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Full text of "Verhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Karlsruhe 11.1888-95 UM"

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Verhandlungen 

des 

Naturwissen... 
Vereins in 
Karlsruhe 


Naturwissenscha... 
Verein Karlsruhe 


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VERHANDLUNGEN 

DES 

NATUKWISSENSCHAFTLICHEN 

VEREINS 

IN 

KARLSRUHE. 

ELFTER BAND. 

1888 BIS 1895. 

Mit einer Karte und neun Tafeln. 


KARLSRUHE. 

DRÜCK UND VERLAG DER G. BRAUN’SCHEN HOFBUCHHANDLUNG. 

1896. 


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INHALT 


Vorbericht. 

Vorgänge von 1888 bis 1895 . XIII 

Das Lokal. XIII 

Besuch und Uebersicht der Sitzungen. XIV 

Adressen und Beglückwünschungen. XIV 

Nachrufe. XIV 

Bewilligung von Beiträgen. XIV 

Veröffentlichungen. XV 

Besuch von Ausstellungen . XV 

Rechnungsführung. XV 

Kassenstand. XV 

Bibliothek. XXVI 

VorsUnd. XXXV 

Bewegung unter den Mitgliedern.XXXVI 

Mitgllederverzeicbniss.XXXVIII 

Sitzungsberichte. 

358. Sitzung am 1. Juni 1888. 

Engler: Künstliche Medikamentstoffe. 1 

359. Sitzung am 6. Juli 1888. 

Zweites Gesuch des Herrn Dr. v. Rebeur-Paschwitz und 
drittes Gesuch der Anthropologischen Kommission um 

Beiträge zu wissenschaftlichen Arbeiten. 8 

Engler: Bestimmung von Ozon in der Luft. 3 

Derselbe: Weiteres über künstliche Medikamentstoffe... 4 

Honseil: Aufsteigen der Aalbrut in Gewässern des Rbein- 

gebietes. 4 

Meidinger: Ein englischer Patentprozess. 4 

360. Sitzung'am 26. Oktober 1888. 

Engler : (Jeber das Ozon. 9 

Meidinger: Der Phonograph und das Graphophon. ... 13 

961. Sitzung am 9. November 1888. 

Berts: Eine neue Influenz-Elektrisirmaschine.16 

Meidinger : Die elektrischen Transformatoren.16 

Plate: Photographien aus der Gegend des Titisee’s ... 17 

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VI 


388. Sitzung am 28. Mftrz 1890. 

• Bley: Deutsche Pi oni rar beit in Ostafrika.94 

389. SitzüBg am 25. April 1890. 

Generalversammlung: Thfttigkeitsbericht.94 

Fiats: Formverhältnisse des Granits.94 

390. Sitzung am 9. Mai 1890. 

Engler: Theorien der Bildung des Erdöls.96 

391. Sitzung am 23. Mai 1890. 


Wiener: Ergebnisse von Messungen an Kindern .... 98 

Christiani: Anwendung von Kabeln im Fernsprechbetrieb . 101 
392. Sitzung am 6. Juni 1890. 

Lehmann: Flüssige Krystalle und spröde Flüssigkeiten . . 103 


393. Sitzung am 20. Juni 1890. 

Bunte: Heizwerth der Steinkohle.106 

394. Sitzung am 4. Juli 1894. 

Engler: Entwicklung der Strukturtheorie.110 

Wiener: Wirklichkeit der Aussen weit.110 

395. Sitzung am 10. Oktober 1890. 


(5) Gesuch der Anthropologischen Kommission um Zuschuss 113 
Caroli: Vorführung des Edison’schen Phonographen . . . 113 
396. Sitzung am 24. Oktober 1890. 

Ammon : Ergebnisse der Kopfroeesungen und Walten der 


natürlichen Selektion beim Menschen.113 

Wiener: Die Falb’schen Wetterprophezeiungen.121 

397. Sitzung am 7. November 1890. 

Lehmann: Molekulare Umlagerungen bei festen Körpern . 122 

398. Sitzung am 19. November 1890. 

Meyer: Besteigung des Kilimandscharo ........ 126 

399. Sitzung am 21. November 1890. 

Löwenhers: Arbeiten der phys.-techn. Reichsanstalt . . . 129 

400. Sitzung am 5. Dezember 1890. 

Valentinen Die Veränderlichkeit der Polhöbe.130 


401. Sitzung am 9. Januar 1891. 

Matthiessen: Planeten zwischen Mars und Jupiter . . . 134 
Ammon: Merkwürdigkeiten aus der Artistenwelt .... 134 

402. Sitzung am 14. Januar 1891. 

Kling: Togoland an der westafrikanischen Küste .... 135 

403. Sitzung am 30. Januar 1891. 

Ammon: Atavistische Bildungen am menschlichen Körper 135 
Strack: Blater’s Erleichterungstafel zum Rechnen .... 135 

404. Sitzung am 13. Februar 1891. 

Schell: Beziehungen der synthetischen Geometrie zur theo¬ 


retischen Mechanik. .136 

405. Sitzung am 27. Februar 1891. 

Leute: Botanische Funde in ägyptischen Todtenkammern . 137 

Schleiermacher: Gesteinsplitter mit Blitzspuren.139 

Meidinger: Merkwürdige Bodenerscheinung.139 


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VII 


406. Sitzung am 13. M&rz 1891. 

Meidinger: Entwicklung der Dynamo-elektrischen Maschine 142 
Strack: Merkwürdige Lichterscheinong am Himmel . . . 143 

407. Sitzung am 1. Mai 1891. 

Generalversammlung: Thätigkeitsbericht, Neuwahl des 


Vorstandes.145 

Schuberg: Wuchsverhaltnisse der Buche.145 

408. Sitzung am 15. Mai 1891. 


Kumm: Wechselbeziehungen zwischen Pflanzen und Ameisen 149 
409. Sitzung am 29. Mai 1891. 

Ammon: Beobachtungen im Lager der Rothh&ute.... 149 
Meidinger: Elektrische Kraftübertragung zwischen Lauffen 


und Frankfurt ..149 

410. Sitzung am 12. Juni 1891. 

Weise: Der Weisstannenkrebs ..160 

411. Sitzung am 16. Oktober 1891. 

(6) Gesuch der Anthropologischen Kommission um Zuschuss 154 

Vorsitzender : Nachruf an Hofrath Just.164 

Migula: Leuchtende Bakterien ..-.154 

Meidinger: Technische Anwendungen der Elektrolyse • • 155 

412. Sitzung am 30. Oktober 1891. 

Adresse an Helmholtz.155 

Endres: Klimatische etc. Bedeutung des Waldes .... 156 

413. Sitzung am 13. November 1891. 

Vorsitzender: Nachruf an Geh. Rath Schweig.159 

Schreiben von Helmholtz.159 

Schober: Entstehung der Harze in der Pflanze.160 

Ammon : Anthropolog. Beobachtungen in der Arbeiterwelt . 162 
Graebener: Seltsame Eibildung. 162 

414. Sitzung am 23. November 1891. 

Morgen: Reisen im Hinterland von Kamerun . . . . • 162 

415. Sitzung am 27. November 1891. 

Meidinger : Dynamo-Maschinen.162 

Engter: Alkaloid-Synthese.163 

416. Sitzung am 11. Dezember 1891. 

Bebmann: Struktur der pflanzlichen Zellwände.164 

Schüliheiss: Selbstaufzeichnender Regenmesser.166 

417. Sitzung am 8. Januar 1892. 

Christiani: Fernsprechverbindungsanlagen.166 


Schtdtheiss : Aufzeichnung eines Registrirbarometers . . . 169 

418. Sitzung am 22. Januar 1892. 

Lehmann: Anwendung des Entrogieprinzips ih der Chemie 170 

419. Sitzung am 5. Februar 1892. 

Graf Pfeil: Uhaha und seine Bewohner.172 

420. Sitzung am 19. Februar 1892. 

Bistenpart: Neuer Stern im Sternbild des Fuhrmanns . . 172 


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VIII 


421. Sitzung am 4. März 1892. 

Meidinger: Entwicklung der Aluminium-Industrie .... 175 
.Ammon; Bemerkungen über Kopf-Indexe.175 

422. Sitzung am 18. März 1892. 

Treutlein: Einführung der neuen Zeit ........ 176 

423. Sitzung am 20. Mai 1892. 

Generalversammlung: Thätigkeitsbericht.176 

Wiener: Lichtzerstreuung durch matte Körperoberflächen . 176 

424. Sitzung am 14. Juni 1892. 

Besuch der Landesgewerbehalle bei Beleuchtung .... 179 

425. Sitzung am 17. Juni 1892. 

Ammon: Kopfmessungeu an Gelehrten und Ungelehrten . . ISO 

426. Sitzung am 1. Juli 1892. 

Treutlein: Stundenzonenzeit und Weltzeit.183 

427. Sitzung am 21. Oktober 1892. 

(7) Gesuch der Anthropologischen Kommission um Zuschuss 183 

Glückwunsch an v. Babo.184 

Bistenpart: Unsichtbare Sterne.184 

428. Sitzung am 25. Oktober 1892. 

Schmitt: Sicherung der Karawanenstrasse in Deutsch-Ost¬ 
afrika etc. ... 1S4 

429. Sitzung am 4. November 1892. 

Wiener: Empfindungseinheit zum Messen der Empfindungs- 

stärke.184 

430. Sitzung am 18. November 1892. 

Wilser: Unser Stammbaum.187 

Bistenpart: Entwicklung des Kometen Holmes.192 

431. Sitzung am 2. Dezember 1892. 

Lehmann: Elektrisches Licht durch hochgespannte Ströme 193 

432. Sitzung am 16. Dezember 1892. 

Treutlein: Der Karlsruher Wetterkundige Stieffel .... 200 
Meidinger: Nachruf an W. v. Siemens.200 

433. Sitzung am 13. Januar 1893. 

Ziegler: Die Urgeschichte der Familie.200 

434. Sitzung am 10. Februar 1893. 

Beitrag zu einem Gauss-Weber-Denkmal.202 

Haid: Messung der neuen Bonner Basis.202 

435. Sitzung am 24. Februar 1893. 

Valentiner: Veröffentlichungen der Sternwarte. 4. Bd. . . 203 
Hagen: Die Bataks im Innern von Sumatra.205 

436. Sitzung am 10. März 1893. 

Huber: Erlebnisse auf Sumatra’s Westküste.209 

437. Sitzung am 1. April 1893. 

Meyer: Die Entwicklung unserer Kolonien.210 

438. Sitzung am 5. Mai 1893. 

Generalversammlung: Thätigkeitsbericht, Neuwahl des 

Vorstandes.. . . ..215 


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IX 


Ernennung von Grashof zum Ehrenpräsidenten.215 

Vorlage von Ammon*s Werk: Die natürliche Auslese beim 

Menschen.215 

Engler: Die Elemente.215 

439. Sitzung am 19. Mai 1893. 

Adresse an Grashof . 217 

Vorlage dreier Schriften von Wilser .217 

Schöltz: Joseph Gottlieb Kölreuter.217 

Scheurer: Edison*« Mimeograph.217 

440. Sitzung am 2. Juni 1893. 

Meidinger: Ammoniaksalze im Ofenrohr.217 

Ammon: Bedeutung der Ständebildung für das Menschen¬ 
geschlecht .213 

441. Sitzung am 16. Juni 1893. 

Meidinger: Explosionen von Stubenöfen.219 

Platz: Topogr. Verhältnisse des Lauterberges.219 

Wiener: Strahlenbrechung in Atmosphäre.220 


442. Sitzung am 80. Juni 1893. 

(8) Gesuch der Anthropologischen Kommission um Zuschuss 222 
Platz: Temperaturverhältnisse des badischen Landes . • . 222 
Bistenpart: Thermometr. Aufzeichnungen der Sternwarte . 224 


Schultheiss: Abnahme der Temperaturen mit Höhe . . . 224 
Baur: Ueber Mimulus luteus.225 

443. Sitzung am 13. Oktober 1893. 

Engler: Reiseerinnerungen aus Amerika.226 

444. Sitzung am 27. Oktober 1893. 

Vorsitzender: Nachruf an Geh. Rath Grashof.227 

Treutlein: Einführung der mitteleuropäischen Zeit.... 228 

Migüla: Ein neues System der Bakteriologie.228 

Graebener: Biitzspuren an einem Kupfer-Monument . . . 228 
Baur: Solanum hystrix und rostratum.229 


445. Sitzung am 10. November 1893. 

Meyer: Ueber Physiologie der Stimme und Sprache . . . 229 

446. Sitzung am 24. November 1893. 

Vorsitzender: Danksagung von Prof. Rud. Grashof . . . 229 
Vorsitzender: Das Gauss-Weber-Denkmal in Göttingen . . 230 


Brauer: Besuch der Chicagoer Ausstellung.230 

447. Sitzung am 8. Dezember 1893. 

Ammon: Abnorme Bildung am Menschen ....... 232 

Treutlein: Aufhebung des kirchlichen Verbotes der koperni- 

kanischen Lehre.233 

44S. Sitzung am 5. Januar 1894. 

Vorsitzender: Nachruf an Geh. Hofrath Knop und an Prof. 

Hertz in Bonn. 234 

Mit: Ueber die Natur der Wärme.235 

449. Sitzung am 19. Januar 1894. 

Launhardt: Der Nordostseekanal.235 


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X 


450. Sitzung am. 2. Februar 1894. 

DoU: Mitteilungen über Hertz.235 

Haid: Bedeutung der Messungen der Schwerkraft für die 

Erdmessung.235 

451. Sitzung am 9. Februar 1894. 

Schmidt-Schar ff: Reise in Mexico.236 

452. Sitzung am 16. Februar 1894. 

Christiani : Wirkungsweise der Induktionsübertrager im tele¬ 
phonischen Fernbetrieb.236 

Schultheiss: Künstliche Erzeugung von Regen.238 

453. Sitzung am 21. Februar 1894. 

u. Stetten: Expedition von Kamerun nach Yola .... 240 

454. Sitzung am 9. März 1894. 

Wüser: Ueber Vererbungstheorien.240 

455. Sitzung am 12. März 1894. 

Spring : Die Stationen am Viktoriasee.244 

456. Sitzung am 27. April 1894. 


Bunte : Bemerkungen über die chemische Industrie Amerika’s 244 
457. Sitzung am 11. Mai 1894. 

WeUmer: Ueber den dynamischen Flug und die Segelrad¬ 


flugmaschine ..246 

458. Sitzung am 25. Mai 1894. 

General Versammlung: Tätigkeitsbericht. Kassenbericht. 

Antrag des Kassirers.253 

Ammon: Wachsthums- und Gestaltsverschiedenheiten des 
menschlichen Körpers mit Bezug auf die Antike . . . 
Wiener: Standesherkunft bedeutender M&nner.256 

459. Sitzung am 8. Juni 1894. 

Wiener: Ueber Wahrheit in der Kunst.257 

Bistenpart: Entdeckungen der Lick-Sternwarte ..... 260 

460. Sitzung am 22. Juni 1894. 

(9.) Gesuch der Anthrop. Kommission um Zuschuss . . . 261 

Behrens: Ueber den Botaniker J. G. Kölreuter.261 

Baur: Pflanzen nach Kölreuter’s Namen.261 

Ammon: Bastarde im Pflanzenreich.261 

Meidinger: Ankündigung eines Vortrags Ober Durchsichtig¬ 
keit der Luft. 261 

Reinhard: Führung der Vereinsmitglieder in die Gasaus¬ 
stellung am 26. Juni.262 

461. Sitzung am 6. Juli 1894. 

Treutlein: Mittheilung über Kölreuter.262 

Lehmann: Die magische Kerze, elektrische Diffusion . . . 264 

462. Sitzung am 20. Juli 1894. 

Bistenpart: Schwankungen der Polhöhe.265 

463. Sitzung am 26. Oktober 1894. 

B. Doll: Ueber die Immunität.267 


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XI 


464. Sitzung am 9. November 1894. 

M. Doll: Die optische Werkstätte von Zeiss, Jena . . . 267 

465. 8itzung am 21. November 1894. 

Herold: Land und Leute in Togo.271 

466. Sitzung am 80. November 1894. 

WtUer: Ueber europäische Menschenrassen.271 

467. Sitzung am 14. Dezember 1894. 

Lehmann: Der elektrische Lichtbogen.275 

468. Sitzung am 11. Januar 1895. 

Druck von Reutti’s Werk über die Lepidopteren Badens . 281 
Meidinger: Ueber Durchsichtigkeit der Luft.281 

469. Sitzung am 1. Februar 1895. 

Schuliheiss: Meteorol. Beobachtungen am Eiffelthurm etc. . 281 

470. Sitzung am 15. Februar 1895. 

Kost: Ueber neuere Explosivstoffe.284 

471. Sitzung am 1. März 1895. 

Engler: Synthese, pflanzliche und thierische Stoffe aus 

Elementen.287 

472. Sitzung am 15. März 1895. 

Trauschold: Ueber die Krym.289 

Holemann: Modelle des Mechanismus der Kieferzange des 

Wirbelthiertypus.291 

473. Sitzung am 5. April 1895. 

Ruidermann: Land und Leute am Viktoriasee.292 

474. Sitzung am 3. Mai 1895. 

Generalversammlung: Thätigkeitsbericht, Neuwahl des 

Vorstandes.293 

Engler: Ueber das Argon.293 

Abhandlungen. 

1. Der Aufstand in Deutsch-Ostafrika, von G . Märcker .... 1 

2. Ueber das Wachsthum des menschlichen Körpers, von Geh. Hof¬ 

rath Dr. Wiener .22 

3. Ein neuer Schädelmesser (Kranirmesser) von Geh. Hofrath 

Dr. Wiener .43 

4. Ueber die Schönheit der Linien, von Geh. Hofrath Dr. Wiener 47 

5. Beweis für die Wirklichkeit der Aussenwelt, von Geh. Hofrath 

Dr. Wiener .74 

6. Das Xanthorrhoeaharz, von Dr. A. Schober .81 

7. Zur Einführung der mitteleuropäischen Zeit, von Prof. J. P. 

Treutlein .111 

8. Ueber Stundenzonenzeit und Weltzeit, von Prof. J. P. Treutlein 138 

9. Der Karlsruher Meteorologe Stiefle!, von Prof« J. P. Treutlein 162 

10. Unsichtbare Sterne, von Dr. Fr. Ristenpart ....... 201 

1L Studien über die Temperatur-Verhältnisse in Baden, von Prof. 

Dr. Ph. Platz . 230. 490 


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XII 


1 


12. J. G. Kölreuter, von Dr. J. Behrens ..268 

13. Die Glocken und ihre Töne, von Geh. Hofrath Prof. Dr. W. Schell 321 

14. Die Lehre von der Immunität, Vortrag von Dr. K. Doll . . 332 

15. Pisidium ovatum Cless. von Geheimrath Prof. D. F. von Sand - 

herger in Würzburg.344 

16. Die Bedeutung der Ständebildung für das Menschengeschlecht, 

von 0. Ammon .346 

17. Mittheilungen über H. Hertz, von Dr. M. Doü .355 

18. Ueber Durchsichtigkeit der Luft im Hinblick auf Fernsichten, 

von Hofrath Prof. Dr. H. Meidinger .360 

19. Das Erdbeben vom 13. Januar 1895 im südlichen Schwarzwald 

und den benachbarten Gebieten des Eisass und der 
Schweiz von Dr. A. Langenbeck in Strassburg . . . 412 

20. Die Geschichte der Pocken und der Schutzpockenimpfungen 

von Dr. K. Doll .. 467 

Verzeichniss 

der Stellen, mit denen der naturwissenschaftliche Verein in Tausch¬ 
verkehr steht, und ihrer eingesendeten Publikationen . 493 


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VORBERICHT. 


Das Lokal. 

Die Sitzungen wurden, wie bereits 1883 begonnen (s. 
9. Band S. IX.), in den Räumen der Gesellschaft „Museum“ 
abgehalten; im Winter diente der kleine Saal des Haupt* 
gebäudes, im Sommer der Wirthschaftssaal des Gartenge¬ 
bäudes; bei den gemeinsamen Sitzungen mit andern Vereinen, 
zu denen auch die Familienangehörigen der Mitglieder ge¬ 
laden waren, wurde der grosse Museumssaal verwendet. 
Einige Sitzungen fanden im Hinblick auf Demonstrationen 
im physikalischen Hörsaale der Technischen Hochschule statt. 


Besuch und Uebersicht der Sitzungen. 



1688/89 | 

1889/90 

1890/91 j 

1891/92 

1892 93 

1693/94 1 

o 

- 

) 2 

I. Sitzungen mit andern Vereinen . 

1 

5 

2 

2 

3 

5 

2 

2 Gewöhnliche Sitzungen .... 

12 

14 

16 

14 

12 

15 

14 

Gesummter Besuch ad 2 .... 

403 

354 

472 

341 

408, 

452 

503 

Mittlerer Besuch ad 2. 

33 

25 

29 

24 

34 

30 

36 

Zahl der Vorträge ad 1 und 2 . . 

20 

31 

25 [ 

22 

18 

29 

24 

Astronomie und Zeit. 

1 

1 

2 

2 

4 

2 

2 

Geodäsie, Topographie. 

— 

1 

2 1 


1 

2 

; — 

Physik (reine und technische) . . 

6 

10 

6 

5 

1 

4 

3 

Meteorologie, Hydrographie . . . 

11 

5 

3 

o 

— 

4 

2 

f liemie (reine und technische) . . 

3 

11 

i 3 

2, 

; 1 

2 

2 

r l eehnik im Allgemeinen und Werk- 
Stätten ......... 

1 

1 1 

1 ' 

| 



1 

1 

Mineralogie und Geologie .... 

1 

1 

i 

i 



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XIV 




1 

i 


1 




£ 

CD 

s 1 

1889/90 

i 

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CM 

ll 

00 

1892 /£ 

1893/94 

1894/95 

Botanik.. 

_ 

1 

ll 

2 


1 

H 

Land- und Forstwirtschaft . . . 

1 

2 

1 

2 

— 

— 

— 

Zoologie und Bakteriologie . . . 

2 

— 

— 

2 

— 

1 

1 

Medicin, Hygiene, Physiologie . . 
Anthropologie, Völker- und Alter¬ 

— 

1 



1 

1 

1 

thumskunde . 

2 

1 

2 

3 

3 

3 

4 

Erdbeschreibung, Reisen .... 

1 

5 

2 

2 

4 

6 

3 

Geschichtliches und Nachrufe . . 
Berichte über Versammlungen, Aus¬ 

— 

1 



2 

2 

2 

stellungen .. 

Verschiedenes (Philosophie, Aesthe- 

— I 

i — | 


— 1 

1 

— 

1 

tik, Musik, Kunst, Gerichtliches) 

1 

1 

1 

n 



1 


Adressen und Beglückwünschungen. 

Zur Feier ihres 100jährigen Bestehens wurde der physi¬ 
kalisch-ökonomischen Gesellschaft in Königsberg ein Beglück¬ 
wünschungsschreiben gesendet (385. Sitzung). 

Herrn Geh. Rath Dr. Helmholtz in Berlin wurde zur 
Feier seines 70. Geburtstages eine künstlerisch ausgestattete 
Adresse gesendet (412. u. 413. Sitzung). 

Herrn Geh. Rath von Babo, z. Z. in Karlsruhe, wurden 
zur Feier seines 50jährigen Doktor-Jubiläums die Glückwünsche 
durch eine Kommission ausgedrückt (429. Sitzung). 

Nachrufe. 

Den mit Tod abgegangenen Mitgliedern Hofrath Dr. Just, 
Geh. Rath Dr. Schweig, Geh. Rath Dr. Grashof, Geh. 
Hofrath Dr. Knop und dem früheren Kollegen Professor 
Dr. Hertz in Bonn wurden vom Vorsitzenden warme Nach¬ 
rufe gewidmet (411., 413., 444., 448. Sitzung). 

Bewilligung von Beiträgen. 

Zur Fortsetzung ihrer Untersuchung der körperlichen 
Beschaffenheit der Bevölkerung Badens an den Militärpflich¬ 
tigen wurden der Anthropologischen Kommission in jedem 


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XV 


Jahre ein Beitrag von 200 M. bewilligt (359., 374., 395., 
411., 4£7., 442., 460. Sitzung). 

Zu einem Ohm-Denkmal in München und einem Gauss- 
Weber-Denkmal in Göttingen wurden je 100 M. (370. u. 
434. Sitzung), zu einem Spital in Sansibar 50 M. beigetragen 
(387. Sitzung). 


Veröffentlichungen. 

Die Veröffentlichung von Gerichtsnotar Reutti’s Werk über 
die Lepidopteren Badens wurde beschlossen (468. Sitzung). 

Besuch von Ausstellungen. 

Am 14. Juni 1892 fand ein Abendbesuch der Grossh. 
Landesgewerbehalle bei elektrischer Beleuchtung statt (424. 
Sitzung), am 26. Juni 1894 ein Besuch der Ausstellung von 
Gas- und Wasserapparaten in der städtischen Ausstellungs¬ 
halle (460. Sitzung). 


Rechnungsführung. 

Vom Jahre 1894 wird die Rechnungsführung über das 
unabhängige Vereinsvermögen und die über die Schenkung 
des früheren Vereins für wissenschaftliche Belehrung ver¬ 
einigt werden (458. Sitzung). 


Kassenstand im Jahre 1888/89. 

I. Des Naturwissenschaftlichen Vereins. 

Einnahme. 

1. Kassenrest von 1887/88 . . Ji>. 319.17 

2. Beiträge von 130 Mitgliedern 

i 5 1.„ 650.— 

3. Zinsen, einschliesslich derjeni¬ 

gen von Vermögen ad II „ 720.75 

4. Für verkaufte Drucksachen . „ 1.50 

5. Temporäres Darlehen des 

Kassiers. „ 700.— 

Jk 2391.42 


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XVI 


Ausgabe. 

1. Dienerschaft, Abschriften, Porti, 

Inserate etc. Jk 

2. Staats- und Gemeindesteuern „ 

3. Lokalmiethe.. 

4. Büclier, Karten, Cliche’s, Ein¬ 

bände etc.„ 

5. Beitrag an die Anthrop. 

Kommission.„ 

Beitrag an Dr. von Bebeur- 

Paschwitz.„ 

Vortrag von Dr. Paulitzchke 
G. Ankauf von Mobiliar . . . „ 

7. Für Jahresbericht X ... „ 


277.59 

26.21 

66.— 


226.20 


200 .— 


83.20 

66.43 

30.23 

1675.12 


Jk 2650.98 

Ausgaben .... Jk 2650.98 
Einnahmen . . . . n 2391.42 

also Mehrausgabe . Jk 259.56 
gedeckt durch den Kassenbestand ad II. 


II. Des ehemaligen Vereins für wissenschaftliche 
Belehrung. 

Einnahme. 

Kassenrest von 1887/88 . Jk 473.43 


Keine. 

Kassenrest am 30. April 1889 . Jk. 473.43 

also ad 1 Mehrausgabe . ... Ji 259.56 

ad II Bestand.. 473.43 

Verbleibt Kassenrest. Jk. 213.87 

wovon baar in Kasse .... Jk. 183.— 
bei der Badischen Bank . . . „ 30.87 

Jk 213.87 

Vermögensstand am 30. April 1889: 
ad I Staatspapiere wie im Vorjahre Jk. 11685.72 
Zugang.. 500.— 

Jk. 12185.72 


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XVII 


Uebertrag .. Jk. 12185.72 
Mehrausgabe . . Jk. 259.56 

Darlehen des Kassiers „ 700.—. 

" „ 959.56 

_ Jk 11226.16 

ad II bei der Bank und baar Jk 473.43 
Staatspapiere wie im Vorjahre 5700.— 

Jk 6173.43 
Jk 17399.59 

am 30. April 1888 . , 18678.32 

somit Abnahme in 1888/89 . Jk 1278.73 


Kassenstand im Jahre 1889/90. 

I. Des Naturwissenschaftlichen Vereins. 

Einnahme. 

d. Beiträge von 123 Mitgliedern 
ä 5 JL und zwei rückständige 
Beiträge vom Vorjahr . . Jk. 625.— 

2. Zinsen, einschl. derjenigen von 

Vermögen ad II . „ 705.25 

3. Für verkaufte JL 500. — Ob¬ 
ligation . „ 532.50 


Jk 1862.75 


Ausgabe. 

1. Schuld der Kasse vom Vorjahr Jk. 259.56 

2. Rückerstattetes Darlehen des 

Kassiers . . . . . . • „ 700.— 

3. Dienerschaft, Abschriften, 

Porti, Inserate etc. „ 234.39 

4. Staats- und Gemeindesteuern „ 25.28 

5. Lokalmiethe.„ 162.— 

6. Beitrag für Ohms Denkmal.. „ 100.— 

Beitrag an die Anthrop. 

Kommission.. 200.— 


Uebertrag 


Jk 1681.23 


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XVIII 


Uebertrag . Jk. 
Beitrag zum Vortrag von 

Zöllner.„ 

Beitrag zum Vortrag von 

Märker.„ 

Beitrag zum Vortrag von Bley „ 
Beitrag für deutsches Hospital 

in Zansibar.„ 

7. Kassenrest am 30. April 1890 „ 


1681.23 

34.10 

30.85 

28.40 

50.— 

38.17 


1862.75 


II. Des ehemaligen Vereins für wissenschaftliche 
Belehrung. 

Einnahme. 

Kassenrest von 1888/89 . Jk 473.43 

Ausgabe. 

Keine. 

Kassenrest am 30. April 1890 .„ 473.43 

Kassenrest ad I. Jk 38.17 

Kassenrest ad II.. 473.43 


ergibt den Gesammtkassenrest von.„ 511.60 


wovon baar in Kasse . . . 
bei der Badischen Bank . . 

. Jk 

• 1) 

A_ 

3.48 

508.12 


Vermögensstand am 30. April 1890: 
ad I Staatspapiere wie im Vorjahre Jk 
Abgang . . . ..„ 

Jk. 

12185.72 

500.— 

511.60 

Kassenrest. 

Jk 11685.72 
. „ 38.17 


ad II bei der Bank und baar 
Staatspapiere wie im Vorjahre 

Jk. 

n 

473.43 

5700.— 

11723.89 




6173.43 

am 30. April 1889 . . . 

• . • 

Jk 17897.32 
. . . „ 17399.59 


somit Zunahme in 1889/90 . Jk 497.73 


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XIX 


Kassenstand im Jahre 1890/91. 

I. Des Naturwissenschaftlichen Vereins. 

Einnahme. 

1. Kassenrest von 1869/90 . . Jk 

2. Beiträge von 118 Mitgliedern 

i 5 «A.. 

3. Zinsen, einschliesslich derjeni¬ 
gen von 

Vermögen ad 11 . Jl 699.44 
Stückzinsen aus 
JL 400 Obligation „ 4.05 

» 

4. Zinsen und Conto-Corrent an 

der Badischen Bank . . . „ 


Ausgabe. 


1. Dienerschaft, Abschriften, 



Porti, Inserate etc. 

JL 

253.86 

2. 

Staats- und Gemeindesteuern 

JJ 

26.21 

3. 

Miethe. 

Jl 

12.— 

4. 

Clichds. 

1) 

107.75 

5. 

Beitrag zum Vortrag von Caroli 
Beitrag an die Antrop. 

Jl 

50.— 


Kommission . . . . 

an Kolonialgesellschaft für zwei 

» 

200.— 

6. 

Vorträge. 

1 Stück 4proz.Preuss. Consols 

n 

20.66 


Jk 400 ä 106 1 /». 

n 

426.— 

7. 

Kassenrest am 30. April 1891 

jj 

235.04 


Jk 1331.52 

11. Des ehemaligen Vereins für wissenschaftliche 
Belehrung. 

Einnahme. 

Kassenrest von 1889/90 . Jk. 473.43 

b* 


38.17 
590 — 


695.39 

7.96 

JL 1131.52 


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XX 


Ausgabe. 

Keine. 

Kassenrest am 30. April 1891. Jb. 473.43 

Kassenrest ad I. Jk. 235.04 

Kassenrest ad II. » 47 3.43 

ergibt den Gesammtkassenrest von .... JL 708.47 
wovon baar in Kasse. . . . Jk. 133.30 

bei der Badischen Bank . . . 575.17 

Jk 708.47 

Vermögensstand am 30. April 1891: 

ad I bei der Bank und baar. „ 235.04 

Staatspapiere wie im Vorjahre . Jk. 11685.72 
Zugang. . 400.— 

Jk 12085.72 
Jk 12320.76 

ad II bei der Bank und baar . Jb. 473.43 
Staatspapiere wie im Vorjahre . „ 5700.— 


, 6173.43 

Jk 18494.19 

am 30. April 1890 .'. . . . „ 17897.32 

somit Zunahme in 1890/91 . Jk. 596.87 


Kassenstand im Jahre 1891/92. 

I. Des Naturwissenschaftlichen Vereins. 

Einnahme. 

1. Kassenrest von 1890/91 . . Jk 235.04 

2. Beiträge von 120 Mitgliedern 
ä 5 Jk und ein rückständiger 

Beitrag vom Vorjahr . . . „ 605.— 

3. Zinsen, einschliess¬ 

lich derjenigen von 
Vermögen ad II Jk 721.44 
Stückzinsen . . „ 6.55 

, 714.89 

4. Zinsen und Conto-Corrent an 

der Badischen Bank . . _ 7.96 

Jk 1562.89 


Digitized by 


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XXI 


Ausgabe. 

1. Dienerschaft, Abschriften, 


Porti, Inserate etc. . . . 

A 

179.84 

2. Staats- und Gemeindesteuern 

ff 

26.74 

3. Lokalmiethe ...... 

» 

75.- 

4. Clicbe’s etc. 

» 

159.50 

5. Beitrag für Vortrag von 



Hettner. 

n 

38.33 

Beitrag an die Antrop. 



Kommission. 

» 

200— 

6. 1 Stück Preuss. Consols 



A 500.— k 105 ... . 

n 

525— 

7. Kassenrest am 30. April 1892 

ff 

358.48 


A 1562.89 


II. Des ehemaligen Vereins für wissenschaftliche 
Belehrung. 

Einnahme. 


Kassenrest von 1890/91 .... 

• 

A 

473.43 

Ausgabe. 




Keine. 




Kassenrest am 30. April 1892 
Kassenrest ad I. Jk 

358.48 

n 

473.43 

Kassenrest ad II. n 

473.43 



ergibt den Gesammtkassenrest von . 

• • • • 

n 

831.91 

wovon baar in Kasse . . . . A 

149.99 



bei der Badischen Bank . . . „ 

681.92 

n 

831.91 

Vermögensstand am 30. April 1892. 



ad I bei der Bank und baar . . 
Staatspapiere wie im Vorjahre A 

12085.72 

n 

358.48 

Zugang . „ 

500— 





A 

12585.72 



A 

12944.20 

ad II bei der Bank und baar . A 

473.43 



Staatspapiere wie im Vorjahre „ 

5700— 





n 

6173.43 



A 

19117.63 

am 30. April 1891 

• 

ff 

18494.19 

somit Zunahme in 1891/92 . . 

\ 

A 

623.44 


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XXII 


Kassenstand im Jahre 1892/93. 

I. Des Naturwissenschaftlichen Vereins. 

Einnahme. 

1. Kassenrest von 1891/92 , . JL 358.48 

2. Beiträge von 118 Mitgliedern 

ä 5 A.„ 590.— 

3. Zinsen einschliess¬ 

lich derjenigen von 
Vermögen ad II . A 754.84 
Stückzinsen . . „ 4.80 

750.04 

4. Zinsen und Conto-Corrent an 

der Badischen Bank . . . „ 3.46 

5 . für ein verkauftes Heft . . „ 5 .— 

6. für eine ausgelooste Badische 

Obligation. ' . . .' . . . „ 300.— 

A 2006.98 


Ausgabe. 


1. Dienerschaft, Abschriften, 


Porti, Inserate etc. 

A 

212.54 

2. Staats- und Gemeindesteuern 


25.42 

3. Lokalmiethe.: 

n 

75.— 

4. Clich6s.. 

» 

5.— 

5. Beitrag an die Anthrop. 



Kommission. 

n 

200.— 

Beitrag für Denkmal Gauss- 



Weber . . . : . . . 

» 

100.— 

6. 1 Stück Preuss. Consols 



A 1000 . 


1071.20 

7. Kassenrest am 2. Mai 1893. 

» 

317.82 


A 2006.98 


II. Des ehemaligen Vereins für wissenschaftliche 
Belehrung. 

Einnahme. 

Kassenrest von 1891/92 .A 473.43 


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xxin 


Ausgabe. 

Keine. 

Kassenrest am 2. Mai 1893 .„ 473.43 

Kassenrest ad I. Jk. 317.82 

Kassenrest ad II. 473.43 

ergibt den Gesammtkassenrest von . ... Jk. 791.25 

wovon baar in Kasse . ... Jk. 137.83 

bei der Badischen Bank . . . „ 653.42 

A79L25 

Vermögensstand am 2. Mai 1893. 
ad I bei der Bank und baar . i .... Jk. 317.82 

Staatspapiere wie im Vorjahre Jk. 12585.72 

ab eine ausgeloste Badische Ob¬ 
ligation . . 300.— 

Jk. 12285.72 

Zugang.„ 1000.— 

' Jk. 13285.72 

JL 13603.54 

ad II bei der Bank und baar . JL 473.43 
Staatspapiere wie im Vorjahre . „ 5700.— 

~~ JL 6173.43 
ZU 19776.97 


Am 30. April 1892 .„ 19117.63 

somit Zunahme in 1892/93 .. Jk 659.34 


Kassenstand im Jahre 1893/94. 

1. Des Naturwissenschaftlichen Vereins. 

Einnahme. 

1. Kassenrest von 1892/93 . . JL 317.82 

2. Beiträge von 124 Mitgliedern 

i 5 M.. 620.— 

üebertrag . ~M> 937.82 


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XXIV 


Uebertrag . M> 937.82 

3. Zinsen einschliess¬ 

lich derjenigen von 
Vermögen ad II. JL 783.44 
Stückzinsen . . „ 9.50 

773.94 

4. Zinsen und Conto-Corrent an 

der Badischen Bank . . . „ - 2.76 

JL 1714.52 

Ausgabe. 


1. Dienerschaft, Abschriften, 


Porti, Inserate etc..... 

A 

263.81 

2. Staats- und Gemeindesteuern 

v 

25.55 

3. Lokalmiethe. 

f) 

72.— 

4. Clichös etc. 

n 

115.85. 

5. Beitrag an die Anthrop. 



Kommission. 

n 

200.— 

Vortrag von 0. Meyer . . 

n 

50.— 

„ „ Wellner . . . 

r> 

33.— 

6. 1 Stück Preuss. Consols JL 600 

n 

643.30 

7. Kassenrest am 18. Mai 1894 

n 

311.01 



JL 1714.52 

II. Des ehemaligen Vereins 

für 

wissenschaftliche 


Belehrung. 

Einnahme. 


Kassenrest von 1892/93 . JL 473.43 

Ausgabe. 

Keine. 

Kassenrest am 18. Mai 1894 . JL 473.43 


Kassenrest ad I. JL 311.01 

Kassenrest ad II. „ 473.43 

ergibt den Gesammtkassenrest von . ... JL 784.44 

wovon baar in Kasse. . . . JL 668.82 

bei der Badischen Bank . . . „ 115.62 

JL 784.44 


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XXV 


Yermögensstand am 18. Mai 1894. 


ad I bei der Bank und baar . 
Staatspapiere wie im Vorjahre 

• I 

Ms. 

13285.72 

Jk 

311.01 

Zugang .. . 

n 

600.— 







13885.72 





14196.73 

ad II bei der Bank und baar . 

JL 

473.43 



Staatspapiere wie im Vorjahre 

r> 

5700,— 






Ms. 

6173.43 




Ms. 

20370.16 

Am 2. Mai 1893 . 

• ■ 

. . . . 

n 

19776.97 

somit Zunahme in 1893/94. . 

• « 

. . . . 

JL 

593.19 

Kassenstand im Jahre 1894/95. 


Des Naturwissenschaftlichen Verein: 

3. 

Einnahme. 




1. Kassenrest von 1893/94 . . 

2. Beiträge von 130 Mitgliedern 

Ms. 

784.44 



ä 5i. . 

3. Zinsen . . . . Ms. 790.78 

n 

650.— 



Stückzinsen . . „ 6.40 






T) 

784.38 



4 . Zinsen und Conto-Corrent an 
der Badischen Bank . . . 

5. für zwei ausgelooste Badische 

n 

i.— 



Obligationen ä 100 fl. . . 

n 

3.42.86 

Jk 

2562.68 

Ausgabe. 




1. Dienerschaft, Abschriften, 
Porti, Inserate etc. . . . 

2. a conto des zu druckenden 

Ms. 

219.40 



Berichts . 

n 

600 — 



3. Staats- und Gemeindesteuern 

» 

26.34 



Uebertrag . 

Ms 

845.74 




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XXVI 


Uebertrag . 

Jk 

845.74 

4. Lokalmiethe ....... 


75.— 

5. Clichd’s etc. 

51 

40.— 

6. Beitrag an die Anthrof. 



Kommission. 

» 

200.— 

Beitrag an den Colonial- 



Yerein für Vorträge . . . 

» 

50.32 

7. 1 Stück deutsche Reichsan¬ 



leihe Jk. 500 . 

1» 

470.50 

8. Kassenrest am l .Mai 1895 . 

n 

881.12 


wovon baar in Kasse .... 

Jk. 

200.46 

bei der Badischen Bank . . . 

7> 

680.66 

Vermögensstand am 1. Mai 

1895. 

Staatspapiere wie im Voijahre . 

Jk. 

13885.72 

des ehern. Vereins für naturw. 



Belehrung. 

» 

5700.— 


Jk. 

19585.72 

ab zwei ausgelooste Badische Ob¬ 



ligationen . 

w 

342.86 


Jk. 

19242.86 

Zugang . 

n 

500.— 


Bei der Bank und baar . . 

Am 18. Mai 1894 . . . » 
somit Zunahme in 1894/95 . 


Jk. 2562.68 


Jk. 881.12 


Jk. 19742.86 
, 881.12 

Jk 20623.98 
„ 20370.16 

Jk. 253.82 


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XXVII 


Bibliothek. 

Der Naturwissenschaftliche Verein unterhält zur Zeit 
mit 146 Stellen (Vereine, Gesellschaften, Akademien, Mu¬ 
seen etc.) einen Austausch der Veröffentlichungen. Im Fol¬ 
genden sollen vorerst Diejenigen bezeichnet werden, welche 
seit Ausgabe des 10. Bandes neu in den Verkehr eingetreten 
sind; sodann wird ein Verzeichniss besonderer Einsendungen 
von früher namhaft gemachten Stellen, sowie von Geschenken 
von Privaten folgen. 

Am Schlüsse des Bandes ist noch zur bequemen Ueber- 
sicht ein Verzeichniss aller betreffenden Stellen nebst ihren 
regelmässigen Veröffentlichungen beigefügt, wie sie in den 
Bänden 6 bis 10 und nachstehend aufgenommen sind. 

Neu zugegangen in den Tauschverkehr seit 1888. 

Halifax (Nova Scotia). Nova Scotian Institute of Natural 
Science. Proceedings and Transactions. Vol. VH Part 
IH u. IV. 1888—1890. Second Ser. Vol. I, Part I, II 
u. IU. 1890—1893. 

Marseille. Faculte des Sciences. Annales. Von Band I, 
1891 an. 

Ulm und Oberschwaben. Verein für Mathematik und 
Naturwissenschaften. Jahreshefte. Von I. 1888 an. 
Gent. Kruidkundig Genootschap Dodonäa. Botanisch Jaar- 
boek. Vom 1. Jahrgang 1889 an. 
Württembergischer Schwarzwaldverein. Blätter des —. 
Aus dem Schwarzwald. Calw, Wildbad. Vom I. Jahrgang 
1893 an. 

Milano. Sociöta Italiana di Scienze Naturali. Atti. Vol. 

XXVI—XXXIII. 1883—1891. 

Santiago. Deutscher wissenschaftlicher Verein. Verhand¬ 
lungen, 6. Heft, 1888 u. II. Bd., 1. Heft, 1889. 

Ulm. Verein für Mathematik und Naturwissenschaften. 
Jahreshefte 1. Jahrg. 1888. 4. u. 5. Jahrg. 1891/92. 


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XXVIII 


Hamilton, Canada. Hamilton Association. Journal and 
Proceedings. Von Jahrg. 1890, Part VII an. 

Upsala. Geological Institution of the University. Bulletin, 
von Vol. 1, 1892/93 an. 


Besondere Einsendungen* 

a. Von Gesellschaften und Stellen. 

Budapest. K. ungarische naturw. Gesellschaft: 

Schenzl, G., Dr. Beiträge zur Kenntniss der erdmagnet. 
Verhältnisse in den Ländern der Ungar. Krone, 539 S. 
und 6 Taf. (4.) 1881. 

— Orley, Ladislaus. Monographie der Anguilluliden. 165 S. 
und 7 Taf. (8.) 1880. 

— Maderspach, Livius. Magyarorszäg Vas4rcz - Fekhelyei. 
111S. und 14 Taf. (4.) 1880. 

— Buza, J. Die Krankheiten unserer Kulturpflanzen. 132 S. 

(8.) 1879. 

— Daday, E. Darstellung der ungar. zoolog. Literatur in 

den Jahren 1870—1880. 186 S. (8.) 1882. 

— Gruber, L. Anleitung zu geograph. Ortsbestimmungen. 
307 S. (8.) 1883. 

— Kosutany, T. Ungarns Tabaksorten. 47 S. (4.) 1882. 

— Schenzl, G. Anleitung zu erdmagnetischen Messungen. 

321 S. (8.) 1884. 

— Hazslinszlky, F. Die Flechtenflora des ungar. Reiches. 

304 S. (8.) 1884. 

— Mathematische und naturwissenschaftliche Berichte aus 
Ungarn. I. Bd. 419 S. und 5 Taf. (8.) 1882/83. II. 
III. VI. Vli. 

— Hazslinszky, Frigyes. A Magyar Birodalom Moh-Flöraja. 

280 S. (8.) 1885. 

— Heller Agost. A. Kir. Magyar Termeszerttudomänyi 
Tärsulat Könyveinek Czimjegyzeke. II. Füzet. 179 S. 
(8.) 1886. 


* Siehe auch: 3.‘Heft 18Ö9 S. IX. — B. Heft 1871 S. X. — 
7. Heft 1876 S. XV. - 8. Heft 1881 S. XXV. — 9. Heft 1888 S. XVTO. 
— 10. Heft 1888 S. XXV. 


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XXIX 


Budapest. Chyzer, Kornel. Die Churorte und Heilquellen 
Ungarns. 120 S. (12.) 1885. 

— Herman, Otto. Urgeschichtliche Spuren in den Geräthen 
der ungar. volksthümlichen Fischerei. 45 S. (12) 1885. 

— Budai, Josef. Die sekundären Eruptivgesteine des Per- 

sanyer Gebirges. 63 S. (8.) 1886. 

— Daday, Eugen. Morphologisch - physiologische Beiträge 
zur Kenntniss der Hexarthra Polyptera, Schon. 107 S. 
und 2 Taf. (8.) 1886. 

— Läszlö Desiderius, Eduard. Chemische und mechanische 

Analyse ungarländischer Thone mit Rücksicht auf ihre 
industrielle Verwendbarkeit. 84 S. (8.) 1886. 

— Kabos Hegyfoky. Die meteorologischen Verhältnisse des 

Monats Mai in Ungarn. 204 S. (4.) 1886. 

— Bela von Inkey. Nagyäg und seine Erzlagerstätten. 
175 S. (4.) 23 Textabb. und 4 Karten. (1.) 

— Herman, Otto. A magyar halaszat könyve (De piscatu 
Hungariae). I. und H. zus. 860 S. Text mit vielen 
Abbild, und 21 Taf. (8.) 1887. 

— Simonkai, Lajos. Erdely edönyes floräjanak (Enumeratio 

florae transsilvariae). 678 S. (8.) 1886. 

— Daday de Dees, Eugenius. A magyarorszägi Cladoceräk 

mngänrajza (Crustacea Cladocera faunae Hungariae). 
128 S. und 4 Taf. mit je 1 S. Erläut. (4.) 1888. 

— Fröhlich, J. Mathematische und naturwissenschaftliche 
Berichte aus Ungarn. IV. Bd. (Juni 1885 bis Juni 1886). 
303 S. und 3 Taf. V. Bd. (Juni 1886 bis Juni 1887). 
(8.) 323 S. und 5 Taf. 8. u. 9. Bd. 10., 11. u. 12. Bd. 

— Jelentes a Magyar Kir. Technolögiai Iparmuzeum 1888/89. 

Evi MUködäsäröl. 87 S. (8.) 1889. 

— Daday, Jenö. A Magyarorszägi Myriopodäk Magänrajza. 

126 S. und 3 Taf. mit Erläuterungen. (4.) 1889. 

— Ulbricht, Richärd. Adatok Abor-es Mustelcmzes Mod- 

szerehez. 116 S. (8.) 1889. 

— Hermann, 0. Lebensbild von J. S. von Pedenyi, der 

Begründer der wissenschaftl. Ornithologie in Ungarn. 
1799 bis 1855. 137 S. und 1 Taf. 

— Daday, Jenö. A. Magyar Allattani Irodalom etc. 307 S. 

(8.) 1891. 


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XXX 


Budapest. Pungur Gyula. A Magyarorszagi TUcsökfdldk 
Termdszctrajza. 79 S. und 5 Taf. (4.) 1891. 
Christiania. Von der König!. Universität. Publikation 
der norwegischen Kommission der europäischen Grad¬ 
messung. Resultate der im Sommer 1894 in dem süd¬ 
lichsten Theile Norwegens ausgeführten Pendelbeob¬ 
achtungen, 1895. — Astronomische Beobachtungen und 
Vergleich der astronom. und geodät. Resultate. 97. S. 
1895. 

— Von der Königlichen Universität. 

The norwegian north-atlantic expedition. 1876—78: 

— XIX. Actinida. 

— XX. Tycnogonidea. 

— XXL Grinoida echinida. 

— XXII. Ophiuroidea. 

— Norges Vaextrige et bidrag til Nord-Europas Natur- og 
Culturhistorie, af F. C. Schübeler. I. Bd. 400 S. 3 Taf. 
Christiania, 1885. 

— Lakis Kratere og Laxastrome af A Heiland. 1886. 

— Nordharets Dybder, Temperatur og Stromininger, ved H. 
Mohn. XVIII. A. B. 

— Viridarium Norwegium von Schubeier. II—IV. Th. 

Rierulf. Bestrivelse af en Raekke norske Bergarten. 
91 S. Christiania, 1892. 

Chur. Naturl. Gesellschaft Graubündens. Die Ergebnisse 
der sanitärischen Untersuchungen der Rekruten des Kan¬ 
tons in den Jahren 1875/79. 109 S. 4 Taf. 

Deutsche Naturforscher und Aerzte: 

a. Tageblatt der 62. Versammlung zu Heidelberg 1889. 
750 S. (4.) Heidelberg. 

b. Verhandlungen der 63. Versammlung zu Bremen 1890. 
2. Theil. Abtheilungssitzung. 666 S. (8.) Leipzig. 

c. Verhandlungen der 64. Versammlung zu Halle 1891. 
2. Theil, 628 S. (8.) Leipzig. 

Dürkheim. Pollichia. Festschrift zur 50jährigen Jubel¬ 
feier 1892. 

Graz. Verein der Aerzte in Steiermark. Chronik des 
Vereins der Aerzte in Steiermark 1863—1888 zur 
Erinnerung an die Feier seines 25jährigen Bestandes. 


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XXXI 


Königsberg. Physikalisch-ökonomische Gesellschaft. 
Führer durch die geolog. Sammlungen des Provinzial- 
Museums. 106 S. mit 75 Textabb. und 2 Tabellen. 
Leipa. Nordböhmischer Exkursionsklub. Häntschel’s 
botanischer Wegweiser. 260 S. (12.) 1890. 
Nürnberg. Naturhistorische Gesellschaft. Festschrift 
zur Begrüssung des XVIII. Kongresses der deutschen 
Anthropologischen Gesellschaft in Nürnberg. 91 S. 
Text mit 12 Tafeln und 31 Abbild. (8) 1887. 

Rom. Zoologicae Res. An. I. 1894, No. 2. 14 S. u. 1 Taf. 
(8). Rom, 1894. 

Sydney. Von Australian Museum und Department of mines: 

— Catalogue of the Australian birds in the Museum. 1891. 

— Catalogue of the Austr. stalk and sessile-eyd Crostacea. 
1882. 

— Descriptive catalogue of the Medusa in the Austr. seas. 

— Catalogue of birds. 

— Records of the Australian Museum. 

— Descriptive catalogue of the spongs. 1888. 

— Descriptive catalogue of exhibits of metals, minerals, 
fossils and timbers. 1888. 

— Memoire of the geological survey of New-South-Wales. 
Palaeontology No. 3, 4. 

— Geology of the vegetable creek tin-mining field, New- 
England district. 1887. 

— History and description of a new sperm whall, called 
Euphysets. 1887. 

— The invertebrate Fauna of the Hawkesbury — Wiana- 

massa series. Palaeontology No. 1. 1888. 

— Contributions of the tertiary Flora of Australia. Pa¬ 
laeontology No. 2. 1888. 

— Mineral producta of New-South-Wales. 1887. 

— Records of the geological survey of New-South-Wales 
I. II. 1889. 

— Wattles and wattle-barks. Technical education series. 

No. 6. 1890. 

Washington. Von Smithsonian Institution. 

Annual report of the Controller of the Currency, 49 
Congr. of the U. S. 1. Ses. 1885. 


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XXXII 


Washington. Bulletin of the Minnesota Academy of natural 
Sciences. Ul. 1. 

— Journal of the Elisha Mitchell scientific society. 1889. 

— Report of the Secretary of agriculture. 1890—1893. 
North American Fauna No. 8. 

— U. S. Department of agriculture. Bulletin 3 und 4. 
The Hawks and Owls. 

— Memoirs of the National Academy of Sciences. VI. 

— Annual address. Meriden scientific association. 1893. 
Cincinnati Museum association. 12 Rep. 1892. 

Wien. K. K. Geographische Gesellschaft. Mittheilungen. 

Bd. XXXIII Nr. 1. 68 S. (8) u. 1 Taf. (4). Wien, 1890. 
Zürich. Naturforschende Gesellschaft General- 
Register der Publikationen. 92 S. (8.) Zürich, 1892. 
Dieselbe. Neujahrsblatt 1892 bis 1895. 

b. Von Privaten. 

Ammon, Otto. Die natürliche Auslese beim Menschen. 
326 S. (8.) Jena, 1893. 

— Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grund¬ 
lagen. 408 S. (8.) Jena, 1895. 

— La selection naturelle chez l’homme. (L’Anthropologie 
Nov., Dez. 1892.) 

— Die Bedeutung des Bauernstandes für den Staat und die 
Gesellschaft. 36 S. Berlin, 1894. 

— Anthropologische Untersuchungen der Wehrpflichtigen in 
Baden. 36 S. (8.) 

— Wiederholte Wägungen und Messungen von Soldaten. 
34 S. u. 3 Taf. (8.) Berlin, 1893. 

— Die Körpergrösse der Wehrpflichtigen im Grossherzog¬ 
thum Baden in den Jahren 1840—1864. 27 S. Text 

(4) u. 2 Taf. (1). Karlsruhe, 1894. 

— Anthropologisches aus Baden (Beilage der Allgemeinen 
Zeitung, Nr. 10, Jahrg. 1894). 

— Warum siegten die Japaner? (Naturw. Wochenschrift 
Nr. 11, Jahrg. 1895). 

— Und sie verzehren sich doch. („Das Land“, Nr. 17 u. 18, 
Jahrg. 1895.) 


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XXXIII 


Ammon, Otto, Die Vererbung „erworbener“ Eigenschaften. 
(Naturw. Wochenschrift Nr. 32, Jahrg. 1895). 

— Die erste naturwissenschaftliche Gesellschaftstheorie 
(Naturw. Wochenschrift Nr. 37, Jahrg. 1895). 

— Die Auslegung graphischer Darstellungen in der Anthro- 
pometrie (Naturw. Wochenschrift Nr. 44, Jahrg. 1895). 

— Die ältesten Nachbildungen der menschlichen Gestalt 
(Naturw. Wochenschrift Nr. 2, Jahrg. 1896). 

Bauer, Wilh. Die Laubmoose des Grossherzogthums Baden. 
79 S. (8.) Freiburg, 1894. 

Emery, C. Estudios sobre las Hormigas de Costa Rica. 
24 S. (8.) San Jose, 1894. 

Harperath, L. 500 Thesen über die Weltbildung. 87 S. 
(8.) Köln, 1894. 

Kii chhoff, A. Bericht der Generalkommission für wissen¬ 
schaftliche Landeskunde über die zwei Geschäftsjahre 
von Ostern 1889 bis Ostern 1891. 6 S. (8.) Berlin, 

1891. 

Knop, A. Beitrag zur Kenntniss der in den Diamantfeldern 
von Jagersfontein (Südafrika) vorkommenden Mineralien 
und Gesteine. 16 S. (8°.) 

Krieger, Dr. Aetiologische Studien. Ueber die Disposition 
zu Katarrh, Croup und Diphteritis der Luftwege. 2. Ausg. 
271 S. (8.) Mit 25 Tab. Strassburg, 18S0. 

Kuhn, M. Ueber die Beziehung zwischen Druck, Volumen 
und Temperatur bei Gasen. 60 S. (12°.) Wien, 1893. 

Kumm, Paul. Ferdinand Roemer, sein Leben und Wirken. 
(Separat-Abdruck aus den Schriften der Naturforschen¬ 
den Gesellschaft in Danzig. Neue Folge VHI. Bd., 
1. Heft.) 30 S. (8.) 

Kuntze, Otto. Geogenetische Beiträge. 77 S. mit 7 Textabb. 
und 2 Profilen. (8.) Leipzig, 1895. 

Langenbeck, R. Die Erdbebenerscheinungen in der ober¬ 
rheinischen Tiefebene und ihrer Umgebung (Separat- 
Abdruck aus den „Geogr. Abhandlungen aus Eisass- 
Lothringen“. 1895. Heft 2). 

Lapouge, M. G. de. Granes modernes de Karlsruhe. 
(L’Anthropologie), 17 S. (8.) 

— Leben und Sterben der Völker, übersetzt von Otto 


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XXXIV 


Ammon (in der Täglichen Rundschau vom 18. Nov. 1894 
veröffentlicht). 

Mehlis C. Der Grabfund aus der Steinzeit von Kirchheim 
a. d. Eck (Pfalz). 70 S. (8.) Mit 6 Taf. 1881. — Der 
Drachenfels bei Diirkheim a. d. H. 32 S. (8) mit 1 Plan. 
Dürkheim 1894. (Beide Schriften von der Pollichia). 

Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und Heil¬ 
kunde. Zur Feier des 50jähr. Jubiläums der Universität 
Bonn. 161 S. (4.) Mit 5 Taf. 1868. 

Penck, A. Bericht der Centralkommission für wissenschaft¬ 
liche Landeskunde von Deutschland von Ostern 1891 bis 
Ostern 1893. 21 S. (8.) Berlin, 1893. 

Platz, Ph. Studien Uber Temperatur-Verhältnisse in Baden. 
38 S. Text u. 6 Taf. (8.) Karlsruhe, 1894. 

Sandberger, F. v. Ueber Steinkohlenformation und Roth- 
liegendes im Schwarzwald und deren Floren. 26 S. (4.) 
(Seite 77—102.) (4.) 

— Ueber die Erzgänge der Gegend von Freudenstadt und 
Bulach im Württembergischen Schwarzwald. (Aus den 
Sitzungsberichten der mathemathisch - physikalischen 
Klasse der Akademie der Wissenschaften 1891 Bd. XXI, 
Heft 3. S. 281—318.) 

— Studien zur Messung der horizontalen Gliederung von 
Erdräumen. 44 S. u. 1 Taf. (8 # .) 1891. 

— Uebersicht der Mineralien des Regierungsbezirks Unter¬ 
franken und Aschaffenburg (Sep.-Abdruck aus geo- 
gnostische Jahreshefte IV. Jahrg.). 34 S. (8.) Kassel, 1892. 

— Untersuchungen über die allgemeinste lineare Substitution 
deren Potenzen eine endliche Gruppe bilden, von G. Rost. 
28 S. (4.) Leipzig, 1892. 

— Geologische Skizze der Umgebung von Würzburg. 12 S. 

— Zur Geologie der Gegend von Homburg v. d. Höhe. 26 S. 
u. 1 Taf. (8.) Wiesbaden, 1893. 

— Verzeichniss der Conchylien des nördlichen badischen 
Schwarzwaldes. 7 S. (8.) 

— Ueber krystallisirte Hüttenprodukte u. A. 4 S. (8.) 

— Bemerkungen über die Kalktuffablagerung im Becken 
von Wiesbaden (Sonderabdruck aus den Jahrbüchern des 
Nassauischen Vereins für Naturkunde. 48. Jahrg.). 


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XXXV 


Schiötz, O. E. Resultate der im Sommer 1893 im nörd¬ 
lichen Theile Norwegens ausgeführten Pendelbeobach¬ 
tungen nebst einer Untersuchung über den Einfluss der 
Bodenerschütterungen auf die Schwingungszeit eines Pen¬ 
dels. 42 S. (8.) Christiania, 1894. 

Schleicher, Karl. Darstellung und Umkehrung von Theta¬ 
quotienten, deren Charakteristiken aus Dritteln ganzer 
Zahlen gebildet sind. 26 S. (8.) Bayreuth, 1890. 

Wilser, L. Klima und Hautfarbe (Separatabdruck aus dem 
Korrespondenzblatt der Deutschen anthropol. Gesellschaft 
Nr. 3. 1894). 

Wolf, J. Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen 
Grundlagen (in der Beilage z. Allgem. Ztg. vom 17. Mai 
1895 veröffentlicht). 


Vorstand. 

In den Generalversammlungen vom 3. Mai 1889 und 

1. Mai 1891 wurde der frühere Vorstand wieder gewählt; 
ebenso in der Generalversammlung vom 5. Mai 1893 mit 
Ausnahme des wegen Erkrankung auf das Amt verzichten¬ 
den Geh. Rath Dr. Gras hof, an dessen Stelle Herr Direktor 
Treutlein als Mitglied und Herr Geh. Hofrath Wiener als 
Vorsitzender ernannt wurde; an Stelle des am 27. Dezember 
1893 verstorbenen Geh. Hofrath Dr. Knop wurde Herr Hof¬ 
rath Dr. Lehmann gewählt. In der Generalversammlung 
vom 3. Mai 1895 wurden dieselben Mitglieder bestätigt. Der 
Vorstand besteht somit zur Zeit aus folgenden Herren: 

1. Geh. Hofrath Prof. Dr. Wiener, Vorsitzender. 

2. Geh. Hofrath Prof. Dr. Engler, Stellvertreter des 
Vorsitzenden. 

3. O. Bartning, Kassirer. 

4. Hofrath Prof. Dr. Meidinger, 

Bibliothekar. 

5. Oberbaudirektor Prof. Hon seil. 

6. Hofrath Prof. Dr. Lehmann. 

7. Direktor Prof. Treutlein. 


Schriftführer und 


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XXXVI 


Bewegung unter den Mitgliedern. 

In der Zeit vom März 1888 bis Ende des Jahres 1895 
hat die Zahl der ordentlichen Mitglieder um 78 zu- und um 
62 abgenommen. Neu eingetreten sind die Herren: 

Im Jahre 1888: Professor A. Holz mann, Assistent 
Dr. K. Brick, Assistent Dr. H. Heine, Professor M. Möller, 
prakt. Arzt Dr. A. Resch, Assistent Dr. P. Tschierske; 

1889: prakt. Arzt Dr. F. Kaiser, Professor Dr. M. 
Friedländer, prakt. Arzt Dr. E. Wernicke, Postrath 
W. Cliristiani, Konsul W. S. Niebuhr, Ingenieur L. 
Pulvermann, Mechaniker 0. Behm; 

1890: prakt. Arzt Dr. A. Benckiser, Assistent Dr. 

O. Pfeiffer, Hofrath Dr. 0. Lehmann, Assistent Dr. 

P. K. Kumm, prakt. Arzt Dr. K. Doll, Bankdirektor A. 
van der Kors, Ingenieur L. Bartning, Fabrikdirektor 
H. Beeg; 

1891: Professor Dr. W. Migula, Bergmeister Dr. L. 
Buchrucker, Lehramtspraktikant M. Karle, Assistent Dr. 
A. Liebrich; 

1892: Direktor A. Maul, Direktor Fr. Reichard, Assi¬ 
stent Dr. F. Ristenpart, Professor II. Volz, Professor 
Fr. Schmidt, Assistent Dr. G. Mie, Augenarzt Dr. Th. 
Gelpke, Kustos Dr. K. Hilger, Professor Dr. H. Ziegler; 

1893: Assistent Dr. K. Tesch, prakt. Arzt Dr. M. 
Wormser, Professor E. Brauer, Assistent Dr. A. Schu- 
berg, prakt. Arzt Dr. 0. Tross, Regierungsbaumeister 
R. Näher, prakt. Arzt Dr. Fr. Netz, Photochemiker R. Jahr, 
Ingenieur K. de Millas, Professor U. Müller; 

1894: Ingenieur L. Schiff, Hilfsbibliothekar A. Voigt, 
Geometer J. Bürgin, Postinspektor E. G. Spranger, Pro¬ 
fessor R. Massinger, prakt. Arzt Dr. K. Gutmann, Pro¬ 
fessor M. Wacker, prakt. Arzt Dr. E. Lembke, Professor 
Dr. R. Brauns, prakt Arzt Dr. J. Jourdan, prakt. Arzt 
Dr. E. Molitor; 

1895: Professor R. Grashof, Staatsrath H. v. Traut- 
schold, Geh. Rath 0. v. Struve, Lehrer L. Schröder, 
Forstrath X. Siefert, Professor Dr. L. Klein, prakt. Arzt 
Dr. E. Fischbach, Baurath A. Williard, Lehramtspraktikant 
J. Dörr, Lehramtspraktikant A. Hübler, Lehramtsprakti- 


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XXXVII 


kant F: Stark, Professor E. Arnold, Augenarzt Dr. 0. 
Brugger, Lehramtspraktikant K. Dienger, Professor Pr. 
K. Futterer, Dr. R. Knittel, Garnison-Bauinspektor G. 
H. Kolb, Generallieutenant z. D. E. Küster, prakt. Arzt 
Dr. Fr. Levinger, Apotheker W. Löblein, Ingenieur L. 
Pulvermann, Oberstlieutenant a. D. Chr. v. Schmalz, 
Dr. H. Wislicenus. 

Durch den Tod verlor der Verein 19 Mitglieder, nämlich 
die Herren: 

'Obergeometer Mayer (f 1889), 

Geh. Rath Bär (f 1890), 

Staatsrath Dr. Dell (f 1890), 

Rechtsanwalt Kusel (f 1890), 

Privatier Stiegler (f 1890), 

Hofrath Dr. Just (f 1891), 

Professor Maier (f 1891), 

Geh. Rath Dr. Schweig (f 1891), 

Geh. Rath Schmitt (f 1892), 

Geh. Rath Dr. Grashot (f 1893), 

Geh. Hofrath Dr. Knop (f 1893), 

Privatier Kreglinger (f 1893), 

Privatier von Ravenstein (f 1893), 

Professor Richard (f 1893), 

Assistent Dr. Scholtz (f 1893), 

Direktor Stetter (f 1893), 

Geh. Rath Zimmer (f 1893), 

Geh. Rath Dr. Hardeck (f 1894), 

Gerichtsnotar Reutti (f 1895), 
sowie das Ehrenmitglied: 

Herrn J. V. Hayden, United-States Geologist in Phila¬ 
delphia (f 1887). 

Ausgetreten sind 43 Mitglieder, von denen, zum Theil 
in Folge von Berufungen, von Karlsruhe fort zogen die Herren: 

Ingenieur Groth, Dr. Eichler, Ingenieur Faber, 
Dr. Heine, Professor Dr. Hertz, Ingenieur Kupferschmied, 
Professor Möller, Centralinspektor Sayer, Oberingenieur 
Schrödter, Dr. Tschierske, Assistenzarzt Dr. Wernicke, 
Baurath Bissinger, Privatier Blau, Reallehrer Bopp, 


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XXXVIII 


Dr. Brick, Dr. Knoblauch, Dr. Kumm, Dr. Liebrich, 
Dr. Matthiessen, Professor Rebmann, Dr. Schober, Forst¬ 
rath Weise, Professor Dr. Ziegler, Professor Dr. Brauns, 
Professor Dr. Endres, Professor Dr. Friedländer, Lehr¬ 
amtspraktikant Karle, Oberregierungsrath Dr. Lydtin, 
Dr. A. Schuberg. 

Die Zahl der ordentlichen Mitglieder des Vereins beträgt 
bei Abschluss dieses Bandes (Ende des Jahres 1895) 141 
Personen. 


Mitglieder ■ V erzeichniss. 

a. Ehrenmitglieder. 

Die Herren: 

Moritz, Dr. A., Staatsrath in Dorpat (1804). 

Sandberger, Geheimrath Dr. F. von, Professor der Minera¬ 
logie in Würzburg (1864). 

Schönfeld, Dr. E., Professor der Astronomie in Bonn (1864). 
Sohncke, Dr. L., Professor der Physik in München (1883). 

b. Korrespondirende Mitglieder. 

Herr Temple, R., Schriftsteller in Pest (1870). 

c. Mitglieder. 

Die Herren: 

Ammon, 0., Privatier (1883). 

Arnold, E., Professor der Elektrotechnik an der Technischen 
Hochschule (1895). 

Arnsperger, Dr. L., Obermedizinalrath (1883). 

Bartning, 0., Privatier (1.82). 

Battlehner, Dr. F., Geh. Rath (1866). 

Baur, W., Apotheker in Ichenheim (1892). 

Behm, 0., Mechaniker (1889). 

Behrens, Dr. J., Assistent an der Technischen Hochschule 
(1892). 

Beinling, Dr. E., Landwirthschaflsinspektor an der land- 
wirthschaftlich-botanischen Versuchsanstalt (1879). 

Die beigefügten Jahreszahlen bedeuten das Jahr der Aufnahme. 


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XXXIX 


Benckiser, Dr. A., Hofrath (1890). 

Bibliothek, Königliche, in Berlin (1882). 

Blankenhorn, Dr. A., (1869). 

Brauer, E., Professor der theoretischen Maschinenlehre an 
der Technischen Hochschule (1893). 

Brugger, Dr. 0., Augenarzt (1895). 

Buchrucker, Dr. L., Bergmeister (1891). 

Bürgin, J., Geometer (1894). 

Bunte, Dr. H., Hofrath, Professor der chemischen Tech¬ 
nologie an der Technischen Hochschule (1888). 
Caroli, W., Oberbergrath a. D. (1866). 

Cathiau, Dr. J. Th., Gewerbeschul-Rektor (1876). 
Christiani, W., Postrath (1889). 

Delisle, K., Oberingenieur a. D. (1886). 

Dieckhoff, Dr. E., Professor der Chemie an der Technischen 
Hochschule (1880). 

Deinger, K., Lehramtspraktikant (1895). 

Döll, G., Apotheker (1875). 

Dörr, J., Lehramtspraktikant (1895). 

Doll, Dr. K., Stadtarzt (1890). 

Doll, Dr. M., Obergeometer, Lehrer der praktischen Geo¬ 
metrie an der Technischen Hochschule (1872). 
Dolletscheck, Ed., Kaufmann (1877). 

Drach, A., Oberbaurath (1881).. 

Edelsheim, W. Freiherr von, Obersthofmeister (1867). 
En gier, Dr. K., Geh. Hofrath, Professor der Chemie an 
der Technischen Hochschule (1876). 

Fischbach, Dr. E., prakt. Arzt (1895). 

Futterer, Dr. K., Professor der Mineralogie und Geologie 
an der Technischen Hochschule (1895). 

Gelpke, Dr. Th., Augenarzt (1892). 

Gernet, K., Oberstabsarzt (1875). 

Glöckner, E., Geh. Rath (1878). 

Gmelin, Dr. A., Geh. Rath a. D. (1872). 

Goffin, L., Direktor der Maschinenbau-Gesellschaft (1879). 
Gräbener, L., Hofgartendirektor (1880). 

Grashof, R., Professor am Gymnasium (1895). 

Grimm, Dr. K. von, Ministerialpräsident a. D. (1886). 
Gutmann, Dr. K., prakt. Arzt (1894). 


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XL 


Haass, R., Chemiker (1875). 

Hafner, F., Regierungsrath (18SG). 

Haid, Dr. M., Professor der Geodäsie an der Technischen 
Hochschule (1882). 

Hart, J., Geh. Hofrath, Professor des Maschinenbaues an 
der Technischen Hochschule (1870). 

Hassenkamp, K., Privatier (1875). 

Heraberger, J., Hofbaudirektor (1880). 

Hildebrandt, M., Geh. Finanzrath (1881). 

Ililger, Dr. K., Kustos des Naturalien-Kabinets (1892). 
Hoffmann, Dr. A., Generalarzt a. D. (1862). 

Hoffmann, Dr. Hugo, Stadtarzt (1881). 

Holzmann, Aug., Professor an der Ober-Realschule (1893). 
Hon seil, M., Oberbaudirektor und Professor des Wasser¬ 
baues an der Technischen Hochschule (1884). 
Hübler, A., Lehramtspraktikant (1895). 

Jourdan, Dr. Jos., prakt. Arzt (1894). 

Kaiser, Dr. Fr., Bezirksassistenzarzt (1889). 

Käst, Dr. H., Professor der Chemie an der Technischen 
Hochschule (1883). 

Keller, Dr. K., Hofrath, Professor des Maschinenbaues an 
der Technischen Hochschule (1869). 

Klein, Dr. L., Professor der Botanik an der Technischen 
Hochschule (1895). 

Knittel, Dr. Rieh., Buchhändler (1895). 

Kohlhepp, Fr., Bezirksthierarzt (18S6). 

Kolb, G. H., Garnison-Bauinspektor (1895). 

Kors, Aug. van der, Bankdirektor (1890). 

Kossmann, Dr. H., Hofrath (1863). 

Kressmann, A. Th., Major a. D. (1875). 

Küster, E., Generallieutenant z. D. (1895). 

Lautz, R., Kommerzienrath (1862). 

Lehmann, Dr. 0., Hofrath, Professor der Physik an der 
Technischen Hochschule (1890). 

Lembke, Dr. Ernst, prakt. Arzt (1894). 

Leutz, F.,‘Seminardirektor (1872). 

Levinger, Dr. Friedr., prakt. Arzt (1895). 

Löblein, Wilh., Apotheker (1895). 

Lorenz, W., Kommerzienrath (1879). 


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XII 


Maier, E., Geh. Hofrath, Augenarzt (1871). 

Massinger, R., Professor an der Ober-Realschule (1894). 

Meidinger, Dr. H., Hofrath, Vorstand der Grossh. Landes¬ 
gewerbehalle und Professor der technischen Physik an 
der Technischen Hochschule (1865). 

Mie, Dr. Gust, Assistent am physikalischen Institut der 
Technischen Hochschule (1892). 

Migula, Dr. W., Professor der Botanik an der Technischen 
Hochschule (1891). 

Millas, K. de, Ingenieur (1893). 

Molitor, Dr. E., prakt. Arzt (1894). 

Molitor, Dr. F., Medizinalrath, Krankenhausarzt (1862). 

Müller, Dr. Udo, Professor der Forstwissenschaft an der 
Technischen Hochschule (1893). 

Näher, R., Regierungsbaumeister (1893). 

Nessler, Dr. J., Geh. Hofrath, Vorstand der landwirth- 
schaftlichen Versuchsstation (1862). 

Netz, Dr. F., prakt. Arzt (1893). 

Nüsslin, Dr. 0-, Professor der Zoologie an der Technischen 
Hochschule (1878). 

Pfeiffer, Dr. 0., Assistent an der Landesgewerbehalle (1890). 

Platz, Dr. Ph., Professor a. D. (1863). 

Pulvermann, L., Ingenieur (1895). 

Reck, K. Freiherr von, Kammerherr, Geh. Rath (1869). 

Regenauer, E. von, Geh. Rath, Präsident der General¬ 
intendanz der Grossh. Givilliste (1868). 

Reichard, Fr., Direktor der städtischen Gas- und Wasser¬ 
werke (1892). 

Resch, Dr. A., Stadtarzt (1888). 

Riffe], Dr. A., prakt. Arzt (1876). 

Ristenpart, Dr. Fr., Assistent an der Sternwarte (1892). 

Sachs, W., Ministerialrath (1885). 

Sayer, C., Professor der Ingenieurwissenschaft an der Tech¬ 
nischen Hochschule (1891). 

Schell, A., Bauinspektor (1878). 

Schell, Dr. W., Geh. Hofrath, Professor der theoretischen 
Mechanik an der Technischen Hochschule (1868). 

Scheurer, K., Hofmechaniker (1877). 

Schiff, L., Ingenieur (1893). 


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XLII 


Schleiermacher, Dr. A., Professor der Elektrotechnik an 
der Technischen Hochschule (1881). 

Schmaltz, Chr. von, Oberst a. D. (1895). 

Schmidt, Fr., Professor der wissenschaftlichen Photographie 
an der Technischen Hochschule (1892). 

Schrickel, 0., Oberstabsarzt a. D. (1862.) 

Schröder, Dr. E., Professor der Mathematik an der Tech¬ 
nischen Hochschule (1876). 

Schröder, L., Lehrer (1895). 

Schuberg, K., Oberforstrath, Professor der Forstwissen¬ 
schaft an der Technischen Hochschule (1872). 
Schultheiss, Dr. Chr., Privatdozent für Meteorologie an der 
Technischen Hochschule und Grossh. Meteorolog (1886). 
Schweickert, M., Oberlehrer (1873). 

Seeligmann, A., prakt. Arzt (1862). 

Seith, K.; Professor am Gymnasium (1885). 

Seneca, F., Fabrikant (1863). 

Sickler, K., Privatier (1862). 

Siefert, X., Forstrath (1895). 

Sievert, Ed., Major a. D. (1884). 

Spranger, Ed. G., Postinspektor (1894). 

Sprenger, A. E., Ministerialrath (1878). 

Spuler, Dr. K., prakt. Arzt (1862). 

Stark, F., Lehramtspraktikant (1895). 

Strack, Dr. 0., Professor am Gymnasium (1876). 
Stratthaus, K., Korpsrossarzt a. D (1873). 

Struve, 0. von, Wirkl. Geh. Rath (1895). 

Tein, M. von, k. b. Bauamtsassessor (1888). 

Trautschold, Dr. H. von, Staatsrath (1895). 

Treutlein, J. P., Direktor am Realgymnasium (1875). 
Tross, Dr. 0., prakt. Arzt (1893). 

Valentiner, Dr. W., Vorstand der Sternwarte, Professor 
der Astronomie an der Technischen Hochschule (1880). 
Voigt, Dr. A., Hilfsbibliothekar an der Technischen Hoch¬ 
schule (1894). 

Volz, H., Professor an der Akademie der bild. Künste (1892). 
Wacker, M., Professor am Realgymnasium (1894). 
Wagner, Dr. E., Geh. Rath, Oberschulrath und Konservator 
der Alterthümer (1864). 


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XLJII 


agner, Gust., Privatier in Achern (1876). 
altz, L., Privatier (1875). 

edekind, Dr. L., Professor der Mathematik an der Tech¬ 
nischen Hochschule (1876). 
eil er, Dr. Aug., Professor a. D. (1883). 
iener, Dr. Chr., Geh. Hofrath, Professor der darstellen¬ 
den Geometrie und graphischen Statik an der Tech¬ 
nischen Hochschule (1864). 
illiard, A., Baurath (1895). 

User, Dr. L., Stadtarzt (1881). 
ormser, Dr. M., prakt. Arzt (1893). 


Für die Redaktion verantwortlich 
Der Schriftführer: 

Hofrath Prof. Dr. H. Meidinger. 


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Fortsetzung der Sitzungsberichte. 


358. Sitzung am I. Juni 1888. 

Anwesend 27 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Rath Dr. Grashof. 

Herr Hofrath Dr. Engler hielt einen Vortrag über künst¬ 
liche Medikamentstoffe. Nach einer gedrängten Erläu¬ 
terung der chemischen Constitution der organischen Stoffe 
auf Grund der bei den Atomen beobachteten Verwandtschafts¬ 
erscheinungen ging der Vortragende zur Besprechung einer 
grösseren Anzahl künstlicher Medikamentstoffe über. Diese 
gehören fast ausnahmslos der Gruppe der organischen Stoffe 
an, enthalten sonach Kohlenstoff, Wasserstoff, meist auch 
Sauerstoff, gleichsam als grundlegende Elemente, ln vielen 
Fällen treten noch Stickstoff, Chlor, Brom, Jod und Schwefel 
hinzu, und wie für die zahlreichen künstlichen Farbstoffe 
(Anilinfarben etc.), so bildet auch für die in neuester Zeit 
dargestellten künstlichen Medikamentstoffe der in den Gas¬ 
fabriken als Nebenprodukt erhaltene Theer vielfach das Aus¬ 
gangsmaterial. 

Der Gastheer wird in besonderen Fabriken durch De¬ 
stillation in seine Einzelbestandtheile, wie z. B. Benzol, 
Toluol, Xylol, Carbolsäure, Naphtalin, Anthracen, geschieden 
und diese Substanzen wandern in die Farben- und chemischen 
Fabriken, um hier weiter auf Farbstoffe oder auf Medikament¬ 
stoffe verarbeitet zu werden. 

Die künstlichen Medikamentstoffe lassen sich ihrem 
hauptsächlichen chemischen Charakter nach in die beiden 
grossen Gruppen organischer Stoffe, in die von den Fett- 

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stoflfen und die von den aromatischen Stoffen sich ableitenden 
Substanzen einreihen, und im Grossen und Ganzen bedingt 
die Zugehörigkeit zu einer dieser beiden Körperklassen, deren 
innere Verschiedenheit durch verschiedene Bindungsweise der 
Kohlenstoffatome dargethan wurde, die verschiedene Wirkungs¬ 
weise der künstlichen Medikamentstoffe. So gehören die 
Hypnotica (Schlafmittel), wie z. B. Chloralhydrat, Paraldehyd. 
Amvlenhydrat. Urethan, Methylal u. a. m., ferner die Ana- 
esthetica (Betäubungsmittel), wie Schwefeläther, Chloroform, 
Bromäthyl u. a. der Klasse der Fettkörper an und es zeigen 
demgemäss die in denselben enthaltenen Kolilenstoffgruppi- 
rungen vorwiegend offene Stoffe, während die Antiseptica, 
also Carbolsäure, Resorcin, Benzoinsäure, Salicylsäure, Thy¬ 
mol, Naphtol u. s. w., dessgleichen die Antipyretica und die 
Antiparasitica der Gruppe der aromatischen Stoffe angehören, 
welche sich gegenüber den Fettkörpern durch ringförmige 
Aneinanderlagerung der Kohlenstoffatome auszeichnen. Die 
als Ersatzmittel für Chinin in neuerer Zeit gegen Fieber 
vielfach verwendeten Antipyretica, wie Antifebrin, Kai'rin, 
Thallin, Antipyrin u. a. weisen ausserdem noch einen Gehalt 
an Stickstoff auf und stehen ihrer Constitution nach vielfach 
in naher Beziehung zu den natürlichen Alkaloiden (Coniin, 
Chinin, Atropin, Morphin etc.), welche theilweise als Ab¬ 
kömmlinge des im Gastheer ebenfalls enthaltenen Pyridins 
erkannt worden sind. Besonderes Interesse verdienen endlich 
noch die als Mittel gegen Hautkrankheiten verwendeten 
Antiparasitica. Als einer der Repräsentanten dieser Medi¬ 
kamentgruppe wurde das im Goapulver enthaltene Chrysa- 
robin aufgeführt, welches als ein directer Abkömmling des 
im Gastheer ebenfalls enthaltenen Anthracens anzusehen ist. 
Eine Substanz von ganz gleicher Wirkungsweise, das Anthra- 
robin, wird in neuester Zeit durch Reduction des aus Anthra- 
cen dargestellten künstlichen Alizarins fabrikmässig gewonnen 
und als Antiparasiticum verwendet. Auch bei dieser neuesten 
Medikamentgruppe (Robinkörper) zeigt sich, dass die Gleich¬ 
artigkeit der therapeutischen Wirkung und Verwendung auf 
einer gewissen Uebereinstimmung der chemischen Constitution, 
das heisst also der Art und Weise der Bindung der Atome 
in den betreffenden Medikamentstoffen beruht. 


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An der an den Vortrag sich anschliessenden Diskussion 
nahmen ausser dem Vortragenden die Herren Generalarzt 
Hofmann, Geb. Hofrath Wiener, Dr. Wilser und Professor 
Schröder Theil. 

359. Sitzung am 6. Juli 1888. 

Auwesend 18 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

In der Sitzung vom 6. Juli wurde vorerst Berathung 
gehalten über ein Gesuch des Herrn Dr. v. Rebeur-Paschwitz 
und ein solches der anthropologischen Kommission des 
Alterthumsvereins Karlsruhe um Gewährung von Beiträgen 
für begonnene wissenschaftliche Arbeiten; den Vorschlägen 
des Vorstandes entsprechend wurden die gewünschten Summen, 
300 M. für ersteren, 200 M. für letztere, von der Versamm¬ 
lung bewilligt. 

Im Anschluss hieran brachte Herr Hofrath Dr. Engler 
die Wiederaufnahme der Bestimmungen des Ozons in der' 
atmosphärischen Luft in Anregung. Im Aufträge der 
Leopoldinisch-Carolin. Akademie der Naturforscher hatte 
Redner vor einigen Jahren eine kritische Zusammenstellung 
der Arbeiten über Ozon publizirt und ist jetzt der Ansicht, 
dass es zeitgemäss wäre, die Bestimmung des Ozons in der 
Luft nach neueren Methoden wieder aufzunehmen. Er hebt 
dabei ganz besonders die Bedeutung des Ozons gegenüber 
den in der Luft als schwebende Materie enthaltenen Keimen 
und Sporen, unter diesen zweifellos auch Krankheitsträger, 
hervor und betont die ungemein zerstörende Wirkung des 
Ozons gegenüber organischen und organisirten Substanzen, 
so dass nach seiner Auffassung dem Ozon als luftreinigendem 
Gas eine weit wichtigere Rolle zukommt, als man gemeinhin 
annimmt. Für Durchführung der immerhin sehr schwierigen 
Untersuchungen soll ebenfalls finanzielle Unterstützung durch 
den Verein in Aussicht genommen werden. Es handelt sich 
dabei namentlich um Errichtung einer Anzahl von Stationen 
an Orten verschiedener Höhenlage und verschiedener örtlicher 
Beschaffenheit im Grossherzogthum Baden, sowie um Er¬ 
mittelung und Ausbildung einer zuverlässigen ozonometrischen 
Methode. 

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4 


Der Vorsitzende, Herr Geh. Rath Dr. Grashof, sagt zu T 
den Gegenstand für die nächste Sitzung zur Beschlussfassung 
auf die Tagesordnung zu setzen. 

Schliesslich ergänzte Herr Hofrath Dr. Engler noch seine 
früheren Mittheilungen über künstliche Medikamentstoffe 
durch Angaben über die chemische Constitution des Methylais, 
Sulfonals, des Creolins. Phenacetins und ähnlicher Substanzen y 
welche in neuester Zeit als Hypnotica, Antiseptica und Anti- 
pyretica therapeutisch verwendet werden. 

Herr Baudirektor Honseil besprach die auf Anregung 
des Präsidiums des deutschen Fischerei Vereins seit etwa 
Jahresfrist angewandten vergeblichen Bemühungen, in den 
Gewässern des badischen Rheingebietes das Aufsteigen der 
sogen. Aalbrut zu beobachten. Es sei hiernach nicht mehr 
daran zu zweifeln, dass, bei uns wenigstens, die Aalbrut 
viel langsamer wandert, als man seither anzunehmen geneigt 
, war. Kleine Aale werden hierorts äusserst selten gefunden. 
Was selbst von Berufsfischern oft als junge Aale bezeichnet 
wird, sei die jugendliche Form des kleinen Flussneunauges 
(Petromyzon Planen), ein wurmartiges Fischwesen, dessen 
überaus häufiges Vorkommen in unseren Altrheinen und 
Bächen durch die Nachforschungen nach dem jungen Fluss¬ 
aal erst bekanut geworden sei. Redner zeigt solche blinden 
Neunaugen verschiedener Grösse vor und macht Mittheilungen 
über deren biologische Verhältnisse, woran Herr Professor 
Rebmann einige Bemerkungen anschliesst über die auch noch 
bei anderen Fischarten vorkommenden Metamorphosen. 

Herr Professor Dr. Meidinger hielt hierauf einen Vortrag 
über einen englischen Patentprozess. 

Am 1. bis 13. August 1887 wurde bei dem'High Court 
of Justice in London ein Patentprozess verhandelt, welcher 
nach dem Ausspruch des das Urtheil fällenden Richters, 
Stephen, zu den mühsamsten und interessantesten Fällen 
gehörte, welche demselben je vorkameu. Der Redner war 
veranlasst worden, ein Gutachten hierbei abzugeben und hatte 
dadurch Gelegenheit, einem Theil der Verhandlungen bei¬ 
zuwohnen und das englische Gerichtsverfahren kennen zu 
lernen. 


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5 


Der Gegenstand betrifft den Transport australischen und 
amerikanischen Fleisches nach London, beziehungsweise die 
hierzu dienenden Kaltluftmaschinen. Das Fleisch, auf nahe 
Null Grad abgekühlt, hält sich unbegrenzte Zeit unverändert, 
auch im gefrorenen Zustand — aber aufgethaut fallt es bei 
gewöhnlicher mittlerer Sommertemperatur rasch der Zer¬ 
setzung anheim; behufs längerer Konservirung wird es dess- 
halb nicht unter Null gekühlt. Das Handelsgeschäft hat 
sich ganz auf Grundlage der Kaltluftmaschine entwickelt, 
die andern bekannten Kältemaschinen wagte man wegen der 
bei ihnen verwendeten Chemikalien (Aether, Ammoniak) auf 
dem Schiff nicht aufzustellen. Seit 10 Jahren ist das Geschäft 
in der Entwicklung, gegenwärtig werden etwa eine Million 
Thierkörper, insbesondere Hämmel, im Werthe von 20 Millio¬ 
nen Mark nach London jährlich importirt (wöchentlich ein 
Schilf mit 20 bis 30 000 Stück). 

Die Kaltluftmaschine ist im Wesen eine Windhausen’sche 
mit besonderem Kompressions- und Expansionscylinder und 
Einspritzen von Wasser in ersteren behufs Kühlung der sich 
beim Zusammenpressen erhitzten Luft. Solche Maschinen 
wurden zuerst 1871 gebaut, doch nur in wenigen Exemplaren 
verbreitet, deren bekannteste die in der Hildebrand’schen 
Brauerei in Pfungstadt einst befindliche ist. Die Maschinen 
bewährten sich nicht, da sie sich mit dem aus der Luft bei 
der Expansion und Abkühlung ausgeschiedenen Schnee ver¬ 
stopften. Coleman in Glasgow kam auf den glücklichen 
Gedanken, die komprimirte und durch das zur Verfügung 
stehende Wasser auf 20 bis 30° C. abgekühlte Luft in einem 
Rohr durch den Raum, in welchem das Fleisch hängt, zu 
führen und hier weiter bis auf nahe Null Grad abzukühlen, 
wobei sich der weitaus grössere Theil ihres Dampfes als 
flüssiges Wasser ausscheidet, so dass bei der nachfolgenden 
Expansion im Cylinder sich so gut wie kein Schnee bilden 
kann. Der einfache Gedanke bewährte sich und machte die 
Verwendung der Kaltluftmaschine möglich. (Näheres siehe 
Zeitschrift d. V. d. J. 1884 S. 132, von Schöttler.) Der Er¬ 
finder erhielt für den Verkauf seines Patents (Bell u. Coleman, 
vom 15. März 1877) die Summe von 15 000 Pfd. St.; Eigen- 
thömer desselben ist die Haslam Foundry and Engineering 


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Company. — Seit einiger Zeit bauten nun J. u. E. Hall 
ebenfalls Kaltluftmaschinen mit geringen Modifikationen; 
statt ein Kühlrohr in «lern mit Fleisch behängten Raum, in 
welchem fortwährend die expandirte kalte Luft hineingeblasen 
wird, herumzuführen, wendeten sie eine mit jenem Raum 
zusammenhängende Vorkammer an, in welcher das Kühlrohr 
in Windungen sich befindet. Es kam darüber zur Klage. 

Redner ist wohl der erste deutsche Technologe gewesen, 
welcher Allgemeines und Ausführliches über Kältemaschinen 
veröffentlichte, zuerst in den Jahren 1868 und 1869 in der 
„Badischen Gewerbezeitung“. Die hier erschienenen und 
auch in anderen Blättern abgedruckten Abhandlungen gaben 
Anlass zu einer Einladung Windhausen’s an den Redner, die 
erste 1871 in Berlin aufgestellte Kaltluftmaschine zu besich¬ 
tigen. Redner folgte der Einladung und lenkte durch einen 
Vortrag in der Chemischen Gesellschaft die öffentliche Auf¬ 
merksamkeit auf die Maschine. Es gab dieser Umstand weiter¬ 
hin die Veranlassung, dass Redner von Professor A. W. Hof¬ 
mann in Berlin aufgefordert wurde, für den von Letzterem 
herausgegebenen Bericht Uber die chemische Industrie auf der 
Wiener Weltausstellung 1873 das Kapitel „Künstliche Er¬ 
zeugung von Kälte und Eis“ zu bearbeiten. (Bd. 4 S. 74 
bis 106. 1875.) Die betreffende Abhandlung wurde an vielen 
anderen Orten wieder abgedruckt (unter anderen „Bad. Gew.- 
Zeitung“ 1874, S. 65), auch in einer englischen chemischen 
Zeitschrift. 

Im vorigen Sommer erging nun an den Redner die Ein¬ 
ladung, in dem Prozess Haslam contra Hall ein Gutachten 
im Hinblick auf die einstigen Mängel der Windhausen’schen 
Maschine und auf die Neuheit und den Werth des Cole- 
man’schen Patentes abzugeben. Der Redner konnte ein 
Gutachten ganz im Sinne der klagenden Partei Zusagen. 

Anfangs August v. J. wurde die Sache in erster Instanz 
in London verhandelt. Von beiden Parteien waren bei der 
ungeheuren merkantilen Wichtigkeit des Gegenstandes die 
ersten Rechtsanwälte und Techniker Englands aufgeboten. 
Als Rechtsanwälte fungirten seitens der Kläger Sir Webster 
(Attorney general), Mr. Aston und Mr. Carpmael; seitens 
der Verklagten Sir James, Mr. Moulton und Mr. Bousfield. 


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7 


Als Techniker bildete Sir Bram well, Präsident des Ingenieur¬ 
vereins, den Hauptzeugen für die Kläger. 

In erster Instanz leitet die Verhandlungen und fällt das 
Urtheil ein Richter; derselbe erscheint, wie auch die Anwälte, 
in schwarzem Talar und weisser Perriicke; er wird Mylord 
angeredet. — Zur Bereithaltung des Materials finden die An¬ 
wälte Unterstützung durch eine grössere Anzahl jüngerer 
Clerks, welche ebenfalls im Talar sind, jedoch nicht in 
Perrücke; dieselben können auch Fragen an die Zeugen 
richten. Der Richter sitzt ziemlich erhöht an einer Art 
Katheder, der nur für eine Person Platz hat, zu seinen 
Füssen am Boden sitzen an einem langen Tische drei Gerichts¬ 
schreiber; zu seiner Rechten und Linken befinden sich kleine 
vorspringende Baikone für die Zeugen; unterhalb des einen 
die Stenographen; gegenüber dem Richter auf Bänken die 
Anwälte mit ihren Gehilfen, hinter denselben ansteigend, 
eine Reihe von Bänken für die Zeugen; ein Stockwerk höher, 
mit besonderem Zugang, Gallerien für das Publikum. In dem 
neuen grossen Justizgebäude finden sich derartige zahlreiche, 
gleich eingerichtete Sitzungssäle. Die Verhandlungen währen 
von 10 bis 4 Uhr, mit einer halbstündigen Unterbrechung. 

Die Verhandlungen begannen mit einer Darlegung de 8 
Falles durch den Attorney general. Dann wurden sofort die 
Zeugen der klagenden Partei citirt. Zuerst findet eine Be¬ 
fragung des Zeugen durch die klagende Partei statt (exami- 
nation), dann durch die verklagte Partei (cross examination), 
und dies wiederholt sich, bis jede Partei glaubt, alles Wissens- 
werthe gehört zu haben. Mit welcher Gründlichkeit hierbei 
verfahren wird, kann daraus entnommen werden, dass der 
zuerst vorgeladene Hauptzeuge Sir Bramwell zwei Tage, bei¬ 
läufig elf Stunden, verhört wurde. Hierauf kamen die ge¬ 
druckten, in Jedermanns Händen befindlichen Aussagen von 
Coleman (ein Quartheft von 40 Seiten), der in Glasgow 
gerichtlich vernommen worden war, zur Verlesung, was zwei 
Stunden dauerte. Dann folgten die Aussagen zweier Beamten 
der klagenden Firma und am vierten Tage wurde der Redner 
citirt, dessen Verhör auch die Zeit von zwei Stunden in 
Anspruch nahm. Der Redner folgte den Verhandlungen, die 
im Ganzen zwei volle Wochen dauerten, von da an nicht 


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länger; zur Beurtheilung der Methode war die verflossene 
Zeit völlig ausreichend. 

Die Anwälte zeigten sich vortrefflich vorbereitet für ihre 
Aufgabe; wenn man von diesem besonderen Falle aufs All¬ 
gemeine schliessen darf, so wird man dieselben stets in voller 
wissenschaftlicher Kenntniss von Naturprozess und tech¬ 
nischer Einrichtung finden, wie es gewiss nur bei Männern 
möglich ist, welche sich durch eingehendes naturwissenschaft¬ 
liches Studium als Specialisten für solche Streitfragen ein¬ 
geübt haben. Bis in das kleinste Einzelne wird Alles klar 
zu stellen gesucht; die Fragen an die Zeugen sind häufig 
nur auf ganz kurze Antworten der Bejahung oder Verneinung 
eingerichtet, insbesondere bei denen, welche weniger sprach¬ 
gewandt sind. Die Gegenpartei sucht das aus dem Zeugen 
zu erfragen, was von seiner Partei nicht berührt wurde, 
sucht ihn auch in Widersprüche zu verwickeln, um dadurch 
seine Aussagen als weniger zuverlässig erscheinen zu lassen, 
wie es im Kriminalverfahren üblich ist. So machte Coleman 
dem examinirenden Bousfield den Vorhalt: that js a catch 
question, das ist eine Fangfrage, was Letzterer allerdings 
zurückzuweisen suchte. Der Richter hört im Ganzen nur 
zu, doch stellt er mitunter auch eine Frage an Zeugen wie 
Anwälte. Die Verhandlungen ziehen sich sehr in die Länge, 
vieles wird wiederholt, in immer neuen Wendungen vor¬ 
gebracht Dies dient aber zur vollständigen Orientirung des 
Richters, so dass dieser zuletzt ein scharf begründetes Urtheil 
zu fällen in der Lage ist. 

Im vorliegenden Falle erfolgte nach drei Monaten, am 
12 November, ein Ausspruch des Richters, aber noch kein 
endgiltiges Urtheil (gedrucktes Aktenstück von 23 Seiten 
Quart). In der Hauptsache wurde das Patent für verletzt 
erklärt. Da sich aber in demselben noch ein Anspruch auf 
die Verbindung mehrerer Cyliuder zur Herstellung möglichst 
gleichförmiger Bewegung der Schwungradwelle befand, der 
für hinfällig erklärt wurde, so stimmten die Parteien für 
eine weitere Verhandlung, durch welche über die Principien- 
frage entschieden werden sollte, ob die beabsichtigte Ver¬ 
nichtung des betreffenden Anspruchs durch das Patentamt 
während des anhängigen Falles zulässig wäre. 


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Die Kosten eines solchen Monstreprozesses übersteigen 
alle in Deutschland gewohnten Vorstellungen; es wurde dem 
Redner die Summe von etwa 10 000 Pfund Sterling für eine 
Instanz genannt. Es sind aber noch zwei weitere Instanzen 
vorhanden. Der letzte Ausspruch liegt beim Parlament. 


360. Sitzung vom 26. Oktober 1888. 

Anwesend 37 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Neu angemeldetes Mitglied: Herr A. Holz mann, Lehramtspraktikant. 

Nachdem der Vorsitzende, Herr Geh. Rath Dr. Grashof, 
die Sitzung mit der Bemerkung eingeleitet hatte, dass der 
demnächst zu haltende Vortrag zugleich zur Begründung des 
Antrages über Errichtung von Stationen für Ermittelung des 
Ozongehaltes der Luft dienen solle, und dass man desshalb 
erst nach demselben über den Antrag selbst die Berathung 
eröffnen und Beschluss fassen wolle, hielt Herr Hofrath 
Dr. Engler einen ausführlichen Vortrag über das Ozon. 
Schon im Jahre 1785 nahm van Marum beim Arbeiten mit 
der Elektrisirmaschine einen eigenthümlichen Geruch wahr, 
dessen Auftreten mit Veränderungen der umgebenden Luft, 
insbesondere stärkeren Oxvdationswirkuugen in Verbindung 
stand. Schönbein entdeckte dann später (1839), dass beim 
Uebertritt der Elektricität durch Luft oder Sauerstoff der 
letztere, welcher bekanntlich auch ein Bestandteil der Luft 
ist, eine Veränderung erfahre derart, dass er von der ge¬ 
wöhnlichen inactiven, oder doch wenig activen Form in eine 
activere Modification übergehe und dass er in letzterer 
Gestalt, auf eine Reihe von Stoffen einwirke, dieselben oxydire 
und verändere, gegenüber welchen gewöhnliche Luft oder 
gewöhnlicher Sauerstoff unwirksam sind. Nach dem starken 
Geruch des Gases nannte er dasselbe Ozon (o£av, riechen) 
und stellte es auch noch nach anderen Methoden künstlich 
dar. Nächst Schönbein haben sich dann auch nochMarig- 
nac, Honzeau, v. Babo, Thenard, Andrews, Fox u. A. her¬ 
vorragende Verdienste um die Kenntniss des Ozons erworben; 
Soret wies nach, dass der gewöhnliche Sauerstoff bei seiner 
Umwandlung in Ozon auf genau zwei Drittel seines Volumens 
verdichtet werde, sowie auch, dass, wenn man Ozon durch 


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Erhitzen zerstört, aus zwei Raumtheilen desselben drei 
Raumtheile gewöhnlichen Sauerstoffs zuriickgebildet werden, 
das Molecül des Ozons sonach aus drei Atomen Sauerstoff 
bestehe. 

Obgleich man bisher nur mit Sauerstoff gearbeitet hat, 
in welchem wenige Prozente Ozon enthalten sind, haben 
sich schon ungemein energische Wirkungen selbst dieses 
verdünnten Ozons ergeben; es bleicht sofort die Pfianzen- 
farbstoffe, zerstört Holz, Kautschuk und alle organischen 
Stoffe, oxydirt das Blut zu Kohlensäure und Wasser, wirkt 
äusserst heftig auf die Respirationsorgane ein und tödtet 
niedere Organismen, so auch die Mikroben der Atmosphäre 
und des Wassers fast sofort. Ganz anders ist seine Wirkung 
dagegen in starker Verdünnung, wo es, eingeathmet, Schwindel 
und Schlaf erzeugt, in noch stärkerer Verdünnung dagegen 
erfrischend und anregend wirkt. Vortragender stellte mittelst 
eines Babo’schen Apparates Ozongas dar und demonstrirte 
an demselben die wichtigsten Eigenschaften. Durch Modifi- 
cation der Methode ist es ihm in Gemeinschaft mit Herrn 
Dr. Dieckhoff gelungen, einen Sauerstoff mit 14 Prozent 
Ozon darzustellen, während man bisher im günstigsten Falle 
5,6 Prozent erhielt. Die Arbeit mit einem derart concen- 
trivten Ozon erfordert wegen seiner äusserst heftigen Wir¬ 
kungen besondere Vorsicht. 

Als fast regelmässiger Bestandtheil der atmosphärischen 
Luft wurde das Ozon schon von Schönbein erkannt. Es 
bildet sich darin durch Uebertritt der Elektricität, und der 
fälschlich „schwefelartig“ genannte Geruch, der nach Ge¬ 
wittern mit starken Blitzschlägen oft deutlich wahrzunehmen 
ist, muss auf die Bildung von Ozon zurückgeführt werden. 
Auch die in der Natur zahlreich verlaufenden langsamen 
Verbrennungsprozesse, sowie die Verdunstungsprozesse nament¬ 
lich salzhaltiger Flüssigkeiten, wie des Meerwassers und der 
Salzsoolen auf Gradirwerken, sind als Quellen für Ozon¬ 
bildung anzuselien. Inwieweit mit der Entwicklung des Sauer¬ 
stoffs durch die Pflanzen auch die Bildung von Ozon verbunden 
ist, muss noch dahingestellt bleiben. Von vornherein erscheint 
dies wahrscheinlich, da fast aller bei gewöhnlicher oder nicht zu 
hoher Temperatur künstlich erzeugte Sauerstoff ozonhaltig ist. 


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Die Menge des in der Luft enthaltenen Ozons ist jedenfalls 
sehr schwankend, sie ist am grössten nach Gewittern, grösser 
bei Nacht als bei Tag, im Frühjahr als im Herbst; in 
volkreichen Städten, insbesondere aber in den Wohnungen 
findet sich wenig oder gar kein Ozon in der Luft, während 
der Nachtzeit jedoch lässt es sich in Strassen und auf freien 
Plätzen erkennen. Sehr bemerkenswerth ist die Zunahme 
des Ozongehaltes mit der Höbe; diesbezügliche Versuche in 
verschiedenen Höhen auf der Kathedrale zu Metz haben eine 
Zunahme des Ozongehaltes bei 100 Meter auf das Sechs¬ 
fache von demjenigen bei 20 Meter ergeben und zu gleichen 
Ergebnissen ist man durch Versuche auf der Kathedrale 
zu Ainiens, sowie durch Ozonbestimmungen auf den Alpen 
bis in Höhen von 2400 Metern gekommen. Ueberall zeigte 
sich ein mit der Höhe zunehmender Ozongehalt in der Luft. 
Endlich verdient nocli hervorgehoben zu werden, dass auch 
an den Küsten und über dem Meere der Ozongehalt durch¬ 
weg höher gefunden wurde, als im Binnenlande, während 
der höhere Ozongehalt in den Wäldern noch als eine offene 
Frage zu betrachten ist. 

Ucber die Rolle, welche das Ozon in unserer Atmo¬ 
sphäre spielt, sind noch wenig exakte Anhaltspunkte vorhanden, 
wofür der Grund theilweise darin zu suchen ist, dass die 
absoluten Mengen sehr gering sind (nach Schönbein durch¬ 
schnittlich in 1 Million Theilen Luft 2 Theile Ozon) und 
dass man so geringen Mengen zur Zeit keine Bedeutung 
beizulegen gewohnt ist. Berücksichtigt man jedoch, dass 
unsere Begriffe von Menge jederzeit abhängig waren und 
noch sind von den Mitteln zur Bestimmung derselben, von 
der mehr oder weniger grossen Genauigkeit unserer Instru¬ 
mente und dass es Zeiten gab, in denen man auch z. B. 
der Kohlensäure der Luft wegen ihrer scheinbar so geringen 
Menge keine Bedeutung glaubte beilegen zu dürfen, während 
wir jetzt wissen, dass es ohne dieselbe kein Pflanzenleben 
gäbe, so kann die geringe Menge des in der Luft enthal¬ 
tenen Ozons kein triftiger Grund sein, dasselbe nicht zu 
beachten, um so weniger, als das Gas eine ganz ausser- 
gewöhnliche starke chemische Energie aufweist, also auch 
schon in geringer Menge starke Wirkungen zeigt. Dass in 


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den unteren Luftschichten sich weniger Ozon findet als in 
den obereu, erklärt Vortragender damit, dass dasselbe durch 
die von der festen Erdoberfläche abgerissenen, durch bewegte 
Luft mit tortgeführten freien Staubtheilchen (Tyndall’s schwe¬ 
bende Materie) aufgebraucht wird; denn indem das Ozon 
zerstörend auf diese schwebende Materie ein wirkt, wird es 
selbst zerstört. Gerade aber in dieser zerstörenden Wirkung, 
die das Ozon auf die in der Luft schwebenden Theilchen 
ausübt, liegt ein wesentliches Moment seiner allgemeinen 
sanitären Bedeutung, da es durch Vernichtung der An- 
steckungsstoffe und Krankheitsmikroben einen höchst wich¬ 
tigen Luftreinigungsprozess ausübt. Demgemäss würde der 
Kampf zwischen den unteren und oberen Luftregionen 
hauptsächlich geführt durch die von der Erde sich ablösende 
schwebende Materie einerseits und das in den oberen Luft¬ 
schichten angesammelte Ozon andererseits. Vielfach ist 
desshalb auch schon das Auftreten von Epidemien mit dem 
Fehlen des Ozons in der Luft in Verbindung gebracht worden; 
doch mangeln hierfür noch exakte Nachweise. Naheliegend 
ist ferner auch die günstige Wirkung hochliegender Luft¬ 
kurorte auf den notorisch höheren Ozongehalt der höheren 
Luftschichten zurückzuführen. 

Durch Untersuchungen, die von verschiedenen Forschern 
in den letzten Jahren angestellt werden sind, ist eine ge¬ 
wisse Unsicherheit bezüglich des Ozongehaltes der Luft in 
sofern eingetreten, als es durch Nachweis des Wasserstoff¬ 
superoxydes zweifelhaft geworden ist, ob das, was man 
früher als Ozon ansah, nicht vielleicht auf Wasserstoffsuper¬ 
oxyd zurückzuführen ist, welches ähnliche Eigenschaften wie 
das Ozon besitzt. Vortragender hat desshalb in Gemeinschaft 
mit Herrn Dr. Dieckhoff die Ozonfrage wieder aufgegriffen 
und es ist bereits gelungen, eine Methode aufzufinden, 
durch welche das Ozon unter Ausschluss des Wasserstoff¬ 
superoxydes bestimmt werden kann. Betreffende Methode 
wurde beschrieben und an einem aufgestellten Apparat er¬ 
läutert. Unter Zugrundelegung dieser neuen Methode sollen 
nun an einer Reihe von Orten, welche sich durch Höhen¬ 
lage und Umgebung (Wald, Wasser) unterscheiden, Stationen 
errichtet werden zur Bestimmung des Ozons an gleichen 


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Tagen und Stunden des Jahres. Bezüglich der Auswahl 
dieser Orte hatte Herr Baudirektor Professor Honseil die 
Freundlichkeit, mit seinem Rath an die Hand zu gehen 
(vorerst hat man in Aussicht genommen, je eine Station im 
südlichen Schwarzwald in einer Höhe von etwa 1000 Meter, 
im unteren Schwarzwald in etwa 800 Meter Höhe, auf der 
nördlichen kahlen Abdachung des Schwarzwaldes, im Hardt¬ 
wald, am Rhein) und hat auch zugesagt, bei Auswahl ge¬ 
eigneter Persönlichkeiten an den vorhandenen meteorolo¬ 
gischen Beobachtungsstationen behilflich zu sein. Vorerst 
ist eine Zeit von vier Jahren für die Beobachtungen in Aus¬ 
sicht genommen, da ein kürzerer Zeitraum kein genügend 
richtiges Bild über die Schwankungen des Ozongehaltes zu 
geben verspricht. 

Nach einer kurzen, an den Vortrag sich anschliessenden 
Berathung. an der sich die Herren Döll und Just betheiligten, 
gab der Vorsitzende eine Uebersicht über die dem Verein zu 
Gebote stehenden laufenden Geldmittel und empfahl namens 
des Vorstandes die Bewilligung der Mittel für Errichtung 
und Unterhaltung der Ozonstationen, welcher Vorschlag ein¬ 
stimmige Annahme fand. 

Herr Professor Dr. Meidinger machte hierauf noch eine 
Mittheilung über den Phonographen und das Graphophon. 
Dem erfinderischen Edison ist es bekanntlich gelungen, die 
Schallwellen der Luft in einer nachgiebigen Masse in Form 
einer verschieden tief einschneidenden Furche gewissermassen 
zu fixiren und von hier wiederum zu erzeugen, so dass 
deutliche Töne und Worte zu Gehör gebracht werden konnten. 
Der betreffende Apparat wurde von Edison als „Phonograph“ 
bezeichnet und zum ersten Male auf der elektrischen Aus¬ 
stellung von Paris 1881 grösseren Kreisen vorgeführt; er 
machte selbst in seiner damaligen Unvollkommenheit grosses 
Aufsehen. Derselbe ist inzwischen durch reisende Techniker 
vielfach, selbst in Schulen, demonstrirt worden. Das als 
nachgiebige Masse ursprünglich in ebener Tafel verwendete 
Staniol gestattete nicht eine völlig getreue Wiedergabe der 
Worte und Töne, auch war es nicht, abgelöst von dem In¬ 
strument, auf einem andern zu verwenden. Erst neuerdings 
fand Edison Gelegenheit, sich mit der Vervollkommnung 


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seines Phonographen zu beschäftigen und es ist ihm jetzt 
gelungen, denselben in einer geradezu bewunderungswürdigen 
Weise herzustellen. Das die Schallwellen aufnehmende 
Organ ist eine Rolle, ein kleiner Cylinder aus Pappendeckel, 
welcher mit einer dünnen Schicht Wachs überzogen ist; in 
dieses Wachs wird die Schallfurche in einer ununterbrochenen 
Schraubenlinie, welche von einem Ende der Rolle bis zum 
andern in sehr nahen Windungen läuft, eingedrückt. Zur 
Uebermittelung dient ein kleines Gehäuse mit einer Membran, 
welche einseitig die Schallwellen des Wortes oder der Musik 
durch einen Ti’ichter und Gummirohr aufnimmt (ähnlich dem 
Telephon), während anderseitig ein mit ihr verbundener 
Stift auf das Wachs drückt; durch rasche Drehung und seit¬ 
liche Verschiebung der Rolle entsteht die Schraubenfurche. 
Wird nun nach Beendigung der Aufnahme eine ähnlich ge¬ 
formte Vorrichtung aufgesetzt, durch welche die Membran 
jetzt mechanisch in Schwingung gelangt, so werden die Luft¬ 
wellen nach aussen gestossen und deutlich von einer grösseren 
Zahl Menschen im Umkreise Worte und Töne in ursprüng¬ 
lichem Charakter vernommen. Die Rolle kann auf einem 
andern gleich gebauten Instrument dieselbe Wirkung er¬ 
zeugen. Bedingung für richtige Functionirung ist eine rasche 
sehr gleichförmige Drehung der Rolle; Edison verwendet 
hierfür eine kleine Dynamomaschine, wodurch der Apparat 
wohl etwas theuer wird. 

Fast gleichzeitig mit dem neuen Phonographen von Edison 
ist ein von den Amerikanern Tainter und Gebr. Bell erfundener 
ähnlicher, aber als „Graphophon“ bezeichneter Apparat in 
die Oelfentlichkeit gelangt. Derselbe besitzt ebenfalls einen 
kleinen mit Wachs überzogenen Pappencylinder für die Auf¬ 
nahme der Schallwellen in einer Schraubenfurche; die Drehung 
erfolgt hier durch Fusstritt und ist ein sinnreicher Zwischen¬ 
mechanismus angewendet, um den Umlauf zu einem voll¬ 
kommen gleichmässigeu zu machen. Bei der Reproduction 
kann hier nur einer Person das Verzeichnete zu Gehör 
gebracht werden, indem von der mechanisch in Schwingung 
versetzten sehr kleinen Membran aus zwei Schallrohre in deren 
beiden Ohren führen. Der ganze Apparat sieht einer gewöhn¬ 
lichen Nähmaschine in allgemeiner Form und Grösse sehr ähn- 


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lieh. Der Redner hatte Gelegenheit, ein Graphophon im Septem¬ 
ber dieses Jahres in London kennen zu lernen, wo es kurz 
zuvor von Amerika eingetroffen war. Der Chef der englischen 
Staatstelegraphenverwaltung, Mr. Preece, hatte es auf seinem 
Bureau in dem Hauptpostgebäude aufgestellt und demon- 
strirte es dem ihn besuchenden Redner mit grossem Ent¬ 
gegenkommen. Die Wirkung der Reproduction eines auf 
einer Rolle gravirten Musikstücks war geradezu verblüffend; 
man glaubte in dem Zimmer Klavierspiel zu hören. Mr. Prcece 
hatte noch die Freundlichkeit, dem Redner eine neue Rolle 
zu präpariren, ein „Phonogramm“ herzustellen. Er sprach 
einige Zeit in den Apparat und dann veranlasste er auch 
den Redner hierzu. Bei der sofort erfolgenden Reproduction 
war es dem Redner höchst überraschend, wohl sehr genau 
die Stimme des Herrn Preece wieder zu erkennen, aber nicht 
seine eigene; seine zuvor gesprochenen Worte schienen von 
einer fremden Person zu stammen. Durch diesen merk¬ 
würdigen Apparat haben wir zuerst davon Kenntniss erlangt, 
dass unsere Stimme auf uns selbst einen ganz anderen Ein¬ 
druck macht, als auf die Zuhörer, wahrscheinlich da wir die 
Schallwellen zumeist direct aus der Mundhöhle in das Gehirn, 
am wenigsten durch die äussere Luft in das Ohr zugeführt 
erhalten. Die betreffende gravirte Rolle konnte Redner der 
Versammlung vorzeigen. Sie ist im Ganzen 15 Centimeter 
lang, 32 Millimeter weit und enthält auf das Millimeter 
sechs Schraubengänge; ihr Ablauf erfolgte in beiläufig fünf 
Minuten; eine so lange Zeit hindurch könnte man also 
Musik, oder die Worte einer Person, oder auch das Gespräch 
mehrerer Personen hören. — Von einem in der Wachsrolle 
gravirten Phonograrom soll man mehrere hundert Reproduc- 
tionen machen können ohne Verminderung der Wirkung. 
Dieser mit wohl nicht höheren Kosten als eine Nähmaschine 
herzustellende Apparat wird im Laufe der Zeit gewiss eine 
grosse Verbreitung erlangen. In England denkt man bereits 
daran, ihn für Korrespondenzen zu verwenden; die als 
Waarenprobe (in kleinen Kästchen) zu versendende Rolle 
soll nicht mehr Porto als ein gewöhnlicher Brief kosten. In 
den Familien wird man sich Sammlungen von den Stimmen 
seiner Angehörigen, von Musikaufführungen anlegen. Solche, 


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die fremde Sprachen erlernen, können sich ohne Hilfe eines 
Lehrers die richtige Aussprache vorführen und einprägen. 
Wie wir jetzt unsere Sprache gesprochen haben, können wir 
allen späteren Zeiten überliefern etc. Es würde wohl keine 
Schwierigkeit haben, die immerhin leicht zu verletzenden 
Wachsphonogramme galvanoplaslisch in Kupfer getreu zu 
copiren. Durch Abbildungen und Tafelzeichnungen konnte 
Redner die beiden Instrumente näher erläutern. 


361. Sitzung am 9. November 1888. 

Anwesend 32 Mitglieder. Vorsitzender Geh. Rath Dr. Grashof. 

Herr Professor Dr. Hertz zeigte eine neue, dem physi¬ 
kalischen Kabinet der technischen Hochschule von J. R. Voss 
in Berlin zugekommene, sehr wirksame Infi uenz-Elektrisir- 
maschine vor, erläuterte dieselbe und stellte verschiedene, 
zum Theil neue Versuche mit ihr an, von denen einer als be¬ 
sonders merkwürdig hervorgehoben werden mag: werden bei 
Drehung der Glasscheibe die Pole so weit auseinander gerückt, 
dass Entladungen nicht mehr erfolgen, so kann man, sofern 
die Scblagweite nur wenig überschritten wurde, Funken 
wieder erhalten, wenn man zuvor durch rasches Vorbeiführen 
der Hand an dem negativen Pol hier einen Funken über¬ 
schlagen lässt; der positive Pol zeigt diese Eigenschaft nicht. 

Herr Professor Dr. Meidinger berichtete alsdann über 
die elektrischen Transformatoren. Man versteht hier¬ 
unter den allbekannten Inductionsmaschinen (Funkeninductoren) 
im Prinzip ähnliche Apparate, bei welchen jedoch umgekehrt 
Ströme von hoher Spannung und geringer Menge in solche 
von schwacher Spannung und grosser Menge umgewandelt 
werden sollen. Sie dienen bei der elektrischen Beleuchtung, 
um den Strom auf grosse Entfernungen in dünnem Draht 
transportiren und damit den Anlagen von einer Centralstelle 
aus eine viel grössere Ausdehnung geben zu können, was 
bei unmittelbarer Verwendung der Ströme wegen der bedeu¬ 
tenden Kosten der dann nothwendigen sehr dicken Kupfer¬ 
leitung nicht möglich ist. Die erst wenige Jahre alte Er¬ 
findung ist schon an vielen Orten mit Erfolg ins Leben ge- 


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treten. Man hat die Stromumsetzung bis jetzt nur bei 
Wechselströmen vornehmen, desshalb bei Kraftübertragungen 
(Transmissionen) das Prinzip nicht verwerthen können. 

Herr Professor Dr. Platz legte einige von ihm auf¬ 
genommene Photographien aus der Gegend des Titisees 
und Schluchsees vor, welche die von ihm in früheren Vor¬ 
trägen (199. Sitzung am 16. November 1877, 215. Sitzung am 
6. December 1878 und 336. Sitzung am 17. December 1886) 
geschilderten und als Reste von Gletschern aus der Diluvial¬ 
zeit gedeuteten Kiesablagerungen illustriren. Es sind theils 
Bilder der moränenartigen Hügel bei Altenweg, nahe dem 
Titisee und bei Seebruck am südöstlichen Ende des Schluch¬ 
sees, theils Anschnitte solcher Kiesmassen von der Eisen¬ 
bahn zwischen Hinterzarten und Titisee, sowie aus den Um¬ 
gebungen von Schluchsee bei Fischbach und Seebruck, welche 
die Moränenstructur: „Mangel an Schichtung und Mischung 
von Sand und Kies mit grossen erratischen Blöcken“ in 
ausgezeichneter Weise erkennen lassen, theils Aufnahmen 
einzelner Blöcke und Blockgruppen aus den Bahngräben im 
Torfmoor von Hinterzarten, welche auf Anordnung der 
Grossh. Eisenbahndirection an den Bahnhöfen von Hinter¬ 
zarten und Titisee aufgestellt wurden und die für Gletscher¬ 
wirkung charakteristische Schleifung und Ritzung sehr schön 
zeigen. Die photographische Aufnahme wurde gewählt, weil 
sie allein ein vollkommen richtiges, von der subjectiven 
Auffassung, wie von der Geschicklichkeit des Zeichners un¬ 
abhängiges Bild liefert. Solche Bilder sind zur Darstellung 
geologischer Erscheinungen, wie z. B. Lagerung, Form und 
Structur als zuverlässige Belege von grossem Werthe, 
besonders wenn, wie hier, die zahlreichen Einzelheiten sich 
nnr unvollkommen durch Zeichnung abbilden lassen; sie 
wurden desshalb absichtlich, um ihre Naturwahrheit nicht zu 
alteriren, ohne Retouche gelassen. Die Aufnahme geschah 
mit einem Landschaftsobjectiv von Voigtländer, zu welchem 
ganz neue, in der glastechnischen Anstalt zu Jena herge¬ 
stellte Glassorten verwendet wurden, welche sich durch 
grosse lictitbrechende Kraft bei geringer Farbenzerstreuung 
auszeichnen. 


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362. Sitzung am 23. November 1888. 

Anweseud 33 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. ßrashof. 

Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. A. Resch, Arzt. 

Herr Professor Dr. Endres sprach Uber pflanzen physio¬ 
logische und pflanzen che mische Forschungsergebnisse 
i nt W a 1 d e. Nach einem kurzen Rückblick auf die geschichtliche 
Entwickelung der forstlichen naturwissenschaftlichen Diszi¬ 
plinen ging Redner auf die Wachsthums- und Ernährungs¬ 
bedingungen der Pflanzen ein. Die Substanz der Pflanze, 
bezw. des Baumes, setzt sich aus organischen und anorga¬ 
nischen Stoffen zusammen. Die organischen Bestandtheile 
erhält der Baum durch die Assimilationsthätigkeit der chloro¬ 
phyllhaltigen Blätter, indem durch die Einwirkung des 
Sonnenlichtes die Kohlensäure der Luft zerlegt und der 
Kohlenstoff in den Blättern aufgespeichert wird. Der gesammte 
Kohlenstoff auf der Erde wird einzig und allein durch diesen 
Prozess gewonnen. Die mineralischen oder anorganischen 
Nährstoffe erhält der Baum aus dem Boden, wo sie durch 
den Einfluss des reinen oder kohlensäurehaltigen Wassers 
in eine für die Aufnahme durch die Wurzeln brauchbare 
Form gebracht werden, um mit dem Wasser in den äusseren 
Splintschichten des Holzkörpers in die Blätter (Baumkrone) 
zu wandern. Die chlorophyllhaltigen Blätter repräsentiren 
die chemische Fabrik, in welcher durch den Prozess des 
Stoffwechsels die organischen, assimilirten und die mine¬ 
ralischen, aus dem Boden stammenden Bestandtheile zu den 
eigentlichen Holzsubstanzen bildenden Stoffen vereinigt und 
nun von da im Cambium und in den Basttheilen der Rinde 
zum Orte ihrer Verwendung transportirt werden. Die Holz¬ 
zelle ist um Mitte August fertig gebildet und unterliegt 
keiner weiteren Veränderung mehr als jenen, welche durch 
Intussuszeption der Kernsubstanz in die Zellwände und durch 
Verharzung in den folgenden Jahren verursacht werden. Für 
den Prozess der Verkernung fehlt noch die physiologische 
wissenschaftliche Erklärung. Durch die jüngsten Unter¬ 
suchungsergebnisse von R. Hartig und R. Weber in München 
über das Holz der Rothbuche wurde festgestellt, dass die 
Rehabilitation des Baumes im Frühjahr, d. h. der Beginn 
der vegetativen Thätigkeit, sich auf den Verbrauch der in 


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den äussersten 3 bis 4 Jahrringen aufgespeicherten Kohlen¬ 
hydrate und Reservestoffe beschränkt, während das in den 
übrigen äusseren Holztheilen abgelagerte Stärkemehl und die 
noch im zentralen Holzkörper nachweisbaren stickstoffhaltigen 
organischen Stoffe in jeder Jahreszeit in gleicher Menge 
vorhanden sind. Die Thatsache beweist, dass die Jahreszeit 
der Fällung auf die Qualität des Holzes keinen Einfluss 
ausüben kann; wohl aber verdient die Winterfällung vor der 
Somtnerfällung desswegen den Vorzug, weil die Winterkälte 
die Pilzentwickelung auf den Schnittflächen verhindert. Die 
nicht zur alljährlichen Rehabilitation verwendeten passiven 
Reservestoffe sind aber keineswegs funktionslos, sondern dienen 
nach der Verroutliung Hartig’s zur Dotirung des in ver¬ 
schiedenen Intervallen und in wechselnden Quantitäten 
anfallenden Samenertrages. Hiermit übereinstimmend ist 
das Ergebniss der von Weber ausgeführten Aschenanalysen, 
dass vom Zeitpunkte der Pubertät des Baumes ab der Kali- 
und Phosphorsäuregehalt des Holzes die in den Jugendjahren 
vorhandene Höhe nicht mehr erreicht, weil gerade diese 
Stoffe zur Samenbildung in grossen Mengen verwendet werden. 
Die Rinde der Buche enthält, wie bei allen andern Wald¬ 
bäumen, die meiste Asche, und zwar zunächst sehr viel 
Kalk und Kieselsäure. Im Baume steigt der Kaligehalt von 
der Peripherie gegen das Centrum und von unten nach oben, 
dagegen nimmt der Gehalt an Phosphorsäure und Magnesia 
von aussen nach innen ab. Die aschenreichsten Bestand¬ 
teile des Baumes sind die jüngsten Zweige und die Blätter. 
Den meisten Stickstoff enthalten die peripherischen Schichten 
des Stammes. Nach den Untersuchungen E bermayer’s enthält 
der Waldboden keine Spur von salpetersauren Salzen, wahr¬ 
scheinlich weil derselbe für die Entwickelung der bei der 
Nitrification tätigen saprophytischen Bacterien nicht geeignet 
ist. Im Innern des Baumes finden sich die Nitrate nur 
dann, wenn solche im Boden Vorkommen, da die Oxydation 
des Ammoniaks im Baume selbst unmöglich ist. Daher 
erklärt sich die grosse Salpeterarmuth im Holze. Als Stick¬ 
stoffnahrung stehen den Waldbäumen nur Ammoniaksalze 
und stickstoffhaltige organische Substanzen, die sogen. Amide, 
zur Verfügung. Der jährliche Stickstoffbedarf des Waldes 

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beträgt etwa 60 kg. für deu Hectar; hievon verbrauchen die 
Blätter allein 44 kg. Die Menge des aus der Luft dem 
Boden durch die wässerigen Niederschläge jährlich zukom¬ 
menden Stickstoffs beträgt 12 kg für den Hectar, welche 
zwar für die Holzproduction, nicht aber für die Production 
der Blätter hinreichend sind. Daraus erklärt sich die agri- 
culturchemische Nothwendigkeit, dem Walde die Streudecke 
zu belassen, weil diese allein die für die Blattproduction 
nöthigen Stickstoffmengen zu liefern im Stande ist. 

An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Berathung 
an, an welcher sich ausser dem Vorredner die Herren 
Ammon, Hofrath Just, Forstrath Schuberg, Forstrath Weise 
und Geh. Hofrath Wiener betheiligten. 


363. Sitzung am 7. Dezember 1888. 

Anwesend 36 Mitglieder. Vorsitzender: Geh. Rath Dr. Grashof. Neu 
angemeldete Mitglieder, die Herren: Prof. M. Möller, an der Techn. 
Hochschule, Dr K. Brick, Dr. P. Tschierske und Dr. H Heine, 
Assistenten an der Techn. Hochschule. 

Herr Hofrath Dr. Just hielt einen Vortrag über Schutz¬ 
mittel der Pflanzen und behandelte besonders solche Schutz¬ 
mittel, deren sich die Pflanzen gegen Schnecken bedienen. 
Dieselben wurden kürzlich von Professor Stahl in Jena in 
einer interessanten Schrift behandelt, über welche der Vor¬ 
tragende berichtet. 

Die Pflanzen haben, wenn sie überhaupt bestehen wollen 
eine grosse Zahl der verschiedenartigsten Schutzmittel nöthig, 
um sich gegen die mannigfachsten Angriffe zu vertheidigen. 
Man kannte bis vor nicht langer Zeit an den Pflanzen nur 
verhältnissmässig wenige Schutzmittel, die besonders auffallend 
und in ihrer Wirkungsweise leicht zu beobachten sind. Solche 
Schutzmittel (starke Bewachsung durch Dornen, heftig wirkende 
Gifte u. dgl.) wurden ursprünglich besonders für tropische 
Pflanzen von den Reisenden beschrieben. Je mehr jedoch 
dieses interessante Gebiet der Biologie untersucht wurde, um 
so mehr fand man, dass die Schutzmittel der Pflanzen ganz 
ungemein verbreitet sind, so dass es wohl keine Pflanze gibt. 


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die der Schutzmittel ganz entbehrt. Schädigungen können 
die Pflanzen erleiden durch Angriffe der Thiere, durch 
pflanzliche Parasiten, durch Verhinderung der Wanderung, 
durch ungünstige klimatische Verhältnisse, durch unvorteil¬ 
hafte Zusammensetzung des Bodens, durch Wirkung von 
Giften, durch Befruchtung unter nahen Verwandten, durch 
ungünstige Keimungsbedingungen etc. Die verschiedenartigen 
Schutzmittel, deren sich die Pflanzen gegen solche Schädi¬ 
gungen bedienen, kamen zur Besprechung und wurden durch 
Beispiele erläutert. Die Schutzmittel der Pflanzen haben 
meist nur eine relative, keine absolute Bedeutung. Würden 
die Pflanzen es verstanden haben, ihre Schutzmittel so aus¬ 
zubilden, dass sie z. B. gegen die Angriffe der Thiere absolut 
wirkten, so würde damit die Existenz der Thierwelt unmöglich, 
da dieselbe in ihrer Ernährung direkt oder indirekt von den 
Pflanzen unbedingt abhängig ist. Hätten andererseits die 
Thiere es verstanden, die Schutzmittel der Pflanzen vollkommen 
zu überwinden, so würde die Pflanzenwelt und in Folge dessen 
auch die Thierwelt zu Grunde gehen. Manche Schutzmittel, 
die ganz ungemein wirksam sind, werden doch von einzelnen 
Thieren überwunden. Die vorzüglich bewaffneten Disteln 
werden vom Esel gefressen Einige Pflanzen, die als Schutz¬ 
mittel heftig wirkende Gifte besitzen, werden von manchen 
Thieren ohne Nachtheil gefressen. Oft sind gleichartige 
Schutzmittel ganzen Familien eigenthümlich, wenn dieselben 
auch über sehr weite, Strecken der Erde verbreitet sind 
(z. B. die Behaarung der Asperifoliaceae), andererseits kommt 
in bestimmten Familien ein sehr weit gehender Wechsel der 
Schutzmittel vor. 

