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Neues vom Büchertiſch.
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Bildhauer Adam Antes —
|» von Hermann Weingand —
Werk des Urditetten Dipl.
Ernſt Pring — ‘Qu unfern Bi
— Gdjren|djnitte von Lija
SelmolD und Helmuth Haupt
Runftbeilagen in Mebrjar
Der Tiger. Gemälde von
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Bildnis. Gemälde von Se
geplius. . -
Wn ber Molga. Gemälde vor
Robert Steri
Snnenraum. Gemälde von
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Aunftbeilagen in Ton
Kette Sonnenftrahlen. £
von Prof. Peter PaulMill
Kleinplaftit für einen Bru
Bildwerk von Prof. Augufi
(mit Erlaubnis von — C
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Att. Gemälde von Prof
Purrmann. . .
SmGrünen. Qünftlerilde Au
von E. Bajow-Minde
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Umſchlagzeichnung und Bud
Prof. Heinrih Wieynd
Geihäftliches:
Borderer Anzeigenteil
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enn Hans aus dem Tageslicht ber
SIM: 7 ipäteren Jahre in icine Rindheitss
SNIPS) Dämmerung zurüdblidte, fah er
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ONASA lauter Zimmer. Reine Straßen,
feine Spielplábe, feine Garten oder Walder,
Jondern nur Zimmer. Da ift zuerft fein
Rinderzimmer mit dem Schaufelpferd, ben
ritreuten Bautlógen, dem verjchnißelten,
ttefledigen Wadhstudtijd und mit dem
Hulrangen, aus dem jo viele Gorgen her:
prquillen. An den Wänden des Zimmers
efinden fih einige fauftgroße Loder, deren
Hornung Hans in geheimnisvolles Schweigen
i Wud [ibt über bem Ofenrobr ein
Hwarger Fled, ber fih mit der Damme:
ung in einen Menjchenfrejler verwandelt.
och verjchwindet dieſer jogleih, wenn
janjens Mutter hereintommt. Denn mit
E wird es jedesmal Dell Zum Feftfaal
er wird das Zimmer, wenn fie abends
RK einer Gejellihaft fid) nod) zu ihm fegt
D ibm GBeichichten erzählt. Dann [djmiegt
feine Wange an ihren weichen bloßen
tm, atmet den morgenländijchen Duft ihres
ngen Spiken|dals, und feine vertraute Als
Basliebe wird zu einem feierlich brennenden
Lieber nod) als alle Märchen aus
iid hort er bas Märchen ihrer eigenen
inbbeit. Rein verzauberter Wald ift fo
amt und. heimlich wie ber, in bem fie Erd:
en juchte, und alle Ledereien bes Knuf-
bausdens verlieren ihren Wohlgeichmad
jor den Äpfeln und den am offenen Feuer
jebratenen Kartoffeln aus ihrem elterlichen
arten,
¿Dann gibt es Zimmer, deren Türen man
be nicht außerhalb der Klinte anfafjen
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maätsheite
35 Jahrg. / Mai 4924 / A Heft
Hwei freunde
Roman von Wilhelm Hegeler
Belbagen & Klafingé JRonatébefte. 35. Jahrg.1920/1921. 2. Bd. Naddrud verboten. Copyright 1921 by Belbagen & Klafing
CO
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darf. Dort werden bie Beſucher hineinge—⸗
führt, die ihren Namen nicht felbft jagen,
jondern auf einem gedrudten Kärtchen ab:
geben, damit man ibn beffer behält. Die
Herren nehmen fomijcherweife ihren ſchwarzen
Hut mit hinein, als wenn fie wüßten, daß
es da drinnen ziemlid) talt if. Manchmal
aber werden die Öfen gebeizt, und dann ift
abends Gejellidjaft. Dann freien bie Leute
alle laut durcheinander, dak Hans nicht
I&hlafen tann und manchmal in die Verjudung
gerät, hereinzuftürzen und zu rufen: „Wollt
thr wohl [tille fein, ihr verdammten Bengels!”
Für gewöhnlich aber liegen die Zimmer uns
benubt und find irgendwie unwirflid und
verwunfchen mit der glajernen Luft, bie von
dem Parkett, bem polierten Flügel, dem
Geidenbezug der Möbel ausgeht. Er mag
[ie nicht, jo wenig wie bie exotijdjen Bier:
pflanzen auf bem Meflinggrund des Blumen»
tiihes. Wenn er zufieht, wie feine Mutter
jie aus dem dünnen, gebogenen Hals ber
Gieptanne begieBt, fommt es ihm vor, als
gäbe fie Kranten tceliffelweije Medizin ein.
Manchmal betrachtet er fih in dem hohen
Spiegel, feine langen, dünnen Beine, fein
blajjes, abweijendes Gefidjt, und fühlt fih
irgendwie an dieje Pflanzen erinnert.
Und dann ilt da das Arbeitszimmer, in
bem [ein Bater fit, feine Schläfe immer
gegen die fnodige, große Hand l[ehnend.
Mit der andern ftreichelt er bem fleinen
Hans mandmal übers Haar, blidt ihn mide.
angeftrengt, lächelnd an, fragt, wies ibm
gebe, und jagt: „Ich möchte |o gern ein
bißchen mit dir fpielen, aber gerade heute
babe ich fo viel zu tun.”
15
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918 seess) Wilhelm Hegeler: Keess
Gein Bater ift Geheimer Regierungsrat
im Minifterium, und Hans hat einmal ges
bört, wie feine Mutter zu einer andern Dame
bemerkte: „Mein Mann überarbeitet fih.”
Geitbem bat er tiefes Mitgefühl mit feinem
lieben Papa, ber bis [pat in die Nacht hinein
feine Stirn gegen die Hand prept und in
Akten lieft.
Ale diefe Zimmer wedfeln ihren Ort
und liegen bald in diejem, bald in jenem
Teil Deutidlands. Aber Hans tann fie
Ichwer voneinander unterjcheiden und nur
nod) gang bunfel erinnert er fid) an bie vers
ichiedenen Ctübte. Nur eine große, graue
Stadt |djmebt ibm noch deutlich vor, mit
ihren verhaßten Stuben, in denen jedes
Möbel und jeder Begenftand fein heimlicher
Feind ijt.
Damals ift fein Vater ertrantt und bes
findet jid) mit Hanjens Mutter im Süden.
Er jelbft wohnt ein ganzes Jabr lang bei
feiner Tante. Und wenn er an dies Jahr
guriiddenft, glaubt er nichts anderes getan
zu haben als Schularbeiten machen, überhört
werden und aufräumen. Aufräumen —
lange Zeit muß vergehn, ehe er bieje drei
Silben hören tann, ohne einen leifen Schreden
zu befommen.
Mod eine andere Erinnerung verbindet
fid mit diefen Räumen. Eines Morgens,
als er von der Schule heimtommt, jagt ibm
bas Dienftmädchen, er folle fid) gleich zu
feiner Tante ins Wohnzimmer begeben. Das
Wohnzimmer ijf der Raum für befonders
feierliche Tadel und Grmabnungen. Geine
Tante [ibt dort auf einem mit blauem Stoff
verhängten Gejjel, hält eine Depejche in der
Hand, und Hans ift wie vor etwas Uns
natürlichem er|d)roden, als er [tebt, daß aus
den harten Glastugeln ihrer Augen Tränen
tropfen. |
„Hans,“ fagt fie, „ih muß dir etwas
Trauriges mitteilen. Dein armer Bater ift
geftern geftorben. — Du but nun eine Halb»
waije.“ Statt eines großen, erjchütternden
Schmerzes empfindet Hans ein leijes Stechen
in feiner Magengegend. Er weint an diejem
Tage nicht, jondern hodt nur blaß unb [till
in irgendeiner Ede, und wenn er effen foll,
Hagt er über Leibweh. Manchmal geht er
in das unbewohnte Wohnzimmer und be:
tradtet aufmerkſam die blau verhängten
Möbel, und nod) nad) Jahren bedeutet ihm
eine beftimmte Jtuance von Blau die Farbe
der Trauer.
Menn in der Schule oder auf dem Heim:
weg bie Kameraden lahen und er jelbjt:
vergefjen mitladt, befinnt er jid) plóslid
auf ben ſchwarzen Flor an feinem Armel
und verftummt. Zu Haufe erzählt feine
Tante ihm viel von den hervorragenden
Eigenſchaften des Berftorbenen, von [einer
Tüchtigfeit, feinem forjchen Sinn, feiner Ge:
Ihidlichkeit in allen Dingen. Hans hört mit
gerunzelter Gtirn zu und fragt jid nur
manchmal, ob die Tante nicht von einem
ganz Fremden jpridt.
Das Laden huſcht nur nod ganz felten
und von außen ber über fein verjchloffenes
Geliht. Und das Leben ift nod viel froftiger
und eintöniger geworden. Dod) findet er
das in ber Drdnung Nur nad) feiner
Mutter hat er große Sehnjudt. Ihre Briefe
Hingen mandmal wie einft, als fie ibm das
Marden ihres Lebens erzählte, und erweden
Hoffnungen in ihm, an deren Berwirtlibung
er faum zu glauben wagt.
Dann aber geht es Doch zu wie in einem
Mardhenftiid. Das dunkle $Bor[piel ift zu
Ende, bie engen Wände beben fih, Licht
ftrablt auf unb bietet dem Muge buntere
Bilder bar: bie Schickſalsgeſtalten feines
Lebens betreten den Plan.
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Diejer Geburtstag eines neuen Lebens
fnüpfte fih an bie Stunde, als Hans nad)
langer Fahrt, von ber immer wieder ans
gejpannten Erwartung ganz ausgerentt, auf
dem Bahnhof ber Rbeinftadt antam. Sn
feiner Bruft tangte über Müdigkeit und
Trauer ein bunter Traum wie ein Schmets»
terling über grauem Wafjergewoge. Während
ber Zug langjam in bie Babnbofshalle eins
fuhr, blidte er durch das belle Rund in ber
bejchlagenen Scheibe, gewahrte unter ben
wenigen Menjchen eine fremdartige, ſchwarze
Gejtalt, unb das Leuchten in feiner Bruft
erlojd. Mühſam, verquer fchleppte er den
Koffer vor fid) Der, während die Ausfteis
genden an ihm vorbeidrängten.
Wher nod) hatte fein Fuk bas unterfte
Trittbrett nicht erreicht, als fein Name mit
wunderbar vertrautem Ton ihm entgegen»
Hang, als er, ergriffen und umjchlungen, im
warmen Drud ber Lippen das liebe Geficht
feiner Mutter fühlte, ehe er es noch fab.
Dann aber beugte er fid) in ihrem Arm
zurüd, blidte fie an, durd)drang fie in tieffte
Tiefen, bis in diejem kurzen Augenblid die
talte Berlajjenheit eines ganzen Jahres zer:
ſchmolz, in heißem Glüdsjchwall, der fein
Inneres burd)brad), es ganz durd)flutete.
Darauf fuhren bie beiden in einem be:
quemen Mietswagen zur Stadt hinein. Frau
Bolelmann madte ihren Jungen auf dies
unb jenes aufmertiam. Da war der Stadt»
graben, da das Theater, da der Hofgarten,
da ber große und der Heine Weiher und
dort die Goldne Bride. Hans nidte nur,
ohne recht Hinzujehn. Ein andermal —
FE Zwei
morgen vielleiht wird er das alles an:
Bounen, Nur jet nidjt! Nur nichts bem
Einen vorwegnehmen, was feine Bruft ers
füllte wie bie reifende Nuß bie bedrángte
Schale.
In immer neue Ceiten[iraBen bog ber
Wagen ein. Als endlid) feine Mutter fagte:
„Das ift unfere Straße,” Hang es ihm wie
bas weihnachtliche: „Es ift beſchert!“ Dod
gab er nur ein gleichgültig Mingendes „So?“
zur Antwort.
Cie ftiegen aus. Frau Bofelmann ver:
handelte mit dem Kutjcher. Hans ftand,
ſcheinbar von Müdigkeit betäubt, mit feiner
Taſche in der Hand neben ihr. Dod) jobalb
die Haustür geöffnet wurde, fuhr er auf,
rannte an dem Dienfimädchen vorbei, ließ
bie Taſche auf den Flur fallen, op die Glas:
tür, die bas Vorderhaus von dem Anbau
trennte, auf, öffnete mit bemjelben Ungeſtüm
eine zweite Tür, ftiirgte auf den Hof hinaus
und blieb dann, mit offenem Wlund nad)
Luft ringenb, ftehn, um das langerjebnte
Wunder in fid aufzunehmen: den Garten.
Er ftand und ftarrte und jah nidts von
diejem Iánglidjen Biered, bas weißgekalkte,
hohe Mauern umgaben und zwei herzförmig
geichnittene Rajenplage zum größten Teil
bebedten. Gar nichts jah er von biejer
Heinen Wirklichkeit, jondern hatte nur bie
Vorſtellung von einer paradiefijden Unends
lichkeit. Erft nad) einer Weile wagte er mit
ebrfiirdtigen Schritten bie neue Welt zu
betreten.
Da 30g ein gewaltig Hoher, über unb
über mit Früchten bebangener Baum fein
Auge auf fid), und aus feiner Kehle fam
ein Laut überjtrömender Dankbarkeit und
Freude: „Der Birnbaum!”
Seine Mutter batte thm [hon gejchrieben,
daß außer fleineren Objtbäumen auch ein
großer Birnbaum im Garten ftánde. Oft
batte er von ihm geträumt und hätte bod)
nie geglaubt, daß er jo groß... fo grün...
unb fo voller Birnen wäre. Der König,
nein, ber Herr Jejus unter den Birn:
bäumen!
Langjam, den Blid immer auf den hohen
Mipfel gerichtet, ging er näher. Und da
nun der Wind durch die Zweige fuhr und
die Blätter ihm guraujdhten, durchfuhr ihn
ein freudiges Erjchreden, wie wenn ber
Baum taujenb Fahnen im Huldigungsgruß
vor ihm neigte. Und als follten dem Gruß
gleich bie Gaben folgen, Hang im Gras ein.
leijes Pochen, ein weicher, gebümpfter Ton.
Hans ftreifte bie Rafenfläche ab, ohne etwas
zu entbeden. Da podjte es zum zweitenmal
und jien thm zugurufen, er folle doch fuden.
Er tat’s und fand zwei Birnen, die eine
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heil, die andere leicht aufgejprungen, fo daß
man ihre jchwarzen Kerne fab.
„Drama! Mama!” jchrie er.
Ziele fam bie Bartentreppe hinunter.
„Mama! Mama! Gieh mal, ich hab’
[don zwei Birnen. Eine für dich, eine für
mid. Darf ich fie effen?”
„Ja, mein Junge.”
Er biB hinein.
„Wie jchmedt fie denn?”
à nl, hundertmal füßer als eine Apfels
me!”
Ihre Hand um feinen Hals legend, ging
grau Botelmann mit ibm zur Bank an der
Dauer und fragte, ob ihm der Barten gefiele.
Er wollte antworten, griff hod) hinauf
zum jchönften, volfommenjten Wort, ſchluckte,
ftodte, jab fie nur rajd) verwirrt aus heips
feuchten Augen an und lief davon.
Während die Mutter ihm nadblidte, lief
jie ihre Gedanfen in die Zukunft ziehn und
fragte fih, was das Leben in diejem neuen
Zuftand ihnen Gutes und Schweres bringen
und wie fie felbft ihre verantwortungsvolle
Aufgabe erfüllen werde,
Gegen feine Neigung zum Juriften be:
ftimmt, hatte ihr Mann feine ganze Kraft
unb aud ein gut Teil Ehrgeiz an feinen
Beruf gejegt, railh Karriere gemabt und
bis zu feinem körperlichen 3ujammenbriud)
9tusjid)t auf eine nod) angejehenere Stellung
gehabt. ber nicht erft im legten Jahr, auch
früher |djon, ehe die Krankheit ihn verbitterte,
batte er Andeutungen fallen Iajjen, daß ibm
trog feinem vielbeneideten Aufitieg bie innere
Benugtuung fehle.
Dies Schidjal hatte fie gelehrt, was es
mit dem äußerlihen QGlüd für eine Bes
wandtnis hat und ihren Ginn in die Stille
ihres Vaterhaujes zurücgelentt. Und wenn
fie jet, ba diefe goldenblaue, weiche unb jo
gejegnete Stunde jedem Verlangen Erfüllung
Icymeichelte, an bie fommende Ferne einen
Wunſch richtete, jo war es der, daß ihr Sohn
in diefer neuen Umgebung Kraft und Freude
und Rechtſchaffenheit jammeln und dann
den Meg zu einem be[djeibenen oder Hohen
Ziel einfchlagen möge, auf ben Neigung und
yúbigteiten ibn hinwiejen.
Die Reihe ber neuen Häujer, von denen
eins jet Frau Botelmann bewohnte, nahm
ben Plak eines ehemaligen ländlichen Wns
wejens ein, deffen großer Garten durch die
Miltür bes Bauunternehmers in [ánglidje
NRechtede gerjdjnitten war. Noch wucherten
in der fetten, ſchwarzen Erde die Überreſte
der alten lora, wie fernbajter Bauern»
geihmad, ber das Schöne gern mit dem
Nüslichen verbindet, fie gepflanzt hatte,
Gattes Gelb, tiefes Blau, Scharlach und
15*
990 sees Wilhelm Hegeler: see
Purpur, mildweike Floden, Perlmutter:
Ihalen, Gloden aus buntem Glas, famtne
Schmetterlinge, Sonnenráder und fanft:
glühende Rämpchen flammten als bie buntejte
Gtiderei aus dem Grunde der Blätter und
Kräuter von vielfahem Grün.
Hans fap davor, und feine Wangen
brannten jdjn vor Cntdedergliid. Bald
lodten ihn die Blumen, die er nicht nur bes
jehn, jondern auch berieden und befühlen
mußte, bald 30g feinen Blid eine Reihe
Ameijen an, und, bis zur Gedanfenlofigfeit in
Betrabtung verjunten, jah er ihnen zu, wie
He auf ihren in den bartgetretenen Weg
gegrabenen Gängen emfig hin und ber liefen,
und bald wieder verfolgte er den Flug einer
Biene, die fih [Hwerfállig aus ihrem Blüten-
telh erhob, um bann, als wäre fie vom Luft:
ſtrom ergriffen und fortgejchleudert, rajh im
Blauen zu verjchwinden.
Plöglich aber fprang er auf, und als er
nun wieder auf ben Birnbaum losjchritt,
überlief fein Herz ein neues Verlangen. Er
verjuchte, fid) an dem borfigen Stamm hoch:
zuziehn, rutjchte aber jedesmal jammerlid ab.
Alſo fletterte er auf bie Bank und von dort
aus auf bie Mauer. Bon oben fah die Ents
fernung bis zum Boden nod) einmal fo tief
aus. Ihm tlopfte das Herz. Wher er gab
fid einen tiidjtigen Schwung, bing aud
wirklich einen 9Iugenblid awijden Himmel
und Erde, da aber jeine Hände den diden
Aſt nicht umtlammern konnten, glitten fie
ab, und er fiel hinunter.
„Gemein !” fagte er und humpelte, während
es in feinem Ropfe dróbnte, als wenn eine
Hummel darin fummte, wütend, halb weiners
lid) nod) einmal zur Gartenbant. Diesmal
bajchte er einen tleineren Nebenaft, an dem
er fid) aufziehn fonnte. Er fletterte ein
wenig höher und blidte über die Mauern.
Die Nadbargárten boten nichts Bejonderes.
Uber mit dem Rüden grenzte ber eigene
Garten an ein [males Gagden, hinter dem
fid) ein großes Anwejen, eine Gärtnerei mit
Gewádsbiujern, WMijtbeeten und regels
mäßigen Blumenbeeten ausdebnte. Ein bes
brillter Mann mit einer halblangen Pfeife
im Munde ftand vor einem der geöffneten
Rajten und braujte die Blumen ab. Auf
dem Grasplak davor fpielte ein feiner
Sunge mit einem Sonnden,
„Hoho!“ [hrie Hans übermütig in die Welt.
Der Junge fprang überrajcht auf, Dep fid)
aber, ba er nichts jab, nad einer Weile
wieder nieder.
„Hoho!“ jchrie Hans nod einmal und
bog die Zweige auseinander.
Da bemerfte der Junge ihn und rief ihm
etwas Unverjtändliches zu.
„Was meinft du?” fragte Hans zurüd,
„Du folft bid) nicht |o dide tun, du
Brummodje!”
Cnttáu|djt Tieß Hans den Bláttervorhang
fallen. Mit einem foldjen Grobian hatte er
teine Luft fid) einzulajjen.
Nachdem er nod ein wenig höher gee
Hlettert war, wählte er fid) einen gegabelten
Aft zum Rubefig und hatte bas ſchöne Ge:
fühl, daß nun der Baum ihm wirklich ganz
gehörte ...
Nah dem Abendeſſen ftahl Hans fid)
nod einmal in den Garten hinaus. Es war
mittlerweile völlig duntel geworden, und die
Luft von tauiger Feuchte durchtühlt.
Den Rüden an den Stamm gelehnt, fab
er im Gras, und feine Bedanten waren bei
den Ameijen, den Bienen, den Vögeln. Die
rubten nun aus und jchliefen in weichen
Kammern, in warmen Meftern.- Aud bie
Blumen [djliefert nun und wurden im Traum
von bunten Schmetterlingen bejucht, und der
dide, fomijde Kürbis hatte es fih ebenfalls
zum Schlaf bequem gemadt und lief fein
gelbes Buttergelicht von ben grünen Blätter:
hánden bejchirmen. Und die Kleinen, [djillerns
den Käfer, die in ben Rojfenbláttern faken,
waren nod) ein wenig tiefer gefroden, um
es redjt warm zu haben, und jdjnardjten
vielleicht ganz zart, ganz fein.
Es war jo woblig, an alles dies zu denfen,
das geheimnisvolle Raujden der Blätter
unb Dann und wann ein Dumpfes Pochen
zu hören, wenn eine Birne vom Baum fiel,
der immer, aud im Schlaf nod) [djenfen
mußte, und dabei in den |djmargen Himmel
mit feinen hellen Gternbildern zu ftarren.
Gie famen ihm ganz nah vor, wie filberne
Blumen, welde die Stadt auf bielen dunklen
Beeten hatte aufblühn laffen. Während er
tief und woblig atmete, weitete fid) fein Herz
und erfüllte fidh mit einer beglüdten Liebe, die
alle Kreaturen Gottes um[djloB: die Sterne,
die Blumen, die Käfer und auch ihn Jelbft,
88
SW
Eines Tages waren die Herbjtferien zu
Ende. Hans padte feinen Ranzen mit neuen
Büchern voll und machte fih wieder auf den
Weg zur Schule. Der Ton, der dort herrichte,
war ihm ganz ungewohnt. Auf der Berliner
Anftalt hatten jüngere Lehrer nad) neueren
Grundjäßen unterrichtet, und zwijchen ihnen
unb den Schülern hatte ein ziemliches nüd:
ternes, ausgeglichenes Verhältnis beftanden.
Auf dem ehrwürdigen Bymnalium der Rhein»
ftadt aber gab es noch den alt überlieferten
Krieg, ber von feiten der Schüler mit vielen
Lijten und Fredheiten, von feiten der Lehrer
mit polterndem Scelten und gelegentlichem
Dreinfdlagen geführt wurde.
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Kaiſerin Auguſte Victoria T
Von Max Arenz
(Letzte Zeichnung nach dem Leben)
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EE Zwei Freunde see ee 991
Ein wenig zaghaft und benommen von
diejem geräufchvollen Treiben hielt Hans fid)
anfangs abjeits und war herzlich froh, daß
ein anderer Schüler, der gleichzeitig mit ihm
eingetreten war, die allgemeine Aufmertjam:
feit von ihm ablentte. Er hieß Klaus Eben:
fto und war jener Junge aus der Gärtnerei,
den Hans am erften Tage vom Birnbaum
aus angerufen hatte, Durch fein rauhhaariges
Wams, feine Blodenhojen, feine bäuerlichen
Manieren, vor allem aber durd) feinen fremd:
artigen thiiringijden Dialeft war er gleich
zum Gejpótt der Klajfe geworden. Uber er
wußte fih mit Bejchid feiner Haut zu wehren,
und Hans, der fein Nachbar war, bemertte
mit Erftaunen, wie ſchnell er fid) ber neuen
Umgebung anpafte. Is erjtes legte er fein
fpotterregendes Gefieder ab und erjchien in
einem blauen Matrojenangug. Und [Hon
nad einigen Tagen frod) er mit feinem rote
gewiirjelten Tajchentuch beim Naſeſchnauben
nicht mehr unter bie Schulbant, fondern bes
nubte auf ganz manierliche Weile ein weißes
Tuh. Aud) ber grobe Dialekt verjdwand
jeden Tag mehr und lam nur nod) zum
Vorſchein, wenn Klaus zornig wurde. Da
er auf feiner heimatlichen Dorfidule und
beim Pfarrer eine Jolide Grundlage erhalten
hatte, war er in manden Gegenftánden
einen Rameraden überlegen und wußte, ehr:
geizig, bie graugrünen Augen ftets aufmerts
jam auf den Lehrer richtend, in ben Haupt:
fáchern bald deren Liebling zu werden, um
dann in anderen Fächern, wie Gingen
und Zeichnen, bie bei den Zeugnijjen feine
bejondere Rolle fpiclen, durd) ein dreijtes
Benehmen die Achtung jeiner Kameraden zu
erringen.
Für Hans zeigte er gleid) von Anfang
an eine naive Zuneigung, fragte ihn neus
gierig und frühreif nach allem möglichen
und erzählte jelbjt von feinem früheren
Leben auf dem Dorf, wobei er gewaltig den
Helden fpielte. Darüber beluftigte Hans fid
im ftillen, während thm das forjde und
geſchickte Auftreten feines Nachbarn zugleich
imponierte. Er wäre ganz gern fein Freund
geworden, aber ehe es zu einer Annäherung
fam, hatte Klaus es [Hon mit thm vers
dorben.
Auf Beſchluß ber Klaffe hatten bie beiden
im Ringlampf ihre Kräfte mellen miüjjer,
und Hans hatte den um einen Kopf Rleineren
regelrecht zu Boden geworfen. Als er ihm
aber die Hand zur Berjóbnung entgegen-
ftredte, umfaßte Klaus ihn bligjchnell nod)
einmal, [tellte ihm ein Bein und bradte ihn
fo zu Fall. Hans ſchimpfte, Beinftellen wäre
gemein und Ebenftod ein Schuft, der aber
batte [Hon ReiBaus genommen und hóbnte
aus ficherer Entfernung, nun hätte Hans
auch auf ber Nafe gelegen.
Sn den nád)ten Stunden gab bieler auf
feine Fragen teine Antwort und mied ihn
aud) auf dem Nachhaujeweg.
Als er aber nachmittags im Garten grub,
fab Klaus ploglidc) auf der hohen Mauer
und rief ihm zu, ob er immer noch böje wäre?
„Natürlich! Beinftellen finde ich gemein.“
„Warum haft bu mid) jo gewiirgt? Das
tft aud) gemein.“
„Das ijt bod) ganz was anderes.“
„Da habt ihr aber mal hübſche Blumen.
Weißt du auch, wie fie alle heißen?“
„Ale fenne ich nicht.“
„SH fann bir die Namen fagen, wenn
du illit."
„Dante, Meine Mutter hat ein Garten:
bud. Das ijt nur nod nicht ausgepadt.“
„Wir haben fo eine Menge Blumen in
der Bärtnerei. Und was wir für Gewads-
baujer haben! Komm bod) mal 'nüberl^
Hans jehüttelte ben Kopf und grub weiter.
„Wir haben eine Königin der Naht,”
fuhr Klaus fort. „Die blüht nur alle Hundert
Sahre einmal. Geftern ijt fie aufgeblüht.
Einen richtigen Knall hat’s gegeben. Die
follteft du bir anjehn.“
Die Verfuhung war groß, und um ihr
nicht zu erliegen, fagte Hans, er müßte
Schularbeiten madjen, und ging ins Haus.
Aber an diefem Abend galt fein Iebter
Gedante vor dem CGinjdlafen der Königin
der Mat. Alle Blumen des Gartens mite
jamt der Gonne und den Gternen vers
einigten Déi zu neuen, wunterjamen Gebilden,
die feinen gejchlojfenen Augen entgegen-
ſchwebten, ihn heiß entgiidten, um, plóglid
verſchwunden, ihn noch jehnjüchtiger zuriids
aulajjem. Und während er badjte, daß er
Diele Wunderblume, bie alle hundert Jahre
nur einmal bliibte, hätte jehen Tonnen, hatte
er die dunkle Empfindung, daß er dadurd)
in eine bejonders begnadete Klafje von
Menſchen aufgeriidt wäre, dies aber für
immer verjcherzt hätte.
Klaus erncuerte von Zeit zu Zeit [eine
Einladung, und wenn Hans ihr immer nod)
nicht folgte, [o war weniger fein bald wieder
verrauchter Zorn, als feine fpróde Zaghaftig«
feit daran ſchuld. Und dann Hatte er felbft
einen andern Klajjenfameraden in fein Herz
gefdjloffen, Rudi Dewerth, den Sohn eines
Malers, der gerade durch Eigenjchaften,
die Klaus nicht bejaß, feine Zuneigung
gewann. Wenn Rudi in der Stunde auf: |
gerufen wurde, erhob er fid) behaglich lang:
jam, jah den Lehrer wohlwollend an und
blieb regelmäßig die Antwort [Huldig.
(Fines Tages ftand bie Pforte in der
222 Wilhelm Hegeler:
hinteren Gartenmauer offen, und ein Gartners
gehilfe mábte das Gras ab. (Es dauerte
nicht lange, ba erjchien auch Klaus, begrüßte
Hans, warf einige oberflädhliche Blide auf
die Beete und fagte dann, nun wollten fie
gujammen die Gärtnerei bejehn.
Zuerjt begrüßten bie Jungen Frau Eben:
tod, bie in einem Rorbftubl an der von
Weinreben begriinten Gonnenjeite des nieb:
rigen Haufes jak. Cie hatte feines, rötlich:
blondes Haar, das Hans irgendwie an fergens
burdjglübten Chrijthaumjdmud erinnerte,
und tiefliegende, Dunkle Augen, bie bas zarte
Beficht zu einem jchmalen Rahmen machten.
Es fiel ihm auf, daß troß der Wärme ein
Plaid über ihren Knien lag.
Seine Begrüßung erwiderte fie mit etwas
dünner Stimme, erfunbigte fih eingehend‘
nad Lebrern und Unterrichtsitunden, und
als Hans erflärte, daß Deutjch fein Lieblings»
fad) wäre, und fie darauf von Gedichten
ipradjen, jagte fie, wenn es ibm Freude
machte, würde fie ibm einmal weldje vorlejen.
Darauf trabten die beiden Jungen davon,
um aud) Vieifter Ebenjtod guten Tag zu
jagen, der an feinen Miftbeeten ftand und
zu Hans bemerkte, die Hand Tonne er ibm
nicht geben, die fei zu dredig. Dann hieß
er jeinen Sohn beim TFeniterverlegen mit ¿us
greifen. Hans half dabei und freute [id)
jedesmal an dem bunten Pflanzenteppich,
ber mit betäubendem Duft zum Vorſchein tam.
Der Winter madjte biejen Bejuchen bald
ein Ende. Im Frühjahr darauf aber ente
widelte fic) gwijden den beiden Jungen ein
reger Werfehr, der freilid) anfangs von
Hanjens Sette mehr den Eltern feines Shul-
lameraben als Diejem felbft galt. Er wurde
nicht müde, dem biederen, etwas langjamen
Meifter Ebenftod bei feiner Arbeit zu helfen,
und lernte in furger Zeit nicht nur pifieren
unb ofulieren, jondern fonnte feine Mutter
gelegentlid) aud) über die gänzlich ver:
Ichiedenartigen Wirkungen bes higigen Taus
bendiingers unb des milden Ruhdungs auf:
tláren und darüber, baB man Abort niemals
in frijdem Zuftand verwenden dürfe Frau
Botelmann freute fid) über fein Tun, bei
dem er tráftig gedieh. Wenn er aber mand:
mal, ftrablend von Schweiß und Befriedigung,
nahdem er armvoll Töpfe oder jchwere
GieBlannen gejdleppt oder Cand gefiebt
hatte, zu Frau Cbenftod fam, jo fragte
dieje ihn verwundert, ob er denn derlei Ura
beiten auch wirklich) gern oder etwa nur
ihrem Mann zu Gefallen tate?
„Nein,“ verlicherte er, „es macht mir
wirklich Spaß. Aber nun möchte ich, daß
Cie mir wieder ein ſchönes Gedicht vorlejen.“
Gie läcdhelte und ftrich ibm dankbar durchs
Haar, ließ jid) nod) ein wenig bitten und
ſchlug dann einen der neben ihr liegenden
Bände auf. Sie liebte bejonders traurige
Gedichte, bie fic mit Ieijer Stimme, ein wenig
ichleppend, vorlas, und bei bejonders ge:
fühlvollen Stellen ließ fie die Worte zu einem
taum bérbaren Hauch verjchweben. Dann
fühlte Hans jedesmal, wie fein Herzichlag
ausjebte, und er mußte erft einige Viale
Ihluden, ehe er etwas jagen fonnte.
Obwohl er fid) im allgemeinen gegen die
Berührung von Fremden Heftig ftraubte:
wenn fie ihn mit ihrer ſchmalen Hand lieb»
tofte, wagte er nicht, fid) zu rühren. Er
wurde nicht müde, ihr jdjmales Gefidt zu
betrachten und darüber nadyzudenten, mit
welder Blume man es wohl vergleichen
tónnte, oder fich zu fragen, in welchem Kleid
jie ſchöner wäre, in dem roja von geftern
oder in bem lichtblauen, das fie heute trug,
oder in dem weißen Conntagstleib. Eines
Tages fagte er, halb im Scherz, zu Klaus,
die feinfte Blume, die fie im Garten hätten,
wäre feine Mutter. Die andern Blumen
hätten immer biejelbe Farbe, fie aber
wechlelte [tets.
Klaus iiberbradte dicje Bemerkung feiner
Mutter, in deren Wangen eine Blutwelle
aufítieg und rajh wieder verftrómte.
Geitdem Hang in den Unterhaltungen
awijden ihr und ihrem feinen, ftillen Ver.
ehrer manchmal ein neuer Ton. Gang um:
rißhaft, mit halben Worten verriet fie ihm
ihr Innerftes und ſprach, fid) vergeffend,
mit ibm wie mit einem faft Erwachjenen.
Was fie von ihrem Leben erzählte, Hang
wie ein buntes, melandjolijd) endendes
Marden. Lehrerin in einer Bolfsjdule im
Berliner Often, hatte fie infolge irgend»
welcher Beziehungen viel bei reichen, vors
nehmen Leuten verfehrt, Balle und Gefell-
[haften mitgemadt, auf denen bie vers
Härende Erinnerung fie die rührende und
poetijde Rolle des Heinen Mädchens im
billigen Fähnchen jpielen ließ, das durch
Anmut und Get alle glänzenden Erjchei-
nungen überjtrahlt. Später freilich batten
bie Mtenjden aus Ddiejen Kreijen, wie fie
jagte, ihre wahre Natur, ihre vom Gelb vers
härteten Herzen enthüllt. Cin bißchen frant,
am Herzen und wohl aud an der Lunge,
hatte fie dann einen Gommer bei ber
gamilie ihres jpäteren Mannes in dem
thiiringijden Sujtfurort verbradt. Als ber
jüngfte Sohn ihr in feiner treuberzigen,
ihwerfälligen Art zu ver|teben gab, daß er
jie liebte, war fie auer[t zurückgeſchreckt bei
dem Gedanken, die Frau bieles einfachen
Mannes zu werden. Aber fie batte dow
recht daran getan, nidjt wahr? Mas bes
PSSSSSSSESCLSCCSLE
deutete alle Beiftesbildung gegen ein treues
Herz! Und ihr Mann war gut zu thr.
Und fie madte ihn gliidlid)! Darauf tam
es ja an! Dazu lebte man: nicht um felbjt
glüdlich zu fein, Jondern um andere glüdlich
gu modern, Nicht wahr?
Hans gab ihr recht, wenn er auch zweifelnd
meinte, wer andere gliidlid) madte, hätte
bod) wohl aud) Redt auf eigenes Glid.
„Blüd! Was ift Glück?“ fragte fie mit
zerbrochener Stimme. Und fid) ein. wenig
aufrichtend und über das Bud auf ihren
Rnien ftreichend: „Da — ein ſchönes Gedicht,
bas ift Gliid. Und das lann einem niemand
nehmen.“
Mod andere nicht minder rätjelhafte Be:
mertungen entjcylüpften ihr. Einmal — fie
hatte wohl leichtes Fieber — fagte fte: „Die
Männer fpielen mit uns wie auf einem Sn:
ftrument. Man legt es beifeite, und es ilt
ftill, Aber wenn die Saiten unjeres Herzens
einmal wirklich berührt find, dann tingen
fie weiter. Klingen, bis fie ſchließlich entzwei—
[pringen. — Uber bu fannft bas nod) nicht
verftehen.“
Nein, er verftand nicht, was [ie meinte.
Und bod) blieb ihm aus foldhen Worten eine
frühreife Ahnung von ber ?Bermorrenbeit
bes jehnjuchtzerquälten menjchlichen Herzens
zurüd, wie man in einem duntlen Zimmer
die Begenftánde zwar nicht Debt, aber bod)
taftend ahnt.
Nachmittags hatte Frau Agnes oft Be:
lorgungen in der Stadt zu maden und mußte
dazu von ihrem Manne Geld holen. Bei
diefen Gelegenheiten madjte Hans die Be:
obadtung, baB Mteijter Ebenftod ftets eine
Weile mürrifch war, wenn er feinem Porte:
monnaie einen Taler oder Fünfmarkſchein
entlodert hatte. Sans hielt ihn für etwas
geizig.
Es fam wohl vor, dak, wenn Hans [id)
in der Gärtnerei umbertrieb, Klaus auf
dem Zimmer feines Freundes jak und deffen
Gefdjidjtenbüdjer las oder Frau Bolelmann
Gefellidjaft leiftete. Wenn diefe fragte, wo
ihr Hans eigentlich ftedte, antwortete er, der
bülfe feinem Bater. Und einmal fügte er
hinzu: „Sie müjjen nicht denten, Frau Ge:
beimrat, daß ich nicht auch gern arbeite.
Nur ſchmutzige Arbeiten mag ich nicht. Ich
arbeite lieber mit dem Kopf. Sch helfe
meinem Bater bei den Rednungsbiidern.
Mein Bater jagt, 9tedjnen ift bas Echwerite
bei der ganzen Bärtnerei, Er will lieber
einen Meter gefrorenen Boden haden, als
eine Stunde rechnen. — Was gibt es eigentlid)
für einen Beruf, bei dem man das Rechnen
gebrauden tann?”
„Kaufmann ober Bantbeamter.”
Zwei
Freunde (3333333333339 223
»Bantbeamter — ift bas was Feines?
Mas tann man da werden ?“
„Wenn du tüchtig but. fannft du Leiter
einer Bant werden.“
,Seiter einer Bank. Ift das was Hohes?
Hat man ba viel Maht?”
„Da haft du unter Umftänden mehr Maht
als ein Minifter, Denn bie Finangleute
regieren heute ja die Welt.“
„Wiefo? Das verftehe ich nicht.“
Frau Bofelmann ertlárte ibm, wie fie's
meinte. Er hörte mit jchillernden Augen
gu, ftellte immer neue Fragen und fagte
ſchließlich: „Das dente id) mir famos. Da
bildet fo ein Minifter fid) ein, er maht alles
jelbft, und tut [djlieBlid) bod) nur, was id)
will. Bantbirettor —! Rechnen tann id).
Geben Cie mir, bitte, mal eine Aufgabe
auf, Frau Geheimrat, fie tann nod fo
ſchwer fein.”
88 ag 38
Das Haus des Malers Dewerth lag neben
dem Schloß und — wie Hans fid) ausdrüdte
— es tam gleich hinter dem Schloß. In
feiner Borftelung war es ein Balaft, ein
Mufeum und eine holländijche Fiſcherhütte;
der Boden war ein Spielplaß für die Jungen,
beinah fo groß wie die Turnhalle, und fein
Garten ein Part mit jeltenen alten Bäumen,
mit weiten Rafenplágen und einem eid.
Und dann gab es Pferde und Wagen und
einen Diener. Seine blaue Livree trug
Auguft allerdings erft von zwölf libr ab,
von ba an puderte er aud) feine rote Nafe.
Wenn er bie ſchwere Eichentür, bie (id) ges
räufchlos wieder ſchloß, geöffnet Hatte, fagte
er berablajjend und ein bißchen wehmütig:
„Och, guten Tag!” legte die Hand an bie
Ohrmuſchel, indem er gleichzeitig den Mund
ipikte, und fragte: „Od, Sie wollen zum
jungen Herrn? — Dann tommen Cie, bitte,
mal mit.” Aber nad ein paar Schritten
drehte er fid) [hon um: ,Od, Sie finden
den Weg wohl [hon felbft, Wenn’s gefällig
ijt.” Und mit freundlich einladender Miene
wies er auf die Treppe.
Die Wände bes Treppenhaujes waren
bis zur Mannshöhe mit duntlem Holz ver:
tieidet und darüber in [Hweren Goldrahmen
alte Gobclins gelpannt. Nie fonnte Hans
vorübergehen, ohne daß fein Auge aus deren
Farben tranf. Als wäre das Feuer eines
Gonnenuntergangs in dem Gewebe eins
gefangen, ftrablten fie warmen Glanz aus,
jo daß aud) an regnerifden Novembertagen
das Treppenhaus Ion und feitlich glangte.
Auf den Borden reibten fid) Delfter und
chineſiſche Vaſen und Teller und merkwürdig
ver[djnite Figuren, von denen einige zer:
broden waren. Ging man über den weichen
294 EI Wilhelm Hegeler: ses
Sáufer die Treppe hinauf, fo fal man in
zwei, drei Reihen übereinander eine Mtenge
Bilder der verjchiedenften Art, wie ein durch»
einander gewiirfeltes Weltbilderbud. Da
raudte neben einer altdeutjchen Ratsherrns
ftube ber Veſuv; ba fegelte auf gelbjprikenden
Meereswogen ein Schiff auf einen fupfers
roten Herrn im Lebnftubl los; Filcher, bie
in napfalter Abenddämmerung übers Eis
Ihritten, waren die Nachbarn einer Havier»
ipielenden Dame. Noch mertwiirdigere
Bilder hingen im erften Stod, vor Schmutz
und Alter waren fie taum noch zu erfennen,
und was fie behandelten, war recht uncr:
freulich: runglige Männertöpfe, böje, alte
rauen, betruntene Bauern, Mtenjden mit
verrenften Gliedern. Hans war von ihnen
abgeftoßen und bennod) immer wieder ge:
zwungen, fie anzujchauen, als wäre gerade
ihre Häßlichkeit intereffant und ihre duntle
Rátjelbaftigteit verlodend (Er erfuhr, daß
es Kopien alter Meijter feien, die Herr
Dewerth in feinen jungen Jahren gemacht
hatte,
Der Profeffor gehörte zu den Berühmt:
beiten der Stadt. Geinen Namen und feinen
Reichtum hatte er fih als Maler hollandijder
Genrebilber erworben. Auf ben meijten
diejer Bilder wurde gegejjen, getrunfen, ge:
liebelt, geraucht, Karten ober Würfel gejpielt,
Was immer an diejen Bildern Nachahmung
und. leeres Roftiim fein mochte, bie unvere
wültliche Lebensfreude daran war edt: ein
Niederjdlag ber vergnügten Gejelligteit int
Haufe, wo die Maiträuterbowlen von den
Erdbeer: und diefe von ben Pfirſich- und Anas
nasbowlen abgelóft wurden; wo an [djonem
Sommerabenden der Garten weit in Die
Duntelbeit hinausftrablte von bunten Lam:
pions und blaffen Windlichtern, und zur
Minterszeit die Tangmufif bis tief nad)
Mitternabt in den verjchneiten Hofgarten
binausflang.
Eines Tages beim Nachhauſeweg aus ber
Schule — es war nod am Anfang ihrer
Belanntjchaft — begegneten Hans und Rudi
zwei Damen in Schwarz und einem wunders
hübſchen Kind, das, abgejehen von den
Ihwarzen Knöpfitiefeln und Der breiten
ſchottiſchen Schärpe, ganz in Weiß gekleidet
war. Die eine Dame, von ziemlich bedeus
tendem Umfang, madte auf Hans einen
äußerſt jtolzen Eindrud und erinnerte ihn
in ihrem gejchnürten ftarren Geidenfleid
irgendwie an einen Nitter in RiiraB und
Turnierhelm. Die andere wirkte defto diirftiger.
Das blonde Rind hüpfte zwijchen beiden,
mit feinem Plaudern fih bald an Die eine,
bald an die andere wendend.
Als Rudi die drei bemerkte, eilte er auf
fie zu und rief: „n Tag, Mama!“ Sanjens
tiefen Gruß beantwortete bie forpulente
Dame mit [teifem Ropfniden, was feinen
Rejpeft noch erhöhte.
Um fo erftaunter war er, als er, bei Rudi
zum Kaffee eingeladen, Frau Dewerth zum
erftenmal zu Haufe fab. Sie fab in einem
breiten Korbftuhl auf ber nad) bem Garten
führenden Terraffe, immer nod) in Schwarz,
aber die Steifheit war gänzlich von ihr ge»
widen. Statt des Ceidentleids trug fie eine
Tritottaille, unter ber alles wadelte und
wogte wie Weingelee.
„Buten Tag, Hans!“ fagte fie, mit einem
Heinen, gemütlichen Gtóbnen jid) im Gejjel
aufrichtend. „Wir find ja alte Bekannte.“
Ehe biejer antworten konnte, tam Annie
berangejchwebt, mit ihrer Erzieherin, bie
Mademoijelle Jüliten genannt wurde. Annie
gab Hans die Hand und fagte dann, auf
ein Schaumtörtchen weijend: „Mama, das
Stüd will id) haben.“
„Quelle modestie!“ bemerfte Mademoifelle.
„WBohlerzogene Mädchen fagen nicht: id)
will. Moblerzogene Mädchen fragen biúbid:
darf ich?”
„Alſo das Stüd darf ich dod haben?”
„Laſſen wir mal zuerft unjern Gaft aus»
ſuchen,“ entjchied Frau Dewerth.
Uber Hans wehrte fih entichieden, vor
den Damen auszufuchen, was Frau Dewerth
Anlaß gab, gegenüber ihrem Sohn [eine
gute Erziehung zu loben.
„Ach Gott, Mama, du mußt dir nur nicht
einbilden, daß ich nicht weiß, was fid) [djidt.
Bei fremden Leuten beige ich auch den Feinen
heraus,“
„Und warum bt bu bet uns nicht fo?”
„Srgendwo muB man dod ungezogen
fein,” geftand er ehrlich.
Als bann bie Reihe an ihn fam, erflárte
er zur allgemeinen Heiterkeit: ,Moblerzogene
Knaben nehmen immer das Gtiid, das gerade
vor ihnen liegt. Aber Huge Knaben brebn
gleich ben Teller fo, daß das größte Ctüd
vor ihnen liegt.“
Der Berg von Apfel>, Schaum: und
Cd)otolabentórtd)en, von Gabnenbaijers und
Cremejdnitthen nahm jchneller ab, als
Hans es für móglid) gehalten hätte. Frau
Dewerth [tieB jedesmal einen feinen bes
bagliden Geufzer aus, wenn fie ein neues
Greme[d)nittden nahm. Endlich fragte fie:
„Sol ich oder fol id) nicht ?“
„Laß lieber fein, Mama.
Zuder!“
„Ad, Jung’, es [djmedt mir aber bod)
jo gut."
„Aber es befommt bir bod) nicht.“
„Die Cadje ijt nämlich bie," wandte fie
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SSS] Zwei Freunde sel 995
fid) an Hans. „Ich leide an 3uder und foll
nichts Süßes effen. Aber. wenn id) mid)
entzudern laffe, bin ich fo kratzig wie.’ne
alte Sabnbiür|te. Da will id) bod) lieber
zehn Jabre weniger leben und vergnügt jein.
Was meinft du?“
Hans erflärte, bas fet unbedingt aud
feine 9Infidjt. Courte et bonne‘: fet ſchon
der Wahlſpruch Gujtav Adolfs gewejen, der
in der Cdjladjt bei Lüken gefallen jet.
Frau Dewerth zolte ibm Beifall, Gte
babe zwar wenig Ausjicht, in einer Schlacht
au fallen, und Guftav Adolf fei ein Reker
gewejen, aber fein Wahljpruch fet zu Toben.
Bern hätte Hans aud) an Annie bas
Mort gerichtet. Wher jedesmal fühlte er
fid angefichts ihrer ftolgen Bornehmbeit
eingefchüchtert und vom Gefühl ber eigenen
linbebiljfidjfeit Durddrungen. Bejonders
feine Hände [bienen ibm plößli in bes
leidigender Weile vom Tiſchtuch abzuftechen,
fo daß er fie jchnell herunternabm.
Es waren nur nod einige Blätterteig»
tránze übrig, als Herr Dewerth er|djien.
Hans fprang auf und machte eine Ver:
beugung, bie ber Profeſſor nur mit einem
furzen Blid aus feinen grauen Mugen er:
widerte.
,Cdulfamerab ?^ fragte er, ibm die Hand
binftredend, indes er mit der andern bie
Zeitung ergriff.
Hans mufterte ihn verftoblen. Es war
das erftemal in feinem Leben, daß er einen
berühmten Dtann fah, und in der Meinung,
daß fie alle irgend etwas Bejonderes an fih
batten, fuchte er bas herauszufinden, fonnte
aber nichts dergleichen entbeden, höchſtens
fiel ihm auf, daß der Profeſſor zu ber eles
ganten Sommerboje ein ziemlich abgemebtes
Samtjadett trug, aus Dellen äußerer Bruft:
taſche bas Tajdentud mit langen 3ipfeln
berunterhing. Übrigens jah er durdhaus
nicht fo vergnügt aus, wie man nad) feinen
Bildern hätte vermuten fónnen; fein eners
gijches Geſicht mit dem jpigen grauen Boll»
bart machte eher einen abgearbeiteten Eins
drud. Bon feiner Umgebung nahm er nicht
die geringfte Notiz, fondern [djien ganz in
feine Zeitung vertieft, bie er bod) nur wieder
zerftreut ñiberflog. Dazwijchen verzehrte er
einige Ruhen, brummte: „Pfui Teufel, Mars
garinel* und griff nad) bem Paden Briefe
vor ihm. Die mit Rechnungen [hob er uns
gelejen jeiner Frau zu.
Die Kinder wurden mit Mademoijelle
Syülifen in den Garten gejdidt, wo fie
Rrodett fpielten. Annies Ball hatte ben
Gigen[inn, fid) ftets gerade vor eine Ceite
bes Reifens zu legen, ein Umjtand, dem fie
durd einige Heine Stipe mit ber Fußſpitze
abgubelfen juchte. Ihr Bruder riet ihr, bas
gefálligit bleiben zu laffen. Gie berief fid)
für ihre Unfchuld auf Hans, der nichts ges
jeden Hatte und ritterlich für fie eintrat.
Aber bald ertappte Rudi fie wieder. Auch
Hans hatte nun ihre Diogelei bemerkt und
geriet, als er von neuem zum Zeugen ans
gerufen wurde, in eine traurige Lage: wie
maner Berehrer hätte er für die Königin
feines Herzens gern eine große Heldentat
unternommen, fie aber begehrte eine fleine
Niederträchtigkeit von ihm.
Übrigens ließ fie ibm feine Zeit gum fiber:
legen, fondern verfodt ihre Gace fo bit»
tópfig und wußte die Schmähungen, die ihr
Bruder gegen ihr ganzes Geſchlecht ausftteB,
jo höhniſch zu erwidern, dak Rudi jchließlich
voller Wut mit dem Rrodethammer auf fie
losging.
Mademoifelle Syülifen rang die Hände und
ermabnte ihn, feine wilde Gtreitluft auf:
gujparen, bis er zu den Fahnen Builleaumes
einberufen würde, Annie [pudte ibm geſchwind
auf bie Hofe und lief bann Ichreiend Herrn
Dewerth entgegen, der gerade die Garten:
treppe binunterfam und fragte, was los fei.
Annie erflärte, bie Jungen wären fo fred
gegen fie.
"Bas, Liebling, bie beiden großen Ben:
gels? Marte, denen werden wir’s mal ors
bentlid) bejorgen!”
Er nahm feine Tochter auf den Arm und
eilte in fomijden Sprüngen auf die beiden
los, die gleich gemerkt batten, daß fein Zorn
Icherzhaft gemeint war, und auf das Spiel
eingingen. Annie jaudyzte, wenn [ie glaubte,
einen gehajdt zu haben, aber die Jungen
riſſen fid) im legten Augenblid immer wieder
los. Eine ganze Weile tollte der Profeffor
mit den Kindern, bis er nach kurzem zer»
ftreuten Gruß wieder ins Haus ging.
Auf dem Heimweg dadte Hans immer:
fort an Annie, Cigentlid) war er erzürnt
über fie. Warum batte fie gejagt: „Die
Jungs find fo fred) zu mir!” Das war bod)
nicht richtig. Er hatte ja gar keinen Streit
mit ihr gehabt. Oder hätte er fie gegen
feine Überzeugung in Schuß nehmen follen?
„Das bilde bir nur nicht ein!” fagte er
bei fid), als wenn Annie neben ibm ginge.
„Aber jo meinte ich’s ja aud nicht. Gei
nur nicht böfe,“ antwortete fie fanft.
„Böſe? Böfe bin ich ja auch nicht.“
Da late fie und hüpfte vergnügt davon.
Er gab ihr einen Schlag auf die Schulter:
„Krieg mich!“ Und lief davon, aber mit
halber Kraft, fo daß fie ihn einholen konnte.
Darauf verfolgte er fie, nachdem er ihr groß—
miitig einen Borjprung gelaffen hatte, bis
er fie bajdte. So fpielten [ie zujammen.
008 ESSSesotcctccccj Wilhelm Hegeler: —
Sie beide ganz -allein ... in feiner Cine
bildung.
Als Hans bas nadfte Mal eingeladen
wurde, traf er eine Freundin von Annie
dort, Lila Bendemann, die Tochter eines
Malers, ein zartes, dunteláugiges Mädchen,
bas ganz in Annie verliebt fdien unb fid)
von ihr beberr[djen ließ, bet ben gemein:
lamen Spielen aber ihre Sympathie für
Rudi zeigte. Was biejer vorjchlug, war ihr
recht, und fie nahm ftets für ibn Partei.
Annie dagegen fannte nur ihren eigenen
Willen und jchien fid) aus niemandem viel
zu machen.
Bon Diefer neuen Freundſchaft erzählte
Hans aud Klaus, der nun mit Anjpielungen
nibt nadjlieB, bis aud) er von Rudi ein:
geladen wurde. Auf dem Wege zu Dewerths
wußte er Hans [Hon eine Menge von dem
Profeffor zu erzählen: daß er jchredlich reich
jet, aber auch [chredlich viel Geld verbrauche,
daß er einen fiirftlidjen Weinkeller bejáBe
und fogar den Champagner oxhoftweije tom:
men ließe, und dergleichen mehr. Das Wohl:
wollen der Frau Tewerth gewann Klaus
durch einige wunderjchöne Rofen, welche nur
die Gigenidjaft zeigten, [bon am Abend ver:
welft zu fein. Dagegen gelang es ihm nicht,
bei den Mädchen Gnade zu finden. Am Turns
red machte er jo oft bie Rniewelle, daß Annie
Ichrie, er folle aufhören, ihr würde Jonft jchlecht.
Und als er ihnen dann zeigte, wie man auf
den Händen fpaziert, [bien bas zwar ans
fangs ihre Bewunderung zu erregen, Globe
lid) aber fliijterte Annie ihrer Freundin
etwas zu, und beide liefen lahend davon.
Sie laten nod) immer, als Hans fie
zurüdholte unb fragte, was denn eigentlich
los fei. |
„Daß bu's nicht fagft! Dab bu's auf
feinen Fall [agit!^ befahl Annie ihrer
Freundin und hielt ihr, bie gar feine Wns
ftalten zum Reden gemacht hatte, ben Mund
zu. Gleich darauf aber vertraute fie Hans
an, ob er denn nicht gejehn hätte, daB Klaus
feine Unterhofen anhatte? Das Ferfel!
Mährend die Mädchen [páter mit ihren
Buppen fpielten, vergnügten die Jungen fid)
mit Gdjeibenjdiefen. Als fie wieder ins
Haus zurüdfamen, ergriff Klaus bie Arm:
brut unb meinte: „Ho, bas wäre ein feines
Riel, bie alten Broden da.“
„Bit bu verriidt?” fagte Rudi. „Du
weißt wohl nicht, was bie Teller Toten.
„Was follen die toften ? Gold alte Sher:
ben ſchmeißt meine Dintter auf ben Kehricht-
haufen.“
„Du Kaffer haft eine Ahnung!”
Zufällig fam der Diener aus bem Keler,
an den Rudi fid) entrüftet wandte. Auguft
[pibte diesmal nicht nur den Mund, fondern
ftieß einen wirklichen Pfiff aus.
„Oioioi! Die Delfter Teller, oioioi, bie
find heute ein Vermögen wert. Die haben
[ihon vor zwanzig Jahren, als wir fie aus
Holland mitbradten, das Gtüd Hundert
Gulden getojtet.”
„Das ift ja Unfinn. Ihr wollt mid) nur
foppen,“ brummte Klaus, jah aber von nun
an die Scherben mit andern Augen an.
Eines Tages um Faſtnacht herum ent:
dedten bie Kinder auf bem Boden eine
Truhe voller Roftiime. Wunderbare Möglich:
leiten, erregenbe Gchidjale breiteten jid) vor
ihnen aus. Klaus ftiirgte fih gleich auf einen
Dogenmantel, aber nein, das Wams eines
Edelpagen erjdien ibm. nod) feiner. Doch
am imponierenbften fam er Dë in einer
Generalsuniform vor. Klein wie er war,
verjant er beinah in den hohen Reiterftiefeln.
Rudi frod) behaglich in bte baufchigen Hojen
eines bolländijhen Fiſchers, Annie wurde
als Rotofodamaden herausgepußt, die dbuntel:
áugige Lila als Rolombine. Hans hatte
einen alten Burnus gefunden, voller Motten
lóber, aber bie verblichene Gtiderei um:
ſchwebte irgendein Märchenglanz. fiber al:
lem Helfen batte Mademoijelle Jiiliten fih
felbft nicht “vergejjen. Gie verjdjwand im
Nebenzimmer und fam nad) einer Weile in
einem roja Taffetlleid guriid. Hinter einem
ungeheuren Fächer blidte fie jchelmijch bie
Kinder an, während ihre welfen Lippen fid
kußlich runbeten.
„Run ratet mal, Kinder, wer id) bin!"
Die Kinder rieten bie unmöglichiten Dinge.
„Aber febt ihr denn nicht ben Rofentrana
in meinem Haar? Sch bin dod Dorn:
röschen.”
Darauf wären fie nie gelommen. Annie
hatte fie für bie Raijerin von China ge:
halten,
Es ftant im ganzen Zimmer nad) ver»
branntem Kort, womit man fid) bie Brauen
geihwärzt ober Fünftliche Schnurrbärte ge:
malt hatte. Dies Umfleiden war eine glüd:
jelige halbe Stunde, in der jeder, ganz mit
fid) bejchäftigt, fih bod) wieder über der
neuen Crjdeinung vergaß. Nur Klaus gab
feinem {Freund einen fleinen Stoß unb hieß
ihn nach den Madden febn, als diefe nadt.
armig unb in furgen Unterrddden umbers
büofet.
Nadhdem man bann aber fih gegenfeitig
bewundert hatte, wurde jeder wieder fonder:
bar an feinen Alltag erinnert. Berlegen,
mit albernem Lächeln ftanden die Kinder
berum und wußten nicht, was beginnen.
Mamjelle Sjülifen, nun wieder ganz Gou:
vernante, ſchlug vor, man folle fid) um ben
Zwei
225^ 22252 25.225 22 22252 22 22 252252 25 2.
Tijd fegen und jeder im Charatter [eines
Koftüms eine Geſchichte erzählen.
„Um den Tifd) fegen!” rief Hans ents
riiftet, bem von dem jrembartigen Roftiim
ein abenteuerlicher Schein im Herzen ge:
blieben war. „Unfinn! Wir bilden ja eine
Karawane! Wir find in ber Miifte Gas
bara! Ein Zelt miiffen wir bauen!“
Und gleich begann er, aus dem nebenan
liegenden Schlafzimmer Bettlafen zu holen.
Sie gaben über Stühlen ein herrliches Belts
dad. Eine italienische Dede bildete den
Teppich. Co[afij[en bie Sige. Einer nad)
dem andern troh hinein. 3ulegt Mamſelle
Júltten mit dem Licht in der Hand,
Hans hatte einen erhöhten Gib, denn er
folte erzählen. Im legten Wugenblid hatte
er Angft, ba er fiürdjtete, feine Zuhörer
würden lachen, und [ab vor fih nichts als
ein ſchwarzes Lod ... aber irgendwo jchims
merte ibm eine jchöne Stele aus einem
feiner Bücher, eine wunderjchöne Stelle, bei
der fie gewiß nicht lachen würden. Auf die
eilte er mit atemlojen Worten zu, nachdem
er nod) bie feierliche Erklärung abgegeben
hatte, er wäre gar nicht der Scheich Almanfor,
jondern der Zauberer Zirlofan, der König
aller Geijter.
Zuerft ging es miibjam und ungewiß,
aber dann [jebte der Wind fih in feine
Gegel. Sobald er die ſchöne Stelle erreicht
batte, jentte er feine Stimme zu geheimnis»
vollem Flüftern, wie Frau Agnes es tat bei
gewiljen Berjen. Bom Raujchen und Brau:
fen in feiner Bruft wurde er von jelbft vor:
wärtsgetragen, und immer neue, nod) ſchö—
nere Stellen lodten ihn. Seine Angſt war
jest ein waghaljiges Spiel mit den Ge:
fahren, in bie er feine Helden ftürzte, um
fie wunderbar daraus zu erretten. Bon feis
nen Zuhörern jab er nichts, fondern unver»
rüdt gerade aus.
Diefe aber träumten alle feinen Traum
mit, jeder auf feine Weile. Klaus blidte
ihn unruhig, gejpannt an und [mien fih
alles merten zu wollen. Rudi lag lang hin
geftredt mit behaglid ernftem Geſicht und
hielt verloren bie Tonpfeife vor feinen halb
geöffneten Lippen. An feine Schulter hatte
fid) Lifa ein wenig fofett hingejdmiegt. Das
Dornröschen hielt den Leuchter in ihrem
Schoß, und ihr hell bejdjienenes rungliges
Bratapfelgelicht tidtadte zu den Worten bes
Erzáblers bald fdneller, bald langjamer,
näherte aber bie Gejdjidjte fih einem Höhe:
punft und waren die Gefahren jehr drohend,
jo ftand es eine Weile gang [till.
Die teilnahmvollite von allen aber war
Annie. Es war, als hatte fih in ihr plötz—
lid) eine bis dahin verjdlojjene Rammer
yreunde seess sl 227
geöffnet. Die aierfidje Anmut ihres Befichts
war überjchattet von großäugig verjuntenem
Ernft. Manchmal blidte fie [djnell bie an:
dern an, als wollte fie fih ihrer Leibhaftig—
teit vergewillern, doch jogleich hing ihr Auge
wieder an Hans. Unter ihrem Puder ers
tötete fie bald, bald wurde fie blaß und
zwang ein trodnes Schluchzen hinunter. Bei
den geringften fomijden Stellen aber brad)
jie in unterdrüdtes Laden aus, das ihren
ganzen Körper erjchütterte und glänzende
Tropfen an ihre Wimpern hängte.
Im Zimmer batte die Dunkelheit alles
verjhludt. Es ftand wie ein Jdwarger
Tauertlo vor bem [d)neegrau dämmernden
Fenſter. Plöglich trat Frau Dewerth ein.
Als fie im Lichtfchein der geöffneten Tür da
und dort nur ein Häufchen Kleider gewabrte
und unter ben Lafen ein unbeutlides Ges
murmel hörte, 30g jie rajd) einen der Stühle
beijeite. Da brad) bas Wültenzelt gujammen
und mit ihm aud) das Märchen. Die Kin:
der |prangen auf. Licht wurde angedrebt.
Annie aber umjchlang ihrer Mutter Arm,
und von ihrer Aufregung auf: und nieder:
gejchnellt, erzählte fie wire atemlos von den
WBundertaten, die Hans vollführt. „Aber
bod) ich nicht,“ unterbrach er fie. „Das war
bod) alles der Zauberer Zirlofan.“
Geit dem Tage war Annie ihm verfallen,
ber mit Geijterbaud) ein neues Leben in ihr
gewedt hatte. Er mußte nod) oft Bejchichten
erzählen. Einige durften die andern mit
anhören, andere aber, und das waren folche,
in denen fie die Heldin war, wollte fie für
fih allein haben. Als es draußen wieder
wärmer wurde, machten die beiden jid) auf
einer Steinbant am Teich zwei Site zurecht,
und wenn eins der andern Kinder fih ihnen
nähern wollte, erhob Annie wie ein eifers
ſüchtiger Kleiner Vogel unwilliges Bezwitjcher.
Gtatt in den Schulftunden aufzupaſſen,
fabulierte Hans jebt in einer entriidten Welt.
Annie war unerjattlid. In immer neuen,
verführerijchen Gejtalten folte der Zauber:
ipiegel feiner Gejhichten ihr Bild zurüd»
werfen, während Hans als ihr demütiger,
durch feine Tapferteit und Treue aber alle
liberjtrablender Ritter auftrat. Manchmal
jedod rig die Luft den Poeten bin, mit
ftarferen Gewalten an ihr Herz zu rühren:
dann graulte er fie ein, daß [ie ängftlich mit
beißen Wangen jid) an ihn jdjmiegte, oder
er búufte Elend und Schande über fie, um
jie am Ende dann wieder zu deſto glors
reidjerem Glüd zu erheben. Wenn fie dann,
befreit aufatmend, ihn zärtlich und mit glán-
zenden Augen anjab, fühlte auch er jid) einer
tiefen Angſt entronnen und hielt ihre Hand
fejt in der feinen.
998 seess seess Wilhelm Hegeler: —
Ten andern blieb fie, wie fie gewejen,
herrſchſüchtig und voller Launen, namentlich
Klaus behandelte fie mit graujamer Serab:
laffung. Nur Hans hatte Macht über fie.
Während ber gemeinfamen Spiele fam es
wohl vor, daß fie fid) gantten und in Grol
auseinanderliefen. Aber Jolde Zwijte gingen
rajd) vorüber und waren eigentlich nichts
Wirklidhes. Das Wirklihe war ihre tiefe
Verbundenheit und das Bedürfnis, einander
gut zu fein. Als Annie an den Dlajern ers
franfte und während ber Genejungszeit fid)
im Bett langweilte, verlangte fie immer
nad Hans. Da er fie nicht bejuchen durfte,
ichrieben fie fid) in ihrer ungelenfen Kinders
Banb[d)rift Briefe voll Abkürzungen, bie nur
fie beide verftanden.
Dies [chine Verhältnis dauerte den gare
zen Sommer und Winter über. Das fome
mende Frühjahr aber führte fie aus ihrem
Kinderland in ein gefährlicheres Reih. Hans
hatte nun [don monde Romane gelejen,
und auf der Schule unterhielten feine Ras
meraden fid) piel über die Geheimnifje bes
andern Gejdledts. Wenn er jebt Annie
von feurigen Riifien und Umarmungen ers
zählte, gejchah das nicht mehr mit der Naivie
tät von einft, fondern er mußte eine Scheu
überwinden, die zu überwinden ihn dennod)
ein ftárteres Berlangen antrieb. Und Annie
bordte bejonders hingegeben auf jolche Shil:
derungen. Manchmal begegneten fih dann
ihre Blide, und er las etwas furchtjam
Rodendes, Verwirrtes und tief Berwirrendes
in ihren Augen, auf ihren tnofpenbaft fih
öffnenden Lippen, bie ein jchücdhternes Eva:
lächeln verrieten. In thm aber erhob fid)
jedesmal ein Sturm verworrener Wünjche.
Es war in folden Augenbliden, als wenn
fie von einer geheimnisvollen Kraft auf:
einander zugedrängt würden, um dann, von
einer andern, nicht minder ftarten und ges
beimnispollen Gewalt gelentt, [till aneinander
vorüberzugleiten.
Sn ibm aber blieb nod lange hinterher
eine brodelnde Dumpfbeit, die, wenn fie zer»
floB, ihn felbjt ganz und gar auflófte. Gin:
mal fand feine Mutter ihn weinend unter
dem Birnbaum liegen. Als fie fragte, was
ihm fehle, warf er fid) auf den Rüden und
fonnte vor Schluchzen nicht fpreden. Nah
allem Zureden gab er feine andere Antwort,
als daß er fo furdtbar traurig fet.
Fines Tages hörte Hans von feinem
Freund, daß Dewerths den Sommer in Hols
[anb verbringen und Annie mitnehmen toll:
ten. Die Abreije war [Hon für den nádj[ten
Tag feitgelebt. Nudi war wütend, da er
wieder zu einem Lehrer in Penfion tommen
jollte.
Als Hans ganz beftürzt nachmittags zu
Dewerths fam, hieß es, daß Annie nicht
wohl jet. Man ließ ihn trobbem zu thr.
Gie lag in ihrem weiß ladierten Bett und
lächelte ihn ein bißchen matt und verſchüch—
tert an, während fie ibm aus den Spigen:
ármeln bes Nachthemdes ihren bloßen Arm
entgegen|tredte. Auf feine Frage, was thr
fehle, bob [ie nur die Finger von der Bett»
dede und jagte: „Ach nichts.“
„Halt du Leibweb?”
„Auch,“ erwiderte fie.
„Es ift weiter nichts,“ mijchte Mademoi—
fele Jüliken fid) ein, die frijch gepláttete
Wäſche in einen Koffer padte. „Klein Annie
[oll nur heute ftill liegen, weil [ie bod) mor:
gen bie große Reije vorhat.” Nach einer
Meile lieg Annie jid) einen Bleiftift und
Papier geben und drehte fih nad) der Wand
zu. Hans durfte nicht jehn, was fie |d)rieb,
unb mußte fo lange ans Fenſter treten.
Dann wurde er gerufen. Während Mame
felle Syülifen ihnen den Rüden zudrebte,
reihte Annie ihm ralh den Brief, indem
jie dabei den Finger auf den Mund legte.
Nad einer Weile nahm Hans UAbfdied. Auf
der Treppe [Hon öffnete er das vielfach gus
lammengefaltete Papier. Es war ein Ring
darin mit einem Heinen Türkis, den Annie
bisher getragen hatte, und der Brief lautete:
„Lieber Hans! Mir fehlt was Scheuß—⸗
fides! Aber jag’ es niemand, Du mußt
mir verjpreden, daß Du’s feinem fagft!
Syilifen ijt gemein, daß fie nicht "raus:
geht, unb [ie hat's mir bod) verjprochen.
Ich bin wütend. Sd) bliebe 10000 >
lieber bier. Den Ring fbente ich Dir.
DEINE Annie.”
In der linten Ede aber war ein Kreis
gemalt, und in biejem Kreis befand fih
ein $.
Bom Glid und Abichiedsichmerz wie von
einem warmen und einem falten Strom durd:
weht, bie fih Jchlichlich beide zu einer lau»
liden Schwere vereinigten, jchlenderte er
nod lange burd) den Hofgarten, bis er fid)
endlich nad) Haufe fand.
Der Sommer bradjte den Jungen neue
Grlebnijje. Cie ließen fih Rajafs bauen und
führten nun an den [chulfreien Nachmittagen
ein glüdliches Robinjonleben auf dem Ufer
der andern NRheinjeite.
Dewerths blieben über ein halbes Jahr
fort. Als fie im Winter guriidfehrten, er:
Härte Rudi, feine Schweiter wäre eine furcht—
bare Pute geworden. Und in ber Tat fand
Hans fie ganz verändert. Ctatt des weichen
Kindergelichts blidte ein |d)maler, unfertiger
Sungmaddenfopf ihn an. Ihre Wangen
waren von dcr Gecluft verzehrt und ge:
EE SS Zwei Freunde see ll 229
bráunt, ihr jchwellender Mund geformt, und
bie graziójen Lippen Hatten beim Sprechen
etwas unbewußt hodmiitig Spöttijches. Bei
ber erften Begriigung war Annie verlegen,
als fie aber feine unbeholfene Schücdhternheit
bemertte, gab fie fih jofort eine überlegene
Driene. Sie verjuchte, die vornehm läjlige
Haltung einer Dame einzunehmen, wurde
aber von ihrer federnden Unruhe und ihren
edigen Gliedern fortwährend geftört, jo daß
fie alle Augenblide ihren Sik veränderte, an
ihrem Kleid berum[trid) und ihren Geiden:
Ibal auf: und niebergog. Dabei erzählte
fie, als wenn fie eine auswendig gelernte
Lektion herunterrafjelte: von ihrer fabelbaften
Reife, von dem entzüdenden Leben in dem
Heinen $yilderborf, von dem fabelhaften
Treiben in den Straßen Amiterdams, und
daß fie in der Gaijon mit ihrer Mutter
Sdeveningen bejucht hätte, unftreitig bas
vornebmjte Bad in ganz Holland, mit einem
reizenden Rajino, in bem entzüdende Reunions
ftattfanden. Gie hatte mehrere mitgemacht
unb jehr nette Jungen fennen gelernt.
- „Nicht wahr, Mama, die Hollander find
doch fabelhaft nett?“
Hans verjuchte, fid) einzubilden, daß alles
dies thn nicht berührte, und bod) fühlte er
fid von jedem Wort verwundet, als wenn
es mit einer boshaften Spike gerade gegen
ipn gielte.
‚Als er dann, von Frau Dewerth aufge:
fordert, auch erzählte, dabei ein bißchen ins
Renommieren geriet und die Wellen auf
dem Rhein, durd die fie mandmal mit
ihren Rajats gefteuert, aufjchäumen ließ, daß
ein mitfühlender Zuhörer Herzklopfen be:
Zommen hätte, fiel Annie ibm ins Mort: er
jole nur mal an bie 9torbjee tommen, auf
ber gingen bei einem mäßigen Sturm Dic
Mellen gleid) [o bod) wie der Kölner
Dom,
Da erlahmte er wie mit durchjchnittenen
Sehnen. Und feine jpätere Schilderung ber
verjchiedenen Rlajjitervorjtelungen, bie ihn
bod) |o begeiftert batten, war ganglid ohne
Schwung. Aber zum Abjichied erlebte er
noch bie tiefite Rrántung. Auch Annie war
einige Dale im Theater gewejen. Und fie
wäre unbedingt für die Operette! Das Aller:
Ichönfte aber wäre ber Tanz! Ob Hans
Ion bie berühmte — er verjtand nicht den
Namen. Und als fie nun eine Melodie
fummte, [hien ein Motor in ihr angejprungen,
lo daß alle ihre Muskeln biipften und
ſchnellten. Plötzlich Hatte fie Mamſelle
Jüliken umhalſt und ans Klavier gezerrt.
Und nun ſah Hans, wie ſie ſich bog und
drehte, mit den Händen fächelte, die Arme
hinfließen ließ wie wallende Tücher, den
Oberkörper herumwirbelte, daß er glaubte,
ihre Beine müßten davonfliegen.
„Total blödſinnig!“ fagte Rudi und nahm
den Freund mit in ſein Zimmer, wo ſie
Flaſchenbier tranken und Zigaretten rauchten,
um den ſchlabbrigen Kuchengeſchmack loszu—
werden, wie Rudi ſagte.
„Hat fie nicht "nen Drehwurm, Hans?“
„Sa, fie hat fid) febr verändert,“ ant:
wortete biejer. „Schade!“
Als er aber jpäter die Treppe binunters
ging und an dem Kinderzimmer vorbeifam,
das nun Annie allein bewohnte, bing fein
Auge verlangend an der Tür, als müßte fie
herausfommen oder er felbft eintreten und
mit einem einzigen Wort alles Fremdjein
unb Mißverſtehn bejeitigen. Aber er ging
vorüber, und die Tür blieb ver|djlojjen.
Geitdem lag in ihm jelb|t hinter einem
wunderbaren Gtiid Leben eine verjchlojjene
Tür. Und Jahre vergingen, ohne dak Annie
oder er verjuchte, He wieder zu öffnen. Wenn
fie von jet ab zujammentrafen, jo war es,
als müßten fie fic) in aller Freundichaft und
Liebenswiirdigfeit immer wieder verfichern,
daß fie fich fremd geworden und das, was
den einen erfreute, den andern gleichgültig
ließ.
Damit hatte zugleich für lange Zeit fein
intimer Berfehr im Dewerthichen Haus feinen
Abſchluß gefunden, wenn er aud nod) ab
und zu Dinfam und die Freundfchaft mit
Rudi weiterbeftand. Aber deffen auf prat:
tilde Dinge gerichteter Ginn brachte ben
Neigungen feines Freundes wenig Interefje
entgegen, und Hans jchloß fid) immer enger
an Klaus an, ber ihn durd) feine Nüchtern-
heit wohl manchmal verlegte, Dellen bell:
äugiger, gejdjmeidiger Berjtand ihn aber
immer wieder anzog.
Der Eindrud, den Hans in der Familie
bes Profejjors empfangen Hatte, wirkte aber
fort. Zum erjtenmal hatte er in einem
Rreije verkehrt, in bem man von der Kunft
[pradj, wie man etwa unter Geijtliden vom
lieben Gott |pridjt: als von bem Ebhrwiirdigs
ften und zugleich bod) als von etwas zünftig
Vertrautem. Er Hatte gelernt, daß es
Künſtlermenſchen gab und andere, die nichts
von Kunſt verftanden: Banaujen oder Phi-
lifter. Und nod) oft mußte er an Die ges
bräunten alten Bilder denten, deren fhid-
jalsgeprágte Gelichter ibm in Stunden bes
Träumens erjdienen, jeltjame, ftumme Be:
Inder. bie ibm etwas Gebeimnispolles an:
vertrauen zu wollen jchienen, dafür aber
feine Morte fanden, fondern ihn nur bes
Deutungsvoll anjaben, als müßte er alles
aus ihren Zügen lejen, und die, wenn fie
verjhwunden waren, ein Gefühl rätjels
SE EES Zwei Freunde seiss 231
fie fagen: „Aber gerade die möchte ich
haben.“
„SH Tann fie Ihnen nicht laffen. Aber
id) babe ebenjo [dine bunfelrote. Gehen
Sie nur, gnädige Frau.“
„Bewiß, fie find aud) febr fin. Uber
fie paffen nicht für meinen Zwed.” .
„Es tut mir herzlich leid. Bielleicht fann
ich Ihnen mit weißen Chryjanthemen dienen.“
- „Nein, es müfjfen weiße Rofen fein. War:
um wollen Cie fie mir nicht lajfen? Sind
fie [djon vertauft?”
„Sie find nicht verfauft. Wher ich brauche
fie für mid) felbft.”
„Sa, wenn Cie Ihre beiten Blumen für
fid) brouden —“ erwiderte die Dame und
ging beleidigt davon.
„Die fommt nicht wieder,“ fagte Herr
Gben[tod befümmert. „Und ’s war eine gute
Kundin. Warum babe id) nicht gejagt, fie
wären [Hon verkauft?“
Hans ftredte bem Meijter feine Hand hin.
„sh wollte Ihnen nur fagen, Herr Eben»
ftod, es tut mir fo leid. Gite find gewiß jehr
traurig.“
„Sa, Hans, ich hatte mid fo auf das Glüd
gefreut, und nun ijt ein Unglüd daraus ges
worden.“
„Wie geht's Ihrer Frau?“
„Schlecht. — IH batte gehofft, bas Kind:
den würde fie gefund maen. Der Dottor
hatte aud) gemeint, das wäre leicht möglich.
Und nun bat es fo fommen mëllen, Ich
verſteh's nicht.“
Er wiſchte ſeine beſchlagene Brille ab und
ſchüttelte traurig den Kopf. Dann nahm er
eine Knoſpe in ſeine hohle Hand, um ſie
nad Gärtnergewohnheit ein wenig aufzus
blaſen. Aber als wenn fie ihm gerade in
bieler geichloffenen Form am geeignetiten
er[djiene, ließ er die Hand wieder finten unb
[bob ben langen Stiel durd bie Kranz
¿weige.
„Das arme SBürmden! Die Mutter
tonnt's nicht mal in den Arm nehmen, fo
ſchwach war’s. Aber weiß man’s denn, viel:
leiht wär’s nie [o Wort geworden, um all
den Kummer unb die Sorgen, aus denen
das Leben nun mal befteht, zu ertragen.
Das Kleine tann mir nicht leid tun. Nur
eins verfteh’ ich niht, Hans, und du vers
ftebft es aud) nicht. — Ihr mögt viel in der
Schule lernen, aber das tann einem niemand
lernen. Ich babe mit dem Pfarrer geiprochen.
Herr Pfarrer, habe ich gejagt, wenn Gott
nicht wollte, daß es groß wurde, warum läßt
er denn meine Frau die Schmerzen ausjtehn ?
Warum tut er ihr das Leid an? Ja, jagt
der Pfarrer, das Leid ift dazu da, um die
Menſchen zu láutern. Obne das Leid würden
fte übermütig. — Ich bin nie übermütig ges
melen, bas fannft du mir glauben. Ich wäre
glüdlich genug, wenn fie es ware. Und nun
muß thr bas pallieren. Sollft Jebn, davon
erholt fie fid) nicht. Sie hat fih zu febr ges
freut. Cie hat fid) richtig feftgeflammert an
dicle Hoffnung. Sie hat immer gejagt, ich
weiß bejtimmt, es wird ein Mädchen. Es
folte Agnes heißen wie fie. Und fie hat ibm
Kleidden genäht, roja und hellblaue, wie
fte fie trägt. Und nun — nun muß id) ihr
Jagen, es lebt nicht mehr. Sd) bring's nicht
fertig. Ich bring's nicht fertig.“
„Weiß denn Ihre Frau nicht, dak es tot
ift?”
„Bis jebt nicht. Gie ift ja fo ſchwach,
daß fie von einer Obnmadt in die andere
füllt. Der Dottor fagt, man muß es ihr
Ihonend beibringen.“
Meifter Ebenftod erhob den Kopf, und
mit hochgezogener Stirn und aufgeriffenen
Augen Hans anftarrend, während es um
feinen Mund awilden Weinen und Hohn:
vollem Laden zudte, fagte er: „Hans, ift
es nicht gerade, als follte ich ihr [djonenb —
ein Mejjer in bie Kehle ftoßen?“
Den ganzen Winter blieb Frau Ebenftod
bettlágerig, und wenn Hans ſich nad) ihr
ertundigte, hörte er nur, daß es ihr immer
nod) nicht beffer ginge. Das änderte fih
aud) nicht, als es wieder Frühling wurde.
Eines Mittags aber, gegen Ende April,
wollte Hans feinen Freund einer Schularbeit
wegen fchnell etwas fragen. Er tletterte
über bie Mauer und lief in bie Gärtnerei.
Da jah er vor bem Rebitod am Haus eine
ibm fremde Gejtalt, eingewidelt in ein graues
Umjdlagetud, aus bem nur das Profil eines
bageren Köpfchens, bebedt mit glanzlofem,
fudjigrotem Haar, das hinten in einen dün
nen Knoten zujammengewidelt war, hervor:
blidte.
Erft als fid) ber Kopf jebt langjam zu
ibm binwandte und die tiefliegenden Augen
mit jeltjamer Schwere auf ihm rubten, ers
fonnte er das QGejidjt Bor Schreden und
anbrángenben Tränen wäre er am lieb[ten
umgefebrt und davongeltürzt — er fühlte
bie jábe Angft auf feinem Geſicht verraten
und fühlte zugleich, daß er aus Barmberzig:
teit mit ber Kranten eine beitere Miene ans
nehmen und unbefangen erjcheinen mußte.
Cr madte einige Hopfer, als wenn er in
freudiger Überraſchung auf fie zueilte, Bot
perte dabei über feine eigenen Füße und
jagte: „O guten Tag, Frau Ebenftod, Sie
find wieder aufgeftanden! Mjo geht es Ihnen
befjer!“
Cie jhüttelte den Kopf und flüfterte mit
rauber Stimme etwas, das er nicht verftand.
232 Wilhelm Hegeler: B3323323333333233894 >
Wufgeregt erzählte er dies und jenes,
während er zugleich fortwährend mit feinen
Augen aminferte. Plötzlich unterbrad er
fi: „Die Sonne blendet jo auf der weißen
Raltwa nb, das ift ſcheußlich. Alſo Sie reien
nun fort. Da werden Cie fih gewiß bald
ganz erholen.“
Gie jehüttelte nod) einmal ben Kopf. „Du
wolltejt zu Klaus. Er ijt drinnen.“
„Dann will ich zu ihm gehn.“
Wieder ftredte fie ihm ihre Hand bin,
diefe weiche und bod) tnodig harte Hand
und ftreidelte zärtlich einige Male über bie
feinige: „Adieu, Hans! Es waren jchöne
Tage. Weißt du noh? — Laß es bir gut
gehn im Leben.”
Er drüdte die ſchwere Klinte auf und trat
aus dem grellen Sonnenlicht ins fühle Halb»
dunkel. An der weißen Wand [tanben einige
Zorbeerbäume und Lauruftinusbújbe. Er
glaubte einen Garg zu jehn. Ihn fror unter
ben Schauern bes Todes, ber ihn überfallen
hatte am hellichten Tage wie ein Gejpenft.
Und gleichzeitig dachte er an die [Hóne Frau
Agnes von einft, an ihr Haar, das wie
Chriftbaumgoldfäden glübte, an ihr feines
Beliht, das ihn an die Blüte einer Mide
erinnert hatte. Und eine Stimme in ihm
ſprach: „Auh du wirft einmal jo.“ Lange
Zeit wirkte diejer Ginbrud in ihm fort, und
fein unjchuldiges Lebensgefühl war von Vers
wejungshaud) umuwittert.
Obwohl er jebt nod) feltener als früher
in bie Gärtnerei fam, behielt er fie dennoch
im Auge. An ſchönen Sommerabenden war
fein LieblingsfigB nod) immer in bem Wipfel
bes Birnbaums. Bon biejem Beobadtungs:
poften aus verfolgte er bie Vorgänge dort
und gewann ben Eindrud, als wenn drüben-
etwas nicht ftimmte. Die früher jo fauberen
Anlagen fchienen verwahrlojt und verfallen,
Gras und Unfraut wuchs auf den Wegen,
in ben Miftbeeten waren Fenſter zerbrochen,
und manchmal lag das große Anwejen gang:
(id) verödet. Er wußte, baB Meifter Eben:
ftod bald nad) ber Abreiſe feiner Frau aus
Cparjamteitsgrünben zwei Gebilfen entlajjen
batte. Als er einmal mit Klaus über diefe
Veränderungen fprad),, erwiderte biejer Def:
tig, fein Bater made befjere Gejdáfte als
je. ‚Aber warum denn zwei Gebilfen ent:
laſſen? date Hans.
Eines Tages beobadjtete er etwas, was
feinen Befiirdtungen eine neue Richtung
gab.
Gbenftod fniete vor einem Miftbeet, um
irgendwelche Pflänzchen zu pifieren. Die
[were Nachmittagsjonne glühte auf feinem
Riiden. Da fiel ibm plößlich die Pfeife aus
dem Munde. Er hob fie wieder auf, unb,
bas Pflanz holz aus der Hand legend, febte
er fid) auf den Holzrahmen, wobei ihm fein
Kopf wie vor übergroßer Müdigkeit auf die
Bruft fant. Nach einigen Augenbliden [djob
er den runden Gtrobbut in den Naden, rieb
lich Die Stirn, und nachdem er fid) umgeblidt
hatte, holte er aus feiner Geitentajde ein
flaches Fläſchchen hervor, tat einen langen
Zug, bann nod) einen und gob, ein drittes
Mal anjebenb, den ganzen Inhalt gierig
hinunter.
Was Hans geahnt hatte, das wurde ihm
einige Wochen fpáter von Klaus beftätigt.
Mit bem luftigen und gefunden Jungen war
in leßter Zeit eine [oldje Veränderung vor
fid gegangen, dak Frau Botelmann [Hon
die Befürdtung ausjprad, bie Krankheit
jeiner Mutter hätte fid) auf ihn vererbt. Als
Klaus wieder einmal auf dem Zimmer feines
Freundes in per[tórtes Schweigen verfiel unb
Hans in ihn drang, er follte bod) fagen, was
ihm fehlte, antwortete er plößlich, wie wenn
er eine unerträglidhe Dual von fih abftoßen
wollte: „Ich hab’ jolde Angft.“
„Deiner Mutter wegen ?^
„Nein, wegen Bater. Wher du gib[t mir
dein Ehrenwort, Hans, daß bu's niemandem
weiterjagft.“ Ä
Mein Ehrenwort.“
„Der Bater Bat fih übernommen mit der
Arbeit. Sorgen hat er aud) viel im Geſchäft.
Und um fic bei Kräften zu erhalten, ba —
er läft fic) öfter vom Lehrling heimlich
Schnaps holen. Ich hab’ ihn [don zweimal
abends im Zimmer gefunden, den Kopf über
ben Gejdajftsbiidern. Ich Dachte, er wäre
vor Müdigkeit eingejchlafen, aber es war
niht Müdigkeit. Er — er war bejoffen.
Und die Lampe hatte er umgejchmiljen, und
wenn ich nicht gelommen wäre, dann wäre
er verbrannt. Was fol id) nur machen,
Hans? Ih Hab’ folde Angft. Es nimmt
nod einmal ein [djledjtes Ende,“
Und das Ende fam, jchneller und Schlimmer,
als die beiden Jungen in ihren ſchwärzeſten
Befürchtungen geahnt Hatten.
Eines Sonntag nachmittags war Klaus
wieder bet feinem Freund gewejen, aber ans
ftatt wie fonft bis zehn Uhr zu bleiben, hatte
er jid) gleich nad) bem Abendeffen verabs
ichiedet, getrieben von der Furcht, daß zu
Haus irgendein Unheil auf ihn lauere. Er
fand die Gärtnerei gänzlich verla|Jem. Als
er an der Klingel rig und bas Doble Ge:
bimmel durd) die Gtille taumelte, fuhr der
Spig-aus-feiner Hundehütte hervor, rif mit
wiitendem Getláff an ber Kette, berubigte
fih aber jogleich wieder, als er bie Stimme
von Klaus vernahm. Da niemand ante
wortete, jchellte er nod einmal und ein
fis Ka
1 er 3
> es SSS — —
s. Mal, pobte an die Tür und rief:
A Sater! Bater!”
* Ber ift denn da?“ vernahm er endlich
time. Das ſchwere Schloß [Hnappte
Den roftigen Riegel traf ein |d)merer
tiblag. Sein Later ftand in der Tür,
E angezogen, im übrigen aber fo
usjehend, wie fonft nur bei der [d)mubig:
Mrbeit. ` Dide Schweißtropfen perlten
s e em gerdriidten Haar und quollen
Den tiefen Falten feines blaffen Gefichts.
jn langjhößigen Rod hingen Gage:
nb Enden von Strohhalmen. Seine
waren tohlihwarz. Im Munde hielt
e Ichiefbrennende Zigarre.
) dui — Sid) dente, du bijt bei Hans eins
jd) bin [don früher nad) Haus gegangen,
t nod) Schularbeiten machen will.”
ularbeiten — jebt? Am Sonntag
4 . Das gibt's nicht. Dafür ift bas
um au teuer."
tiam, bei biejem Mort rod) Klaus
b slid (b, daß feinem Bater ein Dorfer Petros
ngeruch entitrömte.
jer warum denn heute nicht? Ich hab’
hon manken Sonntag abend ge:
BR: i Ëm genug! Zum Arbeiten find die
T er age ba. Sannft morgen früh auf:
= Berdammter Bengel, heimlich die
€ brennen, daß nachher fein Petroleum
ft, — Marte hier! Rannft mid) dann
ebe lab mid) bod) wenigftens ins Haus!“
onnerjchod! Willjt du parieren?“
X Ebenſtock und holte zum Schlage aus.
hroden wich Klaus zurück. Noch nie
ein Vater ihn jo rauh angefahren.
inter dem zur Schau getragenen Zorn
X Angſt zu verbergen. War er etwa
E betrunten und hatte die Lampe ums
?
—* lief Klaus in die Bretterbude,
e in die Gewächshäuſer, rief die Namen
A allen, bes Lebrlings, der Dienftmagh.
waren fort.
tge Zeit verging, ehe fein Vater wieder
t es ai lam, eine €ebertajdje in der
mb. Haftig verichloß er bie Tür mit
4^ er Umdrehung.
Warte hier!”
€ E ging in das Ralthaus, und wieder
merte es cine Weile, ehe er ohne Tajde
rüdtam.
q Bomm mit!”
Bater, es ijt ja niemand zur Aufficht Da."
ſt bas deine Sahe? Gib mir bie Hand!”
SÉ og ihn förmlich mit fih durd bie
nerigen Groben, - Gein Atem ging
or,
=
—
he
— iur
-
E- Belhagen 4 ftlafings Monatshefte. 35. Jahrg. 1920/1921.
Zwei Freunde seess 233
feuchend, und immer wieder mußte er fid)
den Schweiß von der Stirn wilchen, ohne
daß er deshalb feine Schritte mäßigte.
„Bater, fag? um Gottes willen, was ift
dir?”
„Was mir is? Niſcht is mir. Halts
Maul!“
Cie durchſchritten die ausgeftorbenen
Gafjen. ber Vorftadt und flommen auf Feld-
wegen eine fleine Anhöhe hinan. Einige
hundert Meter hinter den lebten Haujern
warf fih Ebenjtod ins Gras. Gein Atmen
war jet ein [djweres Röcheln und Hang
mandmal wie Schluchzen. Angſt und
Ichmerzliches Mitgefühl durchwogte Klaus.
Er fühlte, bap i in feinem Bater etwas Furcht:
bares vorging.
Es war ein ſchwerer, bunjtiger Juliabend.
Tagsüber war os bei bebedtem Himmel frijh
und windig gewejen, nun rührte fic) an den
Pappeln auf der Chaufjee fein Blatt. Raud
in den verichiedenartigften Farben quoll aus
ben fleinen Sjaus|d)orn[teinen, weißer Waller:
dampf, ſchweflig gelber Dunjt unb bläulicher
Holgraud) fonnte [id) nicht verteilen unb
trod) über die Dächer. Aus den hohen Fabril:
Idioten rollte, zuerft träge geballt, bann in
Zidzadfäden verfidernd, ber ſchwarze Qualm,
nicht wie jonft in langgezogenen Fahnen
fortwebend. Cine graujd):marge Wolfe, |djmer
und unwettertrádtig, einem apofalyptijden
Ungeheuer ähnlich, fentte ihre Krallen und
Rüſſel zu ben Häufern hinunter.
Raum hatte Ebenftod etwas Atem gejchöpft,
als er fid) eine neue Zigarre anjtedte, bie
er feiner Gewohnheit entgegen haftig und
aufgeregt raudte, indem er den Dampf
förmlich herausriß. Er hatte fih aufgerichtet
und ftarrte mit feinen turzfichtigen Augen
auf die Stadt hinunter. Plöglich warf cr
den Kopf vor.
"Es brennt! Es brennt! Giebft dws?”
„Bo denn?“
„Da!“
Hinter bem grünen Behang von Obfts
bäumen war ein gelblidher Schein aufge:
flammt, ábnlid einem zerrifjenen Mejfings
ſchild. |
„Aber nein, Bater, bas ift aus einem
Zimmer. Vielleicht hat jemand da bas Gas
angeftedt. Jetzt ift es [Mon wieder weg.“
„Wieder weg!” edjote Ebenftod wie im
Traum. tad) einer Weile jagte er: „In
welder Richtung liegt bie Gärtnerei ?”
„Ich dente, in ber."
„Kann man’s Haus ſehn?“
„Am Tage vielleicht. Jebt fiber nicht.
Aber ich glaube, aud) am Tage nicht.“
„Es brennt! 3d) riedh’s ja. Irgendwo
muß es brennen.“
2. Bd, 16
034 LSSSsssSesesssseq Wilhelm Hegeler: B33333323333333331
In ber Tat verbreitete fid) ein branbiger
Gerud. Aber er fam offenbar nur von dem
niebergebrüdten Rauch, ber immer niedriger
trod. Klaus fagte bas feinem Bater.
Dichter und dichter wob fih bas Duntel
um bie roten Biegel: und bie |djmargen
Sdchieferdader. Am gerfloffenen Himmel
glangte nod) nicht ein Stern. Raum |chim«
merte hier und dort ein trübes Licht aus
einem Fenfter. Da ledten aus einem fernen
Schornftein, von bem nur bie äußerfte Gpibe
jhwad zu erfennen war, einige rötliche
ylammenzungen hervor.
„Jet brennt’s!“ ſtieß Ebenſtock hervor,
und es klang faſt wie ein mühſam unter:
drüdter Freudenruf.
„Aber nein, Vater, das iſt ein bißchen
Feuer aus einem Fabrikſchornſtein, wo [ie
friſch angebetgt haben.“
Klaus hörte einen ächzenden Laut.
„Bater, warum fols denn brennen?
Sag’s doh! Ad Gottt, ich hab’ ſolche Angit.
Vater, haft du die Lampe umgejchmiljen?
Gag's, lieber Vater, was es ijt.“
„s nildt! Sch fag bir: ’s is nildjt. Du
Haft nijdit gejehn und nilcht gehört. Du
Bajt's Maul zu halten. Ich jchlag’ dich jonjt
taputt.”
Da warf der Junge fid) zurüd, bededte
fein Gejid)t mit den Händen und brad) in
haltlojes Schluchzen aus.
„Hör auf! Aufhóren foUft bu mit bem
Heulen!“
Ebenftod rüttelte an ibm, riß ibn hod),
jah ihn mit wutverzerrtem Gefidt an: „Soll
id) Dich — ?“ und plóflid) abbrechend ftóbnte
„Quäl' mid) bod) niht! Dual mid) pod)
nicht!“ Gr op ibn an fih, ſchlang ſeinen
Arm um ibn und preßte ihn mit aller Ge:
walt an die Bruft: „Haft du die Mutter
nicht lieb? Die Mutter ijt bod) frank! Die
Mutter braucht bod) Geld! Sie muß gejunb
werden Haft fie nicht lieb? Kónnteft du
nicht alles tun für fie? Für bie Mutter! —
Haft fie nicht lieb?”
„Sa, id) hab’ fie lieb. Und did aud.
Du lieber Bater! Gag’ bod), was dir ijt.
Du lieber, lieber Bater!”
Und mit einer wilden Zärtlichkeit bededte
et feines Baters jtacheligen Bart, feine Augen,
jeine jcehweißige Etirn mit Küjjen. Der
[treidjelte ibn und hielt ibn eng um:
Ihlungen.
„Ja, behalt mich aud) lieb, Mutter und
mid. Lak bir nur niſcht vorreden. ’s is
nijdt. Wirft’s Schon nod) mal verjtehen.
Gei nur ruhig! ’s is nifdt.“
Und mit weicher, trójtenber Stimme wieder:
holte er immer Diejelben Morte. Lange
jaken fie eng umſchlungen, von ber |djmargen
Finfternis gänzlich eingebüllt. Eine Uhr
ſchlug Balb, dreiviertel, Dann voll.
„Wieviel ijt es?“
„Elf Uhr.“
"Elf. Komm mit!“
Zangfam wandertef fie nad) Haus. Als
fie in die Straße, von ber bas Gabden ab:
bog, famen, blieb Ebenftod nod einmal
ftehen: „Du weißt von nifdt.”
Bor dem Torbogen, der in die Bärtnerei
führte, erblictten fie einen von einer Menjcdhen-
menge umlagerten Sprißenwagen.
„Laß uns umtebren, Bater!” flehte Klaus
in plößlidher Angit.
„Barum 2^
Gein Bater gab fih einen Rud und drängte
fid) durch bie Mienge.
Das Gäßchen war von PBoliziften ab»
gejperrt.
„Was wollen Cie? Hier darf niemand
palfieren!^ erklärte einer.
„Ic bod) wohl. Ich will in mein Haus.”
„Wer find Cie denn? Wie heißen Cie D
„Ebenjtod ift mein Name,“
"Ebenftod! Aba.”
Sofort nahmen zwei Poliziften ihn zwijchen
fid. Klaus wurde beijeite gejtoßen.
„Rommen Sie mit!”
Feuerwehrleute hielten im Licht von Fadeln
ihre Schläuche auf bas Hausdad) gerichtet,
das von dunflem Dualm umquollen war.
„Hier ijt er! Hier ift ber QGben[tod!"
riefen die Schußleute.
Ein SBoligeibeamter [chritt eilig auf ihn
zu. „Sind Gie ber Beliger bes Haujes?“
„Jawohl.“
„Dann erkläre id) Cie für verhaftet.“
„Bas? Was ijt denn los?“
„Sie haben Branditiftung begangen.
Halten (Cie feine Reden! Die Sache ift
jonnenflar. Führen Cie den Mann ab!”
Klaus hatte vergeblich verjucht, au feinem
Pater zu gelangen, und fih Dann im Duntel
verloren. Auf ber Wieje hinter Pflanzen
tiibeln verftedt, verbrachte er bie ganze Nacht
und ftarrte den qualmenden Dadjtuhl an.
Bald nad) Mitternacht verlor fih die Menge.
Nur ein Feuerwehrmann blieb zur Be:
wabung zurüd, Als die Sonne aufging,
quoll nur nod) ein dünnes Rauchwölkchen
aus dem ſchwarzen Gebált,
Einige Wochen fpäter jak Hans eines
Abends über feinen Schularbeiten, als er
einen Namen rufen hörte. Er blidte auf
unb gewabrte auf ber Mauer feinen Freund
Klaus.
„Du bier? Mo fommit bu Der? 3d)
dente, du but langft in Thüringen.“
Re E EE —
„n Abend,“ fagte Klaus. ,Gibjt du mir
nod) die Hand?“
„Du bijt wohl verrüdt! — Wher um Gottes
willen, was ijt — bift du frant ?"
„Krant? Das ijt das einzige, was mir
noch fehlt. Ich habe nur die Nacht im Freien
geichlafen. Deshalb fehe id) |o aus. Mie
gebt's dir?”
„But. Ich war gerade am Arbeiten.“
„Und deiner Mutter?“
„Die ift heute abend eingeladen.“
„Dann but du aljo allein!” — Er blidte
in ben Xenophon. „So weit feid ihr jchon!
Und im Latein?“
„Da lejen wir jebt eine Ovidjche Fabel.
— Uber, Klaus, fag? — wie gebt's dir?
Warum haft du im Freien geichlafen?”
„Weil Mutter Grün immer mod) beffer
ijt als ein muffiger Hängeboden über Herings-
tonnen unb. Rajefajjern. Du dad)teft, id)
wäre in meiner Heimat. Sch bin oder war
vielmehr bier bei meinem Ontel in der Rhein:
gajje. Der hat mich zu einem Kolonialhändler
in bie Lehre gegeben. Drei Wochen habe id)
Heringe vertauft, Schmierjeife, Raje, Glanz:
ftdrfe, Stiefelwichje. Ein feines Leben! Wenn
ich abends den Laden ausgefehrt hatte und
in meinen Hängeboden troh, bann jagte id)
mit Fauſt: Das ijt meine Welt! Das heißt
eine Welt! — Ovid — bu Blüdlicher! König
Midas, bem alles zu Gold wurde. Mir
wird alles zu Heringen und Ráje. Wo id)
gebe und ftebe, rieche ich Heringe und Ráje,
Und wenn’s bod) tommt, Kaffee. Kaffee ab:
wiegen, bu, das ijt ne bejondere Runft! Du
mußt tun, als ob bn wunders wie reichlich
abwiegft, aber wehe bir, wenn du ue Bohne
zu viel gibjt. Und pop du nicht vergißt, die
dide Tüte zu nehmen! Gonjt gibt's Obr:
feigen.“
"Bas — gehauen ?”
„Rein, du, das nicht. Denn — eine Grenze
bat XIyrannenmadt! Der Kerl Dat's ver:
juht. Aber als er das erftemal ausbolte,
bab’ id) ihm gejagt: Wenn Sie mid) ans
rühren, dann lajje id) das PBetroleumfaß
unb bie Siruptonne auslaufen. Dann haue
id) Ihnen den ganzen Klumpatſch zujammen.
Meinetwegen Tonnen (Cie mid) dann ins
Gefängnis [teden. Da tomme ich wenigitens
zu meinem Bater und habe jo was wie "ne
Heimat. Mein Ontel behandelt mid) ja bod)
wie einen bergelaufenen Hund.”
Gr|d)roden von biejer Wildheit, zugleich
hingerijjen, betrachtete Hans den Freund,
ber fein Taſchentuch herauszog, ein [djmubiges,
burdjweidjtes Tuch, bem man anjah, daß es
biejen Morgen als Handtuch gedient hatte,
und fid damit bie Tränen der Wut Aus
feinem blajjen Geſicht wijdte.
Zwei Freunde |
| 235
„Jeden Abend dachte ich: ich halte es
feinen Tag länger aus. Wher was folte id)
maden? Borgeftern aber tam es bod) zum
Krah. Es fehlte Geld in ber Ladentaffe,
nnb ich folte es genommen haben. O Gott,
Hans, du Blüdlicher, fannjt dir ja nicht
voritellen, was es heißt, wenn man webrlos
dajtebt und eine ganze Meute von gemeinem
Pad auf einen jehimpft und einhadt. Aber
id) wurde ganz ruhig. Ich war jelbjt über
meine Raltbliitigteit erftaunt. ‚Bitte,‘ fagte
id, ‚wenn id) das Geld genommen babe,
werde ich es bod) wohl irgendwo verjtedt
haben. Sehen Gie in meinem Bett nad)!
Durhjuchen Sie meine Tafden! Ziehen Cie `
mich meinetwegen bis aufs Hemd aus!‘ Gie
baben’s, weiß Gott, getan und natürlich nichts
gefunden. Nun habe ich den Spieß umgedreht.
— Schön, ba Gie mid) für einen Dieb
halten, find Cie wohl damit einverjtanden,
daß ich nicht wiederfomme. Sch halte mid)
jedenfalls zu gut für einen Heringsbändiger.
Adieu! — Zu meinem Ontel bin id) erft
gar nicht gegangen, jondern babe mid) in
ben Wald fdlafen gelegt." |
„Das ift ja-furdtbar, was du alles er:
lebt haft, aber — aud) fabelhaft intereffant.
— Hör’ mal, Klaus, haft du [hon zu Abend
gegeljen ?^
„Beitern abend.“
„Und das fagft bu jebt erft! Komm, wir
gehen ins Haus. Minna jol gleich für dich
mitbeden."
Während bes Ubendeffens erzählte Klaus
jeinem Freund, was er über die verzweifelte
Tat feines Baters wußte, und feste ibm
feine Zulunftspläne auseinander. Er hatte
lich bei verjchiedenen Buchhändlern um eine
Stellung bemüht, bis jet aber vergeblich.
Dagegen wollte der Inhaber eines Anti-
quitätengejhäfts in ber Altſtadt ibn als
Lehrling annehmen, bod) jollte er bie
Empfehlung einer befannten Perjónlicteit
beibringen. Vielleicht wiirde Profeſſor
Dewerth ibm eine geben. Hans ver[prad)
gleid) am nädjlten Tag Rudis Bater darum
zu bitten. Nachdem die beiden Freunde,
glücklich, fid) wieder gefunden zu haben, bie
halbe Nacht durchſchwatzt hatten, legte Klaus
fih in Hanjens Bett [djlafen und diejer auf
ein Cofa.
Als aber Frau Bofelmann am nüádjten
Diorgen von biejen Abenteuern hörte, machte
jie ein etwas bedenflides Gejidjt und meinte,
jie müßte fih bod) erft mal erkundigen, ob
nicht hinter den Ausreißegejchichten etwas
Erniteres ftedte. Indes fiel ihre Nachfrage
günftig für Klaus aus. Der Filchhändler
erklärte, mit Rückſicht auf feine zahlreiche
gamilie nichts für den Neffen tun zu können,
16*
236 seess) Wilhelm Hegeler: —
ber Kolonialhändler bradte nur das eine
9tadjteilige gegen Klaus vor, daß es ihm
an feinen Manieren und Höflichkeit gegen:
über der Rundichaft fehle und er deshalb
für den Beruf ungeeignet erjcheine.
Nachmittags ging Hans mit Rudi zu
Dellen Bater und erzählte ibm mit dem
ganzen Mitgefühl, bas ihn erfüllte, vom Un:
glúd des Meijters Gben[tod und feiner
traurigen Tat.
„Weiß ich, weiß ich,“ unterbrad) ibn Des
werth. „Der dumme Michel bat fid) von
feiner Frau ruinieren laffen. Statt daß fie
ibm half, Bat fie bie feine Dame gejpielt.
Und als bie Sade |chief ging, bat er das
Saufen angefangen. Das hat [Hon manchen
armen Teufel ins Unglüd gejtürzt. Uber
was ijt nun mit dem Jungen los?“
Hans berichtete von Rlaujens Plan und
bat um die Empfehlung.
„Was? Zum Meufinger möchte er hin?
Da fommt ein ilou zum andern. Ihr beide
wißt ja, daß id) euren Freund nie redt
babe ausjtehen Tonnen, Schon feiner ab:
ftehenden Ohren wegen. Und aud) fonft.
Aber bas fol jchließlic egal fein. — Aljo
zu dem? Da fann er viel lernen. Bielleicht
nit viel Gutes, aber jedenfalls viel
Niiglides.”
„Dit Ihnen denn über Herrn Meufinger
etwas Nlachteiliges befannt, Herr Profeffor ?^
„Was mir über den befannt ijt, bas tann
dir hier jeder ältere Maler erzählen. Wenn
er’s vielleicht auch nicht jo miterlebt hat wie
id. Denn id) bin mit dem Meufinger auf
bie Akademie gegangen. Ein ganz talent:
voller Kerl — aber ein loderer Bruder, immer
in Weiberjachen verwidelt. Das hat ihn
auf bie fchiefe Bahn gebradjt. Er ließ fih
von dem früheren Inhaber des Beichäfts,
das er nun felbft befigt, verleiten, Bilder zu
füljdjen. Das fam heraus, und er mußte
brummen. Ein paar Jahre fogar. Daß er
dann in feiner Not zu feinem früheren Brote
herrn zurückkehrte, tann id) ihm nicht übels
nehmen, er war ja drunter Durd und mußte
leben. Geitdem behauptet er, nie wieder
einen Pinfel angerührt zu haben. Ob's
wahr ijt, wer weiß das? Diejenigen, Die
falidje Bilder von ihm befigen, fidjer am
wenigften. — Ich war mal in feinem Laden,
wollte eine biibjde Holzfigur taufen, aber
ih lich es. Weiß der Teufel, ob fie nicht
gefällht war. Der will eine Empfehlung
von mir haben? Jungs, id) glaube, der
möchte meine Unterjchrift haben, um fie bei
Gelegenheit faljden zu können.“
„Dann geb bod) lieber perjönlic bin!”
fagte Frau Dewerth.
"Ad Unfinn! Rudi, Hol’ mal einen Bogen.“
In feiner großen, [teilen Schrift malte
ber Profelfor einige Zeilen auf das Papier
und gab es Hans mit.
Diejer brachte den Brief feinem Freund,
indem er ibm zugleich erzählte, was er über
Meufinger gehört hatte. Er dadbte, Klaus
würde nad) biejer Auskunft vielleicht bie
Stellung ausidjfagen. Der aber bedantte fih
nur mit furgen Worten und machte fid) fofort
auf den Meg. Nach einiger Zeit kehrte er
mit dem Bejcheid zurüd, daß Herr Meufinger
ibn probeweije auf vier Wochen angenommen
habe. Die Lehrzeit follte drei Jahre dauern
unb Klaus während diejer Zeit freie Bes
tóftigung und Wohnung befommen. Wäjche
und Kleidung mußte er felbft bejchaffen.
„Das laß nur meiner Mutter Sorge fein,”
erwiderte Hans. „Überhaupt, Klaus, ich bin
bir eigentlich ganz böſe, dab du bid) nad)
bem furdjtbaren Unglüd nicht gleich an mid)
gewandt haft. Wir waren bod) Freunde,
Donnerwetter! Und nun follten wirs auf
einmal niht mehr fein? Das wäre bod)
einfach gemein.“
Ein ſchwaches Lächeln umipielte Rlaujens
edig gewordenes Gelicht, und er erwiderte:
„sch bin bir jehr dankbar. Hoffentlich tann
id) mid) bald mal revandhieren.”
Als Klaus am nädjften Morgen, ehe nod)
bie Uhr adt gejchlagen, vor dem Laden er:
ihien, war diejer noch gejchlojjen. Es dauerte
reichlich eine halbe Stunde, ehe der eijerne
Rolladen fnarrend hocdhgezogen wurde und
Herr Meufinger erjchien, das weißgraue,
fettige Haar nod) ungetámmt, in einem lan:
gen, ſchmutzigen Mallittel und grünen Plüſch—
pantoffeln.
„Aha,“ bemerkte er, bünbereibenb, in der
geöffneten Tür Klaus mufternd. „Da find
wir — wie man zu jagen pflegt, mit prompter
Pünktlichkeit. Und bas da ijt die [ogenannte
Ausrüftung? Was haft du denn da drin?“
„Deine Kleider und Wälche.“
„Werden wir uns anjehn und alles hübjch
genau buchen, damit es nachher nicht heißt,
es wäre was weggefommen. Alſo nur hereins
Ipaztert.” Er jtieg voran bie altmodijche
teile Stiege hinauf und führte Klaus in
eine muffige Rammer, deren Wände ganz
mit birfenen und fichtenen Glasjchränten `
voller Porzellan, mit eichenen Büfetts und
aufeinander getürmten Rommoden verftellt
waren. Die auf den Hof hinausgehenden
Fenfter waren mit Ausnahme ber oberen
Scheiben mit weißer Saltfarbe bejtrichen.
In einer freien Ede ftand ein gejchweiftes
Sofa, aus Delen aerjdjlijjenem Lederbezug
Geegras hervorquoll.
„Das Bett!” fagte Herr Dicufinger kurz.
„Daß bu dich nicht unterjtebjt, bid) mit den
EES SE Zwei Freunde01237
Gtiefeln bineinzulegen! Die Folgen wären
unabfebbar. Waſchen fannjt bu bid) in der
Kühe. Komm mit!“ .
Durch Balbbunfle Räume, die jámtlid)
mit Möbeln |o angefüllt waren, daß man
fi nur mit Mühe hindurdwinden fonnte,
gelangten die beiden in eine ſchmutzige Feine
Küche.
„Bas maht ber Menſch, wenn er auf:
geftanden ift?” fragte Herr Meufinger.
„Er wüjdt ich.“
Meujinger [chüttelte fid) und erwiderte:
„Er — frühftüdt. Er früb|tüdt, und zwar
mit Bonne. Das Friibftiid bejorge ich, bas
Feueranmachen ift deine Gahe. Sim Hof
liegt Holz, das wird Hein gehadt. Du kannſt
es jrühmorgens tun, du fannft es abends
tun, in der Beziehung but du Freiherr. Aber
um adjt muß das Feuer brennen. Unpiintt-
lichfeit wird nicht geduldet. Pünktlichkeit,
Ordnung und Ehrlichkeit find die Grund:
pfeiler meines Geſchäfts. Komm mit!”
Sie gingen in den Laden hinunter. Ein
ibráger Dellgolbener Sonnenftrabl, in dem
ein Bewimmel feinjter Staubteilchen müden:
Ihwarmartig tangte, glitt durch bas Shau:
fenfter, [trid) über bas rötlichſchwarze, roftige
Rettengefledt einer alten Ritterrúftung, hob
einen mit graujamer Wahrheit gemeißelten
elfenbeinernen Chriftus an einem Kreuz von
poliertem Ebenholz aus dem Halbdunfel her:
vor und fpiegelte fic) im Glas eines daneben
hängenden frivolen Rupferjtids.
Teufinger zeigte Klaus eine Klingel, bie
er zu ziehen habe, um feinen Brotherrn zu
rufen, wenn ein Runde fam. Nur im Fall,
dağ Herr Meujinger ausgegangen war, durfte
er jelbjt etwas verfaufen. Bet den Büchern
auf den Regalen waren die Preije angegeben,
Durdaus angemefjene Preije. Klaus folte
feft darauf beftehn. Nur im Fall, daß ein
Runde durchaus nicht anders wollte, durfte
er zehn, im Notfall fünfundzwanzig Bros
zent beruntergehn. Doch folte er jid) mcr:
fen, die fogenannte Tüchtigfeit eines Ver:
fäufers wurde nad) ben Preijen, bie er ers
zielte, geihäßt. Eins aber war bas oberjte
Geſetz: ein Runde, ber den Laden verlief,
ohne etwas zu taufen, bedeutete für einen
Händler fo viel wie für den Feldherrn eine
verlorene Schladht. Hier gab es feine Stiefel:
widje und Heringe und feine Ród)innen und
Proletarierweiber, jonbern &unjt und Mijjens
ſchaft und Individualitáten, bie ftudiert fein
wollten. Es gab Kunden, die etwas ganz
Beltimmtes begehrten, aber diejem Gegen:
ftand gegenüber völlige Gleichgültigfeit zeig:
ten. Es gab Runden — Damen und junge
Leute in erjter Linie — die man bejdwaken
mußte. Es gab Kunden, die felbft wählen
wollten und Die jedes Anpreijen verlepte.
Es gab Kunden, die nur aus Langweile in
den Laden famen und die man firre madjen
mußte. Es gab Kunden, die ihre &enntnijje
austramen und einen belehren wollten, denen
mußte man mit offenen Mund zuhören. Es
gab Sunnen, bie man einjchüchtern, und ane
dere, denen man jchmeicheln mußte. Es gab
Runden —
Uber mitten in feiner Schwaghaitigteit
hielt Meufinger inne, während fein Blid auf
drei mit miniaturhajft fein gearbeiteten Blus
menfträußen bemalten Rototojd)alen haften
blieb. Er fog die hohlen Baden ein, bie
Zunge jpielte um die gejpibten feuchten Lips
pen, Waſſer lief in feinen trüb verquollenen
Augen gujammen.
preter!” fagte er. „Ledere Stiidden!”
Mit feiner frauenbaft zarten Hand hob
er die mitteljte Schale hoch, betaftete und
betätjchelte fie von allen Geiten, rod) daran,
hauchte darüber, flenrmte ein Vergrößerungs—
glas in fein Auge und mufterte den Blumen:
ftrauB fo genau, als handelte es jid) um Die
Entdifferung einer geheimnisvollen Schrift.
Geine Miene drüdte ge|panntejte Aufmert:
jamteit aus und Lotte fih wieder in genieße:
rildes Entzüden.
„Nichts dagegen zu fagen. Beim beiten
Willen nicht. Alerfeinfte Ware. Das find
mal ein paar Mujeumsjtüde, — unge,
weißt du, was das ijt?”
Klaus |djüttelte ben Kopf.
„Wie jollteft bu aud)! Du but ja dumm
wie Bobnenftrob. Rannft gewiß nicht mal
gayence von Porzellan unterjdeiden. Du
mußt unglaublich viel lernen. Drei Lehr:
jahre find nidts. Wenn fie herum find,
wirft bu jagen, nun will ich erft anfangen.
Sn meiner Brande tann man fein Lebelang
lernen und bleibt immer noch ein Stümper.
Meine Brande ijt bie Kunjtfertigfeit ber
ganzen Menjchheit! Mir können nicht Spe-
zialiften fein wie die Mujeumsherren. Wir
find univerfell, wenn wir aud) nicht auf der
Univerfitát waren, mein Freund. — Das ba
it Alt: Straßburg aus der Manufaktur der
Brüder Hammond. Dieje Manufaktur wurde
von Ludwig dem Fünfzehnten aufgelöft,
burd) cin Vefret vom Fahre 1759. Was
aus der Manufaktur hervorging, ift Louis
Quatorze oder Rofofo. Mer? dirs! Mad)
die Augen auf, Junge! Geg’ dich bin und
lieh dir die Stüde an, bis du jedes Blatt
unb jede Craquelure abzeichnen fannft. Aber
rühr’ fie nicht an mit deinen Pfoten! fiber:
haupt mer? dir: bier ftehn Runftmerte, er:
lejene Roftbarteiten. Du but nicht mehr
gwijden Heringen und Stiefelwidje, du but
bei — Lyonel Menfinger!”
238 Wilhelm Hegeler:
Er ftellte bie Schale aus der Hand, blidte
nod) einmal umber, und während er einem
drabtgeflodhtenen Schäldhen eine Handvoll
Münzen entnabm, die er Durd die Finger
laufen ließ, lagte er mit bem Ausdrud eines
böjen Rettenbundes: „Alles abgezáblt, numes
tiert, etifettiert und in meinen Gejchäfts«
büdjern eingetragen. Jeder Diebftahl wird
jofort entbedt und unnadjidtlid) verfolgt.
Dn der Beziehung bin ich ſcharf wie ein
Schweißhund.“ Dabei ballte er feine jchmale,
mollustenbaft weiche Hand mit den tief:
Ihwarz geránderten Fingerndgeln zur Fauſt.
„Sp, und nun werden wir, wie man zu
jagen pflegt, frühftüden. Aber erft jchließen
wir den Laden zu.“
In der Kühe gok Herr Meufinger feinem
Lehrling eine Taffe Tee ein, gab ihm zwei
Semmeln und ein nußgroßes Stüd Butter
und hieß ibn, fid) in feine Rammer zu be:
geben. Zur Würze feines eigenen Früh-
ftüds holte er einen mádtigen Edamer
Käje aus bem Küchenſchrank.
Nahdem Klaus dann bas Gefdirr ab:
gewafden und an feinen alten Pla gejtellt
batte, unterrichtete ber Antiquitätenhändler
ihn über die geheimnisvollen Zeichen, die
römilhen und arabijden Zahlen und die
Buchſtaben, mit denen die Kleinen Bettel auf
ber Riidicite ber Werlaufsgegenjtände be:
Ihrieben waren und aus denen man Die
Preije erjehen fonnte. Dann jchlurfte er
davon, nachdem er bie burd) einen Salis
in der Tür eingeworfene Poft an fic) ge:
nommen und Klaus empfohlen hatte, nichts
zu berühren und, wenn jemand fame, Die
Klingel zu ziehen.
| Klaus feste fih auf den ihm zugewiejenen
Stuhl, einen unbequemen, harten Sjolaftubl
mit [teifer Lehne, und dachte nad).
Jenfeits ber diden Glas|djeibe auf ber
[onnenbe[djienenen Straße mit ihrem holpri=
gen Pflajter und den ſchmalen Bürgerfteigen
rumpelten Karren, rajjelten Wagen, der
Menſchenſtrom zog bin und Der: Bürger:
frauen mit gefüllten Martttórben, Hand:
werter mit ihren Geräten, eilige oder ge:
mádjid) jehlendernde Herren, Kinder, die
manchmal ftehenblieben und neugierig in dic
Muslage blidten — das alles, der grelle
Sonnenglanz, der Lärm, bie flutende Be:
wegung war trog der Nähe doch wie durd)
eine unendliche Entfernung von dem Laden
abgejchieden, von feinem jputbajten Dämmer:
licht und feiner Gtille, in bie nur das
Mijpern bes Pendels einer Boule-Uhr tónte
unb in beftimmten Zwijlchenräumen ihr ffir:
rendes Schlagen.
Die gebräunten Bilder und Stiche, bie
Binns und bunten Fayenceteller an den
Wänden, bie MteBgewander, bie altertüm-
liden Schmudjadhen, bie Miniaturen, Stide-
reien, Porgellane und Perlarbeiten in den
Cdránfen, bas Gpinett und bie Lauten;
man brauchte nur ein Haudlein Schöpfer:
Irajt, ein Hein wenig Farbenglang und in:
nere Mufit zu haben, [o wäre das Leben
aller biejer Dinge neu erwadt: Stimmen,
die längft verftummt, Lahen, bas in Todese
jeufzern ausgeröchelt, Lieder, bie wer weiß
wohin getragen, hätten neu getönt, und
ber modrige Laden wäre zur bunteften Bühne
geworden, auf der ein farbiges Gewimmel
reizender, lächerlicher, heroijder Gejtalten
nod) einmal die Komödie ihres Dafeins
jpielte. (Es gehörte viel nüchterner Bers
ftand, viel ehrgeiziger Wille dazu, um ans
gelichts diejer Umgebung nicht in rüdjchauende
Träumereien zu verfinten, jonbern jo ents
Ihloffen in die Zukunft zu bliden, wie Klaus
es tat,
Das Ende feiner Überlegungen war, daß
es nod) jdjlimmer hätte tommen fónnen.
Für den Augenblid war er jedenfalls ge»
borgen. Es war ja eine unbegreifliche Dumm:
heit von feinem Bater gewejen, gerade zu
diejer Zeit das Haus anzufteden. Hätte er
nod) ein fnappes halbes Jahr damit ge:
wartet, jo hätte Klaus das Einjábrigen:
zeugnis gehabt und wäre gerettet gewejen.
Nun war er ausgeftoßen aus den Reihen
feiner Schulfameraden unter bie Voltsjchüler
unb GtraBenbengel. Es war ihm furchtbar
Ihwer gemadt, ein Herr zu werden und
zu Anjehn und Geld zu gelangen. Go leid
fein Bater ibm tat, das fonnte er ihm nidt
verzeihn. Und wenn er fid) vor[tellte, wie
bieler oder jener Mitjchüler oder wie Annie
ibm begegnen und ihn faum wiedergrüßen
würde, ibn, ben Labdenlebrling, dann fühlte
er einen Haß aufjteigen, baB ihm [Hwindlig
wurde. Aber — das eine fagte er fid) mit
verbijjener Sabigteit immer wieder — er
würde den Weg bergan [Hon finden. Er
fonnte bier viel lernen und wollte die Augen
offen halten. Jebt [Hon betrachtete er mit
angeltrengter Aufmerkſamkeit dieſen unb jenen
Gegenjtand und hätte ihn gern von feinem
Pla genommen, um die geheimen Zeichen
auf der Riidjeite zu enträtjeln. Dod fühlte
er fid) mit Unbehagen aus dem duntlen hin:
teren Raum, den eine Blastür trennte, be:
obadtet und war in Furcht, jeden Augen:
blid fonnte Herr Dieufinger hereinjchlurfen.
Ein übler Patron, diejer Vicufinger! Das
einzige Gute an ihm war, daß er [bon ein:
mal gejejjen Hatte. Dieje Tatjache machte
alle feine Drohungen zum Kinderjchred.
In dem TFegefeuer feiner erften Lehrzeit
batte Klaus gelernt, wie unangreifbar ein
— —9—
Fee EE El Zwei Freunde
Menſch ift, der feine Sahe auf nichts ges
Hellt bat. Und er war entidhloffen, wenn
er’s für nötig hielt, von diejer Macht wieder
Gebraud) zu machen. Cinftweilen freilich
wollte er fid) duden, fih beliebt und unent—
behrlid) machen — dod) eines Tages würde
er dem PBrinzipal vielleicht Hinter feine
Schliche Zommen. und dann konnte der fih
gratulieren.
Es ſchlug elf, ohne daß ein Runde er:
Ihienen wäre. Plögli öffnete Meufinger
die Tür und fragte, mißtrauijch um fid
blidend: „Niemand dagewejen ?“
„Niemand,“ erwiderte Klaus, der von
feinem Stuhl aufgejprungen war. „Herr
Meufinger, ich wollte mal fragen, fol id)
auf den Regalen nicht ein bißchen Staub
wildjen 2“
„Staub wijden?” wiederholte ber Antis
quitätenhändler jcheinbar in grenzenlojem
Erftaunen. „Warum?“
„sh badjte nur. Es fieht bod) bejjer
aus, unb der Staub friBt doch die Bücher.“
„Der Staub friBt die Bücher... Laß
ihn freffen! Laß ihn freien! Der Staub
will aud) leben!“
Und Herr Meufinger lachte, bis er [id)
veribludte und einen Suftenanfall befam.
Darauf verſchwand er. Klaus begann fih
furdtbar zu langweilen. lim fih die Zeit
zu vertreiben, holte er fih von ben Regalen
ein Buch herunter, eine alte Ausgabe der
Kuglerſchen &unftgeldjid)te, und begann zu
lefen.
Gnblid) öffnete fih mit gedämpftem ril»
lern einer eleftrijden Klingel bie Ladentiir.
Ein junges Madden erldten und wünjchte,
ein Buch zu taufen, um daraus Englijch zu
lernen. Herr Meufinger erklärte, er glaube
einen derartigen Schmöfer mal bejeffen zu
- haben. Genau fónne er es nicht fagen. Er
wolle nadjeben.
,Cud) mit, Junge, verjtehft du!”
Rad langem Serumitóbern förderte er
eine alte Grammatik und einige Lexifa zu:
tage, die aber das Fráulein nicht gebrauchen
fonnte, Gleidgiiltig [lug Mteufinger Hinter
ihr die Tür zu.
‚Schau, fhau, dachte Klaus bei fid), ‚da
ijt thm eine Kundin entichlüpft. Er fieht
aber gar nicht aus wie ein Feldherr nad)
einer verlorenen Schladht.‘
Gott weiß, nad) welchem Syftem die
Bücher geordnet waren! Mommjens Rü-
mijde Geſchichte und Marlitts Romane,
Belang: und Kochbücher, alles ftand tunter:
bunt durcheinander. Es war ganz unmög:
lid), in bielem Wirrwarr fid) zurechtzufinden.
Klaus hätte rein zum Zeitvertreib gern
Ordnung gefdhaft. Aber eingeben? feines
BEFSFESFZEZFTZFFEFEZFZZN 239
erften Vorſchlags hütete er fih, ein zweites
Mal abzulaufen.
Mad einiger Zeit erjdien wieder ein
Runde: ein alter, Jympathifd ausfehender
und mit wiirdiger Eleganz gefleideter Herr.
Klaus ſchätzte ihn zum mindeften auf einen
Beheinrat. Er war jebr erftaunt, als Herr
Meufinger ibm wie einem guten Befannten
die Hand [djüttelte und ihn fragte, ob er
wieder im Lande wäre und was die Ges
Ihäfte machten.
Damit ftände es faul, erwiderte der alte
Herr. Geld fet in Hülle und Fülle vor:
handen, aber bas Publifum fet feit einiger
Zeit verrüdt geworden. Es wollte nur nod
moderne Runft taufen. Nádftens bringe er
fein eigenes Gejchäft unter den Hammer und
made eine moderne Runftbude auf.
Herr Meufinger, der die Hände in bie
Taſchen vergraben hatte, wedelte mit den
langen Schößen feines Maltittels und lachte,
den Kopf tief ¿wijben bie Schultern ge:
zogen, bis er wieder feinen Huftenanfall
befam.
„Alter Spakvogel, bas madjen Cie nur.
Wher paffen Sie auf, daß Ste niht bas
jogenannte Rogen friegen in Ihrer modernen
Kunftbude. — Kommen Gie, ich zeige Ihnen
oben was feines.“
„Was haben Cie denn da?” fragte ber
Bejucher und hob eins der Alt: Straßburg»
Gtiide auf. „Die Dinger find ja gut.”
,Sun[t[tüd! Haben Sie bei mir [hon je
was Cdjledjtes gejehn ?”
„Wo haben Sie bie her?”
„Auf bie habe ich ſchon feit Jahren ge:
giepert. Gie gehörten einer alten Dame, bie
(id nicht für 'ne Million davon trennen
wollte. Aber, Gott jet Dant, wurde [ie end:
lid) frant, und ich babe mit ihrem Sohn
verhandeln Tonnen, Der nahm Vernunft an,
als ich meine Goldftiide aufmarjchieren lieh.“
„Was wollen Sie denn dafür haben?“
„Was wollen Sie geben?“
» Steibunbert."
„Sie haben wohl zu reichlich gefrühſtückt.
Sechshundert habe ich jelbft bezahlt.“
„Sie haben“ — erwiderte der alte Herr
ruhig — „noch feine hundert Dafür bezahlt,
wie id) Gie fenne.”
„Da fónnt' ich bod) gleich Galle fpuden!
Sol ih den jungen Mann tommen
lajjen ?"
„Regen Gie fid) nidjt auf! Die Stiicde
find gut. Aber wer jammelt heutzutage nod)
lt: Straßburg? Wer fammelt überhaupt
nom? Ic jagte Ihnen ja: alles ftürzt fih
auf die moderne Runft. Wenn ich nicht zus
fällig einen Liebhaber dafür wüßte, td) fönnte
Ihnen nicht vierhundert dafür bieten."
940 Ise ee ST Wilhelm Hegeler: [I2:2422424242:242:2€42:2:32 2:34
„Und wenn id) vor der Pleite ftánde, ich
würde fie unter fünfhundert nicht laffen.”
„Rommen wir uns auf halbem Wege ent:
gegen.“
„Es ift ne Schande,“ ftöhnte Meufinger
getnidt. „Sch bin rein verliebt in die Din:
ger, wie man zu Jagen pflegt. — Aber weil
Gie's find.”
„Und was haben Gie oben?“
„Was großartig Feines. Wies mir feit
langem nicht gelungen ijt. Einen Primi-
tiven.“
Die beiden blieben eine geraume Weile
verjhwunden. Der alte Herr verließ den
Laden durch den Flur. Als Meufinger wie:
der erjchien und feinen Lehrling beim Lefen
entbedte, ergriff er das Buch: „Du lteft?
Kunſtgeſchichte? Warum Kunftgejchichte?“
„Weil ich mid) für alte Bilder intereffiere.”
„Du interejfierft did) für alte Bilder?“
wiederholte Meufinger mißtrauifh. Und in
plögliher Wut: „Junge, wenn bu mid be:
lügft! Wenn bu etwa hier herumfpionierft!
Sd) fage dir, ich ſchrecke vor nichts zurüd.“
„Warum jollte id) Sie belügen?“
„Na, es tónnte bod) fein,“ erwiderte Mens
finger, plötzlich wieder bejänftigt. „Jetzt
gehit du ins Hotel ‚Zum Bater Rhein’. Du
weißt Doch, wo der ‚Bater Rhein‘ ift?”
„Jawohl.“
„Alſo da gehſt du hin und ſagſt im Aus—
ſchank, du wollteſt das Diner für Herrn
Meuſinger holen. Hier ſind drei Mark. In
der Küche ſteht der Korb mit dem Geſchirr.“
Als Klaus zurückkam, hatte ſein Brotherr
bereits in der Küche für ſich aufgedeckt.
Unter dem laufenden Waſſerhahn ſtand eine
Flaſche Rheinwein.
Klaus erhielt fünfundſiebzig Pfennig und
die Weiſung, ſich damit den Bauch vollzu—
ſchlagen.
8 BB 8
Nad ber hertömmlichen Meinung ermer:
ben wir uns die Anhänglichleit der Men—
[den, indem wir ihnen Gutes tun. Aber
ebenfo häufig geht die Entwidlung den um:
gefebrten Meg. Je mehr wir uns um einen
Menjden forgen und mühen, defto mehr bes
müdjtigt er fid) unjeres Herzens. Der Edem:
tende fühlt fid) bereichert und beglüdt und
ift von einer Dankbarkeit erfüllt, bie der Be:
ſchenkte häufig als demütigende Laft emp:
findet. '
So war bas Verhältnis ber beiden Kna:
ben, wenigftens auf Hanjens Geite, zur wirt-
lien Freundimaft geworden. Als Klaus
von dem Ungliid betroffen wurde, hatte er
die Not des Rameraden zu feiner eigenen
gemadt. Den Schmerz und bie Angit um
die todfranfe Mutter, bas Grauen vor ber
Tat des Baters, bic bod) wieder fo verzeib:
lid) und aus der Hilflojigteit und Verjtórt:
bet bes armen Mannes begreiflid) war, die
Gorge um Klaufens aerftórte Zulunft: bas
alles batte Hans in mander jchlaflojen
Stunde in fih herumgewalgt. Und fortan
jah er den Freund immer mehr im Licht
feines warmen und reichen Herzens.
Für Klaus aber war Hans die Briide
An feiner Vergangenheit. In feiner Gegen:
wart erinnerte ihn alles an das, was er
verloren hatte und was er hätte werden
tónnen. Manchmal empfand er darüber
brennenden Neid und beinah etwas wie Haß,
unb bennod) — wenn er aud) nur in kurzen,
jeltenen Stunden an das jenjeitige Ufer
jeines Jugendlandes gelangen fonnte, es tat
ibm bod) wohl, dort zu verweilen. Der (e:
rud) in biefem reinlichen, behäbigen Haufe,
der Anblid der Möbel tat ihm wohl; es tat
ibm wohl, an einem fauber gebedten Tijch
mit filbernem Befted zu effen und von einem
Dienjtmädchen mit weißer Schürze bedient
gu werden, wenn er aud) oft genug in deren
Miene etwas wie mitleidige Herablaffung
argwöhnte, weil er bes Freundes abgelegten
Anzug trug. Und es tat ibm wohl, dab
Frau Botelmann ihn ganz als Bleichberedh:
tigten behandelte, eigentlich wie einen zweiten
Cohn des Haufes. Er wußte, daß fie feine
Mutter unterjtügte, bod) tat fie es heimlich,
jo daß ibm das Danten erjpart blieb.
Es war merfwiirdig und gab Klaus Grund
zum Nachdenken, wie viel die beiden Men:
Iden fic) mit feinen Eltern bejchäftigten.
Wud) Hans fprad oft von Klaujens Bater
und entwarf Pläne, wie biejer nad Wb:
büßung feiner Strafe fic) fein Leben neu
aufbauen finnte. Cie madjten fih faft mehr
Gedanfen um diefe ihnen bod) fremden
Leute, als er felbft es tat. Aber fie batten
aud) mehr Zeit und weniger Gorgen um
ihre eigene Zukunft.
Eines Morgens, als Klaus die Süde ges
reinigt hatte und wieder in den Laden fam,
fab er, daß fein Prinzipal die Münzen in
dem geflodtenen Körbchen nachzählte. Sos
bald Meufinger feinen Sebrling bemertte,
drehte er fih haftig um. Er möge nur ruhig
weiter zählen, dachte biejer höhniſch. Er
jelbft hatte es aud) getan. Eechsundvierzig
Stüd mußten darin fein.
Es gab eine andere Berjuhung, ber zu
widerftehn Klaus jeden Tag ſchwerer wurde.
In der Küche lagen große Brotjtüde umber,
die vertrodneten, Butter, die ranzig wurde,
Ráje, der [himmelte. Klaus hungerte. Die
drei fargen Mahlzeiten, die er befam, reichten
niht aus. Und mandjes Mal ftand er mit
begehrlihen Augen und offenen Nültern,
Jod) Hndngg Jost uag 'uauunig, uaua ani julio duras
DS? "e
(upaa “1211/05 toi; sant saq Bundnugausg ndr)
AAA "`
Lee SEH Zwei Freunde seess 941
unb bie Luft wurde in ihm beinah übers
madtig, etwas von diefem Abfall, ben fein
Prinzipal wahrſcheinlich wegwarf, an [id)
zu nehmer. Wher er bezwang fid. Wenn
er heute etwas nahm, würde er es aud)
morgen tun und endlich einmal erwijdt
werden. Dann hatte Meufinger ihn in der
Hand. Aber er wollte ja ben Meufinger in
die Hand befommen.
Er widerftand, obwohl der Hunger ihm
jeden Tag mehr aujebte. WMtandhes Vial
wurde ibm [o [djmad), dak er auf feinem
Stuhl einjdlief. Schwere Arbeit hatte er
überhaupt niht leiften Tonnen, Aber es
gab auch Herzlich wenig zu tun. Hin und
wieder wurde er fortgejchidt, um Kunden
bie gefauften Cadjen ins Haus zu tragen
oder um dies und jenes heimzubringen.
Mandhmal waren feltjame Dinge darunter,
deren Verwendung ihm rátjelbaft war. Gin:
mal mußte er von einem Zimmermann einen
Wagen voll wurmitichiger Bretter holen, ein
anderes Mal von einem Hauderer einen
Paden alter, zerſchliſſener Drojchlenbezüge.
Bon Zeit zu Zeit fuhr aud) ein Fracht—
wagen vors Haus, es wurden in Riften und
Holggeftelle perpadte Sachen eingeladen, und
Klaus mußte mit zugreifen. Bei diejer (9e:
legenbeit befam er einmal einen alten bin:
tenden Mann au leben, ber fonft ein ver:
borgenes Dajein in einem neben dem Bar:
ten liegenden Schuppen führte. Meuſinger
warnte ihn vor dem Dianne. Er wäre nicht
richtig im Kopfe, unb wenn man ihn ans
jprade, befäme er leicht Tobjuchtsanfälle.
In ber Tat machte der Alte mit feinem hohl-
wangigen Geficht, bas in einem Muft un:
gefammter Bart: und Ropfhaare verjchüttet
lag, einen unheimlichen Eindrud. Klaus
begegnete ihm ein zweites Mal frühmorgens,
als er ben Kehricht in den Garten trug, und
befam auf feinen Gruß einen miptrauild)
finfteren Blid aus den von entzündeten
Lidern eingefaBten dunklen Augen, aber fonft
feine Antwort. Es mußte ein Tijchler fein,
denn aus bem Schuppen Hang tagsüber
manchmal fein Hammern und das Rreijden
feines Hobels.
Im übrigen aber hatte Klaus nicht viel
anderes zu tun, als im Laden zu warten,
bis ein Runde erjchien, und dann feinen
SBringipal herbeizuflingeln. Cr hatte endlos
lange freie Stunden, die er mit Lejen von
kunſtgeſchichtlichen Büchern und Zeitjchriften
verbrachte. Wenn Meufinger grade bei Laune
war, gab er Klaus Belehrungen. Es tam
vor, daß er angelichts eines Gegenitanbes
in einen 9taujd) von Entzüden geriet und
dann einen [djeinbar unergriindliden Shag
clijeitiger Kenntnilje Derporframte. Mand:
mal geftattete Rlaus fid) eine Frage, was
bei Menfinger zuerft immer eine Art erftauns
ten und zornigen Erjchredens hervorrief, bis
er fid) bequemte, eine mit höhniſchen Aus:
fallen gegen die Unwiffenbeit feines Lehrs
lings gewiirgte Antwort zu geben. ber
bei diejen Gelegenheiten merkte Klaus, dab
bas Mijien des Antiquitätenhändlers aud
erhebliche Liden hatte.
Als beinah ein halbes Jahr vergangen
war, ohne daß Klaus feinen Laufpak be:
fommen hatte, faßte er fic) eines Tages
Mut und fagte: „Herr Meufinger, id) hatte
eine Bitte an Cie."
Zieler audte zufammen, 30g den Kopf
zwilchen bie Schultern, verjchräntte die Arme
und [tand mit, gejpreizten Beinen wie ein
wütender Scharfrichter ba.
„Oben in der Küche liegt [o viel Brot
herum, bas Cie nicht aufejjen. Könnten Sie
i das nicht lajjen? Ich werde bier nicht
att.”
„Freſſen! Nichts als Freffen!” Inirjchte
Meulinger. „Wie fann man nur fortwährend
ans Freſſen denten? Du but bod) fein
Vieh.“
Plötzlich fuhr er auf Klaus los und packte
ihn an ſein ſchlotterndes Jackett. „Du — du
haſt mir ja ſchon von dem Brot geſtohlen!
Jetzt weiß ich, wo's geblieben iſt. Geſteh,
oder wir marſchieren auf die Polizei.“
Klaus fühlte, wie ihm das Blut in den
Kopf ſchoß und die Muskeln ſteif wurden.
„Laſſen Sie mich los!“
Meuſinger ließ von ihm ab.
„Ich habe nichts geſtohlen. Wenn ich das
wollte, brauchte ich nicht zu bitten.“
„Du — paß auf! Du biſt mir ſehr ver—
dächtig. Der Apfel fällt nicht weit vom
Stamm.“
Klaus wurde kreidebleich, holte dann aber
ein paarmal Atem und ſagte ruhig: „Ich
bin kein Dieb, verſtehn Sie! Ich habe Ihnen
damals geſagt, meinem früheren Prinzipal
habe ich den Kram vor die Füße geſchmiſſen,
weil er behauptet hat, ich hätte was aus
der Ladenkaſſe genommen.“
„So! — Und mit mir willſt du's auch ſo
machen? Geh! Marſch, pack' deine ſogenannten
Sachen.“
„Ich habe ja gar nicht geſagt, daß ich
gehn will. Der Antiquitätenhandel gefällt
mir an ſich ſehr gut. Nur möchte ich nicht
dabei verhungern.“
„Wozu habe ich dich eigentlich? Zum
Maulaffen feilhalten! Was nützſt du mir?
Was arbeiteſt du?”
„Ich könnte Ihnen [Hon mehr nügen, wenn
Cie nur wollten. 3d fünnte die Bücher
nad) Materten ordnen und einen Katalog
049 Fees E Wilhelm Hegeler: seess sl
anlegen. Außerdem verfaufen Cie mande
Bücher viel zu billig.“
„Du Griinjdnabel!” fagte Meufinger ver»
&djtlid), aber bod) aud) in feiner Habgier
gereizt. „Was follen bas für Bücher fein ?"
Nun zeigte Klaus ihm eine alte Ausgabe
von Jean Baul, eine Erftausgabe von Heines
Bud der Lieder, eine Reihe Xajdjenfalenber
aus dem achtzehnten Jahrhundert unb be:
wies ihm aus Antiquitátstatalogen, die er
von Hans befommen hatte, daß er dafür
das drei: und vierfade verlangen könnte.
Meufinger wand fid) unb tnurrte zuerft,
bie angegebenen Preife wären veraltet, er
hätte bisher nur feine Zeit gehabt, fie richtigs
au|tellen, als aber Klaus an immer neuen
Bänden bewies, daß fid) in ber Bibliotbhet
Geltenheiten befanden, von denen fein Pringi:
pal nichts geabnt hatte, wurde bieler alls
müblid) immer freundlicher, rieb [id) bie
Hände, lachte wohlig und jagte: „Na, mad)’
nur Deine jogenannte Ordnung und deinen
Katalog. 3d) babe bas alles ja längft ge
wußt, aber es freut mid), daß du aud) da:
hinter gefommen but. Du [djeinjt überhaupt
nidt dumm, mein Söhnchen.“
„And wie ift cs mit dem Brot, Herr
Meufinger?“
„Meinetwegen Tout dir jede Wohe ein
Fünfgrojchenbrot. Aber bie Refter laß liegen.
Die braudj id. — Als ich fo alt war wie
du, habe ich überhaupt nur von Brot und
Waſſer gelebt.“ i
‚Das war wohl, als du gebrummt halt,
du Schuft,‘ dachte Klaus.
Bon nun an hatte er für eine Zeitlang
Beihäftigung Sans fbidte ibm einen
Sebrer vom Gymnafium zu, der Bücher:
jammler war.
Zieler faufte ibm nicht nur jelbft einige
Werte zu guten Preijen ab, fondern empfahl
aud) anderen Liebhabern das Gejdaft. Mit
der Zeit gog Herr Meufinger einen ganz
hübſchen Gewinn aus feiner verachteten
Bibliothe?, ohne fid) freilich feinem Lehrling
dafür irgendwie erfenntlid) zu zeigen.
Klaus madte bie Beobachtung, dak, wenn
Meufinger morgens mit ber Handtajche aus:
ging, er meijtens erft am fpáten Nachmittag
¿uriidtebrte. Dieſe Gelegenheit benubte
Klaus eines Tages, um dem alten Tijdler
einen Bejud) abzuftatten. Da er auf fein
Klopfen an der Tür bes Schuppens feine
Antwort befam, trat er nicht ohne einige
Sagbaftigfeit ein und ließ vorjichtshalber
die Tür hinter fid) offen.
Dn einer Ede des lángliben Raumes, in
dem fo viel Geriimpel der verjchiedenften
Art herumftand, lag und an den Wänden
hing, daß man meinen fonnte, er jet eine
Ablagerungsftátte für alle zerbrochenen
Gegenftánde aus dem Antiquitätenladen
vorn, fab auf einem Haufen Hobeljpäne ein
feines blondes Rind. Neben ibm bodte auf
einer Fußbank ber alte Mann und hielt in
feiner fladen, von Beize gejchwärzten Hand
ein korkgeſchnitztes Stehaufmanndjen, welches
das Kind mit feinen unbeholfenen Händchen
niederzudriiden ver[udjte, Es jauchzte ent.
züdt, gerade als Klaus bie Tür öffnete, hielt
dann aber inne und blidte großäugig mit
offenem Máulben auf den Eintretenden.
Wud der Alte wandte fih nun langjam um.
Gein breites, gutmütiges Ladeln, bas eben
nod) feinem Geficht eine gewiljle Füle ges
geben hatte, verjchwand, während er fih mit
erzwungener Haft, auf feinen Stod ftüßend,
erhob.
„Buten Tag!” fagte Klaus freundlich,
deffen Angſtlichkeit fih angefichts des Kindes
jofort verlor. „Ich wollte nur mal guden,
was Cie madjen.”
Obne ein Wort der Erwiderung ftarrte
der Alte, vornübergeneigt mit |chiefhängen-
ber, linter Schulter daftehend, ihn an. Seine
Stirn war fo finfter ¿zujammengezogen, daß
die Augen unter den dichten Bülcheln der
Brauen faft verjhwanden. Seine groben
Hände hingen wie jchwere Gewichte hinunter.
Der Rriiditod fiel zu Boden.
„Buten Tag,” wiederholte Klaus, ging
auf das Kind zu und reichte diefem feine
Hand. „Ift das Ihr Kleines?“
Wieder fam teine Antwort. Während
er den Schweigenden verwundert betrachtete,
fiel fein Bli auf ein flaffenbes Dreied in
deffen Jadartiger Manchefterhofe, und er fab,
wie darunter das Knie zitterte. Beftiirgt
über die Wahrnehmung, melden Schreden
jein unerwarteter Eintritt verurjacht hatte,
fagte er baftig, daß er nur gefommen wäre,
um guten Morgen zu wiinjden, und nicht
itóren molle. Dann wandte er jid) wieder
dem Rinde zu, bob bas zu Boden gerollte
Stehaufmannden auf und begann das unter:
brodene Spiel von neuem.
„Sie hat’s mir erft vor einer Miertel»
ftunde gebracht,“ jagte der Alte endlich.
,Gerabe als id) mein $yrüb[tüd effen wollte.
Ich [djmóre Ihnen, daß ich nichts von meiner
Arbeit verjaumt babe.”
„Aber was tate denn bas! Der Pringipal
it ja weg. Der fommt nod lange nicht
wieder.“
Der alte Mann Bunipelte zur Hobelbant,
ergriff einen Hammer, ließ ihn aus der
ihlaffen Hand finfen und murmelte: „Nun
muß ich wieder tippeln. Ach Gott, ad)
Gott!” Ging dann auf Klaus zu und fagte,
feinen Arm ergreifend: „'s ift mein Entel:
——
LSSeseosococtcoctccca Zwei Freunde RE32232232333323 243
find. Ich hab’ fie feit einem Vierteljahr nicht
gejeben.”
Klaus wußte nicht, was er erwidern follte,
jolde Pein verurjadjte ihm der Anblid des
Crjdrodenen. Er wollte fih gerade ent:
fernen, als eine junge Frau mit einem Markt⸗
forb voller Gemiije eintrat.
Das Rind [djrie vergnügt auf. Die Frau
blidte mit mehr Berwunderung als Beftür:
zung die fremde Erjcheinung an.
„Wer ijt denn das, Bater?”
Klaus erwiderte, er wäre. der Lehrling
des Herrn Meujinger. Sie brauchten feinets
wegen feine Angft zu haben.
„Bitte den jungen Herrn, daß er uns nicht
verrät,“ jagte der Alte.
„Das werden Cie dod nicht tun! Der
Tieufinger ijt ja fon böjer Hund.“
„Bewiß nicht,“ verjegte Klaus.
„Er ijt nicht bbje," verbejjerte ihr Bater
fie. „3% laffe nichts auf ihn Zommen, Ich
bin ibm febr dankbar.“
„Ein Shinder und ein Duälgeift ijt er!”
Ichalt bie junge Frau noch heftiger, Elopfte
dem Kind bie Hobeljpäne von feinem Kleid
und nahm es auf den Arm.
„Bleiben Sie bod) noch!“ bat Klaus. „Ich
geh’ ja ſchon. Entſchuldigen Sie nur bie
Störung.“
Er hatte bereits die Türklinte in der Hand,
als fein Blid von einem auf der Hobelbant
ftehenden Gavonarolajtubl gefeffelt wurde,
deffen Polfterung ein zerjchliffenes Gtiid
Cammet bebedte. |
„Ad, bas ijt ja ein Stüd von ben Drojch:
tenbezúgen, bie id) getauft habe.“
„Das da” — erwiderte ber Tijchler, ben
Bezug glatt jtreichend — „das ift bod) fein
Drojdfenbegug. Das ijt alter Genuejer
Sammet.”
Von nun an erneuerte Klaus feine Bes
jude beim Dieifter Böger — das war ber
Name bes alten Mannes — fo oft fick ihm
Gelegenheit dazu bot. Durch kleine Gefüllig:
teiten gelang es ihm mit der Zeit, deffen
Vertrauen zu gewinnen, und eines Tages
hörte er aud) von der Tochter feine Ges
ſchichte.
Böger war urſprünglich Graveur geweſen
und hatte das mit Schulden belaſtete Ge—
ſchäft ſeines Vaters weitergeführt. Um dem
drohenden Konkurs zu entgehen, hatte er ſich
verleiten laſſen, für eine Falſchmünzerbande
die Platten zu liefern. Er war ertappt und
zu einer langjährigen Zuchthausſtrafe ver—
urteilt worden. Während feiner Gefangen:
Ihaft hatte er das Tiichlerhandwerf erlernt.
Nad feiner Gntlajjung hatte er verjudt,
auf ehrliche Weile fein Brot zu verdienen,
batte aber nirgendwo ſeßhaft zu werden vers
moht. Sobald feine Vergangenheit irgend:
wo befannt geworden war, hatte entweder
die Polizei — er ftand unter polizeilicher
Aufſicht — ihn ausgewiejen, oder feine Mit-
gejellen hatten fih geweigert, mit ihm zus»
jammen zu arbeiten. Er hatte die Erfah:
fahrung mamen miijjen, daß die fd)werfte
Strafe erft nach Verbüßung der vom Gericht
ibm auferlegten gefommen war. Jahrelang
hatte er ein firomerndes LanditraBendajein
geführt. Endlich Hatte fid) dann Meufinger
feiner „erbarmt“, indem er ihm einen Unter:
ſchlupf bot. Aber Böger bezahlte feine Rube
mit lebenslängliher Gefangenjdaft. Meu:
finger hatte nur unter der Bedingung eim:
gewilligt, ihn ohne polizeiliche Anmeldung
bei fih zu behalten, daß er jeden Verkehr
mit der Außenwelt mied. Get vielen Jahren
hatte er feinen Blid auf die Gaffe hinaus»
getan. Geine Frau lag auf dem Kirchhof
begraben, und er hatte nie ihr Grab be:
Iden Tonnen, Seine Freunde aus früherer
Zeit gingen an dem Haus, Hinter deffen
Mauern er verborgen war, vorüber, mand)
einer hatte den Laden felbft betreten, aber
er hatte mit feinem von ihnen je ein Wort
gewechjelt. Das einzige Band, das ihn mit
ber Gemein|daft ber Menjchen verknüpfte,
die einzigen Zeichen men[djlidjer Anhäng:
lichkeit und Liebe, bie ihm zuteil wurden,
rührten von feiner Tochter und feinem Entel:
find ber. Wher auch deren Bejuche konnten
nur felten und mit der größten Heimlidfeit
ftattfinden. Meufinger hatte fie ftreng ver:
boten unb ihn mit jofortiger Entlaffung
bedroht. Die ftete Furcht vor der Polizei,
die den Antiquitätenhändler jelbjt beherrichte,
hatte er bei dem alten Mann nod) gejteigert,
um Dellen unjchägbare Wrbeitsfraft defto
Ihamlofer ausniigen und jede Bitte um
Erhöhung des elenden Lobnes abjchlagen
zu Tonnen,
Klaus wurde von diejer Bejchichte tiefer
erregt als nur von dem traurigen Schidjal
irgendeines Bleichgültigen. Ihm war zu:
mute, als hätte man ihm die Zukunft feines
eigenen Baters erzählt. Auch der würde ja
nad) verbüßter Strafe auf Jahre unter Poli:
zeiauflicht ftehn und ein gebebtes, vogel-
freies Dafein führen.
Jeder Anzeige eines Feindes war er
ſchutzlos preisgegeben. Eine ſchöne Einridh-
tung, diefe bürgerliche Geſellſchaft mit ihrer
Moral und ihrer Ebrbarteit, dachte Klaus
vol Hak. Worin beftand denn die Ehrlich.
feit ber meiften Menjchen anders, als dak
jie nicht ber Verſuchung ausgejegt waren?
Und die Gerichte und die Polizei — faben
fte nicht ihre Aufgabe darin, den, der burd)
Unglüd, durd) Verführung oder Schwäche
244 Wilhelm Hegeler:
in Schuld geraten war, bis an fein Lebens:
ende zu verfolgen, während ein wirklicher
Gdujt unb Menſchenſchinder wie Meufinger,
nachdem er feine paar Jabre abgejejjen, une
bebelligt ein üppiges Leben führte und zu
Moblitand und Anjehen gelangte!
Mit der Zeit empfand Klaus wirklich
etwas wie Zuneigung zu dem alten Böger.
Und bieler vergalt ihm feine Freundlichteit, 8
indem er ihm fein Wiſſen von allen Zweigen
ber Antiquitätenfälfchungen mitteilte. In
feiner Einfamteit und einzig auf feine Arbeit
angewiejen, hatte er feine angeborene Ges
ſchicklichkeit zu einer vieljeitigen Runftfertig-
teit ausgebildet. Er felbft freilich hielt fid
für einen Stümper und Pfujcher, ba er aus
Mangel an Material und geeigneten In:
ftrumenten und fihlichlich aud) an Zeit nie:
mals ein wirkliches Meijterftiid, fondern nur
Mittelgut hervorgebradt batte. Wher gerade
weil feine Tatigeit ins Breite gegangen war,
ftellte er einen um jo bejjeren Lehrer für
Klaus dar.
Er zeigte ihm, wie man an Möbeln tinte
lihen Wurmfraß berftellte unb ben mit ber
Maſchine gepreften Schnitereien ein jahr:
hundertealtes Ausjehen gab. Er lehrte ibn
bas Zujammenfliden echter und imitierter
Teile, und der erftaunte Schüler fah, wie
unter feiner Hand aus einer Banerntrube
ein foftbares Büfett, aus einem Empireftubl
ein ganzes Kanapee erftand, Er verriet ihm,
wie man modernen Bläjern den antifen Iris»
(immer verlieh, wozu ein wenig Jaude
und viel Geduld gehörte, wie man die fofts
baren Bronzebejchläge des 18. Jahrhunderts
berjtellte und Gips in Wlabajter und weifen
Marmor verwandelte. Er ließ ihn zujehen,
wie er einem Hirjchvogelfrug einen neuen
Henkel anjegte und zerbrocdhene fFanencen
ausbejjerte, und madte ihn darauf auf:
mertjam, wie diefe Reftaurierungen zu ers
tennen waren, daß, wenn bas Auge vers
jagte, immer nod) bie Nafe bie übermalten
Stellen aufipürte. Er wies auf bie unjd)át-
bare Mitarbeit eines guten Düngerhaufens
bin, ber die Prozedur bes rajden Yllterns
zwar nicht von heute auf morgen, aber bod)
in einigen Monaten und defto täujchender
vollzog, und veranibaulibte zugleich bie
‚ Unterjchiede zwiſchen gemadjjener und fünjt:
lid) aufgetragener Patina, awild)en den Gra:
quelüren, die bas geduldige Nagen der Zeit
und denen, bie bas hibige Feuer eines Bad:
ofens eingeribt hatte. Er unterrichtete ibn
über die Marken ber Porzellane und Die
Beichauzeichen und Stempel auf den Silber:
geräten, über Taujchieren und 3ijelieren,
über die Eigenheiten der Emailarbeiten und
Miniaturmalereien. Und das Ende jeder
EE
Belehrung war die Warnung: „Alles ijt
Schwindel. Wenn dir nicht ein glüdlicher
Zufall zu Hilfe tommt, darfft du nicht hoffen,
baB du ein echtes Stüd aufjtöberft. Und
was den Zufall betrifft, jo mußt du bes
denten, daß er ber größte Schwindel ijt.
Bon neun in zehn Fallen ijt ber glüdliche
SE nichts als eine aufgeftellte Falle.“
8
Verwundert, erſchrocken ſah Frau Botel.
mann, die eben ins Zimmer getreten war,
ihren Sohn an.
„Was ift bir?"
„Hör zu! Ceg’ did)!” Mit haftiger Bes
wegung [|djob Hans feiner Mutter einen
Stuhl bin. „Hör zu!“
lind er las: „Zarathuftra fapte den Baum
an, bei welchem ber Jiingling fag, und fprad)
alfo: Menn id) diejen Baum da mit meinen
Händen jchütteln wollte, id) würde es nicht
vermögen.
‚Aber der Wind, den wir nicht leben, der
quält und biegt ihn, wohin er will, Wir
werden am. jchlimmiten von unfidtbaren
Händen gebogen und gequält.‘ — Wie [Hón
ijt das und wie wahr!“ |
Für feine Mutter, die eben aus der Stadt
fam, die Hand voller Patete, den Kopf
voller Bejorgungen, war der Übergang ein
wenig ſchroff. Dod) verjuchte fie ibm zu
folgen, bat ihn nur zum Schluß, ihr abends
den Abſchnitt nod) einmal vorzulejen, und
fügte mit einem Blid auf feinen Tijd Hinzu:
„Hans, fónnteft du da nicht einmal ein
bißchen Ordnung madjen ? Das Chaos wird
immer wilder.”
Er lahte und verjprad’s. Als er ihr
die Heinen Päckchen reichte, gab fie ibm eins
davon: „Die Handjduh [dente ich bir.
Hoffentlich haben fie bie richtige Farbe.“
Gein Gejidt [trablte auf, wurde aber
gleich wieder ernjt, während er fih bebantte.
Als feine Mutter fort war, türmte er auf
Thomas Mann die Logarithmentafel, Hers
mann Hejje, Strindberg, Roufjeau, Gedichte,
Schulbücher, Reclambefte, wie er die Bücher
gerade errafite, und dachte, nicht ba, Bier
inwendig müßte man Ordnung fchaffen.
Entſcheiden müßte man fidj, nicht wahllos
(id hingeben! Aber wie war es möglich,
eine Wahl zu treffen, da aus allen diejen
Stimmen Berführung, Schönheit und Wahr:
heit [prad), und da er jelbjt der Freund des
TFeindes von geftern war. Wie fonnte man
[o baltlos, jo ohne Richtung und feftes Ziel
fein! Uber als wenn er wüßte, daß alles
Fragen darum vergeblich war, fuhr er fort
zu leen.
Nach einer Weile reigte ibn der feine
Ledergerud. Er wollte das Padden bci:
—
ee — —
ſeiteſchieben, öffnete es ſtatt deſſen aber und
nahm die Handſchuh heraus. Ganz der
dunkelrote Kupferton, wie er ihn ſich ge—
wünſcht hatte. Halb noch mit dem Blick
auf das Buch, begann er ſie anzuziehen.
Wie prall ſie ſaßen! Er erhob ſich, nahm
auf dem Korridor Hut und Stock und trat
ſo vor den Spiegel im Wohnzimmer, wo er
ſich ſehr ernſt eine Weile betrachtete. Er
hatte ſehr viel an ſich auszuſetzen. Aber
die Handſchuh ... die neuen Handſchuh —
ihm jchien, als feien jte der Licht: und Augen:
punit, von bem aus man bas Ganze bes
urteilen müßte, der Anfang einer neuen, uns
tadeligen Geftalt ... Bon welder denn?
fragte es in ihm. War etwa die Eleganz
eines Herrenausitattungsgejmáfts fein Bors
bild?
Als wäre er auf einer jchimpflihen Tat
ertappt, ging er hinaus, rig bie Handjchuh
ab und warf fid) aufs Sofa.
So wars immer! Immer! Vorgeftern
hatte er morgens Strindberg gelejen, hatte
einen jo furchtbaren Haß, eine |o grenzen»
loje Beradtung diejes ganzen vampirhaften
Weibsgeſchlechts gehabt, und nachmittags
war er Frau Dewerth und Annie begegnet,
und da more wieder über thn gefommen,
diefe finnloje Blodigfett, dies Gefühl, gleich
müßte etwas GSchredliches pajfieren, und
während fein fedes Lächeln fagte: ich bin
bod) gar nicht rot, feinen Schimmer, hidjtens
jegt ein bißchen, vor Freude... waren ihm
die Bücher aus dem Arm gerutibt, und
Annie hatte ibm noch [pöttilch mit ihren
Fingerjpiken eins gereicht.
O Niederträchtigfeiten! Trübes Chaos!
Beinftellen der eigenen Natur! Ob er ein
Bruder und Diener der Menſchen war oder
ein einjamer fiberwinder, ob er fih bem
Leben ans Herz warf oder abjeits enttäujcht
eine -jchmerzlich tóftlime Chronik bieles vers
worrenen Spieles jchrieb, alles jchien ibm
gleich verlodend. ber daß er ein eitler
Affe war, nahdem er eben ein von Erfennt:
niſſen ergriffener (Get gewejen, bas war
widerlich unb empórend und zerbrach wieder
einmal fein Selbjtgefühl.
Aber derlei Widerjpriihe und Mirrnifje
zerrten ohne Zahl an ihm, jo daß jchroffer
Medbjel von Sonne und Schatten fein dan
ernder lee der 3ujtanb ward. Dn der Seele
diejes Siebzebnjábrigen rangen ber erwadte
Geift und bas erwachte Geſchlecht mit gleich
ungebándigter Sjeftigfeit, und ihre Stürme
rijjet ihn entweder bod) in die Lüfte oder
in trübe Gründe; ruhiges Schreiten war
ihm jelten gegönnt.
Geine Kameraden empfand er als eine
andere Rajje als fid) und Hatte unter ihnen
Zwei Freunde | BE23332333233331 245
wohl gute Freunde, aber nicht den Freund.
Das Verhältnis zu Klaus dagegen vertiefte
fih, wenn Hans aud gelegentlich immer wies
der durch irgendeine Nüchternheit oder Bana:
lität von ibm abgejtoBen wurde. Aber blib-
ſchnell verſchwanden dieje gewöhnlich hinter
dem andern, als wären fie nur ber Wusbrud
einer augenblidliden Berjtimmung. Klaus,
joviel rajcher und gejchmeidiger und weniger
cinfeitig als fein Freund begabt, jab im
Grunde auf diejen herunter, empfand aber
Dod) bie Bejonderheit und das Brunner
bafte an ihm, aus dem zu jchöpfen nicht nur
förderlich war, fondern auch eigentümliche
Befriedigung gewährte. Keime feines Mes
Jens waren mit Hans verwandt und wurden
von ibm befruchtet, und bieje Befruchtung
empfand er, wenn aud) halb widerwillig,
als Glüd. In der legten: Zeit brachte eine
gewijje Ühnlichkeit ihrer Entwidlung fie
einander noch näher. Die Erjehütterungen,
die Hans innerlid) erlebte, hatte Klaus als
bitteres Schidjal an fih erfahren. Es gab
jeinem verwundeten Gelbjtgefühl Genug»
tuung, wenn er die ganze hergebradhte Ord:
nung umjtoßen und Gott und die Welt ans
Hagen fonnte. An den Eonntagabenden
erhigten bie beiden fid) in leidenſchaftlichen
Ge|prádjen, und Hans merkte nie, wenn
Klaus mit feinen Z Delen von der vorigen
Mode fam, die er zäh und meijt fiegreich ver:
teidigte, Denn er war ein Menjch, ber immer
recht behalten mukte, und zäher als fein Freund.
Viel mehr aber nod) bedeutete für Hans
in biejer Zeit feine Mutter. Er, ber beim
Zujammentreffen mit feinen Freundinnen
aus alter Zeit alle Unbefangenheit verlor
und den es doch mit tiefiter Gewalt zum
weiblichen Geſchlecht Hinzog, fand bei ihr
Halt unb Troft. Auch fie war eine Frau,
aber nichts, was ihn mit fih felbft entzweite,
ging von ihr aus, Jondern [ie war Friede
und miitterlide Büte. Sie abnte die Schwere
feiner Kämpfe, aber fie wußte auch, daß fie
nur eine Entwidlungsftufe bedeuteten. Dies
Hürde Braujen war etwas wie cine Gr:
neuerung ihres allzufrüh zur Rube getoms
menen Lebens. Und gerade daß fie abnte,
in der Tiefe Diejer geiltigen Nöte ringe eine
ganz andere Not um Erlöjung, gab ihrer
Teilnahme eine Güte, die ihn wie die Zärt-
lichkeit einer Geliebten begliidte. Go ers
neuerte fid) in Diejer jchmerzlichen Übers
gangszeit bas Gohnesverhältnis beinah mit
gleicher Snnigfeit wie in feinen Rinderjahren,
da er nicht minder ſchwach und troftbedürftig
war als damals. Noch einmal bedeutete
feine Mutter ibm die Zuflucht Jchlechthin
und alles, was in biejer dunklen, verworres
nen Welt der Liebe wert war.
046 B23:-::::::23:2:$::3223:23:232] Wilhelm Hegeler: 22243824
Uber dann war gerade fie es, bie ibm
wieder zum Anſchluß an feine Altersgenofjen
verhalf. Einige Rlajfenfameraden, darunter
aud) Rudi, nahmen in diefem Winter Tanz:
ftunde. Hans fprad) ‚darüber in überlegen
wegwerfendem Ton. Doc fie bewies thm,
daß er daran teilnehmen müßte, [don feiner
forperliden Kultur wegen. (Es bedurfte
nicht langer fiberredung, denn innerlich war
er nur allzu geneigt. Aber diefe Tangftunde
wurde ibm zu neuer Pein. Er war oergebe
lich, gerftreut und unmufifalifd. Wenn alles
wie bei der Parade ging, |o war er es, ber
Berwirrung anridtete.
Auch Annie nahm an dem Kurjus teil,
wenn fie auch alle Tänze, felbft bie mo:
dernften, [Hon fannte. Der Tanz war nod)
immer ihre Leidenihaft. Zu Haus mußte
Mademoijele Syüliten ftundenlang Chopin
und Grieg und Gtrauß fpielen, bis ihre
altersihwacdhen Hände erlahmten, während
Annie, am liebiten in jeidenen Pagenhisden,
alle die funjtvollen Verjchlingungen nad):
abmte, bie [ie von den berühmten Tänze:
rinnen gejehen hatte.
Shre ganze Phantafie fet in ihre Füße
gerutſcht. Früher fet bas einmal anders ges
melen, fagte Hans gelegentlich.
Und feine Phantafie, die früher [o Schönes
erfunden, fónnte jest nur nod Bosheiten
ausdenten, entgegnete fie.
Anfangs gehörte für fie mehr Selbſt—
überwindung dazu, als Hans abnte, an feiner
Geite ben zähen Kampf, den er mit ber
Mufit führte, ein wenig zu deren Gunjten
zu beeinflujjen und Gorge zu tragen, daß fie
nidt mit anderen Paaren zujammenitießen
oder den zujchauenden Müttern auf den
Schoß flogen. Dann jedod) fhien eine uns
bewußte Umwandlung und Erwedung in
ibm vorgegangen zu fein. Die Diufit löfte
die Rhythmen feiner Glieder, und er emp:
fand Annie nicht mehr als fremden, eigens
willigen Körper — mit ihr zulammen fonnte
er auf einmal tanzen. Daß aber aud) in
ihr eine Wandlung fih vollzogen hatte und
daß fie jebt wieder um ihn warb, wenn
aud) ganz ſchüchtern und vor ihr jelbft vers
ftedt, dafür war fein Auge nod) verjchlojjen.
Manchmal lag fein Blid mit jchmerz-
lihem Entzüden auf ihrer ſchlank hinfließen:
den Gejtalt, auf ihrem Gelicht mit der fühlen,
etwas niedrigen Stirn, bem feinen Strich ber
faft wageredjten Brauen, den Augen, deren
lange Wimpern das Blau nod dunkler und
bas Weike nod) flarer erjcheinen ließen, den
zart geformten Xippen, bie nicht mehr der
weiche, etwas volle Rindermund waren, jon:
bern Grazie und Spott und Stolz verrieten
— auf diefem ganzen fo ebenmäßigen, edlen
Oval, bas er fühl zu ftudieren glaubte wte
ein Bild, indes er bod) unrubvoll grübelte,
warum fie ihm entglitten fei und ob fie ihm
wohl je wieder gehören würde. Wenn fie
dann aber fragte, woran er bádjte, gab er
eine |d)roffe oder gleichgültige Antwort.
Gern hätte fie ihm eine bedeutende Bosheit
erwidert, bod) fiel ihr felten etwas ein. Cine
bhodmiitige Viene war ihre einzige Waffe
und der Schild, hinter ber jid) ihre gefräntte
Liebe verbarg. Dod) eines Abends ftrafte
jie ihn auf luftige Meije, indem fie zu Haufe
eine fleine Pantomime aufführte, „Den
erften Walzer mit Hans,” wozu fie eine
Glieberpuppe ihres Baters als Herrn ans
gekleidet hatte, mit fteifen Armen und jchwes
ren Schuhen an den Füßen. Cie per|tanb
jo brollig, fih von Ddiejer Figur [cheinbar
fortwährend aus dem Taft und in die une
möglidhften Stellungen bringen zu laffen,
bis fie jdjlteBlid) von ihr auf einen Stuhl
geworfen wurde, daß alle [adten und Hans
am meijten. (
Ziele Heinen Tanzereien unter den Alters»
genojjet ber Gejdwijter machten jebt fo
ziemlich bie einzige Gejelligteit tm Dewerth=
jhen Haufe aus. Gonft war es ret [till
geworden. Sahraus, jabrein hatte der Pros
feffor unermüdlich gejchafft. Rings um ihn
ber waren neue Runftribtungen groß ges
worden, für bie er fid) intere]lierte, ohne daß
fie ihn beeinflußten. Schließlich war er aber
bod) beunruhigt worden und hatte einen
Sommer lang in Holland experimentiert.
Aber bie Runjthändler, bie feine Abnehmer
waren, zeigten fih von feiner neuen Art
teineswegs entzüdt. Das Publifum war nun
einmal an einen ganz bejtimmten Dewerth
gewöhnt. Er durfte nicht fid) felbft untreu
werden. So febrte er zu feiner alten Art
zurüd, obwohl das ganze Haus und er an
der Cpibe fih [Hon lángft dem neuen Runjts
geihmad zugewandt hatten. Cr arbeitete
jeitdem in einem miibjam ergwungenen Fieber
und war glüdlich, wenn er ein neues Bild,
das immer noch glänzend bezahlt wurde,
faum fertig gemacht, aber ihm felbft jchon
langweilig, von ber Staffelei nehmen fonnte.
Mit feiner Arbeitsluft hatte er auch feine
Genubtraft verloren. Er äußerte oft Sehne
juht nad) Rube. Geiner Frau, bie mit den
Jabren immer bequemer geworden war und
jest auch manchmal ans Sparen date, tam
bieles veränderte Leben nicht unerwünjcht.
Mur Annie beflagte fid) manchmal. Aber
ihre Mutter tröftete fie: wenn fie aus ber
PBenfion guriidfame, würden fie wieder mehr
Gejelligteit pflegen.
Es war ein Tag in den Weihnachtsferien.
Der graue Schneehimmel hatte fic entladen,
ee ::3:-] Zwei Freunde E333333353333349 247
unb jebt herrfchte flares Froftwetter. Die
ganze Stadt Hatte ein luftigeres Ausjehen
befommen, als hätte fie fic) verkleidet für
eine. Redoute in Weih. Aus ben Scorn:
fteinen wirbelte der Rauch eilfertig in bie
dünne Luft, und die Pferde vor bem Dewerth-
iden Haus [diittelten ungeduldig bie Klingeln
ihres Zaumzeugs.
Als Hans und ifa fid) trafen, fam falt
im felben Augenblid aud Rudi aus der Tür.
Alle drei gerieten in Begeifterung über ihre
Pünktlichkeit. Nur Annie fehlte. Rudi rief
nach ihr, unb nad) einer fleinen Weile tónte
ihre Stimme von der Treppe, ihr Bruder
folle nicht fo jchreien, wo er ihre Schlittſchuhe
hätte?
„Broßartig! Auch dafür fol id) forgen ?“
„Selbftverjtändlich !“
Während er zurüdeilte, half Hans den
Mädchen in die Fußjäde und breitete die
Dede über fie.
Dann. bimmelte der Schlitten davon.
Connen[djin wedjelte jah mit bläulichen
Schatten. Wenn fie um die Ede bogen, [prübte
ihnen Diamantjtaub ins Gefidht. Annie, Kifa
und Rudi [chwaßten luftig. Hans hörte mit
halbem Obr zu; er beobachtete vielmehr. Mie
rajd) Annies Züge wechjelten! Und mit
welder Beltimmtbeit fie alles äußerte! Mit
einer fo glüdlichen Beftimmtbeit, als hätte
nie ber leijefte Zweifel fie berührt... Dest
Iadten die drei. Worüber? Warum pakte
er nicht auf? Warum fprad) er nicht mit?
Immer wenn mehrere zujammen waren, war
er ¿erftreut, träumte vor fid) bin oder bildete
den abjeitigen Zufchauer.
Dod augenblidlich fot ihn das nicht an,
da er die Überzeugung hatte, daß heute ein
Glüdstag für ibn fei. Auf ber legten Tang:
ftunde hatte er ein langes Gejprád) mit Annie
gehabt, durch das fein hartes Urteil über fie
gänzlich erjchüttert war.
Das Gejprad Hatte, ftreng genommen,
Hans allein geführt, und vielleicht hatte es
ibm gerade deshalb eine jo gute Meinung
von Annie beigebrabt. Es hatte damit be:
gonnen, daß fie ihm erzählte, fie würde nun
bald nad Montreux in Penjion tommen, es
würde ficher fürchterlich langweilig werden.
Aber fie wäre ja zu beneiden, daß fie den
herrlichen Genfer Cee zu jeben befäme, hatte
er lebhaft erwidert und deffen Schönheiten
fo.anjchaulich bejd)rieben, daß fie ihn erftaunt
unterbrad): wenn fie nicht bas Gegenteil
wüßte, würde fie glauben, er wäre [Hon eins
mal dort gewejen. Nun war er erft ret in
Feuer geraten, hatte von Genf und Calvin,
von Voltaire und Fernay, von Rouffeau, bem
Bosquet de Julie, der Neuen Heloije erzählt
und war jchließlich anf die nenefte Literatur
gu [predjen gefommen. Singeriffen hatte [te
zugehört, einem Herrn nad) dem andern
Körbe erteilt, um fid) von ihm immer neue
Bücher empfehlen zu laffen, die fie lejen
wollte. Und als fie fid) trennten — immer
nod) fühlte er ihren Händedrud, geheimnis»
voll, fura, wie einen Schlag ihres Herzens
— hatte fie gejagt, ehe fie abreifte, müßten
He noch einmal miteinander |pred)en. Wher
ordentlid) und vernünftig, nicht jo fort:
während geftirt wie jest.
Und das würde heute gejchehen. Er las
es aus ihren Augen, die manchmal voller
Verſprechungen feinem Blid begegneten.
Nun [djraf er auf. Aus dem langen Zug
des jungen Volts, das einzeln, paarweije, in
Heinen Trupps auf bie überjchwemmten
Wiejen vor die Stadt hinauszog, hatte ein
junges Mädchen aus ber Tanzftunde, Olga
Blak, gewintt, ob man fie nicht mitnähme.
Annie ließ jofort halten, und bie etwas
bidlidje Olga flemmte fid) gwijden ihre
Freundinnen. Wher gleich darauf wurde
Annie, bie einen ganzen Trok von Freundin»
nen hatte, wieder angerufen. Um den beiden
neuen Inſaſſen Pla zu machen, mußten die
beiden Jungen fih auf den Boden jeßen.
Schon von weitem hörten fie bie Muſik
ber Militirtapele. Nahe am Ufer ftanden
die Bretterbuden, in denen heiße Getránte
unb Badwerf vertauft wurden. Bor den auf:
geld)fagenen Bánten daneben waren bie mit
Pfriemen, Bohrern und Riemen bewaffneten
Männer, bie einen ftarten Groggerud) auss
atmeten, bereits eifrig bei der Arbeit. Weiters
bin, wo bie Kapelle |pielte, treifte, dicht ge:
drängt, bie [chlittjchuhlaufende Menge. Aber
da und dort jah man abge|prengte Teile,
unb in ber glastlaren Luft, bie bie Leud)t:
fraft aller Farben erhöhte, fonnte man in
[dier endlojen Fernen nod) einzelne Laufer
erbliden, die wie dunfle oder helle Sieden
über die bläuliche Fläche |d)mebten. Wegen
bes Flüßchens, bas dort ftrömte, galt das
Eis in bieler Zone als unficher.
Während man die Mäntel auszog, bie
Deden durcheinander warf, bie Schlittfchuhe
juhte, entjtand ein eifriges Durcheinander:
reden über die Zeit, wann ber Wagen zurüd
fein folte.
„Romm, Annie!” fagte Hans. „Was
willft du ba Herumftehen und dir von fo
einem Schnapsterl bie Schlittſchuh anziehen
laffen? Da jek’ bid) bin."
Er fniete vor ihr auf einem fchneefreien
Sled der Böſchung. Aber gerade, als er die
Riemen umjchnallen wollte, gewahrte er Olga
Blak, bie traurig, ganz allein, über ben
Steg |d)ritt. Mitleidig rief er fie an. Als
bie Schlittſchuhe feitiahen, nahm er bie beis
248 PBESSSSSSSSSITAI Wilhelm Hegeler: see
den Mäbchen an der Hand. Annie wollte
zur Mufit. Ihm war es redjt. Dort würde
er Dejto eher jemand finden, der ihm bie
Heine Olga abnahm. Gie liefen nun Tandem.
Olga war in der Mitte. Ihr Gliid verjóbnte
Hans ein wenig mit feiner Unflugheit. Da
fam in fiihnen Bogen, mit verjchräntten
Armen und burdjgebrüdtem Kreuz ein
Klafjen: und Tanzftundentamerad an und
Ge ehe Hans es fid) verjah, Annie ents
hrt
Als biefer feine Dame endlich auf eine
Bank gejegt und Annie wieder entbedt hatte,
lief [ie mit einem Maler. In ihm verfinfterte
lich plöglich alles. Er hatte auf diefe Stunde
gewartet! Er hatte, [o [hien ihm, feit Jahren
darauf gewartet! Und nun folte er fid
darum beftehlen laffen von bielem Maler,
ber nod) dazu gänzlid) alte Schule war!
Er lief auf.das Paar zu, umtreijte es, ine
bem er Annie mit ungeduldigen Bliden vers
Ichlang.
„Bleih, wenn die Mufit zu Ende ift,”
rief fie.
„Ein Dibiger junger Mann,”
Maler.
„Dein befter Freund!” erwiderte Annie
ſchnippiſch. „Wir find wie Gejchwiiter.“
Die Mufit jchwieg. In demjelben Augen:
blid ftand auch Hans vor den beiden.
„Wie der Beilt aus der Verjentung,” Jagte
der Maler lächelnd. „Viel Glid, Herr
Bruder!”
„Warum fagt er Bruder?” fragte Hans.
„Aus Wig.”
„Sp ein Kamel! — Nun aber fort!“
Gr wies in die Ferne, wo vor den mit
ihren fnorrigen Kronen aus dem Gije ragen
den Weiden vereinzelte Laufer auftaudten.
„Aber da hört man ja bie Mufik nicht.“
„Da hört man taujenbmal [Hónere Muff.
Da pfeift der Mind und da fingt das Gis.”
„Und wenn’s bricht?“
„Unter uns beiden nicht. Komm, Annie,
tomm!” o
Shr Lauf gli einem Fliegen über das
dünne Eis, das da und dort aus der Tiefe
braune Brasbüjchel und feltiam geformte
Grajer durchicheinen ließ. Das leije Kniftern,
die fternartigen Riſſe, bie unter ihrem Stahl
fid) bildeten, das Gefühl einer gewiljen Ges
fahr erhöhten für Annie nod das Vergnügen.
Wie fie mit ibm, in langen Kurven [id)
wiegend, dahinglitt, empfand fie ein Gliid
und eine Leichtigkeit, die ihr fonft nur ber
Tang gab.
„Himmliſch,“ jagte fie, als fie aufatmend
am Ufer bielten.
„Ja, herrlich! Ift das nun nicht hundert:
mal jdjóner als Tanzen?“
bemertte der
„Ad, das verftehft bu nicht. Tanzen ijt
eine Runft.“
„Aber bod) nur eine recht untergeordnete.“
„zangen ijt die Zufammenfafjung, über:
haupt der Inbegriff aller Riinfte. Das habe
id) nod) neulich gelelen, in einer modernen
Zeitſchrift.“
„Was? — Gewiß — ja — aber doch nur
in geiſtigem Sinn. Wenn man ein Tänzer
wie Nietzſche ijt."
„Nietzſche als Tänzer — den Helle td) mir
malos fomifd) vor. Sat er nicht immer
einen langjchößigen Rod getragen?“ |
„O Annie... manchmal redeft du, wie
von allen guten Geiftern verlaffen.”
„Na, weißt bu —“
„Sa, du Haft dich febr verändert! Wenn
ich dente, wie du früher warft —
„Früher!“ ftieß fie leidenjchaftlich hervor.
„Du follteft lieber nicht von früher |predjen.
MeiB Gott, du nicht!“
"Ja, wer ift denn jchuld, daß alles anders
geworden ift?”
„Wer fchuld ift?"
Beide Jahen fid) an, mit fpriihenden Augen,
im Gefühl ber mit Bitterfeit und Ente
täufhung geträntten Cebnjudjt, unb [tteBen
dann heftig hervor: , Du!"
Dieje Gleichgeitigfeit machte fie einen
Augenblid beinah verjöhnt lahen. Aber
jogleid) fuhr Annie fort: „Ich habe wahr:
baftig feine Schuld. Ich habe bid) nie ans
gegrobft und wie etwas Inferiores behans
belt. Sd) habe mir ebrlidje Mühe gegeben,
nett zu fein. Aber bu — bir tann man’s
ja nie redit machen. Vorigen Sonntag —
ich denfe, ich mode dir eine Freude, indem
id) bir meinen Cdjleiertana zeige, dir ganz
allein —“
„Bitte, Da war noch der Herr Lutas ba:
bei. Und nur das hat mich geärgert.“
„Aber ber ijt bod) Maler,” erwiderte fie
naiv. „Alfo über den warft du wütend?
Wie fonnte id) bas nur ahnen? — [lbri:
gns, bu bift ein zu fomijdjer Menſch! In
der Theorie und in der Praxis ganz ans
ders.“
„Das ijt nicht wahr. Was ich einmal als
richtig ertannt habe, das fege id) aud)
durch.”
„So? — In der Theorie haft du bod)
jogar bie 9tadttángerinnen verteidigt.“
„Woher weißt bu das? Hat Rudi bir
das erzählt?“
„Der hat mir überhaupt noch eine ganze
Menge erzählt. Du haft ſchöne Ideen. Die
Ehe ertlárft du für eine Lüge —"
„Das habe ich nicht behauptet. Sondern
nur, daß es junge Dienjchen geradezu zum
Meincid verleiten heißt, wenn fie vor dem
An der Molga Gemälde von Prof. Robert Sterl
——— See
SSES Zwei Freunde seess 949
Altar ſchwören follen, daß fie fid) ihr ganzes
Leben treu bleiben. Für die Dauer feiner
Gefühle tann niemand garantieren.”
„Wenn er das nidt tann, fol er es eben
bleiben [ajjen," erwiderte fie aufgebradt.
Aber das hätte fie lieber nicht jagen fols
len, wie ihr fofort zum Bewußtjein fam,
denn es reizte ibn über bie Maßen, fo daß
er jede NRüdficht vergaß und ihr fein Be:
dauern ausdriidte, baB auch fie zu ber gros
Ben Herde zu gehören fheine, die in ber
Ehe nur eine Berjorgung auf Lebenszeit
erblidte. Mie es jchweigfamen Menjchen
manchmal ergeht, befam er einen Beredjam:
teitsanfall, der ihn wie ein Rataratt mit
fortriß. Gleich $jagelldjojjen prafjelten die
Namen gánglid) unbefannter Autoren auf
fie nieder, deren Bücher fie lejen folte. Er
erórterte das Problem ber 9tadjfommenjdjaft
und gebraudjte Fremdwörter wie Sexuali:
tät, Mtetaphyfif, Evolutionismus, die ihr um
jo unanftándiger flangen, je weniger fie fie
verftand.
Annie hatte bei einer Table d’höte einmal
erlebt, daß ein Herr fi an einer Filchgräte
rerjdjludte. Es war eine ihrer peinlichften
Erinnerungen. Und dem Gefühl von ba:
mals gli) ganz und gar bas, weldjes fie
jest hatte. Schließlich unterbrach fie ihn,
indem fie frie: „Hör’ auf, wir find bod)
feine Tiere!“
Die diimmite Huferung fann burd) ihre
Herzensangjt überzeugender wirfen als ein
fdjarffinniger Einwand. Hans ſchwieg wirt:
lid, fragte fid), einen Augenblid ganz ver:
wirrt, ob er nicht auch eine ganz andere
flbergeugung babe, und wollte jdjon ein:
lenten, als Annie fortfuhr: das alles wäre
ja ſcheußlich und blódiinnig und gar nicht
Hanjens Anficht, jonbern von Niegjche an:
gelejen. j |
Allein ber Ton, in bem fie diejen Namen
ausjprad, madte ihn von neuem auffahren.
Nichts wäre angelejen! Alles wären hart
ertämpfte Überzeugungen, erklärte er jchroff.
Aber er wiffe wohl, fie würden fih nie ver:
ftehn und immer aneinander vorbeireden wie
die Bewohner verjchiedener Welten. Er
würde feinen Weg allein gehn.
Cie war glüdlid), als er |djtoieg, fie oe:
noB dies Schweigen geradezu körperlich. Die
Fiichgräte war glüdlid) binuntergerutid)t unb
die Rataftrophe abgewendet. Was Hans
badjte, war ihr im Grund ganz gleichgültig.
Cie fonnte ibn ja viel zu gut, als daß feine
Gedanten ihr irgend etwas Neues über ibn
hätten fagen Tonnen, Berubigt und ver:
fóbnt nahm [ie feine Hand, und wieder
flogen fie bogenjchneidend dahin. Ihn er:
füllte eine tiefe, aber gemejjene Traurigteit.
Belbagen & Rlafings Monatshefte. 35. Jahrg. 192021. 2. Bb.
Mie anders war diefer Tag verlaufen, als
das betörende Gliidsgefiihl ihm vorgetäufcht
hatte! Aber es berridjte nun wenigitens
Klarheit awifden ihnen. Den Halbbeiten
war ein Ende gemadjt. Den Hoffnungen
freilich aud)! Cie würde abreijen, und wenn
fie zuriidtam, würden fie fid) wieder fremd
begegnen. ®Bielleicht fpäter einmal... viel,
viel jpäter würde fie fid) an diefe Stunde
erinnern und zugeltehn, daß er recht ge:
habt hatte.
Es war ein wundervolles Gefühl, fic mit
ihr zu wiegen und aud) im Zuihrneigen zu
fühlen, daß fie fid) an ihn jchmiegte. Wie
in der Abjchiedsjtunde ber 9tadjflang alles
Benofjenen ganz ohne ViiBtlang jchwingt,
ſolch ein tiefes Gliid lag in diefem Ber:
bundenfein ihrer Körper. Bis fie endlich
jagte, fie tónnte nicht mehr. Nun ergriff er
(ie um bie Hüfte und |djob fie Jaujenb vor
fid ber, in der Meinung, fie würde zu ber
Vienge, bie, vom bläulichen Abenddunft um:
woben, fid noch immer drehte, binlenten.
Aber fie glitt an dem einjamen Ufer ent:
lang, bis fie plóglid) wieder ans Land ab:
bog. In längeren, dann kürzeren Sprüngen
ftolperten fie nod) über die gefrorenen Schol»
len, ebe fie auf einem Grasfled niederjanten,
Shr Schlittſchuh Hatte fih verjchoben, er
rückte ihn zurecht, unb im Augenblid, wo er
ihren Fup fanft wieder auf den Boden jebte,
ließ fie ihre Hand in feine gleiten und fagte:
„Ad, Hans, daß ich jebt gerade fort muß!”
Er blidte zu ihr auf, und wie jeßt ihr
trauriger Ausdrud zu etwas unendlid Süßem
zerſchmolz, richtete er fih empor, feine Hände
glitten an ihren Armen hinauf, fein Gejicht
náberte fich, er wußte nicht wie, dem ihrigen,
und während etwas wie ein Wirbeljturm
über ihn binbraujte, lag fein Mund auf ihren
regungslojen Lippen. Dann flüfterte er ihren
Namen.
„Mein Hans!” gab fie flüfternd zurüd
und öffnete blak ihre Augen. Wieder tüpte
er fie und fühlte ihre gleidjjam [chlafenden
Lippen, bie er mit [eijen Sollen zu weden
juhte. Und auf einmal antwortete ihm ein
janfter Gegendrud ihres Mundes. Da um:
Ihlang er [ie ungeftiim, tüpte fie immer
feuriger, bis fie fid) ibm plößlich entwand
und aufiprang.
Won ihm verfolgt, eilte fie über das Eis
dahin, als er fie greifen wollte, biidte fie
(i, und er ftob an ihr vorbei, febrte im
Halbfreis um, wollte fie wieder greifen, über:
holte fie von neuem, drehte fid) dann aber
plögli um, jo daß fie ihm gerade in bie
Arme flog. Wieder tiiBten fie fid), wieder
entſchlüpfte fie ihm, wieder haſchte er fie.
So, bald umjdlungen und umeinanber-
17
d
950 FSSeSSSS38 Klabund: Wanderung zur Nacht seiss
wirbelnd, bald getrennt und einander ver:
folgend, flogen fie bin, bis fie, ganz außer
Atem, fid) in feinen Arm legte.
„Mein Hans!“
„Deine Annie!“
„Wirt du mir jchreiben ?"
«Ja. — Du mir aud)?"
"Ja. — Alles mußt bu mir foreiben.
Mas du tuft und was bu benfjt. Alles!“
„Alles!“
Als fie endlich bie andern wiederfanden,
berrichte großer Aufruhr. Man wartete auf
fie, Bott weiß wie lange! Man war halb
gu Tode gefroren! Es war unerhört!
„Romm, Hans, wir fteigen ein! Wenn
die andern fo find, mögen fie jehn, wo fie
lab finden,” jagte Annie ruhig und lebte
(id) vergnügt auf den beiten Plaß.
Wn biejem Abend war Hans wiegewöhnlich
noch ein wenig mit feiner Mutter gujammen
und las ... und las in einem Bud, auf
deffen Seiten nur die Morte ftanden: „Daß
id) nun gerade fort muß!“... Dieje rátjel:
haften Worte!
Eben hatte der Abgrund, der ihre fiber:
zeugungen trennte, fih aufgetan, eben hatten
fie fid) voneinander losgejagt und... nun
gerade! O Morte, wider alle Logik, höher
und [iegreid)er als alle Logit! O Wunder
der Liebe, bie hört, was [ie ¿erftóren müßte,
und die antwortet: „Nun gerade!...”
„Worüber denkſt du fo eifrig nad) ?^ fragte
feine Mutter.
nod) ...?“ antwortete er auffabrenb.
„Sch dachte eben über die Frauen nad.”
„Und was benfjt bu von uns?"
„Ah nur jo... Daß ihr fo... fo mert:
würdig feid. — Aber id) bin ein biBd)en müde
und will ins Bett.“
Er trat an feiner Diutter Gejjel, unb wie
er nun bie Linte um ihre Schulter legte und
mit ber Nechten leicht ihr Kinn emporbob
und feinen Mund faum merfbar länger und
fefter als fonft auf ihrem ruben ließ, fühlte
(ie, daß ein neues Liebesempfinden von ihm
Beli ergriffen hatte.
„— Nacht, Mutter!”
» — Nacht, mein Junge! Schlafredht wohl!“
„Du auch!“
Frau Botglmann blieb nod eine Weile auf.
Und die bingleitenben Fäden ihrer Gedanfen
färbte ein ganz Meines Trépfden Blut und
ein ganz leifer Schmerz, faft als hätte ihr
Sohn ihrem Herzen eine Wunde zugefügt.
Aber dann liefen die Faden weiter ihren
eigenen Weg, verblaßte Erinnerungen bes
lebten fic) in fanftem Glühn, und unter den
Icyweren Hüllen, bie die lange Zeit darüber
gelegt, ertónte fern, ganz fern die Melodie
ihrer eigenen Jugend.
Hans lag nod lange wach, ganz regungs»
los, als fühlte er [o inniger die Küffe, bie
er gegeben und empfangen hatte. Und bei
aller Erregung, in der fein Blut puljte und
jang, erfüllte ihn zugleich etwas von ber
wunderbaren Stille eines gläubigen Menjden,
der eben das heilige Gaframent empfangen
hat. Nur daß diefe glüdjelige Leichtigkeit
und Bereitidhaft nicht bem Sterben, fondern
dem Leben galt.
Dann reilte Annie ab. Gie fdrieb an
Hans gleid) nad ihrer Ankunft, nur wenige
Zeilen, aber der ganze Brief duftete nad)
Veilchen, feinen Lieblingsblumen, die fie im
Bosquet de Julie für ibn gepflüdt hatte.
Cie jdrieb nod) mandes Mal, und er ant:
wortete ihr getreulid), wenn er aud von
dem, was ihn beichäftigte, nur bas wenigfte
mitteilen fonnte, ba die anfommenden Briefe
von ber Leiterin bes Penfionats gelejen
wurden. Mit ber Zeit bejchränfte fid) ber
Briefwechjel auf gelegentliche Lebenszeiden.
Hans wurde von neuen Sorgen in Anipruch
genommen. Gein Examen rüdte heran.
Dann ging er nad) Münhen. Er hatte jid)
darüber jdjlüjjig werden müjjen, was er
ftudieren follte. Wenn er darüber nad)vadjte,
fam er immer zu dem Ergebnis, daß er am
liebften bie Menjchen ftudieren würde. Da
dies aber auf der Univerfitát nicht gelehrt
wurde, jo wählte er das Studium feines
Raters, Jurisprudenz. (Fortjegung folgt.)
Wenn id) in Nächten mandre,
Ein Stern, wie viele andre,
So folgen meiner Reife
Die goldnen Brüder leife.
\/
Wanderung zur Nacht.
Don Klabund
Der erfte fagt's dem zweiten,
Mid zártlid) zu geleiten.
Der zweite fagt's den vielen,
Mid ftrablenb zu umjpielen.
So [djreit' ih im Gemimmel
Der Sterne durd) ben Himmel.
Id) lächle, leuchte, manbre,
Cin Stern wie viele andre.
kal, A OW ROL WC CC IC MIC e
: Neue BilderhanofWriften
Bon Dr. Georg Giejede
( CS (A) C MY ye Ti IC
S$ororoiorototorototorororotorororororororororotororororororototorororororororotorototo
omit mam ES, damit wird
man geftraft. Dian ijt von Kind»
| beit auf eine Lejeratte und fennt
AL. OR leinengroBeren Genuß alsBücher.
: Man begreift den jungen Leffing,
der burdjaus als Heiner Gelehrter gemalt
werden wollte, und man ftimmt Hugo von
Hofmannsthal zu, der den modernen Mens
iden in feiner typijden Gebárde mit dem
Bud in der Hand erblidt. Aber bald wird
ber Biicherlejer zum Bücherfammler, und
damit fängt das Elend an. Es ift natürlich
tlar, daß irgendeine Vollitándigteit felbft auf
einem bejchräntten Teilgebiet einer von Tag
zu Tag unermeplid) wadjenden Literatur
aud) dem umlichtigften und fapitalfraftigiten
Liebhaber nicht vergönnt wird. Doc) ijt die
Leidenſchaft zum Buch nod zu groß, als daß
nicht jeder wertvolle oder wenigitens felt[ame
Zuwachs der Bibliothek mit Freuden begrüßt
würde. Bis dann, oft mit einem Schlage, eine
Überjättigung eintritt. Vian ftebt zweifelnd
vor den langen Bücherreihen unb fragt fic,
was unter ben aufgehäuften Schäßen em Er:
lebnis bedeutet. Monad) würde man fih jehnen
wie nad) einem Gtiid Brot, wenn man plö-
lid) auf eine einfame Infel verbannt würde?
Ad, ein paar Reclambefte würden reichen:
die Slias, der Don
Quixote, der SM
ober Die i
ibel.
Unendlid viel von
dem, was da ge:
jammelt und ge:
ordnet ftebt, wars
tet feit Jahren auf
die gute Ctunde,
wo es gu uns [pres
den darf, und wir
zweifeln, ob diefe
gute Stunde jes
mals fommt. Ja,
man bat Zeiten,
wo man am lieb:
ften Diejen papier:
nen Wuſt ver:
brennte und dem
KRalifenbeipflichtet,
der in der Alexan:
driniſchen Biblio:
thet ein jo luftiges
Feuer von Did).
tung und Gelebr:
jamfeit entfadhte.
Steht niht auf
allen Blättern Die
eine Weisheit, da
alles ganz eitel ift
Und wo viel Meis:
heit ijt, ba ift viel
Grámen Einband zu Will
Saedel: Die Matthäuspalfton‘
Bon Ricard Weber, Berlin
Womit man fiindigt, damit wird man ge-
ftraft. Die allzu zärtliche Liebe zum Bud)
wedt jchließlich ben Widerwillen. Oder fie
madjt uns zu Narren. Man fhilt über den
Snob, ber nur bie foftbarften unb jeltenjten
Werfe fauft, unb nennt ihn heute öfter in
ber Bejellichaft ber neuen Reichen, bie Das:
jelbe tun. Uber es be[tebt ein großer Unter:
Ihied. Der Snob fammelt nicht wahllos
und benft vor allem nicht an eine giinjtige
Anlage feines überflüjligen Geldes. Er tit
vielmehr von der Worten Leidenjchaft bes
echten $tebDabers bejejjen, und wenn er auf
einen fühlen Beobachter lächerlich wirkt, fo
teilt er biejes Ped) mit jedem, der wahrhaft
liebt. Er empfindet auch die größte Qual
des Liebenden: die Eiferjucht, unb fie ijt es
recht eigentlich, Die d treibt, feine Schäße
immer jorgjamer zu jieben. Es peinigt ibn
zu willen, daß er feine Lieblinge mit andern
teilen muß. Daher die Subt nad) feltenen
ertet Ausgaben, nad) modernen Luxus:
druden, nad fignierten und numerierten Exem:
plaren. Und felbjt fie tun ibm im Grunde
nod) nicht genug. Gelbjt wenn er bie Num:
mer 1 von irgendeinem Privatdrud erwijcht
an und auf bie folgenden Nummern mit `
erabtung blidt — fie find da, und er muß
in einem gewijjen
Sinne feinen Beliß
mit ihnen teilen.
Wer des Glaus
bens lebt, bap Lite-
ratur und Runit
eine Angelegenheit
ber Mtenge find,
daß man die Emp:
fanglidfeit und
Genußfreudigkeit
des Durchſchnitts
heben muß, um zu
einer lebendig wir:
fenden Kultur zu
Zommen, wird den
Snob beládjeln.
Aber es ift am
Ende nod) nicht
einmal entjchieden,
ob Bildung Alge-
meingut fein tann.
Und wenn das
möglich
wiünjchens»
wert ift: es ijt nur
natürlid), wenn
ih ber Wider:
pruh bes einzel:
nen gegen Die
Maffe regt, zumal
jest, wo Mehrheit
auf allen Gebieten
17*
959 | PFESSSSSSSSSCSSES Dr. Georg Biejede: seess ZZZ]
entjcheiden will. Man möchte irgendwo und
irgendwie einfam fein, ohne teilen zu miijjen.
Und wer dem Bud) feine Liebe über Die
erjte Stufe des freudigen Sammelns und
die zweite müder Überjättigung bewahrt bat,
der darf fid) zu den bewährten und aus:
ermüblten Liebhabern zählen.
Für fie bat der Berliner Verlagsbud-
händler Auguft Kuhn, ein junger Rhein:
länder, mehr Künftler und Gelehrter als
Kaufmann, ein Bibelwert ins Leben gerufen,
bem taum Ahnliches an die Seite gejtellt
werden tann. Er läßt einzelne Abjchnitte
aus der Bibel, wie etwa die Enthauptung
Johannis des Täufers oder bas Bleichnis
vom barmberzigen Camariter, in einer Folge
von Bildern malen und den biblijchen Text
dazu jchreiben, jo daß eine Bilderhandfchrift
entjteht, bie es nur ein einziges Mal gibt
und die der glüdliche Befiger mit niemand
anberm zu teilen braucht. Wer zuerft Davon
hört, wird denten: da handelt es jid) aljo
nm eine Fortjegung mittelalterlicher Mönchs—
fünfte. Jeder tennt diefe prachtvollen Werte,
von denen fid) einige nicht blog mit farbigen
Snitialen und Dr: `
namenten — begnii:
gen, jondern figür-
lide Darjtellungen
aud) auf ganzſei—
tigen Blätternbrin:
en. Aber jo eins
las at fid) Kuhn
eine Aufgabe nicht
gejtellt. Er will
nidt nachahmen;
er will neue Wege
einjchlagen. r
benft nicht daran,
eine Runjt oder
beffer gejagt: ein
Handwerf neu zu
beleben, das am
Buddrud gejtorben
war. (Er bemüht
fi mit
Riinjtlern
Schreibern um die
Löſung eines Pros
blems, Dem mit jo
bewußter Schärfe
nod) nicht zu Leibe
gegangen ijt: um
die Wereinigung
von Wort und
Schrift. — Dem al-
ten Schreiber fam
es vor allen Din
en darauf an, den
Fort eines Budes
dem Lejer zu vers
mitteln. Davon
tann heute feine
Rede mehr fein;
das bejorgt Der .
Buddrud viel aus
verläjliger. Die
hießen
Es
(1116
gingen Davon
IL
ty
8 begab ſich abe
Fale AaB an Pref =
Text zur gegenüberjtehenden Bildjeite aus dem ,Barmherzigen Samariter‘
Bilder in ben mittelalterlichen Handjchriften
waren eine |dymüdenbe Beigabe, und wenn
jie fih in der Blütezeit farolingijcher und otto=
niidjer Klofterfunft der Schrift mit feinem (es
fühl unterordneten und anglidjen: in den |pá-
teren und prunfvolliten Werten namentlich
des ausgehenden Mittelalters ijt bie Einheit
wilden Wort und Schrift zeritört. Sie
de fid) erft wieder in Der Zeit des illu-
trierten Blodbudes, b. b. bei ben Zeitgenoſ—
jen der Gutenbergijdhen Runft im 15. Jahr-
hundert. Hier wurden Bild und Text auf
einem Holzblod zujammen ausgejchnitten,
und dieje Technik, die Bild unb Buditaben
üuperlid) vereinte, zwang auch zu innerer
Einheit, zumal bie Lettern meijt von dem=
jelben SHolzichneider wie die Jluftrationen
entworfen waren. Gewóbnlid war diejer
Solzjchneider fein jehr gewandter oder gar
flotter Zeichner. Geine Figuren gerieten
ihm edig, die Linienführung war jtarr und
hart gebrochen, wie es das Meſſer im Holz
hergibt. Ter künjtleriiche Ginorud von Bild
und Text war der gleiche. Seitdem mit be-
weglichen Lettern gejegt wurde, wird diefe
all tot
die⸗
Bon Audolf Rod
Neue Bilderhandichriften 253
Einheit in wadjendem Maße zerftórt. Schrift
unb Sluftration wandern getrennte Wege.
Die Type ijt ba und unveränderli. Der
Zeichner oder Maler Ichafft ohne Rüdficht
auf fie, und tiinftlerijd) ungebildete Augen
merten taum den jcheußlichen Abgrund, der
bier tlafft. Ihn zu jchließen, hat man fih
in neuerer Zeit eifrig bemüht. Große Drude:
reien verfügen über eine reiche Auswahl von
Schriften, bie von ausgezeichneten Künjtlern
entworfen find. Wer heute ein Buch illu:
ftriert, wird fid) gunüd)jit nad) der Type er:
fundigen und banad) ftreben, daß feine Bil:
ber und Schmudjtüde fih ihr möglichjt innig
anjchmiegen. Aber jelbjt die lebensvollite
Schrift wirkt ftarr gegenüber der Zeichnung;
weiche Lithographien oder gar malerijche Ra:
Dierungen ftehen in unvereinbarem Wider:
jprud) zur Type, und felbft der Feder:
eihnungen vortäujchende Holzjchnitt, wie
ihn Menzel in bewunderungswürdiger Weile
ausgebildet bat, ijt drudtechnilch ein Unfinn.
Sollen im gedrudten ilujtrierten Buch gute
Wirkungen erzielt werden, muß fich das Bild
der Schrift unterordnen. Je weniger das
Schriftbild geftórt wird, je ruhiger es ift,
Bild zu der gegeniiberftebenden Schriftjeite aus bem ‚Barmberzigen Samariter‘
Dedfarbengemälde von Erich Waste
delto beffer. — Gang anders find Bild und
Schrift in ber Bilderhand|drift zu vereinigen,
und das hat Kuhn richtig erfonnt und feine
Folgerungen daraus gezogen. Hier wird die
Schrift nicht fertig aus dem Geßerfaften ge:
nommen. Der Schreiber fann fie nach Belieben
modeln, und feine Aufgabe ift, fid) bem Dialer
oder Zeichner unterzuordnen. Er vermag feine
Budjtaben ftándig neu zu formen. a es
wird jein Ehrgeiz fein, fid) als nadempfins
denden Künitler zu fühlen, der, von Bild:
und Textinhalt gleichmäßig erregt, feiner
Schrift jeelilden Ausdrud leibt. Der Illu—⸗
jtrator bes gebrudten Buches wird nur in
kerga er und oft quälender Gebundenbeit
eine bildlicen Einfälle ben [tarren Typen
anzugleichen vermögen. Der Schreiber da:
gegen wird gerade Durch die Unterordnung
unter das Bild erft wirklich frei. Er emp:
fängt von ihm den Mut und die Kraft, Die
Buchſtaben aufzulodern, und er genießt bas
nadjidjaffenbe Gliid, ben künſtleriſchen Ein:
drud des Bildes zu unterjtügen. Er wird
nicht bloß wie der gewöhnliche Schriftmaler
durch Farben wirken; er wird, wo es ihm
nötig [deint, bie Buchftaben wandeln, die Sei:
lenführung je nad)
der Stimmung Des
Textes und Des
Bildes ruhig oder
bewegt halten und
jo fein Ziel erreis
chen: eine Beglei=
tung zur Melodie
bes Bildes zu
ichreiben.
Co drüdt fid
Kuhn felber aus
— E
reffli ejag
was er will Der
Weg von Ddiejer
theoretijden Er:
tenntnis der Auf»
abe zur pratti-
den Ausführung
war jchwer und
miibjam, und es
ijt nicht auf An:
a alles geglüdt.
Is Stoff für feine
Bilderhandjdrij-
ten wählte Kuhn
die Bibel. Nicht
nur weil ihre ehr:
würdigen Erzäh—
lungen die Rünler
immer von neuem
beichäftigt Haben
und fie in Der
Fülle ihres Ge-
halts bildlich eben=
Jowenig auszus
[hopien find wie
urd) die Dichtung
oder Predigt. Son:
dern vor allem in
254 pee) Dr. Georg Gielede:
e
Aus der ‚Enthauptung Johannis bes Täufers‘. Dedfarbengemälde von Willy Jaedel
(Im 3Beji von Martin Breslauer, Berlin)
dem richtigen daß die Kunft von
heute mit einer faft mittelalterlichen Ins
brunjt um Gott ringt. Nur weil die große
Menge Gott entfremdet ijt ober fid) aus ver:
blaßten Überlieferungen Bild und Gleidnis
von ibm gejchaffen bat, fiebt fie dem febns
füchtigen Ringen um eine Vertiefung unferes
Glaubens, wie es unjere fünftlerijche Jugend
mächtig durdtobt, gleichgültig oder ſpöttiſch
zu. Der Zukunft wird diejes Gottjuchertum,
diefer Drang nad) dem Gebheimnisvollen,
bem Tiberirdilhen und Rätjelhaften als das
ergreifende Sinnbild einer zerrijjenen Zeit
und eines troftbediirftigen Volkes erjcheinen.
Deshalb wurden für diejes Bibelwerk Künft-
ler herangezogen, Die bie Qual und die Größe
der Gegenwart empfinden und gejtalten, die
die heiligen Gejdichten erleben, als wenn [ie
von heute wären, und fid) in ihrer Darjtellung
durch feinerlei Überlieferung binden laffen.
Die eriten, die Kuhn für feinen Plan ge:
wann, waren Dax 3Bedimann, der in fünf
Dedfarbengemälden die Bejchichte vom ver:
lorenen Sohn erzählte, und Milly Jaedel,
der in derjelben Technik bie Enthauptung
Iohannis des Täufers |djilberte. Das Bed:
mannjche Werk war mir nicht mehr äng:
lid. Nad) Kuhns eigenem Urteil bildete es
nicht viel mehr als einen taftenden Verjud.
Dasjelbe gilt aud) von der zweiten, Der
Taedelihen Handjchrift, aus der wir ein
Bild wiedergeben. Der Prophet fteht mit
warnend erhobener Rechten vor Herodes und
Herodias und mahnt ben Vierfúrften: „Es
ijt nicht recht, daß du deines Bruders Weib
babe|t.^ Gs ift bas zahmite ber fünf Blatter.
Auf den andern ijt dargeftellt, wie Salome
zu Herodias tritt und fragt: „Was foll ich
bitten?”, ber Tanz Galomes, bie Enthaup:
tung und bie Grablegung bes Täufers. Be:
jonders auf dem lebten offenbart fich bie
Kraft Sjaedels in gewaltiger Weile. Ein
Jünger in rotem Gewande, ber das weiße
Leinen um die blaffen Lenden des Toten
ESSSSSSSSSSSesal Neue Bilderhandſchriften 255
jchlingt, wird für jeden, ber ihn einmal fab,
zu den unpergeBlid)en Gejtalten der Malerei
gehören. Aber auch das hier abgebildete Blatt
mit bem mannigfad abgeftuften bedrohlichen
Braun, in bas das falte Blau des Frauen:
ewandes fremd u We ift, wirft ftart.
Man fühlt: das ift der Beginn zu einer Tra:
gödie. Doch fo ſchön die Bilder gelungen find:
das Werk als Ganges ijt nod) nicht vollendet.
Die Schrift von Grete Ratſchitzky, gewiß eine
tüchtige Leiftung, aber den Gintlang mit den
Bildern hat fie nicht ganz gefunden. Gie hält
fid) allzu eng an ihre Aufgabe als gute und
lesbare Schreiberin. In ihren Linien lebt ein
anderer Geijt wie in denen Jaedels. Diejer
ruhige Text ahnt wenig von des Malers
P Mus dem Barmberzigen Samariter‘.
Wucht unb Reidenjchaft. Die Ang
von Bild und Wort ift durch Neutralität
und reine Ornamentierung nicht zu erreichen.
Der Schreiber muB fih dem Künftler treuer
und gleichzeitig charaftervoller anjchließen.
‚St das möglih? Man bat jchlagend be:
wiejen, daß die Handjchrift eines Künfilers
die Re ilt, ob er einen Brief ſchreibt ober
ein Ölgemälde malt. Die Hand fann nicht
anders arbeiten, ob jie die Feder oder den
Pinjel führt. Man fonnte deshalb glauben,
es wäre das Befte, der Maler jchriebe auch
den Text, wenn nicht n Lójung ek Auf:
gabe technilche Renntnijje und vor allem eine
bung erforderlid) wären, woran es dem
Künftler in der Regel fehlt. Hier hat der
Dedfarbengemälde von Grid) Waste ei
256 ESSEN Dr. Georg Giejede: Neue Bilderhandidriften BS=2222223
Runftgewerbler EEN en, und einen
folhen bat Kuhn in bem Offenbacher Schrei-
ber Rudolf Rod) gefunden. Über ihn und
feine Schule werden diefe Hefte fpáter an
anderer Stelle berichten. Hier fet nur foviel
ejagt, daß er fid) vor diejer eigentümlichen
ufgabe als ein Meilter von beweglicher
bantajie bewährt. Was er zu leiften hatte,
ann man vielleicht am beften mit der Tätig»
teit bes Cdjaujpielers vergleichen. Er jollte
mit feinen Mitteln noch einmal jdaffen, was
vorgeſchaffen war, in felbjtändiger Dienfts
barfeit, in allen Einzelheiten fret und dens
me an das große Gange gebunden.
as erte Buch, das Koch für Kuhn [d)rieb,
war der Text zu Wastes „Barmherzigem
Camariter", wiederum fünf Dedfarbenges
mälden. Um dem Lejer einen Begriff von
ber Farbenglut Wastejcher Malerei P genen;
g hier das erfte Blatt farbig abgebildet.
brijtus ſpricht zu bem Schriftgelehrten, ber
ibn fragt, was er tun miijje, um das ewige
Leben zu ererben: „Wie jtebet im Geſetz ges
dirieben ? Wie ltejeft du?“ Die beiden Ges»
talten find in eine vifionáre Landſchaft ges
elt. Ein Meg jchlängelt fid) durch Hügel,
ein paar Palmen, im Hintergrund eine
—— LINE Stadt mit Ruppeln und Mina-
retten. es wie in flüjliges Gold BECH
nur am Simmel ballen ki dunkle Wolfen
über bem jilbernen Mond. Der Herr leuchtet
in unirbilem Glanz. Seine Augen find
durdbringend auf den Heinen, didbäudhigen
unb fabifópfigen Mann gerichtet, ber mit
lelbitgered)tem Wiſſenshochmut auf bas auf:
RE Gejegbud ftarrt. Unfer zweites
ild — es ift aud) das zweite der Hand»
[rift — bringt den Beginn bes Bleichnijjes
Chrifti. Wieder die Straße durch bergiges
Land, aber die Hügel find höher getürmt
und laffen feine rettende Fernſicht offen.
Die dunfeln Wolfen entladen no in Un:
wetter: ein Blig fährt audenb hernieder.
Die Mörder haben den Wanderer überfallen.
Der eine Halt ibn und plündert ihn aus,
der andere |djlügt mit geballter Fauſt auf
den Unglüdlichen ein, der überwältigt in bie
Knie finit. Go weit Waste. Das Bild ijt
bie Hauptſache. Es fragt fid) nun, wie ber
Schreiber feinen Text mit ber Darftellung
des Malers in ang jet.
Unſere einfarbige Abbildung fäljcht leider
ein wenig. Die Schrift, ber dte Farbe fehlt,
wirft zu onn und 3u bart neben bem
tonigen Bilde. Wher das hindert nicht, bie
GER Rudolf Kohs zu würdigen. In
ber einleitenden Zeile bes Abjchnitts zittert
[don etwas von der Erregung bes Kom:
menden. Gie ift nicht ganz gleichmäßig ge:
führt. Einzelne Buchjtaben haben ihren
Halt verloren. Dann Debt die Initiale E
por einem großen, beunrubigenden, weißen
Fled. Die Buchftaben werden zu (Golden
(man vergleiche bas J in Jeriho mit bem
in Jefu). Überall ftarren Cpiben, fangen
Gdlingen. Die Zeiten wanten wie die Ge-
rechtigleit auf Erden. Die Gewaltjamteit
bes im Bilde bargeltellten Borwurfs hat die
Schrift aufgenommen und drüdt fie nicht
minder beredt in ihrer Gprade aus, und
wer die beiden Blätter nebeneinander fiebt,
d den Eindrud einer vollfommenen, ein:
eitlihen Schöpfung. In ber Fortiegung
bes Gleidjnijjes wandelt Rod feine Schrift,
ohne an ihren Brundzügen zu rütteln. Aber
er wird je nad) bem Inhalt der Worte, nad)
der Stimmung der Bilder ruhig oder laut,
maßvoll oder regellos.
Dieje Runft einer ftets bereiten a di
cn ibn aud) nicht sean, als er Willy
aedels vierzehnbilderige Matthäus» Baffion
chrieb. erie pradtvolle Band ijt wohl
er, ber der Vollendung am nádjiten fommt.
— empfindet religiös tiefer als Waske.
ies bereits ſeine Enthauptung SNCI
jtarfe monumentale Züge auf: in der Ballion
zeigte er fih als ber Vieifter eines ungleich
erbabeneren Gegenftandes. Auf dem Dedel,
der ein wë tüd ber Buchbinderfunft ge-
worden ift, leben wir Jaedels Chriftustopf
eingelegt. Dies Haupt voll Blut und Wunden
bat fid) der Riinjtler jelbit gejchaffen. Wenn
man vor ibm nod von Überlieferungen
reden fann, jo fühlt man fich am ebeften an
ühchriſtliche Darftelungen erinnert, wo
er göttliche Heiland mehr als Wundermann
denn als des Menjden Sohn aufgefaßt
wurde. Wher das [inb Antlánge, die nicht
viel jagen wollen und auf bie bie nur bine
generen wird, weil im Urteil vieler das
eue er[t dann Berechtigung hat, wenn es
irgendwie, und fei es nod) do loje, mit ber
Vergangenheit zujammenhängt. Wer bie
Aratt aufbringt, diejen Kopf auf fih wirken
zu laffen, als hätte er noch niemals eine
Darftelung Chrifti gejehen, der wird fih
bald von bem tiefen Ernft diejer mächtigen
Augen, von dem Schmerz bieles |djmalen
Mundes mädtig ergriffen fühlen. tele
unit hat (id) von allen Feſſeln der Tradition
befreit. Gie jchafft, als wäre bie Bibel ein
ganz neues Bud. Und mir will jcheinen,
als bi bas ein jehr ET ER e Beginnen.
Als fünfte Handichrift bereitet Kuhn bie
ER Dein von Hedendorf und Koch vor.
Selbitverftändlich ftellt jedes Diejer Bücher
ein feines Vermögen dar, aber da fie jehr
ernft und im gewöhnlichen Sinn nicht reizend
find, werden fie vor dem Scidjal bewahrt
bleiben, in die Hände faltherziger Progen
gu fallen. Die Bilder find zu weiterer Vers
reitung in Mappen mujtergiiltig wieder:
egeben, aber der Hauptreiz, bas Zujammen:
piel von Illuſtration und Text, fehlt ihnen,
und |o finnen fie nur Dazu dienen, vor
einem größeren Kreije von dem religiójen.
Ernft nnjerer jungen Runft zu zeugen. Die
Handjchriften felber erfüllen eine höhere Auf⸗
abe. In einem verarmten Deutſchland haben
Boa Maler mit monumentaler Begabung auf
dem eng begrenzten Raum von ein paar Bud,
feiten ausjprechen miijjen. Aber bas jchadet
nicht. Die burgundijden Mintaturijten waren
die Vorfahren der Brüder van End.
Wai. Von Helen Fidelis Butſch
Die Erde firahlt! Ihr liebftes Rind, Die Wiefe ladelt wunderlieb,
Der Mai ifs, der Geburtstag hat! Die finftern Sidten wurden froh,
Ein holder, fpielerifher Wind Und jede redt den jungen Trieb.
Roft flühtig durd) die junge Saat. Raftanien blühen lichterloh.
Es rantt fid grün um dürre Zäune, Und ich möcht’ wie die Sinten fihlagen,
Und zart im rofa Blütenfhaum Möcht' fliegen über Feld und Tann;
Derneigt fid) vor der grauen Scheune Jd Fann die Luft ja gar nicht fagen —
Der alte, Erumme Apfelbaum., Gottlob, daf es die Lerdje Fann!
Rein verlorener Tag. Don Criba Spann ⸗Kheinſch
So wie im $rühling ein Reis die fhwellenden Rnofpen entfaltet
Und bei Sonne und Sturm Blätter und Blüten erfchließt,
Weil ja die Stunde des Grünens gefommen, — fo nüte dein Leben,
Und in Freunde und Leið flode der Saft nicht in dir!
Wäreft du felbft gefangen und lägeft in tödliher Krankheit —
Wie der gebrochene Zweig immer nod) Blätterchen firedt,
So entfalte did) weiter, und nimmer vergehe der Tag dir,
Wo du nicht reidjer zur flad)t blüht, als du morgens geblüht !
flieder. Von Ernft Ricarde Mellinghoff `
Der Maifaun Eniet vor feiner Vafe, Jd Eniee zu dem Waldgott bebend. —
€s regnet auf die Büfhe haudjend — — Die Zweige fegnen mid) wie Hände,
Aus übervollem Perlenglafe Die Himmelsfüße läßt vergebend
Fließt Slieder tief, — ` Den Schlaf in mid), — —
Und düfteraufhend Das war die Wende
Tropft über meiner Seele Schleier Der Wintermärhen weiß und blendend,
Ein Atemzug der Sriiblingsfeier. Springen wadjen fü — verfhwendend,
Aquarell von Hans Beyerlein
— ⸗ Y — ——
Werbung. Von Heinrich Lerfd)
Trauerft du?
Schau’ um did), nun bift du ganz allein,
Dater, Mutter find nun nicht mehr dein.
Die Gefhwifter fallen ab von dir,
Schließen zu des Daterbaufes Tür.
Rindbeit ging unà Maddengli¢ dazu,
Leben treibt und läßt dir Feine Rub —
Darum trauerft du?
Romm zu mir!
Sieh, id) hill’ did) ganz in Liebe ein,
Mann und Dater, Mutter will ich fein.
$reund bin id) und Schwefter, mild und gut,
Denn ich weiß, wie Einfamkeit dir wehe tut.
Jd) bin grof und ftill, bin wild und fromm
und fcóblid) leicht zu dir,
Komm zu mir!
Jd) bin fort,
Sieh, id) finge, wenn der Boden unter
meinen Süßen brennt,
. Romm, o komme du!
Singe, wenn mid) Gottes Zorn anrennt;
über aller Welt unà Menfhen Kampf:
gefhhrei
Tónt mein göttli Laden: Jd) bin frei!
Was dein ängftlid Herz mir lang verbarg:
Daf du mein bift, mein bis in das Mart — —
Macht mid) ftark!
Liebling, mir und dir
Gab fid) nun die große, Heine Welt;
Und wir nehmen draus, was uns gefällt.
Sieh, id) brauche dod) nur deinen Mund,
Und du meine Arme febnig und gefund.
Romm, wir find der Menfchen Setteldinge
los.
Wundergärten blühn in unferm Schoß !
Und das Erdenfhidfal, Gottes flartes
Tier,
Will bezwungen fein von dir und mir,
Liebling, dir und mir.
Sieh, die Himmel blau'n unendlich weit, !
Deranab blüht des Waldes brüderlihe Cinfamteit,
Süferklingend tönt der Wald, durdgliiht von grünem Erdeblut,
Heilig wachfen wir mit Gras und Kraut, wenn Leib an Leib darinnen ruht —
— Romm, wir löfen von den Füßen ab der Werkwelt fAlltagsfdyub,
$rudjtbar zeugende Schöpferkraft erneut die Welt in ftillfter Rub.
Braut, o femme, Femme du!
fleues Leben wird!
Sieh, id) bin erneut, bin Adersmann und Dirt,
Scholl’ auf Scholle brad) id), Wiefe blüht, die Frucht
Des Weizens wogt, ein golden Meer in grüner Sudt,
Segnend fiel in meinen Schweiß des Himmels Cau;
Ernte reift aus meinen Händen hod), geliebte Frau.
Frau, für dich fintt Garb’ um Garbe, wenn die Sichel firrt,
Romm, o komme, neues Leben wird.
O, Geliebte mein,
Meine Freunde: Wolken, Bäume, warten dein,
Tauben, die ich zähmte, gurren längt nad) dir,
Dogelruf lodt zártlid) aus dem Laubgewirr.
hirſche äſend unfer Haus umflehn,
Mit den Rehen werden unfere Rinder fpielen gehn...
O — du Fommft?
Nun bring’ id) did) ins neue Land!
Segne meines Herdfeuers heiligen Brand.
Schenke mir mein Glüf aus deiner Hand!
Heut lodt das frifhe Grün Daf das Gras entzündet ift,
Und die Füble Dimmelsbláue Gelb, wie Sonnenblumenblätter.
Alle zu den Birnenbäumen, Seht die RI à i
Zu den Hügeln vor die Stadt. Sei SOR tet oan EES
Awar, die Garten find nod) braun, Springen wie Champagnerpfropfen,
Dod) die Seete find gehäufelt. Und im Sdhilfe regen fid)
Dit und faftig Neht der Laud), Rleine leichte Silberwellen.
Und nad) Deildjen riecht die Luft. Frauen gehn die Uferpfade,
Durd) das Lod) im Gartenzaune Ladheln früher Liebestage.
Scheint die warme $rühlingsfonne, Und auf jener Hiigelwelle,
Die das weite Land erblidt,
Sinnend febt den alten Knaben.
Denn der Weile madt im Frühling
Seine Pläne für das: ganze Jahr.
Kurzes Glüd
Von Frida Schanz
Aquarell von Hans Beyerlein
Erfter Friihlingstag. Von Alfons Paquet
Sie weiß, es kann nicht dauern. |
Sie weiß, daf es bald verweht.
Sie lebt unter feligen Schauern,
Fede Stunde wie ein Gebet.
Sie firablt von Geben und
Güte.
Sie empfindet mit feiner Glut
Das feine Olüd einer Blüte,
Auf der ein Schmetterling
rubt.
Goldregen. Von Karl von Derlepfd)
Halt ein, du hohe Zeit! Ihr goldnen Büſche,
Derfdyüttet nicht das tropfende Sefdymeid’.
Ihe Dolden, düftefhwer in trunfner Friſche,
verſchenkt niht eure Bienenfüßigkeit!
Lihtgrüne Höhn, bewahrt den famtnen Schimmer,
Die zarte Jugend haltet zártlid) feft!
Ihr, in der blauen Luft, geliebte Schwimmer,
Mit Fubelton baut ewig euer Neft!
Ad, bütet euren Himmelsüberfhwang, —
Der Morgen ift fo Eurz — der Tag fo lang!
— Es wird nod) heiß um cure Häupter fein! —
Id) mag der Uhren harten Schlag nicht hören,
Die fremdes Out vergeben reuelos,
Der Glanz der Sernen foll mein Herz betóren,
Und taub und ftumm wird meine Seele groß,
Jd) will nichts Rrantes febn und nichts Gemeincs,
Verhaft ifl mir der Streit nad) Recht und Zunft,
Jd) will in einem Seder roten Weines
Ertrinten meine flerbende Vernunft. —
Und wenn du von Entfagen fprihft zur Stund’,
Mit Rüffen ſchließ' ich deinen ftrengen Mund! —
Es wird nod) beif um unfree Tage fein!
Um Teih. Olftudie von Got Müller-Bernburg
Der Prophet Ses Qtntergargs
Don prof. Dr Rurf Sreyfig
Yur die munteren Stets:Fertigen, die
Nay auf der oberiten Dberfläche der Zeit
(4) bebaglid) plátid)ern und denen die
ck, Addition Expreffionismus, Attivis:
mus, Boljehewismus etwa bie
Summe der Gegenwart bedeutet, wähnen,
d'r Miebldes auf Geift und Willen nun
ion ber zweiten Generation einftrablende
Wirkung Deut erlojchen fet. Bm inneren
Sinn tann davon mit feinem Worte Die
Rede fein, denn feit bem legten Juhrzehnt
bes 19. Jahrhunderts, b. b. feit bem fins
greifen diejer Wirkung fegt in ben Gewäſſern
der Tiefe eine irgendwie individualijtijde
Gegenftrómung gegen den Sozialismus ein,
die ihm vermutlich weit mehr als irgendeines
der Schuß: und Gtauwerte überlieferter
Staatsgefinnung Eintrag getan haben. Denn
von diejen werden unter ben Jtad)wadjen:
ben nur bie nad) rüdwärts Gewandten, d. h.
(don eben nicht die Starken erfaßt, bie aller
SJugendart nad) an fih viel lieber einer
neuen eigenen unbefannten und dod erjehn=
ten Zufunft fih entgegenreden. Es ijt nicht
abzujehen, wieviel halt» und gedanfenlojer
fid) die Zeit dem marxijtijdjen Begehren ber
breit vorwärts [türmenben Wtajjen on
E baben würde, wenn diefe maljtroms
tarte Kraft aus der Tiefe fie nicht auch an
ich gerijjen hätte.
Dod) aud) in einem viel engeren Ginn ift
der Reiz bes Zauberers aus 3aratbujtras
Land nod) nicht ermattet. Alle bie jüngeren
(Siferer, Die mit bem Tonfall fieghafter Uns
widerlegbarfeit vor ihre Zeit bintreten und
ihr auf drei bis jechshundert Geiten aus:
einanderfegen, woran fie frante und welde
Arzenei allein ihr helfen könne, find für den
nicht immer geredjtjertigten Mut ihres Uns
ternebmens, und Wo) SE jede Fügung
ihrer Worte Befeuerte von Nietzſches Gnaden.
In diefe Reihe gehört der neuefte Pro:
phet des gebildeten Deutichlands, der Ver:
tiinder der Lehre vom Untergang des Abend:
landes. Aber Spengler hat vor den meijten
jener 9tie]d)e: Jünger den Vorzug, daß er
über einen großen Belig eigener, wenn aud)
nicht immer ¿uverláfjiger Gedanfen verfügt
und vor allem, daß er zu den Blüdlichen
— oder Unglüdlichen! — gehört, die aud
eine Fülle geijtreicher Einzelbeobachtungen
ober GEinzelerörterungen lediglid) unter bas
Gebot von ein oder zwei jehr leicht faßlichen
$€ojungen zu ‘ano verjiehen. Kommt nun
eine jolche Lojung ben intimjten, wenngleich
gewiß nicht beten Inftintten einer Zeit ent:
egen, wie ¿um minbe[ten bie eine der von
pengler ausgegebenen, und zwar gerade die
das Leben angehende: Marine bejjer als
Dialerei, Technik beffer als Lyrik, Kultur ijt
überjlüffig, es lebe bie Zivilifation — mellen
Mund jo übergeht von dem, wovon das
Herz ber Zeit voll ijt, wie folte dem ber
Beifal der 3ebntaujende nicht ficher fein,
vorzüglich dann, wenn er um diejes der Tat
ac wahrlich nicht neue Ads a zu
Käsen Geiftreiches zu lagen unb in einer
Gre fortreiBenden Weije vorzutragen
weiß.
Man fieht, Spengler fteht in einem bop:
pelten und febr gegenläßlichen Verhältnis
zu Nietzſche: Gebárde und Tonfall feiner
Rede und ein gut Teil ihrer überredenden
Kraft trägt er von ihm zu Lehen; das
Feldgeſchrei, bas er ausgibt, würde feinen
— Verurteiler, keinen unerbittlicheren
ichter finden als Niegjche.
Doh bevor von dem Ziel des Spengler»
[hen Buches gejprochen werden fann, muß
von dem Wege die Rede fein, auf dem er
zu biejem Ziele gelangen will. Ihn tenn:
— die zweite Überſchrift, die er ſeinem
uche gegeben hat: Umriſſe zu einer Mors
phologie ber Weltgejchichte. Bor —
tigen Eet bat Spengler den Bors
zug, p er feiner Lojung ben im Vergleich
viel fejteren Unterbau einer erfahrungs»
wijlenichaftlichen Grundlage gibt.
Dieje Grundlage wird zunädit zu prüfen
und zu werten fein: denn es fónnte fein,
daß ihr ein ganz anderes Urteil ¿uzumejjen
wäre, als dem trónenden Beftandtei. der aus»
egebenen Rulturlofjung. Man wird für ein
olches Urteil Den Boden am zweckdienlichſten
dadurch vorbereiten, daß zunächſt von dem
Stande der Gejchidtsforjdung Bericht er-
5 wird, den Spengler antraf, als er
eine neue Formenlehre der Weltgejchichte
entwarf.
Es fommt Bier an auf eine Gebweife,
bie da bricht mit der ftarren Ordnung des
geihichtlichen Stoffes nad) ber Zeitjolge und
nad) dem Beftande ber Überlieferung. Es
iit vor allem das alte Schema Altertum—
Mittelalter— Neuzeit, das zerbrochen und bets
Jette geworfen werden mußte. Es ift zum
zweiten das Monopol, das dem ganz bes
grenaten weitaliatiich:nordoftafrifanijch-euros
pdijden Rulturfreije nod) von Rante und
unter feinem Einfluß von den meijten Ges
Ihichtsichreibern als dem Schauplag der
eigentlichen Weltgeichichte zugeteilt wurde
und mit dem gebrochen werden mußte. Dran
tann nun ganz gewiß nicht jagen, daß in
Deutichland die Geichichtswiljenichaft, b. D.
bie Bejamtheit ber berufsmapigen Geſchichts—
forjder von biejen beiden Zwängen übers
lieferter Sehweije fic) losgefagt habe. Uber
ebenjowenig bat es an febr ernithaften und
intenfiven Verjuchen gefehlt, einer in beiden
Beziehungen völlig feffellojen und vor allem
von liberliefertem Worurteil befreiten Wn:
262 Prof. Dr. Kurt Breyfig: BESSSSSSSS3S333Z1
ihauung zum Siege zu verhelfen. Darüber
Auslagen zu machen, ijt ber hier ſchreibt in:
| D eigens befugt, als er in immer neuen
nläßen von 1896 bis 1908 bemüht gewejen
ift, in bielem Sinne zu wirfen. Es wurde
guerjt bie europäilche Geſchichte in drei pa:
rallele Reihen, bie griechifde, bie rómildje,
bie germanilcheromanijche, aer[palten und in
jeder von ihr Die Abfolge ungefähr gleicher
Gtufenalter, der Urzeit, des frühen und des
ipáten Mittelalters, ber neueren und ber
neueften Zeit nadjgemiejen. Der gleiche
Grundplan erwies jid) als brauchbar für
eine Einordnung auh aller außereuropäilcher
MWeltgejchichte und jo wurde von 1904 ab
biejer erweiterte Grundriß verfochten und
an den Bau einer ganz übereuropäijchen
Gejbibte ber Menſchheit Hand angelegt,
wenigitens für die Urzeitvdlter roter Rolle,
Es war möglich an einem einzelnen Bei:
Ipiel, ber wadjjenden Gottesgeftalt der Ur:
zeit, Baudhnlidfeiten, von ben Indianern
bes amerifanijden Nordoften bis zu Indern,
Babyloniern, Agyptern, Briechen und Gers
manen, bis hinauf zu der Gipfelgeftalt bes
altjiidijden Jahve nachzuweijen, tm einer
tieferen (Ebene einige Grundformen des
alteften, ee und Gtaat nod) in eines
iehenden Bejellichaftsbildes, des Bejchlechter-
facts von Indianern, Auftraliern, Negern
bis zu Japanern, Griechen, Römern, Kelten,
Glawen zu verfolgen. Eine Fülle von ähn-
licen Erträgen vergleichender Forſchung zu
veröffentlichen, war nod) die Stunde nicht
BE NEN. In anderer Form, etwa in Bors
efungen, find fie feit einem halben Menjchen»
alter mannigfad mitgeteilt worden.
gampredjt, ber bod) burd) die freie und
weite Art feiner Verſchmelzung von Staats:
und QGei|tesgeldjid)te die Durdibneidung
aller, aud) ber ibn ſelbſt noch nicht drücken⸗
den Feſſeln ber gelehrten Überlieferung erft
möglih gemadjt bat, hat h jahrzehntelang
an der Arbeit ber vergleichenden Geſchichte
nicht beteiligt. Aber die deutſche Geſchichte,
die er ſeit 1884 ſchrieb, war ihrer innerſten
Anlage nach inſofern ſchon eine Abweichung
von dem Grundgeſetz der reinen Zeitfolge,
als fie an die Stelle der überlieferten Zeit—
abichnitte eine Abfolge von Entwidlungs:
zujtänden fegt, die ihrerjeits von innen ber
daratterifiert und zueinander in das Ver:
Ee einer wenngleich nicht ganz feft ¿us
ammenbángenden Reihe gebracht waren.
Man wird jagen dürfen, er innerhalb
der Einzelgejchichte eines bejtimmten Voltes
es móglid) war, die Verwendung feiner Ents
widlungsabjdnitte für eine allgemeine und
vetoleldiende Geſchichte vorzubereiten, ijt es
bier geſchehen. Lamprecht 30g hieraus felbft
bie ;yo[gerung, daß er von einem gewijjen
Zeitpunft ab (1902), in den nunmehr einge:
Ichlagenen Weg einbiegend, den Sak auf:
tellte, die von thm gefundenen Entwidlungs:
ufen des deutſchen Volkes feien 45 alle
DIfer bes Erdballes gültig. Dod ift er
über diefe Aufjtelung einer [ehrhaften For:
derung und die ganz umrißhafte 9Inbentung
eines Weltgejchichtsplanes in einer furgen
Abhandlung (1909) niht hinausgefommen.
Merttátigen Anteil an der Arbeit der ver:
gleidjenben Gejcdidtsforjdung bat er nicht
nehmen tónnen: nur eine Vorbereitung auf
bie große Arbeit, ber er feinen Lebensabend
widmen wollte, a er (1914, auf der Leip-
giger Budausitellung) gezeigt: etne Samm—
ung von Lidtbildern au einer vergleichen-
ben Urgejchichte ber Kunft. Bon bem Wert
jefbit ijt meines Wiſſens nichts vollendet
worden: ein an ne nie genug auszu:
tlagender Berluft für die Wifjenfdaft von
der Vergangenheit bes Menſchen.
Die begrifflidd notwendige Krönung aller
Verſuche wahrhaft freier Geſchichtsforſchung
im Ginne vergleichender Entwidlungsge-
jchidte wird immer eine Bejchichtswiljen:
ſchaft allgemeinjter Ebene fein müjjen, die
über den Zeiten und über den Völkern die
Formen des gejchichtlichen Werdens als
Lea feititellt. Der bier berichtet bat
ufgabe und Amt einer jolden Gejchichts:
lebre (1908) umriffen und ift feit Jahren be:
häftigt, den dort aufgeftellten Plan auszu-
ihren, wenn aud) gewiß nur erft anden:
tungs: und verjuchsweile. Yamprechts ijt aud
in Diejem Zujammenbang zu gedenfen; im
Borbeigehen hat er doch aud [hon Aufgaben
diejer Art angeriihrt: jein Berjuch über die
Mechanik der Übergangszeitalter zu handeln
(1905), ſtützt fid) nod) taum auf eine breitere
Grundlage als bie deutjche Gelchichte ber
Gegenwart und wird aud jchwerlih in
jeinem Sinne weiter a werden, da
in Den — einer Wiſſenſchaft kein
Forſcher auf das Königsrecht einer Arbeit,
ſelbſt das Geſetz zu finden, verzichten wird.
Aber aus der Geſchichte der Geſchichtslehre
iſt dieſer Verſuch ebenſowenig fortzudenken,
wie der älteſte und erlauchteſte dieſer Art:
der den Hegel machte, um für den Übergang
von einem zu dem anderen der Stufenalter,
bie er feinen (Get ber Menjchheit durch»
[reiten ließ, Regeln aufaujtellen.
Mor biejen Bejtand wiljenichaftlicher Er:
fenntnis oder jagen wir richtiger Erkenntnis»
ftrebens war Spengler gejtellt, als er fein
Bud [brieb. Wer an bielem Forjdungs:
freie Anteil nimmt, iff gejpannt zu ver:
nehmen, in welches Verhältnis der Verfajjer,
der bie Lójung einer jo großen Aufgabe [Hon
auf dem Titelblatt feines Wertes vorjieht,
zu diejen Ergebnijjen tritt.
Die Antwort, die Spengler felbft auf diefe
ftille Frage zu erteilen nicht müde wird, ijt
Dod) erjtaunltd). Er beginnt fein Werk da:
mit, dak er gütig lächelnd erklärt, mit biejem
Gegenftand babe fid) bisher — leider und
unbegreiflicherweife — noch niemand befaßt.
Wiles aljo was im Sinne einer —
den Formenlehre des geſchichtlichen Werdens
gearbeitet worden iſt, erklärt er für nicht
vorhanden. Dies getan, ſetzt er zunächſt aus:
einander, die alte Einteilung ber europäiſchen
Gejdjid)te in Altertum, Mittelalter, Neuzeit
ESSSSSSSSLESLA Der Prophet des Untergangs BS333338334 263
jet überlebt und aufzugeben, zwilchen ber
griedhijd-romijden und ber neuen europát:
ſchen "pe OMM be[tánben bedeutende Paral:
lelen, eine Reihe gleichbleibender Entwids
lungsalter müjje für alle Rulturvólter, aud) die
außereuropäijchen, feſtgeſetzt werden, es müſſe
eine von bem ftarren Gejeg ber Zeitfolge
befreite Morphologie der gejchichtlichen Zus
ftände, aljo der Entwidlungsalter, gefunden
werden. Und jo fort. Vian fiebt, ber Ver:
fajjer wird nicht müde, Iángit an oder
wenigjtens geltend gemachte Befistiimer ber
Forſchung als en Entdedungen feines
Geiftes vorzulegen. Man wird jagen dürfen,
diefe in Wahrheit [hon vorhandenen Auf:
jaflungen bilden den Grundjtod feines Wer:
es, vor allem deswegen, weil fie auch Die
Unterlage für die von ihm aufgegebene Les
benslojung ijt: Verzicht auf Kultur, Ausbau
einer möglichſt medaniftijden Zivilijation.
Quisquis praesumitur bonus...
Us liegt nicht ber leijefte Anlaß dafür
vor anzunehmen, daß Spengler hier geiftige
Abhängigkeiten, von denen er weiß, abjicht:
lid) verbirgt. Es pe móglid), daß die ent:
[d)eibenben älteren Erfenntnijje durch einige
der taujend möglichen Randle des Ge|prádjs,
bes Jeitungsaujjabes ober jonftwie gu ihm
gelangt find und von ihm, wie eigene, weiter
benu&t und geformt find. Es ilt jchließlich
aud) möglich, wenngleich am wenigjten wahr.
icheinlich, daß er fie alle wirklich auf eigenem
Wege und jo wenigitens für jid) neu, wenn
aud) für die übrige Welt einigermaßen post
festum entdedt bat. CErftaunlid an dem
gangen Borgang ift nur die Jtaivitát feiner
erfündung, wie urlprünglich unb — neben:
her — wie unermeßlich bedeutend dieje Ent:
dedungen feien. Wäre Spengler ein Forſcher
— was er gewiß nicht ijt — fo müßte man
von befremdlicher Unwifjenheit in biejem
Betracht |predjen. Da er dies weder ijt nod)
fein will, jondern halb Liebhaber, halb Ro:
pernilus — bas ijt der ihm geláufigfte von
ben Ebrentiteln, mit denen er fih felbft,
häufig genug, bedentt — jo mag er als
oberjtes Gejeg feines Tuns für fid) in Ans
jprud) nehmen, daß er nur zu willen braucht,
was ibm zu wijjen Luft mad.
Zulegt geht uns andere der ganze Sad):
verhalt taum an, [o wenig wie die Bejchmads:
richtung, aus ber heraus Spengler fid felbft
und fein Wert feinen Lejern in immer neuen,
immer lauteren Fanfarenjtößen anzupreijen
bedacht ijt. Gefällt es ihm, Gedanten, die
lángit vor ihm gedadjt worden find, als
Groptat feiner benferijd)en Schöpfertraft aus:
zurufen oder unablájitg fid) feinen Leſern
anzurühmen, fo ijt bas legten Endes feine
Angelegenheit und fein Schaden. Ein öffent:
liches Snterejje be[tebt nur daran, daß diefe
unerfreulichen Formen literarijcher Gebärde
nicht noch weiter nadygeahmt werden.
n Ausführungen und Ausfúllung ber
angedeuteten Grundgedanfen in Spengler
mit unbezweifelbarer GSelbjtändigfeit vorge:
gangen. Wher, mich diinft, hier wird bas
taum bingunehmen, ijt bie Zuweijung a
Bild eher nod) unerfreulicher. In den ver:
gleichenden Tafeln zur Weltgejchichte, in bie
Spengler eine jehr überfichtlihe Zujammen:
fajjung feiner vergleichenden Formenlehre
eingeordnet hat, ijt ein Brundftod der Ver:
gleihung gwifden alt: und neueuropäilcher
Beichichte unumitóBlid, aber er ift Tediglich
Ausführung der Spengler nicht eigentiima
lichen Grundgedanfen. So wenn griechijche
und germanijch-romanijche neuefte Zeit ein:
ander im einzelnen angeglichen werden. Aber
Spengler ift E bereit, auch bier durch die
ganz unbeberr|djte Willfiir eines bilflofen
Rolleftivismus allen Eindrud zu zerftóren.
Er Dellt Luther, Zwingli und Calvin mit
ber Dionyjosverehrung und den orphijden
Dienften auf eine Linie. Luther und Dio:
nylos: ich glaube bier ift der Grengpuntt
Dellen, was menfdlide Kreatur nod) angu-
hören erträgt, erreicht, ober im Grunde über:
— Hier beginnt ſchon die körperliche
belkeit als Reaktion. An dieſer Stelle wäre
es Herrn Spengler zuträglicher geweſen, die
Nichtoriginalität ſeiner erſten Gedanken noch
etwas länger feſtzuhalten: er hätte dann
leicht lernen Tonnen, daß wenn man ben
unmißdeutbaren Anzeichen der ſtaatlichen
Entwicklungseinſchnitte folgend, die Grenze
zwiſchen altgriechiſchem Mittelalter und alt—
ie d euzeit etwa bei 510 fegt, b. b.
ei dem (Ende der athenijchen Tyrannis,
dann bie myſtiſchen Dienfte unb Anſchau—
ungen fic) richtig als |pátmittelalterlid) bar:
ftellen und innerhalb des neueuropätjchen
Weltalters mit Vieifter Edehart und den
Geinen vergliden werden miijjen. Se
dann jpiegelt fic) in bieler Zuordnung no
aller (Gegenja& hellenijcher Heiterkeit und
Ginnenftärte zu germanijcher traumtiefer
Wucht, aber diefer Gegenjas ijt das Über:
verftandesmábige,das die beiden geiltestiefiten
Boltstiimer der Menſchheit durch Abgründe
trennt; eine Kluft, bie feinem diejer begrifis:
mäßig abgepaßten und deshalb an jid) me:
chaniſchen Ordnungsverjude zu überbrüden
oder gar zu perjteden möglich oder nur ver:
ftattet fein fol.
Ein minder greller Mißgriff, bod) an le
er
irgendwie glaubensmäßigen, auperverftandes:
EES Regungen ber Kaijerzeit an eine
von pene rledthin fingierte arabijche
Frühzeit. Bon allen anderen Unmöglichkeiten
abgeleben, wird hier die Gleichung Plotin
leid) Meifter Gdebart herbeigeführt, die in
Bo unzuläjlig ift. Spengler ver|d)üttet hier
einen ber wertvolliten Erträge ber verglei:
henden Weltgejchichte bes Glaubens wieder:
die Erkenntnis, dab bie dritte Myſtik einer
neuejten Zeit, für bie Plotin den klaſſiſchen
Fall, Börres, Rohmer und die anderen auf
unjerer Ceite, in ber neneften Zeit bes ger:
manijdjen Weltalters den Beleg darbieten.
Un fid) fein Wunder, da ja Spengler von
ber erjten Myſtik, ber ber Urzeit, bem tiej[ten
Brunnen aller Glaubensitröme bis an un:
lere glaubensihwachen Zeiten hinein nicht
264 ESSSESSSSESS3I Prof. Dr. Hurt Breylig: B=223233333333333
bie leifefte Runde hat. Uber Meifter Eder
bart mit Plotin zu vergleichen ift ebenjo
weile, als wollte man Homer mit Jordans
Nibelungen zujammenftellen oder Tauler mit
Shelling, .
Bei der Anlage feiner griechiſch⸗germani—
SCH Gtufengleidjumgen in ber Meihe der
taatliden Entwidlung wird Spengler, fei
es burd) unbewußte Einwirkung älterer und
Jicherer Forjchungen, fei es Durch die minder
leicht zu mißdeutende Miderftandstraft ftaat:
lich:gejellfchaftlicher Gebilde vor ben ärgiten
SRerjeblungen bewahrt. Tak fein Hammer
gleichwohl oft genug dicht neben bem Kopf
des Jiagels niederjährt, läßt fih ibm den:
nod) leicht genug nachweilen. Go entgeht
ibm bie völlig ungezwungene Zuſammen—
ge örigfeit ber beiberjeits jpätmittelalter:
iden Tyrannisverfaffungen von Stadtitaas
ten im alteuropáijben Griechenland Dort,
im neueuropäilchen Italien bier, und er ge:
langt zu der ganz unmöglichen Angleichung
- von Richelieu, Wallenjtein und Cromwell an
die griechilchen Tyrannen. Weder bas Haus:
meiertum des einen, noch das erftrebte oder
erreichte Rónigtum der beiden anderen Dat
mit den Baueigenſchaften ber Tyrannis aud
nur bas mindelte zu jchaffen. Zuweilen aber
verwirrt Spengler aud) die großen Kultur-
anteile von Griechen bier, Germanen dort
auf bas grunbjáblid)tte und unerträglidhite.
Co wenn er in jeiner überaus pomphaft
auftretenden Diatribe auf den apollinijden
Grundzug bellenifjber, ben faujtijd)en ger:
manijcher Geijtigteit an zweiter und inner:
lid) bedeutendjter Stelle als Eigenbeſitz bes
germanijden Glaubens die fatbolijd): pro:
tejtantijche Dogmatik anpreijt. Vielleicht greift
Herr Spengler zu einem Hilfsbuch für den
Religionsunterridt auf den höheren Gym:
najialflafjen und überzeugt fih dort, daß
jene Dogmatif im Jabre 430, dem Todes:
jahre Auguftins, in allem Wejentlichen ihrer
Beitandteile vollendet war. Haben die Vater
der vier friihdrijtliden Jahrhunderte viel:
leicht Faujtens Geift vorweggenommen ?
Ganz untlar und verjdwommen bleibt
bei Spengler das Berbáltnis ber altrómi:
Iden zur altgriedjijden Entwidlungsreibe.
Er überjieht völlig den Parallelismus ihrer
einzelnen WBegjtreden, der, wie begreiflich,
nod) viel enger und ftrenger ift, als alle
Bleichläufigfetten griedjijdjer unb germani:
ier Cntwidlungslinien. Seine Tafeln
ſchweigen von ber Beiltesgejchichte ber Rö—
mer — aus leicht erratbaren Gründen —
ganz, übergehen, aus innerlich unerfindlichen
Gründen, alle frühen Entwidlungsalter der
Römer und laffen von bem — für Rom
ganz unerheblichen — Zeitpunft der Erobe:
rung Griechenlands ab bie griechilche Ber.
Ihichte ftilljchweigend in bie rómildje übers
geben. Mit welchem Recht?
Vollends ins Bodenloje gerät Spengler
mit feinen außereuropäilchen Parallelen.
Schon die Gleichung zwijchen der Ausbildung
des olympijchen Götterfreijes und den erjten
drei Jahrhunderten des Chriftentums ift nur
möglich bei [djledjtbin unerträglicher Bers
tennung des greijen|páten Grundwejens aller
paulinijden und nacdpaulinijdjen Lehren,
b. Db. von den Evangelien ab aller Schriften
des Neuen Teftaments. Einen ebenjo frarfen
Widerjinn enthält bie Gleidjegung gwijden
Mohammed und — man traut jeinen Augen
nicht — den englijden Buritanern von 1620
ab. Der febr augenfällige Zug verftandes=
dürrer Nüchternheit in Mohammed und feinen
yolgern tann bod) diefe in Wahrheit un:
emein oberflächliche Zuordnung nicht redt:
ertigen. Räme es Darauf allein an, jo fonnte
Spengler nod) mand Bolt auf Erden in dies
SBuritanerjad) einräumen: 3. B. die Chines
jen bes Ronfutje. Völlig miBgriren ijt die
nee lung der indijden Geſchichte. Noch
bie Lehre Buddhas trägt alle entjcheidenden
Ctufenmerfmale mittelalterlicer Myſtik an
fih, ganz abgejehen von bem ebenjo mittel:
alterlidjen Staats- und pele bay nee
des damaligen Indiens. Dem Gehen Spengs
lers aber erjcheint Buddha als eine Gejtalt
von Rang und Art des 19. Jahrhunderts.
Doh wird auch biejes Wahngebilde noch
übertroffen durd) die Behandlung Ägyptens.
Hier feiert Spenglers fröhlich und jorglos
fabulierender Dilettantismus Gaturnalien.
Die ägypt he Geſchichte, die zwar ähnlich
wie die ihr in mandjem Betracht nahe dt:
nejifde, in der Reihe ihrer ftaatlihen Ent»
widlung mehrere, wie id) fie zu nennen vors
geſchlagen babe, faljche Mittelalter aufweilt,
trägt bis qu ihrem Ende unter dem Jod)
römiſcher Weltherrichaft ben unverfennbaren
Stempel ber Altertumsftufe, ber archaiſchen,
d.h. etwa mykeniſchen, etwa farolingijden
und jedenfalls afinrifd) : babylonijd : cinefis
iden Dejpotie. Epengler aber bringt in thr
alle Entwidlungsalter, die nur Griechen,
Römer, Germanen, Romanen Durchlebt
haben, unter. Er jet von 1788 bis 1180
vor Beginn unjerer Zeitrechnung eine Zeit
der Revolutionen und des Militärregiments
an, bie der großen franzöſiſchen Revolution
ent]pridjt. Der Lefer hat das Gefühl, daß
er von Blüd zu jagen bat, wenn Epengler
nicht aud) nod) einen ber Pharaonen biejer
Zeit, etwa Neferhotep I. mit Rapoleonmasfe
als Imperator auftreten läßt. Ter Pyras
mibenbauer 9tamjes II, Debt nicht etwa mit
dem 19. Jahrhundert auf gleicher Ebene,
jondern erft um 2200 wird bas heutige
Europa ben Zuftand feiner Zeit erreichen,
Höher tann der Aberwig nicht getrieben
werden; Spengler erreicht bier ben Liefjtand
eines mijjenidjajtltd)en Wigblattes und mabt
aus dem edlen Amt vergleichender Menſch—
beitsgejchichte ein Epott: und 3errbild. Am
erjtaunlichiten ijt vielleicht, daß er feine deli-
rierende Bhantafie auf jo dürrer Heide um:
herirren läßt. Denn er felbft wird faum be:
haupten können, daß aus diejen langweiligen
Konftruftionen aud) nur ber geringfte Er»
oe zu erhoffen iit.
ie deutſche Lejerwelt aber hat eine Feuer-
älde von Prof. Hans Purrmann
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Ramen des Nichnlos miro man ohnehin nur dome
aM ami vom
Wie abet fot nn Wine:
Heller Dürfen.
266 IESSE) Prof. Dr. Rurt Vrenfig:
Schidjal aufrechterhalten, ohne bie ganze
ülle feines Melt= und Götterglaubens.
Ware es nicht leere Bofe, bie eine ohne den
anderen zu verlünden ?
Und was heißt nun überhaupt Schidfal,
als Schlüſſel für bie Grfenntnis gejchicht:
lichen Werdens? Es birgt unter bem Vian:
tel einer literarifch, ja Dm äfthetijch wir:
tungsvollen Benennung im Grunde nichts
nderes als den fablen Verzicht auf jede
tfenntnis bes inneren Merdegangs menfd:
lichen Gefdehens. Der nüchtern»elementare
Dejtriptivismus einer nur chronikaliſchen Ge:
Ihichtsichreibung triumphiert. Denn wenn
der Forſcher né damit begnügt, alle Er:
Härung der Schichtung des Völker- und
Menſchengeſchehens als Schidjal, Fügung
binzunehmen, wird er unzweifelhaft am
gweddienlidjten fid) darauf bejchränten, zu
ermitteln, wie die Dinge eigentlich gewejen
find, nie aber danad) forjden, wie fie ges
worden find.
Wozu aber, fragt man, dient bei ganze
mübjam, wenn aud SC und chief ge:
nug ¿ujammengetlitterte Gtufenbau von
Gpenglers eigener Lehre? Wenn alles
Menſchen-, Wolters, GStaatenihidjal bod)
nur duntel unerflárlidje $yügung ijt, wozu
dient Dann bas Aufjuchen von Stufenähn:
lidjfeiten in dem Bau der Einzelgeichichten
der Völker, wenn bier nicht ein gang ans
deres, und in irgendeinem Ginn begrifflich
PEE Drdnungsprinzip porausgejebt
wir
Hier flafft ein Abgrund in Spenglers Bes
weisführung, über ben es feine Brüde gibt.
Gr offenbart das innerjte Wejen feiner or.
Ihungsweije: feine unjicher taftende Hand
reift nad) allem Schimmernden, was ihr
im Augenblid gefällt. Zuerft ift es der Gee
dante der Gtufung, der ein im tiefiten
Grundjak erfenntnismápiger ift. Dann ijt
es wieder bas Duntel:lUnbeftimmte des
Shidjalbegriffes, das ibn Iodt: ein gänzlich
Strationales. Er vergibt ganz, daß er mit
feiner Annahme alles bis dahin in feinem
Buhe Aufgebaute preisgibt, ja verleugnet.
Die Zahl ber fenngeidnenden Wterfmale bes
wijjenjchaftlichen Dilettantismus in Gpeng:
lers geijtigem Bild wird hierdurch erfüllt.
Die Kerneigenichaft, bte ihnen allen ¿us
grunde liegt, eine hochgradige Unfabigteit,
die tragenden Begriffe tlar zu umreißen und
ftetig feitzuhalten, tritt unúbertroffen deut:
lid) an btejem Ort zutage. In dem Geſetz,
bas nur der Natur gufommt, liegt, jo er:
Härt Spengler die Notwendigkeit bes Mathe:
matijden, in bem Scidjal, bas die Ges
Ihichte beberrjd)t, bie Notwendigkeit des
Tragiichen. Tod) unmöglicher tann man den
Gedanten nicht von einer Begriffsebene auf
eine andere, Die zu ihr in durchaus feinem
Verhältnis der Zuordnung ftebt, fpringen
lajjen. Man bat oft und mit Recht über
Hädels Atomjeele als bem Gipfel heutiger
Begriffsverwirrung gejcholten; hier wird er
nod) übertroffen.
Und mögen bie Taufende von Spenglers
Refern, von feiner — Guada vers
führt, über dieje und hundert andere Un:
möglichkeiten binweglejen, es ift unnötig,
weil an fich Har verhändiich, einem Denfen-
den auseinanderzufegen, was an Ddiejer
Gegeniiberfegung fali und jchief ift. Ein:
mal aufmerfjam gemadt, wird cr es allzu
leicht finden. Miejo it Geſchichte tragijd,
wodurd) wird Geldjidjte aud) nur als unter
dem dramatijden Gejeh ftehend erwiefen
unb gelebt den Fall, dies wäre möglich, fo
erwädlt bie Frage: und wenn in den Ges
feben der Tragödie, des Dramas Folge-
ridjtigfeit waltet, fann fie eine andere fein,
als die derjelben ving Weu aus der alle
Mathematik erfliegt? SHeillofe Sulammen-
wirrung von Begriffen im Vordergrund, eine
leere petitio principii im Hintergrund, das
ijt der Inhalt diefer jchillernden Sprache.
Ganz ftumm bleibt aud) in Spengler die
Stimme bes forjderlicen Bewiljens nicht.
Er ertlárt einmal, wi ein Geſchichtsforſcher
um [o bedeutender ijt, je weniger er ber
eigentlichen ell Lol aft angehört. An diefem
feinem eigenen Maßſtab gemejjen, ift Speng»
ler ber bebeutenb|te Gefhichtsforfher nicht
der Gegenwart nur, nein aller Zeiten. Und
bas ift ja wohl aud feine Meinung. Ein
anderes Wtonumentalwort Gpenglericher
Prägung lautet: Natur fol man wijfens
Kg: traftieren, über Gejdidte fol man
dichten; alles andere find unreine Lófungen.
Wem follte, nad allem zuvor Gejagten, an
Gpenglers Dichterjendung in bielem Sinne
nod) ein Zweifel fommen und ich glaube,
bie Forjdung hat feine Urfache, feinem Ab»
gug in das Lager der Dichter gram zu fein.
ur erhebt fih die doppelte Frage, werden
die Dichter ibn willlommen heißen und zum
weiten: wird irgendeine Inftanz des Getftes
penglers dichtende Willenjchaft, bie weder
an Tatjahen noch an Gebote der Begriff:
lichkeit fih binden will und bod) Erkenntnis
u E behauptet, als reine Löſung aner:
ennen
88 8
Zulegt ijt traurig, was bier von Cpeng:
ler bem Forſcher gefagt werden mußte.
Denn in Wahrheit tritt er bod) als folder
auf, und alles, was er von notwendigem
Dichtertum jagt, ift wie jo vieles bei thm
bloße Redensart. Ein Mann glánzender —
wenn auch niht urjpriinglider — drifts
ftellerifcher Begabung — an a rope
Geltenbeit im Siffenkhaftlichen Deutichland;
dazu eine Geiftigteit von wundervoll leich-
tem Maelen weitreichender Zujammenhänge,
ein Überjchauer und Zufammenjeger hohen
Ranges, dies eine nod) viel jeltenere Gelten-
heit in unjeren Tagen einer jchwer geriijte-
ten aber jeltjam engen Gelehrjamfeit; ein
Forſcher endlich, ber darin allen heutigen
und allen früheren Bejchichtsichreibern über:
legen ijt, daß er über ein beneidenswertes
aB von matbematijdjen Kenntnijjen ver:
fügt, ein MBorzug, der ihn in den Stand
Der Prophet bes Unterganges B3333333334 267
lebt, die Mathematik früherer Entwidlungs:»
alter mit einer Sicherheit in Gtufen zu
ftaffeln und fie den Entwidlungsaltern
des allgemeineren Erfennens zuzuordnen.
Und ein (Get, in dem fo viel eigen:
tümlihe Befähigungen zujammentreffen,
verfpielt den gar nicht gering angujd)lagens
den Vorteil, den die Geldjidjte ber Geſchichts—
forfdung aus ihm ziehen fonnte, zum aller:
größten Teil, nur weil er nidt das Maß
von Geduld und notwendiger Gelbftzucht
aufzubringen weiß, um den Früchten feines
Baumes Belt gum Wahlen und Reifen au
iter und weil er es vorziebt, den literas
rilchen Effekt über bie wiſſenſchaftliche und
das heißt pod eu bie tiefere geiftige Wir:
fung zu Wellen, Und Diejer eft jollte
bod) gerade ihm wabhrlid) zu billig fein,
weil er ihm aud) dann zu Gebote ftehen
würde, wenn er feinen Weg in viel Dieb-
Ger und jdwererer Rüſtung angetreten
ätte,
Uber bie Wilfenfchaft und die Erfenntnis
find ftandfefte Körper, die [hon gefährlichere
Angriffe ohne allen dauernden Schaden über:
ftanden haben. Gie werden, was aus ber
Reibung mit Spenglers [chweifenden Ge:
danfengángen und noch mit feinen tr:
tümern an MBorteil zu gewinnen ift, fid)
ajjimilieren unt einverleiben, und alle jeine
Wahngebilde [dell genug wieder auss
ſcheiden.
Uber es ift nod) eine zweite Anklage, dir
gegen Spengler erhoben werden muß. Gein
ud will ja niht allein Geſchichte fein,
jondern aud Prophezeiung und, mehr, ein
großer Sebensbeje an die Zeit: diejen Weg
in bie Zukunft folt ihr wählen. Den Über:
gang zu Deler Sendung, die er fic) jelbft
erteilt, babnt fid) Spengler durch ben An:
jprud, ben er für feine en sung
erhebt, daß fie auch Philojophie fei, un
zwar, da Spengler ungern andere als die
lautejten Worte ausfpridt, die einzige heut
mögliche Bhilofopbie. Mit welchem Necht,
bleibt von Spengler ungejagt, und für feine
Lejer vollends unerforihlih. Bisher vers
fand man unter Pbhilojophie bie Lehre vom
Gein und vom Sinn der Welt und von den
Mitteln, fie zu erfennen. Zu diefem Kern
alles Erfennens aber dringt Spengler gar
nicht vor: immer wieder und wieder gibt er
bódjit problematijde Deutungen der Menſch—
heitsgeichichte, fajt immer ebenjo beftechlich,
wie War Ze o a Wenn Spengler die Au:
Benwerfe der enntnislehre berührt und
etwa behauptet, die erfte und zweite Dimen:
on jet eine Gade der Empfindung, die
ritte aber ein Gegen[tanb ber 9In|djauung,
fo jcheint mir Laten das ebenjo finbbaft-
bilettantijd) und unfruchtbar wie etwa bie
Unterjcheidung des ewig gewordenen Raumes
von der ewig werdenden Zeit. Doch miij-
len bier zuftändigere Rihter urteilen.
Die Lebensverfiindung, um derentwillen
Spengler feinem Bud bie jchwarzgallig:
büjtere Aufjchrift gibt, bat mit diefem Um:
weg nidjts zu ſchaffen. Sie fteigt unmittel:
bar aus dem Gtufenbau der europäijchen
Gejdjidjte auf, auf dem Spengler all feine
Gefdjiditsforjdjung aufrichtet.
Es ift bie Vorftellung, daß unfer Welt:
alter, bas neueuropátide, wie id) es au
nennen gewohnt bin, heute die Wegjtrecde
erreicht und von ihr aud [Mon einen erften
Abſchnitt ge hat, den in der Ent:
widlungsreihe der Römer, Spengler be:
Bauptet der Antife überhaupt, die Kaifer:
zeit barftellt, Und weil mit ihr das Ende
der römiſchen Rulturmelt gefommen war,
jo folgert Spengler, ift unjerem WBeltalter
ebenfalls bas Ende gefommen. Neu ijt aud)
diejer Gedante nicht: der hier Bericht er:
ftattet, bot 1900 in ben erften zwei Nume
mern des Hamburger Lotjen alte und neue
Symperialismen verglichen und in diefer Ge:
dantenfolge die Frage aufgeworfen: ob nicht
aus dem Tatbeftand der bier fic auf:
drángenden Parallele auf das Herannahen
einer Bölferdämmerung auch für unjere
Rulturwelt zu jchließen ei. Dieje Frage ift
damals verneint worden; Spengler, der fie
nun nad) einem halben Dienjchenalter von
neuem erörtert — felbjtverftindlid) nicht
ohne neue iyanjaren|tóBe ob ber Außer:
ee ei diejer geiftigen Leiftung — bes
jabt fie.
Man könnte meinen, an Mein und Ja
fei bei einer Frageftellung, auf die die Ant:
wort ehrlicherweije nichts anderes darjtellen
tann, als einen eriten taftenden Verfud) ber
Ausziehung von Linien der Vergangenheit
in bie Zukunft hinein, nur im theoretijchen
Ginne gelegen. Spengler aber hängt bie
ichweriten Gewichte einer Umwálzung alles
Rulturwillens unjerer Zeit an diefe Ent:
ideibung. Alle die feltiamen Lofungen, bie
er ausgibt unb von denen [bon die Rede
war, daß es jebt an der Zeit fei, aller Kul»
tur den Abjchied zu geben und einer über:
wiegend technifch-mechaniitilchen Zivilijation
mit Abjicht und Hingabe allein nod) Tür
und Tor zu öffnen, gründet er auf die Rid):
tigkeit Dieter feiner Hypotheſe.
Daß es um eine folde fih handelt, Das
für geht Spengler offenbar gana das Bes
wußtjein ab. Denn da er aud) im einzel:
nen weit mehr bas für wahr und alfo aud)
eihichtlid — auf deutich geichehen — zu
alten geneigt ift, was ibm in bie augen:
lidiid) bevorzugte Sicht feiner Geldjidbts:
behauptungen zu pajjen jdjeint, als was für
ihn, geichweige denn, was für andere er:
weislich wahr, d.h. alfo fozujagen wirtlid)
gelthehen ift, Jo wandelt jid) ihm, was Vermu—
tung iit, jogleich in Wirklichkeit.
Da aber, wenigitens in Spenglers Ver:
bindung, die nur allzu aufmerfjam aufge»
nommen worden ijt, von der Gicherheit
diejer an fih wiſſenſchaftlichen Schlußfolge—
rung jo lebenswichtige Forderungen abges
leitet werden, fo muß gerade diejes Glteb
Sc Beweistette um jo gewillenhafter auf
eine Feſtigkeit nachgeprüft werden.
IS
268 Prof. Dr. Rurt Brenfig:
Eine
rage ijt es, mit deren Beantwor:
tung Die nth
djeibung fällt. Der hier jchreibt,
ift nicht im minbejtens geneigt, bie Gleich:
Yäufigleit Der alt» und der neueuropäilchen
Entwidlungsalter angujedten, um jo weniger,
als er fie felbft, nur vor zwanzig Jahren,
behauptet hat.
Aber warum in aller Welt folgt aus ihr,
Dak unjerem Rulturfreis bie gleiche Vólter:
Jämmerung droht wie der Antike?
Ganz ebenjo, wie Spengler heute tut,
habe id) 1900 die Möglichkeit ins Auge ae:
faßt, daß bier der Anfang von einem Ende
erreicht fein fónnte. Wher id) habe ihon
damals es als frivol bezeichnet, hier Einzel:
prognojen aufitelen zu wollen. Und id)
habe gegen die allgemeine Diijtere Folge—
rungsmöglichfeit vornebmlid eine Gegen:
beobadtung geltend gemacht, bie jchwer ge:
nug ins Gewicht fällt: daß bie anti-imperta:
lijtiide Gegenbewegung unjerer Set jo
unvergleichlich viel ftárter fet als vie Der
riechiichen Spät», der vómijd)en Kaiſerzeit.
Sch babe damals darauf bingewiejen, wie
unvergleichlich viel ftárter ber Demotratis:
mus und Sozialismus unjerer Gegenwart jet,
als alles, was man ihm aus der 9Intife zur
Seite jtellen Tonne,
„Dies alles,” fo wurde damals gejagt,
ei aljo Zeichen des Auf» und nicht des
ieberganges. Aber freili auf Frieden
und fampfloje Entwidlung deutet feines
von ihnen. Je ftárter der Imperialis:
mus fortjchreitet auf feiner Bahn, beito
eher wird er mit dem viel leifer, aber
vielleicht nod) jtetiger wachjenden Demo:
tratismus zujammenftoßen müffen. Und
eine useinanderfegung zwiichen beiden
(eint in Wahrheit bas müdjte Ziel Der
Entwidlung zu fein.”
Auch an ber Vorherjage einer neu=indis
vidualiftiichen im edeln Sinn anardiftijden
Gegenjtrömung gegen bie beiden Deut mite
einander ringenden Gewalten, von denen
damals gejagt wurde, daß ihre Vorboten—
Anzeihen erft am Horizont auftauchen,
würde id) nod) heute fe[tbalten. Aber für
ben bier objdwebenden Gedanfengang ijt
nod) wejentlicher eine zweite Reihe von Er:
wágungen, an die Damals gerührt wurde:
bab Die in der Vergangenheit [bon erwie:
fenermaßen fo viel Iangjamere Entwidlungs:
geldjminbigfeit bes germanijchen Weltalters,
die hinter ber griedifden um etwa zwei
Syabrtaujenbe aurüdgeblieben ijf, vermuten
läßt, daß de jein Abjtieg viel langſamer
vonftatten geht. (Wobei, nebenher bemertt,
in Betradt zu ziehen ijt, daß wenn man,
wie ich vorgejchlagen habe, den Beginn des
Entwidlungsabjdnittes ber neuejten Zeit in
Rom in das Jahr 133 vor Beginn unjerer
Zeitrechnung fegt, jo würde felbft an biejem
jo viel Heinere Einheiten aufweijenden
Maßſtab ber alteuropäilhen Entwidlung
emejjen, unjerem Bolte nod) faft ein halbes
abrtaujend des Weges bis pum Ende der
neuejten Zeit und, wie Spengler meint, zum
Zujammenbrud unjerer ftaatliden und gei»
ftigen Kultur bleiben.)
Der Grund für das [o viel langjamere
Tempo, alfo auch bas langjamere Altern
und Welten ijt, wie mich büntt, in Himmel
und Boden unjerer Lander zu Juchen, deren
Herbheit und Rargheit bas Wadstnm ein:
halten und die Kraft [paren
Aber heute würde ich, nad welentlich
weiterer und wie ich hoffe tieferer Ausbil»
dung einer allgemeinen Bejchichtslehre, noch
jehr viel entidloffener die Ab emng einer
jo Ddiijteren Prophezeiung, wie die Cpeng-
lers ijt, fordern. Die Lebensalter, die, wie
id) lángft gewohnt bin und wie Spengler
ebenfalls getan bat, an bic Stelle ber Ents
widlungsabjdnitte gejegt werden tónnen,
find zulegt bod) nur em Gleidnis. Auch
AE gei 1 find weder Briechen nod) Römer;
die einen find von der albanejijd-jlavijden,
die anderen von Der feltijd) : germanijchen
Einwanderung ihrer Lander aufgejogen wor:
den. ber felbft wenn in bem Belleni[den,
bem italijden Boltstórper von heute and
nur geringe Reftbeftánde der Griechen, ber
Römer von d no aufgegangen wären, jo
würde Dadurd nidits an ber £atjadje ge-
ändert, daß für bie lebenstráftigeren, lebens»
iren Norovólter bes germani|djen neuen
uropas bie 9Ingleidjung ber Entwidlungs»
alter ber Vólter an bie Lebensalter des
Gingelmen]djen nichts anderes bedeutet als
eine Bergleichung einzelner ihrer Abwands
lungsmerfmale.
pengler bat bier, wie jo oft, nur bie
Dberflähe der Dinge ge[treift. Geht man
ihnen weiter nad, fo ergibt fih, daß bie
Anzahl, faft aud) bte Wucht ber hnlich-
leiten, bie fid) für beide Reihen von Ent:
widlungsabjchnitten nachweijen laffen, fic
mit bem Fortichritt der Reihen verringert.
Auffällig zahlreich für Kindheit und Vorzeit,
ind fie Mn für bie mittleren Streden, bie
ugend und die Altertumsjtufe, bas Beits
alter bes ardjaijd)en Defpotismus, für Jung»
lings: und Mittelalter wejentlich geringer
an Zahl und Bedeutung; für bie neuere
Zeit und bas Mtannesalter, bie neuefte Zeit
unb bas Greijentum laffen fid) wohl auch
por einige, und zwar nod) febr einjchneis
dende Ahnlichkeiten nachweijen, aber es fehlt
bod) aud) nicht an offenbaren Widerfprüchen.
Es bleibt ¿war befteben: bas ÜÜberwiegen des
BerftandesmáBigen, bas das Mannesalter
ganz ebenjo fennzeichnet, wie bie neuere zeit,
bie tit Griechenland bie Copbijtif, in Neu—
europa bie Aufklärung, tu beiden Meltaltern
bie Bernunftzerjegung des Glaubens hervor:
gebrad)t hat ober die üuBerjte und folge:
ridjtigite Betätigung Der ¡ilenstraft in
Mannesalter und neuerer Zeit, in biejer me
jofern fie, ganz gleichmäßig bei Griechen,
Römern und Germanen, bie wudbtigfte und
ejáttigtite Ausgeftaltung bes Staates zus
Kane gebradt bat. Und das Greiientum
wird, ganz ebenjo wie die neue|te Zeit der
Völker, ausgezeichnet durch bie Herrihjucht
ESS=S== Secc Der Prophet des Unterganges [232333333343 269
im Reid der Macht — man dente an den
Imperialismus, der in allen drei Entwids
Iungsreihen beider Weltalter bie mammut-
a ten Weltreide der Gejchichte [uf —
und, für bas Gingelleben, an die Grundtat-
fade, dab Staat und Geſellſchaft von den
Sedaigern und Giebzigern regiert werden.
Im Reid) des Geijtes. werden beide Alter
legter Reife gefenngeidnet durd eine Ord-
nungsliebe und Folgerichtigfeit, die eine im
einzelnen erfolgreiche, im ganzen ¿umeift
peinlich,kleinliche Genauigkeit erzeugen, wie
fte bas Alexandrinertum und der Dejtripti=
vismus Der MEER und ber neueuro«
paijden Wijjenjchaft diejer Stufe an ben
Tag legen und wie fie die Altersweije nod)
ber gropten Menſchen, man dente an Goethes
Ipäte Tagebücher, ic ae
Aber ebenfo gewiß ift ein augenfälliger
Unterjchted, ber jih bei näherer Betrabtung
als Haffender Gegenjat erweilt. Körperlid)
iff bas Greijenalter durch nichts jo greifbar
gefennzeichnet, als durch das Ermatten und
allmählich ftárter GE Eritarren
der Kräfte. Wer aber wollte angefidts ber
unerbórten Leiftungen tätigen wie leidenden
Kriegsdienftes, bie in dem lebten groben
Kriege faft alle an ihm beteiligten Völter
vollbradt haben, aud) nur im leijejten daran
denten dürfen, von einem folden Erlahmen
ber Rórpertraft unjerer Völker zu Iprechen ?
Davon ijt in ER nichts zu fpiren.
Und man wird zugeben, daß biel? Feſtſtel⸗
lung nicht nur den allgemeinen Wert der
Beobachtung eines weiten Auseinander—
gehens beider Vergleichsreihen hat. Biel-
mehr geht aus ihr hervor, daß, wenn ſchon
fein förperlicher, fein körperlich⸗ſittlicher Ver:
fall, tein Abgang an den robufteften und
jugendlichften Säin, den friegerilchen,
zu ver[püren ijt, aud) ber —— te
der Endpunkt des Vergleichs beider Wachs—
tümer: der Tod, dahin
Wenn unſere Völker feine Anzeichen för:
perlichen Alterns an den Tag legen, warum
iſt dann irgend Mii e aus den übrigen
bnlidjfeiten ber beiden Bergleichsreihen
acd ihre unbedingte Gleichheit au jchließen
unb warum ift Anlaß, den Tod von Volts:
per[ónlid)feiten vorauszujagen, nur weil
Einzelperjönlichkeiten fterben müfjen?
Denn mag bier auch eingewandt werden,
daß das Ende von Voltsperjönlichkeiten auch
burd) politiichen Mord, b. 5. Überwältigung
von außen ber, niht nur durd) autogenen
Tod, d.h. durd) natürliches Altern und Hins
Ihwinden — werden kann, ſo iſt
ohne körperlichen Verfall und ſeine ſittlichen
Begleiterſcheinungen taum an ein Übers
wältigtwerden ber zahlreichiten und beftge:
rüjteten Böller der Erde zu denten.
Und ein Freund, dem id) Dielen Sad):
verhalt auseinanderfegte und ber aus ihm
folgerte, daß bie Rórpereribeinungen über:
haupt für alle Stufen beider Reihen aus
bem Bergleichsbilde zu entfernen feien, mag
recht haben.
Dann aber ergibt fid) für den —A—
beider Wachsſtumsformen als unumſtößli
der folgende Schluß: er hat Wert für alle —
oder viele oder einige? das mag ſpäteren
Unterſuchungen vorbehalten bleiben — ſee—
liſchen Erſcheinungen, aber er duldet keiner—
lei Anwendung auf das körperliche Schickſal
beider Weſenheiten, alſo auch nicht auf ihr
Ende, ihren Tod.
Alle derartigen Vergleiche ſchwanken nach
meiner innerſten Überzeugung immer auf
der Grenze zwilchen wirklicher Gleidjláufig:
feit bier und Bild und Se i dort. Mit
anderen Worten: fie haben für das wifjen-
djaftfidje Erkennen nur das, was die Schule
— Wert nennt, d. h. ſie
weiſen Wege zum Suchen, doch nicht immer
zum Finden des Zieles. Sie bieten Mög—
ichkeiten nicht Sicherheiten der Gleich—
ſetzung.
Und nun kehre man den Blick noch ein—
mal rückwärts zu dem Ausgangspunkt dieſer
Erörterung. Die Griechen, die Römer des
—— Weltalters find zwar forpers
lich gewiß nur zum Teil als Völker ge—
ſtorben, aber fie find es ſicher als Bolts:
perſönlichkeiten; ihre ftaatliche, ihre geiſtige
Weſenheit jchwand dahin, nur dem Erb»
gono: nad an bie eigene eingejchränfte
Nachkommenſchaft, öfter an fremde Cin:
wanderer in Reiten hinterlajjend. Aber daß
es gejd)ab, braucht niemals feine Urjache in
dem Ablauf der Folge von Entwidlungss
ftufen gu haben, ber bier mit Kindheit,
Jugend und Alter bes Einzelmenjchen ver:
TIER wurde. Es ift möglid), daß bas
nde bieler Reihe einen bejonders tiefen
Einſchnitt in bie Rebensmöglichkeit von Volts.
perlönlichkeiten bedeutet. Aber unvergleichlich
viel wahrjcheinlicher ijt, baB die ihrem Ur-
iprung nad) nördlichen Bolter der Griechen
und Römer von Sonne und Güden zwar
zuerjt in ihrer Entwidlungs-, ihrer 3Badjs:
tumsgeldjminbigfeit ungemein gefördert,
nachher aber aud) fo früh zu fiberretje und
Verfall’ geführt worden find: das Schidjal
der feit 1564, 1680, feit Dtichelangelos oder
um wenigjten feit Berninis Tod, faft gánz-
ich erjtorbenen geiftigen Kultur der Yteus
italiener, bie vollendete geiftige Unfrudtbar-
feit der Neugriechen fpricht dafür. Beide
Entwidlungen [predjn laut genug von
nod) viel rajderem Abblühen im einen,
von vollfommener Zeugungsunfraft im an:
dern Fal. Die von Norden cinjtrómens
den Germanenwellen find in Italien nod)
viel früher verebbt, als die alte indogerma:
nijde in Griechenland, die ebenfalls von
Norden kommende flavijdhe Blutzufuhr
hat, als viel zu ſchwach, Hellas überhaupt
nicht wieder zu geiftiger Erhebung bewegen
tónnen.
Hält aber die Lebenstraft der im Norden
verbliebenen germanijden Wölfer vor, fo
find zwei Möglichkeiten gegeben für Den
weiteren Diese ihrer Entwidlung. Es
tónnen jid) neue Wadstumsabjdnitte an»
270 ESSS3 Prof. Dr. Kurt Breyfig: Der Prophet des Unterganges
legen, die weder in bem parallelen alt:
europdijden, nod in bem eigenen neu:
europäilhen Werdegang irgendwelche Seiten-
tide oder Vorläufer haben und damit dann
zur Evidenz ermeifen, daß dem Vergleich
der Lebensalterreihen von Cingelmenjden
und von Bolfsperjonlidfciten wirklich nur
eine Teilbedeutung gutommt. Oder zum
zweiten ein in irgendeinem Ginne wieder:
holender, reiterierender Stufenlauf fegt ein:
das Banze oder Teile der bisherigen Stufen:
folge werden in irgendeiner Abwandlung
von neuem durchlaufen.
Dieje zweite CS es würde allen Bors
ausjeßungen einer Bejchichtslehre entiprechen,
die, volltommen ausgebildet, hier doch and
nidt in Den EIN Umtrifjen angedeutet
werden fann. Es gibt einige leije Anzeichen
in dem — der römiſchen Railerzeit,
aber auch in unjerer Gegenwart, die für eine
ſolche Vermutung gedeutet werden fónnten.
Im nad: dioflettaniihen Rom find es die
Vorgänge einer immer weitergehenden Ent:
ftadtlidung unb Agrarifierung, einer allge:
meinen Rüdbildung der äußeren Zivilijation,
aber aud) ber Geijtigteit felbft, einer Rück—
bildung der Gtulptur ins Primitive, des
Übergangs von Latifundien: und Sflaven-
wirtibaft zu Grundherrſchaft und hörigem
Bauerntum, eines en auffälligen Wachs:
tums des Genoſſenſchaftsweſens und bes Be:
meinjchaftsgedantens. Heute aber ijt es ein
Kommunismus ganz — er, ganz kul⸗
tureller Richtung, der im Rücken des heu—
tigen Marxismus und weit jenſeits auch
noch von den Gebilden und Geſinnungen
des neueſten und radikalſten der Sozialismen,
des ruſſiſchen Bolſchewismus, emporwächſt,
ganz getragen von dem Geiſt wahren Bru—
dertums und wahrer Gemeinſchaft, der in
allen Formen Des heutigen Sozialismus,
aud) ben neuejten und folgeridjtigiten, bent
ruſſiſchen, von einer Flut von majjenindivi:
dualiftilchen Begenftrömungen und von einer
imperiali[tijdjer Staatsalmadt faft über:
flutet wird.
Man wendet gegen die Möglichkeit einer
Wiederholung der alten Stufenfolge wohl
ein, baB dann ja and unjere Kultur auf
alle die Langit oder eh E — Mert:
¿euge der Technik, auf Waffen unb Via:
Ihinen verzichten miijje. Aber bie Mertig:
feit diejes Einwurfs entipricht etwa ber jenes
ruhnmeihen Ginnipruhs von du Bois:
Reymond, dag die Römer im Beli von
Zündnadelgewehren nie von den Germanen
hätten überwältigt werden fünnen. Sd) [telle
mir die Wiederholungen der Menjchheits:
geldjidjte, bie bod) nur Wiederholungen der
Grundridjtung fein tónnten, geijtreicher vor.
OH man aber verlegen um etn Gleidnis
ober, wenn man will, ein jogar zu Hilfe
tommenbes Geitenjtüd Der 9tatur, fo ent:
finne man fic) bes feimenden, Jprojjenden,
blühenden, reifenden, Früchte tragenden und
endlich bod) welfenden unb in Winterfrojt
eritarrenden Wachstums der Pflanzen: —
es weift gegen Ende feines einmaligen Ber:
laufes fo viele Merkmale bes Abftiegs und
SBerfalles auf und weiß bod) von feinem
Tod nod) Sterben.
Dod id) Halte inne. Es folte me fein
Gegenftúd gegen bie Spenglerjche Unpeils-
propbetie aufgeftelt werden. obl aber
fonnte erwiejen werden, daB die gejchichts:
forſcherlichen Borausfegungen, auf bie fic
fih ftüßt, in mehr als einem Betradht durd-
aus unzuverläjfig find. Und dabei ijf die
äußerlichfte und gröbfte, aber für Die ges
ſchichtliche Wirklichkeit Ausichlag gebenbe
trage nod ganz ln geblieben,
ielde Bóltergruppe denn unjerem an Zahl
[o úberjtarten Rulturtreije den Tod bringen
fol; denn felbft das Ende der wahrlich über:
greijen Rómerwelt war fein autogenes, fon:
dern ein gewaltjames von außen ber bes
reitetes, war nicht Tod, jonbern Mord. Will
Spengler etwa dem dünnen und jchmal«
brüftigen Bolfstum der Japaner und jet es
aud) an der Spige der gejamten Mongolen
dieje Siegerrolle zuweijen? Oder trennt er
die Heute fajt völlig europáifierten Claven
willfiirlid) von der Gejamtgruppe ber euro:
püildjen Indogermanen ab und traut er ber
weiblich weichen, jo gänzlich unzeugerijchen
Art ber Ruffen die Fähigkeiten für diejes
Herricheramt zu?
Was aber heißt es nun eigentlid) auf
einen fo brücdigen, von Wehlgriffen und
Süden ftarrenden Bau die Krönung einer
ſchickſalwendenden Kulturbotichaft zu grün.
den? Regte Unvorlichtigkeit, wenn diefe
Lojung felbft von Lebenskraft und Sutunfts:
ftolz getragen wäre; ba fie aber nicht mehr
und nicht weniger fih vorjebt, als die Bers
itórung des Mutes unb der Kraft zu allen
Werten tieferer Kultur, als die Beltártung
der äußerlichften und feidteften Inftintte
eines auf leere Madtordnungen oder auf
eine ganz mechaniſche Sivilijatton und allen:
falls auf Gewinnverteilung gerichteten Zeit»
alters, jo ift es (Sen unb eine Berleugs
nung bes beiten Erbes der Broßen, deren
Namen Spengler mit jo eifrigem Lippen-
dient im Munde führt, eine Schändung und
SBeradjtung des einen, höchſten unter ıhnen
vor allen: Goethe. Und was will denn alle
Predigt von ber faujtijden Seelenmadt bes
Germanentums, wenn diejes Germanentum
einen Erdenlauf damit beenden foll, daß es
bet bejter Kraft jid) fiir zum Tode reif er-
Härt, weil Herr Spengler auf Grund eines
zwar nicht von ihm gefundenen, wohl aber
mipbraudlid) von ibm ins Schiefe und Ron:
je umgewendeten Gejdidtsgedanfens es
o befieblt?
Blücher im Dufammen bruch
Don Walter Don Molo
DtttCCCCCCcCCCCoCecCCCCCCCECCCCCCCECCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCE CCC EE PIPIPIIFIIIFFIIFIFIIIIIFIIIIIFIIFIIIFDIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII3I0O
Fortlos wartend ftehen Offiziere
S Zb Vic K vor dem Zimmer bes fomman-
KN LU dierenden Generals in Pom:
AD mern. Ein forpulenter Herr in
iod tritt dnaftlid) ein. Mit unfteten
Augen [udjt er ein befanntes Geſicht.
Sjajtig, duntelrotfegelt er auf einen Oberjten
los. „Mein lieber Bülow! Sd) muB Blii-
cher [predjen! Ihr Habt bod) bas Kriegs:
gericht nod) nicht abgehalten ?"
„Wir warten auf die Exzellenz! Aber,
Herr von Rüchel, wenn id) Ihnen gut ra:
ten darf, ich glaube, es ift beffer, Ste fpre:
chen jeßt nicht die Exzellenz! Ste hat heute
wieder die alte Uniform an!“
» 3d) muß! Lieber Romberg,” bittet ber
verabjchiedete General, „ach bitte, um un:
jerer ehemaligen Kameradjchaft willen,
leben Sie doch nach, ob mich Blücher emp:
fängt!“
Der junge Offizier geht in den Hinter:
grund des Zimmers. „Wie fteht es mit
Rombergs Bater?”
„Er ift in der Vormode im Gefängnis
geitorben !"
„Ach Gott, ad) Gott." Rummervoll nidt
Rüchel vor fid) bin. „Überall Unglüd!
Überall! Diejes graufige Malheur! Ich
[age Ihnen, nur der Maſſenbach war jchuld.
Scharnhorſt unb Bneifenau find ungerecht.
Sie find barbarti[d) in ihren Urteilen.“
„Ich will Rube haben,” brüllt Blüchers
Stimme aus dem Nebenzimmer. „Und
wenn’s der Kaifer von China ijt, er fann
mir. .” Zugeſchmiſſen fnallt die Türe.
Romberg madt eine bebauernbe Hand-
bewegung.
Berzweifelt wiſcht fid) Rüchel ben
Schweiß vom Schädel. „Die Sade ift
die, lieber Bülow! Der arme Schill! Sie
willen Doch, daß er mit meiner Elfe ver:
iprodjen war? Das Kind ift bem Wahn:
finn nahe; fie ftirbt mir, wird heute hier
das Andenken ihres Bräutigams ge:
trübt . ."
Die Türe lärmt auf unb zu. Mit un:
heildrohendem Blid, in der verbotenen
rot=filbernen Uniform des aufgelóften
Zieten:Regimentes, mit etsgrauen, ac:
ftriubten Brauen ftebt im
Raum.
» Geben !^ befiehlt Blücher.
Mortlos nehmen bie Offiziere an der
Tafel Plak; die Linke in die Schlanke
Hüfte geftemmt, fommt Blücher mit ge:
jtredter Rechten um den Tijd) herum.
,SaB Er mid) in Frieden, Rüchel!“ bittet
Blücher. Riel umflammert feine Hand;
Blücher fchiebt ihn dem Ausgang zu.
„Mah fein Lamento, Alter!” ſpricht
Blücher. „Sag’ deinem Kind, der Schill
war cin braver Mann! Heul nicht! Ich
fann dir nicht Jagen, ob dir ein Unrecht
gejchehen ijt. Wir Krieger müjjen immer
ben Tred ausbaben!^ Blücher reißt den
Aufſchluchzenden an feine Bruft; er um:
armt ihn, er wirbelt ihn durch die Türe
hinaus. Blücher wenbet[id). Sein weißer
Schnurrbart zittert. Elaſtiſch, mit den
Sporen Elingelnd wie ein blutjunger Kor:
nett, beginnt Blücher Hinter der Reihe
feiner’ fteif und reglos figenden Offiziere
auf und ab zugehen. „Ich bin fein Darm:
pionierer !^ fpricht Blücher. „Daher, durch:
drungen, daß Seiner Majeſtät Angjthuhne:
reien faljd) find, befeble ich,“ "Binder
ftarrt in Bülows bewegungslojes Geficht,
„daß ber Rittmeifter von Seydlig fofort
aus feinem Lod) zu holen ift!” Wie ein
Icheuendes Pferd ſchlägt Blücher einen
Sjafen; bei eingezogenen Schultern, die
zornige Adlernaje aufbegehrend vorge:
ftellt, haut fid) Blücher in den Polſterſtuhl
am Kopfende bes "des, „Schill und
die Seinen taten mit ihrem ‚Aufruhr‘, was
bie Ducdmäufer in Berlin |djon lange
hätten tun müſſen!“ Blücher jtredt die
Hand, mit wiitendem Stich zerftóBt er die
Kielfeder, die vor ihm auf dem Tiſche lag.
