenn wir unseren
Besitz in Afıika beträchtlich ausdehnten. Die anderen
Erdteile aber: Amerika, Australien, Asien, sind kein
Boden für eine deutsche Kolonialherrschaft mehr, weil
die Kolonialvölker selbst schon anfangen mündig zu
werden und aktiv auf die Kolonialpolitik der euro-
päischen Staaten zu reagieren. Die Vereinigten Staaten
haben die erste antieuropäische koloniale Weltmacht
errichtet; die Ostasiaten unter Führung Japans sind
eben dabei, das gleiche zu tun; die Südamerikaner
werden folgen. England ist der einzige europäische
Staat, der sich neben diesen bodenständigen Welt-
mächten in den überseeischen Erdteilen noch behauptet.
Für einen anderen ist dort kein Platz, Von diesen Er-
wägungen gelangt ein neues, höchst beachtenswertes
Buch von Dr. Karl Hoffmann: ,,Das Ende des
kolonialpolitischen Zeitalters; Grundzüge eines wirt-
schaftsorganischen Genossenschafts - Imperialismus“ —
Leipzig, F.W. Grunow, 1917 — zu dem Schlusse, dass
das Zeitalter europäischer Kolonialherrschaft auf der
Erde überhaupt im wesentlichen vorüber sei: Jede
erneute Betätigung deutscher Weltpolitik am Pazifischen
Ozean — in Amerika war sie ohnedies schon unmög-
lich — wäre von diesem Standpunkt aus als zwecklos
zu verwerfen. Das natürliche Feld dieser Weltpolitik
wäre dann vielmehr allein der Umkreis der sogenann-
ten „Alten Welt‘‘: Europa, Vorderasien, Afrika, Der
Verfasser tritt demgemäss für den folgerichtigen Aus-
bau unserer Mitteleuropa- und Berlin— Bagdad - Politik
ein, Statt auf eine grosse kolonialpolitische Herrschaft
soll die Mitarbeit Deutschlands an der wirtschaftlichen
und kulturellen Entwicklung der Welt auf einen Ge-
nossenschafts-Imperialismus der europäischen, balkani-
schen und vorderasiatischen Staaten gestützt werden.
In diesem genossenschaftlichen Imperium wäre dann
nicht, wie im kolonialherrschaftlichen, so wie es Eng-
land bisher verwirklicht hat, der führende Staat alleini-
ger Nutzniesser der wirtschaftlichen Leistungen des
Ganzen. Eine solche Stellung ist nicht mehr möglich,
und das englische Reich selber wird sich vielleicht
zu einem allbritischen Genossenschafts-Imperium um-
bilden, in dem die Dominions mehr und mehr gleich-
berechtigt neben das Mutterland treten. Das Genossen-
schafts-Imperium des heutigen Vierbundes könnte sich
nach Hoffmanns gut begründeten Ausführungen mit
vielen Rohstoffen, z. B. Kohle, Metallen, Nahrungs-
und Futtermitteln, schon heute selbst versorgen. Arbeits-
kräfte wären fast überall vorhanden. Wolle, Baumwolle,
Petroleum und Öle könne die Türkei liefern, wenn die
europäischen Verbündeten für die Erweckung ihrer
Arbeitskräfte und für das nötige Kapital sorgten. Die
Gegenleistung der Türkei müsste vor allem darin be-
stehen, dass sie ihre Erschliessung grundsätzlich dem
Kapital der Bundesgenossen und nicht etwa wie früher
dem französischen anvertraute. Die noch fehlenden
eigentlich tropischen Rohstoffe, vor allen z. B. Kaut-
schuk, müsste Afrika liefern. Die afrikanische Kolonial-
politik wäre also wieder aufzunehmen, aber nur als
notwendige Ergänzung, nicht als tragender Pfeiler
unserer Weltwirtschaftspolitik. Die Aufgabe des deut-
schen Exportes aber würde nicht mehr die Versorgung
beliebiger Absatzmärkte auf der Erde sein, ganz gleich
wo diese liegen, sondern er würde sein Augenmerk
in erster Linie auf den grossen Markt des Gesamt-
imperiums aller beteiligten Staaten und Völker zu
richten haben. Dieser Markt würde ihm dann aber
fast mit der Sicherheit eines Binnenmarktes in seiner
ganzen gewaltigen Grösse zur Verfügung stehen und
könnte ihm nicht von der angelsächsischen Missgunst
verschlossen werden. Darüber hinaus könnte unser
Export immer noch auf dem gesamten Weltmarkt er-
folgreich konkurrieren, wo er es irgend vermag. In
jedem Falle verfügte er über eine feste Basis inner-
halb des genossenschaftlichen Imperiums und seine
vornehmste Aufgabe wäre wahrhaft organisch innerhalb
der mitteleuropäischen Wirtschaft und Politik.