Den Nachstellungen der Schnecken sind sehr viele 
Pflanzen ausgesetzt. Die betreffenden Pflanzen sind aber 
meist gegen die Schädigungen durch Schnecken so gut ge¬ 
schützt, dass die Schnecken nur mit Widerwillen, gedrängt 
durch den Hunger, die Pflanzen anfressen und sich durch die 
ihnen unangenehme Kost nicht genügend sättigen. Wenn 
man Schnecken einfängt, so befinden sich dieselben fast stets 
im Hungerzustande. Die Pflanzen sind also gegen die 
Schnecken auch nur relativ geschützt und die Schnecken 
können die Schutzmittel der Pflanzen nur theilweise über- 


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winden. Es gibt solche Schnecken, welche ihre Nahrung an 
sehr vielen Pflanzen suchen, das sind die Omnivoren. Ander¬ 
seits gibt es solche, welche sich nur an wenige Pilanzen halten 
und die Schutzmittel derselben fast vollkommen überwunden 
haben, das sind die Spezialisten. So frisst z. B. Simas maximus 
fast nur Pilze, die von andern Schnecken vermieden werden. 

In vielen Fällen sind die Schutzmittel, welche die 
Bilanzen gegen die Schnecken anwenden, leicht verständlich. 
Es handelt sich hier um sogenannte mechanische Schutz¬ 
mittel: starke Behaarung, Stacheln, Dornen, festwindende 
Pilanzentheile, harte Haut- und Rindenbildungen. Häufig 
bestehen die Schutzmittel aber in verschiedenen, in der 
Pflanze enthaltenen oder von derselben ausgeschiedenen 
Stoffen, welche den Schnecken so unangenehm sind, dass sie, 
erst durch den Hunger getrieben, die Pflanzen anfressen 
ohne sich ganz zu sättigen. Um den Werth und die Be¬ 
deutung solcher Schutzmittel zu prüfen, schlug Stahl folgendes 
Verfahren ein: Er nahm Theile der geschützten Pflanzen 
und setzte dieselben eingefangenen Schnecken entweder frisch 
vor oder nachdem sie mit absolutem Alkohol ausgezogen 
waren, so dass sie ihr Schutzmittel verloren hatten. Die 
frischen Pilanzentheile wurden von den Schnecken nicht an¬ 
gerührt oder erst in hochgradigem Hungerzustande, während 
die extrahirten Pilanzentheile gierig gefressen wurden. Es 
war auf solche Weise festgesetzt, dass durch die Behandlung 
mit Alkohol Stoffe aus der Pflanze entfernt wurden, welche 
früher die Schnecken abhielten. 

Als wichtige Schutzmittel ergaben sich auf solche Weise 
Bitterstoffe, ätherische Oele, Gerbsäure, saure Säfte, Ablage¬ 
rungen von Kieselsäure und Kalk in den Pflanzentheilen. 
Ein besonders wichtiges Schutzmittel sind die so ungemein 
häufig auftretenden Krystalle von Calciumoxolat, welche 
durch ihre scharfen Kanten, Ecken, Spitzen die Fusswerk- 
zeuge der Schnecken verletzen. 

364. Sitzung am 28. Dezember 1888. 

Gemeinsam mit der Deutschen Kolonial-Gesellscbaft und der Badischen 
Geographischen Gesellschaft. 

Herr Professor Dr. Paulitschke aus Wien hielt einen 
Vortrag über das Volk der Galla. Der Redner schilderte 


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zunächst die ethnologische Stellung des von ihm 1884/85 
besuchten grossen ostafrikanischen Volkes der Galla oder 
Oromo und hob namentlich dessen Wichtigkeit und Zukunft 
für die deutschen Besitzungen in Ostafrika hervor. Er 
nannte sie mit Rücksicht auf die Züge des Volkes auf afri¬ 
kanischem Gebiete die „Gothen“ Afrika's. Hieran schloss 
sich die Besprechung der Wohnsitze des Volkes. Die Galla 
gliedern sich in grosse, viele Millionen Köpfe zählende Sippen, 
die wiederum in eine Anzahl von Stämmen zerfallen, an 
deren Spitze bei staatlichen Gebilden (Wollo-Galla, Djima, 
Gumma, Kaffa) Könige oder Königinnen, sonst mächtige 
Häuptlinge stehen. 

Das Volk sass in den ersten Jahrhunderten der christ¬ 
lichen Zeitrechnung am Südrande des Golfs von Aden, wo 
es auch mit dem Christenthum bekannt wurde, wie von den 
Engländern und dem Vortragenden gemachte Funde beweisen. 
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wanderte das Volk in Schoa 
ein. Die Galla sind Ackerbauer und Viehzüchter, also keine 
Nomaden, wie die Somali, und bewohnen ein reiches, herrliches 
Land. Die Gebiete der einzelnen Fürsten desselben sind 
streng abgegrenzt durch meilenbreite wüst liegen gelassene 
Landstreifen (udema) von einander gesondert. Durch Thor- 
einlässe, welche in die Dornengrenzmauern eingehauen sind, 
gelangt man in dieselben, nachdem man die Bewilligung des 
Königs erlangt hat. 

Der Vortragende schilderte sodann ein Gallagehöfte und 
die Galladörfer, berichtete von der Lebhaftigkeit und Fröh¬ 
lichkeit, die in denselben herrscht, und beschrieb dann die 
physischen und moralischen Eigentümlichkeiten der Rasse. 
Paulit8chke nennt die Galla ein schönes, starkes Volk. 
Schönheit zeichnet besonders die Frauen aus, die als Sclavinnen 
im Oriente und in Afrika so sehr geschätzt sind. Dem 
Charakter nach ist der Galla ein offener, ehrlicher Geselle, 
treu, das gegebene Wort haltend, aber auch leidenschaftlich, 
ungeduldig und schamlos, ohne Anlass kann er aus stoischer 
Ruhe in wahnsinnige Wuth geraten; er ist starrsinnig, 
Liebe und Hass ist bei ihm nie zu unterscheiden. Milde 
macht ihn nur verwegen, Härte schüchtert ihn ein. 

Prof. Paulrtschke schilderte im Anschlüsse hieran den 


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Lebenslauf eines Individuums, Sitten und Gebräuche des 
Volkes, er hob die Werthschätzung der Jungfräulichkeit bei 
den Galla-Mädchen hervor. 

Der Sinn des Volkes ist nur auf den Ackerbau, die 
Vieh- und Bienenzucht gerichtet. Das Rind (Zebu) erfährt 
eine sehr rationelle Pflege. Besitzer von 1000 Stück desselben 
erfahren eine originelle Huldigung von ihren Nachbarn in 
der Form der sogenannten Jungenkrönung. Die Nahrung 
des Volkes besteht namentlich im Genüsse von Fleisch, 
Butter und Honig. Eine eigenthümliche Rolle spielt das 
Trinken von Blut und überhaupt der Gebrauch des Blutes. 
Der Vortragende führt viele Fälle an, wo der Galla Blut 
verwendet zu Waschungen u. s. w. Butter wird in Unmassen 
verzehrt, dagegen hat sich das Volk zur Käsebereilung noch 
nicht aufgeschwungen. 

Krankheiten heilen die Galla durch Austreibung mittelst 
grossen Lärmens, wohl auch durch Uebergüsse der Kranken 
mit Bier (Honig-Hydromele), durch gewaltsames Einschütten 
von Medikamenten u. s. w. Merkwürdig ist die Abschneidung 
des Halszäpfchens hei verschiedenen Krankheiten. 

Feinde zu tödten trägt den) Galla höchstes Lob ein. 
Grosse Strenge entfalten die Häuptlinge im Kriege und Frieden. 
Das Abhacken der Hände für Diebstahl, der äusserst selten 
vorkommt, das Ausreissen der Augen, das Abschinden der 
Rückenhaut sind die gewöhnlichen Strafen selbst für kleinere 
Vergehen. Todschlag kann nur durch Geldbusse gesühnt 
werden. Die Volks- und öffentliche Moral ist auf hoher 
Stufe. 

Die Religion des Volkes ist eine Naturreligion. Anklänge 
an das Christenthuin, wie z. B. ein Frauencult (Mariam- 
Cult), ein Engelcult kommen neben anderen Gülten vor. 

Interessant waren die Ausführungen des Vortragenden 
über die Denkungsweise des Volkes. Der Galla staunt und 
wundert sich darüber, dass ihn Europäer besuchen und be¬ 
kleiden und bekehren wollen, während er nichts von alledem 
wünsche. 

Das Staatswesen der Galla ist ein eigenes Gemisch von 
monarchisch-republikanischem Wesen. Wo keine absoluten 
Herrscher bestehen, führt ein Rath von Aeltesten des Volkes, 


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die Gada, das Regiment. Die Beschlüsse desselben werden 
dnrch Eintauchen eines Holzscepters in warmes Stierblut veri- 
ficirt. Gold darf nur der Fürst besitzen. Das Hofpersonale 
der Fürsten besteht aus einer grossen Menge von Chargen 
und namentlich aus weiblicher Bevölkerung. Der Galla lebt 
in der Polygamie; doch gibt es bei dem Mittelmanne selten 
mehr als zwei Frauen. 

Iu der zweiten Hälfte seines Vortrags sprach Paulitschke 
von den gegenwärtigen Verhältnissen in Ostafrika. Er er¬ 
klärt den Aufstand der Araber als Ausfluss der Reaction 
gegen den Uebergang des bisher in Ostafrika bestandenen 
national-arabischen Handels mit seinem grossen Kram von 
Geheimnissen und althergebrachten Formen in die offen und 
energisch handelnden deutschen Hände. Von Beschränkung 
der Action Deutschlands in Ostafrika könne indess niemals 
die Rede sein, selbst nicht auf längere Dauer. Die Be¬ 
wegungen sind allerdings bedeutender geworden, seit die 
Aufständischen Führer gewonnen; doch werde sie, wenn man 
Gewaltmittel zur Niederdrückung verwende, die jetzt durch¬ 
aus am Platze und nothwendig seien, rasch im Sande ver¬ 
laufen. Der Patriotismus müsse über die Krise hinweghelfen. 

Der gewaltsamen Niederwerfung des Aufstandes durch 
freiwillige koloniale Truppen (am besten aus Angehörigen 
der Tropen bestehend) müsse rasch das Friedens werk folgen. 
Paulitschke plädirt für Kreirung von Musterfarmen, reichliche 
Unterstützung der christlichen Missionen, die neben dem 
hohen Berufe der Glaubensverbreitung Handwerke lehren. 

Vom Staate garantirte oder subventionirte Compagnien 
hätten nach Redners Meinung die meiste Aussicht auf 
Prosperität in Ostafrika. Das Dauerhafte staatlicher Autorität 
mache tiefen Eindruck auf den Araber und Orientalen über¬ 
haupt. Capitalisten sollten trachten, an Stelle der indischen 
Banianen in Ostafrika zu treten, welche Banquiers der geld- 
loseu Araber seien. Ferner komme es in Ostafrik'a darauf 
an, dass man, wenn von Handelscolonisation, die ja neben 
der Ackerbaucolonisation noch immer im Vordergründe stehe, 
die Rede sei, rasch und billig Waaren dahin senden könne. 
Zur Sclavenfrage übergehend, bemerkte der Redner, er 
billige die Initiative der Kirche in diesen Dingen. Cardinal 


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Lavigerie’s Feldzugsplan gegen die Sclavenhändler sei natür¬ 
lich nicht so zu verstehen, dass die Priester selbst zu den 
Waffen greifen, Lavigerie nebst seinen Missionaren wollen 
nur den Anstoss dazu geben, dass von Seiten der euro¬ 
päischen Culturvölker in geeigneter Form auch im Innern 
Centralafrika’s gegen den greuelhaften Menschenhandel ein¬ 
geschritten werde Daneben seien Blokade und Verbot der 
Einfuhr von Waffen und Munition sehr wirkungsvolle Mittel 
zur Bekämpfung des Sclavenhandels an der Küste und auf 
offener See, nur müsse durch internationale Vereinbarung 
Vorkehrung getroffen werden, dass an der ganzen ostafri¬ 
kanischen Küste keinerlei Plätze übrig bleiben, die von den 
findigen Arabern weiterhin ausgenützt werden können, die 
Blokade müsse vielmehr eine absolut zusammenhängende in 
ganz Afrika sein. 

Der Redner schliesst seinen durch einen Reichthum von 
Photographien und ethnographischen Gegenständen belebten 
Vortrag mit dem Ausdruck seiner Freude darüber, dass ge¬ 
rade in dem Lande Baden, das schon so manche tüchtige 
Colonisten geliefert habe, der deutsch-coloniale Gedanke so 
starke Wurzeln gefasst habe. Sowohl die Humanität und 
das Christenthum als auch das wirtschaftliche Leben der 
deutschen Nation wie die deutsche Wissenschaft, namentlich 
die geographische, haben aus der jetzigen deutschcolonialen 
Entwickelung noch hohe Vortheile zu erwarten. 


365. Sitzung am II. Januar 1889. 

Anwesend 28 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Rath Dr. Grashof. 

Herr Geh. Hofrath Dr. Wagner sprach im Anschluss an 
frühere Mittheilungen (331. Sitzung 1886) über Grabhügel¬ 
funde bei Hügelsheim, A. Rastatt, und Meissenheim, A. Lahr, 
über neuere Forschungen in Betreff der Gagatkohle. Jn jenen 
Grabhügeln waren grosse Armringe von gröberem, der Kohle 
verwandten Stoff und Halsperlen von feiner eigentlicher 
Gagatkohle gefunden worden. Die letztere, in England unter 
dem Namen Jet, in Frankreich als Jayet bekannt, matt¬ 
schwarz, bituminös, von muschligem Bruch, sehr zäh, dicht 
und widerstandsfähig, dabei spezifisch sehr leicht, bearbeitbar. 


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scheint bis jetzt mineralogisch nicht sicher definirt. Nach 
neuen Untersuchungen von Dr. Bleicher ist sie unzweifelhaft 
pflanzlichen Ursprungs, aus Sumpfwasser abgesetzt, durch 
Druck verdichtet. An einzelnen Stücken ist Holzstruktur 
noch erkennbar. Sie findet sich in Deutschland im schwä¬ 
bischen Jura (bei Boll, Bahlingen, bei Pfohren, A Donau- 
eschingen), in England an der Nordostküste (bei Whitby), 
wo das Meer die Liasschichten und die leichten Gagatstücke 
an das Land schwemmt (ähnlich dem Bernstein), in Frank¬ 
reich im Departement Aude, im Nordosten der Pyrenäen, in 
Spanien, in Galizien und Asturien (besonders bei St. Jago 
de Compostella). Hier überall kommt sie ausschliesslich in 
Nestern, in kleineren Stücken von höchstens 50 Centimeter 
Länge und nie über 2—3 Centimeter Dicke vor. Im Gegen¬ 
satz zur nicht bearbeitbaren Steinkohle der älteren Forma¬ 
tionen und zur Braunkohle mit dem Lignit im Tertiär und 
in späteren Bildungen wird demnach der Gagat als Liaskohle 
anzusehen sein. Der schöne, fein polirbare Stoff ist zu allen 
Zeiten zu Schmuck bearbeitet worden, noch jetzt wird der 
englische Jet mit Vorliebe, theils echt, theils gefälscht, zu 
Trauerschmuck verwendet. Dem Vorkommen des Gagats 
entsprechend haben sämmtliche aus demselben gefertigte 
Kunsterzeugnisse gemein, dass sie bei beliebiger Längen¬ 
ausdehnung (alte römische Schmucknadeln sind bis zu 30 
Centimeter lang) eine Dicke von 2 bis 3 Centimeter nie 
übersteigen. Das Vorkommen der dickeren Armbänder aus 
anscheinend gröberem Stoff in Grabhügeln beschränkt sich, 
wie es scheint, auf Südwestdeutschland, die Nordschweiz, 
Ostfrankreich. In den Sammlungen von Karlsruhe, Basel, 
Colmar, Hagenau, Besangon sind sie in ziemlicher Zahl vor¬ 
handen. Nach der chemisch-mikroskopischen Untersuchung 
von Dr. Bleicher ist ihr Stoff, wie der Gagat, aus Sumpf¬ 
wasser abgesetzt, nur mit dem Unterschied, dass ihm mehr 
unorganische Materie, Kalk oder Kiesel beigemischt ist. 
Die Annahme drängt sich demnach auf, dass auch solcher 
roher Gagat in dickeren Stücken irgendwo in unseren 
Gegenden sich finden müsste; merkwürdiger Weise ist aber 
seine Spur, ausser in feinen verarbeiteten Stücken in unseren 
Grabhügeln, bis jetzt nicht entdeckt. 


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Herr Professor Dr. Meidinger berichtete hierauf über einige 
merkwürdige Blitzschläge des vergangenen Sommers 
in unserer Nähe. Am 12. Juli Abends 9 Uhr traf eine Ent¬ 
ladung das städtische Spital in Durlach. Der Blitz schlug 
in den aus einem gezackten Eisenband bestehenden Ableiter; 
an der Wand über dem ersten Stock im Hof zeigte sich 
derselbe zerrissen, etwas höher war ein Kloben heraus¬ 
getrieben. Ferner fand man auf der Strassenseite des Ge¬ 
bäudes in Brusthöhe über dem Boden ein Stück Bewurf von 
Handbreite zwischen dem Gasrohr der Laterne und dem 25 
Centimeter entfernten Regenablaufrohre abgetrieben, ln 
einem Fenster der auf der andern Seite der Strasse liegenden 
Wirthschaft entstand ein unregelmässig rundes, etwa 12 
Centimeter weites Loch. Gäste und Tisch wurden mit Staub 
überschüttet. Die Erscheinungen erklären sich in der folgen¬ 
den Weise. Der Blitzableiter hatte nur eine kurze Boden¬ 
leitung, der Blitz staute sich in demselben, fuhr über das 
nasse Dach in die Regenrinne und von dieser abwärts, um 
in das, eine bessere Bodenleitung bildende Gasrohr über¬ 
zuspringen. Das Loch in der Fensterscheibe wurde durch 
den über die Strasse geworfenen Mörtel gebildet, ähnlich wie 
das Jahr zuvor das Loch in einem Teller bei dem Einschlag 
in das Haus Nr. 3 Waldhornstrasse hier (s. 10 Bd. Abh. S. 223). 

Am 25. Juli 8 Uhr Abends schlug der Blitz in das un- 
bewaffnete Haus Leopoldstrasse 33 hier. Vorerst zeigte sich, 
dass in der Parterrewohnung in zwei getrennten Räumen 
aus dem unter der Decke laufenden Gasrohr grosse Flammen 
herausschlugen; weiterer Gefahr konnte durch sofortiges Zu- 
drehen des Haupthahnes der Gasleitung vorgebeugt werden. 
Ferner zeigte sich noch, dass das hier befindliche elektrische 
Läutewerk nicht mehr arbeitete, ebenso noch ein weiteres 
das sich im dritten Stock des durch einen weiten Ilofraum 
getrennten Hintergebäudes befand; sonstiger Schaden zeigte 
sich vorerst nicht. — Die nähere Untersuchung ergab, dass 
der Blitz durch das Ziegeldach des Hintergebäudes mit 
Zersplitterung eines Balkens eingefallen war; den Eisendrähten 
unter dem Deckenbewurf folgend sprang er alsdann in das 
elektrische Läutewerk, welches, wie die Läutewerke aller 
Stockwerke des Vorder- und Hinterhauses, von dem Strassen- 


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thor aus betrieben werden kann und desshalb seine Draht¬ 
leitung bis dahin fortsetzt. Der Blitz folgte nun dieser 
Leitung und an der gemeinsamen Batterie ging er in die 
Drahtleitung des unteren Stocks des Vorderhauses über, um 
an zwei geeigneten Stellen in die durch mehrere Räume 
hindurch unmittelbar daneben laufende Gasleitung über¬ 
zuspringen, wobei zugleich das Läutewerk verletzt wurde. 

Die beiden Vorfälle lehren von Neuem den grossen 
Einfluss, welchen die in die Häuser führenden Rohrleitungen 
auf die Blitzrichtung ausüben, und von welcher Wichtigkeit 
die Anlage guter Blitzableiter in Gebäuden mit Rohrleitungen 
sind, welche letztere am besten ausserhalb mit dem Blitz¬ 
ableiter in Verbindung zu bringen sind. 

Zum Weiteren machte Prof. Meidinger auf einige Witte¬ 
rungserscheinungen dieses durch seine gleichmässige Tem¬ 
peratur so sehr bemerkenswerthen Winters aufmerksam. Nach 
mehrtägigem gelinden Frost mit Nebel brach am Sonntag 
den 9. Dezember die Sonne durch und führte die Temperatur 
bald einige Grad über Null. Um die Mittagszeit überzog 
sich der Himmel in grosser Höhe mit Wolken von regen¬ 
artiger Beschaffenheit. Der Redner machte an diesem Tag 
eine Partie auf das alte Schloss in Baden und beobachtete 
nun um 3 Uhr daselbst einen heftigen Südwest bei + 7° R., 
Baden lag in dichtem Dunst, der sich bis zum neuen Schloss 
erhob; das ganze Oosthal, wie auch die Rheinebene, war 
dunstig; darüber schauten sehr klar die Schwarzwaldberge 
und die jenseitigen Vogesen heraus. Beim Abstieg um 4 Uhr 
ergab sich, dass im Thal Windstille herrschte und die Tempe¬ 
ratur daselbst blos -1- 3° R. war. Der Temperaturunter¬ 
schied fiel insbesondere von der Höhe des neuen Schlosses 
an lebhaft auf. Bis hierher erhob sich auch allein von unten 
aufsteigender Rauch, welcher die Hauptursache des die 
Niederung erfüllenden Dunstes war. Von 5 bis 7 Uhr fiel 
im ganzen Rheinthal starker Regen, ohne dass sich jedoch 
die Temperatur über 4 # R. gehoben hätte« — In der Nacht 
heiterte sich der Himmel auf, die Bodenschichten kühlten 
sich bis wenig unter Null Grad ab. Am andern Morgen 
war Karlsruhe von einem Nebel erfüllt, wie er in ähnlicher 
Dichte noch nicht beobachtet worden war; um 8 Uhr konnte 


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man auf 12 Meter Entfernung nicht mehr sehen, um 9 Uhr 
auf die doppelte Entfernung, um 11 Uhr schien die Sonne. 
Der Thermometer zeigte um 10 Uhr -1- 1 # R.; auf dem 
Thurmberg in Durlach war um dieselbe Zeit die Temperatur 
2 */ a 0 höher. Der Nebel hatte sich nicht bis zu dieser Höhe 
erstreckt. Um 12 Uhr zeigte der Thermometer in Karlsruhe 
-+- 4° R. — Die nächsten Tage brachten wieder gelinden 
Frost mit heiterem Himmel und nach oben abnehmender 
Temperatur wie sonst Regel. Der kurze Regenfall war, wie 
wiederholt in diesem Winter, mit keiner dauernden Witte¬ 
rungsänderung verbunden. Die in der Höhe höheren Tempe¬ 
raturen sind für den ganzen Winter charakteristisch gewesen; 
auf dem Schwarzwald hatte man lange Zeit sehr warmen 
Sonnenschein, während in der Rheinebene kalter Nebel lag. 
Ein Zusammentreffen von Bedingungen, wie sie am Sonntag 
den Rauchdunst in Baden und am Montag in Karlsruhe den 
starken Nebel erzeugten, dürfte die Ursache der undurch¬ 
dringlichen Nebel sein, von denen London mitunter, wie z. B. 
am letzten Tage des verflossenen Jahres, heimgesucht wird, 
wo auf anderhalb Meter Entfernung bereits der Blick seine 
Begrenzung findet. 

An diese Mittheilung schloss sich eine Berathung, bei 
welcher durch die Herren Professoren Platz und Rebmann 
die Erscheinung zunehmender Temperatur in der Höhe bei 
Nebel im Rheinthal zur Winterszeit eine weitere Bestätigung 
aus eigener Erfahrung fand und insbesondere auch die grosse 
Durchsichtigkeit der Luft betont wurde, welche Gelegenheit 
zu den schönsten Fernsichten, von der Hornisgrinde aus bis 
zu den Alpen, gibt. 

Noch von einer anderen Beobachtung machte Herr Prof. 
Meidinger Erwähnung. Die Tage nach Mitte Dezember 
brachten gelinde Nachtfröste von etwa —4° R., während 
Nachmittags der Thermometer auf 0 bis + 1° R. stieg; 
dabei war die Atmosphäre dunstig, so dass die Bäume sich 
mit Reif beschlugen und die Fernsicht sehr begrenzt war. 
Mittwoch den 19. Dezember überzog sich der Himmel mit 
einem Wolkenschleier, der Thermometer stieg auf -+- 2° R. 
und dabei zeigte sich um Nachmittags, dass die fest ge¬ 
frorenen Eisflächen der Wiesen, auf denen Schlittschuhläufer 


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sich bewegten, Nachmittags oberflächlich thauten und sich mit 
Wasserpfiitzen bedeckten, während die Bäume im Wald, an 
den Strassenalleen und auch über der Eisfläche selbst mit 
festhängendem Reif bedeckt biieben und auch die Strassen 
im Freien keine Thauspuren aufwiesen. Die Luft war voll¬ 
kommen windstill. Auch ganz abgelegene Eisflächen zeigten 
die gleiche Erscheinung. Das Schmelzen des Eises bei Tempe¬ 
raturen Uber Null und bedecktem Himmel ist an sich ganz 
natürlich, das Eis bleibt blos fest bei heitrem Himmel, wo 
starke Ausstrahlung stattfinden kann, selbst bis zu -)- 4° R. 
Das gegensätzliche Verhalten des Baumreifes ist nun sehr 
auffallend und schwer erklärlich. Beim Erdboden konnte 
man annehmen, dass die tieferen Schichten sich in einer 
Temperatur unter Null befanden und dadurch die Wirkung 
der wärmeren Luft an der Oberfläche ausglichen. 


366. Sitzung am 25. Januar 1889. 

Auwesend 42 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Herr Professor Dr. Valentiner berichtete über die Lick- 
Sternwarte. In Amerika ist die Zahl der durch Private in’s 
Leben gerufenen Sternwarten grösser als in irgend einem 
anderen Lande und es erstaunt uns gar nicht mehr, von 
derartigen neuen Stiftungen zu hören. Die testamentarische 
Verfügung von J. Lick machte durch die Grossartigkeit der 
Schenkungen überall Aufsehen. James Lick hat als Piano¬ 
forte- und Orgelfabrikant, durch glückliche Spekulationen ein 
Vermögen von 3 Millionen Dollars (etwa 12 Millionen Mark) 
erworben, er hat dasselbe einige Jahre vor seinem Tode 
ganz zur Förderung von Wissenschaft und Kunst, für huma¬ 
nitäre Zwecke bestimmt Die Astronomie erhielt mit 
700 000 Dollar (fast 3 Millionen Mark) die grösste Summe. 
Für dieselbe sollte eine Lick's Namen tragende Sternwarte 
mit dem grössten Fernrohr der Welt in damaliger Zeit er¬ 
richtet werden. So gross die Summe war, so mussten doch 
von verschiedensten Seiten hohe Beiträge gegeben werden, 
um das Institut lebensfähig zu machen. Der Kongress 


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schenkte ein ungeheures Terrain, Private arrondirten und 
vergrösserten dasselbe aus ihrem Besitz, um die Sternwarte 
für alle Zeiten vor gefährlichen Anbauten zu schützen; das 
County S. Clara, in welchem sich der 4300 Fuss hohe Mount 
Hamilton, auf dessen Gipfel die Sternwarte errichtet werden 
sollte, befindet, legte die prachtvolle, 50 km lange, nur der 
Sternwarte dienende Fahrstrasse von der nächsten Stadt 
S. Jose mit einem Aufwand von 300 000 Mark an, die Uni¬ 
versität S. Franzisko gewährt für die nächsten Jahre zur 
Unterhaltung der Sternwarte jährlich 80 000 Mark, der Staat 
Kalifornien übernimmt die Kosten der Veröffentlichungen, 
Private sammeln einen Fonds für Vermehrung der Bibliothek 
u. s. w. Die Sternwarte ist seit Beginn vorigen Jahres in 
Thätigkeit, von Juni bis November wurde sie, trotz der 
grossen Entfernung von jedem bewohnten Ort, und der Un¬ 
möglichkeit, in der Nähe eine Unterkunft zu finden, von über 
4000 Fremden besucht, 2000 sahen Abends durch das grosse 
Fernrohr. Alle diese Angaben beweisen das tiefgehende 
Interesse des Amerikaners an der Astronomie, dasselbe ist 
keineswegs auf einzelne Wohlhabende beschränkt, es durch¬ 
dringt das Volk; bestände nur annähernd solches Interesse 
bei uns, so hätte ein altberühmtes Institut nicht seit 70 
Jahren vergeblich um seine Existenz gerungen, wie es hier 
der Fall ist; vergleichen wir uns im Einzelnen mit Amerika, 
so müssen wir unumwunden erklären, nicht am Geld, sondern 
am rechten Interesse fehlt es bei uns. 

Nach vielfachen Prüfungen hatte sich der Mt. Hamilton 
als besonders geeignet für die astronomischen Beobachtungen 
gezeigt. Ungemeine Reinheit und Ruhe der Luft, gepaart 
mit häufiger Klarheit des Himmels — im Durchschnitt kann 
man jährlich auf 250 absolut klare Nächte rechnen, in den 
Monaten Juli und August kommt auf 30 klare ein trüber 
Tag — versprachen reiche Erfolge, und schon die ersten 
Mittheilungen über dort allgestellte Beobachtungen zeigen 
das Uebergewicht des unter so günstigen atmosphärischen 
Verhältnissen aufgestellten Riesenrefraktors. 

Es folgte eine detaillirte Besprechung der Gebäude und 
Instrumente. An Hauptinstrumenten sind ausser dem 36-Zöller 
noch ein ganz vorzüglicher 12-Zöller und ein Meridiankreis 


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(Repsold), daneben eine grosse Anzahl kleinerer Instrumente 
vorhanden. Das Interesse konzentrirt sich natürlich auf den 
36-Zöller; das Glas lieferte Ch. Feil in Paris, die Linsen wurden 
von A. Clark in Cambridgeport (Mass.) geschliffen, die Mon- 
tirung übernahmen Warner &Iwasei in Cleveland (0). Die Brenn¬ 
weite des Objektivs ist 56 Fuss; für photographische Zwecke 
ist eine Korrektorlinse (33 Zoll) vorhanden, welche vor das 
Objektiv gesetzt wird. Die 70 Fuss im Durchmesser haltende 
Kuppel ist leicht beweglich, zur Sicherheit und Bequemlich¬ 
keit des Astronomen lässt sich der Fussboden heben, so dass 
für die Beobachtungen selbst in grösseren Zenithentfernungen 
nur relativ kleine Treppen erforderlich sind 

Anknüpfend an diese Beschreibung der Lick Sternwarte 
wurde die Frage erörtert, ob solchen Instituten gegenüber 
kleinere und mittlere Sternwarten für die Wissenschaft von 
wirklichem Nutzen bleiben. Unter Vorlage zahlreicher Ab¬ 
bildungen und Anführung verschiedener Beobachtungen wurde 
gezeigt, dass die Riesenfernrohre unsern Erwartungen auf 
verschiedenen Gebieten der Astronomie nicht entsprechen und 
mehrfach in der Leistungsfähigkeit selbst hinter den schwächeren 
zurückstanden. Die Unruhe der Luft erlaubt nur in seltenen 
Fällen die Anwendung stärkerer Vergrösserungen; Erfah¬ 
rungen in Washington, Strassburg, Gotteshead u. s. w. be¬ 
stätigen dies. Hier wird die Lick Sternwarte allen bestehen¬ 
den überlegen sein, mehr vielleicht noch ihrer günstigen 
Lage wegen, als durch den 36-Zöller, dessen optische Stärke 
an anderen Orten nicht zur Geltung kommen würde. Licht¬ 
schwache Kometen, Nebelflecke, enge und schwache Doppel¬ 
sterne werden in den grossen Fernrohren beobachtet und 
entdeckt werden, Nebelflecke sich in Sternhaufen auflösen 
lassen und somit immer neue Welten eröffnet werden. Das 
unermessliche Arbeitsfeld aber, welches aufgeschlossen vor 
den massigen Fernrohren lag, ist durch die grossen Instru¬ 
mente nicht enger begrenzt worden, es hat nur noch an 
Ausdehnung gewonnen. Wenn Fernröhre mässiger Dimen¬ 
sionen an ruhigen Orten, fern von Fabrikanlagen und nicht 
durch städtische Beleuchtungen gestört, aufgestellt sind, so 
wird es denselben auf Generationen hinaus nicht an Arfceits- 
stoff fehlen und sie haben hier die Wettbewerbung der 

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grossen Fernröhre in keiner Weise zu fürchten, dazu treten 
noch die sogenannten Fundamentalbestimmungen, welche, wie 
viele andere Einzelfragen der Astronomie, zu ihrer Lösung 
nur kleinere, aber gut aufgestellte Fernröhre fordern. 

Herr Geh. Rath Dr. Grashof machte hierauf eine Mit¬ 
theilung über die Vergleichung und Anfertigung von 
Stimmgabeln in der physikalisch-technischen Reichsanstalt 
in Berlin. Um den Missständen entgegen zu wirken, welche bis¬ 
her durch die Verschiedenheiten des Normalstimmtons bei den 
Musikinstituten verschiedener Staaten herbeigeführt wurden, 
ist vom österreichischen Kultusministerium im Jahre 1885 
eine internationale Konferenz zu Stande gebracht worden, 
bei welcher von deutschen Staaten Preussen, Sachsen und 
Württemberg durch Sachverständige vertreten waren, ausser¬ 
dem Italien, Russland und Schweden. Ebenso wie es für 
Frankreich von der Regierung daselbst schon 1885, freilich 
einseitig in rechtsverbindlicher Form, bestimmt worden war, 
wurde einstimmig beschlossen, dass der normale Stimmton, 
das eingestrichene a. durch 435 ganze Schwingungen defiuirt 
und durch Normalstimmgabeln bei 15® C. angegeben werden 
solle. Für Deutschland wurde seit Errichtung der physi¬ 
kalisch-technischen Reichsanstalt die zweite (technische) Ab¬ 
theilung derselben von Reichswegen mit den betreffenden 
Vorarbeiten beauftragt, die nun in der Hauptsache ab¬ 
geschlossen sind. Sie bezogen sich auf die Herstellung von 
Norraalgabeln, auf Bestimmungen für die Prüfung und Be¬ 
glaubigung eingelieferter Gabeln gemäss eigenen Versuchen, 
und auf Untersuchung der Umstände, welche für die Zu¬ 
verlässigkeit, Stärke und Dauer des Tones besonders mass¬ 
gebend sind. Die Bestimmung der Schwingungszahl geschieht 
in bekannter Weise durch Feststellung der in einer Sekunde 
hörbaren Anschwellungen bei gleichzeitigem Ertönen eines 
Tons von bekannter, wenig abweichender Schwingungszahl, 
und zwar wird letzterer bei der Herstellung von Normal¬ 
gabeln durch eine Sirene hervorgebracht bei bekannter, durch 
Zählwerk messbarer Zahl gleichförmiger Umdrehungen. Die 
Prüfung vorgelegter Stimmgabeln geschieht in der Reichs¬ 
anstalt übrigens durch Vergleichung weder mit der Sirene, 
was zu umständlich wäre, noch mit einer möglichst richtigen 


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Normalgabel, sondern mit Differenzgabeln, die mit der Ge¬ 
nauigkeit von Normalen berichtigt sind, von welchen aber 
die eine etwas zu viel, die andere ebenso viel zu wenig 
Schwingungen bei der Normaltemperatur macht; die vor¬ 
gelegte Stimmgabel ist dann innerhalb kleiner Fehlergrenzen 
richtig, wenn sie bei gleichzeitigem Ertönen mit der einen 
oder andern dieser Differenzgabeln eine gleiche Zahl von 
Schwebungen hören lässt. Die Reichsanstalt unterscheidet 
hierbei, gemäss einer kürzlich erlassenen Bekanntmachung 
ihres Präsidenten, v. Helmholtz, Stimmgabeln für den Hand¬ 
gebrauch und Orchestergabeln, die auf einen Schallkasten 
geschraubt und mit dem Bogen angestrichen werden, ferner 
gewöhnliche und Präzisionsstimmgabeln, von welchen die 
ersteren bis auf 0,5 einer ganzen Schwingung berichtigt 
werden, die letzteren bis 0,1 unter gleichzeitiger Beglaubi¬ 
gung des festgestellten Einflusses der Temperatur auf die 
Schwingungszahl. Für alle diese Gabeln sind gewisse Be¬ 
schaffenheiten bezüglich auf Material, Herstellungsart, Form 
und kleinste zulässige Dimensionen^ erfahrungsmässig vor¬ 
geschrieben. 

Herr Professor Dr. Endres berichtete in Ergänzung 
seines Vortrages vom 23. November v. J. über die neuesten 
Untersuchungen von R. Hartig und R. Weber in München, 
betreffend den Einfluss der Samenerzeugung auf Zuwachs¬ 
grösse und Reservestoffvorrath der Bäume. Frühere Unter¬ 
suchungsergebnisse führten zur Vermuthung, dass der Eintritt 
eines Samenjahres abhängig sei von der Menge der im 
Baume aufgespeicherten Kohlenhydrate und Proteinstoffe. 
Diese Hypothese hat sich nun in so fern als richtig erwiesen, 
als der überaus reiche Saraenertrag der Buchen im ver¬ 
flossenen Jahre den Zuwachs auf die Hälfte und den Stärke- 
mehlvorrath auf die Hälfte bis auf zwei Drittel verminderte. 
Der Stickstoff ist fast ganz verschwunden. Damit ist zwar 
der physiologische Zusammenhang zwischen Fructification 
und Reservestoffverbrauch dargethan, aber nicht die Frage 
entschieden, ob es eine pflanzenphysiologische Nothwendigkeit 
sei, dass die Menge dieser aufgespeicherten Stoffe zugleich 
als primäres Agens für den Eintritt eines Samenjahres wirke. 
Die bisherigen Erfahrungen sprechen vielmehr dafür, dass 

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noch andere Faktoren, namentlich warme Sommer in dem der 
Blüthenbildung vorhergehenden Jahre, auf den Blüthenansatz 
Einfluss haben. Immerhin müsse man aber an den gefun¬ 
denen Thatsachen festhalten und bemüht sein, durch weitere 
Untersuchungen an anderen Holzarten, namentlich an Nadel¬ 
hölzern, diese höchst interessanten Naturgesetze zu verfolgen. 


367. Sitzung am 8. Februar 1889. 

Anwesend 37 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Neu ängemeldetes Mitglied: Herr Dr. Fr. Kaiser, Arzt. 

Herr Otto Ammon hielt einen Vortrag über Körper¬ 
messungen. 

Die von dem Vortragenden in Folge Anregung aus aka¬ 
demischen Kreisen seit mehreren Jahren betriebenen Körper¬ 
messungen verfolgen verschiedene wissenschaftliche Zwecke, 
nämlich 1. die Proportionen des menschlichen Körpers und 
den Einfluss von Beruf und Lebensweise auf dieselben näher 
als bisher kennen zu lernen; 2. durch Messung aller Mit¬ 
glieder von Familien die Gesetze der Vererbung körperlicher 
Eigenschaften von Eltern auf Kinder und 3. durch jährliche 
Wiederholung an den gleichen Individuen die Vorgänge des 
Wachsthums der einzelnen Körpertheile zu studiren. Die 
blosse Messung und Aufstellung von Tabellen genügt hiezu 
nicht, da die augenblickliche Haltung von Einfluss ist; man 
muss die Umrisslinien, besonders auch die Biegung des 
Rückens aufzeichnen, um zu wissen, was, bezw. in welcher 
Stellung man gemessen hat; denn manche Menschen haben 
einen geraden, manche einen gebogenen Rücken („hohles 
Kreuz*), was auf die Grösse, bezw. Länge des Rumpfes und 
somit auf alle Proportionen einwirkt; ebenso bedingt die 
Stellung der Beine (0-, X-, Säbel- und gerade Beine), die 
Neigung des Beckens etc. wesentliche Verschiedenheiten. 
Mittelst eines besonders konstruirten Apparates hat der Vor¬ 
tragende ausser den Massen auch die Umrisslinien von etwa 
450 Personen verschiedenen Alters und Berufes aufgenommen 
und die Umrisse im Massstab von 1:10 auf Netzpapier auf¬ 
getragen; eine Auswahl von etwa 150 Stück dieser Zeich¬ 
nungen, in systematischer Gruppirung an die Wand geheftet, 


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gibt ein anschauliches Bild der vorkommenden grossen 
Variabilität im Bau des Körpers, Länge von Rumpf, Hals, 
Beinen und Armen, Breite von Becken und Brust, Tiefe der 
letzteren, Stellung der Schultern und Anderes, was Redner 
näher erläutert. Dadurch bieten die Messungen des Vor¬ 
tragenden wesentlich Neues, dass sie nicht nur die mittleren 
Werthe der Masse erkennen lassen, sondern auch die Extreme 
angeben, zwischen denen die Werthe sich bewegen. Auf die 
Frage, was ist nun normal? antwortet der Redner: nicht 
blo9 das arithmetische Mittel ist normal, sondern Alles, was 
sich innerhalb des gegebenen Spielraumes bewegt und die 
jedem Theil bestimmten Funktionen ungestört auszuiibcn 
gestattet. Die Proportionen sind bei grossen Leuten anders, 
als bei kleinen, da sich die Gewichte ähnlicher Körper wie 
die dritten Potenzen, die Muskelquerschnitte etc. wie die 
zweiten Potenzen verhalten würden. Für jede Grössenstufe 
liegt die Kompromisslinie wieder anders, allgemein gütige 
Proportionen existiren nicht. Die farbigen Menschen ver¬ 
schiedener Rassen haben im Gegensatz zu den Weissen die 
besondere Eigenschaft einer viel schmäleren Hüfte, was dem 
Ideal mancher Künstler von männlicher Schönheit entspricht. 
Redner hält diese Anschauung für irrig. Das breite Becken 
der Weissen (und zwar könnten sich beide Geschlechter aus 
physiologischen Gründen nicht zu sehr von einander ent¬ 
fernen) sei geradezu ein Vorzug der weissen Rasse gegenüber 
den Farbigen, welche in ihrem engen und überschlanken 
Becken eine kindliche und thierähnliche Form bewahren; 
nur durch das weite Becken sei der grosse und inhaltsreiche 
Schädel des Weissen eine physiologische Möglichkeit. Eine 
andere Verschiedenheit im Skelett der Weissen und Farbigen 
besteht darin, dass bei den ersteren der Oberarm 2 bis 4 cm. 
länger ist, als der Vorderarm, bei den Farbigen aber (Neger, 
Singbalesen und Australier) Ober- und Vorderarm gleich 
lang sind. Das Wachsthum geht nach dem Redner in der 
Weise vor sich, dass von der Geburt an der Kopf und die 
Beine am stärksten zunehmen, Rumpf und Arme schwächer. 
Vom 7. Jahre an wachsen die Kopfmasse nur noch um 
wenige Millimeter, und mit der Pubertät (welche sehr ver¬ 
schieden, im 12. bis 21. Jahre beginnt) tritt Stillstand ein. 


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In diesem Zeitpunkt haben auch die Beine ihre grösste 
relative Länge erreicht und es folgt nun ein stärkeres Wachs¬ 
thum des Rumpfes nach Länge und Breite; Brust und Becken 
dehnen sich bei Knaben nach allen Richtungen, wogegen 
bei Mädchen die Brustweite und Schulterbreite in Folge einer 
viele Jahrtausende währenden Anpassung etwas Zurückbleiben. 
Die weibliche Gestalt sieht dadurch viel breithüftiger aus, 
als sie ist; der Unterschied der äusseren Weite und Höhe 
der Darmbeinschaufeln beider Geschlechter ist nur gering. 
Die Arme, besonders die Hände (Schaffhände) werden in 
dieser Periode länger. Während bei Kindern die Spannweite 
der horizontal ausgestreckten Arme meist kleiner ist, als die 
Körpergrösse, übertrifft sie diese bei Erwachsenen um 8 bis 
12 Centimeter, bisweilen sogar um 15 bis 17 Centimeter, 
bei Farbigen um noch mehr. Der Einfluss der Berufsart 
und Lebensweise äussert sich hauptsächlich auf die Gestalt 
und Weite der Athemorgane. Hierüber hat der Vortragende 
auch bei der Musterung zahlreiche Messungen gemacht. Bei 
Leuten, welche mit starker Muskelanstrengung in freier Luft 
arbeiten (Landwirthe, Maurer, Zimmerleute), trifft man die 
weiteste Brust; nur wenig unterscheiden sich von ihnen die 
mit starker Muskelkraft im geschlossenen Raume arbeitenden 
Handwerker (Schmiede, Schlosser, Schreiner etc.), dann kommt 
ein bedeutender Abfall zu Denjenigen, welche ohne grössere 
Muskelanstrengung im geschlossenen Raume beschäftigt sind 
(wie Spinnereiarbeiter). Die Letzten in der Reihe sind die 
Sitzenden: Schreiber, Seminaristen und Gymnasiasten, nach 
diesen kommen nur noch die wohlgenährten, aber eng¬ 
brüstigen, weil ungern Muskelarbeit verrichtenden Juden. 
Das Schulturnen, mit zwei Stunden wöchentlich, verbessert 
zwar in anerkennenswerther Weise die Muskeln und macht 
gewandt, wirkt aber auf die Erweiterung der Brust so gut 
wie gar nicht. Eine weit ansehnlichere Kräftigung bringt 
der Militärdienst hervor, der für unser tintenklexendes 
Säkulum eine unschätzbare Wohlthat ist. Die Zeichnungen 
von Rekruten und Soldaten illustrirten dies. Der Mensch 
hat seine jetzige Gestalt erworben lange vor der älteren 
Steinzeit, als er ausschliesslich Jäger war, der durch die 
Flinkigkeit und Kraft seiner Glieder das zur Nahrung er- 


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forderliche Wild einholte und ohne Waffe überwand; ähnliche 
Lebensbedingungen erhielten seinen Körperbau in der Urzeit 
und noch im Mittelalter. Der Körper muss aber verkümmern, 
wenn ihm seine Existenzbedingungen entzogen, also von 
Jugend auf Luft und Bewegung nur in homöopathischen 
Dosen zugemessen werden, wie es bei den Kindern der höhern 
Klassen, bezw. den Zöglingen höherer Schulen der Fall ist; 
schwache Brust und Nervosität sind die Folgen. Eine städ¬ 
tische Familie in sitzender Berufsart überdauert selten drei 
Generationen, aber die noch am meisten in den natürlichen 
Bedingungen lebenden Landleute schicken kräftigen Nach¬ 
wuchs, um die Städte neu zu bevölkern. Die halb freiwillige, 
halb gezwungene Selbstvernichtung der höhern Stände er¬ 
scheint im gegebenen Falle hart, im Grossen angesehen ist 
sie nur die Anwendung des Prinzips der Differenzirung, auf 
welchem die Entstehung aller vollkommeneren Einzelwesen 
beruht, auf die menschliche Gesellschaft. Die höhern Berufs¬ 
arten stellen die Gehirnzellen der Menschheit dar und können 
darum nicht zugleich Fortpflanzungszellen sein, sondern 
müssen die Landbewohner mit ihrem grossen Geburtenüber¬ 
schuss für die Verjüngung der Bevölkerung sorgen lassen. 
Der Redner wünscht sehr, noch weitere Untersuchungen an 
Knaben aus höhern Schulen vorzunehmen, und erklärt es als 
ein Motiv seines heutigen Vortrages, weitere Kreise für die 
Sache zu interessiren und zu bitten, dass ihm Knaben zur 
Messung überlassen werden möchten. Erfahrungsgemäss 
machen die vergleichenden Messungen den Knaben grosses 
Vergnügen und sie können die Zeit kaum erwarten, bis sie 
wiederkommen dürfen; hören sie nach einem Jahr, dass sie 
nicht nur gewachsen, sondern auch beträchtlich stärker ge¬ 
worden seien, so gehen sie mit stolz erhobenem Haupte von 
dannen, voll Eifers, durch gute Haltung und Turnübungen 
noch mehr zuzunehmen. Die Ergebnisse sind natürlich auch 
für die betreffenden Eltern und Erzieher von Wichtigkeit. 

Nach einer Pause, welche der Betrachtung der Zeich¬ 
nungen und einer grossen Anzahl von Photographien in¬ 
teressanter Gestalten gewidmet war, welche Photographien 
die Firma K. Ruf hier in vorzüglicher Weise für den Redner 
ausgeführt hat, folgte der zweite Theil des Vortrages. Die Er- 


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örterung der Gesetze der Vererbung stand nicht auf dem 
Progamm, da sie allein schon Stoff für einen Abend geben 
würde, dagegen wurden noch die Folgerungen gezogen, welche 
sich aus den körperlichen Eigenschaften der Arier für die 
Herkunft dieses Volkes ergeben. Die blauen Augen, blonden 
Haare und weisse Haut, ebenso die Körpergrösse und Lang- 
köpfigkeit der Germanen seien allen Ariern gemeinsame 
Eigenschaften, welche auf einen nordischen Ursprung hin- 
weisen, nach Lage der Sache auf Skandinavien. Die Kargheit 
des Landes habe in beständigen Kämpfen der Bewohner um 
die Nahrung diese Riesenleiber hervorgerufen und dem Be¬ 
völkerungsüberschuss den Weg durch ganz Europa, Klein¬ 
asien bis nach Persien, Afghanistan und Indien gewiesen. 
Nicht von Asien nach Europa, sondern umgekehrt seien die 
Arier gewandert. Vermöge ihrer körperlichen und geistigen 
Vorzüge unterwarfen sie alle anderen Rassen und bildeten 
den herrschenden Stand, den Adel, der sich nur langsam mit 
den Unterworfenen verschmolz; so besonders im alten 
Griechenland und Rom. Der Antheil der heutigen Nationen 
an der Kulturarbeit soll nach dem französischen Anthro¬ 
pologen Lapouge zu der Menge des arischen Blutes im Ver¬ 
hältnis stehen, welches ihnen beigemischt ist. Fingerzeige 
für die Herkunft der Arier aus einem nordischen Lande 
seien: 1. Die helle Pigmentirung, welche niemals in einem 
südlichen und heissen Lande entsteht. 2. Die Grösse und 
Stärke der Körper, welche auf eine Jahrtausende lange 
Selektion im harten Kampf unrs Dasein schliessen lässt. 
3. Die geschlechtliche Spätreife; fast alle die Individuen, 
welche im 20. bis 22. Jahre bei der Musterung noch völlig 
oder nahezu unentwickelt sind, haben blaue Augen. 4. Die 
Monogamie Die Arier treten als fertige Monogamisten in 
die Geschichte ein: sie erregen durch ihre Sittenstrenge und 
ihren Kindersegen die Bewunderung der fremden Völker. 
Kein geistig noch so hochstehendes Volk hat je in einem 
milden Klima mit reicher Produktionsfähigkeit des Bodens 
die thatsächliehe Monogamie eingeführt. Im Reich der 
Lebewesen findet man die Monogamie stets da, wo die Sorge 
der Mutter allein nicht genügt, um den Nachwuchs auf¬ 
zubringen, sondern der Vater für Mutter und Kinder Nah- 


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rung beschaffen muss. Das war zur Zeit des Jägerstadiums 
des Meuschen im Norden sicherlich der Fall und schon so 
frühe muss bei den Ariern durch Aussterben der nicht mit 
der erblichen Anlage zur Monogamie begabten Individuen 
diese Einrichtung herrschend geworden sein, was Redner 
näher zu begründen sucht. Mit einem Ausblick auf eine 
vielverheissende Zukunft der arischen Menschheit schloss der 
Vortrag. 

Der Vorsitzende, Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener, drückte 
dem Herrn Redner den Dank der Versammlung für die 
hochinteressanten Mittheilungen aus und fügte dann selbst nach 
eigenen Beobachtungen einige Bemerkungen über die Wachs¬ 
timmsverhältnisse von Knaben bei, welche er durch eine 
Kurve zu veranschaulichen suchte. 


368. Sitzung am 22. Februar 1889. 

Anwesend 60 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 
Neu angemeldete Mitglieder: Herr Professor Dr. M. Friedlftnder, an 

der Technischen Hochschule, Herr Dr. E. Wern icke, Arzt. 

Herr Professor Dr. Hertz sprach über die Beziehungen 
zwischen Licht und Elektrizität. Es handelte sich dabei 
nicht um die Erzeugung des Lichts durch den elektrischen 
Strom, auch nicht um die feineren Wechselwirkungen, welche 
zwischen beiden Kräften bestehen. Die Behauptung, welche 
zu verfechten war, ist diese, dass das Licht an sich eine 
elektrische Erscheinung sei, das Licht einer Stearinkerze 
oder eines Glühwurms ebenso gut wie das einer Bogenlampe. 
Die Vermuthung, dass dies so sei, ist nicht von heute und 
gestern; sie ist seit den fünfziger Jahren ausgesprochen 
worden und besonders vertreten durch den Engländer Max¬ 
well, welcher im Jahre 18R5 eine Theorie aufstellte, welche 
die Erscheinungen beider Kräfte umfasste. Aber erst kürz¬ 
lich ist es dem Redner gelungen, diese Fragen der Ent¬ 
scheidung durch den Versuch nahezubringen. Diese Versuche 
waren es, über welche berichtet wurde; dieselben haben die 
erwähnten Vermuthungen zu fast sicheren Erkenntnissen 
gemacht. Zunächst auf den Stand der heutigen Optik ein¬ 
gehend, zeigte der Redner, dass kein Zweifel möglich sei, 


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dass das Licht in feinen Transversalwellen bestehe; dass 
aber die zunächst gemachte und einstweilen festgehaltene 
Anschauung, es seien diese Wellen elastischer Natur, nicht 
durchzuführen sei. Denn elastische Transversalwellen sind 
nur in festen Körpern bekannt und möglich, den inter¬ 
planetaren Raum aber mit einem festen elastischen Körper 
zu füllen, geht nicht an. Sodann den Stand der Elek¬ 
trizitätslehre besprechend, erörterte der Redner, wie die 
ältere Auffassung, derzufolge die elektrischen Erscheinungen 
als die Wirkung eines Fluidums aufgefasst werden, immer 
mehr an Boden verliert, obwohl sie aus der Sprache noch 
nicht zu verbannen ist. An ihre Stelle tritt die zuerst von 
Faraday ausgesprochene Anschauung, welche den Sitz der 
elektrischen und magnetischen Kräfte in dem Raume selbst» 
in welchem sie wirken, sucht. Eine Kugel elektrisiren, 
würde also nach der früheren Auffassung bedeuten, dass in 
sie oder auf sie etwas gebracht werde, das wir Elektrizität 
nennen; nach der neueren Auffassung aber würde es heissen, 
•lass die Kugel selbst gar nicht verändert., sondern der um¬ 
gebende Raum in Spannung versetzt werde. Nach dieser 
letzteren Auffassung liegt es nun nahe, zu fragen, ob solche 
Spannungen sich nicht mit messbarer Geschwindigkeit von 
Punkt zu Punkt fortpflanzen. Gestützt auf die Ueberein- 
stimmung gewisser elektrischer und optischer Grössen, be¬ 
hauptete Maxwell: erstens, dass in der That Zeit zur Aus¬ 
breitung erforderlich sei; zweitens, dass die Geschwindigkeit 
der Ausbreitung die Lichtgeschwindigkeit sei; drittens, dass 
die Wellen des Lichts nichts anderes seien, als wellenartig 
sich ausbreitende elektrische Kräfte. Dass man diese Ver¬ 
muthungen weder beweisen, noch widerlegen konnte, lag an 
der ungeheueren Grösse der Geschwindigkeit solcher elek¬ 
trischer Wellen, an der fast unbegreiflichen Schnelligkeit 
solcher elektrischen Schwingungen. Man durfte voraussetzen, 
dass dergleichen in allen Leitern möglich seien, ohne doch 
ein Mittel zu besitzen, dieselben zu erregen. Der Vortragende 
hat bemerkt, dass der elektrische Funke selbst, erzeugt 
unter gewissen Nebenumständen, ein solches Mittel bietet. 
Mit seiner Hilfe können wir im Raum Wellen erzeugen, 
welche auf der einen Seite die Wirkungen elektrischer Kräfte 


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zeigen, auf der andern Seite auch wieder genau sich ver¬ 
halten, wie das Licht. Seine letzten und einfachsten Ver¬ 
suche erläuterte der Vortragende eingehender. Der Leiter, 
welcher die Schwingungen erregt, befindet sich im Brenn¬ 
punkte eines grösseren Hohlspiegels, die entstehenden Wellen 
werden dadurch zusammengehalten und als Strahl in den 
Raum fortgepflanzt. Sehen können wir den Strahl allerdings 
nicht, wir nehmen seine Wirkung dadurch wahr, dass er in 
andern Leitern, welche wir in ihn hineinhalten, wiederum 
elektrische Funken erzeugt. Fangen wir ihn in einem zweiten 
Hohlspiegel auf und concentriren ihn dadurch, so können 
wir ihn auf eine Länge von mehr als 20 Meter nachweisen. 
Mit diesem Strahl können wir nun aber dieselben einfachen 
Versuche anstellen, welche wir am Licht zu sehen gewohnt 
sind, wir können ihn durch Schirme abblenden, wir können 
ihn von ebenen Spiegeln unter verschiedenen Winkeln regel¬ 
mässig reflektiren, wir können ihn durch ein grosses Prisma 
vom geraden Wege ablenken oder brechen, wir können sogar 
die feineren Erscheinungen, welche beim Lichte als Polari¬ 
sation bezeichnet werden, auf’s Genaueste nachahmeu. Es 
ist schwer, sich der Ueberzeugung zu verschliessen, dass 
dieser Strahl ebensowohl eine elektrische Erscheinung, als 
ein Lichtstrahl sei. Dass wir ihn nicht sehen können, liegt 
an der Grösse seiner Wellenlänge. Das sichtbare Licht hat 
Wellenlängen von etwa 1 I 2000 Millimeter; man weiss längst, 
dass es Licht gibt von grösseren Wellenlängen, welches 
unsere Augen nicht wahrnehmen; hier haben wir nun sogar 
Licht, dessen Wellenlänge zufolge den Messungen mehrere 
Centimeter, ja mehrere Meter beträgt. Der Vortragende er¬ 
läuterte sodann die Vortheile, welche sich für die Lehre vom 
Licht aus der Elektrizität ergeben, wenn man die Ueber- 
einstiinmung des Wesens beider endgiltig annimmt. Ins¬ 
besondere die Eingangs erwähnten Schwierigkeiten der Optik 
fallen dann fort. Vieles sei allerdings noch unerklärt und 
Manches scheine unerklärlich, aber auch noch viele Versuche 
seien ohne Weiteres anzustellen, und bis diese nicht an¬ 
gestellt seien, lasse sich noch nicht abschen, was auf diesem 
Gebiete sich werde erklären lassen und was nicht. 

Der Vorsitzende, Herr Geh. Hofrath Wiener, dankt 


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dem Redner im Namen der Versammlung für seinen so sehr 
interessanten Vortrag, spricht ihm das Bedauern über sein 
baldiges Scheiden aus Karlsruhe aus, sowie die Glückwünsche 
zu dem ehrenvollen Rufe nach Bonn und bittet, dass er 
dem Vereine ein freundliches Angedenken bewahren möge. 

369. Sitzung am 8. März 1889. 

Anwesend 34 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Neu aogemeldetes Mitglied: Herr Postrath W. Christian!*. 

Herr Geh. Hofrath Professor Dr. Schell hielt einen Vor¬ 
trag über die Glocken und ihre Töne; derselbe ist den Ab¬ 
handlungen hinten angereiht. 

370. Sitzung am 3. Mai 1889. 

Anwesend 19 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

General-Versa mm I uuff. 

Herr Professor Dr. Meidinger liest einen Bericht über 
die Thätigkeit des Vereins im verflossenen Jahre vor. Herr 
0. Bartning berichtet über den Stand der Kasse des Vereins. 

Bei der jetzt für die nächsten 2 Jahre statttindenden 
Vorstandswahl wurden die seitherigen Mitglieder durch Ak¬ 
klamation wieder gewählt. Der Vorstand besteht somit weiter¬ 
hin aus den Herren: Geh. Rath Dr. Grashof, Hofrath Dr. 
Knop, 0. Bartning, Prof. Dr. Meidinger, Geh. Hofrath Dr. 
Engler, Baudirector Honseil, Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

In die weitere Tagesordnung eingehend wurde vorerst über 
einen von den hervorragendsten Gelehrten Deutschlands er¬ 
gangenen Aufruf zur Errichtung eines Denkmals in München 
für den berühmten Physiker Ohm, den Entdecker des nach 
ihm benannten Ohm’schen Gesetzes, der Grundlage für alle 
elektrischen Stromberechnungen, verhandelt; es wurde be¬ 
schlossen, einen Beitrag von 100 Mark aus der Vereinskasse 
zu gewähren. 

Hierauf machte Herr Geh. Rath Dr. Grashof Mittheilung 
über ein Photometer, welches in der technischen Abtheilung 


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der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, insbesondere 
von den Herren Dr. 0. Lummer und Dr. E. Brodher an¬ 
gegeben worden ist in Folge von Versuchen über die in 
der Technik gebräuchlichen Messungsmethoden von Licht¬ 
stärken, die durch Bedürfnisse und bezügliche Wünsche des 
Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern veran¬ 
lasst wurden. Die gebräuchliche Anwendung des in solchen 
Fällen zumeist benutzten Photometers von Bunsen leidet 
nämlich an gewissen Unsicherheiten. Dieses Instrument 
beruht darauf, dass, wenn ein mit einem Fettfleck versehenes 
Papierblatt von den beiden Seiten her beleuchtet wird, das 
Licht einer jeden von beiden Lichtquellen durch den Fett¬ 
fleck fast vollständig hindurchgeht, vom ungefettetcn Theil 
des Papiers dagegen fast vollständig zerstreut wird, so dass 
die von beiden Seiten her der Flächeneinheit des Papiers 
zugestrahlten Lichtmengen nahezu als gleich gelten können, 
wenn dem auf der einen oder anderen Seite beiindiichen 
Auge der Fettfleck und seine ungefettete Umgebung gleich 
hell erscheinen, die Grenze beider Theile nicht mehr wahr¬ 
genommen wird. Dabei liegen indessen einige Annahmen 
zu Grunde, insbesondere die Annahme gleicher Beschaffenheit 
und Wirkungsweise beider Seiten des Papiers, welche oft 
nicht genügend zutreffen, wie sich daraus ergibt, dass in 
Folge Umwendung des Papierblattes das Ergebniss sich 
merklich ändert; auch wird das Licht vom Fettfleck nicht 
nur durchgelassen, vom ungefetteten Papier nicht nur zer¬ 
streut. Die genannten Beobachter, ausgehend von der Er¬ 
wägung, dass zur Beseitigung fraglicher Unsicherheiten vor 
Allem die zu vergleichenden Felder nur Licht von je einer 
Lichtquelle erhalten sollten, haben nun ein Photometer 
construirt, bei welchem das theilweise gefettete Papier ver¬ 
mieden, nämlich der Fettfleck durch die ebene innige Be¬ 
rührungsfläche von zwei Glasprismen, das ungefettete Papier 
durch vollkommen reflektirende Flächen dieser Prismen ver¬ 
treten wird. Die anderweitige gewerbliche Herstellung des 
zunächst in der mechanischen Werkstatt der Reichsanstalt 
ausgeführten Instruments, welches sich gemäss den bisherigen 
Untersuchungen als sehr brauchbar, zuverlässig und empfind¬ 
lich erwiesen hat, ist in Vorbereitung begriffen. Die nähere. 


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Erklärung seiner Einrichtung und seines Gebrauchs kann 
hier ohne Zeichnung nicht wohl geschehen. 

Im Anschluss an diesen Vortrag erläuterte Herr Pro¬ 
fessor Dr. Bunte die Hefner-Alteneck’sche Amyl-Acetat- 
lampe, mittelst deren, statt der sonst üblichen Kerzen, es 
gelingt, eine sehr gleichförmige Lichtstärke für die Normal¬ 
einheit herzustellen. 


371. Sitzung am 17. Mai 1889. 

Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Batb Dr. Grashof. 

Herr Baudirector Honseil brachte von der seit Anfang 
v. J. durch das Hydrographische Amt der Marine der Ver¬ 
einigten Staaten zur Ausgabe gelangenden Pilot-Chart des 
Nordatlantischeu Oceans eine Anzahl Exemplare zur An¬ 
sicht und erläuterte das eigenartige Kartenwerk in Bezug auf 
seine Zweckbestimmung, die Art der Darstellung, das System 
der Beobachtungen, deren Ergebnisse in der Karte verar¬ 
beitet erscheinen und deren Bedeutung für die physikalische 
Erdenkunde. Mit der je zu Anfang des Monats erscheinenden 
Karte soll dem, den Nordatlantischen Ocean befahrenden 
Seemann ein Mittel an die Hand gegeben werden, um im 
unmittelbaren Anschluss an das, was den Inhalt einer voll¬ 
ständigen Seekarte ausmacht, alle für die Führung der Schiffer 
belangreichen Verhältnisse und Vorkommnisse, die veränder¬ 
lich und zufällig sind, zu erfahren, zu überschauen und zu 
verstehen, so: Witterungsverhältnisse, insbesondere Häufigkeit 
und Stärke der Winde, Sturmbahnen, Nebel und Eis, Passat¬ 
winde und Aequatorialregen, Schiffshindernisse an den Küsten, 
treibende Wracks und Bojen, Treibholz u. dgl. in. Ferner 
enthält die Karte die für den betreffenden Monat empfehlens* 
werthen Dampfer- und Segelrouten und nautische Nach¬ 
richten und Belehrungen aller Art. Das Beobachtungs- 
matcrial, insbesondere auch über die Vorgänge in der At¬ 
mosphäre haben im Wesentlichen die Schiffskapitäne nach der 
in ihren Händen befindlichen Anleitung selbst zu liefern. 

An Hand einer in grossem Massstab gezeichneten Karten¬ 
skizze besprach der Vortragende sodann die Kraft einiger 
.Schiffswracke, die sich mehrere Monate lang schwimmend 


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gehalten haben, insbesondere des Schooners W. L. White, 
der am 13. März 1888 auf der Höhe der Delaware-Bay von 
der Mannschaft verlassen und nach einer über zehn Monate 
langen Reise — ein Spielball der Winde und Strömungen — 
am 23. Januar 1889 auf Haskein Island, einer der kleinen 
Felseninseln der Hebriden, gestrandet ist. Mehr als 
5000 Seemeilen hat das Wrack zurückgelegt, fast immer in 
der grössten Strasse der zwischen Europa und Nordamerika 
verkehrenden Schiffe. Dort, wo der Labradorstrom mit dem 
Golfstrom zusammentrifft, ist es sechs Monate lang in einer 
Zickzackbahn hin- und hergetrieben worden. Bis dahin 
hat die durchschnittliche Fahrt 32 Seemeilen, von dort bis 
zur Strandung 15 Seemeilen in 24 Stunden betragen. Ueber 
die Sichtung des Wracks sind von 45 passirenden Schiffen 
Meldungen eingelaufen; wie gross die Zahl der Schiffe, die 
bei Nacht und Nebel in die gefährliche Nähe gekommen 
sind, ist nicht bekannt. 

Der Vortrag schloss mit dem Hinweis auf die Be¬ 
ziehung der Vorgänge in der Atmosphäre über dem Ocean 
auf das Klima der Festländer und wie auch die binnen¬ 
ländische Meteorologie aus dem besprochenen Unternehmen des 
Hydrographischen Amtes in Washington Nutzen ziehe. 

Herr Professor Dr. Endres zeigte ein ausgestopftes 
Steppenhuhn (Syrrhaptes paradoxus Pall.) vor. welches im 
vorigen Herbst in der Nähe von Lahr an einem Telegraphen¬ 
draht sich verletzt hatte und im Lahrer Naturwissenschaft¬ 
lichen Museum aufbewahrt ist. Dieser eigenartige Vogel 
bewohnt die Kirghisensteppen, die Tartarei und China, ist 
zum ersten Mal im Jahre 1863 schaarenweis nach Europa 
gekommen und zeigte sich im vergangenen Jahre wieder bei 
uns. Trotz der ihm zu Theil gewordenen Schonung kehrte 
er aber wieder in seine alte Heim'ath zurück, so dass die 
Hoffnung, denselben bei uns heimisch uiachen zu können, 
sich nicht erfüllt hat. Der Grund für diese wiederholte 
Rückwanderung dürfte vor Allem darin liegen, dass die 
eigenartige Fussbildung des Steppenhuhnes dasselbe am 
Scharren verhindert und ausreichende Ernährung nicht er¬ 
möglicht. Die Füsse sind klein, verkümmert, die Vorder¬ 
zehen bis zum vordersten Gliede verwachsen. Die Beine 


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und die Zehen sind bis auf die Krallen befiedert, die Hinter¬ 
zehe fehlt und die Fusssohlen sind wie bei den vierfüssigen 
Sohlengängern vollständig weich. Diese Fussbildung weist 
darauf hin, dass das Huhn in seiner Heiniath die Nahrung 
mühelos gewinnt und daher bei uns seine Existenzbedin¬ 
gungen nicht findet. Das Wildpret soll schlecht schmecken 
und desshalb brauchen die Leckermäuler dessen wiederholte 
Rückkehr nicht zu bedauern. 


372. Sitzung am 4. Juni 1889. 

Gemeiusam mit der Deutschen Colonialgesellschaft, der Geographischen 
Gesellschaft, dem Alterthumsverein, dem Alpenverein, im grossen Saale 

des Museums. 

In Anwesenheit Ihrer Königlichen Hoheiten des Grossherzogs und 
der Grossherzogin. 

Herr Dr. Hans Meyer von Leipzig hielt einen Vortrag über 
seine zweite Reise nach Ostafrika. Derselbe war Ende August 
vorigen Jahres mit einer Karawane von 230 Trauern und 
Soldaten von Sansibar aufgebrochen, um via Kilimandscharo 
durch das mittlere Masaigebiet zum südlichen Victoria 
Nyanza und dem räthselhaften See Muta Nsige vorzudringen. 
Die Expedition war auf zwei Jahre berechnet. Anstatt auf 
den vielbegangenen Karawanenrouten von Pangani oder von 
Mombas dem Kilimandscharo zuzustreben, schlug Dr. Meyer 
mit einem Theil seiner Karawane eine von Europäern und 
Küstenkarawanen noch nie betretene Route quer durch das 
Gebirgsland Usambara ein, um seine Reise sofort mit neuen 
Forschungen zu beginnen. Diese dreiwöchentliche schwierige 
Gebirgstour gelang auch vollkommen. Dr. Meyer fand ein 
Gebirgsland von annähernd der Grösse des Königreichs 
Sachsen, das im Süden und Norden giossartigen Urwald 
trägt, während der centrale Theil Savannencharakter hat; 
das bei gemässigtem Klima in den verschiedenen Höhenzonen 
alle tropischen und subtropischen Kulturpflanzen hervor¬ 
bringt, das durch tief einschneidende Tliäler leicht zugäng¬ 
lich ist und dabei in nächster Nähe der Küste gelegen ist. 
Die Bevölkerung ist ziemlich dicht, gutartig und besonders 
reich an Rindviehheerden. Usambara allein ist werth aller 
Opfer, die von der Ostafrikanischen Gesellschaft gebracht 


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werden. Jenseits des Gebirgslandes Usambara wollte 
Dr. Meyer seine Hauptkarawane wieder treffen. Es stellte 
sich jedoch heraus, dass dieselbe durch den inzwischen an 
der Küste losgebrochenen Aufstand zurückgehalten und zer¬ 
sprengt war. Dr. Meyer war desshalb gezwungen, zur Küste 
zurückzukehren, ward aber unterwegs von dem hinterlistigen 
Negerfürsten Sembodja in Masinde des grössten Theiles 
seiner Güter beraubt. Beladen mit ihren Instrumenten, 
Waffen und den nöthigsten Gegenständen verliessen die 
Reisenden schleunigst die Gegend und stiessen bald auf 
bewaffnetes, verdächtiges Negergesindel. Während sie am 
Fluss ihre Mahlzeit einnahmen, wurde Dr. Meyer mit seinen 
Leuten hinterrücks überfallen und unter Tumult und Geschrei 
schwer misshandelt. Ein Keulenhieb streckte Dr. Meyer zu 
Boden; als er wieder zur Besinnung gelangte, waren ihm 
Hände und Risse gebunden und er mit einer Kette an seine 
Gefährten, denen man, wie ihm, die Kleider vom Leibe ge¬ 
rissen hatte, gefesselt. So mussten sie einen ungemein be¬ 
schwerlichen Marsch antreten, bis der Araberführer Buschiri, 
ein graubärtiger 45jähriger Mann, ihnen unter schwerer 
Todesdrohung das Lösegeld erpresste und sie nach dessen 
Entrichtung als Gäste behandelte. Er rühmte sich Dr. Meyer 
gegenüber, den Aufstand mit aller Macht geschürt und seine 
Expedition zersprengt zu haben. In Tangani, wohin dann 
die Reisenden entlassen wurden und wo der Aufruhr tobte, 
geleitete Buschiri Dr. Meyer und seine Gefährten zu dem 
Indier, welcher das Lösegeld vorgeschossen. Es gelang ihnen 
dort ein Boot zu besteigen und unter dem Feuer der Ver¬ 
folger an Bord des Sultandampfers sich in Sicherheit zu 
bringen. Dr. Meyer sieht den inneren Grund zu dem Auf¬ 
stand in der lang genährten Unzufriedenheit der Araber mit 
den durch das europäische Vordringen überall in Central¬ 
afrika veränderten Verhältnissen. Aeusserer Anlass zum Los¬ 
bruch an der Ostküste ist der Regierungswechsel in San¬ 
sibar, wo dem energischen Said Bargasch der schwach- 
müthige Said Chalifa gefolgt war, und die Küstenbesetzung 
seitens der Ostafrikanischen Gesellschaft. Einen religiösen 
Charakter trägt der Aufstand durchaus nicht. Der Reichs- 
kommissar wird nach Ansicht der Vortragenden gut thun, 

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mit Buschiri, der Seele des Aufstandes, zu paktiren, nach¬ 
dem er ihm einen Begriff seiner Kriegsstärke gegeben. Wie 
der Kongostaat mit Tippo Tipp paktirt hat, um am oberen 
Kongo Ruhe zu schaffen, so sollten wir Buschiri zu gewinnen 
suchen, um ihn als Gouverneur im Innern anzustellen. 
Durch Gewährung von Vorschüssen zu massigem Zinsfuss an 
die Araber sollte man dahin streben, dieselben, welche zu¬ 
meist nur als reich gelten, es aber in der That nicht sind, 
vom Druck der indischen Kapitalisten frei zu machen. Die 
Indier sind die Schmarotzer Ostafrikas. Durch ihr gewissen¬ 
loses Vorschusssystem mit 200 Procent Zinsforderung ist es 
ihnen, die selbst nichts arbeiten, gelungen, die Araber völlig 
zu umgarnen, ein System, dem selbst Tippo Tipp anheimfiel. 
Dr. Meyer beabsichtigt, im kommenden Monat wiederum 
nach Ostafrika aufzubrechen. Er will diesmal durch die 
vom Aufstand unberührte englische Interessensphäre von 
Mombas aus direct zum Kilimandscharo, dann nordwärts 
weiter zum Kenia-Schneegebirge reisen und von dort den 
Tanafluss llinab nach der Küste in Witu zurückkehren. 
Mit einem Exkurs über die Stanley’sche Emin-Pascha-Expe- 
dition, von welcher Dr. Meyer annimmt, dass sie, die wesent¬ 
lich von der Englisch-Ostafrikanischen Gesellschaft aus¬ 
geschickt ist, in Mombas, dem Hauptplatz der Englisch- 
Ostafrikanischen Gesellschaft zur Küste, kommen wird, nach¬ 
dem sie mit Emin Pascha politische Abmachungen getroffen 
und ihn mit reichlichen Mitteln versehen, in seiner Provinz 
zurückgelassen habe, schloss Dr. Meyer seinen inhaltreichen, 
klarverständlichen Vortrag. 


373. Sitzung am 21. Juni 1889. 

Anwesend 25 Personen. Vorsitzender: Herr Geb. Rath Dr. 6rashof. 
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Consul W. S. Niebuhr. 

Herr Postrath Christiani sprach „über den Anruf im 
Telegraphen- und Fernsprechbetrieb“, der sich je nach 
Art der benutzten Apparate sehr verschieden gestalte. Will 
der Telegraphirende sein Gegenüber aufmerksam machen, so 
muss er sich an dessen Sinne, namentlich an das Gehör 
wenden, weil dieses allein Eindrücke von allen Seiten auf- 


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zunehmen vermag. Stein heil, welcher den ersten magnet¬ 
elektrischen Schreibtelegraphen herstellte, wies 1838 aus¬ 
drücklich auf die Nothwendigkeit hin, die Zeichen seines 
Apparates auf den Gehörsinn zu übertragen, welchen Zweck 
er erreichte, indem er Glocken in die Schlagweite des 
Zeichengebers stellte. Von den neueren elektromagnetischen 
Telegraphenapparaten arbeiten Morse und Hughes gewöhn¬ 
lich ohne besondere Weckvorrichtung; bei beiden genügt das 
Geräusch des angezogenen oder abgestossenen Ankerhebels, 
um den Beamten herbeizurufen. Dagegen müssen die laut¬ 
los arbeitenden Apparate, wie chemische und Copirtelegraphen, 
Nadeltelegraphen u. dgl., stets mit Weckern verbunden sein. 
Die Vorschläge zu Weckvorrichtungen sind desshalb eben so 
alt, wie die Vorschläge zu elektrischen Telegraphen über¬ 
haupt. Schon gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, als 
man nur Reibungselektrizität kannte und diese zur Ueber- 
mittelung von Nachrichten zu benützen versuchte, tauchten 
auch Pläne zu elektrischen Allarmvorrichtungen auf. Man 
wollte ein Gefäss mit Knallgas laden und letzteres durch 
den Funken einer Leydener Flasche zur Entzündung bringen. 
Sömmering benützte 1809 in seinem Wasserzersetzungs¬ 
telegraphen die aufsteigenden Gasblasen, um das löffelartige 
Ende eines doppelarmigen Hebels emporzuheben, dadurch 
eine auf das andere Hebelende aufgeschobene Metallkugel 
abgleiten und im Falle ein Läutewerk auslösen zu lassen. 
Aehnliclie Mittel haben Weber und Schilling von Cannstatt 
angegeben. Als Kuriosum wurde auch der Vorschlag von 
Vorsselmann de Heer erwähnt, welcher die Aufmerksam¬ 
keit des Empfängers durch elektrisehe Schläge zu erregen 
gedachte. 

Der Wecker in seiner heutigen Form, welche das ver¬ 
längerte Ende eines Elektromagnetankers unmittelbar auf 
die Glocke schlagen lässt, stammt von Wheatstone und 
Cooke (1837); die Selbstunterbrechung mit ihrem bekannten 
rasselnden Getön fügten Siemens & Halske hinzu. Eine 
Abart sind die Wecker mit Selbstausschluss der Elektro¬ 
magnetrollen. In der Reichstelegraphenverwaltung werden 
Wecker verwendet, welche nach Belieben auf Selbstunter¬ 
brechung oder Selbstausschluss geschaltet werden können. 

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Sie haben die grösste Verbreitung gefunden in den Stadt¬ 
fernsprecheinrichtungen, wo sie in der Regel mit Arbeits¬ 
strom betrieben werden. In den eigentlichen Telegraphen - 
leitungen mit Fernsprechbetrieb dient dagegen neuerdings 
zum Aufruf der Anstalten mit Erfolg die Ruhestromschaltung, 
nachdem die Signalpfeifen und zum Tlieil auch die magnet¬ 
elektrischen Wecker verschiedener Uebelstände halber zurück¬ 
gezogen werden mussten. 

Der Redner unterstützte seinen Vortrag durch Zeich¬ 
nungen und Vorführung von Apparaten. Eine Anfrage aus 
dem Zuhörerkreis gab ihm schliesslich noch Veranlassung, 
sich über die Verwendung und den Vortheil direkter Leitungen 
im Telegraphenbetriebe zu äussern. 

Herr Professor Dr. Meidinger machte sodann noch, auf 
Grund einiger demselben von einem Verwandten in Phila¬ 
delphia zugesendeter Zeitungen, einige Mittheilungen über die 
vor drei Wochen in Folge eines Dammbruches veranlasste un¬ 
geheure Ueberschwemmung in Pennsylvanien, durch 
welche die in einem Thale liegende Stadt Johnstown, nahe 
so gross wie Karlsruhe, im Zeiträume von kaum einer Stunde 
vollständig zerstört wurde und viele Tausend von Menschen 
ihr Leben verloren. Der Damm war bloss aus Erde gebildet 
und oberflächlich mit Steinen lose belegt; derselbe staute 
das Wasser thalaufwärts zu einem grossen See, dessen Länge 
zu drei engl. Meilen, etwa so weit wie vom Marktplatz in 
Karlsruhe bis nach Durlach-Bahnhof. angegeben wurde. Der 
Bruch erfolgte durch Ueberlaufen des Wassers nach grossen 
Regenfällen der vorausgegangenen Tage. Ein Dammmeister 
sah die Gefahr voraus und telegraphirte drei Stunden vor 
erfolgtem Bruch nach abwärts, dass das Wasser kommen 
würde. Im nächsten Orte konnten sich auch alle Bewohner 
retten, im acht Kilometer abwärts gelegenen Johnstown 
wurde jedoch die Warnung nicht beachtet, welche schon in 
früheren Zeiten wiederholt gegeben worden war. Die sich 
in a / 4 Stunde entleerende Wassermasse wurde zu GO Mill. 
Kubikmeter, die Höhe des sich fortwälzenden Stromes zu 
15 Meter geschätzt. 


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374. Sitzung am 5. Juli 1889. 

Anwesend 28 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Neu angemeldetes Mitglied: Herr Ingenieur Pulvermann. 

Der Vorsitzende bringt ein Schreiben der anthropolo¬ 
gischen Commission des Alterthums-Vereins zur Kenntniss, 
worin um eine weitere Summe von 200 Mark gebeten wird 
behufs Fortführung der begonnenen Untersuchung der 
körperlicher Beschaffenheit der Bevölkerung Badens an den 
Militärpflichtigen. Der Beitrag wird einstimmig bewilligt. 

Herr Prof. Dr. Bunte hielt einen Vortrag über Licht- 
maasse und Lichtmessung. Im Eingang schilderte Redner 
die Bestrebungen zur Herstellung eines zuverlässigen Licht- 
maasses für wissenschaftliche und technische Versuche zur 
Feststellung der Helligkeit künstlicher Lichtquellen. Unter 
Vorzeigung einer ziemlich vollständigen Sammlung von In¬ 
strumenten und Apparaten zur Herstellung sogen. Normal- 
Hammen werden die einzelnen Lichtmaasse besprochen. Die 
englische Spermacetikerze (Wallrathkerze), die deutsche Ver¬ 
eins-Paraffinkerze, welche in Deutschland und Oesterreich zur 
Zeit das verbreitetste Liehtmaass ist ;die Amylacetat-Lampe von 
Hefner-Alteneck, die Pentanlampe von Vernon Narcourt, 
welche neuerdings in England viel besprochen wird/ Im 
Anschlüsse an diese verschiedenen, in der Praxis gebrauchten 
Lichtmaasse werden die von anderer Seite vorgeschlagenen 
sogen, absoluten Lichtmaasse einer Kritik unterzogen, nament¬ 
lich die sogen. Platinlichteinheit von Violle, welche von dem 
Elektrikercongress in Paris 1881 provisorisch angenommen 
wurde, und die auf ähnlichen Grundsätzen beruhende Platin¬ 
lichteinheit von W. v. Siemens. Der Vortragende bespricht 
die Anforderungen, welche man im Allgemeinen an Licht- 
maasse zu stellen hat, und gibt eine Uebersicht, in wie weit 
die bisherigen Normalflammen diesen Anforderungen ent¬ 
sprechen. Die namentlich in neuerer Zeit mit der raschen 
Entwickelung des Beleuchtungswesens gesteigerten Anforde¬ 
rungen an zuverlässige Lichtmessungen haben eine Reihe 
von Verbesserungen hervorgerufen, welche vom Vortragenden 
an Hand der aufgestellten Instrumente erläutert werden. 
Nicht nur die Lichtmaasse, sondern auch die Methoden zur 
Messung der Helligkeit künstlicher Lichtquellen .haben im 


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Laufe der letzten Jahre namhafte Verbesserungen erfahren, 
wie ein im Saale aufgestelltes sogen. Winkelphotometer 
zeigte. Während man nämlich früher sich darauf beschränkte, 
die von einer Lichtquelle in horizontaler Richtung aus¬ 
gesandte Lichtmenge zu messen, hat sich in neuerer Zeit 
das Bedürfniss herausgestellt, das unter verschiedenem Winkel 
ausgehende Licht photometrisch zu bestimmen, da die elek¬ 
trischen Lampen und ebenso die neueren sogen, invertirten 
Gaslampen eine sehr ungleichmässige Lichtvertheilung unter 
verschiedenen Winkeln zeigen. Redner macht bei dieser 
Gelegenheit darauf aufmerksam, dass es üblich sei, die 
Lichtstärke der elektrischen Lampen nach der Maximallicht¬ 
menge zu bezeichnen, welche in bestimmter Richtung bei 
freibrennenden Lampen ausgesendet werde. Dadurch ent¬ 
stehen oft unangenehme Missverständnisse, weil die sogen, 
mittlere räumliche Intensität der Lampe meist nur etwa die 
Hälfte betrage und die zur gleichmässigen Vertheilung der 
Helligkeit und zum Schutze der Augen angewendeten matten 
Glasglocken erhebliche Lichtmengen, bis zu 30 und 40 Pro¬ 
zent, absorbiren. So seien erst kürzlich auf Reklamation 
des Berliner Magistrats über die elektrische Beleuchtung 
auf der Strasse „Unter den Linden“ Messungen angestellt 
worden, welche ergeben haben, dass die nominell 2000 
Kerzen starken elektrischen Lichter bei freiem Brennen ohne 
Glocke unter dem günstigsten Winkel in der That diese 
Helligkeit zeigen, dass aber durch die gleichmässige Licht¬ 
vertheilung und die Lichtabsorption der Glocken die praktisch 
zur Wirkung kommende Helligkeit der Lampen nur etwa 
600 Kerzen sei. Der Vortragende knüpft daran die Be¬ 
merkung, wie nothwendig es sei, den erzielten Lichteffekt 
direkt zu messen, zu welchem Zweck ein Photometer von 
Willer construirt worden sei. Die Helligkeit einer Fläche 
werde angegeben in sogen. Meterkerzen, d. h. eine Zahl, 
welche angibt, wie viele Normalkerzen in der Entfernung 
von einem Meter aufgestellt werden müssen, um die gleiche 
Helligkeit, wie die gemessene, zu geben. Um einen Maass¬ 
stab für eine gute künstliche Beleuchtung zu haben, führt 
Redner an, dass nach vielfach vergleichenden Messungen 10 
Meterkerzen als diejenige Helligkeit bezeichnet werden müssen, 


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welche zum Lesen und Schreiben erforderlich ist. Mit dem 
Hinweis auf die Wichtigkeit solcher photometrischen Mes¬ 
sungen, namentlich in Bezug auf die Pflege des Auges in 
den Schulen etc., schloss der Vortrag, an welchen sich noch 
eine kleine Diskussion anschloss, insbesondere im Hinblick 
auf die gleichraässige Beleuchtung grösserer Flächen durch 
Bogenlichter. Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener machte darauf 
aufmerksam, dass durch sehr grosse Erhebung der Bogen¬ 
lichter über dem Erdboden eine völlig gleichmässige Be¬ 
leuchtung desselben durch mehrere Lampen sich erzielen 
lasse, und zwar ohne Lichtverlust, vorausgesetzt, dass die 
zu beleuchtende Fläche gross genug sei. 

Herr Dr. Doll machte hierauf eine Mittheilung über die 
geodätischen Arbeiten Cassini’s in Baden. Cesar Fran¬ 
cois Cassini duThury, Director der Sternwarte in Paris, war 
der berühmte Bearbeiter der ersten topographischen Karte 
von Frankreich. Zur richtigen Verbindung der Hauptpunkte 
dieser Karte mit denjenigen in Baden, Württemberg und 
Bayern, unternahm er eine Längengradmessung zwischen 
Paris und Wien und reiste Anfaugs Mai 1761 dahin ab. 
Bei Wien wurde eine schon gemessene Basis von 4000 
Toisen benutzt und an dieselbe eine Dreieckskette längs der 
Donau bis Straubing angeschlossen; von da zweigte eine 
zweite Kette ab, welche der Isar nach bis München, und von 
da über Augsburg bis Donauwörth sich erstreckte, wo sie sich 
mit der der Donau folgenden ersten Kette wieder vereinigte. 
Nachdem bei München eine zweite Basis bestimmt wurde, 
fand eine Fortsetzung der Dreieckskette über Ulm bis Stutt¬ 
gart statt, wo mit der Messung einer dritten Basis in diesem 
Jahre abgeschlossen wurde. Die zweite Reise erfolgte An¬ 
fangs März 1762. Von Stuttgart wurde die Dreieckskette 
bis Mannheim gebildet, dann nach Norden ausgedehnt bis 
Frankfurt a. M. und Mainz; ferner von Mannheim in süd¬ 
licher Richtung bis Strassburg, wobei zum grossen Theil 
die Punkte angenommen sind, die 70 Jahre später von Oberst 
Klose als Dreieckspuukte ersten Ranges bestimmt wurden. 
In der Pfalz fand Cassini eine Unterstützung durch die 
Beihilfe des Pater Mayer, Hofastronom des Kurfürsten Karl 
Theodor, mit welchem er eine Basis von Schwetzingen bis 


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Heidelberg mass. ln Karlsruhe hielt sich dann Cassini 14 
Tage auf, da sich der Markgraf Karl Friedrich und die 
Frau Markgräfin sehr für seine geodätischen und astrono¬ 
mischen Arbeiten interessirten. Von Strassburg fand endlich 
in möglichst gerader Richtung eine Dreiecksverbindung bis 
Paris statt. 


375. Sitzung am 19. Juli 1889. 

Anwesend 25 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Herr Ingenieur E. Schröder zeigte eine Blitzphoto¬ 
graphie vor, welche unter seiner Leitung von dem Photo¬ 
graphen der deutschen Metallpatronenfabrik hier, G. Maisch, 
am 12. Juli 1889, Abends 10 15 aufgenommen wurde. Es 
knüpfte sich hieran eine Diskussion über die Höhe der 
Gewitterwolken, an welcher sich die Herren Professoren Dr. 
Meidinger, Platz und Schröder betheiligten. Die meisten 
Gewitter scheinen nicht sehr hohe zu sein, denn auf dem 
4000 Fuss hohen Kandel liegen dieselben nach Aussage der 
Wirthe im Rasthaus, fast immer tiefer als die Gipfel. 

Herr Professor Möller sprach über Reibungswider¬ 
stände bewegter atmosphärischer Luft in Beziehung 
zur Erdrotation, um daraus die Entstehung der verschie¬ 
denen Witterungszonen, welche die Erde umspannen, abzuleiten. 
Ein auf der Erdoberfläche sich bewegender Körper hat das Be¬ 
streben, ohne Rücksichtnahme auf die Drehung der Erde um 
ihre Achse, eine gerade Bahn zu verfolgen. Dies gelingt der 
trägen Masse nur unvollkommen, da sie sich von der krum¬ 
men Oberfläche der Erde nicht abheben kann. Es ist das 
Verdienst des Franzosen Poisson, die aus jenem Widerstreit 
der Trägheitskräfte, der Schwere und der Zentrifugalkräfte 
sich ergebende Gesammtwirkung in vollkommener Weise 
entwickelt zu haben. Zweiundzwanzig Jahre trat Poisson 
für seine Anschauung ein, bis im Jahre 1859 die Akademie 
der Wissenschaften zu Paris der neuen Lehre den Preis zu¬ 
erkannte. Dieselbe besagt, dass ein auf der Erdoberfläche 
sich bewegender Körper in jeder Secunde um den 14 /i 0 oooo 
Theil seiner Geschwindigkeit, multiplizirt mit dem Sinus 
der geographischen Breite, auf der Nordhemishpäre nach 


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rechts, auf der Südhemisphäre seitlich nach links von der 
geraden Bahn (dem grössten Kreise) abgelenkt wird, wofern 
nicht Kräfte bestehen, welche diese Abweichung verhindern. 
Bei der Lokomotive sind es die Spurkränze der Räder, 
welche das Fahrzeug zwingen, der Schienenbahn zu folgen. 
Bei einem sich bewegenden Zug drängt bei uns jede Achse 
gegen die rechte Schiene, und zwar mit einer Kraft, welche 
hei 25 Meter sekundlicher Fahrgeschwindigkeit und 13,000 
Kilogramm Achslast — 4 Kilogramm beträgt. Die Luft folgt 
nicht so festen Schienengeleisen, sie irrt daher, durch die 
Seitenablenkung getrieben, vom Ziele ab, bis sich zwischen 
der treibenden Druckkraft, dem Gradienten (Druckgefälle) 
und der Ablenkung wie dem Reibungswiderstande, dem die 
bewegte Luft ausgesetzt ist, ein Gleichgewichtszustand ein¬ 
stellt. An Zeichnungen erläuterte der Vortragende zwei 
besondere Fälle des Gleichgewichtszustandes bewegter Luft, 
welche darin von einander abweichen, dass einmal die Luft 
sich an der Erdoberfläche reibt, das anderemal von oben her 
aus einer schnellen ziehenden Strömung Reibungswiderstand 
empfängt. Unter Bezugnahme auf eine im Archiv der 
deutschen Seewarte, 10. Jahrgang 1887, veröffentlichte 
Arbeit des Vortragenden wird der letztere Fall besonders 
behandelt, darüber sich der Amerikaner Professor Ferrel von 
1856 bis zur Gegenwart in umfangreichen Abhandlungen 
verbreitet hat. Der Unterwind erleidet durch die Reibung 
am rauhen Erdboden Verzögerung, es wird seine Geschwin¬ 
digkeit und mithin auch die Seitenablenkung verkleinert und 
auf so niedrig bemessenem Werthe gehalten, dass die trei¬ 
bende Druckdifferenz die ablenkende Fliehkraft überwindet 
und dass die bewegte Luft auf spiralförmig gewundener 
Bahn dem Orte tiefsten Luftdruckes zugeführt wird. Dem 
entgegen zeigt eine in gewissem Abstande von dem Erd¬ 
boden ziehende Luftschicht, welche dem Reibungswiderstand 
der rauhen Erdoberfläche weniger ausgesetzt ist, dagegen 
von oben her lebhaften Ein- und Angriff durch eine schneller 
bewegte Schicht erleidet, Beschleunigung ihrer Bewegung. 
Vermöge der erhöhten Geschwindigkeit ist diese Luft, mitt¬ 
lerer Höhe, befähigt, eine so starke Seitenablenkung einzu¬ 
gehen, dass die Luft, dem Druckgefälle entgegen, aus niederem 


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Druck in höheren Druck Übertritt. Dabei wird die Luft in 
ihrer Bewegungsrichtung der Linie gleichen Luftdruckes, der 
Isobare annähernd folgen, denn die geringste Seitenabweichung, 
welche gegen stärkeren Druck sich richtet, bedingt Ge¬ 
schwindigkeitsverlust, also Verminderung der Ablenkung. 
Ununterbrochen muss durch Einwirkung der oberen, schneller 
treibenden Schicht der unteren Schicht, mittlerer Höhe, Be¬ 
wegung zugeführt werden, um den Verlust zu ersetzen, wo¬ 
fern die aus niedrigem in höheren Luftdruck eintretende 
Schrägströmung erhalten werden soll. Diese Fähigkeit der 
Luft, zeitweise, bezw. in begrenzter Schicht, unter günstigen 
Umständen gar ununterbrochen gegen höheren Druck vor¬ 
zudringen, wird des Weiteren zur Erklärung der allgemeinen 
Luftzirkulation der Atmosphäre ausgenutzt. Polwärts vom 
30 . Grad nördlicher und südlicher Breite finden sich auf 
beiden Hemisphären in unteren Schichten der Atmosphäre 
vorwiegend polwärts treibende Luftdruckdifferenzen. In 
höheren Schichten nehmen diese meridionalen, zum Pole 
weisenden Gefälle der Flächen gleichen Druckes bedeutend 
an Steilheit zu, da die über dem Pol befindliche Luft kalt, 
ist und mithin eine Säule von gleichem Gewicht am Pol 
kürzer, niedriger ist, als in der warmen Zone. Es besteht 
die grosse Schwierigkeit, zu erkennen, wie unter diesen Um¬ 
ständen Luft vom Pol zum Aequator zurückströmen kann, 
da doch in allen Schichten die Druckdifferenzen diesen Rück¬ 
strömungen entgegen wirken, ln allen Schichten der 
Atmosphäre umwirbelt die Luft die polare Einsenkung. Es 
treibt aber nur die Luft sehr hoher Schichten dabei langsam 
in Spiralen dem Pole zu, soweit ihre um den Pol wirbelnde 
Westost-Geschwindigkeit durch Reibung an unteren Schichten 
gemindert wird und daher nicht die genügende Fliehkraft 
verbleibt, um dem grossen polaren Gefälle der oberen Schichten 
zu trotzen. Darunter befindet sich aber eine Schicht mitt¬ 
lerer Höhe, welcher von oben her Bewegung zugeführt wird 
und welche daher in der zuvor besprochenen Weise stetig 
gegen den Gradienten strömen und jene gesuchte, vom Pol 
zum Aequator gerichtete Spiralbewegung vollführen kann. 
Es kreist diese Luft vorwiegend als Westwind und nimmt 
durch die Fliehkraft jene massige, aber hochwichtige nach 


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Süd gerichtete Komponente gleichzeitig in sich auf. Die 
Stärke der Westwind-Komponente lässt sich für jede Schicht 
ausrechnen, wofern die Druckunterschieile (Barometerstände) 
unten bekannt sind und soweit die horizontalen meridionalen 
Temperatur-Unterschiede sich schätzen lassen. Leichter, 
ungezwungener vollzieht sich die Luftzirkulation in der 
heissen Zone. In Nähe des Aequators steigt erwärmte Luft, 
Kondensation, Wolken und Regen veranlassend, empor, breitet 
sich oben polwärts aus und erleidet erst dort, wo vermöge 
des wachsenden Werthes des Sinus der geographischen Breite 
die zum Aequator drängende Fliehkraft bemerkbar wird, 
Behinderung in dein Bestreben polwärts abzufliessen. Der 
Oberstrom, welcher z. B. auf der nördlichen Halbkugel am 
10. Parallelkreis erst Südwind war, schwenkt vermöge der 
wachsenden Fliehkraft nach rechts um, verwandelt sich am 
25. Parallelkreise schon in starken Westwind und führt jetzt 
kaum noch Luft polwärts ab. Vom Aequator treten von 
hinten neue Luftmassen hinzu, welche gegen die früher 
abgeüossene Luft sich stauen. In der Tiefe am Erdboden 
bildet sich durch die Luftanhäufung ein Gürtel hohen Luft¬ 
druckes, etwa am 30. Parallelkreis belegen, aus. Vom 18. 
bis 30. Grad sinkt die oben angestaute Luft niederwärts, 
um unten wieder dem Aequator zuzuströmen. Der sich 
senkende Luftstrom erleidet Zusammenpressung, Erwärmung 
und gewinnt mithin die Fähigkeit, Feuchtigkeit in sich auf¬ 
zunehmen und trocknend auf Gegenstände einzuwirken. 
Unter diesem fallenden, trockenen Luftstrom bilden sich auf 
den Kontinenten die Wüstengürtel aus, welche die Erde am 
Nord- und Südrand der heissen Zone umspannen. Dass 
unsere gemässigte Zone von den fallenden, trockenen Luft- 
massen der vom Aequator abströmenden Oberwinde nicht 
anhaltend, sondern nur vorübergehend betrotfen wird, ver¬ 
danken wir den B'liehkräften jener durch Seitenablenkung 
vorwiegend schon vom 18. bis zum 30. Parallelkreis an¬ 
gestauten und zum grössten Theil dazwischen abwärts 
sinkenden Luftmassen. Ein Hinweis auf die Ursache einer 
Veränderlichkeit der Witterung unserer gemässigten Zone, 
begründet durch den wechselvollen Eingriff unterer Schichten 
in anders bewegte obere Schichten, schloss den Vortrag. 


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Herr Professor Treutlein ergänzte denselben noch durch 
eine Mittheilung über Beobachtungen, welche an der Hamburg- 
Berliner Eisenbahn ausgeführt sind. Die Rechtsablenkung 
der Eisenbahnfahrzeuge, welche durch die Erdrotation erstrebt 
wird, soll sich an einer seitlichen Bewegung der stark be¬ 
fahrenen Geleise sichtbar äussern. 


376. Sitzung am 18. Oktober 1889. 

Anwesend 29 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Professor Dr. Bunte hielt einen Vortrag über 
Anlauffarben des Stahls. Wenn man ein polirtes Stück 
Stahl langsam auf etwa 350 Gr. C. erhitzt, so überzieht sich 
die Oberfläche desselben nach und nach mit verschiedenen 
Farben: gelb, orange, violet, dunkelblau, hellblau etc., den 
sogenannten Anlauffarben. Diese Anlauffarben besitzen in¬ 
sofern eine technische Wichtigkeit, weil sie als Merkmale 
für die Härte und Elastizität bestimmter Stahlsorten und 
für deren Verwendbarkeit für gewisse Zwecke angesehen 
werden. So gibt man die gelbe Anlauflürbe Werkzeugen, 
welche sehr hart sein sollen, z. B. Grabstichel; die purpur- 
rothe Farbe erhalten Werkzeuge, welche mehr zäh als hart 
sein sollen, z. B. HolzbearbeitungsWerkzeuge; violet und blau 
lässt man Uhrfedern, Sensen etc., welche eine grosse Elasti¬ 
zität haben sollen, anlaufen. Ueber die Frage: ob und in 
welchem Zusammenhang diese Anlauffarben mit der Härte und 
der Zusammensetzung des Stahles stehen, wurden kürzlich 
in der physikalisch-technischen Reichsanstalt in Berlin Ver¬ 
suche angestellt, über deren Ergebniss Herr Prof. Bunte 
berichtete. Nach einer zusammenfassenden Darstellung der 
bisher von anderer Seite zur Aufklärung der Frage an- 
gestellten Versuche gibt der Vortragende eine Erklärung 
für diese eigenthümlichen Farbenerscheinungen, welche von 
einer sehr dünnen Oxydschicht herrührt, mit welcher sich 
die Oberfläche des Metalles überzieht. Es entstehen als¬ 
dann, je nach der Dicke dieser Oxydschicht, sogenannte 
Interferenzfarben, wie sie auch an Seifenblasen beobachtet 
werden. Diese Erklärung wird dadurch bestätigt, dass die 
Aufeinanderfolge der Farben genau dieselbe ist, wie bei 


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61 * — 


den sogenannte Newton’schen Farbenringen. Wie schon aus 
der Entstehungsursache dieser Farben vermuthet werden 
kann, geben dieselben keinen bestimmten Anhaltspunkt für 
die Härte; dieselbe ist vielmehr wesentlich bedingt durch 
den Kohlenstoffgehalt des Stahles. Zu diesem Ergebniss 
haben auch die Versuche in der physikalisch-technischen 
Reichsanstalt geführt, indem durch dieselben nachgewiesen 
wurde, dass das Auftreten der Anlauffarben keiner bestimmten 
Temperatur entspricht, sondern abhängig ist von der ursprüng¬ 
lichen Härtp des Stahls, also dessen Kohlenstofifgehalt, ferner 
von der Art der Erwärmung und der Dauer der Erhitzung. 
Redner macht zum Schluss noch darauf aufmerksam, dass 
das verschiedene Verhalten des Stahles beim Anlassen viel¬ 
leicht einen Schluss gestattet auf die Art der chemischen 
Bindung, in welcher der Kohlenstoff' in den verschiedenen 
Stahlsorten mit dem Eisen enthalten sei. An den Vortrag 
knüpfte sich eine kurze Besprechung, an welcher sich die 
Herren Professoren Schröder und Schleiermacher betheiligten. 

Herr Professor Dr. Meidinger machte noch eine Mitthei¬ 
lung über die Ventilationseinrichtung des grossartigen 
Zirkus Hippodrome in Paris, welche er bei einem Besuch 
der Weltausstellung kürzlich kennen gelernt hatte. Es wird hier 
ein ungeheurer Dachdom in zwei Hälften auf Schienen aus¬ 
einandergeschoben, so dass eine Oeffnung von etwa 45 Meter 
Länge und 20 Meter Breite sich bildet, durch welche die 
äussere Luft ungehindert Zutritt in das Innere findet, für 
manche Fälle die vollkommenste Form der Ventilation, da 
sie mit keinem merklichen Zug an den Thüren verbunden ist. 


377. Sitzung am 2. November 1889. 

Gemeinsam mit der deutschen Kolonialgesellschaft und der geographischen 

Gesellschaft. 

Herr Hugo Zöller (Reisender und Berichterstatter der 
Kölnischen Zeitung) hielt einen Vortrag über „Deutsch-Neu¬ 
guinea“. 

Der Vortrag beschäftigte sich in der Hauptsache mit 
den barbarischen aber verbältnissmässig hoch begabten Ein¬ 
geborenen von Neuguinea, mit dem Vordringen des Redners 
in das Innere dieses „dunklen Erdtheils“ der Antipoden, 


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—' 62 


welches ihn als den ersten Sterblichen auf die Kammhöhe 
einer der himmelragenden Gebirgsketten des Innern geführt 
hat, sowie mit dem, was in vierjähriger opferwilliger Arbeit 
deutsche Kultur an der Küste dieses barbarischsten aller 
Barbarenländer geschaffen hat In Bezug auf landschaftliche 
Schönheit ist Neuguinea, wo auch nicht das allerkleinste 
Fleckchen Erde des denkbar üppigsten Pflanzenwuchses 
entbehrt und welches einmal sämmtliche von Deutschland 
benöthigte Kolonialprodukte erzeugen könnte, ein Paradies, 
in welchem mit der Lieblichkeit eines tropischen palrnen- 
umsäumten Baden-Badens die grossartigere Majestät einer 
Alpenwelt, welche bisher bloss in weiter Ferne erschaut aber 
nie vorher betreten worden war, sich vereinigt. In Finsch- 
hafen, Butaueny, Constantinhafen, Stephansort, Ilatzfeldthafen 
und Kerawarra erfreut man sich in luftigen europäischen 
Holzhäusern nahezu jeder von Europa her gewohnten Com- 
forts, wogende Mais-, Taro-, Yams- oder Mandioccafelder, 
üppige Tabak-, Baumwoll-, Bananen- und Kokospttanzungen, 
welche aber, so trefflich auch ihre Erzeugnisse sein mögen, 
natürlich heute doch noch zu klein sind, um rentiren zu 
können, umgeben, untermischt mit Gärten, in denen alle 
Gemüse und Früchte der tropischen und subtropischen, sowie 
auch einige der gemässigten Zone gedeihen, die oben er¬ 
wähnten Stationen der Neuguinea-Kompagnie. Rinder und 
Pferde, welche in Kamerun und Togoland dem Fieber zu 
erliegen pflegen, gedeihen hier ohne Schwierigkeit. Bloss 
für Schafe scheint das Klima etwas allzu feucht zu sein. 

Aber schon wenige Kilometer abseits jener kleinen Kultur- 
centren, als welche die deutschen Stationen sich darstellen, 
trifft man auf das unverfälschte Barbarenthum eines dünn 
gesäeten, und, abgesehen von einigen in nächster Nähe der 
Stationen verbreiteten Messern und Aexten, noch heute im 
Steinzeitalter stehenden Volkes, eines Volkes, dessen Kultur 
unzweifelhaft um Jahrtausende hinter derjenigen zurück ist, 
welche unsere germanischen Vorfahren bereits zur Zeit 
Cäsars erreicht hatten. Aber so niedrig auch der Kultur¬ 
standpunkt sein mag, so wäre es doch unrichtig, aus rohen 
Sitten auf niedrige geistige Fähigkeiten scbliessen zu wollen. 
Eine grosse Anzahl ethnographischer Gegenstände, welche 


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63 


Herr Zöller aus dem nie vorher betretenen Innern mitgebracht 
hat, veranschaulichten die künstlerischen Anlagen der Ein¬ 
geborenen, bei denen kaum ein noch so unbedeutender 
Gegenstand des Hausrathes ohne künstlerischen Schmuck ist. 
Zur Kleidung, welche die denkbar einfachste ist, bildet die 
Ueberfülle von Schmuck, Haarkämmen, Sternplatten, Brust¬ 
schmuck, Armringen, Bauchpressen, Nasenpflöcken u. s. w. 
— einen auffallenden Gegensatz. Die von Herrn Zöller 
vorgezeigten und erläuterten Kleidungsstücke, Schmucksachen 
und Waffen erregten allgemeines Interesse. 

Uebrigens ist der Schein kriegerischen Wesens stärker 
als dieses selbst. Während zweitägiger Angriffe der wilden 
wahrscheinlich nomadischen Binnenlandsbewohner ist von 
Zollers Truppe niemand verletzt worden. Drang man gegen 
sie vor, so nahmen die Eingeborenen, ihre Waffen im Stiche 
lassend — die meisten der Zöller’scheu Speere, Keule, Bogen, 
u. s. w. sind Beutewaffen — Reissaus. Zöller fand sehr 
bald, dass die Schwierigkeiten des Vordringens in Neu- 
Guinea denn doch viel grössere sind, als in Afrika, und zwar 
einestheils wegen der Unwegsamkeit des Landes, anderntheils 
wegen der Unmöglichkeit, Lebensmittel zu kaufen. In den 
Fluss- oder Bachläufen bis zur Hälfte, zeitweilig sogar bis 
zum Halse im Wasser watend, hat Zöller mit seiner aus 2 
Weissen, 21 bewaffneten ehemaligen Kannibalen und 60—80 
Lastträgern bestehenden Truppe in völlig unerforschtem 
Lande eine Wegstrecke von 240 Kilometer zurückgelegt. 
Durch Stürze von den Felsen trugen alle Mitglieder der 
Expedition mehr oder minder schwere Verletzungen davon. 

Nachdem man in dieser Weise in einer zweitägigen 
Kletterarbeit endlich die Kammhöhe des Finisterre-Gebirges 
in einer Meereshöhe von über 9000 Fuss erklommen hatte, 
verhinderten zunächst aufsteigende Dünste alle Fernsicht. 

Grossartig, allgewaltig bot sich aber die Aussicht bei 
vollkommen klarem Himmel am andern Morgen dar. In 
einem Umkreise von 180 Graden sah das entzückte Auge 
Höhenzüge an Höhenzüge, Bergketten an Bergketten, Berg¬ 
gipfel an Berggipfel sich reihend, durch üppige Thäler und 
herrliche baumreiche Bergabhänge unterbrochen, gewisser- 


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massen Rigi-artig vor sich liegen. Eine Skizze jenes Gebirgs- 
panoramas hat Redner im Saale aufgestellt. 

Zunächst tritt eine gewaltige Bergkette auf, von der 
bisher noch keine Kunde nach Europa gelangt war. Man 
nannte dieselbe zu Ehren des deutschen obersten Gouverneurs 
von Deutsch-Neu-Guinea oder Kaiser-Wilhelmsland, das 
„Kraetke-Gebirg“. 

Dahinter erhebt sich der „Rückgrat“ von Neu-Guinea, 
das Bismarck-Gebirge, von welchem man von der Küste aus 
nur einige Gipfel wahruimmt, ohne dass man bisher von 
dessen gewaltiger Länge und weitverzweigter Fortsetzung 
eine Kunde hatte. Einzelne Bergspitzen erheben sich bis 
zu 16000—17000 Fuss, eine in einer Mulde zwischen zwei 
dieser Gipfel wahrgenommene weisse Fläche wird wohl 
sicherlich ewiger Schnee gewesen sein, wenigstens nach der 
festen Ueberzeugung der zwei weissen Begleiter von Zoller. 
Hungernd und von Wunden erschöpft, gelangte die Expedition 
auf ihrem Rückmärsche schliesslich wieder in bewohnte 
Landstriche. Wäre da Regenzeit eingetreten, so würde sie 
hinter den fürchterlichen Engpässen des Finisterre wie in 
einer Mausfalle gefangen gewesen sein. 


378. Sitzung am 15. November 1889. 

Anwesend 16 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener machte einige Bemer¬ 
kungen über die Voraussetzungslosigkeit der wissen¬ 
schaftlichen Forschung, insbesondere über den Satz „co- 
gito, ergo sum“. Dieser Satz, „ich denke, also bin ich“, wel¬ 
chen Descartes an die Spitze seiner Philosophie stellte, dürfte 
etwas genauer so ausgedrückt werden, „das Denken ist, folg¬ 
lich ist das Ich“. Aus dem Sein des Denkens wird auf das 
Sein des Ich, d. h. aus dem Vorhandensein einer Thätigkeit 
auf das Vorhaudensein eines thätigen Wesens, eines Sub¬ 
jektes, geschlossen. Bei einem voraussetzungslosen Denken, 
was verlangt werden muss, ist aber jener Schluss nicht ohne 
Weiteres berechtigt. Sehen wir zu, wie wir zu diesem 
Schlüsse gelangen. Der Begriff des Subjektes entsteht aus 
Erfahrung. Wir bemerken in unseren Denkvorgängen eine 


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Menge von Vorstellungen, die sich beständig ändern. Das 
sich Aendernde nennen wir das Subjekt, den Vorgang der 
Aenderung eine Thätigkeit, die Aussage dieser Thätigkeit 
das Prädikat. In dem Vorgänge „Karl geht“, wobei un- 
erörtert bleiben kann, ob dem Vorgänge in unserer Vor¬ 
stellung (der ein sog. Sinneseindruck sein mag), ein Vor¬ 
gang ausserhalb uns als Ursache zu Grunde liegt, oder nicht, 
ist „Karl“ das sich stetig Aendernde, das Subjekt, „Gehen“ 
seine Thätigkeit. Es gibt auch Vorgänge, welche kein Sub¬ 
jekt zu haben scheinen. „Es wetterleuchtet“ lässt ungewiss, 
ob mit dem Verschwinden der Erscheinung ein Subjekt übrig 
geblieben ist. Erst die Wissenschaft hat gezeigt, dass das 
Wetterleuchten ein Widerschein entfernter Blitze ist, dass 
also Luft das Subjekt, Glühen und Refiektiren ihre Thätig¬ 
keit ist. Wenn wir nun vom Denken auf ein Subjekt, das 
leb, schliessen wollen, müssen wir untersuchen, ob ein sich 
stetig änderndes Wesen da ist, von welchem das Denken 
eine Aenderung oder Thätigkeit bildet. Wir finden nun, 
dass dies wirklich der Fall ist. Wir haben eine Vorstellung' 
von einer langen Gedankenkette, welche die Vorstellung des 
eigenen Körpers als wesentlichen Bestandtheil enthält, und 
welche an ihrem Ende stets neue Glieder ansetzt, dagegen 
in ihren früheren Gliedern verblasst und abbröckelt. Von 
dieser sich stetig ändernden Gedankenkette ist das letzte 
Glied, das gegenwärtige Denken, eine Aenderung; diese 
Kette nennen wir das Ich und es ist das wirklich vorhan¬ 
dene Subjekt bei der Thätigkeit des Denkens. Man bemerkt, 
wie in diesem Falle das Denken voraussetzungslos ist, wie 
selbst die sprachlichen Begriffe von Subjekt und Prädikat 
sich erst bilden. Ebenso entsteht, am auffallendsten bei den 
Geistesthätigkeiten, die man Sinneseindrücke nennt, aus der 
ständigen Wiederkehr derselben Folge bei Wiederkehr der¬ 
selben Umstände die Thätigkeit der Schlussfolgerung, und 
zwar zuerst gewohnheitsmässig, wie schon Hu me gezeigt 
hat, d. i. nach dem Gesetz der Gedankenassociation, und 
diese wird zu einer wissenschaftlichen Schlussfolgerung, wenn 
unter jenen Umständen die wesentlichen erfahren und zun» 
Bewusstsein gebracht sind. So sehen wir, dass alles Schliessen 
voraussetzungslos ist, dass es aber eine bestimmte Grundlage 


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— 06 — 

besitzt, den gegebenen Strom der Gedanken. Man kann 
dies auch so ausdrücken, dass sich auf Grund der Erfahrung 
oder Induktion die Schlussfolgerung oder Deduktion aufbaut. 

In der daran sich anschliessenden Verhandlung bringt 
Herr Professor Rebmann die Frage der Vererbung körper¬ 
licher und geistiger Eigenschaften zur Sprache und er¬ 
wähnt, dass die Frage der Vererbung überhaupt noch vielfach 
umstritten und ungeklärt sei. Herr Ammon setzt darauf 
die Grundzüge der Weismann'schen Vererbungstheorie ausein¬ 
ander. Dieselbe nimmt die Kontinuität des Keimplasmas 
an, sowie eine qualitative Verschiedenheit der Moleküle des¬ 
selben und erklärt mit Hilfe derselben die Erscheinungen 
der Vererbung, läugnet aber die Vererbung erworbener Eigen¬ 
schaften. Professor Rebmann macht schliesslich darauf auf¬ 
merksam, dass die Thatsache der Vererbung unläugbar ist. 
dass aber für die theoretische Erklärung derselben unsere 
Kenntnisse von den morphologischen Verhältnissen und Vor¬ 
gängen dabei noch sehr mangelhaft sind. 

Herr Professor Dr. Meidinger machte eine Mittheilung 
über die auf der Pariser Ausstellung in Betrieb vorgeführte 
sogen. Wassereisenbahn, chemin de fer glissant. Diese 
Bahn, eine Erfindung des bei der Belagerung von Paris 1870 
gefallenen Ingenieurs Girard, von Barre weiter entwickelt 
und in einer Länge von 130 Meter in natürlichen Verhält¬ 
nissen in Paris ausgeführt, besteht aus breiten glatten 
Schienen, auf denen die Wagen wie Schlitten mittelst breiter 
geschlitzter Backen auf liegen. Durch die Schlitze wird unter 
starkem Druck Wasser zugeführt, wodurch sich die Wagen 
ganz wenig heben und nun wie auf Wasser schwimmend mit 
sehr geringem Widerstand fortbewegen. Zwischen den 
Schienen liegt ein Rohr, in welches fortwährend von einer 
stehenden Maschine Wasser unter Hochdruck eingepumpt 
wird; in geeigneten Entfernungen sind mit denselben auf¬ 
rechte Rohre verbunden, welche horizontale Öffnungen nach 
entgegengesetzten Richtungen besitzen. Beim Vorüberfahren 
stosst. der Wagen auf einen Zahn, wodurch nach der Fahrt¬ 
richtung dein Rohr ein Wasserstrahl entströmt, der auf tur¬ 
binenartig gekrümmte Flächen am Wagen aufstosst und dem¬ 
selben damit den Antrieb zur Fortbewegung ertheilt. Die 


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Wagen fahren sehr ruhig und sollen sich angeblich mit einer 
Geschwindigkeit von 200 Kilometer in der Stunde gefahrlos 
bewegen lassen; dabei wären die Anlage, Betriebs- und 
Unterhaltungskosten bedeutend geringer als bei dem üblichen 
Lokomotivsystem. Die Ansichten der Versammlung über den 
praktischen Werth dieser immerhin interessanten Erfindung 
gingen sehr auseinander. (Eine kleine, im Besitz des Vor¬ 
tragenden befindliche Schrift behandelt das Nähere in Kon¬ 
struktion). 

Herr Postrath Christiani legte ein Muster des kürzlich 
von Karlsruhe nach Stuttgart gelegten unterirdischen 
Kabels vor, indem er zugleich einige Bemerkungen über 
dessen Ausführung und die Art der Arbeiten beifügte. 

Herr Professor Dr. Endres berichtete über die Ergebnisse 
seiner in den Mittelwaldungen des Rheinthaies geführten 
Untersuchungen bezüglich des Einflusses der Lichtstel¬ 
lungen auf den Höhen- und Stärkenzuwachs der 
Laubhölzer. Dieselben haben ergeben, dass die unmittelbare 
Folge der Schlagstellungen im Mittelwalde das Nachlassen 
des Höhenwuchses der Oberholzbäume in den nächsten fünf 
bis zehn Jahren ist. Erst wenn wieder Schluss eingetreten 
ist. steigt der Höhenzuwachs bis zur nächsten Schlagstellung. 
Am Baumschafte concentrirt sich der Zuwachs nach der 
Lichtstellung auf die untersten Theile, nach wieder ein¬ 
getretenem Schlüsse dagegen auf die oberen. Erstere That- 
sache lässt sich bis jetzt pfianzenphysiologisch nicht erklären. 
Redner vermuthet, dass zwischen dem Zuwachs in den 
verschiedenen Höhen des astlosen Schaftes und der Assimi- 
lationsthätigkeit in den korrespondirenden Kronenhöhen eine 
gesetzmässige Relation bestehe. Nach der Freistellung ist 
die Assimilationsthätigkeit der unteren Kronentheile eine 
sehr gesteigerte und, wie es scheint, werden die hierbei ge¬ 
wonnenen Baustoffe hauptsächlich zur Zellenbildung in den 
unteren Schafttheilen verwendet. Auf Grund dieser Unter¬ 
suchungen glaubt Redner im Gegensatz zu den in neuerer 
Zeit geltend gemachten Anschauungen den wissenschaftlichen 
Beweis erbracht zu haben, dass zu frühzeitige Lichtstellungen 
verzögernd auf die Höhenentwickelung wirken und desshalb 
die Rentabilität der Waldungen nachtheilig beeinflussen. 

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Herr Otto Ammon macht Mittheilung über anthropo¬ 
logische Merkwürdigkeiten von der Messe. Es werden 
Zeichnungen von Riesen, Zwergen und Farbigen vorgelegt 
und durch mündlichen Vortrag erläutert. Der Redner, welcher 
seit mehreren Jahren die anlässlich der Messe hierher¬ 
gekommenen merkwürdigen Menschen anthropologisch auf¬ 
zunehmen pflegt, macht nähere Mittheilungen über die betr. 
Persönlichkeiten, unter denen sich auch die Riesen Germak 
und Robbin, sowie der Zwerg Büttner befanden. Aus der 
Vergleichung ergeben sich interessante Wahrnehmungen über 
den Bau des menschlichen Körpers. 


379. Sitzung am 29. November 1889. 

Anwesend 30 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Neu angemeldete8 Mitglied: Herr Mechaniker 0. Behm. 

Herr Geh. Rath Dr. Grashof machte Mittheilung über 
Robert Mayer, dem der Verein deutscher Ingenieure vor 
Kurzem in Stuttgart, der Hauptstadt seines engeren Heimath- 
landes, ein Denkmal errichtet hatte, als dem Begründer der 
mechanischen Wärmelehre, die auch für die Technik seitdem 
von so grosser und folgenreicher Bedeutung geworden ist. 
Nachdem eine gewisse Beziehung zwischen Wärme und 
mechanischer Arbeit schon früher aus vielfachen Erfahrungen 
des täglichen Lebens und aus wissenschaftlichen Beobacht¬ 
ungen hatte gefolgert werden können, ist es Mayer, praktischer 
Arzt in Heilbronn (geb. daselbst 1814, gest. 1878) gewesen, 
der im Jahre 1842 und ausführlicher 1845 den Satz in be¬ 
stimmter Weise ausgesprochen und begründet hat, dass (mit 
heutiger Terminologie gesprochen), mechanische Arbeiten 
und lebendige Kräfte, Wärme und Licht, Elektrizität und 
Magnetismus, sowie mechanisch-physikalische und chemische 
Gruppirungszustände der Materie und ihrer kleinsten Theile 
als verschiedene in einander unwandelbare Erscheinungs¬ 
formen einer gewissen Grösse, von Energie oder Arbeits¬ 
vermögen aufzufassen sind, deren gesammte Quantität un¬ 
veränderlich ist. Auch hat er zum ersten Mal das mecha¬ 
nische Wärmeäquivalent zu bestimmen gesucht, d. h. die 
Arbeit, die der Wärmeeinheit, nämlich der Wärme, die zur 


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Temperaturerhöhung von einem Kilogramm Wasser von 0 Grad 
auf 1 Grad Celsius erfordert wird, äquivalent, in dieselbe 
verwandelbar oder aus ihr entwickelbar ist; dass er sie mit 
365 Meterkilogramm erheblich (um etwa 60 Meterkilogramm) 
zu klein fand, lag nicht an der Methode, sondern nur an 
der Ungenauigkeit der Rechnungsgrundlagen gemäss da¬ 
maliger Kenntniss. Jener erste Maver’sche Grundsatz in 
Verbindung mit einem 20 Jahre später von Clausius ent¬ 
wickelten zweiten Hauptsatze, dem von demselben bezüglich 
auf Wärme sogenannten Grundsatz der Aequivalenz der Ver¬ 
wandlungen, der nicht nur die Wärme an und für sich, 
sondern auch den Temperaturzustand betrifft, in dem sie 
vorhanden ist, haben die heutige mechanische Wärmelehre 
zur Folge gehabt, wodurch unsere Auffassung der Natur¬ 
erscheinungen durch Beseitigung der früher angenommenen 
sogenannten Imponderabilien eine ganz durchgreifende Um¬ 
gestaltung erfuhr. Mayer’s Leben ist dabei nicht glücklich 
verlaufen; seine wissenschaftlichen Verdienste als die eines 
einsamen Forschers, ausserhalb des Kreises bekannten Fach- 
gelehrtenthums stehend, sind nur langsam bekannt und noch 
später erst allgemein und gebührend gewürdigt worden; 
entschieden und in vollem Maasse eigentlich erst 20 Jahre 
nach dem Erseheinen seines ersten betreffenden Aufsatzes 
von 1842 in Folge eines Vortrags des englischen Physikers 
Tyndall, bei Gelegenheit der Londoner Weltausstellung, ge¬ 
halten vor Fachgelehrten der verschiedensten Länder. Mayer 
war damals freilich schon ein halb gebrochener Mann durch 
wiederholte Geistesstörungen, die zumeist, wie es scheint, 
durch die ihn bedrückende, so zögernd erfolgende Beachtung 
und Würdigung seiner reformatorischen Gedanken verursacht 
wurden. Um so mehr glaubte der Verein deutscher In¬ 
genieure, mit über 6500 Mitgliedern in 31 Bezirksvereinen, 
über Deutschland verbreitet, durch die Erhaltung der Züge 
Mayer’s an hervorragender Stelle eine patriotische Pflicht 
der Anerkennung, Verehrung und Dankbarkeit auszuüben. 
Das Denkmal ist einfach, doch würdig und sehr gelungen 
als Marmorbüste in 1 1 i 2 facher Naturgrösse auf geschliffenem 
Granitsockel, von Professor Kopp ausgeführt und im Vor¬ 
gärtchen vor dem Polytechnikum in Stuttgart errichtet. Der 


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Stadt wird es zur Zierde, dem engeren und weiteren Vater¬ 
lande zur Ehre gereichen. 

Herr Professor Dr. Meidinger machte hierauf noch 
einige Versuche mit einem von ihm hergestellten Apparate, 
um die Bedingungen zu zeigen, unter welchen aus geheizten 
Oefen Gase (Rauch) ausströmen können; es sollte hierauf 
bei der Konstruktion der Oefen und der Herstellung der 
ganzen Heizungsanlage sammt Kamin besondere Rücksicht 
genommen werden. An einigen bekannten Füllöfen wurde 
der grosse Unterschied im Verhalten nachgewiesen. In der 
badischen Gewerbezeitung gedachte Redner sich hierüber dem¬ 
nächst näher auszusprechen. (1890 Nrn. 1, 4, 7, 13, sowie 
1892 Nrn. 1 und 6.) 

380. Sitzung am 13. Dezember 1889. 

Gemeinsam mit der Deutschen Colonialgesellschalt und der Badischen 
Geographischen Gesellschaft. 

In Anwesenheit Sr. Königl. Hoheit des Grossherzogs. 

Herr Lieutenant Märcker vom 137. Infanterieregiment 
in Strassburg hielt einen Vortrag über den Deutsch- 
Ostafrikanischen Aufstand und die Wissmann’sche 
Schutztruppe. 

Der Vortrag ist unter den Abhandlungen abgedruckt. 


381. Sitzung am 10. Januar 1890. 

Anwesend 20 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Professor Möller hielt einen Vortrag über: Die 
Welle als Trägerin ruhender und fortschreitender 
Energie. 

Wir gewinnen mehr und mehr die Vorstellung, dass 
Naturkräfte Wellenbewegung, Schwingungserscheinungen der 
Materie seien. Ueber das Licht gehen in dieser Hinsicht 
die Ansichten nicht auseinander und ist durch die Experi¬ 
mente von Herrn Professor Dr. Hertz auch die elektrische 
Kraft auf Schwingungsenergie zurückgeführt. Von den ver¬ 
schiedenen Wellengattungen sind dem Vortragenden nur die 
Wasserwellen näher bekannt, deren besondere Eigenarten 


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aber Anschauungen über Wesen und Fortpflanzung der un¬ 
sichtbaren Naturkräfte erwecken. Es wird der Versuch ge¬ 
wagt, aus den am Wasser gewonnenen Erfahrungen die Wellen 
zu konstruiren, welche im Luft- oder Aetherraum den elek¬ 
trischen Leitungsdraht in Richtung des positiven Stromes 
begleiten Aus der Gestalt der Wellen (hier Kegelmäntel, 
deren Achse der Draht bildet) und aus der radial mit Ent¬ 
fernung vom Draht abnehmenden Schwingungsamplitude er¬ 
geben sich verschiedene Rotationen der Materie, welche zur 
Erklärung inducirter Ströme und magnetischer Kräfte her¬ 
angezogen werden können. 

Ein Umstand ergab besonderen Anlass zur Darstellung 
dieser Betrachtungen, welche gelegentlich der Beschäftigung 
mit den bei der Bewegung des Wassers auftretenden Er¬ 
scheinungen gewonnen wurden, dabei die Uebertragung von 
Bewegungsgrösse besondere Beachtung verdient. Nun machen 
die Lehrbücher der Physik nicht darauf aufmerksam, wenn 
nur Bewegungsgrösse (Produkt aus Geschwindigkeit mal 
Masse), wenn hingegen Energie (Masse mal dem halben 
Quadrat der Geschwindigkeit) übertragen wird, die Lehr¬ 
bücher heben nicht die Schwierigkeit hervor, welcher eine 
vom Centrum sich radial ausbreitende Wellengruppe dadurch 
begegnet, dass die bewegten Massen, gegen immer grössere 
Kugelschalen treffend, von diesen theihveise reflectirt werden. 
Es geht bei dem elastischen oder unelastischen Stoss nur 
die Bewegungsgrösse, nicht die volle Energie auf grössere 
Kreise über. Diese Thatsache kann zunächst am besten an 
Wasserwellen studirt werden; ein weiterer Verfolg der 
Schwingungstheorie wird schärfere Auffassungen über Aus¬ 
breitung des Schalls, des Lichtes und der Elektrizität er¬ 
geben. Man wird erkennen, dass von einem Mittelpunkt 
ausgehende Centralschwingung in begrenzter Weise Aus¬ 
breitung der Energie zulässt, vielmehr ruhende, an den Ort 
gefesselte Energie darstellt, wenn eine Ableitung fehlt; nur 
gegen Ausbreitung geschützte, z. B. in einem Draht als 
elektrischer Strom oder im Sprachrohr als Schall geleitete 
Wellengattungen können auf grössere Entfernungen hin be¬ 
deutende Energie übertragen. 

Im Aufträge von Herrn Professor Vaientiner erstattet 


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hierauf Herr Dr. Mathiessen einen kurzen Bericht über den 
Inhalt des dem Verein vorgelegten dritten Heftes der Ver¬ 
öffentlichungen der Karlsruher Sternwarte. Während 
die beiden ersten Bände Ergebnisse einer grösseren Arbeit am 
Meridiankreise enthalten, finden sich in dem jetzigen Aus¬ 
messungen von Sternhaufen und Kometenberechnungen, im 
Wesentlichen von dem früheren Assistenten der Sternwarte, 
Herrn Dr. v. Iiebeur-Pasch witz, aufgeführt. Die Einleitung 
gibt eine Beschreibung des Instruments, nämlich des sechs¬ 
zölligen Refractors, welcher im Jahre 1835 durch die Firma 
Böcker und Feker in Wetzlar neu montirt wurde. Was über 
seine Aufstellung gesagt ist, trifft auch heute noch zu; die 
Fundirung des Pfeilers ist eine so mangelhafte, dass Stö¬ 
rungen durch den Strassen- und Bahnverkehr oft ein Auf¬ 
halten im Beobachten veranlassen. Als sehr lästig sind 
ebenfalls die bei der jetzigen Lage der provisorischen Stern¬ 
warte häufig über dem Gurtengelände auftretenden Nebel zu 
bezeichnen. 