„Es ift im Sinne des edlen Toten,” fpricht
Blüher, „daß er alle Schuld auf fih
nimmt, Schreiben Sie! Sämtliche Offi:
ziere, bie fid) vom Zuge Cdjills nad)
Preußen retteten, haben bem unterzeich:
neten Rriegsgericht eindeutig nachgewiejen,
daß fie durch falſche Vorfpiegelungen
Schills verführt waren. Cie vermeinten,
im Wuftrage ihres oberjten Rriegsherrn
Blücher
972 EESE Börries, Freiherr v. Mündhhaufen: Ein Lied Boers B23222 323
zu fechten! Gie find daher unfchuldig, da
fie den Befehlen ihres Borgefebten zu ge:
borden hatten!“ Blücher dreht den Kopf.
Weiß man endlid) was von Lützow?“
„Er ift glüdlid) durchgefommen, Ex:
geleng!”
„Daher ift das unterzeichnete Kriegs:
gericht,“ diftiert Blücher befriedigt weiter,
„nach eingehender Beratung einftimmig
zum Bejdlug gefommen, Jämtliche bejchul:
digten Offiziere... freizujprechen!“ Blü:
cher erhebt fih. „Punktum!“ fagt er.
„Dred drauf.” Blüchers ſchwarzdunkle
Augen lohen unter den bufchigen Brauen
auf. „Schill,“ jchreit erbeierhobener Fauſt,
„Du Held in ber Schmach! Du Vorbild!
Edler Held: Hurra!“
yet | | an | | pees | | Kees | | js | | Em? | | ts | | ey / | Dees | | eee | | ey (eessen | | een | | peer | |
Ein Lied Volkers. Don Börries, Stb. v. Münchhaufen `
Mir óróbnt der Helm an den Ohren,
Wenn Hagen im Rampf Befehle
gibt, =;
Und hab’ unter Speeren und Sporen
Dod) feine Stimme wie feine ge-
liebt!
Was immer der Tronjer begonnen —
Es deudjte mir edel und eifern gut, —
tind id) fab dod) am Odenwald-Gronnen
An feinem Speere aud) Siegfrieds
Blut!
Hodmiitig und Freund der Sewalttat,
So reitet er durd die umdüfterte Welt,
Und um was feine Sauft fid) geballt
hat,
Das hält fie in Treue, die niemals aer:
fpellt. —
Wir, die wir den Lebnseio gefhworci:,
Stehn tdglid) gelaffen vor offenem
Grab,
Dod) Hagen hat etwas verloren,
Was Feiner von uns feinem Zehnsherren
gab:
GA) | samen | | eee | | gem | | cum | | usnm |} armen | | ae | | pen | | mem? || Besser | | E | see | | scat | | Dessen | |
Drum, ob aud) das Herz mir erzittert,
Als Siegfried geftóbnt und als Rriembilo geweint,
Dod) bift du, vom Grauen ummittert,
Der Held meiner Lieder, mein Hagen, mein Freund!
Hart aufbäumend flirren bie Fenfter:
Iheiben, unter dem furzen, drohenden
Auffchrei ber Hochgelprungenen Offiziere.
Blücher neigt den Kopf, die Hände auf
dem Rüden, federnd, als zähle er feine
Schritte, geht Blücher zurüd in fein
Zimmer.
Mit leuchtenden Augen feben [ie fic an.
Nebenan fradht ein Piſtolenſchuß.
Schutt riejelt ben Türjtod nieder.
„Er |djieBt fih die Wut aus ben Fin:
gern.“
„Deine Herren,“ mahnt Bülow. „Zur
Arbeit! Stellen Sie Poften aus, damit
uns niemand iiberrajdt, und dann los!
Scharnhorft drängt!“
Cie eilen dem Ausgang zu.
Wenn er geht durd die Gaffen der Zelte,
So raunt's an den Feuern beidfeits um
ihn ber:
„Der beffere Mann, den er fällte,
Trug büdend im Rüden den tüdiffyen
Speer!”
Und reiten im Heerzug die Scharen,
So flüftert von Sattel zu Sattel es raub:
„Der Hort, nad) dem wir cinfl gefahren,
Er raubte ihn heimlid) der wehrlofen
$ran 1”
Er ift, den die Edelften fiheuen,
Er iff von den Dornen des Grauens um»
adunt,
tind der treuefle aller Getreuen
Sand felber nicht einen hingebenden
$reund.
Wir gaben an Plirrenden Tagen
Dem König den Sdwertarm für billige
Huld,
Dod) an dunkelften Tage gab Hagen
An Gunther den Eid: „Mein Teil fei
die Schuld!” —
— (med | | eee | | coy | | sosamnemy | | mem? || eener! Comas | | amc | | coats | | reece, || a || ee | | bree | | pulis
[| pares | | mu: | ( coment || weem? | | gen | | mau | | Lass aep || cee | | eee | | pes | | Esc | | PRI | | ene | | pe
Schmudpläße ber Großitadt
Bon Friedrich Otto
cas einft in andern Beitaltern
SM reines Gefühl war, ijt heute
SO) Y Sy, cine Kunft geworden. Co gibt
SONAS es heute auch eine Garten:
funjt, wo einmal die freie Seele waltete.
Dod ebenjowenig, wiemanin bie Zukunft
[eben fann, vermag man
in bie Vergangenheit zu-
rüdzugehen, und recht im
Sonnenlicht ber Gegen-
wart bejehen, hat aud)
bie Gartenkunſt ihre eige-
nen großen Reize, wie
alles Bewußte, wenn ed):
tesEmpfinden dießrund:
lage ijt. Der Gartendiref:
tor einer großen Stadt ijt ein Zauberer,
der, felber meift unfichtbar, feine Riinfte
in Blüten und Düften und gärtnerijchen
Anlagen äußert und wie der ganz große
Künftler durch fein Werk und feine Wir-
fung uns ganz feine eigene Perjon verge]:
jen macht. Es gibt zwar heute nod) gebo:
rene Gartenjtädte, wo Überlieferung und
JS
a D €
Gefühle vorherrichen und eine Verwal-
tung für gürtnerijd)e Anlagen überflüjlig
ift. Aber eine Broßjtadt, die ihr Dafein
am liebjten im Turbinentempo genießt,
würde ohne die Gunjt bejonders bejtellter
geen ehr bald ohne gärtnerijchen Schmud
bleiben und baburd) ihre
zahlreichen nicht vorhan-
denen Schönheiten um
eine beträchtliche ver:
mehren. Somit ijt jeder
Grofftadt ein Garten:
architeft vonnóten, und
erfreulicherweije gibt es
wohl aud faum eine
Gropitabt in Deutjch:
land, die nicht bie Ausgeftaltung ihrer
gärtnerijchen Anlagen in berufene Hände
gelegt hätte. Dieje Gartentiinftler find
zugleich Gelehrte ihres Fachs. Sie müffen
nicht nur die Blumen und ihr Mejen
fennen, fondern aud) ihre Wirkung in
dem wechjelnden Gelände beherrjchen,
müſſen flimatijde, Iofale, ja nationale
⸗ —. Kalbach,
—
—
Pay HN
ate
Ki
|| Einfarbiges Blumenbeet in ber Schloßitraße zu Charlottenburg E]
Sé Eine Parfanlage entítebt in ber Vorftadtwiifte x
Eigenheiten berüdjichtigen und vor allem
ein untrügliches Gefühl für das Echte in
fid) tragen. Ihre Augen haben die hiſto—
riichen Garten Europas gejehen, bie von
Verjailles, Potsdam (wo Schinfel unb
Lenné den (ett wahrer Gartenfunjt
nod) einmal aufleben ließen), Trianon,
Florenz, Rom. Gie fennen die heutigen
Bartenjtädte und wiljen von bem, was
in Blumen und Biijden ausgedrückt wer-
ya |
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den kann, aber nichts vermögen ſie auf
die Gelände zu übertragen, deren Schmuck
ihnen anvertraut iſt, denn jede Aufgabe
verlangt eine beſondre Löſung. Man
überblickt dies am beſten, wenn man die
Entſtehung der Garten einer Großjtadt
einmal an ihrer Quelle aufjucht, im Büro
eines Gartendireftors, wo alle Pläne,
alle Modelle, alle Zeichnungen beijammen
find und man aud) die Mittel tennen `
Kéi d Sat
Lët
Xo?
Dem Standbilde (Gánfelifel) angepaBte Gartenanlage an ber Trautenauftraße in
Berlin: Wilmersdorf
lernt, die dieſen Perjönlichkeiten zur Ver:
fügung jtehen. (rit bann hat man den
vollen Eindrud.
Co hatte id) fürzlich Gelegenheit, in
eine jolche geijtige Blumenjchmudzen:
trale eingubringen, in das Büro ber Bar:
tenverwaltungder Stadt Charlottenburg,
des Gartendireftors Barth, der mid) aufs
freundlichjteindiefoüber:
aus angenehme und, wie
id) zu meinem halben
Cd)yreden fah, bod) recht
\chwierige Materie ein:
führte. Mit "ect hob
er hervor, daß die deutſche
Großſtadt trot allem aud)
heute nicht auf öffentliche
gärtnerijche Anlagen ver:
Zichten fann, wenn aud)
3. B. Berlin und fet:
nen Vororten, bejonders
Charlottenburg, Mil:
mersdorf, Schöneberg,
heute nicht mehr die Dit:
tel wie einjt zur Ver:
fügung fteben. Früher
fonnten ganze Straßen:
züge parademäßig mit
endlojen Blumenbecten
bejät werden, wie 3.8.
in Charlottenburg etwa
fünf Kilometer im Zuge
der großen SHeerjtraße:
Hardenberg:, Bismard:
jtrake, RaijerdDamm. Dieje
blütenflammenden
Ströme find auf fleinere
Plage zujammengezogen
worden und wie Juwelen
im Hoffnungsgrün der
Alleen eingelagert. Es
jpridjt für das jogtale Empfinden des
Gartendireftors Barth, daß er fein Fül-
horn nicht über einige wenige Parade:
plage ausjchüttet, jonbern über bie eigent-
lichen Erholungspläße der Bevölkerung,
wo er die Blumen fih in ihrer innerften
Eigenart auswirken läßt. Sämtliche far:
bige Bildbeigaben diejer Zeilen find Zeus:
gen feiner Fähigkeit, bem Eigenleben der
Blumen und Stauden gerecht zu werden.
Da dem Großjtädter ber Hausgarten
jo gut wie ganz genommen ijt, vertritt der
Gartendireftor den Blumenvater und
achtet darauf, daß die öffentliche Anlage
vom zeitigjten Frühjahr an bis in ben [paz
ten Sjerbjt hinein möglich]t abwechjlungs=
reich und angiehend ijt. Hier ijt er dem
Vorbilde unjerer Urgroßpäter gefolgt, die
bas ſchöne Leben ihrer Gärten aus einer
Miſchung von Stauden und Sommer:
Liwenmaul im Zuge der großen Hreritraße—Raijerdamm zu Char:
lottenburg. Wirkung roter und gelber Farbentóne
blumen hervorriefen. Auf folchen gemifch:
ten Rabatten find Blumenzwiebeln, Al:
penpflanzen und Sommerftauden ver:
einigt, und in natürlicher Entwidlung
vollzieht fic) auf ihnen bas Wunder eines
wahren Gartens. Der Bejucher folder
Anlagen findet alfo nicht eines Morgens,
daß fid) in aller Frühe eine Reihe von
magijtratlichen Heinzelmännchen über bie
Beete hergemacht, Altes entfernt und
Neues für ein paar Wochen angebracht
hat, fondern er verfolgt das Werden,
Wadjen und Bergehenderverjchiedenften natürlichen Verlauf nimmt und orga:
Pflanzen während der ganzen Zeit. An nde Wirkungen ausjtrahlt. Die Wir:
Stelle der wechjelnden Beete mit ihren fung der plößlich wechjelnden Beete ift
Icharfen Senjationen, thren blen: eine Überraſchung, bie nach der
denden Feuerwerkseffek _— nächiten verlangt. Den
ten, ift ber wirkliche 4 Garten aber liebt der
Garten getreten. 4 tägliche Befucher, er
Man fónnte nun PM wünjcht nicht, dah
meinen, etn Gar: Á À er über Nacht
ten wadje Á - ausgerijjen
ſchließlich von
und durch eine
jelbjt, und es andere , De:
manbraude [ES foration“ er:
feinen Gar: jebt werde.
tendireftor Beete wed):
dazu. Uber feln fann
es ift — Joe
umgefehrt. mancher,
Es ift viel y wenn ihm die
leichter und viel P entiprechenden
" Borratstammern
Y in Gewächshäus
jern zur Verfügung
weniger funjt:
voll, bie Bevilfe-
rung von Zeit au Zeit ^
Durch neue Bectpilan: ſtehen. Etwas anderes
zen zu überwältigen, als ijt Die Frage, ob nicht bas
einen jchönen Garten Teppichbeet in —fünjtle:
wachjen zu lajjen, der einen ^ Den mern l rijdjer Gejtaltung, etwa
An Stelle von Vorgarten tescalfentótmige und in bie Gartenanlagen überlaufende Plabgeftaltung
in Berlin: Wilmersdorf
Bweifarbige breite Blumenbeete, bei denen bie Wirkung der Ergänzungsieiten blau-orange
zur Geltung tommt. Studentenblumen und Ageratum am Krantenhaufe zu Meftend
wie es Bruno Baul einmal verjuchte, feine
Auferjtehung feiern wird. Der natürliche
einfache Garten, wie ihn Direktor Barth
in Charlottenburg und Gartenarditett
Thiemein Wilmersdorf pflegen, verlangt,
bap jedes Pflanzenindividuum bem Gärt-
ner vertraut ijt und daß bas Werden und
Welfen diefer Pflanzen in einem Rhyth—
mus erfaßt wird, Der ftets neben ver:
blühende Arten bas neue Leben jtellt.
Nur ein folder mit Verftándnis und Liebe
überwadhter Garten entfaltet feine ganze
Schönheit. Die Höhe der Stauden, Die
garbe ihrer Blüten, all das will wohl
gegeneinander abgewogen fein, wenn
ber Garten gedeihen und jchön fein foll.
Manchmal wird der Aufbau der Blüten:
ftande, manchmal die Farbe die ergán:
¿ende Wirkung ergeben, oftmals aud)
der Hintergrund, bas Behölz, eine Mauer.
(fine gute Staudenrabatte macht einen
jo jelbitverjtänd:
lichen Eindrud,
daß bie Laien,
bejonders die
Architekten met:
tens glauben,
jie fet mühelos
entitanden und
erjcheine jedes Jahr in gleicher Pracht
von felbft wieder. Das ift ein großer
Srrtum ; bie Anlage derartiger Rabatten
ift, wie Direktor E. Barth jchreibt, viel-
mehr eine der [djmierigiten Aufgaben,
die wir auf dem Gebiete ber ange:
wandten Gartenfunjt zu lófen haben; nur
der mit allen Einzelheiten der Pflanzen
vertraute Gärtner und Pflangenfenner
fann ihr gerecht werden. Wenn die heu-
tige Jugend immer fo gute Menjchen:
gärtner gehabt hätte, wie dieje Blumen:
anlagen, würde fie vielleicht ihre Jer:
törungswut nicht fo oft an den heimlich
jo wohl gepflegten Stauden auslajjen,
und die Großjtadtgärtner haben einen
\chweren Kampf gegen diefe Verwabr:
lojung zu führen. Tod) [chlimmer faft dt
die Rüdjichtslofigfeit der Diebe, und nie:
mand jollte jid) jcheuen, öffentlich für
feine Bärteneinzutreten, wenn fie von Ber:
jtérern allerart
gefährdet find.
Ineinem®Bor:
trag, den Gar:
tendireftor
(Y. Barth vor
längerer Beit auf
der Sauptver:
fammlung der „Deutjchen Gejellfchaft für
Gartentunjt” gehalten Bat, fonnte er auf
die merkwürdige Tatjache hinweijen, daß
der Gartenfiinftler durchaus nicht immer
in der Blume jelb[t bas ebeljte Material
gejehen hat. Nod) vor einigen Jahren,
als die Garten nod) melt im [ogenannten
landjdaftliden Stil angelegt wurden,
hat man [ie fehr vernachläfligt. DieBlume
entzieht jid) aller:
dings in ihrer
Verwendung
allen feſtſtehen—
den allgemeinen
Regeln. Sie ver:
langt Erfahrung und Unjdhauung und ver:
breitet richtig angewandt Leben, róblid):
feit und Unterhaltung, daher ijt der Blu:
menjchmud aud) fein Luxus, fondern von
großer jozialer Bedeutung, und wo [olde
Blumengärten jorgfältig angelegt und
unterhalten werden, hat man die Erfah:
rung gemadht, Daßgeradedie Arbeitervier:
tel die Anlage mit großem Eifer dt ben.
Das ziemlid) reichbewegte Charlotten:
burger Gemeinbegelünbe gejtattet die un:
gezwungene, freie Anordnung von Blu:
men in mannigfachiten Formen, Jet es als
Malduntergrund, als Gebirgswieje, als
Wieſe bes Flad)landes, als Borpflanzung
von Gebólzgruppen, als fünjtliche Fels:
partie oder als Schmud großer Plage.
Leider find gerade die Blumen jehr teuer,
jo daß mit den Mitteln immer febr haus:
gehalten werden muß.
Wenn uns wirklich jdjóne Garten, wie
wir fie heute banf bem Emportommen
bedeutender Gartenardjiteften au |eDen be-
fommen, beinah
als etwas Selbjt:
verjtändliches er:
Icheinen, fo ahnen
die meiften nicht,
daß erft jahr:
zehntelange und erbitterte Kämpfe diefe
Anlagen ermöglicht haben. Bejonders
haben die Bartenfünftler früherer Zeit ver:
juht, ihren Stil ohne Riicjicht auf bie
Architektur zu verwirklichen, wobei nod)
hinzufam, daß man häufig den deutjchen
Garten als etwas Minderwertiges anjah
und allerlei ausländiſche Gartenjtile nad)
Deutſchland zu verpflanzen verjuchte. Es
ijt befannt, daß wir es nur einigen führen:
den Garten: und Runftwarten verdanfen,
daß wir heute wieder einen deutjchen
Garten haben. Bezeichnenderweije mußte
man bis in bie Zeit bes beut[d)en Mittel:
Gemiſchte Rabatte von Stauden und Sommerblumen auf zem Guftav : Adolph: Blas
in Charlottenburg. Frübjahrsbild
alters zurüdgehen, um
aus überlieferten Daritel-
lungen Aufjchlüffe zu er:
halten, wie ber deutjche
Garten einft ohne fremd:
ländiſchen Einfluß aus:
gejehen bat, und dieje mit:
telalterliden Roſengär—
ten find nicht felten wie:
der in unjern Tagen auf:
erftanden. Dian denfe an
den Frauen-Roſenhof in
Köln, den Profefjor Ol:
brih uns als etn vollende-.
tes Gartenfunftwert bin:
terlajjen hat. Aud) Pro:
fejjor Schulze-Naumburg
hat durch jeine berühmten
Beijpiele und Gegenbei:
jpiele dem guten, alten
Garten wieder zu feinem
Redht verholfen, denn
aud) bie Zeit der höchſten
Gartenfultur, das Baro,
ift heute nur noch eine
gejchichtliche Erinnerung.
Seder begreift, daß ein
italienischer Renaiſſance—
garten wie der Giardino
Giufti in Verona oder
die Garten von Frascati,
Tivoli, Albanoufw.,jeien
fie aud) nod) jo ſchön, fid)
nicht nad) Deutjchland übertragen laffen,
und daß der Berjuch, etwa einen 3yprej:
jengang aus dem alten Garten im Quiri:
nal mit Hilfe von LXebensbäumen in
Deutichland erfteben zu laffen, nur lächer:
lich wirken fann. Es hat aber einer hef-
tigen Gartenpolitif bedurft und ber zu:
jammengefaften Arbeit ganzer Genera:
tionen von Gartentinftlern, ehe diefe
jelbjtverjtändliche Auffaſſung fid) durch:
gelebt hat. Die Verirrungen find um:
jo unbegreiflicher, als von jeher über
ganz Deutjchland verteilt die herrlichiten
Gärten ein verſchwiegenes Dafein geführt
haben. In Corvey liegt Hoffmann von
Fallersleben begraben, fein Entel hat
uns eine Darjtellung Dinterlajjen, Die
bie Poeſie diejer in Defter Ruhe Iie-
genden Gärten ` anjdjaulid) jchildert:
„Ein verjchilfender Teich träumt Hinter
Kee d ee Tulpenbeet zeigt die Gegenüberftellung von rot in zwei
Schattierungen. Stuttgarter Plat in Charlottenburg
dem Schloffe, in deffen Röhricht die Blek-
hühner flagen. Tief in den Bäumen
per|tedt liegt ein altes Barodhäuschen
mit weißen Jenfterfreuzen und grünem
Weinlaube, einer breiten Freitreppe,
fegelförmig gefchnittenenlorbeerbäumen,
mit verjchnörfelten Wappen und ge:
Ichweiften Gefimjen. Hier blüht ein Gar:
ten in fommerlicher Fülle. Die Rofen
verhauchen einen ftarfen, fügen Duft, und
ihre abgefallenen Blätter bilden große,
leuchtende Farbentupfen auf dem grünen
Rajengrunde. Weitblütige Vialven ftehen
dort, von Bienen umſchwärmt, elfenbein:
farbene Spiräe ragt auf dünnen, roten
Stengeln hervor, und mattblaue Glyzinen
bláben fid) an gewundenen Stielen. Aus
meitau[ge|perrten, tiefroten Blüten:
rachen züngelt zarter Staubfäden zittern:
des Gewirr, und ber ſchwermütig jüpe
282 eeh Otto Stoelll: Keeser
ernd in Die Kabine laufen. Er genoß alle
Phajen bieler bewegten Herrlichkeit, wie ein
Fachkundiger etwa im Mitroftop bie Jn:
fuforien durcheinanderwirbeln fiebt, und
überlegte dabei, ob er eine Karte löjen
und binunterfteigen folte, um au baden;
heiß war es, und unten ergab es fih etwas
leichter ... Was denn? Er wartete immer:
hin gelajjen darauf, als fei es [djlieBlid)
dod) nur eine Beläftigung. Es gehörte zur
Gade, zu einem normalen Commer[djau:
jpielerleben. Der Winter! — Sprechen wir
lieber nicht davon, er hatte nod) fein foltdes
Engagement. Biele Briefe waren unbeants
wortet geblieben. Aber wer denft an den
Winter, folange die Heinen Fräulein da —
im Badefoftiim find fie alle fo Hein, lauter
Kinder Evas — plätjchern und einander zu:
winten und ihn meinen. Schaut denn diefe
Sdmadjtende, Mandeldugige, die in ber
weißen Gonne, die Arme über dem Knie
gefreugt, gerade unter ihm [ibt und gelegent:
lich ihr tadellojes Bein, ihren Fuß mit den
Heinen, parallelen rundlichen Zehen betrad:
tet, um in den Paujen, welbhe ihr Boll:
fommenbeitsbewußtjein zuläßt, aufgublingeln,
etwa zur Eonne oder zu ihm hinauf? Kann
es darüber eigentlich eine Frage geben?
Und wenn ihr die lebhafte Braune, die fo
tut, als wenn fie fünfzehn Jahre alt wäre,
entgegenladt, die Zähne zeigt und etwas
jchreit, einen Namen ober um den Kabinen:
ichlüffel oder eine Verabredung für heute
nachmittag, fo meint aud fie nur ihn.
Wink aud) fie nicht nad) ihm, wenn fie vom
Wetter |pridjt? Er vertritt die Himmels:
gegend und Windrichtung und jegliche fonftige
Werabredung.
Die Badenden wiljer in der Tat, wer der
intereffante Mann da oben ijt. Die Runde
verbreitet fih fo wie eine Sfandalnadridt
aus der Stadt oder wie Wolfen am Sim:
mel, Mit einem Mort: man fennt ihn, man
ift auf ibn gejpannt. Was ijt er für einer,
ein „großer Künjtler"? Nein, das braucht
man niht zu glauben, daß ein Mütter:
wurzer fih juft in eine Schmiere verirren
würde, objdon aud folde Wunder vor:
tommen. Aber was ift er für ein Menih?
Kann man mit ibm was anfangen? Mie
würde er [id) beijpielsweije beim Tanzen
benehmen? Gie [djauen zu ihm hinauf, in:
dem fie die Augen mit der Hand bejchügen,
angeblich vor der Sonne ; fie unterhalten [id)
über ihn, fie machen Wie, fie tun, als ob
De fpotteten. Go tun fie immer. Das [hadet
gar nichts, Spott nicht, nur Mitleid tut ihm
web, Spott, Mädchenſpott ijt jogar eine Er:
leichterung für das Spätere. Er hört diefes
Laden immer gern, obgleich es immer fo
ähnlich flingt wie diefelbe Rolle, bie von
verjhiedenen Perjonen gejpielt wird. Den
Text fennt er auswendig, aber die Auf:
faijung ift fo verjdieden, Beute hier, in pier:
zehn Tagen drei, vier Stunden weit weg,
turg fünf», jechsmal in einem Sommer, tann
man rechnen. Im Herbſt geht es [don
Ihwieriger zu, in den Heinen Städten bei
den anfáffigen Hausfrauen, nur bie Zommen
bann in Betradt. Dieje Hausfrauen aber
haben Mitleid, gemildjt mit Grauen, und
tragen Flanel. Die Angelegenheiten nehmen
dann einen ängftlicheren Verlauf, zwilchen
Küche und Treppe, es gibt allerhand Hinder-
nijje, Unannehmlichkeiten, Priigeleien, Szenen
der Wirklichkeit fallen vor, es wird aud)
ion fühl, man ſchläft im Theaterfaal ober
in Heuböden, das Gewand wird abgenüßt.
Die Wintergarderobe erneuert fih ſchwie—
tiger. Überhaupt der Winter — was fhert
ihn diefe troftlofe Zeit. Hol’ fie der Beier!
Ja, was die Frage betrifft, ob cr baden
jolte? Es war ihm heiß, aber eine Krone
Eintrittsgeld [bien ihm immerhin verſchwen—
det, er fonnte ja |püter am Geeufer weiter:
geben und ohne jyormlidjfeiten die Kleider
am Ufer ablegen, ins Waffer fpringen und
ſich's wohl geldjeben laffen. Die Schmach—
tende gab fic) gar feine Mühe, den Ein:
drud zu verbergen, den er auf fie gemacht
hatte, jdjon teilte fie ihre Mufmertiamteit
nicht mehr zwiſchen ihren Fußjpigen und
ibm, jondern amijden bem blauen Himmel
und ihm, cin entjdiedener Fortſchritt. Er
raudte weiter, Er ging aud auf dem
Wege auf und ab, um andern Bliden gu
begegnen. War er etwa auf fie allein ange:
wiejen? Da fet Gott vor! In der „Sailon“
hatte er dic Wahl.
Die Schmadtende war in einer Rabine
per|djmunben. Nun galt es aufgupajjen, ob
fie vom Bade Hierher fam, d.h. wann fie
fam, denn es blieb ihr ja feine Wahl. „Durch
diefe boble Gajje"^ — Gin Bärtnerburjche
trottet mit einem Korb Rofen vorbei. Rind
Gottes, |djaut ber aber blöd’ drein! Er
grinjt, beim lebendigen Gott, er grinft. Aus
Verehrung oder aus Dummheit? Dem
Touriften judt cs in den Fingern, fei es
zu einer ODbrfeige oder nad) ben Rofen.
Nein, er fann nicht mehr Einhalt tun, er
pfeift Dem Jungen zu, gebieterijch, er wintt
ibn berbei, er jchneidet ihm eine drohende
grake, |o daß der Minderjährige cin jchiefes
Maul zieht, er faBt ben vollen Korb an und
prüft bie Rofen, er wählt mit ficherer Hand
bic [djón|te, indejjen ber Jammerfrige für
alle zittert, eine gelbe, leicht zugelpigte, in
fih geſchloſſene wählt er, ba, darauf veritebt
er fic), cine wilde, feu|dje, eine fromm:
Lee Die Sdiniere sees ee 283
abenteuerlide Marcchal Niel. Er benft an
die leicht gebräunte Haut und an das glatte,
fanfte Haar der Schmadhtenden da unten.
Dafür paffen gerade diefe Rofen. Er wirft
dem Jungen eine Krone zu unb gibt ihm
einen leichten Stoß, um ihn in Bewegung
zu feen. Er hält bie Marehal Niel vor:
fihtig gwijdhen Daumen und Zeigefinger.
Endlich fommt bie Perjon in dunfelblauem
Matrojentleid mit gelblidem Kragen —
alle Achtung! — Das glatte Haar fallt
offen über ihren [Hónen gefühlvollen Rüden,
fie fteigt Iangjam die fteile Holgtreppe Bin:
auf, Schritt um Schritt, fie überlegt fic in
ihrem Gang, fie hält den Kopf geneigt und
blidt zur Erde, mit der Rechter [tibt fie jid)
auf das Geländer, Ach, wie lange fie braucht
zum Morüberfommen! Gie überlegt das
Borüberlommen. Und wie atemlos ift biejer
Verzug! Weile mit Eile. Ganz. zwedlos,
ganz überflüjfig überlegt fie, aber fie hält
es für unerläßlih, fo wie fie früher ihre
Aufmertjamteit zwiihen ibm und ihren
Seben|piben zu teilen für nötig erachtet
batte. Sie überlegt ibn. Go ift es. Jebt
hat fie endlich den Weg erreicht, fie geht, fie
tommt näher. Warum gar fo langjam?
Mod immer den Kopf gejentt?! Endlich,
einen Schritt vor ihm, hebt fie den Kopf,
als hatte fie erft jebt gejpürt, daß jemand
vor ihr, in ihrem Wege ftebt. So ift die
vorgejchriebene Szene! Regiebemerfungen
der weiblichen Piyche, benft der jugendliche
Held des modernen Enjembles! Aber jhon
überreicht er bie Rofe. Es gibt feine Wahl,
wenn jie vorbei will, als ihn anzujehen und
bie Rofe und feine ganz zwangloje, leichte
Gebárde, welbhe die Rofe anbietet. Es
fommt wie immer. Gie errötet bis zu den
Ihwarzen Haaren hinauf, fie wird ernit, fie
überlegt ihn, fid), bie Rofe, den Meg an
ibm vorbei, bie Leute im Bade unten, ob
es wer Debt, überlegt bligjchnell, daß es nur
eines gibt, die Roje nehmen, um unbemertt
daponzulommen, denn jede Weigerung tónnte,
müßte zu weiterem führen, das möchte auf:
fallen, und fo fort. So langt fie nad) der
Roje, blidt ihn aus den mandeljörmigen,
lijtig gejchligten, jchläfrigen, ſamtſchwarzen
Augen an, lächelt, wobei fie eine Reihe
leuchtender Zähne zeigt, natürlich, dazu ift
bas Ladeln da, für fie, für ihn, faBt ihren
Rod fefter mit der Linten, mat eine leichte,
ihmiegjame Wendung an ihm vorbei, einen
Zentimeter verfehlt, und ihre Hüfte hatte
thn geftreift. Sie nidt langjam, deutlich
und bod) nur um einen Deut, während fie
mit der Rechten die Roje hält. Endlich ijt jie
an ibm vorüber, er glaubt einen Atem von
Kühle, einer gebabeten, frijchen, braunen
Haut zu [püren, einen Nixenhaud), er Hort
das leije Raujden ihrer Kleider. Gie geht
langjam weiter, er fiebt [ie mit der Rechten
die Roje empor an ihre Bruft heben. Gte
Hedi fie dott an, am richtigen Plage.
Mus:
Am Nachmittage wird beim Kaffee an
den &ijden vor dem Hotel das Ereignis
der Caijon bejproden: Modernes Enjemble
der Madame Üiberader. Heute: „Der Sohn
der Wildnis”, Dbramatijdes . Gebid)t von
Friedrih Halm. Bei der Parthenia ftanden
drei Kreuzen. Unten waren fie erflárt;
Madame Friederife Therefe Überader als
Debut. Dak man gehen wollte, war: jelbit»
veritändlih; man verjprad jid) auf jeden
Fall Unterhaltung. Der Baron Bühl, ein
ftattlicher Fünfziger, ber hier ein großes Gut
hatte und bie meifte Zeit des Jahres bier
verbrachte, ein weltfundiger, funftfreundlicher
Herr, fagte: „Sch möchte lieber nicht bins
gehen.” „Warum niht?” bedrángte man ibn.
„Ih tenne diefje Schmieren. Sd) habe [Hon
jo viele gejehen. Elend und Armut, Un»
fahigfeit und Eifer, Pathos, bas jid) läder:
lid) macht, ein Unternehmen, bas auf den
Hohn, auf bie Schadenfreude der Suldjauer
berechnet ijt und fid) Dabei bod) jelb[t durch—
aus ernft nimmt. Cine Runft, die wirklich
nad Brot, nad) dem armieligiten Stüdchen
trodenen Brotes geht und dabei zu den
Sternen ſchmachtet. Sie fpielen die ‚Räuber‘
mit fünf Perjonen, und nicht nur Franz
und Karl Moor werden von einer, fondern
auch die ganze Bande.von einer einzigen
andern gegeben. Sie haben nichts gelernt
unb alles vergejjen. Als fie jung waren
und Hoffen durften, war es ganz zuläſſig,
aber nad) einem Dugend Jahren? Gie
weinen unb briillen und reißen Rulijjen und
ſchämen fic nicht im mindeften, ebenjowenig
wie wir, daß wir Menfchen ausladen, die
es jo ernft meinen und fich jo treu bemühen.
Sie müſſen zujehen, wie wir lachen, bei allem
Schweiß unb im Angelicht des Souffleurs
auf uns Publifum aten. Dabei tónnte es
bod) fein, daß fie zu etwas anderem, Hr be
licherem taugten, wobei ihnen wohl wäre,
wobei [ie mehr verdienten und endlich aus
der ewigen Gorge herausfämen. Aber das
wollen jie ja gar nicht, wollen nur ‚ihre
Runft' — ihr Hundeleben!“
Die Schmadtende, die nod) die gelbe
Rofe on ber 3Brujt trug, jagte nachdenklich:
„Und dod haben bie meiften großen Shau:
jpieler jo angefangen.“ Gie fentte rajd) bte
Wimper, den Iangbefraniten Vorhang über
dem dámmerigen Schauplaß ihrer Gefühle.
„Aber fie haben nicht fo aufgehört.“ , Biel:
leicht gibt es auch heut’ einen Helden für
19*
284 PSSSSSSSESSESESA Otto Stoeſſſ: sees
bie ‚Burg‘ zu ſehen!“ „Nun und wenn!
Um fo trauriger, daß er dann für uns bier
[pielen muß.“ „Sch freue mid), bevor wir
fortfahren, nod) den Spaß zu haben,“ fagte
die Schmadtende, die mit einem gidt:
brüchigen alten Herrn hier war, ihrem reichen
Ontel, der ihre Launen und Einfälle mit ger
lajjenem Witze hinnahm. Site wollten bald
nad) Ling und von dort mit dem Sdiffe
nad) Wien reifen.
Am Abend fand fid) der Theaterfaal bes
Eintehrgafthofes „Zum braunen Ochſen“ ges
ftedt voll. Der „Braune Ochſe“ war ein
altes Bauernwirtshaus, das nur von Vieh»
bünblern, Gchwerfubrwerfern im Borüber:
ziehen, fonft von ben Ortsanjájfigen bejudt
wurde, Die Sommergáfte famen für ge:
wöhnlid nit bin. Es lag in einer Ede
des Marktes, an ber StraBentreuzung, weit
weg vom Gee und von den hellen Lands
bäujern und vornehmen Hotels. ber es
hatte eben den Theaterjaal, das heißt eine
geräumige Diele, wo ein Podium aufge:
ſchlagen war. Wud ein Vorhang, rot mit
goldener Lyra, war vorhanden und ein
Gouffleurtaften. Im Winter wurde bier
getanzt. In den vorderen Reihen faken die
hodgeehrten Zufchauer, bie Sommergäfte,
die gelangweilten jungen Herren in weißen
Anzügen, mit Nelten im Rnopflod, bie ver:
heirateten Damen mit den Batten, die jungen
Mädchen. Weiter hinten bas weniger hod:
geehrte, aber das eigentliche PBublitum, bas
für eine Krone Entree minbejtens einen
Kunftgenuß fürs Leben gewärtigte und fand.
Es fam darauf an, für wen gejpielt wurde,
Auch da gab es wieder „Schichten“ der Ges
jelljdjaft: den beleibten Tierarzt mit Gee
mablin und Töchtern, den Biirgermetfter,
feines Gewerbes Fleiſchhauer, den Bäder,
den &ijdjler, ben Schuhmachermeifter, alle
mit ihren Frauen in ſchwarzen Kleidern mit
goldenen Brojden und modernen Hiiten.
Die Fräulein in den erjten Reihen trugen
Dirnditleider und benahmen fih gar nicht
zurüdhaltend. In den hinteren Reihen, wo
man nod) wußte, was fih gehörte, befliß
man fic) wiirdiger Zurüdhaltung. Nod)
weiter hinten waren die Namenlojen, bie
Bauern in [d)meren Stiefeln, Rnedhte, Mägde,
die aud) jdjor wieder mit dem Dirndl:
gewand ein ungezwungeneres Benehmen vers
einbar fanden unb ficherten, Kinder, viele
Rinder von jechs bis vierzehn Jahren, [tan:
ben ganz hinten, blonde, blauäugige Einfalt,
vielleicht wartete die eine oder andere auf
ben Funken, ber von der Bühne in ein Herz,
in ein Gehirn fallen fonnte. Wer weiß?
Die meijten aber Iutjchten Erdápfelzuder.
Ein Rlavierjpieler, der zu follen Gelegens
heiten immer verfügbar war, Happerte etwas
wie eine Ouverture. Dann begann Die
Komödie.
grau Friederike Therefia fiberader als
Parthenia. Ihre Tectofagen, es waren nur
zwei wilde Männer, bie Bauernlammfell-
jaden mit nach außen gewendetem Futter
umgebángt und mächtige Bárte trigen,
jagten immer ,Bardenia”. Die edle Zäh—
merin bes Widerjpenftigen hatte ein roja
Tarlatanfleid, das ihr nur bis an bie Knöchel
ging und mit geringen Veränderungen jeden
falls auch im modernen Luftfpiel als Balls
trabt ber „Naiven“ verwendet zu werden
pflegte. Borfimishalber — für den Salon:
gebraud) — war es unter dem Halje — zu
weit darunter — ausgelchnitten und mit
Rüſchen bejebt, aus denen fnodjige Schulter:
blátter und ein langer Schwanenhals —
einer der Herren nannte ein genießbareres
Federvieh — hervortraten. Auf diejem Halje
laß ein großer, forgfáltig frijierter Kopf mit
gebrannten 2óddjen, ein altes, abgebraub:
tes Gejid)t mit großem, vom vielen langen,
lauten Gpreden ausgearbeiteten Munde.
Der Mund und die noch ganz anftändigen
Zähne bejaBen ohne Zweifel Ausdrud. Den
Ausdrud von müder Schwärmerei, von ob,
geraderter Gehnjudt, von alltäglicher Bes
rufsleidenichaft, Brotjorge und Trog und —
Gefalljudjt. Ihre Augen, braun und fling,
[aben gewijjermaßen iiberallbin, ob alles
reit war unb am Plage, Publifum, Mit:
jpieler, Requifiten, Petroleumlampe in der
Mitte — fie raucht bod) wohl nicht? — und
Kerze im Gouffleurtaften! War der alte
Glagtopf verläßlih? Ihre Arme, bis zu
den Schultern bloß, [dienen fehnig und
bager, die Ellenbogen [tadjen jpit hervor,
unb am Halfe hatte fie viele Falten. Übrigens
aud an den Schläfen und Augenwinteln.
Sie lächelte als junge Griedin wie eine
Giinfgehnjabrige, fie ſprach ihre Berfe, wie
man vor zwanzig Jahren mit zwanzig Jabren
gefíblvuol und jentimentali|d) redete. Die
Bühne war febr eng, taum zwei Leute hatten
hintereinander Blak. Gie mußte fi) nad)
ihrer eigenen Infzenierung unb Borjchrift,
von ber fie fid) Wirkung verjprad, in ber
Ede niederlajjen. Die Dede jtand niedrig
über ihr. Friederike Therefia war zu bod
gewadjen, beim „Schreiten“ jchien fie die
Wolfen zu berühren. Go waren die Bors
züge ihrer Bühnenerjcheinung hier nadteilig.
Wher wenn fie jab, bodte und ihr finniges
Körbchen hielt, aus weldjem Ingomar die
Blumenfprabe lernen jollte, erwies fid) ber
Raum auch wieder als zu |djmal, [te mußte
alfo die Beine über das Podium herab»
hängen laffen, was einerjeits auf moderne
ses SC Die Schmiere sees sl 285
unmittelbare Wirkung berechnet war, aber
anderjeits wieder zu Bemerkungen des vor:
derften PBublitums Gelegenheit bot. Die
Mädchen lachten, je inftändiger [te es ihnen
gleihtun wollte, die bod) aus einer ganz
andern Schule famen und anders Theater
ipielten. Die Herren rijjen gewagte Wie
und redeten in den Dialog hinein. Madame
fiberader aber ließ fid) weder aus ihrem
Lächeln, nod) aus ihrer Rede bringen, uns
aufhaltiam ftrömten die glatten Berfe von
ihren bitterlich jüBen, überroten, [chmalen
Kippen, und ihre gebebten braunen Augen
nur [prangen unruhig überallhin, wie Vögel
im Käfig. Ingomar war nadlajjig, ein wilder
Gentleman, er benahm fic auf gute Manier
unmanierlich, er |prad) modern, [Hon weil er
über der Rolle ftand und dem Gouffleur
folgte; er hatte ein gewiſſes jpöttijches Lä—
heln über Madame berader, aber aud
über bie Herren ba unten und über bie
Damen, denen er feine eigene Poefie gab,
ftatt der papierenen des Herrn von Halm.
Je weiter das Gtúd vorwärts ging, deito
lauter wurde in den vorderen Reihen mit:
geipielt, mandmal [djien fic alles in einen
wunderliden neuen Dialog gwijden den
Herrjdaften unten und Parthenia mit ihren
Zectojagen oben zu verwandeln. Als fo
die Handlung verdunfelt wurde, bejchwerte
fid das hintere Publifum mit Zijchen, gebot
Ruhe. Die Dorderen befannen fih bann einer»
feits ber eigenen, anderjeits der Würde des
Ortes und [djmiegen rin Weilden, fo daß
Parthenias Rede wieder mächtiger anjdwol,
Hinten wurde Beifall geflatjd)t. In dem
Wogen und Diurmeln ber ftaunenden Bes
wunderung Deler Wilden hinten, die hier
aud) von der Runft gebünbigt und erzogen
werden wollten, batten die Unerziehbaren
vorn Gelegenheit zu laden. Den Baron
Bühl jchüttelte es. Er ftand in einer Ede,
SBartbenien gegenüber, und lachte lautlos,
bas Geſicht mit der Rechten bededend, denn
er |dümte fi. Gie mußte ibn ja leben.
Die Ihmachtende, bráunlidje Mandeläugige
aber neben ihrem alten Ontel lehnte fih in
ihrem Stuhl zurüd und war ernft. Der
wilde Ingomar jpielte für fie. Ihr galten
feine feden Nebenbemertungen, fic fing feine
Blide auf, bie er ihr Pott Rofen zuwarf,
wobei er aber nachläſſig Donn und ging und
fret war, als ftünde und ginge er unter
hohem Himmel. Gie blidte fühl und gelang:
meii, Damit niemand bemerkte, daß diefe
Unverfhämtheiten auf fie gemünzt waren.
So ward ein 9[ft nad) dem andern abs
gejpielt unter Laden und Spott vorn, unter
Beifall und fämpfender Aufmerfjamfeit hin:
ten. Für wen plagte jid) Madame Tiber:
ader, für wen Ingomar? Gie nahm Riid:
fit auf bie „Gebildeten“, indem fie ihre
Zwiſchenrufe ertrug, ja fogar gelegentlich
wie in einem ſchweren Einverjtändnis mit
einem Lächeln beantwortete, bas um Ges
duld bat, fie zeigte ihre mageren Beine,
bob ihre bürren Arme verführerifch auf und
wand ihren faltigen Hals hierhin und ba:
hin, gang wohl wifiend, daß alles den Teu:
feln vorn ein Extravergnügen war. Aber
die Rolle nahm fie bennod) bin, rif fie fort
unb machte ihre Rede über die Worderen
hinweg zu denen hinten dringen. Die Berfe
Iprangen und [djmangen fih zu den Bauern,
zu Tijoyler unb Schufter, zu den Knedten
und Mägden, zu den mit offenen Mäulern
ftaunenden Kindern hinüber. Denen galt
fie, galt die Komödie, Handlung und Qe:
dicht, Leben und Kunft, galt thre eigene,
Friederile Therefia liberaders Abficht, Bes
deutung, Schönheit und edler Anftand. Gie
jpielte für beide Teile, für zwei Mejen inihrem
eigenen Gelbjt und für zwei Ungeheuer da
unten. In ihr ftand eine alte, wetterharte,
verlorgte, Truppe, Geld, Requifiten und
Mannihaft zufammenhaltende, faltenhallige
Brinzipalin, bie felbft die noblen Bejtien
bei ihren Schwächen paden wollte, und bie
tar Parthenia heut, Amalia oder Wild:
feuer morgen, war Gelbjtberaujdung trog
allem, war Theaternárrin und Gedidt,
Schwung und Begeilterung, gelebtes Leben
im Spiel, war höhere Wirklichkeit, wört:
lichere Wahrheit, als diefe Elenden aud nur
ahnen konnten. Sie verneigte fih nach jedem
Alte, indem fie zierlich ihren Rod mit den
Fingerſpitzen aufhob vor den Vorderen, ihnen
lächelte fie zu. Sie ertrug ihr robes Laden.
Denen da hinten aber jdjentte [ie den ruhigen,
gebteterijdjen und danfbaren Blid ihrer
traurigen Serrjderaugen. Den MBVorderen
warf fie, damit fie ihren Spaß Hatten, zu
guterlegt nod) ein Kußhändchen bin, ehe fie
nedijd) Hinter bie Rulijje zurüdtrat. Gie
verftand ihr Geſchäft, fie fühlte thre Runjt:
Madame Friederife Therefia flberader. —
Ingomar aber tat nur gezähmt und jeßte
jeine im Stüde angeblid) erlernte Erfahrung
über bas Wejen der Liebe praftijd ins
Gegenteil um. Denn wabhrlid, nicht auf
jittige Gegahmtheit tam es heute an, das
wußte er aus bejjerer Einjicht, als der Herr
von Halm. Vielmehr auf Wildheit und
Raub, auf unverjchämte Herrichaft: Liebe
oder Leben. Liebe und Leben! Cinbrud
ohne viel Zweifel und Bedenken! Dazu
waren diefe Herzen da und bereit, bas wurde
verlangt. Cie follten auf ihre Roften tom:
men. Er [djmintte jid) rajh ab und erreichte
die Schmachtende eben, als fie vor dem Hotel
986 Ben
einen Augenblid allein Honn, um auf jemand
zu warten. Cr verneigte fich eilig vor ihr.
Sie dankte mit einem fremden, erftaunten
Blid. Er aber ftaunte darüber gar nicht,
vielmehr flüfterte er, indem er Iangjam weiter:
ging: „Ich warte am Ufer.“ Sie warf ihm
einen Blid zu vol Berwunderung, Be:
luftigung, Ärger, als fei feine Zumutung ein
Mifverftandnis. Das Härte fih |páter [Hon
auf, Er nidte noch einmal leicht mit dem
Ropje und verfdwand in den dunklen Biis
iden, denn eben fam ein ganzes Rudel aus
der Halle des Hotels hervor, junge Männer,
Damen in Dirndlfleidern, Schals umge:
ſchlungen, lachend, angeregt, vor bem Speijen
und bereit zu allerhand abendlichen Unter:
haltungen. Ingomar hörte nod, wie [ie
„Bardenia“ riefen.
& 88 88
Er beeilte fid) mit feinem Nachtmahl im
„Braunen Odjen” und Dep fic) weder von
der durd) den Erfolg erfreuten Pringipalin
nod) von feinen minder unternehmenden
Kollegen abhalten, weitere Krügel des ans
genehmen braunen Bieres zu vertilgen, das
hier ausgefdentt wurde. Vielmehr empfahl
er fid) fura, warf fein „Mahlzeit“ faft per:
üdjtlid) bin, zahlte feine Zeche und ver:
ſchwand, nicht ohne daß bie Tiberaderin ibm
ängſtlich nachſah. Sie hatte eine mit Ge:
Ichäftseifer gemilchte, burd) die Rüdjicht auf
ihr Enjemble weije eingeld)rántte Borliebe für
ihn. Er gefiel ihr als Menſch, als junger un:
bändiger Burjch, als Abenteurer, fie fonnte
ihn in der Truppe gut verwenden, darum
überjah [ie auch feine häufigen Launen, ge:
niigte, jo weit es nur irgend angängig war,
feinen oft unverjhämten 9Injprüd)em und
Vorſchußforderungen, aber [ie zitterte um
ihn, denn er war immer auf dem Sprunge,
alles ftehen und liegen lajjen, wenn ibm
der Raptus” fam. Diejer Halbjahrsraptus
erldten aber immer gerade in ber guten
Sahreszeit, wo jolche Seitenfpringe am ge:
fabrlidften waren. Im Winter, wenn [ie
jelbft nicht aus nod) ein wußte, wenn fie in
ungebeizten Duartieren lagen, froren und
vor leeren Häujern [ptelten, um den Betricb
aufrechtzuerhalten, war er ganz vernünftig
und anbünglid. Schon bas dritte Jahr.
An ftändige Bühnen fam der arme Kerl
wohl nicht mehr. Sie beobachtete im ftillen
ganz genau, wie er im Winter Briefe nad)
allen Meltgegenden ausihidte und vorteil:
hafte Photographien gujammenjudte. Es
mangelte an Garderobe, an Gelegenheit, an
Reijegeld. Immer fehlte etwas unb immer
war es gerade das wichtigſte. Aber trop-
dem Honn er immer auf Dem Cprunge, als
wollte er noch anderes als Engagement,
Ime] Otto Stoll: ëss
Rolen, Vorſchuß und Beifall. Sie fannte
diefje Schmerzen, würdigte fie und fürchtete
für ihn. Wenn er einmal den Raptus bes
fam und wirklich aus|prang, Dann war alles
aus! Ihr Enjemble war auf ihn geitellt.
Er war Jozujagen der münnliche Stern. Die
Kritit hat leicht reden, daß man eine Bühne
nicht jo führen dürfe! Wachlen einem die
Liebhaber aus der flahen Hand, konnte fie
die gleichwertigen Kräfte aus der Erde
ftampfen? and fie denn gleich einen ans
dern? Ingomar hatte die Vorzüge feiner
Mängel. Da war nichts zu maden, als daß
man ein Auge auf ihn batte. Das andere
mußte man zudrüden. Heute hatte der Junge
gewiß etwas Neues vor. Die Gage hatte
er auch [don befommen, einen Vorſchuß
dazu. Wolle Gott, daß er vernünftig blieb!
Ihre Augen flatterten unruhig wie bie
Bögel im Bauer, indem fie den gefährlichen
Helden begrüßten, aber zugleich den andern
in der Runde die Honneurs madten.
Ingomar aber betete um eine tolle Bes
ftätigung feiner Unvernunft. Er wandelte
an dem einjamen Ufermeg unter den taufend
blinfenden Sternen der Haren Nacht, raudte
eine Zigarette nad) der andern und wartete,
ob die Schmadtende fame. Er befaßte [id)
mit dem Gedanten, wie es auszulegen wäre,
wenn fie nicht erjchiene. Das mußte feines-
wegs eine Ablehnung fein, mußte feineswegs
bedeuten, daß fie ihn als einen Fredling
nicht weiter beadjtete. Gie fonnte ja eine
Abhaltung haben als junge Dame, deren
Schritte bewadht wurden.
Er wartete. Alerhand Herridaften famen
vorbei, Paare, größere Trupps. Gelegentlich
bemerfte man ibn und flüjterte fid) etwas
zu, bas fid) auf ihn bezog. Seine Zigarette
funtelte wie ein böjes Raubtierauge. Er
lauerte in ihrem Rauh. Bom Hotel dran«
gen Lärm, Tellerflappern, bas Geräuſch von
Beiteden, Stimmen Derüber. Ein Klavier
jpielte einen Walzer. Wurde dort getanzt?
Gr überlegte, ob er nicht hingehen und ein:
treten folte. Der große Speijejaal mit den
noblen Leuten jchredte ihn aber ab. Er
paßte nicht in joldje aufreizend wohlhabende
Gefelljdajft, objdon er gerade bei Kaffe war.
Ste tonnten ihn über bie Achjel anjehen, er
befäme dann aber unweigerlid) Luft, mit
einem joldyen Affen anzubinden. Dann gab
es einen Rrawall. Duelle mit einem Man:
dermimen? Gein Touriftenanzug war für
Gottes freie Natur, für Sternenhimmel und
leijen Wellenjchlag der Ufer bejtimmt, für
Menjchentinder, nicht für Hoteljaalgajte.
Hier ſcheute er feinen Fürften, dort war er
ein unzujtändiger Zaungalt. Er wußte ges
nau, wohin er fid) zu jtellen Hatte. Und
ee Die Sdhmiere Lee 287
diefe Schmadtende mußte es auch willen,
wenn fie überhaupt ein Gefühl ihrer eigenen
Menſchenwürde bejaB. Wielleicht tanzte fie
dort oben. Er ftellte fih ihre volle, ſchlanke
Figur vor, wie fie im Arm des Tänzers
faft lag, ben [d)meren [djmargen Kopf über
feine Achjel Berüberbüngen laffend, gleid)
einer überjchweren Roje, die Mugen halb
geihloffen. Er hätte gern mit ihr getanzt,
einen Walzer mit [djiebenbem Zweilchritt,
als wiegte man fih zwijchen Himmel und
Erde, aber irgendwo unter Gternen, auf
einem weißen, ftillen &iespla& nad einer
fernen Mufil, fie zwei ganz allein auf ber
Welt unterm Licht der ftillen Lichter oben,
unter wehendem Bäumeraujchen, erjchroden,
wenn über ihnen ein Vogel mit jchwerem
Fluge auffubr. Wher das ließ jid) wohl
nicht machen. Nie fonnte er zu einem jolchen
Tange fommen, ebenjowenig wie zu einem
in der Réunion eines Rurfaales ober dort
im Hotel. Das war vorläufig zu viel ver:
langt. Borläufig! Wenn fie heute nur über:
haupt fam. — Halt! Da fam fie! Gein
SBunjd) hatte fie gerufen. Cie fam auf das
Stihwort. Die verftand ihre Rolle! Er
war auf ihre fpátere Auffafjung gejpannt.
Nicht allein tam fie, fondern in Begleitung
bes alten Herrn, der fic) miibjelig an feinem
Stode fortbewegte, und eines jüngeren, der
febr befliffen lächelte. Hinter ihr folgten
aber nod) etliche junge Damen und Herren;
fie alle gingen langjam, ladten und flüfter:
ten. Hier und da gab es ein ordentliches
Gejdret unb einen richtigen Lärm von
Stimmen durcheinander. Er ftand ftill, er
wid fogar einen Schritt zurüd, um dem
Zuge Pla zu machen. Es war hell genug,
daß man ihn jehen konnte, mußte, fo wie er
die andern jah. Aber das hatte auc feinen
Nachteil, denn die ganze Geſellſchaft, bie
eben nod febr laut unb ungezwungen ges
ſprochen und gelacht hatte, ſchwieg plößlich,
wie auf ein Zeichen, und bewegte fid) be:
haglich, aber riidjidjtsvoll abgejchloffen —
o diefe guten Manieren! — an ibm vor:
über, als an dem Fremden. Bewiß batten
fie über das Theater geredet, über dieje un:
glüdliche alte Madame und über ibn. Siders
lid über ihn. Und hatten ihre Mib5e ge:
rijjen und fühlten nun Mitleid mit ihm und
Ihwiegen darum. O daß einer es gewagt
und ein Wort hatte laut werden laffen! Er
war gerade in der Stimmung, fih heute
einen ungebetenen Zwijchenrufer auszuleihen,
aud) ohne Gtod, bloß mit beiden Fáuften.
Aber nein, diefe Ranaillen wareh taftvoll.
Sie gingen in ihren weißen Sommerjchuhen
wie auf Filzjohlen vorüber, und bie Schmad):
tende warf ihm nicht einmal einen Blid zu.
Das war übrigens ein feiner Zug, aud
diejes Ausweichen des Blides war ja gerade
auf ihn gemiingt, aljo mehr als ein Blid.
Lautlos, wie die Buppen in einem Mario:
nettenfpiel, 30g bie Gefell[Maft an ibm vor:
über und verſchwand Hinter den Fichten und
Strdudern vor dem Hotel. Gleich nad)bent
fie durch diefe &ulijje verborgen und von
ihm getrennt waren, begannen fie wieder
zu lachen, zu [bwaben, er unterjchied beut:
lid) die Stimmen. Da gábnte die lang:
weilige des |djlanfen, eleganten Ravaliers,
ber neben der Schmadhtenden ging, bie turze,
behaglid) muntere bes diden Barons Bühl
rief boren, er fannte ihn, bas war der Herr
bieler Gegend, ber das jchöne alte Schloß
und But bejaB und den jeder gleich par
renommé jchäßte, der hierher fam. Dann
hörte er mehrere Mädchenftimmen, belang:
Iofe, bie [o lachten, als ftiegen fie in ein faltes
Bad. Syebt mußte bie Schmadjtende etwas
gejagt haben. Das war ihre Stimme, ein
gurrender Taubenton, aus biejem vollen,
Ihönen Bujen, faft aus dem Herzen, aber
da fie vielleicht feines hatte, wenigitens fein
moralijches Herz, wenn man fo jagen darf, fo
lam der Ton von etwas höher oben, zwis
[den Hals unb Bruft. Ingomar hätte die
Stelle mit dem Finger bezeichnen Zommen,
woher fie diejen Ton ihrer gurrenden Stimme
309. Ja, das hätte er können. Übrigens
nahm er fid) vor, dieje Prüfung nachzuholen,
wenn es einmal fo weit war. Aber fam
es fo weit? Was bedeutete diejer Spazier—
gang mit Gejeljdaft am Ceeufer? War
das ihre Art, feiner Aufforderung zu ents
jpredjen? Wollte fie ibn fo zum Narren
haben, juft indem fie ihm gebordte, aber
nur halb? Bei einem folchen holden, janfs
ten, jchweigjamen und immerhin taufends
fad) bewadjten Gurrefind war niht ein
Schrittchen, nicht ein Wörtchen, nicht ein
Lächeln, nicht ein Schmadten und Vorüber:
wandeln, Stehenbleiben, Sichumſchauen oder
Sichnichtumſchauen ohne feinere Abſicht,
ohne tiefere Bedeutung. Darum aud) nichts,
das nicht ihm galt, nicht auf ihn gemiingt
war, denn wenn ein Frauengimmer unter
Taufenden den einen |pürt, der es auf fie
abgejeben bat, jo jpürt ber es gewiß unter
Tanfenden, in Gtodfinfternis und Wülte,
wie und wann fie thm antwortet. Denn
alles ift Antwort, was fie tut und unter:
läßt. Go fam die Sdmadhtende entweder
in Geſellſchaft hierher, weil fie anders übers
haupt nicht hätte tommen Tonnen, ober fie ging
jo ftumm vorüber, um jpáter allein wieder zu
erjcheinen, damit er fic) bis dahin gedulde
und wenigftens vorläufig einen Schimmer
vonihrhabe und behalte. Geduld, liches Herz!
288 see eeh Otto Stoeffl: seis
Er ging langjam ben Berfchwundenen
nad) und jah, wie es feiner erprobten Ges
wobnbeit entjprad), zu Boden. Da lag
weißer Gano. Halt! Unmittelbar vor dem
Föhrenwäldchen, burd) Dellen Stämme bie
Lichter bes Hotels ſchimmerten, hob fich
etwas Kleines vom lidten Ries ab Er
biidte li) Danad. Hoho! Ein weißer
jeidener Handſchuh, ein langer, ber bis zu
den Ellenbogen reichte, mit halben Fingern,
leicht gewebt, wie aus Spinnfäden und —
er führte thn zum Munde — woblriecend,
nad ganz fernem, leifem, unbeftimmtem
Parfüm und nad) einer holden, leicht ges
bräunten fühlen Haut. Gie hatte ihn vers
Loren, Natürli fie! Konnte er fid) nicht
erinnern, ob fie Dente im Theater folche
$anb[dube getragen hatte? Das war zu
viel verlangt, daß er fih diefe Einzelheit
ihrer Kleidung hätte merfen follen, aber es
war niht anders móglidj Es pakte zu ihr,
die Form, bas leichte, Doble, jeibene Gewebe
mit den dünnen Majden, der Atem fernen
Wobhlgeruds wie aus fremdem Morgenland
und des nahen fühlen, gebadeten Wrms, der
gebräunten Haut. Gewiß, fie hatte ben Hand»
ſchuh verloren. Berloren? Mehr, fie hatte
ibn verlieren wollen! Für ihn! Als 3ei-
den und Gewähr, als Wink und Antwort,
als Beftelung und Wbrede. Gein Herz
tlopjte. Trogdem das Herz in joldjen Ans»
gelegenbeiten zulegt gehört werden folte,
machte es fih bod) zuerjt vernehmbar, und
wohl nur, weil es immer flopft, glaubt man,
iede €ieb|djaft pohe an diejer Tür, und man
ſpricht vom Herzen, wenn alles andere mits
bejdjáftigt bleibt. Er liebte mit den Sinnen,
mit den Augen, die in der Nacht [o viel,
mehr nod) jahen als am Tage, mit dem
Gerud), ber die Herkunft bes Duftes eines
Handjdubes ertannte, mit bem Gedádtnis,
das fid) jede Linie eines Körpers, einer
Behenden, Verweilenden merlte, mit den
Händen, mit den Ohren, die das Tauben:
gurren einer Gtimme aus vielen gleich:
gültigen auf die richtige Stelle bezogen, von
ber es fam. Er liebte aber aud) mit bem
SBer|tanbe und wollte daher überlegen, was
mit diefem Zeichen gemeint war. Gie hatte
den Sjanb|djub im Weitergehen verloren,
nein beffer: fallen laffen. Mjo mußte, nein
folte er thr nadfommen, um ihn zu finden.
Und dann? Dann, eben in ihrer Nähe
warten. Auf fie, oder auf ein neues Zeichen.
Er ſchlich daher durch bas fleine Behölz,
weiter, bis er an der Geeleite des Hotels:
außerhalb der Terrafje antam. Das mehr:
ftödige Haus fah mit vielen dunteln, vielen
bellerleuchteten Fenftern herab auf ihn. Er
ftand auf dem großen Plage vor der Terrajje
allein. Die Terraffe war leer. Die Abende
am Ufer waren jebt jhon den verwóbnten
Reuten zu kühl, darum faken fie alle im Gaal
oder in ber gejchlofjenen Blasveranda. Nur
ein paar eleftrije Rampen brannten fühl
über den leeren, weißen Tijchen. Er über:
legte, ob er fid) hier vielleicht niederlafjjen
jollte. Er allein mußte wohl auffallen, bes
jonders, wenn er nad) Bedienung rief und
-mehrere Kellner durch Bejtellung in Atem
hielt, in Bewegung febte und zwang, Durch
Gaal und Beranda bier hinaus zu laufen,
Bier, Effen zu bringen, Tijd zu deden, Bee
fte® zu holen und jo fort. Er konnte bie
Burjchen mit vielen Gängen in Atem halten,
es lam nur auf jeinen guten Willen und auf
die Ausgaben an, bie er jid) eben leijten
wollte. Das hatte er denn bod) nod) in
feiner Macht, daß ihn Kellner bedienen
müßten, wie fie dieje höfliche, ifolierte
Schwefelbande da drinnen bedienten. Bor
bem Gefindel brauchte er feineswegs aurüd:
gujteben, es war alles nur eine Gelbfrage.
Aber wozu ſolche Depenjen? Geduld! fiber:
legung! Borficht! Es handelte fid) ja nur
darum, wie er am beiten für das Befte
bereit blieb. Er mußte ganz [til unb ge:
duldig warten, ob und wie fie fid am
Ende neuerlid) bemerkbar madte. Co
ftand er auf bem Plate vor ben vielen
Fenftern und unterlag der Verſuchung nicht,
ein feines Abendefjen auf ber Terrajje und
mit vielem Hin und Her der Kellner heraus»
zufordern, vielmehr ftand er [till ba und
wartete, indem er bloß eine Zigarette um
die andere raudjte und ihre glimmenden
Augen durd) die Dunkelheit funteln ließ,
oben ftanden und funtelten die Sterne gleich
geduldig. Cine Stunde oder mehr. Er
hatte Zeit genug. Er war aud) das Stehen
gewohnt. Hier und da pfiff er etwas vor
fid bin. Es múódte fein, daB man ein
Zeichen benötigte. Wher das ließ er dann
wieder, es war vergeblid), jolange brin
Klavier gejpielt, getanzt, gegeljen wurde,
folange Teller Happerten und eleganıe Tiere
auf nichts anderes au[merfjam waren, als
auf ihren Hunger. Wher aud) das fand ein
Ende. Er fonnte fehen, wie bie Glas.
veranda allmählich leer wurde. Mud ber
Gpeifejaal wurde leer, das Klavier verftummte.
Er jah die Kellner die Tijdhe abráumen.
Die Hotelgäfte gingen wohl zu Bett. Es
iblug zehn Uhr. Im Saale, in der Veranda
ließ man nur mehr für etwaige Nachzügler
eine und die andere Glühlampe brennen, Die
übrigen drehte man ab. Auf ber Gerrajje
brannte gar feine mehr. Jebt war die Zeit
günftiger. Jebt erbellten fid) die Zimmer:
fenfter in allen Stodwerfen, jebt gingen Die
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Innenraum
E Die Schmiere 289
Herrſchaften ſchlafen. Er glaubte ſogar die
betreffenden Geräuſche zu hören, Waſſergüſſe
in Waſchbecken, Türzuſchlagen auf den
Gängen, vereinzelte Klingelzeichen oben,
unten, einmal dem Zimmerkellner, zweimal
dem Stubenmädchen, dreimal dem Haus—
knecht, jetzt rechts, jebt links, jetzt oben, jest
unten, die letzten Schlachtrufe eines müh—
ſeligen Hoteltages. Dann ward alles mäh—
lich ruhig. Der Koloß legte ſich in ſeiner
ganzen Maſſe hin und ſchwieg, die Lichter
in den Fenſtern erloſchen allmählich. Wels
ches war das ihrige? Denn jetzt war es
immerhin Zeit. Cs ſchlug elf. Er pfiff jebt:
bojotobob, nicht allgulaut, aber immerhin
vernehmbar. Jm zweiten Stode öffnete fih
daraufhin — gewiß — eine Scheibe, flirrte
leicht, er fab hinauf. Cin Arm [tredte fih
aus und warf etwas hinunter, jchloß dann
bas Sentier, Cs war bas Jecdhite von Der
Ede nad) rechts gezählt. Er juchte den
Gegenjtand. Diesmal Hatte er jchwerer
juden, denn das Ding mußte in ben Shat:
ten bes Baues auf den Boden gefallen fein.
Er maß die vorausfidtlide Entfernung ab.
Er jpürte mit dem Fuße. Er ep endlich
auf etwas fleines Rajchelndes und hob eine
Balb verweltte gelbe Rofe auf, mit gefnidtem
Stengel. Das war ja feine Mtarédhal Niel,
er ftad) jid) nod) leicht in eine ihrer Dornen.
Nachdenklich jtedte er diefe welfe Bot:
Ihaft an feinen Jágerhut und ging um Die
Ede nad) bem Hoteleingang auf der Straßen:
feite. Hier war nod) Liht in einem Zimmer,
dem jogenannten ,Tourijtenftiberl” oder der
„Schwemme“, wo die minder zablungs:
fähigen Wanderer für geringes Geld abge:
ipeift wurden. An einer Ede faBen denn
aud) — et jchaute von der Straße hinein —
ein paar abgeraderte, von der freiwilligen
Anftrengung hergenommene, in alle ftandess
gemáge Berlumptheit, als in das dels:
gewand bes Bergiports vermummte foge-
nannte Naturihwärmer und Fexen, deren
Bergitöde an der Ede lehnten. An der
andern aber madjte fih an einer Holzbank
vor einem großen gebohnten braunen Tijche
das Hotelperjonal breit, Garcons in jdware
zen Fräden, Schankburſchen, Kellnerinnen,
und verzebrten ihr verjpätetes aufgewärmtes
NHadtmabl, das braune Bier ftand in den
hohen Glajern ganz verlodend mit hohen,
weißen Borten. Wie wärs, wenn er ein:
trat und fid) einen Schlud vergónnte? Biel:
leicht war von den LXeutchen etwas zu er:
fahren? Vian mute fie nur richtig zu
nehmen wijjen und mit ihnen freundlich fein,
ohne fie jid zu nahe fommen zu lajjen.
Aud ein Jäger mit zwei jchönen Dober:
mannbunden zu Füßen, jak bei ben Schmau:
jenden und rauchte langjam Zug um Zug
aus einem Weichjelrohr mit. einem bunt:
bemalten, geldjmadlIojen Borzellantopfe.
As Ingomar eintrat, rührte fic) nie
mand zum Empfange Es war wohl ſchon
zu jpät für Höflichfeiten und Komplimente,
am fpáteften bier in der „Schwemme”, Er
jah jid) um, nahm fein Hütel ab, juchte einen
Pla und näherte jid) endlich mit einer Teich:
ten, zugleich freundlichen und den 9Ib[tanb
ſichernden Berbeugung, der Tafelrunde der
dienenden Geifter, um (Erlaubnis bittend,
den freien Stuhl neben dem Herrn Förſter
einnehmen zu dürfen. Der weltfundige Herr
„ober“ erfannte jogleid) die Zugehörigkeit
des Herrn, begrüßte ihn als vom Theater,
fragte nad) den näheren 1Imjtánben, die üb:
tigen, bejonders bie Rellnerinnen zeigten fid)
lebhaft interejfiert, Durd) die Nähe eines
„Künftlers“ gejdmeidelt. Der Piccolo
bradte ihm devot jchmunzelnd Bier, In:
gomar tat allen berablajjend Bejcheid, er
fühlte fi) ganz wohl, er beantwortete mit
Offenheit und einiger fibertreibung die
Fragen nad) woher und wohin und wieviel.
Er ließ einige Andeutungen über Affären
fallen, Intrigen, die jeinem Engagement an
einem Hoftheater in X — ber Rame tat
nichts zur Gade — ein vorgeitiges Ende
bereitet hatten. Im Hintergrunde Der Ge:
ibibte, die aus lauter Andeutungen zu er:
ratem war, ftand eine ſchöne Frau natürlich,
bie fid) für ihn interefliert hatte, im Border:
grunde ein gewmijjer fogenannter erfter Lieb:
haber, ein im Dienft ergrauter Affe, ber,
mit einer hohen *Berjonlidjfeit vertraut, es
durchzuſetzen gewußt hatte, Daß er, ber feinen
Fürſprecher batte als fein Talent — ober
jagte Ingomar: Genie? — furz und gut
hinausgeefelt wurde. Die Gejchichte Hatte
fih vielleicht einmal irgendwo mit irgend-
wem zutragen können. Vielleicht lagen ihr
aud) gewijje ähnliche, Jagenhaft vergangene
Begebenheiten der eigenen Künitlerlaufbahn
Ingomars zugrunde Jedenfalls paßte fie
febr gut in diefe Citation, und Ingomar
ftattete fie mit allen forgfáltig beobachteten
Zügen aus. Er glaubte fie fogar jelbft.
War fie denn immabridjeinlid)? Wenn fie
ihm nicht paffiert wäre, Das wäre unwabrs
ideinlid) gewejen. Ergo! — Ecco! — Üb-
rigens verlangten die Xeutchen hier ja jolde
Gejdjdjten von ihm, Unterhaltung, nicht
Tatjachen. So war er hier, nur zur Er:
holung, zum lusfpannen und über den
Sommer, zum Spaß, Damit er nicht aus Der
Übung fam. Für den Winter war er [don
verjorgt. Übrigens hielt ihn hier — er
lächelte fein — nod etwas anderes zurüd,
eine bejondere Gade, nicht der Rede wert.
Der Oberfellner blinzelte: er verftand. Was
das betrifft, jo war dem Herrn „Ober“ nichts
unglanblid). Dieje reichen TFrauenzimmer
haben den tollften Gejdmad, fie fliegen auf
jold) dunfle Abenteuer, wie bie Miiden ins
Lit. Ja — Ingomar zog ibn beijeite —
er hätte fid) [Hon lángft vorgenommen, fid)
bei dem Herrn Generalober zu erfunbigen —
er erfand bielen |djmeidjelfaften Titel, ber
immerhin beffer wirfen mußte als ein Trint:
gelb — wer denn eine gewijje Dame eigent:
lich jet. Gr bejd)rieb fie: eine Schmacdhtende,
mit [djlanfer, aber voller Gejtalt, mit lans
gem, glattem, ſchwarzem Haar, gebráuntem
Teint, mit mandelförmig geldjIt&ten Augen,
mit einem buntelblauen SUtatrojenfleib und
gelbem Kragen, in Begleitung eines alten
Herrn, der gihtbrühig am Stode trotte und
boshaft rede. Ingomar ahmte Stimme und
Gangart fo lebhaft und natürlich nad), dak
alle zu lachen begannen und eine Ahnung
betamen, was ein Schauspieler für ein Kerl
und wozu er gut fei. Der ,Generalober"
gab alle wünjchenswerte Auskunft: fteinreich,
launenbaft, viele Anbeter, feinen aber, „auf
ben fie fliegt“, bald traurig, bald leiden:
\haftlich, ungemein gejund, mehr als lieb:
Raſſe, das heißt nádtelang tanzen, tage:
lang bergiteigen, ftundenlang ſchwimmen,
ein Probeſtück für einen 9Berliebtem. Sabe
fie vielleicht bem Herrn eine „Avance“ ge:
maht? Er lächelte bedeutungsvoll, Ingo:
mar gab es zurüd, mit einem Finger am
Munde. Davon jpridt man nidt. Mo
ging fie denn gewöhnlich fpagieren und
wann? Der ,Generalober” unterrichtete ihn
über eine jogenannte „Seufzerallee“, bie eine
ihmale Landzunge mit hohen alten Linden
einjaume und am Ende des Örtchens, den
Mauerreften, ber einftigen Befeftigung ent:
lang, eine Biertelftunde weit hinzöge. Dort:
hin pflege man nad) dem Frühſtück zu fpa-
zieren bis zur Badezeit, wenn man nicht
gerade eine weitere Landpartie, eine Berg:
befteigung ober Wajjerfahrt vorhabe. „Biel
Glüd, aber auch viel Geld!” nidte er. In:
gomar lehnte fih breitfpurig in feinem
Gtuble bintenúber, ber nur mehr auf den
Hinterbeinen ftand. O, was das betraf! —
Man nahm von ihm gar feine Zeche am.
Er war Gajt bei den freundlichen Gónnern,
er [ud fie zum Dank dafür zu feinem Benefiz
ein, bas für morgen angejebt war. Er ver:
Ipra ihnen allen Freifarten. Ja, bas
wäre [Món und gut, wenn fie nur Zeit hätten,
aber dieje Sommergájte! Immerhin, einige
würden fid [Hon fretmaden fónnen. Das
Benefiz trüge wohl etwas ein! Ja, ja, das
tat es immerhin, eine Kleinigfeit, auch die
Sommergage überhaupt, für ihn freilich nur
j Otto Stocfil: ae St
eben das Zigarettengeld, eine Bagatelle, die
man gewiljermaßen fo mitnehme, um den
anderen armen Teufeln nicht das Brot zu
vereteln. Da fei Gott vor, daß er auf fol-
chen Bettel anjtiinde. Gein Alter mülle
jhon das Weitere berappen. Er fei ganz
gut bei Kaffe. Das könnten fie ihm glauben.
Dabei ftreidelte er den einen jungen Dober:
mannbund, der fid) merkwürdig zutraulich
gerade zu ihm verhielt. Ingomar fragte
den Sager, ber ſchweigſam raudend Dbabei-
jag, um aud ihn zu erobern und in den
Madtireis feiner Wirkung einzubeziehen,
nad) dem Stammbaum des Tieres und nad
Dellen &enntnijjem, nad bem Rollenfad.
O, bas war ein ganz gejchultes, weijes Tier,
auf Polizeihund gebrillt, fähig, einem Übel—
táter nah bem Geruche zu folgen und ibn
entweder zu verbellen und mit den Zähnen
feftzuhalten oder nad) bejonderer Unweijung
und in aller Rube zu begleiten, zu ftellen
unb etwas Beltimmtes abguliefern oder ab:
gubolen, je nahdem. „Nicht möglich!” Der
Jäger beteuerte brummend die Verdienfte
feines Tieres, deffen Bruder nebenan wieder
als Jagdgenofíe feinesgleichen jude. In—
gomar wollte wetten, ber gepriejene Dober-
mann fei nicht fähig, mit einem gewijfen
Gegenftand Delen Eigentümer aufzujuchen
und bielem bas Ding ruhig zurüdzugeben.
Der Förfter hielt jede Wette. Nun, fei ihm
denn etwa der Hund feil? „Nichts für Sie,
lieber Herr!“ „Zu teuer?“ Nun, für den
Gaft wolle er [bon einen billigen Preis
maden, wenn er den Hund burdjaus Der:
geben folle, denn bas müſſe er, weil er für
allzuviele Hunde feine Verwendung babe.
Daheim befige er überdies noch einen Dadel;
ben ,Borfteherbruder” Hier, deffen Mutter,
eine gleichgute Jägerin aud), darum babe
er den Dobermann als Polizeihund abge:
richtet, um ihn eben würdig zu verfaufen.
„Wie viel?“ drängte Ingomar.
Tun, hundert Kronen, weil es Ingomar
lei, einem Progen von ben Sommergäften
hätte er ihn nicht für gweihundert hergcegeben.
Ingomar überzählte im jtillen feine Bar:
idjait, mehr als zweihundert Kronen bejaß
er auf feinen Gall, aber er überjchlug bie
Summe nur mit einem Gedanfen, dann lachte
er: „Gut, Menjchenstind! Gemadt! Götter-
freund! Her damit!” Ob er ibn aber auch
anftändig halten, füttern, pflegen könne, Das
mit es ber Kerl gut habe. „Seh' ich denn
wie ein Geelenverderber aus, folange ich
einen Biffen Babe, will id) ihn mit dem
Treueften der Treuen teilen! Wie heißt er
übrigens?“ ,Heftor.” „Na, Sjeftor, willit du
zu mir? Nun fprih! Was meinjt du zu
mir, wollen wir gujammenbalten?” Tas
ee Die Schmiere see es 291
Ihöne Tier blidte ihn mit den flugen brau-
nen Augen freundlich an, wedelte leicht und
legte jid) auf bas Gebot Des Förſters fo:
aleid) bem neuen „Herri“ gehorjam zu
Füßen. Ingomar entnahm feiner zierlichen
Brieftajche — er hielt große Stüde auf alles
notwendige Zubehör und Zeugnis bejjeren
Lebenswandels — eine Banknote, nicht ohne
die zweite und die wenigen übrigen Lappen
zu verbergen. Geine weitherzige Rajchheit
madte auf bie GejelliMaft mertbaren Gin:
drud, und er empfahl fih dann wie cin
großer Herr, leutjelig und beffer geadjtet als
vordem. — Das Herz ging einem auf, wenn
ein folder Tauſendſaſſa berfam und feine
Mindbeuteleien ausftreute.
Ja war denn alles nicht wahr und rid):
tig? fragte mit treuberzigem Geficht bas
demütige Stubenmäddhen, bas vom Ort
ftammte und nur hotelmäßig angetan, aber
nicht welterjahren war.
Nicht ein Wort war wahr. Das tónnte
fte fih bod) denten. Der arme Teufel brauchte
vielleicht morgen [Hon eine fanfte Unter:
fügung. Mer weiß, ob er fie nicht gelegent:
[id anpumpen würde. Aber das made nicht
viel aus, interejjant feien dieje Herrjdajten
vom Theater. alle, einer wie Der andere.
Man müffe fie jelbit ebenjowenig glauben,
wie ihre Stüde und figuren. Dann aber
unterhalte man fid) redjt gut mit ihnen.
Die wirklichen Leute fonft feien ja auch nicht
wabrbafter, jondern nur dDiimmer und hinter:
haltiger. Und fie machten einander und dem
Dienftperjonal nod) ganz andere Sader
ror, und was [ie verrieten, indem fie fid)
etwa geben ließen, jet noch viel weniger
harmlos als bie Fajeleien bes munteren
Bruders da und wahrlich viel weniger hübſch
vorgebradt. Aber bie (Geldjid)te mit ber
Schmadtenden, nad) ber er fih erfundigt
babe? Der Generalober wiegte den Kopf.
Da fei er fid) nicht gana tlar. Wielleicht
bloße Renommage, vielleicht Cinbildung!
Vielleicht gebe es ein Körnchen Wahrheit
babet. Wenn einer von einer Spukgeſchichte
erzähle, bie fih bet Mondenſchein in einer
Gommernadt zugetragen habe, fónnen der
Mond und die Naht unb die Jahreszeit
immerhin wahr gewejen fein. Das übrige
— wer weiß? Haben dieje Hotelgäjte nicht
auch ganz gemeine und ganz hodjliegende
abenteuerlide Grunb|dge, Launen, Gtim:
mungen? Auch er fónnte Gejchichten er:
zählen aus jüngeren Jahren, wo er nod)
freiwilliger und munterer war, wo ihm der
Beruf nod eine Herzensjahe war. Weiß
denn einer, wozu ein joldjs verwöhntes,
verdorbenes Geſchöpf einmal Luft befam,
warum folte fie es nicht darauf abgejehen
haben, einem Rombdianten den Kopf zu
verdrehen, oder ihn zu beniigen, um einem
andern einen Pojjen zu fpielen, oder um wen
zu reizen und zu ärgern ober um fid) einen
guten Tag oder eine gute Nacht zu machen,
eine richtige Bewegung? Er lachte unver:
jhamt und zeigte feine Goldplomben. Die
Heine Kellnerin errótete. Sie glaubte bod)
wohl nicht, daß bie reichen Leute etwa ans
tändiger feien als die armen und daß ein
jogenanntes Fräulein aus feinftem Haufe
weniger ausgepidjt und in allen Ctüden
beichlagen fei, als ein einfältiges Hotel:
ftubenmädchen. Wenn man gewilje Dinge
jelbft begebe, fei man doch wohl erfahrener,
als wenn man ihnen nur zuichaue. Mas
bie Unjchuld betreffe, fet fie gewiß nod) eher
vom Lande als von der Stadt. Auf diefe
Art wurde nod) einiges philojophiert, bevor
der Chorus nad) dem abwejenden Helden
abſchloß.
Am nächſten Morgen ſchlenderte Ingomar
mit feinem Hunde zu jener Landzunge hins
aus, bie ihm vom DOberfellner bezeichnet
worden war. Wie ein jtählerner Spiegel
glänzte bie Fläche bes jonnigen Gees burd)
die dunklen Stämme der Linden, welde in
einer geraden PBaarreihe hinliefen. Hier und
ba ftanden weiße Bänke und jchimmerten
freudig im feuchten Mtorgenlidt. Der blaue
Himmel, das Delle Grün der Linden wirkten
wie frijdgewalden. Die Luft war warm
und gewijjermafen im Kerne leicht gefühlt,
jo angenehm ftrid) fie um das Geficht beim
Gehen. In der Ferne fah man das andere
Ufer des Gees, die Landzunge teilte ihn
Dier an feiner jchmaljten Stelle in Hälften.
Drüben lagen |djón bhingejtredte Berge voll
Duft. Kinder bewegten [id) mit Reifen und
Mágelben, mit jungen Bonnen, alten Kinds:
frauen und mit lichtgefleideten Mamas durd)
dieje natürlichfte Spielbahn. Auf ben Bän-
ten faBen Fräulein mit Büchern und lafen,
leicht gefleidet in hübjchen Morgengewäns
dern, mit ganz fauber frifierten Köpfen, bie
jelbjt fo frijd gewajden waren, wie bie Ge:
gend. Altere Damen in loferen Jaden
nábten was oder unterhielten jich, hier und
ba war aud ein Herr dabei, melt beque:
meren Alters mit ehrbarem Ctod, denn Die
jüngeren Jahrgänge radelten wohl ober
jegelten oder waren auf ernithafteren We-
gen über Land. Ingomar jd)lenberte durch
diefje Morgenfzenerie und blidte genau nad)
der Erwarteten. Gie ließ auf fid) warten.
Sie fam gewiß nicht allein. Junge Damen
treten auf Promenaden immer rudelweile
auf, aud) wußte fie ja nicht, daß er hierher:
fam unb fie juchte. Er Jeßte fid) auf den
Sand an ber Spike der Yandzunge, zu Füßen
. Dazu hatte man ja Hunde.
909 SSS EE SH Otto Stocifl: Re<22322232232322233233214
des Heinen Wartturmes, der dort, ziemlich
verfallen, mit einer morjchen Holzjtiege ver:
leben war, damit man von feiner Spike
nach allen Seejeiten ausjpähen fonnte. Biel:
leiht fam fie hierher. Heftor lag neben
ibm und genoß bebaglid) ber vollen Sonne.
Ingomar fap mit eingezogenen Knien,
rauchend und gedantenlos oder in Bedanten,
wie man will, und jpähte auf die weißen
Gegel, bie auf der Fläche bes Majjers rubten
wie falter. Es ging fein Wind, barum
bewegten fie fid) gar nidjt. Das Majjer
war nur ganz leicht geftreift und gefurdt
von oberflächlich treifelnden Wellenringen
und jchlug mit gleichem, fabtem, gludendem
Tonfall zufrieden ungefährlich an die Ufer.
Ein altes Fladboot, an einen Pfahl ge:
bunden, |djaufelte gelajjen auf und nieder.
Ein gutes, jommerlidjes Nichtstun ftredte
ih woblig allentbalben aus, indes oben am
blauen Himmel ganz leije Feder: und Faſer—
wölfchen zerzupft waren. Tb es hier wohl
Stürme gab?
Gr wollte den Hund jegt auf Intelligenz
und Schulung prüfen. Er erzählte ihm alles
MWillenswerte über die erwartete Dame.
Seftor jak aufmerfjam ba und fien treu:
lid) 3u3ubóren. Wenn fein Maul fih ge:
legentlich zu einem mächtigen Bähnen öffnete
und bas lange Gebánge dazu bin: und ber:
pendelte, war es gewiß nicht Langeweile,
jondern nur eben Hundegewohnheit. Dem
unjduldig ehrbaren Freunde mangelte jede
tattlofe Abjiht, man fonnte fih gewiß auf
jeine Bereitwilligfeit verlajjen. Der würde
ihn niht |djabenjrob anjehen, wenn ihm
eine Sache vorbeigelánge. Alfo er bejchrieb
ihm die Dame, aber furz, denn er nahm auf
die Spradfremdheit des Kameraden Rüd:
fid. Immerhin verjudte er auf deffen Jn-
ftinft einzuwirten. Cr hielt ibm ben Hand-
iub Hin, den feidenen. Heftor blinzelte bas
ungenieBbare Gtüd gleichgültig an. War
es etwa zum Efjen? Nein! Nun alfo. Aber
da Ingomar es ihm immer wieder vor bie
Naſe hielt, jdnupperte er daran, um dem
unbegreiflichen Herrn eben Geniige zu tun.
Dann hielt er
ibm ein fleines, vielgefaltetes Stückchen
Papier hin, fo lange, bis Heftor aud) das
burd) bie Naje gewürdigt hatte. Was darin
ftand, fonnte ihm ja gleichgültig fein. Hektor
Ihnappte nad) Fliegen, gelegentlich wálzte
er aud) feine feuchte, lackſchwarze Schnauze
im Graje. Dann tat Ingomar das bewufte
Stüd gujammengefalteten Papiers in den
Handſchuh. Damit es nicht berausfalle,
job er es in die Mitte hinein und band
dann das Gewebe wie ein Stüd Schnur
loje zujammen. Schändlid), einen Handſchuh
fo zu verziehen und ein jo zartes Andenten
jo grob zu vertnoten. Uber es blieb ja nichts
anderes übrig. Wiederum webte er Damit
dem Hunde unzählige Male an der Schnauze
vorbei. Die Sonne ftand fdon bod) am
Himmel, es war bald Badezeit, als fid) am
Eingange der Allee eine Gejellihaft von
lihten Roden, Blujen, Schirmen zeigte
Wud) ein paar Herren waren dabei, man
jah Zennis|djláger, Spagzierjtöde, weiße
Schuhe. Debt folte es fid) zeigen. Settor
wurde aufgefordert, den Handidub zu neh:
men und bie Dame au: juchen. Der Hund
erhob fid) langjam, ftredte zuerft die Bors
derbeine und Hinterbeine gewaltig aus, fo
daß fid) fein Körper gut um die Hälfte feiner
Länge auszog. Das war fein Giniprud)
gegen den mißlichen Botenweg. Uber er
nahm den Handſchuh mit dem eingewidelten
Briefhen immerhin ins Maul und trabte
fort. Ob er das Pfand niht etwa verlor
und fallen ließ? Ingomar bedrohte ihn mit
gewaltigen Strafen für dieje etwaige Untat.
Heltor achtete gar nicht mehr auf die War:
nungen und Ermunterungen, die jein Herr
ihm nachrief, fondern lief bis zum Anfang
der Lindenallee, jo jchief nad) der Rechten
geneigt, wie ein nachdenklich überlegender
und geduldiger Hund. Ingomar jpähte ihm,
die Hand über den jdjarfen, vorm Licht ge-
Ihügten Augen nad) Set war der Bote
bei dem Haufen von Gonnenjdirmen, lichten
Róden, Blujen, weißen Schuhen und Tennis:
Ihlägern. Er mijchte fid) unter die Leute.
Er machte jid) bei ihnen zu jchaffen. Er
blieb auch dort. Ha! Der Elende fing eine
Annäherung mit einem Bulldogg an, Der
zu ber Gelellidajt gehörte. Wenn er nur
den Handſchuh nicht verlor, wenn er nur
nichts Dejpettierlidjes damit anjtellte oder
anjtellen ließ. Die beiden Hunde, der weiße
und der graubraune, jagten umeinander ber
und trieben in einem gewiljen Rreije um
bie Gejellidjajt ftändig weiter, jo veran:
laßten fie die Röde, Blujen, Gonnenjdirme,
fid) etwas beffer vorwärts zu bewegen.
Alles fpielte fid) in den zivilen formen des
Hundelebens ab, ohne Lärm und Bellen,
ohne offene Feindjeligteiten, bejonders weil
fid) tein Menſch in ihren Berfehr mijchte,
weil niemand fie hegte oder voneinander
weg3zujdeuden judte. Wenn nur dem
$janbidju) nichts paljiert. Wenn Ddiejer
Heftor ibn nur richtig anbradte. Er lief
immer im Kreije um diefe Herde, die er zu
leiten ſchien. Endlid) famen allejamt näher.
Die Cdmadjtenbe ging Arm in Arm mit
der Heinen Braunen, bie fo munter lachte,
wie eine fünfzehnjährige, imbeljen ein junger
Herr mit bartlojem und fadem Belicht ihnen
ee
— cel Die Schmiere ZZ ZZ Zu 998
irgend etwas erzählte, das er ihnen für febr
fomijch einzureden fuchte, denn er lachte un:
aujbórlidj, während bie beiden Mädchen
ernft blieben. Seftor hielt fid) jet an der
Seite ber Cdjmadjtenben, ja’ er trabte jo
dicht neben ihr, daß man hätte glauben
fönnen, er gehöre zu ihr. Die Gejellichaft
ließ fic) auf einer Banf nieder. Man mußte
Ingomar von dort ebenjo genau feben, wie
er bie HerriMaften ausnahm. Die Schmad)-
tende jab, bie übrigen umftanden fie, und
nad) einer Weile nahm die fleine Braune,
Dann der junge Miann Pla. Die andern
machten fehrt und fpazierten nod) einmal
auf unb ab. Seftor ließ jid) neben ber
Schmadtenden nieder, ganz als gehörte er
zu ibr. Er hatte richtig nod den’ Hand-
[hub im Maul. Das Fräulein ftreichelte
ibn. Er fab zu ihr empor, das intelligente
Vieh! Debt fam der Augenblid. Die Heine
Braune [bien den Handſchuh auerjt zu be:
merten, wenigjtens madte [ie bie Schwarze
darauf aufmertiam; der Herr lachte und tat
jo, als wollte er Den Handſchuh an fih
bringen. Die Schmadhtende nahm ihn aber
ral aus dem Maul des Tieres. Gebt
mußte fie fic) enticheiden. Hatte fie das
Papier darin gefpiirt? Sie warf den Hand-
¡hub wie einen eben weit weg. Heftor
Hürate darauf zu, faBte den armjeligen Reit
eines Gewebes, bas nad) fernem Morgen—
land, nad) Fühler, gebadeter, bräunlicher
Haut geduftet hatte und nun im Staube
lag, unb bradte ihn ber Dame im Triumph
zurüd. Hrgerlid) hielt fie den Handjchuh
einige Cefunden lang, dann ließ fie ihn ein:
fad fallen und auf dem Boden liegen biet
ben. Sie [bien Ingomar nicht zu bemerfen.
Menigftens blidte fie nicht ein einziges Mal
nad) ibm, ber doch jowobl malerijd als
imidlid, mit eingezogenen Knien und zu:
riidgebeugtem Kopfe, ohne Hut, mit zurüd:
geichlagenem, weißem SHemdfragen dajak
und Darauf wartete, bemerft zu werden.
Das war ija gerade das Wichtige, fie be:
mertte ihn, indem fie ihn ignorierte. Settor
war es müde, tatenlos neben der fremden
SBerjon zu bleiben. Geine Dienfte wurden
jedenfalls bier nidyt mehr benötigt. Er
madje jid) Bewegung, indem er langjam,
fid jchüttelnd, aufítand und Das entferntere
Rudel Connen|djirme, weiße Schuhe, lidte
Ride und Blujen bejuchte, indem er es
wieder mit dem weißen Bulldogg in adjtbar
weiten Kreijen umlief und zu bejjerer Be:
wegung veranlapte. Das ging fo eine hübjche
Meile bin und her, bis Heftor wieder vor
ber Bank baltmabte und zu Füßen der
Schmadtenden Pla nahm. Jebt ftreichelte
fie ibn aber nicht mehr. Ingomar hielt es
für angebracht, aller Welt zu zeigen, daß er
der Herr des Hundes war. Darum tat er
einen leifen Pfiff, worauf Heftor die Ohren
|pibte und überlegte, ob er gleich folgen
miüjje. Er jdjien es für richtiger zu halten,
eine deutliche nodmalige Willensäußerung
jeines Herrn abzuwarten, daher -wedelte er
ein bißchen herausfordernd und fprang erft
auf die Beine, als Ingomar ein zweitesmal
lauter und mit einem deutlichen Ton von
Drohung ont, Heftor blidte nod) einmal
furz auf bie Dame, ob fie dazu vielleicht
etwas zu bemerfen habe, fie febe ja, dab ibn
andere Pflichten riefen und miijje ibn ent:
Ihuldigen, damit lief er Dann — er hätte es
etwas rajcher tun Tonnen — Ingomar zu.
Mas nun? Nichts! Warten? Warum
jollte er denn immer fein Gehirn anftrengen,
um etwas Neues herauszufriegen? Wenn
der Dame dort an ihm lag, folte fie aud
einmal zeigen, was ihr einfiele. Er war-
müde, die Sonne brannte, feine Stellung mit
den eingezogenen Beinen behagte ihm nicht
mebr. Er lebnte fich leichter an die Gras:
böjhung, die zum Wartturm anjtieg. Er
lehnte und wartete jo, während Heftor ge:
mädlich fauerte und die Wärme ohne ga-
lante Wünſche auf jein Fell wirfen lich. Sn:
gomar mußte fogar ein bißchen gejchlummert
haben, denn als er nochmals aufjah, fak
niemand mehr auf der nädjiten Bant, und
am Wusgange der Allee bewegte fih das Ru-
del Connenjdjirme, weiße Röde, Tennis:
Ihläger und lichte Schuhe fort, nad) dem
Bade. Das gab Ingomar einen Rud. Er
iprang auf, Seftor zudte vor willfommener
Bewegung. Beide jchüttelten fih und gingen.
„Euch! Sud)!” befahl der Herr. Heftor ver:
Honn, was gemeint war, und brachte richtig
ben zerfnüllten, verftaubten Handſchuh zurüd.
Aber bas Stiidden Papier war nicht mehr
Darin, auch nicht mehr bei der Bank zu fin:
den. Cie hatte es alfo bei Gelegenheit her:
ausgenommen. Bewiß war es gelejen. Mert-
würdig nur, daß ber Handſchuh wieder zu:
gebunden und zu cinem Knäuel verkleinert
war, wie vordem.
Ingomar eilte wieder vor das Bad, aber
bie Schmachtende fehlte. Bei allen Göttern,
wo war fie? Was bedeutete das an jeinem
Geutigen Benefiz? Gie fehlte. Ram fie nicht
endlich zögernd hervor? Er hatte ihr wieder
eine Roje gefauft und bielt fie verlegen
gwijden feinen Fingern. Er Hatte einen
zweiten Brief bereit, den er ihr mit der Blume
überreichen wollte. Wie brachte er ben jebt
an die richtige Adrejje? Heute am Tage feines
Benefizes war Ingomar über diejes Aus:
bleiben jehr beunruhigt, heute mußte fid)
irgend etwas Bejonderes ereignen. Daß fie
294 cSesecccscs Otto Stocifl: | B33323233323233323324
fehlte, war das Bejondere. Das Haus war
ausverfanjt, Er hatte eine gute Einnahme
zu erwarten. Die liberaderin ftrablte. Sie
jptelte bie Millerin gar zu gern. Ingomar
bejhloß, fic) im Hotel nad) ber Schmad):
tenden zu erfundigen. Was war fein Auf:
treten heute ohne fie? Bor dem Eingang
jah er einen Mietwagen ganz bepadt, die
Schmachtende mit ihrem Ontel nahm gerade
von allen Leuten bewegten Abjchied, die
Damen überreichten ihr Blumen, die Herren
machten ihr zum legten Male den Hof, fie
trug ein graues Reijefleid, auf bem [d)malen
Strohhut einen blauen wehenden Schleier,
den fie fpáter wohl um den Hals zuband.
Der Ontel lehnte bequem im Rüdfig. Sic
machte jid) nod) mit den Roffern zu tun.
Endlich zogen bie Pferde an, fie winfte mit
beiden Händen und nidte. Heute gefdah
das! Heute zu feinem Benefiz! Ingomar
"Stand wie verfteint. Er 30g endlich tief feinen
Dagerhut, ba winfte fie aud) ifm und ganz
deutlich ihm, lächelte, ja fie ergriff eine Roje
aus einem Strauß und warf fie ibm zu.
Dieje Verwünjchte! Jet fonnte [ie ibm ein
Zeichen geben, jebt verjtand fie es, jebt, wo
es zu |pdt war, jekt rief fie ihn, jet follte
er ihr folgen! Heute? Zu feinem Benefiz?
Wo er auf dieje Einnahme wartete, wo er
infolge des Sundeftaufes — Sjeftor ftand
neben ihm und wedelte unjchuldig — faum
mehr für ein paar Tage zu leben hatte.
Was tat's! Ihr nah! Wohin fuhr fie? Er
309 das Stubenmädehen beijeite. Mie Dicie
dumme Perjon im [djmargen Kleide mit dem
weißen Häubchen dajtand und wintte und
das eben empfangene Trinkgeld nod) warm
in der Hand hatte! Bor allen Leuten 30g er
(ie beijeite, jo daß man ihn mit bem Spiel,
perjonal vertraut jah. Die Echmadhtende
mußte es aud) nod) jehen! Wd was! Sin
aller Eile, während man dem Wagen nad):
winfte und Grüße nacdjdidte, erfundete er:
Sie fubr heute nad) Salzburg, aber mit der
Lofalbahn, um dort noch ben Abendzug nad)
Ling zu erreichen. Ihr Gepäd ging gleich
nad) Ling, von wo fie zu Schiff nad) Wien
reijen wollte. Wenn er alfo bald aujbrad,
fonnte er nod) den Dampfer erreichen und
in ber nadjten Hauptbahnitation den Zug,
jo daß er in Salzburg rechtzeitig für den
9tbenbjdjnellgug nad) Linz eintraf. Ein
raſcher Entſchluß! Hol ihn der Teufel, hole
der Teufel das Benefiz! Sie hatte ibm ja
gewintt, deutlich gewintt. Sollte er nicht
fähig fein, ihretwillen auf eine Theatervor:
itellung, auf eine Tageseinnahme zu verzid):
ten? War er ein Mann, ein Licbhaber, ein
Schwärmer oder eine Theaterfigur? War
die liberaderin wichtiger als feine Leiden:
Ihaft? Sollte er (id) über einem Benefiz
verjäumen? Bon allen Gedanten durchwir:
belt rannte er, den Heltor immer an ber
Geite zum „Braunen Ochſen“ und ftaht fich,
von den Edaujpielern unbemerkt, auf feine
Dachjtube. In bódjter Eile warf er feine
Giebenjadjen in feine Zedertajcdhe, einen alten
Sodenmantel über bie Schulter und jchlich,
pfiffig lächelnd, wieder über die Holzitiege
hinab, deren Knarren er bei jedem Schritt
verwiinjdte. Endli war er im Freien.
Er hatte zwar Hunger — es war Mittags:
zeit, die andern jaBen jet in der Gajtitube
beim (Gillen und ftártten jid) — zu feinem
Benefiz. Hol’ fie der Henter! Er konnte ja
noch beim Krämer ein Brot und ein Stüd
Wurft taufen. Seine Zeche berichtigte er
nicht, das überließ er der Tiberaderin. Gie
hatte ihn ohnehin genug ausgeniigt. So
verjchwand er vom Schauplaße diejer Hand-
lung und betrat die Landungsbriide Des
Dampfers. Um dieje Zeit waren wenig Bájte
da. Man erfannte ihn niht. Der Dampfer
tam, legte pfauchend und gurgelnd an. Jn:
gomar jtieg gejpannten Ausdruds ein, Heftor
idlid) neben thm, ängjtlicher und ſchuldbe—
wußter als jein Herr. ls das Schiff wieder
mitten im Gee dabinfubr und bie hellen
Häujer bes Ortes an dem waldigen Ufer
feiner wurden, berubigte jid) feine Auf:
regung und er malte jid) im Geijte die Ver:
legenbeiten aus, welche heut abend entitehen
wiirden, wenn der Ferdinand bei ber Kabale
und Liebe fehlte Nun, mochte die liber:
aderin jehen, wie fie ohne ihn fertig wurde.
Er hatte Bejjeres vor, Gelt, Heltor? Der
Treue jah ihn ratlos an und tat, als ver:
ftünde er ihn. Dafür verabreichte ihm Ingo:
mar ein Stüd Brot und Wurft.
Abends — gerade als die Voritellung ans
gehen mochte — fand er jid) in Salzburg in
ber Babnbofshalle mit Heftor ein. Broßes
Gedránge, er wurde in einen Wagen dritter
Klaſſe hineingejhoben und fonnte nur eben
von weitem einen blauen Reijejcleier winter
jeben. Geduld, liebes Herz, in Ling feben
wir uns wieder! —
& 88
Die Tiberaderin müßte eine [djlecbte
Pringipalin gewejen fein, wenn fie ben Ab—
gang ihres erjten Helden nicht lange vor
dem Beginn der Borjtellung gemerkt hätte.
Schon am Jtadymittage fehlte ihr der Junge.
Seine Stube war leer, aufgeräumt. Rein
Zweifel, er war bapongegangen. ©, ihre
Abnungen! Mun hatte er wirklich den ge:
fiirdteten Raptus betommen und gleid) aud)
bas Außerfte ausgeführt. Daß er jehr bald
in Verlegenheit jein würde, tonnie fie hier
weder trüjten, nod) beruhigen. Was jollte
PESSSESESSSTSTLSTLA Die Schmiere 295
ſie mitten in ihrer Saiſon ohne Helden an—
fangen? Ob ſie ſich heute mit einer Erſatz—
vorſtellung helfen fonnte? Aber man tann
leider nicht täglich Erſatzvorſtellungen geben.
Seine Zeche fiel ihr auch zu. Sie rannte
in alle Geſchäfte des Ortes, um nach dem
Flüchtling zu fragen, er hatte jid) ja aid)
im Hotel herumgetrieben, fie verjudte beim
Oberfellner etwas Näheres herauszubringen.
Der |djmungelte und deutete mit aller Bor:
fidt und gewählten Ausdrüden an, daß
vielleicht irgendein galantes Abenteuer den
Herrn weggelodt haben möge, vielleicht
ftiinde bie Abreije einer gewiſſen Dame mit
der feinen in einem gewijfen Zufammenbhange.
O abnungsvoller Engel! Da erinnerte [ie
(id, daß bie Sommergáfte alle um Diejen
Herrn Baron Bühl veriammelt zu fein
pilegten, ber getijjermaBen der Oberjte ber
Sommerfrifchgejelichaft war und aud der
anerfannte Herr bes Ortes jelb[t. Wielleicht
wußte der Näheres, fonnte ihr raten, helfen.
So wagte fie denn, ibn aufgujuden, und
ließ fid in dem vornehmen alten Schloſſe
anmelden, bas hod) über bem Gee, halb
Burg, halb Landhaus geräumig mit Wirt:
Ihaftsgebäuden, Stallungen und behaglichen
Wohnzimmern, inmitten eines gepflegten
Gartens daftand und die ganze Landjdhajt
überblidte. Bon den Fenftern der Halle fah
man weithin in alle Himmelsrichtungen über
den Gee, über die Streifen der Felder, über
bie Höhenzüge nad) fernen Tälern, und in
ihrer Aufregung glaubte fie, wenn fie nur
einen Mint befäme, wo fie ihren Flüchtling
eigentlich Juchen müßte, fie würdeihnirgendwo,
als einen ganz Heinen ſchwarzen Buntt bin:
ziehen jehen Tonnen und von feinem Benefiz
wegjtreben. Der Baron war nicht einmal
febr erftaunt, als man ihm die fiberaderin
meldete. Da er mit allen Angelegenheiten
und Neuigkeiten befaßt wurde, überrajchte
es ihn nicht weiter, daß ibn aud) die Pringi-
palin des wandernden „modernen Enjembles“
auffudjte. Er trat, ein freundliches Ladeln
auf feinem roten und braunen Gefiht, halb
Gutsherr und Bauer, halb Weltmann und
ländlicher Gewalthaber ein und begrüßte
die áltlime Perjon mit einer Verbeugung,
welche leicht genug ausfiel, da er mit biejem
Theater nicht zu viel Aufhebens machen
wollte, aber bod) angemejjen jdjien, da er
mit einer Tame an tun hatte. Denn irgend-
wie war dieje ältliche, anftándig, aber
tümmerlid) geffeibete Perjon bod) eben eine
Dame und verriet aud) eine gewilje Gebieter:
Ihaft und Bildung. Ja, ihr verblübtes (Be:
licht, ihre groben, bei Tageslicht fon recht
grauen Haare unter dem altmobijdjen Blau:
menbut, die hageren Arme in Zwirnhand:
ſchuhen, bas graue Wollfleid, bie verjorgten
Züge und bie unrubigen dunfeln Augen
machten bier im Leben, nachmittags, einen
bejjeren Eindrud von Ernft, Verantwortung,
Sorge und Gelbftbeherrichung, als jemals
in ber Abendbeleuchtung des Theaters, wo
jie gejchminft war und jugendlid tat. Gie
legte denn auch glei mit anftändigen
Worten ben Zwed ihres Bejubes aus:
einander und verhehlte nicht, dak die Flucht
ihres Schaujpielers für fie eine fürchterliche
Merlegenbeit bedeute, ja den Beltand
ihres ganzen Unternehmens in bódjite Ge:
fahr bringe, ba fie ohne Helden und Sieb:
Haber überhaupt fein Stüd aufführen und
ihr Enjemble nicht zufammenhalten finne.
Cie felbft und aud) bie Mitglieder ftiinden
brotlos da. Grjat& fei jebt faum zu be:
Ihaffen. Darum frage fie den Herrn
Baron, ob er ihr nicht einen Mint geben
tónne, wie fie ben Unglüdlichen fuen,
auffinden und zur Gtelle jchaffen möge.
Denn aud) der Reichtlinnige jet mehr zu be:
Hagen, als zu verdammen. In jedem Riinftler
[tede nun einmal irgendein gefährlicher Hang
zum Abenteuer und Ausbruch, eben dadurd)
und deshalb jei einer ja eben Riinftler und
man müſſe einen follen bitteren Mangel
eben um bes Vorzugs willen verzeihen, dem
er entitamme. Gie babe an bem Entflobenen
bod) trog allem einen fleihigen, begabten
und jtrebjamen Schaujpieler gehabt und ge:
\hägt, dem fie jchließlich auch Delen un:
verantwortlichen Streich zugutehalten miijje
als einem rechten Rinde, nur wolle fie ibn
zurüdbefommen und zur gewohnten Arbeit
wieder haben. Der Baron hörte fie höflich
und geduldig an. Er wußte nichts anderes,
als was alle wußten, daß Ingomar entflohen
war. Sowohl bie fiberaderin als er jelbit
Düteten fih, den Verdadt auszufprechen,
der ihnen beiden zu Ohren getommen fein
mußte, daß ber Leichtjinnige einer fchönen
Perjon zuliebe das Weite gefucht habe und
nun ins Blaue hinein einem blauen Reije:
\chleier nachziehe. Beide waren welterfahren
genug, eine jolche, andere Damen der Ge:
jelichaft und mittelbar auch bie Gönner bes
Theaters berührende Beziehung nicht zu
erwähnen. Der Baron madte fid) freilich
ebenjo wie die fiberaderin feinen Reim auf
die Schmadjtende und auf den von ihrem
Magnet angezogenen leichten Span. Er
wußte aber nichts über Ingomars Verbleiben,
Reijeziel oder Aufenthalt und konnte mit
gutem Bewiljen verfichern, er ahne nicht ent:
fernt, was der Held und Liebhaber draußen
in ber Welt vorhabe. Die liberaderin
imúttelte jchmerzlich den Kopf, fie fehe nun
ein, daß fic wohl auch nur geringe Hoffnung
296 Otto Gtoejj[: | Rx=2=323232223323223224
hegen dürfe, den Flüchtling wiederzube:
tommen. Wie fie fid) nun helfen folle und
tónne, wiffe fie freilich nicht.
Der Baron Bühl betrachtete fie mit einem
gewillen Wohlwollen, bie ordentliche, nüd-
terne und jelbft in aller Aufregung gefaßte
Perjon gefiel ibm gar nicht übel, und da es
[don fein Beruf war, begann er wieder
Borjehung zu fpielen und nachzudenfen, wie
er ihr helfen Tonne Wenn er nicht Ion
ein jo alter Knabe gewejen wäre, hätte er
ihr vielleicht angetragen, felbft als Ferdinand
oder in anderen Rollen aufzutreten, um ihr
bas Weiterjpielen zu ermöglichen, denn er
hätte zeitlebens für das Theater eine rührende,
wenn aud) unerwiderte Liebe gehabt. Aber
Scherz beileite, er möchte ihr einen anderen
Vorſchlag machen. Da er nicht zum Theater
fommen fünne, möge vielleicht fie zu ihm
tommen. Die Überaderin fah ihn erftaunt
an. Nun, das fet nicht jo unglaublich und
unmöglich, wie es fheine. Er halte [ie für
eine ordnungsliebende, genaue und ehrliche
Frau, ber man wohl aud ein Hauswefen
anvertrauen fónne, das ja [|djlieBlid) aud)
nidjt viel verwidelter zu betreiben fei, als
vine Theaterwirtidaft. Kurz und gut, er
juhte eine Bejchließerin, bie ihm auf feine
Borräte fehe, das Nötige austeile und über:
wade. Die Vorgängerin fei ihm zwar nicht
Durdgegangen, wie Frau Überader ihr Held,
aber fie Habe ihm gekündigt, und nun fheine
ihm das Zujammentreffen zweier Verlegen:
heiten einen gemeinjamen Ausweg zu zeigen.
Cie jet bod) [djlieBlid) im Theater nicht
gerade glüdlich, meinte er, die ewigen Ver:
legenheiten und Corgen müßten einer Frau
in vorgerüdten Jahren, fie verzeihe, daß er
jo aufrichtig rede, bod) zuwider werden, das
Eintommen ſchwanke von Schulden zu ge:
ringitem Ertrag, jeder Tag bringe neue Ent:
táujdjungen, neue Schwierigkeiten, er glaube
taum, dah fie auch nur einen Zehrpfennig
für Zeiten der Not und Krankheit zurüd:
legen Tonne, Gie babe vielleicht felbft jhon
mandesmal die Bühne und ben faljen
Zauber diejes Berufes verwünjcht, ein ruhiges,
bürgerlihes Gejchäft begehrt, eine fichere
3utunft und eine Wusniigung ihrer fraulichen
Fähigkeiten. Was aber ihre Heine Truppe
anlange, um Die jie fid) etwa auch nod) Sorge
machen miijje und die fie niht ohne weiteres
im Stich laffen fónne, jo glaube er and) für
die Leutchen, wenn fie nur arbeiten wollten
und ehrlich feien, Arbeit und Brot fhaffen
zu können. Jeder würde jid) [don an einer
geeigneten Gtelle verwenden laffen und
wenigftens jo lange hier bleiben tónnen, bis
er etwas anderes, Geeigneteres gefunden
babe. Aber auch von den Mitgliedern er:
warte er, daß fie in das bürgerliche Dajein
am Ende nicht ungern aurüdtebrten.
Er hatte jid) in edlen Eifer bineingeredet
und alle Gründe erjchöpfend vorgetragen,
bie er für feine gute Abſicht nur geltend
machen konnte. Die Äberaderin jaf ftill ba,
lenkte den Kopf unb jpürte, wie fie rot im
Gelicht wurde und wie ihr langjam, unauf:
haltjam Tränen in die Augen drangen, fo
daß fie, als er endlich gejchloffen batte und
auf ihre Antwort wartete, taum jprechen
tonnte, denn fie fühlte fih völlig verwirrt
unb nun nod) mehr aus allem Gleichgewicht
gebradt, als vordem.
Einen Augenblid jdjiem ihr freilid) aus
diejem gutgemeinten Angebot die Rettung
jelbft, eine bejjere Zufunft zu winten, ein Ende
aller Mühen und Sorgen, eine aufrichtige,
einfache, wahre, menl|djlidje Exijtenz, ohne
Gelbjtbetrug und ohne jene abendliche Tau-
ſchung, die jie — geld)eit wie [ie war — als
joldje verjpürte unb als jchidjalhafte Laft
ertrug. Aber aud) nur einen Wugenblicd
lang. Im nádjten [bien ihr bie Zumutung
unglaublich und unwürdig. Cie follte einen
Beruf aufgeben, dem fie ein Leben lang in
Sorge und Eifer, aber auch treulich gelebt
hatte, der mit alien feinen Miibjeligteiten,
aud) mit feiner Züge und feinem Gelbftbetrug
bod) aud) die Schönheit, das Wunder der
Welt jelbjt bedeutete und ihr gerade daran
Anteil gab, je ftiefmiitterlicher fie fonft vom
(Slid bedacht war. Hatte fie denn ihr Ge:
ichäft nur betrieben, weil fie fein anderes
Brot finden fonnte, oder weil es eben ihre
Runft war? bhre &unjt, ihr Wille und
Wunſch, ber feit ihrer Kindheit ihr ganzes
Gelbft ausgefüllt batte. Mie mußte man
einen Menſchen und fein eigentlides Mejen
gering ein]d)iten, wenn man ibm zumuten
tonnte, es an einem böjen Tage aufzugeben
und ein anderes anzunehmen. Gie mochte
freilid) anderen Belleren, Glüdlicheren ar
Erfolg, an Begabung nadjteben, aber viel:
leiht waren ihr Wille, ihr Streben, ihre
men|djidje Kraft eben darum mehr wert,
als der leichtere Triumph der anderen, denn
fie ertrug Leiden und jahrelange Qualen,
eine Manderihaft von Entbebrung, Ver:
drug und Enttäufhung um Ddiejer Kunft
willen. Und nun folte fie ihren Beruf, ihr
eigentliches Wejen, das einzige, wofür fie
lebte, wenn anders fie eben überhaupt für
einen Swed lebte, aufgeben, bieje Runft
verlafjen, bie ihr treuer geblieben war, als
Jugend, Hübjchheit und Liebe? Denn Die
Kunſt hielt bei ihr aus, fo wie fic bei ber
&unjt. Wenn man vierzig Jahre Schau:
jpielerin ijt, Dann ijt man es eben und wird
nicht Belchließerin oder irgendwas Jonjt auf der
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07
Künftleriihe Aufnahme von E. Wajow, Münden
IS Die Schmiere 297
Welt. Sie Heidete ihre Ablehnung freilich
in höfliche unb bejonnene Worte, um den
wohlgemeinten Rat nicht zu franfen und
den hilfreichen Baron nicht zu verlegen; fte
ließ zwar durdbliden, dak ihr Stolz und
ihre eigentliche Natur das Angebot ver:
werfen müßten, aber fie fand eine leidliche
Form dafür, indem fie fih auBer[tanbe er:
tlarte, fo jpät und in jo vorgerüdter Zeit
ut neue Verhältnijje einzutreten, bie alten,
wenn auch fümmerliden und jchwierigen
aufzugeben, in denen dod, trog allem, eine
gewijje Befriedigung, fogar, wenn man es
jagen dürfe, aud) bas eigentliche wahre Glüd
eines fummervollen Dajeins läge.
So empfahl fie jid dem Baron, der fie
mit bebauernbem Kopfichütteln entlieB. —
Wem nicht zu raten ijt, bem ift nicht zu
helfen. —
8 8
Wie erging es mittlerweile unſerem, ihrem
Ausreißer?
Der Abendzug fährt von Salzburg nad)
Ling feine guten drei Stunden und verliert
allmählich die Dämmerung, die Paffagiere
werden müde, Draußen zieht die Duntelbeit
auf und weht fühl in bie Fenfter. Ingomar
fröftelt und er ſpürt aud das Zittern des
empfindlichen Hundes, der unter der Bant,
hinter den Beinen jeines Herrn fauert. Al:
müblid) denkt der Herr nicht mehr an die
Berlodungen feiner Flucht, jonbern an die
näheren unbequemen Umftände, weniger an
den böjen Spaß feiner Benefizvoritellung
ohne ihn, als an die Kälte im Wagen und
an das warme Nachtmahl, das es jegt im
„Braunen Odjen” gegeben hätte. Hingegen
mußte er in Ling mit jeinem Gelbe zu Rate
gehen, wenn er jeiner Schönen nod) eine
gute Weile nad)reijen und aud) einen ernfteren
Erfolg erzielen wollte. Nichts da, warmes
Nachtmahl und bequemes Quartier! Wir
werden im Freien auf einer Gartenbant
warten, bis es Zeit ijt, zu Schiff zu geben.
So begann unjer Held zu denten, womit
jein Hund anfing und blieb: Ejjen und
Schlafen! In Linz jdjüttete der Zug bie
Leute rajd) aus, und Ingomar erbajdjte
nicht einmal mehr ein flüchtiges Wehen des
blauen Schleiers, ber lángft [hon in einem
Hotelwagen verjorgt war. Durd)froren und
hungrig ftieg er über die Treppe in Die
Stadt hinab und gab jid) gar nicht einmal
mehr bejonbere Mühe, der Begebrten, der
er nadjreijte, eindringlich nachzulehen. Er
perjuchte feinem Gang immerhin eine muntere
Bewegung, einen gefälligen, gejdwinden
Rhythmus zu geben, erjtens wegen der Gt-
mármung, zweitens weil dadurch aud) fein
ganzes jeelijches Verhalten wieder elajtijd)
Belhagen & Klafings Monatshefte. 35. Jahrg. 1990/1921. 2. BD.
unb fdjwungvoll werden jollte. Damit be:
tam aud) das träge Pendel feiner Phantafie
einen Stoß, daß es herzhafter [hwang und
in der Richtung einer wunderbaren Strom:
fahrt mit einem wunderbaren Mädchen in
Duft und Märchen. Um bis zu biejent
Morgen — das Schiff fuhr gottlob wenigftens
jehr früh am Tage ab — feine Phantafie
nidt völlig nüchtern durch anjtrengende
Vorftelungen weiter jagen zu miijjen, juchte
er mit feinem Sjeftor ein tleines Bafthaus
auf und genoß ein bejcheidenes, aber ſchmack—
haftes warmes Effen, dazu das kühle, frijche
Bier, ließ aud) dem Hund ein ftandesgemäßes
Futter reichen, trat jo gejtártt feine nächtliche
Wanderung durd) die Stadt an, jo lange,
bis er [djlájrig war, daß er auf einer Bank
im Volksgarten halbwegs ungeftórt bis zum
Zagesanbrud) einzuniden hoffen fonnte.
Sjeftor leijtete ibm babet [till und geduldig
Gejelljdjaft. Endlich war es jo weit 3Utorgen,
daß bas graue Licht des jpäteren herbitlichen
Tages bie Stille jhon mit Hahnenrufen
unb erftem Marktfuhrwertslärm durdbrad.
Ingomar wuſch fid) etwas oberfladlid an
einem fließenden Brunnen und fümmte fih
vor feinem &ajdjenipiegel, zupfte fein Hemd,
jeine Krawatte, Rod und Weite zurecht, gab
dem weichen Hütel eine neue gefälligere Form
und bejtieg als erfter das Schiff, um Die
Schöne nicht zu verfäumen und [ogleid) mit
den Augen wenigftens gefangenzunehmen,
wenn fie auftrat. Seine Mittel erlaubten
ihm freilich nicht, eine Fahrkarte für den
erjten Blak zu löjen, wie bie Schmacdhtende
gewiß tat, aber auf bem Verded nahm man
dieje böjen Gelbunter|d)tebe nicht |o genau und
fonnte fic) hierhin und dorthin ergehen, bie
Ausficht bewundern oder ein hübjches Gegen:
über und immer fo tun, als fet man an
ber geziemenden Ctelle. Borderhand füllten
fih die Räume ber zweiten Kajüte und
das Sinterded rajcher als bie der erjten.
Bauern, Städter, ländliche Frauen, Student:
lein, reijenbe Handwerfsleute fanden fid)
gleich mit Zajdjen und Koffern, Waren und
Körben unb mit Muſik, Gejang und Fröhlich:
feit zueinander, und faum war ber Einlaß
eröffnet, fo trugen die eilfertigen Schiffs—
fellner [Hon Bier und Mein und warme
Wiirjte, ja faftiges Fleiſch mit fo[tlidjem
Zwiebelgeruch herum, boten Obft und Kuchen
aus. Ein retjenber Mufifmacher fpielte auf :
der Ziehharmonifa, die Zuhörer fangen zu
feiner Begleitung, und in aller Eile war
gleid) eine ganz luftige Welt auf pelen
Blanfen zufammengebradt und in ihrem
Gange; bie muntere reijehafte Welt der ein:
fachen Leute: als beftiinde fie ewig und nicht
bloß für ein paar Stunden Fahrt über den
20
ralh bintragenden Strom. Ingomar fühlte
(id) von diefem Durcheinander heimelig be:
rührt, glich es Dod) irgendwie ber vertrauten
Welt des Theaters mit jeinem Gedrange
und Gejdiebe, mit feinen allbefannten, darum
nidt minder wahren Figuren und Gi:
tuationen, dem allerweltsweijen Wirt, der
jedem feine Erfahrungen zum Bejten gibt,
dem jugendlichen Reijeanfanger in taujend
Berlegenheiten, netten, achtzehnjährigen
Schönen, die mit vollem Herzen lachen und
ihre dunklen Blide nad) gefälligen männlichen
Reijegenoffen auswerfen, bis fie in eine
Heine Galanterie eingefangen find, wo fie
(id) und den lieben Nächſten haben wollen.
Dazu ein Chorus von Ctati[ten, jchreienden
Kindern, mufizierenden Bejellen, ausrufenden
Kellnern unter einem Gerud) von Wein,
Bier, Speije, Petroleum und Hanfjeilen.
Schon war Ingomar mitten in biejem un:
willtürlichen Trubel, als er von weitem den
blauen Schleier flattern und jeine Schöne
einfteigen fab. Nicht nur ihr Oheim war
bei ibt, jonbern aud) ein hoher, jtattlicher
und fidtlid) reicher Kavalier mit einem
prächtigen englijden braunen GSchafwoll:
mantel, meidem Gilghut und dauerhaften,
anjebnlidjen Schuhen, kurz mit einer Gomm:
lung von Cigenjdaften und Zubehör, die
ihn von vorneherein verdächtig und zugleich
hochachtungswürdig madten. Ingomar ver
ftand fi als Schaujpieler auf diefe Garde-
robe und auf ben Charatter, ben fie zugleich
fördert und ausdriidt, ja erjchafft: ben Gent:
leman. Mit ruhiger, beinahe hobeitsvoller
Gelbftverftändlichteit umgab diejer Frembling
die Sdmadtende wie mit einer unnabbaren
Atmojphäre von Reichtum, Unduldjamteit
und Gelbjtgeniigen. (Er verjorgte fie mit
allem erdenklichen Jiótigen, das Debt auf
feinen Mint wurde alles zur Stelle gebradt.
Ein Liegeftubl am geeignetiten Plate, fo
daß man die vorbeigiebenbe Landidaft in
bequemer Haltung genoß, auf einem Stühlchen
wurde eine Platte mit Wein, Süßigkeiten,
laltem Braten, Objt binge[tellt, Dazu nahmen
der Gentleman und der Oheim rechts und
linfs ihre Gige ein, jo daß die Schmachtende
zwilchen zwei Paladinen gejchüßt dalag und
jeelenvergnügt ſchmachten fonnte. Das tat
fic Denn aud) auf bie unverjchämtefte Weife,
indem fie in die eben ftárter aufglühende
— Morgenfonne Hinanjblingelte, dann einem
Scherz des Gentlemans mit halbem Obre
borchend, halb im Traum vor fid hinladte,
die Beine über die ganze Lange des Liege:
jtubles ausjtredte, Dann wieder fafenbajt
eingog. Man hätte fie nur jo ſchnurren hören
mögen vor Zufriedenheit. Ingomar nahm
it der Nähe an einem Pfolten Aufſtellung,
j Otto Stoefjl: 33333 zz3gN
wo er in ganzer Figur und guter Haltung
aud) in bejcheidener Tracht immerhin Ein:
drud machen fonnte. Denn [djlieBlid) braucht
fid) ein Künftler von einem Jtur-Gentleman
feineswegs bejchämen zu laffen, wenn ber
Blid, der beide beobadtet, die höhere
Menjchlichkeit und Bedeutung eben zu er:
fennen und zu würdigen weiß. Ingomar
fühlte, daß er einen ganzen Menſchen, eine
Gattung Menfd) für fic) vorjtelle, dafür
fogar verantwortlich fet, beinahe fozufagen
vor Gottes Richterftuhl. Er felbft beherrichte
darum feine Züge, das zugleich Werbende,
Flehende und Triumphierende des Blides,
ein Lächeln bes Munbdes, fragend und über:
legen, bas fih eben fo leicht in Schwärmerei
wie in Bitterteit erhöhen oder vertiefen
fonnte, eine Haltung des leicht zurüdge:
beugten Kopfes mit dem vollen braunen
Haar, bie Entriidtheit und Sicherheit, Sidh-
gebenfajjen und Fallung darftellte. Gein
Anzug war nadláffig und über bie bürger:
lide Korrektheit des andern erbaben. Den
Hut trug er in der Hand, einesteils weil jein
Haar in ber 3Brije wie eine braune Flamme
im Wind [türmijd) webte, alfo fühn wirten
mußte, andernteils weil die Ropfbededung
am meiften die unzulänglichen Mittel verriet,
mit denen er fid) bebelfen mußte, und daß
fie in Regen und Gonne ohne Schirm, in
Staub und Schmutz im Dienft berabge:
tommen war. Seftor achtete feinen Herrn
augenblidlid nicht jo jehr, um fich eine
vorjichtige aber eigentlich ſchamloſe Gtreife:
reien nad) Ebbarfeiten auf eigne Fauſt hier:
bim und dorthin zu verjagen. Go fam er
für dieje Szene nicht in Betracht und zur
Geltung, bie gewifjermaBen monologi[d) dare
geftellt wurde. Lange Zeit bemerkte Dic
Schmadtende ben mabnenden, hocdhaufge:
richteten, [dwermiitig Bezwingenden an
einem Pfahle gar nicht, weil fie mit den
beiden Herren ihrer Gejellichaft lebhaft
iprechend bie Uferlandichaft würdigte, Die
fid) in gefällig Iangjamer Bewegung, ein
Bild máblid ins andere überleitend, vor
den Angen der Rubenden entfaltete. Oder
die Schlaue tat fo, als bemerfte fie ibn
niht. In der Wirkung fam es auf dasfelbe
hinaus. Gnblid) fonnte fie freilich nicht um:
bin, aud) einmal anderswobin zu fdauen,
als auf die Bäume und Berge. Da beeilte
er fih, ihrem Auge richtig zu begegnen, und
legte in jeinen Blid allen nur in einer
Gefunde möglihen Ausdrud von Begehr:
lichkeit, Vertraulichkeit, 3ujammengebórigteit
und [o weiter, als jeien fie beide längjt [Hon
ein nur bird) ben fatalen Bindeftrid): Raum
getrenntes Doppelwort. Aber nun dente
man: fein Blid traf ins Leere, ber Binde:
BSSSSFSTHHTTHHTET Die Schmiere 299
ftrich traf bas andere Wort nicht mehr an
feiner Stelle, fie jah ihn zwar an, aber fie
ihien ihn nicht zu erfennen, das heißt fie
gab ibm zu verfteben, dak fie ihn nicht
fannte, nod) erfannte, dak er für fie ein
fremdes, beliebiges, wenn jdjon nicht un:
beliebtes, cin gleichgültiges Mtitretjewejen
war, nicht ein Dlitreijebetörter, Mitlebens»
verlodter. Gie hatte eine Art, bie ſchwarzen
Augen zu öffnen und dabei die Geele da-
hinter zu veribliegen, um die fie ber arme
Sdaujfpieler hatte beneiden können, wenn
er an Runft, an feine Runft bei dem arm:
jeligen fleinen Trauerjpiel hätte denten
Tonnen. deffen lebte Szenen — Dajteben,
Schauen und Angejehenwerden — er hier
aufführen, mit fid) aufführen lajfen mußte.
Gr ſchämte fih, wie er daftand und gejehen
wurde, ohne zu einem eigentlichen Bemertt:
werden zugelajjen zu fein. Ein umgetebrter
Santt Gebaftian am Pfahl, ber gemartert
wird, indem man ibm die holden Pfeile ent:
zieht. Er wartete auf einen zweiten Blid.
Der war aber nicht befjer als der erfte.
Ingomar fühlte jid) fo burd)[roren von diejer
Kälte, daß er jeine Haltung aujgab und-
müde, verdrojjen über das Ded zu wandern
anfing. Auch das war nicht leicht, denn es
gab allenthalben SHindernijje: Liegeftühle,
Hoder, Opernguder, Koffer, Kinder und
Große. Er wollte nod nicht alle Hoffnung
aufgeben, vielleicht fonnte er ihr bei einer
bejjeren Gelegenheit bejjer begegnen, Er
fand feinen Weg genau an ihr und ihren
Bejhüßern vorüber. Er jtreifte jie beinahe.
Der Gentleman fah über ihn hinweg, ber
Ontel dachte nicht an ihn, die Schmachtende
zeigte ein verdrießliches Gelicht. Nein, fie
tannte ihn nicht, jie hatte es jo beichlofjen,
die Elende, diefe gewiljenloje Verfiibrerin,
die ihn richtig aus feinem fideren Gangen
herausgedreht und als einzelnen Faden um
ihren Finger bis hierher gewidelt hatte.
Sekt warf fie diejen Faden weg und drehte
bereits mit allem Behagen an einem neuen:
Gentleman! Ingomar hatte nicht übel Luft,
mit diejem Selbftvergnügten anzubinden, um
ihm irgendeine Wahrheit bieles Weib be:
treffend an ben Kopf zu werfen. Aber er
bejann fid) zeitig feiner Menjchenwürde und
verihmäbhte den Streit. Zudem war Der
Kerl beffer genährt als er, mithin zum Giege
bejtimmt. Hatte Ingomar nidt jchon
Schaden genug an jeiner bereitwilligen
Phantajie erlitten, um Schluß zu madjen?
Das Schiff legte bei einer ganz fremden
Station an: Hier ijt gewiß aud) eine ſehens—
werte Gegend, und aller Vermutung nad)
wird es auch hier nicht mehr Elende geben
als jonjtwo, dachte Ingomar, pfiff feinem
E — —
Hektor und verließ zu feiner eigenen Über:
rajdung über einen [o eiligen Entjchluß das
Schiff. Dabei wintte er nod) ber Schmad):
tenden mit einem höhnijch » ehrerbietigen
Grupe, den [ie ebenjowenig erwiderte, wie
alle bisherigen Grüße auf der Fahrt.
88 Si Be
Nun ftand er alfo in der Fremde mit
einem Hund allein, inmitten ber neugierigen
Menge, bie mujternd die Ausjteigenden um:
ringte und den Cinjteigenden nadblidte.
Er drang eilig durch den Haufen und ge:
wann die Landjtrage, einen jo heißen Zorn
und jolde Veradtung im Herzen, daß es
ihn gelüjtete, feine Arme und Hände und
Beine zu brauchen, um über irgend etwas
Hergufallen. Die Belinnung, die ihm jest
tam, jtellte ihm aud) feine nádjjite Zulunft
bedrohlich genug vor. Er hatte gerade nur
nod) jo viel Geld in feiner Börje und Brief:
tajdje, um fnapp ein paar Tage febr genau
haushalten zu Tonnen, bis er wieder etwas
Ordentlides verdiente. In Diejen paar
Tagen durfte er aber beileibe feine Geiten:
ipriinge machen. Nicht etwa eine Reije nach
zwei elenden Werführerinnenaugen unter:
nehmen, nicht einmal zwei Mahlzeiten im
Tag und fein eigentliches Nachtquartier,
jondern nur bei Dlutter Grün oder Bater
Gelegenheit, im Heu oder in einem Wald-
und Laubwinfel. War aber mit all Deler
Vorſicht bas weitere Leben, bas jogenannte
nadte Leben — es [ror ibn jchon bei diejem
Eigenihaftsworte — gejtd)ert und gewonnen?
Wohin folte er denn gehen, was juchen
und unternehmen? Go gingen bie Aben-
teuer auf diefer Welt des Wenn und ber,
des Bargeldes und der moralilchen Sicher:
beiten, ber genauen Rechnungen aus, bevor
jie nod) angefangen batten. Wnftatt, daß
einer Das Wunder wahrmaden durfte, fih
auf dem Mantel feiner Wünjche in bas ferne
blaue Land der Einbildung zu begeben ohne
Tahrfarte und gejicherten Aufenthaltsaus»
weis, anjtatt daß einer das fümmerlidje
Denken auf Urlaub jdjiden durfte, um fid)
vom mächtigen Gefühl allein tragen zu laffen,
warf ibn der erte MinditoB gleich zu Boden,
jtieh ibm die Nafe gegen die Härte und lehrte
ihn denken. Lehrt Not beten? (Cie lehrt
nur Häglich überlegen, beten wäre tröjtlicher,
aber er hatte um eine Schmachtende gebetet,
um zwei dunkle Augen, um ein verjlucht
iones Lächeln, und das hatte nur den
Erfolg gehabt, daß er jebt zu denken befam.
(Er überlegte, vb er etwa an die fiber:
aderin telegrapbieren follte: Alles verloren,
hier bin ich oder jo ähnlich. Vielleicht würde
jie ibn auslöjen, ibm das $yabrgelb jdjiden,
und er fonnte wieder im modernen Enjemble
20 *
300 — Otto Stoeſſſ:
erſcheinen. Aber das widerte ihn an, nicht
nur weil er ſich vor dem ganzen ſchönen
Ort am Salzkammergutſee und vor ben
Schaujpielerfollegen und vor jedem Befannten
und Unbefannten dort in Die tiefite Geele
hinein ſchämte als blamierter, genarrter Gud:
indiewelt, jonbern, weil ihm mit der Reue
auch ein blutiger Zweifel an diejem ganzen
bisherigen Bejchäfte bes Scheins aufgeftiegen
war, bas er als &unjt mit felbftverjtand-
lihem Stolze und [ogujagen von Natur aus
betrieben hatte, als jet es gerecht und gut.
Er hatte dieje Runft leicht genommen und
war dabei jelber zu leicht. Darum erjdien
fie thm jet — wahr oder unwahr — als
eine arge rage bes Gigentlidjen, bas fie
meinte oder wollte. Darjtellung und Runde
bes Menjchen und der Geele durch ein wür:
diges Merfzeug. Wer mit einer Schmiere
umberzog und der nod) beim erften Anlaß
davonlief, hatte bei der Kunjt nichts zu
Juden. Er modjte wohl das Talent haben,
jedod) der Charakter fehlte ihm. Er hätte
wiljen müjjen, daß man als Künftler fih am
Scheine zu fáttigen hat, an den Boritellungen
bes Befühls, an ben beraujchenden Gedanken
der Erfüllung, am Wort, daß man aber ein
elender Narr ilt, wenn man die Abenteuer
bar erleben, jeden Blid wirklich nehmen und
eine Schmadtende anders erobern will, als
im hohen Traum des erften Schauens zwi-
iden Himmel und Erde. Er hatte Wirklich:
teit haben wollen, ftatt Schein, Tatjache
jtatt Einbildung, jo gehörte er in die Hölle
der Wirklichkeit, nicht in die wunderbaren
Himmel der Lüge und Einbildung Ihm
war es nicht mehr gejagt, in irgendeinem
bumpfen Theaterjaal mit einer jechzigjährigen
armjeligen Parthenia und zwei bärtigen
Tectojagen den „Sohn der Wildnis” zu er:
leben oder Die ungeheure Wildnis der
„Räuber“ oder der „Kabale” ober die mun:
tere $üge irgendwelcher gefälligen Gattung.
Ihm war der Glorienjchein ber Einbildung,
der Schimmer des jelbjtverjtändlichen Tuns
und Glaubens und Müljens, bes eigentlichen
Epieles und Grn|tes vom Haupt genommen,
er war wie ein geftürzter Engel bes Herrn
in bie Finjternis des Ja, Ja, Nein, diem,
der logijchen, wahrhaften, wirklichen Hölle
perjebt worden. Nun war es nur recht und
billig, daß er fid) Hier ordentlich láuterte.
Er brannte ordentlich nad) läuternder ge:
meiner Arbeit. Nicht dak er fie höher ftellte
als feine leichtjinnige Runjt, im Gegenteil,
aber er fühlte fih ihrer jehuldig, mit Arbeit
ftrafbar. Er wollte feine Arme, Beine,
Muskeln, jedes einzeln, jpüren und mit Be:
imájtigung ftrafen, als lönne er dieje arge
Melt umwerfen und einreifen.
So wanderte er denn grimmig entjchloffen
neben feinem von ſolchen Zweifeln vermut:
lich nicht beirrten Heftor über die Zanditraße,
burd) Heine Drtjchaften mit Objtbäumen und
legten üppig blühenden Georginen und
Dahlien und an manden fanft ober [teil an:
fteigenden Weingeländen vorüber. Mirgends
iier man ihn zu bemerfen, in ben Häufern
alles ausgeftorben, denn es war volle Arbeits:
zeit und bie Leute auswärts. Höchftens, dağ
ihn eine ganz verblödete Alte oder ein nod)
nicht vernünftiges, jlachshaariges, fleines
Wejen unverjtändig anjah, wenn er fráftig
binburdjging, denn es war ibm zumute, als jet
er vom Bodenlojen, aus dem luftig unwabren
Bezirk nun auf die Erde gelangt und gelandet.
Endlich traf er auf der freien LanditraBe
ein altes Anwejen, ein Haus, ein bißchen
verwabrloft mit offener Türe, bie auf einen
dunklen Flur feben ließ, unter dem Geſims
Tauben, vor dem Ninnitein ein paar Enten,
Bänje und auf dem. Mijthaufen, der bem
Heinen Garten mehr als geredjt Raum weg:
nahm, ein Shod Hühner. An der ganzen
Hauswand entlang lief aber eine Holzbant,
und auf der fap ein ältlicher Menſch mit
einem zufriedenen, doch fümmerliden Ge:
lihtsausdrud, hatte neben fih einen Raib
Brot, ein großes Stüd Sped, einen anmutig
geformten Krug mit Wein und ein volles
Rriigelglas. Bon feinem Brote warf er ge:
legentlid) den VBógeln ein paar Brojamen
zu und betradjtete fie, wie fie fleißig und
jauber jedes Gtiídlein auflajen, indes er
einen großen Biffen in den Mund beförderte,
dazu ein Stiid Spec abjdnitt, einen Schlud
aus dem Krügel tat und mit dem Hand:
rüden Danad den Mund wijdte. Heftor,
der wohl niemals alt unb fatt genug wers
den mochte, um gleichgültig einem möglichen
Eſſen unbeteiligt zujchauen zu Tonnen, blieb
ganz unverfroren vor bem Wianne, vor ber
Bank Stehen und wedelte mit freundlichem
Ausdrud. So blieb auch fein Herr unwill:
fürlich ftchen und war — ohne es zu iij:
jen — gebannt von der freundlichen Aus:
ft einer joldjen einjamen Raft bei Brot
und Cped und Wein. Indem dieje jed)s
einfáltigen Augen einander mafen und
wogen, ergab jid) auch eine rage nad) dem
Woher und Wohin. Der Ejjende fand bald
heraus, daß ber Stehende auf der Wander:
Ihaft und hungrig fei, wie fein Hund, Sn:
gomar aber, daß der Ejjende gewiljermaßen
überjatt von Cinjamfeit und Arbeit ganz
wohl einen Gejellen brauchen fonnte wie
ihn, denn er [ub ihn zum Eben ein, brate
ein zweites Brot, holte aus dem Keller, der
gleid) vom Hausflur über ein paar Stufen
erreichbar war und aus der geöffneten Tür
den jäuerlichen, betäubenden Gerud) jungen
Weines heraufjdhidte, einen zweiten Krug,
aus der Küche ein zweites Ctiid Cped und
für den Hund eine Ladung geeigneter Broden
und fütterte jo zwei fremde Gájte wie die
Vögel, bie er fpeifte an Stelle des Herrn,
der bie Lilien auf dem Felde wachjen ließ
und bie Vögel ber Cinjamfeit Jättigte. In-
Dem Ingomar fih neben dem Alten nieder:
ließ unb bie beiden dod) [Hon ermiideten
Beine weit ausftredte, ins Brot hineinbiß
unb vom Sped mit feinem zierlichen Taj het:
mejjer anftándige Heine Schnitten mit An-
[tanb unb guter Art abjäbelte und ap, hörte
er bie Klage feines Wirtes an, Daß bem un:
langjt jein Weib geftorben war und ihm
Haus, Weingarten und Gerät in aller Un:
ordnung allein iiberlajjen hatte, fo daß er
fid) gar nicht mehr austannte vor Arbeit.
Dağ er feine Kinder und niemand auf der
Welt hatte, aber da nod) leben wollte, weil
er eben da war und weil fid) bod) jemand
der Hühner und Enten, des Kellers und
der Reben annehmen mußte; daß er darum
recht geplagt fet und Hilfe fuhe, ohne je:
mand rechten zu finden. Indem er den vor:
nehmen jungen Diann mit einem halb arg:
wöhniſchen und verdädtigen, halb zutrau:
lichen und freundlichen Blid vom Kopf bis
zu den Füßen muljterte, jchien er zu fragen:
Bift du zu brauchen und willft bid) brauchen
laffen ober but du zu gut und zu ſchlecht für
mid? Und indem Ingomar diefe halbe
Werbung diejer Blide aus den Kleinen, von
ihweren Augenlidern faft zur Hälfte ver:
ſchloſſenen grauen Augen über fih ergehen
ließ, ähnlich wie weiland bie Sdmadtende
im Bade feine Blide, Dachte er jo von un:
gefähr: Wie wär’s, wenn id) dabliebe und es
verjuchte, bier Ernft und Arbeit und die Hölle
ber Langeweile und Wirklichkeit zu ertragen?
So famen die beiden, fikend und kauend
unb zähe Morte wechjelnd, zu einer [till:
ichweigenden Berjtändigung, während Heftor
vor den Hühnern in aller Ruhe bie Rnoden
jauber abnagte. Die Ganje und Enten gader:
ten, dieTauben flogen elegant unb ſchwungvoll
auf, ließen fih nicder und fpazierten mit
ftolgen Ruden ihrer Heinen eingebildeten
Köpfchen auf und ab, der Hahn |d)rie von
feinem Miſte. Auf diejem Schauplage ward
alfo ein 9Bergleid) zwijchen bem Abenteuer
und der Wirklichkeit abgejchloffen, ein bes
ihämender Friede, bei welhem die Kunſt
ihre Waffen [tredte und ihre Fittiche einzog
vor Brot und Cped. Ingomar verriet fih
aber nicht, er gab nur beiläufig zu verjtehen,
oak er als wandernder Student zufrieden
jet, bier für eine Weile zu haufen und zu
helfen. Shon um ein wenig in Gottes freier
I Die Schmiere BISISZZIZZZZZZZZI 301
Natur zu Schaffen und zu leben, wie fo viele
Menjden vor, neben und nad) ibm. Der
Alte machte fih über die Antwort nicht viele
Gedanten und hatte genug an ber Ausficht,
jemand bei fih zu wijjen, ber ihm arbeiten
und jchweigen half.
Nach ber Mahlzeit führte er den neuen
Sjausgenojjen gleich auf den Weinberg und
hieß ihn jäten und fáubern, Neben binden,
bie Vogelſcheuchen inftandjegen, Waſſer holen
und bie ſchweren Eimer von unten bis hod
hinauf zu den lebten Reihen tragen, wo ge:
gojjen werden mußte. Zwilchen den Neben
wuchs aud) Kohl und Kraut und Unkraut,
das bedient, aljo gereutet werden mußte.
Angomar lernte bie [Hónen, flatterjüchtigen
Schmetterlinge verachten und verjcheuchen,
lernte Holz jägen und fleinmad)en, in ber
Kühe Ge|djirr wajchen, ordnen, den Boden
fegen und jäubern, fogar ein Effen fochen,
wenn ihnen am Abend nad) etwas Warmem
zu Cinne war.
Unter dem Dad befam er ein Zimmer:
chen, das er von Brund aus reinigen mußte,
um es ohne Furcht bewohnen zu fónnen.
Bom Feniter webte fogar ein alter roter
Vorhang triegerijd) in bie Liifte, und Gera:
nien ftanden in Tópfen am Brett, bie er
begoß, damit fie wieder in Grün und Blüte
famen, denn alles war recht verwabrlojt
und vertan. Der Alte rauchte feine Pfeife,
der Junge feine Zigarette, und fie tnurrten
einander dabei mit wenigen und nicht eben
ausgebildeten Worten an.
Go flojjen bie Tage des Herbjtes mit Duft
und Farbe ineinander und vorüber, die Land:
Hrobe war einjam, man glaubt gar nicht,
wie felten ein Wagen und Wanderer vorüber:
zieht, wenn einer bei der Arbeit nicht Zeit
hat, darauf zu achten, und wie rajd bie
Sonne vorübergeht und wie fremd und un:
nabbar die Molten am Himmel vorüber:
gehen und wie plöglich fih die Baume fär-
ben und das Laub bunt wird und wie wenig
man vom fogenannten Leben fiebt, wenn
man feine Zeit hat. Über der Arbeit ver:
jaumt man es, und es ift gar fein Spiel
mehr, fondern nur Mühe und Müdigkeit.
Ingomar hatte nicht einmal Zeit, fih vor
den Leuten zu ſchämen, die vorbeizogen, ja
es fam ihm fogar vor, als bemerften fie ihn
gar nicht, daß er, ein anderer, unzuftändiger,
hier wie ein Knecht diente.
Nad der Meinleje fam die Preſſe im
yeljenteller, welder im Weinberg felbft ein:
gemauert war. In dem jchwülen, ſüßen Ge-
rud) der diden, Dunjtgejattigten Luft bes
finfteren Raumes ward man von diejem
Hauch von Schwere allein [Hon trunten,
aber ohne Gedanken und ohne Traum. Vian
302 Otto Stoejil: Die Schmiere et
leerte ein Rriigel des trüben Mojtes nad)
dem andern und af fettes Gejeldjtes Dazu.
Draußen jammelte fih der Haufen rötlicher
Treber, drinnen op langjam ber unge:
gorene Mein in die großen Fäſſer. Dann
ibleppte man auf umgehängtem Tragbrett
den Dünger von unten bod) hinauf zu den
begierigen, Schweiß und Mühe frejjenden
nimmerjatten Reben. Dann ging man wieder
in den Keller und jchwanlte wieder in dem
traumlojen Schweben bieles ſchweren Duftes,
bis man abends auf das Lager niederfiel.
War bas 9tedjt und Unred)t, Strafe oder
Lohn, Hölle oder Himmel, biejes Leben ohne
(Debanfen, diefe Selbjtandigfeit der Hände
und bes Hungers, bieles von der Hand in
den Mund, diefe Nahrung wegen der Ruhe,
dieje Ruhe wegen der Arbeit und immer
neben bem alten Menſchen, der das gleiche
tat und von heute auf morgen da war?
Ingomar [bienen hundert Jahre feit Jeiner
Berwandlung vergangen, und als würde er
die andere, eigentliche Welt, die Welt der
Worte und des Spieles, der gedachten Lei:
Denjdafter und eingebildeten Figuren gar
nicht mehr wiedererfennen, wenn er fie jemals
wiederfánde. Wo war fie denn, war fie
überhaupt wirklich auf der Welt, diefe ans
dere Welt bes Scheines, der Bühne, der ge:
pubten Menfchen, der gefalljamen Frauengim-
mer, der wibigen, gutgefleideten Zujchauer,
ber eiferjüchtigen Schaufpieler, der Rollen,
bes Gouffleurs, der interejfierten Bedanten ?
Langjam vergingen aud) die Herbfitage,
liepen achtlos die Blätter fallen, führten
adtlos Regenwolfen und jagende najje
Schauer herbei, ftreiften die legten Beeren
von den Trauben, vergoren den trüben
Soft, jchloffen Türen und Fenfter vor ber
madjenben Kälte. Die Bärtchen wurden
fabl und unordentlich, die Aſtern verwidelten
fih in ihren legten Blüten und verdorrenden
Blätter, man hörte die Fubrwerte häufiger
vorüberrajjeln, die Welt der Farben wich der
Welt der Gerdujde und Töne, man hörte
jegt den Strom [tárfer raujden unb braujen,
in den Lüften jdjoll der Lärm der Winde
und der Raben, das Pfeifen ber aufgejagten
Staub: und Blätterhaufen, alter Kehricht
pfiff um die Eden, die Türen jchlugen, die
Schlüſſel Hirrten, bie Wände fnarrten, durd
das einfame Haus fuhren Stöße. So redete
die Einjamfeit und Leere, gedantenloje Hille
der Arbeit und traumlojen Einfalt zu dem
gejättigten, verftogenen Romödianten.
8
Im November folte er einmal ins nächſte
Ctábtdjen gehen, um ein Fak Wein abzu-
liefern. Er führte es in einem Handwägel:
hen, und fein iiberfliijfiger, aber treuer Be:
gleiter Heftor trabte frei daneben. Denn
ber edlere Hund ließ fih nicht einfpannen,
unb jo fam es, daß Ingomar wie ein Hund
die Laft Ichleppte, während Heltor wie ein
Herr [ujtig danebenlief unb ihn gewijier:
mapen bewabtc. Der alte Mann hatte
Ingomar gebeten, bieles Geſchäft zu bejorgen,
das Fak Wein madte einen ganz guten
vorläufigen Ertrag aus. Ward es vorteil:
haft argebradjt, jo fonnte man nod) ein
zweites und drittes liefern und für ben
Winter allerhand Bedarf eintaujchen, fiğ
dann in das Haus einjchließen und auf bas
Frühjahr warten, denn das hieß hier und
allzumal: Leben.
Als Ingomar jo ingrimmig gedantenlos
mit feinem Wägeldhen in Bie teine Stadt
eingefahren war und das Fak Wein in dem
großen Bajthofe abgeliefert hatte, der ibm
bezeichnet war, trat er, feiner Laft und feines
Auftrages entledigt, unwillfürlich vor einen
großen Anljchlagzettel, ber am Tore hing,
und ihm erft befannt vortam, als er [id)
ber languergejjenen Gewohnheit bes Lejens
entjann. „Friederife Therefia Tiberaders
modernes Enjemble.”
Und wie auf ein Stichwort fam aus dem
Baftzimmer aud) die alte Pringipalin, fam
der Gouffleur, Infpizient, dienfthabende Re=
giffeur, fomijdje Alte und Zettelträger mit
der Schirmlappe und dem Leinenfittel ber:
vor. Beide maken Ingomar verdugt und
trauten ihren Augen nicht.
Gr war es, [ie waren es. Gie ſchwiegen
betreten. Dann lächelte die Tiberaderin
wunderlid, als wäre ihr ein Traum in Er:
füllung gegangen, es zudte um ihre Augen,
Ingomar ftand da und wußte nicht, welchen
Gebraud) er von feinen fteif gewordenen
Gliedmaßen, vor allem aber von feinem
verhärteten Geſicht machen folte, denn er
Ihämte fic) jebt und veradtete fid), nicht
wegen feiner Wrbeitswochen und feines
JleiBes, auch nicht wegen des lángjt ver:
wundenen Wbenteuers um eine gewijje
Cdmadtenbe, jondern wegen des begangenen
MBerrates an feinem Cdjidjal und eigent,
lihen Gelbjt: an feiner Runft. `
Cie jhüttelten einander bie Hände, und
jo war er wieder bei ihnen, bei jid) felbjt.
Seftor aber lief um dieje Gruppe, jdnup-
perte gelegentlid an einem Gdjtein, febrte
zurück und hielt die drei Wiedergefundenen
gutmütig gujammen als ein gliidlid) uns
wijjendes, glüdlich überlegenes Gejchöpf
Gottes, das nicht irren fann, weil es fid
auf die Höheren verläßt, felig, wenn alle
irrenden Willen und Wünjche tröjtlich zu:
lammenfommen, obne daß es für einen
Hund Schläge und Hunger abjegt.
Dom dehreibtiſch und aus der Werkſtatt
Ehe EE eben) ento
Bom „Defregger: Sranzl”
ea Plauderei von Prof. E, v. Stieler —o
GEERT?
Mom „Defregger:Franzl” fol ich er:
A zählen, niht vom Bo Künftler
PS und feinem Schaffen, jondern von
IA dem lieben, prächtigen Menjden,
: den jeder gern haben mußte, der
ibm im Leben näher treten durfte, von dem
feltenen Manne, bejjen jchlichtes Menſchen—
tum von Ruhm und Ehren allerart, bie
mand anderen zum ftolzen, vornehmen Herrn
gemacht hätten, völlig unberührt blieb.
Gar monde Stunde babe ich mit di
verplaudert, aber felten ging er aus fid
eraus und nur auf Bitten — er von
ch, ſeinem Werdegang und ſeinem “nanen,
Nur wenn die Rede auf feine Heimat tam,
. dann leuchteten feine Augen, Dann ward er
warm und gejprádjig, denn ihr gehörte neben
jeiner Familie und der Runft feine ganze Liebe.
Und wie wenig vermochte ihm diefe Set:
mat zu bieten! — Nur ein hartes, arbeits:
volles Bauerndafein. Aber trogdem liebte
er fie — um ihrer Schönheit willen, die Die
Freude feiner Kindertage gewejen, und zu
der es ihn immer wieder mächtig binzog.
Sod oben im Buftertal, im berbo? zu
Strona% ftand feine Wiege. Der welt- und
tulturfrembe, zur Pfarrgemeinde SEN ge:
hörige Weiler, wohin fich in ber damaligen
eijenbabnlojen Zeit faft nie ein Fremder ver:
irrte, ward, als Franzl vier Jahre zählte, von
einem böjen Gaft, einer Typhusepidemte
heimgejucht, ber auch er beinahe zum Opfer
gefallen ware. Er erfranfte jo jchwer, daß
er faft ein Jahr lang getragen werden mußte.
Bolltommen genejen ftieg er mit [teben
Jahren zum Rang eines Hüterbuben empor
und fletterte mit ben Ziegen feines Baters
fingend und jodelnd in den Bergen herum,
jeines an Berufes und der ihn umgebenden
Naturſchönheit fih erfreuend.
Ein Hüterbub hat viel Zeit zum Schauen
unb unfer Franzl hatte Augen, die nicht nur
zu ſchauen, fondern wirklich zu [eben und
das Gejehene feftzubalten wußten. In der
wunderbaren Schönheit, die fih feinen Bliden
von dem hochgelegenen Weidepla am jo:
genannten Ederplan bot, feierte das jpätere
Riinftlertum Defreggers fein erftes Erwachen.
Der Gejtaltungsdrang fing an, fic in thm
E regen, und da ihm hierfür fein anderes
aterial zur Verfügung ftand, denn Blei-
ftifte gab’s nicht im Ederhof, |djnitt er aus
altem Papier die Silhouette der großartigen
Bergformen aus, an denen fich fein Auge
geweidet hatte.
Auf dem Ederplan ftand eine alte Hütte,
in der der Hüterjunge bei Sturm und Regen
Unterfchlupf juden fonnte. Jn bie Tür
diejer Hütte fragte Franzl, um fid) bie Zeit
zu vertreiben, mit dem Mefjer die Figur
einer Bemje ein. An diefe erfte fünjtlerilche
Tat Defreggers Inüp[t fid) eine luftige Ge:
ſchichte.
Als nach vielen Jahren ſich einmal ein
Fremder auf den Ederplan führen ließ und
ihm dort die Gemſe als das Werk des in—
wiſchen berühmt gewordenen Malers De—
‘be ger gezeigt wurde, bejtimmte er bem
Führer, ibm gegen ein gutes Trinkgeld bas
Ctüd der Türe mit der ng heraus:
zujägen. Unvorfichtigerweile zeigte er abends
voll Stolz im Wirtshaus zu Dölſach feine
Beute. Unter den anwejenden Burjchen aber
war einer, der offenbar ein injtinftives Ge:
fühl für Sat e bejab. Jn einem
unbewadten Wugenblid gelang es ihm, dem
Fremden bas Beuteftüd zu entwenden und
unbemerft damit zu verjdwinden. Bon
den Sina ERAS e wollte feiner den
Burfden gefannt haben. Das Brett mit
der eingelragten Gemje wurde vom red:
e SE Finder Defregger nad München zu-
elanbt und befindet [id) nod) heute im Be:
en der Familie.
Der Winter in dem einfamen verjchneiten
Ederhof, in dem ein am Feuerſtein ent-
zündeter Rienjpan die einzige Beleuchtung
an den langen Abenden bildete, war für den
aufgewedten Franzl recht öde. Wit der
Schule, die bie Wintertage wejentlich hätte
verkürzen können, war es in Ctronad) übel
bejtellt, Ein Bauer, deffen Kenntnis bes
Sejens und Schreibens fic) in ben bejchei:
denften Grenzen hielt, übernahm die Ein:
führung Franzis in die Geheimnijje des
Gorifttums. Orthographie gehörte aber
offenbar nicht zu ben Lehrgegenjtänden und
blieb, wie aus Jugendbriefen Defreggers her:
vorgeht, |püterem Gelbititudium vorbehalten.
Die viele freie Zeit, die er hatte, vertrieb
fid der Junge, indem er aus Rüben und
Kartoffeln oder aus Teig Menjchen: und
Tierfiguren formte. Lebhaft erinnerte er
lich noch in feinen alten Tagen der Freude,
bie er über ben erjten Bleiftift empfand, den
ibm der Bater von einem Marttbejud mit:
brachte. Nun fonnte er zeichnen. NRüdlichts-
los betätigte fid) jet feine Phantafie an
Wand, Tilh und Bánten. Die einzige Vor:
lage, Die ihm zugänglich war, einen Gulden:
zettel, fopierte er fo vorzüglich, daß ber Harm:
lofe in Verdacht geriet, eine Fälſchung be:
abfichtigt zu haben, und daß jid) fogar dic
hohe Obrigkeit mit dem Fall befaßte.
304 ees Vrof. E. v.
Einen Lichtpuntt in ber Einförmigfeit bes
Stronader Winters bildete die Muht Die
Mutter bejaß eine Harfe, über deren Her:
funft feine Nachricht binterfajjen ijt, und es
machte ihr bejondere Freude, an den langen
Winterabenden mit ihren mufifalijd febr
begabten Kindern zu mufizieren. Won ber
Mutter auf der Harte begleitet fangen Franzl
und feine Schweltern vierftimmig alte Tiroler
Meilen ober geijtlid)e Lieder. Mufit war
ja aud) im |päteren Leben Defreggers einzige
Leidenjdaft neben ber für jeine Malerei. —
Als aus dem Frang! ein Franz geworden
war, ber tüchtig im landwirtfchaftlichen Be-
trieb feines Baters mitarbeiten mußte, trat
er als Ylügelhornbläjer in. die Dorfmufit
ein und fpielte bei allen Gelegenheiten in
ber Umgegend zum Tange auf, fomponierte
fogar jelb[t drei Walzer, die damals im
Bujtertal viel gejpielt worden fein follen,
aber leider nicht erhalten geblieben find.
Die landwirtjchaftliche Arbeit im Dienfte
feines Baters vermochte ibn nur wenig zu
befriedigen, aber er jah feinen Meg zur
Sinderung feines Lebens, fo jehr er A
danad) jehnte.
Als er nad) bem Tode feines Baters als
einziger Sohn den Hof übernehmen und
bewirtjchaften mußte, tam ihm immer mehr
um Bewußtjein, daß er zum Bauer nur
djled)jt taugte. Die Wirtichaft ging zurüd,
tatt vorwärts, beim Viehhandel |djnitt er
alt immer ſchlecht ab, jo daß ihn, wie er
jelbjt erzählte, ein fórmlidjer Etel an dem
bäuerlichen Beruf eriopte, Er wollte um
jeden Preis fort aus der ibm jo wenig 3u-
jagenden Tätigfeit. Aber was beginnen?
Das Amerifafieber, bas damals unter der
Tiroler Bevólterung berrjd)te, ergriff aud)
ihn, und bie Auswanderung [cheiterte nur
an bem Umftand, daß er feine thm zujagenden
Weggenojjen fand.
Um ihn von bem Entſchluß, den Hof zu
verlaufen, abzubringen, verjuchten dié Seis
nigen einen legten Anjturm. Karl Gtieler
erzählt darüber nad Defreggers eigener
Mitieilung: „Man hatte fid) zu einem Fejt
in der Nachbarichaft verjammelt, und bei
diejer Gelegenheit ward Franzl in den Pfarr:
pol bejdjieben, wo alle feine Verwandten
ereits vereinigt waren. Man bejchwor ihn,
nicht die jchöne Heimat und ben [idjeren
Boden feiner Väter preiszugeben um eine
unbefannte Zufunft. Vian beftürmte fein
Gemüt auf jede erdenfliche Weile; erft eine
Obhnmadt, bie er Balb erfand und der er
zur Hälfte wirklich nabeftand, erlófte ibn
von jeinen Bedrangern. Er bat flehentlich,
man möge ibn doch endlich in Ruhe lajjen,
er werde bas Ridtige dann [hon finden.
Unjer Herrgott wird’s fho recht machen —“
Einige Ces darauf verkaufte er den Hof an
einen Wetter und wanderte aus, freilich
nicht über ben Ozean, jondern zu Fuß nad)
Snnsbrud in der Abjicht — Bildhauer zu
werden. — Bor dem Eintritt in fein neues
Leben bejuchte er nod) einen Better in Kemp:
Stieler: a et
ten in gejchäftlicher Angelegenheit. Wie ibm
beim Abſchied von ber Heimat ums Herz
war, befunbet ein Brief an feine Schweitern
aus Innsbrud vom 28. April 1860:
,JnvergeBlidje Schweitern!
Als wir bas legtemal beijammen wahren.
da wahr mein Herz nod) jo bedrängt und
mit heißen Trebnen mußte id) ri unb
meine Heimat verlajjen. Wher nad) Regen
fommt Sonnenjcein, denn, als ich zum erjten-
mal Innsbrud erblidte, da wahren meine
Trehnen weggewijbt. Und bejonders, als
id) bie Reiſe nad Rámpten madte, da
weideten jid) meine Augen fortwehrend an
idónen 2anbjdjaften, an glänzenden Dörfern
und Städten, den man fonnte vaft nicht
mehr aufhören, den Schöpfer zu preijen und
an allen Merkwürdigkeiten, welche jede Stadt
darbietet, bejonders Münden ...
Und jebt ijf mein einziges Beltreben nad
meinem Vorhaben, den meine Brofelion ſcheint
aud) nicht Icylecht zu fein, wenn ich einmal
weitere Bortjcehrite machen fan. Und wenn
du vielleicht gebenfe|t, jezt ift er in einer
Ctabt, da wird er fid) nur an eitelteit und
unterhaldung ergözen, und bethen wird er
nichts, jo wirft du Dich teujchen teure
Sdwefter, denn Innsbrud bietet zum guten
ebenjovil Gelegenheit dar als zum jchlechten,
denn an Kirchen fehlt es ja nid)t, wenn
man bethen will ...”
Vier Wochen jpäter, am 21. Mai 1860
Ichreibt er: ,... Wenn ich euch jagen möchte,
wie viel fröhlicher, heiterer und zufriedener
ich jezt lebe als zuvor beim Eder, es würde
mir gar nicht geglaubt werden und id) muß
meinem Schöpfer daujentmal danten, Daß er
mich in bieles Schidjal gelenkt hat.“
Profeſſor Stolz in Innsbrud, dem der
friiche Bauernburjche gefiel, ließ fid) durch
Dellen bringenbes Bitten bejtimmen, ibn als
Schüler anzunehmen. Cr jcheint nicht nut
ein tüchtiger Holzbildhauer, fondern aud) ein
Harblidender, verjtándiger Mann gewejen
zu fein, der bald erfannte, daß in feinem
neuen Schüler mehr das Zeug zum künftigen
Maler als zum Bildhauer [tede. Ein paar
Kompofitionsverjuche, bie Defregger trog
feines Sträubens, weil er jo was ntdjt finne,
maden mußte, überzeugten Stolz von der
Nichtigkeit feines Urteils.
Um dem ihm lieb gewordenen Schüler den
Meg zu feinem eigentlichen — ebnen,
lud er ihn gelegentlich einer Reiſe nach
München ein, ihn zu begleiten. Dort nahm
er ihn mit zu Karl Piloty, deſſen Ruhm
als bahnbrechender Künſtler und als Lehrer
bereits in aller Mund war. Gewaltig und
für ſeine Zukunft entſcheidend war der Ein—
druck, den Pilotys „Nero auf den Trümmern
Roms“, woran der Meiſter eben arbeitete,
auf den jungen Tiroler machte. „Ja, jest
weiß ich, was ich will und muß. Maler will
id) werden,” fagte er zu Stolz beim Verlaſſen
von Pilotys Atelier. (EN die Aufnahme in
die Akademie reichte fein Können damals
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ee EES SS Bom Defregger: Franzl” seet 305
nod nicht, weshalb ibm Piloty empfahl, fic
zunächſt an der Runftgewerbejchule im Beidh-
nen weiter auszubilden.
In den erjten Tagen feines Münchener
Aufenthaltes wurde Defregger, der in jeiner
ert i Trabt durd) die Straßen
chlenderte, von einem Herrn angeredet und
gefragt, ob er Jäger fet. Auf bie Berneinun
der Frage bemertte der Herr: „Schade, id
foll für Seine Majeftät mid) nad) einem
hübſchen, ftattlichen Leibjager umjehen, und
da hätten Cie mir vortrefflich gepakt.”
pet unb unbebolfene Tiroler fonnte in
finnverwirrenden Trubel der Welt:
t unmöglich das finden, was ihn in
einer ftillen, tnnerlidjen Kunjt hätte för-
Tonnen, Ohne Empfehlungen, der
Landesiprabe unfundig, fonnte er weder
in der Ecole des beaux-arts, nod in einem
Privatatelier Aufnahme finden; er blieb auf
das Studium der Galerien und auf eigene
Arbeit, ohne ben gehofften Unterricht, om:
gewiejen. Ziemlich unbefriedigt fehrte er
nad fünfviertel Jahren nad) a zurüd
und ging, ba er Piloty nicht antraf, in feine
imat und malte dort Naturftudten und
orträts von Verwandten und Betannten,
um fein maltechnifches Können zu fórdern.
Wud) der Entwurf zu feinem erjten Bild
„Der verwundete Jäger” entitand in diejer
Zeit unb verjdaffte ibm 1866 die enblidje
Aufnahme in die Bilotyjchule, in der damals
bereits Makart, Gyfis, Griigner, Gabriel,
Max unb Lenbad von jid) reden madjten.
Dem „Berwundeten Jäger“, mit bem De:
fregger 1868, gum erjtenmal im Münchener
KRunjtverein an bie Offentlidfeit trat und
freundliche Beachtung fand, folgte 1869 das
‘febr befannt gewordene Bild ,Spedbadber
und fein Sohn“, das durch die Neuheit des
, Nachdem er Stoffes und
ein Jahr lang Die {harfe
in ber Kunſt⸗ Charakteriſie⸗
gewerbeſchule rung jeder ein⸗
mit raſtloſem zelnen mr
uw 4 earbei: eradezu Auf:
tet e, be: fever erregte.
ftand Defreg: on ba be:
ger im Früh⸗ ginnt Defreg-
jahr 1861 die gers — fünjtle:
Wufnahme- riſcher Sieges=
prüfung an lauf. Jedes
der Mtiinche- neue Bild war
ner Afademie. ein neuer Er:
Der Unterricht folg.
im 9JIntifen- Cs gebt
faal undin der über den Rah:
Maltlaffe von men — Diejer
Profeffor An- Plauderei hin: .
ihig bebagte aus, Defregs
thm aber jo ers reiches
wenig, daß er doten. das -
pó entſchloß, bereits der
ein Heil an= Runjtgejchichte
derwärts zu angehört, zu
verjuchen. verfolgen.
Seine abl Die Tris
I auf Baris, umpbe, die der
as damals Künftler De:
in München, fregger feierte,
wie früher ließen jein We:
Rom, als die jen völlig un:
Heimat der berührt. Er
wahren Kunit blieb der
gepriejen wur: ſchlichte, ein:
de. Daß dieje Gin nod unveröffentlichtes Selbftbildnis aus ber Parifer Zeit ` Tode Menjch,
Wahl ein Mik: Defreggers 1863 der mit riib:
griff war, er: R render Treue
wies fid) bald. Der immer nod) welt: an feiner Heimat und an den Geinigen
bing, wie bie Briefe an feine Sdwejtern
efunden, in denen er fic) ftets mit war:
mem Snterejje nad) allem, was daheim ge:
ihah, erkundigt. Bezeichnend für fein Bart-
gefühl ijt, daß er nie auf ben Widerjtand
zurüdfommt, den feine Berufswahl bei der
ganzen Familie gefunden, jondern immer
nur dankbar Gottes Sügung preijt, Die ihm
den rechten Weg gewiejen babe, —
‚ Mitten in feinem glänzenden Aufftieg traf
ibn ein ſchwerer Schidjalsichlag, ber ihn faft
zwei Sabre lang der Gebfábigteit beraubte.
Bei der Heimkehr von einem Ausflug ins
Sjartal hatte er jid) verjpátet und juchte in
vollem Lauf nod) den legten Zug nad) Mün-
chen zu erreichen. Is er jchweißtriefend an
306 Weeer Prof. E. v. Stieler: B2Z<Z332233333232224
der Station eintraf, fuhr eben der Zug ab.
Erſchöpft habe er jid) ins feuchte Gras ge:
jegt, um etwas zu verichnaufen. Dabei jet
er eingeichlafen unb als er ermadjte, babe
er den Weg nad München faum mehr und
nur unter großen Schmerzen zurücdlegen
Tonnen, Cin jchwerer Gelenfrheumatismus
mit vollftandiger Lähmung der Beine war
die Folge.
Da ber Zuftand trog aller Bemühungen
ber beriihmtejten Münchener Ärzte (id) niht
bejjern wollte, nahm Defregger feine Zuflucht
zu einer Damals jehr gejudjten Rurpfujcherin,
der Doftorbauerin in Mariabrunn, die ibn
jedod) [hon nad) ment:
gen Tagen wieder ent:
ließ, weil fie ihm
auch nicht helfen Tonne,
Eine aufopfernde Pfle-
erin fand er in Der
chweren Zeit in An:
nerl, der Tochter feines
Quartiergebers, die er
ion als Rind bei fei-
nem erjten Münchener
Aufenthalt fennen ge:
lernt und in einem Gr:
ztehungsinftitut hatte
ausbilden laffen. Bei
dem täglichen und ftünd-
liben BZujammenjein
entwidelte jid) bald
eine tiefe gegenfeitige
. Neigung, Die zu einer
— Verlobung
ührte. Bei der Aus—
ichtsloſigkeit ſeines Zu—
tandes wollte Defreg-
er bem Mädchen das
awort zurüdgeben,
Annerl aber erklärte,
den [abmen Mtann, der
lie zur Pflege brauche,
nicht verla|jen au wollen.
Am 29. Juni 1872
führte er bie 16 jährige
als Gattin heim. Auf
dem Sofa liegend wurde
Defregger in feinem bejcheidenen Zimmerchen
etraut. Er erwarb ein kleines Häuschen in
dwabing, in bem ihm feine junge Frau ein
Atelier einrichtete, wo er liegend den „Ball
auf der Alm“ malte.
Da aud) die ihm von allen Seiten emp:
foblenen Heilmittel feine Bejjerung brachten,
entjchloß er fid) zu der bei feinem Zujtand
höchſt beichwerlichen Reife nach Bozen, von
Dellen mildem Klima er wenigitens Erleid)-
terung erhoffte. Trog aller Fehlichläge hatte
er nie bie Zuverjicht verloren, mit Gottes
Hilfe noch ein gejunder Mann zu werden.
Und raider, als er gedacht, jollte feine Hoff:
nung fid) erfüllen.
Als Defreggers Ankunft in Bozen ruchbar
geworden, erjchien eines Tages eine Depu:
tation bet ibm, um ibm für das herrliche
Altarbild zu danten, bas er der Pfarrkirche
Defreggers tiroler Arzt: ber Rurpfufder
MBabler
in Dölfach geichenkt hatte. Mit bem Bürger:
meilter von Doljad war ein Jugendireund
Dejreggers, Franz Oberjteiner, nad) jeinem
Hof „ver Waler“ genannt, gefommen.
tejer, zugleich Bauer, Bader und Bieh-
dottor, ber im Nebenamt aud) Mtenjden
turierte, ließ fid) von Defregger feine Krant-
heitsgejchichte erzählen und meinte darauf:
„J bent wohl, Franzl, daß i dir helfen tunnt.”
Defregger ging fofort darauf ein, fid) vom
Mabler ZE eln zu lajjen, nahdem bie
beiten 9irate fic) feinem Zujtand gegenüber
als ratlos erwiejen batten. Die Kur mit
Baunjheidtismus wurde Re begonnen,
eine RoBtur im wahr:
ften Sinne des Wortes,
denn der Apparat, den
Waßler bejak, war nicht
für die Behandlung
von Menichen, jondern
ur MVerwendung bei
indern und Pferden
beftimmt. Die Gewalt
fur, wirfte Wunder.
Mad wenigen Tagen
fonnte der Patient [Hon
etwas geen; und ein
paar ohen jpäter
war er volltommen ber:
geitellt.
(eid) nad feiner
Genejung begann er
nod in bem Kleinen
Zimmer, das er in
Bozen bewohnte, fein
vielleicht beriihmtejtes
Bild „Das lebte Auf:
ebot". Die Anregung,
id) an bijtorijde Stoffe
heranzuwagen, Der:
dantte er feinem erften
Lehrer Stolz, ber ibn
bejtimmt hatte, nicht
Bildhauer jondern Dia:
ler zu werden und ber
ihn babet darauf bin:
wies, welde Fülle von
| Motiven die Tiroler
Gejdjidjte bes Jahres 1809 für die bildliche
Daritellung bot.
Mit bem ,Lebten Aufgebot” war Defreg:
gers Aufitieg zum berühmten Riinjtler voll:
endet; auf ebener Bahn fonnte er nun von Er:
folg zu Erfolg weiterjchreiten. Ehrungen aller:
art, Medaillen, Orden, Ehrenmitgliedjchaft
mehrerer 9Ifabemien und Sinjtlertorpora:
tionen wurden ibm in rajder Folge zuteil,
am meiften aber freuten ibn bod) bie herz:
liden Huldigungen, die in Proja und Ge:
dichten aus der Heimat an ibn tamen. Dar:
unter befand jid) ein Gedicht aus bem Him:
mel von Andreas Hofer, dem zur Beglan-
bigung der Echtheit eine Unterjchrift Hofers
vom ahr 1809 und Dellen Siegel beigelegt
war, dann ein rührender Brief der 85 jährigen
Tochter und bes SOjährigen Sohnes Sped-
badjers, die ihm für alles danten, was er
EE Bom „Defregger : Franzi“ (i
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& Der Riinftler auf feiner Alm in Spinges E
mit feiner Runft für Tirol und den Ruhm
ihres Baters getan.
18:8 ward Defregger zum Profejlor an
der Münchener Alademie ernannt und mit
der Leitung. einer Romponierflajje betraut,
aber im £ebrjad) lag feine Stärke nicht, er
vermochte bie dazu erforderliche Strenge
nicht aufzubringen und war immer mehr der
T bereite Freund jeiner Schüler als ber
eiftungen fordernde Lehrer.
Einer feiner Schüler erzählte mir, er habe
E ein Bild ein Roftiim SR zu Bellen
efchaffung er jedoch die Mittel nicht bejaß.
Als er dies Defregger mitteilte und hinzu:
fügte, er wiffe aud) niemand, bett er um bas
Geld anpumpen Tonne, erwiderte Diejer
lahend: „Warum pumpen ©’ denn nicht mid)
an?“ Demijelben Schüler räumte er fein
Atelier zur Ausführung eines Porträts des
Pringregenten ein und jaß jtundenlang unter
Verzicht auf eigene Tätigkeit neben feinem
malenden Schüler, mit bem Regenten plau-
bernb, um ihn zum Vorteil des Porträts bei
guter Laune zu erhalten.
Bei dem hohen Rn ftand er in bejon:
derer Gunft, und erftaunlid) war bie jchlichte
PBornehmbeit, mit der er fih bei Hoffeſtlich—
feiten zu benehmen wußte. An Haltung und
Bewegung gab er bem vornehmjten Wrijto-
traten nidjts nad. Trog all der Ehrungen,
mit denen er überjchüttet wurde, blieb er
von rührender Bejcheidenheit. Auf den be:
eifterten Toaft, ben einmal ein Kollege in
det Whotria auf den „großen Riinftler” aus:
brachte, erwiderte er verlegen: „Aber meine
Herren, ich tann ja nichts dafür.”
Auf das Drängen, fid) dod öfter in
Riúnjtlertreijen jehen zu laffen, meinte er:
„Ich geh’ nicht gern in Künjtlergejellichaften,
weil man immer fo ein Getu mit mir bat,
als ob id) was Bejonderes wär’, und ba ift
mir gleich der ganze Abend verdorben.“ —
Inzwiſchen hatten jid) in feinem Haufe Be:
Hagen und Moblitand gemebrt, wiewobl er
in geldjáftliden Dingen jo unprattijd) war,
wie eben nur ein Künjtler fein tann. In
feiner Frau bejaß er aber eine äußerſt tüch—
tige Selferin, die es vortrefflich verftand,
bas Erworbene zujammengubalten. In dem
neuerbauten Heim an ber Königinitraße ent:
faltete fid) bald eine |djóne Gejelligteit.
Gein geliebtes Tirol bejuchte er alljábr:
lih. Wie viele glüdliche Stunden bat er
mit den Geinigen in ber bejcheidenen Blod-
hitte 3"gebrad)t, bie er fid) auf dem (Eder:
plan, feinem alten Weideplaß erbaut hatte,
um den vielen Bejuchen, denen er in feiner
Villa in Bozen nicht ausweichen fonnte, zu
entgehen. Als er aud) bier bie gewünjchte
Ruhe und Einfamteit nicht mehr fand, jchentte
er bas Blodhaus am Ederplan bem fter-
reichiichen Touriftentiub, der es noch heute
als „Anna: Schughütte“ bewirtjichaftet, und
309 fid) im Sommer auf feine Alm bei dem
aus den Tiroler Freibeitstimpfen betannten
Spinges zurüd. Bis zu feinem 78. Lebens:
jahr erftieg er nod) alljährlich biejen in ber
Höhe von 1900 m gelegenen Lieblingsplas.
308 Eessen Prof. E, v. Stieler: Bom „Defregger: Franzl” BSSssssess4a
linpergeBlid) ift mir bie Erinnerung an
feinen 70. Geburtstag, ben er auf ber lan
lid) gelegenen Burg Rarneid bet feinem
Freunde Ferdinand von Miller verbrachte,
Bom Burgherrn in Bozen abgeholt, [tieg
der 70jábrige allen voran mühelos den da:
mals nod) ziemlich bejdwerliden Weg zur
Burg hinauf. Böllerſchüſſe begrüßten den
Antommenden, und als er den Bue bof be:
trat, präjentierten bie Eggentaler Schüßen,
die in ihren alten dE Uniformen er:
\hienen waren, das Gewehr, bie Steinegger
uliffapelle intonierte einen Marſch aus der
Andreas Hofer: Zeit, bie Schulfinder waren
vom Dorf Karneid beriibergetommen, und
Alt und Jung jah man die Freude und den
Stolz an, ihren berühmten Landsmann an
feinem Ebrentag mitfeiern zu dürfen. —
Geit Beginn des furdhtbaren Weltkrieges
hat er Tirol nicht mehr bejudt, was ihm
ein großer Schmerz war. Noch vor zwei
Jahren, nach Wiederherjtellung des Friedens
äußerte er fih, wie gern er nod) einmal feine
Heimat gejehen hätte, aber „es geht ja nicht
mehr,“ fügte er hinzu, „denn in meinem Haus
in Bozen fiken die Italiener, und auf bie
Alm Tonn 2 bod) nimmer [teigen." Bei
aller Liebe für Tirol war er bod) zugleich
ein warmer deuticher Patriot. Mit welcher
Freude verfolgte er jede Giegesnadhricht unb
wie tief [chmerzte ibn Deutichlands Zuſam—
menbrudj! „Daß ich bas nod) hab’ erleben
müjjen," fagte er nod) turg vor feinem Tod
mit Tränen in den Augen.
Von jeinen fünf Söhnen, denen er ein
rührend guter und fürlorglicher Bater war,
ftanden drei an der Front, während ber
vierte in Auftralien interniert war und nur
einer in militürijdjer Stellung in München
Eé Defreggers Blodhütte auf bem Ederplan
bleiben durfte, aber nie bot man ibn flagen
— über die harte Prüfung, die das Vater—
and während der langen Kriegsjahre ſeinem
Herzen auferlegte.
In den letzten zwei Jahren ſeines Lebens,
in denen er ſchwer unter dem Druck der
politiſchen Verhältniſſe litt, geſellte ſich zu
manchen geſundheitlichen Störungen die ernſte
Sorge um ſein Augenlicht. Eine Starope—
ration, der er ſich unterziehen mußte, hatte
eine Trübung ber Neshaut zurüdgelajien,
die ihn fajt völlig am Lefen und Schreiben
behinderte. Mie jchwer bie erzwungene Un:
tátigteit bem an raftlojes Arbeiten gewöhnten
Manne fief, davon zeugt ein ergreifender
Vorgang, ber [jid taum 24 Stunden vor
feinem Tode abjpielte.
„Haben S' denn gar feine Arbeit für mid) 2”
frug er feine treue Pflegerin, und als dieje
ibm vorjdlug, ihr beim Kartoffelihälen be:
bilflich zu fein, griff er fofort zu, und nad-
dem bie Arbeit beendet war, fagte er auf:
atmend: „Bott jei Dant, jest ab’ ich bod)
nod) was geleiftet und bin niht ganz für
nichts auf der Welt.” — — — Am darauf-
olgenden Nachmittag, am 2. Januar 1921,
hloh er fampjflos die miden Augen.
Der Mann, der in feiner Runft jo Großes
geleijtet, ber uns fo herrliche Gejdidten aus
der Heimat in jeinen Bildern zu erzählen
wußte, war aud) groß als Menjd. Frei von
Eitelkeit, Neid und Mißgunſt, immer mild
und gütig in feinem Urteil über bie Letftun-
gen anderer, getreu bis in den Tod all denen,
die er liebte, mildtätig bis zum Übermaß,
verdient er wohl, daß die Taujende, Die Den
Künftler aus feinen Bildern liebgewonnen
haben, aud) dem Menichen Defregger ein
warmes Gedenfen bewahren.
e
ore D FP
DES
>
i ner Bühnen. Mon Dr. Ka Weiglin
weiße Lammaden' (Romdödienhaus) — Hans Badhwik und Hans Sturm: ‚Die
Haus) — Rudolf Lothar: ,Cafanovas Sohn‘ (Kleines Theater) — Bernard Shaw
Tsbiihnes Refidenztbeater; LSeffingtbeater) — Moliere: Ampbitryo' (Leffingtbeater) —
hehe D (Rammerjpiele) — Leonid Andrejew: ‚Selaterina Jwanowna' (Theater in ber
abe) — Peritles von Tyrus. Heinrich Eduard Jacob: ,Beaumardais und Sonnenfels,
ues Boltstheater) — Tagore: ‚Das Poftamt. Shaleipeare: ‚Komödie ber Irrungen‘.
Wer: .9Balleniteins Tod (Boltsbühne) — Wilhelm Schmidtbonn: ‚Baifion. Gerhart Hauptmann:
am Geyer‘ (GtoBes Schaufpielhaus) — Hans J. Rehftich: ‚Der Chauffeur Martin‘ (Deutihes Theater) —
> dn wea. ve: Müller: ‚Sterne‘. Goethe: alfo. Shatejpeare: ‚Sturm‘ (Staatliches
Be Rämmen ift beffer iu
taujefalle‘, und beide find
als Caſanovas Sohn‘.
| A wer fih wahrhaft erheitern
pm ill, ber gebe zu ade oder zu
aha Das tein freunblidje eugnis
E | unfere S i; und gu fir teldichter,
zu, wenn man den Gpiel:
der Berliner Bühnen in der zweiten
e des Winters mujtert. In Hanns Sap:
Wax Pallenberg im ‚Weißen Lammaden von Hanns
SaBmann. Komödienhaus. (Aufnahme Vita)
manns ,Weigem Lámmojen' bat man das
Vergniigen, Max Pallenberg in feiner zweiten
ws == diesjährigen Rolle zu jehen. Er jpielt Herrn
im ‚Mei ä , Adam Schigl, ben Heiratsichwindler und
See ae “Au note 8 2 Meifterdieb, ja feinen glüdlichen Berteidiger
310 FSSSSSSSSS) Dr. Paul Weiglin: seess
Erna Reigbert als Allmene und Theodor Loos als
Ampbitryo im ‚Ampbhitryo‘ von Violiére. Leffing:
theater. (Aufnahme Bander & £abild)) e
in bie gräßlichiten Berlegenheiten bringt.
Denn — die ‚SFliegenden‘ laffen herzlich
grüßen — eine Schwiegermutter ift immer
nod) gefährlicher als der Staatsanwalt. Man
laht von Herzen, wenn Goigl=Ballenberg,
an Liebesichwüre gemabnt, beteuert, er fei
bod) fein Eidgenojfe, oder in einem feiner
verdrehten Gedantenjpriinge zitiert: „Kein
ne teine Roble tann brennen fo heiß...
alt du Minimax im Haus“, und man
id)mungelt, wenn er eine weitere Enthüllung
Bibi Delormes (Emmy Sturm) mit den
Worten bejhwört: „Wir find bod) in feinem
Ballſaal!“ Aber der Reiz diejes, aud) ab:
geleben von Pallenberg, im Romdbdienhaus
febr hübjch gejpielten Stüds überdauert nicht
lange den Abend der Aufführung, und felbft
das fann man von Der ‚Maujefalle von
Hans Badhwik und Hans Sturm taum be:
haupten. Auch hier ift der Held, bem Geijt
der Zeit entjprechend, ein Verbrecher, aller:
dings einer gröberen Sdlages, ein Geld:
Ihranffnader, Bomfe, ber Sprengjuftav, den
(id ein Fabrifant diejer nüßlichen Möbel
mietet, um Durch einen, wie er zuverfichtlich
hofft, mißlingenden Einbruch die Güte feiner
Mare vor aller Welt unwiderjprechlich zu
erweijen. Gelbjtverftändlich gerät ihm Diejer
Plan vorbei. Er muß feine Ungejchidlichkeit
teuer bezahlen, und Sprengjuftav zieht mit
einem tüchtigen Bagen Geld, unbebelligt, ja
fogar gefördert von der Polizei, davon. Das
Lujtiptelhaus hat für diejen Guftav Bomte
in Arnold Ried einen Darjteller echt ber:
linijbhen Wikes, fred), kaltſchnäuzig,
jchnoddrig, ganz das, was man einen duften
Jungen nennt.
De Unfprühe erhebt ,Cafanovas
Sohn‘, ein Luftipiel von Rudolf Lothar, das
in Georg Altmans Kleinem Theater all:
abendlich volle Häufer maht. Der Verfajjer,
der einer Schniglerjchen Novelle, einem Hof:
mannsthalihen Drama und einem Koge:
bueden Lujtipiel innig verpflichtet ift, bat
ben Abjchied bes alternden Mannes von
Jugend und Liebe geftalten wollen, einen
Stoff, der gewiß Bumorijtijd) zu fallen ift.
Aber da er nicht den Humor des Dichters
bat, jondern höchſtens den Wik des Feuille:
toniften, ijt ibm nur eine Pifanterie gelungen,
bie den Ruf der Bühne als eines künſtleriſch
geleiteten Unternehmens gefährdet hat. Ein
Graf, ber immer nod in den Jahren ftebt,
bie man mit Unrecht die beiten nennt, bat
fih für eines feiner zahllojen galanten Aben:
teuer eine junge Baronin ertoren, die von
ihrem im Cpiel verlumpten Manne getrennt
lebt. Sie behauptet zwar, als der in allen
Siebestiinften erfahrene Graf fein Spiel be:
innt, ein Eiszapfen zu fein, bod) meint er,
te werde [chmelzen, und um das auszuproben,
gibt fie ibm für bie Nacht den Schlüfjel zu
threm Haufe. Der Zufall will nun, daß fid)
ausgerechnet in dieje Frau der, wie der Ver:
fafjer glauben machen will, jehr ideal ges
richtete Sohn Cajanovas verliebt hat. Und
da der alternde Herr fid) doch vielleicht nicht
mehr gang tattfejt fühlt, gibt er Dem Sohn den
Sehliijjel unter der Bedingung, daß Ddiejer
eine Rolle jpielen fol. 9tad) einigem Ans
tandsftráuben geht bieler ideal gerichtete
junge Mann adf ben Vorjchlag ein, tut bod):
erfreut, was feine Cdjulbigfeit, reift aber
nicht, wie verjproden, am nächſten Morgen
ab. Denn der Berfaffjer braudjt ibn, um
den Water in einige Bedrängnis zu bringen.
Die Gräfin námlid) ijt von bem nadtliden
Bejuche jo entzüdt, daß fie ihn unter Preis:
gabe ihres ganzen Vermögens an den fo zur
Scheidung bewogenen Gatten heiraten will,
und über Cajanova |djmebt das jchredliche
Scidjal, ein Gbetrüppel zu werden. Zum
Glid ijt ber Sohn da, um etngujpringen, und
die drei Menjchen werden jo glüdlich, wie es
ihre Liebenswiirdigfeit verdient. Diejes be-
denfliche und feiner Bejinnung nad) plebejijche
Stüd genießt im Kleinen Theater ben Borzug,
jeine innere Fäulnis nicht jedem Zujchauer zu
entbüllen, weil die drei führenden Darfteller
Eugen Burg als alter, Hans Albers als jun=
ger Graf und Mady Gbrijtiaus als Baronin
viel vornehmer Jpielen, als fie es eigentlich
vor Rudolf Lothar verantworten Tonnen,
Wenn man die Wahl zwilichen diejen Det:
mijdjen Gewádjen und den englijden hat,
bie in der Tribüne, im Refidengtheater, in der
Kee SS Berliner
Volksbühne, im Lefjingtheater zu genießen
find, wird einem leider bie Wahl nicht ſchwer,
zumal wenn man bei diejer Gelegenheit einen
jo ternbaften Riinjtler wie Friedrich Kayßler
und neben thm die heitere Helene Fehdmer
in berrlidem 3ujammenjpiel (in Shaws
Kapitän Braßbounds Belehrung‘) bewundern
fann. Und auch Wilde, dejjen ‚Salome‘ mit
der freilich etwas NE
Orsta in der Titelrolle, ber jcharfen Roja
Liechtenftein als Herodias und Dem padenben
Ludwig Hartau als Herodes in der König:
gräßer Straße eine trog Rihard — als
berechtigt empfundene
Bat — aud) Wilde zeigt fid) uns in ſeinen geift:
reichelnden Luftipielen den Fabrifanten unjrer
heimiſchen Durchſchnittsware überlegen und
wartet noch auf ben deutjchen Dichter, ber
ibn in der Eugen Beobadtung der Gefell-
ichaft, in ber gejchlif-
fenen Leidtigteit bes
Dialogs zu |dlagen
vermöcdhte. Gewiß wie:
de D in E
nadlajjig Hingeichrie: |
benen Stüden. Er hat
Menfchen und Einfälle,
die er bejonders liebt
und von einem Luft-
ipiel ins andere bin:
übernimmt. Aber der
Genuß des Zujchauers
wird durch diefe lite:
rarhiſtoriſche Feſtſtel⸗
lung nicht — und
für die 2 Weinen
bieten dieje Werte nicht
bloß bantbare Rollen,
jondern die befte Schule
ir Das, was man
rüber Ronverjation
nannte. Wenn man
Lady Windermeres
Fächer‘, wie es im
NRejidenztheater ge-
ibiebt, gut Heraus:
bringen will, muß man
bei aller Natürlichkeit
und —ülligleit in
Cpradje unb Beneb:
men die größte Sorg-
falt unb Pünktlichkeit
bei ber Einftudierung
walten tonet, Wenn
man [djlupert, raubt
man dem Ctüd feine
Feimbeit und damit
jeinen Reiz. War es
hier die anmutvolle
Hanfi Arnftádt, die fih
den reidjten Beifa
erjpielte, fo war es im
Sdealen Gatten‘, den
das Leffingtheater auf:
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8 p 7, -
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uferjtehung gefeiert
Bühnen EIIIIIZZIZIZIZZZ1 311
und werden fid) faum vorftellen tónnen, daß
man auf der sone ohne Gefahr von ihrer
verführerijchen, blenbenben Schönheit reden
darf. Aber diefe feltene Künjtlerin bat eine
Brazie der Bewegung, einen Zauber der
C pradje ohnegleichen, und fie tann fih geftat-
ten, fogar bie gewagtejten Toiletten zu tragen.
Den Wildeichen Chorus bieles Luftipiels, den
Viscount Goring, ſprach Kurt Góg. Jedem,
ber thn hörte, wird nod) lange die ironije
Demut im Obr klingen, mit der er feinem
vertroddelten Bater (Sans Juntermann) auf
ben Borwurf der SHerzlofigteit erwidert:
„Hoffentlich bin id) bas nicht, lieber Bater.”
Einen neuen humorijtijden Künftler bat
bas Lejjingtheater in Ralph Artur Roberts
auf die Bühne geftellt. Er trat als Sofias
in Molières ‚Amphitryo‘ auf und fpielte
leije Jächjelnd ben vielgeprügelten Diener des
ae AE. MT
i i ; 4d d M
führte, Tilla Durieux.
Die meijten Lejer fen:
nen Bilder bieler Frau
Tady Chriftians als Carla von Helffenberg und Eugen Burg als Graf Kurt
von Weyer in ,Cajanovas Sohn von Rudolf Lothar. Kleines Theater
(Aufnahme Zander A Labijd)
312 PBSSSSSSSSS3553) Dr. Paul Weiglin: ES=<3333S3=3S33=3===< |
von Jupiter gehörnten Thebanerfeldherrn.
Die Aufführung, die leider niht die flüffige
Úberjegung Ludwig Fuldas, fondern eine
andere von E. Neresheimer, der jelbft ba
alexanbrinert, wo Molière es nicht tut, Au:
grunde legte, hatte der Direktor Victor
arnowsty in ein brolliges Barod geftedt.
Erna Reigbert als Altmene in Reifrod und
blauer Periide jab wie ein leicht angefaultes
Königsliebhen aus, und ber männliche
Theodor Loos in der nicht eben verlodenden
Titelrolle, mit wallendem Helmbujd und
bli&blanfem Panzer, wedte die Sebnjud)t
nad) bem &leijtiden Drama, in deffen ge:
danfenjdwerer Myſtik er fih zweifellos
wobler gefühlt haben würde. In dem Trieb
nad) loderer ag eer hatte fid) bie Regie
ben alten und doch immer wieder über:
rafhenden Wik erlaubt, die. Darfteller
gelegentlid) aus dem pe ee auf
die Bühne turnen zu lajlen. Das hatte
wenig Sinn und ermiidete bald. Cigentli
ijt es jchade, dak jo viel Liebe und Runjt
auf ein Gelegenheitsjtüd Molières verwandt
wurde. Wie lange ilt es her, daß man den
Mijanthropen’ oder den ‚Eingebildeten
Kranten‘ in Berlin: gejehen hat?
Wieviel fefter padten uns drei ruſſiſche
Komödien ans Herz, bie in den Kammer:
[ptelen des Deutſchen Theaters zu jeben
waren! Die erfte, von Toljtoi: ‚Er ift an
allem ſchuld (nämlich ber Altohol) hat bei
allem Humor, mit bem der durjtige Wander:
burjche tm Bauernbauje feine tommuniftijchen
Gedanfen ausbreitet und fie, etwas verfriiht,
durch einen fleinen Diebjtahl in bie Wirklich:
teit überträgt, zum Schluß eine ans Tra:
gilde [treifenbe Wendung. Der grobe, aber `
iedere Bauer (Hermann Thimig) vergibt
dem langfingrigen Schelmen, und Diejen
trifft in feiner SSerfommenbeit und in feinem
Unglüd diefe Milde wie ein Strahl ber gött-
lihen Gnade. Er beugt fein Haupt und
bricht in Tränen der Rúbrung aus, und in
diejer EE aber fid) febr langjam ause
wirfenben Gebdrde offenbarte Moiſſi eine
ergreifende Echtheit des Gefiibls. In den
andern beiden Ctüden, den „Spielern‘ von
Gogol und dem ‚Heiratsantrag‘ von Tidhedow
war es Max Güljtorff, der ſchauſpieleriſche
Mujterleiftungen bot. Wie er, Ehrenmann
und verfluchter Kerl in einer Perfon, in ben
‚Spielern‘ den jungen hr ade im gleichen
lichticheuen Gewerbe übertölpelt, mit Der
faltblütigen Gelaffenbeit- des vornehmen
Herrn und ber graujamen Entſchloſſenheit
des abgefeimten Gauners, war ein Genuß
zu jeben, und in einer erjtaunlichen Ber:
wanblungsfübigleit |pielte er ein paar Mi—
nuten jpäter im ‚Heiratsantrag‘ ben [Hrulligen
Lucie Hóflid und Paul Bildt in ‚Jelaterina Iwanowna‘ von Leonid Andrejew
Theater in der Königgräger Straße. (Aufnahme Zander A Labild))
Bee Berliner Bühnen E
yg
Lä x.
Eo
(Aufnahme H. Rofenberger)
Bühnenbild von Ernft Stern für Ostar Wildes ‚Salome‘. Theater in der Röniggräßer Straße
unb Itreitjüchtigen Junggefellen, ber um cin ' Dáchtigt wurde, einem ziemlich albernen
verblibtes unb cigenfinniges Mädchen wirbt. ` Zierbengel, ben fie nad) ber erjten und ein:
Ein anderer
Ru le fam d der
niggräßer
Straße zu Wort:
Leonid Anbrejew
mit dem Drama
Jefaterina Jwa:
nowna‘.Dasbheißt:
esifteigentlich fein
Drama, jondern
nur eine pſycho—
logijde Studie,
über Die fid) ber
Dichter vermutlich
ebenjowenig tlar
war, wie fie dem
Bujdauer ein
eben will. Es
fino: an mit einem
iftolenjchuß, ben
ein Dumaabgeord:
neter auf jeine
Gattin abgibt, die
er im faljden Ber:
badjt eines Ehe:
brudjs bat. Er
trifft fie zum Glück
nicht oder viel-
mehr: er trifft fie
bod) Er „durd:
bobrt ihre Seele“.
Sie gibt jid) in der
Folge dem Hin,
mit Dem fie ver:
|
- — — j
Maria Orsta als, Salome‘ tn der gleichnamigen Tragödie
von Ostar Wilde Theater in der Róniggrager Straße
(Aufnahme Zander & Labildy)
Belbagen & Klafings Monatshefte. 35. Jahrg. 1920/1921. 2. Bo.
¿igen Umarmung
veradtet. Giejagt,
fie werde jchledht,
weil ihr Dann fie
für jchlecht gebat:
ten habe, der ihr
mit einer an
Schwachheit gren:
zenden Büte ver:
dk jadie Schuld
auf [id nimmt.
Wenn wir bis da:
bin mitgeben, nicht
ohne Mühe, aber
mit gutem Willen:
wir verjtehen nicht
mehr, daß bieje
Giinderin aus
Trog aur Dirne
wird, Die den
Männern in ver-
ächtlicher Gelbjt-
erniedrigungnad):
läuft, bis ibr
ihr guter Schwa—
ger, Den fie aud)
nur allzufebr liebt,
ein Bädchen wohl:
tätiges Gift gibt,
womit ihr Leben
und Das Drama
ſchließen. Diejes
Ctüd wäre lang:
weilig und ärger:
21
314 Dr. Paul Weiglin:
lich, wenn die Jefaterina eine minder voll-
blütige und leiben|djaftbegabte Riinftlerin
wie Lucie Höflih |pielte. Selbſt jo gute
Kräfte wie Paul Bildt als der Mann,
Grnjt Prödl als der Schwager unb Mar:
garete Cdjlegel als Die zarte Schweiter
Lija würden es ohne fie nicht für die Bühne
retten können.
Die Boltsbühnen, um deren Einrichtung
fid auch andere GroBitábte bemühen und
bemühen miijjen, fol das Theater
nicht ein unbilliges Borredt
der Reihen werden oder gar
ihon bleiben, haben aud)
in bielem Bericht wie:
der eine ebrenvolle
Stelle zu bean:
jpruden. Das Nene
Wolfstheater in
ber Köpenider
Straße, ein be
Icheidener Saal:
bau, bat eine
pbantajtevolle
Aufführung des f
‚Berikles von Ty:
rus‘ herausge:
bradt, mit einfa:
den Mitteln farbig
und jelbft prunfvoll
wirkend, wie es [td) fiir
Dies früher Shafe)peare
zugejchriebene, abenteuer: N.
reiche Stüd gehört. Weniger “ESE
Gliid hatte es mit einem Ghau- FEE
ipiel ‚Beaumarchais Conner
und Sonnenfels' von
Viargarete Sdiegel als Lija in ‚Setaterina
ÁS — —r0p
am Bülowplatz bat außer dem bereits er—
wábnten Shaw Sbhafejpeares Komödie ber
Srrungen in einer einfad) derben, falt tind-
lichen Ausftattung mit luftigem Tibermut
— und am gleichen Abend des
nders Tagore ſinnreiches Märchenſpiel, Das
Poitamt‘ aufgeführt. Die Regie hat ein
übriges getan und die Kleider 3. T. mit dem
Prunf ausgeitattet, den wir als orientalijd)
empfinden. Indiſche Zuichauer behaupten,
| es jet bes Guten zuviel gejchehen
\ . unddie Jahrhunderte und Kaften
> feien arg durcheinander ge:
^ wiirjelt. Den Maler Stroh:
bach wird diejerBorwurf
. fo wenig fiimmern wie
den Spielletter Für-
gen Fehling; denn
die Wirkung war
für unjere Augen
ión. Bon deut-
ſchen — flajjild9en
M on | Merken ijt ‚Wal:
R lenſteins Tod‘ zu
E nennen. Jedem
2 Theaterfreunde
e
fam bug bas Herz,
> / als er in ber Jet:
/ tung las, Raypler
TUM / merbebenjyrieblánber
Pike [pielen. Diejer warme
P^ herzige und tieffinnige
Rünitler, war er nicht wie
" geichaffen für diefen proble:
— X matijden Helden? Was Kayßler
ew. bot, wareine mächtige
Sei[tung. Er ließ fid)
er
der Königgräger Straße. (Aufnahme Vita)
Heinrich Eduard Ja: Swanowna' von Leonid Andrejew. Theater in nicht auf Tiifteleien
cob. Literatur über
Literatur hat immer
thre Bedenken, und jo geldidt der Ver:
fajjer bem gewijjenlojen franzöjiichen Litera:
ten ben ebrenfejten öjterreichiichen Auf:
Härer gegenüber[tellt, fo frajtig fid) das
Theaterblutregt, wenn der längjt unterrichtete
Sonnenfels den Fremden feine Liigenmárlein
erzählen läßt, um ihn dann blofzujtellen: es
tommt jchließlich bod) nur zu rednerijben Ers
güjjen, und man glaubt eher einer philojopbi-
¡en Disputation als einem Theaterjtüc bei:
zuwohnen. Nachhaltigeren Beifall holte fih
die Bühne mit ihrem Spielleiter Hans Brahm,
indem fie den ,Barafiten' aufführte, bas von
Schiller für die deutjche Bühne bearbeitete
gujtipiel aus bem Franzöſiſchen. Das reizend
ausgejtattete und ein wenig parodiltijch ge-
ipielte Stüdf tat aud) jebt feine Wirkung.
Und wie jollte eine jo menjchenfundige Moral
feinen Widerhall finden, wenn fie aus allerlei
Ranfen die Folgerung zieht: „Das Ge:
ipinft der Lüge umjtridt ben Belten; der
Redlide fann nicht Durchdringen; die frie-
chende Mittelmäßigteit fommt weiter als
das geflügelte Talent; der Schein regiert
die Welt, und die Gerechtigkeit ift nur auf
Der ech ch
Die Volksbühne in ihrem großen Haufe
— re ies ios .... ein. Er gerjfajerte ben
Helden nicht wie Baſ—
jermann, er ftellte fic) nicht unter den
Bann eines geheimnisvollen Gternen|djidjals
wie Mattowsty, er war nicht bas argloje
große Kind wie Sonnenthal — er war ein
Ihlichter, aufrechter Dann, der nur an
wenigen Stellen jein Herz und dann um fo
ergreifender öffnet. Neben ihm jtand Helene
Fehdmer als Gräfin Terzty, fie als einzige
ibm ebenbürtig, während im übrigen das
Theater nicht reich genug an eriten Kräften
ijt, um die hohen Anſprüche bieles Dramas
zu erfüllen. —
Die eigentliche Volksbühne Berlins ſollte
Reinhardts Schmerzenskind, das Große
Schauſpielhaus, werden. Aber je länger es
ſteht, deſto mutloſer werden die, die ſich durch
den kühnen Gedanken im Vertrauen auf den
Mann, der ihn faßte, blenden ließen, während
die meiſten achſelzuckend ‚Humbug‘ jagen.
Man hat je&t nad) bem Vorgang Münchens
(jiehe Die DEE DE im Februarheft) die
Paſſion‘ von Schmidtbonn aufgeführt (Bud)
bet Egon Fleilchel & Co. in Berlin). Dein
nad) der Berliner Aufführung muß man
Den rheinijden Dichter und nicht bie Brüder
Greban aus dem Jahre 1452 als Verfajjer
nennen. Es fei vorausgejdidt, dak die Bor:
ee Berliner Bühnen 3333 ZZ 315
ftellung mit Rlöpfer als Chriftus, Lina Loffen
als Maria, Frig JeBner als Judas würdig
und gum Teil ergreifend war. Aber unver:
ftändlich blieb, warum man von der Arena
[o gut wie feinen Gebraud) madte. Wenn
man fie jet und ein mittelalterliches My—
fterienjpiel, jet es felbft in ungemein ver:
tiirzter
STT anfiindigt — warum verjagt
man fid das Bezeichnende biejes Bühnen:
ftils: die Auf- und Umzüge der Menge?
Dian dachte, ber Huge 9tegt|jeur (Frig Wend-
—2— ſpare ſich die gewaltige Wirkung der
Maſſe für bie Gerichtsverhandlung vor dem
Hohen Rat ober vor Pilatus auf. Wenn
bas RKreuzige erjchalle, würde gewiß ein un:
abjebbares Meer von Menjchen gegen den
einen Mann am Schandpfahl branden. Wher
nichts dergleichen geihah. Der Herold, der
Zeugen wider Jejum aufrief, jchrie ins
Meere, und Pilatus wid) nidt vor mehr
Bolt zurüd, wie bei ben Vieiningern um
Cajars Leiche tobte.
Und dennod bat uns Diefes Große
Schaujpielhaus eines von den wenigen un-
auslöſchlichen Erlebnifjen des verflojjenen
Winters vermittelt: Hauptmanns —
Beyer‘. Geit Rittner unter Otto Brahm
die ſchwarze Fahne des Ritters in ſeinen
Fäuſten gehalten hatte, war dieſe Tragödie
des Bauernkrieges vergeſſen. Hauptmann
litt ſchwer darunter. Jetzt verlockte die ge:
räumige Bühne dazu, die faſt unüberſehbare
Menge von handelnden Perſonen noch einmal
in Bewegung zu ſetzen. Was die Bühne
angeht, ſo zeigte ſich, daß ſie zum mindeſten
ſoviel ſchadet wie nützt. Mochten die lär—
menden Maſſenſzenen, die in die Arena
wuchſen, bewegter und freier als auf einem
gewöhnlichen Schauplatz wirken: alle ſtillen
und zarten Wirkungen, an denen dieſes
Drama reid) ift, gingen verloren, wenn nicht
Kä alle, jo bod) für die meijten Zujchauer.
nb trogdem war das Wert — und das lag
nicht an der Bühne, jondern an der Zeit —
wie neu erftanden, und mit einer |djam-
vollen Ergriffenheit jagte man fih, mit wie
tauben Ohren und wie jtumpfen Herzen es
der Dichter zu tun hat. Denn man [oll nicht
Helene Fehdmer als Gräfin Terzky am Srmela von Dulong als Thella in Echillers Mallenfteins Tod‘
ollsbühne. (Aufnahme Jeffen)
PIT
316 Se Dr. Paul Weiglin: —
bodjmütig die Stirn runzeln über Ver:
fennungen der Jahre 1895 und 1905. Wer
ijt vor gleichen Fehlern fiber? Und wenn
wir nicht an den bitteren Lehren einer Re:
volution zu fauen hätten, wer weiß, ob wir
heute den Florian Geyer‘ verjtünden ?
Alle unjere deutjchen Revolutionen find
- ein Unglüd. Wir find offenbar nicht begabt
dafür, und wenn wir eine ins Wert jegen,
ift fie verurteilt zu jcheitern und mit Recht,
denn allzuſchnell beſchmutzt jte fid) mit Eigen:
jucht und mit Niedertrabt, mit Gegánt und
mit 3wiit. Es ftebt feft, dak der Bauern:
trieg aus febr triftigen Gründen entitanden
iit, daß er, glüdlich und klug durdgefampft,
unjerm Volte eine jehr lange und jchmerz-
afte Entwidlung erjpart haben würde,
ber die Bewegung geriet in Schlamm und
Moraſt. Wem greift es nicht mádtig ans
Herz, wenn der Geyer, der Volksfreund,
den Pöbel anfährt: „Kehricht feid ihr, Kot-
von der £anb[trafe, elenbes Gerümpel, das
Gott beffer ga hinterm Ofen laffen liegen, -
nit das Geil wert, daran euch der Henter
müßt ufziehen.“ Und wenn er, als alle
verloren tit, tlagt: pt pam: Kaifer muß.
weiter [djlajen. Die Raben jammeln
wieder zu Haufen,“ oder wenn der alte
Rektor Bejenmeyer jeufzt: „Wie fing fiH ber
Handel fo glüdlich an und wie fajt gewaltig,
und wie gebet er gar fo Häglih aus." — —
Klöpfer gab den Geyer, einen deutjchen
l Melancholikus, den
elegentlid) der
oro padt, einen
* mit e
mádtigen, fanfa=-
renbellen —
weich wieein Rind,
einen gemütlichen
ranten, aber zor=
nig aufflammend
und nicht umjonjt
die Fäuſte etjen-
bewebrt. Mit dies
jer Leiftung bat ich
Klöpfer in dieftolze
Reihe Der gro-
Ben, echt deutjchen
Cdaujpieler ge
ftelt. Man jab
um ihn nod) man-
chen tüchtigen
Künftler. Gregori
als Bejenmeyer
war von erjchüt-
termoer Schlicht⸗
heit, Kühne als
Löffelholz, Geyers
von lauterem Fa—
natismus — bejeel-
ter Feldjchreiber,
siet ma —
iger Na ger
Sauers. Wilhelm
Dieterle, der ſpä—
ter die Rolle des
Helden übernahm,
ſpielte den treu—
herzigen Teller»
mann, Dellen Hel-
dentod zu den herr⸗
lichſten Auftritten
der Tragödie zählt.
Aber alle über—
ſtrahlte Eugen
Klöpfer, und es
war ein Meiſter—
itiid der Regie, daß
jie ibm und nicht
dem Schreiber
[s Torquato Taſſo in CSartorius den alle
ulptelbaus) 3uldauer erjchüt-
—
3,
:
———
Lee EES Berliner Bühnen g24242:24242:24243:2:2:2423] 317
AA".
“eee
—X
“
Eugen Klöpfer als Florian meer — —
uſpielhaus
gleichnamigem Drama.
(Aufnahme Rofenberger)
ternden Ruf ſchenkte, mit dem er
ſein Meſſer in den Kreis ſteckt:
„Der deutſchen Zwietracht mitten
ins Herz.“
Nöch in einem andern Drama
hat fid) Klöpfer als einen unfrer
bedeutendſten Schauſpieler ge:
zeigt, und es liegt nicht an ihm,
daß ſelbſt ſeine ſtarken Schultern
es nur durch eine geringe Anzahl
von Aufführungen zu tragen ver:
mochten. Es will mir jcheinen,
als jei das de, nicht die Schuld
des Dichters, jondern eine ge:
wiffe Trägheit des Publikums,
das jelbjt durch harte und gefähr:
[ide Zeiten nod) nicht dazu er:
zogen ift, fic) über bie Zuſam—
menbánge des Weltgejchehens
(Sedanten zu machen. “Die Män—
gel ber Tragödie ‚Chauffeur Mar—
tin‘ von Hans Sy. 9tebji]ld) zu er: .
tennen, ijt leicht, aber es ſteckt in
ihr eine fo lautere Gefinnung
und foviel tüchtiges Theaterhand-
wert, ur man bem Deutjchen
Theater für die Annahme und
Aufführung nur dankbar fein
tann (Bud) bei Diterfeld & Go,
Berlin). Chauffeur Martin ift
innigeren Wunjd bat, als in der
r
n D? * Abe) -. 75.12 S — NA j > SZ ep »
5 —— GE — 3 pn “et Lag ay Ki Ke" i4 d
b d ES ` * i 2 rd] D SN. ^r. o > sf. = Ch
" x NR N véi u 7 ab ` Maa ; AA d
" > de et b d Ze Br —
d dy, - M e di ` LT SUY die
t man läßt jid) nicht feben!”
Eein Gebet it immer nur, daß er
pbdabinten bleiben darf,” daß „Es“
ihn nie ermijht — „Es“, bas
Unglüd, die Schuld, das Gud,
E — er weiß es nidt Aber
don bat es ihn beim Kragen.
Er überfährt einen Menjchen, ber
in einer unglüdlichen Verfettung
des an fih leichten Unfalls mit
einer Tromboje ftirbt. Vian zieht
| $ T . Martin vor Gericht. Dort ftellt jid)
heraus, dak er jchuldlos ift, aber
für ihn fängt nun erft der Berichts:
tag an. Es gibt feinen Zufall.
Gr bat bas Sdlimmite getan:
einen lebenden Menſchen zu Tode
gebradjt. Das wijbt fein (Be:
ridjsbejdüuB weg. Der Himmel
wäre voll Tollheit, wenn ein guter
Mann nur fterben jollte ihm zur
Prüfung. Wenn alles nad) Gottes
Willen gejdicht, Gutes und Böjes,
bann will Bott bas Boje und ift
jelbjt ber böje Feind.
Ein Verbrecher, dem er einmal
Gutes getan und den er vor fei:
nen Berfolgern verbirgt, wird fein
Berbiindeter in dem Kampf, den
ry ai
ein orbentlidjer Mann, ber feinen
A
Berborgenbeit fein fleines Ve: "B |
ben zu führen. Denn „jeder = -———
Menih hat einen $yeinb, ber ibm Albert Ballermann als Galileo Galilei und Annemarie Seidel
‘ : als Marina in den ‚Sternen von Hans Willer. Staatliches
ungejeben auflauert! Da ift ES &djauipielbaus. (Aufnahme Zander & Labijd)
318 FS=SSSS595259] Dr. Paul Weiglin: Bee=22=22222222224
Paul Hartmann als Dunvis in Schillers Tragödie
‚Die Jungfrau von Orleans‘. Deutiches Theater
(Aufnahme $. Rofenberger)
er Gott anjagt. Ihn muß man treffen
und nicht elende —— und Gtaats:
anwälte. Und wie? „Unjer aller Tod iſt
jein Ende! Er fann nicht leben als nur von
unjrer, Qual! Wenn wir uns auslójdjen,
ftiirgen wir ibn in Ohnmacht! Verzweiflung
und Vernichtung bleibt dann jem Teil.”
Dem Minijter Juftin, dem Bolfsbegliider,
der fih bem Bolfsverjührer entgegenwirft,
Hobt er fein Meſſer in die Brut. artins
Anhang wählt. „Der neue Meſſias ift ge:
tommen! Son feinen Gdultern Weder
chwarze Fittiche bis in den Himmel — und
eine Hände find fanft — fein Blid ijt
Tröftung und Liebe — jein Stame ijt Tod!“
In einem ſymboliſchen Auftritt wird Gott
der Prozeß gemadt. Ein 9Infláger nad)
dem andern freit feinen Jammer hinaus;
aud) Martins verlajjene Frau ift darunter,
die er dem Erbarmen Gottes, feines Tod-
feindes, empfohlen hatte, als er zum Kampf
auszog. Martin wohnt mit Philipp bem
Prozeß unerfannt bet. Da meldet jid) der
Krüppel Binzens als Verteidiger Gottes:
„Wenn Gottes Wille allgegenwärtig ijt, wie
ihr Menjchen glaubt, . . dann mag er aud)
die von euch bejdlojjene Vernichtung der
ganzen Menjchheit wollen.” Der Elendejte
der Elenden hofft auf ein neueres, erlaud):
teres Bejchlecht, bas die Erde Levóltern foll.
Er preijt die Schöpfung als voller Gnade.
Gr weilt bie Verzweifelten auf die Dinge
und den unjáglimen Trojt, der aus dem
fnojpenden Strauch und dem im Mittags:
wind fliegenden Haar eines Kindes quillt.
Da Halt man ihm den Tod des voltsfreund:
lihen Minifters als einen neuen Schurfen-
[treid) Gottes vor. Er aber bleibt in dem
wiitenden Toben der Mtenge dabei, Gott fet
die Gnade, gloria in excelsis Deo. Und
Martin, erjchüttert von diejem Glauben, ijt
ſchwer und groß aufgeltanden, reicht dem
lahmen Binzens die Hand und bejtátigt mit
Har und ruhig gewordenem Gelicht: „Ehre
jei Gott in der Höhe. — Sd) habe — es ge:
tan.” Ein Schuß fällt ihn. Gein erfter An-
hänger, der Verbrecher, hat ihn abgegeben.
Gott ift unerweislid, unb wenn man mit
bem Aufrührer Martin mitgegangen ijt, wird
man jchwerlich durch die Predigt des lahmen
$Bingens überzeugt. So |djón fie ijt und fo
tlar man fic) darüber fein mag, daß zu dem
Fall nicht viel anderes gejagt werden fann:
man ijt am Ende doch von ihr enttäufcht
unb findet, daß es nicht angeht, einen Ti:
tanen durch Baldriantee zu beruhigen. Aber
an diejer janften Kur nahm das Publitum
feinen Anſtoß. Was es befremdete, war
vielmehr das unbehagliche Gefühl, daß bier
cinmal an den Jammer des Dajeins gerührt
wurde, daß es mitnachdenfen folte über
bie uralt-ewigen Fragen: Gott und Menſch,
Freiheit und Notwendigkeit. Und vielleicht
muB man das Elend, dem wir entgegen
gehen, mit bem Dichter ahnen, um eine Eug:
geftion wie den Mafjenjelbjtmord für mög:
lich zu Halten.
Das Staatlihe Schaufpielhaus unter Leo-
pold JeBners weitherziger und anfeuernder
Seitung bat zwei Neuheiten und zwei Neu:
einftudierungen berausgebradt. Die eine
Neuheit, Sort Zudmapyers ‚Rreuzigung‘, war
ein HRátjel, bas aud) Ludwig Bergers ge:
idjidte Regie zu feiner dramatijden Klare
beit löjen fonnte. Was davon in der Er:
innerung haftet, find ein paar eigentümlich
itarfe Iygrijche Klänge, und unter den Dar:
Itellern Annemarie Seidel, die in der Chrijta
lo etwas wie bie ſuchende Mienjchenjeele ver:
förperte. Der Spielleitung Reinhard Bruds
GC Hans Müllers ‚Sterne‘ zu. Der Ber:
aller der ‚Flamme‘ fehrt in diefem Drama
gut Geſchichte zurüd, der er den großen
heatererfolg der Könige: zu danten hatte.
Er behandelt als ein Jtad)láufer von min:
deitens einem halben Dugend Vorgängern
das Cdjidjal Galileis, der durch die Jn-
quifition zum Abſchwören feiner wijfenibafts
lider Grfenntnijje gebradjt wird. Das
„And fie bewegt fic) bod) !^ der Überlieferung
erläßt Müller jeinem Helden, denn jeglicher
Trok ijt ihm fremd. Er ijt ein gebrechlicher
Alter, ber um feine Bejundheit und um fein
Leben bangt und — fo ungefähr drüdt er
(id aus — aus ganz gemeiner biindijder
Angſt den Widerruf leiftet, zum großen
Summer des Bapftes, ber die Welt für die
Wahrheit noch nicht reif hält und den
Foricher zu der Notwendigkeit ber firdjlid)en
Sebte befehren möchte. Grit nad) neum
Jahren fommt ber mittlerweile erblindete
und von Reue gepeinigte Gelehrte dazu,
jeinen Widerruf zu widerrufen, freilich nicht
Reese ees ee ees Berliner Bühnen R=222222222249 819
vor dem geiltlichen Gericht, bas ben alten
Querulanten nicht hören will, Jondern vor
einem budligen und lahmen Bettler, der die
Rolle bes Inquifitors vor dem Sterbenden
fpielt, Das Drama hatte einen ftarten
Erjolg. Rraugned und Bajjermann ga:
ben den Papſt unb Galilei, und es hatte
einen eigenen Reiz, den ftandfeften Ver:
treter einer alten (Cdjaujpieffun|t und den
nervójen einer jüngeren im Wettjtreit mit:
einander zu feben. Leider fetten fie ihre
Kräfte für ein im Grunde gleichgültiges
Wortgefecht ein.
- Die Bergerjchen Neueinftudierungen von
Goethes ,Tajjo' und Shakeſpeares ‚Sturm‘
zeigten deutlicher als Müllers ‚Sterne‘ den
neuen Geijt, ber das Staatliche Schaujpiel-
haus bejeelt und ber mit folder Friſche in
ver hundertjährigen Gejdidte der Bühne
nod) nie zu jpüren gewejen if. Wlan
braucht nicht mit allem ein:
veritanden zu fein, was
geichieht. Rann der Tajjo:,
ganz aufs Mort geftellt,
die jtilifierte Klarheit der
Szene vielleicht noch ver:
tragen, obgleich Ferrara
trog jeinem unglüdlichen
Tichter ein heitrer Muſen—
fig gewejen tit: Proſperos
jelige Injel bat jid) bate:
wer gewiß nicht als ein
oralleneiland unter ewig
Ihwarzem Himmel vor:
geitellt. Litt die Dar:
[tellung des Zajjo mit dem
jungen, einer verheipungs-
vollen Reife zuftrebenden
Lothar lithel in Der
Titelrolle, mit Decarli als
Antonio und Johanna
Hofer und Dagny Ger:
vaes als den Leonoren
unter biejer Starrheit bes
Biibnenbildes nicht wejent:
Ili: im ‚Sturm‘ fien
die reudlofigleit — ber
Szenerie aud auf die
Sdaujpteler zu drüden.
Es fam alles febr jchwer
und ernjt beraus, und
wenn Rortners Caliban,
ein gutmiitiges, naturbaf:
tes Ungeheuer, mit Trins
culo und Stephano (Frig
»irid und Eugen Hex)
nicht gewejen wären, fo
hätte man wenig von der
ins llnirbijde verjchwe:
benden Leichtigfeit gejpürt,
die zum Mejen diejer Ho:
manae gehört. Der neue
Ausjtattungsitil, der nad)
lajtig empfundener Brunt:
juht in größter Einfad):
heit fein Heil juchte, be:
ginnt zu ermüden. rleans‘,
Diejes Gefühl hat man aid) im Deutjchen
Theater, das in diejem Winter fid) Schillers
mit bejonderer Liebe angenommen hat. Es
hat den ‚Carlos‘ mit einigen Neubejegungen
herausgebradt (Krauß freilid) madt Bajjer:
manns Philipp nicht vergejjen) und bereitet
für den Schluß ber Spielzeit den ‚SFiesko‘
vor. Zu bem ftártiten künſtleriſchen Erfolge
Dat ihm bie Neuaufjührung der ‚Jungfrau
von Orleans‘ verholfen, Ur wegen, fondern
trog ber Ausjtattung durch den Architekten
Bruno Taut. Es ift an fid) ein gejunder
. Bedankte, Ddiejes romanti|de Gedicht aud)
izenijd) als eine Heiligenlegende auszudeuten,
indem man für jämtliche Bilder einen glas:
arditeftoni{den Rahmen ſchafft und mehr
dureh Beleuchtung denn durch Dekorationen
wirft, in bem Blau die myſtiſche Farbe,
Rot die bes Befühls, Grün die der Erde
ausdrüdt. Der Künjtler tann darauf poden,
CAM
Pe dic
J "gäe:
Helene Thimig als Johanna in Schillers Tragödie ‚Die Jungfrau von
Ori Deutiches Theater.
(Aufnahme $. Rojenberger)
320 Dr. Paul Weiglin: Berliner Bühnen BS=3333333341
daß jede Zeit fid) ihren eigenen Schiller
Ihafft und daß diejer myſtiſche dasjelbe Recht
hat wie der hiftorijch>realijtijche. Wher da:
gegen gibt es zu bedenken, daß Schillers
ichtung nicht in feinen Berjen beſchloſſen
ift, Jondern daß er fid) von der gejamten
Bühnenwirfung ein jehr deutliches und tares
Bild gemacht hat und daß bieles Bild mit
zu feiner poetijchen Leitung gehört. Mag
man ben Rrönungszug als äußerlichen Pomp
fallen laffen: muß die ländliche Gegend, in
der Johanna ihre Herde weidet, in Wider:
jprud) zu ihrer Schilderung eine Diiftere
Schlucht fein? Ift es nicht eine Unterſchätzung
des gejchichtlichen Reizes, wenn uns bie
jedem Deutichen jchmerzlich betannte Rathe-
drale von Reims durch ein dürftiges goti-
es Gemäuer erjeßt wird? Und ijt es wirt-
lid) die Berbejjerung eines opernbajten
Schluſſes, wenn jid) bie Apotheoje der Jung:
frau ohne bas Rauſchen der Fahnen eines
ganzen Heeres vollzieht? Man jollte, wie
es Reinhardt in feinen beiten Zeiten getan
bat, ohne Boreingenommenheit durch einen
beftimmten Biibnenftil oder eine bejtimmte
Ausftattungstheorie dem Herafdlag jeder
Dichtung nadjpiiren und würde auf jolde
Gewaltjamfeiten in der Ausdentung nicht
verfallen.
ber jener alte Hamburger Theaterdiret:
tor, ver den ganzen Ausftattungstram
verachtete, — ein wahres Wort, als
er ſeinen Schauſpielern riet: „Kinnings,
ſpält man gaud.“ Das Deutſche Theater
ge es unter der Regie von Karlheinz
artin fertig gebradt, dak feine Auf-
führung ber ‚Jungfrau‘ trog einer viel
umjtrittenen, und wie wir geleben haben,
zum mindelten fragwürdigen Ausftattung
ein Ereignis wurde. Gewiß ift dies bas
SBerbien|t der Dichtung, deren nationaler
Gehalt heute bejonders mádtig zu uns
ipridjt. Aber dagegen Debt bie alte Erfah:
rung, dak gerade die ‚Jungfrau‘ mit ihrer -
Romantik unjerm Herzen ein wenig ferner
gerüdt worden war. Und nun begibt jid)
bas Wunder, daß bieles Drama wie neu
geichaffen zu uns fpribt. Nicht wegen
des pradtvollen Dunois Paul Hartmanns,
bes liebenswürdigen Königs von Walter
Janſſen oder ber fonjtigen: panzertlirren:
ben Nitterichaft. Sondern weil eine große
Künftlerin die wehrhafte Jungfrau alles
Heroinenhaften enttleidet. Vian bat das
aud) früher verjudjt, aber was dann zu:
tage fam, war ein Landmadden, unb Der
gegenüber hatte die Amazone ihre Bor:
glige. In Helene Thimigs Auffajjung ba:
gegen feben wir zum erjtenmal, von Be:
ginn bis zum Ende folgereht durchge:
übrt, bas zitternde We:
ag des Herrn. Eine De:
miitige Magd nimmt Ce
SCH Sendung auf fid.
it traumwanbdlerijber
Sicherheit gebt fie ihren
Weg, finblid in Er:
jheinung und Gprade,
aber getrieben und er:
últ von überirdijchen
ächten. Sie bleibt ein
Weib aud im Gewiihl
des Kampfes, in Todes:
not und Berzweiflung,
bod) es ftrómt von ihr
eine Kraft bes Bertrau:
ens aus, die jeden zwin—
gen. muß. Gie wird
niemals patbetijd), aber
ibre Sclichtheit führt
die Schillerſche Della:
mation zu ihrem Ur:
jprung, dem Herzen des
Dichters, zurüd. Gie
wandelt wahrhaft auf
den leichten Wolfen, die
in das Land der ewi:
gen Freude fdweben,
und wer fie jehen durfte,
ber bat einen Schaß
der Erinnerung gewon: |
nen, um den fid) viele
Theaterabende lohnen
und der die ganze Ein:
rihtung der Schau—
—
Eugen Rex als Stephano und Frig Kortner als Caliban in Cbateipeares
‚Sturm‘, Staatlihes Schauspielhaus. (Aufnahme Zander & Labijd))
bühne zu rechtfertigen
imitanbe ijt.
Neues bom Büchertiſch⸗
Bon Karl Ötrocer
GetCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCOC CCC 227333333333333333333333333333333333333333:33332333232255O
a Ve Zwijhenipiel: Agnes Miegel: Gedidte und Spiele — Carl Bröger:
amme — Die vier — —
ax Barthel: Utopia — Laj
et uns
Beine Lerih: Die ewige Frau —
ie Welt gewinnen — Ricarda Hud:
Alte und neue Gedidte — Eduard Studen: Balladen — Theodor Däubler:
Die Treppe zum Rordlibt — Arno $
Erwade
013: Bud der Zeit — Paul Warnde:
olt! — Rudolf Presber: Pierrot
Die jemand, ber nad) elf aufeinan»
A derfolgenden Bortragsabenden
am zwölften ein Konzert hört, ijt
dem Bücherwart Dieter Spalten
zumute, wenn er mit feiner Ar:
beit an das Maiheft aech das ber Lyrif
gewidmet ijt. Ein Aufatmen, ein Gefühl
mufifcher Erholung und Erhebung erfrilcht,
wie feines Summen und Klingen aus dem
Waldgrund, wo Maiblumen im Frühlings:
wind meipe Glidden ſchwingen, als wollten
fie [hon Pfingiten einläuten. Cin Gleidj:
nis fpringt auf vom Hauch fommender Le:
bensjahreszeit, ber aud) bie Geelen der Fr
ter in S iste a perjebt. Wher freili
auch auf diejem äſthetiſchen Grunde geht es
nicht ohne Maifröfte, Enttäufchungen, Schlo=
Benwetter und Arbeit ab. Die von Jabr
zu Jahr höher anjchwellende Majje von
jenem Schwemmjand unfruchtbarer Dilet:
tantenübungen, die den eigentlich fruchtbaren
Boden überjchüttet, jene jchier ae
Menge von Hauss, Kränzchen⸗ und Gevatters
lyrit, bie, meift ohne Kolten der Verleger,
auf den Markt gejpült wird, muß erft abge-
tragen fein; eine |chredliche Arbeit, die an
der Gage von ber Yusleerung bes Augias:
Rolles verjtehende Teilnahme wedt.
Uber bann wintt Genuß. Im Zwielicht
unjerer binterbaltigen und rätjelvollen Zeit
it man mehr als jonjt geneigt, auf Seelen-
Ihwingungen wirfliher Lyrifer bas Ohr
zu ſpitzen, denn [ie find Propheten, oft mehr
nod im Gefühl, als im Wort. Gie haben
arte Fühler, die mehr wittern, als wir er-
and erhalten BotiMaft vom leijeften
Lufthaud fommender Zeitwenden, ift dod)
der perjönlihe Bemütsanteil, ber bas Bor:
Hellungsleben des Dichters begleitet, in ber
Lyrik ftárter als in jeder anderen Gorm der
Boefie. Denn was bes Gängers Affekte
zum Schwingen und get bringt, find
ja gerade bie perjönlichen Kämpfe, in denen
vas ringende Ich fid) mit Zeit und Welt,
mit Umgebung, Scidjal und Aulturftrö-
mung auseinanderjeßt, bis tief hinein in die
redit unlyrijden Fragen des politijden, jo:
zialen, wirtjchaftlichen Lebens.
Um jedod den Übergang nicht gar jo
Ihroff zu madjen, beginnen wir mit jener
Sonderart bieler Dichtungsform, bie ber
Epit am nädjten. verwandt ijt, mit ber
Ballade. Ihre größte Meijterin in Deutjch:
land ift noch immer Agnes Miegel.
Dieje Dichterin bat bie feltene Gabe jener
BEE bümoni|djen Schauer, bie
en echten Balladendichter fenngeidnet, fie
* die ebenſo ſeltene Gabe, wenigſtens in
hren beſten Schöpfungen, alles zu erleben,
was ſie formt, in die Geſtalten, die ſie ſchafft,
hineinzuſchlüpfen wie in ein Kleid und ſie
mit eigener Lebenswärme, mit ihrem Fühlen
und Denken, ihrer ftarten Glut und Leiden:
[att zu erfüllen. Hat ihr fo die Natur das
ertvollite, das was „not ift” gegeben, jo
war es der fo Bejdentten ftetes Bemühen,
bieje Anlage durch fleiBiges Studium zu vers
vollfommnen. Man tann feine Boldäderchen
ihrer Runft finden, bie zurüdreichen in bie
Gbelmetalljdjid)ten der’ alten deutiden und
englijden Ballade, andere [d)einen zu Börries
von Münchhaufen, zu Stradwik, zu Fontane,
zu Storm zu führen, ohne daß jemals eine
deutliche 9tadjabmung zu fpiiren wäre, es
find nur übriggebliebene Heine en erniten
Studiums. Dhne eine [oldje Mühe und Ar-
beit- entjteht nichts Großes in der Kunft.
Gelbjt der mit Dichtergaben verfchwenderifch
ausgeftattete Schiller jagt: „Nur dem Ernft,
den feine Mühe bleichet, Raujcht der Wahr:
heit tiefverftedter Born; Nur des ee
ihwerem Schlag erweidct Cid) bes Mar
mors fpródes Korn.“ |
Das neue|te Bud) Agnes Mtiegels Be:
Didte und Spiele (Jena, Eugen Diede:
tics) läßt im dritten Bedicht ‚Liebe‘ ers
tennen, daß Agnes Miegel 9tieb]d)es Lyrif,
bejonders feine Dionyjos : Dithyramben in
ihrem feurigen Schwung zu werten weiß,
übrigens bas einzige Beilpiel in dem Bud)
und nur ein Zeichen für die unbejchräntte
Mannigfaltigteit ber Dichterin. Es ift aber
fennzeichnend für ihre Eigenart, daß im
Reinlyriihen, im unmittelbaren Gefiibls-
ausdrud fie niemals die Höhe erreicht wie
im Balladenbaften. Hier weben uns fos
gleich bie tiefen myjtilchen Schauer an, Die
Glen den Bräberjchatten des Kirchhofs
im ondenjchein weben, bie fo feltjam
[oden und zugleich fortwinfen und wiederum
uns zum Laujchen zwingen, wenn fie über
bie Dichterharfe wehen. Vian Höre diefen
Stadjtiput :
Die tote junge Frau im Grab,
Sie fprad): „Was Klingt nun Tag für Tag
Bis in mein ftilles Bett hinab
Mie Sággetnirid und Sammerídjlag ?
Langit fraB bas Feuer unfer Dorf,
Das Gott mit Pelt und Tatern fchlug.
399 Iesel
Nie fab ich Wtenichen, feit im Torf
Der fremde Knecht den Jud erichlug.“
Sie ſchlug zurüd ihr Leidentud
Und ftieg wie a berauf.
Und barzig quolPs wie NN,
ced WEI band bie Zöpfe auf.
e.
Die Fröſche qualten Dumpf im Robr,
Und überm Tannidt groß und bla
Stieg [till und rund ber Mond empor.
Das hohe Gras war feudt vom Tau,
Sie fpürte lächelnd es beim Gebn.
Doch einmal aógerte die Frau
Und blieb in tiefem Sinnen ftebn.
Bergraben in ben Neffeln ſchier,
Merjengt, verwittert aus bem Krant
Ein Rofbaupt hod, des Firftes Bier,
Drauf einit der Storch fein Neft gebaut...
Das ift gana großer Balladenftil, aber —
was ibm feinen bejonderen Reig gibt, ber
Stil einer ausgelproden weiblichen Ballade,
als deren Bertreterin (id) Agnes Miegel fo
tapfer gegen bie große Ghar männlicher
Meifter diefer Dichtungsart behauptet, wie
die Jungfrau von Domrem gegen die ans
itirmenben Heere. Ihre tiefe Seelengewalt,
die im Empfinden und Schauen ferner Bor:
welt zu wurgeln jcheint und bod) jo jung
und neu ift, wie ber heutige Tag, jtrömt in
dem vorliegenden Bud) am tráftigiten aus
der Ballade ‚Die Fähre‘ hervor, einem ber
itártiten poetijchen Zeugnijje von ländlicher
—— in der gangen Weltdichtung.
in geheimnisvoller Zug Auswanderer ruft
in der Nacht der Fährfrau „Hol' über“, ſie
folgt, trotzdem ihr alter Knecht ſich
dies SE ite überzujegen, dem Ruf.
Ein Ritter zu Pferde, der Führer des vers
triebenen Voltes, läßt fie in der Mitte des
Stroms halten: „Ich will nod) einmal jehn
nad) meinem lieben Land.”
Sd) weiß nicht, wann bie Dichterin diefe
Ballade gejchrieben hat, aber der Schluß
icheint mir ein dichterijches Sinnbild (von
hoher Schönheit) zu fein, das den Schmerz
über Deutjchlands vergangene Macht und
Kraft ergreifend ausdriidt. Unter den Geld:
ſtücken, mit denen bie fibergelebten reichlich
zahlen, befindet fih auch ein Gilbertaler.
Die abgegriffene Schrift am Rand ift nicht
mehr zu entziffern, aber nod) [iebt man an
einem Bild, wie fiinftlid) bie Prägung ijt:
Wie ein gefrónter Woler war’s
ber Wappenjchild und Bepter trágt.
Dod halb verlojdt war [hon bas Haupt,
bas auf der andern Seite ftanb.
Ein mádtiges Haupt mit Helm und Krang;
bod feiner bat es mehr qefannt...
Wenn dies ein Jchmerzliches Ude an das
Reih des erften Wilhelm fein fol, fo wird
fid Karl Bróger jchwerlich Damit einver:
itanben erfláren, er ift burdjaus Republi-
taner, aber er ijf auch Künftler genug, ben
dichterifchen Wert btejer mage anzuertennen.
Bröger ift mit zweit Bedichtbüchern auf dem
Blan: Flamme (Jena, Eugen Diederichs)
und Die vierzehn Nothelfer (Berlin-
Zehlendorf, Frig Heyder). ‚Flamme‘ ijt bas
wertvollere, auch ältere der beiden Bücher;
die meilten Gedichte find wohl 1919 ent:
ftanden, fie find noch heiß von bem Wtem
ber furdtbaren Umwálzung, jie ringen nad)
rillen zirpten bell im Gras,
Karl Streder: ' BR22U22%22222323323232323231
List, Luft und Ausblid aus den Triims
mern, Sdutthaufen und Staubſchwaden bes
Zujammenbrucdhs. Aber Bröger, der Arbeiter:
dichter, ijt weit entfernt von der Ungeredtig:
feit fanatijcher Heger, bie noch unjere Gol:
daten be|djimpften, er fingt:
Deine gorun
hat jeder Wind der Melt gebaufcht,
raues Heer.
ber deinen Bahnen
ewig Geift der Liebe raufcht,
Bolt in Wehr,
Opfervolt.
Liebe Reit d alle Brüden
bir ein :
£eibaerfurd)te Köpfe büden
fid) nad) deiner Hand und tüjjen bein Gefidht.
eer, ba li
gras Ee in Een
od das Haupt, ztebft du nun heimatwärts!
Aber [Hon richtet Bröger feinen Blid zu
neuen Zielen und Leitfternen empor. Noch
einmal rechnet er in einem febr jchönen
MWeihelpiel: ‚Rreuzabnahme, ein Spiel von
Schuld und Cieg', mit allem, was der Krieg
Furchtbares gebradt bat, ab, ohne Borur:
teil und ohne Kleinlichkeit, um jchliehlich ein
einziges großes Ziel aufzurichten: die Menſch—
heit. Das klingt jo freilich recht allgemein,
aber Bröger ilt weit entfernt von dem ge:
danfenlojen Gejchwafel vieler moderner
Lyrifer, er [faut in Bildern und lebendigen
Gejtalten und hämmert mit ehernem Ge:
banfenbammer an den Problemen der Zeit.
Uber, was bas erjreulichite ijt: er bleibt
immer Dichter. Hoch über denen, die aus
ihrer Unfähigkeit eine Tugend maden und
entweder bie Cpradje verrenfen oder ftatt
Poeſie Leitartifel, Phrajen, Schlagworte
plafatgrell in die Welt leben, jiebt er mit
dem finnenden Auge des Rúnftlers auf das,
was gejdjiebt; wo jene in Scheußlichkeiten
und Widerwärtigfeiten mit Behagen wiiblen,
weiß er auch den Nachtjeiten des Lebens,
wo fie in den Plan feiner Darjtellung ge:
hören, nod) eine künſtleriſche Linie zu geben,
He durch ein Dichterifches Bild zu erheben.
So |djilbert er eine ber triibjten Erſchei—
nungen in unjerem Kriegselend, die Unter:
ernährung der Kinder, tn einem dichteriich
durchgeführten Vergleich von hoher Schönheit.
Gs ift bid)terild)e Kultur, bie Bröger vor
dem Ekſtatiſchen ber jungen Zeitdichter vor:
aus bat, und diefje Kultur bat ihren Ur-
iprung in nidts anderem als in tieferer
Kraft und Größe jenen martlojen Aufgeredt:
heiten gegenüber. Immer bat er ernite,
roBe Stele vor Augen. Wud) in dem Kult-
piel ‚Ranaan‘ und in dem Oratorium ‚Der
junge Baum‘ jdjaut er mit gläubiger Sin:
brunjt und leuchtendem PBrophetenblick nad
einer Zukunft für neue ftarte Menſchen aus.
Dabei beherriht er die Form mit meilter:
bafter Sicherheit; in feinen &ultipielen wird
man mebr als einmal an Goethes tyaujt er:
innert Durch die fnappe, edle, gebaltvolle
Bersfprabe, bie immer gedanfertreid ijt.
Aber wie der Frucht nicht nur Nahrungs:
gehalt und Gott das Merkmal ihrer Reife
ESSSSSSSSESSSLTA Neues vom Viidjertijdy 323
eben, fondern aud) Rundung, Farbe, Duft,
laum, ja gulet nod) jene baubartige
Herbftpatina, wie fie auf goldener Mein:
tranbe liegt, fo vereinen jid) in diejen Ge-
dichten Rhythmus, Wohllaut, Reimtlang,
Anjhaulichkeit nnb. Schönheit der Bilder
oft zur hodjten Vollendung. Und diejem jo
felbftändigen, im Denten, Wollen und Schaf:
fen jo ftarten Dichter fehlt auch die goldene
Cdjwermut bes Ne es im Abend-
Idein keineswegs. Dan höre Jeine „Stimme“:
2 enden Hauptes wandelt Herbjt
urd gilbende Haine
Und blajt Flöten der Schwermut
Traurigen Sdalls.
Silberner $jaud) ftiebt von feinem Munde,
Wenn er kühl atmend aufitebt
Und, in fieben opale Schleier gebiillt,
Sterbende Sonne umtanzt.
Was glübt ber Wald brandrot
Und flammt jeder Baum
Mie eine Fadel?
Berfhwunden find,
Die hier einft wandelten
Unter raufhendem Sommerlaub.
Shr Blut, fernvergoffen, _
Wandert nadtens heimwärts
Bertrautem Mutterboden zu.
In allen Stämmen fteigt es hod,
Schlägt durd bie Blätter
Und tropit in ae Auge
Gedächtnis unterer Toten.
Bäume bluten.
gone Löte fingt... `
Alles Leid ijt brüderlich!
Man fiebt: immer noch weilen feine Ge:
danten bei den toten Brüdern; er ijf ein
uter Ramerad und ein feiner Menſch.
er nicht in feiner Dichtung braucht er
diefe Rameradjchaft, bie oft der legte Halt
und Ruhm der Kleinen ijt, da geht er eigene
Wege, wie fein Legendenbud ‚Die vier:
zehn Nothelfer‘ beweilt. In ſchlichtem,
wirflicem Legendenton oft mit bebaglid)em
Humor werden hier bie Wundertaten der
vierzehn Notheiligen, die ber Ratholif in
befonderen Nöten anruft, erzählt. Cine
fleine Probe wird zeigen, wie Bróger [id)
bier in feiner Form und Art dem Stoff an-
paßt. Die Himmelfahrtslegende (des Gantt
Cebalb) beginnt:
Feudt bampjit die Frühe um Fichten und Fóbren,
(rin Deuchten Er flingend an ben Wald,
Meife und Budfint laffen ihre Stimmlein hören,
Und Sanft Sebald
iebt feine zwei Kühe aus ihrem Stall;
ta illt die Wärme aus allen Rigen.
Der Wtorgen hebt den goldenen Ball
Der Sonne fon über blante Tannenſpitzen.
Nächſt dieſer ſind beſonders gelungen die
Hirten-, die Schmetterlings- und die Tauben:
legende, nicht zum wenigſten auch die Le—
gende vom Feueroſen, in der Bröger Ge—
legenheit findet, ein kräftiges Preislied auf
die Fabrikarbeit anzuſtimmen; höchſt an—
ſchaulich und nicht ohne Humor ſchildert er,
wie St. Korbinian in den großen Walz—
werfhof tritt und hingeriſſen von dem Fieber
der Arbeit Deler balbnadten Männer in
Senersglut jchnell feine Kutte nebjt ber ge:
itridten Weite an den Nagel hängt, den
Heiligenfchein aud) gleich dazu tut und nun
mit fráftigen Fäuften das (Glen padt.
Karl Bröger ift die erfreulidfte Erjchei«
nung unter den Dichtern, bie der Krieg er:
wedt und berufen hat. — bier feiner»
zeit aus ſeinem ſtarken Bekenntnisroman
‚Der Held im Schatten‘ die Kämpfe, Nöte
unb Berfehlungen feiner Jugend kennen ges
lernt, bie er mit einer wahrhaft rouſſean—
Iden und — E Rückſichtsloſigkeit
gegen ſich ſelber dargelegt hat. Er durfte,
er mußte ein ſolcher Bekenner ſein, denn er
dé lich zu einem erniten, tiefen Dichter und
enjchen emporgeläutert. Das ift taujend:
mal wertvoller, als der fichere und „malel:
loje Wandel” derer, die auf den D bes
Lebens niemals Grotte Not und ärgite Ver:
judung fennengelernt haben. Brógerijt de
ein weitichauender, ernjter Mann, von jidje:
rem Fühlen und Denfen, fein Wort, das er
Ipricht, ijt ohne Gehalt. Auch rein fünjtle:
rijd ijt er erſtaunlich gewachſen und bat
jeine Kameraden Lerjd und Barthel
weit überholt. Zufällig war der Gdreiber
diejer Betrachtungen einmal in der Lage,
Lerih einen Literaturpreis verleihen zu
Tonnen (wie übrigens auch Agnes Dtiegel)
und es war rührend, wie ber junge Arbeiter:
Dichter im grauen Goldatenrod mir damals
in erfter Freude aufjubelnd jchrieb: Fest
tónne er fid) wieder eine Mertitatt einrid):
ten! Aud) das ift ein Zeichen feelijcher Ge:
jundheit. Lerjd war Arbeiter, ber Krieg
bat ibn zum Dichter geweiht, er fang wie
wenige jo rein und bejeelt, jet ift er wieder
Hill und bejcheiden zu feiner Arbeit zurück—
nefehrt. Ehre ibm! Aber die Runft ijt eine
jtrenge Göttin. Wer fic ihr nicht ganz bin:
ibt, dem entzieht fie ihre Weihe. Aus
einem Gedidthidlein: Die ewige Frau
(Köln, Salm -= Verlag) — wir, daß er
aud) glücklich verheiratet iſt, denn „IHR,
meiner Frau“ hat er dieſe Liebesgedichte
ewidmet. Lerſchs ſtarke und eigenartige
egabung verleugnet ſich auch in dieſen meiſt
kurzen und oft in die Form des Sonetts
gezwängten Ergüſſen ſeiner Anbetung nicht.
So wenn er den Garten ſeiner Braut be—
ſingt:
Die Stunden all, die wir darin verliebt,
Die hängen nun wie Laub in Zweig und Aſt.
Dennod: ganz ohne einen kleinen Genre
oder Miptlang if laum eins der Gedichte,
allenfalls das jchöne ‚Ich wußte nicht, was
Gott mit mir bejdjlo|fen', Vian tann nicht
zween Herren dienen, wo die ftrenge, uner:
bittlid)e Gelbjtfritif fehlt, da geht es bald
bergab mit der Kunft, bas aber wäre fade
bei einer ee wie Diejer.
Max Barthel dient einem anderen
Herrn: ber Bolttif und zwar von febr radi:
talem Standort aus. Sn [einem Gedicht:
bud) Utopia (Jena, Eugen Diederid)s)
ſchwenkt er die blutrote Fahne voll Zorn
und Haß, und wer anderer Vieinung ijt, ge:
hört für ibn zu „der Gejdjid)te ftintendem
Yas”. Die politiiche Ridtung fann uns
bier in unjerem fiinftlerijden Urteil nicht
beeinfluffen, und wenn Barthel feiner über:
924 Rarl Streder: Neues vom Büchertiſh B33333333
ftiegenen Meinung den poetijchen Gilber:
Hang Freiligrathicher oder aud) nur Herwegh:
[deer Revolutionslieder gegeben hätte, mur:
den wir ihm den Kranz nicht weigern. Aber
Ichreien und fingen find zwei einigermaßen
verjchiedene Tätigkeiten, es genügt nicht,
daß in dem Bud bie und da ein ftartes
bidjterildjes Bild aufbligt. Gemäßigter ift
Barthel in dem Gedidtheft Laſſet uns
die Welt gewinnen (Hamburg, Hoff-
mann & Campe). Warum niht? Wir
[ajfen jchon. Wher Ihr habt die Kraft nicht
dazu, mein Freund. Gud) fputt Berworrens
heit im Kopf, wenn Ihr fingt:
fiber uns ift Heiliger Gei
Mit ben jtarfen Raubtierfángen.
Go hat fih die Ausgießung des heiligen
Geijtes wohl nod) niemand vorgeftellt, wie
diejer — Pazifiſt. Tiefjinnig fingt er ein
andermal:
ia lan ie Brent
Tag ijt gut. Die Nacht ijt beffer;
Alles ijt nur abgejpiegelt.
Oder:
Du goldgrün waldumfaufter Ort,
An dem Die Rehe unjerer Schwermut grafen.
Zeigt die erfte diejer beiden Proben ein
etwas eingejchränttes Denten, jo die zweite
ziemlich verfebrtes und untiinftlerijmes
Schauen. Grajende Rehe find gerade das
Gegenteil von einem Bilde der Schwermut,
eher [hon ber Anmut. Nicht nur dem Weid—
mann jchlägt dabei das Herz höher. — Hof»
fen wir, daß Barthel nicht lange von der
Hexe Politif feinen Moft bolt, es wäre
ihade um fein ungwetjelbaftes Talent.
Reinere fünjtlerijd)e Luft umwebt uns bei
Ricarda Hud. Gie ift ja Lyriferin eigent:
lid) nur fozufagen im Ntebenberuf, aber aud
da ganze Dichterin. Gleid in dem erften
Stüd ihrer Alten und neuen Gedichte
(Leipzig, Infel : Verlag), dem ‚Rabenpara=
dies‘, lächelt ein feiner, jchalthafter und an=
mutiger Humor, Der freilich nicht oft
wiederfehrt, aber abgelóft wird von Hang:
vollen, gehaltreichen Verjen, finnig, an:
mutig, mitunter Dot männlich, aber met
mit dem Grundton einer verhaltenen Klage.
Vian denft bei Ricarda Hubs Lyrif un:
willtürli an Bódlins Frauengeftalt abends
am Meer unter der hohen Pyramidenpappel,
die in leife finniger Schwermut bie Gipfel:
ipige al Bolltommen ijt bei Ricarda
Hud) die Beherrichung der Form, man lefe
nur das wunderjchöne Gedicht: ‚Mit unge:
duldigem Flügel, Schmetterling‘. Weniger
gelungen find ‚Alte Lieder‘, mitunter ftórt
eine artijtilcehe Spielerei, aber um jo prád)-
tiger bricht dann der ehrliche Zorn in einem
wahren Haßgedicht auf Wilfon, gleich einer
Hellen Flamme hervor. Die vielen Freunde
ber Dichterin werden von dem hübjchen Band-
chen nicht enttäujcht fein.
Um jo mehr die Freunde Eduard
Studens von seinen ‚Balladen‘ (Berlin,
Grid) Reig). Man erjchridt förmlich über
bie Weitjchweifigfeit und Leere, über bie in
ſchlechte Berje gebradte Profa, über Die
ewig faljche Betonung durd) den Reim, über
bas Dilettantijche, namentlich in ber erften
Hälfte bes Buchs. Stucken reimt:
Denn febt, fie war ein Baftardfind
Und ihre Mutter Herzogin,
Unbánbig ift ein Herz, wenn in (!)
Den Adern Blut der Großen rinnt.
In der zweiten Hälfte des Buds wird
es ein wenig beffer, ‚Nut und ST 3. B.
ließe fid) hören, wenn niht Ausdrüde wie
„Die tubhorn-bediademte” Nut wieder daran
erinnerten, daß wir es mit Pjeudodidtung
zu tun haben.
Da ijt Theodor Däubler aus anderem
Holz geld)nibt. Seine, Treppe zum Mord:
licht‘ (Leipzig, Injel-Berlag) ift eine Treppe
zu hoher dichteriicher Vifion, deren Nords
lichtfrone wir aber nicht durd Steigen, die
wir „fliegend oder nie erreichen“. Schade,
daß der Raum es verbietet, von Ddiejem
jchmalen Büchlein, bas aber jdjwerer wiegt,
als mande didbaudige Anthologie, bier Pro»
ben des dichteriichen Cchauens, des Rhythmus
und des orange zugeben. Tan gi) auf
Däublers weitere Entwidlung gejpannt fein.
NRüdwärts hingegen wird unfer Blid ge»
richtet, wenn wir das Bud der Zeit‘ von
Arno Holz aufihlagen. Der einftige Wns
reger der damaligen „Moderne“ bringt bier
die „endgültige Ausgabe“ feiner im Sabre
1885 guerft erjchienenen ‚Lieder eines Vio:
dernen‘. Wie ein literarhiftoriiher Wis
mutet uns dies „modern“ heute bei diejem
Bud an, bas mit feinem Imprejfionismus
von ehedem auf die heutige Jugend wie ein
Schuhu auf die Krähen wirken dürfte, —
reel weitab von dem Schwarm Der
Aktiviſten und Futuriften und bod) ganz und
gar im Luftitrom der Zeit [djmebt Paul
arnde mit feinen paterlánbijdjen Ge:
dihten ‚Erwade Bolt (Berlin, Herm.
Krüger). Es find Zeitgedichte, nad) ber
Revolution entitanden, voll glühender Bes
eilterung für Deutjchlands Heiligtümer, für
eine entIhwundene Maht und Größe, von
tiefem Schmerz über feinen Zufammenbrud
getragen. Jn einem anderen Volt würde
Diejer oe e Tyrtäos gefeiert werden wie
ein Held, bei uns wird er von ben Äſthe—
tifern totgejchwiegen, wohl weil er „zu weit
rechts“ jteht. Aber was heißt rechts und
lints — vielmehr was jollte es heißen, wenn
es — unſere gemeinſame Beige Mutter,
das Vaterland handelt? — Go ernit diefer
Norddeutiche, jo heiter ift der Frankfurter
Rudolf Presber in feinem Pierrot
(Stuttgart, Deutſche Berlagsanftalt). Pres-
ber ift aber nicht nur Heiter, er ift aud)
herzlich, er ijt leicht, aber aud) gelund, er
hat Get, aber aud) ein ftartes mpfinden.
Die Grazie feiner Form ijt eine glüdliche
Ehe mit der Klarheit feines Denfens und
Sd)auens eingegangen, ein gefährlicher Haus»
freund bleibt der Wik, für Das Haus bes
Sejers freilich ein Freund, der mehr will:
tommen als gefährlid) ijt.
e Slluftrierte Nundfchau e
eh hh hh hehe y yyyyyyIIIIIIDIIIIIIIIDIIIIIPDIIIIIDIDIIIIIIIIIIIIIIIIIII0
Der Bildhauer Adam Antes — Shmud von Hermann Weingand — Ein
Werk bes Ardhiteften Dipl-3ng. Ernft
Gderenjdnitte von Lija von Helmol
nolo. oie A OMNA COOC '"YoloolooXoolte > > 2 G 5 D ( ele ec Dé 7 5
Cere € 9 c 009) 09 8 8 8 0) 08 09 9) 08) 0 99) 09 08 08 6) 0 99 8) 9 8 8 S8
Um den Lejern Adam Antes und fein
Schaffen nahezubringen, haben wir
ibm wohlvertrauten Runjtgelehrten Dr. Ro:
bert Corwegh um ein paar Worte der Ein:
führung gebeten. Corwegh madt darauf auf:
merfjam, baB man eine lo junge, neujchöpfe:
riſche Runft nur bann rıchtig werten und vor al-
lem lieben lernt, wenn man jid) von der Windel:
mannſchen Betrachtungsweije Ion, die von ber
Plaſtik flare Formengebung, Körperlichkeit in
vollendeter E forderte. Auch die
neue &unjt Jucht Vollendung, aber im Zuſam—
menflingen des Körperlichen mit bem (Zee:
lifchen, und fie will bieles Seeliſche im Tiefiten,
an der Wurzel paden. Go ift für Antes
ber Lutherfopf nur der äußere Anlaß, Wil:
lens: und Glaus
bensftárte in Das
Gefäß eines menjd):
lichen Antliges zu
bannen. Jede Be-
wegung der Ober:
fläche feines Steins
dient diejem Zwed.
Oder er juht bas
Leid in den Zügen
einer Frau aus:
zudrüden. Wud)
. bier fteht ibm ge:
wif eine beftimmte
Frau vor Augen,
aber er erhöht He
zum Symbol einer
ſeeliſchen Bewe-
gung. Einem zer:
tijjenen Herzen
paßt erdie Sprache
jeiner Runjt an:
er teilt die Biijte
in eine fiárter ftilis
fierte obere Fläche
und in eine mehr
der Natur nad):
ebildete untere.
paltung ift Ber:
rijjenbeit. Der
Torfo, Delen Ge:
fichtszüge wie bin: `
ter feiern lie:
gen, offenbart mit
der verlodend ſchö⸗
nen Form Der Glie-
berzugleichKteufch.
de Er gibt
nthüllung, und
Schleier, wie jede
echte M lodt
undwiederverjagí.
Bd & 88
en
Lutbertopf (Teilbild).
ring — Zu unjern Bildern —
und Helmuth Hauptmann
SEH
Auf ©. 327 bilden wir einige Sh mud:
ftiide von Hermann Weingand ab,
einem Lehrer an ber Fachſchule zu Schwä-
bijd): Gmünd, von deren Zeitungen hier [hon
wiederholt die Rede gewejen ijt. Weingand
zählt feit bem Beftehen ber Schule, feit 1907,
zu ihren Lehrern. Er ftammt aus Heilbronn
und jchreibt ber alten und fleiBigen Reichsjtadt
die erjte Anregung zu tünftlertichem Schaffen
u. Sn den weltbefannten Werkitätten von
. Brudmann & Söhne arbeitete er vier
SE lang als Lehrling. Der gründlichen
usbildung, die er bier genoB, gedenft der
Künftler nod) heute mit Dankbarkeit. Er
ging dann einige Jahre auf die Stuttgarter
tunftgewerbejchule und jab fid) Darauf in ver:
Bilowerf von Adam Antes : Worms
326 SUuftrierte Rundſchau
el Leid. Bon Adam Antes: Worms E
Ihiedenen Fabrifen und Werkitätten (Geis:
lingen, Köln, Budapeft, Gmünd) als Zeichner,
Bildhauer und ĝi eleur um. Go ift er für
eigene Lehrtatigteit ftiinftlerijd) und hand:
werflich gleihmäßig gejchult und fühlt fih in
einem Amt gliidlid. Er gibt praftijchen
Unterricht im 3ijelieren und Metalltreiben
jowie im Zeichnen und ift in feiner freien
Zeit, um niht etwa im Dienftbetriebe zu
erftarren, |dj)opferijd) tätig. Denn bie [tete
Berührung mit dem Leben und Der Zeit
diintt ibn mit Recht unentbehrlich. In diejen
Eigenftunden find die hier wiedergegebenen
Arbeiten entitanden, bie dann oft als Muſter
für die Schüler dienen. Das Hauptgewicht
legt Meingand auf gediegene handwerkliche
Ausführung und gut abgeftimmte Befamtwir:
fung. Leider Debt man an unjern Bildern
nur die gliidlide Form und nicht den Ge:
Ihmad, mit dem Vietall, Steine und Elfen:
bein zueinander geftellt find. Jedes Gtüd
ijt von Hand getrieben und vom Künitler
volljtändig fertig gemadt; aud) bie Mon-
tierung überläßt er nicht etwa Silfstráften.
Auf bteje Meije ergeben fid) Arbeiten eigener
Prägung und aus einem Buß. Weingand
fertigt natürlich nicht bloß Schmud an, fon:
dern weiß auch größere Aufgaben wie Be:
cher, Dofen, Rajjetten, Ehrenurfunden, Ehren:
fetten u. dgl. zu lójen.
88
89 £g
Man redet jeit Jahrzehnten davon, daß
Ihlichte Ehrlichkeit in ber Baukunſt am läng-
Hen währt, unb es gibt eine Menge Künſt—
ler, bie fid) mit unverbriidhlidhem Ernft fiir
diejen Grundjag ins Zeug legen. Aber
— man täufche jid) Darüber nicht — die Auf:
traggeber laffen es noch immer febr häufig
an der nötigen Selbftgudt fehlen, und bie
notgedrungene Sparjamteit, bie heute walten
mus wird feineswegs allgemein als Mobltat
empfunden. Im Gegentetl: der Trieb, mehr
zu jcheinen, als man ijt, maht fid) aud in
der Architektur ftart bemerkbar. Wer das Geld
hat, will auch bier prunfen und mertt nicht,
wie ftillos, wie unmodern er ift, und leider
gibt es Baumeijter, bie fid) dieler ungeitge-
mäßen Prunkſucht fügen ober fügen müllen.
Denn die Runft geht nad) Brot. Und bod:
wie wenig äußere Mittel braudt ein guter,
wahrhaft gebildeter Gejdmad, um fid) zu
offenbaren. Das beweift der Kieler Archi—
teft Ernft Pring mit feiner Gnugmann=
iden Baderet. Diejes einfahe Haus
wirft einzig und allein durch feine glüdlichen
Berbáltnifje, durch bas feine Gefühl, das es
in die Landidaft gelebt bat, durch den prat:
tijden Sinn, der allein jchon ein Unterpfand
für Schönheit ijt. Der Wrdhiteft wie der
Bon Adam Antes: Worms
E39 Marmortorjo.
e
Eesssesseeeoosos) Muftrierte Rundſchau
Beliter dürfen überzeugt
fein, daß bieles Haus
nod) in fpáter Zukunft
dade Wandel bes Ges.
djimads trogen wird.
Ja, wäre der gejunde
Geift, ben es atmet, der
allgemeine im Sater:
lande: es ftünde beffer
um uns, und unlere Nöte
wären zu ertragen. —
Unjer Titelbild jtammt
von einem jungen Mind):
ner Rünftler, dem 1884
in Neuftadt a. b. $. ge:
borenen Otto Dill. Er
it ein Schüler Zügels
gewejen, und. wenn er
aud) aus Cigenem zur
Meifterfchaft gereift ift:
bie Wucht unb Lebendig:
feit des Vortrags, Die
ir.
CA
thn
tüdjtigen Tiermalern auszeichnen, hat ihn
zu Zügel als einem Wablverwandten a
gen. — Mit uns werden fih bie Rejer
Det —
php = y Jar?
Ardhitelt Dipl.-Ing. Ernjt Prinz, Kiel.
Broichen, in Silber getrieben
Bon $. Weingand, Gmünd
vor andern
DT lo u. — d á Wm ` e
ege, NL m ` a
HA ECK Pei Ion pe zt e Ze ais MAA 3a
E > = ^ ` < — - -— gë e
‘at oe - ^ "XE oa
PF CU : Kot x em
Báderei Gnugmann, Flintbed bei Kiel
B. D. 9L. & D. W, Y,
BRZE 327
E
freuen, wieder einmal
Prof. Peter Paul
Müller als Viitarbei:
ter zu begrüßen (zw. ©.
224 u. 225). Geine „Leh:
ten Sonnenjtrablen“
verraten aud in Der
einfarbigen Wiedergabe
etwas von Der Dichteri=
Iden Zartheit, dem lyri—
Iden Schmelz ` bieles
Yrühlingsbildes. — Das
anmutige Damenbildnis
der Berlinerin Sabine
Lepfius (zw. ©. 232
u. 233) ift nicht nur wegen
feiner Duftigen SRofofo-
farben Grau und Rofa
reizvoll; es ijf Der
Riinftlerin auch gelun:
gen, die augenblidliche
Bewegung Der mit einer Kette fpielenden
linten Hand lebendig wiederzugeben. — Mit
dem Entenbrunnen (zw. ©. 240 u. 241) zeis
gen wir den Lefern ein neues Mert unferes
Gladiolen
Gemälde von 9.
ittag
M
Keele
ats
Q Qi
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CKO
35.Jahrg. / Funi 1924 /1OBeft CI
heite?
nef, freunde
Is Annie aus England zuriidtebrte,
wo fie bas zweite Jahr ihrer
Penfionszeit verbracht hatte, er:
fuhr fie, daß Hans kurz vor ihrer
. a. 0
M RING,
o wel =
SU 4) Y
ON
Ankunft zur Univerfität abgereift fet, Aud)
ihr Bruder, der eine techniihe Hodjdule
bejudte, war ſchon wieder fort. Sie folte
noch andere Enttäufchungen erleben. Dabei
batte fie fih fo leidenſchaftlich auf bte Riids
febr gefreut. Mit nimmermiider Cinbildungs:
traft batte fie fid) ausgemalt, wie herrlich
das Leben werden würde, wenn erft dies
langweilige Jahr zu Ende war, und hatte
im Wachen und Gclafen getanzt. Aber
wenn der Kobold Traum [ie häufig in ganz
unzulänglicher Belleidung auf den Ball gehn
hieß, jo daß es geradezu peinlich war, und
fie an ihre Mutter [chrieb: „Ich ſchäme mid)
bireft, daß id) immer fo was Dummes
träume, aber id) benfe, es liegt an ben
dünnen Deden bier, wo id) bod) gewohnt
bin, unter einem ederbett zu ſchlafen“ ...
in ihren wachen Träumereien trug jie immer
die hübfcheften Toiletten und erntete auf
allen Gejelimaften jo viele Erfolge, daß fie
der Stolz ihrer Eltern wurde. Uber zu
Haufe Hatte fih mittlerweile vieles ver:
ändert. Ihren Bater feffelte ein langwieriges
Sschiasleiden ans Zimmer.
Profeffor Dewerth batte das zweifelhafte
Blüd gehabt, beinah fünfzig Jahre feines
Lebens [tets (Glod zu haben: in feiner Kunft
ſowohl wie in feinem privaten Leben.
Jabr auf Jahr batte-fein robufter Körper
bie reidjlidje Arbeit und den nod reid)
licheren Genuß bewältigt und nie verjagt.
Auch in anderen Beziehungen waren ihm
Tielbagen & Klajings Monatsbefte. 35. Jabrg. 1920/1921. 2.80, Naddrud verboten. Copyright 1921 by Relbagen & Rlajing
Roman von Wilhelm Hogeler
APP... ...o. a... ....
a | Mae RD
alle jene Heinen Warnungen, gelegentlichen
Migferfolge, Enttäufchungen, Sorgen, diefer
ganze Wechjel von Sonnenjchein und Regen,
der erft eine Frucht wohljichmedend und fúB
und einen Menjchen mild und ftart madt,
unbefannt geblieben.
Als er nun unverjehens den erjten Ans
fall feines Leidens fpürte, hatte er ben
Hausarzt Zommen laffen und ihn, halb
ärgerlich, Halb lachend gebeten, das bißchen
ſchmerzhafte Buden in feinem Bein jchleus
nigft wieder in Ordnung bringen, aber ohne
bie üblidjen Schifanen, bitte, auf Altohols
unb Nitotinverbot ließe er fid) nicht ein, —
wie man von einem Schufter bie fchleunige
Reparatur eines Gtiefels verlangt.
Als aber nad einigen Wochen der Haus».
arzt Geduld zu predigen begann, taujchte
er ihn iunmir[d gegen einen andern um,
diejen gegen einen Profefjor und fuchte dann
ein Sanatorium auf. Doch es zeigte fich,
daß fein Bein fein Stiefel war. Und [djlieB:
lid) ergriff dies bißchen ſchmerzhafte Buden
bie Herrichaft über das ganze Haus und
machte felbft die Dienftboten trübjelig und
zänkiſch. Annie war von bem Wiederjehen
ihres Baters erjchüttert. Cie, die ibn gejund
verlaffen hatte, empfand die Veränderung nod)
viel fdwerer als feine tägliche Umgebung.
Als fie fein Zimmer zum erftenmal betrat,
hatte er gerade einen Anfall gehabt, und
wie fie fid) Dinunterbeugte, um ihm einen
Kuß zu geben, ftieg er fie zurüd, ftöhnte,
fluchte und verlor fid) ganz in dem Kampf
gegen ben unjichtbaren Feind. Erft nad)
einer langen Weile erinnerte er fid) feiner
Tochter wieder, betradjtete fie mit bem
22
830 Fees SS) Wilhelm Hegeler: BZZZZZZ ZZZ ZEZA]
neidiſchen Blid des Kranten und fagte, fie
wenigitens fábe, Gott fei Dant, gefund aus,
gut, daß fie ba fei, fie tónne ihrer Mutter
bei der Pflege helfen.
Anfangs gab fie fih redlihe Mühe. Das
Mitleid und die Erinnerung an ihren frü«
beren, liebenswiirdigen und ritterlichen Papa
halfen ihr über vieles weg. Aber bie fins
Here Laune des Kranten, ber über jede Heine
lingeldjidlidjfeit in Zorn geriet, machte ihr
die Aufgabe immer fchwerer. Jn fchmerz«
freien Augenbliden Dammerte ibm manchmal
auf, daß er ihr unrecht tat, aber bann trós
[tete er fie mit Dem Hinweis, es Tonne ihr
nichts ſchaden, wenn fie frühzeitig ben Ernft
des Lebens tennen lerne. Bei ihren Shwe:
ftern hätten bie Eltern das leider verjaumt
und würden dafür jet mit Undant bes
lohnt ... Annie vermochte nicht einzufeben,
warum fie für die Fehler ihrer Schweitern
büken jollte.
An ihrer Mutter fand fie feine Hilfe.
Deren’ Gereigtheit batte noch einen anderen
Grund. Geit länger als einem Jabr hatte
Dewerth nidjt mehr gearbeitet, und bie Ein»
nahmen waren febr zurüdgegangen. Frau
Dewerth [tedte in Beldnöten. Ohne ben Zus
idnitt der Lebensführung im großen zu dns
dern, [parte fie an Rleinigteiten, legte fid)
felbft Entbehrungen auf, bie freilich in ihrem
Alter taum welde waren und verlangte
dasjelbe von ihrer Tochter. Aber anftatt
ihr den wahren Grund zu fagen unb fie
an ihren Gorgen teilnehmen zu laffen, bes
mántelte fie ihre Notlage mit padagogijden
Rüdfihten, [Walt auf ben übertriebenen
Luxus ber jehigen und pries bie Anfpruds:
lofigteit ihrer eigenen Jugend. Annie tonnte
fid) diefe Veränderung nicht anders erfláren,
als daß ihre Mutter, bie gerade wieder eine
Kur gegen ihren Zuder burdjmadjte, das
durch auch feelijd) mitgenommen fei und an
tranthaftem (eig litte. Was fie zu Haufe
entbebrte, fand fie bei ihren Freundinnen,
bie aus der Penfion zurüdgelommen waren
unb jebt ihr Leben genojjen.
In dem Jahrzehnt nad) der Jahrhunderts
wende hatte bie [tille Malerftadt durch den
Zuzug reicher Induftrieller aus der Um:
gegend einen äußerlich glänzenden Aufichwung
genommen. Das Geld jpielte eine immer
größere Rolle, Die ernjthaften Künftler bat:
ten fid vom gelellidjaftlidjen Leben zurück—
gezogen, bie andern waren bie Amujeure
der reichen Leute geworden
In den meiften Häufern, in denen Annie
vertebrte, Derr|d)te eine rege und GuBerft
[uxuridje Gejelligteit. Es fojtete immer einen
Kampf, und gelegentlich mußten Liften und
Notlügen fie unterftügen, ehe fie bie Cr»
laubnis zum Ausgehen befam. Aber defto
beraufchender war dann das Vergnügen.
Und was ihre Erfolge angingen, fo batten
ihre Träume fie nicht belogen. Gie bejaß,
wie Olga Blah fagte, bas, was die Männer
am meilten reizt: fie jprühte äußerlich Feuer
und war innerlich fühl.
Wie tónnte man anders fein, dabte Annie.
Die Männer find jo wahnfinnig arrogant.
Das einzige Mittel, fic) gegen fie zu bes
haupten, befteht darin, nod) arroganter zu
fein. Ihr Herz [djlief tief und traumlos in
diefer Zeit, und nur felten, in einer leer
bindämmernden Stunde, regte es fid ein
wenig, jeiner felbft nod) faum bewußt und
mehr verwundert als febnfiibtig. Was in
diejer, an der Oberfläche gligernden und
heiß jprühenden Welt von Annie lebte, war
aud) nur ihre Oberfläche: Freude an ihrer
Schönheit, Rráftejpiel ihrer Jugend und ein
undifferengiertes Vergnügen am Mtanne. Je—
der der jungen Herren hatte etwas Anziehen»
des für fie, und jeder wurde ihr mit der
Zeit langweilig.
Da es [ie auf bie Dauer bedrüdte, daß
fie fid) jo oft von ihren Freundinnen eins
laden ließ, ohne [ie wieder einladen zu tön:
nen, veranftaltete fie einige Dale in einer
Konditorei kleine Schmaulereien für fie. Und
auf einmal war eine Rechnung aufgelaufen,
die Annie mit ihrem fnappen Tajchengeld
unmöglich bezahlen fonnte.
Schon mehrfad hatte die 9Befiberin ges
fragt, ob fie die Rechnung an Frau Dewerth
(iden folte. Annie, die Vorwürfe von
ihrer Mutter befürchtete, erwiderte jedesmal,
[ie würde fie felbft bezahlen. Doh von Mal
zu Mal Hang bie Frage [piber.
Eines Nachmittags [aBen Mutter und
Tochter am £affeeti[d) — an einem jehr flags
lich gebedten Kaffeetilch, der [tatt ber Kuchen»
pyramide aus der jchönen alten Zeit ein
icheußliches Rrantengebád für Frau Dewerth
und fimples Weiß: und Schwarzbrot mit
rheiniſchem Kraut für Annie aufwies...
es brauchte nur nod) bas Tiſchtuch zu fehlen,
dann wäre es genau wie in der Küche, Dachte
fie. Sie hatte eben eine jchredliche Szene mit
ihrem Bater gehabt, der ihr beinah einen
zu heißen Wärmftein auf die Füße geworfen
unb fie eine dumme Trine gejcholten Hatte,
ein hartes Wort für eine junge Dame, bie
nod fiirglid) cin aus dem Rahmen ge:
ftiegenes Porträt von Gainsborough ge:
nannt worden war.
„Dama,“ fagte fie nad) einer Weile, „ich
darf doh am Sonntag ins Theater?“
„Schon wieder! Du warft dod erft vorige
Mode.”
„Dttie und Burgel —“
SE EES SC Zwei Freunde sees 331
„Romm dod nicht immer mit denen!
Du fiehft ja, wobin's geführt bat. — Was
wird denn überhaupt gegeben ?”
,Garmen."
„D Gott! Das ift ja überhaupt ganz uns
paljenb für junge Mädchen. Das fann|t du
bir anjehn, wenn du verheiratet bift.“
„Das babe id) überhaupt [bon gejebn,
mit bir fogar. Damals fagteft du, wenn
Mufit dabei wäre, fet überhaupt nidts un:
pajjend.”
„Aljo du gebft nicht. Und damit bafta.”
War dies ganze Leben nicht widerfinnig ?
date Annie. Man wohnte in einem prád):
tigen Haus, hielt Pferde und Wagen, vier
Dienftboten — und bann war ein Theater:
billett zu teuer. Aber ins Theater ging fie
dod. Gie hatte jid) mit Lifa und Olga
Blaß verabredet. Und wenn fie bas Billett
felbjt bezahlen mußte.
Sie brauchte nur ein paar Zeichnungen
oder Stiche, bie in Truben und Schränfen
verjtaubten und um die fih fein Menſch be:
fiimmerte, zu verlaufen, dann fonnte fie
die Ronditorrednung bezahlen und [id) ein
Theaterbillett taufen. Wud) Rudi hatte mand):
mal alte Schulbücher oder Romane feiner
Mutter verfauft, wenn fein Tajchengeld zu
Ende war. Die Jungen Hatten das „vers
timmeln” genannt.
Gewobnt, ihre Entſchlüſſe rajh aussi:
führen, fragte fie, ob fie Lija ein bißchen be:
juchen dürfte. Ihre Mutter gab die Erlaub:
nis. Auf dem Wege zu ihrem Zimmer trat
Annie in bas Mufilzimmer, wo ihr Bater
einen Teil feiner Rupferjtidjammlung vers
mabrte. Nachdem fie mit einiger Mühe bie
oberfte Schublade bes Dollánbijd)en Schranfes
geöffnet hatte, hielt fie plößlich inne, von
einer dunflen Empfindung bes Unredts ere
griffen. Sie errótete. Eine Hand tajtete an
ihr Herz. Ein Schatten glitt vorüber —
Hans ... Aber wenn [ie jet etwas Gdjled):
tes tat, wer hatte dann Schuld? Gie oder
ihre Eltern? Und ftárter als Sham und
Furht war das leije Frohloden eines be:
friedigten Rachegefiibls.
Ohne zu Juchen, ergriff fie bie drei ober:
ften Blatter. Zujammengerollt und in einer
anftändigen Papierumhüllung fonnten fie für
Stotenblátter gelten.
Cie wollte ein unjdjeinbares Mützchen out,
ftiilpen, um möglichſt wenig aufzufallen, bes
badjte bann aber, daß fie gerade recht grop-
artig auftreten müßte, und wählte einen
breitrandigen pelzbejegten Felbelhut und ihre
Cfunfsgarnitur. Go begab fie fid) zu dem
Antiquitätengejchäft Meufingers.
Als die Ladentiir fid) mit geddmpftem
Trillern öffnete, lab fie aus ber halbduntlen
Ede zwei grünliche Augen jchillern. Eine
Meine Geftalt erhob fid) rajd und fragte
Dienernd nad) ihren Wünjchen. Gleichzeitig
flammte Licht auf. Sobald es hell gewors
ben war, erkannte Klaus bie Eingetretene.
Bor ihrer Penfionszeit war er Annie einige
Male begegnet, und fie Hatte für [einen
tiefen Gruß mit dem kurzen Niden gedantt,
mit dem eine junge Dame den Bruß eines
Ladenlehrlings erwidert.
„SH babe ba ein paar engli[dje Gtiche,
die ich verfaufen möchte,” fagte fie, ihren
Worten unwillfürlich ben breiten englijden
Akzent gebend.
Er öffnete bie Papierhiille und betrad.
tete ftumm die Blätter. Wenn [te echt waren,
bejaßen fie hohen Wert. Auf weilen Beran:
lajjung fam Annie? Hatte ihr Vater fie ges
ſchickt?
„Was wollen Sie bezahlen?”
"Es iit bei uns Ujus, daß der Verkäufer
ein Angebot madjt" antwortete er aus:
weidjend. „Wie viel verlangen Sie?”
„Bott, id) babe feine Ahnung.“
Aljo verfaufte [ie bte Stiche ohne Wilfen
ihres Baters. „Da mein Pringipal nicht
zu Haus ift, tónnte id) Ihnen einftweilen
nur eine Anzahlung geben.”
„But. Wie viel?”
Summen flogen ihm burd den Kopf,
große und fleine. Es war immerhin mige
lid), daß fie die Stiche in England gefauft
hatte, und dann waren es vermutlich Res
produftionen. Aber dann würde fie aud)
den Preis willen.
Er beobachtete Annie, bie auf einem Stuhl
Blak genommen hatte und, den Ellbogen
auf bie Kehne geftiigt, bie andere Hand in
ihrem großen Wluff ruben Iajjenb, gleidh
mütig und aufmerffam die in einem Glass
ſchrank aufgejtellten Porgellane betrachtete.
Mie eine edle Stulptur erhob fid ihr
leicht bejchattetes bleiches Profil über dem
dunklen Cfunts. Was für ein [Hónes Mäd«
den! Die [Mónfte und elegantefte der gan:
zen Stadt. Und — hatte vielleicht gejtob:
let... Taumel ergriff thn. „Die Stiche
maden einen guten Ginbrud, Aber die Fäl:
Ihungen find heutzutage fo raffiniert, dab
id) fie erft genau unterjuchen müßte.“
„Die Stiche find echt. Darauf können Gie
lich verlajjen.”
„So ...? Willen Sie bas genau?”
Er zögerte, als tónnte er ijr eine bloß»
ftelende Antwort herausloden. Aber fie
Ihwieg mit Dodymiütig ungeduldiger Miene.
Schließlich nannte er eine Heine Summe,
die er als Anzahlung vorihlug Es war
weniger, als Annie erwartet hatte, aber das
Geld genügte für ihre augenblidlichen Bes
92*
332 seess SE Wilhelm Hegeler: B2323323%332332333322
diirfniffe. Überdies fand fie die Situation
immer peinlicher.
„Ich dente, Herr Meufinger wird natiir:
lih erheblich mehr bezahlen,“ fügte er hinzu.
„Berzeihen Sie einen Augenblid!“
Er ging in bie Werfitatt zu Búger bin:
über und bat diejen, ihm die erforderliche
Summe bis morgen zu leihen. Böger holte
bas Geld aus feinem Bruftbeutel hervor,
das Annie, ohne nachzuzählen, rajh in ihren
Muff dob. Sie wollte [Hon gehn, als Klaus
gejchmeidig, mit taum mertlidjer Schaden»
freude fagte: „Darf id) Cie mod) bitten,
gnädiges Fräulein, mir zu bejcheinigen, daß
die Stiche Ihr Eigentum find. Das wird
bet uns jo gehandhabt. Es ift natürlich nur
eine Formſache.“
Sie [hien unangenehm berührt, erwiderte
nad) furgem Zögern aber fühl: „Natürlich!“
und ftreifte ihren Sanb[d)ub herunter. Wäh—
rend fie nach feinem Diktat die Erklärung
nieber|d)rieb, fam ein wenig Tinte an ihren
Singer, bie er, in übertriebenen Ausdrüden
wegen des unfauberen Halters fid) entſchul⸗
bigenb, mit einem Ctüddjen Löſchblatt ab:
tupfte. Dabei rette er einen flüchtigen
Augenblid die fühle Snnenfládje ihrer Hand.
Als er dann das Blatt las, färbte fein
eben erblaßtes Geficht fih, und er neigte bie
Stirn tiefer. Annie dachte [hon ärgerlich,
jie hatte orthographijdhe Fehler gemadjt. Da
bob er den Kopf, thre Augen begegneten
fih ... unter der Flut böjer Empfindungen,
bie in ihm aufichoß, war aud ein wenig
Mitleid. Und vielleicht war es bieles, wel:
des ibn veranlaßte, das Papier rajh in
Heine Stüde zu zerreißen.
Annie ließ hHodmiitig ihre Augen an ihm
binuntergleiten, aber burd) die eistühle Helle
ihres Blides fidterte bod) ein wenig Ber:
wirrung und Furcht.
„Was machen Sie?”
„Dan fónnte Ihre Schrift erfennen unb
fehen, daß Ihre Unterjchrift gefälfcht ijt. —
Sd) habe nämlich die Ehre, Sie zu tennen,
gnädiges Fräulein. Gie werden fid) meiner
nicht mehr erinnern?”
"3d wüßte nicht —
„Wie follten Sie aud)? Ich war damals
nod) ein kleiner Junge, und aud) Gie waren
ein Rind. Klaus Ebenjtod —
„Der find Cie?"
Und im 9[ugenblid fiel ihr wieder der
Sunge ein, ber auf den Händen berun::
ipaziert war unb feine Unterhojen angehabt
hatte, der fid) |o vordrángte und den fie
immer fo gebánjelt hatten. An feinen blaps
grünen Augen erfonnte fie ihn wieder.
Uber fonft hatte er fid) jehr herausqemadt.
Der ſcharf umrijfene Mund, die gejdwun: .
gene Wangenlinie mit bem [pig vorfpringen»
den Kinn gaben feinem Geficht einen ener:
gilh fübnen Zug. Und [ie erinnerte fih
jebt auch, bap ihre Eltern oder Hans davon
gefproden hatten, er fei bet Meufinger un»
tergebradjt. Mein Gott, wenn Hans durd
ihn von diejem Handel erfuhr!
„Ja, ber bin ih. Darf id) fragen, gna:
diges Fraulein, wie es Ihnen in diejer lan»
gen Zeit ergangen ift? \Gie waren bas
legte Jahr in England?” ~
„sn Brighton. Ja.”
Ihre Ungeduld, ben Saber au verlajjen,
wurde immer brángenber.
„Ihren Herrn Bruder habe ich nod einige
Male getroffen. Er ftudiert augenblidlid.
Nicht wahr?“
Was fiel diejem Kommis eigentlich |ein?
Wollte er etwa die Belanntichaft ernenern?
Dow immerhin gab fie ibm turze, ver
Antwort.
„sch werde ja das Blüd, daß ich in Ihrem
Haufe verfehren durfte, nie vergefjen,” fuhr
er fort. „Es ift nicht nur eine ſchöne Er:
innerung. Es ijt auch eine ſchmerzliche —“
Annie hatte ſchon ihren Muff ergriffen.
Aber irgend etwas in feiner Stimme ließ fie
aufhorden. Und er jprad) aufgeregt weiter:
„Wenn man einmal dort — in dem Kreije,
in dem Gie leben, jein durfte, bann wird
man bie Sehnſucht banad) nicht wieder los.
Dann bat man ein Ziel. — Und wenn’s
einem auch jchlecht geht, wenn man auf alles
verzichten muß, was im Leben lodt — man
tft gewiß oft ungliidlid — aber man ift es
mit dem Willen, das Glüd dennod eines
Tages zu erzwingen. — — QGlüngenbere
Stunden werden folgen! Ift das nicht ein
englijhes Sprihwort? Menigítens jab ich
es mal auf englijd) in einen Ring eingeribt.
IH babe es zu meinem Wahljpruch gemadt.
3d) babe die fejte Überzeung, weil ich den
feften Willen habe, dak id) mich in bie Höhe
arbeite, Und Diejen Willen, den verdante
id) dem Umgang in Ihrem Haus. Daran
werde ich mich immer erinnern.“
Warum entfuhr ibm das nur alles? Mit
folder Haft, mit folder Aufdringlichkeit ?
alt wie eine auswendig gelernte Rede.
Ihr fam der Herzenserguß biefes Kommis
ein bißchen fomijd) vor. Doch immerhin lag
aud) etwas Schmeidhelhaftes darin, fogar
etwas Riihrendes. Gie wollte ihm antwor:
ten, eine zugleich freundliche und jehr mon:
Dane Antwort, eine Antwort ganz im Stil
der großen Dame. Da ihr aber nicht gleich
etwas einfiel, jab fie ihn nur einige Gefun:
ten lang mit leicht geöffneten Lippen, groß
und regungslos an, ganz ‚ein aus Dem
Rahmen geitiegenes Porträt von (ains:
EE
borough’. Dann jagte fie: „Aber Sie fons
nen bod) zufrieden fein. Sch dente mir
Shren Beruf febr interejjant.“
„WBenigftens ijt man nit von häßlichen
Dingen umgeben. — Und daß er aud) feine
glüdlichen Augenblide hat, beweijt ja bieler,"
fuhr er, fic) ungejdidt verbeugend, fort.
„Sch wäre ftolz, wenn id) Ihnen in Zufunft
mit irgend etwas dienen lónnte.”
„Wenn bas ber Fall ift, werde id) gern
Gebraud davon madden.”
„Darf id) fragen, wann Gie wiedertom:
men? Mielleicht ziehen Sie es vor, den Ber:
fanf der Stiche mit mir abzujchließen. Wenn
Cie morgen nachmittag um dieje Zeit —"
„Schön. Sch mill jehen, ob ich Zeit habe.
Morgen oder übermorgen.“
‚Warum mußte ich auch gerade biejen Men
[den treffen?‘ dachte Annie, als fie draußen
war. ‚Wenn er nur nicht alles weiterer»
zählt! Ladenjiinglinge find immer fo ents
leblid) ſchwatzhaft.
Sie ging eilig in die Konditorei und bes
zahlte ihre Rechnung. Es blieb ihr Geld
genug übrig, um ein Theaterbillett zu faufen.
Aber die Luft war ihr vergangen. Was fie
getan hatte, befam ein immer jchwereres
Bewidht. Ihre aufgeregte Phantalie quälte
fie mit abenteuerlichen Vorftelungen. Wenn
ihr Bater ploblid) die Stiche ſuchte ... fie
wurden nicht gefunden, der Verdacht fiel
auf bie Dienftboten, Unjduldige mußten für
fie leiden... Oder Ebenftod ſchwätzte alles
berum, Gerüchte liefen über fie durch bie
Stadt, Hans erfuhr davon, forderte einen
ber Schwätzer, duellierte fid) für ihre Uns
[djulb, und fie, bie Schuldige ...
Wenn fie jebt einem Bettler begegnet
wäre, hätte fie ihm den Reft bes Geldes ges
ſchenlt. Im Schaufeniter eines Blumenladens
gewahrte fie Rofen. Sie wollte [djon eins
treten, um ihrem Bater einen Strauß zu
taufen, bebadjte aber, daß dieſe „Verſchwen—
dung“ nur eine neue Szene mit ihrer Mut»
ter hervorrufen würde.
Bu Haus fand [te ihren Bater matt und
gequält auf feinem Sofa liegen.
„SH Hatte vorhin — 5 Uhr 90 — wies
ber einen Anfall. Ad), es ijt [fon infam.
Entweder man bat Schmerzen oder man
lauert darauf. — Rannft mir die Zeitung
vorlejen.“
Annie begann mit monotoner Stimme zu
lejen: „Aus bem Wetterwintel des Baltan.”
B8 88
Klaus nahm die Ctidje zu Biger þin:
über und die beiden unterjuchten fie auf ihre
Echtheit, forjd)ten mit der Lupe nad) vers
büdjtigen Wajlerzeichen, befeuchteten das
Papier, um gu jehen, ob es túnftlid gebräunt
Zwei Freunde see) 333
fet. Aber nichts, was auf eine Nachbildung
Ichließen ließ, war zu entdeden. aus war
ohnehin von ihrer Echtheit überzeugt. Die
Ctide entftammten der Sammlung des
SBrofejjors, und [eine Tochter hatte fie geftob»
len. Es lag etwas beraujdjenb Aufregendes
in diejer Borftelung, bie er durMtoften und
immer wieder durchloften, beren Iebtes Bójes
er ausjchlürfen mußte mit übertreibender
Gier. Er badjte an das palaftartige Haus
mit feinen weitläufigen Gejelljdaftsraumen,
feinen Kunſtſchätzen und Wltertümern, mit
all dem Luxus, der thm damals als das
Höchfte erichienen war, was ein Menjch in
phantaftijden Träumen fid) wünſchen tann,
— und in diefem Haufe ging eine Diebin
umber, und es war die eigene Tochter des
Haufes ... Er — er hatte gebungert und
hatte ber Berjuchung widerjtanden, jid) auch
nur ein Stüd Brot anzueignen. Hundert:
mal hätte er bei ben Berfäufen einen Profit
für feine eigene Taſche machen Tonnen,
Meufinger hätte nie etwas gemertt, Aber
er batte lieber auf alle Bergniigungen ver:
zichtet und wie ein Hund gelebt. Gie aber
— ohne viel Bedenten wabhrideinlid, nur
um eine Laune zu befriedigen, hatte fie dies
Verbrechen begangen!
Ihm war zumute, als wenn fid) plöglich eine
Kluft geſchloſſen hatte, die ihn von bieler mit
Ehrfurdht, Neid und Sehnjudt angeftaunten
Ralte trennte, als wäre Annie zu ihm hinun:
tergeftiegen und ihm irgendwie verbunden.
Er ging mit fid) zurate, was mit den
Stichen zu geldjeben hatte. Solte er fie fei-
nem Brotherrn überlajfen ober für eigene
Rechnung faufen, um fie bei günftiger Ge-
legenheit mit Gewinn wieder zu verlaufen?
Mit gequálter Miene jchritt er auf und
ab, bald ftehen bleibend und finfter vor fid)
binftarrend, bald höhniſch auflahend — im
3wiejpalt mit fih jeibit.
Er dadte an ben Schwur, den er getan
hatte, fih niemals and) nur die fleinjte Uns
reblidjfeit gujdulden fommen zu laffen.