Die Weltwirtschaft ist im Begriff, sich in grosse
Kreise um bestimmte Mittelpunkte zu gliedern. Der
Krieg erleichtert uns mit seiner gewaltsamen Loslösung
von der bisherigen weltwirtschaftlichen Verflechtung
die Aufgabe ungemein, beim Neuaufbau unserer inter-
nationalen Handelsbeziehungen der allgemeinen Ent-
wicklungstendenz des Zeitalters Rechnung zu tragen.
Natürlich ist es Aufgabe unserer Politik, den Kreis
der wirtschaftlich befreundeten Nationen um die Zen-
tralmächte Mitteleuropas so weit wie möglich zu ziehen.
Der Abschluss des Friedens mit der Ukraine und die
Vertiefung ihres Geyensatzes zu Grossrussland verschafft
uns gerade jetzt die Aussicht auf einen neuen wirt-
schaftlichen Bundesgenossen, auf den wir früher gar
nicht rechnen durften. Die Ukraine deckt nach Osten
die Stellung an den türkischen Meerengen, wo die
Brücke von Europa nach Asien führt; sie vermag Roh-
stoffe zu liefern und wird bei geeigneter Erschlies-
sung unserem Export bald noch weit mehr Produkte
abnehmen als jetzt, wo sie immerhin schon land-
wirtschaftliche Maschinen, Hufeisen und ähnliches
braucht.
Die Verwendung von Selbstentladewagen im Eisenbahnverkehr.
In der Februar - Sitzung des Vereins Deutscher Maschinen-
Ingenieure behandelte Oberbaurat Diitting obiges Thema.
Zunachst besprach er die Entwicklung dieser Wagenbauart in
Deutschland, sowie die Vorteile, welche durch ihre Benutzung
in Grossbetrieben erreicht werden können, ferner die Gründe
für die ablehnende Stellung, welche die Eisenbahnverwaltung
bisher gegenüber dem Wunsche auf ihre Einführung in den
öffentlichen Verkehr eingenommen hat. Sie beruht darauf,
dass bei der unvollkommenen Ausnutzung dieser Wagen mit
einer erheblichen Zunahme der unwirtschaftlichen Leerläute,
mit einer stärkeren Belastung der Züge und der Güterbahn-
höfe und deshalb mit einer Steigerung der Verkehrsschwierig-
keiten zuzeiten starken Verkehrs gerechnet werden muss.
Selbst wenn es gelänge, eine Bauart für diesen Wagen zu
Bücherbesprechungen. — Spediteur-Tafel. — Anzeigen. 5
finden, die allen Ansprüchen des Verkehrs und der Gross-
betriebe genügt, die also auch eine gute Ausnutzung des
Wagens verspricht, so kann daraus in der Gegenwart und für
die nächsten Jahre doch kein Nutzen gezogen werden, weil
erst eine ausreichende Zahl davon beschafft werden muss und
hierfür ein Zeitraum von acht bis zehn Jahren erforderlich
sein wird. Es kommt aber bei den jetzigen hohen Löhnen
und dem Arbeitermangel, womit auch für die Zeit nach dem
Kriege gerechnet werden muss, darauf an, baldigst ein Mittel
in die Hand zu bekommen, das eine erhebli.he Ersparnis an
Zeit und Handarbeit beim Entladen von schüttbaren Massen-
gütern aus Eisenbahnwagen herbeizuführen geeignet ist.