Die beiden gemessenen Sternhaufen enthalten 5 bezw. 
113 Sterne, welche noch mit Sicherheit bestimmt werden 
konnten. Der Zweck solcher Arbeiten im Allgemeinen ist 
der, durch Wiederholung der genauen mikrometrischen Fest¬ 
legung der Sternörter nach einem grösseren Zeitintervall 
(20—30 Jahre) etwaigen gesetzmässigen Bewegungen im 
Sternhaufen auf die Spur zu kommen. Bei der bekannten 
Gruppe der Plejadcn haben die Untersuchungen von Bes sei 
und Wolf schon ganz geringe systematische Veränderungen 
im System erkennen lassen. 

Die zweite Arbeit behandelt den im März 1882 von 
Wells in Albany, Nordamerika, entdeckten Kometen, dessen 
Bahn sich durch eine sehr geringe Periheldistanz auszeich¬ 
nete und dadurch zur Entscheidung der Frage über das 
widerstehende Mittel sehr geeignet war. Das diesbezügliche 
Ergebniss ist ein negatives; der Komet zeigt durchaus keine 
aussergewöhnlichen Störungen in seinem Laufe in der Nähe 
der Sonne, die Beobachtungen vor und nach dem Perihel 
lassen sich mit demselben Elementensystem gut darstellen. 
Dagegen nehmen die Ergebnisse der spektroskopischen 


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Beobachtungen eine hervorragende Stelle ein. Es zeigten 
sich Anfangs neben dem hellen kontinuirlichen Spektrum 
die gewöhnlichen Kohlenwasserstoffbanden, welche indessen' 
bei Annäherung an die Sonne immer mehr erblassten 
und beim Auftreten von hellen Natriumlinien ganz ver¬ 
schwanden. 

Auf den äusserst interessanten periodischen Kometen 
Denning, dessen Wiederkehr Anfang 1890 zu erwarten ist, 
soll später genauer eingegangen werden. 


382. Sitzung am 24. Januar 1890. 

Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Herr Geh. Rath Dr. Grashof machte Mittheilung über 
die Bildung einer neuen Abtheilung für Instrumenten - 
künde bei der Naturforscherversammlung zu Heidel¬ 
berg im vorigen Jahre. 

Die Verhandlungen derselben begannen mit der Verlesung 
eines Schreibens von Geh. Rath Professor Dr. Förster-Berlin, 
durch welches unter Hervorhebung der für das Rechnen mit 
Winkelgrössen so erheblichen Vorzüge der Decimaltheilung 
des Quadranten in 100 Grade = 100.100 Minuten = 100 . 
100.100 Sekunden statt der bisher gebräuchlichen Sexa- 
gesimaltheilung, besonders der gleichzeitig in Heidelberg 
zusammengetretene Mechanikertag aufgefordert wurde, die 
allgemeinere Einführung der Decimaltheilung durch ent¬ 
sprechende instrumentale Ausführungen zu fördern, vorerst 
bis zur nächstjährigen Versammlung die Ansichten und Er¬ 
fahrungen der Fachgenossen über die zweckmässigsten Ein- 
theilungsstufen bei den verschiedenen Arten von Instrumenten 
zu sammeln, und eine betreffende Einigung herbeizuführen 
Wesentlich wird ausserdem die Hilfe der Physikalisch-tech¬ 
nischen Reichsanstalt sein bezüglich auf Herstellung von 
Normaleintheilungen, sowie auch besonders die Herausgabe 
von entsprechend eingerichteten Tafeln. In letzterer Be¬ 
ziehung ist namentlich der militärische Direktor des Landes¬ 
vermessungsdienstes von Frankreich in neuester Zeit sehr 


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förderlich vorgegangen. Auch der deutsche Mechanikertag 
wird sich eingehender mit der Frage beschäftigen. 

Herr 0. Behm berichtete hierauf unter Vorlage von Zeich¬ 
nungen über einen von ihm verfertigten, zur Zeit in der Grossh. 
Landes - Ge werbehal le ausgestellten selbstregistrirenden 
Pegelapparat. Der Apparat hat den Zweck, die Niveau¬ 
schwankungen eines Flusses, eventuell von Meeresfluth und 
-Ebbe, selbständig zu registriren und zwar für den Zeitraum 
von je einer Woche. Auf einer Trommel ist ein Papierbogen 
gespannt, welcher durch senkrechte Striche in Tage und 
Stunden, durch waagerechte Striche in Millimeter getheilt 
ist. Für eine Stunde ist der Raum von zwei Millimeter, 
für einen Centimeter Wasserstand der Raum von einem 
halben Millimeter berechnet, so dass also die Theilung von 
Millimeter zu Millimeter gleich zwei Centimeter Wasserstand 
entspricht. Die ganze Höhe der Trommel ist für acht Meter 
Wasserstandsdifferenz berechnet. Die Trommel wird durch 
ein Uhrwerk in 16S Stunden so weit um ihre Achse gedreht, 
als der aufgespannte Bogen mit senkrechten Rubriken für 
die Stunden versehen ist. Zur Kontrole der richtigen 
Trommelbewegung ist ein Zifferblatt angebracht. Die auf- 
und absteigenden Schwankungen werden durch einen kupfer¬ 
nen, an einem Kupferdraht aufgehängten Schwimmer auf 
den Schreibstift übertragen. Nach Ablauf von einer Woche 
ist das Papier zu entfernen, ein neuer Bogen aufzuspannen 
und das Uhrwerk aufzuziehen. 

Herr Professor Dr. Platz machte einige Mittheilungen 
über neuerdings aufgefundene Spuren einer Eiszeit während 
der Steinkohlenperiode. In Ostindien, Ostafrika und 
Neuholland, also rings um den indischen Ocean, fand man 
Schichten von Thon, Schiefer und Sandstein, welche theils 
einzelne erratische Blöcke, theils grosse Anhäufungen der¬ 
selben einschliessen, und darunter zahlreich solche mit ge¬ 
schliffener und gekritzter Oberfläche, sowie auch auf den 
von diesen Blöcken bedeckten Oberflächen ähnliche Schliffe, 
wie auf dem Boden der jetzigen Gletscher. Sowohl die eng¬ 
lischen, wie auch der österreichische Geologe W. Waagen, 
welcher selbst einen Theil dieser Gebilde untersucht hat, 
halten dieselben für Ablagerungen von Gletschern. Waagen 


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schliesst daraus, dass sich zur Steinkohlen zeit an der Stelle 
des indischen Oceans ein gletscherbedecktes Festland befand, 
dessen Ränder in den erwähnten Ländern erhalten blieben. 
Es ergibt sich daraus ein merkwürdiger Gegensatz zwischen 
der nördlichen und südlichen Erdhälfte: hier Eisbedeckung, 
dort bis Grönland und Spitzbergen tropisches Klima mit 
üppiger Vegetation. In einer späteren, der Diluvialperiode, 
scheinen die klimatischen Verhältnisse umgekehrt gewesen 
zu sein: in Europa zahlreiche Spuren einer Eiszeit, von 
welchen im Süden noch nichts gefunden wurde. Diese Er¬ 
scheinungen deuten daher auf einen mehrmaligen Klima¬ 
wechsel auf der Erde in entgegengesetztem Sinne auf beiden 
Erdhälften. 

Herr Professor Dr. Meidinger berichtet zum Schluss über 
die Form der 6000 Meter hohen Kibospitze des Kilima¬ 
ndscharo, welche Dr. Hans Meyer vou Leipzig im Oktober 
v. J. zwei Mal bestiegen hatte. Näheres hierüber wird der¬ 
selbe nach seiner inzwischen erfolgten Rückkehr aus Afrika 
dem Verein wohl demnächst persönlich mittheilen. 


383. Sitzung am 7. Februar 1890. 

Anwesend 19 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. A. Benckiser, Arzt. 

Herr Professor Dr. Platz sprach über die Schneegrenze in 
den Ostalpen. Die Mittheilungen waren dem kürzlich erschie¬ 
nenen Buche von Professor Dr. Richter in Gratz, einem der 
erfahrensten Gebirgskenner, entnommen, welches neben der 
eingehenden topographischen Beschreibung und Ausmessung 
der Schneeregion eine Bestimmung der Schneegrenze in den 
verschiedenen Gruppen der deutschen und österreichischen 
Alpen enthält. Die normale oder klimatische Schneegrenze 
wird durch die Unregelmässigkeiten der Gebirgsform so 
wesentlich beeinflusst, dass sie an Ort und Stelle kaum durch 
direkte Beobachtung zu ermitteln ist. Es kommt also darauf 
an, die Faktoren der orographischen Begünstigung: Lage 
gegen die Sonne, Beschattung, Neigung, aussergewöhnliche 
Anhäufung des Schnees durch Lavinen, Gletscherbildung etc. 
zu eliminiren, um die wahre klimatische Schneegrenze zu 


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finden. Bei den grossen Gletschern, welche bis tief unter 
die Schneegrenze hinabreichen, bietet die Theilung derselben 
in das Schmelzgebiet — die Gletscherzunge, und das durch¬ 
schnittlich dreimal grössere Sammelgebiet wichtige Anhalts¬ 
punkte zur Bestimmung der Schneegrenze. Durch sorgfältige 
Untersuchungen und Berücksichtigung aller orographischen 
Einflüsse gelangte Richter zu folgenden Ergebnissen: 

1. Die grösste Höhe hat die Schneegrenze in den zen¬ 
tralen Ketten des Oetzthals und der Ortlergruppe, da wo 
das Alpengebiet die grösste Breite besitzt; sie liegt hier 
über 2900 Meter. Diese auffallende Thatsache findet ihre 
Erklärung in der grösseren Trockenheit dieser Gebiete. 

2. Gegen Norden wie gegen Süden liegt die Schnee¬ 
grenze tiefer; in den nördlichen Ketten sinkt sie bis auf 
2500 Meter (Zugspitze), in den südlichen bis 2700 Meter. 

3. In dem zentralen Theil der östlichen Gebirgsgruppen, 
dem Glocknergebiet, liegt die Schneegrenze tiefer, als im 
Westen, sie erreicht hier nur 2800 Meter. 

4. Man kann daher Gebiete gleicher Schneegrenzhöhe 
konstruircn, welche ein anschauliches Bild der verschiedenen 
Höhen der Schneelinie geben. Eine nach Richter kopirte 
Karte und einige Profile dienten zur Erläuterung dieser 
Ergebnisse. 


384. Sitzung am 13. Februar 1890. 

Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen 
Geographischen Gesellschaft. 

Herr Stadtpfarrer Wangemann aus Kiel hielt einen Vor¬ 
trag Uber Leben und Treiben in Sansibar zu Gunsten 
eines Krankenhausverband in Sansibar; der reiche Inhalt des¬ 
selben lässt sich in Folgendem zusammenfassen. 

Eine Fahrt nach Sansibar ist auf ihrer ersten Hälfte 
sehr angenehm, kann aber im Rothen Meer und besonders 
im Indischen Ocean, zumal wenn der Südwest-Monsum weht, 
recht beschwerlich werden. Gewöhnlich fährt inan längs der 
Somaliküste. Von Monda an wird die Küstenstrecke grün 
und freundlich, bald zeigen sich die hohen Berge Usambaras. 
Peinba ist sehr flach. Bald grüsst der Leuchtthurm auf der 


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Nordspitze der Insel Sansibar, bald hebt sich auch die Stadt 
aus dem Meere, auf einer Landecke nur wenige Meter über 
dem Wasserspiegel gelegen. Die grossen weissen, würfel¬ 
artigen Häuser strahlen im Sonnenlicht, darüber wehen bunte 
Flaggen und grüne Palmenkronen. Auf der Rhede liegen 
immer eine Anzahl Kriegsschiffe, dazu Handelsdampfer, die 
Flotte des Sultans, Segelschiffe und viele Hunderte von Dhau’s, 
den arabischen Küstenfahrzeugen. In der Nähe verliert das 
Stadtbild seine leuchtenden Farben. Durch das Gewimmel 
der Dhau’s fährt das Boot den Fremden zum flachen Strand, 
Negerjungen tragen die Passagiere durch’s niedrige Wasser 
auf’s Trockene. Allein am Sultansparast ist eine etwas be¬ 
quemere Anlegestelle. Dort ist der Brennpunkt der Grösse 
Sansibars. An einen verhältnissinässig kleinen Estrichplatz 
drängen sich das kasernenartige Harerasgebäude, davor ein 
kleiner Garten und eine Art Menagerie, der alte und der 
neue Palast, der Leuchtthurm mit elektrischer Lampe, daneben 
der grosse Staatsflaggenmast, endlich die ausgedehnten Zoll¬ 
gebäude, die die Reichthümer Sansibars bergen: Elfenbein, 
Gewürznelken, Kautschuck, Kopal, ein bernsteinartiges Harz, 
das sehr viel zur Lackfabrikation verwandt wird, Orseille, 
eine Flechte, die zur Bereitung von Farbstoffen dient, Sesam 
zur Oelerzeugung, Felle und Häute von der Somaliküste, 
dazu alle Schätze Indiens, und alle Einfuhrartikel Europa’s 
und Amerika’s, besonders Baumwollstoffe und Petroleum, 
Messing- und Kupferdraht. Nach Norden zu liegt das indische 
Viertel, wo Tausende von Hindu und Benianen aus der 
Gegend von Bombay wohnen, arme Krämer, die mit wenig 
Reis und Früchten handeln und steinreiche Millionäre, wie 
die Bankiers Taria, Topan, Sawa, Hadschi u. A. Südlich 
vom Palastviertel ist das alte portugiesische Fort, jetzt 
Staatsgefängniss, dabei der Obstmarkt, auf dem im Dezember 
1888 die Hinrichtungen stattfanden, durch welche der Sultan 
in seiner jähen Laune seine Herrschergewalt dokumentiren 
wollte, dann das arabische .Viertel, ein Gewirr von ganz 
engen, zum Theil sehr düstern Gassen. Die Häuser sind 
plump und massig aus Korallensteinen gebaut, das Innere 
derselben ist feucht und düster. Da wohnt der Araber mit 
seinen Frauen, Kindern, Sklaven. Auf den platten Dächern 


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kann man Abends die Frauen wandeln sehen. Oft unter¬ 
brechen Ruinen und kleine Kirchhöfe die Hausreihen. 
Zwischen den Gräbern nisten die wilden Hunde. In diesem 
Viertel haben sich auch alle europäischen Fremden Sansibars 
eingemiethet, dazu die portugiesischen Indier aus Goa. Diese 
sind Krämer, Schneider, Köche Die Europäer sind vertreten 
durch Deutsche, Engländer, Franzosen, Portugiesen. Aber 
auch amerikanische Firmen sind am Platze. Sämmtliche 
Fremde wohnen in arabischen Häusern, die ein wenig nach 
abendländischer Art hergerichtet sind. Sie haben diese 
Häuser meist dem Sultan oder wohlhabenden Arabern ab- 
gemiethet. Grundeigenthum kann man zur Zeit in Sansibar 
noch nicht erwerben, der Haupteigenthtimer der Stadt und 
Insel, der Sultan und alle Araber verpachten oder vermiethen 
nur, jedoch oft auf 100 Jahre. Von den Deutschen kommen 
hauptsächlich die Hamburger Firmen Oswald und Hansing 
in Betracht. Die einzige fahrbare Strasse der Stadt, die 
aber höchstens 4 Meter breit ist, durchzieht auch dies 
Viertel. An ihr liegen die bemerkenswerthesten Häuser, das 
für den Reichskommissar Wissmann gemiethete Haus, ganz 
in der Nähe auch das grosse, schöne Gebäude, das die Ost¬ 
afrikanische Gesellschaft gepachtet hat, das deutsche General¬ 
konsulat, das Haus des Sultansgenerals, Matthews, endlich 
das jetzige deutsche Krankenhaus, ein ehemaliges indisches 
Bäckerhaus. Die Strasse ist natürlich ungepfiastert, sehr 
staubig bei trockenem Wetter, ein Sumpf zur Regenzeit. 
Hinter den Häusern der Stadt breitet sich eine grosse Lagune 
aus, welche das Gebiet des eigentlichen Sansibar von der 
grossen Insel Sansibar trennt. Zur Ebbezeit ist die Lagune 
trocken und entsendet dann entsetzliche Dünste. Es wird 
einer späteren Zeit überlassen bleiben, sie abzudämmen. 
Dann wird Sansibar ausserordentlich an Ausdehnung, be¬ 
sonders aber an Gesundheit gewinnen können. Durch die 
Lagune führt ein Damm nach der grossen Insel Sansibar. 
Dort finden wir zahlreiche Negervororte, freundliche Hütten 
aus Stangengeflecht, das mit Lehm beklebt und mit trockenen 
Palmblättern gedeckt ist, nachher zahlreiche stattliche Land¬ 
häuser der reichen Araber und Indier, umgeben von blühen¬ 
den Gärten und Pflanzungen. Hier hat sich auch der deutsche 


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Klub ein schönes Landhaus mit schattigem Garten gemiethet. 
Das Haus ist jedoch leider nur am Tage zu benützen, Nachts 
soll es ungesund dort sein. Noch weiter ins wellige Land 
hinaus begegnen wir den Gewürznelkenplantagen, dem Reich¬ 
thum der Araber, auf luftigen Landvorsprüngen längs der 
Küste zwei grossen englischen Missionsstationen und einem 
Lustschloss des Sultans 

Die deutschen Kaufleute sind schon in den vierziger 
Jahren nach Sansibar gekommen und führten früher ein 
harmloses Leben. Die Sultane waren ihnen sehr wohlgesinnt, 
weil sie keinerlei politische Interessen vertraten, und ge¬ 
währten ihnen vielen Verdienst. Im Herbst 1884 ward das 
anders. Da kam Dr. Peters, wagte seine Landunterneh¬ 
mungen und erhielt auch für dieselben den Schutzbrief 
Seiner Majestät des Kaisers. Alsbald strömten neue Deutsche 
nach Sansibar, Beamte, Kaufleute, Plantagenverwalter, welche 
der neu gegründeten Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft 
oder der bald sich von ihr abzweigenden Plantagengesell¬ 
schaft dienen wollten. Der Sultan zeigte sich all diesen 
Unternehmungen recht feindselig. Es mussten deutsche 
Geschwader nach Sansibar gesandt werden, um den deutschen 
Einfluss massgebend zu erhalten. Als nun die Ostafrikanische 
Gesellschaft auch das den Sultanen noch gehörige Küstenland 
in Zollpacht genommen hatte, kam der längstverhaltene Groll 
der Araber zum Ausbruch, der Aufstand begann, ln kurzer 
Zeit war die Küste bis auf Dar-es-Salaam und Bagamoyo, 
die mit Hilfe der Kriegsschiffe gehalten wurden, wieder in 
den Händen der Araber. Während nun in Deutschland 
weitere Machtmittel, die Schutztruppe, vorbereitet wurden, 
schlugen sich die Matrosen mit Buschiri, dem Haupt der 
Aufständischen, an der Küste herum oder kreuzten längst 
der Küste mit den Booten, um den Feind in seinem Haupt¬ 
erwerb, dem Sklavenhandel, zu schädigen, im April begann 
die Thätigkeit der Schutztruppe und bald die Rückeroberung 
der nördlichen Küstenstrecke. Sansibar blieb während dieser 
Zeit äusserlich ruhig. Der Handel blühte nach wie vor, 
zählt doch die Stadt gegen 100 000 Einwohner, die sich an 
viele europäische Bedürfnisse gewöhnt hatten. Die Ordnung 
hielt General Matthews mit seinen etwa 1000 Sultanssoldaten 


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streng aufrecht. Die Araber und Indier feierten mit grossem 
Pomp ihre religiösen Feste, es war nichts von den Unruhen 
von drüben zu spüren. Mehrmals empfing der Sultan die 
Offiziere der Kriegsschiffe und entfaltete dabei die ganze 
wunderliche Pracht seines Hofstaates. Diese Feste und 
Aufzüge stechen nun eigenthümlich ab gegen die Noth und 
Entbehrungen, welchen die an der Küste kämpfenden und 
auf der See kreuzenden deutschen Matrosen ausgesetzt waren. 
Die waren allen Mühseligkeiten ihres Dienstes preisgegeben, 
der Fieberluft, der furchtbaren Hitze, dem gewaltigen Regen. 
Den deutschen Offizieren und Unteroffizieren der Schutztruppe 
ging es später ebenso. Viele starben dahin, nicht weil es 
an nöthiger ärztlicher Pflege fehlte, für diese war gesorgt, 
aber an der ordentlichen Unterkuuft; denn in Sansibar gibt’s 
keine nach Gesundheitsregeln gebauten Häuser. Ein solches 
Haus ist darum, sofern wir unsere da draussen kämpfenden 
und arbeitenden Landsleute erhalten wollen, eine dringende 
Noth Wendigkeit. Man wende dagegen nicht ein: der Kampf 
ist nun bald beendet. Die Zähigkeit der Araber zu über¬ 
winden wird uns noch viele Mühe machen, denn der islami¬ 
tische Araber streitet für ein Land, das er seit 1000 Jahren 
beraubt, in dem er reich und mächtig geworden ist. Und 
sollten wirklich diese Feinde einst, ganz zu Paaren getrieben 
sein, so wird die wirtschaftliche Eroberung des Landes noch 
so viel Anstrengung verursachen, noch'so viel Opfer kosten, 
dass das Krankenhaus stets nothwendig sein wird. Das 
Land ist der Opfer werth. 


385. Sitzung am 21. Februar 1890. 

Anwesend 27 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Der Vorsitzende machte davon Mittheilung, dass er auf 
die ihm seit letzter Sitzung zugekommene Nachricht, dass 
die Physikalisch-Oekonomische Gesellschaft in Königberg am 
22. Februar ihr hundertjähriges Bestehen feiere, ein Be¬ 
glückwünschungsschreiben an dieselbe abgesendet habe. 

Hierauf hielt Herr Dr. Mathiessen einen Vortrag über: 
Neuere Resultate aas den Bewegungen der periodi¬ 
schen Kometen. Zu den interessantesten Mitgliedern unseres 


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Sonnensystems gehören die periodischen Kometen; nicht etwa 
wegen ihres äusseren Anblickes, hervorragender Schweifbildung 
u. s. w., sie sind im Gegentheil meistens nur teleskopisch, 
sondern wegen der grossen Eigenthümlichkeiten ihrer Bahn¬ 
verhältnisse. Vor allen Dingeu spielen sie eine wichtige 
Rolle in der Entscheidung der Frage über das Vorhandensein 
eines widerstehenden Mittels im Raume und können sehr 
oft durch die Grösse der Störungen ihrer Bahn, welche durch 
die grossen Planeten hervorgerufen werden, zur Massen¬ 
bestimmung dieser Himmelskörper verwendet werden. In 
unserem Jahrhundert, hauptsächlich während der letzten 
Jahrzehnte, hat sich die Zahl der periodischen Kometen in 
ungeahnter Weise vermehrt; man theilt sie nach der Dauer 
der Umlaufszeit in 3 Klassen, und selbst von den „Kometen 
kurzer Umlaufszeit“ kennen wir nicht weniger als 24. 

Nicht nur das ganze System hat seine Geschichte, sondern 
es sind auch schon über mehrere einzelne Kometen ein¬ 
gehende geschichtliche Untersuchungen vorhanden. Die Frage 
des widerstandleistenden Mediums muss bis jetzt als un¬ 
entschieden hingestellt werden; dagegen ist z. B. der Werth 
für die Masse des Planeten Merkur aus der Bewegung des 
Winnecke’schen Kometen mit verhältnissmässig grosser 
Sicherheit ermittelt worden. 

Zu Anfang dieses Jahres kehren zwei von den Kometen 
wieder; auf die Ortsbestimmung des einen ist wegen einer 
ungünstigen Lage zur Sonne von vornherein für diese Er¬ 
scheinung verzichtet worden, doch auch bei dem anderen, 
dem Denning’schen, dessen Vorausberechnung von der hie¬ 
sigen Sternwarte übernommen wurde, bleibt wenig Hoffnung 
auf Erfolg, da er sehr schwach ist und sich immer in der 
Nähe der Sonne hält. 

Herr Dr. Matthiessen berichtete sodann weiterhin über 
Schiaparelli’s Resultate über die Rotation des Pla¬ 
neten Merkur. Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts war 
es nicht gelungen, die Rotationsdauer des Merkur zu bestim¬ 
men ; dieser Planet ist nämlich wegen seiner grossen Sonnen¬ 
nähe äusserst schwierig zu beobachten. Im Frühjahre 1800 
bemerkte der bekannte Liebhaber der Astronomie, Justizrath 
Schröter in Lilienthal, eine eigenthümliche Abstumpfung des 

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südlichen Horns der Merkursichel, fand dieselbe des Oefteren 
z. B. auch im Herbst wieder, und berechnete daraus die 
Rotation zu etwas mehr als 24 Stunden. Im Jahre 1S01 
wurde diese Zahl nun durch ausgedehnte Beobachtungen von 
Flecken, die sich auf der Merkurscheibe innerhalb weniger 
Stunden stark bewegten, genau bestätigt. Mit Schröter zu¬ 
sammen beobachtete Harding, und Beide nahmen stets 
dieselben Erscheinungen wahr. Das Endergebnis aus sieben 
verschiedenen, zum Theile 14-monatlichen Perioden, betrug 
nach der von Bessel ausgetührten Reduktion auf mittlere 
Merkurtage: 24 H. 0 M. 53 S., welche Grösse noch heute in 
allen gemeinverständlichen und wissenschaftlichen astrono¬ 
mischen Werken zu finden ist. 

Um so überraschender wirken die Entdeckungen des 
berühmten Mailänder Astronomen Schiaparelli. Dieser hat 
vom Jahre 1882 ab die Oberfläche des innersten Planeten 
unseres Sonnensystems genau studirt und dabei heraus¬ 
gefunden, dass die Flecke, welche fast immer deutlich zu 
erkennen waren, keine erhebliche Bewegung innerhalb weniger 
Stunden zeigen. Es folgt daraus, dass der Merkur ganz 
langsam rotirt, nämlich nur ein Mal während seines 88tägigen 
Umlaufes um die Sonne, immer dem Centralkörper dieselbe 
Seite darbietend wie der Mond der Erde und Japetus dem 
Saturn. Allerdings tritt eine ziemlich starke Libration in der 
Länge auf, so dass doch erheblich mehr als die Hälfte des 
Planeten Sonnenlicht empfängt. Eine Neigung des Aequators 
gegen die Bahnebene hat Schiaparelli nicht feststellen können, 
sie muss jedenfalls kleiner als 10 Grad sein. Das Aussehen 
der Flecke im Allgemeinen war das von leichten rothbräun- 
lichen Schatten; doch Hessen sich zuweilen auch weisse Par¬ 
tien scharf unterscheiden. Die von Schröter beobachtete 
Abstumpfung des südlichen Horns hat Schiaparelli auch 
einige Male gesehen und glaubt, sie durch auffällige Licht¬ 
unterschiede erklären zu können. 

Herr Professor Dr. Meidinger machte Mittheilung von 
einigen optischen Beobachtungen, die zwar keinen An¬ 
spruch auf völlige Neuheit machen wollten, wenn schon in 
der Litteratur ein Hinweis auf dieselben nicht vorgefunden 
werden konnte. Schaut man bei blauem Himmel über eine 


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glatte, lange Wasserfläche, Sonne im Rücken oder auf der 
Seite, so entspricht in der Nähe des Horizonts der Spiegel 
des Himmels in Farbe und Helligkeit genau dem wirklichen 
Himmel; je mehr der Blick des Auges auf die Wasserfläche 
jedoch gegen den Standort rückt, um so mehr wird die 
Farbe des Bildes dunkelblau gegen die entsprechende, dem 
Zenith näher gelegene Stelle des Himmels. Zuletzt, wenn 
man fast senkrecht auf das Wasser schaut, erscheint dessen 
eigene Farbe oder die des Himmels überwiegend, immer je¬ 
doch im dunklen Tone. Diese Beobachtung lässt sich be¬ 
quem machen an dem Graben vor dem Walde auf der Strasse 
von Gottesaue nach Grünwettersbach. Die Strahlen, welche 
senkrecht auf das Wasser fallen, werden nur in geringem 
Grade reflektirt, aber von einer gewissen Neigung an voll¬ 
ständig, darum die beiden Gegensätze in der Bildfarbe des 
Himmels zwischen Horizont und Zenith; das dunklere Blau 
in der Mitte setzt sich zusammen aus dem etwas geschwächten 
Reflex und dem dunklen Ton des Wassers. So erklärt es 
sich auch, dass bei Wind das Wasser in der Windrichtung 
auch am Horizont dunkelblau erscheint; die dem Beschauer 
zugekehrten Flächen der Wellen reflektiren eine höher ge¬ 
legene, tiefer blaue Stelle des Himmels und lassen zugleich 
den dunkleren Ton des Wassers heraustreten. Senkrecht 
gegen die Windrichtung betrachtet, erscheinen die Wellen 
jedoch hell. So gibt sich ein grosser Wechsel des Farben¬ 
bildes kund, wenn man Gelegenheit hat, eine Wasserfläche 
bei Wind in einem Halbkreis zu beschauen. Die überschwemm¬ 
ten Wiesen an Gottesaue bieten hiezu geeignetes Beobachtungs¬ 
gebiet. 

Eine weitere Beobachtung bestand in dem Folgenden: 
Schaut man gegen eine offene Flamme, z. B. von einer Kerze, 
so findet man dieselbe umgeben von einem schwachen Farben¬ 
kranz und zwar von aussen nach innen zwei Mal folgend 
roth-gelb-grün-blau, die Regenbogen- oder Spektral-Farben. 
Die Breite des Kranzes hängt von dem Abstand des Lichtes 
ab; bei 1 Meter Entfernung beträgt der Durchmesser des 
äussersten Roth etwa 20 Centimeter, bei 2 Meter doppelt so 
viel. Bei grösseren Entfernungen wird das Spektrum all- 
mählig unklarer und verschwindet zuletzt. Bei einem schwa¬ 
chen Lichte kann man dasselbe bis zu dem kurzen Abstand 

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von 20 Centimeter noch beobachten. Ein dunkler Hintergrund 
ist erforderlich, um die Erscheinung deutlich wahrzunehmen; 
dieselbe ist rein subjektiv, denn wenn man das Licht selbst 
mit dem Finger verdeckt, so verschwindet sie sofort und 
man erblickt die hinter dem Licht beleuchteten Gegenstände, 
die vorher durch den Farbenkranz verdeckt waren. Ver¬ 
schiedene Beobachter nahmen das Gleiche wahr. Eine Er¬ 
klärung der Erscheinung konnte nicht gegeben werden. 

Endlich wurde noch der Farbenerscheinungen gedacht, 
welche fein geritztes, oder durch zartes Pulver schwach ge¬ 
trübtes Glas hervorruft, wenn es von Licht getroffen wird. 
Diese sogenannten Interferenzfarben entstehen auch auf 
Scheiben, auf denen sich Tabakdampf niedergeschlagen hat; 
man kann solche von der Strasse aus an manchen Fenstern 
beobachten, z. B. am Caf6 Bauer; an vielen Scheiben finden 
sich hier die innen befindlichen Gasflammen von Farben¬ 
kränzen umgeben, wie sie als subjektive beim Blick in ein 
freies Licht erscheinen, nur viel deutlicher und nicht in ge¬ 
nauer Folge der Regenbogenfarben. Die Farben hängen 
von der Dicke der trübenden Theilchen ab; sie lassen sich 
auch durch Anhauchen hervorrufen, und zwar in stetem 
Wechsel, wenn man fortfährt, das Fenster schwach an¬ 
zuhauchen; zu einem gewissen Zeitpunkt sieht man in der 
Mitte um die Flamme herum ein lebhaftes Blau. Zuletzt 
verwischen sich die Farben mehr und die Scheibe erscheint 
mattweiss, wie die meisten beschlagenen Schaufenster der 
Läden. Wischt man mit einem Tuch oder der Hand 
schwach über eine mit Cigarrendampf beschlagene Scheibe, 
so verschwinden die Farbenringe und senkrecht gegen die 
Streichrichtung laufen von dem Lichte jenseits sehr helle, 
lange Linien aus, die sich bei näherer Betrachtung als aus 
zahlreichen parallelen farbigen Streifen bestehend erweisen. 
(Wie Herr Ammon später bemerkte, lassen sich dieselben 
auch durch Anstreichen von Fett auf Glas hervorrufen; ja 
sie entstehen schon auf Brillenglas, wenn man mit den immer 
schwach fetten Fingern über dasselbe streicht.) Wenn als 
Lichtquelle jenseits der Scheibe ein elektrisches Bogenlicht 
vorhanden ist, so lassen sich sowohl durch Fettbestreichung 
der Scheibe, wie durch Anhauchen sehr brillante Farben- 


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Wirkungen hervorrufen; streicht man im Kreise, so erscheint 
die ganze Scheibe blendend hell, in durchaus verschiedener 
Wirkung von den durch Anhauchen erzielten Farbentönen. 


386. Sitzung am 7. März 1890. 

Anwesend 32 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener. 

Der Vorsitzende machte von einer Einladung des Vor¬ 
standes des Geographischen Vereins Mittheilung zum Besuch 
zweier in demselben demnächst stattfindenden Vorträge: am 
14. März wird Herr Professor Kirchhoff aus Halle über die 
„Entstehung der Nation“ sprechen, am 18. März Herr 
Dr. Oberkammer aus München über „Cypem“. 

Herr Professor Möller hielt einen Vortrag über das Län¬ 
genprofil der Flüsse, insbesondere dasjenige des Rheins 
von Basel bis Mannheim. Im Jahre 1875 veröffentlichte 
der verstorbene Professor Sternberg von hier eine Abhand¬ 
lung in der Zeitschrift für Bauwesen über die Ausbildung 
des Längenprofiles der Flüsse nebst Anwendung auf die 
Strecke des Rheinstromes zwischen Basel und Mannheim. 
Es wurde gezeigt, nach welchem Verhältniss das Längenprofil 
und damit die Höhengestaltung der Flusssohle von der Korn¬ 
grösse der Geschiebe und diese von dem durchlaufenen Wege 
und der dabei erlittenen Abnutzung abhängig sei. Die Stern- 
berg'sche Theorie berührt eine der wichtigsten Fragen des 
Flussbaues und birgt für das Studium desselben leitende 
G rundanschau ungen. 

Ein Umstand trägt jedoch dazu bei, die Bedeutung der 
Ausführungen minder auffällig erscheinen zu lassen. Die 
Rechnung stützt sich in einem Punkt auf empirische Formeln, 
indem aus der mittleren Wassergeschwindigkeit auf die 
Wassergeschwindigkeit nahe der Sohle und von dieser auf 
die das Geschiebe forttreibende Stosskraft des Wassers 
geschlossen wird. Die benutzte mittlere Geschwindigkeit 
gibt aber, je nach der Art der benutzten empirischen Formel, 
verschiedene Werthe, woraus dann weiter mehrere Gruppen 
von Ergebnissen abgeleitet sind. 

Das auf den Rheinstrom sich beziehende Rechnungs¬ 
beispiel liefert, Obigem entsprechend, für die Sohlengestaltung 


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des Rheines verschiedene Profilkurven, deren einige sich der 
wahren Gestalt recht eng anschliessen, andere hingegen 
Höhenabweichungen bis zu 22 und 60 Meter aufweisen. 
Das Ergebniss, welches zwischen so weiten Grenzen schwankt, 
erscheint dadurch wenig verlässlich und zu praktischer Ver¬ 
werfung minder geeignet. 

Nun lässt sich aber erweisen, dass diese von den wahren 
Verhältnissen abweichende Kurvengruppe aus den Betrach¬ 
tungen ganz auszuscheiden ist. Gestützt auf frühere Aus¬ 
führungen, welche die Stosskraft des Wassers aus der trei¬ 
benden Componente der Schwerkraft berechnen, erscheint 
diese Stosskraft aber, durch eine exakte Formel ausgedrückt, 
nicht dazu angethan, verschiedene sich widersprechende Er¬ 
gebnisse zu liefern, diese Unsicherheit ist nur durch den 
von Sternberg und anderen Autoren eingeschlagenen Umweg 
in die Ausführung hineingetragen, wobei die Ableitung der 
Stosskraft aus der mittleren Wassergeschwindigkeit erfolgt. 
Benutzt man für die Stosskraft die direkte Formel, dann 
gelangt jene physikalisch nicht begründete Gruppe in Weg¬ 
fall, welche gegenüber den wahren Verhältnissen Abweichungen 
zeigt, und es bleibt nur noch eine Kurvengruppe übrig, 
welche sich den thatsächlichen Verhältnissen genau anschliesst, 
dieselbe ist durch die Benutzung des Wurzelexponenten 
n = 2 gekennzeichnet. Es gewinnt somit die Tragweite 
der Theorie sehr an praktischer Bedeutung, die Rechnung 
braucht nicht mehr nur einer Veranschaulichung der Vorgänge 
zu dienen, sondern sie wird zur Beantwortung praktischer 
Fragen verwerfet werden können, und dies um so leichter, 
da sie auch eine Vereinfachung der Formeln, bezw. Ersatz 
derselben durch den Vorgang vom Strom selbst, zulässt. 

Was dem Construkteur in Eisen und Stein die Material¬ 
festigkeit bedeutet, ist dem am Fluss bauenden Ingenieur 
die Festigkeit der Sohle, welche, da sie von der veränder¬ 
lichen Geschiebsbeschaffenheit abhängt, ein sorgfältiges prak¬ 
tisches Studium der Geschiebe, seiner Korngrösse und Menge, 
wie des Geschiebeverschleisses erheischt. Zwar kann der 
Einzelne darin wenig leisten, da die Veränderungen am Fluss 
erst nach Jahren und Jahrzehnten deutlich hervortreten; 
darum aber gerade, weil diese praktischen Kenntnisse schwer 


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zu erwerben sind und dazu Veranstaltungen gehören, ist es 
ein Verdienst der Theorie Sternberg’s, auf die Bedeutung 
der wichtigen Beziehungen hingewiesen zu haben. Auch die 
seit der Rheinkorrektion sich vollziehenden, meist geringen 
Höhenänderungen der Flusssohle lassen sich an der Hand 
der gleichen Theorie als leicht verständlich verfolgen. 

Herr Hofgärtner Graebener besprach einige neue Ge¬ 
nussmittel aus dem Pflanzenreiche, zunächst eine neue Wein¬ 
rebe aus Mexico: Cissus mexicana, von der Firma Damman 
u. Cie. in San Giovanni a Teduccio bei Neapel in den 
Handel gegeben. Die Pflanze, in Wäldern der Provinz 
Sinalva gefunden, ist ein Knollengewächs, dessen ziemlich 
dick werdende Wurzeln aus Geröll und Felsen heraus im 
Frühjahr lange Ranken treiben, welche während der Regen¬ 
periode schnell und üppig wachsen, Bäume erklettern und 
Felsen überwuchern; im September beginnen die Beeren zu 
reifen, dieselben sind gross, süss, von rother oder gelblicher 
Farbe und wie das Laub denen unserer Reben ähnlich, die 
Bewohner Sinalva’s bereiten daraus Wein, Essig und ein 
Compot, das sie Uvata nennen, von Uva die Traube. Ende 
Oktober fallen das Laub und zugleich auch die Jahrestriebe 
ab. Die gehegten Hoffnungen, dass diese Knollenrebe unsere 
Winter ausdauern und der Reblauskalamität ein Ende be¬ 
reiten werde, dürften sich wohl nicht erfüllen, auch müsse 
man erst erproben, ob die Pflanze das halte, was von ihr 
versprochen wurde; der botanische Garten besitze mehrere 
Knollen davon. Möglich, dass für die Länder um das Mittel¬ 
ländische Meer diese neue Rebe von Bedeutung werde. 
Samen und Knollen konnten vorgezeigt werden. 

Das zweite Genussmittel betraf eine in Mauritius, Bour¬ 
bon und Madagascar vorkommende neue Art Kaffee, deren 
Pflanze nach der „Gaea“ als Müssender borbonica, nach einer 
holländischen Zeitschrift des Kaffeeimportgeschäfts als Gaert- 
nera vaginata Lam. bezeichnet wird; letztere Zeitschrift 
urtheilt nicht günstig, da der Bohne das Coffein, sowie ein 
anderes Alkaloid fehle. Redner konnte Muster vorzeigen. 
Ueber den reellen Werth dieser ganz neu auftauchenden 
Frucht wird man erst später Bestimmtes hören. 

Ein zwar altes, ja schon vor Hunderten von Jahren 


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bekannt gewesenes Genussmittel ist das dritte, die Cola-Nuss; 
neu an derselben ist, dass solche in neuerer Zeit auf An¬ 
regung von Herrn Dr. Spuler von Herrn Apotheker Schoch 
hier als diätetisches Genussinittel hergestellt wird und zwar 
in Form von Pulver, ähnlich dem Cacaopulver, und von 
Brödchen und Bisquit; durch Gefälligkeit des letzteren Herrn 
konnten Nüsse uud Präparate vorgezeigt werden. Die Heimath 
der Cola-Nuss: Sterculia acuminata R. Br. ist West- und 
Innerafrika, von Sierra Leone bis zum Congo und ins Inneie 
bis an den Nyanzasee reichend; der Baum ist ferner angebaut 
in Brasilien, Jamaica, Venezuela, Ostindien, Ceylon, Mauritius 
und Zanzibar, er verlangt sehr warmes Klima und feuchten 
Boden und steigt nicht über 200 Meter Höhe. Stamm glatt, 
cylindrisch, Zweige ebenso, bis an den Boden hcrabhängend, 
Blätter länglich eiförmig, 20 bis 30 Centimeter lang, 7 bis 
10 Centimeter breit, glatt: Blüthe eine blassgelbe, traubige 
Rispe, Frucht glatt, chokoladefarbig, länglich, 8 bis 16 Cen¬ 
timeter lang, 6 bis 7 Centimeter dick, schliesst 5 bis 16 
kastanienähnliche Früchte in sich ein. Der Baum beginnt 
im fünften Jahre zu tragen, erreicht aber erst im zehnten 
Jahre volle Ertragsfähigkeit und liefert dann gegen 45 Kilo¬ 
gramm Früchte im Jahr, er wird 80 bis 90 Fuss hoch. Die 
Cola-Nuss enthält u. A. 2,3 Coffein, 0,02 Theobromin, 1,5 Taunin, 
2.8 Zucker, 33,7 Stärkemehl, 6,7 Procent Proteinstoffe; der 
Coflöingehalt ist demnach ein weit grösserer, als bei den 
besten Kaffeesorten, welche höchstens 1,8 besitzen, ausserdem 
enthält Cola noch Theobromin, also die Alkaloide des Kaffee 
und Cacao in sich vereinigt. Die wichtigste Wirkung der 
Cola-Nuss in Afrika für Eingeborene wie für Europäer ist die, 
dass nach Urtheil Aller, die solche kennen lernten, nach dem 
Kauen derselben salzhaltiges, abgestandenes und fades Wasser 
den schlechten Geschmack verliere und angenehm schmecken 
soll; es werden ihr ferner diejenigen Eigenschaften zuge¬ 
schrieben, die dem reinen Coffein zukommen, sie wirkt ins¬ 
besondere erfrischend und anregend, und lässt nach ihrem 
Genuss Hunger und Strapazen leichter ertragen. Durch die 
Präparate des Herrn Schoch werde, entgegen anderen, haupt¬ 
sächlich in Paris hergestellten Colapräparaten, wie Tinktur, 
Wein, Extrakt, Essenz, Syrup und dergl., wo wegen geringer 


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Löslichkeit des Coffeins nicht dessen ganze vorhandene Menge 
aufgelöst wurde, letzteres ganz dem Körper zugeführt, da die 
ganze Cola-Nuss gemahlen und in angenehmer Form nur mit 
etwas Eiweiss- und Zuckerzusatz gebacken sei, oder ähnlich 
dem Cacao getrunken werde. Es empfehle sich, die Cola¬ 
bäume in unseren deutschen Colonien im Grossen anzubauen, 
reichlichen Absatz würden die Früchte finden in Afrika und 
auch in Europa, da die Frucht Zukunft haben werde. 

Das vierte Genussmitte], von dem Redner sprach, und das er 
gleichfalls vorzeigte, ist ein ganz neues, aus Japan stammendes 
Gemüse, dort Choro-Gi genannt, botanisch: Stachis affinis 
oder tubifera. Die bis zu zehn Centimeter langen und ein¬ 
einhalb bis zwei Centimeter dicken, eigenartig eingeschnürten 
Knöllchen bilden sich zahlreich wie die Kartoffeln an den 
Wurzelu; die Pflanze wird nur höchtens zwei Fuss hoch, die 
Knöllchen erfrieren in unserem Klima durchaus nicht und 
bleiben ähnlich wie die Topinambur im Boden, bis sie von 
der Hausfrau gebraucht werden, sie können entweder gebraten 
oder wie Spargeln zubereitet oder zur Verzierung von Platten 
gebraucht werden; da sie 17,8 Procent Stärke und 4,3 Proc. 
Eiweiss enthalten, bilden sie auch ein nahrhaftes, dabei 
ausserordentlich ausgiebiges Gemüse, welches sich bald einen 
ständigen Platz in unsern Gärten erobert haben werde. 

Auf die Mittheilung des Herrn Maschineninspektor 
Delisle, er habe s. Zt. in New-York zwei Gemüse gegessen, 
die er seitdem nicht wieder gesehen habe, ein knollenartiges 
Gewächs, der Kartoffel ähnlich, mit süsslichem Geschmack, 
und die faustgrossen Früchte einer Nachtschattenart in 
Scheiben geschnitten und gebraten, deren Namen er aber 
nicht kenne, antwortete Herr Hofgärtner Gräbener, dass es 
in ersterem Falle Bataten: Dioscorea Batatas, in letzterem 
die Eierfrucht: Solanum Melongena gewesen sei; erstere, 
eine Convolvulacee, habe derselbe gleichfalls viel in Südruss¬ 
land gegessen, hier auch anzubauen versucht, er habe jedoch 
nur unreife, kleine Knollen geerntet, weil unsere Sommer zu 
kurz und nicht warm genug seien; letztere Früchte würden 
hie und da in Frühbeeten gezogen, die grossen gelben oder 
violetten „Eierfrüchte“ als Delikatesse theuer verkauft, auch 
sie gedeihen in gewöhnlichem Land nicht. 


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Herr Professor Rebmann tlieilt noch mit, gelesen zu 
haben, dass eines unserer einheimischen Stachys ähnliche 
Knöllchen bilde wie das japanesische Stachys affinis, wenn 
solches auf gut gedüngtem Boden wachse. 

387. Sitzung am 21. März 1890. 

Vorsitzender: Herr Geheime Rath Dr. Grashof. Anwesend 31 Mitglieder. 
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. 0. Pfeiffer, Assistent an der 
Landesgewerbehalle. 

Für ein in Sansibar zu errichtendes deutsches Hospital 
wurde von dein Verein ein Betrag von 50 M. bewilligt. 

Herr Dr. Schultheiss sprach über das Thema: Mond 
und Wetter. 

Nach den Ausführungen des Vortragenden wurde dem 
Mond zu allen Zeiten eine unmittelbare Einwirkung auf das 
Wetter zugeschrieben und er spielt auch in dem noch heut 
zu Tage in unverdientem Ansehen stehenden lOOjährigeu 
Kalender eine grosse Rolle. Den astrologischen Lehren ge¬ 
mäss, welche demselben zu Grund gelegt sind, soll nämlich 
der Mond, wenn er „Regent“ sei, der Witterung einen kalten 
und windigen Charakter verleihen, eine Behauptung, welcher 
aber jede wissenschaftliche Berechtigung abzusprechen ist. 

Ein Himmelskörper kann auf Vorgänge in unserer At¬ 
mosphäre nur entweder durch Wärmestrahlung oder durch 
Massenwirkung entscheidenden Einfluss haben; die erstere 
ist aber nach den exakten Forschungen Melloni’s verschwin¬ 
dend klein, so dass sie völlig äusser Acht gelassen werden 
kann. Das Volk schreibt dem Mond keine erwärmende, sondern 
eine erkältende Eigenschaft zu, was aber nur auf falscher 
Beobachtung beruht; denn nicht der Mond, sondern das 
Fehlen der Wolken, wodurch er eben sichtbar werden kann, 
verursacht in hellen Nächten in Folge der verstärkten Aus¬ 
strahlung ein rasches Sinken der Temperatur der unteren 
Luftschichten. 

Während die Frage nach einer Wärmewirkung seitens 
des Mondes wissenschaftlich nie ernstlich in Frage gekommen 
ist, hat jene nach einer Massenwirkung seit Newton bis in 
unsere Zeit viele eingehende Bearbeitungen gefunden, so 
dass sich darüber eine eigene, sehr umfangreiche Litteratur 


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gebildet bat. Bald nachdem durch deu genannten grossen 
Naturforscher die Ebbe und Fluth in den Weltmeeren durch 
die Anziehungskraft des Mondes erklärt worden war, ist zu¬ 
erst ein deutscher Physiker Segner in Halle auf den Ge¬ 
danken gekommen, dass eine der Wasserfluth analoge Luft- 
fluth bestehen müsse. Seine allerdings auf falsche Voraus¬ 
setzungen gegründeten Rechnungen haben noch eine überaus 
mächtige Einwirkung des Mondes ergeben, allein mit der 
Verfeinerung der mathematischen Hilfsmittel und der Ent¬ 
wickelung der Kenntnisse der physikalischen Eigenschaften 
der Atmosphäre ist die berechnete Einwirkung immer mehr 
zusammengeschrumpft, so dass sie jetzt nur noch als eine 
sehr kleine, wohl kaum jemals zur Geltung kommende an¬ 
gesehen werden kann. Von der Grösse der Wasserfluth in 
den Oceanen kann nicht auf die Grösse der Luftfluth geschlossen 
werden, weil die erstere ursprünglich nur eine sehr kleine 
ist und erst durch Anlanden an flache Küsten je nach deren 
Gestaltung zu grösseren Höhen anschwillt; eine solche einer 
Stauung zu vergleichenden Summirung kleiner Wirkungen 
kann aber bei der nach allen Seiten hin frei beweglichen Luft 
nicht stattfinden. Langjährige Luftdruckbeobachtungen an 
drei Tropenorten, St. Helena, Singapore und Batavia haben 
zwar eine vom Monde abhängige bis zu 0,6 Mm. Qucck- 
silberdruck gehende Einwirkung des Mondes erkennen lassen, 
in der Weise, dass der Luftdruck zur Zeit der Kulminationen 
einen grössten, zur Zeit von Auf- und Untergang dagegen 
einen kleinsten Werth einnimmt, allein nachLaplace kann 
diese Luftfluth auch anders als durch direkte Anziehung des 
Mondes, nämlich durch die an den Küsten periodisch durch 
die Wasserfluth erfolgten Hebungen der unteren Luftschichten 
erklärt werden. In höheren Breiten kann wegen der grossen 
unregelmässigen Schwankungen eine derartige Peiodicität im 
Gange des Luftdrucks nicht mehr nachgewiesen werden. 

Während also auch die Massenwirkung des Monds auf 
die Atmosphäre nur eine sehr kleine, im Einzelfall gar nicht 
erkennbare, sondern erst aus langjährigen Beobachtungen in 
den Tropen, wo die Witterungselemente nur geringen Schwan¬ 
kungen unterworfen sind, sich ergebende ist, wird hauptsäch¬ 
lich von R. Falb und dessen Anhängern die Lehre von einer 


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überaus mächtigen, ganz besonders im Einzelfall ausschlag¬ 
gebenden Einwirkung des Monds verfochten. Falb nimmt 
an, dass durch den Mond ein kräftiger aufsteigender Luft¬ 
strom geschaffen wird, und dass dieser Auftrieb an Tagen, 
an welchen die Mondanziehung durch die Sonne verstärkt 
wird, also z. B. an allen Voll- und Neumonden, eine beson¬ 
ders grosse ist. In Folge dessen sollen an solchen „kriti¬ 
schen Tagen“ schlagende Wetter besonders häufig sein, weil 
die Grubengase zum vermehrten Auftrieb veranlasst würden. 
Allein das von Falb zur Bekräftigung seiner Theorie vor¬ 
gebrachte überaus dürftige statistische Material ist völlig 
unzureichend, da nur einige wenige Grubenexplosionen und 
nicht alle auf der gesammten Erde während einer bestimmten 
Zeit vorgekommenen herangezogen worden sind; zudem sind 
schlagende Wetter durchaus nicht beweisend für die vor¬ 
liegende Frage, da bei der Entzündung der immer vorhan¬ 
denen Kohlenwasserstoffe der Zufall und die Fahrlässigkeit 
der Bergleute eine ausschlaggebende Rolle spielen. Es 
müssen ferner einerseits den stärkern Anhäufungen der 
Grubengase, welche, da rechtzeitig bemerkt, nicht zu Ex¬ 
plosionen geführt haben, herangezogen, andererseits bei einer 
richtigen Statistik alle Grubenunfälle, welche auf andere Ur¬ 
sachen, z. B. auf Entzündung von Kohlenstaub zurück¬ 
zuführen sind, ausgeschieden werden; was aber Alles von 
Seiten Falb’s nicht geschieht. Falb behauptet weiter, dass 
die Einwirkung des Mondes durch schnelleres Fliessen der 
nach der alten Dove'schen Anschauung in unseren Breiten 
sich wechselseitig verdrängenden Luftströme, des feuchten, 
warmen Aequatorialstromes und des trockenen, kalten Polar- 
stroines geltend mache, wodurch die Ausbildung grosser 
Temperaturditferenzen und die Entstehung tiefer Depressionen, 
welche Stürme und Witterungsumschläge im Gefolge haben, 
kurz alle Unbilden der Witterung bedingt würden, und zwar 
soll diese Wirkung von der Nähe des Aequators, von dem 
sich der Mond ja nie sehr weit entfernt, ausgehen. Falb 
nimmt ferner eine bis zu 6 Tagen gehende Vor- und Nach¬ 
wirkung an. Allein eine verstärkte Anziehung der Luft am 
Aequator, wenn eine solche in erheblichem Masse über¬ 
haupt bestehen würde, kann sich unmöglich bereits nach 


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6 Tagen in unseren Breiten durch schnelleres Fliessen der 
beiden Ströme geltend machen. 

Der Weg, den Falb zur Bekräftigung seiner Theorie 
einschlägt, ist ein völlig unwissenschaftlicher, da er nur 
Einzelfälle anführt und uns zeigt, dass irgendwo in der 
Welt in der Nähe eines kritischen Tages ein elementares 
Ereigniss eingetreten ist. Da aber die Wirkung eines ein¬ 
zigen kritischen Tages auf 13 Tage sich erstreckt, von 
einem Vollmond zum Neumond und umgekehrt nur 14 Tage 
liegen, so müssen bei den gemachten Annahmen natürlich alle 
Ereignisse sich auf den Mond zurückführen lassen. Falb’s Be¬ 
hauptungen wären erst dann richtig, wenn er beweisen könnte, 
dass alle Vorgänge in der Atmosphäre sich vorzugsweise an 
kritischen Tagen vollziehen; wenn die Methode des Beweises 
durch das Zutreffen im einzelnen Fall richtig wäre, dann würde 
z. B. auch Der Recht haben, der behaupten würde, der Frei¬ 
tag sei der Sterbetag der Menschen; denn jeder Freitag 
bringt eine Menge sogenannter Belege, wobei man eben nur 
vergisst, dass auch an andern Tagen Menschen sterben. 

Der Vortragende ging dann noch weiter auf die sach¬ 
liche Prüfung der Falb’schen Theorie ein, da es immerhin 
nicht unmöglich wäre, dass eine wenn auch ganz minimale 
Fluthwirkung des Mondes doch die definitive Ausbildung 
schon vorbereiteter Ereignisse befördern könnte. Er wies 
aber nach, dass die Zeiten, wo die Fluthfaktoren ihr Maxi¬ 
mum erreichten, nämlich die Tag- und Nachtgleichen, durch¬ 
aus keine Aufregungen in der Lufthülle zeigen; denn in den 
letzten 21 Jahren war das Frühlingsäquinoktium nur 6 Mal 
stürmisch, wenn man mit Falb einen ziemlich weiten Spiel¬ 
raum von mehreren Tagen lässt. Ebenso wird der Glaube, 
dass Voll- und Neumond Witterungswechsel hervorrufen, 
durch die nachstehenden, aus hundertjährigen Beobachtungen 
an einem und demselben Ort (Berlin) von Gronau mitgetheil- 
ten Zahlen gründlich widerlegt, wonach eingetreten sind: 

kein Witterungs- 

Witterungswechsel wec hsel 


beim 

Vollmond 

461 

Mal 

674 

Mal 

n 

ersten Viertel 

409 

» 

921 

n 

V) 

Neumond 

475 

n 

756 

n 

n 

letzten Viertel 

598 

n 

838 

n 


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Gerade der Umstand, dass Falb den in allen Schichten 
der Bevölkerung ohne Unterschied des Standes fast zum 
Glaubenssatz gewordenen Einfluss der Mondphasen auf 
Witterungswechsel besonders stark betont hat, hat ihm ohne 
Zweifel seine grosse Popularität verschafft. 

Zum Schluss erwähnte der Redner noch; dass Falb in 
jüngster Zeit ein gefährlicher Rivale in der Gunst des Pub¬ 
likums in der Person eines Astronomen Dr. Servus entstanden 
ist, der alle Vorgänge in der Atmosphäre von der halben 
Dauer der Sonnenrotationen, welche bekanntlich 13 Tage be¬ 
trägt, abhängig sein lässt; auch er hat kritische Tage, die 
sich aber nicht mit denen von Falb decken, und er nimmt, 
wie dieser, mehrere Tage Vor- und Nachwirkung an. Die 
Richtigkeit seiner Theorie will auch er durch die Betonung 
des Zutreffens im einzelnen Falle beweisen. Es steht aber 
zu hoffen, dass das Publikum, wenn es eine Zeit lang von 
zwei Seiten beunruhigt worden ist, sich allmählich an die 
Harmlosigkeit der kritischen Tage gewöhnt. 


388. Sitzung am 28. März 1890. 

Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen 
geographischen Gesellschaft. 

Herr Fritz Bley aus Berlin hielt einen Vortrag über 
deutsche Pionierarbeit in Ostafrika. 


389. Sitzung am 25. April 1890. 

Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

GeneralyerMammlung:. 

Herr Professor Dr. Meidinger erstattete Bericht über 
die Thätigkeit des Vereins im verflossenen Jahre. Herr 
0. Bartning berichtete über den Stand der Kasse des Vereins. 

Hierauf sprach Herr Professor Dr. Platz über die Form¬ 
verhältnisse des Granits. Nachdem auf der geologi¬ 
schen Karte von Baden die Verbreitung des Granits am 
Nord-, Ost- und Südrande des Schwarzwaldes gezeigt worden 
war, wurde dessen Zusammensetzung und Erscheinungsweise 
besprochen. Der Granit ist ein körniges Gemenge von Feld- 


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spath, Quarz und Glimmer, und nach der Art seines Auf¬ 
tretens ein eruptives Gestein. In der Regel ist derselbe 
durch drei sich nahezu rechtwinklig schneidende Kluftsysteme 
in theils schichtenähnliche, theils säulenförmige Blöcke ab¬ 
gesondert; seltener kommt die schalige Struktur vor, bei 
welcher mehrere koncentrische Lagen um einen Kern ge¬ 
lagert sind. Der Verwitterung ist der Granit in sehr un¬ 
gleichem Masse unterworfen, besonders stark da, wo das 
Gestein der beständigen Durchfeuchtung ausgesetzt ist, z. B. 
im Waldboden, wo das Gestein oft auf grosse Tiefen ver¬ 
wittert ist, während freiliegende Massen, von denen das 
Wasser rasch abfliesst, meist frisch erscheinen. Nur die 
Kanten runden sich allmählig ab, wodurch die verborgene 
Zerklüftung deutlicher hervortritt. Grössere Felsmassen er¬ 
scheinen dann wie aus einzelnen wollsackähnlichen Blöcken 
aufgebaut, auch die schalige Structur tritt alsdann besonders 
deutlich hervor. Alle diese Erscheinungsformen sind in dem 
Garten des Herrn Lorenz hier in auserlesenen Exemplaren 
von theilweise riesiger Grösse vereinigt; es liegen dort bank- 
förmige, säulenförmige und schalige Blöcke, welche theilweise 
noch scharfe Kanten mit allen Uebergängen zur vollkom¬ 
menen Abrundung zeigen. Besonders interessant sind die 
schalig ausgehöhlten Blöcke, welche in dem Bassin des Gar¬ 
tens aufgestellt sind. Sie sind durch Auswitterung des Kerns 
aus schaligen Blöcken entstanden und nachträglich durch 
strömendes und wirbelndes, sandführendes Wasser abgeschliffen 
worden, ähnlich wie die Gletschertöpfe im Gletschergarten 
zu Luzern. Alle diese Blöcke stammen aus dem Murgthale, 
sie wurden mit Ueberwindung grosser Schwierigkeiten hier¬ 
her transportirt und geben nicht bloss durch die malerische 
Zusammenstellung das Bild einer Landschaft, wie sie in 
Granitgebirgen häufig Vorkommen, sondern sind auch, indem 
sie die charakteristischen Formen des Granits auf kleinem 
Raume vereinigt darstellen, von wissenschaftlichem Interesse. 
Von den interessantesten dieser Gesteine wurden zur Er¬ 
läuterung photographische Aufnahmen vorgelegt. — In der 
darauf folgenden Besprechung wurde der Wunsch aus¬ 
gesprochen, diese Gebilde näher in Augenschein nehmen zu 
können. Herr Lorenz hatte die Freundlichkeit, die Mit- 


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glieder des Vereins auf Samstag, den 10. Mai, Abends 6 Uhr, 
zur Besichtigung einzuladen. Dieselbe fand unter grosser 
Betheiligung am betreffenden Tage statt. (Die Steine wurden 
im folgenden Jahre in den Erbprinzengarten zur Ausschmückung 
der von Herrn Lorenz gestifteten Nymphengruppe verbracht.) 


390. Sitzung am 9. Mai 1890. 

Anwesend 50 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Rath Dr. Grashof. 
Neu angemeldete Mitglieder: Herr Professor Dr. 0. Lehmann an der 
Technischen Hochschule, Herr Dr. Kumm, Assistent an der technischen 

Hochschule. 

Herr Geh. Hofrath Dr. Engler hielt einen längeren 
wissenschaftlichen Vortrag, in welchem er einen Ueberblick 
gab über die verschiedenen Theorien der Bildung 
des Erdöls in der Natur, von denen er insbesondere die¬ 
jenige von Mendelejew, wonach das Erdöl durch Einwirkung 
von Wasser auf den feurigflüssigen Kern des Erdinnern ent¬ 
standen sein sollte, einer kritischen Betrachtung unterzog. 
Abgesehen davon, dass es schwer einzusehen ist, wie das 
Wasser bis zu dem feurigflüssigen KohlenstofT-Eisenkern der 
Erde gelangen soll, ohne vorher zu vergehen und zu disso- 
ziren, spricht auch das Fehlen des Erdöls in fast allen Erd¬ 
spalten, das sehr seltene, ja nur ganz ausnahmsweise Vor¬ 
kommen in vulkanischem Eruptivgestein u. a. m. gegen die 
Richtigkeit der Mendelejew’schen Hypothese. Die zweite 
Theorie, die Bildung des Erdöles aus Pflanzenresten, glaubt 
der Vortragende sowohl aus chemischen, als insbesondere 
auch aus geognostischen Gründen verwerfen zu sollen; denn 
wenn sich aus Pflanzensubstanz die Kohlenwasserstoffe des 
Erdöls bilden sollen, so kann dies ohne Ausscheidung von 
Kohle nicht geschehen und es müsste deshalb das Vor¬ 
kommen des Erdöles stets auch mit dem Vorkommen von 
Kohle (Steinkohle, Braunkohle etc) in Verbindung stehen, 
was aber thatsächlich nicht der Fall ist. Auf der andern 
Seite findet sich Erdöl nur ganz ausnahmsweise in solchen 
Steinkohlenflötzen in geringer Menge vor, in denen zugleich 
auch thierische Reste (Fische etc.) nachweisbar sind. Hierauf 
begründet der Vortragende die Richtigkeit der dritten Theorie: 
der Bildung des Erdöles aus thierischen Resten. Abgesehen 


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von dem steten Zusammentreffen von Erdöl mit thierischen 
Resten (Fossile Fische, Saurier, Muscheln, Korallen etc.), 
ja wiederholt'auftretenden direkten Einflüssen von Erdöl in 
den versteinerten Wohnkammern solcher Thierreste (z. B. 
auch in den Muschelresten von Malsch-Langenbrücken), dem 
Austritt von Erdöl aus einem Korallenriff am Rothen Meer, 
dem Reichthum der sogenannten Oelschiefer an Fischresten 
und so weiter, sprechen ganz besonders auch chemische 
Gründe für die Richtigkeit der letzteren Theorie. Insbeson¬ 
dere kommt dabei das Thierfett in Betracht, bezüglich dessen 
im hiesigen chemischen Laboratorium nachgewiesen wurde, 
dass es durch Destillation unter sehr starkem Druck in ein 
Oel umgewandelt werden kann, welches alle wesentlichen 
Eigenschaften mit dem natürlichen Erdöl theilt (beispiels¬ 
weise brannte während des Vortrages auch eine Lampe mit 
aus Thran gewonnenem Erdöl gespeist). Wesentlich ist da¬ 
bei, dass diese Umwandlung der thierischen Fette ohne 
Kohlenausscheidung vor sich geht, wodurch auch das Fehlen 
der Steinkohle etc. in der Nähe des natürlichen Erdöls sich 
erklärt. Andererseits findet aber bei der Umwandlung die 
Bildung erheblicher Mengen brennbarer Gase statt, was mit 
dem gleichzeitigen Vorkommen von solchem Gas mit dem 
natürlichen Erdöl auffallend übereinstimmt. 

Den Vorgang bei der Bildung des Erdöls kann man 
sich etwa in der Weise vorstellen, dass in Folge irgend einer 
äusseren Veranlassung die Anhäufung von Thierleibern statt- 
gefunden hat, wie wir sie thatsächlich in grossen Lagern 
vorhandener Reste noch wahrnehmen, dass dann über diese 
sich weitere Schichten von Sedimentärgesteinen ablagerten 
und einen gewaltigen Druck ausübten, während gleichzeitig 
eine Erwärmung eintrat. Während die sehr leicht zersetz- 
liche Muskelsubstanz längst verwest war, fand sich zu dieser 
Zeit das bekanntlich sehr dauerhafte Fett noch vor und 
unterlag dem Umwandlungsprozess, den man jetzt im Labo¬ 
ratorium nachahmen kann. Für die grosse Widerstands¬ 
fähigkeit des Fettes gegen Fäulniss, Verwesung etc. spricht 
der Umstand, dass man wiederholt in alten Gräbern Fett¬ 
reste, sogen. Leichenwachs oder Adipocire auffindet, während 
alle übrigen Theile des Kadavers, mit Ausnahme der Knochen, 


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längst zersetzt und verschwunden sind. Auch in den fossilen 
Knochen „vorweltlicher“ Thiere, z. B. beim Mammuth, hat 
man wiederholt noch Fettreste nachgewiesen. Der Prozess 
der Umwandlung von Thierfetten und fetten Oelen in Erdöl 
besitzt vorerst nur wissenschaftliches Interesse, da bei den 
derzeitigen Preisverhältnissen sich eine solche Umwandlung 
praktisch nicht lohnen würde. Höchstens wäre vielleicht die 
Verarbeitung von Besten und Abfällen (Thranreste bei der 
Gewinnung des Thrans und Oelabfälle verschiedener Art) in 
Betracht zu ziehen. 

Zum Schluss zeigte Herr Mechaniker Behm einen Apparat 
zur Bestimmung von Schmelzpunkten mittelst Hilfe 
eines galvanischen Stromes vor. 


391. Sitzung am 23. Mai 1890. 

Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Geh. Hofrath Wiener theilte die Ergebnisse der 
Messungen mit, die er an den Körpern seiner vier Kinder, 
vier Söhnen I, II, III, IV, von ihrer Geburt bis zu ihrem 
ausgewachsenen Zustande vorgenommen hatte, sowie die 
Wachsthumsgesetze, die sich für dieselben ergeben haben. 
Er mass die Körpergrösse zwischen Sohle und Scheitel im 
Stehen, sobald sie dazu im Stande waren, vorher im Liegen, 
den grössten Kopfumfang, den Kopfbogen von der Nasen¬ 
wurzel über den Scheitel bis zum oberen Rande des Hinter¬ 
hauptloches, einigemal die Kopflänge zwischen Stirn und 
Hinterhaupt und die Kopfbreite hinter den Ohren. Die 
Körpergrösse nimmt im Verlaufe eines Tages ab. Von 
ihrem grössten Masse unmittelbar nach dem Erheben aus 
dem Bette vermindert sie sich in der ersten Stunde etwa 
um 1 Gentimeter, in den folgenden 3 Stunden etwa um 
weitere 0,2 und bis Abend etwa um 0,2 Centimeter. Die 
Abnahme vom ganzen Tage beträgt gewöhnlich zwischen 1 
und 2 Gentimeter, und kann bei starker Ermüdung bis zu 
3 Centimeter anwachsen. Sie rührt hauptsächlich von einer 
Verkürzung der Wirbelsäule her, wie sich durch Striche er¬ 
kennen lässt, die man auf der Rückenseite anbringt. Eine 
stärkere Ausbiegung des Rückgrates findet dabei gewöhnlich 


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nicht statt Man kann die Verkürzung daher im Wesent¬ 
lichen nur einem Ausquetschen der zwischen den Wirbel¬ 
körpern lagernden Knorpelschichten durch das Körpergewicht 
zuschreiben, wie es auch nach Wissen des Redners allgemein 
geschieht. — Ein einstündiges Liegen stellt die volle Körper¬ 
grösse wieder her. 

Trägt man nun das bei jeder Messung stattfindende 
Alter durch eine Strecke auf einer Geraden, der Abscissen- 
achse von einem festen Punkte an auf, und an dem anderen 
Endpunkte der Strecke auf einer Senkrechten zu der Abscis- 
senacbse die gemessene Körpergrösse als Ordinate, und ver¬ 
bindet deren Endpunkte durch eine Linie, so erhält man die 
Wachsthumslinie, welche das Wachsthumsgesetz veran¬ 
schaulicht. Diese schliesst sich in den 4 vorliegenden Fällen 
zwischen 2 und 12 Jahren sehr nahe einer Parabel an, 
welche die Anschlussparabel heissen mag und welche 
auch in ihren weiteren Theilen zur übersichtlichen Vorstel¬ 
lung der Wachsthumslinie dient. Die Anschlussparabel hat 
ihre Achse in der Abscissenachse, ihren Scheitel in dem 
Punkte, der dem negativen Alter von etwa 3 Jahren (—3, 
von —2,7 bis —3,2) entspricht und schneidet die Ordinate 
von 18 Jahren in der mit 18 Jahren erreichten fast vollen 
Grösse, in unserem Falle von 173 bis 181 Centimeter. Die 
Wachsthumslinie geht bei 0 Jahren von der Geburtsgrösse 
mit 52 bis 55 Centimeter aus und schliesst sich mit 2 Jahren 
berührend an die Anschlussparabel an. Dann folgt sie dieser 
Parabel bis zu 12 Jahren mit Abweichungen, die selten 
1 Centimeter erreichen. Mit 12 Jahren beginnt ein rascheres 
Wachsen, ein Schuss. Die Wachsthumslinie erhebt sich über 
die Parabel, hat mit etwa 15 Jahren ihren grössten Abstand 
von etwa 8 Centimeter erreicht, und trifft sie wieder hori¬ 
zontal bei 18 Jahren. Im Einzelnen findet man: 1. das 
Wachsthum ist am schnellsten im ersten halben Jahre und 
beträgt hier 15 bis 20 Centimeter. Im ersten Jahre war es 
18 bis 25 Centimeter, im zweiten 12 Centimeter, nahm von 
da an bis zum 12. Jahre von 9 auf 5 Centimeter ab, dann 
stieg es wieder, erreichte sein Maximum im 13., 14. oder 
15. Jahre mit 8 bis 10 Centimeter, nahm dann wieder rasch 
ab, so dass der Körper mit I6V2 Jahren fast seine volle 

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Grösse erreicht hatte. Von da bis zum 25. Jahre wuchs er 
nur noch um 0,5 bis 1,5 Centimeter. Mit 2‘/ 4 bis 2 1 /* 
Jahre hatte er die Hälfte der vollen Grösse erreicht. — 
Quetelet in seinem Werke „Sur l’homme, Bruxelles 1836“ 
gibt im 2. Bande die mittlere Grösse des Menschen in den 
verschiedenen Altern an, die aus sehr vielen Messungen an 
verschiedenen Menschen gewonnen sind. Die daraus ge¬ 
bildete Linie des mittleren Wachsthums verläuft von 4 bis 
16 Jahren geradlinig, und zeigt nicht den oben angeführten 
Schuss. Da dieser in etwas wechselnden Altern stattfindet, 
nämlich bei Beginn der Mannbarkeit, so verwischt sich die 
Ausbiegung beim Suchen des Mittels, so dass die Linie des 
mittleren Wachsthums einen anderen Charakter als die des 
persönlichen Wachsthums zeigt. 

Der Kopf wächst verhältnissmässig viel weniger, als der 
ganze Körper. Bei III wuchs der Kopf um fang von der 
Geburt bis zum Alter von 18 Jahren von 36 auf 59 Centi¬ 
meter, bei IV von 38 auf 59 Centimeter. Mit 2 Jahren 
hatte er bei III schon 52,6, mit 6 Jahren 54,3 Centimeter 
erreicht. Er wächst im ersten Jahre sehr rasch, von 2 Jahren 
an nur noch sehr langsam. Mit 12 Jahren zeigt sich eben¬ 
falls eine kleine Steigerung des Wachsthums. Bei der Ge¬ 
burt war der Kopfumfang */, vom ausgewachsenen Zustande 
und l / s der Körpergrösse, was die bekannte Erscheinung zeigt, 
dass bei den Kindern der Kopf verhältnissmässig viel grösser, 
als bei den Erwachsenen ist. Aehnliches gilt vom Kopf¬ 
bogen. — Die Kopflänge ergab sich bei den Erwachsenen 
nahezu gleich 20, die Kopfbreite 15,8 bis 16,4; der In¬ 
dex, d, i. das Hundertfache des Verhältnisses der Breite 
zur Länge, schwankend zwischen 79 und 82; die Köpfe 
standen also nahe an der Grenze der Mesocephalen oder 
Mittelköpfe (75—79,9) und der Brachycephalen oder Kurz¬ 
köpfe (80—84,9). 

Der Vater zeigte eine Körpergrösse von 179 Centimeter, 
die sich zwischen dem 32. und 63. Lebensjahre nicht geändert 
hatte, einen Kopfumfang von 60,4, einen Kopfbogen von 
37,7, eine Kopflänge von 20,9, eine Kopfbreite von 16,S 
Centimeter, den Index = SO,5. 


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Hierauf sprach Herr k. Postrath Christiani über die 
Anwendung von Kabeln im Fernsprechbetrieb. In 
seinem durch Ausstellung von Kabelmustern und Zeichnungen 
unterstützten Vortrage führte er etwa Folgendes aus: Je 
mehr sich die Fernsprechnetze unserer grossen Städte ver¬ 
dichten, um so schwieriger wird die Einführung der zahl¬ 
reichen Drähte in die Centralstellen oder Vermittelungsämter. 
Bei der üblichen Führung der Leitungen über die Dächer 
ist man zu immer grösserer Belastung der Häuser genöthigt, 
und erreicht trotz Verkleinerung der Konstruktionstheile 
und Verringerung der Drahtabstände schliesslich doch eine 
Grenze, über welche man mit der Vermehrung der Drähte 
nicht hinausgehen darf. Dann muss man sich zur Anwen¬ 
dung von Kabeln entschliessen, weil diese allein auf dem 
denkbar geringsten Querschnitt die grösste Anzahl von 
Leitungen vereinigen. Den Vorzügen der Kabel stehen aber 
auch Nachtheile gegenüber. Kabel sind theurer, weil jede 
Leitung in ihrer ganzen Länge eine isolirende Umhüllung 
und ausserdem die Kabelseele eine äussere Bewehrung er¬ 
halten muss; sie lassen keine Vermehrung der Anschlüsse 
um einzelne Leitungen, sondern immer nur um einen vollen 
Kabelstrang zu, sie unterliegen ferner in hohem Grade den 
Störungen, welche Ladung und Induktion in elektrischen 
Stromkreisen hervorrufen, wenn nicht durch besondere, mehr 
oder minder kostspielige Vorkehrungen dem Auftreten dieser 
Erscheinungen entgegengewirkt wird. In letzterer Hinsicht 
hat man allerdings schon recht günstige Erfolge erzielt. 
Die Adern der neueren Fernsprechkabel werden mit einer 
imprägnirten Gespinnstfaser isolirt und zur Fernhaitang der 
Induktion entweder zu zweien verseilt, wobei die Drähte jeder 
Doppelader als Hin- und Rückleitung dienen, oder sie werden 
einzeln mit einer Staniolhülle umgeben, die ihrerseits mit 
der Erde in gut leitender Verbindung steht. Die aus 27 bis 
100 Adern zusammengedrehte Kabelseele ist in einem Blei¬ 
rohr luftdicht eingeschlossen, über welches sich in gewissen 
Fällen noch eiserne Schutzdrähte legen. Bei uns gibt man 
den staniolumhüllten Einzelleitungen den Vorzug, während 
in Amerika das System der Doppelleitungen fast ausschliess¬ 
lich angewendet wird. Die Kabel kann man entweder als 


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Luftkabel an den vorhandenen Fernsprechträgern aufhängen, 
oder als Erdkabel versenken, sei es nun, dass man sie im 
letzterem Falle unmittelbar in die Erde einhettet oder in 
Kanäle oder Röhren einzieht. Je nach der beabsichtigten 
Art der Auslegung muss die Schutzhülle eine verschiedene 
Einrichtung erhalten. Luftkabel entbehren der Schutzdrähte, 
werden aber, weil ohne diese ihre absolute Festigkeit zum 
Tragen des eigenen Gewichts nicht ausreichen würde, mittelst 
Blechhaken an einem Stahldrahtseil aufgehängt; Erdkabel 
dagegen besitzen in der Regel eine Schutzdraht-Bewahrung, 
welche sie gegen mechanische Angriffe bei Aufgrabungen etc. 
unempfindlicher machen soll. Die Verbindung der einzelnen 
Kabelstücke untereinander oder mit den oberirdischen Draht¬ 
leitungen erfolgt unter Verwendung eiserner Muffen, in 
welchen die Löthstellen geborgen und durch Uebergiessung 
mit einer Harzmasse gegen Luft- und Wasserzutritt verwahrt 
werden. Bei der Anlage von Rohrsträngen zur Aufnahme 
unterirdischer Leitungen muss man in gewissen Abständen 
Einsteigeschächte an bringen, welche das Einziehen der Kabel 
und die Herstellung von Abzweigungen erleichtern. 

Zum Schlüsse fasste der Vortragende seine Ansicht über 
die zukünftige Gestaltung der Fernsprechlinien in grossen 
Städten dahin zusammen, dass unzweifelhaft die unterirdische 
Führung der Hauptstränge, namentlich in der Nähe der Ver¬ 
mittelungsämter, sich als zweckmässig und nothwendig er¬ 
weisen werde, dass aber eine völlige Beseitigung der ober¬ 
irdischen Anlagen nicht empfohlen werden könne, weil letztere 
die Verzweigung der Anschlussleitungen nach den Sprech¬ 
stellen mit weit geringeren Schwierigkeiten und Kosten er¬ 
mögliche, als dies bei der ausschliesslichen Benutzung von 
Kabeln in absehbarer Zeit zu erwarten sei. 

Die zur Erläuterung des Vortrags vorgezeigten Kabel¬ 
proben waren von der Firma Felten und Quilleaume in 
Mülheim (Rhein) mit dankenswerther Bereitwilligkeit zur 
Verfügung gestellt. 

392. Sitzung am 6. Juni 1890. 

Anwesend 46 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Herr Professor Dr. Lehmann hielt im physikalischen 


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Hörsaale der Technischen Hochschule einen Vortrag über 
flüssige Krystalle und spröde Flüssigkeiten mit 
Experimenten. Nach den bis jetzt allgemein angenommenen 
Definitionen und Anschauungen ist es unzulässig, von „flüssi¬ 
gen“ Krystallen zu reden. Der Vortragende sucht nach¬ 
zuweisen, dass gleichwohl verschiedene Substanzen in flüssigen 
Krystallen auftreten können, dass somit unsere bisherigen Vor¬ 
stellungen über das Wesen der Krystallstruktur einer Aen- 
derung bedürfen. 

Dass wir seit alten Zeiten den festen Aggregatzustand 
als ganz selbstverständliche Eigenschaft der Krystalle be¬ 
trachten, ja häufig (irrigerweise) fest und krystallisirt ge¬ 
radezu als gleichbedeutend betrachten, dürfte daher rühren, 
dass uns wohlausgebildete Krystalle vorwiegend und nach 
dem üblichen Gange des Unterrichts zuerst im Mineral¬ 
reiche begegnen. Wir haben uns darum gewöhnt, sie mit 
Pflanzen und Thieren in Parallele zu stellen, welche letzteren 
selbstverständlich niemals aus Flüssigkeiten allein zusammen¬ 
gesetzt sein können, da alle Lebensthätigkeit eine feste 
Organisation zur nothwendigen Voraussetzung hat. Es kommt 
hinzu, dass Krystalle ähnlich wie Pflanzen und Thiere bei 
Darbietung einer geeigneten Nährflüssigkeit (übersättigte 
Lösung der betr. Substanz) zu wachsen vermögen, ja dass 
sie sich sogar, wenn durch geeignete Umstände Zertheilung 
bewirkt wurde, vermehren können, insofern jedes Spaltungs¬ 
stück beim Fort wachsen sich wieder zum vollkommenen 
Krystall ergänzt Ebenso wie bei Pflanzen und Thieren zu¬ 
nächst die morphologischen Eigenschaften in Betracht kommen, 
so betrachtete man früher auch bei Krystallen die ebenflächig 
begrenzte äussere Gestalt als wichtigstes Merkmal und defi- 
nirte geradezu Krystalle als solche feste Körper, welche sich 
bei ungestörtem Wachsthum in ebenflächiger Umgrenzung 
ausgebildet haben. 

Diese Definition, welche sich auch heute noch in man¬ 
chen hervorragenden Lehrbüchern findet, musste später ab¬ 
geändert werden, nachdem man erkannt hatte, dass sehr 
häufig Gebilde mit krummflächiger und oft sehr bedeutend 
verzerrter Oberfläche entstehen, die wir nothwendig als Kry¬ 
stalle bezeichnen müssen, da durch geringfügige Aenderungen 


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der Wachsthumsbedingungen alle möglichen Uebergänge zu 
den regelmässig polyedrischen Formen erhalten werden 
können und darüber, ob die zum Theil noch nicht völlig 
aufgeklärten Ursachen, welche die Anormalien der Form be¬ 
dingen, als „Störungen“ zu bezeichnen seien, die Ansichten 
wesentlich divergirten. 

Zur Erläuterung demonstrirte der Vortragende mit Hilfe 
eines elektrischen Projektionsmikroskops* mit Heiz- und 
Kühlvorrichtungen das Wachsen der Krystalle von 1) naph- 
tionsaurem Natrium, 2) Salmiak, 3) Kalibichromat, 4) Ben¬ 
zoin. Die Krystalle erschienen in starker Vergrösserung auf 
einem weissen Schirm im verdunkelten Zimmer und konnten 
durch passende Regelung der Temperatur nach Belieben ge- 
nöthigt werden, rasch oder langsam zu wachsen oder sich 
wieder aufzulösen. Das erste Präparat erschien stets in sehr 
vollkommenen, isolirten, tafelförmigen Krystallen, das zweite 
stets in sehr vielfach verzweigten, tannenbaumartigen Ske¬ 
letten, das dritte in dünnen, windschief verbogenen Lamellen, 
welche sich bei der Verdickung geradezurichten suchten, da¬ 
bei aber Risse erhielten und sich zu Büscheln von Lamellen 
zerfaserten, bei Benzoin endlich trat die Zerfaserung schon 
gleich bei Beginn der Krystallbildung ein, so dass bald die 
Zerfaserung nach allen Richtungen gleichmässig stattfand 
und die Enden der dicht aneinanderliegenden radialen Fasern 
eine Kugelfläche bildeten, der Krystall sich also in einen so¬ 
genannten Sphärokrystall verwandelte. 

Die Anomalien der äusseren Form geben zunächst An¬ 
lass, die Definition eines Krystalls dahin abzuändern, dass 
das Hauptgewicht auf regelmässige innere Struktur gelegt 
wurde. Ein Krystall wäre hiernach, wie Sohncke angibt, ein 
homogener fester Körper, dessen geometrisches und physi¬ 
kalisches Gesammtverhalten nach den verschiedenen in ihm 
gezogenen Richtungen im Allgemeinen verschieden ist, oder 
kürzer: ein homogener, anisotroper, fester Körper. Auch 
diese Definition erscheint noch nicht völlig befriedigend, 
wenn wir beachten, dass alle möglichen Uebergänge vom 


* Beschrieben in 0. Lehmann, Molekularphysik. Leipzig, W. 
Eugelmanu, 1883, 1889. 


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völlig homogenen Krvstall bis zu dem äusserst unhomogenen 
gegen die Peripherie hin in feine Fasern aufgelösten Sphäro- 
krystall möglich sind. 

Berücksichtigt man, dass den Krystallen ein gewisses 
Mass von Elastizität zukommt, dass sie sich bis zu gewissem 
Grade ohne bleibende Aenderung biegen oder drillen lassen 
und dass während der Deformation die geforderte Homogenität 
der inneren Struktur nicht mehr vorhanden ist, so könnte 
man sich veranlasst fühlen, die Definition in der Weise zu 
ergänzen, dass Homogenität nur bei Abwesenheit eines äusseren 
Zwangs nöthig ist. Die selbständige Ausbildung gekrümmter 
und gedrehter Krystalle hätte man dann auf störende Kräfte 
zurückzuführen, welche während des Wachsthums einen Zwang 
ausüben können, wie z. B. die Wirkung der sogen. Ober¬ 
flächenspannung. 

Auch eine solche Abänderung der Definition würde in- 
dess keineswegs ausreichend sein, die Schwierigkeit zu be¬ 
seitigen. Es gibt eine grosse Anzahl von Körpern, welche 
durch stetige Uebergänge mit vollkommenen Krystallen in 
Beziehung stehen und doch trotz Abwesenheit jedes äusseren 
Zwanges nicht homogen sind — die bleibend deformirten 
Krystalle. Es ist bekannt, dass sich Blei, Zinn, Eisen u. s. w. 
trotz krystallinischer Struktur durch Ausschmieden in die 
mannigfaltigsten, ohne äusseren Zwang haltbaren Formen 
bringen lassen. Man hat bisher angenommen, dass in diesem 
Fall eine Zertrümmerung der das Metallstück zusammen¬ 
setzenden Krystalle in kleinere Bruchstücke und Wieder- 
verschweissen derselben in unregelmässiger Aneinanderlage¬ 
rung stattfinde. Schon der eine Umstand, dass in solchem 
Falle nothwendig Lücken im Innern entstehen müssten, falls 
man eine Deformationsfähigkeit der einzelnen Krystallsplitter 
läugnet, somit das geschmiedete Metall minder dicht sein 
müsste, als das ungeschmiedete, was nicht der Fall ist, weist 
darauf hin, dass, wenn eine solche Zertrümmerung eintritt, 
die Bruchstücke vor dem Verschweissen nothwendig sich so 
deformiren müssen, dass ihre Oberflächen sich gegenseitig 
dicht aneinander anschmiegen. Der Vortragende hat nun 
aber durch Ausschmieden, Walzen und Prägen durchsichtiger 
Krystalle und Weiterwachsenlassen derselben nach der De- 


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formation gezeigt, dass dies wirklich der Fall ist und durch 
weitere Untersuchung verschiedener von Herrn Professor 
Reinitzer in Prag hergestellter Präparate hat sich ergeben, 
dass Krystalle existiren, welche kaum etwa die Festigkeit 
von dünnem Kleister besitzen und unter dem geringsten 
Drucke wie einer Flüssigkeit zum Fliessen kommen. 

Der Vortragende demonstrirte diese Präparate mittelst 
des Projectionsmikroskops unter Anwendung von polari- 
sirtem Licht, so dass die Anisotropie deutlich erkannt wer¬ 
den konnte. 

Absolute Homogenität kann hiernach unmöglich eine 
wesentliche Eigenschaft eines Krystalls sein, denn derselbe 
kann nicht aufhören Krystall zu sein, wenn wir ihn aus ur¬ 
sprünglich vollkommenem Zustande nach und nach immer 
mehr deformiren, selbst dann nicht, wenn die Möglichkeit 
der Prüfung der Struktur völlig geschwunden und scheinbar 
eine amorphe Masse entstanden ist. Wie weit man auch 
die Deformation treiben mag, stets behält der Körper un- 
geändert seine Eigenschaft, in übersättigter Lösung weiter¬ 
zuwachsen, welche einem amorphen Körper unter keinen Um¬ 
ständen zukommt. 

Wir müssen also solche Inhomogenitäten als möglich 
zugeben, wie sie durch strömende Bewegung im Innern des 
Krystalls entstehen können, damit fällt aber fernerhin die 
Nothwendigkeit anzunehmen, dass ein Krystall immer fest 
sein muss, es bleiben als charakteristische Merkmale nur 
noch die chemische Homogenität und die Anisotropie. So¬ 
bald es gelingt, eine chemisch homogene Flüssigkeit nach¬ 
zuweisen, welche anisotrop ist und zwar im natürlichen, un¬ 
gezwungenem Zustande, so steht nichts im Wege, die Defi¬ 
nition des Krystallzustandes dahin zu erweitern, dass die 
Grösse der Elastizitätsgrenze ganz unwesentlich ist, dass sie 
sehr klein, ja sogar gleich Kuli sein kann, das heisst, dass 
ein Krystall sehr weich, ja sogar völlig flüssig sein kann. 
Die Entdeckung solcher Flüssigkeiten ist vor Kurzem Herrn 
Professor Dr. Gattermann in Heidelberg gelungen und 
der Vortragende führte diese Präparate gleichfalls mittelst 
des Projektionsmikroskops im polarisirtem Lichte der Ver¬ 
sammlung vor, wobei die starke Doppelbrechung derselben 


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durch die intensiven Polarisationsfarben selbst bei sehr dünner 
Schicht ohne weiteres erkannt werden konnte. 

Es handelte sich nun darum, nachzuweisen, dass diese 
Präparate nicht etwa sehr weiche feste Körper, sondern 
wirkliche Flüssigkeiten sind, und dass die beobachtete Aniso¬ 
tropie nicht etwa durch fremde Einlagerungen oder innere 
Spannungen bedingt ist, sondern der völlig reinen, ringsum 
freien Flüssigkeit zukommt. Dieser Nachweis wurde von 
dem Vortragenden in der Weise erbracht, dass er völlig 
homogene Kryställchen der betr. Präparate in einer spezifisch 
gleichschweren Flüssigkeit durch Erwärmen in den flüssig- 
krystallinischen Zustand überfübrte, wobei sie sich ähnlich 
wie Oeltropfen in gleichschwerem Wasser-Alkoholgemisch zu 
mathematisch genauen Kugeln abrundeten, was unmöglich 
wäre, wenn sich der Wirkung der Oberflächenspannung irgend 
welche elastische Kraft entgegenstellte. Dabei blieb die 
Stärke der Doppelbrechung ungeändert und zwar war die 
Lage der Schwingungsrichtungen an den verschiedenen Stellen 
der Kugel derart, dass man annehmen musste, die Moleküle 
ordneten sich zwischen zwei Punkten (Polen) auf der Ober¬ 
fläche in Ketten an, welche die kürzesten Verbindungslinien 
dieser Polen bilden, ähnlich wie elektrische oder magnetische 
Kraftlinien. Würde ein solcher Krystalltropfen gepresst, ge¬ 
zerrt oder in anderer Weise deformirt, so blieben die Pole 
erhalten und die Molekularketten schmiegten sich jeweils der 
betr. äusseren Gestalt an. Wurde ein Tropfen zertheilt, so 
bildete sich im Momente der Trennung an dem Trennungs¬ 
punkte für jede Hälfte ein neuer Pol aus. Flossen zwei 
Tropfen zu einem zusammen, so verschmolzen (oft erst nach 
einiger Zeit) je zwei Pole zu einem oder zwei Pole hoben 
sich gegenseitig auf, indem sie sich erst näherten und dann 
plötzlich verschwanden. 

Bezüglich der Sprödigkeit von Flüssigkeiten zeigte der 
Vortragende durch Versuch, dass es harzartige Körper (z. B. 
Marineleim) gibt, welche in einer Schachtel längere Zeit auf¬ 
bewahrt, völlig ebene Oberfläche annehmen wie Wasser in 
einer Schüssel, so dass man annehmen muss, dass sie schon 
durch die geringste Kraft zum Fliessen gebracht werden 
können, also flüssig seien, während sie dagegen durch 


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raschen Schlag mit einem kleinen Hammer in Splitter zer¬ 
trümmert werden wie Glas. Die nähere Untersuchung ergab, 
dass selbst geringe Aenderungen der Temperatur hierbei 
eine grosse Rolle spielen, dass mit steigender Temperatur 
die Elastizitätsgrenze sehr rasch abnimmt und sehr wahr¬ 
scheinlich in dem Momente, wo sie den Werth Null erreicht, 
d. h. beim wahren Verflüssigungspunkte gleichzeitig auch die 
Sprödigkeit verschwindet. 


393. Sitzung am 20. Juni 1890. 

Anwesend 38 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. ltath Dr. Grashof. 

Herr Professor Dr. Bunte sprach über den Heizwerth 
der Steinkohle. Redner betont zunächst die wirtschaft¬ 
liche Bedeutung der Kohlen und führt an, dass in Preussen, 
welches etwa ö / 10 der im deutschen Reich verbrauchten Kohlen 
fördere, im Jahre 1889 von 235,000 Bergleuten 61,0 Milli¬ 
onen Tonnen Steinkohlen und 14 Millionen Tonnen Braun¬ 
kohlen, also im Ganzen etwa l*/ 4 Milliarde Centner Kohlen 
gefördert worden seien. Man sollte meinen, dass für einen 
Rohstoff von so eminenter Bedeutung, der gewissermassen 
das wichtigste Nahrungsmittel für die Industrie darstelle, 
längst Methoden bekannt und in Gebrauch seien, nach welchen 
die wichtigste Eigenschaft, die Heizkraft, ermittelt und da¬ 
durch ein Massstab für die Bewerthung genommen werden 
könne, ähnlich wie dies bei anderen Rohstoffen von weit ge¬ 
ringerer Bedeutung der Fall sei. So würde z. B. die Zucker¬ 
rübe ausschliesslich nach ihrem Zuckergehalt gehandelt und 
bezahlt; bei künstlichen Düngemitteln diene allgemein deren 
Phosphorsäure oder Stickstoffgehalt etc. als Grundlage für 
den Handelswerth; gleichfalls sei dies der Fall bei Erzen, 
Soda, Chlorkalk und vielen anderen Natur- und Kunstpro¬ 
dukten. Dem gegenüber begnüge mau sich bei der Kohle 
meist mit einer ganz oberflächlichen Beurtheilung. Dieser 
merkwürdige Zustand habe zum Theil seinen Grund darin, 
dass bis in die neueste Zeit noch vielfach Unklarheiten und 
Meinungsverschiedenheiten über die Grundlagen zur Beurthei¬ 
lung der Heizkraft der Steinkohle vorhanden seien. Vor etwa 
30 Jahren haben nämlich Scheurer-Kestner und Meunier 


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in Mülhausen Versuche im Kleinen angestellt, welche zu der 
Meinung führten, als ob die chemische Zusammensetzung 
der Kohle mit der Heizkraft derselben in keinem Zusammen¬ 
hänge stände. Um über diese Frage Klarheit zu gewinnen 
und die Heizkraft unter Verhältnissen festzustellen, wie sie 
der grossen Praxis, z. B. der Dampfkesselheizung, entsprechen, 
wurde vor etwa 10 Jahren aus Mitteln der Königl. bayerischen 
Staatseisenbahnen, unter Mitwirkung anderer staatlicher und 
städtischer Behörden und Grossindustrieller in München eine 
Heiz Versuchsstation errichtet, in welcher die in Süd¬ 
deutschland gebräuchlichen lind die auf den Königlich preus- 
sischen Gruben in Schlesien und der Saar geforderten Kohlen 
untersucht wurden. Diese Versuche gaben ein von den 
Scheurer-Kestner’schen Werthen völlig abweichendes Ergebniss 
und zeigten, dass die Heizkraft der Brennstoffe, insbeson¬ 
dere der Steinkohle, mit grosser Annäherung aus der chemi¬ 
schen Zusammensetzung ermittelt werden kann. Spätere 
Versuche, welche von Schwachhöfer in Wien, von Stoh- 
mann in Leipzig und Alexejew in St. Petersburg mit 
kleinen Kalorimetern angestellt wurden, bestätigten theils 
die Ergebnisse der Münchener Versuche, theils machten sich 
abweichende Meinungen geltend, wie z. B. die von F. Fischer 
in Hannover. Um die wichtige Frage nach dem Heizwerth 
der Kohle zur endgiltigen Entscheidung zu bringen, hat 
Redner eine Reihe von deutschen und ausländischen Kohlen 
mit den von den Gegnern verwendeten Apparaten kalori¬ 
metrisch untersucht und dabei die von ihm früher gefundenen 
Ergebnisse der Heizversuchsstation München vollkommen be¬ 
stätigt gefunden. Die zu den Versuchen verwendeten Appa¬ 
rate wurden der Versammlung theils in natura vorgeführt, 
theils durch Zeichnung erläutert; ebenso die Ergebnisse der 
Versuche durch graphische Darstellungen veranschaulicht. 
Hiernach zeigen sowohl die Versuche im grossen Massstab, 
als die kalorimetrischen Versuche im kleinen übereinstimmend, 
dass die Heizkraft der Kohlen mit einer für die Praxis voll¬ 
kommen ausreichenden Genauigkeit aus der chemischen Zu¬ 
sammensetzung mit Hilfe der sogenannten Dulong’schen 
Formel ermittelt werden kann. Redner gibt zum Schluss 
der Hoffnung Ausdruck, dass nunmehr, nachdem eine Me- 


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thode zur Feststellung des Heizwerthes wissenschaftlich be¬ 
gründet sei, dieselbe für die Beurtheilung der Kohlen in der 
Praxis benutzt und zur Grundlage der Verwerthung in 
Handel und Verkehr Anwendung finden möge. 


394. Sitzung am 4. Juli 1890. 

Anwesend 29 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Herr Geheimer Hofrath Dr. Engler sprach über die 
neueste Entwickelung der Strukturtheorie (Stereo¬ 
chemie). An der Hand von Beispielen, namentlich aus dem 
Gebiete der organischen Chemie, entwickelte er die derzeitigen 
Ansichten über die Art und Weise, wie die chemischen Atome 
innerhalb der mechanisch kleinsten Theilchen der Materie, 
der Moleküle, aneinander gebunden sind und leitete die ver¬ 
schiedenen Eigenschaften der Stoffe von der Bindungsweise 
der Atome ab, dabei hervorhebend, dass man Dank den 
Untersuchungen van t’Hoff’s, Le Bil’s, Wislicenus’, 
Viktor Meyer’s u. A. neuerdings den äusserst wichtigen 
wissenschaftlichen Fortschritt zu verzeichnen habe, endlich 
auch die Frage nach der räumlichen Anordnung der Atome 
innerhalb der Moleküle näher treten zu können. 

Herr Geheimer Hofrath Dr. Wiener behandelte die Frage 
nach der Wirklichkeit der Aussenwelt. Wenn auch 
jeder Unbefangene an der Wirklichkeit und an der Erkenn¬ 
barkeit der Aussenwelt nicht zweifelt, so wurde doch von 
manchen Philosophen, insbesondere von Berkeley, ihre 
Wirklichkeit, und von anderen, insbesondere von Kant, 
ihre Erkennbarkeit (sein „Ding an sich“) geleugnet, und 
Viele halten auch jetzt den Beweis für ihre Wirklichkeit für 
unerbringbar. Der Vortragende ist entgegengesetzter Meinung 
und will versuchen, diesen Beweis zu liefern. Es kann der¬ 
selbe im Folgenden, der nothwendigen Kürze halber, nur 
andeutungsweise wiedergegeben werden. 

Die Voraussetzung zu dem Beweise bildet das Gesetz 
der Kausalität oder Ursächlichkeit, das oft so aus¬ 
gesprochen wird: „gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen“. 
Um aber die unerklärten Worte „Ursache“ und „Wirkung“ 
nicht zu gebrauchen, sagt man besser: „Wenn in zwei Fällen 


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alle Umstände die gleichen sind, so sind auch die Vorgänge 
die gleichen.“ Dabei sind die Umstände alles Bestehende, 
ausser dem, an welchem der Vorgang stattfindet. Da aber 
zwei Fälle sich durch Ort oder Zeit oder beides unter¬ 
scheiden müssen, können nie alle Umstände dieselben sein. 
Wir beschränken daher die Umstände auf die wesentlichen, 
d. h. diejenigen, durch deren Aenderung in zwei Fällen auch 
der Vorgang geändert wurde. Dieselben heissen auch die 
Ursachen. Wer den Satz der Ursächlichkeit nicht an¬ 
erkennt, ist verloren; denn er kann keine Erfahrung machen 
und wird über den Rand des Abgrundes schreiten. Er kann 
zu keiner Erkenntniss gelangen und keine Wissenschaft 
treiben, denn diese sucht die Abhängigkeit der Vorgänge 
von den Umständen zu erforschen, setzt also eine solche 
unveränderliche Abhängigkeit voraus. Die Wissenschaft 
unterscheidet dann unter den Ursachen die treibenden, da¬ 
runter die Kräfte, und die Bedingungen, darunter den An¬ 
lass oder die Auslösung. 

Um diesen Satz auf unseren Beweis anzuwenden, unter¬ 
scheiden wir im Ich die Sinneseindrücke und die inne¬ 
ren Gedanken. Die ersteren sind lebhaft, bestimmt, un¬ 
abhängig von unserer Willkür, oft unerwartet oder gegen 
unsere Erwartung, die letzteren sind schwächer, schwankend, 
veränderbar nach unserer Willkür und folgen dem vorher¬ 
gehenden Gedanken nach dem Gesetze der theilweisen Gleich¬ 
heit oder der Assoziation. Sie sind geschöpft aus dem vor¬ 
handenen Gedankenvorrathe, dessen kleinste Bestandtbeile 
von Sinneseindrücken herrühren. Dieser Gesammtvorrath 
von Gedanken bildet aber das Ich. Und da man findet, 
dass nur die inneren Gedanken, nicht aber die Sinnesein¬ 
drücke vom Ich abhängen, so muss man annehmen, entweder 
dass die Sinneseindrücke ohne Ursache hervorspringen, dass 
also für sie das Gesetz der Ursächlichkeit nicht gilt, oder 
dass für sie noch wesentliche Umstände ausser dem Ich vor¬ 
handen sind; und diese würden die Aussenwelt bilden. 

Diese Annahme führt aber zur Bestätigung des Gesetzes 
der Ursächlichkeit auch für die Sinneseindrücke. Wir er¬ 
kennen dies zunächst vermittelst des Beweises durch die 
Wirkung der verdeckten Aussenwelt. Es werde dies 


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durch ein Beispiel veranschaulicht. Man habe die gleichen 
Sinneseindrücke von Kugeln, die an einer Wand auf Brett¬ 
chen liegen, dann den Sinneseindruck des Niedersinkens der 
Brettchen und des Herabfallens der Kugeln mit Ausnahme 
einer einzigen, die an der Stelle bleibt. Der Sinneseindruck 
der Stellungsveränderung des Auges liefert den Sinnesein¬ 
druck einer aus der Wand in die Kugel gehenden Stange, 
die an der Stelle der andern Kugeln fehlt. Es zeigt sich 
also, dass ausserhalb des Ichs ein besonderer Umstand für 
die eine Kugel stattfand, der den Vorgang änderte, ohne 
dass im Ich irgend ein Unterschied der Sinneseindrücke be¬ 
standen hätte. Und dies findet sich in allen derartigen 
Fällen bestätigt. 

Andererseits vermögen wir das vom Ich ganz unab¬ 
hängige, scheinbar ganz regellose Hervorspringen von Sinnes¬ 
eindrücken durch die Annahme einer Aussenwelt dem Ge¬ 
setze der Ursächlichkeit zu unterwerfen durch das Gesetz 
des Weltlaufes. Wenn wir in aufeinanderfolgenden Tagen 
die Sonne gegen unsere Erwartung zu verschiedenen Zeiten 
aufgehen sehen, und die Beobachtung ein ganzes Jahr lang 
fortsetzen, so finden wir ein Gesetz für den Sonnenaufgang, 
das sich in den folgenden Jahren bestätigt. So kommen 
wir mit fortschreitender Forschung mehr und mehr dazu, 
bei Annahme der Aussenwelt die Gesetze ihres Laufes zu 
bestimmen, die unabhängig vom Ich erfolgen, aber durchaus 
dem Gesetze der Ursächlichkeit entsprechen, und vermögen 
daraus die durch sie bedingten Sinneseindrücke zum Voraus 
zu bestimmen. 

Wir kommen dabei zu dem Ergebniss, dass die Aussen¬ 
welt aus einzelnen wesenhaften Dingen besteht, d. h. Dingen 
mit ihnen allein zukommenden Sitzen, welche die Ursachen 
von Sinneseindrücken im Ich und den Vorgängen an andern 
Aussendingen sind, wobei diese Vorgänge sich selbst wieder 
durch Sinneseindrücke im Ich bemerkbar machen. Als Eigen¬ 
schaften dieser Dinge finden wir Wirkungsfähigkeiten, die 
wir erforschen können, weitere sind uns undenkbar und von 
Niemand ist noch eine weitere solche nur denkbare Eigen¬ 
schaft bezeichnet worden, so dass auch „das Ding an sich“ 
als willkürliche Annahme erscheint. 


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So sehen wir, dass die Wirklichkeit der Aussenwelt mit 
dem Gesetze der Ursächlichkeit untrennbar verbunden ist, 
dass aber das letztere von Jedem, der durch Sprechen einen 
Eindruck auf uns hervorbringen will, schon hierdurch an¬ 
erkannt wird. 


395. Sitzung am 10. Oktober 1890. 

Anwesend 48 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 
Neu aDgemeldetes Mitglied: Herr Dr. K. Doll, Arzt. 

Auf Ansuchen der Anthropologischen Kommission des 
Alterthumsvereins wird zur Fortsetzung der Untersuchungen 
des Herrn Ammon ein weiterer Zuschuss von 200 M. bewilligt. 

Herr Caroli aus Berlin führt ein Exemplar des Edi- 
son’schen Phonographen vor und zeigt durch eine Beihe 
von Versuchen dessen Eigenschaften und Leistungsfähigkeit. 


396. Sitzung am 24. Oktober 1890. 

Anwesend 16 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Herr 0. Ammon hielt einen Vortrag über die Ergeb¬ 
nisse der Kopfmessungen an den Zöglingen mehrerer 
badischen Mittelschulen und über das Walten der 
natürlichen Selektion beim Menschen. 

Die anthropologische Untersuchung der Wehrpflichtigen 
in Baden erweist sich mehr und mehr als ein für die Wissen¬ 
schaft fruchtbares Unternehmen. Wie es häufig zu geschehen 
pflegt, bringen die Untersuchungen neben der Erfüllung ihres 
eigentlichen Zweckes Aufschlüsse, die man gar nicht gesucht 
hat, und indem sie eine Frage lösen, werfen sie eine neue 
auf, so dass die Anregung zur Ausdehnung der Forschungen 
auf verwandte Gebiete keinen Stillstand aufkommen lässt. 

Eine der überraschendsten Beziehungen hat sich bei den 
Kopfmessungen herausgestellt, welche im Zusammenhänge 
mit der Hauptarbeit an den Zöglingen der Gymnasien und 
Realgymnasien der Städte Karlsruhe und Mannheim vor¬ 
genommen wurden. Diese Messungen sollten die Lücke aus¬ 
füllen, welche dadurch entstand, dass bei den gelegentlich 
des Ersatzgeschäftes gemessenen Wehrpflichtigen alle mit 

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der Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligendienst versehenen, 
also mit anderen Worten alle höher gebildeten, fehlen. Die 
Zusammenstellung der Ergebnisse hat aber in einer die Er¬ 
wartungen weit übertreffenden Weise das geheimnissvolle 
Walten der „natürlichen Selektion“ beim Menschen aufgedeckt 
und merkwürdige Fingerzeige geliefert. 

Schon längst wusste man, dass es Langköpfe und Rund¬ 
köpfe, dass es begabte und unbegabte Individuen gibt; aber 
eine Beziehung zwischen Kopfindex und Begabung hat man 
als ausgeschlossen erachtet. „Es gibt keine Bauernschädel,“ 
sagt v. Holder in einer Zusammenstellung der in Württem¬ 
berg vorkommenden Schädelformen, „obgleich diese Bevöl¬ 
kerungsklasse durch lange Reihen von Generationen ihre Be¬ 
schäftigung nicht wechselt. Gerade die bäuerliche Bevöl¬ 
kerung Württembergs zeigt die reichste Abwechselung in 
ihren Schädelformen, von der extremsten Brachykephalie bis 
zu der der Reihengräberform ähnlichen Dolichokephalie. 
Aber es gibt auch keine Handwerker-, Beamten-, Schrift¬ 
gelehrten- oder Faullenzerschädel, obgleich die Thatsache 
feststeht, dass in vielen Familien die eine oder andere dieser 
Beschäftigungsweisen seit vielen Generationen auf einzelne 
Familienglieder vererbt wird.“ 

Man wird nicht irren in der Annahme, dass diese An¬ 
schauung bis vor Kurzem von den meisten Forschern ge- 
theilt wurde. Im Weiteren vertritt v. Holder die strenge 
Erblichkeit der Kopfformen, und hierin wird man ihm ganz 
allgemein auch heute noch beipflichten. Weder Beschäftigung^ 
noch Lebensweise, weder Klima, noch Höhenlage, gesteht 
v. Holder, gewiss mit Recht, nur den leisesten Einfluss zu. 
Nicht durch äussere Einwirkungen, nur durch Rassenkreuzung 
und darauffolgende Selektion können neue Formen entstehen 
und vorherrschend werden. 

Mittlerweile hat sich aber ein Umschwung der Ansichten 
in Bezug auf die Erblichkeit der geistigen Befähigung an¬ 
gebahnt. Es erschienen, bezw. wurden in ihrer Bedeutung 
mehr und mehr gewürdigt die mit fast beispiellosem Sam- 
melfleisse begründeten Werke von Francis Galton „Here- 
ditary Genius“, „English Men of Science“, „Inquiries into 
human Faculties“ und von de Candolle „Histoire des 


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Sciences et des savants depuis deux si£cles“, welche die Erb¬ 
lichkeit der geistigen Anlagen durch eine Fülle unwiderleg¬ 
licher Beweise darthun; merkwürdigerweise hat man die Erb¬ 
lichkeit bei dem Hange zum Verbrechen viel früher und viel 
allgemeiner angenommen, als bei den guten Eigenschaften. 

Der naheliegende Gedanke, die beiden Vererbungsthat- 
sachen mit einander zu verbinden und bestimmte Fähigkeiten 
an bestimmte Kopfformen zu knüpfen, ist wohl von keinem 
Gelehrten mit grösserer Thatkraft verfolgt worden, als von 
de Lapouge. Ihm zufolge entspringt jede höhere Befähi¬ 
gung den blonden Langköpfen, welche Arier genannt werden 
und von denen die Germanen ein Zweig sind. Auf die An¬ 
wesenheit von arischem Blut ist die höhere Gesittung und 
Thatkraft aller Völker zurückzuführen, welche in der Ge¬ 
schichte eine Rolle gespielt haben und noch spielen. Die 
Arier sind die Pioniere der Menschheit, die Bahnbrecher des 
Fortschritts, während die Rundköpfe und die ihnen nahe¬ 
stehenden Kreuzungsprodukte die Träger des Stillstandes 
sind. Die kühnen Theorien des geistvollen französischen Ge¬ 
lehrten sind von solcher Tragweite, dass man sich trotz der 
tiefdurchdachten Begründung nicht sofort zu deren Annahme 
entschliessen kann; gewiss wird man aber jede Gelegenheit gern 
ergreifen, dieselben einer näheren Prüfung zu unterziehen. 

Als ein geeigneter Probirstein erweisen sich die badi¬ 
schen Untersuchungen der Wehrpflichtigen. Frühere Ergeb¬ 
nisse zeigten, dass es allerdings Bauernschädel und Städter¬ 
schädel gibt. So waren bei den Wehrpflichtigen in der Stadt 
Karlsruhe 30,0 Proz. Langköpfe, im Landbezirk nur 11,5 
Proz.; in Mannheim Stadt 33,8 Proz., Land nur 23,9 Proz. 
Umgekehrt waren die Rundköpfe auf dem flachen Lande 
zahlreicher. Sie betrugen in Karlsruhe Stadt 18,5 Proz., 
Land 35,9 Proz., Mannheim Stadt 12,4 Proz., Land 24,6 
Proz.* Vergleicht man die absoluten Masse, so findet man 


* Unter Langköpfen sind alle mit einem kleineren Index als 80 
verstanden, unter Randköpfen alle mit Index 85 und mehr. Die früher 
veröffentlichten Ziffern von Karlsruhe und Mannheim haben behufs Er* 
langung der Vergleichsfähigkeit mit den sp&ter folgenden eine kleine 
Korrektur erfahren müssen, veil zwei verschiedene Beobachter nicht 
ganz die gleiche Messungsmethode angewandt hatten. 

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dem Vorstehenden entsprechend die Stadtköpfe länger als 
die Landköpfe, aber letztere breiter als erstere. Dieses Er¬ 
gebnis, welches in einigen anderen Städten sich in ähnlicher 
Weise wiederholte, gibt zu denken. Wenn wir von der fest¬ 
stehenden Thatsache ausgehen, dass das städtische Leben 
unmöglich eine Umformung der Köpfe bewirken kann, so 
werden wir zu dem Schlüsse gedrängt, dass zu der fort¬ 
dauernden Einwanderung nach den Städten die langköpfigen 
Bestandtheile der Bevölkerung einen grösseren Antheil stellen, 
als die rundköpfigen. Hinter diesem Schlüsse erhebt sich 
aber gleich der weitere, dass den Langköpfen in höherem 
Grade als den Rundköpfen diejenigen Eigenschaften inne¬ 
wohnen müssen, welche zu einem regsameren Leben, wie es 
die Stadt bietet, hindrängen und befähigen. Wir sträuben 
uns nur gegen die Annahme, dass ein so äusserliches Merk¬ 
mal, wie der Kopfindex, für das ganze geistige Wesen des 
Menschen bestimmend sein soll. In früheren Veröffent¬ 
lichungen habe ich deswegen das Problem nur angedeutet, 
ohne eine eigene Meinung zu äussern. Seitdem sind aber 
unsere Arbeiten zu grösserer Bestimmtheit fortgeschritten. 

Wie schon erwähnt, ist von der Anthropologischen Kom¬ 
mission des Karlsruher Alterthumsvereins auf meinen An¬ 
trag beschlossen worden, als Ersatz für die nicht vorhan¬ 
denen Einjahrig-Freiwilligen die Köpfe der Zöglinge von vier 
Mittelschulen, den beiden Gymnasien und Realgymnasien in 
Karlsruhe und Mannheim zu messen, und nachdem das 
Grossh. Ministerium die Genehmigung ertheilt hatte, wurde 
ich mit der Ausführung beauftragt. 

Es wurden nur die vier oberen Klassen in Betracht ge¬ 
zögert, weil man von der Annahme ausging, dass in den 
unteren Klassen das Wachsthum in zu fühlbarer Weise im 
Rückstände sei, während man von den vier obersten ver¬ 
gleichsfähige Ziffern erwarten durfte; ich füge gleich das 
Ergebniss an, dass die Schülerköpfe in den absoluten Massen 
doch um einige Millimeter kleiner waren, als die der Wehr¬ 
pflichtigen, was jedoch auf den Index wenig Einfluss hat. 
Im Ganzen wurden 581 Schüler, darunter 359 Badener, der 
Messung unterzogen; das Zahlenmaterial gewinnt dadurch 
an Werth, dass es bei sämmtlichen Schülern von der gleichen 


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Hand und auf die nämliche Weise erhoben ist. Von jedem 
Schüler wurde auch die Augen- und Haarfarbe notirt. 

Jedermann der sich mit Statistik beschäftigt hat, weiss, 
wie schwierig es ist, den trockenen Zahlen das in ihnen 
verborgene Geheimniss abzuringen. Diese Schwierigkeit habe 
ich im vorliegendem Falle stark empfinden müssen, und erst 
nach mehreren verunglückten Versuchen ist es mir gelungen, 
die Zahlen zum Reden zu bringen, was sie dann allerdings 
dafür um so deutlicher thaten. 

Mancher wird mit mir erwarten, es werde nun bei den 
Schülern ein höherer Grad von Langköpfigkeit herauskommen, 
als bei den Wehrpflichtigen, welche die nöthige Bildung zum 
einjährigen Dienst nicht erlangt haben. Zu dieser Ver¬ 
gleichung konnten nur die in Karlsruhe, bezw. Mannheim 
geborenen Schüler herangezogen werden, deren Väter eben¬ 
falls in der nämlichen Stadt geboren sind, weil wir bei der 
Klassifikation der Wehrpflichtigen die gleiche Voraussetzung 
gemacht hatten. Da findet man nun das folgende merk¬ 
würdige Ergebniss. Langköpfe: Karlsruhe Mittelschüler 30,2 
Proz., Wehrpflichtige 30,0 Proz.; Mannheim Schüler 33,3 
Proz., Wehrpflichtige 33,8 Proz. Rundköpfe: Karlsruhe 
Schüler 22,6 Proz., Wehrpflichtige 18,5 Proz.; Mannheim 
Schüler 12,8 Proz., Wehrpflichtige 12,4 Proz. Die Ueber- 
einstimmung ist geradezu eine auffallende zu nennen. Also 
kein Unterschied zwischen Gebildeten und weniger Gebildeten! 
Auch der Versuch, einen solchen zwischen humanistischen 
und Realgymnasien aufzusuchen, hatte kein Ergebniss. 

Der springende Punkt stellte sich erst heraus, als dem 
Studium derjenigen Schüler nahegetreten wurde, die nicht, 
bezw. deren Eltern nicht in Karlsruhe oder Mannheim ge¬ 
boren sind. Es gibt eine zahlreiche Kategorie von Schülern, 
die in der betreffenden Stadt das Licht der Welt erblickt 
haben, jedoch auswärts geborene Väter besitzen. Bei einer 
weiteren Kategorie sind sowohl die Schüler selbst, als die 
Väter auswärts geboren. Ich vernachlässige hier die geringe 
Zahl Derer, welche aus anderen grösseren Städten des Gross¬ 
herzogthums stammen, als die beiden in Rede stehenden, 
und unterscheide demgemäss drei Kategorien: 1) Eigentliche 
Stadtschüler, sie sowohl als ihre Eltern in der betreffenden 


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Stadt geboren, somit das schon länger ansässige Element 
darstellend. 2) Halbstadtschüler, sie selbst in der Stadt ge¬ 
boren, die Väter jedoch vom flachen Lande stammend: Ver¬ 
treter der in der Einwanderung begriffenen Elemente. 
3) Eigentliche Landschüler, sie selbst und ihre Väter vom 
flachen Lande stammend, welche ein entfernteres Stadium der 
Einwanderung vertreten, aber früher oder später ihren Sitz 
in der Stadt nehmen werden. Jetzt ergeben sich sprechende 
Ziffern. Ich nehme Karlsruhe und Mannheim zusammen, 
um eine bessere Uebersicht und den Vortheil grösserer Zahlen 
zu erlangen. 

Langköpfe: 1) Eigentliche Stadtschüler 31,5 Proz., 
2) Halbstadtschüler 23,1 Proz., 3) eigentliche Landschüler 
17,1 Proz. In dem gleichen Schritt, als die Schüler der 
eigentlichen Ansässigkeit ferner stehen, vermindert sich der 
Grad der Langköpfigkeit. 

Rundköpfe: 1) Eigentliche Stadtschüler 18,5 Proz., 

2) Halbstadtschüler 32,1 Proz., 3) eigentliche Landschüler 

26.6 Proz. Die Zunahme ist hier nicht ganz so gesetzmässig, 
ohne übrigens die erheblich grössere Langköpfigkeit des 
schon länger ansässigen städtischen Elementes in Frage zu 
stellen. Aber auch die Langköpfigkeit der Landschüler steht 
noch weit über dem Mittel des Landes. 

Der ganze Durchschnitt der bis jetzt aufgenommenen 
Bezirke des Grossherzogthums, ungefähr die Hälfte umfassend, 
beträgt 15,9 Proz. Langköpfe und 32,8 Proz. Rundköpfe; 
der Schwarzwaldbezirk Wolfach hat von den ersteren nur 

1.6 Proz., von den letzteren 64,3 Proz. Bekanntlich ist der 
Schwarzwald der Ausstrahlungsmittelpunkt der Rundköpfe. 

Blaue Augen waren vorhanden: 1) Eigentliche Stadt¬ 
schüler 38,0 Proz., 2) Halbstadtschüler 36,6 Proz., 3) eigent¬ 
liche Landschüler 28,6 Proz. Braune Augen: 1) Eigentliche 
Stadtschüler 15,2 Proz., 2) Halbstadtschüler 17,2 Proz., 3) 
eigentliche Landschüler 23,4 Proz. Die Zwischenstufen zwi¬ 
schen blau und braun können hier weggelassen werden. 

Blonde Haare: 1) Eigentliche Stadtschüler 45,6 Proz., 
2) Halbstadtschüler 58,1 Proz., 3) eigentliche Landschüler 
56,3 Proz. Braune und schwarze Haare: 1) Eigentliche 


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Stadtschüler 45,5 und 10,9 Proz., 2) Halbstadtschüler 35,6 
und 4,3 Proz., 3) eigentliche Landschüler 37,2 und 5,7 Proz. 
Rothe Haare kamen nur wenig vor und bieten nichts Cha* 
rakteristisches. 

Die eigentlichen Stadtschüler bilden einen Gipfel der 
Blauäugigkeit, stehen aber an Blondheit hinter den beiden 
anderen Kategorien merklich zurück; ob dies ausschliesslich 
der Anwendung von Salben und Pommaden zuzuschreiben 
ist, wage ich nicht zu entscheiden. Richtiger würde es jeden¬ 
falls sein, von typischen „blauäugigen Langköpfen“, statt 
von „blonden“ Langköpfen zu sprechen. 

Wir sehen nun ganz deutlich, in welcher Weise sich die 
gebildete Bevölkerung der Städte aus dem Lande ergänzt. 
Die Städte, bezw. die Mittelschulen ziehen in grösserem 
Masse die blauäugigen Langköpfe an, als die braunäugigen 
Rundköpfe, und diese scheinen in ihnen weniger gut zu ge¬ 
deihen. Denn während der Zugang zu den Mittelschulen 
genau dem Verhältniss der Stärke der Indexklassen bei der 
schon länger ortsansässigen Bevölkerung entspricht, so sehen 
wir doch, dass diese letztere langköpfiger ist, als der frische 
Zuzug vom Lande. Es muss eine Art Selektion stattfinden, 
welche die Rundköpfe in der Stadt rascher vermindert, als 
die Langköpfe. Zuletzt werden aber auch diese in den 
Städten aufgerieben, die sich ja nur durch die Einwanderung 
vom Lande erhalten. 

Auf dem Lande müssen die Langköpfe immer seltener 
werden, daher auch der Zuzug nach den Städten an Lang- 
köpfigkeit abnimmt. Wir haben hier einen wichtigen Finger¬ 
zeig auf die Ursachen, welche so verheerend auf die Lang¬ 
köpfe eingewirkt haben, ln den Reihengräbem finden wir 
noch 69,1 Proz. Langköpfe und 9,3 Proz. Rundköpfe; jetzt 
ist das Verhältniss in Baden 15,9 Proz. und 32,1 Proz. 
Nicht bloss die Rassenmischungen mit Rundköpfen, nicht 
bloss die Kreuzzüge und die Fehden des Mittelalters haben 
dazu beigetragen, das germanische Element zu vermindern, 
auch die städtische Kultur ist ein Mühlstein, der die Lang¬ 
köpfe zermalmt. Gewiss mancher Leser hat schon Einzel¬ 
thatsachen beobachtet, aus denen hervorgeht, wie energisch 
die natürliche Selektion in den Städten wirkt, wie die Ein- 


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zelnen im Existenzkampf untersinken, wie ganze Familien 
sich auflösen, wie selbst von den Glücklichen, die sich empor¬ 
gearbeitet haben, häufig in der zweiten oder dritten Gene¬ 
ration nichts mehr vorhanden ist, und wie die Lücken immer¬ 
fort durch neue nachdrängende Einwanderer ausgefüllt wer¬ 
den. Aber solche Beobachtungen lassen sich schwer in Ziffern 
und Beweise umprägen. Auch die Statistik vermochte bis 
jetzt nicht die Thatsachen zu fassen. 

Die auf- und absteigende Leiter unserer Prozentzahlen ist 
deswegen so hoch interessant, weil sie uns einen ziflfernmässigen 
Beweis von der Wirksamkeit der so oft gesuchten und von 
Manchen fälschlich geläugneten, natürlichen Selektion beim 
Menschen darbieten. Professor de Lapouge, mit dem ich 
über den Gegenstand korrespondirte, legte die Zahlen ebenso 
aus wie ich und kleidete seine Verwunderung über die merk¬ 
würdigen Ergebnisse in die Worte: „la selection sociale est 
prise sur le fait“, das heisst, die Selektion bei der Arbeit 
fassen. 

Bei dieser Gelegenheit hatte Professor de Lapouge die 
Gefälligkeit, mir die Maasse einer Anzahl von Schädeln aus 
Montpellier zur Benutzung mitzutheilen. Die Schädel gehörten 
theils Patriziern des 17. und 18. Jahrhunderts an, welche 
eine Rolle in der Geschichte der genannten Stadt gespielt 
haben, theils Plebejern, von denen man nichts Näheres weiss. 
Die ersteren, 18 au der Zahl, reichen von Index 63 bis 78; 
sie hören gerade da auf, wo die 117 anderen ihr Maximum 
erreichen, welche daun bis Index 96 fortgehen. Der durch¬ 
schnittliche Index der Patrizierschädel ist 74,7, der der Ple¬ 
bejerschädel 78,3. Dieses Ergebniss sagt das Gleiche, was 
unsere Schülerköpfe uns gelehrt haben, und ich brauche 
kaum hinzuzufügen, dass in Montpellier solche Langköpfe, 
wie die der erwähnten Patrizier, jetzt sehr selten gewor¬ 
den sind. 

Die Lebensbedingungen in Mitteleuropa haben sich un¬ 
günstig für die Arier gestaltet. Die reinen Arier sind in 
einem Selbstvernichtungsprozess begriffen; indem sie sich im 
Interesse der höheren Geisteskultur, deren Sitze die Städte 
sind, durch Ueberanstrengung und durch die mit der Kultur 
verbundenen Schädlichkeiten körperlich aufreiben. Sie sind 


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gewissermassen die Märtyrer der Kultur, aber alle Wohl- 
thäter der Menschheit sind von jeher, seitdem die Welt 
steht, Märtyrer gewesen. 

. Die Frage, ob nach dem Aussterben des rein arischen 
Elementes die von den andern nur angelernte Kultur noch 
Bestand haben kann, scheint Professor de Lapouge nach 
seinen Aufsätzen pessimistisch zu beurtheilen. Ich möchte 
die Frage jetzt nicht näher erörtern, aber doch sei mir 
die Andeutung gestattet, dass die den reinen Ariern nahe¬ 
stehenden Mischtypen in mancher Hinsicht den reinen Ariern, 
die ja von jeher neben glänzenden Lichtseiten auch ihre 
Schattenseiten besassen, überlegen sein können, schon ver¬ 
möge der Vortheile, welche die Kreuzung nicht zu verschie¬ 
dener Individuen im Allgemeinen gewährt, und insbesondere 
im Hinblick auf die Ideen, welche Geh. Rath Weismann über 
die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung entwickelt hat. 
Wenn die grösstmögliche Aehnlichkeit der Eltern den er¬ 
heblichsten Vortheil für die Nachkommenschaft gewähren 
würde, dann könnte man das fast ausschliessliche Herrschend¬ 
werden der sexuellen Fortpflanzung nicht begreifen; die Par- 
thenogenesis, bei der jeder Sprössling das getreue Abbild 
seiner eigenen Eltern ist, würde alsdann weit überlegen und 
das Zusammenwirken zweier Individuen zur Erzeugung eines 
dritten, welches dadurch auf neue Art kombinirte Eigen¬ 
schaften erlangt, rein überflüssig gewesen sein. 

Vielleicht haben die dunkleren Haare der blauäugigen 
und langköpfigen Stadtschüler in dieser Hinsicht doch etwas 
zu bedeuten; ein Körnchen fremden Pigmentes und ein Tropfen 
fremden Geistes — das war möglicherweise gerade das Wenige, 
was den reinen Ariern gefehlt hat! 

Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener machte eine Bemerkung 
über die Falb’schen Wetterprophezeihungen. Der 
14. September war wegen Neumondes als kritischer Tag an¬ 
gekündigt worden, und der 28. September wegen Vollmond 
und Erdnähe als solcher ersten Ranges. In Wirklichkeit 
war in Karlsruhe das Wetter vor dem 14. September schön, 
blieb es bis zum 17., von wo an bis zum 25. schwache Be¬ 
wölkung und etwas Regen mit Sonnenschein wechselten, 
wurde dann wieder vorherrschend schön, manchmal mit 


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Morgennebel, bis am 1. Oktober Abends ein heftiges Gewitter 
eintrat; hierauf folgte wieder sehr schönes Wetter. So könnte 
als ganze Wirkung des kritischen Tages für uns nur das 
drei Tage nachher eingetretene Gewitter bezeichnet werden. 
DieZeitungen melden aber, Professor Falb habe furchtbare 
Ueberschwemmungen bis zum 28. September wieder voraus¬ 
gesagt. Und schon vor diesem Tage verkünden sie, dass 
schon eine Reihe von Hiobsposten eintreffen. Von allen 
diesen früheren Vorgängen trägt nur einer das Datum, der 
Wirbelsturm von Marseille vom 21. September; es ist dies 
gerade mitten zwischen Neu- und Vollmond, zur Zeit eines 
Viertels, wo doch die Wirkung des Mondes am schwächsten 
ist. Jene Meldungen freilich verbreiten den Schein, als wenn 
es verstärkte Bestätigung der Prophezeihung wäre, wenn die 
Ereignisse sogar schon vor der angesagten Zeit eintreten. 
Durch lebhafte Schilderung der verlorenen Menschenleben 
wird der Eindruck auf den Leser verstärkt. Solchen Vor- 
hersagereien sollten die Zeitungsredaktionen, die mehr der 
Wahrheit als der Reklame, mehr der Allgemeinheit als 
dem Einzelnen dienen wollen, einen Hemmschuh anlegen, 
indem sie eine Vorhersagung nur aufnehmen, wenn der Ein¬ 
reichende sich verpflichtet, dieselbe seiner Zeit genau mit 
dem wirklich eingetretenen Ereignisse zu vergleichen, und 
damit dem Lesenden Gelegenheit zur Werthprüfung bietet; 
und wenn sie dann Jeden, der sich nachher seiner über¬ 
nommenen Verpflichtung entzieht, zu keiner derartigen Ver¬ 
öffentlichung mehr zulassen. 


397. Sitzung am 7. November 1890. 

Anwesend 43 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Rath Dr. Grashof. 

Herr Professor Dr. 0. Lehmann hielt im physikalischen 
Hörsaale der technischen Hochschule einen Vortrag über 
molekulare Umlagerungen bei festen Körpern, mit 
Experimenten. 

Das Bedürfniss, die Naturerscheinungen zu begreifen, 
führt zu der Hypothese der Molekularstruktur der Körper. 
Wir haben eine Erscheinung nur dann vollkommen begriffen, 
wenn wir sie (wenigstens in Gedanken) selbst, durch unsere 


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eigene Muskelkraft hervorrufen können. Darum denken wir 
uns jede Veränderung in der Natur hervorgebracht durch 
Kräfte, welche ausgeübt werden von Dingen, die ebenso exi- 
stiren wie unser Ich und ebenso untheilbar sind wie dieses. 

Unorganisirte Stoffe sind nun aber keine Individuen, 
wir können sie vielmehr anscheinend endlos in Stücke zer- 
theilen. Die Begreiflichkeit der Naturerscheinungen verlangt 
also, dass diese Theilbarkeit eine beschränkte sei, dass wir 
schliesslich zu kleinsten, weiter nicht mehr theilbaren Körper¬ 
chen, Atomen, gelangen. Aus den chemischen Erschei¬ 
nungen geht ferner hervor, dass verschiedenartige Atome 
(und auch gleichartige) sich zu grösseren Komplexen, den 
chemischen Molekülen, vereinigen können. Manche physi¬ 
kalische Erscheinungen weisen endlich darauf hin, dass 
auch die chemischen Moleküle nicht direkt die Theilchen 
sind, welche man als Endprodukte der mechanischen Theilung 
der Körper denken kann, sondern dass diese physikali¬ 
schen Moleküle selbst wieder Komplexe aus mehreren 
chemischen Molekülen seien. 