Er wollte nidjt bas Schidjal feines Vaters
teilen! ... Aber mit der Zeit war ihm aus
feinem Miderftand gegen alle Berjuchungen
etwas wie Stolz erwachſen, und ein Glaube
an feine Sufunjt, eine Art von [tillem Patt
mit dem Schidial: daß, wenn er bé Start
und malellos hielt, bie Borjehung oder was
immer es fein mochte, verpflichtet jei, fein
gabes Ringen mit Erfolg zu trónen.
Debt jedoch jagte er fih, daß es ein fiber:
maß von moralijder Bewiljenhaftigfeit gäbe,
welches einjad) Donquixoterie bedeutete, Er
war ein Narr, wenn er diefe Gelegenheit
nicht ergriff! Er verjcherzte vielleicht für
immer feine Zufunft.
384 PSSS: Wilhelm Hegeler: Bz22323332322333333
Und dann — trog Meufingers Beifpiel
und feinen eigenen Reden über die Verwor:
fenbeit ber Gelelljdjajt war er bisher bod)
immer bes Glaubens gewefen, dak zu einem
Leben in Moblftand und WAnjchen auch die
perjonlide Lauterteit gehörte, daß man fih
mit einem irgendwie erfennbaren Matel bes
baftete, wenn man fih Unredlidfeiten zu»
Ihulden tommen ließ. Nun aber — hatte
er nicht foeben die [Hónften, eleganteften,
weißen Hände gejehen, und es waren Die
einer Diebin und Fälfcherin!
Borwärts! Vorwärts!‘ dadte er. ‚Was
bin id) für ein jchwerfälliger und ftrupel:
belafteter Menſch! Und für wen alle diefe
Bedenken? Für ben Beldjad bieles Schwind-
lers unb Blutjaugers Meufinger.'
Aber trogdem fonnte er eine feindjelige,
ihn quálende Gewalt in feinem Innern niht -
unterdrüden. Dies dumpfe, aufgeregte Un:
behagen war etwas durdaus Stummes, das
über feinerlei Dialeftif verfügte, eine vernunft«
widrige Angft vielmehr, etwas Rächerliches
unb Rindijdes. Aber es ließ ibm teine Rube,
Und auf feiner Lagerftátte, unter ber er die
Stidye verborgen hatte, verbrachte er eine
febr ſchlechte Naht. Erft als er zu dem
Entihluß fam, einen Teil bes Erlöfes zur
Unterjtüßung feines Baters zu verwenden,
fand er ein wenig Schlaf.
Um náditen Morgen begab er fid) zu
Frau Botelmann und borgte von ihr, was
er zur Bezahlung der Stiche nötig zu haben
glaubte, mit der Begründung, daß er Dem:
nádjit feinen Bater bejuchen wollte.
Nachmittags wartete er auf Annie. Aber
fie fam weder an diejem, nod) am nadjten
Nachmittag, nod) bie ganze Mode übers
haupt. Monate vergingen. Klaus verſchob
jeine Reife von einer Woche zur anderen.
Es war unfinnig, nod auf Annie zu wars
ten. Entweder hatte fic den ganzen Handel
vergejjen, oder es war ihr peinlich, ihren
Bejud) zu wiederholen. Trokdem bángte
lich bie Ginbilbung an ihn, fie würde gerade
tommen, wenn er weg war. CEndlid) — es
war mittlerweile Sommer geworden — führte
er feinen Entſchluß aus.
In Köln verfaufte er die Stiche an einen
Runjthandler. Der Gewinn bedeutete für
ibn ein fleines Kapital, Bon dort fuhr er
nad dem Marftfleden, in deffen Nähe das
Zudthaus lag. Der mehrere Innenhöfe ums
ſchließende Gebdudefomplex ftach mit feis
nem neuen roten Ziegeldach grell gegen den
blauen Gommerbimmel ab, Bor feiner
Front lag, von ber mit Objtbäumen bejtan»
denen Chauſſee getrennt, ein weites Erbjen:
feld, in deffen grünem Gtrauchwerk einige
Gefangene unter Aufjiht eines Beamten
mit Piliiden bejchäftigt waren. Rlaus, ber
fid) vorher angemeldet hatte, wurde von
dem Beamten in einen mit vergitterten
yenftern verjehenen Raum geführt, an
deffen weiß getiindten Wänden einige Bibel-
jpriide und Abbildungen hingen, welde
bie |djiblidjen Folgen bes Altoholgenujjes
verfinnbildlidten. Mad einiger Zeit fam
ber Beamte wieder und führte einen alten,
gebiidten Mann herein, in braunen Gtráfs
[ingstleibern, mit bartlojem, badjteinfarbe«
nem Gefidt und furgem, ſchlohweißem Haar,
ber langjam den Kopf hob und Iden gegen
das Licht zu blinzeln jchien.
Klaus warf einen fragenden Blid auf:
den Beamten, fagte: „Guten Tag, Bater!”
und legte feine Hand in bie grobe, [djmere
diejes fremden Mannes.
„Willſt bu bid) nicht leben ?" fragte er
dann und zog einen Stuhl unter dem Tilh
hervor.
„Na, ich dente, id) tann euch allein lafe
jen,“ fagte ber Beamte. „So nad) einer
Stunde fomme ich wieder.“
Damit ging er, und Klaus hörte, wie er
die Tür Hinter fid) abjdjlop. Als fie allein
waren, ging er auf feinen Bater zu und
Hopfte ihm zaghaft auf bie Schulter.
„Mein lieber Bater. — Nun but du bald
wieder ein freier Dann. Wie lange ijt
das her, dak wir uns nicht gejehen haben!”
„Ja. — Gebr lange.”
Und Klaus empfand Jchwer und duntel
den Vorwurf, der in diefen Worten lag.
Ein einziges Mal batte er nad) feines Baters
Verurteilung dieſen bejudt. Geitdem nicht
wieder. Warum war er nicht [hon früher
getommen? Er hätte es móglidj machen
tónnen, wenn er nur gewollt hätte.
Mit ungemijem Blid aus den eingejuns
tenen Augen fah Ebenjtod feinen Sohn an.
„Ih tann dich gar nicht erfennen. Meine
Augen find recht jchledyt geworden, — Wie
groß du geworden bift.”
‚Und wie Hein du geworden bijt!‘ dachte
Klaus. Das war das Befremdendfte unb
Erſchütterndſte: er hatte feinen Vater als
einen aujfredjten, majfigen Mann in Erin
nerung, und vor ihm ftand diefe einge»
idrumpfte, gebeugte und gleichjam in Die
Erde gewadjene Geftalt.
Er nótigte ihn wieder zum GCiben, und
während Ebenftod mit feiner plumpen und
dod jo nervöjen Hand über bie Tijchplatte
wijdte und fingerte, als wenn er etwas aer»
triimelte, begann Klaus von fih zu erzählen,
von feiner erften Stellung und feiner jebiger,
daß bie Lehrzeit bald vorüber jet unb er
hoffe, Gehalt zu befommen. Und daß es
ibm im ganzen gar nicht jchlecht gegangen
EE TEE
fei. Und bann jprad) er mit ftodenden
Worten von ber ſchweren Zeit, bie ber Vater
durchgemacht habe und daß jebt Hoffentlich
bejjere Tage fümen.
Der fremde alte Mann, in deffen Gefidts:
zügen die Augen des Sohnes unruhig ford):
ten, hörte, in fih verjunfen, zu, ohne etwas
zu erwidern. Da feine Antwort fam, be:
gann Klaus wiederum von fid) zu fpreden.
Und wußte endlich nicht mehr, was er fagen
folte. Es entftanden Moulen, Er blidte
auf die runde Uhr an der Wand. Wie auf:
regend das langiame Tiden Hang! Wie
endlos fich eine Stunde debnte, wenn man
fic nidts zu [agen Hatte! Und [djlieplItd)
[dob er feinem Bater die Kifte Zigarren
bin und holte aus feiner Brieftafche einige
gujammengefaltete Scheine.
„Da. Das habe id) bir mitgebracht.“
„Dante,“ fagte Ebenftod, deffen Hände
mit fcheuer Haft von ber Tijchplatte ver:
Ihwunden waren.
„Zigarren, Water.
wig noch gern."
„Nein!“ — Er foiittelte erichroden den
Kopf. Und fügte Iden Hinzu: „Seitdem
nit mehr. — Nur manchmal ‘im Traum.
Aber dann |pringe id) auf und jchreie Feuer.
— 3h will bie Rijte dem Herrn Aufjeher
ichenten. Er hat mir erlaubt, daß id) cine
Topfroje in der Zelle habe.”
„Dann nimm. die paar Mart, Bater.
Sd) ... babe fie mir nebenbei verdient.“
„Sch brauch’s nicht. 3d) hab’ mir jelbit
ein bißchen gefpart. Du brongt das Geld
nötiger als id.“ Und Klaus fah plóslid;,
wie auf den harten, rijligen Wangen Tränen
hingen, gerade als wenn bie borfige Rinde
eines Baumes Sarztropfen ausjchwibte,
Und während der Alte die Hand des Sohnes
driidte und ftreichelte, fagte er: „Daß du
doch nod gefommen bift! Ich dadte, du
wollteft nichts mehr wiſſen von deinem Vater
im Zuchthaus.“
„Wie fonnte[t du das nur denten! Ich
wollte doch immer tommen. Aber es ging
immer nicht.“
„Und ich Bab's ja auch nicht um bid) vers
dient. Sch hatte auch an dich denten miüjjen,
nicht nur an die Mutter.“ Wieder fingerten
die Hände nervös auf ber Tilchplatte. „Aber
bas war bas Schwerite in ber erften Zeit.
Rein Menſch, ber einem ein gutes Mort
jagte. Wenn damals Hans Bofelmann mir
nicht gejchrieben hätte —! Wie gebt's thm?”
„But. Er ftudiert jebt.”
„Seid ihr nod) immer fo gute Freunde?”
„Immer nod.”
„Das ift redjt Halt’ ihn nur feft und
bleib aud) bu thm treu. — Ja — ein guter
Du raucht dod ge:
Zwei Freunde seess 335
Freund ift beffer als ein Bruder. Damals,
als Agnes frant war und ich [o in Not
ftedte, habe ich an Ontel Frig gejchrieben.
Er jollte fommen und mir helfen. Einen
Brief, daß jid) ein Hund hatte erbarmen
müfjen. Aber er [djrieb mir wieder: ‚Ich
habe Dir ja immer gejagt, Du follteft Agnes
nicht Heiraten, nun fiebft Ouer Und fam
nicht. — Da dacht' ich, mit dem Brief [ted]t
bi's Haus an, dann muß es bod) brennen."
Geine Gtimme hatte ein wenig erregter
gelungen, die müden Augen hatte ein zorni»
ger Schein erleuchtet. Nun machte er eine
unbejtimmte Bewegung. „Ach — wer tann
den andern ins Herz guden! Mielleicht bat
er’s in jeiner Art gut gemeint. Und id) bin
der legte, der über andere urteilen darf.“
Er verfiel wieder in Schweigen; man hätte
denten fónnen, er träume in halber Gedan:
tenlofigteit vor fih hin, wenn nicht dies un:
ruhige Rriimmen und Winden jeiner Finger
gewejen wäre. Endlich erhob er den Kopf
und fagte, die Worte jchwer vor fid) ber
Ichiebend: „Erzähl! mir — was du nod)
von der Mutter gehört haft.”
„Sch [drieb ja, id) wollte fie bejuchen,
aber es ging beim beiten Willen nit. Ich
fonnte nicht fort.”
„Wie ijt fie denn geftorben? Gie Dat
wohl einen jebr ſchweren Tod gehabt?”
„Nein, die Schwefter jchrieb, daß fte ganz
janft eingejchlafen tjt."
„Das |dreiben fie immer. — Einen leich:
ten Tod! Und Hört, daß ihr Mann ein
Brandftifter ift.”
„Sie Dote ja gar nicht mehr erfahren.“
„zu ihrem Begräbnis warft du nicht?“
„Nein. Es ging wirklich nicht.“
„Und fpáter. Haft bu ihr Grab gejehn?
SBeiBt bu, ob es auch gut gepflegt ift?”
„3% konnte bie weite Reife noch nicht
machen. Aber jet, wenn id) etwas freier
bin, will ih ihr Grab bejuchen. — Wir
fahren gujammen, Bater.”
„Ich nicht. Ich bleibe hier. — Und wenn
meine Zeit herum ift, dann bejorgt mir der
Herr Oberinfpeftor eine Stellung als Lands
arbeiter auf einem Gut bier in der Mabe.
Da bin idj unter Auffiht unb habe Ruhe
vor ben Leuten.“
„Kannft bu nicht was Belleres finden,
Bater? Landarbeiter — bift du dafür nicht
gu ſchade?“
„Nein, nein, die Herren meinen es jehr
gut mit mir. ch hab’ niht gelernt, wie
man das Leben richtig angreifen muß. Und
lern’s aud) nicht mehr. Wils gar nicht
lernen. — Du forgft am beiten allein für
bid. Sch wäre bir nur eine Laft, Und
deine arme Mutter ijf tot. — — Du glaubit,
838 ESSSSesesesessessese] Wilhelm Hegeler: BS222222232223229
fte bat nicht erfahren, was id Schlechtes
getan habe?“
„Sicher nicht.“
„Sch babe ja meine [chwere Strafe dafür
befommen. Die Herren [agen es alle, aud)
der Herr Pfarrer, die Strafe wäre [febr
Ihwer. Aber bas Schwerfte war, daß deine
gute Mutter ftarb, und ich nicht bei ihr fein
fonnte, — Ja, bejuche ibr Grab. Und laß
es gut pflegen. Laß ein paar Federnelken
drauf pflanzen. Die hatte fie fo gern. Gie
find nicht teuer. — Ich hätte nod) eine Bitte,“
nya, Bater 2“
„Wer bier ftirbt, ber fommt in die Uni
verjität. In bie medizinijchen Hörjäle. Die
Herren Studenten maden ihre Experimente
an feinem Körper. — Sd) möchte bei deiner
Mutter begraben fein. Willſt bu dafür
jorgen ?"
„Ich veriprech’ dirs. Deber, Bater, fo
weit find wir bod) nod nicht.“
nv wollte, es wäre erft [o weit. Segt,
wo ich fiber bin, daß mir ber Wunſch ers
füllt wird, will id) gern fterben. — Wer
weiß — unmöglich ift es ja nicht, daß es
wahr ijt, was der Pfarrer jagt. IH dente
mandmal, es gibt jo viel Sterne, warum
jollten bie alle leer fein? Warum Jollte es
nicht einen geben, wo das Leben leichter
it? — Und mens aud nidjt wahr ijt.
Wenn id) nur ftill bei deiner Mutter liege,
dann bin ich glüdlid) und zufrieden. Vers
Iprichft du mirs?”
„Ja, Bater, bu fann[t dich feft drauf vers
laffen.”
Des Alten Hand lag nun in bejänftigter
Ruhe regungslos auf dem Tilh. Mad
langem Schweigen fagte er: „Ich träume
mandmal von deiner Mutter. Gie ijt bei
meinem Bater in der Gärtnerei. Sd) tomme
unb bringe ihr Blumen. Uber wenn i$
näher tomme, ijt fie verjhwunden, und ich
febe nur noch die Blumen. Wud) auf dem
gelb ift fie manchmal. Da draußen an ber
Butsgrenze ftehen zwei Birken, die leuchten
jo weiß. Und hinter der einen fehe id) fie.
Immer will [ie mir was Jagen. Aber gerade,
wenn ich dente, jebt wird fics fagen, ift fie
meg. — Aber einmal werde id)s dod er:
fahren, bier oder anderwärts.“
Er blidte auf, und aus dem harten Ges
fidt mit ben wie verfteinerten Rungeln
Ihimmerten die Augen gleich jehnjüchtigen
Nidtern aus dunklen Tiefen, während er
durch bas vergitterte Fenfter fah in die ab:
grundtiefe Ferne bes Jommerlichen Himmels.
Und es war ein feltjames Gefühl für Klaus,
der ergriffen diefe [tille Sehnſucht feines
Baters mitempfand und zugleich wie ein
dumpfes Grollen unb Brodeln das duntle,
irdijde Wünfchen in feiner eigenen gefpannten
und unrubigen Bruft [pürte.
B8 CH | e
Hans fah im EBzimmer am offenen Fenfter,
und fein Profil, unter bejjen gebräunter,
junger Männlichkeit feine Mutter immer
nod) die zarten Züge des Rnaben und dann
aud) wieder die |o viel ernfteren feines per:
ftorbenen Maters wiederertannte, bob fich
von dem Blättergrün und der Bliitenbuntheit
auf bem Fenjterbrett ab. Der fonnendurd:
wärmte Wind hajdte dann unb wann ben
Raud feiner Zigarette und trug ein Wölkchen
zu feiner Diutter bin, bie am Eßtiſch ftand
unb nad) alter Gewohnheit bas Frühſtücks-
gefdirr in zwei chinefiihen Ladjdalen voll
heißen und falten Wafjers abwujb$. Und
obwohl der Rauh, fo ſchwach und verwebt
er war, [ie ein wenig im Hals tigelte und
ihr feineswegs wobltat, freute fie fic) bod)
daran, da er von ihrem Sohn fam. Wie
lange war es ber, daß fein Tabalsgerud
oder jonjt ein Zeichen feines Dafeins dies
Zimmer erfüllt hatte! Über ein Jahr hatte
jie ihren Jungen nicht gejehen, zu bem bod)
tagtäglich ihre Gebanten gingen, modte er
jelbft jcheinbar fie auch manchmal vergeffen
haben. Aus feinen Briefen, die nicht häufig,
aber immer lebendig und aufridtig waren,
bald voller ÜUberſchwang und mit ausführ:
lihen Erzählungen gefüllt, bald von viels
fagender Kürze, batte fie ein teilnehmendes
Willen von feinem Leben gehabt. Manches
batte er gejchrieben, was er vielleicht miind=
lid) nicht ausgelprodjen hätte, und dennod
batte eben bie ?Befrüjtigung feiner Gegen:
wart gefehlt, bie ihre Gorge be[d)widjtigt,
ihre Hoffnungen vergewijjert hätte, unb fie
batte unter der langen Trennung mehr ges
litten, als fie ihm eingejtanden. Nun mar
er wieder da, fie war feiner teilbaftig und
wußte, daß er berje[be geblieben war, als
der er fortgegangen, trog mancher Torheiten
und Jugendftreife und eines erichredenden
Mangels an Ordnungsfinn in bezug auf
jeine Geldwirtjchaft, dDerentwegen der Bors
mund [Hon verjdiedene Male bie Bitte an
fie gerichtet batte, ihn ernftlid) gu ermahnen.
Cie hatte es getan, jedod) auf ihre gutmütig
mütterliche Art, bie in gelegentlidjem Leicht«
jinn nod) fein Verbrechen jah, und nun freute
fie fih, daß fie thm ihr Vertrauen bewahrt
hatte. Hans jab ben jchönen, faft männlich
ausdrudsvollen Händen feiner Mutter zu,
bie nun fon ein wenig zittrig, dennoch mit
ſolcher Behutjamleit bas feine, durchſcheinende
Porzellan berührten, und fagte: „Die lieben
alten Tajjen! Die find bod) Her fo alt
wie Du.”
„Wenn nicht noch älter! Die waren {don
Bildnis
Gemälde von Alexander Makowsky
Ee BZwei Freunde ses 337
in meinem elterliden Haus im Gebraud.
Meine Mutter hat fie auch immer felbft ges
malden. Darum haben fie fih fo gut ge:
halten.“
„Sch erinnere mid) nod): als Heiner Bengel
wollte id) nur aus diejen Tafjen trinten. —
Gott, ja, woran hat man fid) feitdem alles
gewöhnen miijjen!“
„Ich dente, das ift in mancher Beziehung
aud) ganz gut.“ `
„Sch weiß nicht recht,“ erwiderte er, fid)
erhebend, „fih an bas Mindere gewöhnen,
mit dem Schlechteren vorliebnehmen — ob
das gut ijt.“
„Aber fid) abzubárten und ih seges.
wenn’s nicht anders geht —
„Wenn’s nicht anders geht! Uber wie
oft fdraubt man feine 9In|prüd)e herunter `
und wird genügfam — aus Bequemlichkeit.“
„Sp mein’ ich’s freilich nicht. — Du wirft
erftaunt fein," fuhr Frau Botelmann nad
einer Weile fort, „wie Klaus fid) entwickelt
bat. Er ift ja faft zu ernft für fein Alter,
aber was ift er für ein energijcher und ziel«
bewußter Menich.“
„Wenn ich ein Schidfal gehabt hatte wie
er, dann hätte ich auch ein Ziel. Er mit
feinem Unglüd hat’s in mander Beziehung
leichter als id) und mancher andere, bie fih
ihr Biel erft ſuchen müſſen.“
„Blaubft du nicht, daß jeder Menſch fein
Biel in fid) felbft bat?"
9Bielleidjt. Nur ift ber Befig und das
Willen um Ddiejen Befitz fehr zweierlei. —
Syd fonnte mir denten, daß ich mein ganzes
Leben fo Bin|djlenberte, ohne überhaupt je
ein Ziel zu finden.”
Er war vor ihr [teben geblieben, die Arme
ausbreitend und fallen laffend, und diefe eine
Bewegung rief wie eine bibldnelle Viſion
die Erinnerung an ihren ver[torbenen Mann
in ihr wad.
„Bott bewahre,“ erwiderte fie erjchroden
und legte die Taffe aus der zitternden Hand.
„Das wäre ja jchredlih, du, — ein Bum:
melant wirft du doch nicht werden.“
„Ah, bab’ nur feine Angſt!“ verfegte er
einlenfenb. „Ich werde mich jchon zurecht:
finden — ¡Hon bir zuliebe. Und ein bißchen
Familienftolg babe ich fchließlih aud. Es
fommen mir nur manchmal joldje Zweifel.
Sch werde [hon nod) werden — fo... was
man einen ganz pflichttreuen und gewilfens
baften SDten|djen nennt."
„Ja, pflichttreu —" wiederholte feine Mut:
ter, dem leijen Beitlang von Hohn in feinen
legten Worten überbórenb. „Wie oft bat
dein Bater bas gelagt, wenn er übermüdet
aus bem Minijterium fam: man muß fih
tróften, daß man feine Pflicht erfüllt.“
Uber es war nicht biefe, es war eine ganz
andere Erinnerung, bie fie mit erjchütternder
Gewalt ergriffen und die hohe, aber wie
bald [fon von ber Wühlarbeit der Krant.
beit gebeugte Geftalt ihres Mannes vor ihr
hatte erftehn Iajjen. Sie fah die Bewegung
feiner Arme, diefe Gejte eines 3ufjammens
bredenden, fein Ladeln voll herzzerreißender
Traurigfeit, bas bie Maste eines gujammens
gefaBten Ernftes von feinem Gefidt gewilcht
batte, und hörte die Morte: „Ich mag nicht
mehr und ich tann nicht mehr. 3d gebe
faputt in diefer Tretmiible.”
Und er war darin kaputt gegangen.
Uber fie wollte fic) nicht erjchreden laffen
von bieler Erinnerung, jest nad) [o langen
Jahren, mitten im Morgenjonnenglang,
mitten im Gliid des endlich beimgetebrten
Sohnes. Gie drängte fie zurüd als Schwarz»
feherei und übertriebene Gorge gleich ber,
bie fie um feine Gejundheit gehabt hatte.
Hans hatte feinen alten Pla wieder
eingenommen und, zum Fenfter Hinaus.
blidenb, fagte er: „Mutter, die Birnen müjjen
bod) nun reif fein.“
„Freilich. Beim legten Gewitter find fie
Ihon majjenbaft in Jtadjbars Garten ges
fallen.”
„I, bas wäre bod) des Teufels! Da werde
ich gleich mal binauftlettern und fie holen.
Kommft du mit?“
„Beh nur, ich tomme gleich nad.“
„Nein, ich helfe dir... Erinnerft du dich
nod, wie oft ich bas als Kind getan?“
Er nahm eine Taffe und das Handtud).
Seine Mutter fagte lächelnd: „Nimm nur
den Henkel in acht!“
„Ja, Mutter, ja! Ad, wie oft haft du
auch damals das gejagt. Aber habe ich je
eine Taffe gerbroden? Ich bin bod) immer
bü bid fein und bebutjam damit umgegangen.“
„Ja, das muß id) an dir loben.“
‚Und hab’ bod) [djon Jo mandes zerbrochen,
vergeudet, verloren,‘ badjte er.
Pfeifend, den Korb und den Pflüder, die
er nod) an ihrem alten Pla gefunden, in
der Hand, feine Mutter am Arm, [Hlenderte
er dann in den Garten und begrüßte mit
MWiederjehenslächeln feinen alten Freund, den
Birnbaum. Nun brauchte er nicht erft bie
Mauer zu erfteigen — ein Sprung, und er
hatte bie Gabelung umflammert und fid
binaufgefehwungen, und leicht, wie man einen
oftmals begangenen Weg zurüdlegt, fletterte
er von Aft zu Aft bis in feinen Lieblingsfiß.
Aber die Hand, bie fid) fchon zum Pflüden
ausftredte, fant hinunter, während er fid,
leicht gewiegt, zurüdlehnte.
Mie [dn war es bier in dem grünen
Haus mit feinen blauen und goldenen
338 ESSSSSSSSSSCSI Wilhelm Hegeler: B33233332323232232324
Himmelsfenftern. Wie ruhig und aud wie
töftlich belebt von Fliegenfummen und fernem
MBogelruf! Wie leicht bie Luft und wie
düftejhwer — und [djmerer nod an Er:
innerungen! Dort jenjeits der Mauer bie
Gärtnerei. Fremde Menſchen gingen dort
umber mit Spaten und Giebfannen. Ge:
ftorben bie feine, fchöne Frau, verdorben
fein alter Syugenb[reunb. Was war aus
ihren Hoffnungen und Plänen geworden!
Leben heißt vom Traum fid) jcheiden ...
wie war thm das nur angewebt, geftern
ſchon, als er fid) nad) dem reich erfüllten
Abend ins Bett legte, mit dem bod) fo töft-
liden Wohlgefühl, wieder daheim zu fein
unter feiner Mutter Sad). Es tónte melan«
djolijd) gag auch heute wieder unter allem
Gonnenglang und allem Heimtehrglüd.
Und wie an einen von ihm Abgelóften
und Fremden badjte er an ben bod) nicht
mehr fleinen, Jondern [fon redt lang auf:
geihoffenen Jungen, der hier auf einem
andern, nod) gar nicht gewadjenen Baum
fi gewiegt und mit verjchwenderijchen
Händen Neichtümer ausgeftreut hatte, als
wären feine Wünjche Wirklidfeiten. Wenn
er etwas vom Leben gelernt hatte, fo war
es Ehrfurht vor jenen einft [o leicht auss
ge[prodjenen Worten, Ehrfurdht und... faft
etwas wie Furcht.
Mar es das? Mar feine bejchwingte
Rraft fo [hnel zu träger Schwere ermattet?
Er lag mit gejhlofjenen Augen und, vom
Mind umlpült, fühlte er wieder die leicht
fiebernde Ungeduld und Hoffnung und
Angft... dies Spiel der lodenden und ¿ers
rinnenden Bilder... die Dunkelheit und
Reere zuleßt... die Dod) nicht nur immer
ganz Dunkelheit und Leere gewejen war,
wenn auh nichts ibm blieb, fein Pfand, feine
Bejtátigung ... als nur dies geftaltlos Bof»
fende Wünjchen.
Während er jo lag und manchmal einen
tiefen Augentrunt aus ber blauen Lichtflut
über ibm tat, und durch feine Geele bie
Träume glitten gleid) den Durchfidtigen,
unendlich fernen Wolfenfloren dort oben,
jah und fühlte er, wie der Baum fih ver:
wandelte, wie er fahl wurde, wie die Säfte
ftiegen im Ddurftigen Holz, die Knofpen
Ihwollen, die Blüten auflprangen ... ber
ganze frühlingsjunge Baum eine einzige,
weißjtrahlende Bliitentrone — wie der Mind
fle bann verwebte, und nichts, fo gut wie
nidis blieb ... von Blättern verftedt,
runglige Refte nur, und bennod)...
Er wiegte fid) und ftredte die Arme aus
und fpielte mit den Früchten, bie prangend
in ſchweren Büſcheln an den Zweigen hingen,
lächelte in dankbar begliidtem Zuverfichts»
gefühl. Sonn Leben nicht auch heißen: feinen
Traum erfüllen ?
Er fletterte nod) ein wenig höher, bis in
die höchſten dite. und fein Auge entbedte
über ben Wipfeln ber S9tadjbargárten bie
beiden leuchtenden Edeltannen im Dewerth=
jhen Garten.
Wo mochte fie in diefem Augenblid fein?
Ob fie feine Nähe abnte? Sie — die er
nie ganz hatte vergefjen können, ber er treu
geblieben war, auch wenn er eine andere
gelüBt batte. Ja, am treueften gerade dann,
ob er wollte oder nit... Nie war fie ihm
jo [din erjchienen, nie hatte bie Sehnjucht
jo an ihm gezerrt wie nad) diejen Stunden,
wenn er fid) batte verlieren wollen unb nie
ganz hatte verlieren Tonnen,
Als ber Zug rollte, und die Räder ftampften,
hurtig polternd unb bod) nicht hurtig genug,
da war fie ihm nab gewejen im blauen
Dämmerlicht des nächtlichen Abteils, auf ben
Bahnhöfen, in der drángenden Menge hatte
er fie gelucht und zu finden geglaubt...
war von ihr belejjen gewejen mit folder
Sehnſucht des Herzens und fold)em Fieber des
Bluts, als tónnte es nur einen Gang geben —
Und nun... Warum webte es aud) jest
leije und fühl und verzagt über fein heißes
Herz? Wares Furdt vor einer Gnttáujdjung ?
Schuldgefühl? Kindiiher Trog, weil fie fo
lange nicht gejchrieben? War es bie Abnuna,
daß teine Erfüllung die fójtfidje Worfreude,
bas unvergleichliche Bild in feinem Innern
erreichen fonnte?
War es nicht bas Natürlichite, daß er
gleich, nod) in diejer Stunde, Annie auf:
juhte? Und bod) bejchloß er, bis zum Nad:
mittag warten, Warum? Warum? Was
war er für ein fonderbarer Menſch!
Als er vom Baum binunterftieg und Dé
zu feiner Mutter auf die Gartenbant febte,
betrachtete diefe erftaunt feinen leeren Korb.
Er antwortete nur, die Birnen hätten da
jo wunderjhön gehangen, daß er fie bem
alten Baum nicht hätte fortnehmen wollen.
Es hätte ja noch bis morgen Zeit.
Rum Mittageſſen war Klaus eingeladen.
Hans hatte mit dem alten Freund ſchon
telephoniert und konnte ſein Kommen kaum
erwarten. Es lag in ſeiner Natur, daß er
mit den Menſchen noch tiefer verwuchs, wenn
er von ihnen getrennt war.
Das Wiederſehen war herzlich. Auch
Klaus freute ſich und äußerte ſein Gefühl
durch ein heiteres, aufgeräumtes Weſen.
Die Gewohnheit, abzuwarten, zu zweifeln
und zu prüfen, dazu der Zwang, ſein Leben
nach einem vielſeitig überlegten Plan ein—
zurichten, hatte ſeinem Gebaren verſchloſſene
Zurückhaltung und auf dieſem Untergrund
SES Zwei Freunde BS2223233323233334 339
fonventionelle Höflichkeit aufgeprägt. Aber
jest gab er fic) fret und heiter.
Die beiden hatten einander viel zu er:
zählen. Bejonders Hans berichtete mit uns
geftümer Lebhaftigleit von München, wo er
die beiden erften, und von Benf, wo er das
legte Gemejter verbradt hatte, und Frau
Bofelmann freúte fid), dağ die Anwejenbeit
des SFreundes fo manches zutage förderte,
was diejer Trennungszeit noch mehr Inhalt
und Leben gab.
Da meldete bas Dienftmädchen, daß eine
Dame im Haus warte. Sie möge nur in
ben Garten tommen, erwiderte Frau Botel»
mann. Und ba tam Annie bie Heine Garten:
treppe hinunter. Und nichts fonnte hübfcher
fein als das erjchrodene Erftaunen auf ihrem
Gejidjt zuerft, als das freudige Aufleuchten
dann, und wie fie ſchließlich beſchämt iiber:
glühte. Klaus war aufgejprungen. Aber Hans
vergaß jelbft bas, fonnte es wohl auch nicht
vor beftigem Serzflopfen und nieberge:
zwungen von den jchweren, ftoBweife ans
drängenden Strömen feines Bluts. Er fah
fie nur an, die ein weißes, ein wenig aus:
geichnittenes Kleid trug, im Gürtel einige
Rofen und auf dem Haar einen breitjchutigen
Strohhut mit einem jchmalen, herunter:
hängenden Geidenband. Er jab fie an und
laujchte der Stimme, die ihm jagte, fie ftehe
ba wie bas Blüd, das gefommen jet, um
feine Furcht vor Enttäujchung zu enttäufchen
unb ibn ob feines Unglaubens zu bejchämen.
Gie ging auf ihn zu und er ihr entgegen.
Co reichten fie jid) bie Hände,
nod) hörte [djon, daß du erwartet wiirdeft.
Aber dak du heute [Hon támit —“
„Bejtern abend bin id) angetommen.”
Sie begrüßte nun Frau Bolelmann. Klaus
wartete gejpannt, wie fie jich ihm gegenüber
benehmen würde. Er verbeugte fid) förmlich,
dod) fie reichte ihm unbefangen die Hand.
Dann febten fih alle und ſchwiegen
einen Augenblid. Annie blidte ein wenig
verlegen vor fid) Hin, nad) junger Mädchen
Art, und wartete, bis Frau Bofelmann das
Wort an fie richtete und fih nad) dem Bes
finden ihres Baters erfundigte.
Es ging thm beffer, fogar überrajchend
gut. Der Sommer hatte fein altes Leiden
zum Stilljtand gebracht, unb jofort waren fein
SLebensmut und feine Arbeitsluft guriidgefehrt.
Er wollte in den nádjjten Tagen nad) Holland
abreijen und erlebte durch feine Ungeduld
[don das ganze Haus in Aufregung. Hans
fagte, er würde ihm gern nod) vorher guten
Tag jagen. Dann müßte er bald fommen.
Sie [pradjen über dies und bas, lauter gleich:
gültige Dinge, Aber jedes Wort und jeder
Blid fagte ihm: was braucht man Briefe,
wenn man einander gewiß it? Ich bid)
vergejjen — wie fannjt du bas nur glauben?
Da fam das Heine Dienftmädchen wieder
und fagte, das Gjjen ftánde auf dem Tijd.
Annie erhob fid) raih. Sie war ja nur auf
einen Augenblid Hinübergeiprungen. Ad),
und hier das Bud! Das hatte fie ja Frau
BVofelmann zurüdbringen wollen.
Hans begleitete fie ins Haus. Und da
auf dem Flur, während er ihr folgte, blieb
jie plößlich ftehn, und gegen die Wand fid
lebnenb, bie eine Hand auf bem Rüden,
indes die [djlanfen Finger der andern mit
ihren rofigen Nägeln fid) um die Rofen in
ihrem Gürtel legten, fragte fie: „Du, Hans —
jaBeft du vorhin nidjt im Birnbaum?"
„Sa. Haft bu mich gejehn?“
Gie antwortete nicht, nur ein Ladeln, uns
jichtbar, aber |pürbar wie ein |üper, inniger
Duft, überhauchte ihr Gejidt.
„Und bift gefommen? O, Annie...“
Bon einer großen Welle feines Blutes
emporgeboben, umjdlang unb füpte er fie.
„Deine Annie!“
Gie bog den Kopf zurüd, fab ihn an und
flüfterte: ,S9Birflid) — deine Annie?“
Der Schritt bes Dienjtmädchens ließ fie
auseinanderfahren. Gie öffnete [d)nell bie
Haustür. Er entrip ber Enteilenden nod)
eine Rofe und ftedte fie in [eine Bruſttaſche.
Dann ging er ins Chgimmer, wo feine
Mutter und Klaus in angelegentlidem Ges
iprád ftanden. Obwohl er gänzlich unbes
fangen tat, wußten die beiden Doch jo genau,
was fih eben zugetragen hatte, als wäre
bie Wand durchlichtig gewejen. Das Kleine
Mädchen hatte eben die Suppenteller abs
genommen und Frau Bofelmann begann
gerade den Braten zu trandieren, als Hans
tat, wie wenn er fein Tajchentuch vermißte,
hinausging unb auf bem Flur mit entglidtem
Lächeln bie Rofe tüpte.
& 8B 88
Es war fpát nadjts. Frau Bofelmann
hatte fih längſt Idioten gelegt. Die beiden
Freunde faken in Hanjens Zimmer, Klaus
in einem bequemen Gejjel am Tijd, auf dem
geleerte Weinfladen ftanden, Hans auf der
Bank des geöffneten Fenjters, wo ber Doppel»
from des Raudjs vieler Zigaretten und ber
feuchten Kühle von draußen fein heißes Gee
fidt um[pülte. Am Himmel domm, von
einem gelblichen Hof umründet, ber blajle
Halbmond. Gleich einem vielgeftaltigen
Delta mit Heinen, weißlich erhellten Geen
unb Tümpeln flofjen die Wolfen aus ber
am Horizont dunkel aufgeftauten Maſſe über
bas Firmament. Als ſchwarze Gewölbe,
aus denen Gilberfunten und Faſſetten aufs
bligten, erhoben fi die Baume in den
340 BSSLSSSSSSSSSS Wilhelm Hegeler:
Garten. Weich, dunkel und lodend gähnte die
Tiefe, und der kühle Luftitrom bajdte Han»
jens Gedanfen und ließ fie vielgeftaltig und
unbe[timmt zerfließen, bis er jid) losriß und
feinen Pla in ber Sofaede wieder einnabm.
Die beiden hatten getrunten und gejprochen,
hatten ihr Inneres nad außen gefehrt und
bervorgeholt, Hans, was ihm zu fragen auf»
gab, und Klaus, was ihn zu [agen gut diintte.
Und nun war es wie cine Antwort auf bejjen
Morte, als Hans fagte: „Um bid) ift mir
nicht bange. Du wirft dein Ziel erreichen,
wenn bu aud) jagft, du batteft nod) gar tein
beftimmtes. Ich glaube, wer in bie Tiefe
fällt und daraus emporfteigt, tommt ſchließ⸗
lid) höher, als wer in mittleren Höhen feine
Straße geht.“
„Vielleicht,“ erwiderte Klaus. „ch dente
manchmal aud, ein gehöriger Fußtritt bes
Schickſals ijt noch niht bie ſchlechteſte Pros
teltion. Aber wenn ich nun mein Ziel er:
reiche unb in die Höhe tomme — in welde
Höhe übrigens, bas ift immer nod) die Frage
— wann wird bas fein? Wenn die jchöniten
Sahre meines Lebens vorbei find. Wer
gibt mir die wieder? Mer ent|djábigt mid)
für bie Zeit, bie ich in der Budite verbradt
habe? Wenn mal die Zeit tommt, wo id)
mich freier regen tann, dann werde id) mir
jagen miiffen: vor zehn, fünfzehn Jahren,
[amos — jet fommt’s post festum. Ja,
du —“ fuhr er erregt, Hans ins Mort
fallend, fort — „du haft gut reden, du mit
deinen Reifen, deinen Abenteuern — gewiß,
bie Zeit vergeht dir nicht weniger jchnell als
mir — aber fpáter haft du deine Erinnes
rungen — und ich, ich babe Hunger und
teine Zähne mehr.“
Gana fo ijt es nidjt. GewiB, ich habe
eine herrliche Zeit gehabt, ich wäre ja uns
dankbar, wenn ich bas leugnen wollte. Aber
Erlebnijfe, Erinnerungen? ... Ich babe bas
Gefühl, die Zeit ift mir dahingeraufcht, id)
weiß nicht wie. Sd) habe bas Gefühl, das
Eigentliche muß bod) tommen. Und in dem,
was mid) zu tiefft bejchäftigt: wer id) bin?
Was meine Beftimmung ijt? — in dem bin
ih um nichts flüger geworden.“
Klaus, noch immer erbittert über das,
was er am Vormittag gelebt zu haben
glaubte, dachte höhniſch: ‚Wer bu bijt? Ein
mit bunten Träumereien fih aufpußender
Gurdjjdjnittsmen|d). Deine 3Bejtimmung —
bu lieber Gott, du wirft [Hon nod) alle bie
bunten Lappen einpaden und wirft werden,
was bein Bater war. Wirft Annie heiraten
und glüdlid) werden ... oder aud) nicht.‘
Hans aber, erregt und bedrángt von diefer
bangen Ungewißheit, bie das Glüd und die
Dual der Jugend ijt, fuhr fort: „Ich möchte
nur eins: mein Leben erfüllt haben. Uber
was ift mein Leben? Was heißt überhaupt:
leben? Wenn ich im Kolleg fike und höre
bie Weisheit bes Profeſſors, diefje Semefters
Juppenweisbeit, dann reißt bie Ungeduld mid)
fort, und id) dente, id) verjdume was. Und
bin id) draußen und babe, was id) will, jo
ijt es auch nicht das Rehte. Was heißt
leben? Gein Leben genieren? Über das
beißt, das Leben um fein Beftes betrügen.
Heißt es, das Leben fliehn und fid) in ein
Merk verjenten? Aber wie tann ich ein Werk
[affer wollen, wenn mid) das Wert nicht
ruft? Hundert Pläne! Wher was id) ge»
ichrieben babe, find ja alles nur Zufalls=
tropfen, nidjts aus dem wirklichen Duell.
Manchmal denfe ih, es wäre gut auch für
mich, ich fame unter die Rader und würde
gefuchtelt und müßte meine Kräfte ¿ujammens
reißen. Manchmal bin id) alles deffen, wot:
um bu mich beneideft, fo leid, fo leid...
Manchmal :iün|dje ich mir alles Elend ber
Welt, denn Hiob ijt ja dod taujendmal
reicher als Salomo.”
Gr |prang auf, erregt und erjchroden,
febte fih wieder ans iyenjter und ftarrte
hinaus und empfand es als eine Heraus:
forderung an das Schidfal, daß er Das eben
erlangte Glüd fortwarf, wie feiner Ober,
brüllig. Konnte das Leben etwas Tieferes
geben als Liebe?
Uber war es der Niederichlag bieler allzu
leicht verjhäumten Zeit, war es bie Gegen:
wirkung ber ungebeuren Blüdsjpannung in
ben lebten Stunden: er fühlte ein jchmerz«
‚lihes Drängen, ein Sehnen, fid) zu verwun«
den, zerriffen, gequält, bebend unter furdjt-
barften Erjchütterungen in der Tiefe zu
liegen, als müßte es in feinem Innern nod)
unerlöfte Kräfte und perjdjlojjene Quellen
geben, bie nad) Kampf und tiefftem Leid
riefen als nad ihren Befteiern.
& Bg 88
Als Hans am nädjften Vormittag Bejud
bei Dewerths machen wollte, öffnete ihm der
alte Diener die Tür und antwortete auf
feine Frage, ob der Herr Profejfor zu |predjen
iei: „Och Gott, nein, Herr Bofelmann, der
ift nicht mehr zu |predjen." Und während
er in ber einen Hand bie [ange ſchwarze
Florichleife, bie er foeben an der Haustür
hatte befeftigen wollen, und mit der andern
feinen gittrigen Untertiefer hielt, fügte er
hinzu: „Der Herr Profejjor ijf heute früh
in die Ewigkeit abgerufen worden. Oh
Gott, Herr Botelmann, Tonnen Gie fid) das
denten? Als ich ibm beim Anzichen Half,
war er nod) fo vergnügt. ‚Auguft,‘ jagt er
zu mir, ‚haft bu aud) die Koffer herunter-
geldafft? Ich reife morgen, am liebften
SSDP Dae >>>
teifte id) heute [djon. 3% fann's vor Un:
geduld taum aushalten. Das wird ’ne Reife,
alter Kerl, ohne Weib und Rind, "ne Reife,
richtig ins Blaue hinein. Ich will mir mal
ganz neue Gegenden ausjuchen.‘ — Und gleich
nah bem Frühltüd hat er angefangen zu
paten und bot mid herumgehett, und id)
habe gejagt: ‚Das ijt nichts für uns, Herr
PBrofeffor. Wir alten Leute miiffen uns Zeit
lajjen.' Wher er Bat gefdimpft und mid
binausgejagt. Und wie ich wieder gelommen
bin, lag er doch mit dem Kopf im Koffer,
und fein Gejidjt war ganz blau. 3d) babe
ihm gleid den Kragen aufgemadt, aber es
war ¡hon zu jpát. Gehirnſchlag, jagt ber
Dottor. Od Gott, och Gott, Herr Botel:
mann, ich badjte mir gleich, bie Eile hat was
Unnatürliches, die bedeutet nichts Gutes.
Und dann bas viele Büden. — Uber nun
muß id die Schleife fejtmadhen. Sd) muß
ja alles allein machen. Die ganze Berant:
wortung liegt auf mir. Auf die gnädige
Frau ijt ja gar fein Verlag. Od Gott...”
Er betreuzigte fith, denn foeben fam der
Priefter mit zwei brennende Meibraudfájjer
Ihwingenden Chortnaben.
Die Zeitungen bradten lange Nachrufe
über ben jo plößlich aus dem Leben Ges
[diebenen, und die Begräbnisfeierlichkeit
wurde mit dem ganzen, feiner Stellung ents
jpredenden Pomp vollzogen. Dann reiften
die Verwandten wieder ab, und das große
Haus lag mit geichlojjenen Feniterläden
tot im Licht ber langen Sommertage.
Aber ehe der Tote noch unter die Erde
gebracht worden war, hatte es in der Familie
erregte Szenen und häßliche Worte gegeben.
Dewerth batte feine Frau zur Univerjalerbin
eingejebt, ohne nähere Angaben über fein
Vermögen zu maden, und Frau Dewerth
erflärte nad langem Drängen, daß ein
nennenswertes Vermögen überhaupt nicht
vorhanden fei. Alle Verſuche, Erfparnijie
zu madjen, waren Dauptjád)lid) durch bie
Anfpriibe der Schwiegerjüöhne vereitelt wor—
den. Das war für dieje und ihre Frauen
ein empfindlicher Schlag. Die Töchter waren
es zuerit, bie bie Würde der Stunde auper
acht ließen und jid) gegenjeitig beichuldigten,
bie Güte ihres Baters mißbraucht zu haben.
Es war das erftemal, daß Annie den Tod
fennen gelernt hatte. Und biejer war ihr
in Jo grauliger Geftalt begegnet, daß er den
Schmerz, der die Geele zerreißt, aus ihren
Tiefen aber auch erlöjende und lindernde
Sräfte ans Bewubtjein trägt, auerjt taum
auftommen ließ, vor ben Krämpfen der
Furcht und Berjiörtheit.
Tod überjchattete bie legte Rrantheits-
zeit jene jchönere Vergangenbeit, als ihr
Zwei Freunde Lessel 341
Bater in feiner vergnügten Kindlichkeit
weniger ihr ftrenger Erzieher als ihr Freund
gewejen war, unb fie härmte jtd) ab, daß
fie ihm feine Liebe mit Kälte und Undant
vergolten hatte. Cin Heiner Vorfall ging
ihr bejonders nahe.
Einen Tag vor jeinem Tode hatte er einen
hübſchen unb äußerſt prattijden Reijebecher
bei ihr entbedt, den fie aus England mit:
gebracht batte, und fie Darum gebeten. Aber
jie batte ihn ihm verweigert, mit der Bes
gründung, daß fie ein Gejd)en! bod) nicht
weiterverjchenten Tonne, Nun fdien ihr
ganzer Mangel an Liebe und Geduld in
diejem einen Berjagen Jemen Ausdrud ge:
finden zu haben, und ba fie es nicht anders
wieder gutmadjen fonnte, überwand fie ihr
Grauen und legte den Becher dem Toten
heimlich in den Garg.
Es war ‚nit Schmerz über verjäumte
Liebe allein, mehr nod) war Furcht babet im
Spiel. Denn nadjts gab es nicht mehr den
freundlichen Bater bes Tageslichts, jondern
die grauenvolle Geftalt, bie fie einen Augen»
blid lang auf dem Boden bes Ateliers aus:
geftredt gejehn Hatte: in dem bläulichroten
Belicht bie aufetnandergewulfteten Lippen,
denen ein wenig Blut entfidert war, das in
dem langen, [chlohweißen Bart eine rote
Spur binterlajjen hatte, und das eine gus
gefniffene Auge, indes bas andere, ¿ntlopen:
haft erweitert und jchielend, ihr nod) nad)
dem Tode bösartige Blide gugumerfen fchien.
Ziele Gejtalt quälte fie nachts gleich einem
Alb und Radegelpenft, umpreßte wie mit
Fäuften ihr Herz, daß in diefem zerquälten
Spiegel alles ein furdtbares Gelicht befam.
Cie war nicht mehr findgläubig genug, um
von ber Beichte Erleichterung zu hoffen. Defto
mehr bedurfte fie eines tróftenden Freundes.
Als Hans fie zum erjtenmal jab, trug fie
ein jchlichtes, in Eile fertig gefauftes Trauers
Heid, und ihr Gelicht Hatte durchlichtige,
fable Tine, deren Schatten niht auf ber
Dberfläche zu liegen, fondern aus der Tiefe
emporzudunteln [djtenen.
Hans drüdte beiden Frauen die Hand,
aber als er bie erjten Worte batte laut wers
den laffen, ging eine Grjdjütterung durch
Annies Geftalt; ohnmadtig, ihren Schmerz
zu verbergen, erhob fie fid) und verließ mit
einem flehentliden Blid auf ibn das Zimmer.
„Sie Bat es nod) jchwerer getroffen als
mid) und Rudi,“ fagte Frau Dewerth, „weil
es fie mitten im Glüd überrajcht bat.“
„Darf id) mit ihr ſprechen?“
„Ja, geben Cie! Berjudhen Gie, fie zu
tröſten.“
Er traf ſie im Flur, als ſie eben in den
Garten hinaustreten wollte. Sih umwen:
349 ESSSS>SesSescsticic:a Wilhelm Hegeler: B2323222332232323223232
dend, ftredte fie die Arme nad) ihm aus.
„Du mußt mir helfen,“ flüfterte fie. „Ich
habe ja alles verloren.”
Cie jdritten bie wenigen Gtufen ber
Beranda hinunter, und er führte fie über
den in abendlichem Sonnenglanz liegenden,
gewundenen Weg zu der Steinbant vor dem
Bosfett von Holunder und Jasmin.
Nachdem fie fid) gejebt hatten, ließ er fie
guerft ruhig ausweinen, indes er nur jacht
über thr Haar jtridh.
Bor ihnen platiderte ber Springbrunnen
feinen dünnen Gtrabl auf bie moofigen
Grottenfteine und das, von roten, goldenen
und tief fupfrigen Blättern. wie durd)wirtte
Waller des Heinen Weihers nieder. Ein
füßer Duft von Levtojen wiirzte die Luft,
aus dem Laub der Apfelbäume jchimmerten
die reifen Früchte, und die hohen Malven
mit ihren purpurnen Blüten verglübten wie
ftille Fackeln einer feierlichen Freude.
Und fo jehr Hans mit ihr litt, empfand
er bod) etwas wie Blüd, bap Annie fid) zu
ihm flüchtete wie einft als Kind.
Als er fühlte, daß ihre [toBweilen Er:
Ichütterungen fiirger und [anglamer wurden,
begann er von ihrem Bater zu |prechen. Und
ba fie ihn unterbrad, das Furchtbare fei,
daß fie ihm gerade die legte Zeit durd) ¡bue
Sieblofigteit noch jchwerer gemacht habe, er:
widerte er: ,Glaubft du nicht, dak bas ein
Vorwurf ijt, den jeder von uns angelichts
des Todes gegen fih erheben muß? Als id)
nad Haus fuhr, wurde id) von ber plóf-
lihen Angft ergriffen, meine Mutter wäre
geftorben. Denn gerade in der legten Zeit
batte ich jo wenig an fie gejchrieben und fie
beinah vergefjen. Können wir denen, Die
uns lieb haben, überhaupt ihre Liebe ganz
vergelten? Jest mußt du es tun, indem du
fein Andenten hod báltft und ein guter
Menſch wirft.”
„Ein guter Menſch!“ fliifterte fie. „Der
fann ich nicht werden. 3d habe zu viel
Böſes getan.“
„Nein, Annie. (emp nicht.
was du getan haft!“
„Sch will’s dir jagen. Aber id) weiß, daß
es dann awijden uns aus ijt."
„Glaubſt du wirklich, es tónnte uns irgend
was trennen?“
„And wenn id) bir fagte — etwas jo
Schlechtes und Niedriges...“
Während fie fih nachts umherwarf, hatte
fie fid) gejchworen, thm alles zu beichten,
damit er ihr half, bas Furchtbare zu tragen.
Wher nun, wo fie davor ftand, ballte fid)
alles Hinter einer Wand von Scham und
Angft gujammen. Er füfte ihre Augen und
brüdte die eistalte Hand in feiner.
Sag’ mir,
„Annie, was heißt denn überhaupt Liebe?
Das heißt bod) mitwiſſen und mitfühlen mit
dem andern. Was wäre das für eine findijche
und langweilige Art von Liebe, die nur ein
Idealbild liebt! Auch ohne daß du’s mir
lagft, weiß ich, daß du Schledhtigkeiten und
Sünden begangen haft, wie ich und jeder
andere Menih. Bielleicht ſchmerzt mid das,
was du mir jagjt. Denn auch mid) jchmerzt
es, wenn id) an gewijje Dinge von mir dente.
Aber meine Liebe zu dir wird dadurch nicht
vermindert, ebenjo wie id) nicht aufhören
fann, mich felbft zu lieben. Und ich traue
mir bie Kraft zu, dies Schlechte zu über:
winden. Auf diefe Kraft vertraue id) aud)
bei bir. Vielleicht fann id) bir helfen. Aber
dann mußt du mir auch vertrauen.”
Da begann fie, ihm ihre Stimmung zu
bejd)reiben, wie unjáglid fie fic) im ber
Penjion auf ihre Riidfehr gefreut, wie fie
zu Haufe aber alles verändert vorgefunden
hätte, wie die Eltern ihr alle Bergniigungen,
die die älteren Schweiter jo reidjfid) genoffen,
vorenthalten batten. Wie aber ihr Bers
langen, fid) zu amüjieren, Dadurch nur ge:
fteigert fei. Wie fie geradezu behext gewejen
jet und nichts gefannt hätte als nur den
Muni, zu tanzen, zu flirten und fid) den
Hof madjen zu Iajjen. Wie fie aber bie
Möglichkeit, einen Ball ober eine Geſellſchaft
mitzumachen, fid) |djlieBlid) nur burg Zügen
hätte verjchaffen können, indem fie ihre
Toilette heimlich zu Lila jdjidte und bei ber
übernachtete. Und wie fie eines Tages, als
jie auf ihren Bater bejonbers wütend ge:
wejen, fid) vorgenommen hätte, ibm einen
Tort anzutun und deshalb... und aud,
weil fie fic) ein Theaterbillett taufen wollte
— aus feiner Kupferſtichſammlung drei engs
liche Stiche entwendet Hätte.
Aufgewühlt und überreizt in ihrem Emps
findungsleben wie fie war, hatte fie das
Gefühl, daß fie fid) Stüd für Stiid die
Kleider herunterrijje und vor ibm läge mit
bejudeltem Körper, entledigt jeden Stolzes...
tieffte Erniedrigung und Erlöjung verband
fid mit Diejen übertriebenen Gelbftantla:
gen... eine legte Überwindung nod), und er
würde fie aus bem Schmuß emporreißen —
aber gerade als [ie ihm gejtehen wollte, daß
fie die Ctide an feinen Freund verkauft
hatte, beobachtete fie fein Gelicht unb fab
darin foviel ſchmerzliche Gejpanntbeit, daß
jie, von Mitgefühl und Gitelfeit guriidge:
idredt, fid) jagte, dies Schlimmite könnte fie
ihm niemals antun, und nun erzählte, fie
hatte bie Ctidje mit einem Bleiftift freuz
unb quer bejchmiert, zerrijfen und darauf
verbrannt.
Er ftreichelte tróftend über ihre Wangen
EEN Due Freunde Fees 343
und ihre mit Schweiß benebte Stirn und
fagte: „Wegen eines Nichts, Annie — wegen
eines Nichts Haft du bid) fo gequält. Und
ich babe [hon gebadjt — verzeih mir — du
hätteft die Stiche geftohlen und verkauft.“
„Und wenn id das getan hätte?“
„Dann hätte ich das auch ertragen. Aber
du baft es ja nidht getan und tonnteft es
gar nicht tun, deinem ganzen Mejen nad.
Sm legten Augenblid hätte dein Gtolz res
voltiert. Denn — Stolz ijt bod) der Grund-
Aug deines Mejens.”
Sie lehnte fid) [till an feine Bruft, emp:
fand wohl einen vagen Schmerz, daß fie fih
ibm nicht ganz anvertraut hatte, aber viel
ftárler war bas bejánftigte Gefühl der Bes
freiung. Und es war faft nur wie eine Gr:
innerung, derer Wiederkehr fie jest nicht
mebr fürchtete, als jie ibm bann die Gejtalt
des Toten bejchrieb, ber fie wie ein häßlicher
Alb gequält hatte.
„Kind, wie fonnt du benfen, bas wäre
dein Bater! Was du gejehn halt, ift ja
nichts als die Entftellung feines Todes, Für
ihn war der Tod leicht unb [djmerglos. Euch
Hinterbliebenen aber zeigte er ein graufiges
Gefibt. — Sd) will dir jagen, wie dein Vater
wirklich war...”
Auch Rudi mußte bald wieder fort, aber
ehe er abreijte, hatte er nod) eine Ausſprache
unter vier Augen mit feiner Schweiter. Ins
bem er fiġ mit ihr auf bas alte Rinderjofa,
deffen Sprungfedern einft unter ihren Rinder:
tänzen geftöhnt hatten, nieberlieB, machte er
feinem Unmut über die Verwandten, feiner
Sorge über bie miplidjen Bermögensverhälts»
niffe und die Hilflofigteit feiner Mutter Luft.
Und das Sdlimmite war: unter allen Freun«
ben und Berebrern des Baters wußte er
feinen, gu dem man Zutrauen haben fonnte.
nom weiß einen,“ erwiderte Annie.
„Hans.“
„D ja, Hans! Aber ber ift nicht Papas
Freund, jondern deiner und meiner, Annie,
daß bu den gefunden haft, darüber fannit
bu gar nicht glüdlich genug fein. Ich finde
ibn viel zu [Made für dich.“
„Na, höre mal, bei aller erlaubten briider:
licen Grobbeit ift das bod) ein biben
ftart”
Ich mein’s nicht fo ſchlimm. Sch will
bid) nicht mit ben Schweitern in einen Topf
werfen, Aber unter uns gejagt, ein giem:
lid) fofetter und leichtfinniger Rader bift du
bod — was? Aber glaub’ mir, Annie, jo:
lange Papa nod) verdiente und wir in Kling,
Alang, Gloria lebten, tonnteft bu an jedem
Finger einen Freier haben. Heut aber —
ich tenne bod) meine Leute hier. Die [Hwaben
viel von fiinjtlerijden Idealen, von Kultur
unb geiftigen Intereffen, aber obenan ftebt
das Portemonnaie. Wenn aus den Kreijen
jemand behauptet, er heiratete aus purer
Liebe, ift er entweder ein Trottel oder er
lügt. Aber Hans ift von anderem Schlag.
Darum fage id) dir: halt’ ihn feft unb bleib
ihm treu!”
Annie blidte ihren Bruder nachdenklich
an und erwiderte: ,GewiB, ich bin leicht«
finnig. Aber ich glaube, id) bin aud ein
anftändiger Kerl. Und will ihm Treue mit
Treue vergelten.“
Die bitteren Erfahrungen bieler lebten
Tage hatten fie gründlich gereinigt. Das
büplidje Berhalten der Schweitern und
Schwäger, bie in dem verftorbenen Later
nur den verloren gegangenen Beldverdiener
betrauerten, war ihr jehr nabegegangen.
Aber augleid) war ihr durch diefe Ausein»
anberjebungen ihre eigene Lage entichleiert
worden. Nun begriff fie, daß die peinliche
Empfindung, die fie manchmal gequält hatte,
fie nähme in ber Gelellidjajt eine Gonders
itellung ein, nicht bloß Einbildung gewejen
war. Die jungen Herren hatten ihr den
Hof gemadt, ihr gejchmeichelt und fie bod)
irgendwie anders behandelt als ihre Freuns
dinnen. Gie war eben feine Partie, Cie
gehörte zu den Mädchen, mit denen man
(id amiifiert, bie man aber nicht heiratet.
Und ihr Stolz zitterte in bem Nachgefühl
ber Demütigungen, denen fie fid) unbewußt
ausgejebt hatte.
Der einzige, der, außer den paar befreun»
deten Malern, ihren Bater wirklich lieb ge:
habt batte, war Hans. Er war aud) der
einzige, der es ehrlich mit ihr meinte. Der
bas Befte an ihr erfannt hatte, ihren Stolz.
Cie war glüdlich, daß bie Trauerzeit ihr
Gelegenheit bot, mit ihrem ganzen früheren
Verkehr zu brechen. Sie wollte nur ihn febn
und lebte nur für ihn.
Das leije Befühl einer Schuld ihm gegen»
fiber, das Bewußtjein, daß fie ihm bas £ebte
unb Schmerzlichite verheimlicht hatte, machte
fie noch weicher, nod) bingebender und für
feine Liebe noch bantbarer. Gleich in den
erften Tagen hatte fie mit ibm von ihrer
migliden MBermógenslage gelprodjem und
ihm gejagt, daß fie faum eine Mitgift ers
warten könnte. Zuerft war er jehr betroffen,
als er aber hörte, daß fie ohne allzu große
Einſchränkungen weiterleben und aud) ihr
Ichönes Haus weiter bewohnen könnten, war
feine Sorge verflogen. In diejen Tagen ber
jungen Liebe fah er ihrer beider Zukunft
nur wie ein fleines Haus im Grünen und
darin das große Blüd. Im Grunde jedoch
lag ibm alle Zukunft drei Meilen hinter
Weihnadten, Die Gegenwart erfüllte ihn
344 Wilhelm Hegeler: BSS3333333333334I
ganz, war Wirklichkeit und Traum, ein über»
wirklicher Traum, zu dem er jeden Tag neu
ermadte, wenn er fpát abends, wie in
leichtem Fieber bas erlebte Blüd noch eins
mal burdjlebenb, eingeichlummert war.
Er batte den Schlüjjel zur Gartenpforte
befommen und fam immer [bon in aller
Morgenfrühe. Gorglos mißbraucdhte er bie
Güte feiner Mutter und geigte ihr die Stuns
den ab, um fie mit Annie zu genießen. Ten
ganzen Tag fajt waren die beiden gujammen.
Allein und bod) nicht allein. Er bradte ihr
feine Bücher mit. Und fie, deren Augen Jo
für alle Töne und Werte der Farben ge:
Ihärft waren, befam auch ein Ohr für den
Rhythmus der Cpradje und den Klang der
Morte. Doh wurde das artiftijdhe Hören
ihr nie bas Wejentlide, und fie nahm Die
Dichtungen mit dem Banzen ihrer Geele auf.
Für Literaturgefchichte aber zeigte fie gar
feinen Sinn. Für fie gab es nur zwei
Dichter: Hans und Dingsda. Und nur einen,
denn die Morte der Dichter wurden im
Munde des Beliebten zu feinen eigenen.
Eines Abends nad) einem febr heißen
und beinah jchwülen Tage faken fie nod)
auf ber alten Efeubant beijammen. Annie
hatte Kopfichmerzen gehabt und fih über:
haupt in reizbarer Stimmung befunden, in
einer Stimmung, wo fie getröjtet, eigentlich
aber nod) mehr verwundet werden wollte.
Das Gejprád war auf Hanjens Aufenthalt
in Genf gefommen, und Annie hatte Dë
beflagt, daß er ihr nie während ber langen
Zeit gejchrieben. Er hatte fich zu recht«
fertigen verjudjt, aber dann in feiner Ehr:
lichfeit bod) den legten Grund eingeftanden
und ihr fein Berháltnis zu einer jungen
Schweizerin gebeichtet und Hatte kurz nod)
bunflere und bejchämendere Abenteuer er-
wábnt, über die er nicht gefragt jein wollte.
Cie litt. Jn bieler mutlojfen, mit fid)
jelbft unzufriedenen Stimmung hatte der
Schmerz ungehemmte Bewalt über fie. Die
Ferne, die ihn ihr genommen, die ihn bald
wieder nehmen würde, ängitigte fie. Cifers
juht brannte in ihr, aber zugleich fühlte fie,
wie dies Brennen aud etwas von ihrem
Schuldgefühl verbrannte. Das Bewußtjein,
dak aud) in ihm Dinge waren, bie er ver:
ſchwieg, wirkte wie ein Losſpruch.
Cie füpte ibn unb fagte, es hätte wehe
getan, aber es wäre gut, daß er alles gejagt
hatte. Dann jchwiegen fie, und ihre Ges
danten zogen verworrene Bahnen, indes
etwas wie Fremdheit und Trauer und duntle
Scham zwijchen ihnen lag.
Hinter den Bäumen in ihrem Rüden war
aus der Nebelwand unwahrjcheinlich groß
und orangefarben der Bollmond aufgeitiegen.
Auf den erleubteten Balfons der fernen
Hinterhäufer fJaBen nod) Mtenfden. Rachen,
laute Stimmen, ein Grammophon, das abs
wedjelnd Muſik- und Gelangftüde nájelte,
tlangen beriiber. Auf alles bas mußte Annie
mit gequálter Aufmerfjfamteit Iau|djen, und
es bing irgendwie mit jener Ferne zulams
men, bie drohend und erregend branbete.
Cie hätten gern bas Geſpräch wieder ans
gefnüpft und fich zueinander gefunden, aber
immer glitten bie Bedantenbabnen, bie fid)
judjten, von neuem auseinander. Schließlich
jedoch bat fie: „Sag’ irgendein Gedicht!“
Nach kurzem Zögern |prad) er mit vers
hängter Stimme, der feine Erregung bod)
jeltjam burd)bringenbe Gewalt gab, ihr ein
Goetheſches Gedicht vor.
Der Mond ftand nun fdjon ziemlich how
und ganz blant am Himmel und durchleuch⸗
tete bleid) bie Nacht, während die beiden im
tiefiten Schatten jaBen. Die Schwüle hatte
lich zerteilt, und es roch nad) füblem Tau.
Als Annie nad) ber Berjuntenbeit des
Aufhorchens wieder zum Bewußtfein fam,
jah [ie mit einer Ergriffenheit, die ihr faft
web tat vor Blüd, die von janften Gilbers
ftrdmen übergojjenen Bäume und pernabm
bas leije Niederträufeln bes Waffers auf
ben Grottenjteinen, als wenn fie nod nie
einen mondbejdienenen Baum gejehen und
den Leinen Springbrunnen nicht [don feit
ihrer friibeften Rindergeit gehört hätte. Gie
batte fi an Hans angelchmiegt und [pürte
den leijen Tabafsgerud an feiner Jade,
Und wenn [ie fid) ein wenig hob und bas
Gefid)t aurüdbog, fentte fih von oben aus
ber Finfternis fein Mund zu ihr hinab.
Manchmal traf er guerft ihre Augen und
Wangen, bis ihre Lippen fih fanden und
fte in einem Kuh verjchmolzen. Aber dann
lag fie wieder HU an feiner Bruft, leije ge
wiegt von feinen Atemzügen, in einem Ges
fühl feliger Sicherheit und Erlöfung, wäh»
rend nur wie etwas Wefenlojes, aus dem
jie fih gerettet hatte, fern, ba noch ein Ruf
tönte, dort nod) ein rötliches Licht glomm...
Hans war ihr Freund geworden, ihr
Tröfter, er wurde aud) nod ihr Lehrer.
Für alles, was ihren fo lange brachen Beift
jebt bewegte, wollte fie von ihm Gewißheit
haben. Und er genoß in Deler Zeit bas
ſchönſte Gliid, bas einem geijtigen Menjchen
zuteil werden fann: daß er jeine eigenen
Gedanken in neuer Strahlenbrechung, inniger
aus bem Mund ber Geliebten wieder hörte.
Aber zu anderen Stunden war er wieder
ganz der große Junge, ber fid) tein bejjeres
Vergnügen kannte, als in die höchſten Baum:
wipfel zu tlettern. Es tigelte ihn fürmlich,
den Objtjegen des Dewertbichen Gartens
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jelbft etngubeimjen. Und Auguft war froh,
feine alten Knochen jchonen zu Tonnen, Go
fag er denn an mandem jchönen Morgen
bembürmelig, in feiner älteften Hoje, in den
Bäumen und liep Apfel und Birnen herunter:
prajjeln, indes Annie bas Einfammeln be:
forgte, eine weiße Schürze über ber Bluje,
mit bloBem Hals, im loder geitedten Haar
ein paar dürre, gefrüujelte Blätter, rot von
Sonne und Eifer, leuchtend wie die jchönfte
Herbitblume,
Eines Nachmittags madjten bie beiden
eine Bootsfahrt über den Rhein. Der
Bootsbeliger, ein alter Freund von Hans,
von bem fie die ,Libelle” entliehn, wies auf
die drohende Moltenwand und meinte, [ie
follten nicht allzulange fortbleiben, damit
ihnen das Gewitter nicht über den Hals
time. Ab, bas Gewitter brobe [hon feit
acht Tagen und würde auch diesmal wieder
unverrichteter Gace abgiehn, fagte Hans.
Sie famen aud) mühelos ans andere Ufer,
als fie aber dort das Boot verantert hatten,
um in einer nahen Wirtjchaft etwas zu ge:
nießen, bob ein häßlicher, trodener Wind an,
jo daß fie es für beffer hielten umzufehren.
Und fie waren faum ein Ctüd vom Ufer
entfernt, ba entlud fih mit Donner und Blig
ein wolfenbrudjartiger Regen. Es war nod)
Zeit, wieder zu landen und jid) in Gicher:
beit zu bringen, aber Annie meinte, fie
támen [don durch, und fo legte er fih tüchtig
in bie Riemen.
Undeutlich jah er durd die wájjerigen
Sraffierungen, wie drüben am fablen Ufer
die hohen Pappeln mit ihren windzerzaujiten
ten fic in die Arme fielen. Annie wurde
von ben Peitjchenenden bes Regens gerade
ins Geficht getroffen. Bon dem Rand ihres
Gtrobbutes träufelte es tinten]d)marg. Ihre
gefreugten Füße ftanden [hon im Waller.
Er rig die Ruder durd) bas trübbraune Ge:
woge, daB er manchmal Angft Hatte, fie
würden gerbred)en. Da hörte er hinter jid)
bas Doble Tuten einer Dampfpfeife. Ein
ra|djer Blid zurüd — diht vor ihnen Donn
mit ſchwarzer Raudfahne ein Rohlenjchlep>
per. „Mehr rechts!” jdrie er Annie zu.
„Bir tommen jhon vorbei,“ erwiderte fie
ruhig. Und richtig treuzten fie ben Schlepper
in wenigen Metern Entfernung. Cinige
Augenblide waren fie ganz eingewidelt in
Dellen auf die Waſſerfläche gebrüdten ſchwar—
zen Kohlenſchwaden und jahen einander nicht
mehr. Als fie dann glüdlich heraus waren,
merkte Hans, wie die vom Ufer gebrochenen
SBellen fic) gegen die Bootsipige warfen
unb fie überjprigten. Immer höher plantjchte
das Waller mit jedem Ruderjchlage auf dem
Boden auf und nieder. Und bie „Libelle“,
Belbagen & Klafings Monatshefte. 35. Jahrg. 192021. 2. Bd,
bie auf ber Hinfahrt fo leicht Hingefligt war,
war [hwer wie ein Karren und taum nod)
vorwärts zu ziehen.
Er wollte Annie die Schöpffelte zuwerfen,
wollte ihr zurufen, wenn fie abjadten, follte
fie ftd) am Gig fefthalten, ganz untergehen
tónnte das Boot nicht. Aber jedesmal hielt
ihn ihr ruhiger, zuverfichtlider Ausdrud
zurück.
Rings um ſie ſchaukelte, ſchäumte, gurgelte
es. Dunkle Trichter ſtrudelten. Immer häu⸗
figer ſchnappten die Wellen über den ſeit—
lichen Bordrand. Dazu zickzackten aus dem
Wolkenſchwarm fahle Blitze, und ber Don—
ner erſchlug fie förmlich mit feinem fnatterns
den und polternden Betöje.
Bon Zeit zu Zeit fragte Hans: „Siehſt
du das Ufer?“
Sedesmal antwortete fie: „Noch nicht.“
Schließlich war er nur nod) ein Dampfen:
des, teuchendes Tier, das mit ftummem eins»
zwei, eins-zwei die Riemen ins Waſſer bieb
und an fid) rif.
Da endlih rief Annie: „Das Ufer!“
Bleih darauf: ,Langfamer! ..." Mad
wenigen Augenbliden ftieß das Boot gegen
ben Bordrand eines anderen und glitt Durch
die €üde auf bas vorgebaute Bretterfloß.
Während fie mühſam mit ihrem triefen-
den Rod über bas Nachbarboot auf die vor:
ipringenden Planten des Bootshaujes flet:
terte, machte er bie ,Libelle” feft und eilte
Dann zu ihr.
„Donnerwetter! — Das ging nod) mal
gut. Sattejt du Angft?“
„Kein bißchen!”
„Und bod) more nah’ daran! — Nah’
daran!“
Cie fonnte ihm das unausjprecdhliche Ges
fühl nicht erklären. Nicht einen Augenblid
hatte fie Angft gehabt inmitten bieles gierig
aufgeregten Gewoges. Und dod) war fie
feft überzeugt gewejen, als das Boot nur
nur nod) eine Hand breit, nur nod) drei
Finger, nur nod) einen Ginger breit fid)
über ber |djludenben Tiefe erhob, daß es im
nadften Augenblid verjinfen würde. Und
bann? Wielleicht erreichten fie ſchwimmend
das Ufer. Bielleicht ertranfen fie. Aber
auch diefer Bedankte war unheimlich nur für
ihren Verftand und beunrubigte fie nicht.
„Du Arme! Ach, ich könnte mid) ja prii-
geln! Du Arme! Du Tapfere! Wie du ges
fteuert haft! Glánzend! Go faltbliitig und
fiber! — Ad, but du blaB! Und nap!
Schnell Herein! Schnell! Du mußt was
Heißes trinten.”
Aber fie breitete die Arme aus: „Küß
mich!“
Und während er fie umjchlang und unter
23
346 PESSFFFFFFFIETT Wilhelm Hegeler: seess
dem angeflatjchten dünnen Zeug ihr zartes
Fleiſch fühlte, prekte fie fid) gegen feine nod)
atemlos arbeitende Bruft unb brüdte thr
faltes, najfes Gefiht an fein glührotes und
atmete den Schweißdampf ein und [d)raubte
mit nimmerjatter Gier ihre Lippen gegen
feine und rib fid) nur Ios, um fih nod) fefter
zu [chrauben, und fühlte, daß alle Blutwarme,
alles Zebensgefühl nur von ibm fam, daß
es fein anderes Glüd für fie gab, als mit
ibm zu leben, und daß aud) mit ibm zu
Herchen nichts Schredliches fei.
Da nun bas Regenwetter einjeßte, begann
Hans täglich einige Stunden zu arbeiten.
Annie hatte fih ausbedungen, daß fie ber:
weil feiner Mutter GejelI[djaft leiftete. Und
hatte hinzugefügt, fie wiffe, daß feine Mutter
nicht allzuviel von ihr bielte, fie aber deren
Vorurteil überwinden wolle, wie bas zu
machen fet?
„Mach' nichts! Mad” gar nichts!“ er:
widerte er lahend. „Gib bid) einfach, wie
bu bijt.”
Uber in der erften Zeit war es ein [db wie:
riges Unternehmen. Denn Frau Botelmann
gehörte zu den Frauen alten Schlages, bie
nicht gerne untátig figen. Sie hatte immer
eine Hafele oder 9tabelarbeit vor und flocht
ſchweigſam in das aufs und niedergleitende
Garn fo mandes Für und Wider hinfichtlich
bieler zärtlichen Freundſchaft ihres Sohnes.
Und bie fonft jo bewegliche Annie fühlte
anfangs ihre Zunge gang gelähmt, faute
nur untätig diejen rubelofen Händen zu und
date manchmal zornig, man müßte bod) rein
blödfinnig werden von diefer.ewigen Arbeit.
CdjlieBlid) aber wurde ihre nimmermiide
Geduld dod) belohnt. Frau Botelmann be:
laß eine Schwäche: nad Art einfam leben:
der Menjchen erzählte fie gern aus alten
Zeiten. Hier nun warf Annie ihre Angel
aus und fing Jchließlich zugleich mit ben
Geſchichten aud das Herz ber gütigen Frau.
Als Hans im GSpätherbft nad Berlin
reilte, fam für Annie eine fchwere Zeit,
lamen trübjelige, nicht endenwollende Tage,
indes thr Blut wieder unruhig podte und
ihre Wiünjche Bins und berflatterten. Aber
ihon half ihr ein neues Erleben: feine Briefe.
Er Hatte fih, wie er ſchrieb, gänzlich ent:
poetijiert, war nüchtern geworden, nichts als
Arbeitsmalchine. Nur abends, ober vielmehr
nadts, veranftaltete er heimliche Fefte, in»
dem er fie gu fic) beſchwor. Wie er früher
lich lelbit gejucht hatte, wurde er jet nicht
müde, fie zu juchen, die im Spiegel feines
von ihr bejeffenen Herzens Bild und idt.
quelle zugleich war. Alles, was fie beſchäf—
Dote, ihre fliidtigften Negungen, ihre ges
beimjten Träume, gerade das, wovon fie
glaubte, fein Menjch dürfe es erfahren, mußte
fie ibm mitteilen. Indem er mit feiner Ber:
tlárungstraft alles bem [dónen, bereits fer»
tigen, aber [djeinbag immer neu erftehenden
Bild von ihr einfügte, gab er ibr Mut, aus
ih Herausgugeben, erhöhte die Freude an
ihrem Gelb[t und verfeinerte und vertiefte
zugleich ihre Wnjpriide daran. Nod emp:
fand er feine Erlebniffe aus Büchern reicher
als die der Wirklichkeit, jo waren es immer
wieder bie Beitalten der Dichtung, mit denen
er [te verglich, auf bie er fie hinwies, mit
denen fid) zu bejchäftigen er [ie lodte.
Was diefen Briefen Schönheit und hohen
Ginn gab, war feine poetilde Kraft, bie,
gewaltjam gehemmt, nur um fo ungeftiimer
hervorbrad; was aus ihnen [dymeidjelte wie
ltebtofender Duft, war fein Liebesdurft, den
er ftillte, indem er ihr zu trinfen gab; was
fie aber befeelte und zu Zwielpradhen von
Mund zu Mund belebte, war die unter allem
Blüd bod) immer rege Furt, fie zu vers
lieren. Jn diefer Furcht war fein Miftrauen,
feine Giferjudt, fie war vielmehr das Ge:
fühl, daß ihre Liebe noch nichts Berubigtes
jet. Immer dachte er an Annie, wie er fie
auf dem Eiſe gefüBt hatte: fte war ihm ent:
Ihlüpft, und er hatte fie wieder gefangen,
aber noch einmal war fie entfloben, unb er
hatte fie von neuem erringen müjjen. Das
Bogelleibte an ihr, thre Tanzjeele war feiner
Schwere bas Berführerijchefte. Und wie er
als Rind fie mit bunten Märchen von ihren
Gejpielen weg in feine heimliche Welt gelodt
hatte, fo bejchwor er nod) einmal feine Ver»
führungstraft unb «funjt, um fie gang mit
fid) zu Durddringen. Und was für ein Glüd,
als er las, wie fie feine Sprache immer
beffer verftand! Was für eine ergriffene
Dantbarteit, als fie voll Niedergeſchlagen—
heit und Angft ibm einmal |d)rieb, daß heute
fein Brief gefommen fei und fie einen gers
marterten, freudlofen Tag erlebt habe.
In feinen Briefen bat Hans die Beliebte
manchmal, diefe oder jene Beftelung an
Klaus auszurichten. Cie unterließ bas jedes»
mal und jchrieb ibm fchließlich, es fet ihr
peinlich, den Antiquitätenladen aufzufuchen.
Da fie aber feinen Grund für ihre Weige—
rung angab, nahm er dieje nicht weiter ernft
und jdjidte ihr eines Tages einen Auftrag,
ben fie nicht gut unerledigt laffen konnte.
Cie hatte ein unbebaglidjes Gefühl, ja,
geradezu ein wenig Groll gegen Hans, als
fid) bie Tür zum erjtenmal wieder mit bem
fern gedämpften Trillern öffnete und Die
Geftalt biejes unheimlidyen Menfden aufs
tauchte, ber in feinem halbdunflen Wintel
gejejfen batte, als wenn er bie ganze Zeit
an nichts anderes als an die Dumme (De:
e ES SEH Zwei Freunde seess 347
Ihichte von damals gedadt Hätte. Wenig:
[tens war er nicht fo gejcehmadlos, mil irgend»
einem Wort darauf anzufpielen.
Mad Erledigung ihres Auftrages wollte
fie (id) gleich verabjchieden, aber Klaus ließ
fie nicht fort, jondern Holte aus einem
Schrank einige erlejene Roftbarteiten und
bat um ihr Urteil. Gie atmete auf, als fte
fid) endlich Iosmadjen fonnte.
Aber Hans jchien in feiner Arglofigteit
es geradezu darauf abgejehen zu haben, bie
beiden zujammenzubringen. Die Aufträge
wiederholten fid) und damit auch die Be:
fuche, die Klaus jedesmal zu verlängern ver:
Bonn, indem er ihr mit jehmeichelnder Be:
fliffenheit feine neuen Erwerbungen zeigte.
Manchmal waren darunter alte Spiken,
Brofate, die fie befühlen mußte, oder Ringe,
die er fie nötigte, über den Finger zu ftreifen.
Einmal, als fie auf ihr Fortgeben beftand,
bat er fie, noch ein wenig zu bleiben, er hätte
die ganze Zeit an fie gedadt.
„Sie haben an mid) gedadt?”
„Mein Gott, Sie find die einzige Dame,
mit der id mal ein menjdlides Wort
wedjle, da ijt es bod) fein Wunder, wenn
Sie meine Phantafie bejchäftigen.”
„Ihre Phantafie! Halten Cie fih etwa
für einen Dichter?“ entfuhr es thr höhniſch.
„Beil id) mit Hans befreundet bin?
Nein! Sch babe zuviel Wirklichkeitswillen.”
„Dann jollten Sie aud Ihre Phantafie
in Rube laffen.”
„Darf ein Wirklichfeitsmenich feine Phan-
tafie haben?”
„Kein, denn ibm fehlt bte Unfchuld des
Dichters.“ Briist verließ jie den Laden. Er
30g fih mit bójen Augen in feine Ede zurüd.
Diesmal war er zu weit gegangen.
Geit dem Tage, da Annie ihn zum erften:
mal in bem Antiquitátenladen getroffen
hatte, waren fein Blut und feine Phantafie
von ihr bejeljem. Es war nicht ihre Schön:
heit allein, die ihn reizte. MWielmehr nod)
bas Unerreichbare. Die trennende Kluft.
Und bas bod) irgendwie VBerbundenfein ...
Sn bielem Kellerhalbdunfel, umgeben von
frivolen Rupferftichen, Emailmalereien, Por:
zelanfigürdhen, von Lüſternheiten allerart,
hatte fein Ginnenleben feltíam blutleere
Triebe hervorgebracht, bis es fih heißhung—
rig auf Annie ftürzte. Als fie ihren Hand:
hub abjtreifte, hatte ibn ber Gedanfe er-
‚regt, daß fie damit einen winzigen Teil
ihres Körpers entblopte. Mit zärtlichem
Schauer hatte er ihre Hand in der feinen
gejpürt, dieje mit foviel Sorgfalt gepflegte
Damenhand, die ihn an ein foftbares Juwel
erinnerte, das vor jedem Stäubchen durd)
eine Umbúllung gejdiikt wird. Aber das
eigentlich Pridelnde und Wufregende war,
daß diefe zarte Hand durch einen Diebftahl
befudelt war. Geitbem träumte er Davon,
wie dieje eistiiblen Finger ihn liebfojen und
die perlmutterfarbenen, jpi&en Nägel fih in.
fein Fleiſch einfrallen würden... Er quálte
fid an diejen Vorftellungen, hapte Annie
darum, bie ihn bei jedem Bejud) unabjicht-
lid) durch ihren Hochmut verwundete, Und
feine burd) die Ginjamfeit und bie Cnt;
bebrungen überreizte Machtgier malte fid
die Stunde aus, wo er ihren Hochmut zer:
brechen würde, in der ritterlicjten und zars
teften Meije natürlich), ganz als Kavalier,
Wenn er 3. B. zu ihr jagte: , Gnadiges Frán:
lein, was Cie getan haben, ift ein glatter
Diebftahl. Und hätte ich Sie nicht gehindert,
jo hätten Cie nod) eine Fälſchung Hinzu-
gefügt. Ich finnte Cie vor aller Welt fom:
promittieren. Aber die Zunge fol mir vers
dorren, wenn id) es tue. Sch lege mein,
Schickſal in Ihre Hand. Sie follen in voller
Freiheit entjcheiden.“
Es war ein unfinniges und niederträch-
tiges Spiel — er wußte es wohl. Dennoch
fam er, nicht los davon. Immer wieder
lodte es ibn [bon jest, mit irgendeiner
HuBerung, die diejen Dod)fabrenben Ausdrud
der Ablehnung hervorrief, fie zu reizen.
Uber diesmal hatte er fih vergejjerm.
Woden vergingen, ohne daß Annie ihren
Bejud) wiederholte. Endlich jchrieb er an
den Freund und bat ihn um ein Bud, von
dem er wußte, daß fie es bejab. Aber auch
diefe Lift half nichts. Cie ließ fih nicht wieder
bliden. Und bann nad) Monaten erlebte er
dennod) den Triumph, daß fie wiederfam.
Frau Dewerth hatte verjudt, ihre Finans
zen baburd) zu Halten, daß fie ihr Haus:
melen einjchräntte, Aber die zurüdbleiben»
den Dienftboten, an das Leben aus dem
vollen und den Schlendrian von früher ges
wohnt, verbrauchten immer nod) übermäßige
Summen. Das Schlimmfte jedod war ber
unaufhörlide Regen von alten Rechnungen.
Alle Lieferanten, die früher fo fulant ge:
wejen, hienen fih verjhworen zu haben,
fte zu branglalieren. Gie ließ immer größere
Summen von ber Bank tommen, bis diefe
eines Tages jchrieb, ihr Solljaldo babe eine
Höhe erreicht, baB von einer weiteren Bes
leibung Abſtand genommen werden mülfe.
Das war eine furdtbare Eröffnung. Un:
glüklicherweije batte fid) gerade an biejem
Tage ein fleiner Farbenhändler gemeldet,
der wegen einer unbezahlten Rechnung mit
dem Gericht drohte.
Frau Dewerth meinte unaufhórlid. Sie
hatte bereits von verjchiedenen Belannten
in der Stadt Summen geborgt und verlangte
348 Feel Wilhelm Hegeler: sees
nun von Annie, daß diefe Frau Botelmann
um Das erforderliche Geld angehen folte.
Aber Annie erwiderte, lieber möge es zu
einem Prozeß tommen. Schön, alfo bas war
das Ende! Das bedeutete ben Geridhtsvoll-
gieher, einen öffentlichen Standal, Schimpf
und Schande.
Endlid verfiel Frau Dewerth auf den
Ausweg, fid) an Klaus zu wenden. Hans
hatte ihr früher einmal geraten, falls irgend»
welche Möbel oder Gegenjtande aus den
Sammlungen verfauft werden Jollten, feinen
Freund an Rate zu ziehn. Das fiel ihr jest
wieder ein. Gie felbjt tonnte jid) nicht vom
Sofa rühren. Und nebenan fak der Farben:
händler. Jn biejer verzweifelten Lage ließ
Annie fid) bewegen, den verhaßten Gang
nod) einmal zu tun und Klaus mehrere
Stiche zu bringen.
Cie hatte gujammengerafft, was fie fand,
_undes waren zufällig wenig wertvolle Gaden.
Gr. bot einen viel zu niedrigen Preis.
Raum fähig, ihre fühle und bhodmiitige
Haltung zu bewahren, nannte fie die Summe,
bie ire Mutter brauchte. Er erflärte fofort,
ba es [id) um eine momentane Berlegenheit
handelte, jo ftánde die Summe zur Ber:
fügung. Die Stiche brauche er gar nicht.
Uber fie wollte bas Darlehn nicht annehmen,
jondern erklärte, fie würde morgen andere
Stiche bringen, um ben Kaufpreis zu erzielen.
Ohne Einwände zu maden, war er aud
dazu bereit. Er merkte ihre Verlegenbeit
unb war flug genug, ihr durch duBerjte
Zurüdhaltung den Auftrag zu erleichtern.
Annie hatte faum den Laden verlafjen,
als Meufinger erjchien und fragte, ob Runden
dagewejen jeien. Zufällig hatte es an biejem
Nachmittag ziemlich viel zu tun gegeben, und
Klaus jtattete umitándlid Rapport ab, wo:
bei ibm bie merfwürdige Unruhe feines Brot:
herrn auffiel. Meufingers Hände fingerten
an den jpedigen Aufichlägen des [djwargen
Gebrods, den er über den hellen Beinkleidern
und Der gleichfarbigen Welte trug, oder
bohrten fid) in ben Zwilchenraum zwijchen
Hals und Kragen oder fuhren unter feine
Achlelhöhle, als wenn es ihn überall judte.
Plötzlich febte er ſich feinem Gebilfen
gegenüber auf den Ladentijd und fragte,
die Arme verjdranfend, mit hochgezogner
Stirn: „Und das blonde Fräulein in Trauer?”
Klaus überlegte, ob Meufinger ihn etwa
beobachtet hätte. „Welches blonde Fraulein ?“
„Die — bie Jogenannte Dame in Schwarz.“
Ach, bie — aber woher wijjen Sie denn
von der?“
„Ich frage Sie. Heraus mit der Sprache!“
„Selbjtverftändlih! Wher warum fo un:
freundlich? Da war "ne Dame in Trauer.“
„Ich will wilfen, wer das war.“
Klaus zudte die Achjeln. „Irgend jemand.
Sd) weiß jelbjt nicht.“
"Bas wollte fie?”
„Aber bas wijjen Cie doch eben jo gut
wie id. Gie waren ja nebenan.“
Menfinger rieb die Handflädyen aneinander,
fuhr fih über bas Gefiht, auf dem es wie
in einer Art Veitstanz zudte, bejonders ber
unrajierte Unterkiefer machte jcheußliche Bes
wegungen. O, feine wahnfinnige Aufregung!
Nur Rube, damit er diejen Schuft Heintriegte!..
Er hatte Klaus [Hon feit Wochen belauert.
Gin gegenftandslofer Argwohn, gezeugt aus
Bosheit und Neid, liep ibm feine Ruhe. Es
wurmte ihn, dak Klaus in die Höhe fam,
gute Anzüge trug, Mitglied eines Shads
Hubs und einer Gefelljdjajt für Altertums:
tunde war, — ibn, Meufinger, hatte man
nicht aufgenommen — und überhaupt ein
jo felbftbewuftes Mejen zur Schau trug.
Gedudt mußte er werden und die Furcht des
Herrn fennen lernen. Das wollte er! Aber
nur nicht zu weit gehn! Nur fid) nicht hin»
reißen laffen! Einen be[feren Gebilfen, einen
jo gejdidten jungen Dann, befam er ja nie
wieder. Wm beiten wars vielleiht, man
drüdte überhaupt ein Auge zu, dedte den
Detel uidt ab von den Geheimniljen bes
Haufes Meufinger... Aber es [d)jnürte ibm
bie Bruft zu. Er erjtidte dran. Er zitterte
vor Wut bei dem Gedanten an bie hoch»
miitige Viſage bieles Burſchen. PBlóBlid
griff er in bie Rodtajdhe. Wenn er jebt
eine Zigarette rauhen könnte, um fid zu
beruhigen! Aber er fand feine.
„Sie — Gie — lajjen Sie die Witze! Die
Dame bat Ihnen CStide verfauft. Wo
find [ie ?^
"Ja, wo find fie nur?“ erwiderte Klaus
unb begann auf dem Ladentifd au Indien,
„Sie willen redt gut, daß fie nicht bier
find. Sie haben fie ja jelbft fortgejchleppt.
Gie Bauner!“
„Aber Herr Meufinger, wir wollen dod
jolhe Ausdrüde lieber vermeiden. Ich bin
wirklich nicht daran gewöhnt. Wenn Sie's
denn willen wollen, die Dame ijt eine Bes
fonnte von mir. Jd) habe ihr Geld geliehen,
und fie bat mir die Ctidje zum Pfand Da:
gelajjen.“
„Und den Schwindel fol td) Ihnen glauben?
Sie grüner Bengel! Sie Cinfaltspinjel! Mich
beihwindeln? Sie müßten bod) Lyonel Mens
finger tennen.”
„Leider Gottes, ja, den fenne ich.“
„Alſo geben (Cie die Stiche heraus!” —
„Bedauere.“ — „Nicht?“ — Klaus [doiittelte
lähelnd den Kopf. — „Bringen Sie mid)
nicht zum Rajen. Ich mein’s gut mit Ihnen.
SE Zwei Freunde B3333333353333 349
Sd) habe Mitleid. Aber wenn Gie nicht
parieren —“
„Richt dod!” fagte Klaus kühl und ent:
fernte Meufingers Hand von feinem Jadett,
„Richt diefe Intimitáten! Ein bißchen mehr
Diftanz, wenn id) bitten darf.”
„Ein bißchen mehr Dijtanz!” affte Meus
finger ibm nad). „Sie mit Ihren verfludten
Redensarten! Ich werde Ihnen bie Dijtanz
(don beibringen. Wenn ich Ihnen fagte:
Koffer gepadt unb 'rausmarjchiert! — dann
hätten Cie vielleicht genug Diftanz, was?“
„Soll das heißen, daß Sie mir fünbigen ?"
„Nein, aber daß ich Sie hinausfchmeißen
fann — wenn id) will. Diejer Handel mit
den Gtidjn ijt eine Unterjchlagung. Ich
tann bie Polizei Ihnen auf den Hals hegen
-- wenn id) will.”
„Sept find Cie aber wirklich grotesf. Gie
[predjen von Polizei? Gie haben’s nötig.
Wenn bier die Polizei Herfommt, dann in-
terejjtert. [te fid) für gang andere Leute als
für mid. Dann fiebt fie erft mal nad), wer
da hinten wohnt — ohne Anmeldung.“
Meufinger fuhr zurüd und wand und bog
fid. Gein Kopf ſchraubte fid) auf bem bürren
Hals in die Höhe, feine Hände ſchwollen in
den Hojentafchen zu diden Klumpen an, und
aus dem Zwiſchenraum zwilchen Beintleid
und Weite quol das faltige Hemd hervor.
„Das — das find ja Drohungen!” faudte
er. „Das — ijt ja — ein Romplott! Ihr
Sdufte! Ihr Aufrührer! O, diejer Stráfling!
Diejer Zubtháusler! — Der fol mir büßen !“
Klaus, der jofort feine Selbſtbeherrſchung
wiedergewonnen hatte, vertrat ihm den Meg.
,Sajjen Sie den alten Mann zufrieden! Der
bat nicht bas geringfte getan.“
Uber Dieufinger rannte zur andern Tür
hinaus. Nad einem Moment des Zögerns
eilte Klaus thm nad.
In bem von einer Petroleumbangelampe
nur auf einen engen Umfreis erhellten Raum
jah Klaus, wie Meufinger den jdwaden und
zu Tode er|djrodenen Greis, ber an dem
Heinen Gasherd ftand, wo auf einer bláu-
lichen Gasflamme, zwiſchen Leimtópfen und
Sadtiegeln fein 9Ibenbejjen jchmorte, an den
Schultern gepadt hatte und unbarmberzig
Ihüttelte, während er ihn zugleich mit den
niedrigften Schimpfworten überhäufte, ihn
mit der Polizei bedrohte unb ſchwor, er würde
ihn an den Haaren aus bem Haufe jchleppen
und in die nüd)te Goffe, werfen, damit er
dort verredte. Dieje Robeit ließ Klaus jede
Rückſicht vergefjen. Er ergriff ben exften beiten
Gegenftand, einen Hobel, dann, als er bes
Alten eichenen Krüdftod bemerkte, diefen und
HB ihn mit folder Wucht auf Meufingers
Rüden niederfaufen, daß der, wie ein Hund
aufheulend, gujammenbrad. Darauf nahm
er Bóger auf feine Arme und trug ihn fat
auf das hinter einem Bretterverjchlag jtehende
Bett. „Armer Kerl!“ tröftete er ben Röcheln—
den. „Hat Ihnen einen jchönen Sdreden
eingejagt. Aber nur feine Angſt. Der wird
Ihnen fein Haar mehr frümmen. Gie auf
die Straße werfen, nahdem Sie ihm hunderte
und aber hunderte verdient haben, Das wäre
ja nod) ſchöner! Kommen (Cie, ich made
Ihnen die Weite auf, bann friegen Cie beier
Luft. Einen Moment, erft wollen wir mal
Licht machen.” — Gr zündete eine Kerze an.
— „Sp... Coll id) Ihnen den Kopf nicht
ein bißchen höher legen? — Geien Gie [till !^
wandte er fid) an Meufinger. „Lafjen Gie
bas verfludte Flennen! — Go gebt's [Hon
ein bißchen beffer, was?“ fragte er bem
Alten, deffen freiliegende magere Brujt unter
dem ‘Blies von grauen Haaren auf und
nieder flog. Kopffchüttelnd wijchte er ihm
den in Strömen hervorbrechenden [alten
Schweiß aus bem Beficht, indes er ibm mit
- linden Worten Zrojt gujprad. Als er dann,
um Majjer zu Holen, an dem nod immer
auf dem Boden liegenden Meufingers vor:
beifam, verjtártte diejer fein Jammern wieder
zu lautem Heulen.
„Donnerwetter,” fagte Klaus, „wenn Gie
nicht ftill find, dann gibt's nod "ne Tracht
Prügel.“
„Ich geh’ auf die Polizei!” ſchrie Meufinger.
„So? Dann werden fie aber jo bald nicht
wieder zurüdfommen. Diesmal gibt's
mindeftens jechs Jahre. — Go ein Monjtrum
wie Gie nennt den armen Mann einen
Ctrold) und Zudthausler. Was hat er denn
getan? Ginmal hat er getan, was Gie fort:
während getrieben haben. Ob ich die Leute
mit faljden Banknoten oder mit faljchen
Bildern betrüge, bas fommt auf eins heraus.
Nur daß er fein ganzes Leben dafür gebüßt
bat, und Cie haben gepraßt und gejchlemmt.
Aber nehmen fie fih in acht.“
Als er dann wieder an das Bett trat,
um Bóger bas Glas zu reichen, jah er, daß
Diejem weder mit Wafjer, noch jonit mit
einem irbijden Labjal gedient war. Er
hatte nod) nie dem Sterben eines Menſchen
beigewohnt, aber die Veränderung in dem
Geſicht, ber Blid voll unjäglicher Angjt, das
furdtbare Röcheln waren fo unvertennbar,
daß Klaus begriff, was hier am Wert war.
Gein Grauen überwindend, in Diejem ein»
faden Bedürfnis, bie Todesangit ber Kreatur
zu lindern, legte er feinen Arm um bie
flatternden Schultern und wilchte ben Schweiß
aus bem [hon verfallenden Geficht. Die
plumpen Hände griffen in die Luft, fielen
ihwer hinunter, hafteten wieder empor, als
SSIS Zwei Freunde B32222232222224 351
„Berlangen Gie, was Cie wollen, aber
lajjen Sie mid) nit im Stich!“
Meufinger flammerte fih an Klaus, ber
fid) erhoben Hatte, feft und warf fih vor thm
auf bie Knie nieder. „Laſſen Sie mid) nicht
im Stih. Sch flehe Cie an. Um alles in
der Welt, helfen Sie mir!”
„Sind Gie ein Hundsfott! Stehen Gte
wenigftens auf. — Was zahlen (ie, wenn
ich bie Leiche wegichaffe? Sch made die
Gabe ganz allein. Gie brauchen fid) um
nichts zu kümmern.“
„Bravo!“ ſchrie Meufinger, wie neubelebt
aufipringend. „Bravo! ©, id) habe Cie
immer für einen jogenannten Pradtferl ae:
halten. — Ajo was verlangen Cic? Aber,
lieber Freund, meine Barmittel find fnapp.
Was id) verdiene, fliegt auch wieder hinaus.
Und — bedenken Sie, dies Malheur mit
dem armen Boger, das bedeutet ja allein
einen Berluft von vielen tanfend.”
„Da tommt's alfo auf ein paar taujend
mehr nicht an," erwiderte Klaus und nannte
eine Summe.
Ein erbittertes Feiljchen begann. Mehr:
mals drohte Klaus fortzugehn, ehe Meu-
finger einwilligte, die Hälfte der geforderten
Summe zu zahlen. Klaus riet bem Antiqui-
tátenbánbler, ruhig zum 9Ibenbejjen zu gehn,
bis zum Morgen würde alles bejorgt fein.
Er jelbft begab fid) in eine Heine Kneipe, in
der er an guten Tagen manchmal zu Abend
aB. Er traf dort den Baron von Schwärzell,
einen Belannten vom Gdjadjflub, mit bem
er bis nad) Mitternacht zufammenblieb. Auf
dem Wege ins Café erflärte er, nod) ein
Rendezvous zu haben, dod) würde er in einer
Inappen Stunde nadfommen.
Um diefe Zeit lag bie Gaffe ber Altitadt
gänzlich menjchenverlaffen. Klaus überwand
fein Grauen und lud fid) den Toten auf die
Schulter, indem er grimmig badjte: sic itur
ad astra... und begab fic) nad) getaner
Arbeit in das Café, wo er fid) mit einem
Rognat ftártte. Darauf begleitete er den
Baron, der ihn wiederholt zur Belichtigung
feiner Wappenjammlung aufgefordert Hatte,
in deffen Wohnung und febrte erft, als
bereits der Tag graute, nad) Haufe zurüd.
Einig hundert Schritte von bem Antiqui-
tátenladen entfernt gewahrte er vor einer
Tür eine Heine Anjammlung von Martt:
weibern unb Fabrifarbeitern. Cid) über bie
Köpfe der Neugierigen beugend, jah er auf
ber unterften Treppenjtufe eine fauernde
Geftalt, deren Gefiht von dem verjtaubten
Hut verdedt war. Stod und Ranzen lagen
daneben.
„Ein Mord?” fragte Alaus.
„Ach wo,” ermiberte ein Kutſcher von ber
Höhe feines Wagens. „Ift ein Yandftreicher.
Sit ganz friedlich geftorben.”
Klaus begab fih zur Tochter Bógers,
handigte ihr ben Bruftbeutel aus und bes
richtete, was gejdehn war. Er gab thr den
Rat, fid) entweder gleich an den Fundort
des Toten oder [pater zur Polizei zu begeben
und dort ihren Vater zu refognofzieren. Gie
war eine verjtändige Frau, und er brauchte
nicht zu befürchten, daß fie etwas verriet,
88 8e
Wenige Woden fpäter fiindigte Klaus.
Meufinger madjte ihm die verlodendften
Angebote, um ihn zu halten. Aber er lehnte
ab, da er fich inzwilchen eine gut bezahlte
Stellung in ber erften Runft: und Antiqui:
tätenhandlung der Stadt, bei einer alten
und matellojen Firma, verjdjafft hatte. Aber
ehe er den often antrat, madjte er von
jeinen Gr[parnijjen eine längere Reife nad)
Siiddeutidland und von dort über Kaffel
und Dresden nad) Berlin. Er wollte feinem
theoretiihen Wiſſen durch bie Anſchauung
das Fundament [djajfer und ftudierte eins
gehend bie großen Muſeen und Bildergalerien.
Nah Berlin brachte er Empfehlungen an die
Beliker einiger Privatfammlungen mit, und
feine Tage waren fo ausgefüllt, daß er nicht
gleich dazu fam, feinen Freund aufzujuchen.
Menigftens redete er fid) bas ein und täufchte
[id vor, es verlobne fih nicht recht, Sans
von feiner fojtbaren Zeit viel zu opfern.
Im Grunde aber war es fein jchlechtes Ges
willen, bas ibn den Freund meiden hieß.
Nachdem bieje Scheu aber einmal überwunden
war, machte fid) die alte Anziehungskraft
wieder geltend, und bie beiden verbrachten
mehrere Abende zujammen in endlofen Ges
Iprächen. Hans hatte, wie er Annie gejchrieben,
allen blauen Träumen Balet gejagt und jein
bisher von Launen gejchaufeltes Leben in
geradem Kurs aufs Bhiliftergeftade gerichtet.
An diejer Wandlung war nicht nur bie
Liebe, die fein Verantwortungsgefühl ges
wedt batte, ſchuld. Er wußte felbft nicht,
was ihn eigentlich auf diefen Weg geftoBen
hatte, von dem er fühlte, daß er nur ein Um-
weg fein fönne, War’s ſchließlich auch nur eine
neue Kaune? Cine neue Betäubung? ...
Uber er gab fih einfach dem Triebe bin,
der ibn nötigte, feine vielgeftaltigen Gebn:
jüchte zu vergewaltigen, fih unter bie Fuchtel
zu nehmen und in das langteiligite Stu—
pium fid) zu verbeißen, als müßte er zeigen,
daß er aud) bas bewältigen Tünnte,
Uber das Erftaunliche war, daß gerade
das, was nad) feiner Meinung ihn zum Phi-
lifter berridjten folte, ihn zum Gegenteil
davon madte. Indem er feinen Geift wie
in einer Art Zwangsdreifur für den größten
3
359 LSS] Wilhelm Hegeler: seess
Teil des Tages auf das Enge und Befons
dere richtete, weitete er ihn nur, verftártte
die Schwingen feiner Gehnjucht, verfeinerte
feine Eindrudsfähigfeit. In der mindijden
Haft wurde ber Nechtsftudent zum Lebens:
ftudenten. Obwohl er nad) beendigtem Rol:
leg felten feine Rlaufur verließ und von ben
vielfachen Berliner Beziehungen nur geringen
Gebrauch madte, jonbern lieber die Stätten
aufjudte, wo das Bolt feine Nöte und Fors
derungen laut werden ließ oder Gonntags
„in Lärm und Luft der Woche Dual” zu
vergefjen juchte, fühlte er fih dennoch von
dem Chaos der ungeheuren Stadt umbrobelt
und nahm mit gejhärftem Auge und nad
benflidjem Ohr bie verworrenen Gtimmen,
die ibm von überall her entgegenjchlugen,
in fid) auf.
Auf Rlaufens Wunjd Hatten die beiden
yreunde fid) für den erften Abend in irgend-
einem Rabaret verabredet, wo fie bei par:
fümiertem Mojelwein in tiefen Klubjejjeln
jagen, unbequem vor allzuviel Bequemlich-
teit, geblendet durch bas wie fliijjiges Feuer
von der Dede triefende Licht, und vergniigt
den über die Bühne wirbelnden Tänzerinnen
gujaben oder fid von einem Romifer zum
Laden bringen ließen. Im Bewußtjein
feines zieljicheren Ctrebens, das ibm and)
¡hon einige Erfolge eingetragen hatte, ſchlug
Klaus dem Freund gegenüber guer[t den
Ton leichter Überlegenheit an. Er erzählte
viel von feiner Mujeumsreife, ſchwärmte von
bem Kulturzentrum Berlin, von den Reid»
tümern und Runftjchäßen feiner PBrivatjamm»
lungen, die freilich nicht dem erften beften
guganglid) waren. Aber nad) und nad ge:
riet feine Unterhaltung auf eine etwas flache
unb hbandelsmäßige Bahn, indem er nichts
zu berichten wußte, als welche Gegenftánde
gerade Mode waren, wieviel fie früher ges
foftet unb was jebt dafür geboten wurde.
Schließlich war es Hans, der dem Beipräd)
zu einem bejjeren Fortgang verhalf, indem
er Die Frage aufwarf, warum denn diefe
und jene Runftichöpfungen augenblidlid ges
(übt und andere, nicht minder gute uns
beachtet blieben, und dies enge Gebiet in
den Julammenbang mit dem allgemeinen
Zeitempfinden brachte.
Als fie dann Deimgingen, [prad) er von
bieler Zeit, wie er fie empfand und begriff,
von bieler erlebnisgierigen und fo todes:
fühtigen Zeit. Man war fránfer als trant:
hyſteriſch. Vol Überdruß und Giel an den
Leiftungen ber legten Vergangenbeit, an
Technik und Wifjenfdaft, fonnte man fih
bod) nicht davon Iosmadjen. Man er[tidte
im Reidtum. Man frie nach Befreiung
des Geijtes. Aber was war Ddiefer Geijt?
Jeder verftand darunter etwas anderes.
Seder hatte fein Spezialevangelium und
feiner glaubte an das des anderen.
Uber bas fei eben bie Größe und Eigen-
art der Zeit, erwiderte Klaus, ihre Biel:
feitigfeit und Borurteilslojigfeit, bie jedem
freie Bahn Iajje. Go feien denn auch überall
neue Kräfte am Wert.
Alſo aud) Klaus gehörte zu den Lob:
preilern der Gegenwart? Mber bei folden
Worten müffe er immer am den Römer
Symmadus denten, ber [d)rieb, das goldene
Zeitalter fet angebrochen, und wenige Jahre
ipáter gerbrad) 9flarid) bie Mauern Roms.
Wenn das Neue, bas im Entjtehen fei, wirt»
lid) neu fet, jo würde es als Katajtrophe
tommet Oft wenn Hans in feinem Sims
mer die Gleftrijche nachts vorüberdonnern
höre, hätte er bas Angftgefühl eines Erd»
bebens, Wo möge der Boden fid) fpalten,
um bie 3ufun[t zu gebären?
Kurze Zeit nad) feiner Riidfehr erhielt
Klaus von Frau Dewerth einen Brief,
worin fie um feinen Bejuch bat. Sie hatte
beichlofjen, einen Teil ber Sammlungen ihres
verftorbenen Mannes zu veräußern. Da es
fid um einen größeren Xerfauf handelte,
madjte Klaus den Borfchlag, bei diejer Ge:
legenheit die ganze Cammlung zu ordnen
unb abzufhägen. Er widmete diejem Ge»
Ihäft mehrere feiner freien Tage.
Eines Sonntags wurde er zum Mittag:
ellen dabehalten. Frau Dewerth war von
auffallender Siebenswiirdigteit zu thm und
betonte mehrmals, wie febr fie ihm für feine
Mühe Dant wijje. Annie war zwar recht
fühl, alles in allem fonftatierte er jedoch mit
Genugtuung, daß er wie ein zur Gejellichaft
gehöriger Gaft und nidjt wie ein Menjch,
der einen gejdjájtlid)en Auftrag erledigte,
behandelt wurde. Nah Tilh 30g Frau
Dewerth fich zurüd, und Klaus bat Annie,
ibm etwas vorzujpielen.
Er verftand nidts von Muſik und hörte
taum zu. Aber defto hingegebener verjentte
er fid) in Annies Züge, deren reine Muss
prügung in bem refleftierenden Licht des
Ihwarzpolierten Fliigeldedels etwas jtatuen«
haft Sbealijiertes befam, während dod bas
leichte Atmen ihrer Schultern unter dem
dünnen Flor ber Halbtrauer ihr Leben pert»
riet, mit allen feinen rätjelhaften Strömen,
deren Ahnen wie in einer geheimnisvollen
Wedhjelwirfung aud die verborgenen Ströme
feines Innern ftárter raufchen ließ.
Es war überhaupt eine Stimmung wie
gemadt zum Träumen, wie gemadt, um
Brüden zur Vergangenheit zu ſchlagen und
Vergleiche zu ziehen. Er hatte bie Häufer
viel reicherer Leute betreten, aber diefe Räume
Entführung
Gemälde von Prof. Julius Diez
SSSSSSSOSSSSSSSSSTSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSTSHSSSHSDSSSSSSSSSOSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSESSSSSSSSSSSSSSSSSSSESSESCSSSS
EES) Zwei Freunde B2323233233333335331 353
mit ihrer von einem Riinftler und Sammler
geldaffenen Pract erwedten nod) immer
die ehrfiirdhtige Bewunderung feiner Kinder:
zeit. Nun war er hier wieder als ebenbür-
tiger Gaft eingetebrt, feitoem das Unglüd
ibn daraus vertrieben, er, der Sohn bes
armjeligen Zuchthäuslers! Bor einem Jahr
nod) wäre ihm eine ſolche Stunde als ein
Traum von ausjchweifender Kühnheit ers
ſchienen. Hatte fid) damit ber zerbrochene
Ring feines Lebens nicht wieder gejchlofjen?
Und waren jet nicht nod) fühnere Träume
erlaubt? Moblig zurücgelehnt, erhigt von
ben Weinen und bem guten Mittageljen, malte
er fid aus, daß er einmal als Herr hier
waltete, BefiBer bes Haufes, Beliger Der
Möbel, Beliter diejes jchönen Mädchens vor
allem.
Es war, als wenn Annie feinen Blid
fühlte und feine Gedanken erriete. Plötzlich
\hloß fie das Klavier. „Ich glaube, id)
langweile Sie mit meinem Spiel.“
„Aber nicht im geringiten!” erwiderte er
beftiirgt.
Sie erhob [id unb nahm ihm gegenüber
. SBla& an bem mit Zeichnungen bededten
Tiſch. „Erzählen Cie mir lieber nod) etwas
von Hans.“
Er hatte [eine Reife und das Zujammens
treffen mit dem Freunde bereits umjtändlich
beichrieben, aber geborjam willfahrte er.
Mit keinem Mort ließ er burd)bliden, daß
er das Verhältnis der beiden burdjjdjaute.
Geine Stimme wurde warm und entglitt
nur dann und wann in zögernde Hinter:
haltigteit, während er von feiner Verehrung
für Hans fprad.
Was für ein felbftlofer, treuer Freund!
Er, Klaus, hatte das ja am beiten erfahren.
Auf der Schule Hatten manhe Kameraden
ihn langweilig gefunden. Gie hatten feine
reiche Begabung einfach nicht erfannt. Und
bann war er fein Gejelichaftsmenih! Cin
echter 9torbbeut|d)er, gang anders als diefe
Rheinländer. Er würde es vielleicht ein
bißchen ſchwer haben im Leben, da er an
einer allzu großen Beſcheidenheit und einer
gewiffen Bajfivitát litt. Aber war es ſchließ—
lid) nötig, daß jeder fih eine glänzende Po:
fition erfämpfte? Konnte man nicht aud) in
beicheidenen Verhältniſſen gliidlid) fein?
Und [o ftelle er fih feines Freundes Zulunft
vor. Für bie Regierungstarriere pafte er
nicht, aber als Richter in eine hübjche Mittel:
ftadt. Tagsüber Pflicht, abends pflegte er
feine Blumen — er war ja ein großer Garten:
freund — und lebte feinen fiinftlerijden Inter:
ellen. Ach, er beneibete den Freund, ber
nicht ein bißchen von dem Materialismus der
Zeit angeltedt war.
Ohne ibn zu unterbrechen, hatte Annie’
zugehört. Rein Wort, das nicht der Wahr:
heit entjpradj! Rein Wort, das nicht wie
Anerkennung Hang! Und bod) jpürte fie unter
allem Neid, Überhebung, peinliche Herabe
ſetzung. Aber er ließ ihr feine Zeit gum Mad»:
benfen. Während er, den Kopf aufjtügend,
fid vorbeugte und fie mit bemütig [meis
delndem Blid anjab, begann er von ihr zu
Iprechen. Wie leid tat es ihm, daß fie ihn
niemals wieder in feinem Geſchäft befudt
hatte! Jedesmal, wenn eine bejonders [Hóne
Roftbarteit durch feine Hände ging, mußte
er an fie denten, unb es jchmerzte ihn, bas
Gtiid nicht aufheben zu können bis gu dem
Seitpuntt, wo fie fid) einmal einrichten wirde.
Denn fie war ja bie geldjaffene Befiberin
diejer erlefenen Dinge.
„Ach Gott, diefer alte Rrimstrams!” fagte
fie wegwerfend. „Ich babe nicht bie ges
ringjten Sammlerneigungen. Ich werde mid)
einmal ganz modern einrichten.“
Gr [dien zu ftugen. Gewiß, fie war ein
moderner Menjd. Gie liebte den Sport.
Sie liebte das tongentrierte Leben und die
raſche Folge der Gegenfáge. Wenn ihre
Eltern gemádlid in der Equipage gefahren
waren, wollte fie im Auto fliegen. Aber
wenn fie ihre gulünftige Villa nod) fo mos
dern einrichtete, mit allem raffinierten Rome
fort — für die Räume, denen [ie bas Gee
präge gab, für die hatte Das moderne Runfts
gewerbe nod) feinen ebenbürtigen Gtil ges
Ichaffen. Für fie tam nur bas 18. Jahrhun-
dert in Betrabt, das ewig vorbildliche
Sahrhundert der großen Dame,
Annie lahte ihm ins Gefibt. „Billa —
Auto — raffinierter Komfort — woher wifjen
Cie, daß ich bas alles will? Vielleicht ziehe
id ganz einfache Verhältniffe vor.“
„Wirklich? Da müßten Gie aber ganz
andere Eigenichaften haben, als Cie bes
figen.“
„Woher glauben Cie eigentlich, mid) zu
tennen ?”
„Sch feb's Ihnen an. Man tann eine
Orhidee nicht aufs Feld pflanzen und Cie
nicht in einfache 9Berbáltnijje."
„Warum niht? Mit einem Menfden, den
man lieb hat —“
„Glauben Cie wirtlid, Cie fónnten von
Gefühlen leben? Cie — tibl wie Glas, wenn
aud nicht [o burdjfidjtig. Sie, in Luxus
aufgewadjen!”
„Sch babe mit meinem Bater monatelang
in einer Heinen Filcherhütte gelebt und mid)
volltommen glüdlich gefühlt.“
„Wie die Marquife bes 18. Jahrhunderts
in ihrer Schäferhütte. Aber leben Gie dies
Schäferſpiel nur über einen Winter fort. —
354 Wilhelm Hegeler: Zwei Freunde BSSSsssssssss
Nein! Mein! Heute ſchätzen Cie Luxus und
große S9Berbáltnijje gering, weil Cie das
Gegenteil davon nicht fennen. Ich wünſche
Ihnen, daß Cie es niemals tennen ler:
nen, Cie blieben dann bie nicht, die Cie
find.”
„Sch bewundere Ihre Pſychologie,“ erwis
derte fie ruhig, gang ohne Spott. „Aber da
Sie nun von Hans und mir eine fo treffende
Charatterijtif gegeben haben — was [tnb
Cie jelbft für ein Menih? Es würde mid)
intereffieren, wenn Cie es mir fagten. Ich
habe mid, offen geftanden, nod nicht mit
Ihnen bejdjájtigt. Aber nad) Ihren Worten
find Cie ja wohl einigermaßen angeltedt
vom Materialismus der Zeit.“
„Barum fol ich bas leugnen?”
„Sie wollen alfo reich werden?“
nod wils und werde es auch.“
„Und dann werden Gie fid) alles an:
Ihaffen, was Ihr Herz begehrt. Cin groß:
artiges Haus. Cin Auto. Cine jchöne
grau.”
„Nicht irgendeine [djóne Frau, jondern” —
fein Blid glitt von Annie ab, aus dem
yenfter, ins Bage, während er leicht errótete
— „das Mädchen, das ich liebe.”
Ein Saud ging über fie hin, eine ganz
finnlofe Vermutung, er könnte fie meinen...
eines Stäubchens Berührung nur, aber fie
traf ein gum Zerreißen gejpanntes Herz.
„Und dies Mädchen werden Gie natürlich
befommen, dant Ihrem Reichtum? Denn
nad) Ihrer Auffaffung ift ja für Geld alles
¿u haben.“
„Das babe ich nicht gejagt.”
„Aber es liegt in Ihren Worten. Wenn
man einmal materiell denkt, muß man aud
fonjequent fein.”
„Sch will nicht Jagen, baB id) bas Mäd«
den meines Reichtum wegen befomme.
Aber Reihtum ift immerhin für fie uner-
läßlich.“
„Und damit wäre dann der Fall erledigt,“
flog fie in offentundigem Hohn. „Nun
weiß id) bod), was Gie in Ihrer Laden:
ede jpintijieren. Sntereffant! Uber ge:
fábrlid) !”
„Wieſo?“
„Solche kühne Phantaſien können doch
auf Abwege führen. Haben Sie ſich nie mit
Verbrecherpſychologie beſchäftigt?“
Sein arglos fragender Ausdruck ver—
finſterte ſich. Er dachte an ſeinen Vater
und witterte eine Tiefe der Bosheit, die
Annie gar nicht gewollt hatte. Blitzſchnell
tauchte ihm eine Antwort auf, mit der er
ihr heimzahlen konnte. Aber er ſagte nur:
„Schwache Menſchen Tonnen allerdings bird)
allzu kühne Ziele auf Abwege geraten, aber
nicht jemand, ber Recht und Unredht zu unters
ſcheiden weiß.“
Cie [djmiegen. Einige Augenblide fpáter
wurde Bejud) gemeldet: eine Freundin An:
nies und deren Mann.
Während fie den beiden entgegenging und
plaudernd mit ihnen in der Nähe der Tür
ftehen blieb, [hien fie Klaus ganz vergeffen
zu haben. Erft nad einer Weile ftellte fie
ihn mit betonter Nadlájfigteit vot: „Herr
Ebenjtod, ber meiner Mutter beim Ordner
der Sammlungen hilft. — Lajjen Cie fih
nicht ftóren! — Kommt, wir wollen in mein
Zimmer gehn.“
Sie ließ ibn allein, ber in finfteres Brüten
verjant und Später Frau Dewerths Gin:
ladung zum Abendejjen ablehnte.
Wieder hatte er fic wie ein Narr bes
nommen. Und er würde fic) jedesmal wie
ein Narr benehmen, fo oft er mit Annie zu»
jammentraf. Er würde ihr von jet ab aus
dem Wege gehen! Die bittere Erfahrung
vermochte feine Leidenichaft nicht zu vers
mindern, lófte fie aber noch mehr als früher
von feinem Herzen. Er gewöhnte fid) daran,
Annie als feine Feindin zu betrachten, bie .
es zu befiegen galt, indem er zu Anjehen
und Reichtum gelangte.
Geld wurde immer mehr der Mittelpuntt
feiner Gedanfen. Mandmal fuhr er nadts
auf und murmelte irgendeine ungeheure Zahl
vor fid) bin. Er [parte und raffte, Hatte
feine Augen überall und entdedte auch da
und dort verborgene Funde, durch bie er
eintrdglide Nebengeihäfte madjte. Aber
was bedeuteten dieje Summen im VBerbálts
nis zu feinen Wünjchen? Wann würde ibm
je ein wirklich großer Schlag gelingen? Er
verwünfjchte die Zeit mit ihrem Überfluß an
Kräften, mit ihrer Konkurrenz überall, die
jedes Hochlommen hemmte. Er plante, nad)
Mmerita auszuwandern. Er [prad) von einer
fommenden Weltrevolution, vom drohenden
Zujammenbrud, weil er fid) von einem Um:
jhwung Wunder erhoffte.
Derweil arbeitete Hans für jein Examen
und juchte auf feine Weile dem Leben zu
dienen und feine Zeit zu begreifen. Und
wenn manchmal der Drud der ungeheuren
Stadt übermädhtig in ihm wurde und dieje
oder jene grel auffallende Erjcheinung ihn
er|d)redte, hatte er wieder bas Gefühl eines
drohenden Gewitters, eines lajtendDen Kon:
flitts, der nad) Auflöfung und einer verbal»
tenen Yngft, die nad) Erlöjung drängte.
Sie fam rajcher, als er abnte, der Boden
ipaltete fih, bem Abgrund ent[tieg ein Riele
ohne Haupt, mit einem Schwert in den
blutigen Händen. (Fortjegung folgt.)
88
Wie England feine
Go Rolonien teqiett c
H Bon Prof: Dr. Wilhelm ibelius ee
vábrenb bes Weltkrieges haben viele
eutidje gejpannt auf den Tag
ewartet, an dem die englilchen
olonien vom Mutterlande abs
fallen, Indien und Ägypten, Süd»
afrita, Kanada und Auftralien fid) unabs
pangig ertláren würden. Gie haben verge:
ens gehofft: ein furger Krieg in Cübajrita,
einige gefährliche, aber bie Exiftenz des Welt:
reiches nicht bireft bedrohende Verſchwörungen
in Indien waren die einzigen Erjehütterungen
bes Britijden Reiches, von denen Runde nad)
Europa gedrungen ijt; während des Rrieges
ftand es feit. Und jebt, nachdem England in
bielem Kriege |o Unerhirtes gewonnen bat,
[heint fih auf einmal bas Reidsgefiige zu
lodern: Irland hat Homerule erhalten, um
bas es feit 50 Jahren vergebens getámpjt
bat, die Bewährung einer ähnlichen Gelbft-
verwaltung in Indien [djeint im (Pange zu
fein, und aus Ägypten beabfichtigt England
E angeblich ganz — Das ver⸗
ehe wer da kann! Daß England Länder
ER: bie es befigt, ift eine |o ungewöhn«
liche, ber üblichen noeng von Englands
Sándergier fo jdjnurjtrads widerjprechende
Erſcheinung, daß wir [oldje Nachrichten un:
möglich glauben fünnen, daß wir eine be:
jonders — Heuchelei dahinter zu wite
tern geneigt find.
Tatjächhlich ltegen auch bie Dinge nicht jo,
daß England ernftlid daran bádjte, Irland,
Yignpten oder gar Indien aufzugeben — das
genaue Gegenteil ijt ber Fall. Soweit bat
ber deutſche Beobachter redjt. England
wünjcht vielmehr, und jehr hervorragende
Engländer halten es für möglich, dieje Teile
feines Reiches im englijden Fa eo e zu
leiten, aud) ohne daß es fie bireft zu beberrs
[den braudte. Der gewöhnliche Politiker
tann jid) nur eine Form der Herrichaft denten,
die Annexion, die Ausübung einer direkten
ftaatliden Gewalt in den beherrichten Ge:
bieten. Für England ift dieje Art der Aert:
Ihaft immer etwas Robes, Unerfreuliches,
was nicht immer au umgehen war, aber bod)
in feiner Meije ente soet ijt. Vielmehr
hat England — und von allen Nationen
der Welt England allein — die Methoden
der inbireften Sjerrjdja[t über ein anderes
Land oder Volt mit einer Meijterjdaft aus:
Ren bie wohl eine turze Betrabtung vere
tent.
Als Spanien, Portugal, Frankreich jid)
Kolonien ſchufen, da gejchah es unter ber
Herrihaft von Geftichtspunften, bie nod an
die Rreuzzugsftimmungen des Mittelalters
erinnerten. Gewiß trieb in erfter finie bie
Sucht nad Gold, Reidhtum und Abenteuern
toen
gropen,
in die Ferne. Aber in diejer Ferne wollte
man aud ein Staatengebilde aufridten, das
der alten Heimat mógltdjjt gli. In Rana:
da ki Frankreich einen Staat mit feudaler
Organijation, mit einer Oberjchicht von ad:
ligen Rittern über einer Maffe von Bauern.
Diefer Staat mußte driftlid, b. b. fatbolijd)
jein; Rekern darin ein Exiftenzrecht zu ges
währen, wäre bem allerdjrijtlidjten König
als eine beleibigenbe Zumutung er|djienen.
Dak die Kolonie Miſſion trieb, pop der Bi-
jchof eine ebenjo große Bedeutung darin
hatte wie der Generalgouverneur, war felbjt-
verjtändlihe Ehrenpflicht. So war es in
der franzöſiſchen Kolonie Kanada, und im
portugielijden und |panijchen Südamerika
war es im wejentlichen ebenfo. Und diefe
Übertragung europäilcher Begriffe und Dr:
anijationsformen auf amerifanijches Neus
and ift ein völliger Fehlſchlag gewejen.
England dagegen hat — koloniſiert
erade weil die engliſche Koloniſation
völlig materialiſtiſch und ideenlos war. Tan
kann zwei Typen der engliſchen Koloniſation
unterſcheiden:
1. Die Kolonie fol unerwünſchte Bevöl—
kerungsmengen aufnehmen. Als der engliſche
Staat mit feinen Puritanern nicht fertig
wurde, geftattete er ihnen, nad) Mafjachujetts
abzuwandern, um fid) dort nad eigenen Ge:
danten einen Staat zu zimmern. Das
Mutterland ift zunächſt froh, wenn es von
den Roloniften, die als Demokraten und
Reger zur Deimi|den Sitte nidt pajjen,
möglichſt e überläßt ihnen die Ber:
waltung der Kolonie nahezu ganz, [didt
ihr nur einen Gouverneur, deffen Nechte
nicht genau begrenzt find, ber mit ben ftets
widerborjtigen Anfiedlern fertig werden muß,
o gut er fann. Nur eins verlangt bas
utterland: bie Roloniften miijjen fid) wirt»
ſchaftlich in den Rahmen bes englijden
Reiches fügen, müjjen mit dem Mutterland
und nur mit ihm Handel treiben. (Als Die
Umerifaner am Ende bes achtzehnten Jahr:
hunderts fih diejer Einichräntung zu ent:
ledigen fud)en, fommt es zum Konflikt, der
mit ber Unabhängigfeitserflärung von 1783
endet.) e e Sereen hat das Mutter:
land niht. Der Gebante, etwa bas Chriften-
tum unter den Indianern zu verbreiten, liegt
ibm meilenfern — und ben Anjiedlern nit
minder. Go un chriftlich fie find, das
Chriftentum ijt ihr Erjtgeburtsrecht, es mit
den verfludten Heiden, ben 9Ibtómmlingen
Hams zu teilen, erjcheint ihnen geradezu
als Berjündigung. ür eine allgemeine
Schulpflicht zu jorgen, wäre ein völlig un:
englijder Gedante gewejen, denn England
356 Prof. Dr. Wilhelm Dibelius:
felbft hat fie ja erft 1876 bei fih eingeführt.
An den Roften der Landesverteidigung durch
bas Viutterland fudte man die Kolonien
wiederholt zu beteiligen; als dieje Schwierig»
leitet machten, IteB man die Gade jchließlich
wieder fallen. Eine intenfive Regierung bat
man alio niemals —— verſucht,
ſondern war zufrieden, wenn England durch
Handel mit den Kolonien reich wurde. In
ähnlicher Weiſe hat man am Ende bes adt:
Monte Jahrhunderts Auftralien als Gtráfs
ingsfolonie angelegt, fid) aber um bas (Gre
gehen der Kolonie jo wenig wie möglich
efiimmert, bat bie Gtráflinge felbft wirt»
haften lajfen und ift froh gewejen, wenn
man politild) nichts von ihnen hörte. Aber
als Auftralien [djfieBlid) gum Wols und
Goldlande wurde, hat man in England aud
an biejer Kolonie Vermögen verdient.
2. Noch deutlicher pem bei dem zweiten
Giedlungstypus, der Handelsfolonie, die Mo-
tive des bloßen Geldverdienens im Border-
runde. Bejtes Beilpiel " Indien. Das
land wird feit Anfang des liebaebnten Jabrs
bunderts in die englilhe Einflußſphäre bin:
eingezogen. Wher man bat gar nicht ben
Ehrgeiz, es zu erobern. Man will Geld
verdienen, und imer mit möglichjt geringen
Gpejen. Alſo feine Flaggenhijjung, feme
Eroberung, feine Kriege — aud) feine chrifts
liche Dtijjton. Erft rajtfoje Agitation kirch—
licher Kreije in England hat es zu Anfang
bes neunzehnten Jahrhunderts durchgejegt,
dah bas Chrijtentum in Indien mehr wurde
als unorganifierte Tätigkeit einzelner bes
geilterter Individuen. Vian jucht Indien ins
bireft zu beherrjchen, indem man gute Be:
iehungen zu den heimijden Herrichern, ihren
ünftlingen und Minijtern unterhält, indem
man bei allen Streitigkeiten zwijchen Thron:
bewerbern und fid) befämpfenden Hofloterien
dem englandireundliten Bewerber zum
Giege verhilft, indem man reidlid Gold
und Ehren fpendet und vor allem indem
man die Franzojen aus dem Lande Derauss
manöpriert. Das ijt nicht ganz ohne Kriege
egangen — aber bieje waren ftets eine
Paji unerwünjchte Belaftung ber Paſſivſeite,
fie wurden zudem überwiegend mit indijchen
Hilfstruppen geführt und ſchließlich in
Europa entichieden, indem man Friedrid) ben
Großen gegen Frankreich unterjtiigte. Der
Spealzuftand, ber aud) in [febr vielen Fällen
erreicht wurde, war der, daß ein indijder
ürft ber indischen Sjanbelsgelelljdjajt bie
úbrung feiner gejamten auswärtigen Ans
elegenheiten übertrug, dab ein englijder
efident an feinem sol ihn tiberwadte, dak
ber Gejelljdaft es geitattet wurde, Handel
zu treiben, daß man Wegebauten, Plan:
zungen und Ee des Landes im Jn:
terejje der Geſellſchaft beeinflußte. Weiter
reichte das englilche Snterejje nicht; im
Gegenteil. Hätte man das Land wirklich
in eigene Verwaltung genommen, fo hätte
man verantwortlich gemacht werden fünnen,
wenn ber Fürſt nad) orientalijder Gitte
feinen Miniftern bie Augen ausftechen ließ
oder wenn die Gtenerbeamten das Land
nad) allen Regeln ber Runft ausjaugten. Die
indirefte Serrichaft genügte für Das was man
wollte, b. b. zum Geldverdienen.
Noch heute wird nahezu die Hälfte des
Landes auf diefe für England hidjt vorteil»
hajte Weile von einheimijden Fürſten vers
waltet. Daß England nicht überall diefe
Berwaltungsmethode eingeführt bat, bat
mannigfaltige Gründe. o eine [tarte
Dppolition gegen England beftand, wo 3. Y.
ranaó[ijder Einfluß mädtig war — und
as war in ſehr großen Teilen Indiens
der Fall — mußte England es wohl ober
übel in eigene Verwaltung übernehmen,
ebenjo wo bie Su|tánbe im Bebe vers
worren waren, daß nur eine von Euro:
püern geleitete Regierung wirklich dauernd
Ordnung fdjaffen fonnte. Auch wirtichaftlich
war aus einem europätjch regierten Lande
iblieglid bod) mehr herauszuholen als aus
einem in orientaliiher Halbanardie veges
tierenden. Jn der Berwaltung Indiens
haben fich daher bie auf dirette Herridaft
lege unb bie mit inbirefter Beeins
uj|ung zufriedene Schule immer befampft.
Daß die erftere unter dem Vizetónig Lord
Dalboufie (1848—56) eine furze Zeit lang
bie Oberherrſchaft nn war Ja: lich der
legte Grund zu dem gefährlichen indijden Auf:
ftand von 1857. Diefer hat zwar die Engländer
Dazu gezwungen, das ganze Land zu einem
Beitandteil bes englildjen Staats — bisher
gehörte es ber S [tinbijd)en Handelsgejellichaft
— gu maden, aber bat doch wieder die
Methode ber indireften Sjerr]djaft zu Ana
leben gebracht: das Land fol möglichft von
Indern regiert werden, jo weit dies eben
möglich ift, ohne die Sicherheit ber englijchen
Sjerr|djajt zu bedrohen. In der Linie biejer
Politik liegt es, daß jekt ber Verfud) gemat
wird, ben Indern europäilche Gelbftverwale
tung zu gewähren. Es gejchieht dies in
jebr —— Weiſe, die niemanden in Ins
dien befriedigt, und Die A liegt
natürlid) nahe, daß bier ein jchnöder Betrug
an den Indern verübt werden fol, aber fie
ilt in Deler form unberedtigt. (England
denkt natürlidy nicht im Traum daran, fih
aus Indien zurüdzuziehen und etwa eine
unabhängige indilche Republif oder ein
neues Broßmogulreich wieder. aufzurichten.
Uber dağ die Verwaltung des Landes mög»
Dt von Indern geführt wird, liegt Durd)s
aus im englijdjen Snterejje, und England
ijt geneigt, vorfidtig nad) bieler Richtung
hin es au verjudhen, obgleich ein jolches
— immer ein kühnes Experi—
ment iſt.
In Indien hat England ſeine Methode
der indirekten Herrſchaft gelernt und hat ſie
im Laufe der Zeit an den verſchiedenſten
Stellen des Erdballs zur Geltung gebradjt.
Es herrſcht, indem es ſich auf die wichtigſten
Perſönlichkeiten oder die wichtigſte Bevöl—
kerungsſchicht eines Landes ſtützt. Der Konti—
>>>
nentale denkt babet zunächſt an Beftechung,
und es fol nicht geleugnet werden, daß im
Drient das Bold dabei eine hervorragende
Rolle jpielt. In zivililterteren Staaten tennt
man feinere Mittel. Die Entente wurde in
dem Jahrzehnt vor dem Kriege zum großen
Teil aufrechterhalten durd) die glänzende
perfönliche Runjt, mit der engliiche Staats»
männer und König Eduard die leitenden
Staatsmänner Frankreichs und RuBlands zu
behandeln wußten. England war während
des größten Teils des neunzehnten Jahr:
Bunberts die Nation bes Freihandels und
des liberalen Fortichritts, ber Vorkämpfer
für teine oder werdende Nationen wie
Griechenland, Italien, Dänemark, Belgien.
Gelbitverjtändlich im eigenen Interejfe; aber
höchſt erwünjchte Folge war es gleichzeitig,
daß England dadurd fih zum Bundes»
genojjen fat aller vorwärtsitrebenden, Tratt,
vollen Elemente in nahezu allen Staaten
machte, daß es in allen £ünbern eine eng:
SE E Partei gab. Und bie Diplo:
matijden Heiraten — man dente an bie
deutie Rronprinzejfin zu Bismards Zeit
und in ber Gegenwart an die englijden
Königinnen in Spanien und Norwegen —
hat England immer mit bejonderer Kunſt
gepflegt. :
In Englands Intereſſe arbeitet in den
meiften Ländern — met einfach infolge
einer natürlichen Interejfengemeinihaft —
ein wichtiger Teil der Prejje. Sn den Ententes
ländern |tehen führende Zeitungen wie ber
Corriere della Sera und ber Matin gwar niht
im Golde der englijden Regierung, aber im
Kartell ber Northcliffepreffe, wodurd) ihnen
ber gejamte Nachrichtenapparat der Times,
der erjten Zeitung der Welt, zur gung
jteht und ihnen dadurch eine gewaltige Über:
legenbeit über andere Zeitungen gegeben wird.
Serner arbeiten für England überall frei:
willige Helfer aus den führenden Schichten
des fremden Landes. In ber Auswahl
jolder Perjönlichkeiten und Schichten der Be-
vólterung ijt England vollfommen vorurteils:
los: jeder ijt willfommen, der felbft poems
Macht befigt und England dieje Maht zur
Berfügung ftellt. In England war 3. Y.
im achtzehnten Jahrhundert der Ratholit
vom politijden Leben ausgeſchloſſen, beſaß
nicht einmal das Gtimmredt. Als aber
bas franzófilbe Kanada im Jahre 1763
englijd) wurde, jtüßte England fih auf bie
fatbolildje Kirche biejes Landes. Ihr wurde
nit nur volle Religionsfreibeit gewährt,
[onbern der von ihr erhobene Zehnte wurde
Staatsiteuer, bie Schule wurde völlig ber
Geiftlibteit ausgeliefert, und noch heute ijt,
obgleich der Zehnte nunmehr nicht der pros
teftantijden Minderheit auferlegt wird, der
franzöfiich - fanadijdhe GSiaat Quebec ein
Heiner Rirchenjtaat. Die fatholijdhe Geift:
lichfeit weiß, was fie an bem proteftantijden
Staate für eine Stüße befigt und ift daher
im eigenften Interefje allen Abfallsgelüjten
der Kanadier energijch entgegengetreten,
Mie England feine großen Kolonien regiert 357
England berricht, indem es feinen unter:
worfenen 3Bolfern Freiheit gibt, fie aber
gleichzeitig daran hindert, diefe Freiheit in
einem für England ungünftigen Sinne zu
en Als nad) dem amerifanijden
efreiungsfriege 40000 Engländer, die ihrem
Könige treu geblieben waren, aus den Bers
einigten Staaten ausgetrieben wurden, lie:
delte England diefe ‚Zoyalifts‘ an den Gren:
zen des urjprüngli” rein franzöfilchen
Kanada an und begründete neben dem alten
Quebec die neuen Kolonien Neujchottland
im Often und Ontario im Mejten, jo daß
das franzöfiiche Element nit ungehemmt
nad) beiden Ogeanen binausfluten fonnte,
jondern immer wieder el geichlofjene eng:
life Diftrikte ftieh. Während des ganzen
19. Jahrhunderts wurde dann eine. ftarfe
englijde Auswanderung nad Kanada ges
leitet, wurde 3. B. an der Riifte bes ——
Ozeans die rein engliſche Kolonie Britiſch—
Columbia geſchaffen, und bas ganze Neg:
mert von Siedlungen nördlich der amerts
tanijchen Grenze wurde |djlieBlid) (1867) zu
einem gemeinjamen Gtaate, der Dominion
of Canada, zujammengejchweißt, Das frans
zöfiiche Element genießt innerhalb ber Dos
minion in Quebec die abfolute Borherrichaft
und völlige Freiheit in allen Kultus: und
Spradenfragen; aud) in den gemijdtipra:
igen Provinzen wie Manitoba werden bie
franzöſiſchen Intereffen * gewahrt. Aber
alle Angelegenheiten, an denen England
intereſſiert iſt, die Fragen der auswärtigen
Vertretung, ber Handels: und Sdiffahrts«
politik, des Heeres, der Flotte find —
kanadiſche Angelegenheiten, die vom kana—
diſchen Geſamtparlament entſchieden werden,
in dem Angelſachſen die Mehrheit haben.
Das hat ſich im Weltkriege bewährt. Das
franzöſiſche Element war zwar durchaus loyal,
Honn aber dem Kriege febr fühl gegenüber;
ber allgemeinen Wehrpfliht hat Quebec
heftigen Widerjtand entgegengejegt. Er
wurde gebrochen, denn im Tanadilchen Parlas
ment batte die franzöſiſch-nationaliſtiſche
Partei nicht viel zu fagen. Das Frangojens
tum bat in Kanada zwar volle Freiheit,
fann jie aber nicht gegen England verwen:
ben; es ijt national eingefreift. Genau jo
geht es den füdafrifaniihen Buren. Es
war ein meilterhafter Er daß Eng:
land den Buren nad) ihrer Niederwerfung
einen Frieden zu beijpiellos giinftigen Bes
dingungen bot: fie befamen fajt völlige
Gelbftverwaltung — aber eingefapjelt in bie
Südafrikaniſche Union, in Der ihnen das
englijde Bevólterungselement zahlenmäßig
jo die Wage hält und fie an Reichtum,
ntelligeng und vor allem politijder (dus
lung unendlich übertrifft. Auch in Irland
macht England jet Miene, den Iren völlige
Freiheit zu geben, nahdem fie einem Vers
nidjtungsfampfe von mehr als zwei Jahr:
underten mit bewundernswerter Bie dest
tandgehalten haben. Aber Irland ijt jest
nicht mehr allein von Iren bewohnt. Im
358 Prof. Dr. Wilhelm Dibelius:
Morden, in der Proving Uljter, bat England
feit Anfang bes 17. Jahrhunderts eine jolche
Menge von Englándern und Schotten an:
geliedelt, daß es wohl hoffen tann, daß dies
überaus tattráftige und politijd fábige Ele»
ment imjtande jem wird, aud) in einem
tiinftigen Parlament von Dublin den engs
landfeindlichen Tendenzen des fatholijden,
jüdlichen Landesteiles die Mage zu halten.
Bor allem aber hält England feine Solo,
nien mit einer wirtjchaftlichen Klammer von
gewaltiger Stärke zujammen. Die Lebens:
adern all feiner Kolonien find bie Eilen-
bahnen, bie in unendlicher Lange einen gan:
zen Kontinent oder erhebliche Teile davon
DER hater ah wie bie fanabildje Pazifitbahn,
bie Kap⸗Kairobahn, die a ie von Nor:
den ber bis zum Oberlauf des Nils, vom
Süden bis zur Rongoftaatgrenge fertig ge:
ftellt iff, ferner die großen Randle, wie fie
. B. verichiedenen Teilen Kanadas den An»
Er an das Lorengftrombeden geben, bie
tün[tlidjen Bewäfferungsanlagen fü gewijje
Gegenden Giidafritas, die Feljlengebirgs:
abhänge Kanadas und verjchiedene Teile
Auftraliens., UM diefe Anlagen brauchen
Kapital und dies Kapital finden die Kolo:
nien in London. Nicht ganz ausjchließlich ;
aus Ranada a. B. bat man bas ameritanijche
Kapital nicht ganz fernhalten können, aber
dod) in febr großem Umfange. Bleiben Die
Kolonien im englifchen Reidsverband, Debt
alfo in allen Notfällen bie politiihe Macht
Englands ſchützend hinter ihnen, fo bieten
fie eine febr viel ficherere Rapitalsanlage, als
wenn 3. B. nur Kanada mit feinen auf eine
Entfernung wie Lijjabon—Cenlon verteilten
aht Millionen oder gar Auftralien mit feinen
tiimmerliden fünf Millionen itt, tate
Sicherheit und Ruhe gewährleiſten folte.
Ein unabhängiges Kanada oder Auftralien
würde den Londoner Banten für feine An-
leihen einige Prozent 3injen mehr prom müſ⸗
ſen, das dämpft die Selbſtändigkeitsgelüſte.
Gegen fremdes, namentlich deutſches Kapital
in den Kolonien, wenn es mehr will, als
hier und da ein Handelshaus finanzieren,
it man immer ſehr a a gewejen,
Man hat ber Hamburg—Amerifalinie nicht
erlaubt, Irland — das in Diejem Ju:
jammenhange wohl eine englijde Kolonie
genannt werden fann — anzulaufen, man hat
während des Krieges bas deutjche Kapital
in Auftralien, bem 3. B. fajt die ganze Bint-
erzeugung des Kontinents gehörte, rückſichts—
los gerjdlagen, niht nur weil bie Belegen»
heit zu einem wirtjchaftlichen Raubzug giinjtig
eriten, jonbern weil man in der wirtichaft-
lihen Durddringung der Kolonie bie ftártite
SES erblidt, bte [ie an das Mlutterland
ettet.
Denn der wirtjchaftliche Faktor ijt nicht
nur eine Maht der Pfunde und Sdillinge,
jondern er löſt gleichzeitig aud) geiftige
Kräfte aus. Am Wohlergehen Kanadas tjt
jeder Engländer intereffiert, der fanadijde
Bazifitaltien bejigt, und ihre Zahl ift Legion.
Aber in gleichem Maße auch jeder Engländer,
dejlen Bruder oder Sohn als Farmer, als
Ingenieur oder Kaufmann nad) Kanada ges
gangen ijt, und ihre Zahl ift vielleicht mod)
größer. Dak umgefebrt faft jeder Kanadier
und Auftralier in England irgendwelche
Berwandte bejibt, [Hlingt ein ftartes ideelles
Band von der Kolonie zum Wiutterlande,
bas zwar die Kolonien nicht daran hindert,
ihre wirtichaftlichen und politijden Intereffen
aud) gegen das Mutterland recht tráftig zu
vertreten, das aber den Gedanfen an einen
Abfal nicht recht Bu onen läßt. Der
nüchtern rechnende Koloniale weiß, daß er
die finanzielle Unterftüßung bes Viutterlan-
des — aud) wenn fie von Privaten gegeben
wird — erheblich billiger hat im bat thet
band als außerhalb besjelben und Dag ibm
bie riejige Flottenmaht Englands nahezu
umjonft zur Gro jtebt, jolange er bem
Mutterland treu bleibt, ey ak onft Ra:
nada und Auftralien auf ber Weltbühne etwa
mit Holland und Belgien an gleicher Stelle
ftehen würden.
Und ſchließlich fol man aud nicht vers
gelen, daß bie ideellen Faktoren aud) ohne
erquidung mit wirtichaftlicden eine Macht
find. Bet der Gründung der erften englijden
Kolonien haben fie — vielleicht abgejehen
von Raleighs Rolonijation von Virginia —
fo gut wie gar feine Rolle gejpielt, aber in
ber zweiten und dritten Generation von
Maffachujetts, bei der dritten und vierten
Generation der inbijdjen Kaufleute und Ber:
waltungsbeamten beginnen [te deutlich ber:
vorzutreten. Gie |pielen eine Rolle, feitbem
aud) in bem englijden Kolonien Menſchen
wohnen, die Bücher und jpäter Zeitungen
lejen, feit aud) bie Roloniften in bewuktem
3ujammenbange mit ber Jiationaltultur er»
zogen werden. Geit etwa 1800 in Kanada,
1850 in Auftralien — man fann nur ganz
robe Ziffern geben — beginnt auh in den
Kolonien bie gemeinjame Sprade ein Band
mit dem Mutterlande zu jchlingen, beginnt
He Ideen zu verbreiten von gemeinjamer
angellächliicher Freiheit und angeljadjijden
Rulturaufgaben. Seit 1840—1850 etwa pfle-
gen aud) in der Heimat Schriftiteller, Dichter
und Hiltorifer — Carlyle, Kingsley, Seeley,
Kipling — das Bewußtjein, daß die Kolo-
nien nicht nur ein nüchtern zu bewertendes
inangobjeft find, fondern ein geiftiger Be:
8 unb ein WMadtjattor, dejjen ganze Be:
deutung erft jpäter hervortreten wird, wenn
Kanada und vielleicht aud) Auftralien und
Südafrita bem Miutterlande an Moblitand
und Bevölkerungszahl nabefommen werden.
Aus dem Heinen europätjchen Broßbritannien
der Gegenwart und den außereuropäilchen
Angelfachjenländern der Zukunft [fon jest
eine geijtige Einheit zu ſchaffen, ift die Auf:
abe gewejen, an ber etwa feit 1870, feit
em Wirken des großen Rolonialminijters
Chamberlain und bes großen Kolonial:
napoleons Cecil Rhodes, das geiftige (ng:
land der Gegenwart arbeitet. Die geijtige
Wie England feine großen Rolonten regiert 359
Elite der Kolonien zieht Rhodes mit feinen
Stipendien noch Oxford und Cambridge,
um fie bier in dreijährigem Aufenthalt mit
den beten Idealen bes Engländertums zu
bnurdjtránfen. Die Einführung des Inland:
portos für allen Briefvertehr mit den Rolo:
nien um 1900 hatte neben dem wirtimaft:
lichen aud) den ausgejprochenen geiltigen
wed, das englijhe Buch und die AC
eitung Dort heimijd) zu machen und damit
aud) die jungen Kanadier und Auftralier in
britiichem Denten und Fühlen zu erziehen.
Daß in jeder Kolonie ein hoher englijcher
Artftofrat Hof halt, Orden und Titel vers
letht und den rauhen Kolonialen mit der
feinen Gitte ber englijden Oberjchicht in
Berührung tommen läßt, das wirft in glei-
cher. Richtung nod) weit ftárter, als der Ron:
tinentale jid) träumen láft Nur bot
felten legt der Gouverneur fein Beto gegen
ein vom folonialen Parlament bejdjlojfertes
Bejeß ein, nur höchſt felten erjcheint er mit
Forderungen oder gar Drohungen. Aber
er ift der Bringer aller guten Gaben, bie
der — für alle Menjchlichkeiten nur gar zu
empfünglide! — Angeljadfe febr wohl zu
imagen weiß, und bas öffnet feinem Gin:
fluffe auch die Tore einer fonft [tart demos
fratild) fih gebärdenden Oppofition.
Und in gleichem Sinne bat bis in bie
Gegenwart gewirtt — die DeutiMenbebe.
Sie ift bas dDunfelfte Kapitel in der Befchichte
bes englifchen Imperialismus; denn bier hat
die Y e Preſſe — im wejentlichen Times
und Daily Mail — anderthalb Jahrzehnte
TER aus ber bewußten Lüge vielleicht bie
itárffte Klammer um das britijche Weltreich
gejchmiedet. Deutjchland bejag an den Gren-
gen der [jübajrifanildjen Union und von
uftralten Kolonien: alfo ftrebte es Danad,
dieje auf Rojten ber englijdjen Dominions
zu erweitern. Und es fonnte nicht abſtoßend
und bösartig, jeine Welteroberungspläne
nieht pbantajti]ld) genug geld)ilbert werden,
denn ‘jie follten jchließlih aud) in Kanada
die wahnwigige Angititimmung erzeugen,
daß es den deutſchen Kaifer aud) nad) tana:
bildjem Lande geliifte; als Deutjchland um
die Jahrhundertwende mit Kanada in einen
Bollfrieg geriet, weil erjteres trog bes be:
eben pen Meiftbegünftigungsvertrages Engs
[anb einen Deutjchland nicht gewährten Bor:
jugstarif einräumte, war der Anlaß dazu
egeben. Es ijt fchließlich gelungen, bte
olonien, von denen faum eine irgendeinen
&onflift mit Deutjchland hatte, in eine der-
artige Hypnoje hineinzuhegen, daß fie für
den Weltkrieg erbeblidje Opfer brachten.
Die in der ganzen Weltgeichichte einzig da:
ftehende jchmachvolle Greuelpropaganda
während des Krieges war nicht nur fü Eng:
länder, Franzoſen und europäilche Neutrale
beftimmt, fondern hatte aud) den die
lien Swed, aus der Angft der Kolonien
um ihre eigene Exijtenz immer neue Opfer
berauszubolen — das Liigenmárden von
bem fanadilchen Soldaten, ben bie Deutjchen
in Frankreich gefreuzigt hatten, folte offen»
lichtlich nad) Kanada wirken, ebenjo wie die
nod) gemeinere Geſchichte von ben Deutjchen,
bie ihre eigenen Leiden gu Fett für Die
Heimat verarbeiteten, für Indien bejtimmt
war.
Es find alfo nur nod wirtjchaftliche und
eiftige Faktoren, bie bas angelſächſiſche
eltreid) gujammenbalten; bie politilchen
find völlig unwirkſam geworden. En feinem
der engliſchen Dominions befindet jid) aud
nur ein unse englilher Soldat. Die
Rechte des Mutterlandes beichränten jid)
darauf, bie beftehenden Reidsgefehe mit
Rechtskraft für das ganze Weltreih vom
englijden Geheimen Staatsrat und Obers
Dons verwalten zu lajjen und einen General»
gouverneur mit einem gewijjen WBetorecht
gegenüber der Rolonialregierung zu entjen=
den. Das ijt jehr wenig, unb aud) diefe
geringen Rechte werden [Hon ftart befebbet.
Keine Kolonie zahlt an das Mutterland
mehr als bóditenfalls fürglidje freiwillige
Beiträge s bie englijche Flotte; bie Domi»
nions haben ferner gewilje Verpflichtungen
übernommen, eine Art von primitiver Lan»
desverteidigung zu Ichaffen. Wo die Kolo:
nien (3. B. Kanada) eigene Flottenftreitiráfte
haben, ift nicht einmal ihre Unterftelung
unter englijdes Rommanbo eine Gelbftver:
ftändlichkeit, fondern muß bejonders verfügt
werden. Beim SFriedensichluß find die Kolo-
nien als jelbjtändige Mächte aufgetreten,
haben felbftándig ben sig a unter:
zeichnet, unb bas ijt feine SC Formſache,
denn Lord Robert Cecil als Vertreter Süd»
afrikas hat der offiziellen Vertretung Eng:
lands auf dem erften 9Rolferbunbstongrel
bie ftärlften Schwierigkeiten gemadt. Und
daß Kanada fih bas Redht errungen bat,
in Walhington einen eigenen Gelanbten gu
beglaubigen — Auftralien Debt im Begriff
u folgen — zeigt, daß die ee politiſche
lammer zu fallen beginnt. Nur geiſtige
und al yattoren fónnen bas
Weltreid) nod) gujammenbalten. Werden fie
genügen
Bei feinem anderen Staate wäre dies
moglidh, bei England ijt es wenigjtens bent:
bar. Seder Engländer, ber auf einer Public
School gewejen ijt, ift etwas von einem
Diplomaten, ber fid) Durchzujegen weiß, auch
wenn es an äußeren Machtmitteln fehlt.
Die englijden Staatsmänner werden auf
dem Wege des giitliden BVerhandelns von
ihren Kolonien mehr erreichen Tonnen als
Gtaatsmánner irgendeines anderen Landes.
Die wirtichaftlichen und die ibeellen Bande
bleiben weiter wirfjam. Freilich ber gemein:
jame Feind Deutjchland exiftiert nicht mehr,
aber man wird die alten Lügen vom deutiden
Scheuſal weiter pflegen, um wenigftens durch
die Erinnerung an die gemeinjam überftan-
bene Rulturgefahr einen gemeinjamen idealen
Belig der Vergangenheit zu len Ob
das alles für die Zukunft ausreichen wird,
vermag niemand zu Jagen. Sicher nur dann,
360 FESES Sigrid Gráfin v. b. Schulenburg: Deutides Lied BZZ
wenn der große ebenfalls angelſächſiſche
Wettbewerber um die Gunft der Kolonien,
Wmerifa, entweder freiwillig Entjagung übt
oder die Pläne ber am weiteften jchauen»
den 3mperialiften Gejtalt gewinnen und
Amerila in irgendeiner Form an der ges
meinjamen angelſächſiſchen Welthegemonie
beteiligt werden fónnte. Die unmittelbare
Gegenwart ift für jolde Pläne jedenfalls
nicht febr günftig.
r unter Engländern aber, welde bie
Künfte bes inbireften Beherrſchens fo vir:
tuos iben; fann ber Gedante, freiwillig
Yignpten zu räumen, — erwogen
werden. Der Weltkrieg hat den Engländern
Paläſtina gegeben, es beſitzt ſchon lange den
Sudan, es bat aljo Agypten politijd eins
getreift, Deutjchland und Frankreich hinaus:
manópriert; es beherricht mit dem Sudan
den Nil, die Lebensader des Landes, die
eeh Beamten, ohne bie bas Land feine
ode regiert werden tann, find englifd —
aljo müßte Agypten aud als Jelbftándiges
Land im engltjden Geleije laufen, ähnlich,
wie bas heutige Portugal bet abjoluter polis.
QUIM M iii Ce
Deutfches Lied
(für abwechfelnd tiefen und hohen Chor)
€s hängt ein Sábnicin ferbensmatt
Jn einer ſchwülen Sonnen,
Ein Rriegsmann ganz verlaffen flabt,
Seine Kraft ift ibm zerronnen ;
Aus taufend Wunden das Leben bricht,
Der Erde graues fingefid)t
Hat Sieberrét’ gewonnen.
Ein $rübling wird erblühen
Aus rofenrotem Tod,
Eine junge Rofe glühen
Wie heiße Heldennot.
Die von dem Glauben gelaffen,
Die falfhen Freund’ erblaffen
Dor diefer Blume rot.
Sie glüht in eines Königs Hand,
Der Hochzeit will halten,
Der $reie mit dem edlen Land
Und feines Erbes walten;
Das deutfhe Land, die fiife Braut,
Wird ihm als Ehfrau angetraut,
Sein’ Treu’ wird nicht erfalten.
XXXXVüXXXXCXXVVXXXXVXXVXVXXLXAXXXXXXVXXVX.
Sí
Sigrid Gräfin v. à. Shulenburg
tilder Gelb[tünbigfeit dies willenlos tut,
So benft ein Staatsmann wie Lord Milner.
Freilich hat er bie be Hen Miderftánde
gu befampfen, und es ijt jehr die Frage, ob
er ihrer Herr wird. Auf feiner Seite ftebt
eine ganze Schule von weitblidenden, nament:
lid) jüngeren Engländern, bie mit allen Mes
thoden direkter Herrjdaft außerhalb bes eige»
nen Landes radikal bredjen möchte und im
Vólterbund das große Snjtrument Debt, mit
dem England bei peinlicher Schonung aller
Einzelinterefjen anderer Völker bod) eine
von englijdem Geifte erfüllte Welt bauen foll.
Haben wir biejem hohen englijden Ge:
dantenflug etwas anderes entgegenzufegen
als entrüjtete Berneinung und es
Mißtrauen? Oder bat Deutichland nod) die
alt dem Blan einer jcheinbar freien, in
Wahrheit aber englijden Welt ein eigenes
Programm ge EC das auch Werbe:
fraft in der Welt befigt?
Dieje Frage foll heute hier nicht erörtert
werden. Aber von Ls wird ein gut Teil
von Deutitlands Meltgeltung in der fom:
menden Generation abhängen.
Jn diefer Frauen Garten
Pflanzt er die Rofe ein;
Wir wollen helfen fie warten,
&ie mag uns wohl gedeihn,
Die Biume reiner Ehren,
Ihren Glanz wir wollen mehren
Und dienen ihr allein.
Und ftürzt der Teufel über die Welt
Die Reiche zu ererben,
Ad) fhöne Braut, du Herz der Welt,
Den €djat laf nicht verderben !
Aus Gott, dem dunkel-tiefen Quell,
Springt ein Brünnlein heiß und bell,
Heift Kraft, läßt nimmer fterben.
Aud) brennt ein Lichtchen reine,
Demanten ift fein’ Macht,
Das fihneidet mit weißem Scheine
Entzwei die Mitternadt ;
Die Sinflerniffe weichen,
Die Liigenlidt’ erbleihen —
Selobt fei Gottes Wadıt !
e
E Sarbe und Mode B
=)
c Gin Nachwort zu ber Ausjtellung in ber Berliner Akademie ber Riinfte p
E Von Max v. Boehn
Orei Faktoren find es, durch welche bie
Mode ihren Einfluß in der Be:
fleidungstunft geltend madt: ber
Schnitt, der Stoff und die ne
Bon diejen drei Elementen hat fie
in den legten drei Jahrhunderten vorzugs:
weije den Schnitt herangezogen, um ihre
Abjichten in die Tat umzujegen, während
— — —
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Aus bem Raum „Garten der Moden“ in der Ausftellung ‚Farbe und Mode‘
Maler Georg 6.
Velhagen & Klajings Monatshefte. 35. Jahrg. 1920/1921, 2, Bo.
d
jie Stoff und Farbe eine weit geringere
man möchte fajt Jagen, nur zufällige Muf-
merfjamfeit jd)enft. Das ift merfwiirdig
und gibt über das Wejen der Mode zu
denten. Unendlich ijt die Fülle des Ma-
terials, bas ber Bekleidungskunſt zu Gebote
jteht, fie findet in Tier: und Pflanzenreich
faft feine Grenze, und bod) greift bie Mode
A Er Ye T NN eae mtm nt omen
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Robbe
24
309 | PFSeSesSesSsssess23 Max v. Boehn: see
Bejellichaftslleid der Bildhauerin Renée Gintenis
Modenbild von Prof. Emil Rud. Weih aus Der Aus:
ftellung ‚Farbe und Mode‘
wie mit |piben Fingern nur dies ober jenes
heraus, um alles andere beijeite liegen zu
lajjen. Das gleiche ijt der Fall bei der
Farbenwabhl. In der Ausjtellung ber Was
demie hatte Profefjor €. R. Weiß im (Gut:
ell in febr origineler Weije den
ejucher mitten in einen freisförmig ge:
Ichlofjenen Chor der Farben hineingerührt,
um damit gewillermaßen den Wuftatt zu der
Symphonie angujdlagen, in deren Klänge
die 93eranjtaltung einweiben jollte. Welcher
verführerijche Reichtum leuchtete da in den
breiten Farben des Spektrums auf, und dod)
gaben fie nur einen flüchtigen Hinweis auf
Möglichkeiten der Abjtufung und Nuancie—
rung, bie feine Phantafie bis zu ihrem dëi
ten Ende verfolgen fann. Die djemijde
Industrie hat die Skala ber Farbwerte zn
einer ganz unerhörten Verfeinerung gebradt,
gar nicht auszujchöpfen wären bte Kom:
binationen, bie fid) durch Sulammntenjtellung
von ap unb Somplementárfarben
berjtellen ließen, und bod) wird jedem, ber
die Mode auch nur eine turze Reihe von
Jahren hindurch verfolgt hat, Tor jein, daß
fie für Die — der Mode nicht vorhan—
Dern zu ſein brauchten. Mie die Mode, wir
haben jelbjtverftändlich nur normale Zeiten
im Auge, entweder Ceibe oder Tuch oder
Baumwolle bevorzugt, |o begünjtigt fie
aud) nur eine Farbe, und wenn fie aud)
alle exijtieren und in jeder benfbaren Nu:
ance berzuftelen und zu haben find, fo
werden fie bod) nicht getragen, denn bie
Mode, bie eine Verſchwenderin fein könnte,
Abendmantel. Modenbild von Freiberrn Leo v. König
aus ber Ausjtellung ‚Farbe und Mode‘
ee EES Farbe und Mode Issel 363
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E Bejubstleid. Modenbild von Ernft Oppler aus ber Ausftellung ‚Farbe und Mode‘ D
ift ájtbetif eine Geizige. Dieſe Tatjache,
die jeder aufmerfjame Beobachter zugeben
muß, ift nicht zu erklären. Wir Tonnen fie
nur fejtitellen und hinzufügen: Es war [Hon
immer jo.
Ceit ber Menſch banad) tradtete, fid) zu
perjdjónern, zog er die Farbe in feinen
Dienft und farbte den Körper [bon lange,
ehe er ihn zu befleiben wußte. Urſprünglich
bemalte man fic), wahrjcheinlic) mit dem
Blute eines erjdlagenen $$einbes oder eines
erlegten Tieres, und hat davon die Vorliebe
für das Rot burd) die Jahrhunderte, wir
dürfen fogar Jabrtaujende jagen, beibebal:
ten. Grabbeigaben von Oder und Rötel,
die bielem Swede dienten, führen den Ge:
brauch bis in die jüngere Steinzeit zurüd,
Aber er hielt fid) bis tief in hiſtoriſche Bei-
ten. Die Könige und Triumpbatoren Roms
hatten bas Recht, fih bei ihrem Zuge auf
das Kapitol Geliht und Obertórper mit
Viennige rot zu färben, und nod) 1443 vers
langten bie Humanijten aus dem Hofitaat
König Alphons’ I. von Neapel, der König
fole fid) bei feinem Einzug in bie Haupt:
jtadt das Geſicht mit Zinnober bemalen.
Rot blieb bie Lieblingsfarbe fa|t aller Völ—
fer, ber primitiven wie der fultivierten; im
Ruſſiſchen find die 9[usbrüde für rot und
\chön gleichbedeutend, und die Vorliebe für
diejen Farbenton ficherte ihm feinen beherr:
Ihenden Einfluß in der Uniform bis in
unjere dr Dem Rot folgte bas Blau.
Tach bem Bericht bes Plinius erjchienen die
21*
364 ees Max v. Boehn: seess el
feltiihen Frauen und
Sungfrauen bei oe:
willen Feſten nadt,
den ganzen Körper
blausjhwarz bemalt.
Als Cájar feine be:
rühmte Landung in
Britannien vollzog,
fand er zu feinem Er:
itaunen, Da jid) bie
Urbevölferung blau
farbte.
Als die Bekleidung
des Körpers dem Auge
den Anblid der nad:
ten Glieder entzog,
übertrug jid) die Far—
benfreude auf das Ge-
wand. Gider ijt Die
Steigung zum Betonen
der Farbe in der Klei-
dung das Natürliche,
der Verzicht auf fie,
trete er nun in einer
Vorliebe zum reinen
MeiB oder in einem
Hinneigen zu unbe:
itimmten Nuancen auf,
immer ein Zeichen der
Zivilijation und ihrer
die urjpriinglichen
Teelleid. Modenbild vor
Prof. Hans Purrmann
aus Der Musitellung
Farbe und Mode
Triebe abjdwaden-
den Berfeinerung. Die
Griechen bevorzugten
zur Zeitder Hochblüte
ihrer Kultur das reine
Weiß ober vielmehr
die Naturfarbe Der
Leinenjtoffe. Dadurd)
wollten fie jid) bewußt
von den Barbaren
unterjcheiden, die, wie
die Völker Ajiens und
Rleinajiens, die bunte
Färbung liebten.
Auch die Romer der
Hlajtiden Zeit der
Republik trugen farb:
loje Gewänder. Gie
unterjdjieben jid) da-
durch ganz wejentlid
von ihren nadjten
Jtadjbarn, den Gal:
liern, die Cájar in
einen Kommentaren
buntgefleibet ſchil—
bert. Das Über:
wiegen der byzantini:
ay ~
von größerer Farben-
freude in bie Beklei—
dungstunft aud) des
Wbendlandes. Auf
dem Abbild Kaifer
Karls des Großen,
welhes das Moſaik
im Tritlinium Bapit
Leo III. im Lateran
bewahrt hat, fiebt man
Den Monardyen in
einer Kleidung aus
braunen, grünen und
gelben Stoffen.
Die algemeineMode
des Mittelalters blieb
bunt und wurde es nod)
mehr, als bie Kreuz:
¿lige dem Ofzident die
Befanntjchaft der tójt-
lichen jcehweren Seiden:
itoffe und Brofate bes
Drients vermittelten.
Zieler Freude an der
Farbe Dulbigte man
bis zur Übertreibung,
denn bie im 14. und
15. Jahrhundert auf:
fommende jogenannte
geteilte Kleidung, bas
mi-parti, zerriß Die
f üc
Iden Kultur am Aus Teelleid. Modenbild von Walter
Straßenlleid. Modenbild von Georg 9
Walter RóBner aus der Ausjtellung gang bes “ltertums Bondy aus der TUNER ERDE Ayarbe und
ode‘
‚Farbe und Mode brachte dann eine Note
Aus dem Raum „Blaue Tapete” von Charlotte Goefd)e in ber Ausftelung ‚Farbe und Mode!
menjdlide Erjcheinung förmlich in lauter ein:
zelne SFarbflede. Jedes Hojenbein hatte cine
andere Farbe, oft genug nod) an Ober: und
Unterjdenfel verjchieden oder wenigjtens an
der Innen: und Wupenfeite wechjelnd. Ebenjo.
variierten bie Ärmel, Vorderblatt und Rück—
blatt bes Wamjes ujw. Damit war nicht nur
bie Miöglichteit gegeben, individuelle Stim:
mungen auszudrücden — und welches Mittel
wäre geeigneter, Gefühle wieder:
ugeben als die Farbe? —,
fonbert aud) bem Zeitgeijt Bor-
(dub geleijtet, ber die Gefell- E j^
haft in lauter Parteien jpal: úl
Man legte in den Farben
i
tiiches ENS
E. L
i: RL ;
tete.
jeiner Kleidung ein po
'Befenntnis ab, bas man ganz
perjonlid) ausgejtaltem fonnte,
wenn man betipielsweije über
Die weißen, roten, gelben Lángs:
ftreifen feines Anzugs grüne,
blaue, ſchwarze Querjireifen 30g,
und Damit Die Mappenfarben yz
oder Figuren eines bejtimmten Ka
Gejdledjtes zur Schau trug. Ce
Auf italientjdhen Bildern Des
Quattrocento tann man in die- [A
ler Beziehung reihe Studien
maden. Auch die Frauen haben
teineswegs freigehalten. Wer:
gegenwärtigen wir uns Dod,
daß in jener Zeit bie ſymboliſche
Bedeutung der Farben eine Rolle
*
7
ET.
e k - me r y 4 -
"e
Ze —— Rule 2 2M
e 7 É e
it von biejer buntjchedigen Art ("AM A
Plaftit von Walter Reger
aus dem Raum: Travejtie
auf Diode und Zeit i« Der
Ausjtellung ifarbeu. Mode‘
jpielte, bie uns ganz aus dem Gedächtnis
geldjmunben ift. Weiß war jelbjtverjtänd=
lid) die Farbe der Reinheit und Unſchuld,
in den MDiniterienfpielen 3. B. waren bie
armen Geelen der Geretteten weiß, die Der
Verdammten ſchwarz angezogen, was ein
jo typiicher Gebraud) wurde, daß der Aus:
drud „fih als arme Geele anziehen”, im
Franzöſiſchen |o viel heißen jollte, als fih
von Kopf zu Fup weiß Heiden.
Not bedeutete die Liebe, blau
die Demut, daher trug Maria
in den geiltlichen Schaujpielen
einen blauen Mantel. Gelb
war der Neid, grün die Hoff:
nung uſw. Mit Hilfe bieler
allegorijd) jgmbolijchen Neben—
bedeutung der Farben, bie den
Modedamen der Zeit natürlich
ganz vertraut waren, bejaßen
ie die Möglichkeit, ihrem Anzug
tarte Noten von Eigenart bei:
De zulegen. Mis vollends Die
sc! Gpielerei der Minnebófe in
Blüte ftand, da war die Wahl
und Sujammenjtelung der Far:
ben in ein Syitem gebracht, das
der Eingeweibte fo gut zu lejen
verftand, wie er Heute ein
Gtenogramm auflöjen würde.
Damit war bie Farbentoll:
heit auf den Gipfel gelangt und
der Rüdjchlag blieb nicht aus.
Er erfolgte am burgundijchen
E J
d
i ée
366 BESSERE Max v. Boehn: Be22222222272772274
EE TE , Palette wie cin Frangoje in feinem Anzug.“ 1608 mat
der englijdje 9teijenbe Themas Coryate feinen Lands:
leuten den gleichen Vorwurf, aber jchon ijt der Seite
punit. gefommen, wo ber Geſchmack umſchlägt und
lid) von den reinen ausgejprodenen Tönen zu den ge-
brochenen wendet. ,Blagblan, leichtrot, leichtgrün, halb-
gelb, balbgriin, Baftardfarben, weil fie halbebrliche
Gemüter haben,” jagt Moſcheroſch um 1640 grimmig.
Vian durfte immer weniger Farben zu feinem Anzuge
wählen, jo daß man in den Jahren Ludwigs XIV, von
der Zeit, „als man fic) noch farbig fleibete", wie von
einer Vergangenheit ſprach, auf die jid) jelbjt die álteften
Leute nicht mehr recht befinnen tónnten.
Und wieder wird aud) um dieje Zeit der Unterjchied
zwijchen farbig und farb»
los in Der Kleidung zu
einem Belenntnis, das,
dem Charakter der Epode
entjprechend, einem religio:
jen 3Seigeldjmad erhält.
Unter Karl I. von Eng:
land war bie Modetradht
des Hofes |o farbenfroh,
daß, als der Gouverneur
von Virginia 1633 eine
größere Beitellung von Zuch
in London machte, jein
Rorrejpondent ibm nur
feuerrotes jchiden fonnte,
weil anderes gar nicht
Gejellichaftskleid. Modenbild von
Bruno Krauslopf aus der Musftel-
lung ‚Farbe und Mode‘
Hofe, ber bas Begenjpiel der
Farbe, das Schwarz, zu Ehren
brachte. Bon bier aus hielt
es feinen Triumpb3ug durch
die Welt, erit |o lange Bur-
gund den feinen Ton angab,
und dann feit Spanien mit
dem Wntreten der burgun-
bilden Erbichaft feinen tul:
turellen Einfluß über Europa |
ee — d Ee DEN CTT j
als bas Schwarz bie ‘Bedeu:
tung bes jyeierliden und Son od SONOS aus bee e
Wiirdigen erhielt, die es bis jtellung ‚Farbe unb Mode‘
in unjere Tage beibebalten
bat. Wie alle Moden allmählich aus den gehobenen Krei-
jen, in denen fie urjprünglich entjtehen, binunterfidern in
tiefere Gejellichaftsichichten, in denen fie fih Dann weit länger
zu halten pflegen, um unter bejonders günjtigen Umitán:
den Bolfstradten zu werden, fo wurde bas höfilche Gewand
idjlieBlid) bas Ebrentleid des Bürgers. Wer einmal eine
Reihe bejonders holländijcher Bildnijje des 17. Jahrhunderts.
betrachtet, dem wird es auffallen, daß die Mehrzahl der
Dargeftellten, Bürger und Bürgerfrauen, gleicherweije
jchwarz gekleidet tjt. l
arbe und Farbloſigkeit haben von nun an in der Mode
um die Geltung — und einander in einem beinahe
periodiſchen Wechſel abgelóft. Das 16. Jahrhundert war
ungemein farbenfroh. „Die Frangojen lieben das Bunte,“ CS WE stleid. Eat MC
äußert fid) Montaigne, und der Dichter Marini jhrieb aus Fro e o ogg
Paris: „Ein Maler hat nicht |o viel Farben auf der de
LeseossscRscsscccocca Farbe und Mode Viel 367
vorrätig war. Je bunter fid) nun die Hof:
gejellichaft Heidete, um fo farblojer 30g lich
bie Oppofition an. Gie bevorzugte aus Haß
und Abneigung ge:
gen die feindliche
artei, bie Die bel:
len Töne liebte, die
ganz unauffälligen;
Den WBuritaner er:
tannte man [don
vom weitem an den
dunteln Nuancen fei-
ner Kleidung, in ber
grau und jchwarz
vorberrjdten. Das
iit in England fo ge:
blieben, Adel und
Bürgertum unter:
ichieden fid) nod) bas
ganze nádbite Jahr:
ndert durch Die
Farben, bte fietrugen,
bel unb freudig
die einen, Dduntel
unb unanjebnlid) bie
andern. Is Dann
im legten Drittel des
18. Jahrhunderts der
englijdje bürgerliche
Anzug als Mode-
tleidung über ben
Kanal fam, da
brachte er aud) feine
Ichlichten Farben mit.
Duntelblau, flajchen:
grün, braun, Pfeffer
und Salz verdrängen
umal im Männer:
oftiim roja, himmel:
blau und lichtgrün,
die bis dahin aud)
von Älteren Herren
getragen worden
waren. Dieje Erb:
ibaft bat bie ar:
benwahl ber mann:
lihen Kleidung nod)
das ganze 19. oe
hundert bindurd) be:
ftimmt und oft
fort bis heute.
Mis die Vorbherr:
ichaft der Kultur un:
ter Ludwigs XIV.
Regierung von Spaz
men an ag
überging, gri ie
Mode R der Klei-
volle Farben, fo wunderbare Zujammenftel:
lungen perjdjiebener Töne geftattet, als im
Zeitalter Ludwigs XV. 1760 betlagte fid
der berühmte Mel:
dior Grimm dar:
über: „Bor 15 Jah:
ren," jd)reibt er aus
Paris, „erfand man
für den Männer-
anzug Gtoffe von
drei arben und
glaubte, eine fo fri-
vole Mode fónne
niht von Dauer fein.
Ceitbem aber hat
man das Geheimnis
ergründet, für eine
ange Palette von
arben aller mög:
lichen Schattierungen
auf dem Siüden
eines Mannes Blas
zu finden. Heute ijt
man [fon foweit, die
Gold: und Gilber:
ſtickereien ebenjo ab:
zutönen.” In ber
Tat war bie Höhe
des garbenjubels
: erreicht. In ber leg:
ten Jahren ber langen
Regterung Kud-
wigs XV. und Den
erften ` nad) ber
Thronbefteigung fet:
nes Entels beginnt
die Mode bereits,
fi in der Farben:
wahl ftarte Bejchrän-
tungen aufzuerlegen.
Cie geftattet nur
mehr Tónungen, die
auf der Cfala zwi-
hen dunklem Rot-
raun und Helem
Gelbbraun liegen,
eine Nuance, die man
„flohfarben“ nannte
und die man in den
verjehiedeniten Shat:
tierungen belap. Da
unterjchied man:
Junger und alter
lob, Slobtopf, Floh:
riden, Flohbaud),
Slohichenfel, Floh
im Diilchfieber ujw.
Die jiegreiche Revo:
dung zu ftarfen Fars Gejellihaftskleid. Modenbild von Baul Scheurih Tution bradte im Da:
ben, die ben Glanz aus ber Ausjtellung Farbe und Mode‘ menanzug dann das
eines pradhtliebenden
Hofes zu erhöhen geeignet waren. . Die
weiten Cdjoproóde der Herren, bie langen
Edleppileiver oder Reifróde der Damen
boten ja aud) Beranlaffung genug, [Hóne
Stoffe zur Schau zu tragen, und vielleicht
hat die Mode zu feiner Zeit jo gejchmad:
reine Weiß zur Gel:
amg und da fih aleichzeitig tn der männlichen
Kleidung die unjcheinbaren Töne durhfegten,
jo verlor das Gejamtbild der Mode Dadurd)
merfwiirdig von ber charafteriltilchen Eigen:
art, bie es eben nod) bejejjen hatte. Iffland
äußert fih Darüber mit Bezug auf das Bühnen:
308 Iesel Max v. Boehn:
bild in jeinem Theater-Almanad) von 1807:
„DieAlnzüge in den bürgerlichenSchauiptelen,“
\chreibt er, „iind jest jo einförmig, daß da-
durch gar feine äußere Unterjcheidung mehr
möglich ijt. Braun, blau oder [d)mars fleiden
fid) alle Herren, Rammerdiener, Liebhaber
und Ontel, jowie weiß die gleiche Kleidung
für alle Frauenzimmer ift, fic mögen Damen
von erjter Bedeutung ober Coubrettem fein.
Es gibt Vorftellungen, wo alle Männer in’
Ichwarzer Farbe, alle Frauenzimmer in weißer
Farbe untereinander verfehren, jo daß das
Ganze ber Verjammlung in einem Leichen
bauje ähnelt.“ Und diefe weißen Kleider
von Leinen oder Baumwolle — Muſſelin war
füibenbfleib. Modenbild von Eugen Spiro aus ber
Ausjtellung ‚Farbe und Mode‘
Gbriítiane im Mat 1800 aus wer —
echſe
1245343439434 35353534 3534383435 353]
Ñ
z
ba. Sr —
WE, v e
^ ~ KÉ,
A 7 My ke
Gejellidjaftstleib. Viodenbild von Prof. Lovis Go:
fint) aus ber Ausftellung ‚Farbe und Mode‘
ati; beliebteften — hatten lange Schleppen, bei
eleganten Damen von 7 bis 14 Ellen, man
mu aljo annehmen, daß fie bauernb in ber
Wafde waren. „Man Debt nichts anderes
als weiße Kleider,“ jchrieb Goethe feiner
Weiß überdauerte fogar den im
Schnitt, die Röde verloren bie Sdleppen,
wurden fußfrei und weit, aber fie blieben
weiß, denn noch aus den zwanziger Jahren
berichtet Frau von Rodow in ihren Erinne:
zungen: „Brinzejlinnen und Hofdamen trugen
Sommer und Winter nichts als Kleider von
weißem Pertal”, und Graf Rudolph Apponyi
eee 1830 in Paris in fein Tagebuch, dak
Wei bie vorherrjchende Farbe fei. Dieje
Mode fcheint auch auf die Herren anjtedenb
ewtrtt Zi haben, denn Goethe 3. B. trug in
ehem tudierzimmer, wie wir von Eder-
mann wijjen, Schlafröde von weißem Flanel,
ein Anzug, in dem er aud) Damen, 3. ©.
es EST Farbe und Mode ll 369
die Malerin Luife
Seidler empfing.
Dem jugendlichen
Geibel trat der alte
Chamijjo jo gegen:
überineinem „wei:
Ben faltenreichen
Sdlajfrod, der bem
Talar eines Bau:
berers glich“, und
Fri Reuter, ber
ih als Student
in einem weißen
Flauj jo unge-
mein [Món fand,
bat dann jahre:
lang Beit gefun-
den, dieje harm:
loje jungenhafte
GEitelfeit zu bedau—
erm. Das anffal-
lende Rleidungss
itid, Das Der Auf:
merfjamfeit Der
damaligen Dema-
gogenrieder na:
türlid) nicht ent:
gangen war, half
jeinen Berfolgern
auf die Spur des
lüchtigen und lie:
erte ihn in Die
Hände der Polizei.
Dak eine Mode
wie diefe Borherr:
jchaft des Weißen
in der Kleidung
(id einer jo auf:
fallend langen
Dauer erfreute,
würde wunderneh:
men, wenn wir
uns nicht entjinnen
müßten, daß in
der gleichen Zeit
das Ideal der An-
tite vor bem jeeli-
iden Auge ftand,
und ¿war einer
Antife, die man
ich in ihren Tem:
peln und Gfulp:
turen durchaus
ſchlohweiß dadjte.
Daher in den Mob:
nungen Die weißen
Wände und wei:
Ben Radelófen, die
bell aejtrid)enen
verpubten alla:
ben, Die weiße iine
che, mit der man
die bunten Fres—
fen der alten Zeit
übergog, ſoweit
man jie bequem
erreichen fonnte.
0e€09090000900900090009000204909€90000900900090090000000900000000000900000004000000000000000000000000090000009000€0000225 ""e949e0€9€9960600090006040000600208000000000000900000
Gejellidjaftsfleib. Modenbild von Harald Bengen aus ber Ausitellung
arbe und Mode‘
370 EEES Max v. Boehn: ES23333332332322323232234
" Modenbild von Ludwig
Rainer aus ber Ausjtellung ‚Farbe und Mode -—
SReitfleib. (Ellen Peg
Ungeheuer war die Entriijtung, als ein Vor:
wißiger entbedte, daß bie Alten ihre weißen
Tempel und weißen Statuen bunt bemalt bat:
ten, und äußerjt lebhaft der Streit, ber jid)
in den Kreijen der Gelehrten und Riinjtler
über dieje Frage erhob. Solange bie weiß pore
geftellte Antite den folorijtiihen Grundton
des Zeititils abgab, ftimmte fic) aud) die
Mode auf dieje Note und [ie bat aud) auf bas
ae Meiß erft Verzicht geleiftet, als
die romantijdje Runjt, in Deutidland bird)
die Düjjeldorfer vertreten, das Mittelalter
äfthetijc wieder in feine Nechte einlebte.
Jun gab es aud) in der Kleidung wieder
arbem, und vielleicht ijt es wirklich fein
[oBer Zufall, daß die Periode einer bejon-
ders farbig empfindenden Mode zufammen:
fiel mit einer folchen folori[tijdjer Gffeftitüde
in der Malerei. Als Piloty unb Matart im
Bordergrunde ber fiinjtlerifden Interejjen
ftanden, ba gejtattete die Mode den Damen
die fed|tem unb gemagte|ten Zujammenitel:
lungen, ja fie forderte in bem ganzen Jahr:
m von 1870 bis 1880 geradezu, daß eine
vilette aus verjchiedenen Stoffen von ver:
Ichiedener Farbe komponiert fein müjje. Da
war es wirklich nod) eine Runft, fid) zu Heiden
und im 3ulammenjpiel der Sarben das Ge:
\hmadvollfte und Rleidjamfte herauszufinden.
Darf man die Parallele fortführen und
lagen, daß, als ber Imprejfionismus mit
jeiner Malerei Ton in Ton die eben nod) jo
[aut gepriejenen Zauberer der Palette in
bie Ede driidte, auch die Mode jid) diejer
Schwenkung anſchloß? Bis dahin hatte fie
bie Rontrajte begünjtigt unb bte Reize ber
Mirtung im Abftechenden gejudyt. Nun ent-
e jie fih ebenfalls dazu, mit feineren
itteln zu arbeiten und wenn fie Ceibe,
Samt und Molle zugleich) verwendet, jo
WE bod) nur mehr von einer und der:
jelben Nuance gewählt werden. Tiefidatten:
der Samt, glänzende Geide und warm:
tónige Wolle in der gleichen Note von
braun, blau, grün oder lila gaben tóftlime
Bilder!
Dieje Äbereinftimmung gwijden ber gro:
Ben Kunjt und der angewandten Befleidungs:
tunft bat wirklich viel Beitechendes für den
Beobachter, aber fie darf nicht zu voreiligen
Gdlüjjen verführen. Die Mode ijt in Wahr:
heit eine viel fompligiertere Erjcheinung
innerhalb der Kultur, als es ben Anjchein
hat, und es jprechen bei p jo zahlreiche Fat:
toren mit, daß man in feinen Folgerungen
nicht vorjidtig genug fein tann. Augen:
blidlid) erleben wir ja wieder — und die Aus:
ftellung in der Akademie bejtätigte es —, daß
die Damenmode und die Hunt Hand in
Hand gehen. Die eine wie die andere ge:
fallen fih in der Verwendung möglidhit traf-
jer und ungebrochener Farben. Folgt da
die Mode der Malerei? Gehorchen beide
dem 3eitgeift? Oder mëllen wir in diejer
zufälligen Übereinftimmung nicht viel mehr
bie Wirkung gewiljer wirtjchaftlicher Zuftände
erfennen, unter denen Deutjchland und mit
ibm die Welt leidet? Wir bejigen die vor:
züglichen Farben (und aud) dafür legt die
ESSSSE | Ss) Warbe und Mode 371
— 0»
| —
d —
Ausſtellung ein glänzendes Zeugnis ab), die
Se aber verfügen über die beijeren Stoffe.
ie Qualitäten der Gewebe, bie wir mit
ungeniigendem oder mangelhaften Material
nicht bejjer herjtellen tónnen, find jo bejdaffen,
daß fie feine anderen als reine ftarte Farben
annehmen. Da heißt es eben aus der Not
eine Tugend maden und die an halbe und
unbejtimmte Töne gewöhnten Mugen ums
lernen laffen. Die Mode ftellt fid) auf bie
moderne Runft ein, weil fie gar nicht anders
ann.
Die Ausftellung „Farbe und Mode“ unter:
nahm nun zum erftenmal den Berjud, bie
Ideen der modernen Garbengebung auf die
Erzeugnijje der Mode anzuwenden, eine
wißige Umjeßung der neuen Ajthetif in bie
Praxis. Es galt den farbigen Horizont zu
erweitern und Durdblide nad) neuen Mög-
lichkeiten hin zu eröffnen, eine Aufgabe, der
größere Schwierigkeiten in den neuen For:
men als in den neuen Farben erwudjen.
Bruno Paul, der diefe Austellung für den
Verband der Deutſchen Modeninduftrie
mate, ift indeffen ein viel zu genialer Künft-
ler, als daß er aus dem Programm „Farbe
und Mode” nicht alle Anregungen bátte
herausholen follen, deren Wechjelbeziehung
pifant genug it um immer aufs neue llis
lade und Wirkung miteinander An ver:
medjeln. Das größte Hindernis für eine
Modenausftellung wird immer in der Tats
fade liegen, daß bie Erzeugnijje der Be:
tleidungstunft für den lebenden Körper ge:
dait find. Ein Hut [oll zur Farbe von Haar
und Teint, zum Schnitt der Züge paffen;
ein Kleid, ein Mantel wollen getragen fein,
um ihre Wirkung zu zeigen, und wenn felbjt
ein Künjtler wie Haas-Heye fie mit nod) fo
eihmadvoller Gefte Hinlegt und nod jo
fein zum Ton eines „Garten der Moden”,
eines „Blauen“ ober „Metamorfhojen“ Sas
lons abftimmt, es wird ihnen immer Das
Wejentlide fehlen: Leben und Bewegung,
die erft bie Trägerin bem toten Stoff mit:
E vermag. Da man nim eine Ms
usjtellung nicht gut wochenlang auf leben-
den Modellen zeigen fann, jo hatte die Lei:
tung dicfem Mangel abzubelfen gefucht, ins
dem fie in einem Fejtjaal moderne Schöne
heiten in modernen Kleidern von modernen
Malern porträtieren ließ. Die Künftler Has
=== ~~ c
rald Bengen, Walter Bondy, Lovis Corinth,
Leo von König, Bruno Rrausfopf, Heinrich
Linde: Walther, Ernjt Oppler, Max Ped):
ftein, Hans Burrmann, Georg Walter "ob:
ner, Paul Echeurich, Eugen Epiro, Emil
Rudolf Weiß u. a. zeigten in dieſer Reihe
lebensgroßer Damenbildniffe nicht nur Die
farbige Note der Tagesmode, jondern aud)
die Art bes heutigen Cdjid. Dieje Edin:
heitsgalerie bewies zum Hundertitenmal, daß
jede Mode ſchön ijt, jie fet im übrigen
wie fie wolle, denn jede zeigt bas ewige
Problem Weib unter einem neuen Ge:
liehtswinfel, und wenn früher einmal das
Junoniſche oder bas Süße unb Anmutige
beliebt waren, jo bevorzugt unjere Zeit,
Pelzmodenbild. Gemälde von Wolf Róbridt aus
der Ausitellung Farbe und Mone 8
372 Max v.
E Ede aus dem Raum „Metamorphojen“.
in ber ja fowiejo alles auf dem Ropfe ftebt,
Gemalt von Georg 3 Boitier Nößner
Boehn: Farbe und Mode BRZ RRR RRK]
jdjrittlid) geraten, dab bie Ausftellungslei=
zur Whwedjlung einmal das Ephebenhafte, | tung fih Kbtietid nicht anders au helfen
Edige und mehr
oder wenige Bi:
zarre. Manchmal
will es jo jet:
nen, als fame Die
cigentlidyeBetlet:
dungstunft Da:
bei zu kurz, denn
es handelt fid)
immer mehr um
Draperien als
um gejchneiderte
Gewänder und
der dernier cri
der Mode ift ja
auch in der Tat
das „Stednadel-
kleid“, das nicht
aehr genäht,
jondern nur ge:
Hedt wird. Eine
Erfindung ibri-
gens, Die Ga:
rab Bernhardt
ihon vor Jahr:
zehnten machte.
Auf die farbig:
moderne Mus-
geitaltung Der
Säle war großer
Wert gelegt wor:
den, ein Raum
war fo fort:
Theaterlleid. Mtodenbild von Jofeph Oppenheimer
wußte, als dab fie
ihn ,Traveftie
auf Mode und
SC, bite. nicht
s fehlte ni
an Gfeptilern,
bie diefe Begeiche
nung weiter ausa
e nten, als bes
0 N —
un pf⸗
ſchüttelnd frag⸗
ten, wo die Tras
veitie aufbörte
und ber Ernft
— Aber ſie
gaben ſich ſchnell
zufrieden, denn
ae —n und
auch
Een eitt
modten, (ie fino
ia ect
Den Rahmen um
ein Kunftwerf
Darguftellen, das
feine Traveftie
entítelen und
feine Beit an:
tajten fann: das
Sunftwert Weib,
dem wir uns bul:
digend beugen.
*€9000000000000000000000000008000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000€090000000000000000000000000090000000000000000000002200000050000006
De ze in ee al
e N o av, > C MO ` * sr > - DW ` ` >
: EN
ER
Arthur Kampf aus Der
Modenbild von Prof.
Ausftelung ‚Farbe und Mode‘
Geſellſchaftskleid.
Sm UÜbntshause
pra (Novelle von SREDaulSchum ann
Reber den Rartoffelfeldern an der von
4 Dobra nad) Bergen führenden
LI Sanb[traBe war die Luft jo dünn,
22% dak man fhon am Burgbolz bie
Bergener Kirchturmuhr erfennen fonnte und
fid) beinahe einbilden modjte, bie Schläge
über die 9Iderbreiten heriibergittern zu hören.
„Das gibt einen Metterumidlag,” jagte
der Kantor von Dobra zu dem Stadtmufit:
direftor Zimmermann und nahm den
Beigenfaften unter den anderen Arm.
Zimmermann nidte.
„Wir können leicht alle beide naf werden,“
entgegnete er. Gie |d)ritten weiter aus denn
zuvor, denn der Wegweiler von Bergen
tauchte jet erft auf, und auf ben baumlojen,
abgeernteten, abendlichen Feldern riefen fon
bie Rebhühner.
. Kiwisid ... jo ſehnſüchtig flang es.
Der Rantor von Dobra war ein nod) junger
Mann. Er freute fih auf bie Flajde Rot:
wein, bie es nad) dem Spiel im Mufitzimmer
des Bergener Wmthaujes bei Amtsrichter
Gtrubelius geben würde.
Der Mufitabend war feit ber Berheira:
tung bes alten Amtsrichters mit ber jungen
grau Renate ein allmonatlid) wiederfehrendes
Ereignis. Zimmermann meinteetwasboshaft,
grau Renate wolle damit ihren Ehemann an
das Haus fejjeln und ihm alte Junggejellenge:
wobnbeiten austreiben. Er wußte allerlei
davon zu erzählen, wie es bei den Herren:
abenden auf den umliegenden Gütern bei
Gelegenheit der Serbitireibiagden bergebe.
Es war eine jdjimme Junggefellengegend
bier. Der junge Kantor hatte taum zuge:
hört. Er badjte an bie braunen Augen der
blonden Amtsrichtersfrau und bas braune
Samtband um den Hals, das ihr gut zu
den Augen Donn.
„Warum fie den alten Mann bloß ge:
nommen bat, Zimmermann?” fragte er
trdumerijd. „Nicht einmal von Muſik oer,
jteht ber etwas.“
Zimmermann nidte wieder. Er wußte,
es würde auch heute abend fo jein. Während
die Geigen zu dem Klavierjpiel der jungen
Frau fangen, jak Strubelius in der Ede,
raudjte ftumm und trant ein Glas Rotwein
nad) dem anderen. Nein, der verftand gewiß
nicht, wie die Geige bes jungen Lehrers
id tudjate unb fid) um das Spiel der zarten
Frau febnenb herumrantte.
Der Lehrer zupfte die Manjchetten in Die
Sirmel bes jchwarzen verwadjenen Modes.
„Wenn ber das Amt und das viele Geld
EE e
nicht hätte, was wäre er dann?“ fagte er.
Und badjte an jeine drmlide Wohnung, die
vierhundert Taler Gehalt, bie freie Holz:
jervitut im Gemeindewalde und dachte nod)
an etwas anderes, was er an Ctrubeltus'
Stelle tate.
Zimmermann war weltfundig.
„Zwölf Sabre ijt er Aſſeſſor gemefen,"
rejpondierte er. „Man weiß, wie es bei fold
einem möblierten Herrn hergeht. Die jungen
Frauen in diejen Ständen find zu bedauern.
Wenn bie alles wiiften. Warum fit er
immer fo ftumpf ba? Ic fpred)’s ja...”
So war es ausgemadt, daß Strubelius
ein alter Lebemann und gänzlih unmuſi—
talij war.
Bor dem Bergener Amtshauje lag der Licht»
idein aus den drei Fenſtern bes jaalartigen
Mufifzimmers bis |pát in den Abend.
Die beiden €anb[treidjer, bie im Amts»
gefängnis hinter den Bledtáften ſaßen,
wunderten fih, was das für geheimnisvolle
Tine waren, bie von fern trot Schloß und
Riegel fein und undeutlid) in ihre finftere
Selle jdjüpften. Gelbjt der Marftplaß
laujdte. Als fie im Ratsfeller, ba ber lebte
(Haft gegangen war, die Haustür zuwarfen,
[hrat ber Mtarftplak ordentlich zujammen,
und zwölf lang nadbhallende Schläge follerten
vor verhaltener geheimer Gehnjudt zitternd
von dem fich neugierig nad) den Fenſtern
des Amtshaufes hinüberredenden ſpitzen
Kirchturm die dunkle Badergajje hinunter.
8 88 8
Der Amtsribter Philalethes Strubelius
hatte in feiner Ehe ben erften Verdruß ge»
habt. Wir jagten, daß er jung verheiratet
war, was man bei jo einem beamteten Juriften
eben jung nennt. Aber fein jchon etwas
grämliches Alter war es nicht gewejen, was
die Augen feines jungen Ehegejponites [hon
am frühen Morgen mit Tränen gefüllt hatte.
Daran war vielmehr der Kalender jchuld.
Es war der 25. Auguft.
Der war in dem jchwarzen Terminss
falenber bes Amtsrichters Ctrubelius rot
und did zweimal unterjtrichen.
Denn bas hatte zweifache Gründe.
Zum erften hatte er fic) an biejem Tage
vor Jabresfrift mit der jungen, blonden
Frau verlobt. Zum andern aber bedeutete
ber Tag ben Aufgang der Hühnerjagd. So
hatte der Termin eine Doppelte fejtlid)e
Bedeutung, denn Gtrubelius war Jagd»
freund,
Der Rihter von Bergen hat von jeher
y. £. E. Paul Schumann: Im Amtshauje 375
Dienjtwohnung in dem vermetterten grauen
Amtshauje am Marktplak gehabt.
Als Strubelius heute morgen erwadte,
da hörte er es, wie der Regen von dem ge-
brodjenen Renaijlancedache herunter gegen
bie Soblafitubenfenfter trommelte. Da freute
er fid), unb feine Hand taftete nad) dem Bett
der blonden Renate hinüber. Denn es war
nod) dámmerig, und der dichte Vorhang
Ihattete vor der tiefen Fenſterniſche.
Uber Frau Renate war [hon heimlich
aufgeftanden. Da lächelte er immer nod).
Er wußte warum.
Auf dem Raffectifd) würden heute morgen
zarte Rofen den Verlobungstag ſchmücken,
und Renate wiirde trog bes Aufgangs ber
Hühnerjagd am heutigen Fefttag ihren Ehe:
‚mann ganz allein für fid) haben. Denn es
tegnete draußen immer nod in Strömen.
Aber Renate hatte faljd gerechnet. Wir
merten, daß bie doppelte Liebe des Amts:
ridjters ihre tragijden Verwidelungsteime
ihon am frühen Morgen in fid) trägt. Was
mag der Abend bringen, da niemand zwei
Dinge gleichzeitig lieben fann?
Das Amtsrichterehepaar jak vor ber
Kaffeetafje. Da ftahl fidj ein jehüchterner
Gonnenftrabl dur) bas graue Gewölk
draußen über der feinen Stadt, und es gab
in Renates jungen Augen einen leuchtenden
Mideríbein, Strubelius merfte es nid)t.
Anſcheinend gleichgültig [Mob er De fanft
zurüd, als wäre er es von jeher gewohnt,
daß fid) [hon am frühen Morgen ein junger
Srauenbujen zutraulih und wärmend an
ifn drängte, und als wüßte er nidt, was
zwölf lange, dürre, unfruchtbare Aſſeſſoren—
jahre bedeuteten. Denn joeben hatte die Magd
die Zeitungen und Poſtſachen hereingebradt,
welde ber Briefträger draußen abgegeben
hatte. Wir wundern uns nicht, denn es war
feine immerhin zwölf Jahre alte Junggejellen:
gewohnheit, beim Morgenfaffee die Zeitung
zu [ejen, und alle dieje Jabre hatten von
feinem feftliden Verlobungstage gewußt.
Ein Heiner Schatten war über Renates
Augen gelaufen. Aber [Hon wieder lächelte
fie. Denn fie fannte ihren guten, alten
Gtrubelius. Abnungslos jpielte ihre Frauen:
hand mit einem fleinen, grünen Kärtchen,
das unter den Poftjaden lag.
Gtrubelius wurde aufmertiam. Geine
Hand griff banad). Scherzend judjte fie bie
Rarte hinter ihrem Rüden zu veriteden.
Wir beginnen Zweifel an dem Urteil des
Rantors unb Stadtmujifdireftors zu hegen.
Faft jchien es, als wäre Gtrubelius bod)
nod ein Anfänger, als hätten feine Arme
während der zwölf diirren Jahre nicht all:
zuoft um einen zarten, weichen Frauenleib
gelegen. Denn Renates Mund verzog fic,
als er mit derbem Griff ihre Hand jamt dem
grünen Kärtchen hinter bem ſchmalen Frauen.
rüden hervorzog.
„Siehe da,” fagte er [djmungelnb. „Eine
Einladung zur Hühnerjagd nad Dobra.”
Priifend fah er nach dem Wetter. „Das könnte
wohl paffen. Termine ftehen heute nicht an...“
Er merfte gar nicht, wie die fleine Renate
erſchrocken aujammengudte. Denn er war
jebt längjt [djon wieder der alte Jäger. Das
war aud) nicht ber junge Ehemann, der kopf:
nidenb und wie innerlich tief befriedigt hin»
gujebte: „Es ift bod) ein wahres Glüd, daß
heute unjer Verlobungstag ijt. Sonft hatte
id) wahrhaftig bie alte Mählern in ihrer
Ze|tamentsjade aufs Amt geladen. Zum
Sterben ijf immer nod) Zeit genug.“
Dann war Gtrubelius mit der Flinte auf
Dem Riiden nad) Dobra davongeritten.
Die fleine Renate jab [fill und wie vers
Ihüchtert allein hinter ihrem Roſenſtrauß
und war nicht einmal [chadenfroh genug,
jid darüber zu freuen, daß [bon wieder
graue Wolfen den Himmel umjchatteten.
Tapfer gerbrüdte fie ein paar ganz Kleine
Tränlein. I, da [oll doch, wer würde denn
über jo etwas weinen?
88 Bg B8
Der Augufttag hatte ein langes, graues,
najjes Gewand angezogen.
Sn dem weiten, alten Wmtshauje war es
merkwürdig ftil. Wie judend war Frau
Renate durd) alle Zimmer gegangen. Am
Edfenfter bes faalartigen und barum heute
jo falt anmutenden Epzimmers blieb fie
ftehen. Da hat man einen nahen Blid auf
ven Bergener Mearftplag. — Ginjam und
Ihwermütig wartend lag aud) der ba. Kein
Menih Dep fih fehen. Nur bei Tijchler: .
meilter Viartgraf [d)rie bie Haustiirglode
rufend über den Martt. Dann verjtummte
fie jab. Auch Frau Renate war ¿uriidge:
treten. Cie wollte ben Leichenzug nicht jeben,
ber eben aus der Badergaffe nad) bem Viartts
plag bog. Wohl verhüllten bie jchweren
Fenftervorhánge ben ſchwarzen, jhweigenden,
idmanfenben Zug hinter dem nidenden
Rruzifix. Aber die Stimmen ber Schul—
jungen, welde vor bem Sarge fdritten,
jhwangen fic) durd den riejelnden Nebel
iiber die Gartenmauer bes Amtshaujes und
achteten ber zugezogenen FJenfter nicht. Go
hörte es Frau Renate gleihwohl, wie hinter
den frilden, unverzagten Jungenftimmen
etwas anderes, Weltfremdes zitterte, was
nieht von biejer Welt war.
Lab mid geben — laß mid geben —
Daß id) Jefum möchte feben.
9/0 Beretta Y. 8. C. Paul Schumann: [goo];
Die junge Frau hatte fic) erfdauernd in
den weichen Klavierjejjel vor dem großen
yliúgel gejchmiegt. So ſehnſüchtig tlang es.
Die Schritte draußen traten langjam und
ſchwer und tlapperten gleichmäßig im Tafte.
Meine Seel’ ijt voll Berlangen
Ihn auf ewig zu umfangen.
Karl Zimmermanns Stimme fchmetterte
jauchzend über den Chor der anderen hinaus
und wußte nicht, was er tat.
Langjam verebbte der Zug. Die Schritte
fangen nur nod) ganz von fern ber, dort,
wo bei Budbinder Lehmann der Meg nad)
bem alten Friedhof um die Ede geht.
Mie ein dunkles Geheimnis trug es ber
Ihüchterne Wind wie in briinftigem Er:
Ichreden nur nod) flüjternb beriiber...
Und vor feinem Thron zu ftebn.
Es war ein |dywermiitiger Berlobungstag.
Ob er wohl ein bißchen Menjchenglüc [Hon
auf diejer Welt gelten lief 2.
Die junge Frau hatte den Fliigeldedel
Dod)geldblagen. Immer nod) riejelte draußen
der Regen. Er fiel jebt in ein offenes Grab,
in das bie feuchten, ſchwarzen Erdfchollen
follerten. Frau Renate hörte es nicht.
Ihre mütterlidje Frauenfeele war fchon
weit weg von bier. Gie war einem alten,
grämlichen, durch lange Affejforenjahre ver:
bitterten Manne nachgeflogen, welcher viel
Liebe brauchte und bei dem die Gegenwart
manches nachzuholen hatte. Darum ſchwangen
die Töne |o mütterlich aus dem alten Flügel,
welchen Ctrubelins aus dem Elternhauje
mitgebrad)t batte, und es war eine Frauen:
fttmme, eine liebe Stimme, weldje jest fang:
„Wenn es falt wird und ihr alt feid, will
id) Ihügend mein Erbarmen, meinen Mantel
um euch iblagen.”
Der Nachmittag wurde immer dunkler.
Bei Bäder Gad wurde die Lampe Hinter
dem Ladenfenfter angejtedt. Die warf ein
rotes Licht auf bie Waſſerlachen draußen.
grau Renate jchürte das Feuer auf bem
Rúdenberde, etwas Wärmendes für den
heimfehrenden, najjen Strubelius zu kochen.
Langit [Hon Hatte fie feine Hausjchuhe in
die Nähe bes anjtrahlenden Feuers geftellt,
Schon fam der Abend. Ale Türen waren
gegen ihn feft perjd)lojjen. Deshalb ftrich
er migmutig an den niedrigen, Hauswänden
bin und flapperte arámlid) mit den Fenfter-
laden der Leichenfrau Rojenfrang.
88 88 88
Die Jagdgeſellſchaft auf bem Rittergut
Dobra merkte nichts davon.
Das Gdjijjeltreiben war vorüber. Man
jak rauchend und trintend zulammen. Die
Stunden eilten dahin. Gtrubelius merfte
es taum. Bum erjten Male feit feiner Heirat
war er wieder in bem alten Junggejellen-
freis. Es war bod) ganz bebaglid. Es
hatte fein Seibeffen gegeben. Gauerfraut
unb Bratwurjt und dazu Spatenbier. Jest
aber famen die jchweren Meine. Er wußte
es von früher ber.
Laden. BZigarrenraud. Schnarchende
Hunde und Hatjchende Rartenblátter. In
bas wiehernde Laden bes Baftgebers tlang
das Medern des Regierungsreferendars.
Auch Strubelius fpielte. Er verlor dauernd.
Es gab viel Hallo. Da Hang ein helles
Klingeln in den Lärm. Das war jadjlid)
unb juhte fid) riidjidjtslos feinen Meg durch
die lachende Menge und fam vom Telephon.
„Hier UWmtsridter Strubelius.”
„Hier Altuar Rübejam.
„Der Auszügler Johann Petermann in
Radigaft will nod heute abend fein Tefta-
ment madden. Sd) fahre jest mit bem
Petermannſchen Wagen bier ab, darf id)
Herrn Amtsrichter in Radigaft erwarten?“
„Natürlich. In einer halben Stunde bin
id) dort.“ Und wieder das helle, verjtändige,
nüchterne Klingeln.
Es [fwirrte Girubelius im Kopf als er
bie Steintreppe nad) dem Hof hinunterjchritt,
auf bem joeben fein Pferd vorgeführt wurde.
Es regnete immer nod) Die Hoflaterne
fonnte bie Luft faum durchdringen. Tie
Pferdehufe flapperten auf dem Steinpflafter.
Es war Dod jdade, daß er jebt fortmußte,
wo es anfing gemütlich zu werden.
Flüchtig dachte er beim Aufiteigen an zu
Haufe. Das Lederwerf des (attels tnarrte
und ächzte, als er fid) aufihwang. Er fing
ion an bid zu werden. Nun hatte er fih
im Sattel gurechtgejegt. Natürlich würde er
nad) ber Teftamentsaufnahme wieder zurüd»
tommen. Denn der lange Regierungs:
referendar v. Rogen hatte beim Hinausgeben
jo mofant und ladelnd gejagt: ,Unglid im
Spiel, Glick in der Liebe.” Dem würde er
bie Zechinen [Hon wieder abnehmen.
Er jhlug den Manteltragen Bod). Denn
der Regen jpriihte auf das blante Fell des
Braunen. Im Klappern des Anreitens hörte
er nicht mehr, wie fie oben den Rundgejang
anftimmten: Ift das nicht ein Ref'rendar ?
Ja, bas ijt ein Ref'rendar. Hat ber nod)
ein einz’ges Haar? Mein, der bat fein
einz’ges Haar.
Bon dem jtumpfen Turm der Kirche,
weldye Hinter dunflen Baumwipfeln lag,
brummte es. Da gab Gtrubelius feinem
Gaul die Sporen, daß er über die najje,
iprigende Dorfitraße mad) der jchwarzen
Aderflur hinausprejchte.
8 & ES
Die Kinder, welde in dem Bergener
Bitrgbols hinter dem Amtshaus den ganzen
Rachmittag gejpielt hatten, waren längft
Hreiend und pantoffelflappernb nad) Haufe
T geeilt. Sn bem vorjährigen Laub rafchelten
= nod) die wilden Raninden, machten
Ze inndjen und gloßten mit runden, ſchwarzen
Sehern in die Naht. Die aber wandelte
Ihweigend vorüber. Gittjam ſchritt fie, den
* Hwarzen Dantel eng an den Leib gedrüdt,
—Durd) Bergens Bäßchen. Jn ber freien Feld»
E ort aber warf fie fid) dem Wind in bie
Mime, dah die Ride und die Wolfenbetten
mur |o flogen. Das Schulhaus von Dobra
"budte fih ordentlich darunter. Gtrobgebedt
Tebnte es fih Hil und unbeadtet an den
G Butspart. Es war ganz finiter.
Ka Happerte ber Nachtwind mit den
smlichen Läden, pfiff Durch die Locher ber
de erbrochenen Bodenfenſterſcheiben, und der
Pmujitfundige Lehrer hörte bie Melodie ganz
| T Deutlich heraus. ... Es ift bejtimmt in Got:
5 Rat, dab man vom Liebjten, was man
d hat, muß jcheiden ... Denn ber Braujewind
MN wollte immer weiter fliegen und 30g an den
——— Haaren, daß es aus dem
erwühlten Wolkenlager wie unaufhaltſame
frauentränen herunterkam. DerLehrer horchte
ino bent Gutspart hinüber unb jpielte ba:
wilchen bie Beige. Die |djmabte mit bem
—— wie Frauenherzen red-
ligem Regen. Der erzählte viel tolle Ge:
chichten. Denn im Rittergutshauje ftießen
le die hohen Fenfterflügel bes GBjaales auf,
em blauen Sigarrenraud) freien Abzug zu
Hen. Aber aud) ber Rundgejang von ber
Lafel flatterte mit hinaus:
3 Bee Betr Bruder zur Rechten, Herr Bruder zur Linten,
H Pos Bir wollen einander ein — zu trinken
Der Shönjten auf Erden .
Se war der Qehrer in die naſſe Nacht
) Radigaft zu hinausgewandert.
u 7 t!
uE 28 8
— Das gute Eſſen, das dicke Bier, der ſchwere
Mein und bie friſche Nadtluft —
Hier unb da am Horizont zudten ein paar
= Dorjlidter, das war alles fein Bezirt. Gr
mar Gingelrid)ter. Hier in Ebersdorf hatte
wr [don einmal ein Teftament gemadt, dort
Sin Breitenbad) eine Übergabe und Ausgugs-
3 ® ertrag geregelt, in Ginjtersleben ben reiden
Bauer, ber fid) gehängt batte, vom Dach»
Balten feines eigenen Oberbodens abjchneiden
Majjen. Der Braune war jhon manchen
Holperigen Feldweg bei finiterer Nacht ge:
cu in ibn. Das — und Wehe mancher
Familie und ihrer Nachkommenſchaft hing
Belbagen A Rlafings Monatshefte.
35. Jabrg. 1920/1921.
Es EE EH Im Amtshauje BZSZSZZZZZZZZZI 377
legten Endes von feiner Einfiht ab. Uns
willtürlich trabte er |djneller. Denn von fern
idümmerte [Hon das Licht bes Kranten:
zimmers von Rabdigaft, wo ein Sterbender
feinen Rat und feine Hilfe juchte.
Daheim zu Hauje wartete wohl auch eine
Lampe auf ihn in dem alten Haufe. Deren
$idjt fiel aus dem Schlafzimmer nad) einem
weiten, baumbejtandenen, naffen Garten.
Der ftand fröftelnd bie ganze Nacht. Aber
drinnen, da wartete etwas Warmes, Weiches,
Schmiegjames auf ibn, ben alten Junggejellen
nad) zwölf diirren Aſſeſſorenjahren.
Und wieder fiel der Braune in Trab. Das
lebte Ende nad Radigaft war gepflajtert.
Das gab ein hallendes Klappern, und jebt
lam aud) Melodie hinein. Aus den vier
trabenden Pferdehufen flapperte es Strubelins
Ihwermütig entgegen, und Hinter ibm Der
lief es auf den buntlen Flügeln des Nacht:
windes wie eine Ptannerjtimme:
Wh, wie bald Ichwindet Schönheit und Geftalt.
Prahlıt du gleich mit deinen Wangen,
Die wie Mild und Purpur prangen ...
Der Amtsrichter jah fid) um, als wären
es die zwölf Afjefforenjabre, die Hinter ibm
laBen wie bie atra cura und einen alten,
verbitterten Mann aus feinem Leben gemadt
batten. Er mußte bod) wohl ganz unmufi:
falijd fein. Der Braune tat einen Geiten-
jprung. Denn drohend redte jid) ein Arm
aus der Wand vor ihm.
Es mochte der Wegweijer fein. Das Tier
wurde unruhig. Und weiter trabte es; aber
bumpfer und polternder langen die Hufe auf
den SHolzbohlen der über den CEberbad)
führenden Briide:
Ad, bie Röslein welten al...
R6 8 B
... „Herrgottjatrament. Wollen Sie denn
Gelangftunde auf diefer alten Wieje geben,
Herr Kantor? Angſt hatte ber Gaul nicht,
aber jpringen fonnte er gut.” Das war das
erite, was Strubelius jagte. Er fap mit der
Neithofe mitten auf dem najjen Wege. Der
Braune ftand jhon. Der Lehrer von Dobra
hielt ihn am zerrifjenen Zügel. „Wenn Gie
ion mit Ihrer Blendlampe Pferde jcheu
machen, dann helfen Sie mir wenigftens, daß
ich heute nod) zu meiner Frau zurüdtomme.”
— „Schönen Dank für den Strid, Herr
Kantor. Zum Aufhängen ift er dod zu
ihade.” So jcherzte der Richter.
Der junge, jangesluftige Rantor jah dem
davonbraujenden Reiter nad).
» - Gufgeblajene. Gejelljidjaft, diefe Ju:
rijten . . .” murmelte er heimwärtsgehend
und ließ den Spazierſtock durd) bie Luft
pfeifen. Das tattmáBige Rlappern der Pferde-
2. BD. 25
378 ESSSSSSSHIIHT $. R. €. Paul Shuman: B3333333333339
bufe verlor fid) in ein 9Bagenrollen. Der
Attuar Riibejam nabte.
&
BB 88
Am Dorfeingang wartete ber Wftuar |d)on
mit dem Paftor Cpürlid) aus Ebersbad.
Der Paftor erſchien lang und dürr gegen
ben wohlgenährten Gtrubelius. Der Amts:
richter wußte, baB der Pfarrer taum das
liebe Brot für feine zahlreihen Kinder in
der teuren ftadtijden Penfion Hatte.
Riibejam war ein erfahrener Mann und
ein alter Praftifus. Er hatte [hon monde
nächtliche Teftamentsfahrt Hinter fih. Bor:
lorgli Hatte er im MBorbeifabren den zu-
jtandigen Pfarrer gleich mitgenommen. Er
wußte, wie es ift, wenn bie Nafe weiß und
jpi& wird unb die großen Arbeitshánde un:
ruhig über die rot gemufterte Bettdede fahren.
Der Dunjtfreis der rótlidjen Wagenlaterne
vor dem Petermannſchen Torweg lag auf allen
dreien und umbiillte fie in gleicher- Weije
wie ein gemeinjamer Mantel.
Riibejam jchlug die von der langen Wagen=
fahrt froftigen Hände gegeneinander.
"Es geht heute zu Ende da drinnen,“ fagte
er mit der Erfahrung einer vierzigjährigen
gedriidten Beamtenlaufbahn und beugte bod)
wie um Verzeihung bittend den verwachjenen
Rüden. Reiner antwortete. Die beiden Pferde
des Wagens ließen müde die Köpfe Hängen.
Es ging alles feinen Gang, wie es [don
immer gegangen war.
Stumm jab Strubelius den Vorbereitungen
zu ben Gterbejatramenten zu, während ber
alte Aktuar jachverftändig am wadeligen
Tiſche neben ber fladernden Kerze ein paar
Schreibfedern probierte, einen großen, weißen
Attenbogen glättete und Siegellad und Amts:
fiegel bereitlegte. Nur ber alte Petermann,
den das alles in erfter Reihe anging, nahm
wenig Anteil daran. Er war wohl don
im Begriff, bas drmlide Land hier unten
zu verlajjen. Nur die Pflicht hielt ihn nod)
zurüd, für ein voreheliches Kind zu jorgen,
dem das Gejeg fein Erbrecht gab.
Es war das alles ſchnell bejproden.
Gtrubelius jah den alten Mann mit der
großen Nafe in bem bageren Gelicht unb
dachte ein paar Jábrlein zurüd und fah ein
blondhaariges, leichtfertiges Mädchen, und
bas alte Bett wartete noch ein fleines und
war nun ein Gterbebett geworden.
Er |d)iraf aus feinen Gedanfen auf, denn
Spärli batte einen Gejang angeftimmt.
Seine tiefe, ruhige Stimme füllte die ärmliche
9[usaugsitube.
Mie wird’s fein, wenn ich zieh’ in Salem ein,
In die Stadt ber goldnen Gajfjen ...
So tlang es unter ber niedrigen Balten-
dede, und der Amtsrichter jah jid) wie ver:
wundert um. Debt jang aud ber alte Peter:
mann mit, aber er fliifterte mehr:
Herr, mein Gott, id fann's nicht Toten,
Mas bas wird für Wonne fein...
Gtrubelius hatte [ange nicht gejungen.
Gelbft in Dobra hatte er heute abend bei
dem berühmten Fuchjenritt nicht mit ein-
geftimmt, als fie alle auf Stühlen um dert
Tijd) geritten waren. Nun aber tam es ihm.
Es dünfte thm gar nicht mehr abjonderlidh,
daß der fleine budlige Aktuar, über deffen
forrefte Beamtenfeele er fid) noch niemals
Gedanten gemadt hatte, jet gar als dritter
mit einftimmte ... „Hätt ich Flügel ...”
Gtrubelius jah den Heinen, verwadjenen,
gebüdten Mann von der Seite an; aber er
ftimmte felbft als vierter mit ein, er wußte
nicht, wie es Tam:
Hatt id) Flügel, flög’ ich über Tal GE Zal und
e
Heute nod nad Zions Höhn! wc
Der Amtsrichter fah jid) immer nod wie
verwundert in der müchternen, niedrigen,
tablen, blaugetiindten Stube um. Es war
ganz [till geworden. Nur bas rotgeftrichene
Fichtenholz ber Bettlade tnarrte . . . 9tad)
Zions Höhn! ... Der Ton [bien nod) unter
der ärmlichen Dede zu jchwingen.
Cpürlid) hatte feines Amtes gewaltet.
Nun war Gtrubelius an der Reihe. Aber
er [bien heute nicht recht bet der Sabe zu
jein. Der Aktuar Rübejam ráujperte fih ge-
ziemend ein paarmal und jebte wie ermun:
ternd die Feder am, Er dadte an das
SHerrenejjen zu Dobra und bie [djweren Weine
und ließ demütig wartend den Kopf linfen.
Aber Gtrubelius jagte immer nod mts.
Er war in Gedanken geraten.
Was hat der Menſch in feiner Gterbe:
itunbe von allem irdilchen Glid, von Reid):
tum, Ehre und Würden ... Er war vor:
bin auf feinem aert fo ftolz auf feine
Stellung, feine Renntnijje und feine wohl-
geordneten Verhältnijje gewejen. Nun aber
war diejes alles auf einmal gar nichts.
Zu Hauje wartete ein Paar weicher Arme
auf ibn. Aber es nabte einft dic Sterbes
ftunde. Da lag er bier wie der alte Aus:
zügler. Die Cterbejtunbe, fie fam gewiß, er
mode wollen oder nicht. Gein ganzes Vor:
haben bier, es jdjiert ibm auf einmal fal
undnichtig. Wie unwichtig war legten Endes
bas alles für den alten Petermann. Es
galt nur der Sorge um die geringen Dinge
diejer Welt. Gein Beruf wäre ibm auf
einmal beinahe leid geworden.
Renates junges Gefiht wollte vor ihm
auftauchen und fih in den Bannfreis drängen.
Uber aud) fie jcheuchte der Sprud, mit dem
Epárlid feine ganze Kunſt vorhin geld)lagen
[e Á Im Amtshaule E
hatte: Was ift bes Lebens Herrlidfeit? Mie
bald ijt fie verjchwunden ...
Wher das alles dachte ber Amtsrichter nur.
Laut biftierte er jegt dem Aftuar in bie
Feder und jdilderte den Borgang dahin:
„Auf Ruf Hatten fid die obenbegeid)neten
Geridtsperjonen in die Wohnung des Guts:
auszüglers Johann Petermann in Radigaft
begeben, welcher, wie die mit ihm geführte
Unterredung ergab, im vollen Beli feiner
Geijtestráfte war.
Er erflárte, daß es fein freier, wobliiber-
legter Wille fei, ein Teftament zu errichten,
und erklärte darauf als feinen legten Willen,
was folgt...‘ Draußen Flatjchte ber Regen.
Der wußte nidis von Hypothefenregelung
unb Ytoterbredt und Quarta Falcidia.
28 8] B
Frau Renate batte [hon lange wartend
auf die Schläge ber Turmubr in dem Dad:
reiterchen über ihr gehorcht. Aber fein Reiter
nabte. Der Verlobungstag neigte fid) jeinem
Ende zu. Da hob [ie ben müden Kopf. Die
Sjaustíirglode unten ſchrillte anders als jonft.
Sie ging den hohen, fühlen Treppengang
hinunter. Denn die Hausmagd war zu
ihren Eltern in ber Badergajje gejchlüpft.
Dm gepflajterten Hof dicht vor der eijen-
beichlagenen Eichenholztür ftand der Lehrer
von Dobra. Frau Renate erjchrad.
„Was führt Sie ber, Herr Kantor?”
Gin leichtes Zittern war in ihrer Stimme.
„Sch wollte nur etwas abgeben, was id)
gefunden babe. Ihr Gatte muß es ver:
Ioren haben. Ich traf ihn unterwegs und
war einmal hierher zu Gange.“
Er verjchwieg bie näheren Umitánde der
Begegnung, da er ihr erjchrodenes Belicht
jah. Seine Hand zudte, als er beim fibers
reichen der Brieftajche ihre zagen, warmen
Finger beriibrte.
mu. Wie... wo... itihm... meinem
Mann ... etwas zugejtoßen? Ift er ge:
ſtürzt?“ Die Worte überhajteten fic.
Der Lehrer jchüttelte einen Gedanfen von
Déi ab. „Er muß einen Schußengel gehabt
haben...“ jagte er finnend und jab immer nod
das liebe, erſchrockene Geſicht vor fih, als er
ion bei Buchhbinder Lehmann um die Ede
der Badergaffe bog, wo es nad) dem Preu:
Bijben Hof geht.
Immer nod) jhlug und rudte bie Uhr in
dem Dachreiterchen. Frau Renate hörte es
nicht mehr. Lets fnifternd fiel unb blátterte
der Kalt in dem großen, einjamen Borjaal
von der Dede. Frau Renate hatte die Brief:
tajche, in ber [ie geframt, Tängjt finten laffen.
Sie hörte den leijen Schritt der Gegenwart
nist. Denn es war Vergangenheit, was
fie gelejen.
sa 379
Das war ein Liebesbrief an Strubelius
aus den zwölf diirren Fahren, der ihr aus
ber Brieftajche entgegengefallen war. Er
war an den verlotterten unb vergrämten,
alten Junggefellen gerichtet, und bod) ftand
s... Du lieber Pbhilalethes” mit etwas uns
gelenfter, ſchüchterner Schrift Darüber.
Ein verblaßtes Bild lag dazwijchen. Ein
idmales Geſicht unter ſchlicht gejcheiteltem
Haar. Es mußte ein gutes Mädchen ge:
melen fein; denn ein gütiger Mund [dien
jeu zu den Worten zu lächeln, bie von
Strubelius’ Hand flüchtig Darunter gejchrieben
waren: ... Und gab fic Jelbit, ba fie nicht
mehr hatte ...
Immer wieder griff Frau Renatens weiße
grauenbanb danadı.
... Ohne Krang und Ring... ohne Ring
und Krang ... fo ging es ihr immer bird)
den Kopf, unb finnend drehte fie an dem
ichmalen Golbreifen an ihrem Finger. Auf
einmal ba flang bie Tangmelodie, bie aus
dem Preußilchen Hof heriiberwebte, fo traurig,
und Frau Renatens Augen füllten fid) mit
Tränen. Gie wußte nicht, ob es des Mäd—
dens oder Gtrubelius” wegen war.
Schwefterlih behutjam und mitleidig legte
He Bild und Bud) wieder in die Tajche.
Cie dadte an bas Rind unter ihrem
Herzen. Sie hätte es auch lieb gebdbt ...
jo fliifterte es in ihr. Sie war an bas jen-
leitige Feniter getreten und ftarrte in bie
Nacht hinüber. Ta lag bas Burgholz. Der
Superintendent Habermalz nannte es einen
Ort ber Unzudt. Denn es war nahe bei
der Stadt und war didtverwadjen und war
verjchwiegen. Wie Mädchenlachen tlang es
heriiber. Dann verwudjen die Stimmen in:
einander, und es wurde ſüße Wehmut daraus,
und bas alte, regennafje Burgholz raujchte
geheimnisvoll zu bem Liede von bem [djónen
Garten, der nichts nüße ijt, wenn andere
drin fpazieren gehn.
88 &
Am Megweijer hatte fih Strubelius von
dem Wagen getrennt. Gein Brauner hatte
heute flintere Beine als die alten Rutjdhpferde
des Baders Sad aus Bergen, welche der Aktuar
Riibejamzur Teftamentsfabrt gedungen hatte.
Lángft war ber Amtsrichter auf der ge:
pflafterten £anb[trape, bie an ber fteifen
Garde der Pappeln entlang unmittelbar
nad) Bergen führt und Dobra weit linfs
liegen läßt.
Er Iden es vergejjen zu haben, was er
jeinen Jagdireunden im Dobraer Herren:
hauje vom Wiederlommen erzählt Hatte.
Er würde mofant lachen, Der blafierte
Regierungsreferendar, wenn er feinen hajtigen
Heimritt erfuhr. Aber das fiimmerte Stru-
95 *
380 PSSSSS95) F. K. E. Paul Schumann: BS222222222224
belius jest wenig, denn bie Pferdebufe
Happerten [Hon feit einer ganzen Weile
auf dem Pflafter eine andere Melodie ...
Und bat bir Gott ein Lieb befdert,
Und hältit bu fie recht innig wert,
Die Deine ...
Das flapperten bie vier Pferdehufe un:
ermiidlid), und fie wurden immer eiliger,
und jet jagte Gtrubelius förmlich dahin,
daß ber Dred fprigte und der Landftreider
ber des Weges fam, fih fopfichüttelnd um:
jah. Er wußte nicht, dak hinter bem dahin:
ftlirmenden Reiter im bochgeichlagenen
Mantelfragen, vor bem er am Tage als
jeinem Richter devot den Hut gezogen hätte,
ein Heiner Vers gleich ſchnell nachklapperte.
Den |djidte die Naht. Die war aus dem
Dobraer Holze aufgeflogen, bewegte die hohen
idmalen Lebensbiume am Friedhof vor ber
itrobgededten Schule und raunte Strubelius
im Borbeifliegen ins Ohr:
Es werden wohl aht Brettlein fein,
Da legt man fte gar bald hinein,
Dann weine.
Dann breitete fie ruhig und gleichmäßig
ihre Fittiche über Stadt und Land und
ichlief, bie Bleichmacdherin, denn der bublende
Wind hatte (id) aud) lángft müde geflogen.
Alles bajtete in Strubelius vorwärts.
In den bujchigen Niederungen bes (ber:
bahs wallten gerubig die Nebel. Dort
würde nun bald der ftolge Rónigsfajan vor
dem furghaarigen, braunen Jagdhund auf:
iteben oder polternd mit jchredhaften Rufe
von feinem Schlafbaum in den herbftlichen
Nebel ftreichen, wenn der Ctabtmu[ifbireftor
Zimmermann mit feinen Wtufifanten vom
Kirmestanz aus den umliegenden Dörfern
in dunkler Whendjtunde nad Haufe ftrebte.
8 8 &
Der Lehrer war in den Preußijchen Hof
getreten. Da war Ballmujif bes Regelvereins.
Geit einer ®ierteljtunde [Mon jah er nad)
zierlichen Mädchenbeinen. Die drehten fih
nad dem Takte ber Tanzweije, ſchwebten
leicht über die groben Dielen, traten anmutig
leitwärts, um jchon wieder nad) rüdwärts
zu fliehen. Du — halt — nod) — nie —
ein — Weib — gefüßt, fo nedte bie Klari-
nette. Immer nod) jchwenften die Rice hin
und jdwenften her. Manchmal jdimmerte
es weiß darunter. Da fnadten die feinen,
mattjdimmernben Knöchel in ben zarten
Strumpfgeweben vieljagend, es verbarg jid)
wie erjdjroden und die zierlichen, ſchlanken
Beine drehten jid) unb ftredten fic taft-
gemäß und ftrebten vorwärts und flohen riid:
wärts. Der Lehrer trant ein Glas Bier nad)
dem andern. Er wandte feine Augen ab. Es
war ein törichter Traum.
Ja, das ijt wahr, ja, das ift wahr...
bejtätigte die große Trompete und lachte be-
haglich mit blechern dröhnender Stimme wie
ber Schneidemüller von Radigaft.
Da verließ der Lehrer bas £ofal und ftand
pnidlüjig auf dem weiten Marltplas.
Die nod) vollbelaubten Saftanien harrten
reglos wartend, wie von roter Blut übers
gojjen, vor ben ſchimmernden Fenftern des
Natskellers. Bei Kaufmann Sjafob ließen
[ie Den metallenen Ladenvorhang eifentlirrend
herunter. In der Sjerrengajje polterte noch
ein verjpäteter Wagen. Die fleine Stadt
rüjtete fih zur Rube.
8B & ES
Auch im EBzimmer bes Amtshaufes waren
bie Fenſtervorhänge dicht gejchlofjen.
„Strubelius, was fiebft du mid jo eigen
an?” Frau Renatens Stimme Mang liebe»
beilchend und vorwurfsvoll zugleich.
Sie hielt ihm die Brieftajche hin, welche
der Lehrer heute gebracht hatte und die mehr
jprad als viele Worte und eine ganze Ges
\hichte erzählen wollte.
Gtrubelius fagte immer nod nidts. Er
idjaltete bie Beleuchtung ein.
„Warum haft du fo feftlid) bie polle Lam»
penzahl angezündet?“
Statt zu antworten 30g ber Amtsrichter
bie junge Frau an fic heran und fah ihr
prüfend in die Augen. „Sag’ an, Frau
Renate, jag’ an, was weinteft du fo febr?
Ich will bir aud) eine Geſchichte erzählen.“
Er febte fi in ben Gejjel neben bem
großen Ofen und ftemmte die Arme auf die
Knie. Frau Renate Honn von fern; er Idien
es nicht zu bemerfen.
„Du haft bir unjern Lerlobungstag wohl
anders gebadjt, meine Frau,“ fagte er. „Biel:
leicht haben die Leute recht, daß bu bir jo
einen alten Mann nicht nehmen Jollteft.
Aber es fol doch fejtlid) fein. Denn id
war heute abend in Dobra nicht umjonjt
wieder einmal ber junge Referendar von
ehedem. Denn [Hon damals habe id) mid)
immer nad) bir gejehnt und fannte bid) bod)
gar nicht.“
Frau Renate näherte jid). Sie ftrich ibm
mit der Hand über das dünn gewordene
Haar. „Wie jeltjam, Pbhilalethes.”
Er nahm ihre Hand. „Es ijt ein Traum
von heute nadjt, den ich bir erzähle. Die
Referendarjahre dehnten fih, und nod) immer
warjt du nicht da. Sch wartete nod) länger
und wanderte zwölf dürre Alefforenjabre
von Ort zu Ort und jab) in mandes Haus,
und ich fonnte bid) nicht finden.
„Da hätte ich es beinahe aufgegeben und
ging abends rubelos durd) bie Straßen und
jah das ruhige Licht der Familienlampe
PSSSESESSSESGSSSCSSAA Im 9[mtspaule BeS2222222323233239 381
hinter manchem Fenfter, hörte mand) liebe
Frauenftimme, hörte die Kinder lachen und
ging Dann in meine falte Syunggelellenjtube
und dachte an bid), bie ich nie gelebn ...”
Er ftrid über ihre Finger. „Was fiebjt
du mid) fo mitleidig an, Frau Renate, du
meine Geliebte, bas träumte mir bloß.”
Es wurde eine lange Stille. Die junge
grau riidte noch näher an Strubelius heran.
„Der Traum ift noch nicht zu Ende, Frau
Renate,“ warnte der. „Einmal da habe ich
bod) ein blondes Mädchen gefunden.” Cr
nahm die Brieftajche auf, bie zu Boden ge:
glitten war und 309 bas verblaßte Bild her:
vor. „Einmal, da war id) nicht einfam. Sag’
an, was weintelt du fo febr?“ Man modte
es auf das Bild oder die Lebende beziehen.
Reine Antwort. Nur die Uhr bes alten Amts:
hauſes brummte bie tiefe, bunfle Mitternacht.
„Die Gterbeftunde ift noch einjamer, Frau
Renate. Aud bas habe ich heute erfahren.“
Smmer nod) ſchwieg bie junge Frau.
Denn jekt, ba der Verlobungstag endete
und ber neue Tag erwadte, wollte jid) ein
Icheues Wunder begeben. Das madte aus
Frau Renate etwas anderes und mehr als
die Geliebte. Ein mütterliches, verzeihendes,
ftolzes Ládeln lief weich über ihr Gelicht,
da fie bas junge Leben jpürte. Gtrubelius
merite es wohl.
„Sie hätte es ebenfalls licb gehabt,” jagte
aud er.
Der Lebrer, welcher unten ftand und nad)
ben felt zugezogenen Fenftervorhängen jchaute,
jab, wie aus zwei Schatten ein einziger wurde
und ineinander verwudhs. Da wendete er
feine Schritte, heimwärts zu gehn.
3 |. 8
An der Herrenftraßenede ftehen ein paar
verwetterte alte Scheunen. Ein brödeliges
Stadtwappen mit bem Rautentranz ift dort
über unlesbarer Jahreszahl in den Gtein
gehauen. Der Mejtwind, welder nun fdon
den Rauh der Kartoffelfeuer herüberweht,
zermürbt ihn immer mehr, und Nachbar
Randmanns Bänje weiden dort Dijteln am
Sriebbofsanger neben der zerfallenen alten
Lehmmauer und jdjnattern nachmittagelang.
Dort war ber Stadtmufifdireftor Zimmer:
mann mit feiner Frau am Bormittage zur
Taufe feines Beichwifterlindes in Radigajt
vorbeigegangen. Nun waren fie auf dem
Heimwmege.
„Dem 9(mtsridjter feins wäre nun aud)
fo alt,” jagte Frau Therefe.
Zimmermann antwortete nicht gleich, denn
er jah nad) dem Gperberweibden.
Das ftand rüttelnd in der Luft über den
weiten, nun ¡Hon abgeernteten Feldflächen
vor ber bleichen, halben Scheibe bes nod) am
blauen Tageshimmel aufziehenden zunehmen»
den Tiondes. Der Herbft war heuer fett ge:
raten. Denn überall liefen die Mäufe aus
den aufgepflügten, dunfelfeudjten Aderfur:
hen. Da ftrid) der Vogel geraujdlos ab. Ein
Reiter näherte fih auf bem [djmalen, fura:
grafigen Feldweg. Es war Strubelius.
„Da reitet er nun wieder zu feinen Sauf:
fumpanen... auf bie Güter..." fagte Sims
mermann enblid) „Wie lange ijt es ber,
daß feine Frau im Rindbett geftorben ijt?
Mber das Gemiit gebt bei den Gtudierten
eben verloren. Der Verftand wird auf feine
Koften ausgebildet. Ich Ipredh’s ja...”
Frau Rele neftelte an ihrem Hutband.
„Es ift nur gut, daß fie das arme Wurm
gleich mitgenommen hat.“
Ein paar fchnelle Frauentránen ftanden
in ihren Augen. Gie war weidmiitig und
badjte an ihren Sohn Alfred, ber in Halle
Theologie [tubierte und Dellen Bild mit bem
Wingolfsband und der weiß: |dwarz = gold:
bordierten Müge über bem grünen Ripsjofa
in der blauen Stube bing.
... „Er wird bod) nicht aud) jo werden?
Es gibt fo leichtlinnige Mädchen in der großen
Stadt...“
Des UAmtsridters Magd hatte es erft
neulich erzählt, daß auf Strubelius’ Schreib:
tijd ein Mädchenbild gelegen hatte.
„Bewiß feine Studentenliebfte,“ Hatte
Riibejams Lieschen gejagt und große, runde,
neugierige Rinderaugen gemadt.
"Ab, Meibertratió ...^ jchnitt Zimmer:
mann den Faden ab.
Da badte Frau Therefe nur nod) im
tilen an bie jchöne Dobraer Pfarre, in
die ihr Alfred vielleicht bald mit Riibejams
Rieschen einziehen würde. Alfred war ihr
mütterfidjer Stolz. Der würde fein alter
SJunggejelle werden. Denn das allein war
ber Berderb.
Zimmermann [tórte fie [bon wieder in
ihren Zutunftsgedanfen. Er trieb zur Eile.
Denn in der Bader: und Ziegengajle tönten
[don bie Haustiirflingeln, und der Stamm»
tijd im Preußiſchen Hof verjammelte fid).
Und dann jpradyen fie vom Dijtelftedhen auf
der Hausleite und daß fie die rehbraunen
Ziegen auf dem Friedhofsanger weiden
lajjen wollten, wo bie verwetterten Scheunen
mit dem brödeligen Gtadtwappen eben.
Cie waren ¡don in die dunfle Amts»
gaffe eingebogen, wo es nad) bem Burg:
bölzchen geht. Ein Trupp junger Burjden
und Mädchen fam fingend und taftgemáf
jchreitend von dort herunter. Frau Therefe
hörte es ganz genau heraus, wie Lieschen
Riibejams Stimme jubelnd über dem Ge:
[ang der anderen jdjmebte. Go jüB und jo
389 ESSSSSSEHEIES F. &. C. Paul Schumann: BS222223222232
jung und weih und jehnjüchtig formte fie
die alte Meije, daß fid) Zimmermanns altes
Mujifantenherz darüber freute, während er
bie grámlid fnarrenbe Haustür aufichloß:
... Sd) batt? einen Kameraden, einen bejjern find’ft
du nicht.
In bie Schule zu Dobra jchattete ber
Nachmittag. Es war Lejeftunde. Die großen
Jungen und Mädchen hatten die Bibel auf:
geichlagen. Die eintónigen Kinderftimmen
plätjcherten den Text leidenjchaftslos herunter.
m... ES war ein Mann im Lande Uz,
der hieß Hiob...“
Peter Mittenzweyg machte eine Pauſe.
Er [mien ftotternd trot feiner dreizehn Jahre
zu buchitabieren. Troßig jah er nad) bem
jungen £ebrer. Der jap über bas Ratheder
gebeugt; er merfte es gar nicht. Der Rohr:
tod Tebnte friedlich Hinter ber Wandtafel.
Und weiter plätjcherte bie eintónige, trobige
Jungenftintme.
„... Derjelbe war jchlecht und recht, gottes-
fürdtig und mied bas Boje...”
Wieder wollte Peter Mittenzwen aus dem
Texte fommen.
Ein Reiter nabte draußen. Neugierig
hoben die am Feniter fiBenben Mädchen die
Köpfe. Es war Amtsridter Strubelius.
Auch Peter Diittenzwey jchielte über das
Bud hinweg nad) ber Dorfitraße hinaus;
aber jchläfrig las er immer weiter.
ne - Und er war herrlicher denn alle, die
gegen Morgen wohnten...“
Die Morte famen wie marjdierend und
gleichmäßig wie bas Pferdetrappeln draußen
aufder fid) nicht fentendenRinderftimme heran.
Gtrubelius war vorbeigeritten. Es war ſchon
wieder langweilig auf der Welt.
„Weiter...“ fagte der Lehrer müde und
interefjelos. Und mit noch bellerer Stimme
begann jegt Lieschen Raterbaum. „Der Herr
jprad) zum Catan: Haft du nicht acht ge:
habt auf meinen Knecht Hiob?”
Cie hatte eine ängftliche Art. Das zarte
Kinn [mien zu zittern. Der Lehrer Hatte fie
mit Abjicht zum Melen herangenommen.
Denn fie tráumte viel und wußte feiner,
wie ſchreckhaft ihre kindliche Phantafie ar-
beitete. Denn fie jah den Leibhaftigen bos:
haft lächeln und las bod) mit wollüjtig
graufender Neugier: „Der Satan antwortete
dem Herrn und jprad: Meinſt du, dak Hiob
umjonjt Gott fürchtet? .. 3
Der Lehrer griff |pielerijch nad) dem Stod.
Und mit zitternder Stimme las das Rind
weiter: „Aber rede deine Hand aus und tajte
an alles, was er bat...”
Es war ganz [till in der Schulftube. Ein
paar Fliegen trommelten gemütlich an den
genere sen. Cie daten wohl, ein zweiter
ommer fame. Denn es war zum erften
Male in biejem Winter geheizt worden. Der
dide, faule Guftav Rurghals, bem Kommun-
bäder feiner, dehnte jid) bebaglid). Er war
die Badofenwárme von zu Haufe gewohnt
und hatte feinen Pla vorjorglid) am Ofen
genommen, wo ihn der Lebrer nicht jo unter
den Augen hatte,
Ein Schieferftift flapperte auf ber bin:
terjten Bank zu Boden. In dem Kichern
der großen Jungen und Mädchen war das
Trappeln ber Pferdehufe lángft unterge-
gangen. Aber aud) bas verftummte. Nur
Lieschen Raterbaums belle, ängjtliche Stimme
war zu hören: „Der Herr jprad) zum Satan:
Siehe, alles, was er hat, fet in deiner Hand.”
Die Rinderftimmen wurden immer leijer.
gait Hülternd fam das Schredliche heraus: „Da
ging ber Catan aus von dem Herrn...“
28 a] &
Der Mond hatte fid) neugierig über dem
Burgholze hodgejdoben. Aber es war fein
Siebespaar, bas er heute abend belaujdjen
fonnte. Die Leichenfrau Rojenfrank war
es. Das war eine verjtändige Frau gelegten
Alters. Über die törichten Jugendtráume
war fie längjt hinaus.
Mit hochgejhürztem Rode — die Land:
wege waren jeßt ſchlecht — jtrebte fie nad)
ihrem Haufe. In bem Handforb trug fie
ein paar frijde Semmeln. Die Hatte ihr
die gutherzige Bädersfrau Rurghals in
Dobra mitgegeben. Sie fam von Radigaft,
wo der alte Petermann geftorben war.
„Wer hätte gedacht, Daß ber alte Mann
es jo lange nod) machen würde, wo die junge
Amtsrichtersfrau fo |djnell weg mußte...“
hatte die Kurzhalſen gemeint, während fie
die Brötchen einpadte. Und Frau Rofen-
trang hatte Jachverftändig mit der Erfahrung
und Sicherheit des Berufs entgegnet: , Ja,
der Winter, der nimmt die alten Leute mit.“
Cie war wohlgelitten. Denn fie galt als
eine fromme Frau, der man es Hod ans
redjnete, wenn fie die Verrichtungen ihres
Handwertes im Gegenjak zu ihrer Kontur-
rentin mit einem Baterunjer begann.
Als der Mond [Hon bie Schieferplatten
der Kirche wie bläuliches Silber erftrablen
ließ, und der Turm wie ein alter jilber-
baariger, frojtiger Mann feinen Schatten
mantel anzog und aus den Gchallüchern
der Uhr in den Abend jdnardte, da tang
Kindergejchrei von bem Marftplaß herunter.
Wie Heine Schattentobolde huſchten die
ipielenben Kinder über bie gleißenden Gäß—
den. Riibejams Lieschen, bie von Frau
Gtabtmujifbireftor Zimmermann fam, wurde
beinahe umgerannt, und jhon fam das
bel Im Amtshauje BS
Sjujdjen und Laufen aus der Gegend ber
Badergafje. Das Haus der Leichenfrau
Rofenfrang lag Mein und ‚niedrig. Die
Schatten jchienen hier tiefer zu fein trog bes
Lichtes ber Straßenlaterne, welches in das
unverbiillte Fenjter fiel. Frau Rojenfrang
war Jparjam und das Golaról bei Kaufmann
Jakob teuer. Reiner hatte fih je Gedanfen
darüber gemadjt, was die dunkle Einfamteit
an [o einem ftillen Abend in ihrem Beruf
zu bedeuten bat, wenn ber Nachtwind vom
Friedhof auf leijen Sohlen herüberfchleicht
unb mit dem lofe hängenden Ladenriegel
Happert. Der weiß feine Iuftigen Gejchichten,
wie fie fie oben am Marti im Preußiſchen
Hof erzählen.
Was aber jetzt geſchlichen kam, war nur
eine fürwitzige Jungenhand. Die löſte den
Ladenriegel. Die Witwe Roſenkrantz war
eben dabei, die friſche Semmel in den heißen
Kaffee zu tauchen. Da ſprang ſie aber auf
und ſchlug mit noch kräftiger, knochiger Hand
hart an die Fenſterſcheibe, dak ber Blumen»
topf vom jyenjterbrett auf das Pflafter fols
lerte. Als fie fid) draußen banad) biictte,
tauchte eine Männergeftalt aus dem Hell:
dunkel auf. Es war Gtrubelius.
m... Der Amtsrichter ... der Amts:
richter . . .“ [djrien die Jungen und auf
eiligen, leicht trabenden Füßen ftoben fie
davon. Sogar bie Gtraßenftille war ein
Stüd mit fortgeflogen.
Strubelius blieb ftehen. „Guten Abend,
Frau Rojenfrank.” Er hatte eine tiefe
Stimme.
„Buten Abend, Herr Amtsrichter. linge:
zogene Bálger. Die Welt wird immer
ſchlechter. Go ihr nicht werdet wie diejer
einer, fteht in der Bibel, fónnt ihr niht in
den Himmel tommen. Was jid) die Men:
Iden nicht alles einbilden. Die Welt ift ja
viel zu ſchlecht ...“
Der offen gebliebene TFeniterflügel fnarrte.
„Biel zu ſchlecht ...” wiederholte die
Witwe Rojentrank wie in Gedanken. Es
Hang wie die Begleitung dazu und die im
Winde fchaufelnde Türglode |djlug Ieije und
Ihüchtern an.
„Sie haben einen erniten Beruf, Frau
Rojentrans,” jagte ber Amtsrichter und ver:
jchwieg feinen Gedanken, wie freudlos das
Tagewert fo mandjer fih vollendet.
Die Witwe Rojenfrank |djien es zu ers
raten. Gie dachte an bie Friden Semmeln
und den heißen Kaffee nad dem langen
Wege von Radigaft heriiber, da drinnen in
ihrer Stube. Und langjam und verjóbnlid;
und ehrbar jebte fie hinzu: „Was " bas
Leiden diejer Zeit, Herr Amtsrichter, wie
bald ijt’s überwunden.”
Beim Hineingehen redete fie immer nod).
„Das bißchen Leben ... du lieber Bott...“
Cie hielt oft Gelbftgejprähhe nad) Art
alter Frauen, bie viel allein find.
Der Amtsrichter hörte fie nicht mehr.
Denn die Türglode tönte wieder nad) und
gitterte in ber Whendfalte.
Da nun bie Straßen jo [till geworden
waren, ging Strubelius in Gedanfen immer
weiter. Und als er merkte, daß nur fein
Schritt auf dem grafigen Pflafter halte,
(lebe, ba fam bie Geele. ber kleinen Stadt
hervor und redete mit ihm.
Aus alle ben rotglühenden Laderaus:
ibnitten und Daditubenfenftern der Klein:
bürgerftuben in ber Bader-, der Schmiede:
und Herrengajje [Haute fie heraus und war
anfangs nod) jdjeu und [chredhaft. Da fie
aber jab, daß er jo allein und einjam war,
da wußte fie viel alte Geſchichten von Not
und Gorgen und Arbeit zu erzählen. Bald
hatte fie das Beficht bes bleichen, runden,
guten, alten Dtondes, ber fo befinnlid hinter
bem $jausgiebel des redjeligen Wpothefers
am Viartt bervorjah. Mitunter fam aber
aud ein rojiges, ftrablendes Wöltchen am
tilen Nachthimmel über bem Amtshauje
bergeihwommen.
Dann hatte fie das ſüße, weiche Antliz
der jungen Frau Renate. Man mochte bei:
nahe denten, fie fábe lächelnd von oben auf
bie fleine deutjche, närriſche Stadt herunter,
die fih jo um Irdiſches quälte, da bod) bie
Welt ber. Himmlijchen voller. Freuden war.
Zu Haufe nahm Gtrubelius feine Aften
hervor, über die er mandmal gejchimpft
hatte. Heute jchienen ihn fogar bie ver:
ftaubten, grämlichen, trodenen Gejellen an:
guladen. Auch fie wollten erzählen, was er
bisher gar nicht gewußt hatte. Es war das»
jelbe, wovon die Kleinen, trummen Gäßchen
draußen im Mondſchein tráumten. Gie
jagten es nur auf eine gelehrtere, um[tánb-
lide Art, und es war eine Geheimſchrift,
in der fie gejchrieben waren, wie er es [hon
bei der Tejtamentsaufnahme in 9tabigait ge:
ahnt Hatte. Auch bie Petermannjden Akten
waren darunter. Die legte der Amtsrichter
aber [till beijeite und ganz zu unterjt und
Ihrieb darauf mit fefter Hand: Decretum.
Reponantur acta. ch weiß, was du benfjt, id)
glaube es aud).
Es wird bie Gebeimjpradje ber Juriften
gewejen jein.
und der Schweiz f
— — Se EE, 0715 emu UM ats ; KM Jem ak BR BON: OX.
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Ý m Sdyceibfild) und aus der Werſſtatt
OT ADI SOOO OP ORO APO OP EE Ettel
*
Von meinen Vorträgen
EIER ir jagen bei Adlon, bie Gán e
SUR ‘iter |
? leberpajtetejchmolz aufderZunge,
A und ber Burgunder war med
CY wie bunfelrote Seide.
Mein bódft wiirdiger Tijd:
goon eg? mich mit feinem boldjeligiten
üdjeln: „Und was, liebfter Baron, geben:
fen Gie diefen November zu tun? Riviera?
Kä
ON
Së
4
«
——
„Im November la
Ägypten?“ be al id) fachlich antwortete:
id) mid) in Öfterreich
t Geld jehen!”
„Das holdjelige 2üdjeln erjtarrte viertel-
e und als es wieder aus den
olfen berporbrad), — ad), da war es eifig,
wie Die Sonne auf den Schneefeldern Des
Hella... Meine liebe Frau fann die obige
Redewendung aud) nicht leiden, und fo fol
fie bier zum legten Viale pepe obgleich
th feine kürzere und jchlagendere Bezeich-
nung dafür weiß, daß alljährlich ein Dugend
meift ungeſchult fprechende, unión ange:
zogene, unglüdlih ausjehende Leute, Die
Gedichte gemadjt haben, auf eine Bühne
tlettern und vor Neugierigen — („Sch warne
Neugierige!” aljo fprab Jagow) — diefe
Verje aufjagen. Wobei den wimperlos
ftarrenden O —— unſere Kragenhöhe,
Frackſitz, Solenb gelfalte, mindeftens aber:
unfere Augenfarbe, Zodenfall, SDtienenjpiel
wichtiger (m als unjere Gedichte.
Zu diejen unjeligen Schaugeltalten alfo
gehöre auch ich, babe von früher Ys Cap an
unzählige Male öffentlich meine Gedichte ge:
Jproden und zwijchen Kopenhagen und dem
aa a Theater in Taormina, zwijchen
nitantinopel und Brüſſel Se lang:
weilige und lächerliche Dinge in Menge er:
lebt, wie natürlich jeder andere in gleichen
Lagen aud. —
. 3m Laufe ber Jahre wedjelt bie Be:
tradtungsweije diejer Vorträge jehr erbeb:
lid. Als ganz junger Menſch verjuchte mid)
bisweilen der Teufel ber Berlegenbeit, aber
id) hab’ ihn immer durch tapferes Auslachen
verſcheucht. In Breslau hatten fie mir
eines jener bleiftiftoiinnen auseinanderzieh:
baren Notenpultchen auf die Bühne geitellt.
Ic legte zaahaft bie damals noch meijt um:
edrudten loſen Einzelblätter meiner Hands
; riften darauf und 3og ben Fuß zu meiner
Eingangsverbeugung heran ... ftieB an bas
federleichte Dingel... und fiehe, es hüpfte
vertrauensvoll einer diden Dame in ber
erften Parkettreihe auf den Schoß, während
meine Berje wie blauweiße Schwalben im
Saal herumflatterten. Es war entjeglid —
wenigftens für mich! Die anderen da unten
hatten bod) wenigftens mit bem Auflammeln
Bon Bórries, Freiherrn von Mündhaufen
~D i Ca) we 72) do» — C
etwas zu tun, während für mich nur d
holde Spruch galt:
e n e A
EA
Als daß er ládjelub jchweigen
Und jchweigend lächeln tann! —
Ah, dieje Stimmungsmorde im Bor:
tragsjaal! Wir können alle ein Lied davon
fingen! Einmal las id) in einem Gaal unter
den ftrablenden Monden milcdyweißer Bogen:
lampen mein Dreigejpräd, in bem eine
Mutter mit ihren beiden erwadjenen Söhnen
davon |pridjt, wo fie begraben fein möchten.
Gerade war ich in dem [dwermiitigen Ge-
dicht bei den Worten angelangt:
Im Saale wird es buntler...
als die Bogenlampen, offenbar in dem Bes
ee mir zu ftárterer Wirkung zu verhel-
en, erlofden. Zwar flammten fie gleich
wieder auf und bejtrebten fid), durch lebe
dë mißbilligendes Zijchen ihren faux -pas
elber zu verurteilen, — aber mein liebes
Gedicht Hatten fie bod) getötet, und feine
Kunſt Devrients hatte jeine Wirkung wieder
ins Leben rufen Tonnen, .
Immer braudjt bas Berlöichen der Lam:
en nicht jo ärgerlich zu fein. An der Weft-
fron ſchoß mir einmal bie englijche Artillerie
as Licht aus, als id) juft ben Gutsinfpettor
Giedentopf die Worte us tl ließ: „Dich
fneipen bod) nicht Alimente?“
Da das derbfröhliche Gedicht einen Zwi—
ſchenruf verträgt, rief ich in die nachtſchwarze
cheune hinein: „Kameraden, bas Licht [djámt
fid) und TA weg, weil id) von Alimenten
rede!“ Während ein erlöftes Gelächter er:
braufte — in folden Lagen ijt Bublitus für
den dümmſten Scherz dankbar — jtiegen „zwei
eutnants, rofenrot und braun” zu mir herauf
und leuchteten mir von nun an redjts und lints
mit ihren Tajchenlampen aufs Blatt, — fel-
ten hatte ich freundlicheren Beifall, als am
le diejer glüdlich geretteten Bala-
deste
Sn Wien jollte id) in einem großen Felt:
Bauje, in bem gleichzeitig auch andere Bor-
träge ftattfanden, die Balladen meines
Buches ,Juda” vorlejen. Da ich das Haus
nicht fannte, fragte id) einen, anjcheinend
desjelben Weges gehenden Herrn danaw.
Er antwortete mit der Gegenfrage: „Sie
wollen wohl aud) in Krotojchiners Vortrag
fiber bas Wejen der Börje?” |
„Kein, ich will in Münchhauſens Juda—
Bortrag‘.“
Worauf er miBbilligenb den Kopf [düt-
telte: „Nee, mir is der echte Jude lieber als
der nadjemadjte!^ Er war aus Berlin,
‘
a Gemälde von a
Segeltuchnähen
Emanuel Zairis
a ber Fiſcher a
Lesch Börries, Freiherr von Münchhauſen: Bon meinen Vortrágen RZA 385
wollte mich gar zu gerne als Geſellſchaft
zum Vortrag und dann zu einem Glaje Bier
überreden, und verftand gar nicht, daß id)
fagte: „Sch muß leider zu dem nadgem...
— in den anderen Bortrag!“ —
Man könnte denten, daß ich bod) ein ſchö—
nes Stüd Welt auf diefen Bortragsreilen
gersen haben müßte, aber für mid) ijt leider
abet das Geſicht einer Stadt genau to
wie das der anderen: Auf dem Babnbofe
freunblide Herren zur — eine
Droſchke, ein Gaſthauszimmer, in dem oft
et ber Tijd voll liegt von den Büchern
er Handjdhriftenjammler, dann Bejuche von
allen mógliden — (und unmöglichen!) —
Herrihaften, dann ziehe ich mich fröftelnd
um, wieder eine Drojdfe, ein winziges, un:
oe Riinftlergimmer, bann ein Gaal
raujend voll enjden und Licht und
Händeklatjchen, bann met ein Bantett, viel
Blumen, mehr Wein und noch mehr freund:
lihe Worte. Und anderntags früh werde
ih in bie nächſte Stadt transportiert, in
der es ebenjo eech, Tag für Ta
Abteil und Drojdfe, zen: und Künft-
lerzimmer und der große Saal und unzählige
liebenswürdige Menjchen überall. Einmal
in 11 Tagen 10 Städte, einmal in 39 Tagen
36 Städte, einmal an der Front in 7 Tagen
13 Vorträge. Man muß freilich Nerven
Denen wie Bügelriemen, um das fo wochen»
ang auszuhalten, vor allem, wenn dazu
etwa ein heftiger — — im
Balkan eine Juliwärme von 40 bis 50° und
tägliche Ritte und Rarretenfubren von eben:
jovielen Kilometern tommen. Aber ein
unjtillbarer Lebensdurft und eine taum zu
bändigende Lebensfreude ließen UM bie
wodenlang tägliche Geieret bet Wein unb
ichweren Zigarren ertragen, als wäre es
ein Spiel.
Sd) erwähnte oben die Gelbftichriften-
jammler. Dieje und jede Art Bergötterung
des Menſchlichen vorm Künftleriichen, vor
allem aber bes reproduzierenden alfo zweit:
queen Künftlers (Schaufpieler, Sanger,
eflamator, Geiger, Klaviervirtuojen) vor
dem produzierenden, aljo Vid rre (Dich:
ter und Mertoner), Ch efanntlid) am
loderndften in SÖfterreih. Einunddreißig
Selbftichriftenbücher auf dem Tijd) meines
Prager Gafthaujes waren da die Hödjit:
leiftung, — aber es waren gewiß nod)
nicht die Hälfte von denen, die mir im Ver:
laufe des Tages vorgelegt wurden.
ie ſchönſte Sammlung btejer Art jah ich
bei einem — ODbertellner, der jo von Der
Sammelleidenjchaft bejejfen war, daß er fih
feine Stellungen überall da ausjuchte, wo
er auf eine große europäilche Bejucherichaft
rechnen konnte. m und London, Kairo
und Nizza, Wight und Oftende wirbelten
auf jeinen Blättern durcheinander, auf denen
faft alle Herrjder der Welt und eine er:
drüdende Fülle von Künjtlern allerart fih
eingejchrieben batten. Ift die Szene nicht
eines Luftjpieles würdig, wie der befradte
nur.
Stumme plóglid Sprache befommt und
etwa bem weißbärtigen König Leopold von
Belgien das Album vorlegt, in bas biejer,
lachend ob der Geltjamfeit ber Lage, feinen
Namen einträgt! Und wie fóftli war bie
demofratijche Unbefangenbeit bieles Gomm:
lers, die ihn unmittelbar vor dem König
‚einen Abrichter gelehriger Schweine, unmits
telbar hinter ihm eine weltberühmte Tänzerin
einjchreiben ließ!
[jo in diefem Buche ftehe auch id) und
bin bloß neugierig, wer meine Nachbarn
geworden fein mögen! —
Einmal in einer Heinen Stadt verließ ich
D Pauje die Bühne und ging durd ein
des großes Nebenzimmer in das Riinftler:
fübchen. Erſchrocken prallte id) zurüd in
der blighaft empfundenen Annahme, aus
erleben in bie Damenfleiderablage geraten
zu fein. Wher nein, bie Damen famen lieb:
reizend lächelnd auf mich zu, und was fie
an weißen Tüchern und Deden in der Hand
trugen, das waren abermals leinwandene
Gelbitichriftenfammlungen: denn es herrjchte
erade dort und damals die Mode, Unter:
dritten auf Tijchdeden zu jammeln und
dann auszuftiden. Für jemanden, ber ben
Zauber einer Hand)drift empfindet, find
dieje Deden an äjthetilher Wirkung ganz
ähnlich ben gewillen Tafchentüchern mit
"yii gr Side Hindenburg: die Beweglid):
feit des Gewebes oe Serrbilber von ein:
fad) ſchauderhafter Wirkung, und gwar bet
ber Schrift niht weniger als beim Bildnis.
Immerhin find aber bie Leutchen, die
perjonlid) um eine Unterfchrift fommen,
liebenswürdiger als die Briefe [d)reibenben.
Da liegt eine Poftfarte neben mir, (juft in
diefem Wugenblide angefommen), auf der
nur fteht: „Erjuche Har um wt. Namenszug.
Mit beitem Dant Arthur Hollander, Wien.”
Oder der fabelhafte Mann, ber mir heute
einen in Schreibmajchinendrud bergeftellten
Zettel ſchickt:
Weihnadhtsbitte!
Meine Frau wünjcht Di zu Weihnachten
einen Kalender, deffen Blätter Grüße von
reunden und Belannten enthalten follen.
ch bitte Cie daher, die beifolgenden Blát:
ter mit irgendeinem Gedicht, Sinnſpruch,
GK oder dergl. verjehen und inge:
altet bis jpätejtens 15. Dez. b. J. zu fenden
an Dr. 8... \
Bei bem Briefe liegt ein durchlochter
AbreiBlalenderzettel für den 7. Juli. — Mfo
an diefem Tage fol Frau Dr. ®., mitten
zwilhen Tante Gulden und Ontel Adolar,
von Börries Münchhauſen begrüßt werden.
Wie rührend muß bie Liebe bieles Mannes
zu feiner {frau fein, daß er an völlig fremde
Dichter, Maler, Mufitanten hunderte folder
unjchüchterner Zettelchen |djiden mag!
Dod genug von diejen böjen Jágern auf
Namenwild!
Sehr peinlich ift es, feinen Namen in
balbmeterboben Budbitaben an ben 9In]djlag:
386 FSSSS3 Börries, Freiherr von SUtündjbaujen: seess et
jaulen zu feben. Aber nod peinlicher war
ein Meines Erlebnis, das ich in Gottingen
mit meinem Bilde hatte. Dies prangte in
einem Buchladen neben meinen unfterb:
lihen Werten, um durd Wohlgeftalt die-
jenigen in den Vortrag zu verloden, denen
meine Berfe allein zu langweilig waren.
Ich ftand beim Abjchiednehmen von dem mir
befannten Buchhändler Horftmann in Der
Ladentiir, als zwei Studenten des Megs
herjdlenderten und vor meinem Konterfei
jtehen blieben.
Der eine jagte in etnem Tone, ber jeden
Widerfprud aus|djlop: „Herrgott, bat der
Kerl ein unjgmpatbijdjes Geficht!”
Und der andere 30g ibn nadlajjig weiter:
„Na, — er weiß es nicht!“
Erlaubt mir, meine er auf dieje
Göttinger Wunde als after eine liebe
Bortragserinnerung aus der Balladenftadt
am Robns zu fleben: Ein altes Gejdhwilter-
paar hatte mid als Studenten und viele
andere Jugend in ihren großen, wunbderlid)
im alten Stadtgraben gelegenen Garten zu
einem Sommerteft eingeladen. Der ver:
wilderte Part tráumte in der Sommerjonne,
unb auf den verwadjenen Wegen, den mor:
iden Holzbrüdchen, den [tillen Wieſen fern
und nah drängte fich in hellen Kleidern die
Jugend gener Tage. Der Tijd) unter der
rieligen Linde, an der id) meine Berfe por:
las, war mit Blumen gejdmiidt, Rrange
hingen von oben auf die gewaltige Bowle
hernieder, und mit Blütengewinden war mein
Pla befränzt. Und dann wurde mir ein
mit Reblaub umwundener Becher gereicht,
freundliche Berje an mid erflangen, ein
Lorbertranz voll goldener Rugelbeeren im
ewigen Laube jenfte jid) plóflid) von hinten
in meine Haare, unb die Mädchen fangen
um mid) und jdenften mir Rofen. — Mian
Bat in Göttingen jolde ein wenig über:
Ichwengliche, ein wenig irifierend-ironilierende
ejfe von den Tagen des ,Haines” her zu
eiern verftanden! —
Von dem Beifall bei meinen Vorträgen
zu erzählen würde höchſt eitel und törıcht
Dazu fein, Denn wer einen Abend opfert,
um einen Dichter zu hören, ber ift ganz ges
wif [Mon ein Freund feiner Runft und wird
nicht gerade pfeifen. Ich babe alfo jelbit-
ver[tánblid) immer „ungeheueren Beifall“
geerntet, wie jeder andere Worlejedichter,
mag er ein Könner oder ein Nobody fein.
Freilich fann man nicht allen gefallen,
. wie [hon bas Sprihwort jagt.
Einmal hatte id) mid) als Nummer in
ein Wohltätigfeitsprogramm einfadeln laffen,
das ein Regiment für die Armen der Stadt
mit Mufit, Liebhabertheater, Rojtiimtangen
und Gedichtvorlejen auffiibrte. Um mehr
Geld zu triegen, lieferten wir den ganzen
Gegen gleich zweimal, und nannten den
Sonnabend „Generalprobe“, auf den dann
am Sonntag das eigentliche Felt polgen jollte.
Ich Hatte ein Halb Dutzend Balladen
leidjtejter Prägung gelejen, Darunter bie vom
nicht wieder betreten, ag
Biſchof Megingand von Eichitädt, der im
13. Jahrhundert lebte und fo erjchredlich
flubte, bap ihn ber Papft zu einer ale
predigt nad) Rom befahl. Zu biejer Reije
ließ er fid) von feinem Beichtvater einen
Ablah für Hundert Flüche mitgeben, ber fih
aber leider [Hon in München als zu fnapp,
nämlich aufgebraucht berausitellte. Megin:
gand hatte feinen Borrat aufgeflucht, bevor
er nad) Rom fam und mußte auf Nachſchub
von Ablaß warten. In München.
Sonntag früh zu E Zeit,
um 9 Uhr, ließ mid) der Oberft jenes Regi-
mentes ans Telephon bitten: „Herr von
Mindbaujen, es ijt was Schredliches mit
unjerem Programm pajfiert! Denten Sie,
geftern abend nad) ber Worftellung, um
11 Uhr, läßt fih auf einmal der Stittmeijter
X. umgeldnallt bei mir melden und teilt
mir mit, daß feine Frau heute nicht mit:
ipielen würde, — und fie hat bod) eine
auptrolle in unjerem Luftipiel! Aber fie
ijt ja fo arg fatbolijd) und will die Bühne
der fo gottes:
läſterliche Kerle wie Ihr fluchender Bilchof
herumwmettern. Was machen wir nur, was
maden wir nur!“
Zum Mrgern oder Übelnehmen lag nicht
der geringite Grund vor, ich trompetete
lahend in den Trichter: „Aber jelbjtver:
ftandlid) werde ich bas furdjtbare Gedicht
durch ein anderes erjegen! Damit ich mich
aber bei Frau X. ausgiebig ent|d)ulbigen
tann, jo jorgen Gie dod bitte dafür, da
id fie bann beim Abendefjen zu Tijd
führe!“ Go endete alles in liebenswürdig ges
wábrter ethan pur und einem febr Lë
lichen Plauderabend. 1
Dreimal babe id) Ratholifen zuliebe an
meinen Balladen geändert und habe es jedes-
mal gern getan. Wielleicht dürfen andere,
vor allem die Aftheten und bie Bohémiens,
anders handeln, und id) will fie beileibe
nicht [Helten ob ihres Herausgelójtieins aus
ihrem Wolfe und ihrer Gejelljichaft. Aber
ich fühle mid) nur in gewiljen Grenzen und
Bindungen wohl, behaglich und —
Ich ſprach oben von dem Beifall und
möchte wohl wiſſen, ob auch andere folgende
Erfahrung gemacht haben: Große Städte
ſind weit beifallsfroher als kleine, große
Zeitungen viel freigebiger mit Lob als die
kleinen. Der Kleinſtädter lebt dem Neuen
und dem Fremden gegenüber bisweilen in
der Gorge: „Daß id) nur nicht als der urteils—
loje Kleinjtädter gelte!” Deshalb find hier
die Leute jo oft darauf bedacht, etwas ab:
iprechend und zurüdhaltend zu fein, wo:
gegen dem Großjtädter jolde Gedanten gar
nicht erft tommen. Und man findet aud
nur in gewifjen Provinzblättchen jene fait
hämilchen Kritiker, die dauernd zu murmeln
\cheinen: ‚Der will uns wohl imponieren ?:
‚Der benft wohl, hier in Schiloburg leben
bloß urteilsloje Banaujen?‘ ‚Aber was Die
in Berlin [Món finden, das braudt uns
nod lange nicht zu gefallen!" — Dies ijt das
E Bon meinen Vorträgen seess 387
einzige, worin td) die Rleinjtadt ber GroBitabt
nicht bimmelbod) überlegen finde! —
Auf meinen Bortragsreijen jchreibe ich
natürlich täglich an meine Frau, und diefe
Briefe bilden dann eine Art Tagebuch, das
id mit zahllojen Anfichtstarten, Briefen,
Beluchstärthen und derlei aufflebbaren
Reife » Erinnerungen ausjtatte und köſtlich
eingebunden meiner Bücherei einverleibe.
Ans Ende ftellte id) dann ein Verzeichnis
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NINA 2
der Leute, bie ich fennen gelernt habe, und
diefe Verzeichnifje find für mein elendes
Gedächtnis jehr wichtige Nachichlagewerte.
Himmel, was für Menjdenmajjen bringt
jede ſolche Reife! Sechzig, hundert, ja an
zweihundert Befanntichaften find da höchſt
alphabetijch aufgeſpießt, und es lohnt fon,
einen Blid auf fie zu werfen.
Zunächſt babe id) natürlich fajt alle großen
Dichter meiner Zeit bei bieler Gelegenheit
388 PSSS Börries, Freiherr von Münchhaufen:
tennen gelernt. Sd) will aber für Spür:
najen gleid) von vornherein vermerken, daß
id) durchaus feine reizenden Aneldoten von
ihnen gu erzählen gedente. Ich habe nam:
lich entdedt, daß ſolche Beichichten faft immer
den, natürli nur im Unbewubten flume
mernben, Swed haben, jene Großen wie
Bühnenlampen zu Füßen des Herrn Er:
gablers zu ordnen, von deren Liht man un:
mittelbar gar nichts, vielmehr mur den
ftrablenden Widerjchein auf den geldmint:
ten Zügen des Helden fieht. Ja, ich emp:
finde fogar viele Anekdoten eines fo Itebens:
würdigen Erzáblers, wie Fontane es war,
als lieblos, als berlinerijch-|chnodderig. Was
geht es ben überlegen lächelnden Lefer an,
ob der feine, alte Theodor Storm einen
„endlojen von Mutter geftridten Schal” um
den Hals widelte, wenn es ihm in Berlin
zu talt auf der Straße war! Ich hatte
gontane gewiin|dt, bap auch über feine ver:
meintliche überlegene SFeinheit des Anzugs
ein joldyes Dóbndben (etwa aus dem Munde
eines Diplomaten) ins ewige Leben der
giteraturgeldjidjte eingegangen wäre! Sd)
zweifele, ob man es dann aud) als „ihar:
mante Ironie” gepriefen hätte!
Alſo ohne Gejdjidjtd)en: IH habe von
der alten Garde der Felix Dahn, Wilhelm
Raabe, Paul Heyie an bis zu den Jungen
und Jüngften liebe und weniger liebe Berufs»
geno|jen tennen gelernt, wobei bie Liebenss
würdigfeit nad) derjelben Geite hin abnahm
wie die fünftlerijche Fähigkeit.
„Nach welcher Seite, ber alten ober ber
jungen, nahm das ab?" —
an muß nicht zuviel fragen, meine
Freunde!
Aber neben den Berühmtheiten ftehen die
Unberühmten — aud) hier, wie viele unver:
lierbare Erfahrungen mit menjdjlidjer Her:
zensgüte, prächtigiter Baftfreundjchaft, rei:
zender Gejelligteit!
Einmal fam id) in O. an. Der November:
abend war dunkel, und Diifterer noch war
die Nachricht, mit der mein Gaj[tfreunb mid)
empfing: Gein Bater war den Tag gejtor:
ben, und das Haus, in dem der Tote lag,
fonnte mich nicht beherbergen. Da hatte
ein anderer Freund meiner Gedichte gebeten,
mich behaujen zu tónnen, id) verftand feinen
Namen im Gewühl bes Bahnhofes nicht,
aber zehn Minuten jpäter braufte ich in
einem eleganten Auto bird) das jchlafende
Land, neben mir ein fremder Diann. Wir
hielten vor einem Gutshauje, eine liebens:
würdige Hausfrau begrüßte mid) am lodern-
den Ramin, wir oben ein vorzügliches Abend:
brot, und id) genoB ben Maárdenzauber ber
Lage fo jtart, daß id) mit Abficht vermied,
den Namen der gütigen Menjchen zu er:
fahren. Am náditen Tag zeigte mir ber
Gutsherr feine Beligung, id) |taunte eine
neuzeitliche Forellengudt an, wir plauderten
über Dunberterfei, und als mid) der Kraft:
wagen abends zum Vortrag nad) O. fuhr,
da lebte ich immer noch wie im Märchen,
wo ja aud) ber Gajtfreund wie der König
unb ber Rieje feine Jtamen nötig haben.
Uber ift das nicht nett, wie überall un:
— meine Gedichte vor mir hergelaufen
ind! Lautloſen Trittes wie der Geſtiefelte
Kater ſind ſie mir ER auf fo
vielen deutſchen Wegen, und wenn mein
Wagen hinterher tommt, fo gehört jhon alles
dem ,Viarquis von Carabas!“
Einmal freilich folte ich gar nicht er:
fannt werden, und das ging fo zu.
Sn 3. Hatte id) einen lieben Klaſſen—
genoffen gehabt, aber meine, Thomas Mann
würde jagen: bunfele und jchimpfliche” Vers
gangenbett auf allerhand Schulen hatte uns
etrennt, und jeit fünfundzwanzig Jahren
Batten wit uns nicht wiedergejehen. Auch
ein anfangs jprudelnder Briefwechjel war
— yin hl ^ ally is Nun erfuhr
i, daß er in Magdeburg YWmtsridter war,
unb beichloß, ihn au überrajchen.
Geine widerjtrebende Wirtin, bie in mir
vielleicht einen Manichäer vermutete, [hob
id) zur Geite und brong ohne anzullopfen
in fein Zimmer. Ein verjtörter Mann er:
bob Ki vom Jtadjmittagid)lárdjen, fajjungss
los ftarrte er mid) an, während ber vorn
elófte Hemdkragen ihm wie ein altwajchener
Seiligenichein hinter ber (Globe giiterte. Ich
begrüßte ihn in fröhlichſter Unbefangenbeit:
"Tag, Frig! Wie gebt's, wie fteht’s ?“
Er würdig, betont und vorjtellenb: , Bon
Schloſſer.“
„Ja, laß nur, alter Junge, wer du biſt,
weiß ich ja, — haſt dich auch vortrefflich
gehalten!“
Er, nach dem Heiligenſchein haſchend, um
ihn wieder zum Kragen zu materialiſieren:
„Bon Schloſſer!“
„Weiß ich, weiß ich, mein Lieber! Du
möchteſt nun gar zu gerne wiſſen, wer ich
bin, aber den Gefallen tu' ich dir nicht, du
mußt raten! — Du erlaubſt dod!“ `
Dabei ſteckte ich mir eine Zigarre aus
ſeiner Kiſte an. Als ich herantrat, ging er
ſcheinbar zufällig hinter den Tiſch, aber ſein
Blick verriet doch die Beſorgnis, einen Ver—
rückten vor ſich zu haben.
„Sie irren ſich! Ich bin der Amtsrichter
von Schloſſer und fenne Gie nicht!“
„Freilich, rig, tennft du mid)! Du hört
ja, du bilt fogar mein Duzbruder!”
Sd) hielt diejen Beweis eigentlich für
durchſchlagend. Aber er antwortete: „Daran
eben fann ich erfennen, daß Cie fid) irren,
ich habe feit meiner frühen Jugend nieman-
dem mehr das Du angeboten!“
„Wie wertvoll ijt diefe Feftftelung für
dein Raten! Alſo muß unjere Freundichaft
jehr alt jein, — aber da du mir fo liebens:
würdig ben Lehnſtuhl anbietejt, jo muß ich
ihn wohl annehmen ...”
Wobei ich mid) in feinen Grofvaterftubl
warf und ihn fröhlich anladte. Ach, dies
Lächeln fand in feinen jteinernen Zügen jo
gar fein Spiegelbild! Ganz verzweifelt
juchte er in meinem Gefidte unb feiner Er»
ee Bon meinen Vorträgen Lee 389
innerung herum: „Braune ...? Stein! ...
Sevijobn .. .?“
„Jta, erlaube mal!“
Und pliglic) ging hinter den Wolfen
feiner Stirne ein Wiorgendämmern auf, und
dann brad) bie Gonne bes Berftändnijjes
durch: „Börries SUtündjbaujen! Und ich
date erft, Du wärelt ein Verriidter!”
„3a, ihr Juriften! Da Haft du mir alfo
Den Dichter wirklich angefehen ?“
„Ach, laß doch fein!“ — Arm in Arm
gingen wir zu einem vorzüglichen und jehr
ausgedehnten Freundibaftsmabl, — id) batte
faum Zeit, mich zu meinem abendlichen Bor:
QE - umzuziehen. —
ud) während des Krieges bin ich wieder:
bolt von der Erſatzſchwadron der Garde-
Reiter in Dresden und vom Auswärtigen
9Imte in Berlin fort an die Front zu Bors
trägen angefordert worden. Nachdem id)
wegen meiner loder gerittenen Niere nicht
mehr bei meinem geliebten Regimente den
Krieg als Soldat mitmachen tonnte, war mir
diefe Verwendung eine angenehme Unter:
bredjung des Dienftes auf ber Reitbabn in
Dresden oder am Schreibtiſch meines Ber:
liner Amtes — diejer Schreibtijh war ber
einzige „Diplomat“ in meinem eleganten
Bureau der Wilhelmftraße, auch wenn id)
vor ihm fab!
Sd) Habe es immer als ein bejonders
ütiges Geſchick gepriejen, daß ich nicht 3. B.
evolutions: oder Kirchenlied= ober Kolonial-
dichter — bin, ſondern daß der freund—
lichſte Beifall, ben meine Berfe finden, juft
aus den Kreijen fommt, in denen ich lebe.
Und fo bat mir aud) die Freude meiner
Kameraden im Heer eigentlich immer jebr
viel mehr Befriedigung gewährt, als bie
ſchönſten Lobjpriide ber Literaturgeichichten,
obgleich ich bod) aud) fie beileibe nicht mif-
ien möchte! Aber wie freute ich Nach als
nad) einer meiner erften Rajino-Borlejungen
ein blutjunger Leutnant tief ergriffen und
in leidenſchaftlichem Ernfte ausrief: „Bott:
verdammid, Münchhaufen, dich bat be Mufe
ja laufig getüßt!“
Was aus dem Cüádjlilden ins Deutjche
. überfeßt ber reine Lorbeerfran3 ijt.
Überhaupt das Sächſiſche, — ich laffe
nichts aufs Sächſiſche fommen, feit id) meinem
Paul — Iprih: Baul — als Burjchen durch
alb Europa neben mir reiten gehabt habe.
due batte er viel Heimweh nad) Dres:
den, Dem Königlichen Regimente und feiner
errlichen Vergangenheit als Friedensjoldat.
enn es ibn allaujehr padte, wie in Maze—
donien, fo holte er einen Stoß alter Schwa-
bronsbefeble aus jeinem nad) —
duftenden Gepäck und verſenkte ſich weh—
mütig in die Herrlichkeiten ſeiner Gardiſten—
jahre. Manchmal, wenn ich Zahnweh hatte,
las er mir auch daraus vor, als Dank für
die ungezählten Male, die er mich hatte vor—
leſen hören. Und noch klingt mir ſeine ehr—
liche Stimme in den Ohren beim eintönigen
Vortrag jener alten Wachtmeiſterweisheiten:
‚Die Schwadronen melden bis morgen
mittag ihren Beitand an Pferden, ein:
geteilt in: a) Untauglide, b) Stuten,
c) Ungarn‘ ,
oder Der feltiame Befehl:
‚Da die bisherige Stute Gulla jid) bei
Herrn Stabsveterinär als Hengft heraus:
geftellt bat, jo Debt berjelbe von heute
ab Fenus. —' j
„Baul“ war ein leidenjchaftlicher Verehrer
meiner Runft und erfundigte jid) oft naw
Einzelheiten in den Balladen. Nachdem er
die ganze Champagne entlang allabendltd)
im Totjpieler bas Gejprád bes Pajtors mit
feinem Rirchenpatron angehört hatte, fragte
er eines Abends beim Ausziehen der langen
Stiefel: „Herr Rittmeefter, was nur das
dst muß, da in dän Dotenjpieler bie
adrone ?“—
Höchſt eiferjiidtig wadte er über meinem
Ruhme und verfehlte nicht, mir allmorgend»
lich zu berichten, was fie in der Kantine
über mid) erzählt hatten: „Nu, da war eener,
der jagte: Heere, jon hochginitlerifcher Ge:
nuß wie von dein Rittmeejter, dän babd)
bald nod nicht gebatt. Neilih war en
Rezidador ba, aber nadierlid, ben Auswurf
wie jo e eichener Dichter, bán hadde er nid).
Tu, id) fagte: ‚Heer nur erjcht mal unjer
anderes Brogramm uf be Middewodhe, —
Heere, da fecits eenen erjdjt feicht ibern ...
U... therm Riden runter!”
Wirkungen deutjcher Wortkunſt!
Lieber alter Baul, — wie viele herrliche
Gejdhidten dante id) dir! Jd habe wohl
hundert Geiten damit gefüllt. —
In was für Räumen babe ich nicht auf
diejen egw gelproden!
Ih |tanb in einem Schafſtall auf einer
Krippe, id) ftand vor ben Mtarmorfaminen
es a Schlöſſer, ich jtand vor der gold:
tarrenden S'fono[taje griechiſcher Kirchen, id)
jtand in Lazarettzelten, und auf bie Zem:
wand fchlugen trommelnd die Tropfen des
rujjijden Gewitterregens. Wundervoll war -
ein Abend vor der Säulenhalle einer Mofchee.
Offiziere und Mannſchaften lagen auf der
umbujdten Waldwieje vor mir, die Gras
naten blübten blutigrot in den Bäumen
rings, unb die Nadtigallen fangen in meine
Strophen hinein, var Eë fern drüben überm
Vardar bie bulgarilhden Odjenfolonnen in
endlojem Zuge binwóltten,
Freilich allzu Lyrijdes ijt für bas Bors
lejen im Felde nicht geeignet, unb nur Ge:
dichte mit Rnoden und Muskeln vertragen
es, daß neben ihnen eine Scheune facite
niederbrennt und über sgen die braujenden
Bahnen der großen Geſchütze wie die ge:
waltigen Rippen eines unjidjtbaren Domes
gegeneinander aufjteigen.
$ieber aber als alle öffentlichen Vorträge
waren mir die ftillen Abende in Rußland,
da ich noch felber Soldat war und Den
Kameraden in Schwadron und Regiment
Berfe periagen durfte. Wie war ich glüd:
lich, den lieben Freunden ein wenig Freude
390 FEA Bórries, Freiherr von Mündhhaufen: Bon meinen Vorträgen B===X3
maden zu fónnen! Aber natürlich mag ich
von diejen Abenden nicht erzählen.
Darf id) zum Schluß nod) ein paar Bemer:
fungen über meine und anderer Vortrags»
art anfügen, obgleich ich glaube, damit in ein
Welpenneit empörteften Widerjpruches zu
jtofeln: Dir find faft alle Deflamatoren, Rezi-
tatoren und Schaujpieler, jobald fie „jeriöje“
Gedichte vortragen, eine wahre Qual, und
ich entfliehe diejer Hille von Verlegenbeit
und Mervenpein, joweit ich irgend tann. Gie
Ko mir alle zu ergriffen, um ergreifend zu
ein, fie überjegen die edeln Fresken eines
Gedichtes in die grele Plaftit der Bühne,
jie wijjen alle niht, dak ein Gedicht Die
áuBere Form von Rhythmus und Reim wie
eine Art SE in und an fih trägt,
deren Melos und Rhythmus man nicht be:
Ser" ändern Tann.
e mir befannten Dichter |prechen Berfe
jo: Ohne jene unnatiirlidhe Sprad», Runjt”,
die dem Schaufpieler von heute anerzogen
wird, fobald er ,|predjen^ lernt (unb über
deren phonographijdes Bild [pátere Ge-
— ebenſo lächeln werden, wie wir
über den Reifrock der Medea zu Goethes
Dichter ſprechen leiſe wiegend auf den
ogen des Rhythmus. Mit deutlich hörbaren
Reimen — (fürs Ohr nämlich ſchreiben wir
jie ja!) — und deshalb einer winzigen Pauſe
hinter jeden Vers.
Unbedentlich gebe id) Dier dem Dichter
recht vor dem Gchaujpieler. Und id tu
das, obgleich aud) die übliche Vortragshörer:
ſchaft durchaus nicht genügende Obrerziebung
befiBt, um das Ctilloje ber Gedichtverleben:
digung durch den Schaufpieler zu empfinden,
oder die bejcheiden Hinter dem RSunftwert
zurücktretende Art fajt aller Dichter als richtig
zu erfiiblen.
Wie oft haben mir nicht jelbit luge Shau-
\pieler gejagt: „Laſſen Sie mid) Ihnen dod)
wenigitens einige WochenSprechſtunden geben,
lernen Ste doch mindeftens bas Zungen-R, Ihr
Organ wird es Ihnen zehnfad) lohnen, Ihre
war mundartfreie unb jehr deutliche Aus:
forade enügt den Anforderungen nicht!”
Der Regierungsajjefjor Graf Y. jagte zu
dem Dichter Georg Bufje-Palma: „Ich würde
mir an Ihrer Stelle bod) bie Haare ſchnei—
den, den Bart abnehmen und die Nägel
polieren laffen!”
Worauf Palma mit allen Anzeichen des
Entjegens die Hände aufhob: „Um Gottes
willen, ba fábe id) ja aus wie ein — Re:
gierungsajjefjor oder womöglich wien...
wien ... Graf!”
Gein Gegenüber verjtand nicht... Auch
mein Schaulpieler hat damals, dant feiner
widerftandsjábigen Ronjtitution, nid)t ver:
jtanden, was id) antwortete. Was aber nod)
fein Beweis gegen oder für ihn oder mid) ijt.
Wicdhtig ijt mir vor allem dies: Es ift für
den Wert bes Gedichtes, des Dichters und
bes Bortrages völlig belanglos, ob der Dich:
ter „ſchön“ vorträgt. on nur, daß
nicht allait derbe mundartliche Färbung und
Undeutlidfeit bes Sprecdhens das Gedicht be-
einträchtigen. Innerhalb bieler Grenzen ift
jeder Dichter der befte und mir wie anderen
Dichtern liebjte Vermittler feiner Berfe. Ach,
ein Gedicht ift Jo leicht totzumachen durch
allzuviel Belebung! Nie darf im Gedicht jo
ejproden werden, wie die angeführten
orte — etwa des fterbenden Königs —
von einem Sterbenden oder einem König in
der Wirklichkeit geiprochen werden — das ijt
die Aufgabe der dreidimenlionalen Bühne,
die Mirtlidteit vortdujden will und darf.
Wir merfen bei unjeren Borträgen, —
ich |prad) oben von dem geringen Wert des
Beifalls bei Dichtervorträgen — wir merten
nicht, ob den Zuhörern unfer Vortrag als
jolcher gefällt. Wher mid) will bediinfen, un-
lere überfüllten Gale [prehen bod) eine Dent:
lide Sprabe. Und ich Dachte, es wäre be:
rechtigt, wenn hier einmal einer von uns der
Hörerichaft jagte, daß fie Dabei richtig fühlt.
Mag immerhin vom Schönipredheritand-
puntt aus ber eine allzu erhaben, der andere
allzu láffig, der dritte allzu ſchnell, ber vierte
allzu laut jprechen, — das gehört ebenjo zum
berechtigten Weſen feines Bortrages, wie
etwa der trodene „Bortrag“ Hans Thomas,
der faftige „Vortrag“ Lovis Corinths oder
der üppige „Vortrag“ von Leo Pug zum
Mejen der Gemälde diejer Vietfter.
Eine ganz andere Frage ift bie nad) bem
Wert folder Vorträge für ben Dichter felber.
Ich fehe die Gefahr bier in der ftarten Ver:
äußerlichung, dem Birtuojentum, das un:
zweifelhaft auf ſolchen Reijen gewedt wird.
Es wird eine rage des Charalters fein,
wie weit ein Dichter ben Verführungen der
Eitelkeit zugänglid) iff, — vielleicht muß man
aud) fagen: zugänglidy fein darf. Denn
(itelfeit braudt beim Riinjtler nicht not:
wendig ein Fehler zu fein, fie ijt für viele
ra ein Gegengift gegen die rajtloje
elbjtzerfleiihung bes Schaffenden.
Vielleicht hat der reine Lyrifer öffentliche
Vorträge feiner Werke gar nicht nötig. Schon
der große Saal, die Menge der Zuhörer und
die notwendige Dauer einer Borlejung moder
ja die Wirkung vieler Gedichte faft zunichte.
Dagegen glaube id, dak ber Balladendichter
jo wenig wie der Schaufpieldichter die Offent=
lichkeit auf bie Dauer entbehren fann. Bei
ihnen ift ein großer Teil des Wertes in Die
Wirkung geftellt, und diefe Wirkung läßt fid _
nur erproben vor der großen Hörerjchaft.
Ich geitebe, daß ich in meinen Vorträgen
viel gelernt habe für meine Runft, wie oft
habe ich niht nad) diejen Abenden nochmal
nachdenklich bie Handjdrift hergenommen,
um bier zu mildern, da zu —— —
häufig zu verdeutlichen. Offentlichkeit iſt ein
heißes Feuer. Sie verbrennt Schwächliches,
ſie ſcheidet Schlacken aus, ſie glüht Eiſen
wieder ſchmiedbar, ſie ſchmilzt in Formen,
was vordem ſich nicht biegen wollte. Und
ſo laſſe man auch den Dichtern ihre Vorträge
und ihre Vortragsart, ſelbſt wenn ſie anders
iſt, als die der berufsmäßigen Sprecher!
RARA RNE
enn Altes verfintt unb Neues em:
, porjteigt, fo liegt für, bem Ge-
| Ichichtstundigen bie Erinnerung
Ls nahe, wie oft dies im Laufe der
Jahrhunderte [bon gejchehen ijt in der
unabänderlich nad) einer Richtung geben:
den Entwidlung der menjdliden Kul-
turverhältnifje, die unerbittli jo mandes
zeritört, was an fih eine hohe Leiftung,
eine feine Aulturblüte war. Und wenn
jo etwas den richtigen zeitgemäßen Berherr:
lider und fiinftlerijden Vertiinder gefunden
hat, dann bejchleicht eine gewijje Mebmut
um das Vergangene und unwiederbringlich
Verlorene auch den, der fonft allem Fort:
ichritt gewiß nicht abbold ijt. So geht
mirs, wenn id) einen alten ,Ridinger” an:
ſchaue. Es fommt dazu, daß id) miitter-
licherjeits von der grünen Jágergilde eines
jüddeutjchen Bundesftaates herftamme, und
Bon alter Jagd: und Reiterherrlidteit
y
: Bon Geh.-Rat Prof. Dr. Ludwig Hed o
Mit neun Abbildungen von Stiden Johann Elias Ridingers
-"9"«4*999999990009000090900000900€9090000000000000000000000000090000002n*9*9720 "^""»"oco"Co""""»»»neo,""""*9"9900000000020
Abb. 1. „Wan der Edle Hirfch verendet, wird er aufgebroden, bas
Gejdeide heraus genomen, der rehte Vorderlauff abgelójet, bem
Piquer übergeben, und von demijelben ber Herrichafft prajentirt.”
gwar gerade besjenigen, wo im 18. Jahr:
hundert am Hofe die Jagd zeitweije alles
andere überwucherte. Ich werde nie das
Mienenfpiel meines Ältejten vergeffen, als
er, zu furzem Rriegsurlaub von den Bo:
gejen herunter mit mir zujammengetroffen,
im Mildpart meiner Heimat, die ganz im
Ridinger-Stile gehaltenen Gedenttafeln aus
jener Zeit an ben Bäumen las, in demjelben
Mildpart, den fpáter mein Großvater ein
Menjchenalter hindurch verwaltet hat. Ich
bin alfo erblid) etwas belajtet; bas darf id)
mir aber anderfeits vielleicht als einen ge:
willen Ausweis dafür dienen laffen, daß id)
über Ridinger zu jchreiben wage, obwohl id)
weder Jáger oder SJagdwillenjchaftler noch
Reiter ober Reitwillenjchaftler bin.