Ein solches Mittel bietet sich in der Verwendung von
—— ——
Wagenkippern, die schon seit Jahren mit gutem Erfolge
für das Überladen von Kohle aus offenen Güterwagen in Fluss-
schiffe verwendet werden und neuerdings in mannigfachen
Bauarten auch bei den Grossbetrieben Eingang gefunden
haben. Auch Krananlagen mit Greifern und Becher-
werke werden an manchen Stellen mit Vorteil zum Entladen
von Schüttgütern aus Eisenbahnwagen benutzt. Die Erfah-
rungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass überall auf dem
Gebiete der Massenbewegung dıe Maschine mehr und mehr
an die Stelle der menschlichen Hand treten muss. Dies gilt
besonders auch für das Entladen der Eisenbahnwagen und
deshalb ist es geboten, diesen Übergang so bald als möglich
zu vollziehen.
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Wir beziehen uns auf den Artikel im
Export- Anzeiger Heft 3, Novbr. 1915.
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Bulgarien und den besetzten Gebieten. Die Anordnung des schaft, die anzuwendenden Methoden und ihr Erfolg k,
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innewohnende Wert wird wohl bald allseitig anerkannt werden. diese Sammlung von Vorträgen eine Art wirtschaftliche
: : Landeskunde, die vor allem privatwirtschaftli i
Das Türkische Reich. Veröffentlichungen des Instituts orientiert ist. f
für internationale Privatwirtschaft (Welthandels- Das Werk ist in erster Linie für den wirtschaftlic
Archiv) an der Handelshochschule Berlin. Heraus- Praktiker, also den Industriellen, den Kaufma
gegeben von Professor Dr. Josef Hellauer. Preis den Bankier, wertvoll, det am den streng sachliche
Mk.7.—. Verlag Ernst Siegfried Mittler & Sohn, Kgl. Darstellungen, die chit hier geboten werden, ein Urte
Hofbuchhandlung, Berlin. über die so schwer zu fassenden türkischen Verhält,
In diesem Werke haben es Fachleute unternommen, ihre nisse sich zu bilden vermag, vielfach auch Yer r
Erfahrungen und Studien über die Türkei in einer Darstellung finden wird, schon früher empfangene Anschauu
des Wirtschaftslebens dieses Landes zu verwerten unter Be- bessern. Es ist geeignet, ebenso übertrieben Optimismus
rücksichtigung der natürlichen und sozialen Verhältnisse, von wie ungerechtfertigten Pessimismus bezüglich der Türkei rk-
denen jenes abhängig ist. Die Einzelarbeiten sind dabei unter sam zu bekämpfen, r
einem besonderen, einheitlichen Gesichtspunkte abgefasst, und Gerade wegen dieser Eignung ist das Buch auch Vol TE
zwar ist es der des kaufmännischen und gewerblichen Unter- wirten irgendwelcher Art, Politikern, Beamten,
nehmers als auch der des Angestellten, der in und nach der mit der Türkei zu tun haben, sowie jedermann, der an die
Türkei hin geschäftlich arbeitet oder arbeiten will. Die Ant- eigenartigen, uns jetzt so eng verbündeten Larde Inte
wort auf viele wichtige Fragen beruht auf wissenschaft- nimmt, wärmstens zu empfehlen. |
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Bulgarisch-türkische Notizen.
s sind in neuester Zeit für landwirtschaftliche Ma-
schinen Höchstpreise eingeführt worden, und zwar: für
Pflige 69 Lewa, Trieure 186—414 Lewa, Maisrebler 92 bis
204 Lewa, Mähmaschinen aller Systeme "550 Lewa, Rüben-
schneidemaschinen 80 Lewa, Dreschgarnituren 10820 bis
27870 Lewa, Sensen 8—4 Lewa, Sicheln 2 Lewa, Schaufeln
2.50—3 Lewa, Kreuzhacken 8.50 Lewa, Hauen 3 Lewa.
Diese Preise sind von der D rektion für óffent'iche Für-
sorge in Sofia festgesetzt und dürfen in keinem Falle bei
Strafe überschritten werden.