Reihen sich Moleküle in gesetzmässiger Weise anein¬ 
ander, so muss die Gesetzmässigkeit in den Eigenschaften des 
Aggregats und insbesondere, falls dasselbe fest ist, in der äus¬ 
seren Form zur Geltung gelangen. Man deutet die krystal- 
lisirten Körper als solche regelmässige Molekülaggregate. 

Schon seit langer Zeit sind nun Substanzen bekannt, 
welche in zwei oder mehr verschieden krystallisirten Modi¬ 
fikationen auftreten können. Durch Druck oder Temperatur¬ 
änderung kann häufig die eine Modifikation direkt im festen 
Zustande in die andere übergeführt werden. 

Schwefel beispielsweise erstarrt aus dem Schmelzfluss 
in braungelben Nadeln. Beim Abküblen verwandeln sich 
diese in hellgelbe oktaedrische Krystalle. 

Quecksilberjodid krystallisirt in der Kälte roth, in 
der Hitze gelb. Die gelben Krystalle lassen sich oft bis zu 
gewöhnlicher Temperatur abkühlen, berührt man sie aber 
mit einem rothen Krystall, so werden sie an der berührten 
Stelle sofort ebenfalls roth und der rothe Fleck wird immer 
grösser, bis die ganze Masse in die rothe Form über¬ 
gegangen ist. 


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Quecksilberkupferjodid ist in der Wärme dunkel¬ 
braun, in der Kälte hellroth und wird darum häufig als Ther- 
moskop bei physikalischen Versuchen gebraucht. 

Gegenstände aus reinem Zinn, Theekannen, Orgel¬ 
pfeifen u. dergl. erhalten zuweilen bei strenger Kälte graue 
Flecken, die sich allmählig immer weiter ausbreiten und mit 
Wunden verglichen worden sind, denn das Metall erweist 
sich dort ganz verändert, sehr mürbe und brüchig. 

Selbst das seiner Festigkeit halber in Gewerbe und In¬ 
dustrie so ungemein mannigfaltig verwendete Eisen scheint 
trotz seiner Härte und Zähigkeit in ganz gleicher Weise 
ohne den festen Zustand zu verlassen in eine andere Modi¬ 
fikation übergehen zu können. Erhitzt man einen Eisen¬ 
draht, etwa durch einen galvanischen Strom langsam bis 
zur dunklen Rothgluth, so dehnt er sich, entsprechend der 
steigenden Temperatur, stetig aus bis zu einer zwischen 
600 und 700 Grad liegenden Temperatur. Dann schrumpft 
er plötzlich um ein merkliches Stück zusammen, um sich 
bei steigender Gluth abermals regelmässig auszudehnen. 
Umgekehrt erfolgt bei Abkühlung bei jener Umwandlungs¬ 
temperatur plötzliche Ausdehnung. Zuweilen gelingt es, den 
Draht bis zu ganz dunkler Gluth abzukühlen, ohne dass die 
Umwandlung eintritt. Erfolgt sie dann aber, so wird durch 
die freiwerdende Wärme die Temperatur wieder soweit ge¬ 
steigert, dass der Draht plötzlich von Neuem erglüht. Nähert 
man ein hellglühendes Stück F.isen einem Magneten, so wird 
es nicht angezogen, sinkt aber die Temperatur bis zum 
Umwandlungspunkt, so erfolgt plötzlich Anziehung mit nicht 
wesentlich geringerer Kraft als in der Kälte. Löthet man 
einen Eisen- und Kupferdraht zusammen und verbindet die 
freien Enden mit einem Galvanometer, so zeigt dieses beim 
Erhitzen einen Thermostrom von steigender Stärke an, wel¬ 
cher aber sofort beim Ueberschreiten der Umwandlungs¬ 
temperatur verschwindet und einem solchen von entgegen¬ 
gesetzter Richtung Platz macht. 

Ein häufig gebrauchtes Salz, das salpetersaure Am¬ 
moniak, besitzt nicht weniger als vier verschiedene Modi¬ 
fikationen. Aus dem Schmelzfiuss geht es zunächst bei etwa 
106° C. in reguläre Ivrystalle über, diese verwandeln sich 


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bei etwa 125° in rbomboidische, diese bei 85° in rhom¬ 
bische und letztere bei 36° in die gewöhnliche Modifika¬ 
tion. Beim Erwärmen werden alle diese Zustände in umge¬ 
kehrter Reihenfolge durchlaufen. 

Derartige Umkehrbarkeit der Umwandlung ist nicht 
immer vorhanden. So besitzt z. B. Schwefel ausser den 
schon genannten Modifikationen noch eine dritte krystal- 
linische, durch niedrigen Schmelzpunkt ausgezeichnet, welche 
sich sowohl in die gewöhnliche hellgelbe, wie in die braun¬ 
gelbe umwandeln kann, nicht aber umgekehrt einfach durch 
Aenderung der Temperatur in diese übergeht. 

Besonders schön zeigt solche irreversible Umwandlung 
des Orthoquecksilberditolyl. Auch hier besitzt, wie 
ganz allgemein, die nadelförmig krystallisirende labile Modi¬ 
fikation niedrigeren Schmelzpunkt als die tafelartige stabile. 

Bei Salmiak (verunreinigt durch Jod- und Bromammo- 
niurn) krystallisiren merkwürdigerweise beide Modifikationen 
äusserst ähnlich, beide in regulären Würfeln und Oktaedern. 

Bei Protocatechusäure zeigt sich die sehr auffallende 
Erscheinung, dass bei der Umwandlung eines grösseren 
homogenen Krystalls nicht wie sonst lediglich die Struktur, 
sondern auch die äussere Form sich ändert und zwar so, 
dass alle Flächen, welche vor der Umwandlung eben waren, 
es auch nach derselben sind, aber andere Winkel mit ein¬ 
ander bilden. Die Erscheinung macht ganz den Eindruck, 
als ob das Raumgitter, welches die Moleküle bilden, aus 
einem nahezu rechtwinkligen sich in ein schiefwinkeliges ver¬ 
wandle, ohne dass eine Aenderung der Moleküle selbst einträte. 

In dieser Weise wurden auch die Umwandlungserschei¬ 
nungen früher gewöhnlich aufgefasst (Theorie der Poly¬ 
morphie). In Fällen, bei welchen eine Aenderung der 
äusseren Form nicht zu beobachten ist, hat man auch an¬ 
genommen, dass nur eine gegenseitige Verdrehung der (polye- 
drisch gedachten) Moleküle ohne Aenderung des Raumgitters 
stattfinde (Theorie der molekularen Hemitropie). In 
andern Fällen zeigen sich aber ausgesprochene Differenzen in 
dem chemischen Verhalten der beiden Modifikationen, wodurch 
man sich genöthigt sah, eine Aenderung der Moleküle selbst 


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vorzunehmen, so dass die Umwandlung nur als die Folge 
dieser chemischen Aenderungen erscheint. Hierauf weisen 
ausserdem manche Erscheinungen hin, welche andeuten, dass 
die verschiedenen Modifikationen auch noch in Lösung, also 
bei völliger Vernichtung des molekularen Raumgitters, als 
solche existiren können. Man kann sich nun die Verschieden¬ 
heit der Moleküle in zweierlei Art denken, entweder so, dass 
die Atome in verschiedener Weise zu chemischen Molekülen 
verkettet sind (Theorie der chemischen Isomerie), wobei 
sich aber vielfache Widersprüche gegen die Lehren der 
Stöchiometrie und die chemische Strukturtheorie ergeben, 
oder aber so, dass die chemischen Moleküle sich in ver¬ 
schiedener Weise zu physikalischen zusammenlagern (Theorie 
der physikalischen Isomerie). Die letztere Theorie 
erscheint zur Zeit als die brauchbarste. Sie erhielt kürz¬ 
lich durch die Entdeckung tropfbar flüssiger Krystalle 
eine neue Stütze, da die Existenz krystallinischer Flüssig¬ 
keiten beweist, dass das Raumgitter die eingreifendsten 
Aenderungen erleiden kann, ohne dass die Eigenschaften der 
Substanz in irgend erheblicher Weise geändert erscheinen.* 


398. Sitzung am 19. November 1890. 

Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen 

Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums. 

Herr Dr. Hans Meyer aus Leipzig hielt einen Vortrag 
über seine dritte Reise nach Afrika mit Besteigung 
der Kilimandscharo-Spitze. 

Schneeberge sind in Afrika keine seltene Erscheinung, 
aber Berge mit ewigem Schnee gibt es in Afrika nur in der 
Aequatorialregion, weil nur dort vulkanische Kräfte die Berge 
bis zu solcher Höhe aufgebaut haben, dass sich Schnee zu 
allen Jahreszeiten auf ihnen halten kann. Dem Alterthum 
war die Existenz von Schneebergen in Afrika sehr wohl be- 

• Die besprochenen Erscheinungen wurden fast sämmtlich mit¬ 
telst eines elektrischen Projektionsmikroskops der Versammlung im 
grossen Massstabe vom Vortragenden deraonstrirt Eine nähere Be¬ 
schreibung derselben ist zu finden in dem Buche: 0. Lehmann, Mole¬ 
kularphysik, Leipzig, W. Engelmann, 1S89. 


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kannl. Aber alle hierauf bezüglichen Nachrichten, Beschrei¬ 
bungen und kartographischen Festlegungen beziehen sich auf 
die nordafrikanischen Schneeberge des Atlas und der abys- 
sinischen Hochlande. Von dem ewigen Schnee der Aequa- 
torialregion wusste das Alterthum nichts. Die „Mondberge“ 
des Ptolemaios können nur auf die schneeigen Quellberge des 
Blauen Nil in Abyssinien gedeutet werden, wie aus der 
ganzen Schilderung und Nomenklatur hervorgeht; Stanley’s 
Deutung auf das äquatoriale Ruwensori-Gebirge ist willkür¬ 
lich und phantastisch. Die von ihm angezogene alte Litteratur 
ist mit viel grösserer Sicherheit auf Abyssinien zu beziehen. 
Die Schneeberge der afrikanischen Tropenzone sind Ent¬ 
deckungen der Neuzeit und geknüpft an die Namen Johann 
Rebmann, der den Kilimandscharo, Dr. Krapf, der den 
Kenia, und Gasati, der den Ruwensori entdeckt hat. Ausser 
diesen genannten drei Schneegebirgen gibt es in Afrika keinen 
ewigen Schnee, da es sonst keine vulkanischen Herde gibt, 
deren Aufschüttungen ja allein bis in die ewige Schneeregion 
in die Höhe reichen. Das erste ewige Schnee tragende Ge¬ 
birge wurde in Afrika 1848 vom Missionar Rebmann ent¬ 
deckt, es ist der Kilimandscharo. Rebmann kam aber der 
Schneeregion nicht nahe. Ebensowenig sein Missionsbruder 
Krapf, der jedoch nordwärts weiter wandernd 1849 die über¬ 
raschende Entdeckung eines zweiten Schneeberges machte, 
des Kenia. Es dauerte 40 Jahre, bevor das dritte afrika¬ 
nische Schneegebirge, der Ruwensori, von Emin Pascha’s 
Genossen Casati 1887 entdeckt wurde, dessen Entdeckung 
1888 Stanley’s Zug weiter ausdehnte. Im Lauf dieser 40 Jahre 
wurde am Kilimandscharo von Baron von der Decken 
(1861 und 1862), New (1871), Dr. Fischer (1883), Thom¬ 
son (1883), Johnston (1884), Graf Teleki und Höhnel 
(1887), Abbott und Ehlers (1888) viel erforscht und häufig 
der Versuch gemacht, über die Schneegrenze hinaufzudringen, 
aber vergeblich. Auch am Kenia, wo 1877 Hildebrandt, 
1883 Thomson, 1887 Graf Teleki und Höhnel forschten, 
gelang es nur dem Grafen Teleki, tiefer und höher in die 
Region des ewigen Schnees vorzudringen. 

Erst Dr. Hans Meyer war auf seiner dritten Ostafrika- 
Expedition 1889 im Stande, die Schnee- und Eiswelt des 


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oberen Kilimandscharo genau zu untersuchen und den höch¬ 
sten Gipfel von Afrika zu ersteigen. Wie auf seiner ersten 
Expedition 1887, so liess Dr. Meyer auch im Sommer 1889 
das Gros seiner Karawane in Dschagga am Fuss des Ge¬ 
birges beim Häuptling Mareale zurück und stieg mit wenigen 
Erprobten und seinem Begleiter, Herrn Ludwig Purt- 
scheller, zu einem zwischen den beiden Kilimandscharo¬ 
gipfeln Kibo und Mawensii liegenden kleinen Plateau hinauf, 
wo in 4330 Meter Höhe das höchste Standquartier für zwei¬ 
wöchentliche Besteigungen und Touren eingerichtet wurde. 
Am 3. Oktober kletterten die beiden Europäer an den Lava¬ 
hängen des Kibo empor, ausgerüstet mit allem alpinen 
Steigzeug, und betraten nach mancherlei Schwierigkeiten in 
5570 Meter Höhe den Eismantel, der den ganzen oberen 
Kibo einhüllt. Die Steigung war ungeheuer steil und das 
Stufenhauen in dem spröden, harten Eis ausserordentlich 
schwierig. Alle Hindernisse unserer alpinen Gletscherwelt 
stellten sich auch den Reisenden entgegen, aber unter hef¬ 
tigem Kampf mit der Athemnoth langten sie doch nach elf- 
stündiger Arbeit am oberen Rand des abgestumpften Kibo- 
Kegels an und entdeckten dort einen Ungeheuern, thcilweise 
mit Eis erfüllten Kraterkessel, dessen Existenz Dr. Meyer 
schon immer andern Ansichten gegenüber vertheidigt hatte. 
Dort sahen aber die Reisenden auch, dass auf dem Südrand 
des Kraters der höchste Punkt des Berges lag, den sie wegen 
völliger Erschöpfung nicht mehr zu erreichen vermochten. 
Sie kehrten um, erreichten wohlbehalten ihr Zeltchen und 
wiederholten am 6. Oktober dieselbe Tour, diesmal mit dem 
Erfolg, dass Herr Dr. Meyer auf der höchsten dort aufragen¬ 
den Felsspitze die deutsche Flagge hissen durfte. Unter dem 
lauten Beifall der Versammlung machte der muthige Forscher 
die Mittheilung, dass er jenen Punkt „Kaiser-Wilhelm-Spitze“ 
genannt habe. 

Der Eispanzer des Kibo, der zusammenhängend den 
oberen Berg umspannt, im Norden nach oben abbricht, im 
Süden aber bis zu etwa 4000 Meter sich herabsenkt, hat im 
Ganzen wenig Aehnlichkeit mit den Eisgebieten der Alpen. 
Bei der gleichmässigen Kegelform des Berges fehlen eigent¬ 
liche Firnreservoirs für Gletscherbildung. Der ganze Kegel- 


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mantel bildet das Sammellager für die Niederschläge. Nur 
wo wegen starker Neigung oder Muldenbildung die Eisdecke 
sich spaltet und in Zungen ausläuft, bekommt das Eis den 
Charakter von Gletschern zweiter Ordnung. Ringsum ist 
der Eismantel durch eine steile Schmelzwand von 10 bis 
SO Meter Höhe begrenzt, an der sich die verschiedenen 
die Decke zusammensetzenden Eisschichten vortrefflich be¬ 
obachten lassen. Oben im Kraterkessel aber ist das Eis 
zerfurcht wie der „nieve penitente“ der Anden und tritt aus 
einer Spalte im Westen des Kessels als ein riesiger Gletscher 
aus, dessen Zunge bis zu 3800 Meter Höhe hinabreicht. 
Schnee gab es im Sommer auf dem Kibo fast gar nicht, 
sondern nur Gletschereis, und der Mawensi hat im Sommer 
seiner steilen Wände und porösen Laven wegen gar kein 
Eis und keinen Schnee. Es ist sehr wahrscheinlich, dass 
die Schnee- und Eisverhältnisse auf dem Kenia und Ruwen- 
sori denen des Kilimandscharo, mit dem sie sehr ähnliches 
Klima haben, gleichen. Für den Kenia will Dr. Meyer diese 
Fragen im nächsten Jahre auf einer vierten Reise nach Ost¬ 
afrika zu lösen versuchen. 


399. Sitzung am 21. November 1890. 

Auwesend: 40 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grtshof. 
Als Gäste waren geladen die Mitglieder des Karlsruher Bezirksvereins 
deutscher Ingenieure und des Gewerbevereins. 

Herr Dr. Löwenherz, Direktor der technischen Abtheilung 
der physikalisch-technischen Reichsanstalt in Berlin, hielt 
einen Vortrag über die Arbeiten der im Jahr 1887 ge¬ 
gründeten physikalisch-technischen Reichsanstalt. 
Derselbe verbreitete sich insbesondere des Näheren über die 
Arbeiten der technischen Abtheilung, welche sich in sechs 
Gruppen sondern: 1. solche, welche sich auf Untersuchung 
von Wärme und Druck beziehen; 2. elektrische; 3. optische; 
4. präcisionsmechanische Untersuchungen, an welche sich 
Prüfungen von Materialien der Feintechnik, sowie von Kon- 
struktionstheilen anschliessen; 5. Werkstattsarbeiten und 6. 
chemische Untersuchungen. Der vierten Abtheilung ist auch 
die Prüfung von Stimmgabeln zugewiesen. (In der badischen 

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Gewerbezeitung 1891 S. 90 ist der vollständige Vortrag ab¬ 
gedruckt). 

400. Sitzung am 5. Dezember 1890. 

Anwesend: 27 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashef. 
Neu eingetreten die Herren : Bankdirektor A. van derKors, Ingenieur 
L. Bartning, Fabrikdirektor H. Beeg von Durlach. 

Herr Professor Dr. Valentiner hielt einen Vortrag über 
die Veränderlichkeit der Polhöhe. Der wichtigste Gegen¬ 
stand der Besprechung auf der im September d. J. in Frei¬ 
burg abgehaltenen Konferenz der Permanenten Kommission 
der Internationalen Erdmessung war unstreitig die neuer¬ 
dings mehrtach bemerkte Veränderlichkeit der Polhöhe oder 
geographischen Breite. Da die Karlsruher Sternwarte be¬ 
reits in nächster £eit in Verbindung mit anderen Sternwarten 
eine längere Beobachtungsreihe über diese Frage beginnen 
wird, so mag eine kurze Mittheilung darüber hier am 
Platze sein. 

Veränderungen in der Polhöhe können hervorgerufen 
werden, indem die Lage der Rotationsaxe in der Erde selbst 
eine andere wird, oder indem die Richtung der Lothlinie 
sich ändert. Für erstere sind die Vorbedingungen gegeben, 
wenn die Rotationsaxe nicht genau mit der Hauptträg- 
heitsaxe zusammenfällt, indem sich dann eine zehnmonat¬ 
liche Periode der Schwankung ergeben muss, für letzere, 
wenn Hebungen und Senkungen der Erdoberfläche, Massen¬ 
verschiebungen im Innern vor sich gehen. Während sich 
Polhöhenänderungen, die die erstere Ursache haben, auf 
der ganzen Erdoberfläche zeigen müssen, werden die ande¬ 
ren im Allgemeinen nur in den Gegenden eintreten, wo 
solche lokale Vorgänge statthatten. Es fragt sich nun, ob 
diese Ursachen angenommen werden können? Prinzipiell 
ohne Zweifel, aber es bleibt zu untersuchen, ob wir solche 
Vorgänge in so hohem Betrage annehmen dürfen, dass die 
Wirkungen, Veränderungen in der Polhöhe, durch die Beob¬ 
achtungen nachweisbar sind. Die Berechnung kann hier nur 
unter gewissen Voraussetzungen geführt werden. Nimmt 
man an, dass die Erde ein starrer Körper sei, so wird nach 


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den Untersuchungen Darwins eine kaum im Jahrhundert 
sicher bemerkbare Veränderlichkeit so enorme geologische 
Massenverschiebungen fordern, wie sie die thatsächlich zu 
beobachtenden weit überschreiten. Ganz anders werden aber 
die Verhältnisse begreiflicherweise, sobald wir für die Erde 
einen gewissen Grad der Plastizität annehmen. Alsdann ge¬ 
winnen selbst die meteorologischen Vorgänge in ihrer weitesten 
Ausdehnung eine gewisse Bedeutung. Zwar gehen hier auch 
die Rechnungsresultate der Gelehrten auseinander, doch lassen 
die Mehrzahl eine merkbare Veränderlichkeit dann wohl an¬ 
nehmbar erscheinen. Es ist dabei sehr gut denkbar, dass 
die erwähnte zehnmonatliche Periode nicht nachweisbar wäre, 
weil zeitweise eintretende Massenverschiebungen eine starke 
Aenderung in ihrer Phase und Amplitude bewirken könnten. 

Es wurde frühzeitig, schon in den zwanziger Jahren 
nach dem Nachweis der zehnmonatlichen Periode gesucht, 
ebenso in den letzten Jahrzehnten nach etwaigen säkularen 
Schwankungen, indessen stets ohne Erfolg. Die vielfach an¬ 
geführte Abnahme der geographischen Breiten, die an ver¬ 
schiedenen Sternwarten beobachtet worden sein sollte, ist in 
keinem Falle als erwiesen anzusehen. Entweder lassen die 
älteren Beobachtungen zu grosse Unsicherheiten erkennen, 
oder auch, es sind die neueren durch Zahlenquellen, ins¬ 
besondere Refraktion, mehr oder minder zweifelhaft geworden. 
Fanden somit die als möglich angenommenen Veränderungen 
keine zahlenmässige Bestätigung, so war damit die Frage 
doch noch keineswegs im negativen Sinne entschieden und 
sie verschwand nicht aus dem Arbeitsprogramm gewisser 
Sternwarten, sowie aus den Verhandlungen der Europäischen 
oder Internationalen Erdmessung. Kein Wunder, liegt doch 
ihre Wichtigkeit für alle auf die Erforschung der Erde Be¬ 
zug habenden Wissenschaften auf der Hand. In Betreff der 
Astronomie und Erdmessung sei nur erwähnt, dass jede 
Sternposition direkt oder indirekt auf der für den Beob¬ 
achtungsort angenommenen geographischen Breite ruht, dass 
jede der zahllosen Breitenbestimmungen auf der Erde wieder 
von den Sternörtern abhängig ist; findet also eine Verände¬ 
rung in der Polhöbe statt, so wird der Sternort beeinflusst 
und hierdurch allein schon die Breitenbestimmung anderer 

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Orte auf der Erde. Wir werden ebensogut fehlerhafte Schlüsse 
über Ortsveränderungen am Himmel ziehen, wie über Einzel¬ 
aufgaben aus dem Gebiet der Erdmessung, indem hier die vielen 
für die letztere angestellten Polhöhenbestimmungen zu Drei¬ 
ecken verbunden werden, die der scheinbaren Unsicherheit 
der Einzelwerthe, aber nicht ihrer wirklichen entsprechen. 

Von ganz anderer Wichtigkeit und Dringlichkeit wurde 
die Frage noch, als aus Beobachtungen an der Berliner 
Sternwarte mit ziemlicher Sicherheit eine sprungweise Aende- 
rung der Polhöhe hervorzugehen schien. An solche Vorgänge 
war im Allgemeinen weniger gedacht worden, aber räthsel- 
hafte Erscheinungen, in früheren Beobachtungen an anderen 
Sternwarten zu ganz andern Zwecken angestellt, wurden 
durch ähnliche Annahme sofort erklärt, so dass dadurch vor¬ 
übergehende Schwankungen in der Polhöhe noch an Wahr¬ 
scheinlichkeit gewannen. Es erging nunmehr auf Grund 
eines dem Centralbureau der Internationalen Erdmessung 
von der Permanenten Kommission im Jahre 188S ertheilten 
Mandats von jenem au verschiedene Sternwarten (auch an 
die Karlsruher) die Aufforderung, nach gemeinsamem Pro¬ 
gramm etwa 1 bis 1 1 / 2 Jahr lang Beobachtungen anzustellen, 
welche diese fundamentale Aufgabe lösen sollten. Die Re¬ 
sultate nun, welche an den Sternwarten Berlin, Potsdam, 
Prag erhalten wurden, kamen im September d. J. in Frei¬ 
burg zur Mittheilung. Sie mussten allerdings das höchste 
und allgemeinste Interesse erregen. Nach anscheinend längerer 
Konstanz trat an allen drei Orten gleichzeitig ein allmähliges 
Ansteigen der Polhöhe ein, welches nach mehreren Monaten 
ein Maximum erreichte; dann folgte überall ein tieferes 
Minimum und anscheinend nahm darauf die Polhöhe wieder 
zu. Es erscheint kaum denkbar, dass an diesen drei so ver¬ 
schieden gelegenen Sternwarten gleiche meteorologische Ein¬ 
flüsse sich sollten bemerkbar gemacht haben, um so weniger, 
als die angewandte Methode dieselben ganz auszuschliessen 
geeignet ist. Andererseits ist die Art, in welcher sich die 
Kurve vollzogen hat, in früheren Beobachtungen zu anderen 
Zwecken ähnlich aufgetreten, konnte aber hier durch Un¬ 
sicherheiten in der Refraktion erklärt werden. Es bedarf 
kaum eines Wortes, dass die Frage anstatt gelöst zu sein 


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nur noch brennender geworden ist. Um den ursächlichen 
Zusammenhang der Erscheinungen zu ergründen, muss es 
auf Jahrzehnte die Aufgabe der Astronomen sein, die Lage 
der Erdaxe und ihr Verhalten zu studiren. das Fundament 
zu schaffen, auf welchem alle astronomischen Beobachtungen 
und die von ihnen abhängigen Resultate ruhen müssen. Zu¬ 
nächst hat nun die Permanente Kommission, deren Sitzungen 
Gelehrte fast aller Nationen beiwohnten, beschlossen, eine 
für längere Zeit berechnete Expedition nach Honolulu zu 
veranstalten, welche an diesem entfernten Ort der Erde 
das Verhalten der Polhöhe zu beobachten hat, während 
gleichzeitig in Europa in möglichst ausgedehnter Weise an 
verschiedenen Sternwarten gleiche Beobachtungen angestellt 
werden müssen. Auf diesen erneuten Ruf hin, dem ausser 
den drei obigen Instituten auch Strassburg Folge leistet, hat 
sich Redner ebenfalls entschlossen, den Versuch der Koope¬ 
ration an der Karlsruher Sternwarte zu wagen; vermuthlich 
wird ferner noch Paris sich betheiligen. Unter den miss¬ 
lichen Verhältnissen, welche hier bekanntermassen herrschen 
und welche für so feine und durchaus regelmässig an¬ 
zustellende Beobachtungen noch in erhöhtem Masse er¬ 
schwerend wirken, ist es freilich sehr fraglich, ob die Arbeit 
hier gelingen wird. Indessen erschien es in diesem Falle, 
wo der Plan zum Unternehmen in einer badischen Stadt ent¬ 
worfen, und nachdem von Seiten der badischen Regierung 
die engere Betheiligung an den Arbeiten der Gradmessung 
durch Ernennung eines besonderen Kommissars in Aussicht 
genommen, geradezu als Ehrensache der Sternwarte, an 
erster Stelle die Betheiligung zuzusichern. Um das Karls¬ 
ruher Institut an der Lösung einer der grössten und folg- 
reichsten Aufgaben aller Zeiten theil nehmen zu lassen, 
werden freilich andere vor Jahren begonnene und noch lange 
nicht beendete Arbeiten zeitweilig etwas zurücktreten müssen, 
was indessen an den übrigen Sternwarten ebenfalls nicht zu 
vermeiden ist und was nur dann ernstlich zu beklagen wäre, 
wenn sich etwa nach Jahresfrist die Unzulänglichkeit der 
Beobachtungen trotz aller auf sie verwandten Mühe und Vor¬ 
sicht heraussteilen sollte. 


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401. Sitzung am 9. Januar 1891. 

Anwesend 18 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Herr Dr. Matthiessen sprach über das System der 
kleinen Planeten zwischen Mars und Jupiter. Im 
Oktober des vorigen Jahres ist die Zahl der Asteroiden auf 
300 gestiegen und unser Sonnensystem hat somit in der 
verhältnissmässig kurzen Zeit von 90 Jahren — der erste 
der kleinen Planeten wurde in der Nacht des 1. Januar 1801 
von Piazzi in Palermo entdeckt — eine wesentliche Bereiche¬ 
rung und ein ganz verändertes Aussehen bekommen. Früher 
klaffte zwischen den Hauptplaneten Mars und Jupiter eine 
auffallende Lücke mit einer Breite von nicht weniger als 
550 Millionen Kilometer. 

Von den Planetoiden sind nur 2 oder 3 unter günstigen 
Verhältnissen dem blossen Auge sichtbar; die meisten erschei¬ 
nen in stärkeren Fernrohren als Sterne 10. bis 13. Grösse. 
Ihre Gesammtmasse kann nach den theoretischen Untersuch¬ 
ungen Leverrier’s und nach photometrischen Messungen 
an einzelnen Körperchen höchstens */* von derjenigen der 
Erde betragen, wahrscheinlich ist sie viel geringer. Die An¬ 
ordnung in Bezug auf den mittleren Abstand von der Sonne 
ist keine gleichmässige, sondern es treten, wie der amerika¬ 
nische Astronom Kirkwood zuerst nachWies, an denjenigen 
Stellen Lücken auf, wo die Umlaufszeit mit derjenigen 
Jupiters kommensurabel wäre. 

Das grösste Interesse bietet die noch ungelöste Frage 
über die Entstehung der kleinen Planeten; die Olbers’sche 
Theorie von dem Zerspringen eines grösseren Weltkörpers 
hat bei der jetzigen Breite der Zone, welche grösser ist als 
der Abstand des Merkur vom Mars, bedeutend an Wahr¬ 
scheinlichkeit verloren. 

Herr Otto Ammon machte einige Mittheilungen über 
anthropologische Merkwürdigkeiten aus der Ar¬ 
tistenwelt. Dieselben • bezogen sich auf den während der 
letzten Novembermesse hier ausgestellt gewesenen farbigen 
Menschen, sog. „Orang-Gargasi“, welcher „nationaleGebräuche“ 
vorführte und Feuer frass, ferner auf den Herkules Holz¬ 
nagel von Berlin, welcher ebenfalls auf der Messe ein Pferd 


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mit sammt dem Reiter mit seinen Schultern etwa 30 bis 40 
Ctm. hoch hob, auf den Schnellläufer Dibbels aus Wien, der 
sich voriges Jahr hier sehen liess, und endlich auf den 
Schlangenmenschen Buttgereit aus Königsberg, einen sog. 
»Vorwärts-Arbeiter“, der von 1888/90 seine Militärpflicht 
jro Konstanzer Regiment abgeleistet hat. Die Mittheilungen 
des Redners wurden durch Zeichnungen und Photographien 
unterstützt. Die an dieselben sich knüpfende Berathung gab 
Veranlassung, auf die Eigenthümlichkeiten des Lebens in 
der Welt der „Artisten“ näher einzugehen. 


402. Sitzung am 14. Januar 1891. 

Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen 
Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums. 

Herr Hauptmann Kling von Stuttgart hielt einen Vortrag 
über Togoland an der westafrikanischen Küste. 


403. Sitzung am 30. Januar 1891. 

Anweseud 17 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof. 

Herr 0. Ammon berichtete im Anschluss an seine Mit¬ 
theilungen in letzter Sitzung Uber einige atavistische Bil¬ 
dungen am menschlichen Körper unter Vorführung 
derselben an einer grösseren Anzahl von Individuen. 

Herr Professor Strack berichtete über seine Erfahrungen 
an der Erleichterungstafel zur Ausführung von 
Multiplikationen und Divisionen von J. Blater. 
Diese Tafel ist eine vereinfachte uud dadurch verbesserte 
Ausgabe der unverdienter Weise in Vergessenheit gerathenen 
Napier'schen Rechenstäbchen. Drei säulenförmige Stäbchen 
enthalten auf den vier Seitenflächen die Produkte der ein- 
ziffrigen Zahlen. Nachdem die Stäbchen in geeigneter Weise 
nebeneinander gelegt sind, liest man die 2, 3 . . . 9fachen 
einer beliebig grossen Zahl ab. Es waren einige Hundert 
Multiplikationen, von 2 Zahlen mit einander auf gewöhnlichem 
Wege mit der Logarithmentafel und mit der Erleichterungs¬ 
tafel ausgeführt worden, das letztere Verfahren zeigte gegen¬ 
über den beiden ersten eine Zeitersparniss von etwa 20 Proz.; 


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höher dürfte die Verminderung der geistigen Anspannung 
sein. Produktentafeln sind bequemer, aber auch umfang¬ 
reicher. Die Erleichterungstafel ist zu 3 M., in einfacherer 
Ausgabe zu 1,20 M. durch den Buchhandel zu beziehen. 


404. Sitzung am 13. Februar 1891. 

Anwesend 19 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Geh. Hofrath Dr. Schell hielt einen Vortrag über die 
Beziehungen der synthetischen Geometrie zur theo¬ 
retischen Mechanik. Der erste Theil desselben hatte das 
Ziel, den Einfluss zu zeigen, den die, vorzüglich von Möbius 
und Grassmann entwickelte Theorie der Strecken auf die 
Lehre von den Geschwindigkeiten, Beschleunigungen und 
Kräften erster und höherer Ordnungen genommen hat, wie 
ihre Aequivalenzen und Reduktionen alle Theile der Mechanik 
beherrschen und wie insbesondere die geometrische Differen¬ 
tiation und Integration den Grundplan vorzeichnet, nach 
welchem der Auf- und Ausbau dieser Wissenschaft erfolgt. 
Der zweite Theil behandelte die Bedeutung der geometrischen 
Verwandtschaften, insbesondere der Kollineation und Reci- 
procität für die Geometrie der Bewegung der Systeme und 
zeigte insbesondere, welche Aussichten sich hiedurch dem 
Studium der Bewegung veränderlicher (biegsamer, flüssi¬ 
ger etc.). Systeme eröffnen. Während die Streckentheorie 
geeignet ist, den Grundplan der Mechanik im Grossen uud 
Ganzen festzulegen, kann die Theorie der Verwandtschaften 
die Unterabtheilungen der einzelnen Hauptabschnitte liefern. 
Zugleich wurde auf den Werth hingewiesen, den die Ueber- 
tragung des Begriffs der Verwandtschaft auf die Bewegungen 
selbst für die Mechanik hat, nicht bloss für die theoretische, 
sondern auch für deren Anwendung auf die Physik, die 
Maschinentechnik etc. Der dritte Theil endlich behandelte 
die Fortschritte, welche die Mechanik theils gemacht hat, theils 
ihr in Aussicht stehen durch die Revision und schärfere 
Fassung der Vorstellungen und Begriffe von räumlichen 
Dingen, welche die Neuzeit herbeigeführt hat. Es wurde 
insbesondere auf die neuere Kritik des Kraftbegriffs und der 
Kausalität hingewiesen. 


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Dem ganzen Vortrage lag die Idee zu Grunde, dass die 
Behauptung, welche seit Lagrange vielfach aufgetreten sei, 
dass die Mechanik eine vorzugsweise analytische Grundlage 
haben müsse, nicht korrekt sei, dass vielmehr neben der 
analytischen auch eine synthetische Mechanik heut zu Tage 
bestehe und dass beide Zweige zum Vortheil der Gesummt¬ 
wissenschaft ausgebildet werden müssen, dass aber immerhin 
der Grundcharakter der theoretischen Mechanik vorzugsweise 
der einer geometrischen Wissenschaft sei. 

405. Sitzung am 27. Februar 1891. 

Anwesend 21 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofratb Dr. Wiener. 

Herr Direktor Leutz sprach über botanische Funde, 
welche in den letzten zehn Jahren bei der Eröffnung ägypti¬ 
scher Todtenkammern gemacht wurden. Die Botaniker A. 
Braun, Ascherson, Schweinfurth, die Archäologen Dü- 
michen, Schiaparelli, besonders der Vorstand des ägypti¬ 
schen Museums in Kairo, Maspero, haben mit grosser Sorgfalt 
die Pflanzenreste der Mumiensärge untersucht. Als Haupt¬ 
fundorte sind zu bezeichnen die Grabkammern der grossen 
Könige von Aegypten, von 1500—1200 vor Christus, welche bei 
Der-el-Bahari 1881 aufgefunden wurden, die Gräber bei dem 
Tempel in Edfu, von Professor Dümichen untersucht, die 
Gräber von Dra-Abu-Negga aus der 11. Dynastie, 2000 vor 
Christus, von Schiaparelli untersucht, die Gräber von Gebe¬ 
len aus der Zeit der Ptolemäer, die Gräber von Scheich ab-del 
Qurna, von Maspero untersucht. Die Mumiensärge ent¬ 
halten zahlreichen Blumenschmuck, theils Kränze, Sträusse, 
oben auf oder an die Seite der Mumien gelegt, besonders aber 
Blumengewinde. Im Blumenbinden waren die Aegypter schon 
bei den Griechen berühmt. Die zahlreichen Gewinde be¬ 
stehen aus gefalteten Blättern einer Weide, Salix Safsaf oder 
Mimusops; diese Blätter bilden Päckchen, welche durch 
Fasern von Palmblättern aneinander gereiht sind; in die 
Oeffnungen an der Seite sind Granatblüthen, Akazienblüthen, 
Rittersporn, Saflor, Kornflocken u. a. eingesteckt. Merkwürdig 
ist dabei die gute Erhaltung der einzelnen Theile, sogar der 
Farbe. So ist z. B. die Mumie der Prinzessin Chonsu, bei 


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Der-el-Bahari gefunden und von Professor Maspero 1886 
aufgebunden, von oben bis unten mit Gewinden von Papaver 
Rhoeas, unserer rothen Klatschrose, umwunden, wobei Staub¬ 
fäden und Beutel, Borstenhaare und Farbe wohl erhalten 
sind. In den Blumengewinden von König Ahmes I., 1700 
vor Christus, finden sich Blüthen von Delphinium orientale, 
sehr schön in Form und Farbe erhalten. Die Mumie des 
grossen Königs Rhamses II., zur Zeit Moses, bei Der-el- 
Bahari gefunden, ist geschmückt mit gut erhaltenen Lotus- 
blüthen, Nymphaea Lotus. Diese Art von Nymphaea war 
früher die häufigste im Nil, später wurde sie von N. coerulea 
verdrängt, deren blaue Blumenblätter sich ebenfalls zahlreich 
in die Gewinde eingesteckt finden. Blätter der Wasserme¬ 
lone enthält der Sarg des Priesters Nibsoni in Der-el-Bahari, 
noch lebhaft grün. Saflorbündel befinden sich in den Ge¬ 
winden der Mumie des Königs Amenhotep I. Im Blumen¬ 
schmuck der Prinzessin Chonsu, 1000 vor Christus, finden sich 
die dunkelvioletten Blüthen einer Art Kornflocke, Centaurea 
depressa, wobei die grauen, filzigen Blätter, die Borsteu, 
Achänen und Pappus wohl erhalten sind. Auch blaue Wein¬ 
beeren finden sich in den Särgen, zwar eingeschrumpft, aber 
noch mit dem bläulichen Reif. Zahlreich sind auch die 
Ueberreste von Getreide, sowohl als Opfergaben, wie auch 
als Todtenspeisen, z. B. in den Gräbern der 5. Dynastie, 
3500 vor Christus, bei Dra abu Nega. Es sind dieselben Ge¬ 
treidekörner, wie sie heute noch in Aegypten gebaut werden. 
Keimversuche blieben bis jetzt alle erfolglos. Der Name 
Mumienwaizen beruht also auf einem Irrthum. Interessant 
sind auch die Kränze aus gekeimter Gerste, die Körner sind 
mit den vorstehenden Keimen zu kleinen Büscheln gebunden, 
aus welchen die Kränze geflochten sind. In Aegypten war 
die Bereitung von Bier aus Malz längst bekannt. Dieselbe 
Mumie, welche den Malzkranz trägt, trägt auf der Brust ein 
Gewinde von Sellerie, ein Beweis, dass die Griechen den 
Gebrauch der Sellerie bei Todtenfeiern aus Aegypten geholt 
haben, und zwar lange vor der geschichtlichen Zeit, 2000 
vor Christus. Die Verbindung Aegyptens mit Griechenland 
ergibt sich auch aus dem Umstande, dass Tannenzapfen und 
eine Flechtenart, Parmelia furfuracea, in den Gräbern ge- 


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funden wurden, welche Pflanzen niemals in Aegypten ge¬ 
wachsen sind. Noch eine Menge von Pflanzenresten, sowie 
auch Gemälde von Pflanzen, deren Anbau und Zubereitung 
der Früchte finden sich in den Grabkammern, aber stets 
sind es solche Pflanzen, welche entweder jetzt noch in Ae¬ 
gypten Vorkommen, oder doch in den umliegenden Ländern, 
so dass man hieraus den Schluss ziehen kann, dass Klima 
und Vegetation sich in Aegypten seit 5000 Jahren nicht 
verändert hat. Diese Untersuchungen haben zugleich chrono¬ 
logischen Werth, da aus der Art der Blumen und der Be- 
kränzung, welche in den verschiedenen Perioden wechselte, 
die Zeit, sogar der Monat der Beisetzung der Mumie er¬ 
schlossen werden kann. Ebenso beweisen sie uns die weit 
über unsere sonstigen geschichtlichen Quellen hinausgehende 
Verbindung der Länder des Mittelmeeres. Eine neue, grosse 
Entdeckung von Mumiengräbern wurde im Februar d. J. von 
dem Franzosen G re baut bei Der-el-Bahari gemacht, deren 
Erforschung gewiss noch manchen interessanten Fund bieten 
wird. 

Herr Professor Dr. Schleiermacher legte einen Gestein¬ 
splitter mit Blitzspuren in Gestalt einer mit schwarzen 
Perlen besetzten Schmelzrinde vor. Das Stück wurde lose 
auf der Spitze des Riffier (Blankahorn, 3200 M.), Tyrol, 
gefunden. 

Herr Professor Dr. Meldinger lenkte die Aufmerksamkeit 
der Versammlung auf eine an verschiedenen breiten, wenig 
belebten Strassen der Stadt gegenwärtig zu beobachtende 
Bodenerscheinung. Seit Wochen haben wir heiteres 
Wetter bei fast ruhiger Luft, mitunter ganz Windstille, mit¬ 
unter schwache Strömung von Ost bis Südost, eine Witterung, 
wie wir sie zuweilen längere Zeit im Oktober, ja bis in den 
November hinein als Altweibersommer geniessen, z. B. gerade 
im vergangenen Herbste. Während im letzteren Falle die 
Temperaturen von Nachts 5 Grad bis Tags 15 Grad R. etwa 
im Schatten schwanken, in der ersten Zeit etwas höher noch, 
in der letzten Zeit etwas weniger, so war gegen Ende des 
Winters bei gleich hohem und langem Sonnenstand die 
Temperatur jedoch um 5 bis 7 Grad niedriger, Nachts —2 
Grad bis 0, Tags -f- 8 bis 10 Grad R., jedoch auch mit 


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einer Differenz von etwa 10 Grad R. zwischen Nacht-Mini¬ 
mum und Tag-Maximum. Bei den hohen Tagestemperaturen 
schmolz nun überall der Schnee weg, doch das Eis auf den 
Wiesen und im Stadtgarten blieb erhalten. Morgens wurde 
vielfach bis zur Mittagszeit Schlittschuh gelaufen, später 
wurde die Oberfläche des Eises jedoch zu weich. An einzelnen 
Stellen der Strassen blieb aber auch der Schnee, sowie der 
in der Nacht gefallene Reif liegen, ohne auch nur Spuren 
von Aufthauen zu zeigen, so in der Bahnhofstrasse unmit¬ 
telbar am Hause des Redners und am Schlossplätze (auch 
besonders bemerkenswerth in der Bismarckstrasse, wie später 
von einigen der Anwesenden hervorgehoben wurde). Die be¬ 
treffenden, immer nur vereinzelten Stellen lagen im Schatten 
hoher Häuser und wurden von der Sonne nicht getroffen, die 
Grenzlinie entsprach scharf dem Sonnenstände. 

Wie war es aber möglich, dass bei einer Lufttemperatur 
von +10 Grad R. der Schnee nicht schmolz? Die Ursache 
liegt in der Ausstrahlung nach dem blauen, vielleicht in 
einer Temperatur von über 200 Grad unter Null befindlichen 
Himmel, welche soviel oder noch mehr Wärme entführt, als 
durch die Luft leitend zugeführt wird. Allerdings muss die 
Strahlung nach einer grösseren Fläche des Himmels gerichtet 
sein, um die volle Wirkung auszuüben; in der Tliat be¬ 
obachtete man die Erscheinung nur da, wo nach Norden 
keine Häuser an der Strasse lagen, so dass also die be¬ 
treffenden Bodenflächen fast dem vollen halben Himmel zu¬ 
gekehrt waren. Häuser nach Norden beschränken nicht nur 
die Ausstrahlung des Bodens nach dem Himmel, sie wirken 
auch selbst direkt erwärmend durch ihre von der Tages¬ 
sonne beschienenen und von innen erwärmten Mauern. Auch 
die Südhäuser besitzen diese Wirkung in Folge der inneren 
Erwärmung in geringem Grade, desshalb zeigte sich kein 
Reif in unmittelbarer Nähe der Mauern, sondern erst in 
einem Abstand von etwa 3 Meter, wo übrigens auch die 
bestrahlte Himmelsfläche schon etwas grösser war. Der 
Boden besass, soweit er mit Reif bedeckt blieb, am Tage 
eine Temperatur von 0 Grad bei 2 Centimeter Tiefe, dann 
nahm die Temperatur etwas zu und bei 30 Centimeter Tiefe 
war sie — 1 * Grad R. Morgens 9 Uhr war die Temperatur 


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bei 2 Centimeter Tiefe —2 Grad R., während die Luft fast 
-f-2 Grad R. zeigte. Die Temperatur der Erdoberfläche von 
0 Grad bei hoher Tagestemperatur hat selbstverständlich 
keinen Einfluss auf die Erscheinung des Nichtschmelzens des 
Reifes, sie lässt eben die beiden gegen einander kämpfenden 
Wirkungen der Ausstrahlung der Wärme nach dem Himmel 
und der Zuleitung der Wärme durch die Luft uneingeschränkt 
zur Geltung kommen. Bei -HlO Grad R. dürfte übrigens 
die Grenze des Nichtschmelzens nahe erreicht sein, höhere 
Lufttemperaturen wurden während der Periode nicht beob¬ 
achtet. Man wird daraus schliessen können, dass bei ruhiger, 
oder nur mässig bewegter Luft Wasser schon bei -+-9 Grad 
R gefrieren könne, wenn es im Freien der Wirkung des 
ganzen durchaus unbewölkten Himmels ausgesetzt und nur 
dafür Sorge getragen wird, dass es von den Seiten und vom 
Boden keine Wärme aufnehmen kann, also z. B. Wasser in 
der Höhlung eines Eisblocks. Das auf den Eisflächen der 
Wiesen in Folge der Sonnenwirkung sich bildende Wasser 
zeigte sich immer rasch wieder gefroren, sobald die Sonne 
dem Horizont sich näherte, es wurde dies bei -4- 8 Grad R. 
Lufttemperatur beobachtet. Der geringste Wolkenschleier 
vermindert die Ausstrahlung erheblich, dickere Wolken ver¬ 
hindern sie völlig. Desshalb schmilzt aller Schnee bei be¬ 
decktem Himmel, sobald nur die Temperatur von 0 Grad 
überschritten wird, starker Wind unterstützt die Wirkung 
bedeutend. Jede andere Deckung über der Erde wirkt bei 
heiterem Himmel ähnlich, z. B. ein Zeltdach. Desshalb war 
auch im Walde der Ebene während dieser Periode aller 
Schnee weggeschmolzen; hier kam eben die volle Luftwärme 
zur Wirkung. 

Der Unterschied der Lufttemperaturen zwischen Herbst 
und Winter bei fast ganz gleicher Witterung und Sonnen¬ 
bestrahlung erklärt sich aus der Bodentemperatur. Im Herbst 
ist dieselbe vom Sommer her viel höher als Ende Winter, 
man wird mindestens 10 Grad R. Unterschied unter mittleren 
Verhältnissen rechnen dürfen; darum kann sich die Luft im 
Herbst weniger stark in Folge der Ausstrahlung nach dem 
heiteren Himmel abkühlen. Im Uebrigen hat man in diesen 
Temperaturen den reinen Ausdruck der örtlichen Erwärmung 


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142 


der Erde zu erkennen, unbeeinflusst durch Vorgänge an ent¬ 
fernteren Orten. Die Verhältnisse ändern sich sofort, sobald 
ausgeprägte Windströmungen aus Südwest oder Nordost ein- 
treten. Nicht selten haben wir im März wochenlang bei 
heiterem Himmel recht rauhes Wetter mit Temperaturen, 
die wenig über Null gehen — eine Folge der aus dem Norden 
uns zugeführten kalten Luft. Mildes Frühlingswetter, wie 
in den letzten Wochen (mit dem 1. März schloss es ab), 
haben wir selten, in der Regel jedoch nach einem langen 
Frostwinter. 


406. Sitzung am 13. März 1891. 

Anwesend 15 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Professor Dr. Meidinger hielt einen Vortrag über 
die Entwickelung der dynamo-elektrischen Maschi¬ 
nen in den letzten Jahren. Die Pariser elektrische Aus¬ 
stellung des Jahres 18S1 Hess zum ersten Male die Bedeu¬ 
tung dieser Elektrizitätserzeuger für die Zukunft so recht 
erkennen. Was damals konstruktiv vorgeführt wurde, unter¬ 
scheidet sich in hohem Grade von dem heute zur Ausführung 
Kommenden nicht blos in Durchbildung, sondern auch 
namentlich in den Dimensionen. Während damals die grössten 
der Maschinen für höchstens 20 Pferde Triebkraft gebaut 
wurden, sind jetzt solche für 100 Pferde häufig, ja man baut 
sie für 1000, selbst für 10.000 Pferde bei Centralstationen 
elektrischer Beleuchtungsanlagen. In Neuhausen am Rheinfall 
bei Schaffhausen sind zwei Maschinen für je 600 und eine 
für 300 Pferde zur Aluminiumgewinnung aufgestellt. Diese 
so mächtigen Elektrizitätserzeuger sind in beträchtlichen In¬ 
duktordimensionen gebaut; bei der grossen Neuhauser Maschine 
hat derselbe einen Durchmesser von 2,4 Meter; der Induktor 
einer Wechselstrom-Maschine in Deptford bei London für 
10,000 Pferde hat beinahe 14 Meter Durchmesser. Je grösser 
die Maschinen gebaut werden , um so geringer kann ihre 
Umdrehungsgeschwindigkeit sein, da für die Wirkung wesent¬ 
lich die Peripheriegeschwindigkeit massgebend ist. Letztere 
Maschine macht blos 80 Umdrehungen in der Minute, die 
Maschine in Neuhausen 200. Dadurch ist es nun möglich, die 


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143 


Dynamo’s direkt mit der Triebmaschine zu verkuppeln, ohne 
Vorgelege, wodurch nicht nur ausserordentlich an Raum er¬ 
spart wird, sondern auch die Kosten sich erheblich ver¬ 
mindern. 

Redner erläuterte noch die Konstruktion einiger neueren 
Dynamo’s durch Zeichnungen, und theilte das theoretisch 
Wissenswerthe mit über die Gleichstrommaschinen und die 
Wechselstrommaschinen im Hinblick auf Centralanlagen, sowie 
über die in Verbindung mit den Wechselstrommaschinen zur 
Verwendung kommenden Transformatoren. 

Herr Professor Dr. Strack berichtete hierauf über eine 
am gleichen Tage Nachmittags gegen 3 Uhr am ganz heiteren 
Himmel sich zeigende und nahe eine Stunde anhaltende höchst 
merkwürdige Licht erschein ung. Herr Professor Franz 
Sales Meyer von der Kunstgewerbeschule hätte die Er¬ 
scheinung im Freien beobachtet und aufgezeichnet. Seiner 



Freundlichkeit war ein hektographischer Abdruck der Auf¬ 
nahme zu verdanken, welcher den Anwesenden in der Sitzung 
gleich zugestellt werden konnte. Die beistehende Figur gibt 
das genaue Bild der Erscheinung nach jener Aufnahme. Von 


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144 


der Sonne aus in gleicher Höhe über dem Horizont läuft ein 
heller Streifen rings um den Himmel, zu beiden Seiten ist 
derselbe gekreuzt durch Büsche], welche nach der Sonne zu 
roth, nach aussen blau erscheinen mit den bekannten Ueber- 
gangstönen. Nach dem Zenith zu zeigen sich zwei grössere 
Bogen mit der Sonne als Mittelpunkt, an den oberen schliesst 
sich in umgekehrtem Sinne ein kleinerer Bogen an, dessen 
Mittelpunkt ungefähr in das Zenith fällt. Alle Bogen sind 
an ihren nach der Sonne zugekehrten Seiten roth, nach 
aussen blau. An die Schilderung der Erscheinung knüpfte 
sich eine Besprechung über ihr Zustandekommen, nach welcher 
sie als eine Wirkung der Lichtbrechung von in hoher Luft 
vorhandenen feinen Eiskrystallen anzusehen sein dürfte. 

Zum Schluss erläuterte Herr Dr. Schultheiss eine neue 
amerikanische Erfindung: die W e b b’s cli e A d d i t i o n s- 
maschine, welche dazu bestimmt ist, das Zusammenzählen 
grösserer Zahlenreihen zu einer möglichst raschen, nicht mehr 
ermüdenden, rein mechanischen Operation zu machen. Der 
sehr handliche Apparat besteht aus zwei kreisrunden dreh¬ 
baren Scheiben, von denen die grössere, die eigentliche Addi¬ 
tionsscheibe, mit 100 kleinen Bohrungen versehen ist. Vor 
diesen sind die Zahlen 0 bis 99, welche aber durch einen 
festen, nicht drehbaren, ebenfalls mit den Zahlen 0 bis 99 
versehenen Ring am Rande der Scheibe überdeckt sind, an¬ 
gebracht. Es können nur zweistellige Zahlen summirt werden; 
hat man grössere Zahlen, so müssen dieselben in zweistellige 
Gruppen zerlegt werden. Die Addition wird nun in der 
Weise vorgenommen, dass ein Stift jeweils in ein den ein¬ 
zelnen Summanden entsprechendes Loch gesteckt und die 
Scheibe dann bis zu einer bei der Ziffer 0 auf dem festen 
Ring angebrachten Haltvorrichtung gedreht wird; an einem 
der letzteren sich gegenüber befindenden Ausschnitt in dem 
Ring erscheint dann auf der Scheibe die Zahl, welche der 
Summe der Drehungen entspricht. Die Hunderter erscheinen 
dabei, wie bei einem gewöhnlichen Zählwerk, von selbst auf 
der zweiten Scheibe, welche auch zur Addition der Hunderter 
dienen soll. Die Webb’sche Additionsmaschine soll sich viel¬ 
fach bewährt haben. Besonders verwendenswerth erscheint 
sie bei der Summirung von Zahlen, welche zwischen engen 


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145 


Grenzen liegen; immerhin erfordert ihre Handhabung eine 
gewisse Uebung, wenn Zeitersparnis erzielt werden soll. 


407. Sitzung am I. Mai 1891. 

Anwesend 21 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Greneral-Versammlung, 

Herr Hofrath Dr. Meidinger liest einen Bericht über 
die Tbätigkeit des Vereins im verflossenen Geschäftsjahr vor. 
Herr 0. Bartning berichtet über den Stand der Kasse des 
Vereins. 

Bei der dieses Mal stattfindenden Vorstandswahl wurde 
der frühere Vorstand wieder gewählt und Herr Professor Dr. 
Lehmann an Stelle des Herrn Geh. Hofraths Dr. Knop, wel¬ 
cher aus Gesundheitsrücksichten eine Wiederwahl abgelehnt 
hatte. 

Herr Oberforstrath Schuberg hielt einen Vortrag über 
die Wuchsverhältnisse der Buche in Hochgebirgs- 
waldungen. 

Zu den wichtigsten Aufgaben der Forschung im Gebiete 
des Forstwesens gehört die Ermittelung des Wuchses und 
Ertrages jener Holzarten, welche in ganzen Waldbeständen 
auftreten, und die Zusammenfassung und klare Darstellung 
der darüber seit Jahren gesammelten Untersuchungsergeb¬ 
nisse in sogen. Ertragstafeln. Der Baumwuchs folgt zwar 
bestimmten, ziffernmässignachweisbaren Naturgesetzen, welche 
jedoch nicht allein holzartenweise variiren, sondern auch je 
nach den Verhältnissen des Standortes, der Waldentstehung 
und Behandlung innerhalb gewisser Grenzen (Spielräumen) 
mannigfache Wachsthumsformen in die Erscheinung treten 
lassen. 

In jedem Waldbestande entwickeln sich die einzelnen 
Bäume ungleich in Höhe, Stärke, Schaft- und Kronenform. 
Die Bäume von mittlerer Wuchsgrösse und Form herrschen 
vor, die Zahl der zurückbleibenden und vorwüchsigen sinkt 
gegenüber der herrschenden Mittelgrösse in einem gewissen 
prozentischen Verhältniss, ähnlich wie dies der bekannte 
belgische Statistiker Quetelet bezüglich der menschlichen 
Körpergrösse innerhalb der Rassen und Volksstämme nach- 

10 


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146 


gewiesen hat. Die gesammte Stammzahl der Bestände, im 
Jugendalter sehr gross, aber je nach der künstlichen oder 
natürlichen Entstehung (durch Samenabfall) schon sehr un¬ 
gleich, nimmt auch bis in’s höhere Alter — von vielen 
Tausenden auf wenige Hunderte — in sehr ungleichem Ver¬ 
hältnis ab. Allgemein gilt als Regel, dass im Wettkampf 
um Licht und Bodenraum die Schwächlinge desto rascher 
und früher unterdrückt werden, demgemäss um so eher eine 
kleinste Stammzahl stärkerer Bäume den Platz behauptet, 
je günstiger die örtlichen Wachsthumsbedingungen sind. 
Die dabei massgebenden mehrfachen und Wechsel vollen Ur¬ 
sachen sind einerseits den natürlichen Bedingungen der Er¬ 
nährung, andererseits, dem menschlichen Eingreifen zuzu¬ 
schreiben, müssen desswegen auf dem Wege der Untersuchung 
und der statistischen Beobachtung ermittelt werden. 

Beim Buchenwald ergaben diese beiden Ermittelungs¬ 
wege deutlicher hervortretende messbare Ergebnisse, weil 
diese Holzart bei uns in grossen, reinen Beständen von der 
Meeresküste bis zur Baumgrenze auf fast allen Bodenarten 
und in allen Lagen vorkommt und gedeiht, meistens natür¬ 
lich verjüngt und waldbaulich im Hochwald nach gemein- 
giltigen Regeln behandelt wird. Sie bietet daher sehr zahl¬ 
reiche Vergleichsobjekte. 

Davon befanden sich seit Jahrzehnten bis heute viele 
sog. Versuchsflächen in planmässiger Untersuchung. Das 
daraus gewonnene Zahlenmaterial führte zur Feststellung der 
wirtschaftlich wichtigsten Zahlenverhältnisse bezüglich des 
Bestandswuchses und Ertrags von den geringsten bis zu den 
besten Standorten, vom jüngsten bis zum höchstüblichen Alter, 
woraus jedoch für die kurz bemessene Zeit eines Vortrages 
nur einige charakteristische Zahlensätze sich vorführen lassen. 


Im grossen Durchschnitt besitzt 1 Ha. Buchenwald im 
Alter von. 40 80 120 Jahren 



eine Stammzahl von 

bei bestem Wuchs . . 

. . 2400 

800 

500 

bei mittlerem Wuchs . 

. . 3800 

1140 

680 

bei geringstem Wuchs . 

. . 7100 

1775 

1000 

jedoch mit der örtlichen 

Aenderung, 

dass 

innerhalb jedes 

Wuchsgrades bei geringster Erhebung 

über 

die Meereshöhe 


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147 


die Stammzahl sich ermässigt, mit zunehmender Erhebung 
steigert und bei mittlerem Wuchs in den Extremen einer¬ 
seits wieder den Mittelzahlen des besten, andererseits des 
geringsten Wuchses sich nähert. 

Nebstdem pflegt bei Gleichheit der Standortsgüte und 
der Erhebung ü. d. M. den Süd- und Westlagen eine grössere 
Stammzahl eigen zu sein wie den Nord- und Ostlagen und 
übt die Waldbehandlung eine weitere modifizirende Wirkung 
bis zu einem gewissen Grade. Die letztere kann jedoch 
ohne Schädigung des Waldes die Stammzahl in den Hoch* 
lagen der Gebirge nicht bis Zu jener der tieferen Lagen 
herabsetzen, die Wirtbschaft muss vielmehr zur Erhaltung 
vollen Wuchses den Beständen der Hoch-, sowie der West- 
und Südlagen die grössere Stammzahl bis in die höheren 
Lebensalter belassen. 

Demzufolge muss der Wuchsgang der Bestände nach 
ihrer geringeren oder grösseren Stammzahl besonders beob¬ 
achtet und untersucht werden; die Stammzahl beeinflusst in 
hohem Masse den Höhe- und Stärkewuchs, die Schaft- und 
Kronenentwickelung der Bäume: bei gleicher Bodengüte ent¬ 
wickelt sich der Einzelbaum um so langsamer, je dichter 
(stammreicher) der ganze Bestand bleibt. Die Grundflächen¬ 
summe aller Stämme (Summe der Querschnitte in Brusthöhe, 
d. i. 1,3 Meter über dem Boden) ist zwar am grössten bei 
der höchsten Stammzahl, aber auf 100 Stämme des dich¬ 
testen Bestandes entfällt die kleinste Grundfläche, z. B. 
haben 100 Stück 

im Alter von 40 SO 120 Jahren 

Qm. 

bei bestem Wuchs in räum¬ 
licher Stellung .... 1,54 6,20 11,35 

bei bestem Wuchs in dichter 

Stellung. 0,82 3,70 7,35 

bei geringstem Wuchs in 
räumlicher Stellung . . 0,37 2,10 4,5 

bei geringstem Wuchs in 
dichter Stellung. . . . 0,13 1,04 2,4 

und dementsprechend einen grösseren oder kleineren Wachs- 
thumsraum. 

io* 


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148 


Ebenso unterscheidet sich die Höhe der Bestände sehr 
wesentlich nach der Stellung, denn sie beträgt z. B. für 

40 80 120 Jahre 

Meter 

bei bestem Wuchs in räuml. St. 16 28 35 

„ „ „ dichter „ 13 23 28 

Dessenungeachtet können die dichteren Bestände ebenso 
viel Holzmasse liefern, wie die räumlicheren, weil die grössere 
Zahl an Stämmen den geringeren durchschnittlichen Kubik¬ 
inhalt des Einzelstammes ausgleicht. Die Untersuchungen 
darüber, bei welcher Bestandsdichtheit bezw. bei welchem 
Grad der Zwischennutzungen (oder allmähligen Stammzahl¬ 
minderung) der höchste und werthvollste Ertrag erzielt wird, 
sind noch nicht abgeschlossen. 

Die grössere Dichtheit, welche namentlich den von 
Jugend auf unter der Ungunst der klimatischen Verhältnisse 
sich am langsamsten entwickelnden Waldbeständen des Hoch¬ 
gebirges ein charakteristisches Gepräge schlanker Schaftformen 
und kleinerer Baumkronen verleiht und sie jünger erscheinen 
lässt, als sie wirklich sind, äussert noch eine weitere wuchs¬ 
ändernde Wirkung. Der Massengehalt der jüngeren Bestände 
bleibt oft lange und namhaft zurück und erreicht den grössten 
durchschnittlichen Massenzuwachs anderer Waldlagen nicht 
ganz oder erst viele Jahre später, z. B. bei mittlerer Stand- 
ortsgüte im Alter von 




100 

110 

120 

130 

Jahren 



für 1 Jalir unil 

Ha. 


* 

mit 

4,48 

4,57 

4,67 

4,G5 

Fm. 

anstatt im Alter von 


90 

100 

110 

120 

Jahren 


mit 

4,80 

4,78 

4,74 

4,66 

Fm. 


Aehnlich verhält sich’s mit dem grössten Höhe- und 
Stärkewuchs u. s. w., weil die Kürze des Sommers, die Hef¬ 
tigkeit der Luftströmungen und der überreiche Schneefall 
die Entwickelung von Jugend auf hemmt. Da aber gerade 
hier alles schwächere Holz schwer absetzbar und gering- 
werthig ist, bedarf es höherer Hiebsalter. Im Allgemeinen 
sind diese Thatsaehen den Forstwirthen allerdings längst be¬ 
kannt und hohe Umtriebe immer von ihnen befürwortet 


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149 


worden. Aber die genaue Entzifferung dieser Thatsacben, 
zur vollen Begründung der wirtschaftlichen Massnahmen 
und zum Ausbau unanfechtbarer Zahlenwerke muss noch 
erstrebt werden (und ist eingeleitet), da Vergleichszahlen 
wie die obigen nur die Ergebnisse einiger örtlicher Unter¬ 
suchungen sind. 


408. Sitzung am 15. Mai 1891. 

Anwesend 21 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Dr. P. Kumm hielt einen Vortrag über die Wechsel¬ 
beziehungen zwischen Pflanzen und Ameisen. 


409. Sitzung am 29. Mai 1891. 

Anwesend 32 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr 0. Ammon machte Mitteilungen über Beobach¬ 
tungen und Messungen im Lager der ßothhäute 
(Buffalo Bill). 

Herr Hofrath Dr. Meidinger berichtete über die (als 
Versuch) im Bau begriffene Kraftübertragungsanlagen 
zwischen Lauffen am Neckar oberhalb Iieilbronn und 
Frankfurt a. M. (elektrische Ausstellung). Die Entfernung 
beträgt 175 Kilometer. Uebertragen soll werden eine zur 
Verfügung stehende Wasserkraft von 300 Pferdestärken. Zur 
Anwendung für die Leitung kommt ein Kupferdraht von 4 mm 
Dicke, der auf Stangen, wie die Telegraphendrähte aufgehängt 
ist mit Verwendung eigentümlicher Oel-Porzellan-Isolatoren, 
die auch bei ganz nassem Wetter den Verlust von Elektricität 
vollständig verhindern. Die Uebertragung erfolgt durch 
Wechselströme von etwa 30 000 Volt Spannung, die in Lauffen 
aus niedergespannten Strömen durch Transformatoren erzeugt 
und in Frankfurt wieder in niedergespannte Ströme von 60 
Volt zurück geführt werden, die nunmehr als gefahrlos zur 
Verwendung kommen, um Licht und Kraft zu erzeugen. 

Wie sich später zeigte, gelang der Versuch vollkommen; 
die Uebertragung des Stromes auf die grosse Entfernung von 
etwa 40 Stunden war nur mit einem Verlust von etwa 
25 Prozent verbunden, wovon 11 Prozent auf die Leitung, 


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8 Prozent auf die Dynamo-Maschine und 3 bis 4 Prozent 
auf jeden der beiden Transformatoren entfallen. 


410. Sitzung am 12. Juni 1891. 

Anwesend 16 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Ilofrath Dr. Wiener. 

Herr Forstrath Weise hielt einen Vortrag über den 
Weisstannenkrebs. Einleitend hob er hervor, dass von 
den beiden Forschern, die sich vor 25 Jahren mit dieser 
für die Schwarzwaldwirthschaft sehr empfindlichen Krankheit 
beschäftigt haben, de Bary die richtige Erklärung gefunden, 
während Ratzeburg einer begleitenden Erscheinung eine zu 
hohe Bedeutung beigelegt habe. De Bary habe die Krankheit 
auf Infektion mit Aecidium elatinum zurückgeführt, Ratze¬ 
burg auf den Frass von Sesia cephiformis. Auffallend ist es, 
dass trotz aller Nachforschungen unsere Erkenntniss über 
die Entwickelung des Aec. elatinum seit de Bary wenig, 
eigentlich gar nicht gefördert ist. 

Der Vortragende ging nun auf eine Reihe der wesentlich 
bei dieser Krankheit interessirenden Punkte ein, hob hervor, 
dass auch seine Beobachtungen noch nicht zur völligen Auf¬ 
klärung der Erscheinungen ausreichten, dass er viel von 
Wahrscheinlichkeiten selbst da sprechen müsse, wo eigentlich 
Thatsachen angeführt werden sollten.* 

Der erste Theil des Vortrags behandelte zunächst die 
Frage, an welcher Stelle der Pilz Eingang findet. Zur Be¬ 
antwortung musste der eben entstehende Hexenbesen ein¬ 
gehend beobachtet werden und es ergab sich, dass die In¬ 
fektion nur durch die Knospe, und zwar in einem gewissen 
Stadium ihrer Entwickelung geschehen könne. Eine Reihe 
von Tafeln mit einer Auswahl von oben aus der Knospe 
treibenden Hexenbesen wurde zur Klarstellung dieses Sach¬ 
verhalts vorgelegt. Bei diesem Material war die Infektion 
der Knospe unzweifelhaft. Dass das Mycel auf anderem Wege 
nicht eindringen könne, wurde durch folgendes bewiesen. 

• Die Veranlassung, dass Redner mit seinen Beobachtungen an die 
Oeffentlichkeit trat lag darin, dass er für den Herbst Karlsruhe verliess, 
um als Direktor der Preuss. Forstakademie nach Münden überzusiedeln 
und in dem neuen Wirkungskreise kein Beobachtungsmaterial fand. 


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151 


Wenn jede Stelle des Triebes oder jede Nadel den Eingang 
zulässt, so muss in manchen Jahren eine Ueberschüttung des 
Waldes mit Infektionen eintreten. Das ist aber niemals der 
Fall und darin weicht der Hexenbesen von allen anderen 
verwandten Pilzkrankheiten ab. Sein Auftreten ist immer 
ein — für Pilzkrankheiten — sparsames, dabei aber ein 
auffallend gleichmässiges. De Bary’s Behauptung, dass der 
Pilz durch die gesunde Rinde eindringe, sei demnach nicht 
aufrecht zu erhalten. Wenn Rb. Hartig behauptet, dass nur 
eine Wundstelle den Eingang verschaffe, dass die Weisstanne 
ohne Verwundung den Eintritt abwehre, so kann dem die 
Thatsache entgegengehalten werden, dass die zahllosen Ver¬ 
wundungen durch einen Hagelschlag in einem Weisstannen¬ 
jungwuchs am Kandel keine Infektion zeigten, während die 
gewöhnliche Form des aus der Terminalknospe eines Seiten¬ 
triebes austreibenden Hexenbesens reichlich vorhanden war. 
Ausserdem kann aber noch entgegengehalten werden, dass 
der Hexenbesen Lieblingsstandorte hat. Es sind das Ueber- 
hälter, Bestandsränder, alte breitgewachsene Vorwüchse. 
Wie sollten gerade diese fortdauernd Infektion begünstigenden 
Beschädigungen ausgesetzt sein? 

Erwägt man, dass die Tannenbestände durch die peren- 
nirenden zahlreichen Hexenbesen mit Milliarden von Sporen 
alljährlich überschüttet werden und dass dennoch die Krank¬ 
heit nicht verheerend auftritt, sondern hauptsächlich an den 
oben genannten Lieblingsstandorten und dort im Vergleich 
zu der Sporenmasse in gleichmässig relativ geringem Grade, 
so muss man zugeben, dass die Natur der Verbreitung und 
dem Eintritt des Pilzes schwere Hindernisse entgegengesetzt 
hat. Sie bestehen darin, dass weder durch die gesunde noch 
verwundete Rinde, weder durch die kranke noch gesunde 
Nadel die Infektion möglich ist, sondern nur durch eine in 
bestimmtem Entwickelungsstadium befindliche Knospe. 

Die Thatsache der von Jahr zu Jahr auftretenden 
Gleichmässigkeit der Hexenbesen, ihr relativ geringes Vor¬ 
kommen, die Häufung an bestimmten Standorten und Baum¬ 
formen, verbunden mit der Thatsache, dass eine 25jährige 
scharfe Beobachtung durch Botaniker und Forstleute zu 


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152 


keinem Anhalt geführt hat, benutzt der Vortragende, um die 
Wahrscheinlichkeit darzuthun, dass der bisher gesuchte 
Zwischenwirth, bezw. Wirth der Zwischenform, überhaupt nicht 
existire. 

Im zweiten Theil des Vortrages wurde das Entstehen 
des Stammkrebses besprochen. Das die inficirte Knospe 
durchwuchernde Mycel durchzieht auch die Zellen des benach¬ 
barten Holzes und der Rinde und ruft dort die bekannte 
Wucherung hervor, so dass der Hexenbesen auf einer Beule 
aufsitzt. Diese Beule wird von Jahr zu Jahr etwas grösser, 
indem jeder neue Jahrring in zwar schwachem aber immer¬ 
hin erweitertem Masse ergriffen wird. Dem Mycel geht die 
Fähigkeit ab, verhexte Zellen zu durchwachsen, das Uebel 
bleibt daher eng lokalisirt. Da es abgesehen von seltenen 
Ausnahmen an den Zweigen entsteht, so könnte durch recht¬ 
zeitige Entfernung der mit Beulen behafteten Zweige der 
Eintritt des Mycels in die Stammaxe leicht verhindert werden. 
Das ist jedoch früher nie geschehen und daher tragen die 
Altbestände des Schwarzwaldes die Krebse in so auffallend 
reichem Masse. 

Jede Astbeule rückt in Folge des Dicke-Wachsthums 
des Stammes der Stammaxe von Jahr zu Jahr näher; be¬ 
rührt sie endlich den Stamm, so tritt das Mycel nun in den 
Schaft selbst ein und treibt diesen auf. Der Stamm ver¬ 
schluckt gleichsam durch sein Dicke-Wachsthum die Beule. 
Bei diesem Vorgänge ist bisher auf eine Eigenthümlichkeit 
noch nicht hingewiesen, nämlich darauf, dass die kranke 
Rinde der Beule von dem wuchernden Zuwachs nicht, wie 
es normal ist, nach aussen abgeschoben wird, so dass nur 
das Harz einwächst, sondern mit in den Stamm aufgenom¬ 
men wird. 

Die Rinde verrottet häufig nach etlichen Jahren und 
damit kann dann Regenwasser von aussen in den Stamm 
gerathen, mit diesem die Sporen von Fäulnisspilzen. Darin 
liegt der Hauptgrund für die Entstehung der sog. kranken 
Krebse. 

Die Stadien des Einwachsens der Astbeule in den Stamm 
wurden an einer Reihe von Objekten gezeigt, endlich auch 


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an aufgeschnittenen alten Stammkrebsen nachgewiesen, wie 
die Krankheit von der Astbeule ausgegangen ist. 

An dieser Stelle wies der Vortragende dann noch auf 
die Ratzeburg’schen Beobachtungen hin und auf den Antheil, 
den die Insekten weit an der Vergrösserung des Uebels trägt. 
Nicht nur Sesia cephiformis, sondern auch Pissodes piceal 
entwickelt sich unter der Rinde der Krebsbeulen. Der 
Stamm sucht die Gänge durch Ueberwallung zu schliessen, 
was auf die Dauer nicht gelingt- und so brechen dann die 
Krebse auf, d. h. werden rindenlos und gestatten damit den 
Fäulnisspilzen leichten Angriff. 

Im letzten Theil des Vortrags wurden kurz die Abwehr¬ 
mittel besprochen. Sie zielen darauf hin, durch rechtzeitigen 
Aushieb bei den ersten Läuterungs- und Durchforstungshieben 
die Stämme zu entfernen, welche besondere Empfänglichkeit 
für Aufnahme von Hexenbesen zeigen, es sind also namentlich 
die alten sperrigen Vorwüchse aus den Verjüngungen zu hauen 
und die Ränder zu durchmustern. Später sind gefährlich zur 
Stammaxe stehende Beulen abzuschneiden bezw. die Stämme 
mit solchen Beulen zu fällen. Die Erziehung und Pflege des 
Bestandes in den ersten Jahrzehnten seines Lebens ist das 
wichtigste Moment und allein ausreichend, um das Uebel 
niederzuhalten. 

Wo Ueberhälter stehen geblieben, sind sie im Auge zu 
behalten und ohne Zögern zum Einschlag zu bringen, wenn 
sich an ihnen die Hexenbesen mehr und mehr häufen. Be¬ 
standsränder soll man nicht von Weisstannen machen; wenn 
es aber geschehen ist, so darf man sich nicht die Mühe ver¬ 
drossen lassen und die Besen herausschneiden. 

Der Vortragende glaubt, dass der Femelschlagbetrieb 
mit seinen langen Verjüngungen und der Benutzung alter 
Vorwüchse das Uebel begünstigt hat, aber nur desshalb, weil 
die frühere Zeit in Unkenntniss über den wahren Ursprung 
des Uebels war. Nachdem wir diesen aber kennen, sollen 
wir die geeigneten Gegenmittel ergreifen, wie sie vorher ge¬ 
schildert sind. Man wird dann die Vortheile des Femel- 
schlagbetriebes geniessen, ohne den Nachtheil der Krebs¬ 
kalamität gross zu ziehen. 


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411. Sitzung am 16. Oktober 1891. 

Anwesend 31 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. W. Migula, Privatdocent an der 
Technischen Hochschule. 

Der Vorsitzende macht davon Mittheilung, dass unter 
dem 20. Juni seitens der anthropologischen Kommission des 
Alterthums-Vereins Karlsruhe ein Schreiben an den natur¬ 
wissenschaftlichen Verein gerichtet worden sei, in welchem 
um Bewilligung eines weiteren Beitrags von 200 Mark zur 
Fortsetzung der Untersuchungen der Wehrpflichtigen Badens 
gebeten wurde; der Vorstand des Vereins könne dies Gesuch 
befürworten. Da kein Einspruch erfolgt, so ist das Gesuch 
genehmigt. 

Der Vorsitzende widmete dem bisherigen Mitgliede, Herrn 
Hofrath Prof. Dr. Just, den der Verein durch den Tod am 
30. August d. J. verloren hatte, ehrende Worte. Der Ver¬ 
storbene hatte der Technischen Hochschule und dem Vereine 
seit etwa 20 Jahren angehört. Neben dem, dass er den 
Unterricht namentlich in physiologischer und mikroskopischer 
Hinsicht erweiterte, den botanischen Garten, die landwirth- 
schaftlich-botanische Versuchsanstalt und das bakteriologische 
Institut schuf, diente er dem Vereine durch eine Reihe inter¬ 
essanter Vorträge, namentlich in der bezeichneten Richtung. 
Die Anwesenden ehrten das Andenken an den Dahingeschie¬ 
denen durch Erheben von den Sitzen. 

Herr Privatdozent Dr. Migula hielt einen Vortrag über 
leuchtende Bakterien. 

Es sind bis jetzt sechs Arten Leuchtbakterien genauer 
bekannt, von denen zwei Arten, Photobaeterium Pflügeri und 
Photobacterium phosphorescens besonders das Leuchten der 
Seefische verursachen, zwei andere Photobacterium Fischeri 
und Photobacterium balticum der Ostsee entstammen, eine 
Art, Photobacterium iuminosum, der Nordsee, und zwei, Photo¬ 
bacterium indicum, dem indischen Ozean angehört. Sie 
tragen namentlich an den Meeresküsten in der Nähe mensch¬ 
licher Niederlassungen, in Buchten, wo sich organische Stoffe 
in grösserer Menge anhäufen, jedenfalls nicht unerheblich 
zum Meeresleuchten bei; auch sind einige Arten schon im 


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Binnenlande auf Fleisch gefunden worden, welches durch 
seine Phosphorescenz dem Unkundigen Angst und Grauen 
einflösste. Wahrscheinlich sind jene seltenen Erscheinungen 
von leuchtenden) Fleisch, Schweiss, Harn zum grössten Theil 
auf die massenhafte Entwickelung solcher Leuchtbakterien 
zurückzuführen. 

Ueber die Ursache der Lichtentwickelung ist zur Zeit 
noch Nichts mit Sicherheit bekannt, vielleicht ist sie auf die 
Bildung von Aldehyden zurückzuführen, welchen diese Eigen¬ 
schaft unter gewissen Verhältnissen zukommt. Das Licht 
der einzelnen Arten ist so deutlich von einander verschieden, 
dass man sie schon hiernach bei einiger Uebung von einander 
trennen kann. Photobacterium phosphorescens zeigt beispiels¬ 
weise ein prachtvoll smaragdgrünes Licht, während Ph. lumino- 
sum mehr röthlich ist. Auch im Spektrum zeigt sich mit 
absoluter Sicherheit eine Verschiedenheit des Lichtes der 
verschiedenen Arten. 

Kulturen von stark leuchtenden Photobakterien wurden 
nach Verdunkelung des Zimmers demonstrirt. 

Herr Hofrath Dr. Meidinger machte zum Schlüsse einige 
Mittheilungen über die neueren technischen Anwendungen 
der Elektrolyse in der Metallurgie und in der chemischen 
Fabrikation, welche sich auf die billige Erzeugung von 
Starkströmen durch Dynamomaschinen gründen und wovon 
die elektrotechnische Ausstellung in Frankfurt a. M. Einiges 
vorgeführt hatte. 


412. Sitzung am 30. Oktober 1891. 

Auwesend 27 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Der Verein genehmigte die Absendung einer künstlerisch 
ausgestatteten Adresse an Herrn Geh. Rath Dr. Herrn, v. 
Helmholtz in Berlin zur bevorstehenden Feier seines 70. Ge¬ 
burtstages (geb. 31. August 1821). 

Dieselbe hat folgenden Inhalt: 

An Seine Excellenz den Geheimerath Dr. Hermann von 
Helmholtz in Charlottenburg. 

Bei der Feier des siebenzigsten Geburtstages Eurer 
Excellenz drängt es den Naturwissenschaftlichen Verein in 


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Karlsruhe, Ihnen mit den wärmsten Glückwünschen den 
Ausdruck seiner grössten Hochachtung und Dankbarkeit dar¬ 
zubringen. Es liegt ein langes Leben voll von Arbeit und 
reich an Erfolgen hinter Ihnen. Ihre Entdeckungen und 
Erfindungen sind mit ehernem Griffel in die Tafeln der 
Geschichte der Physiologie, der Physik und der Mathematik 
eingegraben, und Ihrem Namen begegnet ebensowohl der 
Gelehrte, wie der ausübende Arzt und Techniker. 

Mögen Ihnen noch viele Jahre der Gesundheit und der 
Kraft geschenkt sein; möge es Ihnen vergönnt sein, das 
Reifen der Früchte zu beobachten, die so reich aus Ihrer 
Geistesarbeit entsprossen. 

Karlsruhe, den 30. Oktober 1891. 

Im Namen des naturwissenschaftl. Vereins in Karlsruhe. 

Der Vorstand (folgen die Namen). 

Hierauf sprach Herr Professor Dr. Endres über die 
klimatische, wasserwirthschaftlichc und hygienische 
Bedeutung des Waldes. Redner betonte zunächst, dass 
die allgemein verbreitete Ansicht, der Waldreichthum Central¬ 
europas habe im gegenwärtigen Jahrhundert abgenommen, 
irrig sei. In Deutschland betrage die Veränderung der 
Waldstandsziffern kaum 2 Prozent und in den letzten De¬ 
zennien sei eher eine Zunahme, als eine Abnahme der Wald¬ 
flächen festzustellen. Europa ist zu 30 Prozent, Deutschland 
zu 25,7 Prozent, Oesterreich zu 32,6 Prozent, Frankreich zu 
17,7 Prozent bewaldet. Die waldärmsten Länder sind Eng¬ 
land, Dänemark und Portugal, die waldreichsten Bosnien und 
die Herzegowina, Finnland und Schweden. 

Der Einfluss des Waldes auf die Luft- und Bodentem¬ 
peratur bestehe hauptsächlich in der Abschwächung der 
Temperaturextreme im Sommer und im Winter. Die ab¬ 
solute Feuchtigkeit ist im Walde nicht grösser als auf freiem 
Felde, dagegen ist die Waldluft um 3 bis 10 Prozent relativ 
feuchter. Eine der wichtigsten Fragen sei die, ob der Wald 
den Regen vermehren könne. Die darüber in Centraleuropa 
angestellten Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen; 
die bis jetzt gewonnenen Ergebnisse sprechen nicht gegen, 
aber auch nicht zweifellos zu Gunsten der Bewaldung. Könnte 


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die Frage auch unbedingt bejaht werden, so wäre damit eine 
Wohlfahrtswirkung des Waldes in den seltensten Fällen fest¬ 
gestellt, weil in Centraleuropa gegenwärtig jährlich mehr 
Regen fällt, als die Vegetation brauchen kann. Die Nieder¬ 
schlagsverhältnisse eines Gebietes sind weniger von der Be¬ 
waldung beeinflusst, als von dem Zug der Gebirge nach den 
Himmelsrichtungen, von der Erhebung und von der Ent¬ 
fernung vom Meere. Auch auf die Gewitter- und Hagelbil¬ 
dung lässt sich kein direkter Einfluss des Waldes nachweisen. 
Die in Württemberg seit dem Jahre 1828 darüber angestellten 
statistischen Erhebungen haben dargethan, dass auf die Ent¬ 
stehung von Hagelstrecken die Richtung der Gebirgszüge 
und die orographischen Verhältnisse mehr Einfluss haben, als 
der Wald. Die in den letzten Dezennien festgestellte Zu¬ 
nahme der Blitzschläge sei nicht auf die „zunehmende Ent¬ 
waldung“, die, wie schon bemerkt, in diesem Jahrhundert 
gar nicht stattgefunden hat, zurückzuführen, sondern wahr¬ 
scheinlich auf die allgemeinere Verwendung des Eisens in 
Industrie und Technik. 

Die wasserwirtschaftliche Bedeutung des Waldes in 
Bezug auf Speisung von Quellen und die Wasserstands¬ 
bewegungen der Flüsse sei ebenfalls sehr zweifelhaft. Die 
im Gebiete der Hauensteiner Alb im südlichen Schwarzwald 
durchgeführten systematischen Untersuchungen haben ergeben, 
dass auf der zu 51 Prozent bewaldeten grossen Fläche eine 
Einwirkung der Art der Bodenbedeckung auf das Vorkommen 
und die Ergiebigkeit der Quellen nicht nachzuweisen ist. 
Grössere Ueberschwemmungen zu verhindern, ist der Wald 
in den seltensten Fällen im Stande. In den meisten Gegen¬ 
den, so auch im Rheingebiete, tritt die Hochwassergefahr 
im Spätwinter ein, weil um diese Zeit die meisten Nieder¬ 
schläge erfolgen. Zu derselben Zeit ist aber der Wasser¬ 
verbrauch im Walde in Folge der Vegetationsruhe und geringen 
Verdunstung und die Wasserzurückhaitung durch den ge¬ 
frorenen Boden sehr minimal. Da nun im Walde der Schnee 
langsamer schmilzt, als auf freiem Felde, so ist es möglich, 
dass bei rasch aufeinanderfolgenden starken Niederschlägen 
und Umschlag der Witterung der Wald die Hochwassergefahr 
sogar steigert, ein Fall, der bei der Rheinüberschwemmung 


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im Dezember 1882 eintrat und konstatirt wurde. In dem¬ 
selben Jahre wurde das dicht bewaldete Rheingebiet durch 
Hochwasserkatastrophen ebenso heimgesucht, wie die wald¬ 
armen Länder Tirol und Kärnthen. Buchenlaub kann pro 
Hektar höchstens 18,000 Liter, Moos 60,000 Liter Wasser 
in sich aufsaugen, welche Wassermengen einer Regenhöhe 
von 1,8 und 6,0 mm entsprechen. Die Niederschlagsmengen 
im Hochgebirge erreichen aber 100 mm an einem Tage, in 
Lausanne fielen 1890 in •/« Stunden allein 56 mm Regen. 
Gegenüber solch’ gewaltigen Wassermassen ist daher der 
Wald machtlos, um so mehr, als bei diesen starken Nieder¬ 
schlägen auch die Kronen nichts mehr aufsaugen können und 
sämmtlicher Regen zu Boden fällt. — Unbestritten ist die 
wohlthätige Wirkung des Waldes in Bezug auf die mecha¬ 
nische Befestigung des Verwitterungsbodens. Bodenabschwem¬ 
mungen, die Bildung von Trümmerfeldern und Ablagerung 
von Schuttmassen nach den Thälern werden durch den auf 
Bergwänden stockenden Wald verhütet oder vermindert, 
ebenso die Geschiebeführungen in den Gewässern. Entstehen 
Lawinen oberhalb der Waldvegetationsgrenze, dann ist aller¬ 
dings die Widerstandskraft der Holzbestockung nicht gross 
genug, um ihre Fortbewegung zu verhindern, in der Schweiz 
brachen 1887/88 SOS Lawinen oberhalb und 210 unterhalb 
der Waldgrenze los; durch die ersteren wurden 1325 ha 
Wald vollständig vernichtet. 

Hinsichtlich der hygienischen Bedeutung des Waldes er¬ 
gibt sich Folgendes: Ein wesentlicher Unterschied in der 
chemischen Zusammensetzung der Waldluft und Freiland¬ 
luft ist nicht festzustellen, namentlich ist der Sauerstoffgehalt 
im Walde nicht grösser, als im Freien. Das belebende Ele¬ 
ment der Waldluft muss vielmehr in deren Reinheit gegen¬ 
über der Luft in bewohnten Orten, namentlich in grösseren 
Städten, gesucht werden. In Paris fand man in einem Kubik¬ 
meter Luft durchschnittlich 3910 Bakterien, im Park von 
Montsouris nur 455. Im Waldboden finden die pathogenen 
Bakterien ungünstige Lebensbedingungen. Einmal bilden die 
an Stickstoff, Phosphorsäure und Kalisalzen armen vege¬ 
tabilischen organischen Stoffe im Waldboden einen viel 
schlechteren Nährboden, als die von tbierischen Stoffen ab- 


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stammenden organischen Bestandtheile des Ackerbodens und 
dann fehlt im Waldboden das für das Gedeihen der Spalt¬ 
pilze nöthige, tropfbar flüssige Wasser. Wenn daher der 
Waldboden immun ist gegen pathogene Bakterien, so muss 
auch die durch den Wald streichende Luft und das Quell¬ 
wasser im Walde frei sein von infektiösen Bestandtheilen. 

An den Vortrag schloss sich eine längere, lebhafte Dis¬ 
kussion, an welcher sich die Herren Baudirektor Honseil, 
Geb. Hofrath Dr. Engler, Hofrath Dr. Meidlnger und Ober¬ 
forstrath Schuberg betheiligten. 

413. Sitzung am 13. November 1891. 

Anwesend 26 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Der Vorsitzende widmete dem langjährigen Mitgliede 
des Vereins, Herrn Geh. Rath Dr. Schweig, der am 2. No¬ 
vember im 86. Lebensjahr verschieden ist, ehrende Worte. 
Der Dahingegangene gehörte zu den Gründern des Vereins, 
welche diesem im Jahre 1862 die im Wesentlichen jetzt noch 
bestehende Form und die noch geltenden Satzungen gegeben 
haben. Er erfreute den Verein in früheren Jahren durch 
Vorträge aus seinem ärztlichen und aus dem einschlägigen 
chemischen Wissensgebiete, indem er Forschungen in dieser 
Richtung mit besonderer Vorliebe oblag. Lange Zeit diente 
er dem Vereine als Kassenführer. Wie der Dahingeschiedene 
durch den Reichthum seines Wissens, durch die Unermüd¬ 
lichkeit und Hingebung in seinem hilfebringenden Berufe, 
durch die Reinheit seines Charakters wohlthuend wirkte, ist 
besonders denen bekannt, die ihm näher standen, und hat ihm 
in weiten Kreisen eine hohe Achtung erworben. Die Anwesen¬ 
den ehrten sein Andenken durch Erheben von den Sitzen. 

Sodann theilte der Vorsitzende das nachstehende Schreiben 
des Herrn Geh. Raths H. v. Helmholtz in Charlottenburg 
an den Verein mit: 

Charlottenburg, den 9. November 1891. 

Hochgeehrte Herren! 

Sie haben mir zur Feier meines siebenzigsten Geburts¬ 
tages Worte wärmster Anerkennung für meine Wissenschaft- 


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liehen Bestrebungen und freundliche Glückwünsche für die 
Zukunft in künstlerischer Weise geschmückt gesendet. Ich 
bitte Sie, dafür den Ausdruck meines tief empfundenen Dankes 
annehmen zu wollen. Es ist für mich eine grosse und er¬ 
hebende Freude gewesen, in so hohem Masse durch die Zu¬ 
stimmung urteilsfähigster Männer geehrt zu werden. 

In grösster Hochachtung 

Ihr sehr ergebener 

Dr. H. v. Helmholtz. 

Herr Dr. Schober hielt hierauf einen Vortrag über die 
Entstehung der Harze in der Pflanze. Bevor Redner 
auf das eigentliche Thema einging, schilderte er die Orte, 
in denen sich das Harz innerhalb der Pflanze befindet. Die 
Harze, welche in grösseren Mengen aus der Pflanze gewonnen 
werden — bei uns insbesondere die Harze der Nadelhölzer, 
Tannen, Fichten, Kiefern, Lärchen, sodann das Harz einer 
nordamerikanischen Konifere, der Kanadabalsam, das einer 
nordafrikanischen und einer ostindischen Konifere, das Dam- 
marharz, ebenso das Harz einer Terelinthaceenart, der Mastix 
— liegen in diesen Pflanzen in besonderen Gängen, den so¬ 
genannten Harzgängen oder Harzkanälen. Ausser diesen 
gibt es kleinere Höhlungen, welche mit Harz angefüllt sind 
und Harzdrüsen heissen, den Oeldrüsen ähnlich, welche als 
helle Punkte in den Blättern der Myrte, des Hypericum 
perforatum u. s. w., schon dem blossen Auge sichtbar sind. 
Redner ging sodann auf die Gewinnungsarten, das Harzen, 
ein, welches naturgemäss verschieden ist, je nachdem die 
Harzgänge und Drüsen sich reichlicher in dem Holz oder in 
der Rinde verbreiten. Dass durch die Verwundungen, welche 
mit den Harzen verbunden sind, sich überdies Harzmengen 
neu bilden, ist bis jetzt von forstlicher Seite beobachtet. — 
Es besteht ein prinzipieller Unterschied zwischen den eben 
genannten aus den Bäumen hervortretenden Ilarzmassen und 
solchen Harzen, welche durch Verwandlung von peripherischen 
Gewebsstücken entstehen; erstere enthalten niemals Spuren 
von Gewebsresten, letztere dagegen solche in reichem Masse. 

Den Begriff „Harz“ chemisch festzustellen ist sehr 
schwierig, da in allen Harzen neben den bisher nothwendig 


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studirten Harzsäuren ätherisches Oel, Gummi, Schleim und 
in solchen aus Pflanzengeweben direkt entstandenen auch noch 
Zellulose, Stärke, Gerbstoff u a. m. immer gleichzeitig nach¬ 
zuweisen ist. 

Ueber die Entstehung der Harze liegen zwiespältige 
Meinungen bei Chemikern und Botanikern vor. Erstere 
nehmen ätherisches Oel als den Ausgangspunkt der Harz¬ 
bildung an, von Botanikern sind aber bisher einmal die 
Zellwände und sodann die Stärkekörner als Ursprungsmaterial 
der llarze in Anspruch genommen. Nach einer Kritik der 
einschlägigen botanischen Arbeiten berichtet der Vortragende 
über mikroskopische Untersuchungen, welche er an einem 
australischen Harz, einem Xantorrhoeaharz (im Handel unter 
dem Namen Erdschellack bekannt) gemacht hat. Dasselbe 
gehört zu den Harzen, welche durch Umwandlung von ober¬ 
flächlich gelegenen Gewehen der Pflanze entstehen und die¬ 
selbe in etwa 2 bis 4 cm grossen Stücken bedecken. In 
den zum Theil noch gut erhaltenen Zellen des Untersuchungs¬ 
materials fanden sich Tropfen, welche aus Eiweiss, Harz und 
ätherischem Oel bestehen. Diese deuten darauf hin, dass 
das Xantorrhoeaharz zum Theil aus ätherischem Oel entsteht, 
ein anderer Theil desselben allerdings aus der Zellwand. Es 
ist aber an Stelle der Zellwand in der botanischen Literatur 
bisher ohne Berechtigung immer die Zellulose als Bildungs- 
material des Harzes genannt worden; aus Zellulose bestehen 
allerdings die Zellwände anfänglich, es tritt aber Verharzung 
derselben nur ein, wo sie aus Zellulose und Holzsubstanz 
bestehen, d. h. wo Me aus reinen Zellulosewänden schon in 
Holzwände übergegangen sind. Vor Allem wichtig ist, dass 
also auch trotz der bisherigen gegentheiligen Annahmen in 
der Pflanze wohl Harz aus ätherischem Oel hervorgeht. — 
Ob die oben erwähnten aus Eiweiss, Harz und ätherischem 
Oel bestehenden Gebilde mit Stärkekörnern, mit welchen sie 
in jugendlichen Zellen, in Zellen eines sog. Bildungsgewebes, 
zusammen auftreten, irgendwie Zusammenhängen, liess sich 
bei dem alten und völlig abgestorbenen Material leider nicht 
feststellen. 

An den Vortrag knüpfte sich eine interessante Be¬ 
sprechung, an welcher sich die Herren Geh. Hofrath Dr. 

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Engler und Professor l)r. Schröder ausser dem Vortragenden 
betheiligten. 

Herr 0. Ammon machte Mittheilungen über anthro¬ 
pologische Beobachtungen in der Arbeiterwelt. 

Herr Gräbener berichtete Uber eine seltsame Eibil¬ 
dung. Ein äusserlich normales Hühnerei zeigte beim Auf¬ 
schlagen ausser dem normalen Dotter und Eiweiss, in letz¬ 
terem schwimmend, einen runden weisslichen (Gegenstand in 
der Grösse einer mittelgrossen Nuss; durch Unvorsichtigkeit 
zerplatzte dieser; die Schale oder äussere Haut war nun 
ganz ähnlich der eines schallosen Eies, es entquoll derselben 
gewöhnliches Eiweiss, von dem des Haupteies nicht zu unter¬ 
scheiden, sowie ein runder weisslicher Dotter oder ein drittes 
Ei, wie eine Haselnuss gross. Handelt cs sich hier um zwei 
ineinander steckende Eier, oder ist der Gegenstand eine, im 
Eiweiss entstandene Abnormität? Die Frage, wie solch’ Ge¬ 
bilde entstehen konnte, bleibt eine offene, ebenso, was beim 
Bebrüten des Eies herausgokommen wäre. Dem Vortragen¬ 
den war nicht bekannt, dass Aehnliches schon beobachtet 
worden wäre. 


414. Sitzung am 23. November 1891. 

Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesdlschaft und der Badischen 
Geographischen Gesellschatt im grossen Saale des Museums. 

Herr Premierlieutenant Kurt Morgen hielt einen Vortrag 
über seine Reisen und Forschungen im Hinterland 
von Kamerun. 


415. Sitzung am 27. November 1891. 

Anweseud 25 Mitglieder. Vorsitzender: Herr (ich. Hofrath Dr. Wiener. 
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Herdmeister Dr. L. Buch¬ 
ruck er, Lehramtspraktikunt M. Karle, Dr. Li ehr ich, Assistent an 
der Technischen Hochschule. 

Herr Hofrath Dr. Meidinger erörterte iu einem längeren 
Vortrage die Unterschiede des durch Dynamo-Ma¬ 
schinen erzeugten Wechselstroms, Gleichstroms 
und Drehstroms, im besonderen Hinblick auf die elektrische 


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Krafttransmissions-Anlage, welche sich während der Dauer 
der elektrischen Ausstellung in Frankfurt a. M. vergangenen 
Sommer zwischen Laufen oberhalb Heilbronn am Neckar und 
Frankfurt in Betrieb befunden hatte. 

Herr Geh. Hofrath Dr. Engler sprach Uber den neuesten 
Stand der Alkaloid-Synthese. Bekanntlich ist es, nach¬ 
dem schon vorher eine Reihe wichtiger natürlicher Farbstoffe 
und Riechstoffe, wie z B. das Krapproth und das Indigo¬ 
blau, das Vanillin und das Cumarin, die wirksamen Bestand- 
theile der Vanille und des Waldmeisters, auf künstlichem 
Wege dargestellt worden waren, gelungen, auch einen Re¬ 
präsentanten jener interessanten Pflanzengifte, der Alkaloide, 
deren einzelne wie Morphin, Atropin, Cocain etc. sehr wich¬ 
tige Medikamente bilden, das Coniin auf künstlichem Wege 
aus den Elementen aufzubauen. Ladenburg wählte als Aus- 
gangsmaterial für diese Synthese einen Bestandtheil des 
Gastheers, das Pikolin, welches er durch eine Reihe von 
chemischen Metamorphosen in das Coniin überführte. Es 
war dabei noch von ganz besonderem Interesse, dass es ihm 
gelang, optisch aktives Coniin, dessen Bildung man früher 
nur in der lebenden Pflanze für möglich hielt, zu erzeugen. 
Später gelang es, auch das Trigonellin, das Alkaloid des „Bocks¬ 
hornsamen“ (Trigonelia fors. graec.), künstlich darzustellen. 

Indem der Vortragende in den letzten Jahren mit 
mehreren seiner Schüler eingehende Untersuchungen über 
die Ketone des Pyridins (Bestandtheil des Gastheers und 
muthinassliche Muttei Substanz sehr vieler Alkaloide) anstellte, 
gelang es ihm in Gemeinschaft mit Herrn W. Bauer, aus 
dem Aethyl-Pyridylketon mit nascirendein Wasserstoff einen 
Körper zu isoliren, der nach seinen Eigenschaften mit dem 
Pseudoconhydrin, einem Alkaloid des Schierlings, identisch 
ist, womit das dritte künstliche Alkaloid dargestellt wäre. 
Proben des künstlichen Alkaloids, sowie des aus Schierling 
dargestellten natürlichen, aus denen die Uebereinstimmung 
der beiden Substanzen liervorging, wurden vorgezeigt. 

Als Alkaloide, deren synthetischer Aufbau in nicht ferner 
Aussicht stehen dürfte, weil sie ihrer inneren chemischen 
Konstitution nach bereits erkanut sind, wurden Tropin, 
Atropin und Cocain bezeichnet. 

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416. Sitzung am II. Dezember 1891. 

Anwesend 18 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Prof. Rebmann berichtete über neuere Forschungen 
über die Struktur der pflanzlichen Zell wände, besonders 
mit Bezug auf die Bewegung des Saftstroms im Pflanzen¬ 
körper. Der Begriff der pflanzlichen Zelle als eines in sich 
abgeschlossenen Theils des Pflanzenkörpers rührt noch aus 
den ersten Zeiten der mikroskopischen Forschung her, wo 
eine naturgemäss noch rohe Methode wohl noch die leeren 
Hohlräutne der Zellen, aber nicht mehr das darin enthaltene 
Protoplasma zeigte. Mit der Zeit aber erkannte man mehr 
und mehr dessen Existenz, seinen Bau und seine Bedeutung für 
das Leben der Pflanze; ja nach und nach erschien es als der 
alleinige Träger aller Lebensthätigkeiten. Damit trat auch 
die Zellwand in die viel bescheidenere Rolle einer Hülle eines 
kostbareren Inhalts zurück. 

Erkannte man so, dass das Protoplasma bei sämmtlichen 
Vorgängen der Bewegung, der Ernährung und Vermehrung 
in allererster Linie betheiligt sei, so musste man schon aus 
theoretischen Gründen zu der Vermuthung kommen, dass 
das Protoplasma der Pflanze eine zusammenhängende Masse 
sein müsse. Vor allem musste das zur Fortpflanzung ver¬ 
wendete Plasma, das als Idioplasma sämmtliche morpho¬ 
logischen und physiologischen Eigenheiten des Pflanzenkörpers 
reproduziren kann, auch in allen Zellen der Pflanze vor¬ 
handen sein, um so mehr, als eine beliebige Zelle die Rolle 
der Fortpflanzungszelle übernehmen kann. Nun hatte man 
früher Kommunikationen zwischen einzelnen Zellen und Zell¬ 
gruppen schon entdeckt, so vor allem die Siebröhren, deren 
Wände von feinen Oeffnungen durchbohrt und von Plasma- 
strängen durchsetzt sind. Nach und nach mehrten sich die 
Beobachtungen über derartige Zellwanddurchbohrungen und 
eine besondere Aufmerksamkeit schenkte man längere Zeit 
den „Zellen reizbarer Organe, weil man für das Hin- und 
Herströmen des Zellsafts, dem man die Ausführung derartiger 
Bewegungen zuschrieb, auch die Wege suchte. In neuerer 
Zeit hat nun Herr Dr. Kienitz-Gerlaff in systematisier 
Weise eine grössere Anzahl von Pflanzenarten nach dieser 
Richtung untersucht und bei ihnen nahezu ausnahmslos die 


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Plasmaverbindungen der Zellen in den verschiedensten Formen 
und Grössenverhältnissen gefunden, in wachsenden Organen 
ebensowohl, als in völlig ausgebildeten Geweben. Der Ana¬ 
logieschluss ist wohl nicht unerlaubt, dass nunmehr diese 
Verbindungen nicht mehr als seltene Ausnahmen, sondern 
als Regel zu gelten haben, auch wenn sie noch nicht überall 
beobachtet worden sind. Theilweise stellen sie auch durch 
ihre geringe Weite der Beobachtung sehr beträchtliche 
Schwierigkeiten entgegen. Damit ist eine von Grund aus 
von der frühem verschiedene Auffassung des Pflanzenkörpers 
bedingt, der nicht mehr als Konglomerat in sich abgeschlos¬ 
sener Zellen, sondern als zusammenhängende Plasmamasse 
anzusel en Ft. Diese baut sich, wo und wie es nöthig ist die 
Zellwände als Stützen, als Hüllen, als Schutzmittel, schliesst 
sich auch nach aussen völlig ab, so dass an der äussem 
Haut, an den Wurzelhaaren u. s. w. nirgends Plasmastränge 
an die äussere Fläche treten; auch die Schlie>szellen der 
Spaltöffnungen sind nach innen nicht durchbohrt. Physiologisch 
sind die Plasmaverbindungen als Bahnen des Saftstroms an¬ 
zusprechen, in welchen das Wasser, die Nährsalze und Kohlen¬ 
stoffverbindungen an die Wachsthumsstellen, ferner die Re¬ 
servestoffe in ihre Behälter bezw. an die Stellen des Ver¬ 
brauchs übergeführt werden. Ferner lässt sich nuu auch der 
Mechanismus der Saftbewegung leichter verstehen, wenn man 
nicht mehr die schwierige Frage zu lösen hat, wie die Pflanze 
mit den verhältnissmässig geringen Kräften, mit denen sie 
die Saftbewegung im Gang hält, Wurzeldruck, Kapillarität, 
Transpiration (Diffusion hat man nach neuern Untersuchungen 
auszuscheiden), im Stande sein soll, die grossen osmatischen 
Widerstände im Innern der Pflanze zu überwinden. — In der 
darauffolgenden Diskussion machte Herr Dr. Schober be¬ 
sonders darauf aufmerksam, dass man über die Grösse der 
Kräfte, welche bei der Saftbewegung betheiligt sind, noch 
recht wenig unterrichtet sei. Neuern Untersuchungen experi¬ 
menteller Art, besonders solche von Strasburger über die 
Saftbewegung in den Gefässbündeln scheinen sogar die bisher 
gewonnenen Ergebnisse überhaupt in Frage stellen zu wollen. 
Ferner verbreitet er sich über die Rolle, welche insbesondere 
die Gefässbündel bei der Saftleitung spielen. Dem gegenüber 


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hebt Referent hervor, dass man für das Gesammtresultat 
der Saftbewegung jedenfalls an ein Zusammenwirken ver¬ 
schiedener Kräfte zu denken habe, bei dem die Grösse der 
Einzelleistung sich allerdings nur schwer wird feststellen 
lassen, wahrscheinlich auch nach Ort und Zeit Veränderungen 
und Schwankungen unterliegt. 

Herr Dr. Schultheiss zeigte einen zur Aufstellung im 
Hof der Technischen Hochschule bestimmten selbst-aufzeich- 
nenden Regenmesser, System Ilottinger-Zürich, vor; bei diesem 
Apparat, der nach dem Prinzip der Federwage gebaut ist, 
wird das Gewicht des aufgefangenen Regenwassers auf einer, 
in 24 Stunden sich einmal um ihre Axc drehenden Trom¬ 
mel zur Darstellung gebracht. Das Auffanggefäss leert sich 
von selbst durch Umkippen aus, sobald eine bestimmte Menge 
Wasser cingeflossen ist. 

Hierauf erläuterte der Redner das zwar schon vor einigen 
Jahren erschienene, aber noch zu wenig gewürdigte Erdprofil 
des bayer. Ingenieur-Hauptmanns a. D. F. Lingg, in welchem 
zunächst die Oberflächengestaltung der Erde in der Zone von 
31 — 65° n. B. im Mas>stab von 1 : 100 000 und zwar ohne 
die sonst bei Reliefs übliche Verzerrung des Höhenmassstabs 
dargestellt ist, so dass jedem Millimeter in der Zeichnung 
ein Kilometer in Wirklichkeit nach jeder Richtung hin ent¬ 
spricht; ausserdem ist aber auch noch alles eingezeichnet, 
was sich von geologischen, geophysikalischen, astronomischen 
und meteorologischen Verhältnissen graphisch darstellen lässt. 
Der Redner machte auf die wichtigsten der in dem Lingg’schen 
Profil in schier unerschöpflicher Menge gebotenen Einzelheiten 
aufmerksam. 

417. Sitzung am 8. Januar 1892. 

Anwesend 28 Mitglieder. Vorsitzender: Herr (Jeli. Hofrath I>r. Wiener. 
Neu angemeldete Mitglieder: Herr A. Maul, Direktor der Turnlehrer- 
bildungsansialt und Herr Fr. Reichard, Direktor des Gas- und 
Wasserwerks. 

Herr Postrath Christiani hielt eiuen Vortrag über 
Schleifenbetrieb und Mehrfachsprechen in Fern- 
sprechverbindungsanlagefi. Seit SteinheiPs Entdeckung, 
dass man die Erde als Rückleitung für elektrische Ströme 
benützen könne, haben die Telegraphenverwaltungen ihre 


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Leitungen aus Einzeldrähten mit beiderseitiger Erdverbmdung 
gebildet und auf diese Weise eine beträchtliche Ersparnis» 
an den Anlagekosten erzielt, die der weiteren Ausbreitung 
des elektrischen Telegraphen ausserordentlich forderlich ge¬ 
wesen ist. Mit der Einführung des empfindlichen Fern¬ 
sprechers in den Nachrichtenverkehr beginnen sich erst die 
minder günstigen Eigenschaften der Erdleitungen in (ei 
Form von Nebengeräuschen bemerklich zu machen, die unter 
besonderen Umständen, namentlich in der Nähe von Stark¬ 
stromleitungen, eine solche Stärke annehmen können, dass 
jede Verständigung in der Fernsprechleitung aufgehoben wird. 
Im Allgemeinen aber sind die Störungen durch e en 
geräusche nur gering, und es lasst sich auf Giund er is 
herigen Erfahrungen behaupten, dass auf kürzere Entfernungen, 
also im Stadtverkehr, das System der Einzelleitungen im 
Fernsprechbetriebe sich durchaus bewährt hat. Wenn man 
daneben berücksichtigt, wie schwer es heute schon halt, den 
nöthigen Flatz zur Anbringung neuer Anschlussdrähte zu ge¬ 
winnen, so wird man es gerechtfertigt finden, dass die 
Telegraphen Verwaltungen keine Neigungen haben, den von 
interessirter Seite geforderten Uebergang zum Schleifenbetneb 
innerhalb der Städte zu bewerkstelligen und die damit ver¬ 
bundenen ausserordentlichen Kosten und Schwierigkeiten au 
sich zu nehmen. Das zur Begründung dieses Verlangens 
aufgerufene Schlagwort des Seih st sch utzes erscheint jedoch 
in seinem vollen Lichte erst, wenn man sich vergegenwärtigt, 
dass schon häufig eine störende, bisweilen sogar eine zer¬ 
störende Einwirkung der Starkstromanlagen auf die Tele¬ 
graphen- und Fernsprecheinrichtungen beobachtet worden ist, 
noch niemals aber der umgekehrte ball. 

Ein von dem Vortragenden in der Elektrotechnischen 
Zeitschrift veröffentlichter Aufsatz über induktionsfreie Doppel¬ 
leitungen hat einigen Tagesblättern Veranlassung gegeben 
entgegen der von den Regierungsorganen vertretenen Auf¬ 
fassung die Möglichkeit eines wirksamen Schutzes der Fern¬ 
sprechdrähte gegen die Einwirkung der Starkströme durch 
die in jener Abhandlung vorgeschlagenen Anordnungen zu 
behaupten. Darin bekundet sich insofern ein fundamentales 
Missverständnis, als die Ausführungen des Verfassers sich 


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lediglich auf den gegenseitigen Schutz längerer Fern¬ 
sprechschleifen, wo sie im Fernverkehr schon jetzt all¬ 
gemeine Anwendung finden, gegen störende Lautübertragung 
beziehen, mit dem Schutze gegen andere Ströme aber nicht 
das Geringste zu thun haben. 

Während der erwähnte Aufsatz die technische Aus¬ 
rüstung der Linien in’s Auge fasst, betrachtet der Vor¬ 
tragende diesmal den Schleifonbetrieb unter einem anderen 
Gesichtspunkt und beleuchtet die Frage, welche Vorbe¬ 
dingungen bei den Vermittelungsanstalten erfüllt werden 
müssen, damit die regelrecht angelegten Scldeifleiiungen sich 
auch wirklich induktionslos und frei von gegenseitiger Laut¬ 
übertragung verhalten. Die Lösung der Aufgabe liegt in der 
völlig symmetrischen Vertheilung der für den Betrieb er¬ 
forderlichen Einrichtungen auf beide Schleifenzweige, so dass 
diese sich in genau den nämlichen elektrischen Verhältnissen 
hinsichtlich ihres Leitungswiderstandes, ihrer Polation, Ladung 
und Selbstinduktion befinden. Man kann in Bezug auf 
symmetrische Einrichtung und Einschaltung der Sprech- und 
Signalapparate, sowie der zur Uebertragung der Gespräche 
aus den Anschlussleitungen in die Verbindungsanlagen dienen¬ 
den Transformatoren gar nicht peinlich genug sein, findet 
sich dann aber auch belohnt nicht blos durch das induktions¬ 
freie Verhalten der Verbindungen, sondern im Weiteren durch 
die Möglichkeit einer Einrichtung zur doppelten Ausnutzung 
der Schleifen, des sogenannten Doppelsprechens. Schaltet 
man nämlich eine völlig ausgeglichene Doppelleitung als Theil 
eines zweiten Stromkreises ein, indem man Sorge dafür trägt, 
dass beiderseits die Spannungs-Nullpunkte zugleich die Aus¬ 
gangspunkte der Verzweigung bilden, so findet mangels einer 
Spannungsdifferenz kein Uebergang der Schleifenströme in 
den neuen Schliessungskreis statt, während umgekehrt die 
aus der Zweigleitung in die Schleifendrähte übergehenden 
Theilströme sich in ihrer Wukung auf die sekundäre Be¬ 
wickelung der Transformatoren bei richtiger Schaltung auf- 
heben. Folglich müssen auch zwei Gespräche, das eine in 
der Schleife, das andere über die Schleife hinweg in der 
Einzelleitung, geführt werden können, ohne sich gegenseitig 
zu beeinträchtigen. 


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Der Redner erläuterte sodann einige den Bedürfnissen 
des praktischen Betriebes angepasste Schaltungen zum Doppel- 
fernsprschen und zeigte, wie man durch Kombination zweier 
Schleifen zu einem Vierleitersystem mit vierfacher Aus¬ 
nützung gelangen könne. Zur leichteren Erzielung des elek¬ 
trischen Gleichgewichts empfiehlt er, statt der gebräuchlichen 
induktionsübertrager solche mit veränderlichen Werthen, etwa 
nach Art der Kurbelrheostaten, zu verwenden, mit deren 
Hilfe man wohl auch ein Dreileitersystem mit dreifacher Aus¬ 
nützung einrichten könne. Die in Aussicht stehenden wirt¬ 
schaftlichen Vortheile Hessen die Anstellung praktischer Ver¬ 
suche gerechtfertigt erscheinen, die über den Werth derartiger 
Vorschläge allein entscheiden können. In technischen Fragen, 
damit schloss Herr Christiani, hat nicht die Theorie, sondern 
die Praxis das letzte Wort. 

Herr Dr. Schultheiss legte hierauf die Copie der Auf' 
Zeichnung eines Registrirbarometers während des die 
Insel Martinique am 18. August 1891 verheerenden Orkans 
und zum Vergleich die Luftdruckregistrirungen von Hamburg 
während eines stürmischen Tages vor, an denen eine Depres¬ 
sion über diese Stadt hinweggegangen war. In beiden Fällen 
ist das Barometer um nahezu gleich viel gefallen — rund 
30 Millimeter; in Hamburg hat sich dies in etwa 24 Stunden, 
auf Martinique dagegen innerhalb weniger Stunden vollzogen. 
Innerhalb zweier Stunden ist hier der Luftdruck um etwa 
28 Millimeter gesunken; mit dein Eintritt des Orkans stieg er 
ebenso rasch wieder, so dass er in weniger als einer Stunde 
um 25 Millimeter zunehmen konnte. Die beiden Darstellungen 
lassen die grundverschiedene Beschaffenheit der Depressionen 
der höheren Breiten und der Cyklonen oder Tornadoes der 
Tropen erkennen; jene besitzen ein weit entwickeltes Sturm- 
feld, während bei diesen die Luftdruckunterschiede sich räum¬ 
lich äusserst eng zusammendrängen. Die tropischen Stürme, 
welche in der Regel von elektrischen Entladungen begleitet 
sind, erinnern viel mehr an unsere Gewitterstürme, bei denen 
auch förmliche Sprünge im Luftdruckgefälle bestehen, so dass 
innerhalb kurzer Zeit das Barometer rasch sinken und dann 
ebenso rasch wieder steigen kann — bei den stärksten solcher 
Böen betragen aber die Schwankungen des Luftdrucks nur 


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wenige Millimeter; man vermag sieh daraus erst eine Vor¬ 
stellung davon machen, welche gewaltige Luftdruekunterschiede 
bei dem Martinique-Orkan auf räumlich enge begrenztem 
Gebiet bestanden haben müssen. 

418. Sitzung am 22. Januar 1892. 

Anwesend 29 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Neu allgemeldetes Mitglied: Herr Dr. F. Kistenpart, Assistent der 
Sternwarte. 

Herr Professor Dr. 0. Lehmann hielt einen Vortrag über 
die Anwendung des Entropieprinzips in der Chemie. 
Die chemischen Erscheinungen lassen sich im Allgemeinen 
in befriedigender Weise erklären durch die Annahme, dass 
zwischen den Atomen anziehende Kräfte thätig sind, welche 
unter geeigneten Umständen dazu führen, dass die Atome 
gewissermassen aufeinander losstürzen und sich dann, eine 
chemische Verbindung bildend, gegenseitig festhalten. Aehn- 
lich wie beim Niederstürzen einer Felsmasse auf die Erde in 
Folge des Zusamnienstosses Wärme entsteht., ist auch die 
Bildung einer chemischen Verbindung meistens mit Wärme¬ 
entwickelung verbunden, man glaubte (lesshalb, in Analogie 
damit, dass ein fallender Körper das Bestreben hat, so tief 
wie möglich zu stürzen, also durch seinen Fall so viel Wärme 
wie möglich zu erzeugen, auch für den Verlauf chemischer 
Reaktionen die Regel aufstellen zu können, dass die che¬ 
mische Anziehung der Atome denjenigen Prozess hervor¬ 
zurufen strebe, bei welchem sich ein Maximum von Wärme 
entwickelt. Der Vergleich dieser Theorie mit den Ergeb¬ 
nissen der Beobachtung hat nun aber keineswegs eine be¬ 
friedigende Ueberein<tiinmung ergeben. Mischt man z. B. 
Schwefelsäure mit Eis, so entsteht überhaupt keine Wärme, 
sondern die Mischung kühlt sich auffallend stark ab. Wasser¬ 
stoff und Sauerstoff bei sehr hoher Temperatur gemischt, 
vereinigen sich nicht, wie es dem Maximum der Wärme¬ 
entwickelung entspräche, vollständig zu Wasserdampf, viel¬ 
mehr bleibt ein bestimmter, von den näheren Umständen 
abhängiger Bruchtheil des Gemisches unverändert. 

Das Prinzip der maximalen Arbeit, wie es gewöhnlich 
genannt wird, genügt also nicht streng den thatsächlichen 


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Verhältnissen und erfordert eine entsprechende Aenderung. 
Diese ist möglich durch Beiziehung der beiden Hauptsätze 
der mechanischen Wärmetheorie, welche, wie Clausius ge¬ 
zeigt hat, zu dem Ergebniss führen, dass ein Vorgang in 
der Natur immer so verlaufen muss, dass die Summe der 
Entropien aller dabei betheiligten Körper ein Maximum wird. 
Was unter Entropie zu verstehen ist, lässt sich mit wenig 
Worten nicht erläutern. Der Sinn des Satzes ist der, dass, 
weil Bewegung z. B. durch Reibung oder Zusammenstoss 
immer vollständig vernichtet, d. h. in Wärme übergeführt 
werden kann, dagegen Wärme sich niemals rückwärts voll¬ 
ständig in Bewegung umsetzen kann, ein Vorgang immer so 
verlaufen muss, dass, Alles zusammengerechnet, die Gesammt- 
menge* der Wärme sich auf Kosten der übrigen Energie¬ 
formen (Bewegung etc.) vermehrt. Im Wesentlichen ist also 
das Entropieprinzip auf chemische Vorgänge angewendet 
nichts Anderes als das Prinzip der grössten Arbeit, es ist 
nur eine vollkommenere Form desselben, welche darauf 
Rücksicht nimmt, dass die aufeinander stürzenden Atome 
nicht in Ruhe waren und auch nach ihrer Vereinigung nicht 
zur Ruhe kommen, vielmehr den Vorstellungen der mecha¬ 
nischen Wärmetheorie gemäss, welche die Wärme als eine 
Art Bewegung betrachtet, sich äusserst lebhaft bewegen, 
aufeinanderstossen, sich immerfort trennen und wieder ver¬ 
einigen und hierdurch ganz andere Erscheinungen bedingen 
als sie dem ruhenden Gleichgewicht entsprechen würden. 

Zum ersten Male wurde das Entropieprinzip auf chemische 
Erscheinungen angewandt von Horstmann (1873), dann von 
Willard Gibbs (1874—78), Helmholtz (1882), Duhem(1884 — 
86), von t’IIoff (1884 — 86), Planck (18S7) u. A. Trotz ihres 
jugendlichen Alters vermag die neue Theorie schon eine 
stattliche Reihe von Erfolgen aufzuweisen. Es ist gelungen, 
eine erhebliche Zahl wichtiger Vorgänge mittelst derselben 
voraus zu berechnen und hierdurch gewisse Grössen genau 
zu bestimmen, welche für die Chemie von fundamentaler Be¬ 
deutung sind. Dazu gehören die verschiedenartigen Disso- 
ciationserscheinungen, die Massenwirkung, der Einfluss von 
Temperatur und Druck auf das chemische Gleichgewicht, 
Siedepunkts- und Gefrierpunkts-Erniedrigung durch Zusatz 


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eines festen Körpers zu einem Lösungsmittel und die osmo¬ 
tischen Erscheinungen. Die letzteren drei gestatten unter 
gewissen Voraussetzungen die Berechnung des Molekular¬ 
gewichts im flüssigen und festen Zustande — eine Aufgabe, 
welche lange Zeit unlösbar erschien. Wenn auch gerade 
hinsichtlich der letzterwähnten Nutzanwendung mit Recht 
noch viele Bedenken geltend gemacht werden, so ist doch 
nach den bisherigen raschen Fortschritten zu hoffen» dass 
es gelingen werde, die Theorie noch so weit zu verbessern, 
um auch die noch zweifelhaften Punkte aufzuklären. 

Es knüpfte sich an den Vortrag eine längere Diskussion, 
an welcher sich die Herren Geh. Hofrath Dr. Engler, Geh. 
Hofrath Dr. Wiener und Dr. Schleiermacher betheiligten. 

419. Sitzung am 5. Februar 1892. 

Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen 

Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums. 

Herr Joachim Graf Pfeil aus Berlin hielt einen Vortrag 
Uber Ulialia und seine Bewohner, verbunden mit Mit¬ 
theilungen über den Untergang der Zelewski’schen Ex¬ 
pedition. 

Graf Pfeil ging in früher Jugend nach Südafrika und 
führte dort ein mehrjähriges Wanderleben. Im Jahre 18S3 
in die Heirnath zurückgekehrt schloss er sich im Oktober 
1884 Dr. Peters an, um die ostafrikanischen Küstenland¬ 
schaften Usagara, Niguru, Useguraund Ukami für die Deutsch- 
ostafrikanische Gesellschaft zu erwerben. Länger als 3 Jahre 
hat Graf Pfeil in Ostafrika gearbeitet und sind die geo¬ 
graphischen und praktischen Ergebnisse seiner Forschungs¬ 
züge nach Zahl und Ausdehnung sehr bedeutsam. Im Herbst 
des Jahres 1888 trat er in die Dienste der Neuguinea- 
Gesellschaft, für welche er längere Zeit im fernen Osten 
thätig gewesen ist. 

420. Sitzung am 19. Februar 1892. 

Anwesend 19 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Professor H. Volz an der Akademie 
der bildenden Künste. 

Herr Dr. Ristenpart berichtete über das Aufleuchten 
eines neuen Sterns ein Sternbild des Fuhrmanns. 


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Am 1. Februar erhielt die Sternwarte in Edinburg eine 
anonyme Postkarte mit der Mittheilung, dass im Sternbilde 
des Fuhrmanns unweit des Sternes zweiter Grösse ß Aurigae 
ein neuer Stern aufgeleuchtet sei und damals die fünfte 
Grösse besessen habe. Nachdem eine Nachforschung an dein 
bezeichneten Ort das Vorhandensein des neuen Sterns bestätigt 
hatte, wurde die Nachricht von der Entdeckung weiter ge¬ 
geben und unter anderm derselbe auch auf der hiesigen 
Sternwarte beobachtet. Er nahm nach dem 1. Februar noch 
ein weniges an Helligkeit zu, ist aber jetzt schon wieder 
in langsamer Abnahme des Lichtes begriffen. Die erste Ent¬ 
deckung wurde von einem Liebhaber der Astronomie, Thomas 
Anderson gemacht, der sich ehe die Sache von berufsmässiger 
Seite bestätigt war, in den Mantel der Anonymität hüllen zu 
sollen glaubte. Bald nach dem Bekanntwerden der Nachricht 
kam indess von Professor Pickering, dem Direktor des 
Harvard College in Amerika, die Nachricht, dass der Stern 
schon früher beobachtet sei, wenngleich nicht auf okularem, 
sondern auf photographischem Wege. Man ist dort damit 
beschäftigt, den ganzen Himmel zum Zwecke der Chartirung 
photographisch aufzunehmen und ein glücklicher Zufall hatte 
es gefügt, dass am 1., 10. und 20. Dezember 1891 gerade 
von der Himmelsgegend, wo der neue Stern stand, Platten 
aufgenoromen waren, die das Objekt denn auch zeigten und 
zwar war eine Lichtzunahme vom 1. bis zum 20. Dezember 
deutlich erkennbar. Somit haben wir also hier nicht einen 
neuen Stern in dem Sinne vor uns, wie z. B. der berühmte 
tychonische Stern von 1572 einer war, der plötzlich, nachdem 
er vorher unsichtbar gewesen, mit einem Glanze in die Er¬ 
scheinung trat, der ihn auch bei Tage sichtbar machte, 
sondern wir haben es hier mit einem langsamen stetigen 
Zunehmen der Helligkeit zu thun, dem eine ebensolche Ab¬ 
nahme des Lichtes folgen wird. 

Am meisten Interesse beanspruchen jedoch die vornehm¬ 
lich zu Potsdam gemachten spektroskopischen Beobachtungen 
des neuen Sterns. Es zeigte sich dabei, dass gleichzeitig 
drei Spektren existirten, ein kontinuirliches, ein Absorptions¬ 
spektrum und ein Spektrum aus hellen Linien bestehend, 
welche also auf das Bestehen glühender fester oder flüssiger 


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Körper neben dunkeln und leuchtenden Gasen gleichzeitig 
hinwiesen. Das eigenartigste aber war, dass sich aus der 
Verschiebung der hellen Linien gegen die entsprechenden 
dunkeln des Absorptionsspektrums ergab, dass die glühenden 
Gase sich mit der Ungeheuern und bis jetzt unbekannten 
Geschwindigkeit von 125 Meilen in der Sekunde relativ zu 
dem Träger der dunkeln Gasmassen von uns entfernten. 
Damit ist auch die Erklärung des Phänomens nahegelegt. 
Wir können es hier nicht mit einem Körper zu thun haben, 
einer Sonne, auf der etwa Ausbrüche von leuchtenden und 
nichtleuchtenden Gasen aus dem Innern stattgefunden und 
dem Stern einen erhöhten Glanz verliehen hätten. Es müssen 
vielmehr zwei Körper als bei dem Vorgänge thätig angesehen 
werden und ziemlich ungezwungen kann eine schon früher 
von WiIsing aufgestellte Hypothese hier als durch einen 
neuen Vorgang bestätigt betrachtet werden. Nach dieser 
hätten wir es mit einem Doppclstern zu thun, dessen Bahn 
derart exzentrisch gestaltet sei, dass zur Zeit des Periastrons 
sich beide Komponenten einander nähern können bis auf 
Entfernungen, die von derselben Ordnung sind wie ihre 
Durchmesser. Nehmen wir noch analog wie bei unserer 
Sonne an, dass beide Sterne mit gasigen Atmosphären um¬ 
geben seien, deren Höhe ihre Durchmesser um ein Mehrfaches 
übertrifft, so werden bei der ungeheuren Annäherung beide 
Atmosphären vielleicht mit einander in Berührung kommen, 
jedenfalls aber durch die gegenseitige Anziehung der festen 
Sonnenkerne für einige Zeit vollständig deformirt. Es wird in 
Folge dessen die Höhe der Atmosphäre, welche ein von der 
Oberfläche der betreffenden Sonne ausgehender Lichtstrahl 
zu durchdringen hat, um zu unserm Auge zu gelangen für 
gewisse gegenseitige Stellungen der beiden Körper bedeutend 
vermindert, und schon dadurch ist eine Zunahme der Hellig¬ 
keiten beider Sonnen, die wegen ihrer Nähe von uns nur als 
eine erblickt werden, gegeben. Gleichzeitig aber wird der 
barometrische Druck, den die sonst kugelförmigen Atmosphären 
auf die vulkanischen Schlote des festen Sonnenkörpers bisher 
ausgeübt, nunmehr an gewissen Stellen vermindert, und an¬ 
dererseits wirkt auch die Anziehung der andern Sonne direkt 
störend auf das glutflüssige Innere des Sonnenkörpers ein 


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und veranlasst dadurch einen Ausbruch glühender Lava und 
glühender Gase an die Oberfläche, die ihrerseits in weitem 
Umkreise zu schmelzen beginnt und sich desshalb mit an 
dem Aufleuchten des Sterns betheiligt. Die hier vorgegangene 
gewaltige Revolution im Innern eines Doppelsternsystems, 
die wenn beide Sonnen wie die unsrige mit einem Kranz 
von Planeten umgeben sind, gleichbedeutend ist mit der 
gleichzeitigen Vernichtung alles organischen Lebens auf diesen 
Trabanten, wird nun durch den Lichtstrahl nach allen Seiten 
des Universums hingemeldet und nach Jahren schlägt auch 
an unsere Welteninsel die Kunde, dass dort vor unbekannter 
Zeit in unbekannter Ferne und in nur ungefähr bekannter 
Richtung eine Weltkatastrophe vor sicli gegangen, die sich 
uns als die Erscheinung eines „neuen“ Sterns offenbart. 
Man sieht auch, dass nach Erreichung des Maximums der 
Helligkeit, wenn der neue Stern wieder zu verschwinden be¬ 
ginnt, der Träger der glühenden Gase — wenn wir uns 
darunter den kleineren Begleiter vorstellen, der naturgemäss 
am meisten unter der Katastrophe zu leiden hat — sich 
von uns entfernen muss und dass dies mit einer so alle 
bisherigen Begriffe übersteigenden Geschwindigkeit geschieht, 
passt vollkommen in die Wilsing’sche Hypothese und spricht 
für die vorübergehende grosse Nähe der beiden Himmelskörper. 


421. Sitzung am 4. März 1892. 

Anwesend 13 Mitglieder.. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Hofratli Meidinger machte Mittheilung über die 
Entwicklung, welche die Aluminium-Industrie genom¬ 
men hat, im besonderen Hinblick auf die „elektrolytische 
Gewinnung desselben, wie sie namentlich in Neuhausen bei 
Schaffhausen in grossartigem Masse betrieben wird, von wo 
gegenwärtig fast alles in Deutschland verwendete Aluminium 
stammt. 

Herr 0. Ammon machte einige Bemerkungen über 
Kopf-Indexe, indem er zugleich die Köpfe der am heutigen 
Abend bei sehr schlechtem Wetter wenig zahlreich erschie¬ 
nenen Mitglieder mass, die sich fast alle als ausgeprägte 
Langschädel erwiesen. 


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422. Sitzung am 18. März 1892. 