Die vielen größeren,. Heineren und ganz
feinen „Serenijjimi” waren es, im erniten
Sinne unjeres Baterlandes Jammer und
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26
2. BD,
Sfelbagen & Rlafings Monatshefte. 35. Jahrg. 1920/1921.
3
394 Geb.: Rat Prof. Dr. Ludwig Hed: BS3232222 33333
Obnmadjt, die bie höfiiche Gagdherrlidfeit
im 18. Jahrhundert auf die Höhe führten.
Mábrend Friedrich ber Große und fein Vater
in ernftem, zeitweije das eigene Dajein ge:
fübrbenbem Ringen den Grund zu einem
bejjeren und größeren Deutjchland legten,
ftrebten jene eifrigft, nad) bem jelbftherrlichen
Grundja bes franzöliihen Sonnentónigs
„Der Staat bin ich“, biejem alle feine äuße—
ren Lebensgewobnbeiten abzuguden, und
pflegten fo u.a. andy den höfiichen Jagd»
luxus als üppige Gewádsbauspflanze auf
Koften ihrer met jehr armen Lander und
Ländchen. Das war gewiß nicht ſchön. Aber
biibjd wars dod! Hübſch und feljelnb
diintt es mich wenigftens für jeden, der nicht
gang und gar vergroßjtädtert ijt, zu verfolgen,
zu welder Ausbildung bis ins einzelne, zu
welder Runfthöhe, muß man wirtlid jagen,
damals bas Jagdwejen, bie Zucht und Abs
richtung der Hunde und der ganze Jagd—
betrieb gediehen waren. Es war zwar alles
bis gu einem gewiffen Grade zu höfiſcher
Spielerei und fürftlihem Schaugepränge aus:
geartet. Gewiß! Aber zu bewundern ift in
vieler Beziehung bod), was geleijtet wurde,
In Hundeführung, Fährtene und Epuren:
funde und allem, was fonft zur gerechten
Jágerei gehört, gab es damals wohl Meiſter,
ja: waren wohl alle fürjtlihen Berufsjäger
foldje Meifter und Künftler, daß fie uns
heute ausládjeln würden, wenn fie aus dem
Grabe aufitinden. War bod) ber ganze
Sagdbetrieb nit nur in ein Jacdhliches
Spyitem, fondern geradezu in ein fürmliches
Seremoniell gebradt, das aufs peinlidjte
gewahrt werden mußte! Allein daran hatte
ein Menih jahrelang zu lernen.
Mit ber „Vorſuche mit den Leithunden
zur Parforce Jagt” fing es an. Was bie
ihon zu bedeuten hatte, möge man fid) aus
der ausführlichen Unterjchrift unter unjerer
zweiten Ridinger-Abbildung flarmaden! .
Wenn bas, was darin bejchrieben und
verlangt wird, heute einer fann, ijt er mit
Recht jehr ftolz; damals mußte es aber jeder
„Beluchtnedht“ Tonnen, fonft holte ihn ber
Teufel. Aus ber Fährte ein Ctüd Wild
nad) Gejdledt, Alter und Ctürle zu be:
fimmen unb den beftimmten ausgewählten
$irjd bann mit dem Leithunde zu „beitä=
tigen“, d. b. unmertlid zu verfolgen unb im
Bogen zu umgehen, jo daß er in einem ge:
wijjen möglichſt bejdranften Waldteil für
die Jagd bereitftand, ihn für den fürftlichen
Sjagbberrn jozujagen „anzubinden“, bas ges
hörte damals zu den jelbjtverftändlichen Leis
ftungen jedes Berufsjägers. Welche Übung
unb Borjdule jebte bas aber voraus!
Der Leithund ift babet ein ganzes Kapitel
für fid). Heute gibt es ihn gar nicht mehr.
Als der jebt auch lángft verftorbene Düjjel-
dorfer Jagdmaler Ludwig Bedmann im
Sabre 1894 fein in Diejen Dingen map.
gebendes Hundewerk herausbrachte, unter»
[hied er vom hannöverſchen Echweikhund,
dem durch den fonigliden ,Jágerbof” dort,
allerdings niht ganz rein, ins 19. Sabre
hundert biniibergeretteten Nachkommen des
alten Leithundes, nod bie Leithund- und
bie Schweißhundform, erftere von ber alten
gerechten Jágerei nur auf gelunbes, legtere
nur auf trantgejmoffenes Wild gebraudht.
Heute find wir froh, daß wir überhaupt nod)
einen Schweißhund haben: er hat, wenig:
tens annähernd, die Leithundjorm, und ber
Berein ,Hirjdmann” IáBt fid) feine Zucht
und Pflege angelegen fein. Er wird nur
nod) auf trantes Wild verwendet, unb, ba»
burd) überflüjfig geworden, ift bie eigent»
lide Schweißhundform im alten Sinne, bie
leichter, flüchtiger und ſchärfer war, ganz
verjchwunden. Mein Großvater muß aber
in den fünfziger Jahren vorigen Sjabrbum
berts nod) joldye hikige unb unftete Hunde
gehalten haben; mein Bater erzählte mir
gelegentlich von ihnen und fügte hinzu, wie
jie, rubelos um die Dberförfterei herum-
revierend, gar manchmal ihm als Bräutigam
den Verkehr im Haufe feines künftigen
Schwiegervaters erjchwert hätten.
„Der Anjagts Hirjd wird mit dem Lancier
Hunde gejprengt.“ Das ift der zweite Att
bes fürjtlihen Jagdſchauſpiels, unb and
dabei gilt es für Die beruflich Beteiligten
wieder, eine ganze Menge jagdliden Wiſ—⸗
jens und Rónnens zu zeigen.
„Dijes gejdibet mit einem Leith oder
alten guten par force Hund bende werden
an dem bengjeil auf bie bruede und von
denen weiters auf bie Faehrte gebradhi,
bat der Hund Diejelbe richtig aufgenomen
jpridt er dem Hund au liebet ibn ab und
laejjet joldjen wider anfallen hengſt auf der
Faehrte nad) bijg an den Hirjchen und lan»
ciret bas ijt |prenget ibne, dan heilt. es
laissa courre; an einigen orten bat man
3. bijg 4. bejonbere Lancier Hunde, welche
man bey den brüdjen frey auf bie Faehrte
anbringet, bie man aber jobald ber hirió
[ancirt ijt ftopffet; Bedient man [id) ber
erften Art fo lófet man die erfte harde wel-
des die Favorit hunde jenn als bie Die
Saebrte am ridtigiten aufnehmen ber Go:
mandeur und die Piquers follen denfelben
zur feite folgen und vorjagen damit fie den
Anjagts Sjirjdjen en vue bas ift zu gefichte
betomen um Denfelben an dem Gebórne
ber Garbe und dem Gewedfe aus andern
zu ertenen fals er Change madte fih ver:
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X 9[5b.4. Ein [paniidjes Pferd &
fohren oder nidergethan ober unter andere
$jirjdje gefomen waere, ber erfte der ihne
zu gelichte befomt folle ihn mit voller
halje und mit ben worten Taye! Taye an:
ſchreyen und eine fanvara blajen, es follen
aber mehr niht als ein oder ¿wen fo bie
naedjiten am Hirjden feyn blajen damit alle
andere jo viel bejjer vernehmen wohin er
fid) wende, ijt der hirjch geiprengt und gehet
flüchtig il va fuyant bie Piquers haben ihne
aud) aufgenomen fo ziehet der Lancier
Knecht feinen hund an dem bengfeil ab und
nad) Haufe, hierauf attagiren die Piquers
und wird die gange Meute auf die Faebrte
angebradt da faengt fih bie Jagd redt an
und wird unter behörigem blajen der er:
forderliden thone und zuruffen der hunde
und ihrem laut continuiret, die Morte, wo:
mit die Hunde encouragiert werden, find
folgende: Dod! Doch! ca vaut, ca vaut
mes’ beaux. S' eu va Chiens il va la Chiens
outre vous mes Chiens.“
Ale Achtung, wenn man es wirflich fertig:
brachte, einen gefunden Hirſch in Diejer
Weije zu „Iprengen“, ohne den Leithund von
der langen Lancierleine zu löjen! Das er:
ſcheint uns heute beinahe wie ein Zauber:
. funftftüd, und „Lancierfnecht“ für ben, ber
es vollbradte, ein ungebührlich niedriger
Titel. Bit er bod) bie Hauptperfon auf ur:
lerem zweiten Ridinger:Stihe! Gr und fein
braver Hund, ber befehlsgemäß erft im legs.
ten Augenblid mit [autem Hals, daß bie
faltigen Behänge und Lefzen um den ſchwe—
ren Kopf fliegen, vorpreichen darf, aber nur
jo weit, wie bie lange Leine reicht. Dann
muß er nad) Sauje, und feine leichteren
Benofjen, die eigentlichen Meutehunde, treten
in Tätigfeit. Die eigentliche Hirjdhak be:
ginnt, und nun macht fid) aud) Gerenijfimus
mit Gefolge bereit, hintersdem Wild fid) in
Bewegung zu fegen, jobalb ber Piqueur bas
entiprechende Signal gibt. Der muB aber
ganz verteufelt aufpajjen, daß er fid) nicht
irri; denn aud) jeßt find wieder aller:
lei Wendungen und Zwijchenfälle móglid),
oft ganz überrajchender Art. Der regelrechte
Berlauf ijt indes: „Der Hirſch wird von dem
Piquer aufgenomen, die gange Meute bei
denen brüchen auf bie Faehrte gebradt u:
nad ihren Harden gelójet.^ Und den wei-
teren Fortgang erzählt dann die erfldrende
Unterjchrift unter unjerer dritten Abbildung.
„Harden“ find wohl, was man jest ,Rop-
peln“ nennt: Gruppen zujammengetoppelter
Hunde, bie man nad Alter und Leiftung
26°
396 PESSSSSSSA Gel.» Rat Prof. Dr. Ludwig $ed: BS33333823334
zufammenzuftellen pflegte. Zuerſt wurden
die álteften und guverlajfigiten auf die Fährte
gebracht, damit fie den jüngeren, minder er-
fahrenen als Führer dienen fonntem. Dieje
Hirihhunde gab es damals in Deutichland
überall; heute hat man fie nur nod) in Frant:
reich, ihrem Gtammlande. In Deutjchland
find fie, wie jo viele andere fürftlid,e Luxus:
einrichtungen, mit der ernüchternden Mo:
dernifierung ber Hofhaltungen verjdywunden.
England hat fie fic) für feinen modernen
Jagdſport — und umgewandelt, für
die Haſenhatz zu
Fuße und für
die Fuchshatz zu
Pferde. Von dort
haben wir ſie uns
als „Fuchshunde“
für die Reitjag—
den ber militds
tijden Reitſchu⸗
len und zivilen
Reitervereine
wieder holen müſ⸗
jen. Für - die
Schießjagd mit
lauten Hunden,
die dem auf dem
ein Feuer entzündet und bereiten darauf in
einem großen Topfe nad) dem anftrengen-
den Jagdtage wohl eine Mahlzeit. Born
lints läßt ein „Bejuchtnecht” feinen ſchweren
Leithund nod einmal Witterung an dem
erlegten Sirjde nehmen. Born rechts ftehen
unb liegen aud) nod) einige Meutehunde,
unb fo find auf biejem Gtidje bie beiden
Bauptládjlidjjten Jagdhundrafien ber Damas
ligen Zeit inibrerunter[djieblid)en äußeren Er:
jcheinung jebr jchön nebeneinander zu feben,
Mit ber Darftellung der hohen Jagd im
höfiſchen Sinne
` feiner Zeit war
Ridingers Schaf:
fen aber längſt
nidt erichöpft;
er hat eine Le:
bensarbeit von
mebr als 1100
Ctidjen Hinter:
laffen und nahm
Do alle“ Jagd:
und Wildarten,
ja bie gejamte
Großtierwelt zum
Borwurf.
Manieriert war
Mechjel ftehenden a ja ber alte Ri:
Sager das Wild dinger ficher; Das
zutreiben, bat fih Debt man auh
Wejtfalen ` feine an feinen Dar:
Braden, die ftelungen von
Schweizihrelauf: ` Pferd und Rei:
hunde bis jet ter, Denen er
erhalten; ihre Zu: ebenfalls einen
funft freilich ftebt febr wejentliden
heute vielleicht Teil feines flei-
ion niht mehr Bigen &unitidaf:
ganz außer Frage. fens gewidmet
Halali! Sirid hat. Wenn man
! i t D
Géi = Abb. 5. Ein Pferd mit der Springhalfter zwijchen ben Vi: * — ig
: ^ lieren, um felbiges zu leviren und auf bem Hinterteil halten ""
liden Jagdak— zu lehren be verjchiedener
tion, ber aber erit. Länder“ durd-
recht zeremoniell ausgeführt wurde. Die fiebt, Jo findet man fie fo ziemlich alle
Unterjehrift unter diefem Stiche ijt zwar nur
fura, aber das Bild erzählt uns mehr (Abb. 1).
Da ijt zum Schluß die ganze Meute unter der
Fuchtel eines Piqueurs, alle Köpfe artig nad)
ibm gerichtet, vor bem SJagdzelt verjam:
melt, Aus biejem ift der Hohe Jagdbherr
hervorgetreten mit feiner Gemahlin oder
vielleicht auch einer anderen Dame jeines
dem 3eitgeift ent|predjenb gewiß febr ga:
lanten Herzens, umgeben von ben Hof:
djarger und einigen bejonderen Lieblings:
bunden. Hinter dem Zelt ftebt jhon die
vierjpännige Gtaatsfarojje zur Heimfahrt
bereit. Born rechts haben die Jagdleute
über einen Leijten gejchlagen. Nur bie
Engländer erjcheinen bereits durch geftubte
Schweife „anglijiert“, und „Ein ordent:
lihes €anbrop. Un cheval ordinaire,
Equus communis” unterjdjeibet jid) burd)
langbebaarte Feſſeln und natürlichere Hal:
tung. Den ,Leiften” für alle anderen bil:
det das ,Cpanijde Pferd“, der bezeid:
nende Ausdrud der NRidinger- Zeit für
ihren Pferdebedarf und Pferdegeſchmack,
die natürlich in innerem Zujammenhang
ftehen (Abb. 4). Und wieder find, wie bei
der Jagd, die Höfe die Pflanz- und Pflege:
jtätte diejer hochgetriebenen Pferdeabrichtung
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E Abb. 8. Carriera
Schule gehört: das Gewicht auf die Hinter:
hand gelegt, den Kopf erhoben, aber vie
Nafe gejenft und den Hals gekrümmt.
Sn Ddiejer ebenjo bezeichnenden wie un:
natürlichen Haltung, den langen Schweif
zwijchen die Sinterimentel gefniffen, jehen
wir in ber Regel aud) diefe alten Ghul-
pferde abgebildet. "Sie wurde ihnen bei:
gebradt, indem man fie zwijchen zwei
Pfoſten feftband und dann mit ber Peit}de
fortwährend zum Treten auf ber Giele
antrieb. Das zeigt ein Stich in Ridingers
Wert ,9Borjtellung und Belchreibung derer
Shul- unb Campagne: Pferden nad) ihren
Lectionen, in was vor Gelegenheiten jolche
lónnen gebraucht werden”, und bie Ertlá:
rung dazu lautet: „Ein Pferd. mit der
Spring: Halffter gwijden ben Pilieren, um
lelbiges zu leviren und auf dem Hinterteil
" halten zu lehren“ (Abb. 5).
Mud) den an fih unnatürlichen, für den
Reiter und namentlid) bie Reiterin aber jehr
bequemen Paßgang (gleichzeitiges Heben
beider Beine derjelben Geite) bradjte man
den Pferden bei, wie ein anderer Stich des:
jelben Wertes zeigt; bod) eigneten fih dazu
nur gewijje Pferde, und die Unterjchrift unter
dem Ctidj lautet dementjprechend: „Der
ihulgerehte Pag ijt ein jehr commobder
Gang; es muß aber ein Pferd [Hon von
Natur bargu incliniren, dann feine Bewe-
gung gejdiehet rechts oder linds auf einer
Seiten mit dem Forder: oder Hinter: Fuß
zu gleicher Zeit, dergleichen Pferde werden
Las 3535 35 3$ 521
vor hohe Dames zu einem Spaßierritte oe:
widmet” (Abb. 7).
Aus „Neue Reittunft in Rupferftiden,
inventiert und gezeichnet von J. E. Ridinger.
Cum gratia et privilegio Sac. Caes, Maj.”,
deren prächtige Stiche mit jechszeiligen Un=
ter|d)riften in gereimten Berjen verjehen find,
möchte ich als ganz bejonders [Hóne Blätter
und bezeichnende Zeiturfunden „Carriera“
und ,Gbangieren". herausheben, die uns
ganz in das Dofijde Leben des 18. Jahre
bunderts perjeben (Abb. 8 u. 9). Ich tann
nur wieder jagen, wie bei der Jagd: Schön
war's nicht, daß man fo viele Menjchen: und
Pferdefräfte, jo viel Zeit und Geld für ſolchen
hofijdhen Prunf und Tand aufwendete; aber
hübſch war's dod, hübſch fieht’s wenigjtens
aus. Die pompöjen Innen» und Außen
reitbabnen mit ihrem Figurenjchmud, mit
mádtigen Majjertiinften im Hintergrunde
tónnten einem jehr imponieren, wenn man
nieht den Verdacht hatte, fie feien wohl bis
zu einem gewijjen Grade der Bhantafie bes
Künftlers entiprungen. Uber bie Menjchen,
unter denen ein Ungar oder Kroat (wohl
ein Hofheidud?) mit Pelzmantel und Sábel
und ſchwarzem Hangejdnurrbart am meijten
herausjpringt, find bod) jedenfalls genaue
Abbilder Ridingerjder Zeitgenofjen, und
ebenjo die Hunde, die vom leichten, lang:
jdnaugigen Windhund über mitteljchwere
Hagriiden bis zum jchweriten, duntelgeftrom:
ten Golofanger ober Rammerhund, dem hof:
fähig gewordenen Bullenbeißer, auf beiden
PSSFTFITIIIZIZTI Von alter Jagd: und Neiterherrlichkeit 399
. 9155.9. Changieren D
Stichen als Beiwert zu leben find. Überall na-
türlich auch bie Stallmeifter in hohen, überm
Knie weit und faltig enbigenben Reitftiefeln,
mit jd)meren Peitſchen und langen Leinen
(Longen), an denen die Pferde, aud) unter
dem Reiter nod), geübt wurden. Die Ses:
zeiler-Unterjchriften lauten unter „Carriera“:
In diejer Lection, fo man Carriera nennt,
Läßt die geidjidte Hand bem Gaul bte Zügel [djieBen, .
Worauf er wunderjchnell aus allen Kräften rennt.
Es läſſet ſolche Schul ber Pferde Tugend wiffen.
Gewiß ift, daß fie uns bie Probe geben fan,
Wie weit ein Pferd ber Hand und Schenteln unterthan,
und unter „Changieren”:
Man jchreitet im Galop zur Linden mit den Pferden,
Wann fie auf rechter Hand vorhero galopiert;
Damit fie redhts und linds gelend und biegig werden.
Wann ihre pofitur auf folche weiß changiert,
Pflegt deren innre Fuß, auf welchen fie jid) fteifen,
So vor als hinten ber im geben vorzugreifen.
Die bódbite bofijde Paradeleijtung der
Ravaliere zu Pferde, der die hohe Schule
als Borübung dienen mußte, war aber das
Rarujjellreiten, von bem Ridinger in den
Anmerfungen zu einem weiteren Rupferjtich-
werte, der „Reitjchule (Caroujel) mit Lange,
Pijtole, Degen, Dard (kurze Murflanze) nad)
dem Tiirtentopf” jagt: „Da ich in meiner
jüngft herausgegebenen Reutjchule die Lec:
tiones derer Schul: und Gampagne: Pferde
vorgejtellet, |o folgen nun als eine Con:
tinuation aud) bie VBorftellungen von denen
Lectionen des Caroujel-Reutens, welche jo:
wol zu Ritterlichen Uebungen als zum Ernft
im Kriege bejtimmt find, und welche bejon:
ders bei hohen Feltivitäten großer Herren
mit vieler Pracht gehalten werden, dabey
fid) ein Cavalier wie gejchidt er in denen
Waffen und fein Pferd zu führen feye, aus:
nehmend diltinguiren fann.” Ridinger gibt
auch den Plan eines ſolchen Rarufjells mit ben
eingezeichneten Linien der Touren, die bie
Kavaliere in den perjdjiebenen Gangarten
mit den verjchiedenen Waffen zu reiten hatten
gegen vier an entjpredjenben Stelen an:
gebrachte „Türkenköpfe“ mit Turban, bie von
den Tiirtentriegen her fozujagen die jelbjt-
verjtändliche Feindesfigur ber Zeit waren.
Die dabei geführte Lange ift ganz und gar
das — nur wohl etwas leichter gemadte —
Abbild der alten Ritterturnierlanze, und
auch bei ihrem fpielenden Gebrauch fam es,
wie beim ganzen Reiten, wohl hauptjächlich
auf fidjere Eleganz an. Das zeigt [hon einer
ber erjten Stiche des Wertes, die „Kleine
. Galopabe an der Wand mit ber Lange zum
Kopf oder Ring” (der „geitochen“ werden
mußte) (Abb. 6). Bon hohem Balkone an
ber einen Cdjmaljeite der Karufjellanlage
jaben die Hhochfürjtlichen Herrichaften und
die Damen in jchönem Kranz dem Shau:
jpiel zu. Mud) bier beim Reiten, wie bei
der Jagd, höfiſcher Glanz und Prunf über
alles. Heute faum mehr zu begreifen. Ver:
gangene Zeit und Herrlichkeit !
Sm Jagdidlojje Rranidftein bei Darm:
ftadt hat jest Broßherzog Ernft Ludwig von
ellen ein Jagdtunftmujeum eingerichtet, in
bem er alle die alten Syagbbilber, Waffen,
Geweibe ber Öffentlichkeit zugänglich gemadjt
Dat. n biejer Art eine ganz einzige
Gebenswiirdigteit!
fei! ema || een mmm (mees en || ee || een BSES | | ees | emeng | | es | | | j saccum | |
Don Ernft Ziffauer
Demiitig bleiben im flolzeften Olüd
I
ag / | | | | |] | | || ml || | | || || || || || | || || || |S | / || RN | | pum
Liebesgedichte.
Jd will dir fagen ein Siegelwort
Von uns beiden: Zehrt langes Leiden.
+
Mande Menfhen find getrennt über Meilen, Sie find getrennt vielleiht ein Leben
Sie find aneinander gebunden mit Seilen,
Sie find getrennt über Jahr und Jahr
Und find verwadfen mit Haut und Haar,
tind wie $lüffe, vom Quellort hergezogen,
Werden fie ineinander gefogen.
+
Und plöglih hör’ ich alle Menſchen reden,
Eingefponnen bin id) dicht in taufend Fäden
Wie gekhient’s, daß alle Rede jáblings greift in mich?
€s redet wie die Quellen, weldye táglid), nádytlid) wandern,
Und jede Rede fiteift vorbei dem Obr des andern,
Fede, jede
Hört nur feine eigene Kede,
Allen Hörens jegliches flid)tbóren höre id).
Wie Fam mir diefes jähe Wiffen?
Es ifl, als würde dichtumbaute Mauer
Wie dünngefpanntes Pergament zerriffen,
Und id) erfenn’ es ohne Gram und Trauer?
Gliif nad) langgelebtem Leid,
Liebe nad) durdlittner Einfamkeit
Macht mich hören,
Die weit Über die Erde dróbnt,
Aller Menfchen Einfamteit in Chóren,
Drin id) lange Fahre mitgeiónt.
Dod) drüberhin mit weitgefpannten Schwingen,
Jn dem weitgedehnten Licht,
Wiegt mit Gewalt fid) ein zwicfimmig Singen,
Das fid) in einem Schall gen Himmel flidyt.
+
Du liebteft mid. Da ffywieg der bittere Wind,
Und heiße, füfie Süde webten.
Die Luft glomm bunt. Du warft mir holdgefinnt.
Da find Geft.rne, die mir gúnfig find,
Über mein Haupt getreten.
+
Du Ziebfle, du mir Sonne, du mir Süd,
So felig Fod)t mir Jubel im Gebliit,
Jd) Fann dies Olüd nicht in umfchränfter Stille,
Siedelnd an meines Dafeins Grund geheim genießen,
Jd) berfle auf vor unbergbarer $ülle,
Geöffnet, fonder Haut und Hülle,
Jd) fühl’ mein Wefen ringsum niederfließen,
Jd) modyt’ das Land, das ganze, weite Land,
Mit einem w itgedehnten Griff in meine Arme ſchließen,
In einem 7aud)sfdyrei, der den Gorizont umfpannt,
Den Drang der Liebe über die Erde gießen.
Und find ver wachſen mit Saft und Geweben,
Und ob fie fid) meiden nad) allen Winden,
Es find Segen gefprochen, welde fie binden,
(au "(eegen | | meses | | Ss | | sy | | mm | {ocean | | ec | | mn: | | pes | | ves | | ACERO | | omen || mee | | emmmer | hastae | | rra | | meme | | Ws | | pm | | ee | | ees | | i
J| omens | | cae | | kamen | | ed || see? |; ees | | A || ee || vegan | | ees | | BEEN | | teca | | seen | | pass
Hi
FANG)
FS
TI TE
san fannte fie auf vielen Coiffen.
Überall war fie gewejen, hatte
die längften Babnlinien befahren,
da bie bódjiten Berge bejtiegen, die
ferniten Lander und Deere bird):
freuzt. Nirgends — — lange, obgleich
ſie die Müdigkeit vieler Wanderjahre wie
eine ſchwere — nad ſich ſchleifte.
Sie gehörte zu denen, die geheime Macht
immer von neuem el Ek und hinaus»
treibt in die Welt, zu ben Raft- und Rube-
Iojen, bie da ewig etwas zu judjen unb mr:
gends ihr Ziel zu finden feinen.
So fam fie aud) einft im Frühherbſt nad)
Peting. Und bald ritt fie Dann aus ber
rauen, unter ſchwülem Dunft erftidenden
tadt hinaus zu den nahen Bergen. Dort
liegen buddhiftiiche Klöfter und Tempel, wo
viele europäijche Bewohner Pekings die heiße
Jahreszeit verbringen. Bon einer Freundin
geladen, bie aud) in einem der Tempel lebte,
wollte fie diefe ein paar Tage dort bejuchen.
Durch bie brütend heiße Ebene, über der
die Ausdünftungen der großen Sommer:
regen drüdend lagen, führte der Weg zu
einem Dorf, bas feftungsartig von hohen
Mauern umgeben war. Alles war da Ber:
fall, bod) aus bem Berfommenden erwud)s
Neues in uralter, gleichtöniger Wieder:
bolung. Aus bem morjchen, berftenden Be:
máuer drängten fid) Buſchwerk und blühende
Gräjer zum Leben hervor ans Lidt, in dem
Unrat am Boden wiiblten fleine jchwarze
De pidten und |charrten Enten und
libner, Nahrung fudenb. Die Reifende
tritt durd) bie moraltige Dorfitraße, ce
nete buddbijtijden Mönchen mit glattralier-
ten Schädeln und alten Männern, die ihre
Lieblingsvógel in tleinen Ráfigen mit fid)
ipazieren trugen. Drollige Rindergeftalten,
auf deren Köpfen die nod) furzen daer zu
mehreren jtarr abjtehenden Zöpfchen ge:
flodjten waren, umjtanden einen alten, blin:
den fahrenden Gänger; mit mageren, gelben
ingern griff er in die Gaiten einer Gitarre;
drill zirpende Töne begleiteten fein eins
örmig flagenbes Lied.
iud) ein Wanderer auf der weiten Welt‘,
Dachte wehmütig die Vielgereifte, die ihr
Pferd angehalten und bem feltjamen San
ein ZBeildjen gelaujcht batte. Dann wart
fie dem Alten eine Münze zu, ritt weiter
gum Tore hinaus und jchluy den Pfad ein,
auf bem der Mafu, der djinejildje Rettinedt,
\hon voraustrabte. (Ceitmürts von ber
Zandftraße abbiegend, führte er fie zwijchen
[bern hohen Rauliangs den Bergen zu.
ie Töne ber Gitarre waren verhallt in ber
gerne. Es ward [till um die Reiterin ber.
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Unter hohen, alten Bäumen ftanden graue
Gteinftelen am Megesrand; Reihen Kleiner
verwitterter Pagoden, von Unfraut über:
wuchert, bezeichneten bie Graber früherer
Mönche. Heiliger Boden war es. Bon den
Bergen herab fam ein Kleiner Quell der
Wanderin bewilltommnend entgegengeriefelt,
und wo er in Die Erde gelidert, war fie grün
geworden von zarten Garren und bunt von
¿abllojen wilden Blumen.
un erblidte bie Reijende die unteren
roten Umfriedungsmauern des weiten Tem:
elgebietes. Dahinter, zwiſchen dunflen
aumfronen, funfelten goldgelb, fapbirblau
und maladitgriin die RacheldDacher der Türme
und Hallen, der Tore und Klófter. Höher
und höher anjteigend, erhoben fie fih längs
des Dicht bewaldeten Whhangs, leiteten den
Blid hinauf zu des Berges Spike. Dort
thronte, einer Perlenkrone gleich, eine ſchnee—
weiße Pagode, jchimmernd gegen den türkis»
farbenen 5
Eines Zauberers Gaukelſpiel dünkte dies
Bild die fremde Frau nach der langen Reiſe,
dem Lärm der Stadt, der Hitze der Ebene.
Wonniglich ſtill war es.
Der Mafu war abgeſtiegen, hatte die
Zügel ſeines Pferdes um den Hals einer der
rieſigen Steinſchildkröten geſchlungen, Die
unter knorrigen Bäumen zu beiden Seiten
des Eingangstores ſeit Jahrhunderten Wache
ſtehen. Nun half er der Reiſenden, die ſich
aus dem Sattel herabgleiten ließ.
Da fam ihr auch [bon bie Freundin aus
dem Tempelgelánde entgegen. „Sei mir
willfommen im Tempel zu ben fputen Gliids
jeligteiten!” Jprach fie mit leifer, jüßer Stimme.
Und bann jdjauten bie beiden fih einen
Augenblid fragend an, wie es Menjchen tun,
die fih lang nicht geleben unb nun unficher
pm wie jie fid) wiederfinden unb ob fie
iejelben geblieben. Doc) als ganz bie gleiche,
bie fie vor Jahren gefannt, erjchien ber
Tempelbewohnerin die Vielgereifte mit den
düfter umfchatteten Augen, den ftarren tras
gilden Zügen, aus denen ihr Alter ſchwer
zu bejtimmen gewejen wäre. Berdndert Das
gegen war bie Tempelbewobnerin jelbit:
Witwenjchleier umbiillte fie, wehe Trauer
jprad) aus ihrem janften, jtillen Antlitz.
Die hohe Treppe zu den oberen Tempel:
bauten jchritten bie beiden Frauen nun
hinan. Auf ber oberiten Stufe blieb die
Weltenwanderin ftehen, lehnte an Der be:
moojten Cteinbrüjtung und jchaute hinein in
das fie umgebende Gewirr von Zweigen.
Auf tiefgrünem Grunde leuchteten die exjten
berbitlich gefärbten Blätter gleich Bernitein
und Kupfer. Am weitausgejchweiften Rachel:
402 Eltjabeth von Heyting:
badje eines verwitterten Turmes tönten leis
im Winde die Meinen Pagodenglódden:
„Zingting, tingting.”
» ürdentuft weht hier,” jagte bie Fremde,
und von dem Dade Der, wo fie zwiſchen den
zerbrödelnden Kacheln unter allerhand Ge:
rant ihre Neſter erbaut hatten, antworteten
CG girrend bie wilden Tauben: , Rufuru, rus
uru.”
An einer dunklen Feljengrotte vorbei let:
tete fie nun die Gaftgeberin. Aus ber ge:
beimnisvollen Tiefe tauchten bie ungeheuer:
lichen Umriſſe eines Bößenbildes ante einen
feilten, grinjenben Alten ftellte es dar, ber
mit quellenbem Bauch auf berftenden Gaden
thronte. „Der Gott bes Reichtums,“ erklärte
die Führende.
Herb ládelnd meinte die MWielgereifte:
„Wer den gleich zu Anfang als erte Gott:
beit flirt, eler lich wohl mandjen Umweg.”
„Bielleicht,“ antwortete drauf die Witwe,
„ift er bier nur deshalb gleich als Eriter
aufgeitellt, weil erft durch ihn Die nötige
Muße a jo mandes Höhere zu erlangen
tft, — feine |djón|te Gabe, dünkt mich, ge:
nügendes $yreileit von materieller Gorge,
um gang im Erinnern leben zu dürfen.“
„der um vor ihm fliehen zu Tonnen.
jagte die andere.
Zwilhen raujchenden Baumeswipfeln
itiegen fie aufwärts zu den Tempelballen.
Die einen enthielten in taujendfacher Wieder:
holung ein und diejelbe Heine Buddhafigur;
in anderen waren die Qualen der Hölle mit
chineſiſcher Erfindungsgabe frabenbaft dar:
gejtellt. Dagwijden lagen ftille Rlofterbófe.
JBeiBitámmige Baumriejen erhoben fih da
geipenftilch, redten ihre fte weit aus, wie
lieder bleidjer Knochengerippe; die mäch-
tigen Wurzeln wanden fih durch die Pflajte-
rung, hatten die Flieſen gehoben, traten Do:
etlech hervor wie geblábte Leiber von
ythonen. Und bemoojte Gteinftelen ftanden
im Schatten der Bäume, uralte Opfergeráte,
deren duntle Bronze Patina mit fahlgrünen
gleden bezog. Umpgeben waren die Höfe
von niederen, einftódigen Häuferreihen, bie
ih unter ihren hohen grauen EH zu
duden jchienen. Gie enthielten bie SUtóndjs:
flaujen.
„Und wo wobnit du?“ fragte die Fremde.
„Immer in demjelben ober|ten Klofterhof,
den er bei unjerer Heirat von bem Abte ges
mietet Hatte,“ antwortete die Freundin.
„arog der Statue námlidj, die bem Gott
des Reibtums hier errichtet worden, hat er
das Klofter verarmen lajjen, unb fo fhiden
fid) bie Mönche darein auch weiter bas Geld
einer Fremden anzunehmen und haben mir
geftattet zu bleiben. Hier tommen wir in
mein Wohnzimmer,“ fagte fie dann, indem
eae hohen Türen einer großen Halle öff:
nete.
Gs war ein weiter, Dámmeriger Raum.
Die Dede, mit Drachen verziert und von
Querbalten durchzogen, auf mächtigen roten
Säulen rubend. Die Wände bemalt mit
phantaftiichen Gebilden, fputbaft im wie:
licht, altersgebleicht, die Umriſſe verjdwim:
mend. Davor, und auf erhöhter Ejtrade
weit in den Gaal jpringend, alles über:
ragenb und allein jet, Durch bie geöffnete
Tür, von Sonnenlicht überflutet: — eine un:
geheuerliche Geftalt. Cin meergrün bemalter
chineſiſcher Krieger in Helm und Riijtung.
Rollend die Augen, breitanfgerijjen Dos
Maul. Tiefe Furchen im verzerrten Antlig.
Dn der einen Hand ein langes Schwert;
weit ausbolenb züdte er es gegen eine ries
fige Fledermaus, die, von der Wand in
hohem Relief abjtehend, auf ihn zuzufliegen
ihien. Lang verhaltener Schmerz und Grimm,
die fid) endlich gegen einen tief Behaßten
austoben dürfen — das ber Ausdrud ber
dk Geftalt! Y
«Vian glaubt ihn vor böfer Freude über
fein Bernichtungswert brüllen zu hören,“
jagte die Fremde und jebte dann hinzu:
„Auf meinen Reifen habe id) mand jeítjame
Behaufung gejehen, in ber es weißen Men—
ka pemaen le Dem d einzurichten,
aber ein abjonberlidjeres Gemad als diefes
befigt wohl feine europäijche SN
Sie hatten fid) in niedere EIER ge
lebt, unb während ein chinejifcher Diener
ben Tee brachte, lautlos auf diden Filz.
Joblen jchreitend, erzählte bie Wirtin: „Es
war febr [hwer in diefe Halle zu dringen,
denn fie gehört zu den eigentlichen Tempel:
räumen, und bei unjerer Abmachung mit
den Mönchen waren nur einge ihrer Zellen
erwähnt worden. Wher nahdem wir dann
zufällig bier einmal eingetreten waren, lodte
grade dieje Halle ibn |o febr, daß ich mir
vornabm, fie irgendwie für ihn zu erobern.
Zuerſt ftabl id) mid) ganz ſchüchtern herein,
brachte ben Götzen Blumen, ftellte Bajen
vor ihnen auf; und die Mönche ließen mich
ewähren, jahen vielleicht eine angehende
onvertitin in mir. Täglich ſchmuggelte ich
dann neue Dinge, deren man zum Leben
bedarf, bier ein. Und fo erwarb id. uns
allmáblid) das ftilljchweigend anertannte
Recht in diejer Halle die Tage zu verbringen.“
Es [jab wirflid wobnlih aus in dem
mertwiirdigen Gaale: Wandfchirme, auf
deren Goldgrund Draden und Phönixe jpiel:
ten, teilten ihn ab in EC H den; Lieges
ftühle mit bunten weichen Kiffen Iuden zu
rubigem Berweilen, und bequem zur Hand
lagen auf Tijcehen viele Bücher und die neu-
ften, freilich recht alten Zeitungen weftlider
Welt. Alles aber beherrjchte, dráuend und
RT der unheimliche fahlgrüne Krieger!
ie Weihgaben, ihn zu bejänftigen, ftanden
vor ibm in Bronzebeden bizarr verſchnör—
telte Pinienáfte, Zweige feurigroter Herbit-
blátter; und auf verblaßtem Teppich au fei»
nen Füßen faken zwei jeidenhaarige Petinger
Hunde, fett und furzatmig, mit plattgedrüd»
ten jchwarzen Najen und runden vorquellen-
den Augen, — felbjt feierlich fetijd)baft, jelbit
wa leid). |
ie Blide ber Reijenden glitten über all
FSS3SSSSSN Im Tempel zu ben ſpäten Glüdjeligfeitn B3333384 403
bas feltjam Fremde hin, aber dann blieben
jie plögli wie gebannt an einem Buntfte
haften: auf dem Gdreibtijd) der Freundin
ein Viánnerbildnis. Die Witwe bemertte
den Blid und als ob jene gefragt, die doch
nicht zu fragen braudjte, aniwortete fie si
mütig nidenb: „Ja — —“er.” Und fie
fühlte, daß Perfönlichites, alles wovon bie
andere nur aus AEN flüchtigen Briefen
wußte, bod) einmal berührt werden mußte
— jo bitter weh es aud) immer nod) tat.
Viel war ja gejchehen, jeitdem fie fic) vor
Jahren zulegt gejehen! — Auh in China
war bas gemejen, in einer feinen Riijten-
ftadt, wo jie jelbit damals bei Landsleuten
eine Stellung bekleidete. Da war bie yeon
din, auf einer. ihrer Weltreijen, damals auf:
getaucht — aber nur um nad) kurzem Ber:
weilen ganz plóblid), beinah fludtartig,
wieder zu veridjwinden. Jetzt erinnerte fte
He daran, unb bie Wanderin nidte wie im
Traume, ben Blid immer nod auf das
Bildnis gewandt. Des Tages, an dem die
yreundin damals abgerei[t war, entjann fi
bie Tempelbewohnerin, trog der Jahre, no
gang genau, denn es war ja zugleich der
eine unvergebliche Tag des Lebens, an dem
jener, um den fie heut Trauer trug, in ihr
Dajein getreten war! Bon einer Forſchungs—
fahrt ins Innere guriidfehrend, traf er da:
mals in ber fleinen chinefiichen Cl Ke
ein, und bei ihren Landsleuten, mit denen
er befreundet gewejen, batte fie ihn damals
gleich tennen gelernt. Und jobald fie ibn
erblidt, batte jie gewußt: für diejen Augen:
blid ward ich ein|t geboren, auf ihn bab’ ich
unbewußt mein ganzes bisheriges Leben lan
gewartet. „Anfänglich tat es mir leid, dab
er bid) damals nicht mehr gejeben,” jagte
fie jet zur Freundin, „aber,“ und ihre Stimme
ward leifer, „nachher ... weißt bu ... da
war es mir fogar lieb: denn wie hätte er,
oder irgend jemand, mid) wohl neben dir
beadjten folen? Und das erleben zu müffen
... Und grade durch bid) ... ich Hatt’ es
nicht ertragen.“
Bleich, wie aus Stein gemeißelt, hatte die
Fremde gelaujdt und nun jagte fie mit jelts
jam gezwungenem Lächeln: „Das, Liebjte,
war wohl ein recht überflülfig Sorgen. Nach
allem, was id) von ibm ... erfahren, war
er bod) jemand, der rajch und genau er:
fannte, weljen Art zu ihm taugte. Hat es
ja auch bewiejen, da er bid) Motori gewählt.
— Uber nun,” bat [ie begierig, „erzähl’ mir
weiter.“
Und mit leilen Worten berichtete bie
Trauernde, wie er und fie, beide einfam,
beide nicht mehr jung, fic) dann in bem
fremden Lande jchnell näher getreten waren
und wie fie vereint ein fpátes Gliid gefunden
Leite Aber nur wenige Jahre des Zus
ammenjeins wurden ihnen bejchteden. Dann
war er gejtorben. Doh fie batte fih nicht
von bem Orte trennen tónnen, der bie hohe
Zeit ihres Lebens geliehen, Kei bier feit-
dem ein ftilles, weltvergejjendes Dajein.
„sn diefem Tempel,“ fagte fie, „wo ich bas
Blüd gefannt, babe ich, nachdem ich es vers
loren, tvenigltens feine bejcheidene Schweiter,
die Rube, gefunden.“ Dod) dann, als habe
fie zu viel von [id felbft geredet, frug fie
nun ibrerfetts voll warmer Anteilnahme:
„Aber du jelbjt? Mie ift es dir ergangen,
jeit du damals gar jo plóglih weiterfubrit?
Sch weiß eigentlich jo wenig nur von oir."
Der anderen Antlig verdüjterte fic. Tras
e nod bie Züge. Finfter ftarrend bie
ugen. Und ausweichend antwortete fie:
„Bon mir? Was foll ba viel, zu wijjen fein?
Immer dasjelbe: Reifen, Reifen.” -
Es war tiibler geworden. Abendwind
webte. Die beiden Frauen traten hinaus
auf bie Galerie vor der Halle. Bon da fah
man über die Baumeswipfel und die bunten
Dächer der niedriger gelegenen Tempelbauten
hinweg und hinab auf bie weite Ebene tief
unten. Am fernen Horizonte ftanden grau
und verihwommen die lImrijje der Pefinger
Mauern und Türme Man fah fie nicht
deutlich; es war mehr ein Ahnen, daß dort
eine große Gtadt mit ihren vielen Leiden
liegen mijje.
Ein feltiam weltentrüdtes Empfinden
überfam Die Fremde, und in der Stille hörte
fie wieder der wilden Tauben Birren: „Rus
furu, rufuru.” Gie lehnte fih über bie
Brültung und faujdjte ihnen; dann jagte fie
leije: ,SUtir ift, als riefen fie mir zu: Ruhe
bu, ruh, ruhe aud du!‘ Ach, wenn id) es
bod) könnte!” — —
Es war dann aber, als folle die Raftlofe
bod) in bem Tempel etwas Rube finden.
Cie blieb länger als fie anert gedacht und
teilte der Trauernden trüumerijd) einjames
Leben. Stundenlang jaßen fie an dem fleinen
Teiche, den der Gebirgsquell bildete; i eol.
Bambuszweige Dingen darüber; große Golds
fiie mit jeltiam gezadten Floſſen lagen
träge im Waſſer, ftarrten zu ihnen aus
laligen Glogaugen auf. Sujammen ftiegen
Be empor zur weißen Pagode, erblidten von
dort oben Reihen auf Reihen langgejtredter
Bebirgszüge, die, Wellenlinien gleich, in die
Unendlichkeit zu fluten fdienen. Zujammen
aud) [tanben de in der beiligiten ber Hallen,
wo bie drei Buddhas der Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft thronen, ganz gleich,
ein und dasjelbe alle drei. Und zu ihnen
aufichwellend das Murmeln der Mönche,
uralte Gebetsworte in eintöniger Wieder.
holung, wie bas einichläfernde VBorbeiraufchen
eines Stromes. — Ein Ahnen der Bedeus
Si oli do aller Erjcheinungsformen —
weil nie endgültig — Itieg von dem allen
auf, lag über dem ganzen Tempelgelánde
wie geiltige Atmojphäre gebreitet. Bilhnzen,
Tiere, Berge, ober auch Menſchen mit ihren
Leiden und Freuden, was waren fie denn
mehr als folh ein Wort, bas der Priefter
jpridt, bas eine Gefunde tönt unb aljobalb
perballt. Scheinbar als jet es nie gewejen.
Und bod) — vielleiht — wie alles übrige,
wie Kleinftes und Größtes, wie jede Schuld
404 Ez] Clijabeth von Heyting: Im Tempel zu den fpáten Gliidfeligteiten BZZ
unb alle Giihne, auch Teil eines ungebeuren,
noch unbegriffenen Planes, aud Ergebnis
eines unabänderlichen Gejegeswaltens, vor
dem es fein Entrinnnen, nur ftilles Sid:
fügen, Sidhwandelnlajjen gibt. — Wer ver:
mode es zu jagen! —
Eine Wirkung aber hatte old) $Oftgebadjtes,
bas in ber Luft bes Ortes zu jchweben Idien:
Unraft jacht einwiegend, Auflehnung fanft
betäubend, Schmerz unmerflid) mildernd —
jo umwob bie Fremde leije bes Ditens ge-
heimnisvoller Zauber. Und es freute {id
Pellen bie Tempelbewohnerin, hielt bie Ges
peste ihon für erlóft von langem, ſchwerem
anne,
Dod dann plößlich ward jene von neuer
Rubelofigteit erfaßt. Es war als wolle fie
bleiben und würde bod) von unverjöhn-
liher Macht weiter gejagt. Die Bitten der
Freundin nügten nicht, jchienen fie nur zu
ſchmerzen.
So war der letzte Tag, den die Reiſende
verweilen wollte, gekommen. Noch einmal
hatten die beiden Frauen zuſammen die
heiligen Haine durchſtreift. Nun waren ſie
ee mit Herbjtblumen und roten
anten beladen. Jn der Halle ordnete die
Tempelbewohnerin die großen Sträuße. Die
Meitgewanderte lehnte müde in einem Geffel
und jchaute zu, wie die Freundin die ſchönſten
der Blumen in einer hohen Baje vor den grim:
migen Krieger mit der Fledermaus ftellte.
„Unter all bem Gpuf jdjeinjt du biejen zu
bevorzugen,“ jagte die Reijende, „und er
ſchaut bod) fo graujam bcein und vergeudet
jo viel Kraft gegen eine arme Fledermaus.“
„Er tut mir immer fo leid,“ fagte Die
Freundin.
„So leid?“ wiederholte ftaunend bie
Fremde, „ja, hat denn das Jeftjame Bild-
werf einen verborgenen Ginn? Sch wollte
did) lángft Ihon danach fragen. Heut an
meinem legten Abend bei dir mußt du mir
davon erzählen.“
Die Tempelbewohnerin antwortete: „Der
Krieger ift der Held einer chineſiſchen Cage,
die mir immer recht traurig und eigentlich
unbegreiflid) erjdienen ijt. Yad ihr foll
diejer Tempel wahrjcheinlich feinen Namen
‚zu den jräten Blüdijeligfeiten‘ erhalten haben.
Der Krieger, e ward mir erzählt, zog aus
und kämpfte fein ganzes Leben lang, um
das Glüd zu gewinnen, aber er fonnte es
nie finden. Da endlich, nad) langer, langer
Beit, fam es zu ihm geflogen in Gejtalt
einer Fledermaus, Die ja das dinefifde
Glidsjgmbol ijt. ber allzu graujame
Wunden trug er vom Leben — zu ſpät war
das Glück gekommen! — Darob geriet der
Krieger in ſo große Wut, daß er ein letztes
Mal ſein Schwert zog und die Fledermaus
tötete. — Nicht wahr, das klingt doch recht
unverſtändlich?“
„Das finde ich nicht,“ antwortete die
Fremde mit ſeltſam gequältem Ausdruck,
„denn es kann doch geſchehen, daß das Glück
wirklich zu ſpät kommt.“
„Aber auch kurzes Glück ijf bod) nicht zu
ipátes,” entgegnete bie Berwitwete. , Vir
will jdjeinen, wann immer es zu uns fame,
ob wir es am Morgen des Lebens in ber
oema fánden, vb es uns abends in der
remde begegnete, und wenn wir es aud)
nur eine einzige kurze Stunde beligen tönn
ten — immer doch würden wir ihm in Dant:
barkeit bie Hände entgegenftreden und es
willtommen beißen.“
Die Trauernde jhwieg. Aus einer fernen
Tempelbale eridjollen dumpf bie erften gleich:
mäßigen Schläge der großen Tempelglode,
die Stunde bes Wbendfultes fünbenb.
Aber die Frau mit den tragijhen Zügen
ftarrte aus büjter umjchatteten Augen in die
gerne und leije wiederholte fie: „Dem Glüd
in Dantbarteit die Hände entgegenitreden
und es willfommen heißen? ... Ach, wie
hab’ ich mich einft gejehnt das auch einmal
zutun!... Aber dann... dann... ja, wie
fonnte es nur geldjeben, daß ich es nicht
mehr durfte? Wie war es denn moglid) ?"
Laut binballend dróbnte jest bie Tempel:
glode, und es Hang wie Klage und Antlage
vereint. Einer Geberin gleich, vor ber eine
Nifion aufiteigt, beugte bie fremde Frau
e vor, ins Keere blidend, Und langjam
egann fie. zu [predjen, [udjenb, als bejänne
fie fih erft allmählich auf eine alte Mär,
als fei bie ganze Welt um fie ber verjunten,
unb fie rede allein zu fih jelbit: „Geſchmückt
hatt’ ich mein kleines Haus mit vielen Früh.
lingszweigen, gejymüct mid) jelbjt mit Blu-
men im Haar. as Herz voll Hoffnung
unb Zuverjicht, jo harrte ich froh auf ben
Gajt, ber mir der ficherite bünfte: bas Blüd.
Und niemand follte drum Leides gejchehen,
jo fróblid) wie ich wollt’ ich gern jeden jeben.
Denn id) wábnte, die Welt glide bem Blu:
menfeld, drauf Blüten fiir alle jprießen.
Dod während id) jo nad) dem Blüd aus:
[aute und ibm im Herzen mande Ehren:
pforte erbaute, da fam in das Haus ein
gan anderer Gaſt geichlichen. Es war ber
eid, der fid) an mid) ftabl, nicht weil ich
Glück [don errungen, nur weil td) fo froh
ibm entgegengejungen. Dann jab id) jtaus
nend, wie Gajt auf Baft in grauer Reihe
ies Mit bittrem Lächeln um den herben
tund eröffnete ben Zug eine Alte: die Ent:
täufhung wurde fie genannt, und wo ihr
Blid eine Blume traf, erblichen alle Farben.
Dann fam der nagende Kummer mit langem
Zahn, das Warten und ber vergeblide
Wahn. Daneben eine jchlotternd magere
Frau, umgeben von weinenden Rindern:
bie Sorge war es mit ihrer Brut, den zahl:
lofen, fd)laflofen Nächten. Ob, wie mid) die
gepeinigt haben! Wie mich alle mit Grauen
erfüllten! — Aber im Herzen wohnte ja nod)
bie Eehnjucht, bie große, und fie Jang vom
Blüd, das Häer bald zu mir fame. — Dod
jtatt des Glüds troh eine Schlange heran,
die giftgiingige Berleumdung. Cine Schar
ſcheußlicher Zwerge, die Lügen, führte fie
an; die [hoffen auf mich mit |pibigen Pfeilen.
pl» Otto Wohlgemuth: Deutide Auswanderer 1921 B222XX43 405
Wie id) da verwundet zulammenjant und
ſchluchzend aum Glide flebte: ‚Eil’ dich, et?
did) und laß mich nicht elend verjhmadhten!‘
— da nabte fid) mir der Ungeheuer ſchlimm—
ftes: es war die Schuld, der Menjchheit ur:
áltefter Schatten.
"Bas feinem gelungen, bas vermochte
die Schuld: fie warf mich gelnechtet zu Bos
den. Und unter ihrem eijernen Griff erftarb
die Sehnjudt, bie große, die bis dahin auf
—— mich getragen. Als erft bie
Schuld im Haus gewohnt, folgten ihr que
emfig webende Spinnen; bie jpannen 9tebe
fo dicht und fo grau, daß fie mein ganges
Leben bebedten. Die Epinnen waren beide
Töchter der Schuld: Bereinfamung hießen
fie und Berurteiltjein.
„Wie lang die Zeit wábrte, bie alfo ver:
firi, — id) = es nicht mehr, denn das
tagezählende Hoffen war in mir erlojchen. —
Da ploglic& eines Morgens pochte es laut bet
mir an; bas Tor jprang auf an rojtigen
Angeln; die büjtern Gajte entfloben. Das
ganze Haus von Glanz durdftrablt und in:
mitten bes Cdjeins eine lichte Gejtalt! Gie
hielt bie Hand mir entgegen und |prad) mit
jaudgender Stimme: ‚Ich bin bas Gliid, bas
deine Cehnjucht rief, id) tomme dich mit mir
zu führen.‘ |
„Ih aber jdjaute bas Glüd mit leeren
Augen an. (eine Worte hatten feinen Sinn
mehr für mid. Gie flangen wie Don in
meinem Jammer. ach bid) hinweg!‘ Jchrie
id) auf, ‚du fommit zu ſpät — nicht rein
mehr find meine Hände.‘ — Wie der jagen:
bafte Krieger dort wollt’ ich den jäumigen
Gaſt verjdeuden, als ob id) ibn BaBte, —
unb im tieflten Herzen hoffte id) bod) —
adj! wie Ai, — daß er trog allem nicht
von mir lajjen wiirde.
„Und wirflid — einen Augenblid blieb er
zaudernd [ieben: folte jid) Sehnſucht nod)
erfüllen? Dod als id) weinenb ibm [bon
u Süßen ftiirgen wollte — da wandt’ er
ih ab. —
„Das Blüd floh mid) für immer.”
Die Fremde fdwieg. Lautlos [till war
es in ber bümmerigen Halle. Die ferne
Tempelglode war verftummt. Draußen rübrte
Sterne fallen vom Simmel nieder,
fahrende kichter und fremde Lieder,
Dumpfdunkel iit die Zeit und ſchoer.
Stimmen irren im heimlidien Grauen,
Drückende [lebelídiwaden brauen,
Es welken die Herzen, die Blumen.
Das Unheil iteht wie eine Wolkenwand,
Heimat, Heimat, armieliges Land,
Still, Weib, nicht Rouen, nicht zittern.
Gefühllos, wohin die Augen fehn,
Hn die Perzen greift ein traurig Geichehn,
Ach, einmal muß fich alles erfüllen.
Deufifie Auswanderer 1921. Don Otto Wohlgemuth
(td) fein Blatt an der Bäume Mipfel; bie,
Pagodenglödchen Dingen unbeweglich; bie
wilden Tauben gurrten nicht mehr. '
Dod) durd) das tiefe Schweigen Hong nun
die Stimme der anderen Frau: „Wie ijt bas
nur mógli? Ich tann es nicht fallen, daß
je einer von dir zu gehen vermochte, der
gefühlt, daß du fein Bleiben erjehntejt. Wer
war es? Willſt bu's mir nicht anvertrauen?“
Der Fragenden im Zwielicht verborgen,
ging da plóglid ein Buden über bie Züge
der Fremden, und in ihren Augen lobte es
unbeunlid) auf. Doch wie rajh erftidtes
Büngein drohenden Brandes verjant aljos
ald die gefährliche Flamme. Mit erloſche—
nem Blid binjtarrenb, wo das Bildnis auf
dem Schreibtitch der Freundin im zunehmen:
ben Duntel jebt wer und mehr verjdjwamm,
jagte jie tonlos: „Wozu Schatten ber Ver:
gangenbeit mit Namen nennen ? Es war einer,
der fid) felbft tannte und wohl wußte, daß
ibm bie Märtyrerfrone zu |djmer geworden
wäre, bie zu tragen bereit fein muß, wer,
fih erbarmend, andere von ihrer Schuld er:
Idjen will. Nach eigenem Gliid, ftill, tampf:
los und Har, ftrebte er, — und hat es dann
auch gefunden bei einer, die ihm gerade das
zu jchenten vermochte.“
Wieder bas tiefe Schweigen, beflemmend
Ihier in ber nun völligen Duntelbeit. Dann
nod) einmal, aus der tiefen Finjternis tom:
mend, die müde Gtimme der Unjeligen.
Wie ein Taften auf qualvollem Wege: „Da:
mals bat mid) die große Raftlofigteit erfaßt.
In meinem Haufe duldete es mich nicht mebr.
Sc ſchloß es ab. Wandere Jeither unjtet
über die Erde, einjame Wege. Seh’ überall
Leere. Nur manchmal auf langen Meeres»
fabrten, wenn nadjts die Wogen gegen das
Schiff iblagen, und id mid) über bie
Brüftun jene: glaub’ id) aus ber fhau
rigen Tiefe ein Antlig mit ewig geöffneten,
liderlofen Augen zu mir aujfdauen zu leben :
es ift die Berzmeitfung. Tod) aud) fie fürchte
id) nicht mehr. 3d) barre ja nur nod) bes
legten aller Gáfte, des Gajtes, für den wir
niht zu Haus zu bleiben brauchen, ber uns,
wo immer wir auch feien auf der weiten
Welt, finden wird zu feiner Stunde,“
Wir fühlen, wie das kand, das unler war, itirbt,
Was Geichlechter gebaut und gegraben, verdirbt,
Wir múfien von dannen, von dannen.
Die Toten, die Toten im Helmatgrunde,
Die Bäume, die wir pflanzten, o [were Stunde,
Und unire hungernden Kinder weinen.
Was wir geliebt, idıwebt her und Idiwebt hin,
Was wir gewollt, iit hin, iit dahin,
Es wird keiner nadı uns fragen.
Den Himmel überzieht eine dunkle Macht,
Wir willen wohl, was uns fo unglücklich macht, —
O Scheiden, du bitteres Scheiden.
Goethe in Heidelberg
on Ludw ig Sternaux
Qenit man an Goethe und Heidel:
7 berg, jo flingen aus ber Erinne:
SL rung x oy zwei Frauennamen
Geet ili und Marianne. Die
dieje Namen trugen, fie haben
beide, nun von Legende längjt in Sphären
ber Verklärung entriidt, bas Herz des Dich»
ters bejejjen . . . bie eine, felbft im vollen
Glanz der Jugend prunfend, das bes Jüng—
lings, der wild ins Leben [türmte, „der
Wunder bang, von Sehnjudt ſüß bedrángt”;
die andere, eine „Frau von dreißig Jahren“,
bas des Mannes, bem [hon ber Lebensabend
nabte. Und — war beidemal die
Stätte, da die Entſcheidung fiel: ſie hieß im
Y,
ED)
einen wie im andern Fall Entjagung.
edar nad)
Dod) laufen Fäden aud) vom
ber Ilm, und Unrecht wäre es,
nidt aud Cbarlottens und
Chrijtianens zu gedenfen, um die
jo viele Sebnjud)t Goethes flog.
w 88 CH
Das war ein bunter Tag aus
andern bunten Tagen, als
Goethe zum eritenmal nad
Heidelberg fam. Denn er tam
nicht allem. Drei wilde Ge:
jelen begleiteten den Dichter bes ‚Wer:
ther‘: bie beiden Gtolbergs, bie Brüder
jener Augufte, der Goethe die Jchöniten
Briefe feiner heißen und verworrenen Ju:
gend gejchrieben bat, und ein Graf Haug:
wif. In Sturm und Drang fegten fie
durch das veritörte Land, bas ihnen, Ort
für Ort, entgeiftert nadftarrte, und riffen
Goethe mit. Den lodte mehr als ihre un:
gebárdige Art das Ziel der wilden Reife:
bie Schweiz. Aber immerhin — wie jdjón
more bod), ber Feſſeln ledig, bie bie zwie-
jpaltige Leidenſcha u Lili Schönemann
ihm auferlegt, durdys Land zu fdweijen, im
blauen Werther: Frad und in Etulpenitiefeln,
unb wenn bie Kameraden, aller Gitte jpote
tend, ben Philiftern in Mannheim und Darm:
ftadt lange Naſen drehten, jo machte er nicht
gerade ungern mit. „Wir pier," heißt es in
einem Briefe des älteren Stolberg an feine
Schweiter Katharina im fernen Dänematf,
„lind bei Gott eine Bejellichaft, wie man fie
von Peru bis Se umjonjt Juchen fonnte",
Ziele Bejelljchaft, bie in Frau Ujas Haus
in Frankfurt — man dente: bielem wohl:
fundierten Patrizierhaus — lärmend ,nad)
<Tyrannenblut geledjat", hatte bie Mainftadt
am 14. Mai 1775 verlafjfen. Merd in Darm:
ftadt, ein bejonnener Freund, hatte bie vier
Genies argwöhnijch betrachtet: „Daß du mit
diejen Burjchen zieht,“ batte er zu Goethe,
dem einzigen, Der wirklich ein Genie war,
gelagt, „ilt ein Dummer Ctreid), du wirft
Auf ber Terraffe bod) gewólbtem Bogen
Mar eine Beit fein Kommen und fein Gebn...
Marianne von Willemer.
nicht ande bei ihnen bleiben. Deine unabs
lenfbare Richtung ift, bem SBirtliden poe
tiſche Gejtalt zu geben; die andern fuen
bas fogenannte Poetijde, das Imaginative
zu verwirklichen, und bas gibt nidts als
dummes Zeug.“
Bittere Morte! Deren Wahrheit und
tiefen Ginn Goethe Balb erfonnte, halb ver:
neinte und die er damals, jelbjtverjtändlich,
in den Wind jchlug. Aber als er, ein Men:
ichenalter ſpäter, pis is] unb Wahrheit
nieberjd)rieb, batte er ihre Sdidfalstraft an
Leib und Geele erfahren, dort bat er [ie denn
e: verewigt.
a, es war ein bewegter Tag, der 16. Mai
1775, als bie vier ungleich » gleichen Fahrt⸗
gelellen in bas abenblidje Heidelberg ein»
sogen; bie guten Heidelberger
mögen niht jchlecht geftaunt
haben, als dies Quartett fins
peut und biitejdjwenfend durd
ie ftillen Straßen marjdierte,
Geftalten faft aus einer anderen
Welt. „Nun gehen wir hin,“ ers
zählte ber immer jchreibluftige
Chrijtian Stolberg ber Schweiter
andern Tages, „das weltbe»
riibmte Heidelberger Faß zu feben...” Ta:
türlid)! Da 's nidt Tyrannenblut fein
fonnte, nahm man mit Ntedarwein vorlieb,
und wie in Mannheim trant man in lautem
Rundgelang auf das Wohl der Geliebten
unb zerihlug nachher bie Glajer...
„Liebe Lili, wenn ich bid) nicht liebte!”
tónte es wohl damals ¡Hon in Goethes Her:
zen. Sehnſucht quálte den guten Jungen,
trieb ihn nur zu oft aus dem lauten Lárm
ber Zechgenojjen. Und ba winfte denn am
Markt ein ftilles Haus, ármlid anzujehen
nur mit feinen zwei Senjtern Front und
dem niedrigen Dad): das Haus Der guten
Temoijelle Delph winfte Troft und bradte
Troft, jo verjtört der Kopf aud) war, in dem
Wein und Liebeszweifel gleich ftart rumor:
ten. War fie, eine Gejchäftsfreundin bes
Cdónemannjdjen Haujes, es bod) gewe'en,
bie feinerzeit bie Hände Lilis und Goethes
ineinander gelegt batte! Go modte fie aud
jeben, was fie angerichtet, modte Gluten
dämpfen, die fie Lg entfadt ... und
Ausklang bieles erften flüchtigen Aufent:
alts in Heidelberg waren Morte Der
lage und Anklage, von der altlidjen Junge
Gi topfichüttelnd angehört, derweilen Die
Freunde des Beichtenden oben im Burgfeller
lármten.
Aber der andere Tag jchentte [nel Vers
AS und über Karlsruhe, wo Rlopjtod
eſucht wurde und Goethe, [terngebunben,
zum zweitenmal dem jungen Tbronerben
FEEEEEEEEA Ludwig Sternaux: Goethe in Heidelberg B=33333353 407
von Sadhjjen: Weimar begegnete, ging’s nad)
der Schweiz zu Lavater.
88
8
,Siebmürts" blidte Goethe nod, als er,
Adal tdi aus der Schweiz, Frankfurt
iegen fab: wartete feiner dort doch Lili, die
d erfebnte. Dod wenige Wochen jpáter
oh er, von feinem Dämon getrieben, bie,
um die er nod) vor furzem fo gebangt. „Ber:
ebens," batte er am 3. Auguft bieles fhid-
alsvollen Jahres an Augulte von Stolberg
eld)rieben, „Daß ich drei Monate in freier
uft herumfubr, taujenb neue Begenftände
in alle Sinnen fo . id) fie wieder in
Offenbad, jo vereinfadt wie ein Kind, fo
beichräntt als ein Papagei
auf der Stange... alles wirrt —
Da blieb nidjts übrig als
Bruh und Flucht.
Dazu jagten fid) andere
Greignijje. Am 21. Septem-
ber, einen Tag nad) der Ent:
lobung, hatte ibn Carl Auguft,
jest Herzog geworden, durch
Handihlag an fig gebun-
den: Weimar, fremd und un:
befannt, wartete. Der 12. Ot-
tober erneuerte bie Einla:
bung. Goethe, bes Herzog:
lihen Wagens barrend, der || 2E
ibn nad Weimar bringen * zi
eid. machte fid) reijefertig. ~%
ber der Wagen tam nicht. SPA
Spott bes Baters, eigene «>
Scham, dazu das qual:
volle Gefühl, Lili, die immer noch im
ftillen Geliebte, fih verjcherzt zu haben,
trieben ihn, bei Nacht und Rebel, aus
ber Baterjtadt. Italien folte Vergeifen und
Linderung bringen: „Lili, adien Lili, zum
¿weitenmal!”
Und erjte Zuflucht war wieder das jtille
pous oer guten Demoijelle Delph in Heidel»
erg.
w WW 8]
Im Mat war Heidelberg an Goethe vor:
beigeglitten wie ein Traum. Debt erlebte
er es wirflid. Erlebte Herbittage, die Gold
unb Truntenheit über Stadt und Schloß
Ihütteten. Die Berge ringsum brannten.
Schon das Tagebud), bas er von nun an
führte, war unterwegs, an der — e
bet ,omindjer Überfüllung bes Glajes” be:
onnen worden; im Gajthaus in Weinheim
Bate er, wie dasjelbe Tagebuch berichtet,
vor „Herbjtbutten und Zuber” nicht den Weg
gum Wirtszimmer finden fonnen; nun geriet
er in Heidelberg mitten in Die Weinlefe bin:
ein. „Elſaſſiſche — lebten in ihm auf.
Die Handelsjungfer Delph tat alles, den
Bekümmerten zu zerſtreuen. Tat's mit Er—
folg. Sogar ein neuer Heiratsplan erwachte,
neue Mädchenſchönheit bedrängte das noch
wunde Herz, das Lili nicht vergeſſen konnte.
Das Leben lächelte wieder.
Aber dann kam eine Nacht, der erſte rauhe
> . c
fi in einen Schlangenfnoten.“ IER ZELUS
Wind rüttelte an ben Fenfterláden, unb in
den Garten rajdelte bas welfe Laub, da
88 war der alte Mißmut wieder rege geworden.
Unfrudtbares Geſchwätz mit ber Delph hatte
die [hon halb begrabenen Zweifel aufge:
Hört: nun quälte das Bild Lilis, quálte
die eigentümliche Weimarer Gej[djid)te, eine
tolle Gejdjid)te, wenn man fie recht betrat:
tete, den einjamen Cdjláfer. Leije ächzte er
im Traum. |
.. Da Hang ein Pofthorn in bie Stille, ein
jábes Klopfen brad) das ſchlafende Haus auf.
Türen flappten, Licht fuhr eilig bin un
e Und dann trat die Delph, notdürftig
ergerichtet, in des Gajtes Rammer, in der
Hand einen verfiegelten Brief:
Gtafette aus Frankfurt. Weis
mar rief!
Und bas Sdidjal erfüllte
fid): der nad) Italien Hatte
wandern wollen, eine franfe
Liebe im Herzen, er 30g nad)
ber bejdjeibenen Ilm, einer
neuen Liebe entgegen, neuer
Dual und neuem Raufch, weil
es die Sterne jo wollten. Die
Gonnenpferdeworte aus dem
‚Egmont‘, ficherlid) nicht ge»
proden, als Goethe damals
n der gleichen Naht nod)
Heidelberg verließ, aber Rer,
lid) dem Ginne nach emp:
ée gaben das Geleit.
nd der Goethe, der fpäter
aus der Erinnerung dieje ers
eignis|djwere, geheimniser⸗
CH e füllte Nacht in ‚Dichtung und Wahr:
heit‘ jchilderte, ber formte gleichzeitig
jene ‚orphilhen Urworte‘:
Wie an bem Tag, der bid) der Welt verliehen,
Die Sonne ftand zum Grube ber Planeten,
Bift aljobald und fort und fort gediehen
Nach bem Geſetz, wonad bu angetreten...
An bem jdjmalen, unjdeinbaren Haufe
der Demoijelle Delph aber e der, der
Augen pe derartige Dinge hat, heute eine
Tafel, ie da meldet: „Aus diejem Haufe
feiner mütterlichen Freundin Dorothea Delph
reijte Goethe, der Einladung Carl Augults
folgend, den 4. November 1775 nad Weimar.”
Die Heine Tafel gibt Runde von dem wich»
apt Borgang in Goethes ganzem Leben.
Aber der Alltag treibt daran vorbei, und
taum einer ftebt einmal [till und verjucht,
bie ungeheuere Bedeutung diejer wortfargen
Inſchrift aud) nur zu begreifen.
88 8
Und die Jahre ſtürzten. Die Ufer der
Ilm wurden dem Fremdling Heimat. „Gott
im Himmel, was iſt Weimar für ein Para—
dies!” jubelte Goethe aus Mannheim Char»
lotte von Stein zu, als er im Dezember 1779
von der zweiten Schweizer Reife zuriidtebrte,
die er mit dem herzoglichen Freund zujam:
men unternommen. Gie hatte ihn auch nad)
Heidelberg geführt, und nachdenklich war der
nun Dreißigjährige durch die Gaſſen gejchlen»
PE Zem n" Cep
^. a e ae ' |", $, d ce
E > : D E a g
408 Ludwig Sternaux: BSSSSSSS3333333I
dert, Die er vor vier pedes verlajjen hatte,
um ins Ungewilje zu pilgern.
Wie hatte fid) feitvem die Welt verändert!
Nicht die Welt Heidelbergs; die war, mit
— und abendlich beglänztem Fluß,
mit ihrer alten Giebel Flucht und Herbſtes—
Baud), bielelbe geblieben; aber feine Welt
war eine andere geworden. Lilis Bild, einft
füße Qual, hatte das neue Charlottens ver:
drängt: ruhig hatte er die frühere Geliebte,
jest Frau von Türfheim und gliidlide Mutter,
D unb [predjen Tonnen, Auch Friederike
batte er in Sejenheim bejucht, und fein Herz
war unbewegt geblieben: „Da ich iezt jo
rein und [till bin wie bie Luft, fo ift mir ber
Athem guter und ftiler Menjchen febr
willtommen,” hatte er Frau von Gtein ge:
Der Jiingling war eben zum
Mann geworden.
Noch einmal hatte Heidelberg ihm nun
die Erinnerung dumpfer Jugendtage ge:
idjenft, bas bródelnde Schloß ihm von ben
Gejellen erzählt, mit denen er bier einft in
feliger Torheit fraftgenialijd gelármt, bas
Heine Haus der Demoijelle Delph ihn an
die Nacht gemahnt, da ibn bas Pofthorn
aus Schlaf und wirrem Traum gejagt. Es
war einmal! Das Honn in unfihtbaren
Lettern auch unter jener Zeichnung Des ges
iprengten Turms vom 23. September. 1779,
die ihn nun nad Weimar begleitete — ein:
giges Zeichen biejes Aufenthalts in Heidel-
von 1779, das wir beſitzen.
nd ber es in verjonnener Stunde ange:
fertigt, der war nicht mehr der wilde Dichter
bes ‚Böß‘ und des ‚Werther‘, jondern der
Geheimrat Goethe, WE Ne Hand und Ein und
Alles Carl Augujts. Denn am 6. September
. bieles Jahres hatte der Herzog wider allen
Braud und Gitte dem bag Verwunderten
den ,Gebeimdenraths Titel‘ gegeben.
Goethe an Chrijtiane aus Heilbronn am
28. Auguft 1797: „Den 26., an einem außer:
ordentlich Haren und jchönen Tag, blieb id)
in Heidelberg und erfreute mich an der jchö-
nen Lage der Stadt, bie am Nedar zwijchen
elfen, aber gerade an dem Puncte liegt,
wo das Thal aufhört und die großen Frucht:
baren Ebenen von der Pfalz angehen.“
Goethe an Gbrijtiane ... ja, in ben adt:
gehn Jahren, bie jeit der zweiten Schweizer
eije ins Land gegangen waren, hatte jid)
das Leben des Dichters wunderlich genug
geftaltet. Vieles war längjt wieder zu Traum
und Vergangenheit geworden, was einft bes
glüdende und quälende Wirklichkeit, jonnen:
reidjes Heute gewejen. Wo war Charlotte
von Stein, Die gütige, die liebevolle Befähr:
tin in fo manden Wirrnijjen? Wergejjen?
Mein. Aber fie hatte es nicht ertragen tön-
nen, daß eine Gbrijtiane Bulpius an ihre
Stelle trat, als Goethe 1788 verjüngt, ein
neuer Menjd) mit neuen Anfichten und Sebn:
jiidten, aus Italien nad Weimar heimfehrte,
unb batte fih grollend qp — Dann
war gwar wieder aus ber Mißgunſt, die
neidijd) das friedliche Gliid am ¿¿rauenplan `
bejchielte und behechelte, eine blajje Freund»
idjaft geworden ... der Heine Auguft, Chrijtias
nens Sohn, hatte ben E zum Herzen der
Verbitterten gefunden. Aber die alte Liebe
blieb geftorben: Chriftiane, jo wenig fie, ein
bejcheidenes Naturfind aus fleinbiirgerlicen
Verhältniffen, auch geiftig mit Charlotte
wetteifern tonnte, war in menjchlicher Hin-
fidt bie Nachfolgerin Lidas. Und Diele
lebte eigentlich nur nod) als —— und
Eleonore in Goethes ewigen Dichtungen.
Sonſt war ſie eine Tote, das Haus an der
Ackerwand eine Gruft. =
Un wen alfo folte Goethe jchreiben, wenn
er auf Reifen war? An Gbrijtiane, die Frau.
Denn wenn Chriltiane dies vor ber lt
aud) nicht war, erft 1806 wurde, für Goethe
jelbjt war fie eg lángft nicht mehr das
„arme Geſchöpf“, dem er Empfindungen
ónnte, fondern bie Frau, die Mutter feines
obnes, bie er mit voller Inbrunft liebte,
Aus bielem ruhigen Familienleben heraus
hatte er, alter Sehnſucht folgend, eine neue
Schweizer Reife vorbereitet, eine dritte, und
vielleicht follte fie gar, zum großen Summer
Gbrijtianens, nad) Italien führen, Am?7. Juli
1797 meldete er dem Freunde Heinrich Meyer
nad) Stäfa am Züricher Gee, er würde bald
„io los und ledig als jemals“ fein. „Ich
gebe jobann nad) Frankfurt mit den Meini:
gen, um fie meiner Mutter vorzuftellen, und
nad) einem furgen Aufenthalt ips id) jene
urüd unb fomme, Cie am fchönen Gee zu
nden...” Und fo gejdah’s.
Frau und Kind wurden der ftolgen und
erührten Großmutter gezeigt, zwei Tage
ba wieder nad) Haufe gejchickt, nad) kurzen
Wochen verließ aud) Goethe Frankfurt, um
über Stuttgart und Tübingen nad Zürich
zu reifen. Und auf diejer Reife tam er dann
auch, zum viertenmal, nad) Heidelberg.
Nod wohnte die „mütterliche Freundin“,
die Beraterin feiner Jugend, in dem Kleinen
Haus am Markt, alt geworden, aber nicht
weniger unterbaltjam. Und mod) einmal
ftand wohl tote Zeit auf, da er fie bejuchte.
Aber im übrigen hatte er vergejjen und
wollte auch nicht erinnert fein. Sein Auge,
das in den verfloffenen Jahren fo vieles ge:
leben, jah je$t das Leben anders an, ruhig,
leidenichaftslos, von der hohen Warte des
in Stürmen und Rampfen gereiften Mannes,
des Dichters, den eine Welt bewunderte und
beneibete, bes Sammlers vor allem, der feine
Akten: und Schränfe bereichern wollte. Was
jollte ihm ba das Geftern ?
"30 ging in die Stadt zurüd, eine Freun—
din zu bejuchen, und jodann zum
Dbertor hinaus,“ heißt es über
Heidelberg in ber Reije in die
410 BS: —::] Ludwig Cternaux: seess
Gejelligteit erlebte. Und wieder liebgewann.
Bis dann enblid) ein Brief aus Heidelberg
vom 28. September Chrijtiane meldete: „Bei 8
Boifferées fand ich bas lieblidjte Quartier,
ein großes Zimmer neben der Gemálde:
beer . Auguft (— denn Auguft Hatte
a von 1808 bis 1810 in Heidelberg ftudiert —)
wird fid) bes Cidingildjen Haujes erinnern
auf dem großen Plate, dem Schloß gegen:
über. Hinter welchem der Mond bald herauf:
fam unb au einem freundlichen Abenbeffen
leuchtete.“
Und jo weiter, Tag für Tag, Bilder bes
Ichauend, jpazierengehend und aud Grinne:
FARBEN nicht ausweichend. Denn wenn er
ba ber fernen Hausfrau erzählt, wie ihn an
einem Oftobermorgen der hönfte Sonnen:
Ichein früh aufs Schloß gelodt, wo er fid) „in
dem Labyrinth von Ruinen, Terraffen und
Bartenanlagen ergößte und bie Deiter[te (De:
end abermals zu bewundern Site
Bate", jo muß bem alten Herrn bie Bers
— genaht ſein, Vergangenheit „mit
allen Rauſch- und Tránengaben”, und aus
ben zerfließenden Herbftnebeln muß ihn, wäh:
rend rings bie Raftanien fielen und herber
Odem die alten Mauern umftrid, das Bild
Rilis an aben...
Das Bild Kilis? Oder lächelte nicht viel-
leicht bem Verjiingten ein neues Frauenbild?
ieder gibt ein Brief an Chriftiane Aus:
tunft, am 8. Auguft aus Wiesbaden abge:
fanbt. Da heißt es, wenn auch wortfarg,
u. a.: „Schon vor einigen Tagen bejuchte
mid) Willemer mit feiner Heinen Gefábrtin.”
Diele „Kleine Gefübrtin" nennt das Tagebud)
vom 4. Auguft. Cs war „Dle Jung“,
Marianne mit Bornamen, ein Pflegetöchter:
den des Geheimrats von Willemer aus
ranffurt, das jener bald darauf, der zweiten
itwerjchaft müde, zu feiner Frau machte,
und diejer Bejud) in Wiesbaden war bie erfte
Begegnung Boethes mit ihr. Hatem E in
Brentanos Biondetta feine Guleifa gefunden.
&
Denn Goethe war Hatem geworden. Und
blieb es treu, wenn auch nicht ganz fo leiden:
I&haftlich wie in jenen Tagen neu erwachender
Liebe, Jondern entlagungsvoll, bis zu feinem
Lebensende. Mis er von Weimar am
25. Juli 1814 in jenem „Fahrhäuschen“, das
er in feinem Gedicht „Der neue Koperni:
tus” fo anjchaulich beichreibt, nad) Mies:
baben teilte, war das erfte Wort, das er in
Gilenad) in das Tagebud) eintrug, „Hafis“.
Zieler Hafis bat ihn nicht mehr verlajjen,
bis er Jelbjt ihn verließ, als námlid) der
Meftöftlihe Diwan vollendet war und in
einem köſtlich illuminierten Sonderdrud an
Marianne:Suleifa abgina.
Diefer Tag der Bollendung aber lag
damals noch fern; ihn herbeizuführen, hatte
ibm bas Gdjidjal eben jene Marianne von
Willemer über den Meg geldjidt, führte es
ben ganz in jugendliche Bewegung und Iyrijche
(Efftaje Zurücverjeßten erft ak: einmal an
die Gtátte jo oft erprobten Heils: nad)
Heidelberg. Das war ein Jahr darauf zu
genau der gleichen Zeit.
88
8
Als Goethe fid) im Herbft 1814 von
Willemers, die jommers tn der Frankfurt
nahen Gerbermiible wohnten, verabjchiedete,
d er ber anmutigen Frau des Freundes
ein Stammbud Ddagelaffen. Sie jdidte es
ihm nad Weimar mit einer Eintragung,
die in bie Berfe austlang:
„Als ben Größten nennt man did,
Als den Betten ehrt man did
Sieht man Did, muß man dich lieben ...”
Ziele Berfe, im Tone nod) halb ſchalkhaft,
as bas erfte jehüchterne Befenntnis ihrer
eigung. Daß diefe bald zu Liebe und mit
Liebe beantwortet wurde, das Hingt und
fingt der ganze Diwan, ber nun in rajdjem
Fluß entftand: bie breiBigidDrige Frau, bie
ich den pollen Liebreiz ber Jugend bewahrt
atte, hatte bas Herz bes Dichters gewonnen.
So gab, als Goethe ein Jahr fpáter —
Chriftiane, die trántlid geworden war, weilte
ur Sur in Karlsbad — fid) zu einer neuen
beinreije anjdjidte, Gebnjubt nad) Mari-
anne wunderjam Geleit... nicht zehrende
Gebnfubt, wie fie in früheren Jahren ihn
gequält, nein, eine frohe, die gleicher Gefühle
ei der Geliebten gewiß war.
Am 24. Mai [Hon verließ Goethe diesmal
Meimar. Wiesbaden war wieder notge:
drungen Zwilchenitation. KE und
Gerbermiible, wo er „freundlichit emp Tange.
wurde, ſchloſſen jid) Mitte Auguft an. Und
dann fam Heidelberg.
Wieder wohnte Goethe bei den Boifferées,
— die Delph war [Hon 1800 aus Heidelberg
fortgezogen. Wieder blaute ein Herbit über
Berg und Tal, wie ihn jo [Hón nur Träume
leben: Raujdhgold bejtreute alle Wege, in
den Garten dufteten bie |páten Blumen,
an den Cpalieren reiften die Trauben, und
die Mauern des alten —— brannten
in den Sonneſtunden in verhaltener Glut.
Köſtlich war es, auf Altan und Terraſſe zu
wandeln, mittags auf ſchattenfreier Bank zu
ruhen oder nachts, wenn der Mond die
nahen Zinnen, die Giebel der ſchlafenden
Stadt, die Neckarniederung mit blaſſem
Silber beträufelte, ins Land zu feben ...
toftlid) vor allem, weil Marianne, ad Aen
und Geliebte, diefe Stunden teilte, diefe
Stunden adelte, ihnen Duft und finnlichen
Zauber gab.
Schon Frankfurt hatte den Zwiegejang
von Hatem und Guleita begonnen, — bas
Bud ‚Suleifa‘ im Diwan tönt ihn wieder,
anbebend mit den Worten: „Nicht Gelegen:
heit maht Diebe...“ Heidelberg, wo Mari:
anne mit Mann und Stieftodter am 23. Sep»
tember eintraf, ſehnſüchtig erwartet, wie fie
jelbft jehnjühtig nad) Goethe verlangte,
teigert nun Frage und Antwort ber Lie:
benden zu betörender Siikigfeit. Das Tage:
bud) des Dichters, fonft fo einfilbig und
ſachlich, Ihwärmt, wiederholt immer wieder:
»Herrlider Morgen... Herrlidjter Morgen...
KK ` Ze —— — — $$ — —
7
T, V—
poeeexe—:—x:83::3232] Goethe in Heidelberg 411
Bolllommenfter Tag.” Noch mehr verraten
die Gedichte, die Tag für Tag entitehen, wie
Tag für Tag — es waren JA nur wenige,
denn der 26. September ron brachte die
„Abreije ber Freunde” — die Kleinigkeiten,
die nur Liebenden gemein und offenbar,
dazu Anlaß geben ... ob fie im Vollmond
nun zujammen an ber Altanbriiftung bes
Schloſſes lehnten und fih gelobten, in ber
nádften Bollmondnadt einander im Geijte
nah au fein; ob Goethe» Hatem „an bes
[uft'gen Brunnens Rand” die Chiffre Suleis
fas in morgenländilchen Lettern in den Sand
eichnete; ob fie im Schloßgarten den ges
— Gingo⸗Biloba⸗Baum wieder:
anden, denſelben Baum, von dem Goethe
ein Blatt als Sinnbild der Freundſchaft
nad ber Gerbermüble gejchidt hatte; ober
ob fie traumverfunten laujchten, wie von dens
ig: Bäumen ringsum die reifen Früchte auf
en Boden Hopften: alles wurde zum Lied.
„Du beihämft wie Diorgenrótbe,” preift
der Dichter die geliebte Frau, „jener Gipfel
ernfte Wand, und nod einmal fühlet Goethe
yrúblingshaud und Gonnenbrand.“
Und jie antwortet, felig hingegeben:
„Rimmer will id bid) verlieren!
Liebe gibt ber Liebe Kraft.
Magft bu meine Jugend zieren
Mit gewalt’ger Leidenichaft.
Ad! wie ſchmeichelt's meinem Triebe,
Wenn man meinen Dichter preift:
Denn bas Leben ift die Liebe,
Und des Lebens Leben Gem."
Aber jedem Traum folgt ein Erwachen.
Wind lief über die Chiffre Guleitas im
Sande und verwilchte fie; Wind nahm dem
Gingo- Biloba die Blatter; Wind trieb Wolfen
über Den Mond, ber bem Liebesfliiftern von
Hatem und Guleitas geleubtet. Wind ver:
pare aud den Sub, den Goethe bei der
legten Zuſammenkunft ber jungen Frau auf
——
— C
Hecdelle tg. Cex Schlofsa Clan.
— —
— = EE
er SE
Stirn und Mund gehaudt. Beide haben
fid) nie wieder gejehen. Der Traum war
aus. Nur Briefe u nod) in unjduldiger
Beheimjchrift verdedte Schmeicdhellaute bin
und ber zwilhen Weimar und Frankfurt;
fie heiligen u Liebe, die entjagte, ohne
je genofjen zu haben, in alle Ewigfeit.
88
8 &
„Blieb zu Haufe,“ Heißt es in Goethes
e eade am 26. September. Und dahinter
fteht: „von Eyt”. Die Bilder der Freunde
boten aljo erjten Troft. Hielt er vor? Nicht
recht. Andere 3erftreuung brachten die An:
funft Carl Augufts, ein Ausflug mit diejem
nad Mannheim, eine furze teile mit Sulpiz
Boiſſerée nad) Karlsruhe. Wher [hon am 6. Ot:
tober erzählt biejer bejorgt von Goethe: „Er ijt
Vay angegriffen, hat nicht gut gejdlafen, muß
üchten.“ were Trauer umjchattet die
ganzen Aufzeichnungen des Freundes aus
diejen Tagen: der „Alte“, wie Boijferee jagt,
war völlig aus dem Bleichgewicht gebracht,
quälte H und andere mit Todesahnungen,
wollte jein Teftament machen. Auch litt er
unter Erinnerungen, die ihn bedrängten: Die
Bilder Lilis und Minhen Herzliebs traten
antlagend aus ber Bergejjenheit hervor.
Als erfte Stürme Kälte brad)ten, verließ
er, von Gulpiz jorgjam begleitet, Heidelberg.
Am 7. Oftober. Auch Heidelberg s er nie
wieder gejehen. Aber es lebte in ibm. Die
vielfachen Aufzeichnungen des Greijes bes
zeugen es. Und die Strophen, die der Ein»
ane 1828 in Dornburg, wohin er fid) nad)
es fürjtlichen GA Tod geflüchtet hatte,
„dem aufgehenden Bollmond“ gewidmet bat,
I bauen zwar GaalesLandjdaft auf, aber
ie muten ganz an wie ein janfter Nachklang
der Heidelberger Bett ba eine „überjelige“
Naht ibn niht alleine jah, bas „Liebchen“
Marianne nod nicht fern war.
MIL — — —
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—— d - Ge
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DESCH | | ees | | ¡ae | | Kammer | | coy | | ey | | ¡ER | | mecs | | pcne | | amy | | esas | | eee | | mees | | gemeet | |
Don Fritz $leifchhauer
geng || |] | ausm | | || || || || |] || || || || |] | |) || | {|| || ee | | )
Dom alten $rißen.
Sein $lotenfolo
Man Ponzertiert, Wie zephirweich
Schmilzt 6-Moll aus des Königs $löte!
So bláfl in feinem bunten Reid
Raum Pan, verblafit die Abendróte.
So zart fdjludjst aud) in Sansfouci
Nur erfte Liebe. Slide fdjwimmen
Dell Fähren. Trillert ein Genie,
Derklingen des Ordefters Stimmen.
Da hat aud) Sad) am Clavecin
Paufiert in adjtungsvollem Schweigen ;
fur Quant nidt zum Soliften bin,
Indem gedámpfter wird das Seigen.
Wie klingt der $löten-Anfat rein!
Rein Zungenftoß braudt fid zu ſcheuen;
Viel leichter Pann man König fein
Als fimplen Vortrags fid) erfreuen.
Empfindung adelt Luft und Qual.
Mufit verfnüpft wie Deildyenbänder,
Und firablt aud) Rerzenduft der Saal,
Der Hof vergifit den hohen Spender
tind ahnt galant ein Schäfernüd.
Paffagen fdmeideln Obr und Sinne,
FJedwedes Herz wiegt Jugenóglüd,
Fim Gold-Plafond träumt felbft die Spinne.
Den Taft marfierend mit dem Fuf,
Befhwört der Fiirft die ſchönſte Stunde,
„® Doris, himmliſch war dein Ruf!
Nur fhwer vernarbte unfre Wunde,
Denn Amor bleibt der lofe Schelm
Und taucht den Pfeil in bittre Lange;
Dor Herzleid fhüst fein Ritterhelm.”
Jn Wehmut blinkt das Rönigsauge.
Weld) edler Wohllaut der Radenz!
Und niemand denkt an Applaudieren,
Dis Friedrid) lächelt: „Die Sentenz
Freund Quantens war zu refpeftieren.”
„Sire! Demnad) bat Coriolan,
Wie ihn erweidt der Mutter Flehen,
Dem Spiel es wieder angetan?
Und ließ in Wonne uns vergehen.”
„Kein! Eb” die Soirée begann,
Da fprad) mid) bei der Dittfdrifislinàe
floh einmal meine Jugend an
Jn jener Toten áltfiem Rinde,
Und mein Adagio wußte fadt
Der Schönen Anmut zu verweben:
Ah, könnte man der Venus fladjt
flit nur flautando fúf beleben!”
Und der alte Frits diktieret
Jn blauer Morpheusfiunde
Die €djilàómadt hofft auf Kunde.
Es liegt die Feld-Armee
Alarmbereit im Schnee.
Dumpf rauffen rings die Wälder.
€s Flappern all die Zelter,
Jm Wind der Mintersnadt,
tind dennod) mand) wer wacht.
Der denkt daheim der Lieben,
Der, ob fie treu geblieben,
Der ftóbnt im Halbfhlaf hwer.
Die Schlacht liegt en im Heer;
Und finden aud) nod) Träume
Die dunfeln Mannfhaftsräume,
Ein Marker, fálant und jung,
Derlaft fein Bett im Sprung.
Sei dünner Unfchlittkerze
Da fáyreibt er: ,Ziebftes Gerze,
Bald batailliren wir.
Ad), ruhte id) bey Dir!”
Und fDonnefnofpen fpriefien,
Aus feinem Riele fließen
Gefühle, wunderzart,
Mit Gattentroft gepaart.
fiunmebro femmt das Siegel,
Da reift wer barſch am Riegel:
„Sum Benker, brennt bier Licht?
Kennt den Befehl Er nicht?”
Streng währt ein hagrer Schatten
Empor an Zeltbahnlatten,
Ein Windfpiel fpringt vorauf.
Da fdnellt der Hauptmann auf.
Und ohne erft zu grüßen,
Wirft er fid) ibm zu Süßen:
„Sire! Jd) fand feine Rub,
Mein Herz trieb mid) dazu.”
Der König lieft: „Indeffen
Er hat etwas vergeffen
Jn Jbro Ziebesbrief."
Der Sünder feufate tief.
„Seht €ud) und fihreibt: Jd) werde
Schon bald in Fühler Erde
Austuben mid). Sey Gott,
Jd) wandre zum Schafott.
Punkt! Ordre brav pariren
Geziemt zuerft Offizieren.
Jh opfre Ihn der Pflidt.”
tind alfo es gefhicht.
| [ mezcal | | summer | | eme | | ae | | Cee | | eec | | as (Gene || gees | | mea | | emm | | ms | {ese | | escht
| mg | ng gg Umgang | mn | mu mt — — e || | msn (eng ung | m | m cs et | | pmi
Oor zwei Fahren ward er uns ent:
tilen. Mitten in den Frühltürmen
diefer Umſturzzeit. Tiefer als viele
MC andere hat er darunter gelitten,
77 denn er war ein jehr deutjcher
Dann. Deutjch- Böhme von Geburt, deutjcher
Reichshauptitädter durd Wahl. Wenig über
Zwanzig alt, war er im Beginn der
neunziger Jahre nad) Berlin gefommen und
blieb dort, zwei Wiener Jabre (1903—04)
«Cie Ma bis zu jeinem Tode, ber ibn
mit achtundvierzig Jahren dahinraffte. Bu-
legt bewohnte er, glüdlichiter Familienvater,
ein herrliches Bartenanwejen in Zehlendorf
bei Berlin. Start, blübenb, wetterfeft jab
er aus und war bod, von jugendlichen Ent:
behrungen ber, bereits frühzeitig gezeichnet.
Er hüftelte manchmal, verlor aud hier und da
Blut und mußte wochenlang das Bett hüten.
Die Ärzte wollten ihn nad) dem Süden |djit:
fen, rieten zu jahrelanger Arbeitsenthaltung.
Er Bee: dazu den Kopf, lahte ſpöttiſch
in jetnen breiten roten Bart hinein, ver:
mochte von der Arbeit fih nicht loszureißen.
Raum bier und da jpannte er mal ein paar
turze Wochen aus. Er bodte wie Achill:
Sch ein kurzes Leben jtarfen und ruhm—
vollen Schaffens, als ein langes faules Gieh:
tum unter ängſtlichem Sichſchonen. Sd) glaube,
er wußte um feinen frühen Tod, Wenn er
auch ftets jid) fo ftellte,
als jet er bie Sorglofig:
teit jelbjt.
So hinterließ er ein
reiches, ein erjtaunlich
reiches Werf. Als im
Mat vorigen Jabres,
durch opfervollen Eifer
der Witwe ermöglicht, in
den ehemaligen Atelier:
räumen des Riinjtlers
fowie im anjtoßenden
Bartengelände eine Ge:
famt - Ausjtelung — ber
Werte veranitaltet wer:
den fonnte, gingen wir
alle, die wir den Meijter
dod gut zu fennen glaub:
ten, voll Staunen umber.
Kurz vorher war, bei
Cajjirer, eine Nachlaß—
Ausjtellung von Lehm:
brud, dem gleichfalls
vorzeitig Abgerufenen,
gezeigt worden. Sie hatte
a eitig tiefen Ginbrud
gemadjt — aber um wie-
piel mehr hatte Megner
aufzuweilen! Wäre die
Welt nicht blind und
von modijden Borein-
enommenbeiten be:
errjdt, damals hätte Y
Attſtudie >
als allgemeines Urteil es fid) durchjegen mii:
jen, bob an univerjal gerichteter, dennod) eins
heitlich geichlojlener Schöpferfraft fein zwei:
ter Ddeutjcher Bildhauer Ddiejer Generation
mit Mebner fic) melen fann. Nicht bie
großen Monumente allein, nad) denen er all:
gu einjeitig — — worden iſt, ganz
eſonders auch die faſt unüberſehbare (ée
Heiner und Heinfter Arbeiten — rajde Noti—
en einer unermüdlich plaftijd-formenden
Bgantafie — Daneben bie imponterenben Grups
pen intuitiv erfaßter, meijterhaft geftalteter
Menſchenköpfe und Mienjchenleiber, nicht ait:
lebt bie aus ber Verborgenheit ber Dlappen
bervorgejtiegenen Zeichnungen — jamtlid
ganz plajtijd) dE — ſchütteten vor uns
einen follen Reichtum aus, daß uns beinah
ſchwindelte. Wir blidten in ein Leben, Delen
einziger Inhalt Arbeit gewejen war. Der
Knabe hatte in der Heimat in Cteinmef:
werfitätten (don als Ernábrer einer vater:
los gewordenen Familie) begonnen; der
Süngling hatte in der Berliner Porzellan:
manufaltur an einem für diefe jchwere Hand
faum geeigneten Material fih rajtlos weiter:
ebildet; und der Mann hatte, jnem an der
Wiener Runjtgewerbejchule als Lehrer, dann
als bildbauerijter Mitjchöpferr an den
Werfen der großen Berliner Baumeifter
Bruno Schmig und Ostar Kaufmann eine
weitgreifende Tätigkeit
entwidelt, bie Durch
viele private Aufträge
unb eigene Verſuche nod)
SE wurde. Signa:
turgebend war bier:
bei zweierlei: ei dis
die ſtreng-handwerkliche
Ausbildung, die Diener
in alle technilchen Ge:
heimnijje und Gepflogen:
heiten feines Fades aufs
jolidefte und tntim[te ein:
geweibt hatte; und ferner
die ftete Berührung mit
Urdhitetten, Die einem
innerjten eg N und
Bedürfnis jeiner Natur
entgegenfam und feiner
tiefiten Auffaſſung von
Wejen und Funktion der
plaftijden Runft frudt:
Ge li ent|prad).
an nennt Adolf
Hildebrand als dens
jenigen, der als eriter,
im Begenjaß zu ber male:
rild): exzedierenden Ba:
rodfunft eines Reinhold
Begas und ele
die prinzipielle er:
fnüpftheit gwijden pla:
ftijcher und architefto-
414 [P3539 :,::3 35] Dr. Franz Gervaes
— Oe des e Obne Zweifel, alles dies
— ORI e A fes würde zu unjerem Künftler nicht fo vers.
2c AS VE au nebmlid) gejprochen haben, wenn es nicht
als innerjte Sehnjucht bereits in ihm ge:
\hlummert und geflungen hätte. Gs wäre
ibm gegenüber gerade |o ftumm geblieben,
wie es ganzen Generationen von Riinftlern
gegenüber vorher ftumm geblieben war. Dod
hier war. endlich einer, ber diefe Cpradje
verftand, nicht als bohrender Gelehrter ober `
nadempfindender Aſthet, |onbern als f
as us Künftler, der mit den Snftinften
innenfreudig aufgriff, was andere fid) auf
Umwegen ergrübelten. Mebners tiefwurzeln-
der Überzeugung nad) war in der Kunft. der
Ägypter eine retnere, urjprünglichere, monus
mentalere Plaftit erreicht worden, als fie `
jpäter in ber Haffiihen Kunft ber P mo:
trog aller finnliden Verführung unb menſch⸗
lichen Durhwärmung, erjtanben war.
Lj
DEE EE E EE —
» di M. dei SAS, — wee 2 .
de AA? A 4 x. u
que uns v POM LA KEE. 5 I "- 4
UC CoA a EE
QU mU. ET il dut
r —— ae E Ee *
- — | KL "ed qa ua
4 u ^ 4 T
P SAS d e CN
Reliefs am Weinhaus Rheingold, Berlin E
nijdjer Runft wiederum erfannt und in feinen
Schöpfungen eigenftart durchgeführt Hat.
Kein Zweifel, daß biejer Ruhm unjerem
fürglid) heimgegangenen Altmeijter gebührt.
Aber Megner gebührt der andere, auf Diejem
Wege vollbewußt weiterge/dritten zu fein und
die Verbindung der beiden Künjte noch enger
gezogen zu haben. —— wurzelt mit
ſeinen künſtleriſchen Anſchauungen überzeu—
gungsvoll im klaſſiſchen Altertum. Metzners
Wurzeln ſenken fic) nod tiefer in ben Zeiten:
ſchoß zurüd, bis zu den Tempeljchöpfungen der
alten —— und Inder. Hier fand er
die Erfuͤllung ſeiner innerſten Sehnſucht
leichſam vorgebildet, fand in grandioſer
Wucht und Klarheit bereits erfüllt und aus—
geſprochen, was ihm den eigenen Schaffens-
drang bewegte. Es war nicht bloß das
völlig organische, wie nad) bem Gejeß uns
— Notwendigkeit erfolgte Zujams
menwadjen der beiden Riinfte, was ihn hier
überrajchte, ihr machtvolles Aufeinanderges
ftimmtjein und gegenjeitiges Sichſtützen und |
Ergänzen — es war nicht minder, was feine
eigen|te &unjt, bie Blaftit angeht, der große |
monumentale Zug, der fie bejeelte, das Aus: |
löſchen alles Nebenjächlichen, das unerjchüts |
terlich-bejtimmte, babet. ganz aus der Sprade —
des Materials herausentwidelte Hervortreten
EEN
Zeilbild eines Reliefs: Einfamteit a
EECH Franz Viegner
vielem Punkt [deb er fid) von Hildebrand,
gleich wie beide von Rodin dadurch geſchie—
den waren, daß fie bas Bildwerf [treng ins
Arditettonijeye einordneten und aud) bie
holdejten Reize einer mehr malerijd) empfuns
denen Oberflächenbehandlung verſchmähten.
Sedenfalls, fein Weg war Megner far und un:
¿weideutig
porge|d)rie:
ben. ons
der Zaudern
und Bangen
bat er thn
beichritten
und ijt ibn,
mit ftets fid)
[teigernber
ſchöpferi—
ſcher Beharr⸗
lichkeit bis
ans Ende ge⸗
P
ſtik erwächſt
aus Der en:
gen Verbin:
dung mit ber
Architektur
ein eigenes
Leben. Aus
[deinbarer
Unterord:
Bildnisbüjte
des Generaldirettors 3.
er:
nung
ſchließt fih ihr os Musdrudstraft. Je
gewaltiger das Bauwert ijt, defto eher tann
es bean|prudjen, daß der im Gefamtrhythmus
mitwirfende Plaftiter en einordne. Dem
Grundgefüge erhöhende Afzente zu leben und
ben Gejamtausdrud
an den enticheidenden
Stellen burd) Verleben:
digung ber Schmuck—⸗
teile zu fteigern, ift
feine Aufgabe. So ge:
ſchah es, in grandioje=
ftem Maßſtabe, etwa
an dem einen ganzen
Hügel bebedenben
Tempelfonglomerat
von Boro Budur auf
Alt-Java. Die Schöp:
fung bes Bildhauers
ift Dier im wejentlichen
Funktion ber Arditet:
tur. Troßdem ijt fie
auch in fih felber groß:
artig und ausdruds:
vol. Ob etwas hn-
liches Meßner bei Hers
itellung des plaftilchen
Schmudes für bas Böl-
terichlachtdentmal bei
Leipzig vorgejchwebt
hat? Schwer zu ent:
jcheiden, um fo mebr,als
es äußerjt zweifelhaft
[242«2424242«4232«242«42«2«33] 415
Relief mit bem Bildnis ber Mutter bes Künftlers
ericheint, ob der Künftler jene Denfmáler in-
bilder Tempelfunft überhaupt gefannt Dat.
Dak aber bie ftiliftiiche Lójung bei ibm auf
verwandte Ergebniffe hindrängte, jedenfalls
aus gleiden Sunftermágungen bervorge:
gangen ift, dürfte taum zurüdzuweijen les
Jn Megner ſelbſt jchlummerte jedenfalls
ein Architett. Es gibt Entwürfe von Grab:
denfmalern und ähnlichen Monumenten von
ibm, bie rein ardjteftonijdjer Natur find
und, wieetwa im Zujammenwirfen mit Baum-
gruppen, ein erhebliches Gefühl für den Yu:
Entwurf für ein Grabmal
416 FESSS£Secccccca Dr. Franz Servaes: see)
Ka (A é
E
A p», — mg
Dentmalsentwurf für gefallene Helden
|
fammenflang baulicher Gedanfen mit der anderjpreizen eine breitere Standbafis her=
Naturumgebung verraten. Wie hier fowobl beiführen.
Maffengruppierung ins
rope gerichtet find und
Wn A aa
Umrißlinten als au
Ungebrodene und
voritehen, jo Jucht
aud) der Bildhauer,
woer mitfremden Ar:
djiteften zujammen:
arbeitet, bas Grok-
zügige und Sarmo:
nijche, gelegentlich bis
zur Grenze einer vol:
ligen, ja betonten Un:
terordnung unter den
Rhythmus des Gan:
zen. Oft erjcheinen
plaitiicheBewegungs:
motive, die an jtd)
etwas Gezwungenes,
fibertriebenes, ja Un:
natürliches haben
würden, eben baburd)
erklärt, Daß an jener
Stelle dieje Art von
Linienfiibrung aus
ardjiteftoni|d) - orna:
mentalen Gründen
erforderlich war,
Dann werden etwa
Kopf, Hals und
Jtaden von einer ftraf:
fen SHorizontallinie
begrenzt, während
die Bewegung Des
Leibes in eine ſcharfe
Diagonale hinein:
wächſt und bie unteren
Gliedmagen durch
ſchroffes Ausein⸗
Entwurf für ein Wiener Leſſingdenkmal
Man täte dem Bildhauer un—
recht, wollte man ein Relief dieſer Art, wie
man [ie etwa am Berliner „Rheingold“-Bau
als Frontſchmuck verwendet findet, vom Baus
gedanken ———
rein für ſich als Kunſt—
wert beurteilen. Trotz⸗
dem iſt die hiermit
durchgemachte Schule
pe Den Bildhauer
egner ebenjo frucht=
bringend geworden,
wie dies für ben mo:
dernen Dialer ein zeit:
weiliger Durchgang
burd) den Kubismus
¿gu werden vermag.
Endziele werden hier
mit gewiß nicht er:
reicht, aber eine vere
ia e Klar:
eit über Möglich:
teiten Des Ausdrudes
und des rhythmijden
—
geſchaffen. Je weniger
man geneigt ſein
wird, derartige Ar—
beiten Metzners rein
künſtleriſch zu über—
ſchätzen, um ſo be—
reitwilliger wird man
fie entwicklungsge—
ſchichtlich bewerten.
Der Bildhauer lernte,
in großen und ener—
giſchenLinienzügen zu
denten und zu fompo=
nieren, dies jteigerte
Fees EES Franz Mehner BS2233333333339 417
jein Gefühl für bas Rhythmiſche überhaupt
und befähigte ihn fo zum Wnordnen ins
Große, aud) wo fein von außen gegebener
. architeftonijcher Zwang ihn dazu anbielt.
Sedenfalls fpúrt man den Vorteil jener
Arbeitsweije deutlich bet Betrachtung Mes:
nerjder Denkmäler. Dieje gehen jtets von
einem architeftonijchen Rerngedanfen aus
und verlieren jid) darum niemals ins Klein-
liche, Ob wie beim Kaiſer Jojeph» Dentmal in
Teplig ein ganzer
breitgezogener,von
Treppen und Re:
liefblöden durch—
brochener Terraj:
jenaufbau zu be:
wältigen war oder
ob es fid), wie in
den meijten Fallen,
um die organijche
Verbindung Der
Stand- oder Gih-
Hour mit einem
mehr oder weniger
bod) gegliederten
oder breitausla=
denden Godel hans
delte, jtets wurde
das ganze Dent:
mal burd) Metzner
von vornherein als
Einheit erfaßt und
dementiprechend
von der unterjten
Bodenflieje bis zur
äußerjten Scheitel:
höhe in [trengen
Rhythmen Tom po:
niert. Sein Bruns
nenentwurf für
Reichenberg, fein
Stelahamer- Sent:
mal in Linz, jein
irgendwo tn Prog
verborgen gehal-
tener Ylibelungen-
brunnen, ganz be:
jonders aber fein
für Wien beftimm:
tes Lejjing = Dent:
mal geben Broben
für diefe Art bes
architektonijchen
Aufbaus. Wie fih bie Gejamtjilhouette,
in reizvoll gegenjäßlihem, pifant ab:
wedjlungsvollem Lintenjpiel nad) oben zu
immer mehr verjüngt, zeigt zumal der Wiener
Leſſing, ber jo leicht und gragids und bennod)
fo unentrinnbar feft und fider auf feinem
Standort fteht, dak er im eigentlichiten Sinne
vom Poftament in bie Höhe getragen zu
fein jcheint. Wie auch bei einer Gibfigur
der Bildhauer eine ähnliche Löſung herbei:
tigen! vermochte, zeigt bas einmal für
q
eichenberg i. B. beftimmt gewejene Liebig:
Denkmal. Schade genug, daß ungiinitige Beit,
Politik, Lofal: und Zinanzverhältnijje die
Entwurf zu einem Brunnen für Reidhenberg t. B.
Aufítelung jo mandes Viegner: Denkmals
verhindert oder bet aufgeftellten, wie in Tep-
lig, nachträgliche feindjelige Störungen für
jie herbeigeführt haben. Wud) das für Forit
i. 2. bejtimmte Hindenburg-Denfmal, eine
prachtvollscharafterijtiiche Schöpfung, wird
wohl den veränderten Zeitumftänden zum
Opfer fallen.
So war aljo im wejentlichen Megner jein
eigener 9(rdjiteft. Wenigjtens in bent Sinne,
daß bei größeren Denfmalern der Gefamts
aufbau durd) ihn beitimmt wurde und Der
plaftiich=figürlihe Teil, einjchließlic) der
Hauptfigur, bewußt im Nahmen einer nad)
arditeftonijdhen Grundjágen entworfenen
Kompoſition feine Stelle fand. Dod) es gibt
Grenzen und Abjtufungen ber Anpaſſung.
Night immer tann der Bildhauer bem Archi—
tetten fid) einfach unterordnen. Je mehr feine
Arbeit Kern und Gipfelpuntt eines Ganzen
bildet, defto mehr hat er Wniprud) darauf,
beberridjenb hervorzutreten. Darum ijt aud)
bei Mehner auf die Figur deffen, dem das
Dentmal gilt, ftets alles zugefpigt. Auf ihn
418 PSSS] Dr. Franz Servaes: Franz Mebner Iesel
Reiter nad Walhall. Im Ruppelfries der Krypta des Völkerſchlachtdenkmals zu Leipzig
brauft der ganze Rhythmus zu, als den bes | ler der alten Ägypter, Auch an der Plajtif
berridjenben Viittelpuntt,
handwerflid) wurde
auf jolche Figur Die
äußerjte Sorgfalt ver:
wandt. Raum je jchuf
jie ber Rünitler, ohne
vorher eine Aktfigur
gemacht zu haben, in
derer Broportion und
Bewegungsmotiv fo-
wie Das gejamte
rhythmijde Linien:
jpiel genaneftens feft-
legte. Zeitfojtüm und
Borträtähnlichkeit
wurden fpáter hinzu:
gefügt.
Hauptſache blieb
ſtets bei Metzner, ſich
durch keinerlei Detail
verwirren oder be—
irren zu laſſen. Alles
mußte aus dem Gans
zen beraustlingen.
Wenn irgendwo jo
war er in der groß—
zügigen rt feiner
bildhauerijden Rom:
polition, aus inner:
Her Natur und fiber:
zeugung heraus, cdi:
Hindenburgbüfte. Nad dem Leben für das Hinden:
burgdenfmal in Forſt i. L. modelliert
Und aud) reins | afrilanijcher Negerjtämme wußte er Derlei
Eigenjchaften zu
ſchätzen, wenngleich er
nicht wie andere, by:
perexprejjionijtijde
Bildhauer joweit
ging, Deren grotesfe
Srabenbajtigteit
nadguabmen. Ihm
tam es lediglich auf
Bereinfahung der
Sormgebung und be:
wußte Betonung des
plaitilchen Gedanfens
an. Sein höchſtes und
oberjtes Ziel war ftets
und überall: „Reine
Plaſtik.“ Für deren
Anforderungen hatte
er ein untrügliches
Gefühl. Und aud die-
jes wuds ibm, im
Grunde, aus ardi-
tettonijdjem Empfin-
den. Es jchärfte feine
Sinne für Reinheit
per Berhältnijje, für
Rhythmik im Auf:
bau. Am nádjiten
itebt ibm bierdurd)
unter den modernen
—
Schickſalswächter in der Krypta des Völkerſchlachtdenkmals zu Leipzig
490 BSSS=S=SSccscco= Dr. Franz
Po ee
E
Hauptfigur vom Nibelungenbrunnen: Marlgraf
Rüdiger
Bildhauern der Franzoje Maillol. Nur dak
Viegners Formenſprache ebenjounverfennbar '
germanijd) wie die Des anderen romanijd)
und gallijd) ijt. Zweifellos wirft Metzner
jtrenger und berber als Maillol. Ich möchte
jagen: er ijt minder erotijd) und barum ge:
wif aud) minder bejchwingt. Lapidarer ift
er, unfomplizierter, majjiver und Direfter,
Aber wenn auch aus verjchiedenen SE
hervorbuiibend, jo find fie Dod) Brüder. Gie
eben benjelben Weg. Blicfen zum gleichen
iel. Wie Maillol zu Rodin, jo Debt Meg:
ner zu Klinger. Nejpeftvoll, aber mit dem
Bewußtjein bes liberwinders. Womit bloß
das evolutionijtijhe Werhältnis, nicht eine
abfolute Wertichägung ausgedrückt fein fol.
Mande finden Mekners breite Behand:
lung der Flächen zu jummarijd, zu un:
differenziert. Cie vermiljen Intimitát, Zärt—
lichkeit, €ieblid)feit, Es ijt wahr, Metzner
ilt in hohem Grade männlich, ijt vielleicht
Der männlichjte unter allen moderenen Plafti-
fern. Rojendes Detail zu geben, war ihm nie
ein Bedürfnis. Jedenfalls: es wegzulajjen
erſprießlich erjcheint.
Servaes: III IE I ZZ A Ze I I Ze I
foftete ihn feine fiberwindung. Er „baute“
jeine Bildfiguren. Und was nidjt zum Bau
ehörte, — ihn nicht. Charakteriſtiſch
i in der Hinſicht feine Kojtümbehandlung.
ie bejchränft jid) auf wenige Andeutungen.
Macht weder Nähte noch Knöpfe. Nimmt
auch gerade foviel von ¿falten mit, als dem
Künftler i bie Rontrajtwirfung innerhalb
jeiner großen rhythmilchen Linienverbáltnijje
Die Hojenfalten beim
Stelzhamer, die Weltenfalten beim Kaifer
Jofeph oder beim Lejfing hat er in biejem
Sinne verwendet, gleichjam mit Keilichrift-
zigen. Sehr geldjidt fpielt er beim Leffing
Die Hauptfigur bes Stelghamerdentmals in
Ming a. b. D.
PFSSSSSSSSSSSSTLTA Franz Mebner 421
— AER E — Pathetik, rein bird) bie Ausdruds:
: pn ue YES fübigfeit ber Linien an. Go bier
durch bie faft unmerflide Neigung
des Hauptes, in dem eine jtumme
Refignation liegt. Das ijt für Mep-
ner jehr charakterijtijch.
Scheinbar ftebt bei ihm das Gee:
Dide an zweiter Stelle. In ber Tat
fann er gelegentfid), zumal in
Sugendwerfen, des Seeliſchen [ait
entraten. Das Körperlich: Ronjtrut:
tive, bas Nhythmilch- Bewegte ber
Erjcheinung vermodten ihn jo [tart
hinzunehmen, daß er falt ganz darin
aufging. Sn der Hinficht ijt von
Spätwerfen fein wundervoller Mar:
mor eines männlichen Torjos, mit
dem weichen fontrajtierenden Spiel
ber Miusktelfchwellungen unter Der
Haut, eine Gipfelleijtung. An fih
genügt es ja aud) völlig, wenn ein
Stück Plaftit in diejer Meije aufs
“=| volltommenfte burdgearbeitet ift.
| Man fühlt dann gleidhjam mit den
-| Fingerjpigen das eingefangene ins
nere Leben, gleitet wie mit tajtenden
"a Cterbenber Krieger Augen entzücdt über bas Oberflächen:
y ipiel der bewegten Körperjormen
dann ferner den offenen Rodjaum dazu aus, | dahin. Aber felbftredend würde uns
um die fid) verjüngende Vertital:
richtung des Ganzen unauffällig,
aber einbringlid) zu betonen.
Umgekehrt werden bet ber Rieſen—
figur bes „Leidtragenden“ Die
wenigen Querfalten bes eng»
gezogenen Gewandes dazu be:
nugt, um der fompojitionellen
Höhentendenz des Ganzen ein
gemijjes Gegengewicht beigu-
fügen und hierdurch ben Ein:
Hang in der vorniibergebeugten
Haltung der Figur in langjamen
fibergängen herbeizuführen. In
anderen Fällen verzichtet Meg-
ner auf Faltengebung fajt ganz,
wodurd eine Figur wie Die
„Werdende Mutter“ in ihrem
unteren Teil beinahe etwas
Säulenartiges befommt. ber
gerade dieje jehr bewufte Ein:
tönigfeit ijt von ergreifender
Mirtung. Eine einzige breite
Ginjenfung des Hängegewandes
bringt bie Körperveränderung
der Schwangeren zum Ausdrud
— ein Motiv, bas durch Die
Duerlage des rubenden Unter-
armes noch aufs wirjamite ver:
ſtärkt wird. Die Sparjamteit
der Formgebung ijt hier äußerjt
eindrudsvoll und ein Zeichen
hoher künftlerijcher Meifterjchaft.
A
Die gleiche Figur möge uns
zeigen, wie Wiener das Gee
[iie behandelt. Er bringt es
nur ganz bejcheiden und ohne e Erbe
499 Dr. Franz Servaes: B33333332322232224
Ue ID E PAINE A — TT PME Menjhen ein
únftler, der hierbei prin:
zipiell jtehen geblieben
wäre, fein volles Geniige
tun. Wir würden jozu:
jagen bie Myjtit bei ihm
vermijjen. llnjer Aller:
innerjtes fónnte er nicht
bewegen.
Nein, wir wollen aud)
beim Blajtifer, mag er
aud) eher als andere
Künftler im Körperlichen
jozujagen ausruhen dür-
fen, Der feelijbhen Rei:
jungen feineswegs ent:
ehren. Wud) bei ihm
wollen wir etwas vom
innerften Menjchen jpüren,
der dabinterfteht. Etwas
von dem, das wir Geele
nennen. Meßner ijt in
diejem Punkte im ganzen
Iden und jpröde. Ge
heit und 3artbeit Des
Gefiibles hielten thn, den
mandynalbart jcheinenden,
davon ab, von jeinem
Inneren viel zu verraten.
galt unwilltürlich ſchließt
das Geelijde (id) bei ibm
zu unb jebr Iangjam und
audernd nur jdjieBt es
a bei ibm auf. Fait
widerjtrebend und unbe:
wußt. Und dann ijt es
ein Ton tiefer bebender
\chmerzlicherTrauer, gleich:
jam das Ahnen eines Ber:
—— — ſei es eines
rühen Sterbens oder eines
Zuſammenbruches idealer
und vaterländiſcher Be—
ziehungen, was auf uns
zuzuſtreben ſcheint. Ganz
deutlich iſt es niemals.
Mehr ein Stammeln, ein
wehes Sichlosreißen. Oder
auch vielleicht ein dump:
|. fes Dämmern, ein trauern:
s
des Briten. Schweift man
über die Reihe Metzner—
Iher figuraferGrfinbungen,
jo find es Stimmungen
Diejer Art, die uns am
häufigſten begegnen. Wohl
niemals die einer ausgela):
jenen und losgebundenen
| ` | — ée üdten
und rückhaltloſen Hinaus:
| * Mas , jaudjens. Gelbft diez
5» jenigen Megnerfden Fi-
ke i, | guren, Die den jtürmijchiten
E
H
|
Bewegungsrhythmus zei:
— a eii ........ ............:..0ses Meet gen, flinf bewegte Tänze:
Siegfried : rinnen, Plafondreliefs in
AAA A EEI SEPE PE PA TA e.s... einem Breslauer Privat-
ee El Franz Megner Issel 423
hauje, atmen nicht eigent:
lid) den Geijt ladender
Freude. Es ijf mehr ein
jtummes orgtajtijdes Ra:
jen, das fie erfüllt, ein
dunkles Hingegebenjein an
heiligen, [te durchſchütteln—
den Raujch. Je tiefer und
iduerer Hingegen die
Trauer, dejto echter alat:
ben wir bie eigenfte Stim=
mung des Rünjtlers nad):
fühlend zu erfennen. Go
wirft es denn wahrlich
nicht als Zufall, daß jein
lebtes Wert, entitanden
unter dem (inbrud ber
deutjchen Niederlage, einen
vollen 3ujammenbrud) dar:
Hellt. Ein Jahr lang hatte
er vorher mit bojfender
— an der bewegten
ktfigur eines Siegers
(auch „Siegfried“ genannt)
gearbeitet; einer Figur, in
der er mit eigentümlicher
neuer Wendung gewiſſen
reifſten Schöpfungen der
italieniſchen Hochrenaiſ—
ſance, beſonders Benvenuto
Cellinis, zu huldigen ſchien.
Sehr ernſt, ein ſchlanker,
biegſamer Schickſalsträger,
war dieſe Figur. Aber
anz in zuſammenge—
roben, völlig vom Schick—
jal überwältigt, ſchran—
kenlos durchwühlendem
Schmerze hingegeben iſt
die kleine, zuſammenge—
kauerte Geſtalt, die Metz—
ners künſtleriſches Schluß—
wort iſt. Rein äußerlich
nimmt der Künſtler hier
ein Motiv wieder auf, das
er vorher öfters, zum Teil
in koloſſalem Maßſtabe
behandelt hat, bald als
„Erde“, bald als „Weib“
oder ſonſtwie: den zu
einem geſchloſſenen Haufen
geballten und in ſich ge—
krümmten menſchlichen
Leib, als Ausdruck höchſter
plaſtiſcher Geſchloſſenheit.
Aber jetzt iſt es plößlich
aufs Dette durchſeelt, ijt
ganz von Empfindung
dDurchzudt, und das berührt
um fo tiefer, als auch bier
jener ftarte athletijche Kör-
per wiedergegeben tjt, den
Mebner jo liebte: hilflos
zulammengebrochen, was
vorher fraftvolle und un:
beug ame Gejundheit war.
Gejund wollte er fein. In
Tänzerin c -2
424 Tesosscctcctl Dr. Franz Servaes: Franz Megner äs
unferer franfen Zeit war er geradezu ein
Anbeter ber Bejundheit. Wie auch der Kraft,
ber Geldloffenheit und ber inneren jchweig:
famen Gtárte, Bieles davon bejaß erfelbit. Nur
leider bie Gejundheit nicht, fo febr er fie aud)
äußerlich vorzutäujchen vermodte. Wohl
bie Gejundheit der Seele und der Befinnung.
Und erft recht die der Sdhaffensfrajt. Aber
nicht bie bes Leibes. Dod) was galt ihm
der eigene Leib? Go febr er in feiner Runft
den Leib liebte, Juchte und verherrlichte, ben
eigenen bielt er nur wert, geopfert zu wer:
den. Wufgugehen, zu verbrennen in unjag-
liher Arbeit. In einer Anjpannung aller
Kräfte zur Erreichung immer höherer Boll:
tommenbeit, zur Deroilden Konzentration
legter Ausdrucdsmöglichkeit. Darum war er
aud) ein ganz außerordentlicher Porträtift.
Freilich fajt ausschließlich Durch gereifter mánn:
liher Perjönlih teiten. Die etwa zwei Dugend
Biiften, die von ibm ftammen, zeigen ihn
in ftetem tiinftlerijben Fortichreiten.‘ Und
ftets war es der Ausdrud tiefen, oft brüten:
den Ernftes, der ihn feffelte, der ihn bez
herrſchte. Er war das, was feinem eigenen
Franz Metner
A AR A EL Aufnahme von Ranft
| S
— E | Inneren entiprad.
— |
P:
— RE E
er Danad trad):
tete, den Köpfen,
die er modellierte,
ës Bedeutung.
ormal und fee:
Did rafite er bas
Innerſte zuſam—
men. Eine wunder:
volle Gangheit ent:
ftand, in jedem
einzelnen gall.
Denn ganz war
er jelber, fern
aller Halbheit,
ein prachtvoller
Menſch, ein in die
esch ragender
túnjtler: ein ſchöp⸗
ferijd) Begnabdeter,
Dellen Auge „ganz
inwendig voller
Sigur” war und
Dellen Finger,
wenn fie nur ein
Slümpden Ton:
zwilchen fid) be:
famen, wie aus
unbezwingbarem
Drang und jeltjam
infpiriert, unwill:
fürlih zu fneten
anfingen, um im:
mer neue Formge—
burten ſchöpferiſch
- nus fic) heraus:
e zuſtellen.
D Bufammenbrud
Neues bom Büchertiſch⸗
Bon Karl Ofrocfor
Oceetteeecececececccecccecccceccececeeccececceccec cccccceces5333339333333339332323233332332393232(3333323333333233233223523322220
Waldemar Bonfels: Eros unb bie Evangelien. Aus den Notizen eines Bagas
bunden (Frankfurt a. M., Riitten € Loening) — Heinri Mann: Die Tote (Mün:
den, O. ©. Recht) — Julius Berftl: Überall Molly und Liebe (Berlin, Wilhelm
Borngráber) — Alfred Döblin: Der [Hwarze Vorhang (Berlin, S. Silder) —
Wilhelm Geb. Schmerl: Rafpar Lederer ber Schulz (Münhen, C. H. Bed) —
Rudolf Haas: Die wilden Boldjhweine (Leipzig, L. Staadmann) — Friedel
Merzenich: Der fremde Vogel (Leipzig, Bibliographijdes Inftitut)
{Uf | HHHH HHGH HVV
=~, genau vor drei Jahren, im Juni
KU 1918, ftellten wir Bier als eine der
| beften Mk ert deutjcher Er:
ählungstunft Waldemar Bon:
els bin, ingwijden bat der Did):
ter nichts getan, bel offnung zu ents
täuſchen; er ift fid) und feiner freien, ftillen,
tief indigen rt nicht nur treu geblieben,
er hat fid aud) in ihr entwidelt. Nachdem
er uns als Zwijchen]piel unb als ein Zeichen
ungewöhnlicher Dicdterfraft feinen Don
Juan gejdenft Hat, ein Epos in zwölf
Gejángen, bas von einer tiefen Grundidee
ausgeht unb, wenn aud) als Ganges nicht
völlig gelungen, dod in einzelnen Teilen
von hoher dichterijcher Schönheit blüht, legt
er jebt einen zweiten Band jener Baga:
bundennotizen: Eros und die Evan:
elien vor. Aber wer Bier etwa luftige Land»
fireitbevabesdener erwartet, ber wird eine
arge Enttäufchung erleben. Man muß das
Mort Bagabund [Hon etwa mit rubelofer
Erdenfremdling überjeben, wenn man dem
Sinn des Bonjelsihen Landftreichers nabes
tommen will. Wie der Stromer überall fremd
ift und bod) in ber Landitraße feine etgents
liche Heimat fiebt, zu der ihn ein unertlár:
liches Heimweh immer wieder hinaustreibt,
fo por fid) aud) der Bonfelsiche Seelenfucher
un eltwanderer als VE und bod)
Debt er bie Erde als jeine ſchöne Heimat.
Nur bie Herzensgewalt eines Dichters vers
mag beides in ein einheitliches Verhältnis zu
bringen, und diefe Herzensgewalt jpürt man
beim Lejen faft out eder Seite. Eine jchwere,
tiefe Natur, die lid) von allen Vorurteilen
bes Surdjjd)nittsmen|djen befreit hat, ſucht
bier nad). bem einen, was nottut, nad) ber
ewigen Güte und Vernunft bes Meltwejens.
Als a er einer Druderei frijtet
ber Bagabund fürglid) fein Leben, als er
eines Tages durch Zufall in eine —
een gerät, wo er nun fein Wunder
erlebt. Ein franfes, dem Tode geweibtes
Mädchen, das allein mit ihrer Mutter wohnt,
ift diejes Wunder. Cie liegt ruhig auf ihrem
weißen Rranfenlager, von dem ad ihr blafjes
Geſicht taum abhebt, aber er merft fogleich,
daß es fein gewöhnliches Mejen ift, bas ben
Ginbringling mit ihren großen, ruhigen
on anblidt. Der Bagabund erklärt ihr:
„Als ich dies Zimmer betrat unb Umſchau
in ihm gehalten hatte, als id) Ihre Mutter
VBelbagen A Rlafings Monatshefte. 35. Jahrg. 1920/1921. 2. Bd.
und Cie gewahr geworden war, hatte id
das quälende Schuldbewußtfein, in bas uns
Mitleid zu ftiirzen — aber ſeit ich nun
in der ruhigen Helligkeit Ihrer Augen ſtehe,
bin ich nichts mehr ſchuldig, Ihre Augen
machen das Herz frei.“ Das Mädchen richtet
ſich auf, ſtützt ſich auf ihre Ellenbogen und
ſieht ihn mit ſo groBem Erftaunen an, daß,
er, wie vor fich felbft, erjdhridt. „So bunt dunun
Dod) nen jagt das Mädchen [Hiibtern
und langjam, aber mit großer Deutlichkeit
und ganz blak geworden. Cie tann es nit
fallen, daß fie, die völlig Vereinfamte, die
an der Grenze des Lebens fteht, nun plöß-
lid) nod) den einen Menſchen primer bat,
zu bem man Du jagt. Vol ergreifender
artheit und Tiefe ift nun das Werden und
adjen ber Ceelenfreundfhaft zwilchen
beiden. Wir werden in eine reinere, lichtere,
höhere Welt verfebt, wie fie nur ein Dich:
ter, vielleiht nur ein deutſcher Dichter er:
tsäumen und erjdaffen fann. Und es find
bod) nur bie armen vier Wände eines Heinen
Raumes, in denen zwei Menjchen dieje Ge-
meinjdaft fommt und fo jelbitverftändlich
beranwädjlt, wie das Tageslicht anbricht,
„von großer Herbheit und jo ernft, wie nur
bie Jugend zu fein vermag“.
Gleid) vollem Harfenton durdtlingt eine
wunderbare Tiefe und Snnigfeit Diele Be:
ſpräche gmiiden den beiden feltiamen Men-
den. n alle erniten und hohen Fragen
er Menjchheit rühren fie. Eines Tages
fragt er pe was Liebe fei. „3ft fie ein Ele:
ment, außerhalb unjerer, eine Kraft, die in
uns eingieht, eine Gnade, ber wir teilbaftig
werden? Wo ift ihr Urjprung, wo ihr Ende,
wo ihr Ginn?” „Da bob Asja ihr Kinder:
aupt aus dem weißen Riffenlager, neigte
td zu mir und fah mid) an. Mir war, als
edrobte ihr Auge mid) in einem unirdijchen
Schein, id) erbebte und tauchte in ihren Blick,
der far und ftill war. Ein unbefdreib-
lides Lächeln voll jüßer Traurigkeit trug
biele Stille zu mir. Da fühlte ich mein Her
wie Feuer brennen, ſchwieg und wußte, dab
id) nie mehr im Leben biefe Frage ftellen
wiirde.”
Go mödte man fortfahren, von dem
Schönen mitzuteilen, bas in diefem Bud
bejchlojfen liegt. Möchte ——— von der
Seelengemeinſchaft, wie fie Asja meint, oder
von ihrem Chriftus und ihrem Glauben, ben
28
496 ESSSSSSS3 Karl Streder: see
fie felbft gefunden bat. Aufwiiblend und
erjdjlitternd wie weniges, was Mtenjdenhand
geſchrieben bat, ift a TOD ei
Der diftatorijdhe Wunſch bes Durchſchnitts—
lejers: am Leitfeil der Begebenheiten, der
„Handlung“ geführt zu werden, ift d
chlechterdings nicht zu erfüllen, denn es find
o gut wie überhaupt feine äußeren Ge:
Ke niffe, alles ift innerliches Erleben. Mehr.
ion bietet der zweite Teil an fichtbaren
Vorgängen. Der Held bejinnt fid) auf fein
Bagabundentum, er wandert nordwärts und
fommt ans Meer. Sehr jdjón ift bie nächt—
lihe Ankunft an dem großen Waller und
jein Eindrud auf den Wanderer gejchildert,
wie überhaupt Bonjels’ Verhältnis zur Ta:
tur zu den reizvolliten Zügen feiner Künſtler⸗
ihat gehört. Auf eine jener merkwürdigen
Arten, bie meiftens feine *Befannt[djaften
mit jungen Mädchen einleiten, lernt er bier
eine junge Ariftofratin fennen, die bei einer
alten — dE Tante wohnt. Das Vers
hältnis mit diejer Raja ijt ebenjo eindeutig
wie furz, aber meijterbaft ius unb bet
m
Schilderung der alten Tante ey jogar
von echtem Humor durdwiirgt. Hier ftebt
die bunte Welt ber Bergdnglidfeit jener
Welt bes Unwandelbaren, bie bes Scheins
unb Benujjes je der Liebe und des Geiftes
peace. ie bei 33onjels, dem Baga:
unden mit der adligen Geele, nicht anders
zu erwarten, endet das Buch mit einem Auf:
blid gu jener Welt ber toten Asja, deren
Andenfen bas der Lebenden überdauert.
Ein tiefes, feines Bud); nicht für jeder:
mann, denn aud) bier iiberwiegt, wie [hon
in jenem erften Band, die Betrachtung und
der Gedanke; nur bejinnliche, ernfte Men-
(den werden biejem ebenjo empfindjamen
wie pbilofopbijben Landſtreicher folgen.
Mitunter geht der Dichter hierin fogar einen
Cd)ritt zu weit: nachdem er bas Wejentliche
ihon gejagt bat, verweilt er nod) nabfinnend
in der Reflexion, auch ift ein hohes Gelbft-
bewußtjein bei ihm offenbar pay verwandt
mit einer gewiſſen Gelbjtjudt, die jid) ans
deren, geringeren Menjchen gegenüber nicht
immer rüdjichtspoll hervortut, Aber was
will bas jagen bei einem Dichter, ber feine
dem Tode nahe Asja auf des Bagabunden
Frage: was Auferftehung fet? fo antworten
läßt: „Wie mag ein Menih fragen, was
Auferitehung ift, deffen Seele nicht in der
Schmerzensfinjternis ihres Grabes liegt?
ragt derjenige, der niht gefallen ift, die
orlibergehenden, wie er fid) erheben fónnte?
Wer aber nur deshalb fragt, weil er fürch—
tet, er möchte einmal fallen, der wird teine
Antwort erhalten, denn er fragt aus Furcht,
und Furcht ijt nicht in der Liebe. Aber die
Liebe, bie in der Welt allein zu antworten
—— kann nur der Liebe antworten.
Sieh, das iſt der Irrtum der Jahrhunderte,
in denen unſere Geſchlechter um Verger
ringen, daß fte hoffen, die Liebe möchte der
Lieblofiqtett Antwort geben. Nur wer aus
der Wahrheit ijt, hört die Stimme der Wahr:
heit, und wer aus ber Liebe ijt, Hört bie
Stimme der Liebe...”
Durch einen Zufall fommt mir nad) Bone
jels’ Erzählung von der Welt der fterbenden
unb toten Asja ein neues Jovellenbud von
ua RS in die Hand: Die Tote.
ie bedeutendfte und lángfte Erzählung
darin, nad) der das Buch feinen Titel bat,
behandelt gleichfalls bie ſeeliſche Einwir:
fung einer joeben gejtorbenen Geliebten auf
den zuriidgebliebenen Mann, Da bietet fid)
Gelegenheit zu einem höchſt feffelnden Vers
gleich zwiichen den beiden Didbtern. Ein
enfblei lodt zur Tiefenmeffung. Tod und
Liebe find zwei vortrefflide Prüffteine für
Dichter, zumal wenn fie fic nahe berühren.
$aBt uns feben: j^ ibn Mann jchildert
einen offenbar in feinem Beruf febr (Gd,
tigen und gejdeiten Gejchäftsmann namens
Cromer, wie er aus ber Großſtadt nad) des
Tages Arbeit in fein Landhaus am Gee
urlidfehrt. Geine Geliebte, eine Shau:
Eer ift, weil fie ihn betrogen bat,
einige Tage vorher in den Tod gegangen,
und in Gedanken an fie jd)reitet er Durch
monberbellten Garten dem Haufe zu. Allers
oe merfwiirdige Cindriide bejchäftigen
eine Gebanfen, und [chließlih, als er im
Bett liegt, erblidt er plöglich bie Tote, vom
Mondlidt erhellt in der Tür. Es ijt, wie
fih bald berausftellt, ihr lebensgroßes Bild,
das fein Diener an der Tür befeitigt hat.
Als er am andern Abend wieder nad) Haufe
tommt, fpiirt er eine unerflärliche Unruhe.
Und wirklich: bie Spulerfcheinungen häufen
fih. Er findet ihre Briefe unb lieft darin
von einem Jeltjamen Mann, der in ihr Leben
getreten fet. Im felben Augenblid -ra]djelt
der Brief in feiner Hand von einem Quft-
zug, und er bemerkt einen Dtenjchen im Sim»
mer, eben den, ber an jener Briefitelle bes
ichrieben ift, ein höchſt wunderlides, |pinnen:
artiges Männchen, bas dann erzählt, es habe
bie Tote gefannt, und nad) und nad) aller:
hand 9Bunberlidjes von ihr berichtet, wäh»
rend aus dem Bild der Toten zwei leben:
dige Augen auf Cromer herabjehen. Wie
ein unbeimliches Gejpenft macht jid) dann
das Männchen davon. Der Diener will
nichts siegen haben, offenbar handelt er im
Einveritándnis mit dem jjremben. Das
Mertwiirdigfte aber ift: in ben pe od Tagen
indet er immer feine 3ujábe in ihren Bries
en von ihrer eigenen Hand, mitunter aud
feine Bettel, Die Ddagwijdhengelegt gnb:
Schließlich enthält einer der Briefe bte Auf:
forderung, mit ihr zu fliehen: „nimm alles
mit, was wir brauchen.“ Cromer verftebt.
Er bleibt einige Tage in der Stadt und
fehrt dann zurüd mit einem ganzen Patet
von Wertpapieren. Er fegt jid vor bas
Bild mit den lebendigen Augen und breitet
die Papiere auf einem Tijd aus. Zuſtim—
mend jchließen fih bie beiden Augen im
Bilde für eine Weile, und Cromer geht in
jein Zimmer, Wie er erwartet bat, fo ge:
Ihieht’s. Bald hört er im Garten eilige
m
[:032323:203:23$3232320232323 Neues vom Büchertiſh BSSSSesessssssd 497
Cdrite und darauf ein Auto davon:
fahren. Auch fein Diener ift verjchwunden.
Er unterjuht das Bild: die Mugen find aus:
gejchnitten, Cromer legt fih ruhig [Mlafen
— er bat Betrug mit Betrug vergolten,
jene Papiere waren gefällt ...
So Heinrid) Dann. Die Gejbibte ijt
meijterhaft erzählt, fein Zuviel, fein Zuwenig,
jede Spannung flug berechnet und das De-
tail gejdjidt verteilt. Und dod: was ift
bas Ganze? eine EE Dar:
in liegt an Do fein Tadel. Nur daß Mann
jede der vielen fo nabeliegenden Gelegen:
heiten, die Spannungsreize der Erzählung
durch tiefere Empfindungen und Gedanfen
gu adeln, durch piychologijche und ethijde
eweggründe höher zu riiden, hat vorüber:
eben lafjen, ift ibm zum Vorwurf zu machen.
Selnrid) Mann hat, im Gegenjak zu feinem
Bruder Thomas, immer nur nad) bem Effekt
gehalt, jofern er nicht andere als fünft-
erilche 3wede verfolgte, er ift ein gejchickter
Erzähler und Catirifer, aber im Grunde
flah und talt. Von einem Bonjels trennt
ibn eine Welt.
DaB an guten Stoffen, bie nur einer ihrer
en Behandlung hatren, We immer
fein ange! tit, begeugt Julius Beritls
Roman berall olly und Liebe,
Der Name Molly verrät dem literatur:
tundigen Lefer jhon den Inhalt: Gottfried
Auguft Bürgers unfelige ‚Dreiedehe‘. Der
Roman beginnt mit des Dichters Werbung um
die Hand von Dorette bei threm Vater, dem
Suftizamtmann Leonhart zu Nieded, und wir
werden mit fedem epijchem Griff jogleich in
medias res geführt, wenn der fnorrtge Alte
den Werber anfährt: „Welche ift's, jagt Ihr?
He, Shr Sadermenter ? Dorette, das braune
Reh, Herr Poetafter 2” Freilich ijt es die
Dorette, Denn bie andere, Buftchen, ijt ja
erft fünfzehn Sabre alt. Überdies eilt es
bet Dorette aus Gründen, von denen Der
geftrenge Bater nichts weiß ... Und bod)
wird Guftel, die Molly der Bürgerjchen
— Ge das eigentliche Verhängnis
e. Cs ift befannt, wie Bürger die
hübſche Schwägerin bald feiner Frau vor:
iebt, und wie fid), unter an der
* duldenden Gattin, jenes unſelige Doppel:
verhältnis entwickelt, in dem beide ihm
Kinder gebären, aber Auguſte eigentlich die
pe ijt, für bie Dorette öffentlich gilt. Be:
annt auch ber erlójende Tod der armen
Frau, die Heirat der beiden anderen, bis
aud) Moly für immer von dem Geliebten
unb von Der Welt jcheidet. Berftl bat fid)
nicht verleiten laffen, einen lebensgejchicht-
lihen Roman in der breitausladenden BoM-
ftändigfeit, wie fie feit einigen Jahren Mode
find, aus biejem Dichterleben zu jchöpfen.
Die biograpbild)en Einzelheiten treten zurück,
es fommt ihm darauf an, bas tragijde Vio:
ment bes dreiedigen Berhältniljes und die
ringende Perjinlidjfeit des Dichters [tart
d unb das ijt ibm in der Haupt-
ade gelungen. Die exprejjionijtilche Form,
die übrigens bald eine Mode von geltern
jein wird und die fid) für einen Roman im
allgemeinen nicht eignet, weil feine Runjtart
eines gewijjen epijden Fließens nicht ent:
raten tann, ift bier ausnahmsweije nicht uns
¿wedmábBig, weil bas Gange von Leidenidajt,
von — Ld Begebenheiten und von
der wilden Unraft eines ungebändigten
Dichtergenies erfüllt wird. Go ift der Ro-
man jpannend und mit ficherem Blid für
dramatifche Wirkungen gejchrieben. Freilich
A es ber Verfalfer nicht erreicht, bie menjch»
ide und mulilche Fülle Bürgers ganz aus:
zujchöpfen, eines Dichters, ber — entgegen
verjdiedencn Literaturgejdidten und ent:
gegen felbft dem ungerechten Urteil Schillers
— banf feiner herrliden Urwüchligfeit und
Naturtraft zu den erften gehört, [hon weil
er das Meitteritiic aller deutjchen Balladen,
‚Die Lenore‘, ſchaffen fonnte. Aber das
war aud) wohl gar nicht die Abſicht Berftls.
Ihn reigte die Aufgabe, das merkwürdige
Siebesperbültnis — btejer EC aer rcs
Riinftlerfeele zu durdleubten, und das ijt ibm
nicht übel gelungen. Schließlich war das ja
auch Bürgers Verhängnis, und darin wenig:
tens muß man bem künſtleriſch anders ein:
geftellten Schiller recht geben, daß die aj:
fbetijden Unzulänglichkeiten Bürgers auf
feine fittliden zurüdzuführen find, und daß
Daher die Sicherheit, die thm im Leben nicht
gegeben war, notwendig auch oftjeinen Runjt:
werfen fehlt. —
Arg enttäufcht wird man von dem , neuen”
Roman Alfred Döblins. Diejer vielleicht
begabtefte Erzähler im jungen Nachwuchs
bietet unter bem Jeltfamen Titel Der
ſchwarze wa? Roman von den
Worten und Zufällen, ein bódbft ver:
worrenes Wert, unreif, bid aufgetragen, auf:
gepeitjcht, abftoBend und, was nicht an lester
Stelle |teben folte: auf die Dauer lang:
weilig. In einem „Vermerk“ lieft man zur
Erklärung diejer Eindrüde, dak ber Roman,
1902/3 gejchrieben, bisher feinen Verleger
pejunsen bat. Das fteigert meine Ae A in
allen Fällen hohe) Achtung vor den Ver:
legern. Zwar ijt es nicht übel gejagt, wenn
Döblin mit humoriftijdhem Swinfern befennt:
„Durchſchnittlich e y ih, um ein Bud)
Sates E vier Jahre, bas heißt vier
abre Ringfampf mit ben Verlegern”, aber
man möchte bod), auch um feinetwillen, wün—
iden, daß diesmal der Verleger Sieger in
dem Ringtampf geblieben wäre, denn den
nad) feinem ‚Wallenjtein‘ [Hon gefejtigten
literarijchen Ruf des Erzählers Döblin wird
dies Frühwerk jd)merlid) erhöhen. Schrift—
Heller follten von f[ugen Hundezüchtern ler:
nen, daß man dem Ruf der Rajje jchadet,
wenn man immer den ganzen Wurf auf:
zieht, für einige verfümmerte Exemplare
i's bejjer, man erjäuft [ie rechtzeitig, nod)
bevor jie „Augen betommen”, Dies Miß—
gewads hat nod) heute, in einem Alter von
neunzebn Jahren, feine Augen, es tappt
blindlings ohne Ziel und Zwed dahin und
428 Karl Streder: Neues vom Biidertijh E2323333333
purzelt über bie eigenen ſchwachen men
Der Untertitel bat ganz redjt: ‚Won den
Morten und Zufällen‘ — felbft der bei der
Moderne |o verpönte bejtimmte Artikel ift
bier am Plaß, denn niht nur aus Worten
und Zufällen allgemein wird diejer Roman
ebildet, fondern aus den Worten und Zus
fen, die nur bei einem unreifen Kopf ent-
diulbbar find. Das Buh berichtet in ab:
gerijjener {Form (Spinner, Weber und Geiler
vom Fad) halten bas Abgerijjene nicht ge:
rade für ein Zeichen bejonderer Meijterjchaft)
von den Nöten und Kämpfen, man fann
aud) jagen Krämpfen eines Jünglings: fees
lichen, geiltigen und vor allem gejchlecht:
liden. Mit Haß und Liebe, oder, wie
Strindberg es nennt, mit Liebeshaß verfolgt
ihn, verfolgt er die ftolze Irene, die fühle
Rothaarige, die ihn immer wieder anzieht,
immer wieder abitößt, bis er fie endlich wie
Ka erledigt: „Wie er fie umjchlang, hatten
eine Zähne tief in den weißen Hals und
die Kehle gejdlagen, das Geſicht in den
Blutitrom gedrüdt, jchlürfte er an ihrem
Halje, die mit leifem Reuben gegen feine
Umflammerung anrang. Er jeufzte mit ge:
preßten Kiefern und zitterte: wie warm, wic
warm.” Sch denfe, dieje Probe genügt.
Weshalb lápt ein Mann wie Döblin, ber
weiß Gott ein Könner von Rang und Rei
ift, ſolche [o id heute bruden
Hält er es für traftgenialifd) Sch halte es
nur für gejdjmadlos, denn dazu: einen fols
den Vorgang fid) auszudenten, gehört nichts
weiter als die plumpe Einbildungstraft
eines Gabdiften. Und bas ift Döblin dod
fidjerfid) niht. Obwohl Spuren feiner Be:
gabung aud) in biejem Wert zu finden find
— wir hätten bod), um jeinetwillen, gern
darauf verzichtet.
Nicht „gefragt“ an der literarifchen Börfe,
wo bie Yusrufer fid) überjchreien und bie
Bettermichelei ihre Geſchäfte maht, ift
Wilhelm Geb. Gd merl. Und dod ge:
hört er zu ben Epilern, bie noch wirklich
„Geſchichten“ zu erzählen willen und die am
Erzählen nod) Freude haben. Gein foeben
erjhienener Roman Rajpar Lederer ber
Schulz bezeugt bas aufs neue. Es bom:
belt fid) um einen Juftizmoro Ende bes
16. Ve melt bi Der neue Pfarrherr von
Gollhojen will die protejtantijche Lehre, die
[don denter Anhänger im Dorf hat, mit
aller Strenge Durchführen und die goldenen
unb filbernen Gefäße, den Kirchenjchaß ber
Gemeinde, verfaufen. Der Schulz Rajpar
Lederer, dem diejer Verkauf übertragen wird,
zögert damit, weil er feine Bauern fennt
und weiß, daß es böjes Blut geben wird,
denn viele find nod) fatholijdh, und zu bem
Shag haben ihre MWoreltern beigetragen.
Da wird das Kirchengut bem Schulzen, der
es in Berwabr bat, von einem ihm feind:
lihen Bauern geftohlen, und verjchiedene
Umftände laffen den Schulzen jelber als vers
büdjtig erjcheinen, den Shak unterjchlagen
und au (Gelb gemadt au haben. Wie er
nun trog feiner Unjchuld, nachdem er auf
der Folter ein falſches Geſtändnis abgelegt,
hingerichtet wird, wie bie Gegenjeite trium:
Hiert, aber entlarvt wird und der Anftifter
jenes Diebjtahls jdjlteBlid) fein erbärmliches
Ende — das wird mit vielen Neben—
umſtänden auf 317 Seiten ſpannend, wenn
auch ohne literariſche Anſprüche erzählt.
Ein lesbarer Unterhaltungsroman.
Höher ſteht Rudolf Haas, unſer alter
Bekannter und hier ein wenig Verwöhnter,
denn ſchon Carl Buſſe hat ihn an dieſer
Stelle gern verhätſchelt. Er verdient es aber
auch. Sein neuer Roman Die wilden
Goldſchweine weiſt ſeine alten Vorzüge
auf: ſonnenhelle Weltfreude und Lebens»
bejabung ferngejundes, tief im Bolfstum
wurzelndes Empfinden, geraden Ginn und
lachenden Humor, fiberrajdjembe Offen:
barungen bringt er nicht, es ijt die Bor:
eihichte bes hier feinerzeit veröffentlichten
omans ‚Michel Blant und feine Kiefer.
Die wilden Boldichweine find eine luftige
a TE dieim Bafthaus „Zum
oldenen ildſchwein“ ihre regelmäßigen
ibungen abbált, aber nicht nur luftig ijt,
jondern aud) gemeinjdaftlid) Gutes wirft.
Die Fler ¿rage [pielt diesmal tief hinein,
aas | P ihr mit ber verftehenden Menſchen—⸗
tebe, aber auch der ruhigen Bejonnenbeit
egenüber, bie feine Schriften wie eine frijche
táblende Luft burdjmeben. Das Buch iit
vor der Revolution gefdrieben, der Vers
affer bat es aber unverändert gelajjen; mit
echt ar er Der Meinung, daß bte Vorkriegs=
zeit, bte er bier jdjilbert und die jebt ende
gültig vorbei ift, troß aller Mängel doch
me viel Gutes, Tüchtiges und Wertvolles
in fid) gehabt bat, das fejtzubalten und, [oz
weit es gerettet zu werden verdient, in uns
lere Gegenwart hinüberzuretten ibm eine
banfbare Aufgabe jcheint. Die Rleinftadt:
originale, bie Triebl- Haas zeichnet, find
wieder jcharf und — geſchaut, der guts
herzige Idealiſt Hans Trux hat bie pig
eines Jean Paulſchen Helden, und all dte
Stammtijdgafte mit ihren brolligen Spig:
namen (Gtadtitord, Blanetentópfer, Opopoi,
— ft, Kitt ujw.) find prachtvolle
ypen behagticen und bod) tattráftigen
deutjchen Bürgertums. Gie halten den Un:
wettern des Ge)dids und der fozialen Rampfe,
bie über [ie Hinwegbraujen, tapfer ftand und
finden zulegt ihren weltfreudigen Humor
wieder, wie wir bas vom echten Triebliblage
nicht anders erwarten.
Der im vorigen Jahr in unjeren Monats:
eften abgebrudte Roman von Friedel
ergenid): Der np Vogel ijt jest
im Berlage bes Bibliographijchen Inftituts
Leipzig als Bud er|djienen.
e Slluftrierte Rundichau e
OtCeeeccccecceceeccccecececccecececcecececccecceecccecccecee E EE EE EE EE EE,
Münchner Malerei um 1800 — Der Maximilianharnij/h —Anhdngeetifetten —
Handarbeiten — Zu unjern Bildern `
Y] miere Gehnjucht beginnt, (id) aud) fiinft-
lerijd) rüdwärts zu wenden, und zwar
aus tieferen Gründen als einer romantilch
Ipielenden Kaune. Wir ftehen ratlos und
unjider vor Gegenwart und Zufunft, und
wer nod) an Rettung glaubt, fann fie nur
in dem finden, was tüchtig und ei entümlich
beut|d) ijt. Manches, was uns Troft oder
Muſter fein könnte, ijt verjchollen ober KI
ber Gelamtbeit unbefannt, und jo regt fi
an vielen Orten das Beitreben, den Zeiten:
ſchutt, der fid) über toftbare ne gelagert
Hat, wegzuräumen, fo daß fie jid) wieder
allen Augen in urjprünglicher Schönheit dar:
bieten. Unjere Lejer willen, wie ftattlid) die
Heidelberger Maler der Romantik aus dem
Duntel bes Vergefjens hervorgetreten find.
Eine im vorigen Jahr veranftaltete Bildnis:
ausjtellung der Berliner Wfademie bejcherte
dem Betrachter mancherlei Entdederfreuden.
Eine reihe Ernte breitete bie Ausitellung
aus, die die Münchner Galerie Heinemann
Ce RE d Ce) G4) G8) G8 58 38 58) G8 a
ber Zeit nicht für voll genommen hat und an
deren natürlicher Trike wir unfere belle
Freude haben: ber bürgerliche Colinger, ber
Geh Dillis, ber feelijd empfindfame Wil-
helm Kobell, der frijch finnlide Wagenbaum,
der berb zupadende Dorner. „Es ijt,” wie
Adolf Feulner in der Einleitung des orgjam
ausgearbeiteten Sataloges jagt, „nicht nur
die ungetünjtelte, pedantijche Schlichtheit, die
Ehrlichkeit und Natürlichkeit ber Anſchauung,
die uns rührt, jondetn mehr nod) ber Ge:
halt, der tiefere Inhalt, bas Gtimmungs»
volle, die Gefühlsinni teit, Empfindun Bas
jeligteit, bie uns Géck rühromantijche
leret wertvoll machen
B
Der auf ©. 431 abgebilbete Sarnijd) it
aus mehreren Gründen eine bemertenswerte
Geltenheit. Wohl erfreut fid) das Zeughaus
in Berlin, bas ihn vor kurzem erworben bat,
einer großen Anzahl von NRüftungen, aber
jehr viele find durch moderne Ergänzungen
unter Dem in den Yu:
Namen gen des
n DM ün A- Sammlers
ner Mas entjtellt und
lerei um nur vers
1800“ ver: ſchwindend
anſtaltete wenige vom
und von der Kopf bis zu
wir hier ein den Füßen
paar Proz und bis in
ben zeigen. bie- lebten
Sieumfaßte Singers
im wejents glieder Der
Iden die Handſchuhe
Jahre 1775 gut erhal:
bis1825, d.h. tem. Dieje
die Zeit des Tadellofig:
aus SEN feit ijt ber
den Rototos Neuerwer:
bis zum Auf⸗ bung nach—
treten Pe: zurühmen,
ters von und [ie ift
Gornelius um fo wert:
und 30g eine voller, als
Menge neus es fid) nicht
er RKiinjtler um ein
und Bilder Prunkſtück
ans Tages: |onbern um
lit. Uns einen Ges
fefjeln vor: brauchshar:
nebmlid) bie nijd) fürs
Bildnis: geld han:
und Land: delt. Er
Ihaftsma:= ftammt aus
ler, Die Ke Den pegs
atabemi nenden 16,
IH.
[oi Salem Gemälde von Job. Satob Dorner d. filteren (Hus der Austellung —, JADEDuN>
Geſchmack »Vtiindner Malerei um 1800” in ber Galerie Heinemann, München) dert. Das
480 I y INuftrierte Rundihau [aaaoooocooooood
linnfälligiteStil-
merfmal fiir eine
enauere geit-
ide Begren=
zung liefert(nach
Baul Poft in ben
„Berliner Mus
feen”) die Be-
lebung der Har-
nijchoberfläche
mit langen Rie-
felungen, Die für
eine Erfindung
Kaifer Mari-
milians galten.
Der Meifter bes
Werts ijt gewiß
in Nürnberg
oder Augsburg
S —
88
"on Mbrtetten:
fabrit Kollmar
& Jourdan in
Pforzheim hatte
ein Preisaus—
idreiben für
Anhängeeti—
ketten erlaſſen
und damit eine
außerordentlich
große Zahl von
Künſtlern in
einen anregen—
den Wettbewerb gelockt. Denn ſo klein und
unweſentlich die Aufgabe ſchien: es ſtellte
ſich bald heraus, daß ſie, ernſthaft ange—
F —
*h LX A
des ae e ee. —
Selbſtbildnis. Gemälde von Maria Elektrine Freifrau von
Freyberg (München, Galerie Heinemann)
arbeiten.
E ^ * A A . Léi
T a c ced ^ DR <
GA. uni BR . ` D -
— an ei è l * aoe Ke
p * dx
i $ y
padt, betrüdt-
liche Schwierig⸗
keiten bot, ſollten
doch Form und
Farbe verfdjies
den fein, um fo-
ort die he
es ausgezeich
neten —
ſtandes —
zu laſſen, und
die Schrift jollte
veria iedenarti
verteilt fein, un
fonftigen prat-
tijden Anforde:
rungen hieß es
zu genügen. Wir
eigen aus Der
E e der X:
jungen einige der
preisgekrönten,
bie trog ber Ein:
farbigteit — ber
Wiedergabe
jhon die Vian:
nigfaltigteit ber
künſtleriſchen
Ginfalle ver:
raten.
28 8 8
Zum Schluß
des Heftes brin:
gen wir Sands
Aus der Gtaatlihen Kunſt—
gewerbeichule in Stuttgart ftammt der gee
batitte Lampenfdirm von Helene E
Die Tannerjdladt des Bayr. 1. Chevaurxleger- Regiments bei Abensberg 1809. Gemälde von Wilhelm
von Kobel, (Aus ber Ausjtelung „Münchner Malerei um 1500" in der Galerie Heinemann, Winger)
SSES SS BWujtrierte Rundihau seess 431
f
—-—
Eech, Zi
—— Fer
LAE
Preisgetrinte Entwürfe aus einem Wettbewerb ber Firma Kolmar & Jourdan, Pforzheim,
zur Erlangung von neuzeitliden Anhängeeititetten |
menretd, einer Schülerin Bernhard Pan: | her. Eine große Anzahl fchöner Arbeiten
tofs und Laura Eberhardts. Die Batil- | wurde eingereid)t. Die Einflüffe ber mo:
technik, bie fih man: dernen Malerei mad):
cher jchon ein wenig ten fid) ftart bemert:
iibergejehen lie" weil bar und nicht zum
fie wabllos für alles Schaden; zeichnet fich
verwandt wurde, eig: Dod) unjre jüngite
net jid) für Lampen: Runft, oft unfreiwil:
Ichirme vortrefflich. Im lig, burd) funftgewerb:
Schein bes Lichts wer: lid) betrachtet reizvolle
den die bunten Töne Leijtungen aus. ln:
lebendig. Die Glut ter den bier abgebil:
der roten Farben wird deten &ijjBen machen
gefteigert, die Härte wir auf das von Berta
er blauen wird ge: Fritſch bejonders auf:
dämpit, Grün und merljam; bier find
Gelb geben leife ins EE E 30pfe,
einander über. Der gehäfelte Yuftmafchen,
GlImenreidjjde Lam: edrebte Schnüre in
penihirm paßt mit Spiralen wabllos auf:
feinen ungefünjtelten enábt. Das von $e:
Tierbildern in das ene Ohnimus in Ham:
Kinderzimmer, und burg unter dem Gtid):
aud uns Großen wird wort „Gebirge“ aus:
er, erleuchtet, eine geitellte Kiffen ift eine
liebenswiirdige Qa- eihmadvolle Kreuz:
terna magica fein, Hicharbeitin Molle auf
die uns an Zeiten er- Stramin. Aud) bier
innert, wo Die Melt glaubt man eine der
nod) febr bunt und u lebter Einfachheit
febr einfach war. Die Hilifierten Landidaf:
ima Minjen in ten zu leben, wie fie
Itona-Ottenjen hatte unjre revolutionäre
fid) mit bem Runftge: Jugend malt, nur daB
werbemujeum in MI- Dier bas Wusdruds:
tona in Verbindung mittel natürlich und
SS, um fünitle= leineswegs übertrie=
rildje Handarbei: ben abjonderlich wirft.
ten zu erlangen, ein & 8
nachahmenswertes
Beiſpiel. Das Haus
trug die Koſten der
Beranftaltung und
pole bie Preile, Die
&
Unter unfern Bil:
bern befindet fidh dies:
mal faum eines, an
bas unjre fejer erit
durch ein permittel[ns
jeumsleitung half des oder einladendes
mit künſtleriſch gebil: Wort herangeführt
— Rat ST gab Dr SSR
áume für bie us: erbung des Berliner Beughaufes: adiolen von H. Mit:
ftellung der Arbeiten — a a tag fteben fauber und
432 IREEE ST Mlujtrierte Rundidau Issel
geihmadvoll gemalt in der hinefilhen Bale
auf dem rotbraun en Tijd. Go ein
Gtilleben ijt für ben Bejchauer ein beruhigen=
der Genuß. Vian könnte jid) denten, daß
ein Mann in Arbeitshoje, eine Frau in Der
Kiffen aus Wollreften von Berta Fritih, Ham—
burg. Aus einem Wettbewerb für Handarbeiten
vom Kunftgewerbemujeum zu Altona
gemaltes deutjchesBild (3w.S.344 u. 345). — An
ber reizenden „Entführung“, die fid) in einem `
Gozziſchen Märchenjpielereignen tónnte, wird
jeder Lefer feine helle haben (zwijchen
‚©. 352 u. 353). Hier bat Meiſter Diez ein
mal wieder feine fröhliche und frohmadende
— WEE DEE fae eee: Erfindungsgabe und feine ſchmiegſame Runft
arbeiten vom Kunftgewerbemufeum zu Altona der Darftellung erwiejen. Bei biejer Belegen:
eit leien die Verehrer von Diez auf das große,
Vielgejchäftigfeit des Haushalts immer aufs bei D. & R. Bilhoff erjdienene Werf von
neue durd) ein fo friedevolles Kleines Gud Rihard Braungart hingewiefen, das nicht
in Farben aufgefangener Schönheit er: e ein Buch über, fondern auch ein Bud)
erquidt werden. — von Diez genannt
Das Bildnis von r- J zu werden verdient.
Alexander Ma: — Hermann.
towsty(3w.S.336 Gtruds Berliner
u. 337) gebt in der
Darftelung einer
augenblidlichen
Gebarde falt zu
weit. Es hat etwas
Beunrubigendes,
und man finnte jid)
imGegenjaf au dem
Gtilleben vorjtellen,
daß jemand bei al:
ler Achtung vor der
Mieifterjdhaft Des
Malers einen jo
CtraBenbilb zeich—
net fid) durch far:
bige Fri} dhe aus (zw.
©. 376 u. 377). —
Der jegeltuchnähen:
e Filder von
Emanuel 3airis,
einem aus Sta:
lien — ftantmenben
Dialer Münchens,
hat in der Wucht
der Erſcheinung und
der Größe der Ge—
„aufſäſſigen“ Herrn bärde einiges mit
nicht dauernd in jet: Hodler gemein (zw.
nem Zimmerbhaben . ©. 384 u. 385). —
möchte, — Louis
Lejeune, der E
gern bie Miart für
eine Diotive wählt,
führt uns mit feiner
Baumblüte in den
Golling, das Berg:
land zwijchen Wee
In bem Idyll von
ungbanns end:
lid) (zw. ©. 408 u.
409), das fih ganz
einfad) realiſtiſch
gibt, flingt ein
wenig Humor wie
ein Glödlein, das
Ier und oberer der Wind von Ter:
Leine: ein mit viel
| ; er über den Ader
Freude und Andacht SCHERER EE pro d P. Y,
“
. Herausgeber und verantwortliher Schriftleiter: Paul Osfar Hörer in Berlin
Künftlerijche Leitung: Rudolf Hofmann in Berlin — Verlag: Velbagen & Mafing in Berlin, Viele:
feld, Leipzig, Wien — Drud: Filer & Wittig in Leipzig — Für Sfterreid Herausgabe: Frieje &
Lang in Wien I. Verantwortlih: Grid) Friese in Wien. Bráunergafie 3 — Nad)jdrud des Inhalts
verboten. Alle Rechte vorbehalten. Zuichriften an die Sdriftleitung von Belbagen A Klafings
Monatsheften in Berlin W 50
Auslandspreis für Holland 1 Gulden, für Italien 8 Lire,
für die Schweiz 2 Franfen, für die Standinavijden
Lander 2 Kronen, tür die Vereinigten Staaten von
Nordamerıta und Viexito */, Dollar, ujw.
ye beziehen durd) alle Buchhandlungen und Poft:
titalten. In der Zeitungspreislifte Der deutſchen
Reihspoft unter ,,Velbagen & Klafings Monatshefte“
durd) bie Poſt-Anſtalten bezogen werden.
helm Hegeler (iortjegung) . 433
Die ffeinen Hände. Gedicht von
BE: ova 452
Giulio Beda. Bon Georg Hir| dh:
feld. Mit fünf farbigen Wieder:
gaben nad) Gemälden bes Künſt—
lers e ng eae
Schwingungen. Berfe von Karla
NONI 6
Ritter Biffi. Ein ſüdliches Por:
trát von Theodor Bohner . 461
DieDame am Ruder. Bon Marie
von Bunjen. Mit dreizehn eins
und zweifarbigen Abbildungen . 469
Die Prüfung des Eduard Arbes:
mann. Novelle von Emil Gradl 477
Die große Glode. Gedicht von
Helen Fidelis Butih . . . 489
Die Feme. Von Dr. Grid) Friede:
rici, Mit vier Zeichnungen . . 450
Bildnisminiaturen aus nieder:
ſächſiſchem Privatbeſitz. Von
Prof. Dr. Georg Biermann.
Mit fünfzehn ein- und mehrfar—
bigen Abbildungen ea
Sn der Sdhenfe am Meßberg.
Seite
Zwei Freunde. Roman von Wil:
453
497
Novelle von Kurt Kühler . . £05 —
Nerpös Mon Dr. med. Carl
TOUR WASTE. 2.» DW
333332332222222222232232222322332233€6€C€CCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCCC XX
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eingetragen. Das erite e tann einzeln.
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>< wohin er feine Mutter, die fid) dort von
einem langwierigen, aus dem Winter in
den Gommer verjchleppten Halsleiden ers
ES elhagen S Rlafinas c
tsh
35.Jabrg. / Juli 1921 / 11.eft
QR
nm
fte
SÒ
25 cr Krieg brad) aus, ber Menſchen—
Jí RNY vertilger, ber Menjchenerprober.
MOY Sans befand fid) au biejer Beit
in einem bayriſchen Gebirgsdorf,
Holen wollte, begleitet Hatte,
Eine einzige Zeitung trug die Nachrichten
ber Welthändel in diefe Bergeinjamteit. Go
dürftig das Echo war, es genügte, um eine
mit ber Umwelt in feltjamem Gegenfas
ftehende Spannung zu erzeugen. Dann [djien
fid alles zu beruhigen, und einige Tage
blieb die Zeitung fogar ganz aus. Sans
gab nicht groß acht darauf, denn ein neuer
+, Fteberanfall feiner Mutter bereitete ibm
nähere Sorgen.
Am erjten Morgen, als fie fieberfrei war,
machte er nach geraumer Rranfenftubenhaft
wieder einen größeren Spaziergang und bot
A der Welt ein jo heiter unbefiimmertes Ge:
béit. wie bas von Fiditenwáldern, Almen
und Bergihroffen umrahmte Stiidden Welt
ihm zeigte. Da hörte er [Mon von weitem
bas ftiirzende Gepolter ſchwerer Schritte, bas
Rnaden von dien. bas Rutiden von Ge:
ro, und wie ein gebebter Hirjd brad) es
aus dem Jungtann heraus: die mächtige
Gejtalt eines Gebirglers mit ber Genie auf
bem Rüden, das braungebrannte Geficht
von Schweiß bebedt. Der Stürmende über:
querte den FuBweg und [tampfte, den Guten-
> Morgen: Gruß taum erwidernd, auf dem
geraden Nichtiteig zu Tal.
Und Hans war noch faum eine Viertels
ftunde weiter gegangen, als wieder ein jun:
Belbagen & Klajingd Monatshefte. 35. Jahrg. 1920/1921. 2. Bd. Nad)drud verboten. Copyright 1921 by Belhagen & Klafing
voriiberbajtete. Als dann aber ein dritter
ebenjo gewitterhaft vorbeibraufte, fonnte er
es nicht unterlajjen, ihn verwundert, an:
gurufen, was denn eigentlich los fet?
„Krieg ift!“ lautete ber furze Antwort:
donner.
Da Jebte ber Spaziergánger fih auf den
nüdjten Stein, und obwohl die Wolfen nod)
ebenjo [till und weiß und felig am blauen
Himmel jehwebten, ftand es wie bligdurd)s
lobte Gewitternadht über dem Betroffenen.
Hallte es nicht wieder von polternden Cdrit-
ten? Halte es nicht überall her, vertaujend:
fadt? Gtiirzten nicht ba und dort von ben
Höhen gleich tojenben GieBbaden die Män-
ner zu Tal? Von allen Höhen ftrömten fie
in alle Täler bes deutſchen BWaterlandes.
Aus allen Häufern drängten fie und fam:
melten [id) zu Hauf. Die Männer der Berge
begegneten denen der Ebene, die Bauern
vereinigten fich mit den Ctübtern, ein eins
giger ungeheurer Strom ſchwoll an, und
bieler Strom hatte einen einzigen Willen,
ein einziges Ziel. |
Er aber wie ein Ausgejtoßener war von
diefer großen Gemeinjchaft unberührt ges
blieben. Nun begriff er alles. Die mürrijche
Miene des Wirtes, wenn er gelegentlich nad)
der Zeitung fragte. „Krieg ijt!” Nun war
bie flammende Gorge um feine Mutter wies
ber ba, aber in neuer Geftalt. Was war
geihehn in bieten abnungslojen Tagen?
Sjanbelte es fid) nod) um legte Vorbereituns
gen oder war der Krieg wirklich [Hon auss
gebroden? Waren etwa [don Entſchei—
dungen gefallen? Er fprang auf, und aud
29
434 ee SS) Wilhelm Hegeler: sees
fein Schlendern wurde jekt zum ftürmenden
Cdritt der Not unb der Pflicht.
Seine Mutter nahm die Nachricht gefaßt
auf, ebenjo wie feinen Entſchluß, fid) fofort
zum Militär au Wellen, Er fragte fic, ob
lie fid) auch wohl genug für die lange Reije
fühle, und fie erwiderte, unter diejen Um-
ftánden bránge es fie felbft nad) Haus.
Bleich nach feiner Ankunft begab er fih
zu Dewerths. Rudi war bereits zurüd:
gefehrt. Er und die beiden Frauen waren
gerade damit bejchäftigt, eingemottete Unis
formftüce auszupaden, denn Rudi folte jhon
am nádjten Tag ausriiden. Unbefiimmert
um Mutter und Bruder fiel Annie ihrem
Geliebten um den Hals, und niemals in
feinem Leben batte Hans in eines Menſchen
Mund jeinen Namen ausrufen hören mit
einem jolchen Klang des Jubels und Der
Erlöjung.
Wher als fie dann allein waren und er
Annie fagte, daß auch er fort wollte, [mien
fie ihn anfangs nicht zu verftehen. Als er
aber feine Worte wiederholte, wurde fie
Jdattenbleid), und ihre Stimme flang wie
ein Ternes Flüſtern. Er dürfe nicht fort,
jagte jie. Denn fie würde es nicht über:
jtehen, ihn zu verlieren.
Vergeblich |prad) er alle jene Morte, die
in Diejen Tagen Taujende von jungen Män-
nern zu ihren Müttern ober Bräuten |pras
den. Alle bie hohen Begriffe, bie damals
bie Menjchen über fih hHinaushoben, [bienen
für fie feine Geltung zu haben. Warum
mußte er freiwillig ihrer beider Glüd opfern?
Warum wartete er nicht, bis man ihn rief?
Cie wollte nicht glauben, daß jeine Mutter
been Cd)ritt billigte. Noh am |päten Abend
juhte fie Frau Bofelmann auf, und aud
dieje verjd)wendete vergeblid) ihre gütigen
und ſchlichten Worte. Annie widerjprad) ihr
nicht, aber ihre ftumme Berzweiflung vers
riet, Dak nichts jie überzeugen fonnte.
" Und während all der Tage, die verftridjen,
ehe Hans ein Regiment fand, das ihn zur
Ausbildung annehmen wollte, wurde es nicht
anders. Meder die Berufung auf ihren
Stolz, nod bie jchmeichelnde Hoffnung
auf ein Wiederjehen zu Weihnachten ver:
mochte fie aufzurichten. Zum erjtenmal fühlte
Hans in ihr die Kraft eines Willens, Die
Dem feinigen überlegen war. Gie verjuchte
nidt mehr, ibn umzuftimmen. Aber wenn
(ie blak und apathijch dajak und er fie fragte,
was fie habe, erwiderte fie nur: „Du weißt
ja — Angſt.“ Und das einzige, woran fie
lich Hammerte, war der blinde Glaube, daß
irgend etwas eintreten müjje, was die Aus:
führung feines Vorhabens unmóglid madte.
Als es bann aber bod) zum Abjchied fam,
ftanden in der Menge, die auf dem Bahn:
hof zujammengejtrómt war, feine Mutter
und Annie. Und Frau Bolelmann, bie von
der Krankheit fehr mitgenommen war, fo
zart und gebredlid) in ihrer Magerteit,
ſchien bas Ichlanfe, zitternde Mädchen ftügen
zu mújjen, das ihre dunfel umjchatteten
Augen weniger auf Hans zu richten fdien,
als auf den ganzen Zug, als fönnte fie Durd
die Kraft ihres Blids bie jchweren Eijen-
wagen hindern, fid) in Bewegung zu jegen.
Süngit war der Zug davongerollt und
nichts mehr zu erfennen als einzelne weiße
Fleckchen wehender Tajchentücdher, da [pürte
Hans immer nod) die jchwere Verzweiflungs:
wucht biejer Mugen. Und das Gefühl über:
fam ibn, daß er an Annie ein Unrecht bes
gangen habe.
Kurze Zeit |päter meldete Klaus fid) beim
Noten Kreuz. Gein väterlicher Freund, ber
Baron von Schwärzell, der als Etappen=
delegterter bet diejer humanitären Inititution
wirkte, batte ihm das Anerbieten gemadht,
ihn nad) erfolgter Ausbildung als Adjutanten
unter feine Fittiche zu nehmen. Im Winter
des eriten Kriegsjahres folgte er ihm nad)
Flandern. Zu den zahlreichen Obliegen-
heiten, die Klaus in jeiner neuen Stellung
zu erfüllen hatte, gehörte auch, feinem Bors
gejebten bei der Verteilung von Liebesgaben
behilflich zu fein. Der Baron von Schwärzell
war ein jehüchterner, bejabrter Junggelelle,
ein Sammler von Gegenftánden, die alte
Wappen trugen, feien es Stegelringe, Pet:
Ihaften, Porzellantajjen oder Pfeifentöpfe,
dem Leben gegenüber ein Herr von auf:
regender Hiljlofigteit, der nicht drei Straßen
weit gehen fonnte, ohne [id) zu verirren, Der
nidi einen einzigen Namen zu behalten,
nicht ein Rangzeichen zu unterjcheiden ver:
mochte, ber es fertigbradte, an einem General
vorbeizugehen und fih zu wundern, daB
diejer ihn nicht zuerjt grüßte, furg und gut,
ein Mann, jo recht von Gott geichaffen, um
die Stellung, bie ihm fein alter Name und
jein gutes Herz auferlegt hatten, auszufüllen.
Klaus mußte von morgens bis abends um
ihn fein und ihm bie nötigen Anweijungen
zuflüjtern, um láderlide Mißverſtändniſſe
und beleidigende Irrtümer zu vermeiden.
Eines Tages begleitete er den Baron in
das zu einem Bermundetenlazarett umge:
jtaltete Klofter der 3Ba]fionijten. Cie hatten
den mit Refonvalejzenten belegten unteren
Gaal bereits burdj|d)ritten und begaben fid)
nun zu den Schwerverwundeten im oberen
Gtod, wenn fie auch wupten, daß denen mit
Zigarren, Pfefferfudjen und Pulswärmern
wenig gedient war. Während fie mit mit:
leidigen und unbehaglichen Bliden die Betts
pn
reihen abjdjritten, las Klaus auf einer der
Ihwarzen Tafeln über dem Kopfende: Mius-
Fetter Bolelmann. Und es war wirklich feim
Freund, ber ba in ber armjeligen, aus rohen
Brettern gezimmerten Bettftatt unter einer
rauhen Pferdedede lag. Aber wenn er unter
Geide und Eiderdaunen gelegen hätte, es
wäre ihm aud nicht wohler gewejen. Denn
er hatte vierzig Grad Fieber und war ohne
Bewußtjein.
In den nächſten Tagen fam Klaus mor:
gens und nachmittags, um [idj nad) dem
Befinden des Patienten, deffen jchwere, von
einem Granatiplitter herrührende Stirn—
wunde dem Arzt jehr wenig Hoffnung auf
feine Erhaltung gab, zu erkundigen. Ms
dann nad) einer verhältnismäßig leichten
Operation die Fieberkurve plößlich hinunter:
ging und Hans wieder zu fid) fam, war diefe
riihrende Fürſorge das erfte, was er von
der mitleidigen Schweiter erfuhr, und bei
bem Wiederjehen fonnte er nur immer wieder
feiner fbwaden Hand die bes Freundes
dankbar drüden.
Es war eine jonderbare Empfindung, die
in Klaus dabei rege wurde, daß er in diejen
Tagen den bofíinungslofen Zuftand feines
Freundes für einen wunderbaren Eingriff
bes Schickſals zu feinen Gunjten gehalten
hatte. Aber angelichts dtejer neuen Wendung
jagte er jid), Dag es auch fo gut jet. Um fo
mehr, als er ein Anliegen an Hans hatte.
Eine etwas peinliche Bitte, Doppelt peinlich
gerade in Diejer Situation. Aber wenn man
nicht riidjidjtslos vorging, dachte Klaus, fam
man nie gum Biel.
Geitdem er jid) in Belgien befand und
die jlandrijden Städte fennen gelernt hatte,
war ibm Tor geworden, daß auf biejem
Boden fein Glüd gedeihen müjje. Das ganze
Land war ein Riejenmujeum, eine ungebenere
Schatzkammer wertvoller Altertümer, bie
infolge der Geldfnappheit und wadjenden
Fliegergefahr ebenjo im Preije fielen, wie
fie in der Heimat jtiegen. Er hatte fih [Hon
feine ganzen Erjparnijje Zommen lajjen und
einige Rijten mit föftlichen alten Bildern
nah Haufe geihidt. Aber angelichts der
ausliegenden Neichtümer war das ein lächer—
lich bejcheidener Anfang. Wenn ihm jest
jemand ein Heines Kapital vorjtreckte, fonnte
er binnen furzer Zeit ein gemadjter Mann
werden. (Er hatte unter anderen Roftbar:
feiten einen alten Gobelin entbedt, ein
wundervoll erhaltenes Stüd, für das er in
der Heimat das acht: und zehnfache des ge:
forderten Preijes erzielen konnte.
Er wartete, bis Hans wieder einigermaßen
zu Kräften gefommen war, dann bradte er
fein Anliegen vor. Kaum Hatte er etwas
Zwei Freunde BE32323232323732 3232323231] 435
von feinen brüdenben Schulden erwähnt,
als der Freund ihn unterbrad: „Aber,
Mann, ich habe bir bod) jo oft gefagt, bu
joljt ganz über mid) verfügen. Wieviel
brongt bu? Ift bas aud) nicht zu wenig?
Brauchſt du nicht mehr?“
Klaus, der wußte, daß feines Freundes
Bermögen keineswegs bedeutend war, jd)ümte
(id) im erften Augenblid, erhöhte dann aber
bod) bie gewiinjdte Summe um die Hälfte,
indem er fid) für das großmütige Anerbieten
überjcehwenglich bedantte.
„Broßmütig? Ach, eher fleinmiitig. —
Wenn man jo in einem Granatlod liegt
und um fein bißchen Leben attert, dann
wird einem der Gedante an Geld fo ver:
dammt gleichgültig... Wher, was id) fagen
wollte... jo ein gewilles Dtiblrad geht
einem ja immer nod) im Kopf herum...”
Er nahm von feinem Nachttiſch eine
3igarrentifte und framte einige darin bes
findliche Briefe hervor.
rAd, ja... aus Annies Briefen habe id)
den Eindrud, daß fie und ihre Mutter jid)
auch in Verlegenbeit befinden... alle Welt
ijt Durch den Krieg ja in Not geraten. —
Ich will bem Brief. an die Bank gleich beis
fügen, daß fie an Annie auf ihr Anjuchen
Geld jdjiden fol. Coviel fie braucht.“
„Offen geftanden, das finde id) leidte
finnig. Das ijt ja eine unbejdrantte Boll
madt.”
„Kann id) mein Vertrauen einjchränten
Wenn id) einem Menjchen vertraue, dann
vertraue ich ihm unbegrenzt.“
nod) als dein Freund rate dir ab."
„Mach' mid) nicht nervös! — Dieje vers
Fluchten Beldgejhichten. — Entſchuldige, aber
id bin immer nod) ein bißchen döſig. —
Eine Vollmacht! Verftebft du?“
Klaus [djüttelte nur [till den Kopf.
Hans gähnte und fagte dann: „Du —
wenn ich heut abend fieberfrei bin, dann
befomme id) die zweite Portion ... Fleijd!
Du abnjt ja nicht, was in dem Wort jtedt."
Er gähnte wieder und legte ftd) bann, Die
Augen jehließend, auf die Ceite.
Nach einigem Jtad)benfen fegte Klaus jid)
an den für die wachhhabende Schweiter bes
ftimmten Tijd, auf bem fic) Tinte und Papier
befanden, und jd)rieb den Brief. Er mußte
den Freund aufweden, der nur fragte, ob
er aud) eine Vollmacht gejchrieben hätte,
dann das Wort mit großer Befriedigung
íi anjab und darauf den Brief unter:
zeichnete.
„Das übrige lieft du niht?”
„Barum? Das wird [hon ftimmen.”
„Du gebor| aud) zu den Dtenjchen, die
unbejehn ihr Todesurteil unterfchreiben.“
99 *
436 ee Wilhelm Hegeler: Wee
Hans nidte. „Das hat [Hon unjer Klaſſen—
lehrer immer behauptet.”
Um nidt an fich irrezuwerden, gab
Klaus den Brief jogleid) der Schweiter zur
Meiterbefórderung. Ihm war nicht recht
wohl zumute. Bet Licht bejehen, hatte er
bod) einen Schlafenden überfallen. Er be:
ibloB, die geliehene Summe fo |djnell wie
möglich zurüdazueritatten. Durch ibm folte
der Freund feinen Pfennig verlieren. Biel
fataler war bie Gejdjid)jte mit Annie. Aber
batte Klaus den Freund nicht gewarnt, jebr
energiſch fogar, bis diejer ungemütlich wurde?
Und wenn er den Brief nicht gejchrieben
hätte, jo hätte ber erjte befte ſtumpfſinnige
Pfleger es getan.
Klaus bejudie Hans, ber fic nad) Ent:
fernung der Splitter überrajchend jchnell er:
holte, auch weiter jeden Tag. Hans hatte
einen längeren Urlaub bewilligt befommen,
aber plöglich einjegende Großkämpfe machten
diefe Hoffnung zunichte. Raum wieder:
bergejtellt mußte er von neuem an die Front.
Sn ben nächiten Monaten wurde jeine Divi:
[ion an ber Weltfront Bins und hergeworfen
und überall dort eingejebt, wo es am heißejten
guging. Dann fam bie Nachricht, daß er
nad dem Often gefommen und ingwijden
zum Offizier befördert worden fei. Nun
ihien er ein wenig Rube zu haben. Im
Frühjahr aber traf ein Schreiben ein, er fei
bei den Kämpfen am Naroczjee gefallen.
Eine jpätere Nachricht lautete, nad) Aus»
jagen einiger Kameraden fet er nur [djmer
verwundet worden. Möglicherweije alfo
lebte er nod) und befand fic) in rufjijder
Gefangenjdaft. Trog allen Bemühungen
von feiten der Mutter und von Klaus waren
genauere Nachrichten nicht zu erlangen. Er
blieb vermißt. Und die Wahrjcheinlichkeit,
daß er gefallen fet, wurde immer größer.
Derweil betrieb Klaus feine Gejchäfte.
Während Millionen den brifeften Wunjch
hatten, daß der Krieg ein Ende haben möge,
ging feine Hoffnung dahin, daß er noch recht
lange dauerte. Denn mit jedem Monat
mudlen feine Gewinne. Was an der Front
geihah, ob bie Qeut|den Giege erfochten
oder Niederlagen erlitten, war für ihn etwas
Mejenlojes, folange die Etappe nicht in
Mitleidenjchaft gezogen wurde, Nur mand):
mal, wenn er die Truppenzüge vorüberrollen
oder die Bataillone mit ihrem jrijdjen und
Dod [o ſchwermütig tlingenden Gejang vor:
beimarjdieren jab, fam ihn ein Grauen an,
und er dachte, es miipte ihm wobler fein,
wenn er mit ihnen in Reith’ und Glied mars
ichierte. Bezwungene waren fie ja alle, fie
vom Viuf bezwungene, wie er von feiner
Leidenjdajt begwungen war. Immer mehr
empfand er diefe als eine Haft und Bejefjen-
heit, die jede freie Regung in ihm getötet,
die ihn dem Freunde gegenüber zum gemeinen
Kerl gemadt hatte, die ihn in ewiger Nerven:
überreizung hielt und feine Bejundheit unter:
wiiblte.
Er war dem Baron unentbebrlid und
durfte Dellen Bunft nicht verfcherzen. Immer
gewagtere Rügen waren nötig, damit er für
feine ¿abllofen Reijen die Erlaubnis befam.
Geplagt von Angſt, daß feine lebten
Schwindeleien heraustämen, erfann er [hon
neue Slide und bradjte es auf dieje Weile
fertig, auf allen großen Runftauftionen in
Brüjjel zugegen zu fein. Mit ber Zeit gr:
wann er hier unb in den flandrijden Städten
eine Anzahl Agenten, die für ihn boten und
ihm Nachrichten gufommen liepen, wenn
bejonders foftbare Funde auftauchten. Die
geriffenften Händler vermodten ihn nicht zu
betrügen, und ganz felten nur ließ er fid)
von einer Faljdung blenden. Er hatte eine
zu gute Shule durdgemadt und einen
fiheren Blid.
Die Heimjchaffung der Begenftände machte
ibm wenig Kopfjchmerzen. Zwar waren
daran von feiten der deutſchen Behörden
[dimer zu erfüllende Formalitäten getmiipjt.
Aber er hatte feine Freunde in ben Lazarett-
zügen, bie ihm RKijten und Kaften heimlich
über bie Grenze jchmuggelten. Und es war
jein Gíüd, dak alle diefe Rojtbarfeiten,
Bilder, Stiche, Miniaturen, Gobelins, Berjer:
teppidje, altchinefifches Porzellan, ;Delfter
Fayencen, Spigen, Limoger Emails, Bronzen
und Elfenbeinarbeiten verhältnismäßig wenig
Raum einnahmen.
Binnen einem Jahr raffte er ein Bers
mögen gujammen. Aber je mehr dadurch
bie Ausfiht wuchs, Annie zu gewinnen,
dejto ungemejjener [teigerte fid) feine Hab»
gier. Er war fanatifiert und verlor alle
Vorliht. Und wenig fehlte, fo wäre er
mitten in feinem glänzenden Aufitieg ge:
Icheitert. Bon einigen Intendanturbeamten
hatte er fich verleiten laffen, gewijje Arznei:
mittel, deren Ausfuhr verboten war, in das
bejegte Gebiet zu [Hmuggeln. Der Handel
wurde ruchbar, eine Unterjuchung eingeleitet,
die Betroffenen |djmer beftraft. Nur bem
Eintreten feines Borgefegten, der fid) für
feine Unjchuld verbürgte, hatte er es zu vers
danten, daß er ber Berurteilung entging.
Ziele Wochen des Bangens, als er feinen
Ruin und feine Entehrung vor Augen fab,
turierten ihn beinah. Es gab Stunden, wo
er feinen Mabnfinn verfludte und fih jchwor,
auf Annie zu verzichten. Aber dann genügte
ein einziges Wiederjehen, um alle feine Bors
füge zu zerjtäuben. In Deler Leidenjchaft
see 030393039: SS Zwei Freunde Lee sl 437
lag etwas von der Wut des Sammlers, der
fein Herz an einen bejtimmten Gegenjtand
gehängt hat und dafür zu jedem Opfer be:
reit ijt, zugleich auch von der Narrheit eines
Phantajten, ber nur feinen Traum liebt
und halb [hon im voraus überzeugt ijt, dab
ber wirtlide Belig ihn enttäujchen wird.
Gene Stellung bradjte es mit jid), daß er
mit der Heimat in regelmäßiger Verbindung
blieb. Bald hatte er für den Gtappenbele:
gierten Aufträge in Berlin zu bejorgen,
bald einen Trupp Schweitern aus der Hei-
mat abzuholen oder dorthin zurüdzuführen.,
Bei diefen Gelegenheiten verjäumte er es
nie, bas Dewertbibe Haus aufzuluchen.
Eine Zeitlang hatte Frau Dewerth von
Hanjens Vermögen gelebt, bis Annie das
gegen Einjprud erhob. Als dann Klaus
im Belig größerer Mittel war, ftredte er
ihr die nötigen Summen vor, damit fie die
Hypothetenzinjen bezahlen und ihren Lebens:
unterbalt bejtretten fonnte. Er wurde ber
uneigennüßige Helfer im großen wie im
Heinen, Bon biejen Dingen durfte Annie
nichts wijjen.
Als Annie bie Nachricht von Hanjens
zweiter Verwundung befommen hatte, war
De allen Einwendungen ihrer Mutter und
den Bedenten des Hausarztes zum Troß
Hilfsihweiter geworden. Und fie, deren
Gejundheit und Lebensiibermut fih gegen
jede Art von Krankheit und Leiden aufge:
bäumt hatte, unterzog fid nidjf nur den
niedrigften Hantierungen ohne Etel, jondern
ertrug aud) beim Berbandwed)jel den Ans
blid der Wunden mit einer GefaBtbeit, als
wenn fie feit langem daran gewöhnt wäre.
Als der Chefarzt über dieje Miderftandss
traft fein Erftaunen äußerte, erwiderte fie:
„Was man Debt, ijt ja nicht ein Hundertitel
jo jhlimm wie das, was man fih in ber
Phantaſie ausmalt.”
Und dies war in der Tat bas Geheimnis:
der Tag und Naht auf ihr laftende Drud
der Angſt linderte fidh durch die gleichmäßig
anftrengende Tätigkeit und die Nähe bes
Leidens. Gie lebte ganz mit ihren Soldaten,
wurde nicht müde, deren Erzählungen zu
lauſchen, die weniger als von ben Cdjreden
des Krieges von fleinen, harmlojen Begeben:
beiten zu berichten wußten, und gab fid)
ihrer Pflege mit einer Aufopferung bin, die
ein wenig auch der abergläubijchen Hoffnung
entíprang, daß das, was fie Diejen armen
Berwundeten erwies, irgendwie dem fernen
Geliebten zugute tommen müßte.
Wenn Klaus und fie je zujammentamen,
jo berrjdjte zwilchen ihnen eine Fremdheit,
die nicht einmal die Miöglichkeit eines Streites
auftommen liep. Und er gab ihr nie
Gelegenheit zu irgendwelden Angriffen.
Wenn er früher fi durch feine Ungeduld
manchmal hatte hinreißen lajjen, jo zwang er
lich jebt, da feine Hoffnungen nicht mehr uns
möglich) waren, zur Borfid)t, ba er fih fagte,
daß bie Zeit feine befte Verbündete fet.
Im SFrühlomner fam Rudi für einige
Tage auf Urlaub, und man gab ihm zu
Ehren ein Meines Felt im Dewerthichen
Haus, an bem aud) Annie teilnahm. Gie
hatte ihre Schweſterntracht abgelegt und trug
zum erftenmal feit ihres Waters Tode ein
Delles Commertleib. Anfangs hatte man
auf der Beranda geplaudert und die frohen
Zutunftsausfidten be|prod)en, denn es ging
wieder einmal das Geriidt von einem nabe
bevorftehenden Frieden mit Rupland. Die
Verhandlungen jollten jo weit vorge|d)ritten
fein, daß man mit einem 3Baffenjtillitanb zu
Pfingſten rechnete.
Sobald dann aber die Mufitanten ers
[dienen waren, wurden alle von einem
wahren Tanzraujd) ergriffen. Und der fonft
jo nüdhterne Rudi war der Ausgelafjenfte.
Der Übergang war jo fdroff, dak Annie
guerjt ein Gefühl ber Befremdung und bes
Unredhts überwinden mußte. Tod) Hatte
das, was fie vorhin gehört, ihre Stimmung
wunderbar aufgebelt, Waffenjtilftand —
das bedeutete ja die Auslieferung ber (Ge:
fangenen! Das bedeutete, daß Hans bald
wieder guriidfehren würde!
Und während fie durch die geöffneten
Sliigeltiiren des Gaales in den Garten
hinausblidte, wo Rhododendren und Gold:
regen aufleuchteten gleich frohen Gieges:
zeichen und am blauen Himmel bie Wöltchen
wie auf weißen Taubenflügeln binjegeltert,
hatte fie das Gefühl, daß alle Freude in
ihrer Bruft fid) binid)wingen könnte über
Berge und Flüſſe und unendlide Ebenen bis
zu dem fernfernen, unbefannten Ort, wo der
Geliebte weilte. In diejer Stimmung ent»
faltete fie Siebenswiirdigteit, fibermut und
Mit wie nur je in ihren beften Tagen. Und
wenn aus den vom Tanz und Wein er:
bigten Gelichtern der Offiziere allzu unver:
biillt das Bergniigen an ihrer Schönheit
aufleuchtete, wenn fie ihr ein wenig zu ge-
wagte Schmeicheleien fagten und fie fefter,
als ber Wnjtand erlaubte, in den Arm
nahmen, dachte fie nur: Es find ja Rames -
raden von Haus. Morgen haben fie vielleicht
ein ähnliches Schidjal wie er.‘
Der einzige, der nicht Uniform trug, war
Klaus. Rudi hatte ihn auf bejonderen
Munjch feiner Mutter eingeladen. Er war
etwas fpáter als die andern gelonmen, und
da er nicht tanzte, hielt er fic) met in ber
Nähe von Frau Dewerth.
438 FSE£SESESESSESCSEA Wilhelm Hegeler: IIIcH ZH HZ HH ZZ ZA]
Geit einiger Zeit war er Teilhaber der
Firma Broßmeyer & Quandt geworden. Dian
jprad) viel von ibm in der Stadt, nicht
immes Gutes. Er galt als einer derjenigen,
die Durd) ben Krieg Hodgefommen waren,
bod) im allgemeinen behandelte man ihn mit
dem Reſpekt, den bie Welt dem Glüd zollt.
Mit einem widerjpruchspollen Gefühl von
Eiferſucht, Furcht, Hoffnung und höhniſchem
Triumph fab er Annie zu, die feinen Gruß
laum erwidert hatte und deren Augen mit
einer unbewegten Gleidjgültigfeit über ibm
wegglitten, als wenn der Stuhl, auf dem er
jab, leer wäre. Sollte er jid) heute erklären,
jollte er nod) warten? Bald wurde es ein
Jahr, daß Hans vermißt wurde. Klaus
war überzeugt, daß er gefallen fei. Jeden
Mugenblid konnte irgendeiner diejer unifor:
mierten Laffen Annie einen Antrag maden.
Cie waren ja alle vom Berlobungsteufel
bejefjen! Und Annie jah aus, als wäre fie
jeder Tollheit fähig.
Er wollte mit ihr [predjen. Gleichviel
was immer! Cine PBauje trat ein. Er—
frildungen wurden gereicht. Aber der Pla
an ihrer Seite wurde nicht leer. Ta endlid
ftand fie auf, um Auguft Weijungen zu
geben. Is fie guriidfam, trat er an ihre
Ceite.
"34 babe Ihnen noch gar nicht guten
Tag jagen Tonnen, gnábiges Fraulein.”
„Sind Cie [hon wieder auf Urlaub?“
„Nur auf ber Durchreije. Aber wie id)
fehe, haben Cie Urlaub genommen. Soffent:
lid) bat man jet öfter das Vergnügen, Cie
in biejer jo viel jchöneren Toilette zu febn.”
„Das Vergnügen werden Cie fo bald
nicht wieder haben. Sd) habe fie nur meinem
Bruder zuliebe angelegt. Und den guten
Nachrichten zu Ehren. Denn es gibt dod
grieden !”
„Glauben Gie?”
„Sie tun faft, als wünjchten Cie ihn gar
nit.”
„IBiejo 2”
„Sa dachte, der Frieden ftórte Sie piel:
leicht in Ihren Gejchäften.“
„Da wäre id) ein jchlehter Kaufmann,
wenn id) nicht lieber heute als morgen den
Frieden Herbeiwiinjdte. Was willen Cie
‚ übrigens von meinen Geſchäften?“
„Ale Welt jpridt ja davon — von Ihren
Riejenverdienjten.”
„sh fann dabei nichts Schlimmes fin:
den.”
„Geſchmackſache.
Geſchäfte machen.“
„Ich erfülle zuerſt mal meinen Beruf.
Und daß ich darin meine Pflicht tue, iſt
Sache meiner Vorgeſetzten.“
Wenn andere kämpfen,
„Natürlich. Mich kümmert's auch wirk—
lich nicht.“
„Und wenn id) bie Konjunktur ausgenußt
habe und ein vermögender Mann geworden
bin — Gite wijjen ja, für wen id) bas tat.“
„Wie [oll ich das wijfen?”
„Ich date, Cie erinnerten fid) an bas
Gejprád, bas wir einmal hatten. Ich fagte
Ihnen, id) wollte reid) werden. Nicht für
mid) — für jemanden, ber mir höher [tebt
als mein Leben.”
„An bie denten Cie immer nod)?"
„An bie werde id) immer denten.“
„Und was fagt fie?“
„Sie weiß nichts.“
„So [til blüht Ihre Liebe 2”
„Sch jagte Ihnen damals, id) würde mid)
nicht eher erklären, als bis ich reich wäre.“
„Und jeßt find Sies?”
„Wenigſtens tann id) ben Anfprüchen aud
eines giemlid) verwöhnten Mädchens ges
nügen.“ |
„Alſo Dann würde ich mid) doch er:
fären.“
"3d weiß nicht, wie bie junge Dame
meine Werbung aufnehmen wird.“
„Das hält bod) ben Mutigen nicht ab.”
„Ich glaube, wirkliche Liebe mat furdht«
fam.”
Annie zudte die Achſeln.
„Ih würde gern mit Ihnen Jpreden —“
„Mit mir? Was gehn mid) Ihre Herzens:
geheimnifje an?“
Ihm oeren Schweißtropfen auf der
Stirn. Cie ſchien völlig harmlos, und bod)
abnte er Falljtride. Er ſchwankte gwifden
Furcht und dem Wunſch, feiner Ungewißheit
ein Ende zu machen.
Da begann bie Mufit von neuem. Zwei
Dffiziere eilten auf Annie zu.
Der blutjunge Leutnant [toppte ehr:
erbietig zwei Schritte vor ihr ab.
Obne Klaus aud) nur anzujeben, Tieß fie
fid) von dem Hauptmann fortholen.
Die Stimmung wurde immer ausgelaf:
fener. Wlöglih waren Rudi und einige
jeiner Kameraden verjhwunden und febr
ten als Damen verkleidet zurúd. Nun moll:
ten fid) auch bie jungen Mädchen mastieren,
Im Nu waren aus Truben und Rajten aller:
hand Rojtiime gerijjen, und Frau Dewerths
Schlafzimmer glid) bem 9Infleiberaum einer
zigeunernden Schaufpielergejelihaft. Auf
dem Rand der beiden Ehebetten faken bie
jungen Mädchen in Untertaille und Höschen
und freijdten, wenn die Tür aus Berjehn
aufgerijjen wurde.
Annie fam als holländilcher Filcher, die
Ichwarzäugige Lila als Neapolitaner, in
weißen, prall um die Hüfte fikenden Bein»
> e poo ND Im
SSES Zwei Freunde BRRR AAZ 439
fleidern, rotem, tief ausgefchnittenem Wams,
bas hochgeftedte Haar unter der feidenen
Zipfelmüßge verborgen.
„Sieht fie nicht aum Anbeißen aus?“
jagte Rudi zu feiner Schwefter. „Ich bin
einfach weg! Sch made heute die größte
Dummheit meines Lebens.”
"Bas ift bir nur?” erwiderte feine Schwe—
fter. „Du bunt ja ganz außer Rand und
Band.“
"Ud, lag midj! In vierzehn Tagen bin
id) vielleicht [hon tot. Muſik! Muſik!
Oder id) ſchieße.“
Und wieder wirbelten bie Paare im Tanz.
Draußen jdiimmerten [Hon die erjten Sterne.
Kaum nod) fichtbar verglommen Rhododen-
dren und Goldregen in der Dämmerung.
Rudi und Lifa waren im Garten verſchwun—⸗
den. Als [te guriidfamen, 309g Lifa Annie
in ein leeres Zimmer, fagte nur: „Rudi und
id —" und fiel ihrer Freundin um den
Hals. „Mein Gott, ich hab’ ihn ja jo wabn:
finnig lieb. Ich babe ihn geliebt, als id)
nod ein fleines Rind war... Nun muB
ja Frieden werden!”
nasa, es muß Frieden werden.”
Rudi blidte Durch bie Tür. „Annie, gud
mal!“ Und er erftidte Lija faft unter Küſ—
fen. „Das ijt nämlich meine füße, fleine
Braut.” :
„Weiß Mama jdjon ?"
„Der jagen wir bas Malheur erft morgen.
Heut’ find wir reftlos glüdlich.“
„Rudi, wenn du uns nadjber nad Haus
begleiteft, bleib ein bißchen in meiner Nähe,
Sd möchte nicht mit Herrn Gbenjtod allein
gehn.“
„Was will denn der?”
„Nichts. Nur fo —“
Als dann endlich der Aufbruch fam, war
es eine ganze Gejelljdhaft, die lachend und
fingend durd den Bart zug, um Annie ins
Rrantenhaus zu begleiten. Als man aber
dort jchellte, öffnete niemand, und [djlteplid)
erffárte Rudi, das einzig Verniinftige fei,
daß Annie nad) Haufe aurüdfebrte. Cin
Paar nad) dem andern verabjdjiebete fih.
Schließlich waren Rija und Rudi, Annie und
Klaus allein. Annie folgte dem Paar auf
dem Fuß, als fie aber ben Dunklen Hof-
garten Durchjchritten, waren die beiden plöß:
lid) verjchwunden.
„Es bat [Hon jo fein follen,” jagte Glous,
„Es hat durchaus nicht jo fein follen. Sie
haben mich einfach irregeführt. — Rudi!
Rudi! — Go Helfen Sie mir dod rufen!
Sch muB meinen Bruder finden.“
In dieſem Augenblid ftieß fie gegen einen
Baum. Leuchtfäfer glommen aus dem Bufch:
werf. Auf den fleinen Spiegel des Flip:
hens ftreuten die Sterne zerrinnende Fünk—
chen. :
„Sehen Sie, alles Stufen hat feinen 3wed.
Es gibt |djon fo etwas wie Fiigungen. Und
id) wußte, heute ijt mein Cdjidjalstag. Cie
erinnern fid) an unfer Ge[prád) vorhin?”
„Und Sie hoffentlich aud, daß ich Ihnen
jagte, Ihre Herzensangelegenheiten inter
gieren mich nicht.“ i
„Berzeihen Sie, aber in Dingen, bie ba
Gdidjal eines Menjen entjcheiden, darf
man wohl unhöflich fein. Ich [prad) Ihnen
von einem jungen Vtädchen, das ich liebe. —
Aber geben Gie adj, da find Bäume!
Beben Cie mir lieber Ihren Arm.“
„Laſſen Sie! Sd) finde allein den Weg.”
„Es war Mabnfinn, dak id) dies Miads
den liebte. Cie gehört zu ben angejeheniten
gamiliet der Stadt. Und wer war id?
Cie willen, was für cin Unglüd mein Vater
gehabt hat?“
„Unglück? Sch denfe, er hat Brand:
itiftung begangen."
"Jun gut. Jawohl. Er bat gejeffen.
Und id) in bieler Lage ... ich liebte dies
Mädchen. Wahnfinn! Wahnfinn! Ich wollte
reid) werden. Ich Hätte ebenjogut König
von Preußen werden wollen. Aber der
MWahnlinn wurde Wirklichkeit. Sd) bin reich
geworden! Meine Leidenjchaft gab mir die
Kraft. Denn nidt um meinetwillen habe
id) gearbeitet und große Einfáge gewagt,
jondern ihr wollte id) alles zu Füßen legen.
Sagen Cie mir, dak id) wahnlinnig bin.
Sd) antworte Ihnen, wie id) bas eine er:
reicht Habe, werde ich aud) das andere ers
reichen, oder ich gehe zugrunde Denn es
gibt für mid) fein anderes Lebensgztel.”
„Aber warum foll ich bas alles anhören ?
Warum foll ich herhalten, damit Sie an mir
Ihre Liebeserflärung einüben ?“
„Ad, Sie willen bod) jehr gut, wer diejes
Mädchen ift!”
Cie blieb ftebn, [hwer atmend, als müßte
jie zu einer Antwort die Kraft jammeln,
Ihwieg einen Wugenbli und fagte dann
ruhig: „Und ich frage Cie, willen Sie nicht,
daß ich mit Hans verjproden bin? Mit
Ihrem beiten Freund! Gie werden Jagen:
nein, Sie wüßten es niht. Aber es ijt ges
loger. Gie haben es gewußt.“
„Bewußt nicht, wohl aber geahnt. Ich
tónnte Ihnen erwidern, daß ich ein volles
Jahr gewartet habe, feitdem er vermißt ift.
Sd) könnte Ihnen erwidern, daß id) in diefer
Zeit alle menjchenmöglichen Schritte getan
habe, um zu erfahren, ob er nod) am Leben
ift. Überall Bat man mir erwidert: es ift
jo gut wie ausgeſchloſſen, daß er nod) lebt.
Gonft würde er Nachricht gegeben haben.
lichen Intereſſen.
440 Wilhelm Hegeler: BSSS33333333333I
Cie werden jagen, daß ja ba und dort aud
andere Vermißte wieder aufgetaucht find.
Aber in ben meilten Fallen find das Beis
tungsenten, von betriebjamen Reportern crs
funden, um ihren Lejern rührende Gejchich:
ten vorzufegen. GewiB ift es vorgefommen,
daß Totgeglaubte zuriidgetebrt find. Aber
dann handelte es fid) um gewöhnliche Col:
daten, bie aus Indolenz nicht [d)rieben. Wher
ein Mann wie Hans! Ein Offizier! Mit
Geldmitteln verjehn! Sd) ſchwöre Ihnen,
wenn er am Leben wäre, hätte er Ihnen
Nachrichten zutommen laffen. Aber das
alles will id) ja gar nicht fagen. Hundert:
mal lieber wäre mir, Hans wäre nie ver:
mißt. Hans wäre hier, und hier in feiner
Gegenwart fónnte id) Ihnen jagen, was id)
Shnen gejagt habe. Und id) würde auf feine
Einwände erwidern: Ich habe ein Redt,
meine Liebe zu geitehn, denn meine Liebe
ift größer, zehntaujendmal größer als bie
deine. GewiB haft du Annie geliebt. Aber
neben ihr haft du andere geliebt, und es
hat Zeiten gegeben, wo du fie vergeijen halt.
Du wirft nicht zugrunde gehn, wenn du fie
nicht befommft. 3d) aber gehe dran taput.
Und barum ijt es fein Verrat, den id) be:
gehe. Nein, nein, nein! Gie nennen es jo. Ich
weiß, was Cie fagen. Ich tenne alle Ihre
Einwände. Denn was id) Ihnen fage, habe
ih Ihnen ja [hon hundertmal gejagt und
Babe hundertmal alle Ihre Einwände wider:
legt. Gite werden erwidern: Wenn Hans
felbft Cie bäte, Cie follten bie meine wer-
den, Sie würden nein jagen. Denn wer den
Freund verrät, verrät auch die Frau. Aber
das ift nicht wahr! Sch verrate ihn nicht.
Denn ich weiß, es wäre fein Unglüd und
das Ihre, wenn Sie gujammenfamen. Gie
fönnen nicht glüdlid) miteinander werden,
weil Sie grundverjchieden voneinander find.
In Ihnen leben Inftinfte, denen er niemals
genügen tann. Jawohl! Gie fragten mid)
mal: Woher fennen Sie mid) eigentlid fo
genau? Sd) tenne Cie fraft meiner Leiden:
Ihaft. Weil id) Tag und Nacht über Cie
nadgedadt babe. Ich tenne Cie beffer, als
Cie fid) jelbjt tennen. Eine Weile mag das
Leben, das er Ihnen bietet, Ihnen gefallen.
Das jelbjtgenügjame Leben mit feinen inner:
Aber eines Tages wird
Shre wahre Natur fid) melden, die nad)
Berjtreuungen, nach der großen Welt vers
langt. Und dann wird er Gie an feinen
Bücherſchrank führen und fagen: Dort ijt
meine Welt. Gie werden vielleicht refigs
nieren, aber glüdlich werden Cie nicht. Ich
aber fónnte Ihre tiefiten Inftintte und Ihre
legten Wünjche befriedigen. Es gibt fein
Biel, das id) an Ihrer Seite nicht erreichen
fonnte, Das mag ruhmredig flingen. Aber
ein Menjch, ber vom Habenidts zu was gc:
tommen ijt, bat wohl das Redht zu großen
Morten. — Das ift mein Wahnfinn, meine
Leidenjdaft, meine Liebe! Sch babe bas
gegen angefampft und bin unterlegen, id)
habe unjaglid) darunter gelitten und habe
mid) unláglid) glüdlich gefühlt. Ale Bors
würfe, bie Cie gegen mich erheben tónnen,
babe id) mir jelbft gemadt. Und habe mich
Ichließlich freigeiprochen, denn was die hid:
ften und reinften Empfindungen in einem
erwedt, tann unmöglich ein Verbrechen fein.
Irgendwo ift es in den Sternen beftimmt,
daß wir zujammengehören. Und alle Hinz
dernijje, bie unferer Liebe entgegenftehn, find
nur gejdaffen, um ihre Größe zu beweijen.“
Überlaut hatten feine Worte burd) bie
tile Nacht geflungen, in ber nur bas Ieije
Murmeln des Flujffes vernehmbar war.
Mie ein unaufhörlich braufender Strom war
feine Rede bingeraujht, und Annie hätte
bis zum Schreien ihre Stimme erheben
müjjen, wenn fie etwas hätte erwidern wols
len. Aber fie war nicht fähig dazu. Ihr
Atem war wie erjtidt, fie zitterte vor (Er:
regung und war gleichzeitig betäubt unter
diejen Worten, bie wie das glühende Fan:
den eines Gauerftoffgebläjes auf fie ein:
drangen.
Und ploglid), als hätte er alles ausge»
Iprodjen, als wäre er am Ende feiner Kraft
und gänzlich leer, brad) er ab. Und erit
nad) einigen Augenbliden fagte er mit ganz:
lid) veränderter Stimme: „Nun ift es her:
aus! Und was aud fommen mag, ich fühle
mid erlöft. Cie haben mein Schidjal in ber
Hand. Meinen Aufitieg oder meinen Unter:
gang.“
Schweigend gingen fie nebeneinander her,
bis ans Ende der Allee, wo fie im Schein
einer Laterne Lija und Rudi gewabrten.
„Wo habt ihr nur gejtedt?” fragte Lifa.
„Wir haben euch überall gejucht.“
„Herr Gben[tod wird fid) verabidieden,”
antwortete Annie, „Herr Ebenftod wird uns
nicht länger begleiten."
Klaus madte eine unbeftimmte Bewegung,
als wollte er einem von den dreien Die Hand
reichen, liiftete Dann aber nur den Hut und
tebrte fid) um.
Sobald Annie zu Haus angefommen war,
entfleidete fie fid) in der Dunkelheit und ver:
Irod) fid) im Bett, indem fie die Deden Bod)
über ihr Geficht 30g, als könnte fie damit
alle feine Worte erftiden. Aber nod) einmal
fuhr fie hod) und frie, während fie auf die
Bettdede ſchlug: ,Rommis! Du frecher Rom:
mis! Du und die Gterne ...”
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Am alten Leuchtturm
Gemälde von Otto D. Franz
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PSSSSPESPLSLSLLSLSTSA Zwei Freunde BESSTSSSSTETSSTN 441
Es war ein feuchtkühler Nachmittag, ohne
Glanz und beinab aud) ohne Farbe. Selbjt
die Zweige des blühenden Rotdorns hatten
in ihrer VBerwajchenheit etwas Diifteres und
erinnerten Annie, bie eilig Durch ben Hof:
garten zur Feldftraße ging, an große Laden
geronnenen Blutes. Als fie Das nad) der
Straße binausblidende Zimmer der Frau
Bolelmann betrat, das ihr, feitdbem Hans
fort war, zu einer zweiten Sjeim[tátte ge:
worden war, erhob fih die alte Dame und
fagte: „Rind, fo früh? Hoffentlid) bedeutet
das etwas Gutes.”
„Wie gebt's dir, Mama?“
„Wie immer. Und bir?"
„Nicht bejonbers. Nein. Gar nicht gut
eigentlich.“
Und Annies Stimme, bie erft fo tapfer
gcflungen, wurde immer leijer.
„Erihrid nicht, Mama, id) muß bir etwas
Trauriges mitteilen. Rudi ift gefallen. Heute
morgen fam der Brief.“
Aller Millensanftrengung zum Trog brad)
fie in Weinen aus. Mit einer rajden, ner:
vójen Bewegung, als müßte fie eine momen:
tane Verwirrung, eine Art Blutleere ver:
Iheuchen, war Frau Bolelmann fih über
die Stirn gefahren und geleitete dann Annie
zum Sofa, wo [ie fih an ihrer Geite nieder:
ließ. Nach und nad) erfuhr fie Einzel:
beiten ...
Wie immer um diefe Zeit bradte bas
Mädchen den Tee herein und fragte, ob fie Licht
maden folte. Aber Frau Bolelmann, Die
die Dämmerung liebte, Jagte, es wäre nod)
nit nötig. Nur das Fenſter ſollte ge—
ſchloſſen werden.
„Er war der einzige, der mir noch half.
Nun habe ich nur noch dich.“
„Und deine Mutter.“
„Ja — Mama. Aber Mama und ich
ſind in vielen Dingen ſo verſchieden. — Und
ſie hat gar keinen Mut mehr. Ich muß ſie
immer tröſten. Und das iſt jo ſchwer! Go
Ihwer! Man möchte mandmal alle Hoff:
nung aufgeben. Auch meine Soldaten find
[o verändert. Wenn id) jebt einem Hoff:
nung mache, er würde bald wieder gejund,
fagt er nur: id) möchte gar nicht wieder ge-
fund werden, id) muB bann ja bod) nur an
die Front. — Ad), und wenn ich dente, wie
froh waren wir nod) vor drei Wochen, als
Rudi auf Urlaub da war! — Aber du gibjt
die Hoffnung nicht auf? Nicht wahr, du glaubjt
. nod) immer, dak Hans zurüdtommt ?“
„Kind, wenn ich das nicht glaubte, dann
hätte id) ja gar feine Kraft gum Leben
mehr.“
Eine Weile hörte man nur das Summen
bes Majjers, und nahdem Frau Botelmann
die Heine Flamme unter dem Teekeſſel auss
gelojd)jt Hatte, war es ganz [till und fein
Iichter Fled mehr in dem fühlen Zimmer.
Nur das breite Fenfter mit feinen zerfließen«
den Regentropfen fdimmerte wie ein Blod
ſchmilzenden Eijes.
„Du fagit, daß du dann feine Kraft mehr
zum Leben hätteft. Aber das fann bod) der
Grund deines Glaubens nicht fein. Gone
bern du hältjt es an fid) für wahrjcheinlich ?
Du bt ganz feft davon überzeugt, daß er
guriidfommt ?“ |
„Ich glaube es gang feft. Eines Tages,
in einem Augenblid, wo id) es am wenig»
ten vermute, wird er die Tür aufmachen
unb ganz [till hereintommen. Co ijt mein
Mann aud) einmal zurüdgelommen, als er
von einer Dienjtreife folange ausblieb.”
„Erzähl mir wieder von damals!“
rau Bolelmann begann zu erzählen, mit
ihrer eintönig fließenden Stimme, alte Ge:
Ihichten, die Annie oftmals gehört hatte,
bie aber immer nod) diejelbe jänftigende und
tröftende Wirkung auf fie ausübten. Oft
war gar nicht Hans der Mittelpuntt, fon:
dern aus einer noch früheren Zeit ftiegen
Erinnerungen in der alten Frau auf.
Es war nun ganz bunfel geworden, fo
dak Annie nicht einmal mehr die Umriffe
einzelner Dinge erfennen tonnte. Und wieder
[pürte fie den leifen, ſüßlichen Geruch, diefen
taum merfbaren Modergerudh, ber von bem
welfenden Körper neben ihr ausftrómte. Er
war fo ſchwach, daß ibm nichts Peinliches
anbaftete. Cher war er wie eine zarte Pa:
tina, bie über biejen Bejchichten aus alter
Vergangenheit fdwebte, bie Dod zugleich
wieder jo frijch Hangen, als wäre bas alles
erft geftern gewejen, und dabei auch wieder
verflärt von einer Reinheit und einem ries
den, der einer ganz anders gearteten Zeit
anzugehören fien.
Und während Annie wie das ferne Ab»
grollen eines verraujchten Gewitters in
ihrem Herzen bie Yngfte, die troßigen
Wiinjdhe und aufbäumenden Gehnjüchte,
diefen ganzen trüb wogenden Kampf jo
mancher fchlaflofen Stunde nachfühlte, Dachte
fie, daß es gut fein miijje, lind und tröftlich,
alt zu fein, das Leben vollendet zu haben
und Erinnerungen hegen zu Tonnen wie
ftille, [chine Flammen, die aus einem reinen
Herzen leuchten. Sich dichter an bie alte
Frau anjchmiegend, fragte fie: „Haft du nicht
manchmal Sehnſucht gehabt? Denn eure
Verhältniffe waren dod) anfangs febr eng.
Immer diefelben paar Menjchen, bas muß
bod) manchmal langweilig gewejen fein.”
"Ja, Kind, das war es wohl. Und mand):
mal haben wir uns fortgejehnt und haben
449 FSSSSSSS5S35533 Wilhelm Hegeler: B=322232232222322223
Pläne gejchmiedet von Reifen. Dann Holte
mein Mann den Atlas, und ich Hatte die
Wahl, ob es nad) Süden oder Norden gehen
folte. Aber es fam damals nie dazu. Und
eigentlich, jo rechte Sehniudt, bie Babe id)
aud) nie gehabt. Cher mein Mann, Für
mic) mar es mehr eine 3erftreuung.”
„Ich glaube, id) werde and feine Sehn:
judjt Haben. Und Reifen? Hans ift genug
herumgefommen in ber Welt. Und id) auch.
3d) habe fo chine Reifen gemadjt. Nein,
wir werden ganz zufrieden fein, wenn wir
fil zu Haus bleiben fónnen. Nur darf er
mich nicht allein lafjen. Sonſt fiirdte id)
mid, und Angjt habe ich genug ausgejtanden.
Blaubjt du bas, was id) neulich im Lazarett
hörte, daß jedem Menſchen nur ein gewiljes
ViaB von Leid und Angft aufgebürdet wird,
und Daß überall ein Ausgleich vorhanden
it? Wenn dem jo wäre, dann müßte ich
einmal nichts wie Glüd und Frieden im
Leben erfahren.“
„Blüd und Frieden — nein, das gibt's
wohl nicht immer. Wher ich dente, alles
Reid, bas wir erdulden, ftártt uns, fo daß
wir |páter einmal das Schwere leichter er:
tragen.”
„Blaubjt du? 3d) finde eher, daß Leid
zermürbt. Ich bin manchmal jo des ganzen
Mebens müde! Ich möchte mid) am liebjten
hinlegen zu einem recht tiefen Schlaf, bis
Hans vor mir Debt und ruft: Mad)” auf!
Aber jo ein Dornröschenglüd ift wohl nichts
für uns Menjchen.“
„Du liebe, arme Kleine!“
Und Frau Bofelmann, die jo zurüdhal:
tend in ihren Zartlidfeiten war, zog Annie
an jich und ftreichelte fanft ihre Wange.
„Wir müſſen tragen, was der liebe Gott
uns auferlegt, und wenn es noch fo jd)mer
ijt. Uber wir haben bod) aud) die Hoffnung.
Und in diefem Fall bin id) überzeugt, daß
fie uns nicht betrügt. Gerade daß wir feine
Nahriht von ihm haben, [djeint mir eher
ein gutes Zeichen. Denn fie) mal —"
Und wie wohl hundertmal [bon fnüpfte
fie wieder den Faden, an dem fie beide,
Mutter und Beliebte, jedes Fáferden [Hon
fannten und den immer von neuem ¿zu pers
fnüpfen [ie doch niemals müde wurden.
Darauf nahm Annie Abjchied, wenn aud
zu ſchwach, um fih an diejer Hoffnung auf:
zurichten, fo dod) ein wenig getröjtet und
beruhigt.
88
88 &
Wis bann aber bas große Sterben über
bie entiráftete Heimat fam, verlor fie aud
diejen Halt. Annie pflegte die Krante und
hielt bis zur legten Todesftunde bet ihr aus.
Wenige Tage jpäter aber erfrantte fie jelbft
ſchwer, und der Winter verging, ehe fie jo:
weit wieder Bergejtellt war, daß fie auf der
Veranda liegen fonnte.
Eines Nachmittags jah fie einem Staren:
paar zu, das in einem nahen Apfelbaum
niftete, mit jo viel Anteilnahme und inner:
Iidem Blüd, als wenn es nidts auf ber
Welt gäbe als diejen jonnigen Fled vor
ihr, den blühenden Baum und den mit jüpent
Geplauder feinem Weibchen den Hof machen
den Gtaren.
An ihrer Seite jak Frau Dewerth, falopp
angezogen, vergrámt, dide, graue Gtrábnen
in dem fuchligen Haar. (Cie hatte ein Glas
zwilhen ihren Knien und quirlte ein Ei.
„So, Herzchen, nun ip!”
Annie drehte jid) um, und nachdem fie
verjonnen einen Augenblic lang bie Leder:
bijjen auf dem weißgededten Tijd) betrachtet
hatte, bie mit zartem Gdinfen und Lads
belegten Weißbrötchen, die NRotweinflajche
und die Schofoladetafeln, begann fie das Ei
zu löffeln und Heine Biffen von einem Der
Brótben zu nalchen.
Md weiß febr gut, von wem bas alles
fommt, und dennoch elle idj's. Mie ift das
möglich?‘ dachte fie.
Us Frau Dewerth jab, dak es ihrer
Tochter jchmedte, fagte fie vorjidtig: „Kind:
den, heute abend hat Klaus fid) angejagt.
Ich möchte nur fragen, ob bu aufbleiben
willjt 2"
Annie ließ den erhobenen Arm finfen und
jab ihre Mutter böje an.
„Warum fagit du mir das? Du weißt
bod), Daß mid) das aufregt.“
„Sch did) aufregen! Ich Habe nur ben
einen Wunjch, daß du wieder gejund wirft.”
„Dann [bid ihn fort. Er fol nët in
unjer Haus.“
„Das tann id) nicht. Gr war |o aujmerts
jam gegen uns, da fann ich nicht jo fchroff
jein.”
„Meinetwegen. Aber mid) laß in Ruhe!“
„Bewiß, Herzchen, du joljt tun, was du
willit ... Komm, nimm nod) ein 3BiBdyen."
Und bie Mutter begann ber mit gejdjloj-
jenen Augen auf den Kiffen Liegenden den
Rejt bes Gies einzulöffeln. Als Annie dies
genommen batte, erhob fie fid) wieder und
begann mit aujfgejtiigtem Arm langſam und
dennoch heißhungrig ein neues Brötchen zu
verzehren.
„Das ilt recht. Nun wirft du auch wieder
zu Kräften fommen. Steidjfidje Nahrung,
das ijt bie Hauptjade, jagt der Doktor.”
„Und feine Gemütserregungen! Das ift
ebenjo wichtig. Aber ihr müßt mich immer
quälen.“
„Wer tut das denn?“
— —
Fee EES Zwei
„Ihr alle! Lija mit ihrem Merlobten.
Soll fie ihn bod) heiraten und glüdlich fein,
wenn fie Rudi jo [dell vergejjen fann.
Aber id) mag ibn nicht jebn."
„Und bod) ift er ein netter Menjd. Man
tann nidts an ibm ausjeßen.“
„Natürlich! Alle find nette Menjchen.
Wud Klaus. Aber wenn du mit Engels:
zungen auf mich einredeteft, id) nähme ihn
doch nicht.“
„Ah, Kind! Kind! Du weißt ja nicht,
was du jpridjit. Du abnft ja gar nicht, wie
ernjt alles ijt."
„Sh weiß mehr, als du glaub[t. Sd)
weiß ganz genau, daß die Lebensmittel von
ibm ftammen. Wielleiht bat er bir aud
ion Geld geborgt."
„Ja, Rind, und die Wahrheit ift, daß
wir einfach in feiner Hand find. Wenn er
nicht ein fo großmütiger Menſch wäre, tónnte
er uns morgen auf die Straße leben."
„Bas?“
„So ift es! Die Hypothefen auf unjerm
Haus hat er übernommen. Und er hat mir
nod) eine neue gegeben. Und weil id) die
3infen nicht aufbringen fonnte, babe id) ihm
die Möbel verpfändet. Es gehört einfa%
alles ihm.“
Erihroden war Annie aufgefahren.
„Dama, um Gottes willen, wie haft du bas
tun Tonnen Wir Hatten bod) Geld von
Hans.“
„Du wollicit bod) nicht mehr, daß id)
davon nahm. Und bu abnft ja nicht, was
deine Krankheit gefoftet hat.“
„Ach, bas ift nicht gut! Das ift nicht gut!
Mein argfter Feind hatte ja nicht jdlimmer
handeln können.“
„Wenn Klaus nicht geholfen hätte, dann
hätten wir [hon zu Beginn des Krieges
herausgemupt.” |
„And nun leben wir von feiner Gnade!”
„Sa, Rind, aber mir mußt du feine Schuld
geben. Ich habe bie Verhältnijje nicht ge:
jchaffen.. Du weißt felbft, wie id) gejpart
und gejpart habe.“
„Ach, du but ſchlecht!“ ſchrie Annie außer
fid). „Ach, ich wollte, ich wäre did) los und
allein!“
Frau Dewerth erhob fih, und während
die Falten um ihren Ichlaffen Mund jid) nod)
ein wenig länger Dinuntergogem, erwiderte
fie: „Das fannft du vielleicht eher haben,
als bu denkſt.“ Damit erhob fie fid) und
ging ins Haus.
Annie lag da, mit jagendem Atem, in
unjáglidjer Angjt, als wenn ihre Bruft ein
einziges Hammerwerf wäre, das bis in ihren
Hals, bis hinauf zu den Schläfen dróbnte.
Allmählich wurde fie ruhiger, aber die Angjt
Freunde B3233323333333339 448
gitterte immer noch nad und gebot ihr, an
nichts zu denten, fic) nur nicht zu rühren.
Und wieder blidte fie mit jtiller Hingegeben=
heit dem verliebten Spiel des Starenpaares
zu. — Als dann fpáter ihre Mutter zurüd:
febrte, ftredte fie ihr die Hand Hin umb bat
Jie wegen der harten Morte um Berzeibung.
„Ja, Kind, id) meine es wirklich gut.
Nie — nie werde ich did) zu etwas zwingen,
was gegen deine Natur geht. Und glaub’
mir, bas will aud er nidjt. Mir [prachen
noch geftern davon. Da fagte er mir, wie
gut er verjtebt, daß du Hans nicht vergejjen
fannft. Er verlangt ja auch wirklich nichts.
Es jcehmerzt ibn nur, daß du ihn nicht ein:
mal jehn willit.“
„Schön. Ich will aufbleiben.“
Der Abend verlief weniger jdjfimm, als
Annie gefürchtet hatte. Sie tranf ein wenig
Bromwaffer und vermochte mit Ruhe, ohne
eine Spur jenes alten Haſſes, bie (Gegen:
wart bes Gajtes zu ertragen.
In ber nüdjten Zeit tam Klaus beinah
täglich, und als fein Urlaub abgelaufen war,
ließ er ihn verlängern. Annie empfing ihn
jtets auf ihrem Liegeftubl im Garten, und
immer hatte fie ein großes Bild des Ge:
liebten auf dem fleinen Tijd neben fic ftebn.
Oft, wenn fie allein war, blidte fie es ver:
jonnen an und wunderte fih, dab Hans ihr
nicht mehr mit ber Sebendigleit wie früher
vorihwebte und daß bei bem Gedanken an
ihn die Empfindungen von einft fid) faum
noch regten. ’
Wher alles in ihr war nad) ber Krant:
heit matter geworden, ihre Phantafie wie
ihr Empfindungsleben. Und fie wollte fid
nidt quälen und abmühn, fondern nu
Schmerzlos hindämmern im CGonnenlidt.
Auch ihr Sujammenjein mit Klaus war
faum etwas anderes. Er verftand niht die
Kunſt, gefällig zu plaudern. Nach einem
furzen Anlauf, bei dem er dies und jenes
erzählte, was er fid) vorher zurechtgelegt zu
haben ſchien, geriet er gewöhnlich darauf,
von feinen gejchäftlichen Plänen zu jprechen,
um Dann, als wenn er felbft empfánde, daß
dies nicht bas Richtige fei, in immer längeres
Schweigen zu verfinfen, Go famen bie bei:
den ſchließlich darauf, fid) die Zeit mit einem
harmlofen Spiel zu vertreiben. Und mand):
mal fühlte Annie ganz verjtohlen fid) etwas
regen, was über diejen Liebhaber jpottete,
ber nad) feiner Berjicherung jo von Leiden:
Ichaft fod)te und nun nichts Belleres wußte,
als mit ihr Domino oder Mühle zu fpielen,
wie wenn fie beide Kinder oder alte Leute
wären.
Klaus hatte einige Tage verreijen miijjen,
Als er guriidfehrte, war er in Trauer. Er
444 [SSSS Wilhelm Hegeler: Zwei Freunde B2232332323232321
fam von feines Baters Beerdigung. Als
Annie fich nad deffen legten Lebensjahren
erfundigte, erzählte er ihr zum erftenmal
etwas Näheres von jeiner Tat und fagte:
„Bewiß, von Rechts wegen mußte er beftraft
werden. Aber vom Standpuntt einer höheren
Berechtigfeit trifft ihn feine Schuld. Das
Motiv feiner Tat war übermäßige Liebe.
Und ich meine, das müßte man adıten.“
Annie wartete einen Wugenblid in ge:
Ipannter Angft und atmete befreit auf, als
er mit feinem Mort auf feine Leidenichaft
zu ihr anjptelte, fondern von anderen Dingen
Iprad).
Eines Tages erfuhr fie zufällig, dab Frau
Bofelmanns Haus wieder vermietet fei und
jagte zu ihrer Mutter: „Ach, wir werden
unfer Haus ja auch bald verlafjen miijjen.
Unjer |djónes Haus! Das wird ein trauriges
Leben fein in einer Mietswohnung!”
„Darf id) bir mal was jagen?“ fragte
ihre Mutter. „Aber du mußt nicht gleich
wieder böje werden, Klaus hat einen großen
Herzenswunjdh: er möchte dir das Haus
ſchenken.“
„Unſer Haus? Er iſt wohl verrückt!“
„Er will die Hypotheken auf deinen
Namen ſchreiben laſſen. Dann wärſt du die
Beſitzerin des Hauſes.“
„Aber daran iſt ja nicht zu denken,“ er—
widerte Annie, Cie fagte es lächelnd, ohne
jede Erregung.
Zu ihrem Geburtstag |djenfte Klaus ihr
einen Ebenbolztaften mit einer alten Elfen:
beinjdnigeret, Als er dann nachmittags
jelbft fam, um ihr zu gratulieren, bebantte
fie fih für bas ſchöne Geſchenk.
„Sch muß Ihnen danten, daß id) es Ihnen
habe jchenfen dürfen,“ erwiderte er und tüpte
ihr die Hand.
„Es ijt wirklich jehr nett,“ fagte fie kühl.
„Haben Sie es [Hon genauer betradjtet ?“
„I dente bod."
„Gang genau?” Dabei drüdte er auf eine
Geheimfeder, worauf der Boden auf[prang
und darunter ein Attenftúd fichtbar wurde.
„Was ift denn das?”
” Selen Cie nur!“
Cie überflog den Inhalt und begriff in
ihrer Verwirrung ſoviel, daß es ſich um einen
Kaufvertrag handelte. Er hatte das elter—
liche Haus ihrer Mutter abgekauft. In einer
zweiten angehefteten Urkunde aber machte
er es, frei von den darauf laſtenden Hypo—
theken, Annie zum Geſchenk.
Ein Lächeln, das affektiert war, leicht—
fertig ausſehn ſollte und, wie es ſeine ganze
verzweifelte Leidenſchaft verriet, doch er—
greifender wirkte, als die Gabe ſelbſt, zitterte
auf ſeinen Lippen.
„It's all I have,“ fagte er obenhin.
Cie lehnte fid) zurüd und preBte, um eine
ungejtüme Wallung zu unterdrüden, ihre
Hand gegen bas Gelicht.
„Sie madden mid) ja fo glüdlih! Ih
dante Ihnen! Ich dante Ihnen!” flüfterte
er und bajdte in einem Hub den hellen
Tropfen von ihrer Wange.
Als nad einer Weile ihre Mutter wieders
fam, verjdjlop er ben Kaften und bat fie,
nicht davon zu Jpreden.
Am náditen Tag aber zeigte er ihr zwei
mit Saphiren geijhmüdte Ringe, indem er
nur fagte: „Sieh — feben Cie, Annie, das
habe id) mitgebracht“, und nad furgem
Zögern, ohne weitere Erklärung, bleich, mit
einem Ausdrud niht wie ein glüdlicher
Bräutigam, jondern — fo empfand fie es —
wie ein Operateur, ber einen legten ents
ſcheidenden Meſſerſchnitt wagt, [hob er den
Ring auf ihren Finger. Und fie liek es fid)
gefallen, in einer ihr felbjt rätjelhaften Willen»
lofigteit und Schwäche.
Dann mußte er abreifen, aber er fdrieb
jeden Tag und nannte [ie in [einen Briefen
Beliebte Annie und Du, Gie ließ durd ihre
Mutter antworten, indem fie vorgab, nod)
zu matt zum Gchreiben zu fein, obwohl es
ihr jeden Tag beller ging, und nur auf be:
jonderes Drängen fügte fie diejen Briefen
turze Grüße unb Nadidbrijten Hinzu.
Als Klaus dann aber wiederfam, Hatte
jie (id) mit ihrem Schidjal abgefunden. Gte
hatte nur nod) ben Wunjch, wenn nicht glüd»
lid), jo bod) [till und in Frieden mit fid)
jelbjt zu leben. Die ganze Zeit jeit dem
Ausbruch bes Krieges lag hinter ihr wie
ein langer Kampf, der ihre Kräfte völlig
aufgezehrt batte, Alles, was fie daran er»
innerte, verurjadte thr Pein, als wäre fie
damals eine andere, über ihre Kraft hinaus»
gefteigerte gewejen, und als tónnte irgend:
eine geheime, feindjelige Macht fie wieder
zwingen, Diejer Menſch nod einmal zu
werden. Gie wollte nichts mehr vom Krieg,
nidis mehr von Giegen hören, und wenn
jie Bermundete jab, ging fie ihnen ängitlich
aus dem Wege.
Am liebften hätte Annie es aud) als Braut
bei Domino und Brettjpiel belajjen und bei
der Hochzeit in unbeftimmter ferne. Aber
Klaus veritand auf geldjidte Art, indem er
jie überrumpelte, feinem Ziel immer näher
zu rüden. Nur als er ben 3Boridjlag machte,
baB die Hochzeit [bon in vier Wochen ftatt:
finden folte, fuhr fie auf und erflärte, vor
Weihnadten jet nicht daran zu denten.
Er bat und flehte und wurde auf einmal
beredt, lenfte bann aber, als er ihre Auf»
regung bemerkte, jchnell wieder ein und er:
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446 ESSE Wilhelm Hegeler:
Härte fic) mit dem Termin zwijchen Weihe
nadjten und Neujahr einverftanden.
Auf gut Glúd hatte fie Weihnachten ge:
nannt, denn jebt war Mittjommer und der
Winter nod |o fern. Aber in ber ftillen
Ereignislojigfcit gerrannen Wochen wie
Tage.
Klaus fam nun wieder jeden Abend, und
es wur vorbei mit Domino und Mühleſpiel.
Er fühlte (id) als Bräutigam und verjudte
(id in Zärtlichkeiten. Aber diefer fo robufte
und rüdjichtslofe Menjd Hatte eine mert,
würdig unmännliche, zugleich-demütige und
qualerijde Art, Liebfojungen zu erweijen.
Oft, wenn fie (id) unterhielten ober fid) an:
ſchwiegen, merkte fie, wie die Begebrlichteit
in feinen Augen aufglomm. Und langjam,
mit aufregender Langjamfeit näherte er [id)
ihr bann, zögerte nod) auf ihrem Mund,
ehe feine Sippen ihn berührten, und ¿udte
dann gleich zurüd, als wenn er bádjte: ‚Es
ift geglüdt!! Dann tüpte er fie, in furzen
SBaujen mehrere Tiale, wie ein Raucher die
eriten Züge aus einer Zigarre tut und nad)
jedem Zug fid) lagt: ‚Wirklich eine ausgezeid-
nete, eine ganz hervorragende Zigarre ...'
Manchmal wurde er aud) feurig, bejtürmte
De mit feinen Liebfojungen und jchien [id)
ganz zu vergejfen, aber jie fühlte das tiinfts
lid) Gemadjte, und wie er fih Gewalt antat
und ganz falt dabei blieb. Und in der Tat
tniipfte er nad) ſolchen Wugenbliden die
Unterhaltung plößlich, ohne jeden Übergang,
ganz nüchtern mit irgendeinem gleichgül«
tigem Thema wieder an.
Jn ihr aber bewirkte dieje Art bes Ge:
niepens eine unbeilvolle Teilung und 3er:
reißung ihres Wejens. Während ihre Sinn:
lichkeit manchmal erregt wurde, flumpte fih
unter ihrem Herzen zugleich) eine jchwere,
fteinerne Traurigkeit und Angjt gujammen,
als wenn iht ganzes menjchliche Gefühl fih
in den ffeiniten Raum verfroden hatte und
in diejer GepreBtbeit wahnjinnige Schmerzen
ausjtände.
Und bas eigentlid) Fürchterliche Diejer
Stunden war niht, bap Klaus ihr fremd
blieb, ihr immer fremder wurde, ihr faum
nod) wie ein Menſch vorfam, jondern fie
felbjt wurde fid) entfremdet, fühlte jid) wie
eine Majchine, in der irgendeine Feder ſelbſt—
tätig wirkte, während alles übrige leblos
unb nur ein Befäß der Angjt und Traurig:
feit war.
Ziele fteinerne Schwermut Ioderte fid)
auch nicht mehr, wenn fie allein war, fondern
die Rrujte, die ihr Leben erftidte, wurde
immer ¿úber und fejter. Mit Grauen dadte
fie an ihre Ehe, wenn bieje Fron fid tag:
aus, tagein wiederholte und jie ganz in feiner
Hand war. Oft hätte fie ihn anjchreien
mögen: Get bod) ein Mann! Rig mid) bod)
ordentlich! Bad zu, dak id) mich vergelje! ...
Wher wie konnte fie das Ddiejem fremden
Menfden jagen? Zwiſchen ihnen beiden
beftand ja nicht bas: id) bin dein und du
bift mein! Sondern fie gehörte ihm, weil
jie von feiner Gnade lebte! Cie hatte jid)
jelbft erniedrigt und fih ihres Perſönlichſten
entäußert und zu nichts mehr ein Redt.
In diejen dunklen Novembertagen begann
das über die Schwelle ihres Bewußtjeins
zu treten, was fich [fon lángft in ihrem
Unterbewußten gebildet hatte. Eines Mors
gens, als ihre Mutter ihr wie gewöhnlich
bas Frühſtück ans Bett brachte, fragte fie
die Tochter bejorgt, wie fie gejdlafen hätte?
„But. Wenigitens nicht jchlechter als jonit.
Warum ?“
„Sn der Macht Halt du ein paarmal ge»
ftóbnt. Wud) mal aufgeldrien. Haft on
vielleicht jdjledjt geträumt?” `
„Nicht daB ich wüßte.“
Nachdem Annie in ber nadften Nacht
Jhon ängſtlich und lauernd eingejchlafen
war, wacdte fie plóglid von einem ganz
furdtbaren Traum auf, mit einem joldjen
Angitgefühl, daß fie, bie Arme um die hod=
gezogenen Sie gefchlungen, aufrecht fiken
blieb, um nur nicht wieder einzujchlafen.
Cie war über die Gtraßen gejchleppt
worden, von wem wußte fie nicht, aber ihre
Mutter ermunterte fie: „Geh doh! Geh
dod)!“ Gie aber widerjtrebte, ftemmte mit
legter Kraft ihre Füße gegen das Pflafter,
denn fie war im Nadbtgewand... und dens
nod) mußte fie vorwärts, angegafft von
höhniſchen Mienjden... nein, es war nicht
auf der Straße, jondern in einer Kirche, die
Orgel dröhnte, fie hatte ein weißes Braut:
Heid an, und ihre bloßen Füße glitten auf
den eijigen SFliefen aus, und alle Bánte
ftanden voller Bekannten, und vor ihr, mitten
auf den Fliejen, lag ihr Vater, mit bläulich
Ihwarzem Gejidt, und fein zyflopenhaft
erweitertes Auge quoll vor höhniſcher Freude
heraus, während es auf fie und zugleich auf
Klaus |djielte, ber ernit, forrett am Altar
auf fie wartete.
Ahnliche Träume verfolgten fie aud) die
nadjten Nächte. Wermöge ihrer Angjt ge:
lang es ihr manchmal, fie zu unterbrechen.
Dafür lag fie dann ftundenlang jchlaflos,
und tagsüber lajtete die monotone Traurig:
feit auf ihr.
Eines Tages bat fie Klaus, die Hochzeit
bis zum Frühjahr zu verjchieben. Aber er
berief jid) auf ihr Verjprechen, auf den Arzt,
der gejagt hatte, nad) der Hochzeit würde
ihr Zuftand fic beffern. Zum erjtenmal gab
SSES SES) Zwei Freunde BZZZZZZZZZZZZ 447
es ¿wijben ihnen Gtreit und entjchlüpften
ibm bittere Morte, Gie fügte fid), erklärte
nur mit verftodtem Ausdrud, er würde es
noch bereuen, ihr 3uftand würde fid) nad)
der Hochzeit durchaus nicht beffern.
Cie war davon überzeugt. In unbejchäf-
tigten Augenbliden drehten fih ihre Ge:
banfen immer um die Frage, ob der Traum
dieje Nacht wieder tommen würde oder nicht,
und [ie fiirchtete verriidt zu werden. Wenige
Tage nad) btejer Auseinanderjegung erjchien
Kifa plóblid) bei ihr und erzählte, daß fie
Klaus getroffen hätte. Cie wäre beinah
eine Stunde mit ibm fpazieren gegangen,
und jchließlich hätte er ihr fogar Blumen
gelauft. Annie wäre bod) nicht eiferjüchtig?
Er wäre ja ein ganz hervorragender Menſch!
Schon als Junge jo aufgewedt und unter»
nehmend. Aber dieje Entwidlung hätte ihm
Dod niemand zugetraut. Die Freundinnen
beneideten fie alle um die glänzende Partie,
freuten fid) aber aud) [bon auf die jpätere
Zeit. Gie würden dod ficher ein großes
Haus machen.
Annie hörte fie an, mit diejem vergrübelten,
binterbáltigen Ausdrud, den fie jebt oft
hatte, gab nur dann und wann ein furges:
„So?“ ,Glaubft du!” zur Antwort und
dachte immer, das alles fage Lija nur, weil
fie von Klaus beftoden fei. Es gab ja
feinen Menſchen mehr, der es ehrlich mit
ihr meinte, fundern alle nahmen für Klaus
Partei und juchten fie dorthin zu zerren,
wohin er fie haben wollte.
Eines Nachmittags fap fie ganz wunb:
geldenuert von bem overgebliden Auf:
begehren in ihrem Zimmer, und damit fie
nur irgend etwas tat, ging fie an ihren Ge:
tretár, um aufzuräumen. Durch die feuchten
SFenftericheiben fiel nebliges Novemberlicht
mit fein ſprühendem Regen und finfenden,
vergilbten Blättern, die hoffnungslos müde,
bereit jdjienen, in Schmuß und Schlamm zu
zergehen. Das befte war ſchon, alles, was
an frühere Zeiten erinnerte, zu vernichten,
dachte. Annie.
In einen Cdjubfad) lagen, mit Bändern
per|djnürt, die Briefe von Hans. Darauf,
in einem gugeflebten Umjchlag, feine Bilder.
Cie hörte aus der Ede die Flammen im
Ofen blaffen, und dachte, biejer Umſchlag
jet au groß, fie miijje thn erft zerreißen, und
wunbderte fih, daß fie es nicht tat, denn was
er verjchloß, bedeute ihr eigentlich nichts
mehr, feine Erinnerungen, feine Empfins
dungen, hóditens Unbehagen, als wenn bod)
irgend etwas Lebendiges nod) daran Jet, das
man nicht gerreipen dürfe,
Und ftumpf, olme Gedanfen fajt, blidte
fie auf diejen gelben Umjdlag, unter dem
He die hartfantigen Ränder der Bilder fühlte.
Mad und nad aber wurde aus ber zer:
Ihlagenen Mattigfeit eine bejänftigende
Ruhe, ihre Hand lag ganz [till wie in einer
andern Hand, während ihre Züge fic zu-
gleich von innerem Aufhorchen leije belebten.
Nah einer Weile aber — jebt Hatte ihr
Belicht einen liftigen Ausdrud wie als Kind,
wenn [ie etwas Berbotenes tat — verſchloß
He ihre Türe, drehte Licht an, zog die Bor-
hänge zu und löfte von einem Stapel Briefe
das Band.
Die erjten las fie wie eine jchöne fremde
Gejdidte. Mehr und mehr aber fam ihr
¿um Bewußtjein, daß fie es war, bie alles
dies betraf, und daß Hans es gejd)rieben
hatte. Manchmal lächelte fie gag, wie unter
Ichmeichelnder Liebfojung, neigte fic) ab:
webrend, wehrlos in DeiBem Schauer,
Ichüttelte den Kopf, murmelte mit bod) ent:
glidtem Widerjpruch: „Nein, nein...” Dann
wieder richtete fie fid) auf, ganz Flamme
und feierliches Strahlen. Wenn fie einen
Brief beendet hatte, nahm fie fic nicht Zeit,
ihn zulammenzufalten, jondern ergriff [hon
ben nädjiten, deffen Blätter fie bebutjam
Ichnell glatt [tridj. Einen nad) dem andern
las fie mit fliegenden, gezügelten Augen,
jog durftig das warme Blut diefer Seiten
in fid) ein, und ihr gefnebeltes Herz weitete
fid, ſchlug wieder feinen freien, freudigen
Bang.
Nun lehnt fie fih zurüd, gang durchglüht
und ganz belänftigt von dem Gefühl, daß
jie in Diejer toten, feindlichen Welt Die
Stimme eines Menſchen gehört bat, reißt
den großen Umſchlag auf, fiebt feine Bilder...
und erinnert fid), daß fie aud) von ihm ge:
träumt bat: hinter einem Muſſelinvorhang
oder hinter Gitterftáben Honn er, tot, nur
in den Augen war nod) Leben und eine fo
anflägerijche Traurigfett, daß [te fid) davor’
nod) mehr fürdjtete als vor dem Haßblid
ihres Baters. Aber jet fteht der Lebendige
vor ihr und jpridt zu ihr mit der Stimme
eines Freundes und Tröjters, wie er jchon
einmal im Garten gejproden hatte. „Blaub’
doh an did)!“ mahnt er. „Blaub’ an deinen
Gtolz, an bie reine Kraft deiner Liebe! Du
Bait aus Wahn und Traum dir Schuld er:
grübelt, die gar nicht exijtiert. Du dentit,
hätte id) meinen Bater nicht. bejtoblen, jo
wäre ich nie mit Klaus zufammengefommen
unb er wäre nie in diefe Meibenjd)aft ver:
fallen. Aber bas ift ja 9Babnjinnsgejpinit!
Ebenjogut fónnteft du Dich befchuldigen,
weil ich in den Krieg gezogen und gefallen
und du frant geworden bijt. Deiner Schwäche
unb $Silflofigteit but du erlegen, haft dich
fangen laffen unb tobft nun in ratlojer
448 ees Wilhelm Hegeler: see
Qual. Aber das but ja gar nicht bu,
Du — wahrhaft du — lebft bier in Delen
Briefen...“
Und fie fiebt fich felbft wieder, wie er fie
geträumt, gedeutet, geformt hatte, mit folder
Berfiibrungstraft und -funft, daß fie wirt:
lid) fein Geſchöpf geworden war. Aber in
diefem Wiedererfennen liegt nichts von dem
Schmerz eines Kranten, der fein Bild aus
gejunden Tagen fieht, fondern nur das (Glod
zurüdgejchentten Lebens, denn fo ftart wirkt
aud) jegt nod) bie Magie feines Willens,
baB bie Vergangenheit fic wie helljter Tag
umgibt, daß ihr ift, als hielte er feinen Arm
um fie gejchlungen, und während fie aus:
tubt in Geborgenjein, glaubt fie an feiner
Bruft zu liegen, riecht den leijen Tabats:
gerud) und wird von feinem warmen Atem
umfächelt.
Weit bu nod, Annie?... Grinnerjt du
bid) nod, Annie? ... Viele Sake in den
Briefen beginnen fo.
Ja, fie weiß es nod! Sa, fie erinnert
fid! Mit einemmal ift alles wieder ba.
Der Mond glänzt. Gilbern Debt der ge:
wölbte Baum, und in gebändigter Erregung
fließen feine Worte in ihr Ohr, und aus
dem Dunte, fenit fein Mund jid) zu ihrem
hinab. Im linden Feuer der Herbitjonne
glühen die Blumen, inmitten prangender
Apfel figen fie beide auf dem 9tajen, und
indes er ihr einen Zweig aus dem Haar
Itreicht, find [ie von ihrer Liebe Wohlgefühl
umjtrömt. Und fie figen, von einem abend»
lien Gang beimtebrend, auf einer Bant
im Hofgarten, jehen im Zwielicht Menfden
vorübergehen, ahnen ihre neugierigen Blide
und feben fie nicht, hören ihre Schritte und
vernahmen fie nicht — von biejer Menſchen—
nähe noch mehr entrüdt in ihre Einjamfeit
und Cingigfeit.
Alles ift wieder da, reißt [ie empor, daß
Jie glaubt, fie müjje wie eine Wolfe zergehn,
und liegt bod) zu ihren Füßen als eine ſchöne,
wirkliche Welt.
Als enblid) das Mädchen podjte und fie
gum Abendeſſen rief, waren vier lange
Stunden vergangen. Gie antwortete, [ie
time jofort. Gie jprang auf und verjchloß
die Briefe. Sie madjte ein wenig Toilette.
Cie fühlte ftd) fo leicht, jo ftart! Mie um:
gúrtet mit einer munberjamen Riiftung...
Cie freute fid) auf bie Nacht! Auf die lange,
ftille Nacht! Sie würde an ihn denten. Und
lejen würde fie. Sie jehnte jid) nad) Büchern.
Wie betäubt und verdiftert war fie gewejen,
daß fie nicht früher an fie gedacht hatte! Und
wenn fie müde vom Lefen war, würde fie von
ihm träumen. Bon ihm, dem Lebendigen!
8j ES 8
An dieſem Abend ſchien Annie offener
und teilnehmender als je in der letzten Zeit,
und Klaus, höchſt erfreut über dieſe Wand—
lung, benutzte die Gelegenheit, das Geſpräch
auf die Vorbereitungen für die Hochzeit zu
bringen. Auf ſeinen Wunſch nannte ſie eine
Reihe ihrer Bekannten, die ihre Mutter noch
ergänzte, und der Klaus einige Herren ſeines
Bekanntenkreiſes beifügte. Beim Abſchied
dankte er ihr, daß ſie ſo reizend geweſen ſei
und meinte mit überlegenem Lächeln, ſie
würde ſehn, daß er doch noch recht behielte.
Aber ſie hatte nun das Mittel gefunden,
durch das ſie ihrer verhaßten Umgebung
entfloh. Sie brauchte ſich zur beſtimmten
Stunde nur in ihrem Zimmer einzuſchließen,
ſo war ein geheimnisvoller Zuſammenhang
hergeſtellt, und ihr Inneres wurde vom Strom
der Erinnerungen durchflutet aus jener
glücklichen Zeit, da ſie dieſen wunderbar
reichen Frühling eines neuen, ganz von Liebe
erfüllten Daſeins genoſſen hatte.
Aber in demſelben Maß wie dieſer Strom
ſie mit grenzenloſem Glück durchrauſchte, ver—
zehrte er auch ihre Kräfte und riß ſie fort
vom Boden des nüchternen Lebens in dunkle,
gefährliche Weiten. Immerhin vermochte
ſie ihre Reizbarkeit beſſer als früher zu ver—
bergen. Klaus ſelbſt merkte am wenigſten
davon. Ihre überſchlanke Gejtalt, ihre Züge
waren in dieſer Zeit von einer ſo vornehmen
und zugleich rührenden Schönheit, daß er
einmal zu ihr ſagte, er hoffe ja, daß ſie nach
der Hochzeit rundere Backen bekäme, aber
faſt möchte er wünſchen, daß ſie ſo bliebe,
wie ſie ſei. Seine Leidenſchaft war heiß—
hungriger und feinſchmeckeriſcher als je, und
ſeit einiger Zeit trieb er einen wahren Kult
mit ihren Händen. Er brachte immer neue
Ringe und kannte ſich kein größeres Glück,
als die eiskühle Innenfläche ihrer Hand an
ſeine Lippen zu preſſen. Sie wehrte ihm
nicht. Mochte er ihre Hände nehmen, ihre
Lippen, mochte er ſich aller ihrer Glieder
bemächtigen, da, was ihn thr lebte, bod) nur
dem Geliebten gehörte.
Uber bei anderen Gelegenheiten fonnte
fie von einer erjchredenden Reizbarkeit fein.
Als fie ihre Brauttoilette anprobieren follte,
jagte fie, die Schneiderin babe ja ihr Geitell,
danad) möge fie [ie zupaß machen. Und
auf alle Vorjtellungen ihrer Mutter erwiderte
fte mit böjem und gehäjligem Blid, fie wolle
nicht länger gequält fein, das Kleid folle
jofort binausgebrad)t werden.
grau Dewerth war manchmal in ſchweren
Sorgen, aber jdjlieblid) ftimmte auch fie mit
dem Arzt überein, daß diefe Zuftände mit
der Brautzeit gujammenbhingen und fih nad)
der Hochzeit verlieren wiirden.
-— ml =
a Seutajdjer a a Gemälde von a
Bauernmaodden Prof. Walter Thor
ees EE EE Zwei Freunde B=2223222222323329 449
In der legten Zeit jcehwelgte Klaus darin,
ein großartiges Menu für die Hochzeitstafel
zu entwerfen, und halb im Scherz äußerte
er, bas SRidjtigite würde wohl fein, wenn
er jelbjt nad) Brüfjel führe und alles Nötige
bejorgte.
Annie fand diejen Vorjchlag apart, teilte
plóbíid) fein Intereffe und [tadjelte feinen
Ehrgeiz nod) an. Da er in die Falle ging,
wurde die Reije für den übernächſten Tag
beichlojjen. ^
In befter Lanne begleitete fie ihn auf ben
Bahnhof unb nedte ihn fogar, daß er vielleicht
nod) einen andern Grund babe, um als
Sunggefelle ein legtes Mal die gefährliche
Stadt zu bejudjen. Als Klaus dann aber
eingeftiegen war, ftand fie die ganze Zeit
völlig geiftesabwejend und merkte auch nicht,
wie ihre Mutter fie anjtieß, fie folle bem
Abfahrenden winten — fo hatte bie Erinne-
rung fie überwältigt an den Augenblid, als
fie mit Frau Bofelmann den Geliebten an
die Bahn gebradht unb ihn im Zug zum
lebtenmal gejehen hatte.
Auf dem Heimweg jagte fie ihrer Mutter,
fie wolle nod) einen Augenblid in dem
Krankenhaus, in bem fie als Hilfsichweiter
gearbeitet, bei ber Oberſchweſter vorjprechen.
Sobald Annie den Parillon betreten Hatte,
der immer nod) mit verwundeten Goldaten
belegt war, atmete fie wie etwas Vertrautes
die mit Lyfol gejhwängerte Luft ein. Da
gerade der Kaffee verteilt wurde, jebte fie
fid) zu biejem und jenem Berwundeten ans
Bett und plauderte wie in früheren Zeiten,
um [id dann von ben Schweltern bie lebten
Greigniffe erzählen zu laffen. Ein Vorfall
beidjáftigte deren Gemüter bejonders. Cine
Schweiter von einer andern Station hatte
jid) aus unglüdlicher Liebe zu bem Hilfsarzt
mit Veronal zu vergiften verjudt. Ste war
aber gerettet worden, und jebt waren Die
beiden verlobt.
Die beiden Sdhweftern waren fic) darin
einig, daß diejer Selbftmord nicht viel mehr
als die Komödie einer Hyiterijchen gewejen
jet. Während aber die eine das Benehmen
des Arztes jehr [Món und edel fand, ver:
irat bie andere die Anfiht, daß er aus
übertriebenem Anftandsgefiibl in fein Un:
glüd renne.
Annie Hatte zuerjt nad) verjchiedenen
Details gefragt, [bien aber auf einmal gar
nicht mehr zuzubóren, fondern fann blag
vor fid) bin, während die beiden Schweitern
lid) ziemlich ereiferten. Schließlich fiel der
einen ihre Teilnahmlojigfeit auf, unb fie
dabte, Annie ftánde ja felbft fura vor ber
Hochzeit, und wabrideinlid wäre ihr bas
ganze Gejprád nicht fonderlih angenehm.
felbagen & Klafings Vionatsbefte. 35. Jahrg. 1920/1921. 2. Bo.
Darum brad) fie ab, und gleich Darauf ging
Annie zum Inftrumentenzimmer.
Auf dem Bang begegneten ihr zwei
Krantenträger mit einer Bahre, unter deren
Pierdededen fih bie Umrijje eines menſch—
lihen Körpers abhoben. Der eine. ber
Träger erkannte fie.
„Auch mal wieder hier, Schweiter Anna?
Mie gebt's ?"
„Dante. Und Ihnen ?"
„Man darf nicht Hagen.“
—
„Exitus. — Na, auf Wiederſehn, Schweſter.
Hopp, Kamerad!“
Im Inſtrumentenzimmer traf ſie eine
jüngere Schweſter. Wieder gab es eine Bes
grüßung und viele Fragen zu beantworten,
indes auf Annie bod) nur bie Begenftánde
in dem weißen Raum mit fonderbarer Ge:
walt einbrangen, vor allem der Medizin:
Ihrant an der Wand, wo die Blasröhrchen
mit Beronal und Sublimatpajtillen und die
Flaſchen voller Lyjol unb Morphium aufs
bewahrt wurden. Gewöhnlich ftand ber
Schrank trog dem ftrengen Verbot offen.
Heute war er gerade geſchloſſen. Annie ver⸗
abſchiedete ſich und ging zur Oberſchweſter
Hedwig.
In dem winzigen, bis zur letzten Ecke
hell erleuchteten Zimmer ſtanden eine Un—
menge Photographien, Nippesſachen, künſtliche
Blumen und zärtlicher Krimskrams umher,
aber ein gut Teil des Raumes nahm ein
höchſt nüchterner Schreibtiſch am Fenſter
ein, mit Zeißordnern und Skripturen darauf.
Überrajht ſprang das hagere, ſpitznaſige
Fräulein hinter dem Teetiſch auf. Während
fie ihrer Freude über den unerwarteten Bes
jud) Ausdrud gab, fagte fie, daß fie oft an
Annie gedabht unb jhon gefürchtet hätte,
diefe hätte fie ganz vergeffen.
„Bergefien? Nein. Das heißt, ja. Ein
bißchen. Aber bie Hauptjahe war bod)
meine Rrantbeit.”
„Und dann das andere große Ereignis!“
„Sa, es fam foviel Schweres zujammen.“
„Kein, ich meine bas Blüd. Nochmals
meine herzlichiten Slüdwünjche! Ach, Kind:
den,” und das alte Fräulein küßte Annie
auf beide Baden, „ich hab’s Ihnen ja jo von
Herzen gegönnt. Aber nun legen Cie ab.
Der wundervolle Nerz! Gewiß von Ihrem
Verlobten. Wann fol denn die Hochzeit
fein?“
„Die Hochzeit? Bald. Am Donnerstag.“
„Schon! Aber bas ijt wirklich doppelt
lieb, daß Sie Dann nod) mal tommen.”
„Ich muB bod) Adieu jagen."
Die Oberjchweiter plauberte noch fort,
während fie Annie aus dem Pelz half, und
30
450 Iesse ST Wilhelm Hegeler: Kessel
fragte nad) diejem und jenem, was auf Ber:
lobung und Hochzeit Bezug hatte, mit zárt:
licher und zugleich etwas Iti[terner Betulich-
feit. Da aber Annie nur zerftreute Ant:
worten gab, wechjelte fie das Thema und
fragte, nahdem fie Tee eingegoffen, wie
Annie ihre alte Umgebung denn wieder
fände,
„Ich finde — ich fühle jebt erft, wie glüd-
lid) ich Hier gewejen bin. So glüdlich, wie
fonft nur einmal in meinem Leben.“
„Kein wirtih? Mar es nicht bod) ein
bihen ſchwer?“
„Das fagen alle. Aber es war nicht
(der. SBielleid)t in den erften Tagen. Da
brannten einem die Füße, aber fonft — fonft
fühlte man fid) wunderbar leicht.“
„Aber bas ift hübſch, daß Sie bas jagen!
Das freut mich wirklich zu hören. Das jollte
fid) ein gewiljes junges Ding nur mal mers
fen. Wir haben hier nämlich Sachen erlebt,
Kleinen —! Aber beffer fpricht man gar
nicht davon.”
„Die andern Schweitern haben’s mir
ion erzählt.“ Ä
"Tun — alles was recht i[t!^ begann bie
Dberichweiter plöglich höchſt energiſch, „da
mache id) ent|djieben nicht mit. Wenn man
ion jolde Mittel anwendet —“
nasa,“ unterbrad Annie fie erregt, „wenn
man wirflid) "rous will aus dem Leben,
dann darf mam auch vor dem Sterben feine
Angſt haben. Dann muß man reelle Mittel
anwenden. Gie hätte ja Gift nehmen
fönnen.“
„Um Gottes willen! Danten wir Gott,
daß ihr bie Günde erjpart geblieben ijt."
„Ach, Sünde — da ift bod) fo ne Phraje.“
Die Oberjdwefter wollte ſchon etwas Hef-
tiges erwidern, aber Annie hatte diefe legten
Morte jo wenig herausfordernd, fonbern
eher leichthin und für fid) geäußert, daß fie,
ein bißchen ]onberbar berührt, eine harm:
Iojere Unterhaltung für angemeffener hielt
und ihren Gaft auf ben Königstuchen auf:
merfjam madte, den ein früherer Patient
gejpendet hatte,
Annie ak ein Brödkchen, legte. dann aber
bas abgebrodene Stüd Hin und trant gierig
den Tee. Geitdem fie den Pelz abgelegt
hatte, fror fie, obgleich es im Zimmer recht
warm mar. ber fie fror nicht von außen,
Jondern innerlich.
‚Die Falle hat ein Zoch!‘ dachte fie. ‚Gleich
muß ihs tun. Warum Habe ich joldje
Angft? IH batte damals bod) feine Angjt!
Hochzeit? Die werden Augen madjen! Das
Lamento! Lila möchte id) jehn. Und Mama.
Und Klaus. Dem wird das iiberlegene
Lächeln [Hon vergehn.‘
„Bas?“ fragte fie aufichredend. „Bei
den Berwundeten? — Mein, da babe id)
feinen von meinen alten Patienten wieder
getroffen. Es gehn wohl noch immer viele
ein? Wher bas tut nichts. Das war aud
etwas Gutes, daß man fid ans Sterben
gewöhnte. Denn einmal muß man’s ja
dod.” ,
‚Und babet Babe ich Jo wahnfinnige Angft!‘
Dachte fie. ‚Sch muß mir einen Stein um:
binden, damit ich jojort untergehe. Ad,
gäbe mir bod) einer Gift! Wher bie Menſchen
find ja fo graujam. Reine Menjchen! Mama
nid Und er...‘ Wher nun jab fie Klaus
auf einmal ganz deutlich, nicht in bem Augen-
blid, wo er die Nachricht befam, fondern in
einem viel fpáteren, wo er in einem Zimmer
des großen Haufes jap, in einer bunflen Ede,
und grübelte, und feine Augen funfelten,
und fein Geficht war fo böje, jo böſe! ...
Nein, er fam nicht leicht drüber weg. Er
würde fid lange quälen. Denn eine Leiden:
ſchaft hatte er wirklich für fie. Eine ſchreck—
liche, unmenjchliche €eibenjdjajt. Die Leiden»
Ichaft eines Antiquitätenfammlers, der am
liebjten fein Weib in einen Blasjchrantperren
und nur dann und wann herausnehmen
möchte, um fie lüjtern zu betaften. Er jollte
(id) quälen und leiden und fid) frümmen und
begreifen, daß nicht alle Menſchen zu taufen
waren. Daß fie lieber ins Wajjer ging!
Die Oberjdwefter beftritt jehr lebhaft
Annies Behauptung und jagte, troß der
ungenügenden Ernährung fei bie Sterblicd:
feitsziffer heruntergegangen. Aud feien bie
Soldaten wieder viel bejjeren Mutes. Ob
Annie nicht diejen Eindrud gewonnen hätte?
„Ach, bie jehwindeln, weil ich ihnen fremd
bin. Sd) glaube nicht an Frieden.”
„Alber, Kindchen, den haben wir bod)
jhon. Wenigftens mit Rußland.“ ;
„Bewiß, ja. ch, übrigens, Oberſchweſter“
— Annies Augen wurden mit einemmal
ganz dunfel und groß — „jollten Sie meinen
Berlobten” mal jehn, jo... beftellen Sie ihm
einjad) einen Gruß. Cinfad einen Gruß!
Er weiß dann jchon.“
„Aber, Herzchen, Shr Verlobter, der fommt
bod) übermorgen wieder.“
„Ach, ich meine bod) Hans.” Cie laite
und |prang auf, und ehe die Dberjchweiter
etwas erwidern fonnte, hatte [te jid) neben
jie auf das fleine Sofa gefauert und ihren
Kopf an bie mageren Schultern gelehnt.
Cie fühlte, wie bie Angft fie jchüttelte und
wie in ihren Oberjchenfeln Muskeln guctten,
die fie früher nie gejpürt hatte, Aber gleich»
zeitig fuhr fie fort aufgeregt zu jchwagen:
„Natürlic Hans! Ten andern fennen Cie
ja gar nicht. Der ift nad) 3Brüjjel gefahren,
Fees) Zwei Freunde451
Auftern taufen. Hundert Dugend. Denn
wir ellen Auftern, während fie im Schüßen-
graben jrieren. Wir fünnen’s ja. Kriegs:
gewinnler! — Was maden Cie, Schweiter?
Puls fühlen? Unfinn! Ich hab’ feine... ich
bab’ ein bißchen Tibertemperatur. Das habe
id) oft. Der Dottor weiß das.“
‚Stil figen, tranf werden, ins Bett ge[tedt
werden, und alles müßte vorbei fein,’ dachte
fte. ‚Aber die Soldaten miüjjen ja aud) in
bie Schladht.‘
Und während ihre Vorftellungen wie trübe
Blige einander jagten: die hohe Rheinbrücke
und ber im dunklen Majjer ¿erbródelnde
Lichtſchein ... ein Bintreibenbes Boot, und
fte fih über ben Bordrand beugend, mit ber
Hand zu greifen die Tiefe, und Dod) durd)
das furd)tbar|te Hindernis entfernt ... und
nun war fie nicht mehr im Boot, jondern
lag in ihrem Bett, ftrecfte bie nadten Füße
hinaus und dachte grufelnd, jebt im Kalten
mid) wajden, nod fünf Minuten — und
Ihlüpfte zurüd ... die Hochzeitsgeſellſchaft
im Gaal bei der Tafel, Teller mit leeren
Wufternjdalen vor fi), und ihre eigene
Leiche wird bereingetragen ... während
folche Vorſtellungen jid) jagten, verjuchte fie
mit äußerjter Millensanftrengung in bie
Stimmung unterzugehn, wo alle Welt ver:
jant und fie mit Hans allein war, erlöft,
im Reinen jdjmebenb — fühlte aber, wie fie
gerade nur an den Rand bieles Lichtreichs
gelangen fonnte.
Und nachdem fie eben nod) gebeten hatte,
bier ein bißchen jtill figen zu Dürfen, ſprang
fie jef auf und erflarte, fie müßte rajd)
nad) Haus, es wäre hidjte Zeit zum Abend»
ellen,
„uber es ijt ja erft jes.”
needs! Ja — ja, höchſte Zeit! Ich babe
nod einen Gang. Ih muB... ad, Un:
finn!” Die Morte entglitten ihr, und fie
batte ein Gefühl von Betrunfenheit. Da
war bie Tür, jie brauchte nur die Klinte zu
ergreifen, und Dod) eridten der Meg ihr
endlos weit. „Sa, dante — ub!” ftöhnte fie
in tiefem Grauen. Der Pelz, den ihr die
Dberjchweiter anziehen half, brüdte fie wie
eine Zentnerlajt. Noch einmal raffte fie jid)
gujammen, ftredte ber Oberjchweiter bie
Hand bin, bedankte fic) für Tee und Ruben
und wollte jdon fort, während die Ober:
ſchweſter fie feltbielt: „Erft bod) zufnöpfen,
Rindden!“ Auch das ließ fie fih gefallen,
ließ die Hand, bie bie alte Dame noch zögernd
hielt, los und ging hinaus, ohne die Tür
hinter fid) zu jchließen.
Mit vorgebeugtem Kopf und verbijjenem
Ausdrud eilte fie bie Straßen hinunter.
- Wher in der Allee, die ben Hofgarten durd):
ſchnitt, begann fie faft zu laufen, gebebt und
auf der Flucht vor ihrer eigenen Angſt. Da
gewabrte fie auf dem Schnee einen Haufen
Pflajterfteine, bie dort noch vom Sommer
Der liegen modten. Ihr fiel ein, daß fie
ja Stride faufen wollte. Wher fie fürchtete
fid) umaufehren. Und während fie die Steine
anglogte, verwandelten [id) einige davon in
Köpfe und begannen jid) zu regen. In finns
lofer Angſt ftiirzte fie weiter. Bor jedem
Menſchen, der ihr begegnete, jchraf fie zu-
jammen. Manchmal glänzte ein helles Licht
durch bie Baume, wurde aber von den
nadjten Zweigen abgeriljen. Fußitapfen und
größere jchwarze Flede dunfelten zwilchen
bem grauen Schnee, und bie vereinzelten
Gebüjche brobten wie fauernde Menſchen.
Nun gelangte fie ins Freie, auf eine ein
jame Pappelallee. Weites Dämmerlidht.
Bom Rhein her webte braujend ein feuchter `
Wind. Cie ftemmte fid) thm entgegen und
lief weiter mit legter Kraft.
Da tauchte vor ihr eine Geftalt auf, fie
brad) fajt in die Knie, fam aber bod) vorüber.
Doh ber Mann drehte jid) um und rief ihr
nad: „Sie — Fräulein!“ und Annie rannte
und ` glaubte, feine Schritte Hinter fih zu
hören ... und jet verfolgte er fie nicht
mehr, jondern war auf den Fußweg abge:
bogen unb juchte fie zu überholen. Gie lief
um die Wette mit ihm, er aber überholte
fte, unb plößlich ſchrie fie: „Hilfe! Hilfe!“
und drehte fid) um und frie immer von
neuem bird) bie weite Einfamteit.
Da hörte fie von einem Geitenweg furdht:
bares Schreien, nicht von einer, jondern von
mehreren Männerjtimmen: „Polizei! Polis
zei! Revolver! Was ijt los? Wer tut Ihnen
was?” Und während Annie wie von dem
Rud einer zugezogenen Schlinge ftehen blieb,
lam eine Heine Geftalt angefeucht und mies
derholte, puftend und einen diden Spagiers
tod jchwingend: „Was ijt denn los? Wer
tut Shnen was? Ein Kerl? Er fol nur mal
tommen! rif, zieh deinen Revolver ’raus!
Die Rerls follen nur tommen! — Wo wollen
Sie denn hin, gnädige Frau? Gejtatten Cie,
daß ich Cie begleite? — Wenn bie Rerls
benfen, man ijt zu mehreren, friegen fie
allemal 9[ngit. — — Ab, gnábige Frau,
rennen Gie nicht jo! Ich fomme ja nicht
mit. Bin ja ganz außer Atem.“
Und Annie, plößlich ganz ernüchtert, ganz
leergebrannt und ausgetrodnet von Scham,
mäßigte ihre Schritte und erwiderte, fie wolle
nad) Haus.
Und während der Heine dide Herr ge:
waltig auf den Boden ftampfte und feinen
Spazierftod hart aufitieß, fuhr er fort zu
reden, dab er im Nachbardorf geſchäftlich
308
459 ESSSSSS5%% ©. Grade: Die Heinen Hände BS==2223233233233232341
zu tun gehabt und fih bann überlegt hätte,
ob er nicht lieber den Umweg den eleftrijdjen
Schienen nad) machen follte. Denn bie Ge:
gend hier fet ja auch für einen Mann nicht
geheuer. Wher nun fets ja ein Glüd, dak
er bielen Weg gewählt babe. Einen Re:
volver bejäße er übrigens gar nicht. Und
daß er mit Frig geiprodhen, fet aud) nur
ein Trid. Und da Annie ihre Schritte
wieder bejchleunigte, blieb er puftend [tebn
unb fagte: „Ja, Sie baben’s gut mit Ihren
langen Beinen! Wh, wenn id) Ihre Figur
hätte, gnábige Frau, bann könnte id) Großes
leiften in meinem Beruf. Da ift eine res
präjentable Erjcheinung eine große Haupt:
[ade. Ich bin nämlich Gejdjáftsreijenber.
Gejtatten Sie übrigens: Laurent ijt mein
Name.“
Da er aber mit feiner Unterhaltung feinen
` Unflang fand, tappte er |djlieBlid) ftumm
und beleidigt neben Wnnie her, bis fie wieder
an eine bebaute Straße gelangten. Dort
bedantte fie jid) für feine Begleitung und
verabjchiedete fid).
Zu Haus angelommen, ging fie gleich in
ihr Zimmer und verjchloß es. Ihrer Mutter,
die fragte, wo fie fo lange geftedt, und fagte,
dab bie Oberjchweiter [hon nad) ihr tele:
phoniert hätte, erwiderte fie Durch die Tür,
fie hätte einen Bejud) gemadht, wäre ganz
wohl, nur jehr naß und müßte jid) umziehn.
Dann holte fie Hanjens Briefe und alle
fonftigen Erinnerungszeichen hervor und
warf eine Handvoll nad) der andern in bie
Dfenglut. Und während fie mit bem Schür—
eijen umrührte, damit bas Papier bejjer
Feuer fing, badjte fie hart und höhniſch:
‚Einer von uns mußte fterben. Nun but
bius! :
Und obwohl fie bei jeder Zeile, auf die
ihr Blid fiel, und felbft bei ben Schriftzügen
ber Wdrefjen laut hätte aufjchreien mögen,
date fie Dod: Hyſteriſch bin ich! Weiter
nichts. Ich wollte ja gar nicht fterben. 3d)
war ja viel zu feige. Ja, brenne nur!
Brenne!'
Nachdem fie ihre furdjtbare Arbeit bis
zu Ende verrichtet hatte, fete fie fih zu
Tod erichöpft auf einen Stuhl, Hingelte nad)
einer Meile dem Mädchen und befahl, eine
Märmflafche zu bringen. Sie wollte ins Bett.
Als fie fid) ausgefleidet hatte, fam ihre
Mutter noch einmal und peinigte fie mit
Fragen. Gie gab aber feine Antwort.
Schließlich jedoch lief fie fid) ein Glas Glüh—
wein aufnötigen und trant nad) und nad)
den ganzen Topf leer.
Dann ſchlief fie ein.
Nachts wadhte [ie einige Miale auf, blidte
ängitlich um fic) und befühlte ihre warmen
Glieder, als wenn fie fih überzeugen müßte,
daß fie nod) lebte. Und jedesmal, während
bleierne Traurigfeit fic) auf fie warf, durch:
firdmte fie zugleich ein Itebfojenbes, weiches
Mohlgefühl bei dem Gedanten, daß fie nod)
am Leben war.
Und dann jchlief fie gleich wieder ein.
(Schluß folgt)
a à
Du mufiteft Schmeichelnamen, ganze Bände,
Siir meine weichen, Pleinen, warmen Hände,
Wenn fie fo zärtlih dir das Haar gefireidelt,
Wenn wortlos fie gebeten und gefchmeichelt ;
Denn was dir Mund und Augen fen verfhwiegen —
Die Fleinen Hände Fonnten niemals lügen.
Verräter waren fie und find’s aud jest —
Du fagteft Worte, die mid) tief verliebt,
Die mir den Glauben an das Glück zerriffen,
Dod) id) war ftolz, du follteft es nicht wiffen.
tind ich befahl den Zippen, Fed zu fiherzen,
Sarg meine Tränen ungeweint im Herzen.
fur meine Hände troften dem Gebot —
Sie wurden Falt und ftare und fleinern wie der Tod,
Der monde junge Stirn mit Eifenreif umgibt —
Sie wußten wohl, wie febr du fie geliebt,
Und blieben wahr drum bis zum bittren Ende —
Die armen, Fleinen, glüfgewöhnten Hände.
Giulio Beda
Don Georg ee yfeló O
Ne Is id) es unternahm, über Delen
2 abjoluten Maler zu jchreiben, fam
ANY ich von der abjoluten Mufit. Das
> war gut. Schließlich find Die
Riinftler, die unjer Gein und Wer:
ben beeinflujjen, Meijter der Sinne. Wir
nehmen die faBbare Welt mit bem Geſicht
unb bem Behör A Dra cd Schubert, deffen
Streichquartett in ur ich hörte, lebte fein
furzes Rätjelleben als Uu arcs Menid).
Alles wirkte nur durch das Medium Der
Töne auf ihn, der flein|te Eindrud des AU:
tags formte fid) liedhaft ober [infonild) in
feiner jchwebenden Geele. Diejer Wiener
von einft fannte nur bie Notenjchrift.e. Er
hatte die graujam herrliche Welt als Mufit,
und wir ?Beglüdten Tonnen fie durd ibn
nad) Ja shunberten nod) als Mufit haben.
Wie Schubert fomponierte, gibt es ma:
lende Maler. Ich nenne fie bie abjoluten,
denn ihre Hunt ift nicht nur Ausdruds:
mittel der Begabung, fondern aud) des Geins.
Ei Der Staffeljee bei Murnau.
Cie find ganz Auge im Beilte ihres Sonnen:
lebens. Möge ihr Menjchentum dadurd)
bejdjwert werden (aud) Schubert zwijchen
\hwärmenden Wienerinnen war gehemmt,
und Beethoven rang in einer namenlojen Ver:
einjamung) — empfangende Mit- und Had):
welt wird an bem Abjolutismus ihres Gin:
nes immer die ftártite Garantie fünftlerijchen
Wertes haben. Mögen bie abjoluten Künftler
tragild) fein — was ift denn die Runft an:
deres, als das tragijche Opfer bes Meniden-
tums an ben Metttampf mit der Gottheit?
Giulio Beda, der Dalmatiner, fand in
Deutichland die Heimat jeiner Malerjeele.
Er mußte fie bei uns finden — es war fo
Se, Gs gibt in Bayern, nordweitlich
ündjens, * Landſchaft, die von jeher
dem abſoluten Maler gehört. Vian weiß
feit einem Jahrhundert von diejer bejonberen
Eignung Qadaus, Ge zu einem felien,
deutjchen Geifteswert i ijt fie nicht geworden —
das zeigt der unflare Mißbrauch, der immer
Gemälde EJ
454 Georg Hirſchfeld: Giulio Beda
wieder mit bem Namen Dahau getrieben
worden ijt. Es ging jo weit, jeden male:
rijden Dilettantismus im Umtreije Mün-
dens mit Dahau in Zulammenhang zu
bringen, daß man dem abnungslojen Phi-
lijter faft banfbar werden mußte, wenn er
bet Nennung des alten Bayernortes mit
wijjendem Lächeln fagte: „Dahau? Da war
bod) die Adele Spikeder!” (Eine berühmt ge:
wordene Betrügerin aus einem Genjations:
prozeß von einjt.) Dachau als Schlagwort
tötete Dahau als Heimat malerijden Son:
nens. Ganz tot ijt es freilich nicht — es
hat wohl einen ¡junten ewigen Lebens in
(id. Aber bie „Schulen“, bie ja immer in
ber Runft zum leeren Begriff ausarten, ba:
ben es fertiggebradt, Eigengánger nod)
troßiger tn ihr Gelbft zuriidzutreiben, als es.
ihrer fünftlerifchen Entfaltung gut war. Die
Erwartung, daß man von der Dachauer
Überlieferung etwas lerne, fozujagen durd
Rorporation Talent befomme, it Dilettanten:
wabn. Die Natur „hält till“, ob ein Via:
ler jie betrachtet ober ein Fuhrknecht. Nur
ber Geijt bes Auges, ben man mitbringt,
erobert fie. Die Schule macht nicht den
Meijter, Jondern muß von ihm durdgemadt
und abgejtoBen werden. liberlieferung ift
der Gieg ber Perjönlichkeit.
Aber wer mit dem großen Hunger Des
Auges, nicht der Strebjamteit, tommt, findet
nod) heute in Dahau fün[tlerijde Heimat.
Gerade jest, ba ber wadhjende Indufltrialis:
mus Münchens aud die Stille Sadjaus im:
mer mehr in laute Gejdjájtigfeit wandeln
möchte, fann ber Troß bes ar Malers
in einem unbefieglichen Reid) herrjden. Auch
in ber Nachbarjchaft der ehemaligen Pulver-
fabrit unjeligen Sriegsangedentens liegen
die dunklen, trádjtigen der, und das Moos
ijt zu weit, um von den Heinen Unterneh:
mern ernitlic; gerftiidelt zu werden. Einfam
und fremd rubt jein Zauber, er ift bald zu
erreichen.
Bröße Hat diefe Landſchaft. Damit ijt
viel und wenig, bas Banalfte und bas
Eigenite gclagt Vielleicht verjtebt man die
Dachauer Landjdaft, ohne fie gejehen zu
haben, wenn man erfährt, daß ihr die Liebe
des Auges gehört, daß jie ben Riinftler durch
das Auge fáttigt. Ja, er fann des Alltags
Nöte über en tudium vergejjen, der
unjterbliche Märtyrer aus 3olas „L'œuvre“.
Studium aber — wir werden es aus dem
Salle Giulio Bedas erjehen — ijt mehr als
lernende Aufnahme, tuge Betrabtung. Der
ganze Menih, ber Hier zufällig ein Maler
it, fommt in Schwingung. Er tann nicht
fingen, nicht |predjen, nicht denten — er
tann nur malen. Gein Gottesdienft hebt
an, er jegnet fein Auge. Berjtummen vor
ber Schöpfungsgewalt müßte er ſonſt. Was
aber gibt der Dachauer Landidaft, bie ein
Eigener, feine „Schule“ fieht, dieje Gewalt?
Gegenjtändlich betrachtet — eine weite Hod:
ebene, Torfmoor, Odland, ſchmale Majjer:
bänder, dünne Baumgruppen in der ringen:
ben, jungmenjdjfidjen Bewegung, Die ein
Sumpfboden gibt. Deutjche Urwildnis mit
ihren unberührten Tieren und Blumen. Die
Farben eine niemals zu fixierende Cfala
von Grau, Grün, Gelb, Braun, Schwarz.
Wher man blidt von ber Einfalt biejes alten
Bayernbodens auf und weiß, was bier jtei-
gert, weht und waltet: die Elemente in ihrer
reinen Grunderjcheinung. Gie find mit der
Dadauer Landſchaft im Bunde. Hier ver:
Ichwendet nod) die Sonne ungejtórt ihr er:
habenes Spiel. Unerſchöpflich trifft ihre
penge Zufälligfeit menldjlidje „Stimmung“.
ie Nebel aber, die aus dem Moor auf:
ftetgen, liebt der Mond. Er füllt ihre Schleier
mit jchwebenden Geiftergeftalten. Der graue
Dachauer Tag gehört den Winden. Nir-
gends wohl ertönt Wanderers Sturmlied jo
Itarf wie auf der Dachauer Hochebene. Bis
zu den Alpen frei, fauft es hinüber und her:
über. Cin unendlides üblen, Buten,
Tanzen und $jajden am Firmament und
auf ber Erde, bie Den Kampf von Liht und
Scyatten auf fid) austoben läßt. Hier feiert
der Beilt des Auges feine Felte.
Mit wenigen Strichen wurde die Charat:
teriftit des Dachauer Landſchaftszaubers ver:
jucht. Gemeint ift jedenfalls nicht bie , tiinft:
leriſche Gommerfrijde bei München“, der
Pla für Giedlungen malerijden Durd-
ſchnitts, bie in Gejtalt von Schulen unter
praktiſcher Meiftermeifung eine Rub fonter:
feien oder einen Bauernhof (Motiv Nr. 739)
zum x=mal auf bie Leinwand zaubern. Ges
meint ift das [trenge Heiligtum des Einzel»
gängers, die Atmojphäre, bie Eigenjchule
des abjoluten Malers, bie feine Lebenstraft
nicht entbehren Tonn, Noch gibt es in Das
hau foldhe Perfönlichkeiten. Da fie ver:
Ichiedenen Generationen angehören, darf
man hoffen, daß fie immer wiedertebren.
Den Uhde und Langhammer, der Jugend
Dils und Hölzels find Müller: Dachau,
Peterjen, Wirſching, Olaf Lange, Emmi
Walther gefolgt. Eigen unter biejen Eigenen,
abjeitiger als die Ybjeitigen, Dod) endlich
von wadjendem Erfolge gefrönt, jchafft in
Dahau Giulio Beda.
Unter einer anderen Gonnenwirfung, von
anderen Winden umjpielt, wurde diejer Künftə
ler geboren. Als A eines Malers tam
er im Jabre 1879 in Trieft zur Welt. Das
bunte Leben ber alten Hafenftadt, Orient
und Ofzident verfnüpjenb, begleitete feine
Kindheit. Beda, ber Vater, war ein Maler,
ben Beda, der Sohn, bald nicht mehr an:
erfennen fonnte, (in etwas glatter, aber
liebenswürdiger Könner aus ber feinen Hür:
gerlid)feit ber Pilotyjchule, mag er bod) bie
bejcheiden ftrenge Kraft gehabt haben, bie
dem merfwiirdigen Sohn fegensreide Wege
wies. Giulio Beda, ber fünftlerifche Revo:
lutionár, denft jedenfalls mit rejpettvoller
Dantbarfeit jeines gar nicht revolutionären
Waters. In bem ſchlichten Wohnzimmer
feines Dachauer Yandhaujes hängt ein Gelbjt:
porträt des Alten, ein gutes Bild feiner Zeit,
—— ` cnt — —
qu
AS
<> A
Wintertag bei Dahau. Gemälde. (Galerie Heinemann, München)
-
"9999090000909 9009€9909900990999999990990090000000000000090990909000000000000000000000000090000000000000009000000000000000000009
456 [pe Georg Hirihfeld: Ve
Herbittag im Dachauer Moos.
bas die Züge bes vulfanijchen Sohnes in einer
Harmonie verlorenen Paradiejes zeigt. Mit
rührender Nachdentlichkeit blidt Giulio Beda
auf feinen Vater. „Du damals — jest ich.“
Wir geben in fein Atelier zurüd, und er
erzählt mir die Stationen feiner Entwidlung
weiter. Zum erftenmal finde id) einen Riinit:
ler, der ohne jede Ironie von den „Schulen“
ipridjt, die er durchgemacht hat. Beda ijt
wohl einer ber jyreiejten vom Hellbetriebe,
aber er wurde jo frei, weil er jid) tlar blieb,
was er bem Zwange zu danten hat. Der
Water fdidte den —5 in die Trieſter
Kunſtgewerbeſchule, gut öſterreichiſch „In—
duſtrialſchule“ genannt. Dann aber fam
Giulio auf den Boden der Abenteuer und
Gefahren — er wurde Schüler der Akademie
von Venedig. Ein abjoluter, anjpruchslojer
Schüler, wie er |páter zum abjoluten Meifter
beranreifen folte. Bedas Triefter und Bene:
zianer Schuljahre gleichen bem vertieften
Spiel eines Kindes am Sodel eines Götter:
bildes. Über ihm waltete unerreicht und
alle Gebeimnifie nod) bergenb die Runft —
zu ihren Füßen aber, um das Gewerbe be:
miibt, das ihren Namen tragen durfte, lebte
ber Giingling. Es gab feine tote Stunde
für ibn. Nod) heute riihmt er die ſpar—
taniſche Zuchtanftalt, bie von Etürmern und
Drängern jo gern verworfen wird. Daß in
Beda echter Sturm und Drang war, beweilt
erjt vollends das Werf des Mtannes. Jebt
leuchtet fein Feuer — es verfladert nicht.
Gemälde. (Galerie Heinemann, München)
Er glaubt die dauernde Flamme feiner
Schöpferkraft bem unablájfigen Fleiß feiner
Jugend zu danten. Arbeit hat ihn Arbeit ge-
lehrt. Schaffen meijtert die Not des jchöpfer:
feindlichen Lebens. Weihe bejiegt den AL:
tag. Golde Erkenntnis fam Beda in ber
herben Jugendzeit von Trieft und Venedig.
Hier wurde er im Technijchen für immer
jattelfeft. Hier gewann der fünftige Kand:
\chafter ein anatomildjes Wilfen, bas nur
ber Fachſtümper nicht zu „brauchen“ glaubt.
Bei den GStilübungen feiner pedantijden
Lehrer mag der Werdende oft bem Ausder:
hautfahren nahe gewejen fein — troßdem
ertrug er bie tüftelnde Tyrannei mit dem
Blid der wahren Begabung, die nur annimmt,
was fie annehmen fann und „Stilübungen“
einzig als Dünger des eigenen Stils emp:
findet.
Etwas aber, was ibm von oben und von
innen fam, gewiß nicht von außen, aus den
Dumpfen Schulräumen, fennzeichnete Giulio
Bedas Perjönlichteit [Hon früh: er blieb auf
bem tlajfijten Boden Benedigs gegen dic
mádtigen Schatten der Vergangenheit un-
empfindlid. Er nabte fid) nicht in jcheuer
Ehrfurht dem Madonnenbilde, er fuchte
feinen Anſchluß an die göttlichen Meiſter
des Porträts — ohne Tizian, ohne Tinto:
retto jd)ritt er, aus nadtwandlerijdem Selbft:
verjtändnis gelenft, in jeineGegenwart hinaus.
Schon die Landjdhaft, bie nicht bie feine
werden follte, nahm von ibm Befig. Er war
MESSEN Giulio Beda see sel 457
der Natur geboren und Juchte die Natur.
Vielleicht hat die drangvolle Lage feiner
Heimat, zwijchen ben Ausläufern der Alpen
unb dem Meere, Beda davor bewahrt, ein
Italiener von heute zu werden. Uns Deut:
Iden fällt es jchwer, die fünftlerijche Ber-
fandung Italiens zu verjtehen, aber eine Er:
Iheinung wie Beda zeigt uns die Rlárun
bes dunflen Problems. Schon Segantini,
ber trog aller Ausdrudsverjchiedenheit Bedas
Wejensverwandter war, löfte das Problem
des italienijden Erben, indem er die unge:
heure Überlieferung von den Schultern warf
unb jein Eigentum burd)jebte. Auch in Beda
mögen Tropfen ber Säfte wirfen, die einft
ber Renaiffance ihre Leudhten gaben, bod)
was ein Rind wiljen müßte, und ber weijefte
Dann nicht einjehen will, er fand es aus
feiner —— Natur: nicht Erbe und Über—
lieferung führen der Kunſt neue Meiſter zu,
ſondern — neue Menſchen. Ehrlich ſehen,
ſehen müſſen — darauf kommt es an.
So blieb Giulio Beda in ſeiner Gegen—
wart und ließ die größte Vergangenheit auf
id) beruhen. Seine Gegenwart aber zeigte
bm nicht ben Menſchen, jondern das Bejjere,
was bem Menjchen gehört: die fichtbare
Welt der Natur. Trokdem brauchte Beda
tae
vi Der Riegfee.
bie Schiefalsfrage — feine Heimat war ftarf,
bod) fie tonnte ihn nicht zum Riinftler machen.
Der Tod löfte ihn von Trieft — fein Bater
ftarb. Wanderjahre hoben an. Er fonnte
nun zwijchen den beiden Reihen ber Land:
\haft wählen. Bu den Franzoſen zog es
diejen aufrecht fiiblenden Menſchen niht —
er wandte e nad) Deutjchland. Am An-
fang unjeres Jahrhunderts fam er mit fei-
nem jungen Reichtum nad) München. Noch)
fühlte er fid) als Schüler — Meifter in ihm
war nur ber Gott feiner Beftimmung. Willig
ging er in bie Schule Rnirrs und führte mit
einer Gelajjenheit, die bei diejem Tempera:
ment jeltjam anmutet, die Übungen Venedigs
fort. Der geborene Landſchafter lernte Mtt-
et weil bieles eben ein wejentlicher
eil des Zeichnens ift, und zeichnen fünnen —
ger nähern wir uns dem Grundproblem des
alers Beda — wurde fein Unumganglides.
Er war, wie jeder dw ae: der beite
Lenker feines fünjtleri]djen Wejens. Er er:
fannte inftinttiv bie Gefahr bes Schweifens,
die einer abjolut malerijchen Natur mitge:
eben ijt. Dem [Hónen Drange zur farbigen
itteilung ijt bie zerfließende Formlofigteit
benadybart. Reifen heißt, den Inhalt als
jelbjtverftandlid), bas MBerdienft in einer
reine ccs
in:
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H PE SESCH — u. o
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Gemälde E
458 |
perjönlichen Form erfennen. Go [eben wir
bei Beda das eigentliche Mtalerproblem in
einer jeltenen Klarheit — er erzog fid) zum
Zeichner, um wahrhaft Maler werden zu
tónnen, er brauchte den Halt der Linie, um
bie ganze SFreiheit der Farbe zu finden.