— =
Man hat in der Türkei neuerdings Zwei neue Gesetze her-
ausgegeben, von denen das erste eine Steuer auf Spielkarten
betrifft, und zwar werden Spiele von 32, 86 oder 58 Karten
gleichmássig mit einer Steuer von 5 Piaster getroffen. Diese
Steuer wird in der Form einer Banderole auf die Pakete ein-
geführt, so dass man die Karten nicht benutzen kann, ohne
die Banderole zu zerreissen. Da hier in Konstantinopel, wie
im ganzen Orient, ausserordentlich viel gespielt wird, be-
sonders bei den Griechen und Levantinern, so ist leicht aus-
zurechnen, dass eine derartige Steuer dem Staatsschatz ganz
ansehnliche Beträge liefern muss.
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EINEN
Ein neuer Roman von Rihard Sexau:
Brigitta
` Diefer Roman ift das einfache, tiefergreifende Shidfal einer ftarken
Frau, die ihrem Gatten und feiner Kunft zuliebe aus der Ehe flieht,
ihre Stelle einer paffenden Frau freimadt und felbft den Verdacht
der Untreue auf fid) ladet, nur um dem geliebten Manne Olüd und .
Erfolg zu fhaffen. Jm Rlofter lebt fie ungerechtfertigt, bis fie in N
hohem Alter ihrem Sohne, dem Sorfttat Stein, die Wahrheit T
fdenEt, damit zugleich den Glauben an die Mutter, das
Vertrauen zur Frau überhaupt. Die Begebenheit ift
bewegt, von frifhem Ausdrud, fpannend im
Ton. Der Kampf diefer Frau Fommt in feiner
ganzen tragifchen Kraft zum Ausdrud,
Preis broſchiert M. 3.—, elegant gebunden M. 4.50.
Dorratig in allen Buchhandlungen und direkt vom
Verlag Parcus & Co., München, Pilotyftrafe 7.
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| Jedes Deutfähen pflicht
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überlegen find! Deutfdje, merfet euch
fir alle Zeiten, daß mit eurer CT E die amerilanifch-englifche Kodak ˖ Geſellſchaft
chon vor dem Rriege mit Umerifa rund 50 Millionen Mart auf bie Kriegsanleihen unferer Feinde
zeichnen fonnte! es gibt Beine deutfihen ,Kodats”.
Diefe Be ` nung alg Gammelname für photographifche Apparate ift falfch; nur die
Graeugniffe bet an-Rodat-Compagnie find darunter zu verfteben. Wer allgemein jede
Ramera als Rodat bezeichnet, wirbt, zum Nachteil ber beut(den Snbuftrie, für bie Rodat-
— Das darf nicht fein!
Berband Deutiher Umateurphotographen-Bereine, Berlin-Steglig. Belfort Str. 13.
Lehensversicherungshank a. B.
(Alte Stuttgarter)
Gegründet 1854.
Versicherungsbestand: 1 Milliarde 172 Millionen Mk.
Seither für die Versicherten erzielte Überschüsse: 285 Mill. Mk.
Kriegsversicherung
von Landsturmpflichtigen, Garnisondienstfáhigen, Beamten usw.
gegen mássige Extraprümie.
Wer im Kriege gelitten hat
ob körperlich, geistig oder finanziell, braucht deswegen nicht verzagen. Der Krieg hat so
gründliche Veränderungen hervorgerufen, dass jeder, der den festen Willen hat etwas zu leisten,
sich auch eine entsprechende Stellung in der Welt sichern kann. Gar mancher, der durch
körperliche Schäden genötigt war, seinen Beruf zu ändern, ist durch diese Notwendigkeit erst dar-
auf aufmerksam geworden, dass er auf einem anderen Gebiete viel besseres leisten, viel mehr ver-
dienen und mehr innere Befriedigung fühlen kann. Die wenigsten Menschen gelangen ja auf Grund
sorgfältiger Prüfung ihrer Fähigkeiten zu ihrem Beruf. Will man das, so muss man alle diese
Fähigkeiten erst entwickeln, um sehen zu können, welche am meisten leisten kann. Diese Entwick-
lung und Prüfung können Sie heute noch vornehmen und Ihr künftiges Leben danach einrichten,
denn heute stehen viele Bahnen offen, die vor dem Kriege mit sieben Riegeln verrammelt waren.