Anwesend 33 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Professor Treutlein sprach über die Einfüh¬ 
rung der neuen Zeit. Der Vortrag ist unter den Abhand¬ 
lungen abgedruckt. 


423. Sitzung am 20. Mai 1892. 

Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener« 
Generalyerwammlunp 

Herr Hofrath Dr. Meidinger liest einen Bericht über 
die Tbätigkeit des Vereins im verflossenen Geschäftsjahr vor. 
Herr 0. Bartning berichtet über den Stand der Kasse des 
Vereins. 

Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener hielt hierauf einen Vor¬ 
trag über die Lichtzerstreuung durch matte Körper¬ 
oberflächen. Die Aufgabe, Körper nicht nur nach ihren 
Formen, sondern auch nach ihren Helligkeitsverhältnissen 
abzubilden, erfordert die Kenntniss der Gesetze jener Licht¬ 
zerstreuung. Die bisherigen Hauptquellen der erschlossenen 
Erkenntniss rühren noch aus dem vorigen Jahrhundert her 
und sind: Lambert, photometria, 1760, und Bouguer, 
trait6 d’optique 1760. Nach Lambert soll eine matte Ober¬ 
fläche das auffallende Licht nach allen Richtungen gleich¬ 
förmig zerstreuen, So dass sie von allen Seiten gesehen* 
gleich hell erscheint. Der Vortragende zeigt, dass, dem ent¬ 
gegen, von zwei neben einander gestellten, gleich stark be¬ 
leuchteten Kartonblättern das mehr senkrecht betrachtete 
heller erscheint, als das mehr schief betrachtete. Das 
Lambert’sche Gesetz trifft also hier nicht zu. Es trifft aber, 
wie die Versuche zeigen, zu bei glühenden Körpern, indem 
eine glühende Kugel gleichförmig hell, wie eine ebene Scheibe* 
erscheint; ebenso bei vollkommen matten oder rauhen Ober¬ 
flächen, wie bei berussten oder bei weissen, durch einen 
amorphen Niederschlag von Magnesiumoxyd überzogenen Ober¬ 
flächen. Die Licht-und Wärmezerstreuung rührt hier wesentlich 
von einem Eindringen der Erschütterung in die Körpermasse 
her; denn eine Schicht von Magnesiumoxyd auf einer be- 


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russten Unterlage zerstreut bei einer Dicke von 0,26 Milli¬ 
meter doppelt so viel von der aufgestrahlten Wärme, als bei 
0,05 Millimeter (Angström, 1885). Auch spricht für Ein¬ 
dringen die Färbung des zurückgeworfenen Lichtes. Bouguer 
dagegen geht von der Annahme der auf der Oberfläche in 
den verschiedensten Richtungen zerstreuten spiegelnden Flä¬ 
chenstückchen oder Facetten aus, und schloss aus einigen 
Versuchen, dass solche in grösster Zahl in der Richtung der 
Gesammtfläche vorhanden sind und um so weniger, je grösser 
ihre Neigung gegen diese Fläche ist. Es entspricht dies den 
halbmatten oder theilweise spiegelnden Flächen, wie bei Pa¬ 
pier, gegossenem (krystallischem) Gyps, mattem Silber. Nach 
Bouguer hängt die Stärke des zurückgeworfenen Lichtes von 
der Gesammtgrösse der Facetten ab, welche senkrecht auf der 
Halbirungslinie des Winkels stehen, den der einfallende und 
der ausfallende Strahl mit einander bilden. Danach müsste 
die Lichtstärke dieselbe bleiben, wenn man den einfallenden 
und den ausfallenden Strahl mit einander vertauscht. Dies 
ist aber nicht richtig; denn bei streifendem Licht und senk¬ 
rechtem Beschauen ist die Helligkeit Null, aber bei streifen¬ 
dem Beschauen und senkrechter Beleuchtung findet man die 
Helligkeit noch 0,6 von derjenigen bei senkrechtem Be¬ 
schauen. Es findet offenbar sowohl Eindringen, wie Ober¬ 
flächenspiegelung, und zwar mehrfache in den Vertiefungen 
der Rauhigkeiten statt. Hier kann man nur durch Beobachten 
an verschiedenartigen Oberflächen zur Erkenntniss gelangen, 
und der Vortragende hat Beobachtungen an gegossenem Gypse 
angestellt. Er benutzte zwei gleiche Gypsplatten, welche 
dem Auge neben einander erschienen und durch Stearinkerzen 
auf gleiche Helligkeiten gebracht wurden, so dass ihre Bilder 
an der Grenze möglichst mit einander verschmolzen. Die 
eine wurde senkrecht beleuchtet und betrachtet. Nennt man 
ihre Helligkeit bei dem Lichtabstande von 1 M. Eins, so ist 
sie bei einem Lichtabstande von 2,3 . . . Meter bekanntlich 
V«» ‘/» • • • Die andere wurde in wechselnden Richtungen 
beleuchtet und betrachtet. Dabei wurden vier Grössen ge¬ 
messen oder eingestellt. Der Abstand des Lichtes, der Ein- 
und der Ausfallswinkel, d. h. der Winkel des Lichtstrahls oder 
des Sehstrahls mit der Flächennormale, und das Azimuth, 

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d. h. der Winkel der Ein- und der Ausfallsebene. Nach 
hergestellter Gleichheit der Helligkeiten beider Scheiben konnte 
man die Helligkeit der zweiten für den Lichtabstand von 
ein Meter berechnen. Trägt man diese Helligkeiten für 
einen fest angenommenen einfallenden Strahl auf allen aus¬ 
fallenden oder Sehstrahlen vom Flächenpunkt aus auf, so 
bilden die Endpunkte der Strecken die Helligkeitsfläche; trägt 
man sie dagegen bei festem Sehstrahl auf allen einfallenden 
Lichtstrahlen auf, so erhält man die Beleuchtungsfläche. 

Die in Intervallen von höchstens 30 zu 30° ausgeführten 
Beobachtungen wurden nun mit möglichst geringen Aende- 
rungen so korrigirt, dass beiderlei Flächen stetig wurden, und 
zwar vermittelst Verzeichnung der Meridian- und der Kegel¬ 
kurven (entsprechend den Parallelkreisen) beider Flächen. 
Nach Lambert ist die Helligkeit unabhängig von der Seh¬ 
richtung; also wäre die Helligkeitsfläche eine Halbkugel mit 
dem betrachteten Punkte als Mittelpunkt, deren Halbmesser 
bekanntlich mit zunehmendem Einfallswinkel abnimmt, näm¬ 
lich gleich dessen Cosinus ist; die Beleuchtungsfläche wäre 
dagegen für jede Sehrichtung dieselbe Kugel vom Durch¬ 
messer Eins, welche die betrachtete Fläche berührt. Es 
wurden nun vier Modelle von Helligkeitsflächen für die Ein¬ 
fallswinkel von 0, 30, 60, 82‘/j° aus Kartons hergestellt, 
welche Meridiane und Kegelflächen von unveränderlichem 
Ausfallswinkel darstellen. An jedem Modell war sowohl die 
Fläche der beobachteten Helligkeiten, als die kugelförmige 
der Lambert’schen Helligkeiten veranschaulicht, und die 
ersteren durch weisse, die letzteren durch schwarze Färbung 
nach innen gekennzeichnet, so dass eine leichte Vergleichung 
von beiderlei Flächen möglich war. Die Ergebnisse dieser 
Vergleichung sind nun folgende: 1. Wächst der Ausfallswinkel 
von 0 bis 60°, so ist die Helligkeit im Allgemeinen wenig 
verändert, meist etwas kleiner, als nach Lambert. 2. Wächst 
dann der Ausfallswinkel von 60 auf 90°, so nimmt die • 
Helligkeit merklich ab, bis zu etwa 0,6 derjenigen bei senk¬ 
rechtem Beschauen. 3. Auf der dem einfallenden Strahle 
gegenüberliegenden Seite, also auf derjenigen der Spiegelung, 
ist die Helligkeit grösser, als an der entsprechenden Stelle 
derselben Seite. 4. Eine Spiegelung fängt an merklich zu 


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werden bei einem Einfallswinkel von 45°, deutlicher bei 60 # . 
In letzterem Falle ist die Helligkeit am grössten, nämlich 
gleich 1 , bei dem Ausfallswinkel von 67°. Bei zunehmendem 
Einfallswinkel tritt ein zunehmender Glanz ein, indem z. B. 
bei den Einfallswinkeln von 75, 82 V 2 , 86 V 4 0 die grösste 
Helligkeit gleich 2 , 5, 14 wird, bei den Ausfallswinkeln von 
79 , 85, 88 °, die also etwas grösser, als die zugehörigen Ein¬ 
fallswinkel sind. Man kann sich dies leicht erklären, indem 
durch das Wachsen der Ausfallswinkel die Neigung der spie¬ 
gelnden Facetten gegen die Gesammtoberfläche etwas grösser 
als 0° wird, ihre Gesammtgrösse dadurch aber nur wenig 
abnimmt, während der Ein- und der (gleiche) Ausfallswinkel 
gegen diese Facetten, der schon an sich gross ist, noch an¬ 
wächst, und dadurch bekanntlich die Stärke der Spiegelung 
rasch zunimmt. — Da so die verschiedenen Stoffarten unter¬ 
sucht werden müssten, ist hier ein grosses, besonders auch 
für die Maler wichtiges Arbeitsfeld geboten. 

Bei der sich an diesen Vortrag knüpfenden Diskussion 
brachte Herr Hofrath Meidinger die Bede auf die bei der 
letzten Mondfinsternis vom 21 . Mai gemachte Beobachtung, 
dass auch der verfinsterte Theil des Mondes sichtbar gewesen 
sei. Herr Dr. Ristenpart gab hierzu die Erklärung, dass 
das Sonnenlicht in den Theilen der Erdatmosphäre, wo ge¬ 
rade Sonnen-Aufgang oder -Untergang stattfinde, beim Durch¬ 
gänge gebrochen werde und so, allerdings nur mit schwachem 
Schein, im Stande sei, Körper zu erhellen, die sich im 
Schatten der Erde, also eigentlich in völliger Finsterniss, 
befänden. Da die Luft, wie wir dies bei den Morgen- und 
Abendröthen so schön wahrnehmen, am meisten für die 
rothen Strahlen durchlässig ist, so erscheint darum der Mond 
in einem eigentümlich braun rothen Lichte. Ob man den 
Mond bei totalen Finsternissen noch sehe oder nicht, dies 
hänge davon ab, ob der Theil der Atmosphäre, den die 
Sonnenstrahlen tangential treffen, bewölkt sei oder nicht; 
im ersteren Falle könne kein Licht durch und der Mond sei 
vollständig dunkel, doch sei dies der seltenere Fall. 

424. Sitzung am 14. Juni 1892. 

Für den heutigen Abend war der Verein von Herrn 
Hofrath Meidinger zu einem Besuch der Grossh. Landes- 

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gewerbeballe eingeladen, welche seit Kurzem dem Publi¬ 
kum auch Freitag Abends bei elektrischer Beleuchtung ge¬ 
öffnet ist. Es hatten sich zahlreiche Mitglieder, theilweise 
in Begleitung von Familienangehörigen eingefunden. 

Verschiedene Neuheiten erregen hier die Aufmerksamkeit 
der Besucher: die vollständige Einrichtung einer elektrischen 
Beleuchtung mit zwölfpferdigem Gasmotor, Dynamo, Akku¬ 
mulatoren, Elektromotoren; ferner die neuesten Erfindungen 
auf dem Gebiete der Gasbeleuchtung und Gasheizung, das 
Metall Aluminium, roh und in verschiedenen Gebrauchsgegen¬ 
ständen, insbesondere ist beachtenswerth die Vorführung 
einer Pressluft-Kraft-Transmission von Firma Riedinger in 
Augsburg, die einzige bis jetzt bestehende derartige Muster¬ 
anlage in Deutschland; im Grossen ist die Ausführung in 
Offenbach seit einem Jahre gemacht und befindet sich in 
zunehmender Entwickelung daselbst. Es wird sich später 
Gelegenheit finden, Ausführliches über diese merkwürdige 
und wichtige Form der Kraftvertheilung zu berichten. 


425. Sitzung am 17. Juni 1892. 

Anwesend 23 Mitglieder. Vorsitzender: Ilerr Geh. Hoirath Dr. Wiener. 

Herr Otto Ammon sprach über Kopfmessungen an 
Gelehrten und Ungelehrten. Aus den reichen Mate¬ 
rialien, welche sich bei den seit 1886 im Gange befindlichen 
anthropologischen Untersuchungen der Wehrpflichtigen und 
Gymnasiasten ergeben haben, theilte der Vortragende einige 
überraschende Ergebnisse mit. Es hatte sich schon 1887 
herausgestellt, dass die in den Städten Karlsruhe, Mannheim, 
Heidelberg, Konstanz und Lörrach gemusterten Mannschaften 
je nach ihrem Ursprung verschiedene Kopfformen zeigten. 
Die in der Stadt Geborenen waren langköpfiger, als die vom 
Lande Zugewanderten. Im Jahre 1891 wurde die Unter¬ 
suchung der Städte Karlsruhe und Freiburg nach einem er¬ 
weiterten Schema behufs näherer Erforschung des Sach¬ 
verhaltes mit möglichster Genauigkeit vorgenommen. Unter 
den Stadtgeborenen wurde durch Befragung jedes einzelnen 
Rekruten ermittelt, ob der Vater ebenfalls schon in der Stadt 
geboren oder vom Lande Zugezogen war, so dass demnach 


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die städtischen Rekruten in drei Ursprungsabtheilungen 
zerfielen: vom Lande zugezogene, — Halbstädter (von zu¬ 
gezogenen Vätern Abstammende) — und eigentliche Städter 
(von stadtgeborenen Vätern Abstammende). Die Vergleichung 
der Kopfmasue ergab, dass schon die Zugezogenen in einem 
geringen Grade langköpfiger sind, als der Durchschnitt der 
ganzen Landbevölkerung, soweit das Grossherzogthum bis 
jetzt aufgenommen ist (11,120 Mann vom Lande). Die Halb¬ 
städter sind aber in weit höherem Grade langköpfig als die 
Zugewanderten, und die eigentlichen Städter übertreffen die 
Halbstädter in gleichem Masse. Die Deutung dieser un¬ 
bestreitbaren Thatsachen kann nur darin gesucht werden, 
dass hier eine Erscheinungsform der natürlichen Auslese 
beim Menschen vorliegt, indem die Langköpfe den Kampf 
im Wettbewerb der städtischen Bevölkerung besser bestehen 
als die Rundköpfe. Eine Umrechnung der Ziffern ergibt, 
dass von 100 einwandernden Langköpfen in der zweiten 
städtischen Generation noch zehnmal so viele übrig sind, 
als von 100 einwandernden Rundköpfen, dass also die Letz¬ 
teren durch die Schädlichkeiten des Stadtlebens zehnmal 
stärker mitgenommen werden. Eine ähnliche, aber viel 
schwächer markirte Auslese bewirken die Städte hinsichtlich 
der hellen Farben, indem die blauen Augen und die blonden 
Haare von Generation zu Generation zunehmen, also die 
dunkeln Individuen ausgeschieden werden. Mit der Zeit 
werden aber auch die blonden Langköpfe in den Städten 
aufgerieben, nur geschieht dies langsamer als bei den dunkeln 
Rundköpfen. In zwei bis drei Generationen erneuert sich 
die städtische Bevölkerung fast vollständig durch Zuzug vom 
Lande, wie der Vortragende durch die Ziffern der Rekruten- 
Abtheilungen und die Statistik Georg Hansens darthat. Da 
dem Landvolk fortwährend mehr Lang- als Rundköpfe durch 
die Städte entzogen werden, um nie wieder zurückzukehren, 
bei den Augen- und Haarfarben die Auslese aber viel weniger 
sieh geltend macht, so erklärt die gefundene Thatsache ein 
bisher für unlösbar gehaltenes Problem der Anthropologie, 
nämlich die zunehmende Rundköpfigkeit der deutschen Be¬ 
völkerungen, die von dem mittleren Index der alten Germanen 
der 77 betrug, in Baden auf 83,5 gekommen ist, während 


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die Augen- und Haarfarben noch immer einen germanischen 
Charakter zeigen. Bei den Wehrpflichtigen konnten die mit 
der Berechtigung zum einjährigen Dienst Versehenen nicht 
mitgemessen werden, daher wurden an iünf Gymnasien des 
Landes Kopfmessungen vorgenommen, um die. Lücke aus¬ 
zufüllen. Man beschränkte sich aus gewissen Gründen auf 
die vier oberen Klassen. Die Erwartung, bei ihnen mehr 
Langköpfe zu finden, als bei der sonstigen Bevölkerung hat 
sich zwar erfüllt, aber in einem nicht völlig befriedigenden 
Grade. Erst als man die Untersekunda von den drei obersten 
Klassen trennte, stellte sich das merkwürdige Ergebniss 
heraus, dass die Schüler der drei obersten Klassen bedeutend 
langköpfiger sind als die Untersekundaner, und überhaupt 
die langköpfigste Gruppe bilden, die bei uns vorkommt. Der 
nach Absolvirung der Untersekunda eintretende „Abfall“ trifft 
also hauptsächlich die Rundköpfe, während sich die Lang¬ 
köpfe mit Vorliebe dem höheren Studium widmen. Die sich 
ergebenden Schlussfolgerungen, die von dem Redner gezogen 
wurden, werfen merkwürdige Lichter auf die sozialen Zu¬ 
stände. Unabweisbar ist die Thatsache. dass die höheren 
Stände eine andere Kopfform besitzen als die unteren, und 
zwar nähern sie sich derjenigen, welche die alten Germanen 
besassen, ein Volk, welches durch seine Intelligenz und durch 
seine sittlichen Anlagen das Alterthum in Erstaunen setzte, 
und augenscheinlich jetzt noch seinen Charakter gleichzeitig 
mit seiner Kopfform vererbt. Schliesslich wurden Mittheilungen 
gemacht über Kopfmessungen, die der Vortragende vor einiger 
Zeit (421. Sitzung) an Mitgliedern des Naturwissenschaftlichen 
Vereins vorgenommen hat. Es handelte sich darum, zu 
wissen, wie die Köpfe derjenigen Studirten, die nicht nur 
die Prüfungen abgelegt, sondern auch den Wettkampf des 
Lebens bestanden haben, sich zu denen der drei obersten 
Gymnasialklassen und der Wehrpflichtigen verhalten. Das 
Ergebniss war, dass sich unter ihnen ausserordentlich viele 
Langköpfe und fast keine Rundköpfe befinden und dass sie 
im Durchschnitt der Langköpfigkeit die Gymnasiasten noch 
etwas übertreffen. Dabei sind aber die Köpfe der Gelehrten 
auch durch ihre absolute Masse ausgezeichnet. Während die 
Gymnasiasten sich von den Wehrpflichtigen nicht durch die 


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Grösse, sondern nur durch die Form der Köpfe unterscheiden, 
indem diese ebensoviel schmäler als länger sind, messen die 
Köpfe der Gelehrten in Länge und Breite mehr als alle 
übrigen Abtheilungen. 

An den beifällig aufgenommenen Vortrag knüpfte sich 
eine sehr belebte und anregende Besprechung. Herr Prof. 
Treutlein warf die Frage auf, ob die alten Griechen und 
Römer langköpfig oder kurzköpfig gewesen seien. Herr 
Ammon und Herr Dr. Wilser führten die Beweise an, aus 
denen die Langköpfigkeit der herrschenden Klassen bei den 
beiden alten Kulturnationen hervorgeht und erklärten gewisse 
Verschiebungen im Alterthum aus anthropologischen Ver¬ 
änderungen. Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener sprach sich 
ebenfalls über das Thema aus und berührte die Schädelform 
der antiken Statuen und Schillers, worauf Herr Professor 
Volz die Schädelformen der antiken Plastiker, besonders die 
Zeusmaske von Otricoli, vom künstlerischen Standpunkt 
beleuchtete und Herr Ammon einige Bemerkungen über die 
Dannecker’sche Schillerbüste und die Todtenmaske Schillers 
nach dem bekannten Buche von Geheimerath Welcker in 
Halle anschloss. Hiermit war die Verhandlung zu Ende, 
doch blieben die Mitglieder noch gesellig vereint, um das 
unerschöpfliche Thema weiter zu erörtern. 


426. Sitzung am I. Juli 1892. 

Anwesend 20 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Professor Treutlein sprach über Stundenzonen¬ 
zeit und Weltzeit. Def Vortrag, an welchen sich eine 
lebhafte Diskussion mit den Herren Ammon, Professor Dr. 
Schröder, Geh. Hofrath Dr. Wiener anknüpfte, ist unter den 
Abhandlungen abgedruckt. 


427. Sitzung am 21. Oktober 1892. 

Anwesend 25 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Einem von der anthropologischen Kommission des Alter- 
thums-Vereins Karlsruhe eingekommenen Gesuch um Bewil¬ 
ligung eines weiteren Beitrags von 200 M. zur Fortsetzung 


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der Untersuchungen der Wehrpflichtigen Badens wird ent¬ 
sprochen. 

Auf Antrag des Vorsitzenden wird beschlossen, dem hier 
im Ruhestand lebenden Herrn Geh. Rath von Babo (früher 
Professor der Chemie in Freiburg), welcher in den nächsten 
Tagen die Feier seines 50jährigen Doktor-Jubiläums begeht, 
die Glückwünsche des Vereins durch eine Kommission aus¬ 
zudrücken. 

Herr Dr. Ristenpart hielt einen Vortrag über unsicht¬ 
bare Sterne. Derselbe ist unter den Abhandlungen ab¬ 
gedruckt. 


428. Sitzung am 25. Oktober 1892. 

Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen 
Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums. 

Herr Rochus Schmitt aus Berlin hielt einen Vortrag 
über die Sicherung der Karawanenstrasse in Deutsch- 
Ostafrika und die Bedeutung des Seengebietes. 


429. Sitzung am 4. November 1892. 

Anwesend 19 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener hielt einen Vortrag über 
die Empfindungseinheit zum Messen der Empfin¬ 
dungsstärke. 

Wenn die Oberfläche eines Körpers, z. B. einer Gyps- 
platte, von einem Stearinlichte aus einer gewissen Entfernung 
etwa senkrecht beleuchtet wird, £0 erhält sie eine gewisse 
Helligkeit und übt einen gewissen Reiz auf das beschauende 
Auge aus. Wenn dann unter gleichen Umständen 2, 3,... n 
Lichter angebracht werden, so nennt man die Helligkeit 
und den Reiz 2, 3, ... n mal so gross. Stellt man das 

einzelne Licht in einen Abstand der , -y, • • • n 

des erstgewählten auf, so ist die Helligkeit- 4, 9, ... n* 
mal so gross, als im ersten Falle, wie Erwägungen und Be¬ 
obachtungen zeigen. Nicht aber wächst die Stärke der 
Helligkeitsempfindung, oder die Empfindungsstärke in dem¬ 
selben Verhältnisse, wie die Helligkeit. Denn fügt man zu 


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einem Lichte ein weiteres hinzu, so wächst die Helligkeits¬ 
empfindung sehr bedeutend; fügt man aber zu 100 Lichtern 
ein weiteres hinzu, so ist die Zunahme der Helligkeits¬ 
empfindung unmerklich. Bei Vergleichung zweier Hellig¬ 
keitsempfindungen kann man vorerst nur sagen, ob sie gleich 
stark sind, oder ob die eine stärker ist, als die andere. 
Wir haben vorerst gar keinen Anhalt, um zu behaupten, 
eine Empfindung sei doppelt so stark, als die andere, oder 
der Unterschied zweier Empfindungen sei in einem Falle 
eben so gross, wie in einem anderen. 

Hier drängt sich uns als Masseinheit für die Zunahme 
der Empfindungsstärke und damit für die Empfindungsstärke 
selbst die Merkbarkeit dieser Zunahme auf, so dass wir 
sagen, zwei Empfindungen sind um eine Empfindungs¬ 
einheit verschieden, wenn ihr Unterschied gerade bemerkt 
oder empfunden werden kann. Um so abzählend die Empfin¬ 
dungsstärke zu messen, stellte Redner in einem dunklen 
Raume zwei gleiche Gypsplatten neben einander auf und 
liess sie aus grosser Entfernung von einer schwachen Benzin¬ 
flamme bestrahlen. Demungeachtet konnte Redner sie nicht 
von dem dunklen Hintergründe unterscheiden. Er liess nun 
die Flamme näher zu den Platten rücken, bis er sie gerade 
bemerken konnte. Die von ihnen hervorgebrachte Empfin- 
dungsstärke war jetzt gleich der Einheit. Dann liess er die 
eine Platte näher an das Licht rücken, bis ihm deren Hellig¬ 
keit grösser als die der anderen Platte erschien; die durch 
sie hervorgebrachte Empfindungsstärke war nun gleich zwei. 
Dann liess er die andere Platte an der ersten vorbei rücken, 
bis sie gerade als heller erkannt wurde; die durch sie hervor¬ 
gebrachte Empfindungsstärke war jetzt gleich drei u. s. w. 

Dabei findet ein sehr einfacher Zusainmhang zwischen 
der Zunahme der Empfindungsstärke und der Zunahme des 
Reizes statt; derselbe ist durch das Weber’sche Gesetz aus¬ 
gedrückt, welches sagt, dass innerhalb gewisser Grenzen der 
Unterschied zweier Empfindungen gerade bemerkbar ist, 
wenn der Reiz sich um einen bestimmten verhältnissmässigen 
Theil seiner Grösse ändert. So fand Redner, dass bei dem 
vorher an die Dunkelheit gewöhnten Auge der Reiz um *12 
wachsen musste, damit er bemerkbar wurde, bei einem, noch 


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anderen Lichteindriicken ausgesetzten Auge um */»• Dieses 
Verhältniss nennt Fechner die Unterschiedsschwelle; 
dagegen Reizschwelle die Stärke des Reizes, den man der 
Empfindungsstärke Null zuschreibt, der nämlich erst, wenn 
er in jenem Verhältnisse (um Via oder */?) gesteigert wird, 
die erste Empfindung hervorbringt. Es nimmt also nach dem 
Weber'schen Gesetze die Empfindungsstärke jedesmal um eine 
Einheit zu, wenn der Reiz um denselben verhältnissmässigen 
Theil seiner Stärke zunimmt; oder die Empfindungsstärken 
bilden eine arithmetische Reihe, wenn die zugehörigen Reize 
eine geometrische bilden; oder die Empfindungsstärken 
wachsen im Verhältniss mit den Logarithmen der Reize. 

Bei diesen Beobachtungen ist die Genauigkeit keine sehr 
grosse, weil die Unterscheidbarkeit einen gewissen Grad der 
Deutlichkeit haben muss, dieser aber schwankt. Erst bei 
dem Nehmen der Mittel aus einer Reihe von Beobachtungen 
erhält man gute Uehereinstimmungen. 

Ferner ergibt sich, dass die Empfindungseinheit schwankt, 
indem sowohl die Unterschieds* als die Reizschwelle bei ver¬ 
schiedenen Menschen und auch bei demselben Menschen bei 
seinen verschiedenen Zuständen wechselt. Es liegt dies in 
der Natur der Sache, indem ja gerade etwas Persönliches, 
die Stärke der persönlichen Empfindung, gemessen werden 
soll. Diese Verschiedenheiten führen zum Begriff der Em¬ 
pfindlichkeit, und diese steht in zwei Fällen im um¬ 
gekehrten Verhältniss der Unterschieds- oder der Reiz¬ 
schwellen; doch lässt sich auch ein absolutes Mass der Em¬ 
pfindungsstärke angeben, indem man eine bestimmte Reiz- und 
Unterschiedsschwelle zu Grunde legt, z. B. die mittleren 
Werthe für die Reizschwelle = 0,0001 der Helligkeitseinheit 
d. h. 1:10000 derjenigen Helligkeit, welche von einem 
Stearinlichte bei einem senkrechten Abstande von 1 Meter 
auf vollkommen weiss gedachtem, d. i. alles auffallende Licht 
zurückstrahlendem Gypse hervorgebracht wird, während der 
wirkliche Gyps nur 0,72 des auffallenden Lichtes zurück¬ 
strahlt; und für die Unterschiedsschwelle 0,1 oder 1:10 der 
vorhandenen Helligkeit. 

Die grössten Verdienste um diesen Wissenszweig hat 
sich der tiefsinnige Fechner hauptsächlich durch sein Werk 


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„Elemente der Psychophysik, 1860; zweite Auflage 1889“ 
erworben; doch hat er sich viele Widersacher, besonders 
unter den Philosophen zugezogen, wohl wesentlich, weil er 
seine Anschauungen durch die Formeln zu sehr verschleierte, 
und besonders, weil er das Wesen der Empfindungseinheit 
nicht deutlich hervortreten liess. 


430. Sitzung am 18. November 1892. 

Anwesend 32 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Photograph Fr. Schmidt, Lehrer an 
der Technischen Hocbscbnle. 

Herr Dr. Wilser sprach über Unsern Stammbaum. 
Als im Jahre 1859 Darwin sein bahnbrechendes Werk: 
„Die Entstehung der Arten“, herausgab, schrieb er darin in 
Bezug auf den Menschen nur die wenigen Worte: „Licht 
wird fallen auf den Ursprung des Menschen und seine Ge¬ 
schichte“. Diese Vorhersage ist in Erfüllung gegangen. Es 
konnte nicht ausbleiben, dass die Schlussfolgerungen der 
Darwinschen Lehre auch auf den Menschen gezogen wurden, 
und der Erfolg war thatsächlich der, dass ein nie geahntes 
Licht das frühere Dunkel erhellte. Der Körperbau des 
Menschen stimmt so sehr mit dem der höheren Thiere über¬ 
ein, dass wir ihm wohl die höchste, nicht aber eine Sonder¬ 
stellung in der Natur einräumen können. Er ist die „Krone 
der Schöpfung“, d. h. die höchst entwickelte Spitze einer 
unendlich langen Entwickelungsreihe. Die erste Bedingung 
für den Beginn organischen Lebens auf unserem Erdball war 
die Erkaltung desselben und das dadurch ermöglichte Flüssig¬ 
werden des Wassers, denn alle Lebewesen bestehen zum 
grössten Theil aus Wasser (der Mensch 70 Prozent, einzelne 
Seethiere bis zu 99 Prozent). Die unumgängliche Voraus¬ 
setzung für die Entwickelungslehre ist die „Urzeugung“, 
d. h. die Entstehung der niedersten Lebewesen auf natür¬ 
lichem Wege. Die weit vorgeschrittene Chemie unserer Tage 
lässt es nicht mehr unmöglich erscheinen, dass aus der Salz¬ 
lösung des Meerwassers unter besonderen Umständen jene 
Stoffe zusammentraten, aus denen die Thier- und Pflanzen¬ 
zellen sich aufbauen, die sogen. Eiweisskörper. Aus Flock- 


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eben dieses „Urschleimes“ bildeten sich durch Ausscheidung 
eines Kerns und später auch einer äusseren Haut, die ersten 
„Zellen“. Aus Zellgruppen entstanden die allerersten Thiere 
und Pflanzen in der allereinfachsten Gestalt kleiner Häufchen, 
Bläschen, Schläuche und dergl. Nun schritt die Entwickelung 
unaufhaltsam zu Thieren mit immer verwickelterem Körper¬ 
bau fort. Aus einem wurmartigen Geschöpf entstand das 
erste Wirbelthier, von dem noch heute ein naher Verwand¬ 
ter, das Lanzetfischchen (Amphioxus) lebt. Eine weitere 
Stufe aufwärts bildeten dann die Rundmäuler, von deren 
heutigen Vertretern das Neunauge, wenn auch den meisten 
Menschen wohl nur im marinirten Zustande, am bekanntesten 
ist. Daraus entstanden die Urfische, die Knorpel- und 
Schmelzfische, von denen heute noch die Haie, Rochen und 
Störe leben. So weit war die Lebensentwickelung vorgeschrit¬ 
ten in der Zeit der ältesten geschichteten, d. h. aus dem 
Wasser niedergeschlagenen Gesteine, der krystallinischen 
Schiefer, die die sogen, archäische Formation bilden. Im 
zweiten geologischen Zeitalter, das die Steinkohlenbildung 
einschliesst, herrschten als höchste Wirbelthiere die Fische 
vor; es bereiteten sich aber in den „Dipneusten“ oder Doppel- 
athmern die Uebergänge für ein Leben auf dem Festlande 
vor. Die Schwimmblase der Fische wurde zur luftathmenden 
Lunge. Aus den Doppelathmern entstanden die ersten Am¬ 
phibien oder Doppelleber, in deren Entwickelung durch die 
fortwirkende Vererbungskraft noch der ganze Uebergang vom 
Leben im Wasser zu dem auf dem Lande sich widerspiegelt. 
Aus dem Froschei schlüpft zuerst die als Wasserthier lebende 
und mit Kiemen athmende Kaulquappe, die durch verschiedene 
Uebergangsstufen zu dem luftathmenden, geschlechtsreifen 
Thiere sich umbildet. Aus den Amphibien entstanden durch 
völlige Entwöhnung vom Wasserleben die Kriechthiere oder 
Reptilien. Im zweiten geologischen Zeitalter, besonders in 
der Juraformation, bildeten sie in den gewaltigen und aben¬ 
teuerlichen Gestalten der Saurier die vorherrschende Thierart. 
Zwei warmblütige Thierstämme entwickelten sich aus den Rep¬ 
tilien, die Vögel, deren ursprüngliche Gestalt noch der „Ur¬ 
vogel“ oder Archäopteryx erkennen lässt, den uns ein glück¬ 
licher Zufall als Versteuerung im Solenhofer Schiefer auf- 


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bewahrt hat, und die Säugethiere, von deren ältesten Formen 
noch nahe Verwandte auf dem jedenfalls lange Zeit von der 
Verbindung mit den übrigen Welttheilen ausgeschlossenen 
Australien leben, das merkwürdige Schnabelthier und der 
Ameisenigel. Eine weitere Stufe bilden die Beutelthiere, von 
denen noch zahlreiche Vertreter in Australien leben. Sie 
gelangen noch im gleichen geologischen Zeitalter zur vollen 
Entwickelung. Im dritten Zeitalter bilden sich dann die 
eigentlichen Säugethiere aus, deren Junge schon so lebens¬ 
kräftig geboren werden, dass sie eines Tragbeutels nicht mehr 
bedürfen. Unter ihren zahlreichen Gruppen beschäftigen uns 
hier zumeist die Affen, die durch das Bindeglied der Halb¬ 
affen von den Beutelthieren abstammen. Sie erreichen ihre 
völlige Ausbildung im nächsten Zeitalter, dem Tertiär, das 
durch das Vorherrschen der riesenhaften Dickhäuter unter 
den Säugethieren gekennzeichnet ist. Aus einer stummel- 
schwänzigen Affenart, von der noch ein naher Verwandter 
in Europa, auf dem Felsen von Gibraltar, lebt, haben sich 
dann die menschenähnlichen Affen, die sogenannten Anthro¬ 
poiden, entwickelt. Die jetzt noch in Afrika und Asien 
lebenden Arten sind von den unmittelbaren Vorfahren des 
Menschen abstammende Seitenlinien. Von grosser Bedeutung 
ist es, dass die asiatischen Anthropoiden, Orang und Gibbon, 
rundköpfig, die afrikanischen dagegen, Gorilla und Schimpanse, 
langköpfig sind. Da die Menschenrassen in den beiden 
Welttheilen sich ebenso verhalten, so ist der Schluss gerecht¬ 
fertigt, dass schon der Vorfahr des Menschen, der zwischen 
ihm und den Affen in der Mitte stehende sogenannte Pithe- 
kantbropos, in Asien rundköpfig, in-Afrika und Europa lang¬ 
köpfig gewesen sein muss, d. h. dass es überhaupt nie eine 
einheitliche Menschenrasse gegeben hat. Wie sollte der Ur¬ 
mensch gewesen sein, rundköpfig oder langköpfig? Es lässt 
sich kein natürlicher Grund für die Umbildung der einen 
Schädelform in die andere denken. Die Hauptmerkmale, die 
den Menschen von den Anthropoiden scheiden, sind, ausser 
der ganz bedeutenden Gehirnentwickelung, der aufrechte Gang 
und die dadurch zum reinen Greifwerkzeug ausgebildete 
Hand. Da Spuren des Menschen aus der Eiszeit gefunden 
sind, so muss derselbe schon in der vorhergehenden Periode 


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gelebt haben, wenn auch der Tertiärmensch bis jetzt nicht 
mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Die Mensch¬ 
werdung hat jedenfalls in der alten Welt, wahrscheinlich 
an zwei verschiedenen Stellen stattgefunden. Amerika und 
Australien, die, wie die dort noch lebenden ursprüng¬ 
lichsten Säuger, die Gabel- und Beutelthiere, beweisen, 
während langer Zeiträume von der alten Welt abgeschlossen 
waren, sind erst später vom Menschen besiedelt worden, 
und zwar Amerika von Asien her mit Bundköpfen, und von 
Afrika her mit Langköpfen, Australien mit afrikanischen 
Langköpfen. Der älteste Bewohner von Europa, der hier 
unter Palmen und immergrünen Eichen mit dem Mammuth, 
dem Nashorn und Löwen zusammengelebt hat, war, wie stets 
sich mehrende. Funde zeigen, ein reiner Langkopf, von einer 
Schädelbildung, dass wir in ihm den unmittelbaren Vorfahren 
der späteren europäischen Kulturvölker erblicken dürfen. 

Die Eiszeit, die aus noch nicht genügend aufgeklärten 
Ursachen in der jüngsten Erdperiode über unseren Welttheil 
hereinbrach, hat das Leben nicht völlig unterbrochen. Wenn 
auch ganz Mitteleuropa von einer unwirthlichen Eismasse 
bedeckt war, da die skandinavischen und Alpengletscher mit 
denen der deutschen Mittelgebirge zusammenstiessen, so 
blieben doch im Osten und Westen eisfreie Strecken. Selbst¬ 
verständlich sank auch hier die Temperatur ganz bedeutend, 
was eine völlige Umgestaltung der Flora und Fauna zur 
Folge hatte. Der Mensch entkam dieser an furchtbaren Um¬ 
wälzungen reichen Zeit nur mit Noth. Seine Geisteskräfte 
mussten zur Erhaltung des Lebens aufs äusserste angestrengt 
und geübt werden, die schärfste Auslese fand statt, d. h. es 
ging Alles zu Grunde, was nicht körperlich und geistig am 
Besten veranlagt war. Dies ist der einfache natürliche 
Grund, warum die Europäer zur höchstentwickelten und kul¬ 
turfähigsten Basse wurden und die anderen Menschen weit 
unter sich Hessen. Unter den Ureuropäern gab es wieder 
eine Spaltung; ein Theil derselben wurde nach Skandinavien 
verschlagen, wo, wie die Funde zeigen, der wichtige Kultur¬ 
fortschritt von der alten zur neueren Steinzeit gemacht 
wurde. Diese Nordeuropäer erlitten durch einen unendlich 
langen Aufenthalt in sonnenarmen Gegenden eine Farben- 


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bleichung, sie bekamen blaue Augen, weisse Haut, helles 
Haar. Wir nennen diese Rasse die skandisch-arische, weil 
aus ihr alle sogenannten arischen oder indogermanischen 
Völker hervorgegangen sind. Die Südeuropäer erlitten bei 
gleichbleibender Schädelbildung keine so starke Bleichung, 
sie behielten dunkle Haare und Augen. Geistig sind sie 
ebenfalls gut veranlagt, werden jedoch, was Fähigkeit und 
Begabung anlangt, von den Ariern übertroffen. Wir nennen 
diese Rasse, die Mittelmeerrasse der Franzosen, die ibero- 
semitische nach ihren westlichsten und östlichsten Gliedern. 
Sie überfluthete, wahrscheinlich im Rücken von den Ariern 
gedrängt, Nordafrika und einen Tbeil von Westasien. Die 
Arier, die sich von Skandinavien aus fächerförmig nach Sü¬ 
den verbreitet haben, zerfallen in drei grosse Ströme. Der 
Weststrom besteht aus den keltischen Völkern, den latinischen 
Italern und Römern, der Oststrom theilt sich, den weiten 
Länderstrecken entsprechend, wieder in drei Theile, den in¬ 
dischen, den skythisch-sarmatisch-persischen und den lito- 
tbrakischen, der sich wieder in Tyrsener oder Etrusker, 
Hellenen und kleinasiatiscber Thraker spaltet. In Nordeuropa 
sind vom Oststrom die Slaven oder Wenden und ein Theil 
der Litauer zurückgeblieben. Der Mittelstrom wird von den 
Germanen gebildet und zerfällt in vier Arme, den kimbrisch- 
ingävoniscben Stamm, der die Verbindung mit den Kelten 
bildet, den marfisch-istävonisch-fränkischen, den herminonisch- 
suebischen und den gotisch-vandilischen Stamm, der sich im 
Osten an die Wenden anlehnt. Die germanischen Eroberer 
unserer badischen Heimath gehörten dem dritten und zweiten 
Stamme an. Nachdem das Zehntland von den Römern auf¬ 
gegeben war, nahmen zuerst die im Rheinthal vordringenden 
suebischen Alamannen das Land in Besitz; sie wurden durch 
die siegreichen Franken später bis hinter die Murg zurück¬ 
gedrängt. Von Osten her schoben sich, in den grösseren 
Schwarzwaldthälern der Enz, Pfinz, Alb, Murg einzelne 
zungenförmige Zweige der eigentlichen Schwaben in unser 
Land herein, die in der Bodenseegegend mit den Lentienser 
Alamannen oder Juthungen zusammentrafen. Unser Volk 
besteht aber nicht aus rassereinen Abkömmlingen dieser ger¬ 
manischen Einwanderer. Es ist, wie die anthropologischen 


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Untersuchungen auf’s bestimmteste nachgewiesen haben, mit 
sehr bedeutenden rundköpfigen Bestandtheilen durchsetzt. 
Man findet diese Rundköpfe in ganz Mitteleuropa. Sie ent¬ 
stammen einer Völkerfluth, die sich in vorgeschichtlicher Zeit 
von Asien her über unseren Welttheil ergossen hat und deren 
letzte geschichtliche Wellen die Hunnen, Avaren, Magyaren 
und Türken sind. 

So ist eine innige Verbindung hergestellt zwischen 
Naturgeschichte und Menschengeschichte, die wir Welt¬ 
geschichte nennen, obgleich sie nur einen verschwindend 
kleinen Bruchtheil derselben ausmacht. Eine Kluft zwischen 
Vorgeschichte und Geschichte gibt es nicht mehr, ein lücken¬ 
loser Stammbaum vom Urschleimflöckchen bis auf den Kultur¬ 
menschen unserer Tage lässt sich erkennen. Wahrlich, es 
ist dies unter den grossen Erfolgen der Naturwissenschaft 
nicht der geringste. Er ist selbstverständlich nur dadurch 
möglich, dass der Mensch völlig unter das allgemeine Ent¬ 
wickelungsgesetz gestellt und der Ursprung unseres Volkes 
nicht in einem fremden Welttheil gesucht wird, wie man eine 
Zeit lang auf Grund mangelhafter Kenntnisse gewähnt hat. 

Hierauf berichtet Herr Dr. Ristenpart über die Ent¬ 
wickelung des Kometen Holmes am 6. November und 
über die anfängliche irrige Identifizirung desselben mit dem 
Bieha’scben Sternschnuppenschwarm. In Folge dieser Iden¬ 
tifizirung hatte man ein Zusammentreffen der Erde mit dem 
Kometen für den 14. November vorhergesagt, welches sich 
in einem prächtigen Meteorschauer äussern sollte. Dieses 
Zusammentreffen hat nun nicht stattgefunden, vielmehr er¬ 
geben neuere Rechnungen, dass der Komet Holmes eine 
ganz andere Bahn als der Bieha’sche beschreibt und sich 
anstatt näher zu kommen vielmehr in gerader Linie von uns 
entfernt. Damit aber wird der von Seiten des Bieha’schen 
Kometen für den 27. November zu erwartende Sternschnuppen¬ 
fall in keiner Weise affizirt und wir dürfen daher an diesem 
Tage, hoffentlich durch klares Wetter begünstigt, ein präch¬ 
tiges himmlisches Schauspiel erwarten. 

431. Sitzung am 2. Dezember 1892. 

Anwesend 50 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Hofrath Dr. 0 . Lehmann hielt im physikalischen 


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Hörsaal der technischen Hochschule einen mit Experimenten 
verbundenen Vortrag über elektrisches Licht, erzeugt 
durch hochgespannte Ströme. 

Durch Erfindung der Dynamomaschine wurde zwar das 
Problem der billigen Erzeugung der Elektrizität gelöst, nicht 
aber das der billigen Vertheilung derselben auf ausgedehnte 
Gebiete. 

Um einer Bogenlampe von gebräuchlicher Grösse (7 Amp. 
Stromstärke), welche nur zwei Meter von der Stromquelle 
(von 65 Volt Spannung) entfernt ist, den nöthigen Strom 
zuzuleiten, genügen schon, wie Sie durch den Versuch sehen, 
haarfeine Kupferdrähte (von 0,06 Quadratmill. Querschnitt), 
welche keinen in Betracht kommenden Werth besitzen. Be¬ 
fände sich aber die Lampe statt in 2 Meter in 2 Kilometer 
Entfernung, so wären zu ihrer Speisung Drähte von gegen 
28 Quadratmill. Querschnitt erforderlich und sollte gar die 
Leitung unterirdisch geführt werden, so müssten entsprechende 
Kabel von gegen 500 Zentner Gewicht Verwendung findeni 
welche allein schon ungefähr 15 000 M. kosten würden, wozu 
dann noch ungefähr 5000 M. für Aufreissen und Wieder¬ 
herstellen von Strassenpflaster zu rechnen wären, somit ins- 
gesammt ungefähr 20 000 M. 

Wenn nun auch durch die Erfindung der Theilbarkeit 
des elektrischen Lichtes, d. h. die Möglichkeit zahlreiche 
Lampen aus derselben, entsprechend dicker genommenen 
Leitung zu speisen, die Kosten sich erheblich vermindern, so 
sind dennoch grössere Elektrizitätswerke genöthigt, Millionen 
in Form von Kupferkabeln in der Erde zu vergraben und 
die Konsumenten müssen das Licht trotz der billigen Her¬ 
stellung so theuer bezahlen, dass die Einnahmen ausreichen, 
diese Millionen zu verzinsen und zu amortisiren. Kein 
Wunder, wenn das elektrische Licht, obschon seit Erfindung 
der Dynamomaschine bereits 20 Jahre verflossen sind, noch 
nicht die Verbreitung gefunden hat, welche man hinsichtlich 
seiner bedeutenden Vorzüge erwarten konnte. 

Das Streben aller modernen Elektrotechniker ist dess- 
halb darauf gerichtet, die Kosten für das Leitungsnetz zu 
reduziren und in der That sind schon zahlreiche Fortschritte 
in dieser Hinsicht zu verzeichnen. 

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Nach der Theorie kann dieselbe Leistung, welche wir 
mit 50 Volt x 7 Ampere bei unserer Lampe erzielen, an¬ 
nähernd auch durch 100 Volt X 3,5 Ampere erzielt werden, 
d. h. mit doppelter Spannung und halber Stromstärke. Diese 
Aenderung ermöglicht .die Verminderung des Kupferquer¬ 
schnitts und damit des Haupttheils der Leitungskosten auf 
den vierten Theil des früheren Werthes und könnten wir bei¬ 
spielsweise zu tausendfacher Spannung, also tausend Mal 
kleinerer Stromstärke übergehen, so könnte man mit Kupfer¬ 
drähten von dem millionsten Theil des anfänglich genannten 
Querschnittes, d. h. mit den dünnsten, praktisch herstellbaren, 
also sehr billigen Drähten auskommen, und die Kosten würden 
sich reduziren auf diejenigen für die isolirende Hülle, und 
auf die Kosten für die Verlegung. 

Zur Erzeugung so hoher Spannung sind nun aber die 
gewöhnlich gebrauchten Dynamomaschinen nicht geeignet, es 
muss vielmehr an Stelle des Gleichstroms Wechselstrom 
treten. Ich zeige zunächst, dass mit einer (im physikalischen 
Institut der technischen Hochschule von den Herren Eitner, 
Gercke und Bleidorn gebauten) Wechselstrommaschine 
elektrische Lampen eben so gut gespeist werden können wie 
mit Gleichstrom und benütze nun den Strom dieser Maschine, 
welche nur niedrige Spannung (etwa 72 Volt.) erzeugt, um 
hochgespannten Strom zu erzeugen. Hierzu dient ein aus 
alter Zeit stammender kleiner Induktionsapparat (Ruhmkorff’s 
Funkeninduktor), an welchem alles für unseren Zweck Ueber- 
flüssige beseitigt ist. Ich leite den Strom der Maschine in 
die sogenannte primäre Spule und verbinde die Klemm¬ 
schrauben der sekundären mit einer Serie von 60 hinterein¬ 
ander geschalteten Glühlampen, deren jede 65 Volt, zum 
normalen Brennen erfordert. Sie sehen diese Lampen hell 
leuchten, der aus der sekundären Spule austretende Induk¬ 
tionsstrom hat also eine Spannung von etwa 60 x 65, d. h. 
von gegen 4000 Volt. Die direkte Verwendung des durch 
solche Apparate (in der Technik Transformatoren genannt) 
erzielten Hochspannungsstromes, welcher, wie bemerkt, leicht 
durch sehr dünne Kabel auf grosse Entfernungen fortgeleitet 
werden kann, verbietet sich desshalb, weil die Berührung der 
Drähte lebensgefährlich wäre und auch die Schaltung vieler 


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Lampen in Sene hintereinander zu unbequem würde. Man 
transformirt desshalb am Verbrauchsorte durch einen gleich¬ 
eingerichteten Apparat den Strom wieder auf niedrige 
Spannung, wie ich es vor Ihren Augen nun wirklich aus¬ 
führe, indem in die Enden einer langen, dünnen Kupfer¬ 
drahtleitung, welche vielmal in diesem Saale ringsherum ge¬ 
führt ist und die Fernleitung, welche vom ersten Trans¬ 
formator ausgeht, repräsentiren soll, mit den Sekundärklemmen 
eines gleichen zweiten Induktionsapparates verbinde, dessen 
Primärklemmen mit den Klemmschrauben einer Bogenlampe 
in Verbindung stehen. Sobald der Strom geschlossen wird, 
sehen Sie letztere ganz normal, wie bei direktem Anschluss 
an die Maschine, in Thätigkeit kommen und helles Licht aus¬ 
strahlen. 

Durch Anwendung grösserer Induktionsapparate (Trans¬ 
formatoren) würde es möglich sein, weit höhere Spannungen 
und dementsprechend geringere Kupferquerschnitte zu er¬ 
zielen, doch müsste entsprechend die Dicke der isolirenden 
Hülle grösser gewählt werden und die Ersparnis an Kupfer¬ 
gewicht würde völlig aufgewogen, wenn nicht gar übertroffen, 
durch die Mehrkosten der Isolirung, ja wir kommen schliess¬ 
lich zu einer Grenze, bei welcher sich die Isolirung über¬ 
haupt unmöglich erweist, da auch die besten Isolatoren beim 
Ansteigen der Spannung über einen äussersten Werth (das 
sogenannte Entladungspotentialgefälle) gewissermassen brechen 
unter dem darauf lastenden elektrischen Druck, indem sie 
unter Funkenerscheinung durchschlagen werden. 

Ich zeige Ihnen diese Erscheinung, die Bildung des elek¬ 
trischen Funkens unter Zuhilfenahme einer mächtigen Elek- 
trisirmaschine zunächst in Luft von gewöhnlicher Dichte, 
sodann (mittelst des elektrischen Ei’s) in verdünnter Luft 
und nun mittelst einer Akkumulatorenbatterie von etwa 2000 
Volt Spannung bei einer, nur sehr verdünnte Luft enthal¬ 
tenden Geissler’schen Röhre. Wir erkennen, dass die Ent¬ 
ladungsspannung um so kleiner ist, je mehr man die Luft 
verdünnt, verdichtete Luft ist im Stande, entsprechend grössere 
Spannungen auszuhalten. Die Erscheinung selbst gestaltet 
sich verschieden, je nachdem die Elektrizität der Durch¬ 
bruchsstelle rasch oder langsam zufliessen kann. So tritt bei 

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Einschaltung einer feuchten Schnur in die Leitung an Stelle 
des hellleuchtenden gewöhnlichen Funkens ein blass-violett* 
rother, büschelartig verzweigter; bei vorheriger Ansammlung 
der Elektrizität in einer Batterie Leydener Flaschen wird 
dagegen der Funke von blendendem Glanze und betäubendem 
Knall. Wie sollen wir uns diese Erscheinung erklären? 
Ohne auf Einzelheiten einzugehen, will ieh nur andeuten, 
dass man annimmt, das isolirende Medium (die Luft oder der 
Aether) in der Nähe der geladenen Konduktoren befinde sich 
in einem eigentümlichen Zwangszustande (Polarisations¬ 
zustande), vergleichbar mit dem Zustand einer gespannten 
Feder oder eines magnetisirten Stahlstabes. Einige vierzig 
Tafeln, welche hier an den Wänden angeheftet sind, geben 
für verschiedene Formen von Konduktoren die Richtung und 
Grösse der Spannung durch entsprechend gezeichnete Kurven 
und Farben wieder. Die Hauptsache ist dieser eigentüm¬ 
liche Polarisationszustand des Isolators (Dielektrikums) und 
die Konduktoren sind gewissermassen leere Räume, welche 
nur dazu dienen, den Isolator zu begrenzen. Die Elektrizität 
ist also nicht ein feines Fluidum auf den Konduktoren, wie 
man früher annahm, sondern ein Zwangszustand des Dielek¬ 
trikums (Aethers). 

Nun haben wir gesehen, dass mit Zunahme der Spannung 
eine immer geringer werdende Drahtdicke zur Uebertragung 
der elektrischen Energie ausreicht. Wenn nun der Sitz dieser 
Energie überhaupt nicht in dem Drahte, sondern in dem 
umgebenden Medium ist, sollte es nicht unter Anwendung 
genügend hoher Spannungen möglich sein, die Drähte über¬ 
haupt wegzulassen und nur das Dielektrikum zu benutzen? 

Ich habe hier zwei grosse Drahtgitter in etwa 2 Meter 
Abstand, welche ich mit den Konduktoren der Elektrisir- 
maschine verbinde. In die Nähe derselben bringe ich eva- 
kuirte (luftleere) Glasröhren. Sobald die Konduktoren so 
weit genähert werden, dass Funken zwischen ihnen über¬ 
springen, sehen Sic die Röhren hell aufleuchten und ich kann 
so ein anscheinend kontinuirliches Leuchten in ihnen erzeugen, 
selbst wenn sie sich in grösserer Entfernung von den Draht¬ 
gittern befinden, während sie doch nicht die mindeste metal¬ 
lische Verbindung mit denselben haben. Hier erhalten wir 


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also elektrisches Licht in freistehenden Lampen, ohne Zu¬ 
leitungen. Das Licht ist nicht gerade besonders stark, kann 
aber durch Anwendung mächtiger Maschinen und entsprechen¬ 
der Modifikationen des Verfahrens, wie der Elektrotechniker 
Nikola Tesla in New-York gezeigt hat, so sehr gesteigert 
werden, dass es praktisch verwerthbar wird. Es ist dazu 
vor Allem nöthig, Wechselströme von ausserordentlich hoher 
Polwechselzahl herzustellen und den Drahtgittern zuzuführen. 

„Die Gitter laden sich“ bedeutet nichts Anderes, als: 
in der umgebenden Luft, also auch in den evakuirten Köhren, 
stellt sich der Polarisationszustand her. „Die Gitter entladen 
sich“, heisst: der Polarisationszustand verschwindet. Tritt 
der Strom nur wieder mit gewechselter Richtung in die 
Gitter ein, so stellt sich der Polarisationszustand ebenfalls 
in gewechselter Richtung wieder her u. s. w. Während aber 
die gewöhnliche Luft den Polarisationszustand aushalten kann, 
gilt dies nicht für die verdünnte Luft in den Röhren. Dort 
tritt jedesmal Entladung unter Lichterscheinung ein und er¬ 
folgen die Stromwechsel hinreichend rasch, so wird dieses 
Licht praktisch gleichmässig und sehr hell. 

Zur Herstellung von Wechselströmen mit der erforder¬ 
lichen Polwechselzahl genügen die gebräuchlichen Wechsel¬ 
strommaschinen ohne Weiteres nicht, es ist vielmehr nöthig, 
einen Kondensator (Leydener Flasche) hinzuzufügen. Ich 
habe hier einen grossen RuhmkorfPsehen Funkeninduktor, 
welchen ich als Transformator benutze. Er transformirt die 
Spannung unserer Wechselstrommaschine auf 10,000 bis 
20,000 Volt. Verbinde ich die Klemmen der sekundären 
Spule mit zwei Kohlen- oder Metallspitzen, so entsteht bei 
Annäherung derselben ein Lichtbogen, welchen ich bis auf 
etwa 20 Centimeter Länge durch Auseinanderziehen der 
Spitzen ausdehnen kann. Diese Vergrösserung des Bogens 
ist möglich, weil die Luft durch den Stromdurchgang erhitzt 
und dadurch verdünnt wird. Man hat auch vermuthet, dass 
in Folge der hohen Temperatur der Stickstoff der Luft ver¬ 
brennt und sich mit dem Sauerstoff verbindet, wodurch aber¬ 
mals Wärme frei wird, welche die Wirkung steigert. Lasse 
ich den Lichtbogen iu Leuchtgas entstehen, so wird er 
gleichfalls von grosser Länge und grossem Glanze, da durch 


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Zersetzung des Gases sich massenhaft Russpartikelchen ab¬ 
scheiden, welche den Strom leiten und zum hellen Glühen 
erhitzt werden. 

Ich blase nun mittelst eines grossen Gebläses Luft von 
acht Atmosphären Spannung zwischen den Spitzen durch. 
Wir sehen die umgekehrte Wirkung. Ich muss die Spitzen 
näher bringen, wenn nicht die Entladung aufhören soll und 
sie findet nicht mehr als Lichtbogen, sondern in Form eines 
prasselnden Funkenstromes statt. 

Verbinde ich die Spitzen mit den Belegungen einer 
Leydener Flasche, so ruft jede solche Funkenentladung einen 
kurz dauernden Wechselstrom von eminent hoher Wechsel¬ 
zahl hervor, indem durch eine solche Entladung nicht nur 
einfach die Flasche entladen wird, sondern der Elektricität 
wie eine träge Masse zwischen den Belegungen hin- und 
herpendelt, so dass sich diese in rascher Folge im einen 
und andern Sinn laden, bis durch den Widerstand der 
Funkenstrecke die Thatkraft erschöpft ist. Diese Wechsel¬ 
ströme leite ich nun durch einen kreisförmig gebogenen 
Draht und nähere demselben einen zweiten, in etwa 15 Win¬ 
dungen aufgerollten. Schon bei grösserer Entfernung sehen 
wir zwischen den Enden der Drahtrolle, welche auf etwa 10 
Millimeter genähert sind, Funken überspringen. Wir haben 
hier einen Transformator einfachster Art, die primäre Spule 
besteht nur aus einer Windung, die sekundäre aus 15. Man 
könnte denken, dass die Wirkung erhöht wird, wenn wir die 
Zahl der Windungen grösser nehmen, etwa wie bei diesem, 
aus zwei Rollen bestehenden Transformator, welcher für ge¬ 
wöhnliche Wechselströme bestimmt ist und wie Sie sehen, 
funktionirt, sobald die beiden Rollen auf genügend kleinem 
Abstand genähert werden. Wir treffen aber dabei auf eine 
eigenthümliche Schwierigkeit. Ich bringe die beiden Enden 
der primären Schleife einander nahe und Sie sehen kräftige 
Funken zwischen denselben überschlagen. Es ist dem Wechsel¬ 
strom unmöglich geworden, das kurze Stück dicken Kupfer¬ 
drahtes zu durchlaufen, er wählt lieber den zwar kürzeren, 
aber unter anderen Verhältnissen ungangbaren Weg durch 
die Luft. Nehmen wir statt einer einfachen Schleife eine 
Spule, so geht fast gar nichts mehr hindurch. Wechselströme 


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von so hoher Wechsclzahl vermögen eher durch einen Granit¬ 
block als durch eine gut leitende Drahtspirale hindurchzu¬ 
gehen! Wir müssen uns also in der Zahl der Windungen 
beschränken, können aber immerhin noch etwas weiter gehen. 
Ich habe in diesem Saale auf Porzellanisolatoren eine vier¬ 
eckige primäre Schleife von etwa 10 Meter Seitenlänge auf¬ 
gespannt. In ihrer Nähe sind 7 gleiche Windungen zu 
einer sekundären Spule vereinigt und zu zwei Spitzen ge¬ 
führt. Leite ich durch die primäre Schleife den Entladungs¬ 
strom unseres Kondensators, so erhalten wir an dem sekun¬ 
dären Schleifensystem einen prasselnden Funkenstrom von 
etwa der fünffachen Länge des primären. Durch Vcrgrösse- 
rung der Zahl der Schleifen können wir noch bedeutend 
höhere Spannungen erhalten und, indem wir diese unseren 
Drahtgittern zuführen, die Tesla’schen Experimente in bril¬ 
lanter Form wiederholen. 

Indess man wird sagen, wozu alle die Arbeit, es ist 
keine Aussicht vorhanden, auf diesem Wege ohne Drähte die 
elektrische Energie auf grössere Entfernung fortzusenden, 
da die leitende Erde die Kraftlinien des elektrischen Polari¬ 
sationszustandes gegen sich hinzieht und eine weitere Aus¬ 
breitung derselben hindert ! 

Nuu, die Versuche meines berühmten Vorgängers, Pro¬ 
fessor Hertz in Bonn, haben gezeigt, dass dies nicht immer 
der Fall ist. Es gibt eine Art Funkenentladung, bei welcher 
der Polarisationszustaud mit der Entladung nicht völlig ver¬ 
schwindet, sondern ein Theil desselben mit der ungeheuren 
Geschwindigkeit von 300,000 Kilometer in der Sekunde in 
den Raum hinauseilt, unbekümmert um die Anwesenheit der 
Erde, selbst Mauern durchdringend, immerfort in geradliniger 
Bahn weiterschreitend, wie das Licht, bis es auf einen 
metallenen Spiegel trifft, welcher ihn reflektirt, wie eine 
Welle oder auf ein schief begrenztes, dichteres Medium, 
welches ihn von der Bahn ablenkt, wie einen Lichtstrahl. 
Durch einen Hohlspiegel lassen sich solche elektrische Strahlen 
parallel richten und nach einem beliebigen fernen Orte 
dirigiren, wo sie durch einen zweiten Hohlspiegel gesammelt 
und wieder auf einen kleinen Raum konzentrirt und als 
Wechselstrom in einer Drahtleitung aufgefangen und zur 


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Lichterzeugung verwerthet werden können. Freilich handelt 
es sich hierbei bis jetzt nur um Laboratoriumsversuche im 
Kleinen, es wird noch viel Zeit, Mühe und Geld kosten, bis 
dieses neue Feld wissenschaftlicher Forschung genügend vor¬ 
gearbeitet ist, um auch dem Techniker eine nutzbringende 
Bearbeitung zu versprechen und es ist noch ganz unsicher, 
ob dies überhaupt jemals der Fall sein wird; allein wir 
können nicht Voraussagen, was das Ergebniss der weiteren 
Forschungen sein wird, gewiss ist nur, dass noch eine andere 
Art der Fortpflanzung elektrischer Energie möglich ist, als 
die gewöhnliche Leitung, nämlich eben die mit Hilfe sehr 
schneller elektrischer Schwingungen zu erzielende Strahlung, 
dass somit die Hoffnung auf Entdeckung einer noch billigeren 
Art der Vertheilung der Elektrizität, als wir sie heute be¬ 
sitzen, nicht absolut aussichtslos erscheint, wenn auch ihre 
Verwirklichung in absehbarer Zeit nicht bevorzustelien scheint. 

432. Sitzung am 16. Dezember 1892. 

Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofratb Dr. Wiener. 
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Dr. G. Mie, Assistent an der 
Technischen Hochschule, Dr. Th. Gelpke, Augeuarzt, Dr. K. Hilger, 
Kustos ain Grossb, Naturalienkabinet, Professor Dr. H. Ziegler, 
an der Technischen Hochschule. 

Herr Professor Treutlein hielt einen Vortrag über den 
Karlsruher Wetterkundigen Ph. Fr. Stieffel (1797—1852) 
und gab damit einen Beitrag zur Geschichte der Wetterkunde. 
Der Vortrag ist unter den Abhandlungen abgedrukt. 

Hierauf widmete Herr Hofrath Dr. Meidinger dem am 
6. Dezember verstorbenen grossen Ingenieur und Elektriker 
Geheimrath Dr. Werner v. Siemens in Berlin einen Nach¬ 
ruf, wobei er zugleich auf die Bedeutung seiner drei Brüder, 
Wilhelm, Karl und Friedrich als Techniker hin wies, welche 
vier zusammen eine in einer Familie wohl noch nie Vor¬ 
gefundene und dem Fortschritt der Welt nutzbar gewordene 
technische Kapazität repräsentirten. 

433. Sitzung am 13. Januar 1892. 

Anwesend 33 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Professor Dr. Ziegler hielt einen Vortrag über 
„die Urgeschichte der Familie“. Die Urgeschichte der 


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Familie kann nach ethnographischen und sprachlichen und 
auch nach zoologischen Anhaltspunkten hypothetisch konstruirt 
werden. Es wäre vielleicht unnöthig sich mit dieser rein 
theoretischen Frage zu beschäftigen, wenn nicht in Betreff 
derselben zur Zeit schon bestimmte Theorien weit verbreitet 
wären. Die Lehren von Bachofen und von Morgan sind 
von Engels und von Bebel angenommen worden und 
werden von ihnen als das Resultat der modernen Wissen¬ 
schaft dargestellt. Diese Theorien können aber weder vom 
Standpunkte des Ethnographen noch von dem des Zoologen 
als richtig anerkannt werden. Neuere Ethnographen(Starcke, 
Westermarck u. A.) haben gezeigt, dass die Thatsachen, 
welche aus der Völkerkunde, der Sagengeschichte und der 
Geschichte als Beweise aufgeführt werden, keineswegs zu den 
Schlüssen berechtigen, die man daraus gezogen hat. Es 
handelt sich in erster Linie um die Behauptung, dass die 
Menschen im Urzustände nicht in Familien gelebt hätten und 
dass ein gänzlich ungeregelter und beliebiger Verkehr zwischen 
den Geschlechtern geherrscht habe (Promiscuität). Diese 
Lehre und die ganze hypothetische Reihe von Familienver- 
hältnissen, welche dieselbe zum Ausgangspunkt nimmt, können 
einer ernsten Kritik nicht Stand halten; es ist vielmehr sehr 
wahrscheinlich, dass in der Menschheit in den ältesten Zeiten 
die Monogamie die herrschende Familienform war. Vom 
zoologischen Standpunkte aus muss betont werden, dass bei 
den dem Menschen am nächsten verwandten Thieren nämlich 
den Anthropoiden bereits die Monogamie besteht. Nimmt 
man demgemäss an, dass dieses Familienverhältniss für die 
Menschheit das ursprünglichste und natürlichste ist, so kann 
man doch ohne Schwierigkeit erklären, wie unter besonderen 
sozialen Verhältnissen bei manchen Völkern neben der Mono¬ 
gamie die Polygynie, bei anderen die Polyandrie zur Ent¬ 
wickelung kamen. Auch das bei einigen Völkern Vorgefundene 
Mutterrecht kann auf Grund der Monogamie abgeleitet werden, 
wenn die leicht erklärliche Vorstellung besteht, dass das Kind 
mit der Mutter aber nicht mit dem Vater blutverwandt sei. 

In der an den Vortrag sich anschliessenden Diskussion 
sprachen Herr 0. Ammon, Herr Geh. Hofrath Wiener und 
der Vortragende. 


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434. Sitzung am 10. Februar 1893. 

Anweseud 18 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Neu angemeldetes Mitglied: Herr Professor A. Holzmann, an der 
Oberrealschule. 

Der Vorsitzende machte davon Mittheilung, dass von 
Göttingen eine Einladung an den Verein ergangen sei, sich 
an der Errichtung eines Gauss-Weber Denkmals in Göttingen 
zu betheiligen. Es wurde beschlossen einen Beitrag von 
100 M. aus Vereinsmitteln zu gewähren, ausserdem wurde 
eine Liste in Umlauf gesetzt zur Zeichnung besondrer Bei¬ 
träge einzelner Mitglieder. 

Herr Professor Dr. Haid berichtete über die im ver¬ 
gangenen Sommer ausgeführte Messung der neuen Bonner 
Basis und über die Generalkonferenz der Vereinigung für 
internationale Erdmessung, welche Ende September vorigen 
Jahres in Brüssel stattgefunden hat. Nach einem kurzen 
Rückblick auf die Entwickelung der Basis-Apparate und der 
Methode der Messung wurde namentlich auf den jetzt mit 
dem Bessel’schen und Brunner’schen Apparate erreichten 
Genauigkeitsgrad hingewiesen. Der Verlauf der Basis-Mes¬ 
sung bei Bonn durch die königl. preussische Landesaufnahme 
mittelst ersterem Apparat und der darauffolgenden Messung 
durch das königl. geodätische Institut mit dem Brunner’schen 
Apparat war durch Photographien veranschaulicht. Ueber- 
gehend auf die Verhandlungen der Brüsseler Konferenz wurde 
in einer Vergleichung der wesentlichsten in Europa gemessenen 
Grundlinien gezeigt, dass dieselben jetzt mit Ausnahme der 
russischen gut übereinstimmen. Ferner machte der Vor¬ 
tragende Mittheilung über die Lothabweichungen in der 
jetzt endgiltig von Professor Helmert bearbeiteten Längen¬ 
gradmessung in 52° Breite, wonach die mathematische Erd¬ 
oberfläche innerhalb des europäischen Festlandes vom Meeres¬ 
strande ab in ostwestlicher Richtung eine stärkere Krümmung 
zeigt, als man aus den Ergebnissen der europäischen Breiten¬ 
gradmessungen erwartete, was darauf hindeutet, dass die 
Kontinentalmasse nur zum Theil durch unterirdische Massen¬ 
defekte kompensirt ist. Für die Alpen ergaben die Schwere- 
Messungen, wie auch die Bestimmung der Lothabweichungen, 
welche Oberstleutnant von Sterneck in den letzten Jahren 


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längs der Brennerbahn von München bis Mantua ausgeführt 
hat, das übereinstimmende Ergebniss, dass die Alpenmasse 
reichlich zur Hälfte durch Massendefekte ausgeglichen ist. 
Auch im Schwarzwald und in der Rheinebene ist es beab¬ 
sichtigt, solche Untersuchungen vorzunehmen und hat die 
Grossh. Regierung die Mittel zur Anschaffung eines Stern- 
eck’schen Pendelapparates bewilligt Zum Schluss wurden 
noch bezüglich der Veränderungen der geographischen Breite 
die Ergebnisse der gleichzeitigen Beobachtungen in Berlin, 
Prag, Strassburg, Honolulu und Washington aus den Jahren 
1891/92 roitgetheilt. Uebereinstimmend weisen diese sämmt- 
lichen Beobachtungen auf eine periodisch verlaufende Ver¬ 
schiebung der Erdachse im Erdkörper hin, in der Art, dass 
die Pole in etwa 393 Tagen in einem Abstand von 0,5 
Bogensekunden um einen Punkt mittlerer Lage kreisen. 


435. Sitzung am 24. Februar 1893. 

Anwesend 41 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Professor Dr. Valentiner berichtet über den In¬ 
halt des 4. Bandes der Veröffentlichungen der 
Grossh. Sternwarte, sowie über die Arbeiten andern ihm 
unterstellten Institut. Die Sternwarte hat seit ihrer Grün¬ 
dung in Mannheim an erster Stelle der sogenannten Fix¬ 
sternastronomie gedient, und ist trotz der bekanntlich jetzt 
geringen Mittel von der alten Ueberlieferung nicht abgewichen. 
In der Voraussetzung, dass der gegenwärtige Zustand ein 
vorübergehender ist, wurde in ein Arbeitsprogramm ein¬ 
getreten, das fast sämmtliche Staatsinstitute verfolgen, weil 
nur solche festgegründete Anstalten in der Lage sind, Arbei¬ 
ten zu unternehmen, die zur Vollendung oft viele Jahre, selbst 
Jahrzehnte, erfordern. Die sogenannten Fixsternkataloge 
bieten die Grundlage für alle Untersuchungen über die Ent¬ 
fernungen, die Bewegungen der Fixsterne, des Sonnensystems, 
über den Bau des Weltalls, die Bewegungen der Glieder des 
Sonnensystems u. dgl. m. Hier wurde ein solcher Fixstern¬ 
katalog in Angriff genommen; der erste Theil, welcher etwa 
20,000 Ortsbestimmungen der Sterne fordert, wird voraus¬ 
sichtlich in Jahresfrist fertig sein. Im 2. und 4. Bande der 


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„Veröffentlichungen“ sind die Ergebnisse von ungefähr 13,000 
Beobachtungen initgetheilt. Zahlreiche Vergleiche mit ähn¬ 
lichen Arbeiten an neuzeitigen und gut ausgerüsteten Stern¬ 
warten Deutschlands, Englands, Amerikas u. s. w. zeigen, 
dass die hiesigen Beobachtungen allen ebenbürtig sind. Am 
Refraktor sind Spezialsysteme des Fixsterngebietes, die Stern¬ 
haufen, beobachtet. Diese Arbeiten bilden ebenfalls die Grund¬ 
lagen für Ermittelung der Bewegungen in Systemen, denen 
wahrscheinlich das System, zu dem unsere Sonne gehört, 
ähnlich ist. Bisher sind nur in der Plejadengruppe Be¬ 
wegungen erkannt, die es wahrscheinlich machen, dass die¬ 
selbe aus zwei, von einander getrennten Gruppen besteht. 
Im besprochenen 4. Hefte findet sich noch eine sehr aus¬ 
gedehnte Untersuchung des Assistenten der Sternwarte, Dr. 
Ristenpart, über die Constante der Präzession und die Fort¬ 
bewegung des Sonnensystems. Es stehen sich zur Zeit noch 
die Bessel’schen und Struve’schen Werthe der Präzession, 
dieser fundamentalen Grösse in der Astronomie, gegenüber; 
die Ristenpart’sche Arbeit ergibt fast genau den Bessel'schen 
Werth. In Betreff weiterer Fragen, welche diese Arbeit be¬ 
rührt, insbesondere den Bau des Weltalls, wird ein eingehen¬ 
der Vortrag in Aussicht gestellt, da hier namentlich auch 
durch die Arbeiten Seeliger’s, Schönfeld’s, Gould’s u. A. viel 
Neues und Interessantes geliefert worden ist. 

Des Weiteren wird mitgetheilt, dass regelmässige Mond¬ 
beobachtungen, wie in Greenwich, Paris, Strassburg, Königs¬ 
berg u. s. w., angestellt werden und dass im März v. J. auch 
hier die Beobachtungen über die Veränderlichkeit der Polhöhe 
in Verbindung mit einer Neubestimmung der Aberrations¬ 
konstante begonnen wurden und dass auch hier nach dem 
bereits gewonnenen Material die Schwankung zu Tage tritt. 
Letztere Beobachtungen werden jedenfalls mehrere Jahre 
fortgesetzt werden müssen, da die Periode und volle Gesetz¬ 
mässigkeit der Veränderlichkeit noch ganz unbekannt ist. 
Ueber diesen Gegenstand, der zahlreiche und umfangreiche 
Untersuchungen, namentlich in jüngster Zeit, veranlasste, 
wird ebenfalls ein späterer Vortrag ausführlicher berichten. 

Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener spricht hierauf die Hoff¬ 
nung aus, dass in möglichster Bälde die Verhältnisse durch 


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einen Neubau der Sternwarte sieb günstiger gestalten mögen 
und dadurch die ununterbrochene Fortsetzung der begonnenen 
Arbeiten gewährleistet werde. 

Hierauf hielt Herr Dr. B. Hagen aus Homburg einen 
Vortrag über die Bataks im Innern von Sumatra. 

Der Redner gab vorerst eine kurze Erklärung des 
Namens Sumatra, welcher wahrscheinlich zuerst von den 
Arabern der Insel nach einer alten Stadt Samudera oder 
Sumottra auf der Nordostküste beigelegt ward. Die Ein¬ 
geborenen kennen selbstverständlich diesen Namen nicht. 
Wenn man sich der Ostküste Sumatras nähert, so erblickt 
das Auge nur einen ununterbrochenen Streifen dichtver¬ 
schlungenen, niedrigen Rhizophorenwald, der die ganze 
dahinterliegende flache Küstenebene verdeckt. In der Ferne 
steht wie eine Wand eine dunkle Gebirgsmauer, von der 
zwei zackige, rauchende Vulkane als Wahrzeichen auf die 
Küstenebene von Deli, das weitbekannte Tabaksland, herab¬ 
schauen. Hier in dieser KUstenebene wohnen die Malaien, 
dort hinter jener Gebirgsmauer, auf den kühlen Hochebenen, 
die Bataks, jenes hochinteressante Naturvolk, gewissermassen 
die Tyroler Sumatras. Ihre Zahl mag vielleicht 2 bis 300,000 
Seelen betragen. Nur wenige, schwer gangbare Pässe führen 
hinauf zu ihrem ziemlich unfruchtbaren Lande, und dies, 
sowie der argwöhnische, kriegerische Sinn der Bataks haben 
Einwanderung so ziemlich verhindert und die Rasse der Be¬ 
wohner anthropologisch ziemlich rein erhalten. Die Bataks 
sind von kleiner Statur, im Mittel 160 Centimeter gross, 
und zeichnen sich aus durch einen sehr grossen Kopf, langen 
Rumpf und kurze Extremitäten, also Verhältnisse, welche sie 
auf eine sehr niedrige Stufe der körperlichen Entwickelung 
stellen. Der Vortragende erläutert dies an von ihm selbst 
aufgenommenen Photographien. 

Ein gemeinsamer Staatsverband existirt zwischen ihnen 
nicht, jedes Dorf, welches mit Hecke und festem Zaun um¬ 
schlossen, gewissermassen eine kleine Festung darstellt, ist 
selbstherrlich, und so war der Vortragende, welcher zwei 
Mal Reisen nach der nördlichen Hochebene von Tobah und 
dem grossen, damals noch wenig bekannten Tobahsee unter¬ 
nahm, genöthigt, durch Geschenke (Jacke, Kopftuch und ein 


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Goldstück — deutsches 20-Mark-Stück —) seinen Durchzug 
von den einzelnen Dorfhäuptlingen zu erkaufen. Die Häuser 
sind schwer aus Holz gebaut, mit hohem, steilem Dach aus 
Zuckerpalmenfasern, und stehen auf Pfählen, also richtige 
Pfahlbauten; das Innere besteht aus einem einzigen Raum 
mit so viel Feuerstellen, als Familien darin wohnen. Oeffent- 
liche Gebäude sind das Rathhaus, welches zugleich als Nacht¬ 
quartier für durchreisende Fremde dient, und die Reisstampfe, 
wo der Reis für die täglichen Mahlzeiten enthülst wird. Die 
dumpfen Schläge dieser Reisstampfe sind es gewöhnlich, 
welche dem Reisenden die Nähe einer Ansiedelung verrathen. 

Der Vortragende ward überall freundlich und zuvor¬ 
kommend empfangen, obwohl beim ersten Erscheinen überall 
das einzige Dorfthor krachend geschlossen und erst nach 
längerem Pariamentiren und Darreichung der üblichen Ge¬ 
schenke wieder geöffnet ward. Als Gastgeschenke wurden 
ihm Reiss, Hühner, Ziegen, Schweine und — Hunde ange- 
boten. Letztere sind eine beliebte Speise. Wollte man ihn 
besonders ehren, so lud ihn der Radjah (Häuptling) zum 
gemeinsamen Bade ein. 

Vortragender gibt nun eine kurze Schilderung des Lebens 
und Treibens in einem solchen Dorfe. Obwohl man Anfänge 
von Handel und Gewerbe bei den Bataks trifft (Pferdehandel 
nach der Küstenebene, Metallindustrie, Töpferei), so ist der 
Batak doch der Hauptsache nach Ackerbauer. Die Ackerbau- 
verhähltnisse sind sehr geregelt; jedes Grundstück ist sauber 
mit Hecke oder einem kleinen Erdwall umgeben; das Aus¬ 
säen und die Ernte werden durch Feste gefeiert. Angebaut 
wird Reis, Mais und süsse Kartoffeln. Die Kokospalme und 
der Pisang haben hier in etwa 1200 Meter Höhe ihre Grenze 
und der Vortragende konnte oft bewundern, wie Erdbeeren 
und Veilchen neben der Palme, und das Vergissmeinnicht 
neben dem Pisang blühten. 

Auch die Rechtsverhältnisse sind sehr geordnet, jede 
Woche wird von dem Radjah mit zwei Beisitzern unter 
freiem Himmel Gericht gehalten. Auch finden regelmässig 
bei jedem grösseren Dorf Wochenmärkte statt, wo oft Tau¬ 
sende von Leuten zusammenströmen. 


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Und bei diesem, in so geordneten, geregelten Verhält¬ 
nissen lebenden Volke, welches man beinahe ein Kulturvolk 
nennen möchte, herrscht noch — Kannibalismus! Und zwar 
Kannibalismus in seiner scheusslichsten Form, indem unter 
gewissen Umständen Menschen bei lebendigem Leibe verzehrt 
werden! Der Vortragende erzählt einen ihm bekannt ge¬ 
wordenen Fall. Allerdings ist das Gefressenwerden nur als 
gesetzliche Strafe für gewisse Verbrechen festgesetzt, und ist 
nach des Redners Erfahrung schon ziemlich selten geworden, 
Dank dem Einflüsse der holländischen Regierung, auch bei 
den unabhängigen Stämmen; Redner ist der Ueberzeugung, 
dass der Kannibalismus der Bataks in nicht ferner Zeit der 
Vergangenheit angehören wird. Einzelne Stämme, wie z. B. 
die Karo-Bataks, haben ihm schon seit längerer Zeit entsagt. 
Die Entstehung dieser Unsitte ist sehr schwer zu erklären, 
und reicht jedenfalls in die graueste Vorzeit zurück. 

Da der Batak die häuslichen Geschäfte völlig seiner 
bessern Hälfte überlässt und die Landwirthschaft, bei der er 
mithilft, bald besorgt ist, so hat er sehr viel freie Zeit und 
füllt diese mit zwei Dingen aus, die bei ihm zur Leidenschaft 
geworden sind: das sind das Spiel und das Kriegführen. 
Die Spielwuth beherrscht den Batak so vollkommen, dass er 
manches Mal nicht nur sein Hab und Gut, sondern auch 
Weib und Kind und zuletzt sich selbst verspielt. Es kann 
Vorkommen, dass ein freier und wohlhabender Mann sich des 
Morgens zum Spiel niedersetzt und Abends als armer, besitz¬ 
loser Sklave seines glücklichen Gegners aufsteht. Denn 
Sklaverei herrscht noch bei den Bataks, wenn auch in sehr 
milder Form. 

Die andere Leidenschaft ist der Kriegssport. Da jedes 
Dorf sich als unabhängig betrachtet, fehlt es niemals an An¬ 
lass zu Reibereien, und bei jeder Ansiedelung findet man 
Erdschanzen und Verhaue. Jeder freie Batak besitzt ein 
Gewehr; Feuersteingewehre sind bevorzugt; dieselben werden 
mit einer guten Handvoll selbstgefertigten Pulvers geladen 
und beim Losschiessen weit vom Körper abgehalten; nach 
dem Schuss muss sich der Schütze wie ein Kreisel blitzschnell 
herumdrehen, um dem furchtbaren Rückstoss der überladenen 
Waffe auszuweichen. Dem Batak kommt es mehr auf tüch- 


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tiges Knallen, als auf’s Treffen an. Fiir gewöhnlich ent¬ 
scheidet der erste Todte schon über Sieg und Niederlage, 
eine Einrichtung, worin diese „Wilden“ ausgebildeten Euro¬ 
päern als nachahmenswerthe Vorbilder dienen könnten. Dieser 
Todte wird sofort von den Zauberpriestern, den Gurus, in 
Beschlag genommen und sein Körper zu allerei Zaubermitteln 
verarbeitet Denn der Batak ist ein armer Mann, für den 
die ganze Welt und alle Geschöpfe voll böser, rachsüchtiger 
Geister stecken, mit denen er jeden Augenblick in Konflikt 
kommen kann und gegen die nur eine Unmenge Zaubermittel 
schützen können. Gute Geister gibt’s nur wenige, und auch 
die werden böse, wenn sie vernachlässigt werden und ihre 
Opfergaben nicht gehörig empfangen. Einen dreieinigen 
Gott — eine Erinnerung an die indische Trimurti — kennt 
der Batak wohl, derselbe schwebt aber in nebelhafter Ferne 
und kümmert sich um den Menschen nicht; folglich kümmert 
sich der Batak auch nicht um ihn. Die Religion dieses 
Volkes ist, kurz gesagt, der Ahnenkultus mit starken in¬ 
dischen und theilweise auch schon muhamedanischen Bei¬ 
mischungen. 

Den Verkehr zwischen der Menschen- und Geisterwelt 
vermitteln die Zauberpriester, die Gurus, welche ihre Weis¬ 
heit aus Büchern schöpfen, die mit einer selbstverfertigten 
Tinte auf Baumrinde mit eigenthümlichen, an das Indische 
erinnernden Schriftzeichen geschrieben sind. Diese Bücher 
enthalten ausschliesslich Zauberformeln und Rezepte, also 
keine juristischen oder geschichtlichen Aufzeichnungen; man 
muss sich eigentlich verwundern, dass die Bataks noch nicht 
auf schriftliche Fixirung ihrer geschichtlichen Erinnerungen 
und Rechtsgewohnheiten verfallen sind, denn die Kunst des 
Lesens und Schreibens ist unter den Bataks sehr verbreitet. 

Dieses Volk ist überhaupt ein geistig sehr regsames 
und bildungsfähiges, wie man an den Stämmen wahrnehmen 
kann, welche bereits muhamedanische Kultur angenommen 
haben, namentlich die Völker aus Rau, Mandeling, Angkola 
und Sipirok, die schon einige Zeit unter holländischer Herr¬ 
schaft stehen. Auch die Missionäre, namentlich die rhei¬ 
nische Missionsgesellschaft, rühmen die Bildungsfähigkeit 
dieser Stämme und machen viele Proselyten. Das Gouverne- 


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ment hat zahlreiche, stark besuchte Schulen errichtet, worin 
beinahe jeder Zögling in drei Sprachen lesen und schreiben 
lernt (Redner zeigt eine solche kalligraphisch tadellose Schrift¬ 
probe vor), um später im Regierungsdienst eine gut bezahlte 
Stelle als Schreiber, Schullehrer, Aufseher, Eisenbahnkonduk¬ 
teur, Telegraphist u. s. w. zu finden, oder am Hof der 
malaischen Sultane als Sekretär, Minister und Grosswürden¬ 
träger zu fungiren. 

Aber auch der sogenannte „wilde“, unabhängige Batak 
ist mit Verstand und Geist hochbegabt; er hält gern grosse 
Reden, und die lebhaften Unterhaltungen der Bataks am 
abendlichen Herdfeuer waren für den Verfasser stets eine 
Quelle des Genusses. Namentlich beliebt sind Erzählungen 
von Schwänken und Eulenspiegeleien. Auch das Aufgeben 
von Räthseln ist sehr im Schwung und ein guter Witz oder 
ein gelungenes Räthsel wird mit fröhlichem Gelächter be¬ 
lohnt. Die Musik wird sehr gepflegt, besonders eine Art 
Mandoline wird gespielt, auf der der Batak sehr hübsche 
Melodien vorzutragen versteht; er führt dies geliebte Instru¬ 
ment auf allen seinen Reisen mit sich und verkürzt sich den 
langen Weg durch Klimpern auf der Kutjapi, wie dies In¬ 
strument genannt wird. Dass schliesslich in diesem merk¬ 
würdigen Volk eine poetische Ader steckt, beweist der Vor¬ 
tragende durch das Vorlesen der Uebersetzung eines bata- 
kischen Gedichtes. 

Herr Fr. Huber, geodät. Zeichner, welcher längere Jahre 
in holländischen Diensten in Sumatra gelebt, als Gast in der 
Sitzung anwesend, fügte einige Bemerkungen bei und erbot 
sich zu weiteren Mittheilungen für einen ganzen Abend, was 
gleich für die nächste Sitzung angenommen wurde. 


436. Sitzung am 10. März 1893. 

Anwesend 26 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 
Neu angenaeldetes Mitglied: Herr Dr. Tesch, Assistent an der 
Technischen Hochschule. 

Herr Franz Huber sprach über persönliche Erleb¬ 
nisse auf Sumatras Westküste, dessen Naturwunder 
und Bewohner, nebst Skizzen aus dem Reiche 
Atschin. 

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437. Sitzung am i. April 1893. 

Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen 

Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums. 

Herr Dr. Hans Meyer von Leipzig hielt einen Vortrag 
über die Entwickelung unserer Kolonien. 

Bei einem Ueberblick über die Entwickelung unserer 
Kolonien haben wir ausser der politischen und wirtlischaft- 
lichen Fortbildung auch die geographische Forschung als die 
erste Grundlage aller kolonialen Entwickelung mit in Be¬ 
tracht zu ziehen. 

Beginnen wir die Rundschau im fernsten Osten. Dort 
war bisher das Marschallschutzgebiet das Stiefkind des 
Interesses, vor Allem, weil es uns keine Schwierigkeiten 
gemacht hat. Das Gebiet liefert zufolge seiner Bodenbe¬ 
schaffenheit nur Kokosnüsse als Handelsartikel (Kopra), der 
aber den drei dortigen Firmen ausreichenden Gewinn bringt. 
Der Umsatz der deutschen Jaluitgesellschaft ist mehr als 
doppelt so gross wie jener der beiden anderen Firmen. 
Europäer wohnen jetzt 94 im Schutzgebiet. Die Verwal- 
tungskosten trägt das Land selbst, das Reich zahlt gar 
keinen Zuschuss. 

Im Neu-Guinea-Schutzgebiet (Kaiser Wilhelms-Land 
und Bismarckarchipel) liegen die Verhältnisse viel ungün¬ 
stiger. Zur geographischen Erschliessung des Innern ist seit 
Jahren gar nichts geschehen, wogegen die Engländer auf 
Neu-Guinea von ihrem Bezirk aus Erhebliches geleistet haben. 
Der Bismarckarchipel liefert den beiden dortigen Firmen 
(Hernsheim und Handels- und Plantagengesellschaft der Süd¬ 
seeinseln) einen ziemlich gewinnbringenden Artikel in der 
Kopra, aber in Kaiser Wilhelms-Land macht die tiefe Kultur¬ 
stufe der Eingeborenen allen Handel fast unmöglich. Da¬ 
gegen hat dort der Tabakbau gute Ergebnisse erzielt, so 
dass sich eine Pächtergesellschaft (Astrolabe Komp.) nur für 
den Tabakbau gebildet hat, deren Produkte bereits in Bremen 
zu guten Preisen verkauft werden. Die neue Hauptstation 
Friedrich Wilhelms-Hafen ist seit 1892 mit Singapore in 
Dampferverbindung. Die Kompagnie verwaltet sich selber, 
hat aber bisher die Riesensumme von 6 412 000 M. veraus¬ 
gabt, was nur zu leisten ist durch den Opfermuth des an 


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der Spitze stehenden Herrn von Hansemann. Die Erschlies¬ 
sung des gebirgigen, für Plantagenbau aller Art geeigneten 
Inlandes ist die wichtigste Aufgabe der Zukunft. 

In Afrika ist Togoland eine unserer erträgnissreichsten 
Kolonien. Dem Handel sehr hinderlich ist aber, dass die 
beiden Hauptwasserstrassen (Volta und Mono) auf dem eng¬ 
lischen, bezw. französischen Nachbargebiet münden. Gebiets¬ 
ausdehnung nach dem Innern ist um so mehr anzustreben, 
als uns dort die Franzosen, ebenso wie im Hinterland von 
Kamerun, abzuschneiden suchen. Ihre Absicht geht dahin, 
von Senegambien bis zum Tsadsee die Länder des Innern 
unter französischen Schutz zu stellen und vom Tsadsee aus 
ihr Schutzgebiet südwärts bis zum Kongo, nordwärts bis 
nach Tunis, ostwärts vielleicht bis zum Nil auszudehnen. Die 
Reisen Binger’s und Monteil’s haben uns im Hinterland 
von Togo bereits stark entgegengearbeitet, wogegen leider 
die Reise unseres Hauptmanns Kling nichts ausgerichtet hat. 
Handelsfirmen hat Togo jetzt vier mehr als im Vorjahre. 
Hauptausfuhrartikel sind Palmöl, Palmkerne und Kautschuck, 
deren Werth 1892 2 848 000 M. betrug. Die Einfuhrwaaren 
sind vorwiegend deutschen Ursprungs. Im Innern steht die 
wissenschaftliche Station Misahöhe unter Leitung des Leipziger 
Naturforschers Dr. Grüner. 

Ebenfalls im besten Gedeihen ist Kamerun. Auch 
diese Kolonie erhält sich bereits selbst. 1892 haben sich 
dort drei neue deutsche Firmen etablirt, die Zahl der Euro¬ 
päer ist von 166 auf 191 gestiegen. Einfuhr und Ausfuhr 
(vor Allem Palmöl, Palmkerne, Kautschuk, Kakao, Kaffee) 
sind um je 300 000 M. gewachsen. Die Zwischenhändlerzone 
wird mit steigendem Erfolg durchbrochen. Im Hinterland 
jedoch suchen uns die Franzosen das Vordringen zu ver¬ 
sperren, um ihr Kongogebiet mit dem Tsadsee zu verbinden. 
Unsere beiden Expeditionen unter Dr. Zintgraff und Leut¬ 
nant Ramsay, die dem französischen Vordringen entgegen¬ 
arbeiten sollten, sind leider erfolglos gewesen, während nament¬ 
lich der französische Leutnant Mizon vom Benue bis zum 
Kongo unser Hinterland durchzog und überall Verträge ab¬ 
schloss. Auch jetzt ist er wieder am Benuö und der Herzog von 
Ujes vom Kongo her thätig, so dass wir uns heiss bemühen 

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müssen, um uns wenigstens nicht auch vom Tsadsee ab¬ 
sperren zu lassen. Eine grosse deutsche Privatexpedition 
würde dort Bedeutendes leisten können! 

Unser Schutzgebiet in Südwestafrika ist in erfreu¬ 
lichem Fortschritt begriffen. Die Zahl der Europäer ist von 
620 auf 670 gestiegen, die fast alle Handel mit Vieh und 
Häuten (das Gebiet enthält etwa 1 1 / 4 Million Rinder) treiben. 
Da auf dem Hochplateau das Klima sehr gut ist, hat die 
Südwestafrikanische Siedelungsgesellschaft einige 
deutsche Familien bei Windhoek angesiedelt, und es ist sehr 
zu wünschen, dass auch den Boercn der benachbarten Kap- 
kolonie von unserer Regierung die erbetene Erlaubniss zur 
Ansiedelung ertheilt werde, wodurch auch der drohenden 
Anglisirung von ganz Südafrika eine Schranke gezogen 
würde. Aus diesem letzteren Grund ist vor Allem die Da- 
maraland-Konzession zu verwerfen, die dem englischen 
Kapital in unserem Gebiet ausserordentliche Vorrechte vor 
deutschen Unternehmungen einräuint. Ihre staatsrechtliche 
Unhaltbarkeit verlangt glücklicherweise eine nochmalig Revi¬ 
sion dieser Konzession. Würde das deutsche Kapital nicht 
so sehr durch die Haltung unserer Kolonialregierung ent- 
muthigt, so würde es sich mehr nach Südwestafrika wagen. 
Neuerdings hat sich glücklicherweise der Reichskanzler einer 
günstigeren Auffassung zugewendet. 

In Ostafrika haben sich, Dank der ruhigen Verwal¬ 
tung des Gouverneurs v. Soden, die Verhältnisse im Küsten¬ 
gebiete so gefestigt, dass das deutsche Kapital endlich an 
die Kultivation des aussichtsreichen Usambaragebirges gehen 
kann. v. Soden wird namentlich von den Anhängern des 
früheren Militärregiments, dessen Willkürherrschaft er beseitigt 
hat, auf’s Heftigste angegriffen. Hätten ihm grössere Mittel 
und eine stärkere Schutztruppe zur Verfügung gestanden, so 
würden sich die militärischen Niederlagen der beiden letzten 
Jahre nicht ereignet haben oder doch schnell ausgewetzt 
worden sein. Jetzt endlich ist eine Erhöhung des Budgets 
und der Schutztruppe beabsichtigt. Im Innern haben sich nur 
die von Emin Pascha angelegten beiden Stationen Bukoba 
und Muanka friedlich entwickelt. Emin Paschas Reichsexpe¬ 
dition und die Antisklavereiexpedition des Dr. Bau mann sind 


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die einzigen, die auch geographisch Grosses geleistet haben. 
Emin wollte vom Albertsee nach Nordwest bis Kamerun 
Vordringen, um dessen Hinterland für Deutschland zu sichern. 
Die wichtigsten geographischen Ergebnisse seiner und des 
Dr. Stuhl mann Thätigkeit sind: Entdeckung des Mfumbiro- 
gebirges mit einem thätigen Vulkan, genauere Erforschung 
des schneebedeckten Ruvensorogebirges, das gegen Stanley’s 
Angabe nicht vulkanisch ist, sorgfältige topographische 
Aufnahme des ganzen durchzogenen Gebietes, reiche, wissen¬ 
schaftliche Sammlungen aller Art. Nach den jüngsten Nach¬ 
richten ist an Emin’s Ermordung durch die Araber kaum 
mehr zu zweifeln. 

Dr. 6au mann hat auf seiner grossen Reise vom Kili¬ 
mandscharo zum Viktoria Nyanza, von dort zum Tanganji¬ 
kasee und zurück zur Küste fast durchweg neue Strecken 
eingeschlagen und die schönsten Erfolge errungen. Die 
wichtigsten sind: die Erforschung des Mangorasee’s südwest¬ 
lich vom Kilimandscharo, die Entdeckung des bis dahin noch 
ganz unbekannten Eiassi-Sees, die Entschleierung des Ge¬ 
bietes zwischen Viktoria-See und Tanganjika und die Ent¬ 
deckung der Kageraquelle, wodurch Baumann in Wirklichkeit 
der Entdecker der Nilquellen geworden ist. Die Berge des 
Quellgebietes werden von den Eingeborenen „Mondberge“ 
genannt, in seltsamer Uebereinstimmung mit den Nachrichten 
des Alterthums. 

Diesen Erfolgen gegenüber sind leider die beiden Unter¬ 
nehmungen des Peters- und Wissmanndampfers ziemlich 
aussichtslos. Der nachgewiesene Brennholzmangel am Vik¬ 
toriasee wird zur Folge haben, dass der Petersdampfer an 
der Meeresküste bleibt, wo er als Zollschiff gute Dienste 
leisten kann. Der für den Tanganjikasee zur Unterdrückung 
des dortigen besonders schwunghaften Sklavenhandels be¬ 
stimmte Wissmanndampfer wird, nach den jüngsten Berichten 
der Expedition, besten Falls den Nyassasee erreichen können, 
wo aber bereits durch englische Schiffe und Stationen dem 
Sklavenhandel kräftig gesteuert wird. 

Im ostafrikanischen Küstengebiet, im wirklichen 
Schutzbereich der Regierung, ist die friedliche Kolonisations¬ 
arbeit im besten Fortgang. Hier ist in dem küstennahen 


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Bergland Usambara endlich die waldige, wasserreiche, gegen 
800 Meter hohe Landschaft Handei von der neu gebildeten 
Usambara-Kaffeebau-Gesellschaft zur Anpflanzung von 
Kaffee ausersehen worden, und dies ist vielversprechend, 
denn weder in Ceylon, noch in Java oder den Philippinen 
hat der Herr Vortragende Gebiete gesehen, die für Kaffeebau 
besser geeignet wären, als Handei. 

Die deutschen Handelsunternehmungen werden da¬ 
gegen durch den englischen Freihafen Zanzibar noch sehr 
gelähmt; nach Hamburg hat unser Gebiet 1891 nur für 
520 276 M., Zanzibar hingegen für 1 819 520 M. befördert. 
Herabsetzung der Frachtsätze unserer subventionirten Dampfer¬ 
linie, regerer, direkter Schiffsverkehr mit Indien und grössere 
Verdichtung unseres Zollnetzes zur Verhinderung des aus¬ 
gedehnten Schmuggels sind absolut nothwendig. 

Vor Allem aber muss für alle unsere Kolonien die 
Reichsregierung bemüht sein, durch grössere Stetigkeit und 
Festigkeit ihrer Kolonialpolitik das deutsche Privatkapital 
mehr zu kolonialen Unternehmungen zu ermuthigen: recht¬ 
liche Begünstigungen und Garantien für solche Unterneh¬ 
mungen werden dann das Uebrigc thun. Zwar hat der 
Reichskanzler neuerdings eine viel kolonialfreundlichere Hal¬ 
tung gezeigt als früher, aber eine nachhaltige Förderung 
unserer kolonialen Aufgaben ist doch erst durch eine selbst¬ 
ständige Organisation unserer kolonialen Leitung zu erwarten, 
durch die Schaffung eines vom Auswärtigen Amt unabhängigen 
Kolonialamtes mit einem auch praktisch erfahrenen, klugen 
und massvollen Kolonialministers. Immerhin lässt sich auch 
jetzt schon von der Gesammtentwickelung unserer Kolonien 
sagen, dass sie, trotz mancher Fehlschläge, sehr erfreulich ist. 

Reicher Beifall lohnte den Redner, der jetzt schon zum 
vierten Male bei uns Karlsruhern erschienen ist, für seine 
lehrreichen, wichtigen Mittheilungen. Möge die zugesicherte 
freundliche Aufnahme ihm nicht nur eine wohlthuende Er¬ 
innerung bilden, sondern auch eine Ermuthigung, uns ferner¬ 
hin mit dem Ergebniss seiner Forschungen auf dem geogra¬ 
phischen und kolonialen Gebiet, die sich durch hohen Grad 
von Unparteilichkeit und Objektivität ausäeichnen, in unmit¬ 
telbarer Weise bekannt zu machen. 


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438. Sitzung am 5. Mai 1893. 

Anwesend 83 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

General-Versammlung. 

Herr Hofrath Dr. Meidinger liesst einen Bericht über 
die Thätigkeit des Vereins im verflossenen Geschäftsjahr vor. 
Herr 0. Bartning berichtet über den Stand der Kasse des 
Vereins. 

Es hatte dieses Mal die statutengemässe Neuwahl des 
Vorstandes auf die nächsten zwei Jahre zu erfolgen. Der 
stellvertretende Vorsitzende, Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener, 
machte die Mittheilung, dass Herr Geh. Rath Dr. Grashof 
den Wunsch ausgedrückt habe, ihn wegen seiner leidenden 
Gesundheit nicht wieder in den Vorstand und zum Vor¬ 
sitzenden zu wählen. Auf Akklamation wurde hierauf der 
frühere Vorstand wieder ernannt und Herr Professor Treut- 
lein als neues Mitglied. 

Herr Geh. Hofrath Wiener widmete Herrn Geh. Rath 
Grashof, welcher das Amt des Vorsitzenden seit 25 Jahren 
bekleidet und ganz wesentlich zum Aufschwung des Vereins 
beigetragen hatte, Worte des warmen Dankes und beantragte 
seine Ernennung zum Ehrenpräsidenten des Vereins, was 
mit lebhaftem Beifall von den Anwesenden aufgenommen 
wurde. Die Mittheilung soll in Form einer künstlerisch aus¬ 
gestatteten Adresse erfolgen. 

Der Vorsitzende legt die von Herrn Ammon dem Verein 
zum Geschenk gegebene Schrift: „Die natürliche Auslese beim 
Menschen“ unter Ausdruck des Dankes an den Verfasser der 
Versammlung vor. 

Herr Geh. Hofrath Engler hielt darauf einen Vortrag 
über die Elemente. In einem geschichtlichen Rückblick 
auf die Entwicklung der Elementenlehre wurde gezeigt, wie 
bei fast allen alten Kulturvölkern die Frage nach den letzten 
Bestandtheilen der Materie auftauchte, und wie insbesondere 
bei den Indiern durch Buddha die Lehre von den vier mate¬ 
riellen Elementen Wasser, Feuer, Luft und Erde nebst einem 
fünften Element, Aether, ausgebildet wurde. Diese vier 
bezw. fünf Elemente kehren auch bei Aristoteles wieder, 
welcher jedoch seine vier Erdenelemente nur als die Träger 


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je zweier seiner bekannten vier Qualitäten (warm, kalt, 
trocken, feucht) ansah, während er dem das ganze Weltall 
durchdringenden fünften Element später Essentiaquinta Quint¬ 
essenz, eine mehr ätherische, geistige Beschaffenheit beilegte. 
Neben diesen Aristotelischen Elementen tauchen andere und 
neue Elemente erst auf mit der Entwickelung der Alchemie, 
welche ihre hauptsächlichste Begründung Ende des 8. Jahr¬ 
hunderts durch den berühmten in Spanien lebenden arabischen 
Gelehrten Geber gefunden hat. Dieser nimmt zunächst in 
den Metallen dje zwei Elemente Quecksilber und Schwefel 
an, spätere Alchemisten fügten weitere hinzu, so Albertus 
Magnus das Wasser, Andere das Salz etc. Indessen hing 
nebenbei auch noch eine grosse Zahl von Gelehrten der alten 
Aristotelischen Lehre an. Zu einer richtigen, auf das Expe¬ 
riment gegründeten Auffassung der Elementstoffe als unzer¬ 
legbare Substanzen kam man erst im 17. Jahrhundert und 
Boyle und Lavoisier waren es, welchen wir die erste syste¬ 
matische Eintheilung der Elemente verdanken. Befanden sich 
unter des Letzteren Elementen auch solche, die nach unse¬ 
rer jetzigen Kenntniss keine sind, wie Wärme, Licht, die 
Erden etc., so baute sich doch auf seinem Elementensystem 
unser jetziges mit den derzeit bekannten gegen 70 Elementen 
auf. Neue Hilfsmittel hatten jeweils die Entdeckung neuer 
Elemente zur Folge, so die durch Huinphrey Davy ein¬ 
geführte Elektrolyse, die Entdeckung der Metalle Kalium, 
Natrium, Aluminium, Magnesium etc., die Ausbildung der 
Spektralanalyse durch Bunsen und Kirchhof, das Auffinden 
einer weiteren Anzahl von Metallen. Nachdem dann noch 
an das ebenfalls durch die Spektralanalyse ermöglichte Auf¬ 
finden einer grossen Zahl unserer terrestrischen Elemente 
auf der Sonne und theilweise auch Fixsterne erinnert worden 
war, wurde das Wesen der Grundstoffe eingehender behandelt 
und daraus abgeleitet und begründet, wie unsere jetzigen 
Elemente nicht als die letzten Bestandtheile der Materie, 
vielmehr nur als bestimmte Kombinationen eines einzigen 
oder nur weniger Urelemente betrachtet werden dürfen. Zum 
Schluss wurden an der Hand einer neueren Schrift Vilde’s 
gewisse Beziehungen zwischen den Regelmässigkeiten in der 
Entfernung der Planeten von der Sonne und den Differenzen 


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der Atomgewichte einiger Elementgruppen, sowie die Bil¬ 
dungstheorie der Planeten und der Elemente aus dem so¬ 
genannten Urnebel besprochen. 


439. Sitzung am 19. Mai 1893. 

Anwesend 20 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener. 

Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. M. Wormser, Arzt. 

Der Vorsitzende legt die an Herrn Geh. Rath Dr. Gras- 
hof gerichtete Adresse, betr. seine Ernennung zum Ehren¬ 
präsidenten des Vereins vor. 

Weiterhin übergibt derselbe drei von Herrn Dr. Wilser 
verfasste Schriften dem Verein, unter Ausdruck des Dankes 
an den Geber: 1. Die Vererbung der geistigen Eigenschaften. 
2. Badische Schädel. 3. Die Bevölkerung von Böhmen in 
vorgeschichtlicher und frühgeschichtlicher Zeit. 

Herr Dr. Scholtz hält hierauf einen Vortrag über 
Joseph Gottlieb Kölreuter, ein Karlsruher Bota¬ 
niker. Der Vortrag sollte in erweiterter Form und mit Be¬ 
nutzung neuen zur Verfügung stehenden Materials den Ab¬ 
handlungen angereiht werden; der bereits im August erfolgte 
bedauernswerthe Tod des jungen Gelehrten machte die Aus¬ 
führung unmöglich. 

Herr Hofmechaniker Scheurer demonstrirte zum Schluss 
einen von Edison erfundenen Vervielfältigungsapparat, ge¬ 
nannt Mimeograph. 


440. Sitzung am 2. Juni 1893. 

Anwesend 16 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Der Vorsitzende berichtete über die Uebergabe der 
Adresse an Herrn Geh. Rath Dr. Grashof und die Dank¬ 
sagung desselben. 

Herr Ilofrath Dr. Meidinger machte Mittheilung von der 
eigenthttinlichen Bildung, bezw. Ausscheidung von Am¬ 
moniaksalzen, namentlich schwefligsaurem und schwefel¬ 
sauren Ammoniak, in den Ofenröhren der Füllöfen bei 
Verwendung der Anthracitkohlen, was man bei keinem an¬ 
deren Brennstoff beobachtet. Das Rohr füllt sich dadurch 


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mit einer harten Masse dicht aus, so dass über kurz oder 
lang der Zug unterbrochen wird. Nur bei mässig starkem 
Feuer, wobei das Rohr noch mit der Hand sich anfassen 
lässt, erfolgt die Salzausscheidung in demselben, bei starkem 
Feuer bleibt es rein und das Kamin erhält den Absatz. Das 
Rohr ist dadurch dem raschen Durchrosten ausgesetzt. Am 
Ende der Heizperiode sollte man den Absatz aus den Rohren 
entfernen, was rasch dadurch erfolgt, dass man sie in’s 
Wasser legt, oder Wasser von der Wasserleitung durch- 
fliessen lässt; die Salze sind sehr leicht löslich. — Die 
Bildung der Salze erklärt sich durch den in der Kohle vor¬ 
handenen Schwefel und Stickstoff. Ersterer verbrennt zu 
schwelliger, theilweise auch Schwefel-Säure, der Stickstoff 
wird bei der Erhitzung als Ammoniak (grossentheils) aus¬ 
getrieben, das nun wieder unter Ausscheidung von Stickstoff 
verbrennen oder mit der schwefligen und Schwefelsäure sich 
zu den Salzen verbinden kann. Die Salze sind flüchtig, sie 
sublimiren und schlagen sich an den kälteren Stellen fest 
nieder. Bei den gewöhnlichen Oefen mit Flammkohlenbrand 
beobachtet man aus dem Grunde keinen Salzabsatz in den 
Rohren, weil diese hier immer viel heisser sind, indem die 
Verbrennungsprodukte stets mit hoher Temperatur in’s Kamin 
abziehen. Auch ein enges Kamin kann durch die Ammoniak¬ 
salze fast verschlossen werden. Man kann solche dann durch 
ein starkes in das Kamin einziehendes Flammfeuer hinaus¬ 
treiben, eventuell auch durch oben in das Kamin eingegos¬ 
senes Wasser auflösen, wenn die Werkzeuge des Kaminfegers 
(Besen, Bürste, Keil) die fest sitzende Kruste nicht mecha¬ 
nisch entfernen sollten. Der Vortrag gab Anlass zu einer 
Erörterung über die Bedeutung des jetzt grossentheils aus 
den Kohlen stammenden Ammoniaks für die Ernährnng der 
Pflauzen, an welcher sich die Herren 0. Ammon und Engler 
betheiligten. 

Hierauf hielt Herr 0. Ammon einen Vortrag über die 
Bedeutung der Ständebildung für das Menschen¬ 
geschlecht. Dieser Vortrag, welcher auf Grund der Ent¬ 
wickelungslehre und umfassender eigener Studien wesentlich 
neue Gedanken darlegte, erweckte die Theilnahme der Zuhörer 
in hohem Grade und gab Anlass zu einer eingehenden und 


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belebten Erörterung, an welcher sich die Herren Wiener, 
Wilser, Engler, Treutlein und Honsell betheiligten. (Ein 
ausführliches Referat über den Vortrag ist unter die Abhand¬ 
lungen im zweiten Theile dieses Bandes aufgenommen.) 


441. Sitzung am 16. Juni 1893. 

Anwesend 12 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Hofrath Dr. Meidinger berichtete über die Explo¬ 
sionen von Stubenöfen, welche in den letzten Jahren 
bei uns vielfach beobachtet wurden, namentlich bei Thonöfen, 
die für lange dauernde Verbrennung, als sogenannte Füll¬ 
öfen, eingerichtet sind; nicht weniger als 10 solcher Explo¬ 
sionen aus nahen Kreisen waren dem Redner bekannt ge¬ 
worden. Derselbe untersuchte zunächst die Bedingungen von 
Gasexplosionen im Allgemeinen und zeigte dann, wie durch 
ihre besondere konstruktive Anordnung, theilweise auch durch 
.die Art der Bedienung die meist gebräuchlichen Thonfüllöfen 
zu Explosionen besonders geneigt sind und gab schliesslich 
die Mittel an, wie bei den vorhandenen Oefen und noch 
besser beim Bau neuer Oefen der Erscheinung vorzubeugen 
sein dürfte. — Ueber den Gegenstand hat der Redner in 
der von ihm herausgegebenen „Badischen Gewerbezeitung“ 
(1893 Nr. 1 bis 8) eine ausführliche Abhandlung mit vielen 
Abbildungen veröffentlicht. 

Herr Professor Dr. Platz machte einige Mittheilungen 
über die topographischen Verhältnisse des Lauter¬ 
bergs. Der Mittelpunkt desselben liegt 390 Meter südlich 
vom 49. Breitegrad, welcher den Stadtgartensee ungefähr in 
der Mitte, etwas südlich von dem felsigen Vorsprung des 
Ostufers, durchschneidet, 54475 Meter südlich und 4217 Meter 
westlich von der Mannheimer Sternwarte, dem Ausgangspunkt 
der badischen Landesvermessung. Derselbe ist 38 Meter 
hoch; die Meereshöbe der Plattform beträgt 151 Meter, über 
welche sich noch der 6 Meter hohe Thurm erhebt. 

Von diesem überblickt man einen Umkreis von 25,7 
Kilometer Radius auf der Ebene, Berge natürlich noch in 
grösserer Entfernung. 


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Zur Bestimmung der Weltgegenden dient am besten der 
Thurmberg, welcher fast genau östlich liegt (Thurmmitte 
Nord 89 • 47' 36" Ost), also nur um 12' 24" von der Ost¬ 
richtung abweicht; die Entfernung beträgt 6,1 Kilometer. 

Der Kirchthurm von Ettlingen (Entfernung 9,87 Kilo¬ 
meter) liegt 4° 32' östlich von der Südrichtung. 

Der Schlossthurm (Entfernung 1,932 Kilometer) liegt 
5° 10' östlich, die evangelische Kirche (Entfernung 1,333 
Kilometer) liegt 8 0 40' östlich, die katholische Stadtkirche 
(Entfernung 1,364 Kilometer) liegt 7° 55' westlich von der 
Nordrichtung. 

Die Frage: Ist das Strassburger Münster vom Lauter¬ 
berg sichtbar? kann nach dem Grundsatz gelöst werden: 
Ein Punkt ist von einem anderen aus sichtbar, wenn die 
Summe der beiden Sehweiten grösser ist als die Entfernung, 
und kein höherer Punkt dazwischen liegt. 

Die Visirlinie nach dem Strassburger Münster bildet mit 
der Südlinie einen Winkel von 46° 21' nach Westen, sie 
zieht nahe links von der Front des Stephanienbades in 
Beiertheim vorbei. In dieser Richtung sieht man den Kirch¬ 
thurm von Oetigheim, dessen Richtungswinkel 46° 48' beträgt, 
und der nur 17 Kilometer entfernt ist. Das Strassburger 
Münster muss also etwas links von diesem Thurme gesucht 
werden; die Entfernung beträgt 66,5 Kilometer, und die Er¬ 
niedrigung in Folge der Erdkrümmung (inklusive Strahlen¬ 
brechung) 294 Meter. 

Die Sehweite von der Spitze beträgt 50,2 Kilometer, 
vom Lauterberg 25,7 Kilometer, die Summe der Sehweiten 
beträgt also 75,9 Kilometer; sie ist grösser als die Ent¬ 
fernung, folglich kann die Spitze des Münsterthurms gesehen 
werden, wenn sie nicht, wie wahrscheinlich, durch den 
zwischenliegenden Wald verdeckt wird. 

Die Sehweite von der 66 Meter hohen Plattform des 
Münsters beträgt 37,5 Kilometer, sie kann folglich nicht 
gesehen werden, sondern nur ein bei der grossen Entfernung 
jedenfalls schwor auffindbarer Theil der Pyramide. 

Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener fügt in Bezug auf die 
erwähnte Strahlenbrechung in der Atmosphäre eine Bemerkung 


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zu. Während ein geneigt gegen unten gehender Lichtstrahl 
beim Uebergang in stets dichtere Luftschichten der Lothlinie 
stets zu gebrochen wird und desswegen eine nach unten hohle, 
krumme Bahn beschreibt, könnte es scheinen, dass ein hori¬ 
zontal ausgesendeter Lichtstrahl, weil er in kein dichteres 
Mittel eintritt, sich ungebrochen horizontal fortbewegt. Dies 
ist aber nicht der Fall, wie schon Wollaston im Jahre 1800 
durch Versuche und durch Theorie, freilich noch die Emana¬ 
tionstheorie, gezeigt hat. Der Strahl wird auch, nach unten 
hohl gekrümmt, und zwar ist die Krümmung des horizontalen 
Strahls am stärksten. Die Undulationstheorie zeigt, dass 
der horizontale Strahl, der stets in vertikalem Sinne eine 
Dicke besitzt, an seinem unteren Rande sich langsamer fort¬ 
bewegt, als an seinem oberen, dass daher die Wellenober¬ 
fläche, welche durch Punkte gleichzeitiger übereinstimmender 
Schwingungsphase bestimmt ist, aus der vertikalen in eine 
geneigte Lage übergeht, und dass die darauf senkrechte 
Linie des Strahls sich gegen unten neigt. Auf die Dicke 
des Strahls kommt es dabei gar nicht an, sondern auf die 
Veränderung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes 
oder des Brechungskoeffizienten des Mittels auf 1 Meter 
Höhenunterschied, das sogenannte vertikale Gefälle des 
Brechungskoeffizienten. 

Der Vortragende erwähnt die neuerdings veröffentlichten 
Versuche seines Sohnes in Aachen über diesen Gegenstand. 
Derselbe lagerte u. A. Alkohol über Schwefelkohlenstoff, und 
durch die allmählige Diffusion ergab sich eine Schicht, in 
welcher der Brechungskoeffizient nach unten zunahm. Indem 
er etwas Fluoreszin zusetzte, wurde ein durchgeschickter 
Strahl bei Benutzung eines Glasgefässes sichtbar, und wenn 
der Strahl etwas aufwärts hineingeschickt wurde, sah man, 
wie er sich an einer höchsten Stelle wieder abwärts bog. 
Derartige Vorgänge erklären auch die Luftspiegelung. 

Jene Erscheinung wurde weiter dazu benutzt, die Gesetze 
der Diffusion zu studiren. Es wurden Sonnenstrahlen durch 
einen geradlinigen Spalt geschickt, der unter 45 Grad gegen 
den Horizont geneigt war, dann durch ein Diffusionsgefäss 
der eben beschriebenen Art mit zwei vertikalen parallelen 
Glaswänden; und dann wurde das Spaltbild auf einem weissen 


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Schirm aufgefangen. Der obere und untere Theil des Bildes 
bestanden aus Stücken ein und derselben, unter 45 Grad ge¬ 
neigten geraden Linie; gegen die Mitte wich das Spaltbild 
von dem geradlinigen unabgelenkten mehr und mehr ab. 
Jene äusseren Theile rührten von Lichtstrahlen her, die 
durch unvermischte Flüssigkeit gingen; die Abweichung der 
mittleren war mit dem Gefälle des Brechungskoeffizienten 
und mit der Dicke der vom Licht durchschrittenen Schicht 
proportional. Die Veränderung der Gestalt des Bildes liess 
auf den Vorgang der Diffusion schliessen. Es ergab sich 
hier ein genaueres Verfahren zur Bestimmung der Diffusions¬ 
konstanten. d. i. der Geschwindigkeit der Diffusion. 


442. Sitzung am 30. Juni 1893. 

Anwesend 15 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener. 

Auf Antrag des Vorstandes ertheilt die Versammlung 
ihre Zustimmung, dass der anthropologischen Kommission 
des Alterthumsvereins, ihrem Gesuch vom 7. Juni entsprechend, 
eine weitere Zuwendung von 200 M. zur Fortsetzung der 
begonnenen Untersuchungen gemacht werde. Herr Bau¬ 
direktor Honseil drückt hierbei den Wunsch aus, dass von 
der später herauszugebenden Schrift dem Verein eine grössere 
Zahl Exemplare zur Abgabe an andere Vereine, mit denen 
wir im Tauschverkehr stehen, verabfolgt werden möge. Herr 
Generalarzt Dr. Hoffmann hält es schwierig, jetzt bereits eine 
Zusage darüber zu geben, da sämmtliche Publikationen nur 
einen geringen Absatz fänden und ein Verleger, der Honorar 
zahle, sich kaum dürfte gewinnen lassen. Es könnten später 
mit einem Verleger hierüber Verhandlungen gepflogen werden. 

Hierauf sprach Herr Professor Dr. Platz über die Tempe¬ 
ratur Verhältnisse des badischen Landes. 

Es wurde zunächst eine graphische Darstellung des jähr¬ 
lichen Temperaturverlaufs an 9 Stationen des meteorologischen 
Netzes nach den von Dr. Singer in München berechneten 
normalen Monatsmitteln vorgelegt. Dieselbe zeigt, dass die 
monatlichen Temperaturmittel fast überall parallel verlaufen, 
so dass auch hier der Satz von Hann-Wien bestätigt ist: 
In klimatisch ähnlich gelegenen Regionen ist der Tempe- 


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raturverlauf im Durchschnitt der gleiche, und nur durch die 
verschiedene Höhenlage modifizirt. So zeigen Mannheim 
(Höhe 119 Meter), Karlsruhe (124 Meter), Bretten (188 Meter), 
Wertheim (149 Meter), Buchen (334 Meter) und Villiogen 
(709 Meter) denselben Temperaturverlauf, derselbe erstreckt 
sich über ganz Südwestdeutschland: Baden, Württemberg 
und Bayern (ausschliesslich Alpenland) und wahrscheinlich 
auch Eisass; diese Länder bilden eine klimatische Provinz. 
Villingen ist im Verhältniss zu seiner Höhenlage (709 Meter) 
um mehr als einen Grad zu kalt, es ist kälter als die höher 
gelegenen Stationen und überhaupt die kälteste Station des 
Landes. Das Jahresmittel beträgt hier nur 5,7 4 , in Höchen¬ 
schwand (1011 Meter) 5,9°, in Todtnauberg (1021 Meter) 
6,4°. Beide letzteren Stationen haben einen verhältniss- 
mässig zu warmen Winter, Meersburg (430 Meter) zu 
warmen Sommer. Zur näheren Untersuchung des Tempe¬ 
raturverlaufs wurden 4 Stationen ausgewählt: Karlsruhe 
als Repräsentant der Rheinebene und des Hügellandes, 
Höchenschwand (hoher Schwarzwald), Villingen (Ostabhang) 
und Meersburg (Bodenseegebiet) und von diesen folgende 
Grössen berechnet und graphisch dargestellt: das Monats¬ 
mittel, die mittleren Temperaturen um 7, 2 und 9 Uhr 
(K. Z.), das mittlere Tagesmaximum und Minimum für jeden 
Monat, das mittlere absolute Monatsmaximum und Minimum, 
sowie die höchsten und tiefsten Temperaturen, Alles für den 
Zeitraum von 1871—1890. 

Hier ergeben sich nun beträchtliche Unterschiede. Die 
kleinsten Tagesschwankungen hat Meersburg mit 6,5 0 C. im 
Jahresdurchschnitt, sodann folgt Höchenschwand mit 7,1°, 
Karlsruhe mit 7,9° und endlich Villingen mit 9,9°. 

Auch die monatliche und jährliche Schwankung zeigt 
denselben Verlauf, nämlich: 

Karlsruhe monatlich 22,2°, jährlich 42,3", 
Höchenschwand „ 21,7°, „ 40,1°, 

Meersburg „ 18,8°, „ 38,0°, 

Villingen „ 24,5°, „ 47,8°. 

Dasselbe zeigt sich in den extremen, während des Zeit¬ 
raums 1871—90 beobachteten Temperaturen: Karlsruhe hat 
einen Temperaturumfang von 59,5, Höchenschwand von 51,5, 


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Meersburg von 47,5 Villingen von 63,0°. Villingen hat also 
die grössten, Meersburg die kleinsten Schwankungen. 

Aus den Darstellungen ergibt sich auch die wahrschein¬ 
liche und mögliche Dauer der frostfreien Zeit; in Villingen 
ist nur der Juli absolut frostfrei, wahrscheinlich hingegen 
die 3 Monate Juni, Juli, August, in Höchenschwand sind 
absolut frostfrei 3 Monate, wahrscheinlich 4 Monate, in Karls¬ 
ruhe absolut frostfrei 3 Monate (Juni, Juli, August), wahr¬ 
scheinlich 5 Monate, in Meersburg ebenso 5 Monate (Mai, 
Juni, Juli, August, September) und wahrscheinlich 6 Monate 
(noch Oktober). (Ausführlich ist der Gegenstand unter den 
Abhandlungen besprochen.) 

Im Anschluss an die Ausführungen des Herrn Professor 
Platz legte Herr Dr. Ristenpart die graphischen thermo- 
metrischen Aufzeichnungen der Grossh. Sternwarte 
vor. Letztere besitzt seit vorigem Jahre einen Thermo¬ 
graphen, welcher die Ausdehnung bezw. Zusammenziehung 
einer Metalllamelle durch ein Hebelwerk auf eine Feder 
überträgt, die an einer Walze entlang gleitet, welche sich in 
sieben Tagen einmal heruradreht. Man kann so den täg¬ 
lichen Verlauf der Temperatur recht gut verfolgen. Besonders 
interessant ist es, dass man die Zeit, zu welcher ein Ge¬ 
witter eingetreten, bequem an dem Thermographen ablesen 
kann, indem in Folge der plötzlichen Abkühlung die Kurve 
dann senkrecht nach unten eilt. Dies wurde an mehreren 
Beispielen gezeigt. 

Hierauf sprach Herr Dr. Schultheiss über das Maass 
der Abnahme der Mitteltemperaturen mit der Höhe. 
Die landläufige Ansicht ist, dass die mittlere Jahrestempe¬ 
ratur in allen Klimaten bei je 100 Meter Erhebung um 
0,58° C. abnehme; Redner weist jedoch darauf hin, dass 
von den einzelnen Forschern recht weit von dieser Zahl ab¬ 
weichende Werthe gefunden worden sind, und dass zu deren 
Ableitung nur die Temperaturen topographisch gleichartig 
gelegener Orte verwendet werden dürfen, da die Mitteltempe¬ 
raturen nur in seltenen Fällen auch wirklich die Wärme¬ 
verhältnisse der betreffenden Höhenschicht darstellen. In der 
Regel ist die Ortstemperatur lokal mehr oder minder beein¬ 
flusst; so zeigen z. B. alle in Thalkesseln oder in Fluss- 


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thälern gelegene Stationen in Folge der verstärkten Aus¬ 
strahlung zu tiefe, die in Städten oder an Seen gelegenen 
dagegen zu hohe Temperaturen. Bei der Ableitung des 
Maasses der Wärmeabnahme mit der Höhe müssen desshalb 
immer viele Stationen mit ganz verschiedener Lage zum 
Mittel vereinigt werden. Wenn man aber die vertikale 
Temperaturvertheilung in einem kleinen Gebiet mit wenigen 
Stationen studiren will, so wird am einfachsten die Wärme¬ 
abnahme als konstant, etwa zu 0,5° für 100 Meter ange¬ 
nommen; nimmt man dann weiter an, dass eine Station 
annähernd die Wärmeverhältnisse ihrer Höhenlage wiedergibt, 
so können die Temperaturen, welche an den einzelnen Sta¬ 
tionen herrschen sollten, berechnet werden. Der Unterschied 
der Ortstemperatur von der berechneten sogenannten idealen 
gibt dann ein wichtiges Merkmal für das Klima des Ortes. 
Auf Grund dieser Anschauungen findet man, dass von den 
badischen meteorologischen Stationen im Jahresdurchschnitt 
zu warm sind: Meersburg um 0,8°, Höchenschwand um 0,8°, 
Todtnauberg um 1,3°, Freiburgum 1,1°, Mannheim um 0,5°, 
Heidelberg um 0,2°; zu kalt dagegen Villingen um 0,9°, 
Donaueschingen um 0,6°, Gengenbach um 0,3°, Baden um 
0,2°, Bretten um 0,1°, Buchen und Wertheim um 0,8°, vor¬ 
ausgesetzt, dass Karlsruhe als normal warm anzusehen ist. 

Redner erwähnt noch, dass die ideale Temperatur, weil 
sie nicht lokal beeinflusst ist, wie die wirklich beobachtete, 
bei der Reduktion von Luftdruckmitteln auf den Meeres¬ 
spiegel, vortheilhafte Anwendung finden kann; nimmt man 
nämlich bei dieser Operation als Mitteltemperatur der Luft¬ 
säule zweier verschieden hoch gelegenen Orte das Mittel der 
lokal beeinflussten Örtstemperaturen, so werden unter Um¬ 
ständen grosse Fehler begangen, welche bei Verwendung der 
idealen Temperaturen aber erfahrungsgemäss beträchtlich 
vermindert werden. 

Zum Schluss machte Herr Apotheker W. Baur Mitthei¬ 
lung über Mimulus luteus — gelbe Gauklerblume. Diese, in 
Chile (Südamerika) einheimische Pflanze wurde zuerst im 
oberen Kinzigthal bei Schappach und Rippoldsau in grösserer 
Menge vor etwa 35 Jahren beobachtet, von dort verbreitete 
sie sich das Kinzigthal abwärts, stellenweise bis Offenburg 

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und Kehl; auch bei Triberg wurde sie beobachtet. In diesem 
Sommer wurde die Pflanze zum ersten Male in der Karlsruher 
Gegend am Rheinufer bei Maxau in grösserer Anzahl gefunden. 

Die in der Pflanzenwelt schon lange und häufig ge* 
machte Beobachtung, dass Zwitter und einhäusige Blüthen 
mit dem Pollen (männlicher Blüthenstaub) aus einer andern 
Blume des gleichen oder eines andern Stockes leichter be¬ 
fruchtet werden, als mit demjenigen aus derselben Blume, 
bezw. einer solchen desselben Stockes, lässt sich an dieser 
Pflanze deutlich beobachten. 

Berührt man die an dem langen, trichterförmigen 
Pistill befindliche zweiklappige Narbe mit dem Pollen aus 
der gleichen Blume, so scbliesst sich diese Klappe, öffnet 
sich aber nach einiger Zeit wieder; bringt man aber Pollen 
aus einer andern Blume, oder noch besser aus der Blume 
eines andern Stockes auf die Narbe, so schliesst sich diese 
und bleibt geschlossen, d. h. sie ist befruchtet. 

Da die Befruchtung dieser Pflanze fast ausschliesslich 
durch Insekten stattfindet, so können, wegen der Eigenthüm- 
lichkeit der Narbe, sich bei jeder Berührung zu schliessen, 
nur Pollen aus einer andern Blume an die Narbe gelangen. 

443. Sitzung am 13. Oktober 1893. 

Anwesend 63 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Neu angemeldetes Mitglied: Herr Professor E. Brauer an der 
Technischen Hochschule. 