Dies ift die „höhere Schule“ des bilden:
ben &ün|tlers. Sie tann ihm bei dem freie:
Hen Lehrer nicht werden, er muß fie fid
jelber gründen. Gntjdjeibungstrijen des Le:
bens unb ber Runft löften Giulio Beda all:
mablid) von München. Die Broßjtadt ent:
ließ den Landibafter in die Heimat, die ihm
bejtimmt war. Immer häufiger juchte er bie
roBe Stille des Dachauer Bodens auf. Im
Sabre 1907 fiedelte er gang über unb ijt bis
heute ein Dachauer geblieben.
Er wird es wohl bleiben, denn wenn
Giulio Beda aud) in die Borberge hinaus:
zieht, an die Geen bei Murnau, oder ins
Sotjadjtal, ins Rheintal unter den Abfturz
der Bergriejen — die Erfenntnis von Dachau
leitet ihn, und die Elemente, die dort zu ihm
gejproden, jprechen hier wieder. Der tiefite
yattor feiner Entwidlung aber ijt auch für
den Drtswechlel der Motive entjcheidend:
Beda ijt nicht mehr ber Wandermaler von
einft, ber auf Dem Rade ins Freie hinaus:
308g, um bie Natur nad) feiner 9Iuffajjung
zu ——— — er iſt ein reifer, ſtiller
Atelierarbeiter geworden, der mit dem Auge
ſammeln gelernt hat und daheim aus Vor—
ratsſchätzen Geſtaltungen entwickelt. Das
Gedächtnis iſt der Reiter der maleriſchen
ege und hält in fejter, milder Hand
bes Roſſes goldene Zügel.
In Dachau [tebt Bedas Haus — dort ent:
faltet er, was jeine Wanderungen ihm ges
zeigt haben. Wir find mit diefem Willen auf
dem Wege zu Bedas fünjtlerijdjent Problem.
„Entfalten“ — aus bem Schöpfungsfern, ben
die Betrachtung der Natur gab, den paper
des Bildes herauswachſen laffen — barum
handelt es fih. Beda ftand in feinem Atelier
vor mir und verjuhte mid) vor bie Löſung
jeines Schaffensrätjels zu führen. Er ſpürte
meinen Wunſch und wollte mir „erklären“.
Bald lächelten wir beide refigniert, denn
Hörer und Horder waren nicht „Hug“ genug,
Unnennbarem Jiamen zu finden. Dennod)
gab mir bas ungeftiime Suchen bieles ftar:
ten, Hodgewadjenen und bod) — —
wirkenden Mannes viel. Die italieniſche Le—
bendigkeit ſeiner ſcharfen Züge, ſein ſchöner
Tiermenſchenblick fingen gleichſam Laute, Be—
griffe auf, die in der Wüſte unſerer ſprach—
lichen Armut Oajen glichen. Licht, Farbe,
Deutung ſchnellten vor mir auf. en
war es nicht, aber zu fühlen. ir verftan-
den uns oft in ber Andeutung.
In einer theoretiihen Schrift will Beda
jeine Grfenntnis niederlegen. Ich wußte,
wie interejjant ſolche SDtalerjd)riften find, und
daß bie Grogten fih in ihnen geäußert haben
— dennoch war ich in Bedas Atelier nicht
darauf begierig, jondern jah nur auf fein
großes, ent|tebenbes Wert. Dem Künitler
—
J Georg Sjridjelb: RS323333232332323221
mögen jene „Sektoren ber Luft”, bie er ges
funden, viel bedeuten — mir erjtarrte Die
Lebensfraft eines Bildes unter der tbeore:
tijch-mathematijden Bezeichnung. Ich wußte
zu gut, daß der Genius Formeln braucht,
um [id) nicht ins Unendlidhe zu verlieren.
Mas id) rüd[djauenb als Bedas „Theorie“
am flarften jah, waren die großen Etappen
jeiner Entwidlung: aus der fremden Schule
trat er in bie eigene Schule ber Form, feines
Inhalts gewiß. Er wurde körperlich jehend
Dn Vieifter — da malte er draußen das
ntli ber unendlichen Natur. Dann fam
das größere, geiltige Sehen über ihn, das
ibn jebt beberrjd)t. Diejes Sehen halt ibn
im Atelier und entfaltet bie Schäße feines
Gedadtnijjes. Alles ,ftimmt”, weil es ftims
mend heimgebradht wurde. In der Werk:
ftatt aber formt der Wille des Auges aus
bem Material das Bild.
Der Wille des Auges, ber Subjeftivismus,
der aus dem ftártiten Objettivismus erwädhlt
— hier liegt Bedas Kennzeihhen. Es war
Haratteriftikh, daß ber Riinjtler, jolange
id) bei ihm weilte, fein einziges Dial das
jebt unentbebrlidje Schlagwort Exprejfionis-
mus brauchte ober fih felbft gar als Ex»
prelfioniften bezeichnete. Er ift einer, wie
jeder Gtarte und Eigene — Der lädherliche
Stolz auf ein Gein ijt ihm fern. Smprel[ton
in Exprejfion umguformen, der Weg aus ber
Natur ins Atelier — das ift fein Weg. Bei-
leibe läßt fic) aus ber Bejtimmung jedes
echten Talents feine EUR maden. Es
ijt die Richtung, von der endlich zu |preden
ijt, aber nicht im alleinjeligmadjenben Sinne,
jondern mur mit dem dankbar ernjten Hin-
weile, daß ein Seglicher fic) auf feinem
Wege zu ihr binfinden muß.
Diejer Betradtung ift eine Reihe von
Reproduttionen Bedaſcher Landidaften bei:
gegeben. Gie find mit ber beiten Technit
hergeftellt, und ber Lefer wird durch ihre
Betrabtung mehr von Beda erfahren, als
Morte ibm jagen Tonnen, Tenno% fei es
vergönnt, nur turz bei unferen Reproduftionen
zu verweilen und mehr von einem Bilde zu
lagen, das ich im Atelier bes Künſtlers ent-
teben jab. Wir finden gewiß in diejer Heinen
Auswahl Bedas Entwidlungsitadien verdent:
liht. Der „Herbittag im Dachauer Moos“ und
„Der Wintertag bei Dachau“ zeigen die große
und freie — — des einſtigen
Wandermalers. Die beiden Seen und die
„Spätnachmittagsſtimmung“ bei Murnau
führen dann in Bedas Gegenwart hinüber, in
die geiſtige Umformung des Geſehenen, wie
ſie ſeine raſtloſe Atelierarbeit ſchafft. Der Be—
trachter wird — und das iſt wohl die feinſte
Wirkung Bedaſcher Reproduktionen — keinen
Sprung, keine Kluft von der erſten zur zweiten
Periode empfinden, ſondern nur eine große,
vorbereitete Selbſtverſtändlichkeit.
Wir haben geſehen, daß es ſich ſo verhält.
Mir aber wurde alles von dem Werke, an
dem Giulio Beda gegenwärtig arbeitet, be—
ſtätigt. Für die Landſchaft aus dem Loiſach—
|
ee EES Giulio Beda E2L22333333333321 459
— — — nn — — —— ——
A —— — — —
tal hat er wohl ſein größtes Maß bisher
gewählt. Es wallt und brauſt, es leuchtet
und ſchattet auf dieſer Leinwand und iſt doch
feine Eruption aus gewaltiger, glüdbajter
Stunde, jondern — ftaunend vernahm id)
es — Die Arbeit, die vier volle Jahre in
Anſpruch nahm! Diejer Künftler trennt fih
nicht von feinem Werte, weil dem Werte
feine Liebe gehört. Ich mußte an Michael
Kramer und feinen Getreuzigten denten.
Beda ift glüdlicher als Kramer, denn er
haftet nicht am Menſchen, fondern fegt [Hon
in der Mertitatt bie Andacht vor der Natur
fort. Jeden Morgen fiebt er bas entitebende
Werf in neuer Geligfeit wieder. Ech
Morgen bringt er ihm neue Schäße jeines
Gebádjtnijjes. Weil er das Werk als Ganzes
in der Geele trägt, zerfällt es ihm nicht in
Einzelheiten, und jede Eingelbeit dient bem
Ganzen.
Co fam es, daß wl vor bielem Bilde
den finfonijdhen Eindrud eines Naturereig:
nilles gewann. 3d) ließ es vor mir leuchten
und weben, id) jab den Wurf aus Schöpfer:
ne. unb bod) — ber Wille meines Auges
onnte, dem Dialer folgend, zu jeder Einzel:
Spatnadmittagsftimmung bei Murnau. Gemälde. (Galerie Heinemann, München)
SCH get
beit jid) lenten. Bald war es ein Berg,
bald ein Baum, bald ein Menſch, ber mein
Belichtsfeld beherrichte. Sch glaubte, daß
es Ifid) dort aus wallendem Nebel flarte,
wohin mein Auge ging. Das wollte der
beberridjenbe (Get des Malers. Und ich
jah allmählich, was mich führte, wie es ihn,
den Schöpfer, pe nicht FJarbenwerte,
jondern zarte, zeichnerijche Linien, aus denen
bie Farben fid) löften, ohne innere Führung
zu verlieren. Der Maler jah mein ES
ergriffen über fein Wert jchweifen. it
wunderlider Ruhe, denfend und Doch tráu:
mend, fagte er: , Ja, ber Bleiftift. Der Blei:
ftift mad)t die Malerei.” —
Giulio Beda fteht im ftártiten Mannes»
alter. Jahre ber Entbebrung und Not hat
er in feinem Dachau trobig überdauert. Nun
enießt er wachjenden Ruhm. Die Welt hat
bo zu ihm bingefunden, wie bas malerijche
lotto au feinem Auge — er hat es nie oe:
juht. Nun bat er die Welt. Schon lange
befigt die Münchener Pinatothet ein Wert
bes Meilters. Er aber bleibt ber ftille,
eck Mann, ber feiner Arbeit und feiner
amilie gehört — ein „abjoluter Maler”.
Schwingungen. Verfe von Karla Hocker
Laß es erf Nacht fein, fill und ferne Vielleicht begreiffi du meine Klage,
Von allem, was uns fonff umgibt. Wir werden fanft einander nah,
Kur wiffendum das Beten fremder Sterne, Und find fo rein wie an dem Tage,
And irgendwie darin geliebt. Da uns sum erflenmal ein Schmerz gefchah.
kä
Die Wälder fchrumpfen braun und dürr
Jn Fernen, die fich traumhaft blauend neigen.
Die vielen leeren Wege laufen wirr
Ins Schweigen.
Und find doch off fo wunderbar um/pielt
Von leifem Licht und nebelhaflen Klagen,
Daß man in ihnen alle Sonne fühlt.
Und jeden Duft und jeden Traum,
Den fie getragen.
a
Weich iff der Wind —-
Gr weckt die fummen Weiten,
Gr fingt von Wäldern, die fich um ihn breiten,
Die Stimmen fremaer Berge find ihm eigen
Und die der großen Vogel:
Die raufchend vor thm fliehn,
Ind irgendwie iff auch dein tiefftes Schweigen
In feinen dunklen Melodien —
En
Bäume warten.auf den Regen,
Tore dämmern dir entgegen,
Und die Brunnen an den Wegen
Atmen leife Traum und Duft.
Lieder find, die fernher klagen;
Schmerzen, die du bang getragen,
Haben Sinn in diefen Tagen.
And du brauchfi nicht mehr su fragen,
E
Und Waffern, die ihm nahe find. |
Welche Stimme nach dir ruft. f
Die große Eb'ne liegt in weichem Schweigen,
Die Wolken finken fchattenhaft und fleigen
- Und wiffen viel von Ginfamkeit und Winden.
Kur einmal kommt von fern ein Pfeifen her,
Verloren, fanft erfferbend, und fo fewer
And voller Trauer,
Als fehnte dort fich irgendwer,
Dem Schweigen eine Melodie su finden.
kä
Aus Abendwolken ferne Vogelfchreie
Rühr'n Janft die weiche Seele auf.
Jind gans in Schwermut, gans in Weihe,
Nimmt ein Gedanke feinen Luuf.
Was weiß ich, ob ihn Winde wiegen,
Wohin es innerlichfl thn sieht,
Ob er in jenen Wolkenzúgen,
Ob er im Abendrof verglüht,
Ob ihn die fernen Sterne führen
Dahin —
Qu bijt; und irgendwie mußt du es [püren,
Wie fehr ich bei dir bin.
Bitter B Ant ~
Sin ſüdliches Porträt von Theodor Bohner
1. Der Freund unjrer Schule
CoNM Seit drei Monaten leitete ich diefe
ICH. Schule, die der Stolz unfrer Ro:
lonie war. Jn einem elenden
Mietshaus, vier Treppen hod. Im
- erjten und zweiten Ctod waren bie
Treppen aud bei Tag in der Dunkelheit
faum zu finden. Im Sommer, zur Zeit der
SBabenjtrümpfe, verlangten wir unjrer ffei:
nen Diädchen dE Treppenbeleuchtung vom
Hauswirt. „Freilich,“ jagte er, „aber was
wollen Cie, es ift doch nur im erften und
zweiten Stod finjter — oben fieht man.”
Wenn der Ritter Töchter gehabt hätte,
wer weiß, ob er den Weg zu uns fand? Er
hatte aber nur Jungen.
Co fam er, vielmehr zunächſt feine Karte.
Matteo, ber Schuldiener, hatte zum erften:
mal jeit Beginn des Gchuljahrs meinen
Cdreibtijd) aufgeräumt, um Plat für die
Karte zu Ichaffen.
Ritter Emilio Diss! |
|
Polizeikommissar
|
i
Ritter! — Nämlich Ritter des Kronen:
ordens. Bierter Rlajje.
„Bas will er?”
„Er will morgen wiedertommen,” hauchte
Matteo, ber in ber Verfaffung eines Mör—
ders vor ber Entdedung jdien. „Morgen
nachmittag. Der Herr VLA arar
Am andern Tag ftand Dtatteo [Hon un:
ten in ber Haustiire, naB und aufgelöit.
„Er ijt oben, der Herr Rommijjar. Ich
babe ihn glei in Ihr Zimmer geführt.“
Oben jaB er, die Biederfeit in Perjon,
mit langem jchwarzem Bart, goldener Brille,
— der ein Paar zutraulich liſtiger Aug—
ein funkelte, unverfennbar ein Abkömmling
pa jüdlichen Proving, die dem Lande die
angen Bárte und die großen Hüte, Die
bilojophen unb bie Räuberhauptleute Ite:
ert. Augenblidlid) war er dabei, mit einem
aummollenen Tajchentuch ungeheuren us:
mapes weitere Brillen zu pugen, von denen
er ein fleines Lager auf dem Leibe zu tra:
gen fien. Vorher hatte er fic) die Zeit
mit Fliegenfangen vertrieben. Wenigitens
bildeten ihre Leichen ganze Ornamente um
ihn Der auf dem Fußboden.
Mein Kommen war ihm nicht entgangen.
Er jtedte fein optiidjes Lager weg, während
fein Gelicht vor Freude glángzte.
„Buten Tag, Herr Direktor!“
„Buten Tag, Ritter! Womit fann 1d)
dienen?“
„Ich — mit einem Mort — ich will mei:
nen Sohn auf Ihre Schule bringen.“
„Ritter, unjer Sebrerfollegium, die Rolo:
nie, unjre Regierung find ftolz auf das Ver:
trauen, das ihnen Die made Be:
wobner bieles fleiBigen Landes entgegen:
bringen. Indes...”
Der Ritter brauchte für feinen Sohn nod)
einen einheimijhen Hauslehrer. Wo folte
er dazu bas Geld nehmen, wenn er auf fei-
ner Karte den Rronenorden vierter Klaſſe
als einzigen Reichtum ausjchrie? Sch er:
Ihöpfte meinen Borrat an Kenntnijjen der
anbesjpradje, um ihm abzuraten, ohne den
wahren Grund ragen zu miijjen. Rergebens.
„Willen Sie, Shre Zucht ift ernft, unjre
ſchmeichelt. Sie müjjen meinen Sohn neh:
men.“ Er war bidjt Derangerüdt, ein
Knopf an feiner etwas weiten Hoje war auf:
gejprungen, feine ganze Gejtalt |djien ein
verzüdtes Lächeln werden zu wollen, als
habe man ihm Butterbirnen over eine En
pajtete angeboten. „Beiläufig! Kennen Gie
ben Minifter des ÁuBern, Baron Aurelian ?
Er ftammt aus meinem —— Die
pron ändern fidj Sedenfalls fónnte mein
obn im Außenminijtertum hodfommen,
wenn er fremde Sprachen fennt, Ihre.“
Sd) verjant in Bewunderung eines fo
weitjehenden Baters und nidte ergeben.
„Sch wußte, wir würden uns einig wer:
den. ie bod) ijt Ihr Schulgeld ?^
„Zehn Franken monatlich.“
Ritter Bun fuhr etwas zurüd. Leider
ijt feftzuftelen, daß ihm hierbei ein zweiter
nopf feiner Hofe aufiprang. Er mertte es,
fnöpfte mit der Würde eines Provinzial:
philojophen beide zu und hatte jid) do
melt. „Zehn Franten? Ich werde allo fünf
bezahlen.”
„Ste verftehn mid faljd, Ritter. Seon
Er tätjchelte mid) auf bte Schenkel. „Sie
mißveritehn mich. Ihre Schule liegt in mets
nem ®Biertel. Sd) werde fünf Franfen bes
zahlen.“
Nun beugte ich mid) vor. „Ritter, in
meinem Baterlande gebe ich jebt zu Ihrem
Vorgeſetzten.“
Er age, bejdjmürenb die Hände und gab
itd) Mühe, wie ein Engel des Beato Anges
lico von $yielole ausgujehn. „Drein lieber
junger Freund! Reden wir doch als Männer
miteinander!“
Die Aufforderung erhielt Nachdrud durch
bas Herunterzerren des rechten Yugenlides
mit drohend erhobenem Finger, Zeichen,
deren volle Bedeutung zu verjtehen mid) Die
Schule des trefflichen Ritters gründlich bes
räbigt hat.
„Sehen Gie dod, in ber ganzen Welt
find die Gelege fürs Geben eingerichtet, die
Menjchen aber für das Nehmen. Wenn wir
462 PFESSSSSSSSSSSSA Theodor Bohner: seess ZZ ZT
vor Bericht gehn, Sie und id), ber Polizei-
fommi||ar, dem die Obhut des Koni liden
PBalaftes anvertraut ift, es lebe der König!
und ich lage: „Diefer Herr ijt noch nicht
[ange unfer Gajt, er verjteht unjre Cpradje
nod) nicht,“ wer, meinen Gie, bezahlt? Mein
lieber junger Freund, id) bin ein Freund
Sbrer Schule, ich brauche es nicht zu fein.
Rann id) dafür, dak der Staat bie Arbeit
feiner Beamten nicht genügend einjchägt?
Sind Gie Beamter? Ee Sie haben mid)
bod) gleich |o jympatbild) berührt. Werden
Cie denn bejjer bezahlt? Können wir es
nicht als Beamte, unter uns, fozufagen tol:
legtalifd) regeln?
Ich ließ beicheiden einfließen, baB über die
Freundſchaften unfrer Schule ein Schulvor-
Ronn entjcheide, dem ich ibn aber empfehlen
wolle. Er jchwanfte einen Augenblid, ob
ein Mann von feiner PARA jid) mit einem
jolhen halben 3ugeftándnis begnügen dürfe.
Endlich entſchloß er jid), Dep fih mit an:
geborener Sicherheit bes Geiftes die Namen
Jämtlicher Boritandsmitglieder geben und
ging. An der Türe drehte er fid noch ein-
mal um und bob lächelnd den Singer:
„Denken Sie an die Gejebe, die vidis ute
Die Treppe Hallte nod lange von feinem
fröhlichen Gelächter wider.
2. Reine Einridtung für Unredt
In unjerm Sculvorftand waren drei
Vertreter der Preffe und zwei Anhänger
einer befannten geijtliden Partei. Die
Freundſchaft Ritter Bijfis fand aljo volles
Berjtändnis beim Vorſtand. Gegen ein jähr:
lid) wiederholtes Gejuch zahlte er laufend
die Hälfte bes auf ihn fallenden Schulgeldes.
Außerdem wurde er zum erften außerordent:
lidjen Mitglied unjres Vereins ernannt.
Wir erhielten ein Dantjchreiben, in dem
der Geebrte Ki zu jedem Dienjt auf feinem
Gebiet erbot. aöjforichungen ergaben, daß
Ritter Tok außer dem Künigspalaft die
Männerflöfter unterftanden. ls wir er:
fuhren, daß er dazu noch famtlide Tingel:
tangel beanie Hellien wir unjre Ere
fundigungen etn. Wir fürchteten, uns in
Abgründe zu verlieren.
as erftemal baten wir Ritter Biffi, als
Matteo unjre großen Mädchen in die Ma:
den kniff.
Die Mädchen vertrauten es unjrem Meus
philologen auf Franzöſiſch. Er teilte es mir
auf Lateinijd) mit. Sd) beftellte Matteo in
der Landesiprabe zum Schulvorfigenden.
„Heute nachmittag drei Uhr bei Herrn
Braun.“
Um halb vier fam Matteo zuriid, bleich,
mit der Entrüftung eines Edelmanns aus
altem Hauje. „So Jeid ihr Fremden. Ronn:
ten Sie mir nicht Jagen, daß es eine ernite
Gade ijf? Dann hätte ich meinen Md-
volaten mitgenommen, und Herr Braun
wäre jekt wegen Berleumdung verflagt.
Go babe id) meine Entlafjung zu Michaelis
unterjchreiben miijjen. Ah, dieje Kinder! Ich
bin aht Jahre an der Schule, Sie, Direftor,
pier Monate. 3d könnte ja beinahe der
Pater von diejen Mädchen fein.”
Sd) wies auf die Nähe der Ferien, Die
für den Gchuldiener drei Monate Gehalt
ohne Arbeit bedeuteten. Wir tranten einen
Berjóbnungsliter. Nach dem zweiten Liter
erflärte fid) Matteo bereit, Turchzuhalten,
„aber nur aus NRüdlicht auf den Direltor,
denn es bleibt bod) eine ſchwere Beleidigung
unb eine Täufchung des Vertrauens.“
Um ben 24. Mai erjchien bet mir ein alter,
vergrämter Mann.
„St She Diener zuverläjlig ?^
„Er bat bie — Nd angenommen,
junge Mädchen in bie Waden zu fneifen, in
Geldjaden haben wir feine Klage.“
„Dann ift er mein Dann. Ich bin Bantier.“
Am 31. Mai fehlte Matteo. Ich láutete
jelber bie Glode, 3og bie Uhren auf, blies
über den Staub auf ben Bánten hinweg,
fura, erjebte Matteo, fo gut es ging, bis uns
ein Hotelier für den Heft bes Schuljahrs
feinen Nachtportier lieh. Sofort meldete jid)
unjre erfte einheimijche Lehrerin.
„Kommt Matteo nicht mehr?“
„Ih bin in feine Abjichten nicht einge:
weibt. Aber ich glaube nicht.“
' „Um Himmels willen, wer bezahlt mir
bann meinen Junigebalt? Er bat ibn dod
auf der Bant geholt.“
„Und das melden Gie mir Jo jpät?“
„Ach, er hat ja lo geweint. Gein Neffe,
der Student, habe in einer Nacht alles durch:
gebracht.“
"Bo ift der Student? Ein Student, der
bier gwethundert Franten in einer Nacht
durdbringt, wird verhaftet. Dafür fennen
Sie unjre Polizei. Ihren Gehalt hat Matteo
nod), aber er bat ibn als Bürgichaft für
feine Redlichfeit bei einer Bank hinterlegt.“
Sd) bemerkte, daß faltes Waffer für Ohn-
machten ftets von Wert bleibt.
Matteo hatte aber auch Fämtliche Schlüflel
mitgenommen. Da wir ausziehen wollten,
bedeutete dies große Schwierigkeiten mit dem
Hausherrn. d ging zum Ritter in Die
Wohnung. Er empfing mich gerührt. „Sieb,
der Direktor! Das trifft fih pradtvoll. 3d)
Ge gerade eine Loge für heute abend.
Wollen Sie mit Ihren Lehrern hin?”
Sd) wurde in das Familienzimmer genötigt.
„Konrad!“
Konrad, unfer Schüler, war dabei, ber
ganzen Familie, Papa, Mama, feinen Brii-
dern, dem Dienſtmädchen aus feiner Fibel
die tägliche Deutjchftunde zu Qeon Unter
einem Stuhl froh bas Nejthätchen, der un:
glaublich dide, zweijährige Arrigo, hervor.
„Bubtenn Tagg!“
Ja, Ritter SL war ein peu unjrer
Schule. Ich beſchwöre unire Regierung, zu
jeben, wie man fih Freunde im Ausland
t
afft.
Mud Matteo wollte Ritter Biffi vorführen
lafjen. „Sie werden Nachricht betommen.
Zweifeln Sie nicht!“
=- — — -a — "m
ee Ritter Biji Kësse eh 408
Nad acht Tagen hatte ich genügend Mein
mit dem Portier unfres Haujes getrunken,
um Matteos neuen Unterjchlupf zu tennen.
Sd) ging wieder zu Ritter Biffi.
e een ter ift eine Dauerkarte für
unjer beftes £idjt|pielbaus. Kommen Gie!”
Wieder ging es in die Familienftube, wo
‚Ronrad' eben feine Deutjchftunde hielt.
Wieder frod) Arrigo unter einem Stuhl hervor,
um ,Gubtenn Tagg‘ zu brüllen, und wieder
re mid) Ritter Biffi an die Türe,
„Datteo, mit bem lajjen Sie mid) in Rube!
Cie hätten thm doch für vier Donate Gehalt
zahlen MEN. Lajjen Sie Schlüfjel machen,
giehen Sie die Kleinigkeit für Ihre Lehrerin
ab! Sch glaube, Sie müllen ihm immer
nod) etwas berauszablen. arten Gie ab,
ob er nicht Hagt! Aber id) mijche mich nicht
barein. Oder jeben Gie in der Polizei eine
Einrihtung zur Unterftüßung bes Unredts ?
Nie!“ Er [trid) feinen langen, ſchwarzen Bart,
Matteo vertlagte uns niht. Ich be:
gegnete ihm im Sommer im Rorjo. Er jab
nod) |djiledjter aus als früher und trug in
ber Hauptjache feinen abgejchabten Winter:
und Gommermantel, andere Rleidingsftiide
idienen ibm nicht zur Verfügung zu ftebn.
Als er mid) erfannte, glitt ein Lacheln über
jein Gelicht.
,Sireftor, wie gebt's? Haben Gie jest
nicht Ferien? Ich or ba unten am Meer
einen fleinen Weinberg. Wollen Gie nicht
mitfommen? Wir könnten zujammen auf
die Jagd gehn. Ich Habe dod gerade
Ferien. Willen Cie, das Bantleben jagte
mir nicht zu, wenn man das Leben einer
Schule gewöhnt ijt. Gebn wir alfo jagen!“
3. Ein Wort über die Tugend
Durd) die Güte eines Borftandsmitgliedes
erbten wir Die deutſche Witwe eines ein:
heimijden TFeldwebels für unfre Schule.
Wir bejchäftigten fie mit Billigung unjrer
Regierung in allen Klaſſen langjam nad)
unten, bis fie im Kindergarten landete. Hier
leitete d ein Regiment Kinder aller Alter
und aller Zungen, bie aus unbegreiflichen
Minfden ihrer Eltern in bie Anfangsgründe
unjerer Gprade eingeführt werden Jollten.
Konrad hatte drei Monate hier auszuhalten.
Als ibm ein vierter Monat angekündigt
wurde, ging er mit einem Schlädhtermejjer
auf die felbmebeti los.
Das *Borfommnis fonnte einen jo liebe:
vollen Vater wie Ritter Biffi aufs äußerte
betriiben. Dennod war eine Mitteilung an
ihn faum zu umgebn. Wir nubten die
Randesgewohnheit, die Beltrafung Hervor-
ragenber Schüler der Weisheit ihrer Vater
gu überlajjen, und beauftragten Antonio,
atteos Nachfolger, Konrad feinem Bater
zuzuführen.
Sd) mußte den Auftrag dreimal wieder:
holen, bevor fid) Antonio entſchloß. Dabei
war er Unteroffizier bei den Finanzern ge:
wejen, deren Kühnheit befannt ijt.
„Könnten Cie nicht einen andern fenden ?
Der Herr Kommiljar! Sd) weiß nicht, wie
er es aufnehmen wird. Ctumpfe Mejjer
dürfen nur vier Zentimeter lang fein, diejes
ilt |piß, und fieben Zentimeter. Es ift ernit.“
Nach einer Stunde kehrte er zurüd, er:
Ihöpft. „Der Ritter erwartet Sie punft acht
Uhr am Eingang des neuen Ronzertbaujes.
Er hat mir nicht gejagt, wozu. ber gehen
Cie, oder geben Sie mir bitte meine Ente
lajjung zum Eriten.“
„Sie lieben Muſik?“ begrüßte mich Ritter
Billi, und eine Handbewegung zeigte an, dah
er vom übrigen nicht zu reden wünjche,
„warum haben Gie es mir nicht früher zum
Ausdrud gebracht ?^
Mir gingen an die Kaffe.
„Keine Pláge mehr. Wir werden feben.”
Sch glaube, es wäre nur unangenehm ges
wejen, wenn es an der Rajje nod) Plage
egeben hätte. Denn an der Kaffe wollen
he Geld dafür, mit der freundlich erhobenen
Nr des Ritters aber fojteten die Plage
nichts.
Da Konrad häufiger von unjern Bräuchen
in feinem Benehmen abwich, mußte ich mid)
daran gewöhnen, meine Abende dergeftalt
mit Ritter Biffi zu verbringen. Gein Beruf
zwang uns babet, unjre Aufmerkjamteit im
wejentlichen der „leichten Bühne“ zu widmen,
Sd weiß nicht, ob wir die Trifots ber rei:
zenditen Sängerin Pepita bas breiBig|te ober
erit das zwanzigfte Mal bewunderten, als
ich bejdjeiben auf die Gefahren des mühe-
vollen Amtes anjpielte, bas feine Obern auf
bie unvergleichlichen Schultern Ritter Billis `
gelegt hatten.
Er richtete fih auf bem Seſſel ber erjten
Bantreibe auf und fuhr zwei:, dreimal mit
der Hand über den langen Jchwarzen Bart.
„Sie wollen ein Wort von mir über bie
Tugend? Hier ift es. Die Tugend ift bie
Grundlage bes Staates. Der Ausdrud ber
Tugend im Ctaate ift der Beamte. Es gibt
feinen Beamten ohne Tugend, aljo auch feine
Tugend ohne Beamte und” — dies fagte er
mit unbejchreiblihem Lächeln — „vielleicht
wären die Menjden vollfommen, wenn alle
Menjdhen Beamte wären. Jedoch müßte
man dazu erft willen, ob die Tugend Die
Menſchen vollfommen maht. Die alten
Paphlagonier taten unredht.. .“
„Deh, Paphlagonier,” treijbte hier eine
dide, muntere Frau an unjerer Geite mit
einem unverfennbaren Süden: und Saus:
haltungsgelicht.
Ritter "Dun begann von neuem. „Die
alten Baphlagonier.” Dann fah er unwill-
kürlich nad) unjerer Nachbarin, verbejjerte fid)
„die Babylonier,“ begann noch einmal, um,
ganglia) unficher geworden, zu verftummen.
egen des Leidtfinns einer Heinen Haus:
oder Küchenfrau ijt unfer Gelpräch über bie
Tugend nie zu Ende gefommen.
4. Ein Brief aus Odejja
Ritter Biffi hatte verfproden, unfer Freund
zu fein. ` „Sie miiffen 500 Schüler haben.
464 1 I Theodor Bohner: BZZZZZZ ZEZ AZERA]
Meine Freunde werden Ihre Gremie wers
den. Das Bündnis marjdhiert.“
Schon nad einem Monat hatten wir tros
unjeres Sträubens in jeder Rlajje einen An:
hang rübrenb Beflijjener, bie jeden Cintre-
tenden mit einem taftjeften ,Guhtenn Tagg”
begrüßten, ohne je ein weiteres Wort zu
lernen: Ritter Bijlis Schüßlinge.
Mud) unter ihnen fiel Tullta Tefta out,
Sm Stammbud war aufgenommen, daß fie
eine Großmutter und Ehen Bater hatte;
alles übrige bing in der Luft: Bücher, Hefte,
Jagelpflege, Gtrafzettel, zaonen, jede
Mitteilung über ihr Zuhauſe ber ſie ent—
waffnete alle Lehrerinnen durch ihre Liebens—
würdigkeit. Ihr ſtändiges Schwaßen nur
machte zuleßt jede Schulftunde unmöglich.
Wir Forteen dreimal an den Bater, das
weite- und drittemal eingejchrieben, ohne
ntwort. Als das [hon faft vergeffen war,
erihien una Kier mittags kurz vor bem
Schluß ber Spredftunde eim dider Mann,
der in feinen Tajden offenbar nad) einem
Goriftftid von uns juchte,
Ich bin der Ontel.”
Es ift ein Geheimnis des Südens, daß
er unire Gedanken bejchleunigt. Auch zeig:
ten die Fingernägel unverfennbare Verwandte
ek mit den jchwarzen Nägeln unjerer
Muſterſchülerin. „Tulia Teftas Ontel?”
Er SC vor (lid wie eine Butter:
blume. a, ja, wie haben Gie das er:
taten? ie lange find Gie [don bier?
Haben Sie guten Erfolg bier?“
e d lenfte bas Gejpriith unhöflich auf feine
i
„Zullia ftört uns nümlid) burd) Schwagen.“
Er lehnte jid) breit auf. „Das tft fo
menichlich.“
„Aber wir Lehrer find * u da, Die
ee Oh be 30 d zu betámpfen. à
(te, ber Sharakter Tullias wird
gie Sa "Sch fenne die Eigentümlichkeiten
er weiblichen Mitglieder unjrer —
Aber wenn Sie es wünſchen, will ich es
meinem Bruder ſagen. Indes, tónnten Cie
mir nicht einen Gefallen tun? Gehen Gie,
da hat mir hier eine Firma aus Odeſſa ge:
een: deutih. Es geht um einen Kauf
eigen. Es ijt bas erftemal. Miirden Gie
mir nicht den Brief überjeben ?^
Sch überſetzte den Brief, und Herr Tefta
drückte mir gerührt die Hand.
„Wahrlich, Ritter Biſſi hat recht. ean
Cie bod) bin, hat er mir geraten, gehen Sie
hin! Gie werden brave und tuge Leute an
ihnen finden, wenn aud) vielleicht ein wenig
umjtdndlid). Aber bas gilt von Ihnen nicht,
Herr Direktor.“
Er mußte nod über eine Stunde in
ber Mittaghie im Sonnenbrand auf ber
Straße warten; denn wir hatten feiner
Nichte fofort eine Stunde aubiftiert. Er be:
nubte bie Zeit, den Brief aus Odejja nod)
einmal zu ftudieren. Danah begann er,
ne Mittagsblatt langſam auswendig zu
ernen.
5. Herr Kölberle
Sünglinge find aud Jungfrauen,
Die mit Weibern jid) DA trauen
Und nicht in ber (tbe fein,
Wenn fie fid) ganz Gott ergeben
And ganz feujd) und züchtig leben,
Alſo heilig, red)t und rein.
Ziele Berfe find von Michel Hahn unb
bereits 160 Jahre alt. Dennod) kannte id)
fie e nicht, bis uns unjre Regierung in
bës eisheit ben Reallehrer Rolberle ¿us
Ihidte. Herr Kölberle war Michel Habner,
Michel Hahnicher Fiingling oder Jungfrau.
In Rußland hätte im die egen Leg als
Dudoborgen durd) bie Regierung totjchlagen
lajjen, bet uns empfahl fie ihn ſämtlichen
Staatsbehörden in den rührenditen Tönen,
bis ihn diefe als Berbreiter ihrer Bildung
ins Ausland jdjidten. Vielleicht hätte fie
ibm auf Antrag fogar bas Bruderjbafts:
band bezahlt, bie dverbgenähte, jhwarze Hals»
binde von ber Corte ber „unverbrauchbaren“,
die man in feiner Bruderfdaft aud) in der
Nacht nicht abzulegen [dien.
Bon ber Regierung war Herr Kölberle
für das Franzöſiſche beftimmt. Als die ganze
Tertia die Marſeillaiſe ſchwäbiſch ausjpres
chen fonnte, entdedten wir Herrn Kölberles
Begabung für Religion. Er befam Jämt:
liche Klalfen, Buben und Mädel, zwiichen
10 und 14 Jahren.
Etwa im vierten Monat feines fiidliden
Aufenthalts betam Herr Kölberle Augen.
Er empfand jofort die Pflicht gegen die thm
Anvertrauten. „Ihr verjdtehts zum Glid
no net, aber wenn i in bem Gindebabel nur
bis an mei Wohnung in ber Frattina geb,
jo Ei i alles.”
ags darauf entdedte Ritter Biſſi auf
einem Dienftwege feinen Konrad in der
grattina, wie er bie Klingeln dreier ver:
ichiedener und ganz verfehrter Häufer zog.
Sch ehre es als einen Beweis der Freund:
haft, dak Ritter Biffi mid) in meinem
Amtszimmer aufjudte, bevor er uns fein
Bertrauen fiindigte und feine Söhne ab:
meldete.
„Wenn Konrad [Hon jebt...
Kindern davon nicht.”
„Gewiß, Ritter, td) verurteile den Vorfall.
Uber ijt es von Herrn Kölberle nicht blog
ein Mikverjtändnis jener neueren Beftre:
bungen, Die nicht früh genug die Jugend
warnen können?‘
„Bapperlapapp!“ Ritter Bilft pfiff eine
Arie der Sängerin Pepita.
„Bei uns im Norden, Ritter .
„Ic verehre Die Wiffenſchaft von nct
der Alpen, aber ihr Fiſchblüter e
„uch Roujfeau .
„Sit ein großer Gpibbube gewejen, Der
jeine Kinder im Findelhaus abgab. Den
lajjen Sie in Ruhe! Die Tugend tft Die
Grundlage des Staates, der Ausdrud ber
Tugend im Ctaate ift der Beamte. Sit Herr
Z0olberle Beamter ?"
„Ale. Herr Kölberle ift dazu Michel
Man redet
ne u DDR. Å- ——— ui... AAA CL — —
In der Kirche
Gemälde von Prof. Carl Albrecht
Bee E Ritter Biffi see sel 465
Hahner. Michel Hahner find die freiwilligen
Blüten einer Gittlid)feit . . 3
„Wie lagen Cie, id) bitte, nod) einmal
ben Namen!“ Gr lernte ihn auswendig, nad):
Dem er ibn in einem abgegriffenen Notizbuch
zweimal mühſam aufgejchrieben hatte. „Was
ijt Michel Ahner?“
Die Erklärung ging nicht ohne Mißver—
ftändnijje. Schon bie beiden erjten Berje der
Bruderjehaftsweile waren faum zu über:
winden.
„SJünglinge find aud) Gungfrauen.”
„Sehr bedenflidh! Man müßte fie ein:
jperren. Oder es find Krante. Konrad wird
mie ius
Ich überzeugte den Ritter, daß er auf
einer faliben Fährte war, und fuhr fort,
um ibm die entjdjloijene Gungfraujdaft ios
wohl des großen Gángers als Herrn Rólber:
les verftándlid) zu maden.
„Eh!“ Er öffnete endlich die Augen, joweit
er fonnte. „Das ijt es? Riefig unfittlich,
ungeheuer unjittlih. Sm Mittelalter ift ein
Kardinal daran gejtorben. Schade, ein fo
braver Lehrer! Wher ich will es auf mich
nehmen. Direktor, ich dente daran. eine
Hodhadhtung für Ste ift nur gejtiegen. Ver:
geffen Sie den Zwiſchenfall!“
6. Die Jdhinen &ünite
Wir feierten einen Heinen Abjchied in
einem der vielen Ateliers der Villa Fera.
Jeder beutjde Künftler hat in einem diefer
jede Bequemlichkeit entbehrenden, im Win:
ter falten, im Sommer heißen, in einem
paradiefiihen Part wie eine Reihe abgela:
dener und vergejjener Riften nebeneinander:
itebenben Weißblehhäuschen angefangen;
er war unendlich ftolz, wenn er fie nad) ben
erjten Erfolgen gegen ein Atelier mit Mob:
nung in der Stadt jelbjt vertaujd)en fonnte;
und bod) verließ er nur mit Mebmut die
Anfangsitätte feiner Riinjtlertráume, den
herrlichen Parf, in den er jid), taum gejtórt
von dem quertópfigen Beliger, mit gleich:
jtrebenden Giinglingen und Sungfrauen aus
der ganzen Welt, bejonders aus dem Nor:
den, eintt teilen durfte.
Als wir mit unjerem freiwilligen Freund
antamen, war unter der berühmten Piniens
gruppe nahe dem Abhang nad) bem Fluſſe
eine Malerin noch an der Arbeit. Mit der
natürlichen Anteilnahme des Laien an der
Hunt gingen wir näher. Ich entdedte zu
ipát, daß es die „biblijche Geſchichtsmalerin“
war, die ihren Aufenthalt im Güden aus:
ſchließlich biblijden Darjtellungen widmete
und für fie den Grundjak ber genauen Jia:
turwiedergabe neu entdedt hatte. Bis jebt
war fie mit ihren Studien noch nicht über
das Paradies vorgedrungen. Ritter Bijfi
war bereits dicht an fie herangetreten und
hielt jene Kennermiene bereit, mit ber wir
die Schildereien umberjtreifender Maler in
ber Gommerjrijde zu mujtern pflegen. Debt
entoedte er mit Befriedigung, bab mon es
bier nod) mit wahrer Kunft zu tun hatte,
Belbagen & Klajings Monatshefte.
35. Gabrg. 1920/1921.
indem bie Begenjtände des Bildes deutlich
zu erfennen waren. Go hatte er auch feine
Einwendung, daß bie Riinftlerin einen nad:
ten Mann, etwa Adam, der im Paradicfe
Giefta auf einem Baum hält, dargeftellt
hatte. Golde Darjtellungen gibt es in der
Kunft, und man weiß, daß jeder Künitler
dazu Vorlagen findet. Er nidte andadtig
und wintte mir zu. Da raujchte es oben in
einer Pinie, und wir faben hinauf, wohin
die fromme Malerin, ungejtórt von uns, die
ganze Zeit gejehn hatte.
Es war Oftavianus, das frájtiglte Män-
nermodell, das es zurzeit in der Stadt gab;
er lag nadt anf einem Aſte.
Sin biejem Wugenblicde bedauerte ich, nicht
dem Rat meiner Tante gefolgt zu jein, die jagt,
daß man in fremde Lander nie ohne einen
Rognat ACL Er wäre unjerem Freunde von
hohem Wert gewejen und hätte thn jchneller
bie angeborne Feltigkeit feines Charafters
wiedergewinnen laffen. So fürchtete id) bei:
nabe, ein unfreiwilliger Mörder geworden
zu fein. Er drehte hilflos bie Augen bald
nad) Adam, bald nad) mir, dann wieder nad)
der Malerin. Erft furz vor ben Altelters
gewann er die alte Gelbjtbeherrichung.
„Sonderbar,“ jchloß er das Erlebnis ab,
»jonderbar! ber wenn es bei euch Lan:
besbraud) ijt, daß man, mit Erlaubnis, nadt
auf Bäumen lebt.“
Mit freudiger Erwartung traten wir nun
in bas Atelier. Alles, was er hier Jah, er:
regte das Entzüden des eben nod) jo ſchwer
Gepriiften: die einfachen Blechdächer, Die
Möbel, die fid) ber augenblidlid)e Inhaber
wie feine Vorgänger aus Kiſten zurecht ge-
madt batte, bie bunten Behänge, bie Der
junge Riinjtler ftatt Bilder an feine Wände
hängt, nachdem fie auf dem Tródelmartt
jeinen Farbenfinn entzüdt haben. Er bes
Hopfte gerührt die vielen angefangenen und
ion wieder halbeingetrodneten Tonmodelle.
Schließlich blieb fein Blid auf einem Tajchen:
feuerzeug haften, wie fie Damals neu auf:
famen; der Gaftgeber hatte es als einzigen
Luxus aus der Heimat mitgebradt.
Er erflärte bereitwillig jeinem Bejuch die
innere Einrichtung. Als das erfte blaue
Flämmchen empor|djlug, fiirdteten wir fait
ür den Berjtand bes Ritters. Vian mußte
thm das Büchschen zum eigenen Verſuch in
die Hände poen, wobei er naturhafte Laute
bes Entzückens ausjtieß, wie man fie nur
von Giidjeeinjulanern nod) au hören be:
fommt. Er berubigte fic) nid)t, bis jeder
Bejucher eine Zigarre genommen und bei
ibm angejtedt batte. Wud) nachdem er jid)
gelegt hatte, trieb es ihn alle paar Viinuten,
das Flämmchen wieder anzuzünden, immer
mit dem gleichen Urlaut des Entzüdens.
„Dah, wie wird die Welt noch jchön
werden. Wenn id) meinem Baterlande etwas
wiinjdje, jo ift es die Einbürgerung von Er:
findungen, wie 3. B. die Finiminutenterzen
oder bie Brünebohnen:Abzichmajchine. Habe
id) recht ?"
2. Bd. 31
466 Iesse ee Theodor Bobner:
Mir beeilten uns, bie Verdienfte feines
Landes in den jchönen Riinften bervorzus
beben. Man tranf auf die Runft.
„Die Kunjt,” Ichloß er fid) an, „ift ewig.
Es liegt dies in ihrer Aufgabe. Wie wollen
Cie fonft bie Majjen für den Staat, für bas
Allgemeine erwärmen, wenn nicht durch das
bean am Berfajjungsfeft oder ben
bnigsmar|d? Hier ijt bie wahre Kunſt.
Kennen Gie etwas, das beffer feinen Zwed
erfüllt und höhere Swede bat als unfer
Rónigsmari? Tabummdadadadah, ta:
bummdadadadah!”
„Der Königsmarſch,“ Tagte Herr Kölberle,
Udt eine großartige, muſikaliſche Schep—
Tung, Mir tn Wirteberg ...”
| an ließ bie beiden in ihrem patriotifden
Gejprad. Die Künjtler verhandelten mitts
lerweile über den Unteribied männlicher
und weiblicher Schönheit. Während Die
einen bie jchwellenden Linien bes ei
baljes, den ſehnſüchtigen Aufitieg des 9tadens,
ihre runden ultern priejen, feierten andre
bas geiltreiche Spiel ber Riidenmusteln beim
Singing.
Ein begeifterter Schwede madjte den An:
fang, indem er Rod und Hemd
„Seht, worüber wir ftreiten!“
In wenigen Minuten hatten alle die Ober:
förper entblößt, man gab Rennerurteile über
Scdyulterblätter, Armmusteln ab, lobte einen
guten Turner, lachte über einen zu Dagern.
(fin Kraftmenjc ließ feinen Oberarmmustel
befiihlen. Auch Ritter Bilft trat heran.
„Sn Wahrheit, prädtig! Direktor, id)
bin Ihnen dankbar. Y, id) möchte ewig nur
mit Deutjchen leben.” In bielem Augenblic
bat ein junger Siinftler um die Erlaubnis,
Ritter Biſſis Oberleib betrachten zu dürfen.
Andere, Die der Mein angejtedt hatte,
jauchzten Beifall.
,&un Sie uns ben Gefallen! Legen Gie
ou Machen Sie es fih bequem! Bitte,
itte.”
Ale Augen ſahen auf ihn, der allein
jeinen Rod anbebalten hatte.
Er trat aus dem Kreije. Auf feinem Ge:
fiht lag ber feierliche Ausdrud jener Mi-
nuten, Da er vor demonjtrierenden Mafjen
am Sóntgspalajt die tritolore Schärpe auf-
inópfte, die die Bolizeitommiljare unterm
Rod tragen, um den Truppen wie der Menge
das Zeichen zu geben.
,S) nein, ich bin ein Ehrenmann.“
Und wandte fih zum Gehen. Unmittel:
bar dahinter, nachdem er faum die Tür ge:
ſchloſſen, vermißten wir bas Tajchenfeuerzeug.
Nad drei Monaten fam es —
durch einen Schutzmann zurück.
Ritter Biſſi hatte es auf einem Dienſt—
gang „bedauerlich zugerichtet“ gefunden.
herunterriß.
7. Kronprinzenempfang
Das Land feierte Jubiläum. In Der
Hauptſtadt wurde daraus eine Art belehren—
der Kinovorführung ausländiſcher Fürſtlich—
keiten. Sie kamen, fuhren im Staatswagen
u Hofe, zeigten ſich mit dem König dem
Bolt und fuhren wieder ab. Nachdem unjere
Regierung dreimal ihre Abfichten geändert
hatte und bereits im ganzen Lande fein
PBrejlemann mehr gefunden werden fonnte,
ber an ihre Ehrlichkeit glaubte, entjchied fie
fid bod) nod), ben Rronpringen zu [djiden.
Sämtliche Vereine in der Kolonie zeigten
auf die Nachricht Leben wie Gartenland nad)
einem Frübjahrsgewitter. Die Mitglieder:
zahl des Flottenvereins, bie jahrelang nur
eine Eins gewejen war, jdjnellte auf 868.
Mas bedeuteten jegt Warnungen Seiner Ex:
zellenz des Botjchafters vor England? Im
vornebmijten Klub, im Künftlerverein, wählte
man vierzehn Tage lang ununterbrochen
Borftände,
Act Tage vor der Ankunft des Gaftes
Hr durch, dak auf der Botichaft nur zwei
tatt drei *Borjtanbsmitglieber jedes Ber:
eines zugelaffen werden follten. Eine Abs
ordnung jämtlicher WBereine der Kolonie
wurde darauf bei Geiner Exzellenz dem
*Botidjafter vorftellig, ob und wieviel Neu:
gründungen von Vereinen er in diejer Woche
nod) anertenne. Der legte Berein, der ge:
gründet und anerfannt wurde, umfaßte Die
dritten Vorfigenden jämtlicher alten und
neuen Bereine.
Wm drittlegten Tage Dep mid) Ritter Biffi
„in einer jehr erniten Angelegenheit“ zu fic
bitten. Ich hatte ihn nod) am Tage zuvor
vor ber Königsburg getroffen, wie er in ber
Zerjtreutheit unter der von ibm iiberwadten
Menge ftand und begeiftert den König von
Schweden hervorklatjchte. Ich vermutete ein
Geheimnis der hohen *Bolitit.
„Outen Tag, Ritter Biffi. Was zum
Teufel haben Gie mit dem König von Schwe:
den? Ihr Volt raft por Begeijterung ?“
„O, Direltor, das ijt der König von Shwe
den? Das war mirganz GN E Wher bie.
fer prächtige grüngelbe Helmbujdh, den muk
td) nod) einmal fehen. Bravo, bravo, evviva!”
Und jchon legten Diener wieder die Zen,
pide über die Baltonbriftung, die Maje:
täten famen, Dm Hineingehen bob bei
ſchwediſche Galt ben bisher verborgenen Helm:
mit dem prachtvollen Schweif, und in lauten
Bravos madte jid) bie endlich behobene bange
lingemiBBeit bes belohnten Bolfes Luft.
Ich möchte ein ganzes Regiment folder
ſchwediſchen Könige jehn, alle mit diejem
Sjelmbujd) Direktor, wie denten Cie? Was
bat man fonjt von den Königen? Tabum:
dadadab, tabumdadadah!”
Er jummte den Königsmarſch. Plötzlich
brad er ab. Die Einihäßung der Könige
nad Helmbüjchen fonnte er nicht aufrecht:
halten, wenn der Kronprinz eines Landes
tam, Dellen „Freund“ er war.
„Direktor, td) muß mitempfangen werden.
Cie wijfen, man tennt in den Büros meine
Mitgliedichaft bei Ihnen. Cin Nichtempfang
würde meine gejamte öffentliche und private
Laufbahn aufs Spiel jegen. Bedenken Cic,
id) bin Familienvater!“
Kee EE H Ritter Bi Wees 467
Wir beriefen eine eilige Vorjtandsfigung,
b. h., ber Vorjtand war ohnedies beijammen,
ba er nod) dreizehn VBorjchläge zur Empfangs:
frage zu beraten hatte. Ritter Billis An-
trag fand die begeijterte Unterjtüßung ſämt—
liher vom Empfang zur Wahl bereits end-
gültig ausgejchlojjener Mitglieder. Es ent:
tand nur nod) ein Streit, wer bei Geiner
Exzellenzg dem Botihafter den Empfang
Ritter Billis als „Wertreters der uns be:
freundeten, bem Berein angeichlojjenen ein-
beimifden Bevölferung“ vorjchlagen dürfe.
{Fs wurde guleht den drei Preffevertretern
gemeinjam iiberfajjen. Niemand wird zwei:
feln, daß fie eine Zujage erhielten.
Der Empfang folte um 5 Uhr ftattfin:
den. Alſo wurden wir auf 4 Uhr bejtellt.
Als wir um */,4 anfamen, tobte [Hon bie
Schlacht zwijchen begeijterten weiblichen Mit:
gliedern der Kolonie und einem ftarten Auf:
gebot von Schußleuten, das ihnen den Gin-
tritt in den weiten Botjchaftsgarten weh:
ren follte. - Die Gartenbeete ringsum waren
weithin mit abgerijjenen Hutbandern, ger.
drüdten Blumen und gefnidten Regenſchir—
men belát. —
„Sie wijfen,” ertlárte Ritter Biffi, „ich
habe meinen Leuten diesmal Nahdrud zur
Pflicht gemadt. Ich für meine Perjon hatte
ja Dteje Frauen durchgelajjen. Dod) es ijt
eure Gade. Übrigens, brava, ba ift eine
vurdj, da nod) eine. Brave Perſonen!“
Blutüberjtrömt, erhikt, mit gänzlich ver:
wirrtem Haar hatten die erjten Frauen fieg:
reid) Das trennende Bitter überflettert und
weigerten fid) nun, von bem Grund und
Boden ihrer Botjchaft von Polizijten eines
anderen Landes fih verjagen zu lajjen. Wir
retteten uns vor diplomatischen Erörterungen,
die Ritter Biffi in feinem Amte nicht erjpart
geblieben wären, in die Botjchaft jelbjt.
Wir trafen bie zwanzig hervorragendjten
Mitglieder unjerer Kolonie, wie fie vor
Zangeweile jchon in hellem Zant begriffen
waren. Ritter Biffi ließ nicht ab, bis er
jedem einzelnen vorgeitellt war und ihm jo
die Borjreude bes Empfangs bereitet hatte.
Jedermann tennt die majejtátijdje Rube
in Fürſtenſchlöſſern und Minifterbotels. Rein
Laut, nur ab und gu das Zujchlagen einer
Tür.
Halb fünf erjdjien der ältejte Rangleirat
und ordnete die Bälte die Wand entlang nad)
ihrem Range. Uns ftellte man unten bin.
„Es tut nichts,“ tagte Ritter Biffi, „hohe
Herrn werden erft am Abend gejprád)ig, und
wir find bier das Ende.“
Am dreiviertel fam Seine Exzellenz ber
Botſchafter jelbjt, ftellte Wd in bie Mitte und
gerubte eine Kleine Anſprache, deren Schluß:
ja war, dak er feine Zeit gehabt habe, unjere
Jtantem zu lernen. Wir hatten jo viel Güte
aud) nicht erwartet, ba er faft alle feit zehn
Jahren fannte. Jedenfalls bat er, nicht übel:
zunehmen, wenn er Seiner Hoheit aus biejem
Grunde unjere Namen bet der Vorftellung
nicht angebe.
Ritter Biffi hatte begeiltert an ben Lippen
des Redners gehangen.
„Welcher Diplomat!“ unterbrach er mid,
als ic) ihm die Worte Seiner Exzellenz über:
jebte, „ift es nicht ihre größte Gabe, das
Bergeljentónnen? Wie jollten fie jonjt Bünd—
nijfe ſchließen? Der große Römer Alcibiades
bot eine Summe Goldes, wer ibn das Ber:
geilen lebre.”
„Alcibiades ijt ein Grieche,” ftórte uns
ber Vorligende des Flottenvereins, „die
Grieben ..."
„Es ijt einerlei,” fagte Ritter Biſſi, „die
Kultur verlangt...“
Cdíag 5 Uhr erfhien der hohe Galt,
und unter der Hilfe Seiner Exzellenz des
Botibafters begann nun das herfdimmlide
Frage: und Antwortjpiel gwijden dem Be:
Inder und ben erjten Mitgliedern unjerer
Kolonie. Die Feinheiten fonnte ich aller:
dings wegen der Anwejenheit Ritter Billis
nicht ganz genießen. Jd) verzeichne nur, Daß
der hohe Herr den Konjul mit den üblichen
_ Fragen nad) der Geelenzahl der Kolonie und
ihrem Leben beehrte und die üblichen unun:
terridteten Antworten befam, die man für
diejen Swed auf allen Ronjulaten ber Erde
bereit hält. Den Vertreter ber Wiſſenſchaft
zeichnete er Durch die teilnehmende Erkun—
digung aus, ob er aud) viel zu tun babe,
während er den untergeichobenen Borfiken-
den des Riinftlervereins drh die Frage nad;
feiner Runft bedrángte. Wie jollte der Dann
berichten, daß man am Abend zuvor den
legten Künftler aus dem Vorftand geworfen
hatte, weil ihm feiner die Reklame eines
tronprinzliden Empfangs gónnte, und dak
dafür die Maulwürfe bes Lejevereins ein:
gezogen waren?
Nach tagelangem Suchen war es der Bot:
Ihaft gelungen, drei [Hon ertaubte Ehren:
reije aufzutreiben. Die £eutjeligfett Geiner
xzellenz trat in bas jchönfte Licht, indem
ihr gerade bei Diejen die Namen einfielen
und Geine Hoheit |o Gelegenheit zu Zwie—
gejprächen wie diefen befam.
„PBrofejlor Aude, Siftoriter.”
Er war eingeladen, weil jein Vetter einen
Tag ben Sciffsarzt auf dem pringliden
vertreten hatte.
ee
„Kailerlide Hoheit, id) höre nicht gut.”
„Da geht es Ihnen wie meinem hohen
Ontel Otto.”
„Jawohl, id) bin aus Bremen.”
„Das glaube id) Ihnen gern, es ijt aud
eine wunderjchöne Stadt.”
„Er ift Sciffsarat.”
Trog Ddiejes verzweifelten Hinweijes fiel
Geiner Exzellenz der Grund zur Einladung
gerade Diejes Tauben nicht mehr ein, und
Seine Hoheit hat nie erfahren, daß ihr eigener
Vizeichiffsarzt einen Vetter in unjerer Rolo:
nie hatte.
Sm Flottenverein hatte man einen jchon
Halbabgejchiedenen aus bem Dámmertraum
erwedt und als Borligenden mitgejchleppt.
Ceine Exzellenz der Botjchafter durfte diefe
31*
468 Theodor Bohner: Ritter Bilfi
Jtaturerjdjetmung nicht übergehen. „Unjer
últeftes Viitglied, [hon ganz ertaubt.“
po Hoheit, ich höre überhaupt nichts
mehr.“
nd,“ fagte der Galt ritterlich, „das bin id)
jest [fon gewohnt.“
„Und jeßt gehe ich nad) bem Teltaccio,“
briilite bas Naturwunder. Mie follte der
Gaft nicht willen, wo fid) unjere Kolonie
beerdigen läßt?
Er bewies es durch die Antwort, Die er
bem Gejpenft ins Hörrohr jchrie,
„Sehen Sie, es fol dort ganz nett fein.“
Mit wadjenber Aufregung hatte ber frei:
willige Freund unjeres Landes die Teutjelige
Anfprad)e verfolgt. Nun, mit dem Näher:
tommen des Gajtes an uns felbjt, traten
ibm Schweißtropfen auf bie Stirne. Gr trat
von einem Fuß auf den anderen und hatte
am liebiten ee Ja den Bart aus:
zureißen. ,Direttor,” flülterie er mir zu,
„wie heißt es?”
Aber Ion war der hohe Herr an uns
herangetreten,» hatte mir ftumm und in tiefem
Nachdenken über feine Gelprade mit dem
Tauben die Hand gegeben. Er driidte Ritter
Biffi die Hand, ahnungslos, dak er die Hand
eines ganzen Landes hielt, und zum Glüd
für den Ritter, ohne jeine Aufregung zu
merten. Er verbeugte fih ebenjo ſchnell ber
Reihe nad) vor den Handwerkern und Kang:
leibeamten, denen man den Plag nad) uns
egeben hatte und ftand an der Tür, Die
ände an dem Gabel, das Haupt aufgeredt,
zu der Rede bereit. Da Seine Exzellenz
leider aid) diejes vergejjen hatte, war aller:
dings fein Entwurf einer Rede vorhanden,
was dem hohen Gajt erit jebt zum Bewußt:-
fein fam. 3d) weiß nicht, ob wir ohne den
Ritter nicht noch heute uns ohne das er:
lölende Wort gegenüberjtünden.
Aber Ritter Biffi hatte es gefunden. Es
toftete ihn nod) Mühe. Er jchludte und
wiirgte, wie wenn er mit ber landesiiblidjen
Fiſchſuppe einen Bolypen- lebend verichluct
hätte, aber jchließlich tam es tlar heraus,
das Sinnbild feiner Freundſchaft, der Be:
weis jeiner Zugehörigfeit zu uns: ,Rubdenn
a u
Der hohe Herr atmete auf wie ein vom
Ertrinten Geretteter: ,Aljo guten Tag!”
Und jdn ſchloß fid) bie Tür.
Die Augen bes Nitters ftrablten in feud):
tem Glanze,
„Slauben Sie mir, das Bündnis wird
unzerjtörbar fein. Dieje Freundlichkeit eines
jo hohen Herrn! Und feine prächtigen Küra]-
jierftiefel. OD, welde Wonne gibt es auf
Erden!“
Nah adht Tagen wurde Ritter Biffi auf
Die Botjichaft geladen. Geine Exzellenz der
Botihafter überreichte ihm perſönlich den
Kronenorden dritter Klafje. Wir wurde der
Rote Adler vierter verjprodjen; es ift einer
der Fehler diejer neuen Republif, wenn er
nod) auf der Poft liegt. Aber man weiß
jegt meine Adreſſe.
Seine Exzellenz ber Botjchafter felbft wurde
wegen der dazu bewiejenen Begabung wenige
Woden jpäter gebeten, die Regie unjeres
englijden Biindniffes zu übernehmen. Vian
weiß, weldhe fonderbaren Dinge ihm dabei
aus Berjehen entitanden.
8. Abjchied
Sd) fam erft nad) Ausbruch des Krieges
wieder ins Land. Wein erjter Gang war
zu Nitter Biffi. Als er im dDammrigen Zim-
mer mich erfannte, fprang er vom GStuble
und begann einen wilden Kreislauf um den
Vftentiid in der Mitte. (eine Haft dabei
itanb in gewaltigem Widerjprud zu feiner
lonftigen Würde. Ich gab mir Mühe, die
Worte zu verftehen, die er im Laufen wie
ein Derwijd) vor fic) bhinmurmelte. lus
Broden jegte ich fie gujammen.
„oh, mein Freund! Wir find in einer
furdjtbaren Lage. Wir find in einem ent:
jeglichen 3wiejpalt, Mir werden die Opfer
des Krieges jein. Wir find bemitleidens-
wert.“
„Ritter,“ wagte ich zu erwidern, „wenn
Cie fid) an das Bündnis hielten.“
Er verdoppelte feine Bejchwindigfeit. Seine
Rlagelaute erinnerten jet an die GSeufzer
der Verdammten in der tiefiten Hölle.
„Die großen Augenblide der Geſchichte,“
faBte er jid) endlich, „verlangen, daß man
lie nad) ihrem ganzen Ernft würdigt. Und
da fage id: wir find in einer furdtbaren
Lage. Mir find in einem entjeglichen 3wie=
jpalt...
Er jeßte den Kreislauf fort. Zum Glüd
mg in der Nähe eine Uhr. Er modte
glon en, genügenden Cindrud gemadt zu
haben.
„Achtung!“ fagte er in dem alten, vertraue
lien Ton. „Sie hätten nicht anfangen
dürfen. Konnten wir ahnen, daß Sie Ernft
machen würden, als wir das Bündnis ſchloſ—
jen? Ich frage Sie, war das Bündnis für
den Frieden ober für den Krieg gemacht?
Nein, Direttor, Sie irren fi. Inbefjen,
wie geht es?“
Sd) beginge ein Unrecht, wenn id) ver:
Ichwiege, daß er nad wie vor unfer freis
williger Freund blieb und trog bes drohen:
den Bruches feine Söhne weiter zum halben
Schulgeldſatz Ichidte. Er übernahm in ber
Mot die Verteidigung unjerer Habe, cr be:
gleitete mich an den legten Zug. Braver
Ritter Biſſi!
„Sie wijjen,” er beugte fid) nod) einmal
ins Zugfenjter, „im Grunde führen wir nur
gegen Ihren Verbündeten Krieg, Da wir
ſeine Falſchheit fennen, ijt es fiir Sie, wenn
wir jest gegen Gie fámpfen. Sie werden
in uns noch Ihren beiten Freund erfennen.
Ich möchte jagen, wir find bie Geopferten.
Leben Sie wohl!“
Lange jab id) ihn nod unter der niedrigen
Halle ftehen und winten. Sm Gedanten ar:
beitete er jdjon an der Begriipungsrede für
meine Rückkehr.
Die Dame
Bon Marie
O gejund wie ber Ruderjport ift
mew vielleicht fein anderer. Die frijchefte,
(C reinjte Luft ift [teter Begleiter,
WAS) Baden und Schwimmen find will:
fommene, nabeliegenbe Zugaben, wie viel-
leicht bet feiner anderen Bewegung werden
alle Glieder und alle Mtusfeln angejpannt,
entwidelt, gefräftigt.
Go ſchön wie bas Rudern in feiner poeti[d):
ften, feinften Entwidlung, in dem Ruder:
wandern, ijt |d)merlid) ein zweiter Sport.
Reine andere deutjche Frau bat, jo wie ich,
die meilten deutjchen Ströme auf ihrem Boot
Durdwandert; dak jo wenige meinem Bei:
[piel folgten, wundert mid) immer von neuem.
Miiften die vielen von ber Beglüdung fol:
cher Tage, es wäre ber 9Inblid von Rube:
rinnen in abgelegenen Gegenden, im ftill:
beiteren Verkehr mit Sonne und Wind, mit
Wafferrojen und Sdhilf, mit dem rhythmijch
einjchmeichelnden Geplätjcher, mit dem feud):
am Ruder
von Bunjen
ten Glanz ber Wafferfläche nicht länger ein
befremdlicher Anblid.
Das Boot ijt die Heimat, ift der Home:
rad. Was man auf ein bis zwei Woden
braucht, ift jorgjam untergebradt, man bat
feine Karten, feinen Kompak, um Geen bei
Nebel durchqueren zu können, man hat Bü-
der für Regentage wie für Ausrubftunden,
In den vorhergehenden Monaten hat man
fid) mit der Gegend bejchäftigt, weiß, was
jene Kirche diejer alten Bijchofitadt in der
Architektur bedeutet, wird unter der Tünche
entbedte frühe Wandmalereien aufjuchen;
man fennt die £ebensgeldjidjte jenes be:
rühmten Mannes, betrachtet anteilnehmend
die zum Teil noch unberührte Echtheit
feiner Geburtsitraße, fieht vor Der in ver:
gangenen Seiten von ihm bejuchten Latein:
ihule, wie damals die aur Mittagsitunde
losgelajjene fröhliche Jugend. Aufitieg und
Niedergang jenes Schloßgejchlechtes ift einem
El. E TER a Zu Zu
‘ 8 d : ,
Die junge ‚Mannichaft‘ am Troden: Ruderapparat
470 FES=S=S=33+] Marie von Bunfen: Die Dame am Ruder
ES NA (TS
uo i
vertraut, von diejen Ereignifien jpricht das
¡were Portal, durch welches jene Männer
und Frauen eins und auszogen; die Tra:
gödie jenes uner|djütterlid) ftandbaften
Bürgermeilters vertlárt jenes malerijche
Rathaus auf dem unregelmäßig an[predjen:
ben Mtarftplak der alten Stadt.
Zu ben Bereicherungen folder Wander:
zeit zähle ich auch die Vereinfachung; in
ber Engigteit der erblidten Verhaltnijje liegt
eine wertvolle Erweiterung der Lebens»
erfahrung. Da erzählen einem mut lang:
jam jchwerfälligen Worten FlóBer über ihr
Dajein, id) fehe, wie dort auf den roben,
Zgujammengebundenen Stämmen, unter bem
Notverjchlag, der
Keſſel mit ihrer
Mahlzeit brodelt.
Bei den Fahr:
leuten warte ich,
plaudere mit Der
Frau. Überaus
ftimmungsvoll ijt
die abgejchiedene
Lage, eine fleine,
am Cteinufer ans
gebaute Drtjchaft,
oben darüber das
altersgraueSchloß
mit jteinernem
Dad, der Blid
...»„......®@ 60... .n......e...n.e..os ........,..... Ein Steg : 9Idter 0000690090909 9000000009099 090 8 ...us„.„.„.u„„...„...u—
auf langgezogene, tiefblau in 3Bolfen|djatten
liegende Waldbergfetten. Die Frau erzählt
von dem Fluß, vom Hodwaijfer, von Slip
pen und Cprubeln, von eijernen Fábrieilen
und Mebren, die vermieden werden müßten.
Mie Hilfreich erweijen fid) bie Schleujen-
meijter; in der Regel umblühen Rapuginer-
frejien, blaue Winden, Baljaminen und
3innien ihr nettes Haus. Mielleicht die
poetijchite Schleufe, durch bie id) gefommen,
lag inmitten von medlenburgijden Wal:
dern, von Objtbdumen umgeben, Ziegen
weideten im üppigen Gras.
Gern bändelte ich mit den Zillenbejigern
an, merfwiirdig wirkte die ungejdjladjte
Wucht diejer gros
Ben Kähne, ihrer
Balten, ihrer roit:
braunen Setten
und Anker. Dann
lletterte id) wohl
mal auf Weiler Let:
ter binauf, um
vom hohen Verded
aus auf einer
Planfe bas fonft
[hwer zugängliche
Ufer zu erreichen.
Da ſchälte die Frau
in ihrer weißen
Sonnenhaube
gëegéeegeggegegeegegggegegegggegeegegeggggeggegggggggegegeggggeggggegggregegeegeggtegegggegggggggtggegegeegegggggeeeeeeeeeeeeegeeee
090090000000099000000000000000000000900090002000009000000000000090000002000€9090000000990009000000090000000000000000900009000000000000000000000000090000000
Eine jugendfrobe Bootsriege (09000000090000000000000000000900000000000000000000000000000000900000€0
~
900000000000000090900900990900900090000090000000000000000000000000000000000000500000090000000000000000000009000000000
LI
472 PSSSssesossssy
Marie von Bunjen: (333333332 32323333s5
Dé Die Boote werden Au Wafler gelaffer z
Kartoffeln, Kinder fpielten forglos auf dem
ungelhüßten Planfended umber, in grünen
Käjten vor den weißangejtrichenen Feniter:
chen ber Kajüte wurden bunte Blumen ge:
zogen. Gie ftaunten über diefe Bootwan-
derung, beneibeten mid) keineswegs, waren
anteilnehmend und freundlid. Flößern,
Nuderfnechten, Schleufenmeiltern und Fähr:
leuten habe id) dankbar die Schilderungen
meiner Flußfahrten gewidmet (Im Ruder:
boot durch Deutjchland. ©. Filcher, Berlin.
Die dritte Auflage erjdien im Jahre 1914.)
Allerdings tritt man den
Heinen Leuten in ben jehr
häufig und jehr gern von mir
ausgeführten NRudjadwande:
rungen ebenfalls nahe, aud
bei diejen bringen Klöjter und
Ruinen, Städtchen und Dörfer,
tägliche wertvolle, überrajchende
Freuden. ber wer beide
Wanderformen vergleichen
fann, weiß, daß eine Bootfahrt
nod) Unvermuteteres, |
nod) WUbenteuerliche: |
tes, barum Beitehen ==.)
deres bringt. In den meiften Gegenden ift
ber Manderruderer, gejchweige bie Rudererin,
nod) eine feltene Ausnahme, man muß fih
feinen Meg [Mon jelber bahnen. Wo und
wie wird man landen? Hier geht bie Strö—
mung zu ftarf, bier ijt das Ufer zu fteil; ba
findet man eine *Babeanjtalt; ja, hier könne
man ruhig fein Boot über Macht anbinden,
hier fame nichts fort. Oder eine fleine
Bootswerft ijt in Siht. Man freundet jid)
mit dem hemdärmeligen 3Bejiber an, |pricht
weije über Bootbau und Kalfatern und über
bie Ereignijje des Tages. Gebr
oft nehmen die Fährleute das
Boot gajtireundlid auf, fommt
man morgens aus der Ort:
ichaft ber, haben fie es aus:
geihöpft, alles auf bas befte
v
< De gerichtet. Manchmal DeiBt es
d YN unheimlichen Wehren entgehen,
: manchmal gerät man
f \\ in recht bewegtes
A Kielwaljer, mand:
mal verjperrt bid):
| tes, angejdwemmtes
dt den Meg.
FESXESESESESESECECSEAN Die Dame am Ruder Ise 473
&
Manchmal
heißt es, nod)
lange über
die Felder
landeinwárts
geben, ehe
man - das
nadjte Dorf
oder vielleicht
eine Mühle
erreicht. Nicht
immer findet
man Unter:
funft, gele:
gentlich ift fie
bedenklich
minderwer:
tig, oft über:
rajdend nett.
Wenn bie
Gegend es qu:
läßt, will man
jedod aud
etwas vonden
SluBnádbten
und ihrer
Schönheit ha:
ben. Der
Schlafſack
wird auf die
allerdings ſich
Zurückgebliebener Vierer
Y,
e)
bald als un:
gewöhnlich
hart erwei-
jenden Plan:
ten ausgebrei:
tet, als wobl:
tuenbe Grfri-
Ihung
Ihwimmt
man nod) vor:
ber in der
grauen
Nachtdäm—
merung, um:
freijt die weis
Ben Majjer:
lilien, die fo
bleid) auf der
glájern glat:
ten Fläche
ſchwimmen.
Während
man ein⸗
ſchläft, glänzt
über einem
die nördliche
Krone, das
Giebenge:
tien, es find
die uralt ge:
beiligten
474 FSSS==334 Marie von Bunfen: Die Dame am Ruder BZZZZZZZZJ
Gternbilder, und waht man nad) einigen
Stunden auf, find fie weitergezogen, und
feierlich jegnend leuchtet bas Kreuz im
Schwan herunter. Weich zerfließend um:
gibt das Boot Nebeldunft, aus ihm tauchen
bie Schilfhalme in vollendetem Umrigadel
hervor, eindrudsvoll find bie Majfervogel:
rufe in ber Totenitille,
einer der Banke vor fih feinen Proviant auf:
gebaut, es umtanzen einen Schmetterlinge
unb Libellen, es umgeben einen die Waller:
blumen.
Vielleiht find es jedod nur perjönliche
Vorurteile, wenn ich in joldjen ftillen Man:
derfahrten bie höchfte und feinfte Genuß:
fteigerung bes 9tuberns erjehe. flberaus be:
»
7
E Aus Rudern und Perjenningen hergeridtetes Belt
Coldje Nächte zählen, jolde vergiBt man
nicht.
Mie anmutig geftaltet fid) aud) die Mit:
tagmablzeit: ba Jucht und findet man eine
bejonders reizvolle Uferftelle, Weidenbaum:
jchatten, flüjterndes Rohr, von rücdwärts
zieht ber Duft friſch gemábter Heufel¥er
Derüber. Wor einem erjtredt jid) weiter
Wald, tief blidt man in das Geheimnis der
Stämme, der Wipfeljdatten hinein. An die
NReijetajchen bebaglid) gelehnt, hat man auf
liebt, freudejpendend und zuträglich bat jid)
allerorts das gemeinjame Rudern erwiejen.
Die Mitglieder der in den Bildern darge:
ftellten Bootriegen würden gewiß nicht tau:
Iden, Weshalb follten fie es aud? In
reidjem Maß finden fie Erholung, tórper:
liche Förderung, Naturanregung, gejellige,
fröhliche Unterhaltung.
Muß man allein fingen? Bietet der Chor:
gefang nicht Gigenartiges, Befonderes? Hier
liegt die Sache aud) noch günftiger, denn
.0000090000900000900000900008060909000000000000000009000090 9009566600080 0000000000000 gvusBoyıyg una 0€09090900000090099000000000000000000000000000000009000000000000000000000000000000€0
—
AAA AAA AAA AAA AAA AAA AAA AAA III III II Td LA LLL AAA AAA AAA ATT
90909000000000229020900000000000909000000000009000000009000000000000000009000009000000020009»009000000090200020000000
?99099000090909009990909090909909999099€999990099090999099009909909090909099999999990900090009900090009990009997999999000990909000
A —
476 Fes=e=sss=ssp Marie von Bunfen: Die Dame am Ruder EIIIZ3IS3IZIZA
während der Golift in hervorragendem Map
leine Runft beherrſchen muß, hat der Man:
derruderer vielleicht nur tráftige, ausdauernde
Arme, primitive Kenntnijje aufzuweijen. Biel-
leicht bat er nur eine Dämmerhafte Ahnung
von einer gründlichen, ſachgemäßen, auf der
Höhe der Zeit [tebenben Ausbildung, dem
prüfenden Auge jenes, bie Jungmádd)en-
jar in [tren
ger Zucht Der:
anbildenden
Lehrers würde
id) 3. B. nim:
mermebr ges
nügen. Nie
babe id „im
Kaften” gerus
bert, aber zwei»
fellos beruht
auf diejer Ves
hanit das
Höhere aller
wirklich ernft zu nehmenden Ruderfunft.
Mande aus diejer jugendfrohen Schar ift
vielleicht Sonntagsiportlerin, figt bie Woche
über an ber Rlappermajdine oder vor Red):
nungsbüchern. Nun jehwebt fie im gejonn:
ten Wind über ber glatten Fläche, unter
ihr bewegt fih der Rolli, ficher gehorcht
der Riemen bem weitausholenden Arm. Es
plätjchert das Waffer am Riel, langjam
gleiten die Ufer vorbei — es ift eine Luft
zu leben. Auf
prall anjigen-
de Höschen
find viele der
Dargeitellten
ftolz, balten
fie nicht nur
für prattijd,
jondern aud)
für überaus
tleidjam.
Nicht von al:
len, vielleicht
nicht von den
in Gejdmad:
faden Maß—
gebenden
wird dieje An⸗
ſchauung ge:
teilt. Gerade
die Deutjche
Hat leider eine
in anderen
ſportlich hoch:
eben pen
Rändern nur
vereinzelt an:
zutreffende,
ipse q- *.
nidt ganz glüdlidje Vorliebe für Sport:
beinffeiber entwidelt. Klettert man ange:
elt jabe Dolomitenwände empor, ijt
diefe Bekleidung jelbftverjtändlich bie ein:
zig und allein richtige; weit jeltener, als
bei uns angenommen wird, ilt dies bei
anderen Gportgelegenheiten ſowohl ber
Winter: wie der ost der Fall.
Beiſpiel und
Gegenbeijpiel
werden einige
in diejen Bil-
dern erleben.
Unbefiimmert
flingt aus je:
dem Bild das
heitere Laden,
der Frohſinn;
Sport ift aber
nicht nur Spiel, .
in ber [trame
men 3ubt, in
dem Zufammenwirfen, in ber Unterordnung
liegen ethijde, bildende Werte. Ausdauer,
Gelb[tbeberridjung, Geiftesgegenwart, tame-
radichaftliches Gefühl werden gefordert. Die
Ichlechtefte Erziehung ift das Rudern nicht,
aud) nicht die am wenigften bietende Form
ber Gejelligteit. Die wechjelnden Hinter-
gründe der treibenden Wolfen, ber fried-
lichen Schilfverftede, ber Miejen: und Wald-
gründe befreien und begliiden. Die gemein:
ER PRA
VU
fame Anjtren:
= gung, die
lachend — ge:
teilten Erleb:
nijje, die Aus
jammen voll:
bradten
Leijtungen
bilden einen
Ritt.
Glüd und
Bejundheit
find Schutzpa—
trone bes Hu:
derjports, ber
in Deutjch:
lands wirt
Ihaftlicher
Not vielen Er-
bolungjuchen=
den eine bil:
lige Möglich:
feit darbietet,
Sommerfreu-
den zu genie-
Ben, die das
teure Reifen
lonjtverwehrt.
m — —
VON DR-ERICH FRIEDERICI
LA EE A ES OES —
Und fait ebenjo zahlreich find die (Er:
tlárungen, die von neueren Gelehrten für
das ziemlich rätjelhafte Wort Feme aufges
u S ift auffallend, daß bie gemat,
tige Mafjfenbewegung des heu-
tigen Proletariats, deren Lo:
en neun NC
mit ihren orderungen febr
— häufig, vielleicht ſich ſelbſt kaum
bewußt, der Wiederkehr längſt überwunden
geglaubter mittelalterlicher Zuſtände zu—
drängt. Es würde durchaus nicht ſchwer
ſein, ein dickleibiges Buch unter dem nur
ſcheinbar widerſinnigen Titel „Die So—
zialdemokratie als reaktionäre Erſcheinung“
zu ſchreiben. Man denke nur daran, wie
der vollkommene Sieg über den Kapi—
talismus zur Naturalwirtſchaft des Mittel—
alters führen müßte. Dieſer Zug nad) rück—
wärts begegnet uns nun aud) auf dem Ge:
biete der Redtspflege. Das Mittelalter
fannte fajt nur Laienrichter ohne irgend-
welche juriltiiche Vorbildung; es war Red)ts:
grundjaß, Dak jedermann von jeinesgleichen
gerichtet werden folle, und danad) wurde
gehandelt. Je mehr fid) indejjen bie wirt:
Ihaftlichen und gejellichaftlichen Zuftände
verwidelten, um jo unzulänglicher erwiejen
fih bie alten Volfsgerichte, und um fo mehr
wurde der ungelehrte Schöffe durch den
juriftijd gebildeten Berufsrichter verdrängt.
Das wurde damals aud von den breiteren
Schichten des Volkes ſchließlich als ein großer
SR erfannt, feit einer Reihe von
abrzebnten aber ertönt fortwährend wie:
ber der Ruf nad) Volfsgeridjten, und ber
Zug geht entjchieden dahin, die Tátigteit
der Juriften von Fach noch mehr zuguniten
der Laienridter eingujdranten, als es jest
ihon in den Schöffen: und Gejdworenen-
und Jo manden anderen Gerichten der Fall
it. Gs ift Hier nicht der Ort, darüber zu
ftreiten, ob die in ihrem Urjprung roman:
tijhe Sebnlubt nad) voller Durchführung
ber SBolfsgerid)tbarfeit berechtigt ijt ober
nicht, es wird aber immerhin nicht ungzeit:
gemäß ericheinen, wenn bier das mittelalter:
Geh peutide Redtswejen einmal in einem
bejonders feffelnden Abjchnitt etwas belend)-
tet werden foll.
Die Bedeutung des Wortes Fene ift eben-
jo umitritten wie feine Rechtjchreibung.
Man findet in den mittelalterlichen Quellen
Fehme, Bimme, Veme, Faime, Feyme und
nod) andere Schreibungen, ohne dak eine
von ihnen [id) Früher oder heute allgemein
hätte durchjegen können; es finden fih außer:
dem aud) noch Bezeichnungen wie Femge—
richt, Freigericht, Stillgericht, heimliches Ge-
richt, verbotenes Bericht, des heiligen Neiches
Dbergericht übers Blut u. a.; jedenfalls ein
Beweis dafür, wie jehr fih die Phantalie
des Boltes mit diejem Gegenjtand bejchäftigt
hat.
Hellt worden find, dod) bat aud) von ihnen
feine durchweg Annahme gefunden. Dagegen
find Bedeutung und Wejen der Cade, die
lange Zeit fait ebenjo rätjelhaft oder Dod)
unflar waren, in neuerer Zeit wenigitens
joweit aufgeflárt worden, daß wir uns jebt
ein ziemlich deutliches Bild von der Be:
deutung und Einrichtung ber TFemgerichte
und von dem bei ihnen üblichen Verfahren
madjen Tonnen,
Die Mitglieder diejer Gerichte, die Frei=
grafen und SFreilchöffen, haben ftets behauptet
und naddriidlid) betont, daß Karl der Große
die Feme eingelegt habe und daß deren
Bräuche auf ben Gakungen diejes &ailers
berubten. Daran ijt nun wenigjtens foviel
richtig, Daß Karl der Große das alte ur:
germanijde Geridjtswejen bedeutend ums
gewandelt hat und daß fid) das fo entitän»
dene farolingijdje Gerichtswejen in Weltfalen
weit länger als im übrigen Deutjchland er:
halten bat und dort zur Feme geworden
ilt, bie tatjächlich wenigitens von den Außer:
lichfeiten der Gerichte Karls des Großen
fid) noch bis ins 19. Jahrhundert hinein jebr
viel bewahrt hat. Urſprünglich waren Die
Femgerichte nur für bie Snjajjen ihres Det:
mijdjen Sprengels zuftändig und hatten dem:
nad) aud nur für Wejtfalen Bedeutung, das
jtets faft ausidjlieBlid) ihr Sig gewejen ilt
und in bem fie die ordentlichen Gerichte
waren, vor welden aud) 3ipilladen ans
büngig gemadt wurden. Später aber er:
weiterte Jich wenigitens für die Strafgerichts»
barkeit ihr Geltungsbereich bedeutend, und
die Freiſtühle auf der roten Erde wurden
eine Macht im ganzen deutjchen Reiche und
griffen überall neben ben ordentlichen Ge:
richten in die Rechtspflege ein.
Grffdrlid) ijt bas nur durd) bie Zultände,
wie fie fid) feit bem lintergang der Staufer
in Deutjchland entwidelt hatten. Die ,taijer:
lofe, die jchredliche Zeit“ bes Interregnums
wurde Durd) bie Wahl Rudolfs von Habs:
burg faum mehr als dem Jtamen nad) be:
endigt, denn Das neu erftandene deutſche
Königtum bejaß nicht annähernd Macht
genug, um in die gänzlich zerfahrenen und
zerrütteten Zujtände Ordnung bineinzu:
bringen; es vermochte bejonders aud) Die
bejtehende Nechtsunficherheit nicht zu befei:
tigen. Ebenjowenig war dazu einjtweilen bas
Landesfiirjtentum tmftande, bas zwar mád):
tig genug war, um eine ftarte Raijermadt
nicht auflommen zu laffen, dafür aber ohn-
madtig gegenüber den noch tleineren Mäch-
ten, Dem Nittertum und den Städten. Da
478 PESSSSSSSSSESS Dr. Grid) Friederici: BS=S223233333323334
nun aber bieje auch wieder gegeneinander
in [tánbigem Streit und blutiger Fehde
lagen, jo gab es jdjlieBlid) niemand mehr
im Lande, der etwas zu jagen hatte. Es
ijt unter diejen Umjtänden fein Wunder,
daß aud) bas Berichtswejen völlig im Argen
lag unb es für den Kleinen Mann, der zur
Gelbfthilfe zu ſchwach war, jehr jchwer hielt,
zu feinem Recht zu fommen. Hier jebten
nun bie Femgeridte ein, die fih [tola als
uralte faijerlid)e Gerichte fühlten, in ibreia
bisherigen Geltungsbereid) hochangejehen
waren und daher mit ziemlicher Gering-
\hägung auf bte ftändigen Gerichte in an:
deren Gegenden Deutjchlands herabiahen,
die ihren Swed nur jo fehr unvolltom:
men erfüllen modten. Mie die Entwid:
lung fic) im einzelnen voll:
zogen bat, wijjen wir nicht,
wir [eben jedenfalls, daß zu
Beginn des 14. Jahrhunderts
jhon febr häufig auch außer:
halb Mejtfalens von einem
Eingreifen ber Feme in Die
Gerichtsbarkeit bte Rede ift,
und zwar hauptjädhlich in fol:
chen Fällen, wo das eigentlid)
gujtandige Gericht verjagt
hatte. Und fie erwies fic) im
kaufe der Zeit als madtig
genug, um aud) ben über:
mütigen Adel und felbft Für:
Hen erzittern zu Iajjen. |
Cadjid) und örtlich guftine 2} (^7
big war bie Feme nach ihrer `
eigenen Meinung überall da,
wo ein nad) damaliger Rechts:
anjdauung tobesmirbiges Verbrechen be:
gangen worden war, ohne daß ein anderes
Gericht ben Schuldigen deshalb zur Rechen
haft gezogen hätte. Ausgeloloflen von der
Gerichtsbarkeit der Feme jollten eigentlich fein
Beijtliche, Frauen und Kinder unter pier:
zehn Jahren, und ebenjo der Kaifer mit
einen Dienftleuten, die Rurfiirften, Dart:
grafen und Landgrafen, bod) beitanden diefe
Beldrantungen der Zuftändigfeit mehr. dem
Namen nad) als in der Wirklichkeit. Ein
ordentlicher Urteilsipruch war nur vor einem
Freiftuhl in Weitfalen móglid). Die Voll
jtredung fonnte aber überall gejchehen, wo
drei Freilhöffen beijammen waren. Die
Strafe war ftets der Tod bird) den Strang.
Die Feme ijt feit dem 13. Jahrhundert,
wo fie zuerft größere Bedeutung erlangte,
ftets mit dem Schauer des Gebeimnisvollen
umgeben gewejen. Man fprad und jpricht
wohl aud) heute nod) von vermummten Ge-
falten, Die zu nádtlider Stunde in ver:
borgen gelegenen Räumen ihre Gerichts»
jigungen abbielten, von ausgefudt gran:
jamen Todesjtrafen, die vollzogen wurden,
von olterungen und [djauerlidjen Gefäng:
nijjen: Nichts davon ijt wahr! „Bym lichten
Sunnenjdin” vielmehr tagte die Feme, und
geheimnisvoll waren an ihr nur die Ge:
bräuche bei Aufnahme der ‚Wiſſenden“, ihre
Erfennungszeichen und der ftrenge Ausſchluß
„Nichtwillender” von vielen ihrer Gerichts:
jibungen — aber freilid) aud) die Plöß-
lichkeit, mit der häufig einen Berurteilten
die Todesftrafe ereilte. Und gerade diefes
legte und in Verbindung damit die |djauer-
lihen Einzelheiten, die über das Gerichts:
verfahren verbreitet waren, gaben der Feme
ihre große Macht und befähigten fie zu ıhrer
im ganzen doch vielleicht mehr jegensreichen
als verberblidjen Wirtjamteit. Den ordent:
lihen Gerichten mit ihren Bütteln und
Sdergen mochte mander Mächtige auf feiner
Burg übermütig trogen; der geheimnisvollen
Macht ber Feme gegenüber fühlte er fih
bod) unjtdjer, deren Urteil ihn plóslid, raid
unb ficher treffen konnte, wenn er es am
wenigjten vermutete.
Dod) betradyten wir uns nun
einmal die Organijatton und
das Geridtsverfahren der feme.
Als ober|ter Stublberr, b. b. als
hichfter Rihter und Leiter
des ganzen Femgerichtsweſens
wurde jtets ber Kaifer onge:
leben als Nachfolger Karls bes
Großen, des angeblichen Be-
gründers. Ihm allein oder bem
von ihm dazu Beauftragten —
feit dem Ende bes 12. Jahr:
bunderts war es immer Der
— von Köln — ſtand es
zu, die Freigrafen zu beſtäti—
gen, die Vorſitzenden der ein—
zelnen Gerichtshöfe. Zwiſchen
dieſe beiden Inſtanzen hatten
ſich dann aber im Laufe der
Landesherren Weſtfalens als
Zeit die T
„Stublherren“ eingejdjoben und für jid)
das Redht zu erlangen gewußt, bie Frei—
rafen bem Kaifer und dem Erzbiſchof zur
Bes zu empfehlen. Sie griffen indes ebenjo
wie diefe felbft nur felten einmal in bie Ge:
richtspflege ber Feme ein, fondern begnüg:
ten fid) mit den anjcheinend zeitweile
recht reichlichen e die Dos Amt des
Gtublberrn abwarf Die hauptſächlichſten
Träger bes Femgerichtsweſens waren da-
gegen Die genannten TFreigrafen, Die frei
und unbejholten und geborene WWeftfalen
jein mußten, aber nicht von Adel oder jonft
von vornehmem Herfommen zu fein braud):
ten, vielmehr häufig einfache jhlichte Bauern
waren; der Name Freigraf taucht zuerit am
(Ende des 12. Sana auf. Ihnen lag
die Leitung der Gerichtsjigungen, die Ver:
tiindigung des Urteils und die Gorge für
Dellen Bollftredung ob. Gie zogen aus
ihrem Amt manchmal nicht unbedeutende
Einkünfte.
Des Freigrafen Redht und Pylidt war
es aud), die Freiſchöffen aus der Zahl ber
Bewerber auszuwählen und in ihr Amt ein:
zuführen. Urjprünglich waren aud) Dieje
ausidlieBli im Bezirk des Gerichts ans
jajjige Leute. Später aber, als die Feme
aud) außerhalb ber roten Erde Weitfalens
SSES Die Feme see sf 479
Bedeutung gewonnen hatte, drängten [id)
aud) Männer anderer deutjcher Stämme zu
dem angejebenen und machtverleihenden Amt
eines Freijchöffen und wurden angenommen,
jofern fie nur freigeboren waren und jonit
geeignet jdjienen. Auch Geijtlid)e waren nicht
ausgeichlojjen, durften aber nad) dem Grunb-
jag „Ecclesia non sitit sanguinem“ fid) weder
an der Fällung nod) an der Rollftredung
eines Todesurteils beteiligen, waren aljo
eigentlich mehr Ehrenmitglieder. Zeitweife
jol es über das ganze deutjche Reid ver:
jtreut gegen 100000 Freilchöffen gegeben
haben, während die Anzahl der Freijtiihle
etwa 100 betrug, unter denen die zu Dort:
mund und Arnsberg bie angejebenften waren.
Es gab mächtige Leute unter ben Freis
\höffen: Die Städte hielten vielfash darauf,
daß in ihrem Rat ein oder mehrere Frei—
Ihöffen jaBen. Die Fürften faben es gern,
wenn ihre Rate fid) „wiſſend“ machen lieben,
und fie felbft wie fogar Kaifer, a. B. Wenzel
und Sigismund, verjchmähten es nicht, fid)
bei einem Beſuch Weitfalens in den Bund
der Feme aufnehmen zu laffen; denn nur
auf der roten Erde, bem Boden Mejtfalens,
tonnte man wiljend werden; nur bier gab
es ja Freiltühle, und nur an einem folchen
tonnte die Aufnahme erfolgen.
Der pus re übernahm die Berpflich-
tung, jede thm befannt werdende Sache, Die
„femwrogig“ war, d. Db. für welche das Fem:
gericht Zultändigfeit beanjpruchte, zur An:
eige zu bringen oder unter Umitánden and
in Gemeinichaft mit zwei anderen Willenden
jofort zu abnden, mußte außerdem ohne alle
Rúdiidt auf fid) * und auf Verwandt—
ſchaft oder Freundſchaft mit dem Schuldigen
nad) Kräften behilflich ſein, wenn es galt,
ein rechtskräftiges Urteil ber Feme zu
volijtreden. Höchſt nachdrücklich wurde
ibm aber bei der Aufnahme ein:
geichärft, die Geheimnijje des
(Berichts nicht zu verraten, zu
denen insbejondere auch)
die Zeichen gehör-
ten, woranein
Schöffe den
andern als
jolden er:
fonnte, Die
Lojungsworte
ber Freiſchöf—
fen waren:
„Strid,Stein, E Y
Gras, Grein,” _.
unddas „Not: E:
wort” hieß
„Reinir Dor
Feweri“; Die
Bedeutung
diejer Worte hatte
der Freigraf dem Muf-
zunehmenden zu erf[á- ?
ren; für uns find fie heute
leider nicht mehr veritänd:
lid. Kam ein Freiſchöffe mit
einem anderen Manne zujammen, in dem er
ebenfalls einen Wiljenden vermutete, jo legte
er feine rechte Hand auf die linfe Schulter
und Jagte: 7
„Ed grüt ju, lewe Man.
Wat fange ji bi an?”
Darauf legten beide jeder feine rehte Hand
auf die linfe Schulter des anderen und
Ipradjen:
„Allet Glide febre in,
Wo de Fryicheppen fyn.”
Wud dadurch machte fih wohl ein Frei-
ſchöffe bem andern als folchen kenntlich, daß
er bet Tijeh bas GBmeller mit der Spige
der eigenen Bruft zufehrte. Golde geheimen
Erfennungszeichen waren übrigens im Mits
telalter auch bet jeder anderen Genofjen:
Ihaft üblih; fie erlebten die in sen Fäl⸗
len heute gebräuchlichen ſchriftlichen Aus—
weispapiere. Dieſe Dinge nun wie auch
alles, was er in heimlicher Gerichtsverhand—
lung hören oder jeben würde, geheim zu
halten vor „Weib unb Kind, Sand und
Wind" wie aud die Erfüllung der jonftigen
übernommenen PBilibten mußte der Frei—
ihöffe bei der Aufnahme mit einem heiligen
Gide geloben, und namentlich für Verlegung
des Schweigegelöbniljes Gel ihn unnad):
ſichtlich loere Strafe: Es ſollten ihn „die
reigrafen und Freiſchöffen greifen unver:
lagt und binden ihm fetne Hände vorn zu-
fammen und ein Tuch vor feine Augen wer:
fen und ihn auf feinen — und winden
ihm ſeine Zunge hinten aus ſeinem Nacken
und thun ihm einen dreiſträngigen Strick
um ſeinen Hals und hängen ihn ſieben Fuß
höher als einen verfemten miſſethätigen Dieb.“
Außer Freigrafen und Freiſchöffen waren
wiſſend auch nod) bie Fron: oder Freiboten,
deren Aufgabe beſonders darin beſtand, bei
den Gerichtsverhandlungen für Ruhe und
Ordnung zu ſorgen, den Freigrafen
zu unterſtützen und Nichtwif:
jende vorzuladen. Leute, die
ih zu Unrebt als Wil:
jende oder „Femeno—
ten“ aufípiel:
ten, wie das
öfters vor:
fam, verfielen
ebenfalls un=
barmberziger
Gtrafe.
Bei Den
Gißungen ber
Femgerichte
hat man zu
unterſcheiden
zwiſchen ech—
ten oder un—
gebotenen
Dingen, b. b. Ver:
Jammlungen, und ge:
V- botenen. Die ungebo:
tenen follten nad) den all:
qemeinen Bejtimmungen
Karls des Großen am jeder
Maljtätte dreimal jährlich gehalten wers
den, anftatt wie früher alle vierzehn Tage,
und fo jcheint es aud) bei den "rem:
gerichten ftets gehalten worden zu fein.
Zu ihnen hatten alle „Dingpflichtigen“ zu
erjheinen, d. h. alle Bewohner der Freis
grafichaft, die einen eigenen Haushalt führ:
ten. Bon den gebotenen oder heimlichen
Dingen dagegen waren alle Nichtwillfenden
ftreng ausgejdhloffen mit Ausnahme der
Parteien und Zeugen, bie etwa nicht Freis
Ihöffen waren. Beide Arten von Sigungen
wurden ebenjo wie auch jonit alle Gerichts
verhandlungen im Mittelalter mit einer
Reihe von Fragen des Vorfigenden an ben
Sronboten Gaffel, durch deren Beantwor:
tung feftgeftellt wurde, daß Ort und Zeit
und jonjtige Umftände richtig wären, um
ein Ding zu halten. Der Ort war meijt
nad) altgermani|der Gitte ein Pla im
SS unter einer Linde oder einem anderen
aume, auf ihm ein fejter [teinerner oder
bólgerner Tijd, um den die Schöffenbänfe
dl ml En aufgeftellt waren. Auf dem
che lagen ein Schwert oder auch zwei
gefreugte, die zur Eidabnahme dienten, und
der aus Meideruten geflobtene Strid, bas
Injtrument zum Hängen, der einzigen Strafe,
auf bie ein Femgeridjt erfannte. Der Be:
ginn ber Gigung war met morgens um
7 Uhr; es wurde aljo am * Tage, nicht
bei Nacht verhandelt. Waffen mitzubringen
war verboten, und es durfte niemand ohne
bejondere Erlaubnis des Freigrafen die Ge-
richtsftätte verlajjen. Die Anwejenheit von
lieben Freilhöffen genügte, um „die Bank
zu |pannen", oft aber waren bedeutend mehr
zugegen, und jeder von ihnen hatte das
Recht, jid) an der Urteilsfindung zu betei:
ligen. Die Scheidung zwilchen gebotenen
und ungebotenen Dingen war — keine
ganz ſcharfe, als jedes ungebotene Ding
durch den Freigrafen ohne weiteres in ein
heimliches umgewandelt werden konnte; es
hatten ſich dann alle Nichtwiſſenden bei
Todesſtrafe ſofort zu entfernen.
Nach altgermaniſchem Rechtsbrauch galt
für bie Feme ber Gag: „Wo fein Kläger
ijt, ba ut aud) fein Richter”, und zwar
fonnte nur ein Freilhöffe Kläger fein,
indem er entweder auf Beranlajjung des
Gejdhadigten oder aus jtd) heraus als Ber:
treter Des Nechtsbegriffes dem Gericht
Kenntnis von einer Straftat gab und deren
Gühnung beantragte. Jn manchen Fallen
fam es allerdings gar nicht erjt zu einer
Anklage, namlid) dann, wenn der fibeltäter
„auf handhafter Tat” ergriffen wurde, D. b.
wenn entweder ,blidender Schein“ ber
Mordwaffe oder „habende Hand“, d. h.
Beliß bes Diebesguts, den Täter als jolchen
offenkundig machte, oder wenn Diejer lid)
mit „gihtigem Mund“ der Tat jelbit
rübmte. Dann war er nämlich ohne Prozep-
verfahren bem jtrafenden Arme der Feme
verfallen, und jeder Freiſchöffe fonnte in
Gemeinſchaft mit zwei anderen ohne weiteres
Dr. Grid) Friederici: E
bie Todesitrafe an ibm vollziehen. Sonſt
aber mußte vor einem Freiltuhl Anklage er:
hoben werden, und es waren dann zwei
walle móglid): War der Beichuldigte an:
wejend, |o wurde Jofort gegen ihn verhan=
delt, war er nicht zur Gtelle, dann mußte
‚er zu einer jpäteren Gerimtsfigung vor:
geladen werden.
Dies geldjab nun in verjchiedener Weile,
je nachdem der Angeklagte jelbjt Mijfender
war oder nicht. In erjfterem Falle über:
brachten zunächlt zwei SFreilchöffen bem Be-
Ichuldigten bie Borladung zu einem Termin,
der ur|prünglid) meijt fünfzehn, jpater in
der Regel fünfundvierzig Tage nad) dem
Zeitpunft der Ladung angejekt wurde, (Er:
Sieh er nicht, fo wurden vier Freiſchöffen
abgejandts die ihn mit einer weiteren ¿prijt
von fünfundvierzig Tagen nochmals vors
luden. Blieb aud) das fruchtlos, jo brad-
ten jechs FFreifchöffen bie VBorladung zu dem
legten Termin, der ebenfalls wieder „les
Woden und drei Tage“ jpäter angelegt
wurde. Erſt wenn der Bejduldigte aud)
diejer Borladung nicht Folge leiftete, fonnte
das Kontumazialverfahren gegen ihn er:
öffnet werden, Das Dann gewöhnlich zur
Berfemung führte. Bei einem eignen
waren das Verfahren und die Friltfegungen
die gleichen; nur waren erft lieben ¿reis
\höffen und zwei Freigrafen, dann vierzehn
Freiſchöffen und vier Freigrafen und jchließ-
lid) ie FOR Freiſchöffen unb pes
SFreigrafen die Uberbringer der Ladung.
War ber Vorzuladende indejjen nicht 3Bijjen:
der oder Femenote, |o wurde gleich beim
erjten nicht entichuldigten Ausbleiben das
Rontumaztalverfabren eröffnet. Wenn Der
Aufenthaltsort des Abzuurteilenden | nicht
befannt war, jo wurde die Ladung vielfach
Ichriftlich ausgefertigt und je ein Exemplar
an vier Kreuzwegen im Norden, Often,
Süden und Weiten des Landes, wo er zu
vermuten war, ausgelegt und je eine Königs:
münze beigefügt. Die Ladung galt damit
als richtig 3ugejtellt, obwohl es natürlich
jehr von den Umftänden und vom Zufall
abbing, ob fie dem Vorzuladenden wirklich
in die Hände gelangte. War der Anges
Hagte ein mächtiger Dann, dem man zus
trauen fonnte, daß er dem fiberbringer der
Ladung gewalttätig begegnen werde, fo pflegte
diejer jeinen Ladebrief nächtlicherweile in
ber Meije zu bejtellen, dak er ibn am
Tor der Burg oder der Stadt, worin der
Borzuladende fih aufbielt, befeftigte, Dret
Späne aus dem ,Rennbaum oder Riegel”
des Tores herausjchnitt, bie er dann. „zum
Gezeugnis” mitnabm, und durd lauten
Zuruf die Torwache darauf aufmertiam
machte. Der Femenote, ber bie Ladung über:
bradte, galt als unverleglich, und an ihm
begangene Gewalttat wurde von Der ¡eme
mit dem Tode bedroht, fic tam aber (rop:
dem oft genug vor.
Mar nun Der Gerichtstag erjdienen, fo
trug zunächſt der Kläger feine Anklage vor,
GE — * ru ante fi zu
ob er hg Ke D “Sater das, fo N
ése lofort bas de, ge prodjen und am
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Zeit. fid nochmals mis reinigen,
ijr abga oben.
` fonnte ihn bant nod) einmal mit dreizehn
‚Sreikchöffen als Eihesheflern. Aherbieten,
Benen der Beldhuldigte among entaegenitels Se
- den mußte, um damit. räich ae den. Beto
Anklage gereinigt q ae
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dadurch die großen MVorteile zu erlangen,
die ein folcher bei einer Rlagejabhe vor
der Feme genoB; man nannte jolde Leute
Notichöffen, bejtritt ihnen aber vielfach für
den vorliegenden Fall bie Rehte eines orb.
nungsmäßig und ohne äußere Nötigung auf:
genommenen Freilchöffen, beftrafte fie wohl
aud) unter Umftánden jdjon allein wegen
— der Schöffenwürde mit dem
ode
Weitaus die meiſten Urteile des heim—
lichen Gerichts aber waren doch wohl ſicher
Verfemungsurteile gegen Abweſende. Der
Vorgang dabei ſpielte ſich folgendermaßen
ab: Zunächſt brachte der Kläger feine Ans
Ihuldigung vor, und der SFreigraf rief dann
den Angeklagten viermal auf, und zwar er»
folgte der vierte Aufruf, wenn die Sonne
am höchften Honn, Blieb auch diejer legte
Aufruf erfolglos, Dann wies der Kläger au:
nächſt nad, dak die Ladung vorſchriftsmäßig
ergangen fei, und verlangte dann „Boll:
gericht“, falls er nicht bem Angetlagten nod)
einen ,Raijer Karlstag“ gewähren wollte,
b. D. einen ausnahmsweilen weiteren Termin
nach nochmals dreimal 14 Tagen. Dann er:
bob fih ber Freigraf und erklärte mit einer
längeren, faft überall ungefähr gleichlauten:
den Formel den Berurteilten für „rechtlos,
eerie ebrlos, fempflichtig, leiblos”, weibte
einen Leib ben Kráben, Naben und anderen
Tieren, verbot bei Strafe, ihn zu een
und zu hüten ujw., und forderte jchließlich
jedermann und insbejondere alle Freiſchöffen
auf, ihn zu richten, wo fie ihn fánden, Darauf
warf er „die Wyd”, ben vor ihm auf dem
Ridtertijd) liegenden Strid, Hinter fid) aus
dem Gehege, und die anwejenden Freiſchöffen
jpudten aus, damit andeutend, daß ber Ver:
urteilte für fie nicht mehr zu den Lebenden
zähle. Der Kläger erhielt eine Urkunde über
das Berfemungsurteil, ber bas met grüne
Giegel bes SFreigrafen und manchmal and
nod) bie Siegel einiger ber Freilhöffen an:
geheftet waren. Dieje Urkunde enthielt außer
dem Urteil auch nod) die Aufforderung an
jeden Freilchöffen Deutjchlands, bei der Vol:
ftreddung behilflich zu jer, und diente dem
Kläger als Ausweis, wenn er folder Hilfe
und insbejonbere ber vorgejchriebenen Zen:
te der Hinrichtung des Berurteilten
edurfte.
Eine Berufung gegen Urteile der Feme
gab es anfangs überhaupt nicht; fpáter fam
es öfter vor, daß bem Verurteilten auf fei-
nen Antrag unter gewiljen Bedingungen und
Förmlichkeiten nod einmal ein Redtstag
gejebt und über die [Hon entichiedene Sabe
erneut verhandelt wurde, Dod galt das den
meiften reigrafen und Schöffen ftets als
eine eigentlich ungulajfige Abweichung von
ben alten Bräuchen. Bejonders gejdah es
in folden Fallen, wenn der Berurteilte nach:
wies, daß ihn die Ladung nicht hatte erreichen
tónnen, weil er auf einem Kriegszuge oder
in faufmännijchen oder anderen Belchäften
außer Landes gewejen war. In ben meijten
Fällen aber war und blieb ber einmalige
Cprud) bes Femgerihts rechtskräftig, und
in ber Regel wurde er aud) wohl volljtredt,
wenn natürlich ber Verurteilte auch oft ge:
nug fid der Ausführung des Urteils zu ent»
ziehen wußte. Erſchwert wurde Iebteres aller:
dings Dadurd febr, dak bei Rontumagzial:
verurteilungen der Todesjprud) ftreng geheim
ebalten wurde, jo daß in vielen Fällen ber
serurteilte von ber ihm drohenden Gefahr
nichts abnte, bejonders dann, wenn ihn aud
die Ladung nicht erreicht hatte oder eine
joldje überhaupt nicht ergangen war und er
daher aud) von einer jyemgeridjtsverbanb-
lung gegen lid gar nichts wußte. Bei der
Vollftredung der Urteile jollten ftets wenig:
ftens drei Freiſchöffen mitwirken oder bod)
anwejend fein. Ste wurde immer derart
ausgeführt, daß man den Berurteilten an
irgendeinem Baume aujbing; in den Baum
jtedte man dann ein Mejjer oder einen Dolch,
für jeden JBijjenben, aber aud wohl für bie
meijten Nichtwijjenden bas Zeichen, daß hier
die eme ihres Amtes gewaltet habe. Da
in ber Blütezeit ber Feme die Freilhöffen
in großer Zahl über gang Deutſchland pere
breitet und durch eine gute Organijation
miteinander verbunden waren, fo famen die
Urteile wohl met zur Vollftredung, jelbft
wenn ber Berurteilte die Gefahr ahnte und
ihr zu entgehen tradtete. Gem Aufenthalts=
ort wurde gewöhnlich bald aufgejpiirt, und
es hielt bann aud) wohl met nicht ſchwer,
die nötigen drei FFreilchöffen zujammenzus
bringen und eine Gelegenheit zu finden, das
Urteil zu vollziehen. jedenfalls ijt es wahr»
Iheinlich, dak des Reiches und des Raijers
Wht und WAberadjt ihre Opfer gewöhnlich
nieht jo [dell und ficher trafen wie die
Feme die ihrigen. `
Trog der großen Unvolltommenbeit, die
bie Feme in jeder Beziehung an fih trug
und trog ber jchreienden und graujamen
Ungeremtigteiten, die fie fo häufig beging,
hatte fie doch, wie [Hon eingangs bemerkt,
eine gewilje Berechtigung, folange bie or
dentlichen Berichte D. nod) unvolls
fommener waren als jie und viele Redts-
verlegungen ungeahndet ließen. Das änderte
fih aber mit bem Ende des 15. Jahrhunderts,
als mit der Verfiindigung des ewigen Land:
friedens und ber Cinjebung des Reihs:
fammergeridts, fowie mit der Erftartung bes
Randesfürltentums eine Beljerung der deut:
Iden NRechtszuftände angebahnt wurde, die
nad und nad) folde Einrichtungen wie Die
Feme als Aushilfsgerichtsbarteit überflüffig
mabten. Es fam Zu daß bie Feme als
ſolche und die ihr als Wiljende zugehörigen
im Laufe der Zeit immer übermütiger ge-
worden waren und an fittlidem Wert ein-
gend hatten, Jo daß es jebt nötig wurde,
hug gegen die Feme zu jchaffen, deren
Dajeinsberechtigung bod) nur darin beſtanden
hatte, daß fie jelbit Schuß gegen Unredt
hatte gewähren wollen und wirklich in ihrer
Art aud) oft gewährt Hatte. Shon bald
nad) Beginn des 15. Jahrhunderts mehrten
fich Die Klagen über migbräuchliche Benugung
ber Gewalt der Feme zu unlauteren perjón:
liden Zweden wie auch über die fittliche
Minderwertigfeit vieler Freiſchöffen (Die
3- B. der Hat von Erfurt einmal als
»Hanges mäßige Buben“ bezeichnete und
denen man wohl nachjagte, daß fie fid)
„auf ben Guff legten und öfters trunten
waren“). Verſuche der Kaifer und Reichs»
tage, darin Wandel zu jchaffen und Die
Feme zu reformieren, wurden verjchiedent-
lid) gemadjt, blieben aber erfolglos. Dazu
fam nod, daß burd) bas mehr und e
Geltung. gewinnende rimijde Recht jchließ»
lid) aud) bie Rechtsanſchauungen des Bol:
tes fid) láuterten, fo daß bald aud) Nicht»
Kerken einzujehen anfingen, ein fo robes
Berfahren, wie es bie Skeme übte, fei nicht
mehr zeitgemäß, und es wurde allmählich
als — empfunden, bap eigents
lich jeder Nichtwiſſende durch die Feme
jedem Wiſſenden mit Leib und Ehre preis—
gegeben war, wenn er ihm im Wege ſtand
und dieſer gewiſſenlos genug war, durch
einen Meineid einen völlig Unſchuldigen
dem Tode durch den Strang zu übers
liefern.
Indeſſen der einzelne Mann aus dem
Bolte hatte gegen die unheimliche Macht
nichts ausrichten finnen und durfte es aud)
nicht wagen, gegen fie aufzutreten, und es
war daher in gewiller Beziehung ganz gut,
daß bie Feme aud) gegen die Mächtigen
diejer Welt, gegen Fürſten und Städte und
aud) gegen die Kirche [o übermütig aufs
zutreten begann, bap fie Fräftige Abwehr
Dadurd berausforderte. Es fam immer
häufiger vor, daß einzelne Freiltühle nicht
Davor zurüdichredten, den Rat und Die
Biirger|daft ganzer Städte, mächtige Für:
Hen und fogar den Kaifer felbft, den d'So
berrn und die Quelle ihrer Macht, vor ihren
Stuhl zu laden. Bejonderes Aufjehen erregte
8 B. die Verfemung Herzog Heinrihs des
eihen von Bayern: Landshut, ferner die
Handel, welche die vg mit bem Deutjch»
rittersOrden und Dellen Hochmeifter Hatten,
und namentlich aud) bie Vorladung Kaifer
yriedrids II. jamt jeinem Kanzler und dem
angen Reidjsfammergeridt, bte nod) dazu
in. jehr verächtlicher Form gehalten war:
„Ir tommet oder nicht, [o muß bas gericht
jetnen gang haben,
wie es jid) nad) fry:
ftulsrecht geburet. bie-
nad) willen Ew. faijer:
[iden Gnaden fid zu
rigten, und raten wir
Ew. faijerliden Gnaden,
es dazu nicht fommen
zu laffen“, jo endete ber
dem Kaifer zugeitellte La:
Debrief, der auh die
SBenbung pet er folle
zu bem angejegten Rechts-
tage erjcheinen „bei Gtraje,
Die Feme BBSSSSssssssssd 483
fonft für einen ungeborjamen Kaifer ges
halten zu werden.” Jn ábnlid abtungss
widriger Weile wurde öfter auch Faijerlicher
Einſpruch gegen ein ergangenes Femurteil
zurüdgewiejen, und wenn man Jo jelbit
dem „oberiten Stublherrn” ber Feme bes
gegnete, A ift es gewiß nicht überrajchend,
daß bie Ser fid) aud) um päpftliche
Bullen wenig tiimmerten, die gegen fie
erlajjen wurden. Gelegentlich fam es aller»
dings auch SO? wieder einmal vor, daß
die eme felbit gegen [olde Ungebühr:
lichkeiten einzelner ihrer Mitglieder Ein:
Ipruch erhob, aber es fonnte bod) nicht aus.
bleiben, daß Kaifer, Kirche, Fiúrften und
Städte jchließlidy bie Geduld mit der immer
übermütiger werdenden Feme verloren. Ofter
und öfter fam es Daher vor, daß Städte zur
Gelb[tbilfe gegen Dee Bericht |djrit:
ten, daß Fürften fih faijerliche Privilegien
erwirften, die ihre Untertanen gegen Redjts-
verfolgung durch die eme ficherftellten, und
daß Fürften und Städte fih gegen die Über:
griffe des heimlichen Berichts verbündeten.
atjer, Neichstage und bas Reidsfammers
ericht erließen Verordnungen, welche bie
acht ber eme einjd)ránften, und dieje
fonnte dagegen um fo. weniger etwas aus:
richten, als D infolge vieler Mißbräuche
und häufiger Übergriffe einzelner Freigrafen
und Freiichöffen den Boden im Wolfe vers
loren batte.
Go fam es denn, daß bie Mirtjamteit
ber Feme immer mehr wieder auf thr urs
jpriingliches Gebiet, die rote Erde Wefts
falens, eingejdrantt wurde und dab auch
bier viele SFreiftühle eingingen oder in landes»
eerie Berihte umgewandelt wurden.
odesurteile zu verhängen wurde den ems
erihten [Hon um bie Mitte bes 16. Fahr
hunderts unterjagt und im Jahre 1582 das
ehte derartige durch Freilchöffen vollzogen.
Als bäuerlides NRügegericht hat die Feme
aber nod) bis ins 19. Jahrhundert weiter:
beftanden. Am 1. März 1811 wurde [ie
zwar durd ein Dekret der Regierung bes
damaligen Königreiches — aufge⸗
hoben, aber auch damit war ſie noch nicht
anz zu Grabe getragen, ſondern heimlich
bat jie nod) einige Zeit weitergewirtt. Der
ete Freigraf ftarb im Jahre 1835, und
pios hat es nod länger gegeben, '
is Schließlich aud) von ihnen einer nad)
dem andern ftarb und
bie Gebeimnijje ber
Feme treu feinem
Schweigegelöbnis mit
ins Grab nahm. Die
TForjcherarbeit des 19.
Jahrhunderts bat fie
dann aber aus den
Archiven wenigitens teils
weile wieder ans Licht
gezogen, fo daß wir über
Diele —— mittel⸗
alterlichen Lebens jetzt ganz
ausreichend unterrichtet ſind.
32*
duard
besnann
^on o2 ic Basen d
| — lloselle pon Emil Brad ~~
Aus dem Baltonfenfter des Heinen
A Saujes in ber Sienmanergajfe
ftaden drei Köpfe und jpähten
angeltrengt die Eet entlang,
als Eduard Arbesmann von wet:
tem auftaudte. Das junge Mädchen im
yenfter ließ die Hand binausflattern, baf
die Boldreifen am Gelent Elirrten. „Eduard!“
rief fie, fie zeigte fih voll Ungeduld und Gr:
wartung, aber Arbesmann fonnte fie nicht
hören, er war wéi nicht genügend nahe.
Der Bater fagte: „Da ijt er ja," als müſſe
er einen Zweifel zerftreuen.
Arbesmann ging auf ber Kante bes (Deb:
fteiges, ein Dienfimann 30g bas Gepäd auf
einem Handwagen und legte fid) mächtig in
die Gurten. Auh Arbesmann ging jo, als
jet er in ein Gejdirr gejpannt, er ftemmte
die rechte Schulter nad) vorn und zog eine
unlichtbare Kaft hinter fid) her. Wielleicht
war es auh nur der Wind, dem er fid) ent:
egenjtemmte, obwohl im ganzen jtilles
etter war, ein ruhiger, heiterer Tag.
Bor der Haustüre blieb er ftehen und
[agte, daß man hier halten miüjje, er fet am
Ziel angelangt. Der Dienftmann nahm die
Rappe ab unde wijdte mit einem großen,
blauen Zajdjentid) über die trodene Stirn.
Er wollte fid) wohl recht ermüdet und ab:
geplagt zeigen, damit feine Arbeitsleiftung
nicht zu gering eingejchäßt werde. Go
ſchnaufte er und mußte eine Kleine Erholung
g Kol
Wee?
|
ob ehe er ben Reijetorb vom Wagen `
ob, den auch ein |djwádjlidjer Mann gut
und bequem auf die Schultern hätte nehmen
Tonnen. da er fein übertriebenes Gewicht
‘hatte. Der Dienftmann aber war ein Bär
von Gejtalt, ein wahrer Rraftmenjd war
er, Dellen Arme üppig quollen. „Ho—ruck!“
machte er, fant in den Knien ein wenig ein
und balancierte die Laft genauejtens aus,
ehe er fih in Bewegung febte.
Oben ftellte er den Korb nieder und wollte
atemlos nod) einmal nag dem großen,
blauen Tuch greifen, da aber Arbesmann
ohnehin ein reichliches Trinkgeld gab, war
es wohl nicht mehr notwendig, und er fonnte
bas Tud) getroft in ber Tajche laffen. Gest
ging auch fein Mtem wieder leicht und regel-
mäßig, Denn er brachte feine Abjchiedsworte
ohne Anfirengung vor.
„Run wollen wir gleich auspaden,” fagte
Mella, „wo halt bu denn die Schlüflel?“
Cie hatte jid) in ben letzten Tagen redjt:
Kal bemüht, Eduards — auszu⸗
ſchmücken, und wollte keine Zeit verſäumen,
ihr Werk zu vollenden. Die Vorhänge rieſel—
ten duftig und blütenweiß von den Fenſtern,
und auf allen nadten Flächen waren Hand:
arbeiten aufgelegt, eine ganze Unzahl von
Handarbeiten, die fie im Lauf der langen
Brautzeit angefertigt hatte. Wud einige
Blumen ftanden auf dem Tijd.
Frau Kreuzinger forderte Arbesmann
auf, jih ang zu Haufe zu fühlen. „Eigent:
lid) bift du ja als zufünftiger Schwieger-
john bier aud) zu Haufe,“ fagte fie und klam—
merte die Finger ineinander, während ihre
Unterarme eine Stüße an ben Hüftknochen
fanden. Gie neigte bei allen Anlájien, bie
einen Wendepunkt im Leben eines Menſchen
bedeuten fonnten, ftets zum Weinen hin und
Gs auch jest Mühe, ihre Augen troden zu
alten, Arbesmann machte eine Heine, mib-
lungene Berbeugung und jagte, daß es daran
nicht fehlen werde. „Hoffentlich falle ich
euch nicht zur Laft,“ fagte er und madte
lich Jo bejcheiden als móglid.
Die Sache war bie, dak Arbesmann von
den Eltern feiner Braut eingeladen worden
war, bei ihnen zu wohnen, damit er der
fleinen Gorgen des Alltags enthoben jet und
fid) ganz feinem Studium widmen tónnc.
Er bereitete fih zur Advotatenpriifung vor,
nad deren 9[blegung er Viella Heiraten
wollte. Sie fannten jid) [hon eine ganze
Anzahl von Jahren, wenn man alles zu:
jammenrechnete, jo fam eine hübſche Beit-
[panne heraus, viel zu viel, um nicht unge:
duldig zu werden.
Cigentlid war es Melas Berdienft' ge-
melen, daß fie fih fennen gelernt hatten, fie
half ein wenig nad) und hielt mit ihrer Be:
reitwilligfeit, Cduards Belanntichaft zu
madden, burdjaus nicht aurüd. Sie gin
ihres Weges, wie ftets mit gejenftem Kopf
und eilendem Schritt, im ganzen ein [cheues
reines Mädchen, voll Angjt und Gorge, dak
ein unvorfidjtiger Blid oder eine fletne Be-
wegung von einem anne mifdentet wer:
den und er ihr nabetreten tónnte. „Die
Männer find ja fo fred),” fagte fie jedem, ber
es hören wollte, unb war voller Borjidt.
Als Arbesmann fie zum erjtenmal jab,
ftand er verblüfft und angedonnert. ‚Teufel,‘
Dadte er und fog fo viel Luft burd) bie
Jaje ein, als er nur erhaſchen fonnte, denn
Mella war durch diefe Luft hindurdgejegelt,
mit um Die ſchmalen Knie [Máumenden
Róden war fie Hindurchgejegelt, und es
fonnte fein, daß er Diejelbe Luft in den
Mund befam, bie fic) in ihrer Brult erwärmt
hatte. Er war plóslid mit tolen Entſchlüſſen
vollgepfropft, abenteuerliche Gedanfen jagten
durd) jein entflammtes Gehirn. Er tonnte
auf d zueilen und jagen: „Hören Sie? Es
Emil Gradl: Die Prüfung des Eduard Arbesmann 485
ijt mein Blut, bas fo toft. Früher floB es
gemádlid) Durch die Adern, aber nun, da
ih Sie gejeben babe, toft es. Ich beife
Eduard Arbesmann, verzeihen Ste mir.”
Wher er bradjte es nicht to weit, nein, er
führte feinen feiner Entjchlüffe aus, fondern
ftand [tI und ſchüchtern da und ſchloß nur
ein wenig die Mugen, die hinter funtelnden
Brillengläjern ftanden — das war alles.
Ein Zufall fügte es, daß Mella nod) eins
mal feinen Weg freuste, fie fien RE
meile öfter in ber Gegend der Univerjität
Bejorgungen zu haben, wo Arbesmann Das
mals im erften Semefter jtudierte. Diesmal
aber traf es fich gerade jo, daß Mella von
einem Herrn verfolgt wurde: ein zudringliches
Herrlein folgte ihrer Spur, fo daß jie jid)
peranfapt jab, Arbesmann um Schuß zu
bitten. „Ach bitte, bejdiiken Sie mid) vor
jenem zudringlichen Herrn,” jagte fie und
wandte. fih geradezu an Arbesmann, „Sie
Ge mir gewiß nicht böje, dab ich Sie um
iejen Ravaliersdienft erjuche.“
Arbesmann war nicht bóje, er forjchte bie
Gtraße hinauf und hinunter,- fonnte aber
feinen Herrn entdeden, vielleicht hatte er fih
hinter einer Mauerecke verjtedt. (Es war
ein Blüd, daß er Hinter einer Diauerede ein
Berfted gefunden hatte, denn Arbesmann
machte eine Bewegung, die nichts Gutes er:
warten ließ. „Mit taujend Freuden,“ jagte
er und war erftaunt, von wo ihm diefe
alante Redensart zugeflogen fam, Die er
Früher nie benüßt hatte. Cr wollte feinen
Worten nod) etwas binzujegen, fie jchienen
ihm geringfügig und nicht geeignet, Viella
einen vollen Einblid in feinen Ceelengujtano
zu gewähren, deshalb wollte er fie ergänzen.
Nun wäre ja der richtige Augenblid - ges
wejen, ihre Aufmertjamteit auf bas Tojen
feines Blutes hingulenfen und deffen Urjache
zu erfldren, aber Arbesmann vergaß wohl
darauf. Er vergaß aud feinen Namen zu
nennen, fid) in aller Form vorzuftellen, jo
daß Mella fragen mukte: „Wie heißen Cie
eigentlid) ?" O, fie war nicht neugierig, fie
hatte nur ein Interejje daran, den Namen
ihres Bejbhiúbers zu willen, fid) ibn aus
Dantbarteit einzuprägen, deshalb fragte fie,
mie er heiße. „Arbesmann?“ fragte [te und
badjte. Sie [prah den Namen prüfend vor
fid bin, als müffe fie |páter nod) davon Ges
brauch machen, und dann wollte [ie aud) den
Vornamen willen. „Ein jchöner Name,”
[aate fie, „er gefällt mir.” Cie gab in jeder
Meije kleine Hilfen, jtreute Bemerkungen
ein, aus denen fid) mit Leichtigkeit ein an:
geregtes Geipräd hätte entwideln tónnen,
aber Arbesmann jchritt neben. ihr einher
wie ein Dauergänger. Gein Herz [türmte
und [feine Füße ftürmten, fein ganzes Leben
Idien aufgewühlt zu fein, nun hatte er
ühe, bie Durcheinanderftürzenden Gefühle
wieder in Ordnung zu bringen, und dazu
bedurfte es einiger Zeit. Leider war er das
mit noch immer nicht fertig, als Mella [Hon
bei ihrer Wohnung [tanb. jie reichte ibm bie
fahr, „ich
SE an der goldene Reifen flirrten, und
agte: „Ich dante Ihnen nochmals, — wie
id) Ihnen dante!”
„Leben Cie wohl,” fagte Arbesmann.
„Leben Sie wohl.“
Arbesmann erwog wohl niht alle Mög:
lichfeiten, er befand fih an einer Grenze,
über bie hinaus feine Gedanfen nicht flogen,
jonft hätte er ein Wort darüber verlauten
lajjen miijien, wie es denn mit einem Wie:
derjehen bejtellt fet. „Auf Wiederjehen,”
hätte er fagen müljen, bas wäre das wenigite
gewejen, was er für feine Zutunft tun fonnte,
und Mella ließ ihm reichlich dazu Zeit, fie
rannte nicht |djnurfirads in die Haustüre
hinein, jondern zeichnete mit ber Spike bes
Sonnenjdirmes figuren in den Sand, aller:
let Figuren. Das ijt nun ein Dreied, Viella
betrachtet es verfunten und will wohl bie
Hypothenuje berechnen, aber es gelingt ihr
niht. Go aerjtórt fie es und macht einen
Kreis, den fie in Segmente abteilt; er hat
an einer Stelle einen Kleinen Fehler, dort
ijt er nicht ganz rund, und es foftet Mella
viel Mühe und Zeit, ihn jorgjam abzurun:
den, lange Minuten. Aber jchließlich mußte
aud) Das ein Ende finden, fie tonnte nicht
in alle Ewigfeit Figuren zeichnen, ihr Talent
war er|djópit. „Wie bitte?" fragte fie und
wollte fein Mort verjäumen, das Wrbess
mann etwa gejagt haben tónnte. Aber er
hatte nichts gejagt, er ftand nur da und blidte
bewundernd auf Melas Hände, ‘auf ihren
Sjalsaus|djnitt, ihr Geftd)t, und fein Atem
ging |djmer. Da jtanb ein lebendes Bejchöpf
vor ibm, ein Runftwert fozujagen, eine
pradtvolle Cade, und er miibte fih vergeblich
ab, eine Bezeichnung dafür zu finden, nein,
feine Sprade reichte nicht bin, Jo jchwieg er.
Mela gab es auf, eine Wnjprade zu ers
warten, und bemerkte fo obenbin, fie hoffe,
daß Arbesmann fich nadjtens wieder in ber
Nähe befinde, wenn fie in einer jo peinlichen
Lage fei wie heute. „Haha,“ laite fie leicht»
ertig im Bewußtjein der überftandenen Ge:
id) meine nur, daß es nicht ausge:
ſchloſſen ijt, die Männer find ja fo jchlecht.“
Damit ging fie.
Und ri tig traf es fid) [hon wenige Tage
ipáter, daß Mella abermals in der Gegend
der Univerfitát von einem Herrn beláftigt
wurde. Es war zwar ein älterer Herr, der
aber feineswegs ungefährlich ausfab, er gin
neben Mella einher und |prad) lebhaft a
jie ein, Gott weiß, was für Abſichten er
batte. Arbesmann war nicht ber Menjd,
der ein gegebenes Berjprechen in die Winde
Ihlägt und fid um feine Berpflichtungen
herumdrüdt, er |tellte auch feine tomplizierten
— an, ſondern eilte geradeswegs
auf den Verführer zu und ſagte mit vor
Wut heiſerer Stimme: „Mein Herr?“ Aber
es ſtellte ſich heraus, daß es Mellas Vater
war, der ſie begleitete. Hoh o, nun konnte
man lahen, aud) Arbesmann lachte tüchtig
mit, obwohl es ihm nicht recht gelingen
wollte. „Ein Juſtizmord!“ brüllte Mellas
Water vor Vergnügen, als fid) Arbesmann
als Jurift zu erfennen gab, er fonnte gar
nicht beruhigt werden und fagte zum Schluß:
„Kommen Cie Dod einmal zu uns.”
Nun war das vielleicht ein wenig vor:
eilig von Kreuzinger, es hätte wohl damit
nod) gute Zeit gehabt, bis Eduards Ab:
ER deutlicher zutage traten, und fo fagte
ella, nahdem fi Arbesmann verab:
Ihiedet hatte: „Uber Vater, wir tennen ihn
pod) gar nicht näher.“ Gie für ihren Teil
vertrat jedenfalls bie Anficht, dak man mit
den Einladungen niht jo um fic werfen
müjje, wenn man eine heiratsfähige Tochter
im Haufe babe, und wollte fih nod ab:
wartend verhalten! Gie ging, als Arbes:
mann feinen Bejud) machte, nirgends über
das Mak fonventioneller Höflichkeit hinaus.
„Ah, Herr Arbesmann,” jagte fie und er:
wedte den Anſchein, als fei er ihr [don
anz aus dem Gedächtnis gefommen, als
alle es ihr jchwer, fid) feiner zu erinnern.
„Ich habe nod) in der Küche zu tun,” fagte
jie, „bitte, gehen Cie nur zu Papa hinein.“
Kreuginger war ein febr unterhaltender
Menih, ein ausgezeichneter Gejellichafter,
das konnte Arbesmann jdjon bei feinem
erften Bejuh wahrnehmen. Er war pen:
fionierter Boftoberoffiztal und hatte mandes
Sdarmiigel beim Schalter beftanden. „Beben
Cie mir eine 3ebnbellermarte,” jagt jemand.
Kreuzinger [ibt und faut in die Luft.
„Eine Mtarfe zu zehn Car? Kreuzinger
rührt fid) nicht. „Ich brauche eine Marke
für meinen Brief, hter find zehn Seller.”
Rreuzinger bat das Gehör verloren, er ijt
völlig taub, ein verjtocter Beamter. „Bitte
mir Dod) endlich eine Diarte zu geben, eine
Marfe zu zehn Heller.“ lötzlich hört
Kreuzinger, er bat jedes Mort verftanden,
jein Gebórleiden war wohl nur vorüber:
gehend. Er winkt einen Amtsdiener heran,
reicht ibm den ganzen Bogen aus Marken
mit lauter Saijertópfen darauf und fact:
» Geben Gie biejem da eine Marte.” „Diejem
da,” jagt er und nimmt einen Amtsdiener
zu Hilfe, das ift feine Race. Während er
erzählt, bewegt er immerfort feinen Schaufel:
ftubl und fieht aus wie ein Schiffstapitän
auf derer Gee. Er ftóBt eine Rauchwolte
in die Luft und jagt als Ergebnis einer
jabrzebntelangen Erfahrung: „Das Bublitum
ijt eine Bejtie.”
Geine Frau [ibt ba und hält die Hände
über dem Bauch gefaltet, während die Unters
arme an den Hiijttnoden eine Stige finden.
Cie möchte gern etwas vorbringen, was
Mella betrifft, N ahnt dunfel, daß
Arbesmann jid) für Viella interejfiert, daß
(ie auf alle Galle fein Gefallen erregt bat
und er nun gefommen fet, um darüber
Näheres zu erfahren. Es verwirrt fie, daß
Kreuzinger feine Poſtgeſchichten vorbringt,
die [te alle jdjon fennt und die ihr deshalb
ihal und inbaltslos erjdeinen. Go lauert
He auf den Augenblid, wo fie an Rreuzingers
Reden anfniipfen fann, fie prüft jedes eins
Emil Grabl: CHI HH Zn
¿elne Wort, ob fih von da etwa ein Übers
gang zu Dela finden fónnte und macht
einjtweilen ein freundliches Gefidt.
In legter Minute erjchien aud) Mella, fie
hatte ihre Küchenarbeiten beendet. Es jab
aus, als babe fie Pfannen gerieben oder
jonft eine [djmere häusliche Aria hinter
lid), bei ber fie fid) büden mußte, denn ihr
Halsausihnitt war bedeutend verjchoben,
ein ganzes Gtiid heruntergerutjcht, wenn fie
einen Gpiegel gehabt hätte, jo hätte fie es
jeben müjjen. Um überhaupt etwas zu lagen
und fid) in angenehmer Weile bemerkbar zu
maden, ver|prad) jie, Arbesmann das nächite
Mal den Garten zu zeigen, der ja allerdings
nicht groß fei, er habe beftimmt [bon viel
größere und jchönere Garten gejehen, aber
es gebe aud) bier laujchige Winkel.
ewiB bat Arbesmann [Hon größere und
Ihönere Garten gejehen, diejer da war nicht
groß, man fonnte feine Raummeter in
einer geringen Zahl ausdrüden. In jeder
ber vier (den Wonn ein Zwetichenbaum,
Dellen magerer, verfriimmter Leib zu Un:
ee verdammt war, längs der Wege
wudbjen Gtadelbeerftauden, deren behaarte
Früchte wie ftart bewimperte grüne Augen
ausjaben. Viella mochte fie nicht leiden, fie
fonnte fein Wort über Die ege
hören, ohne daß fid) eine Menge Feuchtig—
teit in ihrem Mund anjammelte. enn
Eduard davon ſprach, bann rief fie: „Schwei-
gen Cie dod!” und hielt ihm die Hand vor
den Mund, bab er den Duft Gë Hand:
tellers trinten fonnte. So |prad) er oft von
ben Ctadjelbeeren, öfter als notwendig war,
und hatte immer fein Vergnügen dabei. Es
war alfo bod) ein jdjoner Garten, man fonnte
tundenlang darin verweilen, und oft jentte
id) [bon die Dunkelheit herein, ehe Viella
und Eduard alle Pflanzen bejichtigt batten.
„Wo hajt du denn die Schlüjjel?" fragt
Mella jegt und macht fih eifrig daran, ben
Korb auszupaden, fie übernimmt den Bräus
tigam in Diejer Stunde jogujagen in Baujd)
und Bogen. Arbesmann äußerte feine bes
jonderen Wünjche, während fie jeden ein=
elnen Gegenftand an feinen Pla bradjte.
Er hätte gang gut jagen fónnen: „Die
Aſchenſchale müſſen wir dorthin ftellen” oder
„dieje Bücher fommen auf den Tiih,“ um
damit fundzutun, daß er fid) hier gwar als
(ait fühle, in ben eigenen Angelegenheiten
jedod) feinen Willen durchzuſetzen gejonnen
jet. Aber er fagte nichts dergleichen, fon:
dern ftand ziemlich unbeteiligt Dabei, im
ganzen ein wenig bedriidt und gleichgültig.
„Bott, was in deinen armen Kopf alles
hinein fol,“ fagte Viella bejtürat, als fie ber
vielen diden Bücher gewahr wurde, und
mußte fid) tüchtig mit den folianten jchlep:
pen, jie fonnte mit den Armen faum das
bewältigen, was Eduard mit dem Kopf ers
fallen mußte. „Zum Glück wird bei den
denim nicht alles gejragt, was in den
Büchern ftebt,” fagte fie, „nein, es wäre zu
viel.“ SKreuzinger fand die Gelegenheit
Die Prüfung des Eduard Arbesmann 487
günftig, ein Wort über feinen eigenen Gig:
diengang einzufledhten, er wollte feine Be:
rufswillenihaft in das rechte Licht riiden
und |prad) von ber Verfehrsprüfung, die er
in jungen Jabren abgelegt hatte. „Sollte
man glauben, wie weit die Neugierde der
Prüfungstommiffion gegangen ift?” fagte er
und traf alle Anjtalten, fid) über diefe Neu-
ierde näher atusau|predjen. Aber Frau
reuzinger wollte das nicht gelten Toilen,
ba fet Dod) wohl ein gewaltiger Unterfchied,
meinte fie, und wie er fo etwas mit der
Advokatenprüfung vergleichen Tonne, Arbes-
mann wollte niht, daß er in einem allzu
grellen Liht daftehe, es war ibm darum zu
tun, jedermann im ungejchmälerten Befig
[einer Verdienfte zu laffen, deshalb fagte cr:
„Nun, es ift niemand zu beneiden, ber vor
einer Prüfung ftebt.”
ein, Arbesmann war nicht zu beneiden.
Wenn man feine Erjcheinung ins Auge faBte,
jo fonnte man wohl wahrnehmen, daß er
den — gegenüber keinen leichten Stand
hatte. Er befand ſich nicht auf gutem Fuß
mit ihnen, ſie waren nicht ſeine Freunde,
Gott bewahre. Wäre es ein einzelnes Buch
eweſen, ein in p abgejchlojjener Band, jo
atte er fid) mit ihm verjöhnen können, es
hätte jelbjt bei hoher Geitenzahl eine Mög:
a gegeben. (td) mit ihm auseinander:
zujegen. So aber war es eine ganze Un:
zahl von Büchern, ein Wuft von Büchern,
man fonnte in dem einen blättern und dar:
über den Inhalt des anderen vergefjen. Es
wimmelte darin von Paragraphen und Fue
noten, von jchuldbarer Krida, Rindesweg:
legung, Hausfriedensbrud) und Zuchthaus,
fes, fieben, zwanzig Jahre, Gott weiß,
von wieviel Jahren udjthaus. Mar es
móglid), daß die Menſchen fo vielerlei ftraf:
bare Dinge begehen fonnten, um mit ihrer
SBeldjreibung ganze Bände anzufüllen? Es
war nidjt zu leugnen, daß ein Zug von
Sclechtigfeit durd) bie Welt ging, und Ar:
besmann mußte fid) damit abfinden, ja, nun
mußte er jehen, wie er damit fertig wurde.
Es er[djien ihm unbegreiflich, daß zur Auf:
rechterhaltung der BC Te Ordnung
eine jolde Sile von Beſtimmungen und
Paragraphen
während Gott mit feinen zehn Geboten
austam. Mielleiht rührte daher bie
Feindſchaft mit feinen Büchern, bie er jebt
mit jpigen Fingern und verefeltem Gett
aus Viellas Händen entgegennahm, um fie
auf die Regale zu Wellen,
Einen großen Teil der Bücher, den aller:
rößten Teil fann man wohl kan: ver»
perrte er im Gdranf, er legte [ie ganz Aus
unterft und drehte ben Schlüjjel zweimal um.
Mochten fie dort liegen bleiben, fie waren
jogujagen beurlaubt, und Arbesmann mochte
von ihrer Wnwejenheit nichts willen. „Die
halt bu wohl [hon ausftudiert?” fragte
Mella, jte glaubte allen Ernjtes, daß er diejen
Berg von Willen jhon in feinem Ropfe habe
und leicht über alles |predjen fonnte, was
geihaffen werden mußte, `
dort gejchrieben ftand. Arbesmann blidte
ein wenig aer[treut umber, er hatte oft einen
Blid, als ftünde er über allen Dingen, und
antwortete: „Ach nein.” Es war ihm pein:
lih, daß Viella diefe Frage an ihn richtete.
Bub. fie Denn nicht, daß ihm gerade diefe
eijeite gejchafften Bücher am unangenehm:
ten waren, daß fie die größten Rätſel in
ih ſchloſſen und ibn ihr Anblick bebrüdte,
ja geradezu hoffnungslos madte? Was hätte
er aljo antworten follen? Erfagte , ad) nein“
unb mußte befiirdten, auch damit noch zu
wenig gejagt zu haben.
Set es, dab in Ddiefer Berneinung eine
lächerlich geringe Zuverficht lag, eine allzu
Heine Zuverficht, mit ber man für die Zus
funft nichts anfangen fonnte, ober daß Kren:
ginger, wee Poftoberoffigial, der geittveije
beim Schalter jchlecht gehört hatte, im all»
gemeinen ber Wijjenjdaft mit feinem über:
triebenen Rejpeft gegeniiberftand, fura und
ut, er trumpfte jet auf, |djnalgte mit ben
nern durch bte Luft, daß es ordentlich
leichtfinnig anzuhören war, und jagte: „Die
befte Schule ijt das Leben!” Ja, man brauche
nur das Leben zu ftudieren, dann wiffe man
alles. „Die Bücher nimmt man im erften
Anlauf,“ fagte er, „und dann folte man fie
jo ra[d) als möglich wieder vergejjen.” Sie
jeien ein Ballajt. :
O, wie er nun bajtanb vor allen mit feiner
Klugheit, ein abgeflarter Geijt, ber bie Wich-
tigfeit aller Dinge auf das ihnen zukom—
mende Maß zurüdzuführen verftand. Er
laufchte, ob etwa jemand etwas zu erwidern
hätte, ob es jemandem einfallen würde, Ops
ofitton zu treiben, aber alles jchwieg, fie
fite Déi geichlagen. Nicht einmal feine
rau tat ben Mund auf, obwohl fie fonft gern
gegenteiliger Meinung war und allerlei Ein»
wände bei der Hand hatte, jebt ichwieg aud fie.
Kreuzinger blickte um jid), über den ganzen
Familienfreis ließ er fein Auge jchweifen,
dann fagte er: „Wir jehen uns wohl nod)
drüben.“ Es war eine Gelegenheit zu einem
prachtvollen Abgang.
ella wollte, mit Eduard allein gelafien,
verjchiedenes wieder gutmachen, feine Ver:
itimmung über ihre Frage war ihr nicht ent:
gangen, und jo trállerte fte zunächjt ein wenig
burdjs Zimmer. Du lieber Gott, es war ja
nicht mehr dasjelbe wie vor einigen Jahren,
als fie Eduards Schuß anrufen mußte, weil
fie von allen Herren verfolgt wurde. Ihre
Ride raujdjten leider nicht mehr |o frijd)
unb jung um die jdmalen Knie, man fonnte
jekt ganz gut darauf binbhorden, ohne Item:
bejchwerden zu befommen. Auch thre Augen
lagen ein wenig tiefer und umjchatteter, denn
in manden Nächten jchredten fte angjtvolle
Träume. Gie [ab Eduard von einer Schar
dämonijch blidenber, böswilliger Kerle um»
ringt, deren Schädel breit aufgedunjen waren.
Cie ftellten mit harten, wilden Geften und
wirren Worten eine Unzahl von Fragen an
Eduard, überjchütteten ihn mit Hohn und
Spott und gerieten außer fid) vor Schaden:
—
488 Bf) Emil Bradl: Be223222%2332332322222
freude, wenn er nicht antworten fonnte.
Dann warfen fie bie Befichter gum Himmel
empor und ließen ihre Frobhlidfeit aus den
Haffenden Lippen hervorpoltern, ihre braus
nen Zähne ftanden wie Blóde in den Ries
fern. „Sag’s doch,“ rief Mella und preßte
die Hände gegen ihre flehenden Brüſte,
lag s bod) Du weißt es ja!” Aber Eduard
ftand da unb ließ fein Wort verlauten, fein
einziges Wort, er feufzte nur und wußte
Ihlechterdings gar nidts. Dann erwadte
Viella und war mit Wirrnijjen erfüllt.
CR aber war [ie voller Fröhlichkeit, fie
trällerte Durchs Zimmer und zeigte feinerlet
Kummer. Im Gegenteil, fie |prudelte von
Zuverliht und Lebensmut und hatte eine
Menge neuer Pläne ausgehedt. Gie warf
Dabei mit großen Summen um fic und be:
nahm jid) burdjaus wie die Gattin eines
angejehenen Redjtsanwalts, ber jid) jederzeit
auf ein ergiebiges Banffonto ftiigen tann.
„Einmal jábrlid) maden wir eine weite
Reife,“ jagt fie, „irgendwohin, nad Ägypten,
oder 9[merifa, oder Indien. Wm ltebften
nad) Indien. Ift es wahr, daß man dort
burd) bie Straßen der Städte auf Wagen
fährt, bie von Eingeborenen gezogen wer:
den?“ Arbesmann lächelt zerftreut und jagt,
daß er darüber noch nichts Bejftimmtes ere
abren habe, aber es werde wohl fo fein,
in Indten fet allerlei möglich), wovon wir
uns gar feine Vorftelung madjen.
Übrigens hatte Mella aud) nicht bie Ab—
ee bet ben verjchiedenen Bállen und fons
tigen Feitlichkeiten, bie [ie ja wohl mitmachen
würden, mit nadten Händen und nadtem
am zu erjdeinen, fie wollte vielmehr einige
bellteine Darauf haben. Ja, es zeigte fic,
daß fie fih dieje Gahe [hon gründlich batte
durch den Kopf gehn [ajjen unb über Gat:
tung, Größe und Preis diejer Edeljteine ge:
naueftens unterrichtet war. „ch babe mir
den Katalog eines Juweliers tommen laffen,”
jagte fie, „um alles mit Muhe wählen zu
Tonnen, Gs Dat natürlich Zeit, bis bu deinen
eriten großen Prozeß gewonnen haft, aber
den Katalog fann|t du gleich jehen, wenn
bu es willjt.“
„So, haft du wieder einen neuen Ratas
log?” jagte Eduard, denn Viella bejaB cine
ganze Anzahl davon, „Haft du wieder einen
neuen Katalog?“ jagt er, und es fällt ihm
ein, wie jehr viel er noch für die Prüfung
p lernen bat. „Wir tónnen ihn ja gelegent:
ich bejichtigen,* jagt er, „hoffentlich halt du
bir etwas Schönes ausgejudht.“ Er ijt plötz—
lich etwas nervös geworden, aber das hat
nicht viel zu bedeuten, eine fleine Nerven:
verjtimmung, nicht der Rede wert. Er túBt
Viella flüchtig auf die Lippen. „Du Liebe,”
jagt er babet, und fein Herz ijt voll 3árt:
lichfeit, „nun will ich aber noch ein wenig
in meine Bücher hineinjchauen.”
Dann fit er ba und [haut in feine Bücher
hinein. Viella jchleicht lid) auf den Zehen
ur Familie hinüber und fliijtert: „Sit,
duard lernt,“
Angeregt burd) bie neue Umgebung und
das Stille Behagen, das fein Zimmer erfüllte,
ging Arbesmann daran, fid) mit ganzer Auf:
merfjamteit auf bie fremden Paragraphen
zu [türgen, und war gejonnen, heute nod)
eine ganze Anzahl davon zu bewältigen. Es
ihien ihm mit einemmal eine Rleinigfeit,
ein Rinderjpiel zu fein, einen eid nad
dem andern durchzuleſen und den „Inhalt
dann frei aus dem Gedddtnis gu. wieder:
holen. Eine tiefe Dankbarkeit erfüllte ihn,
baB man ibn nicht vor ſchwerere Aufgaben
ftellte. Es ftand ja alles ba, was er bei
der — zu wiſſen verpflichtet war, mit
klaren, ſauberen Buchſtaben war es nieder—
gelegt, man brauchte es nur aus dem Buch
herauszuleſen. Man hätte es ihm wahr:
baftig nicht leichter machen fónnen. Wie,
wenn er jid) zu all diejen Ideen, die Hier
verzeichnet waren, erft felbft in jchweren
eiftigen Rämpfen hatte durchringen miijjen ?
enn er vor die Notwendigfeit geltelIt
worden wäre, diejen oder jenen Sag jelbft
miihevoll zu bilden? Go aber braudte er
nur fertige Gedanfen in ber aufzunehmen,
und es fonnte feinem Zweifel unterliegen,
daß er dicle ganze fogenannte Willenjchaft
leicht bewältigen würde, bitte, modte man
ihm davon aufgeben, foviel man wollte.
Arbesmann las einige Gabe laut und
aufmertiam, bann ſchloß er das Bud und
wiederholte fie mit zurüdgelegtem Kopf.
Ja, es ging prádjtig. In kurzer Zeit prägte
er fid) eine volle Seite ein und hätte fidjer
ein ganzes Kapitel im erjten Anlauf genoms
men, wenn ibn nicht das Girenengebrüll
einer nahen Fabrik abgelentt hätte. Er
blidte auf die Uhr und ftellte fejt, daß er
innerhalb vierzehn Minuten mit einer Seite
fertig geworden war, ein lächerlich Feiner
Zeitraum. Zum Spaß berechnete er, wies
viel Minuten notwendig feien, um fidh bei
gleihmäßiger Arbeit den ganzen Stoff an»
gucignen, und fand, daß er viele Woden
vor dem angejegten Prüjungstermin fertig
werden mußte.
Frohgemut trat er zum offenen enter
und jah voll Mitleid aut die vorbeizichenden
rußgejhwärzten Arbeiter hinab, Die in
ee Mühe für ihr notdiirjtiges Leben
orgen mußten, während er hier bequem
Jigen fonnte und nichts anderes zu tun hatte,
als Gelejenes zu merfen.
Es wurde ihm nicht leicht, nad) Ddiefer
Heinen 9[bIenfung fih wieder in fein Studium
zurüdzufinden, und fo entjchloß er jid), vor
allem die gelernte Seite nod) einmal zu
wiederholen, den Faden wieder von vorn
aufzunehmen. Er fagte die erften Worte
medjani|d) vor fid) hin, dann ftodte er aber
und fonnte jid) nicht gleid) zurechtfinden.
Sa ja, da war wohl ein kleiner Gedächtnis»
fehler, eine Lüde, Die er nicht jo rajd) aus»
zufüllen vermochte. Er zog Die Stirn in
alten und dachte nad. Es fonnte fid
iblimmitenfalls um ein entfallenes Binde:
wort handeln, eines jener gefährlichen Binde»
tegliß)
—
-w
(Aufnahme der Neuen Photogr. Gefellidjaft, Berlin
Weidewund
— o m — — — E mg =
possesses Die Prüfung bes Eduard Arbesmann B2222223 489
wörter, bie fid) [don wiederholt nicht zur
rechten Zeit einjtelen wollten, um den An—
ibluB an das Kommende zu vermitteln.
Eine leichte Unruhe befiel Arbesmann, wäh.
rend er eine ganze Unzahl von Bindewör:
tern berjagte und fie in bie entftandene
Liide o^ ügen verjuchte, wie man Gteine
in ein Moſaik einfügt. Aber feines pakte.
Er ftand auf und verjchaffte fid) ein wenig
Bewegung, mit hajtigen, unficheren Beinen
Ichritt er auf und ab. Gein Gejidjt nahm
einen feindjeligen Ausdrud an, und er ahnte,
daß es vielleicht bod) nicht fo leicht fein
würde, fid) mit all diejen Paragraphen auf
vertrauten Fuß zu Wellen, Es [bien ibm mit
einemmal, als jtede ein geheimer, boshafter
Ginn in ihnen, als feien fie mit Vorbedadht
jo abgefaBt, daß fie ihn verwirren mußten.
Er fühlte etwas wie Haß gegen feine Peis
niger auffeimen, die er nicht fannte, die er
fih aber nicht anders als mit hämiſchen Ge:
lihtstügen porjtellen konnte. -
Urbesmann fpábte verftohlen gwifden
die Geiten, dort wo der eingctlemmte Zeige: ,
finger einen jchmalen Spalt freigab, denn
er mochte es fih nicht eingejteben, daß er
im Text feftap. Mit jchielendem Auge juchte
er haftig nad) dem vermiften Bindewort
und war überzeugt, dak er fließend forts
abren fónnte, fobalo er nur einmal an bie:
em Wort einen neuen Halt gewonnen.
loglid) fand er es, mitten auf der Geite
ftand es ba, als fei es mit fetten Lettern
bingejegt: demgemáB. Man mußte fih wun=
bern, es nicht [hon früher entbedt zu haben,
denn da ftand es, breit und glänzend: Dem:
gemäß. Wrbesmann ließ fein Gebüdjtnis
auf diejes Wort einjdnappen und konnte
nun wirflid in überjtürzter, murmelnder
Freude zu einem Ende gelangen. |
Nun ging er fogar weit über: bie erjte
Geite hinaus, er warf bie Zeilen hinter fid)
wie ein 9Ber|djmenber. Einen ganzen Berg
von Willen [djidjtete er in feinem Kopfe
auf, ja, es war genügend Plagg darin, fein
Kopf tonnte mit Leichtigkeit ein ganzes Ra:
pitel faffen, aud) zwei Kapitel, daran war
nichts Bejonderes. Er ftieß die Cage mit
teujliihem Bebagen hervor, holte jeden ein:
zelnen aus jeinem Sei Log und kämpfte mit
ibm. Er zerbiß die Worte in überquellen-
ber Graujamfcit zwijchen den Zähnen und
Ihlürfte fie in fein Gedächtnis ein. Wie?
Schon genug? Der Schweiß ftand ihm auf
der Stirn. Er hielt das Bud) mit beiden
Händen weitab vom Körper wie einen Ober
wältigten Gegner und deflamierte mit ficges:
trunfener Stimme.
„Demgemäß?“ fagte er, „haha, demge-
map!” Gr fegte dieje lumpigen drei Silben
vor fid) auf den Teppich hin wie einen Hund,
den man zur Raijon gebradt hat, und ftieB
pe mit ber Fußjpige an, um n eben, ob-
e etwa nod) Widerjtand leiften. Er ijt
plóglid) eine Rampfnatur, ber Eduard, in
bielem Mugenblid ift er ganz auf Kampf
gejtellt und will es gern aufs ánferfte an:
Jagte Viella.
tommen laffen. „Demgemäß,“. fagte er,
ihöpfte tief Atem und jtellte fid) lauernd
e? die Probe. Aber das Wort zeigte [td
efügig, es war in feinen dauernden gets
tigen Befiß übergegangen und ließ fid) nad)
Belieben beniigen.
Erihöpft hielt 9Itbesmann [HlieBlid) inne,
eine ag duftgetrántte Luft hauchte zum
enjter herein wie aus einem D nenden
unb. Im Garten fummten die Rafer, und
bas Plätjchern eines Springbrunnens ¿lang
wie Regen aus einem le Land.
Arbesmann jchwelgte in einem te Wee
von Gliid und Gelbitvertrauen, er ftellte fi
in feine ferne 3ufunft hinein, und etwas
wie abwehrende Dankbarkeit tam über ihn.
Nein, man follte ihn nicht übermäßig bes
wundern, wenn er fein Ziel erreicht haben
würde, denn ſchließlich waren feine Geiltes:
gaben mit denen er Die Materie [o jptelend
ewáltigte, ein Geſchenk der Natur, bas
weder zu Gtolz nod) zu Übermut bereds
Dote, Man fonnte einen mit Geift [pärlich
ausgeltatteten Menſchen bemitleiden, fonnte
ihm beruhigend und aufmunternd auf die
Schulter Hopfen, bas fonnte man tun. Zu
mehr aber war feine ON SUNG Und
man mußte. fih anberjeits aud) in Beſchei—
denbeit fajjen, wenn man jozujagen ein
offener Kopf war, ein Menjch, der nicht nur
die Dinge felbjt fieht, fo wie fie find, fons
dern auch hinter ben Dingen zu lejen vers
fteht, turg und gut, ein Licht. J
88
8
Ob Eduard ſchon See Jet? fragte
Kreuzinger beim Frübftüd über den Rand
feiner Zeitung hinweg und blidte auf Viella,
bie ibm den Kaffee brachte.
„Kein, er ijt noch nicht aufgeftanden,“
„Willſt bu etwas von ihm?“
„Nein, ich dachte nur.”
„Warum follte er denn fo früh aufiteben ?
Er bat ja Seit"
Ja, diejes licbende Mädchen tut fo, als
habe es einen Bräutigam, der fid) noch lange
nad) Eonnenaufgang im Bett wálzen tann, er
bewältigt fein Studium fpielend, wenige
Stunden im Tage genügen ihm, um fich bte
Wiſſenſchaft angueigen, Die er —
„Warum folte er denn fo früh aufíteben 2”
[aat fie und Delt Eduard als einen folden
hin, Der ganz gut jeiner Bequemlichkeit frö-
nen fann, im ganzen ein Menjch, dem das
Leben leicht wird.
Set will Kreuzinger auch Toilen. was
AUrbesmann denn immer made, vielleicht
Hellt er diefe Frage nur aus Höflichkeit
gegen feine Tochter, oder um das Gefprád)
in Fluß zu — ohne bejondere Neu:
gierde. „Man Debt "d ja jo felten,” jagt er.
- Auch darauf weiß Viella eine glinjtige
Antwort zu geben, [ie war jogar darauf
vorbereitet, einmal darüber Auskunft er:
teilen zu müjjen, was Eduard immer made.
„Was er immer madjt ?^ jagt fie. „Du meinft,
womit er fid) beijchäftigt? Du lieber Gott,
er [iet die Zeitungen, ſchaut zum Fenfter
490 FSSES3>3 Emil Bradl: sel
hinaus, wie eben alle Menichen fid) die Zeit
vertreiben. Hier und da lernt er aud) ein
wenig.“
Go weit geht Mela in ihrer Liebe, dah
fte jagen fann: „Hie und da lernt er aud
ein wenig.“
Rreuginger hatte Luft, feine Tagescins
teilung zu jchildern zur Zeit, als er jtd) zur
Bertebrspriifung vorbereitete. , Ja, ja, id)
mußte mich tüchtig radern,” jagt er, „bis in
die Nacht hinein.“ Wher Viella ftudierte [hon
in ihren Katalogen, fie machte jid) mit Eifer
darüber, ein Verzeichnis derjenigen Gegen:
ftände anzulegen, zu deren Anfauf fie ent:
chloͤſen war, und hordte daher nur obere
ddlic) auf die Morte ihres Baters bin,
obwohl [ie daraus hätte Erfahrungen ſchöp—
fen Tonnen, jedenfalls zu Vergleichen ange-
regt worden wäre. Go aber erwiberte fie
gar nichts, fie wühlte nur in ber Borjtels
lung all der Herrlichleiten, bie fie einftmals
bejigen jollte, auch einige echte Bronzen
waren dabei.
Wenn Wrbesmann bei der Mahlzeit ers
hien, fonnte man bemerfen, daß feine Ge:
ichtsfarbe nicht die allerjrijdjejte war, er
war durchaus fein jonnenverbrannter Jing:
ling mit blißenden Augen und einem erd:
frilden Atem, fondern jah ein wenig welt
unb abge|pannt aus. „Ach Dante, ganz gut,”
fonnte er jagen, wenn thn jemand nad) fei-
nem Befinden fragte, und es Hang fo, als
habe er nod) nicht darüber nadjgebadjt und
werde wohl aud) in allernádjiter Zeit nicht
paan tommen. Dian behandelte ihn ſchonungs⸗
voll und überließ es ganz ihm, ob ein Ge:
ſpräch geführt werden folte. Sak er idjweig:
jam und teilnahmlos da, wie es gewöhn—
lid) der Fall war, jo war man überzeugt,
daß er gewaltige Gedanfen verarbeitete, daß
er jtaatsrechtliche Probleme von tiefjter Be:
deutung Lotte, während er, über ee Teller
ebeugt, bie Suppe ſchlürfte. Bon Zeit zu
Beit Bob er den Kopf, richtete die waller:
hellen Augen auf Mella, und über fein Ge:
licht Hujchte ein zerftreutes Lächeln.
„Wi du dann den neuen Katalo
leben?" fragt Mela und glaubt, fein fel-
tenes $'üdjeln nicht ungenüßt Iajjen zu follen,
ie meint, daß der Anblid der vielen Edel-
teine Arbesmann erfreuen wird, und will
ibm einen Vorgeſchmack der glänzenden Zu:
tunft geben, Der fie entgegengehen. Gie
madjte (id) Jofort bereit, den Katalog herbei:
ujchaffen, damit. er jehen Tonne. was fie
iter am Hals und an den Händen tragen
werde, aber Arbesmann dankte. „Sch ver:
laffe mid) ganz auf deinen guten Gejdmad,“
fagte er und bemühte fih, einen joldjen Ton
u finden, der ihre Hoffnungen nicht zer:
Morte. „Aber wenn du etwas [ingen willit...“
Mella war aud) damit einverftanden.
„Aber gewiß!“ rief fie und entjcehuldigte fic,
daß ihre Stimme bei vollem 3Utagen Der
nicht jo rein tingen werde, fie habe nod)
nie mit vollem Wagen gejungen. „Gleidh
will id) bir etwas fingen,“ jagte [ie und
genon die Mühen und
i
beugte fid) tief über ben Notenftánder. „Wo
es nur fein fann, bas neue Lied?“ Cie beugt
(id) immer tiefer über den Notenftänder,
dann fteigt fie auf Stühle hinauf und Ichaut
auf ben Kälten nad, fie dehnt und [tredt
die junge Figur, ob, fie nügt die Situation
grünblid) aus und will fih ganz zur Gel:
tung bringen. Aud ben Coreibtijd) unter:
fubt fie genau, [ie beugt ſich dahin und
dorthin und bemerkt in ihrer Ratlofigteit
ar nicht, daB fih ihre Bluje wieder ver:
hoben bat, jo daß eine Menge geheimer
Schönheiten zutage treten. Arbesmann fann
eine ganze Anzahl geheimer Schönheiten
eftitellen, von denen er bisher nod) feine
hnung hatte, und fie föhnen ihn einiger:
maen mit feinem Schidjal aus. Diejer
junge Dann, der fich ein hohes Ziel gelebt
bat, der fid) zum Advofaten emporarbeiten
will, um feiner Frau Edeljteine an den Hals
faufen zu können, war wohl oft, wenn er
ftundenlang mit ber Wiſſenſchaft aetámpit
hatte, ein wenig verzweifelt. Ja, er wog
lagen ab, Die er
dj auferlegt hatte, und febte ihnen bie
Freuden gegenüber, bie ihm Viella bringen
fonnte, er machte eine Bilanz. Nun konnte
er Jehen, daß die Rechnung ganz zu feinen
Buniten ig We , es blieb wohl nod ein
gewaltiger Überſchuß für ihn, ein Geldjent,
bas ihm Viella barbot, ohne daß er fid) da:
für durch feine Arbeit erfenntlich zeigen
fonnte. War fie nicht ein pradjtvolles, an
Leib und Geele mit allen erdenklichen Bor-
zigen ausgeftattetes Gejchöpf, bas zu er-
ringen man fid alle móglime Mühe nehmen
mußte? Mie? Ihre Röde raujdten nicht
mehr jo jung und frijd um die jchmalen
Knie, wie in der erften Zeit? Im Grunde
genommen raujdjtem fie wohl un enau jo
jung und frijdj, man mußte nur ein feines Ohr
dafür haben. Arbesmann jah fih von einer
tiefen Zärtlichkeit erfüllt und war gejonnen,
feine Anftrengung zu joheuen, um Viella jo
rajd) wie möglidy ganz zu gewinnen. Er
lehnte jid) gemächlich und zufrieden in Jet
nen Armituhl zurüd und ftredte die Beine
vor fid bin, im ganzen ein Mann, deffen
Lebensweg flar vorgezeichnet ijt. „Du follteft
eigentlich öfter fingen,“ fagte er zu Viella
und meinte Damit, daß fie öfter nad) ben
Noten fuen folte, denn ihre Stimme war
wohl nicht viel wert, Mella hatte fein Gold
in der Kehle. Ein winziges Stimmaden war
es für den Hausgebraud, aber beim Singen
zeigte ihr Kleiner Mund einen Spalt, glit-
zernd von Jüßer Feuchtigkeit, und bas war
\chöner als alle Lieder,
Leider hatte Arbesmann feine Kräfte
überſchätzt, vielleicht Hatte er aud) zu üppig
gegejien, fo daß jein Blut jebt jchwer und
did durch Die Adern pumpte, denn als Viella
ihren Gejang beendet hatte, ftellte es fid)
heraus, daß er ſchlief. Vielleicht war er
bod) nicht mehr im Bett gelegen, als Kreu-
ginger gefragt hatte, ob er [don aufgeftan-
den fei, vielleicht hatte er überhaupt Die
o2 252252252 252 2 25 2
Nächte nicht gehörig aum Schlafen ausges
nügt, nun ging es über feine Kräfte, er
ichltef.. „Hat es bir gefallen?“ fragte Mella
und hielt den Blid nod) auf die Notenblätter
gerichtet. Aber fie befam feine Antwort...
Die Tage gingen bin, die Wochen. Die
Zeit jchritt rüjtig aus, fie hielt fid) nirgends
auf, jeder fiebente Tag war ein Sonntag,
Man fonnte nicht dagegen anfampfen. Lángjt
waren die Blätter zur Erde gejunten wie
müde, alte Hände, die eine Bebarde Der
Hoffnungslofigteit machen, der Himmel
ipannte jiġ über die Stadt wie eine Platte
aus Blei. Arbesmann ftarrte in leßter Zeit
oft ftundenlang in diefen bleiernen Himmel,
es war ibm eine liebe Bejchäftigung ges
worden, in ben grauen Himmel zu fchauen,
und der Zujtand völliger Gedanfenlojigfeit
tat ihm ungemein wohl. Er fühlte das Bes
dürfnis in go, fein ganzes Leben lang immer
nur in Diejen grauen Himmel zu jchauen,
der jedes Problem zu einem Nichts zufammen:=
idrumpfen, als eine Bagatelle erjdeinen lief.
Es gab viele Probleme in Arbesmanns
Keben, eine ganze Fülle davon, und es [hien
ihm oft, als habe er fih in einem Labyrinth
von Träumen und Unwahrjceinlichkeiten
perftridt, bie er fid) felbft nicht zu erflären
vermochte. Da war vor allem dieje Prüfung,
die er nun einmal abzulegen gezwungen war,
eine beftimmte Menge von Wiljenichaft mußte
er fic) aneignen, um darüber Auskunft geben
zu fonnen, wenn man eine diesbezügliche
Frage an ihn richten folte. Gewiß, es ftand
alles in den Büchern, was zu wijjen notwendig
war, fein Menjch verlangte von ihm, bab
er Rechtsfragen jelbitändig Iöfe, fie waren
alle ſchon gelóft. Trotzdem konnte er [id)
des Bedantens nicht erwehren, daß man uner:
hörte Anforderungen an ihn ftellte, wie fie
nod nie ein Menjch zu erfüllen vermochte,
ja, daß es feine Mitmenſchen geradezu darauf
abgejeben hatten, fein Leben [o ſchwer und
unertraglid) als möglich zu geftalten, Mit
Neid und [tiller Bewunderung dadte er an
die vielen jungen Männer, bie in derjelben
Lage waren wie er und dabei noch Zeit und
Mutt fanden, an den Roftbarteiten bes Lebens
zu najchen. Sie jaBen beim Wein und fangen
mit dróbnender Kehle Lieder vom Vaterland
und von der Liebe, bejonders [joldje von ber
Liebe. Ihre Gelichter glühten, und plóblid)
ftand einer auf und fagte: , Morgen made
id) meine Prüfung.“ — „Sp, machſt du Die
Prüfung?“ jagten die andern, und es ijt
gar nichts, es ijt nur eine Bemerkung nebenbei,
und dann [ingen fie wieder: „Entzüdende
Lijette, bann tomm’ KE dein Bette,“ fingen
jie und laffen ihre Lebenslujt tüchtig aus
den Zungen ftrdmen, fie jagen alles genau
le, wie fie es meinen, und das dauert bis in
ie Nacht hinein. Ja, ſolche Menſchen gibt
es, Urbesmann weiß, daß es fein Märchen
ijt, und er ijt voll Neid und Bewunderung.
Wenn er durd) die Straßen der Stadt
ging und bie Menjchen beobachtete, die mit
ausgeglichenen, forglojen Gelichtern an ihm
Die Prüfung des Eduard Arbesmann 491
voriibertamen, fo forjdte er gefpannt in
ihren Vienen, denn er war überzeugt, daß
jie alle im Beli eines Geheimnijjes find,
mit bem fie die Schwierigkeiten der Welt
leicht zu bewältigen vermögen. (Er hoffte,
einmal durch einen Zufall Hinter diejes (Be:
Deimnis zu tommen, ja, es fonnte fein, daß
er es eines ſchönen Tages irgendwo ablejen
fonnte, er mußte nur dort aufpajjen.
Vielleicht aber gab es hier gar fein Ge:
heimnis zu lójen, es fonnte fein, daß alle,
die ba auf fo vertrautem Fuß mit. ber Welt
zu jtehen jdjienen, nur gute (Gdjaujpieler
waren, nichts weiter. Gie willen nichts, fie
find dumm wie eine Stallbiirite, aber wenn
man eine Frage am fie richtet, jo praffeln
fte mit taujend Worten los und machen
ein Belicht, als fagten fie bie Wahrheit.
Eines Tages nahm Arbesmann zu uns
ewohnter Stunde Hut und Stod und madte
ich in allem bereit, in die Stadt zu gehen.
Gr ließ den Stock 3mijden den Fingern
Ihwirren wie einen Propeller und war aud
jonft in ber allerbeften Laune. Hoho, nun
würde es fid) ja berausftellen, wie es mit
den andern bejdajfen jet, nun follte es fih
zeigen, daß fie ebenfo gequälte und unwiſſende
enjdjen waren wie er, die nichts vor ibm
voraus hatten als die Babe, bei jeder Ge:
en aufzutrumpfen und jid) als Jolche
hinzuftellen, die bas Leben bejonders eins
geladen hat, fid) zu bedienen.
Während des längeren Aufenthaltes im
Wartezimmer des Wdvofaten wiederholte
AUrbesmann im ftillen immer wieder von
neuem den Fall, den er bem Advokaten vor:
tragen wollte, es war ein ungemein [chwieriger,
eigentlich hoffnungslofer Fall. Das Bewußt:
jein, in jedem beliebigen Augenblid vor
einen Mtenjden bintreten und ibm mit ge:
Foie, vorbereiteten Worten eine Redjtss
rage vorlegen zu fünnen, verlieh fetner
altung etwas Beltimmtes und Juver:
ichtliches, wozu fih bie Erwartung gelellte,
daß der Befragte vorauslichtlich verblüfft
und ratlos vor ibm Dajtehen und feine
eiltige Unzulänglichkeit eingelteDen würde.
rbesmann durdtoftete im vorhinein feinen
Triumph mit der ganzen Schonungslojigfeit
eines Gedemiitigten, dem einmal Gelegenheit
gegeben wird, ftd) aus feiner Beringfügigteit
zu erheben. Cin leuchtendes Strahlen lag
über jeinen jonjt nichtsjagenden und häufig
zu einer Grimajje der Unjicherheit verzerrten
Zügen, ja, er trug ſich eine Weile fogar mit
dem Gedanken, die gleich ihm Wartenden
einzuladen, fih mit ihren Angelegenheiten
nur ruhig an ihn zu wenden, er jet jozujagen
au dvofat und könnte ihnen jede Auss
funft erteilen. Go weit ging er in feiner
Gelbftüberhebung, daß er ben Leuten gerabes:
wegs und ruhig ins Gefidt [faute und
teinerlei Befangenheit zeigte, er |djlug ein
Bein über das andere und wippte damit
und jdaute ben Leuten mitten ins Belicht.
Dann betrachtete er die aus fojtbarem Birn:
holz gefertigten VBiedermeicrmóbel, die Ole
492 Fee Emil Cral: Lee al
bilder an den Wänden und. die PBerjertep-
pide. Ja ja, ganz nett, Dachte er und ließ
lich teineswegs imponieren. ‚Der Herr Kolege
hat’s ganz nett hier,‘ dachte er und wippte.
. Ws er, vollgejogen mit Geringſchätzung
` für jede geiftige Autorität, bie Kanzler des
Wdvofaten betrat, um diejem in wobldurd)»
dachten Ausführungen eine jchlechterdings
unlösbare Redtsfrage vorzulegen und aus
der unguldngliden oder gar irrigen Antwort
einen Beweis für das lüdenhafte Willen
diejes Menjden zu jchöpfen, drang eine
Beobabtung in fein Bewubtjein, die fich
feiner Borausfid)t entzogen hatte und Des:
halb jegt höchſt ftörend wirkte. Wohl war
er fih Darüber flar gewejen, es mit einem
an Erfahrungen reichen, in feinem Selbjtgefühl
unnabbaren Mann zu tun zu haben, die uns
geheure Gelaflenheit aber, mit ber der Ad—
votat dem Cintretenden entgegenjab, war
bod) geeignet, Arbesmann in feiner fünftlich
aufgeltachelten Gelbjtüberhebung gu ers
Ichüttern.
Co blieb er einjtwetlen unter der Tür:
Paris ſtehen. ‚Ich hätte nie gedadht, daß
id jo groß bin, ſchoß es ihm durch ben
Kopf, er erjdjraf über feinen aufgeredten
Körper unb fenfte in dem Beftreben, eine
möglichjt Heine Angriffsfläche für den auf
ihn gerichteten Blid zu bieten, unwillfiirlid
ein wenig den Kopf, was ibm den Anjchein
tiefen Jtadjdenfens verlieh. In Wirklichkeit
aber gelang es ihm nicht, auch nur die Spur
eines der vielen Gedanken zu entbeden, die
er fid) in mühevoller, Jäuberer Arbeit zurecht:
gelegt hatte. Gein Kopf [mien leer zu fein
wie eine Glasfugel. Mein Kopf ift leer wie
eine Glastugel,' bad)te er, und Diejer Ver:
gleich fellelte ihn, er jab vor fih einen ter:
arten mit Hunderten von farbigen Glass
ugeln, die auf Holzitäbe aufgeftectt waren.
In jeder fpiegelte (id) ein Geficht, zu einem
weinerlichen Grinjen verzerrt, und gab Zeug»
nis von jeinem beflagenswerten, hoffnungs»
lojen Geelenzujtand, aus dem er jid) ſchein—
bar nie mehr herausfinden würde. ‚Nun
Bebe ich alfo da,‘ fo fam es ihm in den
Ginn, ‚ein Menſch mit zweifellos umfang:
reidjem Wiſſen wartet darauf, daß id) etwas
Jagen werde, aber id) bin es nicht imftande.
Wie lange tann es nod) dauern, jo wird er
ber Fruchtlojigfeit meines Geijtes innewer-
ben, und fein Gelidt läßt nichts Gutes ers
warten.‘ Er fühlte ein unbezwingliches Ver:
langen, das Zimmer wieder zu verlaffen und
ftd) ben Anſchein zu neben, als habe er gar
nicht bie ernfte Abfid)t gehabt, etwas vor:
zubringen, als habe er fih in der Adreſſe
geirrt, nein, bier fet er wohl nicht richtig.
Dazu fam, dab Arbesmann, feiner Körpers
lichkeit in überdimenfionaler Meije bewußt,
mit einemmal eine Abnormität jeines Leibes
feititellte, bie er genauer zu erfennen fürs
erfte zwar nod) nidjt in der Lage war, die
ihn aber bod) mit jenem Abſcheu erfüllte,
wie wir ihn in Panoptifen und dirurgijden
Ausjtellungen empfinden. Bei näherer Bes
iradjtung ergab es fih, daß ihm eine Hand
zur Cette bing, deren Exijteng ebenjo láftig
wie überflüjfig Idien, da er mit ihr nichts
anzufangen, Fe nirgends unterzubringen
wußte, In heller Sham und Verzweiflung,
jeine unglüdlicherweije zu |pát wabrgenom:
mene Brejthaftigleit vor einem remden
zur Schau gejtellt zu feben, verbarg er Die
Hand, bie fid) wie ein toter Begenitand an=
fühlte, rajd) in ber Holentajche, während die
andere den Hut umilammerte. Aber durfte
er, im Begriffe, Das Mort an einen im öf-
fentlichen Leben ftehenden Mann zu richten,
Daftehen wie ein Bauer? Durfte er bie
primitivjten Gejege bes Anftandes auf jolche
Weile verlegen, daß er wie ber erjtbejte
Kümmel eine Fauft in der Hoje balte und
Jo jede höhere Lebensform verleugnete ?
Mubte es nicht den Anſchein haben, als
wollte er, der bod) vor allem einen günftigen
Eindrud zu ermeden fo bitter notwendig
hatte, durch eine jolde ungeziemende Sal:
tung feine Geringihäßgung fund tun und
eine geiltige Überlegenheit vorjpiegeln, die
es erit zu beweijen galt?
Die ttefe Bejtiirzung über fein ungehöriges
Benehmen raubte ihm fefundenlang jeden
Willen. Wohl lief irgendwo in rajendem
Reigen ein halber Gedanfe burd) fein Ge-
d doch mangelte es ihm in dem Chaos
einer Empfindungen an Gejtaltungsfraft,
um biejem Shemen nachzujpüren, oder gar
ibm orm zu geben. Cr wollte eine Ent-
Ihuldigung ftammeln, ,entjduldigen Gte,”
wollte er Jagen und fic) jo bem 9Ibpotaten
als einen mit allerlei Schwächen bebajteten
Mann zu erfennen geben, den man nicht
allzu hart beurteilen möge. Es erjdien ihm
nod) als die einzig mögliche Rettung aus
feiner verzweifelten Lage, offen und ebrlid)
zu geitehen, daß er fih eine Verfehlung habe
gujdulden fommen laffen, denn niemand
würde Der etwa jet nod) verjuchten Aus:
flucht Glauben beimejjen Tonnen, er babe bie
Hand nur deshalb in bie Tajd)e verjentt,
um ein Najentuch, ein Zajdjenmejjer oder
ein Wugenglas hervorguholen.
Der Borjak, jeine Sache bem Wobhlwollen
bes Advokaten zu überantworten, gab Arbes:
mann einigen Halt, und jo ráujperte er fid)
und fagte auf alle Fälle: „Berzeihen Cie
mir, daß ih...“
Der Wovofat machte eine einladende Hande
bewegung, Bla zu nehmen, bie aud) als
Aufforderung, zur Sabe zu tommen, gedeutet
werden fonnte, und Arbesmann fah jid) vor
die Notwendigkeit geftellt, die begonnene
Entifuldigung zu Ende zu führen. Die
immer mehr anjchwellende Stille jedoch, die
lid) algemad bis zur Dede türmte, mit bei:
Iden ber Gewalt an Arbesmann herandrängte
und bublerijd) danach verlangte, daß Ich
jeine Stimme ihr vermáble, gab ibm uner-
wartet jenes Gelbjtvertrauen zurüd, das er
vom Augenblid feines Eintrittes an fo ſchmerz—
lid) vermigt und Dellen unerflärlicher Zu:
jammenbrud) ihn einer Reihe von Verhäng—
Lee
nifien ausgeliefert hatte. Tiberlegte er es
recht, jo war ber Cindrud des Menjdjen,
dem cr — — nicht danach ange—
tan, ſeine Nerven auf die Dauer zu irritieren,
und die verſteckte Hand, die, wie er jetzt zu
einem größten Erſtaunen wahrnehmen fonnte,
Durdjaus nichts Abnormales an fich Hatte,
mochte in Gottes Namen dort bleiben, wo
fie einen bequemen Unterfchlupf gefunden.
- Ein gütiges Schiedfal fügte es, dak fid)
nun aud ein Gag in feinem Geifte formte,
an Dellen Bau er im vorbereitenber Arbeit
mit bejonders liebevoller Hingabe gefeilt
Pau um ibn, ein Meijterwerf ftilijtijcher
unft, reich bejebt mit wohllautenden Bos
talen, deren jeder wie ein Edelftein Ieudjtete,
an die Spige feiner Ausführungen zu ftellen
und fo mit einem Schlage den Zuhörer in
feinen Bann zu zwingen. Was bedeutete Das
egen die, wenn aud) noch fo formvollendete
porting des Cakes, den er in einer
nwandlung faljcher Bejcheidenheit unb unter
bem Drud einer jeelijden Verftimmung be:
gonnen hatte! Er, Eduard Arbesmann, war
gelonnen, ein juriltiiches Thema aufzuwerfen,
dejjen Durchleuhtung niemand gelingen
würde und hatte es, wenn er feinen Ge:
banfenreidjtum bloßlegte, wahrhaftig nicht
notwendig, fid) in Formalitäten zu zeriplit:
tern, über die ein Mann von feiner Bedeu:
tung erhaben fein mußte. Stein, der be:
pono Sak modte als Gtiidwert eben
[eiben, ein Fragment von untergeorbneter
Bedeutung, dem aber bod) ein gewiljer Wert
nicht abgejproden werden fonnte. Es war
Arbesmann fogar erwünjcht, wenn die pri
ginelle Art, feine Ausführungen mit einem
unvollendeten Sat zu beginnen, Zeugnis
ab von dem bewundernswert paradoxen
— — ſeiner Gedankengänge und
der Vielſeitigkeit eines Geiſteslebens, das
mit jeder kleinſten Außerung unbedingt be—
ruchtend wirkte. So legte er noch eine kurze,
pannende Pauſe ein, um dann mit der nach—
äſſigen Bedachtſamkeit eines Menſchen, der
viel zu geben hat, zu Wort zu kommen.
„Brüchige Türen find unjere Geſetze, bie jeder
Shwädling eintennen fann!” rief er im
Apojtelton, und man fonnte hinter feinem
Musruf die Rufzeichen wie ein Hagelwetter
nieDderprajjeln jeben. Überhaupt bejd)rántte
er fid) vorerft auf kurze, lapidare Gage, bie
durch ihre Wahrheit verblüfften. Mit dem
Gejcdid eines Baumeifters, ber zunächſt das
Fundament ausgejtaltet, ftellte er fte, viel:
oe untermijcht mit elliptijdjen formen, wie
elfen vor fid) bin, fo, da ftanden fie. 9tad)
ben Saßzeichen atmete er tief und zufrieden
und tat jo, als jet nichts gejchehen. Dann
aber griff er weiter aus, |djlang mit Hilfe
foordinierender Bindewörter funftvolle
Schleifen unb knüpfte auserlejene Nebenſätze
daran, Die bird) ihre Form fowobl, als aud)
durch den ftrablenden Glanz beftadhen, den
jie, felbft in márdjenbafte Schatteneffefte oe:
taucht, auf ben Hauptja warfen. Bald
frönte er, beraujcht vom Klang der eigenen
Die Prüfung des Eduard Arbesmann 493
Stimme, hemmungslos ` feiner Leidenſchaft
für Interrogativpronomen, bald jchwelgte
er in Alliterationen und Aſſonanzen, daß
feine Worte wie Harfentöne anzuhören waren.
Bom Sdhwall der Worte fortgerijfen, ſchickte
er fid) an, einen Gedanfen, ber bird) feine
Wucht und Größe dazu gejchaffen Iden, die
Gerechtigkeit auf cine ganz neue Grundlage
p ftellen, in eine Periode zu Heiden. Mit
Metaphern, Vertauſchungen und Hyperbeln
jonglierend, fügte er den gewagter Bau und
— ſich an den angſtgeſpannten Mienen
des Advokaten, der, von Schwindelgefühlen
ergriffen, jeden Augenblick den Zuſammen—
[fura bes gigantiſchen Baues erwarten mußte,
Auh Arbesmann beſchlich einevage Furcht,
daß er fid) zu viel zugemutet habe und das
Wagnis ein unglüdliches Ende nehmen
würde. Troßdem häufte er immer neue
Borderjäße an, ftreute verſchwenderiſch Strid-
puntte ein und verwidelt fih in einem Neg
von Gedanken, aus dem ein Entfommen be:
reits unmöglich jchien. Je verzweifelter er
e anjtrengte, zu einem Ende zu gelangen,
belto lauter wurde feine Stimme und flug
Ichließlich zu einem fürdhterlichen Brüllen um.
Angitichweiß trat auf feine Gtirn. ‚Der
Doppelpuntt,‘ dadjte er, ‚wo ift um Gottes
willen ber Doppelpunft ?' und juchte mit irren
Augen die beiden nebeneinander ftehenden
Puntte, bis fie plöglich vor ihm auftauchten.
GroB und Deutlich ftanden fie vor ihm,
glühend, unbeweglich, und Arbesmann Jdien
es, als habe er wähtend der ganzen Zeit
immer nur auf dieje beiden Buntte geftarrt.
Es fiel ihm auf, daß fie inmitten eines Ge:
(tes ftanden und unverweilt auf ihn ges
richtet waren wie Augen. Cs waren Die
Augen bes 9Ibpofaten, nun fah er es deut-
lid), daß es nichts anderes war, als Die
Augen des Advofaten.
» «+» Daß ich mid) mit einer Anfrage an
Gie wende,“ ergänzte er den begonnenen Sag
und erfannte mit einemmal, daß er feinen
anderen gejproden Hatte als diejen.
Zum lic erinnerte fih Arbesmann jest
einer Erbichaftsangelegenheit von einer ver:
itorbenen Tante, es jet natürlich nicht jehr
uitia, aber er möchte fid) als Late Dod)
einen Rat holen. Er nannte jid) felbft einen
$aiem und übertrieb damit offenbar ein
wenig, aber es war ibm wohl darum zu
tun, feine EECH Abſichten zu verwilchen.
Der Advokat hörte fih den Fall an und
lante, daß ein einfaches Einjchreiten beim
zuſtändigen Bezirksgericht genüge, eine Inter:
vention des Redjtsanwaltes jet hier nicht
notwendig, es fei ein flarer Fall. „Es wür:
den Ihnen nur unötige Soften ent[teben ,"
jagte er. Für bie Belpre ung rechne er
lid zwanzig Kronen. „Empfehle mic.”
Als Arbesmann auf bie Straße trat,
Ihludte er heftig und erichüttert und Dep
einigemal die Augenlider wie PBublappen
über bie Augäpfel gleiten, daß jie fpiegel:
blanf wurden. Dann ftarrte er. ‚Da muk
id) aljo zum zuftändigen Bezirksgericht gehen,‘
494 Tee SS) Emil Grol: Lesser
badjte er und hatte alles andere vergeljen.
Diejer angehende Advofat, ber früher mit dem
Fuß gewippt hatte, ftellte jegt wohl vor fih
eon die Gade fo dar, als habe er dringend
n einer Erbjchaftsangelegenheit eines Rates
bedurft, als jet er volllommen unwijjend der
Sinterlaffenibaft einer Tante gegenüberge:
ftanden. ‚Gott fei Sant, daß ich jebt über
den einzujchlagenden Weg im laren bin,
badje er und fühlte fid) geborgen.‘ Der
Wovofat jdjien ibm mit einemmal bas Mujfter
eines wiljenjchaftlichen Kopfes zu fein, ein
durchaus hervorragender Menſch, dem man
jede Angelegenheit ruhig anvertrauen konnte,
Er Hatte'nicht einmal ein Buh zur Hand
genommen, Jondern frei aus dem Bedädht-
nis Die betreffende (Gejebes[telle angegeben,
im ganzen ein Teufelsterl, vor dem man
alle $odjadjtung haben mußte.
Arbesmann ging bird) die Dämmernden
Straßen, in denen Schwaden gelben Nebels
flojfen wie Bade von Schleim. Er ftemmte
die rechte Schulter vor, als fei er in ein Ges
ſchirr gejpannt und zöge eine unlichtbare Laft
hinter fic) ber. Won Zeit zu Zeit blieb er
jtehen, dann hingen feine Hände Ichlaff zur
Geite, fein Kopf rollte einigemal unentidie:
ben hin und Der wie eine Roulettefugel, ehe
fie lid) in bie Höhlung bettet, um endlich
gwijden den Ipigen Schultern zu verlinken.
So badjte er an Mella. Manchmal tauchten
verihwommene Gilhouetten von Menjen
auf, gi fih und ſchwanden wieder.
Cine gabe, tlebrige Näfje jprühte vom Him-
mel herab. Ein PBolizift mit einem [ub
fórmigen 9tideljdjilb unter bem Gelicht kreiſte
verdachterfüllt um den Regungslofen, dann
Tage er: „Haben Cie etwas verloren?“
Arbesmann jagte: „Ja, ja. Nein, nicht
dak id) wüßte. Was folte ich denn verloren
haben $“
„Nun denn, gute Nacht.“
„Bute Nacht.“
Arbesmann ftarrte weiter in den giftigen
Nebel. Stand dort nidjt Mella? Sie konnte
es ganz gut fein, es wäre nichts Auferges
wóbnlimes gewejen, wenn fie nun vor ihn
bingetreten wäre, an die er fo heftig dachte.
Ja, wahrhaftig, im grünen Schein einer
Gaslaterne jah er fie, fie war nadt.
» Dtella ?!“
Yrbesmann geiferte ein fleines Laden
aus bem Viundwintel heraus und ftellte einen
Fuß auf ben anderen, um dod einen fleinen
Schmerz zu haben, ber ibm über vieles Din,
— Leider konnte er Mella wegen des
Nebels nicht ganz deutlich ſehen, obwohl er
verſuchte, den vor ihm lagernden Dunſtblock
mit flatternder Hand zu zerteilen. Aber es
war immerhin geny , was er fah, bei Gott,
es reichte bin. Gie kniete neben der Laterne,
der Oberkörper rubte aufrecht auf den Ferjen
wie eine verzierte Opferterze. Bon dem zus
rüdgelegten Kopf floB das Haar marg und
lind bernieder wte eine braujende Jtadt.
Ihre Hände, an denen geidhliffene Steine
bligten, griffen in weite Fernen.
Als fid) Arbesmann ihr nähern wollte,
gewabrte er, daß er im Nebel feititedte, er
tonnte fih jchlechterdings nicht von ber Stelle
rühren. ‚Das wäre aber doch‘, badjte er und
begann zu fampfen. Hoho, wie er támpjte!
Er blies mit jprühenden Baden ein Lod in
bie Hebrige Wand, geabe in der Richtung
auf Tella pfiff fein Atem. Mit den Händen
Iharrte er den Dunft beifeite und legte fid)
mit vorgejchobenen Schultern tiidtig ins Zeug.
Nod) immer nicht? Nun fchneidet er Blóde
aus dem Nebel, wahre Riejenblóde, er arbei:
tet wie ein Gigant. Geine Fäuſte rütteln
an den geloderten Blöden, um fie zu en
und über den Weltenrand in die Tiefe zu
Ichleudern, aber ba fiebt er, daß er es nicht
mit Blöden zu tun bat, jondern mit Schädeln.
Es find mächtige Schädel, mit jchlüpfriger
Haut bejpannt, auf ihren Gefictern [tebt ein
öhniſches Grinjen. „Könnten Sie mir jagen,
err Arbesmann...“ Ob, fie find voller
reundlichteit, aber hinter ihren Augen foblt
ein tüdi|djes Licht. „Nun will id Ihnen
nod) eine lebte rage ftellen.. .“
Arbesmann fonnte es nicht ertragen, von
diejen Männern ausgeforjcht zu werden, Ort
und Zeit [bienen ihm gänzlich verfehlt. So
Initterte er bie Finger zu Fäuſten gujammen
und bob fie langjam zum Schlag. Aber ber
I des Bejeges mit dem fichelförmigen
tdeljchild unter bem Belicht zwang fie nieder.
„Ste follten nad) Haufe gehen, wenn Gie
trant find,” jagte er.
E
8 e
Am Morgen bes Priifungstages jap Arbes»
mann im ſchwarzen Gebrod, den Zylinder
in der Hand, bei feinen aufgejchlagenen Bii-
hern und juchte nad) Stellen, bie etwa nod)
nicht feft in feinem Gedächtnis fein könnten.
Belonders in den Fußnoten forjchte er eifrig
und erfannte, daß er dieje Fußnoten ein
wenig vernadláffigt hatte, nun holte er es
nad. Leider jah er aud) in biejer Kleidung
nicht bejonders feftlid aus, vielleiht war
dem Schneider beim Anfertigen ein teiner
Fehler unterlaufen. Jedenfalls bot Arbes⸗
mann feinen erfttlajfigen Anblid, und es war
wohl eine fleine Übertreibung, wenn Viella
(id) bei ihrem Eintritt jo jehr von thm ents
¿lidt zeigte. Gie bradte ihm ein robes Ei,
„damit bu eine flare Stimme haft,” fagte
jie und dadbte an alles. `
Arbesmann jchlürfte bas Ei feierlich wie
ein heiliges Gaframent, bann bat er Mella,
ein wenig zu verweilen, er wünjche ihr einiges
zu Jagen.
„Es ijt mir gelungen," begann er, den
Spiegel bes Zylinders glättend, „durch ſcharfe
Konzentrierung meiner Gedanten bie ganze
jurijti]de Willenichaft auf eine höchſt eins
face Formel guriidguleiten, unb jeitdem mir
dieje Formel befannt ijt, hege id) für unjere
Zukunft feinerlei Befürchtungen mehr. Cs
ijt bir wohl nicht verborgen geblieben, daß
id in legter Zeit viel unter dem Zweifel
gelitten babe, ob meine bejcheidenen Vers
jtandesfrajte binreidjen werden, Dir jene
EE
e cg the und materielle Stellung zu
doten, bie du dir an meiner Seite zweifellos
verjprochen Haft, als du meine jeinerzeitige
Werbung annahmft. Dein mir erwiejenes
Vertrauen ehrt mid) unb es beruhigt mid),
Did) darin nicht täujchen zu miiffen, denn id)
fann wohl ohne Übertreibung jagen, dak id)
die Prüfung fo viel wie beftanden babe,
„Bas die erwähnte Formel betrifft, jo muß
fie natürlich vorläufig mein Geheimnis bleiben,
id) will bir nur jagen, daß id) ihre Richtig:
teit zu überprüfen vermochte. Denn unmittel:
bar nachdem id) fie gefunden hatte, erjchienft
du mir — nadt. Ja, bu tnieteft neben
einer Laterne, der Oberkörper ruhte aufrecht
auf den Ferien wie eine verzierte Opferferze.
Bon dem zurüdgelegten Kopf floB das Haar
Ihwarz und lind hernieder wie eine braus
fende Naht. Deine Hände, an denen ge:
ihliffene Steine blitten, griffen in weite
qernen. Go [ab id) bid), es war eine Art
myftijder Bermáblung. Wäre bie von mir
bene Formel niht bie richtige gewejen,
fo hätte 1d) bid) niemals fo gejeben, id)
hätte es nicht gewagt, bid) jo zu jeben.“
- Arbesmann Honn inmitten bes Zimmers
mit vergiidtem Gejicht und [trid) nod) immer
den Spiegel bes Zylinders glatt, während
Mella mit wadjendem Staunen feinen Wor:
ten laujchte. Bald glaubte fie in jäher, er-
löfter Freude fid) in Eduards Arme ftürzen
zu folen, bald griff ein faltes, tappijdes
Entjegen nad) ihr unb lähmte jede Be:
wegung.
„Sch hätte es nicht gewagt, bid) fo zu
feben," fuhr Arbesmann fort, „ich hätte es
niht gewagt, mid) mit dir zu vermablen.
Das ilt es, worauf ich deine Aufmerkjam-
feit binlenfen will. Begreifft du nun, dak
id) alle Befürdhtungen abgeftreift habe und
die Tarang A nod als eine $yorm[adje
betrachte? Wir find bereits vermáblt, und
es ift Dumm von dir, did) vor mir nod) in
Gewander zu biillen.”
Er trat zu Viella hin und veranlaßte fie,
die, «in feinen ftarren Blid gebannt, feinen
Widerjtand zu leiften vermochte, bie Kleidung
abzujtreifen. Gorpfältig legte fie Stüd zu
Gtúd, wie ein Madden im Penfionat, das
fih zur Ruhe begibt. „Nun tnie did) nieder,
nimm jene Stellung an, Die id) bir vorhin
bejdrieb. Warum zitterft Du? Nod nie
hat ein Weib vor bem Manne jo gezittert
wie bit."
Arbesmann zog mit langen, [chleichenden
Schritten Kreije um Viella, die er noch mit
feinem finger berührt batte. Manchmal
blieb er jtehen, fein Gejid)t verdiijterte fih,
und es jien, als grüble er angeftrengt über
etwas nad. Dann Hatte er es mit einem:
mal gefunden, feine Züge verzerrten fih, als
jeten fie aus Gummi geformt, in tödlichen
Entfegen. „Die Steine,“ fliifterte er, „es
fehlen die Steine an deinen Händen.“
Mella fant vornüber, vergrub bas Beficht
in dem Gewölk ihrer Wälche und jchluchzte
mit [djitternben Schultern.
Die Prüfung des Eduard Arbesmann 495
Weine nicht,“ fagte Arbesmann, ,idj will
dir die Gteine bringen.“
8 B
‚Im Prüfungsjaal tobte ein lautlofer, ers
bitterter Kampf. Die Morte fangen nicht
mehr jo, als feien fie als bloBes Berftän:
digungsmittel von Menſch zu Menſch erdacdht
und gejprochen, jondern fo, als jet jedes etn:
geIne von ihnen dazu gejdaffen, Exiltenzen
u vernichten oder aufzubauen. Eritarben
lie für eine Weile, jo Pacte bie Stille wie
ein tojender SBajfertpirbel in die Ohren,
\häumte und raujd)te darin und wurde nad)
furger Zeit ebenjo unerträglich, wie die monos
ton dabinftolpernden Laute.
Nur Eduard Arbesmann fab in ftiller,
gliidjeliger Verfunfenheit da, den Kopf in
die Hände gelegt, und wartete, daß man an
ihn eine Frage ridjte. Vorláufig blidte er
um fih, ohne Neugierde, ohne Erregung,
vielleicht mit einer Kleinen Freude im Herzen,
daß Diejenigen, bie das Leben wie einen
Bindfaden um den Finger gewidelt und von
der Liebe gelungen hatten, während er hins
ter feinen Büchern gejejien, jcheinbar bod)
nicht fo im unbeftrittenen Befig bes Gebeim:
niffes waren, mit dem fie bie Schwierigfeiten
der Welt leicht bewältigen konnten. Hätten
fte fonft jo viele Worte aufgewendet, um
ihre Wiſſenſchaft funbautun? - Hätten fie es
notwendig gaan, die Stirnen zu runzeln,
— den Kopf zu ſenken und in ſcharfem
achdenken die Augen zu ſchließen? Er,
Eduard Arbesmann, hatte das alles ber
getan, folange nod) Zeit dazu war, in vielen
Nächten hatte er die Stirn gerungelt und
die ganze Kraft feines Geiftes zu Hilfe ge:
nommen, um die ibm auferlegte Wiljenjchaft
in eine flare, fnappe Formel zu prejjen. Tun
war er im Beli bieler Formel und fonnte
getroft der Zukunft entgegenjehen, es fonnte
ibm nichts gejdeben.
Endlich fam uem an ihn die Reihe. Ein
Mitglied der Prüfungstommilfion benegte
jorgráltig den Zeigefinger, blätterte in einem
diden Bud) einige Setten vor, dann einige
Geiten zurüd, ſtrich die Blätter glatt und
legte den Bleiftift ein. Er jchien bte gefuchte
Stelle gefunden zu haben, jet dachte er nad)
und formte im Geijt die Frage. Es war
allerdings eine ziemlich verwidelte Frage,
das mußte man ibm laffen, jeder fonnte feben,
daß er es Urbesmann jo ſchwer als möglid)
machen wollte, man fonnte mit Leichtigfeit
über diefe Frage ftolpern.
Wher benft man, daß Arbesmann fid) vor
lauter Berlegenheit räujpert, daß er, um Zeit
zu gewinnen, etwa das Tajchentuch heraus:
nimmt und jid) damit umjtändlich bie Nafe
pugt? Oder daß er mit den Fingern über
die Gtirn ftreicht, um feinen Beilt in ruhige
und geordnete Bahnen zu bringen? Er tut
nichts bergleidjen. Nur eine Heine Paufe
läßt er verjtreichen, ehe er mit der Antwort
einjebt, obwohl ibm diefe volltommen geläu—
fig iit. „Man hat jid) in einer folchen An—
gelegenbeit nur an das zujtändige Bezirks:
‘ Des ch ^ dad E í
496 ESSSSSSEEN Helen Fidelis Butſch: Die große Glode
gericht u wenden,“ fagt er, ohne in dem
Bewußtiein jeiner vortrefflichen Antwort einen
übermäßig Itolzen Eindrud zu maden.
Die UmfiBenden laten, die verblüffend
einfache Lójung der Frage rette fie begreif:
licherweije zum Laden. Manche von ihnen
Leck Den Kopf mit einem [djarfen Rud und
arrten Arbesmann an. Wud der Prüfende
ftarrte ibn an, fein Mund flaffte ein wenig.
Sa, nun fah er fid) um feinen Triumph ger
prellt, dagegen war nichts zu machen. Als
er eine neue rage ftellte, antwortete Arbes-
mann wieder, daß man fid an bas zuftán:
dige Bezirksgericht zu wenden habe, er ftellte
mit tiefer Freude felt, daß fid) bie von ihm
gefundene Formel trefflich E o „Es
würden der Partei nur unnötige Koften ents
Sech jagte er, „wenn fie mit der Durch»
ührung diejer 9(mgelegenbeit einen Rechts»
anwalt betrauen würde.”
Die Mitglieder der Kommiſſion rutjchten
unruhig auf den Stühlen Din und her, ber
eine, der die Fragen gejtellt hatte, ftielte den
Kopf an einem zinnoberroten Hals hod, es jab
ang unwahrjcheinlich aus, wieviel Hals er im
Sembfeagen verjtect hatte. Dannriefer: „Sie
wollen wohl Ihren Spaß mit uns treiben?“
Arbesmann verneigte jid) verbindlich, es
tue ihm leid, aw er mit feinen zutreffenden
Antworten die AUbficht, ibn durdfallen zu
laffen, vereitelt habe, ungemein leid, aber
er könne fic beim beiten Willen nicht ent:
Ichliegen, gegen fein bejferes Willen zu |pre-
chen. e E die Herren noch eine Frage
an es zu richten ?^
„ein.“
Arbesmann ging: Sm Gang zündete er eine
Zigarette an. Es war ihm ungemein wohl
und leicht. Sm Bejtibül erwartete ibn Mela,
fie [ab ibm mit verftörtem Geficht entgegen, mit
einem völlig vernichteten Geftcht. „Sch habe
die Prüfung bejtanden,” fagte Arbesmann, |
„wir wollen nun gleich die Steine bejorgen.”
Melas flehende Einwände überhörte er. _
Beim Juwelier mufterte er bas ganze
Lager, er nahm mit einem flüchtigen Blid
ein Inventar auf und fagte bann, zu Viella
ewendet: „Ich bin glüdlih, dir. diefe
hake zu Füßen legen zu tónnen. Wähle!“
Und als Mella zögerte, raffte er haftig eine
Handvoll toftbarer Schmudjtüde zujammen
und reichte fie Viella hin. Der Juwelier
glaubte wohl, einen Gauner vor fih zu vri
einen nidtsnugigen Menjchen, ber ihn be:
ftehlen wolle, denn er öffnete den Mund zu
einem großen Hilferuf. Aber ehe er einen
Laut von jid) gegeben Hatte, blidte er in
Melas hilflos flagenbes Geſicht, er [jab
dieje von Dual und Gäre geweiteten Augen
und erfannte die Wahrheit. Da jchwieg er.
Mella legte bie von Arbesmann errafften
Schhmudftüde zurüd und fagte zu ihm: „Der
D will bie Freundlichkeit haben, uns eine
uswahl in bte Wohnung zu [djiden."
„Bewiß, gewiß, bitte eg febr,” ver[td)erte
der Juwelier.
Dann 30g Mella Arbesmann auf die
GtraBe, was er ohne Widerftand geſchehen
ließ, und führte ihn in das fleine Haus in
ber Kienmayergaſſe. Ne
. Tränen liefen über ihre Wangen, die
bligten-in der Sonne wie ge[djlijffene Steine.
it bel mm mer ps cis || | emm race sas | mm] mmm | mm |
Mittagftille ift über den Rirchplatz gegoffen;
Leer alle Straßen, die Augen der Häufer
gefdyloffen.
fur am Turm, der fteil in den Himmel
. gezüdt,
Steht ein Menfd, das Haupt in den Naden
gedrüdt,
Späht hinauf zum fleinernen Wächter der
arre.
Dod) von der Glodenftube ringt fid) ein
Nöhnend Ocfnarte,
Und in des Bogenfenflers geöffnetem Rund
Aufgähnt und fd)winàet gigantifd ein eher:
ner Mund.
Die gewaltige Olode bewegt ihr Riefen»
gewicht,
Schwerfälig fhwingend, und ächzt: Jd) will
— nod nidt —
Matt fehlägt die erzene Zunge ihr bin und
er
Und ihre Geile föhnen: Sie if — fo
fhwer —
3 Hasc | ! sores |) ne | | aca | | acme | | icem ||
Die grofe Glode. Von Selen Sidelis Dutfdj
Jum | | PESES | | | | eet | | ee | | eres | | oes | peces || eme | | poe, | | see | | scams | |
Aber flets in höher gerundetem Bogen,
Rafher unà wudtiger Fommt fie empor»
geflogen.
Drohender naht fid) ww, — der Glocke
n
ano,
Schwer bolt er aus — ſchwingt hod) — er
pagt ihren Rand: —
Schall! Sie donnert’s zum óftlid)en Tore
. beraus ; |
Hall! Sie dröhnt es rollend nad) Weften
hinaus ;
Shall! In großen Wellen umbrandet’s
den Turm,
Daf er fdiittert und Wi fHwankt wie im
tu
rm.
Drunten tief in Plages Enge gefangen
Prallt ohne Ende der Hall Bong Wand zu
Da
nd.
Sebft du, einfamer Laufder? Saft did) ein
Sangen?
füüdjiger oft als der Menfh find Werke
aus Menfdenhand!
11 A || ETAC | | ey |] ero | | ec || eee | | emeng | | ey || mmm | |
: Philippine Char: MER
s lotte, Erbprinzefftn
* von Braunibweig:
Lüneburg
Gemalt nad) ln:
toine Pesne. Be:
fißer: Oscar Mid):
tendal, Hannover +
aus tdeo
—
m Spätherbſt vorigen Jahres veran—
ſtaltete die Keſtner-Geſellſchaft, eine
Vereinigung von Freunden der mo—
dernen Kunſt in Hannover, eine ſehr
bemerkenswerte Ausſtellung von
Bildnisminiatu—
ren aus nieder—
ſächſiſchem Pri—
vatbeſitz, die eine
Fülle unbekann—
ten Materials
ans Licht brachte.
DieGeſchichte der
Bildnisminiatur
iſt ja leider bis
vor noch gar
nicht langer Zeit
ein Stiefkind un-
ſeres ſonſt ſo
regen künſtleri—
ſchen Intereſſes
eweſen. Auch
fir jie galt, wie
ür Das ganze
peutjde Runjts
gebiet des 17.
und 18. Jahrhun—
derts, Der zu Uns
reht geprägte
Lehrjak, Daß
gegenüber Der
mádjtigen Runft:
blüte Des fran:
zöliichen Rokoko
Deut}hland arm
an jelbitändigen
Erjeheinungen
geweſen fei, jo dab
es faum lobne,
e
on
Beet SS AM e C
-.....„n„..„.„.„n.n....... SOSSS SSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSESSSSESSSSSSSSSTSESSSESSESO SESE SSEEESOESESESOO CESS
(Mnisminiatucen _
tof. Dr.
turmaleret
*...0.0.0.0.0.. vn... „.„..„.„.....
»no....„.„.....u.„.„.....ss
"»"^9"*9"99**7?09****"9979?*^*
Prinzeffin Louife Caroline von Anhalt: Cithen
Gemalt von Friedrich — Hill. Beſitzer: Raphael Sander, *
annover
Velhagen & Klafings Monatshefte. 53. Jahrg. 192021. 2. Bd,
däi Me P eivatb ofits
ber Gejchichte ber deutjchen Runft in diefer
Zeit nachzugehen. Aber gerade in ber Minia-
elten bejondere Wertmaße: ihr
kulturhiſtoriſches Material eignet fic) mehr als
andere Stoffgebiete ber Runjit, führt fie hinab
in'bas Mejen und
Empfinden einer
Zeit, für die fie
einenunvergäng:
lien Ausdrud
geprägt hat.
Nicht von unge:
fähr wurde fie in
dem Zeitalter
höchſten hofijden
Glanzes und ges
iteigerter&ebens:
tunjt ber verbát:
[helte Liebling
einer wobltulti:
vierten Gefell-
ibaft unb eines
langjam wieder
zum Gelbjtbe-
wußtjein heran=
reifenden Biirs
ertums. Gie al:
ein war Tráge:
rin der intim[ten
Gefühle, die der
Fürft feinem
treuen Untertan,
die Mutter ihren
Kindern, bie (Be:
liebte bem Ge:
liebten entgegen:
bringt. In dem
Zeitalter, wo es
noch feine Photos
33
498
LLEIDA RR
Des fünftlers Gattin, geb. ——— Barez
Gemalt von Daniel Chodowiecki
Beſitzer: Richard Oppenheimer, Hannover
AC ab, hatte fie bie Aufgabe, das leben:
dige Bild teuerer Menjchen täglich, [tünblid)
dem Betrachter vor Augen zu zaubern, und die
Summe des heute noh vorhandenen Materials
betvei|t zur Genüge, wie ungeheuer groß und
vielfeitig bie Wünjche und Anfprüche ber Ge-
felfidjajit von damals gewejen find. Daß
dieje Anſprüche nur in feltenen Fällen von
Künftlern mit internationalem Ruf erfüllt
werden konnten, ift beinahe jelbjtverftändlich.
Der at freilich hielt fic) feinen Hofmaler,
der, mei ZU N bejoldet und im Range
eines Lafaten ftehend, immer aud) das Fad
der Miniaturmalerei beherrihen mußte.
Aber aud) in dey Städten des Reiches, die
fanden, wo mal feinem Fürſten unter:
tanden, wo wie in den Sanjaftádten oder
n ber reichsfreien Handelsitadt Frankfurt
ein jelbjtbewußtes Bürgertum mit der Mode
Schritt hielt, gab es Dialer, bie bie Miniatur
zu ihrem Spegialfad) gemadt hatten, Hand»
werfer im
Sinne der das
maligen Beit,
Riinjftler von
Gottes Gna:
den, wie eine
viel zu |pát eins
gejebgte Zunft:
geichichtliche
Forihung ine
zwilchenoftmit
Dberrajdjun
erfennen lieh.
Mod vor
einem Jahr:
zehnt — iprad)
mam jelbit in
Sadtreijen
öchſt verádt:
id) über Die
deutibe Mi:
niatur aus Der
Zeit des Bar
(Gottorp, Schweiter Friedrichs
tod und Ros ro hber e d
Elfenbein. Beltter: ©.
Louiſe Ulrife, Gemahlin des Prinzen Adolf Friedrid von Holftein:
des Großen. Unbelannter Maler.
$. Großherzog von Oldenburg
Prof. Dr. Georg Biermann: seiss
toto, wenn EEN überhaupt einmal
die Rede darauf tam. Der Deutjche, deffen
Erbjünde es nun einmal ijt, das Fremde
überall, wo es auftaucht, über bie Maken zu
bewundern, hat erft |pát bie Hodadtung vor
feinem eigenen Erbe gelernt. o jpat — wie
wir heute angefidjts ber Erfahrungen biejes
Weltkrieges jagen miiffen, ber uns graujam
genug darüber aufgeklärt hat, wie jehr uns
9990900000009000000000090000092€
Charlotte, nog von England, Gemahlin
Georgs lll. Gemalt 1761 von Elifabeth Jiefenis
Bejiter: Geheimrat Dr. Conze
die anderen, zumal die Frangojen, als Heloten
ihres Geijtes betrachten. Inzwiſchen freilich
hat eine Wandlung eingejeßt, und es mag als
Zeichen der Zeit gebucht werden, wenn lang:
jam aber nachhaltig fogar bie beut|dje Minia:
tur anfängt, nicht nur den Mann der Wiljen-
ibaft und den Sammler, fondern allgemein
den deutjchen Kunftfreund anzuziehen.
In Deutjchland hat — ganz im Sinne ber
| Gemiitsveran=
lagung unjeres
Volkes — die
Rleinbildnis-
funjt, zumalim
18. Jabrbhun-
dert, eine Pflege
erfahren wie
kaum in einem
anderen Lande
bes Kontinen⸗
tes. Stammes⸗
eigentümlich—
keiten heben
ſich deutlich
auch in der
Kunſtübung
dieſes Zweiges
voneinander
ab. Wir ſpre—
den heuteſchon
von Jüddeut:
¡den Miniatus
ren im Gegen:
SSS] Bildnisminiaturen aus niederfadjijdhem Privatbelik 1333 499
Saiferin Marie oui
jak zu ben norddeutichen und wir werden
wohl bald bie Rreije ep, enger fallen Tonnen
und 3. B. einen hanjeatilchen Runjttreis, ber
feine ftártiten Berührungspunfte mit Holland
und Dänemark bat, von dem niederjädhlilchen
trennen, diejen wiederum von Mejtfalen und
Rheinland jcheiden und fo fort. —
Hauptaufgabe wird es zunädjlt fein, bas
nod) verjtedte Material überhaupt erft einmal
gu heben und zu fichten, und wie ſolches am
eften gejdieht, bas hat bie denfwiirdige
Ausjtelung der Keſtner-Geſellſchaft zur Ge-
me dargetan.
as Thema ber Ausftellung hieß , Bild:
nisminiaturen aus niederjächlilchem vat:
befig“; ihr Ergebnis war nicht mehr und
Ri weniger als bie niederlächlilche Miniatur
idledjtbin. Denn obwohl bei bem internatio:
e pe Gemahlin Napoleons I. 9tad) Ifabey gemalt
von Ehriftian Whrbed, Mien. fBefigerin: Frau Kommerzienrat Georg Spiegel:
berg, Hannover
Zu,
so
nalen Charatter, den gerade die Miniatur:
malerei bejejjen, aus altadligem Beliß oder
aus den Bitrinen der modernen Sammler
manches foftbare Stück franzöſiſcher oder eng:
Didier Herkunft auftauchte (legteres fonnte in
ber Hauptitadt des alten welfijhen König—
reiches taum überralchen), jo tonnten Nic bod)
vor allen jene neuentbedten deutjchen Minia—
turmaler behaupten, bie oft nur ein E
Zufall ans Licht gezogen hat. Die Abbil-
dungen zu diejem Beitrag geben einige Stid-
roben aus ber Fülle bes Materials, das
nterejfierte Lefer in bem jchönen illuftrierten
Katalog ber Veranjtaltung, der burd) Die
Keitner:Bejellichaft zu beziehen ift, wundervoll
beieinander finden.
Mer fannte, um aus aroßer Zahl nur einige
Beilpiele zu nennen, bisher die beut[dje Minia-
33*
500 BESSSSESSSSTETESTEIETEN Prof. Dr. Georg Biermann: R=3223222222224
turiftin Elijabeth Ziejenis? Wer ben Bater
diejer Künjtlerin, den De Johann
Georg 3ielenis, ber durch bie Darmitädter
Jabrbundertausitellung als einer ber erften
Borträtilten feiner Zeit entdedt wurde?
Wohl wußte man aus Meujels , Viiszel:
laneen”, daß Zieſenis eine zu ihrer Zeit be-
rühmte Tochter gehabt habe, Die im Miniatur:
fad) tätig gewejen war, und dod) wollte es
trog mannigfacher Forjchungen nicht gelingen,
von diejer Elijabeth Ziejenis auch nur ein ein:
ziges autbentijd)es Werk nachzuweilen. Gest
endlich ift jie, durch bie genannte Ausftellung,
neu in unfer Bewußtjein — Ein
einziges bezeichnetes Stück mit dem Bildnis
jener Königin Charlotte von England, der
gebürtigen Prinzeſſin von Mecklenburg-Stre—
lif, bie Jowohl von dem Schweriner Hofmaler
Pergament gemalt zu haben, was immerhin
auffällt, da die übrige Miniaturmalerei feiner
Zeit faft ausnahmlos das Elfenbein als Mal:
grund bevorzugt.
Ungleid) typiſcher als Niederjachje er:
ideint in feiner Hunt der ebenfalls neu-
entbedte Wtintaturijt $. Clajen, der um
die Wende des 18. Jahrhunderts hauptlächlid)
in Hannover gemalt zu haben jdjeint. Eine
bezeichnete, bier wiedergegebene Miniatur
bes hannoverichen Weinhändlers Johann
Friedrich Böttger ijt ein gutes Beilpiel jener
bereits [tart bürgerlich gewordenen Miniatur:
malerei. Cie verrät Deutlich den Wandel ber
Zeit. Talente wie Clajen haben zu Dutzen—
den in allen beutjdjen Städten gemalt.
Wud in einem anderen hannoverjchen
Mtintaturenmaler, dem betannteren Heinrich
Mathieu Anton Sáb:
wie ſpäter ling, der
ſo oft von Mitglied
Gains⸗ der Berli—
borough ge- ner 9Ifabe-
maltijt,balf mie war
auf Die und um die
Spur, und Mitte Des
burd) Ver: 19. Jabr:
gleich tonn- hunderts in
ten gleidh Potsdam
acht weitere jtarb, — iit
Arbeiten dies neue
ihrer Hand bürgerliche
zum Teil Ideal le:
nad) be: benbia,
fannten wenn auch
Bildnifjen feine Mi—
ihres Wa: niaturen in
ters, Dellen 5 ihrer mehr
Werte Hem $ ariltofratt:
der Haupt- oe Auf:
jade „en ajjung et:
RE : nen legten
übertragen ilhel i t: 98 in Saud) der
an haben See Eis SMS SO RMI Bien EE alten fiber:
ſcheint, lieferung
nachgewieſen werden. — Oder ein anderes,
nicht weniger vielſagendes Beiſpiel: der han—
noverſche Bildnis: und Miniaturmaler Chri-
ftian Ahrbed,wen bisher fein Lexiton nannte,
der völlig vergejjen war, bis er eben jest
wieder entdeckt wurde. Diefer war der Sohn
eines Dejtillateurs, der um 1770 in Hannover
das Licht der Welt erblidte und Schüler bes
berühmten franzöfijchen Mtiniaturijten Sjaben
und joll es logar zum Hofminiaturenmaler
Napoleons gebrad)t haben, was die bier
abgebildete Miniatur mit dem Bildnis jener
Marie Louije, der zweiten Gemahlin des
groen Raijers, einigermaßen belegen könnte.
Ibrbed läßt fid) freilich nur bedingt bem
Kreis der iypilch niederjädhliichen Miniatur:
malerei einfligen. Geine ein wenig trodene
Gleganz verrät ganz und gar die Parijer
Schule, und das bürgerliche Element jeiner
niederdeutihen Heimat bat reftlos dem
Weltgefühl in feiner &unjt weichen müllen.
Er ſcheint mit Vorliebe aud) in Aquarell auf
bewahrt haben. Das bier wiedergegebene
Bildnis des Grafen Georg von Wangenheim
ijt in feiner freien Vergeiftigung und der ver:
haltenen Energie bes Kopfes fait ſymboliſch
für das ftarte Führergejchlecht, bem die Zeit
der Befreiungskriege vom Napoleoniſchen Joch
zum Inhalt und Erlebnis ihres Dajeins wurde.
Diejem Dábling Debt ein anderer wenig
befannter deutſcher Viintaturijt Wilhelm
Unger bejonbers nahe, weil aud) er nicht
jo febr das bürgerliche Ideal jdjledjtbin als
vielmehr das des neuen Adels liebt, mit
dem ibn — man möchte jagen — eine
familiengejchichtliche Überlieferung verbindet.
Denn diefer Wilhelm Unger war der Neffe
von Johann Heinrich und Heinrich Wilhelm
Tijehbein, bei denen er als Schüler in Kaf-
fel gelernt, und das Schiejal hat es Jeltiam
gefügt, daß auch er nod) Hofmaler wurde,
in Wroljen, als im übrigen Deutjchland
dies Handwerk bereits zu den veralteten Ein:
richtungen zählte. Freilich jd)eint Unger
BESSSESESEIESEEN Bildnisminiaturen aus niederſächſiſchem Privatbelik B=S=3<4 501
Wiffen wir auch von diejem Künjtler heute nod
nicht beftimmt, daß er ebenfalls Miniaturen
malte, jo liegt bod) der Gedanfe nahe, daß er
(id) ebenfowenig wie feine Kollegen der Mode
der Zeit perjd)loB. Und deshalb möchte man
ohne weiteres annehmen, daß das hier abge:
bildete Stüd mit dem Bildnis ber Schweiter
Friedrihs des Großen Louije Ulrike, der Ge-
mablin des Prinzen Adolf Friedrich von Hol-
[tein - Gottorp, bas aus dem Befit des Groß:
hergogs von Oldenburg auf die Hannoverjde
us|tellung fam, ein Werk bes gefeierten Ber:
liner Hofmalers ijt, bejjen Handſchrift es un:
zweideutig verrät. Auch eine andere hier ab:
NEE Miniatur mit bem Porträt jener be:
annteren Echweiter Friedrichs des Großen,
Philippine Charlotte, ber jpäteren Herzogin
von Braunfihweig - Lüneburg, die bas leben:
digite Gewijjen ihrer Zeit gewejen ift, gebt
wenigftens mittelbar auf ein Original von
Pesne zurüd; dod) glaube id) in meiner Ber-
mutung nicht fehlzugehen, wenn ich die Minia-
tur felbft als eine Arbeit ber Rojine be Galf
anfpreche, die dem befannten Hofmalergejchlecht
ber Lifiewjti entjtammte und 1760 nad) Braun:
Der Tänzer La Porte. Gemalt von Phil. Stuben: \hweig berufen wurde, wo nod) zahlreiche Ar:
rauch. Bejiger: L. O. $. Biermann, Bremen beiten ihrer Hand zu jehen find.
beim FFürjten zu Walded
und Pyrmont nicht all:
zulange verweilt zu Do:
ben; denn er ijt bereits
1812 in Paris nad)weis:
bar und hat fih wenige
Jahre fpáter als Dialer
in Hamburg niedergelaj:
jen. Das bier wiederge-
aebene Bildnis der Für:
Dm Ida zu Walded
mag gemalt fein, als fie
fih mit bem Fürſten Ge:
org Wilhelm zu Schaum:
burg: Lippe vermáblte,
vielleicht aud) fura nad)
der Bermählung; etn on:
mutiges Werf, doch ein
wenig unperjönlich in
ber Auffaljung.
Mie anders erjcheint
die Frau auf jenen Klein
bildniffen, bie taum ein
Menjchenalter vorher
von den unzähligen deut:
iden Hofmalern gejchaf:
fen wurden. Nicht qulebt
in Berlin, wo der große
Friedrich in den wenigen
Syelertags|tunben, Die
ibm fein tatenrei bes Le:
ben ließ, die Mujen um
fih verjammelte, Dichter
und Gelehrte an feinen
Hof 30g und einem Diet:
fter wie Pesne Auftrag
gab, bie Menjen feiner
nádjten Umgebung mit
: ^ Graf Cajetan von Bilfingen: Nippenburg. Gemalt auf Elfenbein von Rob
bem Pinjel zu verewigen. Cheer. Befigerin: Frau Rommerzienrat Georg Spiegelberg, Senne”
509 Eeesessssesa Prof. Dr. Georg Biermann: ' Bz=222272232773
Diejen Werfen höfiichen Uriprungs TT TE
fteht die bürgerlide Kunjtanichauung | an :
eines Danie! Chodowiecti jeltfam fremd
gegenüber, obwohl ja — wie befannt —
auch er fiir Den großen König gearbeitet
und Dellen Grjdjeinung ohne höfifchen
Prunk im Sinne bes rein Menjchlichen
wunderbar erfaßt bat. Geine Art, die
Dinge wiederzugeben, liebte nicht den
hohlen Schein, er war zeitlebens Mann
der Wirklichkeit, wenn aud) ein Riinjtler
höchſten Gebliites, Delen Erjcheinung
in diejem Jahrhundert einzigartig ijt.
Michtig ijt die Ehrlichkeit, mit der er
jeiner Gattin auf jener entzüdenden
Miniatur aus hannoverjchem Brivatbe:
jig begegnet: Madame Chodowiecfa,
geb. Demoijelle Barez.
Auch in der Seele bes nur um vier
ganre älteren Berliners Anton Friedrich
önig, der fid) fogar ftolz Hofminiatur:
maler $yriebrid)s des Großen nennen
durfte, flingt entfernt das Ideal eines
erft beginnenden 3eitalters an. Außer:
lid) bat feine Runft viel VBerwanbtes
mit ber feines Kollegen Chodowiecti, jo
ats 4
:
A a
‘4! 4 t *
À
>
d
~
D
A
A
4+
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AA AAA
daß der Laie gelegentlich fogar die beiden CT s e Wie i E menn STEP V
Künftler — foweit fie als Miniaturiften A
s.ssss.„.„....„„„.„„.„„„.a„.ss> ...„„uu.9u.,sas........... or Graf von Wangenheim
Gemalt auf Elfenbein von Hein-
rid) Anton Dabling. Befiter: Frb.
v. Wangenheim: Wale, Eldenburg
tätig waren — verwedjeln
tónnte, aber im ganzen ges
leben, erreidt König dod
nirgends die Meilterfchaft
des anderen. Da wo er höfiſch
elegant fein will, wirfen jeine
Miniaturen fteif und inner:
lid) Hohl — wie man es auf
dem bier wiedergegebenen
Ctüd mit dem Bilde des
Prinzen Auguft Wilhelm, des
Bruders Friedrichs des Bro:
Be deutlich erfennt. Beffer
inb jeinebürgerlichen Minia—
turen, die oft einen genre:
haften Zug haben und gern
den Arzt, den Kaufmann in
dem bielem eigenen Berufs»
milieu zeigen.
Bon dem Polen Jannaſch,
Dellen Hier wiedergegebene
Miniatur einer braunlodigen
jungen Dame [Hon 1914 in
Darmitadt auffiel, weiß man
leider noch zu wenig. Er ijt
in Den neunziger Jahren des
18. Jahrhunderts in Sam:
burg nachweisbar. Möglich,
dak in Hamburger Befig nod)
zahlreiche Arbeiten feiner
Hand vorhanden find, Die
eine erjtaunliche Entdedung
wären, wenn ein Rüdichlu
SSCSSSSSSSSSSSSSsesesseeseeeseesese E)
SSSSSSSSSSSSSTSESESSESSEHESEE SESE ECE
Wiener Dame. (1832) Gemalt von Adolf Theer A d —
— EE Beſiher: €. O. $. Biermann, Bremen ceeececccccceeel VON dieſer einen Miniatur
fesecsccl Bildnisminiaturen aus niederſächſiſchem Privatbefit 503
“.......„....:.„....—
-.....n.......n..n...:.n00nsnss25# A AAA AAA AAA AAA AAA —, 111114 co cnn. .....n..... vc. .OÓO AS. %..
*.66%- gg 4458000000000 000
auf bie übrigen Werte feiner Hand —
iſt. Als deutſch würde man dieſe Miniatur
ſchwerlich anſprechen. Franzöſiſcher Einfluß
iſt unverkennbar, und auch die Dargeſtellte
dürfte ihre Wiege eher in Polen als in
Deutſchland — ſicher nicht in DES —
eje haben. Aber abgejehen von Ddiejer
Feft telung jdjeint das Bildnis wie ber legte
Austlang bes Rofofo, ber Übergang ins
Zeitalter bes Nationalismus und ber Auf:
tlárung.
Das find freilich nur wenige Proben aus
einer Wusftellung, die viele hundert Minia-
turen aus niederſächſiſchem Privatbeliz erft-
Charlotte Kejtner geb. Buff. Wabhrfcheinlich gemalt von Job. Chr. Aug. Shwark
Bejigerin: Frau Obertonfiftorialrat p. Berger, Hannover cecccccccccccccccccsccece
malig ans Licht 308 und deren Bedeutung
für bie Gejchichte ber beutjd)en Miniatur
erft dann vo — iſt, wenn dem Bei—
ſpiel Hannovers folgend auch andere Städte
das örtlich begrenzte Gebiet abtaſten und
anſchaulich machen.
In Hannover lebte als Gattin bes Hofrats
Jobann Chrijtian Rejtner Charlotte, geb.
Buff, Werthers unjterbliche Lotte aus Web:
lar. Ein feltener Fund der hier nur in großen
igen zu würdigenden Miniaturenausſtellung
rachte ein bisher völlig unbekannt geblie—
benes Paſtellbildnis jener Lotte an die
Öffentlichkeit, bas aud) bann, wenn bie Dar:
504 Prof. Dr. Georg Biermann: Bildnisminiaturen aus niederjächliichem Privatbefib
Ida, Fürftin zu Schaumburg:Lippe. Gemalt
auf Elfenbein von Wilhelm Unger. Befiger:
S. D. der Fürjt zu Schaumburg: Lippe
gejtellte einen weniger berühmten und
feinen durd Goethe geheiligten Namen
trüge, tiinftlerijd) ein wundervolles Do:
tument jenes zu Unrecht verachteten
deutjchen Runitfleißes bes 18. Jahrhun—
derts wäre. In dem Antliß Diejer
Des hat fid) das Zeitalter der Emp-
ndjamfeit em lebtes jpätes Denkmal
gejegt. Ein Hauch wehmutsvoller ver:
glommener £etben|djajt zittert über bem
fein profilierten Geficht. Hoheit und an=
mutige Würde find ganz im Goethejchen
Braunlodige, junge Dame. Gemalt von Jannafd) 1795
Befiber: Geh. Kommerzienrat ©. Seligmann, Hannover
Geift über der Erjcheinung Lottens aus:
gebreitet. Das Bildnis, wirklich eine Ent-
Dedung, bie alle Freunde ber Kunft und Lite-
ratur gleichmäßig fejleln muß, ift höchſtwahr—
icheinlich bas Werf jenes befannten Braun-
ibweiger Bajtellmalers Johann Cbriftian
Sdwark, dejjen Arbeiten einem nod) heute jo
zablreid) neben denjenigen feines ebenfalls
auf biejem Gebiet bejonbers bewährten Rol:
legen Johann Heinrich Schroeder überall
in den mitteldeutichen Fürſtenſchlöſſern be:
gegnen.
Die Hannover|dhe Austellung hat mit aller
Deutlidfeit dargetan, wieviel heute mod) in
Deutichland an entlegenen Orten unbeadtet
verborgen ruht, namentlid) im Befig des alten
höfiſchen Adels, der meijt gar nicht weiß, was
ererbtes Runftgut im Sinne unjerer modernen
Zeiten wert ilt.
Die Miniatur aber, deren Gejdhichte Die
Weinhandler Johann Gottlob Böttger
Gemalt von $. Elajen 1803
Beliger: Senator Dr. Mertens, Hannover
friibeften Anfänge menjdjlider Kunft-
betätigung jtreitt, gehört zu jenen
Zweigen alten Erbes, die erjt unver:
hältnismäßig |pät wieder zu Geltung
und Beabtung gefommen find. Wah-
T rend man in Deutjchland jowohl in den
= Kreijen der Sammler als auc in ben
Diujeen die Blüten franzöſiſch-eng—
Didier Mliniaturmalerei heißhungrig
pilüdte, dachte niemand daran, dak
diejes fo unjagbar wichtige Dokument
der Gelinnung einer Zeit auch bei
uns einmal bejtand, daß viele Hun:
dert fleiBige Meifter aud) in deutſchen
Städten und an deutjchen Füritenhöfen
am Werte waren, in ber Miniatur
ein lebendiges Bild der Gejelljdaft
und ihrer Sitten auf die Nachwelt zu
vererben!
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or HE udigm
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Semer. getroffen, Tlingenb gerfprurgt.
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Bert en gue weichen
KS t Ge a — = Se i M
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Frau E Hipp tebte n» gr einen Pro
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Me „Ira, Fring: v, Etnumol mußt. bugs
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grobe Fahrt go 9fujtralieu, Es tann dn
ré Diner ober Drei, Da fonn tb Dod) `
Sei AUi nicht allein. Talfen, benn fie bat feine `
Bermanbten, Und in der Bar Tanı fie nicht `
vielen Wilöre, pie fie trinfen muB, Das mußt `
daß id) bie Tilt in Verwahrung gebe, bis i
‚helfe mit großen, gebrdumnten $
Winger ihe
weidh er
fonnte: ¿Du mapt bod) einjeben, Trina
Shipp, “bab ich toren andern auf Der Erde -
de mili lieber andertrauen Hi Ta als bir.
ans deinem Mann, „Natürlich ah ich
5 Haft unb Vogis
fan rina bewegte Damm den Kopf Bin
wad, Hei.
56 jelben Augenblid lam ein großer,
Beie Mann in Die a imb i irat
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fig. „Mita mem de
fant, als mo e Dun a
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dede E Sid — E in Spier bet `
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Jo, mie ba, Senf, tina cx y
up fag a. ift es:
tie, iS Der er ber ver |
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Be von iste, wenn wie Sonne ont G ber
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; stuchvede lag; unb fagte einbeinglic, | ERU DONE
bie. bie Hand EE, SCH "Ties mS mp bed. na des | | yi
s on d e Pu doch einiehen, Da habe id dern gedacht
o ie ` Ex; data
f "wieder ba bit, ‚als Schenimasniell: ober mas -
"br fonit Für fie zu tun habt,“ Er umichmeis
506 ELSSSSoosoosesssy] Kurt Kühler: Be22232232332323323223
in den roten Sonnenjchein, |o daß breit ein
Schatten quer über den runden Tijd fiel.
Schwer fühlte Trina, wer hinter ihr ftand,
und jah deutlich das bartloje, mürrijche Ge:
fidt unb bie tiefe, [Hwarze falte, die fent:
recht zwilchen dichten Nugenbrauen Durch
die Stirn lief bis ins ergrauende Haar. Cie
bog die Schultern nad) vorn unb jenfte ben
roltroten Kopf, als läge plößlich jchwere
Bürde auf ihrem Naden.
Der Mann, mit einem mißtrauifchen Blid
zu dem Diatrofen hinüber, fagte verdrojjen:
„rau, fino die Flaldjen ge|pült? Ift ber
Rum abgezogen?“
grau Trina erhob fid) mit einer angit:
vollen unb jcheuen Bewegung, ftand eine
Cefunbe lang unentidieden zwijchen den
beiden Männern, dann wandte fie den Blid
zu Heini Stoner und fagte leije, ein wenig
traurig: „Das mit deiner Braut, mußt
bu mit Hinrich ausmaden. Was mid
betrifft, fannft bu [ie uns gern ins Haus
bringen.“
Cie wandte fid) um und ging hinaus,
ein wenig müde, den Kopf auf die hohe
Schulter geneigt, und ftieg in Den Seller.
88
Sie ftanden auf dem gelben Strand von
Svelgónne, Frau Schüpp und Fräulein
Miindel, gwijden ihnen fdwer und breit
der Scheniwirt, und jahen bie ‚Syriederife
Moermann', wie fie mit drei vollgetafelten
Majten, einem weißbeſchwingten Vogel gleich,
ftromabwárts ſchwamm, dem eijengrauen
Himmel entgegen, ber mit grünjpanfarbener
Kante die weitgedehnte Mündung der Elbe
beriibrte. Achtern, vor dem dreiedigen Ba:
gienenjegel, Honn duntel ein aufrechter Strich;
das war Der Matroje Stoner, der in Die
Südfee und nad) Auftralien fuhr.
„Wenn ihn man bloß nicht ein Haifilch
wegldnappt," ſeufzte Tili Diündel und bob
ein gterlidjes Batijttüchlein zu den feucht:
blauen Augen, die der große, dunfelblaue
Strohhut weich beichattete.
„Rab man,” jagte Trina Schüpp langjam,
„er wird fid) [Hon vorjeben.”
Der Schentwirt Hinrid Schüpp [Hob den
dampfenden Bröjel aus der rechten in Die
linte Mundede, blinzelte mit veriniffenen
Augen über Tillis olivgrünen Seidenmantel,
der weih und verräteriih vollendete
Cdjantbeit umfing, und fagte mit trode:
nem Ladeln: „Wenn Gie [id man in:
zwilchen nicht felber von einem Haifiſch
fapern [ajjen, Fräulein.”
Mit hellaufbligendem Laden drehte fid)
das Fräulein aus der Tridjterbar auf den
hohen Abjägen ihrer zierlihen Laditiefel
berum, fo daß es im Sande fnirichte, [its
telte den Kopf und zeigte den blendenden
Strid) ihrer jpikigen Eed „I tann febr
treu feim.”
Der große, breite Schentwitt lachte derb.
„Das wollen wir hoffen,“ jagte Trina
Ship Get und langjam mit einem Pund,
der fid) faum öffnete, und löfte den großen
. rifur.
und traurigen Blid ſchwer von dem fd)malen
Cdjatten[tridj, ber immer dünner wurde vor
dem weißgebaujchten Bagienenjegel.
88
BE
Es famen graue und regnerildhe Herbit:
tage. Tili Mündels brennend blonder Kopf
flog Tag um Tag durd die Dämmerung
der feinen Cdjente am Meberg wie ein
golb|prüDenber Paradiesvogel durch lidhts
bungriges Urwalddunfel. Abends, wenn bie
eleftrijd)en Lichter in ber Wirtsjtube brannten,
entzúdte fie alle Janmaaten, deren teine
und jdarfe Seemannsaugen nicht zur Ruhe
famen, wenn fie mit Dampfenden Grogs auf
blantem Ytideltablett durd bie Cdjenfitube
glitt, behende und jchmiegfam in der feidenen
Weidhheit ihres lichtblauen Kleides, bas junge,
duftende Gefiht ewig heiter unter dem
frauen Wunderbau der gelbfunfelnden
Hinrih Schüpp hatte fic) nicht vers
rechnet, als er dem Matroſen Heini Gtoyer
nad) gründlicher sa m verjprad, das
Heine {Fraulein aus ber — während
ber langen Giidjeefahrt in Verwahrung zu
nehmen. Die Gajte famen in Haufen. Sieben
Gteuerleute vom Ridmers verlegten ihren
Stammtijd vom Fährhaus nad der Heinen
Sdenfe am Meßberg. Der ausgediente
Kapitän Hendrik von der Hapag, in Pellen
tlginen, Haren Iltisaugen ununterbrochen
Erinnerungen an rätjelvolle Abenteuer unter
der Gonne des Südens zu funfeln fchienen,
ließ jid) täglich, wenn er auf feinem Mor:
genfpaziergang am Meßberg vorbeifam, von
Lillis |djlanfen Fingern einen Bomeranzen:
codtail milchen, einen für fic), einen für
Fraulein Tilli, genau wie in der Trichterbar.
Und ber Heuerbaas Samuel Wittop aus
ber Admiralitätsitraße, ein fleiner, magerer
Herr mit flabsblonder Perüde, ein wenig
Ihief auf [pigem Schädel, legte einen frijden
Kragen an und neue Roden, wenn er
einmal in der Mode in Die Wirtsftube fam,
um, von Tilli bedient, jein Quintett zu er»
ledigen, wie er Die — feiner Ge:
tränte nannte: einen Kümmel, ein Glas
Bier, ein Blas Burgunder, einen Bataviagrog
und einen Whistyfhot. Gie verdarb es mit
feinem. Jeden lachte fie an, mit ihrem die
lautlofen Laden, bas ben Blig der Zähne
zeigte. Gie erwiderte jeden Blid, hei wie
er fam. Ein jeder durfte, wenn er ge
wajdene Hände hatte und aud fonft ma»
nierlid) war, ihre weiche, gerundete Hüfte
beflopfen, einen Herzichlag lang, wenn fie
das Glas auf ben Tijd) ftellte.
SHinrid) Shipp jak hinter der Tonbant
und madte Rajje. Geine breiten Schultern
rubten unbeweglich auf mächtigem Körper.
Nur die graugrünlichen Augen wanderten
unermiidlid) dem brennenden Blond nad,
das fid) funtelnd bin und Der bewegte im
blauwogenden Tabafsraud der Luft.
„Berdammt!“ murmelte er manchmal,
wenn er einen Haufen Geld in Die mering:
beichlagene Kafjenrige ber Tonbant ſcho
„Berdammt, es wäre wahrhaftig nicht übel,
SE SS In der Schente am Mehberg EZ ZZ 507
wenn in ber Südſee ein Hat den Heini
Gtoyer wegibnappen wollte.“
Bron Trina fam nur dann aus der Küche
in die Schentjtube, wenn fie für einen bung:
rigen Gaft ein Schintenbrot ober Knackwurſt
mit Rartoffeljalat zurechtgemacht hatte. Dann
tand fie mit hart geldjlojjenem Mund und
hwer eeng Augen [till Hinter ber
Zonbanf und wartete, bis Tilli ihr das Ge:
[hirr aus der Hand nahm. Jedesmal wollte
D bem rajden Mädchen einen Namen zus
úftern, mabnend und —— doch
immer, ehe das Wort über die Lippen kam,
war Tilli ſchon wieder unter den Gäſten.
In der Küche ſaß ſie dumpf grübelnd auf
einem Stuhl, dunkles und verworrenes Gefühl
ſchwer und unruhig auf dem Grunde ihres
Herzens.
Zuweilen kamen Briefe von Heini Stoyer.
Der erſte aus Liſſabon, der zweite aus Port
Said, ein anderer aus Kolombo. Am Schluß
unter dem Namenszug war ſtets zu leſen:
E bie Schüpps und bleibe brav. Der
ige.“
Tilli las lahend vor, was er [djrieb,
Morte der Liebe, ftammelnde Worte der
Gehnjudt. Trina Schüpp [Haute groß und
ftumm in bie Ferne, unb es war oft, als
wogte Dumpfes und verworrenes Befühl and
in der Tiefe bes entrüdten Blids, bald füß,
bald magad,
Cines Abends, eine halbe Stunde nad)
Mitternabt, als fein Gaft mehr in ber
dente war und das Mädchen auf Zehen:
Jpigen vor bem langen Edjpiegel mit anmutig
bewegten Fingern ihrer Frilur eine neue
und funjtvolle Form zu geben verjuchte,
richtete (id) rou Trina, bie vor ber Ton:
bant auf den Knien lag und den Linoleum:
belag jauberte, pliglid) auf, laufchte eine
Getunbe nach oben, wo unter Hinrichs fchwer
fid) Drehendem Körper die Bettftatt Frachte,
und fagte rajch zu Tilli hinüber: ,Rannft
du das wirklich verantworten, Tilli, vor dir
und deinem Bräutigam?”
Tili fuhr herum, die Hände nod) vers
graben in Duft und Farbe der Frifur, eine
blaue Stahlnadel zwijchen den Zähnen. Auf
den gebogenen Armen, unter blaugeipannter
Geide bebte ein feines Mtusfelfpiel. Unter
der Dede brannte nur nod) eine einzige
eleftrijche Birne, aber Frau Trina jab bod),
wie blag das Mädchen geworden war.
„Wie meinft du das?“
„Wie du mit den Männern umfpringjft.“
Tili nahm die blaue Nadel aus den
Zähnen, warf den Kopf in den Naden und
fragte fühl: „Kann mir irgend jemand
etwas nadjagen ?^
Trina Schüpps Augen wurden ftarr. Wie:
ber |pürte fte Dumpfe, ungewijje Angft. Cie
jchüttelte den Kopf und fagte tonlos: „Nein.“
„Na aljo.” Gie jchwieg eine Weile, bann
jagte fie leidjtbin, bie dunfelroten Kippen
ein wenig fraus: „Wenn ich Abfichten hätte,
wär’ id) in der Bar geblieben, Ta gibt's
andere Ravaliere als bei euch.“
Die Frau entgegrtete leije und bewegte
befiimmert den Kopf: „Heini Stoyer würde
fih nicht freuen, wenn er bid) fo Jähe.“
Tili hatte ein beftiges Wort auf den
Rippen. Dod als fic die kleine Frau Schüpp
jab, wie fie auf den Knien lag, hilflos, mit
müdem Mund und dunflen Augen unter
ber zarten, von der Wucht bes Haares fait
erdrüdten Stirn, die Schulter traurig ges
wölbt, erfaßte fie ein weiches, unrubiges
Gefühl. Gie fagte langjam und hatte vor
träumenden — das ſtrahlende Knaben:
antlig ihres Bräutigams: „Ich glaube,
Trina Schüpp, bu benf[t zuviel an Heini
Stoner.“ -
„Nein,“ rief fie gequält, beugte fih über
ihre Arbeit und fah nicht, wie glänzende
Tropfen |djmer in das Tuch fielen, das ihre
Hände hart umframpften.
Tili feufzte. Dann warf fie den Kopf
zurüd. „Ach mas."
Cie madjte fih daran, bie Stühle auf bie
Tiihe zu jeben. CEs ging geräufchvoller
dabei zu als fonjt.
a]
8
An einem Commertag, ber bie gebred)
lihen, an Feuchtigkeit und Nebel gewöhnten
Häujer am Hafen in die Vollfommenbeit
jeltener Klarheit bettete, fam ein Brief von
Heini Gtoyer aus Palermo. Es war frü
am Morgen. Tilli hinter dem Gent
wujd) Glajer. Mit feuchten Fingern, Die
Armel hod) aufgetrempelt, nahm fie dem
Poftboten den Brief aus der Hand, riB ihn
mit einer Haarnadel auf und las ihn gliihend.
Frau Trina pußte bie Fenfter. Sinrid jab
im Rofbaarjofa und frúbitúdte.
„Dentt euch, er [^ auf ber Fahrt nad)
Hamburg! In vier Wochen ijt er ba."
Frau Trina fuhr herum, ließ das feuchte
Putzleder finten und ftarrte zu Tilli hinüber,
die aufgeregt vorlas: „Wir haben Havarie
gehabt und tónnen die Reife nad) Wuftralien
nicht risfieren. Aber bis Hamburg [dleppt
[i die ,Friederite Woermann‘ [Hon durch,
wenn uns bloß bie Bisfaya in Ruhe läkt.
Menſch, Tilli, Herzensihaß, ich freu’ mich
auf bie Hod)zeit wie ein Stint! Denn wir
jeilen uns gleid) an, wenn id) wieder in
Hamburg bin.“
„ein, was?” (Cie ftand, bie weidgerun:
deten Arme in bie Hüften geftemmt, im
^ ftrablenben Morgen wie in einer Moge von
Helligteit.
Hinrich lahte breit mit fauendem Mund.
Dann wurde er plóblíd) ftill, jchludte das
Ctüd Brot hinunter und blidte ftier, mit
ftedjend auffladernden Augen zu der leud:
tenden Tilli hinüber, bie ihn funfelnd anjab.
Der grünlidje Blid bes Schenfwirts faugte
fid) in das leichte Beben ihrer Schultern,
die mädchenhaft fic) in die dünne Bluje
\hmiegten. Frau Trina jah den grabenden
Blid ihres Mannes. Cie dadte: ‚Er ift
wütend, daß Heini fic thm aus dem Bejchäft
nimmt.‘ Dod) dann erjchraf fie heftig, denn
fie erfannte in feinen unrubigen Augen den
508 ESS== SS) Hurt Kühler: Eeer
Hunger nad) dem jungen Weib, das erregt
und blühend hinter dem Schenttiſch fih
affte. Gie wollte etwas fagen, Dod) fie
iblte, daß ihre Stimme zerbrechen würde,
. wandte jid) um und fuhr mit bem Bubleder
Ihwer und langjam über die Scheibe,
obwohl bas Glas lángft blouf und jauber
war.
Als Frau Trina gegen Abend bie Keller:
treppe hinunterjtieg, um für einen Gaft eine
Flaſche Rheinwein heraufzuholen, blieb fie
plóBítd) ftehen, da jie Geräujche hörte aus
dem Dunfel, bas ſchwarz und breiig unter
thr lag: ein ee in rajden Yltemzügen
er|tidenbes Laden und das hitige Flijtern
ihres Mannes. Cie laujdjte reglos, ben
Kopf vorgeitredt. Nur ihre Knie zitterten
BR repen gegen den Rod.
Warum brennt fein Licht im Keller?‘
dachte fie. Da hörte fic einen Aufjchrei und
dann Gerdujde wie von rajh und raubend
——— Küſſen, ein rauhes, erregtes
ännerlachen, ein Klirren, wie wenn Fla—
ſchen ſtürzen. Zwei Sekunden ſpäter, mit
rare Biegjamteit, glitt Tilt Mün-
del aus der Finfternis. Gie jd)rie auf, als
ie Frau Trina jab, bie ftarr auf ber Treppe
tand, blieb einen Augenblid erjchroden fteben,
ann flog fie die Stufen hinauf, an Trina
vorbei, mit dem bajtigen Ruf: „Das Licht
war uns ausgegangen.“
Im Keller entzündete fid) eine Flamme,
die blaB bas Duntel zerteilte. Der Gent:
wirt, groß und fantig, vom jchwachen Licht
unſicher umjpült, dudte jid), hodte jchwer
vor einem mächtigen Rotweinjah und griff
in bie Flaſchen, bie umgejtürzt auf dem Fuß—
boden lagen.
Frau Trina ls bas alles unſicher und
bump. Cie mußte jid) nieberjeben und fab
auf der Treppenjtufe, die Augen griiblerijd
auf den breiten Rüden des Mannes gebannt,
über Dem bie Rundfante bes Rotweinfajjes
(id bog wie der Rahmen eines ſchwarzen
Tors. Gie fror unter der feuchten Luft, die
fühl aus dem Keller herausjiieg. Schwer
im Schoß rubten die Hände. Gte fap wie
betäubt. In der Tiefe ftritten Gedanten
und vi rcm Das Blut in ihren Schläfen
flopfte ſchwer. Grol war in ihr, der jid)
duntel hob und fentte, nicht gegen den Dann,
der fie betrog, nicht gegen das Mädchen,
das mit leichtfertigem Blut durd) ihr Leben
jprang, fondern er galt dem unbegreiflichen
djiidjal, das den [trablenben Watrojen
Heini Stoyer einer Frau in die Arme trieb,
die feine Treue fannte und ihre Solle wahl»
los austeilte, wie jie jedem ihre ſüßen Ge:
tránte mijdte, ber in der Bar von Gantt
Pauli auf hohem Hoder fie angelächelt hatte.
Sie ftöhnte unter einer Welle von Zorn,
bie Jchmerzhaft Durd ihr Blut fprang, Durch
ihr ftrómendes Blut, das jelber noch jung
und cr war.
Der Mann unten im Keller drehte fih
um, blidte erftaunt hinauf zur Frau und
fragte, mürrijd) eine halbgefüllte Flaſche in
der Hand: „Menj, Trina, was tuft bu
denn da?“
Cie blidte an ihm vorbei bis zur licht»
bejpiilten Rellerwand, bie wie ein Mogen
von Nebel war und jagte und wußte taum,
daß fie es fprad: „Ich muß an Heini Stoner
denten, der auf ber ,Friederife Moermann'
zur Hochzeit fährt wie in fein Ungliid.”
Der Viann blidte fie eine Werle ftumm
an, dann [djüttelte er den Kopf, lachte
ipóttijd) und fagte, während er bie Flajde
SN den Zapfhahn bradjte: „Spöten»
teter.“
88 8
In einer Septembernacht, die blank und
flar war wie Stahl, glitt die ‚Friederike
Woermannm in Schlepp eines Lotſendampfers
in den Segelſchiffhafen. Dunkel und hoch
ſtrichen die abgetatelten Maſten durch das
funkelnde Feld der Sterne.
Zwei Stunden nach Mitternacht betrat
der Matroſe Heini Stoyer die Schenke am
Meßberg. Die letzten Gäſte, rotweinduf—
tende Gteuerleute vom ,Rosmos‘, ſchwankten
jelig an ihm vorbei in die warme und
flare Gommernadt.
„Tag aujammen!^ jchrie er nod) unter
der Tür und jcehwang feine Müße. Die La:
terne über dem Eingang jchoß gelbes Feuer
in fein dichtes, braunes Haar. Tilli |d)rie
hell auf. Sie hatte nod) das Glas Rotwein
in der Hand, das die beiden Kosmosleute
ihr einge|djenft hatten. Nun berübrte es
tlingend den Tijd). Cie [Hnellte vom Sofa
und flog durch bie Stube dem Bräutigam
um den Hals. „Dunnerjlag!“ fnurrte Sino
rid) und e: fih Ichwer aus ber Ede des
Roßhaarjofas. Frau Trina hinter dem
Schenktiſch beim Glajerwajdhen wurde fo
bleidj, dag ihr roftrotes Haar über der wei»
Ben, [Món gewölbten Stirn doppelt duntel
erjdjien. !
„Menſch!“ rief Tili Dell zwiſchen ¿wet
wilden Külfen, „weshalb haft du fein Tele
gramm gejdidt, aus Kuxhaven?“
„Selbertonmen ift beffer!“ Heini Stoyer
lachte, ließ feine blau angeſtrichene Seemanns»
tifte zu Boden gleiten, |d)ritt breitbeinig, ben
linten Arm auf Tillis Hüften durd Die
Mirtsftube, jchüttelte über den Sdhenftijd
hinweg Frau Trinas fleine, feuchte Hand
unb dann die Prante, bie Hinrich ibm ents
gegen[tredte. Bald jaßen jie alle um den
runden Tilh, das Brautpaar auf dem
Ihwarzen Sofa, und vor ihnen in Grog:
gläjern funtelte Burgunder. Cs ging auf
drei. Heini Stoner prablte mit Abenteuern
aus Kolombo und Ralitut und warf malend
jeine braungebadenen Hände in die Luft,
wenn er fie nicht gerade auf Tillis Schul:
tern hatte.
Unvermittelt fragte Tili: ,Bift bu mir
treu gewejen ?"
Heini Stover blidte fie eine Sekunde groß
an, dann lachte er überlaut. „Menſch, wenn
man zu Haufe fo etwas hat wie bid)! Jn
Bombay weißt du, da waren zwei braune
eeh In der Schenfe
indijde Frauenzimmer, mit blaufchwarzen
aaren und funtelnden Raubtierangen höl—
Did Hinter mir ber. Als id) unter einem
Granatapfelbaum jählief und von deinen
fleinen ſüßen Händen träumte, fibelten fie
mid) mit weichen iyebern aus Paradies:
vogeljhweifen. Ws id) anfwadte und
die Hindumadden mit ihren Jchwarzen
aeg er jah, brüllte ich fie an wie ein
iger, fo daß fie mit ihren blanfen brau-
nen Beinen freilhend davonrannten und
topbeifter verichwanden im Palmenwalb.”
Er lahte jcehallend. „Berdammt, ihr fwar:
ges Haar bligte wie Bunferfohle in der
onne.” ,
Hinrich Schüpps Laden Hang fnurrenb
und bóobnijd. illi Hatjchte in die Hände.
rau Trina, ihr Glas zwifchen reglofen
ingern, blidte ftumm in Heini Gtoyers
ammend erregtes Geſicht.
Da rief der Matroje: „Und mit deiner
Treue? Heraus damit, Tillt, wie ftebt es
mit der?”
Sie lahte in feinen herausfordernd ges
öffneten Mund. „Treu wie Gold, bas fannijt
du mir glauben!“
Dabei warf fie den Kopf in ben Naden,
daB gelbglánzende Blumen aufiprojjen im
blonden Dicdicht ihres Haarcs.
Da beugte rau Trina den Kopf weit
vor und fagte langlam, ganz blab um Die
Najenflügel: „Das ijt nicht wahr.“
b it beftigem Rud warf Tili den Kopf
erum.
Eine Weile war es totenftill in ber Stube.
Eine nadtlide Barkafje draußen im Baaten:
hafen gerfnatterte mit eiligem Motor bie
ichlummernde Macht. Heini Stoner mit er:
jtarrendem Blid jab, wie Frau Trinas
duntel gewordene Augen |djmer von Tilt
zum Schentwirt wanderten.
Da ftieg ibm das Blut dunfelrot in die
Stirn. Dann jchlug er, die Schultern wild
egen Hinrich vorftoßend, bie Fault auf den
D . „Verdammt, du!”
„Es ift nicht wahr,“ ſchrie Tili. „Er hat
mid) gefüpt, er, unten im Keller.“
Hinrich lachte Géck er jeBte die Tot:
weinflajche, aus der er fic) ein Glas hatte
re wollen, Tnallend auf ben Tijd,
erhob fih jchwerfällig und fnurrte: „Dori
dimm! ... wenn’s ungemiitlid) wird, ver:
[affe id) das Lofal.”
Breitbeinig |d)ritt er durch den Raum.
Die Tür —— ihm fiel krachend ins Schloß.
Sie ſaßen ſekundenlang ſtumm um die
MWachstuchdede. Die Unterlippe bes Via:
trojen bing nad) unten und zitterte, In feinen
grauen Augen war ein erjchrodener und uns
ruhiger Glanz. Mit unjicherer Hand wehrte er
Tilli, bte ihn [iebfojenb bedrángte, und griff
ſchwer nad) bem Handgelenf Trina Schüpps.
ES=3333S333341 509
. „Heraus mit ber Wahrheit!“
Tilt begann zu weinen.
Frau Trina wollte |predjen. Gie wollte
ihm jagen, dumpf getrieben von dem duntel
aufwogenden Gefühl, daß er Diejes junge
Meib nicht zur Frau nehmen durfte, wenn
er nicht unglüdlid) werden wollte für fein
ganzes Reben. Nie würde fie ihm gehören
ónnen, wie ein Weib dem Mann gehören
muß, der fie zur SC nimmt. Das alles
wollte fie jagen. Doch ihre Lippen waren
jo ftarr und die Flucht ihrer Gedanken fo
wirt, das fie fein Wort herausbringen fonnte.
Hilflos fap fie am Tijd), und ihre Augen,
die ig verjchleierten, gingen verzweifelt
durch Srre und Duntelbeit. E
Als Tili fie fo jab, ſtieg unbekanntes Ge⸗
bl in ihr auf, und ein Erſchauern umflog
an Schultern. Gie griff nad) der Hand bes
atrojen unb fagte unruhig, fajt ohne Be:
wußtjein: „Laß jie.
es iit Eiferjucht.“
Der Miatroje, jeltjam betroffen, hob den
Ropf ein wenig und jab, wie das Bejicht
Trinas voll zu ihm hingewendet war, reglos,
[wer und |dmerglid) im Bann eines Ges
fühls, das wie unendliche Liebe und Gehns
juht war. Plöglich fiel thm ein, wie fie
beide miteinander gejpielt batten, als jie
nod) Kinder waren, im engen, felten von
Sonne beichienenen Hof, hinter bem düftern
Haus, wie fie unter einem Zelt aus zerrijs
penen Tüchern gejdlafen hatten, das er für
ie beide gebaut hatte. Mann und Frau in
träumender Unjchuld, bie Heinen Hände vers
Ihlungen, Wange an Wange, auf die weichen
Beräufche ihres Atems laufchend wie auf
einen fernen, unbetannten Belang. Wie
eine Woge lief es durch fein Blut, duntel
unb hod. Wie er fie nun am Tijd figen
jah, das blajje Gelicht zur rechten Schulter
geneigt, als wollte es ftd), von Traurigkeit
elite ef müde auf weichem Hügel betten,
fühlte er ungewiB und traurig, daß fie thn
liebte. Gie blidte thn groß und fehnjüchtig
an, und ihre Geele empfing zitternd eine
Melle ftarten Gefiibls, das m aus feiner
Bruft Lotte, ,
Da j|pürte er die Hand Tillis, bie bes
hutjam fein Knie [treidjelte, Er wandte
den Kopf langjam zu ihr bin und jab ihre
Augen, die ein ungewobnter Glanz feucht
und warm füllte, und er fagte in Die
Stille hinein, feine Lippen ihrem funfelns
den Haar nábernd und den fiigen Eos
jpürend, bem er béi willig ergab: „Un
wenn fie die Wahrheit gejagt hätte, ich fann
nicht laffen von Dir.”
rau Trina fenfte tief den Kopf. Die
panne lagen im Schoß, ftumm und blag.
ränen fielen hinein unb glitten über bie
Haut wie graue Perlen. i
am Mefberg
Sd) glaube...ja...
>
Nervos
Bon Dr. med. Carl Braunwarth
DXX OX OX OOO OO II III nn
Irre S gibt nicht viel Begriffe, die, je
INS nadjbem man fie auffaßt, weniger
SS ye jagen ober auch jchwerer wiegen
SI als das Wort „nervös“ — das
= jo oft vor bem Arete —
los wird, weil die vermeintliche Nervoſität
auf falſcher Vorſtellung beruht und vor der
ärztlichen Aufklärung verfliegt wie die Spreu
im Winde.
Und doch iſt es nicht nur für den Arzt
zum Beſten ſeiner Kranken ſehr notwendig,
die Grundlage dieſer Nervoſität zu erkennen,
ſondern aud für Juriften, Geiftlihe unb
Erzieher. Mancher Miſſetäter läuft frei herum
und begeht aus lauter „Nervofität” immer
neue Schandtaten, und monder fibt Hinter
Schloß und Riegel und gehörte ins Irren—
haus. Bei vielen Kindern wird bie Unge-
ogenbeit fürmlich gezüchtet und [heut man
Lé vor Gtrafe, weil das Kind, ad), jo „ner:
pis” ijt, und viele werden blau und grün
gejdlagen ober mit Spott und Hohn über:
gojjen, wo Mitleid am Plage ware.
ábrend im allgemeinen das Wort „ners
vis” nod) für ganz ver|djiebenartig zu be:
urteilende Sujtánbe gebraucht wird, hat bie
Wiſſenſchaft den Begriff mehr und mehr ein:
geengt und zunächſt feitgeitellt, daß eine
Gruppe auf Organfranfhetten beruht. Eine
andere Art nervöjer Zujtinde ijt im Gegens
jag hierzu Jicher nicht in fórperlidjer Er:
trantung begründet, jondern rein im Mor:
ftellungsleben, alfo feelijd) bedingt. Won
einer dritten Gruppe fennt man zwar Die
Urjadhe und Art der Störung nod nicht,
bod) ift nad) dem ganzen Berlauf anzuneh:
men, daß fie ebenfalls | tórperlidjen frant:
haften Vorgängen beruht, ohne daß wir
dieje [Hon nachweijen tónnten.
Das Bild der landláiufigen Nervofität
wechjelt nicht nur bet per|d)iebenen Men—
Iden, fondern bei ein und bemielben in
bunter Folge. Manchmal glaubt man einen
ana anderen Menjchen vor jid) zu jehen, fo
Paben leine Bejchwerden, fo bat fein ganzes
Befinden gewechlelt. Bei einem anderen ijt
die Nervolität wie eine Hydra, bei der
immer neue AME wadjen, wenn man pue
[id einen abgejichlagen bat, Da gibt es
„Nervöſe“, bie können wie bie Dtenjchen ber
SRenaillance weinen über ein Gedicht und
feiner Fliege was zuleide tun und bod) falten
Blutes einen Widerjacher opfern, ja töten.
Und Peer Gynt-Naturen gibt es, die nur
in Bhantafien leben, in geijtreichelnder e
ftapelet fic) als Prophet fühlen, und in
unbeimlidjer Gewijjenlofigteit Das Leben
und felbft den Tod meijtern. Ein anderer
„Nervöjer“ möchte am liebften fic) und
bie Welt vergiften, und ba ibm zu beidem
Mut und Möglichkeit fehlen, poltert er
bald über die Cdjledjtigleit der Welt im
allgemeinen, bald weint er über feine eigene
Unzulänglichfeit im bejonderen. Und dabei
it er ein fleißiger, gejchäßter Arbeiter, ber
voll und ganz jeinen Dann ftellt und dem
die Welt gar nichts getan hat. Wieder ein
anderer aber fiebt alles rot in rot, möchte
und fann angeblich alles und Ieijtet nichts,
ift aber immer vevgniigter Stimmung, progt
mit feiner Tatfraft, jo unjfrudtbar fie iit,
und |dimpft auf die Unzulänglichkeit ber ans
deren, die ihre Erfolge nur weiß Gott welcher
Ungerechtigkeit verdanken. Noch einer hat
Meinen und Laden in einem Sädchen, wie
ein Kind, ſchafft auBerorbentlidje Werte,
wenn er muß, und bringt nichts ¿uftande,
fid) felbft überlajjen.
Viele Ctarrfópje rennen bewußt in ihr
Unglüd, bloß weil ihre bejjere Einficht von
dem Zuftande ihrer Nerven unterdrüdt wird,
und find jelbjt unglüdlid) darüber. Und
mander Nervenihwädhling weint über jede
riibrjelige Gejchichte zu feinem eigenen Jrger.
Der eine zittert aus Nervolität an allen Glies
dern, der andere ftottert, wieder ein anderer
zählt awangsmäßig bie Fenfter bes Haufes
gegenüber oder die Treppenftufen oder rennt
um Brieffaften zurüd, um zu jeben, ob der
rief nicht nebenher gefallen ift, den er ges
rade eingeworfen hatte. Unter den all:
gemeinen Begriff „Nervofität“ rechnen ferner
das Gefichtszuden, die verjdiedenen Arten
von Angſt wie Plaßangit, Menichenichen,
Angft vor der Polizei trog tadellojem Staats:
bürgertum ujw. Lähmungen Tonnen nervös
fein und Stummbeit wie Taubheit, leichte
Erregbarteit wie Phlegma, Berftopfung wie
Durdfall, Salaflofigteit und Schlafſucht,
Erjhwerung und CErleidterung des Ge:
bantenablaujs, Krämpfe, Exaltiertheit, Apa:
thie, Enthufiasmiertheit und Banaujentum,
Pedanterte und allzu großzügigeleranlagung,
e tae Unter: und Úbererregbarteit,
Ifobolismuis und Abjtinenz, übergroße Pier
tät wie Lieblofigfeit und alle möglichen Gee
genjäglichfeiten und jonjtigen Ericheinungen,
die alle und genauer aufzuführen —
iſt und auch gar nicht angebracht. Es liegt
ſonſt die Gefahr vor, daß an manchem ners
vos veranlagten Lefer einzelne der Krant:
heitsbilder in die Erjcheinung treten. Denn
es ijt ein Zeichen von „Nervojität“, daß fid)
leicht irgendwelche franthaften Symptome,
die man gelejen, gehört oder gejehen bat,
einitellen. DE glauben fajt alle Medizin»
ftudenten im Laufe ihres Studiums —
alle Krankheiten nacheinander zu haben, die
ſie ſehen und die ihnen vorgetragen werden.
Man kann ſo gut wie alle äußeren at
von Krankheit fozufagen nachäffen. a,
mehr nod, fie tann auch die Krankheiten
Dr. med. Carl Braunwarth: Nervös BSSsssssd 511
jelbft begiinftigen. Go ijt es eine befannte
Erjdeinung, Daß man eine Krankheit, die
man fürdjet und von der man viel redet,
auch leicht befommt.
— — und Übertreibung ijt rein
nad) den äußeren Erjcheinungsformen bes
tradtet, bas eine Mertmal der „Nervojis
tat”. Ein anderes Merfmal ijt ber jábe
Medjel: Da fommt einer abgejpannt und
verärgert nad) Hauje, nahdem er womög-
lid) don während der vorhergehenden Nad)t
na geihlafen Hatte. Cr glaubt vor
fibigfett. umſinken zu müffen und hat nicht
einmal Appetit. Da befommt er irgendeine
erfreuliche Nachricht, und alle Müdigkeit ijt
verjhwunden, und in freudigiter Stimmung
tann er nod) eine zweite Nacht durchwachen.
Leichter nod) jchlägt feine gehobene Stim:
mung ins Gegenteil um. Aud jonft ijt der
leichte Wechjel ber nervöjen Symptome eine
häufige Ericheinung. Heute find es Be:
brüdtbeit und bleierner Cdjaf, morgen
Schmerzen, dann Herzbeſchwerden, Angjt:
zujtände ujw.
Manhem Lefer wird aufgefallen fein,
daß viele ber genannten, oft als „nervös“
angelprochenen Erjdeinungen mit bem Cha:
rafter zujammenhängen. Jn der Tat geht
aud) eine ärztliche Schule foweit, zu be:
haupten, alle Nervofitát (im, wie [pater
ezeigt, [tart eingeengten Begriff) fet ſozu—
aes ftart betonte Charafterveranlagung.
Wir werden fpdter jehen, daß dieje Auf:
fajjung viel Richtiges bat.
Wenn wir nun zu den willenjchaftlich er:
forjdten inneren Mr spen Dellen, was ſchlecht—
bin met als „nervös“ bezeichnet wird, über:
eben, jo find zunächſt drei Ergebnilje ber
Going von grundlegender Bedeutung:
ie Zatladje ber fogenannten inneren Ab:
jcheidung, die Abhängigkeit ,nervójer” Stö—
rungen von Gehirn: und Riidenmartsfranfs
SCH und der mit auf die Welt en
eranlagung, und ſchließlich die Miöglichkeit
rein auf faljden Borftelungen berubender
tranthajfter Lebensáuferung. Die erftere be:
ruht: Darauf, daß wohl alle briijigen Organe
Des Körpers auger dem Gafte, den fie nad)
außen abjcheiden (wie die Leber bie Galle,
bie Munddrüjen ben Gpeichel, die Bauch»
jpeicheldrüje einen WBerdauungsjaft ujw.),
aud) einen Stoff erzeugen, ber ins Blut
übergeht. Mit diejem verbreitet er fich im
ganzen Körper und gelangt damit aud zu
en Nerven und dem Gebirn, auf Die er
in gang beftimmter Weile einwirft. Go
reagiert 3. B. bas Nerveniyitem von Mens
[den mit franfhaft arbeitender Schilddrüſe
ganz anders als bas eines Menjchen mit
DEE Organ. Die Mrt der veränderten
eaftionsfabigfett hängt ab von der Art
ber Grfrantung bes Organs, je nachdem ob
zu viel oder zu wenig bes jpezifiichen Gaftes
abgejondert wird: Das Nerveniyitem eines
Menſchen, bejjen Schilddriije zu ftart funt-
tioniert, reagiert leichter auf Reize, arbeitet
fogujagen auch zu viel, fo daß der gejamte
Stoffwedjelumjak, ber ja nur durd Ver:
mittlung bes Mervenjyftents aujtanbe fonumt,
teils zu rajd, teils zu ftart vor jid) geht.
Daher find joldhe Menſchen met mager,
ſchwitzen leicht, alle ihre Funktionen, bejon:
ders die Verdauung und bie Herztätigfeit,
find bejdleunigt. Geijtig find fie jehr reg:
jam, leicht reigbar ujw. Umgekehrt find
Krante mit verminderter Schilodrüjenfunfs
tion geijtig träge, was bis zur Idiotie gehen
tann; fórperlid) neigen fie zum Fettanlag ujw.
Ferner find viele nervöje Störungen von
nadweisbaren Grfranfungen des Gehirns,
Riidenmarfs und der Nerven abhängig.
Um bieles zu verftehen, muß man jid) vers
gegenwärtigen, daß Gehirn, Riidenmarf und
Nerven ein zujammenhängendes Gyjtem
bilden, derart, daß Gehirn und Riidenmart
ineinander übergehen und alle Nerven von
dem einen ber beiden ihren Urjprung neb:
men. Denn jeder Nerv ijt ber Fortjaß einer
im Riidenmart oder e elegenen Zelle.
Allein für jid, aljo ohne 3ujammenbang
mit jenen, geht jeder Nerv zugrunde Er
hat allo n nur feiner pee gl jondern
aud) feine Jtahrquelle in jenen. Es ijt ba:
nad) far, daß jid) nicht nur Erkrankungen
der Nerven Jelbit, jondern auch des Rüden:
marfs und Gehirns in frantbajter Funktion
der Nerven äußern, wie fih Krankheiten
einer ftilenden Mutter aud) oft an bem
Kinde äußern, bas von ihr abhängig iit.
So Tonnen allo Gehirn: und Riidenmartss
tranfheiten fid unter dem Bilde einfacher
„Nervofität“ verfteden, wie jid) Störungen
auf einem Telephon: ober Telegraphenamt
auch an den Leitungen und —— und
Aufnahmeſtellen bemerkbar machen. Solchen
aber ſind die Nerven mit ihren Endorganen
in der Haut und den übrigen Sinnesorganen
vergleichbar.
Aber nicht nur im ſpäteren Leben er—
worbene Krankheiten, ſondern auch die mit
auf die Welt gebrachte verſchiedene Veran—
lagung, die 3. T. auf verjdiedengradige Mus:
bildung der einzelnen Gehirn: oder Riicens
marfsteile oder auch der Nerven und der
erwähnten Driijen zurüdzuführen find, Tom:
nen Gr|djeinungen hervorrufen, die vielfach
als nervös angejprochen werden. Denn
wie der Körper feine Organe hat, bie vers
[dieben gut angelegt und entwidelt fein
tónnen, fo Bat aud) unjere Seele jozujagen
ihre Organe, Fähigkeiten genannt, bie ver:
[hieden gut angelegt fein können. Auch die
Drüfen mit innerer Abjcheidung fönnen von
Geburt an verjchieden gut entwidelt und
angelegt fein, und fo verwidelt fih die Urs
¡ade mancher Iervofitát nod) mehr. Wie
es Menſchen gibt mit fehlenden oder ſchwach
entwidelten Gliedern und Organen, jo gibt
es welche mit ſchwachen Nerven und ſchwach
entwidelten oder gar fehlenden Anlagen.
Es ijf befannt, daß manche Menſchen bes
fondere Talente auf einzelnen Gebieten zeigen
unb auf anderen jehr jchwer lernen. Genau
jo ijt es auf fittlihfem Gebiet. Und die
512 EoesSssscesessey Dr. med. Carl Sraunwarth: Wees
Nerven mancher Menfchen reagieren außer»
ordentlich viel leichter auf diejelben Reize als
die anderer, Vielfach bezeichnet man Wrens
Iden, denen irgendeine Begabung fehlt, fei
es auf finnlidem, fittlidem oder fonftigem
geiftigen Gebiet, als „geiltig mindermertig”.
ies ift in feiner Berallgemeinerung auf den
ganzen Menſchen durchaus verfehrt. Nicht
der Menſch ijt geijtig minderwertig, fonder nur
eine oder Die andere Fabigfeit. Im ganzen
genommen tann er fogar geijtig ftart „höher:
wertig” fein. Dies fommt einem aud) auf
Beobabtungsftationen auf Beiltes: und Jer:
venfranfheiten dauernd zum Bewußtjein.
Und betrachten wir das ganze Heer unjerer
Künftler, Staatsmänner, Dichter ujw., bie
Pirgte nicht ausgenommen: cine überrajchend
grobe Zahl rechnet zu den angeblich „geiltig
inderwertigen”; fie haben ihre Schrullen,
Eigenheiten und Unfábigteiten, und felbft
Goethe und Bismard verlieren unter ber
ploditatrijden Lupe ihre Vollkommenheit.
Die per|djtebene Veranlagung findet fih
auch oft auf denjelben (Gebieten, je nad) Ur:
jahe. Co find oft die bei gewijjen Urjaden
* und energieloſeſten Nervenſchwächlinge
ei anderen Urſachen von erſtaunlicher Zähig—
keit. Da regen ſich viele bei oft ganz ge—
ringfügigen Anläſſen auf und in ſehr ge—
fährlichen Lagen ſind ſie völlig ruhig. Aus
Liebe werden manche zu Verbrechern wie zu
Helden, die ſonſt weder zu dem einen noch
dem anderen Veranlagung hatten, weil die
Hemmungen jeitens ber RNerven verſagten.
Und daß vielfach ganz gegenjablide Ver:
anlagungen bet ein und demjelben bet Aus»
eet: ber Nerventätigkeit febr ftart in
ie Erſcheinung treten können, ijt eine alltág:
liche Erjheinung: nahe beieinander wohnen
Liebe und Haß, Heldentum und Feigheit,
Größe unb Laderlidfeit und fonftige Gegen:
jäglichleiten bet vielen, die ihre Nerven nicht
im Baum haben. Bet vielen wohnen jo zwei
Geelen in einer Bruft.
Vererbung und Erziehung (in weiteftem
Sinne gefaßt) beftimmen allein den Wiens
Iden, Gerade auf nervójem Gebiete ijt die
Tragil ber Vererbung wie die Bedeutung
der Erziehung weittragend wie auf feinem
anderen Gebiete, fo weittragend, daß ftreng
enommen nur joIdje Menjchen Kinder zeugen
ollten, bie, fórperlid) und geijtig gejund, jid)
ihrer Pflicht als Erzieher bewußt find und
— bie Fähigkeit dazu haben. Die Kinder:
eiweg: jollte mit Rüdliht auf die Vers
erbung mit der Gelbiterziehung der Eltern
beginnen, indem diefe alles unterlaffen, was
bie Entwidlung der Kinder ungünftig be:
einflujjen finnte und in allem fo leben, daß
die Kinder an ihnen das volltommenjte Bei:
ipiel haben.
Cs ift [bon erwähnt, daß viele anjchei-
nenden und angeblichen ,nervójen” Sym:
ptome im Gbaratter und der Veranlagung
begründet find. Dies tritt Jhon beim Kind
in bie Ericheinung. Wenn die Veranlagung
jebr ftart ausgejproden ijt, [o madt das
Rind oft einen „nervöjen“ Eindrud. Die
nervöjen Zeichen äußern fih entweder mehr
in der Art bes ſanguiniſchen ober dolerijden,
melandjolildjen ober phlegmatijden Charat:
ters. Gahe der Eltern und Erzieher ijt es,
ba zu dämpfen und zu zügeln, dort zu
weden und anzuregen. Man darf nie die
Kinder von der eigenen Veranlagung aus
beurteilen oder erziehen wollen, jondern von
ihrer. Manches Kind ijt febr ungeduldig,
wenn es nicht rechtzeitig feine ah e oder
bie Bruft befommt, was fic im reien
äußert, unb gibt aud) fonft unverkennbar
tráftige Willensmeinungen von fi. Andere
find im Gegenja dazu auffallend ruhig und
geduldig. Die erftere Art von Kindern gilt
vielfach als „nervös“, troßdem es [id) nur
um bie erjten Anzeichen ihres künfti
janguinijden Temperamentes handelt; Die
legteren gelten als ec „brav“ und
find in vielen Fällen |páter geiftig träge
und von Temperament pblegmatijd — Ers
jheinungen, die vielfach aud wieder als
„nervös“ ange|prodjen werden. Auch im
Ipáteren Alter ift eine Unterjcheidung zwi»
ien Temperament und „Nervofität“ oft
u^ möglich.
uch wird eine Veranlagung, die noch
als Ausfluß des Charakters angeſprochen
werden muß, oft erft in ſpäterem Ulter aus»
gejprodjen „nervös“, zeigt aber immer nod)
bie nrjpriüinglidjen Eharattermertmale, Dr
diejem alle famen Gründe dazu, bie bie
Veranlagung in ber ihr einmal gegebenen
Richtung verftärkten, |o dağ fie lie lich
einen wirklich frankthaften Eindrud machen,
indem der betreffende Träger dann in der
einen oder anderen NWichtung nicht mehr
Herr feiner Nerven e Golde Gründe find
zunächſt einmal: vielleicht eine gewijje Ab»
nußung, dann aber aid) irgendeine innere
Swielpáltigteit. Da fieht einer, daß er trog
aller Arbeit jein Ziel nicht erreicht, dort
reichen bie Mittel nicht, um leben zu Zonen,
wie man möchte; bei einem anderen find es
ebelidje Zerwürfnilje und bei wieder einem
anderen irgendein anderer Gegenjat gwijden
Erftrebtem und Erreichtem oder Können, und
Wollen.
Der legte Gegenlaß Ka uns auf eine
vielfad) angejchuldigte Urſache: bie liber
arbeitung. An und für fic ijt Überarbeitung
ewiß ein Grund für nervöje Erjchöpfung.
Wher allen, die ihre Nervolität auf fibers
arbeitung zurückführen, fet es gejagt, daß fie
als alleinige Urjache nervöjer e KK Jo
außerordentlich felten ift, dab fie profi
laum in Frage fommt. Es fol damit nicht
gejagt werden, daß man ungeftraft fein Leben
lang ein reines YWrbeitstier fein Tonne und
jole ohne Erholung und andere Anregung.
Im Gegenteil find ſolche zur Borbeugung
und Erhaltung eines langen Lebens unbe:
dingt notwendig. Es ijt aber eritaunlich,
wieviel der Menſch, und jeder Menſch, leiften
tann, wenn er in einer thm zujagenden, feinen
yábigleiten entjprechenden, erfolgreichen
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Das Goethehaus in Weimar,
von der Uderwand aus gejehen
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mn & Ste Hace | * Sat. SS? * Bb.
dë DEE — Va holaa Se EE
SE la: pida at Bewegung, menn.
| bensweile gesmüngen if,
für deniers f erlie Ruhe, wenn feine |
Tatigteit eine ile. tórpertide i
t in ber Mebeit, ſondern
Parit. bab mentgitens einer Der. ‚eben ges
-nannten Amftänte, fehlt: Meiſt find es aber
mehrere for Sc Unt dazu führten vielfad aus
: Suede viel arbeiten müjfen, um ans.
| [iss | Me — au erhalten, ihrem t
! Té ext ift e mie. Steel, `
Tee, — ns n, umb gönnen ihrem
oo Stárper. nicht die. Së Rube, Oder andere
o ehen Temen Erfolg, Pen fa ber Virbeit
Dëst genae. ta, alles
mitände, pie
[Pas Schäblirhe ber „logenanntenr über
arema, verurja aer, Go gut wie nie ifi
és on Sie Arbeit an unb für N ME
Das Tonn jeder and”
| anjen verſcc wunden it, menm
| an rengende. Arbeit i ren verkienten "otn
| betomnt, enia bon, taf wenig
ER Urbeit mit — ander di conis weit |
- unb me Jr nad vas:
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co Buie und „talte Sünde — warmes Herz”
Si gu Gemüt) bride vas Sprihwert der
. Sesiehungen ` Aiden Biutverteilung und
. Bemälsberfaflung ous. Wlan frage unnore
der Mo deme Madibarn, was eme Wendel:
id mas lompatt fel, umb hie mteijten `
treppen
a — ihre Ertlärung ‚mit einer enifprechen»
‚ben: Nod Und nod an einem |
et ef mag die Bedeutung viejer `
mtefttäiden Belip
H D ämgi teit Des D perli nbens von `
i Em bem Gein n daa iin
iR Dargetan werben: Ap.
es Menjdjen, bie geben um neun Uhr.
` "99 Seth, liegen darin bis wieder nenti ober
kn) gar Les N und Pen. bi noch gwei
DU oetan pnimen zum Misté nna
UE CH en über r Guat, e be (GËT befteht, `
2S ha ie oft mad) würben tind mergens wie
ur Men Denen fan man muc ente
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Zeiten ausgeleht wirtden, die Die
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An der erffew Bett erfolgte, oder gar mehrere
Arzte & ejns an ine i ecumbettorten, wo
E fick natürlich — denn bie xoenigiten un
ünner Pies willen — ber ST fell, Dag
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müfe was. faputt in, wie man. Auf
ët ` fe. Inbitna ‚oder. beier un
Ex e Annahme unterhielt dann bit (Eve
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heinungen ener. Gin weiteres Beil J
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jt Dies: Remand leidet lange Zeit pidor
‚an einem langwierigen Magenleiden, Mehr⸗
ud mufite er jhon Diätfehler ober leichte S
Bfüblnngen mit: Rerihlimmerung hüben. `
Sneak miro er immer üneftlicher, amtet
Torafaltia at, fi und vermeidet Tieber eine
mög Ai Schäplichteit. guviel,
meanſches permeiden,. was rm
teftitellen, —
mdjting wird er manies an fid)
was ibm früher nicht aufgefallen war — < ———
bünbem mar — nnb — DEREN
‚wird. ee deshalb als frantbak ewerten.
Dam er fanm ja nicht willen, ob die Go —
Jropbem es genou fogo
Torna. mod normal ig ober mit, Über
wher Hr er, um enblid fern Leiden losHis 5 s
heilt dice gome — 0
bent Arontheitsneriditer if Mor
— geworben, ber jebe feine ` o,
werben, jü vor] dig. So f
Bus, uber ans
gin
heitsgemöß amb edi bis tynt anfiebt:
‚er at aum. EECH anten" geworpen:
D
Kit
her — fann wirkuch wot EE
bedingte Qunénen 0 070
olhe SE ve per. fonder. mitti Hs EA
Geer .uübegrüsbeb o
— — eis Ge
‚aber ohne SC E
bie Haznrette = =
«Temen oder gar. jet tod haben unb. Ce oe
Reaktion = Pe
So mid er ` Im
> utente:
‚wäre, limb burd) die pois SCENE SE
unbe amie ober unangenehme rſch ` AE
zuerſt abſichtlich und tert. ipäter Bob ANS
514 Dr. med. Carl Braunwarth: Nervös
Weld) große Rolle jpielen bie Gewohnheit
und bie Guggejtion! Wenn man monate:
lang fein Mittagsichläfchen gehalten bat, fo
wird man täglich zur bejtimmten Zeit müde,
ob mit ober ohne wirtlihen Grund zur
Müdigkeit; ber Magen verlangt aur ge:
wohnten Zeit fein gewohntes Mah an Fiils
lung, ob der Körper Bedarf an Nahrung
bat oder nicht; zur Gewohnheit wird uns
Das ganze Leben, und Bewohntes vermijjen,
madjt uns trant.
Und gar die Suggeftion! Man tann ohne
Übertreibung fagen, daß bie Lebensáupe:
rungen zur Hälfte körperlicher Natur find,
zu einem Siertel Gewohnheit und zum
anderen Biertel auf Guggeftion beruhen,
Suggejlion begründet die ganze Mtode, den
grópten Teil aller Kunſt- unb jonjtigen Be:
eilterung, und ein gut Teil unjerer an:
Pheinend jo höchſt perjonliden Lebensan=
Ihauungen. Die Guggejtion ijt die mádjtigite
Beherricherin der Maſſen, die Triebfraft und
Erklärung für jo manches Verbrechen und
jo mandes Sjelbentum, ja die Grundlage
unjerer Erziehung und fajt unjerer ganzen
Lebensführung. Denn was ijt Suggeftion ?
Gie ijt Erwedung von Gefühlen fettens des
Guggerierenden bei einem Menjchen mit
eingeengter Rritif. Mer fritiflos die Mode
mitmadt, wird von der Sucht, immer „mo:
bern" zu fein, fo beberr|djt, daß er alles
ohne Rritif ſchön findet, was die Mode bringt.
Wer in einem Konzert, einem Vortrag, einem
Theaterjtüd in Begeilterung gerät, in dem
erwedt das Gebórte oder aud) der Beifall
jeiner Umgebung |o mächtig jeine Gefühle,
daß feine Rritil gunddjt jdweigt. Der
Diplomat, Politifer und Demagoge nubt
mehr ober weniger gejdjidt eine Gemiits-
ftimmung aus, engt fo die Rritil ein, um
eine feinen Zweden förderliche Entichließung
oder Tat zu erzielen. Wie mit magnetijcher
Kraft ziehen Ideale wie irdiſche Güter an,
verblenden oft bie normale Geiltesverfaj:
jung und lajjen den einen zum Helden, den
- andern zum Berbreder werden.
Alles, was in unjerem Unterbewußtfein
lebt, tann gelegentlid) gewedt werden.
Go fann auch bei jedem Menſchen bie
Erinnerung an irgendein Leiden, von dem
er jemals jah oder hörte, aus feinem
Unterbewußtjein durd eine Gelegenbeits:
urjadje auftauchen, aber faft immer gefäljcht
und verzerrt und in faljcher Beziehung. Mer
nie von Rückenmarksſchwindſucht hörte oder
las, tann jid) nie „einbilden“, er hätte eine.
Wer aber je überhaupt etwas von Krant-
beit erfuhr, ijt nie ficher, daß aus feinem
Unterbewußtjein heraus jid) nicht ber Ge:
dante fejtjegt, an einem Leiden erkrankt zu
fein, Dellen Symptome, wenn aud nod) jo
entfernt, Ahnlichkeit haben mit bem Gebórten
oder Gejehenen. Denn fein Menjd fann
genau alle Symptome aller Krankheiten
tennen, joweit ijt fein Arzt durchgebildet.
Ja, bie Tragif oder Komödie will es, daß
gerade die Ärzte und Krantenpflegerinnen
EE
der faljdjen Deutung Durch ihr Unterbewußt:
jein gujammen mit ber Suggeftion ziemlich
ftart ausgejebt find und einen großen Anteil
zu den ,eingebilbet" Rranfen Pellen. weil
lie den größten Vorrat Krankheitsbilder im
Unterbewußtjein mit jich ne
Ziele Gntjtebungsart pjydijder, oft aber
als phyliih angejprodener Leiden bildet
das ejen ber fogenannten „Hyſterie“.
Dies Si an und für [id) ein ganz unmög:
SC ort, und zwar in |pradjlidjer wie
inhaltlicher lg f. Es ift abgeleitet von
dem griedijden Wort ,hysterra'', was auf
beut|d) bie Gebärmutter bedeutet. Es be:
deutet aljo etwas, was mit der Gebärmutter
aufammenbángt. Wie faljch bas ijt, bat der
Krieg zur Genüge bewiejen, ber vielleicht
mehr „hyſteriſche“ Männer ans Tageslicht
gebradt bat, als es jeither Frauen mit jener
iagnoje gegeben hat. Vian bradjte wohl
einft bte Krankheit mit bem genannten Organ
in Verbindung, weil man fie bejonders
häufig bei älteren Tungfrauen Re
glaubte. Wir wijjen aber heute, daß der
ältere Sjunggelelle — ob mit oder ohne
nn te athe — wie bie verheiratete Frau
und der verheiratete Mann ebenjo Hyfterijch
jein und werden-fónnen. Wenn ein Fünf:
chen Richtiges an jener vermeintlichen Felt:
itellung ijt, fo bódftens dies: daß man
bei älteren Jungfrauen vielleicht bejonders
häufig ein inbaltlofes, zwedlojes Leben an=
trifft — und viel weniger häufig, als die
moderne Literatur annimmt, jexuelle Unbe:
friedigtbeit.
Es Tann nidt genug betont werden —
und damit fommen wir zum Abjchnitt „Be=
Ren ber Nervolität” — Daß jexuelle
nthaltjamfeit an unb für jid) nod) feinem
Menſchen etwas geldjabet hat. Was viele
Abftinente „hyſteriſch“ macht, ijt ein innerer
wielpalt. Wellen Phantafte dauernd durch
djaujtellungen, Leftiire, Unterhaltung und
Grübeln angeregt wird und wer nicht für ge»
nügend Ablentung und genügend Gtoff:
wechſelumſatz durd) Bewegung jorgt, der wird
ein Spielball feiner Ginnlidjfeit. Es tft un:
verzeiblid) von einer gewij en Richtung der
modernen Forihung, dak immer nur im bie
Welt hinauspojaunt wird, daß der Menſch das
bódjftentmidelte (ja oft nicht einmal bieles)
Tier, und alles an ihm PRIM Funktion
und mithin auch ſein Sexualtrieb ein Dod
natürlicher Antrieb zur Ableitung gebildeter
Stoffe Jet. Darüber wird ganz verjchwiegen,
wie hochgradig der Trieb abgeſchwächt, ja
ausgegliden werden fann burd) bie innere
fittliche Stellung des Menjen Dazu, durch
feine Meltauifafjuna, durch tórperlime Be:
tátigungen. Uber davon weiß diefe „wiſſen⸗
ida Wée: Richtung in ihrer Ginjeitigteit
und Aurzlichtigfeit nichts oder will nichts
wiſſen. enn wenn man ſieht, wie ſogar
der Film in den jener einſeitigen
„Aufklärung“ geſtellt wird, ſo kann man
ſich eines gewiſſen Verdachtes nicht erwehren.
Das eben Ausgeführte gibt zuſammen
HEEE R. M. Schiller:
mit bem über die Grundlage nervöfer Leiden
Gejagten auch einen Hinweis auf die einzi
richtige Behandlung „Nervöſer“. Zunädlt
gilt es feitzuitellen, ob die „Nervofität“ rein
ſeeliſch ijt, oder ob ihr etwa eine körperliche
Griranfumg von Gehirn ober Riidenmart,
oder ber Driijen mit innerer Abfcheidung
oder etwa eine fehlerhafte angeborene An:
(age zugrunde legt. In manchen der letzteren
Fälle fann man burg Meditamente oder fons
ftige ärztliche Behandlung belfend eingreifen.
Syene Feltitellung fann aber nur Sade eines
erfahrenen Arztes fein. Ift es aber eine
Ertrantung jeelijdjer Natur, fo tritt Die
törperlich wirfende Behandlung ganz in ben
intergrund. Man wird ihrer nicht entraten
Ünnen, denn die Bejchwerden der Patienten
äußern jid) ja vorzugsweije körperlich, und
man muß oft bas ganze NRüjtzeug nerven:
ärztliher Sunft zu Hilfe nehmen, um die
törperlichen Bejchwerden infoweit zu lindern,
daß die Hauptbehandlung, die nur feelijd
fein fann, überhaupt erft wirken fann. Uber
es wäre Pfufchwert, an einem feeliich Ner-
vöjen bloß mit Elektrizität und Mittelchen
ee ohne die Urjache ne
e) eine faljde Borjtellung, eine faljde
Anſicht im Gehirn wirft aber fein Brom
und fein Morphium, jonbern einzig und allein
Richtigitellung jener faljchen ſeeliſchen Gin:
ftellung. Biele Fehler werden hier nod von
Yirgten gemacht, was Diagnofe anlangt, aber
sehr nod) von der Unvernunft der guten
Bene und Verwandten und der ganzen
aienwelt. Eine faljche Borftellung, eine
falige Mteinung tann nur dadurch bejeitigt
werden, daß man die Überzeugung von der
$Berfebrtbeit beibringt. Und mit der Urjache
werden aud) bie Wirkungen verjchwinden.