Bei sehr, sehr vielen ist der Geist durch die Länge des Krieges mit seinen Strapazen
Rage worden, und sie betrachten nicht nur die Kriepsjahre als verlorene Jahre ihres
Lebens, sondern sehen mit Schaudern der Zukunft entgegen, weil sie sich dem Wettbewerb
geistig nicht mehr gewachsen fühlen. Diesen allen kann geholfen werden. Eine Klinge kann
im Gebrauch stumpf und schartig werden, aber durch den Schleifstein kann sie nicht nur ihre
frühere Schneide, sondern noch eine viel bessere bekommen, wenn die frühere den Höchst-
Ze nicht erreicht hatte. Der Schleifstein allein tut es aber nicht, es bedarf der kundigen
and des erfahrenen Fachmannes, die nicht alle Klingen nach derselben Schablone schleift,
sondern jede für sich nach ihrem Härtegrad, ihrer Bestimmung usw. behandelt.
Alle diese Bedingungen für die bestmögliche Entwicklung Ihrer Fähigkeiten, Ihres Willens
und Charakters finden Sie in einem Unterrichtskurs (auch brieflich) in Poehlmanns Geistes-
schulung und Gedächtnislehre. Sie erhalten dabei nicht nur die gedruckten Lehrhefte, sondern
auch einen lebendigen Unterricht, in dem Ihnen die Erfahrung eines Vierteljahrhunderts an die
Hand geht und Sie sicher von Stufe zu Stufe führt, wobei Ihr besonderer Fall jede Berück-
sichtigung finden kann, was bei einem toten Buche unmöglich ist. Verlangen Sie heute noch
den Prospekt (mit zahlreichen Zeugnissen) von L. Poehlmann, Amalienstr. 3, München A 50,
lesen Sie ihn sorgfältig durch und Sie werden zur Überzeugung gelangen, dass Sie das ge-
funden, wonach Sie lange gesucht haben.
Wer Sprachen leicht, ===
sues Schnell und sicher
lernen will, der wählt Poehlmanns neue Sprachlehrkurse: „Englisch leicht gemacht“, „Fran-
zösisch leicht gemacht“, „Italienisch leicht gemacht“, „Russisch leicht gemacht*, „Spanisch leicht
gemacht“: aufgebaut auf den Grundsätzen von Poehlmanns weltbekannter Gedächtnislehre. Wer
heute Sprachen lernen will, hat nicht Zeit, jahrelang an einer Sprache zu lernen; er will und
muss sie in ein paar Monaten geläufig sprechen, lesen und schreiben können. Das erreicht
man am sichersten durch die Poehlmannschen Sprachlehrkurse, weil diese nicht nur zeigen was
man zu lernen hat, sondern wie man es leicht lernen und dauernd behalten kann. Daher die
glänzenden Erfolge! Ein paar Auszüge aus Zeugnissen: „Ich habe bereits mehrfach Sprachen
nach den verschiedensten Systemen studiert, ohne jedoch die gewünschten Resultate bisher
zu erzielen, während nach Ihrer Methode tatsächlich ein wirkliches Beherrschen der Sprachen
schnell und leicht erreicht wird. A. W.* — „Das Werk bietet die beste Gelegenheit, eine
Sprache in möglichst kurzer Zeit und mit geringerer Mühe als nach den alten Methoden be-
herrschen zu lernen. E.K.“ — „So laufen auch die auf Ihrer Gedächtnislehre aufgebauten
Sprachlehrkurse selbst den bekanntesten, brieflichen wie mündlichen Lerntheorien mühelos den
Rang ab. Der Zeitverlust ist ungleich geringer, der Erfolg aber ein doppelter. G. D.* — Es
eignen sich diese Lehrbücher, deren Studium in allen Teilen Interesse weckt und fördert, mit-
hin für alle, welche, ob gut oder wenig begabt, ob mit oder ohne Lehrer, in kürzester Zeit
eine moderne Sprache lernen wollen. Dr. phil. M. E., Rektor.“
Verlangen Sie Prospekt 2 (kostenlos) von
Ch. Ludwig Poehlmann Verlagsbuchhandlung, Berlin W. 62,
Wittenbergplatz 3a.
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Fischer & A ttlg in Leipzig.
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