Herr Geh. Hofrath Dr. Engler theilte Reiseerinne¬ 
rungen aus Amerika mit, die er gelegentlich eines mehr¬ 
monatlichen Aufenthaltes dortselbst gesammelt hatte. Mit 
einer Erzählung der Ueberfahrt, eines Aufenthaltes auf dem 
Landsitze Henry Villards bei New-York, Besichtigung der 
Niagarafälle und der grossen, dort im Bau begriffenen Wasser¬ 
kraftanlagen beginnend, verbreitete er sich dann eingehender 
über die Verkehrseinrichtungen, über Sitten und Gebräuche 
bei den Amerikanern, über die Lebensweise der Amerika¬ 
reisenden und vor Allem über die Ausstellung in Chicago, 
welche genauer kennen zu lernen dem Vortragenden als Mit¬ 
glied des internationalen Preisgerichts reichlich Gelegenheit 
geboten war. Von den drei Theilen derselben, der eigent- 


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liehen internationalen Weltausstellung, der grossen Gruppe 
der Einzelausstellungen sämmtlicher amerikanischer Staaten 
von mehr lokalem Interesse und dem Biesenannex der Ver- 
gnflgungslokale wurde der erstere ausführlich besprochen und 
ein Vergleich zwischen den Leistungen der konkurrirenden 
Völker gezogen. Auch Vortragender bestätigt, dass Deutsch¬ 
land den grossen Wettkampf der Nationen auf amerikanischem 
Boden mit Ehren bestanden habe und dass ihm nach über¬ 
einstimmendem Urtheil der Preisrichter auf mehreren der 
wichtigsten industriellen Gebiete, so ganz zweifellos auf dem 
der grossen chemischen Industrie, voran die badische Anilin- 
und Sodafabrik, und auch auf dem der Eisen-Grossindustrie 
mit Krupp an der Spitze, sowie auf dem Gebiete des Hoch¬ 
schulwesens die Siegespalme zugefallen sei. Aber auch auf 
anderen Gebieten, so besonders auf dem des Kunstgewerbes, 
worin Berlin, Baden und Bayern sich besonders auszeich¬ 
neten, der Textilindustrie und der Elektrotechnik, ferner in 
der Fabrikation der Maschinen, des Porzellans und sonstiger 
Thonwaaren, der Uhren und Spielwaaren, des Papiers, 
Leders etc. hatte Deutschland sehr bemerkenswerthe Erfolge 
zu verzeichnen und stand es den konkurrirenden Staaten zum 
Mindesten ebenbürtig zur Seite, so dass Redner den Ausspruch 
eines hervorragenden Amerikaners, diese Ausstellung habe 
dem Ansehen der Deutschen im Auslande und besonders in 
Amerika mindestens ebenso viel genützt, wie die Jahre 1870 
und 1871, Bur als richtig anerkennen könne. Die Früchte 
würden sicherlich auch nicht ausbleiben, falls Amerika die 
zur Zeit fast unübersteigliche Schutzzollmauer der Mac- 
Kinleybill, wie man jetzt zu erwarten berechtigt sei, auch 
nur theilweise beseitigen werde, ln einer weiteren Mitthei¬ 
lung soll über sonstige Reisen des Vortragenden in Amerika 
berichtet werden. 

444. Sitzung am 27. Oktober 1893. 

Anwesend 42 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener. 
Nen angemeldete Mitglieder, die Herren: Dr. A. Schub erg, Assistent 

an der Technischen Hochschule uud Dr. 0. Tross, Arzt. 

Der Vorsitzende widmet dem am 26. Oktober gestorbenen 
Ehrenpräsidenten Geh. Rath Dr. Grashof einen warmen Nach- 

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ruf, indem er besonders darauf hinwies, dass derselbe während 
25 Jahren den Verein geleitet und wesentlich zum Blühen 
desselben beigetragen habe; Vorsitzender werde ihm im 
Namen des Vereins einen Kranz auf das Grab legen. 

Herr Professor Treutlein berichtet über die Fortschritte 
in der Einführung der mitteleuropäischen Zeit. 
Anknüpfend an einen im März v. J. gehaltenen Vortrag er¬ 
wähnt er, dass man damals geglaubt habe, die Schweiz 
werde bald dem von Oesterreich und Süddeutschland ge¬ 
gebenen Beispiele nachfolgen. In der That erbaten auch die 
Schweizer Bahnen — es gibt deren 21 — vom Bundesrath 
die Einführung der mitteleuropäischen Zeit; dieser aber 
konnte sich bis heute noch nicht schlüssig machen über 
diese Frage. Aber vermuthlich wird auch die Schweiz bis 
nächsten Sommer zu dieser Vereinheitlichung kommen, weil 
eben jetzt Italien mit gutem Beispiel vorgegangen ist. Ita¬ 
lien, das 1866 die römische Zeit einführte und damals Zeit¬ 
verschiebungen bis zu 24 Minuten vornehmen musste, hat 
mit dem 1. November d. J. die mitteleuropäische Zeit ein¬ 
geführt, zunächst im Eisenbahndienst, und musste desshalb 
jetzt wieder eine Zeitverschiebung vornehmen; diese beträgt 
auf dem Festland 10 Minuten, auf Sicilien, wo noch paler- 
mitaner Zeit gilt, nur 6 Minuten. Was von Bedeutung ist 
und bei uns wie überall nachgeahmt werden sollte, ist die 
Verfügung, dass im italienischen Balmdienst künftig die 
Stunden von der einen Mitternacht ab bis zur nächsten von 
1 bis 24 durchgezählt werden sollen. 

Herr Dr. Migula hielt einen Vortrag über ein neues 
System der Bakteriologie. 

Herr Hofgärtner Graebener machte Mittheilung von 
Blitzspuren an einem Kupfer-Monument. 

Gelegentlich eines Besuches der Parkanlagen und der 
reichen Pflanzenbestände in Wilhelmshöhe bei Kassel, bestieg 
Redner auch den auf dem Bergkamra errichteten weithin sicht¬ 
baren Herkules oder wie das Volk sagt den „grossen Christoph“; 
die 10 Meter hohe Figur ist bekanntlich eine Nachbildung der 
Marmorstatue des Farnesischen Herkules, ganz aus Kupfer 
getrieben, in der Dicke eines starken Kartons; sie steht auf 
einer 31 Meter hohen Pyramide. Man kann in die Keule 


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steigen, in der etwa 8 bis 10 Personen Platz haben, und 
von wo aus man eine schöne Aussicht über rlen Park, Wil¬ 
helmshöhe und Kassel hat. Der Führer machte aufmerksam 
auf die vielen „Blitzlöcher“ in der Kupferwandung, und in 
der That konnte Redner in dem sichtbaren Theil der Keule 
gegen 30 solcher Löcher zählen, kreisrund, etwa in Bleistift- 
dicke, glatt durchschlagen, nach allen Himmelsrichtungen hin; 
bei näherer Untersuchung fand sich, dass die Ränder der 
meisten Löcher nach innen gingen, doch auch einige zeigten 
Ausstülpungen nach aussen. 

Herr Apotheker Baur machte Mittheilung Uber die an 
verschiedenen Orten in Deutschland, namentlich im Rhein¬ 
gebiet, so auch bei Achern, aufgetretenen Solanum hystrix 
und Solanum rostratum, welche in den Vereinigten Staaten 
wild wachsen und zum Theil dem Koloradokäfer als Futter¬ 
pflanze dienen, die aber, weil einjährig und bei uns nur aus¬ 
nahmsweise Samen bringend, kaum eine Gefahr zur . Ein¬ 
schleppung des für unsere Kartoffel so schädlichen Kolo¬ 
radokäfers bieten werden.] 

445. Sitzung am 10. November 1893. 

Anwesend zahlreiche Mitglieder mit ihren Familien. Vorsitzender: Herr 
Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr 0. Meyer hielt einen unterhaltenden Vortrag über 
die Physiologie der Stimme und der Sprache mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Stimmverlegungskunst, soge¬ 
nannten Bauchreden, mit verschiedenen Sprachproben. 


446. Sitzung am 24. November 1893. 

Anwesend 88 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Maschineningenieur R. Näher, 
Dr. Fr. Netz, Arzt, Photochemiker R. Jahr, Ingenieur K. de Millas 
und U. Maller, Lehrer an der Technischen Hochschule. 

Der Vorsitzende las ein Schreiben von Herrn Professor 
Rud. Gras ho f vor, worin derselbe seinen Dank für die 
Theilnahme ausdrückt, welche der Verein beim Hinscheiden 
seines Vaters, Geh. Rath Grashof, bewiesen hat. 


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Der Vorsitzende bringt ferner ein Schreiben des Komi¬ 
tees zur Errichtung eines Gauss-Weber-Denkmals in Göt¬ 
tingen zur Kenntniss der Versammlung, wonach für das 
Denkmal bis jetzt rund 25 000 M. eingegangen sind. 

Herr Professor Brauer macht Mittheilungen Uber Nord¬ 
amerika und den Besuch der Chicagoer Ausstel¬ 
lung. 

Aus den Wahrnehmungen seiner Reise, welche das 
Studium des amerikanischen Maschinenwesens bezweckte, hob 
der Vortragende diejenigen heraus, welche zugleich ein all¬ 
gemeineres oder ein speciell naturwissenschaftliches Interesse 
hatten. 

Anknüpfend an einen kürzlich gehaltenen Vortrag des 
Herrn Engler wurde zunächst an Hand grosser Photographien 
und Zeichnungen die Wasserkraft des Niagara und deren 
technische Verwerthung besprochen, welche, in kleinen An¬ 
lagen schon vor 20 Jahren begonnen, neuerdings bereits 
120 000 Pferd zu liefern im Stande ist. Die nutzbare Kraft 
der beiden Fälle berechnet sich bei einem sekundlichen 
Wasserzufluss von 7000 cbm und einer Fallhöhe von 48 bis 
50 Meter auf 3 500 000 Pferd, während unter Hinzurech¬ 
nung der Stromschnellen sich das Doppelte hiervon ergibt, 
etwa ein Drittel der Energie sämmtlicher Dampfmaschinen 
der Erde. Bei der Ausnützung dieser Naturgewalt liegt die 
Frage nahe, ob nicht das viel genannte Arbeitsvermögen der 
Ebbe und Fluth ein ebenso grosses oder grösseres Recht auf 
technische Ausnützung besitzt. Diese Frage ist zu verneinen. 
Weil der Wechsel zwischen Hoch- und Niedrigwasser täglich 
nur zweimal stattfindet, so sind Hoch- und Tiefhaltungen 
von so gewaltigen Flächen nöthig — 1 bis 2 Quadratkilo¬ 
meter für je 100 Pferd — dass auf denselben bei rationeller 
Waldwirtschaft soviel Holz gewonnen werden könnte, um 
mit Holzfeuer eine gleiche Leistung mit Dampfmaschinen zu 
erzielen. Selbst nach Erschöpfung unserer Kohlenvorräthe 
dürfte daher die Ausnützung dieses Energievermögens nur 
in vereinzelten, durch die Strandbildung besonders geeigneten 
Fällen Aussicht auf Verwirklichung haben. 

Auf die Ausstellung in Chicago übergehend schilderte 
der Vortragende zunächst die aus 52 Dampfkesseln bestehende 


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Dampfcentrale, welche sich besonders durch die Petroleum- 
beizung von ähnlichen europäischen Anlage unterschied. 
Unter den Dampfmaschinen herrscht noch immer die Corliss- 
Maschine. Besonderes Interesse erregte die schwedische 
Dampfturbine von De Laval, mit ihrem kleinen Schaufel¬ 
rädchen, welches 20 000 bis 30 000 Umdrehungen in einer 
Minute machte. Als ein weiteres Beispiel der gewaltigen 
Geschwindigkeiten moderner Maschinen konnte die Sägemühle 
von Allis erwähnt werden, in welcher mit einer Bandsäge 
Stämme von 4 Meter Länge in 4 Sekunden längs geschnitten 
und in der 5ten Sekunde auf den nächsten Schnitt zurück¬ 
geschoben wurden. Andere Neuheiten auf dem Gebiete der 
Holzbearbeitung waren das Walzen verzierter Holzleisten, 
Beliefcopirmaschinen für Holzornamente, sowie eine Ketten¬ 
säge zum Ausbohren von Zapfenlöchern für Holzverbin¬ 
dungen. 

Aus dem Gebiete des Transportwesens wurde Kinsman’s 
Block-System für Eisenbahnen erwähnt, bei welchem selbst¬ 
tätig im Falle der Gefahr der Dampf der Lokomotive ab¬ 
gestellt und die Luftbremse eingerückt wird, beides auf elek¬ 
trischem Wege. Haarmanns Gleismuseum gab eine gründliche 
Belehrung über die Geschichte des Eisenbahnoberbaues. Bald- 
win’s Compoundlokomotiven, Cook’s elektrische Hochbahn, 
Bovets magnetische Adhäsion zwischen Kette und Triebrad 
bei Kettenschiffen, endlich die unter dem Namen movable 
8ide walk bekannt gewordene Kettenbahn wurden kurz er¬ 
läutert. 

Als eine höchst eigenartige Neuerung auf dem Gebiete 
des Bergbaues wurde C. Andrews Kohlentransport durch 
Röhren mittelst Wasser erwähnt, ein Verfahren, welches 
zwar praktische Proben bestanden haben soll, jedoch noch 
erhebliche Schwierigkeiten haben dürfte. 

Nach weiteren kurzen Hinweisen auf schraubenförmig 
genietete Röhren, die Röhren von Mannesmann und Stumm, 
sowie die Entwickelung der Niederdruckdampf-Heizung in 
Amerika ging der Vortragende über auf die mechanischen 
Messinstrumente. 

Insbesondere wurden hier besprochen der Tabor-Indi¬ 
kator für Dampfmaschinen, neuere Waagenkonstruktionen und 


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Maschinen zur Materialprüfung, Maschinen zum Messen der 
Fläche von unregelmässig gestalteten Thierhäuten, der so¬ 
genannte Telautagraph, welcher die Schriftzüge elektrisch 
überträgt, endlich die sinnreichen elektrischen Apparate, 
welche von der Regierung der Vereinigten Staaten benutzt 
werden, die statistischen Zahlen aus den einzelnen Zählkarten 
zu gewinnen. 

Ein anfänglich mit mehr oder weniger Spott aufgenom¬ 
menes Unternehmen, das Riesenrad von Ferris stellte sich 
in Wirklichkeit dar als ein achtunggebietendes Werk der 
Ingenieurkunst, dessen schwierigste Aufgabe, der Bewegungs- 
mechanismus, seine Lösung einem Deutschen, Herrn Diescher 
in Pittsburg, ehemaligem Schüler der hiesigen Technischen 
Hochschule verdankt. Das Rad hat 80 Meter Durchmesser 
und kann gleichzeitig in 36 Waggons je 60 Personen, zu¬ 
sammen also 2160 Personen, aufnehmen. Eine Rundfahrt 
mit diesem Rad bei schönem Sonnenuntergang war ein 
grossartiger Naturgenuss. 

Den Schluss des Vortrages bildeten Mittheilungen über 
die Einrichtung amerikanischer Schulen, welche besonders 
in den Lehrmitteln viel Gutes und Eigenartiges aufweisen. 


447. Sitzung am 8. Dezember 1893. 

Anwesend 28 Mitglieder, Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr 0. Ammon sprach im Anschluss an einen von ihm 
am 30. Januar 1891 gehaltenen Vortrag über weitere Be¬ 
obachtungen einer bei beiden Geschlechtern des Menschen 
bisweilen vorkommenden abnormen Bildung, über welche 
namentlich durch Professor v. Bardeleben (Jena) und durch 
den Vortragenden selbst Material gesammelt wurde. Nach 
der gegebenen Erklärung würde diese Abnormität als eine 
Folge von „Rückschlag“, namentlich hervorgerufen durch die 
Vermischung verschiedener Menschenvarietäten, aufzufassen 
sein. Im Anschlüsse hieran wurden neuerliche Beobachtungen 
einer anderen eigenthümlichen Gestaltung mitgetheilt, die 
nicht als „abnorm“ bezeichnet werden kann, da sie häufig 
bei Knaben und Jünglingen im Entwicklungsalter vorüber- 



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gellend eintritt und nachher wieder vollständig verschwindet. 
Diese aus naheliegenden Gründen heutzutage meist über¬ 
sehene Eigentümlichkeit konnte den scharfen Augen der 
Alten nicht entgehen und hat wahrscheinlich den Anlass zu 
der künstlerischen Gestaltung des sogenannten Hermaphro¬ 
diten gegeben, von welchem Statuen in Rom, Florenz und 
Paris in den Sammlungen zu sehen sind. Auf diese Weise 
würde sich die Entstehung jenes sonderbaren Erzeugnisses 
der antiken griechischen Kunst auf eine einfache Weise und 
mit Vermeidung der obscönen Deutungsversuche anderer Au¬ 
toren erklären lassen; auch hier haben die Griechen die 
Natur nachgebildet, allerdings mit etwas phantastischen Zu- 
thaten. Der Vortrag war durch eine Kundgebung nach der 
Natur und durch Vorzeigung von Photographien unterstützt 
und erweckte eine lebhafte, im Wesentlichen zustimmende 
Diskussion, an welcher sich die Herren Dr. Wilser, Dr. 
Schuberg und Dr. Tross betheiligten. Dabei wurde die 
Frage der Naturgesetze der Vererbung mehrfach gestreift 
und der Wunsch geäussert, dass durch ein Mitglied in einem 
besondern Vortrage eine Uebersicht der Litteratur zu dieser 
Frage mit Berücksichtigung des Standpunktes von A. Weis¬ 
mann gegeben werden möchte. 

Hierauf sprach Herr Professor Treutleio über die Auf¬ 
hebung des kirchlichen Verbotes der kopernikani- 
schen Lehre. Er gibt den wesentlichen Gehalt dieser 
Lehre an, kennzeichnet ihre anfangs langsame Ausbreitung 
und skizzirt Anlass und Art ihres Verbotes durch die Kirche 
(1G16), sowie die Art der Veröffentlichung des letzteren im 
sogenannten Index, dann auch die allmählich milder werdende 
Handhabung des Verbotes. Hierauf erzählt der Vortragende, 
wie anlässlich der Herausgabe eines Werkes von Professor 
Settele, welchem anfangs die Druckerlaubniss verweigert 
wurde (1820), die damals gelehrte kopernikanische Lehre als 
von der des Kopernikus verschieden dargestellt ward, wie 
gewisse Beamte des Papstes päpstlicher waren als dieser in 
Bezug auf das Imprimatur, und wie es trotzdem schliesslich 
(1822) zur endgiltigen Aufhebung des Verbotes kam, der 
dann die Streichung der betreffenden Bücher auf dem Index 
folgte (1835). Eine kurze Angabe über- die Quelle der vor- 


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getragenen geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Skizze 
machte den Beschluss. 

Hierzu bemerkt Herr Dr. Ristenpart, dass Professor 
Settele, wenn er sich in seiner Eingabe an den Papst 1818 
darauf berufen habe, dass man ja von einigen Fixsternen 
schon Parallaxen kenne, welche die Umdrehung der Erde 
um die Sonne zur Evidenz bewiesen, sich damit im Unrecht 
befunden habe. Sehr bald nach Aufstellung des koperni- 
kanischen Systems und besonders gegen dessen Verfechter 
Galilei wurde geltend gemacht, dass, wenn die Erde um die 
Sonne eine Ellipse beschriebe, die Sterne sich am Himmel 
scheinbar in kleinen Ellipsen bewegen müssten, welche die 
Erdbewegung abspiegelten. Die von den Astronomen darauf 
zu dem Zwecke, um diese Bewegung der Fixsterne zu er¬ 
mitteln, angestellten Beobachtungen hatten zwar in einzelnen 
Fällen schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts einen 
scheinbaren Erfolg, indem sie für die grossen Axen dieser 
kleinen Ellipsen, die Sogenannten Parallaxen, Beträge bis zu 
einigen Sekunden ergeben. Doch wurde schon damals bald 
nachgewiesen, dass jene Resultate nur Beobachtungsfehlern 
verdankt seien. Und im Jahre 1818 war thatsächlich noch 
von keinem Fixstern die Parallaxe bekannt. Denn erst 1836 
gelang es Bessel, bei 61 Cygni eine Parallaxe von 0",3 
nachzuweisen (feinere neuere Beobachtungen geben 0",5) und 
mit dieser Kleinheit der Parallaxen erledigt sich der damalige 
Einwurf der Gegner des kopernikanischen Systems, da diese, 
ebenso wie seine Vertheidiger, die Entfernungen der Fixsterne 
viel zu gering annehmen. 


448. Sitzung am 5. Januar 1894. 

Anwesend 30 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 
Neu augemeldete Mitglieder, die Herren: Ingenieur L. Schiff und Dr. 
Andr. Voigt, Hilfsbibliothekar an der Technischen Hochschule. 

Der Vorsitzende widmet wannen Nachruf dem inzwischen 
verstorbenen langjährigen Mitglied Herrn Geh. Hofrath Dr. 
Knop und dem in Bonn verstorbenen früheren Mitglied 
Herrn Professor Dr. Hertz. 


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— 235 


Herr Dr. Mie hielt einen Vortrag über die Natur der 
Wärme, worin er die früheren und die heutigen An¬ 
schauungen über dieselbe und die Aequivalenz zwischen 
Wärme und Arbeit entwickelt. Es entspann sich darüber 
eine Diskussion, an der sich hauptsächlich Herr Hofrath Dr. 
Lehmann betheiligte. 

449. Sitzung am 19. Januar 1894. 

Gemeinsam mit der Badischen Geographischen Gesellschaft, zufolge 
einer Einladung der letzteren. 

Herr Geh. Rath Professor Launhardt von Hannover hielt 
einen Vortrag über den Nordostseekanal. 


450. Sitzung am 2. Februar 1894. 

Anwesend 43 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Neu angemeldetes Mitglied: Herr Geometer Jos. Bürgin. 

Herr Dr. M. Doll macht einige Mittheilungen aus dem 
Leben des jüngst verstorbenen Professors Hertz in Bonn 
(s. die Abhandlungen). 

Herr Professor Dr. Haid sprach über die Bedeutung 
der Messungen der Schwerkraft für die Erdmes¬ 
sung. Aus denselben kann die Erdgestalt im Allgemeinen, 
wie die Abplattung des Erdkörpers, bestimmt und ferner die 
wellenförmigen kontinentalen Abweichungen der mathema¬ 
tischen Erdoberfläche, des Geoids, von dem Erdellipsoid ab¬ 
geleitet werden. Für letztere Bestimmungen sind zur Zeit 
die Schwerenmessungen noch nicht in genügender Weise 
über die Erdoberfläche ausgedehnt; doch darf man hoffen, 
dass in absehbarer Zeit für einige Orte die Erhöhung des 
Geoids über das Ellipsoid aus Schweremessungen kann be¬ 
rechnet werden. Ausserdem geben detail lirte Bestimmungen 
der Schwerkraft, wie solche mit dem leicht transportablen 
Sterneck’schen Pendelapparat ausgeführt werden können 
Aufschluss über die Massenvertheilung in der Erdrinde. 
Der Vortragende theilte die vorläufigen Ergebnisse der Mes¬ 
sungen mit, welche er längs der Strecke Strassburg-Kniebis- 
Horb a. N. an 14 Orten im September v. J. vorgenommen 


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hat. Darnach erscheinen die über das Meeresniveau sich er¬ 
hebenden Gebirgsmassen des Kniebis zu einem Drittel durch 
unterirdische im Meeresniveau kondensirt gedachte Massen¬ 
defekte kompensirt, und unter dem Rhein- wie auch unter 
dem Neckarthal Massenansammlungen vorhanden zu sein. 
Die Ausführung dieser Messungen wurde noch besonders 
durch das kaiserliche Reichspostarat gefördert, welches durch 
Vermittelung der hiesigen Oberpostdirektion behufs exakter 
Bestimmung des Gangs der Pendeluhr genehmigte, dass täg¬ 
lich am Morgen und Abend eine direkte telegraphische Ver¬ 
bindung der einzelnen Pendelstationen mit der hiesigen Stern¬ 
warte unentgeltlich zur Verfügung gestellt werde. 

An den Vortrag knüpfte sich eine Diskussion mit den 
Herren Ristenpart, Schröder, Platz. 

451. Sitzung am 9. Februar 1894. 

Gemeinsam mit der Badischen Geographischen Gesellschaft, zufolge 
einer Einladung der letzteren. 

Herr Dr. jur. Schmidt-ScharfT aus Frankfurt a. M. hielt 
einen Vortrag über: Meine Reise in Mexico. 


452. Sitzung am 16. Februar 1894. 

Anwesend 23 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Postinspektor Spranger und 
Professor R. Massinger an der Oberrealschule. 

Herr Postrath Christiani sprach über die Wirkungs¬ 
weise der 1 nduktions-Uebertrager im telephonischen 
Fernbetrieb, unter Vorführung erläuternder Experimente 
an einer künstlich nachgebildeten Fernsprecliverbindungs- 
anlage, wobei das mit Hilfe eines Induktors hervorgerufene 
laute Ertönen der Fernsprecher an verschiedenen Stellen der 
Stromverbindungen jeweils die Wirkung der Versuchsschal¬ 
tungen für die Zuhörer erkennbar machte. 

Die Fernsprechanschlüsse innerhalb der Stadtnetze be¬ 
stehen aus Einzelleitungen, die bei einem Vermittlungsamt 
zusammenlaufen und hier nach Belieben untereinander oder 
mit einer Fernleitung verbunden werden können; die Fern¬ 
verbindungen sind dagegen in der Regel aus Doppelleitungen 


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gebildet, um die störenden Nebengeräusche, namentlich das 
Mithören der Gespräche aus Nachbarleitungen, zu vermeiden. 
In diesem Falle werden die beiden Drähte als Hin- und 
Rückleitung geschaltet Will man nun beiderseits die Einzel¬ 
leitung eines Theilnehmers mit einem solchen metallischen 
Schliessungskreise zur Abwickelung eines Ferngesprächs ver¬ 
einigen, so muss bei den Vermittelungsämtern ein Apparat 
eingeschaltet werden, der die Laute aus der einfachen in die 
doppelte Leitung, und umgekehrt überträgt. Dieser Apparat, 
der sogenannte Induktions-Uebertrager, besteht in der bei 
der Reichstelegraphenverwaltung üblichen Form aus zwei 
Elektromagnetrollen mit doppelter Bewickelung von isolirtem 
Draht, deren Kerne aus weichen Eisendrähten zusammgesetzt 
sind und an den Enden durch eiserne Querstücke zusammen¬ 
gehalten werden. Wird die eine Bewickelung mit der Leitung 
des Theilnehmers, die andere mit den beiden Zweigen der 
Fernleitungsschleife vereinigt, so erfolgt die Uebertragung 
des Gesprächs durch die elektromagnetische Wechselwirkung 
beider Induktionsspulen. 

Nach einigen theoretischen Betrachtungen über den 
Verlauf der elektrischen Stromwellen in Telegraphen- und 
Fernsprechleitungen und die Zeitdauer, welche dieselben in 
Anspruch nehmen, sowie die daraus und aus der Fort¬ 
pflanzungsgeschwindigkeit der Elektrizität sich ergebenden 
Schlussfolgerungen bezüglich der Wellenlänge der Telephon¬ 
ströme, wies der Vortragende nach, dass die Induktions- 
Uebertrager nicht blos elektromagnetische Wirkungen zeigen, 
sondern wegen ihrer gleichzeitigen Bewickelung mit zwei 
isolirten Drähten auch die Eigenschaften von Kondensatoren 
besitzen, deren elektrostatischer Einfluss je nach der Art, 
in welcher die Apparate geschaltet werden, die elektromag¬ 
netische Induktion bald verstärke, bald schwäche. Durch 
diese Erscheinungen werde das elektrische Gleichgewicht in 
der Fernleitungsschleife gestört und die Erzielung völliger 
Freiheit von Nebengeräuschen erschwert. Auf der andern 
Seite habe aber die Kondensatorwirkung der Uebertrager 
den Vortheil, dass sie unter Umständen die Verständigung 
in der Sprechleitung noch aufrecht erhält, wenn diese stellen¬ 
weise unterbrochen ist, weil die durch elektrostatische Ver- 


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theilung hervorgerufenen Stromwellen einer geschlossenen 
Strombahn nicht bedürfen. 

Man kann sogar die elektrostatische Wirkung der In- 
duktions-Uebertrager dazu benutzen, um auf derselben Fern¬ 
verbindung die gleichzeitige Führung von zwei Gesprächen 
zu ermöglichen, von denen das eine auf elektromagnetischem, 
das andere auf elektrostatischem Wege zu Stande kommt. 
Der Vortragende liess es aber dahin gestellt, ob eine solche 
Schaltung zum Doppelsprechen praktische Bedeutung erlangen 
könne, da inan genöthigt sei, das eine Gespräch mit gleich¬ 
gerichteten Strömen in beiden Drähten zu führen, wodurch 
eine störende Uebertragung auf die Nachbarleitungen hervor¬ 
gerufen werde. Ausserdem mache die Natur des Fernsprech¬ 
betriebes cs erforderlich, dass alle Doppelleitungen in der 
gleichen Weise eingerichtet seien, damit man sie ohne 
Weiteres untereinander verbinden könne; die Verallgemeine¬ 
rung der fraglichen Doppelsprechschaltung sei aber nicht 
durchführbar. 

Bei der gewöhnlichen Betriebsweise wirkt nach der An¬ 
sicht des Redners die elektrostatische Vertheilung im Ueber- 
tragungsapparat nur auf den einen Zweig der Fernleitungs¬ 
schleife ein, und zwar im Sinne einer Verstärkung des auf 
elektromagnetischem Wege erzeugten Sprechstromes; völliges 
Gleichgewicht werde sich voraussichtlich durch eine verän¬ 
derte Wickelungsweise der Elektromagnetrollen erzielen lassen, 
in welcher Richtung er seine Untersuchung fortzusetzen be¬ 
absichtige. 

Herr Dr. Schultheiss berichtete sodann über die im 
Sommer 1891 von der Regierung der Vereinigten Staaten 
von Nordamerika nach den regenarmen Gebieten von Texas 
ausgeschickte Expedition, welche dort Versuche anstellen 
sollte, ob durch künstliche Erschütterungen der Luft Regen 
erzeugt werden könnte. Für diese Versuche waren vom 
Senate auf Betreiben eines Senators 9000 Dollars (etwa 
39,000 M.) ausgesetzt, durch Sammlungen in Texas waren 
später noch weitere 10 000 Dollars aufgebracht worden; die 
Gesammtkosten beliefen sich somit auf etwa 80 000 M* 
Charakteristisch ist, dass die Fachmänner des rühmlichst be¬ 
kannten Vereinigte Staaten-Wetter-Bureaus nicht über die 


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Angelegenheit befragt wurden. Die Luft sollte durch Explosion 
yon Ballons mit etwa 3 Meter Durchmesser, welche mit 
Knallgas gefüllt waren, ferner durch Abbrennen grösserer 
Mengen von Sprengmitteln, insbesondere von Dynamit und 
dann durch GeschUtzfeuer erschüttert werden. Nach lang¬ 
wierigen Vorversuchen machte die Expedition*, deren Gepäck 
unter Anderem aus 14 000 Pfd. Eisenfeilspähnen, 16 000 Pfd. 
Schwefelsäure, 2 000 Pdf. chlorsaurem Kali, 500 Pfd. Braun¬ 
stein zu Erzeugung von Knallgas, ferner aus 8 Dynamo¬ 
maschinen bestand, in Texas drei grössere Versuche an drei 
verschiedenen Orten. Der stärkste Angriff, welcher auf den 
Himmel unternommen wurde, war jener in den Tagen vom 
16. bis 18. Oktober in San Diego bewerkstelligte. Alle zwei 
Minuten wurden 50 Chargen zu je 2 Pfd. Dynamit abgegeben 
und beständig wurde heftiges Geschützfeuer unterhalten, 
wozu 500 Pfd. verwendet wurden; ausserdem wurden ins- 
gesammt 10 Ballons zur Explosion gebracht. Trotz dieser 
ungeheuren Anstrengung wurde kein Erfolg erzielt. Der 
Expedition widerfuhr das Missgeschick, dass sich vor dem 
ersten grösseren Versuch ein stärkerer Regen einstellte, dass 
es aber darnach nicht mehr regnete. Der zweite Versuch 
verlief ohne jedes Ergebniss, und nur der dritte dreitägige 
erzielte scheinbar einen vollen Erfolg, indem darnach starkes 
Regenwetter eintrat. Allein bei näherer Untersuchung ergibt 
sich, dass dasselbe durch eine das Mississippithal herab¬ 
ziehende barometrische Depression, welche schon während 
der Versuche Regenfälle im Osten der Union verursacht 
hatte, bedingt war. Der Redner verbreitete sich dann dar¬ 
über, dass nach dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse 
von den Vorgängen in der Lufthülle es als unmöglich be¬ 
trachtet werden muss, den Wasserdampf der Luft durch 
Erschütterungen zur Kondensation zu bringen; letztere tritt 
in ausgiebigerem Masse nur ein, wenn die Luft gezwungen 
ist, in die Höhe zu steigen. Es ist nun wohl möglich, durch 
starke Erwärmung am Boden — etwa durch Abbrennen 
grösserer Flächen trockenen Grases — lokale aufsteigende 
Luftströme und dadurch auch schwache, räumlich enge be¬ 
grenzte Regenfälle zu erzeugen, allein es fehlt völlig an 
Mitteln, die Luft über grösseren Gebieten zum Aufsteigen zu 


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bringen, wie dies in den Depressionen der Fall ist und da¬ 
durch ausgiebigeren, weit verbreiteten Regen zu erzeugen. 
An den Vortrag schloss sich eine rege Diskussion an. 


453. Sitzung am 21. Februar 1894. 

Gemeinsam mit der Deutsclien Kolonialgesellschaft und der Badischen 

Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums. 

Herr Rittmeister v. Stetten hielt einen Vortrag über: 
Meine Expedition von Kamerun nach Yola im Jahre 
1893. Der Redner hat im November 1891 die Straf-Expe- 
dition v. Gravenreuth’s gegen Buea freiwillig als erster Offi¬ 
zier mitgemacht, wobei er verwundet wurde und Gravenreuth 
selbst fiel, Übernahm dann nach kurzem Aufenthalte in Deutsch¬ 
land die Leitung der Polizeitruppe in Kamerun, führte im 
Oktober 1892 eine Expedition nach dem Balilande und trat 
im Februar 1893 die grosse Kamerun-Hinterland-Expedition 
nach Yola in Adamaya an, woselbst er mit dem Emir einen 
Vertrag abschloss, der Deutschland das in seiner Interessen¬ 
sphäre gelegenen Adamaya sicherte. Durch Ordensauszeich¬ 
nungen und Charakterisirung als Rittmeister wurden seine 
Leistungen allerhöchsten Ortes anerkannt. 

Für den gleichen Abend hatte die Geographische 
Gesellschaft Karlsruhe eine Einladung an den Verein ge¬ 
richtet zur Theilnahme an dem dritten Projektionsabend im 
Saal der Vier Jahreszeiten, wo eine Reihe schöner Moment¬ 
aufnahmen, Stimmungsbilder von der See etc. zur Vorführung 
kamen und ausserdem interessante photographische Leistungen 
von Vereinsmitgliedern ausgestellt waren. 


454. Sitzung am 9. März 1894. 

Anwesend 32 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Dr. Wilser sprach über Vererbungstheorien. 
Während das Wort „Vererbung“ heutzutage auf Aller Lippen 
ist, herrschen über das Wesen derselben noch recht unklare 
Vorstellungen, was nicht zu verwundern, da die Fachgelehrten 
selbst in dieser Frage sich schroff gegenüberstehen und ihre 
Ansichten unter der Losung Nulla est epigenesis und Nulla 


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est praeformatio bekämpfen. Die Wichtigkeit braucht nicht 
hervorgehoben zu werden; die Frage beschäftigt den Zoologen 
und Botaniker, den Anthropologen, den Psychologen und 
Philosophen, den Kriminalisten und Sozialpolitiker, ganz be¬ 
sonders aber die Männer der Praxis, Aerzte, Thierzüchter 
und Gärtner. Nachdem schon Hippokrates und Aristo¬ 
teles der Sache ihre Aufmerksamkeit zugewendet hatten, 
brachte das ganze Mittelalter, in dem ja das Studium der 
Natur verpönt war, keine weitere Aufklärung, obgleich im 
Volksbewusstsein die Macht der Vererbung immer lebendig 
war. Erst in neuerer Zeit, im 17. Jahrhundert, legten die 
bahnbrechenden Entdeckungen von Harvey, Swammer- 
dam, Malpighi, Leeuwenhoek den Grund zu weiterem 
Fortschritt. Trotzdem herrschte in der ersten Hälfte des 
vorigen Jahrhunderts noch allgemein die Ansicht vom voll¬ 
ständig vorgebildeten Keim (praeformatio), der bei der Ent¬ 
wickelung sich nur „auswachse“. Nur darüber wurde mit 
Erbitterung gestritten, ob diese Keime von väterlicher (Ani- 
malkulisten) oder mütterlicher (Ovulisten) Seite stammten. 
Es war ein Deutscher, Kaspar Friedrich Wolff, der im 
Jahre 1759 durch seine Theoria generationis die wissen¬ 
schaftliche Entwickelungslehre begründete. Seine der Zeit 
vorauseilenden Anschauungen wurden jedoch von dem damals 
in der Gelehrtenwelt allmächtigen Albrecht von Haller 
mit den Worten: Nulla est epigenesis niedergedonnert. Erst 
nach Wolff’s Tode fand seine Lehre Anerkennung, und 
neues Leben kam in unsere Wissenschaft durch die For¬ 
schungen von Pander und Karl v. Bär. Ungeahnte Be¬ 
deutung musste die Vererbungsfrage gewinnen, als, auf den 
Schultern von Lamarck und Malthus stehend, gerade 
100 Jahre nach Wolffs Schrift Darwin die staunende 
Welt mit seiner Lehre von der natürlichen Entwickelung 
aller Lebewesen überraschte. Er selbst stellte auch eine 
Vererbungstheorie, Pangenesis, auf, die im Grundgedanken 
richtig war, in den Einzelheiten jedoch nicht befriedigen 
konnte. Näher kam der Sache sein Landsmann, der Natur¬ 
philosoph Herbert Spencer, der sich den organischen Stoff 
aus kleinen „Einheiten“ zusammengesetzt dachte, denen 
„Polarität“ Wachsthums- u. Entwickelungsgesetze vorschriebe. 

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Hering lehrte das „Gedächtniss der Materie“, Hackel die 
auf Wellenbewegung kleinster Theile beruhende „Perigenesis 
der Plastidule“; Keiner aber hatte bis dahin an der Ver¬ 
erbungsfähigkeit „erworbener Eigenschaften“ gezweifelt. Dies 
blieb Weismann Vorbehalten, der im letzten Jahrzehnt die 
Theorie von der „Kontinuität des Keimplasmas“ aufstellte 
und folgerichtig bis zu seiner im letzten Jahre erschienenen 
Schrift von der „Allmacht der Naturzüchtung“ ausgestaltete. 
Er nennt die Naturzüchtung allmächtig, weil ihm zur Er¬ 
klärung der fortschreitenden Entwickelung, an der er doch 
festhält, kein anderes Mittel bleibt. Da jedoch die Natur¬ 
züchtung nur Nützliches hervorbringen kann, in der Natur 
jedoch zahlreiche gleichgiltige, überflüssige oder gar schäd¬ 
liche Eigenschaften und Körpertheile Vorkommen, so bekommt 
schon dadurch die Allmacht ein Loch; ausserdem muss Weis¬ 
mann zur Erklärung des langsamen Schwindens entbehrlich 
gewordener Theile, sogenannte „rudimentärer Organe“, zur 
Hilfshypothese der „Panmixie“, d. h. der aufgehobenen Zucht* 
wähl, seine Zuflucht nehmen. Durch eine einfache Rechnung 
kann aber gezeigt werden, dass „Panmixie“ zwar die Gegen¬ 
sätze ausgleichen, nicht aber einen Schwund herbeiführen 
kann. Da die geringfügigsten Kleinigkeiten, wie Wärzchen, 
Hautfalten u. dergl. — was an Beispielen erörtert wird — 
sich vererben, so müsste der durch Weis mann’s Phantasie 
im Kern der Kleinzelle errichtete Bau von „Iden, Determi¬ 
nanten und Biophoren“ so bis in’s Einzelste dem aus¬ 
gewachsenen Körper entsprechen, dass der Vorwurf, seine 
Lehre enthalte unter einem anscheinend wissenschaftlicheren 
Mäntelchen die alte von Wolff abgethane „Praeformatio“, 
nicht ungerechtfertigt ist. Es hat daher nicht an Gegnern ge¬ 
fehlt: in Deutschland traten Eimer, Hackel, in England 
Spencer, Beddoe, in Amerika Ward, in Frankreich To- 
pinard für die Vererbung „erworbener Eigenschaften“ ein. 
Ganz kürzlich aber ist in Deutschland von Haacke eine 
neue Vererbungstheorie aufgestellt worden, die ebenfalls in 
diesem Sinne die einzelnen Erscheinungen der Vererbung 
erklärt. Träger der Vererbung ist nach Haacke nicht nur 
der Kern, sondern auch das Plasma der Keimzelle mit seinem 
Mittelpunkt, dem Centrosoma. Durch das Plasma werden 


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-Gestalt und Zeichnung, durch den Kern Chemismus und 
Färbung übertragen. Das Plasma ist nicht formlos, sondern 
aus kleinen Bausteinen von regelmässiger, rhombischer Form, 
den sogenannten „Gemmarien“, zusammengesetzt. Körper- 
und Keimzellen befinden sich im Gleichgewichtszustand und 
bilden ein System, das sich im Ganzen verändert, wenn in 
irgend einem Theile eine Verschiebung eintritt. Die ganze 
Vererbung beruht auf dem Grundgesetz des Beharrungs¬ 
vermögens. Die Theorie hat sehr viel Ansprechendes und 
erklärt' gut alle Erscheinungen des Lebens. Anpassungen 
und Entartungen vererben sich als solche; die Auslese ist 
mächtig, wirkt aber in etwas anderer Weise als man sich 
bisher vorgestellt hatte. Im Kampf um’s Dasein der Einzel¬ 
wesen gibt das Wirksamste den Ausschlag, nämlich die 
Lebenskraft, neben der die ganz geringfügigen Unterschiede 
der „Ausstattung“ gar nicht in Betracht kommen. In einem 
beschränkten Gebiete können sich wegen der unbehinderten 
allgemeinen Kreuzung nicht zwei neue Bassen bilden; die 
„Amphimixis“ wirkt also gerade in entgegengesetztem Sinne, 
als Weismann angenommen. Erst wenn das Gebiet so gross 
ist, dass eine allgemeine „Amphimixis“ nicht mehr möglich, 
zeigen sich Rassenunterschiede, und nun kommt die Aus¬ 
stattung zur Geltung, da die besser angepasste Rasse auf 
Kosten der andern sich ausdehnt. Es zeigt sich, dass der 
vielfach verkannte Moritz Wagner in der Hauptsache recht 
hatte. Es werden, was bisher nicht möglich war, vier Arten 
des „Rückschlags“ unterschieden und genau aus natürlichen 
Ursachen erklärt. Die Männer der praktischen Anwendung 
der Wissenschaft, Aerzte und Züchter, finden bei Haacke 
reiche Belehrung, Erklärung der Erfahrungsthatsachen und 
werthvolle Winke, während ihnen Weismann nichts zu 
bieten vermochte. Die allerfeinsten Vorgänge bei der Ver¬ 
erbung, die sich unseren Sinnen entziehen, werden wohl 
immer „Theorie“ bleiben müssen. Jedenfalls aber verdient 
eine solche Theorie den Vorzug, die uns das Verständniss 
der Natur erleichtert. Es wäre ja gut für die Menschheit, 
wenn sich erworbene Krankheitsanlagen nicht vererben könn¬ 
ten und wenn zufällig auftretende ungünstige Abänderungen 
sofort durch die natürliche Auslese wieder ausgemerzt würden. 

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244 


Die tägliche Erfahrung lehrt uns aber, dass dies nicht der 
Fall ist und dass durch die Vererbung nicht nur Vervoll¬ 
kommnung, sondern auch Entartung übertragen wird, was 
wir mit in den Kauf nehmen müssen und wonach wir uns 
zu richten haben. — ln der dem Vortrage folgenden Be¬ 
sprechung vertheidigte Herr 0. Ammon die Weismann’sche 
Theorie aufs wärmste. Ein Schlusswort des Vortragenden 
erwartete, nach der jetzigen Sachlage, von der nächsten Zu¬ 
kunft eine endgiltige Entscheidung der hochwichtigen Frage 
zum grossen Vortheil für die Biologie, die Wissenschaft vom 
Leben, der noch grosse Aufgaben gestellt sind. Hoffentlich 
fehlt es dann nicht an Männern, die die Natur wieder mehr 
unter freiem Himmel, in Wald und Feld, aut Bergeshöhen 
und Meereswogen beobachten und nicht nur kleine und kleinste 
Theile, sondern auch wieder ganze Thiere und Pflanzen 
kennen. 


455. Sitzung am 12. März 1894. 

Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellscbaft und der Badischen 

Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums. 

Herr Kapitain Spring, kaiserl. Lieutnant zur See der 
Reserve aus Bruchsal hielt einen Vortrag über die Natio¬ 
nen am Viktoriasee und die Lebensweise und Krieg¬ 
führung der an diesem wohnenden Volksstämme. 

Der Redner wurde im Jahr 1891 vom Antisklaverei- 
Komitee in Dienst genommen, marschirte im Jahr 1892 als 
Führer einer Gouvernements-Karawane von Bagamoyo ab, 
wurde in Tabora in die Kämpfe mit Sikki verwickelt und 
dabei durch einen Speerstich verwundet. Am Viktoriasee 
war er mit der Untersuchung und Aufnahme des südöstlichen 
Theiles des Sees beauftragt, hier hat er astronomische Orts¬ 
bestimmungen und Aufnahmen gemacht, namentlich von der 
Insel Ukerewe und der benachbarten Küste. Nach Ablauf 
seines Kontraktes im Jahr 1893 kehrte er zurück. 

456. Sitzung am 27. April 1894. 

Anwesend 29 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Hofrath Dr. Bunte macht Mitteilungen über seine 
mehrmonatliche Studienreise durch Amerika und speziell 


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über die chemische Industrie der Vereinigten Staa¬ 
ten. Dem Charakter des Landes entsprechend sind be¬ 
sonders diejenigen Zweige der chemischen Technik entwickelt, 
welche sich unmittelbar an Landwirthschaft und Bergbau 
anschliessen. Ausgehend von Chicago, das dem Besucher 
der Weltausstellung den ungeheueren Reichthum Amerikas 
an Bodenprodukten augenfällig zeigte, schildert Redner zu¬ 
nächst die mit den Riesen-Schlächtereien dieser Stadt in 
Verbindung stehenden Fabriken für Fleischkonserven, Ver¬ 
arbeitung der Fette zu Margarine, Seife etc. und die Ver- 
werthung der Abfallprodukte. Von den etwa 100 Meilen 
weit entfernten Erdölfeldern erhält Chicago direkt in Rohr¬ 
leitungen Naturgas, das für gewerbliche und häusliche Zwecke 
vielfach benutzt wird und Erdöl, das in der nahegelegenen 
grossen Raffinerie namentlich für den Westen gereinigt wird. 
Sodann schildert er die am Ufer des Michigansees gelege¬ 
nen grossen Eisenwerke der Illinois Steet Works, welche 
die mächtigen Erz-Lager am Oberen See ausbeuten. Auf 
der Reise nach dem Westen durchschneidet die Bahn reiche 
Getreideländer, die Mühlenindustrie hat in den Schwester¬ 
städten St. Paul und Mineapolis ihren Hauptsitz. Die 
Naturwunder des Yellowstone National Parkas, die heissen 
Quellen, Gaysir und Cannions, zu deren Besichtigung eine 
sechstägige Rundfahrt erforderlich ist, wurden flüchtig ge¬ 
schildert und sodann der Edelmetallschätze Montena’s an 
Gold, Silber und Kupfer, welche in den Bergstädten Butte 
und Helena ausgebeutet werden, gedacht. Im Westen, wie 
im Osten ist die Holz- und Papierindustrie angesiedelt, 
welche wegen des kolossalen Papierverbrauches der Ameri¬ 
kanischen Zeitungen in grosser Blüthe steht; die Wasser¬ 
kräfte des Niagara ebenso wie die des Kolumbia River wird 
grossentheils zur Herstellung von Holzstoff für Papier ver¬ 
wendet. In Kalifornien ist einerseits die Gold- und Queck¬ 
silbergewinnung charakteristisch, welche der Redner kurz schil¬ 
dert, andererseits die herrlichen Früchte, Birnen und Pfirsiche, 
welche zu Konserven verarbeitet werden; auch finden sich Spiri¬ 
tusbrennereien und die Anfänge einer Rübenzuckerindustrie. 
Der Lick - Sternwarte auf dem Monnt Hamilton wurde ein 
Besuch abgestattet und Photographien des grossen Refraktors 


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246 


vorgelegt. Bei der Schilderung der Rückreise von St. Fran- 
zisko nach dem Felsengebirge wurde der aufblühenden Mor¬ 
monenstadt Saltlake-City gedacht, in deren Nähe die Salz¬ 
gewinnung betrieben wird und wo sich die Anfänge einer 
chemischen Industrie zeigen. Im Herzen des Felsengebirges, 
in Kolorado, ist besonders der Bergbau sowie die Silber¬ 
und Bleigewinnung entwickelt, welche ihre Hauptsitze in 
Aspen und Leadville sowie in Denver hat; an Hand von 
Photographien schildert Redner die dortigen Hüttenwerke 
und sozialen Zustände. Von den im Osten vertretenen In¬ 
dustrien bespricht Redner besonders die Gewinnung und Ver¬ 
arbeitung des Erdöls, die in der Umgebung von Pittsburg 
ihren Hauptsitz hat, sowie die ebenfalls dort grossartig ent¬ 
wickelte Eisen-, Glas- und Thonwaarenindustrie. Nach einer 
kurzen Schilderung der grossartigen Phosphorit- und Dünger- 
Industrie in Florida, sowie der im Osten betriebenen Schwefel¬ 
säure- und Sodafabrikation, macht der Vortragende auf das 
Vorkommen von Mineralien der seltenen Erden, welche in 
der Gasglühlichtbeleuchung Verwendung finden, aufmerksam 
und schildert die hauptsächlich in Philadelphia sesshafte In¬ 
dustrie der feineren chemischen Präparate. Mit einer kurzen 
Beschreibung der in Baltimore, Philadelphia und New-York- 
Broklyn befindlichen grossen Zuckerraffinerien, in denen neben 
Colonialzucker hauptsächlich deutscher Rübenzucker verarbei¬ 
tet wird, schliesst Redner seinen Ueberblick über die chemische 
und metallurgische Industrie der Vereinigten Staaten. 


457. Sitzung am II. Mai 1894. 

Gemeinsam mit dem Karlsruher Bezirksverein Deutscher Ingenieure und 
dem badischen Architekten- und Ingenieur-Verein. 

Herr Professor Wellmer aus Brünn hielt einen Vortrag 
über den dynamischen Flug und die Segelrad-Flug¬ 
maschine, mit Experimenten. 

Das Ziel, frei in der Luft zu schweben und sich in ihr 
fortzubewegen, lässt sich auf zweierlei Weise erreichen: auf 
statischem Wege durch die bekannten Luftballons und auf 
dynamischem Wege durch die sogenannten Flugmaschinen, 
welche, ausgerüstet mit einer inneren motorischen Kraft, 


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vermöge der Wirkung bewegter Flügelflächen die Befähigung 
erhalten sollen, sich vom Erdboden aufzuschwingen und ihre 
Last im leichten Luftmedium fliegend zu tragen. 

In Bezug auf das Emporsteigen in die freie Luft und 
auf die Lenkbarkeit des Fluges besteht zwischen den an¬ 
geführten zwei Methoden von Luftfahrzeugen ein greller 
Gegensatz. Während der Luftballon, wenn er nur eine ent¬ 
sprechend leichte Gasfüllung und Bauart besitzt und gross 
genug ist, vollkommen sicher aufsteigt und schwebt und auch 
grosse Lasten zu heben vermag, dagegen wegen seines Riesen¬ 
körpers jeglicher Lenkbarkeit entbehrt, weil er, einer ein¬ 
gekapselten Wolke vergleichbar, ein willenloser Spielball der 
Windströmungen im Luftozean schwimmt, liegt bei dem Baue 
der Flugmaschinen der Uebelstand vornehmlich in der 
Schwierigkeit, einen sicheren Aufstieg in die freie Luft ein¬ 
zuleiten; wenn diese jedoch einmal überwunden sein würde, 
dann wäre die Steuerung und Lenkung des Luftfahrzeuges 
nach irgend einer beliebigen Richtung und der Vorwärtsflug 
mit irgend einer gewünschten Fluggeschwindigkeit, wie sich 
das aus zahlreichen und zuverlässigen, sowohl theoretischen 
als praktischen Erfahrungen ergibt, verhältnissmässig leicht 
zu bewerkstelligen. Dieser Gegensatz beider Flugsysteme, 
welcher im wesentlichen darin besteht, dass jedem von ihnen 
gerade die Bedingung mangelt, welche dem andern zu gute 
kommt, führt naturgemäss zu dem naheliegenden Gedanken, 
eine Kombination zu suchen, welche die gute Steigkraft des 
Ballons mit der guten Lenkbarkeit der Flugmaschinen ver¬ 
einigt. Bei diesem Beginnen wird jedoch leider die Voll¬ 
kommenheit der günstigen Eigenschaften beider Flugmethoden 
gegenseitig abgeschwächt, indem auch die ungünstigen Eigen¬ 
schaften in der Verbindung zusammentreten, und so kommt 
es, dass die zahlreichen Konstruktionen von Ballons mit 
Flugmaschinen wenig Erfolg aufweisen. Erwähnenswerth sind 
in dieser Richtung die Spitzballons mit Motor von Giffard 
in Paris 1852, Dupuy de L6me in Vincennes 1872, Hänlein 
in Brünn 1872, Rena'rd und Krebs in Meudon. Alle Aus¬ 
führungen dieser Art besitzen an Stelle der sonst üblichen 
Kugelform eine zigarrenförmige, zugespitzte Bauart des Ballon¬ 
körpers, damit derselbe beim Fluge die der Fortbewegung 


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Widerstand entgegensetzende Luft leichter durchschneide, 
sowie ferner eine im Gondelgerüste gelagerte Kraftmaschine, 
welche mittels umlaufender Luftschrauben oder eines andern 
die Luft nach rückwärts schiebenden Treibapparates die Flug¬ 
bahn in vergeschriebener Richtung erzwingen soll; aber die 
Leistungen dieser mit Motorbetrieb ausgestatteten Ballons 
erweisen sich schon gegen massige Luftströmungen unzu¬ 
länglich. 

Das Missverhältniss zwischen dem durch den unver¬ 
meidlichen Riesenkörper des Ballons verursachten Luftwider¬ 
stand und der zu dessen Ueberwindung erforderlichen moto¬ 
rischen Kraft wird sich voraussichtlich niemals ausgleichen 
lassen, und aus diesem Grunde kann man die Möglichkeit 
einer gedeihlichen Lösung des aeronautischen Problems in 
der Zukunft einzig nur in der Verwendung von dynamischen 
Flugmaschinen erblicken. 

Auf Grundlage eingehender Untersuchungen über die 
Flugmethoden und den Flugmeclianismus der Vögel und In¬ 
sekten, sowie unter Hinweis auf die sorgfältigen theoretischen 
Arbeiten und praktischen Proben, Erfahrungen und Ver¬ 
suchsergebnisse, welche von hervorragenden Männern auf 
dem Gebiete der Flugtechnik, wie Kargei, Miller, v. Hauen¬ 
fels, Gerlach, Lippert, v. Parseval, Lilienthal, Steiger, v. Lössl, 
Wellner, Hörnes, Platte, Graffigny, Langley u. a. geliefert 
wurden, kann als gültig und kaum noch anfechtbar der 
Schluss gezogen werden, dass es für die Zwecke der Flug¬ 
maschinen am günstigsten sei, sanft nach oben gewölbte, 
beiderseits spitz auslaufende Tragflächen zu benützen und 
dieselben unter kleinen Elevationswinkeln gegen die Luft zu 
führen. 

Die Möglichkeit, mittels bewegter Flügelflächen einen 
schweren Körper in der Luft schwebend zu erhalten, oder, 
kurz gesagt, die Tragfähigkeit der Flügelflächen beruht immer 
auf dem Umstande, dass Luft in grösserer Masse unter den 
Flächen zusammengeschoben und dadurch ein verdichtetes 
Luftpolster unterhalb derselben gebildet wird, dessen Wirkung 
sich in einer nach oben, also in tragendem Sinne, drückenden 
Kraft äussert. Je grösser die Flügel sind und je rascher sie 
in geneigter Lage bewegt werden, desto mehr und desto dich- 


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tere Luft wird sich in der Regel, wenn nicht Wind oder 
andere störende Einflüsse zur Geltung kommen, unter den¬ 
selben ansammeln, desto grösser wird die erzeugte Hebe¬ 
kraft sein. Der hervorgerufene dynamische Luftdruck wächst 
im quadratischen Verhältnisse mit der Bewegungsgeschwin¬ 
digkeit der Flächen, und aus diesem Grunde können auch 
kleine Flügel eine ganz bedeutende Tragfähigkeit entwickeln, 
wenn sie kräftig und schnell in Bewegung gesetzt werden. 
Um den Vorwärtsflug eines Luftfahrzeuges in horizontaler 
Richtung zu ermöglichen, ist es ausserdem nothwendig, dass 
eine vortreibende Kraft geschaffen werde, und dies kann 
wieder nur durch einen Abstoss oder Rückdruck geschehen, 
welcher dadurch verursacht wird, dass Luft nach rückwärts 
geschleudert wird. Hiernach kann man bei einer vollstän¬ 
digen Flugmaschine jedesmal eine hebende und eine vorwärts¬ 
treibende Wirkung unterscheiden, ohne dass desshalb unter 
allen Umständen für beide Zwecke gesonderte Flächen vor¬ 
handen sein müssten, denn es lassen sich die Flügel, ihre 
Form, Lage und Führung zumeist ohne Schwierigkeit in 
solcher Weise wählen und anordnen, dass dieselben gleich¬ 
zeitig sowohl Auftrieb als Vortrieb zu schaffen im Stande 
sind. Wegen der grossen Mannigfaltigkeit der mechanischen 
Hilfsmittel und bei dem lebhaften Bestreben, lenkbare Luft¬ 
schiffe zu erfinden, ist es begreiflich, dass sich im Laufe der 
Zeit vielerlei Gattungen von Flugmaschinensystemen heraus¬ 
gebildet haben, doch sind darunter vorzugsweise nur zwei 
Gruppen hervorzuheben, welche sich bei den Flugtechnikern 
besonderer Beliebtheit erfreuen, nämlich die Schraubenflieger 
und die Drachenflieger. 

Die ersteren besitzen auf lotrechten Achsen wagrecht 
im Kreise umlaufende Propeller (Luftschrauben, Flügelräder) 
mit windschief gestellten Ruderflächen in der Form, wie sie 
an den Windmühlen wahrzunehmen sind. Die rotirenden 
Schlagflächen fassen die Luft und erzeugen, dieselbe nach 
unten schiebend, eine Hebekraft nach oben. Der sich dabei 
in der Luft abspielende Vorgang ist ganz ähnlich demjenigen, 
welcher bei der Schiffsschraube im Wasser vor sich geht. 
Das Kinderspielzeug: die „Goldfliegen“, vierflügelige Schrauben 
aus gebogenem Draht mit Leinwand- oder Papierüberzug, 


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welche, durch eine einfache Spule mit einer Schnur in raschen 
Umlauf gesetzt, in die Luft emporfliegen und oft eine ganz be¬ 
deutende Steigekraft zeigen, stellt unmittelbar das'einfachste 
Bild eines Schraubenfliegers vor Augen. 

Wenn man jedoch dieses Projekt unter Berücksichtigung 
aller Erfahrungen auf seine praktische Brauchbarkeit in ein¬ 
gehender Weise prüft, so zeigt sich, dass die motorische 
Leistungsfähigkeit aller bis jetzt bekannten Kraftmaschinen 
(mit Dampf-, Gas- oder elektrischem Betrieb) viel zu klein 
ist, um jene Hebekraft zu schaffen, welche das Eigengewicht 
der Maschine sammt Zubehör erfordern. Die rotirende Luft¬ 
schraube arbeitet nämlich mit grossen Effektverlusten und 
erscheint hierdurch für die Schaffung der Hebekraft wenig 
geeignet. 

Die zweite Gattung von Flugmaschinen, die Drachen¬ 
flieger, fusst in letzter Linie auf dem Vorbilde des als Spiel¬ 
zeug bekannten Drachen, welcher im Winde steigt und sich 
in der Höhe schwebend erhält. Die gegen die schräge Trag¬ 
fläche des Drachen herankommende Luft verdichtet sich unter 
derselben und drückt dagegen in hebendem Sinne. Je 
schärfer der Wind weht, desto kräftigersteigen die Drachen; 
je rascher die Drachenflieger vorwärts bewegt werden, desto 
grösser wird die Tragfähigkeit ihrer Flächen. Die Ge¬ 
schwindigkeit des Fluges kommt also den Drachenfliegern in 
günstiger Weise zu statten. Sie hat leider einen wesent¬ 
lichen Uebelstand im Gefolge, welcher der praktischen Be¬ 
nützung dieses Flugsystems hindernd entgegensteht, nämlich 
die Schwierigkeit des Anflugs. Ein langsamer Aufstieg in 
die Luft aus der anfänglichen Ruhelage ist unmöglich, denn 
der rasche Flug bildet eine Vorbedingung für das Trag¬ 
vermögen der Drachenflächen, und für je schnellere Fahrt 
der Drachenflieger bestimmt ist, um so kleinere Tragflächen 
muss er haben, um so mehr aber wachsen auch die Schwie¬ 
rigkeiten und Gefahren beim Beginn der Fahrt. Alle Vor¬ 
kehrungen, welche in dieser Richtung Abhilfe schaffen sollten, 
erscheinen unzulänglich. In hohem Grade bedeutsam, lehr¬ 
reich und anerkennenswerth sind die Bemühungen von Otto 
Lilienthal in Berlin, den persönlichen Kunstflug zu pflegen. 
Demselben ist es bereits gelungen, mit Hilfe zweier Flügel 


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von zusammen 14 qm Flächenausmass in sanftem Gleitfluge 
gegen Wind eine Strecke von über 200 m von einer Anhöhe 
herab schwebend zurückzulegen. 

In neuester Zeit ist es dem Reduer gelungen, einen 
Typus von Flugfahrzeugen herzustellen, welcher, wenn auch 
auf einer neuen Grundlage aufgebaut, doch gewissennassen 
als ein Bindeglied zwischen den Schraubenfliegern und den 
Drachenfliegern aufzufassen ist und die vortheilhaften Eigen¬ 
schaften beider Systeme, bei Vermeidung ihrer Schatten¬ 
seiten, in verheissungsvoller Weise zu vereinigen scheint. 

Das Segelrad, dieses neuartige, vom Redner vorgesehla- 
gene Getriebe, auf welchem sein Flugmaschinensystem be¬ 
gründet ist, besitzt eine wagerecht liegende Achse mit Speichen 
und daran trommelartig im Kreise gestellte Tragflächen, 
welche durch eine eigenthümliche Excentersteuerung während 
des Umlaufs kleine Verdrehungen erfahren. 

Die Vorderkanten der Flügelflächen werden jedesmal, 
wenn sie in die obere und wenn sie in die untere Lage 
kommen, ein wenig in die Höhe geschoben, so dass dieselben 
wie Drachenilächen oder schräggestellte Segel wirkend, Luft 
unter sich zusammenschieben und Hebekraft liefern, während 
ihre schraubenförmig gebauten Versteifungsrippen gleichzeitig 
eine vorwärtstreibende Kraft erzeugen. Auf diese Art ist 
das Segelrad im Stande, bei geringstem Stirnwiclerstand in 
der Flugrichtung sowohl den Auftrieb als den Vortrieb zu 
besorgen. 

Der geradlinige schnelle Vorwärtsflug, welchen die 
Drachenflieger zur Schaffung von Hebekraft benötliigen, ist 
hier in die einfache, und technisch bequeme Kreisrichtung 
übergeführt. 

Solche Segelrädcr sind nun an der Flugmaschine mehrere 
hintereinander und zumeist auch, paarweise in zwei Gruppen 
mit gegenläufiger Bewegung, nebeneinander gestellt. Das 
cigarrenförmige Schiff mit den Räumen zur Aufnahme des 
Motors und der Personen, als der schwerste Theil des Fahr¬ 
zeugs, ruht wagerecht unterhalb der Segelräder in der Mitte, 
so dass das Gesammtbild einem Riesenvogel ähnlich wird, 
welcher an Stelle der gewöhnlichen Flügel ein Paar rotiren- 


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der Flügelräder mit fortdauernd nacheinander im tragenden 
und vorwärtsschiebenden Sinne wirkenden Tragflächen besitzt 

Der Segelradmechanismus stellt sich in dieser Beziehung 
thatsächlich als eine maschinelle Umgestaltung des Vogel¬ 
flügelmechanismus dar, dessen schwingende Hinundher- 
bewegung hier in eine stetige Rotation aufgelöst erscheint 

Die Segelräder, welche durch das bei den Motoren üb¬ 
liche Kurbelgetriebe in rasche Umdrehung versetzt werden, 
sichern, zufolge des dynamischen Gesetzes der freien Achse, 
die wagerechte Lage des Fahrzeugs, verleihen ihm eine 
grosse Stabilität gegen störende Schwankungen aller Art und 
gestatten sowohl einen bequemen, langsamen Anflug, als auch 
die Erzielung grosser Fluggeschwindigkeiten. 

Je schneller die Maschinen arbeiteu, desto mehr wächst 
die Steigkraft des Luftschiffs, und das Verbleiben desselben 
beim Fluge in gleicher Höhenlage steht mit einer bestimmten 
Umlaufsgeschwindigkeit der Segelräder im Einklang. Die 
Wendungen in der Fahrrichtung lassen sich in bequemer 
Weise durch gewöhnliche, am Schiffsende angebrachte Steuer¬ 
ruder, wie sie bei Booten im Gebrauche sind, bewirken, 
oder auch dadurch, dass einseitig eine schnellere Bewegung 
der Segelräder eingeleitet wird. Das Eigentümliche der 
Wirkungsweise dieser Segelräder besteht darin, dass sie trotz 
ihrer raschen Umlaufsbewegung die Luft nicht etwa nach 
allen Seiten auseinanderschleudern, sondern dieselbe vielmehr 
von beiden Seiten her, vornehmlich auch von oben und von 
vom, heransaugend an sich ziehen und zu einem mächtigen, 
nach unten quer durch die Radtrommel ziehenden Strome 
vereinigen. Der schädigende Einfluss ungünstiger Winde 
und Luftströmungen dürfte sich wegen der den Segelrädern 
innewohnenden grossen Eigengeschwindigkeit nur wenig be- 
merklich machen, zumal auch die Fortbewegung soweit be¬ 
schleunigt werden kann, dass sie die Schnelligkeit der Eisen¬ 
bahnzüge weitaus übertrifft. 

Hochfahrten bis über die Wolkenregion, wie sie bei 
längeren Luftbailonreisen schon wegen der statischen Flug¬ 
methode dieser Fahrzeuge nothwendig und auch zum Behufe 
von meteorologischen Beobachtungen geboten sind, werden 
bei Segelradflugmaschinen kaum im Aussicht zu nehmen sein, 


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da es genügt, in massiger Höhe über der Erdoberfläche auf 
kürzester Luftlinie zum Reiseziel zu fliegen. 

Der östereichische Ingenieur- und Architektenverein lässt 
weitgehende Versuche und Proben vornehmen, nach deren 
Ergebniss die Brauchbarkeit und Tragweite der neuen Er¬ 
findung zu ermessen sein wird. 


458. Sitzung am 25. Mai 1894. 

Anwesend 26 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

General verwa mmlung. 

Herr Hofrath Dr. Meidinger liest einen Bericht über 
die Thätigkeit des Vereins im verflossenen Geschäftsjahr vor. 
Herr 0. Bartning berichtet über den Stand der Kasse des 
Vereins. 

Der Kassier regt an, die Rechnungführung über das 
unabhängige Vereinsvermögen und die über die Schenkung 
des früheren Vereins für wissenschaftliche Belehrung der 
Einfachheit halber im engeren Sinne zu vereinigen als es 
bisher geschehen ist. Am Abschluss jeder Jahresrechnung 
soll die Notiz beigefügt werden, dass 3 962 M. 78 Pf. als 
Vermögen oder Schenkung unantastbar sei. Im Uebrigen 
würde eine Trennung nicht gemacht. (S. Heft 7 S. XII und 
XIII). Der Vorstand spricht sich für eine derartige Behand¬ 
lung, welche das Wesen der Schenkung nicht berührt, nach¬ 
träglich besonders aus und wird darnach für die Folge hier¬ 
nach vom Kassier verfahren werden. (Mittheilung hiervon 
an den Verein in der 463. Sitzung.) 

Nach Erledigung des geschäftlichen Theils sprach Herr 
0. Ammon über Wachsthums- und Gestaltsverschieden¬ 
heiten des menschlichen Körpers mit Bezugnahme 
auf die Antike. Den Ausgangspunkt des Redners bildete 
eine in der Besprechung über seinen früheren Vortrag vom 
8. Dezember v. J. aufgeworfene besondere Frage, welche der 
Redner mittlerweile durch nähere Untersuchungen zu beant¬ 
worten versucht hatte. Der Vortrag wurde durch eine grosse 
Zahl von Wandtafeln erläutert, welche lebensgrosse mensch¬ 
liche Gestalten nach der Natur in verschiedenen Lebensaltern 
unter Hervorhebung ihrer Abweichungen von einander und 


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von den Formen antiker Statuen darstellten. Da ohne diese 
Tafeln der Gegenstand nicht verständlich gemacht werden 
kann, so muss die Berichterstattung unterbleiben. Nur das 
soll hervorgehoben werden, dass es auch jetzt noch besonders 
ausgebildete Gestalten gibt, welche den Formen der Antike 
wenigstens nahe kommen. Als Muster der letzteren hatte 
der Redner den Doryphoros von Polyklet gewählt, dessen 
Canon im Alterthum bis zu der Zeit Lysipps für massgebend 
galt. Der Redner wies darauf hin, dass die antiken Bild¬ 
hauer sich manchmal willkürliche Abweichungen von der 
Natur erlaubten, die theils aus Schönheitsrücksichten zu er¬ 
klären, theils aber als Versehen zu betrachten sind. In der 
Besprechung des Vortrages, an welcher §ich die Herren Pro¬ 
fessor Volz, Geh. Rath Dr. E. Wagner und Geheimer Hof¬ 
rath Dr. Wiener wiederholt betheiligten, wurde auf diese 
letzteren Punkte besonders eingegangen. Wir fassen hier 
das Vorgebrachte und die Erwiderung des Vortragenden zu¬ 
sammen. Antike Bildhauer haben manchmal Kinder und 
Jünglinge nach den Verhältnissen der Erwachsenen, nur in 
verkleinertem Massstabe, dargestellt, so die beiden Söhne des 
Laokoon, was bei näherer Betrachtung störend wirkt, denn 
die Köpfe erscheinen zu klein. Man könnte dieses Ver¬ 
fahren dadurch rechtfertigen wollen, dass die Gestalt des 
Vaters als Mittelpunkt des Ganzen desto mehr hervorgeboben 
werden sollte; aber die Methode der Assyrer und Aegypter 
wonach Könige und Heerführer in Bildwerken durch unver- 
hält.nissmässige Grösse ausgezeichnet wurden, ist doch zu 
kindlich, um für den Höhepunkt der hellenischen Kunst Gel¬ 
tung beanspruchen zu können. Ein anderer Verstoss liegt 
darin, dass z. B. in der Niobidengruppe des Skopas das 
jüngste Töchterchen, welches dem Beschauer die Rückseite 
darbietet, nicht bloss einen viel zu kleinen Kopf, sondern 
breite Hüften, wie eine erwachsene Jungfrau besitzt. Die 
breite Hüfte der Mädchen tritt jedoch in Wirklichkeit erst 
nach der Entwickelung hervor, bis dahin sind die Verschieden¬ 
heiten der äusseren Umrisslinien von Knaben und Mädchen 
so unbedeutend, dass sie nur durch genaue Messung, nicht 
durch das blosse Augenmass bemerkt werden können. In 
dem Falle der Niobetochter lässt sich nicht behaupten, dass 


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Schönheitsrücksichten bestimmend gewesen seien, denn die 
breite Rückseite des Kindes ist nichts weniger als wohl¬ 
gefällig, und Niemand wird bezweifeln, dass eine grössere 
Annäherung an die Wirklichkeit schöner gewirkt haben würde. 
Dass die Alten recht gut zu beurtheilen wussten, wie schlank 
unentwickelte weibliche Formen aussehen, beweist die spar¬ 
tanische Schnellläuferin in der Galleria dei candelabri im 
Vatikan. Ferner, führte der Vortragende aus, sei ein Mann 
mit so ausgebildeten Muskeln wie der Farnesische Herkules 
physiologisch unmöglich ohne die entsprechenden Verdauungs¬ 
organe zur Ernährung der gewaltigen Muskelmassen, mit 
andern Worten, der Herkules müsste einen vorstehenden, 
runden Bauch haben, wie ihn alle athletischen Champions 
besitzen. Hier habe der Künstler aus ästhetischen Rücksich¬ 
ten auf die physiologische Harmonie der Theile verzichtet. 
Die Antike biete viel Schönes und Erhabenes, müsser aber 
doch mit prüfendem Auge genossen und nicht bloss angestaunt 
werden, weil sie „klassisch“ sei. Gar Manches, was bewundert 
werde, halte die nähere Prüfung nicht aus, so der Apollo 
von Belvedere, der sogenannte O-Beine besitze und bei uns 
zur Kavallerie eingetheilt werden müsste. Selbst bei einer 
der berühmtesten Statuen, dem Hermes des Praxiteles, wollte 
der Vortragende eine ungerechtfertigte Abweichung von der 
Natur entdecken, indem beide Brustmuskeln ganz gleich stark 
hervortretend und gleich hoch stehend modellirt seien, während 
der rechte Arm erhoben ist und der linke herabhängt. Die 
verschiedene Stellung der Arme bedinge, dass der rechte 
Brustmuskel flach gezogen und höher stehend erscheinen 
müsse, als der linke, ähnlich wie bei einer vorgezeigten Akt- 
Photographie oder bei dem Giganten des pergamenischen 
Frieses, welcher in der Karlsruher Kunsthalle ganz in der 
Nähe des Hermes steht. Diese Abweichung könne ebenfalls 
nicht aus Schönheitsrücksichten erklärt werden, sondern wahr¬ 
scheinlich nur dadurch, dass Praxiteles, wie von Homer aus¬ 
gesagt werde, auch manchmal geschlafen habe. Es sei be¬ 
zeichnend für den Mangel an Verständniss der Natur, dass 
die bezeichnete Unregelmässigkeit bei einer so bekannten 
Statue, deren Büste durch Abgüsse in vielen Privathäusern 
verbreitet sei, gar nicht bemerkt, geschweige denn störend 


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empfunden werde. Hingegen sei beim Hermes das starke 
Herabsteigen der Schlüsselbeine nach der Mitte zu, wo sie 
fast unter einem rechten Winkel zusammenstossen, nicht als 
Fehler anzusehen, obwohl eine so starke Senkung in der 
Natur niemals beobachtet werde. Hier habe der Künstler 
mit Bewusstsein und auf sinnreiche Weise einen ästhetischen 
Zweck verfolgt: den unschönen leeren Raum zwischen den 
Schultern und dem Haupte zu verkleinern, ohne den Hals zu 
kurz zu machen. Die Besprechung erstreckte sich auch auf 
die Formen ägyptischer Statuen, die sich durch schmale 
Hüften auszeichnen. Hierbei kommt, wie allseitig überein¬ 
stimmend ausgesprochen wurde, die Eigenthümlichkeit der 
ägyptischen Rasse in Betracht. Alle farbigen Rassen sind 
in bemerkenswerther Weise schlankhüftig, und die weiblichen 
Gestalten weichen von den männlichen weniger ab, als bei 
den weissen Rassen. Die übertriebene Schlankhüftigkeit ist 
daher vom Standpunkt der Träger der höheren Kultur nicht 
als Schönheitsideal anzuerkennen und die Ausprägung der 
Unterschiede in der Gestalt beider Geschlechter ist ein mit 
der höheren Entwickelung fortschreitendes Merkmal. 

Herr Geheime Hofrath Wiener machte, im Anschluss an 
einen früheren Vortrag des Herrn 0. Ammon, einige Mitthei¬ 
lungen über die Standesherkunft bedeutender Männer, 
hier Mathematiker, die er gelegentlich gesammelt hatte. Er 
unterschied die Herkunft aus höherem, mittlerem und nie¬ 
derem Stande. Aus höherem Stande rühren her: der Mathe¬ 
matiker und Philosoph Descartes (1596—1650), der aus einer 
französischen altadeligen Familie entstammt; mehrere Mathe¬ 
matiker Bernoulli (17. und 18. Jahrhundert) aus einer be¬ 
rühmten Kaufmannsfamilie in Basel. Aus dem mittleren 
Stande: Lagrange (1736—1813, der Vater französischer 
Kriegsschatzmeister), Newton (1643—1727, der Vater Guts¬ 
besitzer mit bescheidenen Mitteln in der Grafschaft Lincoln), 
Kepler (1571—1630, der Vater Bürgermeister in Magstadt 
in Württemberg), der Mathematiker und Philosoph Leibnitz 
(1646 — 1716, der Vater Aktuarius der Universität Leipzig), 
Euler (1707—1783, der Vater kalvinistischer Seelsorger in 
Basel). Aus dem niederen Stande: Monge (1746—1818, der 
Vater bescheidener Handelsmann in Beaune in Nordfrank- 


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reich), Steiner (1796—1863, der Vater bescheidener Land- 
wirth im Kanton Bern), Gauss (1777—1855, der Vater wenig 
bemittelter Wasserkunstmeister in Braunschweig). Wenn 
man die Familie Bernoulli nur für eine Person rechnet, so 
gehören den verschiedenen Ständen 2, 5, 3 an. Da in unseren 
Fällen von einem Rassenunterschied der verschiedenen Stände 
kaum die Rede sein kann, so kommen bei der Erzeugung 
der Männer nur die Standesunterschiede in Betracht. Ob¬ 
gleich die wenigen hier gegebenen Zahlen zu einem allge¬ 
meinen Schlüsse nicht berechtigen, so dürften sie doch schon 
einen gewissen Anhalt gewähren. Vielleicht stehen die zwei 
ersten Zahlen 2 und 5 nicht ganz ausser Verhältnis der 
Zahl der Mitglieder der Stände. Der niederste Stand mit 
der Zahl 3 hat aber offenbar die meisten Mitglieder. Dass 
nun dieser Stand eine verhältnissmässig weit geringere An¬ 
zahl bedeutender Männer liefert, ist sehr leicht erklärlich 
1. aus den geringeren Mitteln, die zu einer höheren Aus¬ 
bildung zur Verfügung stehen, 2. aus der geringeren An¬ 
regung zu höherer geistiger Beschäftigung, <}. aus dem Um¬ 
stande, dass in den höheren Ständen schon in den Eltern 
durch das oft nothwendig gewesene erfolgreiche eigene Auf¬ 
wärtsringen eine höhere Befähigung vorhanden ist, die sich 
dann auf den Sohn vererbt. 


459. Sitzung am 8. Juni 1894. 

Anwesend 29 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Dr. K. Gut mann, Arzt ucd 
Professor M. Wacker an der Realschule. 

Herr Geheime Hofrath Dr. Wiener macht im Anschluss 
an die Verhandlungen in der vorhergehenden Sitzung eine 
Bemerkung über die Wahrheit in der Kunst. Das Ziel 
aller Thätigkit des Menschen ist Beglückung des Handeln¬ 
den. Selbstsüchtig ist derjenige, welcher sein Glück ohne 
Rücksicht oder gar auf Kosten des Glückes Anderer sucht, 
sittlich derjenige, welcher diese Rücksicht nimmt und ein 
eigenes Glück in der Beglückung Anderer findet. Auch die 
Wissenschaft und Kunst unterliegen dem Gesetze der Be¬ 
glückung; die Wissenschaft müsste unterdrückt werden, 

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wenn sie der Menschheit zum Unsegen gereichte. Dies ist 
aber widersinnig, denn die Erkenntniss der Wahrheit lehrt 
Folgen vorausseben und gewährt Mittel, die gesetzten Ziele 
sicherer zu erreichen. Es ist ein Irrthum und unerreichbar, 
wenn eine Regierung die ganze Erkenntniss für sich allein 
in Anspruch nehmen wollte und die unwissenden Unter¬ 
gebenen leichter, vielleicht mit dem Ziele ihres Wohles, zu 
regieren glaubte. Meist ist ein Streben, die Wissenschaft 
zu unterdrücken, auf die Ausbeutung der Regierten gerichtet. 
Die Wissenschaft für sich hat aber als einziges Ziel die Er¬ 
forschung der Wahrheit, deren Kennzeichen ausschliesslich 
die Widerspruchsiosigkeit ist, und nicht die Nützlichkeit 
einer Lehre, wie selbst grosse Denker, so Kant, meinten; 
einer Nützlichkeit, die, wenn sie der Widerspruchsiosigkeit 
entgegensteht, nur eine irrthümliche sein kann. Auch die 
Kunst hat das Ziel zu beglücken, sowohl den Künstler als 
die anderen Geniessenden des Kunstwerks, wobei beide Ziele 
sich meist unmittelbar decken, und wobei meist auch die 
Beglückung des, Künstlers durch die der Anderen bedingt 
ist. Dass im Allgemeinen die Wahrheit die erste Bedingung 
für die Wirkung bildet, ist selbstverständlich. Wenn der 
Künstler eine menschliche Leidenschaft darstellen, also den 
Beschauer zum Bewusstsein und zum Nachempfinden der¬ 
selben oder zum Empfinden ihrer Wirkung bringen will, so 
muss er den Menschen mit den Mienen und Geberden dar¬ 
stellen, welche jene Leidenschaft herbeiführt. Die Streitfrage 
bezieht sich blor darauf, ob kleine Abweichungen von der 
Wahrheit erlaubt oder zur Steigerung der Wirkung geboten 
sind. Da handelt es sich zunächst um Abweichungen, die 
auf Unkenntniss beruhen. Wenn Giotto (1276—1336) durch 
seine Gemälde eine so grosse Wirkung auf seine Zeitgenossen 
hervorbrachte, obgleich er bedeutende Fehler gegen die Per¬ 
spektive beging, so leuchtet es ein, dass diese Fehler der 
Wirkung nicht schadeten, weil die Perspektive damals über¬ 
haupt nicht bekannt war; jetzt machen die Bilder in dieser 
Richtung den Eindruck der Kindlichkeit. Viele Maler halten 
aber jetzt noch manche Abweichungen von der Perspektive 
für geboten, wenn dadurch etwa eine wohlthätigere Massen- 
vertheilung herbeigeführt werde, während andere Künstler 


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dem widersprechen, indem sie dies Mittel für nicht nothwen- 
dig erklären. So hat Paul Veronese (1528—1588) in seiner 
.Hochzeit von Kana“ sieben verschiedene Augenpunkte und 
fünf verschiedene Horizonte angewendet. Aber man muss dies 
für ein Spielen mit der ihm bekannten Perspektive erklären; 
denn der Maler Bossuet, Professor an der Akademie der 
schönen Künste in Brüssel, hat das Bild perspektivisch rich¬ 
tig nachkonstruirt, derart, dass die Massenvertheilung im 
Wesentlichen dieselbe blieb (1871). Wenn aufgerollte Schrift¬ 
rollen gewöhnlich mit einer krummen Umrisslinie dargestellt 
werden, so verletzt dies das Auge jeden Kenners, da dieser 
Umriss nur geradlinig sein kann; mag der Künstler den 
Formenreichthum in die Schnittgrenzen legen. Die früher 
bei der Erörterung erwähnte symmetrische Gestaltung der 
beiden Brustmuskeln des Hermes des Praxiteles, dessen einer 
Arm emporgehoben ist. während der andere herabhängt, hat 
den Sprechenden bisher nicht gestört; jetzt, nachdem er dar¬ 
auf aufmerksam gemacht ist, dass der Brustmuskel beim 
erhobenen Arm gestreckt und flacher sein muss, würde es 
ihn stören, und er hat bei anderen Kunstwerken auch diese 
Verschiedenheit der Muskeln beachtet gefundeu. Somit 
findet man, dass eine wachsende allgemeine Einsicht auch 
eine vergrösserte Annäherung an die Wahrheit erfordert. 
Desswegen sind aber doch gewisse Abweichungen gerecht¬ 
fertigt. Die vollrunde Darstellung der Köpfe im Vorder¬ 
gründe einer Reliefperspektive ist geometrisch unrichtig; der 
Kopf müsste nach den geometrischen Regeln abgeflacht sein. 
Aber dann wären die wahren Beleuchtungsverhältnisse nicht 
erreicht, der Kopf würde auch flach, also falsch erscheinen. 
Desswegen bilden alle Künstler diese Köpfe vollrund; sie be¬ 
gehen dabei nicht einmal einen Fehler gegen die Wahrheit, 
sondern nur eine Abweichung von den ausschliesslich geo¬ 
metrischen Gesetzen. Wenn, wie früher erwähnt, dem Körper 
des farnesischen Herkules die zur Ernährung der gewaltigen 
Muskeln nothwendigen grossen Verdauungsorgane, wie sie 
die Athleten wirklich besitzen, nicht gegeben wurden, so 
kann man dies nur billigen. Denn diese weisen auf die rein 
körperliche Entwickelung im Gegensatz zur geistigen hin. 
Ebenso ist es gerechtfertigt, wenn der Körper der Niobe 

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jungfräulicher gebildet wurde, als es der Mutter von 14 
Kindern zukommt. Es sind dies nur Weglassungen von 
Mängeln. Gewisse Uebertreibungen und Steigerungen der 
Gegensätze sind wohl den bildenden Künstlern, sowie den 
Schauspielern erlaubt, um den beabsichtigten Eindruck um 
so sicherer hervorzubringen. Die richtigen Grenzen zu finden, 
ist Sache des feinen Empfindens des Künstlers. 

Herr Dr. Ristenpart sprach Uber einige der neueren 
Entdeckungen der grossen Lick-Sternwarte in Kali¬ 
fornien. Zunächst wurde die erst kürzlich bekannt gewordene 
Entdeckung eines Kometen auf den Negativen, welche Pro¬ 
fessor Schaeberle während der totalen Sonnenfinsterniss vom 
16. April 1893 von der Sonnenkorona erhalten hatte, erwähnt 
und darauf hingewiesen, dass dieser Komet, der weder vor, 
noch nach seiner Sonnennähe direkt gesehen worden ist, ganz 
unbemerkt vorübergezogen wäre, wenn nicht zufällig an 
jenem Tage, wo er die Sonnenkorona passirte, der Mond die 
Sonne abgeblendet hätte. Von den Entdeckungen, die mit 
dem grossen Lick-Fernrohr selbst erhalten sind, wurde zu¬ 
erst die des 5. Jupitermondes durch Barnard besprochen. 
Die ausserordentliche Kleinheit dieses Satelliten gegenüber 
den vier schon lange bekannten hat zu der Vermuthung 
Anlass gegeben, als könne dieser Mond dem Jupiter-System 
nicht von Anfang an angehört haben, sondern sei ein Fremd¬ 
ling, ein Ueberrest eines dem Jupiter sehr nahe gekommenen 
Kometen. Diese Ansicht ist jedoch aus verschiedenen Grün¬ 
den sehr unwahrscheinlich, namentlich weil zwischen den 
Umlaufszeiten des 4. und 5. Mondes das einfache Verhält- 
niss 2:67 genau besteht, welches nur die Folge lange wir¬ 
kender gegenseitiger Beziehung sein kann. Das grosse Lick- 
Fernrohr hat auch zum ersten Male Oberflächenbeobachtungen 
auf den vier älteren Jupitermonden ermöglicht. Der erste 
zeigt eine helle äquatoriale Zone und dunkle Pole, wodurch 
er beim Vorübergang über die Scheibe des Jupiters bisweilen 
doppelt erscheint, indem sich das äquatoriale Band mit dem 
hellen Untergrund der Planetenscheibe vermischt und die 
beiden dunkeln Polkappen scheinbar getrennt neben einander 
herwandern. Auf dem 3. Mond wurden dunkle und hellere 
Partien, ähnlich wie auf dem unserigen, entdeckt, die binnen 


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Kurzem erlauben werden, die Umdrehungszeit dieses Mondes 
um seine Axe zu bestimmen. Endlich sind durch das Lick* 
Fernrohr auch die wahren Durchmesser einiger der grössten 
Planetoiden bekannt geworden, welche in kleineren Tele¬ 
skopen keine messbare Scheibe zeigen, sondern nur als Punkte 
erscheinen. Dieselben sind für Ceres 960, für Pallas 437, 
für Vesta 379 Kilometer. 

An den Vortrag schloss sich eine ziemlich lebhafte 
Debatte an, welche sich namentlich um die Möglichkeit der 
Konstruktion noch grösserer Fernrohre, sowie um die Frage 
drehte, wieso Kometen, die eine so ausserordentlich feine 
Matevie besitzen müssen, doch ohne Widerstand zu erfahren 
die Sonnenkorona passiren können, welche doch hauptsächlich 
aus Wasserstoff besteht und somit hemmend wirken müsste. 


460. Sitzung am 22. Juni 1894. 

Anwesend 15 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Auf Antrag des Vorstandes ertheilt die Versammlung 
die Genehmigung, dass der anthropologischen Kommission 
des Alterthumsvereins, ihrem Gesuch vom 7. Juni entsprechend, 
auch für das laufende Jahr eine Zuwendung von 200 M. zur 
Fortsetzung der begonnenen Untersuchungen gemacht werde. 

Herr Dr. Behrens hielt einen Vortrag über Joseph 
Gottlieb Kölreuter, ein Karlsruher Botaniker des 
lb. Jahrhunderts. Eine ausführliche Behandlung des Ge¬ 
genstandes befindet sich unter den Abhandlungen im zweiten 
Theile. 

Im Anschluss an diesen Vortrag zeigte Herr Apotheker 
Baur einige nach Kölreuter’s Namen bezeichnete Pflanzen 
vor: Kölreutera paniculata und Kölreutera (jetzt Funaria) 
hygrometrica. 

Auf Anregung von Herrn 0. Ammon entspinnt sich eine 
längere Diskussion über Bastarde im Pflanzenreiche (die 
Kölreuter zuerst erzeugt hatte) und im Thierreiche, an der 
sich die Herren Behrens und Gräbener noch besonders be¬ 
theiligten. 

Herr Hofrath Dr. Meidinger stellt in Aussicht einen Vor¬ 
trag über Durchsichtigkeit der Luft im Hinblick auf Fern- 


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sichten, als Einleitung zu einer Diskussion über den Gegen* 
stand auf Grund der besondern Beobachtungen und Erfah¬ 
rungen der Mitglieder des Vereins. 

Am 26. Juni fand in der städtischen Ausstellungshalle, 
wo gelegentlich der vom 19. bis 21. Juni dahier tagenden 34. 
Jahresversammlung des Deutschen Vereins von Gas- und 
Wasserfachmännern eine Ausstellung von Gas- und Wasser¬ 
apparaten veranstaltet worden war, unter Führung des Herrn 
Direktor Reichard eine Besichtigung der ausgestellten Ge¬ 
genstände durch die Vereinsmitglieder mit ihren Damen statt. 
Bei letzteren erregten namentlich die zahlreich in den ver¬ 
schiedensten Formen vorgeführten GaskochapparaXe hohes 
Interesse; die Speisen wurden vor den Augen der Anwesen¬ 
den darauf zubereitet und dann im Restaurationslokale zur 
Kost derselben dargeboten. 


461. Sitzung am 6. Juli 1894. 

Anwesend 46 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Im physikalischen Hörsaale der Technischen Hochschule. 

Herr Direktor Treutlein macht eine Mittheilung im An¬ 
schluss an den neulichen Vortrag des Herrn Dr. Behrens 
über den Karlsruher Botaniker Koelreuter (1733 bis 
1806). Dieser hatte u. A. auch Antheil an einem grossen 
botanischen Kupferwerk, das die Markgräfin Karoline Luise 
herausgeben wollte (1774), dessen weiteres Schicksal aber 
unbekannt geblieben. Der Vortragende hatte nun das Glück, 
durch die Beihilfe des Herrn Oberbibliothekars Dr. Brambach 
von jenem Werke, das auf wohl 10 000 Blatt Abbildungen 
geplant war, etwa 500 vor der Schrift gewonnene Probe¬ 
abzüge aufzufinden. Von diesen wurden Proben vorgelegt, 
zugleich auch handschriftliche Aufzeichnungen, aus denen 
über die Vergütungen Aufschluss genommen werden kann, 
welche der aus Toulouse stammende Kupferstecher Gautier 
d'Agoti für die Fertigstellung der Platten erhielt. Zum Ver¬ 
gleich wurden auch in Farben angelegte botanische Tafeln 
aus dem Jahre 1768 vorgezeigt, und es wurden die Gründe 
kurz erwähnt, welche in damaliger Zeit zur Herausgabe 


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neuer botanischer Abbildungswerke führten. Auch Handzeich¬ 
nungen konnten vorgelegt werden, welche vermuthlich als 
Originale des Karlsruher Kupferwerkes dienten und vielleicht 
von der Frau Markgräfin selbst gefertigt sind. Der Vor¬ 
tragende behielt sich weitere Mittheilungen über diesen Ge¬ 
genstand vor, wenn seine bezüglichen Nachforschungen zu 
neuen Ergebnissen führen sollten. 

Herr Hofrath Dr. Lehmann demonstrirte sodann eine 
magische Kerze, welche sich gegen das Aufsetzen eines 
Löschhorns sehr widerspenstig zeigte. Die Wirkung beruhte 
auf der zuerst vonEliha Thomson aufgefundenen sogenannten 
elektroinduktiven Abstossung, welche zwischen einer von 
Wechselströmen durchflossenen Elektromagnetspule und einem 
über den Einsenkern geschobenen Metallring auftritt, da die 
in letzterem induzirten Wechselströme nahezu um 180° in 
ihrer Phase gegen den Primärstrom verschoben, d. h. in 
jedem Momente dem Primärstrom entgegengesetzt gerichtet 
sind und somit abgestossen werden müssen. Die auffallende 
Grösse der Abstossungskraft wurde sodann an einem ein¬ 
fachen Transformatormodell nach V. v. Lang demonstrirt. 
Serviettenringe aus Aluminium oder Kupfer wurden beim 
Schliessen des Stromes mehrere Meter hoch emporgeschleudert, 
selbst mehrere gleichzeitig. Ein grösserer Kupferzylinder 
konnte je nach der Stärke des Stromes in verschiedener 
Höhe schwebend erhalten werden. Ein schwebender Ring 
wurde durch einen zweiten angezogeu. Dass die Induktions¬ 
ströme Ursache der Abstossung sind, wurde mit einer auf 
den Eisenkern geschobenen Sekundärspule nachgewiesen. 
Dieselbe blieb unbeweglich, so lange ihre Enden nicht mit 
einander verbunden waren, wurde aber kräftig emporgeschleu¬ 
dert, sobald man die Enden in Kontakt brachte. Die Inten¬ 
sität des dabei auftretenden Induktionsstromes wurde demon¬ 
strirt durch Erzeugung von Funken auf einer Feile, Speisung 
von acht Stück parallel oder hintereinander geschalteten 16- 
NK-Glühlampen, welche zu hellem Leuchten gebracht wurden, 
Treiben eines kleinen Elektromotors und einer Anzahl parallel 
geschalteter Klingeln. Dass diese letzteren für Gleichstrom 
bestimmten Apparate auch durch Wechselstrom betrieben 
werden konnten, wurde näher erläutert, indem gezeigt wurde, 


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dass der von Wechselstrom umflossene Eisenkern in hohem 
Masse die Eigenschaft hatte, weiches Eisen (speziell Feil- 
spähne) anzuziehen. 

Die zweite Mittbeilung des Herrn Hofrath Lehmann be* 
zog sich auf die Erscheinungen beim Durchgang elek¬ 
trischer Ströme durch nicht-metallische Flüssig¬ 
keiten, insbesondere eine neu aufgefundene Erscheinung, 
die elektrische Diffusion. Zunächst wurde mittelst eines 
elektrischen Projektionsmikroskops das Wachsen und Auf¬ 
lösen von Zinnkrystallen beim Durchgang des Stromes durch 
eine Zinnchlorürlösung demonstrirt, sodann das Auftreten der 
rothen Färbung am negativen Pol bei der für sogenannte 
Polsucher benützten Flüssigkeit, die Ausscheidung von Anilin¬ 
schwarz-Dendriten bei Elektrolyse von salzsaurem Anilin uud 
die elektrische Diffusion bei Lösungen von Anilinviolett, Eosin, 
Kongoroth, Tropäolin, Bordeauxroth und flüssiger Tusche. 
Das Wesen der elektrischen Diffusion, welche sich durch 
Auftreten anders gefärbter, sich rasch ausbreitender Höfe 
um die Elektroden und verschiedene andere Erscheinungen 
(vergl. Zeitschrift für physikalische Chemie XIV; 301, 1894) 
kundgibt, bestehe wahrscheinlich darin, dass die an den 
Elektroden auftretenden Zersetzungsprodukte nicht zur Aus¬ 
scheidung gelangen, sondern indem sie die Elektrisirung der 
Elektroden annehmen, von diesen abgestossen werden und 
dem Spannungsgefälle in der Lösung folgend auf ein¬ 
ander zu wandern. Zum Schluss wurde gezeigt, dass ausser 
der elektrischen Diffusion noch eine andere Wirkung bei 
Anwendung sehr hoher Spannung auftreten kann, die soge¬ 
nannte elektrische Konvektion, welche darin besteht, dass 
nicht nur in der Flüssigkeit gelöste Moleküle, sondern die 
Flüssigkeit als solche von den Elektroden abgestossen wird 
und sich mit zahllosen Wirbeln erfüllt, was eingelagerte Farb¬ 
stoffpartikelchen erkennen hassen. Speziell wurden diese 
Strömungen, sowie die Anordnung der Farbstoffpartikel¬ 
chen zu Kraftlinien und die Anhäufung derselben an einem 
Pol demonstrirt bei Tusche, Berlinerblau und Floreutiner- 
lack in Acetal, bei Spannungen zwischen etwa 1000 und 
10 000 Volt. 


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462. Sitzung am 20. Juli 1894. 

Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Dr. E. Lembke, Arzt, und 
Professor Dr. Brauns an der Technischen Hochschule. 

Herr Dr. Ristenpart hielt einen Vortrag über die 
Schwankungen der Polhöhe und die Konstante der 
Lichtgeschwindigkeit nach den Beobachtungen der Grossh. 
Sternwarte. 

In den Jahren 1888—89 entdeckten fast gleichzeitig 
Küstner in Berlin und Chandler in Cambridge (Massa- 
chussets) in längeren Beobachtungsreihen der geographischen 
Breite eine deutlich ausgesprochene Veränderung derselben, 
an die man niemals hatte glauben wollen, wenngleich einzelne 
Andeutungen einer solchen auf Lageänderung der Erdachse 
im Innern des Erdkörpers zurückzuführende Schwankung 
auch früher schon bemerkt worden waren. Nachdem in den 
Jahren 1891 bis 1892 durch gleichzeitige Beobachtungen in 
Berlin, Prag, Strassburg einerseits und Honolulu, welches 
etwa 12 Stunden in Länge von den ersten drei Beobachtungs¬ 
orten entfernt liegt, andererseits nachgewiesen war, dass man 
es thatsächlich mit Lageverschiebungen der Rotationsachse 
zu thun hatte, stellte sich die Nothwendigkeit heraus, die 
geographische Breite fortwährend zu bestimmen und unter 
den wenigen Sternwarten, welche sich dieser Aufgabe zu 
unterziehen bereit waren, befand sich auch die hiesige. Sie 
wählte eine — von Küstner vorgeschlagene — Methode der 
Beobachtung, welche ausser den Veränderungen der Polhöhe 
auch die astronomisch wichtige Konstante der Aberration am 
günstigsten zu bestimmen erlaubt, die aber andererseits dem 
Beobachter erhöhte Anstrengungen zumuthet, da die Beob¬ 
achtung bis zur Morgendämmerung auszudehnen ist, auch 
günstiges Wetter, nämlich Klarheit des Himmels während der 
ganzen Nacht verlangt wird. Es hat daher nur noch eine 
Sternwarte — Bamberg — sich zu diesem Programm ent¬ 
schlossen, welche aber nicht vom Wetter begünstigt wurde. 
Im Ganzen wurden hier von März 1892 bis jetzt etwa 
36 000 Einzelmessungen in 262 Beobachtungsnächten erlangt. 
Sie zeigen, dass die geographische Breite des Pfeilers, auf 


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welchem das Passageninstrument in der Sternwarte steht, am 
grössten war mit 49° 0,29.*60 am 5. November 1892, dann 
abnahm bis auf 29'03 am 3. Juli 1893, wieder wuchs bis 
auf 29?53 am 25. Dezember 1893 und seitdem von Neuem 
im Abnehmen begriffen ist — Juni 14. war sie 29*23. In 
Linearmass bedeutet das, dass der Nordpol der Erde seinen 
Abstand von Karlsruhe in dieser Zeit periodisch um 17 Meter 
geändert hat, da eine Bogensekunde 30.9 Metern auf der 
Erdoberfläche entspricht. Chandler hat für die Breitenände¬ 
rungen zwei Formeln aufgestellt, die aber beide von den 
hiesigen (und gleichzeitigen Strassburger) Beobachtungen 
nicht bestätigt wurden. Die Ursache dieser Wanderungen 
der Erdachse im Innern der Erde liegt daran, dass die Um¬ 
drehungsachse nicht mit der Trägheitsachse zusammenfällt, 
infolge dessen muss sie nach theoretischen Untersuchungen, 
die schon Euler anstellte, sich fortwährend um diese be¬ 
wegen, in einer Zeit von 306 Tagen, wenn die Erde ein 
starrer Körper ist. Die Umlaufszeit ist aber, wie die Be¬ 
obachtungen zeigen, viel grösser, gegenwärtig etwa 400 Tage, 
was also auf die Elastizität des Erdkörpers — die beweg¬ 
lichen Wassermassen der Ozeane und die feuerflüssigen 
Massen im Innern zurückzuführen ist. Die Lichtgeschwin¬ 
digkeit ergab sich aus der bisherigen Aberrationskonstante 
unter der Voraussetzung, dass die Erde von der Sonne einen 
scheinbaren Durchmesser von 17f60 hat, zu 300 590 Kilo¬ 
meter, während die Physik dafür nur 299 890 Kilometer 
findet. Die bisherigen hiesigen Beobachtungen liefern eine 
Aberrationskonstante, welche in gleicher Weise umgesetzt auf 
300 034 Kilometer führt, also bedeutend näher an dem 
physikalischen Werth. Indessen ist die Reduktion der Karls¬ 
ruher Messungen noch keine endgiltige, weil zur genauen 
Bestimmung der Oerter der benutzen Fixsterne hier die in- 
strumentellen Hilfsmittel fehlen; dieselbe wird von auswärtigen 
Sternwarten hoffentlich freundlichst übernommen werden. 
An der Diskussion, welche hauptsächlich die Ursache der 
Polhöhenschwankung erörterte, betheiligten sich die Herren 
Professoren Haid, Brauer, Platz, Geh. Hofrath Wiener, 0. 
Ammon und Dr. Mie. 


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463. Sitzung am 26. Oktober 1894. 

Anwesend 42 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Dr. med. R. Doll hielt einen Vortrag über die 
Immunität; derselbe ist unter den Abhandlungen abge¬ 
druckt. Es knüpfte sich daran eine Diskussion mit den 
Herren 0. Ammon, Dr. Wilser und Geh. Hofrath Wiener. 

464. Sitzung am 9. November 1894. 

Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. Jos. Jourdan, Arzt. 

Herr Dr. M. Doll, welcher in den letzten Jahren wieder¬ 
holt Gelegenheit hatte, das optische Institut in Jena persön¬ 
lich keimen zu lernen, machte über dieses hochbedeutsame 
und in seiner Art einzig dastehende Unternehmen auf dem 
Gebiete der praktischen Optik einige Mittheilungen. Die 
optische Werkstätte von Karl Zeiss in Jena wurde 
1846 von dem 1888 verstorbenen Mechaniker Dr. Karl 
Zeiss (geb. zu Weimar 1810) gegründet. Im Jahr 1866 
setzte sich dieser in Verbindung mit dem damaligen Uni- 
versitäts-Docenten, späteren Professor Dr. Ernst Abbe, der 
sich von dieser Zeit an ununterbrochen bis heute der wissen¬ 
schaftlichen Leitung des Betriebes widmete. Nach dem Tode 
des Gründers und dem bald nachher erfolgten Ausscheiden 
seines Sohnes, Dr. R. Zeiss, aus der Firma, ging deren 
Vertretung an Professor Abbe allein über. Hervorgegangen 
aus kleinen Anfängen, ist die Zeiss’sche Anstalt gegenwärtig 
das grösste, den Bau rein wissenschaftlicher Instrumente be¬ 
treibende Unternehmen in- und ausserhalb Deutschlands. 
Die Vergrösserung und Vervollkommnung des mechanischen 
und optischen Betriebs veranlasste im Jahr 1880 den Ankauf 
eines 80 Ar grossen Grundstücks, auf dem für die Zwecke 
der Anstalt Neubauten entstunden und in mustergiltiger 
Weise eingerichtet sind (u. A. elektrischer Kraft- und Licht¬ 
betrieb). Neben einem Personal von über 20 wissenschaft¬ 
lichen, technischen und kaufmännischen Beamten für die 
Leitung des Betriebs beziffert sich jetzt die Zahl der Arbeiter 
auf 450, wozu noch etwa 20 Arbeiter von dem Glaswerk 
kommen. Letzteres, eine Tochter der optischen Werkstätte, 


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ist ebenfalls eine Schöpfung von Professor Abbe, lediglich 
hervorgegangen aas dem Bedürfniss nach besserem optischen 
Glase, als das bis dahin vorhandene war. Seit dem Tode 
Fraunhofer’s (1826) bat die Glastcchnik keine nennens¬ 
werten Erfolge in 'der Vervollkommnung optischen Glases 
za verzeichnen gehabt. Auf Anregung von Abbe und unter 
dessen Beihilfe hat Dr. Otto Schott im Jahr 1881 die 
Herstellung neuer Glasflüsse in Angriff genommen und zu 
dem Ende sich die Aufgabe gestellt, den Einfluss aller in 
Frage kommenden Elemente auf das optische Verhalten 
(Brechung und Dispersion) des Glases kennen zu lernen. 
Bis zum Jahr 1883 waren diese langwierigen Untersuchungen 
zum befriedigenden Abschluss gekommen, so dass nun mit 
der Anlage des eigentlichen Glaswerks „Glastecbnisches 
Laboratorium Schott und Genossen“ und der fabri- 
kationsmässigen Herstellung optischen Glases begonnen werden 
konnte. Auch diese Anlage hat sich in der relativ kurzen 
Zeit ihres Bestehens stark vergrössert. Gegenwärtig werden 
jährlich 200 grosse Häfen optischen Glases geschmolzen, da¬ 
neben noch eine Anzahl kleiner Häfen von Spezial-Glas. In 
den letzten Jahren hat das Glaswerk auch die Herstellung 
von Thermometer-Glas und sogenanntem Verband-Glas in An¬ 
griff genommen. Letzteres dient hauptsächlich für chemische 
Zwecke und zeichnet sich durch hohe Widerstandsfähigkeit 
gegen relativ grosse und plötzliche Temperatur-Veränderungen 
aus. Die Untersuchung des für optische Zwecke bestimmten 
Glases (Bestimmung von Brechung und Dispersion) geschieht 
durch einen Angestellten der Werkstätte Dr. P. Riedel. 

Wie für beste Arbeitsleistung sorgen die Zeiss'sche An¬ 
stalt und das Glaswerk in höchst anerkennenswerther Weise 
auch für die Wohlfahrt ihrer Arbeiter und Beamten, für 
welche und deren Angehörige die Besitzer der beiden Ge¬ 
schäfte 1888 eine Pensionskasse aus eigenen Mitteln gegründet 
haben. Dieselbe gewährt, gedeckt durch Kapitalfonds, ohne 
Beitragsleistung allen Beamten und Arbeitern beider 
Anstalten vom 5. Jahre ihrer Dienstzeit ab eine Invaliden- 
und Alterspension von 50—75°/ 0 des je nach der Dienst¬ 
zeit pensionsfähig werdenden Lohnes oder Gehaltes, und 
bietet den hinterlassenen Wittwen und Kindern eine 


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Rente von 40 # / 0 , bezw. 20 °/ 0 der Pension des Verstorbenen. 
Professor Abbe ging aber noch weiter, indem er im Jahr 
1891, um die Sicherung und Fortentwickelung des optischen 
Instituts unabhängig zu machen von Privatinteressen, das¬ 
selbe an die 1889 von ihm begründete Karl Zeiss-Stif- 
tung überführte, welche, als juristische Person, vertreten 
durch das Kultusdepartement des weimarschen Staatsministe¬ 
riums, seitdem alleinige Inhaberin der Zeiss’schen Werkstätte 
und Mitinhaberin des Glaswerks geworden ist. Namens der 
Stiftung wird die Firma Karl Zeiss nunmehr unter Mit¬ 
wirkung eines Regierungskommissärs von Professor Abbe 
im Verein mit Dr. S. Czapski und Dr. 0. Schott geleitet. 

Bis zum Jahr 1890 war die Thätigkeit der Jenaer 
Werkstätte fast ausschliesslich auf die Mikroskop-Optik be¬ 
schränkt. Wie bahnbrechend die Werkstätte auf diesem 
Arbeitsgebiet dank der eingehenden theoretischen und experi¬ 
mentellen Untersuchungen von Abbe gewirkt hat, dürfte 
selbst den weitesten Kreisen bekannt sein. Seit dem Jahr 
1890 hat die Firma sich aber auch mit dem Bau von anderen 
optischen Instrumenten befasst. In erster Linie ist hier zu 
nennen die Anfertigung photographischer Objektive. Die¬ 
selben werden in einer besonderen Betriebsabtheilung her¬ 
gestellt, welche der wissenschaftlichen Leitung von Dr. P. 
Rudolph unterstellt ist. Von diesem rühren auch die Be¬ 
rechnungen der rühmlichst bekannt gewordenen Zeiss’schen 
Anastigmate her. Die Nachfrage nach diesen Objektiven ist 
von Anfang an eine so grosse gewesen, dass die Firma sich 
veranlasst gesehen hat, sich mit einer Reihe in- und auslän¬ 
discher Fabrikanten zu verbinden, um den Bedarf zu decken. 
Die Zahl der in der Werkstätte allein in den letzten 4 Jahren 
hergestellten Objektive beziffert sich schon über 10 000. 

Eine dritte, ebenfalls von den beiden übrigen Abthei¬ 
lungen abgetrennte Betriebsabtheilung befasst sich mit der 
Herstellung von optischen und mechanischen Messinstrumen¬ 
ten, die sowohl für wissenschaftliche und technische Unter¬ 
suchungen als auch namentlich für Zwecke des wissenschaft¬ 
lichen Unterrichts in dem physikalischen Laboratorium be¬ 
stimmt sind. Als wissenschaftlicher Leiter dieser Abtheilung 
ist der Privatdozent für Physik an der Universität Bonn Dr. 


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C. Pulfricb nach Jena berufen worden. In diesem Jahre 
hat die Firma mit der Konstruktion und Einführung neuer 
eigenartiger Doppelfernrohre begonnen. Der Vor¬ 
tragende erläuterte an der Hand schematischer Zeichnungen 
und durch Vorzeigen mehrerer Exemplare dieser Doppelfern¬ 
rohre deren Einrichtung und Wirkungsweise. Die Objektive 
stehen bei allen weiter auseinander als die Okulare, bei 
einigen ist der Abstand der Objektive der sechs- bis acht¬ 
fache des natürlichen Augenabstandes. In Folge der dadurch 
vergrösserten parallaktischen Differenz der Einzelbilder erhöht 
sich ganz beträchtlich die Wahrnehmbarkeit der Tiefe ent¬ 
fernter Gegenstände (die Wirkung nimmt zu in dem Ver¬ 
hältnis des Produkts der Vergrösserungszahl in den Abstand 
der Objektive), so dass man mit diesen Doppelfernrohren 
selbst noch auf mehrere Kilometer Entfernung ein plastisches 
Bild der Gegenstände erhält. Sie bringen also das Prinzip 
des Helmholtz’schen Telestereoskops voll zur Geltung. 
Sie haben noch den weiteren Vortheil eines grösseren 
Gesichtsfeldes, als für die betreffenden Vergrösserungen 
mit dem Galiläi’schen Fernrohr erreichbar, und ohne die 
unbequeme, den Gebrauch erschwerende Verlängerung der 
Rohre, welche die Anwendung sogenannter terrestrischer 
Okulare mit sich bringt. Es wird dies erreicht durch die 
Anwendung eines Okulars vom Typus des astronomischen 
in Verbindung mit einem System von Porro’schen Reflexions¬ 
prismen. Die Lichtstrahlen werden auf ihrem Wege vom 
Objektiv zum Okular einer viermaligen totalen Reflexion 
unterworfen und zwar in solcher Weise, dass zugleich mit 
einer Aufrichtung des vom Objektiv entworfenen umgekehrten 
Bildes eine seitliche Verschiebung der Okularaxe gegen die 
Objektivaxe herbeigeführt wird. Redner erklärte zum Schluss 
noch ein Instrument aus der optischen Werkstätte, nämlich 
das Butterrefraktometer zur Unterscheidung von Kunst- 
und Naturbutter und zur Untersuchung der Oele und Fette, 
dessgleichen zur Glyzerinbestimmung und zu mancherlei an¬ 
dern Zwecken verwendbar. 

An den Vortrag knüpfte sich eine längere Diskussion, 
an der sich die Herren Geh. Hofrath Wiener, Photochemiker 
Jahr und Ingenieur Schiff betheiligten. 


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465. Sitzung am 21. November 1894. 

Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft and der Badischen 
Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums. 

Herr Hauptmann B. Herold von Köln hielt einen Vor¬ 
trag über Land und Leute in Togo. 


466. Sitzung am 30. November 1894. 

Anwesend SO Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Dr. Wilser hielt einen Vortrag über europäische 
Menschenrassen. 

Unter den anthropologischen Merkmalen, Schädelform, 
Farben, Körpergrösse u. A. nimmt die erstere darum die 
hervorragendste Stellung ein, weil sie, nicht beeinflusst durch 
äussere Lebensbedingungen, Culturhöhe, Klima, Wohnsitze 
u. dergl., seit den ältesten Zeiten sich nur durch Rassen¬ 
mischung verändert hat. Unter allen Verhältnissen des 
Schädels ist das wichtigste das der Breite zur Länge, aus¬ 
gedrückt durch den Index, d. h. die Verhältnisszahl der 
Breite id Prozenten. Will man, was für viele Untersuchungen 
von grösster Wichtigkeit ist, den Index lebender Bevölker¬ 
ungen mit demjenigen trockener Schädel vergleichen, so darf 
man nicht, wie bisher die Anthropologen gethan, den Unter¬ 
schied an der Leiche zu Grunde legen, denn dieser gilt 
immer nur für den einzelnen Fall, sondern man muss ent¬ 
weder die Urmasse der Köpfe in solche von Schädeln oder 
umgekehrt verwandeln, indem man je 1 cm, entsprechend 
der Dicke der Kopfschwarte und der Durchfeuchtung des 
lebenden Knochens, zuzählt, bezw. abzieht und dann erst 
den Index berechnet. Nach der Gestalt des Schädels scheidet 
sich die gesammte Menschheit in zwei Hauptrassen, Lang¬ 
köpfe und Rundköpfe, zwischen denen selbstverständlich 
zahllose Mischrassen bestehen. Die Langköpfe haben ihren 
Verbreitungsmittelpunkt im Westen der alten Welt, Europa 
und Afrika, die Rundköpfe im Osten, in Asien. Die aller¬ 
ältesten in unserem Welttheil gefundenen Schädel, diejenigen 
von Neanderthal, Olmo, Brünn, Przedmost, die alle 
noch aus der Mammuthzeit stammten, sind rassenreine Lang- 


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köpfe, die, abgesehen von einigen Merkmalen ihres hohen 
Alterthums, denen der europäischen Kulturvölker so sehr 
gleichen, dass eine Blutsverwandtschaft nicht von der Hand 
zu weisen ist. Allein diese durch naturwissenschaftliche 
Forschung festgestellte Thatsache genügt schon, um den 
lange gehegten Wahn von der Einwanderuug unserer Vor¬ 
fahren aus Asien zu widerlegen. Von diesen allerältesten 
Europäern sind zahlreiche Bildwerke gefunden worden, die 
mit merkwürdiger Naturtreue theils Thiere, theils den Men¬ 
schen selbst darstellen. Aus diesen ältesten Erzeugnissen 
der Kunst in unserem Welttheil, sowie aus den Grabfunden 
von Schweizersbild bei Schaffhausen und Champ-Blanc 
am Genfersee scheint hervorzugehen, dass damals in Europa, 
wie noch heute in Afrika, neben einer hochgewachsenen eine 
buschmannähnliche Zwergrasse gelebt hat. Manches spricht 
für Professor Kollmann’s Ansicht, dass die Zwerge die 
Vorläufer der grossen Menschen gewesen. Auch die euro¬ 
päische Thierwelt hatte ursprünglich mit der afrikanischen 
vieles gemeinsam: hier wie dort gab es Elefanten, Nashörner, 
Löwen, Hyänen, Antilopen, Affen. Erst die Eiszeit mit 
ihren gewaltigen Umwälzungen hat eine scharfe Trennung 
der beiden Faiinen zur Folge gehabt. Nach den neuesten 
Anschauungen hat die Eiszeit ungefähr um’s Jahr 100 000 
vor unserer Zeitrechnung begonnen und ist nach verschie¬ 
denen Schwankungen, eisfreien Zwischenzeiten und Nach¬ 
schüben ums Jahr 15 000 zu Ende gewesen. Diese Zeit der 
schwersten Noth, die bei der schärfsten Auslese im harten 
Daseinskämpfe die äusserste Anspannung aller Kräfte er¬ 
heischte, hat leiblich, durch die Farbenbleichung, und geistig, 
durch mächtige Entwickelung des Verstandes und Stählung 
der Willenskraft, aus dem europäischen Menschen das ge¬ 
macht, was er heute ist, Herr der Welt. Das Wort Moritz 
Wagner’s „die Eiszeit hat den Menschen gemacht“ schrän¬ 
ken wir heute dahin ein: „sie hat den weissen Menschen 
gemacht“. In Amerika, wo ursprünglich, wie die Schädel¬ 
funde von Calaveras, Rock Bluff, Somiduro, Cordoba zeigen, 
den Ureuropäern sehr nahestehende Langköpfe gelebt hatten, 
wurde durch die Eiszeit im Norden offenbar alles Leben ver¬ 
nichtet und das öde Land erhielt neue Bewohner durch 


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273 


Einwanderung asiatischer Rundköpfe, die sich bis an die 
Südspitze des Welttheils ausbreiteten, im Süden noch da 
und dort vermischt mit Nachkommen der früheren Lang¬ 
köpfe. Nach der Eiszeit schritt die Kulturentwickelung in 
Europa langsam, aber unaufhaltsam vor, und die Zeit bis 
auf unsere Tage wird ungefähr in folgender Weise durch 
die einzelnen Perioden, die von früheren Forschern viel zu 
kurz für die natürliche Entwickelung angenommen waren, 
ausgefüllt: Steinzeit 8000, Kupferzeit 2000, Bronzezeit 4000 
und endlich Eisenzeit 3000 Jahre. Nach dem Schmelzen 
der zusammenhängenden Eisdecke von Mitteleuropa war 
hier zunächst ein Oedland entstanden, das erst wieder durch 
pflanzliche, thierische und menschliche Einwanderer belebt 
werden musste. In der kältesten Zeit hatten die Menschen 
am Rande der grossen Gletscher fast ausschliesslich von 
grossen Rennthierheerden gelebt und hatten sich mit diesen 
bei der allmählichen Erwärmung nach Norden zurückgezogen, 
wo ihnen, wie die sogen. Kjökkinmöddinger, ungeheure Ab¬ 
fallhaufen, der dänischen und südschwedischen Küsten zeigen, 
der wichtige Fortschritt von der rohen alten zu der ver- 
hältnissmässig weit in der Gesittung vorgeschrittenen neuen 
Steinzeit gelang. Bald wurde in Nordeuropa für die mächtig 
an wachsende Bevölkerung der Raum zu enge und es be¬ 
gannen schon in der Steinzeit jene welterschütternden, aber 
auch weltumgestaltenden Wanderungen, deren geschichtliche 
Nachklänge wir in der „Völkerwanderung“ und der Besie¬ 
delung neuer Welttheile, wie Nordamerika und Australien, 
erkennen. Denn jene Nordcuropäer sind das vielgesuchte 
Stammvolk der „Arier“ oder „Indogermanen“. In Südeuropa 
war ein anderer Zweig der Ureuropäer zurückgeblieben, der, 
weniger durch die Eiszeit beeinflusst, von den Nordeuropäern 
sich besonders durch dunklere Haut, schwarze Haare und 
braune Augen unterschied bei ziemlich gleicher Schädelform; 
aus dieser „Mittelmeerrasse“ sind als östlichste und west¬ 
lichste Ausstrahlungen die semitischen undiberisch-berberischen 
Völker hervorgegangen. Zwischen Nord- und Südeuropäer 
aber hatten sich in der Zeit der Oede von Osten her asia¬ 
tische Rundköpfe wie ein Keil eingeschoben; die meisten 
Rundköpfe in Mitteleuropa stammen wohl aus früher, vor- 

18 


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geschichtlicher Zeit, es haben aber, wie uns die Geschichte 
lehrt, auch noch spätere Nachschübe, Hunnen, Avaren, 
Magyaren, Türken, stattgefunden. Schon in den ältesten 
Pfahlbauten der Schweiz stiessen die Rundköpfe mit nor¬ 
dischen Langköpfen, die auch in unserem Lande, z. B. auf 
dem Michaelsberg bei Untergrombach, sich angesiedelt hatten, 
zusammen, und die Schädelfunde in Frankreich, wie auch 
die von Gollignon entworfene Karte der französischen 
Bevölkerung nach den Schädelformen zeigen auPs deutlichste 
das Eindringen der Rundköpfe von Osten her. Die allmäh¬ 
liche Ersetzung der Langköpfe in Mitteleuropa durch die 
Rundköpfe ist eine der merkwürdigsten Erscheinungen und 
war eine der schwerwiegendsten Fragen für die Anthropo¬ 
logie. Wir beantworten sie heute dahin, dass in dem Ge¬ 
menge dieser beiden Rassen eine einseitige Vermehrung 
durch ungleiche Auslese stattgefunden. Die Langköpfe, als 
Herrenvolk und eigentliche Kulturträger, standen bei allen 
Kämpfen mit eisernen und geistigen Waffen im Vorder¬ 
treffen, während die Rundköpfe, mehr an der Scholle klebend 
und für die Bedürfnisse des Augenblicks sorgend, zahlreichen 
Nachwuchs aufziehen konnten. So wurden der Einen immer 
weniger, der Anderen mehr. Die kulturgeschichtliche Be¬ 
deutung eines Volkes aber kann unfraglich nach seinem 
Gehalt an Langköpfen geschätzt werden. Auf diese Weise 
fällt Licht auf manche sonst räthselhafte Vorgänge, auf das 
Werden und Vergehen der Völker. Die Anthropologie, wenn 
sie die Errungenschaften unseres naturwissenschaftlichen 
Jahrhunderts auf den Menschen anzuwenden versteht, hat 
wichtige Aufgaben und eine grosse Zukunft. Nicht nur er¬ 
möglicht sie ein richtiges Verständniss der Geschichte da¬ 
durch, dass sie deren natürliche Grundlagen aufdeckt und 
die Lücken der Ueberlieferung ausfüllt, sondern sie zeigt 
auch, indem sie die innersten Triebfedern des Volkslebens 
enthüllt, was wir thun können, wo der Hebel angesetzt werden 
muss zur Lösung der sozialen Frage. Weit entfernt, Um¬ 
sturz oder Gleichmacherei zu verkünden, lehrt sie im Gegen- 
theil auf’s Eindringlichste die Naturnothwendigkeit der 
Sittengesetze und der Abstufung der menschlichen Gesellschaft. 
— Der Vortrag wurde durch zahlreiche Abbildungen sowie 


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•275 


durch einige Schädel aus der Grossh. Alterthumssammlung, 
die der Herr Konservator gütigst zur Verfügung gestellt hatte, 
erläutert An der lebhaften und eingehenden Besprechung 
betheiligten sich besonders die Herren Geh. Hofrath Wiener, 
Ammon, Dr. Doll und der Vortragende. 


467. Sitzung am 14. Dezember 1894. 

Anwesend 72 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. Ed. Molitor, Arzt. 

Im physikalischen Hörsaale der Technischen Hochschule. 

Herr Hofrath Dr. Lehmann hielt einen Experimental¬ 
vortrag über den elektrischen Lichtbogen und die 
Entstehung des Lichtes. 

Der elektrische Lichtbogen ist eine der glänzendsten 
und, insbesondere seit Einführung der elektrischen Beleuch¬ 
tung, bekanntesten, trotzdem aber hinsichtlich seines eigent¬ 
lichen Wesens am wenigsten aufgeklärten Erscheinungen. 
Beobachtet man den Lichtbogen bei starker Vergrösserung 
(er wurde hierzu zuerst bei horizontaler, dann bei vertikaler 
Stellung der Kohlenspitzen auf einen Schirm projizirt), so 
zeigt sich, dass die mit den Zuleitungsdrähten in Verbindung 
stehenden Kohlenspitzen, insbesondere die positive, hell er¬ 
glühen, während der Lichtbogen selbst nur schwach leuchtet, 
und zwei schief gegen einander gerichteten Flammen mit 
bläulichem Kern und grünlicher, zeitweise auch gelblicher 
Hülle gleicht, die sich zu einer einzigen spitz zulaufenden 
Flamme vereinigen. Die Flammenform ist dadurch bediugt, 
dass sich die Luft in Folge des Stromdurchganges stark er¬ 
hitzt und wie eine Flamme aufsteigt und dass der Strom 
den Weg durch die erhitzte Luft vorzieht, obschon dieser 
grösser ist als die direkte Entfernung der Kohlenspitzen. 
In verdünnter Luft geht die spitzwinklige Form des Licht¬ 
bogens in wirkliche Bogenform über und bei grösserer Ver¬ 
dünnung ist die Krümmung so gering, dass sie kaum mehr 
erkannt werden kann, weil die Steigkraft der verdünnten 
Luft im Verhältniss zur Reibung sehr gering ist. 

Versuchen wir uns nun klar zu machen, welches die 
Ursache dieser Lichterscheinung ist, so scheint auf den 

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ersten Blick die Erklärung eine sehr einfache. Der Strom 
geht von einer Kohlenspitze zur andern über wie durch 
einen Draht, aber da die Luft nicht undurchsichtig ist wie 
der Draht, so sehen wir eben den Strom selbst als ein 
feines bläulich oder grünlich leuchtendes Fluidum, welches 
sich mit grosser Leichtigkeit zwischen den Luftmolekülen 
hindurchzubewegen vermag und dabei gewissermassen durch 
Reibung die Temperatur erhöht, so sehr, dass die Enden 
der Kohlenstäbe zur intensiven Weissgluth gebracht werden. 
Wir werden uns auch alsbald weiter sagen, dass das bläu¬ 
liche und grünliche Licht nicht dem elektrischen Fluidum 
selbst zukommt, sondern erst durch Erglühen der Luft zu 
Stande kommt, dass also das elektrische Fluidum an sich 
unsichtbar sei. Aber wenn dem so ist, wenn wir das Fluidum 
nicht sehen können, welches sind denn die Beweise, dass es 
wirklich existirt und in den Draht strömt? 

Der bisherigen Forschung ist es nicht geglückt, diese 
Beweise zu finden. Längs der elektrischen Leitung strömt 
allerdings etwas, wir können es sogar genau in Zahlen 
messen, seine Geschwindigkeit angeben und es zu allerlei 
technischeu Zwecken nutzbar verwerthen; aber es ist seinem 
Wesen nach eine Energie, ein unsichtbarer und unfühlbarer 
Bewegungszustand, der, der Leitung am einen Ende mit- 
getheilt, am andern wieder zum Vorschein kommt, sei es 
als Arbeit eines Elektromotors, oder als Wärme eines glühen¬ 
den Drahtes, oder in Form des Lichtes einer Bogenlampe. 
Der elektrische Strom ist desshalb weniger vergleichbar dem 
Wasserstrom in einer Wasserleitung, als dem Energiestrom 
in der Transmissionswelle einer grossen Fabrik. Denken wir 
uns eine solche Trausmissionswelle von ungeheurer Länge, sie 
möge sich auf 5 km Entfernung hinziehen, so wird die Bewegung, 
welche die Dampfmaschine der Riemscheibe an einem Eude 
mittheilt, erst im Verlauf einer Sekunde am andern Ende 
ankommen und die dort befindliche Arbeitsmaschine in 
Thätigkeit setzen. Man kann sagen, die Energie, welche 
die Dampfmaschine an die Transmissionswelle abgegeben hat, 
sei mit der Geschwindigkeit von 5 km pro Sekunde längs 
dieser Welle fortgewandert und schliesslich an die Arbeits¬ 
maschine übertragen worden. Dieser Energiefluss findet 


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statt, ohne dass irgend eine Materie längs der Welle wan¬ 
dert, ja aus der Entfernung bemerken wir kaum etwas von 
dem Fortschreiten des Bewegungszustandes, und die Welle 
kann die grössten Kräfte übertragen, ohne sich auch nur 
merklich zu erwärmen. Ganz lässt sich Erwärmung aller¬ 
dings nicht vermeiden, denn die Welle muss von Strecke zu 
Strecke durch Lager unterstützt sein und an diesen Stellen 
ist die Erzeugung von Wärme unvermeidlich. 

Im Falle des elektrischen Stromes erfolgt die Kraft¬ 
übertragung mit viel grösserer Geschwindigkeit, die Energie 
legt 300 000 km pro Sekunde längs der Leitung zurück, wir 
können aber ebenfalls die grössten Kräfte in ganz unsicht¬ 
barer Weise übertragen und die Leitung würde sich nicht 
im geringsten erwärmen, wenn wir sie aus widerstandsfreiem 
Draht herstellen könnten. Wir haben es auch in der Ge¬ 
walt. die Energie ganz oder zum grössten Theil in Form 
von Wärme an einer beliebigen Stelle auftreten zu lassen, 
wenn wir nur dort einen grossen Widerstand einschalten 
(Versuch mit 500 Ampere), ebenso wie wir durch starkes 
Bremsen einer Transmissionswelle dieselbe an einer beliebigen 
Stelle zum Glühen bringen können, wenn die Kraft dazu 
ausreicht. 

Es gibt nun allerdings Fälle, in welchen der elektrische 
Strom unzweifelhaft mit dem Wandern von Materie ver¬ 
knüpft ist, aber das, was in diesem Falle wandert, ist nicht 
ein unsichtbares Fluidum, sondern gewöhnliche sichtbare und 
wägbare Materie verschiedenster chemischer Zusammensetzung. 
Diese Fälle sind die Leitung des Stromes in Elektrolyten 
und die mechanische Ueberführung der Elektrizität mit der 
rotirenden Scheibe einer Elektrisirmaschine oder die Wirbel¬ 
bewegung in einer schlechtlcitenden Flüssigkeit. Selbst diese 
scheinbaren Ausnahmen beweisen indess nichts für die Exi¬ 
stenz eines Stromes elektrischer Materie. 

Die elektrolytischen Erscheinungen, z. B. die Zersetzung 
des Wassers, können wir uns in der Weise vorstellen, dass 
unter der grossen Masse von Molekülen, welche sich in leb¬ 
haftester Bewegung befinden, auch solche vorhanden sind, 
welche etwa durch heftigen Zusammenprall mit andern in 
entgegengesetzt elektrische Spaltungsstücke — Jonen — 


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zertrümmert wurden, so dass sich in Folge der elektrischen 
Kraft die positiven Theile gegen die negative Elektrode hin¬ 
bewegen, die negativen gegen die positive. Speziell beim 
Wasser würden in solcher Art am positiven Pole Sauerstoff-, 
am negativen Wasserstoffatome zum Vorschein kommen und 
ihre Elektrizität an die Elektroden abgeben. 

Die Menge der von einer bestimmten Quantität Wasser¬ 
stoff- oder Sauerstoffatomen abgegebenen Elektrizität kennen 
wir leicht messen. Es zeigt sich z. B., dass 1 mg Wasserstoff 
100 Coulomb zu transportiren vermag, also wenn wir auf 
Grund der Resultate der kinetischen Gastheorie annehmen, 
dass 1 mg Wasserstoff 200 Trillionen Moleküle enthält, ein 
einzelnes Wasserstoffinolekül ein halbes Trilliontel Coulomb. 

Dies scheint eine sehr kleine Zahl, repräsentirt aber 
doch eine sehr grosse Elektrizitätsmenge, denn 1 Coulomb ist 
so viel Elektrizität, dass zwei mit je 1 Coulomb geladene 
Konduktoren in 1 m Entfernung sich gegenseitig anziehen 
oder abstossen würden, mit einer Kraft von uahezu einer 
Milliarde Kilogramm. 

Dieser grossen elektrischen Kapazität der Moleküle ent¬ 
spricht eine sehr grosse treibende Kraft, welche die Jonen 
den Elektroden zuführt. Die Rechnung ergibt, dass, wenn 
wir beispielsweise Wasser zwischen zwei im Abstand von 
2 cm befindlichen Platinblechen, welche etwa mit zwei hinter¬ 
einandergeschalteten Chromsäureelementen in Verbindung 
stehen, zersetzen, Wasserstoffionen im Gesammtbeträge von 
1 mg mit einer Kraft von rund 5000 kg gegen die negative 
Elektrode hingetrieben werden. Dies ist eine ungeheuer 
grosse Kraft, so dass wir meinen sollten, der ganze Apparat 
würde dadurch sofort zertrümmert werden. In Wirklichkeit 
findet dies nicht statt, weil eine gleich grosse Kraft die Sauer¬ 
stoffionen nach der entgegengesetzten Richtung treibt und weil 
beide in Folge ihrer überaus grossen Zertheilung unter den 
Wassermolekülen so grossen Reibungswiderstand erfahren, 
dass sie thatsächlich nur mit der Geschwindigkeit von 0,3 mm 
pro Sekunde vorwärts kommen. 