Wenn alfo ein Arzt fid) in diefer Richtung
bemüht, jet es durch Mort oder ——
ewiſſer oft nicht ganz angenehmer Mittel,
fo darf ibm nicht feine Arbeit baburd) er:
ichwert werden, dak in bem Kranten von
anderer Geite wieder bie faljdje Vorftellung
perjtárft wird. Und wenn die ärztliche Be-
handlung darauf hinzielt, den Kranten dazu
fu erziehen, gewille Bejchwerden zu vernad)s
áffigen, ihnen feine Beabtung zu denten,
jo darf nicht die Umgebung ibn bedauern
und bemitleiben, weil dadurch eine faljche
Borjtelung ja nur bejtárft wird. Im Gegen-
teil muß die Umgebung des Kranten vers
Erftes Begegnen ES333332339 515
jtandig mitwirfen mit dem Arzt. Tas ih
ür alle Beteiligten jehr jdjmer. Denn mei
iit ber Krante derart von der forperlidjen
Art feines Leidens überzeugt, baB er es oft
als eine Beleidigung empfindet, fie ihm aus:
reden zu wollen, und man darf als Arzt
wie als Menſch es nod) faum wagen, jemand
au jagen: „Sie find Hyiterijch“, trogdem dies
eine Ertrantung ijt, genau wie eine Rungen:
entzündung. Und gar die Behandlung, die
—— auf die mannigfaltigen Be—
ſchwerden, deren Unbegründetheit ja bar:
getan werden ſoll, wenig Rückſicht nehmen
darf, gibt oft den Anlaß zu Vorwürfen über
Liebloſigkeit und Härte. Und es liegt eine
ewiſſe Tragik darin, daß ſo viele ſolcher
tranten niht geſund werden können, weil
die Angehörigen nicht die nötige „liebevolle
Strenge und Vernachläſſigung“ aufbringen
tónnen. Entweder find fie zu liebevoll und
beftárten dDadurd den Kranten in feiner
falihen Vorftellung, oder zu rüdjichtslos und
dë und ziehen fih Dadurch Vorwürfe oder
eindjchaft zu. Oft ift dann ber Arzt ge:
gwungen, als fozufagen leßtes Mittel Die
Sypnoje anzuwenden, was nur gejdeben
jollte, wenn bie anderen Mittel weniger
uten Erfolg verjpreden ober aus obigen
chwierigen Verbáltniffen. Denn fie will bem
Kranten in feinem Zujtand der gefteigerten
Guggeftionsfabigteit bie Überzeugung beis
bringen, daß feine Leiden nur feeliide feiten.
Cie nubt zu diejem Zwede bie Suggeftion
aus, bringt in der Hypnoje den Kranten zu.
der Tätigkeit, die er n leiften zu Tonnen
vermeint, oder beruhigt Aufregungszuftände
und nugt dann den Zuftand der erhöhten
Guggeltionsfähigfeit aus, um ihm jogujagen
bie Grundlojigfeit feiner Annahme nachzu—
weijen.
Bertrauen zum Arzt ijt alfo die Grund:
bedingung der Heilung. Wenn der Krante
von vornherein bem Arzt nicht glaubt, ijt
all deffen Mühe vergeblih. Befteht aber
das Vertrauen, dann gibt gerade die pſychiſche
Beeinflufjung — und niht bloß die Hypnoje
— mit bie jchönften Heilerfolge. Tyreilich
muß ber Krante eifrig mithelfen, fremden
Einflüffen fein Ohr verjchließen und den
Mut haben, gejunb zu werden. Daran fehlt
es aber oft. Die Behandlung jpielt hinüber in
das Gebiet ber Selbiterziehung und jo in
das der Vorbeugung nervöfer Leiden.
Ototototototototetotc S A E se
Erftes Begegnen. Von Karl Martin Schiller
Aufjubelte Mufik. Dein Arm
Berührte meinen im 6ewühl:
Da läutete mein ferz Alarm
Wie eine Glocke im Geftühl.
Umfonft! Es ftand von Tor zu Tor
Die ganze Seele bald in Brand.
Oft kommft du mir im Traum nod) por
Mit einer Fackel in der Hand.
OOOO OOOO 0/00 0 00 ee 0'900 00'000) 0 00 900,000 0,0000 © ee 0 +;
g4*
Dom Schreibtifch und aus der Werlſtatt
ADAGIO
Deutihe Kunſtabende
Non Geh. Regierungsrat Dr. Wilhelm Scellberg
E ee e e
poro) m veriloffenen Winter [huf Brofeffor
: Dr. Hermann Reih eine E das
Runjtleben Berlins wie für das
deutjche Geiftesleben höchſt fórders
fide, aufunftsreidje Einrichtung:
bie deutjchen Runftabende, bie von einer
immer zahlreicher werdenden Gemeinde eben»
jo freudig begrüßt wurden wie von Der
Kritik.
Dieſe Kunſtabende, deren Darbietungen
die Aufmerkſamkeit weiteſter Kreiſe verdienen,
ſind erwachſen aus der Arbeitsgemeinſchaft
für vergleichende Literaturgeſchichte, bie Hers
mann Reih im Mai vorigen Jabres huf.
In Ddiejer Arbeitsgemeinjchaft jammelte fich
{hnel bie von jchöpferiichem Drang bewegte
Jugend der Berliner Univerfitát: klaſſiſche
Philologen und Germaniften, Angliften unb
Romaniſten, Studierende ber Theaterwijjen:
[haften wie DEG? Dramaturgen und
junge Dichter. Unter fie warf ber Leiter
en Gedanken ber deutſchen Runjtabende.
Gie vg ee ihn mit Begeijterung auf und
tellten fortan alle freie Zeit, die ihnen blieb,
reudig in den Dienft des |djonen Unter:
nehmens. Die Begeilterung und Weihe, die
s aus Den großen Werfen unjerer deutjchen
titeratur gejchöpft batten, hei wieder bin:
ausjtrablen in die Herzen zahlreicher Männer,
Frauen und der heranreifenden Jugend. In
chwerer Zeit jollten dieje Abende der Deuts
den Geele Troft und Gtártung bringen.
Hermann Reihs Ruf als Gelehrter und
Dichter verbürgte das Gelingen des Unter:
nebmens, dem bald zahlreiche Perjönlich-
leiten aus den Rreijen des Minifteriums für
Wiſſenſchaft, Kunſt und Voltsbildung, der
Univerlität, der Lehrerjchaft, der Runft,
Literatur und Preſſe als fördernde Mit-
lieder beitraten. Um befte Runft bei billig:
Ken Preijen bieten und die teuren Diietjále
meiden zu können, ficherte fid) Profeſſor Reid)
ben Feſtſaal bes Franzöſiſchen Gymnafiums
und des Wilhelms: Gymnaljiums.
Wm 20. November ward ber erfte „deutſche
&un|tabenb" eröffnet. Balladen unb Schwänte
brachte er, gejprochen von Ferdinand Gregori
(Seut|djes Theater). Alle Pláge waren
lange vor der Eröffnung bejett, und nod)
immer ftrómten neue Scharen herbei, Die
notdürftig nur untergebrad)t werden konnten.
Eine geiftig hochſtehende Zuhörerichaft war
vereint, wie man fie jelten beijammen
fiebt. In beadhtenswerten Ausführungen
wandte (id) Hermann Reih an bie Verjam:
melten:
„Sie find Bier erjchienen, um die hohen
Werke deutjcher Dichtung zu hören und Ihre
Herzen zu erheben und fröhlich zu machen.
Ihre Stimmung ift feftlid) und erwartungss»
vol. Und dod ſchlummert auf bem Grunde
unjerer aller Herzen Trauer, Sorge, Not
und Qual. Cie fommen vom Bußtage ber
und jchreiten hinüber zum Totenfonntag, und
niemals wurden in Deutjchland jo viele beige
Tränen geweint, Tränen um alle Toten des
Krieges, Tränen um Deutſchlands Schmad)
und Not, um alles verlorene Land und But,
verloren felber Kleid und Brot. — Gie war
[o ſchwer, die deutjche Klage. Die [d)retenbjte
Gefahr aber ijt, daß in zehrender Not un:
lere Seele ftirbt, unjres Voltes Seele — erft
dann wären wir verloren ganz und gar.
„Es gibt ein piel be|prodjenes Bud) vom
Untergang bes Whendlandes. Da wird unter
cheinbarer Wiffenjchaftlichkeit, mit ber Driene
es allweijen Arztes am Bette eines tob:
Fronten Patienten vorgerechnet, daß bie
fauftilhe Seele alt geworden jet und nun
eben fterben mülje, wie die Geelen früherer
Kulturen gejtorben find. Unfer Vorzug fei,
diefem Gterben, d. h. unjerem eigenen fee:
Iden Sterben mit hellem, gelajjenem Bes
wußtjein zuzufchauen. Welche müde, übers
fluge Mersheit | Nein, bie faujtijde Seele
wird niht fterben und am wenigiten bie
deutjche Seele. Gerade die hillijcde Not, die
heute wütet, bie ſchwachen Seelen nimmt fie
hinweg ins Nirwana, aber die ftarten, glut=
vollen Geelen wird fie nod) ftárter machen
und Den neuen höheren Geelenmenjchen
Ihaffen. Glauben wir feft an die diony:
Wide Macht der Dinde, der Braut Dionyjos
des Erlöjers, jo wird fie uns beglüden und
befreien. Wir juchen das Land der Geele.
Su ibm weijen uns die Großen unjerer
beutjden Dichtung den [teilen Meg, fie tras
gen die Schlüjjel zu ihm in ewigen Händen.
„Nein, wir wollen nicht fa und müde
die Hände in den Schoß legen und er:
geben den Geelentod erwarten, aud) nicht im
wilden Tanz, im irren Ginnentaumel, im
Mohnblumentraum des Morphiums unjerm
Untergang entgegenrajen. Wir folgen den
lichten Heroen unferer beutjden Dichtung
e ziehen froh unb feierlich ins 9teid) ber
eele —
„Und wenn un|re Armut fo groß ges
worden ijt, daß den Geijtigen fih heute die
Theater mit ihren unbezahlbaren Preijen pers
Ichließen, wenn hohe Runjt und gute Bücher
unerjchwinglich werden, jo bitten wir unjere
großen Schaujpieler, ftatt dem Film und
dem Kino und bem Mammon zu dienen
und unjere Geelen nod) tiefer hinunter:
zuzerren in Schlamm und Berblódung und
BESSER Geh. Reg.. Rat Dr. W. Schellberg: Deutiche Runftabende [2:2:24231 517
geiftigen Tod, vielmehr herunterzufteigen zu
uns in ben Bortragsjaal und zu fpreden
all das Hohe und Herrliche, das unjere alte
unb neue Dichtung und Hunt burd)bebt.
„Die Arbeitsgemeinjchaft für vergleichende
Literaturwillenihaft an ber Univerjität Ber: '
lin ijt es, die dieje deutichen Runjtabende
bietet für billigfte, voltstümliche Preije.
In ihr haben fid) zahlreiche Studenten und
Studentinnen aus allen pbifologijdjen Wij-
lenidjajten, junge Doktoren und junge Dichter
NEE ORDER Es gibt unter ihnen
nbánger ber verjdiedenften politijden
Ideale und Parteien, jelbjt ber extremften.
Und bennod), fie arbeiten und forjden ¿us
li — He wandern und jubeln gujammen,
ie glauben und hoffen zulammen. Denn
im hohen Dienjt der Seele, in neuer Wiljen-
ibajt, bie das Geelenvolle, das Schöpfe—
rildje, das Genialijche jucht, die sue machen
will zum Leben md zur Tat, ſchwindet aller
politijcher Streit, auf ben höchſten Ebenen
der Geele ijt für politijdhen Haß fein
aum.
„Weil alfo die neue Arbeitsgemeinjchaft
nur der Geele dient, möchte fie fih gerne
bemühen, in diefen Kunſtabenden der deut-
den Seele eine bleibende Stätte zu ſchaf—
en — — —" ;
Dann gab Reih eine furze erläuternde
Überficht über die geplanten SBeranital:
tungen des Winters und jchloß mit der
Bitte an bie Anwejenden, fih zu einer Runjts
gemeinde zujammenzujchließen und in tätiger
nteilnayme mitzubelfen, daß hier ber Deut:
[ten Seele eine jtille, grüne Inſel erjtebe
mitten im GCdlammjtrome der Zeit, ein
rechtes Hilligenlei — eine Aufforderung, die
mit freudiger Zuftimmung begrüßt wurde,
¡yerdinand Gregoris hohe Runft bot eine
güle bejter deutjcher Balladen und Schwänte.
Herder und Bürger, Schiller und Goethe,
Uhland, Ctradjmt5, €. 5 Meyer, Fontane,
Börries von Müncdhhaujen, Agnes Miegel
famen zu tráftiger und Dod) jeelenvoller
Daritellung. Gewaltig wirkte die tragijche
Wucht der beutjdjen Ballade. Der Tragödie
folgte bas Gatyripiel; die tragijche Stim:
mung löfte fih freundlid im Humor bes
deutiden Schwanfes, in der lujtigen Ge:
ſchichte vom Schwaben, der bas Leberlein
gefrejjen, und Der füjtfidjen Teftaments:
eröffnung aus den Flegeljahren von Jean
aul, it lautem Beifallsjubel danfte die
uhörerſchaft.
Der nächſte Abend war der Myſtik ge—
weiht. Hermann Reich gab eine tiefgrün—
dige Einführung.
„Wir wollen uns von der myſtiſchen Gdjop:
fung des 3SDtenidjengeid)fed)ts, von bes Buches
Hiob jchwermütig troßiger Frage nad) der
Gerechtigkeit Gottes, von der indijden Pty:
ftit Buddhas, ber dionyfilchen, bie in Aſchy—
los’ Prometheus [Hwingt, der Sjobannei|d)en
mit ihren apofalyptijden Reitern und dem
júngften Bericht und weiter durd) die mittel:
alterliche Myſtik hindurchträumen bis zum
erhabenen Schluß von Goethes Fauft und
gu der modernen Myſtik.
„Heute nad) der Menjchheit [Hwerftem Sün
denfall, den gerade unfer armes deutjches
Bolt am jchlimmften büken muß, ſchwingt
eine ftarte religiöfe Stimmung durch Die
Welt, und wieder werden alle großen Fragen
bes Menjchenherzens wad).
-* „Die hohe Men tif bas tiefjte tranfzendente
Erlebnis der Geele, fteht hinter allen großen
Religionen, fie ijt bas allen Gemeinjame
und barum bas Berbindende, Berjöhnende.
Aber id) tann unmöglich in bielen furzen
Augenbliden von ber Vinftit aller Jahr:
taujende, Völker, Zeiten und Zonen [predjem. .
Sch greife ein großes Beijpiel heraus und
rede von der dionyſiſchen Diyitit der Hels
lenen, von ber Myſtik Dionyjos des Crs
lójers. In diefem hohen Bilde wird Ihnen
aud) alle andere Myſtik verftándlid werden.
„Wer ijt num Diongjos? Was ift bios
nyſiſche Myſtik?
„Ich gebe Ihnen hier legte wiſſenſchaft—
liche Entdeckungen, die am Schluſſe der Ar—
beitsgemeinſchaft für vergleichende Literaturs
wiſſenſchaft gemacht wurden. Aber ich gebe
ſie abſichtlich höchſt einfach und ohne allen
wiſſenſchaftlichen Prunk, ſo ſchwere Forſchung
auch dahinter ſteht.
„Hier muß id) Sie zunáchft an den Wns
fang aller Religion führen, zur Urreligion
des Yaubers, des DONOR ee Der
einft gleichmäßig über alle Urvdlfer ber Erde
verbreitet war, zur Mutter Erde: zu ur:
álteften Mtyfterien, zum heiligen, magilch-
ae Geheimnis längjt vergejjener
eiten.
„Seltjam ift im alten Sem die Feier
dionyſiſcher Myſten. Dieje Dinfterien gingen
gegen Ende des Winters vor dem (Einzug
des — auf Berghalden vor ſich im
Dunkel der Nacht, Fackeln glühten, lärmende
Muſik erſcholl, ſchmetternder Schall eherner
Becken, der veliti Donner großer Hand»
paufen und dazwilchen der zum Wahnfinn
lodende Klang tieftönender Flöten. Bon
diejer wilden Muſik erregt tanzte mit gellens
dem Jauchzen die Schar der Vinften. Gie
toben, bis Gergiidung fie ergreift. Sie rufen
Dionyjos dr den Gott des Frühlings,
den Gemabl der blühenden Mutter Erde,
der im falten Winter perjd)munben ijt, bin:
unter in bie dunkle Unterwelt, zu ben toten
Geelen, als deren Herr und Geelenführer.
Und mit einemmal fühlen fie im verzüdten
myſtiſchen Wahn: ber Gott ijt nah, ift da,
leibhaftig fommt er durch) das Dunfel ber
on zu ihnen hergelchritten. Und in wil:
der Berziidung [treben die feiernden Myſten
Dionylos zu, gut —— mit ihm. Die
unio mystica beginnt. ‘Bloglid find fie ers
lóft vom engen perjönlichen Gein mit jeiner
Qual, das principium individuationis, das
jelbjtilche Sein, ift aufgehoben, fie find er:
löft vom Ih. Die Seele jprengt die enge
Reibeskraft, fie ſchwingt fid) auf und per:
einigt fic) mit der Gottheit, wird jelbjt zum
. bis herab zur myſtiſchen Liebe
518 Geh. Regierungsrat Dr. Wilhelm Schellberg:
Gotte. Noh im irdifchen Gein fühlt fie die
Fülle unendlicher göttlicher, die Welt —
fahrender ſchöpferiſcher Urkraft, wird un[terb:
lich, wird ſelig und eins mit Dionyſos, dem
himmliſchen Gemahl der Mutter Erde,
dem Herrn der Geiſter, des Lebens und der
Geelen. '
„Aber vergeffen wir nicht, diefe hohe bios
nyſiſche Myſtik tit aufgebaut auf dem ewigen P
Urgrunde des Bejchlechtlichen, bes Eros fagen
die Griechen, der Liebe bie Diodernen. Eros
aber ift der erfte Diener bes Dionyjos. Go
it Moftit und Erotit von Uranfang an ge:
d verwandt und ift es geblieben
riftlicher
Minne zur Himmesfinigin. — Alle Elemen:
targeijter im Gefolge bes Dionyjos, Satyrn,
Gilene, Pane, Pantsfen find ftart vom ero:
tijchen Triebe bewegt, ber aud) ber Menjchen
Bruft durdhflammt, und wenn bie Mänade
im wilden orgiajtijdhen Tange Dionyjos hers
beiruft, den Gott bes Frühlings und der
Fruchtbarkeit, und wenn fie endlich mit ihm
eins wird, lo ift bas bet aller Myſtik nod)
immer ſinnlicher Trieb. Aber wir dürfen
nicht vergejlen, wenn im Anfang Die bio:
nyſiſche Myſtik zunächſt erotiſch iſt, ſo
gibt es auch eine je des Eros und Der
iebe. Darüber hat Plato in feinem wunder:
baren Dialoge über die Liebe Herrlides
empfunden und gejagt.
„Staunend fiiblt fih der Menſch burd) den
dionyſiſchen Eros von aller Feſſel befreit, ers
lóft vom principium individuationis. Das
Einzelwejen fühlt jid) jelig im Allgemeinen vers
jinfen, wenn es auch nur im anderen Einzel«
melen verjinft. In diefem feligen Berfinten
tann ein myſtiſches 9Ber|djmelgen mit ber
ganzen Natur und dem All:Einen glüdhaft
eraujdt erfaßt werden. Grlöjung, Dios
nyſiſche Erlöjung durch den Eros — chriſtlich
ausgedrüdt und allerdings jehr anders emp»
funden durch die Liebe,
„Auf dem erotilchen Wege fteigt bie Dios
nofiibe Myſtik und Ekſtaſe im Laufe von
Jahrhunderten immer poner, immer dira
hinan. Schließlich ruft bie vergiidte Mä—
nade nidi mehr den Mann, fie ruft den
Gott im finnlid-iiberfinnliden Raujdh. Die
Erdenichwere fintt, die Welt verwandelt fic,
[ie wird vollfommen, bie Geele bricht den
Rerfer bes Leibes; Piyche, bie Braut des
Dionyjos, |pannt die weißen Flügel und
ende mit dem Gottjein durd bas raus
ſchende, tönende AU, und fernDer leuchten die
goldenen Pforten des Himmels. Der uralte,
niedrige phalliihe Naturdämon ward zum
hohen, heiligen Gotte, zum Heiland, zu
Dionyjos, dem Erlöjer —
„Diele dionyſiſche efftatijde Myſtik [djwinat
dann fpäter in der *Bbilojopbie des Pytha—
oras, der auf feinen Wander: und Pilger-
rte im Orient von orientalijd)er Dinftit
burdjtrántt, vom Buddhismus her die Lehre
von Der E EE übernahm. Aud)
in Buddhas Myſtik ijt dionyſiſche Ekſtaſe,
wenn auch in inbildjer Form; und wenn
—— — —
der Buddhiſt das principium individuationis
bricht und aufgeht in das Geſtaltenloſe der
Geelenwanderung und dem Gelbitjein nicht
mehr Nat ‚Alleine — fo ijt bieles
Nirwana Buddhas eben auch die dionyfilche
Erlöjung vom Gelbft und vom Ich als Quell
aller Qual.
„In dionyſiſcher Verzüdung [hwang [id
lato auf den Flügeln bes himmliſchen Eros
zu den Ideen. Bom Platonismus fam bie
dionyſiſche Myftik ins Chrijtentum und wirkt
dort in der Offenbarung Gantt Johannis, in
ben Reden der großen fatbolijdjen Myſtiker
des Mittelalters, in Sequenzen und Hymnen
unb in abgejhwächter Form in rührenden,
volfsmäßigen SUtarienliebern. — In Diejer
turzen Einführung, von der ich abjichtlich
jede —— — Gelehrſamkeit fern halte,
tann ich leider nichts Näheres über Zuſammen—
bang und Unterfchied chriftlicher und dio-
woher Myftif geben. Sm moftifden Ur:
grund ber Gottheit find Chriftus unb Dio:
nyjos Brüder, wenn bisher auch feindliche.
Aber aud) ihnen wird die große Berjóbnung
fommen.“
Den mit lebhaften Beifall aufgenommes
nen Darlegungen Reihs folgte Friedrich
Kayplers Vortrag, ber getragen war vom
maſtiſchen Schauer, von der großen religiöjen
Überwindung der Not unb der Nätjel in
Kosmos und Geele, Der duntle Sammet
feiner Stimme legte bas unirdijd) Gdymieg:
jame bes Fiúblens der Myjtik iiber bie Hörer.
Durh Jahrhunderte führte die Fülle ber
Darbietungen. Vian hörte die Runde myfti-
her Inbrunft mit Wndadht, mochten fie
fernftem Altertum angehören ober dem Mit:
telalter ober unjeren Tagen wie Gbrijtian
Morgenitern, Hermann Reich oder Friedrich
Kayßler jelbjt. Im erften Teile feines Bor:
trages führte Kayßler den Zuhörer vor bie
großen Fragen ber Menjchheit. Hiobs Re:
den, des Prometheus’ Rátfel, Buddhas Tief:
Uu Reihs myitiiher Hymnus aus bem
ude Michael, die jhwerblütigen Bilder
der Offenbarung Gantt Johannis flagten,
fragten, tröfteten ergreifend tm Widerllang
einer tief empfindenden Riinjtlerjeele. Der
weite Teil des Abends brachte Schalt und
aune burd) bie innige Naivität mittelalter:
licher dirijtftdjer Myſtik; über ibm jchwebte
der Stern von Golgatha und der Glanz von
Chrifti Krippe — Weihnadhtsitimmung. `
Es folgte im Januar der Abend Romans
tif. Der Verfaſſer bteles Berichts unter:
nahm es, in fnappen Darlegungen die Trieb:
tráfte ber Romantik zu umjchreiben, bie auch
heute nod) eine Lebensmacht bedeutet.
„In Liebe und Haß befdaftigt uns, um
mit Wilh. Dilthey zu |prechen, die Romantit
immer nod). Die Verworrenheit ber Gegen:
wart lentt die Gemüter wieder hin zur Roman:
tit: jener großen, auf bas Ganze, das Un:
endliche gerichteten Bewegung, die von einem
tiefen Sehnen nad) der Heimat und ber
Ferne, bem Großen, Urwmeltliden getragen,
die Pfadfinderin war in das dunfle Reid)
e?
unjeres Innern, ins Land des Unbewuften,
bie Deuterin bes Mythus, des Märchens,
ber Gage, deren bódjter Ruhm und größte
Shwäde es war, alles umfajjen, alles ers
ftreben zu wollen. Dieje Zuwendung ift be:
reiflih. In ber — und Verſach—
ichung des heutigen Lebens, das in Sorge
oder im Rauſch m verzehrt, geht eim tiefes
Sehnen bird) die Gemüter nad Selbftbefin-
nung, Jeelijcher Freiheit, Tat und Innerlich—
feit, nad) bem Unbewußten, nad) Loslófung
von allem Mechanismus, nad) wahrem, leben:
digem Leben. Der Romantik gleich drängen
wir nad) des Lebens Quellen Hin.
„Sch will nicht ben Verſuch machen, bie
Romantik, bas Romantijde zu deuten. Das
Romantijme ift feine Erfindung der Romans
titer. Wher bie deutſche Romantif hat bas
Romantijche bejonbers fruchtbar zur Geltung
ebradjt. Go wie es in ber Romantik erbliihte,
tit es mehr, als die typiichen Vorftelungen
bejagen; es ift mehr als ftimmungsvolle
Maldeinjamteit und riejelnder Brunnen, vers
ip PBalaft und verwildernder Garten,
aubernadt und leuchtende Diorgendámmes
tung. Es ijt Wiedererwedung und Wieder:
empfindung des uralten Weltgefühls, lauter
WMiderftand gegen nüchternen Wirklichkeits-
jinn, gegen das Beftreben, Natur und Menſch
aller überfinnlichen Beziehungen zu entflei=
den. Die deutihe Romantik ijt, wie O. Wal:
gel richtig erfannt bat, Sehnen aus dem
Mtag in die Welt, Sehnjucht nach deutjcher
Art und Runft, nad) neuem Deutjchtum, fie
ift Blid auf die Vergangenheit, Schauen
in die Zukunft. — Traum und Klarheit, Ein:
falt und Tieffinn, Todesverherrlidung und
irflichleitsverlangen.
„Aus der Fülle bes Bedeutungsreichen
bebe id) drei Brundtriebe hervor: Das Welt-
gefühl, das Lebens: und Kunjtgefühl, den
Rug in die Heimat und in Die carne:
„Die Romantifer find erfüllt von dem
Drange, über bas Endlide hinwegzufliegen
und unter Berzicht e gorm und (bere
mäßigfeit bas tiefe MWeltgefühl zu geftalten.
Cie wollen den engen Horizont aufreißen,
das Unbegrenzte zum Weltprinzip erheben.
Gegenüber ber SIuitlárumg ber Klajfiter, die
Iden an ben Grenzen bes Diesfeitigen vor:
iv ani ater ift bie Romantif fic) bewußt,
daß bes Menichen Beftimmung jenjeits diejes
Erdendajeins liegt dab das Ringen nad
dem Unendliden Aufgabe der Menjchheit ift.
Co ijt die Gehnjudht der tiefjte Trieb ber
Romantifer. Gewiß find fih dieje Combo:
liter und Myſtiker Tor. daß fie bie lebten
Ouellen des Urgrundes nicht zu erfajjen ver:
mögen. ber unzerjtörbar if in ihnen der
Glaube, dak Poelie und Liebe, in denen fih
Zeitlihes und Ewiges, Gnblidjes und Um:
endliches verjchlingen, den Zugang zum Un:
endlichen eröffnen Tonnen,
„Das Sehnen und Suchen ber Romantil
mwurzelt ganz in dem Organismusgedanten.
Die Welt ift ihr eine lebendige Einheit, ein
Organismus, jedes (lieb hängt mit dem
Deutſche Runftabende 519
anderen gujammen; es gibt nichts Totes in
der Welt. Gie will die Welt als Ganzes
betrachten, das Mannigfaltige verfniipjen,
bas Kunſtwerk als organijches Ganges er:
fajfen. Der Organismusgedante fündet die
Solidarität bes Menfjchengefchlechtes, das
Wertvolle aber auch der Einzelperjönlichkeit.
Er lenit den Blid wieder auf die große
überwältigende Einfachheit alles Geins, gibt
ber Bejhichtsauffaflung und der naturwiſſen⸗
Ichaftlichen Sentweije ber Romantif die eigens
tümlidje Richtung.
„Bon diejen Grunduoritelungen aus ge:
winnen die Romantifer ihr Verhältnis zu
Leben und Dichtung. Alles Sein ift etwas Les
bensvolles und etwas Merdendes, ein Idees
geftaltendes. Alle Werke verdanken ihr Ent: -
jteben einer Schöpfungstraft. Die Poeſie
fol das Leben durchdringen, es aus dem
grauen Werktagseinerlei in den Duft des
Poetiſchen heben. Der Geift der Liebe muß
Diele ewig werdende Poeſie umfliefen, ein
Geift, der [id) nicht gewaltjam fajjen und
medjanijd) greifen, aber freundlich loden
läßt. Die Poefie ift ber Abglanz bes Gött-
lichen, deffen Mittler der Dichter ijt.
„So ftimmt bie Romantit ihr uralt heiliges
Märchenlied mit wunderjamer Melodie an,
das geheimnisvolle Lied, das verborgen in
allen Dingen jchlummert, flingt und fingt.
Am ergretjendjten entjtrómt diejes Lied ber
Didhtung Eichendorffs. Er verpflanzte die
blaue Blume aus Deler Welt in ein Jens
jeits. In ihm erreidt die Romantik thre
lebte und höchſte Lójung: bas irdijde Leben
im Abglanz bes Unendlichen unb Ewigen
zu ſchauen. |
„Aus bem Organismusgedanten findet bie
Romantil den Weg zum Gtaatsgedanfen
und zum beimijden Murzelboden. Mit
Wadenroder pilgert bas neue Gejchlecht zur
alten deutſchen Hunt: Herder, Schlegel,
Grimm, Görres führen es zu den Quellen
ber eigenen Gpradje, Gage oder Dichtung,
Brentano und Arnim laljen des Knaben
Wunderhorn ertönen, deffen Sauberflángen
alle echten €yrifer gefolgt find. Go fumen
bie Romantifer mit ftets wachem Ginn in der
Vergangenheit bie deutjche Eigenart zu bes
greijen, fo -ftreben fie immer wieder von
einem tiefen Gefühl des — getragen
gur deutihen Scholle. Diejes Heimweh —
ichendorff bat ihm ergreifend Ausdrud ges
ſchenkt: „... es ijt ein wunderjames Lied in
dem Waldesraujchen unjerer heimatlichen
Berge, wo bu aud) feift, es findet bid) dod
einmal wieder,“ Diejes Heimweh ijt der
Duell der germanijden Sagen: und Sprad):
forjdung, es hat die deutſche Landjichaft
erft eigentlich entbedt und vertlárt,
„Dte Romantifer find fid) aber auch des
anderen Dranges bewußt: des Triebes in
die Ferne. Die Romantik, die quellende
Fülle und lauteren Reichtum umſchließt, Schlägt
die Brüden zur Weltliteratur, öffnet den
weiten Orient, verjentt fid) mit liebevollem
Ginn in die Völker und Zeiten. Gie will,
de Meter |
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GO us bem ftarren Eis des Olet|djers,
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der alles Leben tötet, bricht der
SW 2 G milchweiße Bach und drängt burd)
[SW das Gerdll ber Mioräne zu Tal,
Dell jprudelt unter faftigem Moos
und grünen SFarnen per[tedt die flare Wald:
quelle, [pringt murmelnd über die Stellen, in
taujend Tropfen zerftáubend, aus denen Die
Sonne alle Farben zaubert. Eilig ftrebt der
Fluß aus der Höhe zur Tiefe, zwängt fid)
durh Schluchten und Engen, |djeijt und
bobrt fein Bett breiter und tiefer, rechts und
lints nimmt er Brüder und Schweitern pi
bie alle das gleiche Ziel haben und geſchäf—
tig eilen, [bon trägt fein breiter Riden
Kähne und Schiffe, Fräftig muß der Swim:
mer die Flut teilen, wenn er gegen [te an:
jtiirmen will. Träger werden die Majjen,
langjam wälzen fid) die Waller den Strom
hinab, ihre weißen Wellenföpfe grüßen die
weitipannenden Brüden und raunen ihnen
thre Gehnjucht zu: bas Meer, das Weer.
Schüßend, vereinend nimmt bas Peer fie
alle auf, maht fie alle gleich, bie Waller,
und nur die Wellen, bie an Die [teile Suite
branden, verraten noch die Kraft, die all
die Bädhlein, Flüffe und Ströme verborgen
hielten.
Aber bie gewaltige Beherricherin aller
Kräfte der Natur gönnt den Wajjern feine
Ruhe. Prallend jcheint die Sonne auf die
weite Fläche des Meeres, auf Seen und
Flüſſe, undibre
warmen 8*"9999*55992a2500509099099090999990999000
Strahlen gie: *
ben ben Dunit
bes Wallers
in bie Hohe,
höher und hö-
Der, bis Die
feinen Gtáub:
chen in Der
Kälte des Mel:
tenraumes
frierend ers
Marrem und zu
Tröpfchen fih
Ichließen.
Braujend ballt
(ie ber Sturm
zu Wolfen zu:
jammen, wirft
jie dorthin und
hierhin, über
Berge und Tä-
ler, und aus
ihrer Erftar:
rung erlöjen
jie [fid und
itrómen wieder
hinab zur Erde,
Skizze zu einer Ebbe: und Flutmühle von Mariano aus dem Jabre 1438
München, Staatsbibliothet
befruchtend und legen|penbenb, verheerend
und vernichtend, hemmend und traftipendend.
Und der Kreislauf beginnt von neuem. Gin:
ten und Heben, und als gewaltige, unermüd-
lide Energiejpenderin, als bie große Welt:
majchine: die Sonne. Gie, die Ki in Jahr-
taujenden Pflanzen wachlen lief, fie zu Boden
[iürgte, vermodern ließ und zu Kohlen um:
wandelte, fie |djenft uns aud) die Kräfte,
die der Kreislauf bes Waljers, bie zu Tale
jtrebenden Bäche, Fliijje und Ströme bergen.
Ift denn Majjer eine Kraft? Willen wir
nicht, dak es eine chemilche Verbindung von
Waſſerſtoff und Sauerftoff T Es wird zum
Träger einer Kraft durch feine Maffe, genau
wie der Stein, Der zu Boden fällt, eine Kraft
ausübt. Dieje Kraft ijt bie Schwere, bie
Kraft unjere Erde, die uns zu fid) herab:
zieht. Was ift denn Kraft? Wohl tenne
ich bie Kraft meines Armes, meiner Mus:
fein. Gie ift bas Urjprüngliche. Wenn id)
ein Gewidht von einem Kilogramm hod)
bebe, jo muß ich eine bejtimmte Kraft an»
wenden. Die gleiche Kraft übt aber aud)
das Gewidt aus, wenn es zu Boden fällt.
Kraft im tednijden Sinne it aljo Gewicht.
Wohl verjtanden im technijchen Sinne, denn
im phylifalifchen ift Kraft bas Produtt aus
Maffe und Beldleunigung, ober Maffe ift
das Gewicht, geteilt durch die Erdbeſchleuni—
gung, eine fonjtante Zahl.
Wir wollen aber von ber ted)nijd)en Kraft
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Entwurf zu einer Turbine
Angeblich von einem Bapft um 1430 erfunden
Aus bem Cod. lat. ber Staatsbiblivtbet, München
|predjen. Wenn wir jenes Kilogramm zehn
Meter hod heben, jo leiften wir eine Arbeit,
die dem Produft aus Kraft und Weg gleich
ift. Es ift alfo die gleiche Arbeit nötig, um
zehn Kilogramm einen Dieter zu heben, wie
ein Kilogramm zehn Meter. Das Produft
ijt immer zehn Metertilogramm. In Meter:
filogramm mellen wir auch die Arbeit. Je
länger der Weg ijt, den ich eine Kraft neh:
men laffe, um eine bejtimmte Arbeit zu ver:
richten, bejto geringer wird bie aufzuwen:
dende Kraft, oder id) fann eine bedeutende
Arbeit mit der gleichen Kraft verrichten,
wenn id) den Weg groß genug wähle In
Gerpentinen zieht das Pferd den Wagen
auf der jteilen Straße Dinan, den es un:
mittelbar nicht vorwärtsbewegen tónnte.
Aber Arbeit wird erft verwertbar, wenn
fie zur Leitung im technijchen Sinne wird.
Arbeit in einer bejtimmten eit, das ijt das
Erfordernis der ted)nijdjen Leiftung. Es ges
nügt nicht, daß eine Arbeit überhaupt ge:
leijtet wird, fondern einen Gradmeffer D
die Leiftung betomme ich erft, wenn die Zeit
beftimmt wird, in ber die Arbeit gejchehen
ijf. Kraft mal Meg durch Zeit, bas ift die
Leiftung, der „Effett“. Entjprechend iit das
Sefundenmeterfilogramm das Mah für die
Leiftung, b. b. die Leijtung, die Darin bejtebt,
ein Kilogramm in einer Gefunde um ein
Meter zu heben. Zum prattijden Gebraud)
eignete fid) dies Heine Maß nidjt. Man
\huf die Pierdeftárte (PS) und legte fie |páter
felt als bie jetundliche Leiftung von 75 Meter:
Iesse SA Dipl.» Ing. Grid Labwik: EZR RRR 242€ ABRA
tilogramm. Cin Menih, ber 75 Kilogramm,
b. D. em und einen halben Zentner wóge und
in einer Gefunde einen Meter Dodjitiege,
würde alfo eine Pferdefrajt leiten.
Mas bedeutet dies aber für bie Waſſer—
fraft? Auch hier ijt bas Gewicht die Kraft,
und zwar das Gewicht der Majjermenge,
bie zur Mirfung auf eine Gegentraft, einen
Widerjtand tommt. Waflermenge und Gefälle
eines Majjerlaufes bejtimmen die Kräfte,
die das ci deen Bewäjler ausüben fann,
und beide [teben in Abhängigkeit von Ge:
jdhwindigfeit und Gefälle ber in Frage tom:
menden Majjerlaufitrede.
Das Majjer bejigt aljo feine Kraft nur
durch feine örtliche Lage gegenüber der Ber:
wendungsitelle, an ber es diefe Kraft aus-
üben fol. Anders die Roble. Cie wirft
nur mittelbar, indem fie den Zuſtand einer
Slüjligfeit ändert, Zoller in Dampf ver:
wandelt, der dann feinen Drud in Bewe-
PA esie umjeßt. Aber darin gleichen
ja ie Roble und bie Majjertraft: fie bel:
en beide, die zeitraubende und ſchwache Ylr:
beit der Hände zu erleben durd) die ſchnel—
len und jtarfen Kräfte ber Majchine. Bon
ber unzulänglichen Menſchenkraft bejreiten
la uns und gaben uns die Hiejentráfte ber
urbinen, der Dampfmajdinen und des
eleftrijden Stromes. Go war es trog ber
Berjchiedenheit der urjprünglichen Rraftwir:
fung und Eniftehung wohl beredtigt, von
ber Majjertraft als der weißen Roble gegen:
‘liber ber |djwargen Roble unjerer Bergwerte
zu |prechen. Aber erft jebt, als die ſchwarze
Roble uns jo ſchmählich im Stich ließ, er:
Hang der Schrei nad) ben Majjertráften laut
und plößlic), wurde bie weiße Roble ein
Schlagwort der heutigen Zeit.
Die Kenntnis von der weißen Kohle als
Kraftquelle und das Vermögen, fie als ſolche
zu verwenden, find feine Errungenjchaften
ber neuzeitlichen Technik. Die nod) heute
in China gebrauchten — bewäſſer⸗
ten ſchon vor mehreren Tauſenden von Jah—
ren die gleichen Felder und haben gewiß
ebenſo ausgeſehen. Sie ſtellen wohl die äl—
tefte Waſſermaſchine dar. Ein aus Bambus:
ſtäben gefügtes Rad taucht in das ſtrömende
Waſſer, das es dreht unb damit bie am
Radiranze befejtigten unb wajjergefüllten
Bambusröhren hebt. Infolge ihrer Neigung
zum Radfrange entleeren die Röhren ihren
Wafferinhalt in einer bejtimmten Lage. Die
Kraft bes 9Bajjers wird alfo hier benußt,
um fic) felbft zu heben. Ahnliche Schipj-
raider jieht man auch heute noch in großer
Anzahl in den Gemüje: und Fruchtgärten
Konjtantinopels und Rleinafiens. Won der
erften Mühle erzählt Strabo. Nach ibm fol
ur Zeit bes Mithridates (100 p. Chr.) eine
he mit Majjer betrieben worden fein.
Dod) die billige Stlavenarbeit ließ die Dia:
Ihinen nicht redjt aujfommen. Erſt im
4. Jahrhundert n. Chr. hört man von einer
häufigeren Anwendung, und von einer fef-
jelnden technijchen Austibrung wird aus dem
See SES SC Weiße Roble seess 523
Jahr der Belagerung Roms durd) den Doten:
könig Vitiges im Jahre 536 erzählt. Als diejer
nämlich bie Wajferleitungen Roms zerftórt
und Dadurd) die Mühlen jtillgelegt hatte, tam
Belifar auf den technijch völlig neuen Gedan—
ten, bie Waſſerkräfte des Tibers ausgunugen.
Er jebte die Mühlen auf Schiffe, veranterte
dieje tm Tiber und trieb feine Mühlen mit
ber Strömungsgejchwindigfeit bes Fluſſes.
Rom braudte bie Waljermühlen bejon:
ders als Slmiiblen, ba zur Olgewinnung
eine große Kraft erforderlich war; auch für
Relteranlagen wurden Wajjerräder als Ans
trieb benußt. Nach dem Norden unb bejon:
ders nad) Deutichland brachten erft die
Mönche, die Träger ber römijchen Kultur,
die po ek a und Hunt ber Wusnugung
der weißen Roble. Nicht nur aus Riidjidt
auf bie Gpeilegele5e juchten fie fih Die
wajjerreiben und damit filchreichen Gegen:
den zum Ort ihrer Niederlafjungen aus,
jondern auch aus technijchen Gründen. Cs
bejtand eine alte Vorjchrift, die beftimmte,
dağ jedes Rlofter eine Mühle bejiben folle,
damit die Mönche ihr Getreide jelbjt mablen
fónnten, ohne bas Klofter erft verlajjen zu
müſſen. Bald wurde bie 9Bajjerfrajt dann
zum Betrieb von Sägemühlen ausgenußt,
denn Waller und Wald fanden fih ja met
an gleichen Stellen. Mit dem Beginn des
Bergbaus erihloß fih für die et di
ein neues Wirfungsgebiet, Hammerwerte
entjtanden, die em richteten Papier:
miiblen ein, in den Glashiitten wurden Boch:
werfe nötig, für die Gerbereien arbeiteten
$€obítampfen, die fid) alle ber Majjertraft
ür ihre Arbeitsmalchine bebienten. ber
immer blieb bas Wajjerrad nur der Erjas
für bie menjchliche Kraft, es war nie Selbjt:
awed, jondern Mittel zu einem beftimmten
Swed und Hetz an ben Ort bes Worhanden-
feins ber Krajt gebunden. Die Indujtrien
mußten jid) in ber
Beitimmung ihrer
epi Lagenad)
den Wajjerläufen
richten.
So war es na:
türlih, daß die
Dampfitraft, jo:
bald jie fic) ge:
EN ers
wies, bie Waſſer—
traft jd)nell in den
Schatten ` ftellte.
Ganz abgejehen
von ihrer Bieljeis
tigteit und An—
pajjung an den
jeweiligen Kraft:
bedarf war jie vom
Ort nicht mehr
abhängig. Der
Dampitejjeltonnte
überall aufgejtellt
werden, und Die |
Ihwarze Kohle zu gg
feiner Beheizung war überall hingubringen.
Auch war die Dampitraft von äußeren Zus
falligfeiten, der Witterung, niht abhängig,
es fam nicht vor, dak Hochwaſſer bie Mebre
zeritörte ober Wafjermangel die Werte ftill-
legte. Go vollbrachte bie Damen ihren
ee? en Giegeslauf, während die Majjer:
raft iid) mit bejcheidenen Aufgaben an be:
ftimmten Pläßen begnügen mußte.
Eine Befferung zugunjten der weißen Roble
trat ein, als Durd) die Erfindung ber Majjer:
turbine nicht nur eine günftigere Ausnubung
ber Gefälle, befonders ber geringen Gefáll:
itufen möglich wurde, fondern bird) ben er:
leichterten Einbau, geringeren Umfang der
Maſchinenſätze und die hohen Umbrebungs:
zahlen der Turbinen bedeutend größere Kräfte
an einer Stelle ausqenugt und zu neuen
weden verwertet werden konnten. Sn erjter
tinie war es die Textilinduftrie, bie fidh bie
neue Erfindung zunuße mate. -
Cpinnereien und Webereien fiedelten jid)
bald in der Nähe ftarter Majjertráfte an,
dem — eröffnete ſich ein reiches
Betätigungsfeld, und große Anlagen, Ars
beiterfolonien, ganze Ortjchaften entitanden
durch bas Vorhandenjein der weißen Roble.
Auch im Kleinbetrieb wurde jeßt die Waller:
traft mehr herangezogen, belonbers im rhei⸗
niſch⸗weſtfäliſchen Induſtriegebiet diente fie
in emer großen Anzahl fleiner Betriebe als
Arbeitskraft. Eine zweite, gewaltige Run:
din befam die weiße Kohle dann durd) bie
Zellſtoff- und Holzjtoff: Fabrikation. Für bie
Heritellung des Holzichliffes wie ber 3ellu:
lofe waren große Holz: und Wajjermengen
an und für jid) nötig. Das Roden, Schlei:
en, Walchen und Auslaugen des Holzes er:
orbert Waſſer und wieder Majjer. Es lag
deshalb nahe, bas Waller aud) zum Antrieb
ber Arbeitsmajchinen heranzuziehen. Co fin:
den wir in den wald: und waljerreichen
Alte Waffermiible in Vals, Tirol EX
524 Dipl.-Ing. Grid) Laßwitz:
Gegenden Gadjjens und Böhmens bie erften
3ellulofefabriten.
Aber trog ber tednijden Vervolltomm:
nung baftete ber Majjertraft immer Der
Mangel der Unbeweglidfeit an. Gie war
nur am Gewinnungsort verwendbar. Da
brachte ein erjter und gea überwältigender
Verjud) eine völlige Anderung in ber Be:
deutung ber Majjertraft.
Auf ber Parijer Weltausftelung Hatte
die Elektrizität große Triumphe gefeiert, die
damals ſchon recht gut entwidelte deutjche
Glettrizitätsinduftrie hatte wegen ungeniigen:
der —— dabei aber ſchlecht abge—
ſchnitten. So ſchuf auf das Betreiben des
bekannten Frankfurter Politikers Sonne—
mann die Elektrotechniſche Geſellſchaft in
Frankfurt a. M. im Jahre 1891 die Inter—
nationale Elektrotechniſche Ausſtellung
in Frankfurt, Die zu einer außerordent—
lich bedeutungsvollen Kundgebung ber deut-
iden Induftrie werden folte. Die ted):
nilde Leitung hatte ber Ingenieur Ostar
von Miller, der heutige Ctaatsfommijjar
für das Banernwerf, Für dieje Ausjtellung
wurde ber fübne Plan gefaBt, eine von der
Portland: 3ementfabrit in Lauffen a. Nedar
zur Verfügung gejtellte Wajjerfraft auszu—
nugen. Trog aller theoretijchen Beweije
der Unmöglichkeit, ber mannigfaltigenSchwie=
tigfeiten und der außerordentlichen Kürze
der Ausführungszeit bielten die geiftigen
Urheber des Planes an ihm feft, und Die
Ausführung gelang über alles Erwarten
ut. Die aus dem Lauffener 9Bajjerfall
tammende Kraft wurde in einer Turbine
von 300 PS. Qeiftung in Bewegungsenergie
umgewandelt, erzeugte eleftrijden Drehitrom
— etwas völlig Neues für damals — von
50 Volt, ber auf die damals unerbórte
Epannung von 12500—25000 Bolt trans:
— und nad) dem 180 km entfernten
ranffurt geleitet wurde, um bier, auf
100 Bolt Spannung erniedrigt, die Aus:
ftellung zu erleudjten, Bahnen zu bewegen
und, was eine bejonders eindrudvolle und
dabei geijtreiche Verfinnbildlichung der Lei-
tung war, einen fünjtlidjen JBajferfall zu
betreiben. Die Wajferfraft, bie weiße Roble,
war über 180 km durch einen Draht fort:
eleitet worden. Die Unbeweglidfeit war
thr genommen worden, und zum erftenmal
war fie Gelbjtzwed, nicht mehr Mittel zum
Zwed. „Weiße Roble” wurde in elettrijbe
(Energie verwandelt, war frei vom Ent:
itebungsort.
Schnell folgte bie Induftrie auf Dem neuen
e. Wor allem war es die gewaltig an:
ftrebende chemijche Induftrie, bie große Elet-
trizitátsmengen erforderte und Die Waſſer—
traft fih zunußge machte. Go entitand das
große Wert in Rheinfelden, bas die Kräfte
Chiffsmüblen in ber Gd bei Verona E
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Iesel Weihe Kohle sel 525
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E Turbinenraum von Krafthaus II ber Niagarafälle A
bes Rheinfales zum Teil ausnubte, in
Bayern erjhloß man die Energien der Jfar,
des Leds und der Amper. Zugleich be:
tamen Die an vielen Stellen [Hon angelegten
Taljperren eine neue Bedeutung. Diele
waren ja urjprünglich entjtanden, um ent:
weder die Hochwafjergefahbr abzuwenden
oder einzelne Gebiete mit jtetigen Wafers
mengen zu verjorgen. Nun dienten fie Ap:
leid) ber Energie-Erzeugung, man fam zur
tfenntnis, daß bas Majjer nicht zu Tal
fließen dürfe, ohne Arbeit geleiftet zu haben.
ber noch hielt bezüglich bes Strompreis
fes bie ſchwarze Kohle in vielen Fallen bie
Konkurrenz aus, und jelbft der Krieg, ber
riejige Snbu[trien über Nacht entjtehen ließ,
vermochte es nicht, ben Ausbau der Wajjer:
fräfte in den Vordergrund zu rüden. Wiel-
mehr wurden unfere Brauntoblenlager der:
artig angegriffen, daß man von einem Raub
Iprechen fann; ber tagein, tagaus zu Tale
fließenden weißen Roble wurde ihre Energie
nicht voll entzogen. Nur Baden baute trog
bes Krieges jein großes Waſſerwerk, das
Murgwert, aus und ijt jo heute in ber glüd:
lichen Lage, von der Kohlennot viel weniger
betroffen zu jein als andere Teile Des
Reichs.
Wir haben im Laufe ber geichichtlichen
Entwidlung die beiden Mittler [fon er:
wähnt, bie die Verwandlung Der weißen
einem
Kohle in Bewegungsenergie übernommen
SEH bas Majjerrad und bie Majjertur:
ine. Zwiſchen beiden bejtebt ein wejent:
licher Unterfdied. Das Majjerrad nubt in
ber Hauptfache tatjád)lid) nur das Gewicht
bes ajjers aus. Wlan tann fih den Ge-
amtvorgang deutlich) machen, wenn man bei
ajjerrad den Einzelvorgang in einer
Schaufel einmal beobadtet. Das Waller
fließt mit einer bejtimmten Gejchwindigfeit
auf das Rad und füllt eine Schaufel, bie
eigentlid) eine Art Waſſerkaſten darftellt,
mit Waller. In bem WUugenblid ijt Die
Gelbftbewegung des Waſſers vernichtet, bas
Wajjer ift zur Ruhe gefommen. Eine neue
Bewegung befommt es nun Durch Die
Drehung des Rades, das jeine Bewegung
dem Waller mitteilt. Die drehende Kraft,
bie auf das Rad wirft, ijt aber bas Gewicht
bes Majjers. Es würde zu weit führen,
von den bejonderen Verhältnijjen einzelner
Konjtruftionen und dentebenerjcheinungen zu
Iprechen. Hier fol nur das Wejentliche bes
Unterjchieds gezeigt werden. Denn die
Turbine nubt die Eigengejchwindigfeit bes
Majjers aus. CEs wird dabei durch ge:
trimmte Schaufeln von feiner Richtung abs
gelentt, ohne jebod) feine Beichwindigfeit zu
verlieren, es leijtet Arbeit durch die Rich—
tungsänderung feiner relativen Geſchwin—
digkeit, Durch bie Reaktion, bie es auf den
526 Dipl.» Ing. Grid) Laßwitz:
Ed Entwurf von Profeffor Hans Poelzig für bie Sperrmauer ber Talfperre Klingenberg
beweglichen Teil ausübt. Beim Wafferrad
wie bei der Turbine ift die Leiftung ab:
— von der Waſſermenge und dem Ge—
älle, jedoch nutzt das Waſſerrad die poten—
tielle Energie des Waſſers aus, während in
der Turbine ſeine kinetiſche Energie in Ar—
beit umgeſetzt wird.
Der Vollſtändigkeit halber ſei noch eine
dritte Form des Waſſermotors erwähnt, die
aber keine große Bedeutung hat, es iſt dies
die Kolbenwaſſermaſchine. ei ihr wirkt
der Waſſerdruck unmittelbar auf einen in
einem Zylinder beweglichen Kolben, der
ſeine hin- und hergehende Bewegung auf
dem üblichen Weg durch Kurbeltrieb auf
einen Drehmechanismus überträgt. Golde
kleinen Maſchinen finden ſich im Anſchluß
an Waſſerleitungen für geringe Leiſtungen;
durch die Langſamkeit der Bewegung und
die nur unbedeutende Kraftentwicklung kön—
Ka | Malzenwebr in Finnland
nen fie für größere Rraftgwede niht in
Trage tommen. i
St nicht wie bet MWafferfällen eine natür-
liche größere Gefállitufe vorhanden, jo muß
eine jolde erft. geichaffen werden. Dies ge-
ſchieht immer bird) eine fünjtlidje Anftauung
des Majjers, bei fleineren Anlagen bird)
Ginbauen von Wehren, bie bei großen An:
lagen, bejonders Dann, wenn mehrere flei-
nere Majjerláiufe erft gejammelt werden fol-
len, zu Stauwehren, Staudänmen und Tal:
jperren ausgebaut werben. Aus ber auf-
eftauten SBajfjermenge wird dann in offenen
Ranälen — bie befannte Ausführung Der
Miühlgräben — oder in geld)lojjenen Rohren
oder Stollen die zur Verwendung fommende
Majjermenge entnommen und ihr die größt:
mögliche und zuläjlige Bejchleunigung durch
den Abſturz bes Wajjerleiters gegeben.
Techniſche Erfordernijje verlangen im all:
gonnen, daß bei
. Diejen ¿ulegt ges
nannten imus
unb Soddrudan:
lagen bas Waſſer
unddjt einem be:
Tonberen Behälter
zugeführt wird, der
Die oft gehörte Be:
eichnung „Waller:
Luet: führt. Aus
diejem Waſſer—
ſchloß, das das
Waſſer „ſchließt“,
ſtürzen dann die
Marien zum Kraft-
werf, um bier thre
Kraft abzugeben.
Die Erwähnung
der Taljperren
hatte uns [hon auf
die Tatjache gewie-
jen, daß nur in
den felteneren Fäl:
— Weiße Kohle 15:32:37 33: 3 37 3 37 33333359 527
len jo große 9Bajjermengen vereinigt find,
um eine mirtidjajtlidje Wusnubung zu
lihern, daß vielmehr die Waller erft ge:
jammelt werden miijfen. Wenn es aud
überall, wenigjtens in den Gegenden Der
gemäßigten Zone, regnet und Flüſſe und
Ströme zu Tal fließen, jo ift die Verteilung
der Wajfertrafte Dod) eine recht ungleich:
mäßige. Bejonders reich an —
iſt Norwegen und Schweden. orwegen,
das in Bezug von Kohle völlig von fremder
Einfuhr abhängig war, hat deshalb in groß»
ligiger Meije frühzeitig feine weiße Kohle
ich dienjtbar gemad)t. In den Jahren 1905
bis 1915 bat es Wajjerfrafte mit mehr als
800000 PS ausgebaut und Ddieje in einem
Jahr allein, 1917, um 250000 PS vermehrt.
Go find dort die burd) Wajlerfräfte gewon-
nenen Pferdeftarfen zehnmal fo groß als bie
Dampfipferdeftárten. Ähnlich hat Schweden
Die weiße Roble gegenüber der jchwarzen
bevorzugt. Es erzeugt heute [hon mehr als
eine Nion Pierbertarten burd) Waller:
tráfte und gibt davon fogar an Dänemarf
durch Unterjeetabel in Form von elektrijcher
Energie ab. Den gleichen Weg ijt Italien
gegangen, das SC ion mehr als andert-
halb Millionen Pferdeitärfen feinen Waifer:
tráften entnimmt, und zu einer Zeit, zu ber in
Deutidland die Wajferfraftbetriebe nur fünf
vom Hundert der Dampitraftbetriebe aus:
madten, bedte Frankreich bereits vierzig vom
DUM jeiner Dampffraftwerfe burd) weiße
oble. Während des Krieges ift dieje Ent:
widlung in — ſtark gefördert wor—
den und außerordentlich ſchnell weiterge—
gangen, fo daß dort heute andy [ion über
eine Milion Pferdeitärfen aus Majfertráf:
ten gewonnen werden. Wie die Schweiz
ihon lange fyftematijd fic) ihrer weißen
Kohle bedient, ift befannt, die Elektrifi—
gierung ber Schweizer Eijenbahnen ijt ber
äußere Beweis des Erfolges biejer An:
ftrengungen. |
Und Deutjchland? Man hat errechnet,
daß bas Deutjche Reih in feinen vortrieg-
lihen Grenzen zwölf Millionen Pferdeitär:
fen in Wajferfrajten bejäße, von denen zwei
Drittel auf Süddeutjchland entfielen. An:
bere Schäßungen jpreden von vierundein:
5 Die Eifeltaliperre im Bau Dä
528 Dipl.» Ing. Grid) Labwik: R=e==22222=22224
halb bis jedjsunbeinbalb Millionen PS, Diefe
Zahlen beruhen jedoch nicht auf genauen
Unterlagen, wie überhaupt das Fehlen eines
umfajjenden [tatijti]d)en Materials einer der
e Hee Der — Entwicklung
des Ausbaues unſerer Waſſerkräfte iſt. Nur
für einzelne Bezirke ſind genaue Unterlagen
vorhanden.
Es würde zu weit führen, hier auf die
Möglichkeit der tatjächlihen Ausnutzung
diejer SBajferfrájte einzugehen, wir miijjen
uns damit hefdeiden, aus dem bisher (Er:
reichten nur einige bedeutende Beijpiele Der:
de, SC Gewaltige Anlagen, bejon-
ders
bei uns. Es fet nur an bie großen Tal:
iperren im rheinijchen Induftriegebiet erin:
nert, von denen die Möhnejperre einen In:
alt von 130 Millionen Kubikmeter bat.
od) größer ift mit ihrem Gtauinhalt
von 200 Millionen Rubitmeter bie Edertal-
jperre. Auch in der Proving Schlejien find
eine große Anzahl Taljperren vorhanden
und weitere geplant. Wenn auch dieje An:
lagen urjprünglich andere Zwede wie Die
Vorbeugung gegen Pommciiergersarest, die
Gpeifung von Kanälen ujw. verfolgten, fo
dienen fie bod) zum großen Zeile auch don
der Erzeugung von Energie in Form von
Elektrizität. Wm befanntejten und heute im
Wordergrunde Des Interejjes ftehend ift
das im Bau vp A Bayernwerf, das
ausschließlich bem Zwecke ber Rrafterzeugung
dient und jerm Entjtehen ber unermüdlichen
Arbeit Osfar von Millers verdantt,
CH,
aljperren, bejteben aud) heute [hon
Die Kraftquelle bes Bayernwertes ijt der
Waldenjee, bem ein Teil ber Sjarmajjer:
menge zugeleitet wird. Durch einen Tunnel
wird bas Walchenjeewajjer nad) einem am
Abhang bes Keljelberges ftehenden 3Bajjer-
Ihloß geführt, von bem es in jedjs Rohr-
leitungen von je zwei Dieter Durchmejler
nad) dem 200 Dieter tiefer am KRocheljee lte-
enden Rraftwert abjtürzt. Dieje gewaltige
nergie fol über 14000 PS maximal er:
zeugen und einen großen Teil Bayerns mit
eleftrijdem Strom verjorgen. Es ut aber
weiter beabfichtigt, den aus anderen bayeri=
Gen Werten über|djiepenben Strom eben-
alls bem Bayernwert zuzuführen, fo daß
urd) bieles ein Wusgletd) der Gejamtver:
jorgung Bayerns gejchehen fann, da es den
anderen Werfen zu beftimmten Zeiten von
jeinem Überfhuß wiederum abgeben tann.
Die Anlage eines foldjen Wertes erfordert
natürlich bedeutende Viittel, und es ijt zu
bedauern, daß nicht vor bem Kriege und
während des Krieges die Arbeiten weiter
efördert wurden. Lang genug lagen Die
Mrojette ion vor. Damals lautete Der
Boranjchlag über 52 Millionen Mtarf, heute
erfordert der Ausbau ſchätzungsweiſe die
zehnfachen Aufwendungen. Immerhin bat
der bayrifche Landtag im Mai des Jahres
1919 die erjte Rate zum Ausbau des Werkes
bewilligt, jo daß mit ben tatjád)lid)en Ur:
beiten begonnen werden fonnte, die in:
zwilchen rüſtig vorgejchritten find.
An großen Anlagen, die bie Wusnubung
der vorhandenen ajjertráfte zum Biel
Sperrmauer mit Staubeden, fiberlauf und Kraftwerk ber Bobertaljperre EJ
see SCH Weihe Kohle B22233232323232323233233324 529
mA
t
e
en Dettingen
IS
t
haben, wurde das Murgwert Badens [bon
erwähnt, erinnert fei nod) an die Drain-
werfe, die verjchiedenen Anlagen am Ober:
rhein, die Projekte, die fid) auf die Auss
nugung ber Majjertráfte OftpreuBens, der
er der Nahe, der Rhön und des Harzes
eziehen. |
Es ift ein fihtbares Zeichen für bie
ap und die Entwidlung unferer dente
hen Technil, daß fie gerade im Turbinen=
bau £eiftungen aufzuweijen hat, die von
feiner anderen Nation erreicht wurden.
Bon ber Ausnugung des Lauffener Wertes
mit feinen Turbinen von 300 PS ift es
ein gewaltiger Schritt bis zu den Rieſen—
majdinen, die vor dem Kriege von Der
deutichen Mafchinen:Induftrie nad) Amerika
und bejonders Japan geliefert wurden. Dort
famen Bajjertráfte in Frage, wie fie in
Deutichland nicht auftreten. Deutjche Ma-
hinen fonnten fie verwerten. Go laufen
in Kanada Turbinen von 12500 PS, in Ja:
pan von 8000, 10000 und 11400 PS, die nur
von einer deutjchen Fabrik geliefert werden
fonnten.
Man bat oft befürchtet, daß bie Mus:
nugung ber weißen Kohle durch den Ein»
bau der Majdinenhaujer, der Cperren
unb tedjnijdjen Anlagen das Iandichaftliche
Bild gefährden würde Die ausgeführten
Werte beweijen, daß diefe Befürchtungen
Belhagen & Klafinas Monatshefte. 35. Jabrg. 1920/1921. 2, Bo.
Leitungsnetz des Bayernwerkes
d
V 1
Walchenseewk
>
D
=== 930 Km 100000 Volt- Leitungen für 2x3x120qm Aluminium
220 Km 100000 Volt -Leitungen für 1x3x120qm Aluminium
---- Hauptspeiseleitungen unter 100000 V. — Beisp. eines Verteilungsnetzes
@ Haupttransform:Stat. f. 100000 V. € Wasserkraftanlagen, A Dampfkraftanlagen.
Hof @ Ma
N
HP MÜNCHEN
`
Ae
unbegründet find. Landſchaftlich reizvolle
Geen find in wafferarmen Gegenden ents
ftanden, bie ein Wngiehungspuntt für Ortss
fremde geworden find, und ebenfo bat
man es perjtanben, bie notwendigen Baus
ten, jelbft die Transformatorenftationen für
bie eleftrijche Stromführung, ber Umgebung
und dem Der Landichaft eigenen Stil ans
zupalien. Go haben die Majjertraftwerte
oft eher zur Verſchönerung der Gegend beis
getragen.
Nicht nublos fol das Waller zu Tale
fließen. Cine gewaltige Energiequelle aus»
zunußen, ijt bisher aber nod) niht geglüdt:
die der Ebbe und Flut. Aber der Technil
find ja feine Grengen gezogen. Unmeßbare
Kräfte treiben bie Majjermengen bes offenen
Meeres táglid) zum Lande und drängen
jie ebenjo regelmäßig zurüd. Wud) der Tag
wird fommen, ba fie dem Menſchen dienen
werden, dienen eben|o wie die Spenderin
aller Energie, die Sonne. Nod) arbeitet fie
nicht unmittelbar für uns. Gie Debt nur
die weiße Kohle aus der Tiefe hinauf auf
unfere Berge. Doch fte fendet außerdem
mit ihren Strahlen gewaltige Energiemengen
auf die Erde, Die zu verwerten wir nod)
nicht SE ER Unjere 9tadjfommen wers
den vielleiht einmal, wie wir von ber
weißen Roble, von ber roten Roble fpreden,
ber Gonnen:» Energie.
85
Xuije
C
Mide bin ich,
Schließe beide ein zu:
Mater, laß die Augen bein
fiber meinem Vette fein!
Ce Rubh’,
ab’ id) unrecht heut getan,
ieh es, lieber Gott, nicht an!
Deine Gnad’ in Jefu Blut .
Madt ja allen Schaden gut.
Alle, bie mir find verwandt,
Gott, laß rubn in deiner Hand!
Wie Menichen, groß und klein,
Sollen dir befoblen fein.
Kranlen Herzen fende Rub”,
Nafie neg ſchließe zu!
Laß den Mond am — ſtehn
Und die ſtille Welt beſehn.
mac as ift eine Weiſe, die man aus der
(UNA eigenen Kindheit fennt. Aber viel-
Sy leicht geichah es febr viel fpáter,
c !
als man felber lángft erwachjen
war, daß man fid) an dem Bett
eines Rindes fand, das dies Nachtgebet jprach,
und bie Iddien Berje gewannen Gewalt
über Das Herz, und etwas wie eine Schnjucht
erftand, dte Pitgerreije in Dies ferne — oder
verlorene? — Land anzutreten... Und dar:
über mochten wieder lange Jahre verjtrichen
fein, der Wunjch war vergejfen und wieder
aufgetaucht, bis jid) bod) die Stunde fand,
Aufſchluß zu fuen, was es recht eigentlich
um diefe Rinderverje ift, und wer diefe
Vue Henfel war, die fie ſchrieb?
Es war aber, als ftiinden der Beant:
wortung ber ——— Hinder⸗
niſſe entgegen. an vermochte kaum zu
ſagen, was den Blick derart trübte. Die
e WEN diejes Mädchens oder irgendein
1
erftand im eigenen Ich?
Was will bas überhaupt bejagen: „Rak
ben Mond am Himmel jtehn und die ftille
Welt bejehn?“ Ift bas bildhaft erfaßt, und
wenden jid) die Augen der elei zu,
deren Hütten unter dem Ctrobbad) im Mtond-
lit heimijcher werden, ober ijt es Symbol
für eine befriedete Welt? Warum die aus:
drüdliche Bitte an Gott um etwas, bas bod)
aud) ohnedies in der WeltordDnung vorgeleben
pial Schrieb ein Menſch dieje Berfe, ber ein
indesempfinden bewußt ftilifierte, ober war
bie Achtzehnjährige, bie fie dichtete, Kind
geblieben?
Cs ift, als ftiinde man vor ganz jihlichter
Gartenpforte; aber fie ijt derart mit wild
aufgejchojjenem, von Gártners Händen un:
berührtem Grin überwuchert, daß man nidt
auszumachen vermag, was ſich Dahinter birgt.
ES & a]
Hinter Diejer — breitet ſich die
märkiſche Heidelandſchaft.
Luiſe Henſel iſt am 30. März 1798 geboren
o jo Y A
Henſel. Ird
Get
Dor Ernft Heilborn ma
ihes und
eb en
worden, ihr Bater war protejtantijder
Pfarrer zu Linum im Havelland, fie jelbit
das fünfte Rind inmitten fiebentópfiger Ge:
diwijterid)ar, von denen einzelne allerdings
jung geftorben find. Sie war ein wildes Mäd-
den, das es den Buben zuvortat, aber es
zeigte fih aud) febr früh bet ihr die Neigung,
Graberjtatten aufzujuchen und dort zu weilen.
Die bid)terijd)e Beanlagung war ihr von ber
Mutter überfommen. nm biejer Familie
bidjtete eigentlih alles, man jchrieb fih
Briefe in burdjaus flingenben Verjen, Mutter
und Tochter gewannen fogar in Liedern
Ausiprachemöglichkeiten, Die ihnen das
Schreiben ſonſt verjagte, und Bruder Wilhelm,
der finnige Maler, Rand darin hinter ihnen
nicht zurüd.
Sorge und Not hat fie früh tennen gelernt,
der Vater trántelte, Geſchwiſter ftarben, ein
Prozeß hatte Armut im Gefolge; dann ftarb
der Bater. Luije Henjel war zwölf Jahre alt,
als fie mit der Mutter und den überlebenden
Gejdwijtern nad) Berlin überjiedelte.
Cie wohnte in dem Haufe Diartarafens
und Lindenftraßen: Ede und befud)te die
SReal]djule in ber Rodjtrake. In der nahe:
—— Sternwarte fand ſie mancherlei
nregung. In dieſe Schuljahre, in ihr
zwölftes bis vierzehntes Jahr alſo, fielen
ihrem eigenen Zeugnis nach ernſte religiöſe
Kämpfe; man möchte das, in ſo jugendlichem
Alter, belächeln; doch hat die Kindheit ihren
ſtummen Ernſt.
Trotz der bedrängten Verhältniſſe, in denen
die vaterloſe Familie lebte, war Luiſe Henſel
in den ſchöngeiſtigen Kreiſen dieſes Berlins,
das von der eben überſtandenen ſchweren
Arbeit der EC Erholung fudte,
ein gern gejehener Gajt. Gie verkehrte im
Hauje dés Rriminalrats Eduard Hiki
d dort aller Wahrjcheinlichkeit nad) mit
£. T. U. Hoffmann, Houwald, Gontejja,
Chamijjo um einen Tijd herum gejejjen.
Mit der Tochter des Staatsrats und Dichters
Friedrich Auguft v. Stägemann verband fie
innige Freundſchaft. Bei Stägemanns ges
ſchah's, daß Gneijenau dem Mädchen von
lemer bitteren Kindheit — ein fonjt ftreng
gehütetes Geheimnis — erzählte. Im Hauſe
Stägemanns lernte fie Brentano tennen.
Diejem febr bejcheidenen Berliner Dafein
wurden dennoch — bas lag nun einmal im
Zuge ber Zeit — die Freuden einer Sommers»
wohnung zuteil. Im Jahre 1816 30g die
verwitwete Paſtorin Henjel mit ihren Kin»
dern nad) Schöneberg hinaus, und eben dies
SCH „ganz im Grünen“ in Schöneberg iit
uije Henjel zu einem Arkadien ber Erinne:
rung geworden, Die Freunde und jyreum
und
pese Ernft Heilborn: Kuifje Henfel. Irdiſches unb himmlifdes Lieben BZA 531
. binnen famen tagtäglich hinaus, man erging
i bei ben Bergißmeinnicht am Bahe, man
pielte, man tanzte. Won Schöneberg aus
tam £uije Henjel an jenem Nachmittag nad)
Berlin und in die „gute Stube“ des Staats»
rats v. Stägemann, als fie Clemens Brentano
tennen lernte.
Verſunken fcheinen die Cindriide der
märlijchen Heidelandichaft; bie geiftig an:
eregte Rleinftadt, die zugleich Preußens
AS ilt, beftimmt, umrahmend, diefe
ungmädchenbilder. Gewiß, das Leben hat
feine Gorgen, aber fie |deinem bod) nicht
allzu jchwer; man weiß eines Mintertages
nicht, woher das Holz zum Heizen nehmen,
aber noch zur rechten Zeit wird es einem
auf Borg geliefert; man findet fid) in gutem
eiltigen Berfehr; zu innerer Erregung, zu
Reliichem Kampf jdeint fein Anlaß gegeben.
Blaut nicht der Himmel über aller Kind:
de, Wendet man der Heranwadjenden
uife Henjel jchärferes Augenmerk au, fo
find es drei 9iuBerungen, bie sunádjlt um
mindeiten merfwiirdig erjcheinen. Als Rind
fagt jie einmal auf die Frage, ob fie
nibt aud Palftorenfrau werden möchte:
„Nein, nein! Geijtlide brauchen gar feine
Frau zu haben.“ Bei ihrer Einjegnung
burd) einen gut proteftantijden Berliner
Geiftlichen macht fie eine Art Patt mit Gott:
daß fie fih Durch diefe Handlung zum Chrijten-
tum befenne, fih aber die Freiheit e si
wolle, die rechte Kirche unter den Kon:
EC gu fuchen. Und endlich findet fih
n ihren Aufzeichnungen der Sat: „Meine
Eltern liebten einander jehr. Doch habe ich
gottlob! nie eine Tändelei oder fonft etwas
Kindiſches zwilchen ihnen erlebt, ebenjowenig
einen Streit.“
Man weiß zunächſt nicht, was man von
alledem zu halten bat. Cs ift aud) nur, als
nábme ein Iteblidjes Syungmábdjenantlit für
einen Augenblid bejrembenben Ausdrud an.
E
88 88
Am 7. unb 8. Dezember 1818 vollzog
$uije Henjel, Tochter des weiland proteftan:
tijden Pfarrers Johann Jakob Ludwig
pent ihren Übertritt zur SE oe Kirche.
ie tat den Schritt aunádjt ohne Willen
ihrer Mutter. Cie beging ihn aus reiflicher
Überlegung heraus und nahdem fie fleiBtge
Bejucherin protejtantijdjer Kirchen gewejen
war. Es geichah bas aber zu der nämlichen
Zeit, in ber ein Cchleiermader auf der Kanzel
der Dreifaltigfeitstirche ftand.
8 B] 8
Luije Henjel ift ſchön gewejen, das wird
alljeitig bezeugt. Ihre Geftalt war jchlant
und zart. „Einen Teint wie Lilien und
Rofen” rühmt ihr Frau v. Olfers nad. Ten
blauen Mugen war ein tiefer Blid gegeben.
Auf dem lieblidhen Köpfchen lag jchweres, ans
[djeinenb braunes Haar. Es war ibr in folder
a gegeben, daß fie, bereits gealtert, ihrer
utter ein Fußkiſſen daraus fertigen fonnte,
wie „des Geidenhäsleins Mutter“.
Als Brentano ihr an jenem September:
abend des Jabres 1816 zum erftenmal ento
gegentrat, fagte ez: „Mein Gott, wie gleichen
ie meiner verftorbenen Schweiter Sophie!“
Cie jelbjt aber hatte nod) eben, bevor er
eintrat und bereits von ibm gelprodjen
wurde, gemeint: „Wenn er weiter nichts ift
als geiftreich, jo tann er babet nod) ein febr
unglidlider und erbärmlicher Menjch fein.”
rentano hatte in feinem Liebesleben bes
reits Schiffbruch gelitten, als er Luije Henjel
tennen lernte. Geine erfte Frau, bie er ges
liebt hatte, Sophie Mereau, war, man tann
wohl jagen, an thm und für ihn geltorben:
diejer krankhafte Drang in ihm, bie zu quae
len, bie er liebte, hatte fih an ihr ausgetobt.
Mit feiner zweiten Frau, die er nie geliebt
unb nur aus einem Dummjungenftreich heraus
geheiratet hatte, Augufte Busmann, lebte
er in Scheidung, nahdem [ie einander das
Leben vergällt hatten.
Mit all bem leidenjichaftlichen Ungeftiim,
das in ihm tobte, umwarb nunmehr der
Achtunddreißigjährige [die achtzehnjährige
Luiſe Henjel. Bon allem Anfang an wehrte
fie ab, denn fie bat ihn in Wahrheit nie
geliebt. Ihm aber war es gegeben, aud
ba, wo man ihn abwies, feelijd) einzuwurzeln.
Und fo geldjab das Geltjame: dies Herzens»
ME apr das bod) nun [o oder [o beitand,
aud) wenn Bequältjein und Mitleid in ihr
die Liebe zu erjegen hatten, führte zu einer
religiójen Gemeinjchaft ehe Tatſache
iſt, daß Luiſe Henſels Einfluß mitwirkte,
Brentano ſeiner katholiſchen Mutterkirche
wiederzugeben; ſie war's gewiſſermaßen, die
ihn zur Beichte führte; und Tatſache iſt es
auch, obwohl Luiſe Henſel es in Abrede ge—
ſtellt hat, daß er ſeinen Anteil an ihrem
Übertritt zum Katholizismus hatte.
Luije Henjel hat ibn nie geliebt. lus
jenem Opferdrange aber, der jungen Mädchen
vielfad) eigen, hatte fie, bevor fie wußte,
daß er in Scheidung lebte, mit der Möglich:
feit ihn zu heiraten durchaus gerechnet. Mie
nun hatte fie fic) bie Ehe mit ibm vorgejtellt?
Shr eigenes Tagebuch gibt darauf Ant:
wort: , 3d) RE bu würdeft fonft gut,
aber ungeduldig fein, und würdeſt mid
vielleicht oft quälen ober flagen; id) würde
darin meine Buße und (en De finden,
mid in Geduld und Gntjlagung zu üben;
denn ein weltliches — hatte ich damals
nicht für dich.“ Und weiterhin: „Auch glaubte
ich, unſere Ehe würde kinderlos und keuſch
ſein.“ Wieder fragt man ſich, was iſt da
ſeeliſch und ſinnlich vor ſich gegangen?
Es gibt Jungmädchennaturen, und Luiſe
Henjel [Heint zu ihnen gehört zu haben, bie,
ohne barum unjinnlich zu jein, mimojenbafte
Scheu vor jeder förperlihen Annäherung
hegen; in denen gleihjam die Furcht vor
jeder Berührung zittert. Man weiß von
einer Braut, die ihren Verlobten aufs aürt:
lichfte liebte, ihm, fobald er entfernt war,
dentbar bingebungspolle Briefe jchrieb.
Nabte er fih thr aber perjönlich, fo wid fie
ibm aus; war taum imijtande, mit ihm allein
35?
539 ee SS Ernft Heilborn: see
u fein; führte heftige Auftritte herbei, gleidh-
Ft um [lid vor ibm zu fügen — um
wiederum, jobald er fie verlafjen hatte, in
ihren Briefen ganz Hingebung und Liebe
u fein. Das ging durd Jahre; der Mtann
hörte nicht auf, demütig um fie zu werben,
is auch feine Kraft erlahmte und er bie
Verlobung löfte. Da gejdah es, daß fie in
tiefitem Herzeleid völlig zulammenbrad ...
Bielleiht hat man in Luije Henfel eine nicht
unábnlide Natur zu jehen. Ihr nun trat
in Brentano die nicht ſowohl ftarte, als viel-
mehr verderbte und frante Sinnlichkeit ent:
gegen. Es ift, als wäre fie in tiefiter Seele
darüber erjchroden. Als wäre alles um fie
herum und in ge para ender Unfider:
beit verfallen. ätte fie fich in ihrem
Gelbft — aud) vor jid) felber — betajtet
gefühlt. Brentano hat in Luije
Que bas
reine und unjchuldige ſinnliche pfinden
getötet, er hat es zugleich geipenftern ln
Etwas von dem allen muß freilich [Hon
vorher in ihr gejchlummert haben. Denn
es war bod) merkwürdig, daß ein Rind Bes
tradtungen darüber anjtellte, daß Beiftliche
nicht verheiratet fein jollten, und fid) deffen
dankbar bewußt wurde, nie einem Zärtlich-
leitsaustaujd) der Eltern beigewohnt zu has
ben! Wo es gejpenitert, war immer Neigung
zur GBeijterjeheret vorhanden.
Am 6. Mai 1820 legte Luife Henfel ihr
Keuſchheitsgelübde ab.
In Brentanos Art blieb, auch nachdem
er auf alles Liebeswerben Berzicht geleijtet
hatte und etwas wie eine jeeltjd)e und reli:
töje ve a zwilchen ihnen ers
anden war, Dies finnlid) Aufreizende,
franfhaft Quálende, eine empfindjame Geele
Berlegende, geradezu Verjcheuchende. Tone,
wie bas , ahr’ bin in Deiner Heiligkeit,
Du Tórin, Du Mabnfinnige,” verloren
(id) bald aus den Briefen, die er an fic rich:
tete. Um fo peinvoller mochte es eine Zuije
Senjel berühren, wenn der lülterne Büker
ichrieb, ibm fets, „als wäre meine Bruft ein
Badezuber und Deine Füße ftiinden badend
und plätjchernd in meinem Herzen, und Du
fagit: endlich frieg id) warme Füße." Oder
wenn er ihr |djilbert, daß er wie ein Shat:
ten mit dem VTiondlibt in ihre Rammer
leite, den Ramm greife, den fie aus dem
aar gejchüttelt habe. Gie mal darüber
ein. „Und ich frieche heran und faſſe Deine
and, die ijt nicht falt; ich falte meine arme
and hinein und bete, Gott möge mir bel:
en, lieben und fterben, Dir, Dir, und dem,
ber uns liebet.“ Das wird dann weiter aus:
gelponnen, und am andern Morgen fehlt
bem Ramm ein Zahn — „Sud ihn nur in
der ganzen Rammer, Du findeft ihn nicht, er
ift in einer andern Kammer, wo Du viel
ſchöner brin wohnit, in meiner Herzfammer,
ba Hedi er mitten a und ijt ganz ver:
oldet. Gute Macht.“ ewig; das il echt
rentanojdjes Märchen; bier aber griff es
bod) mit plumpvertraulichen Händen nad)
einer, bie vor jeder Berührung aurüd|d)redte;
und bie — bas bleibt bas Entifeidende —
den Zudringlichen nicht einmal Itebte.
Cs ift von Luije Henfel zweifellos als Gre
lójung empfunden worden, als Brentano
in den Geptembertagen 1818 Berlin und
feiner Wohnung in ber Mauerſtraße ben
Rüden ¿uwandte, um fic auf Reifen zu bes
geben. Auch hatte fie bas Ihrige dazu beis
getragen, ihn dazu zu bewegen.
Zuele Reife aber hatte ein Ziel, das ihnen
beiden gleihmäßig am Herzen tag, und das
tein geringeres war als — das Wunder,
In Dülmen lebte damals Katharina Ems
merih, von Krankheit gejchlagen, Berzüdun«
gen anbeimgegeben, Gefichte |djauenb. Ein
Kind aus dem niederen Volle, von geringer
— trug ſie die Male des Herrn an
ihrem Leibe; und dieſe Male bluteten an
jedem Freitag.
Zu Katharina Emmerich begab fic Cles
mens Brentano, um Jahre bei brau melen und
e Eingebungen aufzuzeichnen. Zu Füßen
ihrer SR $ageritátte wird |päter aud)
Luiſe Henjel figen, recht innige Freundfchaft
gebend und nehmend, den Worten der „Ers
wedten” [aujdend. Und es mutet wie eine
grellfarbige Illuſtration zu diefem romans
tijden Zeitempfinden an, wenn fih wie
Henjel, wieder ein paar Jahre |päter, nach—
dem bie Emmerich geltorben war, nadts
vom Totengräber begleitet auf den Kirchhof
begibt (es Dich. der Leib ber Emmreric fet
aeftoblen worden), bas Grab öffnen läßt und
der Toten ins Angelicht |djaut.
Unmöglich, an der Frage vorüberzugehen,
wer dieje Katharina Emmerid war, denn
nur von bier aus ijt Einblid in Luije Henfels
— Empfinden zu gewinnen.
an hat von Betrug geſprochen, wie es
in ſolchen Fällen niemals ausbleibt, aber
an Betrug iſt hier ſchwerlich zu denken. Die
Frage, wie weit Autoſuggeſtion und fugs
geftive Einwirkungen anderer an dem , Mun:
der” Anteil hatten, berührt uns nicht, Diele
Katharina Emmerich war eine Ehrlidhe und
Geijtgegeid)nete. Ihr wurden wirklich Ge:
fihte und Eingebungen zuteil.
Aber — und das ijt es, was meiftens über»
leben wird — es ift ein Unterſchied zwiſchen
Geijt und Geijt, zwiichen Eingebungsdenten
und CGingebungsdenfen. Was ihr zuteil
wurde, war ohne Tiefe und ohne jchöpferilche
Kraft. Was fte jah, war bar jeder ſeeliſchen
Offenbarung. Gte erblidte den heiligen Jos
jeph und zeigte mit der Hand, wie groß er
BEEN lei. Gie wurde über Lander und
eere in ber Efitaje hinweggeführt, um zu
erjdjauen, was jedem Kenner der biblijden
Geſchichte fo, ober ungefähr fo, befannt fein
dürfte. Gie betrat mit načten Colen die
Paradieſeswieſe, ohne ben Blid ins Innere
der Natur zu tun. Der Jefus, der ihr ſprach,
war ber Jefus, den fie verftand. Gie hatte
bie Eingebungen — eines frommen Kindes.
Der die Kindlein zu jid) tommen ließ, tft
in dem Kindhaften aber nicht erſchöpft.
Man tann jagen, daß Clemens Brentano
Luife Henfel. Irdiſches
durch bie Emmerich einem Jefus zugeführt
wurde, der nicht der Heiland feiner Geele
war. Hier liegt bie tieffte Tragif feines Les
bens unb das, woran fein Dichten verdorrte.
Clemens Brentano aber fap neben dem
Bett der Emmericd und ſchrieb an Luife
enjel die Icngen Briefe, die zu ausführ:
lihen Berichten wurden. Alles Ginnliche
| eint nun wirflid von ihm abgefallen zu
ein, Schweiter ift fie im und „Eluges, flares,
Hangvolles Kleinod“. Ctwas alttlug tönt
es hinein: „Meine liebe Schwelter, meide
allen Umgang, wo Du gefällit; das ift ge:
fährlicher als Lob“. Die Warnun tebrt
wieder und Klingt beftimmter: „Es wird eine
Zeit tommen, ba Du zwiſchen bem himm-
Itjdjen und einem irdijden Bräutigam ftehen
wirft. Gott erbarme jid) dann Deiner!” Die
Cpradje wird abermals deutlicher: „So laffe
uns Denn das Fleiſch dem Herrn opfern, aud
er hat bas feine für uns geopfert.” Und in
der Nachſchrift desjelben Briefes: „Du willjt
dem Leben jeine Sinnlichkeit nicht gönnen: —
verjage fie Dir, dann ek Du mehr gut ge:
tan, als alle Goethes gejchadet haben.“
Das flingt nun [reilid) etwas jeltjam,
blidt man dem Brentano in die Mugen, der
er nod) eben gewejen war. Tian fiirdtet, uns
ter der himmliſchen Livree tónnte einem eine
von febr irdifden Nöten bewegte Brujt ent:
egentlopfen, und wirflid, aus Brentanos
D onifben Morten [prid)t eine neue, nicht
[onberfid) überirdiſche Leidenſchaft, bie —
Eiferſucht.
Luiſe Henſel war dem Jüngling begegnet,
nach dem ihr Herz Verlangen trug: Ludwig
von Gerlach.
Wirklich hebt in ihrem Innern damit der
Kampf an, dies peinvolle Sichentſcheiden
en dem himmliſchen und dem irdiſchen
räutigam. Wie D nun einmal war und
empfand, beftand für fie dies gebieterijche
Entweder — Oder, eim GCid)barumberum:
lügen gab es nidi. Mit tiefer Rührung
Det man in ihren Tagebüchern, daß es piel:
leicht bejjer fet, zu zweit zu gehn als allein,
weil eins dem andern out bem Meg zu Gott
bod) forthelfen Tome — aber bie innere
Stimme gibt's nicht zu —: „DO, um Gottes
willen werde du ntt jo mein Peiniger, fieh
mich nicht wieder jo an, wie du mich einmal
angejehen — wenn mid noch einmal bie
Welt jo begehrend und fo verheißend aus
deinen Augen anfieht, jo muß ich bid) vers
lajjen, mid) ganz von bir wenden, da id)
bod) fo gerne deine Schweiter fein möchte.“
Cie trägt Danad Verlangen, einen Lieblings:
Jpagiergang mit ibm zu maden — „aber
wir müßten beide nichts verlangen und nicht
fehnen und von dem lieben Gott reden.“
Cid) bieles Liebesweben in Luije Henjel
vergegenwärtigen, heißt nun wirtlih an
Barteites rühren; es ijt, als öffnete (ich Bier
eine Blüte, eine jener jeltjamen, die tn einer
Nacht erftehen und vergeben und bie fih
unter jedem Blid ſchließen müllen.
Co zart war bieles Liebesfehnen in Quife
und himmlifches Lieben 533
Henfel, daß ber Mann, dem es galt, es nicht
‚einmal gewahr geworden ift. Der Zufall,
oder ein freun lides Geſchick, folte es fügen,
daß Ludwig von Gerlach, als Greis, an das
legte Giechenlager von Luiſe Henfel, die er
jett Jahrzehnten nicht geſehen hatte, trat.
Er plauderte mit ihr von Der alten Zeit
und von gemeinjamen Befannten. Was er
jelbjt fiir Dies Leben, bas ba im Erlöjchen
war, bedeutet batte, abnte er nicht.
Aber man begreift, daß eine Natur wie
fuije Henjel, diefe Zartefte und Allzuzarte,
(i von einer Grjdjtnung wie der Luthers
abgeftoßen fühlte. Der gejund finnlide Zug
in bem benut|den Reformator jcheucht die
Mimofjenhafte tief in ihr Inneres zurück.
Cie wohnte hinter zugezogenen Gardinen.
Mie ein Symbol mutet es an: Die vers
ftorbene Schweiter hatte Brentano in £uije
Henjel wiederzuertennen geglaubt, als [ie
ibm bas erftemal entgegengetreten war; aus
Ludwig p. Gerlad) grüßte Luije Henjel ihr
eitorbener Bruder. In ihren Tagebüchern
Bit es: „Rieber Freund, but du denn aud)
jo? Sd) Habe einen Bruder Ludwig vers
loren; verloren habe ich ihn nicht, aber er
tft geltorben, willft du nun nicht mein Bru
der Ludwig fein? ... Ich habe mid) gewuns
dert, baB du nicht im September gejtorben
bijt; mein Bruder ftarb in demjelben Mo—
nate, an derjelben Krankheit, die du hatteft.”
Dies Lieben blidt aus toten Augen.
CH 88
„Und [oll ich bid) nicht haben,
Den einzig ich erwählt,
So E man mich begraben
Verſchmäht und unvermáblt !
Und jollt ich bid) nicht jeben,
Auch dort nicht werden dein;
Möcht ich nicht auferiteben,
Mode id nicht felig ein!”
Ohne je in ein Kloſter einzutreten, Dat
Luiſe Henjel ihr Keujchheitsgelübde abgelegt.
Der Bräutigam, dem fie t anverlobt hat,
ijt Gottes Sohn geweien, der für bie jündige
Menjchheit den Kruezestod erlitt.
Cs ijt ein wehes Geheimnis um die Brauts
haft der menichlichen Seele mit ihrem Gr:
lójer. Jefus felbft hat ihr das Mort ges
geben, als er das Bleichnis von den Mugen
und törichten Jungfrauen ſprach. Alteſte
Tinjtit beginnt darüber zu raunen, man ers
tennt darin bie Efftajen ber Verzücdten, aber
man blidt aud) in bie ftille Glut ber in die
Mejenbeit der Dinge 9Berjenften. In einen
Menibbeitsmorgen dámmert ein Menjch-
heitsabend hinüber, unb nun ertönt es von
den Lippen eines Novalis: „Hinunter zu der
higen Braut, zu Jejus, dem Geliebten!” —
Sawohl; wir willen um das bräutliche
Geheimnis der Geele zu ihrem zeitlofen
Freunde,
Bei Luife Henjel ift von alledem nicht die
Rede. Und es ift wichtig, darin Har zu
leben, um fo mehr, als von mancher Geite
bas Gegenteil behauptet worden tft, Von
dem Myjterium ber Brautihaft ijt nichts in
Luije Henjels Gedichten, und nichts in ihren
Quije Henjel. Irdiſches und himmlifches Lieben 535
firdhe aufgenommen und fand fid) da warm
und wärmer eingebettet. Go verjtrid) ihr
das Leben: fie wurde geführt. Zwar,
e immer wieder aufiteigender Wunſch,
onne zu werden, gin nicht in Erfüllung,
aber fie lebte in der Welt, als tate fies
nidjt.. Die Gardinen vor ihrem Fenfter blie-
ben zugezogen. Gie fand in adligen Häus
fern Aufnahme und fduf fid) da ihren Wir:
tungsbereid); fie pflegte Rranfe; fie erzog
junge Mábddjen und ftreute in ihre Herzen
den Samen, der in ihrem eigenen Blüte und
— getrieben hatte; ſie gab und fand
iebe; ſie ſtarb mit gefalteten Händen als
eine, die den Tod ſeit Kindestagen herbei—
geſehnt ſie ſchloß die Augen achtund⸗
ſiebzigiährig, und es war nicht anders, als
wäre nur eine Nacht darüber verjtrichen, feit
jie, ein Kind, ihr Abendgebet gejprochen hatte. .
Der Jungfräulichen war etwas wie Mutter:
gliid bejchieden. Sterbend hatte ihre Schwelter
thr ihr Söhnchen anvertraut, und die Gorge
um dies Kind, bem Dod) ber protejtantijde
Bater lebte, hatte ihr ihren Entſchluß, zur
tatholiichen Kirche überzutreten, febr welent-
lich erldmert, ber die Hindernijje waren
bejeitigt worden, fie lebte diejem Kinde, er:
fuhr an ibm Wlutterfreude, aber auch jebr
berbe Mutternot und jah den längjt Heran-
gewadjenen fterben. Co glitt und entglitt
alles. Bielleicht aber war jeder Berluft auf
bieler Erde Gewinn für die Heimat jenjeits
der Todeswolte ?
Cie glid) der alternden Braut aus dem
Bolfslied, deren Bräutigam vor fünfzig oder
mehr Jabren in der Schlacht gefallen ijt,
und die nod) Abend für Abend die Lampe
an ihr Genjter ftellt, ibm den Weg zu weijen,
wenn er bod) beimfebren jollte —, altgewor:
denes Rind. Aber fie glich auch zugleich der
Hugen Jungfrau, die bie Lampe bereit hält,
weil jie weiß, der Bräutigam muß fommen,
denn er ift nicht von biejer Welt, und Tod
und Gterben haben über ihn nicht Gewalt, —
Kind Gottes.
8 e &
Luije Henjel tft Rind geblieben, ijt es aud
in ihrer Dichtung, und damit findet Die
Frage, was es doch bedeuten wollte, Dies:
„Zah den Mond am Himmel ftehn — Und die
ftille Welt bejehn,“ ihre Beantwortung. Es
if nichts anderes, als ftredte ein Kind die
Hände aus und jubelte: „So [Món ijt der
Mond!” und faltete fte alsbald und bäte den
lieben Gott, ihn immer am Himmel zu laffen.
Daß fie Kind blieb, wirklich und ohne alle
Ginjdrantung, aud) ohne alle Hintergedan-
ten, das gibt ihren Gedichten den ganz
eigenartigen Retz. Cie find wie einer Diejer
vergejjenen Garten hinter hohen Mauern
mitten im Gtadtgetriebe. Der Gartner, der
für ihn zu jorgen hatte, timmert jid) nicht
darum, oder er ijt auch feit langem geftors
ben. Inmitten des hohen Grajes haben fih
dar angejdet. Es wádit aus ihrer
urgelfnolle aber auch Jahr für Jahr die
eine hohe, weiße Lilie auf...
Gerade weil fie fo ganz Rind ijt, belit
fte eine wundervolle bildnerifche Kraft. Ste
dentt in Bildern, ihre Gedanken treten,
gleihjam mit Händen greifbar, vor fie hin.
So wird bei thr Todesjehnjucht zu der
Bitte an Mutter Erde:
„gab uns in grünen Wiegen
Im weißen Hembdlein liegen
Go tief und jtill und Dicht.“
Nun ift es freilich nicht zu leugnen, daß
fith dieje ausgejprochen bildnerijche Kraft
aus ihren |päteren Gedichten verliert. Mud)
ba nod ipridt bas Kind, aber die Um:
gebung wird verſchwommener, die Wände des
Zimmers Ideen Mu YA zu fein.
Mas will das befagen? Nichts gegen die
Didterin und nidts gegen ihren Entwid:
lungsgang. Jedes Menjchenleben hat aud)
jeelifd) ſeine Blütezeit. Die ihre mußte in
die Kindheit und in die frühe Jugend fallen.
Auch findet p eins unter ihren febr jpáten
Gedichten, es ift im Sommer 1869 entitan=
den, Das zum mindeften zeigt, wie perjón:
lid, wie innig jchlicht ihr bas religióje Er»
lebnis blieb, ein Gedicht, bas eben durch
diefe Erlebnistraft auch bildhaft wirft. Es
ijt „Mein Emmaus” überjchrieben und fegt
mit ben Berjen ein:
„Der Tag bat fih geneiget,
Kehr’ ein, geliebter Gajt!
Der Lärm des Tages SCENE
Und günnt der Seele Raft.
£aB uns beim ben tahle
Und trauter Rede nun
Sm milden Whendjtrable
Bon jhwerer Wand’rung rubn!”
Man Det bas und erinnert fih, dak ihr
Geelfjorger ihr aufgetragen hatte, Jofeph
und Maria auf ber Reife Me Ke
zu begleiten; man erfennt, wie jolche Reifen
ihr Früchte trugen.
Irdiſche Wirklichkeitseindrückte ſucht man in
ben Bedichten bieles Kindes vergeblich. Gelbjt
bie Landidaft gewinnt feine entſcheidende
Kraft, oder bod) nur da, wo fih die inneren
Beziehungen von jelbft ergeben. Ms ein ewig
EAS tritt ihr die Birte jchweiterlich
nabe. ieber ijt es der Mond, der Die
Landſchaft ihrer Seele redjt eigentlich be:
ftimmt:
» tenn’ ein blei ;
E E E
Es fiebt, als jagt’ es: ‚Weine nicht!
Sit alles wohlgetan.‘“
Und bann findet [fid in einem ihrer
Sugendgedidte — fie ift Damals zweiund-
zwanzig Jahre alt — ein Wort, bas für
dieje ganze (Empfindungswelt geradezu
Offenbarungsfrajt gewinnt, derart, daß
Himmel und Erde, Sehnen und Erfennen
in eins verwadjen, nur das Mort, in dem:
jie Den Mond Jeju janftes Bild nennt.
Und darüber möchte man die Hände mit
ihr falten:
„Laß den Mond am Himmel jtehn
Und die ftille Welt bejegn!”
«lees bom Büchertiſch⸗
Bon Karl Otrocfor
SRLLLELLELLLELLLETLLLLSLLLLLLTEeELLELLLETLLLLELTELETEEC IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIDIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIO
gons Sterneder: Der Bauernftudent (Leipzig, L. Staadmann) — Ostar
oerte: Der Oger (Hamburg, Hoffmann & (impe) — Elifabeth von Sepfing:
Das volltommene Blüd (Berlin, Auguft SHer) — Seinrid) Lilienfein: Der
Shag im Ader be pee abe Gtreder & Schröder) — Rory Towsfa: Der Pring
von Hyiterten (Leipzig: Wien, Donau- Verlag) — Karl Streder: Unfere Raijerin,
Sebensbild einer deutjchen Frau (Berlin, Neudeutige Verlags» und Treuhandgeſellſchaft)
dlich einmal wieder ein junges, kräf—
tiges Ringen! Endlich wieder eins
mal ein neucr Kopf mit Dellen
Augen und ohne merfliche Sjolier»
fidt awijden diejem Kopf unb
dem Herzen. Hans Gterneder ift ber
neue Dann, ein armer Volksſchullehrer
im niederöfterreihilhden Wald, und Der
Bauernftudent heißt fein Roman, ber
Erjtling eines BZweiunddreißigjährigen —
was fon ein wenig für ihn einnimmt.
Wenn der Dorflehrer Sans Sterneder in den
gerien auf die Wanderjchaft geht, jo ſchnei—
bet er fid) vorher in feinem Wald einen hands
felten Wanderftab vom Gtraud); fo einen
Gteden mödten wir ibm bei Antritt feiner
Wanderung in die Zeitliteratur geben, Die
EE ange nicht fo [Món ift wie ver:
mutlich fein Wald am Semmering und in
ber es fid) auch lange nicht fo luftig wan:
bert, Denn ba tritt man oft unperjebens in
ein $yudjslod), daß man fih für ein Weil:
den den Fuß verfnadjt, oder Brombeer:
BE Ihlingt [id mneibijd mit zäben
tadeln um den ausjchreitenden Gtiefel;
fommt der Wandersmann aber trog alledem
vorwärts, fo umjchreien ihn die Rráben und
Doblen, die im Schwarm bejonders tapfer
unb bejonders mißtönig find. Holla, Dons
Gterneder! Top deinen guten Gteden fefter
und Ihwing ibn lachend zur Abwehr um
bie Müge, wenn du ibn nicht gerade als
Stütze braudjt, etwa um über ein Fuchslo
zu jpringen. Ein rechter Kerl findet jchließ»
lid) feinen Meg, wenn ihm aud) mandmal
das Lahen vergeht: namentlich heute, wo
ber geijtige Arbeiter der eigentliche Proles
tarier ilt.
Der Bauernfiudent ijt natürlich Sterneder
jelber, der, wie die meiften Anfänger, in
einem Entwidlungsroman fid) zunädjlt ein»
mal die eigenen Erlebnijje, Rampfe, Liebes:
und Berufsangelegenbeiten zur Erleichterung
von ber Geele jchreibt. Der arme Klein:
báuslerbube in einem winzigen weltfernen
Dörflein kannte feine Eltern nicht, bie früh
tarben, bie Mutter [Hon bei feiner Geburt,
o bleibt ber Heine Wolfgang Heß in Obhut
der Großmutter Barbara, die aud thr
zweites Rind verliert, |o daß nun bas Büb—
chen ihre einzige Freude und Gorge ijt, bas
fie zum Dante dafür aus ihrem Summer
langjam wieder ins Leben führt. In Der
Stille und Cinjamfecit, gwijden Wiejen,
HHVH UU UU JUL U 101020 T0101 01010101 01010101 012010101 030 10101
Aderbreiten und Bergen erlebt Wolf eine
[üdlidje Bubengeit; fein Lehrer Dlartin
tons nimmt fid) feiner freundlich an und hilft
dem nad) Bildung ftrebenden Knaben vor:
wärts, jowcit es da auf dem Dörflein eben
‘geht. Und weit geht es leider nicht. Als Wolf
H Sabre alt ijt, bat Duy epe. bie
ijfenjchaft für Den armen Buben ein Ende,
und es geht ins Leben, das heißt — ans fub:
hüten, Ungern fieht ibn fein Lehrer [Hon
aus der Schule gehen, aber er weiß, wie
fauer fid) bie Großmutter Hef ihr Brot vers
dient, und |o verichafft er ibm die Gemeinde-
biiterftelle. Nun tann Wölflein Tag für Tag
Draußen im Freien liegen und feinen Träus
‘men nadbangen; für gute Verpflegung jorgen
die Bauern, deren Vieh er hütet. So jpringt
er durch froblidje Bubenjahre. Mad zwei
Jahren wird er Rnedt bei einem rechtichafr
fenen Bauer, wo es KL im Sommer die
Beine und bie Faulte en Debt, Für
die langen Winterabende aber d itd) Wolf
Heß wiljenichaftliche Bücher von jeinem Lehrer
und Gett und ftudiert, bis endlich fein Drang
nad) geijtiger Entwidlung ihm feine Ruhe
mehr im Dörflein läßt: er muß auf bie
GStadtjchule und ordentlih etwas lernen!
Martin Lins ebnet ihm auch hier bie Wege.
Zwar fommt ber große Rnedt fid) etwas
jeltjam vor gwijdjen den viel jüngeren Rin:
dern ber Klaſſe in der Stadt, aber er findet
aud) bier freundliche Helfer: iyreitilde und
Gelegenheit, fih Durd) Stundengeben Lebens:
unterbalt zu verdienen. Cine lebensgefähr:
liche Schädeloperation wird überwunden, und
Heh, ber in den Ferien mit den wenigen
Bagen, bie er beim Gtundengeben erübrigt
Bat, als Walzbruder durd die Alpen und
durch Deutichland wandert, beendet fein-
Mittelſchulſtudium durch eine glänzende Priis
fung. Uber was nun? Die Beamtenlauf—
abn wird ihm bald gründlich zuwider, und
Wolf fapt [fon den verzweifelten Entichluß,
wjeder Knecht zu werden, nur um feine {freis
heit und frijde Luft zu haben, da verweift
ibn der wohlmeinende Schuldireftor auf den
Lehrerberuf. Wolf geht aufs Seminar. Als
er in den Ferien daheim ijt, lernt er bie
hübjche Tochter eines Runjttifdlers fennen,
mit Der er jid) nad) gutbejtandener Prüfung
verlobt. Bald tann er fie heimführen, da
er in einer benachbarten Gemeinde am Sem»
mering als Lehrer angeftellt wird. So hat
er feine jchöne Heimat gefunden, bie nod
PeessssSssss5 Karl Streder: Neues vom 3Büdjertijd) RESZ 537
immer rüjtige Großmutter verfauft ihr flei-
nes Anwejen und zieht zu dem glüdlich ver:
heirateten Enfel, der in den langen Winters
abenden zur TFabulierfeder greift und bald
jeinen erften Roman in bie Welt jchidlen
fann, ber heißt: „Der Bauernjtudent”.
Es liegt viel Sonne auf den Blättern
diejes Buches. Nicht jenes „liebe Himmels:
liht”, das „trüb durch gemalte Scheiben
bricht“, jondern die ganz unmittelbare,
ladende, wármende Berg: und Wiejenjonne,
die alle Dinge in beiteres Licht und frób-
lihe Zuverliht taucht, bie würzigen Duft
aus Tannenwáldern und Heujchwaden Tölt.
Ginfad) und ungetiinjtelt ift alles erzählt,
aber doch mit Starker epijcher Begabung und
friiher Sarjtellungsfunjt. Ein Heller, tiid:
ef unperborbener SUlenjd) jdjeint diejer
olf: Hans, mit dem man gern einen Tag
auf feiner Viebtrift ober gwijden reifen
Rornjeld. rn ober im Waldesdidicht verbringt,
denn in jeinen jdjauenben Augen fpiegeln
fid) alle Herrlichkeiten der Natur von ber
Freude eines fühlenten, bidjterijd) verjtehen:
den Menjchen vertlárt, Weld) ein finnig-fetner
Poet jpridt etwa aus der Weihnachtsviſion
oben im jtillen, jchneeverbrämten Walde,
während die Menjchen unten ihre Tannen:
báume mit Silberlicht ſchmücken. Das deutſche
Schrifttum hat vielleicht feine großen Offen:
barungen von Hans Sterneder zu erwarten,
er gehört nicht zu den Genien, die einft die
Literaturgefhichte an erfier Stelle nennen
wird, aber wir dürfen uns [hon freuen, daß
ein |o gejunder Bolksdichter in Diejer üblen
Zeit auftaucht und unjeren Glauben an bas
ewige Jungbad der Natur kräftig befeftigt.
Kein Wunder, daß der einundjechzigjährige
Meilter Hans Thoma feine Freude an diejem
jungen Waldlehrer gefunden. und ihm ein
wunderjchönes, finnvolles Titelbild für dies
Bud gezeichnet Dat. Mie jener Hellt aud)
Gterneder Landjdaften und Szenen aus dem
täglichen Leben am beiten dar, vielleicht daß
auch er nicht immer ganz im Figürlichen
befriedigt, aber dafür um jo mehr durch Die
ſchlichte Kunſt jeines jchöpferijchen Bauens,
durch innige Berfentung in bas Mejen des
Dargeftellten und burd) ungewöhnliche Ge:
fühlswärme erfreut. Wie Hans Thoma au
einem der Lieblingsmaler Des DdDeutjden
Volkes geworden ift, jo wollen wir von Hans
Gterneder hoffen, daß er berein|t zu feinen
Sieblingserzáblern gehören wird.
Das wird Osfar Loerfe vermutlich
niemals werden, obgleich er wohl bie Här:
tere Begabung ift und (]djon weil er in
größerer Reife fteht) ihn an Gebantentieje
wie an Filigranfunft bes daritellenden Aus:
druds überragt. Obgleich? vielmehr gerade
deshalb.
Gein Roman Der Oger ijt nicht für
jedermann, und wer nichts als Spannung
durch Gejdehnijfe, durch ftarte Handlung
jucht, wird jchwerlich auf feine Kojten fom-
men. Ausnahmsweije darf man einmal dem
Urteil des Verlages (bas ja met durch bas
Vergrößerungsglas der Reflame orientiert
ijt) recht geben, wenn er ausjpridt: „Es
Iheint müßig (um ganz Deutlich) zu fein:
barbarijch), die Fabel diejes Romans in ge-
drängten Worten hier herauszujchälen, um
das Stofflihe als äußeren Anreiz anzu:
preijen. Romane wie biejer Rieje Oger find
ſchwer zerlegbar in Schaufeniterbildchen. Sie
ind nicht um bes Gegenjtändlichen willen da,
jondern” ujw.
Vielleicht darf man — dies in Klammern
bemertt — .jene ftumpfe Schiht bes Leje-
publitums, die eine Erzählung zu fennen
[aubt, wenn fie ihre äußeren Geldjebnijje
ennt, und darum vom Beurteiler unbedingt
‚eine ausführliche „Inhaltsangabe“ verlangt,
einmal daran erinnern, dab bie föltlichite
Erzählung in deutſcher Sprache, Kellers
„Romeo und Julia auf dem Dorfe”, die
Fabel einer Dugend- Kalendergeichichte hat,
und daß bie Wiedergabe Dieter abel in
fünfzig Reporterzeilen ein Vandalismus ift;
zumal wenn etwa fura hinterher die Inhalts»
angabe eines Deteftivromans folgte, die von
Spannungen ët Niht auf das Was,
jondern auf das Wie fommt es an, wenig:
itens bet einem Dichter.
Und Loerfe ift ein Dichter. Schon nad)
den eriten fünf Seiten bes „Oger“ wüßte es
aud) ber, der bisher nod) nichts von ibm
gelejen bat. Geltjam verjchlungen [teber an
diejem Eingang Dámonie und VBifion. Gem
toter Bater jpricht mit bem „Helden“ Martin
und verteidigt fih gegen deffen heftige Be:
Ihuldigungen. Wir haben aljo hier wieder
bas nachgerade ſchon abgetriebene Steden:
pferd ber Tüngften: die Eltern und naments
lid) den Bater als den Ausbund irdilcher
Gemeinbeit hinzuftellen (es fei nur an den
„Sohn“ des „Tichters” Hajenclever erinnert).
Uber £oerfe ijt, dem Literaturtalender gus
folge, bald vierzig Jabre alt, aud) gebórt
er jicherlich nicht zu denen, bie eine Mode
um ihrer jelbft willen mitmachen, Hier liegt
der Grund alfo tiefer. Martin ijt nad) einer
heftigen Szene mit feinem Bater, in der er
ihn für bas ganze Unglüd der Familie ver:
antwortlid) madt und Jich beinahe zu Tat:
lichteiten binreiBen läßt, von Haufe fortge:
angen, obwohl er etwas Tüchtiges gelernt
bat und es in Darts Beruf zu etwas
ringen fónnte. Er fährt zu feinem ältejten
Bruder, ber auf einem SFilchdampfer als
Mafdhinift tätig ijt, und nimmt dort gleiche
Stellung. Sm diejer neuen, ihn wenig an:
heimelnden Umgebung, Jozujagen oi der
Plante im Ewigen babintreibenb, fiebt er
bie Ddiifteren Schidfale feiner Familie und
jeiner Jugend in anderem Licht und er vers
bringt nun feine Tage und namentlich feine
Nächte damit, diefe Schickſale und bie Schuld
jeines Baters einer gründlichen Prüfung und
Nachrechnung zu unterziehen.
Hier Scheint Loerte Strindbergepigone. Mie
der fauftiiche Schwede zehrt aud) er davon,
verzehrt auch er fih damit, daß er in Träumen
und Phantaſien mit den gejpenftijd auf:
538 Rarl Gtreder:
tauchenden Gejtalten feines früheren Lebens,
mit Eltern und Gejchwiltern im Geijte fid)
hberumjchlägt, daß er auf dauerndem Sput:
erichtstag bald fid) felber, bald andere ans
lagt und entid)u[bigt. Aber, mag Koerte
ion von Gtrindberg einiges empfangen
Ben er ijt mehr als Nachfahre, denn ficherlich
ennt er jelber den nächtlichen Beſuch diejer
wiiften Gelpeniterfippe, tennt er diefe Ge:
banfenidjladjtet aus eigener Anſchauung.
Auch ift feine Erlöjung eine andere als bei
Strindberg, fie liegt bei ibm nicht in jener
Inſchrift, bie auf des ſchwediſchen Dichters
Grabtreuz [tebt: „Ave crux, spes unica!“
(ie fommt aus einem pantheijtijchen Welt:
verftehen, bem Bewußtjein eines unlöslichen
und unentrinnbaren 3ufjammenbangs, das
uns Dichterijch vermittelt wird und das ben -
eigentlichen Schwerpunft biejer Dichtung aus:
madt, d. b. ben Punt, in dem ihr ganzes
Bewicht vereinigt Icheint. Wher diejer Schwer:
puntt muß, wie jeder andere, unterjtüßt fein,
wenn bas Ganze der Schwere gegenüber fein
Bleichgewicht behalten fol, und er wird
unterjtüßt durch Dichterijche und menjchliche
Kräfte, bie fi hier wunderjam vereinen.
Nur ein Beilpiel, wie dies Gleichgewicht ber:
Cal wird: ,Selbft wenn wir nur einen
egenbogen mit jenem Blide, der uns im
Ankhanen des väterlichen Leides ſchwer—
mütig geworden ijt, nur eine Gefunde und
ohne das Bewußjein daran anjehen, und
dann fánte das fiebenfarbige Spiel zurüd in
den Himmel und wir zurüd in die Erde, jo
wäre das [hon gut: es war einmal in ber
Welt. Der Friede über alle Vernunft, den
uns die Sagen verheißen, ift bann Dagewejen.
In der Empfindjamteit ijt er jhon nicht mehr
und im Morte auch nicht — er ift jo [till,
daß er eben nur da fein fann.”
Man fann die Dämonie und bie Geſchichte
des Romans teilweije ungejund nennen, aber
aus ihnen winft Gejundung. Werdendes
Licht liegt in Diejer Dämmerung, Hohe
poetijche Verklärung in diejer Bhantafie über
tragildjes Leben. Dazu gefellt fih eine feltene
Eindringlichfeit und Ge)dhliffenheit des Aus:
druds und ein Etil, ber jid) trog leiden:
Ichaftlicher Empfindung zu gelajjener Ruhe
geläutert hat.
Dies legte fann man auh Elifabeth von
Heyfings neuer Erzählung: Das voll:
tommene Glück nachjagen, fo unähnlid) fie
jonft der vorigen ift. ber Glijabetl) von
Heyfings neuer Erzählung liegt wieder bie
alte Schwermut einer vom Leben oft Ver:
wundeten, nur diesmal diifterer nod) gefärbt
als fonft und bod), wie immer, mit ber leijen
Gehnjuht nad) bem Schönen erfüllt. Eine
junge, ſchöne, reiche und berühmte (mehr tann
man eigentlich nicht verlangen) Sängerin,
eine Gängerin der Seide: wohnt im rojen:
umjponnenen Landhauje am Mittelmeer. Aber
trog allen Cegnungen des Blüds wartet
fie wie Nora auf das „Wunderbare“, fie
fühlt, daß ihrem Leben und vielleicht aud
ihrer Kunſt die rechte, lebte Weihe nod) fehlt.
EE
Die bringt ihr ein erniter Mann, ein be:
tannter Forjder, ein Sonderling und Lebens:
verneiner. Cie hat ein Bud von ihm über
Mufit gelefen, und bas Giitige, Harmonie-
beildjenbe in ihr hatte zu der Sehnſucht ge:
führt, ihn von jeiner Schwermut zu erlöjen.
Da bórt er fie in einer Kirche fingen und
fühlt bes Lebens Schwere von fih weichen,
ein Nieerlebtes, Unfaßbares erfüllt ihn. Cie
lernen jid) tennen, lieben und jdjlieger ben
Bund fürs Leben. In ihr Glüd miſcht lid)
bei ihm nur manchmal die Gorge, ob er thr
aud) genug fein fann, eine Gorge, die indes
bald ſchwindet, da fie volltommen glüdlich
an feiner Geite ift. Er wird an feiner pejfi:
mi[tijden Welteinftellung irre, wird belehrt
u der Ahnung eines Ginnes und einer
entung im Weltgeichehen. Aber ift dies
wirklich die Wahrheit? Wn feinem eigenen
Schickſal wird fie, |o jcheint’s, ad absurdum
geführt. Im Begriff, ein armes Kind vor
einem beranfaujenden Auto zu retten, wird
er jelber überfahren und ftirbt nach wenigen
Tagen. Eine Wandlung vollzieht fid) nun
aud) in ihr. Nie noch hatte fie bisher im
Schmerz gejungen; nun lernte fie ein ganz
anderes ingen, ein bleibendes Lied weil
in Schmerzen entitanden. Aber gerade mit
diejem vertieften Singen, das ihrer Runft
erit die rechte Weihe gab, war fie eine rechte
Sreudebringerin, denn wer nun ihre Stimme
vernahm, glaubte darin bas eigene Leid zu
hören, als habe die Stimme es in fid) auf:
genommen und trüge es nun mit fic) weit,
weit fort. So wurde. fie eine Befreterin
vielen. Auch bas geht vorüber; die Jahre
eilen dahin, ihre Gtimme erlijcht, und
idlieBlid) fommt die große Frage nad) dem
Ginn und Wert des Ganzen dufter aud zu ihr.
Dm Erlöjchen, in ber Riidfehr zum Urjprung
des Lebens, zur Heimat, wo das Vergeffene
wiedererlernt, bas Verlorene wiedergefunden
wird, Debt fie bas vollfommene Glid.
Mer jähe nicht in bieler Sängerin bie
Dichterin felbft? Wie bei jener der Gejang
jo ijt bet ihr die Dichtung geweiht Durch
tiefes Leid, nicht nur die angeborene Wien:
jchenliebe Klingt darin, fondern „Das wijjende
Erbarmen derer, die felbft am Kreuze hängen“.
Wir haben ¡Hon gelegentlich ihrer Erzählung
„Die Orgelpfeifen” vernommen, wie [hwer
bas Sdhidjal Frau von Heyfing im Kriege
getroffen, wir vernehmen nun, wie eine große
Seele aus fo furdtbarem Ungliid Trijtung
juht, und ben Frieden höchſier Art findet.
Eine merfliche Stufe tiefer ftebt Sein:
rid) Lilienfeins Heine Gkizzenfammlung
Der Shak im Ader. Lilienfein fann
jonit mehr und er hat fidjerfid) Urteil genug,
um dieje Gelegenheitsjammlung von Hobel:
ipánen aus feiner Mertitatt, bie zum Teil
nod) aus dem Kriege ftammen, allzubod) ein:
aujd)ü&en. „Der Scha im Ader”, die erfte
Heine Erzählung, nad) der er das Büchlein
benennt, ijt nicht einmal bie befte. Ludwig,
ein armer $yelbjolbat, fommt auf Urlaub,
weil feine Mutter im Sterben liegt; als er
—— —
Fee ES Neues vom Büchertiſch B22222%23233232323349 539
eintrifft, iſt ſie aber ſchon begraben. Er
findet dafür wenigſtens ſeine alte Liebe noch,
die Juſtine, ein robuſtes Mannweib, das arg
aufs Verdienen aus iſt und in der Ehe ſicher
einmal „die Hoſen anhaben“ würde. Zu
et oder gar zur Berlobung
bat fie weder Zeit nod) Luft, dafür zerbricht
fie fic) den Kopf, wo feine Mutter, bie bod)
unmöglich jo arm geftorben fein fünne, einen
Scag veritedt haben wird, vielleicht habe
fie ihn gar im Ader vergraben. Dem ent:
taujdten Urlauber, ber genau weiß, daß
feine arme Mutter faum einen Biffen Brot
gehabt hat, wird das au bunt, er geht, ohne
Abſchied zu nehmen, wieder in den Schüßen:
graben, noch ehe fein Urlaub zu Ende ijf.
Juftine, die feiner Mutter Acer mitbeftellt,
pran indefjen unb gräbt nad) dem Shak,
is fie die Nachricht erhält, dah Ludwig ge-
fallen ift und ihr den Ader vermadt hat.
Das verftört ihr den Sinn. Gie bat den
größeren Gdjab, feine treue Liebe per|d)mábt
und einem Phantom nachgegraben. Darüber
wird fie [djlieplid) tieffinnig. Zwar tut fie
tagsüber nad) wie vor ihre Arbeit, aber
nadjts geht fie an den Stellen um, wo fie
targe Liebesjtündchen mit ihm gefeiert hatte.
— Hübſch ijt bie Erzählung „Der Himmel-
ftürmer“, in ber Lilienfein ein junges Genie
Ichildert, bas jpäter zum ftumpfen Philifter
wird, der bebábig mit jeiner Familie um
ben Gptijd) [i5t, als ber alte Gugendfreund
ibn bejucht. enigitens liegt in den hellen
Mugen feines Bübleins die Möglichkeit,
daß ber einmal der Simmelftiirmer wird,
ten der Gajt einftmals von feinem Bater
erhoffte. Lilienfein verleugnet in Ddiejen
Heinen Gfizzen nicht, daß er ein liebens:
wiirdiger, frohmütiger Schriftiieller ift, ber
aud) zur Natur ein gefundes Verhältnis hat,
aber einen Lorbeerfrang wird man ibm für
diejes Büchlein, das vielleicht nur auf Wunſch
bes SBerlegers ¿ujammengejtellt ijt, nicht
reichen Tonnen — es find, wie gejagt, Hobel:
jpáne aus ber Mertitatt.
In eine gänzlich andere Umwelt, als die
der bisher angezeigten Bücher war, auf das
leichte ?Brettergerü|t des Bühnenvöltchens
führt uns ein neuer Roman: Der Prinz
von Hyiterien, den eine dem Wiener
Burgtheater fehr nabeltebenbe Dame unter
dem Dednamen BE eh ejchrieben
hat. Cin Jofef Raing-Roman — ong Rainz.
Der Meilter tit nämlich [don zwei Jahre
-tot, als der Roman beginnt. Aber fein Beilt
geht um und flopft an monde Tür, daß bie
dahinter Wohnenden erichroden auffahren.
Bor allem [ibt er als Alb feinem Nachfolger
am Burgtheater, einem unzulänglichen Erja,
namens Peter Hödlmojer, auf. Immer wie-
der muB nad) dem Willen des halsitarrigen
Direktors ber arme Hödlmojer all bie Glanz:
rollen Sainz»: Chryjanders jpielen, immer
wieder wird er von der öffentlichen Meinung
heruntergepußt, jo daß er, nervös geworden,
mit dem Direktor heftig aneinandergerät und
drauf bejtebt, Rollen zu fpielen, in denen
nicht der Schatten feines großen Vorgängers
ihn Berabbrüdt. Schon bat Hödlmojer um
jeine Entlajjung gebeten, da tritt eine Sid:
jalswende ein durch eine junge Dame na:
mens Sjabella.
Eine Kainzihwärmerin wie fie im Bude
— in dieſem Buche) ſteht. Ihr
eben iſt nur noch der Trauer und dem
Totenkult gewidmet. Sie ordnet des Künſtlers
Nachlaß und will ſeine Briefe herausgeben;
dabei entdeckt ſie ein hinterlaſſenes Drama
Chryſanders: „Der Prinz von Hyſterien.“
Mit allen Mitteln betreibt fe die Aufführung;
die fommt auch zuftande, und die Hauptrolle
jo natiirlid) Hödlmojer fpielen. Bei den
Proben lernt Sjabella ihn tennen. Gie ijt
beraujdt von feiner Schönheit; fie, bie bis:
ber nur mit der Geele lieben fonnte, lernt
nun bie irdijde Liebe tennen. Aber der
umgebende Geilt Chryjanders ijt unerbittlich,
feine Gefpenfterhand jdjiebt fic) zwijchen die
beiden, als [te fih beinahe angehören. Hödl—
mojer, ber einen glänzenden Abend bei ber
Erxftauffiibrung bat, weil ihm diesmal Publi-
fum und Rritit, Rolle, Stüd und Theater
gleichgültig geworden find nad) einer Auss
Ipradje mit Sabella. Aber mitten in einer
erregten Szene erblidt er das ihm verhaßte
Beliht des Direktors und er bricht unter
einem Sterpendjof gujammen. Es ijt aus.
Sjabella läßt ihn Fallen: jie bereut ihren
Serrat" an dem geliebten Toten, deffen
Macht fie in jener Szene zu jpüren geglaubt
hat. Und es ijt bie Tragif des von jeinem
roBen Mebenbubler gleichjam aus dem Grabe :
Segue verfolgten Schaujpielers, dağ er
erade nach diejem großen Erfolg, infolge
einer [on unabwendbaren Sunftmiidigtert,
ins bürgerliche Leben zurüdtritt.
Ein unterhaltender Roman ohne literaris
iden Ehrgeiz und ohne übermäßigen Drang:
aus Geelenfenntnis heraus („pjychologildy”
auf deutjch) bie Begebenheiten zu begründen,
auch weniger von dem Drang nad) epiichem
Lorbeer als nad) Senfation. ber er ijt von
—— genauer geſagt, von wieneriſcher
Theaterluft geſättigt und ſicherlich für ſolche
Leſer anziehend und feſthaltend, die in dieſer
Atmoſphäre ein wenig zu Hauſe ſind.
— — Wenn ich zum Schluß meine Le—
bensbeſchreibung der Kaiſerin kurz
anzeige, ſo geſchieht es in der Erwägung,
daß vielleicht mancher Leſer dankbar iſt für
den Hinweis auf ein Andenken an dieſe
gütige und edle Frau —: auf ein Lebensbild,
das ſie (wenigſtens nach dem Bemühen des
Verfaſſers) ganz ſchildern ſoll, wie ſie war
und wirkte, und das auch ihr Leben in der
Verbannung, ihr Leiden und ihren Tod
mitumfaßt. Natürlich hat das Buch, das
mit Abbildungen, handſchriftlich wiederge—
gebenen Briefen uſw. ausgeſtattet iſt, keiner—
lei politiſche Nebenzwecke, dazu wäre dieſe
Frau zu ſchade und ſie ſelbſt würde es
ſchwerlich billigen. Es iſt nicht mehr und
nicht weniger, als der Untertitel beſagt: das
Lebensbild einer deutſchen Frau.
e Slluftrierte Rundſchau e
OtCccecceccceccececeecceccecccececccecececcceccecececcecececec II IIIDIIIIIIIIIIIIIIIIIIIFIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII=-0
Mode — Shmud von Annie Hyftaf — OberidjIejiijdes Hiittenwerf. Ra:
dierung von Prof. F. C. Börner — Bildnis des früheren deutjhen Kron-
pringen — Zu unfern Bildern
EEE e
| i $ | im. 5 P 1
Ü
n bielen Woden, wo uns mit Lug unb
Trug nicht nur, fondern mit blutiger Ge:
walt das Induftriegebiet von Dberjchlejien
entrijjen werden fol und nod) niemand weiß,
wie [id das Schickſal des unglüdlichen
Landes gejtalten wird, halten wir uns und
unfern Feinden immer von neuem vor, daß
beim Berlujt Oberjchlefiens unjre wirtjchaft:
liche €eijtungsfábigteit vollends zertrümmert
werden würde. indeftens ebenjo jchwer
wiegt jebod), woran bie GSachverjtändigen
Ki erinnern, daß unjrer Tüchtigfeit, bie jid)
einjt in aller Welt durchzujegen vermochte,
abermals ein Arbeitsfeld entzogen zu werden
droht, daß für eine große Menge Kopf: und
Handarbeiter wieder die Gefahr wächſt, im
Ausland für fremde Vorteile fronden zu
müjjen. er ein Bild wie die hier aufge
nommene Radierung betrachtet, diejes Ge-
wirr von Majchinen und Bauten, Ddiejes
Betriebe von Arbeitern, der fühlt, auch wenn
er nie in Dberjchlejien war, wieviel Großes
in Diejem fernen Wintel unjeres deutjchen
Waterlandes zum gemeinjamen Beften ge:
Ihaffen wurde.
Der Radierung von Prof. F.C. Börner.
DOberjchlefiihes Hüttenwerk. Radierung von Prof. F. C. Börner nad) einem Bemälde vo
Sandrod. (Aus der Austellung von Amsler & Cal ardt, Berlin) von Leonhard
549 bSSSSssSSsssssssse]] IUuftrierte 9tunb[djau see set
liegt ein Gemälde von Leonhard Sand:
rod zugrunde. Cine derartige fiber:
tragung in eine andere Runjtiprache ver:
langt ein hohes Maß von liebevoller
und Jchmienlamer Nachempfindung: ein
eigenes Runftwerf tritt aus eigenen An:
Iprüchen neben bas Urbild, ähnlich etwa
wie Schlegels Shafejpeare neben den
enaliichen Dichter.
Börner hat bie „Friedershütte” für
eine Folge von Drei Blättern ge:
Ihaffen, die bie Berliner Runjthand-
: Links: Pfirjichfarbener Schlafanzug mit bemalten Aufichlägen. — Redts: Bemalter Schlafrod
H Dearzella: Werlitatt, Berlin=*
lung von Amsler & Ruthardt unter dem Nas
men , Arbeit” plant.
88 88 8
Bu den hübſchen Modebildern auf bieler
Geite fónnen wir uns kurz fajjen. Die Lejerinnen
werden ohne ein Mort der Erläuterung am
beiten jelber fejtftellen, daß diejer Schlafanzug
und diejer Schlafrod jehr reizvoll find.
88
8
Unſere Leſer gouen (id bereits früher an
funftgewerblichen Arbeiten von Annie Hyftat
gefreut. Wir zeigen heute eine Anzahl neuer
glüdlicher Chöpfungen von ihr. Antonine Val:
lentin gibt dazu folgende Jachlichen Erläuterungen:
Cin dunkler Chryjoberynll mit einem Leuchten
gleich altem Wein, ber fih langjam vom Beber
lojt, ijt in eine goldene &aplel eingejchlojjen, die
ihn gleich einem SHeiligenjchein umgibt. Einen
dreifantigen, Ichwarzen Opal, bejjen Blau von
roten und grünen Flammen aufgewiiblt ijt, läßt
ilmersdorf
ra=. a
UE S
die Rinftlerin von ei-
nem goldenen Gtrab:
lentranz tragen. Gie
faßt einen großen bel:
len Ghryjopras, der fih
glei) einem riefigen
Wafjertropfen jam:
melt, und läßt ihn in
ein Brillantengerinnjel
tropfen. Gie [dajt
wunderbare Ringe, de-
nen man geheimnis»
volle Kräfte zutraut:
Rubine in ſchwerem, ge:
ſchnittenem Gold, Sma:
ragde in kantiger hoher
Faſſung. Und Ketten
von großen Steinen
mit blaßgoldenen Zwi—
— — In den
erken von Annie Hy—
ſtak werden tote Steine
und ſtummes Gold zum
Leben erweckt.
Mondſteinbroſche
Kunſtgewerbliche Arbeiten von Annie Hyſtak, Berlin
Broſche. Chryſopraſſe in Silber mit Brillanten
Bevor wir auf
unſere Kunſtbei—
lagen eingehen,
möchten wir noch
einen Nachtrag
zum vorigen Heft
geben: Das Bild—
nis der Kaiſerin
ſtammt von dem
Bildnismaler
Max Arenz, ei—
nem Künſtler, de]:
jen liebenswiir-
dige Darftellungs=
gabe in der Pots-
damer SHofgejell:
\chaft bejonderen
Ynflang fand. Die
HKotelftizze Der
&ailerin tft als ein
Nebenwerk gleich:
zeitig mit einer an:
dern ausgeführten
Bildniszeichnung
entitanden, Die
dem Kaifer -zur
Erinnerung an
den Hochzeitstag
überreicht wurde.
Die hohe Frau ge:
wahrte demKünſt—
ler fünf Sithungen
gu je amet bis drei
Stunden, und der
Dialer hatte, wie
er uns berichtet,
erneut Gelegen:
heit, ihre fejjelnde
ESSSSSSCOASASA 543
Unterhaltungsgabe,ihr
wundervolles Taftges
fühl und ihre bin:
reißende SHerzensgüte
zu erfahren. Gie hatte
die Freundlichkeit, bas
von uns wiedergege:
bene Blatt mit ihrem
Namen zu zeichnen und
damit den Grinne-
rungswert für den Ma—
ler zu verdoppeln. —
Das vorliegende Heft
wird mit einem rechten
Sommerbild eröffnet.
Ziele junge Frau in
der jaftgrünen Lanb:
haft, die ber Münch—
ner © M. Gdult:
heißgemalt hat, tónnte
als die Vertórperung
eines Jonnedurdflute-
ten Julitages gelten.
Das Bild verjud)t, ein
Stüd gejunder Natur
Monditeinichmud in blajfem Gold mit
Brillanten
544 IEI Muftrierte Rundihau seess
—
wiederzugeben, und wer bei einem Bilde nad
der Wirkung und nicht nad) der Richtung fragt,
wird bas Kraftvolle und Seben|penbenbe
jpiiren, bas von ihm aus[trómt. — Kraft
und Leben find aud) bie Vorzüge des Bil:
des „Am alten Leuchtturm“ von Otto
Damajius Franz (zw. ©. 440 u. 411).
Der 1872 zu Arnftein in Bayern geborene
Künftler ift jebr |pát unter bie Dialer ge:
gangen Er ift Mitglied des Künftlerbundes
ayern und malt ?Bilbnijje, Landjdaften
und Snnenrdume. — Wir bleiben nod) in
fBanern, wenn wir uns dem Leutajder
Bauernmadden von Profeſſor Walter
Thor zuwenden (zw. ©. 448 u. 449). Das
Bild ift farbig von ungemein zartem Reis. *
Das Braun von Augen und Haaren, das
Schwarz bes Haarbandes und der Hals:
Biel der Fleiſchton des Gelidts, das
Rot der Lippen und der Blujenftreifen, das
Blau der Bluje felbft — alle diefe Farb:
tine fehren im Hintergrund des Bildes wie:
ber und [djaffeu eine große Einheit, — 3wi:
(den ©. 464 u. 465 finden bie Lejer einen
Goldnadel mit Monpdfteinen und Turmalinen. Bon Annie Hyital, Berlin
Gottesdienft von Karl Albredt, bem
Königsberger Meijter, von dem man jagen
möchte, daß jedes feiner Werke einen Gottes:
dienft darftellt: mit fo GC Ginn ftebt
er vor der Natur, mit jo andächtiger Treue
erfaßt er die äußere Erjcheinung, mit fo hinge-
gebener Liebe erjpiirt er die Geele aud) in
den einfadjten Vorwürfen feiner Malerei. —
Ein Schüler der Königsberger Atademie ijt
der 1863 zu Dirichau bei Danzig geborene
und jest in München anjáliige Alfred
Bahmann. Er ift Landichafter und ver:
ftebt, wie bie Dier wiedergegebene Probe
jemer Kunſt (315. ©. 480 u. 481) verrät, Iy-
rijde Stimmungen fejtzubalten. Aber er ijt
nicht nur Landimafter. Vielleicht bat er es
Münchner Einflülfen zu banfen, daß er ben
ihm eingeborenen Humor aud) da zum Aus:
drud bringt, wo ängjtliche Gemüter fürchten
müßten, jtilwidrig zu wirfen. — Adolf
Brütts „Weidwund“ (zw. ©. 488 u. 489)
ijt eine PBlaftit von ftarter Geſchloſſenheit
bes Aufbaues und tiefer Bejeelung des Aus:
drudes, wie [ie biejem Meilter, ber klaſſiſche
Nadel mit Brillanten und Perlen. Von Annie
Hyftal, Verlin
fiberlieferung mit modernem Empfinden zu
vereinigen ftrebt, eigentiimlid fino. — Einen
Blid in eine geweibte Stätte, in Goethes
Garten, aus dem er bis in die legten Lebens:
tage Erholung und Belehrung erntete, läßt
uns Ilſe Meyn mit ihrem duftigen Bilde
| (zw. ©. 512 u. 513)
tun. — Mit dem
Strandbild (zw. ©.
520 u. 521) zeigen
wir eine Probe
Düffeldorfer Runft.
Hugo Mühlig
hat es gemalt und
beweijt, wie frijd)
und eigen er ein
unendlich oft dar:
geitelltes Motiv ab:
zuwandeln weiß. — Ebenfalls aus ul
Dorf ftammt die einfache und haubzarte Ha:
— (auf S. 445); Wilhelm Herber—
holz hat ſie uns zur Wiedergabe überlaſſen,
ein Künſtler, von dem wir noch manche
Gabe für dieſe Hefte erwarten. 1881 in
Schwerte in Weſtfalen geboren, beſuchte
Herberholz die Kunſtgewerbeſchule und Aka—
demie in Kaſſel, zog dann nach Düſſeldorf,
wo er Schüler von Reter Sanjjen und Prof.
Spas, vor allem aber von Prof. Claus: `
Meyer wurde. Nach den Lehrjahren famen
Wanderjahre — als Krefelder Hujaren=
freiwilliger machte Sjerberbolg den Krieg
mit — DN lebt unb jchafft er wieder in
Düffeldorf. Seine Radierung bezeugt ibn
als Meifter des fnappiten Ausdruds. Ein
Freund unjerer Hefte, der ein paar Som:
mertage als Gajt des früheren Rronprin:
zen in Wieringen verlebte, hat uns ein Düb-
ihes und gewinnendes Bild des Berbannten
— und leider fo oft und viel Berfannten —
überbradjt, deffen Wiedergabe zahlreiche
unjerer Lefer herzlich erfreuen wird. P. W.
Herausgeber und verantwortlider Schriftleiter: Baul Osfar Hider in Berlin
Künſtleriſche Leitung: Rudolf Hofmann in Berlin — Verlag: Velbagen & Slafing in Berlin, Bicle-
feld, Leipzig, Wien — Drut: Fifer & Wittig in Leipzig — Für Öfterreich Herausgabe: Friefe E
Lang in Wien I. Verantwortlih: Grid) Friefein Wien L Bräunergaffe 3 — Nahdrud des Inhalts
verboten. Alle Rechte vorbehalten.
Quldriften an die Schriftleitung von Velbagen & Klafings
Monatsheften in Berlin W 50
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TRAS PROL
matsheft
35 Jabra. / Auguft 1921 / 12.Beft
jen Pallet
Rlalinasé
€)
Hans Boſenhagen
'Eequm ein zweiter unter den jüngeren
) Berliner Malern hat im legten
2 Jahrzehnt joviel ernithafte Bead:
tung gefunden wie Franz Eichhorft.
Nicht, weil er der ann har Ver:
treter einer der heut bas öffentliche Runjt:
leben beberrjdenden Richtungen ijt, jondern,
weil er, unbefiimmert um die Tagesmoden,
einfach ehrliche gute Runft macht. Seine Er:
folge find freilid) weniger leicht errungen als
die feiner zu den verjchiedeniten Ssmen
jedod)
Ihwörenden Runjftgenojjen, obne
D Kornernte
Belhagen € Klajings Monatshefte. 35. Jabrg.1920/1921. 2. Bb, Nachdrud verboten, Copyright 1921 by Belhagen € Klafing
Zweifel jehr viel bejjer begründet und be:
feftigt. Ebrlid währt nämlich aud) in ber
Kunft am lángften, und wenn gegenwärtig
einer ftattlihen Zahl von Exprejfioniften,
&ubijten, Futuriften und Raleidoftopmalern
von Gtaatsjeite beftätigt wird, daß fie
Unvergängliches gejdaffen, jo fragt fid)
doch jehr, was bie Nachwelt zu ihren Lei:
tungen jagt, und ob die ftaatlime Ynerten:
nung nicht jhon nad) wenigen Jahren als
ein aus der Verwirrung der Zeit geborener
Irrtum wieder zurüdgenommen wird. Mag
090500000000000000000000000000900000000000«05«ccccc Saubentoloniefeſt. Privatbefip AAA Arc
TS as
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SES & Bes
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Mb. m9 lea
Wurftball in ber Schwalm. Privatbefit
36 *
548
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Ba TER
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bac vey E
— 8 Beguinenhof in Brügge
die Gegenwart bie Unwahrhaftigkeit und
Qualitátslofigteit ber meiften von ben Dei:
tigen Modegrößen hervorgebradten Werte
nicht wahrnehmen — der Nachwelt wird
es unbegreiflich jcheinen, daß man eine Beit-
lang in Deutjchland ben Unterjchied zwiſchen
einem funjtgewerblichen Entwurf und einem
Tafelbilde nicht mehr jab und dürftige Talente
für gottbegnadete Genies nahm. Nun fol um
Gottes willen niht Franz Eichhorft jenen
Pjeudobegabungen hier als das wahre Mal:
genie unjerer Zeit entgegengeftellt werden. Sa:
mit wäre weder dem Dialer nod) der Sade
gedient. Es handelt fich hier nur darum, den
Gegenjas feftaujtellen zwijchen ehrlicher, mit
voller Hingabe an den Gegenftand und mit
vollendetem Handwerk gelerfteter Arbeit und
Hervorbringungen, die nichts oder bod) jehr
wenig von diejen Eigenjchaften ertennen
laffen. Wergleiche find unmöglich, [hon weil
alle inneren Bezüge fehlen, weil die Kunft
Gidjborjits Ahnen hat, der anderen aber
Jolche fehlen oder nicht mehr nachzuweijen
find; denn wie der Inhalt der Runjtjamm-
lungen bezeugt, überleben bewußt fragenbhafte
&un[tergeugnijje taum eine Generation. Die
Nachwelt erfährt nichts mehr von ihnen,
weil nicht nur ber einzelne Menih, jondern
Die ganze Menjchheit banad) trachtet, Ver:
irrungen |o jchnell und jo gründlich wie
möglich vergejjen zu machen.
„Ale im NRücdjchreiten und in der Auf:
Hans Rojenhagen:
RE=R22222272224
ANT : ;
rt ` wr —
löſung begriffenen Epochen find fubjettiv, da-
gegen aber haben alle vorſchreitenden Epochen
eine objektive Richtung.“ Ob dieſes Goethe:
wort Eid) horit befannt tft, bleibe babingeltellt ;
für jid) jelbft jedoch hat er offenbar die Er:
fahrung gemacht, daß der Maler, der voran
und dauernd in Schäßung bleiben will, nichts
Yörderlicheres tun fann als jid) zunächſt ganz
nahe an die Natur zu halten, weil diefe alle
Elemente, bie im Runjtwert wirtjam find,
enthält, und es nur darauf anfommt, fie
zu finden und herauszuarbeiten. Dak Phan:
tafie aud) dazu gehört, ijt ficher; aber es ift
eine andere Art von Phantaſie als die, von
ber man gewöhnlich jpricht. Es ijt die Phan-
tafie, die im Alltäglichen und Unfdeinbaren
das Wunder der Schönheit jucht und nicht
rubt, bis fie es gefunden. Mfo nicht bie er:
findende und gejtaltende Bhantafie. Den 3Bejtt
bieler bat Eichhorft, bis jet wenigitens, nod)
ct genügend bewiejen. Damit ijt gejagt,
daß feine Runft realijtijd, alfo rein auf das
MWirkliche gerichtet ift. Dadurd wird weder
ihr Wert nod) ihre Bedeutung verringert;
denn nur auf dem Boden folder mit Ber:
itánbnis betriebenen Mirtlimteitstunft tann
jene andere Runft wadjen und gedeihen,
bie Der Welt die berau|djenben und bin»
reißenden Werte ber Raffael und Rubens,
der — und Böcklin geſchenkt hat.
Die Malerei an ſich, als eine auf hand-
werflide Gejege und Erfahrungen auf:
Iesel Franz Eichhorft seess 549
idj)orit den größten Vorteil, weil fie ihr
bie Drittel und bte Waffen liefern, den Himmel
zu ftürmen und ibn mit all’ feinem Glanz
und Zauber auf bie graue Erde zu verjegen.
In bielem Sinne ijt Eichhorfts Bejtreben,
die Objektivität ber Naturwiedergabe hod:
¿ubalten, nicht genug zu ſchätzen.
Objektivität it nicht mit 9tüdternbeit zu
verwedjeln. Hinter Eichhorfts Bildern der
Wirklichkeit jtedt fowobl Liebe als aud) Be:
geijterung. Ein flares Auge und eine ihrem
Herrn geborjame Kr und Doch aud) wieder
zarte Hand haben jie gejchaffen. Wohl taum
ebaute Runft iib aus Erjeheinungen wie
Pé Helfiidher Innenraum
ein anderer unter den heut lebenden deutjchen
Malern ijf imftande, der Wirklichkeit foweit
in ihren legten und feiniten Äußerungen zu
folgen wie Eichhorſt. Nichts erjcheint ihm
in der Natur nebenjád)lid); bennod) drängen
(id) die Einzelheiten auf feinen Bildern nicht
vor, jondern ordnen fih dem Bejamteindrud
unter. Und jo intim der Maler die Wirklich:
feit wiedergibt, niemals erjcheint deren Durch:
bildung fleinlidh. Es ijt unmöglich, gewijje
Bilder Eichhorits zu jehen, ohne dag man
an Leibl dentt; aber man bat nicht das
Gefühl ber Madhahmung. Nur das gleiche
Streben ijt vorhanden, der Natur möglichft
550 Iesse ees SH Hans 9tolenbagen: Lee
nahe zu tommen und feinen ihrer leijen Reize
zu E EEN Auch in ber Gauberteit
des Handwerts bejtebt eine gewijje Whnlid:
teit. Allerdings: Leibl ift berber, männlicher
und fübner. Ein fo glánzender Zeichner Cid):
horft ijt — ibm fehlt vielleicht manchmal die
ungeheure Sicherheit der Borm, über bie £eibl
verfügte, aud) wenn er die Farben nod) jo
duftig ineinanderfpielen ließ. Und fo ton:
ión die Bilder des unfterblichen Meilters
von Aibling find, er wagte kräftige Farben,
tráftige Gegenſähe. Bet Eichhorft herricht
faft nur ber Ton, felten bie farbe. In der
Gtillebenbaftigteit ber Naturwiedergabe er:
innert Eichhorjt mehr nod) an Trübner als
an Leibl. Es ift ibm nur zuweilen gegeben,
die jogujagen atmenbe Natur darzultellen
oder bas jeelijde Leben von Menichen zum
Ausdrud zu bringen. (Er jieht in der Regel
mehr mit feinen jcharfen Augen, als mit
dem Gefühl. Alfo Debt er aud) ben Dingen
und Wejen nicht immer bis auf jenen legten
Brund, in dem das Leben mit jeinen feinften
Außerungen fih regt. Indejjen — Das find
Mängel, bie von ben meilten Menjden gar
nicht wahrgenommen werden, und denen jo
große Vorzüge gegenüberitehen, daß fie für
die Beurteilung Eichhorſts nur joweit in
fBetrad)t fommen, als man ibn mit Leibl
& Karfreitag.
-
— — = ` s
vergleicht. Jedenfalls gehört er zu den aller:
beiten Malern, über bie Deutjchland gegen:
wärtig verfügt, und es ijt auf feinen Fall
richtig, einem Talent vorzuwerfen, daß feine
Gaben begrenzt find; denn ber Künjtler wird
mit jolchen Grenzen geboren; er hat fie jid)
nicht felbft gelebt. an tann aljo hodjtens
einen Ehrgeiz weden, fie weiter hinauszus
rüden. enn ein Maler allerdings ein fo
außerordentliches Können befigt und zeigt,
wie Eichhorjt, glaubt ber naive Beurteiler
jeiner Leiftungen immer, daß der Riinjtler es
in der Hand habe, nod) Bedeutenderes her:
vorzubringen. Das ift aber ein Srrtum.
Mie Leibl jeiner bejonderen Anlage nad)
niemals, aud) mit dem beiten Willen nicht,
zu einem Rembrandt jid) zu erhöhen ver:
mochte, jo wird Eichhorit in feinem ganzen
Leben nicht an Holbein oder Menzel heran:
reihen, obwohl man vor einzelnen Schöp:
fungen der beiden Dialer an jo große Meijter
wohl denten mag. Aber er ijt Eichhorjt ges
worden, und das will [Hon etwas fagen.
Die wahren Maler werden als Vialer
geboren. Sobald fie nur die nótigiten Hand»
werfsqriffe erlernt haben, jtehen fie als
fertige Rünjtler ba. Das hat man im ver:
gangenen Jahrhundert an Franz Krüger
und Menzel, an Leibl und Trübner, an Rnaus
Privathefiz Vi
1:32:23$3$3:9353$39393$3232353252] Franz Eihhortt Keess 551
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Frau am Ofen. Gemälde von Franz Eichhorft.
und Gebhardt — Auch Eichhorſt iſt als
Maler auf die Welt gekommen. Seine Lehrer
haben ihm gerade nur das Rüſtzeug geben
Tonnen, und aud) aus dieſem hat ber junge
Riinjtler erft etwas gemadt, indem er fih
große Vorbilder wählte und an ihrem Können
das jeinige entwidelte. Er jteht durchaus
fejt in der Überlieferung der alten Meijter
und injofern nicht in ber Leibls, als er nicht
auf bie SBrimamaleret — die Malerei, bie
jeden einmal auf bie Bildfläche gejekten
SBinjelftrid) für unveränderlid ertlárt —
Ihwört. Er arbeitet im großen und ganzen
etwa wie die Künftler malten, ehe Frans
Hals zeigte, daß man das aud) anders könne,
aljo mit Untermalungen, fibermalungen und
Lajuren. Und wie bie großen Meijter fann
er alles malen. Er ijt fein Spezialift. Er
malt Menjchen, Tiere, Sandidafien. Bild:
nijje und Stilleben mit dem gleichen Gelingen.
Aber bas hat er wieder mit Leibl gemein,
daß er feine Modelle mit Vorliebe unter den
Bauern jucht und lieber bie Durchgearbeiteten,
djarafterpollen Köpfe alter Mtenjden, als
hübjche, glatte Mädchengeſichter malt. Nicht
um feinen Realismus zu beweijen, fondern
um zu zeigen, daß überall in der Wirklich:
feit Schönheit vorhanden ift, und es nur
darauf antommt, fie ins rechte Licht zu jtellen.
Ziele Richtung hat Gid)borit von Anfang
an gehabt, obgleich er als Maler erft all:
máblid der geworden, der er Deut ijt.
(Original im Befige von Carl Rriener, Berlin)
Mie viele ausgezeichnete Maler des ver:
gangenen Jahrhunderts, wie Menzel und
Hofemann, Daumier und Stud, fam aud
Eihhorft von der JMuftration her, und feine
eriten Bilder — „Wurjtball in ber Schwalm“,
„Zaubentoloniefelt“ und „Waldfeſt“ — find
barum aud niht auf bejtimmte Farben:
Hänge, jondern auf den Gegen[a& von Hell
und Dunkel aufgebaut. Gelbjt jebt, wo er
in feinen Bildern bod) malertjdje Gedanten
zum Wusdrud bringt, behält ber Riinjtler
diejen Gegenjaß bis zu einem gewiljen Grade
bet, indem er gern Dunfle Geitalten gegen
belle Hintergründe oder gegen das Liht
lebt. Aber obwohl nun die Farben in feinen
Schöpfungen eindringlicher |preden — Das,
was man einen Roloriften nennt, ijt Eich»
horſt nicht geworden. Ihm ift bie Farbe
nidt 3wed, jondern Mittel. Won ihrer
blühenden Schönheit, ihren berüdenben
Reizen weiß er wenig. Er wirft eigentlich
nur durd) bie Anmut und ben guten Ge:
idjmad, mit denen er bie eine zu der anderen
lebt unb den Eindrud des Malerijchen er:
zielt. — Indeſſen — toloriftijhe Begabun
iit, auch bei guten Dlalern, jo außerordentlid)
felten, daß man nicht wagen darf, deren Ab:
wejenheit ihm als fiinftlerijden Mangel vor:
uwerfen. Bejonders die deutjchen Roloriften
Ind an den Fingern berzuzáblen. Weder
Leib] nod) €enbad), weder Uhde nod Geb-
hardt, weder Knaus nod Liebermann tónnen
552 Hans Rofenhagen: Franz Eichhorft
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Zerſchoſſener Wald
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als folde gelten. Ihre Vorzüge lagen, wie jchnittenen Köpfe in ber National-Galerie.
bie Eichhorfts, auf anderen Gebieten.
Wie bei jenen Bildniffen, find Eichhorits
Die Richtung auf Leibl zu hat Eihhorjt Köpfe eng vom Rahmen umſchloſſen, wie bei
erft vor einigen Jahren eingejchlagen, als den Wildjchügen ift bie Malerei weich und
er fid) nachdrüdlicher
dem Bildnijjfe ¿uwen:
dete. In feinen male:
riſchen Bauernbildern
gemabnt er nur teils
weije an ibn, häufiger,
insbejonders zu An—
fang feiner Laufbahn,
an Carl Banger oder
Knaus, die gleich ihm
im Hellenlande gemalt
haben. Dan darf je:
do bei Gidborlis
Bildnijfen nicht etwa
an den Leibl denten,
der den Bürgermeilter
Klein oder den Kölner
Pallenberg malte; er
hat fid) vielmehr an
jene holbeinartigen
Köpfe gehalten, Die
Leibl in den Bildnijjen
der Maler Triibner,
Job. Sperl und Ge
linger geliefert oder
an die aus dem Bilde
„Die Wildjchügen“ ge-
vertrieben. Auch die
geiftige Unbewegtheit,
die Leibl in einigen
diejer Dienjchendaritel:
lungen zeigt, findet fid
bei QGidjborit. Mag
s bei ben Bildnijjen
urd) bie Art Der
Maleret, die viele
Sitzungen der Por-
trátierten verlangt, be:
dingt fein, jo bevorzugt
der Kiinjtler bei feinen
Bauernbildern ganz
erjichtlich bie Schilde-
rungen ruhigen oder
bod) nur mäßig beweg:
ten Dajeins. Geine
Bauern regen felten
die Glieder in Arbeit.
Gie figen und Iejen die
Bibel oder die Zei:
tung, hoden am Ofen,
halten ein Kaffeeſtünd—
hen, eine Andacht
oder einen Gevatter:
Ichnad, weilen in der
Sum Gegenjtoß vorgebende Seefoldaten
Aus den Kämpfen an ber Somme
x Studien zu einem Spreewaldbilde A
Scenfe, laffen fid) vorleſen ober ſchieben
fid) durd) enge Kirhenbänte. Zeigt er fie —
met find das Frauen — wirklich einmal
bei der Arbeit, jo ijt es jolche, die teine Det:
tigen Anftrengungen verlangt, wie Nähen,
Gtiden, Spinnen, Gpigenflippeln oder
ladsbreden. Weicht er von biejen ruhigen
orgängen ab, um, wie in bem „Heſſiſchen
Bauerntanz” von 1920, ftarte Bewegung zu
geben, jo zeigt fid) deutlich, was ihm und
Diejer Malerei im wejentlichen verjagt ijt.
Man darf indejjen nicht glauben, daß
Eichhorſt etwa temperamentlos wäre.
Wenn feine Dialerluft durch ftarte, aber
jchnell vorübergehende Eindriide oder
Erlebnijje in Tätigkeit geſetzt wird, wie
es während des Krieges häufig der Fall
war, |o vermag der Riinftler aud) be:
wegtes Leben fo überzeugend zur Dar:
ftelung zu bringen, wie nur irgendeiner
von den beten Imprejfioniften, ja auf
Grund feines außerordentlichen Zeichen:
talents jogar um vieles beffer. Es hat
eigentlid) etwas Überrajchendes,
taum ein anderer von den Mialern, die
im Felde waren, das Furchtbare, Herz»
bebrüngenbe, über alle Borjtellungen
SE Unbeimlide des legten
rieges jo padend, wahr und dod in
jeder Beziehung künſtleriſch zum us:
drud gebradjt bat wie ber in feinen
jonftigen Schöpfungen [o beruhigend `
und trieblid) witfende QGidjborit. Ein
Blid auf das hier farbig wiedergegebene
Gemälde aus den Kämpfen an ber
Comme und bie gezeichnete Studie der
zum Verbandplaß jid) jchleppenden ver:
wundeten Soldaten müjlen jedem Be:
wunderung vor dem Riinftler abnötigen,
der gerade bas Eigenartige ber in diejem
Kriege verwendeten Kampfweiſe und das E
554 FESSSSS3%8 Hans 9tefenbagen: Franz Eichhorft
LEE
ftille Heldentum des
deutjchen Soldaten
jo fidjer zu fallen
unb anichaulich zu
machen wußte.
Man hat heute
leider einen Haß
geworfen auf alles,
was an den Krieg
erinnert oder mit
ibm zuſammen—
hängt. Vian will
nichts mehr willen
von feinen Leiden
und ben Opfern,
die er gefordert,
und ijt Dabet nicht
nur ungeredt ge:
worden gegen Die
Dialer des Krieges,
jondern, was qe:
radezu verrucht iit,
aud) gegen Die
Männer, die Blut
und Leben für die
Erhaltung bes Va—
terlandes eingejeßt haben. Dod) bie Zeit wird
tommen, wo bas deutiche Volt aus feiner
Berftórung erwaden und mit heißer Scham
empfinden wird, wie jd)mad)voll es fid) gegen
jeine beiten Söhne vergangen bat, wo es
begreifen wird, daß diejer Krieg, trog feinem
traurigen Ausgang, bie leuchtendfte, herr—
lichfte Blüte ift in Deutjchlands Ebrentranz.
Und wenn man dann nad fün[tlerijdjemn
Bildnisitudte E
990900000000000000000000200000000000000000009*2009^00000 (UNIR "Dunmadeundun mg np su) ualnvgsnorg u uud uot 09000909000900009000009000090000000000000000000000000000709
000 Hans 9tojenbagen: cc HH HH 22242223
E Kabarett. 1913. Privatbefit E
Dokumenten Umjchau hält, durch die fih bie
Erinnerung an bie größte und ruhmvollite
Tat Deutidlands auffriichen läßt, werden
es in erfter Reihe Gid)bor|ts Bilder aus
Flandern und Frantreid) fein, vor denen
man aufs neue fih begetitert. Mögen an:
dere mehr gemalt und interejjantere Mo:
mente, Perjonen und Geldjebnijje gejchildert
haben — Eichhorft ijt falt der einzige unter
den Dbeut|djmn Malern, von Dellen Kriegs:
bildern mit Recht behauptet werden darf,
er habe das, was das deutiche Volk und vor
allem den beut|djen Soldaten bejeelte, treu,
wahr und binreiBend, ohne eine Spur von
Poje, von bewußtem Heldentum zum us:
drud gebradt. Cr ijt faft der einzige, ber
(id nicht begnügte, Imprejjionen und All:
gemeinbeiten zu geben, fondern der wirkliche,
überzeugende Dofumente von dem erniten,
pflichtbewußten Heldentum deutjcher Männer
— hat. Seine he E Richtung, feine
teigung, an die Wirklichkeit jid) zu halten
und ihr bis ins legte nachzugehen, ließen
ihn Bilder jchaffen, vor denen man nicht
auf Vermutungen angewiejen ift, jondern
die Tatjachen, Stimmungen und Menſchen
mit dem bejtimmtejten Wusdrud und in jorg:
fältiger, liebe: und gejhmadvoller Malerei
geben. Gerade für dieje Art Bilder genügen
— — —— — — — — E
ee —
nicht flüchtige maleriſche Notizen. Hier kam
es darauf an, den Daheimgebliebenen die
Vorgänge an der Front möglichſt gewiſſen—
haft zu ſchildern. Was tónnen fie mit Im:
prejfionen anfangen, Die fie nicht aus dem
Schage eigener Vorftelungen zu fertigen
Bildern zu ergänzen vermögen? Was jagt
ihnen eine ftilifierte Wirklichkeit, wie gewijje
Maler fie für ihre Kriegsbilder bevorzugten,
Sa fie nicht wijjen, wie die Natur aus:
tebt
Eichhorſt hat freilich nicht fo zahlreiche
Rriegsbilder geichaffen wie andere Maler;
aber was von ihm vorhanden ilt, trägt ganz
die Züge feiner feinen, forgfaltigen Riinjtlers
Ichaft und verrät, wie innig der Maler mit
jeinen hart fämpfenden Kameraden Ben
hat, und daß ibm das wahnjinnige Toben
des Krieges und fein ftándig wechjelndes
Geſicht nicht jo wichtig Ichienen wie das [tille
eldentum des einzelnen Mannes und bejjen
timmungen. Wie wundervoll hat er joldje
in feinen Bildern ,,FeldDwade an der Dier”,
„Rüczug“ und „Bentport“ zum Ausdrud ge:
madt! Das eigene ftarte Erlebnis ließ ben
Maler Blide in die Seelen der anderen tun,
madte ibn zum Piychologen und gab feiner
Runjt jenes [tarte innerliche Leben, bas man
bisher an ihr vermißt hatte, Auch tójtlide
FAIRE rang Eichhorit seess 557
Bilder aus den flandrijdhen Städten ent:
ftanben während der Kriegszeit unter Eich:
horjts geübten ee
Die Lebensgeſchichte Eichhorſts gleicht der
der meilten großen Riinjtler darin, daß ein
Aufitieg aus den bejcheidenften Verhaltnijjen
u einem in heißem Ringen erworbenen
ubm in verhältnismäßig jungen Aedes
ftattgefunden bat. Er wurde am 7. Sep:
tember 18-5 geboren und als richtiger Ber:
liner mit Spreewajjer getauft. Schon früh
regte fih bas Riinjtlerblut bei ibm; bod) da
er genötigt war, móglid)it bald auf eigenen
Füßen zu fteben, entichloß er jid, Holz:
(chneider zu werden, und trat als Lehrling in
bie Xylograpbijdje Anftalt von Brend'amour
ein, wo er von 1900 bis 1904 tátig war.
Die Art der Lehre und die ganze Beſchäf—
tigung madte ihm jedoch wenig Freude und
er fam zu Dem
Gnt[d)lup, den Be:
ruf des Holzſchnei—
ders mit bem bes
SMlujtrators zu per:
taujden. Bu bie:
jem Swede aber
wareserforderlich,
die vorhandene Be»
gabung ſyſtema—
tijd) auszubilden,
wozu der Bejud)
ber Atademie, ver:
bunden mit einem
gründlichen Stu—
Dium, unerläßlich
ihien. — Gid)borit
widmete fih biejem
— bei Georg
och, der eine
Porträtzeichen—
klaſſe in der aka—
demiſchen
ſchule leitete,
ſuchte dann die
Antiken- und Aft-
tlafje von Konrad
Böje und landete
ſchließlich, um nicht
den ganzen úbli:
den afademijden
Schulgang bird)
zumachen, 1906 bei
dem Landichafts:
maler Yriedr.
Rallmorgen, der
fih ibm darin hilf-
reich erzeigen moll:
te, obgleich ber
Schüler bisher fo
gut wie nichts ge:
malt hatte. Cid:
bor badjte na:
türlich nicht daran,
$anb|djajfter au
werden, und Rall:
morgen als ein:
ſichtsvoller Mann E
ließ ihm jede Freiheit, zu malen, was ihm
bebagte. Auf eigene Gefahr machte der
junge Maler fid) nun an allerlei Rompo-
Kitenge figiirlidjen Inhalts und führte fie,
ohne Ahnung von Farbe zu haben, eigent:
lid) nur aus dem Schwarz heraus ans.
Auf diefe Weile ent[tanben 1908 die erjten
Entwürfe zum ,Laubentolonitefeft” und
„Waldfeſt“. Am feinen Lebensunterhalt zu
verdienen, arbeitete Eichhorſt währenddem
reibig an Sllujtrationen und funftgewerb:
iden Zeichnungen. Auf der Akademie hatte
er ein paar Freunde gefunden, die jid) bes
jungen Talents jelbjtlos annabmen. Als er
mit jenen beiden Entwürfen durchaus nicht
mehr weitertam, riet thm einer diejer Freunde,
Herbert Arnold, ein Sohn der durd) ihr
Freundichaftsverhältnis zu Menzel und eigene
vorzügliche Leiltungen bekannten Maler:
Beim Spinnen. 1918
558 BSSSSSSSE) Hans Rojenhagen: Franz Eichhorſt BSSS3S333333I
pz) Beim Flach
familie, doch einmal aufs Land zu gehen
und dort ungeftért und unbeeinflußt von
allem afademtjden Kram eine neue Arbeit
anzufangen.
it den Freunden Herbert Arnold und
rang Lünſtroth und erjparten dreihundert
art in der Tajche begab fih Eichhorjt im
anuar 1909 nun in das heſſiſche Dörfchen
Willinghaujen. Dort entitand ber „Wurſt—
ball in der Schwalm“, eine Leiftung, mit
ber Rallmorgen von feinem Schüler überrafcht,
unb für die Ddiejer zu feiner eigenen Über:
rajdung bei ber Mu UAE im Moabiter
Glaspalaft mit der Heinen goldenen Medaille
ausgezeichnet wurde. Den Sommer des glei-
den Jahres benugte Eichhorft, bas „Lauben:
folontefeft“und das „Waldfejt” auf Grund ber
in Berlin ent[tanbenen Gfizzen als große
Bilder zu malen. 1911 begab er fidh wieder
nad Heffen, wo bas auf der nädjitjährigen
Wusftellung von der Stadt Berlin erworbene
Bild „Andacht“, der „Karfreitag“, ,Rubitall”,
die , Spinnftube” und die „Beiden Alten“ ent:
ftanden. Um nidt ganz in bem Bauernbild:
genre aufzugeben, malte er im Winter
1913/14 in Berlin das Bild ,Variété”, in
dem er zugleich ein intereffantes Beleud):
tungsproblem zu löjen judjte. Da jebod)
der Beifall, den auch diefe Leiftung fand,
nicht ganz feinen Erwartungen entjprad),
wendete er fih wieder bem gewohnten Thema
sbreden. 1920 E
zu und malte das am meilten bewunderte
jeiner Bauernbilder, die heſſiſche Bäuerin, bie
mit ihrer Tochter „vorm Schrant“ Wäjche-
und Kleidungsitüde ordnet. Bis zum Mobil:
madungstage arbeitete er an Dtejem Wert
unb ließ es unfertig zurüd, um feiner Pflicht
gegen bas Vaterland zu genügen. — (rit nad)
längerer Zeit erfuhren Eichhorits militäriiche
Borgejegte, dak der unternehmungslujtige,
immer bien[tbereite Motorradfahrer, ber jo
unerjhroden mit Meldungen und Befehlen
zu den gefährdeten Stellungen eilte, cin
nambafter Maler je. So wurde er ber in
wc: E erjcheinenden Kriegszeitung des
1. Viarinetorps „Un Flanderns Küjte“ als
Viitarbeiter zugeteilt, und es wurde ihm Ge:
legenbeit gegeben, bie verfchiedenften mili:
tárijd)en Unternehmungen zu Studienzweden
mitzumachen. Er fammelte Ginbrüde auf
Feldwachen, im Schüßengraben, in Unter:
itánben, auf VBerbandpláben, überall, wo er
das für ihn — Objeft, den deutſchen
Soldaten beobachten konnte. Dazu malte er
Porträts, Offiziersbildniſſe, darunter auch
den Admiral von Schröder. In Brügge
entſtanden einige vorzügliche Straßenbilder,
wie der „Eiermarkt“ in Abendbeleuchtung,
der köſtliche „Beguinenhof“, ferner der „Bel
gijdhe Innenraum“ mit den beiden Män:
nern vorm Ramin und verjchiedene Bilder
von Spigentldpplerinnen. Während eines
=
@eegeeggeggeeeéegegegpedëeeggégéepgeggeggeegpgggggëgeggegegeggggegeéégegpegeéeeëegppgecegeggpegeéeggegeegéeggeggogeegpegegeeeege
Betftunde. 1911. Im Beſitz der Stadt Berlin
....:............„„„„„„„..0008002008000000009000900000990000909000900000002009000020000085000002000000000 0000000005500 8
560 [SSSe=s=s=sp Hans Rofenbagen: Franz Eihhorft
Urlaubes 1917 [buf er das Bildnis „Mein
Freund Hönig“, bas jo ganz Leiblid) an:
mutet, 1918 das bódjit charakterijtilche Por:
trát bes Radierers Wolfsfeld.
Nachdem Eidborft nod ben traurigen
Nüdzug des unbejiegten deutjchen Heeres
miterlebt, fehrte er in die Heimat zurúd und
nahm die Arbeit wieder auf, wie er fie zurück—
elajjen, malte teils in jeinem Berliner
Atelier, teils in einem hejliichen Dörfchen.
Er entbedt jet die zauberiiche Mirtung bes
Lichtes, bas in niedrige Bauernjtuben durch
fleine Fenſter fällt, und fommt nun auf die
Motive bes Pieter be Hoogh. 1919 ging er
für einige Woden in den Spreewald, wo
neben anderen Bildern aud) die prächtige
„grau am Ofen” entitanben ijt. Im gleichen
Jahre malte er in Berlin das Bildnis des
Berlagsbuchhhändlers Nabel, in Hejjen Die
wieder zu Leibl neigende „Schneideritube”
mit dem von hinten in den Raum ftrómen:
Den Tageslicht, Die eine feiner beiten
Schöpfungen wurde. Weniger glüdte ihm
1920 der |djon erwähnte „Helliiche Bauern:
tanz“ und das Bild der , Vier Schwälmer
Bauern“ ber troßalledem: Wer ver:
möchte in Deutjchland bem Riinftler Ddiejes
Bild nachzumalen? Er bat feinen ein-
zigen lebenden Rivalen auf feinem bejon:
Dak er jelbjt die Grenzen
deren Gebiet.
ahnt, beweijen einige Verjuche, bie er in an:
derer Richtung gemadjt: Das breit und jaftig
gemalte Bildnis feines Baters von 1920 und
zwei lebensgroße Bilder von je zwei fpin:
nenden und fladjsbredjenben Frauen. Und
aud) bas hier wiedergegebene Bild der
„Flachsſcheuer“ bezeugt, daß der Begabung
Eichhorſts nichts verlagt ijt.
Bom Standpunkte des Exprejlionismus
aus ließe fih natürlich jehr leicht der Nach:
weis erbringen, daß Cidborits Art ante:
diluvianiſch unmodern fei; wer aber, un:
beeinflußt von allem Modegelchrei, fidh den
Ginn für gute malerijdje Qualität und Die
Schönheit der einfachen Natur bewahrt hat,
wird in dem Berliner Dialer einen der vor:
gliglidjten Riinftler der Gegenwart verebren,
einen 9tadjfommen der Ends, Holbein,
Menzel und Leibl, Mag Diejer ober jener
die Erwähnung jo großer Namen bei biejer
Gelegenheit mibbilligen — in Eihhorft jtedt
bie Reinheit ber Abſichten diejer Vieifter
und foviel von ihrer Weile, bie Runjt zu
betreiben, daß man blind fein müßte, es
nicht wahrzunehmen. Die Bejcheidenheit
ihrer Runft ijt auch bie ber feinigen, und
die Art, wie er liebevoll an die Natur jid)
Ichmiegt, kennzeichnet ihn als einen Träger
Deutlden WMejens, Dellen Ausdrud man an
den Werfen jener Broken bewundert.
E Cdneiberitube. 1919. Gemälde von Franz Eichhorft &
Sæ&oi
veunde
Roman von Wilhelm Hegeler
Ve Sn fiel zu Gchnee. Und das
> Lu $ fterbensmiide Hinjinfen der zahl:
Injen Floden aus grauem Diifter
IC >) auf die weiBlid) verdämmernde
Fläche war nod) das augenfalligfte Zeichen
von Leben, das es in der weiten Runde gab,
wo liberal Tod und Zerftörung aufdring:
lid) ihre Gegenwart anzeigten, mit den gro:
testen Baumftümpfen ohne Äſte und Zweige,
mit den jchwärzlichen Ruinen des Stations:
gebäudes, mit den niedergebrannten und zu:
jammengebrochenen Bauernhütten und den
aus Dem Schnee ragenden Gfeletten von
Rindern und Pferden. Wher wenn man
näher zuſah, fo wimmelte es eigentlich von
Leben, nur daß diejes fidh unter bie FFittiche
des Todes verfroden hatte. Da und dort
ballten fid) dunkle Haufen gwijden den
Trümmern um ein Feuer ohne Flamme und
Glut, Dellen Rauh wie Nebeljchwaden über
den Boden froh und Dort zerflop. Es
waren Soldaten, die dort feit zehn, feit zwölf,
&e
feit ‚vierundzwanzig Stunden auf den Bug
warteten, von dem bas Gerücht ging, daß
er bier einträfe — bod) wuhte niemand,
wann und ob er wirklich fame.
Auf einem Pfad im Schnee zwijchen
Gtationsgebáude und Landftraße gingen
zwei Soldaten auf und ab, in abgerijjenen
ruſſiſchen Infanterieuniformen, doch ohne
jedes Abzeichen, felbft ben breiten Schirm:
müßen fehlte bie Rotarde. —
Der eine war jehr groß, bumpelte ein
wenig und trug in den auf dem Rüden
zujammengelegten Händen einen Meidjel:
Hod Der andere war im Verhältnis zu
feinem Begleiter auffallend Hein, batte einen
mächtigen, ihm fajt bis an die Hüfte reichen:
den Eichenholzfnüppel und machte gewaltige
Schritte.
Es waren Hans Bofelmann und Hermann
Alt, fein Freund und Sdidjalsgefahrte, der
feit Jahr und Tag alles mit ihm geteilt
hatte, Gefahren, Wundfieber, Hunger und
Käufe, aber auch monde tójtlid) bampfenbe
Robljuppe, Piroggen und Kwas.
„Hans, was denkſt bu nun über die Zus
tunft ?^ fragte er.
„Nichts Bejonderes eigentlih. Ich dachte,
ob wir nicht alles, was wir durchgemacht
haben, vielleiht nur darum durdgemadt
haben, damit nun das Schwerfte und
Sdlimmite tommt.”
„Herzlichen Glüdtwun|d!" — Das frohe
Belhagen & Klafings Monatshefte. 35. Jabrg. 1920/1921. 2. BD.
Funkeln en N Augen erlojch plöß-
fid) in Alt, und die wie zu Aſche zerbrödel:
ten Züge [dienen einem alten Manne zu
gehören.
„Ich dante!” murmelte er. „Da könnten
wir uns bod) lieber gleich aufhängen.“.
yout man bod) nicht.“ Ä
„Und braudt’s aud niht! Es fann ja
aud) ganz anders tommen. Und dann —
Menſch, vergiBt du denn ganz, daß wir eine
Zigarre haben? Eine richtige Tabaks—
gigarre! Die Iteden wir nadjber im Zug
an. Wie follen wir fie rauhen? Erft du
die Hälfte und dann id) die Hälfte? Oder
Zug um Zug?“
Hans lächelte, und fein Unmut war plop:
lid) bezwungen. „Ich dente, erjt einmal
jeder ein paar Züge, damit er auf ben Ge-
Ihmad fommt, und dann Zug um Zug.“
„So wirds gemadt! Und dabei Dellen
wir uns vor, wie die ganze Sade verläuft.
Und ich [age bir, fie wird einfach großartig.
~
Did erwartet deine Braut und deine Mut: `
ter. Und mid — na, einjad) die ganze
Ravaltade. Meine Frau mit dem Bengel
auf dem Arm. Hans, Ramerad, [tell 2g
vor, ich habe einen Jungen, einen Benge
von drei Jahren, der Ion Papa jagen
fann und den id) nie gelehn Babe. Mfo
wenn ich den fehe, ich — id) briille ja, als
wenn’s auf bie Panjes ginge. Und der
Bengel, der brüllt natiirlid) auch, wenn ich
jo auf ihn und feine Mutter losjtürze. Und
mein oller Schwiegervater — meine Schwies
germutter ift zu Haus und toht was Feines,
darauf verfteht fie fid) — mein oler Schwies
gervater fragt: ‚Warum fommft du denn jo
unpünftlih, Hermann? Das fragt er
immer. — Go und nidjt "ne Spur anders
wird die Gade verlaufen.“
„Bir wollen's hoffen.“
„Denn jchließlich, wir haben uns bod) nicht
mit dem Tod herumgeprügelt und haben
ihn fleingefriegt, damit wir jebt erft recht
in Den Dre geraten. Du bátteft, wie oft?
— neunmal von Rechts wegen zum Deubel
gehn müjjen, und id) viermal, und das
alles für die Rak, für weitere Gdinderei?
Für jo gemein halte id) den lieben Gott
nicht.”
„Wollen’s hoffen. =
Der Zug fam nie, und die beiden beten
noch tagelang warten. Aber daran waren
jie jchließlich gewöhnt. Gelbft ihr langer
37
562 BSSSSSSSscscc3+ Wilhelm Hegeler:
Mari aus Sibirien bis hierher nad) Mol:
hynien war nicht viel mehr als ein ein:
töniges Warten gewejen.
Endlich jedoch gelangten fie nad Berlin,
und alles, was fie gerüchtweije gehört Dat:
ten, bejtätigte jid) bier: ber Weltfrieq war
verloren und in Deutjchland Revolution.
Die beiden waren traurig, aber nicht min:
der hungrig, durjtig, verfroren und reinlid):
feitsbedürftig. Nachdem fie diefe Verlangen
geftillt und fic) ein, wenn aud) ziemlich
räubermäßiges Zivil verſchafft batten, jaßen
He wieder auf einem Bahnhof und warteten
aufeinen Zug. Und endlich tam der Augenblid,
an den zu denfen, von dem zu träumen, den
bis in alle Kleinigkeiten fih auszumalen,
jie feit vier Jahren nicht müde geworden
waren: fie betraten den Boden der Heimats
ftadt.
„Wie ijt bir gumute?” fragte Alt, der
finfter, aber zugleich gelpannt in der auf
dem Bahniteig gedrängten Menge der Zivi-
liften und zahlreichen, mit roten Rofarden
und Bändchen gezeichneten Soldaten umher:
jah, als müßte bod) einer der Erwarteten
fid darunter befinden, obwohl ibm feine
Vernunft fagte, das fet ganz unmöglich, da
man ihre Telegramme der Überlaftung wegen
gar nicht angenommen hatte.
„But ijt mir zumute!“ ermiderte Hans.
„But! Denn die eine Hoffnung hat fich nun
pod) erfüllt, an der wir, Gott weiß wie oft,
verzweifelten: wir find wieder zu Haufe.”
„Das find wir. Ja. Uber es fann doch
auch anders tommen, als wir uns das aus:
gemalt haben. Ich will nichts Bójes gegen
meine Frau Jagen. Aber wir waren bod)
erit ein halbes Jahr verheiratet, und fie ift
jung und biibjd und... Weiber find Wei-
ber. D Gott verdamm mid, Hans, wenn
bas pajfjiert ift — id) nehme meinen Gtod"
und baue ... den Kerl, die Frau, das Kind,
die Schwiegereltern, alle haue id) fie zu
Brei. So wahr id) hier ftebe!”
„Das tuft du [Hon nicht, mein Lieber. —
Was aud) immer geldjeben fein mag, dent
dran, Daß deine Frau aud) nur ein Menſch
ijt. Wielleicht war die Probe zu Dart. Und
Dent dran, was du jefbjt in —"
„Hör bloß auf! Crinnere mid jebt dar:
an nicht!“
Seder feinen Gedanfen nadjbüngenb,
gingen fie bie Straße hinunter. In einem
Laden faufte Hans einige Karten, auf die
er feinen Namen jchrieb. Als fie aber bann
der Kreuzung lid) náberten, wo ihre Wege
fih trennten, [ob Alt feinen Arm unter
den Des Freundes und jagte, feine Schritte
verlangjamend: „Du, Hans, wir haben dod)
nun drei Jahre zujammen gelebt, man tann
wohl jagen, wie Bruder und Bruder) faft
wie ein Ehepaar. Nun miijjen wir uns ja
wohl irgendwie trennen. Wher, nicht wahr,
ganz auseinanderfommen wollen wir nicht?“
„Soviel an mir liegt, nidjt. Denn — id)
muß es dir mal jagen: daß ich bid) getrof:
fen babe, einen treuen und gütigen Men:
iden wie dich, einen Wienjchen, Der Die
ibónfte Gabe bejikt, den andern reicher,
freier und felbjtbewußter gu madjen, bas
betradjte id) als ein unverlierbares Gut
für mein Leben. Und was jegt aud fom:
men mag, ganz jhwarz tann es nicht wer:
ben, ba es Menjchen wie bid) gibt.“
„Das haft bu gut gejagt,“ erwiderte ATI
mit einemmal froblid. „Das haft du einfach
glänzend gejagt. So was läßt fih eben nus
jagen. Malen fann man das nicht. — Wher
da wir uns alfo nicht trennen wollen, foll-
ten wir gleich) heute ein MWiederjehn aus:
machen. Wies auch ablaufen mag, tot oder
lebendig — auf alle Fälle treffen wir uns
noch.“
„Abgemacht!“
Und die beiden verabredeten Stunde und
Ort.
Als dann aber die Stelle gekommen war,
wo die Wege ſich trennten, ließ Alt doch
wieder den Kopf hängen und erklärte, ihm
wäre himmelangſt und er würde ſich erſt bei
den Nachbarn erkundigen, ehe er ſein Haus
beträte. Und Hans war ſchon ein ganzes
Stück ſeine Straße hinuntergegangen, da ſah
er den Freund nod) immer mit ſchiefem Kont
an der alten Stelle [tebn, und als Hans ihm
winfte, legte er die Hand .aujs Herz und
wintte ab, als wenn er jagen wollte, da
herum wäre ibm gar nicht wohl. Sans aber
30g feine Uhr hervor und dachte, wenn diejer
winzige Stahlfplitter nur um einen Benti:
meter weitergeriidt wäre, dann würde er
alles wijjen. Ein jonberbares Ráltegefiib)
prekte feine Rippen zujammen, troh pridelnb
über Rüden und Arme und ließ ihn den
Kopf zwilhen bie Schultern ziehn. Aber
zugleich zwang eine andere Kraft auf fein
ausgemergeltes Beficht ben Ausdrud findlid
ergreifender Erwartung.
Was fid) in diejen nád)ften drei oder vier
Minuten erfüllen folte, das hatte er wäh-
rend zweier langer Jabre vielhundertmal
durchlebt. In fahlen Lazaretten, in bumpfen
Bauernftuben, auf endlojen Märjchen hatte
er bie wintligiten Züge bes Schidjals durd):
gegrübelt, durchgefoftet und durdgelitten.
Gr hatte in ben Armen feiner Mutter ae:
legen, Annies großäugiges Erichreden, ihr
Aufjchreien Hatte ibn erjchüttert, und fein
Mund Hatte thre Lippen geichmedt. Den
alten Gugendfreunden hatte er die Hand ge:
Iesel Zwei
ſchüllelt und Nächte hindurch mit ihnen Er—
lebniſſe ausgetauſcht.
Aber kaum minder oft war ihm das Haus
ſeiner Mutter verſchloſſen geweſen, und Nach—
barn hatten ihm mitgeteilt, daß ſie geſtorben
ſei. Dem Schmerzlichſten war er nicht aus:
gewichen, auch Annie war tot. Nicht nur
das: fie hatte an feiner Riidfehr verzweifelt
und fid) mit einem andern verheiratet. Aber
gerade dieje Möglichkeit war jedesmal von
irgend etwas anderem, von feiner Liebe
oder feiner Eigenliebe ober feinem Glauben
an Annie entfrüjtet und zunichte gemacht
worden, ehe fie mit ihrem Schmerz wirklich
in feine GejübIstiefen einbringen fonnte.
Dagegen hatte gerade im legten Jahr eine
neue Empfindung über ihn Macht erlangt.
Während er in Sibirien, unter Bauern ganz
als einer ber ihrigen lebend, die Axt ge-
Ihwungen, den Pflug geführt oder abends
beim Spiel der Balalaita mit den Mädchen
auf primitiv derbe Art gejcherzt hatte, war
die Erinnerung an fein friiheres Leben
mandmal nahezu erlojchen gewejen. Gewiß
hatte es Zeiten gegeben, wo Ungeduld und
Sehnjudt ibn verzebrten, zu anderen Zeiten
aber war der Gedanke, daß er etwa wieder
(tubieren und fpater als Richter fungieren,
daß er, als europdijder Herr verkleidet, in
einem feinen Zimmer mit einer fultivierten,
arten Frau Gejprade führen, daß jein
wildes, abenteuerliches Leben auf einmal
über Gerichtsaften, in einer Mietswohnung,
gwijden Kollegen und gejellichaftlichen Ber:
anjtaltungen fih abjpielen folte: diejer Ge:
dante war ihm höchſt befremdlich, unwahr:
icheinlih und faft erniedrigend erjchienen.
Und ohne Widerftreben hatte er jid) bem
Gleichmaß der Tage hingegeben, bis irgend:
ein Ereignis alles wieder in ihm entfadte.
Aber im Augenblid war von derlei Stim-
mungen nichts in ibm. Im Augenblid war
er, entfrüjtet, zermürbt, dDurchfröftelt von der
allgemeinen Niedergejchlagenheit, zugleich
aber ganz durchglüht und der Wirklichkeit
entrüdt von jenen Wiederjehensträumen,
nichts weiter als ein armer, glüdshungriger,
an Blüdshoffnungen [id antlammernder
Menjd. Und war zugleich bod) jo trampf:
haft gelpannt, jo diinngejdliffen und wund,
daß ber leijejte Ton, fets der Erfüllung,
jei’s der Enttaujdung fein inneres Behäuje
faft zertrümmern mußte.
Er flingelte am Haus feiner Mutter. Ein
Dienjtmädchen öffnete ihm etwas miftrauijd
die Tür.
pot Frau Bofelmann zu Haus?“
„grau Bofelmann? Die wohnt nicht hier.“
„grau Botelmann!” wiederholte er bet,
tiger.
Freunde | RW323233232333323324 563
^
„Warten Cie mal.“
Das Mädchen ſchloß vor bem auf der
zweiten ber drei eingebauten Gteinjtufen
tehenden die Tür und rief etwas ins Haus
zurüd, worauf eine andere Stimme unDdent:
lich antwortete,
„grau Botelmann hat hier mal gewohnt,“
jagte das Mädchen dann, die Tür von
neuem Offnend. „Mber fie ift geftorben.
Schon voriges Jahr.”
, Dante.”
Gejentten Hauptes, das rehte Bein ein
wenig nadjjchleppend durch den glitidigen
Schmuß des 3Bürger|teigs, ging Hans die
Straße hinunter.
Ah jo! ... Sol... Co wars gemeint!
Nervös zerrieb feine in ber Mtanteltajde
jtedenbe Rechte ein eghen Papier.
Tot... Das war ja ein [jdóner Ans
fang! ... Arme Mutter — haft fiher immer
auf mich gewartet — haft bid) nod) in deinen
legten Stunden.um mich gebangt. Tot...
Was nun? Am beiten... am beiten war's
wohl, man verjchob den Weit auf morgen.
Das Kinn auf den najjen Kragen ge:
preBt, den Blick auf bie von einer breiten
Kotſchicht umränderten Stiefellpigen gerichtet,
ſchlurfte er langſam weiter.
Rudi tot. Klaus tot. Und Annie —
tot? — verheiratet? So würde es [Hon
fommen. Dies war ja nur die erjte Kugel
gewejen. Ein Streifihuß. Der wahre Tanz
würde erft beginnen.
Uber dann richtete er den Kopf empor,
und wieder trat Deler erjchütternde lus:
drud einer findliden Gliidserwartung auf
jein hageres Geſicht.
Nein! Es konnte fo nicht gemeint fein!
Seine Mutter war frünflid) gewejen. Nah’
an die Sechzig. Cie hatte ihr Leben gelebt,
wenn auch das Ende bitter gewejen war...
Aber damit war’s aud) genug. Und geradezu
ein Gefühl der Erleichterung, faft etwas wie
Freude erfüllte ihn bei dem Gedanfen, dağ
er damit feinen Zoll an das Schidjal be:
zahlt hatte.
Im Dewertbiden Haufe öffnete ihm nicht
Auguft, jondern ein neuer Diener bie Tür,
ein eben aus dem Goldatenftand ent[ajfener
junger Mtenjd) mit einem harmlojen runden
Bauerngeficht. „Sind die Herrichaften zu
Haus?“ fragte Hans, indes feine Rechte in
ber Mtanteltajde die Karte mit feinem
9tamensaug umpreßte.
„Jawohl. Wen darf ich melden?“
„Aljo ... fie leben alle nod) 2“
„Jawohl.“
Da ſah der Diener, wie über die Züge
des nicht ganz einwandfreien Fremden, an—
geſichts deſſen er ſich eben überlegt hatte, ob
97”
564 bee———e---—-z---4) Wilhelm Hegeler:
er ein Herr ober nur ein Mann fei, ein fon:
derbares Zuden und Grimajjieren ging, halb
wie törichtes Ladjen, halb wie Weinen. Und
während Hans die Hand auf den Armel
des jungen Menſchen legte, fagte er über:
haftet, freundlich, faft flehentlich:. „Ich will
die Tochter [predjen. Wo ijt fie? Sagen
Cie mir ſchnell! Mo ijt fie?“
„õm grünen Zimmer. Aber wen darf
id) melden?”
„Ach nidjt dod! 3d) bin ja ein alter
Freund. Im grünen Zimmer!“
Raih ging er, von bem Diener gefolgt,
auf bas ibm woblbetannte Zimmer zu, öff:
nete die Tür unb blieb, den Hut in Der
Hand, am Eingang ftebn.
Auf bem mit ſchwerer grüner Seide be:
zogenen Empirejofa ſaß im Lichtjchein eines
Sampen|dirms Annie, den Blid auf das
gegen die Kante bes Mahagonitijches ge:
lehnte Bud) gerichtet. Seht erhob fie ihr in
bas zarte, rojagelblidje Licht getauchte Ge:
(idi und blidte mit verjonnenem Ausdrud
die Eingetretenen an und wollte eben fragen,
“was diefe Störung zu bedeuten hätte, als
der Fremde in bem regenbejprühten Viantel
aus dem Halbdunfel näher fam und gleich-
zeitig wie betrunfen zu ſchwanken begann.
Gein hageres Geficht mit ben tiefen Mund:
falten, dem verwilderten, rotbraunen Bart,
den wirr an die Stirn geflebten Haaren, die
bod) bie tiefe, von ber Schädeldede bis über
die linfe Augenbraue reichende Narbe nicht
verdeden fonnten, 30g jid) auf lächerliche
Meile immer mehr in die Breite, und wäh:
rend ber unheimliche Venid jet feine ge:
ballten Hände gegen die jchligartig verzoges
nen Augen preßte, begann er zu |chluchzen,
erft Bumm und unterdrüdt, bann aber immer
heftiger, begann laut zu weinen wie ein
Rind, fo baB die Tränen in breiten Fäden
in feinen Bart rannen.
„Der Herr jagt, er wäre ein guter Freund,“
ertlárte der Diener ſchüchtern.
Da ließ Hans einen Augenblid die Hände
(inten, blidte aus tránenblinden Augen Annie
an und nannte tonlos flüjternd ihren Namen.
Der Laut fam ihr entgegen, fant, faum
gehört, vor ihr nieder, erhob jid) nod) ein:
mal mit fernbefanntem Ton und drang,
furchtbar verwandelt, in fie ein. Während
ihr Kopf zurüdjanf und ihr ſchwerer, blon:
der $jaarfnoten fih gegen das jchwarze
Seidenkiſſen preBte, jo daß ihr Haar jid) auf
ber Kopfhöhe emporwölbte, blidte fie von
unten ber den jebt nicht mehr ‘Fremden,
jondern nur allzu Belannten, das moder:
umwitterte Bejpenjt, an, und die halb offene
Mundhöhle gab ihrem entfärbten Gefidt
den Ausdrud eines Menjchen, Dellen ganze
Kraft fid) in einen Schrei zufammendrängt
und der fid bod) von diejem Schrei nicht
befreien fann. Sie hatte nur bie Kraft, die
Hand zu erheben und dem Diener zu winten,
daß er fih entfernen folte.
„Annie — du lebft — und ich glaubte —
du wärft tot!” Er tämpfte gegen fein Weinen
an, judjte es von fih abzujchütteln, ftampfte
mit dem Fuß auf, warf fid) auf einen Sefjel
am Tijd) und wiederholte, während er zu
lachen verjuchte: „Ich glaubte, du wärjt
auch tot!“
Uber von neuem brad) die Erjcehütterung
feinen Miderfland zujammen. Er riB ein
Tajdentud hervor, ein [rijd) geplättetes,
mürbes Tuh, bas er zu Riejengröße aus:
einanderjchüttelte und gegen feine Augen
prekte, indes er bie Rechte Annie entgegene
reichte. /
Einige Augenblide vergingen, und feine
Hand lag noch immer vor ihr ausgejtredt
wie bie eines Bettlers. Aber während ihr
Entjeken fih lófte, überfam fie etwas viel
Schlimmeres, ein Gefühl namenlojer Pein:
lichkeit. Sie ſchämte fih für ibn, empfand
grenzenlofes Mitleid mit ibm, nicht wegen
des Furchtbaren, das er jogleid) erfahren
würde, jondern weil er wie ein Rind vor
Freude weinte und weil dies Meinen fo
gar nidt angebradjt war. Während fie
nervös über ihre Schläfe wijdte, fagte fie:
„Du — bift da?“ d
Er nidte, ladelte, jah fie zum erjtermal
wirflid) an, und fein erter Blid fiel auf
ihre Hand, auf diefe überreich mit Ringen
geihmüdten Finger... und von à jour ge-
faBten Perlen und Brillanten ein wenig vers
dedt, aber bod) unverkennbar jdjimmerte ihm
ber Trauring entgegen. In einer ungehen-
ren Aufmerkjamfeit und Gejpanntheit faßte
fid) fein Inneres zujammen. ^ Mfo wirklich
dod! Was er jo oft gedacht hatte ... aber
eigentlich nie geglaubt.
„Du bijt wiedergelommen — endlih —
nad) jo langer Zeit!” wiederholte fie. |
r nidte nur. Einige Sefunden lang biet,
ten fie mit ihren Augen Zwieſprache. Gie
fragte ibn: ‚Mjo begriffen?‘ und er ant:
wortete: Jawohl, begriffen! ... Dann
jagte er: „Ich wollte euch bod) guten Tag
jagen."
Unwillfürlich hatte er vor dem ‚euch‘ ein
wenig gezögert und es ein lein wenig
ftarfer betont. Gie erhob fih, wie in plot:
lider Flut. „Ich will meinen Mann
holen.“
Er jebte jid) wieder und blidte zerjtreut
ins Zimmer, — Hatte fid) bier nicht aller:
hand geändert? Mo jebt die Qidterpor-
tráts Dingen, ber fterbende Nietzſche, Tolftoi,
UE)
da Hatten fic) bod) früher Kupferſtiche be:
funden. Und einer davon ... einer hatte
die Erziehung des Achilles dargeftellt. Auch
der Schrank, Hinter deffen Glasjcheiben
Bücherrüden funfelten, war [rüber nicht da-
gewejen. Berheiratet?!... Wo war denn
eigentlich fein Hut? Er juchte ihn unter
bem Tilh, auf den Seſſeln und enbedte ihn
endlid) in dem Halbdunfel nahe bei ber
Tür.
Er fühlte jid) ordentlich erleichtert, als
er ibn Hatte. Nun folte er gehn. Raſch
und jchmerzlos bavon|d)leidjen. Seine Mut—
ter tof — Annie verheiratet — er |dchiittelte
nur den Kopf. Was wollte er hier nod?
Warum war er nur fo töricht gewejen und
hatte nicht zuerft Klaus aufgejudt, um von
dem alles zu erfahren! Aber das würde
ja entjeglic) unangenehm werden, wenn jest
: Diejer fremde Menſch erjdien und er mit thm
eine Unterhaltung führen folte. Weg!...
Dod zur Ausführung diejes Entjchlufjfes ge:
hörte mehr Kraft, als er bejaß.
Unterdes hatte Annie ihren Mann von
der Riidfehr des Totgeglaubten unterrichtet.
Klaus war turg vor Hans nad) Haufe ge:
tommen und gerade im Begriff, feinen An:
zug zu wedjeln.
Erihroden von dem Ausjehn feiner Frau
fragte er, was los fei? Als er dann hörte,
worum es fic) handelte, erklärte er die Mit:
teilung rund heraus für ein Märchen. Annie
erwiderte, er folle (id) bod) ſelbſt überzeugen.
Erregt auf und ab gehend und die Trag:
‚weite bieles Ereignijjes überlegend, fam er
troB aller Berjicherungen feiner Frau zu Der
Überzeung, daß ber free Verſuch eines
Schwindlers porliege. Er wollte allein bin:
— aber Annie, die ihre Feigheit
bereute, beſtand darauf, ihn zu begleiten.
Gewohnheitsmäßig, nur etwas energijd)er
als jonjt, drehte Klaus bei feinem Eintreten
die Kerzen im Kronleuchter an und mus
jterte bann, von falten Schauern fortwáb:
rend übergofjen, jedoch mit renger Miene,
drei oder vier Gefunden lang den jebt in
hellem Licht vor ibm Stehenden. Mehr nod)
als die Ähnlichkeit belehrte ihn der hilflos
erjchrodene Ausdrud in diejem Gelicht, daß
es wirflid) Hans jet, unb jofort aus feiner
Angft fih heraushajpelnd, begann er den
Freund mit einem Wortſchwall zu Ober:
Ichütten.
Während er feine Rechte ergriff und fie
immer wieder jchüttelte und ihm mit Der
Kinten auf den najjen Mantel Elopfte, jchrie
er ibm Willfomm zu, jagte, thm wirbele ein:
fad) der Kopf und er habe es erjt für ein
Märchen, ja, um ganz wahr zu fein — wobei
er lachte — für Schwindel gehalten, ertlärte,
Zwei Freunde ZEIT ZZ 565
dies fei feit Monaten wieder ber erjte frohe
Augenblid, verjidjerte, — mit einem Blid
auf Annie — Hans fehe glänzend aus. Ein
Held! Die Narbe! Donnerwetter.
Hans blidte finjter-jtumm auf ihn hinunter
und Dote: ‚Fünf Minuten! Wd, fünf
Minuten! Nur fünf Minnten fei ft, damit
id) alles begteifen fann.‘
Annie fam ibm zu Hilfe „Man folte
Sans bod) erft mal zu Ruhe fommen laffen.
Lege bod) überhaupt erft mal ab!”
Da raffte biejer jid) zujammen. „Nein,
‚gnädige Frau, Berzeihung! Ich muß gehn.
— Sch wollte mic) nur nad) dir erfun:
digen.“
„Du bleibt, Hans,” erwiderte fie mit ein-
‘fader Herzlichkeit. „Wir laſſen bid) fo nicht
fort.“
„Das wäre ja nod) jchöner!” fiel Klaus
ein. „Was ilt bas überhaupt für eine Ma-
nier, bet alten Freunden niht einmal ab:
zulegen! Wir müjjen dein Wiederjehn feiern.
Und jelbjtverjtändlich wohnft du bei uns.
Du Haft bod) nicht etwa [Hon ein Hotel?”
Hans ließ es fid) gefallen, daß Klaus ihm
den Tiberzieber auffnöpfte, erflarte aber,
unter feinen Umftänden im Haus wohnen
zu fünnen. Er hätte eine wichtige Zuſam—
menfunft mit einem alten Freund.
„Na, ich dente, hier ift auch ein alter
Freund, der vielleicht nod) größere Anjprüche
Bat," polterte Klaus.
Der Diener trug Mantel und Hut hinaus,
indes Klaus forteilte, um den ‚richtigen‘
Wein und bie ‚richtigen‘ Zigarren zu holen.
Die beiden waren allein. Annie fap wie:
der auf dem Sofa, Hans ihr gegenüber auf
dem Gejjel. Leije fnabberten im Ofen die
Flammen. Annie tat, das Buch [chließend,
nod) einen rajden Blid hinein. Und bie
Morte, bie fie vorhin gelejen hatte, gerade
als Hans eintrat, befamen, fo gleichgültig
jie waren, jebt etwas Cdjidjalbaftes und
Unvergängliches.
Gein Auge ftreifte ihr Geſicht. ‚Das ift
der Mund!‘ dachte er. ‚Der Mund, ben ich
jo oft gefüßt habe...‘ Und hätte vor
Schmerz aufheulen mögen. Cie Hob den
Ropf.
„Warum haft du nie gejchrieben ?^
„Sch Babe gejd)rteben," murmelte er, ohne
jie anzujehn. '
„Es ijt nie ein Brief angefommen.”
Wieder trat Schweigen ein und gejpann:
tefte Stille, indes bie Kohlen im Ofen fnad-
ten und bariten.
„Seit wann feid ihr verheiratet?“
„Weihnachten wird es ein Jahr.“
„Bor einem Jahr — gerade jekt vor
einem Jahr traten wir unjere Flucht an.“
LSS] Zwei Freunde sees el 567
bod) zu den alltáglidjiten Lebensgewobn:
beiten gehört hatte, waren alle Kameraden
furchtbar aufgeregt über bas Ereignis ge:
wejen und hatten ihrer Wut über das Menih‘,
das einem braven Soldaten untreu geworden
war, in einem gemeinjamen Brief voller Be:
\himpfungen Luft gemadt.
Aber biejer Vorfall hatte ja gar keine, aud
nicht bie geringfte Sihnlichkeit mit feinem
Sdidjal. Wem wollte er einen Vorwurf
machen? Go war das Leben, bas unbegreif:
(ide, bas auf bem Schachbrett der Möglich:
teiten gerade den Zug tat, den man am
wenigiten erwartete. Wher würgen mußte
er an Diejem Biffen! Gott wußte, wann er
ibn binunterbradte!
Da weder Hans nod Annie mehr als
das Notwendige jagten, lag es weiter auf
Klaus, das Gejpenjt der Stille zu ver|djeudjen.
Gebebt in eiferjüchtiger Angſt flogen feine
Augen bin und her, von Hans zu Annie,
von Annie zu Hans. Cinmal quol, weh:
miitig, töricht, ein altes Gefühl in ihm auf,
rig ab... Der Freund war jebt der Feind!
Mie durfte er wieder ins Haus! Wenn der
wiipte!...
Die Augen ftanden plóblid [till, wie auf:
gejpießt, ber offne Mund verjtummte, als
bräche ein geflumpter Schrei heraus. Wenn
der von feinem Yammer wüßte!...
Uber gleich Iármte die Klapper weiter.
Nur einmal wurde der Gajt lebhaft, als
Klaus‘ nad) einigen jcharfen Bemerkungen
über die Revolution behauptete, auch der
Armee werde ewig der Matel anhängen,
daß fie im legten Augenblid feige die Flinte
ins Korn geworfen hätte. Da fuhr Hans
auf: Was ber Frontfoldat durdgemadt und
ausgejtanden hätte, Darüber dürfe nur der
mitjprechen, ber jelbft im Schüßengraben ge-
melen fei. Einmal jet auch die Widerftands=
traft bes Ctürf|ten erjchöpft. Und jelbjt im
Tapferften fame einmal bie arme Kreatur
mit ihrem Gelbjterbaltungstrieb zum Bor-
idein.
Klaus gab jofort Hein bei, verjicherte,
Hans dürfe feine Worte nicht mißverjtehen,
und benubte die Gelegenheit, um auf bie un:
bejiegten Helden zu trinten. Als Hans mit
ihm und Annie anftieg, jah er zu feinem
Erftaunen, daß deren Augen mit Tränen
gefüllt waren. Gleich darauf fam der Diener
und meldete, daß das Whendejfen bereit fet,
Aber nun beftand Hans darauf aufzu-
bredjen. Und alle Vorftellungen, alles Be:
leidigtjein von Klaus vermodten ibn nicht um:
zujtimmen. Wher als diejer [Hon verftummte,
da war es Annie, da war es der weiche
Aufblid ihrer Augen mehr als ihre turze
Bitte, bie ihn plößlich fühlen ließ, daß diejes
widerfinnige, quälende und Ddemiitigende
Beijammenfein dennod ein Glüd in fid) be:
ſchloß, ein unentrinnbares, wehes und fúBes
Gliid, bie legte linde Gabe des Lebens vor
der ‚großen Ode des Nimmerwiederiehens.
Uber faum hatten die drei bas Gpeije:
zimmer betreten, als feine Ntacdhgiebigfeit ihn
reute. Der ftrablend erbellte Raum, der
weiß gebedte Tijd mit ben dreierlei Glajern,
dem bli5enben Gilber, der feierlich Hinter
einem Stuhl harrende Diener, Klaus jelbit,
mit äußerjter Eleganz gefleidet und ihm
mit der Handbewegung des Hausherrn den
Pla anweijend — das alles entfachte feine
Wut.
3uerft gab es eine ſcharf gewiirzte Mod-
turtlee Suppe, banad) Hummer. Und Hans,
ganz dem Gedanfen verfallen, daß es trog
allem eine Gemeinbeit jet, eine freche Scham:
lofigteit, daß diefer Mann, der einmal fein
Freund gewejen, ibm bier gegenüberjaß, ftatt
ih in Scham und Schande zu vertrieden
— Hans, aus diejem Gedanfen auftaudend,
merfte plöglich, daß er ftatt bes Fiſchbeſtecks
mit gewöhnlichem Mejjer und Gabel feinen
Hummer verzehrte, und einen Augenblid
ungewiß, ob er taufchen folte, jah er, wie
von der weißen Sauce etwas in jeinen Bart
träufelte, und ihm fiel ein, wie Annie einft-
mals über dieje Germanenbärte, dieje Cpeile-
fammern für Suppen: und Gaucenrejte, ge:
ierat hatte. Gequält aß er weiter. Gein
Kopf war von dem genojjenen jchweren
Mein ganz dumpf.
Da Klaus fic) wieder einmal nad) feinen
Kriegsabenteuern erfundigte, erzählte er,
wie fein Ramerad und er, als fie beide vor
Hunger jdon beinah delirierten, auf dem
gelb ein verendetes und bereits ziemlich auf:
getriebenes Rind entdedt und nad) Bers
treibung ber Krähen und Hunde aus deffen
bledendem Maul die hartgefrorene Zunge
herausgemeißelt und in einem Blechtopf ge:
toht hätten. ‚Sie hatte fo herrlich gejchmedt,
daß fie trog aller Befürchtungen, davon
frant zu werden, nad) und, nad) die ganze
Zunge verjdlungen batten... Und war
ganz verwundert, als Klaus fich mit blaffem
Geſicht zurüdlehnte und aufhórte zu effen.
Es war mit feine |chönfte Erinnerung aus
dem ganzen Kriege.
Aber dann verjant er wieder in fein vers
jtodtes Schweigen und träumte von weißen
Gdneefelbern, jo öde, Tod ausftrablend...
der warme Atem gefror fofort, indes Dod)
in der Brut bie Hoffnung auf ein prajjelnbes
Feuer luftig fortglühte, von jommerlichen
Landftragen, biejen breiten, ſchwarzen Giró:
men germablener Erde, über die vier, fünf
Magengeleife nebeneinanderliefen, von Korn:
— — o —
568 PBESSSSSSSSTESTA Wilhelm Hegeler: Lee
‘ogeanen, auf bie der Himmel fein Feuer
und Licht Hinunterftrömte, von Sonnenunter:
gangsbränden, denen blaue, tiefe Gtille
folgte und in der Bruft ein über Schmerz
und Luft erhobenes Gefühl, eins zu fein mit
Staub und Gras und Himmel im altmütter:
lien Schoß...
Dod Annies Stimme ftörte ihn. Es war
das erjtemal, wie ihm jebt auffiel, daß fie
mit ihrem Mann fprad) Es handelte fid)
um die Briefe und Telegramme, die Klaus
infolge feiner Nachforichungen nad) bem
Vermißten von ben verjchiedenen Behörden
betommen hatte. Er fagte, Hans müßte fic
unbedingt lejen. Aber Annie erwiderte:
warum eigentlid)? Hans würde auch ohne:
dies überzeugt fein, daß er fih forreft be:
nommen hätte.
„Bon forrett ijt nicht die Rede.“
„Wohl von Freundſchaft ...?!“
Und wie Annie jebt Klaus anjah, bas
war ganz der höhnijche, erbarmungslos De:
miitigende Blid, mit dem einft bie teine
Annie den Heinen Klaus gefranft hatte...
nur daß fie jebt feine Frau und er ihr
Mann war.
Mad dem Effen ging Klaus dann nod)
hinauf, um das Material zu Holen. Die
beiden waren wieder allein in dem grünen
Zimmer. Hans ging unruhig auf und ab.
„Willſt bu wirklich fort?”
„Was fol ich bier?
Annie ließ mutlos den Kopf finten. Smmer
mehr war bas Fremdartige und Abjtoßende
von ihm abgefallen. Aber in demjelben
Maß ftieg in ihr eine Flut von Tränen auf,
die fie Doch nicht weinen fonnte und Die
vielleicht nichts waren als der Schmerz über
ihre verlorene Liebe. Während fic nod) troft:
los vor fid) binblidte, fagte fie: „Hans, id)
muß bid) nod) einmal jpreden. Willft du?“
„Natürlich, wenn du wünjchelt.“
„Sei morgen im Part an Der großen
yontáne.”
„Bann ?“
„Am zwölf.“
„But. Um zwölf.“ |
Er jebte fid). Klaus fam mit einer großen
Altenmappe. Hans mußte bas ganze dice
Konvolut durdfliegen und dadbte nur: Ja
er hat fid) ganz forreft benommen. lud)
den Trumpf hat er nod) in der Hand. Wo:
möglich fol id) mid) nod) für feine Mühe
bedanfen.'
Als er geendigt hatte, ftand er auf und
jagte, er müßte nun gehn. Geine Miene
war fo finjter und beftimmt, dak Klaus nur
ſchwache Einwände machte, während Annie
gänzlich ſchwieg.
Als Hans die fleine Wirtjchaft, in ber er
„Bier Sabre ...
während ber Ferien manchmal eingetebrt
war, betrat, erhob fein Freund fih von dem
Tilh am Fenfter.
„Outen Abend,“ jagte Hans. „Nun wie
war's?”
„Ach, Hans,“ erwiderte Alt leije, und
jein im erjten Wugenblid befümmertes Ge:
licht ftrablte auf. „Sch bin ja ein Schuft —
jo was zu denten. Ein fo braves Weib!”
„Das freut mich.“ /
„Aber bu. — Sch Habe jchon gehört,
deine... das Fräulein Dewerth hat ja deinen
Freund geheiratet.”
„5a, gerade den. — Meinetwegen,” et:
widerte er bem hinzugetretenen Kellner,
„was Cie wollen.“
Er fegte fic) Dem Freund gegenüber, jv
daß er ben anderen Tijchen, an denen ältere
Herren Karten jpielten, ben Rüden drehte.
„Ja, mein Lieber, juft den. — Aber
ſprechen wir von dir. Alſo es war alles jo,
wie du gehofft haft?”
„Ach, es war über die Maßen chon,
Hans.“
„Und alle gejund Zu
„Alle gejund, vergnügt —“
„Und der Schwiegervater? Hat er wirklich
gejagt —?“
„Ach, der gute alte Mann! Er war ja
jo aus dem Häuschen! Ich hatte wahrhaftig
Angit, er tut fih vor Freuden was an. Und
. Der Junge! Hans, Menſch! Da jest man jo
was in die Welt und weiß nicht, daß man
(id das ſchönſte Glüd ſchafft. So ein
Dienjchenleben geht bod) über alle Runft.“
„Ka immerhin... alles zu feiner Zeit.
Oder willjt du nur nod Kinder zeugen und
das Malen ganz fein laffen?”
Alt lahte. ,Wenigftens Haft du nod)
deinen Humor.“
Eine lange Weile faen die beiden ein:
ander jchweigend gegenüber. Alt hatte fih
eine neue Pfeife geftopft und durch die vor:
geitoBenen Wolfen betrachtete er von Zeit zu
Seit feinen Freund. Endlich jagte er janjt:
es waren immerhin vier
Jahre. Und fie war nod) Jo jung!”
„Sch gebe ihr aud) feine Schuld. — Aber“
— $janjens Stimme Hang jo dünn — „rühr'
nicht dran. Heut nicht. Morgen.“
„But. Morgen.“
Alt [Mob die Pfeife wieder zwijchen die
Zähne und [tie den Rauch aus dem Mund:
wintel jchräg in die Höhe und fonnte nicht
hindern, dağ er immer wieder an fein Su:
hauje dachte und babet von Glüd und Dant:
barfeit und Ungeduld fórmlid übertroff, und
blidte Dann wieder den Freund an, Das
icheinbar ruhig nachdenkliche Geſicht, dejjen
Züge bod) jo verfallen, gramvoll und alt
Lé
à (1261 Bunyzssnozsuny wu 355049)
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PSSSSSSSSSSSESCTA Zwei Freunde 569
waren, wie er ihn auch in den jdjled)tejten
Zeiten nicht gejehen hatte, Und dachte bann
an dunkle Nächte in Lazaretten, an Nächte
in Baraden voll Ungeziefer, an Nächte, wo
fte aneinander gefouert, im Freien gefroren
hatten... an ihre Unterhaltungen, wie immer
¿utiefft der Troft gelungen hatte: noch find
wir ja da! Und der elendejte Feen des
nadten Dajeins fann wieder zum bunten
Teppich des Lebens werden... Und andere
Morte fielen ihm ein — aber was halfen
hier Morte? Das lindefte Wort, noch fo
janft an die Wunde gelegt, mußte fie nur
wilder brennen laffen ... Und er litt mit
ihm, fühlte das Kragen und Graben des
Schmerzes, litt unter dem Schweigen und
unter den vermorrenen Geräujchen, wenn
ein Geloftid auf die Tonbant fiel, wenn
das Bier aus dem Hahn raujdte unb in
bejtimmten Intervallen eine Faujt drdhnend
Die Karte auf den Tijd) warf. Und fagte
plöglih: „Dein Freund ijt ein Schuft!“
„Ein Schuft?” fragte Hans, als wäre
er aus fernften Träumen aufgejchredt. „Ach,
weißt du, wenn man bedenft, dak es noch
gar nicht jo lange...
bunderttaufend Jahre her ift, daß bas ge-
ſchickteſte Raubtier (id) zu dem entwidelt
hat, was man Menjch nennt, dann wundert
man fih, wieviel verfeinerte, über den
bloßen Egoismus hinausgehende Inftintte
ihon vorhanden find. — Man muß bei Klaus
jeine Entwidlung bedenten. Er bat eine
jehr harte Jugend gehabt. Ein Schuft?
Nein. Nur ein ziemlich gewöhnlicher Menih
und nicht gerade das, was man einen guten
Freund nennt."
„Ein Schuft! Ein ganz gemeiner Schuft!“
wiederholte Alt. Ret
„Eins ift mir rátjelbaft,” fagte Sans.
„Er war bod) immer ein armer Teufel.
Damals, als wir uns zuleßt jahen, pumpte
er mid) nod) an, um jeine Schulden zu be:
zahlen.“
„Mir ift das gar nicht rätjelhaft,” er:
widerte Alt. „Er hat dich angepumpt und
deine Gutglaubigteit mißbraucht, um feine
Gejdhajte zu machen. Mit deinem Geld hat
er fic) bereichert. Und als er ein gemadjter
Mann war, da hat er bas Mädel herum:
gefriegt.”
„Blaubit du, daß die Dinge fo einfad)
liegen ?“
„So liegen fie. Du fannft bid) drauf
verlajjen.”
„Möglich. — Aber id) dente, id) gehe zu
Bett. Für dich ift es aud) Zeit.“
Cie bezahlten. Alt brachte feinen Freund
nod) hinauf, ftellte felt, daß bas Bett we:
nigftens lang genug war, bat, da das Zimmer
nur eine, zweimal:
ungeheizt war, ben Kelner, eine Wärmflajche
zu bringen, erklärte, er würde morgen um `
zehn Uhr wieder bei Hans erjcheinen, und
Dep fid) bann, ba biejer einen Bejud bei
feinem Redhtsanwalt vorjchüßte, bas Ver:
Iprechen geben, daß Hans bei ibm zu Viittag
effen würde, wünjchte gute Nacht, drehte
jebod) nod einmal um und fagte, bes
Freundes Hand ergreifend: „Du fommit
drüber weg! Glaub’ mir, Hans, bu fommjt:
drüber weg!“ (Es waren nicht dieje Morte,
es war ihr dunfel warmer Ton, der ibn
‚wunderbar tróftete und ihn einen Augenblid `
~
lang empfinden ließ, daß das Leben nicht
ganz leer und falt und nicht ganz ohne
Güte jet. |
Aber nachdem er furze Zeit auf und ab
gegangen war, febte er fid) und verjant in
Nachdenken. Und beinah fein ganzes Leben,
alles, was irgendwie auf Annie Bezug hatte,
drängte fid) an ihm vorüber, alle die ſehn—
jiichtigen, leiden|dhaftliden, ſchmerzlichen ober
glüdlihen Stunden, die von ihr erfüllt
waren. Und er fühlte, daß er ihr ganz ges
hört hatte,. mehr als irgendeinem anderen
Menſchen, jo wie fih felb[jt. Wenn da draußen
bie ganze Vergangenheit verjunten und grau
geworden war, irgendwo unter ber tiefften
Aihe hatte noch ein Fünkchen gegliiht, und
es war eine Erinnerung an fie. Wenn je
die Sehnſucht an ibm gezerrt hatte, jo war
es bie Sehnjucht nad) ihr gewejen, und wenn
je das Laden eines ruſſiſchen Mädchens ihn
gefreut hatte, fo war es, weil es wie ihr |
Laden geflungen hatte.
Und aud er glaubte, fie bejeffen zu haben,
wie nur ein Menjch einen andern befiben
tann. Es war fein bódites Glück gewejen,
fie mit feinem Geift erfüllt zu haben, der
befte Teil feines Glaubens an fih, daß er
meinte, in ihr zu leben und das 3artefte und
Tiefite in ihr gewedt und fie umgejchaffen
zu haben zu dem Menfchen, als den er fie
geträumt und erjehnt hatte. Und das war
bas Dunfelfte in diejen ſchwarzen Stunden,
daß er fih fagte: wie armjelig war ich, wie
jhwad und ohne Kraft ber Geele, dak id)
fte nicht halten fonnte, nicht über bie paar
Jahre des Zweifels hinaus, dak fie mid)
verlor und fid) an Klaus.
8 E:
‚Uber was ... was will ich denn eigent-
li? fragte Annie fid). ‚Aber... bas ijt ja
Torheit! Da ift ja finbildje Torheit! .. .'
Ad), warum ging die Uhr |o langjam?
Warum ging ihr Herz |o fdnell?
„Dante!“ fagte fie zu der eintretenden
Jungfer. „Ich gebe erft |páter aus. Kommen
Cie in einer... in dreiviertel Stunden
wieder.“
570 ES: Wilhelm Hegeler: Rees===22222222
Es hatte eben halb elf gejchlagen, und
fie hatte fid) eingebildet, wenn fie eine Stunde
früher an der großen Fontäne wäre, jo würde,
burd) eine Art von Fernwirtung gezwungen,
aud) Hans eine Stunde [rüber dort fein.
Uber die Folge würde nur fein, daß fie ver:
geblich wartete, daß fie fror und fid) ermii-
dete. Und fie mußte frifch fein, um ihm
Rede und Antwort zu ftehn. Um ibm alles
zu jagen. Alles, was fie in diejer langen
Naht unb was fie früher zu ibm gelprodjen
hatte.
Wie oft hatte fie in dem einen Jahr mit
dem Toten Zwiejprahhe gehalten. Uber
rätjelhaft, wie er aufgetaucht war, war er
aud) immer wieder verjdjwunden. Und alles,
wovon fie ihr beladenes Herz erleichtern
wollte, war in dies Herz zurüdgeflojjen, fo
daß alle befreiende Ausſprache nur eine Be:
freiung für den Wugenblid gewejen war.
Der Lebende aber konnte ihr nicht fo ent:
gehn. Er mußte ihr Antwort geben. Er
fonnte fie mit harten Worten fránten, er
fonnte fie verflagen und ihr Untreue und
Seibtfinn vorwerfen. Dann würde fie jid)
verteidigen! Mit feinen eigenen Worten
würde fie fid) rechtfertigen! War bas geftern
nicht ein Freijprud) gewejen? Hatte es nicht
gelungen, als wären die Worte geradezu
an fie perjönlich gerichtet gewejen: einmal
füme aud) im Tapferften bie arme menſch—
lide Kreatur mit ihrem Gelbiterhaltungs:
trieb zum Borjchein! Cie hatte ehrlich ge-
kämpft, ehe fie zufammengebrochen war. Er
fonnte nicht ungerecht gegen jie fein! Aber
vielleicht würde er antworten: Sch will nicht
deine Freundichaft, id) will dich! Da du
Klaus nicht [ieb|t, jo mach’ dich frei. Komm
mit! |
Sn dem Chaos der auf fie einjtiirgenben
Gefühle batte fie fih gejtern abend [don
gefragt, ob fie ihn nod) liebte? Aber wäh:
rend in ihrer Borftelung feine Gejtalt mit
aller Deutlichteit auf fie zutrat, hatte fid)
nicht bas leijefte Begehren in ihr geregt.
Nur helfen wollte jie ihm, wollte vor ihm
fnien, ibm die ſchmutzbedeckten Stiefel von
den Füßen ziehen, ihn betten und pflegen.
Wollte ihn tróften und mit an feiner Zu:
tunft bauen ... Gie hatte von erregten,
befreienden Gejpraden mit ihm geträumt.
Sie hatte ihm gejagt: fieh, id) wollte mir
das Leben nehmen, aber ich war zu ſchwach.
Dann wollte id) bid) töten, aber du warft
zu Start. Mas du mir hinterlajjen haft, ijt
unzerftórbar. Es hat mir geholfen, das
andere Leben, das, was ich als Frau von
Klaus führen muß, zu ertragen. Det aber
wollen wir es gemeinjam leben, niemand
tann uns das nehmen.
a
Cie hatte das Gefühl gehabt, wenn aud
nicht alles wieder gut, jo würde es bod) viel
bejjer werden, es würde irgendwie eine neue
Zebensmöglichkeit aus all bem hervorgehn.
Wud in bezug auf ihr Verhältnis zu Klaus.
Warum hatte fie fih innerlich fo gegen ihn
verjperrt? Warum hatte fie jedesmal, wenn
ein wärmeres Gefühl fic) regen wollte, fo
lange gebohrt und gegrübelt, bis der alte
Haß wieder über fie Maht hatte? Mar
nidt im lebten Grund ein Schuldgefühl
gegen den Toten der Grund gewejen? Aber
was der Tote niet fonnte, bas permodjte
der Lebendige. Er fonnte aud) Klaus frei-
jpreden. Es gab viel, was ihn entſchul—
digte. Die alten Freunde fonnten fich wieder
zulammenfinden. Und dadurd würde Hans
ihr helfen, daß auch fie zu Klaus einen Weg
fand.
Dieje Gedanken Hatten fie jedoch nur kurz
und im Borbeiflug bejchäftigt. Sie batten
nieht die Kraft gehabt, eine Wusjprade mit
ihrem Mann herbeizuführen. Geftern abend
war fie trog feinem angedeuteten Wunjch
gleich zu Bett gegangen und war heute erit
aufgeftanden, als er das Haus verlajfen
hatte,
Bon Hans war ihr Inneres ganz erfüllt
gewejen. Nach der eriten furdtbaren Be:
jtiirgung, nad) dem marternd bilflofen Mit:
leid war in der Nacht das eigentliche Er:
wachen gefommen, das Gefühl, daß fie ibm
wirklich helfen fonnte und daß damit and
ihr geholfen fet.
Dod was fie jebt erregte, was in ihrer
Bruft ſchwoll, ihr Herz flattern und ihr Blut
Hopfen ließ, war, wenn nicht Liebe, jo doch
bie 9Ingit und bie Ungeduld der Liebe und
über allem Gchmergliden das Borgefiibl
eines nahen Glids, ein Singen neuer Ju-
gend und bingegebener Celigteit.
Cie ging rubelos durch) die Zimmer.
Fragte fih, ob [ie nicht Anordnungen wegen
des Mittagejlens geben, ob fie nicht bas
Gaftzimmer herrichten lajjen folte. Grat in
ihrem grünen Zimmer an den Bücherjchrant,
betrachtete die Bilder an den Wänden und
fragte fic), ob ibm dieje Beránderungen
wohl aufgefallen jeien? Blätterte in einem
Band Goethe und hörte wie einjt feine
Stimme. Schellte dann plótlid) und hieß
die Jungfer aus dem Gewädhshaus einen
Strauß Weildhen holen. 3Beildjen waren
jeine Lieblingsblumen. Und dann — es war
noch nicht halb zwölf — lebte fie den Hut
auf, ließ fid Gamajden und Pelz angiehn,
verſchmähte bie Gummijdube und ging eilig
zum Bart.
Hans war nod) niht ba. Weil ihr auf
dem freien Pla um bie große Fontäne
BERE AAA Zwei Freunde 571
wahrjdjeinlid) Bekannte begegnen würden,
bog fie in einen Geitenpfad ein, von dem
aus fie durch das entblätterte Strauchwerf
einen Überblid hatte. Es ſchlug zwölf. Aber
er fam nicht, und nach jeder neuen Ent-
tüu|dung verlängerte fie ihre Gtrede auf
dem Geitenpfad. Troßdem war er piintt:
lid) zur Stelle gewejen. |
Beim grauen Erwachen war als triber
Grund bes geftrigen Abends das Gefühl
ber Demütigung in Hans zurüdgeblieben.
Das zerrende, zornige Gefühl einer Demii-
tigung, Der er fih ganz unnötig ausgefebt
hatte. |
‚Nur weg aus der Stadt!‘ dachte er. Aber
vorher jtand ihm ja noch diefe Zujammen:
tunft mit Annie bevor. Was hatten fie eins
ander zu jagen? Mit noch fo [Hónen Worten
tonnte fie die Tatjade nicht wegichaffen,
daß fie nicht einmal bis zum (Ende bes
Krieges auf ihn gewartet hatte.
Auf dem Wege durch die Stadt judte er
das Bureau des thm befannten Redtsan:
walts auf und liep jid) über den Stand
feines Vermögens aufflären. Was er er:
fuhr, madjte ihn nicht frober, nicht trauriger.
Bon dem, was übriggeblieben war, fonnte
er immerhin nod) ein Jahr leben. Das ge:
niigte. Wozu fid) über die Zufunft nod)
Gedanten machen?
Er jchlenderte weiter durch die Stadt.
Es regnete. Und mit ibm ging fein Ich
aus glúdlimeren Tagen und machte jeden
Schritt zur Qual. Die Schaufenjter, vor
denen er jtehn blieb, die Befannten, die ihn
nicht wieder erfannten, alles erinnerte ihn
an feine Heruntergetommenbeit. Schlimmer
als die Traurigkeit wurde jchließlich Die
Angit, jie nicht länger ertragen zu tónnen,
Wieder geriet er, wie jdjon am frühen
Morgen, in Verjuchung, feine Habjeligfeiten
zu nehmen und die Stadt zu verlajjen, ohne
Abjchied von irgendwen.
Aber bann — jeltjamer Widerjprudy —
trat er in einen Friſeurladen und ließ fein
Haar und feinen Bart gured)tjtuben und
faufte auch einen jauberen Kragen und eine
neue Rrawatte.
Aber in feinem Zimmer merkte er, daß
er verlernt hatte, mit Gelbjtbindern fertig
zu werden und mußte den Hausdiener her:
beiflingeln, der ihm mit nicht ganz Jauberen
Händen half.
Als er fid) dann im Spiegel betrachtet,
aufmerfjam, eine ganze Weile, den am Hals
abjtehenden, graumelierten, [hon ziemlich
Ihäbigen Eommerüberzieher, darunter den
grellweißen Kragen und die bunte Krawatte,
den an den hohlen Baden wie feitgeflebten,
¿ugejpigten Bart, dachte er: ‚Handlungs:
reijenber' ... Und ftand einige Augenblide
ganz verloren da. Warum dies alles? War:
um mit jchönen Worten ein [djmeres Gd,
jal zerfleinern? Doch immer fühlte er, wie
leije, weiche, jchmeichelnde Hände fein Herz
umjtreielten... Wher er rif die vertráum:
ten Gedanken in die Wirklichkeit zurüd, und
ber grele Schein in feinen Augen verdampjte
den bunten Nebel darin.
Langjam jdjlenberte er zum Part. Dod
als er dann den Blak um die große Fon:
täne leer fand, bettel ibn Angjt, dak er fih
verjpätet hätte. Wher gerade begann Die
Uhr von irgendeinem Kirchturm zwölf zu
ſchlagen. Sie aljo verjpátete fid)! Wielleicht
hatte fie fih ingwijden von der Unerfreulich-
feit diejer Begegnung überzeugt. Oder...
wichtigere Dinge hatten fie abgehalten.
Obne länger zu verweilen, jebte er lang:
jam feinen Weg bis in bie auf den Plag
einmündende Lindenallee fort. Die Bitter:
feit in ihm frap um fid. Aber dann er:
innerte ihn bas langjame Fallen eines wel-
fen Blattes daran, daß Annie geftern Tränen
in den Augen gehabt hatte. Und feine Span:
nung ſchlug jofort ins Gegenteil um. Schludh:
zen erjdjütterte feine Bruft. Wie durfte er
jie befhimpfen? Er allein trug die Schuld!
Wenn er fie damals bei Kriegsausbruch nicht
jo graujam verlajjen hätte, wäre wohl alles
‚anders gefommen. Wieviel Leid und Sorge
und Berjudung mochte fie zermahlen haben,
bis ihr armes Herz Liebe und verächtliche
Abneigung nicht mehr unterjcheiden fonnte,
Während er unter den jchwarzen, ver:
frampjten Bäumen auf und ab ging, legte
Traurigkeit fic) fröftelnd um ibn wie der
Nebel, der im Geſträuch nijtete und über die
laubbededten Grasflädhen frod), und ver:
bidjtete fid) gu bem Bewußtjein, wie ver:
gänglich alles war und wie vergeblich aller
Kampf, dieje Verganglidteit aufzuhalten.
Liebe, Treue, Freundesanhänglichfeit — alle
dieje ftarten und heißen Gefühle hatten ihre
Zeit, ftanden eine Weile in Cajt und Flor
und ftarben dann bin. Und der redlidjte
Mille hatte nicht die Kraft, diejes Vergehen
aufzuhalten. Warum eine menjchliche Schuld
ba fon|truieren, wo ein Naturprozeß vor:
lag? Warum bas, was einmal fhön und
beglüdenb war, bejudeln, nur weil es fein
Ende erreicht hatte? Annie trug jo wenig
Schuld wie er.
Und nun wollte er gehn. Es freute ihn,
daß er mit einem legten guten Gedanfen
von ihr Abjchied genommen hatte. Es war
ja hundertmal beffer fo. Gie hatte jehr
weile gehandelt, nicht zu fommen.
Gejenften Sjauptes jchritt er über ben
weiten Pla. Da trat fie plöglih auf ihn
0/9 BESSSSSESESESA Wilhelm Hegeler: see E
zu unb rief jehüchtern feinen Namen. Er
ſchrak auf.
„Bijt du dod) nod) gefommen?^ fprad
jie ihn an.
„Ich — id) warte [djon lange hier.“
„Und id) ging dort auf und ab. Hier
tommen jo viele Betannte vorbei. Hab’
Dant, daß du gefommen bijt."
„Aber id) dante Ihnen. Es ift febr freund:
lid, Dak Sie mid) nod) jpredjen wollen."
n Sie?”
„Berzeih! Ja, natürlich, du! Es ijt febr
freundlich von bir. Gewiß but du febr be:
Ihäftigt. Aber wir Haben ja aud nod)
mancdherlei zu befpreden. Wohin follen wir
gehn?”
„Bleiben wir bod) auf biejem Meg. Da
find wir am ungejtörtejten.“
„But.“
Mieviel ihr daran lag, niemandem zu be:
gegnen! In feiner augenblidlidjen Berfajlung
gehörte er freilich aud) nicht zu den Mens
ihen, mit denen man fih gern jehn Dep,
Sie am wenigjten! Und, bielen Gedanken
weiterjpinnend, erzählte er, daß er an dem
Gejdaft ihres Mannes vorbeigefommen
wäre unb den prächtigen Neubau bewundert
hätte, Auch da und dort wären ihm andere
Veränderungen aufgefallen. Der Riejen:
auffhwung der Stadt hätte (id) jelbjt durch
den Krieg nicht aufhalten laffen, und fhein:
bar gäbe es viel neuen Reichtum.
Shr riB jedes Wort eine fleine Wunde,
Und er fam ihr noch viel fremder und ent:
itellter vor als geftern im Lauf des Abends.
Aber zugleich hatte fie das Gefühl, daß er
wie ein Gririnfenber fid) ihr entwand, dah
jie ibn aber mit aller Kraft an fid) ziehn
müßte. Und gewaltiam die Sindernijje
durchbrechend, fiel fie ibm ins Mort: „Hans,
wollen wir nicht von was anderem jprechen ?”
„ja, matürlidj, Pardon!“ erwiderte er
auffahrend. „Ich wollte did) [don fragen,
wie Das eigentlich mit meiner Mutter war.
Mar fie lange frank?“
„Drei Woden ungefähr hat fie gelegen.“
„Halt du fie nod) gejebn ?^
„Sch Babe fie ja bis gulekt gepflegt.“
„Du fie gepflegt? Verſtehſt du bid) denn
auf Krankenpflege?“
"Ja, gewiß.“ Gie wollte ibm jagen, daß
jie Schweiter geworden fei, als fie von feiner
Verwundung gehört hatte. Wher es fam
ibr fo gleichgültig vor und aud fo...
ſchamlos.
„Woran ift fie eigentlich geſtorben?“
„An Schwäche. Sie hatte fid) eben auf:
gezehrt.“
„Ste Bat fid) aufgezehrt. Ja.
liegt fie begraben?“
Und wo
„Auf dem Sohannisfriedhof. Wenn du
ihr Grab jehn willft, ich will dich gern be:
gleiten.“
„Wenn du mir nur den Meg zeigen willft.
Das muß bod) da draußen fein, da hinter —“
„Du fannft eine Gleftrijde nehmen.“
„Bas, eine Eleftrijde fährt dorthin? Seit
wann?“
„Sie ift wohl im Krieg fertig geworden.“
„sm Krieg ... Sd) war auch mal beim
Babnbau bejdjüftigt. In Rußland. Es ift
eine ziemlich jchwere Arbeit.“
„Das glaube id. Sd) dente mir das
furchtbar.“
„Gott, wie man's nimmt. Wenn's einem
äußerlich ſchlecht geht, dann retiriert man
in ſein Inneres. Dann träumt man ſehr
ſtark — von...” Er brad) in ein zerfledertes
Lachen aus, unter dem ſich ſein eigenes Herz
zuſammenkrampfte. Ach, fände er doch ein
einziges gutes Wort! Er ſtreifte ſie mit
einem dürſtend ängſtlichen Blick, Hoffnungen,
Wünſche, die unſinnigſten Dinge ſtiegen in
ihm auf, zugleich mit der Furcht, ſich preis—
zugeben, ſich zu verlieren. Und fuhr dann
fort: „Man findet jid) mit der niedrigſten
Arbeit ab. Anfangs war ich gänzlich talent—
los. Aber mit der Zeit gehörte ich immer—
hin zu den Mittelguten. Schließlich bekam
ich ſo eine Art Stolz. Nein, die körperliche
Arbeit iſt noch nicht das ſchlimmſte. Nur
die Nächte in den Baracken, voller Ungeziefer,
aneinandergepreßt . . . Dian kann's einfad)
nicht beſchreiben.“ Und dann wühlte er doch
wieder in dieſen Erinnerungen.
Sie hörte voll Widerwillen zu. Warum
erzählte er dies alles? Wollte er ſie quälen?
Oder war es wirklich jo, daß ſeiner fürper:
lichen auch eine innerliche Veränderung ent:
jprah? Dak er abgejtumpft war und alle
feineren Empfindungen verloren hatte.
Konnte das fein?
Der Weg, den die beiden gingen, war
mit Blättern allerart bededt, fablgelben und
bunfelbraunen, bic an den Rändern dicht
gehäuft lagen, mittwegs aber in eine breiige
Maſſe verwandelt und mit dem Erdboden
ion halb eins waren. Ein bitter würziger
Geruch ftieg von ihnen auf. Es regnete nicht
mehr, aber an den [djmargen Äſten hingen
nod) lange Reihen von Tropfen. An ben
Sträudern zur Geite bes Weges faulten
einige weiße Beeren und zitterten frierend
filbrig graue Samentapjeln. Sonft waren
alle Farben zu einem bräunlichen Einerlei
zujammengeflojjen, über dem jchwer, [ait
berftend von Feuchtigkeit, ber ſchwarzgraue
Himmel hing.
Er |prad) von Den weißen Nächten in
Sibirien, wo man manchmal in den Keller
PESSSESESESSCSSESESE Zwei Freunde 3333333333334 573
frod, um nur eine Stunde Goblaf zu finden.
Cie erwiderte, baB es aid) dunkle, jchlaflofe
Nächte gäbe. Uber die eigenen Worte
rajdjelten ihr dürr im Ohr.
.Da fiel ihr Blid auf einen freundlichen
Schimmer. Jn einiger Entfernung leuh:
teten bie jchlanten Nuten eines Hartriegel:
jtrauches, rot, jajtig und förmlich von Früh:
lingsduft umwoben. Und im jelben Augen
blid begann ihr verlorenes Herz fic) wieder:
zufinden, und während es jchneller, jchlug,
verlangjamte jie ihre Schritte.
Umrahmt von diejem Weidengebüjch ftand
eine Bant. An einem Herbjtabend Heim-
febrenb Hatten fie fih Hier nicdergelaffen,
um bie Moge jehnjüchtiger Zärtlichkeit, die
plöglich über fie gefommen war, auszutoften.
Eng umiblungen, Mund gegen Mund ges
preßt, hatten [ie dort gejejjen wie ein Liebes:
paar aus dem Bolf, und bie leije Scham
vor ben neugierigen Bliden hatte bie bren:
nende Güße ihrer Suite nur noch gewürzt.
Wud) an den ſchwärzeſten Tagen konnte
Annie an biejer Bank nicht voriibergehn,
ohne daß die Erinnerung eine Ieije liebfojende
Welle an ihr ödes Herz warf.
Immer mehr verlangjamten id) ihre
Schritte, gejpanntefte Erwartung liep fie
zögern, als trate fie gleich aus bem Grauen,
Frierenden in etwas Auferirdijdes, wo
Düfte und Blüten auf fie niederregneten .. ,
und wußte, bap, wenn er jebt fie nahm, fie
füßte und jagte: Komm mit! Ich bin trant,
Hilf mir zu mir jelbjt! ... daß fie alles vers
laffen würde... und ftand wie gelähmt und
glaubte zu fühlen, wie im nächſten Augen:
blid fein Arm fie umjchlang.
Er hatte Iangjamer ge|prodjem, dann
verwundert gejchwiegen, jab auf einmal bie
Bank, erfannte jie wieder, an die er fich fo
oft, an die er fic) gejtern nod) erinnert
hatte... glaubte, Annie wäre von ungefähr,
gedanfenlos hier ftehn geblieben, und dachte
mit furchtbarer 3Bitterfeit, es gäbe Dod) nichts
Graujameres als das Bergejjen einer Frau.
„Wollen wir umfehren?” fragte er und
hatte fih aud) [hon umgewandt, in der (Er:
wartung, daß fie ibm folgte.
Gie ging neben ihm her, immer noch mit
Heinen Schritten, blidte auf ihre Füße, und
ihre Füße Hatten Mitleid mit ihr. Nun
hatte jie nichts mehr... Wher dann rafíte
jie fid) bod) nod) einmal auf und fagte mit
halb gebrochener Stimme: „Du mußt nicht
denten, Hans, id) hätte bid) vergefjen ...”
„Aber wer benft denn das? Ic dod
nicht!” unterbrach er fie, und feine Worte
Hangen, als wollte er einen unvermuteten
Angriff abwehren. Und fuhr dann haftig
fort: „Wie kommſt bu nur darauf? Die
Sade liegt ja ganz anders. Sch fam geftern
zu dir. Sch wollte hören, wie’s dir gebt.
Ih war jebr aufgeregt. Ich hatte ja eben
die Todesnachricht meiner Mutter betommen.
Hoffentlich haft bu meine Aufregung nicht
mißverjtanden. Ich hörte, es ginge bir gut.
Du wärjt verheiratet. Ich war einen Mo:
ment überrajcht, daß es gerade Klaus war.
Wenn id) mich recht entjinne, fonntejt du
ibn früher nicht bejonders leiden. Aber die
Gefühle ändern jid) Aud id) habe mid)
verändert. Vier Jahre — Krieg, Not, Mben-
teuer, brutaljter Lebensfampf, ein jchredliches
Leben, aber — ich fage bir, es |pringen da
andere Gefühle heraus, als id) früher ge:
fannt babe. MWielleiht bin ich verrobt.
Aber — id) tann das nicht mehr empfinden,
was id) früher empfunden babe. — Ah,
verdammt!“ Er war bei den lebten Worten
durch die Luft gefahren, und der Stod war
jeiner Hand entglitten und in den Schmuß
geflogen. „Verzeih! — Mie unangenehm!“
Humpelnd trat er auf den Rajen, nahm eine
Handvoll Blätter und begann, den Gtod
abzuwijten. „Ein cfenber Rniippel. Aber
er hat mid) auf bem ganzen Mtarjch begleitet.
Sd mag ihn nicht wegjchmeißen. Verzeih
taujenbmal! — Wollen wir da nicht ein:
biegen?“
Er wies auf bie Hauptallee. Cie gingen,
und einer jpürte faum bes andern Gegen:
wart, jo war jeder eingehüllt in eine finjtere
Wolfe. Als fie das Ende des Parts erreicht
hatten, blieb er ftehen und jtredte ihr die
Hand bin: ,€cb' wohl, Annie!“
„Hans, bleib — nod) heute!“
Er jdjüttelte nur den Kopf. Kraftlos
erhob fie die Hand, die er auf halbem Wege
ergriff.
Aber wie fie ibm jekt ins Geficht jab,
veritand fie, dak es Der fura geld)nittene
Bart war, der ihn fo verändert hatte; und
peritanb auch, daß er bas ihretwegen getan
hatte, wollte ibm ins Gejid)t jdreien: Mas
du gejagt haft, ift ja alles nicht wahr. Ich
weiß ja, daß bu mich noch liebjt ... Aber.
jie fühlte fid) wie unter einem Sargdedel
begraben.
Und er, der jeinen Blid auf den Strauß
an ihrer Bruft geheftet hielt, wollte fie bitten:
Gib mir die Veilden. Von unferer ganzen
heißen Liebe laß mir dies bißchen Duft.
Wher aud) er jagte nichts, liek ihre Hand
finten, lüftete mit einiger Mühe den Hut
und entfernte fih, indem er fein rechtes
Bein etwas nadhjlchleppte.
8 BB R
Schon am nächſten Tag verließ Hans die
Stadt und febte fih wieder in Marikh. Aber
wenn er früher ein Ziel gehabt Hatte, jebt
574 ee Wilhelm Hegeler: |
hatte er feins. Und wenn früher die Hoff:
nung feine Füße bejdwingt hatte, jekt be:
ſchwerte He ber Gram, Doch mit der Zeit
lief er fid) auf den geduldigen alten Land:
ſtraßen nicht nur die Gtiefeljohlen ab. ` `
Unterwegs begegneten ihm Landbriej-
träger, Bauern, Handwerfer, Haufierer, die
fih Dann und wann den Weg durd ein paar
Morte verkürzten, aud) traf er abends in
ben Heinen bäuerlichen Gajthäufern mand)
mal einen einjamen Amtsrichter oder Dot:
tor, mit dem eine Unterhaltung zuftande
tam. Uud wenn dann bie erften Stoßjeufzer
über die Rartoffel:, Kohlen: und fonftige
Materiennot getan waren, gelangte das Ges
iprád) auf die größere Not bes einft fo ftol:
zen Baterlandes, bas nun gedemütigt und
aus taujend Wunden blutend dantederlag.
Und beinah jeder erzählte ihm, daß er einen
nahen Angehörigen oder lieben Freund ver:
loren hatte. Trauer war überall. Doğ
liberal auch wieder die Spuren neuen
Lebens. Da der Winter gelinde war, jah
Hans von der Straße aus da und dort auf
einem höher gelegenen Feld einen Bauern
hinter dem Pflug bergebn. Und in den
Dörfern waren Maurer mit der Ausbejjes
` rung bejchädigter Häuſer bejchäftigt, auch
wurde in einigen fogar ein neues Ladden
eingebaut.
Mit der Zeit ging dem Herumtreiber das
Geld zur Neige, und er hätte [Hon lángit,
wie es verabredet war, an Hermann Mlt
um neues fchreiben miiffen. Aber es fehlte
ibm Die Energie, und er verjchob es von
einem Tag auf den anderen.
Da fam ihm der Zufall zu Hilfe. Auf
feiner Wanderjchaft war er ins Thüringer
Sand gefommen und hatte einen ganzen
Morgen einen einjamen Wald durdhitreift,
als er gegen Mittag eine Bauersfrau an:
traf, ein Heines, ſchwächlich ausjehendes
IBeiblein, das jid) vor einen mit meterlangen
Holzttämmen beladenen Sandwagen ge:
ipannt hatte. Solange der Weg eben war,
‚vermochte die Mte, wenn auch mit großer
Miibe, den Wagen vorwärts zu bringen,
aber bergauf verjagten ihr die Kräfte. Hans
rief ihr zu, er wolle ihr helfen. Erjchroden,
da fie Die Schritte des Hinter ihr Gehenden
auf den weichen Nadeln nicht gehört Hatte,
drehte fie jid) um und überließ ibm den
Handgriff der Deichjel, mehr aus Angit, als
weil feine Hilfe thr willfommen gewejen
wäre. Um ihr Mißtrauen zu bejeitigen, be-
gann Hans ein Gejprád, erzählte, daß er
aus ruffiicher Kriegsgefangenjchaft fame, und
erfuhr, Dak aud) bie alte Frau einen Sohn
in franzöliicher Gefangenjdajft batte. Was
has Holz anlangte, jo hatte fie es auf einer
Auktion erftanden und wollte es, um Die
unerjcehwingliden Abfubrtoften zu ſparen,
jelbft nad) Haus transportieren. Aber es
wäre was Tolles, murrte fie, was thr im
vorigen Winter nod eine Kleinigtcit gewejen,
wollte jest partout nicht mehr gehn, jo hätte
ber Rheumatismus fie gepadt und ihre
Rnoden gelähmt.
Nach einer fleinen Stunde hatten fie bas
Dorf erreicht,. in deffen erjtem, ganz ftatts
lihem Gehöft Frau Geiß wohnte. Als er
den Wagen in den Hof fuhr, iiberfam ibn
der Wunjd, nad) alter, in der Gefangen:
Ichaft gelernter Weije, feine Kräfte zu regen.
Er [lug der Frau vor, ihr gegen eine gute
Mahlzeit das Holz zu zerfleinern. Die
Mahlzeit lehnte fie ab, da fie felbjt fnapp
zu ejjen hätte, wollte ibn aber für feine
Mühe bezahlen. Ihm war es recht, und
nachdem er in dem nächſten Wirtshaus feinen
Hunger geftillt batte, machte er jid) an bie
Arbeit, ohne bis zum Abend fertig zu
werden.
Als er am nádjiten Morgen wiedertam,
fand er das Mütterchen jtodíteif und mit
großen Schmerzen im Bett liegen, und bei
ihr ein zehnjähriges Enfelfind, bas einem
armjeligen, bläulihen Flämmchen im Ofen
durch Deftiges Blajen vollends den Garaus
machte. Die Frau flagte ihm ihre Not,
aber nicht wehleidig jammernd, fondern eher
mit Gemurr, daß fie die ganze Nacht fein
Auge zugetan hätte und daß das 9teiBen fie
plage, es wäre was Tolles. Und zwijchen:
durch f[opite fie ungeduldig mit ihrem Krüds
ftod auf den Boden und fhalt, dab Deut:
zutage bie Kinder aud) gar zu dumm wären
und nicht mal ein Feuer machen fónnten
und die Streichhölzer verbrennten, als wenn
die fein Geld fofteten. Ohne viel zu reden,
30g Hans fein Tajchenmefjer hervor, ſuchte
ein fienbaltiges Gtiid Holz und jchnißelte
Späne. Bald fnijterte eine luftige Flamme
im Ofen. Da er vom Stall her ungedul:
diges Muhen vernommen hatte, fragte er,
wie’s denn damit wäre, vb er vielleicht bte
Kuh verjorgen folle, Das gab nun Anlaß
zu neuen Ausfällen über die Torbeit der
Menichen heutzutage. Die Dienjtmagd ihrer
Schwiegertochter wäre vorige Woche in die
Stadt gemacht, angeblich weil fie mehr Kohn
befame, in Wirklichkeit aber, weil es dort
mehr Tangvergniigen gabe. Und ihre
Schwiegertochter timmere fid) aud) nicht in
der richtigen Weile um fie. Es wäre zu
arg, wenn man [id) jein Lebtag geplagt
hatte und auf jeine alten Tage jo hilflos
wäre. Am Ende aber gab fie ihm dod An-
weijungen, wo fid) das Heu in der Scheuer
befand. und bie Gerätjchaften ftanden, hieß
ee Zwei
jedoch vorjidjtsbalber ibt Enfeltind mit:
gehn.
Nahdem Hans bas Nötigfte beforgt hatte,
madte er fid) wieder über das Holz ber.
Als es dunkel geworden war, jebte er fih
zu feiner Arbeitgeberin in die Stube und
mußte ein fcharfes Werhör über jtd) ergehn
lajjet, woher er fame, warum er fid) im
Land herumtriebe und was für eine Art
Menjdentind er überhaupt ware. Hans er:
zählte der Wahrheit gemäß, dak während
feiner langen Abwejenheit feine Angehörigen
geftorben jeien und daß ihm deshalb der
Aufenthalt in jeiner Heimat verleidet jet...
Er wolle fih anderswo eine neue Exiftenz
Ihaffen, bier aber fürs erjte bleiben, ba er
Geld erwarte. Er jet zwar ein Stadtmenſch,
habe in Rubland aber die Bauernarbeit ge:
lernt, und wenn’s der Frau (Geib recht wäre,
wollte er ihr einftweilen die Wirtſchaft be:
jorgen. Dieje meinte, es wäre was Tolles,
wie’s jest in ber Welt guginge und daß die
Stadtmenihen Bauern werden wollten.
Wher im Dorf fet feit mehreren Jahren ein
ruſſiſcher Gefangener, reicher Leute Gobn,
der in [einem gebrochenen Deutſch rades
bredje: „Früher alles Rnedt, jebt alles ich,“
und zur Zufriedenheit feines Bauern Die
Arbeit verridte. So möge ers auch ver:
juen. ,
Acht Tage waren vergangen. Sans hatte
Geld befommen, aber anftatt wieder feinen
Wanderjtab zu ergreifen, fiedelte er ganz zu
der Bäuerin über, und da die Zeit der Früh: -
jabrbejtellung gefommen war, jo pflügte er
ihr mit einem geliehenen Pferd das Rar:
toffelland und den Kornader. Und wieder
vergingen Wochen, der Schnee jchmolz, die
Mutt wurde linder, und der Boden begrünte
(id mit der Saat, bie Hans geját hatte. Er
hatte fid) [Hon an den Gedanten gewöhnt,
Bauer zu werden und die Welt zu ver:
gellen, Nicht daß er die Menjchen insge:
jamt gehaßt ober nur Übles von ihnen ges
dacht hätte, aber fein Herz war nod zu
wund, um ihre lauten Stimmen zu ertragen,
und er bildete jid) ein, ohne fie austommen
zu Tonnen, Dod) ohne daß er es abnte, waren
(ie [bon zu ihm gefommen, er war nicht
mehr allein in feinem jelbftjüchtigen Schmerz,
jondern ſchwamm im großen Strom mit und
hörte fein vielftimmiges Gemurmel.
Hermann hatte ibm Bücher gejdidt, eine
ganze Rijte voll, und ſchickte unverdrojfen
immer neue, als wüßte er, was dem Freunde
not tat. Anfangs hatte Hans nur wenige
Geiten Iejen fónnen, Dann wurde er von
jeinen eigenen Gedanfen überwältigt. Hs
máblid) erweiterte fih Das Tor feiner Geele,
und er wurde gezwungen, den fremden Stim:
Freunde sees 575
men zu antworten. Aber das Lebendige in `
feiner Seele war immer nod) der Schmerz,
der Dunkel Indie und Gelbitbeftátigung, und
alle Bücher, bie der großen Toten jowohl
wie bie ber Lebenden, fünbeten ibm nur
von bem einen, ber Allmadt bes Leids.
Eines Nachts, nachdem er lange gelejen,
fap er am offenen Fenſter feiner dunklen
Stube und blidte auf den mondbejchienenen
Hof hinaus, auf deffen engem Bezirk ein
uralter Birnbaum ftand; der Blig Hatte ihn
gejpalten, jo daß von den beiden Haupt»
ájten, in die der Stamm fih gabelte, nur
nod) der fleinere übrig war. Die Bauers:
frau hatte ihm erzählt, daß ihr Sohn den
Rriippel von Baum, der den Hof verun:
zierte, hatte umjägen, daß fie es aber nicht
batte dulden wollen, ba er [Hon vom Grok-
vater gepflanzt fei und immer nod) biibjd)
Früchte trage.
Während feine Blüten wie blajje Mond-
lichttropfen niederfielen, Dachte Hans an den
Birnbaum im heimatlichen Garten, an die
Spiele, die er damals gejpielt, und Die
Träume, Die er Damals geträumt. Beides
war verweht, und ihn, den Mann, verband
faum etwas anderes als Wehmut mit dem
Iptelen pen, träumenden Knaben. Berjonnen
blidte er auf den Himmel, auf das tragijdh
groteste Spiel der Wolfen, bie, vom falten
Vollmondlicht zu gejpenftijdcm Leben ent:
fadt, mythijden Ungeheuern glichen, Die
einen wilden Kampf aufführen. Und feine
trauerbeladene Geele wanderte über Schlacht»
felder, über Mioräfte, aus denen Leichen.
ragten, über Schnee, der mit Blut ge:
rötet war.
- ls er nad) eines Gedanfens Lange ben
Blid dann wieder auf den Himmel richtete,
war alles verfhwunden, das falte Rund des
Mondes [Hwebte einjam im rauchigen Blau.
Alles war verjchwunden in eines Gedanfens
Augenblid, wie vor dem Gedantenblig der
Ewigkeit Menſchen- und Völkerſchickſale fih
abjpielten und das Antlig der Erde [id) ver:
wandelte. Nur eben daß der einzelne fein
Schidjal als feine Ewigfeit empfand. Aber
nod) rajcher und unmerfbarer als am Him:
mel wedjelte in bem Bejchauer die Szenerie:
eine linde, monderhellte Sommernadt ftieg
empor, in der ein junger Menih, weniger
vom Wein als von Jugend und Glüd bes
rau|djt, bas volle Glas ins Finftere geleert
und Gott mit bem vermejjenen Wunjch
Derausge[orbert hatte: er habe genug von
Siebesglanz und forglojem Jugendgliid, er
jehne fic) nad) Schmerz und Leid, Denn
Hiob jet reicher als Calomo ... Und
diejer Menjch war er jelbjt gewejen, und
Gott hatte feinen Wunfch erfüllt unb bie
576 BEESHEHETETN Erika Rhemid: Die Wahl
Bermejfenbeit eines Augenblids zu feinem
Schickſal gemadt.
Als Sjans fid) deffen bewußt wurde, war
ibm, als verjänfe er in fid) wie im fein
eigenes Grab, und die 9[ngit, bie ihn um:
webte, war der Hauch des Gterbens, und
die Traurigfeit war die Traurigfeit, mit der
das Nichts erfüllt ijt. Aber während er
jant, glitt er zugleich in eine noch tiefere
Melt... oder war es jo, Dak ber geheimnis=
volle Zbeatermeijter in feiner Geele eine
neue Bühne emporfteigen ließ, mit neuen
Hintergründen und Rulijjen und mit Men:
Iden, die laten und litten, blutdurdpulft,
förperhaft bie einen, ſchemenhaft die andern,
aber alle von jeltiam überlebendiger Ein:
bringlid)feit, und bod) nur von den Strömen
jeines eigenen Lebens belebt.
Er jak mit aufwärts gerichtetem Geficht,
in einem 3ujtanb zugleich Willen Empfangens
und böchiter Gelpanntheit. Es war eine
Maáblet euch
Dod)
Gelig ruben die Toten!
Die Wahl. Von Grifa Sifeinjd)
„Alle bie Kinder mun ruhten im Paradieſe verfammelt,
flange, Tier und Geftein und der erhabene Menſch,
Und es gebot js allen ber ewige Bater: Nun wáblet!
amen und Los für bas unendliche Sein!
Siehe, ba nannten die Kinder ihm jedes den eigenen Namen,
Und ein jegliches bat ihn um fein eignes Gejdjid.
Ruhe zwar hatte der Vater den Steinen allen verliehen,
Aber als Wandrer im Bad) dachte der Kiefer fid) gern;
Jejtlid mit Schönheit geſchmückt umgaben ihn Blumen und Baume,
Aber den Pla am Altar wählte die Lilie fih felbft;
Rajtlos Jagen und Spiel war allen Tieren gemeinjam,
aus Der eigenen Bruft jd)opfte die Merde thr Lied.
Und fo umdrängten die Menjchen ihn bittend, Anbetung im Antlitz, —
Aber mit träumendem Blid zu den Gejchwiltern zurüd
Kehrte fid) mander und bat vom Vater bas Schidjal der Rofe
Oder des dienenden Halms oder des kindlichen Tiers.
Sarum follft du, o Glarus," ſprach 3Barageljus, „die Menge
Nicht bedauern, ob Gott ferner und fremder ihr fei —
Sit ibm denn fremd bie Natur? Erglangt nicht ber Rajen im Traume
Geiner Liebe? Und fo fajfet bie Menge ihn aud. —
Und es erwáblte fih fürber ein jeder ben eigenen Standort,
Wählte den Stern ber Geburt und den ureigenen Tod —
Uber nod) über die Bitten der Kinder und über Verftehen
Fügte der ewige Gott Gnade zu jeglichem Los.
Und er bejdjmor die Gejdjide und nahm zum Pfande der Freiheit
Jedes einzelne Kind gegen das andre in Pfliht —
Und es durfte nicht eines fic) bir widerjegen von Anfang, —
Und jo ftebft du nun hier, wie du dih ewig gewollt.
Stehjt mit verbundenen Augen und weißt nicht Eingang nod Ausgang,
Doh ben bejdjmorenen Pfad, glaube mir, wirft du geführt!
JBillit du ihn jelber ertennen? Go bd in des ftrebenden Herzens
Heiliges Dunkel hinab, fiebe, da leuchtet er auf!
Darum, mein Glarus," jprad Parazeljus, ,betlage mir feiner,
Weil er im Leide verweilt, weil er im Tode verging!
Und einft erfennft du der Schmerzen,
Die du bir felbft in das Glüd mijchteft, unendlichen Wert!”
wundervoll gejegnete Nacht, und fie verging,
ohne daß er es merfte.
Dies geheimnisvolle andere Leben tebrte
jeitdem immer wieder und wurde jchließlich
jein eigentliches Leben. Aber je mehr es in
jetner Geele heimijch wurde, Ddefto mehr
wurde feine Vergangenheit ihm wirklich zum
Goidjal, wurde formende und nábrende
Kraft, i wie der Schnee bes Winters im
Frühjahr als Quelle aus der Erde empor:
fteigt. |
Eines Tages ſchrieb er an Hermann Alt:
„Deine Tage gehen immer nod ohne äußere
Greignijje hin, nur unendlich viel [d)neller.
Meine gute alte Bäuerin ift vielleicht nicht
mebr fo zufrieden mit mir wie früher, wenn
fie aud nod nicht gemurrt bat, Aber
id glaube, Gott bat mid pod) zu ans
derer Arbeit bejtimmt. Bon welder Art
bie ijt, Das laß noch eine Weile mein Ge
Heimnis fein!” ... :
*""""""9*"***"95^»09*99999990000999099979529059*9»459 POSS SCOTSSSSSHSSS SESS OSSHSSSESHSS e cd
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Gemälde von Friedrih Pauly: Hagen
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Sall
Aus den Gedichten des Malers:
Fabrik im Tal
Don Hermann Hefe
Du aud bift fhon, Fabril im grünen Tal,
Ob aud) verhafter Dinge Sinnbild und Heimat:
Jagd nad) Geld, Sklaverei, diiftre Gefangenfhaft.
Du aud bit ſchön! Oft erfreut
Deiner Dächer zärtlihes Rot mir das Auge
Und dein Maft, deine Fahne: der ftolze Kamin.
Sei gegriift aud) du und geliebt,
Holdes verfholfenes Blau an ärmlihen Käufern,
Wo es nad) Seife, nah Bier und nad Rindern richt!
In der Wiefen Grün, in das Violett der Acer
Spielt das Haufergefhadtel und Dächerrot
$reudig hinein, freudig und dennod zart,
Bläfermufit, Oboe und Flöte verwandt.
Ladend taudy id) den Dinfel in Lad und Zinnober,
Wiſche über die Felder mit ftaubigem Grün,
Aber ſchöner als alles leuchtet der rote Kamin,
Senkrecht in diefe törichte Welt geftellt,
Riefenfpielzeug,
Eines Giganten vortrefflihe Sonnenuhr,
deccm | mme | | aran (Ger |! ssepe (mem || eem (messen | | mus | | emm | |
II
(een | | soma | | occurs | | ama | | amenas | | ra | | sema erger | | corey (Eessen | | oe (gemeng | | pac (pement | | orco || aeons | | ee | (ores | | ates (eg | | messy | cement
¡ans || nz | | ea | | as | | as | men: | | me | | a || A | A | | aras | | ummy | | eee | | ieu
Velhagen & Alafings Monatshefte. 35. Jahrg. 1920/1921. 2. Bd. 38
ophi und D
Iympia
— Don Prof Dr Iheobor Biri
O&tCCCCCCCCCCECCCCCCCCCCCCCCCCCECCCCCCCCCCCCCCCCCCCC CCCCCC III IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIDIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII350
n glänzendem Hodtrieb [tanb das
Griehentum nad dem glüdlichen
Berlauf ber Perjerfriege. Wo aber
blieb der Zuſammenſchluß Griechen»
lands, die nationale Einigung?
9tod) war Hoffnung, bee He zuftande fam
und die Gegenjake zwilhen Dorijd und
Joniſch, Sparta und Athen fid) ausglichen.
Modte fih Perfien jest ruhig verhalten:
in ber Sufun[t drobten andere Grokmadte;
nur nod) 150 Jahre, und bas Mazedonien
Alexanders des Großen regte fih; nod) wei:
tere 150 Jahre, und Rom hatte jenfeits der
Adria feine Großmacht gegründet, um rafts
los erobernb auszugreifen. Wie folte der
Grieche fih behaupten?
Es gibt aud) geiftige Mächte, es gibt
S erzenstriebe, die, wo die Bolitit ber Staats:
manner verjagt, die getrennten Gruppen im
Wolf zueinander ziehn. Freilich die Religion
tat es nidjt. So wie Deutichlands Einheit
paro pen Widerftreit ber Ronfejftonen und
bas Mißlingen des nationalen Wertes Mar:
tin Luthers gejchädigt wurde, jo ftand es
aud damals in Griekenland, nur nod)
iblimmer. Denn jeder Kanton Hatte ja
jetne Stadtgottheiten. Athena forgte nur für
Athen jo wie Jehova für Ifrael. Nur an
Apol in Delphi hing die Hoffnung und
air? Zeus in Olympia. Aber beides ver:
gebens.
Das Drafelwejen des Altertums mutet
uns heute ae Saad an: ein findijder
Aberglaube. Tatſache ijt: bas Orafel in
Delphi war die Stimme Apolls, es war ber
politiſche Ratgeber de alle Griechen; es war
eine politijde Macht geworden. Der junge
Lidtgott, ber vorwillend in die Zukunft
[haute — es war Pflicht ihn zu fragen, wo
immer es fid) um große Pläne ber Be
handelte. Auch Auswärtige wie Kröjus,
ber Großkönig Lydiens, wandten fid) an ihn.
Für die naive Frömmigkeit ijf bas jelbit-
verftándlib; denn lebt Gott wirklich, fo ift
er auch allwijjenb; aber er ijt zudem aud)
ütig und Hat das Verlangen, uns zu bel:
en; er antwortet aljo, wenn wir ihn fragen.
Es fommt nur darauf an, feine Stimme
richtig zu verjtehen. Im Donnerichlag, im
Adler: und Habidtsflug, in der Gejtaltung
ber Leber bes Opfertiers fprad) ber Gott zu
bem Gläubigen. Fiel ein Dteteoritein, lo
war man fider, bie Schlacht ging verloren.
Mubs einer Priefterin der Schimmer eines
Bartes auf der Oberlippe, fo drohte Unheil.
Auch Menichen von Hhelljehender Natur gab
es; von folden eier) rätjelhafte Spruch:
bücher, Bücher bes Batis und der Gibyllen,
bie bie MWahrjager gegen gute Bezahlung
auslegten: natürlich ein weites Feld De gros
ben Schwindel; aber der Gläubige liep fid)
nidi irremaben. Bor allem aber redet
Zeus burd) Apol, und unter ben vielen
apollinijden ODratelftítten war Delphi in
ber Feljenwildnis Bóotiens am Fuße bes
SBarnaB bie weitaus angelebenite, von päpft-
licher Unfeblbartett.
Der Frager mußte feine Frage jchriftlich
bringen, und jchriftlich erhielt er aud) bie
Antwort. Er hatte im Vorraum des Tem:
pels zu warten. Der Tempel jelbjt war
über einem jchmalen Cpalt, dem offenen
Erdjdhlund ber Erdmutter Ge, erbaut, aus
dem betäubende talte Diinfte aufítiegen; auch
ein Quel war mit eingebaut in den Tem:
pel. fiber bem Erdipalt aber ftand ein hoher
Dreifuß; auf diejem lag eine burd)brodjene
Metallplatte, auf der Platte ftand endlich
ein Seffel, unb auf ihm hatte die ungliid:
liche fogenannte Pythia zu fiber, wenn es
u weisjagen galt. Nur unverbeiratete
rauen wurden zu Diejer peinlidjen Rolle
verwendet; fie galten als Gefäß bes Seber:
ottes. Der Dunft aus der Tiefe betäubt
te, und fie fängt wirren Geiftes an zu
tammeln und zu lallen, bis fie in Ohnmacht
zufammenbricht. Der Priefter aber ift gu-
egen; er heißt der Prophet, d. i. der Vers
ünder. Aus den Naturlauten, bie er Hört,
muß er die Antwort des Gottes entnehmen.
Niemand fonft ijt Zeuge, und er Hat freie
Hand, den Spruch nad) eigen[tem Butdünfen
u —— faſt immer geſchah es in
erjen, allemal in andeutender, geheimnis»
voll doppeldeutiger Sprade. 3umeift waren
es Privatleute, bie mit ıhren Gorgen, ob
fie reifen, einen Ader taufen, ein Haus bauen
jollten, nad) Delphi famen. Aber auch bie
Staaten wandten fih nad) Delphi, und die
Propheten waren ausgezeichnete Politiker;
fte hatten über die Händel der Zeit völligen
Überblid, aud) eine ausgebreitete Landes:
funde, und fo find wohl bie meiften Rolo:
nialgriindungen, die die Griechen unter»
nahmen, unter Apolos Führung, d. b. auf
Anleitung der delphifden Propheten ge:
ichehen, zumeift mit beftem Erfolg. Geſchah
ein chicen. hatte man eben bas Oratel
faljd) verftanden.
Uber der bódjten Aufgabe — ich
jene Propheten nicht gewachſen. Als die
Perſer famen, äußerten fie fih, durch Ter:
xes und Mardonius eingeſchüchtert, geradezu
perſerfreundlich, und nie haben ſie zur
Einigung aller Griechenſtämme die Führung
genommen. Im Gegenteil: ſchlugen Grie—
chen auf Griechen los, ſo gaben ſie auch da
unbedenklich Rat, und zwar nicht parteilos;
Delphi war für die Dorer, und Sparta hatte
das Orakel geradezu in Händen. Auch be—
Prof. Dr. Theodor Birt:
en ließen fid) die Propheten. Daß ber
öne Tempel in Delphi dereinft von atbe:
nijden Gottesverehrern erbaut worden war,
half nichts, bie athenijde Politif hat fih
nie auf Delphi [tien können. Die Klertjei
ftand nicht über den Parteien, jo wie fie es
aud dE nicht tut. Se verwidelter, zer»
rüttenber bie ele Gel wurden, je mehr
fant daher Delphis Anjehen, jo EA aud)
— Dichter, ſo ſehr auch der fromme
iſtoriler Herodot es noch hochzuhalten
ſuchten. Ein RE — iſt
im Dienſt der Frömmigkeit immer erlaubt;
das, was die Chriſten des Mittelalters
konnten, konnten auch die alten frommen
Griechen, indem [ie bie ausgegebenen Orakel
nachträglich ſo zuſtutzten wie wir ſie bei
Herodot leſen. Sie machen Stimmung und
— den Reiz der Erzählung. Das ge—
nü
Bar von Apoll nichts zu hoffen, fo dod
vielleicht von Zeus, vom Zeus von Olympia.
Olympia! olympijde Spiele! bas be:
rühmtefte Sportfeld Griechenlands in Glis,
am Aladeos und Alpheios! Da ift nichts
von politildjem Prophetentum, my Ae
Duntel und Prieftervorwik. Der große Gott
Zeus lodt nur die Turner und Athleten —
nicht Berufsatbleten, Jondern freie Liebhaber
des edlen Sports — aus allen Gauen zum
ropen Mettipiel, ihm felbjt zu Ehren: frijch,
Komi, fröhlich, frei. Wie follten jid) ba
nicht die Herzen zujammenfinden, die Seelen
aus ber eng fantonalen Borniertheit fih be:
freien? Auch aus Sizilien, Süditalien famen
die Bewerber, aud) Roffegejpanne.
3m der Tat, das ganze griechijche Leben
Delphi und Olympia BZZZSZZ 579
wurde davon erfaßt. Die Olympien waren
jo wichtig, dak die ganze griechilche Zeit:
rechnung fih ſchließlich aut jie gegründet bat,
Ale vier Jahre fanden fie fott: man
führte nun nicht nur Giegerliften, fondern
zählte aud) dieje vierjährigen Zeitabjchnitte
als Olympiaden. Gonft gab es nod) durd):
aus feine Jabreszáblung; wo war das Jahr,
von bem man hätte ausgehen fónnen? und
die Zeitrechnung lag noch völlig im argen.
Cpurlos verliefen fih bie vergangenen
Sabre wie die Wellen im Meer. ollte
man ein Ereignis aus der Vorzeit datieren,
[o fagte man, es gejhah unter bem Beamten
X ober Y, der in ber Beamtenlijte Honn,
Auch die Monate hießen ungefähr in jedem
Kleinitaat anders, ein wirres Chaos. Mir
aber fönnen zum Blüd feititellen, daB bas
Qahr ber gen Olympiade in das Jahr
776 v. Chr. fällt, da nämlich Chrifti Geburt
jelbft ber 195. Olympiade angehört. Grit
mit der Zahl 776 beginnt aljo die genauere
Chronologie in ber Bejchichte der Menjch:
heit, und nur Salad D es móglid) ges
worden, für bie Schladyt bei Marathon und
ee andere Gejdeben beftimmte Jahre ans
zujeßen.
Begeben wir uns nad Olympia.
Auch auf bem Ifthmus von Korinth, aud
in Delphi wurden baid die olympijden Spiele
Legal Ipäterhin aud) in Italien, in
er en, und pene tft es ebenjo. Ihr Bor:
bild beherricht je5t wieder den großmächtt
entwidelten Sport der Neuzeit. Die Sache i
hodmodern geworden. Stadion und Olym:
piajpiel in Berlin, Kopenhagen, Chicago,
Sidney; überall Athletenflubs, Boxerfampfe,
Krönung des Siegers im Pferderennen. Innenbild einer attiihden Schale aus bem 4. Jahrh. v. Chr.
(Minden, Bajenfammlung in der Alten *pinafotbet)
gge
580 ESSSSSSeSSSS+8) Prof. Dr. Theodor Birt: Keess
Hodeyleute; Gajtipielreifen im Länderwett:
ipiel: bie Stadt Höchſt fampft gegen die
Stadt Mainz, Nürnberg gegen dg
In Amerita Marathon » Wettläufe; Zeit
25 Minuten; Radfahrer als Sdrittmader;
40 000 Bujdaucr am Plak. Die Kämpfer
eben im Gportdreg und in Farben, granat:
arben, orange. Das Publifum felbft fpaltet
fid) und trägt die Farben der Kämpfer.
Bom Beginn wird im SHalltrihter das
ommando geheult. Automobile am Start:
play; bie Photographen liegen auf Lauer
mit ihren Apparaten. Gelbjt Chinejen bes
teiligen fid) an joldjem Wettlauf; fie find
tenntlid) am dinefijden Drachen, ber auf
auf ihrem Brujtlat grel afgana ift.
Das ift heute. ie viel [djlid)ter war
alles in jener fleinen Welt der Wntife! Wher
es war Driginal, nicht Kopie, und auch im
engen Rahmen gibt es großartiges Leben. Die
ral E waren Bott zu Ehren ein Wett:
eifern der Züdjigleit aus allen Staaten,
und mochten aud fonft bie de aj toben,
Stadt gegen Stadt, in ber Feſtwoche war
weithin Landfrieden, und ungefährdet zogen
bie Prozejfionen von überall, aus den Hod:
gebirgsichluchten oder bie offenen Küſten—
ide — entlang, um [id am Wlpheios zu
treffen, in bem lieblichen Flußtal, bas wie
eine weite Wanne ganze ?Bolfsidjaren auf:
zunehmen im Wonne war: „Strömt herbei,
ihr Völkerſcharen!“
Zu Fuß pilgerten bie einen, die anderen
famen zu Rog, auf Maultieren. Reijewagen
gab es niht. Die hohen Tiagiftrate felbft
aus allen Städten famen.mit, im Feftornat,
in Gala. Denn die Städte felbft find- es,
die die Kämpfer ftellen. Es find Beltaclandts
Ichaften, bie man „Theorien“ nannte, Golde
Theorie aber war Praxis.
O ſchönes Land, dort um Olympia! Auch
der heutige Reijende atmet felig auf, wenn
er dort fteht! Denn Olympia i Beute Ends
ftation ber Lofalbahn und bequemer als das
mals zu erreichen. Die Felfengebirge weg:
SE nur ber Rronionbiigel ragt wald»
eichattet über der milden Talfláge. Nur
aus weitefter Ferne, im Often, ragt bas
Alpenland Artadiens eru Eine Tempels»
Hätte in der heiligen Einfamteit, Man fiebt
nod) heute die Bautrümmer der Gottes:
báufer über ben Rajen gejtreut. Ein Raub:
vogel fdwebt von Often herüber; ift es ein
Habicht? o nein, ein Adler, ber bliBtragende
Bogel des Himmelsherrn.
nter dem Kronionhügel Iangbin eine
Terrajfe mit TFreitreppe, aufgebaut zum
Cteben für bie Gemeinde. Der Terrafje zu
Füßen ein Dugend altmodijcher Zeusbilder
aus Bronze, lauter Meibgaben. Wud) um
die E großen Tempel im Flachen Drängen
fih Statuen auf Poftamenten, Weihgeichenfe
aud) fie. Dagwijden oder jeitab der große
Altar mit Schladtitatte, etwa 12 Meter
in Front, aus Aſche bod) aufgejchüttet; bet
jedem alr wächſt er in Die Höhe,
Gajthaujerbetrieb gab es taum in ben
Städten, erft recht nicht bier. Am FluBufer
baute man Zelte oder jchlief in der Sommer:
naht (es ijt Juli) unter freiem Himmel.
Um bie Zelte her Jahrmarktsgetriebe. Die
Pferde wiehern, angepflodt. Die Menichheit
wogt durcheinander, ein Plaudern und Be-
ben derer, bie fid) fennen und nod nicht
ennen, in allen Dialetten, Man weitet,
man ftreitet; die jungen Athleten mellen fid)
mit den Bliden, Die Turnmeifter, bodge:
ebrte Perjonen, ftehen mit ftrenger Miene
daneben und geben adt: „Reinen Wein
trinten ! nur leichte Bilanzentoft!” Die [trenge
Diät fichert den Enola. Nur wer niidtern,
ijt Herr feiner Kraft! Cine Asteje im Dienft
des Zeus. Freunde fteden ihren Günftlingen
Amulette zu, damit [ie fiegen. Wolle zehn
Monate dauert vor dem Wettfampf das
Üben und. Trainieren. EIER (Gym:
nafien) waren dazu in Olympia Jelbjt por:
handen.
Mer weiß nicht vom Zeusbild des Phidias ?
Sms Flache ftellte man den ftattlichen, bunts
bemalten bori|djen Tempel, darin der bürtige
Riejengott hodte, aus Gold und Glfenbetn
eet Mui auf reich gejdmiidtem
bronjefjel, eng eingepfercht, als folte er
die Wände ' [prengen. Gtünde er auf, er
wäre nie durch die Türe gefommen. Wer
weiß niht vom Hermes des Praxiteles, ber
als Schmudjtüd im benachbarten Heratem:
pel ftand (der ganze Heratempel war zum
Mujeum geworden) und von der Victoria,
der Nite bes Paionios, die durch unjere
deutjchen Ausgrabungen dort aus dem Sande
ehoben worden find? An den zwei Giebels
el ern bes Sjaupttempels die ——
der Roſſebändigerin Hippodamia in doppel:
ter Wiedergabe, worüber es viel zu raten
gab. Aber all dieſe Sehenswürdigkeiten gab
es zu der Zeit noch gar nicht, von der wir
handeln. Die Götter waren damals noch
anſpruchsloſer und nahmen mit einer guten
und kräftigem Opferdampf in
ſchöner Natur vorlieb.
Fünf, ſechs oder an fieben Tage dauerte
das Felt. An jedem Viorgen wird geopfert,
unb die Menge [taut jid) auf dem Plage.
Berühmte Männer tauchen auf, der Spars
tanertónig oder Themijtotles oder Kimon;
dann ijt große Genlation, und alles weift
auf fie, und des Redens ijt fein Ende, bis
alles ¿um Stadion jtrömt, ‘wo 10000 Men:
Iden Blak finden. Und die Vorführungen
beginnen. Wbmedjelung genug; nur den
heute unvermeidlichen Fußball, aud) Riegens
turnen und Klettern gibt es nicht, auc feine
Menjchenpyramiden nad) Art unjerer Bir-
tusleute. le Tage neue Wettbewerber.
Cie haben fih zuvor angemeldet. Wettlau:
fen: Knaben laufen, dann Diinglinge, aud
ipigbártige Männer; jie ſchnauben und hegen
fih in ſüdländiſchem SjeiBblut. Das Publi.
tum muß Geduld haben, denn es währt
lange. Aber viele haben ihre Angehörigen
unter den Käufern und verfolgen die fliegen:
den Gruppen mit Gier. an fißt in der
ee Delphi und Olympia seess 581
prallen Sonne, völlig [Hattenlos. Gegen
den Hunger bat man fih Frühſtück mitge-
bradjt. Auf alle Fälle ein Hochbetrieb, ſpan⸗
nend und flott.
Denn [Hon fommen die Gerwerfer, dann
ar die —— Blitzend fliegt der
istus, die runde Metallſcheibe, wie ein ges
wirbeltes Rad gegen die Sonne. Mer fie
am weiteften jchwingt, hat gewonnen. Ein
Schauſpiel: denn ei der Schönheitsfinn
tam dabei zu feinem Recht. Das Schauen
jelbft nannte man göttlih. Nie ige lich
dazu rundlider Kopf; feine Lippen, gerades
Najenbein, der a e harmontid mit
fejtem Fleifch, geraden Schenfeln, die Hal:
tung angejpannt und edel; jo find jene jpor:
tenden jungen Menjchen für die Ewmigteit
feftgebalten. Nur ber feuchte Glanz bes
Auges ift erlojden; fein Bolt galt als fo
NIE wie das BDellenijdje. Wher ber
Wettfampfer |djlug es nieder und —
nie beifallſüchtig ins Publikum. Denn ſtrenge
Zucht herrſchte. Und alle nackt; die Nackt—
heit ſchien in der Hitze unentbehrlich. Eben
deshalb aber waren im Publikum keine
grauen; nur die Spartaner erlaubten trop:
dem ihren Töchtern das Zujdauen; Harat-
teriftijd) für die Mädchenerziehung in
Sparta,
Nun aber erft bie Gingelfámpfe, Mann
gegen Mann. Das Ringen im Zweilampf:
Der Griff, bas Ausweichen, der lauernde
Blid, die bligjchnellen Bewegungen! Muss
teltraft und fiberliftung! Das währt oft
jtundenlang. Das Schreien im Publitum
wird [Hon erregter. Und endlich gar bas
Boxen. Die jdweren Kerle mit den Bulls
doggennaturen auf die Menfur! Da hört
freilich bie Aſthetik auf, aber die Senfation
wächſt ins Un d'Ee Die Fäuſte im feften
Riemenhand du , mit ?Bletbe|djfag. Die
der Körper |djóner als hier. Kein Photos Schläge frachen, und es gibt Wunden, zers
graph bat das feftgehalten; aber der hauene Ohren, blutende Nafen; die Zähne
DEDE oU rt id o flogen ` aus
Der borde pee REESEN, ; bem Kiefer.
Riinjtler Po: : : Der Wunde
Inflet hat den : .s arzt mußte
Ger: oder : : Beten.
Speerwerfer, : : 0 ging es
aber nur im : : von Tag zu
Rubeftand, : : Tag mit im:
dargeftellt; : jo : mer neuen
ber el e: Do. Berfonal.
Riinjtler My- * Mer den Hieb
ron den Laue erleidet, trägt
er unb den Um ſtumm;
istuswerfer nur die Volts:
jogar in vol: menge jchreit
ler Bewe: wehe. Die Zus
ung: der [hauer aber
gelen mit applaudier:
eingegogenent ten nicht nur
Weichen und und jauh:
fo, daß bas ` , ten: fie a
Ergbilo mit ` : ten aud) ihre
IojemjyuBoon : : Wike. Troll:
feiner Bafis : : te einer im
u [pringen : : Wettlauf als
bien: er : : Teter, fo hieß
- Distuswerfer : : es: „Er fann
(es ift ber, : ¿ mur fliegen,
cef er m : : "éi Zi
atifan ftebt) : , uu ; ibn zu Ti
: JBettlüufer. Snnenbild einer attijden S , — —
—— $ D Gr (München, kee * “Alten ENEE : Ts e ne
Ee E EE EEGEN : Mund laufen
Scheibe aus y und mit ben
feiner Hand fliegen will. Welche Kühnheit; Süßen ejjen.” Bom übel zugerichteten
Das Blondhaar ijt immer furz gejchoren oxer fagte man: „Odyſſeus war 20 Jahre
von zu Hauje abwejend, und fogar fein
Hund erfannte ibn fogletd), als er heim»
tam. Den Boxer erfennt fein Menih
und fein Hund wieder, Erben [oll er;
aber damit wird es nichts; denn bie Tefta:
mentsvollftreder ertennen die Identität der
Perjon nicht mehr.“
Zehn Preisridter Hatten den Vorfis, von
Gtabtrágern (Poliziften) begleitet, die, wo
Unordnung eintiß, dareinjdlugen. Die
Kämpfer hatten, um bie Schweißbildung zu
hemmen, den ganzen Körper mit Olivenöl
eingerieben. Nach bem Kampf jchlug ber
Gieger rajh den Mantel um feine Glieder
und trat jo, in einer Wolfe von Olgerud,
mitten ins Bublitum, um fid) anjubeln zu
lajjen. Dann ftrid er jid) mit bem geölten
582 seess)
Schabeiſen das ŠI ab (als Apoxgomenos),
man reichte ibm bie jchmale Giegerbinde,
und er band fie fih felbft um bie Schläfen
feft (als Diadumenos).
Hatte er bie Binde wirklich verdient?
Man diskutierte wohl nod) hinterdrein, die
Meinungen prallten aufeinander. Aber die
Schiedsrichter erwiejen fich als untadelig,
und |o folgte endlich nod) der ſchönſte Lohn:
fein filberner Chrenpofal, auch filberne
Ehrennadeln gab es nicht wie heute. Nur
ein Zweig wurde vom alt-heiligen Ölbaum
Olympias gejdnitten, den einſt Herafles ges
pilanat, und ber zum Kranz gebogene Zweig
von — dem Jüngling feierlich um
das Haupt gelegt. Der Zweig aber mußte
mit goldenem Meſſer geſchnitten ſein. Das
war alles.
Sant das Dunkel herein, da ging natür:
lid) der Becher um; ber Südwein floß aus
den Milchkrügen, ein wonniges Gelage.
Die übliche Weile, das „Heil bir im Sieger-
franz“, das „Tenelle kallinike” [Hol und
Lieder nod) fonft in Fülle; denn „der Gieg
begehrt Gejang". Ein Schwärmen und Vers
brüdern im linden Hauch ber Commernadt,
indes des Mondes heller Blid mit Hold:
fergen Schimmer das weite Tal umfing.
ar bas alles? Freilich, es gab im
Hippodrom aud noch Pferdejport, das Wett:
fahren ber Quadrigen mit bem Viererzug,
und gewiß, das war eig ntlid) die Krone
des Ganzen. Ein Sueno, gelegentlich gar
40 Wagen am Gtart. Die diden Staub:
wolten flogen. Nur der Gieger, der vorne
war, [djludte den Staub niht. Die Tiere
buntfarbig aufgezäumt, bie Mábne ftets nad)
lints gefammt, weil fie andernfalls nicht
tenien. Auh Mtaultiere liefen. Aber aud)
ettiport gab's, Wettreiten, leider nur in
gejchloffener Bahn. In den Giegesliedern
wird uns ein zweijähriger Sudshengit aus
den Gtállen des Königs von Syrafus ge:
priejen; das Tier hieß Ton von vornherein
Pherenikos, „der Steger”, und es hat feinem
Namen Ehre gemadjt. Aber nur Fürften
wie bie Kleinkönige Giziliens und fonftige
Männer des Groffapitals fonnten fih einen
Nennftall halten. Die Fürften fuhren und
ritten auch natürlich nicht Jelbjt. Die braven
Bürgersjöhne, die Ringer und Turner mit
ihrem Familienanhbang, das Gtadtbiirger:
tum war es allein, bas ber feier Den
Stempel gab. ` `
Kamen aber die Bürgersjöhne nad) Haufe,
da ging erft recht das Feiern los, wenigjtens
für bie, deren Eltern Jolche Feſtfeier bezab:
len fonnten. Chöre wurden —“ um
„ſchwebenden Schrittes“ im Reigen zu
eiern, und die großen griechiſchen Dichter,
die ſich Sch Muſizieren verftanden, lieferten
dazu die Gejánge, immer neue. Die Volts:
majje bleibt immer im Trivialen hängen,
der Dichter aber reißt die Stimmung zur
Andacht, zum Erbabenen empor.
wer mit Dem Rennpferd fiegt; Gott gab ihm
den Reichtum, jid) ein Gejtiit zu Halten!“
„Selig,
Prof. Dr. Theodor Birt: BS23223223222332333232323
Golde Geligpreijungen gibt es heute nicht
mehr. Nennen wir es Cportpoejte. Durch
dë Fahre bat fie gedauert; Simonides,
indar, Balchylides ihre en
Sie waren Konkurrenten, reilten von Stadt
gu Stadt hin und her und brachten ihre Lie:
der. Waren fie perjónlid) verhindert, [djid-
ten [ie den Text. Neichliche Belohnung war
jelbjtverjtändlich.
alten wir uns an Pindar; Denn bes
Batdhylides erhaltene Lieder find neben
Sé wie Holgmufif neben einem Konzert:
üigel.
Heute wird höchſtens von der Muſik—
fapelle ein Tuſch für den Sieger geblajen,
oder in ber Sportzeitung Debt eine ehrende
Erwähnung. Pindar dagegen madt Die
Gabe zum ftädtilchen Felt, und die Helden
aus ber alten Gagengett werden berbeige:
holt, um die Stadt zu feiern; denn die Groh-
taten der Väter find „wie bie Sterne am
Nadthimmel, bie über uns leuchten“; „Der
Ruhm der Vorzeit ift eingejchlafen auf feis
nem Lager, aber wir wollen ihn aufweden“.
Daneben verjdwindet der junge Menje,
der jebt eben gefiegt bat, faft ganz, und ge:
naue Sportberichte juht man umſonſt in diejen
Liedern. Wir hören vom Sjeratles und wie
es fam, daß er die olympijden Spiele ge:
gründet bat. Die Injel Rhodus wird er:
wähnt, die dem Sonnengott Helios heilig
ijt; wir hören, daß einft Zeus die Länder
unter die Götter verteilte, nur den pe
hatte er vergeffen; was tun? Er ließ aus
dem Meeresgrund bie ſchöne Injel Rhodus
auffteiqen und gab fie ihm. Held Jafon
wird eingeführt und die weisjagende Medea;
wir hören, wie wader einjt fih Jafon be:
nahm, ber junge Sradjentóter, deffen langes
Haar nie eine Schere gemábt hatte, fo daß
ibm ber reiche Blanz ber Moden tief ben
ganzen Rüden binabiloB uff.
Das nimmt fid) alfo wie regelredhte Bals
laden aus; [te fehlen als Einlage fait nie.
Dabei berridt fajt überall ein enthufiaftiich
Lar oft eg Ton; die Erzählungen aber
inb oft bod) nur abgerijfen, prächtig folo:
riert, aber das meilte nur andeutend; fie
find wie Spiegelungen im zitternden Majjer,
bie ba reizend aufleudten, um plóblid) zu
verflieBen. Der Dichter ftreicht béi bann
jelbjt die Stirn: „Mein Lied hat fid) ver»
irrt; ein MinditoB bradjte mein Boot aus
bem Fahrwaſſer.“ Aber aud) ernfte Worte
der Ermahnung findet er oft: „Steil find
ber Bollendung Pfade.“ „Nimm Dich in
Zudt; bie Begabung genügt nicht; du mußt
lernen.“ „Suhe zu jedem Tun das Ptah
in bir felber.“ „Wünſche bir hienteden fein
ewiges Leben” und das berühmte „werde,
was du bijft!“
Im übrigen eine ſchwärmende, geradezu
genußfüchtige Fröhlichkeit; alles flimmert in
golbiger Stimmung. „Ich liebe die Fille bes
eichtums, nidt um ibn zu begoen, fonbern
um Gaben zu |penben, um zu genießen und
gelobt zu fein.” ,LebensgenuB ilt bas erite,
ee
SES Delphi unb Olympia PERRA 583
der Ruhm das zweite.“ „Was ift [Hóner,
als Jorgenfret zu fein nad) dem Gelingen ?^
Go fredengt der Poet dem jungen Gieger
jein Preislied wie den 3utrunt tóftlimen
Meines, den jemand einem Bräutigam zu:
trinkt, ber bas jelige Glück der Ltebe ges
nden.
Hoffentlich bat dem Sieger der poetijche
Zutrunt aud) gemundet; hoffentlich bat er
dasBedicht überhaupt verftanden ! Denn junge
17 jährige Sportleute find meiftens feine Ge;
lehrte, und Pindars Saben find gewaltig
jhwer. Reine beut[dje Fiberjegung tann fie
aud) nur annähernd wiedergeben; das liegt
am freien Versmaß, es liegt an der Ha
der Gedantenfiibrung, ber felbft unjere mo:
dernite Lyrik mit ihren ſprachloſen Bedanten:
ftrtden nicht nabefommt; es liegt an ber
oft unglaublichen Verwegenheit des Sprad-
ausdrudes, ber Mijbhung der Tropen. In
deutfcher Wiedergabe wird der Vers ftodig,
die Sprade nahezu irr. Nur ber Grágilt
der ibm fein volles Studium widmet, wird
um Bewunderer des Pindar. Sagt bod) ber
ichter ſelbſt: „Solh Dichten ijt mühjam
wie eine Bergbejteigung.”
Bredhen wir aljo ab und ermüden uns
nicht weiter. Gewiß war es viel Großes
und Sjerrlidjes, was Olympia gab: Gteige-
rung der Kultur, Bereicherung des Qeiltes:
lebens, Grtüd)tigung ber — in körper⸗
licher Schulung und ihre Verklärung in
lyriſchem Hochgeſang, ber bis heute beiſpiel—
los geblieben iſt. Aber Griechenland? Wel—
Gewinn hatte davon das politiſche
riechenland, ber große Gedanke des Al:
griehentums?
Bei uns in Deutjchland waren es, ehe
uns ein Bismard erftand, die waderen
Schützen⸗ und — — unſere Turn:
vereine, auch die Schillergedenktage, wo ſich
von überall, von Rhein und Oder, von
Schwaben und Oſtpreußen die Männer tra:
fen und, fo verjdieden fie waren, fich
trenhergig anbiederten und ſehnſüchtig
als Deutſche fühlen lernten mit Der ewi-
gen Frage: „Was ijt bes Deutichen Water:
land?” Ram nidt aud in Olympia bie:
felbe Gebnjudt zu Worte und nábrte ben
groß⸗griechiſchen Gedanten ?
Cs ift auffallend genug: bei Pindar fin:
den wir nichts von jolden Fragen: „Was
ift des Griechen Vaterland?" Noch aud) gar
die Antwort: „Das ganze Hellas foll es
fein.“ Vielmehr wurde burd) feine ftolzen
Preisgedichte überall nur ber bornierte
Lofalpatriotismus genábrt, Der Dichter
war Zbebaner; [hon das bejagt genug.
Als ber athenijdhe Staat fih bie Injel
Agina angliedern will, macht er Gtim:
mung gegen bielen Gewaltatt. In ihm
berrichte nur die Liebe zum Einzelnen, nicht
zum Ganzen.
Und nicht anders ftand es mit dem Sport:
melen felbft. Das um Sparta gruppierte
doriihe Bolfselement bildete in Olympia
die erdrüdende Mehrheit. Das zeigen allein
ion die Giegerliften. Athen juchte fid) dort
zur Geltung zu bringen, war aber immer
viel zu ſchwach vertreten. Als bas athenilche
Bürgerheer einmal irgendwo in einem Lofal:
triege eine Glodt verloren beet durfte
der Gieger in Olympia ein Stegesdenfmal
errichten. Das war nicht ermutigend. Aber
Athen ai fid. Überraſchend jchnell bil:
bete jest Athen felbft einen neuen Mittel:
punft für das Feſte — Griechen⸗
land, und Olympias Bedeutung erblaßte
raſch; die grandios aufgeputzte Turner:
lyrik wurde unmodern und ging ein, und
in Athen erhob ſich die griechiſche Tra—
gödie: Alchylus gegen Pindar. Der Sieg
war entſchieden.
Mochten die Boxer in Olympia am ſchö—
nen Alpheios weiter boxen, mochten auch
reiche SR e Herren dort nod) ab und
an ihr Biergejpann laufen laffen: was da
gelben, hatte für das Bejamtgefühl teine
edeutung mehr, und die Namen der Sieger
verflangen. Das Niveau fant; es blieb nur
nod ein Sabrmarftstreiben mit Berufs»
atbleten, bis es gar auf ber altbeiligen
Stätte zu wülten Balgereien, zum Zieler:
ftehen, zum Kampf um bie Tempel jelber
fam. Is Alexander der Große feinen
Fuß dorthin jebte und jid) Iádjelnb um:
ihaute, mar die Sade pego ands end:
ültig verloren; er war ber Mann, bejjen
Bhantafie und Wille über Babylon bis
zum Indus reichte.
Biergeipanne ber olympiſchen Rennen auf einem attijchen Gefäß bes 5. Jahrh. v. Cbr.
(Münden, Bajenfammlung in der Alten Pinalothet)
(arg N adjbem Kärnten bird) Bolfsabjtim:
N Ka ) mung dem Deutihtum erhalten
N Gei blieb, bilden bie Rarawanfen ends
DE l gültig den äußerften Schugwall ber
— deutſchen Südmark: eine nur an
zwei Stelen zu überſchreitende Gletſcher—
mauer gegen das Slawentum im Süden.
Bei der Vermiſchung deutſchen Blutes mit
ſlawiſchem und romaniſchem feit grauen Bors
eiten hat unſer Volksſtamm auch in Kärnten
* berlegenheit bewieſen. Die Slawen
lernten unter deutſcher Führung Ackerbau
und Handwerk. Nichts jedoch haben die
Slawen den Deutſchen in Kärnten zu geben
vermocht, weder im Ce e Leben,
nod in Kultur und Runft. Wenn aud) in
einzelnen Gegenden die |[o:eni[dje Umgangs:
ſprache bas Tibergewicht erhielt, in feiner
Geele fühlt fogar ber Windijde d. d Der
Kärtner flowenijber Herkunft deutj
und
E Romaniſche Fresten im 9tonnendjor des Doms zu Gur!