Kehren wir nun wieder zur Betrachtung des Lichtbogens 
zurück. Wir hätten obigem zufolge anzunehmen, dass eine 
Art unsichtbares Räderwerk die Energie bis zu der Stelle 


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Überträgt, wo der Lichtbogen entsteht. Dort aber stellt sich 
der Funktion des Räderwerks ein überaus grosses Hinderniss 
entgegen. Die Luftmoleküle sind gewissermassen Steine, 
welche in zahllosen Massen in das Getriebe der unsichtbaren 
Räder hineingeworfen und zermalmt werden, so dass in Folge 
der enorm hohen Reibungswiderstände eine Temperatur ent¬ 
steht, die weit über alle sonst auf künstliche Weise zu er¬ 
zielenden Temperaturen hinausgeht (ca. 2000—3000°) und aus¬ 
reicht, die sonst völlig feuerbeständige Kohle zu verflüchtigen. 

Ist nun diese hohe Temperatur an sich die Ursache, 
dass der Lichtbogen, d. h. die heisse Luft, leuchtet? Die 
Versuche, Luft künstlich durch Erhitzen bis zum Glühen 
leuchtend zu machen, haben ein negatives Resultat ergeben. 
Luft, welche so heiss ist, dass hineingebrachte Körper sofort 
weissglühend werden, ist an sich ganz dunkel, dagegen kann 
durch chemische Prozesse (man denke z. B. an das Phos- 
phoresziren von Phosphordampf im Dunkeln) schon bei ganz 
niedriger Temperatur Licht erzeugt werden. Die meisten 
Lichtquellen erzeugen Licht durch Verbrennungsprozesse, 
wobei gleichzeitig Wärme entsteht. Man dachte sich früher 
diesen Prozess so, dass die zur Vereinigung gelangenden 
Moleküle durch Anziehungskräfte getrieben auf einander los- 
stürzen und hierdurch Wärme erzeugen. Untersucht man 
nun aber auf dem Wege der Rechnung, wie viel Wärme 
z. B. bei Verbrennung von 1 Gramm Wasserstoff entstehen 
würde, wenn die Wasserstoffatome durch Massenanziehung, 
d. h. durch Gravitationskraft auf die Sauerstoffatome getrieben 
würden, so findet man (nach F. Exner, Sitzb. d. Wien. 
Akad. Juli 1894) dafür nur fünf Quadrilliontel einer Calorie, 
während thatsächlich 34 Calorien entstehen. Die Ansicht 
kann also nicht richtig sein. 

Sollte die Wärme vielleicht auf elektrischem Wege ent¬ 
stehen? Wir haben gesehen, dass Wasserstoff- und Sauer¬ 
stoffatome auch elektrisch werden können, und zwar stark 
elektrisch. Versuchen wir nun zu berechnen, ob etwa diese 
elektrische Anziehungskraft ausreichen würde, die auftretende 
Wärme zu erklären, so finden wir (nach demselben Autor) 
thatsächlich fast genau die wirklich beobachtete Zahl. 

Halten wir damit zusammen, dass nach den Maxwell- 


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Hertz’schen Forschungen das Licht nothwendig eine elek¬ 
trische Wellenbewegung sein muss, was sich schon daraus 
ergibt, dass es sich ebenso wie elektrische Wellen mit der 
Geschwindigkeit von 300 000 km per Sekunde fortpflanzt, so 
liegt es sehr nahe, anzunehmen, dass in allen Fällen, wo 
Licht auftritt, ein Ausgleich molekularer elektrischer Ladun¬ 
gen die eigentliche Ursache der Entstehung der Lichtschwin¬ 
gungen ist. 

Somit wäre auch im Falle des elektrischen Lichtbogens 
näher zu untersuchen, ob und aus welchen Gründen derartige 
molekulare Ladungen auftreten können und ob sich durch 
den Ausgleich zahlenmässig genau diejenige Lichtart, die 
man thatsächlich beobachtet, ergeben muss. Eine grosse 
Schwierigkeit dabei ist die Beschaffung einer geeigneten 
Elektrizitätsquclle. Eine grosse Influenzmaschine (die grösste 
jemals gebaute), deren Beschaffung dem Physikalischen In¬ 
stitut der Technischen Hochschule durch Zuwendung privater 
Mittel ermöglicht wurde, lieferte noch immer nicht die aus¬ 
reichende Elektrizitätsmenge. Besondere Dienste leistete 
dagegen neuerdings eine Dynamomaschine, welche beim Brande 
der hiesigen Bahnhofsanlagc stark beschädigt und dem 
Physikalischen Institut mit dankenswerthem Entgegenkommen 
seitens Grossh. Generaldirektion der Staatseisenbahnen über¬ 
lassen worden war. Die Maschine wurde für hohe Spannung 
(2000 Volt) in der Werkstätte des Instituts neu bewickelt 
und gestattete, im Vacuum Lichtbogen von 20—30 cm Länge 
herzustellen, so dass deren Beschaffenheit im einzelnen näher 
geprüft werden konnte. (Es folgte nun eine Reihe von De¬ 
monstrationen bei diesem Lichtbogen bei verschiedenen 
Elektroden und verschiedenen Gasen und Dämpfen, sowie 
auch vergleichsweise unter Anwendung einer Akkumulatoren¬ 
batterie für 2000 Volt und eines Transformators für dieselbe 
Spannung). Die bisherigen Ergebnisse scheinen darauf hin¬ 
zuweisen, dass die Annahme, das Licht entstehe durch Aus¬ 
gleich entgegengesetzter Atomladungen, berechtigt ist, und 
die auf Grund dieser Annahme angestellten Berechnungen 
haben ergeben, dass die Schwingungszahl und die Wellenlänge 
der elektrischen Strahlung, die eintreten muss, wenn die ent¬ 
gegengesetzten Ladungen zweier Atome sich ausgleichen, in 


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guter Uebereinstimmung stehen mit der Schwingungszahl und 
Wellenlänge des thatsächlich beobachteten Lichtes. 

Besondere Aufmerksamkeit wurde auch den Strömungs¬ 
vorgängen und dem Auftreten von Wirbeln im Lichtbogen 
gewidmet, welche durch Rauch und Eindringen fremder 
Gasströme und Dämpfe sichtbar gemacht werden, sowie 
dem Auftreten der Schichtungen. Dabei zeigen sich eigen¬ 
tümliche Erscheinungen, welche zum Theil durch die Elek¬ 
trizität der Flammen und den sog. elektrischen Wind ihre 
Erklärung finden. Durch Demonstration von zwei grossen 
Gasflammen und zwei grossen Flugrädern wurden diese Ver¬ 
hältnisse näher erläutert. 

468. Sitzung am II. Januar 1895. 

Anwesend 27 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath I)r. Wiener* 
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Professor R. Grashof am 
Gymnasium, Staatsrath H. v. Trautschold, Geh. Rath 0. v. Struve, 
Lehrer Ludw. Schröder. 

Die Versammlung erklärte auf Antrag des Vorstandes 
ihre Zustimmung, dass die zweite Auflage des Werkes des 
kürzlich verstorbenen Mitgliedes Gerichtsnotar Reutti 
„Uebersicht der Lepidopteren des Grossherzogthums Baden“ 
als 12. Heft der Verhandlungen unseres Vereins heraus¬ 
gegeben werde. 

Herr Hofrath Dr. Meidinger hielt einen Vortrag über 
Durchsichtigkeit der Luft im Hinblick auf Fernsichten; der¬ 
selbe ist in erweiterter Form den Abhandlungen ange¬ 
schlossen. An den Vortrag knüpfte sich eine Diskussion 
mit den Herren Dr. Schultheiss, Geh. Hofrath Wiener, Dr. 
Wilser, Professor Platz. 

469. Sitzung am I. Februar 1895. 

Anwesend 38 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Neu angemeldetes Mitglied: Herr Forstrath X. Siefert. 

Herr Dr. Schultheiss hielt einen Vortrag über die Er¬ 
gebnisse der meteorologischen Beobachtungen am 
Eiffelthurm und am Strassburger Münster. 

Auf der Spitze des ersteren ist seit dem Ausstellungs- 
jahr 1889 eine Station erster Ordnung mit selbst aufschrei- 


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benden Instrumenten für- alle meteorologischen Elemente 
eingerichtet; ausserdem sind noch auf einer Zwischenplatt¬ 
form in 197 m über dem Boden und auf der zweiten Platt¬ 
form in 123 m Registrirthermometer aufgestellt. Ein solches 
Instrument befindet sich seit dem Jahre 1891 auch in dem 
Helm des Strassburger Münsters in 136 m über dem Boden. 
Windfahne und Windgeschwindigkeitsmesser — beide selbst- 
aufschreibend — sind auf der äussersten Spitze des Münster- 
thurmes angebracht. Der Vortragende erörterte zunächst 
die Wärmevorgänge in der Atmosphäre unter dem Einfluss 
der Sonnenstrahlung; demnach wird die Luft nur in geringem 
Grade durch die Sonnenstrahlen direkt, vielmehr erst vom 
Boden her erwärmt; sie erkaltet durch die Berührung mit 
dem durch Ausstrahlung sich abkühlenden Boden, zum Theil 
auch durch eigene Ausstrahlung. Diese ist wohl stärker in 
dünner Luft, als in dichter, und ihr wirkt wohl der Wasser¬ 
dampf der Luft entgegen, der trotz mehrfach dagegen gel¬ 
tend gemachter Eicwände doch noch für Wärme undurch¬ 
lassend gehalten wird, allein vielmehr kommt noch die 
topographische Lage eines Ortes in Betracht; es haben näm¬ 
lich alle Mulden-, Kessel-, und Thallagen kalte Nächte, 
während diese in freien Lagen in der Höhe verhältniss- 
mässig warm sind. Als Belege für diese Erscheinung, deren 
nähere Erklärung in Hann’s meisterhaftem Handbuch der 
Klimatologie und in Wöeikofs Werke über die Klimate der 
Erde ausführlich zu finden ist, können die Beobachtungen 
von Villingen und Höchenschwand dienen; ersterer Ort liegt 
in 700 m Höhe über dem Meere in einer flachen Thalmulde 
und hat ausserordentlich kalte Nächte, besonders im Winter, 
wenn Schnee liegt. Das Temperaturminimum ist im Jahres¬ 
durchschnitt um 2,7 0 zu tief. In Höchenschwand da¬ 
gegen, das in 1000 m auf einer allseits freien Hochfläche 
liegt, fällt das Thermometer nie so tief wie in der Rhein¬ 
ebene, das Temperaturminimum ist dort um 0,7° zu 
hoch; das Maximum ist andererseits etwas zu niedrig, ent¬ 
sprechend der kleinen wärmenden Bodenfläche. Das Höhen¬ 
klima zeichnet sich also — aber nur in freien Lagen — 
durch geringe periodische Wärmeschwankungen aus, worin 
es Aehnlichkeit mit dem maritimen Klima besitzt. 


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283 


Die Beobachtungen am Eiffelthurm und am Strassburger 
Münster lassen nun erkennen, dass die periodischen Wärme¬ 
schwankungen beim freien Aufstieg in der Atmosphäre etwa 
8 Mal so rasch abnehmen, als an den Bergen, so dass sie 
auf der Eiffelthunnspitze bereits geringer sind, als auf dem 
2500 m hohen Gipfel des Säntis. Nach den Beobachtungen 
an beiden Thürmen reicht die durch stärkere Erkaltung des 
Bodens in einiger Höhe entstehende warme Schicht weiter 
hinauf, als man bisher angenommen hatte; es betragen näm¬ 
lich die Jahresmittel der Temperatur für die Nachtstunden 
in Paris (Parc St. Maur) 6,8° C., auf der zweiten Plattform 
7,7°, auf der Zwischenplattform 7,8° und auf der Spitze 7,0°. 
Die wärmste Schicht, die um 1° höhere Temperatur besitzt 
als die Luft am Boden, liegt im Mittel in der halben Höhe 
des Eiffelthurms. Von da ab nimmt die Luftwärme nach 
oben hin ab, jedoch so langsam, dass die Spitze noch etwas 
wärmer bleibt als der Boden. Der Wärmeüberschuss der 
Spitze des Strassburger Münsters beträgt in der Nacht 1,4°. 
Um 6 Uhr Abends ist nach dem Jahresdurchschnitt die Luft 
in Parc St. Maur so wfeit erkaltet, dass sie gleich warm ist 
mit der der zweiten Plattform; dreiviertel Stunden später 
ist am Boden die Temperatur der Zwischenplattform, aber 
erst um IO 1 /* Uhr ist jene der Spitze erreicht. Viel schneller 
geht am Morgen die Herstellung des Zustandes, in dem die 
Luftwärme nach oben hin abnimmt, vor sich, entsprechend 
der beim Beginne der Insolation sehr rasch sich vollziehenden 
Erwärmung der unteren Luftschichten, was sich auch durch 
einen förmlichen Knick in der normalen Temperaturkurve 
erkennen lässt; etwa um 6 Uhr 15 Min. früh ist die Tem¬ 
peratur am Boden so weit gestiegen, dass sie gleich mit 
jener der Eißelthurmspitze ist und schon eine Stunde später 
ist der Boden wärmer als die zweite Plattform. Am Tage 
sind die vertikalen Temperaturunterschiede am grössten in 
den Mittagsstunden. Am Nachmittag sind die Bedingungen 
für ein Aufsteigen der Luft gegeben, da die untersten 
Schichten zu warm, also zu leicht geworden sind. Am Eiffel¬ 
thurm nimmt der Wasserdampfgehalt viel schneller, etwa 
6 Mal so rasch ab, als längs der Bergseiten. 

Die Windgeschwindigkeit wächst nach den Beobachtungen 


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an beiden Thürinen und nach denen am 50 m hoben Wasser¬ 
thurm in Strassburg in den untersten Luftschichten nach oben 
hin sehr rasch, entsprechend der Entfernung von der durch 
Reibung verzögernd auf die Luftströmungen einwirkenden 
Erdoberfläche. Von etwa 50 Meter an scheint bis in die 
Höhe der Eiffelthurmspitze die Windgeschwindigkeit propor¬ 
tional der Erhebung über den Boden zu wachsen; dort ist 
sie im Jahresmittel grösser als auf der Spitze des Säntis, 
woraus ebenfalls wieder die Wirkung der Reibung erkannt 
werden kann. Die Tagesperiode der Windgeschwindigkeit 
zeigt sowohl auf dem Eiffelthurm wie auf dem Strassburger 
Münster den gleichen Verlauf, wie auf hohen Bergen, indem 
hier der Wind in der Nacht stärker weht als am Tage. In 
den tieferen Lagen nimmt dagegen die Windgeschwindigkeit 
gegen Mittag und in den ersten Nachmittagsstunden zu. Die 
Schicht, in welcher die beiden vollkommen von einander ver¬ 
schiedenen Tageskurven in einander übergehen, scheint nicht 
viel höher als 50 Meter über dem Boden zu liegen. Die 
starke Luftbewegung auf dem Eiffelthurm — 9 Meter in der 
Sekunde im Jahresmittel — verursacht, dass zu geringe 
Niederschläge gemessen werden, wie dies überhaupt bei 
Thürmen der Fall ist; sie verursacht ferner in dem ge¬ 
schlossenen Raume, in welchem das Barometer hängt, eine 
Saugwirkung, so dass dort oben etwas zu niedriger Luftdruck 
beobachtet wird. 

An den Vortrag schloss sich eine rege, länger andau¬ 
ernde Besprechung mit den Herren Hofrath Meidinger, Dr. 
Wilser, Geh. Hofrath Engler, Prof. Platz, Prof. Endres, 
0. Ammon an, in welcher auch noch andere, dem Gebiete der 
Meteorologie angehörige Themata zur Sprache kamen. 


470. Sitzung am 15. Februar 1895. 

Anwesend 33 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Prof. Dr. L. Klein, 
an der technischen Hochschule. 

Herr Professor Dr. Käst hielt einen Vortrag über neuere 
Explosivstoffe. 

Der Vortragende wies darauf hin, dass Jahrhunderte 
lang das Schwarzpulver als alleiniges Spreng- und Treibmittel 


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in Verwendung stand und wesentliche Veränderungen in seiner 
Zusammensetzung auch bis zur neuesten Zeit nicht erlitten 
hat. Seit der Entdeckung der Nitrocellulose (Schiessbaum¬ 
wolle) und des Nitroglycerins in den Jahren 1846 und 1847, 
welche Körper als Repräsentanten der Gruppe der sog. bri¬ 
santen Sprengstoffe angesehen werden können, hat man mit 
Erfolg versucht, diese äusserst sprengkräftigen Substanzen für 
sich oder in Kombination mit anderen als Substitute des 
Schwarzpulvers zu verwenden. Die lose Schiessbaumwolie 
wird ihrer relativ geringen Brisanz wegen zu Sprengzwecken 
nicht mehr benutzt; mau bedient sich der durch starke 
Pressung hergestellten komprimirten Schiessbaumwolie mit 
einem Wassergehalte von etwa 20 Proz., welche, weil wenig 
sensibel, ungefährlich zu handhaben und zu transportiren und 
erst durch Einschaltung sog. Initialladungen von trockener 
Nitrocellulose zur vollständigen Explosion gebracht werden 
kann. Die Schiessbaumwolie findet als Sprengstoff haupt¬ 
sächlich in der Militärtechnik Verwendung. Auch das Nitro¬ 
glycerin wird, seiner gefährlichen Handhabung wegen, nur 
noch selten für sich als Sprengmittel benutzt. Dagegen leiten 
sich von ihm eine grosse Reihe zum Theil sehr wirksamer 
Sprengstoffe ab, welche allgemein als Dynamite bezeichnet 
werden können. Man stellt sie dar, indem man das Nitro¬ 
glycerin von anderen Substanzen aufsaugen lässt, und erreicht 
dadurch einen für den Gebrauch wünschenswerthen Rückgang 
der Sensibilität des Sprengstoffs, ohne aber die Sprengkraft 
wesentlich zu beeinträchtigen. Je nachdem diese Saugstoffe 
unverbrennlich oder verbrennlich bezw. selbst explosiv sind 
oder aus Mischungen beider bestehen, unterscheidet man 
Dynamite mit unwirksamer Basis, als deren Repräsentant 
der Nobel’sche Guhrdynamit No. 1 mit einem Gehalt von 
bis zu 75 Proz. Nitroglycerin und 25 Proz. Kieselguhr zu 
betrachten ist, Dynamite mit wirksamer Basis, zu welchen 
einer unserer brauchbarsten Sprengstoffe, die Nobel’sche 
Sprenggelation, bestehend aus 92 bis 93 Proz. Nitroglycerin 
und 7 bis 8 Proz. löslicher Nitrocellulose, zu rechnen ist, und 
endlich die grosse Reihe der Dynamite mit gemischter 
Basis, zu welcher die Nobel’schen Gelatinedynamite und die¬ 
sen verwandte Sprengstoffe gehören. 


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Eine besondere Gruppe von Explosivkörpern stellen die 
sog. Sprengel’schen Sprengstoffe dar, welche als wirksame 
Bestandteile aromatische Nitrokörper, so z. B. die verschie¬ 
denen Nitrirungsstufen des Benzols, Toluols, Naphtalins, 
Kresols u. s. w. enthalten. Solche Sprengstoffe sind der 
Hellhoffit, Roburit, Ecrasit u. a. ln bedeutendem Masse 
findet, speziell auf militär-technischem Gebiete, neuerdings 
das Trinitrophenol (Pikrinsäure) Verwendung, und zwar so¬ 
wohl in pulverförmigem wie geschmolzenem Zustande. Die 
Pikrinsäure steht in Bezug auf Brisanz der Nitrocellulose 
und den vom Nitroglycerin sich ableitenden Sprengstoffen 
nicht nach, übertrifft diese aber hinsichtlich Stabilität 
und Sicherheit gegen zufällige Explosionen. Letztgenannte 
werthvolle Eigenschaft geht jedoch verloren, wenn man 
die Pikrinsäure mit Nitrocellulose kombinirt, wie die mit 
dem sogenannten Melinit gemachten Erfahrungen bewiesen 
haben. 

Redner kommt sodann auf die modernen, rauchschwachen, 
irrthümlich auch als brisant bezeichneten Schiesspulver zu 
sprechen, welche mit dem alten Schwarzpulver nichts mehr 
als den Verwendungszweck gemeinsam haben, hinsichtlich 
ihrer Zusammensetzung aber als Abkömmlinge der brisanten 
Sprengstoffe aufzufassen sind. Es wurde gezeigt, dass von 
jeder typischen Gruppe von Sprengstoffen auch ein rauch¬ 
schwaches Pulver abgeleitet werden kann, in dem Sinne, dass 
das sog. Blättchen-Pulver, wie es zuerst die französische 
Armee hatte und welches jetzt in verschiedenen Armeen, auch 
in der deutschen, im Gebrauch steht, ein Abkömmling der 
Nitrocellulose ist, welche bei der fabrikatorischen Herstellung 
des Pulvers durch Lösungsmittel (Essigäther, Aceton) gelati- 
nirt wird. Die modernen Gewehrpulver der englischen und 
italienischen Armee haben in qualitativer Hinsicht gleiche 
Zusammensetzung wie die Sprenggelatine, bei ihrer Darstellung 
dient zur Gelatinirung der Schiessbaumwolle Nitroglycerin. 
In enger Beziehung zu den Sprengel’schen Sprengstoffen steht 
ein, allerdings nur für Jagdzwecke Verwendung findendes 
Pulver, der sog. Plastomenit. Ueber pikrinsäurehaltige Schiess¬ 
pulver ist neuerdings nichts in die Oeffentlichkeit gedrungen, 
versuchsweise war Mitte der 80er Jahre ein aus Ammonium- 


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pikrat und Kalisalpeter bestehendes Pulver (Poudre Brugere) 
in der französischen Armee in Benutzung. 

Der Vortrag wurde durch einige Demonstrationen ergänzt. 

In der Diskussion bemerkt Herr Geh. Hofrath Dr. 
Engler, dass anfänglich bei der Herstellung rauchschwacher 
Pulver aus Nitrocellulose der gelatinirten Masse Antiseptica 
zwecks Erzielung grösserer Stabilität zugesetzt wurden. Herr 
Bergmeister Buchrucker machte Mittheilung über Verwen¬ 
dung verschiedener Sprengstoffe im Bergbau und über Erfah¬ 
rungen, welche man mit einigen modernen Sprengstoffen 
(Roburit, Westfalit) speziell bei der Benutzung in Kohlenberg¬ 
werken gemacht hat. 


471. Sitzung am I. März 1895. 

Anwesend 41 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener. 

Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Ing. L. Pulvermann 
und Dr. Eng. Fiacbbacb, Arzt. 

Herr Geh. Hofrath Engler sprach über den künstlichen 
Aufbau, die sogenannte Synthese, pflanzlicher und 
thierischer Stoffe aus ihren Elementen auf che¬ 
mischem Wege. 

War man früher der Ansicht, dass bei den im Lebens¬ 
prozess der Pflanzen und Thiere gebildeten Stoffen eine be¬ 
sondere Kraft wirksam sein müsse, die Lebenskraft, so wurde 
durch Entdeckungen Wöhlers u. A. schon in der ersten 
Hälfte dieses Jahrhunderts der Beweis erbracht, dass man 
eine ganze Reihe jener Verbindungen auf rein chemischem 
Wege erzeugen könne. Den ersten Pflanzenfarbstoff, das 
Krapproth, lehrten Grabe und Liebermann 1869 künstlich 
bereiten, eine Entdeckung, die so rasch technisch verwerthet 
wurde, dass schon 10 Jahre später die bis dahin so bedeu¬ 
tende französische Krapp-Erzeugung so viel wie vernichtet 
war. Bald darauf gelang dem Vortragenden in Gemeinschaft 
mit Emmerling die künstliche Darstellung des Indigo’s nach 
einem Prozess, den er wissenschaftlich und praktisch erst in 
den letzten Wochen näher begründen und feststellen konnte. 
Ein Präparat dieses künstlichen Farbstoffs, bei dessen Be¬ 
reitung man von Essigsäure und Benzoesäure ausgeht, wurde 


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vorgezeigt. Weitere Pflanzenstotfe folgten, wobei von beson¬ 
derem Interesse die Synthese einiger als Medikamentstoffe 
verwendeten Pflanzengiftstoffe war, darunter als erstes das 
Coniin des Schierlings durch Ladenburg. Auch die künst¬ 
liche Erzeugung aromatischer Riechstoffe wurde durch die 
Entdeckung des Kumarins, des Duftes des Waldmeisters, ein¬ 
geleitet und als neueste dieser Art wurden der Moschus und 
das Jonon, der duftende Bestandtheil des Veilchen, genannt. 
Während die Entdeckung des ersteren, des Moschus, durch 
Baur auf das Karlsruher chemische Laboratorium zurück¬ 
zuführen ist, wurde die Bereitungsweise des Jonons durch 
Tiemann im Berliner Universitäts-Laboratorium entdeckt. 
Die meisten dieser Stoffe werden zur Zeit in Fabriken her¬ 
gestellt; das so ohne Vanille bereitete Vanillin wird statt 
Vanille, Heliotropin statt natürlichen Heliotropduftes, künst¬ 
licher Moschus statt des natürlichen aus dem Moschusthier, 
Jonon statt natürlichen Veilchenduftes verwendet. An einer 
Reihe herumgereichter Präparate konnten sich die Anwesenden 
von der völligen Uebereiristimmung des Duftes dieser Kunst¬ 
produkte mit dem der natürlichen Stoffe überzeugen. Trotz 
des hohen Preises derselben, so z. B. des Jonons, von dem 
ein Kilogramm auf 10 000 Mark zu stehen kommt, ist die 
Fabrikation doch eine sehr rentable, weil man nur Spuren 
der künstlichen, meist festen Stoffe zur Erzeugung eines 
schon starken Duftes gebraucht. — Als neuesten und voraus¬ 
sichtlich bedeutungsvollsten Fortschritt auf dem Gebiete der 
Synthese bezeichnet Vortragender die künstliche Darstellung 
der Nährstoffe auf rein chemischem Wege. Von den für 
die Ernährung des Menschen wichtigsten Stoffen: Wasser und 
Salze, Fette und Kohlenhydrate, Eiweisskörper, kann man 
bis jetzt einzelne aus allen Gruppen mit Ausnahme der Ei¬ 
weisskörper künstlich darstellen. Untersuchungen neuesten 
Datums lassen jedoch erkennen, dass man der Lösung auch 
des Problems der Erzeugung von künstlichem Eiweiss nicht 
mehr ferne ist; schon hat Lilienfeld eine Substanz dar¬ 
gestellt, die alle Eigenschaften eines Eiweisskörpers besitzt. 
Damit wäre aber die Frage der künstlichen Darstellung der 
Nährstoffe prinzipiell gelöst. Der Vortrag schloss mit einem 
Blick in eine ferne Zukunft, in der die Landwirtschaft, durch 


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die chemische Industrie vollständig ersetzt sein, die Nahrungs¬ 
mittel in chemischen Fabriken in bequemer kompakter Form 
dargestellt werden. Das neue, auf elektrischem Wege aus 
Kalk und Kohle bereitete Calciumcarbid spiele bei dieser 
Synthese einst vielleicht eine wichtigere Rolle als für die 
Gasfabrikation. Gehen unsere jetzigen Energiequellen für 
industrielle Zwecke, Holz und Kohle zu Ende, so liegen in 
der Wärme des Erdinnern und der Sonnenwärme noch so 
gewaltige Energiequellen vor, welche die Technik der Zukunft 
nutzbar machen kann, dass es an Kraft zum Betrieb der 
Fabriken auch auf Jahrhunderte und Jahrtausende hinaus 
nicht fehlen wird. An den Vortrag schloss sich eine leb¬ 
hafte Diskussion an, an welcher sich die Herren Geh. 
Hofrath Wiener, Prof. Schröder, Dr. Doll und Dr. Tross 
betheiligten. 


472. Sitzung am 15. März 1895. 

Anwesend 28 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 

Herr Staatsrath von Trautschold sprach über die Krym 
und ihr Südufer, letzteres mit der italienischen Riviera ver¬ 
gleichend. Obgleich Norditalien und die Krym unter den 
gleichen Breitegraden liegen, ist das Klima der letzteren 
weniger mild als das der Riviera. Orangen kommen auf dem 
Südufer der Krym im Freien nicht mehr fort. Ursache der 
Verschiedenheit ist der höhere Schutz der Alpenketten für 
die Riviera und ihre westlichere Lage. Das taurische Gebirge 
ist verhältnissmässig schmal und der höchste Berg, Tscbadyr- 
Dagh, erhebt sich nur bis 1660 Meter über dem Meere. 
Nachdem der Vortragende die Salzgewinnung auf den flachen 
Ufern aus dem Seewasser berührt und des wirksamen Schlamm¬ 
bades Ssaki erwähnt, schilderte er den Bau des taurischen 
Gebirges, das seine Entstehung der Hebung durch eruptive 
Gesteine (Diabase) verdankt, die an verschiedenen Stellen des 
Südufers zu Tage treten. Ohne ihr Gebirge würde die Krym 
unfruchtbare Steppe sein (die sie in der nördlichen Hälfte 
auch jetzt noch ist), denn die nach Westen fliessenden Flüsse 
Alma, Katscha, Balbek, Tschernaja und der sich nach Nord- 

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ost wendende Ssalgir haben alle ihren Ursprung auf der Höhe. 
Dank dieser Segen spendenden Feuchtigkeit haben sich ihre 
Thäler mehr oder weniger in wahre Gärten verwandelt. Um 
die Kultur der Krym hat sich am meisten Anfangs dieses 
Jahrhunderts der Fürst Woronzov verdient gemacht. Durch 
ihn ist erst das felsige Südufer zugänglich gemacht worden. 
Dem Bau guter Wege folgte die Anlegung von Weinbergen, 
der Bau von Villen (von denen die schönste Alupka des Fürsten 
Woronzov); man schickte Brustkranke nach Jalta, Theodosia 
wurde beliebtes Seebad, jetzt fehlt es nicht mehr an Gast¬ 
häusern, in denen man zu kürzerem oder längerem Aufenthalt 
Unterkunft findet. Ausfuhrartikel sind Aepfel, Nüsse, Wein. 
In fruchtbaren Jahren sind 50 bis 100 Stützen für die Aeste 
der Aepfelbäume nöthig und ein einziger Nussbaum (Juglans 
regia) liefert 60 000 Nüsse. Alles an Früchten geht in das 
Innere von Russland. Die verschiedensten französischen und 
rheinischen Reben, auch ungarische sind angepflanzt, haben 
aber auf diesem Boden und unter diesem Klima ein ganz 
verschiedenes Getränk geliefert. Nichtsdestoweniger sind die 
Weine gut und feurig und haben die ausländischen Weine 
fast vom Markte in Russland verdrängt. Dasselbe kann man 
vom Champagner sagen, der in der Krym seit ungefähr 10 
Jahren hergestellt wird und dem ausländischen bedeutende 
Konkurrenz macht. Wälder gibt es noch in ziemlicher Aus¬ 
dehnung auf der Höhe des Gebirges, nämlich Buchenwälder, 
die im nördlichen Russland ganz fehlen, und Kiefernwälder. 
Durch das trockene Klima ist auch die Flora der wildwach¬ 
senden Pflanzen beeinflusst, und sind es namentlich die 
stacheligen Sträucher aus den Familien der Rhamneen (Pa- 
linurus) und der Asparagineen (Ruscus), die sich breit 
machen. 

Die Bevölkerung der taurischen Halbinsel ist bunt genug. 
Durch die Mongolenhorden des Dschingischan und Tamerlan 
wurde alle ältere Kultur zerstört und es siedelte sich ein 
tatarisches Volk an, dessen Hauptort noch jetzt Baktschi- 
Ssarei ist. Der Handel liegt noch in den Händen der Karaim- 
Juden, Armenier und der Griechen. Ackerbau wird getrieben 
von deutschen Kolonisten in der Nähe von Karassu-Basar. 
Die Besitzer des Landes, die Russen, vertheilen sich auf 


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Sebastopol Simferopol (Hauptstadt des taurischen Gouverne¬ 
ments), Jalta, überhaupt das Südufer der Krym und Kertsch. 
Die letztgenannte Stadt am Eingang des liimmerischen Bos¬ 
porus ist der Sammelplatz von ungefähr einem Dutzend 
Völkerschaften, kaukasischen, asiatischen und europäischen 
(Italienern), die sich hier zu Handelszwecken zusammenfinden. 

Herr Otto Ammon sprach über die ihm durch Herrn 
Bildhauer Prof. F. Schaper in Berlin zur Veröffentlichung 
mitgetheilten Kopfmasse des Fürsten Bismarck. Darnach ist 
der Schädel Bismarck’s von ungewöhnlicher Grösse und steht 
an Inhalt über allen bis jetzt bekannten Schädeln hervor¬ 
ragender Persönlichkeiten. Die Form des Schädels entspricht 
derjenigen der alten Germanen, wie sie bei uns in den so¬ 
genannten Reihengräbern gefunden zu werden pflegt. (Näheres 
veröffentlichte der Redner hierüber in der „Täglichen Rund¬ 
schau, Unterhaltungsbeilage“ 1895 No. 71, 72 und 98, 100.) 
Auf Antrag des Vorsitzenden wurde beschlossen, dass die Ver¬ 
sammlung Herrn Professor Schaper ihren Dank ausspreche. 

Herr Professor Holzmann zeigte vier von ihm entworfene 
und selbstgefertigte Modelle vor, die den Bewegungsmecha- 
nismus der Kieferzange der Wirbelthiere veranschaulichen. — 
Bekanntlich hat die Verschiedenheit der Bewegung und Be¬ 
weglichkeit der Kieferzange der Thiere mit innerem Knochen¬ 
gerüst in erster Reihe darin seinen Grund, dass die Anzahl 
der beweglichen Knochen bei den einzelnen Klassen bezw. 
Abtheilungen verschieden gross ist. Man kann in dieser 
Hinsicht bei den Wirbelthieren im Grossen und Ganzen vier 
Typen unterscheiden, die grossentheils mit den Klassen des 
Wirbelthierkreises zusammenfallen. Der erste Typus ist ver¬ 
treten durch die Klasse der Säugethiere, bei deren Kopf¬ 
zange der Unterkiefer allein aktive Bewegungen zu machen 
imStande ist. Weit beweglicher ist der Kieferapparat beim 
zweiten Typus, bei dem durch die Möglichkeit der Hebung 
der Oberbacke Quadratbein, Jochbein, Ober- und Zwischen¬ 
kiefer an der Bewegung theilnehmen. Dieser Typus um¬ 
fasst die Klassen der Vögel, Amphibien und Reptilien mit 
Ausnahme der Ordnung der Schlangen, die einen besonderen, 
den dritten, Typus repräsentiren. Bei den Schlangen ist 
die Beweglichkeit der Kieferknochen noch grösser, besonders 

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da einerseits die in der Regel bezahnten Flügel-Gaumenbeine 
gleichsam als zweite Oberkiefer thätig sind und andererseits 
das den Unterkiefer tragende bewegliche Quadratbein nicht 
am Schädel selbst, sondern an einem selbstbeweglichen 
Knochen, dem Schuppenbein eingelenkt ist. Den vierten 
Typus zeigen uns die Knochenfische. Er ist besonders 
charakterisirt durch die Grösse des Zwischenkiefers und 
Quadratbeines, durch die Beweglichkeit eines oberhalb des 
Oberkiefers befindlichen Zwischenstückes und durch die 
Stellung der Mundöffnung. 

Als Vertreter der vier Typen wurden gewählt der 
Schädel eines Pferdes (Equus caballus), eines Haushuhns 
(Gallus domesticus), einer gemeinen Natter (Tropidonotus 
natrix) und eines Karpfen (Cyprinus carpio). Die Dar¬ 
stellungen sind Vertikalprojektionen. Die einzelnen Knochen 
sind durch flache, dünne Brettchen aus Ahornholz wieder¬ 
gegeben und, soweit nicht beweglich, auf ein schwarzes Brett 
aufgeschraubt. Dieses Unterlagebrett ist bei allen Modellen 
gleich gross (75x55 cm) und somit auch ungefähr die Grösse 
der dargestellten Schädel; daher ist der Maassstab der Ver- 
grösserung bei den verschiedenen Thieren verschieden gross, 
und zwar beim Pferd 4:5, beim Huhn 1:12, bei der Natter 
1:30, beim Karpfen 1:6. Die an der Bewegung haupt¬ 
sächlich theilnehmenden Knochen (Unterkiefer, Zwischen¬ 
kiefer, Oberkiefer, Jochbein, Quadratbein und Gaumenflügel¬ 
bein) sind buntfarbig, und zwar trägt ein und dieselbe 
Knochenart bei jedem Modell dieselbe Farbe. Die beweg¬ 
lichen Knochen sind am Schädel bezw. unter einander durch 
Spiralfedern festgehalten. 

Die Modelle sollen betrachtet und benützt werden als 
grosse, für den Schulunterricht bestimmte, bewegliche Ab¬ 
bildungen. 


473. Sitzung am 5. April 1895. 

Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen 
Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums. 

Der Afrikareisende Herr Rindermann hielt einen Vor¬ 
trag über Land und Leute am Viktoria-See in Deutsch- 
Ostafrika. 


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474. Sitzung am 3. Mai 1895. 

Anwesend 54 Mitglieder. Vorsitzender: üerr Geh. Hofrath Dr. Wiener. 
Neu eingetreten die Herren; Banrath A. Williard, die Lehramts¬ 
praktikanten J. Dörr, A. Hobler und F. Stark. 

Greneralyerimmmluiiff. 

Herr Hofrath Dr. Meidinger liest einen Bericht aber die 
Thätigkeit des Vereins im verflossenen Geschäftsjahre vor. 
Herr 0. Bartning berichtet über den Stand der Kasse des 
Vereins. 

Für die nächsten zwei Jahre hatte eine Neuwahl des 
Vorstandes stattzufinden; durch Akklamation wurden die 
früheren Mitglieder wieder gewählt. 

Herr Geh. Hofrath Engler hielt einen Vortrag über das 
Argon, einen neuentdeckten Bestandtheil der atmosphärischen 
Luft. Zwei englischen Naturforschern, dem Physiker Lord 
Rayleigh und dem Chemiker Professor Ratnsay, hat man 
diese wichtige Entdeckung zu verdanken, welche nur dadurch 
möglich wurde, dass der Erstgenannte der beiden Gelehrten 
exakte Bestimmungen des spezifischen Gewichtes des aus 
Luft dargestellten Stickstoffs ausführte und dabei fand, dass 
dieser Luftstickstoff immer etwas schwerer war als der auf 
chemischem Wege präparirte reine Stickstoff. Genauere ge¬ 
meinschaftliche Untersuchungen ergaben alsdann, dass dem 
Luftstickstoff immer etwas Argon beigemischt sei und davon 
sein grösseres Gewicht herrühre. Der neue Stoff, ein farb¬ 
loses, geruch- und geschmackloses Gas, auch chemisch sehr 
indifferent, hat sich bis jetzt noch mit keinem anderen 
Elemente verbinden lassen und ist auch gerade infolge dieses 
indifferenten Verhaltens seiner Entdeckung bisher entgangen, 
trotzdem er in erheblich grösserer Menge in der Luft ent¬ 
halten ist, zu V* bis 2 Proz., als Kohlensäure und Wasser¬ 
dampf. Unter hohem Druck in Verbindung mit starker 
Abkühlung verdichtet sich das Argon zu einer farblosen 
Flüssigkeit, die bei noch niedererer Temperatur fest wird. 
Von besonderem Interesse ist das auf elektrischem Wege er¬ 
zeugte Funkenspektrum, welches Vortragender an einem durch 
Professor Ramsay erhaltenen Präparate vorzuzeigen in der 
Lage war. Je nach Gasdruck und Spannung der Elektrizität 


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ist die Farbe des glühenden Gases orangeroth oder stahlblau 
und zeigt das Spektrum entsprechend gefärbte charakteris¬ 
tische Linien. Ob in dem Argon ein neues Element vorliegt, 
oder nur eine besondere Modifikation eines schon bekannten 
Elementes, vielleicht des Stickstoffs, ist noch nicht entschieden. 
— Von fast noch grösserem Interesse als die Entdeckung 
des Argons ist die Wahrnehmung Ramsay’s, dass ein aus 
Cleve'it, einem bei Carlshuus in Norwegen sich findenden 
Mineral dargestelltes argonhaltiges Gas das Spektrum des 
Heliums zeigt, eines in seinem Wesen noch nicht näher er¬ 
kannten, höchst merkwürdigen Stoffes, der bislang nur in der 
die Sonne umgebenden Gashülle nachgewiesen wurde und den 
man auf der Erde bis jetzt vergeblich gesucht hatte. Letztere 
Entdeckung würde, falls sie sich bei den zur Zeit in Gang 
befindlichen eingehenden Untersuchungen bestätigte, eine der 
wichtigsten auf chemisch-astrophysikalischem Gebiet der neue¬ 
sten Zeit sein. An diese Ausführungen schloss sich eine 
Diskussion, woran sich Herr Dr. Ristenpart und der Vor¬ 
tragende betheiligten. 


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Abhandlungen. 


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Der Aufstand in Deutseh-Ostafrika und die 
Wissmann’sehe Expedition. 

Von Lieutenant a. I). Georg MSrcker. 

Von allen deutschen Colonialerwerbungen ist ohne Frage 
Ostafrika die bei weitem bedeutungsvollste. Während wir 
in Togo und Kamerun, in Südwestafrika und der Südsee 
Gebiete haben, die zum grössten Thcil von uns erst entdeckt 
werden mussten, besitzen wir in Ostafrika eins der ältesten 
Handelsgebiete der Welt. Die Reliefs der Tempelruinen von 
Der-el-Bahri beschreiben uns die Handelszüge, welche die 
Königin Hatschepsu bereits im Jahre 1650 v. Chr. Geburt 
nach dem heutigen Somalilande sandte, um von dort Gold, 
Myrrhen und Getreide nach Egypten bringen zu lassen. Die 
Wappen und Inschriften über den Thoren der prachtvollen 
portugiesischen Burgruinen in unseren ostafrikanischen Küsten¬ 
städten sagen uns, dass das unternehmungslustige, seefahrende 
Volk der Portugiesen lange Jahrzehnte hindurch einen schwung¬ 
haften Handel in unserer jetzigen Golonie getrieben hat. Weit 
über Indien hinaus erstreckten sich Ostafrika’s Handelsbezie¬ 
hungen. Noch heute finden wir nicht selten chinesische Por¬ 
zellanteller auf arabischen Kirchhöfen, in arabischen Häusern 
in die Wände gemauert und die reichen Suahili in Lamu 
schätzen dieselben noch jetzt sehr hoch und geben sie un¬ 
gern weg. 

Auch in politischer Beziehung steht Ostafrika vornan. 
Nicht nur mit England und dem Sultan von Sansibar, auch 
mit Portugal und Frankreich brachte uns die Besitzergreifung 
Ostafrikas in directe, allerdings meistens unangenehme Be¬ 
rührung. Denn sämmtliche Mächte betrachteten Deutschlands 
Eindringen als eine Beeinträchtigung ihrer bereits bestehen¬ 
den Interessen. Vor allem war dies bei England der Fall, 
welches in Folge einer 18jährigen, eifrigen Thätigkeit seines 

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4 


Generalconsuls John Kirk ganz Ostafrika bereits in seinem 
Besitz geglaubt hatte. Man darf auch nicht verkennen, dass 
England zu einer solchen Annahme Berechtigung genug hatte, 
da es seit Jahren bereits vieles zur Cultivirung Ostafrikas 
gcthan hatte. Seit dem Jahr 1872 hatten englische Kreuzer 
die Ostküste Afrikas bewacht, um die Sklavenausfuhr im 
Grossen zu verhindern, eine Sache, die England viele Millionen 
gekostet hat. Zahlreiche englische Missionsstationen befanden 
sich in Ostafrika und nicht wenig Missionare hatten mit ihrem 
Blute einen Anspruch Englands auf O.stafrika geschaffen. Die 
deutsche Besitzergreifung kam für England wie ein Blitz 
aus heiterm Himmel. Sie war das Werk des jetzt auf dem 
Wege nach Wadelai angeblich erlegenen, damals 24jährigen 
Dr. Peters, welcher mit 2 Genossen, Dr. Carl Jühlke und 
Joachim Graf Pfeil einen shooting trip (Jagdausflug), wie er 
zur Täuschung der argwöhnischen Engländer sagte, in das 
Innere Ostafrikas, gegenüber der Insel Sansibar unternahm- 
In zehnwöchentlicher Reise schloss diese erste deutsche ost¬ 
afrikanische Expedition Verträge mit den Aeltesten der Pro¬ 
vinzen Useguha, Nguru, Usagara und Ukami ab; zum freu¬ 
digen Erstaunen von ganz Deutschland wurden diese Verträge 
vom Auswärtigen Amt sofort anerkannt und Anfang 1885 
ein Kaiserlich deutscher Schutzbrief über die neu erworbenen 
Gebiete ausgesprochen. Eine rasch gebildete deutsch-ost- 
afrikanische Gesellschaft sandte in schneller Aufeinanderfolge 
15 weitere Expeditionen nach Ostafrika, behufs weiterer 
Landeserwerbungen. Ende 1886 konnte das Organ der Ge¬ 
sellschaft, die „ Colonial - Politische Correspondenz “ stolz 
melden: Die deutsche Flagge weht vom Cap Guardafui im 
Norden bis zum Rovuma im Süden. Aber diese Verträge 
wurden von den übrigen europäischen Mächten nicht all¬ 
gemein anerkannt und im November 1886 wurde in dem 
Londoner diplomatischen Uebereinkommen eine territoriale 
Theilung Ostafrikas publizirt. Danach erhielt der Sultan von 
Sansibar ausser den Inseln Mafia, Sansibar, Pemba und Lamu 
und den 4 Häfen an der Somaliküste noch den ganzen Küsten¬ 
streifen vom Rovuma bis zum Osifluss im Norden in einer 
Breite von 2*/* deutschen Meilen. Das Hinterland dieses 
sansibaritischen Küstenstreifens vom Rovuma bis zum Tana- 


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fiuss wurde unter Deutschland und England getheilt. Als 
Demarkationslinie galt eine Linie vom Ostufer des Victoria 
Nyanza unter 1° südl. Breite zur Mündung des Umbaflusses. 

Damit war nun sowohl die deutsch-ostafrikanische, wie 
die zur Nutzbarmachung des nördlichen englischen Theils ge¬ 
bildete englisch-ostafrikanische Gesellschaft vollständig von 
der Küste abgeschnitten und eine gedeihliche Entwickelung 
beider Gesellschaften konnte unter solchen Umständen nicht 
erwartet werden. Diese Gesellschaften machten daher den Ver¬ 
such, vom Sultan von Sansibar die Abtretung der Küste zu 
erlangen, und dieser Versuch glückte. Die Gesellschaften 
schlossen mit dem Sultan einen Vertrag auf 50 Jahre, wo¬ 
nach die Zollerhebung, sowie die Landeshoheit an der Küste 
mit allen Rechten pachtweise auf sie übergingen. Die ge- 
sammten Zolleinnahmen sollten dem Sultan in der Grösse, 
in welcher er dieselben bisher bezogen hatte, unbedingt ver¬ 
bleiben. Da aber durch die von Deutschland zu erwartenden 
Culturen und Steigerungen der Handelsverbindungen, in¬ 
gleichen dadurch, dass die Zollerhebungen in die llände 
deutscher, statt arabischer und indischer Zollbeamten gelegt 
wurde, eine bedeutende Mehreinnahme an Zöllen bevorstand, 
wurde weiter bedungen, dass von diesem plus der Sultan 
50 # / o beziehen sollte. Damit die Gesellschaften aber auf 
alle Fälle ihre Auslagen ersetzt erhielten, wurde eine reich¬ 
lich bemessene Minimalentschädigungssumme festgesetzt. Der 
Sultan verpflichtete sich, für Aufrechterhaltung der Ruhe und 
Ordnung im Küstengebiet beim Uebergang der Verwaltung 
an Deutschland Sorge zu tragen. Dieser Vertrag, von der 
englisch-ostafrikanischen Gesellschaft vorgeschlagen, war das 
Resultat hundertjähriger reicher Erfahrung auf colonialem 
Gebiet und vorzüglich dazu geeignet, beiden Vertragenden 
zum Vortheil zu gereichen. Der Sultan konnte sich nach 
menschlicher Berechnung nur gut dabei stehen und die Ge¬ 
sellschaften bekamen im allerungünstigsten Falle ihre Aus¬ 
lagen reichlich ersetzt. Machte der Sultan jedoch Geschäfte» 
so verdienten auch sie, und umgekehrt. 

Unter dem energischen, den Europäern im Grossen und 
Ganzen freundlich gegenüberstchenden, kurz vor Ratifizirung 
<les Vertrages gestorbenen Sultan Said Bargasch wäre das 


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Abkommen entschieden zum Segen Ostafrikas geworden. Der 
schwache, von wenigen fanatischen Arabern völlig beherrschte 
Nachfolger Seyd Khalifa jedoch liess sich einreden, dass dieser 
Vertrag der erste Schritt dazu sei, ihn seiner Herrschaft 
gänzlich zu berauben, und wurde schliesslich wohl auch dazu 
bewegt, nicht dagegen einzuschreiten, als unter der Hand ein 
Aufstand gegen die Europäer an der Kliste angezettelt wurde. 
Wäre letztere nur von den indolenten Negern bewohnt gewesen, 
so wäre die Erregung des Aufstandes von Sansibar aus vielleicht 
schwerer geworden, aber man hätte ihn nach seinem Willen 
lenken können. An der Küste sasscn jedoch einige Tausend 
Araber, welche durch den Besitz der werthvollen Cocosnuss- 
pflanzungen und durch den Handel die wirkliche Macht in 
Händen hatten. Diese wussten genau, dass mit dem Beginn der 
deutschen Verwaltung ihre Haupteinuahmequelle, der Sklaven¬ 
handel, sein Ende erreiche und ihnen damit die Lebensadern 
unterbunden würden. Begreiflicherweise lag es in ihrem In¬ 
teresse, sich mit allen Kräften gegen das neue Regiment zu 
wehren. Zugleich aber benutzten mehrere alte, an der Küste 
ansässige Geschlechter den Aufstand als erwünschte Gelegen¬ 
heit, sich von der Oberherrschaft des Sultans, die sie stets nur 
widerwillig anerkannt hatten, freizumachen. So wuchs denn 
die Bewegung, obwohl von den Sansibar-Arabern ins Leben 
gerufen, diesen bald über den Kopf. 

Mit der Uebernalnne der Küste durch die deutsch-ost¬ 
afrikanische Gesellschaft trat der Umschwung der Verhält¬ 
nisse deu Küstenbewohnern greifbar vor Augen. Die indischen 
Zöllpächter machten den deutschen Beamten Platz, die Terri¬ 
torialoberhoheit, besonders die Gerichtsbarkeit ging auf die 
deutschen Bezirkschefs über, neben der rothen Sultanflagge 
wurde die sogen. Usagaraflagge, d. h. die Flagge der ost¬ 
afrikanischen Gesellschaft, gehisst. Es erscheint durchaus 
unangebracht, die Flaggenhissung als den Grund zur Empö¬ 
rung darzustellen, da es dem Charakter der Araber nicht 
entspricht, aus so ideellen Gründen die Gefahren einer Er¬ 
hebung auf sich zu nehmen. Religiöse Gründe haben eben¬ 
falls nicht mitgesprochen, wenn der religiöse Fanatismus ja 
auch dort leicht zu Tage tritt, wo der Araber zu den Waffen 
greift. Auch der schwere Vorwurf, der den Beamten der ost- 


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afrikanischen Gesellschaft gemacht wurde, durch grobe Fehler, 
Tor allem in der Behandlung der Neger, den Aufstand her¬ 
vorgerufen zu haben, ist entschieden unbegründet und un¬ 
gerecht. Weil am Pangani ein unverschämter Neger zur 
Strafe ins Wasser geworfen wurde, deshalb soll 2 Tage da¬ 
rauf an einem Ort, der 50 deutsche Meilen entfernt ist, eine 
Empörung gegen die Europäer ausgebrocben sein! Die Be- 
amten haben gar nicht die Zeit gehabt, sich so verhasst zu 
machen, dass die Bevölkerung durch deren Benehmen zu 
einer Empörung hätte gereizt werden können. Der eigent¬ 
liche Grund der Erhebung war vielmehr ganz entschieden die 
Unterdrückung des Sklavenhandels, die als eine ganz natür¬ 
liche Folge der deutschen Verwaltung allgemein angesehen 
werden musste. Die Araber hatten übrigens mit der Be¬ 
wältigung der wenigen deutschen Beamten leichtes Spiel. 
Man kann die deutsch-ostafrikanische Gesellschaft doch wohl 
nicht gut von dem Vorwurf befreien, die ganze Sache etwas 
zu leicht genommen zu haben oder wenigstens dem Sultan all¬ 
zuviel Vertrauen geschenkt zu haben. Zum mindesten hätten 
die Beamten wohl ein paar Wochen vor dem 15. August, 
dem Tage der Küstenübernahme, auf die Stationen gesandt 
werden müssen, um die Bevölkerung kennen zu lernen und 
sich mit ihr soweit als angängig zu befreunden. Aber wenige 
Tage vorher erst betraten die deutschen Beamten die Orte, 
wo noch nie zuvor Weisse stationirt gewesen waren. Sie 
hatten natürlich keine Ahnung, wer ihr Freund, wer ihr Feind 
war. Auch fanden die Beamten nicht die gehofften Macht¬ 
mittel vor, um sich im Falle eines feindlichen Angriffs ver- 
theidigen zu können. Wohl waren auf jeder Station etwa 
15 arabische Soldaten des Sultans; aber es zeigte sich dies 
als ein Gesindel, welches sehr zu fürchten, gar nicht zu 
gebrauchen war. Beim ersten Anprall der Aufständischen 
mussten die Beamten die Stationen verlassen und ihr Leben 
durch die Flucht retten. Im Norden konnten sie von den 
deutschen Kriegsschiffen aufgenommen werden, die Beamten 
der südlichen Stationen Lindi und Mikindani aber mussten 
in Ruderbooten auf die hohe See flüchten, wo sie vom eng¬ 
lischen Kanonenboot Pinguin aufgenommen wurden. Leider 
ist es nicht ohne den Verlust von Menschenleben abgegangen. 


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8 


In Kilwa batten die Beamten, in ihrem Hause von den zahl¬ 
reichen Aufständischen eingeschlossen, Nothsignale vom Dache 
des Hauses gegeben, die von der auf Aussenrhede liegenden 
Möve jedoch scheinbar nicht bemerkt wurden. Lieutenant 
Krieger, der von einer im Hofe stehenden Gocospalme aus mit 
der Flagge das Nothzeichen geben wollte, wurde durch einen 
Schuss in den Kopf getödtet. Zwei Tage darauf wurde das 
Haus gestürmt und Steuerbeamter Hessel jagte sich selbst eine 
Kugel durch den Kopf, um nicht in Gefangenschaft zu fallen. 

Der Sultan war nach dem Vertrage verpflichtet, mit 
seinen Machtmitteln die Ordnung aufrecht zu erhalten. Er 
machte auch nothgedrungen einen Versuch, indem er gegen 
die Aufständischen in Pangani, die sich von ihm losgesagt 
hatten, seine sansibaritischen Paradetruppen unter General 
Matthews entsendete. Die Haltung der Soldaten war aber der¬ 
art unzuverlässig, und es desertirten sofort so viele Leute, dass 
Matthews die Mannschaften sofort wieder einschiffen musste. 

Wohl hätte die Marine, nach der Meinung vieler damals 
in Sansibar ansässiger Deutscher, durch ein thatkräftiges, so¬ 
fortiges Eingreifen den Aufstand im Keime ersticken können. 
Aber was sich nachher in Samoa, allerdings gerade in um¬ 
gekehrter Weise gezeigt hat, trat auch hier zu Tage. Die 
lange voraus ertheilten Befehle wollten zu den plötzlich ver¬ 
änderten Verhältnissen nicht passen und so konnte es ge¬ 
schehen, dass die Beamten von den Stationen vertrieben 
wurden, während die deutschen Kriegsschiffe davor lagen. 
Ja, in Kilwa wurden 2 Deutsche ermordet und von der auf 
ßhede liegenden Möve fiel auch nicht ein Schuss. Die Neger 
und Araber konnten ein solches Verfahren unserer Marine 
natürlich nicht begreifen und legten es einfach als Zeichen 
von Angst und Schwäche aus. Aus Anlass der Samoawirren 
ist glücklicherweise der Coinmandantur der Schiffe mehr Frei¬ 
heit des Handelns zugelegt worden, und hoffentlich kommt 
die Marine nicht wieder in die Lage, von einem ihrer schönsten 
Zwecke abstehen zu müssen, dem nämlich, die Deutschen im 
Auslande zu schützen. 

Am 16. August brach der Aufstand los, in zwei Tagen 
war ganz Ostafrika, bis auf die Stationen Dar-es-Salaam und 
Bagamoyo in Händen der Araber. 


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9 


Es galt nun für das Reich, der deutsch-ostafrikanischen 
Gesellschaft den im Kaiserlichen Schutzbrief zugesicherten 
Schutz* zu verleihen. Da nun aber der Aufstand, obwohl in 
erster Linie gegen die Gesellschaft gerichtet, sich darauf 
nicht beschränkte, sondern auch das Leben und das Eigen¬ 
thum von Angehörigen anderer Staaten bedrohte, und vor 
allem, da er einen neuen Aufschwung des Sklavenhandels 
hervorrief, fanden sich einige andere Mächte bereit, mit 
Deutschland gemeinschaftlich vorzugehen. Als geeignetes 
Mittel zur Unterdrückung erschien eineBlokade der ganzen 
ostafrikanischen Küste, mit doppeltem Zweck: die Einfuhr 
von Waffen und die Sklavenausfuhr zu verhindern. Diese 
Blokade wurde denn auch von Deutschland, England etc. 
eröffnet. 

Aber bald zeigte sich, dass die Blokade — trotz der 
wundervollen Leistungen 1 ) unserer Marine — ihren Zweck 
nicht völlig erreichte und unverhältnissmässige Opfer forderte. 
Nicht einmal die Unterdrückung der Sklavcuausfuhr gelang 
vollständig. Und im deutschen Schutzgebiet herrschte die 
Anarchie weiter, wurden Greuel der schlimmsten Art gegen 
deutschfreundliche Eingeborene verübt und alles zerstört, was 
durch deutschen Fleiss geschaffen war. Wollte man der Re¬ 
bellen Herr werden, so konnte es nur durch militärische Opera¬ 
tionen auf dem Festland geschehen. 

Diese Aufgabe zu übernehmen war die deutsch-ostafrika¬ 
nische Gesellschaft bereit. Sie wollte selbst eine Truppe bilden, 
und erbat sich Vom Reich nur die Zinsgarantie für die An¬ 
leihe, deren sie zu diesem Zweck benöthigt war. Da nun 
sichere Aussicht war, dass die Verzinsung und Amortisirung 
dieses Capitals durch die Zölle ermöglicht werden würde, so¬ 
bald erst wieder Ordnung herrschte, so würde auf diesem 
Wege das Reich von finanziellen Opfern überhaupt frei ge¬ 
blieben sein. 

Trotzdem überwogen die Bedenken gegen diesen Vor¬ 
schlag. Die Aufgabe schien zu gross für eine Privatgesell- 

*) Der Redner erwähnte, dass ihm ein französischer Admiral hei 
einem zufälligen Zusammentreffen auf einer gemeinschaftlichen Reise die 
Leistungen der deutschen Kriegsmarine geradezu ;;ls „formidablee et 
effroyables“ bezeichnet habe. 


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Schaft; nur dadurch konnte dem Auftreten einer Colouial- 
truppe der nöthige Nachdruck verliehen werden, dass das 
Reich mit seinen Machtmitteln dahinter stand; und man er¬ 
wartete — wie sich später zeigte, mit Recht — Grosses von 
dem Eindruck, der auf die Araber hervorgerufen werden würde 
durch die Thatsache, dass sie sich nunmehr mit dem so wohl 
bekannten und wegen seiner herrlichen Armee gefürchteten 
Deutschland im Kriege befänden. 

Somit beschloss die Reichsregierung, den Kampf zur 
Sache des Reichs zu machen und der Reichstag bewilligte die 
Mittel. Als Commissär wurde Hauptmann Wissmann nach 
Sansibar gesandt, mit dem Aufträge, eine Truppe von ein¬ 
geborenen und aus anderen Theilen Afrikas angeworbenen 
Soldaten zu bilden und mit dieser Buschiri zu Leibe zu gehen. 
Die Blokade ward aufgehoben. 

Ueber die deutsche Schutztruppe von Ostafrika be¬ 
stehen in Deutschland noch die sonderbarsten Vermuthungen. 
So bin ich oft gefragt worden, ob unsere Soldaten vollständig 
bekleidet seien oder nur den Schurz tragen, wie die anderen 
Neger. Wenn ich dann die Gegenfrage stellte, ob sich die 
Betreffenden preussische Officiere denken könnten, die mit 
einer Horde schwarzer, unbekleideter Menschen Parademarsch 
übten, dann wurde mir allerdings stets ein offenes Nein zur 
Antwort. Es sei mir deshalb gestattet, unsere Truppen in 
kurzen Strichen zu charakterisiren. Ich kann mich dazu wohl 
für befugt halten, da ich leider der erste der Wissmann’schen 
Offiziere bin, der krankheitshalber hat nach Deutschland zu¬ 
rückkehren müssen. 

Die, wie bemerkt, von deutschen Offizieren und deutschen 
Unteroffizieren geführte deutsche Schutztruppe für Ostafrika 
besteht aus 600 Sudanesen, 450 Sulus und 150 ostafrika¬ 
nischen Soldaten. Eine Zeit lang enthielt sie noch 100 
Somalis. An Waffen führen die Mannschaften neben dem 
Hirschfänger das Infanteriegewehr Modell 71 oder den Kara¬ 
biner. Die Sudauesen stammen aus dem oberen Quellgebiet 
des Nils, aus dem Bezirk Khartum, aus Darfur, Kordofan und 
Emins Provinz. Die Leute haben eine ebenholzschwarze Farbe 
und sind, Männlein wie Weiblein, von einer geradezu ab¬ 
schreckenden Hässlichkeit. Sämmtliche Sudanesen gehörten 


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früher der englisch-egyptischen Armee an, die meisten von 
ihnen haben die Feldzüge gegen den Mahdi und Arabi Pascha 
mitgemacht und bei Suakim gekämpft und nicht wenige unserer 
sudanesischen Unteroffiziere sind mit vier bis fünf Medaillen 
geschmückt. 

Die Leute sind Soldaten von Kind auf und man findet 
deshalb die meisten der militärischen Eigenschaften bei ihnen 
in wirklich hervorragendem Masse vor. So besitzt der Sudanese 
eine hervorragende Disciplin, Wachtvergehen kommen sehr 
selten vor und über Mangel an Tapferkeit kann man durch¬ 
aus nicht klagen. Das Einzige, was an den Sudanesen aus¬ 
zusetzen ist, wäre ein wenig ausgebildetes Reinlichkeitsgefühl, 
aber unter der deutschen Zucht sind auch hierin schon be¬ 
deutende Fortschritte zu erkennen. Das Engagement der 
Sudanesen war nicht leicht gewesen. Man hatte ihnen das 
Doppelte an Lohn zahlen müssen, als man geglaubt hatte; 
denn die Leute gingen ungern so weit von Hause weg, es 
war ihnen wohl bekannt, dass sie blutige Kämpfe zu bestehen 
haben würden, und es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass 
der englische Einfluss im Sudan in gewichtiger Weise mit- 
gesprochen hat. Zum Schluss musste den Leuten noch be¬ 
willigt werden, ihre Frauen und Kinder mitnehmen zu dürfen, 
eine keineswegs angenehme Zugabe. 

Die 350 Sulus stammen aus dem Süden, aus der portu¬ 
giesischen Colonie Ma^ambique, und zwar aus dem Hinterland 
von Inhambane. Kann man den Sudanesen mit seiner abso¬ 
luten Disciplin, der Ruhe des erfahrenen Kriegers, die oft 
beinahe in Schwerfälligkeit ausartet, mit dem Russen ver¬ 
gleichen, so ähnelt der Sulu dein Franzosen. Er besitzt viel 
Schneid, Elan, ist sehr beweglich und wenig disciplinirt. 
Letzteres kann nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt, 
dass die Leute fast noch nie vorher mit Weissen in Berührung 
gekommen sind, dass sie sozusagen in ganz wildem Zustande 
angeworben wurden und noch nicht vollständig gezähmt sind. 
Dabei sind die Sulus merkwürdigerweise zum Europäer sehr 
zutraulich. Es kommt ihnen gar nicht darauf an, an einen 
Offizier mit der Bitte um eine Cigarrette heranzutreten, und, 
wenn dieser Bitte nicht sofort genügt wird, solange an der 
Schulter des betreffenden Europäers zu schubbern, bis dieser 


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schliesslich aus reiner Langeweile seine Cigarrentasche her¬ 
vorzieht. Die Sulus sind sehr musikalisch. Ihre melodischen 
Gesänge sind Kanons und oft hört man, wie eine Abtheilung 
bei Beginn einer neuen Strophe einen Viertel- oder halben 
Tact auslässt und das Lied mit dem veränderten, klappenden 
Tact ohne Fehler zu Ende fuhrt. Höchst amüsant sind ihre 
Kriegstänze. Wird auf dein Marsche eine Rast, beim Exer¬ 
zieren eine Pause gemacht, dann springt der Vortänzer der 
Compagnie auf einen Offizier, am liebsten seinen Compagnie¬ 
chef, los, fuchtelt ihm mit dem Messer unter der Nase herum, 
dabei von einem Fuss auf den andern hüpfend, und singt: 
»Soll ich ihn tödten, soll ich ihn tödten?“ Unterdess hat 
die Compagnie einen grossen Kreis um die Beiden gebildet 
und antwortet prompt: „Ja, du musst ihn tödten, ja, du 
musst ihn tödten.“ Die Sulus sind mehr als tapfer, sie sind, 
wenn sie Gegner sehen, überhaupt nicht zu halten. Leider 
besitzen sie, wie so viele Stämme Afrika’s, die scheusslicbe 
Gewohnheit des Verstümmelns von Verwundeten, und aus 
diesem Grunde war eine stetige, scharfe Ueberwachung der 
Sulucompagnien nothwendig. Da diese Truppe aber nur halb 
so viel kostet als die Sudanesen und da man bei ihr stets 
und unbedingt davor sicher ist, dass sie im Gefecht ihre 
Führer im Stich lässt, so kann man sie wohl als den Kern 
der deutschen Schutztruppe bezeichnen. Dazu kommt ihre 
grosse Widerstandsfähigkeit gegen das feuchte ostafrikanische 
Küstenklima. Von den 600 Sudanesen starben in den ersten 
4 Wochen in Bagamoyo 68 Mann am Fieber, während die 
Sulucompagnie noch keinen Mann verloren hatte. 

Die zuerst vorhandenen Truppen waren die Askaris, das 
sind ostafrikanische Soldaten, die während des Aufstandes 
von den Stationschefs von Bagamoyo und Dar-es-Salaam an¬ 
geworben und einexerziert waren. Die Leute gehörten nicht 
den mohamedanischen Küstenstämmen, sondern den Stämmen 
des Innern an, die von Hause aus schon einen natürlichen 
Hass gegen die arabischen Sklavenhändler, ihre Unterdrücker, 
haben. Der Ostafrikaner ist, wenigstens was die meisten 
Völkerschaften anbetrifft, von Natur nicht gerade ein Held 
und mau hatte desshalb auch anfangs von den Askaris nicht 
allzuviel erwartet. Doch haben sie wirklich alles Mögliche 


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geleistet. Bei der Erstürmung von Buschiri’s erstem Lager 
hatten z. B. die Askaris mehr Todte und Verwundete als 
Sudanesen und Sulus zusammen genommen. Im Juni d. J. 
beschloss Hauptmann Wissmann, aus den Bewohnern der 
Provinz Usaramo, dem Hinterlande von Dar-es-Salasm, eine 
besondere Compagnie zu formiren, und da ich der Suahili- 
sprache mächtig war, wurde ich mit dieser Aufgabe betraut. 
Die Leute strömten in Scharen herbei, um sich anwerben 
zu lassen, trotz der nicht gerade allzu günstigen Bedingungen. 
Jeder Rekrut musste bei seinem Eintritt folgende Erklärung 
unterschreiben: dass er sich zu einer 2jährigen Dienstzeit ver¬ 
pflichte, gegen einen monatlichen Sold von 14 Mark 1 ), ohne 
Verpflegung, und dass das Verlassen des Dienstes während 
dieser Zeit die Todesstrafe zur Folge haben werde. Das 
Unterschreiben geschieht nicht wie bei uns durch das Zeichnen 
dreier Kreuze, sondern jeder Mann hat ein bestimmtes Zeichen, 
das aus allerlei Kraxeln und Krähenfüssen besteht. Manche 
Leute zeichneten ganze Landschaften auf das Papier und 
hörten nicht eher auf, als bis ich einem meiner schwarzen 
Gefreiten einen Wink gab, worauf dieser den Betreffenden 
dann zum Enden nöthigte. Ob sich eine Truppe, aus Küsten¬ 
negern gebildet, im ernsthaften Kampfe bewähren wird, ist 
fraglich. Ich habe mit diesen Leuten nur kleine Scharmützel mit¬ 
gemacht, bei denen eine scharfe Ueberwachung möglich war. 

Bis zum August d. J. hatten wir auch 100 Somalis in 
der Truppe, die in Aden angeworben waren und als Boots¬ 
leute verwendet wurden. Die Somalis sind keine Neger, sondern 
gehören dem semitischen Stamme an. Brugsch Pascha will 
in ihnen die rothe Rasse sehen, die dem Rothen Meer den 
Namen gegeben hat. Vor kurzem ist aus dem Munde eines nicht 
unbedeutenden Gelehrten die etwas abenteuerlich klingende 
Behauptung laut geworden, die Somalis seien die Nachkommen 
jener Vandalen, die in Folge der Völkerwanderung aus Spanien 
nach Marokko gedrängt wurden. Sie seien dann an den Ufern 
des Mittel- und Rothen Meeres entlang bis zu ihren jetzigen 
Wohnsitzen gedrängt worden. Den Grund für diese Behauptung 

*) Die anderen Trappen sind viel theurer. Von den Sudanesen 
erhalt der gemeine Mann monatlich 40 Mark, yon den Somalis und 
Sulus etwa */, dieser Summe, wie der Redner gelegentlich bemerkte. 


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gibt eine merkwürdige Uebereinstimmung der Sprachen. Die 
Somalis sind ein wunderhübscher Menschenschlag. Feine 
Mund- und Lippenbildungen, spitze Nasenformen, feurig und 
herrisch blickende Augen unterscheiden sie eben so sehr, wie 
der elastisch gebaute, sehnige und geschmeidige Körper von 
der unförmigen Negerrasse. Die Somalis sind die fanatischsten 
Mohamedaner, die man sich denken kann. Nimmt man dazu 
ihren herrischen Stolz, ihre unbändige Wildheit und ihre 
grenzenlose Habsucht, so begreift man, dass der Verkehr mit 
diesem Volke ein überaus schwieriger ist, dass stets die grösste 
Vorsicht dabei am Platze war. Die geringste körperliche 
Züchtigung, die man einem Somali zu Theil werden lässt, ist 
meiner Ansicht nach gleichbedeutend mit der versuchten so¬ 
fortigen Ermordung des betreffenden Europäers. Wurden 
andererseits die Somalis richtig behandelt, achtete man ihre 
Stammescigenthiimlichkeiten, ihre religiösen Gebräuche, dann 
konnte man sich auch unbedingt auf sie verlassen. Leider 
vertrugen die Leute, an das trockene Klima ihrer Steppen 
gewöhnt, das feuchtheisse Klima Ostafrika’s gar nicht, und 
nachdem von den 100 Somalis innerhalb eines Vierteljahres 
fast 50 am Fieber gestorben waren, wurden die Uebrigen in 
ihre Heimath zurückbefördert. Von der Pflichttreue und dem 
guten Willen, welcher die 10, mir in Dar-es-Salaam unter¬ 
stellten Somali beseelte, hier ein kleines Beispiel. Ich hatte 
noch spät in einer Nacht Briefe auf die im Hafen liegende 
Karola zu bringen. Als mich meine Somalibootsleute ins 
Boot tragen wollen, fühle ich an ihren heissen Köpfen, dass 
sie starkes Fieber haben. Auf meine Frage erfahre ich, dass 
alle 10 Somali starkes Fieber haben. Ich gebe darauf den 
Befehl, die Leute sollen sich in das auf dem Dache des 
Stationshauses befindliche Hospital begeben und mir welche 
von meinen Askaris herunterschicken. Da erklären sie mir 
aber, das würden sie nie zulassen, dass wir von Andern, als 
von ihnen gerudert würden. Sie würden dafür bezahlt und 
so lange sie sich überhaupt bewegen könnten, würden sie 
nicht dulden, das jemand Anderes sich an den Booten zu 
schaffen machte. 

Die Strafen bestehen in Gefängnissstrafen, Geldstrafen 
«nd in Prügel. Letztere Strafart ist von der englisch-egyp- 


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tischen Armee übernommen und jedenfalls die wirksamste. 
Es wurden die zuerkannten Hiebe von einem eingeborenen 
Unteroffizier mit einem Tau ausgetheilt. Bei den Sudanesen 
und Askaris geschah die Züchtigung vor der ganzen Garnison, 
die Sulus wurden nur in verschlossenen Räumen und nur in 
Gegenwart von Sulus geschlagen, bei den Somalis fiel die 
Prügelstrafe natürlich ganz fort. 

Das Exerzieren geschah in den ersten vier Wochen nach 
englisch-egyptischem Reglement. Das heisst, es wurden haupt¬ 
sächlich Bajonettangriffe und Carrebildungen geübt, mit welcher 
Kriegsweise die Engländer im Sudan die meisten Erfolge er¬ 
zielt hatten. Die Gommandos bei den Sudanesencompagnien 
waren arabisch; den Dolmetscher machten die französisch 
sprechenden schwarzen Offiziere. Den Sulus wurden die Com- 
mandos durch englisch sprechende Dolmetscher übermittelt. 
Bald jedoch wurde das Exerzieren nach dem neuen deutschen 
Exerzierreglement und mit deutschen Commandos eingeführt 
und wunderbar schnell gewöhnten sich die sonst so conser- 
vativen Schwarzen an diese Neuerung. 

Um einen Beweis zu geben von den schwierigen Ver¬ 
hältnissen, in denen wir uns zuerst befanden, möchte ich an¬ 
führen, dass in unserer Truppe nicht weniger als 10 Sprachen 
gesprochen wurden. 

Es sei mir gestattet, mit wenigen Worten die in Deutsch¬ 
land leider so vielfach vertretene und doch so unendlich irrige 
Ansicht zu widerlegen, als ob die deutsche Schutztruppe in 
übermässiger und unnöthiger Weise scharf, ja brutal voigehe. 
Glaubt man denn, dass das Niederbrennen der Dörfer, das 
Hängen der Araber uns ein so besonderes Vergnügen bereite; 
dass Major Wissmann so schneidig vorginge, wenn es nicht 
absolut nothwendig wäre. Vor allen Dingen darf man das 
Niederbrennen der Dörfer nicht zu tragisch nehmen. Dieselben 
bestehen ja lediglich aus Lehmhütten und sind in 3, 4 Tagen 
wieder aufgebaut. Saadani ist jetzt viermal von uns zerstört, 
viermal von den Bewohnern wieder aufgebaut worden. Es 
kommt ja für uns nicht blos darauf an, den Aufstand nieder¬ 
zudämpfen, sondern den Negern gleich den Daumen so aufs 
Auge zu drücken, dass ihnen die Lust zu einem zweiten 
Putsch gründlich vergeht. Wir müssen den Negern endlich 


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imponiren, was bis jetzt noch durchaus nicht der Fall war. 
Der Neger stellt meistens den Araber noch höher als den 
Europäer. Es liegt dies sowohl in der äusseren Erscheinung 
als auch im Benehmen der beiden Rassen. Der Araber mit 
seinem würdevollen, gemessenen Benehmen, seiner unerschütter¬ 
lichen Ruhe imponirt dem Neger erheblich mehr als der Euro¬ 
päer, der auf der Strasse rennt, der dem orientalischen pole¬ 
pole (langsam) das dem Neger sehr unsympathische upesi 
upesi (schnell) gcgenüberstellt. Was dem Neger noch mehr 
imponirt, ist, dass ihn der Araber im Allgemeinen viel gering¬ 
schätziger behandelt, als der Europäer. Letzterer straft wohl 
eigenhändig ein Vergehen des Negers. Der Araber ist zu 
stolz, um einen so tief unter ihm stehenden Menschen über¬ 
haupt anzufassen; er lässt ihn durch einen anderen Neger 
züchtigen. 

Es kam für uns also darauf an, dem Neger klar zu 
machen, dass wir es einerseits sehr gut mit ihm meinten, 
dnss wir aber anderseits, wenn er dies nicht anerkenne, von 
uns ebenso bezwungen werden könne, wie vom Araber. Wir 
wollten eben dahin kommen, dass die Neger sich zu uns 
schlugen und selbst gegen die Sklavenräuber auftraten. Und 
dass Wissmann dies gelungen ist, möchte ich als den grössten 
von ihm errungenen Erfolg ansehen. 

Den Arabern gegenüber wäre Sanftmuth und Milde nun 
vollends am falschen Ort. Es ist recht bezeichnend für unsere 
Verhältnisse, dass bei uns Stimmen laut werden können, die 
Wissmann’s Vorgehen ein brutales nennen. Was sind denn 
das für Herren, mit denen wir in Ostafrika zu thun haben? 
Premierlieutenant Gravenreuth hat bei seinem letzten grösseren 
Zuge in die Provinz Usaramo mehrere Dorfälteste gefunden, 
denen Buschiri die beiden Füsse hatte abhacken lassen und 
ihnen dann empfohlen hatte, doch zu ihren Freunden, den 
Deutschen an der Küste, zu marschiren. Man fand Kinder 
deutschfreundlicher Neger an den Füssen über langsam bren¬ 
nenden Holzfeuern aufgehängt. Diesen Schurken gegenüber 
ist blos eins am Platz: einen Strick um den Hals und an 
die nächste Palme. 

Redner theilt noch folgende Episode über eine Landung 
bei Sadaani mit: 


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Anfang Juni 1889 beschloss Hauptmann Wissmann, die 
Küstenstadt Saadani, welche einen Hauptstutzpunkt der Auf¬ 
ständischen bildete, anzugreifen, und zwar von der See aus. 
Der Angriff wurde eröffnet durch ein längeres Bombardement 
von dem deutschen Geschwader aus. Die aufständischen Truppen 
lagen an der Küste, sie hatten zahlreiche Fahnen aufgesteckt, 
und diese bildeten natürlicherweise die Zielpunkte. Doch 
machte die Beschiessung wenig Eindruck, so ging denn Wiss¬ 
mann mit 500 Mann in Booten gegen das Ufer vor. Die 
Brandung hinderte das Landen, es erfolgte daher in ziem¬ 
licher Entfernung von der Küste Wissmann’s Befehl: „Ins 
Wasser“. Doch da zögerten die Truppen, dem ungewohnten 
Befehl Folge zu leisten, erst als die deutschen Offiziere ihnen 
voran ins Wasser sprangen, folgten sie. Basch war in dem 
seichten Wasser das Ufer gewonnen, und was die Granaten 
nicht vermocht hatten, das gelang dem deutschen Hufrah: 
die Aufständischen liefen davon, und nach kurzem Kampfe 
war Saadani gewonnen. Und nun, da die vorherige Stellung 
der Araber in den Händen der Deutschen war, erkannte man 
auch, weshalb die Beschiessung verhältnissmässig so wenig 
gewirkt hatte: die Araber hatten eine Art Schützengräben 
gezogen, in nicht unbeträchtlicher Entfernung von einander, 
in welchen die Truppen lagen. Jeweils genau in der Mitte 
zwischen zwei solchen Verhauen hatten sie eine Fahne auf¬ 
gepflanzt, und da nun hauptsächlich auf diese Fahnen gefeuert 
worden war, hatte man sehr wenig getroffen. 

Als eine weitere Episode theilt Redner Näheres über die 
Erstürmung des zweiten Lagers von Buschiri mit. 

Dasselbe war in einem undurchdringlichen Busch- und 
Dornendickichte so versteckt angelegt, dass die zu dessen 
Ajufhebung abgesendete Schutztruppe auf ihrem Marsche Feuer 
bekam ohne zunächst zu erkennen, von welchem Platze aus 
die Schüsse kamen. Erst an einem späteren Tage entdeckte 
man, dass die Schüsse aus dem befestigten Lager gekommen 
waren. Dasselbe wurde nun genommen und man hatte Ge¬ 
legenheit, an den Palissadengängen, wohl verbarrikadirten Ein¬ 
gängen, Zickzackwindungen der Wege ins Innere und Gängen 
durch das Dornengebüsch Einblicke in die sehr entwickelte 
Befestigungskunst der Araber zu thun. 

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Redner beendigt seinen Vortrag mit folgenden Schluss¬ 
betrachtungen: 

Um die ostafrikanische Colonie dem Vaterlande nutzbar 
zu machen, dazu ist vor allem nöthig eine gesicherte directe 
Verbindung mit dem Mutterlande. Der unnatürliche Zustand, 
dass wir im Handel und Verkehr mit unserer Colonie auf die 
Transportmittel fremder Nationen angewiesen sind, dass die 
deutschen Einfuhrartikel und die Ausfuhr Ostafrika’s ihren 
Weg über fremdländische Häfen nehmen müssen, bedarf 
dringend einer baldigen Aenderung, wenn unsere Interessen 
nicht schwer geschädigt werden sollen. Wohl möglich, dass 
sich eine subventionirte Dampferlinie in den ersten Jahren 
nicht rentiren wird; aber das ist ja gerade der Zweck solcher 
Linien, dass sie die Grundlagen schaffen helfen, auf denen 
sich der überseeische Handel zu voller Selbstständigkeit ent- 
faltenr kann. Der Handel folgt der Flagge. Sowie überhaupt 
englische Interessen in Ostafrika entstanden waren, errichteten 
die Engländer sofort eine directe Dampferlinie London-San¬ 
sibar; wir beratschlagen seit 3 Jahren bereits, ob auch wir 
wohl eine solche Linie nöthig haben. Was den Handel Ost- 
afrika’s betrifft, so wird derselbe im grossen Publikum in 
Deutschland übrigens meistens weit unterschätzt. Ich bin 
kein Kaufmann und kann Ihnen mit Zahlen nicht viel auf¬ 
warten ; doch weiss ich, dass im vorigen Jahre für 2 1 /, Million 
Waaren aus-, für 4 i j 2 Million eingeführt sind. Und dabei 
herrschte an der Küste völlige Anarchie, die Neger hatten 
aufgehört, ihr Getreide zu bauen, Handel und Verkehr waren 
fast völlig ins Stocken gekommen. Und doch kann man an¬ 
nehmen, dass die Ausfuhr noch grösser gewesen ist, da ein 
grosser Theil der ausgeführten Waaren Sansibar gar nicht 
passirt hat und eine Zollerhebung ja in den letzten 4 1 /* Mo¬ 
naten nur in Bagamoyo und Dar-es-Salaam stattgefunden hat. 
Während die Ausfuhr sich auf wenige Artikel erstreckt, von 
denen Elfenbein, Kautschuk, Orseille, Sesam, Kopra und Kopal 
die wichtigsten sind, weist die Einfuhr über hundert ver¬ 
schiedene Nummern auf. Die Ausfuhr wird sich rasch steigern, 
sobald die deutschen Plantagengesellschaften mit ihrer Thätig- 
keit werden begonnen haben. Dass ein guter Tabak in Ost¬ 
afrika gewonnen werden kann, scheint durch die von der 


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19 


Plantage Lewa erzielten Resultate erwiesen zu sein. Die 
Versuche, die mit dem Anbau von Kaffee auf der Insel San¬ 
sibar gemacht werden, können erst in 4 Jahren ein Urtheil 
zulassen. Grosse Hoffnungen kann man dagegen auf den 
Baumwollenbau setzen. Die Baumwolle gedeiht in ganz Ost¬ 
afrika; die leichte Gultur lässt sie besonders als Sammelcultur 
geeignet erscheinen, d. h. man wird die Neger selbst dazu 
bringen müssen, die Baumwolle zu bauen. 

Mit einem Worte, Ostafrika besitzt ein Culturvermögen, 
welches die besten Ergebnisse verheisst. Wir blicken heute 
erst auf einen vierjährigen Zeitraum colonialwirthschaftlicher 
Entwickelung zurück, und heute schon Gewinne aus unseren 
Schutzgebieten erwarten zu wollen heisst ein nicht mehr als 
kindliches Verständnis von diesen Dingen besitzen. Dass 
diese Gewinne nicht ausbleiben werden, steht, wenigstens was 
Ostafrika betrifft, für mich völlig ausser Frage. Allerdings 
ist nöthig, dass man die Entwickelung der Golonien nicht 
geradezu verhindert. Aber was müssen wir bei uns in Deutsch¬ 
land erleben? Während in Ostafrika von einigen Dutzend 
Deutscher frisch und thatenfreudig vorwärts gegangen wird, 
wir ein hoffnungsvolles Entfalten deutsch- colonialer Keime 
sehen, wird in Deutschland von colonialfeindlicher Seite aus 
in gehässiger, spöttischer Weise darüber geurtheilt, ja man 
scheut sich nicht, den Männern, die im Kampf mit Menschen 
und Naturgewalten Leben und Gesundheit in jeder Secunde 
aufs Spiel setzen, die gewöhnlichsten, gemeinsten Motive unter¬ 
zuschieben. 

Meine Herrschaften, fassen wir alles zusammen, was mit 
dem Aufstande zusammenhängt, betrachten wir vor allem 
unsere Stellung der Negerbevölkerung gegenüber vor und 
nach dem Aufstande, dann müssen wir entschieden zu der 
Erkenntnis3 kommen, dass für unsere colonisatorische Thätig- 
keit in Ostafrika, ja für die gedeihliche Fortentwickelung 
unserer gesammten Colonialpolitik überhaupt uns nichts hat 
mehr nützen können, als der Ausbruch der Unruhen in Ost¬ 
afrika. Endlich hat man in Deutschland eingeseben, dass es 
unmöglich ist, in grossem Stil Golonialpolitik zu treiben, wenn 
man nicht Menschenleben und Geldmittel einzusetzen gewillt 
ist. Kein Zweifel, Deutschland wird noch manches Opfer für 

2 * 


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20 


die Erhaltung seines überseeischen Besitzstandes und für seine 
civilisatorischen Aufgaben in Afrika zu bringen haben, aber 
es wird sie ohne Zögern und mit um so freudigerem Muthe 
leisten, als der bisherige Gang der Dinge bewiesen hat, dass 
wir uns jetzt auf dem richtigen Wege befinden. Kein aben¬ 
teuerliches, wildes Vorgehen, keine unnöthigen Ausgaben, aber 
ebenso wenig auch ein Knickern oder Zaudern, wo es ein 
thatkräftiges, energisches Eingreifen gilt. Weder eine Förde¬ 
rung ausschliesslich privater Erwerbsbestrebungen aus Reichs¬ 
mitteln, aber auch keine Preisgebung deutschen Schaffens, das 
dem gesammten Vaterlande zu Gute kommt. Manchem Colonial¬ 
enthusiasten mag ja eine solche Umsetzung eines starken 
nationalen Gefühls in culturelle Thaten sehr nüchtern Vor¬ 
kommen, aber sie allein verbürgt dauernde Erfolge. 

Wenn wir nun mit dem Gewinn aus unseren Colonien 
die wirthschaftliche Macht Deutschlands stärken, dann stärken 
wir auch zugleich das Gewicht des deutschen Namens und 
weltpolitischen Einflusses des Reichs. Nach diesen Erfolgen 
strebt die Colonialpolitik in ihrer nationalen Bedeutung. Bei 
allen unseren colonialpolitischen Bestrebungen verfolgen wir 
doch vor allem den Zweck, dem Deutschthum als solchem 
Ruhm, Ehre und Gewinn zu sichern, deutsche Art, deutsche 
Sitte und Cultur, deutsche Sprache auf den ihnen gebührenden 
Platz zu erheben. 

Der von den deutschen Fürsten getragene Gedanke der 
colonialen Reichspolitik war eine Errungenschaft in nationaler 
Hinsicht, er stand in engster Verbindung mit dem Reichs¬ 
gedanken. Das nationale Hinausstreben von 1884 war die 
nothwendige Folge des nationalen Zusammenschlusses von 1871. 
Manchem der Aelteren unseres Volkes mag das Gefühl für 
diesen Zusammenhang, für die nationale Bedeutung der Colo¬ 
nialpolitik fremd sein. Aber die Ereignisse von 1870/71 haben 
ein Geschlecht gezeitigt, das warme Empfindung hat für das, 
was der Deutsche so lang entbehren musste, für nationalen 
Stolz. Diese Jüngeren, in deren Kindheit die Freudenfeuer 
hineinleuchteten, womit ihre Väter den Sieg von Sedan, 
die Aufrichtung des Kaiserreichs begrüssten, deren erste 
Regungen selbstständigen Denkens und Fühlens von grossen 
nationalen Ereignissen beherrscht waren, sie müssen alle 


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21 


fühlen, dass die Begeisterung des Jahres 1870 und die Be¬ 
geisterung des Jahres 1884, als es hiess, das Reich hat seinen 
eisernen Fuss auf die afrikanische Küste gesetzt und dort 
seine Flagge entfaltet, aus derselben Quelle entstammen. Geht 
der Nationalstolz unserem Volke nicht verloren, dann ist 
auch für unsere coloniale Entwickelung die Zukunft gesichert. 
Aber die jetzigen und künftigen Unternehmungen müssen 
nicht blos mit den Wünschen, sondern auch mit dem Opfer¬ 
sinn einer warmen Vaterlandsliebe begleitet werden, denn 
nie sind solche Unternehmungen gediehen, wenn sie nicht ein 
ganzes, grosses Volk als Rückhalt hatten, wenn nicht in der 
grossen Masse des Volkes die Uebereinstimmung herrschte, 
dass diese Sache des Volkes Sache sei. 

Für welches Volk aber ist es jetzt leichter, den natio¬ 
nalen Gedanken in sich aufnehmen zu können, als für uns 
Deutsche, denen die letzten Jahrzehnte einen so herrlichen 
nationalen Aufschwung, eine Erfüllung der idealsten Träume 
gebracht haben? Die Feinde unseres geeinten Deutschlands 
wurden in den Staub getreten, und mit dem Siege zugleich 
die deutsche Einheit errungen. Als der deutsche Aar den 
ihm vorgeschriebenen Weg vom Fels zum Meer vollendet hatte, 
da streckte er seine Schwingen aus und nahm seinen Weg 
auf das blaue Weltenmeer hinaus und weit über das Meer 
bis zu den palmengeschmückten Gestaden unseres Neudeutsch¬ 
lands. Mag ihm der Palmenwedel eine ebenso sichere Ruhe¬ 
stätte gewähren wie der Ast der deutschen Eiche, mag er 
sich recht wohl fühlen in der tropischen Gluth der afrika¬ 
nischen Sonne, so dass man auch hier wieder von ihm sagen 
kann: Nec soli cedit. 


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22 


Ueber das Wachsthum des menschlichen 
Körpers. 

Von Geh. Hofrath Prof. Dr. Chr. Wiener in Karlsruhe 

Ueber das Wachsthum des menschlichen Körpers hatte 
ich durch meine vier Söhne Gelegenheit Beobachtungen zu 
machen, und ich will die Ergebnisse der von mir vorgenom¬ 
menen Messungen und einige daraus gezogene Schlussfolge¬ 
rungen im Folgenden mittheilen. 

Messungen über das Wachsthum des menschlichen Körpers 
sind schon zahlreiche vorgenommen und veröffentlicht worden; 
die ersten und vielleicht wichtigsten sind die vonQuctelet, 
veröffentlicht in seinem Werke „Sur l’homme et le dövelop- 
pement de ses facultes, Bruxelles 1836“. Darin sind im 
2. Bande die mittlere Grösse und die Grenzgrössen jeder 
Altersklasse aus einer grossen Anzahl von Messungen an 
Soldaten, in Schulen, Pensionaten, Waisenhäusern u. s. w. 
ermittelt. Durch diese Messungen an wechselnden Personen 
wurden die Ergebnisse einerseits befreit von den Unregel¬ 
mässigkeiten, die bei den einzelnen Menschen Vorkommen, aber 
andererseits wurden auch diese Eigentbümlichkeiten der Ein¬ 
zelnen verwischt. Und gerade deswegen dürften die folgenden 
an denselben Menschen durchgeführten Messungen neben jenen 
mittleren ein Interesse bieten, zumal, soviel der Verfasser weiss, 
noch keine derartige Beobachtungen veröffentlicht worden sind. 

Ich mass an meinen Söhnen, die ich dem Alter nach mit 
I, II, III, IV bezeichnen will, von ihrer Geburt an die Körper¬ 
grösse zwischen Fusssohle und Scheitel, den Umfang des 
Kopfes über Stirn und Hinterkopf, da wo er am grössten ist, 
und den Kopfbogen, d. i. die Länge des Bogens von der 
Nasenwurzel zwischen den Augenbrauen über den Scheitel bis 
zum oberen Rande des Hinterhauptloches, und ausserdem einige¬ 
mal die Kopflänge und Kopfbreite, alles in Centimetern. 
Die Körpergrösse bestimmte ich in aufrechter Stellung an einer 


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23 


lothrechten Wand mittelst eines an die Wand und auf den 
Scheitel aufgelegten Winkelscheites, Kopfumfang und Bogen 
mittelst einer umgelegten Schnur oder eines Bandmasses. 
Die Kopflänge und Breite mass ich mittelst eines von mir 
konstruirten Schädelmessers, welcher den Kopf rahmenartig 
umgibt, und in welchem der Massstab in der Mittellinie ver¬ 
schoben werden kann. 

Was die Genauigkeit anbelangt, so ergaben sich bei 
wiederholten Messungen in der Körpergrösse Unterschiede bis 
zu 3 mm, in Kopflänge und -Breite bis zu 1mm, im Kopf¬ 
umfang bis zu 5 mm, im Kopfbogen kamen sogar, wenn auch 
selten, solche bis zu 10 mm vor. Die letzteren Abweichungen 
an den Kopfmassen, wenn sie in Zeitabständen von einigen 
Wochen oder Monaten genommen waren, rühren zum Theil von 
der wechselnden Stärke der Haare, diejenigen beim Kopfbogen 
aber auch von der Unsicherheit der beiden Grenzpunkte her. 

Die Körpergrösse wurde in natürlich aufrechter 
Stellung ohne Strecken und Zusammensinkenlassen gemessen. 
Ich fand dabei, dass sich die Grösse aus dieser natürlich auf¬ 
rechten Stellung durch Strecken um 0,4 bis 0,7 cm vermehrt. 
Die Vergrösserung wurde dabei bewirkt durch das mehr Gerad- 
biegen des nach hinten hohlen Rückgrates. Denn Striche, die 
bei III (27,8 Jahre alt) auf dem Rückgrat an seinem unteren 
sichtbaren Ende über den Gesässbacken, in der Mitte des 
Rückens und am obersten Halswirbel angebracht waren, er¬ 
gaben, dass durch das Strecken der erste seine Höhe von 
95,0 cm nicht änderte, der zweite (121,7 cm) sie um 0,3, der 
dritte (158,8) sie um 0,7 und der Scheitel des Kopfes (177,7) 
sie ebenfalls um 0,7 cm vermehrte. Bei IV (18 Jahre) fand 
ich eine Vergrösserung von 0,4 cm. Diese Beobachtungen 
stimmen mit einer angenäherten Berechnung der Streckung 
des krummen Rückgrats überein. Nach einer Messung ver¬ 
mindert sich nämlich dessen Wölbungstiefe oder Pfeilhöhe von 
6 auf 4,5 cm. Ein Kreisbogen von 158,8 — 95,0 = 63,8 cm 
Sehne und 6 cm Pfeilhöhe ist um 1,12 cm länger als die Sehne, 
derjenige von 4,5 cm Pfeilhöhe um 0,63 cm, also ist die Streckung 
= 1,12 — 0,63 = 0,49 cm, was mit dem gemessenenen 0,7 bis 
0,4 ziemlich übereinstimrat. Dabei ist auf die genaue Form¬ 
änderung nicht eingegangen. 


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24 


Beim Messen des auf wagrechter Matratze liegenden Körpers 
fand ich eine Verminderung der Körpergrösse um 0,3 bis 0,8 cm, 
sowohl bei der Bauch-, wie der Rückenlage, bei ersterer durch 
eine stärkere Biegung des Rückgrates nach dem höher liegenden 
Hals, bei der letzteren durch eine Beugung des hinten auf¬ 
liegenden Kopfes. Doch sind die Messungen beim Liegen un¬ 
sicherer. 

Von Belang ist die tägliche Schwankung der Körper¬ 
grösse, welche schon vor Quetelet bekannt war (am angef. 
Orte S. 24). Dieselbe ist, wie ich fand, unmittelbar nach dem 
Erheben aus dem Bette am grössten und nimmt bis zum Abend 
um 1 bis 2 cm, ja nach starker Ermüdung um 3 cm ab. 
Findet während des Tages ein längeres Liegen statt, z. B. 
nach dem Mittagsessen etwa eine Stunde lang, so nimmt der 
Körper wieder seine grösste Länge an. Ich will hierüber 
einige Messungen anführen: 


II, 24,31 Jahre alt; Körpergrösse g, alsbald nach dem 
Erheben aus dem Bette, und t Zeit später (in Stunden h und 
Minuten m). 


t 

3,0 m 

4,5 m 

9,5 m 

20,5 m 

27,0 m 

35,0> 

e 

177,3 

177,3 

177,2 

177,1 

177,1 

176,9 cm 

t 

56 m 

1 h 43 m 

4 h 27 m 

9 h 15 m 

15 h 59 m 


g 

176,5 

176,8 

176,2 

176,1 

176,0 cm 


III, 19,22 Jahre alt. 

t 

1,2 m 

4,0 m 

16,5 m 

22 m 

30,5 m 

52 m 

g 

177,9 

177,9 

177,3 

177,4 

177,3 

177,0 cm 

t 

1 h38m 

4 h 22 m 

5 h 54 m 

! 

i 



g 

177,2 

176,4 

175,9 cm 




Nachmittags nach einer Stunde halbliegend auf dem 
Kanapee: 


t 


6 h 40 m 

g 

176,9 

176,0 cm 


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25 


IV, 11,53 Jahre alt. 


t 

5 Sec. 

7 m 

20 m 

1 h 20 m 

g 

150,3 

150,0 

149,9 

149,9 cm 


11,10 Jahre alt, Vormittags, alsbald nach dem Aufstehen, 
147,4, Abends 13Va Stunden später 146,7. 5 Tage später zu 
entsprechenden Zeiten 147,9 und 147,2 cm. 

An mir selbst fand ich in einem Alter von 54,17 Jahren 
Vormittags alsbald nach dem Erheben aus dem Bette 180,3 cm, 
nach dem Mittagsessen 179,4 cm, nach 2 Stunden liegend auf 
dem Kanapee, zum Theil schlafend, zum Theil lesend, 180,1 cm. 
Ebenso 2 Tage später, nahezu zu denselben Zeiten 179,8, 
179,1, 179,8 und Abends spät 179,1 cm; noch 2 Tage später 
früh 180,0 cm, Abends, 14 Stunden später, 179,1cm. 

Es ergibt sich also, dass das Kleinerwerden hauptsächlich 
in der ersten Stunde nach dem Erheben vor sich geht und 
dass nach 4 bis 5 Stunden so ziemlich die kleinste Grösse 
erreicht ist. 

Die Verkleinerung während des Tages findet hauptsächlich 
im Rückgrate statt. Ich machte auf der Rückenseite des Körpers 
einige wagrechte Striche mit Tusche und mass deren Höhe un¬ 
mittelbar nach dem Erbeben aus dem Bette und Abends, 15 
Stunden später. Ich fand bei III im Alter von 27,83 Jahren 

Morgens Abends 


Kniekehle. 49,8 49,8, 

Obere Grube an den Gesässebacken 95,6 95,1, 

Scheitel. 179,0 177,7. 


Diese Verkleinerung ist nicht mit einer stärkeren Aus¬ 
biegung des Rückgrates verbunden und kann daher nur, wie 
es auch allgemein geschieht, dem durch das Gewicht der oberen 
Theile bewirkten Zusammendrücken und Ausquetschen der in 
den Gelenkräumen gelagerten schleimigen Knorpelschichten 
zugeschrieben werden. Der grössere Theil der Verkleinerung 
findet im RUckgrate statt. Eine andere Messung hatte auch 
eine Senkung schon in der Kniekehle ergeben, wesshalb eine 
Zusammendrückung des Fussgewölbes nicht ausgeschlossen ist. 
Doch sind diese Messungen schwierig, da kleinere Schwankungen 
in der Neigung des Körpers und seiner Theile wechselnde 
Zahlen liefern. 


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26 


Ich habe die unmittelbaren Ergebnisse der Mes¬ 
sungen der Körpergrössen, des Kopfumfangs und des 
Kopfbogens meiner 4 Söhne in den Tabellen 1 (I, II, III, 
IV) niedergelegt. 


Tabelle I. 


Unmittelbare Ergebnisse der Körpermessungen. 

(Alter in Jahren, Längen in Centimetern, V = Vormittags, N = Nachmittags.) 

I. Geboren am 4. Juni 1856. 

Alter 0,00 0,64 1,47 2,47 2,93 4,02 5,07 6,00 7,01 
Körpergrössc 54,0 75,0 78,3 88,4 93,3 100,1 106,8 113,7 119,8 


Kopfumfang 


(C 

1,5 52. 

,8 51,9 

52,9 

53,5 

53,5 

54,4 

Kopfbogen 


35 

,5 36, 

,2 36,3 

36,4 

37,0 

37,5 

37,5 

Alter 

8,00 

9,00 10,04 11,06 11,98 12,99 

14,00 

15,01 

Körpergrösse 

125,2 

130,5 135,0 141,1 146,1 154,7 

164,2 

169,0 

Kopfumfang 

54,8 

55,0 

55,0 

56,2 

56,5 

57,3 

57,0 

57,0 

Kopfbogen 

37,3 

37,5 

38,7 

39,1 

39,1 

38,0 

38,5 

38,1 

Alter 

16,00 

17,02 

18,00 

18,56 

19,01 

19,56 

20,00 

20,56 

Körpergrö88e 

171,4 

172,7 

172,6 

172,8 

172,9 

173,0 

' 172,9 

173,3 

Kopfumfang 

58,0 

58,0 

58,6 


59,0 


59,0 


Kopfbogen 

38.5 

39,0 

39,0 


39,5 


39,5 


Alter 

21,00 

22,25 

23,00 

23,56 

25,00 

27,81 

N 

l 28,23 

Körpergrösse 

172,7 

173,4 

173,3 

173,3 

172,6 


172,7 


Kopfumfang 


58,5 

59,0 

59,0 


59,0 



Kopfbogen 


39,5 

39,8 

39,0 


39,0 




V 

N 







Alter 

32,27 

33,91 







Körpergrösse 

173,1 

172,6 







Kopfumfang 

59,5 








Kopfbogen 

39,0 









Alter 32,27 
Kopflänge 20,1 
Kopfbreite 15,8 


78,7 


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27 


Tabelle 1 (Fortsetzung). 


II. Geboren am 15. Mai 1857, wohl etwas verfrüht geboren. 

Alter 0,00 0,52 1,52 2,01 3,08 4,01 5,01 6,02 7,00 
Körpergrösse 46,0 66,5 76,9 83,8 92,9 101,3 107,2 114,4119,5 


Kopfumf&og 

45,5 50,0 50, 

5 51,7 

52,2 

52,5 

53,0 

53,7 

Kopfbogen 

30,5 34,0 34, 

4 35,1 

35,1 

35.3 

35,8 

36,5 

Alter 

8,11 

9,21 1 

10,02 1 

11,04 12,05 13,00 ] 

14,06 

15,05 

Körpergrösse 

125,6 

132,2 ] 

134,9 

140,8 146,4 153,2 : 

161,8 

169,2 

Kopfumfang 

54,0 

53,2 

53,8 

54,8 

54,6 

54,7 

55,1 

56,0 

Kopfbogen 

37,5 

37,0 

37,0 

37,0 

36,5 

36,5 

36,5 

3i>,0 

Alter 

16,01 

17,05 

17,61 

17,70 

18,02 

18,34 

18,61 


Körpergrösse 

173,3 

175,2 

175,8 

176,3 

176,3 

177,0 

176,5 


Kopfumfang 

57,0 

57,0 



57,4 




Kopfbogen 

37,0 

38,0 



37,5 




Alter 

19,06 

19,61 

20,00 

21,08 

21,61 

22,06 

22,61 


Körpergrösse 

176,3 

176,4 

176,7 

176,7 

176,7 

176,6 

176,7 


Kopfumfäng 

58,0 


58,5 

57,5 

57,5 

57,0 

57,5 


Kopfbogen 

38,5 


38,0 

38,0 

37,5 

37,8 

38,0 



V 

N 

N 

T 

N 




Alter 

24,31 

J) 

26,95 

31,32 

31,33 




Körpergrösse 

177,3 

176,0 

176,8 

177,2 

176,7 




Kopfumfang 




59,0 





Kopfbogen 




39,0 






Alter 31,32 
Kopfl&nge 19,6 
Kopfbreite 16,0 Index 81 ’ 6 


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28 


Tabelle 1 (Fortsetzung). 


III. Geboreu am 15. Juni 1862. 

Alter 0,01 0,25 0,50 1,00 2,11 3,02 4,01 5,03 6,11 

Körpergrösse 52,4 61,0 71,0 74,2 88,2 94,2 102,0108,0 115,2 

Kopfumfang 35,9 41,5 46,0 48,8 53,0 52,8 53,2 54,0 54,2 

Kopfbogen 24,5 27,7 29,5 33,4 36,3 35,8 35,7 35,7 35,6 


Alter 

6,96 

8,01 

8,98 

9,97 ] 

10,99 : 

11,97 

12,53 

12,97 

Körpergrösse 

120,2 

125,8 131,0 1 

136,5 1 

142,1 

145,1 

148,8 

151,8 

KopfamfiiDg 

54,0 

54,0 

54,0 

54,0 

55,5 

55,7 


56,0 

Kopfbogen 

36,0 

36,0 

36,2 

36,0 

36,3 

36,6 


36,5 

Alter 

13,53 

14,00 

14,53 

15,01 

15,50 

16,00 

16,53 

17,00 

Körpergrösse 

154,1 

157,1 

161,6 

166,6 

169,7 

172,2 

174,7 

175,7 

Kopfumfang 


56,5 


57,0 

57,8 

58,0 

57,7 

58,2 

Kopfbogen 


37,0 


37,6 

38,0 

39,0 

38,0 

38,2 






V 

N 


N 

Alter 

17,53 

18,03 

18,57 

19,04 

19,22 


19,58 

19,72 

Körpergrösse 

175,7 

176,6 

176,3 

177,5 

177,9 

175,9 

177,3 

177,8 

Kopfumfang 

58,0 

58,5 

59,0 

58,4 





Kopfbogen 

38,0 

38,5 

39,5 

39,0 







N 

N 

N 

V 

N 



Alter 

21,30 

23,22 

25,54 

26,23 

27,83 




Körpergröße 

176,8 

177,6 

177,9 

178,5 

179,0 

177,7 



Kopfumfang 




58,5 





Kopfbogen 




37,7 






Alter 25,54 
Kopflänge 20,3 
Kopfbreite 16,4 


Index 80,8 


26,23 

19,8 

16,3 


Index 82,3 


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29 


Tabelle 1 (Fortsetzung). 


IV. Geboren am 25. Dezember 1869. 

Alter 0,00 0,14 0,51 0,71 0,99 2,01 3,40 4,00 5,00 
Körpergröße 55,0 63,0 74,0 70,0 73,8 86,0100,0 104,2 111,1 


Alter 

5,45 

5,70 

6,00 

6,45 

7,00 

7,48 

7,97 

8,47 

Körpergrösse 114,1 

115,7 

116,7 

119,9 

124,0 

126,3 

130,2 

132,6 







Y 

N 

V 

Alter 

9,00 

9,47 

10,00 

10,50 

11,05 

11,10 

1) 

11,20 

Körpergrösse 136,3 

138,0 

141,4 

143,0 

146,3 

147,4 

146,7 

148,3 


Y 

Y 

V 

V 

N 

V 

N 

N 

Alter 

11,36 

11,45 

11,53 

11,73 

11,77 

11,85 


12,03 

Körpergrösse 148,8 

149,8 

149,9 

150,5 

150,8 

152,3 

152,2 

153,0 


N 

N 

V 

N 

N 

N 

N 

V 

Alter 

12,13 

12,20 

12,29 

12,35 

12,47 

12,54 

12,72 

12,85 

Körpergröße 153,7 

155,5 

156,2 

157,1 

156,9 

157,8 

159,8 

161,0 


N 

N 

N 

N 

N 

N 

N 

N 

Alter 

12,94 

13,04 

13,11 

13,20 

13,29 

13,37 

13,47 

13,54 

Körpergr össe 161,6 

163,2 

163,7 

164,1 

164,9 

165,8 

166,6 

167,7 


N 

N 

N 

V 

N 

N 

N 

N 

Alter 

13,60 

13,71 

13,72 

13,72 


13,74 

13,77 

13,80 

Körpergröße 168,6 

165,5 

165,6 

166,4 

165,4 

165,6 

166,1 

165,9 


N 

N 

N 

N 

N 

N 

N 

N 

Alter 

13,84 

13,95 

14,03 

14,10 

14,20 

14,29 

14,33 

14,67 

Körpergröße 166,4 

167,7 

168,7 

169,8 

170,3 

171,0 

171,2 

173,2 


N 

V 

N 

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N 

N 

» 

N 

Alter 

14,77 

14,85 

14,94 

15,03 

15,10 

15,19 

15,27 

15,36 

Körpergröße 17 4,2 

174,2 

175,1 

174,9 

175,6 

176,1 

176,6 

176,7 


N 

N 

N 

N 

N 

N 

N 

K 

Alter 

15,44 

15,52 

15,69 

15,77 

15,86 

15,94 

16,02 

16,11 

Körpergröße 177,0 

177,0 

177,7 

177,7 

177,8 

178,2 

178,3 

178,6 


N 

N 

N 

N 

N 

N 

N 

N 

Alter 

16,18 

16,27 

16,34 

16,59 

16,60 

16,85 

16,99 

17,28 

Körpergröße 178,9 

179,0 

179,3- 

179,4 

178,8 

179,5 

179,8 

180,0 


N 

N 

V 

N 

V 

N 



Alter 

17,60 

18,02 

18,89 


20,30 

» 



Körpergrösse 179,8 

180,1 

181,7 

179,8 

182,3 

181,0 




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30 


Tabttle 1 (Fortsetzung). 


Alter 

0,00 

0,14 0,51 

0,71 

0,99 

2,01 

3,40 

4,00 

5,00 

Kopfumfang 

38,0 

42,0 45,0 

47,0 

48,7 

51,0 

53,0 

53,4 

54,0 

Kopfbogen 


27,0 30,0 

30,0 

33,7 

35,5 

35,0 

36,0 

37,0 

Alter 

5,45 

6,00 6,45 

7,00 

7,48 

7,97 

8,47 

9.00 

9,47 

Kopfumfang 

53,7 

54,0 55,0 

54,5 

54,5 

54,5 

54,5 

55,0 

55,0 

Kopfbogen 

37,0 

38,0 37,5 

38,0 

38,0 

37,0 

37,5 

37,5 

37,0 

Alter 

10,00 10,50 11 

,05 12,03 

12,72 

14,33 16,00 20,35 

Kopfumfang 

55,' 

J 55,6 56,0 

56,5 

56,8 

58, 

5 58 

,8 59,0 

Kopfbogen 

38,0 38,0 37,5 

38,0 

38,5 

39, 

0 40 

,0 39,2 


Alter 18,07 
Kopflänge 20,0 
Kopfbreite 16,2 


Index 81,0 


Vater von 1, II, III, IV. Geboren am 7. Dezember 1826. 

VN N VN 

Alter 31,96 54,16 „ 60,64 63,44 „ 

Körpergröße 178,7 180,3 179,1 178,4 180,2 179,3 
Kopfumfang 60,0 60,8 

Kopfbogen 37,2 38,0 


Alter 60,64 
Kopflänge 20,9 
Kopfbreite 16,8 


Index 80,5 


Mutter von I, II, UI. Geboren am 20. Mai 1835. 
Alter 23,51 
Körpergrös8e 158,8 
Kopfumfang 57,0 
Kopfbogen 35,8 


Mutter von IV. Geboren am 21. 

N 

Alter 35,12 49,39 Alter 

KörpergrÖ88e 163,9 164,1 Kopflänge 

Kopfumfang 57,0 Kopfbreite 

Kopfbogen 36,5 


April 1834. 


53,73 

18,9 

17,0 


Index 90,0 


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31 


Da mir Anfangs die tägliche Veränderung der Grösse 
nicht bekannt war, verzeicbnete ich die Tageszeit nicht. 
Doch ist anzunehmen, dass meist nicht alsbald nach dem 
Aufsteben gemessen wurde, und dass überwiegend die kleinste 
Körpergrösse erhalten worden ist. Später habe ich meist 
Abends gemessen, weil die kleinste Grösse die den Tag 
über vorherrschende ist. V und N bedeuten Vor- und Nach¬ 
mittags. Ich mass gewöhnlich 2 bis 3mal hinter einander 
und verzeicbnete das Mittel der nur um wenige Millimeter 
von einander abweichenden Ablesungen. Das Alter ist in 
Jahren auf 2 Decimalstellen, die Längen sind in Centimeter 
angegeben. In den Figuren 1 bis 4 sind die Ergebnisse in 
Kurven dargestellt, deren Abscissen das Alter, deren Ordinaten 
die zugehörigen Grössen ausdrücken. In den Tabellen 2 (I, II, 
III, IV) habe ich durch Einschaltung die Grössen für die 
Zeitpunkte der zurückgelegten ganzen Jahre mit Ausgleichung 
kleiner Widersprüche und Unsicherheiten vermittelst der Ste¬ 
tigkeit und die daraus hervorgebenden Zuwachse in den ein¬ 
zelnen Jahren eingetragen. Man kann aus den Tabellen und 
Figuren folgende Beobachtungen und Schlüsse ziehen. 

I. Die Körpergrösse. 

1. Der Verlauf des Wacbsthums ist ein ziemlich stetiger. 
Die Schwankungen bei den bald aufeinander folgenden Mes¬ 
sungen sind meist kleiner als die täglichen Schwankungen 
und können daher in diesen ihren Grund haben. 

Bemerkenswerth ist bei IV eine Verminderung der Grösse 
um 3,1cm im Alter von 13*/» Jahren innerhalb 42 Tagen; 
diese Verkleinerung beruht nicht auf einem Irrthum, wie die 
mehrfachen kurz vorhergehenden und nachfolgenden Mes¬ 
sungen nachweisen. Erst innerhalb des folgenden Vierteljahrs 
konnte die frühere Grösse wieder erreicht werden. Die Ver¬ 
kleinerung fand während eines Landaufenthaltes in den Herbst¬ 
ferien statt, von dem der Sohn unwohl zurückkam. Unwohl¬ 
sein, das vielleicht durch zu reichlichen Obstgenuss verursacht 
war, dürfte eine Schwächung der Muskeln, welche das Rück¬ 
grat gestreckt erhalten, sowie eine Säfteentziehung des Ge¬ 
lenkknorpels herbeigeführt und so jene Erscheinung bewirkt 
haben. 


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37 


Fig. 4. 



2. Die Grösse bei der Geburt betrug von I, III, IV, 54,0, 
52,4, 55,0 cm, bei II nur 46 cm. Ich vermuthe, dass letzterer 
Knabe verfrüht zur Welt kam; mit 5 Jahren besass er nahe¬ 
zu dieselbe Grösse, wie seine Brüder. Der Körper war bei 
16 1 /* bis 18 Jahren mit 173 bis 180 cm fast ganz ausge¬ 
wachsen, von wo an bis zu 25 Jahren noch eine Vergrösserung 
um 0,5 bis 1,5 cm eintrat. Die Hälfte der vollen Körpergrösse 
war bezw. mit 2*/*, 2*/*, 2 1 /*. 2 1 /* Jahren erreicht. 

3. Das Wachsthum war in den 6 bis 8 ersten Monaten 


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38 


am grössten. Es betrug in den ersten 6 Monaten 15, 20, 
19, 19 cm, verminderte sich aber dann rasch, so dass es im 
ersten ganzen Jahre nur 18, 25, 22, 19 betrug. Eine Ab¬ 
nahme bei IV im Alter zwischen 0,5 und 0,7 Jahren fiel mit 
einem krankhaften Zustande zu jener Zeit zusammen. 

Im zweiten Jahr betrug der Zuwachs 12 bis 13 cm. Von 
da an nahm der Jahreszuwachs bis zu 12 Jahren langsam und 
mehr oder weniger stetig von 9 bis auf 5 cm ab. Dann aber 
trat bei allen ein rasches Wachsen, im Schuss ein, der im 
13., 14. oder 15. Jahre sein Maximum mit 8,2 bis 9,9 cm er¬ 
reichte. Es sind dies aber die Zeiten der entstehenden Mann¬ 
barkeit. — Eine Zeit lang nahm ich bei IV häufigere Mes¬ 
sungen vor, um eine etwaige Abhängigkeit des Wachsthums 
von der Jahreszeit zu finden; eine solche ergab sich aber nicht. 

4. Von der Gestalt der Wachsthumslinie kann man sich 
auf folgende Art eine übersichtliche Vorstellung machen. 
Der Anblick der Linien lässt vermuthen, dass ihr Theil zwi¬ 
schen 2 und 12 Jahren ein Stück einer Parabel ist, deren Axe 
in der Abscissenaxe liegt. Dies bestätigt sich bei der Probe; 
Parabeln, welche ich durch die Punkte bei 2 bis 2 1 /* und bei 
etwa 11 Jahren legte, haben folgende Gleichungen, wenn x das 
Alter in Jahren und y die zugehörige Grösse in Centimetem 
bezeichnet: 

I: y*=1412 (#+3,06), 

II: y* = 1439 (.r-+-2,86), 
ni: y* = 1426 (>-+-3,20), 

IV: 1568 (rr-f-2,70). 

Die Parabeln sind gestrichelt eingezeichnet; ihre Scheitel 
liegen bezw. bei x = —3,06; —2,86; —3,20; —2,70; also alle 
in der Nähe von —3 Jahren. Die Ordinaten dieser Parabeln 
und ihre Abweichungen von den wirklichen Grössen sind in den 
Tabellen 2 verzeichnet. Die Parabeln schmiegen sich inner¬ 
halb jener Grenzen den Wachsthumslinien gut an. Unter 2 
Jahren liegt die Wachsthumslinie unter der Parabel, von 12 
Jahren an im Allgemeinen Uber derselben und schneidet die 
Parabel bei einer Abscisse von 18 bis 19 Jahren. Diese Er¬ 
hebung über die Parabel zeigt jenes rasche Wachsthum zur 
Zeit der beginnenden Mannbarkeit an, und die Wachsthums¬ 
linie erreicht im 15. oder 16. Jahre ihren grössten Abstand 


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39 


von der Parabel mit 9,4; 8,6; 6,9; 8,0 cm. Ausnahmsweise 
tritt bei III zwischen 11 und 13 Jahren die Wachsthumslinie 
unter die Parabel; es war dies offenbar eine aussergewöhnliche 
Erscheinung; denn der Knabe erschien damals auffallend klein 
gegen seine Kameraden. Das raschere Wachsthum begann 
dann erst im 13. Jahre und erreichte im 15. sein Maximum. 
Auch die Kurve der Jahreszuwachse gibt darüber Rechen¬ 
schaft 

Jene Parabel könnte man Anschlussparabel nennen; 
anschliessend ist sie nur zwischen 2 und 12 Jahren; aber sie 
bietet in ihrem Anschluss an die Wachsthumslinie ein leichtes 
Verfahren zu deren Verzeichnung. Man zeichnet die Parabel 
mit dem Scheitel in —3 Jahren und der erreichten vollen 
Grösse bei 18 Jahren, schliesst dann die Kurve bei 0 Jahren 
mit der Geburtsgrösse (von etwa 53 cm), berührend bei 2 
Jahren, und rückwärts verlängert die Abscissenaxe bei —*/ 4 
Jahren treffend, an, und setzt zwischen 12 und 18 Jahren die 
Wölbung des Wachsthumsschusses auf, welche bei etwa 15 
Jahren ihren grössten Abstand von 8 bis 9 cm erreicht, bei 
12 Jahren sich berührend an die Parabel anschliesst und sie 
bei 18 Jahren horizontal trifft. 

Quetelet in seinem angeführten Werke gibt Gestalten der 
Wachsthumskurve für das männliche und das weibliche Ge¬ 
schlecht, welche beide ihrer Gestaltung nach untereinander über¬ 
einstimmen, von der von mir gefundenen Form aber abweichen. 
Nach ihm (am angef. Orte S. 26) verläuft die Kurve zwischen 
4 bis 5 und etwa 16 Jahren geradlinig mit dem gleichförmigen 
Jahreszuwachs von etwa 56 Millimeter, in den 3 folgenden 
Jahren aber nur noch mit 40, 25 und 25 mm. Die Einbiegung 
der Kurve und der hervorragende Schuss fehlt also. Es ist mir 
nicht zweifelhaft, dass diese Einbiegung durch das Ziehen 
des Mittels verwischt worden ist, indem die Einbiegung bei 
verschiedenen Menschen an verschiedenen Stellen auftritt 
Quetelet hat für die Wachsthumskurve die Gleichung 
3. Grades aufgestellt 

i y , t+x 

y+ 1000 (T-y) ~ a x+ 1+*/.*' 

Darin bedeutet x das Alter in Jahren, y die zugehörige 
Grösse, t und T die Grösse bei der Geburt und die des aus- 


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40 


gewachsenen Menschen, a den jährlichen Zuwachs zwischen 4 
und 16 Jahren, alle Laugen ausgedrückt in Metern. Er er¬ 
hielt für die Männer in Brüssel t = 0,500m, T— 1,684na, 
a = 0,0545 m; für die Frauen in Brüssel t — 0,49 m, T = 
1,579 in, a — 0,052 m. 

II. Die Kopfgrösse. 

1. Der Kopf wächst verhältnissmässig viel weniger als 
der Körper. Der Kopfumfang ergab sich bei der Geburt bei 
III gleich 35,9cm und stieg auf 58,5 bis59,0 cm bei 18 Jahren; 
bei IV von 38,0 bis auf die gleiche Grösse in gleichem Alter 
wie bei III. Er wuchs also nur auf das l,6fache seiner An¬ 
fangsgrösse, während die Körpergrösse von etwa 53 auf 178 cm, 
also auf sein 3,4faches stieg. Es ist demnach der Kopf bei 
den Kindern verhältnissmässig viel grösser, etwa doppelt so 
gross, als bei den Erwachsenen. Das Verhältniss des Kopf¬ 
umfangs zur Körpergrösse betrug z. B. bei III im Alter 

von 0 1 2 5 10 18 Jahren 

bezw. 0,68 0,66 0,61 0,50 0,40 0,33, 
fiel also von nahezu */ 3 auf I / a , so dass der Kopf des neu 
geborenen Kindes im Verhältniss zur Körpergrösse sehr nahe 
noch einmal so gross, als der des Erwachsenen war. 

2. Der Kopfumfang wächst ebenso wie der Körper im 
ersten Jahre, besonders aber im ersten halben Jahre am 
stärksten, im zweiten merklich weniger, und nimmt von da 
an nur ganz langsam zu; im 14. Jahre tritt wieder eine Stei¬ 
gerung des Zuwachses ein und mit 17 oder 18 Jahren ist er 
so ziemlich ausgewachsen; eine noch spätere Zunahme ist jeden¬ 
falls gering. So war der Zuwachs des Kopfumfangs bei 111 
ausgehend von 35,9 cm im ersten halben Jahr 10,1, im zweiten 
2,8 cm, also im ersten ganzen Jahr 12,9, im zweiten Jahre 
3,8, im dritten 0,8, blieb dann bis zum 12. Jahre 0,3 bis 0,2, 
um dann auf 0,5 zu steigen, drei Jahre so gross bleiben, vom 
17. bis 20. Jahre 0,1 zu betragen und dann fast zu verschwin¬ 
den. Der ähnliche Vorgang fand auch bei den drei anderen statt. 

3. Aehnliche Erscheinungen, wie der Kopfumfang, zeigt 
auch der Kopfbogen. Er wuchs bei III, von 24,5 cm aus¬ 
gehend, im ersten Jahre um 8,9, im zweiten um 2,1, dann 
jährlich bis zum 13. Jahre im Mittel nur um 0,1, dann um 


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41 


0,4; 0,6; 0,4, während von da an der mittlere Zuwachs bis 
zum 25. Jahre nur 0,1 betrug. 

4. In den Tabellen 1 sind auch die Kopflängen von 
Stirn bis Hinterkopf und die Kopfbreiten zwischen den grössten 
Ausladungen des Schädels nahe über den Ohren, gemessen 
an den erwachsenen Söhnen, angegeben. Sie sind ziemlich 
übereinstimmend 20 bezw. 16 cm, dazu ist der Kopfindex 
zugefügt, d. i. das Hundertfache des Verhältnisses der Breite 
zur Länge, oder die Breite, ausgedrückt in Procenten der 
Länge. Er wechselt zwischen 78,7 und 82,3. Die Söhne 
gehören daher zu den Mesocephalen und Brachycephalen, 
wenn man, wie es jetzt gewöhnlich geschieht, vom Index 
gleich 

70 bis 74,9 die Dolichocephalen oder Langköpfe, 

75 bis 79,9 die Mesocephalen oder Mittelköpfe, 

80 bis 84,9 die Brachycephalen oder Kurzköpfe, 

85 bis 89,9 die Hyperbrachycephalen, 

90 bis 94,9 die Ultrabrachycephalen 
rechnet. 

Die Eitern. 

Endlich mögen noch die Masse der Eltern angegeben 


werden. Der Vater ist geboren am 26. Dezember 1826. 
Für ihn gilt: 


Alter 

31,96 

54,16 V 

54,16N 

60,64N 

63,44N 

Körpergrösse 

178,7 

180,3 

179,1 

178,4 

179,3 

Kopfumfang 

60,0 

60,8 



60,3 

Kopfbogen 

37,2 

38,0 



38,0 

Kopfl&nge 


1 

| 


20,9 


Kopfbreite 




16,8 


Kopfindex 




80,5 



Eine Abnahme der Körpergrösse bei einem Alter von 
63*/a Jahr gegen 32 Jahr ist also nicht zu bemerken, die 
nach Quetelet (a. a. 0. S. 35) mit dem 50. Jahre beginnen 
und im 80. Jahre gegen 6 bis 7 cm betragen soll. 


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42 


Die Mutter der drei ersten Söhne war geboren am 
20. Mai 1835 und hatte im Alter von 23,51 Jahren 158,8 cm 
Körpergrösse, 57,0 cm Kopfumfang, 3518 cm Kopfbogen. 

Die Mutter des vierten Sohnes ist am 21. April 1834 
geboren, hatte im Alter von 35,12 Jahren 163,9 cm Körper¬ 
grösse, 57,0 cm Kopfumfang, 36,5 cm Kopfbogen, im Alter 
von 49,39 Jahren 164,1 cm Körpergrösse und im Alter von 
53,73 Jahren 18,9 cm Kopflänge, 17,0 cm Kopfbreite, dem¬ 
nach einen Index von 90. 

Die Masse sind in den Fig. Im. 4 eingetragen. 


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43 




Ein neuer Sehädelmesser (Kraniometer). 

Von Geh. Hofrath Prof. Dr. Chr. Wiener in Karlsruhe. 

Der Verfasser hatte mit grosser Theilnabme die anthro¬ 
pologischen Aufnahmen des Herrn Otto Ammon verfolgt, 
worüber dieser schon v 

mehrere sehr interes¬ 
sante Veröffentlichungen 
gemacht hat. Derselbe 
benutzte dabei den heim 
Militär gebräuchlichen 
Tasterzirkel, welcher 
zwei ausgebauchte Arme 
mit Endknöpfchen be¬ 
sitzt, deren Abstand auf 
einem Gradbogen abge¬ 
lesen wird. Dies Instru¬ 
ment gab aber bei den 
Schädelmessungen wegen 
der Biegsamkeit der Arme und wegen der Klein¬ 
heit der Theilung keine genügende Genauigkeit. 

Der Verfasser machte Herrn Ammon auf 
die im Forstwesen heim Messen der Baum¬ 
stammdicken gebräuchliche Kluppe aufmerksam, 
welche im Wesentlichen mit dem von den Mecha¬ 
nikern benutzten Kaliber und auch mit dem von 
Herrn Virchow angewendeten, aus Metall ge¬ 
arbeiteten, zerlegbaren Kraniometer überein¬ 
stimmt. 

Herr Ammon liess sich ein Instrument in 
der Art der Kluppen von Albert Nestler in 
Lahr in Baden aus Holz anfertigen, der es in 
vorzüglicher Weise ausführte. Dasselbe ist in 
*/* der natürlichen Grösse nebenbei abgebildet. 

Es besteht aus einem auf die hohe Kante gestellten Massstabe, 
der in Millimeter getheilt ist, und zwei darauf senkrechten 



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44 


Armen, von denen der eine am Ende des Massstabes fest 
angebracht, der andere aber auf demselben verschiebbar 
ist, wobei die Sicherheit der Führung durch eine Feder be¬ 
wirkt wird. Der eine Arm ist etwas länger als der andere, 
weil die grösste Länge des Kopfes zwischen der Unter¬ 
stirne und dem Hinterhaupte etwas nach hinten abfällt, aber 
in horizontaler Ausdehnung gemessen werden soll. Es wird 
dabei der Massstab horizontal Uber den Scheitel des Kopfes 
und der längere Arm an das Hinterhaupt gelegt. Herr 
Ammon wendet dies Instrument seitdem ununterbrochen an 
und findet es sehr bequem und fördernd, Eigenschaften, 
welche nothwendig sind, da die meisten Messungen bei Mili¬ 
tärmusterungen vorgenommen werden und mit diesen gleichen 
Schritt halten müssen. 

Die grösstmögliche Genauigkeit kann ich aber der Kluppe 
nicht zuerkennen; denn die geringste Biegung des Mass¬ 
stabes, eine ungleichmässige Anspannung der Führungsfeder 
und eine Biegung der Arme, welche beim Andrücken derselben 
an den Kopf stets eintritt, haben alsbald eine merkliche Ab- 
weichuug der Arme von der parallelen Stellung und dadurch 
fehlerhafte Messungsergebnisse zur Folge, wie es die nachher 
anzuführenden Versuche auch bestätigen. Zur Vermeidung 
dieser Mängel konstruirte ich daher einen andern Schädel¬ 
messer,*) der ebenfalls in */, der natürl. Gr. auf S. 26 abge¬ 
bildet ist. Derselbe besteht aus einem quadratischen Rahmen 
aus Holzstäben, von denen die zwei gegenüberstehenden, 
welche bei Anwendung von Druck auf Biegung in Anspruch 
genommen werden, stärker gebildet und nach der Mitte ver¬ 
stärkt sind, von denen aber die beiden andern nur auf Zug 
in Anspruch genommenen leichter und gleichmässig stark ge¬ 
bildet sind. In den Ecken ist der Rahmen durch kreisförmig 
ausgeschnittene Brettstückchen versteift. Der Rahmen besitzt 
in der Mitte der einen Seite einen flachen Griff und bietet 
das Aussehen eines Zeitungshalters. 

In einer Führung auf dem Griffe bewegt sich nach einer 
Mittellinie des Quadrates ein Massstab, der Millimeter angibt 

*) Das Instrument batte ich in der Schreinerei von Markstahler 
in Karlsruhe ausfQhren und bei Mechaniker Sickler theilen lassen. Ich 
legte es dem Naturw. Verein in seiner Sitzung vom 13. Januar 1888 vor. 


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45 


und auf einer Marke am Griffe Null ablesen lässt, wenn der 
Massstab an der gegenüberstehenden Seite des Quadrates an* 
stösst. Zieht man den Massstab zurück und bringt den Kopf 
in den Rahmen mit dieser gegenüberliegenden Seite und mit 



dem Massstabsende zur Berührung, so kann man an der 
Marke die Kopfdicke ablesen. Wegen der erwähnten tieferen 
Lage der Stelle der grössten Ausladung des Hinterhauptes 
ist an jener gegenüberstehenden Seite ein aufrechtes Plättchen 
angebracht, so dass beim Gebrauch das Instrument umge- 


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46 


kehrt wird. Ferner kann die Stellung der Marke korrigirt 
werden, indem das Brettchen, welches sie trägt, mittelst eines 
Schlitzes, eines FUhrungsstiftes und einer Klemmschraube 
beweglich und feststellbar gemacht ist. 