Romaniſche Wnklange in Kärnten
Bon Curt Bauer
>
fein Volkslied fingt er in deutjcher Sprade.
Anders verhält es jid) mit den Romanen,
deren Rultur und Runft ihre Spuren in
Kärnten bei weitem ftárter hinterlafjen haben
als in andern deutjchen Landen.
Kärnten bildete ehemals einen Teil der
rómijden Provinz Binnen-Noricum. Das
mals lag in der heutigen Ebene des Zoll»
feldes nördlich von Klagenfurt bie römilche
Hauptitadt Virunum. Große BertebrsftraBen
führten hinab nad) Aquileja und hinauf nad)
dem Norden. Ihr Handel blübte, unb von
ihrer Kultur zeugen Tiberrefte, deren Steine
heute über ganz Kärnten verbreitet find.
Ein wahres Pruntitüd befigt das Klagen»
furter Mufeum an einem berrliden, wohl:
erhaltenen Mojaiffupboden aus Birunum.
Nod) in der Legende diejes jo überaus jagen:
reihen Landes lebt der Gedanke an jene
Tage, ba bie deutjhen Einwanderer dort
um erftenmal mit den
mern in Berührung
lamen, in grotester
Mehmut fort. Gie ers
zählt von einem Knap»
pen, der abends am
Santenberg, in bem fid)
jebt ein ausgelaffenes
Duedlilberbergwerf be:
ée am A
id) gewahrte er einen
Greis in fremdartigem,
altigem Gewande, der
ibm wintte, daß er ihm
folge. Gie gelangten
durd den dunklen Bergs
eingang in einen tagbell
erleuchteten Saal. Sort
jaBen viele ebenjo alter:
tümlich gefleidete Män:
ner um einen Tiſch. Cie
redeten eine fremde
Sprade, in der das
Ohr des Jiinglings die
Gebetiprade ber Pries
fter wicderzuertennen
meinte. Cic füllten ihm
die Tajchen mit Gold-
jttiden unb boten ihm
Eur einen Becher feurigen
E, + Weines, ben er mit kräf⸗
KM tigem ,Vivat” an ben
AR, und führte. Da tönte
D ein taujendfaches , Vis
: vat” bird) ben Berg.
Ki Das lateiniihe Mort
ui wë hatte bie Geifter aller
^ ^| Römer bejchworen.
Immer größer wurde
die Zahl derer, bie ihn
bejdenften, und der
Ppeses=s=s=== Gurt Bauer:
Süngline febrte reich in
jeine Heimat zurüd. Auch
aus fpáteren Zeiten weiß
die Sage zu berichten, wie
die Italiener mit bem Zeus
fel im Bunde beriber:
lamen, um (Erzadern zu
juchen. Sogar von dem
italienijden Weinwirt er:
zählt die Sage, der bereits
Damals den Wein nad) bent
in Stalien heute mehr als
je üblichen Rezept: „A
halbe 3Bajjer und a halbe
Mein wird wohl aud) a
Maß jein^ verfälichte.
Wie reid) waren dod
bie alten Römer jogar in
dem entfernten Kärnten
an foftbarem Baumaterial
und an Ideen! Noch heute
ſchmücken jid) damit Die
modernen Denen Sehr
fejjelnde eliefs aus
Virunum wurden aud in
die Fajjade des Domes von
Maria Saal eingebaut, fajt
modern mutet ber Rea-
. fismus diejer Figuren auf
dem mittelalterlichen Ge:
mäuer an. Freilich benubt
derartige Berquidungen
, gelegentlid) aud) ein Ko:
bold, um Damit jeinen
Scherz zu treiben. So wenn
ein biederer Cade ein
paar auf jeinem Grunde
aufgefundene Römer:
biijten für jeine Vorfahren
ausgibt. Über ber Tir E
eines Wirtshaujes in ©.
Beit Debt man bas Grabrelief eines römijchen
Ebepaares und darunter bie Injhrift: „Diele
beiden famen aus Friejen und Sachjenland,
fie fanden bier Gold, Gilber und Erz.“
Wnderjeits aber ijt auch bas altehrwiirdig}te
Gejdhidtsdenfmal Kärntens aus Marmor:
Heinen Birunums zujammengejegt: nämlich
der Herzogenftein auf dem Zollfeld. Ein
einfacher Doppeliteinfig, auf dem die deut-
iden Herzöge ihre Leben verteilten. Denn
ion frühzeitig riefen bie Clawen die bay-
rijden Herzöge zum Schuß gegen Die it:
fallenden Awarenhorden herbei, und jeit 828
haben nur Herzöge deutjchen Geblütes auf
Diejem Stuble Pla genommen. Ihre eigente
liche Einführung gejdab auf bem Fiirjten-
Hein, deffen Sik bas untere Ende der 3Bajis
einer antiten Marmorjäule bildete. Hier
aB an jenem Tage ein Vertreter der Bauern-
haft als Bauernherzog, eine Würde, Die
in bem erit im Jahre 1823 ausgejtorbenen
Gejchlecht der Edlinger zu Blajendorf erblid)
war, Yor dem Bauernherzog erjdien nun
der ebenfalls in Bauerntradt gefleidete Her:
sog mit einem Gtabe in der Hand, zur
Seite führte er je ein jchediges, mageres
Romaniſche Antlánge in Kärnten 585
Hof des Landhaufes in Klagenfurt bs
Feldtier, ein Rind und ein Pferd. Ihm
folgte eine Anzahl Landherren und Würden-
träger. Der Banernberzog richtete an den
Herzog drei E „Wer ift ber, ber hof:
färtig (vornehm) baberpranget ?^
„Sit er auch ein gerechter Rihter, ein
Freund des Heiles unjeres Baterlandes,
freien Standes und driftliden Glaubens?“
„Wie und mit welcher Gerechtigkeit wird
er mid) von Ddiejem Gtuble wegbringen ?“
Die erften beiden Fragen beantwortete
das Volt, bie lebte ber Fürft. Darauf er
hob fid) ber Bauernherzog, gab bem Fiirften
einen leichten Badenftreid und ermabnte
ihn, ein guter Richter zu fein. Indem jebt
der Herzog den Stuhl einnahm, \hwang er
fein Schwert nad) allen Richtungen. Mad)
der Herzogsweihe in Marta Saal und dem
feierlichen SntbronijattonsmabI begab fid)
der Fürſt zur Lehensverteilung auf den
Herzogenftuhl. Während der Fiirftenftein, auf
dem als lester Herzog im Jahre 1414 Ernit
der Eijerne jag, neuerdings nad) bem Klagen:
furter Muſeum überführt wurde, jteht der
Herzogenitein nod) an alter Stelle inmitten
eines feierlichen, Dien Gaines. Seine Jn:
586 Curt Bauer: Ve 343838353]
Mejte bes Schloffes Lavant in Friefad E
Schriften, die Mommjen im Jahre 1857 als
aus bejter römischer Zeit ftammend erklärte,
wurden von den Slawen verunechtet, um
als jlowenijd) zu gelten und den jlowenijchen
Urjprung der Zeremonie glaubhaft zu maden.
Hauptjächlich waren es die |[ovenijd)en Jour:
naliften, die während des Abftimmungs:
fampfes durch allerhand Geſchichtsfälſchungen
Dartun wollten, daß der ehemalige
deutjche Herzog von ben Slowenen durd)
eine jlowentjche TFeierlichkeit eingejebt
wurde und daher aud) von ihnen wieder
abzujegen fei. Wiljenichaftliche For:
Lungen. an erfier Gtelle bie Des
Klagenfurter Profeffors Grabar, ftellten
indeifen vie Herleitung der Feierlichkeit
aus reinbeutid)em Nechtsempfinden eine
wandfrei felt. Durch fie vollzog der
Fiirft die Übernahme der Herrichaft
fraft der Belehnung feitens bes deutjchen
Ratlers.
Sein älteites Heiligtum befigt Kärnten
in der auf einem Hügel nahe bem Her:
aogenjteim gelegenen Burgkirche Maria
Gaal. Anihrem Standort verjammelten
fid) einft bte Kelten im heiligen Hain,
dann bie Römer zur Verehrung ihrer
Götter, und jpäter jtand dort der Opfer:
tijd) der Slawen. Früh jhon Jebte von
Aquileja her bie Chriftianijierung Kärn—
tens ein. Davon zeugt ein im Klagen:
Ve Mujeum aufbewahrtes römtjches
Relief des guten Hirten, bas ber Ka:
tafombenzeit entjtammt. Karl der Große
ıandte feinen Unterfeldherrn Ingo nad)
Kärnten, der einer Sage nad) den heid:
nijden Adel auf einem Gajtmahl zum
Ghriftentum befehrte. Damals wurde
ber Glanz ber WMutterfiche Maria
Caal begründet.
Der romanijdhe Ban
jedoch ift von Tir-
fenfriegen und
Feuersbrünſten aer:
itórt worden, jo
daß der mächtige
Mariendom fih
— im weſent⸗
iden als eine Dr:
beit des 15. Jahr:
hunderts Ddarjtellt,
Aus bem 8. Jahr-
hundert ftammtnod
der Modejtusitein,
oa og ` Sieg
acher a a
mit den Gebeinen
bes Bilhofs Vio:
deitus, ber in Der
frommen Erinne:
fort bt. Gs. geht
ortlebt. Es g
ie Cage, daß
der Diode >
immer mehr dem
Kreuzaltar nähere,
Wenn erihnerreicht,
dann fei ber Jiingfte Tag getommen. Ro-
manijchen Stils ilf vor allem jenes eigen-
artige, —— — genannte Oftogon,
das der Marienkirche gegenüberliegt und
urjpriinglid) eine romaniſche Tau ;
bildete. Swildem beiden erhebt jid) eine
eigenartige gotiiche Lichtſäule. Große Wall-
fahrten, bie aus allen Gegenden hierher ge-
ESSSSSssssse] Romanijde Antlánge in Kärnten Tess? 587
ELI DES deel
A
Ca
‚Stadtmauer mit Groben in Friefad E
pilgert fommen, um fid) in langem Zuge
über ben Magdalensberg und ben Ulrihs-
berg ¿usbewegen, bezeugen, Dak Maria Saal
im Laufe ber Jabrtaufende nicht feine Be:
— einbüßte, wennſchon der Schwer—
punkt des kirchlichen Lebens ſpäter nach
Gurk verlegt wurde.
Das geſchah ſo: Die Erzbiſchöfe von Salz—
burg, deren Diözeſe ſich bis zur Drau er—
ſtreckte, konnten infolge der Unwegſamkeit
der Päſſe über die vare Tauern und
Stangalpen das heutige Kärnten zur Aus:
übung ihrer bijchöflichen Pflichten nur felten
bereijen. Gie hatten daher die Weih- oder
Chorbiſchöfe von Maria Gaal zeitweile zu
ihren ?Bertretern eingejebt. Später wurde
für dieje Würde das Bistum Gurt, in dem
die Bilchöfe von Salzburg große Beligungen
hatten, auserfehen. Dort entjtand im Wett:
eifer mit bem mächtigen Dom zu Salzburg
ber Gurfer Dom, in dem wir bas bebeutenb|te
romanijde Baudentmal aller ölterreichiichen
Alpenländer befiken. Das herrliche Var:
morportal mit Säulengliederung gehört zu
den ſchönſten romanijchen eg über:
haupt. Geweiht wurde der Dom der jagen-
umjponnenen Gräfin Hemma, der Gemahlin
des Grafen Wilhelm, die all ihre reichen
588 Tse eeh Curt Bauer:
Ruine Solnsberg bei Frielad
Oben lints ein gefuppeltes romanijdes Fenfter
8
Güter zu Stiftszwecken vermacht und
dort bie Marientirhe erbaut hatte.
Auf biejen Bau wurde zunächſt von
Bilhof Roman die ganz gewaltige
hundertjäulige Krypta errichtet.
Dreißig Jahre baute man daran,
jo bap im Sabre 1174 ber Seid)
nam Der heiligen Hemma dorthin
überführt werden fonnte. Das große
Anfeben, das diefe Heilige bis zum
— Tage genießt, macht die
rypta zum Biele gabllojer Wall:
fahrer. Namentlich wird Hemma als
Scyußpatronin werdender Wriitter ver-
ehrt. Ein antifer Stein neben ihren:
Grabe, auf den fid) die Schwangeren
zur Erflehung einer glüdlichen Geburt
nieberlajjen, ijt nicht weniger abge:
nugt als der Fuß der Bronzgeftatue
St. Petri in der Petersfirde zu Rom.
Geradezu halsbrecheriſch mutet eine
Gitte an, die nod) vor furger Zeit
bejtand. Sm der diden Innenwand
neben ber Krypta befand jid) etwa
in Bruftbóbe ein Lod, durch das
fid) bie abergläubijchen jdwangeren
' Frauen zu zwängen pflegten in der
merfwiirdigen Meinung, durch Dies
Meijterftüd der Turntunft bie Geburt
zu erleichtern. Schließlid) jedoch blieb
eine darin [teden und mußte erjt vom
Maurer befreit werden. Da wurde
dann das Lod endlich gugemauert.
fiber der Krypta wurde der Dom
sel
6n anas bes 13. Jahrhunderts
vollendet. Dn ber ſchönge—
gliederten Halle feiner Welt:
empore, fálimlih Nonnen=
dor genannt, jehen wir die
hervorragendjten Wandmale:
reien, bie uns aus der roma:
met Zeit erhalten ge—
blieben find. Gie bilden das
bedeutendjte Werk mittelalter:
lich)-romanijder Wandmalerei
in den jüddeutichen Ländern
überhaupt. Ihre Gnt[tebung
fällt in das dritte Viertel des
13. Jahrhunderts. Bom Dar:
morportal des Domes aus
erblidt man ben feierlichen
Innenraummitdembarodalen
Hochaltar bes Gurter Bild:
bauers Hoenell, der trog feiner
Fülle vergoldeter Figuren eine
jo reine, ruhige Gliederung
eigt, dab wir ihn als ein
teilterwerf eines unter ber
Nachwirkung der italienijd)en
Renaijjance jtehenden Barod-
fünftlers aus dem Jahre 1632
an|predjen miijjen. Jn feiner
Gejamtbeit ijt der Gurfer
Dom wenn aud) das [hónjite,
jo bod) nicht bas einzige Ober:
tragende Bauwerk aga ie
Gtiles in Kärnten. Würdig
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PALA:
Chorftubl von 1464 in ber Stadtpfarrtirde zu Villad
SSeS Romanijde Antlánge in Kärnten
ihm zur Seite ftehen die Kirche zu Millftatt
unb die zu St. Paul, deren Portal in feiner
Gliederung manhe Ähnlichkeit mit bem des
Gurter Domes aufweift. Schon im Jahre 1123
verlieh Biſchof Hildobald dem Bistum (Gurt
die Regel des heiligen Augultin. Damals
entitand in Gurt die áltefte beutjdje Dichtung
in ben öjterreichiichen Alpenlándern, Die
Genefis, die uns in einem Wiener Kodex
jowie in einem Sammelband altdeutjcher
Gedidte aus Millftatt im Archive bes Ge:
Ihichtsvereins für Kärnten in Klagenfurt
aufbewahrt wird.
Großartige Baudentmáler der romanijchen
Seit find uns ferner im Profanbau Rárntens
erhalten geblieben. Bon ftolzen Höhen winten
zahlreiche Schlöjjer und Burgen. Die Aus:
läufer der Tauern mit ihren Wäldern und
freijtehenden “Bergesipigen geben Ddiejen
Bauten einen malerijdhen Hintergrund,
während die meilten Täler ihnen herrliche
Ausblide eröffnen. Kaum gibt es einen
ftoljeren Anbli als die Burg Hoch-Oſter—
wis im Gurftal. Auf einem jteil aus bem Tal
lich erhebenden Feljen baut fie fih ftoctwert:
artig empor. Schon aus weiter Entfer:
nung fällt fie bem Nabenden ins Auge, bald
hinter einem Städtchen auftauchend, bald in
einjamer Höhe ragenb. Im Abendjchein Debt
jie fih gleich einer Lufipiegelung, wie aus
tübnem NRittertum geboren, von bem leud-
Klofterhof in Viftring
I ZZ Zi RR 589
tenden Himmel ab. Go fteil ift der öftliche
Jeljenabfturz des 3Bergfegels, daß der Volts:
laube ihn mit einer Sage umiponn: eine
ine Bofe jtürzte fih, ben Lüften des Burg:
errm vie ME in bie grauje Tiefe hinab,
am jedoch durch ein Wunder unbejchädigt
zu Boden. Der Ritter aber zog reuepoll zur
Sühne feiner Schuld ins heilige Land. Die
Stelle des Berges heißt bis heutigen Tages
ber ,Jungfernjprung”. Den groBartigiten
Eindrud erweden indeffen die Ruinen der
befeftigten Schlöffer Frieſach, bie auf Drei
nebeneinanderliegenden Bergipigen, dem
Geyersberg, Virgilienberg und Petersberg
thronten.
£ieblid) Tal mit deinen Matten,
Die der —* Kranz umſchließt,
Sonnig und doch auch voll Schatten,
Lieblich Tal ſei mir gegrüßt.
Aber ſind das deine Räume
enter mit von Heiterkeit?
übren mich nicht bunte Träume
Fort in längjt verjhwundne Zeit?
Mill es bod) mich fait entriiden
Sn des Mittelalters Schoß,
Kronen dod bie Bergesipigen
Ringsum Mtauern, Turm und Schloß.
Spähet hinter feften Mauern
Wohl der wilde Rittergetit,
Der auf Beute jcheint zu lauern,
Mie das Raubtier hungrig treift?
Roderich Anihüß
590
Das heu: Je — —
tige Frieſach age .
wurde am:
fangs bes 12,
Jahr:
Dunberts ge:
gründet. Erz:
ee EN Curt Bauer: MRR RRR HI Vi 2:24 RRA
= EN
= — — ſonders der
D — Donjon
: y (Bergfried)
auf dem Pe:
tersberg, der
jowobl in be-
zug auf feine
bijbof Son: Gliederung
rad jchufjenes wie auf feine
Syitem groß: innere Aus:
artiger Stadt: malung
befejtigungen eines der
vom Birgi- merfwürdig:
lienberge bis [ten Baudent:
gum Geyers— mäler feiner
berge. | Sm Art aus dem
13. Jabrbun: 12. Jabrbun-
dert war Frie— dert bildet.
ſach ber Zank— Wud zahl:
apfel zwiſchen reide Schlöſ—
bem Vial: fer, die Den
tejer- und dem Übergan
Deutjchen sum Wohn:
Ritterorden. baus bilden,
Die Bedeu- find uns in
tung der Kärnten aus
Stadt gebt ber romas=
aud daraus nijden Zeit
hervor, dak erhalten ae
König Ron: blieben. D
rab III. und Schloß Laz
Raijer Fried- vant, fowie
rid) Barba: vor allem Die
rojja in ihren E Gübportal ber Stiftstirdhe in St. Paul El Rejte Der Her-
Viauern weil- ¿ogenburg zu
ten. Sm Jahre 1224 támpjte Ulvid) von Gt. Veit, hinter deren vornehmer Bogen:
Liedtenftein, als König Mai gekleidet, galerie heute Kleinbürger wohnen.
im Turnier zu Friejad zu Ehren jeiner
Herrin. Troßig und biüjter jchauen heute
die Burgruinen ins Tal hinab, ganz be:
Neben den romanijden Bauten Rärn=
tens find die gotilchen von untergeordneter
Bedeutung. Wohl fehlt es nicht an weihes
Hauptplag mit Brunnen in St. Veit E
& fenbeit. Aud
Romanijdhe Antlánge in Kärnten 591
voll wirfenden gotijden
Kirchen in Villad, Klagen:
furt u. a., aber ihr Stil er:
reicht nicht die Schönheit,
wie wir ihn Ddiesfeits der
Alpen bewundern. Nur
vereinzelt finden fich wirklich
Ihöne gotiiche Ctüde wie
ber Chorjtuhl von 1464 in
ber Stadtpfarrfirche zu Vil:
lad. Rein bridt dann
wieder ber Sftenaijjanceitil
inburd) wie 3. B. in bem
liigelaltar bes nördlichen
Seitenjchiffes im GQurter
Dom
Bis in bie neuejte Zeit
hinein herrſcht in Kärnten
die ruhige romanifche Linie
vor, jo daß bie Kärntner
Ctübtebilber in ihrer Ge:
jamtheit überaus harmo-
nijd) wirfen. Mer beijpiels:
weile Villabh mit feinen
großen Gtraßenzügen, den
Ne geradlinigen Häus
ferfafjaden betritt, glaubt
fih leicht in eine italienijche
Stadt verjegt, Da folie-
en fid) bie alten romani:
ierenden Sáujerblóde mit
ihren jchweren Bogenſtützen
den neuen bharmonijd an.
Nichts von dem Wirrwarr,
der Enge und arditettoni:
iden Tiberladenbeit gotiſcher
Ctabtbilber. Bis in Die
fleinen Ctábte zieht jid)
biele einheitlihe Geſchloſ—
dort um:
geben wie 3.8. in St. Beit
große, ruhige Häujerflächen
ie vieredigen Pläße. Ne—
ben ber Nachwirkung ber
alten Überlieferungen wird
ierbet aud) der Einfluß
taliens entweder unmit:
telbar ober auf dem Um:
wege Durch Salzburg maf:
gebenb gewejen fein. Bezeich—
nend tt bie Bermijdung
ber fladen romanilchen
Hausfajjade mit bem hohen
otijden Tah und ben breiten Sdorn-
feinen, wie wir es u. a. im Alofterhofe
von Wiltring leben. Cine woblige Ge:
borgenheit geht von diejer Architektur aus,
die fid) bis in das Bauernhaus hinein er:
Itredt, Dellen große, bebaglidje Ráumlid:
teiten man vergeblid) in Deutjchland Iden
y
y
würde. Daneben fommt eine zweite Bauern -
hausart, vorwiegend aus Holz, zur Geltung.
Gie wird gefennzeichnet durch eine lange
Galerie unter überhängendem Dachgiebel.
Als ein Übergangsland zum Eüden er:
(eint Kärnten bejonbers in Iandichaftlicher
unb flimatijder Hinficht, da es einerfeits
> v
Et
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ES e Een, E EE a
SS
SÉ
oy
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Ri 322 t P
X Lichtſäule tm Friedhof von Maria Saal &
ion jenjeits der nördlichen Waſſerſcheide
liegt, während anberjeits bie Rarawanten
und Karnilchen Alpen das Land gegen bie
heftigen Entladungen der adriatijchen Zone
ſchüten. Die Wiljenichaft hat daher Kärnten
als „Wetterinjel“ bezeichnet. Milde Luft
vereint mit großartigen Naturjchönheiten
machten es zum Ziel zabllofer Sommer:
reijenden. Neben den jchroffen Gleticherhöhen
der Hohen Tauern mit dem Grof-Glodner
im Norden jowie den Rarnijen Alpen und
Rarawanfen im Süden lächeln weite Täler,
durchzogen von reißenden Flüſſen, bie Ai
wafjerreihen Drau hinabjtürzen. Die mitt:
592 Curt Bauer: 9tomani[dje 9Inflánge in Kärnten
leren Gebirgszüge find mit alten Wald:
beftanden hededt. Bejonderer Beliebtheit
un fih die vielen Geen Rárntens. Da
gibt es große MBajjerfláchen in milder Tief:
ebene wie den Wörther See, fowie weltab:
gejchiedene Bergjeen wie etwa den Oſſiacher—
Jee mit feinem tiefblauen, von [teilen Bergen
eingefaßten Majjerjpiegel. Wor allem be:
ginnen bereits bie Raltfeljen ber Karawanten
ſüdländiſchen Farbenzauber zu entfalten.
Unter ihnen breitet fid) das Rojental aus,
das die Drau in fanften Windungen durch:
aieht. Der zarte Gilberijhimmer, den bte
Gonnenftrablen über bie von Blumen über:
játen Wiejen tragen jowie die großen mit
rofig blühenden Buchweizen bededten Fel-
der verleihen ber Landjdaft eine MWeichheit
und Milde, bie uns in den Süden verjegen
würde, redten nicht gleich Daneben Die
tolzen, berben Rarawanfen ihre Delen,
chneeigen Gletidher gen Himmel.
Wer mit den Bewohnern Kärntens in
nähere Berührung fommt, wird erftaunt fein
über bie Sprachgewandtheit und den tlang-
vollen JBortreid)tum bieles ftarten, jdjlant
gewachlenen Menjchenjchlages. Gogar ber
einfache Bauer mem feine Gedanken in wohl:
geformten Cäßen auszudrüden. “Bereits
— Mädchen überraſchen auf dem
ande durch die Anmut ihrer Bewegungen
und ihre liebenswürdige Unterhaltungs—
gabe. Zweifellos dürfen wir auch hierin
eine Miſchung zwiſchen deutſchem Gemüts—
leben und italieniſcher Ausdruckskulter er—
bliden, eine Miſchung, die ſich insbejondere
in der Gangesfreudigfeit der Kärntner nicht
vertennen läßt. Wie die Italiener jo fingen
aud fie Luft und Leid im Liede aus. Es
begleitet fie auf Meg und Steg. Oft Hort
man Angehörige ber verjchiedenen fid) be:
fehdenden Parteien zujammen Quintett fingen.
Tas Lied, der Stolz der Kärntner, hebt alle
Gegenjäße auf. Freilid ftammt das Kärntner
Volkslied von den Bergen, wie jchon die
Gage berichtet: Eine Bergfee hat es den
Menjchen in den Tälern gebradt. Das ver:
rät vor allem der fernige, urbeutid)e Inhalt
bieler Lieder. Aber deranjprechende Melodien:
reichtum, die Runjt des Vortrages deutet bod)
nad dem Süden hin. Mie die italieniichen
IBinzerinnnen ohne jede Schulung ihre Kehlen
in harmoniſchem Dreitlang feblerlos ver:
einen, fo finden jid) fünf Kärntner ohne weis
tere Vorbereitung jogleid) im melobijdjen
Quintett zufammen. Die deutjche Vertiefung
hat bier eben bie ſüdländiſche Naturanlage
vervolltommnen helfen. Der Bewohner der
deutjchen Ciibmarf verftand es, die Kultur-
vorzüge feiner jüdlichen Nachbarn in deutjche
Snnerlidfeit umzujegen und daraus neue
Werte zu jchaffen. Go ijt Kärnten trog aller
Mifchungen ein beutjdjes Land. Der Reichs:
deutjche ijt fih viel zu wenig bewußt, daß dort
unten im Güden unjer Boltstum im Grenz:
fampf und auf der Grengwadt Gil Der fla:
viſche Ausbreitungswille läuft hier ebenjo
Sturm gegen bas Deutjchtum wie in unjeren
Dftmarten, und oft vermijjen die Kärntner ben
jtarfendDen Widerhall ihrer deutichen Emp:
findungen bei ihren Blutsbrüdern im Reid).
Seite der alten Herzogsburg in St. Veit E
Das alte Befch
lech
ovelle von Julius Ruprecht. Löwenfeld
ES To ift bas Gefeg bes Herrn dem
ve WK Monden gleich, der ba jcheinet, aber
—J d die Finſternis bleibet dennoch, der da
MON leuchtet, aber es gibet nicht Wärme.
Durd bas Geſetz vermögft du nicht felig zu
werden, fintemalen es dir bes Fleiſches und
deiner Gelüjten Bosheit wohl aufbedet, da
es ſpricht: ‚Du jot: — oder ‚Du follft nicht‘,
und bu fannft bennod) nicht banad) tun.
Du ſollſt keuſch fein, aber es brennet bir im
Leibe; du follft dich mäßiglich halten, aber
bu faufeft bid) voll; du jolljt dein Zungen
dämpfen, aber Gatanas läßt dein Afters
reden und Klatjchbajerei als eine bittere
Schmußquellen fpringen. Du vermógit es
nicht von bir, Chrift, bu vermögft es nicht,
burd) eigen Ebrbarteit felig zu werden,
jondern ftampfeft und ftoBeft bid) weiter
hinein in dein Berdammnis als eine Mäbhre,
jo in den Sumpf geraten. Aber größer denn
ein Cherub jtebet bes Gejeges: ‚Du folljt'
vor bir und ftrafet dein Tun vor dir felbften
bis in Mart und Bein. Merfluchet, vers
fluchet bijt du aljo, Menſche, und der feurige
Pfuhl der Höllen voller Schrednis und
Heulen wartet dein, gehet dir nicht der helle
Morgenfterne auf, der all Finjternis |djeudjet.
Gelobt feift du, o Chrifte!“
Während Ehrn Piftorius von der Rangel
mit folder Rede bes Bejegesmenjchen Elend
ichilderte, fap bie Gemeinde in fih verfunten
und lautlos auf den harten Bánten. Nicht
nur die zwei Mugen Augen über Talar und
Halskrauſe vifitierten bei der Predigt mans
niglid) in der gut überjehbaren Rapelle-und
gingen dabei vom Taufjtein an der Pforte
bis zum Altar und dann wiederum die
Breite entlang, jondern von dorten, wo bie
Hoharäfin- Witwe neben ihrem Gohne in
bem umfenjterten Herrenjtuhle jak, wanderte
ebenfalls ein graues, jcharfes Wugenpaar
burd) bas Kirchenſchiff, und bieles zweite
fürdjtete das Schloßgelinde um vieles mehr.
Ehrn Pijtorius war bei aller Wachjamteit
bod) immer ein rechter Bote bes Evangelii.
Wenn er auch der affijdhen Trine Hoffer,
die um ben Pförtnersjohn Aurelius Klops
Jelbft im Gottestempel ihr liebáugelndes
Getue fortjeßte, Durch eine barmberzige Ohr:
feige nad) dem Gottesdienfte cin Lichtlein
aufgeftedt hatte, fo war er bod) zumeift
püterlid) gütig und mahnte nur unter vier
Augen. Über eines verhugelten alten Weib-
leins bejcheidenen Kirchenjchlummer hatte er
s
bas [idjelnbe Wort gejagt, dah der Herr es
den Geinen wohl auch jchlafend gäbe. Anders
SHodgráfin Sophie! Sie war wie bas Geje
und ftrafte ohn’ Erbarmen, bald mit harter,
trefflichrer Hand, bald mit Faften, Entziehung
und häßlihen Gdjifanen. Der Reittnet
Peter Schwenninger freilid) hatte fih eine
neue Art zurechtgelegt, daß er in der Kirche
ichlafen fonnte, ohne jenen grauen, ſcharfen
Spähern aufzufallen, und er tat's nun gerade
ihnen gum Troße, um nachher in der Gefindes
[tube laut zu prahlen. — Über dort wartete
das Verhangnis hinter der Türe, und während
er bie Bewunderung der anderen einheimfte,
fam es burd) bie Tür gefchlichen — eine
weiße Haube — eine magere Hand — Matih,
tatih, Hatfh, immer auf bie linte Bade.
Wie dieje brannte, wurde jeder fofort gewahr.
Go fab die Heine Gemeinde und laujchte.
Eigentlich war es gar nicht febr jd)mer gus
zuhören, weil Ehrn Piſtorius meiftens gar
lebendig predigte und auch feine Wieder:
holungen den vielen Gedanfenlojen nur zum
Gegen fein fonnten. Cin fröhliches Sonnen:
ftrählchen tanate ihm heute über den Schädel,
auf dem mod) einige ftandhafte Silberloden
ausharrten, ob fie wohl oft gezauft wurden,
wenn er vor feinem nußbraunen Gilde an
der Predigt arbeitete und die nicht recht in
Fluß tommen wollte. Diejes Sonnenftrählchen
hatte ber Hochgraf Friedrich ins Auge ges
fat und, ftatt des Gejebes Schreden zu
fühlen, fid) lächelnd an dem lieben Alten
erfreut, wie er jo ehrlich zeugend auf ber
Rangel ftand. — Da traf ihn der Mutter
ftrafender Blid, unb er [Haute migmutig zu
Boden. Aber aleidjjam zum Trote, wie
Peter Schwenninger, paßte der regierende
Herr ohngeachtet folder Kontrolle nicht auf.
Die Gedanten jpazierten dem Giebenunds
dreifigiáibrigen davon, und plóblid) glitt
wieder ein leijes Lächeln um feine Mund»
wintel. Er jah die Frau Mutter verftohlen
von der Geite an, er jah, wie ihre Hände
heimlich unter dem Tube arbeiteten — der
Daumen ging bei der Linten hod, und die
Rechte berührte ihn, dann der Zeigefinger —
Jie redjnete. Während fie Rirdenvifitation
abbielt, zählte und rechnete fie. Der Hod:
graf nidte unmerflid) mit dem Ropfe. Das
feine Lächeln blieb, aber leife Wehmut hatte
es etwas verändert; er wußte, worum fie
lich qualte.
Mit hundertundvierzig Pferden war vor:
39
Belhagen & Klafings Monatshefte. 35. Jabrg. 192091. 2. Bd.
594 Julius Rupreht von Loewenfeld: B=232233233334
geftern der ſächſiſche Rurprinz aus den Toren
Frauenfteins geritten, nachdem er auf feiner
Rúdtebr von Frankfurt bes befreundeten
Hochgrafen Gajt gewejen. Zweihundertund:
liebenundvierzig Pfund Rindfleifch, bas Pfund
zu neun Pfennigen, und einundeinhalbes
Kalb hatten fie allein beim Gefinde konſu—
mieret — vierzehn Hühner, je zu 15 Pfennigen,
fünf Rapaune je zu 5 Grojden, und zween
Hajen, je zu 5*/, Groldjen bei der Herribaft
ohne die Schmerlen und Hechte, jo man neben:
bei verzehret. Item vier Eimer Wein für
die Lausbuben vom Troß; aber ganze vierzig
Maß bes köſtlichſten Falles in bem fowiejo
ziemlich leeren Keller mußte man dem diten
Prinzen und feinem bur[tigen Gefolge opfern,
worauf fie denn in vergnügtefter Laune
etlide *Bofale und Glajer zerichmetterten
und am nädjlten Morgen müben Angelichtes,
aber des Dantes und Lobes poll fid) auf
ihre Rößlein |djmangen, bie zum Gliid nur
Majjer gejoffen hatten. O, du arme Mutter
Sophie, Patronin aller Falten, Wachthund
vor Keller, Speijegelaß und Geldtruhe —
o du gefür|tete Grafichaft Frauenftein, Ata:
demie der Pfennigfuchjer und ftolze Kanzlei
der vergoldeten Armut und Not!
Die Hodgrafin jeufzte; ihr Sohn feufate
mit. Cie jahen fid) als zwei Miffende an,
aber bas Wijjen einte fie nicht, ba ber be
benunddreißigjährige, noch immer unbeweibte
Sohn nad) der Mutter Meinung den jchlaffen
Gedel auch nur entleerte, ftatt ihn zu füllen.
Gtrafend und [treng trafen die grauen Augen
den Hodgrafen. Der Riele hätte die Kleine,
alte Frau in feine Taſche [teden tónnen,
falls nicht ihre |pibe, magere Hafennale et:
welde Schwierigkeiten dabei bereitet haben
würde. - Aber er ftarrte wieder den Prädi—
tanten an, ber als Dritter im Bunde wohl
einige Sekunden lang mit feinen Bliden an
dem ftummen Spiel im Glasfaften teilge:
nommen hatte. Nah einigem Grollen wider
die argliftigen Sejuiter und Teufelsfnechte
bes bijpanijten Ignaz erftieg bie Predigt
den Gipfel, jchrittelte des wenigen darauf
bin und nahm mit einem fejten, tapferen
Amen ihr Ende.
Beim Schhlußliede fang der fraftige Bak
des Grafen Friedrich jehr vernehmlid. Es
war immer Des Hofpredigers helle Freude,
wenn ba im berrihaftlichen Stuble alle
Regifter gezogen wurden. Das Gefinde
richtete fic) banadj; die Tägerburjchen in
grüner Livrei dróbnten und |djmetterten mit
darein — fogar bie drei Geheimen Rate
ftrengten die leden Blafebálge ihrer gus
jammengeluntenen Bruft an, und das Frauen:
zimmer [djalmeite inbriinftig unb woblge:
fällig. Gelbjt bie gráflime Wittib milderte
ihre ftrengen Züge unb blidte mit verftoblenem
Stolze zu ihrem Friedrich hin, als würde
fte erit jebt gewahr, weld) Hüne aus bem
Kindlein ihres Schoßes geworden. Wenn
er bod) nur fparen, feines Saufes und
Ranges Erfordernifje befjer erfajfen, vor
allem aber, wenn er ehelichen wollte, damit
bas hodgraflide Geld)led)t, fo Jahrhunderte
hindurch ftolz geblüht, nicht dürftiglich und
flanglos ausjtürbe und [eine Berggaue lahen:
den Erben anbeimfielen. Der Fri war
ein Rind, trog feinen [iebenumbbreiBig Jahren
— nur ein Kind! Er ging auf die Pirih,
ftatt in die Kanzlei, ftatt auf bie Freite.
Uber die Elfe! Mit dem Gedanten an die
Elje fteuerten ihre forgenvollen Bedenken in
den ruhigen Port, gerade als Ehrn Piftorius
den Cdjluplegen [prad), und wie jelbige
glüdli in den Hafen eingelaufen, verbiek
fie im ftillen ihrem Herrgott, bas nadjte Mal
im Gotteshauje beffer aufzumerfen. Faſt
ein wenig weid war die alte Gräfin ge:
worden.
8 8 8
Nicht ohne Erſtaunen hörte der Hochgraf
bes nächſten Tages, daß ſeine tatkräftige
Frau Mutter Nichte Elfe, die vierte Orgel:
pfeife aus ber Töchterſchar feiner verftorbenen
Baje, nad) Schloß Frauenftein eingeladen
habe.
„Du wirft wohl nichts einzuwenden haben,
Friedrich!“ fagte jie mit jener [attjam be:
fannten, ausichließenden Armbewegung, als
der Bote bereits lange auf dem Landwege
davontrabte. Ganz wider Erwarten ließ ber
regierende Herr immerhin eine Antwort,
wenn aud) feinen Gin|prud) vernehmen.
„Nein, verehrte Frau Mutter — wie ftets
Euer geborjam[ter Rnedht! Es ift zudem
Zeit, bie gute blonde Elfe unter die Haube
zu bringen, und id) will einmal ganz feriós
darob mit ihr reden. Behabt Euh wohl,
liebe Frau Mutter!“
„Du ſollſt mit ihr reden.“ Die Hodgrafin:
Witwe |prad) felbige fünf Morte faft tonlos,
jo jehr madte ihr des Sohnes unerwartete
Antwort zu jdaffen; verdugt blidte [te Dem
Fortjchreitenden nad), ber unter luftigem
Pfeifen — wie oft mußte man’s Friedrich
lagen, daß jid) derlei Troßbubengepfeife für
ihn nicht [djide! — um die Ede bog. Mar
[ie etwa ber $yelbDerr, ber ben böjen Feind
gana unvorſchriftsmäßig vom Often ftatt
vom Welten anmarjchieren und durch fold
völlig unmilitäriihes Hafelantentum feine
beten Mejüren gefährdet fiehet?
Am Sonntagabend hatte Gräfin Sophie
das Aſthma Joldje Bein bereitet, daß fie ans
fangs Ehrn Piftorius holen laffen wollte,
ihr vor bem Abſcheiden das Nachtmahl au
el Das alte Beihledt BESSsesssssssd 595
reihen — fie war marjchjertig, die tapfere
Heine Frau —; alsdann wurde es wieder
etwas bejjer, und ihre Hand ließ dod die
geflochtene Rlingeljchnur fahren. Ihr Sinn
verweltlidte wieder ein weniges und Dachte
den Eheitiftungsplan mit der achtzehnjährigen
Elfe weiter aus. Es würde getiBlid) gar
feine reiche Heirat werden, wie fie jolche an
fic) wohl wünjchte, aber diefe Projefta waren
ja aud) ftets gejcheitert. Da man dem zwölf:
jährigen Friedrich eine dreijährige, pfälzijche
Pringefjin anverlobte, hatte bie Braut den
Unftern, bald an ber argen Peftileng zu
fterben. Hiernach waren Rurjadjen und
Brandenburg immer ftórendere Ranfelpinner
geworden, weil eines ber, beiden Die ges
fürftete Hochgrafichaft bei Friedrichs Kinder:
lojigfeit erben mußte, und $yriebrid) — hm
— ja — er madte fih darob aud feine
KRopfichmerzen. Aber die Elfe! Dieje Ehe
würde gewiß Erben |djajfet — Erben —
Kinder — Kinder. — — Viele Kinder? — —
Faft wurde es der afthmatijden, alten Dame
angit. Das Paar war jo gejunb, fo uns
bejonnen lebensfroh! Cie jab im Geiſte bie
Sprößlinge gleich Pilzen aus der Erde ſchießen.
Zwillinge, liebwerte Frau Mutter! Zwillinge,
jtammig und freuggejund! D web! Dann
wieder ein Heiner Hochgraf hier, eine frähende
Hochgräfin dort, und alle Jahr... Die
Gräfin Witwe [blog erjchöpft bie Augen.
„Apage Satanas!” Gebildetes Latein
mochte Beelzebub nicht, ber fie nur heim»
juchte, weil ihm ihre treue baushälterijche
Sorge um bas verarmte Gejdledt fold) ein
Dorn im Auge war. (Cie madte Drei
Krenze, und der Gput entiGwand. Nicht
lange. Zugleich mit der Atemnot in der
morſchen Bruft bedrángten neue Beängfti-
gungen bie Sdlafloje. Friedrich und Elfe
waren miteinander verfippt, fojern Hoch:
graf Ernit Confejjor fein Großvater unb
ihr Urgroßvater gewejen. Zwei Kindlein
hatte ber Tapfere gezeuget. Das eine hieß
Friedrich und wurde — Gott hab’ ibn felig!
— ihr, Sophies Gatte, ein braver Mann,
in feiner Jugend zwar jo etwas wie ein
Schwelger, ber viel vertat und verpfändete,
dafür aber hernad als Gatte feinem Weibe
um fo gehorjamer, zumal wenn fie etwas recht
eindringlich von ihm verlangte. Er ängjtigte
(id) wohl, jobald ihre Worte ein wenig
Ichriller wurden — er ábnelte manchmalen
dem Gobne Friedrid), bem fie jetzo bas Gliid
ber heiligen Ehe bereiten wollte Ja —
und bes bhodjeligen Grafen Ernft zweites
Kind war Erneftine, Burthards von Hohen:
fteins waderes Ebegejpons und der blonden
Elfe Großmutter. Aljo Blutsverwandtichaft!
Tian untte, daß jolde mandmalen den
Schnur im 3Bajjer hing.
Kinderjegen verfiimmere oder gar verhindere.
Und dann? Der alte Stamm der Hod:
grafen ohne Frucht unb Schößling? Nein,
nein, bie beiden jahen nidt aus, als ob
ihnen £eibeserben mangeln fónnten, unb der
Herrgott im Himmel würde [oldjes gewißlich
aud) nicht gulajjen. Nein. „Apage Satanas!”
Cie dräute fiegesgewiß in bie Nacht.
Unter erquidlichen Träumen einer [Hónen
und nicht zu toftipieligen Hochzeitsfeier war
die verwitwete Hochgräfin Sophie, in ihrem
Bette mehr figend als liegend, endlich ein-
geichlummert, ba die beijere und gleichfalls
etwas ajthmatijde Uhr von dem Turm der
Scloßfapellen die dritte Morgenftunde an:
zeigte. —
Der gefiirftete Hochgraf war nach ber
Ankündigung feiner Mutter durch den Schloß:
garten gejchritten, pfeifend, trällernd und
endlich jeufgend, um den Junter Jatob von
Ölppen zu fuchen, den einzig Jüngeren im
Heinen Hofitaate. Ihm unterftanden Forft
und Weidwerf unb jene drei mageren Güter,
die man nod nicht vermarfetendiert hatte,
und er pflegte dies faure Amt des Bor:
mittags damit zu beginnen, daß er gemädhlich
die Filchreufen abging und alsdann bie
Angeljchnur warf. So bodie er auch heute,
die runden Beinden angewintelt, und jab
bejchaulich auf bie blánfernbe, [tille Fläche,
bis ihn Friedrich anrief: „Bleib Er fiken,
Jaköbke!“
„Wenn es Euer Gnaden durchaus be—
fehlen,“ ſprach Slppen und legte beſchwö—
rend bie dide Linke auf den breiten Bruft:
falten. Er hatte übrigens feinen Herrn ganz
gut fommen hören.
"3Jatóbte,” meinte der Hodgraf, „Eriftfaul `
— wiederum faul, wie id) fehe!” `
Zwei liftige Nuglein fuchten in des Klägers
Mienen zu lejen und jchauten dann be:
friedigt wieder nad) der Gtelle, da die
„Unter fotanen
Umitánden nicht ganz |o tätig als jonjten.
Der Wald wächlet zu etlichen Zeiten von
jelber; Hirſch nebjt Gemahlin pflegen jebo
ber wohlverdieneten Ruhe, und was unfere
drei Herrengüter betrifft, find bie Lajfiiten
und Bauern in Bängnis, daß Syafob von
Ölppen [tünblid) hinter jedem Schlehdorn
aufpaßt. Ich Habe erft geftern zwei Gaus
lenzern die Hude vollgedrejchet, dak ihr Weh-
gejchrei bie gelamte Hochgrafichaft erfüllte.”
„Am heiligen Sonntag? Pfui, Jaköbke!“
„Richtig. Es war aber ebegejtern —
bitte um Wbjolution, gnädiger Herr. Ad,
ad), daß ihr nicht anbeiBen wollt — id) meine
nämlich die Filh. Selbſt die vernunftloje
Kreatur in diejem gottverlajjenen Bau” —
fuhr der Junter fort, und feine weltſchmerz—
§9*
596 ESs=S==sSs===3 Julius Rupreht von Loewenfeld: BZZZZZZ RZA
lerifche Miene bes Elendsphilojophen fuchte
mit dem Klagegetöne der Worte Schritt zu
halten, „jelbft fie verfintet hier in Lethes
verlorene Tragheit. Schaut bod) nur bieles
traurige Gras an, Jo bläulich»gräulich ange:
laufen — diefe dumme Wajjerjungfer in
ihrem matten Gedrójel, Euer Gnaden, welche
find ein exemplum nature, daß ringsumber
die ganze liebe, alte Welt verjtodet, vers
filget und endlich Stumpflinns halben Herchen
geht. O Peft und faure Bohnen!“
nJatóbte, du haft geitern in der Kirche
gefehlt,“ riigte ber andere gänzlich ungerührt
weiter.
"Ab, ah! Gbrn Pijtorius, diejer vers
malebeite Schloßpfaff, bat mir davon bereits
die Levitifa gelejen, bis id) mein Habit riids
wärts hochklappte und sub specie posterioris
erllárte: Der Serrgott habe Nuten genug
wachſen laffen, er möge lieber die verdienete
Pin jogleich erteilen. Er ließ es jedoch beim
jymbolijden Anlauf bewenden, gejtrenger
Herr, und damit bin td) abjoloteret, falls nicht
etwa Euer Gnaden liebe Frau Mutter...“
„Sa, meine Mutter,“ [prah der Hodgraf
mit Nachdruck und jeufzte laut.
"Ja, die Frau Mtutter, wie id) denn Ehrn
Piftorio [Hon mehrmalen als verbum bibli-
cum den Text empfohlen, nach dem unjer
Herrgott zum erften den Mann, dana% erft
die Männin, das Weib gejchaffen habe. Er
aber fordt fih und wollte nicht anbeiBer, juft
wie heuer die Filh. — Doch halt, bie ijt einer!”
Ein dider Hecht wurde ans Ufer gejchnellt
und unter Biltoriaruf ins Tragneß getan,
worauf Safob von Ölppen [eine Angelrute
ihulterte und gemütlich erflarte: „Wenn
Euer Gnaden nicht Gegenbefehl geben, will
ich jebt beim, mich auf das wiehernde Rok
werfen und meinen vielen Pflichten nad):
jagen, als wie Horatius Flaccus jpridt:
Post equitem sedet atra cura, oder perbol:
metjdt: bas dráuende Offizium [tadjelt mid)
von hinten.“ Ä
„Bleib Er figen, Jaköbke! Er madt mir
bod) nidis vor — Er ijf nur durjtig und
möchte daheim pofulieren. Jaköbke, wir find
Jugendgenoffen — du but ja faul und zwar
[djanbbar faul, aber immerhin haft du bod)
ein Herz und ladjende Augen. — Schweig!
IH will reden und zwar vernünftig mit bir
reden, Sjafobfe, jo ſchwer es dir auch fällt,
Dabei aufzumerfen.“
„Bernünftig — in Frauenltein? Ad
rike! S9Bernün[tig ?" Der Junter fiel ſtöh—
nend und bod) bewußt aus feiner Devotions:
rolle, ohne daß ber Hochgraf ihn drob fhalt.
Er fonnte hierin fonft febr deutlich werden.
„Dteinethalben mag ich heute, aber nur
heute, Jatóbte, wieder der $yribe fein,” fuhr
der regierende Herr leutjelig fort. „Vielleicht
wird das Gerede Dadurch freier und franter.
Nun Höre, was ich bir fagen móbte, als
man einen Freund. anhört, der nicht allotria
unb gaudia, fondern Ernjt in dem Herzen
Dot, Ergo, ich beginne Du weißt, dab
meine Frau Mutter bas ganze Regiment
im Jammertal diejer Grafjchaft bejibt, wie
es bei meinem Herrn Bater — Gott hab’
ibn felig!” — hierbei lüftete der Hochgraf
pietätvoll den Hut, und Jaköbke tat mit ver:
ſtohlenem Grinjen bas gleihe — „. . . ja
aud) bas Gewöhnliche gewejen. Cie hat nun
ihr Regiment sine gloria, aber mit Ehren
ion durch den großen Krieg geführt, feit
feinem zweiten Dezennium. Gie ift nicht
ausgeflüchtet als der George Wilhelm von
Brandenburg, objdon der Mansfeld wie ber
Tilly den Schred ins Land getragen hatten,
und jujtamente am Tage der Vittoria von
Breitenfeld bin ich geboren. Reſpekt vor
meiner liebwerten Frau Mutter!“
Der hohe Herr fuhr mit bem Handrüden
wider die Stirn, eine Schnaken abzujtreichen,
was Jaköbke, migverftehend, als Introitus zu
einem neuen Hutlüften nahm. Er traute
aber eilfertig den Scheitel, als Friedrich ihn
darum mißtrauiſch anjchaute. „Die Schnafen,
die Schnafen, Fribe,“ entſchuldigte er fid)
und ſchob den Hut guriid.
„Nta ja, bie Schnafen. Wher hör’ nun zu!
Sch habe oft genug wider die Frau Mutter
mit einem Grimmen gejdolten, wies aud
weiland der Herr Bater noch auf feinem
legten Lager gemadt, fobald fie nur aus
der Türen gewejen ift, und ich repetier’ es
bod), als wie er es auch getan bat: Das
Regimente meiner Frau Mutter ijt eine
harte Nuß und fein Paradiesapfel, aber
auch nicht faulig, Jondern fein, sine gloria,
Iparjam.“
„Sehr [parjam — zu fparjam.”*
»@eb’s zu, aber — Rejpett! Der Nußkern
war immerdar gut. Nur bat ihr Spiirfinn
ein Faktum völlig vertannt. Gie hat mir,
ihrem Sohne, als ein jd)ledjter Magifter
meine Lektion ganz verleidet. Sd) folt immer
ipringen wie fie, fargen, [paren und Auf-
paffer fein. Das war nicht gut. Sid) modt'
nicht ein halbes Quentlein Regiment, mod’
aud) bas ganze SJammergeblaje mit Sparen
und Hungern nicht, moht nicht bas Schulden:
freuz, jo fein groß Wollen und frei Wirken
gedeihen läßt. Goll ich vielleicht jedwedem
alten Gaul, der [Hon von felbjt jehindanger:
wärts wanten will, dod) lieber ein gut Wort
geben, ob er es nicht nochmalen mit dem
Leben probieren mödhte, weil es daheim zu
einem neuen Pferd beim Mokfamm nicht
mehr langt? Nein, nein, nein!“
Lesser ee)
Hobgraf Friedrid) war vor Erregung
aufgeiprungen; er ſetzte fih aber bann jeufzend
wieder neben den Junker, ber jehr verftándnis:
voll nidte unb aud) einen tiefen, jympas
tbilden Seufzer tat.
„Sieh, Jaköbke — ich Jag’ dirs im Ver:
trauen. Da lag der Haj’ im Pfeffer. Ich
Ibon” mich nimmermehr; es war gewißlich
nicht recht von mir; denn wem Gott ein
officium gibt, ber muß fid auch Durch Ge:
ftrüpp und Dornengerant hindurdgwangen.
Aber da nun meine Frau Mutter und das
ganze Hochgrafentum jo gewejen, vermochte
ih es nidjt. Im Walde war id) fret, zu
Rok war id) frei, wenn id) die Lauten ſchlug,
Hang’s mir froh vom Munde. Ergo: Sd)
ließ fie jchalten, bab’ daheim nicht Gin:
iprud) nod) Gegenafte getan und bin fo ein
Weidmann, bod) fein Regente worden. Der
Ehe aber ging id) aus dem Wege, auf daß
id) nicht bod) nod) einmal ins Joh fame.“
„Recht gehandelt, brav gehandelt, Frige.
Sd) Iob's."
Gtirnrungelnb jdjaute ber Hochgraf feinem
behäbigen, vergniigten Beichtvater in die
labenden Mugen. Der bemerkte es und
legte flugs bas Segel um, den Wind wieder
einzufangen. „Ih fann das alles wohl
fallen, rige. Bin nicht auf den Kopf ge:
fallen und aud) fein läppiſcher Kirchweih:
fiedler ohne Nachdenflichfeit über unfer armes
Reben. Kram’ nur aus, fram’ nur ruhig
aus und lag mid) bann meine |djlidjte ex-
hortatio madden, fo du fie hören magft. Erft
du — dann vielleicht ich — alles secundum
ordinem."
„Hm,“ brummte der Regent, „alfo fa es,
Satöbfe, wie du es fallen magit, und [prid)
Danad) zu mir, Dod nie darüber zu dem
andern Gelidjter. Hand hierauf, Jatóbte!”
„So wahr id) Syatob von Ölppen heiße!“
Und des Sjunfers Schwurfinger [tiegen tergen:
gerad empor, daß der Hodgraf lachen mußte.
"Es fet, ich fahre fort. Wir ftanden in
puncto &be.
vite, Syafóbfe, ob id) mir Ion aus Dirnen
und Mägdlein niemalen viel gemacht babe."
„Dho — mit Vergunft — ijt bas aud bie
ganze 3Beidjt'?" Jaköbke fühlte, daß er zu
dreift gewejen — es war ibm jo gejdwind
entflohen. Als er aber den flaren, reinen
Bli des Hochgrafen unverwandt auf [id)
gerichtet fah, ſchrak er erft wirklich in fich
zufammen und verjtummte völlig.
„Ja, das ift Die ganze ehrliche Beichte,
wenn wir es einmal Beichte nennen wollen.
Dorten im Gee wadjen nicht nur Waller:
rofen, aud jchlabbrig, glibbrig Schmutzkraut.
Sch weiß wohl, und dein Leben mag fein’
MWaflerrojen gewejen fein.”
Das bleibt ein ernithaft caput .
Das alte Geſchlecht 597
„Bewiß nicht, o nein,” fprad) ber Junter
ohne Zögern.
„Ich bin niemalen als Manz, Gott jei's
gedankt, in eines Weibes Arm gelegen.
Mein Gewiljen ijt fret in rebus eroticis,
Der Wald mag mid) bewahrt haben oder
gar mein Schußengel, aber ein Mann Zomm
auch ohne. Lotterbett Mann fein. Wer’s
bezweifelt, Dem will id) meine Fauft zu toften
geben; danad) wird er einen anderen Bes.
weis nicht weiter begebren.”
„Dit Berlaub,“ warf ber Dide etwas
Ihüchtern ein, „ich glaube, daß wir jet einen
Geitenweg eingelchlagen haben.”
„Du bijt felbft jdjufb daran, dummes
Jatóbte,” jagt ber Hochgraf in gutmütiger
Überlegenheit. „Ergo, id) mag nicht gern
ans Gbelidjen denten. Aber bas hochgräf>
lide Haus droht auszufterben, fo ich nicht
Kinder befomme, unb die Pflicht gegen Ge:
Ihleht und Land hält mid) jego in ihren
Klammern, ohne mid) loszulajfen. Das it's.
Und um nun die langen Präambeln zu
meiden: Die Frau Mutter lud mir heute
meine Nichte Elfje von Hohenftein auf den
Hals, bie Mtaterie zu bejchleunigen, da fie
fih felbft abgängig fühlt. Unjer Herrgott
erhalte fie! Es fann einmal gejhwind mit
ihr aus jein; denn Freund Hein ift der
einzige, den fie nicht unter den Pantoffel
triegt.”
Der dide Junter riB bie wafjerhellen
Augen weit auf. „Summa: Du willft alfo
bie wohledle Gräfin Elfe von Hohenitein
freien? O jerum — mit Bergunft. Sie ift
ganz arm. Du wirft jenes bejagte und bes
tagte Rok nod) zum zweiten Dtale erjuchen
miijjen, den Erlöjungsweg zum Shinder aufs
gujdieben, Frige, weils nod) immer für
fein neues Pferd reiht, und id — ih —
werde bei meiner biedern, alten Rub in die
Schule gehen, damit id) bas Wiederfauen
lerne und mit dem halben Gehalt ausreidje.
Fritze — Frige — muß das fein? Muß
das wirklich fein?“
„Alles secundum ordinem, [prad) vorhin
deine Weisheit, Gafdbfe. Nun rede du!
Item — nicht daß id) mich irgend verjchwöre,
deinen Rat zu befolgen. Nein, Jaköbke, aber
hören will id) denjelbigen.“
Der "unter [trid) jid) nachdenklich bas
Doppeltinn, dann erhob er fid) gravitüáti[d).
„Ich rede unb rate: Heirate nicht, bleib uns
beweibt bis an dein Lebensende, und fo die
Hochgrafſchaft an die Erben fällt, ob Sachſen
oder Brandenburg — fames ex est! Der
Hungerteufel, der hier doch nichts gedeihen
Läffet, hat damit fein Ende gefunden. — Deine
Bajallen und deine Eigenen werden es dir
nur banfen, Frife; das Land ift ja zu flein,
598 Julius Rupredt
bie Laft zu groß. Ob Wettin oder Zollern,
jie jchaffen beide mehr als eure honefte Eigen:
brötelei, um es einmal von der Leber frei
weg zu jagen. Hut ab vor deinem Treuz:
braven Gejdledte, 9tejpeft!^ Diesmal 30g
Jatóble wirklich artig fein Jágerbitletn.
„Stirbt es aus, ift’s trokdem feine Schande;
find doch noch viel berühmtere und größere
denn die Frauenfteiner Hod)grafen den Todes.
weg gegangen, als per exemplum die Staufen
oder bes großen Carolus Familia. Aud
die ältefte Eichen treibt einmal in einem
Lenze feinen Sproß, feinen Aft mehr.”
Und plößlid — nad) furgem silentium
lug ſich Jaköbke bie feiften Schentel, daß
es nur jo Hatjchte. „Hoch, Frige. Tut
einmal die gejtrenge Frau Mutter die Augen
gu, dann leben — dann leben wir auf! Wir
Herchen aus, wozu denn nod fnaujern?
Wettin muß ja zahlen, Brandenburg muß
bledjen. Wir fterben aus. Goldgiilden regnet
es zum Feſte. Wer fann es bir nad) ben
magern Griesgrametagen denn miBgónnen ?
Wir fterben aus. — Lak mid) nur machen,
optime Frige! So wahr id Safob von
Olppen getauft bin, fie miiffen blutig zahlen,
wenn id) den einen mit dem andern Neben:
bubler |djüre. Gelbgriine Galle fpuden fie
zwar jicherlic), aber der Neid, ber giftige
Neid läkt fie freigebig fein, um nur einander
auszujtehen. Und Rautelen, daß bir nies
mand zu Lebzeiten in die Lande kommt,
werde ich aufrichten, hoch wie einen Müniter:
turm, falls du wirflich bindend verfpridft,
auf jegliche Ehe zu verzichten. Aurora |chirrt
dann den Wagen jogar über unjere Düjternis
bier, und alle Nachtfröfte des Jammers
haben ein End’ — ein End’. Juchhe!“
Der Junter, von Ölppen warf fic felig
ins Gras und |djnalate [Hon vorjchmedend
mit der Zunge, während ber Hochgraf ihm
verwundert zujchaute. Etwas wie Herren:
itol} redte jid) nun bod) in ibm auf — er
richtete fid) empor in feiner ganzen riefigen
Gejtalt und fprad) mit fürftlicher Ruhe: „Es
war mir gut, baB id) mich einmal frei ge:
redet habe, Jatóbte, Die eigenen reflexiones
Hären jid) dabei. Es war mir auch ergóblid,
Seine lachende, zappelnde Weisheit zu ver-
nehmen, das Körnlein fefter Wahrheit in
eines Jaköbke von Olppen Iuftigen Sprüchen.
Genug! Schwing’ Er fid) nun auf Sein Rok,
Syunfer, um nad) Wald unb Ader zu jchauen
und den Wilderern das üble Handwerk zu
legen.“
Gemejjen jchritten Diele Morte dahin;
dann aber gudte bod) die alte Herzlichkeit
nochmals grüßend zum Oberftübchen hinaus:
„Nichts für ungut, Jatóbte! Du bt dod
beffer als jene eingeroftete Culenweisheit
von Roewenjed: 'B23323323332324
der drei überjährigen Rate meiner Frau
Mutter. Bleib gejund!”
Etwas verfniffen fah ber Junter anfangs
der hohen Gejtalt nad), wie fie weiter ging
— Dann erblidte er wieder die Angelrute
und den pradtigen Hecht, und feine Tienen
helten fid) merflid) auf. „Wielleicht ift mir
bod) nod) ein edlerer Fijd an den Köder
gegangen als biejer bijjige Geeräuber ba,
unb bein Rat deucht mir auch gut, wirklich
recht gut, better Jatob von Ölppen; denn
wir müjjen einfach ausfterben!“
88 E &
Den alten Efeu, ber fih zu dicht und zu
weitgreifend an einer Mauer feftgefrallt hat,
fann|t du wohl herunterreißen — aber wenn
du dir nicht nod eine dreifache "Gelder
mit bem allerjorgfältigften Abjchaben jchaffen
möchteft, läkt ber alte Herr feine deutlichen
Spuren zurüd. Hofdirurgus Moosmeier
jtellte diefe gelehrte Objervation beim eigenen
Haufe an, und fie war — mirabile dictu —
jogar richtig. Die trodenen, braunen Wurzel:
füßchen, bie fejtgejogenen, fraujen, oft faft
gezieferähnlichen Fajern bafteten zäh noch
weiter am Gejtein,
So hatte der Hodgraf Jaköbkes Verfucher:
rede zwar im ganzen bald abgejtreift, aber
eben nur im ganzen. Er ging in die Schloß:
fapelle, in ber ber glorreiche Hochgraf Erne-
ftus Gonfei[or mit gefalteten Händen, den
Helm neben fich, auf feinem Stetnjarge fniete
und ihm gegenüber, beinahe mehr einem
Mägdlein als einer Eheliebſten ähnlich, feine
zarte Gattin Hedwig aus dem naſſauiſchen
Haufe. -Gar ſchön gemeißelt ftand das
Frauenfteiner Wappen auf der Platte. Das
fromme Paar betete andächtig nod) im Steine
fort, wie es im Leben gebetet, und betete
jicherlid) aud) für bes alten, ebrwiirdigen
Geſchlechtes und feiner Untertanen zeitlich
und etpiglid) Wohl. Graf Friedrich Donn
fait beflommen daneben. Wie er ben tapferen
Großvater betrachtete, fam er [id) recht er:
bürmlid) vor und jeufzte fo laut, dak Piftorius,
der nach einem Zettel in der dunteln, ge:
wölbten Gatriftei gejudt hatte, in bie Kirche
trat.
„Es ift feine superbia, fondern bantbarer
Stolz, Euer Gnaden, jo man feiner Vater
gedentt,” fprad) ber Hofprediger voller Gal:
bung.
„Glaubt Shr, Ehrwürdiger? Die Ahnen
bedrüden aber das Gemüt der Nachfahren
oft, daß man darob verwirret wird.“
„Ste heben nur die Hand inb mahnen.“
„Sft in unjerer Hungerleiderei Denn nod)
ihre Glorie, Ehrn Piftorius? Ich hab’ zu-
bem, ba id) jünger war, eine Reife in die
Niederlande gemadt. Der Oranier ftand
PSSSSFSSFFIHSIIIFTE Das alte Gv]djtedjt Bez22222222224 599
dort nebenaus — die Hochmögenden ge:
dDiehen auch ohne ibn — ohne Fürſt und
ohne Krone. Hier aber in Deutjchland
wuchert es allenthalben von blinden Rrón:
lein und mottengerfrejfenen Grafenbiitlein
im dichteften Gejchlinge, unb die vielen Zoll:
báume fperren die Lanpdftraßen als ein
dauernd impedimentum. Sid) weiß bod) nicht,
0D... a
Der alte Geijtlidje |djaute den verftums
menden Hodgrafen wie Ehriftoph Columbus
fein neu entbedtes Eiland Gan Salvador
an. ‚Was lebt bod) mannigmal in einer
Menjchenbruft,‘ dachte er, ‚ohne daß wir es
abnden!' — Dann aber trat er ebrerbietig
und zugleich mit jener reifen, rubigen Würde
näher an den Zweifler heran.
„Sch bin aud) dermalen in den General:
ftaaten gewejen, hoher Herr, und habe den
Ratspenfionár De Witt jelber gefehen. Er
gerade hatte mir in dem freien, reichen Lande
nicht gefallen mögen; die Oligarden hodten
wie feilte Rapaune auf Hollands Pfeffer:
jaden, ließen die Goldatesta verfommen,
ohn’ des Reiches Sicherheit abzuwägen, da-
mit nur nicht mit ihr bas Oraniſche Haus
wieder aufitiege. Volk unb Geiftlichkeit
fühlten’s wohl Balb — Oraniens tapferes
Feldgeſchrei Hang ihnen beffer im Obre als
das Geldgetlimper der fetten Hollander.
Ja, Herr, bie Treue wählt bod) am beiten `
in dem Lande, da ein angejtammt Herrfcher:
haus regiert; bie Treue, Euer Gnaden , ilt
mir ein [onberfid) Kraut auch in unjerer
fargen, armen Hochgrafſchaft.“
„Deinet Ihr?” .
„Sch meine submissest freilich: Treue um
Treue, Euer Bnaden.“
Des Jatob von Ölppen gefdeite Rede
hatte der Hochgraf abgetan wie Moosmeier
feinen Efeu; aber die Würzelchen blieben
trog Ehrn Piftorit treffliden Monita, und
diefe ziefrigen Krallen und Beinden zeig:
ten fih bald bier, bald dorten an ber Mtauer,
wenn er nachdenklich Durch den Buchenwald
dahinſchritt. Es war mit der Mutter nicht
mehr bejjer geworden; fie teilteihr Leben jego
faft in gleiche Hälften: der eigenen Geelen
Heil und die Heirat ihres Sohnes. Mit
diejem Hatte fie, ohne ihn öfters zum Mort
zu laffen, gleidjjam als ihr Teftamentum,
feierlich unb beftimmt das Cbeprojeft bes
redet, und zwar ganz offen, ganz nüchtern.
Uber tiefe Riihrung zitterte bod) durch ihre
diirren Worte, und die grauen Augen rid):
teten fid) bisweilen in die Weite, als fáben
fie [fon die Sinnen bes güldenen Jeruja:
lems und bas eigene Gterben. Der Hoc)»
graf fühlte fih in ihrer Gegenwart bedriictt,
jtumm, im Banne, mas feine Mutter nur
für lobenswerten Geborjam hielt — dod
mitten in Andacht und Ernft hinein quáfte
plötzlich Jaköbkes feierlos Ddreijte Rede:
„Fames ex est. Die honefte Cigenbröte:
lei — Refpeft Davor — geht gu End’! Wir
leben auf, das ganze Frauenfteiner Land
lebt auf; denn wir fterben ja aus. Judbe!
Wir fterben aus!“
ag WW 88
Befriedigt entzifferte bte Heine alte Dame
das Antwortjchreiben aus Hobenftein, nad)
bem die blonde Elfe zwei Tage fpáter als
der Bote ihre folgenreiche Fahrt zur lieben
Großmuhme antreten follte. Die ganze Gebr:
jucht bes vielgeplagten Baters, wieder eine
jeiner adjt Töchter verjorgt zu jehen, flötete
ihren Nadtigallgefjang durd die fiigen
Zeilen. Wud) bas Cheopfer felbften war
[don eingeweiht, es hätte, hieß es, |djam:
haft errótend fein Ja gelifpelt, als ob es
dem ftattlihen Hochgrafen [Hon immerdar
in feinem tleinen Hergensjdreine Hold ge:
melen, und der glüdhafte Bater [djiert nad)
ber Epiftul nicht erft Sturm, Blig, Donner
und Gewitterregen benötigt zu haben, damit
das roja Liebestráutlein erbliibe. Es rantte
und [bnórtelte, diiftete und flingelte nur fo
durch den Brief, dak bie alte Hochgräfin gue
erft mit dem Kopfe nidte und dann in febr
bejtimmtem Tone „Hansworft“ jagte.
gait (Hien biejer Wusdrud es ihr onge:
tan zu haben; denn als fie fid), ermattet
vom langen Vorgebeugtfein, wiederum jap:
pend im Lebnftuble zurüdlegte, fam er nod)
einmal über ihre dünnen Lippen. Diejchmale,
jebt etwas blaurote Hafennaje, welche die
eingefallenen Wangen mit dem Sieber:
tüpflein jo herausfordernd überjchattete, ragte
tapfer in die Luft, als Bräfin Sophie müde
ihre Augen ſchloß und einjchlummerte. Stop:
weile ging der Atem, aber ein gages Lächeln
verjuchte Dod) immer wieder, fid auf dem
alten, [darfen Befichtchen feitzufegen. „Hans:
orit" hauchte es faft unbórbar nod) ein:
mal, und nad) jelbigem Worte breitete fid)
allmählich eine auffallende Rube über die
Schläferin, bis ber Odem endlich ganz auf:
hörte. Da wurde es offenbar, daß die Seele
(id) ein beffer Quartier als unjer armes
Leben gejucht hatte.
Hieran vermochte aud) des jchwerhöris
gen $jofdjirurgus Explicatio über Causa
prima und posterior bes höchſt beflagens:
werten Berluftes leider nicht mehr bas min:
dejte zu ändern. Ihro Gnaden fei, erklärte
Moosmeier noch einmal beim Fortgange
dem Hochgrafen privatissime, bereits feit
etlichen Tagen eine moribunda für ihn, den
Sadverjtandigen, gewejen, unb mit diejem
zweifelhaften Trofte und zween tiefen Krag-
600 Julius Rupreht von Loewenfeld: BSS3S3S333333I
füßen, einen vor und einen in der Pforten,
ließ er den Landesherrn allein. Dem ftan:
den zwar die hellen Tränen in den Augen,
aber basjelbe Wort, bas die Frau Mutter
turg vor ihrem einjamen Berjcheiden ange:
wandt hatte, |djlüpfte auch ihm über bie
Rippen, als er feinem weilen Hofdirurgus
nachblidte.
Die Grabrede für die Heimgegangene
hielt der Schloß: und Hofpfarrer, Jatóble
hatte von ihr nichts Gutes geweisjaget, weil
aud) ber Hohwürdige unter Dem verfloffe-
nen Regimente durch ftille Bejchneidung
feiner Deputate mandherlei Einbuße erlitten,
er äußerte fih danach beinahe enttäufcht,
dak Gbrn PBiftorius [o jalbadert habe. Aber
nicht minder enttäufcht gebárdeten fich an:
fangs Die drei Geheimen Rate Gterlatius,
BeBmann und ber Edle zu Übigow. Wie
fie etwas gebredjlid) und bod) in jener M-
Iongenperüden- Würde, bie des Weltalls
Augen auf fic) gerichtet weiß, bie Staats:
aktion bes hodgrafliden Begräbnifjes mit
barge|tellet hatten, deuchte es fie auch eines
Sjoffaplans jJelbftverftändliche Untertanen:
pflicht, zumindeftens den halben Olympus
unb etliche berühmte römijche und griechijche
Heldinnen als Gxempel berbeizuzitieren,
wenn er von feiner Landesfiirftin und nicht
von einer inferiorem Viehmagd in Memos
riam zu reden hatte. Dem war nun durd-
aus nidj genügt worden. Uber als ber
Hodgraf Ehrn Piltorio tief bewegt die Hand
ichüttelte, fanden aud) Gterlatius und fibi-
gow jchlieklich ben Leichenjermon mehr und
mehr angemejfen. Beßmann allein bejchloß,
ftolz ſolchen Umfall zu meiden, und trippelte
wortlos eilig, aber felb[taufrieben heim, um
nur nidt dem Schloßpfarrer zu begegnen
und noch nachträglich zu erliegen.
Nicht bie Dellenildjen Götter, aber bie
Ahnen bes Hodgrafenhaujes hatte Piftorins
in feiner Rede herbeigerufen und dabei fei:
nen Herrn gar fonderbar angeleben. Dem
more, als zöge bie ganze Schar langjam
mit wallenden Feiergewandern bei der Toten
vorüber, von jenem Grid) bem Trußigen an,
dem Kaifer Heinrich VII. von Liikelburg einft
bie Grafichaft verliehen. Gie alle legten
einen Kranz auf den Garg, fie alle fagten
ihren Weiheſpruch; bie Entjchlafene gehörte
ja zu ihnen, hatte gedarbt und fid) gemiibt,
ausgeharrt und durdgefampft um ihrer.
Sippe willen, um ihres Landes willen. Ans
ders zwar als der wagemütige Sodgraf
Erih oder der furdjtlos befennenbe Ernit
— dod breiteten fie fegnende Hände über
ihre Gruft: „Du warejt unjeres Erbes wun:
derliche, aber treue Verwalterin und woll:
teft, ein ehrlich und tapfer Weib, den Roft
vom alten Wappenfdilde wegpuben und hie
Leere in den Truben bannen, ohne Feier:
ftunde für dih. Ein Ziel batteft du, da bu
largteft, — unfer Ziel: Frauenfteins Ehre
und Ruhm allerwegen!” So fpraden fie.
Wie Hein ftand menfchlicy Gepránge neben
dem, was Geifter taten, die aus ihren Grüf:
ten emporgejtiegen! Als fie aber an ihm,
bem Hodgrafen vorüberjchwebten, [chwiegen
fte, zogen davon und zerfloffen in Nebel
und Luft.
Und nod eine nahm, ohne zunádft aus
ber jchredhafteiten Verdubtbeit Derausaus
fommen, an dem unerwarteten Leichen»
begängnis teil und wußte gar nicht, wie,
was und wo. Grit bei Ehrn Piftorii Grab:
rede floffen die Tränen aus den Augen wie
ein Bádlein, daß ihr Schludhgen die Um
ftehenden |djier erjchütterte; denn ber Geis
ftergug, ben ber Hochgraf erblickt hatte, wallte
aud) an ihr vorüber, unb [ie wintten, fie
ftredten die Hand nad) der blonden Elife
von Hohenftein aus: „Frauenfteins Ehre und
Ruhm allerwegen!” Go feierlich, aber auch
jo verbliden deuchte fie alles, was da wie
im Traume vor ihr babinglitt; fic weinte
herggerbredend. Ihr [bien dabei, Dab nod)
ein unjichtbar Gärglein Hinter dem der
jeligen Großmuhme zu der ſchwarzen Gruft
geichleppt wurde.
Es war ein blühendes, rantes Mädchen
mit einem feden, luftigen Gtumpfnasden,
tráftig in Hand und Fuß, und bie Sonnen:
funfen hüpften und hajchten einander in den
goldblonden Flechten, die fic) mächtig um
das junge Köpfchen legten, aber als es
weinte, war es bod) nur wie ein Rindlein
anzujchauen, hilflos und bittend. Der Hod:
graf geleitete fie ins Schloß zurüd, und fie
Jagte ergeben: , Ja, werter Herr Ohm.” Und
er küßte die Nichte, da fie vor ihren Bemädhern
ftanden, feierlich gerührt auf bie Ctirne.
Mis er aber danad in feinem Zimmer
auf und nieder fritt, ertappte er fid bei
einem Gedanken, den er alsbald veritiegen
und verjdroben fhalt: ‚Ich möchte viel lies
ber dein Bater fein, Du armes blondes Rind!‘
Hodgraf Friedrich jeufzte. Frauenfteins
Ehre und Ruhm allerwegen! War es viel:
leicht auch wider Sitte und Braud, fo bod)
gewiß im Sinne ber Gntjdjlafenen, wenn er
ihon am morgenden Tage aller Ungewif»
heit den Giftzabn herausbrad und unter
den hohen Buchen vom Feldhay das Ver:
löbnis mit Elfe von Hohenftein jchloß, das
ihr Gdjidjal nun einmal von ihnen verlangte.
Srauenfteins Ehre und Ruhm allerwegen!
Und Frauenfteins Not und Armut dazu?
Md), Jatóbte, du bift ein zäher Schelm.
aB eb =
hend ve Hass: EE Mi
(Grosse Berliner Kunstausstellung 1921)
ME LIBRARY
OF THE
UNIVERSITY -¢ 1 UMS
604 Julius Ruprecht
tiger, [don aus alter FreundiMaft mit mir
vernünftiger, Ölppen. Und nicht mehr dieje
jofojen Manieren!”
„Dignitas. Gewiß, mifde mehr Dignitas
in unfer diplomatijches Gelprad! Sd) ver:
ftehe völlig. Die Dignität hat ftets ein eiter:
fliijfig Bein unterm Samt gehabt, auf daß
fie fid) nicht übereile, und als ber Marodeur
mit der Kuh peitjchentnallend über bie Paks
höhe fuhr, inipizierte die Dignitas erft jad:
funbig die Ställe, behauptete aber fodann
fteif und feft, felbige Rub fet wirklich nicht
mehr darinnen. Darum Dignitas, Bröjelwig.“
„Zum Teufel, id) negiere an fich ja gar
nicht bein Propofitum von vorhin, jo ver:
Ihroben es mich anfangs aud) anmutete,”
lärmte der arme ſächſiſche Freiherr wieder
in feiner Not, fid) Gehör zu verichaffen.
»Jiegierete etwa bie Dignitas bejagte Ruh?
Nie und nimmer! In contrario, fie bejabte
fie fogar obstinate, aber der antere [Hnappte
Jie leider ohne viel Federleſens.“
„Wer folte denn Hier in aller Welt
Ichnappen ?^
„Kurbrandenburg ijt in der Friihen heute
bei uns einpajjieret, übrigens wirklich ein
ganz traitabler, ziemlich rejuluter Herr, jener
alte Dragonerobrifte und Streujandbüchler.
Carpe diem und feine träge Blödigleit, jagt
nun wohl Guilelmus Fridericus Elector,
den fie mit Fug und Recht den (Groben
Surfiirften heißen. Hojoh, wie er zufaßt,
wie mein alter Kriegsfreund Bröjelwiß ur:
plóglid ohne jeinen Wig Dazuftehet und nur
nod) bie trodenen Bröjel nad) Rurfadjen
guriidfehren, während unfer hochgräflicher
Ruden [preewáris wandert!”
„Faxen — jpöttilche Faxen — witzſchwan—
gere Torheiten,“ [halt Bröjelwig höchſt frie-
gerifch, aber dod) mit verdadtigen Sorgens
falten auf der Gtirn.
„Die Zeit ijt ein Miejel und das Wetter
jeBo recht anmutend,“ erwiderte der Frauen
fteiner Junter jeelenvergnügt. „Ergo, ich gehe
angeln, fintemalen bie Fiſch heuer nach meis
ner jadtundigen Opinion wirflid anbeifen
miújjen.”
Er ergriff bie Wngelrute, und als ber
andere höchſt undiplomatijd) tnurrte und
einige gepfefferte Injurien veribludte, nidte
er ibm woblwollend zu: „Aber wer wird
denn ob folden Scharmußierens die Gallen
in fid) freſſen, optime? Mar ja bod) nur
ein teiner essay, etwas Gcherz und Ko:
mödie. Übrigens fol ber Rurbranben:
burger Wlvensleben das Angeln ebenfalls
lieben und wollte heute auch mal gelegent:
lid) an den Schhloßteih ... Mu, nu, warum
gleich jo furios ob meiner bejcheidenen Ber
merfung? 3Beldje Laus frod) denn eben
von Loewenfeld: B32322222223
über Ew. Hochwohlgeboren Leber?” Nur:
ſachſens Abgejandter fonnte den diden &riegs:
fameraden, mit dem er ehedem am Lager:
fener als Cornet mannigmalen und eigent-
lid) immer mit Unglüd auf der Trommel
gewürfelt hatte. Zum Catan bieje joviale
Hinterlijt! Zum Gatan bieles ganze ver:
fludte tiimmerlime Bergneft mit feinen
hundsmijerablen Wegen — nicht einmal eine
anjtändige Ebene irgendwo! Und in folches
ſchmutzige Köhlerfpittel mußte man ihn,
Dagobert von Brójelwig, ausgejudt ihn
beordern, damit er beim Tode. jener alten
hodgrafliden Hexe feinen kurſächſiſchen Rom
dolenzkratzfuß machte!
„Das walt’ die Sucht!“ bonnerte er aufs
gebracht, fapte den früheren Waffengenojjen
hirgerbanb am Kragen und brüdte ibn in
einen Gejjel, daß es fnadte. „Das walt’
die Sut!” wiederholte er und wies Jas
tobfes Verfuche, wieder aufzuftehen, kraftvoll
ab. „Du bot ja in eurem hundsföttijchen
Metterloche ganz vermaledeite Mores acci:
pieret, Ölppen. Jebt reden wir aljo wie
dazumal in der Kampagne.”
„Ich weiche ber Gewalt,” trábte Jatóbte
ftrampelnd, „nur ber roben Gewalt! Und
Wein will ich haben!“
,Collt du — ſollſt du. Erft aber bie
Angelrute her; bie lege ich in bie Ede Bier.
Und nun zum Henter — vernünftig, endlich
einmal vernünftig!”
„In vino veritas, Tágben. Igt gefällt
bu mir aud) fdon etwas beier denn in
deiner ftödelnden ſächſiſchen Ráteweife: ‚Lieb:
fter, verehrtejter Herr Ramarade und Jun:
ter! Bin gánzlid) dejolat über ben Berluft,
jo euer venerables Haus Frauenftein nad
göttlicher Fügung betrübet‘, und das tángelt
und jcharwenzelt dabei in Samt und Geide
einher. O Pelt und faure Bohnen, was
haft du bid) verändert, [eit ich dich dazı
malen am $yajje bes rBeingánild)en Winzers
lallend liegen fah! Du haft niemalen wie:
ber fo bejeligte Grimajjen geld)nitten, ob:
ion dein einer Sporn nod) auf dem She:
mel fejtgehafet war unb die Lage darum
nit gang tommobde fein mochte.“
Bei Diejer Memoria Jaköbkes Hujchte
wohl ein leiles Mißfallen über bas rafierte
Diplomatengelicht, verwandelte fih aber als:
bald in fiegesgewilje, fordiale Freundlich:
teit: Nun finden wir [hon den rechten Ton
unb jteden bid) groben Riipel bod) nod) in
ben Cad! Diejer Riipel aber fpreizte jeine
diden Beinden voll Behagen von fid), blin-
zelte den gepflegten, modiſchen Kurjachjen
an und meinte: „Wenn id) fo iiberdenfe, wie
oft wir beide dazumal Läufe gehabt haben,
Dagden !”
EES Das alte Geſchlecht 605
„Nun ja, nun ja — in der Kampagne.“
Es Hopfte, und ein gedenhafter ſächſiſcher
$eibbiener brachte [djmebenben Ganges den
Mein, nicht ohne einen mitleidigen Seiten-
blid auf ben furgen, wohlbeleibten Bejucher
im Geffel zu werfen; der fing ihn auf und
nidte ibm belujtigt zu. „Auch wieder fo'n
Geiltänzer! Nein, wie bas alles bei eud)
bier fchwippeln und wippeln tann als ein
fichernd Meibsbild, mit bem gween Gardiften
farefjieren. Ift ja prächtig!“
Da ent[djmebte der Goldbeftidte Hurtigft
aus dem Zimmer, während Bröjelwiß einige
Gefunden die Stirn in frauje Falten 30g.
Uber dies ftórte [einen ehemaligen Kampfes»
bruder nicht im geringiten.
„Tres faciunt collegium. Der gute Rin:
Berliner fehlte uns eigentlich nod, übrigens
wirklich ein tüchtiger, probater Herr. Nicht
wahr?”
„Ich tenne ihn nicht. Er wird [hon feine
Meriten haben!” bemertte der f$urjadjje
nebenjählid. Dann jdentte er ein, klopfte
Syatóble famerab|djajtlid) bie Schulter und
ftieß mit ibm auf wilde, alte Tage und tolle
Erinnerungen an, da: man feine Fortiine
nod) auf der Klinge trug. Andächtig Ichlürfte
Slppen den Wein, und feine wafferhellen
Auglein [Hauten derweile bie Dede an. Er
war zum erjten Male wirklich [till geworden,
fill, ganz ftil. Endlich, und dazwilchen nod)
immer nadjjchmedend, fam es befinnlich aus
feinem Munde: „Hm! — Hm! Sic est!
Das wäre ja ein probates Weinden. —
Hm! — Hm! — Es bezeuget deinen feinen
Spiirjinn, Dägchen Bröjelwite, daß du bid)
nicht auf unjern hochgräflichen Curius von
Hauswein veríieBeit. Schön! Trefflich!”
„Sol id) dir vielleicht bei Gelegenheit ein
Heines Fäßchen ...? Alte Freundichaft
roftet nicht, mein lieber Ölppen.“
„Sp, nun ja! Bisweilen verflüchtiget fie
fid) zwar, aber rojten tut fie am Ende wohl
nicht. Doch nunc est bibendum. Mein armes,
bejdeidenes Finkennäpfchen fteht wieder
leer.“
„Verzeih!“
tigſt ein.
Jaköbke nickte ernſthaft. „Schick' mir dein
Fuder Wein nur ganz ruhig her, Dägchen!
Mein Gewiſſen trägt dieſe Belaſtung mit
Freuden, und id) hab’ einen äußerſt gefun:
Den Schlaf. Ja, dieje Männerfauft könnte
dreift ein Handjälbchen nehmen, ohne darob
überfettet zu werden. Wir find hier mager
daran, im Vertrauen — fogar recht mager!“
„Anſchauen tut man’s dir nicht gerade,”
jagte Broójelwib, „Doch ijt ja meines gnábig:
ften turfürftlichen Herrn Generofitát welt-
betannt.”
Und Bröjelwig gop eilfers
„Dann ftoßen wir auf ihn an — unbes
dingt, ftoBen wir auf feine Opuleng am;
denn nichts deucht mid) [Hóner als weiland
Philippi asinus aureus. Ein fürtrefflicher
mazedonifcher Herr mit feinem goldenen
Efel fürwahr! Ich bin ja aud) an fih folme
freigebige Perjon, mi fili, nur fehlen immer
die Dufaten, um es einmal zu verwirklichen.
— Ad), und unfer Frauenftein? Me miserum!
— Die wiirdige Frau Hochgräfin bois bes
jonders arg getrieben.“
„Sch glaub’s, mein Wertefter.”
„Darum Handfalben her, carissime, nur
tüdjtig Handjalben! Aber, pft! pit! pit! Sim
tiefjten Geheimnis bejchmierft du mánniglid)
die Pfoten, von Fredericus secundus dem
Hodgrafen an bis zu Peter Schwenninger,
feinem S9?eitfnedjte; dann folljt du ein Mi-
ratel jehen, Herzensihaß: Wir fterben alle
aus und legen uns nod im Berjdeiden
jelig lächelnd in eure furfiirftlid) Dresdner
Arme. Handjalben, ad), Handjalben —
Hoben wir ibt auf diefe Handjalben an!
Non olet, fprad) der große Imperator.“
Dabei verzog Jaköbke fein rundes Antlit
zu ſolchem verzüdten ſchwärmeriſchen Laden,
daß aud) fein Freund Dagobert von Brofel:
wis lächeln mußte. Er war zufrieden mit
dem Diden. ‚Der ungewohnte ungarijde
Mein fegt ihm zu,‘ dachte er, ‚und ich werde
ibn bald dort haben, wo id) möchte.‘ Co
wurde das Glas behende aufs neue gefüllt,
ohne daß ber geldjájtige Freiherr das fha:
denfrohe Grinjen feines Gegeniibers wahr:
nahm.
„Sieh, füßer Bujenfreund,” erklärte der
Junter darauf, „das ijt nun bod) ganz ab:
jonberlid)j. Bon deinem Weine Hier faufe
ich eimerweile, aber voll werde ich niemalen.
Dod unfer Curius erzeugt [don beim zwei-
ten Glaje foldes Zujammenziehen ber Gin:
geweide, daB man jchweißtriefend und in
ftillen Rrampfen beimwárts taumelt unb
Ichließlich nicht mehr weiß: Bin id) nun nod)
der Ölppen oder vielleicht Chirurgus Moos:
meier ober gar die Dumme Trine Hoffer?“
„Was du fagit! — Hm — trint nur aus!
Wher um zu unjerer Gade zu tommen ...”
„pu mirabel ift diefe Weinjeligfeit, Bro:
feltoibd)en. Ein Truthahn, jo begecht iit,
vergiljet fogar fein Bejchlecht und brütet die
Eier aus, auf die man ihn gejebet Dat."
„Fabulae — fabulae —!“
„Keine fabulae,“ erklärte Jatóble nad»
drüdlichlt. „Probier’s nur jelb[ten! Mad’
mid) trunten, "Belt und faure Bohnen —
mach’ mich trunken, Ramerade! Flugs jpringe
id) als folleriger Puter ins Neft, brüte bein
turjádjlildes Crbjdhaftset und unfer Frauen:
fteinifches Not» und Todei aus, als ob id)
606 - ESS==S====+ Julius Rupreht von Loewenfeld: REZAR
eine Diplomatenhenne wäre. Geuk bod) ein,
Sed)bruber! Mein Kehl’ dt troden, bie (Gelb:
jumma [teBet felfenfeft, und unjere ganze
Affäre ijt ja völlig tar. Die Zeit aber,
Freund, läuft wie ein Miejel — darum Ialjet
uns trinfen und brüten, bis niedlide, gül-
bene Dufaten an bie Eierjchalen poden!”
„Somit wäre das ganze Projeftum tat-
ſächlich ernjt ?"
Gs wäre nit nur — es ift einfad)
Wahrheit, Bröjelwig. Der Hochgraf will
in höchſteigener Perjona fid) in eure ſächſiſche
Maufefallen einjperren lajjen, fo nur euer
Cped reihlih und düftig ijt; anjonften
macht Brandenburg den Handel.“
Der &urjadjle verjuchte einen falt über:
legenen Ausdrud zu zeigen und meinte,
während er weltmännijch mit den Fingern
dazu trommelte: „Täuſcht euch dod nicht in
Srauenjtein! Pretium und objectum miiffen
nun einmal bet jeglidjem Handel im Gin:
flange ftehen, und arm taufen mag fih weder
Surjad)len noch Rurbrandenburg an diejen
mageren Bergen.“
Doc da tam er ſchlecht an; denn Jaköbke
ſchlug fic) nur geradezu ausgelajjen auf die
Schenfel, „Fictum superstitionis, Altweiber:
jared, Dagden! Trillerjt du fo, lojes Spaß:
vögelein? Und wenn ihr nun beide nicht
zu haben wäret, was dann? Dann heiratet
mein Hochgraf lachend die ſchöne Hohen:
fteinerin und hinterläßt nod) viele, viele Rine
der. Bittere Not zum Borgen liegt ja gar
nicht vor, nur bie ewigen Miolejtien und
Duerelen, jo bislang aber aud) ertragen
wurden.”
Als hierob ber Magister elegantiarum von
der Elbe betroffen ſchwieg, ließ der andere
feine grobe Lace erjdjallen. „Raft ich, bann
rojt id) — hahaha! Du Jelbft wirft alsdann
zum Gevatter eingeladen; denn für einen
Scherz ift mein Gebieter ftets zu haben. —
Ich fege unfer Dagden als fpaBigen Paten:
ohm Durch, der jJauer|üBen Wngelidtes bas
higige urſächſiſche Erbgelüften im Taufwaffer
erjäufet. Eine Staatsidee, Bröjelwis, meine
allerliebjte Heine Heidſchnucke! Saba, das
wäre ja ein Vierzigender von einem Wik!”
88 8 88
Die alte Schloßuhr hatte zwölf geichlagen.
Zweimal des Tages mußte fie diefe Sjodjit:
leiftung vollbringen; aber dann tlang es
ftets, als ſchnappte bie Armſte gwijden ben
. legten Schlägen immer und immer aufge:
geregter nah Luft, bis ber zwölfte beijere
Ton endli% heraus war. Noch geraume
Zeit feuchte und [chnurrte das erjchöpfte
Wert nad).
„Sie ift aud) [don moribund, wie Moos:
meier jagen würde,“ [prah Hochgraf Fried-
rid) unb fdaute burd) das offene FFenfter
hinaus. Bor feinen Augen lag, an den
breiten, im Mondjchein gligernden See ges
lehnt, der alte Schloßgarten, und über die
müde rau|djenben Wipfel ber riefigen Lins
den, über den jchimmernden Wajjerjpiegel
hinweg jaben die hohen Waldberge, der
peldbay dort und des Düwelsberges feljen-
durhfegter Hang drüben. Zwijlchen ihnen
miindete die Heine Munthe in einer ver:
träumten Bucht, gerad’ wo man die hohen
Pappeln aufragen jah. Käuzchen flagten
burd) bie Nacht, und Fledermauje hujdten
vorüber. Aus den Bäumen aber, bem Graje,
den Beeten jtieg eine weiche, würzige Luft,
bie der Einjame am Fenjter tief einatmete.
„Behüt’ bid) ber dreifaltige Gott, mein
altes Frauenſtein!“ flúfterte er leife, als er
das Fenſter wieder [blog und bie frühere
Zimmerwanderung aufnahm — auf und ab
— immer auf unb ab. Zwiſchen Geweiben,
ausgebälgten Auerhähnen unb etlichen Bas
ren: und Molfstópfen, die von der Wand
herunterfletjchten, hing im Gemad ein großes,
bräunliches Olbild, das Hodgraf Erich zeigte
an ber Bahre feines dem tüdijchen “Fieber
erlegenen Raijers Heinrich von Lüßelburg.
Eitel Armgewerfe und Mebgebeule war auf
dem Gemälde zu jehen, gleichjam als folte
die Desperation aus jedem Quadratzoll hers
aus|d)reien, Nur den hageren Hodgrafen
jelbft batte jener biedere Handwerfsmeijter
mit fúrjtlider Dignität bingeftellet, wie er
lid von dem geliebten Toten abwandte und
ben Beſchauer gramvoll anblidte. Seine
Augen [dienen freilich ein wenig groß ge»
raten. Bon den Rindertagen an, da die
jungen Hochgräflein nod) auf unficheren Bein
den durchs Schloß ſchwankten, prägte fih
ihnen dieje alte Schilderei tief ein.
Auf und ab fdritt der Regent, [Haute
im Zimmer bald bier:, bald dorthin, aber
die traurigen Augen feines Ahnherrn mied
er dabei geflijjentlich. Debt, ba er entjchloffen
war, unter bie tatenreiche Hiltorie des Frauen:
fteiner Haujes den Cdjlupitrid zu fesen,
hätte er Grid) den Trußigen lieber an einen
anderen Plat befördert; bod) er wußte, dak
jolche Aktion bie nädjjten Abende an jämt:
lihen Brunnen des Stadtleins, dazu aud
im ‚Hirfchen‘ und ‚Wolfen‘ geradezu phan-
tajtijd) fommentieret werden würde, So
verblieb’s.
Als ber Nachtwandler ben blatenden Doct
gepubt und bod) von ungefähr einen |chnel:
len, jchrägen Blid auf jenes ehrwürdige
Bild geworfen, blieb er ftehen, lehnte fic,
mit bem Rüden gegen den Whn, an bie
eidjene Tiichfante und fenfzte laut: „Ach
Bott!“ Er date nämlich an Jaköbke. —
SE SCH Das alte Geldjledjt sees 607
Nach jenem Gejprád) auf bem Feldhay hatte
er thn mit barjden Worten aufgefordert,
aus Brojelwik herauszuprefjen, was irgend
möglich jet; er würde niemalen ehelichen.
Wem Hätte er auch jonjt in diejem guten,
verftaubten Gpiebbiirgerwinfel den Auftrag
zum Negotiieren geben follen? Und Jatóbte
zeigte jofort ein $yibug zu feiner eigenen
Strategie, die alle Bedenfen ob des Succejfes
befhwichtigen mußte — nur war der SucceB
jelber bisher ausgeblieben. — Derweile ver:
zehrte fid) der Hochgraf in Ungeduld, aber
Slppen [bien es taum zu begreifen.
„Alles im Lot! Es fann it gar nicht
fehlen, fintemalen der Karpfen [hon am
Ungelhafen zappelt,“ rapportierte ber dide
Junter bont zufrieden.
„sn Dreiteufelsnamen, fo zieh er ihn
dod ans Land!” jdjoll bie erregte Antwort.
„Das wäre nicht förderlich, gejtrenger
Herr. Gut Ding will Meile haben, und
bas Rok, der Bröfelwig muß jehen, daß wir
unjer Negotium nicht zu übereilen brauchen.
Cin Fürft, fo volle Geldtruhen bat, fol fie
gwar auch nicht offen laffen; aber find fel-
bige leer, Dann muß er ganz getviBlid) ben
Schlüſſel gweimalen herumdrehen ; fonft nitet
ber Gegner ja feine Dejolation aus.“
„Satansbraten!” fnurrte der Hochgraf,
ließ Jatóble ftehen und warf ärgerlich bie
Türe ins Schloß, faft befriedigt, für jolde
Atten feinen inneren Genjus zu bejigen.
Als Bröfelwis fid an ihn Deranjd)lángeln
wollte, hatte er ihn biindigft an Ölppen ver:
wiejen. Aber ungeduldig, jehr ungeduldig
war er, unb dies Doppelt, weil ihn täglich
zwei große blaue Augen frugen, zwei Augen,
deren ftummes Bitten faum nod) zu ertras
gen war.
„Abwarten und jchweigen. Verjtanden,
Eije?”
„Sa, lieber Ohm,” erwiderte fie gang bes
[djeiben. Die Stimme zitterte nur ein wenig
Dabei. Da ftrid) er ihr freundlich über ihre
herrlichen blonden Haare (er ftaunte jelber,
wie gern er doch joldjes tat) und ließ [ie
bann ebenjo ftehen wie den Junter, bloß
mit dem Unterjchiede, daß jelbtger fih leicht
zu tröften wußte und fie ihrem Obcim unter
Ichmerzlihem Seufzen nadblidte.
Die Elfe, ja, die Elfe! Je mehr er [ie
anjdaute, je mehr fiels ibm auf, wie hübſch
unb lieblid) ihr rofiges Gelichtchen, wie traf:
tig und bod) ebenmäßig ihre Geftalt gewor:
den. Geine hocdhlelige Frau Viutter hätte
fih bei all ihrer jpigen Schärfe bod) bag
daran ergóbt, einer jolchen Schnur den erften
Willfomm zu bieten. Bot Schwefel und
Kunte, Derausgemadjt hatte fih das Mad:
hen! Würde wahrlich feine üble Figura
als Landesmutter geboten haben! Würde...
Etwas wehmütig lächelte der Hodhgraf. Cie
liebte ja [Hon den Konrad Baalen, und
dejjen Jahre hielten aud) ohngefähr mit
ihren achtzehn Lengen Schritt — vier Jábts
Iein pro maximo fonnte er voraus fein.
Und man felbft blieb nun nichts als ber
„alte“ Ohm, fo zwei junge Menſchlein glüd-
lid) madt und zugleich) bie Frauenfteiner
Hungerleiderei zum Teufel jagt.
Freiheit, endlich Freiheit! Ohn' Sorg’
bem Hirjdhen nadfpiiren, ohn? Herzens-
bejdjwer auf fróblimer Hak — Geld unter
ein Darbendes Vúltlein ftreuen und dabei
lachen, lahen, von Grund auf laden können
— nad langen grauen Jahren, in denen
man (fid) immerdar friimmete und dennod)
nicht zu liegen tam. Freiheit! Beide Arme
jtrectte der Hochgraf in die Luft, als wollte
er die liebe Freiheit umbaljen, und [Haute
dann zärtlich feine Jagdtropháen an, Die er
fid) alle felber ertámpft hatte. Den Zweis
und3wanzigender da auf dem Feldhay und
jenen Meijter Peg — hojoh, war das ein
Tanz gewejen, drüben zwiſchen Düwelsberg
und Rreughorjt! Gein linfes Bein trug nod)
jebt die Narbe, und wäre nicht der wadere
Petermann bagugelpringen, Weidwerf und
Leben hätten damals (hr Ende gefunden.
Das fede Jagen, nun fols wieder angehen,
horridoh ... Wenn doch nicht immer fo ber
alte Ahn in feiner wehen Melancholei ber:
überäugen wollte!
Grnüdjtert |d)nuppte der Frauenfteiner
Landesvater nochmals den Docht der qual:
menden Öllampe, um fid) nebenan ins Schlaf:
zimmer zu begeben, als plóflid) ganz vehe-
menter an die Tür gepocht wurde und ftrads,
ehe er fid) nod) des unerwarteten Überfalls
richtig bejonnen, ber Edele zu Übigow mit
dem Schrei: „Verrat, Verrat, Euer Fürft:
liche Gnaden!” ins Zimmer ftiirzte.
„Was ijt? Fak Er fic bod)!" rief ber
Hochgraf gebieterijd). Der Geheime Rat
tam joldjer Order nur langjam nad, ballte
vielmehr erft feine welfen Hände zweimal
zu drohenden Fäuften und blidte fih voll
impojantejter Verachtung nad) einem mar»
Herten einde um, Endlich trat er aber
unter zween tiefen Kraßfüßen, wie [td)'s ge:
biibrte, an feinen Herrn heran, ber ihn Topf:
Ichüttelnd mit ben fnurrigen Worten emp:
fing: „Sch will zu Bett, Übigow. Was tras
gieret Er mir denn in folder Stunde hier
vor ?“
„Staatsaffären leiden feinen Aufjchub,
gejtrenger Herr, aud) nicht um Mitternacht,“
begann das Männlein aufgeregt geftifulte-
rend. ,Rabalen find hier am Werte, greu-
liche Kabalen. Ich erhebe meine treue Stimme
608 Julius Ruprecht
unb warne Euer Gnaden. Ter fächfilche
Gelanbte — Gott ftrafe ihn und fein flagi-
tium! — fpinnet bie terribelften Ranfe; er
bat mid) heute abend zum Eſſen invitieret,
er bat mich ſchmählich bejteden wollen —
mid — mid!”
„Und?“
„Aus ars diplomatica ging id darauf
cin, aber fam damit gänzlich in confusiones
bes Bewiljens. Diejer Dagobert von Bröfel:
wig, haha! Die Heirat Euer Gnaden will
jeine Smpertineng bintertreiben, fogar mei:
nen Einfluß auf Euer Graben [oll id) mif:
brauchen, damit...“ Der Rat jappte nad)
Luft und ballte wieder bie Fäufte.
„Hör Er nun damit auf,“ befahl der
Hodgraf im Donnerton, „und respondiere
Er jego einjad) mit Prägnanz auf meine
gragen, Ubidhow!” Die Handbewegung, bie
diefe Worte begleitete, war |o Derrijd), bas
Auge fo bli&enb, daß fid) ber flapperbürre
Ulte in Erwartung einer großen, fürftlichen
Handlung erjchüttert verneigte und beinahe
wie ein Schulbub wartete, was fih er:
eignen würde, „Alfo felbiger Bröſelwitz
gedachte meinen Getreuen, den Geheimen
Rat und Edlen zu fibigow, durch Geld zu
laufen ?^
„Sp ift es — ich Idüumete im ftillen.”
„Wie groß folte die Handjalben fein?”
„Zwanzig blante Goldgulden.“
„gwanzig Gülden!” brüllte ber erzürnte
$jodjgraf wie ein verwundeter Leu, „nur
zwanzig lumpige Bülden? Das wagt biejer
Sujon bod) aud) nur einem harmlojen Frauen:
fteiner zu bieten! Hundert, zweihundert
hätte dein beleidigter Stolz fordern müjjen,
bu ſchwächlicher Leifetreter.”
„Um Gott! Euer Fürftliche Gnaden fers
zen aber jet wirflid) crudeliter mit einem
in Treuen ergrauten Diener.“
In größtem Entjegen ftarrte der greife
Beamte den Landesherrn an und bob wie
beihwörend feine diirren, alten Hände; da
verraudte der Ingrimm.
„Nehm’ Er alfo ruhig das Geld, mein
waderer, lieber Übichow,“ fuhr ber Hochgraf
milde fort. „SHereingefallen ift babet Dod)
nur biejer fade Kurjacdhje, nicht ich. — Aber
nun bóret! Er muß dem Bröjelwigio nod)
etwas fo von ungefähr ins Ohr raunen.
Zum Dant, darf er ibm jagen, zum Dant
für feine tingende Erfenntlichleit wolle man
ibm etwas verraten.“
„Ars diplomatica?“
„Nur ars diplomatica, gewiß! Wlfo, Gr
fagt ibm folgendes: Man wiffe ja von ge:
nannten Affären nidts ganz Gewiſſes, ba
nun einmal unjer Ölppen, bieles dide Schwein,
mit Verlaub ...”
von Loewenfeld: III IE Ic ZZ Ic Ze
„Schwein? — Schwein? — Das verftieße
aber bod) gegen bas Dekorum?“
Der Regierende fchmunzelte behäbig. „Ein
bischen faftig ift bie Bofabel [bon — na
ja — aber id finde, es Klingt jo herzhaft,
jo glaubwürdig und aud) [o waſchecht. Dar:
um nehme Er [ie nur ganz ruhig! Alſo ber
Slppen, bieles dide Schwein, fage-Er dem
Bröjelwig, bejäße nämlich einen dermaßen
incrediblen, unbeilvollen Einfluß auf den
Hochgrafen, daß es eigentlich, im Vertrauen,
eine infamia zu nennen wäre.“
„Aber — aber — aber, liebfter Herre!“
„St bod) nur ars diplomatica, Abigow.
Er wird bod) niht auf ben Kopf gefallen
fein!“
„Berftehe, Euer Gnaden, verftehe in jeder
Weiſe,“ verbeſſerte fih begeiftert ber alte
Rat und Jebte eine möglichft teuflifche Viene
auf. |
„Aljo — man wiffe ja nicht — immerhin
— es fidere eben bod) allerlei Durd und es
Ihiene, ganz im Bertrauen gejagt, als ob
von Stunde zu Stunde bas Liebäugeln mit
dem verjchmigten Rurbrandenburger, dem
Herrn von Alvensleben, im Wachſen begriffen
jet. Vielleicht mag fic) dort irgendein ge:
beimer Patt...” |
„Geheimer Patt?” wiederholte fibigow
ganz Auge und Shr.
matt an|pinnen. Die Geldbörje fist
jenem Alvensleben eben [oder — na ja —
et caetera — hm bm.”
„Hm bm. — Und?“
„Das ijt alles, Übigow.“
wud fo!” fam es etwas fleinlaut von den
diirren Lippen, als hätte der Edle nod) eine
Auflöfung des gefdeiten Nätjels erwartet.
Dod) diefe blieb aus.
„Bin id) aud) richtig verftanden worden?”
„Aber völlig, geftrenger Herr.”
Da ward der alte Rat mit wohlwollen»
ber Güte und mit der Bemerkung, es [ei
nun Schlafenszeit, in Gnaden entlaffen. Er
ftand, das fpige Kinn ftiigend und voller
Nachdenklichkeit, nod) einige Minuten lang
auf der finftern Cdjfoptreppe. — 9, diefer
erlaudjte Herr! Immer hatte er bisher ben
derben, arglojen Weidmann herausgefehrt
unb nun...? Ganz augen|deinlid) wollte
er bod) den Schelm, den Brojelwik, aufs er»
ſchröcklichſte prelen, unb Bröfelwig in feiner
Torheit glaubte dabei nod, das einfältige
yrauenftein am Bändel zu haben.
„Nein, köſtlich — köſtlich!“ jubilierte das
Mánnden; dann legte es fic) aber felber
bedeutungsvoll die Hand auf den Mund.
‚Schweigen, Übigow! Jenes hohe Vertrauen
deines Herrn bewähren, Übigow!' Das Ver»
gnügen, genießerijch in diejer blinden Fin:
(ugo0g xv Bumwmmvs unas)
UUDUAIQILZ xpi “Jorg, uoa sqyyudg) 'u3jivDuola1G us
IHE LIBRARY
OF THE
URIVERSITY LF ILLINOIS
LESESSECSSESECESEAN Das alte
[ternis bie Hände aneinanderzureiben, gónnte
er fid) allerdings unb ſchritt dann fürfichtig
taftend die etwas glatten, ausgetretenen
Stufen ber Schloßtreppe hinab.
8 8
Zwei Tage darauf meldete Jaköbke mit
der ſelbſtverſtändlichſten Miene von der Welt
ſeinem Hochgrafen, Kurſachſen habe in allen
punctis den Handel, jo man ihm offerieret,
angenommen und in jämtliche conditiones
gemilliget. Es lieh bie ganze verlangte
Summe gegen Berjchreibung der drei Do:
mänen für den Todesfall bes Grafen Fried:
rid. Sollte der hohe Herr aber wider Er:
warten heiraten, war das Geld allerdings
jofort in bar und nod) um ein Dritteil ver:
mebret ¿uriidzuzablen.
„Euer Fürftlicde Gnaden werden mit mir
zufrieden fein!” fügte Ölppen fiegesgewiß
hingu.
„Certissime, Jatóbte, alles ift fürtrefflich
geraten," erwiderte der Regent. „Bejonders
Übigow Bat fih auch große Meriten erwor:
ben. Ift bod) ein abgefeimter Schlauberger,
diejer alte Tibigow!”
Da machte der dide Junter ein jo ver:
dubtes Schafsgejicht, daß fein Brotherr jid)
ladjenb zur Ceite bog.
8 8 88
Ladte denn nicht bie ganze Welt in dulci
jubilo? Das war ja ein Schweben und
Weben um fie herum, hundertfaltig, taujend:
fáltig — ber Holderbujch bliihte, und in den
Bäumen jummte es, brummte es unaufbör:
lid, als wenn die ganze Natura vom Leben
trunfen worden fei. Drunten am Schilfe
ftanden Gladiolen und Iris, bie einen gelb,
andere tiefblau — davor aber vergoldete die
Dotterblume den breiten Grasftreifen, daß
man immer in die Hände flatjdjen mochte,
jo luftig bunt war alles anzujchauen.
„Nein, nein, es gejchieht dir nichts!“
jagte Elfe zu dem fleinen, graubraunen
Riiffelfafer, der an ihrem bloßen Unterarm
aufgeregt bin und her eiferte. „Du bift nur
auf eine faljde Straßen geraten, weißt du.“
Damit blies fie ihn lachend ab, faltete die
Hände im Maden und jchwippte gar über:
mütig mit ihren Füßen nad) einer Tanz:
melodei, die ihr eingefallen war:
Und id hab” einen Shag
Und id) geb’ ibn nicht ber,
Meil die ganze große Welt
Mir zu enge dann wär”.
Wollt’ nicht effen dDanad),
Wollt nicht trinten alsdann,
Weil mein Leb'n und mein Lieb'n
Sch nicht trennen mehr lann.
Dod ih bab’ meinen Shag,
Der fid) treu zu mir Halt,
Und nun laht mir und fpringt
Rings Die weite, weite Welt. —
Belbagen A Klafings Monatshefte. 35. Jahrg. 19201921. 2. Bb.
Geſchlecht 609
„Ach, und der gute, gute, gute Ohm!“
ſagte das Mädchen plóblid) und brad) ab,
weil ihr juft der Hochgraf in den Ginn fam.
Gab’s denn einen Bejjern auf Erden als
ihn, ber dem traurigen Badjtelgdhen einfach
den Käfig aufgeriegelt hatte: ‚Flieg’ davon
— für bein Nejtlein ift gejorgt — nun folft
du luftig fein, nun follft bu aufleben!‘ —
„Und jo will id) aud, ja fo will id) and!”
Damit trállerte und fummte fie unaufhörlich
in die blühende Welt hinaus, bis ihr wieder
ein fröhliches Hohenfteiner Bolfslied ganz
von felbft auf die Lippen fprang:
Gudt niht bas Smmeletn
Tief in die Blüt’ hinein,
Holt fid) den Honig ein?
Sobiahboh!
Ach ift bte Welt bod) ſchön,
Wd iit bas Leben jain!
Muß mih im Tange drebn,
Sobiahoh!
Silbern die Welle blinkt,
Filchlein im Majjer ipringt,
Und die Frau Amſel fingt.
SJobiabob.
Wh unb ber Sonnenichein
Ladht mir ins Herz hinein;
Luftig fein — fröhlich fein!
Jobiabob ?
Eigentlich ging das Lied ja noch weiter,
aber fie wußte die folgenden Strophen nicht
mehr auswendig; jo mußte fie denn wieder
jummen, bis bas Jobiabob fam — und end:
lich tlang aud) ihr Gejumme aus, weil fih
ibm die Gedanken in ben Meg ftellten.
Cie Hatte bie (Epiftul gelejen, die Ohm
Frig mit viel &opfaerbredjen gefdrieben,
ſolche freundliche, jolche gütige Epiftul, die
den miirrijden Herrn Pater beinahe ftreis
helte. Eine Summa [tanb darin für Konrad
und fie ausgelebt, ſchwindelhoch nad) Hohen:
ſteinſchen Magen, dazu aud) nod, fo lieb im
Schlußſätzelein verjtedt, ein rejpeftables
Schmerzensgeld für den Herrn Bater, damit
er feine erte Enttäujchung leichter über-
wände. Sa ja, der Ohm! — — „Die
Mannsleute find allejamt falid,” batte
die Sufe, ihre Rinderfrau, immer verdreuß-
lid) gebrummt, unb wenn eines ber Hohen:
jteinjden Küfen dawider anpiepjen wollte,
wurde das verbijjene, budlige Weiblein
ganz gallegiftig.
„Aber fie find’s bod) nicht, alte Gufe!
Der Herr Vater nimmt nur das Leben zu
jhwer, und mein Konrad ift ein gar herz:
lieber Burjche, und ber Frauenfteiner Ohm
WE für den tät’ ich durchs Feuer laufen,
alte, dumme Guje!“
Dod ja! Eins wollte fie ihrem Konrad
ans Herz legen, und der machte aud) ge:
wißlich feine Einwände. alt traurig und
40
610 ESS==S+ Julius Rupreht von Loewenfeld: sees —
webmiitig [Haute der Ohm barein, fobalb
in ben legten zwei Tagen die Rede auf ihren
Abſchied tam. Er ijt ja fo allein! Lauter
trodene, betagte Hußelmännlein im geheimen
Conjilio, dann der hochwürdige alte Herr
Scloßprediger, fo bas Hohenfteiner Mädchen
nur immer wortlos mit feinen Augen auf:
gelpießt hatte. Dem jchrödlich gelehrten
Hofdirurgus Moosmeier mußte man’s ins
Obr jchreien, wenn er etwas verftehen jollte.
Cab man etwa von Junter Jakob ab, bei
Dellen Namen Elfe ihr Näschen etwas vers
ddjtlid) fraus 30g, fo fehlte dem Ohm im
Golofje ein junges Herz — dazu ein jun:
ger Arm, der tapfer mit in die Arbeit griff.
Konrad mußte ber, daß der Gute nicht fo
einjam war! Dann wollten fie beide mit
fleißigen Händen ein wenig von ihrer
Dankesſchuld abtragen. Mis fie ibm er:
rötend jolden Vorſchlag machte, Hatte der
Oheim geládjeft. „Du but ein gutes Kind,
GEljelein“ und war wieder viel frober ge:
worden.
„run lebt wohl, Berg und Gee und Tal!“
. rief das Mädchen von ihrer Gteinbant und
warf eine Rubhand hinüber. Sie wollte fih
jego zur Abreiſe fertig machen, bie nod)
heute vonjtatten gehen [ollte. „Auf Wieder:
jeben!” Damit ftieg fie trillernb den moofi-
gen Meg hinauf, ber an einem ganz ver:
\chilften, verfallenen Springbrunnen vorüber
zur Terrajje führte, und der Jäger Mori
Petermann, ihr |dmuder, Hummer Ver:
ebrer, fprang dienftbeflifien herbei, um die
¡were Schloßtüre zu öffnen.
Der Hodbgraf ftand inbejjen am Fenfter
des Cpeilelaals und erteilte feine Inftruc:
tiones: , Aljo Schwenninger fährt bie Falben
und nicht der Pörzke, diejer Tródelmeier. —
Daß ferner die dide Lina und die Trine
beim Einpaden helfen und fih etwas be:
hender tummeln, anjonjt id) ihnen nod) in
bódjteigener Perjon gejchwindere motiones
beibringen werde! (Er, mein guter alter
Kerle, und fein nichtsnußiger filius, ihr beide
traget bie Bagagen zum Wagen und ver:
jtauct fie ganz fürfichtiglich, Damit fein Sigill
an irgendeiner Rifte aud) nur ben fleinjten
Sprung erhält. Pro tertio! Debt jofort
fertigt Rat Gterlatius ben Paß der gna:
digen Gräfin aus, und fol an feinem poms
pöjen Wort darin fehlen. Habt ihr alles
veritanden ?^
Pförtner Klops, das verftándige body:
gräfliche Grbfaftotum, verneigete fid) etwas
edig; aber fein Aurelius, deffen Wusbiindig:
feit an gewählter Feinheit das Elternpaar
Klops augenſcheinlich [Mon bei der Jtamen:
gebung vorausgeahnt hatte, verbeugte jid)
iogar bond und mebrmalen.
„Petermann esfortiert beritten bie gelbe
Rutiben! Er, Aule, hodet neben dem
Schwenninger und madjt mir da oben ge
fálligit teine albernen Filimatenten! Alle
Mannsbilder find gut bewaffnet. Frauen-
zimmer hat das gnábige Fraulein allein. —
Mer mir aber von euch Schwefelbande nicht
wie aus dem (Ei gepellet bie Fahrt antritt,
dem gerbe id) danad) mit meiner Reitgerten
jeinen von beiliger Providenz hierzu bes
ftimmten Körperteil. Verſtanden?“
Ja, fie batten es verftanden. Und ber
Hodgraf ftand am Fenjter allein. Er [ab
Elſe gerade die Terrajje herauftommen und
ertappte fih plöglich dabei, wie er bem
Madden beinahe verliebt nad)gndte. Pog ©
Kuud Donnerjau — da fie einpajfieret war,
hatte er jid) fajt als ihr Bater gefühlet, und
jego trieb er ſolche amorojen Pollen — ja
phantajierte fogar nächtens im Traume den
allerdümmijten Schnickſchnack? Cave dia-
bolum! Du Haft ihr wohl zu tief in bie
blauen Rinderaugen geblidt? Lächelnd und
bod) jeufgenb wandte fih ber Regierende
ab. — Na, cave diabolum!
Aber ber arge Diabolus monftrierte bod)
nod) feinen Pferdefuß, und das gejchah beim
Abjchied, während Elfe mit bem Ohm allein
im Zimmer war. Des Mägdleins Augen
glänzten feucht vor innerer Rúbrung, und
um den Mund zudte es. Ihr fiel in biejer
Stunde wieder ein, mit weld) wehem Herzen,
welch heimlichem Grauen fie jüngft Frauen:
Hem entgegengezogen war, und wie uners
wartet gütig dann an ihr gehandelt wurde.
Aus tiefiter Seele danten wollte bas Mad:
den und brachte bod) feinen Gab heraus.
„Ab Ohm!” jagte fie nur jchludend und
flog ihm an den Hals. Da er unverjehens
ihre frijchen, roten Lippen fühlte, Die wo:
gende, junge Bruft, ein paar goldene Här:
lein, bie ihm aufreizend ins Gefidyt fpielten,
tip er das blühende, holde Geſchöpf plöglich
in wildem Taumel an fid) und füßte Lippen
und Hals mit brennenbem Durft, daß fie
wie betäubt in feinen Armen hing. End»
lich ließ er fie Ios. Ihr war das Blut
fiedend heiß in bie Schläfen geftiegen; mit
großen, leidvollen Augen ftarrte bie (Er:
Ihrodene ihn ſchier faffungslos an und
flüfterte Dann nur, rajd) die Türe öffnend:
„Aber Herr Ohm!“ Und dann nod) einmal:
„Aber Herr Ohm!” Sprechen fonnte fie nicht
mit ibm. Beide waren ja aud) nicht mehr
allein. Halb wie im Traume ging fie die
Stufen hinab. Um Gottes willen, was wollte
er? Mas bedeutete bas? Mit einem Male
jab fies, fühlte fies, wußte fies, daß ihr
bieles liebe, alte Haus fortan für immer
verichlojjen war.
Kee esc) Das alte Gejhledt ISeesesesessssssd 611
,"ergeibt mir dod, Nichte Elfe!” Seine
Flüfterworte Hangen nur aus weiter, neb-
liger Ferne herüber. Cie aber ging wie im
Schwindel an dem neugierigen SHofgefinde
vorüber, das fih als Staffage bes feier-
lihen Abjchiedes auf der Treppe aufgebaut
hatte, viele Alte mit trummen Rüden dars
unter. Pörzke wijchte jid) noch gerad’ im
legten Augenblide einen Tropfen von der
Naje, ängitlich, dab bie Herrichaft es gewahrt
haben fónnte. Weder ber Hochgraf nod)
Elfe achteten darauf. Aule Klops wollte
mit breitipuriger Grandezza die Türe auf:
reißen, an der [Hon Petermann Honn, (Er
trat bielem auf bie Zehen und wurde von
ibm fajt im Schwunge vorwärtsgeftoßen,
daß er wie ein fliegender Borbote am
Wagenſchlag anlangte; aber Elje jah es
gar nicht. — ‚Der Ohm, der Ohm!‘ mußte
fie immer denfen und jdjlieBlid): ‚Der arme
Ohm!
Es war bas Triumvirat, bas bie Situa:
tion rettete, bie drei Geheimen Räte Ster:
latius, BeBmann und der Edele zu Übigom,
Der hagere, überlebensgroße Sterlatius ftand
ftilvoll mit einem Blumenftrauße in Der
Mitten, jeitwärts als Anhängjel die beiden
ausgetrodneten, Heinen Kollegen, und bie
Rettung vollzog fih ganz fimpel, indem
Gterlatius unbeirrt eine jehr lange Rede
hielt. Bei jedem 9Ibja& räujperte er fic
vernehmlid und ftad) dann aufs neue mit
jeinem Dogierenden Zeigefinger auf die Shei-
dende los, während Behmann jowie Ubigow
ihm zwar ohne Morte, aber mit defto be:
redterem Geftus und Mienenjpiel attompag-
nierten, wobei der Edle immer eine Bewe-
gung machte, als riffe er fid) fein armes,
zappelndes Herz aus bem Bujen und würfe
es huldigend dem Schönften aller Fräulein
vor die Füße. Diindeftens ein Dugend Her:
zen hatte er freigebig [Mon jo babingeopfert,
da gewann Elfe von Hohenitein endlich ihre
Faſſung zurüd. Gie lächelte fogar wieder
ein wenig und gab den drei alten Geheimen
eine tráftige, tapfere Abjchiedshand; nur
Jatóbte wurde zu feinem Letdwejen mit
ganz flüchtigem Kopfniden abgejpeift, —-
Schließlich fam aud) nod) Ehrn Piftorius
heran.
„Behaltet mid) in gutem Andenken, Hoch»
würden!” jagte das Fräulein etwas ge:
¿wungen, als die traurigen Augen des Geijt-
lichen fie trafen.
„And unfer armes $yrauenjtein ?" fragte
feine ruhige Stimme leije. (Cie hörte es
und errótete, ber Hochgraf hörte es auch
und big fih auf bie Unterlippe. Auf feinen
Wink wollte Peter Schwenninger [Hon bie
Roffe antreiben, als die Hohenfteinerin fih
nobmals aus dem Wagenjdlage heraus:
beugte und durch eine zaghafte, unfidere
Handbewegung ihren Ohm näher heranbat.
Diejer trat eilig vor in der Hoffnung, nod
ein verzeihendes Wörtlein für feine finnloje
Torheit vorhin zu empfangen, derhalben er
(id am liebjten mit Fäuften ins Geficdt ge:
hauen hätte. Ein furges Weilchen ftodte
Elfes Stimme — dann flüfterte fie ibm [tant
melnd und bebenb ins Ohr: „Ihr tut mir
ja jo leid, herzliebjter Herr Ohm, aber der
Konrad — niht wahr — wir beide, meine
id, Tonnen nun niemals, niemals mehr nad)
Srauenftein tommen.”
Darauf zogen die Falben an, Moritz
Petermann ritt vorweg, und unter ben web:
mütigen Klängen etlicher Jagdhórner fuhr
die junge Gräfin von Hobenjtein zum Schloß:
tor hinaus. Hofdirurgus Moosmeier aber,
Dellen Zerjtreutheit heute wie met zu jpät
heranfeuchte, mate draußen auf dem Anger
vor bem gelben Retjewagen feine aller:
devotefte Reverenz, bie niemand außer dem
höflich wiedergrüßenden Aurelius Klops auf
dem Bode zu würdigen verftand. Es währte
nicht lange, fo Hatte das Gefährt aud die
entjeglichen SHolpergäßlein des Bergftábt:
dens Hinter jid) gelafjen. An zijchenden
Gánjen und wie bejejjen Häffenden Rótern
war es vorübergegangen. Nun rudelte man
auf ber ausgefahrenen Handelsftraße zur
Paßhöhe hinauf, und das Grafenfinb Jandte
bem Feldhay nod) einen tränenvollen Blick zu.
Bor bem Schloſſe aber hatte fid) bie Ge:
jeljchaft bald getrennt; zulegt ftanden nur
noch der auf die Torfahrt ftarrende Hoch:
graf und Ehren Piftorius beijammen. Alls
aud) der Beijtliche fid) mit Höflicher Werbeu:
gung entfernen wollte, wachte der Landes:
herr aus feinem finftern Brüten auf und
blidte den Scloßpfarrer feindjelig an.
„Wahrlich, Euer Reijefegen für meine Hohen:
jteiner Nichte war ja der reinjte 3uderfudjen,
Ebrwiirdiger! Wehe, wer einmal eines
Pfatfen Gunft verjcherzt bat! Er fann das
Mirafel gewabren, wie |djnell fic) bas Lámm-
lein zum Wolfe verwandelt.“ Der alte Herr
jab bem Ergrimmten nur ftumm ins Belicht,
blieb aber in der Erwartung ftehen, dies
würde nicht das lebte Wort fein. Er wollte
nicht unj|djdlid) abbreden. „Kann denn
etwa bie Elje dafür, daß fie Konrad von
Baalen liebte und nicht mid? Nun, da ich
ihr Glüd jae, werfet Ihr als böjer Feind
Euer Unfraut zwijchen den Weizen. — War
dazumalen ein irrjinniger, entlaufener Mönd)
drüben im Sädhlilchen, fo auf den Friedhöfen
immer den Abgeſchiedenen geprediget hat.
Refommandiere ihm dies exemplum, $Bijto-
rius, zu geneigter Erwägung, Ddieweil ja
40 *
619 Julius Rupreht von Loewenjeld: seiss AA]
aud) Ihm die Toten mehr denn die Leben:
digen gelten.“
Noch immer ſchwieg in ebrerbietigiter Hal:
tung der Hofprediger und richtete feine fra:
genden Augen auf den Hodgrafen. Diejer
redte jid) in feiner ganzen Bröße auf. „Ich
jage Ihm aber, daß ich regiere, nur ich, Ehrn
Piftorius, und id) zum dritten Viale. Mir
haben in Frauenftein feine Zwilchenjpreche:
reien nötig. Wer jid) meine Gunft fonjer-
vieren will, der halte fih dana!“
„Sp Euer Fiirftlihe Gnaden Das eigene
Gewijfen die Abjolution erteilt, wer bin id),
daß ich mich dann noch unterfinge, Euch zu
richten ober zu widerſprechen?“ erjdoll jest
des Pfarrers fefte Antwort. „Aber mid)
hat mein Heiland als Diener am Worte an
Ehrlichkeit verpflichtet, hoher Herr, und id)
fann nod) nicht an biejen Freiſpruch Eures
Bewiljens glauben.“
„Dann laßt es in Dreiteufels Namen
bleiben!“ beendete der Hochgraf das Ge-
ſpräch, ohne feinen Schloßprediger weiter zu
grüßen oder auch nur anzujchauen.
BS 88
„Du mußt dich aber etwas mehr wajben,
Jórge, bas ift ja für die &a&'!^ fagte bie
Ehefrau Marie Klops zu ihrem Gatten, der
(id) mit einem ſymboliſch flüchtigen Ein:
tauchen der Fingerjpigen und Benegen von
Stirn, Nafe und Wange an dem großen
Bottid) vorbeidrüden wollte,
„Wart es bod) ab, dummes Weibsbild
— dies war ja nur der Anfang, und übrigens
iit [fon am nächſten Samstag mein großer
Badetag!” fam grungend Klopjens Erwide-
rung. Wher bie aufmertijame Wächterin fei-
ner Morgenwájde war wenig von ihr be:
friedigt. „Dt noch drei Tage bin, mein
Jórge. Dort am Halje — ba — nein, da
— bier — du but ja nod) ganz braun dort!
Mart”, id) will dir mal ein bihen helfen!“
Ihre tráftigen Hände, die bis dahin in
die breiten Hüften geftemmt waren, nahmen
ihm jeBt entjchlojjen ben groben Lappen aus
den Fingern, und dann begann ein Schrub-
ben und Rubbeln am Halje, Raden, Rüden,
bis jeine Haut trebsrot geworden war, wäh-
rend er des Gleichgewichts wegen fnurrig
nad) ben Sjenfeln des Bottichs griff und fih
darauf ftügte. „Satis — satis — genug,
heißt bas auf deutih! Genug!” protejtierte
er. „Wie hat auch nur unjer lieber Herrgott
dazumal euh Weibjen erjchaffen können,
davon aller Jammer auf Erden herrühret?“
„sch bin an Undanf gewöhnt, lieber Jórge.
— Go, jebt gebt's aber dabinten!”
Der Piórtner Klops griff mit rafender
Schnelligkeit nad) bem Handtuch und fchlupfte
dann falt ebenjo behende in fein Hemd, da-
— a K — — — = ——
mit Mariechen nicht etwa gar auf den teuf-
liihen Plan verfiel, aud) nod die Vorder:
leite des Oberförpers vorzunehmen. (Grit
als diefe bringenb[té Gefahr befeitigt war,
ließ er fid) zu dem übrigen Anziehen wieder
gemächlich Zeit.
„Bib mir die Jade vom Gchemel ber,
Kind! — So. Sd) bin heiß geworden. Mein
ganzer Rüden brennet.“
„Laß ibn brennen, Jorge, und iB jest
Deine Morgenjuppe! VergiB auch nicht das
Gebet vorher!“
„Belt und faure Bohnen! Gtedt mir denn
nod als einem Rlippfdiiler der Hemden:
aipfel zur Hojentlappen heraus?“ begehrte er
auf und rungelte bie Stirne, worauf fein
entjchlojjenes, aber gutmiitiges Eheweib doch
einlentte: „Nun, nun, Syórgedjen! — Dein
Suppen wird ja fonft falt, und ich hab’ fie
bir heut morgen bejonbers [ón angeriibrt.
Komm nur!”
„Schlechte Zeiten — ſchlechte Zeiten!”
brummte er und löffelte dann drauf los,
während ſie ihm mit ihrem Spinnrocken Ge—
ſellſchaft leiſtete.
„Aber warum denn ſchlechte Zeiten, Jörge?
Unſer gnädiger Herr gibt doch überall mit
vollen Händen, und ich habe dir ſogar ehe—
geſtern das ſchöne, warme Wams kaufen
können, ohne erſt beim Schneider Borg zu
nehmen.“
„Nein, nein, ſchlechte Zeiten. Was ver—
ſtehſt du davon?“
„Frage mal die Frauenſteiner Krämer —
ſie loben Hochgraf Fritz bis in den Himmel
hinein — oder frage mal unſer Hofgeſind'!“
Er ſtocherte ſich im Gebiſſe herum, ſog
pfeifend die Luft durch eine große Lücke am
Eckzahn und ſetzte dann ruhig das Geſpräch
fort: „Sind doch ſchlechte Zeiten, Mariechen.
Wünſchte, daß die ſelige Hochgräfin-Witwe
noch das Heft in Händen hätte, wo ein jeg—
licher wußte, woran er war. Das lebt und
praßt heuer in den Tag hinein, ohn’ Über-
legen! — Dod ftill, was fol man folde
Dinge mit einem Weibsbild bereden!“
Gie ftiigte ihre beiden Ellbogen auf den
Tiih und legte bas Kinn auf bie roten Ar:
beitshánde. „Deborah war aud ein Weib
unb item die Brophetin Hulda in bem 5. Bud
Moje, und unjere jelige Hochgräfin Sophie
— na, wie ftebt's denn mit der?“
„Wie’s mit der ftebt, Mariehen? Mauſe—
tot ijt fie leider. Geitdem wurde um ein
$infengeridjte unjere gute, alte Grafihaft
verhandelt, und Junter Ölppen, Die dice
Tonne, fraht nad) Wein, wo er geht und
Debt. daß ich nur immer fo fpringen tann.
Wenn bas die Alte nod) erlebt hatte!“
„Ach was, Jórge, bie hat ja den Hiih:
Doeeeeeeseeesees Das alte Geldiedt 613
nern nicht mal Die Handvoll Gerfte ge:
gönnt! Das ging ja gar niht jo weiter.
Nein, unjer gnädiger Herr gefällt mir recht
gut, lebet luftig, aber läjjet auch andere
leben. Aurelius meint dasjelbe.“
Er war aufgeftanden und jab, bie Hände
in den SHojentaígen, zu ihr hinunter.
„Schnadt der Aule aud) wieder mal Hug?“
„Er heißt Aurelius!” verbefjerte [ie nad-
drüdlichit.
"Ja ja, wir wollten einen ganz gejcheiten
Jungen haben, dahero benamjeten wir ihn
Aurelius, und ift nun dod nichts denn ein
fauler, dummodreilter Aule Daraus ge:
worden.“
„Der fein Zeug aber beffer als bu in Ord-
nung hält!“
„Das einzige, was Mule fann,” jchnitt er
thr einfach das Wort ab. „Den Faulenger
jolteft du jeden Morgen fiebenmal bei eis:
faltem 3Bajjer in den 3Bottid) ftubjen, damit
fein Verftand und Gewijjen aufwachen tun.
Xd) gehe jebt, Mariechen.“
„Du Rabenvater!” fhalt fie erboft Hinter
ibm drein, als der Pförtner |djon bie Türe
auftlintte, — — — Richtig. — — Co man
diabolum an die Wand malet, ftehet er aud)
(don Ieibhaftig vor einem. Da ijt ber Mule
im Hofe, ftieblt bem lieben Herrgott den
Tag und ſchnackt voller Wichtigtuerei mit bem
Ihläfrigen Pórzte, der natürlich wieder fet:
nen Tropfen an der Naje figen hat; die dide
Lina ijt aud) dabei, und fie [teden die Köpfe
aulammen, als ob’s in Frauenſtein über:
haupt feine wichtigere Arbeit für fie gäbe.
„Aule! Heh, Mule!” jchrie ber Pförtner
über den Schloßhof und fuchtelte dann
dräuend auf feinen Sprößling los, der beim
erften Anruf timide hinter dem diden Lam:
mermädchen Dedung gejucht hatte. „Ift bas
etwa euer Arbeiten, ihr Faulpelze, infamigte ?
Wart’, ich lehr’ euch mores!"
Rina war bie einzige bes Kleeblattes,
die fih nicht im geringjten erjchüttern Dep,
jondern fid) feelenrubig an ben Kampfberei-
ten wandte: „Hört bod), Pförtner! Es fol
allernddjtens ein Feſt gegeben werden, hat
ber Bnädige eben gejagt, ein großes Felt,
daß auch bie ältejten Baume darob wadeln
miijjen. — Ihr glaubt’s nit? Geht nur
hinauf; der Herr wartet [Hon auf Euch im
Gpeijejaale und wirds Gud) erklären.“
Linas ruhige Stimme und nod) mehr bas,
was fie mitgeteilt hatte, lenfte fofort die
(Bebanfen von Klops senior ab. „Was?
Auf ift er fon? Geftern hat er aber nod)
um Mitternacht nad) mir gejchellt.“
„Der gnädige Herr bat gar nicht gut ge:
ſchlafen,“ mengte fid) nun aud) Aule ins
Gejprád).
„Trinkt zwei ganze Maß von bem Schwe—
ren und ſchläft trogdem nicht?“ raunte
Piórtner Klops verwundert im Abgehen,
und Pórzte pflichtete Fopfichüttelnd bei: „Es
if was nicht richtig — wenn die Jelige Hoch:
gráfin ... na, id) fage man immer, jchlecht,
ſchlecht!“
„Wißt ihr was,“ teilte jetzt Aurelius un—
ter dem Siegel des Geheimniſſes den beiden
mit, als ber geſtrenge Bater durch die Schloß:
tür wieder ver|d)munben war, „der Hodgraf
Erich mit den großen Rulleraugen hängt
droben auch nicht mehr im Arbeitszimmer.
Sch und Bater und der Gnädige, alfo wir
haben ihn geftern abend zujammen abge:
nommen unb dann in bie Bücherei gejtellt.
Wu, war bas |djwer, tann ich euch jagen!"
„Das [Haurige, [chine Bild? Mich ſchluk—
ferte immer, wenn ich’s anjab."
„Sa, ein jehr ſchönes Bild, Lina! Du haft
redjt, ein Meijterpinxit, als mir ber ge:
heime Rat Begmann neulich unter vier Augen
beftätiget hat! ‚Aurelius,‘ fagte er, ‚lieber
Aurelius, diejes Pinxit bat jehr viel auf jid).
Es ift alt und jchön.‘ Wher unfer Gnadiger
hat es trogdem nicht mehr ertragen Tonnen."
„Wenn bie felige Hochgräfin nod) lebte —
na ja — und das Malwerf hat bisher bod)
immer dort ... Es ijt was nicht richtig,
glaubet mir," ertlárte Pórzte und jah nad):
dentlid dem Trópflein nad, bas enblid)
jeinen Sprung auf Die Erde gewagt hatte.
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Die dide Lina hatte ſich nichts aus ben
Fingern geflogen. Es ſchilpten ja die frehen
Spaten [Hon von ben Schindeldächern; der
Storch betlapperte bejagtes Ereignis mit
feiner außer fih geratenden Gattin und
brachte nur durch den Hinweis: „Beherrjche
dich — es könnte den Eiern jdjaben!" die
Briitende zur Rube. Überhaupt ganz Frauen:
Hein war aus ben Fugen, bieles ehrjame
und jonft jo ans GleidjmaB der Tage ge:
wöhnete Frauenftein, und alle Menſchheit
(ob feminini, ob masculini generis, blicb
völlig aequabel dabei) begrüßte jid) mit ben
Fragen: „Nachbar, was bült[t bu von be:
meldetem Voltsfefte?” oder: „Wann fols
denn endlich losgehen?” — „Nein, fo was!“
Mit diefer Außerung traf Balbier Fingzel
ben allgemeinen affectus auf den Kopf.
Nicht lange, und bas Frauengimmer fra:
mete feine beiten Kleider hervor, fand fie
zwar leider nicht mehr jo farbenpradtig
und ſchön, als ber Get fie im Nimbus der
Träume gejeben, jeufzete anert vernehmlich,
neftelte dann, nähte, modelte, jtidte und war
nach einigem jrijd)en Aufpußge doch wieder
rübrenb in feine ausgeblichene Fejtgewan:
bung verliebt. „Es fieht igt als wie neu
614 ESSSSescc9 Julius Rupreht von Loewenfeld:
aus, und fo man das verjchojjene Blaue der
armen Gevatterin vergleiht — nun, man
will ja nicht ungart jein, aber...”
Bis dato waren bie Amtsjtunden Des
Geheimen Confilii faft ein wenig heilig
gleich Dem Gottesdienfte gewejen, wie es fih
ihon bei Beginn durch bas ehrfurdhtsvolle
Aufitehen der Kanzlei und jenes folenne Ab»
winten des hohen Rats beim Eintritt dofu-
mentierete, Aber jego flinfte Sterlatius un:
angemeldet bald des Edelen, bald Beßmanns
Türe auf, um ihnen mitten in der Arbeits-
zeit feine neuefte Feftode, bas Produkt wild:
durdwálzter Nächte, vorzulejen, wobei Übi—
gow begeijtert applaudierte, der andere, je
öfter, je mehr, Korrekturen por|dj[ug, bie
der Autor aber prinzipiell nur als neidijde
Violeftien veradtete. Kienruß, [chwarzen,
guten Rienrug befam probebalber ein wage:
mutiger Jägerburjche ins Geficht und damit
die erjte, und zwar durchaus ungünftige Sm:
prejfion afrifanijden Mohrentums. Überall
— das Felt! Unfer Felt!
Eine fürftlide Augenblidslaune hatte
diejen Rummel hervorgerufen — Der Ge:
dante, mit jo[djem Projekte bie neue Frauen
fteiner Ara zu inaugurieren, Ebrn Pijtorio
zum Trog, deffen Worte fo böje Widerhafen
bejafert.
Dem Hodgrafen Friedrich war freilich bas
Ganze [bon wieder verleidet worden. Er
überließ daher Jatóbte die Führung und
flüchtete für etliche Tage mit feinem Jäger
Petermann nebjt Huſſo und 3Brajfo, den beiden
Rüden, in die Berge, um dem gräßlichen
Borbercitungsjpeftatel zu entgehen. Der
Wald war ftill, und die Munthe, die mit
teden Sprüngen und Wirbeln von der Beier:
tuppe zu Tal Düpfte und dann fo fonder-
bar träge durd)s Moor und ben Ichwarzen
Bielteich weiter ſchlich, Focht bas Felt nicht an.
„Die Menjchen find heuer wieder einmal
verriidt, Worth,” erflärte ber Hodaraf, als
jie guerft wieder des Waldes feierliche Ruhe
einatmeten.
„Das fit im Ropfe, Euer Gnaden,” war
Petermanns philoſophiſche Antwort.
„Selbitverjtändlih! So es zuerft in ben
Beinen rappelte, wäre es vielleicht poſſier—
licher anzujchauen als diejer Srrjinn da.“
Der Jäger jah feinem mißmutigen Herrn
jtumm ins Belicht. ‚Und wer hat diejen ganzen
Quart angerührt?‘ fragten feine Augen.
Schon der erfte Abend fand den Landes:
herren auf dem Anſtand. Dak er nicht irgend-
welcher Kreatur zu Leibe gehen, fondern nur
einmal die jtille, ernfte Einfamteit der Berge
wieder erleben wollte, verjchwieg er feinen:
Getrenen. So wartete Petermann mit Hujjo
und Braſſo, daß ein Pfiff ihn herbeirief ober
ein Schuß ericholl, aber es regte fih gar nichts.
Auf einem Baumftamm jak bewegungslos
bie mächtige Gejtalt bes Hodgrafen; man
fonnte ihn gut dort erfennen. Petermann
ihlüpfte wieder beruhigt ins Gebiijd und
faute an feinem Grasjtengel weiter.
Der Wald ging jchlafen. Über bie blan:
grauen Mtauern ber Moltenburg ſchimmerten
die Gtrablen bes riefigen Sonnenwagens,
während feine wilden Roffe abgejchirrt wur:
den. Aber als bie ungeduldigen Renner end:
lich an ihren güldenen Krippen ftanden, rollte
aud) das jchwere Gefährt langjam unter Dad).
Noch immer gleiBte es, nod) immer funfelte
es, bis endlich die wuchtigen Erztüren hinter
ibm ins Shlok fielen — ba fam die Naht.
Der Mond ließ feine weißen Belter über bie
Geierfuppe hinwegtraben; weiche Silberlichter
jpielten jebt um bie Mipfel aller Bergtópfe
ringsum; [till und geheimnisvoll ¿og bas
leuchtende, leichte Gejpann über bie weite,
weite Himmelswieje. Nur als es bem Biel:
teih gegenüber war, hielt ber Lenter ein Weil-
den an und jab neugierig in bas jchwarze,
moorige Majjer, um fein eigen Spiegelbild
zu erjdauen. Dann fuhr er langjam und
mit wortlojem Grüßen an Stern um Stern
vorbei.
Der Wald ging jchlafen. Was jest burd)
feine die und feine Wipfel müde dahin-
raujdte, war nur nod) Sprechen und Flültern
im Traume. Darum ftand ber einjame Weid-
mann, ber bisher regungslos dem Abend:
weben und Dämmerreigen der Natur zuge:
idaut Hatte, plößli auf — feine Gejtalt
wuchs ganz unerwartet von dem Baumftumpf
empor. Alsbald unterbrad) Reinefe Fuchs
fein zottelndes Schlendern, hob die €aujdjer
und mabte fic dann im ralcheiten Laufe
davon. Wud) bie junge Ride am Waldes:
rande Jchredte und flüchtete in das Bruch»
dicicht zurück, daß man den Spiegel noch
ein paarmal aufleuchten jab.
nBetermann, wo ijt Er denn?“
Knadend und fnidenb arbeitete fih der
Gerufene miibjelig durchs Gebüjd), von Hufjo
und Brajjo falt umgertijen, und meldete fih
bei dem Hochgrafen, Dellen Fräftiger Körper
fid jebt, falt gejpenftifch groß anzujchauen,
[harf vom fablen Himmel auf ber Bergwiele
abhob. Der erfte neblige Nachtbrodem wob
ibm um die Waden. Den Atem hielt der
Wald an; denn wie ein Mejjer hatte jener
herriſche Ruf die Abendjtille durchichnitten
und ibn jáblings gewedt. — Welch fremdes,
Unheimliches redte fid) da in feiner verlorenen
Einjamteit auf? Wh, der große Verbrecher
— unfer Feind — Der Menih! — — Als
aber beide Jäger ftumm ihren weiten, miib:
jeligen Wurzelweg zum jumpfigen Diuntbel:
eeh Das alte Bejhledt ESS3SS33333331 615
tale binabfletterten, nidte ber Hochwald bod)
allmählich wieder ein, unb weiche Mondes:
ftrablen jchmeichelten woblig um bie Wipfel,
daß lächelnde Bilder durch feine Träume zogen.
Der Nebel wuchs. Se tiefer man ins Tal
fam, bejto mehr fröftelte einem unter feinen
feuchtlalten Händen, defto mehr verſchleierte er
Baum und Strand. Aus dem weißen Meere
wintten verjchwimmend gejpenftijche (Ge:
ftalten, und der Mond [djimmerte nur nod)
ganz matt durch bie wogenden Diinfte. Nichts
war von den Sternen zu leben, Des Munthe—
moores Hexen fodten und brauten ohne
Raft und ohne Rub, und höher und höher
wuchs der Nebel; aud) der Viond verjdwand
Ichließlich. Die geifterhafte Stille umber aber
madte alles nur umjo unheimlicher.
„Es ijt noch über eine Stunde Wegs bis
gu unjerem SJagdhauje, gejtrenger Herr, und
der Pfad führt diht am Munthemoor ent:
lang!” wagte der Jäger feinen jchweigjamen
Grafen anzureden.
„Blaubt Er, daß wir uns vielleicht ver:
irren. fónnten, Moriß?
„alt fürchte ich fo, denn bie Sicht ijt übel.
Aber bis zum Munthemüller wären es nur
einige Minuten, Euer Gnaden.”
Der Hochgraf überlegte. Die Mühle lag
greulid) einjam, und ihr Wohnhaus deuchte
ihm recht pauvre und eng zu fein. Nur das
bellgriine Moos auf bem Dahe wucherte in
üppiger Fille, weil ber Talgrund fonnenlos
blieb. Berlodend war's gewißlich nicht, beim
Diunthemüller Obdad) zu requirteren — aber
die andere Ausficht? Dan geriet wahrjchein:
lid) ins ſchwankende, jchwarze Moor, bas
[eine Beute nie mehr herausgab. Ein elendes
Los, hilflos gwijden den jeidenweichen,
weißen Flodenblumen eingujinfen, von tangen:
den Srrlidtern jdjabenfrob umbiipft — ver:
irrt, verloren — Dann ein paar ſchmutzige
Bläschen — geltorben, verdorben.
„Hier zweigt Der Pfad zur Munthemühle
ab, Euer Gnaden.”
Ohne ein Wort zu erwidern, [lug Hod:
graf Friedrich den neuen Weg ein, blieb aber
dann wieder ftehn und laujdjte. Seijere,
bellende Laute [follen ibm von fern ins Ohr.
„Wölfe!“
„Werden drüben am Frauenftein ein Kig
beben,” feuchte Petermann, der feine jaulen:
ben und fiepjenden Róter taum nod) am Strid
zurücdhalten fonnte. Nur wenige Schritte,
und zum Greifen lag bie ärmliche Mühle
vor ihnen.
Ein altes, verfriimmtes Weib hantierte
in der Küche, als fie eintraten, ohne fih um
bie Antómmiinge zu fiimmern; es hatte einen
Icheelen, häßlichen Blid und mummelte an:
dauernd mit feinen zahnloſen Kiefern, während
vom offenen Herde der beifende Raud in
den Raum qualmte.
„Wo ift der Müller ?" fragte ber Hodgraf.
Gie flapperte und Elirrte gleichgültig weiter,
ohne Rede zu ftehen, bis Petermann ihre
Schultern padte und fie anbrüllte: „Wo der
Müller ijt, alte Hexe?“
„Er tommt bald.“
Hochgraf Friedrih rahm jchweigend auf
ber Bant an der Wand Plag, und fein Jäger
band $jujjo und Braſſo an dem Bettpfoften
feit, daß fie halb in ber Schlaffammer, halb
in der Küche lagen; dabei verfolgte vom
Schranfe aus eine große, weiße Rabe mit
ihren grünen, funfelnden Augen jede feiner
Bewegungen.
„Das nennet man Behaglichkeit. Fak’ Er
ih, Mori!” lahte ber €anbesberr, als ber
bejorgte Begleiter fih noch immer nicht mit
diejem zweifelhaften Empfange zufrieden:
geben mochte. Grad’ im jelbigen Augenblid
trat die junge Müllerin, ihren Säugling auf
dem Arme, über bie Echwelle, ein großes,
etwas nad) vorn geneigtes Weib. Gie trug
(done, jchwarze Haarfledten ums Haupt ge-
wunden, und aus dem jchmalen, weißen Ge:
ficht mit den zart geröteten Wangen ſchauten
zwei dicht überwimperte, große, fragende
Augen eine Werle die unerwarteten Bejucher
an. Darauf grüßte fie mit leichtem, freund-
lihem Kopfniden und legte ihr Rind in ben
ürmlidjen Betttorb, ber am Gtrid in Der
Ede hing. Nod war fein Wort gelprodjen
worden, aber bie Blide ber Müllerin mutter,
ten ohne jede Verlegenbeit ihre beiden Bälte
weiter, während fie hüftelnd Tijd unb Banke
jauber wijdte.
„Du bijt bod) unfer Herr Hodgraf?” fam
es endlich von ihren Lippen.
„Ja, ber bin ih, Müllerin! Uud Sie wird
Ihrem Landesherrn in diejer nebligen Nacht
ihon ein Lager bereiten tónnen, den? ich.“
,Gewig, Herr. Mir danken bir recht, dah
du bei uns armen Leuten eingetebrt but.
Nimm nun bitte aud) fonder Mtafelet mit
dem Unjeren vorlieb! In ber Munthemübhle
wird ein härterer Kampf ums tägliche Brot
gefampft, als wohl fold) fürftlicher Herr fid)
vorjtellen fann, Sd) rede ganz offen.“
Gie buftete heftiger, nidte aber dann ihrem
Landesvater febr berzlih zu. Wie ruhig
dies Weib aus dem Wolfe jpradj! Liber:
raſcht [haute [ie ber Hochgraf an und ftimmte
ihr zu Petermanns größter Berwunderung
bei, ohne irgendDwelde Ginrebe zu machen.
Der Jäger fand es piel ungiemlicher als er,
daß bie jchlichte Müllerin einen hodgeborenen
Mann jo fiihn zu ermahnen wagte. Uber
heimlich ftaunte Dod) aud) Morig. Das
Weib war jo jdjón — jo herzlich — jo trant!
616 Fesesssccsa Julius Rupreht von Loewenfeld: REZAR RRR
In bem verräucherten Raume quälte fid
immer wieder ber Huften aus ihrer zujammen:
gejuntenen Bruft. Wenn er jedoch über:
wunden war, dann gewann Die milde, vers
Härte Ruhe bald auf dem Belichte die Herr:
Ihaft zurüd.
„Sie ijt wohl leidend, Rind? Syd) werde
Shr meinen Leibargt zujchiden,“ fagte ber
Hodgraf voll väterlichen Mitgefühls. Aber
da jchüttelte bie Krante nur webmiitig den
Kopf.
„Ach, wo es bei mir [bon [o weit ijt!
Meine gute Mutter ijf aud) an der Aus:
gehrung geftorben, ehe denn fie dreißig Jabre
geworden.“
„Kun, nun,” entgegnete er beflommen, ,[tebt
unjer Stündlein niht in Gottes Händen?
Mer dürfte ibm da praescriptiones maden
wollen?” Beinahe etwas beluftigt lächelte
jie zurüd, als der Zandesherr ihr vorpredigen
wollte, aber fie antwortete nichts, fondern
itieB über dem Herde eine Lute auf, zum
Abzug des Rauds, und wintte ber alten
Schhwieger zu, nun die weitere Kocherei ihr
zu überlafjen. Die Hexe febte jid) darauf
willig auf einen Sheme! und mablte dort
ftumpf mit ihren Kinnbaden fort, bie rung:
lichen Hände abwartend im Shoke gefaltet.
Der Qualm, der Qualm! Ein Weilchen
hielt jid) die Müllerin wie |djminblig am
Fenfterbrette und hujtete, daß es einen Stein
erbarmen fonnte. Der Gaugling fing Ietje
zu wimmern an. Gofort gab fie bem Korbe
einen janjten Stoß, daß er jadjt bin und
ber jdjaufelte, und machte fih mit miiden,
ſchweren Bewegungen ans Wert, um das zu
vollenden, was die Alte ihr abgetreten hatte.
„Sie ift trant,” mummelte diefe gleichjam
entjchuldigend, als Petermann den Kopf
Ichüttelte.
„Bum Teufel, jo hilf ihr doch, ftatt hier
Maulaffen feilgubalten!" ſchrie der Jäger,
über diejen gleichgültigen Stumpffinn erboft.
„3% tann ihr ja bei eurem Kram nichts ab:
nehmen.”
„Sa, fie ijt front, Herr!“ wiederholte das
taube Weib feixend, ohne feine Worte zu
verftehen. Die junge Müllerin aber zog
ärgerlich die Stirn in Falten und jab mit
ihren glänzenden, braunen Augen ftrafend
den Polterer an.
„Sei Dod jtill," Flüfterte fie erichöpft und
atemlos, „hier in der Mühle herrjdhe id)
und nicht du!”
Der Jáger befam einen roten Kopf und
verjtummte mit einem verlegenen Bli auf
jeinen Herrn. Auch der Hochgraf jchwieg.
Defto deutlicher hörte man den Müller in
den Vorflur treten und pfeifend den Schmutz
von feinen Gtiefeln abjtampfen; bann fam
er herein, ein mittelgroßer, rothaariger Mann
mit vielen Sommerfprofjen im Gefibt, und
blieb mit lautem, verbliifftem „Halo!“ an
der Tür ftehen, weil er gween Gäſte in feiner
Küche erblidte. Plóslid ertannte er feinen
Landesherrn, machte eine linkiſche, aber unter:
wiirfig tiefe Berbeugung, als ob er ibm die
Stiefel füjjen wollte, unb rief: „O je, o je
— nein nein! Aber was bedeutet das, Euer
Gnaben ?^
„Sch bin Gein Gajt, wie Gr fieht, und Seine
grau will uns Quartier geben, damit wir
nicht heute im Nebel weiterirren müjjen.“
„Er ſchämt fic unferer Armut nicht, Edo,“
erjcholl bie ruhige Stimme ber Müllerin von:
Herde.
„Aber id) ſchäme mich ihrer,“ flagte er
bemeglid). „O unfer Hundelod! Dieje arm:
jelige Mififintenhöhle, Euer Gnaden! Sch
„Rede Dod) nicht jo, Edo! Weshalb wol-
len wir jemand wegen unjerer Armut um
Nachſicht bitten? Ift fie denn nichts Ehr—
liches ?^
„Kinder, fein convicium!” fprad) der Re:
gent lahend. „Streitet euh bod) nicht!
Rein anjtändiger Kerl [teet mir in meinent
Lande jo tief, dak id) mich. |djeute, iiber
jeine Schwelle zu jehreiten.“
Dieje Worte brachten dem Hodgrafen
einen Danfbaren, warmen Blid ihrer jchönen
Augen, ber ihm ganz jonberlid) wohl tat.
Inzwilhen war das Herdfeuer berabges
brannt; es gliibte noch matt in den verafchten,
halb zerfallenen Sdeiten nad). Die Mummel-
alte holte eine große, runde, irdene Schüjjel
aus bem Schrank und ftellte fie ihrer Schnur
zum Einfüllen bes Haferbreies aufs Fenjters
brett. Dann legte fie jedem einen groben
Löffel hin und den großen Brotlaib mitten
auf den Tilh. Immer mehr entpuppte fie
fid) als ein völlig harmlofes, etwas findilches
Weiblein trot; ihrem hexenhaften Ausfehen.
Der Müller hat bas Tijchgebet geiprochen
— nein, heruntergeletert, und [tedengeblieben
war er in feiner inneren Aufregung aud
nod) dabei, daß fie ibm wie einem Abcſchützen
einhelfen mußte. Danach begann das Abend-
brot, und die Munthe gurgelte und raunte,
vom Nebel dicht zugelponnen, als wollte fie
lic) auch an der Unterhaltung beteiligen. Der
Hochgraf wijchte fid) ben Löffel nochmals am
Wamje ab, aber tunfte thn dann tapfer in
den großen Hafen, weil er einen waderen
Hunger mitgebradt hatte. Auch die Müllerin
aß, und die Alte war völlig in ihre geliebte
Abendmahlzeit vertieft, ohne über bie Tiſch—
tanten hinweg zu guden. Vergebens hatte
Petermann Der Hausfrau ein Zeichen ge:
macht, daß fie Dod höflich den hohen Herrn
‘bitte um gnábige 9Bergeibung."
Fröhliche Gejellichaft
Gemälde von Prof. Hermann Gradl
m.
INE LIBRARY
OF THE
UNIVERSITY OF ILLINGIS
Das alte Gejdjledjt RBZZZZZZZZZZZ 617
vorejjen laffen folte. Nur ihr rothaariger
Gatte hielt nad) ben erften Biffen ein und
folgte ängftlich feinem Beifpiele.
„Run fo langt bod) ohne Zaudern zu,
Kinder!” jagte ber Hochgraf, als er es ge:
wahrte. „Der Bret läßt fid) gut effen.”
„Was folte id) bir auch vorjegen, wenn
er bir nicht munbete, lieber Herr? Wir haben
heute nichts Bejjeres im Haufe. Wd, und
ich möchte bid) bod) fo herzlich gern fröhlich
und zufrieden auf meiner Bant fehen!”
„Es ijt ein elenbes Hundedajein I^ |djimpfte
ber Müller mit einem gewijjen bettelnden
Blid auf feinen hohen Gajt. Uber ber
wandte Déi rajh von ibm ab und thr zu:
„Sie hat Ihre Sache recht gut gemacht, finde
id, Müllerin !”
Nun oben fie ftill beieinander, während
die Moorhexen draußen ihr leichtes Linnen
um die Fenjter fpannten; bie Hunde waren
eingejchlafen und jifften im Traume Hinter
einem Hafen her, und die weiße Rage, bie
ion lange mit einem unentichloffenen Blid
auf Hujjo und Braffo nad dem Brei ges
Ihnüffelt hatte, jprang mit einem geräujch-
lojen Cab auf ben Steinboden, um leije
miauend und mit dem Schwanze [Hlagend
bei den Effenden herumzubetieln.
„Hört ihr’s? Miederumb die Wölfe!“ fagte
der Miller aufhordend. „Sie haben im Ich»
ten Winter den lahmen Schulmeiſter von
Effenried gerijjen, als er abends durd) den
Schnee nad Haufe [tampfte."
„Eine Witwe und drei unverjorgte Wais:
lein!“ ergänzte fein Weib und warf einen
fragenden Blid auf den Hochgrafen.
„Es wird für fie gelorgt werden. (Er:
innere Er mich nod in Frauenftein daran,
Petermann! Ich will es mir aber aid)
jelber merten.”
Darauf lächelte fie, ein gutes, danfbares,
glüdliches Ládeln, und winfte ber Schwie:
ger abzuräumen, wie es aud) fonft ihr üb—
lides Amt gewejen. Der Hochgraf jah bas
leidende, weiße Antlitz an, das fid) ohne
Scheu an des Mannes Schulter lehnte und
ihn immer wieder mit den großen Augen
betrachtete, und fagte dann gütig: „Hört,
Müllerin, man möchte Ihr gern ein desi-
derium, einen fleinen Lieblingswunid,
mein’ ich, erfüllen. Weiß Cie jolden anzu»
geben?”
„Ein Wunfh? Mir fält gewiß nod)
etwas ein. Was but bu aber gut zu uns,
Herr Hochgraf! Id habe es aud niemalen
glauben wollen, wenn andere meinten, du
jeift fein rechter Sandesvater.”
„Sagen fie denn das von mir?“
„Ach, fie ſchwatzen ja immer etwas; aljo
laß fie nur reden! Sc bin ein fterbend
Weib — bas mot felbjtändig davon, bas
treibet auch zu eigenem Fragen und Denten.
Du but gewiß nichts als ein armer Menta,
lieber Herr, habe ich mir gejagt, vom Weibe
geboren als wir und wie wir auf Gottes Er:
barmung angewiejen. Aber ebenfo but du
unfer Landesvater, dem wir Treue halten
folen, und den möchte id) nun fo recht von
Herzen ehren und lieb haben können. Ders
halben mußte ich dir heute oft in die Augen
Ichauen.”
„Und was lieft man in meinen Mugen,
Miillerin?” fragte er unficher, als fie mit
ihren ruhigen Worten gu Ende war.
nod) lefe darin, baB du ohne Falſch but
und es mit uns redlich meineft. Da plaget
mid) nun ein Rätſel, lieber Herr. Cic jagen
nämlich von allen Geiten, daß du unfer
Frauenfteiner Land gegen Geld verhandelt
babeft, nur um ein bequem und luftig Leben
führen zu Tonnen, Das würde ich nicht ver:
ſtehen.“
„Weib, was ſprichſt du itzt?“ ſchrak der
Müller auf und ſchaute ſie entſetzt an. „Du
biſt wieder fiebrig. Leg' dich ſchlafen!“
Auch Petermann, der oft genug gehört
hatte, welch tolle Fama über dieſen Punkt
in Frauenſtein ihr Unweſen trieb, zuckte beſorgt
zuſammen, ſo keck kam ihm dieſes fragende
Weib vor. Doch die Müllerin behielt ihre
gehaltene Ruhe, als ſie antwortete: „Ich
fiebere jeden Abend — das weißt du doch,
Edo. Warum darf aber des Volkes Munkeln
und Raunen nicht bis zu unſeres lieben Hod)«
grafen Obr dringen? Er muß dod die Wahr:
heit hören.“ Die Stille |djritt durch ben
Raum, eine beengende Gtille, die der Bes
fragte erft nach längerer Zeit brad): „Sie
muß mir nicht dreift werden, Müllerin, auh
wo Cie es von Herzen treu und gut meinet,
und Cid) daran genügen laffen, daß ich mein
Srauenjteiner Land wirklich lieb babe."
„Run Hör’ aber auf und gib bid) hiemit
zufrieden, du einfältiges Weib!” fagte der
Rothaarige betreten und fraute fic in großer
Verlegenheit den diden Schopf. „Wir aus
dem einfachen Bolte, Herr,“ meinte er dann,
zum Hochgrafen gewandt, „ſchwatzen bis:
weilen un[djdlid) und dennod in beier
Meinung.“
Die Krante Dujtete wieder erjchredend
lange unb wiegte dann Ietje und webmiitig
das Haupt. Ihre feuchten Augen blidten
nicht mehr bie Bäfte an, fondern nur mit
einem traurigen Wusdrud zum Fenſter in
die wallenden, weißen Mtunthenebel hinaus.
Die Stille, bie beengende Gtille, trat wieder
zwilchen bie Menſchen am Tifde. Ein jeder
fühlte fie.
„sit Sie denn immer noch mit mir uns
618 Julius Rupreht von Loewenfeld:
zufrieden ?^ fhalt der Hochgraf halb im Ernft,
halb im Scherze.
„Ic bin nur eine Einfältige — der Müller
hat es [bon richtig gejagt. Wher fo wie id)
mein arm hilflos Rindeswiirmlein dort im
Rorbe lieb habe, das mein Schoß geboren
Bat, jo mußt du unfer fleines Land mit feinem
vielen Darben und Hungern ganz, ganz warm
ins Herze [|djliepen. Das ift ber Wunſch,
den id) bir fagen wollte!“ Mit flehenden,
großen Augen fah ihn die Munthemüllerin
Dabei an, und ihre fragenden Blide lieben
ibn faum nad) rechts oder links ausweichen.
Er |djaute bewegt auf, ergriff ihre Hand
und fprad: „Ich bab’ es ftets jo gehalten:
ein Mann ein Wort! Frauenftein fol mir
immerdar wie mein eigen Rindlein fein.“
Da glitt es wie vertlártes Laden über
ihre Züge; fie tüpte die Rechte, bie er ihr zum
Gelöbnis gegeben. „Nun habe id) bod) offen
mit meinem Hochgrafen reden dürfen!“
Dann ftand fie auf. Die beiden Rüden
lagen nod) immer jchlummernd auf ber
Schwelle zur Rammer, und ihr jchlanter,
nadter Fuß ftreichelte ihnen fröhlich das
braune ell, daß fie gar behaglich vor [id)
binfnurrten und mit ber Mute jchlugen. „Ihr
habt einen lieben, guten Herrn, ihr Wilds
fänge!“
Mit diefem Wort trat das Weib über fie
hinweg in bas armfelige Schlafgemadh, um
dem Hochgrafen dajelbit die Lagerſtatt zu
bereiten, während bie vier Zurücbleibenden
weiter dem eintönigen Schlummerliede der
SUR lau]djten. `
88
„Komm ber, Sujo, bu Ferkel! Morin
haft bu did) nun [bon wieder gewálzt, daß
du jo mórberlid) riehft? Ach, ihr Sjunbs-
viecher lauft euch eben nicht mehr müde und
befommt hier nichts zu tun; barob verfallet
ihr dann auf ſolche Biden!”
Huſſo mußte wirklich in ber eigenen Con:
duite gar fein Deliftum finden; denn er blidte
Petermann mit den treuberaig[ten Augen an,
gab ihm ernithaft feine Pfote und wollte
fid) fodann ftintend, wie er trog aller 9tajje:
Ihönheit war, zärtlich) an bes Jägers Knien
Iheuern. Die gröbliche Abwehr diejer Herz:
lichfeit veranlaßte ihn jedoch, fid) tiefbeleidigt
in etlicher Entfernung niederzulegen und
Mori jehr vorwurfsvoll zu beäugen. ‚Won
Natur finde ich bie Menjchheit recht lächer—
lich,‘ beliberierte dabei fein empirtes Hunde:
gemüt. ‚Nicht nur, dak wir ihnen oft genug
das Wild anzeigen, und fie für gewöhnlich
vorbeilchießen — nein, wie lächerlich ijt nun
zum Beilpiel aud) diejer Petermann! Ich,
Huſſo, bin von jehr gerechter Sinnesart und
erfenne gern an, daß er mir noch niemals
e
wie Brajjo mein Futter weggefreffen bat.
Auch pünktlich war er gumeijt. Aber heute?
Ruft mid) erft und verjegt mir bann einen
Ihmerzliden Tritt, und wenn id) mid) im
Luder wálze, unjerem bewährten Hundemittel
wider alles Flohzeug, fo fährt er mid) gar
nod) barjd) an: Pfui, wie du ftintit, Schweine-
leri!
Nicht minder vorwurfsvol, aber auch nur
in feines Bujens Tiefen flagte der gerügte
Jägerburſche Mori Petermann bas genus
hominum und den Hodgrafen, unter aller
Verwahrung gebotenen 9e[peftes, als feinen
Sjauptvertreter an: „Bob Lunte und Schwefel,
ift dies nun etwa das Jágerleben, wie er’s
[id bier vorgenommen hatte? Nah Kreuz»
horft- Hin fpiire id) ihm einen uds auf.
Ja, antwortet er mir wie geiftesabwejend,
ift bod) oft ein [trammer Kerl, fon Luds,
als ob er mir erft jagen müßte, was der
Suds für ein Bieft fei. Drüben am Düwels»
berge entbedte id) für ihn nad langem
Cudjen einen Adlerhorft. Recte, meinet er,
bas |djeint mir gar nicht ausgefdlofjen, daß
ba aud) Adler find. Na, wer ijt nun eigent:
lid) von uns beiden nicht bei Trofte? — Ich
tomme jedenfalls, natürlich in aller Devotion
gejagt, faum in Frage; aber die alte Hexe
in der Mühle mag ihn vielleicht verwunjchen
haben.”
Sdliehlid) ging bem Unluftigen bod) ein
Licht auf. Hatte er nicht der tranten Müllerin.
für ihre Gaftlichkeit ein anjehnliches Geld»
geſchenk hintragen müſſen? Mit jenemturiofen
Abendgeſpräch in der Munthemühlen mußte
das kurioſe Gebaren ſeines Herrn irgendwie
im Zuſammenhang ſtehen; Petermanns Ap»
probation fand der Regent auch bei dieſer
halben Erklärung nicht.
„Sie hat ja mancherlei, ſo Hand und Fuß
beſaß, gejagt — gut, geben wir zul Aber
ein Hochgraf, der nicht jaget, ijt fein rechter
Hochgraf nicht, Und wie hat er bas früher
verftanden — pog Lunte und Schwefel —
er und fein getreuer Jäger Morig Peter:
mann! Sonnten uns beide damit jehen
lajjet — er voran. Rejpett! Beſſer wird
dicje Welt nicht, ſpricht Ehrn Pijtorius, und
bejjer ijt fie auch bier nicht geworden.“
Es wollte aber einer, daß es in Frauen:
Hein wirklich beffer werden folte, und das
war gerade ber gejcholtene Hochgraf Fried:
rid) jelbft. Gein zerftreutes Wefen, bas dem
Sager |o mißfiel, rührte eben daher. Hier
in Waldesftille und Einfamtcit, wo die Geier:
tuppe und der Feldhay, der Diiwelsberg und
ber Frauenjtein mit ihren ernften Häuptern
Dberüber|djauten, wo die Munthe durch den
Ihwarzen Bielteich hinjchläferte, hier wollte
er mit fid ins reine tommen, um den Gieg
PSSSSESSESLSLCESA Das alte Geſchlecht 619
zum Rechten und Chrlidh- Guten zu er:
fampfen. Hier war er fernab jeiner ver:
Häubten Kanzlei, fernab Jaköbkes Dreiftig-
feiten und vor allem fern allem Rumore,
den das Frauenfteiner Voltsfeft mit feinen
Zurüftungen erzeugte. Wie das alte Rad
ber Munthemühle die Waller ſchäumend
durcheinander quirlte, fo war in der Riide
ber Müllerin von feinen eigenen Rippen ein
Geliibde gejprochen worden, das ihm alles
in der Geele umtrieb und Durcheinander jagete:
„Frauenſtein ſoll mir immerdar wie mein
eigen Kindlein ſein!“
‚Höre auf mich!‘ fprad) eine innere Stimme,
als er nachdenklich vor dem Jägerhauſe im
Graſe lag. ‚Du mußt heiraten, allen Hinter:
nifjen zum Troße; du mußt ben Frauenfteiner
Succeſſor jchaffen, aud) wenn bie magere
Paupertat wieder im Schloffe ihre Hunger:
rippen gablet. Nicht zum Genießen, fondern
bes officii wegen fekete bid) Gott in bein
Amt — war nur geliehen, nicht gejchenfet.
Alwo ein bitter Streiten ums liebe tägliche
Brot in allen Hütten ijt, mögeft auch du
als des Landes Vater mit Sorgen ins Bette
fteigen und mit Mangel did) vom Lager
heben. Tu Dornen in dein Ropffijjen, fo
wirft du denen Freund werden, deren Lebens:
'ader genug an Dornen unb Difteln trägt.
Nicht dafür hat Grid) ber Trubige ober
Erneftus Confeffor bas Banner deines alten
Beichlechtes getragen, daß du bir einen ver:
gnügten Freudentag jchüfeft oder der blonden
Elfe Cheftifter wiirdejt.
Einen vollen Tag rannte ber Hodgraf
burd) bie Wälder, bie das Jagdhaus um:
gaben, um mit dem Tor zu werden, was
diefe Stimme in feine bange Geele hinein:
gerufen hatte, und fhol ihm mandmal wie
gelende Poſaunen des Gerichts ins Obr,
da er nicht nur mit den Schatten der großen
Toten, fondern aud) mit den Lebendigen in
hartem Geifterfampfe ftritt. Er rang mit
Ehrn Piftorit fefter Beharrlichkeit und jener
tottranten Frau drunten in ber Munthe-
miible, die ibm hieß, bas Kleine Frauen»
fteiner Land mit feinem vielen Darben und
Hungern ganz, ganz warm ins Herz zu
ſchließen.
O Jakob von Slppen, wenn du nur ets
was von dem Erzvater an dir gehabt hate
teft, der dir den Vornamen gab, vielleicht
wäre der heiße Strauß bem Hochgrafen ets
was leichter geworden! Wher du fämpfteft
wahrlich mit feinem Engel bis zur Morgens
rote, und was wußte deine Genubjeligtert
überhaupt von Narben und Wunden?
Nahe genug war Hodgraf Friedrich
daran, vor ben Manen feines Sjaujes die
Waffen au [treden, als gerade im [tilljten
Walde, da ein biipfendes Wajferlein unter
madtigen Farnen babinjdjmábte, plöglich
die andere Stimme ihren tapferen Wider:
ftreit begann. Klang zwar niht alles ber
erften entgegen und flang dod nie jo wie
jie; flagete auh an, und war bod) ein ans
derer Ton darin! Und die heimlichen
Schubgeilter des Landes traten aus Buch
und Kluft und wurden der zweiten Stimme
braujender Chor.
‚Hohgraf — Hodgraf! Nimmft du den
Schritt zurüd, den du getan, fo but bu
fortan ein gefefjelter, bilflojer Knecht, und
bie Gläubiger werden deines Landes harte
Herren. Dein 9Bergid)ten ijt Heil und dein
Opferweg Gegen, fo die Hand nur rein
bleibet, die da opfert, und Der Ginn nur
getreu, der da verzichtet. Aber du haft plan:
los und ohne groß fiberlegen den neuen
Samen über Trift und Feld geftreut, ein
Ichlechter Bauersmann, ein tándelnd Rind!
Hochgraf — Hodgraf! Im Schweiße deines
AntliBes folljt du adern und den Gegen
ernfter Arbeit einernten. Aber dein Opfer
glich bem, bas Mtalacia ber Prophete rüget,
da du Halbwertes auf den Altar legteft, um
des Fetten im Frohſinne felbft zu genießen.
Führ’ dein Regimente zum echten Opfer,
jo wirds wohl werden! Nicht Felte, fon:
dern Mühlalstage zimmern Frauenfteins
Neubau — drum als erfter auf die Leiter
und als letter vom Gerift! Hochgraf —
Hochgraf! Schaffen ijf mehr denn Erhalten
und neue Ziele mehr denn ein welfes Leben
friften. Darum ſchließe neue Quellen auf
für dein Diirres, verarmtes Land! Die Zeit
Bat jid) gewandelt, feit Grid) ber Trugige
am Garge von Buonconvento ftand und
Radbertus gen Stendal au[bradj Dem
Leben fein Recht und den Toten ihre Gruft!
Dann magit bu, wenn bein Gtiindlein ge:
tommen ijt, an ihre Pforten flopfen: Laßt
mich ein; hab’ viel gepflanzet und viel bes
Untrautes gereutet, hab’ neu gebaut und
neu geſchaffen im Frauenfteiner Land. Ein
Ichweres Opfer gab Kraft mir und offene
Tür. Ich bin nun der lebte, der bier bei
euch jchlafen geht, aber eurer bin id) wert
geworden! — Und die Pforte wird fih auf.
tun dem legten und dod wahren Hod:
grafen von Frauenitein. Ans Werk! Gebe
beim, Hodgraf Friedrid), und Gott [dente
dir fróblid Gedeiben!:
Verklungen war die Stimme. ber da
jie verſchollen, hatte jie auch obgefieget. Ein
einjamer Mann 30g bie Jágertappe und
wollte nur nod fein Mórtlein mit bem
reden, ber in ftillen Schritten feierlich Durch
den Maldesdom wandelte, Bäume und
Blumen zu benebeien,
Dom Schreibtisch und aus der Werkſtatt
PDO CIGD 2D lt DOW OI AS Od SDI Od CDI Oe CDs OL POS e
Unjere Gajte
Bon Börries, Freiherrn von Miindbhaujen
SOHC IOS OS SOM Po
E Wr — welde Unmenge von ver:
RU chiedenen erten umfajjen bie
MS) fünf Buchitaben et Wortes!
IZA Der König, den id) in Frad und
RES Orden an der Haustür erwarten
muß, und ber Schufterle, der fid) durch uns
beitimmte Borjpiegelung von Grüßen, die
er mir von einem Freunde perjönlich über—
bringen müjje, am Diener vorbei gelogen
hat, der geliebte Bruder, dem das ganze
Haus bas Fremdenzimmer jchmüdt, und der
Weinreijende, ber bie Tiirflinfe nod) in der
Hand hält — als er fie [hon wieder tief
enttäujht und arg erjchüttert umjchließt,
Der in qualvoller Gorge erwartete Arzt und
der Jingling, ber ,aud) bidjtet^ — fie alle
fino Gájte.
Freilih fann man nicht von allen Ge:
Ihichten erzählen und leider am wenigiten
von den liebften. Denn der liebe Galt fügt
ich jo gerubig-feftli in das Hauswejen ein
wie ein Edelltein in feine eigene Faffung.
Um fo luftiger find die anderen, bie a
Gteine des AnftoBes durchs Haus poltern. —
Mande können fid) gar nicht genug tun
in Ritterlidfeit und allerlebhaftejtem Hoch:
fonjervatismus. Cie denten, daß der Dichter
ber Ritterliden Lieder notwendig [o ein Ultra
fein müjje, wie Simpliziffimus und Fliegende
Blätter ben Ariftotraten [djilbern. Ach, bas
verjteinerte Lábeln, wenn fie dann im Gee
prád) plóblid) merfen, daß man durchaus
o freimütig uber ihre Ideale urteilt, wie
jeder andere verjtändige Menjd und mit
Boileau die Rage eine Rage nennt „et Rolet
un fripon!“ — Den Gipfel an „Ritterlich—
teit” erflomm wohl der Kaufmann, ber uns
einmal bejuchte — („um das Rhinozeros zu
jehn“ fängt ein altmodijches Gedicht an,
bas mir bei [ofdjen Befuden immer ein:
allt). Wir Hatten ihn unten begrüßt und
tiegen nun die Treppe a aig inauf.
nd ba Jah ich, daß er fih zu feinem Sommer:
anzug ein Baar Sporen angejdnallt hatte!
Wirklid)! er trug Sporen, richtige, flirrenbe,
funfelnagelnene Wnjdnalljporen, bie den
malerijden Fall der Sjojen freundlich über
ben Gummizug: Stiefeletten auffingen. Es
blieb gar feine andere Deutung, als daß ber
rúbrende Dann fie eigens zu biejem Behufe
—— hatte, um ſich dem vermeintlichen
balladiſchen Stile bes Hauſes anzupaſſen. —
Andere wieder denken gar nicht an An—
pang und balten es fiir jelbjtverjtändlich,
daß wir uns mit ihren Eigenheiten obt:
den. Cin verebrter Riinfticr ipt grundjäß-
lid) nicht mit uns am Tijche, FC wärmt
fi feine mitgebradten fojdjeren Dojens
NEE
Mahlzeiten im Fremdenzimmer über einer
— mitgebrachten Spirituslampe. Nur
bit und Wein und allenfalls ein Ei in der
Schale nimmt er von uns an, und id)
jehe feinen Grund, ihn ändern zu wollen. -
Rieber änderte ich da [Hon bie nadjte Rlajje,
die Begenfüßler, jene Leute, bie vom
lieben Gott zum Widerjpruch erjchaffen find.
Gie [djmármen immer nur leidenichaftlich für
Das, was wenigen befannt ijt, verächteln es
aber jchnel, jobald es allgemein beliebt
wird, Gie fommen zwar zu mir meiner
Berfe wegen, aber fie jcheinen [djon von
der Haustüre an beletdigt zu fein burd) eben
dieje Haustür, burd) die Halle, durch die
Wendeltreppe, — was weiß ich. Und wenn
fie ins Simmer treten, fo find fie Durdaus
le citonen Robespierre, und id) zittere als
riidjtandiger Royalift vor dem Giegerblid
Deler überlegenen Bernunft. In jedem
porem Gabe betonen fie, daß fie lid) als
ürgerliche aus altem Haufe jedem Wodligen
gleid) fühlen. (Und ich fühle mich leider
Durdaus nicht jedem Bürger gewadjfen!)
In jedem dritten Gage fagen fie, daß ihnen
durchaus nicht jeder Dichter und alle Ge:
dichte imponteren ftónnten. (Und ich gebe
ihnen, meine Berfe anlangend, aus tiefiter
berzeugung recht!) In jedem vierten Gage
er fte mir, als Ebrenmánner, denen
chmeichelei ferneliegt, etwas Unangenehmes
zu |düuden. (Und ich frage mich heimlich,
ob fie ſich bloß deshalb die Mühe bieler
Reife zu einem fremden Menſchen gemadt
aan, und bewundere, etwas bedrüdt, dieſen
rab von Stüdjtenliebe.) Und in jedem
Gage fommt, offen ober unter ber Dede,
vor, daß die jo verachteten Sozialdemofraten
ganz berrlihe Menjdhen wären. Und ihr
<Triumpbblid hinterher jagt deutlih: Dem
bab’ idy’s aber gegeben!
Manchmal — denn ich Habe zuzeiten bei
Bejuchen Fremder den Teufel im Leibe —
erwähne id) beiläufig, dak i jelber
Sogialdemofrat war unb Marx und Engels,
Lajjalle und Rautsfy recht genau tenne, bap
id) nod heute manden ähnlichen Gebanfen:
gängen febr nahe ftebe, und einige liebe
Freunde in diejem Lager habe...
Als ob man ein Auto von der großen
Bejhwindigkeit auf 9tüdwürtsgang ftellt!
Bisweilen hört man förmlich einige Zähne
im Betriebe ausbreden, bis fie mit einem
„Aber“, das wie die Fahne eines Renegaten
flattert, ins Gegenlager überlaufen.
ek Gegenfúpler [imb häufig jehr ajthe-
tildje Leute, die bloß, um nicht bas Gejprad)
geldimadíos werden zu lajjen, das Salz
Less Börries, Freiherr von Mündyhaujen: Unjere Gájte E=====1 621
fräftigften Widerjpruches einftreuen. Sch
fonnte einen lieben Dichter, bem nun leider
aud) [fon jedjs Schuh Erde auf der Bruft
liegen: Dn Berlin, wo ich als Student let:
denfchaftlicher Empörer gegen ftaatliche und
—— Ordnung war, vertrat er den
brigkeitsſtaat wie ein Geheimer Rat vom
Miniſterium des Inneren. Aber als er dann
als Gaſt in unſerem Hauſe weilte, konnte er
d) gar nicht genug tun in blutroten Seit:
ätzen. Erſt nach der dritten Flaſche Bur:
"an hatte id) ihn gottlob wieder bis zur
olfiihen Zeitung zurüd, unb wenn mein
Gebád)tnis mid nicht taujdt, ftretfte er nad)
der vierten wieder die Kreuzzeitung mit dem
Urmel. Es war ihm eben mehr Ge[d)mads:
als Tiberzeugungsjadhe, aber ehrlich war er
babet immer. —
Eine bejondere ch von Beluchern find
bie Rezitatoren, die fi „autorifieren“ laffen.
(Sd) weiß nicht genau, was das eigentlich
beißt, und gebrauche deshalb bas von ihnen
erhaſchte — Sie „erſchließen mir
die Schönheiten meiner Gedichte“, indem ſie
ſehr laut eine leicht übergeplünderte und
(meiner beſcheidenen Überzeugung nach) da⸗
durch nicht immer glücklich veränderte Faf-
[ung berjelben Berjagen. Nun ijt mir nicht
leicht etwas peinlid)er, als eigene Berfe
jprechen zu hören — Doch, eins ilt nod) pein:
licher: als höfliher Mann am Schlujje Bets
fall ipenden zu miijjen.
Einmal war Herr G. bei mir. Meine
Frau und ich jagen am Ramin, und er [tanb
vor uns und fprad) Balladen. Und meine
Helden jchrien und meine Pagen fliifterten
und meine Königinnen filtelten, und ab und
zu gerrig er bie feidenften Berje durch ein
„Ha!“ oper ein hölliſches Gelächter. Meiner
lieben Hausfrau wurde es |djlieBlid) zuviel,
He ftand ftumm auf und verließ, wie zu
Haushaltsangelegenheiten, das Zimmer.
Da EE? er fid) mitten im $ijtels
\prechen und fagte in feinem natürlichen Biers
bag: „Auf Damen wirfe id) von jeher bes
Jonders ftart!”
Dann legte er fix den Kopf wieder auf
die Geite, jah mid) verfiihrerijd) ſchräg von
unten an wie ein Ferfelden, hob den gigas
rettengelben Zeigefinger ſchalkhaft auf und
fuhr in ſüßeſten Flötentönen fort:
„Bage, was hobeft du heimlicherweis
Zur Lippe ber Schleppe Ligen ...”
Einmal, — id) war gerade in unjerm hans
peta an Stadthauje bet meinen Eltern zu
Beſuch, und mit mir jab mein lieber —
Levin Ludwig Schücking in der Plauderecke,
— wurde mir ein fremder Herr gemeldet. Da
ich mich nicht in der Behaglichkeit des Ge—
präches ſtören Iajjen wollte, ließ ich hinaus—
agen: Der junge Herr könnte niemanden
mehr empfangen, er wäre heute morgen vers
rüdt geworden, Meine lieben nadhjlichtigen
Eltern ließen mir die Unart hingehen, —
nur Levin fagte in die ſchwüle Pauje, in
welcher der Diener mit dem Beſcheid das
Zimmer verließ: „Nein, du bift dod) wahr:
haft vorurteilslos!“
Wher während wir noch über diejen
freundjdaftliden und trodenen Werweis
laten, Hatte der Unbefannte das Haus
verlaffen und ein anderer ließ fid) melden,
den Die Meinigen nad) der Bejuchskarte als
den Hoftheaterfrijdr erfannten. Nun durfte
id) nid) wieder unhöflich fein und ging
jeufgend mit meinem Bater in das Neben»
¿immer zum —
Neben dem bullernden Ofen in der über—
heizten Stube ſtand im dickſten Wintermantel
ein fleiner Herr unb fragte, ob er mir cin:
mal den ,Zot|pieler" herjagen dürfe. Jahre-
langer intim|ter 3Bertebr mit Künftlern hätte
ihm die Bewißheit gegeben, daß auch in thm
der Genius Jchlummere ...
Na, nun verjuchte er ihn mit gewaltigem
Stimmaufwande zu weden.
Uber ber Genius |djlief fo feft, dak wir
ihn nicht wad friegter. — Und der Ofen
bullerte, ber Friſör fchrie, daß ibm Die
Schweißperlen unablällig aut den guten
Wintermantel tropften, mein Vater iab unb
jah wie in ber Kirche auf feine gefalteten
Hände, und id) fand es fchredlich in ber
Stube, — zum Teil aud) weil es |o heiß
war.
Sch bin leider wehrlos gegen dieje Herren.
Cie können fo furdtbar laut [predjen, bas
nimmt mir ben Mut.
Dagegen glaube ich gegen junge Dichter
immer ganz ehrlich und offen fein p tónnen.
Meiſt jchleichen bteje fid) zunächjt harmlos
als Freunde meiner Gedichte in mein Herz
ein, aber ich habe nun [Hon jo einen Sherlod:
Holmes: Blid gefriegt, ob die rechte Brujt:
tajdje dider ijt, als es ftd) mit der Anatomie
eines jungen Herren von zwanzig Jahren
verträgt, und bin auf meiner Hut. Niemals
aber ijt es mir, trog teuflijch gejchidter Ge:
Iprähführung, móglid) gewejen, das zu ver:
hüten, was Wilhelm Bujd fo einzig jdin
aus|pridjt:
Und [Hon erfolgt b imf b 3
Reis in te RE alea ide E
Mber id) will ausbrüdlid) verfichern, daß
es mir eine ganz bejonbere Freude ift, jungen
Menjchen mit größter Sorgfalt und Mühe
in ihren Anfängen zu helfen, Beile für Zeile,
Mort für Wort mit ihnen durchzujprechen
und ihnen bas zu geben, was mir feiner:
zeit von Älteren gegeben wurde. Freilich
ijt ja das Entdeden eines neuen Gternes
aud) eine der größten Gnaden im fünftleri:
Iden Berufe, eine der tiefften, heiligiten Freu:
den. Wher man muß bie Gauere-Ptild:
Straße des unermeßlichen Dilettantismus
jahrelang durdipáben, ehe man einen fol:
den neuen Gtern findet!
Ich dente jebod), wir dürfen bas Bön—
hajentum (Dilettantismus) der Runft nicht fo
anjehen, wie es melt gejchieht, nicht fo ſpöt—
M. unb von oben herunter, vor allem aber
nicht lieblos und vernichtend. Ich habe gefun:
den, paf eigentlich nur der, welcher in feiner
699 [5:2] Börries, Freiherr von Münchhauſen:
Jugend jelber Berfe |djrieb, dann im Leben
ein wirklicher Renner und Genießer Deutjcher
SBortfun|t wurde. Gute Lefer find felten,
febr felten, und ich helfe gern jedem, aud
dem hoffnungslojen Dichterling, in der Aus:
licht, daß aus ihm einmal ein wahrer Freund
bes Goyrifttums wird. Übrigens ift es in
anderen Künſten ebenjo, bie beften Hörer in
den Konzerten machen d jelber Mufit,
unb Die feinften fale er von Bildern
find die, welche [rüber einmal gemalt
baben. —
Wer aud nur einen Hauch des Genius
verjpürt bat, wird immer dankbar, aud für
derbe Belehrung fein, aber bie ganz argen
Nichtskönner find met entjeglich gefrantt,
wenn man zu tadeln wagt.
Als id) nod) in Göttingen Student war,
fam eines Tages bie Frau eines dortigen
Privatdozenten zu mir, um mir ihre Berfe
vorzulejen. Vielleicht waren meine damaligen
Urteile rauber, als id) fie heute aus|pred)en
würde, vielleicht waren gerade diefe Berfe
. bejonders jchleht, — jedenfalls war Die
Wirtung meiner Worte verheerend: das
Inrijdhe Ganjebliimden fant, wie von ber
Genje bingemábt, ohnmadtig nieder, id)
legte fie auf mein Gofa und ftand wabrs
Eet: recht begojjen ba, als in Diejem
ugenblid ihr fie abbolender Mann ins
Zimmer trat und wie ein Held in ber lebten
Balladenjtrophe ausrief: „Was haben Gie
meinem 2ieshen angetan?!“
b m daß er mich nicht im Dottor zu prüfen
atte. —
Aber aud) Herren haben ott eine über:
rajchend geringe Widerltandstraft gegenüber
ihrer eigenen Berftimmung. Ein junger Arzt
verließ zorniprühenden Auges und ohne ein
Mort der Erwiderung mein Zimmer und
das Haus, obgleid) er eine vielftündige Bahn
fahrt gemadt Hatte, um mein Urteil zu
hören. Da war mir ber junge Herr vers
fändlicher, ber plóblid) aufitand und mid)
wie ou
Zeugen zu empfangen wünjche. —
Etwas bejonders — find die Mens
Iden, bie in feelilcher Not gum Dichter tom:
jo wie ber fórperlid) Leidende zum
Arzt geht, Syeber Berufsgenofje wird davon
mehr berichten fünnen, id) glaube am meijten
die Erzähler, aber aud) zu mir fommen,
brieflid) oder perjinlid), ab und zu Leute,
bie mir ihren Liebestummer auf den Schoß
[dütten, (mett ift es Siebestummer), und
dann ganz getröjtet fortgehen, während ich
mit der Schürze voll daſitze. Bei manchen
ijt es ec bloß das Mitteilungsbedürfnis,
andere übergeben mir ihre Grlebni|je als
wertvolle Unterlagen zu weiteren Gedichten,
— bu lieber Gott, unfereiner ijt froh, wenn er
jeine eigenen Nöte in Berjen losgeworden
it! — Einige fommen aber aud) wirklich
mit dem Werlangen nad Rat, und fein
Ebrenmann wird diefe Berantwortung leicht
oder gar [|póttildó nehmen, wenn er etwa
einem fremden Mädchen raten fol, ob das
der Biihne fragte, wann id) feine
]533253:3:3:3:32: 253253]
Ja oder bas Nein auf bie gewille Frage
bas Redte ijt!
In wieviel wunderliche Lebensuntenntnis
unb Menichenverfennung blidt man da zu:
weilen hinein! Ein jpätes Mädchen erzählt,
wie [te unbefriedigt und tief ungliidlid bei
bem alten Eltern auf dem einjamen Gute
dDaherlebt. Nun hat [ie einen heldijden Ent:
Ihluß gefaßt: Da ihr jede diesbezügliche
Bitte eta tie en ijt, will fie betmlih —
nad Berlin ichen und fih dort „ausleben“.
Und be bittet mich unbefangen um meine
Beihilfe.
„gamos! Und wie haben Cie und Ihr
ae [i die Einzelheiten ge:
a “u
„Entführer v — aber id will dod
allein ...!”
„Das ijt ftillos! Sowas will, wenn es
en GER friegen fol, zu zweit gemacht
ein!”
Aber |djlieBlid) muß ich doch mit dem
Ulfen aufhören und d erflären, daB das
Leben teine Ballade fet, und eine Flucht
unter ihren Umftänden eine Torheit. Hof-
fentlid) babe id) ihr dann einen bejjerem
Rat geben tónnen! —
Bor dem Kriege mußte man oft Brimanern
einen Beruf Indien helfen, bas hat jest faft
aufgehört. Wielleicht darf ich als Erklärung
eine fleine ganz anders gelagerte Bejchichte
erzählen: Sch nehme oft im Wagen von
Dorf zu Dorf eine Handvoll Schuljungens
mit, foviel eben auf *Boljter, Fußboden und
Trittbrett Plas GER Neulich fragte id)
einen: „Was willjt du denn werden?“
„Bäder!“ fam es wie aus der Piftole ge»
Klon dem blajjen Gefidte.
„Und dus”
We fagten, ohne einen Augenblid zu
zögern: Bäder. Cs waren alles magere
Heine Grubenarbeiter-Rinder. Ift das nicht
furdtbar in feiner glajernen Durdylichtigteit?
Go ift heute aud) die Berufswahl -für die
Schüler der höheren Schulen jebr viel weniger
ein Sd) will der Eignung als ein Sd
muß bes Hungers. Die jämmerliche Ente
Iohnung jeder geiftigen Arbeit vernagelt die
eine Hälfte aller Laufbahnen, die Berar:
mung der Eltern baut Cchranfen vor ben
anderen, da bleibt met nur ein jchmaler
Ausweg zum Sattwerden, der dann gegangen
werden muß.
Aber für diejen Ausfall an — tritt
eine andere Klaſſe ein: Der Major außer
Dienſten, bie alternde Witwe, ber plößlich
vorm Hunger ftehende Kleinrentner fumen
einen Verdienft und fragen, ob fie wohl
mit ber Gchriftftellerei bas bißchen Leben
friften Tonnen. bitten um Rat, was wohl
am beiten ,, moe, und módten am Zeit:
ſchriften — en ſein!
Und da muß ich denn erzählen, daß kein
Beruf hoffnungsloſer ift als der literariſche.
Mich verbinden mit meinen Herren Ver—
ee SS Unfere Gajte seess 623
legern nicht nur eine — Freundſchaft
ſondern auch günſtige Verträge, meine Bü—
cher laufen in ſchnelleren Auflagenſchritten
als die wohl der meiſten anderen Dichter
— jedenfalls ſchneller als die vieler größerer
Künſtler, als ich es bin.
Und meine Einnahmen?
1896 erſchien mein erſtes Buch. 1908 hatte
ich deren elf herausgegeben. In dieſem drei—
ehnten Jahre meiner dichteriſchen Tätigkeit
atte ich zum erſten Male einen Jahres—
Reingewinn aus meiner Arbeit, nämlich
212 Mark und 45 Pfennig. Nach vierzehn:
jähriger Tätigfeit überjtiegen meine Gin-
nahmen aus allen Büchern zuerft 1000 Mart.
Nah zwanzig Jahren hatte ich bie Gehalts:
ftufe eines landwirtſchaftlichen Tagelóbners
erflommen. Aber heute ftehe ich mich, trog
ber zehntaujend und mehr im Jahr ver:
fauften Stüde meiner Bücher, als Dichter
weit |djled)ter als jeder Grubenarbeiter im
Dorje.
Sd babe diefe Zahlen fo oft brieflich und
mündlich Fremden mitgeteilt, baB id) glaube,
x ohne Scheu auch hier angeben zu dürfen.
telleicht nügt es Doch bem oder jenem, fie
zu lejen, und jedenfalls wird es mir in Zu:
tunft einige Briefe fparen.
Natürlich ift bas Einfommen ber Er:
gabler und Dramatiter etwas höher, aber
wie viel jchwieriger ift da mo die Ars
beit, wie viel brángenber ber Mitbewerb!
Und bie Zeitjehriften find überlaufen wie
niemals früher, und Die Verleger können
taum Papier und Drudfolten für die alt:
eingeführten Namen aufbringen. Aud) das
mag in diefem Zujammenhange einmal ge:
fagt werden: Die geiftige unb künſtleriſche
Berhungerung unjer Volkes |pricht fth gwar
nicht in Streits und Pliinderungen aus, aber
vielleicht ift fie deshalb nod) jämmerlicher
und auf die Dauer gefährlicher als Die
fórperlidje. Das „tägliche Brot“ des Vaters
unjers heißt etgentlid) — die Benediltiner
ſprechen bas Gebet jo: panis supersubstan-
cialis, bas Brot im überwirflichen Sinne.
— Panem supersubstancialem da nobis
hodie! Möchte Gott unjerem Wolfe bie
Bitte aud) in bielem Sinne erbóren! —
Sehr nett find die Beſuche von Schulen,
obgleich man babet bisweilen eine ungewollt:
tomijbc Rolle fpielen muß. (Es meldet fih
der Lehrer einer Mädchenjchule unb geleitet
mich vor die Haustür. Dort driide id) 41
feuchte, dürre Gdulmadeldenhande, und
plóflid) fteht ber Lehrer neben mir, zeigt
mit bem Gpazierjtod auf meinen Gólips
und erklärt mit jdjallenber Stimme: „Nun
febt euch ben deutſchen Dichter nur ordentlich
an, von dem ich euch in der Stunde Die
Sebensumitánde erzählt habe!“
Das Neden mit Schirmen und Gpagter-
ftóden, fowie das Füttern ift verboten, zum
Schluß geh id) mit zwei aufeinandergeitellten
Tellern herum...
Übrigens habe id) bei einem derartigen
Bejuche einmal folgendes im Plaudern mit
den Kinder erfahren: Befanntlic) ift es bier:
lands ſchwer, das „harte“ und das „weiche“ d
und t, b und p zu unterjcheiden. 3d) jelbit
erinnere mich nod) gut, wie wir Gedichte
herjagen mußten:
„Ze Dionys, mitn weeden b, ben Dys
rannen, mitn harten d, jchlich.
Damon, mitn weeen d, ben Dolch, mit'n
weechen b, in Gewande, mit weeen che
un'n weeden d.”
Und jo weiter,
Nun erzählten mir einmal Kinder bei
einem Jolchen Bejuche, daß der Lehrer ihnen
elebrt babe: „Wenn man das b wie w aus:
pridjt, bann 1jt es allemal weih, man jpricht
bas Láwen, bie Liewe — und alfo Leben
und Liebe find weih, dagegen jagt man:
hapern, piepen und jpridj bier fein w,
jondern ein weiches b, — alfo jchreibt man
vie Worte mit hartem b!“ - i
Das ijt bod) |pradjlid) febr nett, und id)
dente, ber Mundartforjcher hat neben feinem
Laden bod) aud) eine Heine nachdentliche,
willenjchaftlihe Freude an biejem Unter:
Iheidungsmertmal. Cs ijt gar nicht jo dumm,
wie es zunächſt jcheint.
Einmal war Profeſſor Lampredt mit
feinem hiſtoriſchen Inftttut von mehr als
hundert Schülern mein Baft. Ich zeigte den
Studenten und Studentinnen unjer altes
Schloß Windifchleuba, unb als wir in ben
Großen Gaal temen, ftieg einer der Herren
auf die Tribüne und fagte ſehr hübſch einige
Gedichte von mir her. Meine Eitelkeit wiegte
bes in dem Gedanfen, daß diejer Jungmann:
daft das geliebte Schloß ein wenig ges
fallen hätte.
Vielleicht ift bas auch der DK gewejen,
— nur war es luftig, daß juft der einzige
Brief nad) zwei Tagen von jo gang anderen
Dingen handelte! Cine Studentin jchrieb:
„Berzeihen Cie, aber id) möchte für meinen
Verlobten jo jehr gern willen, ob Ihr neu:
lider Anzug in Leipzig gearbeitet tft und
bet weldem Schneider... .“
Muß es uns, liebe Freunde, nicht aufer:
ordentlich beruhigen, zu jehen, wie die Dürre
Millenihaft aus jungen Mädchen feines:
wegs immer dürre Gouvernanten ziüchtet,
ja, wie bieje fogar ihren natürlichen Sinn
für alles Gejchneiderte mitten in ber Miifte
von gotijden Heiligen und neuzeitlichen
Balladen unbeirrbar fefthalten! Ich geftebe,
daß ich aufatmete bei ber Erkenntnis, daß
gc "T den Sjolgbünfen zu Füßen des
großen Lampreht von Boile und Chiffon
gejlüftert wird, und daß „die Jagd auf
Gs Bergen“ neben einem Wolljtoff von
Cheviots Bergen verblaBt! —
Eine bejonders hübjche Form von Baftlich-
feit haben wir immer zu Pfingiten gehabt,
indem wir uns zu diejer Woche die Rünftler
unjerer Freundjchaft gujammenbaten. Da
lajen Dichter die Ernte ihres legten Jahres
vor, und wir alle juchten geradezu etwas in
Ihonungslojejter gegenjeitiger Beurteilung,
um einander mit der Gtrenge des Maps
624 FESSES Börries, Freiherr von Miindhhaujen: Gebidjte Tse e E
abes wahre Freundſchaft zu beweijen. Da
pielten und fangen die Mufitanten, ba malten
uns Die Maler die hübjcheften Blätter in
unfer Gáftebud. ier Namen zu nennen
würde mir prableri]jd) vortommen, und bie
vielen ausgelaffenen und wikigen Gejchichtchen
unjerer Pfingiten würde id) bod) nicht dazu
erzählen mögen, um fommenden Felten nicht
ben Reiz ber Iuftdichteften Abgejchloffenheit
gegen die Öffentlichkeit zu nehmen. Së ers
Sáblte pus bei meinen „Wortragsteijen“,
daß ich Künftlergejchichtchen mit den Mugen:
dngftliden SUtiBtrauens anjehe, weil gar zu
leicht das Licht eines großen Namens wie
eine Rampenlampe entzündet wird, beren
Liht man aid) nicht fiebt, Jondern nur feinen
hellen Schein auf den Schmintebaden des
Edaujpielers, bes Erzáblers.
Aber von unjerem Gajtebud laßt mid
plaudern, denn ich bin ein Büchernarr troß
meinen verehrten freunden Fedor v. Sobeltit
und Martin Breslauer!
Der erfte Band ift voll und enthält bie
Namen von all den vielen Gajten, von denen
id) eben einige Bejchichtchen erzählte. 216
Namen füllen ben zehnjährigen Band, und
Kaune und Gaben von Zeichnern und Malern,
Dichtern unb Mlujifanten haben jede Geite
aufs buntefte ausgeihmüdt. Biele Wappen,
aber ba fie überall in anderen Gilden
ftehen und anders ornamentiert find, wirfen
jie feineswegs al MER wie in Stebmaders
GroBem Wappenbud. Wer ein Gut bat,
bem ijt met fein Schloß über den Namen
gezeichnet, wer feines Dat, den zieren be:
JN Dinge in buntem Wechjel die Seite.
uf anderen Blättern fteben fojtlide Radie-
rungen und wunDderjchöne EE
bilder, liegen Ornamente und ftelzen Wunder:
vege durch márdenbaftes Ranfenwerf. —
ie dankbar wird man beim Durch
blättern, wie viele gütige Menſchen betraten
unfer Haus, wie viel habe id) von Ilugen
Männern lernen dürfen!
Ein Redhtsanwalt aus der Schweiz tam
als Fremder und verlieh uns als ein wahrer
Freund. Ein Frankfurter Herr erzählte mir
eine wundervolle alte jübtjdje Legende als
Parallele zu meinem Goldenen Ball. Ein
junger Bhilologe jak einige Tage im Zimmer,
um Auskunft über die Quellen der Balladen
für jeine Doftor-Wrbeit zu erfragen. Ic
muß gejtehen, daß ich viel mehr von ibm
über mich erfuhr, als 1d) thm geben fonnte.
Ein Landbrieftrager fam weit hergereift, und
id) fand einen meiner feinfiibligften und ges
imeiteften Lefer in bem ſchlichten Dianne.
In der Reihe diejer Namen unferer Bälte
fehlt wohl fein Beruf und fein Lebensalter.
Und wenn wir in unjerem Bältebuche bláte
tern, jo gehen wir in einem Blumengarten
freundlidjter Erinnerungen fpazieren, und
es geht uns mit feinen Blüten, wie Riebls
Bibliothefar mit den Büchern: Die guten
ſchätzen wir, weil fie fo felten reizend, die un—
angenehmen, weil fie jo febr interejjant find.
Ber den langweiligen aber entzüdt uns ihre
ungeheure Drenge!
Gedichte von Börries, Freiherrn v. Münchhaufen
Herbftgäfte
Ans Sentier drängen im Regenwind
So unrubige Afte, —
Stille, nahdenklihe Güfte
um den Tifchkreis find.
Dor dem dämmrigen Saal
Tote Freunde heben und fenfen
Traurig die Arme. Wir drinnen denken:
Aud) ihr faßet Mer einmal!
Ad, id) bin fo bang!
Während wir drinnen trinken,
Drängen und winfen
Cote in £indenzweigen fdjon lang...
Wahrheit
„Öeflern fagteft du Plipp und Klar...
Und heute — 717
Liebe Leute,
Was id) fage, ift immer wahr!
Aber immer nur einen Tag,
Oder eine Stunde,
Ja, die naddfte Sekunde
Fede Wahrheit zu ändern vermag
Und wenn du darüber ergrimmft, —
Ohne Zweifel
Dift du ein Teufel,
Daf du einen beim Worte nimmt!
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Bei Jatobsdorf in Oberſchleſien. Künftlerifche Aufnahme
Aus deutſchen Landen
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a ei "gë Z Wa E: è 4
—— AE AT,
T. Qo RT. S
E ME RR
THE LIBRARY
OF THE
UNIVERSITY SF ILLINOIS
otototorototototorototototototototototorotoretototototototetototototorototootororototetototetotótototote;
seber bieles Thema fann man heute
nicht Ichreiben, ohne ein fürzlich
; erichienenes Bud) (Die Technik der
Lidtbildnerei) heranzuziehen, das
OF bie Technik bes photographijden
Bildes, feine Herjtellung und Veredelung
aus eigener Erfahrung behandelt. Der Ver:
fajjer diejes Buches ijt Heinrich Kühn, der
bedeutendjte Lidtbildner Ion feit Jahren.
Seine Hauptaufgabe erblidt er darin, auf
Grund von Arbeitsweijen, bie er jid) zum
guten Teil felbft zurechtgelegt hat, auf ge:
radem Wege und mit allmáblidjer Steige:
rung der Schwierigkeiten zu jenen Aus-
drucsmitteln bin:
zuführen, die den
Anſprüchen an
künſtleriſche Bild—
geſtaltung und volle
Haltbarkeit des Er:
ztelten unter Aus:
ſchluß aller erborg:
ten Bebelfe am
weitejten entgegen:
tommen. Im me:
jentlichen hält fid)
das Bud an rein
tedjni]je Dinge;
denn bie Whoto=
graphie ijt in erjter
inte eine Technif,
bie man jid) bis
zu einem ziemlich
bohen Grade an:
zueignen gezwun:
gen ijt, will man
über 3ufallsergeb:
nie binaustom:
men. us diejem
Grunde bleibt für
uns das miibeloje,
unterbaltende Her-
Helen pbotogra-
pbilder Gelegen:
Deitsbilber, Heije:
bilder u. dergl. mag
es nod) jo gejdjidt
ausgeübt werden,
ohne Belang. Die
Berjönlichleit des
Photographen
fann fid) bier nur
wenig und einjeitig
äußern, lediglid)
durch die Auswahl
des Wlotivs, wäh:
rend es fid) bei
dem Riinjtlerphoto-
graphen um Den
bejtimmten Aus-
83
Zur Technik ber fünltlerijden Photographie
Bon F. Matthies-Majuren |
DICIOIOIOIOIOIOIOIOIO OOOO OIOIIOK KKK
Der Bianift Edwin Filer é
Künftlerifche Aufnahme von E. Majow, Münden
fBelbagen & Rlajings Monatshefte. 35. Jahrg. 1920/1921. 2. BD.
IOJOJOJOJOJOJO
MIN
4
brud Handelt, um „das nad) afthetijden
Anjprüchen einwandfrei aufgebaute, in den
Tonwerten wohlberechnete Bild in einer ehr-
lichen, reinen und dauerhaften Technit“.
Mas verjtehen wir nun unter diejer Ted):
nif? Gie eingehender zu behandeln, fehlt
bier der Raum, nur einige wichtige Puntte
wollen wir herausgreifen.
Für die meijten Anhänger der Photo:
arapbie bejtebt die Technik in einigen opti:
ſchen Renntnijjen, im Belichten, Entwideln
und Kopieren auf Austopier: und Entwid-
lungspapieren. Sie Tonnen eine Landimafts-
aufnahme, ein Gelegenheitsporträt, -eine
83
41
626 EESESZZ=ZEZIZESA Y. Matthies-Majuren see
Frau Schenter. Künftlerijche
Aufnahme an E Scenter,
erlin
Innenaufnahme ohne Lichthof
maden und tennen bie Bors
glige der orthodromatifden
Platte mit und ohne Gelbfilter.
Unzweifelbaft jehr wichtige
Dinge, deren Bedeutung jogar
vielfach nod) unterjchäßt wird,
injofern als bem outen Ile:
ativ nicht bie —
Aufmerkſamkeit geſchenkt wird;
denn das Negativ ift bie Grund-
lage für jedes Gelingen. Es
kann dünn oder dichter, weich
oder härter gehalten, aber an
ih muß es fauber und ein:
wandfrei fein. Die genannten
Zultände müſſen angeftrebt,
das Ergebnis einwandfreier
Belichtung und Entwidlung
und nicht das des Zufalls fein.
gür ben ernjthaften Lichtbild—
ner ift bas Driginalnegativ
ein Zeugnis, an dem er nicht
rührt, jeden Eingriff der Hand
als Unehrlichteit empfindet.
Die reicheren Móglidteiten
einer Beeinflujjung treten
|püter bei ber Herftellung einer
Vergrößerung und dem Pofi-
tivverfahren wohl mehr in
Erjcheinung, „aber mit feinem
Mittel find Belichtungs: und
Entwidlungsfebler nachträglich ganz
aufzuheben”. Bor dem Beginn der
Aufnahme fol man fid über bas
Ziel, die Einwirkung des Bildes im
flaren fein. Alle die Fragen über
bie Lichtführung ber wichtigiten Tone
werte, das Detail und die Majjen,
die Erjcheinung bes Worwurfs als
Ganzes, was hervorzuheben und zu
unterdrüden ijt, was die Wirkung -
ausmadt und was unwidtig ijt,
miijjen vor der Aufnahme geitellt
werden. Dieje Dinge gehören zu den
Rorausjegungen, die heute nod) im
allgemeinen am wenigiten beachtet
werden, ohne die aber jede Grund:
lage, jede Sicherheit für die weitere
Arbeit fehlen wirde. Das „Sehen:
lernen“ leben wir an den Anfang.
Der Lichtbildner erfindet nichts,
fügt nichts hinzu, wählt aus, betont,
unterdriidt, trennt und bringt zu⸗
ſammen. Er verfolgt die Verände—
rung der Natur, er ſtudiert die Be—
leuchtung, er erlebt ſeinen Vorwurf,
das ſcheinbar SE Däi wird ihm
wertvoll, Jtebenjádjltd)es zum Ent:
heidenden. Dieje Art des Natur:
tudiums fenngeidjnet den Lichtbild-
ner, Der Amateur fnipit hier und
Rabindranath Tagore 8
Künſtleriſche Aufnahme von E. Bieber, Hamburg
IEN Spaziergang. Künftleriihe Aufnahme von $. von Seggern: Hamburg Ka
dort und Bat jdjon
Lët der zweiten
Aufnahme die erjte
vergejjen, und fo
pberiládjlid), wie
dieje gemacht, wer:
ben jie aud) ent:
widelt. Er freut
(i an der Klar-
heit, der Schärfe
feiner Negative
und überläßt es
dem Zufall, `
„Stimmung“
die el
Aufnahmen zu
bringen. Hat er
den Ehrzeiz, zu
ben „Fortgejchrit-
teneren” gezählt
zu werden, fo tennt
er Die neueren
Verfahren des
Gummi: und Öl
brudes und mo:
delt dann bei der
Sjeritellung der
Kopien das zwei:
felhafte Negativ
ganz purs —
weiß daß
als Haupivorzug
AS
d
>
Maria Leefer
&ünftlerifdje Aufnahme des Ateliers Eberth, Berlin
Dieler ſogenann—
ten künſtleriſchen
Drudverfahren
gilt, „daß man
die Tonwerte beim
Entjteben bes pofi-
tiven Bildes be:
einflujjen und fo:
gar vollitánbig
umändern fónne",
davon ijt aber, wie
Kühn weiter aus:
Driidlid) betont,
feine Rede, „um
einen allgemein
beitehenden Sr:
tum zu bejeitigen,
daß von einer voll:
fommenen Umge:
ftaltung ber Ton:
werte um jo mehr
abgejehen werden
muß, je Höhere
Qualitäten das
Bild aufweijen
jol. Venn ge:
Pate Töne fal:
len auch bier aus
dem einheitlichen
Bilddaratter
burd) Die geän:
derte Struftur des
41*
628 ES Y. Matthies-:Mafuren: Zur Technik ber künftleriichen Photographie ESSSS
Das Trio Popniat: Deman: Beyer
Künftlerifche Aufnahme von Karl Schenter, Berlin. (Mit Erlaubnis des Verlags W. J. Mörlins, Berlin)
Bortragsheraus
und zeritören
febr leicht Die
Bildharmonie.
Und wenn aud
eine gewille in
der Tedhnif ber
genannten Wer:
fahren — vollbe:
rünbete frei:
beit bezüglid)
der Wiedergabe
ver Tonnuancen
bejtebt, bie eben
einen ber Bor:
¿úge biejer Poſi—
tivprozejje auss
madt, jo wäre
Die Annahme
bod) volljtánbig
verfehlt, als
jollte dieje Frei—
heit dazu dienen,
aus — jdjled)ten
oder mangel:
haften Nega—
tiven gute Bilder
zu machen“.
Wir möchten
es als jebr er:
freulich und be:
jonders för:
dernd angejehen
willen, daß ge:
rade Die legten,
Helga Molander. Künftl. Aufnahme von K. Schenker, Berlin
die neueften Hin-
meile dem Ne:
gativ gelten, der
richtig belichte:
ten und ent:
widelten Platte.
Betanntlid) iit
es mid) ganz
einfach, den
Rid t=-und Shat:
tenwerten ge
recht zu werden;
zumal die wat:
men Töne Tom:
men leicht un:
durchſichtig und
zu jchwer. Um
ein annähernd
vollfommenes
Ergebnis zu et
zielen, erfand
Kühn 1915 die
jehr bemertens»
werte Methode
ber Herjtellung
zweier Negative,
eines kurzen für
bie äußerſten
Rihter und eines
langen für Die
Tieten, bie ban
in Der weiteren
Arbeit zu einer
Bildeinbeit ver:
einigt werden.
Im Hamburger Hafen. Künftlerifhe Aufnahme von $. von Seggern: Hamburg
Ein folches Nega:
tiv gibt dann alle
—
ſtufungen ziem—
lich originalgetreu
wieder.
Wud) das Ver—
tärken und Ab—
chwächen der
Platten ift mei:
(tens unnötig,
wenn ber Entwid:
lung Die nötige
Aufmertjamteit
Bet, wird.
ud) dieje Mittel
gehören [don Au
den Bebelfen, die
idjlieBlid) zu Cine
griffen führen, wie
bie Retujde, das
Deden und Sha-
ben, das ein „voll-
ftändig weſens—
fremdes Element
in eine ganz
anders — geartete
Sade hinein
trägt”.
lind damit find
wir bei dem
ſchlimmſten Übel
1 Abziehendes Gewitter
Künftlerifche Aufnahme von $. von Se
Rnabenbildnis
agern: Hamburg
Künftleriihe Aufnahme von Karl Schenter, Berlin
— e
photographijder
Darftellung, das
die gejunde Ent:
widlung des Licht:
bildes fajt vom Be:
ginn an untere
raben hat. Aud)
bier beweilt Kühn,
daß bie Netujche
nichts weiter ift,
als die Nichtbe—
erridung der
echnik. „Es gibt
feine Unvolltom-
menbeiten des
photographijden
Perfahrens, Die
eine Retujde nö-
tig machen.“
Grünblide fad-
lide Erziehung
erübrigt alle we-
lensfremben Ein—
griffe. Die auf
dem Hilfsmittel
Retuſche ſyſtema—
tiſch aufgebaute
Arbeitsweiſe iſt
nichts als eine
Täuſchung, ver—
dirbt die Photos
graphie und be:
E
endet jede Entwidlung. — Das gilt in be:
Jonderem Make für die Portratphotographie.
Mir willen, daß die Porträtphotographie
im Anfang, aljo zur Zeit, als die Mittel
nod primitiv waren, allgemein auf einer
hohen Stufe ftand, und vereinzelt jogar eine
Spike erreichte, bie heute faum überjchritten
ijt. Die erften Berufsphotographen, jchrieb
$idjtmart, famen von der Miniaturmalerei
her. Sie waren Riinjtler, und was fie in ber
s Des
oma Porten. Künftleriihe Aufnahme von Karl Schenker, Berlin
(Mit Erlaubni erlags W. Sy. Mörlins, Berlin YB. 15)
——,
8
Bildnisphotographie leiſteten, beſaß alle
éi Wel bie jie mitbrachten. Aber febr
bald drangen von allen Geiten ungelernte
Bejchäftsleute in den Stand der Berufs:
photographen ein, deren Leiftungen taum
nod) fiinjtlerijde *Bejtanbteile hatten und
deren technilche Kenntniſſe nur oberflächlich
waren. Das Bublitum, das feinen Unterjchied
wahrnahm, fiel ihnen anbeim. Und als die
Netufche, die es anfangs nicht gab, erft durd)-
632 EI Y. Matthies:Majuren: Zur Technik der fiinjtlerijden Photographie R===43
E Fürftin Jiirftenberg. Künftlerifche Aufnahme von E. Mafow, München PE
gebildet war, hörte jeder Bejchmad auf. Auch
David Hill, der um 1843 die befannten,
heute angejtaunten Bildnijje hergeftellt hatte,
ftand jchon in den achtziger Jahren fo wider»
Itandslos im Bonne bieler Entwidlung, daß
lich leine Leiftungen weder in Stellung, Aus:
Jdjnitt nod) Beleuchtung von den Arbeiten ber
anderen Berufsphotographen unterjchieden.
Auf eine aud) nur andeutende Schilde—
rung des allmabliden Niedergangs bes pho-
tographijdhen Bildniljes infolge der wenig
liebevollen Anteilnahme des geringen ted):
nijhen und funfthandwerflidhen Könnens,
der Individualität, der eigenen Ausdruck zer:
ftdrenden Retuſche und der egalifierenden
Routine in ber Auffaflung wollen wir ver:
zichten und uns nod turz mit den Anzeichen
einer Wiederbelebung, ber Wiederantnüp:
fung an jene Anfangszeiten bejchäftigen.
(fs gibt heute Berufsphotographen, die
aus Überzeugung mit all den unbeilvollen
Errungenjchaften ber Retufde, der ertiin:
Welten Beleuchtungen und Auffafjungen u. a.
je eher, je lieber brechen und die Aufgabe
SCSSSSSSSSSSeSsal Elfe Torge: Verwandlung seess 633
wieder ebrlid) und rein pbotograpbild)
lójen móbten. Oft genug boren wir fie
über die Vorgänge ber überlommenen Ar:
beiten aus den Zeiten der Daguerreotypie
reden, deren Natürlichkeit und Frifde ber:
vorheben. Damit allein ift es aber nicht
BE Die Berufsphotographie ijt zu jehr
eichäft geworden. Gie tann nur eine ges
unde Steigerung erfahren, wenn das Haupt:
eben ber Beherrihung der Technik gilt,
ie reichen, heute in hohem Maße gebotenen
Mittel auszunugen. Darüber aber find die
‚Meinungen eben nod) geteilt, was unter Be:
herrſchung der Mittel zu verftehen ijt. Ted):
nilche Neuerungen mitmachen, bedeutet nichts,
wenn fie mit ein paar Verſuchen abgetan
werden. Man tann nicht annehmen, fid) ein
Verfahren angeeignet zu haben, wenn man
nad) ein paar in Büchern oder Zeitjchriften
angegebenen Rezepten ein paar mehr oder
weniger geglüdte Bilder herausbringt. Es
andelt fih vielmehr darum, das ganze Ge:
iet ber Technit ber Lichtbildneret in ähn-
licher Weije burdjguarbeiten, wie es Kühn
in feinem Buhe verlangt, bann fommt von
jelbjt bie Erkenntnis, welche Pfujcherei die
übliche Handhabung der Photographie ijt,
daß allein biejer Mangel ben Tiefftand ver:
ſchuldet.
Wohl ſahen wir die neueren Verfahren
auch in der Bildnisphotographie angewandt,
es gab Gummi⸗ und Oldrucke aber nur als
— Im techniſchen Sinne waren ſie
änzlich unzureichend, nur mit Hilfe des
etuſcheurs ſoweit hergerichtet, den Nicht:
fenner täufchen zu fónnen. Cie erwiejen
jich in feiner Hinficht als Bereicherung, als
eine Vertiefung bes Borwurfs. Schon ihrer
unbegrenzten Daliartet wegen we) fie
auf ein lebhaftes Intereſſe des Publikums
zu rechnen. Wusfopters und Entwidlungs:
papiere vergilben oder verblaffen met [Hon
nad) wenigen Jahren, find nur als Bewers
tungsmittel, als —— für den Chas
rafter der Platte, die Whftufungen, den Bild»
aus|djnitt anzujprechen und tommen für ben
Runf hotogtaphen als Ausdrudsmittel nicht
in Frage. Gummi, Öldrud: und be[onbers
bas Umdrudverfahren find nad) bem heus
tigen Stande bie einzig wertvollen Sjer|tel:
par ete künſtleriſcher Arbeiten.
ünftleriiche Photographie bedeutet bie
** Stufe photographiſcher Bilddemiis
ungen. Man tann ihr nur gerecht wers
den, wenn man bie Tenit, von ber hier
nur ein paar wichtige Punkte hervorgehoben
find, im weiteften Sinne beherrjcht und fih
alle Vorteile zunuge machen tann, bie fie
gibt. Neben den gebotenen Ausdrudsmög-
lichkeiten ift es aber aud ege E auf
Haltbarkeit und Gediegenheit, auf E RE
lichkeit und Reinlidfeit der Technik zu halten.
Das erfordert neben dem feften Willen, nie
zu malen oder gu retujchieren, große Aus:
dauer und lange Übung, für die meiften
Photographen eine vollfommene Umftellung,
einen Jteuaufbau ber ganzen Arbeitsmethode.
Nur dann aber tann fünftlerifche Photogra:
phie Berechtigung haben, können ihre Er:
zeugnijfe Dauer und Materialwert beiten.
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Die Jugend ftirbt.
VIII LIKE
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Verwandlung. Von Elfe Torge
Ich traure ihr nidt nad —
Cie war ein Dämmerjchwered, Dumpfe3 Träumen!
Cie war ein allzu wilder Wellenichlag
Bor eines grenzenlofen Meeres Schäumen
Wm Ufer, dran ich frank vor Cebnhudt lag!
Des Leben? Mittag führt mid nun hinauf,
Und mid umfängt das Licht mit vollen Fluten.
Doch fpiir id) wohl, eS fenft fid) bald Der Lauf
Des Saggeltirn8! E3 wachſen fon bie Gluten
Der Abendpradt an meinem Weg herduf.
Dod wie ein Schmetterling, Der 30gernd fid)
Aus enger Puppe, drin er Dumpf gefangen,
Befreit und ftaunend regt fein fchimmernd Sch,
Go ijt ein Klare in mir aufgegangen:
Die Sonne, bie mir ſchwindet, — finft in mid!
XXXXXXIXIXIXIIXXXAxIIXIIXAXXIXXIXAIXXIXIIXI
LEE KR tat RR RR
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S Stovelfe nr ——
Otcccecececeeeeececececceceeccecccececceccecccececccccccce933333339393933933333333333333333339333333333325393393232?30
) in ber ber einzelne wenig genug
vom anderen hatte, waren wir eins
ander wieder begegnet, und im
gover eines Theaters hatten wir einmal
eine Swijderpauje lang, vom Flug der
Polonaile an die Wand geflemmt, ge:
plaudert und mit dem üblichen Bedauern
fejtgeftellt, daß der Krieg eigentlich bie beften
alten Befannten gejchieden und bie netteften
Zufammenhänge aufgelodert hätte. Sogar
einen gemütlichen Abend, an dem wir den
Schaden wieder gutmaden und richtig wie
in alter Zeit gujammenjigen wollten, batten
wir dabei in Ausjicht genommen — aber
bas war dann fo verlidert und nichts ge:
worden.
Ih muß übrigens jagen, daß id) ben
Juftizrat bei diejem Wiederfehen bid ge:
worden fand, obwohl er dod in all den
fargen Jabren hier in der Heimat troß feiner
blühenden Kanzlei aud) nicht gerade im
Tiberfluß gefeffen haben mochte.
Ja — und zwei», Dreimal waren wir dann
nod) jo für Augenblide aufeinandergeftoßen
— immer in Eile, auf dem Sprung und
in Betrieb —
Und dann geftern abend. Geftern abend,
als er mir ba im erften Dámmerlibte an
der Gedächtniskirche zuwinkte und mit feiner
breiten, majligen Geftalt und mit einem
Shwal von lauten Worten den Weg ver:
legte,
„Tag, lieber Dottor — endlich fieht man
Sie wieder mal! Wie geht’s? Was treiben
Sie? Gut [eben Sie aus — na Ihr Schlan:
ten babt’s eben beffer als unfereiner! —
Was? Biel zu tun — viel Arbeit? Viens
Ihenstind — das ift bod) nod) bas einzige
Vergnügen, bas uns bleibt in diefer gott:
verlajjenen, jammervollen Zeit! Sagen Cie
felbft: ijt Denn bas nod) zu glauben? — Dieje
Unfähigfeit — dieje Berfaltung — diefe Hilf:
loſigkeit!“ Gein flachiges, vollbliitiges Beficht
mit dem Behade alter Schlügernarben wurde
nod) röter, ber breite, gutmiitige Bulldoggen:
mund fletjchte, Dak es zum $ytird)ten war —
jpriibte dann plößlich diejen Zorn von fid,
iprang um in Herzlichkeit und Nähe: „Und
was maht die Familie — die Frau? Das
Tidhterden ?“
„Die find beide für ein paar Tage bei
meiner Schwelter auf bem Gut —"
„Dann find Cie jegt allein? Strobwitwer!
Das trifft fih ja bod) ganz herrlih! Alſo
dann miiffen wir den Abend feiern!” Und
ohne weiteres [Mob er mir die [were Hand
unter den Arm — legte Beſchlag auf mid.
Nein — loszufommen war da wohl nidt
mehr.
Oben von der Höhe ber Bedächtniskirche
iblug es abt. Schlank und [pif Boden bie
Türme in ben rot durchleuchteten Abend:
himmel. Als breite Wellen janfen Die
Schläge in ben bumpfen Lärm ber Gtraße
nieder, in bas tofende Braufen und Quar»
ren der Autos, in bas hammernde Lauten
der Elektrijchen, in bas taujendfältige Stim:
mengewirre —
Mor dem Straßendamm mußten mir war:
ten. Ich fragte: „Haben Gie einen beftimm:
ten 9Bor[djfag? Ich weiß. da wenig Be:
ſcheid —“
Er jchob bie dide Unterlippe vor, fann
nad und hob dann rajd) den Kopf: , Mars
ten Cie mal — ba weiß id) eine fleine
Meinftube — nicht zehn Minuten weit —
Nur zwei Rimmerden — räuderig und
ipieBig — und glatte Whorntijde. Und als
Gájte nur fo ein halbes Dugend braver,
alter Knaben. Aber ein Wirt, der fein Ge»
ſchäft verftebt, und ein Tropfen — alfo Sie
werden jeben —“
Wir bahnten uns den Meg quer durd)
das Gewimmel der Tauengienftraße und
bogen in bie [tille RanteftraBe ein. Immer
nod) hielt er mid) untergefaßt —
Ich fragte: „Sie find viel auswärts?“
pot eigentlich nicht ſchlimm. ber bod)
bin und wieder — wie bas eben fo bet nem
bejjeren alten Herren ijt —“
„Wir find etwa im gleichen Alter —?“
„Sch werde fünfzig — die Seit vergeht!”
Er jah gerade aus, bann hatte er den Fas
den wieder: „Ja — was ich abends treibe?
Ein paar Juriſtentiſche habe ich, zu denen
id jo bin und wieder aus Gewohnheit
gehe —“
„Und Cie wohnen mod) immer ba bri:
ben in der fleinen Straße mit den vielen
Bäumen?“
Geine Augen ftrahlten aus den Wüllten
ihrer Bettung: „Mit den vielen Bäumen —
und mit den vielen Kleinen Hunden — jaaa —
Müſſen Sie übrigens aud) wieder mal hin:
tommen — ift ja bod) Jahre ber — !^
Dann waren wir auc fhon am Ziel und
lagen in dem bebaglid) ftillen Raum diejer
Heinen Meinftube im halben Licht. Er hatte
wirflid) nicht zuviel verjprochen: Hier lief
ee SS) Karl Rosner: Die Begegnung BZZ 635
fid) wohl fein und hier ließ fic) plaudern.
Hier lebte jeder von den wenigen Tiſchen
mit feinen Menjchen nur für fid) und ließ
die anderen unbeadhtet.
Und bier beim Mein blübte ber gute
Juftizrat auch bald zu allen feinen Prachten.
Schon die Beratung mit dem Wirt über
die Marfe, mit der wir beginnen wollten,
war eine Angelegenheit fiir fih, war das
Konzil zweier erfahrener unb von der Wid:
tigfeit ihres Berhandelns tief durddrunges
ner Kenner. Ich jelbft wurde dabei fofort .
als mehr unerhebliche Ntebenerjcheinung ers
fannt und beijeite gedriidt. — Aljo: Hatten:
heimer Deitelsberg von 1897, Gewächs Frei-
berr von Stumm: Halberg — und fpäter
Burgunder: Chambertin 1889. Dazu Fiſch,
ein Stiiddhen gebratenes Fleiſch und Küfe.
Ein Schaufpiel, wie er bann bas erite
Glas bob, mit gejdloffenen Augen feinen
Duft nahm, leije ſchmatzend fchmedte,
faute —. Wie alle Züge feines vollblütigen
Belichtes jid) von der Außenwelt nad) innen,
nad dem Baumen wandten und dann nad)
einer Weile wiederum erichloffen: Gewiß,
bas war ein Wein, mit dem fih leben
Dep — —
Bon taujenb Dingen redeten wir — fram:
ten perjunfene Erinnerungen aus — famen
auf Cdjidjale gemeinjamer Befannter und
auf die Formen, bie bas Leben für uns
jelbft nach all dem bitteren Umſchwung biejer
Jahre nehmen wollte. Er Hatte fic) ba
eine Art von Zujhauerpiychologie für feinen
eigenen Bedarf zurechtgelegt. Ein wenig
allzu abſichtlich baute er fie vor fic bin,
verftedte er fih Hinter fie. Dadurch blieb
mir als Eindrud mehr fein Wunjd: fo
wollte er erjcheinen, als etwa die fiber:
¿eugung: fo war er. Alfo: er Hatte aus»
gejorgt und fonnte ruhig abwarten, wie fid)
ber ,europüild)e Wahnjinn‘ weiter noch ent:
wideln würde, Er war allein und trug feine
Berantwortungen. Gott fei Sant! Gegen
des viel verläjterten Sunggejellenitandes!
Ja — wenn man Frau und Kinder und
alle möglichen Zujammenhänge mit der Bore
und Nachwelt hatte, dann fonnte man wohl
Angft und Bange friegen. Er aber war
von derlei Ballajt frei. Er hatte bod) nur
jeine alte Emma, die mußte vorhalten, jo»
lange er am Leben blieb, und ihm brav
weiter wie feit zwanzig Bahren feine Wirt-
(daft führen —, Prozeſſe aber würde es zu:
nächſt aud) weiter geben — mehr nod) als
je vorher — und unter allen Umftänden bis
zu feinem erften Schlaganfall.
Wir waren bei der zweiten Flajche, als
unfer Plaudern bird) einen [djeinbar faum
nennenswerten Zwijchenfall ins Gtoden fam.
Da war die Türe von der Straße aufge:
brüdt worden und ein junger Menſch von
etwa vierundzwanzig Jahren war eingetres
ten. Schlank, blondiMópfig und friid —
Einen vergilbter und vom Gebraud reichlich
mitgenommenen feldgrauen Rod ohne Abs
zeichen trug er und hielt eine Soldatenmüße
an den biden Pad von Zeitungen und
Wodenfdriften geflemmt, die er zum Kaufe
anbot. Bon Tijd zu Tilh ging er: „Xolals
anzeiger — Woche — Illuſtrierte —?”
Und ftand dann auch vor uns —
Ich winfte ab — und jah dann, als mein
Blid auf den Juftizrat fiel, daß ber ben
jungen Menjchen mit einem Wusdrud, ber
Erftaunen, Suchen, Fragen in fih jchloß,
anftarrte — ihn gleich darauf aber mit einem
jáben Kopfſchütteln enttäufht, beinahe
ärgerlich wiederum ließ —
Schon war der Zeitungshändler weiter
vor dem nächſten Tijch, ba rief ihn ber Juftiza
rat nod) einmal an: „He — Gie da —!“
„Bitte —? Lotalangeiger — Acht-Uhr⸗
Abend — Rundihau — ?”
Rad irgendeinem Blatte griff die furze,
vieredige Hand. Und zugleich fragte er:
„nWo haben Cie im Krieg geftanden ?“
Ein wenig verwundert — gleidjjam auf:
gejdredt — richtete fid) ber junge Menſch
gerade. Als ob ibm da irgendeine alte
und halb verjuntene Gewohnheit wieder in
die Knochen führe. Mie eine Meldung Hang
bie fnappe Antwort: ,, Rejerve-Feldartilleries
Regiment fiebzehn — dritte Batterie.“
„So — — Na, waren Gie da aud mit
an der Somme —? Nein —? Nun alfo!”
Mit grimmigem Geficht und nachdenklich vor:
gejchobener Unterlippe jah ber Juftizrat an
dem anderen vorbei. Riidte fic) dann jah
gujammen, 30g bas Täſchchen und reichte bem
Manne einen Schein hin. Er jdjüttelte den
Kopf, als der fi anjdictte, den überſchüſ—
figen Betrag herauszugeben, und jchob die
Zeitung, ohne einen Blid in fie zu werfen,
zur Geite.
Mir waren wieder allein — tranten und
ipraen. Wher ber Tuftizrat war jebt zer:
ftreut, und bie behaglich-zwangloſe Stim:
mung von vorher wollte nicht recht wieder»
lommen. Es war, als ob ihn irgend etwas,
bas abjeits unjeres Plauderns lag, beſchäf—
Dote, nicht losliege und ablentte,
„Sind Gie verftimmt?”
„3 wo —! Im Gegenteil!” Er jehwieg
und fam nicht frei davon.
Der Wirt brachte ben Chambertin in ber
fleinen rohrgeflochtenen Wiege. Borfichtig
trug er ihn, als wäre in dem Kleinen [mas
len Körbchen ein Rindlein, Das über einer
heftigen Bewegung erjchredt erwachen
636 Bosse Karl Rosner: see
lónnte. — Wieder das große Schaujpiel ber
Probe. Wunderbar tentperiert war ber töfts
lidje Burgunder, Honn ſchwer wie dunfles
Blut in den dünnen Gläfern, und feine
Kraft löjte auch bald genug das Unbehagen,
das fid) da hatte niederjenfen wollen.
Und pliglid) nad einem tiefen Zuge und
ohne Übergang begann er dann zu reden.
„Sehen Gie, lieber Dottor, biejer Kerl
vorhin — der junge Burſch mit feinen Beis
tungen — na, ja — alfo an ein merfwiirs
diges fleines Erlebnis aus diefen Jahren,
bat er mid) erinnert. Wn eine Begegnung
— ja — nicht mehr. Weil er einem anderen
ähnlich fieht — das heißt nur ganz entfernt
ähnlich fieht — villen Sie, für den erften
Blid-— und weil ich den anderen aud) fo
in dem verbraudten, grauen Waffenrod und
mit der Müge unterm Arm gejehen habe.
Aljo eine ganz ausgefallene Gejdidte,
die mir im dritten Kriegsjahre — ja, An:
fang fiebzehn war es — gejdeben ift —
Un einem Sonntag — an einem Sonn:
tag nachmittag, fo um vier — id) Hatte es
mir bequem gemadt — fige ba in Haus:
Ihuhen und ohne Kragen, mit "ner Bigarre
unb bláttere in einem Attenfafzitel, den id)
mir nad) Haufe mitgenommen hatte — geht
die Klingel draußen —.
Ungewóbnlid. Ift bod) feine Bejuchs»
zeit — und von Überrajchungen bin ich fein
Freund — Na, man wird jehen.
Emma öffnet. Ich höre fie gehen — Hire
bie fette an der Türe klackern — höre fie
eine ganze Weile mit jemand jprechen.
Dann ift [ie bei mir: „Herr Gujtigrat, ein
Soldat ift draußen und fragt nad Herrn
Juftizrat —"
„So? Haben Gie ihm nidt gejagt, wann
id) in meinem Bureau zu jprechen bin?“
Die Emma nidt: „Ja — aber er jagt,
er bat privat mit dem Herrn Juftizrat zu
reden.“
„Brivat? Ein Soldat?“ Ich frage: „Iſt's
ein Offizier? Hat er denn teine Karte ab:
gegeben?“
„Nein, ein Offizier ift’s nicht: ein richtiger
Soldat. Ein junger Menſch — ein hübjcher
Menih —"
Alſo: wenn Emma das [hon fagt: „Und
was er will, bat er Ihnen nicht ver:
raten ?“
„Nein. Aber er könnte aud) nicht ins
Bureau Zommen, er wäre nur für heute in
Berlin —“
Go. Keine Ahnung hatte id. Wher ba:
mals war das bod) nod) |o: ein Soldat —
Kämpfer — Baterlandsverteidiger — Den
modte man nicht fo ohne weiteres abweijen.
Wer weiß, was er wollte? Auf meine Haus:
born jehe ich, dente an meinen kragenloſen
Hals —
„Den können der Herr Juftizrat auch fo
empfangen —“
„Aljo in Gottes Namen!“
Gleid) darauf läßt ihn die Emma ein.
An der Tür bleibt er ftehen: ftramm, beis
nahe dienftlich und ben Blid gerade auf mid.
Gin gut gewacdhjener, hübjcher, blonder Burſch
von vielleicht ¿weiundzwanzig. Die Müge
bat er in der Hand. Unteroffizierstrejjen —
bas jchwarz: weiße und noch fon Bändchen
auf ber Brujt Mein erfier Eindrud, wie
th mid fo aus dem Geffel rede: Netter
Junge — wirklich netter Junge Ein
wenig befangen — aufgeregt — unjider —
Ich bin alfo nett und leutfelig. Ich dente
ibm, näher zu tommen, weile auf einen
Stuhl: „Bitte. Entjchuldigen Sie meine
unvorſchriftsmäßige Belleidung, aber — —
Mit wem babe ich die Ehre, unb womit
fann id) Ihnen dienen?“
Er fommt näher. Immer die Augen feft
auf mir mit einem merkwürdigen Ausdrud,
der Fragen und Erregung ijt und Neugier
und Lächeln zugleid. Als ob id ein be
jonders interejjantes Menagerietier wäre —
und als ob er mir etwas ganz Geheimnis»
volles mitzuteilen hätte,
„Ich heiße Kramer —” fagt er, „Unter
oflizier Ernft Kramer auf dem Transport
von Rumänien nad) ber Mejtfront.”
„Ja —
„Ich darf mid) ausweiſen —?“ Er knöpft
den Rock auf, holt ſeine abgegriffenen Papiere
vor, reicht ſie mir hin.
Nur der Form halber werfe ich einen
Blick auf das Blatt: Ernſt Kramer —
Schriftſetzer — Geburtsort: Erfurt — Ich
falte das Ding wieder zuſammen, reiche es
ihm zurück, ſage noch: „So, ſo — aus Erfurt
ſind Sie? Da habe ich als junger Menſch
auch einmal gelebt —“
Ohne aufzuſehen nimmt er das Blatt,
meint, während er es wiederum verſorgt:
„Morgen früh um halb ſechs werden wir
wieder verladen — ich bin auch zum erften:
mal in Berlin. Und da babe id) mir ge:
Dodt: id) muB dod den Herrn Juftizrat
aujjuden —“
„Sp. „Na, da muß es ja wohl eine für
Cie widtige Sahe fein. Womit aljo — $^
Ich merte, daß id) immer nod) meine Zigarre
in Händen habe, und greife nad) dem Kiſtchen,
halte es ibm bin —: „Sie rauhen?” Dabei
treffe ich feinen Blid. Einen ganz roten
Kopf hat der Junge jebt, maifafert augen:
ſcheinlich an feinem Fall und weiß wohl nicht,
wo anfangen —
Mechaniſch nimmt er eine Zigarre, dreht
— —ñ— —
EE EE E Die Begegnung B<3332333333333S49 637
ſie in den erfrorenen Fingern — kommt
immer noch nicht zurecht.
Ich muntere ihn auf: „Haben Sie etwas
ausgefreſſen? Es wird ſchon nicht ſo ſchlimm
ſein, und wenn's irgend geht: ich helfe Ihnen
raus — !“
Da hebt er ſeinen Kopf und ſagt mit
einem Male: „Herr Juſtizrat — ich bin
nämlich Ihr Sohn —"
Alfo: wenn mir einer jäh einen Kübel
taltes Waller über den Kopf gegojjen hätte
— nidt anders hätte mir gumute fein
tónnen —! Ich weiß nod), daß mein eriter
Gebanfe war: ‚So’n netter Kerl — und fo
ein Schwein! — Und dem haft du raus:
helfen wollen! —‘ Wher id muB bod) ein
jehr entgeiftertes Geſicht gemacht haben,
denn er wiederholt: „Sa — ich bin der Sohn
vom Herrn Juftizrat —
Set babe ich mich wieder. Sch richte
mid) auf aus meinem Gejjel — empfinde
plóflid) mit einer Art Erbitterung die Haus:
ſchuhe und den fehlenden Kragen als üble
argerlide Hemmungen und Blößen — und
fage empört, mit aller Schärfe: „Mein lieber
Herr — — Kramer — Gie jhheinen fih ba
wirflid) an eine faljdje Adrejje zu wenden.
Mit jofd)en Scherzen werden Gie bei mir
feine Gejdafte machen! Oder haben Gie
ernjthaft geglaubt, daß id) Ihnen auf diefe
Behauptung bin meine Brieftalde anbieten
werde ?“
Er ftebt auf, [djüttelt den Kopf und hebt
abwebrend die Hand, in der er immer nod)
die Zigarre hält, Jagt mit erregter aber bod)
mertwiirdig fefter Stimme: „Ich bitte, Herr
Juftizgrat, ich möchte das aufflären dürfen.
Und id) veritebe bas Mißtrauen burdjaus —
aber id) bin tein Betrüger —!”
„Da bin id) bod) begierig —!”
«dett Sultigrat haben bod) in Erfurt ge:
lebt —
In p Jawol — das fagt’ ich ja
joeben: als ganz junger Menj — als Re:
ferendar —
„Und Herr Juftizrat haben damals bei
einer Frau Laufhart gewohnt —
„Zaufhart — ja, ftimmt —* Dabei
fommt eine dumme llnjidjerbeit an mid)
Beran. Durd feine ruhige Art — durd
unklare und halb verwilchte Erinnerungen,
bie mid ba plóblid) überfallen — weiß ich,
wiejo — Und gugleid) — — Gott, willen
Cie, Doktor: damals hatte mein alter Herr
bod) bielen jchönen Ehrgeiz, mid) einmal
irgendwie im Ctaatsbien[te zu [eben — Na
— fam dann anders. Uber: Laufhart —
natürlich, Die brave Witwe Laufhart! Und
die filia Mtariedhen — ja, Mtariechen — Und
— nicht wahr? — man war eben jung —.
Aber das war ja der reine Unjinn — das
war bod) hundert Jahre her —! :
Sagt er in mein Guden und Gtöbern
hinein: „Und ba war eine Tochter —" Gang
ehrlid) unb offen fieht er mich dabei aus
dem anftändigen Jungengefidte an. Nur
erwartend —
„Allerdings —" und während ich bas fage, `
ärgere ich mich wieder über meine unvolls
ftändige Montur — fühle id) mich unlicher,
beengt und unbehaglidh. „Allerdings, Herr
Kramer — id) glaube: Marie hat [ie — —"
Da nidt ber Junge, legt bie Zigarre vors
fihtig auf ben Schreibtilch bin, ijt puterrot
bis unter feinen blonden Schopf: „Mein Bater
— eben der damalige Briefträger Friedrich
Kramer — ber die Mutter bod) immer [Hon
gern gehabt hat, der hat fie dann geheiratet.
Gleich nahdem bas zu Ende war — id)
meine: gleich nachdem der Herr Juftizrat
abgereift find — —“
Alſo — mod) taum jemals in meinem
Leben ift mir mein Gehirn fo lächerlich leer
unb ausgenommen gewejen. Nach irgend»
einem vernünftigen Wort juche ih — nichts!
Aber alle möglihen Erinnerungen daran,
wie bas damals gewejen ijt, fallen mir ein:
Wie id) nad) einer albernen Gtreitlade un:
erwartet ſchnell abreiſte — und daß ich auch
dann noch ein paarmal Kartengrüße ſchickte,
aber keine Antwort bekam — und es ſo ließ.
Daß ich nie auch nur einen Augenblick daran
gedacht hatte, es könnten da Folgen — —
Endlich ſage ich, nur um etwas zu reden:
„Tia — wollen wir uns nicht wieder ſetzen?“
Und wie wir figen, nach einer Weile:
„Woher — wer hat Ihnen denn von diefen
Dingen gelprodjen ?”
„Die Mutter —“
„Alſo bat Ihre Mutter Cie zu mir ge:
ſchickt ?^
„Rein — die Mutter ijt tot —
drei Jahren [Hon —"
„Dh —!^ Dabei höre ich, wie fremd und
albern das Klingt.
Er redet dabei wieder: „Sch habe aud)
immer [Hon gebadjt: wenn du einmal nad)
Berlin fommit, dann fudft du ihn auf. Und
jebt, wo doch unjer Transport —“
Ic nice heftig. Und zugleich, wie ich ibn
jo reden höre, vor bielem leijen Gingjang
und Dialett, den ich aus bielen alten Jahren
nod) in den Obren habe, wird mir das tlar:
Alſo, das fol dein Sohn fein —. Sohn —
Kind — Nahlomme —! Dein Blut —!
Gang ftille halte ich, als ob ich irgend etwas
erleben müßte und nicht verjäumen dürfte. —
Obne Gentimentalitát — aber man hat dod)
jo gewijje Überzeugungen: aus Herfommen
oder Glauben oder Yberglauben —. Hits
feit bald
638 BS: P Karl Rosner: Die Begegnung
— reinweg nidjts. Freude? WBatergefühle?
Nee — feine Spur! Meine erte wejentliche
Empfindung: Silflofigfeit und Unbehagen.
Mein erfier Gedanfe — id) will ehrlich fein —:
Das wird Geld fojten! Der Junge wird
bid) jeBt gehörig hodnehmen! Gott ja, man
ift Dod nun einmal Rriminalift und bat bod)
wirklich allerhand erlebt —. Und ba babe
id) mich auch wieder halbwegs.
Ih fage alfo überlegt: „Tja — nun find
Sie aljo bier. Gie werden ficher verjteben,
daß mid) das alles jehr unerwartet und übers
rajchend trifft. Ich möchte auch vermeiden,
fogleich bindend Stellung dazu zu nehmen —
aber, wenn wir den Standpunkt einnehmen,
Ihre Angaben als wahr zu unterftellen —
Cie werden mit Ihrem Beſuch bod) irgend»
welche Gedanfen verknüpft haben — ? Irgend:
welche Wünfche 2”
Sicht er mid) erft ohne rechtes Berftänd«
nis an, jagt dann: „Sch habe Cie nur feben
wollen — das ijt doh ganz natürlich —"
„Bewiß — gewiß — aber, nicht wahr? —
Gie find im Feld — die Lóbnung: davon
tann man Déi aud fein Rittergut taufen! —
ift bod) fo. Und wenn man nichts zum Zu:
legen bat — ?“
Da [tebt bod) ber Junge wieder auf,
Ichüttelt den Kopf: „Ich babe Gie nicht an:
pumpen wollen.“
Ich lahe: „Anpumpen. — Lieber Freund
— iit bod) Unfinn! Ich frage Sie bod) —
jpielt ja aud) gar feine Rolle —!^ Uber:
nein — nidjt zu madjen. Bóllig ausgejdjlojjen.
Na, was fol id) Ihnen Jagen: ein ganz
famojer Zunge! Ein Rerlden, vor bem man
fih jagt: Donnerwetter —!
Aljo, ich fage: „Segt leben Sie fih mal ver:
nünftig bin!” und id) laffe von meiner Emma
Raffee bringen und Ruben — und wir plaus
dern nun ganz friedlich und gebildet. Er
erzählt, was er mitgemadt hat: bei Verdun
und in den Karpathen und in Rumänien. —
Verwundet ijf er auch ’nmal gewejen. Und
Dann frage ich ihn nod) nad) dem und jenem
von den ollen Kamellen — was er jo davon
wußte, — Mfo, der Briefträger hatte das
Mädchen geheiratet, fih aber ausgebeten,
daß jede Verbindung mit „dem Herrn Re:
ferendar” zu Ende fet. — Dn einer dummen
Gilvefternabt war ber Klamauf, auf den
bin id) damals von Erfurt abgezogen bin —
im Frühjahr hat er fie geheiratet — und im
Juni war der Junge da. — Das alles
ftimmte [fon — und bas hatte ihm Die
Mutter nad) und nad) erzählt — in einer
Zeit, in ber er felbft [hon die Regeldetri
der Schöpfungsgeichichte nachrechnen fonnte
und neugierig war und fragte. — Ja, und
damals [Hon und immer wieder hätte er fid
das vorgenommen: wenn du einmal nad)
Berlin fommft, dann juchlt du ihn mal auf!
Und ber Bater — eben ber Brieftrager
Kramer — ber jet bod) [Hon feit fieben Jahren
tot, und bie Mutter fet zu Anfang Bierzebn
geftorben —
Bis gegen feds Uhr habe id) ihn bei mir
gehabt, habe ihn mir beflopft und behordt
von allen Geiten: wiljen Sie, Dottor, — ein
ganz famojer Bengel! Einer, der wirklich
nur gefommen ijt, um zu erfahren: Alſo fo
fieht ber große Bruder aus, der daran [huld
ift, daß du auf der Erde wandelft —!
Für den Abend habe id) ihn mir dann
zu Trarbad) binbejtellt, babe ihn gefüttert,
unb wir haben aud) eine gute Flajche gee
trunfen. Bon der Zukunft haben wir ge:
redet, was er nad) dem Kriege machen wolle?
In eine Druderei wollte er wieder als Geber
geben. — Sage id: „Dann bitte id) mir
aber aus, daß Sie vorher zu mir fommen!*
Schüttelt er den Kopf und laht: „Ich werde
es jhon ſchaffen!“ Ein richtiger Didtopf!
„Menſch —" Habe ich ihm gejagt, „Menih,
jest feien Sie fein Froſch — Ichließlich, nicht?
wie wir nad) der natürlichen Schöpfungs:
geldjidjte zueinander ftehen — 1^ Wher: nein
— niht zu madjen. Na, id) habe ihm dann
bod) ein paar Blaue in feine Zigaretten:
ſchachtel estamotiert. — Aber, wollen Gie’s
glauben, Dottor, — bas Glas in der Hand,
habe ich bod) "ne ganze Weile daran herum:
gedrudit, — ich hätte es fertiggebrabt, ihm
zu fagen: Junge, auf du und du —!? Alo
tidtig nicht 'rangetraut babe id) mid) —
jenile Hemmung! — Berfall und Marasmus!
Um elf mußte er jchon wieder bei feiner
Sammelitelle fein.
Nach der Adreffe habe ich ihn gefragt. —
Feldpoftnummer. Wohin es im Weiten
ginge? Bon der Somme hätten die Kame:
raden etwas erzählt — aber darauf Tonne
man nicht viel geben —
Alſo Wbjdied. Zur Cleftrijden bringe
id ibn nod, jage ihm, wie er fahren mub.
Dann haben wir uns die Hand gegeben.
Für die Einladung hat er jid) bedankt, und
jdreiben wollte er aus dem Felde. Alles
Gute habe ich ihm gewünjcht —
Dann nad ein paar Tagen Dat er auch
wirklich gejdrieben, bat fid) für bas Geld
bedanft. Und fpáter find nod) zwei Karten
gefommen. Sch babe fie nod) irgendwo zu
Haufe. Dann war's aus. — Das war jo
die Zeit, in ber unjere Frühjahrsoffenjive
gewejen ift — id) babe oft an ihn gedadji
und ich habe mir vorgemadt: jebt fann er
gar nibts von fid hören laffen, jekt
dürfen fie nicht jehreiben! Das ift wochen:
lang fo gegangen. Na — dann ijt eines
ee EE EECH Bedichte — — — 639
Tages ein Brief von mir zurückgekommen:
„Vermißt.“
Alſo, Doktor, ich weiß noch: als ob mich
einer mit dem Knüttel vor den Kopf ges
ichlagen hätte! — Und fomi[d) ijt bas: mand:
mal will man’was partout nicht glauben, meint,
das könnte bod) gar nicht möglich fein. An
Jein Regiment habe ich damals gejchrieben, in
feine Heimat und an alle möglichen Auskunfts⸗
Helen — nichts. Bermigt. Dann habe ich
dur) Jahr und Tag geglaubt, vielleicht ift
er gefangen — und eines Tages fommt er
an. — Nein — nichts. Worbei und aus, —“
Vergrübelt fah der Juftizrat vor fih bin,
die dide Unterlippe grimmig vorgefchoben,
bie breite, turze Hand am Glaje.
„Merkwürdig ift bas — merfwiirdig: ba
Bat man nichts gewußt von all bem Kram
unb ftößt bann fo für ein paar Stunden auf:
einander — und dann ijt wieder alles aus —“
Er jchüttelte den Kopf und fpriibte bas von
fid), griff nad) dem Glaje. Er hielt es vor
lich bin, [ab in bas jdjmere Rot unb trant.
Mad einer Weile rudte er bie Schulter
unb fab mid) an: „Willen Sie, was mir
nod) immer gar nidt in ben Kopf will?
Daß id bem Jungen nicht bod) bu gejagt
babe an dem Abend bei Trarbad drüben —“
Sall pl! | | em pen | pn een pn || | | en en | | ee || elt
Sonnenfdein.
Quill in meine tieffle Oruft,
Liebes Licht, du Himmelsfegen !
Life leife, Füße Luft,
Alle fot als warmer Regen!
Dampfend wie ein Dlütenbain,
Song id) deine Gottheit ein.
Wie Sommerwind webte Sehnfudt auf,
So leis wie ein Baud), der Fommt und
verrinnt,
So golden, wie der goldene Knauf
Von Türmen leuchtet, die ferne find.
Der Apfelbaum. Von Suftav v. Seftenberg-Dadifd)
Du fhauft empor in lidjtes Blattgewirr,
Durch das die Sonne tropfenweife fällt.
Au deinen Häupten breitet fid) die Welt,
Und Himmelsbläue lächelt hinter ihr.
Ein Windhaud landet flüflernà über dir.
Die Blätter beben, und ein Apfel fällt.
Das Reifende verläßt die fd)óne Welt.
Der Tod erfdredt, was frudhtlos blieb in ihr,
Und Sonnentropfen fallen lautlos nieder,
Ein Mittagstraum läßt fid) von Afi zu Aft
ft.
Die fhlanten Rifpen, die fo fdywer be:
tauten,
Erfianden wie aus filbergrauem Meere.
Des Steppengütchens lange, niedre Bauten
Sah’n mit ah intem in die
eere,
quen | | eens | | DAE | | presa | | mcum | an |) cc | | ucc | | a | ES) | cma Leen | | ec | | EA, | | coms |} sans j| DESSE) $
Von Julius Havemann
Wie Sommerwind... Von Charlotte Bell
Au dir herab und ladet did) zu Ga
Der Schlummer [sft die Seffeln deiner Glieder,
Die Welt, die fid) zu Häupten dir enthüllt,
Hat did) mit tiefer Cruntenbeit erfüllt.
Erinnerung. Von $rida Schanz
Frühwache Schnitter — in Scha⸗
Du lebrft ſagen: liebe Not!
Bade mein verfemtes Weſen
hell wie junges Morgenrot,
Bis es ganz vom Staub genefen.
Erde, werde mir Gewinn,
Wie id) dir gewonnen bin!
Wie Sommerwind wehte Sehnfudt auf
Und fhwang fif) hoffend zum Himmel
empor
und ſchwebte in S[hmerzlihem Wechfellauf,
Bis fie fid) im Traume der Nacht verlor.
Der Ruf des — er die flache
Die Hirten bándigten die “Mlutterpferde
Mit Worten, die wie Deilhenketten waren.
I mm | mug | | mug | | ee ca] as pst | cs [ns || (ng [as [es [| /
[er | | E | u | | E | | Bee (eessen | | castus | eem | | coat | | a || sang | | ar | | cn | (Fee
E
m Nachmittag des 12, April bieles
Jahres war ber große Gaal des
GE weltbefannten Beriteigerungshaus
ou les von Frederik Muller in der
Doelenftrake in Amiterdam, in
der Rembrandt einige Jahre gewohnt hat,
von einer Su|djauermenge dicht gefüllt, Die
fid) aus den befannteften Perjdnlicdfetten
der holländilchen Mtujeums-, Sammler: und
Handlerfreije zujammenjegte. Cie waren
gujammengefommen, eigentlich nur um der
Berfteigerung eines einzigen Bildes beizus
wohnen — trofbem fieben vorzüglidhe Bil-
ber voraufgingen —, aber diejes Bild gee
hörte denn auch zu der Heinen Zahl bes
allerbód)iten Ranges. An diejem Tage follte
entjchieden werden, ob die „Straße in Delft“
der Sammlung Six dem llr]prungss und
Heimatlande erhalten bleiben, oder ob das
Bild, fo mancher tojtlidjen Schöpfung bes
Delftichen Vermeer folgend, den Weg über
den Ozean würde antreten miijjen.
Es wurde [till im Gaal, als der Aus:
bieter mit einem Eloge feines Hammers
begann. Mit 530000 Gulden wurde ber
Anfang gemadt, aber nur aus dem Munde
des Ausbieters folgten die Gteigerungen,
jedesmal um 10000 Gulden, bis die Firma
yrederit Muller felbft bei 680000 Gulden
als Erjteigerin genannt wurde. Der url
des Haujes erklärte, den wirklichen Käufer
nicht nambaft madden zu fónnen, und bis
zur Gegenwart jchweben darüber Bermu:
tungen, deren wahrſcheinlichſte dabingebdt,
daß ber frühere Beliker das Bild guriid:
grant habe. Jedenfalls |djeint, für bem
ugenblid wenigitens, die „amerikaniſche
Gefahr” bejchworen und das unvergleid)s
Cal: Werk nod) einmal für Europa gerettet
zu fein.
Wenn wir in anderen, rubigeren Zeiten
lebten, als in einer Gegenwart, in der Die
Ihidjalsjchweriten Entideidungen alltäglich
eworden find, jo würde fid) die Öffentlich»
eit wohl etwas mehr, als fie es getan hat,
mit dem Cdid]al des Bildes befaßt haben,
feit befannt wurde, daß fein Belißer es zu
verfaufen entichlojjen war. Denn ob|don
Privatbeji und nur einmal in neuerer Zeit
in einer Ausjtellung in Amjterdam allgemein
zugänglich gemadyt, war Diejes Bild dod
von vielen in dem vornehmen Patrizierhaus
des Jontheer Six van Hillegom, viele Jahre
hindurd) an ber Heerengradt, neuerdings,
leit Diejes einer CtraBenverbreiterung zum
Opfer fiel, in dem vielleicht nod) [Hóneren
Haus an der Binnen Amſtel bewundert
worden, die beide ohne allzu große Schwierig:
—— ——
Cin?
ju ie 3
REES Que
Das teuerite Bild der Welt
d Jan Vermeers „Straße in Delft”
_ Bon Dr. Georg Gronau, Direftor der Gemálde: Galerie zu Rajjel
würde der Träger einer gro
feiten den Runftliebhabern geöffnet werden.
Co hatte man fih gewöhnt, es gleidjjam
als Gemeingut angujeben und für unantajte
bar zu wähnen, ob|djon mehr als ein Bild
ber Derrlidjen Sammlung bereits verfauft
worden war. Aber [o wenig wie den ftolzeften
Beli bieles Haujes, Rembrandts Bürger:
meilter Six, hatte man roe: gedacht,
en Familien:
überlieferung Ddiejes Gtüd je hergeben.
Wie es Jcheint, hat bie Steuergejeggebung,
bie in allen Ländern wahre BVerheerungen
im überfommenen Kunſtbeſitz anrichtet (nicht
nur im verarmten Deutjchland, wo es ſchließ—
Hid) entſchuldbar ijt), es erreicht, Daß ber
jebige Beliger, gewiß nicht leichten Herzens,
jid) entichloß, gé diejes Gtiides zu entäußern.
Bon dem, augejtanben einjeitigen, Stands
punft des Runjtfreundes aus wage id) es,
diejen Verlauf eine „europäijche Angelegen-
beit” zu nennen. Gewiß, Europa ijt, gegen:
über der Neuen Welt, unerhört rei an
Kunſtſchätzen jeglicher Art, aber es gibt bod)
eine gemwilje, nicht alzu große Zahl von
Meijterwerfen, die es niemals. hergeben
folte. Bu diejer gehört das Bild, bas den
Ausgangspunkt bildet. Wenn es uns vers
loren geht, |o ift die Alte Welt um etwas
Unerjegliches ärmer geworden. Sch will
nicht in Erörterungen darüber eintreten, ob
Europa nod) wohlhabend genug ijt, fid) den
Luxus diejes Bildes leilten zu Tonnen, das,
wenn man feine bejdeidenen Abmejjungen
in Betracht zieht — es ift 53 Zentimeter
d, 34 breit — wohl das bidjt bezahlte
ild der Welt fein dürfte; aber ich habe
bas Gefühl, daß es eine Ehrenpflicht für
Holland, bas feinen Schöpfer hervorgebracht
bat, deffen alte Malkultur bier eine ihrer
unpergleidjfidjen Taten hinterlajjen hat, fein
müßte, bieles Werk fih felbft, uns allen zu
erhalten. So gewiß der alte Pla im Haufe
Six der an Stimmungswerten reichere ges
melen tft, als es einer der nüchternen Ráume
Des as bas „Reichsmuſeum“
beißt, fein würde: lieber fänden wir Die
„Straße” von Bermeer dort wieder, als daß
wir darauf verzichten müßten, fie jemals
wiederzujehen, weil es einen amerifanijden
Gelbmagnaten geliiftete, Das teuerite
Bild der Welt jein Eigen zu nennen.
Man könnte einwenden, daß Holland be:
reits in der „Anlicht von Delft“ das bedeu-
tendere von den beiden Bildern diejer Art,
bie von Bermeer befannt find, befigt, bas
feit beinahe genau hundert Jahren der
Sammlung des Daurttshuis im Haag ge:
hort. Das bedeutendere gewiß nad) dem
mm
Wu sm ER e vs vee
= —
Straße in Delft
Gemälde von Jan Vermeer
$0909090009000009009090909009090000900000000000900000
v€90909009000009099000000000000829*9240000000009000€
— — — —— —
THE LIBRARY
OF TWE
UNIVERSITY SF ILLINOIS
Dir. Dr. Georg Gronau: Das teuerfte Bild der Welt 641
Reichtum ber Rompofition, nad ben Abs
meffungen; unvergeßlich in feinem farbigen
Zauber. Aber die „Straße“ hat dafür die
régere Intimität; was jeden, der bie alten
Goländilgen Städte mit empfangliden
ugen Durdwandert, an biejen entzüdt, bat
die * eines Meiſters in glücklichſter
Schaffensſtunde darin feſtgehalten.
Der Vorwurf ijt jo einfach wie nur mög»
lid) gewählt. Ein landláufiges Giebelhaus,
von vorn geleben; links davon ein Stüd des
Nachbarhauſes, oberhalb des Fenjters ganz
von bláulid grünem Efeu bededt, zwilchen
beiden ein Durchgang, durch ben man auf
ein rüdwärtig gelegenes Haus blidt. Ein
paar Dächer ragen über die niedrige Ver:
bindungsmauer. Die Straße ijt mit holpe:
rigen Steinen gepflaftert; am Haufe jelbit
läuft ein aus Raros von | iefergrauen und
weißen Fliejen gebildeter Fußſteig entlang;
ein paar Bánte laden zum Siken ein. Das
Rot bes Badíteins herricht vor, wie im Dol:
fánbildjen Städtebild, warm und voll; und
die feinen weißen Fugen, um die einzelnen
Steine gezogen, — den Klang und
mehr noch der Kalkbewurf, mit dem die
untern Teile der Häuſer und die Toreins
fajjung bededt find. Dies Weiß hat, gegen
das Rot gefeben, eine Dok uniabrideinltdje
Leudtfrajt. Die Fläche ber Fronten wird
farbig noch durch die — belebt;
ber geſchloſſene, matt olivgrün, Der zurück—
eſchlagene, tief blutrot, iſt in der SEW
irtung burd) das umgebende Weiß ge:
fteigert. Der Laden am Madbarhaus [till
rau; das geſchloſſene Hoftor war einjt
chwarz (diefer Teil hat etwas. gelitten). ~
Vier Figuren beleben bie Kleinftadtgaffe.
Mor der einen Bant fpielen am Boden
hodend zwei Kinder wohl mit Murmeln;
ihre Kleidung gibt einen bunfeln und einen
grauen TFarbfleden ber. Objdon Harat:
teriftijd) genug in ihrer Bewegung erfaßt,
[deinen fie bod) nur da zu fein, um vorn
etwas zu beleben und, die diskreten farbigen
Werte ihrer Tracht der Kompolition mit:
zuteilen. Um jo wichtiger die beiden ans
deren Geftalten. Jn ber offenen Tür des
green Haufes [ibt eine Frau, gebüdt, an
á[de nábend. Man empfindet nur den
— der Figur gegen das dunkle Innere
des Hauſes, weil nur die weißen Flecken
der Haube, der Jacke und des Wäſcheſtücks
wirkſam werden, aber dieſe Stellung iſt ſo
treffend beobachtet, daß man die Aufmerk—
ſamkeit zu ſpüren meint, mit der ſie der
Arbeit hingegeben iſt, obſchon das Geſicht
nur als ein Flecken hingeſetzt erſcheint. End—
lich im Durchgang eine Magd, die neben
dem —— ſteht und gerade Waſſer aus»
gane bat, das, ein filbriger Streifen, ber
trakengojje zuläuft; fie [tebt, gebüdt, den
Kopf vom weihen Tuche bebedt, in roter
Jade und blauem Rod, und belebt, gegen
den Raltbewurf des hintern Haujes gejehen,
entzüdend den heimlichen Durdblid.
Über den Dächern, neben dem Biebel ein
Belbagen A Klafings Monatshefte. 35. Jahrg. 1920/1921 2. Bd,
Stüd Himmel, bläßlihblau, und reid) mit
hellgrauen Wollen überzogen; der echte
Himmel Hollands, der nur ausnahmsweije
rein und blant ift und ftrablend.
Man fieht: ein einfacherer Vorwurf lief
fid) fiir einen Maler nicht finden. Nicht das
Befondere wählte er, wie wohl andere
9rrdjitefturmaler, jonbern bas Typijche, bas,
was man in jeder |tillen Straße feiner Baters
abt Delft, wo bie fleinen Leute er Mie
nden modte. Er aber jah es We nen
ugen und jab an einem Gpätnachmittag
ur Sommerzeit, es lag warm über den
äufern, und fie ftrablten gleibfam das
Connenlidjt wieder, bas fie tagsüber ein:
gejogen batten, und die Stille wurde nur
von den jpielenden Kindern und etwa von
Schwalbenzwitſchern unterbrochen, er jah,
wie wunderbar |djón das war, und ging
heim ins 9[telier und malte das Bild, das
er fid) ralh Eer hatte.
Man fann das Cindrudsfunft nennen,
ang gewiß, und wir wollen uns daran er:
innern, daß feit der Blütezeit bes Imprejs
fionismus unjerer Zeit erft die Tage großen
Ruhmes für Vermeer anaeroben find.
Uber id) glaube, nirgends fann man bie
SE feit und Leere der Schlagworte,
die jo viel Verwirrung anrichten, ei
fallen, wie gerade angelichts bieles
weris. Denn, weil der Maler mit
Sauber diefer
gehalt. dieſer
er ers
eijters
dem
arben auch den Stimmungss
tunde jo tief und innerlich
erfaßt‘ hatte, weil ber Augeneindrud zu `
einem jeelijchen Erlebnis geworden war (ob
bewußt, ob unbewuft, ift etnerlet), wurde er
fähig, das fo malen zu Tonnen, jo zart und
o innig, dak damit bie Stunde feines Ers
lebniffes, neuen Widerhall wedenb, über die
Jahrhunderte bin fortlebt. Go ward hier
Eindrudstunft zur höchſten Ausdrudstunft.
Geltjam: vor faft genau 225 Jahren (am
19. Mai 1696) ift bieles Bild [Hon einmal
in Amfterdam verfteigert worden, in jener
dentwiirdigen Berjteigerung, aufder 21 Bilder
BWermeers verfaujt wurden, von denen uns
nod) 15 befannt find, und deren Katalog
eine der wichtigiten Grundlagen der Ver:
meer-Forſchung bildet. Es bradte Damals
75 Gulden 10 Stüwer (jet, wenn man das
yes dDazurechnet, fajt genau bas zebn»
taujendfade). Sm Jahr 1800, aud) im April,
ijt es abermals in Amfterdam in öffent
lider Verfteigerung verkauft worden und
wohl bald hinterher in den Beliß der Familie
Gix gelangt, bie es jebt hat hergeben wollen
oder miijjen.
Vielen erjcheint es banal oder [d)limmer
als das, wenn angelihts von Runjtwerfen
jo häufig von Preijen geredet wird. Die
Sjeiligteit des großen Runjtwerfs jcheint ba:
burd) entweiht zu werden. Wher man muß
d bod) auch daran erinnern, daß fih in
reijen bie Schätzung ausdrüdt, die ein
linftler genießt, und unter diejem Gefidts:
punft ijt nichts lehrreicher, als bie Preije zu
verfolgen, bie Arbeiten eines Riinftlers zu
42
642 Leo Sternberg: Die Role BZZZZZZZZZKKZİ
Derjchiedenen Zeiten erzielt haben. Es láBt
fih Darin gradezu bie Gefdjid)te feines Nads
rubms in ſcharfumriſſener Form erzählen, aber
zugleich — und das ift wichtiger — ijt bier
ein Kapitel aus dem lehrreihen Buch vom
Wedjel des Kunſtgeſchmacks beſchloſſen.
Und bei wenigen Riinjtlern bat fih diejer
fo jeltjam - — wie gerade bei dem
Delftſchen Vermeer ch und nicht van der
Vieer, bat er fid) felbjt genannt).
Bon den Zeitgenojjen wurde er hoch ges
ſchätzt und ent|predjenb bezahlt. Ein fran:
öfiicher Reijender, ber ibn in feiner Wert-
at bejuchte, fand nichts von feinen Bildern
arin vor; er [ab aber eine Anzahl bei
einem Bäder und erfuhr mit Staunen, daß
man für Stüde mit nureiner — —
bezahlte, was ihn unbegreiflich dünkte.
Trotzdem hinterließ der aler, der mit
43 Jahren ſtarb, ſeiner Witwe nur Schulden
und einen Wee der mit die Urſache
ber zerrütteten Bermógensverbáltniffe fein
modte. Mit Bildern des Gatten Juchte fie
einen Teil der Schulden abzutragen. Es
gab damals in Holland richtige Sammler
ermeerjdjer Bilder, von denen einer, der
Haarlemer Landſchafter Coclenbier 26, aller:
dings wohl, um damit Bejchäfte zu madhen,
ein anderer, ein Delfter Buchdruder Dilfius,
19 in feinem Belit vereint hatte. Die Preije,
die Je feine Bilder auf ber [hon genannten
Berjteigerung des Jahres 1696 in Amfters
dam erzielt wurden, waren für die Damalige
Zeit nicht unbetrüdjtlid); für bie „Unficht
von Delft“ wurden 3. B. 200 Bulden bezahlt.
Sm 18. Jahrhundert verblaßt Vermeers
Ruhm. Von den fiirftlidjen Sammlern, die
damals jene ftolzen Sammlungen gejchaffen
haben, bie heute namentlich unjere deutſchen
Galerien bilden, haben mande femen Na:
men offenbar taum nod gefannt; daher fehlt
MBermeer a. 98. in München und in Gajjel.
Als ber franzölilhe Runftichriftiteller Bürger,
ber unter bem Namen Thore feine grund:
legenden Bücher über bie hollandijden Ga:
lerien jchrieb, sl EECH aufmerfjam wurde,
hatte er bie größte Mühe, unter ben bie Wahr:
heit entjtellenben Bezeichnungen den Maler
wiederzuentdeden. Vermeer teilt das Los
[o vieler Riinftler, bie im eigentlichen Sinn
des Wortes Maler gewejen waren, wie Frans
Die Rofe.
Allein faf id), ber Kinderlofe,
In bem bas Leben fid) zu Ende mindet,
Das keinen Ausgang in bie Emigkeiten
finbet
— Da Offneft bu bid), mundervolle Rofe
In meines Gartens Mitte, aufgekräufelt
Rus (dywerer Knofpe, wie ein Haupt, bas
finnt,
tototototototototototototototototetotototoretotetorotototototetorotot
Uon feo Sternberg
Hals, Pieter be Hood) und im gewijjen Sinn
jelbft Rembrandt. Aber als die Gegenwarts-
tunft wieder fid) auf maleri|dje Werte ein-
zuftellen begann, als die Glanggeit einer
neuen Maltultur begann, war aud für Ver:
meer der Tag neuen Ruhmes angebroden.
Geine Bilder wurden überall aus dem Ver»
borgenen aufgejpürt; es war bie Zeit, wo
Entdedungen nod) móglid) waren: ein Herr
des Tombe im Haag fonnte noch 1882 den
wunderbaren Frauenkopf, ber heute zu den
toftbarften Stüden des Mauritshuis
net wird, für 2!/, Gulden erwerben. “Diele
petet find für immer vorbei, und nur ein
ejonderer Zufall brodte einmal, vor we:
nigen Jahrzehnten, einen echten Vermeer
für einen Iddjerlidjem Preis in ben Belis
von Dr. Bredius im Haag, der das Bild
als Leibgabe Dderjelben CStaatsjammlung
überlafjen bat.
Betannt find gegenwärtig 38 (oder 39)
Bilder bes Dialers*). Davon befigt Holland,
wenn id) recht zähle, 8, Deutjchland im öf-
fentliden Befig 6 (dazu eine Oljtudie; ein
weiteres Wert der Herzog von Arenberg,
früher in Brüffel), 6 find in England, davon
nur 2 in Staatsgalerien, je2 find in Belgien
und Frankreich unb je 1 in Öfterreich und
Ungarn — Amerita aber d nad) und nad)
11 Bilder Vermeers an fih gebradjt, und
es wey zu erwarten, daß bie — noch
in Privatbeſitz befindlichen Bilder allmählich
dorthin abwandern, wo unbegrenzte Geld-
mittel den Liebhabern alter Runft zur Ber:
fügung fteben.
Wir wollen hoffen, daß die „Straße in
Delft”, die den Ausgangspunkt unjerer Dar:
legungen bildete, nicht auch nod) Europa
verloren geht. Wenn jo oft von den Runjt:
verlujten, die Deutjchland jebt erleidet, bie
Rede ijt — und mit Schmerz zählen wir bat:
unter bas jchöne Bild, bas Dr. James Simon
in Berlin ein Jahrzehnt fein Eigen nannte —:
bier handelt es fid) zwar um Holland, aber
um eine — — Angelegenheit, die alle
Kunſtfreunde in Europa wie eine Angelegen—
heit ihres eigenen Landes anſehen ſollten.
*) Die meiſten findet man in bem fein:
finnigen Buch wiedergegeben, das E. Bliegich
1911 über Vermeer veröffentlicht bat.
Und fagft in jungem Duft: „Idh bin dein
Ki bi
n
Und meine ganze Seele bebt durchſäuſelt
Unb rinnt |
hinüber... Und ber nirgends faufende
Uerftrómt fid) felig, ba ibm die Jahr=
taufenbe
Aufbiühn in bir unb weiter find.
Mun
und Oe
Hundartenforfchungs¥olksbunde
eutſche Woltstunde und Deutjche
Mundartenforihung find Teile
ber deutſchen Philologie, b. D. Teile
ber Wiljenjchaft von ber deutjchen
Nationalität. Dieje deutjche Philo:
logie ift jebt rund hundert sa re alt, GE
Begründer waren vor allem die beiden Heffen
Jacob und Wilhelm Grimm. Man tann dieje
beiden daher auch als bie Begründer der deut:
[Hen Boltstunde anjpreden, denn thre Kinder:
unb Hausmarden von 1812, ihre deutjchen
(agen von 1816/18, ihre Werte über deutjche
Redtsaltertiimer, deutjche Heldenfage, deut:
Ihe Mythologie gehören ganz in den volts:
fundliden Zulammenhang. Aber bie Volts:
tunde als bejonderer Wilfenjchaftszweig ijt
dennod) Jungen Geht aud) bas Wort Volts:
tunde“ bis auf Riehl, den Rulturbiftoriter,
1852 zurüd, und lagern auch auf der Berliner
Ctaatsbibliotbeft 50000 immer nod nicht
ausgejchöpfte volfstunblidje Fragebogen, bte
Mannhardt jhon in den fechziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts gujammengetragen
at, fo datiert bie moderne deutfche Volts
nde Dod) erft feit Weinhold, als er 1890
den Berein für deutjche Volkskunde und zus
gleich gl Zeitjehrift ins Leben rief. Aber
Derjelbe Gelehrte hatte [Hon 1853 eine wert:
volle Schrift „Über deutiche Dialektforihung“
er|djeinen laffen. Und diefe AA Dialekt⸗
forſchung iſt ungefähr ebenſo alt wie die
deutſche Philologie überhaupt, wenn ſie auch
nicht an die Brüder Grimm anzuknüpfen ift.
Ihre Wiege ftand vielmehr in Bayern, wo
von Schmeller 1821 eine grammatijde Be:
handlung ber Mundarten des Königreichs
unb 1827/37 ein bayrijches Wörterbuch ber,
austam. Jnjofern ift aljo bie Mundarten:
forldjung als Sonderwiſſenſchaft wejentlich
älter als die Volkskunde, und in biejer ferb-
ftändigen Entwidlung liegt gewiß der Grund,
rae le von biejer etwas abgerüdt zu fein
eint.
Die beiden genannten Werke von Schmel:
ler ftellten eine wijjenjchaftlidde Tat erften
Ranges dar. Zum erftenmal war ber weits
Hidtige einheimilche Sprachſchatz eines gro-
en deutjchen Gebietes einer |yitematifchen
ehandlung unterzogen, fowobl nad) Der
rammatijden wie nach ber lexikaliſch⸗ſtatiſti—
den Geite bin. Die Dialettgrammatit judte
die bisher ungejchriebene Sprache des Bauern
ebenjo nad ſprachwiſſenſchaftlichem Schema
zur Darjtellung zu bringen, wie man Die
ejchriebene Cpradje etwa des Lateinijden,
ranzöſiſchen, aud) bes Deutjchen längſt bar:
geítellt batte. Es war alfo etn Jyftematijdes
oder jyitematilierendes, d. bh. ein rein ges
lebrtes Sntere]]e. Und in biejer grammati-
iden Analyje und Beichreibung der Mund:
arten ijt Dann fpáter, bejonders feit den
fiebziger Jahren, die Methode immer mehr
verfeinert worden, namentlich jeitdem die
junge Gonderdilziplin der Phonetit neue
Hilfsmittel lieferte. Aber freilich je größer
die Anfprühe wurden an eine möglidhit
[harfe Beobabtung und Wiedergabe, um
jo Heiner mußten bie Unterjuchungsgebiete
werden, und jo EA bie durch Cdymels
ler angeregte umfaffende-LandiMaftsgrammas
til immer mehr gujammen, bis man bei ber
einzelnen Ortsgrammatit angelangt war.
Solde Ortsgrammatiten beherrichten ſchließ⸗
lich die Dialektforjcehung überhaupt und gaben
bieler im legten Viertel bes vorigen Jahr»
unberts ihr eigentliches Gepräge. Wir be:
igen ihrer heute eine große Menge aus allen
eilen des deutjchen Sprachgebietes. Aber
je genauer und feiner bie Beobachtung ges
worden ift, je Aeren Triumphe namentlich
bie mundartliche Lautbeſchreibung und Pho:
netif feiern durfte, um jo enger mußte fie
fid) fpezialifieren, und über ber Feinheit
mancher bieler dialektiſchen Lautlehren trat
bie Frage ganz zurüd, wie weit eine folde
örtlihe Grammatif als Typus der weiteren
Gegend gelten durfte. Ja mitunter |djeint
die vollendete Technik der Sprachbeichreibung
das einzige Ziel, hinter dem bie Unjdauun
vom KO en Werden ber Mundart [ta
zurüdbleibt. Die Phonetik entwidelte fim
wie bei den Taturwifienibaften die Runjt
bes Mitroftopierens; aber Naturbejchreibung
ijt nod) feine — asi feine Biologie.
Und fo ift es fein Wunder, d von Ddiejer
glänzend entwidelten neuzeitlichen Dialekt»
rammatif recht wenig volfstümlid)e Wir:
ngen — RE find, und daß die Grund:
agen der Bollstunde, ber Vólterpiydo:
elt nur felten etwas Nuten davon gehabt
aben.
Ahnlich war die Entwidlung in ber mund-
artlichen — —— auf dem zweiten von
Schmeller angebauten Felde. Seine nächſten
Nachfolger — es ſind ihrer nicht viel — haben
ihr Vorbild kaum je erreicht. Man ſammelte
und buchte den Beſtand, beſonders denjeni—
n, den bie Schriftſprache nicht fannte, und
fo entitanden — nur dialektiſche Raritäten⸗
kammern, Sammlungen ohne höhere Gefidts:
puntte. Oder es waren wieder vorwiegend
ag philologtide Fragen, bie auf bie
reitere Bolfsfunde, auf das eigentliche Heiz
matsproblem wenig Rüdjicht nahmen, wenn
man biejelben Votabeln in verjchiedenen Bes
genden mit verjchiedener Bedeutung entbedte
und verglid), wenn man auf Dialettwórter
tie, die bisher nur in altdeutjchen Hand»
dritten oder Urkunden früherer Gabrhun:
derte bezeugt ſchienen ujw. Die vóltertunds
lide Grundfrage aber, was ijt an folden,
beijpielsweije lien Sammlungen nun
ausge|proden bejjijd) und tann helfen, die
Gigenbeit bejfijber Cpradje und heffifchen
Volkscharakters zu erklären, joldje Fragen
find im 19. Jahrhundert von den mund:
42*
Mundartenforſchung und Bollstunde 645
aud) Win und nidjt Wein? [pridjt ein Dialett,
der nicht Wasser, Jondern Water fennt, auch
beter und nicht besser, auch laten und nicht
lassen? jpricht ein Dialekt, der nicht brechen,
jondern breken fennt, aud) Sake und nicht
Sache, aud) ik und nicht ich? ufw. uw. Um
bieler Frage, deren Bejahung bisher als
jelbftverftändliches Dogma phar hatte,
auf den Brund zu geben, ftellte Menter vierzig
einfache teine Fibeljägchen zufammen, die
ausgewählte Beilpiele für diefe Frage ents
bielten, und ließ diefe durch Vermittlung
der ee überall im Deutjchen
Reihe unbefangen in bie ortsübliche Mund:
art überjegen. Mit Hilfe der Behörden ges
lang es, rund 46000 Fragebogen ſolcher Art
aus ebenjoviel bent|den GSchulorten zus
pm jie bilden das foftbare,
feiner Art völlig einzigartige Material
des großen Spracdhatlas, ber fih darauf auf:
bauen follte. Bon jedem einzelnen Wort,
das in den E, Gáben vorfommt und
nunmehr für jeden Ort in mehr oder weniger
einwandfreier Dialeftjorm — wird eine
Karte gezeichnet, alfo eine dialektiſche Haus-
Rarte, eine Wasser- farte, eineich - Karte ujw.
— eine unendlich miibjelige Arbeit, für die
feit nunmehr 34 Jahren vom Reid und vom
perni] en Minijterium die nicht unerhebs
ichen Mittel ¿ur Verfügung gejtellt werden.
fiber 500 Wörter liegen bisher in jauberer
und gege Kartenzeichnung vor. Auf
dem großen Werke hat fid) im Laufe ber
Jahre ein weitgreifendes Inftitut für bias
lektologiſche Forſchung aufgebaut, das kürzlich
vom Miniſterium als „Zentralftelle für den
Cpradjatlas des Deutjchen Reichs und
—— Mundartenforſchung“ anerkannt und
den Marburger Univerjitätsinftituten ans
gegliedert worden ift.
Wie aber fteht es denn nun mit der oben
eftellten Grundfrage: bedt fid bie i/ei-
renze auf der Eis-Rarte mit der auf der
Wcin- Karte, die t/ss- Grenze auf der Wasser-
Rarte mit der auf der besser- Karte, die k/ch-
Grenze auf ber ich-Rarte mit ber auf der
brechen-Rarte ujw.? Die Antwort lautet:
die Lantgrenzen deden fih bier und ba,
feineswegs aber überall. eilt gilt vielmehr
nicht eine fejte Grenglinie, fondern nur eine
fhwantende Grenggone, die bald jchmaler,
bald breiter, nur zu oft von bebentlidjer
Breite ijt: es gibt in ber Tat Mundarten,
wo man nicht in brunem Hus oder braunem
Haus, jondern in brunem Haus wohnt, wo
man nicht beter eten oder besser essen,
fondern besser eten fann ujw. Wie aber
ertláren Dé dieje jcheinbaren Unregelmäßig»
feiten oder Widerjprühe? Mit Jolchen
Problemen bejchäftigt fih bie Dialeftgeo:
graphie. Gie vergleicht zunächſt bie fejten
und einheitlichen Spradgrenzen mit ber
politijden, kirchlichen und gejchichtlichen Ein»
teilung des Landes und fommt da im alls
gemeinen zu dem (Ergebnis, daß fie nicht
älter find als rund fünfhundert Sabre: das
ausgehende Mittelalter ober gar erft bie ans
hebende Neuzeit haben die Bedingungen ge:
Ihaffen, unter denen bie heutigen Dialekt:
grenzen fih herausgebildet haben. Die da:
maligen Territorialgrenzen, feltener aud)
die alten Diózejan: und Kirchipielgrenzen Do:
ben die Rahmen hergegeben, innerhalb deren
ber Verkehr und mit ibm die Verkehrsſprache
ich geregelt und geformt haben. Iſt Diejer
ormungss und Ausgleichsprozeß fettoem
nicht gejtórt worden, Jo haben fich in folden
Bezirten im Laufe der folgenden jahr.
hunderte allmählih jcharfe Sprachſcheiden
ebildet, die nod) heute beitehen. urde er
Kee unterbrochen durch politijche ober
firchliche Grenganderung, fo find bie Sprad):
rengen * heute noch nicht feſt und ein:
eitlich, werden vielmehr durch [djmanfenbe
Grenzzonen erjebt. Die Landesgeſchichte mit
ihrem ganzen Berlauf und ihrem oft uns
ruhigen Sinundber bedingt alfo auch bie
Dialettentwidlung, und der Mundarten:
forjder, der im 19. Jahrhundert einjeitig
Ghonetifer und damit faft Phyliologe und
Naturforscher geworden war, wird jet
wieder zum Hiltorifer. Sprache und Mund»
art verlangen genauefte Kenntnis von Land
und Leuten.
Damit hat eine Unjdauung einen harten
Stoß erlitten, die früher immer als jelbit:
verftandlid) galt, daß nämlich in unjern
Mundarten in letter Reihe bie Eigenart der
alten beut|djen Stämme weiterlebe, der alten
Schwaben und Bayern, Franken und Gad):
fen ufw. Sekt entpuppt es fih als gefähr:-
liher 9Inadjyronismus, die Dialefte und
Dialeftgebiete von anno 1900 ohne weiteres
um taujend Jahre oder mehr als gejchichtliche
Zeugen guriidguverlegen. Nur ausnabhms:
weile fönnen [te auf ein fo hohes Alter gu:
rüdbliden, wenn nämlich die einftigen Gren:
zen ber alten Stammesherzogtümer oder
ber altbeut|djet (aue bis in die Neuzeit
unverändert fortbeftanden haben. Go bat
3. B. die äußere Begrenzung und bie innere
Gliederung des Elſaß fid) alle Jahrhunderte
hindurd feft erhalten, mochte es zu Deutfd)-
land oder zu Frankreich gehört db oder
die heutige p itiſche Scheide zwilchen Rhein-
[anb un eitfalen entjpridjt im wejent:
lien nod) ber alten Ctammesgrenae zwi-
[den Stieberiranfen und Cadjen. Die bor:
tigen E grengen find daher bis heute
[arf und geben tatjächlich uralte Hiftorijche
3ujammenbánge wieder. Daß fie aber jo
[bart geblieben find, ift dennoch nicht in
brem hohen Alter begründet, fondern darin,
daß bie ihnen zugrunde liegenden politijchen
Sceiden eet as legte halbe Jabrtaujend
hindurch nod) feit geblieben find; unb fie
wären heute wahr EM nicht weniger
Iharf, wenn jene nur biejes halbe Jabrs
taujend beftänden, erft etwa vor fünfhundert
Jahren neu gefdaffen worden wären. Und
von der mundartlidjen Hauptideide zwilchen
Mord: und Süddeutichland, von der Kaut:
per|djiebungsgrenge, bie niederdeutiches ik
unb Jüddeutjches ich, bie Water und Wasser,
646 ESSI Prof. Dr. Ferdinand Wrede: Mtundartenforjdung und Bolfstunde BZZ
slapen und schlafen trennt, wifjen wir jebt
genau, daß fie in großen Teilen, fo nament:
lih im Weiten am o gie nicht alte Stam:
mesunterjchiede wider|piegelt, fondern daß
jie feit dem ausgehenden Mittelalter fid)
Itarf von Süden nach Norden, von den Eifel: |
gegeben bis hinab nad Süjjelbor[, vorge:
hoben Hat. Und ftimmt dieſes Alters:
ergebnis nicht zu |o manden Beobabtungen
ber allgemeinen Voltstunde, wo man ebenfo
fier erfannt hat, daß 3. Y. bie hier und da
in Deut|djen Landen nod) erhaltenen Volts:
traten, bie man heute begt und pflegt als
toftbares Erbgut der Väter, verhältnismäßig
junge Üiberbleibjel ftädtiiher Moden vor
wenig Jahrhunderten barjtellen? Mit fol:
der Erkenntnis erledigen fih jelbftverjtänd:
lid) aud) (s unb da nod) |pufenbe Mei—
nungen, bap bie Unterjchiede heutiger Mund:
. arten fogar nod auf vordeutichen oder
porgermani|djen Verhältnijjen beruhen, daß
etwa Die Unterid)jiede zwiſchen bayrifcher
AR eet Spredweije an
bte Unterfcheidung zweier keltijcher Stämme,
ber Bojer und der Helvetier, antnüpfe. Die
Bertreter folder Anjchauungen find heute
faum noch ernit * nehmen und beweijen
mit ihnen minbejtens, daß fie über Dinge
urteilen, mit deren willenjchaftlicher und
metbobild)er Entwidlung fie anjcheinend nicht
haben Schritt halten können.
Die Cprad): und Dialettentwidlung richtet
fid alfo nad) ber politijden oder abmttni-
jtrativen Landfarte, b. b. ber Verkehr ber
Bevölkerung richtet fih nad) bieler und re:
elt damit ben Ausgleich dialektifcher Ver:
chiedenbeiten. Ein Beilpiel möge bas er:
läutern. Zwei Landgebiete U unb B ftoßen
im Jabre 1400 aneinander. Da wird 1410
die Grenze zwilchen beiden durch Erbvertrag
der regierenden Hdujer verfdoben, und
wanzig Ortimaften, bie bisher zu 9I ges
örten, fallen jebt an B. Diejes an B abs
getretene Gebiet beige X. Es wird nun
aus feinen bisherigen Bertehrsverbáltnifien
herausgerijjen: während es bisher Tirchlich,
gerichtlich ujw. auf A angewiejen war, ge»
birt es jebt zu B und feiner Oberbobeit;
allmählich heiratet man in X weniger nad)
A als nad) B bin; jchließlich hört die Ver:
fehrsgemeinjdaft mit A ganz auf. Die Folge
if, daß aud) Ipradjlid) X jet von A nad)
B herübergezogen wird: fprad man bisher
in U, aljo aud) in X Hus, aber in B Haus,
jo dringt nunmehr in X aud die Form Haus
ein, und es folgt gunddjt eine Zeit der
eg ber Doppeljpradigfeit, wo man
im Dialett von X Hus neben Haus hören
tann. Nach einigen Generationen [prechen
in £ nur noch wenige alte Leute Hus, und
Ihließlich jagt jedermann Haus: die Grenze
wijdjen Hus und Haus hat fih damit im
aufe ber Zeit um zwanzig Ortimaften,
eben um bas Gebiet X, veriboben. Und
nun male man jid) aus, wie oft und wie
weitgreifend im Berlaufe ber deutjchen Ge:
ſchichte |oIdje Brenzverjchiebungen, im großen
wie im Kleinen, ftattgefunden haben, und die
Folgerung ift unabweislih: bie beut|dje
Dialeftgejtaltung und Dialeftveránderung
ift gerade [o bunt und mannigfaltig wie bie
Qelibidte und bie geihichtliche Geographie
unjeres Baterlandes überhaupt! Wenn bie
politiide Landkarte im Laufe der Jabr:
hunderte ftändigem Wechjel in * Gliede⸗
rung unterworfen war, fo ijt es die Dialett-
farte ebenjo gewejen. Die verwirrende Bunt:
beit auf den Blättern bes Sprabatlas ift
ein getreues Abbild ber vaterlandijden Ge:
hidhte.
Über die Zeitdauer, die die einzelne Mund»
art brongt, um fid) den politijchen, adminis
ſtrativen, kirchlichen Veränderungen angu-
allen, ift wee zu urteilen. Cie wird von
Fall zu gall, ganz nad) den örtlichen Ver:
ältniffen, verfjchieden fein. Wher Jahr:
unberte find immer dazu nötig. Außerdem
gebrauchen bie ver|djiebenen Beltandteile ber
mundartliden Rede eine verjchiedene Zeit
gu ihrer btaleftgeograpbifd)en Entwidlung,
bie Ronjonanten eine andere als bie Botale,
bie unbetonten Endfilben eine andre als bie
fener hae Hauptfilben der Wörter; jo
chiebt fih etwa nod) heute zwilchen bas (Ge:
biet bes fiidlidjen aus und bas bes nörd-
lichen plattbeut|djen ut bier und ba eine
eh — mit aut ein, alfo [Hon mit
dem vokaliſchen Doppellaut bes Südens,
aber nod) mit bem Ronjonanten des Nor:
bens, ujw. Faßt man diefe ver|djtebenen
Grjdeinungen auf den Dialeftfarten als
Lautgeographie gujammen, fo tritt Deler
weiterhin mit bejonderen Cigenbeiten Die
Wortgeographie gegenüber. Mie ver:
läuft die mundartliche Scheide zwilchen ſüd—
beut|djem Samstag und norddeutjchem Sonn-
abend? wie bie dg E nord: und oft:
deutjchem Pferd und jüblidjerem Gaul und
jiidlichftem Ross? wie bie gwijden Rahm
und Sahne und Schmand? gwijden Boden
und Speicher ? zwijchenFleischer undSchläch-
ter und Metzger? gwijden Tischler und
Schreiner? ujw. ujw. Und wenn alle diefe
Brenzen das ` find, was haben fie für
eine Geſchichte?
Der genannte Sprabatlas bes Deutjchen
Reihs dat es bisher vorwiegend mit der
Lautgeographie zu tun gehabt. Zur Mort:
—— — tragen alle die oben erwähnten
dialektiſchen Wörterbuchunternehmungen nach
und nach ein reiches Material zuſammen.
Sie verſprechen eine neue wortgeographiſche
Anſchauung, von der man bisher kaum eine
Ahnung gehabt hat. Und alle ſolche Wort:
farten wollen ebenjo gewürdigt und biftorijd)
edentet werden, wie bie Lautfarten des
pradatlas. Da gilt es, aus Urkunden und
alten Texten nadjauweilen, ob ber Samstag
in feinem heutigen Dialettbereihe immer
ion gegolten oder ob er vielleicht im Laufe
der Jahrhunderte den Sonnabend verdrängt
hat, und dann ift den Gründen folder Ver:
änderung nachzugehen. Der Weg folder
Unterjudungen ijf von ber Lautgeograpbie
Pessesseessa Ernft Ludwig Schellenberg: Bettina 647
ewiefen: bie heutigen Berbreitungsgebiete
older Idiotismen find mit ber politifchen
und hiftorijchen Geographie in Beziehung zu
eben. Es unterliegt faum einem Zweifel,
daß fid) aus folder Wortgeographie heraus
ein gutes Stüd Rulturgeograpbtite ent:
wideln wird. Damit aber ift auch ber
Voltstunde eine GER Methode
nabegelegt, wie fie ihren gejammelten
Cdüben hiſtoriſch am leichteften beitommen
tann: fie verjuche eine Rulturgeograpbie in
die Wege zu leiten! Trachtenmufeen und
<radtenbilder allein tun es nicht: bas Ver:
— der einzelnen Tracht und
deſſen Verkehrsgeſchichte verſpricht hiſtoriſche
Erkenntnis. Und neben einer ſolchen Trach—
tengeograpbie darf aud) an eine Hausbau-
geographie, an eine erer ge ge:
dacht werden. Es follten etwa bie Verbrei:
tungsgebiete ber verjihiedenen Formen ber
Betreideitiegen auf den gemähten Feldern
que Anihauung gebrabt; oder es folte
artograpbild), bis aufs vai enau, Dar:
geite t werden, wo man die GW auf dem
opfe trägt, u. v. d. Ja, aud für die Zweige
ber Bolfstunde, die fih mtt inneren oder
eiltigen Zuftänden und —— be⸗
aſſen, wäre vielfach auf gleichem Wege
wiſſenſchaftlich weiter zu kommen. Man denke
etwa an eine Rechtsgeographie, die die Be—
reiche von Rechtsgebräuchen, z. B. auf dem
Gebiete des Erbrechts, geographiſch genau
feftzulegen und danad gejchichtlich zu unter:
Iden hatte. |
les bas fegt freilich voraus, daß Die
nötigen Sammlungen und Aufnahmen in
weiteftem Maße erjt einmal vorhanden find.
Deshalb unterjtiike jedermann die heimijchen
und heimattundlichen Geſchichts-, Altertums:,
Diufeumsvereine! Eile tut not! Denn ber
Väter alte Gewohnheiten in Sprache und
Gitte geben ftandig zurüd vor allerlei
Steuerungen. Die Dialeftgeographie bat
immer wieder den gewóbnliden Vorgang
erfennen laffen: von den Kulturzentren geht
das Neue aus und überſchwemmt immer
weiter das flache Land. Wir willen jest,
wie eine durdgreifende |pradjlidje Revolu:
tion ber Rbeinlande, von Süden nad) Nor:
sé eg Se Sei Sei Kai Sé Sei Set Sei Së Set
den im Laufe der Jahrhunderte vordringend,
ihren Brennpuntt in dem Rulturmittelpuntt
Kur⸗Köln gehabt bat. Gleiches gilt im Kleinen
aud) für bie entlegenfte Gegend, auch für
unfer obiges Beijpiel von A unb B und X,
wo etwa das Wefidenzftädtchen von B bie
efährliche Diodernifierungsquelle für X bar:
Het. Und was für die Mundart gilt, das
trifft auch für bie Bolfsfunde und alle ihre
jo verjchiedenen Teilgebiete zu. Deshalb
tette man wenigjtens in Muſeen und Archiven,
was nod) zu retten ijt. Denn die Volkskunde
ift nun einmal zu einem guten Teil die Wil:
ſenſchaft vom Altmodijchen, vom Unmodern:
werdenden, und WMundartenforjhung wie
Volkskunde beichäftigen fih mit einer Vias
terie, bte ftetem Wandel unterworfen ijt.
Jedes Ctüd deutſcher Erde ift, medjanijd)
gemejjen, heute noch basjelbe wie vor taujend
Jahren, aber das Leben darauf ijt ein an:
deres geworden. Die taujendjährige Ge:
Ihichte ijt Darüber bingegangen. Zahlreiche
Zuzüge und Einflüjle von außen, alle mig:
Itdjen Berfehrs-, Blut» und Beiltesmifchungen
haben ee Arr und fortwährend große
unb fleine Veränderungen, Ausgleichungen
gut Folge ge aud) in Gprade und
ebens rom eiten. Wir würden uns mit
einem Vorfahren aus dem zehnten Jahr:
hundert nicht verftándigen können und wiir:
den uns in feinem alten Hauje taum behag:
lid) fühlen. Die Bolfsfunde wurzelt ¿war
legten Endes in ber Romantik vor hundert
Jahren, und die Stärke bes nationalen Ge:
banfens, der dahinter ftand, führte zu der
nicht ungefährlichen Anſchauung, daß alles
Voltstundliche uralt fei. Aber gerade ein
Jacob Grimm bat uns gezeigt, wie die
Volkskunde fid) von aller Centimentalitat
EEN muß, um eine gejchichtliche
illenidjaft zu fein. ud bei ck gilt es
nicht, den Blid nur rüdwärts auf bie gute
alte — zu richten, ſondern ſie will aus
der Vergangenheit die Gegenwart verſtehen
und auf die Zukunft vorbereiten. Ge—
rade die wiſſenſchaftliche Boltstunde wird
einen wertvollen Anteil zu leiſten haben an
dem geiſtigen Wiederaufbau des deutjchen
Baterlandes.
OR
So feb” ich dich, verfhwärmt und rätfelhaft:
Im Weinberg, weiß vom Sommermonó umalajtet;
Bettina. Von Ernit Ludwig Schellenbera
Emporfaugt und ins glatte Nachtblau taftet.
Und dann — aus ungewifjer Wanderfchaft
Ein Lied, das zeitlos in fid) felber raftet.
Und Mond und Lied und Rebe fügt fid) Leite
In deiner £icbe ungebunóne Kreife.
“|
Der Rebe gleich, die fich am eignen Saft
C
SA
82.8) 8.8 8 88 88 8 Set Ze At et Sei Set bei A Zei Set Eet et Fei Zeit et Kat Set Set Bet Set Sei O^ Set Set ei
Neues bom Büchertiſch⸗
Bon Karl Ofrocfor
GtttCCCCCeC Ce CCCOCCCCCCCCCCLEEUUUUUUUU UU E EA Ae
Walter von Molo: Auswahlbände — Derjelbe: Das Volt wadt auf (Mün:
den, Albert Langen) — ara] Birger Moerner: Shlok Bravalla (Münden,
Georg Müller) — Carl Hauptmann: Drei Frauen (Hannover, Banas & Dette) —
Wanda — AE onne ber Heimat (Seipzig, Bong & Go.) — Frant Thie:
Der Tod von Falern (Stuttgart, Deutſche Verlags :Anftalt) — Artur Braufe-
wetter: Mehr Liebe! (Leipzig, Max Rod)
alter von Molo gehört zu den
CUM (c eigenartigften Köpfen im deuts
WU | Ihen Schrifttum der Gegenwart.
RICO Unjere Monatshefte haben: ibm
| [don früh Beabtung gejchentt;
feine Romane Die törichte Welt und Der
gezähmte Eros wurden hier als merfens:
werte Talentproben eines Dreikigjährigen,
eines „Icharfäugigen, energijden Sohnes des
naturwiſſenſchaftlichen Zeitalters“ notiert.
Aber beim großen Publifum fand Molo bod)
erft Eingang durch feine Schillerromane, bie
eine ungewöhnliche SNT — und
bedeutende Au fajfung neben bem Geſchick
lebendiger Darftellungstunft verrteten. Mir
wurde Molo durd) diefe Romane lieb, Ein
Befühl leifer Befremdung milchte fid) nur in
bieles Gefühl literariicher Neigung: Molo
nubte den ee] in einer Weile aus, die
an bas reftloje Abholzen alter Waldbejtände
u Nubzweden erinnerte: vier lange Romane
Die er aus bielem Stoff: Ums Menſchen⸗
tum, Im Titanentampf, Die Freiheit, Den
Gternen zu, obendrein noch ein Drama:
Der Infant ber Menjchheit. Als dies (e:
biet rejtlos erledigt war, wandte fid) Molo
mit der gleichen Zähigfeit und Energie bem
noch ergiebigeren Stoff ber preußilchen Ge:
ichichte zu. Hier hat er es zu Drei Romanen
gebracht, die fih durch beldjeibenere Titel
auszeichnen (während die vorigen ein wenig
an Herrn Stilgebauer unfeligen Angedentens
erinnerten), fte Benes Ug AM Luiſe,
Das Volk wacht auf. an darf erwarten,
daß auch der Weltkrieg für Molo einige
Romane und Dramen hergeben wird. Aber
die Großzügigkeit ſeiner Unternehmungen iſt
damit keineswegs am Ende. Vielmehr hat
er (nur ſo nebenher) noch ein anderes, viel
weiteres Gebiet entdeckt, und zu größeren
literariſchen Induſtrieanlagen verwertet: die
Weltliteratur. Seit Jahren betreibt Walter
von Molo das ebenſo bequeme wie deg as
Gei dft, mit erftaunlicher $yixigfeit Heine
n
herauszugeben, in denen er je den Extraft
eines bedeutenden Dichters, den Auszug aus
feinen beften Werten zu geben erflart. Diejem
roßzügigen Gewerbebetrieb verdanfen wir
isher folgende Erzeugnijje: Die [Hónften
Geſchichten der Lagerlöf; Die [Hónften Aben:
teuergejchichten von Gealsfield; ae | athe.
Kofatengejchichten von Gogol; Die ſchönſten
biftorijhen Erzählungen von Strindberg;
en von durchſchnittlich fünfzehn Bogen:
USOS OOO,
Das Schönfte von Dauthendey; Das Schönfte
von Ctorm; Die beiten Erzählungen von
Tolftoj; Die jchönften Novellen unferer Ros
mantit; Das KEN von Jens Peter Jas
cobjen; Die [djóniten Erzählungen von
Biórnfon; Die a bab Erzählungen von
Hauff; aud Ludwig Thoma, Knut Hamjun
fehlen nicht, andere werden folgen, denn es
beißt in der Ankündigung: „Die Sammlung
wird fortgelebt."
Hm: Das Schönfte von Molo — — jdjeint
mir diefe Ausichlachtung der Weltliteratur
nun gerade nicht. Eine Heine Gejdjmadlofigs
teit liegt [Hon in bielen entjeglichen Titeln.
Das Ganze bedeutet eine Förderung der
Oberfladhlidfeit, eine Hemmung des Strebens
nach gediegener Kultur. Gewiß ift es, rein
geichäftlich betrachtet, eine febr Huge Re:
nung: gerade in jehiger Zeit, wo die Schein
bildung an der Tagesordnung ift und wo
aud) bie neuen Reichen fih allmählich bes
mühen, „a Büldung“ zu zeigen, ijt es für
diefe lieben Zeitgenoffen etn jehr bequemes
Verfahren, fid) durch Erwerb eines Bändchens
von 240 Geiten den Tolftoj, den Ctrinb:
berg, ben Storm oder Björnjon angujdaffen
und, was nod) billiger ift, ihre Schriften
„tennen zu lernen“. „Nehmen Cie nur dies
Bändchen,“ jagt ber gewandte Verkäufer,
„da haben Cie bie Quinteſſenz bieles Dichters,
das übrige brauden Gie nicht zu fennen,
zumal in unferer jchnellebenden Bett, wo man
gar nicht dazu kommt, einen ganzen Dichter
zu lejen.” Mie der Broßhändler Auguft Prog
aus Schieberhaufen einmal ein Wagnerfongert
bejucbht, um jid) bann als Magnertenner
aufipielen zu lónnnen, fo wird er and) ficher
„Das Schönſte von Jacobjen” taufen, um
behaupten au dürfen, er fenne den bewährten
dänilchen Erzähler. Gerade das, was den
Deutſchen bisher auszeichnete: Ernjt, Griind=
lichkeit und Willen zu gediegener Geijtes:
bildung wird dadurd qm. unb a
leichte Abwege geleitet. Die Verführung +
rop — und ſchlimm genug, daß es eine
erführung ift. Man tann febr veridjiebener
Meinung darüber fein, ob felbft ein jo dichte»
tijd veranlagter, aljo berufener Auswähler
wie Molo immer wirtlid das Schönfte des
betreffenden Dichters darbietet und dDadurd)
bas Melen feiner übrigen Werte überflüflig
madt oder ob juft 240 Geiten bet allen das
rehte Mak dafür find. Um bei bem ge:
nannten Jacobjen zu bleiben, fo beftreite td)
PE -—-—
— — — —
— —
Bildnis meiner Tochter
Gemälde von Prof. Alfred Sohn-Rethel
THE LIBRARY
OF
UNIVERSITY
THE
jr ILLINOIS
Karl Streder: Neues vom *Büdjerti[d) 649
durchaus, dak dies Bändchen „das Schönfte”
an ihm bietet.
Co wenig wir alfo im allgemeinen diejem
Unternehmen des geichäftigen Dichters zus
timmen Tonnen — ohne zu vertennen, daß
olos Einführungen in die Welt feiner
Dichter met vortrefflid) find: um fo rüd:
Balt[ojer Tonnen wir ben Abſchluß feiner
MU i Romantrilogie als gelungen
ezeichnen. Wieder bat Déi Molo feine
eigene Form gewählt. Er bietet eigentlich
ar fein Bud, jondern ein Bündel von
ugenblidsbildern aus ber preußilchen
Tranzojenzeit zu Anfang bes vorigen Jabrs
bunderts. Oft its ein Bildchen von nur
dreißig, vierzig Zeilen, oft von mehreren
Geiten, aber immer mit erftaunlimer Ges
al tate plaftifd) herausgearbeitet. Eine.
0
he Fülle von Gtizzen, daß fie eigentlich
ber Theorie feiner Auswahlbände, bie immer
nur wenige Ctüde zuläßt und das meijte
für entbebrlid anfieht, wibderjpribt...
Dennod: bier möchten wir nicht allzuviel
entbebren. Der Lefer wird fortgerifjen von
Bild zu Bild, weil er eine jeltiame innere
Glut des Dichters |piirt, bie bas Ganze durch»
ſtrömt, man fónnte auch jagen: eine innere
Wut. Denn dies Bud hat der Zorn ge:
Ichrieben. Oft jehen wir deutlich, daß diefe
Menſchen nur das Rojtiim jener Zeit tragen,
ihre Leiden und Gorgen und Wünjche find
unvertennbar die unjeren. Gelten tft der
freche Tibermut, bie Robeit und Eitelkeit des
(tegreid)en Franzoſen auf jo unerbittlich Harer
Spiegelflade aufgefangen worden wie hier;
man glaubt dieje giftgejchwollenen Maul—
helden vor fih zu jehen, genau wie [ie jest in
Polen und am Rhein fid) aufjpielen, wte fie
nichts unterlajjen, ein fultiviertes Bolt, bas
webrlos ijt, durch blutige und durch ſchwarze
Samad zu vernidten. Man láBt es fih
gern gefallen, das, „was man fo den Get
der Zeiten heißt“, als des „Herren eigenen
Geift, in bem die Zeiten fih bejpiegeln”
zu erfennen, denn dadurch gerade gewinnt
dies Bud) an Bedeutung: daß es auf 1921
jo vortrefflih paßt, daß es zeigt, wie wenig
lid) bie Dienjchen ändern und die Charattere
der Bólter. Mit Zorn und Grimm erkennen
wir in biejen geiftigen Scherenjchnitten aus
jener Beit, bie übrigens von einer erftaun-
lichen Phantafiefüle Walter von Molos
Zeugnis ablegen, alle Ausgeburten frangzó:
ſiſchen Grbhalles und franzöſiſcher Dreiftigs
feit wieder, die heute in jeder Zeitungs»
nummer zu finden pe Ein tapferes Bud
in jeder Hinlicht! Auch gegenüber den An:
maßungen der ,Intelleftuellen” und Inter:
nationalen, bie es für rüdjtändig halten, wenn
ein eingeborener Deutjcher das Stiid Erde,
auf dem feine Báter und Mütter gewirkt
und ihre legte Bettftatt gefunden haben,
heilig halt. Das, Ihr Nichts-als-Hirnmenſchen,
hat mit bem ?Ber[tanbe nichts zu [djajfem,
ilt von ibm nicht einmal zu erfajjen, jonbern
ilt Sade bes Bluts. „Hier |djlug," fo ruft
ein Zandeingejejjener bei Molo aus, „der
große König feine Feinde, bier flog das Blut
unferer Ahnen, Bier liegt mein Weib be:
al aus bieler Erde. wurden wir; zu
iejer Erde werden wir; wer diefe Erde
ichändet, ſchändet uns”... „Es gibt Boden,
der nur Meizen trägt, es gibt Boden, der
nur Hafer treibt, unjer Boden trägt nur
uns Deutjche.“
Dn ihrer ganzen Hiftorijchen Größe, bie
an Peter Cornelius’ Monumentalität und
Kraft bes Wusdruds erinnert, und bod) aud)
wieder rein meniblid gejeben, ftehen die
eiftigen Führer jener Zeit vor uns: Stein,
Fichte, Gneifenau, Cdarnborit, Schleier:
mader, Jahn, Schill. In einer von innerer
Begeifterung glühenden Borlejung DK
ruft er feinen Studenten zu: „Deutlich fein,
beißt Charakter haben. Charakter wird
nidt durch free Gebirnapothefer erzeugt,
der Charakter ruht und wächſt allein in Der
Gelbjttreue ber menj|djlidjen Seele ... Bes
Ki wir Deutichen nicht feit je Menſchen—
reundlichkeit, Yeutjeligfeit unb Edelmut?...
Mie hat ber Deutiche von der AusnuBung
fremder Vólter ‚gelebt! ... Laßt die an den
Sieg glauben, die nur das Heute jehen. Wir
leben bas Morgen!“
Aber bie großen und geſchichtlichen Szenen
bilden in diefem wahrhaft. erlebten und ers
littenen Bud) nicht die Mehrzahl. In der
SHauptjache fommt es dem Dichter darauf an,
ein Moſaik bes damaligen Leidens, Denkens
und Fühlens in allen Volfstreijen zu geben,
unb bie Ahnlichkeit mit bem Heute iit jicherlich
mehr gejucht als vermieden. Go ijt es mit
jeinem tiefgründigen Grimm ein vortreffliches
Zejebud für unjere Zeit. Nachdem wir das
Keid, die Not und den frehen Übermut ber
Franzoſen gründlich durdgetoftet haben, bes -
ginnt ganz leije bas Erwachen bes Voltes
aus —— Gedrücktheit, fein Sich-Selber—⸗
ze unb das Dámmern eines neuen
orgenrotes. Mit be gi Hand ift die
Linie aufwärts geführt, das Reifen der
Boltsbewegung, bte Ermannung zum Sturm,
bis enblidj, als Napoleons Heer gejdlagen
und aufgerieben aus Rußland zurüdwanft
— in Deutichland die Gignalftangen auf:
flammen, die Rirdengloden von Dorf zu
Dorf láuten.
Ein Roman in Aphorismen! Jedes
Einzelbild ¿ujammengedrángt ‘auf Das
Mejentliche und voll Beziehung zu dem ge:
meinjamen Mittelpuntt. Bon jeinen —
Abſonderlichkeiten beginnt Molo ſich nach
und nach zu befreien: ſeine Geſtalten be—
wegen ſich nicht mehr wie die Hampelmänner
oder Veitstänzer in krampfhaft-ruckartigen
Bewegungen, es iſt nur noch ein leiſer Nach—
hall davon, wenn Fichte auf dem Katheder
„bei geballten Fäuſten und vorgeſtellter Stirn“
ſpricht, und hier ſogar recht am Ort. Nur
die unnötige Wiederholung des Namens iſt
noch geblieben: „Erhobenen Hauptes ſchreitet
gar in ben SHórjaal. Alte und junge
enjchen erheben fih; Fichte erblidt auf
der vorderiten Reihe ein Zeitungsblatt,
650 Tse Karl Gtreder: Ve el
Fihtes renger Blid verfinftert fih, gemolt,
tätig ftredt Fihte die Hand.” Diejer Fichten»
wald ift barum unfiinjtlerijd, weil ja gar
fein Grund zu der Befürchtung vorliegt, die
Gedanfen bes Lejers könnten abjchweifen
von der Gejtalt, bie durchaus im Border-
grunde bleibt. Aber das find Kleinigkeiten,
die in feinem Verhältnis ftehen zu den Bor:
nam bieles mit flammender Inbrunft und
be ligem Zorn, aber auch mit künftlerijcher
orgfalt und ftiliftijdem Filigran gejchaffenen
Budo, das eler und pum tit.
In geichichtliche Vergangenheit verjeßt uns
aud) der Roman Schloß Bravalla vom
Grafen Birger Moerner, freilid in eine
Bergangenbeit, die nicht unfer Inneres fo
tief aufrührt wie Molos Werk. Graf Mtoerner
ijt Schwede, aber er fühlt und dentt fo ganz
germanijd, daß er während des Weltkrieges
zu den wenigen Ausländern gehörte, die ibre
Stimme für uns Deutjche zu erheben wagten;
er hat damals längere Zeit im Hauptquartier
des Generals Liman von Sanders den Krieg
aus nddjter Nähe tennen gelernt und feine
Eindrüde in einem Bud ‚Mit Dem Volt bes
Propheten‘ gejammelt, bas wahrhaft begeijtert
von ber beut|den Tüchtigkeit fpridt. Der
Roman Schloß Bravalla ijt eigentlich eine
Ghronit, aber jo feffelnd und kunſtvoll erzählt,
daß er den Untertitel vollauf verdient. Statt
Schloß Bravalla würde das Bud eigentlich
richtiger Schloß Mauritzberg heißen, denn dies,
bem ?Berfajjer des Romans bis vor wenigen
Sahren nod) gehörige —— iſt eigentlich
damit gemeint. (Ich weiß das zufällig, weil
ich im Frühſommer 1914, auf einer Strind—
berg-Gtudienreije Durch Schweden, dort einige
Tage verweilte.) Das Schloß ijt nahe der
Brabudt in Oftra Husby gelegen und hat
eine reiche gejchichtliche Vergangenheit, bie
in diejem Bud ihr Epos gefunden hat.
Maurig Birgersjon Grip, ben älteften
Schloßherrn von Bravalla, lernen wir nur
auf feinem Totenbett fennen, wie er den
großen Schlüfjel, bas geheimnisvolle Erbe
von Bravalla, mit erfalteter Hand nod) feft-
alt. Diejes „Erbe der Greife", bas zu einer
ruhe gehört, über deren Verbleib niemand
etwas weiß, madt nun den eigentlichen Leit-
faden der Erzählung aus; es geht von Hand
zu Hand, von Gejdledht zu Gejdjled)t, und
wir erfahren, indem wir jeine Wanderung
begleiten, nicht nur bie ganze Familien:
getihichte des alten Gejdledts, fondern auch
ein gut Ctüd jchwedilcher Gejbidte. Alles
bóbit anjchaulich mit befter epijdjer Kunſt
erzählt; wir jehen bie djaratteri[tiid)en Typen
des GBreifengejchlechts lebendig vor uns, und
die ſchöne eigenartige Natur um Bravifen
mit ihrem malerijchen Hiigelgelande, den
alten Eichenbejtänden und bem auf alles
blidenden blauen Auge ber in die Ditiee
miündenden Bucht, fann nur ein Dichter jo
verjtändnisvoll in allen Tages: und Nacht—
ftimmungen belaujden. Die Chronik endet
mit einer Iuftipielartigen Pointe, ber doch
ein tieferer Sinn nicht fehlt. Um die lebte
ahrhundertwende nämlich merft eine neue
d)loBberrin, daß hinter bem alten Ölbildnis
des Urahnen Mauritz Birgersjon, das wie
burd) ein Wunder allen gefährlichen Schid=
jalen bes Schloſſes, Brand und Plünderung
itanbgebalten hat, bie Wand einen hohlen
Klang bat. Man Ió|t das Bild von der
Wand und findet tatjächlich eine feine Truhe,
zu der jener durch Jahrhunderte jorglich
gehütete Schlüffel paßt. Aber nicht die er:
warteten Schäße entdedt man in dem Erbe
ber Greifen, das bem Gejdledhte Glid
bringen fol, wenn es richtig verwendet wird,
jondern eine — Maurerfelle, zum Zeichen,
dak es fein Blüd ohne Arbeit gibt. Der
Verfaſſer gibt diefem Schluß des übrigens
gut unterhaltenden Romans nod eine fym:
ofilde Deutung, er verlegt die Zeit des
Bundes in bie Neujahrsnacht 1899/1900 und
üBt rechtzeitig die Uhr zwölfe Ichlagen, zum
Zeichen, daß bas neue Jahrhundert ein Jahr:
hundert der Arbeit jet. Das trifft für uns
Deutſche nun freilich beftimmt zu...
Einem verftorbenen beutjdjen Dichter fei
ein Sträußchen aufs frijde Grab gelegt:
Carl Hauptmann, dem Bruder des be:
rühmteren und begabteren Gerhart. Auch wer
nicht zu dem Häuflein übertreibender Ber:
ehrer des älteren Hauptmann gehört, die
ihn (unbegreiflih) über Gerhart ftellten,
wird ibn lieben als einen ftillen, tiefange:
legten Menjchen, den nur des Bruders Weg
und Ruhm zum Drama verführte, das war
fein Gebiet nicht, wenn er aud) in feinen
Dialektjtüden (Ephraims Breite [tebt voran)
die liebevolle SBeobadjtungsgabe des Natu-
raliften befundete. an mußte ihn aber,
namentlich nad) feinem „Tagebuch“, jchäßen
als einen Lyrifer, bem ein jeltjames Suden
und Träumen feine eigene Note gab. In
dem vorliegenden Büchlein Drei Frauen
verjudjt er fid) als Piychologe, er ftellt uns
drei recht verſchiedene Frauencharaktere in Er:
zählungsform vor, alle drei merfwiirdig und
bezeichnend für den Hang zum Wunderlichen,
ber fid) [hon in Carl Hauptmanns uberem,
feiner NRübezahlfigur funbgab. Die erfte
Gejdjidjte „Das Rátjel um Rebeffa Fum:
fahr“, gibt das fcarfumrijjene und mit
Mtaleraugen gejdaute Bildnis eines legten
Sprojjes des altberühmten Schweizer Seiden:
haujes Fumfabr & Co., ber ſchönen 9tebetta,
bie in ihrem ganzen Welen ein Kind, zur
argen Giinderin, fozujagen in aller Unjchuld,
wird, ohne fic) babet etwas zu denten und
ohne jedes Schuldgefühl. Die zweite, Slavina,
ijt bie Tochter eines Malers, jehr begabt
und von einer Joldjen Vorliebe für Dichtung
und Willenichaft erfüllt, daß fie, als Burg:
herrin von Elvershöh, über ihrer Laute und
ihrem Tacitus die Welt ba brunten und
namentlich) die begehrlichen Männer ganz
vergibt, fo daß jchließlich alle Trümmer alter
Weisheiten und neuer Gauteltiinfte über fie
zujammenjtiirzen, fie eritiden und begraben.
Die dritte Geſchichte ijt die feſſelndſte, fie
halt uns eine Weile mit den Ranten feft, die
ee) Neues vom Büchertifch seess 651
fid um Mademoijelle Rutinelli [chlingen, die
Erzieherin im Hauje des Barons Goldag,
mit ihrem fanften Madonnengeficht voll ftiller
Güte. ber als die Revolution ausbricht
und das Schloß von einer Bande gejtürmt
wird, da entpuppt fie fid) plößlich als eins
gefleijchte und hartherzige Demofratin. Drei
rote Rojen an der Bruft gieBt fie eine
mädtige *Betroleumfanne über bie Prunt-
möbel aus, das Schloß brennt nieder und
einige Zeit darauf wird Mademoijelle Kuti-
nelli in einem ziemlich a hectic grauen
Gtráflingsanzug in einem faijerlichen Blei-
bergwert untertrbi|d) bejchäftigt. Wie eine
dunfle Heilige jchreitet fie aud) da, bis fie an
Bleivergiftung eingeht. — Das Ganze bejtebt
aus Heinen Charatterftudien, nicht ohne Reig,
ijt aber bod) nicht geeignet, das Ddichterijche
Charafterbild Carl Hauptmanns, gerade in
dem, was wir an ihm jchäßen, zu vertiefen.
Carl Hauptmann gehörte zu den Heimat:
dichtern, im beiten Sinne bieles oft mip-
brauchten Worts. Zu ihnen darf man aud)
Wanda Scuss9totbe zählen, die in
Sonne der Heimat febr innige Jugend»
erinnerungen aus dem Hunsrüd bietet. Man
darf feinen Vergleich e mit Clara Bie-
bigs Eifel- Erzählungen; jo hoch Debt Wanda
Scus:Rothe nicht, es fommt ihr aud) offen-
bar nibt auf ſcharfe Gbaratterijtif Der
Menſchen ihrer Heimat an, fondern darauf:
ihre liebenswürdigen Geiten in der freund»
lihen MVertlárung der (Erinnerung dar:
ujtelen. Als Pfarrerfind hat fie Gelegen:
ett, mit allen Schichten ber Berölferung in
e Dn fommen, und jo werden wir
bei den Bauern und Wchatjchleifern des
Hunsrüd wie in einen Kreis alter Befannter
eingeführt; man fühlt fid) fogleich heimijch
unb bat feine Freude an ihrer urwüchligen
Art und einem anbeimelnden natürlichen
Humor. Die an fih belanglojen Beicheh:
nijje find hübſch erzählt, man erlebt den Huns-
rüd wirklich, aud) an rheinijdhem Dialeft
fehlt es nicht, jo daß man ein paar freund:
lide Stunden mit dem Bud) verlebt, das
feine literarijden Anſprüche erhebt, aber
das hält, was es verſpricht: es ijt ein wirt-
liches Heimatbud, und bie helle Sonne rhei:
nijdjen Frohſinns nes auf feinen Blättern.
eiffig und fiinjtlerijd) erheblich höher
Debt ein Roman, der nicht bas Leben, jonbern
das Sterben einer Boltsgemeinjchaft jehildert:
Der Tod von Falern. Gein Berfafler
up anf T bieB bat fid) [Hon Durch äſthetiſche
dritten befannt gemacht, er ijt ein feiner
Menſch, ber eigentlich für bas robe Geſchehen
des Kriegshandwerts, das in Ddiejem faft
400 Geiten ftarten Buche febr eingehend ge:
Ihildert wird, gar nicht gejchaffen jcheint.
Aber vielleicht findet man gerade darin den
Shlüjjel zu diejem Werk: augenjcheinlich
haben bie Erlebnijje des Weltkrieges mit
ihren Leiden und Schreden jo jchwer auf
Diejer mujijden Seele gelaftet, daß [te fih
davon befreien mußte durch Schreien, bird)
Spreden von dem Entjeglichen. Und dabei
bat denn Frank Thieß wohl feine Berufung
jum Erzähler gefunden. Denn diejer Todes»
ampf einer belagerten Stadt ijt mit einer
a en Sebendigteit, Kraft und Phan-
talie gejchildert. Man fühlt |d)meraba[t das
-driidende Sinnbild: wenn hier, obwohl die
Gebergabe des Dichters bas Ganze in nebels
are Ferne rüdt, ein fraftiges unb tüchtiges
olf nad) jahrelanger Cinjdjniirung jid)
einem unbarmberzigen Feinde ergeben muß
und von ihm erdenfelt wird. Wir erbliden
nod) einmal, was wir während des Bers
— „ſchon ſchaudernd er⸗
ebt“ haben: die wachſende Not, die auf die
Gemüter der Menſchen unheilvoll wirkt, ſie
ſelbſtſüchtig und neidiſch macht und ſo das
Mißtrauen der niederen Bevölkerungsſchichten
gegen die Machthaber und Führer ſchürt.
Sart und febr gejcheit ijt der Gegenſatz
zwilhen dem alten Feldherrn Marſos und
dem ibeali[tijd)ert Demagogen Can gezeichnet
— man glaubt befannte Geftalten zu feben
— und mit ftarfem fünjtlerildem Griff bat
Thieß diefe Parteitámpfe dem großen aben—
teuerlihen Belagerungsbilde mit feinen Aus:
fällen und Bertetdigungen, feinen auffladern«
den Gefechten, mit ben Schredbildern der
— und der Peſt organiſch eingefügt.
t bediente ſich darſtelleriſcher Mittel, die
an moderner Ausdruckskunſt geſchult find,
ohne in ihre Vertracktheiten zu verfallen;
ſo ſteigert Frank Thieß die Schlußabſchnitte
zu einem wahrhaft dramatiſchen Tempo, er
wabrt aber bis zulegt bie Größe der dich»
terijden Vifion, indem er beim Hereinbreden
ber Rataftropbe bie Sonet ihre helden:
bafte Größe wiederfinden läßt —: da find
alle Barteitämpfe, alle Heinlichen Gegenſätze
vor ber Bröße bes Augenblides gejdwunden,
Dpfermut Topert, Baterlanditols, Vaterland:
liebe erwacdhen vor der Vernichtung nod)
einmal und ftrablen wie eine untergehende
Sonne über rauchende Trümmer. Gin bes
achtenswertes Wert, bas wir lieber nod) als
ein großes Werjpredjen denn als eine Er:
füllung anjehen wollen.
Wer, nod) jchmerzlich ergriffen, von der
Erinnerung an den Todestampf einer tüch—
tigen Bolfsgemeinjdajt ernft und betrübt
— iſt, der greife zu einem roten
üchlein, auf dem mit pomene Buchſtaben
ber Weckruf Mehr Liebe! gejichrieben ftebt.
Artur Branjewetter, der Geellorger und
befannte Schriftiteller, gibt hier bas Befte,
was id) von ihm fenne: jeine verlangende
Geele, er gibt fie tn einer zujammengedrángten
Beſchwörung unjerer Beat. einer eindrings
lihen Mahnung, einem jehnjüchtigen Ruf
nach mehr Liebe, mee Güte, mehr Menſch—
lichfeit. Reine pazifiitiichen Phrajen bringt
das. Heine CErbauungsbiidlein, auch feine
vom Dogma ober gar von Starrglaubigfeit
verjhnürten Predigten. Ein Menjch redet
bier zum Dtenjchen, aber fo innig, fo eins
bringlid) und durch die Kraft feiner Geele
überzeugend, daß man wahrhaft erhoben
und bejjer geworden das Büchlein jchließt.
e Slluftrierte Runoͤſchau e
OtCCeecccececceceeccececccececceccccccccccccececccccccccceocqc(coeoUuy233333333333333333333333333233233332323233333232333233250
Karl Ernft Ofthaus, ber Gründer bes Folfwang-Mtufeums T — Oswald
Herzogs abfolute Runft — Reitangiige für Damen — Tierbildhauer
Emil Manz — Zu unfern Bildern
DEOR EE
ynbuftzieftdbte ftehen nicht in bem Ruf,
einen günjtigen Nährboden für fünjtle:
rijde Beltrebungen zu bieten. Um jo erftaun:
licher war, was der im Frühjahr verjtorbene
Karl Ernft Ofthaus in Hagen i. W. ge:
leiftet bat. Mer fein Week Bildnis
von Pantof betrachtet, ahnt freilich, Daß
diefer Mann nicht bloß ein gejchmadvoller
Magen und ein glüdlicher Sammler gewejen
ift, Poner dak in ibm ein leidenjchaftliches
Teuer glübte. Ihm war bie Runjt feine
vornehme oder liebenswürdige Beichäftigung
[ur nüglich zu verwertende Nebenftunden;
ie war für ibn Mittel und Ziel gum Schaffen.
Er Honn, ein Aſthet, mitten im tätigen
Leben. Er jchuf feiner Vaterftadt eine Billen:
tolonie, die der heiligen Schönheit der mütter:
licen Erde würdig fein folte; er war ber
unermüdliche Förderer bes auf feine An:
regung entftandenen Deutſchen Mujeums für
&unjt in Handel und Gewerbe. Die Krone
jeiner Arbeit und feinen Ruhm bildet jedod)
bas Folkwang-Muſeum, eine Galerie mo:
derner Hunt, deren Reichtum und Schön:
heit immer wieder wunderbar erjd)eint. Der
Name des Mujeums ift ber nordijden Götter:
lage entnommen. olfwang (Flur der Heer-
dar) heißt Frenjas Gaal, in bem fie der
SO 92,00, 00,09, 00,00, 00,00, 098,00, 09,09, 00,00, OMS OG OG OH OOOO OLD HOS OMO GOS
ROSIE HITS OP. IG IRE PO IOI: LIEK oe CE EEE Nee Se”
e i
Toten Hälfte jammelt, während bie andre
Ddin SE — bas fiimmt nicht recht für
dies Miujeum. Denn Ofthaus hat Lebende
gejammelt zu einer Zeit, wo fie noch nicht
gonneg waren. Heute, wo es ftaatliche
ammlungen mit ihren Erwerbungen oft
übereilig Haben, erjdjeint bas als fein be:
jonderes Berdienjt, und darum muß man
inzufügen, daß Ofthaus einen erftaunlichen
lid nicht nur für das Neue hatte, jondern
aud) für Das, was dauernd wertvoll zu fein
oder zu werden perjprad) Jn diefem Mus
feum mit dem altgermanijchen Namen fanden
auch die großen VE Meijter von
Manet bis Viatijje eine —— Aber
die fördernde Liebe des Sammlers galt den
jungen deutſchen Künſtlern. Mochten ſie oft
ungebärdig auftreten — wenn ſie nur eines
lebendigen Willens und voll ſtrebender Kräfte
waren. Es iſt ein ſchwerer Verluſt, daß ein
Menſch, deſſen Seele mit heiliger Begeiſte—
rung dem Kommenden aufgeſchloſſen war,
gerade jetzt ſcheiden mußte, wo leidenſchaftlich
um eine neue Geſtaltung von Kunſt und
Leben gerungen wird.
B &
Diejes Neue ſucht aud) in den merfwiir-
digen Zeichnungen von Oswald Herzog
N EEE EC, nam,
A Pferde. Gemälde von Franz Marc. Hagen, Follwang: Mujeum
Jluftrierte Rundſchau 653
s “ —
a o AS ^
E. UN gea hd
Bildnis von Frau ©. Ofthaus. Gemälde von
Augufte Renoir. Hagen, Follwang: Mufeum
fih auszufprechen. Wir find überzeugt, daß
die meitten Betrachter zunächſt den Kopf
jchütteln werden, aber es will uns dod
idjeinen, als lobne es fi), dem Künftler zu
folgen. Zunächſt jet er mit ein paar Worten
vorgeftellt: 1881 in Haynau in Sdlefien
eboren, erlernte er in
iegni& das Bildhauer:
handwert in einem Gtud:
geihäft, fam dann auf
Berliner Runft: und Runft:
gewerbejchulen, arbeitete in
jetnem Beruf und ftudierte
die Antifen des Alten
Mufeums. Es find alfo,
will uns [djeinen, alle Bor:
bedingungen für einen ore
dentliden Künftler geges
ben. Aber Herzog geriet
ins Grübeln. Es erjchien
ihm — und er legte jeine
Erlebnifje auch in. mehre:
ren Schriften nieder —, als
hätten wir bisher nod) nicht
genügend bemerft, Daß
alle jeeliihen Borgánge
rhythmijch - dynamijcher
Natur feien. Bisher hätten
wir fie nur Durch bie Ver:
mittlung von menſchlichen
Gejtalten wahrgenommen.
Es gäbe jebod) eine reine
Runjt der Linie, genau jo
wie eine abfolute Mufit,
bie aud ohne Hilfe des
Morts durch reine Form
zum genießenden Herzen
den Weg finde Diele
Fähigkeit: feelijhe Bor:
gänge in abjoluter Form -
" Gelbitbildnis
Gemälde von Paula Moderfohn
Hagen, Foltwang: DPtujeum
Bildnis von Dr. Karl Ernft Ofthaus, bert
Begründer bes Foltwang: Mufeums zu Hagen
unb unmittelbar zum Ausdrud zu bringen, ift
nad) Herzogs Meinung bie höchſte Aufgabe
der Hunt, Ganz jcheint er fie aud) nad)
eigenem Urteil noch nicht gelöft zu haben.
Er ftebt, wenn er feine Gefühlsausbrüdhe
mit wegweijenden Unterjchriften verfiebt,
ungefähr auf dem Stand:
puntt ber Programmujif.
88 ag 8
Die hübſchen Bilder auf
S. 655 zeigen moderne
Reitanzüge für Da—
men. Der Herrenſitz gilt
ion lange nicht mehr als
eine herausfordernde Red:
heit, fondern bat fih aud
in ber guten Gejellichaft
fein Redt erworben. Die
Mode freilich hat fid) bis
vor furgem bemüht, den
Anzug auch ber im Her:
ren|i& reitenden Dame
nad) Möglichkeit dem Der
Sportgenojfin im Samen:
jattel anzugleichen, vor
allem legte fie auf Dunfle
Farben Wert. JeBt find
bie Breedes — ein eng:
Dldes Wort für unjer ver:
ihollenes Bruh, was Hofe
bedeutet — bell wie Die
der Herren, und auch Der
langihößige Rod ijt nicht
mehr unperbrüdjlidje Bor:
Ihrift. Wenn die Dame Luft
at, fann fie fid) in weißer
luje zu Pferde zeigen.
88 8 88
Vol friiher Natürlich:
feit find die Tierplaftiten
Lee EE EE SS SNuftrierte 9tunbjdau sees 655
ET 67 TIA Sen =
a e D *y FA y
y e Y s E
Neuer Damenreitanzug. (Aufnahme Hünich)
nif, die die Brundjäße bes Rupferdruds auf
bie Schnellprefje überträgt — haben wir für
das Gemälde „Abflauender Sturm” von Prof.
$. Bohrdt angewandt (zw. ©. 568 u. 569).
Auch diejes Bild ift mit bejondrer Umſicht
gerade für Diele Art der Wiedergabe aus:
gewählt worden, denn jo günjtige Ergebnilje
der Tieforud jebt endlich zeitigt — er ilt
burdjaus niht wahllos für jedes Gemälde
oder jede Plaftit
u verwenden. Dn:
Fon Decheit ijt nicht
daran zu denten,
Dak er bem Far:
bendrud Eintrag
tut. Wie prächtig
ijt Die „Hütte“ von
dem Dijjeldorfer
Sr. Pauly-Ha—
en gelungen,
an bat biejem
Rúnjtler Monu—
mentalität in der
Farbe nadge:
rühmt. Das fommt
aud in unfrer
Wiedergabe ber:
aus (om. ©. 576 u.
577). Und wie ftart
ijt bie Vorjtellung
bildnijjes ausjpricht (zw. ©. 648 u. 649). Ge:
wiß, wer das Urbild vergleicht, wird unjre
Abbildung nur als Gedádtnisitiize gelten
laffen. Aber für fih betrachtet ift bie Wieder:
on eine Augenweide Prof. Hermann
radI, den Nürnberger, tennen bie Lejer
feit bem vortreffliden Aufjag von Dr. Hein
rid) Bingold, einem Beitrag, der den wejent:
lichen Kern eines liebevollen, anjchaulichen
Buches bildet, bas ber Verfaffer im Verlag
von Walter Hädede in Stuttgart hat erjcheinen
laffen. Mit unjrer inhaltlich und farbig über:
ausanmutigen „Fröhlicden Gejellichaft“ jet auf
des Meifters &unjt erneut hingewiejen, aber
aud) auf bas jchöne, lejenswerte und aufs
reichlichfte mit Bildern ausgeftattete Werf.
Juſt in einer mannigfad) verworrenen trüben
Zeit ift Grad! für viele ein herzlich will:
lommener Gajt. Denn wer fih in feine Art
verjentt, erfährt den Gegen einer fih fam:
melnden und fid) aufs Wejentliche befinnenden
Andacht. Ein gejundes Herz und die Natur
in ihrer — Schönheit — das iſt's,
worauf es ankommt. Im — mag ſein,
was will. „Da draußen ſtets betrogen . . .“
on ijt Wahrheit und Güte und jehr viel
Sonne. Gradl beweilt aufs troftlidfte, daß
in unjrer Zeit neben ber weltgejchichtlichen
Traaódie und Komödie aud) Raum bleibt
für Die Idylle. Es find dod nicht bloß die
Helden und Händler, die Heiligen und die
Seuhler, die den Faden des großen Ge:
ſchehens fpinnen, fondern neben ihnen. ftebt
die uniiberjehbare Menge der fleinen Leute,
die in barmlojer Geniigjamfeit ihr Ge:
werbe treiben, wie es ihre Eltern getan
‘at und ihre Entel tun werden; un:
efiimmert um politijde Umwälzungen
de seh jie den fleinen Umtreis ihres Lebens
ab. Der Alltag ijt ihr AH. In ihrem All:
tag wurgelt Gradis Kunjt. Um ibn webt
u A
wen
von fliifjigem Gold,
in dem fid) Dos
— — bes |
obns Rethels ^7 =
iden Mädchen:
Neuer Damenreitangug. (Aufnahme Hiinid) 7
656 PSssssesesssa
EK — — —
t
— — — "
`
Pr
z Spielende Bären.
fie die goldenen Schleier ber Poefie. Aus
ibm ift fie erwadjen. Und das will viel
bedeuten. Denn jchließlich fängt alles Gliid,
aud) bas pülferum|pannenbe, in der Enge
des SE an. reili, wenn von mo:
zen Diejelben
bleiben, wird
uns aufgeben,
8
REN nd A
Franzöfiihe Bwergbulldogge
Rleinplaftit Hp Eee von Emil Manz
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LS P -
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B533333333333334
a Së
FY
Bon Emil Manz
daß ein Mann wie Gradl uns Tröftlicheres
au Jagen bat als mancher wirr ftammelnde
. Prophet. Womit allerdings nicht gejagt
werden fol, daß man vor ihnen die Ohren
GE jol. Wenn eine Zeitjchrift wie
derner Malerei die Rede ift, wird Gradls die Mionatshefte das tate, würde fie bald
Name nicht ' j ihren vor:
genannt. Er nehmften Be:
hat nichts mit ruf verleug:
Krieg und nen: Den
Revolution Dienft an der
zu tun. Aber Gegenwart.
wenn wir uns Darum bietet
bejinnen, daß fie den Lefern
das on künſtleriſche
che Herz ſelbſt Verſuche wie
durch die ge— die Herzog:
waltigften Iden, darum
Erſchütterun— jeiot jie Pro:
gen ber Um: en aus dem
welt nicht we: —
ſentlich ver: uſeum und
ändert wird, verſucht im—
daß die ein— mer aufs
fachſten Freu— neue, ihre Le—
den d Die i Wi ! fon Ai
nachhaltig: T Wu inert e mitten
ften Schmer: Ke — Lac Y A in ber Dinge
Entwidlung
bineinzuver:
83 leben. P.W.
Herausgeber und verantwortliher Schriftleiter: Baul Osfar Hörer in Berlin
Künftlerifhe Leitung: Rudolf Hofmann in Berlin — Verlag: Velhagen & Slafing in Berlin, Biele—
feld, Leipzig, Wien — Drud: Fifer & Wittig in Leipzig — Für Öfterreich Herausgabe: Friefe &
Lang in Wien I. Verantwortlidh: Grid) Friefein Wienl. Bräunergafie 3 — Nahdrud des Inhalts
verboten. Alle Rechte vorbehalten. Bujdriften an bie Schriftleitung von Velbagen & Klajings
Monatsheften in Berlin W 50 l |
Lag AN S
— Ll 583
m sale 5g
VELHAGENu.HLASINGS EXPORT ANZEIGER
Verlag von Velhagen n.Klasing.
——
ugspreis
Inland M. 18.—.
e Mai 1921 .
u. Anzeigenannahme in Leipzig, Hospitalstr. 27. — pee.
ür valutapfl. Ausland M. 36.— (zuzgl. M. 8.40 f. Porto u. Verp.),
Anzeigen M. 1.50 für die einspaltige Millimeterzeile.
— — —
May Ss —
Bielefeld u. Leipzig. /
No. 9, X. Jahrg.
Die Leipziger Frühjahrsmesse
und das Ausland.
Von Dr. Fritz Körner.
A“ der diesjährigen Leipziger Frühjahrs-
messe (6.—12. März) lasteten von vorn-
herein nicht nur die Schatten der Weltwirt-
schaftskrisis, sondern auch die Ungewissheit
über den Ausgang der Londoner Konferenz
stand als drohendes Gespenst im Hintergrund.
Beide Tatsachen schienen der Messe nicht
günstige Aussichten zu bieten, weil man wegen
der Absatzstockung auf dem Weltmarkt nicht
mit grossen Aufträgen rechnete und man von
der Londoner Konferenz irgendeine neue Be-
lastung des Weltexportverkehrs ' befürchtete.
Erfreulicherweise erwiesen sich die wirtschaft-
lichen Beziehungen zwischen den Nationen und
der Drang des internationalen Exporthandels
nach neuen Absatzmárkten weit stärker als
die politischen Missstimmungen und Gewalt-
drohungen. Der Ruf der Leipziger Messe als
grösster Zentralmarkt für den internationalen
Handel hat sich auch hier wieder bewährt,
indem sie trotz aller Schwierigkeiten ihre be-
währte Anziehungskraft auf alte und neue
Besucher im In- und Ausland auszuüben ver-
mochte.
Ein Wertmesser für die einzig dastehende
Internationalität der Leipziger Messe wird im- .
mer die Teilnahme des Auslandes bleiben.
Denn erst dann kann von einer wahren Inter-
nationalität einer Messe gesprochen werden,
wenn sie sich nicht aus protektionistischen
Gründen gegen das Ausland verschliesst,
sondern wenn sie das Prinzip des freien
Wettbewerbs so grosszügig auffasst, dass sie
auch ausländischen Ausstellern ihre Pforten
öffnet.
In dieser Beziehung steht die diesjährige
Leipziger Frühjahrsmesse unter allen anderen
Messen der Welt an der Spitze. Sie wies
jetzt bereits drei nationale Messhäuser aus-
ländischer Staaten auf: neben der österreichi-
schen Messmusterschau das Haus der Tschecho-
Slowakei und das Schweizerhaus. Diese bis-
her einzigartige Neugestaltung ist ein Beweis
für die zunehmende Bedeutung der Leipziger
Messen für das allgemeine Wirtschaftsleben.
Die Entwicklung der letzten Jahre führte mit
innerer Notwendigkeit dazu, diese Einrichtungen
auf breitere Grundlage zu stellen und zu in-
ternationalisieren. War auch vor dem Krieg
die Messe regelmässig von Käufern aus aller
Welt beschickt, so kann sie einen wirklich
internationalen Charakter erst dadurch erlangen,
dass sie die Möglichkeit bietet, dass jeder
Einkäufer hier auch fremde Waren erhalten
kann. Wenn die beiden Messhäuser der letzt-
genannten Länder auch teilweise noch im Ent-
stehen waren, so boten sie doch schon einen
interessanten Überblick über die Produktion
ihrer Unternehmungen und regten zum Ver-
gleich mit deutschen Waren an. Die Schwei-
zer Firmen stellten neben den berühmten
Schweizer Stickereien auch Uhren, Spielwaren,
Seifen und Parfümerien, Milchprodukte und
andere Exportwaren aus. Aus der Tschecho-
Slowakei hatten sich in erster Linie deutsch-
böhmische Firmen als Aussteller eingefunden,
die ihre weltberühmten Kristallsachen und Glas-
waren in altbekannter Güte und Qualität an-
boten. Das österreichische Messhaus
vereinigte über 200 österreichische Erzeuger
und Aussteller, die vor allem Lederwaren,
Modeneuheiten, Parfümerien, Stockwaren, Sil-
berwaren, Bronzen, Schuhe. und Reiseartikel
zeigten; die Qualität der Waren bewies, dass
die Kurve der Entwicklung der österreichischen
Produktion mächtig nach oben strebt.
174 Die Leipziger Frühjahrsmesse und das Ausland.
Voraussichtlich werden mit eigenen Mess-
häusern bald die nordischen Staaten und Hol-
land folgen.
dass es auch wirtschaftlich den Wettbewerb
der ausländischen Produktion ertragen kann,
dass es die Beteiligung der ausländischen Aus-
länder ansieht als gesunde Entwicklung und
als eine weitere Etappe auf dem Wege, wie-
der in den Weltwirtschaftsverkehr einzutreten.
Der Internationalität der Ausstellerschaft
war auch die grosse Zahl der ausländischen
Einkäufer angepasst, die man bei einem Ge-
samtbesuch der Messe von 118000 Menschen
auf etwa 20000 Ausländer beziffern kann.
Sehr stark war die Tschecho-Slowakei mit fast
. 3000 Besuchern, Polen mit 1000, die Schweiz
mit 1500, Holland mit 2000, Osterreich mit
1700 vertreten. Aber auch die bisher feind-
lichen Staaten hatten zahlreiche Besucher ent-
sandt, so waren etwa 300 Amerikaner, gegen
100 Engländer, ferner Franzosen, Italiener,
Portugiesen anwesend, ferner Einkäufer aus
Übersee und fast allen europäischen Ländern.
Man konnte die Beobachtung machen, dass
‘die Ausländer mit offenen Augen durch die
Leipziger Messausstellungen gewandert sind
und dass sie ihrem Erstaunen und ihrer Be-
wunderung über die ideenreichen Muster, die
neuen Erfindungen und die Güte der deut-
schen Waren vielfach in beredten Worten Aus-
druck gaben. Zweifellos war auf der dies-
jährigen Frühjahrsmesse die Losung „Qua-
lität“ wieder in der altbekannten Weise vor-
herrschend. Auf allen Gebieten ist der Ersatz
verschwunden oder er ist doch so veredelt
worden, dass er als ein vollkommen neuer
Rohstoff zu bewerten ist. Qualität wird nicht
allein im Maschinenbau oder im Kuntgewerbe `
angestrebt, sondern jede Branche und jeder
mit Veredelung beschäftigte Geschäftszweig ist
bemüht, durch eine hervorragende Qualitäts-
leistung neue Kunden zu gewinnen und die
alten Kunden zu erhalten. Neue Kunden ?
Gewiss, die Messe ist das grosse Mittel, um
neue Auslandskundschaft zugewinnen.
Auch hier hat die Frühjahrsmesse neue Wege
gewiesen und die Unsicherheit der gegen-
wärtigen Lage geklärt. Sie hat beispielsweise
durch die grossartige Ausstellung der deut-
schen Werkzeugmaschinen- und Armaturen-
Industrie dem Ausland gezeigt, dass Deutsch-
land ein hervorragendes Verarbeitungsland und
vielfach leistungsfähiger ist, als die französische
und selbst die englische Industrie. Auch un-
sere ausgezeichnet vertretene Luxusporzellan-
Industrie wird dem Ausland vor Augen ge-
führt haben, dass es uns auf diesem Ge-
biet immer wieder brauchen wird, denn nur
Deutschland kann vorläufig infolge seiner ent-
wickelten Farben - Industrie die herrlichen
Deutschland beweist dadurch, -
Tönungen und Färbungen auf den Markt
bringen, welche an den diesjährigen Mess-
mustern in einzigartiger Vollendung zu be-
obachten waren.
Gerade die erstklassigen deutschen Industrie-
zweige haben aus allen diesen Gründen die
grössten Auftráge vom Ausland erhalten. So
haben Amerika und England zahlreiche Auf-
träge für Werkzeugmaschinenfabriken gegeben, |
ferner sind die Porzellanfabriken, die chemischen
und pharmazeutischen Werke, die Elektrotechnik
und die Spielwaren-Industrie mit ihrem Aus-
landsgeschäft recht zufrieden.
Natürlich drängt sich hier die sehr berech,
tigte Frage auf: werden diese Aufträge infolge
der neuen wirtschaftlichen Massnahmen der
Entente überhaupt jemals ausgeführt werden,
wird der deutsche Export nach den westlichen
Staaten noch möglich sein? Zweifellos treten
hier schon jetzt sehr starke Hemmungen zu-
tage. Unter; Umständen wird es so weit
kommen, dass der Export nach England und
Frankreich ganz aufhören muss und wir uns
auf andere Länder beschränken müssen, die
sich in dieser Beziehung nicht dem Diktat der
Entente unterwerfen. Hier werden die über-
seeischen Länder, die Oststaaten und Südost-
staaten vor allem, in’ Betracht kommen. Zum
Schluss sei daher auf Unterredungen verwiesen,
die wir anlässlich der Leipziger Frühjahrsmesse
mit Einkäufern aus einigen dieser Länder hatten,
die sich über die Beziehungen mit Deutschland
im allgemeinen recht optimistisch geäussert
haben. Ein aus Südamerika gekommener
Einkäufer sprach sich über die dortigen Ge-
schäftsaussichten für Deutschland folgender-
massen aus:
Zum erstenmal seit dem Weltkriege habe
ich wieder die Leipziger Messe besucht und
ich bin erstaunt über die beispiellose Ent-
wicklung, die Deutschland trotz Krieg und
Zusammenbruch genommen hat. Ganz Süd-
amerika wartet auf die gute deutsche
Ware, die man hier zu sehen bekommt, und
es wäre ausserordentlich zu wünschen, dass
sich der deutsche Export uns noch mehr zu-
wendet, als es bisher geschehen ist. Unser
allmählicher industrieller Aufschwung erfordert
in erster Linie Maschinen allerart und Werk-
zeuge. Daneben brauchen wir als stark agra-
risches Land in immer steigendem Umfang
landwirtschaftliche Maschinen, von der einfachen
Hacke bis zum Motorpflug und Traktor. Ausser.
dem werden Massenartikel guter Qualität immer
grossen Absatz finden, ich denke dabei an
Spielwaren, Stahlwaren, Glaswaren, Gebrauchs-
gegenstánde allerart, wie man sie täglich
benutzt.
Ein Besucher aus den russischen Rand-
staaten gab über den dortigen Bedarf folgendes
Die Leipziger Frühjahrsmesse und das Ausland. — Die zweite Deutsche Ostmesse in Königsberg. 175
Bild: Wir können nach Deutschland ausser
Holz vor allem Flachs liefern, woran sich
Lettland und Litauen beteiligen würden. In
Deutschland suchen wir Automobile, Werk-
zeuge, Porzellan, Klaviere und Musikinstru-
mente. Wir hoffen, bei der neuen wirtschaft-
lichen Bedrängnis Deutschlands im Westen
jetzt in noch viel lebhaftere Handelsbe-
ziehungen mit Deutschland zu kommen und
ein Verbindungsland für den gesamten Osten
zu werden.
In ähnlicher Weise lauteten die Urteile von
Besuchern aus Rumänien, Bulgarien, Südslawien,
Holland nnd Italien, mit denen man sich frei
und rein vom kaufmännischen Standpunkt aus-
sprechen konnte. Sie alle betonten, dass die
Leipziger Frühjahrsmesse dem Ausland neue
Eindrücke von der Lebenskraft und der Pro- `
duktionstätigkeit der deutschen Industrie hinter-
lassen hätte, dass man aber diese Kräfte durch
neue Gewaltmassnahmen nicht unterbinden
dürfte. Deutschland kann nur blühen im Zu-
sammenwirken mit dem Ausland und es kann
nur leben, wenn seine Ausfuhr in die Länder
gelangt, die aus freien Stücken und aus Lebens-
notwendigkeit die deutsche Ware wünschen
und brauchen. Im allgemeinen war man der
Ansicht, dass die Frühjahrsmesse trotz der
neuen Missstimmung nicht vergeblich gewesen
sei, sondern dass sie für das Ausland einen
Anreiz geboten habe, Leipzig auch in Zukunft
treu zu bleiben.
Die zweite Deutsche Ostmesse
in Königsberg.
Naas man aus den zahlreichen Anmel-
dungen aus der Provinz und aus den
benachbarten Gebieten Ostpreussens entnehmen
konnte, dass fiir die zweite Deutsche Ostmesse
nicht nur bei den Ausstellern, sondern auch
bei den Einkäufern grosses Interesse bestand,
durfte man auf den Verlauf der Messe gespannt
sein. Die drohende politische Lage wie der
schlechte Geschäftsgang in den meisten auf
der Messe vertretenen Branchen drückten die
Hoffnungen hinsichtlich des geschäftlichen Er-
folges auf ein Minimum herab. Der tatsäch-
liche Verlauf der Messe gestaltete sich aber
doch günstiger, als man in Anbetracht der
Lage vorher anzunehmen wagte. Als Resultat
der diesjährigen Frühjahrsmesse kann
man buchen: Erstens, dass in den meisten
Branchen, die zur Messe ausgestellt hatten,
eine merkbare Belebung eingetreten ist; zwei-
tens, dass sehr gute Beziehungen zum Aus-
lande, insbesondere zu Litauen gewonnen
wurden und drittens, dass der eindrucksvolle
Aufbau der Messe eine weitgehende Propa-
gandawirkung in den Randstaaten ausüben
wird. Die zur Messe anwesenden ausländischen
Regierungs- und Pressevertreter haben mit Be-
friedigung festgestellt, dass die Qualität und
die Preise der deutschen Waren den Einkauf
in Deutschland vorteilhaft erscheinen lassen.
Die zweite Deutsche Ostmesse wurde am
Sonntag, den 13. März, in Gegenwart der
Vertreter des Reiches, Preussens, der Provinz
und der städtischen Behörden, der Handels-
kammer sowie der Presse eröffnet. Die Aus-
stellungsstände waren alle zur festgesetzten
Zeit fertiggestellt und boten in ihrer geräu-
migen Anlage in den weiten Hallen, in denen
1050 Aussteller vertreten waren, ein über-
sichtliches Bild. Das Messamt hatte den grössten
Wert darauf gelegt, die Besucher auf ernst-
hafte Interessenten zu beschränken und gab
deshalb Abzeichen nur an solche ab, die sich
als Einkäufer einer bestimmten Firma aus-
weisen konnten. Annáühernd elftausend Ein-
käufer jeder Art haben sich zur Deutschen
Ostmesse eingefunden — unter ihnen 600 Aus-
länder — zum grössten Teile Litauer.
Der geschäftliche Verkehr in den
einzelnen Branchen war sehr verschieden, doch
kann im allgemeinen bebauptet werden, dass
das Geschäft zufriedenstellend ge-
wesen ist. -
Als günstiges Prognostikum für die Sta-
bilisierung unseres Wirtschaftslebens darf der
Umstand gelten, dass in allen Branchen haupt-
sächlich gute und preiswerte Qualitäts-
ware gefragt und auch angeboten war, wäh-
rend ausgesprochene Luxusartikel stark
zurücktraten. Was nun das Ausland
anbetrifft, so kann gesagt werden, dass sich
sehr rege Beziehungen entwickelt haben. In
Anbetracht der noch immer schwierigen Zoll-
bestimmungen (nur Lettland hatte noch in
letzter Stunde erhebliche Erleichterungen ge-
währt) war die Kauflust, setzt man die un-
sichere Konjunktur auch in Rechnung, recht
lebhaft.
Alles in allem: Es war ein Erfolg, den
die zweite Deutsche Ostmesse aufzuweisen
hatte. Ein Erfolg sowohl für Aussteller als
auch Einkäufer. Und nicht zum letzten dieser
grösste Erfolg, dass wiederum ein Stück
Ostland dem deutschen Handel er-
schlossen ist.
176 Der Wert deutscher Kraftpflüge für Süd-Afrika.
Der Wert deutscher Kraitpilüge für Süd-Afrika.
Von Ellis C. Frank’l.
Va kurzer Zeit verliess ein mir seit vielen
Jahren bekannter Südafrikaner, mit welchem
ich vor dem Kriege in London fliegen lernte
und mit dem ich auch später in Kapstadt eine
Fliegerschule eröffnete, Bremen, nachdem er
in der gastfreien Hansastadt nahezu 4 Monate
zugebracht hatte. Er hat in verschiedenen
Städten Deutschlands mit grossen Unterneh-
mungen Beziehungen angeknüpft und geht nun
hinunter nach Süd-Afrika, um den arg vernach-
lässigten Handel mit Deutschland wieder auf
die Beine zu helfen. `
„Was unsere zukünftigen Geschäfte mit
Deutschland anbetrifft,“ sagte er bei seiner
Abfahrt gegenüber den Pressevertretern, „so
dürfen wir das Beste hoffen, wenn nur die
Wahrheit gesagt werden könnte und der wahre
Sachverhalt der Südafrikanischen Kommission
vorgelegt würde. Der Wollmarkt allein schon
würde einen ungeahnten Aufschwung erhalten,
zum Vorteile Afrikas, wenn die Transaktionen
mit deutschen und afrikanischen Gescháftsleuten
direkt abgeschlossen” werden könnten. Der
afrikanische Farmer braucht sehr nötig deutsche
Erzeugnisse auf landwirtschaftlichem Gebiete
und der beste Weg wäre doch gewiss der,
afrikanische Wolle gegen deutsche Erzeugnisse
einzutauschen. Ich persönlich bin mit falschen
Eindrücken nach Deutschland gekommen und
kann wohl mit Freuden sagen, dass ich während
meines Aufenthaltes in Bremen und Süd-
deutschland ganz das Gegenteil kennen gelernt
habe, als das, was die alliierte Presse mir vor-
gesetzt hat. Irgend etwas muss geschehen,
damit diese Missstände aus dem Wege geschafft
werden und so hoffe ich mit diesen Worten
dazu beitragen zu können, dass endlich einmal
die Wahrheit an das Tageslicht kommt.“
Schon vor dem Kriege war die Südafrika-
nische Union ein gutes Absatzgebiet für deutsche
Erzeugnisse. Während des langen Krieges
haben die Amerikaner versucht, den deutschen
Exporthandel an sich zu reissen, haben das
Land mit Maschinen überschwemmt, bis der
Farmer nichts mehr von amerikanischen Waren
wissen wollte. Die Anfragen in landwirtschaft-
lichen Maschinen haben in letzter Zeit mehr
und mehr zugenommen und so liegt es bei
den deutschen Maschinenfabriken, ihre Augen
offen zu halten, um die einst besessenen Plätze
auf dem afrikanischen Markte wieder zu erobern.
Verschiedene Firmen haben hier schon einen
Weg geebnet und so ging z. B. vor wenigen
Wochen der erste deutsche Zugmaschinen- und
Lastwagen-Transport nach Süd- Afrika ab.
In allererster Linie kommen landwirtschaft-
liche Maschinen, wie Motorpflüge, sogenannte
Universalmaschinen in Frage, die nicht nur
den Acker umpflügen, sondern auch bei den
riesigen Entfernungen zwischen den verschie-
denen Farmen und den Farmen und den Eisen-
bahnenstationen, Lasten, die sonst von 20—30
Büffelgespannen mit grossen Zeitverlusten trans-
portiert werden mussten, in weit kürzerer Zeit
an Ort und Stelle zu schaffen in der Lage sind.
Erfolgreiche Bodenbearbeitung verlangt
von vornherein ein ge-
nauesStudium der physi-
-f ie ——
4L "m ES
Libo i
(ly
H
NTE
"5
kalischen Verhältnisse,
denn erst dann können
auftretende Schwierig-
keiten leicht überwunden
werden. Es gibt unter
der Sonne keine zwei
Länder, in welchen die
Schwierigkeiten der Bo-
denbearbeitung diesel-
ben sind, daher sind die
anzuwendenden Mittel
und Wege in jedem
Landstriche verschieden.
In keinem Lande je-
doch sind die Schwierig-
keiten in der Landwirt-
schaft grösser, als ge-
rade in Süd- Afrika.
Die bekanntesten von
diesen sind wohl die,
welche den Witterungs-
—
Der Wert deutscher Kraftpflüge für Süd- Afrika. 177
einflüssen, dem Regen |^ —
und der Verdunstung P^
unterworfen sind. Die
Geschichte der afrika-
nischen Erde ist kurz.
Jahrhunderte hindurch
wurde der Boden unter
den Hufen unzähliger
Wildbestände und Her-
den zusammengetreten.
Unwetter, Regen- und
Hagelstürme jagten dar-
über hinweg. Wald-
brände und die heisse
Sonne der Tropen
trockneten den Boden
zu Stein.
All dies zwingt den
Mutterboden dazu, seine
Oberflüche gegen atmo-
sphärische Einflüsse zu
»
! sz " + d c e
» "
verschliessen. Nicht über-
all herrscht dieser Boden
vor, hier und dort zeigt
er eine grössere Porosität als an anderen Stellen.
Der grösste Teil der afrikanischen Erde jedoch
hat eine harte Kruste über der eigentlichen
fruchtbaren Erde, über welche Flüsse der
Regenzeit der See zufliessen. Schnee, der den
Boden in nördlicheren Zonen während der
Winterzeit zersetzt, gibt es hier nicht. Fröste
sind nicht stark genug, um die harte Kruste
des Bodens zu durchbrechen. Es mangelt daher
überall an durchgreifender Neulandgewinnung.
Diese Neulandgewinnung kann nur mit
Hilfe moderner Mittel geschehen, die den
Boden durcharbeiten und Pflanzen die Mög-
lichkeit des Wachstums geben. In den nörd-
licheren Ländern ist der Regen ein grosser
Faktor, der dem Farmer die grösste Hilfe für
die Bodenbearbeitung leistet. Hier ist das
Gegenteil der Fall, aber trotzdem hat Afrika
ein Klima, unter welchem bei richtig angewandter
Bodenbearbeitung alles gedeihen kann.
Überall, wo Landwirtschaft betrieben wird,
^wo Felder umgepflügt werden, ist die Arbeit
von Ochsen gering bewertet worden und
nirgends ist die Ochsenarbeit weniger bewertet
wie gerade in Süd-Afrika. In der westlichen
Provinz. der Kap-Kolonie, die augenblicklich
die gróssten bebauten Strecken aufzuweisen
hat, wird die Pflugarbeit schon seit Jahren
von Pferden und Mauleseln geleistet. Der Ruf
nach Erweiterung der Landwirtschaft, mehr
Neuland für den Anbau zu gewinnen, kann
nicht ungehórt vorübergehen. Meilenweite
Strecken fruchtbaren Bodens liegen brach, die
vielen Herden und Viehbestánde sprechen
besser denn Worte. Ökonomie des Lebens
kann nicht einfach beiseite geschoben werden,
Abb. 29. Neulandgewinnung mit Hilfe des Motorpflugs.
das Land, welches uns gegeben, muss dem
zugeführt werden, für das es bestimmt ist,
unseren Unterhalt und den unserer Tiere
durch Getreide- und Futteranbau zu beschaffen.
Die einzige Möglichkeit eines Landes, zu be-
stehen, ist seine Produktion, wir sehen ja,
welche Strafe Afrika für seine Nachlässigkeit be-
zahlen musste. Somit ist dieser Ruf nach Kulti-
vierung kein passiver, sondern ein aktiver und das
Land wird diejenigen, die diesem Rufe nicht
folgen, verdrängen und denen Platz machen,
die sich mit Energie an die Arbeit begeben.
Während der letzten Jahrzehnte hat man
auf Grund reicher Erfahrungen, Forschungen
und Versuche mehr getan auf dem Gebiete
der Kultivation denn je, man hat gezeigt, was
geleistet werden kann in der Landwirtschaft.
Grosse Verdienste sind hierbei den Maschinen-
pflügen, erstmalig dem Zwei-Dampfmaschinen-
System zuzuschreiben, die aber nach dem
Siegeszug des Benzinmotors mehr und mehr
in den Hintergrund gedrängt wurden. Bei
ersteren waren die Anschaffungskosten immer
die doppelten und konnte der Dampfpflug
auch immer nur im ebenen Gelände Verwen-
dung finden. Die Frage nun, welches System
und Modell der verschiedenen Maschinen-
pflüge vorzuziehen sei, hat in neuester Zeit
einen lebhaften Meinungsaustausch der ein-
schlägigen Kreise hervorgerufen. Neben allen
Arten von Seil-Schlepp-Tragpflügen oder Bo-
denfräsern kommt für Süd-Afrika wohl einzig
und allein der Trag- oder der Schlepppflug in
Betracht. Ursprünglich amerikanischer Bauart ist
der Schlepppflug durch die Schaffenskraft deut-
scher Fabriken, wie Hansa-Lloyd, Gasmotoren-
178 Der Wert deutscher Kraftpflüge für Süd - Afrika.
fabrik Deutz, Stoewer-Werke u. a. in ein rein
deutsches Erzeugnis umgewandelt worden. Der
Tragpflug vereitelt eine gleichmässige Pflug-
arbeit, hauptsächlich in geringer Furchentiefe
von 15 cm, infolge der Schwingungen des
Tragrahmens. Für koupiertes Gelände schei.
det daher der Tragpflug von vornherein aus.
Dieser. Mangel ist auch durch seine grossen
Arbeitsleistungen auf ebenem Boden nicht
wieder wettzumachen. Bei der Beurteilung
eines Pflugsystems sind nicht vorübergehende
Höchstleistungen, sondern seine Gesamtleistung
und Lebensdauer von grösster Wichtigkeit.
ist, der imstande ist, dem Landwirt alle tieri-
schen Kräfte zu ersetzen. Ein Tier frisst, auch
wenn es nicht arbeitet, diese Universalmaschine
aber frisst nur, wenn sie arbeitet.
Der afrikanische Farmer hat heute die Be-
deutung der motorischen Kraft in der Land-
wirtschaft vielleicht noch nicht erkannt, aber die
wachsenden Anfragen nach Motorpflügen lassen
es gerecht erscheinen, dass in Zukunft der Land-
mann, der bisher allen Neuerungen auf diesem
Gebiete ziemlich skeptisch gegenüberstand, sich
mehr und mehr mit der Frage beschäftigt.
In Afrika liegen die einzelnen Farmen mei-
lenweit von der nächsten
Abb. 30. Einst und jetzt.
Der afrikanische Landwirt muss heute rechnen,
wie viele Gespanne er ersparen und welchen
Ernteüberschuss er durch die Anwendung mo-
torischer Ackerbestellung erzielen kann.
Die Zukunft liegt nicht nur in dem Motor-
pfluge allein, sondern bei dem Motorpfluge
mit vielseitiger Verwendbarkeit. Diese viel-
seitige Verwendbarkeit kann aber nur ein
Schlepppflug aufweisen, der dem Farmer auch
nach der Bodenbestellung ein treuer Diener
Eisenbahnstation _ent-
fernt und der Transport
ging nur unter den
grösstenSchwierigkeiten
vor sich. Der Schlepper
ersetzt dem Landmann
10-20 Ochsengespanne
und schafft seine Pro-
dukte in der halben
Zeit an Ort und Stelle.
Auf dem Hofe ist er
als stationäre Kraftan-
lage ein unersetzliches
Hilfsmittel. Der Farmer
kann mit dem Schlepper
sein Getreide dreschen,
er pumpt ihm das Wasser
aus dem Brunnen, lie-
fert ihm durch eine sinn-
reiche Einrichtung das
Licht für die ganze Farm.
Wo mehrere Farmen
dicht beieinander liegen, können die Besitzer,
falls ihnen die Anschaffungskosten zu hoch
erscheinen, zusammen solch eine Universal-
maschine in ihre Dienste stellen.
Was nun die Kosten der Anschaffung an-
belangt, so sei hier eine Aufstellung beige-
fügt, an Hand deren Interessenten sich leicht
ein Bild machen können. Die Umrechnung
erfolgte zu einem Kurse von 240 Mark für
das Pfund Sterling, und zwar cif. Kapstadt.
| | In Pfund
Fabrikat PS. miteeltefert Mass 1] | Wars
| gelieferte er er e
Zahl der Pflüge ackung Fracht — sicherun Preis
| P | | J—
Alldays & Onions (engl.) 24 = 31.0.0 70.0.0 10.0.0 | 630.0.0
Fowler (engl) . . e . 20—25 2 Schare 31.0.0 70.0.0 10.0.0 568.0.0
British Wallace (engl.) . . 25 — 31.0.0 70.0.0 10.0.0 525.0.0
Ein deutsches Fabrikat . 35 -4 Schare 15.0.0 70.0.0 10.0.0 512.0.0
Ein Pflug zu den Fabrikaten von Alldays € Onions kostet 30.0.0
Ein Pflug zu den Fabrikaten von British Wallace kostet 30.0.0
Die Preise wären somit
Alldays € Onions. 771 Pfund = Mk. 185040.— ' British Wallace . 666 Pfund Mk. 159 840.—
Fowler .
679 Pfund = Mk. 162 960.—
Deutsches Fabrikat 512 Pfund = Mk. 122000. —
Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie. i o ... M
Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie.
ass sich die deutsche Industrie überraschend
schnell wieder zu hoher Leistungsfähigkeit
emporgearbeitet hat und in der Lage ist, mit
der ausländischen Konkurrenz erfolgreich in
Wettbewerb zu treten, zeigt folgender inter-
essanter Bericht, den wir „Siemens’ Wirtschaft-
lichen Mitteilungen“ entnehmen. Es heißt
dort u. a.: „In der Schweiz sollte wegen der
bevorstehenden Volkerbundverhandlungen in
3 Monaten ein Fernsprechkabel nach dem Pupin-
System zwischen Genf und Lausanne verlegt
werden. In dieser Zeit war das 60 km lange
Kabel anzufertigen, zu versenden, in Kabel-
kanäle einzuziehen und zu montieren, ausser-
dem waren die erforderlichen Pupin-Spulen-
kästen und die Garniturteile zu liefern. Für
gewóhnlich hat man, um die Fabrikation ein-
zuleiten, allein mindestens 6 Wochen nótig,
10 Wochen muss man auf die Herstellung
rechnen, 2 Wochen auf den Versand und
4 Wochen auf die Verlegung. Diese Zeiten
sind an sich schon recht knapp bemessen.
Hier standen aber statt 22 Wochen nur 13
zur Verfügung.
Es kostete einen schweren Kampf, die
Schweizer Behórde davon zu überzeugen, dass
unsere Zusicherungen, wir seien in der Lage,
den Auftrag rechtzeitig auszuführen, nicht nur
Redensarten wären, um den Auftrag für unser
Haus und damit für Deutschland hereinzuholen.
Die Verzugsstrafen wurden demgemäss sehr
hoch bemessen, bevor der Siemens & Halske
A.-G. der Auftrag erteilt wurde.
. Wir konnten die Verpflichtung eingehen,
weil sich ein Teil der Pupin-Spulen im Werner-
bm
Last,
kraftwagen
meter.
omnibusse
E. Nacke, Coswig sachsen
— Automobilfabrik ` — —
werk auf Lager befand, auch die nötigen
Maschinen bei richtiger Arbeitseinteilung im
Kabelwerk frei waren. Freilich wären wir
vielleicht trotz aller Bemühungen leer ausge-
gangen, wenn der Behörde nicht bekannt ge-
wesen wäre, dass wir neben gewissen Schutz-
rechten die nötige Sachkenntnis besassen. So
bot uns der hohe Stand der deutschen Tech-
nik letzten Endes die Möglichkeit, dem deut-
schen Arbeiter auf dem Weltmarkt Arbeit zu
schaffen.
Wir hatten uns zum Ziel gesetzt, spätestens
10 Tage vor dem festgesetzten Endzeitpunkt
die Arbeiten durchzuführen. Es ist uns ge-
lungen, bereits 14 Tage früher unsere Aufgabe
abzuschliessen. i
Auf Grund dieser Leistung in der Schweiz
erhielten wir von Norwegen einen grossen
Auftrag auf mehrere Pupin- Kabel; dabei
wurden uns vertrauensvoll erhebliche Zuge-
ständnisse in der Haftung gemacht.“
Sehr interessant sind ferner zwei japanische
Urteile über Lieferungen der deutschen In-
dustrie, die wir der L.- u. H.-Ztg. entnehmen.
Es heisst dort: Die in Tokio erscheinende
japanische Zeitung „Hochi Shimbun“ schreibt
über die Qualität deutscher Waren folgendes:
„Alle Welt hat sich gefragt, ob Deutsch-
land sich wieder würde aufrichten können,
aber mit dem Moment, wo der Krieg zu
Ende war und die Grenzen sich . öffneten,
hat Deutschland seine Ausfuhr wieder be-
gonnen. Europa und vor allem Amerika kaufte
für gewaltige Summen deutsche Waren auf.
Man riss sich förmlich darum. Nur Japan
ET
180 Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie. — Kleine Nachrichten.
führte nichts ein. Seit dem Jahre 1920 haben
sich die deutschen Produzenten zusammenge-
schlossen und eine völlige Einigung unter sich
erzielt. Der Handel wird in englischer Wäh-
rung betrieben und geht über London. Aber
die deutschen chemischen Erzeugnisse
und vor allem ärztliche Instrumente
gehen über die ganze Welt und kommen auch
in grosser Menge nach Japan. Die Ware ist
über Erwarten gut, und man kann an
ihnen den im Kriege auf diesem Gebiete ge-
machten Fortschritt erkennen. Die Rönt-
genbehandlung besonders hat sich ge-
waltig verbessert. Während man in
Japan Mikroskope bis zu 800facher Ver-
grösserung herstellt, produziert Deutschland
hervorragende Mikroskope bis zu 3000 facher
Vergrösserung. Die bisher als gut be-
trachteten englischen und anderen Produkte
werden mit dem Erscheinen der deutschen
Waren sofort vom Markte vertrieben.
Die japanische Regierung hat als Entschädigung
deutsche Farbstoffe erhalten und weiss
jetzt nicht, was sie damit tun soll. Sie fürchtet,
dass, wenn sie verkauft, der Markt überladen
wird. Das Vorhandensein dieser Ware ver-
hindert anderseits japanische Bestellungen in
genommen.
Deutschland. Wenn diese Frage einmal gelöst
ist, werden wieder Bestellungen nach Deutsch-
land gehen. Mit den japanischen Messinstru-
menten kann man im allgemeinen auskommen,
aber die Linsen der deutschen Instrumente sind
besser, die Libellen empfindlicher, und vom
technischen Standpunkt aus ist die Feinheit
der deutschen Arbeit unerreicht.
Auch die deutschen Toilettenartikel
sind durchängig gut und dabei billig. Seit
Juli 1920 hat ihre Einfuhr nach und nach zu-
Im kommenden Frühling wird ein
weiteres Änsteigen der deutschen
Einfuhr erwartet.“ Im Zusammenhang hier-
mit seien einige Bemerkungen wiedergegeben,
die ein japanischer Professor der Volkswirtschaft
unlängst in Tokio in einem öffentlichen Vor-
trag über.die deutschen Wirtschafts-
methoden machte. Er führte aus, dass alle
Staaten, die aus dem Weltkrieg als Sieger
hervorgegangen wären, gezwungen seien, zum
Wiederaufbau ihres Handels die glänzend
bewährten Methoden des besiegten
Deutschlands sich zum Muster zu nehmen.
Wolle ein Land wettbewerbsfähig bleiben, so
müsse es heutzutage sein Wirtschaftsleben
„germanisieren“
Kleine Nachrichten.
Die Südafrikanische Union gegen die
50 prozentige Ausfuhrabgabe. Es liegen Nach-
richten vor, nach denen es die Regierung der Süd-
afrikanischen Union abgelehnt hat, die auf der
Londoner Konferenz beschlossene Ausfuhrabgabe von
50 v. H. von deutschen Waren einzuführen.
Beabsichtigte Kreditgewährung Uru-
guays an Deutschland. Wie die Agence Havas
meldet, liegen Nachrichten aus Montevideo vor,. wo-
nach Uruguay Deutschland Kredit eröffnen
will, damit es Wolle und andere Produkte kaufe.
Uruguay will auch seine Ausfuhrsteuer auf Wolle
aufgeben und erwägt die Schaffung einer staatlich
gestützten Import- und Exportgesellschaft für Ver-
sendung von Wolle aus Uruguay nach Deutsch-
land, Frankreich, Antwerpen, der Tschecho-Slowakei,
— — — -— — Es — * = — *
nach anderen europäischen Ländern und selbst nach
Japan.
Deutscher Handelswettbewerb auf den
südamerikanischen Märkten. Nach den
„Commerce Reports“ Nr. 28 wird aus Argentinien
gemeldet, dass die deutschen Preise für Eisenwaren
viel niedriger sind als die für entsprechende amen-
kanische Waren. In einzelnen Fällen beträgt der Un-
terschied 15 oder 30 v. H. Ebenso sind die Preise
für deutsche Maschinenwerkzeuge viel niedriger als
die der entsprechenden amerikanischen Artikel. In
Chile wird ein Anwachsen der Frachten aus Deutsch-
land beobachtet, insbesondere werden angeboten: silber-
platinierte, Nickel-, Töpferei- und Emaillewaren, billige
Eisenwaren und elektrische Artikel. Die Preise
sind viel niedriger als die der amerikanischen
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Waren. Ebenso werden von deutscher Seite Maschinen
zu niedrigen Preisen angeboten. — In Mexiko wer-
den Metallwaren verschiedener Art, elektrische Artikel
(Birnen, Drähte, Isolierungen, Rohre und kleine Dynamo-
maschinen) deutscher Herkunft angeboten. Für den
amerikanischen Fabrikanten ist es nicht möglich, mit
den deutschen Preisen zu konkurrieren. — In Peru
sind deutsche Eisenwaren zu einem Preise, der
25 v. H. niedriger als der entsprechende ameri-
kanische Preis ist, zu haben. Das deutsche Produkt
ist ausserdem gut aufgenommen worden und wird
vermutlich seinen Markt bald wieder erobern.
Ein englisches Urteil über die deutsche
chemische Industrie. Nach ‚The Chemical Age‘
hat sich ein englisches Parlamentsmitglied wie folgt ge-
äussert: „Der stärkste Eindruck, den die britische Mis-
sion bei der Besichtigung der chemischen Werke im
besetzten Gebiet empfing, war der, dass die deutsche
chemische Industrie eine grosse, wunderbare
.181
Organisation zur Nutzanwendung der Wissenschaft
auf die Industrie ist. Alle Chemiker haben die Uni-
versität oder ein Polytechnikum besucht und dort nicht
nur studiert, um Kenntnisse zu erwerben, sondern mit
dem Ziel vor Augen, die grossen Fragen der Wissen-
schaft zu lósen. Über den deutschen Methoden schwebe
kein Geheimnis. Es ist ganz einfach die Geschichte
vierzigjähriger ehrlicher Arbeit und Ausdauer, ohne
irgendwelche besondere Geschicklichkeit auf seiten der
deutschen Chemiker gegenüber den Englündern, Die
deutsche Überlegenheit bestand darin, dass sie es verstand,
Zusammenarbeit und Massenherstellung zu verbinden.
Nutzlose Kraftanstrengung gibt es nicht; ist der Welt-
bedarf in einer Ware gering, so wird sie nur von ein
oder zwei Werken hergestellt. Dadurch werden viel
Unkosten gespart. Alle Kenntnisse und Erfahrungen
werden gemeinsam ausgenutzt. Macht ein Chemiker
eine neue Entdeckung, so wird sie zum Ausgangspunkt
weiterer Untersuchungen für unzählige seiner Kollegen.‘
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No.10, X. Jahrg.
ëng
.— (zuzgl. M. 8.40 f. Porto u. Verp.),
Die deutsche Eisen- und Stahlwaren - Industrie.
Bearbeitet von Hugo Merten,
Pressedezernent des Eisen- und Stahlwaren-Industriebundes, Elberfeld.
Nie deutsche Eisen- und Stahlwaren-
KZA W Industrie ist eine alte deutsche In-
KU A dustrie, die schon seit Jahrhunderten
aai betrieben wird. Sie ist immer mehr
and mehr ausgebaut worden und hat sich im
deutschen Wirtschaftsleben eine ganz bedeutende
Stellung errungen. Sie ist in der Hauptsache
eine Ausfuhr-Industrie. In den Vorkriegszeiten
nahm die deutsche Eisen- und Stahlwaren-
Industrie 7°/, der gesamten deutschen Aus-
fuhr ein. In der Nachkriegszeit muss sich die-
ser Prozentsatz noch bedeutend erhöht haben,
da infolge des Sinkens der Kaufkraft auf dem
Inlandsmarkt und des völligen Daniederliegens
der Bautätigkeit dieser Industriezweig zum aller-
grössten Teil auf die Ausfuhr angewiesen war.
So führt z.B. die wichtige Solinger Industrie
neun Zehntel ihrer gesamten Erzeugung nach
dem Ausland aus. In manchem andern In-
dustriezweig wird es nicht wesentlich anders sein.
Die deutsche Eisen- und Stahlwaren-Industrie
hat ihren Hauptsitz im rheinisch - westfälischen
Industriegebiet und dort wieder im bergisch-
märkischen Lande. Weitere Konzentrations-
punkte sind Thüringen, und zwar die Schmal-
kaldener Gegend, Sachsen, Oberschlesien und
Süddeutschland. Aber auch sonst finden sich
Werke der Eisen- und Stahlwaren-Industrie in
ganz Deutschland verbreitet, so dass man sagen
kann, dass gerade diese Industrie in allen
Gauen Deutschlands kraftvoll vertreten ist.
Für den Ausländer, der in Deutschland weilt
und auch die Eisen- und Stahlwaren-Industrie
an Ort und Stelle besuchen will, dürfte in
der Hauptsache das bergisch - märkische Land
in Betracht kommen. Es ist ihm zu empfehlen,
während seines Aufenthaltes in diesem Industrie-
gebiet seinen Sitz in Elberfeld zu nehmen
und von dort aus die einzelnen Hauptproduk-
tionsorte der Eisen- und Stahlwaren- Industrie
zu besuchen. So kommt vor allen Dingen in
Frage Solingen mit seiner weltberühmten
Stahlschneidewaren- Industrie, den sogenannten
Solinger Artikeln, Remscheid, als Haupt-
sitz der deutschen Werkzeug- Industrie, Vel-
bert, der Hauptproduktionsort der deutschen
Schloss- und Beschläge-Industrie, Hagen,
der Hauptfabrikationssitz der sogenannten
Kleineisenwaren. Aber auch sonst gibt es in
dieser Gegend, vor allem nach Westfalen zu,
zahlreiche Orte, in denen sich die Eisen- und
Stahlwaren-Industrie konzentriert. In Elberfeld
hat auch der Eisen- und Stahlwaren-
Industriebund, als die Gesamtvertretung
der deutschen Eisen- und Stahlwaren-Industrie,
seinen Sitz. Er steht Interessenten mit Aus-
künften jeder Art, soweit sie die Eisen- und
Stahlwaren - Industrie betreffen, jederzeit gern
zur Verfügung.
Die Weltberühmtheit der Erzeugnisse der
deutschen Eisen- und Stahlwaren-Industrie be-
ruht vor allen Dingen auf der Güte und Billig-
keit ihrer Produkte. Die deutsche Eisen- und
Stahlwaren-Industrie hat es von jeher verstan-
den, sich den besonderen Wünschen der Kund-
schaft in bezug auf Ausführung und Qualität
ihrer Erzeugnisse in jeder Weise anzupassen.
Sie ist gerade jetzt mehr denn je dauernd
bemüht, durch die Herstellung von bester
Qualitätsware und billigster, fester Preisberech-
nung bei kürzester Lieferfrist dieses alte An-
sehen zu bewahren. In der Zeit kurz nach
dem Kriege ist es leider so gewesen, dass
sich viele Elemente in die Produktion und
den Handel von Eisen- und Stahlwaren ge-
drängt hatten, die von diesen nichts verstan-
den und allein auf Gewinn ausgingen. Des-
halb wurden viele Klagen über die Qualitäten
Die deutsche Eisen- und Stahlwaren- Industrie.
Diese werden wohl überall gleichartig herge-
stellt mit ganz geringen unwesentlichen Ab-
weichungen. Die Winde mit Stahlblechmantel
gilt als Normalwinde der Staatsbahnen, wäh-
rend diejenige mit Holzschaft meistens in Fa-
briken, Hüttenwerken usw. gebraucht wird.
Ferner werden noch unterschieden: Winden
mit einfacher Übersetzung, die zum Heben
von einfachen Lasten dienen, und solche mit
doppelter Übersetzung, welche zum Heben
von schweren und allerschwersten Lasten ge-
braucht werden. Auf die Bearbeitung der
Einzelteile wird ganz besondere Sorgfalt ver-
wandt. Zahnstange, Räder und Getriebe wer-
den aus bestem Material geschmiedet und alle
Verzahnungen genau nach Teilscheibe auf Spe-
zialmaschinen gefrást. Die der Reibung aus-
gesetzten Teile werden sorgfältig im Einsatz
gehärtet. Besondere Vorrichtungen gestatten
bei allen Winden genaue Kontrolle und regel-
mässige Schmierung des Triebwerkes. — Für
bestimmte Exportländer wären dann noch
Haumesser und Plantagengeräte,
die letzteren in einer grossen Zahl der ver-
schiedensten Sorten, zu erwähnen, für die es
zahlreiche Spezialfabriken gibt.
Sämtliche Artikel sind in den meisten Län-
dern durch jahrzehntelange regelmässige Lie-
ferungen eingeführt und halten dort einen
Wettbewerb mit den gleichen Artikeln erfolg-
reich aus, die von anderen Ländern, insbe-
sondere Amerika und England, ebenfalls ge-
liefert werden. Sie werden den besonderen
Ansprüchen jedes einzelnen Marktes entspre-
chend hergestellt, und die deutsche Ware hat
sich gerade dadurch überall besonders beliebt
gemacht, dass man stets auf die Wünsche der
Abnehmer eingegangen ist und die Qualität
und Ausführung so herausgebracht hat, wie es
der Kunde gerade für seinen Platz beanspruchte.
Bekanntlich ist dieses bei den ausländischen
Fabriken, wie bei den amerikanischen und eng-
lischen, nicht im gleichen Masse der Fall ge-
wesen. Diese Werke halten sich meistens an
bestimmte normale Qualitäten und Ausfüh-
rungen, von denen sie in der Regel nicht ab-
weichen und welche die Abnehmer auch nehmen
müssen, wie sie nun einmal von den Fabriken
geführt werden. Trotz dieser grossen Vielseitig-
keit der deutschen Industrie erleidet die Liefe-
rungsfáhigkeit mit Bezug auf Umfang und
Schnelligkeit der Lieferung keine Einbusse ` sie
ist vielmehr in der Lage, auch umfangreichsten
Bedarf in ganz kurzer Frist zu decken.
Die deutsche Gabel - Industrie
war bereits vor dem Kriege in der Lage,
nicht nur den Inlandsmarkt vollständig aus-
reichend mit Heu-, Dünger-, Rüben-, Kartoffel-
199
gabeln, Koks- und Steingabeln zu versorgen,
sondern auch grosse Mengen ins Ausland zu
versenden. Während des Krieges stockte der
Auslandsabsatz wie bei allen anderen Gewerbe-
` zweigen, teils weil viele Bezirke nicht zu er-
reichen waren, teils weil im Inlande Rohstoffe
und Facharbeiter fehlten. Die deutschen Gabel-
werke sind nun wieder voll in Betrieb und liefern
für In- und Ausland die Werkzeuge, welche den
besten Auslandswaren nicht nur ebenbürtig,
sondern in vieler Beziehung auch überlegen sind.
Auch die Stiele werden wieder in der alten
Güte angefertigt, so dass sowohl Düllgabeln,
wie auch Stielgabeln geliefert werden kónnen.
Jede Auskunft wird von dem Verein der Gabel-
fabrikanten in Hagen i. W. erteilt.
Achsen aller Art
werden für sámtliche landwirtschaftliche Fuhr-
werke und Kutschwagen in allen Ausführungen,
wie sie in den verschiedenen Ländern der
Erde gebráuchlich sind, hergestellt. Lieferungs-
fáhigkeit besteht in jeder Weise, auch die
Lieferungsmóglichkeit in kurzer Zeit ganz nach
Wunsch der Abnehmer.
Die Amboss-Industrie
ist wohl eine der uráltesten Industrien Deutsch-
lands. Solange man denken kann, ist sie
schon in Deutschland heimisch, und es wurden
daher auch von jeher in Deutschland die besten
und billigsten Ambosse hergestellt. Der ge-
schmiedete Amboss ist den anderen Fabri-
katen durch seine längere Lebensdauer und
schóne Form immer vorgezogen worden. Durch
den Krieg war naturgemäss die Fabrikation
sowie die Güte aus dem einfachen Grunde
zurückgegangen, weil es an den nótigen Roh-
stoffen sowie an den geeigneten Arbeitskräften
fehlte. Heute schon ist es der deutschen In-
dustrie wieder móglich, einen guten Amboss
auf den Markt zu bringen. Die grosse Be-
liebtheit für den deutschen geschmiedeten Am-
boss zeigt sich in der immer mehr zunehmen-
den Ausfuhr nach anderen Ländern. Es ist
daher zu hoffen, dass auch das übrige bis
jetzt noch fernstehende Ausland dazu über-
geht, den deutschen Amboss einzuführen und
es ist nicht daran zu zweifeln, dass er auch
dort ungeteilten Beifal finden wird. Die
deutsche Amboss-Industrie wird es sich immer
zur Aufgabe machen, einen guten Amboss zu
liefern und somit auch am Wiederaufbau
Deutschlands kräftig und freudig mithelfen.
Bohrapparate.
Unter diesen Artikel fallen transportable
Hand. und Brustbohrapparate für Metall-
bohrungen, Bohrwinden für Holzbohrungen,
kleinere Tischbohrmaschinen für Handbetrieb
für Löcher bis 16 mm, Schleifmaschinen für
Handbetrieb, kleinere Parallelschraubstöcke zum
Anschrauben an den Tisch usw. Es sind dies
Fabrikationszweige, die besonders leistungs-
fähig sind und die vor dem Kriege das euro-
päische Ausland beherrscht haben. Auch das
überseeische Ausland ist vorwiegend mit die-
sen deutschen Artikeln bedient worden. Es
ist ein Industriezweig, der vor etwa 50 Jahren
geschaffen wurde, in dem sich also die Er-
fahrungen einiger Jahrzehnte konzentrieren und
der sich auch unter Benutzung der laufenden
Fortschritte in der modernen Fabrikations-
technik stets sowohl konstruktiv als auch in
Ausführung auf der Höhe moderner Anfor-
derungen gehalten hat. Es ist in einigen die-
ser Artikel seit Jahren eine Konkurrenz einiger
amerikanischer Fabrikanten eingetreten, die in-
des in keiner Weise zu fürchten ist, weil trotz
dieser amerikanischen Konkurrenz bislang die
deutschen Artikel sowohl im europäischen Aus-
land als auch in Übersee gern gekauft wurden,
weil sie mit deutscher Gründlichkeit und deut-
scher Gewissenhaftigkeit ausgeführt sind. Be-
sonders leistungsfähig und ohne Konkurrenz
seitens des Auslandes ist die deutsche Industrie
intransportablen Tischbohrmaschi-
nen für Handbetrieb, in denen stets
das Vollkommenste in konstruktiver Hinsicht
auf den Markt gebracht wurde, keine Aus-
landskonkurrenz hat bisher hierin irgendwie
etwas Gleichwertiges entgegensetzen können.
Mit allen wünschenswerten Einzelheiten, Kata-
logen usw. steht den Interessenten der Bohr-
apparate-Verband, Hagen i. W. 6, gern zur
Verfügung: Die Leistungsfähigkeit ist sehr
gross und die benötigten Lieferzeiten kurz.
Die Velberter Schloss- und Beschläge-
Industrie
umfasst eine grosse Reihe Firmen, die durch
fortdauernde Verbesserung ihrer Betriebsein-
richtungen zu grösster Leistungsfähigkeit em-
porgewachsen sind und sich durch die Qualität
ihrer Erzeugnisse vom Massenartikel bis zu
den feinsten Spezialsorten Weltruf verschafft
haben. Diese Industrie beschäftigt rund 15 000
Arbeiter und ist in der Lage, jeden Auftrag
in kürzester Frist zur Ausführung zu bringen.
Schlösser, Möbelbeschläge und Bau-
beschläge sind Artikel, die vor dem Kriege
in grossen Massen für den Export hergestellt
wurden und die auch heute zum grossen Teil
ab Lager sofort und zu günstigen Bedingungen
geliefert werden können.
Die Industrie von Plettenberg
und Umgegend.
Die Erzeugnisse der Plettenberger Industrie
werden seit Jahrzehnten mit wachsenden Er-
Die deutsche Eisen- und Stahlwaren Industrie.
folgen ins Ausland versandt, und zwar sind `
es sowohl Fertigwaren, wie auch Produkte
der weiterverarbeitenden Industrien,
die sich besonders in den letzten Jahren den
Weltmarkt erobert haben. Das Spezialgebiet
der Industrie von Plettenberg und Umgegend
ist das der Kleineisen-, Stahl- und Metall-
warenbranche. Vor allem sind besonders zu
erwähnen leistungsfähige Gesenkschmie-
dereien und Hammerwerke, in denen
Exportartikel allerart hergestellt werden, haupt-
sächlich für den Maschinenbau und Eisenbahn-
oberbau, sowie für den Waggon- und Loko-
motivenbau. Stanzwerke und Pressereien be-
schäftigen sich mit der Anfertigung von Schrau-
ben, Muttern, Bolzen, Nieten, Klemmplatten,
Laschen usw. ` zahlreiche andere liefern Splinte,
Unterlegscheiben, Betthaken, Schuhnägel und
dergl. Ferner sind zu nennen: Drahtwerke
für alle Sorten und Dimensionen von Draht
und deren Erzeugnisse, wie Stimmnägel, Draht-
stifte, ferner Kistengriffe, Riegel-, Hut- und
Mantelhaken. Andere hochqualifizierte Spe-
zialfabriken arbeiten für den Bedarf der Land-
wirtschaft und stellen Gabeln, Rechen, Hacken,
Schaufeln, Spaten usw. her und daneben auch
Bügeleisenbolzen, Fitschen, Bau-, Möbel- und
Fensterbeschläge, Kuppelungen und Röhren.
Verschiedene Messingwarenfabriken decken den
Bedarf des Exportgeschäfts durch die Fabri-
kation aller bekannten Artikel dieser Branche,
wie Armaturen, Lager, Türklinken, Bänder,
Beschläge, Vorstosschienen und Leisten, Röhren
und Stangen für, Fenster- und Schaufenster-
dekorationen. Hierzu zählen auch die Betriebe
für elektrotechnische Bedarfsartikel. Neuere
Aluminiumfabriken befassen sich mit der
Giesserei und Drückerei von Haushaltungs-
gegenständen, wie Töpfe, Geschirre, Ess-
bestecke usf.
So ist sowohl die Fertigwaren- wie die
Halbzeug-Industrie des Plettenberger Bezirks
vornehmlich auf den Export eingestellt. Die
bis ins kleinste durchgeführte Arbeitsteilung
und Spezialisierung der etwa 100 Betriebe
von Plettenberg und Umgegend mit ihren
rund 5000 Arbeitern ermöglichen die hoch-
qualifizierte, saubere Arbeit, die einwandfreie
Herstellung” und die tadellose Beschaffenheit
der Waren, durch die diese auf allen Märkten
rühmlichst bekannt sind. Die durch Neubau
vergrösserten und aufs praktischste eingerichteten
Werke sind in der Lage, alle Aufträge auf
dem schnellsten und billigsten Wege zu er-
ledigen. Durch die technische Vervollkomm-
nung der Maschinenanlagen ist die Leistungs-
fähigkeit der Plettenberger Industrie gewaltig
gesteigert und daher die Lieferungsmöglichkeit
allen Anforderungen gewachsen. Aus diesen
Gründen habeu sich die Exportartikel der
Die deutsche Eisen- und Stahlwaren- Industrie. 201
Kleineisenwaren-Industrie von Plettenberg schon
längst den Weltmarkt erobert und die Kon-
kurrenzfähigkeit sichert ihr dauernd den Platz,
den sie auf Grund ihres guten Rufes einge-
nommen hat und der ihr auch in Zukunft
nicht streitig gemaeht werden kann.
Erzeugnisse der deutschen Industrie
für Massenspeisungen
ist ein Gebiet, auf dem in dem letzten Jahr-
zehnt ganz ausserordentliche Fortschritte, be-
sonders in hygienischer Beziehung, gemacht
worden sind. Die Aufschliessung ‘aller Nähr-
werte in den Speisen durch langsames Kochen
in wirtschaftlicher Weise zu erreichen, war das
Ziel, das sich die Industrie der Kochapparate
seit Jahren gestellt hat. In höchster Voll-
kommenheit sind die Apparate dazu ausge-
bildet. Der frühere Herd ist nur in beson-
deren Fällen, insbesondere zum Braten er-
forderlich. Im übrigen werden die sämtlichen
Speisen in doppelwandigen Kochkesseln mit
Wasserbadeinrichtung gekocht. Die Beheizung
erfolgt durch Dampf, Gas und auch mit festen
Brennstoffen. Den Kochkesseln, durch Dampf
beheizt, Dampfkochkesseln, ist unbedingt der
Vorzug zu geben, wo Dampf erzeugt werden
kann, da gerade bei diesen alles Erreichte in
hygienischer Beziehung vereinigt wird. Steht
Dampf nicht zur Verfügung, wie das in Ka-
sernen usw. der Fall ist, bleibt die Beheizung
der Kochkessel mittels Gas, Öl oder mit festen
Brennstoffen, Holz, Torf, Braunkohle, Stein-
kohle. Um das Brennmaterial ergiebig aus-
nutzen zu können, ist die Konstruktion des
Feuertopfes den Brennmaterialverhältnissen
entsprechend. Besondere Erfahrungen und
Kenntnisse bedingt der Bau von Schiffsküchen
wegen der hohen Ansprüche, welche unter
schwierigen, räumlichen Verhältnissen an die
Leistungsfähigkeit und Betriebssicherheit der
Dampfkochkessel auf Schiffen gestellt wer-
den müssen. Auch hierin können die Lie-
ferungen der deutschen Industrie an die Han-
dels- und Kriegsmarine des In- und Auslandes
in jeder Beziehung als vorbildlich hingestellt
werden. Da die durch den Krieg hervorge-
rufenen Schwierigkeiten in der Beschaffung
hochwertiger Materialien für die Herstellung
von Grosskochapparaten beseitigt sind, so wer-
den diese wieder, wie in der Vorkriegszeit,
in alter, bewährter Friedensausführung geliefert.
Ofenrohre.
Hergestellt werden alle Sorten Ofenrohre,
genietet und gefalzt in schwarzer, verzinkter
und verbleiter Ausführung, sowie die dazu ge-
Zelluloid-Imitationsware,
hörigen Kniestiicke in gerippt und verstellbar.
Verschiedene Werke haben in ihrem Fabri-
kationsprogramm auch die Herstellung von
anderen Blechwaren, wie Boiler, Kessel, Rohr-
leitungen u. a. Unter Berücksichtigung der
erhöhten Bautätigkeit, die der Not gehorchend
in Deutschland einsetzen muss, wird der Ar-
tikel Ofenrohre zum Herbst wieder stärker
begehrt werden und es ist daher besonders
auch dem Auslande zu empfehlen, die jetzt
stille Zeit in der Branche zu benutzen, um
die Läger der Saison zu vervollständigen. Für
alle Anfragen steht die Vereinigung der Ofen-
rohrfabrikanten, Weidenau-Sieg, Postfach 44,
gern zur Verfügung.
Schuhösen und Schuhhaken.
Die Herstellung von Ösen für Schuhe und
andere Zwecke ist bereits vor etwa 70 Jahren
von deutschen Firmen aufgenommen worden.
In den nachfolgenden Jahren ist man auch
dazu übergegangen, Schuhhaken, die gewisser-
massen nur eine Vollendung von Schuhösen
darstellen, herzustellen. Die deutsche Metall-
waren-Industrie war auf diesem Gebiet stets
führend und hat vor ungefähr 15 Jahren, als
auch nach billigeren Schuhösen und -haken
Nachfrage einsetzte, es fertiggebracht, solche
aus „Eisen“ herzustellen. Bis zu diesem
Zeitpunkte wurde ausschliesslich für die Her-
stellung dieser Artikel „Messing“ verwendet.
Die ausländische Industrie, u. a. die englische,
amerikanische, französische und italienische, hat
dann lange Zeit Versuche gemacht, auch Schuh-
ösen und -haken aus „Eisen“ herzustellen, ist
aber heute auf diesem Gebiete noch nicht so
bewandert, wie die deutschen entsprechenden
Unternehmungen. Somit hat die deutsche
Metallwaren-Industrie schon seit langen Jahren
grosse Überseegeschäfte, besonders in „Eisen“-
Schuhösen und -haken gemacht und waren
ihre Erzeugnisse auch beliebt, was die vielen
laufenden Orders bewiesen. Im Laufe der
Jahre sind die verschiedenartigsten Ausfüh-
rungen in Ösen und Agraffen. von der deut-
schen Industrie auf den Markt gebracht wor-
den, und zwar wurden solche hauptsächlich
geliefert: 1. in feuerlackierter Ausfüh-
rung, die für gewöhnliches Strassenschuhwerk
und Arbeiterstiefel Verwendung finden, 2. in
d. h. mit
einer dünnen festfarbigen Lackschicht versehen,
also für mittleres Schuhwerk verwendbar, 3. in
emaillierter Ausführung, also durchaus
festfarbig und massiven Zelluloid- Ösen und
-Haken ebenbürtig und 4. mit massiver
Zelluloid-Auflage, also in der voll-
kommensten Ausführung, die überhaupt her-
gestellt werden kann.
202
Nächst den Vereinigten Staaten, die in
den letzten Jahren auch eine Verfeinerung
der von ihnen auf den Markt gebrachten Ösen
und Haken vorgenommen haben, marschierte
diese deutsche Industrie stets an der Spitze.
Es ist wohl kein Weltteil vorhanden, in dem
nicht di?Se deutsche Ware mit Vorliebe ver-
arbeitet worden ist. Dies beweist auch der
Umstand, dass selbst aus den Entente-Übersee-
ländern schon viele Anfragen nach Ösen und
Haken wieder eingehen und auch schon ansehn-
liche Orders, vor allen Dingen mit Japan,
Mittelamerika und Südamerika, wieder zustande
gekommen sind.
Die Schmalkalder Eisen- und Metall-
waren-Industrie
nimmt eine gewisse Sonderstellung in der
Gruppe „Deutsche Kleineisenwaren und Werk-
zeuge“ ein. Weitab gelegen von den Ge-
winnungsstätten von Kohle und Eisen, den
Hauptfaktoren der Eisen-Industrie, hat sie sich
trotzdem von altersher gegen die mächtigen,
günstiger gelegenen Konkurrenten in Rhein-
land-Westfalen, Sachsen und Oberschlesien zu
behaupten gewusst. Es kamen ihr dabei in
früheren Jahren billigere Arbeitslöhne zu Hilfe
gegenüber dem Rheinland. Das war aller-
dings schon vor dem Kriege anders geworden ;
aber seit der Revolution hat der Schmalkalder
Bezirk durch die gleichmachenden Tarifverträge
so ziemlich dieselben Löhne wie alle anderen
Gegenden Deutschlands. Trotz der dadurch
ungünstigeren Lage hinsichtlich erfolgreichen
Wettbewerbs haben die Thüringer Fabrikanten
es doch verstanden, sich nicht nur zu behaup-
ten, sondern es kann gesagt werden, dass die
Kleineisen- und Werkzeug-Industrie des Schmal-
kalder Bezirks langsam, aber stetig vorwärts
kommt und sich neue Absatzgebiete im In-
und Auslande erobert. Die Krisis, die seit
Juli 1920 auf der ganzen deutschen Industrie
lastet, ist natürlich auch hier schwer fühlbar.
Es ist aber doch bisher zu keinem völligen
Stilliegen eines Betriebes gekommen und auch
die Arbeitseinschränkungen sind sehr mässig.
Die Werkzeug - Industrie ist in ihren alten
Spezialitäten: Bohrer und Zangen sehr
gut bekannt. Hier ist, seit die Löhne so
rapid in die Höhe gegangen sind, ganz er-
sichtlich eine Wandlung in dem Sinn einge-.
treten, dass die Fabrikanten viel mehr Wert
auf erstklassige Qualitäten legen und
ihre Fabrikate erheblich verbessert haben.
Man sieht ein, dass unter den heutigen Ver-
hältnissen, bei denen man auf ausserordentlich
hohe Preise halten muss, nur wirkliche
Die deutsche Eisen- und Stahlwaren- Industrie.
Qualitätswaren Absatz finden und den
Beifall der Käufer erringen können. Auch die
altbekannten Fabriken für Schuhmacher-
und Sattlerahlen und -werkzeuge
wenden sich mehr den besten hochwertigsten
Qualitäten und Ausführungen zu. Eine weltbe-
kannteFirma, die ihreFabrikate: Löffel aller
Art und Metallwaren, in alle Weltteile schickt,
ist ziemlich gut beschäftigt; auch sie hat ihre
Fabrikate in Qualität und bester Ausführung sehr
verfeinert. Striegel, ein bekannter Schmal-
kalder Artikel, liegt im Export noch etwas
danieder, ebenso Schraubenzieher. Als
neue Artikel erscheinen elektrische Be-
darfsartikel: Fassungen, Schalter und alle
sonstigen Artikel für Schwach- und Starkstrom.
Gebläsemaschinen, Bohrmaschinen
werden in ziemlichen Quantitäten hergestellt.
Weltbekannt ist auch die Schmalkalder Fabrika-
tion für alle Sorten Krane und Hebezeuge.
Die Hausindustrie des Schmalkalder
Bezirks erzeugt alle Arten Kleineisenwaren
und Kleinwerkzeuge: Haushaltungsartikel aller-
art, Brennscheren, Korkzieher, Drechslerwaren,
Hämmer, Geschirrbeschläge usw. Auch hier
ist in vielen Fällen das Bestreben, bessere,
hochwertigere Ware zu liefern, unverkennbar.
Da jetzt mit Schwierigkeiten in der Material-
beschaffung nicht mehr zu rechnen ist, so
liegen die Lieferungsmöglichkeiten aller hie-
sigen Artikel für den Export gegenwärtig
günstig.
Es braucht am Schluss unserer Ausführungen
nicht besonders betont zu werden, dass es
natürlich ganz unmöglich ist, alle Erzeugnisse
der deutschen Eisen- und Stahlwaren-Industrie
in einem Aufsatz aufzuführen,‘ denn ihre Fa-
brikation ist so umfassend, dass ihre Erzeug-
nisse weit in die Tausende hineingehen dürf-
ten. Wenn wir allein die auf der ganzen
Welt bekannten |
Solinger Stahlwaren
herausgreifen würden, so umfassen diese eine
ganz gewaltige Anzahl von Produkten. Auch
die Solinger Industrie ist gleich der gesamten
deutschen Eisen- und Stahlwaren-Industrie be-
müht, nur beste Qualitátserzeugnisse auf den
Weltmarkt zu bringen. Auch sie ist in der
Lage, schnellstens, zum Teil vom Lager und
zu festen Bedingungen zu liefern.
* +
*
Anmerk. der Schriftl.: Für jede gewünschte nähere Aus-
kunft steht die Vermittlungsstelle von Velhagen & Klasings Export-
Anzeiger in Leipzig und der Eisen- und Stahlwaren-Industriebun
in Elberfeld den ausländischen Interessenten jederzeit zur Ver
fügung, um sie mit den gewünschten Fabrikationszweigen der deu!
schen Eisen- und Stahlwaren - Industrie in Verbindung zu bringen
eje mebelejeleiejgel9,Jjbejelerbejejelebeyreejeetejeg
Die Sanktionen und ihre Konsequenzen.
203
Die Sanktionen und ihre Honsequenzen.
Von E. Trott-Helge.
s hat wirklich den Anschein, als gehe die
Weltwirtschaft ähnlichen Zuständen entgegen,
wie Blockade und Handel mit dem Feinde sie
im Weltkriege zeitigten. Die Londoner Beschlüsse
ziehen immer weitere Kreise, nicht nur in Deutsch-
land, nein, in der ganzen Welt.
Es konnte nicht überraschen, dass Deutsch-
lands Handel und Industrie sich den Gewalts-
massnahmen der Alliierten gegenüber wehren
mussten. Denn eine Handhabe für ihre Durch-
führung bietet der Friedensvertrag nicht. Und
als dann die Reichsregierung wiederholt betonte,
für sie könne weder von einer Ersatzleistung an
deutsche Lieferanten für nach alliierten Ländern
gesandte Ware- die Rede sein, noch eine Mit-
arbeit deutscher Beamter bei Aufrichtung der
Zollgrenze am Rhein in Betracht kommen, da
mussten sich die Organisationen notwendigerweise
zu Gegenmassnahmen rüsten. Sie gaben die
Parole aus, dass es Ehrenpflicht des deutschen
Kaufmannes sei, in jenen Ländern, welche die
Ausfuhrabgabe einführten, nur das unbedingt
Notwendigste zu kaufen, andererseits bei Liefe-
rungen nach diesen Ländern auf Vorausbezahlung
zu bestehen, damit der Geschäftsmann durch
Einbehaltung eines wesentlichen Teils des Fak-
turenwertes nicht nur seinen Nutzen, sondern
auch noch einen beträchtlichen Teil des eigenen
Gestehungswertes einbüsse. Damit wird natür-
lich der Warenverkehr zwischen Deutschland,
England, Belgien und Frankreich so gut wie lahm-
gelegt, was vom weltwirtschaftlichen Standpunkte
aus betrachtet aufs tiefste beklagt werden muss.
Denn alle Völker der Erde sind in der Nach-
kriegszeit auf die Belebung ihres Aussenhandels
angewiesen, sie müssen danach trachten, die Be-
ziehungen von Land zu Land zu heben und zu
fördern, nachdem die langjährige Kriegszeit alle
Gesetze von Angebot und "Nachft rage verschoben,
hier Überfluss an entwerteten Rohstoffen, dort
Absatzmangel für Fertigfabrikate und Arbeits-
losigkeit und an dritter Stelle, in Mitteleuropa,
infolge des Valutaelends, bitteren Rohstoffmangel
und Kaufschwáche geschaffen hat. Alle hoffnungs-
voll spriessenden Keime künftigen regen Güter-
austausches haben die Londoner Sanktionen
geknickt. Konnte der englische Handelsminister
Hornes noch Mitte März dem Unterhause mit-
teilen, dass die deutsche Einfuhr für 1920
31 Millionen Pfund Wert betragen habe, während
Deutschland von den vereinigten Königreichen
21*/, Millionen Pfund Warenwert und aus den
Kolonien 29,1 Millionen Pfund bezogen habe, so
wird er seit dem 31. März, dem Tage des In-
krafttretens der Ausfuhrabgabe, ein zwerghaftes
Warenaustauschgescháft zwischen beiden Ländern
festzustellen haben. Er erklärte, dass in den
beiden ersten Monaten des laufenden Jahres die
deutsche Einfuhr einen steigenden Charakter auf-
gewiesen habe und hat vielleicht mit diesen
Hinweisen dem Unterhause beweisen wollen,
welchen hohen Nutzen die Einführung der Aus-
fuhrabgabe für den Staatsschatz abwerfen werde.
Aber die Kehrseite der Medaille war, dass in
den ersten neun Tagen nach Einführung der
50°/,igen Warenabgabe laut amtlicher Statistik nur
81 Lstrl. eingingen, also gerade 9 Lstrl. auf den
Tag. Davon gehen noch die Kosten der Er-
hebung ab. Damit behält der italienische Be-
vollmächtigte zur Londoner Konferenz, Grat
Sforza, recht, der schon während der Verhand-
lungen über die Sanktionen erklärte, dass diese
wirtschaftliche Strafmassnahme unmöglich prakti-
schen Erfolg haben werde.
Trotzalledem haben Frankreich, Belgien und
Südslavien ebenfalls fast gleichartige Gesetze ein-
gebracht und angenommen. Sie werden voraus-
sichtlich in ihrem Aussenhandelsgeschäfte mit
Deutschland dieselben Erfahrungen machen. Es
haben sich ferner Portugal, Siam: und Rumänien
bereit erklärt, wenn auch nicht gleiche Mass-
nahmen, so doch ähnliche zu treffen. Rumänien
stützte sich dabei auf $ 18 des Friedensvertrages,
den es bezüglich der "deutschen Ware in seinen
vollen Wirkungen wieder eingeführt hat und
damit den deutschen Kaufmann ebenfalls in die
Zwangslage versetzt, zur Ausschaltung jedes
Risikos der Beschlagnahme, nur gegen Voraus-
bezahlung zu liefern. Luxemburg hat mit voller
Deutlichkeit erklärt, es werde keine solchen
Massnahmen treffen. Dass Japan daran denkt,
scheint ausgeschlossen, trotzdem bei den Alliierten
eine bestimmte Erklärung noch nicht eingegangen
ist. Aber die japanische Politik ist bekanntlich
stets eine zurückhaltende, ausserdem erkennt
sie, dass Deutschland in seiner heutigen Notlage
keine Gefahr für den Weltmarkt darstellt und
für Japan im fernen Osten erst recht nicht. Ita-
lien wird natürlich von seinen ehemals Verbün-
deten arg bedrängt. Nach den bisherigen offi-
ziellen Ausserungen und gelegentlichen Mittei-
lungen der leitenden Männer, sieht man indessen
die Notwendigkeit der Stärkung und Förderung
der Wirtschaftsbezichungen zu Deutschland seit
langem ein. Sie ist von vornherein einer der
Programmpunkte des jetzigen Ministeriums ge-
wesen. Möglich, dass man sich zu Massnahmen
gegen das angebliche deutsche Dumping ent-
schliesst, wahrscheinlicher, dass die Zollpolitik
Italiens protektionistische Wege wandelt. Inter- -`
essant ist auch, was sich zwischen Deutschland
und Tschechoslowakien ereignet. Die Regierung
in Prag befindet sich in einer Zwickmühle. Sic
möchte ganz gerne eine Ausfuhrabgabe einführen,
aber nur für bestimmte Waren, andererseits ihr
hoffnungsvoll entwickeltes Geschäft mit dem
deutschen Nachbar nicht zerstört sehen. So
haben sich einige Regierungsvertreter nach Ber-
lin begeben, um über die Sanktionen direkt zu
verhandeln. Nach dem von der deutschen Reichs-
regierung bisher cingenommenen Standpunkte
wäre der Ausgang dieser Verhandlungen nicht
zweifelhaft, sofern die Tschechoslowakei auf
ihren Forderungen bestchen bliebe. Immerhin
nimmt der tschechische Besuch in Berlin und
das persönliche Verhandeln der Angelegenheit
viel von ihrer ursprünglichen Schärfe. Eine Ver-
ständigung ist deswegen nicht ausgeschlossen.
Als weitestgehende und tiefstgreifende der
Sanktionen muss die Zollgrenze gelten. Sie
stellt ein trauriges Kapitel im wirtschaftlichen
Leben der Völker dar und bedeutet für Deutsch-
land eine Erschwerung auf allen Gebieten. In-
dustrie, Handel, Verkehr leiden gleichmässig.
Denn der Fabrikant im besetzten Gebiete hat
den gróssten Teil seines Absatzgebietes jenseits
der Zollgrenze. Um nach dorthin zu gelangen,
unterliegt die Ware jedoch den Zóllen des deut-
schen Tarifs, wenn auch ohne den Goldzuschlag.
Der Fabrikant im nichtbesetzten Gebiete aber
204
muss seine Ware, mit 25%/, des Goldzolls be-
lastet, nach dem besetzten Gebiete liefern, will
er seine Kundschaft, die meist eine langjährige
und treue ist, nicht im Stich lassen. Der Han-
del diesseits und jenseits der Zollinie unterliegt
den gleichen Schwierigkeiten. Und der Verkehr,
ganz gleich, ob der der Güter- oder Personen-
züge, wird durch die Revisionen an den Zoll-
stellen mitunter stundenlang aufgehalten. Es ist
ein schöner Beweis für das richtige Verstehen
der Bedeutung unserer deutschen Wirtschafts-
einheit, wenn kürzlich der Verband deutscher
Teppich- und Möbelstoffabrikanten beschlossen
hat, seiner Kundschaft im neuen Zollgebiete die
Zölle für Waren gegen Vorlegung der Zollquittung
zu vergúten. Dieses Beispiel sollte überall Nach:
ahmung finden, damit jener letzte Endzweck der
Alliierten, die Abtrennung des besetzen deutschen
Gebietes vom deutschen Wirtschaftsleben, ver-
eitelt wird. Es ist auch bereits festzustellen,
dass die Zwangsmassnahmen der Zollgrenze und
die erweiterte Besetzung deutschen Gebietes den
Einheitsgedanken stärken; kam das doch in
Kundgebungen jenseits der Zollgrenze wieder-
holt in schönster Weise zum Ausdruck. Bei-
spielsweise in einer Versammlung des Verbandes
Kölner Grossfirmen betonte der Syndikus der
dortigen Handelskammer, dass man sich mit .
übermenschlicher Geduld wappnen müsse. „Der
Rheinländer wisse: was er jetzt erträgt, muss er
für sein geliebtes Vaterland tragen.“
Dass ähnlich dem deutschen Handel mit den
Ländern der Ausfuhrabgabe auch der Handel
mit Deutschland über das neue deutsche Zoll-
gebiet leiden muss, ist selbstverständlich. Davon
werden in erster Linie die Niederlande betroffen.
Denn der Durchgangsverkehr über Amsterdam
und Rotterdam, der in der Nachkriegszeit gegen
früher einen starken Aufschwung nehmen konnte,
wird dadurch so gut wie lahmgelegt. Kaufleute
von solch ehrwürdiger Tradition und solchem
weltwirtschaftlichen Weitblick wie die Hollän-
der werden begreifen, dass die deutsche Han-
delswelt gar nichts anderes tun kann, als den
Weg über das ncue Zollgebiet zu vermeiden,
weil im Durchgangsverkehr die Zölle den deut-
schen Reichseinnahmen nicht mehr zugute kom-
men können. Sind demnach andere Zufahrts-
strassen vorhanden — und diese bestehen über
die deutschen Häfen an der Nordsee —, so wird
der Weg über Holland und das Rheinland ver-
mieden werden. Es wird verständlich, wenn
sich die Niederlande infolgedessen allen Ernstes
mit der Frage befassen, wie den bereits deut-
lich wahrzunehmenden Schäden, die sich im
Laufe der Zeit immer mehr vergrössern werden,
abzuhclfen ist. Die Alliierten aber werden diese
Die Sanktionen und ihre Konsequenzen. — Rohöl- und Dieselmotoren.
Notlage Hollands ausnutzen und es an Aufforde-
rungen zur Ergreifung von Massnahmen gegen
Deutschland nicht fehlen lassen.
Zusammenfassend lässt sich von den Sank-
tionen und ihren Folgeerscheinungen nur sagen,
dass sie verfehlt sind. Wenigstens darf das mit
Bezug aut die Ausfuhrabgabe schon jetzt als
sicher gelten. Auf diesem Wege werden die
Alliierten niemals grössere Reparationssummen
einheimsen, dafür werden Erbitterung und Ent-
täuschung sie, wie das bereits geschieht, neue
Massnahmen gegen Deutschland ersinnen lassen.
Fasst man doch bereits die Blockade Hamburgs
ins Auge. Auch die Zollgrenze wird ähnliche
Misserfolge bringen, vielleicht weniger in peku-
niärer Beziehung, als bei der technischen Durch-
führung. Denn der feste Wille der deutschen
Handelswelt durch die Zollgrenze das deutsche
Wirtschaftsgebiet nicht künstlich zerreissen zu
lassen, wird den Warenverkehr von und nach
dem besetzten Gebiete lebhaft bleiben lassen,
trotzdem der Transitverkehr in Wegfall kommt.
Und dadurch werden an die des deutschen
Systems unkundigen alliierten Kommissionen An-
forderungen gestellt werden, denen sie nicht ge-
wachsen sein können. Man scheint zwar deut-
sches Personal zwangsweise verpflichten zu wollen,
aber was unwillig getan wird, das bringt keinen
Erfolg. Auch besteht für den Beamten die Mög-
lichkeit der passiven Resistenz.
Vielleicht kommt nach alledem doch die
bessere Einsicht bei der Reparationskommission.
Anzeichen dafür sind in England vorhanden.
Ausserdem muss mit allem Nachdruck betont
werden, dass die deutsche Reichsregierung bereit
ist, bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit zu
reparieren. Sie hat ihren guten Willen wieder-
holt dargetan und wird ihn immer wieder be-
tonen, so dass vielleicht doch einmal das Miss-
trauen schwindet und die klare Vernunft siegt.
Stellenweise ist sie vorhanden. Vielfach ist man
sich auch auf der gegnerischen Seite klar dar-
über, dass die Sanktionen sich nicht verewigen
lassen. So hat beispielsweise der Handels-
redakteur des „Manchester Guardian" anlässlich
einer deutschen Aussenhandelstagung auf der
Frankfurter Messe erklärt, seiner Überzeugung
nach seien diese Sanktionen nicht länger als vier
bis sechs Monate aufrechtzuerhalten. Hoffent-
lich kommt die bessere Einsicht schon sehr viel
früher. Vielleicht findet sich auch ein Vermitt-
ler, der keinem Lande zuliebe und keinem zu-
leide, nur von allgemein weltwirtschaftlichen
Erwägungen ausgehend, den Versuch macht, die
verblendeten Geister auf den rechten Weg zum
Erfolg und zum Wohle der Vólker im allgemeinen
zurückzuführen.
Rohól- und Dieselmotoren.
Von Ing. Constantin Redzich.
"ins der vornehmsten Ziele deutscher
Sex Technik tritt bei fast allen Neuerschei-
1 nungen geistiger Produkte immer wieder
. mit grósster Deutlichkeit hervor: diese
Errungenschaften insbesondere auch dem Aus-
lande dienstbar zu machen. — Wiewohl auch
zunáchst die deutsche Industrie eifrigst bestrebt
sein wird, die ihr von unseren Ertindergrössen
gebotenen Vorteile in erster Linie selbst auszu-
nutzen, um dadurch auf dem Weltmarkt konkur-
rieren zu können, liegt doch die Selbstverständ-
lichkeit klar zutage, durch Austausch gerade der
wichtigsten technischen Erzeugnisse immer neu:
Anregungen zum Wettbewerb zu erlangen.
Ein neuerdings vielumworbenes deutsches
Produkt von hoher Bedeutung wird sich in Kürze
einen Weg in alle Länder der Erde bahnen, we:
es durch seine unnachahmlichen Eigenschatter
geradezu als eine dringende Notwendigkeit ar-
gesprochen werden kann: es ist dies die Mo
lichkeit der höchsten Ausnutzbarkeit de:
im Brennstoff enthaltenen Wärme beim
Rohöl- und Dieselmotoren.
Rohölmotor, die beim Dieselmotor diejenige
aller anderen Kraftmaschinensysteme
bedeutend und bis zu 35°/, beträgt.
Die zum Betrieb dieser Mo:oren verwendbaren
Brennstoffe bedürfen keiner vorangehenden be-
sonderen Bereitungsweise, sondern sind entweder
in fast allen Weltteilen in genügend grossen
Mengen als Naturprodukte vorhanden oder sie
werden als Nebenprodukte aus der Stein- und
Braunkohle bei der Teerverarbeitung gewonnen,
können deshalb also an allen Industrieorten zu
äusserst mässigen Preisen bezogen werden. Be-
sonders sind es die für andere Zwecke kaum
verwendbaren Rohöle, wie: Rohnaphtha, Masut,
ferner Stein- und Braunkohlenteeröle und deren
Destillate. Natürlich kann auch das gewöhnliche
Petroleum Verwendung finden. Bei allen diesen
Betriebsstoffen, die etwa 10000 Kalorien Heiz-
wert besitzen, ist die Verbrennung eine voll-
kommene, so dass der Auspuff fast unsichtbar
und geruchlos ist. Der Brennstoffverbrauch be-
trägt nämlich je. nach Grösse der Maschine
180—200 Gramm (auf 10000 Kalorien Heizwert
bezogen) bei normaler Belastung, und ist auch
bei Unter- und Überlastung noch von höchster
Wirtschaftlichkeit, Die Bedienungs- und Unter-
haltungskosten sind ungefáhr die gleichen wie
die der modernen Dampfmaschinen, ebenso ist
der Schmieról- und Kühlwasscrverbrauch ein
sehr geringer.
Der Dieselmotor saugt reine atmosphärische
Luft ohne Beimischung von Brennstoffen an und
verdichtet dieselbe beim Rücklauf des Kolbens.
Teerölbetrieb, trat die
Dieselmaschine auch
wirtschaftlich an die
Spitze aller Wärme-
kraftmaschinen.
Ein besonderes Ver-
dienst in der praktischen
Konstruktionsweise der
Dieselmotoren erwarb
sich die „Oberurseler
Motorenfabrik“ mit der
liegenden Bauart, die
gegenüber anderen Syste-
men noch besonders be-
achtenswerte Vorzüge auf- .
weist. Diese sind nament-
lich bei Aufstellung in be-
schränkten Räumen so
ausserordentlich grosse,
dass es wirklich als eine
Pflicht erscheint, an dieser
Stelle empfehlend darauf
hinzuweisen. Während
selbst kleinere stehende
Motoren hohe Maschinen-
räume erfordern, kann
Z. B. eine roo PS-Maschinc
liegenderBauartbequem
in einem 3 m hohen Raume untergebracht
werden. Bei eventuell notwendigem Ausbau des
Kolbens muss bei dem stehenden Motor der
Zylinderkopf mit Steuerung und Regulierung
demontiert werden, was nur in wenigen Fällen
von einem Nichtfachmann vorgenommen werden
kann. Beim liegenden Motor lásst sich der Kolben
leicht von rückwárts herausnehmen und ebenso
wieder einsetzen. Ein weiterer Vorzug liegt in
den ausserordentlich einfachen, übersichtlich
angeordneten Steuerungsorganen, welche sich
aus nur wenigen Gliedern zusammensetzen ;
ferner in den leicht zugänglichen Kurbellagern,
das alles zusammengenommen eine Bedienung
205
In dem Augenblick nun, in dem der Kolben durch
den Totpunkt geht, erfolgt die allmähliche Ein-
führung des Brennstoffs in die verdichtete und
dadurch stark erhitzte Luft. Der Brennstoff ver-
bindet sich mit dieser und verbrennt allmählich
ohne Explosion und ohne wesentliche Druck-
steigerung. Nun läuft der Kolben arbeitverrich-
tend vor und schiebt beim zweiten Rücklauf die
Verbrennungsgase aus.
Das Hauptpatent auf den Dieselmotor
sicherte einer Fabrik mit wenigen Lizenzteil-
nehmern ausschliessliche Fabrikation. Durch
diesen wenig zweckmässigen Ausschluss jeglichen
Wettbewerbs blieben denn auch fast alle Ver-
suche zu Neuerungen und Verbesserungen der
Bauart im Versuchsstadium stecken; der Diesel-
motor wurde im Auslande recht einseitig be-
urteilt und fand fast nur für Spezialzwecke Ver-
wendung. Dabei blieb diestehende Form der
Haupttypus. Den einzigen Fortschritt in den
letzten Jahren vor Ablauf des Patents bildete
die Bauweise zweier Arten: die Viertakt- und
die Zweitaktmaschine, ausserdem noch die
Rohölmaschine mit offener Düse, der sogenannte
„Liezenmaiermotor“.
Nach Ablauf des Patents setzte urplötzlich ein
gewaltiger Aufschwung im Bau von Dieselmotoren
ein, mit ihm eine unerwartet grosse Ausbreitung
über den gesamten Kontinent durch Bau- und
Ausführungsarten, die von der Stammform erheb-
lich abwichen. Eine grosse Entwicklung nahm
hierbei der Schifts-Dieselmotorenbau
und, nach Konstruktion geeigneter Motoren für
Abb. 31. Schiffs - Dieselmotor (Dreizylinder) der Gasmotoren - Fabrik Deutz, Köln - Deutz.
der Maschine sehr vereinfacht, ganz abgeschen
von dem Fortfall einer Bedienungsbühne, was
ein ständiges Treppenlaufen unnötig macht.
Nicht unbeachtlich ist ferner die Kühlung von
Sitz und Führung des Auslassventils, die be-
kanntlich bei stehenden Motoren Schwierigkeiten
bereitet. Die Präzisionsregulierung erfolgt durch
direkte Veränderung der Fördermenge der Brenn-
stoffpumpe. Sie ist denkbar einfach, arbeitet
ohne jeden Rückdruck auf den Regler und hat
überhaupt keine wesentlicher Abnutzung unter-
worfene Teile. Der Antrieb derselben erfolgt
von der Steuerwelle aus mittels Exzenter. Die
Arbeitsweise ist die bekannte mit gesteuertem
206
und vom Regulator beeinflussten Saugventil des
Dieselmotors.
Der beispiellos dastehende Siegeslauf des
Dieselmotors seit Verwirklichung der Idee, ihn
für alle Zwecke verwendbar zu machen, kam
aber in erster Zeit fast nur der Grossindustrie
zugute, da kleine Motoren unter 40 PS nur von
wenigen Fabriken gebaut und zu so hohen Preisen
auf den Markt gebracht wurden, dass ihre Ver-
wendung als Kleinmotoren nicht in Frage kommen
konnte. Deshalb kann der Entschluss, kleinere
und billigere Maschinen zu bauen, die auch
der Kleinindustrie, der Landwirtschaft,
sowie dem Privatbesitz zugänglich wurden,
nicht hoch genug veranschlagt werden, Von
der Motorenfabrik Carl Kälble-Back-
nang wird ein Suevia-Dieselmotor, dessen
Neuerungen patentamtlich geschützt sind, an den
Markt gebracht, der diesen Anforderungen in
allen Teilen weitaus entspricht. Durch Ver-
einfachung der Konstruktion nebst rationeller
Herstellungsweise kann der Motor so billig ge-
liefert werden, dass der Preis den guter Gas-
motoren nicht mehr wesentlich übersteigt. Jahre-
lange Versuche im eigenen Betriebe haben die
zuverlässige Brauchbarkeit einwandfrei bewiesen.
Der Suevia-Dieselmotor arbeitet nach dem
Viertaktverfahren. Die Entzündung des nach
der Kompression eingeführten Brennstoffs erfolgt
durch die während der Kompression hoch er-
hitzte Luft, also ohne jegliche Zündvorrichtung.
Die Verbrennung des Brennstoffs erfolgt unter
Gleichdruck ohne plötzliche Drucksteigerung,
was den Gang der Maschine und die Dauerhaftig-
keit der Triebwerksteile vorteilhaft beeinflusst.
Der Brennstoffverbrauch ist sehr gering und be-
trägt bei grösseren Motoren zirka 185 Gramm,
—
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INSBESONDERE
SPIRITUS- MOTOREN
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Rohöl- und Dieselmotoren.
= drehkurbel, b
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DEUTZER
MOTOREN
4 Vi
INALLEN GROSSEN U,AUSEUHRUNGEN
FURALLE BRENNSTOFFE
BENZIN -BENZOL” PETROL
NAPHTALIN-MOTOREN , |
bei kleineren zirka 240 Gramm für die PS-Stunde.
— Eine weitere Neuerung auf dem Gebicte der
vereinfachten Systeme in Bauart und Antrieb
bringt der von der Benz-Gesellschaft-
Mannheim konstruierte Hochdruck-Rohöl-
Motor, Modell R, bei welchem der Brennstoff
ohne weitere Vorbereitung unmittelbar in der
Maschine Verwendung findet. Deshalb kommen
auch alle Nebenapparate, die Raum und Be-
dienung beanspruchen und Anlass zu Betriebs-
störungen, Schäden und Gefahren geben, völlig
in Wegfall. Im Gegensatz zu den Dieselmotoren
erfolgt die Brennstoffeinführung ohne Zuhilfe-
nahme von Druckluft. Der Brennstoff wird von
der Pumpe direkt in den Verbrennungsraum ge-
drückt, wo er fein zerstäubt zur Verbrennung
gelangt.
Die Vorteile gegenüber den Benzol- und Ben-
zinmotoren sind ausserordentlich beachtenswert:
Fortfall der schr empfindlichen Zündapparate,
Kabel, Zünder und Vergaser; ferner. geringer
Brennstoffverbrauch und dadurch verminderte
Kosten, keine Feuers- oder Explosionsgefahr.
Auch zum Anlassen ist Benzin nicht notwendig,
vielmehr erfolgt die Inbetriebsetzung mittels An-
bei den grösseren Modellen bequem
und sicher durch niedergespannte Druckluft.
welche während des Betriebes dem Arbeitszylin-
der entnommen und in einem Behälter aufgespei-
chert wird. Aus diesem Grunde kommt auch
ein besonderer Kompressor in Fortfall. Der
Brennstoffverbrauch ist sehr gering und beträgt
nur 210 Gramm pro PSjh, ist also wesentlich
niedriger wie bei Glühkopfmotoren. Mit diesen
in allen Grössen und zu allen Zwecken verwend-
baren Hochdruck-Rohölmotoren ist also ein sehr
wirtschaftlicher Betrieb gewährleistet.
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Rohöl- und Dieselmotoren. — Aus den Vereinigten Staaten. 207
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Abb. 32. Neuer liegender kompressorloser Dieselmotor Typ MK V der Gasmotoren- Fabrik Deutz, Köln - Deutz.
Die angeführten Vorteile machen den Motor Motorenfabrik, Ludwigshafen, Kórting A.-G.,
daher besonders geeignet für den Betrieb in Motorenfabrik, Hannover.
kleinen Werkstätten, kleinen elektri- Im allgemeinen werden von diesen Werken
schen Zentralen, in der Landwirtschaft, die Dieselmaschinen in der ursprünglichen,
für den Antrieb von Motorlastbooten und also derstehenden Bauart mit geringen Unter-
überall da, wo einfache, im Betrieb billige und schieden ausgeführt. Besonderer Wert wird
betriebssichere Maschinen gebraucht werden. jedoch von allen Firmen auf eine biszum äussersten
Die Dieselmotoren der Gasmotoren-Fabrik vereinfachte Betriebsweise gelegt, um damit auch
Deutz, Köln-Deutz, geniessen auf Grund eine bedeutungsvolle Kostenermässigung zu er-
ihrer mustergültigen und allen Anforderungen zielen. Die jahrzehntelangen Versuche, verbunden
entsprechenden Konstruktion, sowie der vorbild- mit der gewonnenen Erfahrung in der Praxis,
lichen technischen Ausführung einen solchen Ruf führten denn auch zu einer derartigen Vervoll-
in Fachkreisen, dass sich eine eingehende Schilde- kommnung in Arbeitsleistung und Wirtschaftlich-
rung erübrigt. Wir bringen zwei Abbildungen keit, wie sie von ausländischen Nachahmungen
von Motoren dieser Fabrik und möchten vor bei weitem nicht erreicht werden können. Nach
allem auf den neuen kompressorlosen den Untersuchungen von Prof. Josse, E. Hoeltje
Dieselmotor hinweisen. u. a. stellen sich daher die Gesamtbetriebskosten
Als weitere Konstruktionswerkstätten für bei Dieselmotoranlagen zwischen 25 und
Dieselmotoren sind zu nennen: Motoren- 500 PS günstiger wie bei allen anderen
gesellschaft Güldner, Aschaffenburg, Gebr. Sulzer, Betriebsmaschinen.
Aus den Vereinigten Staaten.
Hinsichtlich. der Entwicklung, die der deutschen bestehen in Amerika grundverschiedene An-
Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten wäh- schauungen, von denen die Befürchtung der ame-
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9 Vertreter in allen Ländern.
208
kurzem möglich sein werde, den Weltmarkt mit
billigem Angebot zu versehen, am schärfsten her-
vortritt. Die für die neue Kongress - Session in
Aussicht genommenen Massnahmen, um der so-
genannten Dumpinggefahr zu begegnen, sind in
allererster Linie von der Meinung diktiert, dass
die deutsche Export-Industrie, sobald der Mangel
an Rohmaterialien ausgeglichen ist, einen Kon-
kurrenten darstellen wird, der nur mittels hoher
Zölle bekämpft werden kann. Allerdings darf
aber gesagt werden, dass dieser Standpunkt nicht
von allen Industriezweigen geteilt wird: so haben
sich beispielsweise die amerikanischen Automobil-
fabrikanten mit Entschiedenheit für eine Neu-
regulierung der Einfuhrzölle nach unten aus-
gesprochen, da sie nicht mit Unrecht erwarten,
dass ein Anziehen der amerikanischen Zollschrau-
ben von Europa mit ähnlichen Massregeln be-
antwortet werden würde.
Die gegenwärtige Einfuhr aus Deutschland
geht in der Hauptsache über Neuyork, Phila-
delphia und Baltimore und hatte in Philadelphia
Ende letzten Jahres bereits Ziffern erreicht, die
sie zu einem sehr wesentlichen Bestandteile des
dortigen Hafengeschäftes machten. Inzwischen
ist freilich wieder ein merklicher Rückgang der
deutschen Importe zu verzeichnen. Die Haupt-
artikel der aus Deutschland eintreffenden Waren
sind Chemikalien und Farbstoffe, Spielwaren,
Porzellan und Topfwaren und Konfektionsartikel;
vereinzelt werden auch deutsche Automobile —
durchweg (ualitätsmarken — importiert. Für
die Stellungnahme der amerikanischen Industrie
zur Spielwareneinfuhr ist die Haltung ihrer Fach-
zeitschriften bemerkenswert: der Inhaber eines
grossen Hauses, das vorwiegend deutsche Spiel-
— — — — — —— — — ——-
Aus den Vereinigten Staaten.
sachen einführt und zur vorigen Weihnachtssaison
Millionenwerte importierte, teilte mir mit, dass
es ihm unmöglich war, in den in Betracht kom-
menden Fachblättern Anzeigenraum zu belegen;
man wies ihn ab, weil „die Anpreisung des deut-
schen Fabrikats das amerikanische Geschäft schä-
digen“ würde. Dass die Firma trotzdem glän-
zenden Absatz fand, braucht nur dem gesagt zu
werden, der den Unterschied in der Güte und
der Vielseitigkeit zwischen deutschen und ame-
rikanischen Fabrikaten nicht kennt.
Ob der von Importkreisen ausgeübte Druck
stark genug sein wird, um den neuen Zolltarif
innerhalb vernünftiger Grenzen zu halten, muss
abgewartet werden. Einstweilen hat es den An-
schein, als ob sie den Kampf verlieren sollten,
zumal die amerikanische Tarifpolitik weniger von
wirtschaftlichen Gründen, als von parteipolitischen
Erwägungen abhängig ist. Es macht sich zwar
eine kräftige Bewegung geltend, die mit dieser
überlebten Tradition zu brechen sucht, aber an-
gesichts des Bestrebens der Bundeslegislatur, der
einheimischen Industrie gefällig zu sein und zu-
gleich den Zolltarif als Melkkuh für die Staats-
kasse zu benützen, ist es nicht angebracht, dar-
auf zu hoffen, dass eine bessere Einsicht sich
letzten Endes behaupten wird — es sei denn,
dass es dem weiter blickenden Element gelingt,
die Politiker davon zu überzeugen, dass ein hoher
Schutzzoll sich als Boomerang erweisen muss
und, indem er das schwer ringende Europa noch
mehr schädigt, das amerikanische Wirtschafts-
leben tödlich trifft.
Neuvork, Ende März 1921.
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Die Solinger Stahlwaren - Industrie.
Von W.P., Solingen.
E „Aline der ältesten Eisen verarbeitenden In-
D dustrien ist die Solinger Stahlwaren-
N Ew Industrie, die im bergischen Land nord-
östlich von Köln ihren Sitz hat. Der
Name Solingen als Klingenstadt ist altbekannt
und erfreut sich guten Rufs in der Welt
Durch rastlosen Fleiss und vorwärtsdrängenden
Unternehmungsgeist entwickelte sich die Industrie
dauernd in aufsteigender Linie und zu der alten
historischen Klingen-Industrie und der sich daraus
entwickelten Messerfabrikation traten immer neue
Erzeugnisse hinzu: Scheren, Taschenmesser, Tisch-
messer, Gabeln, Rasiermesser, Nagelpflege-Instru-
mente und andere Artikel wurden fabriziert. Die
fortschreitende Technik half zusammen mit der
steigenden Güte der Erzeugnisse die Weltmärkte
zu gewinnen. Durch den Weltkrieg jäh unter-
brochen, knüpft die Entwicklung nach Überwin-
dung der durch Verwendung von Ersatzmaterialien
entstandenen Rückschlägen an den Gedanken
der Ausnutzung jedes technischen Fortschritts
und der Beachtung der Güte der Erzeugnisse
wieder an. Hat doch als bedeutsamen Schritt
in dieser Richtung die Handelskammer Solingen
im Jahre 1920 beschlossen, dass es verboten sein
soll, gewisse Artikel, die von nicht erstklassigem
Stahl hergestellt sind, mit dem Wortzeichen
„Solingen“ zu versehen, so dass in Zukunft dies
Wort schon eine gewisse Garantie für die Güte
des Erzeugnisses bietet, um so mehr, wenn es
ausserdem das Bildzeichen oder den Namen des
Fabrikanten trägt. —
W afíen-Industrie.
Als áltestes Solinger Erzeugnis gilt die blanke
Waffe. Vom Bajonett und schweren Reiter-
säbel bis zum zierlichen Stilett und Theaterdegen
werden alle Formen geschaffen. Manch edles
Kunstwerk trug als Ehrengabe für Herrscher,
Generäle und Minister den Ruf Solinger Schmiede-
und Kleinkunst in alle Länder. Die Leistungs-
fähigkeit der Industrie war fıüher vielen süd-
amerikanischen und Balkan-Staaten wohlbekannt,
die ihre Heeresausrüstungen von Solingen be-
zogen. Zurzeit ist die Herstellung blanker Waffen
durch die Entente untersagt und nur Luxus- und
Theater: waffen werden erzeugt. Die Kunst, echte
Damaszener Klingen mit den zierlichsten Zeich-
nungen der Klingen zu schmieden, wurde von
einem weissbärtigen Meister noch bis vor kurzem
geübt. Jetzt hat die Technik Wege ersonnen,
Klingen mit beliebiger Damastzeichnung zu ver-
sehen.
Messer-Industrie.
Ein bedeutender Zweig der Solinger Industrie
ist der Fabrikation von Schlacht- und Tisch-
messern gewidmet. Die Schlachtmesser wer-
den in zahlreichen Formen und Grössen herge-
stellt, stets angepasst den Gewohnheiten des
Fleischerhandwerks der verschiedenen Gegenden
und Länder. Entsprechend den hohen Anforde-
rungen werden Schlachtmesser nur aus la Stahl
gefertigt. Manche dieser Messer, die häufig
10—15 Zoll lang sind, stellen hohe Anforderungen
an die Geschicklichkeit der Schmiede- und Schlei-
fermeister. Einige Muster sind nach dem Heft
zu verstärkt, um gleichzeitig als Knochenhauer
verwandt werden zu können. Die Beschalung
der Schlachtmesser besteht meist aus hartem
Holz.
Brotmesser und Papiermesser werden
auch in mancherlei Form in jeweils ihrer Be-
anspruchung am besten zusagenden Qualität ge-
macht. Diese Messer sind nur für Handgebrauch.
Messer zur Verwendung in Maschinen werden
nicht in Solingen, sondern in der wesensver-
wandten Remscheider Industrie gemacht.
Die Zahl der Tischmessermuster ist sehr
gross. Einfachste Ausführung von Klinge und
Griff steigert sich bis zur feinsten Luxusausführung
mit tiefschwarz polierter Klinge mit kostbarem
Horn- oder Perlmuttgriff. Silberne Beschläge ver-
mitteln den Übergang von Klinge zu Griff Die
volle Leistungsfähigkeit in der Herstellung von
Tischmessern und Stahlgabeln ist bisher
selbst in Zeiten höchster Konjunktur noch nicht
erreicht worden. Messer mit Stahlgriffen werden
auch in Solingen geschmiedet, während für Messer
mit silbernem Griff meist nur die Klinge aus
Solingen stammt. Hierher gehóren auch Des-
sert- und Obstmesser, letztere häufig mit
Nickel- oder Bronzeklingen, um den Geschmack
der Früchte nicht zu beeintráchtigen.
Tranchiermesser und Gabeln mit den
zugehórigen Wetzstáhlen werden in Gróssen
von 5— 12 Zoll in verschiedenster Form und Aus-
führung in Ia Qualität gemacht.
Kleine Küchen- und Gemúsemesser in
allen Qualitäten sind ein grosser Massenartikel
der Industrie.
228
In letzter Zeit gewinnt die Herstellung von
Bestecken aus rost-und fleckenfreiem
(stainless) Stahl an Bedeutung. Nachdem die
technischen Schwierigkeiten überwunden schei-
nen, findet sich für diese an Sauberkeit unüber-
trefflichen Messer, Gabeln. und Löflel ein zu-
nehmender Absatz in Hotel und Haushalt.
Eine besondere Fabrikationsgruppe bilden
die Messer für technische Zwecke.
Schuster-, Sattler-, Kürschnermesser, Gummi-
reisser, Zuckerhauer und Plantagenmesser wer-
den angefertigt.
Ein ganz bedeutender Teil der Solinger In-
dustrie befasst sich mit der Herstellung von
Taschenmessern. Hier gibt es eine Unzahl
von Mustern. Eine einzige grössere Taschen-
messerfabrik verfügte vor dem Kriege über eine
Sammlung von 3000—5000 verschiedener Modelle,
für die alle Werkzeuge vorhanden und die jeder-
zeit lieferbar waren. In dieser Linie kommt recht
deutlich die deutsche Stärke — auf jeden Wunsch
der Kundschaft einzugehen — zum Ausdruck.
Jetzt macht sich überall mit mehr oder minder
grosser Stärke der Wunsch nach Vereinheit-
lichung und Vereinfachung der Modelle bemerk-
bar und es wird durch diese Beschränkung eine
vorteilhaftere Preisstellung erwartet. Immerhin
wird eine grosse Zahl verschiedener Modelle,
wie sie sich in den verschiedenen Ländern aus
den Bedürfnissen der Kundschatt herausentwickelt
haben, weiter fabriziert werden. Die einfachsten
Messer — Kniepe genannt — sind die starken ein-
klingigen Modelle, wie sie für Indien, Finnland,
Russland, auch Kanada und Vereinigte Staaten
gangbar sind. MUR s Holz-, Knochen- oder Horn-
schalen dienen als Griff für die starke, nicht be-
sonders fein polierte, aus gutem Stahlgeschmiedete
Klinge. Ahnlich kráftige Messer werden mit zwei
Klingen, oft auch mit Korkzieher, gefertigt. Kenn-
zeichen für die Güte der äusseren Aufmachung
eines Taschenmessers ist das Material der Unter-
lage für die Beschalung. Allgemein ist bei den
einfachsten Messern die Schale aus Eisen ge-
.presst oder mit Ornamenten geprägt. Bei der
nächsten Qualitätsstufe sind die Unterlagen der
Schalen aus Eisen, bei besseren Messern aus
Messing und bei ganz feinen aus Neusilber ge-
fertigt. Nachdem man wegen Materialmangel
und Teuerung von dieser traditionell gewordenen
Unterscheidung abgekommen und während des
Krieges nur Eisen verwendet hatte, werden jetzt
alle Modelle wieder in Friedensgüte geliefert.
Bei besseren Messern wird als Beschalung haupt-
sächlich Holz-, Horn-, Zelluloid in Knochen- oder
Elfenbein - Imitation, in schwarzer oder bunter
Farbe, in Gold- und Silberton, in imitiert Perl-
mutt, Perdrix und Hirschhorn, in Fibre, auch in
Galalith verwandt. Bei der Wahl der Beschalung
muss Rücksicht auf das Bezugsland genommen
werden, da Hitze und Feuchtigkeit auf manche
Materialien von nachteiligem Einfluss sind. Die
feinen und feinsten Messer haben meist Elfen-
bein-, Schildplatt- oder Perlmuttbeschalung. Die-
ses Material muss leider aus England und Frank-
reich bezogen werden und der Preis stellt sich
infolge der Valutadifferenz ziemlich hoch. Für
Liebhaber erfreuen sich Messer mit 10, 15- 20- 30
Teilen noch immer eines gewissen Absatzes.
Diese Kunstwerke der Feinmechanik kosten bis
2u 2000 Mark per Stück.
Eine besondere Gruppe unter den Taschen-
messern nehmen die Werkzeugmesser ein,
Messer, die in ihrer heutigen Form meist auf
das Schweizer Militärmesser zurückzuführen sind.
Schraubenzieher, Ahle, Büchsenöffner vereinigen
Die Solinger Stahlwaren -Industrie.
sich mit grosser und kleiner Klinge und kräftiger
Korkzieher zu einem allgemein beliebten und in
einer kräftigen Qualitätsausführung unübertrof-
fenen Sportmesser. Zuweilen ist die Ausstattung
noch durch eine kräftige Säge, Bohrer oder Huf-
kratzer ergänzt, ähnliche Modelle sind besonders
für Elektrotechniker und Monteure konstruiert
und enthalten andere Spezialwerkzeuge.
Durch ihre geschmackvolle Ausführung haben
sich die Reklame- und Erinnerungsmesser die
ganze Welt erobert. In plastischer Schärfe zeigen
die Schalen öffentliche Gebäude, Stadtbilder,
Porträts oder irgendwelche Gegenstände mit er-
läuternder Schrift. |
Von billigen Ausführungen in Eisen und Alu-
minium an werden diese Messer bis zu den feinsten
Qualitäten in Argentan und Silber gemacht. In
diese Gruppe gehören auch die kleinen Messer-
chen, die oft in sehr glücklicher Weise irgend-
einer Form angepasst sind, z. B. einem Schuh,
einer Flasche, einem Fisch, einem Auto, einer
Lokomotive, einer Zigarre usw.
Korkzieher in verschiedenster Ausführung
werden ebenfalls in Solingen hergestellt.
Die
Rasiermesser-Industrie
verfügt in Solingen und seiner näheren Umgebung
über einige sehr leistungsfähige We:ke. Die Her-
stellung von Rasiermessern ist Vertrauenssache.
Dieses Messer sollte nur aus ganz erstklassigem
Edelstahl geschmiedet sein und seine Weiter-
verarbeitung stets von erfahrenen Fachleuten ge-
schehen. Nur so ist eine Garantie dafür zu leisten,
dass dies feinschneidige Werkzeug in stets gleicher
Güte in den Handel kommt. Für Qualitätsmesser,
die Fabrikmarke und Namen tragen, sind diese
Bedingungen wohl auch in hohem Mass erfüllt und
die Erzeugnisse den Sheffielder Produkten eben-
bürtig oder gar überlegen, wie der grosse Absatz
Solinger Messer in den Dominions beweist. Ausser
der Güte des Stahls ist für die Qualität der Grad
des Hohlschliffs wesentlich, d.h. mit wie kleinem
Schleifstein das Messer geschliffen ist. Die üb-
lichen Steine haben einen Durchmesser von
3'/,—1 Zoll. Je stärker die Hohlung, um so feiner
das Messer. Hohl geschliffene Messer geben einen
feinen klingenden Ton, wenn man die Spitze der
Schneide mit dem Fingernagel zur Seite drückt
und plötzlich abschnellen lässt. Obwohl die
Form des Messers im allgemeinen gegeben, so
werden doch mancherlei Modelle gefertigt; sei
es, dass der Kopf eckig, rund oder anders ver-
ziert oder dass der sogenannte Erl —- das hintere
käntige Ende des Messers — besonders geformt
und in vergoldeter, oxydierter oder gehämmerter
Ausführung erscheint. Feine Messer sind viel-
fach mit kunstvollen Ornamenten auf dem Rücken
versehen. Eine beliebte Zusammenstellung be-
steht aus 7 Messern, die in geschmackvollem
Lederetui nebeneinander angeordnet die Namen
der Wochentage auf dem Rücken der Klinge ge-
ätzt zeigen. Natürlich werden alle Messer in
den üblichen Breiten von 5/,—*/, Zoll geliefert.
Als Hefte werden meist Zelluloid in allen Farben
und Kautschuk verwandt, doch findet man auch
Holz, Presspapier, Elfenbein und Perlmutt in
glatter Form oder künstlerischer Schnitzung. Die
Messer werden gebrauchsfertig geliefert und vor
Versand dadurch erprobt, dass die Schneide ein
freischwebendes Frauenhaar schneiden muss.
Wenn Barbiere trotzdem die Messer vor Gebrauch
abziehen, so geschieht dies, um an ihrem Werk-
zeug die Schneide so zu richten, wie es ihrer
Gewohnheit und Handhaltung entspricht.
Die Solinger Stahlwarer. : ¿..austrie.
229
Scheren-Industrie.
Aus kleinen Anfängen hat sich in wenigen
Jahren die Scheren-Industrie in Solingen zu sol-
cher Bedeutung emporgeschwungen, dass sie jede
ausländische Konkurrenz in bezug auf Leistungs-
fähigkeit, Vielseitigkeit und gefällige Form der
Musterübertrifft. Die Gegensätze in diesem Artikel
sind sehr gross, umspannt der Begriff Schere doch
die ganze Linie von der groben Baum- und
Viehschere bis zur zierlichsten Stick- und Mani-
cureschere. Es haben sich infolge dieser Ver-
schiedenheit in der Herstellung besondere- Fa-
briken gegründet, die eine gewisse Gruppe von
Scheren als Spezialität herstellen. Man unter-
scheidet gemeiniglich Baum- und Gartenscheren,
Viehscheren, Schneiderscheren, Ladenscheren,
Haarscheren, Taschenscheren, Stickscheren, Nagel-
pflegescheren und chirurgische Scheren. Fast
alle Scheren sind heute aus Stahl in Matrizen
geschmiedet. Die gegossenen Scheren von ge-
ringer Qualität sind, weil nicht schnitthaltig, fast
ganz vom Markte verdrängt.
Die Baum- und Gartenscheren werden
in mancherlei Form je nach den Anforderungen
der verschiedenen Märkte hergestellt. Bei grossen
Scheren ist der schneidende Teil aus gehärtetem
Stahl auf die gegossene Schere aufgeschraubt
oder genietet, um nicht für die Schenkel das
teure Material verwenden zu müssen. Die zier-
lichsten Scheren dieser Gruppe sind die Rosen-
und Blumenscheren, die in hübschen handlichen
Formen bis zur Grösse einer Taschenschere oder
gar als Zuschlagschere gemacht werden.
Die Herstellung der Viehscheren ist durch
die Einführung der Schermaschinen stark zu-
rückgegangen und im wesentlichen kommen nur
Fessel- und Viehzeichenscheren in Frage.
Eine besondere Arbeiterklasse wird durch die
Herstellung von Schneiderscheren und
Scheren für gewerbliche Zwecke, als
Schuster-, Leder-, Sack-, Linoleum- usw. Scheren,
in Anspruch genommen. Erstklassiger Stahl in
Verbindung mit kräftiger Ausführung macht diese
Schere zu einem Lebensgefährten für die Hand-
werker. Die Griffe sind meist mit einem bei
hoher Temperatur hart getrockneten, schwarzen
Lack versehen.
Ein beliebtes Tafelgerät ist die Geflügel-
schere, die mit kräftiger, einseitig gerauhter
Schneide das Zerlegen des Geflügels sehr er-
leichtert.
Die grösste Gruppe ist die der sogenannten
Laden- oder Damenscheren, die in allen
Grössen mit */, Zoll steigend von 4 bis 8 Zoll
gefertigt werden. Die Formen der Modelle richten
sich stark nach den verschiedenen Märkten. Ein-
fuhrbestimmungen sind oft massgebend für die
Ausführung der Schere, d. h. ob sie nur roh ge-
schliffen, vernickelt oder vergoldet geliefert wird.
Die meisten Scheren sind mit einem rostschützen-
den Nickelüberzug versehen, der ihnen das schöne
blanke Ansehen auch nach jahrelangem Gebrauch
gibt. Nur die eigentliche Schneide der beiden
Scherenhälften zeigt den Stahl. Die Verbindung
der zwei Hälften erfolgt bei feinen Scheren durch
eine Schraube, bei anderen mittels Niete. Da
der Laie nur zu geneigt ist, eine im Gebrauch
lose gewordene Schere durch einen Schlag mit
dem Hammer neu zu befestigen, so ist .die Mei-
nung geteilt, welche Verbindungsart auf die Dauer
die zweckmässigere ist. Häufig geben hübsche
Prägungen den Griffen der Scheren ein gefälliges
Aussehen, besonderer Beliebtheit erfreut sich in
vielen Gegenden eine Schere, die auf den Griffen
den Christuskopf auf der einen und die Mutter
Gottes auf der anderen in künstlerischer Aus-
führung zeigt.
Die Taschenscheren sind ähnlich in Form
und Ausführung. Viele dieser zwischen 2 und
5 Zoll gefertigten Muster haben einen Zigarren-
abschneider oder sind nur als solcher zu ver-
wenden. — Sogenannte Zuschlagscheren sind als
Taschenscheren beliebt, da durch die zum Schutz
über die Schneide gelegten Griffe der in An-
spruch genommene Raum klein ist und die Tasche
vor Beschädigung geschützt wird.
Eine besonders aufmerksame Behandlung er-
fordert die Haarschere in der Fabrikation.
Meist aus einem besonders guten Stahl geschmie-
det, wird bei der Härtung aufs sorgfältigste ver-
fahren und beim Schleifen werden die zusammen
gehörigen Hälften wiederholt zusammenge-
schraubt, um zu erproben, ob der Schnitt voll-
kommen und ob trotz der leichten Beweglich-
keit der beiden Schenkel die Schneiden in rich-
tiger Weise einander gegenüberstehen, so dass
an jeder Stelle das feinste Härchen geschnitten
wird. Haarscheren werden meist nicht ver-
nickelt oder nur auf den äusseren Flächen und
Griffen. Besonderer Wert wird auf geringes Ge-
wicht und handliche Stellung der Griffe gelegt.
Die französische Konkurrenz, die sich früher
durch gute Schnittfähigkeit ihrer Erzeugnisse
auszeichnete, ist von der deutschen Industrie seit
der Verwendung von Edelstahl zum Schmieden
der Haarscheren übertroffen.
Die feinsten und kleinsten Scheren sind die
Stickscheren. Ihre zierliche Form hat zu
mancherlei verschiedener Gestaltung Anlass ge-
geben. Es sind einige Modelle von künstlerisch
guter Form entstanden, die gleichzeitig ein glän-
zendes Zeugnis der Handfertigkeit dem Solinger
Facharbeiter ausstellen, der es versteht trotz
Herstellung in Mengen die Feinheiten des Modells
richtig und gleichmässig herauszuarbeiten und
den Scheren die nadelfeine Spitze zu geben,
wie sie von den Damen für Stickereien geliebt
wird.
Einige Scheren origineller Art bilden Tierge-
stalten nach. Grosser Beliebtheit von Scheren
dieser Art erfreut sich eigentlich nur die Storch-
schere. Nickel- und Gold-, Präge- und Ziselier-
arbeiten werden zur Verzierung der Stickscheren
in reichem Mass verwendet.
DieNagelpflegescheren (Manicurescheren)
erfordern ein fast noch höheres Mass an Ge-
schicklichkeit des Schleifers als die Stickscheren.
Zur Feinheit der Form und der Spitze tritt hier
noch die Rundung der Schneide nach oben.
Nur langjährige Erfahrung ermöglicht die Her-
stellung dieses neuerdings so beliebten Instru-
ments. Einfachere Modelle dieser Scheren sind
nicht gebogen, viele auch von kräftigerer Form
und zum Schneiden von Nägeln usw. geeignet.
Diese Art Scheren bildet den Übergang zu ähn-
lich geformten chirurgischenScheren und
Instrumenten, die in grosser Vielseitigkeit
in bester Qualität gemacht werden. Besonderes
Gewicht wird sowohl auf Verwendung von gutem
Stahl als auf dauerhafte Vernickelung gelegt.
Zahnärztliche und Operationszangen, Werkzeuge
und grössere Operationszimmereinrichtungen
werden geliefert.
Einige leistungsfähige Fabriken stellen Haar-
und Bartschneidemaschinen her, die in
ihrer Güte die amerikanischen Fabrikate über-
treffen. Für die Schneidplatten wird bei Quali-
tätsware volle Garantie geleistet.
>
230
Lederwaren-Fabrikation.
In Verbindung mit der Stahlwaren - Industrie
hat die Lederwaren-Fabrikation grosse
Bedeutung gewonnen. Besonders die Nagelpfleg-
Instrumente: Scheren, Haut- und Nagelzangen,
die natürlich auch in Solingen gemacht werden,
Feilen, Scalpellmesser, Hautdrücker, Nagelreiniger
und Polierer mit Paste und Puder erfordern eine
. geschmackvolle Aufmachung. Rollen, kleine und
grosse Kästen in eigenartigster Form werden
mit obigen Instrumenten gefüllt. Einfache Auf-
machungen aus Papier, imitiertem Leder finden
Käufer, weit beliebter sind aber die hochfeinen
Etuis eus Schweins- oder Rindleder, mit Autolack
oder Krokodilleder und in dem fein getönten
Ecrasé. Innen werden nur feinste Seide und
Sammet verwendet. Die verschiedenen Instru-
mente sind häufig einheitlich mit Perlmutt, Schild-
patt, Elfenbein oder buntfarbigem Galalith ver-
sehen und wirken äusserst geschmackvoll und
vornehm. In ähnlicher Weise gibt es Etuis für
Scheren, von denen meist 3 oder 4, darunter eine
Stick- und eine Knopflochschere, zu einem Satz
gehören. Form und Material dieser Etuis sind
stark der Mode und den Ansprüchen der ver-
schiedenen Länder unterworfen.
Das Etui in einfachster Form als Scheide
vereinigt Papierschere und Brieföffner oder Radier-
messer zu den beliebten Schreibtischgarnituren.
Besondere Aufmerksamkeit wird von den
Exporteuren der sauberen zweckdienlichen V er-
packung der Ware gewidmet. Von der hoch-
wertigen Markenware pflegt jedes einzelne Stück in
Ol- oder Seidenpapier geschlagen zu sein. 6 oder
ı2 Stück werden zusammen in kleine Schachteln
verpackt und diese wiederum zu kleinen Paketen
von 3, 6 oder 12 Dutzend vereinigt. Auf der
Aussenseite der Pakete und Schachteln sind Art,
Nummer, Grösse und Ausführung des Artikels
bemerkt, so dass dem Ladenbesitzer übersicht-
liche Lagerung seines Bestands ermöglicht wird,
Viele Schachteln sind so eingerichtet, dass ein
Stück des Inhalts von aussen sichtbar ist. Stahl-
waren; welche in Länder südlich des Aquators
geschickt werden, müssen der Witterungseinflüsse
wegen gut eingefettet werden, auch wenn der
Versand — wie üblich — in starken Holzkisten
mit verlötetem Zinkeinsatz erfolgt. — Da die
Schiffsfrachten nach Raummetern berechnet wer-
den, so ist die Fracht für Stahlwaren im Ver-
hältnis zum Wert gering.
Die Leistungsfähigkeit der Solinger Industrie
hat sich bei Gelegenheit der im Jahre 1920 auf-
getretenen Hochkonjunktur gezeigt. Trotz der
achtstündigeu Arbeitszeit und trotz der schäd-
lichen Kriegsnachwirkungen auf Fleiss und Ge-
schicklichkeit der Arbeiter sind ungeheure Mengen
von Stahlwaren geschaffen worden. Mengen, wie
sie vor dem Kriege niemals erzeugt wurden und
auch wohl in nächster Zukunft nicht wieder ver-
langt werden. Es soll nicht geleugnet werden,
dass diese Massenerzeugung, bei der naturgemäss
auch vicle ungeübte Kräfte mitwirkten, auf die
Güte der Erzeugnisse einen nachteiligen Einfluss
hatte. Diese Erscheinung ist jedoch jetzt voll-
kommen überwunden, da sowohl die Gleich-
mässigkeit des Stahls, als die äussere Aufmachung
wieder der Vorkriegszeit entsprechen. Verstárkt
wurde der nachteilige Einfluss verringerter Güte
dadurch, dass viele dem Artikel fernstehende
Gelegenheitskaufleute Solinger Ware kauften und
in Unkenntnis der wahren Bedürfnisse auf Märkte
brachten, die entweder andere Modelle oder an-
dere Qualitäten und Aufmachungen verlangten.
Die Solinger Stahlwaren - Industrie
Es ist anzunehmen, dass diese das geregelte Ge-
schäft störende Warenmengen inzwischen ver-
schwunden sind. °
Die Preise der Solinger Erzeugnisse
sind dem Rückgang, den die Preise der Roh-
materialien erfahren haben, gefolgt und bewegen
sich zurzeit wohl zwischen dem 15—20fachen
des Friedenspreises, je nach Kursstand einem
Aufschlag von o—30°/, auf die Goldmark- oder
Auslandvaluta entsprechend.
Als ausländische Konkurrenz für die So-
linger Industrie kommen Sheffield in England,
Thiers in Frankreich, Eskilstuna in Schweden,
Bergamo in Italien und mehrere Fabriken in den
Vereinigten Staaten und in Japan in Frage. Die
englische und französische Konkurrenz hat wäh-
rend des Krieges kaum an Ausdehnung gewonnen.
Sie krankt in beiden Ländern an einer gewissen
Schwerfälligkeit technischer Verbesserungen und
steht Solingen an Lieferungsmöglichkeit und Preis-
stellung weit nach. — In Schweden und den U.S. A.
hat die Stahlwaren-Industrie wáhrend der langen
Kriegsjahre einen erheblichen Aufschwung ge-
nommen. Namentlich die Amerikaner haben sich
auf einige Sorten Taschenmesser gut eingerichtet
und liefern prompt. Über die Güte der Erzeug-
nisse sind die Urteile je nach Anspruch geteilt.
Rasiermesser- und Scherenfabriken sind wáhrend
des Krieges ebenfalls entstanden oder vergróssert
worden. Die grosse Nachfrage der Barbiere nach
deutschen Messern und der Zustrom der Scheren
stellt aber der Solinger Ware das beste Zeugnis
aus. Japanische Ware scheint in Ostasien und Süd-
amerika einen gewissen Markt gefunden zu haben,
von dem sie nach dem Kriege allerdingsschon zum
grössten Teil trotz der billigen Preise verdrängt ist.
Um den vielfältigen Bedürfnissen der Solinger
Industrie in Halbfabrikaten entsprechen zu kön-
nen, haben sich mancherlei andere Industrie-
zweige im Solinger Bezirk angesiedelt und sind
zum Teil zu bedeutenden, das frühere Ziel weit
überflügelnden Unternehmen geworden, die ihre
Erzeugnisse im In- als Ausland absetzen. Andere
Industrien fühlten sich durch den guten Arbeits-
markt und die vielen geschickten Arbeitskräfte
angezogen und gründeten ihre Werke in Solingen.
Am nächsten steht der Industrie wohl die
Erzeugung von Stahl
und seine Verarbeitung in Walz-
und Schmiedewerken.
Stahl wird in verschiedener Güte für mancherlei
Werkzeuge und in bester Qualität für Stahlwaren
und als Edelstahl für Rasiermesser geschmolzen,
geschmiedetundgewalzt. Diehiererzeugten Werk-
zeugstähle geniessen Weltruf und sind auch zur
Verwendung in manch anderer Industrie geeignet.
Die meist in der Schwesterstadt Remscheid er-
zeugten Werkzeuge werden zum Teil auch in So-
lingen gemacht, wie z. B. Sensen, Sägen und Zangen.
Nach dem Kriege ist die Herstellung von
Alpakkabestecken in grösserm Umfang mit gutem
Erfolg aufgenommen worden. Auch ns
rasierapparate nach Art Gilette werden herge-
stellt, zu denen die erforderlichen Klingen von
anderen Solinger Spezialfabriken geliefert werden.
In der Solinger Industrie sind etwa 30000 Ar-
beiter beschäftigt, davon etwa 20000 in der
Stahlwaren-Industrie. Arbeiter sowohl wie Fabri-
kantenschaft sind beseelt von einem ungebrochenen
Streben nach Tatigkeit, mach Arbeit, um den
Ruf der alten Klingenstadt in der Welt zu halten
und zu heben, und um ihr Teil zur Wiederauf-
richtung Deutschlands beizutragen.
Deutsch - amerikanische Gemeinschaftsarbeit im Überseeverkehr.
231
Deutsch-ameriKanische Gemeinschaftsarbeit
im Überseeverkehr.
Von Nauta.
it der Wiederaufnahme des Passagierverkehrs
Hamburg-New York durch den gemein-
samen Dienst der Hamburg- Amerika - Linie und
des Harriman-Konzerns hat dieses deutsch-
amerikanische Schiffahrtsbündnis seine neueste
weithin sichtbare Auswirkung erhalten. Sind es
auch. vorerst allein amerikanische Schiffe, die
den Verkehr auf der gemeinsamen Route ver-
mitteln, so werden sich ihnen doch in Kürze
deutsche Schiffe zugesellen. Ihr Hinzutreten, das
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verharrender Staaten über alle politischen Hin-
dernisse hinweg wieder die Hand zu gemein-
samem Werk, zu gemeinsamem Wiederaufbau
von Verkehrsbeziehungen, die die Grundlage
einer neuen wirtschaftlichen Annäherung zwischen
beiden Ländern zu werden bestimmt sind.
Will man die Bedeutung des Hapag-Harriman-
Vertrages für die deutsche wie die amerikanische
Schiffahrt erkennen, so wird man sich zunächst
die gewaltigen Veränderungen zu vergegenwárti-
geg
Abb. 33. Eröffnung des gemeinsamen Passagierdienstes der Hamburg - Amerika- Linie und der United American Lines.
Die Ankunft des ersten Dampfers „Mount Clay“ in Cuxhaven.
gegen Mitte des Jahres erfolgen dürfte, wird die
Ausgestaltung des Dienstes zu einem Wochen-
dienst möglich machen und die erste überseeische
Passagierlinie schaffen, auf der deutsche und
amerikanische Schiffe in gleicher Zahl und gleicher
Tonnage in gemeinsamer, nach einheitlichem Plan
sich vollziehender Verkehrsarbeit tätig sind.
Ein Jahr etwa ist vergangen, seit sich die
Vertreter der Hamburg- Amerika- Linie mit den
leitenden Männern des Harriman-Konzerns zu-
sammenfanden zu Verhandlungen, deren Ergebnis
der zwischen beiden Gesellschaften heute be-
stehende Vertrag war. In der Geschichte des
Wiederaufbaues überseeischer Wirtschaftsbe-
ziehungen nach dem Kriege wird dieser Vertrags-
abschluss immer als ein erster erfreulicher Beweis
wiedererwachenden wirtschaftlichen Solidaritäts-
empfindens anerkannt und genannt werden. Zum
ersten Male reichten sich hier private Reeder
und Kaufleute zweier ehemals feindlicher und
theoretisch noch im Kriegszustand zueinander
en haben, die Krieg und Friedensvertrag in der
Seegeltung beider Länder und in ihren Mitteln
zur seewirtschaftlichen Betätigung herbeigeführt
haben. Die deutsche Schiffahrt war durch den
Krieg und mehr noch durch die Versailler Be-
stimmungen aus dem Weltverkehr nahezu aus-
geschaltet und vor die Notwendigkeit eines neuen
Anfanges von Grund aus gestellt. Eine An-
knüpfung an früheres war kaum möglich. Kein
Seeschiff über 1600 Register-Tonnen brutto war
ihr geblieben, ihre überseeischen Betriebsein-
richtungen waren vom Feinde sequestriert, ihre
Linien von fremden Flaggen befahren, ihre Ge-
schäftsverbindungen im Auslande durch plan-
mässige Verhetzungen zerstört. Einer Wieder-
aufrichtung aus eigener Kraft standen nahezu
unüberwindliche Hindernisse entgegen. Der
Staat, der Hauptschuldner der Reedereien, war
in seiner Finanzkraft durch ungeheure Schulden-
last geschwächt und seiner politischen Macht-
fúlle, an der die deutsche Schiffahrt ehemals
232
einen so wertvollen Rückhalt fand, beraubt. Die
deutschen Werften waren durch Rohstoffmangel
und die aus den innerpolitischen Kämpfen sich
ergebenden Schwierigkeiten in ihrer Leistungs-
fähigkeit beschränkt, ihre Lieferungsfähigkeit war
durch drückende Bauverpflichtungen, die der
Friedensvertrag vorsah, in Frage gestellt. Ob
in absehbarer Zeit ein nennenswerter Ersatz des
verlorenen Schiffsraumes zu erwarten war, blieb
völlig ungewiss. Wollten die deutschen Gross-
Reedereien nicht ihre unter schweren Opfern
während der langen Kriegszeit erhaltenen heimi-
schen Organisationen der Gefahr des Verfalles
aussetzen und ihre Betriebseinrichtungen weiter
ungenutzt lassen, so mussten sie nach Hilfe von
aussen Umschau halten.
Hier erschien eine Verbindung mit der jungen,
wáhrend des Krieges emporgewachsenen Schiff-
fahrt Amerikas als das Nächstliegende. Die
riesige Entwicklung der amerikanischen Werft-
industrie, der die Entente ihre Rettung aus lähmen-
der Schiffsraumnot verdankte, hatte den Ver-
einigten Staaten in wenigen Kriegsjahren die
Seeschiff - Flotte gegeben, deren bisheriges Fehlen
der Nationalstolz des Amerikaners stets als eine
schmerzliche Lücke im Rüstzeug der heimischen
Volkswirtschaft empfunden hatte. Ein gewaltiges
Schiffsmaterial war geschaffen, aber zu seiner
Verwertung in nutzbringender Friedensarbeit
fehlte das, was der deutschen Schiffahrt als ein-
ziger Besitz aus dem Zusammenbruch geblieben
war, Reeder, die mit allen Forderungen des über-
seeischen Verkehrs vertraut waren, und Betriebs-
organisationen, die auf alle Bedürfnisse der Uber-
seefahrt eingestellt waren. Der Einsicht des
Amerikaners entging nicht, dass hier Ergánzungs-
möglichkeiten waren, bei denen beide Parteien
gewinnen mussten. Man trat an den New Yorker
Vertreter der Hamburg-Amerika-Linie heran mit
der Anfrage, ob ein Zusammenwirken moglich
sei. ,Wir haben die Schiffe, ihr habt die Er-
fahrung, lasst uns gemeinsam arbeiten.“
Die deutsche Gesellschaft erklärte ihre Be-
reitwilligkeit. Ihre Anlehnung an den ausländi-
schen Reedereikonzern konnte nur dann den
deutschen Interessen entsprechen, wenn ihre
Selbstándigkeit voll gewahrt blieb. Sie traf des-
halb alle Massnahmen, die gegen ein Überwiegen
fremden Einflusses Sicherheit gewähren konnten,
Satzungsänderungen forderten für Aufsichtsrat
und Vorstand die Vorbedingung deutscher Staats-
angehörigkeit, und die Ausgabe von Vorzugs-
aktien schuf den notwendigen Schutz gegen
Überfremdung. Eine weitere unerlässliche Forde-
rung war: voile Gleichberechtigung. Beide Par-
teien hatten — diese Erkenntnis war hüben wie
drüben vorhanden — Gleichwertiges zu bieten;
der Amerikaner seinen Schiffsreichtum, seine
finanzielle Stärke; der Deutsche seine Vertraut-
heit mit der Mannigfaltigkeit des Überseeverkehrs,
scine in mühevollem Aufstieg errungenen Erfah-
rungen, seine weit verzweigte bewährte Geschäfts-
organisation, seinen Stamm in jahrelanger Praxis
geschulter Mitarbeiter. Gleichberechtigt sassen
die beiden Parteien am Verhandlungstisch, und
volle Gleichberechtigung wurde Grundlage und
leitender Gedanke des zwischen ihnen verein-
barten Vertrages.
Das für die Dauer von 20 Jahren geschlossene
Abkommen sieht die allmähliche Wiederbelebung
des Verkehrs auf allen früheren Hapag-Routen
— ausser den nach dem fernen Osten, für die
damals bereits Vereinbarungen zwischen der
Hamburg - Amerika-Linie und englischen Linien
bestanden — durch einen gemeinsamen Dienst
Deutsch - amerikanische Gemeinschaftsarbeit im Überseeverkehr.
der beiden Vertragskontrahenten vor, in dem
jede Partei eigenen oder gecharterten Schifis-
raum bis zur Hälfte der erforderlichen Gesamt-
tonnage einzustellen berechtigt ist. Damit ist
eine Interessen- und Arbeitsgemeinschaft begrün-
det, keine Kapitalgemeinschaft, durch die die
Unabhängigkeit des finanziell schwächeren Part-
ners vielleicht gefährdet werden könnte. Der
Vertrag wurde so abgefasst, dass für den Fall,
dass sich später in Einzelheiten die Notwendig-
keit einer Revision herausstellen sollte, Ande-
rungen vorgenommen werden können, die der
Billigkeit entsprechen und die Gleichberechtigung
beider Interessenten wahren.
-Auf Grund des Abkommens konnten bis heute
ausser der eingangs erwähnten Passagierlinie
Hamburg-New York eine wöchentliche Fracht-
linie Hamburg-New York, regelmässige Fahrten
zwischen Hamburg, Philadelphia und Baltimore
und ein 14taglicher Frachtdienst Hamburg-
Südamerika eingerichtet werden. An diesen
gemeinsamen Diensten nahm die Hamburg-
Amerika-Linie zuerst nur mit Charterdampfern
teil. — Jetzt hat sie begonnen, wieder eigene
Schiffe in Fahrt zu setzen. In dem Masse, wie
sich ihre Tonnage vergrössert, wird auch ihr
Anteil schrittweise wachsen bis zur Ausnutzung
ihrer vollen Verkehrsquote.
Der Vertrag hat in der kurzen Zeit seincr
Wirksamkeit seine Bedeutung für beide Vertrags-
kontrahenten klar erwiesen. Er hat der Ham-
burg-Amerika Linie die Möglichkeit gegeben,
ihren Betrieb in grösserem Umfange und schneller
als es ihr wohl sonst vergönnt gewesen wäre,
wieder mit Arbeit zu erfüllen. Die weitverzweigte
Geschäftsorganisation ist wieder in den Dienst
des Weltverkehrs gestellt worden, und damit vor
der Gefahr eines allmählichen Verfalles bewahrt
geblieben. Für den amerikanischen Partner be-
deutet das Bündnis mit der deutschen Gross-
Reederei die mühelose Anteilnahme am deut-
schen Seeverkehr; es erspart ihm die Missgriffe
und Verluste, mit denen er hätte rechnen müssen,
wenn er zu schrittweisem eigenen Aufbau seines
Geschäftes genötigt gewesen wäre. Bei Eın-
richtung und Ausgestaltung seines Betriebes stehen
ihm die Erfahrungen eines Verbündeten, der auf
eine fast 75jáhrige Tätigkeit im Uberseeverkehr
zurückblicken kann, zur Seite, ein Umstand, der
angesichts des sich verschärfenden Konkurrenz-
kampfes in der Weltschiffahrt seinen besonderen
Wert erhält. Vor allem aber — und das ist ein
Vorteil, an dem beide Partner in gleichem Masse
teilnehmen — sichert ihr Zusammengehen dem
wieder aufgenommenen Verkehrsdienst das Inter-
esse und das Vertrauen der Verlader diesseits
und jenseits des Ozeans. Der amerikanische
Reeder überlässt die Abfertigung der Schiffe, die
er zum alten Kontinent herübersendet, dort der
deutschen Gesellschaft, die wiederum ihm die
Wahrnehmung ihrer amerikanischen Interessen
überlässt. Und der deutsche Verlader, der mit
amerikanischen Schiffen verfrachtet, lässt ebenso
wie der amerikanische Verlader, der mit deut-
schen Schiffen expediert, seine Güter durch die
Hand der ihm bekannten und geschäftlich ver-
bundenen heimischen Reederei gehen und über-
trägt sein Vertrauen auch auf die neue Inter-
essengemeinschaft. So trägt das Hapag-Harriman-
Bündnis dazu bei, wieder eine Atmosphäre des
Vertrauens zwischen zwei Völkern zu schaffen,
die wirtschaftlich aufeinander angewiesen sind.
Diese gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit
ist heut stärker denn je. Nach der ungeheuren
Steigerung, die Amerikas Produktionskräfte wäh-
Deutsch - amerikanische Gemeinschaftsarbeit im Uberseeverkehr. — Ein neues Leichtmetall.
rend des Krieges erfahren haben, wird der ameri-
kanische Aussenhandel auf das deutsche Absatz-
gebiet dauernd nicht verzichten wollenund können.
Für Deutschland andererseits ist durch die er-
neute Blockade, die die Entente zur Erzwingung
unmöglicher Reparationsforderungen gegen uns
aufzurichten im Begriff ist, eine Erweiterung seiner
Wirtschaftsbeziehungen zu den Vereinigten Staa-
ten unerlässlich geworden. So drängen die wirt-
schaftlichen Interessen hier wie drüben gebiete-
risch zu einem Abbau der Schranken, die einem
Miteinanderarbeiten heute noch im Wege stehen.
233
Im Hapag-Harriman-Abkommen hat private
Initiative diese Hindernisse beseitigt. Es ist eine
deutsch-amerikanische Gemeinschaftsarbeit in
der Schiffahrt geschaffen, die beiden Partnern
zum Nutzen gereicht und ihre Stellung im Welt-
verkehr stärkt. Je mehr sich ihr Wirkungskreis
erweitern wird, desto erfolgreicher wird sie den
konvergierenden Interessen der beiden Länder
dienen, desto förderlicher die künftige Gestal-
tung der wirtschaftlichen Zusammenhänge zwi-
schen ihnen beeinflussen können.
% $ ®
Ein neues Leichtmetall.
Von Ing. Constantin Redzich.
as von der „Chemischen Fabrik Gries-
heim-Elektron‘ in Frankfurt a. M. her-
gestellte „Elektronmetall‘“, ein Sammelname
für eine Reihe Magnesiumlegierungen (über 80%,
Gewichtsteile Magnesium) mit geringen Zusátzen
anderer Metalle, z. B. Zink, ist ein dem Aluminium
ähnliches, silberweisses Legierungsprodukt, das
sich infolge seines geringen Gewichts vorzugs-
weise zur Herstellung solcher Gegenstände
(Giessen und Pressen von Maschinenteilen u. dergl.)
eignet, die bei hoher Widerstandsfähigkeit mög-
lichst geringes Gewicht aufweisen sollen.
„Elektronmetall‘ ist äusserlich dem Aluminium
áhnlich, jedoch von mehr silberweisser Fárbung.
Bei lángerem Liegen an der Luft überzieht es
sich, etwa wie Zink, allmáhlich mit einer dünnen
Oxydschicht, ist im übrigen aber, wie dieses,
gegen Witterungseinflüsse vollkommen beständig.
Im Gegensatz zu Aluminium ist Elektronmetall
ganz unempfindlich gegen Alkalien und Laugen;
von organischen und mineralischen Sáuren und
Salzen und deren wässerigen Lösungen wird es
jedoch angegriffen. Gegen Benzin, Petroleum,
Oel und Fett bestándig, ist es nur für Gegen-
stände, die dauernd mit Wasser in Berührung
kommen, nicht empfehlenswert, da Gebrauchs-
wasser fast immer Salze und organische Säuren
enthält.
Das mittlere spezifische Gewicht des Elektron-
metalls ist 1,8 gegen 2,7 des Reinaluminiums;
letzteres ist also noch um 50°), schwerer als
jenes. Aluminiumguss, der allgemein aus legier-
tem Aluminium hergestellt wird und durchweg
ein spezifisches Gewicht von etwa 3,0 aufweist,
ist demnach um etwa 66"|, schwerer als Elek-
tronguss.
Den verschiedenen Anforderungen an Zug-
festigkeit, Dehnung und Härte entsprechend wird
Elektronmetall in verschiedenen Legierungen her-
gestellt. Die Zugfestigkeit des vergüteten Metalls
beträgt zwischen 25—35 kg für i qmm bei25—10° ,
Dehnung. Die Zugfestigkeit gegossener Stücke
etwa 12—14 kg bei 4— 2", Dehnung.
Die Bearbeitung des Elektronmetalls mit schnei-
denden Werkzeugen ist gegenüber dem Aluminium
eine besonders vorzügliche, schon weil es die
jenem eigene Eigenschaft des „Schmierens“ ent-
behrt. Glatte, blanke Flächen nach dem Ab-
drehen, scharfe, saubere Gewinde, Press-, Druck-
und Walzbarkeit im warmen Zustande verleihen
ihm eine Vielseitigkeit in der Verwendung, wie
es kein anderes Metall aufzuweisen hat, zumal
bei angewärmten Werkzeugen alle nur denkbaren
Formen herzustellen sind, beispielsweise zieh-
bare Bleche, allerdings nur auf beschränkte Tiefen.
Infolge dieser Vorzuge kann Elektronmetall als
vollwertiger Ersatz für Aluminium, Kupfer, Mes-
sing, also zur Herstellung solcher Gegenstände
betrachtet werden, die nicht mit ätzenden Flüssig-
keiten oder Dämpfen in Berührung kommen. Ein
sehr beachtenswerter Vorteil ist übrigens noch
seine äusserst billige Bearbeitungsmöglichkeit,
die fertige Werkstücke unter weit geringeren
Kosten produzieren lässt als z.B. bei Eisen. Zum
Vergleiche sei angeführt, dass Elektronmetall im
Rohzustande wohl Eisen um das Vierzehnfache
im Preise übersteigt, das Werkstück sich jedoch
nach der vollendeten Bearbeitung um !/,, billiger
stellt als der gleiche Eisenteil.
Zurzeit werden folgende Legierungen herge-
stellt:
ı) CM-Sonderlegierung für
zwecke;
2) Z ı-Legierung mit verbesserten Fertigkeits-
werten; meist verwendbares Metall für
mechanische Bearbeitung;
3) AZM-Legierung für solche Zwecke, bei
denen es auf besonders hohe Festigkeit
ankommt;
4) Gusslegierung von hoher Dehnung.
Stromleitungs-
Reinaluminium ist etwa 50° ,
Aluminiumguss , ,„ 65°,\schwerer als
Eisen » "e 330%, ‘Elektron.
Rotguss PETE y
Der Schmelzpunkt des Elektronmetalls liegt
zwischen 630 und 650° C, also etwa gleich hoch
mit dem des Aluminiums. Eine Eigentümlich-
keit besteht jedoch in der Tatsache, dass es
zwar durch alkalische Flüssigkeiten nicht ange-
griffen wird, aber gegen alle Säuren, auch gegen
sehr schwache organische, ausserordentlich emp-
findlich, gegen Witterungseinflüsse, atmosphä-
rische Niederschläge usw. wiederum. beständig
ist. In dieser Beziehung verhält es sich also
günstiger als Eisen.
Bisherige Versuche, Elektronmetalle zu löten,
führten noch zu keinem günstigen Ergebnis, doch
ist eine autogene Schweissung möglich unter Ver-
wendung des eigens hierzu hergestellten Schweiss-
pulvers „Autogal“.
Die Festigkeitseigenschaften des Metalls sind
jedoch so aussergewöhnliche, dass Risse und
Brüche kaum denkbar erscheinen, denn was dem
Elektronguss zugemutet werden kann, dürfte bei
keinem anderen Gussmetall auch nur annähernd
möglich sein. So z. B. lassen sich Röhren in
kaltem Zustande zu Winkeln biegen, hohle Guss-
234
stücke gegeneinanderdrücken, Zylinderformen
mit dem Hammer zusammenschlagen und Stäbe
zu Spiralen drehen, wie man etwa mit Bleimassen
umzugehen vermag, ohne ein Zerreissen be-
fürchten zu müssen. Dagegen haben harte
Elektronbleche wiederum eine gute Federkraft
und das Stanzen bietet keine Schwierigkeiten.
Temperaturen unter o? C haben keinen wesent-
lichen Einfluss auf die Streck- und Bruchgrenze.
Die maximale Erniedrigung der Streckgrenze be-
trägt 3,6%/,, die der Bruchgrenze 5°,, und die
der Bruchdehnung 4?/,. Die Versuche bei höheren
Temperaturen sind noch nicht abgeschlossen,
doch lásst sich heute bereits eine Minderung der
Streck- und Bruchgrenze bei Temperaturen von
-L 100° C mit 12%/,, bzw. 5 °;, voraussagen, bei
starker Erhóhung von Dehnung und Kontraktion.
Im frisch bearbeiteten Zustande stark silber-
glänzend und leicht auf Hochglanz polierbar,
überziehen sich die Einzelteile unter dem Einfluss
freier Luft allmählich mit einer grauen Haut, die
das Äussere unansehnlich erscheinen lässt. Aus
diesem Grunde wird man sie mit einem Schutz-
überzug versehen, der je nach seiner Widerstands-
fáhigkeit das Metall gegen Witterungseinflüsse,
Wasser oder selbst gegen vorübergehende Ein-
wirkung stärkerer Säuren zu schützen vermag.
Als bekannte Mittel hierzu werden empfohlen:
Einfetten mit wasserfreier Vaseline, Uberziehen
mit Leinölfirnis mit eventuellem nachträglichen
Einbrennen, Anstreichen mit Ölfarbe, Asphalt-
lack, ferner Erzeugen einer festhaftenden Schicht
von Metalloxyden (Farbigbeizen). Spachteln,
Lackieren, Emaillieren und Galvanisieren.
Die Festigkeitseigenschaften des erwähnten
Gusses hängen, wie bei anderem Metallguss, be-
Ein neues Leichtmetall.
sonders auch bei Aluminium, von der Wand-
stärke, der Geschwindigkeit der Abkühlung und
nicht zuletzt von der Reinheit des Metalls ab.
Im Mittel weist Elektronmetallguss, hergestellt
aus der sogenannten A Z-Legierung, eine Zer-
reissfestigkeit von 12—15 kg/mm? und eine Deh-
nung von 2—4"/, auf. Dickwandige und dem-
nach langsamer abgekühlte Stücke haben eine
um 2—3 komm" geringere Festigkeit bei etwa
3°/, Dehnung. Die Querschnittskontraktion hat
etwa die gleichen Werte, wie sie für die Dehnung
ermittelt wurden. Die Proportionalitätsgrenze
liegt bei 4 und 5, die Fliess- (Streck-) Grenze bei
8—1o kgimm* Die Härteprüfung nach Shore
ergab Werte zwischen 10%—152.
Die elektrische Leitfähigkeit der Gusslegierung
beträgt etwa 15—16 (Kupfer = 57), die Wärme-
leitfähigkeit 0,32, die spezifische Wärme 0,24.
Obwohl Elektronmetall zurzeit noch wenig
bekannt ist, hat es sich in einer Reihe von In-
dustriezweigen bereits eingeführt. Zu erwähnen
ist die Kamerafabrikation, die Herstellung künst-
licher Glieder, seine Verwendung im Kraftwagen-
bau, in der Textil-Industrie, Kammfabrikation,
Rechen- und Schreibmaschinenkonstruktion, als
Ersatz für Horn- und Beinwaren, Spinnerei-
maschinenteile, Webstühle, Reisekoffer und Sättel,
ebenso im Baugewerbe zu Tür-, Fenstergriffen,
Schlüsseln, Lampen, Möbelbeschlägen usf.
In der Elektrotechnik dient es allen möglichen
Zwecken, wie zur Herstellung von Bürstenhaltern,
Kohlenklemmen, Wickelungsstutzen, Pressplatten
für Transformatoren und sonstige Teile, die keine
magnetischen Eigenschaften besitzen dürfen, ferner
Gehäuse für tragbare Kleinmotoren, Teile für
Strassenbahnwagen, Grundplatten für elektrische
U
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l HIT RETE
’ h t / 3! 5, |
, LOKOMOTIVEN
III
JEDER BAUART,
GRÖSSE.SPURWEITE
Ein neues Leichtmetall. — Das Ausland und die Leipziger Messe.
Zähler, ferner als Pressteile für Ventilations-
schaufeln, Klemmen, Schrauben, Schalterteile.
An Stelle von Aluminium und Kupfer dienen
Schienen aus, Elektronmetall, wegen seiner ge-
ringeren Schwere, leichterer Bearbeitbarkeit und
minder umständlicher Bezugsfähigkeit.
Das elektrische Leitvermögen bewegt sich je
nach der Legierung zwischen ı2 und 22 reziproken
Ohm pro ccm (Kupfer = 56, Aluminium = 33),
bei einem Temperaturkoeffizienten von 0,0038.
Die für Stromleitungszwecke hauptsächlich in
Betracht kommende Legierung CM hat also etwa
70 ?/, der Leitfähigkeit von Reinaluminium; da
aber das spezifische Gewicht um etwa 50°’, höher
ist, als das der Legierung CM, so ist für eine
bestimmte Stromstärke das erforderliche Lei-
tungsgewicht bei Elektronmetall trotzdem etwas
geringer als beim Aluminium.
Noch günstiger liegen die Verhältnisse dem
Kupfer gegenüber. Wenn auch bei Verwendung
von Elektronmetall der 2,6fach grössere Quer-
schnitt zu nehmen ist, als beim Kupfer, so ist
die Elektronschiene dann doch nur halb so schwer
wie eine Kupferschiene mit dem gleichen Leit-
vermögen. Die Handhabung der Schienen beim
Montieren ist hierdurch angenehmer; hinzu kommt
als weiterer Vorteil das leichtere Bohren und
Schneiden.
Als Stromleiter hat sich Elektronmetall eben-
falls bestens bewährt, denn es befinden sich auf
einigen Werken Leitungen für Stromstärken bis
239
zu 20000 Amp. im Dauerbetriebe, ohne dass sich
irgendwelche Anstände ergeben hätten. Diese
Fähigkeit gewährleistet eine Verwendungsmög-
lichkeit für Schleifbügel der Strassenbahnen, weil
diese dem Aluminium gegenüber zufolge ihres
geringeren Gewichts weniger dem Abschleudern
ausgesetzt sind und somit die Oberleitung weniger
beanspruchen, Brüche also seltener auftreten.
Nicht geeignet’ ist dagegen Elektronmetall-
draht als Ersatz des gewöhnlichen Schwach-
stromdrahtes, zu Lichtkabeln und ähnlicher dün-
ner, meist umsponnener Leitungsdrähte.
Welche Verwendungsmöglichkeiten sich für
das neue Leichtmetall im Baugewerbe bieten,
liegt offenkundig zutage. Überall dort, wo schon
lange nach einem Ersatz für das allzuschwere
Eisen, bzw. des in gewissen Fällen ungeeigneten
Aluminiums Umschau gehalten wurde, wird Elek-
tronmetall schnellstens eingeführt werden können.
Bei hochragenden Bauwerken, Türmen, Gitter-
masten für Überlandleitungen, Schwebebahnen,
Kranbauten, Drehbrücken, ungezählten anderen
Fällen wird man Elektronleichtmetall bevorzugen.
Im speziellen steht aber auch dem Motoren-
bau nicht nur für Luftschiffe und Flugzeuge eine
grosse Zukunft bevor, sondern überhaupt der
Fabrikation von Maschinen und Apparaten für
solche Zwecke, bei denen neben geringstem Ge-
wicht auf grösste Widerstandsfähigkeit beson-
derer Wert gelegt wird.
= i 1%
Das Ausland und die Leipziger Messe.
De Leipziger Frühjahrsmesse im März wies 13000
Aussteller auf, während sich die Zahl der Ein-
käufer auf etwa 130000 belief. Es sind das Rekord-
ziffern, mit denen man im Hinblick auf die ungeklärte
politische Lage — der Messbeginn fiel mit den Lon-
doner Verhandlungen zusammen — kaum gerechnet
hatte. Ganz besonders stark war das Ausland ver-
treten. Mehr als 25000 Ausländer hatte die Messe
nach Leipzig gezogen, eine Beteiligung, die noch auf
keiner der bisherigen Messen erreicht worden ist. Die
meisten Auslandsbesucher stammten naturgemäss aus
den europäischen Ländern, insbesondere aus den ehe-
mals verbündeten und den neutralen Staaten. Aber
auch die Kaufleute aus den Ententestaaten, so aus
England, Italien und Belgien, hatten den Weg zur
Leipziger Messe zurückgefunden, was erhoffen lässt,
dass auch in den früheren Feindstaaten die ernsthaften
Kaufmannskreise eine Verständigung und wirtschaft-
liche Annäherung anstreben. Dass auch aus Übersee,
aus Nord- und Südamerika, Japan, China, Afrika usw.
zahlreiche Besucher eingetroffen waren, ist besonders
erfreulich, Man kann daraus schliessen, dass Leipzigs
Stellung als Zentralmarkt des internationalen Handels
noch immer in Geltung ist und dass diese grosse
Musterschau mit ihrer einzigartigen Form des Geschäfts-
verkehrs auch weiterhin die Einkäufer aus aller Welt
anziehen wird, da diese sich bewusst sein werden,
dass ihnen ein so vollkommener Überblick über die
Marktlage in ihrem Geschäftszweig, über Neuheiten
und Preise und damit die Gelegenheit, vorteilhaft ihren
Bedarf zu decken, nirgends in gleicher Weise geboten
wird. Die Auslandsbesucher begnügten sich auch nicht
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236 Das Ausland und die Leipziger Messe. — Kleine Nachrichten.
damit, sich zu vergewissein, dass die deutsche In-
dustrie wieder qualitativ das Höchste zu leisten ver-
mag, sondern tätigten auch beträchtliche Geschäfts-
abschlüsse. Besondere Beachtung wurde von ihnen
auch der seit diesem Frühjahr wieder in zeitlicher Ver-
bindung mit der Allgemeinen Mustermesse stattfinden-
den Technischen Messe entgegengebracht, auf der fast
ale bedeutenderen deutschen Firmen als Aussteller
vertreten waren, um hier das Neueste und Beste der
Technik vorzuführen. Auf der Herbstmesse (28. August
bis 3. September) dürfte das Interesse des Auslandes
für die Leipziger Messe in noch verstürktem Masse ia
Erscheinung treten. Pr.
Kleine Nachrichten.
Britische Anerkennung deutscher Han-
delstátigkeit in Kamerun. Unter der Über-
schrift , Handelsmoglichkeiten in Kamerun“ bringt die
Zeitung ,Westafrica einen Artikel ihres Korrespon-
denten, in dem für uns verschiedene Eingeständnisse
über die Mängel der jetzigen Zustände von Interesse
sind. Es wird zugegeben, dass seit dem Verschwinden
der deutschen Handelsfirmen nur sehr wenig von seiten
des britischen Mandators zur Erschliessung der Kolonie
getan ist. Der Grund hierfür sei in der Ungewissheit
der endgültigen Bestimmung über die Zugehörigkeit
Kameruns zu suchen, Das Einziehen der Kopfsteuer
sei mit den grössten Schwierigkeiten verbunden ge-
wesen, da infolge Abwesenheit europäischer Nieder-
lassungen keine Verdienstmöglichkeiten - bestanden.
Die Eingeborenen erwarten mit Ungeduld die Wieder-
kehr der europäischen Firmen. Sie hätten die
alten deutschen Firmen, deren billige
Warenvonihnen geschätzt waren, verloren
und keinen Ersatz dafür bekommen, Es
sei nur gerecht, festzustellen, dass der
Kameruner Eingeborene jetzt einsieht,
dass, obwohl der Deutsche ein strenger
Lehrmeister gewesen sei, seine Handels-
organisation den oberflächlichen und un-
sicheren Methoden jetziger britischer Fir-
men unendlich vorzuziehen sei. Es wird
dann in dem Artikel der Vorschlag gemacht, man
solle den Eingeborenen nicht nur als Arbeiter und
Käufer von Waren benutzen, sondern ihn auch finanziell
an der Entwicklung der Pflanzungen teilnehmen lassen.
Interessant ist für uns dann noch die Feststellung,
dass die deutsche Mark sich noch heute
dort als Zahlungsmittel erhält und beson-
ders der Eingeborene seinen Lohn noch
immer in Markzahlung verlangt. In diesem
Artikel hat die sonst nicht gerade deutschfreundliche
»Westafrica^ uns unbewusst ein weiteres Kapitel zur
Widerlegung der Behauptung der Unfähigkeit deut-
scher Kolonisation geliefert.
Ausfuhr von deutschem Schwerspat
nach Amerika. Nach Berichten amerikanischer
Farbenfabriken treffen jetzt regelmässig grosse Sen-
dungen Schwerspat aus Deutschland im New Yorker
Hafen ein, der fürdie Herstellungvon Farben
dient. Die deutsche Ware ist billiger als das
amerikanische Produkt, das grösstenteils aus dem
Staate Missouri kommt. Die hohen Frachtsätze sowie
LEIPZIGER MUSTERMESSE
MIT TECHNISCHER MESSE LL BAUMESSE
Der größte internationale Warenmarkt der Welt —
BESUCH DER.LETZTEN FRÜHJAHRSMESSE:
Uber 14 000
ler- Über 150 ooo Einkäufer”
Darunter etwa 25 ooo Ausländer
HERBSTMESSE VOM 28. AUGUST BIS 3. SEPTEMBER 1921
AUSKUNFT ERTEILT DAS MESSAMT FUR DIE MUSTERMESSEN IN LEIPZIG
OM ANNES TISC"C"HOLD LEıIPrL'6©
Kleine Nachrichten. — Bücherbesprechungen.
die Arbeitslöhne in den einheimischen Gruben haben
die Preise für Schwerspat so in die Höhe getrieben,
dass deutsche Exporteure in der Lage sind, das gleiche
Material zu einem um 5 bis 10 Dollar niedrigeren
Preise für die Tonne als das amerikanische Erzeugnis
zu liefern.
Deutsche Zündmagnete in England.
Von jeher standen die deutschen Zündmagnete für
Explosionsmotoren in aller Welt in hohem Ansehen.
Man geht nicht zu weit, wenn man sagt, dass Deutsch-
land auf diesem Gebiete die Monopolisierung
der ganzen Welt verwirklicht hatte. Mit dem
Ausbruch des Krieges sahen sich vor allem die krieg-
führenden Staaten vor die Notwendigkeit gestellt, die
Erzeugung dieses ,,Massenartikels', der für jedes
Flugzeug, für jeden Kraftwagen und viele Kleinmo-
toren unerlässlich war, selbst in die Hand zu nehmen,
Kurz nach Ausbruch des Krieges, als vornehmlich
England den Mangel des guten deutschen Bosch-
Magneten bitter fühlte, wollte Lord Kitchener der Not
mit dem kurzen Befehl: ‚Rolls-Royce hat 10000 Stück
zu bauen“ abhelfen, doch das ging nicht so leicht.
Allerdings fertigte England im Kriege täglich 1000 Stück
dieser wichtigen Hilfsmaschinen für Verbrennungs-
motoren an, aber sie waren äusserst mangelhaft.
Man musste eben für jeden deutschen Zündmagneten
mehrere englische oder amerikanische in. Rechnung
bringen. Mit Interesse kann man jetzt nach Beendi-
gung des Krieges beobachten, wie die Nachfrage
nach guten deutschen Zündmagneten sofort wieder
schnell stieg. Natürlich berünstigt unser niedriger
Geldwert die Einfuhr dieser wie aller industriellen
Erzeugnisse, aber in letzter Zeit wird der Bedarf an
Zündmagneten immer mehr aus Deutschland als aus
dem eigenen Lande gedeckt, so dass die Regierung
schon an ein Gesetz zur Einschränkung dieses Spezial-
artikels denkt, da die englischen einschlügigen Firmen
nicht mehr konkurrenzfähig bleiben können.
Die deutsche Einfuhr nach Schweden.
Das schwedische Kommerzkollegium veröffentlicht
eine vergleichende Einfuhrstatistik für die Jahre 1913
bis 1920 für die bedeutenderen Warengruppen unter
d
zeug, alkoholische Getränke und dergl.
237
Berücksichtigung der Herkunftslinder. Neben der
kräftigen Einfuhr der Vereinigten Staaten ist nach
„Svensk Handelstidning‘‘ bei dieser Statistik beson-
ders die Entwicklung der deutschen Einfuhr von
Interesse. In der Textilbranche sei der deutsche
Import nicht. so erdrückend, wie man nach den Ausse-
rungen der schwedischen Industriellen angenommen
habe, wenn er auch in einzelnen Gruppen recht be-
deutend sei. Beherrschend tritt die deutsche Einfuhr
besonders für Lederwaren, wie Brieftaschen und Reise-
utensilien hervor, ferner für Fensterglasfabrikate und
ganz besonders für Produkte der Eisen- und Stahl-
Industrie und in der Maschinenbianche.
Verdrängung des japanischen Spiel-
zeuges durch deutsches. Wie „Japan Chro-
niçle berichtet, beginnt die während des Krieges
hochentwickelte Spielzeugausfuhr Japans neuerdings
empfindlich unter dem deutschen Wettbewerb
zu leiden. Schon im Juli v. J. seien die Preise um etwa
50 v. H. zurückgegangen, und vor der letzten Weih-
nachtssaison habe Deutschland grosse Mengen
Spielzeugs zu so niedrigen Preisen auf den eng-
lischen und amerikanischen Markt geworfen, dass
Japan damit nicht konkuriieren könne. Die Lage
gestalte sich für die japanische Spielzeug - Industrie
immer ungünstiger.
ber den Wettbewerb zwischen iapa-
nischen und deutschen Waren auf dem in-
dischen Markt berichtet ,,Japan Chronicle": Der
deutsche Handel habe vor dem Kriege in Indien eine
einflussreiche Stellung innegehabt, aber man habe nicht
damit gerechnet, dass schon wenige Jahre nach Be-
endigung des Krieges deutsche Waren in solchem
Umfange wieder in Indien erscheinen würden. Be-
sonders handele es sich um deutsche Eisenwaren,
Lampen, Chemikalien und Arzeneien, Spiel-
Der
Markt in Calcutta sei bisher zum gróssten Teil von
Japan mit Waren aller Art beliefert worden, aber
allmählich treten an deren Stelle jetzt deutsche
Erzeugnisse, “die billiger als englische seien und
besser als die japanischen.
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kunde. Das Riesenwerk zerfällt in die beiden Abtei-
lungen der paläarktischen und der exotischen Falter;
letztere scheiden sich wieder in die Fauna americana,
africana und indoaustralica. Jede der 4 Faunen um-
fasst die 4 Doppelbände der Tagfalter, Schwärmer
und Spinner, Eulen, Spanner, so dass das Gesamt-
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238
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Wettbewerb deutscher H raftpflüge.
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en treffendsten Beweis für ihre unnachahmliche
Leistungsfáhigkeit — trotz der schwierigen
Lage, in der wir uns heute befinden — erbrachte
die deutsche Industrie auf der
Landwirtschaits- Ausstellung zu Leipzig.
Sinngemáss, wie in verschárftem Masse an die
Landwirtschaft fast der gesamten übrigen Welt
die Frage herantritt, den infolge rapider Be-
völkerungszunahme, dazu allüberall verteuerter
Arbeits-, daher auch Lebensbedingungen noch
zur Verfügung stehenden Ackerboden peinlichst
rationell auszunutzen, sieht sich die Technik vor
die kategorische Forderung gestellt, Hilfsmittel
als Ersatz für physische Kraft (tierische und
menschliche) bereitzustellen, um unter aller-
günstigsten Bedingungen höchste Anforderungen
zu erfüllen.
Inwieweit deutsche Geistesarbeit ihren ge-
wichtigen Anteil zum Gelingen grosszügiger Pläne
in Hinsicht vervollkommneter Bodenbesibeitanps-
möglichkeiten beiträgt, soll nachstehende Zu-
sammenstellung veranschaulichen, eine Auslese
derjenigen genial erdachten Produkte, wie sie
sich den Fortschritten und Bedürfnissen einer
schnellebigen Zeit in allen Teilen anzupassen
verstanden haben.
Die Landwirtschaft nimmt geradezu eine Son-
derstellung auf dem Gebiete der Kraftversorgung
ein und stellt Forderungen, wie sie in anderen
Betrieben nicht gut möglich sind. Aus diesem
Grunde bietet
sich für den
Spezialtechni-
kerein weitaus-
gedéhntes Ge-
biet interessan-
ter Betätigung
seinerErfinder-
gabe, dessen
Resultate wir
mit stolzer Ge-
nugtuung den-
jenigen der
Wettbewerber
anderer Län-
der gegenüber-
stellen.
In erster
Linie ist es der
Kraftpflug
.mobilen,
Abb. 34. Wolfsche Heissdampf- Verbund - Pfluglokomotive.
und die vielartigeVerwendungsweise seinerTrieb-
maschine, die mit allen ihren Vorteilen und
Vorzügen gegenüber tierischer Energie ein näheres
Eingehen auf ihre Grundzüge erheischt. Deshalb
eröffnen wir hier mit kurz gehaltenen technischen
Beschreibungen an Hand zur Verfügung stehen-
der Abbildungen die Reihe derjenigen Fabrikate,
wie sie auf Grund von Güte und Brauchbarkeit
unbedingt empfehlenswert erscheinen.
Schon seit fast 60 Jahren beschäftigt sich un-
sere Industrie mit dem Bau von Dampfloko-
aus welcher die Dampfpflug-
maschine entstand. Unter Verwendung der
in der Praxis gesammelten Erfahrungen erreichte
der Dampfpflugbau im Laufe der Zeit eine
Stufe höchster Vollendung, wie sie in den Fabri-
ken einer Anzahl Spezialfirmen technisch - erst-
klassig zum Ausdruck kommen. Beispielsweise
wird über die Wolfschen Heissdampfpflüge
(Abb. 34) von berufener Seite in den ,,Mit-
teilungen des Verbandes landwirtschaftlicher
Priifungsanstalten“ im Jahre 1918 folgendes Ur-
teil ausgesprochen:
„Für tiefe und schwere Ackerungen auf
ausgedehnten Feldgebieten ist der technisch
vollkommenste, betriebssicherste und wirt-
schaftlich vorteilhafteste Bodenbearbeitungs-
apparat der Dampfpflug, ein Apparat,
der für den angeführten Zweck von keinem
Motorpflug erreicht wird oder gar noch über-
troffen werden kann.“
Die Bauart :
der Pflugloko-
mobilen er-
móglicht heute
eine — Befeue-
rung — neben
allen Kohlen-
sorten — auch
mit Holz, Torf
und sonstigen
brennbaren
Abfallstoffen,
ohne in der
Leistung be-
schränkt zu
werden; gleich-
zeitig bringen
E, e sie aber auch
` S T E ae eine Brennstoft
und Dampf-
256
Wettbewerb deutscher Kraftpflüge.
ersparnis bis zu 30°], gegenüber Sattdampf-
maschinen.
Die modernste Bauart ist die Einzylinder-
Lokomotive, welche bei den Fabrikaten der
Maschinenbauanstalt Rudolf Sack,
Leipzig-Plagwitz, mit stehender Seil-
trommel ausgerüstet ist, unmittelbar von der
Kurbelwelle aus angetrieben. Durch diese direkte
Kraftübertragung wird gegenüber anderen Über-
setzungen bedeutend an Energie gespart, wobei
sich noch durch Fortfall des Zwischengetriebes
Abnutzung und Schmierölverbrauch erheblich
verringern.
Um auch kleineren Betrieben, für die eine
Anschaffung eigener Dampfpflüge zu teuer wird,
die enormen Vorteile der Dampfpflugkultur
zugänglich zu machen, empfiehlt sich tür diese
die Benutzung der in der Lohnpflügerei zur Ver-
fügung stehenden Apparate oder die Bildung von
Dampfpflug-Genossenschaften.
Die Arbeitsweise des Dampfpfluges dürfte
allgemein bekannt sein: Auf jeder Seite des zu
pflügenden Feldes fährt eine Pfluglokomotive.
Der Pflug wird abwechselnd mit einem Drahtseil
von einem Ende zum anderen und zurückgezogen,
wobei man nach jedem Zuge die betreffende
Pfluglokomotive um ein der doppelten Arbeits-
breite des angewendeten Ackergeräts entsprechen-
des Stück vorwärts rückt, während die gegen-
überstehende Maschine das Gerät zu sich heran-
zieht.
Flachpflüge werden im allgemeinen mit Anti-
balancevorrichtung, Tiefpflüge als Balancepflüge
gebaut; beide zeichnen sich besonders dadurch
aus, dass jeder einzelne Pflugkörper sowohl in
der Neigung des Schars zur Bodenoberfláche, als.
auch seitlich zur Furchenrichtung verstellbar
ist. —
e d Kë Pr nm s t "
er y oy ch T MOS $ m
dé effet ut
yea hh) Aaf Ki
36
P
d 77 < ei
Aue. G
"All
Als man vor einem Jahrzehnt die Verbren-
nungs-Kraftmaschine als Antriebsmotor
auch für Kraftpflüge zu benutzen begann, lag
nichts näher, als das bei Dampfpflügen seit bei-
nahe einem halben Jahrhundert bewährte Zwei-
maschinensystem auch beim Motorpflug
anzuwenden. Die Arbeitsweise ist genau dieselbe
wie dort, nur mit dem Unterschiede, dass man
sich von jeglicher Brennstoff- und Wasserzufuhr
unabhängig gemacht hat (bis auf Benzin, Benzol
oder Rohöß), wobei noch als gewichtiges Moment
die einfachere Bedienungsweise hinzukommt.
Letztere bereitet hauptsächlich dem landwirt-
schaftlichen Arbeiter weniger Schwierig-
keiten, wie die Erfahrung lehrt, abgesehen von
der Vermeidung aller Feuersgefahr, grösserer
Reinlichkeit und geringerer Instandhaltung gegen-
über Dampfmaschinen.
Unter der grossen Anzahl vorzüglicher Kon-
struktionstypen tritt besonders der Kaulensche
Ergomobilpflug hervor, dessen Motor bei
Benzolbetrieb 40 PS leistet, bei einer mittleren
Pfluggeschwindigkeit von 61—97 m. Das Fahr-
getriebe gestattet die Einschaltung von je zwei
Geschwindigkeiten, vorwärts und rückwärts zu
1,3 bzw. 0,65 km/Std. (Abb. 35.)
Von den mancherlei Vorteilen, die das Zwei-
maschinensystem bietet, ist hauptsächlich
die —— Ausnutzungsmöglichkeit gegenüber
den Dampfpflügen (infolge der höheren Leıstungs-
fähigkeit letzterer) hervorzuheben. Ferner er-
möglicht er eine Bearbeitung des auch in schwie-
rigem Gelände liegenden Ackerbodens, im Moor-
grund, zwischen Baumstümpfen und Felsstücken,
auf Abhängen und in schmalen Zwischenräumen
befindlichen Streifen, die der Motorwagen nicht
passieren kann. Sehr ins Gewicht fällt ferner
die geringe Abnutzung der Maschinenteile mit-
‚Harn
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— — ARA ma »
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Abb. 35. Ergomobilpflug der Firma Theodor Kaulen.
Wettbewerb deutscher Kraftpflüge.
samt dem Motorenmechanismus infolge kaum
merkbarer Verstaubung beim Arbeiten.
Der hohen Anschaffungskosten wegen wird
das nen dagegen für kleinere
Betriebe kaum in Betracht kommen, weshalb
sich diese also gleichfalls der Lohnpflügerei
— wie bei den Dampfpflügen — zuzuwenden
gezwungen sehen werden.
Fortschreitend im Bau von landwirtschaftlichen
Maschinen setzte sich die Technik zum Ziel,
tierische Kraft neben Handarbeit durch geeignete
Mechanismen zu ersetzen, die Arbeitsweise der-
selben solchen Bedingungen anzupassen, wie man
sie im eigentlichen Sinne als vollgültigen Er-
satz für Handarbeit anzusprechen vermóchte.
In dieser Beziehung musste auch das Pfluggerät,
unabhängig von allen Nebenbestimmungen, genau
den Bewegungen
des traditionellen
Handpfluges ange-
passt, durch eine
Ersatzkraft betrie-
ben werden können.
Und dieser Gedanke
leitete den Kon-
strukteur beim Auf-
bau einer dem
Pflug vorausfah-
renden Zugma-
schine, dem Mo-
tortrekker, dem
es im Laufe der
Jahre nicht nur ge-
lang, sich einen
ersten Platz unter
seinen verwandten
Kollegen zu sichern,
sondern nicht ganz
zu Unrecht den be-
zeichnenden Namen
einer Universal-
triebmaschine
errang. (Abbild. 36.)
Der . Motor-
schlepper zieht’
den angehängten
Pflug glatt durch den schwersten Boden.
Nacheinander können alle anderen Spezial-
Bodenbearbeitungsmaschinen an ihn an-
gehängt werden: Er zieht Eggen und Sä-
maschinen, leistet bei der Ernte die Haupt-
arbeit, indem er Mähmaschine und Ernte-
wagen befördert, dient schliesslich zum Antrieb
der Dreschmaschine und Schrotmühle,
schafft das Getreide zum Müller, erforder-
lichenfalls auch landwirtschaftliche Pro-
dukte (Kartoffeln, Rüben, Dünger, Güter) von
und zu Bahn und Markt, befördert sonstige
schwere Lasten: Langholz, Kessel,
Maschinen und deren Teile, Baumate-
rialien und Steine zur Verwendungs-
stelle, wobei er nicht nur 8—ıo Pferde er-
setzt, sondern seine motorische Kraft
auch zum Auf- und Abladen der Frach-
ten spendet, also entsprechende Arbeiter-
kräfte entbehrlich macht. Dazu ist er stets fahr-
bereit: ob bei Tag oder Nacht, Kälte oder Hitze,
Regen oder Sonnenschein, pünktlich und ge-
wissenhaft regt er seine herkulischen Muskeln,
dabei in erstaunlicher Anspruchslosigkeit oben-
drein noch um das Zehnfache billiger als phy-
sische Energie.
Im allgemeinen dienten dem Schlepperbau
die Grundsätze derjenigen des Lastkraft-
wagens. In der Gesamtanordnung wirkt ein
257
Viertaktmotor, der mittels einer Kuppelung seine
Antriebskraft auf ein Wechselgetriebe überträgt,
wobei durch Kugelräder die Wirkung auf ein
Vorgelege mit Differenzialausgleich weitergeleitet
wird. ieses Vorgelege treibt sodann direkt
durch Stirnrädergetriebe die Haupträder des
Schleppers. 1
Die einzelnen Trekkertypen weichen in
Form und Konstruktionsart weit voneinander ab,
gleichsam wie wenn jede Werkstatt eine eigene
Idee zum Bau von Spezialsystemen verfolgte.
Diese Spaltung im Verfolg gewisser Richtlinien
brachte den wohldurchdachten Vorteil, dass je-
der Landwirt in Berücksichtigung des Gelände-
zustandes seines Ackerfeldes eine für seine Zwecke
brauchbare Maschine auszuwählen in der Lage
ist, wobei ihm diese, trotz ihrer abweichenden
— — — — > a, =
|
Abb. 36. Hansa-Lloyd-Trekker beim Dreschen.
Bauart genau dieselben allgemeinen Nebenvorteile
der anderen bietet.
Wo beispielsweise an Bedienungsleuten ge-
spart werden soll, bewährt sich vorteilhaft das
starre System, bei welchem das Pfluggerät,
fest am Kraftwagen montiert, der Tragbalken der
Schare parallel zur Oberfláche des Erdbodens
liegt, also stets gleichmássig gezogene Furchen
gewährleistet. Dieser Tragpflug (Abb. 37) kann
durch nur einen Mann bedient werden, gestattet
fast restlose Ausnutzung des Ackergeländes in-
folge scharfer Wendungsmóglichkeit und Beweg-
lichkeit, ist dieserhalb also auf beliebigem Ge-
.làánde verwendbar und wegen seiner billigen An-
schaffungskosten als Kleinpflug auch mittel-
grossen Betrieben zugänglich.
Dass bei der Anwendung nutzbringender Ma-
schinenkraft eine bedeutend intensivere Boden-
bearbeitung durchgeführt werden kann und sich
damit auch die Bodenerträge bedeutend steigern
lassen, ist eine durch Fachautoritäten hinlänglich
erwiesene Tatsache. Aber auch die nur flüchtige
Überlegung, dass ein gewichtiger Teil der Feld-
erzeugnisse von den eigenen Gespannen im Laufe
des Jahres wieder aufgezehrt werde, führt zu
dem Schluss, durch Verkauf auch dieser Quanti-
täten Summen zu erzielen, die gegebenenfalls
praktischen Endes besser der Amortisation zu-
geführt werden.
258
— moe d:
— — — — —
Wettbewerb deutscher Kraftpflüge.
Abb. 37. „Pöhl“-Dreischar- Motorpflug beim Pflügen.
Zur Auswahl des geeigneten Pfluges diene in
jedem Einzelfalle als Richtschnur: die Grösse der
Gutswirtschaft, d. h. der Umfang der zu pflügen-
den Felder. Für eine Bebauungsfläche von 250
bis 800 Morgen genügt ein dreischariger Pflug,
der die Grössengrenze nach unten bilden soll.
Von 800 Morgen an aufwärts wähle man ent-
sprechend eine Schar mehr, doch muss dabei
Rücksicht auf die Geländeverhältnisse, ebenso
auf den Zustand des Ackerbodens genommen
werden. —
Beim halbstarren System ist das Pflug-
gerät am hinteren Ende der Zugmaschine durch
ein Gelenk fest verkuppelt, kann um dieses be-
wegt, also jederzeit frei verstellt werden und er-
möglicht dadurch ein kurzes, scharfes Wenden
des Maschinenwagens, gleichzeitig also eine
gleichmässige Ausnutzbarkeit auch der ungün-
Abb. 38. Podeus-Raupenschlepper pflügt in bergigem Gelände.
stigst gelegenen Ackerstücke. Dazu kommt, wie
beim starren System, der billige Anschaf-
fungspreis, die reduzierten Betriebskosten und
die äusserst leichte Bauart des Motorwagens.
Die zuträglichste Bearbeitung des Bodens
"selbst muss der Eigenart desselben überlassen
bleiben. Für solche Bodenarten, bei denen eine
Tiefwendung der Ackererde nicht zu empfehlen
ist, werden die Pflüge so gebaut, dass nur die
obere Schicht gewendet wird, um Stoppeln und
Unkraut zu unterwühlen, gleichzeitig aber auch
der Untergrund tüchtig gelockert wird, ohne dass
er an die Oberfläche gelangt. Die Wirkung des
Stallmistes wird hierdurch in den meisten Böden
sehr vorteilhaft beeinflusst und die Tätigkeit der
nützlichen Bodenbakterien viel unmittelbarer und
gründlicher bewirkt, als wenn bei der Tiefkultur
die obere Schicht zu tief vergraben wird. In der
alten Kulturschicht, d. h. dem
oberen Humus, betätigt sich das
Wachstum der mit feinen Keim-
wurzeln ausgestatteten Pflanzen vie!
lebhafter als in der folgenden Tief-
schicht; wiederum ermöglicht aber
die tiefe Bodenackerung eine
bessere Ausnutzung der Boden-
feuchtigkeit und lässt die Kultur-
pflanzen sowohl längere Dürre-
perioden als auch vorübergehende
grosse Nässe gut überstehen. —
Eine Sonderstellung unter den
Motorpflügen beansprucht d:
Lanzsche Bodenfrasma-
schine. Der Grundgedanke dieser
Konstruktion ist, entgegengesc:-
dem Schollenauswurf, eine gleich-
zeitige Zertrümmerung der auig«-
wühlten Massen, was mittels schnei
rotierender hackenartiger Stah'-
schaufeln bewirkt wird (fräsen
Die zu bearbeitende Ackerkrume
Wettbewerb deutscher Kraftpflüge.
259
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Abb. 39. Büssing-Raupenschlepper beim Pflügen.
wird bei dieser Prozedur auf gewünschte Tiefen
hinein vollständig durcheinandergearbeitet und
—— weshalb ein nachfolgendes Walzen und
ggen zum Teil überflüssig wird.
Gegenüber der Zugmaschine, als Räderfahr-
zeug, bietet der Raupenschlepper den Vor-
teil, dass durch eine grössere Auflagefläche der
Raupenkette der spezifische Bodendruck ausser-
ordentlich mässig ist und im Durchschnitt noch
nicht 0,5 kg/qcm erreicht. Ein Einsinken des
Fahr estells, wie bei den auf Rädern laufenden
Maschinen, ist daher gänzlich ausgeschlossen,
schon in Anbetracht dessen, dass auch der Druck
des menschlichen Fusses annähernd or kg/qcm
beträgt. Mithin ist der Raupenschlepper überall
dort noch gebrauchsfähig, wo eine Benutzung von
Räderfahrgestellen als unanwendbar gilt: in wei-
chem Boden, Moorgrund, zum Reissen und Grub-
bern, Roden und Schleppen von Baumstámmen
in unwegsamen Waldgebieten, zwischen Stümpfen,
sowie über Gräben und Stubbenlócher, unter un-
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günstigen Witterungsverháltnissen auch auf húge-
ligem Gelánde. (Abb. 38.)
Eine besondere Bedeutung erlangte der Rau-
penschlepper bei der maschinellen Rüben-
rodung. Die Breite der Raupenkette wurde ent-
sprechend dem Abstand der einzelnen Rüben-
reihen angeordnet, so dass eine Beschädigung
der Frucht durch den Schlepper also ausge-
schlossen bleibt. In gleichem Sinne werden die
Zugmaschinen auch zur Bearbeitung ähnlicher
Fruchtfelder entsprechend eingerichtet.
Im praktischen Betriebe ergibt beispielsweise
der „Büssing-Raupenschlepper‘“ (Abb. 39)
folgende Mittelleistungen :
Schälpflügen 4—5 Morgen pro Stunde
Saatpflügen . 1,5—2,5 "E Xa »
Tiefpflügen. . . 1—2 i e
Grubbern mit Eggen und Walzen oder
Schleppen (in einem Arbeitsgang)
4—6 Morgen pro Stunde
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Abb. 40. Deutzer Trekker beim Anrücken von Baumstámmen mittels seiner Seilwinde.
Wettbewerb deutscher Kraftpflüge.
Erwähnung verdientnoch, dass der „Büssing-
Raupenschlepper“ bei den Arbeitsversuchen,
die von der „Deutschen Landwirtschafts - Ge-
sellschaft“ im Anschluss an die letzte Wander-
ausstellung in Magdeburg 1919 veranstaltet
wurden, infolge vorzüglicher Leistungen vom
Preisgericht mit der höchsten Auszeichnung ge-
ehrt wurde.
Gleichfalls in einem grossen Teile des Aus-
landes eingeführt und verbreitet ist der „Podeus-
Raupensehlepper“ (Abb. 38). In Finnland
und Schweden laufen bereits je ein Dutzend
dieser für die dortigen Verhältnisse vorzüglich
ER Maschinen. Man benutzt sie dort zur
eförderung mit Langholz beladener Lastschlitten,
wobei sich der Schlepper seinen Weg durch
riesige Schneemassen mittels eines ihm am Vor-
derteil anmontierten Schneepfluges selbst
bahnt. Auch überquert er mit Leichtigkeit,
schwere Lasten ziehend, ausgedehnte Eisflächen,
wobei ihm kurze Eissporen an den Raupenketten
befestigt werden. In Südamerika, Chile und auf
Java bietet er den amerikanischen Traktoren der
mannigfaltigsten Systeme infolge seiner Über-
legenheit scharfe Konkurrenz, gewinnt, ob seiner
vielseitigen Verwendbarkeit zu allen nur mög-
lichen Zwecken, leicht jegliche Bevorzugung bei
Land- und Forstmann und erringt sich in allen
in Frage kommenden Kreisen allmählich jene
Beliebtheit, wie sie einer Maschine zugewendet
wird, von deren Brauchbarkeit und Zuverlässig-
keit man in jedem Fall voll und ganz über-
zeugt ist.
Ein von den namhaftesten deutschen Firmen
konstruiertes Pflugsystem ist der Motor-
trekker mit angehängtem Pfluggerät,
das von dem vorausrollenden Motorwagen nach-
gezogen wird. Zugmaschine und Pflug bil-
den hier völlig getrennte Einheiten, sind nicht
aufeinander angewiesen, also stets zu ander-
weitigen Zwecken verfügbar. Die Fabrikate haupt-
sächlich der Gasmotorenfabrik Deutz
haben durch die Vorzüglichkeit ihrer Arbeitsweise
einen gewissen Weltruf erlangt, weshalb eine
Spezialisierung ihrer Eigenschaften im Grunde
genommen überflüssig erscheint. Der Vollständig-
keit halber sei jedoch erwähnt, dass der Trekk-
Abb. 41.
Hansa-Lloyd- Trekker beim Bindmähen.
pflug sich als am geeignetsten zur Überwindung
von Bodenunebenheiten erwiesen hat, und die
Zugmaschine gegebenenfalls, genau wie beim
Zweimaschinensystem, auch im stationären
Betrieb sich bestens bewährte. Zu diesem Zweck,
gleichfalls auch, um die motorische Kraft
des Trekkers während der landwirtschattlichen
Ruhemonate nutzbringend zu verwenden, wurde
dem Motorenmechanismus eine Seil-
trommel eingeführt, die zum Ziehen des Pfluges
über nachgiebiges Gelände einerseits, dann aber
in der Hauptsache zum Fortbewegen von Last-
wagen ‚auf lockerem Boden oder zum Hindurch-
ziehen von Baumstämmen im Forstbetrieb, zum
Stubbenroden und allerlei sonstigen Verrichtungen
dient. (Abb. 40.)
Zum Aufbau der Maschine kommt nur edelstes
Material zur Verwendung, genau wie beim Auto-
mobilbau. Räder und ellen bestehen aus
Chromnickelstahl und sind im Einsatz gehártet.
Die Wellen ruhen in Kugellagern. Alle reiben-
den Teile sind staubdicht abgeschlossen und
laufen in Öl. Nur durch diese Anordnung wird
unbedingte Dauerhaftigkeit und Zuverlässigkeit
des Fahrzeuges gewährleistet.
Zum Schutze gegen Einsinken und Gleiten
beim Befahren von Feldwegen, hauptsächlich je-
doch auf dem Ackergelände, werden die Trieb-
räder mit Greiferplatten versehen, deren
Ausführungsform und Befestigungsart wohl typisch
voneinander abweicht, jedoch ein und dieselbe
Richtung, Steigerung der Adhäsionskraft der Räder
verfolgen.
Beachtenswert ist die sinnreiche Anordnung
des patentierten Greifers des Hansa- Lloyd-
Motortrekkers (Abb. 36 und 41). Die Greifer
werden hier nicht aufgeschraubt, sondern lassen
sich in einem gewissen Winkel aufstellen,
wodurch ein senkrechtes Ausziehen nach dem
Umlauf der Räder erzielt wird, die schaufelnde
Wirkung, wie bei anderen Greiferrädern also
unterbleibt.
Mit dem 35- PS-Motorpflug sind in ro Stun-
den Leistungen von 14—16 Morgen bei 22—25 cm
Tiefe, und von 25—30 Morgen bei 15 cm Tiefe
in mittelschwerem Boden erzielt. worden. Als
Zugmaschine bewegt der Trekker selbst
bei leichten Stei-
gungen eine Netto-
pt Iu TD last bis zu
e" 10 Tonnen.
SS Eine Anzahl
Kraftpflugbauan-
stalten befassen
sich mit der Her-
stellung verschie-
dener Typen in
Hinsicht auf die
zweckmássigeAus-
KE a-
rikationseinrich-
tungen. Die Póh!-
Werke, Göss-
nitz (Abb. 37,
liefern u. a.
Dreischarpflüge
von 40 PS-Leistung
Vierscharpflüge
von 50 PS-Leistung
Sechsscharpflüge
von8oPS-Leistung
wobei auf ent-
sprechende Di-
mensionierung und
gefällige Formen-
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Wettbewerb deutscher Kraftpflüge. 261
bildung besondere Rücksicht genommen ist.
Ferner liefern dieselben Werke Seilpflüge
nach dem Zweimaschinensystem in bekannter,
solider Bauart unter Gewährleistung einer Vor-
züglichkeit der Produkte infolge langjähriger
Erfahrungen.
Unter den Motoranhängepflügen, deren
vielgestaltige Konstruktionsarten ein besonderes
Kapitel benötigten, werden ‘insbesondere die-
jenigen mit verstell- und aushebbaren Scharen
bevorzugt. Bei diesen Pfluggeräten erfolgt
das Ein- und Ausrücken der Schar vom Sitz
des Motor- und Pflugführers aus, vermittels eines
Handhebels mit Sperrvorrichtung. Die Maschi-
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In der ersten Zeit befasste sich unsere Mo-
torpflug-Industrie einzig mit dem Bau starker
Maschinen, die für grosse Geländeflächen berech-
net waren und unter günstigen Bodenverhältnissen
reichlich Gelegenheit zur Ausnutzung unter vor-
teilhaften Bedingungen fanden. Nachdem aber
der mittlere Besitz gleichfalls zur Beschaffung von
Motorpflügen schritt, wurden an die älteren Kon-
struktionen Anforderungen gestellt, wofür sie sich
als nicht recht geeignet erwiesen.
Aus diesem Grunde war die deutschePflug-
technik bestrebt, die hin und wieder in der
Praxis noch in Erscheinung tretenden Mängel
nach Möglichkeit zu beseitigen, alle bedeutenden
p=-
Abb. 42. Einscharpflug Harras PE16.
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EALETTHLELEEETETEELETEEETETTTITITETT
nenfabrik Rud. Sack, Leipzig (Abb. 42)
befasst sich mit dem Bau von Spezialpflügen,
die ebenso originell wie beachtenswert erscheinen,
da sie eine Reihe sonst wenig vereinigter Vor-
züge in sich zusammenfassen.
Der Vierscharpflug Harras PVtr2
ermöglicht bei einem Gewicht von 760 kg einen
Tiefgang bis zu 32 cm. arbeitet mit Vorschälern
und ist mit einer Vorrichtung als Hilfsschaltwerk
ausgerüstet, vermittels welcher der Tiefgang der
Schare in der bequemsten Weise während des
Ganges vom Sitz aus geregelt werden kann. Der
letzte Scharkörper lässt sich vorkommendenfalls
leicht abnehmen, um unter verminderter Arbeits-
breite eine Entlastung des Motors in schwerem
Boden zu ermöglichen. Die Wirkung der Aus-
hebevorrichtung wird jedoch dadurch nicht be-
einträchtigt.
` Als Unikum unter den Pfluggeräten gilt zweifel-
los der Stumpfsche Kraftpflug mit seiner
Scharbewegung durch Druckluft. Diese
wird selbsttátig vom Motor erzeugt und nach
einem unter 25 jáhriger Erfahrung im Bahnbetriebe
aufgestellten System der „Knorr-Bremse“ be-
tätigt. Je eine, den Pflugscharen beigegebere
Kolbenstange mit Gelenken bewirkt zu'olge der
dem Zylinder zugeführten Druck- und Gegen-
druckluft ein momentanes Heben und Senken,
ohne dassirgendwelche Haltepausenbeim Furchen-
wechsel nötig werden. Infolgedessen fällt auch
das wiederholte Einkuppeln und Wiederanfahren
an den Furchenenden fort, wodurch Motor,
Kuppelung, Getriebe, auch der Pflug selbst, aufs
Ausserste geschont werden.
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Eigenschaften einheitlich zusammenzufassen, wenn-
gleich ohne Überhebung behauptet werden kann,
dass etwaige unerhebliche Nachteile durch die
vielen ausserordentlichen Vorzüge der deutschen
Fabrikate gegenüber ihren Auslandskonkurrenten
in weit übersteigendem Masse aufgewogen werden,
sich hier, gegenteilig, ein fertiges Ganzes prásen-
tiert, das den Kulturerrungenschaften anderer
Vëlker würdig angereiht werden darf, wenn nicht
gar dieselben um ein bedeutendes überflügelt.
Zur vollen Würdigung der letzten Behauptung
sei nur an die vielfachen gescheiterten Arbeits-
versuche der Ford-Traktoren erinnert. So fand
z. B. am 25. Mai ds. Js. auf dem Gute Ganz, in
der Mark, eine Vorführung dieser Pflüge auf un-
gemein günstigem Sandboden statt, wobei das
Resultat gegenüber deutschen Maschinen ein
durchaus klägliches zu nennen war, denn schon
nach kurzem Arbeiten mit nur 3 Scharen auf
12 Zentimeter Tiefe kochte das Wasser in den
Kühlern, indessen die Räder fortgesetzt
glitten. Beim Tiefpflügen auf 25— 30 Zentimeter
blieben die Pflüge sogar nach kurzem, scharfem
Anlauf stecken, wohingegen ein deutscher Pflug
mit Leichtigkeit die doppelte Leistung erzielte.
Ähnlich erging es den Ford- Traktoren in
Litauen und an anderen Vorführungsorten, u. a.
auf der Internationalen Messe in Frankfurt a. M.,
wo die Bauart des gusseisernen Rahmengestells
einer scharfen Kritik unterworfen war. Überall
errangen die deutschen Maschinen leicht den
Sieg, werden auch stets und allerorten Sieger
bleiben, solange noch der unbezwingbare Geist
werktätige deutsche Hände leitet und beeinflusst.
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262 Die Maschinen auf der Ausstellung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (D.L.G.) in Leipzig. | |
Die Maschinen auf der Ausstellung der Deutschen
Landwirtschaits - Gesellschaft (D.L.G.) in Leipzig.
Von Ingenieur Fritz Brutschke.
Ren äusserlich bot die Maschinenabteilung der nissen zu verbessern, weil er weiss, dass jeder
Leipziger Ausstellung das gleiche Bild, wie
die früheren Wanderausstellungen der Deutschen
Landwirtschafts- Gesellschaft. Alle bekannten
Firmen hatten in gewohnter Weise ihre Plätze
schmuck hergerichtet, ihre Maschinen übersicht-
lich gruppiert und die aufgewendeten Arbeiten
und Geldopfer wurden belohnt durch eine grosse
Zahl von ernsthaften Interessenten und schau-
lustigen Besuchern, die in oft beängstigender
Stauung die reichlich bemessenen Wege füllten.
In der Beschickung mit 880 Nummern
und in der Besucherzahl von 240000 Per-
sonen ist die erste Ausstellung in der neuen
Reihe zu den besten der D.L.G. zu zählen und
hat alle berechtigten Hoffnungen auf das Gelingen
dieser Veranstaltung ‚nach Massgabe der ersten
Leipziger Ausstellung im Jahre 1909 restlos erfüllt.
Dem Inhalte nach zeigte sie jedoch merkbare
Veränderungen gegen früher, die Fortschritte und
Verbesserungen waren leicht erkennbar. Hierin
werden die jetzt wieder regelmässig folgenden
Ausstellungen dieselbe Wirkung erzielen wie vor-
dem, indem sie eine öffentliche Kritik über die .
Entwicklung des landwirtschaftlichen Maschinen-
: wesens ermöglichen und in dieser Form die besten
Anregungen vermitteln. Jede Ausstellung dient
dem Fortschritt in der Technik und allgemeinen
Kultur, das ist eine Binsenwahrheit. Aber es ist
ein Unterschied zu machen zwischen einer ver-
einzelten Veranstaltung, nach deren Schluss Aus-
steller und Publikum wieder auseinanderlaufen,
und einer wiederholten Schau, auf der immer
dieselben Käufer und Verkäufer sich treffen. Die
Berührung ist inniger, die Belehrung tiefer und
die Erfahrung nachhaltiger. Bemerkt ein Fabri-
kant, dass die Käufer dauernd die Erzeugnisse
des Konkurrenten bevorzugen, so wird er bald
die Überzeugung seiner Rückständigkeit gewinnen,
auch wenn er vorher noch so stolz auf seine
alte angeblich bewährte Konstruktion war, und
er auch innerhalb eines örtlichen Bezirkes bis-
her einen sicheren Absatz gefunden hatte. Ge-
fördert wird diese günstige Wirkung der jähr-
lichen Wanderausstellungen durch die mit ihnen
verbundenen
Maschinenprüfungen,
die sich in zwei Hauptgruppen teilen lassen, in die
sogenannten Hauptprúfungen und in die Prüfung
„Neuer Geräte‘. Für die ersteren werden die
Maschinen bestimmter Klassen vorher festgelegt
und ein spezielles Programm vereinbart. Für die
Ausstellung in Leipzig waren bestimmt worden:
die Düngerstreumaschinen, die Kartoffelsichter .
und die Kleindrill- und Dibbelmaschinen. Bei
diesen Prüfungen kommen die besten Maschinen
der angesehensten Spezialfirmen zusammen, sie
werden nach einheitlichen Grundsätzen geprüft,
die Ergebnisse gegeneinander abgewogen und
über dieselben ein ausführlicher Bericht veröffent-
licht. Kein anderer Fabrikant hat ausser diesen
Prüfungen cine ähnliche Gelegenheit, die Arbeit
seiner cigenen Maschinen mit denen der Konkur-
renz vergleichen zu können. Der Bericht legt die
besten Ergebnisse fest und jeder Fabrikant wird
gezwungen, seine Maschine nach diesen Ergeb-
Käufer diese Höchstleistungen verlangt und sie
auch nach den gleichen Grundsätzen nachprüfen
kann. Welchen Einfluss diese Hauptprüfunge::
auf die weitere Entwicklung der geprüften Ma-
schinen ausüben und welcher Anreiz in ihnen
für den Fabrikanten zu Verbesserungen liegt.
zeigt die Tatsache, dass in den nächsten Jahren
aus diesen Maschinenklassen eine auffällig grosse
Anzahl von Neuheiten für die kommenden Aus-
stellungen angemeldet werden, die dann nach
den gleichen Grundsätzen wieder einer Prüfung
unterliegen. Hier ist jedem Fabrikanten die Ge-
legenheit gegeben, einen früheren Misserfolg aus-
zugleichen und den Beweis der Höchstleistungen
zu erbringen.
Die zweite Art der Prüfungen, die der „Neuen
Geräte“, erstreckt sich über das gesamte Gebiet
des landwirtschaftlichen Maschinenwesens. Jede
an irgendeiner Maschine oder an einem Hand-
gerät angebrachte Neuerung kann den Richter
zur Beurteilung vorgeführt werden und diese ent-
scheiden, ob eine beachtenswerte Verbesserung
in ihr enthalten ist. Nichts kennzeichnet mehr
den Einfluss der regelmässig wiederkehrenden
Ausstellungen der D.L.G. auf die Entwicklung
der landwirtschaftlichen Maschinen, als die stets
steigende Zahl der Anmeldungen für die Prüfung
„Neuer Geräte“, In dem zweiten Rundgang der
Ausstellungen, umfassend die Jahre 1899— 1910.
waren durchschnittlich jáhrlich 76 Anmeldungen
eingegangen, bei deren Prüfung 30 Auszeich-
nungen erteilt wurden, darunter je 3 bronzenc
und 1 silberne Denkmünze. Im Jahre 1911 stieg
die Zahl der Anmeldungen auf 199, von denen
87 ausgezeichnet wurden, darunter 20 mit bron-
zenen und 8 mit silbernen Denkmünzen, ein Zei-
chen, wie das Bestreben nach Verbesserungen
zugenommen hat und mit Erfolg auch durchge-
führt wurde. Für Leipzig waren 166 Neuerungen
erschienen, deren Prüfung noch nicht abge-
schlossen ist.
Wenn diese Entwicklung naturgemäss nur
eine allmáhliche sein kann, und in dem Unter-
schied zwischen zwei aufeinander folgenden Aus-
stellungen nicht stark in Erscheinung tritt, so
machte Leipzig hierin insoweit eine Ausnahme.
als der Einfluss einer jahrelangen gänzlichen Ab-
sperrung vom Auslandsverkehr einen plötzlichen
Sprung in bestimmter Richtung erkennen Dess
Nämlich der verstärkte Bau derjenigen Maschinen
in Deutschland, die früher zum grössten Teile
vom Auslande bezogen wurden, wozu in erster
Linie die Erntemaschinen, Mähmaschinen, Heu-
wender und Heurechen, sowie die Dampfpflüge
zu zählen sind. Im Bau von
Mähmaschinen
ist Jetzt die Produktion in Deutschland soweit ge-
fördert, dass wir nicht nur den Bezug vom Aus-
lande entbehren können, sondern auch über din
Inlandsbedarf hinaus für den Export liefern können.
Alte Firmen auf diesem Spezialgebiet haben ihr:
Produktion durch Angliederung an grössere Fır-
men erweitert, wie Fahr-Gottmadingen mi
Krupp-Essen, und Wery-Zweibrücken
mit Lanz-Mannheim. Andere Firmen, deren
Die Maschinen auf der Ausstellung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (D. L. G.) in Leipzig. 263
Umstellung auf andere Spezialitäten durch die
veränderte politische und wirtschaftliche Lage
notwendig wurde, haben den Bau der Mäh-
maschinen neu aufgenommen, wie die Rheini-
sche Metallwaren-Fabrik-Düsseldorf,
die in den Deutschen Werken A.-G., ver-
einigten früheren Heereswerkstätten mit dem
. Sitz in Berlin, ebenso eine Reihe von Fabriken,
die früher Flugzeuge herstellten, unter anderem
die Allgemeine Elektrizitäts-Gesell-
schaft-Berlin. Hierzu kommen weitere Fa-
briken, die den Bau von Gras- und Getreide-
Mähmaschinen sowie Bindern schon vorher be-
trieben haben und aus sich heraus die Produktion
erweiterten, wie Eckert-Berlin und Eyth-
Lesser-Brandenburg a. H. Alle diese Fa-
briken verfügen über eine unbegrenzte Möglich-
keit in der Produktionsausdehnung, und da in
dieser Maschinenklasse die Konstruktionsprinzi-
pien schon lange feststehen und Gemeingut der
Ingenieure geworden sind, wir auch eine begrenzte
Zahl guter Muster und Modelle besitzen, so bietet
die Fabrikation auch für neue Fabriken die Ge-
währ tadellos brauchbarer Maschinen, die auch
im Preise mit jedem Auslandserzeugnisse kon-
kurrieren können.
Ähnlich liegt die Sache mit den
Dampfípiligen.
Die stcigende Verwendung der maschinellen Kraft
für die Bodenbearbeitung, vor allem zur Erzielung
tieferer Lockerung des Ackers, hat das Interesse
der Fabrikanten für die Dampf- und Motorpflüge
gesteigert, das auch in Leipzig in Erscheinung
trat. Neben den alten bekannten Fabriken auf
diesem Spezialgebiete, wie Kemna-Breslau,
Heucke-Gatersleben, Sack-Leipzig,
Maschinenfabrik Heilbronn, sind andere
gleichfalls bekannte Firmen mit neuen Dampf-
fligen auf dem Platze erschienen, wie die Loko-
mobilfabrik R. Wolf-Magdeburg-Buckau,
Borsig-Berlin-Tegel,RheinischeMetall-
warenfabrik - Düsseldorf, Komnick-
Elbing, Krupp-Essen, von dem berichtet
wird, dass er gleichfalls den Bau von Dampfpflug-
Lokomotiven aufgenommen hat, war noch nicht
mit diesem neuen Erzeugnis seiner Fabrikations-
umstellung auf der Ausstellung. Die sämtlichen
Dampfpflüge sind nach dem bewährten System
des Seilpfluges, nach dem Zweimaschinensystem
gebaut, nur zeigt sich eine bestimmt ausge-
sprochene Neigung, die grossen und schweren
Lokomotiven bis zu 20 Tonnen Betriebsgewicht
zu verlassen, und mehr die mittleren und kleinen
Ausführungen zu bevorzugen. Dieses Bestreben
muss als richtig anerkannt werden, denn das
hohe Gewicht der grossen Maschinen hatte doch
viele Unbequemlichkeiten im Gefolge, die Ge-
brauchszeit wurde vielfach durch Versinken ver-
kürzt, und die schweren Ackergeräte stellten zu
hohe Anforderungen an die Arbeitskraft der Be-
dienungsmannschaften. Die kleineren Maschinen
werden handlicher, und was sie an Tagesleistung
einbüssen, können sie in den meisten Fällen
durch Verlängerung der Betriebszeit wieder ein-
holen. Die auf dem Gebiete der Dampfpflügerei
so langjährig erfahrene Fabrik von Kemna-
Breslau hat sogar einen besonderen Kleinpflug
zur Ausstellung gebracht, dessen Lokomotiven
ein Betriebsgewicht von 8,5 Tonnen haben, und
mit diesem Gewichte unter die der Motorseil-
pflüge gleicher Leistung heruntergehen. DieFirma
widerlegt mit diesen Maschinen die so oft auf-
gestellte Behauptung, die Verwendung der Dampf-
Abb, 43. Blick auf die grosse Landwirtschaftliche Ausstellung in Leipzig (16.—21. Juni 1921).
264 Die Maschinen auf der Ausstellung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (D. L. G.) in
kraft mache die Maschinen für den Gebrauch
auf dem Acker zu schwer und unbeholfen, nur
der Explosionsmotor vermag sie leichter und
gebrauchsfähiger zu gestalten. Borsig-Tegel
hat bei dem Kessel seines Dampfpfluges die bis-
her allgemein gebräuchliche viereckige Feuer-
buchse beseitigt, und sie durch eine runde ersetzt,
die ohne Stehbolzen mit abschraubbaren Boden
eine leichte Reinigung von Kesselstein ermóg.
licht. Eine grössere Dauerhaftigkeit des Kessels
ist der wirtschaftliche Vorteil dieser Anordnung.
Besonders gross war die Zahl der Motor-
pflüge, die sich in den verschiedensten Konstruk-
tionen, Ausführungen und Grössen den Besuchern
zur Beurteilung empfehlend präsentierten. Daüber
diese ein besonderer Bericht veröffentlicht wird,
so kann eine Besprechung hier unterbleiben.
Eine weitere durch die gänzliche Absperrung
veranlasste Änderung in dem Bau der Maschinen
bezieht sich auf die Ausbildung von Einzelheiten.
Es war uns der Bezug der vollwertigen Lager-
metalle abgeschnitten, und wir mussten nach
einem Ersatz suchen, der nach vielen Versuchen
in zuverlässiger Form doch nur in den Kugel-
lagern gefunden wurde. Es hat den Anschein,
als ob dieser Ersatz eine dauernde Einrichtung
bleiben sollte, denn die Maschinen auf der Leip-
ziger Ausstellung waren in weit höherem Grade
wie früher mit diesen Kugellagern ausgerüstet,
Namentlich an den
Dreschmaschinen
waren sie überwiegend verwendet und nicht nur
an den schnellaufenden Wellen der Trommeln und
Ventilatoren, sondern auch an den mit geringerer
Tourenzahl arbeitenden Nebenbetrieben. Ge-
ringerer Kraftbedarf, der bei Dreschmaschinen
besonders ins Gewicht fällt, sind die sich hieraus
ee notwendigen Vorteile, Die besonders
zahlreich ausgestellten Dreschmaschinen gaben
überhaupt zu interessanten Vergleichen eine
günstige Gelegenheit. Obgleich die Konstruk-
tionsprinzipien dieser Maschinen festliegen, die
bei deutschen Fabrikaten eine restlose Gewinnung
aller Nebenprodukte und gute Sortierung des
Kornes als das Endziel der Arbeit verlangen,
so lässt die Ausführung in den Einzelheiten doch
einen weiten Spielraum zur Auswirkung des Er-
findergeistes, der sich auch in vorteilhafter Weise
bemerkbar machte. Die Dreschmaschine muss
sich den wirtschaftlichen Bedürfnissen der ein-
zelnen Landwirte anpassen, sie muss deshalb so-
wohl für den Gross- wie auch für den Kleinbesitz
eine wirtschaftlich sichere Anwendung zulassen,
Sie wurde deshalb schon immer in den ver-
schiedensten Grössen ausgeführt von der kleinen
Göpeldreschmaschine für ein Pferd bis zu den
grössten Nummern mit täglich 20—40 Tonnen
Körnerertrag. Aber früher kombinierte man nur
die grossen und mittleren Nummern mit einer
Reinigung, bei den kleinen Maschinen musste
das Dreschgut in einem besonderen Arbeitsvor-
gang mit Spezialmaschinen gereinigt und sortiert
werden. Jetzt geht man in der Kombination mit
der in Dreschmaschinen eingebauten Reinigung
wesentlich weiter nach unten, indem auch kleine
Göpelmaschinen mit dieser versehen werden, um
an Arbeit zu ersparen. Diesen kleinen Maschinen
werden sogar passende Strohpressen in Liliput-
Form angehängt, die ohne Arbeitshilfe das Stroh
pressen, binden und an den Lagerort transpor-
tieren.“ Gefördert ist dieses Bestreben der Ar-
beitsersparnis in Deutschland durch die Aus-
dehnung der elektrischen Kraftübertragung in
Überlandzentralen, die jedem Kleinbesitzer Kraft
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in bequemer Anwendungsform liefern und bei ihm
den Wunsch stärken, mit den ständigen Leuüten
seines Hofes in ruhigen Wintertagen sein Getreide
ausdreschen zu können, ohne aufden Lohndrescher
mit seinem umständlichen Apparat warten zu
müssen. Wie weit die Arbeitsersparnis getrieben
werden kann, zeigt H. Lanz-Mannheim an sei-
nem ausgestellten grossen Dreschapparat mit
Strohpresse und sonstigen Förderungsmitteln. An
jeder Seite der Dreschmaschine liegt je ein bis zur
Erde reichender Garbentransporteur, denen von
den anfahrenden Getreidewagen aus die Garben
zugestakt werden. Die letzteren werden dem
Selbsteinleger zugeführt, wobei nur 2 Mann die
Garbenbänder autschneiden müssen. Das Stroh
wird von der Presse gebunden und an den Lager-
ort gedrückt. Die Spreu wird fortgeblasen. Das
marktfähige Korn wird von einem Becherwerk
in eine automatische Wage geschüttet, die mit
einem selbsttätigen Zählwerk ausgerüstet ist. Die
gefüllten Säcke werden wieder durch einen Ele-
vator gehoben und auf den Wagen geworfen.
Mit dieser Dreschmaschine sind stündlich bis zu
4 Tonnen Korn auszudreschen und an Bedienung
sind erforderlich 2 Mann zum Abstaken vom
Wagen, 2 Mann zum Aufschneiden der Garben
und ı Mann zum Einhängen der leeren Säcke
unter der automatischen Wage. Naturgemäss
ist eine solche Dreschmaschine nur für einen
Grossbetrieb mit wirtschaftlichem Nutzen zu ver-
wenden, wo besonderer Wert auf ein Ausdreschen
vom Felde weg mit hohen Leistungen gelegt
wird, Aber immerhin ist diese Maschine ein
Zeichen, mit welcher Energie das Ziel der Arbeits-
entlastung verfolgt wird.
Ein weiteres Bild zielsicherer Ausbildung bo-
ten die -
Schrotmühlen,
bei denen die Verwendung von Kunststeinen als
Mahlflächen scheinbar die Oberhand gewinnt.
Diese Mühlen werden jetzt auch in den kleineren
Ausführungen mit einer Sichteinrichtung versehen,
die gleich die Abscheidung von Backmehl ermög-
licht. Naturgemäss können diese kleinen Mühlen
keine hohe Ausbeute liefern, aber in Gegenden
mangelnder Verkehrsverbindungen und weit ab-
gelegenen Grossmühlen bieten sie dem Landwirt
eine wertvolle Hilfe in der eigenen Herstellung
des Brotmehles, wobei die nicht voll ausgemah-
lenen Rückstände als Viehfutter mit hohem Nähr-
wert verbleiben. Ihr Betrieb ist mit Klein-
motoren wie auch mit Gópel durchzuführen.
Über die allgemeinen Grundsätze im Bau der
landwirtschaftlichen Maschinen in Deutschland
ist schon in der Märznummer dieser Zeitschrift
eingehend berichtet. Die ausgestellten Maschinen
. in Leipzig zeigten ein Festhalten an diesen be-
währten Grundsätzen. Es würde nur die Be-
sprechung einiger wichtiger
Neuerungen
übrigbleiben. Bei den noch in der Hauptprüfung
liegenden Düngerstreumaschinen kämpfen
noch die Schlitzmaschinen mit einem Rührwerk
gegen die Kettenstreuer um die Herrschaft, beide
Systeme bestehen in verschiedenen Ausführungen
nebeneinander. Sowohl Kuxmannin Biele-
feld, der Erfinder dieser Kettenstreuer, wie auch
die Firma Fricke in Bielefeld, die den
Kettenstreuer zuerst nachbaute, haben je eine
kombinierte Maschine zur Prüfung gebracht, mit
der gleichzeitig zwei Düngerarten zu streuen sind
In erster Linie sind dieselben für das Streuen
von Kainit und Thomasmehl gedacht, deren Ge-
Die Maschinen auf der Ausstellung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (D. L. G.) in Leipzig. 265
misch leicht erhärtet und dann schwer streubar
wird. Die Ersparnis der Arbeit des Mischens
dieser Düngerarten mit der Hand ist ein unleug-
barer Vorteil dieser Kombination, der allerdings
mit einem etwas höheren Anlagekapital erkauft
werden muss. Die Pommersche Eisen-
giessereiund Maschinenfabrik zu Barth
in Pommern legt die Streukette ausserhalb des
Kastens und führt das Streumaterial der Kette:
durch eine unten liegende Walze zu. Die Kette
ist dann frei zu tibersehen und der Diinger kann
sich im Füllkasten nicht seitlich verschieben.
Leichte Reinigung der Kette und längere Halt-
barkeit derselben sind unleugbare Vorteile dieser
Anordnung. Die Firma Gebr. Botsch in
Rappenau-Baden hat eine kombinierte Ma-
schine zur Prüfung gestellt, die zum Drillen und
Düngerstreuen und nach Entfernung des Kastens
auch als Hackmaschine benutzt werden soll.
Diese Maschine würde eine grosse Ersparnis im
Anlagekapital bringen, man darf deshalb auf
das noch ausstehende Urteil des Preisgerichtes
gespannt sein.
. Bei den Kartoffelsichtern ist eine grössere
Übereinstimmung in der Konstruktion erzielt, in-
dem die Plansichter mit fünf Maschinen gegen
einen Trommelsichter die Überlegenheit der
ersteren zeigen. Allerdings liegen diese noch in
zweifacher Ausführung im Wettbewerb gegen-
einander, nämlich mit der Sieblage in einer Ebene
und in doppelter Lage der Siebe untereinander.
Unzweifelhaft haben die letzteren den Vorteil des
besseren Ausgleiches der hin- und herschwingen-
den Massen und des leichteren Ganges, aber dem
steht der Nachteil gegenüber, dass die durch
das obere Sieb durchfallenden Kartoffeln nicht
mehr mit der Hand verlesen werden können, um
die faulenden auszusuchen. DreyerinOsna-
brúck will diesen Ubelstand beseitigen, indem
er die abgesiebten Kartoffeln noch einmal über
ein freiliegendes Gurtband laufen lässt. Eine
gewiss zweckmässig erscheinende Anordnung,
die nur mit einer Preiserhöhung bezahlt werden
muss. Paul Klare in Markwitz-Sachsen
verlegt die Handkurbel an die Auslaufseite der
Maschine und schützt damit das Getriebe und
den Arbeiter gegen den beim Einschütten ent-
stehenden Staub. Eine Neuerung, die Beachtung
verdient. |
Die dritte Klasse der Maschinen für die Haupt-
prüfung, die Kleindrillmaschinen, ist mit
neun Exemplaren vertreten, die von den Preisrich-
tern im allgemeinen günstig beurteilt worden sind.
Diese Maschinen, ein- und zweireihig, zeigen eine
reiche Kollektion gut durchdachter und ausge-
bildeter Konstruktionen, die ein verdientes leb-
haftes Interesse gefunden haben. Ihre Umstel-
lungsfähigkeit mit Dippelapparat und ihre Ge-
brauchsmöglichkeit zum Hacken sichern ihnen
ein weites Anwendungsgebiet.
Die zur Prüfung gebrachten „Neuen Geräte“
erreichen zwar nicht die Höchstzahlen früherer
Ausstellungen, geben aber mit ihren 166 Nummern
einen beachtenswerten Beweis für das ständige
Bestreben nach Verbesserungen und Fortschritt.
Es liegen nicht in allen Anmeldungen neue Wege
zeigende Erfindungen, aber auch kleine die Ein-
zelheiten berührende Änderungen verdienen An-
erkennung. Leider konnte die Beurteilung sämt-
licher Neuheiten auf der Ausstellung selbst nicht
beendet werden, 48 mussten für einen Arbeits-
versuch zurückgestellt werden, der erst im Laufe
des nächsten Jahres durchzuführen ist. Jedoch
weitere 49 Verbesserungen wurden als beachtens-
wert anerkannt. Das bedeutet immerhin eine
Auszeichnung von etwa 60°/, der ausgestellten
Maschinen, denn auch in der Zurückstellung zum
Arbeitsversuch liegt schon eine Anerkennung.
An der Spitze stehen auch hier wieder die Mo-
torpflüge, die mit 13 Neukonstruktionen und vier
Anhängepflügen vertreten sind, über die, wie
schon erwähnt, besonders berichtet wird.
Leider ist es nicht möglich, alle Neuheiten
eingehend zu schildern, weil die Beschreibung
vieler Maschinenteile erforderlich wäre, die ohne
technische Zeichnungen schwer zu geben ist; es
können deshalb hier nur einige Maschinen kurz
erwähnt werden, und es ist der Vorbehalt der
Unvollständigkeit zu machen. Am meisten Inter-
esse fand die Rübenköpf- und -ernte-
maschine von Walter & Kuffer in
Schweinfurt, die in einem Arbeitsvorgang die
Rüben aushebt, nachdem vorher dieselben ge-
köpft und das abgeschnittene Kraut beiseite ge-
legt wird. F.L.Hentze Nachf.inSchmiede-
berg, Bezirk Halle a/S., zeigt einen Krusten-
und Unkrautschneider von neuen, eigenartigen
Grundprinzipien. Eine wesentliche Verbesserung
an Hackmaschinen hat W.Siedersleben & Co.
in Bernburg ausgeführt, indem er an einer
einspännigen Maschine ohne Vordersteuer den
Ausschlag der Werkzeuge so erweitert hat, dass
eine starke Abweichung des Pferdes von der ge-
raden Linie noch ausgeglichen werden kann. An
den Grasmähern bringt die Firma Gebr. Lotz
in Rhina eine sinnige Vorrichtung an, um sie
zum selbsttätigen Ablegen von Getreide benutzen
zu können. Johannes Jörs in Görlitz hat
eine kleine transportable Saatgutbeizeinrichtung
gebaut, die auch für den Kleinbesitzer sich zu
einem wertvollen Hilfsmittel gestalten kann, wenn
sie bei der Prüfung die gehegten Erwartungen
erfüllt. |
Bei dem Bestreben, die landwirtschaftliche
Produktion zu fördern, dürfen auch die Bereg-
nungsanlagen nicht fehlen, die in zwei grossen
Anlagen mit vielen Neuerungen den Besuchern
in dauerndem Betriebe vorgeführt wurden. Die
Wassergabe erfolgt nicht mehr durch einen auf
die Erde geleiteten Wasserstrahl, sondern dieser
ist in die Höhe gerichtet, und fällt als fein ver-
teilter Regen nach unten, um hier die Wirkung
des natürlichen Regens zuerzeugen. DieMannes-
mann-Röhrenwerke in Düsseldorf liefern
hierzu die sogenannte Krause-Kupplung im Kugel-
elenk, die es gestattet, in fester Verbindung den
öhren jede Neigung zueinander zu geben. Die
Firma Sänger & Lanninger in Frankfurt
a. Main liefert einen eigenartigen Berieselungs-
wagen für solche Anlagen.
Für Gegenden, in denen viel Buschholz als
Brennmaterial verwendet wird, haben Siebrand
Dreessen auf Bahnhof Gleschendorf,
Bez. Lübeck, und dieSchönbergerlandwirt-
schaftliche Maschinen-Ein- und Ver-
kaufsgesellschaft in Schönberg, Meck-
lenburg, Hackmaschinen gebaut, von denen
nützliche Arbeit zu erhoffen ist.
Unsere Futternot hat das Augenmerk in stär-
kerem Grade auf die Lupine gelenkt, um ihren
hochwertigen Nährstoffgehalt besser auszunutzen.
Diesem Bestreben kommen 2 Anlagen zur
Lupinenentbitterung entgegen, die von den
Fabriken von Moritz Buschmann sowie von
Gotthardt & Kühne, beideinLommatzsch
in Sachsen, gebaut werden. Die Obstverwer-
tung wird gefördert durch zwei Obst- und
Weinpressen mit Kraftbetrieb, bei denen die
Krafteinwirkung bei Erreichung eines bestimmten
Druckes selbsttätig ausgerückt wird. Erbauer
266
sind die Fabriken von W. Stohrer in Leon-
berg, Württemberg, und A. Zöllin jun.,
Badenweiler, Baden. Der Baunot soll abge-
holfen werden durch eine Lehmsteinpresse
für Handbetrieb von Ch. Groll in Nürnberg.
Erhebliches Aufsehen erregte die von den
Vereinigten Windturbinen- Werke
G. m. b. H. in Dresden-Reick errichtete
grosse Wind - Kraft- Anlage mit ihrer bekannten :
„Herkules“-Windturbine, die eine Mühle
und eine Spezial-Winddynamomaschine
zur Erzeugung von grósseren Mengen elektrischen
Stroms antrieb. Der vóllig automatische Betrieb
zeichnete sich trotz der starken und unregel-
mássigen Winde durch einen vollkommen ruhigen
und gleichmássigen Gang aus,
Eine interessante Kombination in kleinen
Werkzeugmaschinen macht die Berlin-
FúrstenwalderMaschinenfabrikG.m.b.H.
in Charlottenburg, Fasanenstrasse 21, indem
sie eine Bohrmaschine so ausbildet, dass sie auch
als Drehbank für Metallbearbeitung zu verwenden
ist. Die Kapitalersparnis ist nicht zu unterschätzen.
Die schon zu einer hohen Stufe der Voll-
kommenheit ausgebildeten
Zur Wirtschaftslage in Finnland.
Molkereimaschinen
bieten wenig Gelegenheit und Veranlassung mehr :
zu durchgreifenden Neuerungen. Die zur Prüfung
gestellten 20 Maschinen zeigten deshalb nur in :
den Einzelheiten einige beachtenswerte Ande-
rungen. Erwähnenswert bliebe die Kleinkälte-
maschine mit Milchkühlapparat der Süddeutschen
Maschinen- und Metallwaren - Fabrik von
W. Weckerle in Zuftenhausen, Würt-
temberg.
Trotz der ausgefallenen Tierabteilung hatte
die Leipziger Ausstellung einen überaus starken
Besuch, der beste Beweis, dass sie nach langer
Unterbrechung einem entstandenen Bedürfnis ent-
sprach und dass die D.L.G. für den schweren
Entschluss Anerkennung und Dank verdient.
Möge dieses bewiesene Interesse eine gute Vor-
bedeutung für die jetzt regelmässig kommenden
Ausstellungen sein und mögen die weiteren Aus- |
stellungen eine Auswirkung zeigen in der gegen-
seitigen Annäherung der Mitglieder der verschie-
denen Völker, um in dem friedlichen Verkehr
die jetzige schädliche Verhetzung zu bekämpfen.
Dann werden diese Ausstellungen sich zu einem
wichtigen Kulturfaktor ausbilden.
Zur Wirtschaftslage in Finnland.
Ds drückende russische Herrschaft, unter der
Finnland über 100 Jahre geschmachtet hat,
vermochte nicht die wirtschaftliche Entwicklung
des klugen und tüchtigen finnischen Volkes zu
hemmen. Des von Russland angezettelten bol-
schewistischen Aufruhres ist Finnland im Laufe
weniger Monate Herr geworden. Finnland hat
sich seine Freiheit mit dem Blute seiner Söhne
erkämpft. Fast völlig unbewaffnet zog das fin-
nische Volk in den ungleichen Kampf gegen die
russisch -bolschewistischen Banden, bemächtigte
sich durch kühne Handstreiche der russischen
Waffen und hat endlich mit Hilfe der deutschen
Truppen, die dem bedrängten Freunde zu Hilfe
eilten, nicht nur seine eigene Freiheit gerettet,
fahrbare und tragbare Modelle. | .. Pr
A fiir Gemüse-
Geeignet fiir je-
des Spritzmittel
Pflanzen-Spritzen| Sámaschinen
und Blumen-
sámereien, fir Freiland- u.
sondern vor allen Dingen der von Osten kom-
menden bolschewistischen Flut, die Westeuropa
zu überschwemmen drohte, Einhalt geboten.
Durch den Bürgerkrieg hat Finnland schwer ge-
litten, sämtliche Industrien wurden lahmgelegt,
doch auch dieser schwere Schlag wurde über-
standen. Industrie und Handel erholten sich
wieder. Dem Freiheitskriege folgte glückliche
wenn auch kurze Zeit wirtschaftlicher Hochkon-
junktur. Der durch den Weltkrieg unterbrochene
Handelsverkehr mit dem Auslande setzte ein,
und die Beziehungen zu Deutschland, das vor dem
Kriege den ersten Platz in der Reihe der Länder
einnahm, die mit Finnland Handelsbeziehungen
trieben, gestalteten sich besonders freundschaft-
Diingungs - Geräte |:
für Jauche und sonstige flüssige
Düngemittel.
Fässer, Verteiler, Pumpen,
SCH E Schádi nos. | Kastensaaten geeignet. Spa-| Fahrzeuge usw. |
— 0 ren Samen, Arbeit und Geld Flüssige Düngun bringt Rekord-
— MEE? Vertilgung , cd ernten, wenn die Jauche mittels der
ecc y» x und schaffen kräftige Pflan- Plath" -
WK CH +4
etki Weinstúcken, | en und hohe Schare
Suus Obstbáumen, | Erträge. apap:
Hopfenpflanz., Erde ge- i; T
Tabak, bracht ;
| Baumwolle wird, 80 z
Gi — dass der
vy zur Unkraut- | yo. |SueksteT NER
) Vertilgung ror tls Lk (205077 | füchtet, APS 4
A AA im — Ve — —
fi / FAN e `N "e f 1 / k
AL Getreide. STEEN ` a |
Liste Nr-254 von GUSTAV DRESCHER,
— Y A
** gt. SM, o— 9A
Fabrik für Land- u.
Gartenbaugeräte,
M———
Zur Wirtschaftslage in Finnland. — Kleine Nachrichten.
lich und eng. Den deutschen Zusammenbruch
benutzte die Entente, in erster Linie England,
dazu, in Finnland, das ja die natürliche Brücke
nach Russland bildet, festen Fuss zu fassen.
Finnland musste es sich gefallen lassen, dass
eine interalliierte Handelskommission in Helsing-
fors die Zufuhr nach Finnland, das unter schwerem
Nahrungs- und Rohstoffmangel litt, regelte. Das
bestehende Lizenzsystem wurde nach Gutdünken
der „Sieger“ gehandhabt, vor allen Dingen aber
der deutschfinnische Handel ‘jah unterbrochen.
Auch diese schweren Zeiten hat Finnland über-
standen.
Jetzt drohen dem Lande wieder Gefahren,
diesmal nicht politische, sondern wirtschaftliche.
Die allgemeine wirtschaftliche Depression, unter
der heute ganz Europa leidet, übt auch in Finnland
ihre verheerenden Wirkungen aus. Der Kurs der
finnischen Mark, der seit 1918, dem Betreiungs-
jahre Finnlands, beträchtlich gefallen war, aber
bis zum vorigen Jahr gegenüber den neutralen
Devisen noch eine gewisse Stabilitát behauptete,
ist in diesem Jahr, besonders in den letzten Mo-
naten, rapid gefallen. Während roo schwedische
Kronen noch am r. Januar dieses Jahres 641 Fmk.
kosteten, zahlte man am 1. Februar dafür bereits
650 Fmk., am 1. März 787 Fmk., am 1. April goo F mk.,
am r. Mai 1080 Fmk., am r. Juni 1117 Fmk. und
jetzt 1275 Fmk. Die Handelsbilanz hat sich so
verschlechtert, dass das Verhältnis zwischen Ein-
und Ausfuhr gegen 3,6 zu 2,9 im Jahre 1920,
jetzt sogar 6,3 zu 2,1 geworden ist. Die haupt-
sächlichsten Ausfuhrartikel Finnlands: Holzwaren
und Erzeugnisse der Papier-Industrie sind heute
so gut wie unverkäuflich, trotzdem die Preise um
mehr als son, herabgesetzt wurden. Im Lauíe
der ersten drei Monate dieses Jahres sind kaum
einige Tausend Standard verkauft worden, und
zwar mit absteigender Tendenz von 5 zu 3 zu 2.
267
Demgegenüber ist die Einfuhr geradezu rapid
gestiegen. Die am r. April dieses Jahres erfolgte
vollständige Freigabe des Handels hat der Ein-
fuhr Tür und Tor geöffnet. Finnland wird ge-
radezu überschwemmt mit Waren, unter denen
die deutschen Erzeugnisse an erster Stelle stehen.
Finnland kauft heute aber nicht nur deswegen
in Deutschland, weil die deutschen Waren die
billigsten sind, sondern vor allen Dingen, weil
der deutsche Kaufmann und Fabrikant im Ver-
kehr mit dem Auslande seine übernommenen
Lieferungsbedingungen wieder einhält. Die stän-
digen Preiserhöhungen und Terminüberschrei-
tungen seitens der deutschen Fabriken, die gleich
nach der deutschen Revolution in geradezu er-
schreckendem Masse überhand genommen hatten
und das Ansehen Deutschlands im Auslande ent-
schieden zu gefährden drohten, haben aufgehört.
Deutschland hat in Finnland vor allen Dingen
mit einer scharfen schwedischen und englischen
Konkurrenz zu kämpfen; aber wenn die deutsche
Industrie jetzt die übernommenen Lieferungsver-
pflichtungen einhält und vor allen Dingen wirk-
lich nur Qualitätsware liefert, wird es ihr ge-
lingen, ihre Stellung in Finnland zu behaupten.
Die Hauptkonkurrenten Schweden und England
haben durch ihre Politik in Finnland dem deut-
schen Kaufmann und Fabrikanten zum Teil je-
denfalls unfreiwillige Vorspanndienste geleistet.
Schweden hat durch seine Stellungnahme in der
Alandsfrage viel böses Blut in Finnland ge-
macht und Englands „Verdienste“ um Finnland
— die Ostseeblockade und das ewige Brotkorb-
hóherhángen im Falle politischer Unbotmássig-
keit — werden hier sobald nicht verwunden
werden.
Demgegenúber wird Deutschland als treuer
Freund und Retter aus tiefster Not in Finnland
nie vergessen und hoch in Ehren gehalten werden.
Hleine Nachrichten.
Steigerung des deutsch -finnischenVer-
kehrs. Deutschland stand bekanntlich vor dem
Kriege in der finnischen Ein- und Ausfuhr weitaus
an erster Stelle. Im Kriege hat Deutschland diese
Rolle an England abgegeben, das heute die lebhaf-
testen Handelsbeziehungen mit Finnland unterhält.
Es ist aber in letzter Zeit der Anteil Deutschlands
am finnischen Aussenhandel beträchtlich gestiegen,
die Einfuhr nicht mehr allzuweit von der
Finnland bezog in den ersten
so dass
englischen entfernt ist.
drei Monaten dieses Jahres von Deutschland für
144,3 Mill. Fmk. Waren und führte nach Deutschland
für 26,5 Mill. Fmk, aus. Im April allein kaufte Finn-
land für 88,3 Mill. Fmk. deutsche Waren und führte
für 14,9 Mill. Waren nach Deutschland aus, so dass
die Gesamteinfuhr aus Deutschland in den ersten vier
Monaten dieses Jahres 232,6 Mill. Fmk, und die Ge-
samtausfuhr nach Deutschland 41,4 Mill. Fmk. beträgt.
Die entsprechenden englischen Zahlen sind 266,6 und
148,4 Mill. Fmk.
EEL
^ (Lot: He1z u. Kochapparate|
i 4 Gusrav Barthel, Dresden Q. A:21 [pe
/, Spezialfabrik für löt - Heiz-u. Kochapparate fúr chemische u technische Zeche. y
n
Petroleum Gaskocher
268
Rückgang des englischen Handels mit
dem fernen Osten. Wie ‚The London a. China
Telegraph‘‘ auf Grund eines amtlichen Berichtes fest-
stellt, hat der englische Handel mit dem fernen Osten
auch im Laufe des Monats Mai einen bedeutenden
Rückgang aufzuweisen. Die Ausfuhr von Baum-
wollgarn, wie überhaupt aller übrigen Baumwollwaren,
nach China und den Straits Settlements hat erheblich
nachgelassen. Auch die Ausfuhr von Woll- und
Kammgarngeweben nach China und Japan ist wieder-
um gesunken. Überhaupt weist die gesamte englische
Ausfuhr nach dem fernen Osten, von wenigen Aus-
nahmen abgesehen, einen erheblichen Abfall der
Warenmengen im Vergleich mit dem Vorjahre auf.
Als Hauptgrund dieses fortgesetzten Rückganges wird
der englische Bergarbeiterstreik angegeben. — Was
die Einfuhr anlangt, so hat die Tee-Einfuhr aus
China zugenommen, während die Einfuhr von Tee
aus Niederländisch-Indien bedeuteud gefallen ist. Ge-
stiegen ist die Einfuhr von Rohseide aus China und
die Einfuhr von Gummi aus Niederländisch - Indien,
den Straits Settlements und den Malaienstaaten.
Deutsche Tätigkeit in den Südsee-In-
seln. Frühere deutsche Handelsunternehmungen in
den Südsee -Inseln sind laut Bericht der chinesischen
Presse im Begriff, ihre Tätigkeit auf breiter Grund-
' lage wieder aufzunehmen. Es werden Fusionen und
Kapitalerhöhungen geplant, und die amerikanische
Hilfe soll angerufen werden. Zwischen zwei deutschen
Konzernen ist schon eine Fusion gebildet worden,
der eine arbeitete früher auf den Marschall- und Ka-
rolinen-Inseln, der andere in Samoa.
Deutsche Sachverständige für Ost-
afrika. Der Oberkommissar von Mozambique
telegraphierte laut , Financial Times“ an die portu-
giesische Regierung, dass nichts einzuwenden sei gegen
das Arbeiten qualifizierter deutscher Sachverständiger
für portugiesische Gesellschaften in Ostafrika.
Liberia und das deutsche Eigentum.
Der Bund der Auslanddeutschen (Landesverband Nord-
westdeutschland) gibt folgendes bekannt: Der von der
Reichsregierung nach Liberia als Spezialkommissar
entsandte Generalkonsul Büsing hat mit der dor-
tigen Regierung wegen Freigabe des deutschen Eigen-
tums bzw. Auskehrung der Liquidationserlöse verhan-
delt, und es besteht Aussicht, dass seine Tätigkeit
Erfolg haben wird. — Generalkonsul Büsing hat
ferner mit der liberianischen Regierung ein Ab-
kommen geschlossen, wonach Reichsangehörige frei
und ohne dabei besonderen Formalitäten unterworfen
zu werden, nach Liberia einreisen können. Die
Deutschen in Liberia sollen nur den allgemeinen Ge-
setzen dieser Republik unterstehen und gleiche Rechte
Kleine Nachrichten.
wie alle anderen Ausländer dort geniessen, Die
Sicherheit des nun in Liberia erworbenen deut-
schen Eigentums und etwaiger nach dem Kriege
nach Liberia gebrachten deutschen Vermögenswerte
gegen Zugriffe der liberianischen Regierung auf Grund
des $ 18 der Anl. If Teil VIII des Friedensvertrages
(„falls Deutschland vorsätzlich seinen Verpflichtungen
nicht nachkommt“) wird gewährleistet.
Schlechte Aussichten für die japanische
Spielzeug- Ausfuhr. Die Zeitung ,,Asahi' be-
klagt, dass die japanische Spielzeug-Ausfuhr, die sich
während des Krieges ausserordentlich entwickelt hatte
und insbesondere den amerikanischen Markt
versorgte, in letzter Zeit, namentlich seit Anfang die-
ses Jahres bedeutend zurückgegangen sei. Die amt-
liche japanische Statistik bestätigt diese Tatsache.
Es wurden im Januar und Februar d. J. ausgeführt
Spielsachen aus Zelluloid für 156000 Yen, aus Kaut-
schuk für 168000 Yen, aus Holz für 77000 Yen,
andere für 336000 Yen, zusammen für 738000 Yen
gegen 2420000 Yen in der gleichen Zeit des Vor-
jahres. Wenn aber das japanische Blatt diesen Rück-
gang hauptsächlich dem Wiederaufleben des
deutschen Wettbewerbes zuschreibt, so geht es
fehl, denn in erster Linie ist daran die in der ganzen
Welt herrschende wirtschaftliche Notlage schuld, die
insbesondere die Aufnahmefähigkeit des amerikanischen
Marktes für derartige Luxusartikel stark beeinträchtigt.
Daneben trägt auch schlechte Qualität und
Mangel an Originalität bei dem japanischen
Spielzeug dazu bei, dass die Nachfrage allmählich
zurückgeht, und die ,Asahi'* ist auf dem rechten
Wege, wenn sie den japanischen Fabrikanten rät, in
dieser Hinsicht ihre Erzeugnisse zu vervollkommnen.
Belebung des Transitverkehrs mit
Sowiet-Rußland. Dem Revaler Blatt „Possl.
Now.“ zufolge, wird der Transitverkehr mit Sowjet-
Russland täglich lebhafter. Der Eisenbahnverkehr
steigert sich derartig, dass die estnische Regierung
den Anforderungen Russlands nur mit Mühe nach-
kommen kann. Russische Transitwaren sollen, wie
„Jaun. Sin." weiter berichtet, in Reval in solchen
Mengen ankommen, dass sie auf der Eisenbahn nicht
weiterbefördert werden können.
Verweigerung deutscher Inserate in
englischen Blättern. Der etwa 500 Angehörige
des Presse- und Inseratendienstes als Mitglieder zählende
Publicity Club of London hatlaut Manchester Guardian"
auf einer kiirzlich abgehaltenen Sitzung beschlossen,
Inserate von Deutschen nicht zu veröffent-
lichen. Der von einem Mitglied eingebrachte Antrag,
solche Inserate aufzunehmen, wurde mit 70 gegen
47 Stimmen bei etwa 40 Stimmenthaltungen abgelehnt.
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Um dem Leser ein Bild von den weitgesteckten Zielen
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vielseitigen Sammlung zu geben, haben wir von den bisher
erschienenen ungefähr 70 Bänden oben einige Titel angeführt.
Diese Bücherei vermittelt nicht nur dem jungen Kauf-
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gibt auch dem älteren erfahrenen Praktiker eine Fülle von An-
regungen und eingehenden Aufschluss über die verwickelteren
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vershwenderishe Fülle an Schönheit, Liebe und Sehnsucht, daß ¢
y _ es ist, als sei der Extrakt aus unserer gesamten Liebesliteratur e |
0 in dieses Kunstwerk gegossen, der nun in goldenen Wellen |
an dem Herzen des bezauberten Lesers emporbrandet. Beim Y
d Lesen dieses Buches stokt der Atem. Es ist, als stünde man i |
in einem goldenen Tempel, und von den Emporen tónt der
$ Silberton hauchzarter Engelstimmen Liebeswunder in das zitternde Y
Herz hinein. Ein Buch, in dem die Wirklichkeit unwirklich
Y wird. Ein Liebesgebet, in Seelenfeierstunden zu beten, allein, y
N - oder falls das Unwirklihe, Unbeschreiblihe zur Wirklichkeit í
geworden ist, „mit der reinsten Frau auf Erdcn, mit Maria”, e j
> 1 : |
: |. Ich trage meine Minne... § |
a 50. Tausend Geb. M.15.— d
$ Braunschweigische Landeszeitung: Diese Verse sind Kost= y |
barkeiten, gescliffene Edelsteine, deren Glanz von jeder Seite S |
(/ der gleiche bleibt, deren gedämpftes und doch klares Feuer un-
À gemein wohltut, besonders, weil bei aller Beherrshung der Form O j
Y diese Verse schliht und einfach erscheinen. Literarishe Ver- f^ |
7 gleiche stimmen gewöhnlich noch weniger als andere, aber bei
diesen Versen denkt man an die besten Namen unserer r
\) klassishen Lyrik, etwa an Eichendorff, Mörike, Storm. Der |
- Dichter hat tief in sich hineingehorcht,- als seine Seele ( |
d der klingende Brunnen war, in dem diese Verse schliefen. 5
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Selbitveritändlichkeit werden Wunder der Technik glaub-
haft gemacht, die zum ewigen Srieden führen. Das
fpannendíte Buch der legten Jahre.
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Deut[d) von €. A. Rheinhardt. Mit 3eid)n. von Alfons Woelfie.
6eh. 22 M., in Pappband 30 JT.
Balzacs fchónfter Roman, das unübertroffene Meiftermerk
des phantaftifhen Romans, in neuer, ausgezeichneter Uber-
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glück verdanken. Poehlmanns Geistesschulung ist keine hohle Phrasensamm-
lung, die man flüchtig durchliest und gleich wieder enttäuscht beiseite legt,
sondern ein Lehrkurs, bei welchem man mit dem Verfasserin ununterbrochener
Verbindung steht und sich in allen Angelegenheiten Rat und Auskunft holen
kann, bis die höchste geistige Selbständigkeit erreicht ist. Schon über ein
Vierteljahrhundert übt Poehlmanns Geistesschulung ihre segensreiche Tätig-
keit aus, und fortwährend ist die Zahl ihrer Schüler im Zunehmen begriffen,
so dass von dieser Methode mit Recht das Goethe-Wort gilt:
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Das Gehoi der Stunde!
Nur wenn wir den Vorsprung, den der deutsche Kaufmann vor dem Kriege auf diesem Gebiete
hatte, festhalten, können wir damit rechnen, den Niederbruch zu überwinden und einem neuen
Aufstieg die Wege zu ebnen. — Wer nun heute Sprachen lernen will, hat nicht Zeit, jahrelang
zu lernen, sondern er muss in wenig Monaten wenigstens so weit in die Geheimnisse der
Fremdsprache eingedrungen sein, um sich verständigen zu können. Damit scheidet aber eine
Reihe vorhandener Sprachlehrmethoden für ihn von vornherein aus. Nur Poehlmanns
Sprachlehrkurse zum Selbstunterricht, aufgebaut auf Poehlmanns weltbekannter Gedächtnis-
lehre, kommen für Sie in Frage! Sie lernen leicht, schnell und sicher, und vor allen Dingen
behalten Sie das einmal Gelernte. Urteile von Schülern: „Ich habe bereits mehrfach Sprachen
nach den verschiedenen Systemen studiert, ohne jedoch die gewünschten Resultate bisher zu
erzielen, während nach Ihrer Methode tatsächlich ein wirkliches Beherrschen der Sprachen
schnell und leicht erreicht wird. A. W.* — „Das Werk bietet die beste Gelegenheit, eine
Sprache in möglichst kurzer Zeit und mit geringerer Mühe als nach den alten Methoden be-
herrschen zu lernen. E. K.^ — „So laufen auch die auf Ihrer Gedächtnislehre aufgebauten
Sprachlehrkurse selbst den bekanntesten, brieflichen wie mündlichen Lerntheorien mühelos den
Rang ab. Der Zeitverlust ist ungleich geringer, der Erfolg aber ein doppelter. G. D.* — „Es
eignen sich diese Lehrbücher, deren Studium in allen Teilen Interesse weckt und fördert, mit-
hin für alle, die in kürzester Zeit eine moderne Sprache lernen wollen. Dr. phil. M. E., Rektor.
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Fischer & Wittig In Leipzig.
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