Ich stellte vergleichende Versuche über die Genauigkeit 
der beiden Schädelmesser an. Ich fasste die Dicke eines 
Holz- oder Eisenkörpers mit parallelen Begrenzungsflächen 
zwischen zwei aufgelegte Lineale, und mass den Abstand der 
Kanten derselben dicht an dem Körper mittelst eines gewöhn¬ 
lichen Massstabes; das Ergebniss betrachtete ich als das sicherste 
Mass. Nachdem ich den dabei angewendeten Massstab mit 
denjenigen der beiden Instrumente verglichen und überein¬ 
stimmend gefunden hatte, mass ich dieselbe Dicke mit diesen. 
Ich fand mit dem Rahmeninstrumente nur Abweichungen von 
kleinen Bruchtheilen eines Millimeters, bei der Kluppe dagegen 
Masse, die um 1,0 bis 2,0 mm zu klein waren. Bei dem 
Rahmeninstrumente konnte ich durch sehr starkes Andrücken, 
wie es aber bei den Messungen nicht vorkommt, Abweichungen 
von nur 0,5 mm hervorbringen, herrührend von schwachen 
Ausbiegungen der Querstücke des Rahmens. Bei der Klupp- 
dagegen zeigte sich, dass sich die Arme beim Aneinander¬ 
schieben zwar dicht aneinanderlcgten, beim Auseinander¬ 
schieben aber ihre parallele Lage verloren und an den Spitzen 
einen um 1,0 bis 1,5 mm grösseren Abstand als auf dem 
Massstabe annahmen, und dass dieser Unterschied bei etwas 
kräftigem Andrücken an den zu messenden Körper 2 mm 
und noch mehr betrug. Um so viel fand man die zu messende 
Dicke zu klein. Dabei hat man für die Stärke des Zusammen¬ 
drückens kein sicheres Gefühl, da der bewegliche Arm sich 
nicht leicht bewegt und daher einen ziemlichen Kraftaufwand 
erfordert, wobei aber die Empfindung für das Mass dieser 
Kraft vermindert wird. Durch eine mässige Verstärkung der 
Arme könnte das Instrument wohl etwas verbessert werden, 
doch bleibt immer die Schwierigkeit bestehen, eine genaue 
Parallelverschiebung der Arme zu gewährleisten. Auch Forst¬ 
leute hörte ich über die Unsicherheit der Kluppen klagen. 
Ich muss zufügen, dass ich die Benutzung des Rahmeninstru¬ 
mentes bequem und förderlich fand, wobei die leichtere Ver¬ 
schiebbarkeit des Massstabs günstig wirkt. 


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47 


Ueber die Schönheit der Linien.*) 

Von Geb. Hofrath Prof. Dr. Cbr. Wiener in Karlsruhe. 

Das Schöne theilt sich nach meiner Auffassung**) in das 
unmittelbar wirkende oder formal Schöne und in das 
mittelbar wirkende oder charakteristisch Schöne. Das erstere 
ist dasjenige, welches unabhängig von dem Gegenstände, an 
welchem es sich befindet, unmittelbar, d. h. ohne Vermittlung 
vorhergehender Erfahrungen in uns vermittelst des Auges oder 
Ohres einen angenehmen Eindruck hervorbringen kann. So 
kann unabhängig von dem Gegenstände, an welchem sie sich 
befindet, eine Linie durch ihre Gesetzmässigkeit befriedigend 
auf den Formensinn, eine Farbe durch ihre Reinheit und 
Fülle auf den Farbensinn, ein Ton durch seinen Wohlklang 
auf den Tonsinn wirken. Mittelbar wirkend oder cha¬ 
rakteristisch schön ist der durch das Auge oder Ohr wahr¬ 
nehmbare Ausdruck einer BeglUckungs-, meistens Leistungs¬ 
fähigkeit des Gegenstandes, an dem er sich befindet, welcher 
in dem sittlichen, unbetheiligten Menschen einen angenehmen 
Eindruck hervorbringen kann, gleichartig mit demjenigen im 
schönen Gegenstände oder im Betheiligten. Es wirkt mittel¬ 
bar, nämlich auf der Grundlage der vorher nothwendigen Er¬ 
fahrung über den Zusammenhang der Beglückungsfähigkeit 
mit ihrer sinnlichen Erscheinung. So kann eine Linie am 

*) Dieser Vortrag wurde im Naturwissenschaftlichen Verein am 
11. Mai 1888 gehalten und durch Figuren von grossem Massstabe unter¬ 
stützt. Sein hauptsächlichster Inhalt wurde in den Verh. d. Naturw. Ver., 
B. 10, 1888, S. 184 mitgetheilt, aber ohne Beigabe der Figuren. Ich 
gebe im Obigen den vervollständigten und zum Theil erweiterten Inhalt 
unter Zufügung der Figuren, da diese erst die Anschauung und volle 
Ueberzeugung verschaffen. Ausserdem füge ich die Erklärung und, so¬ 
weit sie neu ist, die Begründung der geometrischen Konstruktion der Fi¬ 
guren bei. 

**) C. Wiener, die Qrundzüge der Weltordnung, Leipzig 1863, S. 
495 ff. 


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48 


menschlichen Körper als charakteristische Form einer Be- 
glücknngs- oder Leistungsfähigkeit desselben angenehm wirken 
und für schön erklärt werden; eine Farbe, z. B. das Grün einer 
Wiese, als charakteristisches Zeichen ihres gesunden Standes, 
der Klang einer Stimme als Zeichen der Kraft oder vielleicht 
der liebenswürdigen Verbindlichkeit eines Menschen. — Daraus 
ergibt sich der für beide Arten des Schönen geltende allge¬ 
meine Begriff, wenn wir beachten, dass die Wirkung auch 
durch die Einbildungskraft allein erfolgen kann: Schön ist 
derjenige Gegenstand oder Vorgang, welcher vermittelst des 
Auges oder des Ohres und der zugehörigen Geistesvermögen, 
oder auch vermittelst letzterer allein, eine angenehme Em¬ 
pfindung in dem sittlichen, unbetheiligten Menschen hervor¬ 
bringen kann. 

Wir wollen uns im Folgenden mit der Schönheit der 
Linien, und zwar hauptsächlich mit ihrer formalen Schönheit 
beschäftigen. 

Eine Linie ist formal schön oder sie wirkt unmittelbar 
befriedigend, wenn sie eine Gesetzmässigkeit erkennen 
lässt. Die Gesetzmässigkeit kann in einer Stetigkeit be¬ 
stehen, oder in einer Regelmässigkeit, unter welcher die 
nach einer gewissen Regel stattfindende Wiederholung von 
Theilen verstanden sein soll. Wir nennen*) eine Linie zwischen 
zweien ihrer Punkte stetig von der ersten Ordnung, wenn 
man auf ihr vom einen zum andern Punkte gelangen kann, 
wenn also die Linie keine Unterbrechung erleidet; stetig von 
der zweiten Ordnung, wenn bei diesem Durchlaufen die Tan¬ 
gente alle Zwischenlagen durchläuft, wenn also die Linie keine 
Ecke besitzt; stetig von der dritten Ordnung, wenn der (sich 
am innigsten anschmiegende) Krümmungskreis alle Zwischen¬ 
gestalten durchläuft, wenn also an keiner Stelle ein Sprung 
von einer Krümmung zu einer davon verschiedenen stattfindet; 
und kann so noch höhere Ordnungen bezeichnen. Diese drei 
Stetigkeiten empfindet der Beschauer angenehm, und den 
Mangel, selbst der dritten, fühlt er, auch wenn er ungeübt 
ist, als unbefriedigend und verletzend. 

Man überzeugt sich hiervon durch Betrachtung der Fig. 7, 

*) C. Wiener, Lehrbuch der darstellenden Geometrie, Leipzig, B. 1, 
1884, S. 157. 


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50 

welche fünf Ovallinien von ähnlichem Aussehen und gleichen 
Axen darstellt. Der Leser vergleiche sie nach ihrer Schön¬ 
heit, ehe er das Folgende liest. Als schönste hat noch Jeder, 
den ich fragte, selbst Kinder von 10 Jahren, die mittlere (0) 
erkannt. Sie ist eine Ellipse, und diese besitzt die Stetig¬ 
keiten aller Ordnungen, insbesondere auch die der dritten; 
ihre Krümmung ändert sieb stetig, und nicht ein kleinstes 
Stückchen derselben ist ein Kreisbogen. Die vier anderen 
Linien (2, 3, 4, 5) sind Kreisbogenovalen, deren jede aus 
vier berührend in einander übergehenden Kreisbogen zusammen 
gesetzt ist, nämlich aus zwei gegenüber stehenden gleichen 
Bogen mit dem grösseren Halbmesser, und zwei anderen gegen¬ 
über stehenden gleichen Bogen mit dem kleineren Halbmesser. 
Durch Aenderung der Halbmesser kann man unendlich viele 
solcher Ovalen bilden. Die Grenzgestalten sind die 1 und 6 
in Fig. 2. In 1 sind zwei Bogen zu geraden Linien und 

Fig. 2. 




ihre Halbmesser unendlich gross geworden; die anderen Bogen 
wurden dadurch Halbkreise. In 6 sind die beiden anderen 
Bogen zu Punkten und ihre Halbmesser Null geworden. Die 
Figur nimmt dadurch die Gestalt einer Linse an. Beide Grenz¬ 
gestalten bieten nicht mehr das Aussehen einer Ovalen; in 
beiden ist das Verhältniss des grösseren zum kleineren Halb¬ 
messer unendlich gross. In den zwischenliegenden Figuren ist 
dieses Verhältniss kleiner; und man könnte vermuthen, dass 
die Ovale am schönsten sein und im Ansehen der Ellipse am 
nächsten kommen möchte, wenn jenes Verhältniss möglichst 
klein ist. Dieser Fall ist in der Ovale 3 hergestellt. Man 
könnte aber auch vermuthen, dass eine schönste Gestalt er¬ 
reicht würde, wenn man den Unterschied jener Halbmesser 
möglichst klein macht. Dieser Fall in der Ovale 5 herge- 


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51 


stellt. Aber beide Gestalten 3 und 5 befriedigen offenbar 
nicht., 3 erscheint auf den Seiten zu stumpf, 5 zu spitz. Ich 
habe eine zwischen 3 und 5, näher bei 3 liegende Gestalt 4 
eingeschaltet, welche vielleicht noch am meisten befriedigt; 
aber auch sie steht weit hinter der Ellipse zurück. 2 ist 
zwischen 1 und 3, näher bei 3 eingeschaltet. Bei allen Kreis¬ 
bogenovalen, obgleich sic die Stetigkeiten erster und zweiter 
Ordnung besitzen, fällt die Stelle des Zusammentreffens der 
beiden verschiedenen Kreisbogen, oder der Unstetigkeitspunkt 
dritter Ordnung, störend auf; er erscheint in uneigentlichem 
Sinne wie ein Knick. 

Ein anderes Beispiel dieser Art bieten die Linien a und b 
der Fig. 3 dar. Erstere ist eine Linie vierter Ordnung, 

Fig. 3. 




die Durchschnittslinie zweier schiefen Kreiscylinder, welche 
die Stetigkeiten aller Ordnungen besitzt; letztere eine Nachbil¬ 
dung derselben aus Kreisbogen. Hier sind die Schönheiten 
der ersten gegen die zweite Figur besonders an den Stellen 
der stärkeren Krümmung zu erkennen. Ein anderes Beispiel 
ist in der Fig. 4 geboten, a stellt wieder eine Linie vierter 
Ordnung, einen ebenen Schnitt eines Kreisringes dar, b eine 
Nachbildung mittelst Kreisbogen. Die Figur a besitzt eine 
schiefe Symmetrie, indem alle wagrecht gezogenen Sehnen 
derselben durch eine gegen sie geneigte Gerade halbirt werden. 

4* 


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52 


Auch diese Symmetrie fehlt in b. Die Fig. 3b ist durch 7, 
die 4b durch 10 Kreisbogen gebildet. Es ist selbstverständ¬ 
lich, dass man durch Vermehrung der Anzahl der Bogen den 
Unterschied gegen die Figuren a bis zur Unmerklichkeit herunter¬ 
setzen könnte. Sobald er aber bemerkbar ist, zeigt er eine 
Unschönheit der Kreisbogenlinien. Eine weitere Ursache der 
Unschönheit in der Fig. 3b als jene Unstetigkeit der dritten 


Fig. 4. 




Ordnung ist nicht vorhanden. Die Abweichung von a be¬ 
gründet für sich nicht eine Unschönheit; denn die a braucht 
nicht daneben zu liegen; und wenn sie daneben liegt, weiss 
Niemand von vorn herein, welche das Muster und welche die 
Nachbildung ist. In den Figuren 4 könnte man die in b fehlende 
Symmetrie noch für eine Ursache halten; jedenfalls ist aber 
die schiefe Symmetrie auch in a bei der vorliegenden Gestalt 


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53 


wenig merklich, und die Unstetigkeit bildet den Hauptmangel, 
wie man bei Vergleichung einzelner Stücke findet. 

Als Ursache dieses angenehmen Eindruckes ist 
schon mehrfach die Stetigkeit der Veränderung in der An¬ 
spannung der Muskeln angegeben worden, welche den Aug¬ 
apfel bewegen, wenn die Richtung des deutlichen Sehens die 
gegebene Linie umfährt, wobei jede plötzliche, stossweise 
oder nur unstetige Aenderung der Richtung eine unangenehme 
Empfindung hervorbringen soll. Diese Erklärung hat etwas 
bestechendes, indem sie eine schon im Auge liegende greif¬ 
bare Ursache angibt und die so häufig hervortretende Spar¬ 
samkeit im Arbeitsaufwands heranzieht. Dennoch kann ich 
derselben nicht beistimmen. Denn ich habe bei mir und bei 
Anderen, welche die Ovalen der Fig. 1 verglichen, immer 
beobachtet, dass sie mit dem Blicke nicht die einzelnen Linien 
umfahren, sondern höchstens bei der Ausdehnung des Ge¬ 
sichtsfeldes mit dem Blicke ein wenig hin und hergingen. 
Sodann wäre ein sehr genaues Umfahren der Linien mit der 
Sehrichtung nothwendig, da die Abweichungen jener Ovalen 
sehr gering sind. Wenn man bedenkt, wie schwierig schon 
ein solches Umfahren mit der Hand ist, und wie man bei Hand¬ 
habung des Planimeters die Linien mit dem Fahrstift gar nicht 
genau verfolgen kann, sondern sie mit Wellen umzieht, und 
wie diese Operation eine wahrhaft schmerzhafte ist, und mit 
dem schwerer beweglichen Augapfel noch schwieriger und 
schmerzhafter sein wird, so kann man an die Hervorbringung 
eines Wohlgefühles in den Muskeln nicht glauben. Dasselbe 
mag wohl hervorgebracht werden, wenn man eine stetige Linie 
frei, ohne Vorzeichnung, im Schwünge zeichnet, wo sich durch 
die natürliche Stetigkeit der Aenderung in den Muskelan¬ 
spannungen eine stetige Linie bildet, und vielleicht in ähn¬ 
licher Weise bei dem Auge; das zwangsweise Nachfahren 
gegebener Linien ist aber schmerzhaft. Die oben mitgetheilte 
Beobachtung, dass auch thatsächlich bei der Vergleichung 
der Linien ein Umfahren mit dem Blicke gar nicht statt¬ 
findet, die weitere Bemerkung, dass in vielen Fällen, z. B. 
bei einer grossen Anzahl perlartig aneinander gereihter kleiner 
Ellipsen ein solches Umfahren gewiss nicht ausgeführt wird, 
und dass man dennoch rasch die Mangelhaftigkeit einer ein- 


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54 


zelnen Perle erkennt, zeigen, dass ein Ueberblick über die 
Figur genügt, um ihre Schönheit zu beurtheilen. Das Bild 
wird auf die Netzhaut geworfen und erst in dem hinter der 
Netzhaut liegenden Gehirne kann das Wohlgefühl und die 
Erkenntniss der Schönheit herbeigeführt werden. Es muss 
dem Geiste möglich sein, eine grössere Fläche des Bildes 
zugleich in seinen Einzelnheiten zu erfassen und seine Voll¬ 
kommenheiten und Mängel zu erkennen. Dabei ist ein be¬ 
sonderes Geistesvermögen, der Formensinn thätig, wobei 
unter Geistesvermögen ein solches geistiges Vermögen ver- 


Fig. 5. 



standen werden soll, welches unabhängig von anderen geistigen 
Vermögen, z. B. vom Schlussfolgerungsvermögen, gross oder 
klein sein kann. Der Formensinn ist durch Anlage und Aus¬ 
bildung verschieden gross bei verschiedenen Personen; der 
bildende Künstler hat ihn besonders nöthig. 

Als zweite Art der formalen Schönheit der Linien haben 
wir ihre in der Wiederkehr einzelner Theile bestehende Re¬ 
gelmässigkeit angeführt. Dieselbe kann durch Symmetrie 
hervorgebracht werden. So ist eine Ellipse symmetrisch in 
Bezug auf zwei Axen und erzeugt hierdurch auch die ange¬ 
nehme Empfindung der Regelmässigkeit. Dadurch erscheint 


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55 


auch eine Kreisbogenovale immer noch schön. Diese Schön¬ 
heit kann auch ohne jede Schönheit der einzelnen Theile auf- 
treten. Zeichnet man eine beliebige, wenn auch unstetige 
Linie, bringt sie in einen Winkel, welcher eine gerade Anzahl 
mal in vier Rechten enthalten ist, und bildet sie symmetrisch 
gegen dessen Grenzlinien in den benachbarten gleichen kon- 
centrischen Winkeln ab und so fort, so erhält man einen 
regelmässigen Stern, der schön ist. Auf diese Arten sind 
die Fig. 5 und 6 gebildet. In Fig. 5 besteht der will- 


Fig. 6. 



kiirliche Linienzug aus krummen Linienstücken, die zwei 
Ecken bilden; der einschliessende Winkel ist der achte Theil 
von vier Rechten; in Fig. 6 aus einem Zug von vier geraden 
Linienstücken, die in Ecken zusammenstossen; der einschlies¬ 
sende Winkel ist der zehnte Theil von vier Rechten. Ist 
der ursprüngliche Linienzug schon für sich schön, so ist der 
entstehende Stern doppelt schön. Auf dieser Wirkung be¬ 
ruht das Kaleideskop. Die Figuren, an welchen sich Kinder 
erfreuen, und welche sie hervorbringen, indem sie einige 
Tropfen Tinte in die Kante eines zusammengefalteten Papiers 
bringen und sie durch Streichen ausbreiten, bieten eine Schön¬ 
heit durch Symmetrie in Bezug auf eine Gerade. 

Auch in gerader Linie aneinander gereiht, können kon¬ 
gruente Formen angenehm wirken, wie Bauglieder, z. B. Säulen 


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56 


oder Fenster, oder Ornamente, wie im Mäander. So zeigt 
Fig. 7a zwei aneinander gefügte Quadrate mit ihren Diagonalen 
und einem koncentrischen Kreise, eine ganz einfache Form, wie 
sie bei eisernen Geländern vorkommt. Dabei wird der Reiz 
noch erhöht, wenn die einzelnen Theile nicht kongruent, son¬ 
dern gesetzmässig verändert wiederkehren, wie es in der Per¬ 
spektive stattfindet und in Fig. 7 b für unsere Geländerform 


Fig. 7. 




ausgeführt ist. Aehnlich ist es mit der Wiederkehr von Motiven 
in der Musik, deren variirte Form einen hohen Genuss gewährt. 
Das Erkennen sowohl der Uebereinstimmung, wie der Regel 
in der Veränderung erzeugt eine Freude. In ähnlicher Weise 
ist der fünfeckige Stern der Fig. 6 in ein Rechteck gefasst 
und in mehrfacher Wiederholung perspektiv in Fig. 8 dar¬ 
gestellt. 


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57 


i 


Besonders woblthuend wirkt eine Linie, wenn Stetigkeit 
der Best&ndtheile und Regelmässigkeit in deren Wiederkehr 
vereinigt sind. Ein Kreis ist stetig, hat unendlich viele 
Symmetrie&xen und wurde von den Alten als die vollkommenste 
Linie angesehen. Auf sie glaubten sie daher die Bahn der 
Planeten zurückführen zu müssen, was sie auch vermittelst 
der Epicykel genügend für die damalige Messungsgenauigkeit 
erreichten. Aber der Kreis ist arm an Veränderung und Ab- 


Fig. 8. 



wechslung. Viel reicher und dadurch schöner sind eine Ellipse, 
eine Wellen- oder Cosinuslinie, die in Fig. 9 dargestellt 
ist und welche Hogarth in seiner „Zergliederung der Schön¬ 
heit, 1753“ als die angenehmste Form für das Auge bezeichnete, 
oder die verschlungene Cykloide, welche die Fig. 10 zeigt. 
Die Wellenlinie hat vor der letzteren Linie zwar den Vorzug 
einer grösseren Regelmässigkeit, aber sie ist auch einförmiger 
als diese. Man möchte vermuthen, dass die verschlungene 
Cykloide leicht ohne merkliche Störung ihrer Schönheit durch 
aneinander gefügte zweierlei Halbkreise nachgeahmt werden 
könnte; ich habe es in Fig. 11 gethan, aber die Verminderung 
der Schönheit ist doch sehr auffallend. 

Eine sehr hohe Befriedigung wird hervorgebracht durch 
eine Schaar gesetzmässiger Linien, welche gesetzmässig in- 


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58 


Fig. 9. 



einander übergehen, z. B. eine 
Schaar von Kegelschnitten, 
welche alle dieselben vier 
Geraden berühren oder durch 
dieselben vier Punkte gehen.*) 
Besonders günstig wirkt eine 
Schaar konfokaler cassi¬ 
nischer Linien, wie solche 
in Fig. 12 dargestellt sind. 
Man kann leicht den Ueber- 
gang ihrer Gestalten inein¬ 
ander verfolgen. Dieselben 
gehen von zwei Punkten aus, 
gehen in zwei getrennte kreis¬ 
artige Linien über und indem 
sie wachsen und sich nach 
innen zuspitzen, in die achter¬ 
förmige Lemniskate, dann in 
eine brillenartige Linie, von 
da in eine Ovale, und diese 
nähert sich bei beständigem 
Wachsen mehr und mehr 
einem Kreise, der ihre Grenz¬ 
gestalt bildet. Es sind dies 
die Linien, welche eine Platte 
eines zweiadrigen Krvstalls in 
dem Polarisationsapparate in 
prachtvollen Farben zeigen 
kann. 

Die stetigen und die regel¬ 
mässigen Linien und Flächen 
treten in der Natur sehr 
häufig auf und bilden einen 
wesentlichen Theil der Schön¬ 
heit der Natur. Es geschieht 
dies überall da, wo die Kräfte, 
welche jene Formen hervor- 


*) Dargestellt in dem angef. Lehrb. d. darat. Geom., B. 1, S. 357, 
362, 365, 351, 356. 


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bringen, in stetiger und regelmässiger Weise wirken. So 
ist die Krystallform, welche langsam erstarrende Körper 
annehmen, durch die Form ihrer Molekeln und durch die 
äusseren Umstände bei ihrer Bildung bedingt; die Gestalt und 
Farbenzeichnung von Pflanzenblättern durch das Wachsthums- 


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61 


gesetz ihrer Rippen und der zwischenliegenden Zellschichten; die 
spiralige Gestalt von Muscheln durch den Umstand, dass dem 
wachsenden Thiere stets das alte Gehäuse zu enge wird, dass 
es auf demselben weiterkriecht und neues erweitertes Gehäuse 
bildet. Dabei entsteht die logarithmische Spirale*), wie bei 
dem Goniatites und der Clymenia, wenn das Verhältniss der 
abgesonderten Schalenmasse zu der gleichzeitigen Körperzu¬ 
nahme unveränderlich ist, es entsteht die parabolische Spirale, 
wie bei dem Papiernautilus, wenn dies Verhältniss mit zu¬ 
nehmendem Abstande des Thieres von dem Ursprungspunkte 
der Schale proportional ist. Die archimedische Spirale kommt 
nicht vor und kann nicht Vorkommen, weil sich bei ihr die 
Gangweite nach aussen nicht vergrössert, sondern unverändert 
bleibt. Andererseits ist die Gestalt von Bergen und Thälern, 
welche durch Auswaschung geformt werden, durch die Gesetze 
bedingt, nach welchen die Gewässer auf die Gesteine ein wirken. 

Veranschaulichen wir uns nun auch noch die mittelbar 
wirkende oder charakteristische Schönheit der Linien 
durch einige Beispiele. Es sind hier zu bezeichnen die Formen 
des kräftigen und gewandten Körpers eines Menschen oder 
eines Thieres, des muskulösen Armes, der schlanken und doch 
kräftigen Gestalt. Dazu kommt die anmuthige Bewegung, 
welche rund und stetig ist und eine durch Sparsamkeit der 
Kraftanstrengung herbeigeführte grössere Leistungsfähigkeit 
anzeigt. Am schwierigsten ist die Schönheit des menschlichen 
Gesichtes zu erklären. Im Allgemeinen ist eine gewisse, auf 
Gesundheit weisende Fülle nothwendig. Am sichersten lässt 
sich noch die Stirne und die Kopfform beurtheilen. So zeigt 
z. B. die in der Mitte hohe und durchbildete Stirne des 
olympischen Zeus die grosse Entwicklung der Denkkräfte an, 
während die Seitentheile gegen die Schläfen zurückweichen. 

*) Diese Abhängigkeit habe ich nachgewiesen in den schon ange¬ 
führten Grandzügen der Weltordnung, S. 227 ff. Bei den angegebenen 
Spiralen nimmt anf einem aus dem Ursprungspunkte gezogenen Strahle 
die Gangweite nach aussen zu; sie ist bei der logarithmischen Spirale 
stets dasselbe Vielfache der vorhergehenden Gangweite, z. B. 1Ä / 9 oder a5 / 18 ; 
bei der parabolischen nimmt die Gangweite stets um dieselbe Grösse gegen 
die vorhergehende zu; bei der archimedischen dagegen ändert sie sich 
nicht. Doch sei bemerkt, dass unter der parabolischen Spirale auch häufig 
eine andere verstanden wird, als die hier bezeicbnete. 


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62 


Diese bei Schiller so sehr hervortretenden Theile werden von 
den Phrenologen als der Sitz der Idealität angegeben; aber 
Zeus, das Vorbild für Andere, bedurfte dieses Vermögens 
nicht. Jesus Kopf wird immer schmal zwischen den Ohren 
dargestellt; der dorthin gelegte Kampf- und Zerstörungssinn 
war bei ihm gering. Sein Kampfessinn floss aus höheren 
Trieben, aus dem Mitleiden für diejenigen, denen er das Heil 
bringen wollte, aber nicht aus unmittelbarer Lust am Kampfe 
und am Zerstören. Viel weniger sicher ist der Zusammen¬ 
hang des Wesens des Menschen mit seinen Gesichtszügen zu 
ermitteln, wozu aber Versuche, unter andern von Lavater in 
seiner Physiognomik und von Campe mit seinem Gesichts¬ 
winkel, gemacht wurden. Jedem Volke sind gewisse Gesichts- 
züge eigentümlich, und es entnimmt auch den Ausdruck der 
Schönheit von sich selbst. Der Kenner der verschiedenen 
Völker kann sie aus den Formen des ihm am höchsten stehen¬ 
den Volkes hernehmen. 

Wenn so in der Natur das charakteristisch Schöne die 
Form ist, welche sich bei der Entwickelung eines beglückungs¬ 
fähigen Wesens notwendig bildet, so lauscht der schaffende 
Künstler, der eine Idee verkörperlichen will, der Natur die 
äusseren Formen ab, welche mit dem inneren Wesen des dar¬ 
zustellenden Gebildes verbunden sind, und diese Formen, die 
er nachbildet, rufen dann wieder in dem Beschauer die Idee 
des Künstlers hervor und erfüllen ihn mit dem Glücke, das 
dieser Idee inne wohnt. 


Anhang. 

Im Folgenden will ich die Nachahmung krummer Linien 
durch einen Zug von Kreisbogen, insbesondere die Kreisbogen¬ 
ovalen behandeln und ausserdem von den im Obigen betrachteten 
Kurven zweckmässige Verzeichnungen mittelst ihrer ausgezeich¬ 
neten Punkte und der Krümmungskreise in denselben angeben, 
die vielleicht auch einem Künstler dienlich sein könnten. 

Die Nachahmung krummer Linien durch einen Zug ven Kreisbogen. 

Es soll zunächst die allgemeinere Aufgabe gelöst werden, 
von welcher die Ovalenverzeichnung ein besonderer Fall ist: 


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63 


Eine gegebene krumme Linie durch berührend an¬ 
einander g.ereihte Kreisbogen nachzuahmen. Die¬ 
selben sollen in gewählten Punkten der krummen Linie unter 
Berührung derselben und ausserdem je in einem Zwischen¬ 
punkte unter gegenseitiger Berührung zusammenstossen. Man 
kann diese Aufgabe auf folgende Weise lösen.*) 

Von den gewählten Punkten der krummen Linie oder 
Kurve seien A und B (Fig. 13J zwei aufeinanderfolgende, A M, 
B M seien die Normalen der Kurve und daher auch der er¬ 
setzenden Kreisbogen in A und B. Man ziehe aus ihrem 

Fig. 13. 



Schnittpunkte M als Mittelpunkt durch einen jener Punkte, 
.etwa A, einen Kreisbogen, schneide ihn mit MB in B', 
ziehe nach einem willkürlichen Punkte C' dieses Bogens die 
Linie AC', sodann BC||B'C' bis C auf AC, lege durch C 
eine Parallele zu C' M, schneide sie mit M A und M B in A 0 
und B 0 , so sind A 0 und B, die Mittelpunkte der ersetzenden 
Kreisbogen A G und B G. Denn die aus A 0 und B 0 durch 
A und B gezogenen Kreise gehen auch durch C, weil A 0 A 
= Au C, und B 0 B = B 0 C, indem die Dreiecke A 0 A C und 

•) Eine andere Auflösung gab Du Hays in seinem Aufsätze: Des 
courbeg ä plusieurs centres, ou de l’imitation des courbes continues par 
la röunion de divers arcs de cercles (Journ. de Math, par Liouville, t. 15, 
1850, p. 241 — 254). 


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64 


B 0 B C bezw. ähnlich mit den gleichschenklichen Dreiecken 
MAC' und M B' C' sind; und beide Kreisbogen berühren sich 
im Punkte C der A, B 0 . — Indem man sich C' auf dem 
Kreise A B' bewegen lässt, erhält man die verschiedenen Auf¬ 
lösungen. Dabei beschreibt der Trennungspunkt C der beiden 
Kreisbogen selbst einen Kreisbogen zwischen A und B. Denn 
die Strahlen A C', B' C' beschreiben gleiche Strahlenbüschel, 
wenn der Punkt C' den Kreis A B' beschreibt; die damit kon¬ 
gruenten Büschel der Strahlen A C, B C bestimmen daher 
ebenfalls einen Kreis AB (in der Zeichnung strichpunktirt). 
Seine Tangenten in A und B entsprechen den vereinigten 
Strahlen BA und AB; die in A ist also AD, wenn D auf 
dem Kreisbogen A B' und wenn B' D || B A; die in B ist B' E', 
wenn E' auf dem Kreise A B' und auf A B. Der Mittelpunkt 
F des Kreisbogens wird also erhalten durch AF J_ AD, BF 
_L B' E'. 


Die Kreisbogenovale. 

Um nun die Ellipse durch eine Kreisbogenovale nachzu¬ 
ahmen, haben wir (Fig. 14) auf der Ellipse als die Punkte A u. B 
die Scheitel der grossen und der klei¬ 
nen Axe zu wählen. Die Konstruktion 
gestaltet sich dann so. Man zeichnet 
aus dem Mittelpunkt M der Ellipse den 
Viertelskieis A B' bis B' auf M B, 
zieht aus B die Gerade B C, so dass 
sie die gedachte Viertelsellipse A B 
trifft, sonst aber willkürlich, dann 
B' C'||B C bis C' auf dem Viertelskreise, 
sodann A C', schneidet sie mit B C in 
C, und zieht endlich CA,B 0 ||C'M; 
diese trifft die MA und MB in den 
Mittelpunkten A, und B, der gesuchten 
Kreisbogen. Die Halbmesser derselben 
sind A„ A = r„ B 0 B = r t . 

Die Grenzgestalten erhält man (Fig. 15), wenn C' in 1 
und 6 fällt, wobei B' 11| M A, also 1 in B, und wenn B' 61| B A. 
Sie sind in der früheren Fig. 2 dargestellt. Die zwischen- 


Fig. 14. 



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65 


liegenden Gestalten der Fig. 1 sind durch die zwischenliegenden 
Punkte 2, 3, 4, 5 bestimmt. 

Man kann nun vermuthen, weil in den Grenzgestalten 1 und 
6 das Verhältniss r 2 : r t unendlich wird, dass man die schönste 
Gestalt der Ovale erhalte, wenn man r 2 : r t zu einem Minimum 
mache, oder vielleicht für r 2 — r, ein Minimum. Diese beiden 
Fälle wollen wir daher untersuchen. Denkt man sich r t und 
daher auch A 0 willkürlich angenommen (Fig. 16), so bestimmt 
man B D und r 2 , indem man auf B M gegen M hin die B D = r t 
aufträgt, A, D in E halbirt und E B 0 _L A„ D bis B 0 auf B M 

Fig. 16. 



zieht Nun sind die rechtwinkligen Dreiecke A 0 M D und 
B 0 ED ähnlich, und bezeichnet man A 0 D mit m, so ist, da 
B 0 D = r 2 — r,, MA, = a-r,, MD = b- r„ E D = \ m, 
B 0 D: E D = A 0 D: M D, oder 


_ m m _ (a —r,)* + (b —r,) 2 
* 1 2 b-r, - 2 (b - r,j 

F * = 2 (b 1 - r t ) br ‘ “ 2 r i 2 + aZ “ 2a, 'i + r i 2 

+ b* - 2 b r, + r, 2 ); 


woraus, wenn man AB = c setzt, 


£* — 1 /a 2 + b 2 

r t 2 (b — r 2 ) \ r, 




Nun soll 1) r 2 : r, ein Minimum sein; dann muss 


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66 


d r, (b — r,) 2 

— b c* + 2 c* r, — 2 ar t 2 


2 r x 2 (b — r t )* 

2 o c* bc 2 
woraus r, 2 — 2 r,-— = - - 
*2 a 2 a 


oder r t = 2 C a ±j/ [c± Kc*- 2 ab], 

0der Fl ~ 2 a - fc±(a — b)]. 

Vertauscht man a mit b und r t mit r 2 , so erhält man 


r 2 = 2 C b t c + ( a ~ b )l‘ 

Man konstruirt diese Formel, indem man aus II als Mittel¬ 
punkt einen Kreis durch B' zieht und denselben mit A t B 
schneidet, wobei A t der zweite Scheitel der grossen Axe. 
Wählt man unter den zwei Schnittpunkten den inneren F der 
Strecke A t B, so erhält man die ellipsenartige Gestalt, wählt 
man den äusseren, so erhält man eine fremde, für unseren 
Zweck der Nachahmung unbrauchbare Gestalt der Auflösung 
der Aufgabe. Man halbirt dann A, F in G, zieht G A' f I A, B. 
so schneidet diese die Axen in den gesuchten Punkten A' 0 und 
B 0 . Es ist nämlich dann F B = a — b, A t G = 4 [c — (a — b)], 
G B = 1 [c -f (a — b)], woraus wegen Aehnlichkeit der Drei¬ 
ecke A, MB, A, G A' 0 , B 0 GB die Uebereinstimmung mit den 
beiden Formeln folgt. Die frühere allgemeine Konstruktion 
liefert unsere besondere Auflösung, wenn man beachtet, dass 
A« B 0 _L A B, also auch M C' _L A B stehen muss. Die andere 
Auflösung würde man erhalten, wenn man statt C' seinen 
Gegenpunkt auf dem Kreise AB' wählen würde. Dass aber 
die Auflösung mit C' ein Minimum und nicht ein Maximum 
des Verhältnisses r 2 : r t liefert, folgt daraus, dass C' der einzige 
der Aufgabe entsprechende Punkt auf dem Viertelskreise A B' 
ist und dass für A sowohl wie für B' r 2 : r, = oo, daher für 
C' kleiner, also ein Minimum ist. 

2) Es soll r 2 — r t ein Minimum werden. Durch Differen¬ 
tiation des obigen Ausdruckes von r 2 — r 2 , erhält man 


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67 


d(r a — r t ) 
dr, 

_ , —(b —r,)[2(a—r,)+2(b— r t )] + [(a-r t ) g + (b —r t )»] 

(b — r,)* 

daher 0=(a—r,) 2 — 2(a — r^b — r,)4-(b— r,) 2 —2(b— r,)* 
. = [(» — r») — (b — r t )] 2 — 2 (b — rj», 

± (a — b) — Kir(b — r t ), 
r i = bqz^i (a —b), 
woraus durch Vertauschung 

r 2 = a± Ff(a — b). 

Daraus folgt 

a —r t = a — b±^i(a—b),r,—b=a—b±7 / J(a —b), 
also a — r x = r, — b, oder M A, = B 0 M, oder die vier Mittel¬ 
punkte, wie A 0 , B„ liegen auf einem aus M mit dem Halb- 

Fit/. 17. 



messer a — b ± Kj (a — b) gezogenen Kreise oder in den 
Ecken eines Quadrates, dessen Seiten 45® mit den Axen bilden. 
Man erhält (Fig. 17) M A 0 = D B', wenn man aus B einen 
berührenden Kreis an die Gerade A B' zieht und ihn mit der 
unverlängerten M B in D schneidet. Denn es ist B B' = a — b 
und da A B' 45® mit B B' bildet, ist der Abstand des B von 
AB' oder der Halbmesser jenes Kreises, oder DB = K$ 
(a — b), und DB'= a — b-f-KjXa — b), entsprechend dem 
oberen Zeichen der Formel. Das untere Zeichen würde den 
Schnittpunkt jenes Kreises auf der verlängerten M B ergeben, 
aber keine Nachahmung der Ellipse liefern. — Unsere all- 

5* 


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68 


gemeine Auflösung geht in diese besondere über durch M C' 
_L A B' oder unter 45° gegen die Axen. Es entspricht dem 5 
in Fig. 15 und in Fig. 1. In Fig. 15 ist also 1 in B', M 3 
_L A B, M 5 _L A B', B' 61| B A, 3.4 = i 3.5, 2 zwischen I u 3. 

Vorteilhafte Verzeichnung der Ellipse aus den Axen mittelst 
vier oder acht KrOmmungskreisen. 

Die Krümmungsmittelpunkte A t , B 0 für die Scheitel A, B 
werden bekanntlich dadurch gefunden, dass man (Fig. 18) 

Fig. 18. 


/ I X 



aus A M B ein Rechteck bildet und aus dessen neuem Eck¬ 
punkte D eine Senkrechte auf A B fällt; diese schneidet die 
Axen in A 0 und B 0 . Die aus diesen und ihren zu M symme¬ 
trischen Punkten durch die zugehörigen Scheitel gezogenen 
Krümmungskreise reichen bei Ellipsen von geringerer Excen- 
tricität zur Verzeichnung aus; die zwischen den Kreisen ver¬ 
mittelnden Bogen können mittelst des Kurvenlineals einge¬ 
schaltet werden. 


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69 


Bei grösserer Excentricität ist in jedem Quadranten ein 
Zwischenpunkt mit seiner Tangente oder, noch besser, mit 
seinem Krümmungskreise' nützlich. Die mit den Scheitel- 
sehnen A, B, AB parallelen Durchmesser, nämlich MG, MG,, 
sind konjugirt, und die Tangenten in ihren Endpunkten sind 
ebenfalls zu jenen Scheitelsehnen parallel und schneiden die 
Axen in Punkten, wie A', B', derart, dass M A' = V2 M A, 
M B' = V 2 M B, also M A' die Hypotenuse eines gleichschenk¬ 
ligen rechtwinkligen Dreiecks, dessen Katheten = M A. Dabei 
ist auch C in der Mitte von A' B'. Die Normale in C ist 
daher die G C 0 X A' B' oder J_ A B, und der Krümmungsmittel 
punkt C 0 liegt auf M C 0 _|_ A, B, oder in der Mitte von A" B", 
wenn A" und B" die Schnittpunkte der C C 0 mit a und b. Denn 
der Krümmungshalbmesser r einer Kurve in einem Punkte P 
hängt nur ab von der Länge y ihrer Sehne, welche man parallel 
ihrer Tangente in P und benachbart zu derselben zieht, und 
von dem (unendlich kleinen) Abstande x beider Parallelen 
[r = (4 y) 2; 2 x]. Er ist also im Punkte C der gleiche für 
alle (affinen) Ellipsen, welche MCj = c zu einem Halbdurch¬ 
messer haben, und deren Punkte C auf einer Parallelen zu 
M C t liegen, deren Abstand von M C, = d sei, also auch von 
einer Ellipse von den Halbaxen c und d, nämlich r = c*: d. 
Zieht man daher M C 0 J_ M C (oder X A, B), so ist C C 0 = 
M G 8 : d = c*: d = r. Da aber M C 0 und C C 0 gleich geneigt 
gegen die Axen sind, so ist C 0 M = C 0 A" = C 0 B". 

Verzeichnung der Cosinuslinie. 

Die Cosinuslinie, welche von der Sinuslinie nicht in der 
Gestalt, sondern nur in dem Ursprungspunkt der Koordinaten 
und daher in der Gleichung abweicht, hat die Gleichung 

* x 

y — b cos-—- 
a 

Die allgemeine Cosinuslinie geht für b = a in die reine 
Gosinuslinie über, deren Gleichung daher ist für a = a und 
für a = 1, 

y = a cos — und y = cos x. 

J a J 

Eine einfache Verzeichnungsweise der allgemeinen Co- 


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70 


sinuslinie ist folgende. *) Ist M der Ursprungspunkt der 
Koordinaten (Fig. 19), sind M X und M Y die Axen, und sind 
gegeben der Scheitel der Kurve B auf M Y und der benachbarte 
Wendepunkt C auf MX, so ist M B = b, M C = J n a = $• 
3,14 a = 1,57 a, und hierdurch ist a = M C : 1,57 bestimmt. 
Man beschreibe nun aus M als Mittelpunkt Kreise mit b und 
a als Halbmesser; ersterer schneidet die M Y und M X in 
B und B„ letzterer in A und A, und die über M hinaus ver¬ 
längerte A M in A'. Es ist dann M C = Viertelskreis A A t . 
Die Tangente C U der Kurve in C ist senkrecht auf B, A'. 
Den Krümmungsmittelpunkt B 0 für B erhält man auf B M, 
wenn man B M A, zu einem Rechtecke vervollständigt und 
aus dem neuen Eckpunkte D die 
D B 0 J_ B A, zieht. Um einen Zwi¬ 
schenpunkt P zwischen B und C zu er¬ 
halten, zieht man einen Strahl aus M, 
schneidet ihn mit den Kreisen A A, 
und B B t in R und S, macht auf M X 
die M Q = Bogen A R (durch einige 
kleinere Bogenstücke), so ist Q P || M Y, 
S P || M X. Die Tangente P T in P 
erhält man, wenn man S V J_ M X 
fällt und P T _]_ V A' zieht. Man reicht 
gewöhnlich mit einem Zwischenpunkte P aus und macht dann 
zweckmässig Winkel B M S etwa = 40®. 

Verzeichnung der verschlungenen Cykloide.**) 

Es sei gegeben (Fig. 20) ein unterer Scheitel A, die 
Ganghöhe A A', die darauf senkrechte halbe Gangweite A' B = 
A' B', so sind B und B' die zwei benachbarten oberen Scheitel. 
Man verzeichnet nun über A A' als Durchmesser aus seinem 
Mittelpunkte M einen Halbkreis A C, A', bestimmt dann auf 
M A den Punkt A, so, dass M A, der Halbmesser eines 
Kreises, dessen Umfang gleich der Gangweite B B', also 
MA, =BB': 3.14 ist, zieht A t B,1MA und macht AjB, 
= A' B. Dann theilt man den Halbkreis A C, A! und die 
Strecke A t B, in dieselbe Anzahl gleicher Theile, hier 4, 

*) Siehe C. Wiener, darstellende Geometrie, B. 2, S. 363 ff. 

**) Vergl. die angeführte darst Geom., B. 2, S. 826 und 371. 


Fig. 19. 



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71 


höchstens 6, durch die Theilungspunkte P,, C lt Q, und P 0 , C 0 , Qo, 
zieht durch die ersteren Parallele zu A t B x> beschreibt uns 
P 0 , C 0 , Qo Kreisbogen bezw. mit den Halbmessern A, P t , A, C t » 
A t Q lt schneidet diese mit jenen Parallelen aus Pj, C,, Q, 
bezw. in den Punkten P, C, Q, und zwar derart, dass P 0 P 
# A x Pi, C 0 C # Ai Qo Q # A, Q„ so sind P, C, Q Punkte 
der Kurve, und jene Kreisbogen berühren dieselbe in diesen 
Punkten, ohne aber Krümmungskreise zu bilden. Man hätte 
auch Pj P = Ai P 0 = i Ai B t , C t C = A t C 0 = 1 Aj Bj u. s. w. 
machen können. Für A und B erhält man die Krümmungs¬ 
mittelpunkte A 0 und B 0 , wenn man ADiAM und aufMA, 
die M Aj' = M A t macht, und A a und B a auf D A bestimmt 
durch •§: D A, A a = •§; D A,' B, = 90°. Dann ist A A 0 = A A a , 
B B, = A B a . 

Fi(j. 20. 


B' 4' Jt 



Man kann bei derselben Ganghöhe und Weite die Ge¬ 
stalt der Kurve noch ändern und dabei den Doppelpunkt auf 
der M A' seine Lage ändern lassen, wenn man die Figur affin 
verändert, z. B. alle Abstände von A A' in der Richtung B B' nach 
demselben Verhältnisse verändert, entweder vergrössert oder 
verkleinert. Hat man so M, A', B (dabei aber ^;MA'B = 90°) 
und den Doppelpunkt R auf MA' willkürlich angenommen, 
wobei man die Buchstaben R, R t , R, in der Figur leicht in 
Gedanken zufügen wird, so bestimme man zuerst eine ver¬ 
schlungene Cykloide mittelst M, A', R und unabhängig von B. 


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72 


Zu dem Ende verzeichne mau den Halbkreis A' C t A, die 
R Rj _L M A' bis R t auf dem Halbkreise, wobei A t R, Ri R 
sein würde, bestimme dann auf MA den Punkt A t derart, 
dass Bogen A R,: Halbkreis A R, A' = A t R,: A t Bj — R t R: 
3,14. M A t . (Dabei ist aber nicht A t B t = A' B.) Die dadurch 
bestimmte verschlungene Cykloide muss dann affin so ver¬ 
wandelt werden, dass die Abstände der Punkte von AA' 
verändert werden im Verhältnisse von Bj: A' B. Man führt 
dies zweckmässig dadurch aus, dass man die Abstände der 
Kreispunkte P,, C n Q, von AA' in diesem Verhältnisse ver¬ 
ändert, wodurch man die neuen Punkte P t ', C/, Q,' erhält, 
welche auf einer halben Ellipse A C,' A' liegen, und dass man 
P t ' P = i A'B, 0/0 = 1 A'B, Q/Q = J A'B macht. 
Kreisbogen, welche die Kurve in den konstruirten Punkten 
berühren, erhält man dann nicht, Tangenten wären aber aus 
der Affinitätsbeziehung unschwer zu erhalten. *) 

Verzeichnung der Cassinischen Linie. 

Dieselbe kann in allen ihren besonderen Formen als Schnitt 
einer Ringfläche, die durch Umdrehung eines Kreises um eine 
in seiner Ebene liegende Gerade entsteht, mit einer Ebene 
angesehen werden, welche parallel mit deren Umdrehungsaxe im 
Abstande von derselben gleich dem Halbmesser r des erzeugen¬ 
den Kreises gelegt wird.**) Seien (Fig. 21) a die Axe und k jener 
Kreis, mit dessen Ebene die Schnittebene parallel ist und auf 
welche Ebene unsere Kurve projicirt wird, sei F der Mittel¬ 
punkt des Kreises, M auf a der Mittelpunkt der Kurve (F M_|_a). 
Man erhält auf einer zu a senkrechten Geraden (allgemeine) 
Punkte P und Q der Kurve, wenn man jene Gerade mit dem 
Kreise k in zwei Punkten, Pi und Q,, schneidet, deren Pa¬ 
rallelkreise aus dem Punkte der a in umgelegter Lage zeichnet 
und auf diesen P' und Q' und deren Projektionen P und Q 
auf die gewählte Gerade so bestimmt, dass P P' = Q Q' = r 
ist. Die Tangente P T in einem dieser Punkte, z. B. P, er¬ 
hält man, wenn man an k in P, die Tangente zieht, sie mit 
a in B schneidet, ebenso die Tangente an den umgelegten 

*) Die Krümmungshalbmesser für die Scheitel sind am angeführten 
Orte S. 372 bestimmt. 

**) Ans dieser Entstehungsweise ist in der angef. darst. Geom. } B. 2, S. 
166 ff., das meiste in der oben angegebenen Verzeichnungsweiae entwickelt. 


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73 


Kreis in P' mit P Q in B', und P T ]| B B' zieht; denn B B' 
ist der Schnitt der Ebene, welche den Ring, sowie den ihn 
entlang des Parallelkreises von P berührenden Kegel in P 
berührt, mit der Ebene des k, und damit ist der Schnitt dieser 
Berührungsebene mit der Ebene unserer Kurve, d. i. PT pa¬ 
rallel. — Die Punkte C, C, auf den zu a senkrechten Tan¬ 
genten des k erhält man durch MC = MC 1 =MF. Den 
Krümmungsmittelpunkt C, für C erhält man auf C C, ■ a, wenn 
man CEJ_MCj bis E auf MF und dannEC 0 XCE (jjMC 4 ) 
zieht. — Den Punkt A der Kurve auf M F erhält man, wenn 


Fi ff. 21. 



man auf jener zu a senkrechten Tangente des k den Punkt 
A' auf dem aus M den k berührenden Kreise bestimmt; dann 
ist A die Projektion des A' auf M F. Der Krümmungsmittel¬ 
punkt A 0 (in der Figur ist der Buchstabe zunächst rechts von F 
einzusetzen) für A ist die Projektion des Schnittpunktes von 
M A' mit dem aus M durch F gelegten Kreise auf die Gerade 
MA. — Den Punkt D der Kurve auf a erhält man, wenn 
man auf k den Punkt D, so bestimmt, dass sein Abstand von 
a = r ist, und D, D J_ a zieht. Der Krümmungsmittelpunkt 
D 0 für D ist der Schnittpunkt von a mit F D,. Mittelst dieser 
Krümmungskreise und Tangenten ist die Kurve meist hin¬ 
länglich bestimmt; in unserem Falle kann sogar Q und fast 
auch P entbehrt werden. 

Für die Lemniskate gilt das für unseren allgemeinen Fall 
angegebene Verfahren; es ist nur noch zuzufügen, dass die 
Tangenten im Doppelpunkte M45° mit a bilden. 


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74 


Beweis für die Wirklichkeit der 
Aussenwelt-*) 

Von Geh. Hofrath Prof. Dr. Chr. Wiener in Karlsruhe. 

Der gewöhnlichen Annahme, dass ausser dem Ich eine 
Welt, die Aussenwelt, bestehe, welche durch die Sinnesein¬ 
drücke auf uns einwirke, steht der von Berkeley aufgestellte 
Idealismus gegenüber, wonach nur unsere Vorstellungen etwas 
Wirkliches sind, und wonach mit dem Aufhören des Ichs und 
der Vorstellungen auch die ganze vorgestellte Welt verschwinden 
soll. Unfolgerichtig nahm aber Berkeley ausser dem Ich noch 
andere Ich oder Geister und Gott als wirklich bestehend an. 
Kant dagegen nahm eine Aussenwelt an; von derselben kennten 
wir aber nur die Eindrücke, die sie auf uns hervorbringe; von 
dem eigentlichen Wesen eines Dinges dieser Aussenwelt, „dem 
Ding an sich“ vermöchten wir nie Kenntniss zu erhalten. 

Wenn auch thatsächlich Jeder an die Wirklichkeit der 
Aussenwelt glaubt, so halten doch Viele diese Wirklichkeit 
für unbeweisbar. Ich halte den Beweis für möglich und will 
versuchen, ihn im Folgenden zu liefern. Derselbe kann nicht 
etwa in einem dialektischen Kunststücke bestehen, sondern er 
muss die Vorgänge klar legen und ihre zwingende Wirkung 
nachweisen, welche in dem Einzelnen, wenn auch unbewusst, 
die Sicherheit der Ueberzeugung hervorbringen. 


*) Diese Frage habe ich zwar schon ausführlich in meinen „Grund¬ 
zügen der Weltordnung, Leipzig 1863“, S. 626 ff. und in einem Aufsätze 
„Die ersten Sätze der Erkenntniss“ in der Samml. wiss. Vortr., heraus- 
gegeb. von Virchow und Holtzendorff, Ser. IX, Heft 212, Berlin 1874, 
behandelt; aber der Gegenstand verliess mich unterdessen nicht und treibt 
mich wieder zu einer neuen Darstellung, in welcher ich den schon früher 
gegebenen Beweis in immer schärfere Beleuchtung zu setzen versuche. 
Den oben in etwas erweiterter Form gegebenen Vortrag hielt ich in der 
Sitzung des Naturw. Vereins vom 4. Juli 1890. 


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75 


Der Beweis hat zur Voraussetzung das Gesetz der 
Kausalität oder Ursächlichkeit, und dieses bildet die 
Voraussetzung für die Möglichkeit eines jeden Beweises. Dieser 
Satz wird oft so ausgedrückt: „Gleiche Ursachen haben gleiche 
Wirkungen.“ Will man den Begriff von Ursache und Wirkung 
nicht voraussetzen, so kann man den Satz so aussprechen: 
„Wenn in zwei Fällen alle Umstände die gleichen sind, so 
sind auch die Vorgänge die gleichen.“ Dabei sind die Um¬ 
stände alles Bestehende ausser dem, an welchem der Vorgang 
stattfindet. Da aber zwei Fälle als getrennt oder nicht identisch 
nur dann bezeichnet werden können, wenn sie durch Ort oder 
Zeit oder durch beides verschieden sind und da an zwei ver¬ 
schiedenen Orten die Lagen gegen andere Körper verschieden 
sind, zu zwei verschiedenen Zeiten aber nie alle Umstände 
übereinstimmend gefunden werden, so können in zwei Fällen 
nie alle Umstände die gleichen sein. Diese Schwierigkeit ver¬ 
schwindet, wenn wir die wesentlichen Umstände von den un¬ 
wesentlichen unterscheiden. Wesentlich sind solche, mit deren 
Aenderung in irgend zwei Fällen sich der Vorgang geändert 
hat, unwesentlich die anderen. Die wesentlichen Umstände 
nennt man Ursachen des Vorgangs. Der Satz der Ursäch¬ 
lichkeit heisst dann: „In zwei Fällen sind die Vorgänge 
die gleichen, wenn die für sie wesentlichen Umstände 
oder ihre Ursachen die gleichen sind.“ 

Wer dieses Gesetz der Ursächlichkeit in seinem Handeln 
nicht anerkennt, der ist verloren. Denn er kann keine Er¬ 
fahrung machen; und wenn er auch einen Menschen einen 
Abgrund hinunterstürzen sah, wird er nicht an Wiederholung 
glauben und den Rand des Abgrunds überschreiten. Wer das 
Gesetz in seinem Denken nicht anerkennt, der kann nicht 
schlussfolgern. Mit der Ziffer 2 wird er nicht immer dieselbe 
Vorstellung zu verbinden glauben; und wenn für ihn einmal 
2x2 = 4 war, so kann es ein andermal 6 sein. Gerade 
die Wissenschaft sucht die Abhängigkeit der Vorgänge von 
den Umständen zu erforschen und hat ohne die Voraussetzung, 
dass unter denselben Umständen auch die Vorgänge immer 
dieselben sind, gar keine Aufgabe, weil dann eine solche Ab¬ 
hängigkeit nicht besteht. Es gibt dann keine Wissenschaft. 
Die Menschheit ist aber nicht erst allmählich auf dieses Ge- 


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setz geführt worden, das etwa, wie eine erfundene Hypothese, 
sich allmählich mehr und mehr bestätigte; nein, schon lange 
vor dem Entstehen der Wissenschaft wird dem Menschen durch 
die beständige Wiederholung der Vorgäuge in seinem Inneren 
gcwohnheitsinässig dieses Gesetz als Richtschnur aufgedrängt. 
Bei dem Thiere ist der Vorgang des Schlusses in der Regel 
derselbe, wie bei den Menschen; es besteht aber der Unter¬ 
schied, dass das Gesetz der Ursächlichkeit bei dem Menschen 
zum Bewusstsein gelangen kann und bei höherer Entwickelung 
dazu gelangt, bei den Thieren aber nicht. 

Die Wissenschaft unterscheidet nun unter den wesent¬ 
lichen Umständen oder Ursachen für einen Vorgang die trei¬ 
bende Ursache, durch deren Verstärkung der Vorgang verstärkt 
wird, von den Bedingungen, das sind alle anderen wesent¬ 
lichen Umstände. Bei den treibenden Ursachen upterscheidet 
sie wieder die Kraft, d. i. die wesentliche Eigenschaft der 
treibenden Ursache; und bei den Bedingungen den Anlass 
oder die Auslösung, d. i. zuletzt erfüllte Bedingung, durch 
deren Erfülltwerden der fragliche Vorgang beginnt. So ist 
bei der Atwoodschen Fallsmaschine eine Bedingung die Leicht¬ 
beweglichkeit der Leitrolle, der Anlass, das Beiseiteschieben 
des Stellhebels, die treibende Ursache, das aufgelegte Ueber- 
gewicht, die Kraft, das Verhalten dieses Uebergewichtes auf 
der Waage oder sein Gewicht. 

Um nun das Gesetz der Ursächlichkeit auf unsere Frage 
von der Wirklichkeit der Aussen weit anzuwenden, unter¬ 
scheiden wir bei den Vorgängen im Ich die Sinnesein¬ 
drücke und die inneren Gedanken. Die ersteren sind 
lebhafter, die letzteren schwächer; die ersteren sind bestimmt 
und nicht willkürlich veränderlich, die letzteren können nach 
Willkür iin Ganzen oder in ihren Theilen verändert werden; 
die ersteren treten oft unerwartet und unabhängig von den 
vorhergehenden Gedanken auf, die letzteren hängen von den 
vorhergehenden Gedanken ab und sind mit ihnen durch das 
Gesetz der Gedankenfolge verbunden; die ersteren sind oft 
neu, die letzteren sind stets Erinnerungen an frühere Ge¬ 
danken und in ihren kleinsten Bestandtheilen solche an Sinnes¬ 
eindrücke, sie gehören dem gegebenen Gedankenvorrathe an. 
Jenes Gesetz der Gedankenfolge sagt aber, dass ein 


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innerer Gedanke, der in uns auftritt, mit seinem vor¬ 
hergehenden, mag dieser wieder ein innerer Gedanke oder 
ein Sinneseindruck sein, stets einen Theil gemein hat, und 
dass unter den vielen bei dem gegebenen Gedankenvorrathe 
danach möglichen Gedanken ein solcher eher folgt, welcher 
mit dem vorhergehenden einen grösseren Theil gemein hat, 
oder ein solcher, welcher einen grösseren Trieb des Erwachens 
zur Erinnerung besitzt, d. h. lebhafter und erregender auf- 
treten kann. Ein Beispiel ist: Eine Mutter wird leichter an 
ihr Kind erinnert, als eine Schwester oder gar ein Bruder 
an ihr Schwesterchen. Wenn wir auch wegen der Verwickelung 
der Umstände in vielen Fällen den neuen Gedanken nicht 
Voraussagen können, der in einem Anderen durch eine An¬ 
regung hervorgebracht wird, so ist er doch auch in vielen 
Fällen als bestimmt oder als wahrscheinlich anzugeben. Auf 
den Sinneseindruck eines ausgesprochenen Wortes folgt die 
Vorstellung des bezeichneten Gegenstandes, auf eine An¬ 
spielung folgt mehr oder weniger sicher der von dem An¬ 
spielenden beabsichtigte Gedanke. Jeder wirklich eintretende 
innere Gedanke bestätigt aber das ausgesprochene Gesetz der 
Gedankenfolge und kein einziger widerspricht ihm, wenn man 
sich beobachtet. Die inneren Gedanken bilden daher eine 
Kette zusammenhängender Glieder, die Sinneseindrücke da¬ 
gegen sind unabhängig von dem Gedankenvorrathe. Eine 
Bedingung müssen die inneren Gedanken freilich erfüllen, damit 
überhaupt ein Sinneseindruck stattfinden kann; es muss das 
Bewusstsein des geöffneten Sinnes und einer gewissen Auf¬ 
merksamkeit vorhanden sein oder hervorgerufen werden können. 
Welcher Sinneseindruck aber dann hervortritt, ist unabhängig 
von dem Gedankenvorrathe, insbesondere von dem un¬ 
mittelbar vorhergehenden Gedanken, so dass wir für einen 
bestimmten hervorspringenden Sinneseindruck nie wesent¬ 
liche Umstände oder Ursachen in den inneren Gedanken 
finden können, derart, dass bei Wiederkehr der letzteren 
auch derselbe Sinneseindruck einträte. Einem für uns neuen 
Schauspiele sehen wir oft mit Erwartung und Neugierde zu; 
und die Sinneseindrücke, die wir empfangen, können für uns 
ganz unerwartet oder unserer etwa gehegten Erwartung ent¬ 
gegengesetzt sein. Der Gesammtvorrath der Gedanken 


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bildet aber das Ich; und da die Sinneseindrücke von 
diesem Vorrathe unabhängig sind, so haben sie ihre Ursache 
nicht im Ich. Wir haben daher die Wahl anzunehmen, ent¬ 
weder dass die Sinneseindrücke ursachlos hervorspringen, 
dass also für sie das Gesetz der Ursächlichkeit nicht gilt, 
oder dass ihre Ursachen ausserhalb des Ichs liegen. Diese 
ausserhalb des Ichs liegenden Ursachen der Sinneseindrücke 
würden wir dann die Aussenwelt nennen. So finden wir also, 
dass wegen der Unwillkürlichkeit der Sinnesein¬ 
drücke und wegen ihrer Unabhängigkeit vom Ich 
die Allgemeinheit des Gesetzes der Ursächlichkeit 
nicht gewahrt werden kann durch die alleinige An¬ 
nahme des Ichs. 

Durch die Annahme der Aussenwelt ist dies aber 
möglich. Erkennen wir dies zuerst für die Verschiedenheit 
des Verlaufes von ursprünglich gleichen Sinneseindrücken. 
Beobachten wir, dass die Vorgänge an zwei Sinneseindrücken, 
für welche die Umstände im Ich gleich waren, dennoch ver¬ 
schieden verlaufen, so finden wir stets ausserhalb des Ichs 
eine Verschiedenheit der Umstände, welche durch spätere 
Sinneseindrücke bemerkbar wird. Zeigen wir dies an einem 
Beispiele. Man habe die gleichen Sinneseindrücke von Kugeln, 
die an einer Wand auf Brettchen liegen, dann den Sinnesein¬ 
druck des Niedersinkens der Brettchen und des Herabfallens 
der Kugeln, mit Ausnahme bei einer einzigen, die an der 
Stelle bleibt. Der Sinneseindruck einer Stellungsveränderung 
des Augös liefert den Sinneseindruck einer aus der Wand in 
die Kugel gehenden Stange, die an den Stellen der anderen 
Kugeln fehlt. Obgleich also im Ich die Sinneseindrücke der 
Kugeln und der sinkenden Brettchen gleich waren, so folgten 
darauf doch nicht die gleichen Sinneseindrücke der fallenden 
Kugeln. Es konnte also nur ausserhalb des Ichs ein besonderer 
Umstand für die eine an der Stelle gebliebene Kugel vor¬ 
handen sein; und dies bestätigte sich, indem nachträglich 
dieser besondere Umstand auch einen besonderen Sinnesein¬ 
druck, den der Stange, hervorbrachte. Dieser Umstand, die 
Stange, musste aber schon während des Vorganges vorhanden 
gewesen sein, weil man findet, dass sie nur mit längerem 
Zeitaufwand entfernt oder eingesetzt werden kann. Man kann 


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dies den Beweis durch die Wirkung der verdeckten 
Aussenwelt nennen. 

Andererseits vermögen wir das vom Ich ganz unabhängige, 
scheinbar ganz regellose Hervorspringen von Sirineseindriicken 
durch die Annahme einer Aussenwelt dem Gesetze der Ur¬ 
sächlichkeit zu unterwerfen durch das Gesetz des Welt¬ 
laufes. Zeigen wir auch dies an einem Beispiele. Tritt 
eines Morgens, indem wir sechs Uhr schlagen hören, der 
Sinneseindruck der aufgehenden Sonne ein, so kann am fol¬ 
genden Tage unter gleichen Umständen, insbesondere beim 
Hören des Sechsuhrschlagens, sich die Erinnerung an die aüf- 
gehende Sonne einstellen; der gleichartige Sinneseindruck aber 
bleibt aus; er tritt erst zwei Minuten später ein. Am folgen¬ 
den Tage erwarten wir diesen Sinneseindruck abermals zwei 
Minuten später und es trifft zu. Später aber finden wir uns 
getäuscht; die Verspätung wird geringer und noch später tritt 
eine Verbrühung ein u. s. w. Durch Beobachtung während 
eines ganzen Jahres finden wir ein Zeitgesetz für die auf¬ 
gehende Sonne, das sich in den folgenden Jahren bestätigt. 
Dieses Gesetz äussert sich Anfangs gegen unsere Erwartung; 
es hat also seine Begründung nicht im Ich. Wenn wir aber 
die Aussenwelt annehmen, so können wir mit wechselndem 
Grade der Vollkommenheit die Gesetze ihres Laufes erforschen, 
die vollkommen unabhängig vom Ich sind, aber selbst durch¬ 
aus dem Gesetze der Ursächlichkeit entsprechen, so dass wir 
im Stande sind, die Sinneseindrücke voraus zu bestimmen, so 
weit unsere Forschungsergebnisse reichen. 

Wir kommen bei weiterem Eindringen zu dem Ergebnisse, 
dass die Aussenwelt aus einzelnen wesenhaften Dingen, 
d. h. Dingen mit ihnen allein zukommenden Sitzen 
besteht, welche die Ursachen sind von Sinneseindrücken im 
Ich und von Vorgängen an anderen Aussendingen, wobei diese 
Vorgänge sich selbst wieder durch Sinneseindrücke im Ich be¬ 
merkbar machen. Die Aussenursache des Gesichtseindrucks 
einer Flamme verursacht zugleich bei genäherter Hand eine 
Wärmeempfindung im Ich und das ersichtliche Entflammen 
eines genäherten Papiers. Entfernt man die Ursache des Ge¬ 
sichtseindrucks, so verschwinden auch die Ursachen der an¬ 
deren Vorgänge; alle sind also untrennbar verbunden, oder 


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sie haben einen gemeinsamen Sitz. Diesen gemeinsamen Sitz 
mit der Fähigkeit, Ursache einer ganzen Reihe von Vorgängen 
zu sein, oder mit seinen verschiedenen Wirkungsfähigkeiten, 
nennt man ein wesenhaftes Aussending. Seine Eigenschaften 
sind nur die Fähigkeiten der Einwirkung auf andere Aussen- 
dinge oder auf das Ich vermittelst unserer Sinne. Weitere 
Eigenschaften, welche die Annahme eines „Dinges an sich“ 
rechtfertigen würden, sind undenkbar; niemand kann eine 
solche etwa mögliche Eigenschaft anführen. Die Wirkungen 
der Aussendinge finden wir aber bei allen unseren Unter¬ 
suchungen nach unabänderlichen Gesetzen vor sich gehen 
unter voller Giltigkeit des Gesetzes der Ursächlichkeit. 

So ist, wie wir glauben, gezeigt, dass das Gesetz der Ur¬ 
sächlichkeit, welches die alleinige Grundlage für unsere Er- 
kenntniss, für die Wissenschaft und für unser gesichertes Be¬ 
stehen bildet, nur als giltig angesehen werden kann, wenn 
wir die Aussenwelt als bestehend annehmen; dass also Jeder, 
der die Möglichkeit einer Erkenntniss, der Wissenschaft, die 
Zulässigkeit des Wortes „Beweis“ zugibt, der Erfahrungen 
zur Sicherung seines Bestehens benutzt, die Wirklichkeit der 
Aussenwelt anzuerkennen genöthigt ist 


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Das Xanthorrhoeaharz. 

Ein Beitrag zur Entstehung der Harze. 

Von Dr. Alfred Schaber. 

Von der Beobachtung ausgehend, dass die ätherischen 
Oele an der atmosphärischen Luft in Folge einer Aufnahme 
von Sauerstoff aus dem dünnflüssigen Zustand in einen 
dickflüssigen übergehen, dabei eine gelbe bis bräune Farbe 
annehmen und schliesslich zähe, feste, völlig harzähnliche 
Massen werden, haben die Chemiker seit lange auch um¬ 
gekehrt die Entstehung der Harze aus ätherischem Oel 
angenommen. 

Wenn es nun bisher auch nicht gerade gelungen ist, die 
in der Natur vorkommenden Harze aus ätherischen Oelen 
zu erhalten, so sind doch durch Hlasiwetz 1 ) schon in der 
Mitte der sechziger Jahre einige experimentelle Beweise für 
diese Annahme erbracht worden. 

Nachdem der genannte Forscher für eine grosse Anzahl 
von Harzen den Zusammenhang festgestellt hat, dass aus 
ihnen durch Oxydation mit schmelzenden Alcalien Zersetzungs¬ 
produkte entstehen, welche alle Glieder der aromatischen 
Reihe (Phenole und Oxysäuren) sind, gelang es ihm, das 
Bittermandelöl (Benzaldehyd) in ein Harz überzufübren, 
welches dem natürlich verkommenden Benzoeharz sowohl 
in der Zusammensetzung als auch darin gleicht, dass es die¬ 
selben Zersetzungsproducte wie dieses gibt. Aber auch aus 
anderen ätherischen Oelen, aus Nelkenöl, aus Rautenöl und 

') Zur Chemie der Harze io Wiesner, Die technisch verwendeten 
Gummiarten, Harze und Balsame. Erlangen 1869 pag. 70 u. ff. Origi- 
nalabhandlungen: Annalen der Chemie und Pbarmacie 1866 und 1866. 
Sitzungsber. d. Wien. Acad. I.I., 1866. 2. Abtheilung. 

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aus Anisöl hat er auf künstlichem Wege Harze dargestellt, 
und er theilt mit, dass im Anschluss an seine Untersuchungen 
von Barth aus einigen Terpenen, aus Terpentinöl, Wach¬ 
holderöl und Lavcudelöl durch längeres Kochen in alkoholischer 
Kalilösung oder in zugeschmolzenen Röhren Harze gewonnen 
worden sind. Hlasiwetz schliesst daraus, dass auch die 
natürlichen Terpenharze, Terpentin, Mastix. Sandarac, Elemi 
u. s. w. aus ätherischen Oelen. entstanden seien. 

In allen Arbeiten, welche sich mit diesem Gegenstände 
beschäftigen, ist darauf hingewiesen, dass die Chemie in 
dieser Beziehung in einem gewissen Gegensatz zu den bota¬ 
nischen Anschauungen stehe, nach denen die Entstehung 
der Harze aus anderem Material, aus der Zellwand nämlich 
und aus den Stärkekörnern hergeleitet werden müsse. 

Während Hlasiwetz nun, mit diesen botanischen An¬ 
schauungen wohl bekannt, auf Grund seiner oben mitgetheil- 
ten experimentellen Erfahrungen aber nur für die Terpenharze 
eine Entstehung aus ätherischem Oel ausspricht und eine 
weitere Verallgemeinerung sorgfältig vermeidet, indem er für 
andere Harze die Möglichkeit anderer Entstehungsweisen offen 
lässt, hat die Botanik die Zurückführung der Harze auf 
ätherisches Oel überhaupt nicht recht anerkennen wollen. 
Der bedeutendste Vertreter dieser Meinung ist Wiesner. 
Derselbe spricht sich in seiner 1866 erschienenen Harzarbeit 1 ) 
vielleicht noch ohne Kenntniss der Hlasiwetz’schen Unter¬ 
suchung in folgender Weise aus: „Es liegen keine That- 
sachen vor, welche auf die Entstehung der Harze aus äther 
rischem Oel mit Bestimmtheit schliessen Hessen, geschweige 
auf eine alleinige Entstehung aus diesen Körpern hinweisen 
würden.“ Er nennt weiterhin diese Vorstellungsweise ein 
altes Vorurtheil, von dem sich der Forscher, der an diese 
Frage herantrete, emancipiren müsse und spricht an dem¬ 
selben Orte die VermuthuLg aus, dass sich eher umgekehrt 
die Entstehung von ätherischem Oel aus Harz durch eine 
fortgesetzte Reduction erklären Hesse. Aber auch nachdem 
schon Hlasiwetz in dem oben citirten Werke von Wiesner 

J ) lieber die Entstehung des Harzes im Innern der Pflattzenzellen. 
Sitzungsber. d. Wien. Acnd. d. Wiss. UI. zweite Abtheilung pag. 128. 


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(Die technisch verwert he teil Gununiartrn, Harze und Balsame) 
seihst die Ergebnisse seiner Versuche in einem besondern 
„Zur Chemie der Harze“ betitelten Kapitel zusainmengestellt 
hatte, fasst Wiesner an einem anderen Orte*) seine Meinung 
dahin zusammen: „Die Auffindungen der Pflanzeuphysiologie, 
dass in gewissen Geweben die anfänglich aus Cellulose be¬ 
stehende Wand sich in Harz verwandelt (Karsten, Wiegand) 
und dass sich auch Stärkekörnchen in harzige Massen um- 
setzen (Wiesner), konnten bis jetzt mit den auf die Ent¬ 
stehung der Harze abzielenden Beobachtungen der Chemiker 
noch nicht in Einklang gebracht werden.“ 

Die vorliegende Arbeit erhebt nicht den Anspruch, die 
an sich sehr schwierige Frage nach der einen oder anderen 
Richtung entscheiden zu wollen, zumal es sich in derselben 
nur um die Untersuchung eines einzigen Harzes, des Xan- 
thorrhoeaharzes, handelt. Die überraschenden Ergebnisse aber, 
welche sich bei der Untersuchung herausgestellt haben, verdienen 
es vielleicht, in der ganzen Frage mit angehört zu werden. 

Ich muss zunächst auf denjenigen Theil der botanischen 
Beobachtungen näher cingehen, welche zu der Annahme einer 
Entstehung von Harz aus den Zellwänden geführt haben. 
Nachdem dieselbe zuerst von Karsten*) mehr allgemein aus¬ 
gesprochen worden ist, hat sie später Wiegand*) besonders 
lebhaft in dieser Frage in den Vordergrund gestellt. Die 
Arbeit Wiegands, in welcher dies geschieht, ist in der bota¬ 
nischen Literatur bekannt und häufig citirt- Wir ver¬ 
danken derselben die Kenntniss über die Entstehung des 
Kirschgummis. Wie Mohl schon früher die Entstehung des 
Traganths aus Zellen des Markes und der Markstrahlen 
durch eine Verflüssigung der Wände nachgewiesen hat, so 
hat Wiegand für den aus Amygdaleen herrührenden Gummi 
in einer sehr ausführlichen und erschöpfenden Untersuchung 
festgestellt , — und später ist es von Frank 1 2 3 4 ) bestätigt 

1 ) Rohstoffe des Pflanzenreichs. Leipzig 1873 psg. 73. 

2 ) Karsten, Uebfr die Entstehung des Harzes, Botan. Zeitung 1857. 

3 ) Wiegand, lieber die Desorganisation der Pflanzenzelle, Pringsheims 
Jahrb. 1868. 

4 ) lieber die anatomische Bedeutung und die Entstehung der vege- 
tab. Schleime. Pringsheims Jahrb. 1866—18G7. 

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worden — dass auch dieser aus Zellen des Holzes und der 
Rinde, und zwar wiederum durch eine Verflüssigung der 
Zellwände entstehe. Er hat diese Entstehungsweise auch 
für den Acaciengummi wahrscheinlich gemacht und sie in 
einem besonderen Theile seiner Arbeit auch auf die Harze 
übertragen. So deutet er die Harzmassen in Holz und Rinde 
der Coniferen, von denen er jedoch bezeichnender Weise — 
es steht dieser Theil der Arbeit dem erst erwähnten auf¬ 
fallend an Ausführlichkeit und an Vollständigkeit bezüglich 
des Untersuchungsmaterials nach — nur zwei, abies pec- 
tinata und pinus Strohus, untersucht hat, nicht als Inhalts¬ 
massen histologisch gesonderter Harzgänge, sondern als gang¬ 
artig und, wie er es nennt, drusenartig geworden dadurch, 
dass Zellen, welche ehemals an dieser Stelle vorhanden ge¬ 
wesen seien, durch Verflüssigung und Verwandlung ihrer 
Wände in Harz sich umgebildet hätten. Den Vorgang stellt 
er sich derart vor, dass sich die innerste Schicht der dicken 
Wand loslöse, sich in Harz verwandle und nun entweder an 
ihrer Stelle als innerste W T andbekleidung bleibe oder tropfen- 
artig in dem Zellraum zusammenfliesse; die Dicke der Zell* 
wand nehme in demselben Maasse ab, als die Harztropfen 
in dem Zellraum an Grösse zunehmen, bis schliesslich die 
ganze Zelle auf diese Weise zu Harz werde. 

Die falsche Auffassung der Harzgänge und der Ent¬ 
stehung derselben als gangartige Harzmassen durch Ver¬ 
wandlung ursprünglich dort vorhandener Zellen hat schon in 
demselben Jahre Dippel 1 ) zurückgewiesen; eine scharfe Kritik 
hat sie späterhin von N. J. C. Müller 2 ) erfahren, welcher die 
schizogene Entstehung der Harzgänge festgestellt hat. Der 
erstgenannte Forscher hat aber auch den Grundgedanken der 
Wiegand’schen Vorstellung, dass die Zellwände das Material 
zur Harzbildung hergeben, als einen falschen erkannt, indem 
er bei abies pectinata beobachtet hat, dass in Zellen, welche 
Harz enthalten, die Wände weder in ihrer Dicke noch in 
ihrem chemischen Charakter eine Veränderung erleiden; er 

1 ) Die Harzbeh&ltor der Weisstanne und die Entstehung des Harzes 
in denselben. Botan. Zeit. 1863. 

*) Untersuchung Ober die Vertheilung der Harze u. s. w. Prings- 
heiuts Jabrb. 1866—1867. 


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spricht vielmehr auf Grund einer Reihe von Beobachtungen, 
auf die ich später zuriickkommen muss, den Satz aus, dass 
die Harzbildung vom Zellinhalte ausgehe, und wo die Wände 
in Mitleidenschaft gezogen würden, dies nur als ein secun- 
därer Prozess anzusehen sei. 1 ) Gleichwohl hat Wiesner in 
seiner schon citirten Arbeit „über die Entstehung des 
Harzes u. s. w.“, ohne von den Beobachtungen Dippels Notiz 
zu nehmen, an der Meinung von Karsten und Wiegand fest¬ 
gehalten und durch einige eigene Beobachtungen an pinus 
nigricans, wo die Bildung des Harzes aus Holzzellen durch 
Verwandlung der einzelnen Wandschichten derselben von 
innen nach aussen zu erfolgen soll 2 ), glaubt er, neues Be¬ 
weismaterial für sie gebracht zu haben; auch späterhin ist 
er in seinem Urtheil über diesen Gegenstand derselben treu 
geblieben. Die folgenden Beobachtungen sprechen gegen 
Karsten, Wiegand und Wiesner für die Ansicht Dippels und 
fallen vielleicht um so mehr in's Gewicht, als sie an einem 
Harze gemacht worden sind, an welchem auch Wiegand 
selbst seine Studien gemacht hat und mit welchem er seine 
Entstehungstheörie ganz besonders stichhaltig beweisen zu 
können glaubt. Ich habe schon oben erwähnt, dass es sich 
um das Xanthorrhoeaharz handelt, und will, da ich im Laufe 
der Darstellung des öfteren an die Schilderung Wiegands 
anknüpfen muss, dieselbe zweckmässig im Wortlaut wieder¬ 
geben.*) 

„Einen besonders lehrreichen Fall,“ so beginnt diese 
Schilderung, „liefert das als Resina Xantorrhoeae rubra oder 
Gummi Nutt in den Handel kommende rubinrothe Harz von 
Xantorrhoea arborea und australis. Die Stücke werden zum 
Theil von einem weisslichen, zerreiblichen Parenchym bedeckt 
und nach innen zu von einem körnigen Gewebe unregel¬ 
mässig — schichtenartig durchsetzt. Verfolgt man unter 
dem Mikroskop den Uebergang zwischen diesem Gewebe in 
die angrenzende Harzmasse, so kann man folgende Stufen 
einer allmähligen Umwandlung unterscheiden: 1. Zellen mit 
stark verdickten, porösen, fast farblosen Wänden, ohne 

V 1. c. pag. 258. 

*) 1. c. pag. 129. 

*) 1. c. pag. 167. u. f. 


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Inhalt, 2. die Zellwand gelb, nach innen mit einer braunen, 
die Höhle nicht ausfüllendeu Harzmasse ganz oder stellen¬ 
weis ausgekleidet, 3. die Zellwand verdickt, braun, die Höhle 
mit Harz ausgefüllt, 4. eine homogene, aber auf dem Bruch 
nicht glasige Harzmasse, die sich durch Alcohol mncerircn 
lässt, so dass nach der Auflösung des Harzes ein paren- 
chymatisches Gewebe von dünnwandigen Zellen übrig bleibt. 
5. eine homogene Harzmasse von glasigem Bruch, durch 
Weingeist ohne Rückstand löslich. Es geht hieraus her¬ 
vor, dass das Harz sich nicht als ausgescbiedene Masse 
zwischen dem Zellgewebe ablagert, sondern dass es an der¬ 
selben Stelle, wo es sich findet, auch entstanden ist, — dass 
die Erzeugung desselben innerhalb der Zellen beginnt, aber 
nicht sowohl aus dem Inhalt als auf Kosten der Zellwände, 
deren Dicke von innen nach aussen in demselben Maasse 
abnimint und zuletzt verschwindet, wie die Harzausfüllung 
der Höhle zunimmt. Auch wird bereits durch die von innen 
nach aussen die Zellwand durchdringende .gelbe und dann 
braunrothe Färbung eine alluiählige Umwandlung derselben 
in Harz augedeutet.“ 

So Wiegand. Es spricht zunächst für die irrthümlichc 
Anschauung des Autors in der ganzen Harzangelegenheit 
überhaupt, dass er das Xanthorrhoeaharz als ein Beweis¬ 
material für seine Deutung der Harzmasscn in den Kanälen 
der Coniferen einführt. Beide Harze sind so grundver¬ 
schiedener, wenn ich so sagen darf, localer Natur, dass ein 
Zusammenwerfen derselben bezüglich ihrer Entstehung nicht 
von Vortheil erscheint. Fliesst doch das Xanthorrhoeaharz 
nicht, wie Terpentin und andere in Gängen befindliche Harze 
aus dem Innern der Pflanze heraus, sondern bedeckt den 
Stamm gewissermassen als ein anatomischer Theil desselben 
und kann von ihm ohne weitere künstliche Mittel abgehoben 
werden; die Seite, mit welcher es au dem Stamm anlag,.ist 
fast immer deutlich erkennbar, da sie flach oder doch nur 
wenig gewölbt ist im Gegensatz zu der äusseren Seite, die 
muschelig oder höckerig oder auch ganz glaskopfähnlich 
aussieht. 

Doch ganz abgesehen davon, dass Wiegand die ihrer 
Abstammung nach so verschiedenen Harze nicht scharf aus- 


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einaudergehalten hat, ist auch seine spezielle Erklärung 
von der Entstehung des Xanthorrhoeaharz an sich eine 
durchaus unrichtige. 

Bevor ich nun meine nach dieser Richtung hin gemach¬ 
ten Beobachtungen mittheile, will ich die anatomischen Ver¬ 
hältnisse des in Frage kommenden Harzes, die ja auch in 
der Beschreibung Wiegands eine Rolle spielen, etwas genauer 
erörtern. Dieselben können dann einmal zur besseren 
Orientirung für die weiteren Mittheilungen dienen, sodann 
aber werde ich dazu veranlasst, weil ich in dieser Hinsicht 
auch etwas neues für das Harz mittheilen kann. 

Wiegand beschreibt nur Sclerenchyinzellen und sagt 
ganz allgemein, dass dieselben an der Innenseite von einem 
„weissen, zerreisslichen Parenchym bedeckt“ werden. Ausser 
Wiegand hat Wiesncr noch zweimal 1 ) die Anatomie des 
Xanthorrhoeaharzes beschrieben und dabei auch dieses weisse 
Parenchym in seine histologischen Elemente aufgelöst; er 
unterscheidet in demselben von innen nach den Scleren- 
chyuizellen zu „1. tangential abgeplattete, sehr dünnwandige 
Zellen mit Stärke und Chlorophylleinsehlüssen“ und „2. minder 
deutlich abgeplattete, inhaltslose Parenchymzellen“, und 
zwischen den letzteren „stärker verdickte, mit Krystallen 
von oxalsaurcm Kalk erfüllte Parenchymzellen“; von diesen 
drei verschiedenen Zellformen gibt er überdies die Grösse an. 

Das Untersuchungsmaterial, welches mir zu Gebote 
staud, erlaubte mir, diese anatomischen Beobachtungen noch 
zu erweitern und dieselben auch mit einiger Sicherheit zu 
deuten. Die Harzstücke, welche ich untersuchte, stammen 
aus einer grösseren Sammlung von Xanthorrhoeaharzen, 
welche vor mehreren Jahren das hiesige botanische Museum 
von Herrn Baron v. Müller aus Melburn erhalten hat. Da 
ich an den Sammlungsgläsern nur Nummern vorfand, die 
jedenfalls mit einer, leider nicht mehr vorhandenen Liste in 
Beziehung standen, kann ich mit Sicherheit die Xanthor- 
rhoeaspecies, von welcher die untersuchten Stücke abstaminen, 
nicht angeben. Ein Theil der in der Sammlung befindlichen 

*) Die technisch verwendeten Gummiarten, Harze und Balsame 
pag. 190 und Rohstoffe d. Pflanzenreichs pag 149 u. f. 


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Harze entspricht vollkommen der Beschreibung, wie sie 
Wiesner von dem rothen von Xanthorrhoea australis R. Br. 
herrührenden Harze gibt; sie sind braun bis roth und er¬ 
innern in ihrer Form an den rothen Glaskopf. Ein anderer 
Theil derselben, zu dem auch die untersuchten gehören, 
sind aber in der Farbe auffallend stark in’s Braune und 
Schwarze geneigt und gar nicht roth, zeigen auch keine 
Aebnlichkeit mit dem rothen Glaskopf, sondern haben eine 
mehr muschelige und blätterige Structur. Die Grundfarbe 
ist braun, am äussersten Theile schwarz, und dort stark 
glänzend; doch sind auch die braunen Stellen ohne Regel¬ 
mässigkeit von dunkelbraunen, fast schwarzen, stark glänzen¬ 
den bandartigen Stellen durchsetzt. Ich möchte dieses Harz 
danach mehr als ein schwarzes Xanthorrhoeaharz bezeichnen, 
von welchem das rothe von Xanthorrhoea australis abstam¬ 
mende sich durch die mehr rothe Grundfarbe unterscheidet. 
Allerdings sieht man auf ganz rotben, ■ glaskopfähnlichcn 
Harzen auf frischen Schnitten auch eine schwarze, stärk 
glänzende Farbe, so dass möglicherweise die rothen Harze 
auch einmal schwarz gewesen sind. Diese Frage lässt sich 
natürlicherweise hier nicht entscheiden. Es kommt auch 
nicht darauf an, ob die schwarzen Harzstücke ebenfalls von 
Xanthorrhoea australis oder von einer anderen Species, viel¬ 
leicht von X. arborea oder X. quadrangulata herrühren, da 
sich a priori annehmen lässt, dass der Entstehungsprozess 
bei allen der gleiche ist. Die Hauptsache ist, dass unter 
den schwarzen Harzstücken solche von so unvollkommener 
Verharzung vorhanden waren, dass sie sich für das Studium 
der Anatomie als auch der fortschreitenden Verharzung ganz 
besonders eigneten. 

Die flache Seite dieser Stücke nun, mit welcher dieselben 
einst dem Stamme ansassen, war nicht nur von einem 
weissen, zerreiblichen Parenchym bedeckt, sondern an der 
Innenfläche desselben verliefen überdies dünne Stränge, 
welche sich bald aneinander legen, bald auseinander treten 
und Lücken lassen, sodass ein längsverlaufendes, maschen¬ 
artiges Netz zu Staude kommt; in die Lücken treten andere, 
dickere Gewebsstränge ein, die sich in der Harzmasse selber 
als querverlaufende Stränge beobachten lassen, und deren 


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Richtung im allgemeinen die der längs verlaufenden senk¬ 
recht schneidet. Beistehende Abbildung a stellt das Harz¬ 
stück dar, an welchem ich die Untersuchungen zum grössten 
Theil gemacht habe. Die an der Innenfläche längsverlaufen- 
den dünnen Stränge treten 
deutlich hervor; die dazu 
senkrechten dickeren Stränge 
sind hackenförmig abgebro¬ 
chen. ln b sind eine Anzahl 
solcher dünnen Stränge unter- 
Lupenvergrösserung wieder¬ 
gegeben; die querverlaufen¬ 
den sind in den Lücken durch 
die Kreise angedeutet. 

Ich trage keine Bedenken, die letzeren querverlaufenden 
dickeren Stränge für die Gefässbündel der Blätter oder viel¬ 
mehr der Blattstiele zu halten, welche sich an die Blattspur¬ 
stränge im Stamm angesetzt haben und nun ab¬ 
gebrochen sind, da die Blätter selber abiielen; es 
muss erwähnt werden, dass die Blätter der Xan- 
thorrhoeabäume gleich den Wedeln der Cycadeen 
mit Zurücklassung lang andauernder Basalt heile 
vom Stamm abfallen. Diese Gefässbündel vor 
allem sind es, welche durch Zerreissung und Zer¬ 
faserung dem Harze das blätterige Aussehen geben. 

Die an der Innenseite des Harzes verlaufenden 
Längsstränge aber, welche häufig mit einander 
anastomosirend das oben geschilderte maschen- 
förmige Netz ergeben, sind im Querschnitt als 
dünnere Gefässbündel zu erkennen, den secun- 
dären Gefässbündeln gewisser Monocotyledonen vergleichbar, 
welche einem durch einen sogenannten Verdickungsring her¬ 
vorgerufenen anormalen Dickenwachsthum ihre Entstehung 
verdanken. 

Die Vermuthung, dass wir es auch hier mit solchen 
secundären Gefässbündeln zu thun haben, bestätigte sich 
vollkommen bei der mikroskopischen Untersuchung der schon 
von Wiesner beschriebenen tangential abgeplatteten Zellen; 
ich fand im innersten Theile dieses Gewebes viele — ich 




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zählte auf einer Längslinie von ca. 2'/* nun 7 — Gefäss- 
bündelanlagen innerhalb eines parenchymatischen Gewebes.') 
Ich glaube somit mit Bestimmtheit das aus tangential abge¬ 
platteten Zellen bestehende Gewebe des Xanthorrhoeaharzes 
als einen Verdickungsring deuten zu können, welcher gerade 
so wie bei anderen Monocotyledonen, Yucca, Aloe, Dracaena 
u. a. ein anormales Dickeuwachsthum hervorruft, nach 
innen secuudäres Parenchym mit secundären Gefässbündeln 
erzeugend, nach aussen ein dünnwandiges vielfach von Kry- 
stallschläuchen durchsetztes Parenchym abscheidend, das zu 
äusserst in ein dickwandiges Sclerenchym übergeht. 

Es ergibt sich also aus dieser anatomischen Unter¬ 
suchung, dass auch die Gattung Xanthorrhoea zu den mit 
anormalem Dickeuwachsthum begabten Monocotyledonen gehört, 
was nicht wunderbar erscheint, da sie gerade wie die übrigen 
anormalen Dickenwachser eine Liliacee ist; sodann aber kann 
ich die allgemeine Bemerkung, mit welcher Wiesner seine 
anatomische Schilderung des Harzes schliesst 2 ), dass das rothe 
Xanthorrhoeaharz offenbar aus den peripherischen Geweben 
des Stammes hervorgehe, noch dahin erweitern, dass es die 
von einem Verdickungsring nach aussen abgeschiedenen Ge¬ 
webe sind, welche später als Harz von dem Stamm abge- 
nommen werden können. Die Elemente derselben, die 
Parenchyinzellen mit den Krystallschläuchen und die Scleren- 
chymzellen waren aber in meinen Untersuchungsstücken ganz 
vortrefflich erhalten und schienen ganz besonders geeignet, 
die Bildung des Harzes selber zu verfolgen. 

Ich habe schon oben erwähnt, dass Wiegand nur die 
Sclerenchyinzelleu des Harzes schildert. Die Beschreibung 
ist ziemlich genau und unterscheidet drei verschiedene Zu¬ 
stände: 1. Sclerenchyinzelleu mit farblosen Wänden ohne 
Inhalt, 2. solche mit gelben Wänden und braunen, die Höhle 
nicht ausfüllendcn Harztropfen und 6. solche mit braunen 
Wänden und braunen Harztropfen, welche die llöhle völlig 
ausfüllen. In dieser Beziehung habe ich zunächst nichts 
hinzuzufügen. Dagegen beobachtete ich in meinem Harzstücke 
nicht nur in den Sclcrenchymzellen braune, die Höhle mehr 

') Tafel I Fig. 1. 

*) Rohstoffe pag. 150. 


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01 


oder weniger nusfüllende Tropfen, sondern auch in allen 
Pareuchymzellen und z. Th. auch in den älteren tangential- 
abgeplatteten Zellen des Verdickungsringes mit grosser 
Kcgelimissigkeit inei.-t je einen, seltener zwei oder mehr hell- 
bis dunkelgelbe Tropfen. 1 ,' Es entstand sogleich die Frage, 
ob die braunen Tropfen der Sclerenchymzellen nicht richtiger 
auf diese gelben lnhaltsgcbilde der l'arenchyuizellen zurück¬ 
zuführen sind, als darauf, dass die innerste Wandschicht sich 
losgelöst habe und tropfenartig zusanuneugeflossen sei, wie 
Wiegand will. Ich bin überzeugt, auch Wiegand hätte, wenn 
ihm die gelben Tropfen in den Parenchymzellen aufgestossen 
wären, eine andere Erklärung für die Entstehung des Xanthor- 
rhoeaharzes wenigstens gesucht. Er hat aber Parenchym¬ 
zellen gar nicht einer Untersuchung unterzogen, vielleicht 
waren sie bei seinem Material auch nicht so erhalten, dass 
sich eine Untersuchung empfahl. Dass aber Wiesner diese 
Inhaltsgebilde der Parenchymzellen gar nicht erwähnt, ist 
zu verwundern, um so mehr, da er die taugential abgeplatteten 
Zellen „mit Stärke und GhlorophylleiuschlUssen“ erfüllt be¬ 
schreibt, und die „Chlorophylleiuschlüsse“, wie ich später 
noch ausführlicher zu erörtern habe, jedenfalls nichts 
anderes sind als solche kleine gelbe Inhaltsgebilde. Doch 
cs ist möglich, dass auch in seinem Untersuchungs- 
material die gelben Tropfen der Parenchymzellen auf irgend 
eine Weise zu Gruude gegangen waren; jedenfalls nennt er 
die Parenchyinzellen „inhaltslos“. 

Obwohl ich nun die Zusammengehörigkeit dieser gelben 
Tropfen mit den braunen der Sclerenchymzellen von vornherein 
annahm, war es doch nöthig, dieselbe noch genauer zu studiren 
und dabei möglicherweise über die chemischen Bestandtheile 
beider Tropfen ins Klare zu kommen. Durch einige Messungen 
stellte ich zunächst fest, dass die Tropfen im Verhältnis zu 
der Grösse ihrer Zelle von innen nach aussen, d. h. von den 
tangential abgeplatteten Zellen nach den verdickten Scleren¬ 
chymzellen zu, an Grösse zunehmen. Es lässt sich zwar 
nicht für jede aufeinander folgenden Zellen das Gesetz durch¬ 
führen, aber im Allgemeinen kann ich es als gütig bezeichnen. 

*) Yergl, Kig, 2, u. 3. 


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92 


Die tangential abgeplatteten Zellen nehmen im Mittel in 
tangentialer Richtung c. 60 ft, in radialer c. 25—30 ft ein, 
• die gelben Tropfen in denselben betragen in der Nähe der 
Parenchymzellen c. 10 ft im Durchmesser; die Parenchym¬ 
zellen sind meist auch noch in tangentialer Richtung etwas 
grösser als in radialer, nämlich 40—60 ft in ersterer, 30—50 ft 
in radialer; ihre Inhaltsgebilde haben 20 ft und mehr im 
Durchmesser, füllen aber den Zellraum auch nicht aus. In 
den Sclerenchymzellen, welche so gross wie die grössten 
Parenchymzellen und nach allen Richtungen gleichmässig 
ausgedehnt sind, wird der Durchmesser der Inhaltsgebilde von 
innen nach aussen fortschreitend grösser, bis schliesslich der 
ganze Zellraum von den nunmehr braunen Tropfen einge¬ 
nommen wird; allerdings kommen auch in den Sclerenchym¬ 
zellen zuweilen allein, zuweilen mit grösseren zusammen 
kleinere Tropfen vor. 

Schon allein nach diesen Grössenverhältnissen wäre die 
Deutung zulässig, dass in den Zellen des Verdickungsringes 
gelbe Tropfen auftreten, welche bei der Ausdehnung dieser 
Zellen in radialer Richtung, d. h. bei ihrer Verwandlung in 
Parenchyinzellen gleichzeitig grösser werden und, wenn die 
Parenchymzellen sich in Sclerenchymzellen umbilden, bei 
weiterem fortschreitendem Wachsthum ihre gelbe Farbe in 
eine braune verwandeln. 

Aus weiteren Beobachtungen über die Gestalt und die 
Natur der fraglichen Gebilde wurden die Verhältnisse noch 
klarer. 

In den Zellen des Verdickuugsriuges und in denen des 
Parenchymgewebes sind die gelben Tropfen von regelmässiger 
Form, meist Kugeln oder EUipsoide, hin und wieder etwas 
verzerrt von diesen Grundformen; in einigen Präparaten 
waren zuweilen an der Grenze des Parenchym- und Scleren- 
chymgewebes sowohl in Parenchymzellen wie in Sclerenchym¬ 
zellen die gelben Tropfen derart gedehnt, dass sie die 
ganzen Zellen erfüllten und wie zerflossen aussahen; im All¬ 
gemeinen herrschte jedoch in den meisten Präparaten auch 
an dieser Stelle die Kugelform vor. Diese gelben Kugeln 
erscheinen nun in destillirtem Wasser zuerst sehr stark 
lichtbrechend und lebhaft glänzend, sie sehen ungefähr aus 


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wie gelb gefärbte Oeltropfen. Nach einigem Verweilen in 
Wasser tritt innerhalb einer scharf ausgeprägten Umgrenzung 
eine Veränderung mit dem gelben Inhalt ein, die von der 
Peripherie nach innen fortschreitet. Die Farbe wird matter 
und die Lichtbrechung schwächer, noch scheint sich der 
Glanz und die stärkere Lichtbrechung in der Mitte zu con- 
centriren, bald aber hört auch dort beides auf; der ganze 
Tropfen ist wieder gleicbmässig, sieht nun aber anders aus als 
vorher. Wie sich bei der Beobachtung unter dem Ocularmi- 
krometer feststellen lässt, nimmt die Grösse des Tropfens, 
jedenfalls in Folge eines Wassereintritts, etwas zu; der In¬ 
halt aber sieht aus, als wäre er in eine grosse Zahl kleiner 
mattgelber Stäbchen zerfallen, zwischen denen sich eine 
Flüssigkeit befindet. Da es Schwierigkeiten hatte, mit dem 
Zeichenprisma bei einer so starken Vergrösserung, dass die 
Stäbchen einigermassen deutlich wurden, das vollständige 
Bild des mit den Stäbchen erfüllten Tropfen wiederzugeben, 
habe ich mich begnügt, die bei der Einstellung unter dem 
Prisma stärker hervortretenden Stäbchen in Fig. 4 der 
Tafel zu zeichnen und füge hinzu, dass der ganze Tropfen 
mit diesen Gebilden, welche regellos durcheinander lagen, 
dicht erfüllt war. Ob dieser Vorgang vielleicht ein Aus- 
krystallisiren irgend einer Substanz in dem eingedrungenen 
Wasser, etwa von Harzsäure, bedeutet, ist zwar eine sehr 
nahe liegende Vermuthung, muss aber doch dahingestellt 
bleiben. Jedenfalls tritt derselbe in allen gelben Tropfen, 
in den einen früher, in den anderen später ein. Noch eine 
andere Erscheinung fällt auf. In einigen Tropfen sieht 
man nicht eine Umgrenzung, sondern zwei, als wären zwei 
Tropfen zu einem zusammengetreten; in anderen Zellen 
wieder sind überhaupt zwei oder mehrere Tropfen neben 
einander zu finden, welche noch nicht zusammengeflossen sind. 
Die Parenchymzellen in Fig. 2 zeigen mehrere derartiger 
Stadien. Diese Thatsache veranlasst mich zu der Vorstellung, 
dass die Tropfen dadurch grösser geworden sind, dass zwei 
oder mehrere, überhaupt wohl alle, die sich in einer Zelle 
befinden, das Bestreben haben, zu einem einzigen zusammen- 
zufliessen. Lässt man das Wasser längere Zeit, mehrere 
Stunden bis zu einem Tage wirken, so beobachtet man selbst 


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in «len anscheinend einfachen Tropfen, ilic ieli als Tlieil- 
tropfen bezeichnen will, dass die Stäbchen nicht mehr so 
regellos durcheinander liegen, sondern dass sie sich derart 
gruppiren, dass sic die Umgrenzung von feinen Löchern 
oder Maschen bilden; es treten erst einige solcher Maschen 
hervor (vergl. Fig. 5), bald aber gleicht der ganze Tropfen 
einer maschenförmig durchlöcherten Kugel. In der Um¬ 
grenzung der Masche sind aber die Stäbchen formen als 
solche nicht mehr deutlich zu erkennen; nur bei sehr starken 
Vergrößerungen (Zeiss apochromat 2.0 mm apert. 1,30 
homogen. Innvers. und Compensationsocular 18) lassen sie 
sich noch unterscheiden. Es wäre möglich, dass auch diese 
Theiltropfen durch Zusammenflüssen vieler kleiner Tröpfchen 
entstanden sind, dass jede Masche ein solches Theiltröpfchen 
bedeutet, an dessen ursprüngliche Umgrenzung sich immer 
die dazu gehörigen gelben Stäbchen zurückziehen, in Folge 
des eintretenden Wassers dazu gedrängt; eine Deutung, 
welche durch die später zu beschreibenden Erscheinungen, 
die in Folge der Einwirkung von Alkohol und Aether 
sowie von Salzsäurecarmin eintreten, an Wahrscheinlichkeit 
gewinnt. 

Was nun die Tropfen in den Selerenchymzellen anbe¬ 
trifft, so sind dieselben namentlich in unmittelbarer Nähe 
der Parenchymzellen oft von derselben Farbe, wie die jener, 
nämlich gelb; die meisten aber sind braun, bald dunkler 
bald heller und es finden sich alle nur möglichen Liebergänge 
in der Farbe von gelb zu braun Die Tropfen sind braune, 
glänzende Kugeln, doch sind die Abweichungen von dieser 
Form durch Abplattungen und Verzerrungen im Allgemeinen 
häufiger als bei den gelben Gebilden. 

In einigen Selerenchymzellen liegen neben einem grösseren 
auch ein oder mehrere kleine braune, zuweilen auch kleine 
gelbe Kugeln. Auch hier wiederum in den braunen Tropfen 
sind im Innern zuweilen Grenzlinien zu beobachten, welche 
gerade so wie die (irenzlinien in den gelben Körpern 
die Grenzen ursprünglicher Theiltropfen andeuten. In deu 
Selerenchymzellen in Fig. 2 sind diese Verhältnisse wieder¬ 
gegeben. Von der Einwirkung des destillirten Wassers auf 
diese braunen Tropfen ist. bemerkenswerther nichts weiter 


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mitzutheilen; sie sind sein - widerstandsfähig gegen dasselbe. 
Die Wände der Sclerenchymzellen sind zuerst weiss, später 
gelb, dann braun bis schwarz. 

Es ist nicht zu leugnen, dass besonders die letzteren 
an vielen Stellen zerstört sind und man wohl von einer 
Desorganisation derselben sprechen kann. Ich komme da¬ 
rauf noch einmal zurück. Dass aber aus den Wänden die 
braunen Tropfen hervorgegangen sein können, wird im 
höchsten Grade unwahrscheinlich, wenn man in den noch 
gut erhaltenen, nicht desorganisirten Sclerenchymzellen be¬ 
obachtet, dass die Tropfen, auch wenn sie den ganzen 
Zeitraum ausfüllen, sich immer scharf von der Wand al>- 
lieben. Vielmehr beweist die im ganzen gleiche morpho¬ 
logische Structur der beiden Tropfen, der gelben und der 
braunen, sowie ferner die Thatsnche, dass in den Sclereu- 
chymzellen sich ebenso wie in den Parenchymzellen gelbe 
Tropfen finden und endlich der allmählige Uebergang der 
gelben Farbe zu der braunen, dass die braunen Tropfen der 
Sclerenchymzellen aus gelbon hervorgegangen sind. .Noch 
deutlicher wird der Zusammenhang durch Reactionen mit 
Alkohol und mit Aether. 

Bei langsamer Einwirkung von 1)5 # / # igem Alkohol quillt 
in den gelben Tropfen der Inhalt in Gestalt vieler kleiner 
Tröpfchen hervor und gibt dem Ganzen einen Moment das 
Aussehen einer Brombeere ungefähr, bald aber lösen sich 
diese Tröpfchen vollständig auf, und die schon öfters er¬ 
wähnte Umgrenzung bleibt als eine weisse, helle Hülle oder 
vielmehr als ein weisser Ring zurück, der sehr schnell zu 
einem amorphen Häufchen zusammenschrumpft; in anderen 
Tropfen bleibt zuerst ein aus mehreren solchen Ringen be¬ 
stehendes Gerüst zurück, wieder andere zerfallen in eine 
Anzahl solcher weissen Ringe; das Zusammenscbrumpfen 
tritt natürlich auch in diesen kleinen Ringen, deren Auf¬ 
treten ein weiteres Beweismaterial für meine Vorstellung 
von der Zusammensetzung der Tropfen aus vielen kleineren 
Elementen gibt, sehr bald ein. Ganz anolog verhalten 
sich die braunen Harzmassen. Auch in diesen wird durch 
Alkohol der Inhalt gelöst, und das anfänglich zurückbleibend 
weisse Gerüst, das hier allerdings viel weniger deutlich als 


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bei den gelben Tropfen ist, eontrahirt sich wiederum zu 
einer kleinen amorphen Masse. Jedenfalls sind in den 
braunen wie in den gelben Körpern zwei verschiedenartige 
chemische Körper zu unterscheiden, ein in Aklohol löslicher 
und ein in Alkohol unlöslicher, und zwar vom letzeren in 
den braunen Tropfen weniger als in den gelben. Aus der 
gerüstartigen Structur der ungelösten Substanz und aus dem 
Zerfall in viele kleine Ringe ergibt sich, dass jedes der die 
Theiltropfen zusammensetzenden Elemente aus den beiden 
verschiedenen Substanzen besteht. 

Für die weitere Beobachtung der gelben und der braunen 
Tropfen wurden Reactionen mit Aether sehr instructiv und 
förderten einigermassen die Einsicht in die chemische Natur 
derselben. Ich habe mit Aether auf verschiedene Weise ge¬ 
arbeitet; ich habe Schnitte sogleich in Aether gelegt und 
denselben längere Zeit wirken lassen, ich habe in Wasser¬ 
präparaten das Wasser auf einmal durch Aether ersetzt 
und endlich habe ich in Wasserpräparaten durch Zusatz von 
Aether denselben langsam auf die Tropfen einwirken lassen. 
Die beiden ersten Methoden ergaben dasselbe Resultat wie 
Alkohol; der Inhalt der Tropfen wurde gelöst und es blieben 
z. T. weisse, noch straffgespannte Ringe, z. T. weisse amorphe 
Häufchen zurück, welche aber in Wasser ebenfalls sich zu 
turgescenten Ringen ausdehnten. Dagegen war die letztan¬ 
gegebene Methode mehr von Vortheil. Durch Zusatz von 
Aether in Wasserpräparaten wurde in den gelben Tropfen, 
welche wir zunächst beobachten wollen, die Hauptmasse des 
Inhalts zuerst unter Tropfenbildung gelöst, es bleibt aber 
nicht wie bei der Einwirkung von Alkohol ein weisser, sondern 
ein viel stärkerer Ring von gelber Farbe zurück, und zwar 
tritt zuerst nach Lösung des Inhalts ein gelbes Gerüst auf, 
dem ähnlich, welches ich für die längere Einwirkung von 
Wasser beschrieben habe, allmählig wird alle nicht gelöste, 
diesmal gelbe Masse an die Peripherie so zusammengedrängt, 
dass der dicke gelbe Ring zu Stande kommt. Fig. 6. ist 
die Abbildung einer Anzahl solcher zurückgebliebenen gelben 
Ringe, man sieht, dass in den einzelnen Tropfen das Ver¬ 
hältnis der gelösten zu der zurückgebliebenen Masse eiu 
verschiedenes ist und dass sich den beschriebenen und in 


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Fig. 2 gezeichneten aus grösseren Tropfen zusammengesetz¬ 
ten Tropfen entsprechende Formen wiederfinden. Immer 
also bleibt ein grösserer Rest als in Alkohol zurück, und 
2war ein Rest, der überdies gelb gefärbt bleibt. In diesem 
Stadium verharren die Tropfen, auch wenn schon längere 
Zeit durch fortwährenden Aetherzusatz alles Wasser durch 
Aether ersetzt ist. Wenn aber immer weiter mit dem Zu¬ 
satz von Aether fortgefahren wird, tritt schliesslich noch 
eine weitere Reaction ein; es verschwindet allmählig die 
gelbe Farbe des Ringes, der Ring wird weiss und gleich¬ 
zeitig dünner und zuletzt ist das Resultat der Reaction ein 
gleiches wie das der Alkoholreaction. 

Ich schliesse daraus, dass die ganze in Alkohol lösliche 
Masse offenbar aus zwei verschiedenen Körpern besteht, 
einem in Aether sehr leicht löslichen Theil und einem erst 
durch längere Einwirkung von Aether lösbaren Theile. 

Wie verhalten sich nun bie braunen Tropfen gegen 
diese langsame Einwirkung von Aether? Auch in ihnen 
werden zunächst viele Tröpfchen frei, welche die braunen 
Tropfen ganz bedecken und bald völlig verschwinden; es 
bleibt wiederum eine ungelöste Masse zurück, welche braun 
gefärbt ist und nur selten die Form eines Ringes, häufiger 
die eines maschenförmig durchbohrten und durchlöcherten 
Gerüstes hat. Fig. 7 zeigt einige solcher Formen. Dieser 
Zustand erhält sich auch hier einige Zeit, dann aber wird 
durch fortgesetztes Zuführen von Aether auch die braune 
Masse gelöst und verschwindet bis auf geringe Spuren einer 
weissen Substanz; häufig bleiben auch aus diesen braunen 
Gerüsten kleine gelbe Ringe zurück, die an die oben be¬ 
schriebenen erinnern und von denen in Fig. 7 b die in einer 
Sclerenchymzelle zurückgebliebenen abgebildet sind; sie 
werden wie diese nach weiterer Aetherwirkung weiss und 
schrumpfen zusammen. Das Zurückbleiben dieser Ringe deutet 
einmal wieder die Zusammensetzung brauner Tropfen aus 
Theiltropfen an, die den gelben gleichen, sodann ergibt sich 
daraus, dass die braune Masse häufig noch eine gelbe ver¬ 
deckt; es lässt sich dies am besten so erklären, dass die 
ursprünglich gelbe Farbe noch nicht vollkommen in eine 
braune übergegangen ist. 

7 


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Sehen wir davon ab, dass sich die- braune Substanz 
etwas rascher löst als die von ihr verdeckte gelbe, so müssen 
wir auch denjenigen Theil in den braunen Tropfen, welcher 
in Alkohol gleichmässig gelöst wird, in zwei verschiedene 
chemische Körper sondern, einen in Aether leicht löslichen 
und einen in Aether schwer löslichen. Von dem ersteren 
ist aber verhältnissmässig in den braunen Körpern weniger 
vorhanden als in den gelben. 

Wir kommen nunmehr zu einer chemischen Deutung der 
gelben wie der braunen Tropfen; wir können drei verschiedene 
ßestandtheile derselben angeben: 1. einen in Alkohol und 
Aether leicht löslichen, offenbar sehr flüchtigen Theil, 2. einen 
in Alkohol leicht löslichen, in Aether aber schwer löslichen 
Theil, welcher bei den gelben Tropfen gelb, bei den braunen 
braun ist, und 3. einen weder in Alkohol noch in Aether lös¬ 
lichen Theil, der als weisse Masse zurückbleibt. 

Ich bezeichne den ersten Theil als einen offenbar sehr 
flüchtigen und glaube, dass mir Destillationsversuche im 
Kleinen die Berechtigung dazu geben; ich Hess eine Anzahl 
Schnitte in einem Schälchen in Wasser im Trockenschrank 
ungefähr eine Stunde kochen. Das Resultat war folgendes: 
Von den gelben Tropfen blieben kleine gelbe amorphe Häuf¬ 
chen zurück, bisweilen waren auch gelbe Ringe zu beobachten 
wie nach der ersten Einwirkung von Aether. In den braunen 
Tropfen aber entstand das nun schon bekannte braune, oft 
auch ein braungelbes Gerüst mit den maschenförmigen Durch¬ 
brechungen. Ich halte diesen flüchtigen Bestandtheil der 

Tropfen für ätherisches Oel, welches innerhalb der gelben, 
bezw. braunen Masse so vollständig von der Luft abgeschlossen 
war, dass es in dem Harzstück selber nicht mehr ver¬ 
flüchtigen konnte. Die Reaction mit einem fetten Oel — ich 

verwendete Leinöl — scheint mir das zu bestätigen. Ich 

legte die Schnitte nicht direct in Oel, sondern Hess dasselbe 
wieder langsam hinzutreten. Die Einwirkung ist nur eine 
sehr allmähliche, nach einiger Zeit aber beobachtet man 

wiederum die von den gelben Tropfen zurückbleibenden gelben 
Ringe, das ätherische Oel ist gelöst; die braunen Tropfen 
sind theils in die netzförmig durchbrochenen Gerüste umge¬ 
wandelt, theils in dicke braune Ringe. Auch Terpentinöl gab 


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nach längerer Einwirkung das gleiche Resultat. Ich möchte 
übrigens nicht unerwähnt lassen, dass bei dem Destillations¬ 
versuch durch längeres, mehrstündiges Kochen die gelben 
Reste völlig zerstört werden, die braunen halten sich etwas 
länger intact, werden aber gewissermassen auseinanderge¬ 
sprengt, und in vielen Zellen, in denen grosse braune Körper 
•waren, sieht man nur noch kleine braune und gelbe, z. Th. 
zusammengebackene Ringe. 

Von dem zweiten Bestandtheil der Tropfen habe ich 
oben angegeben, dass derselbe in Alkohol leicht und in Aether 
schwerer löslich ist. Ich kann hinzufügen, dass in den Leinöl¬ 
präparaten nach mehreren Tagen die gelben Reste, d. h. 
Ringe heller waren, es machte den Eindruck, als sei etwas 
von der gelben Masse von dem Leinöl gelöst; die braunen 
Reste waren unverändert; doch ist nicht ausgeschlossen, dass 
auch von diesen durch noch längere Wirkung des Leinöls 
etwas gelöst wird. In den Terpentinölpräparaten habe ich 
gerade in den Resten der braunen Tropfen beobachten können, 
«lass an vielen Stellen die braune Farbe heller wird und 
von den noch dunkelbraun gebliebenen Partien sich dadurch 
abhebt. 

Wir haben somit in dem zweiten Bestandtheil der Tropfen 
«inen Körper vor uns, der sowohl von Alkohol und Aether 
als auch von Leinöl und Terpentinöl eine Einwirkung erfährt. 
Ich halte eben diesen Theil für Harz; durch die gelbe, bezw. 
braune Farbe desselben ist die Farbe des ganzen Tropfens 
bedingt. Dieser Theil ist es auch, wenigstens in den 
gelben Körpern, von welchem ich die Vermuthung aussprach, 
dass er in Wasser auskrystallisirt. Dass in den braunen 
Harzkörpern von dem ersten, in Aether leicht löslichen, 
flüchtigen Theile, den ich nunmehr direct als ätherisches Oel 
bezeichnen will, weniger vorhanden ist als in den gelben, 
wie ich oben mitgetheilt habe, führe ich darauf zurück, dass 
in den braunen Harzkörpern schon mehr von dem ätherischen 
Oel in Harz übergegangen ist; denn ich zweifle nicht daran, 
dass das ätherische Oel das Material ist, aus welchem das 
Harz hervorgeht, und zwar zunächst ein gelbes, welches noch 
mehr oder weniger den Charakter einer Flüssigkeit hat und 
vielleicht nicht unrichtig wegen seines übrigen Gehaltes an 


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noch uhverharztem Oel als Balsamtropfen bezeichnet werden 
kann und daraus durch weitere Oxydation wahrscheinlich ein 
braunes, welches immer mehr die Natur eines festen Körpers 
annimmt. 

Es bleibt noch übrig, die Natur des dritten Körpers, des 
Restes, welcher weder in Alkohol noch in Aether und natür¬ 
lich auch nicht in Leinöl oder in Terpentinöl gelöst worden 
ist, zu bestimmen. Es fiel mir auf, dass durch Jodzusatz 
die gelbe Farbe der Harzkörper noch intensiver wurde und 
ich versuchte, ob auch die durch Alkoholbehandlung ent¬ 
standenen weissen Reste diese Reaction zeigten. Es erfolgte 
in der That ihre Gelbfärbung durch Jod. Nunmehr auf die 
Vermuthung gebracht, dass ich Eiweiss vor mir haben könnte, 
versuchte ich Färbung mit Salzsäurecarmin. Ich wendete 
Grenacher’schen alkoholischen Salzsäurecarmin an und führte 
denselben solchen Resten zu, welche nach längerer Aether- 
behandlung ihre gelbe Farbe eingebüsst hatten, aber noch 
die Form straffgespannter Ringe zeigten. Sie wurden gleich¬ 
falls gefärbt. Die Ringe behielten aber bei der Aufnahme 
des rothen Farbstoffs nicht diese Form, sondern wurden 
gleichzeitig wieder zu maschenförrnig durchlöcherten Kugeln 
aufgetrieben, deren zartes Netzwerk sehr schön rothgefärbt 
war. Ich halte die je eine Oeffnung begrenzenden Ringe 
meiner früheren Deutung entsprechend für die ursprünglichen 
Umgrenzungen der kleinsten Tropfen, durch deren Zusammen- 
fliessen die grösseren entstanden sind. Dieses Netzwerk ist 
also in Alkohol und den anderen angewandten Reagentien 
so zusammengeklappt, dass es wie ein Ring anzusehen war; 
durch Salzsäurecarmin wurde es wieder aufgebläht. Ich will 
bei dieser Gelegenheit noch eine Beobachtung registriren, die 
ich beim Einlegen von Leinöl- und Terpentinölpräparaten in 
Glyceringelatine machen konnte und die hierher gehört. Die 
zum Theil nach gelben, zum Theil schon heller gewordenen 
Ringe, welche diese Reagentien .zurückgelassen hatten, wurden 
in der Glyceringelatine auch zu einem solchen Netzwerk aufge¬ 
trieben. Leider erhält sich jedoch dasselbe nicht durchgehends 
in jener, sondern die einzelnen Ringelchen werden mit der 
Zeit brüchig und zerbröckeln. 

Gerade so wie durch Salzsäurecarmin werden diese Reste 


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auch durch Eosin roth gefärbt. Da überdies auch Millon’s 
Reagens eine mattrothe Färbung bewirkt, glaube ich diese 
Reste für Eiweiss halten zu müssen. Diese Deutung wird 
dadurch, dass die fragliche Masse von Kalilauge gelöst wird, 
noch wahrscheinlicher. Auch die Deutung des flüchtigen 
Theiles als ätherisches Oel wird durch die Reaction mit Kali¬ 
lauge bestätigt; in ihr zerfliessen die gelben wie die braunen 
Tropfen, hinterlassen aber eine grosse Zahl sehr kleiner 
Tröpfchen, mit denen die ganze Fläche des Schnittes bedeckt, 
sowie die Umgebung desselben erfüllt ist. Dass diese nur 
ätherisches Oel, welches von der Kalilauge keine Einwirkung 
erfährt, sein können, liegt auf der Hand. 

Welche Rolle aber das Eiweiss spielt, in welchem das 
ätherische Oel und das aus diesem hervorgehende Harz wie 
in einer Hülle oder besser wie in einer Tasche liegt, und von 
welchem in den braunen Harzkörpern nur noch geringe 
Spuren, weit weniger als in den gelben nachzuweisen sind, 
vermag ich nicht anzugeben. 

Ich möchte aber als einen analogen Fall die von Pfeffer 
beschriebenen Oelkörper der Lebermoose hier heranziehen. 1 ) 
Auch diese enthalten innerhalb einer membranartigen Hülle, 
welche nach Auflösung des Inhalts zurückbleibt, sich mit Jod 
und Cochenille färbt und von Pfeffer als ein eiweissartiger 
Stoff gedeutet wird, eine homogene ölartige oder eine „emul¬ 
sionsartige“ Masse. 

Die Beschreibung und die Abbildungen, welche der Autor 
von diesen Oelkörpern bezüglich ihrer äusseren Gestalt gibt, 
stimmen in vieler Beziehung mit den gelben Harztropfen 
des Xantorrhoeaharzes überein; auch in ihrer Grösse — 
20 ft — unterscheiden sie sich von denselben nicht. Ihre 
Inhaltsmasse jedoch, welche durch verdünnten Alkohol zu 
einem den Innenraum nicht völlig ausfüllenden Oeltropfen 
zusammengezogen, durch concentrirteren Alkohol aber, sowie 
durch Benzol, Aether, Schwefelkohlenstoff gelöst wird, hält 
er für ein Gemenge von fettem Oel und Harz, obwohl Kali¬ 
lauge selbst nach viertelstündigem Kochen dieselben unver¬ 
ändert lässt. Er wird zu der Annahme, dass in diesen 


*) Pfeffer, Die Oelkörper der Lebermoose - Flora. 1874 No. 1—3. 


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Oelkörpern Harz und fettes Oel und nicht etwa ätherisches 
Cel vorliegt, durch Destillationsversuche veranlasst, welche 
er in gleicher Weise wie ich die meinen gemacht hat. Ich 
möchte an dieser Stelle erwähnen, dass ich durch die Kennt- 
niss der Pfeffer'schen zu den meinen überhaupt angeregt 
worden bin. Nach lebhaftem Kochen vou */* bis 1 Stunde 
ist in den Oelkörpern nichts verflüchtigt worden. Es ist 
dies ein bemerkenswerther Unterschied von den Ergebnissen, 
die ich bei dem gleichen Versuche in den gelben Harz¬ 
körpern erhalten habe und die mich auf das bestimmteste 
veranlassen, dort ätherisches Oel anzunehmen. Es scheint 
mir nöthig, noch einen Augenblick bei diesem Punkte zu 
verweilen. Pfeffer nimmt in den Oelkörpern neben dem 
Gemenge von Oel und Harz innerhalb der Hülle noch er¬ 
hebliche Mengen Wasser an. Durch verdünnten Alkohol 
trete eine Sonderung beider Flüssigkeiten ein; das Oel ziehe 
sich zu dem den Innenraum nicht ausfüllenden Tropfen 
zusammen und das Wasser nehme den zwischen diesem und 
der Hüllmembran befindlichen Raum ein; dieselbe Wirkung 
werde durch Erwärmen der Oelkörper bis zu 60—70° C. 
hervorgerufen; darum bewirken auch wasserentziehende Mit¬ 
tel, Zuckerlösung und Glycerin erhebliche Volumenverminde¬ 
rungen und Formveränderungen. Er behandelt daher die 
Oelkörper, bevor er sie einer Destillation unterwirft, mit 
verdünntem Alkohol zur Beseitigung des Wassers. 

Es könnte mir nun leicht der Vorwurf gemacht werden, 
dass durch meine Destillationsversuche, da ich solche Vor- 
sichtsmassregeln nicht getroffen habe, auch nur Wasser aus 
den Harzkörpern verflüchtigt ist und nicht ätherisches Oel. 
Es geht aber aus meinen früheren Darstellungen hervor, 
dass ich derselben auch nicht benöthigte; denn durch Alkohol 
wird in den Harzkörpern der Inhalt niemals in einen Oel- 
tropfen und Wasser getrennt, auch durch verdünuten Alkohol 
nicht, welcher gerade so wie der 95 # / 0 ige, nur etwas lang¬ 
samer, etwa wie der Aether erst den flüchtigen Bestandtheil, 
sodann den gelben bzw. braunen völlig auflöst. Es würde 
also eine der Destillation vorangehende Behandlung mit 
Alkohol oder mit Aether keinen Zweck haben. Die Annahme 
aber, dass eben dieser vor dem gelben oder braunen Harz 


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von Alkohol und Aether gelöste, durch Destillation ver¬ 
flüchtigende Antheil Wasser wäre, wird durch Versuche mit 
Glycerin und Zuckerlösungen zurückgewiesen, welche weder 
die Grösse noch die Form der Harzkörper in einer auffäl¬ 
ligen Weise verändern; nur heller werden dieselben, eine 
Wasserentziehung ist nicht zu beobachteu. 

Trotz dieses etwas abweichenden Verhaltens der Harz¬ 
körper des Xanthorrhoeaharzes von den Oelkörpern der 
Lebermoose und der daraus sich ergebenden verschiedenen 
chemischen Deutung bleibt eine Analogie beider Gebilde doch 
darin bestehen, dass öl- und harzartige Stoffe in einer Ei- 
weisshülle liegen. Von dieser macht übrigens Pfeffer noch 
die Bemerkung, dass das Material, aus welchem sie ent¬ 
standen sei, aus der Masse des Oelkörpers selbst stamme*). 

Ich glaube bis jetzt den Nachweis geführt zu haben, 
dass ein Zusammenhang sowohl in der morphologischen 
Structur als auch in der chemischen Zusammensetzung 
zwischen den braunen, die Sclerenchymzellen erfüllenden 
Harzmassen und den gelben Tropfen in den Parenchym¬ 
zellen besteht, mit anderen Worten, das die erstercn aus 
letzteren entstanden sind. Gleichzeitig ist festgestellt, dass 
die Bestandtheile beider Massen ätherisches Oel und Harz 
sind, welche in einer Eiweisstasche liegen; letztere ist in 
den braunen Körpern zum grossen Theil verloren gegangen. 

Es tritt nunmehr eine andere Frage lebhafter in den 
Vordergrund. Wo und woraus entstehen die gelben Harz¬ 
körper? Dass dieselben nicht nur in den Parenchymzellen, 
sondern auch in den an diese angrenzenden tangential ab¬ 
geplatteten Zellen des Verdickungsringes anzutreffen sind, 
habe ich schon oben kurz erwähnt. Je weiter man nun in 
diesem Gewebe in der Richtung auf die secundären Gefäss- 
bündelanlagen zurückgeht, um so kleiner werden die Tropfen 
in den Zellen; 5 fi und weniger habe ich gemessen, ihre 
Farbe ist ein helleres Gelb und sie sind auch viel häufiger 
zu zweien und mehreren in einer Zelle als in dem Paren¬ 
chymgewebe. Jetzt treten auch in denselben Zellen neben 
den gelben kleinen Tropfen Stärkekörner auf. Die ersteren 


*) 1. c. pag. 21. 


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gleichen aber immer noch in ihren Eigenschaften vollkommen 
den grösseren Harztropfen in den Parenchymzellen; ihr 
Inhalt differenzirt sich in Wasser; durch Alkohol, Aether u. 
s. w. wird er zuerst mit Zurücklassung eines hellgelben, sodann 
eines weissen Ringes gelöst, nur dass die Löslichkeit der 
flüchtigen und der gelben Masse nicht so verschieden ist. 
Sie sind es offenbar, welche Wiesner wie angegeben als 
Chlorophylleinschlüsse bezeichnet, ein Irrthum, welcher wohl 
daher rührt, dass in seinem Untersuchungsobjecte seiner Be¬ 
schreibung nach die Parenchymzellen leer waren. In Schnit¬ 
ten, die ich aus tiefer liegenden, von der Luft mehr ab¬ 
geschlossenen Partien entnommen habe, waren in derselben 
Region, die ich soeben beschrieben habe, neben den Stärke¬ 
körnern kleine, sehr hellgelbe Tropfen vorhanden, welche sich 
auffallend lange in Wasser homogen erhielten und von äthe¬ 
rischen Oeltropfen kaum zu unterscheiden waren. Man 
stösst in allen Schnitten in der angegebenen Richtung zu¬ 
rückgehend schliesslich auf Zellen, die anscheinend nur von 
Stärkekörnern erfüllt sind. (Fig. 3 dient zur Illustration der 
geschilderten Verhältnisse.) Durch Zusatz Von Jod werden 
diese aber nicht alle blau, eine vcrbältnissmässig geringe 
Zahl in jeder Zelle nimmt gelbe Farbe an. Operirt man in 
dieser Gegend mit Alkohol oder mit Aether, so bleiben die 
wahren Stärkekörner intact, die anderen an Zahl geringeren 
Elemente aber verlieren durch diese Reagcntien ihren In¬ 
halt und es bleibt ein weisser, durch Jod wiederum gelb 
gefärbter Ring zurück. Es ist anzunehmen, dass hier die 
eisten nachweisbaren Gebilde vorliegen, aus denen durch 
Zusammenfliessen mehrerer und durch Verharzung des in 
ihnen enthaltenen ätherischen Oeles zuerst die grösseren 
gelben Harzkörper entstanden sind. Woraus aber sind sie 
selber hervorgegangen? Der naheliegendste Gedanke ist der, 
dass die Stärkekörner das Material zu ihrer Bildung her¬ 
gegeben haben, um so mehr als schon öfter der Zusammen¬ 
hang von Stärke und Harz ausgesprochen worden ist. Zuerst 
von Dippel in der bereits citirten Arbeit. 1 ) Er nimmt an, 
da bei abies pectinata in Zellen, welche später Harz 


*) Die Harzbeb&lter der Weisstanne u. s. w. 


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führen, in der Ruheperiode im jungen Zustand dersel¬ 
ben Stärkekörner vorhanden sind, welche während der 
Vegetation bei gleichzeitigem Auftreten einer hellgelblichen, 
stark lichtbrechenden Flüssigkeit allmählich verschwinden 
und später einem halhflussigen Harz Platz machen, „dem 
hie und da noch einzelne Stärkekörner beigemengt“ *) sind, 
„dass das anfänglich vorhandene, die Zellen erfüllende Stärke¬ 
mehl während der Vegetationsperiode eine Umwandlung 
in fluchtiges Oel (Terpentinöl) erfahren hat, und dass aus 
diesem die zuletzt auftretenden Umwandlungsproducte, Bal¬ 
same resp. Harze hevvorgehen“. s ) 

Anders gibt Wiesner den Zusammenhang von Stärke¬ 
körnern und Harz an. 3 ) 

In den Zellen von Markstrahlen und Holzpareuchym 
einiger von ihm zu anderen Zwecken untersuchten Laubbäume, 
' bes. Rothbuche, Ahorn, Ulme und einer australischen Protea- 
art fand er mit Stärkekörnern zusammen, einzeln und auch 
in grösserer Zahl „Harzkörner“. Er beschreibt dieselben als 
kugelförmige, manchmal bedeutend abgeplattete Gebilde mit 
regelmässiger Umgrenzung. Durch die optische Eigenschaft 
derselben, gleich den Stärkekörnern als Sammellinsen zu 
wirken, sowie durch die von Chromsäure in ihnen hervorge¬ 
rufene Schichtung wird er veranlasst, ihre Verwandtschaft mit 
den Stärkekörnern zu prüfen. Ihre Harznatur gab sich durch 
die Verseifung in Kalilauge, Ammoniak und kohlensaures Natron 
kund; ihre ursprüngliche Stärkenatur aber erwies sich that- 
sächlich dadurch, dass in einigen schon durch Jod allein, in 
anderen nach vorheriger kurzer Einwirkung von Kalilauge 
durch Jod im Innern eine Blaufärbung hervorgerufen wurde. 
Wiesner führt diese Blaufärbung auf die Anwesenheit von 
Granulöse in den „Harzkörnern“ zurück, und er weist noch 
durch Jod und Schwefelsäure, sowie durch Kupferoxydam¬ 
moniak Cellulose gesondert nach und überdies durch Eisen¬ 
chlorid Gerbstolf. Da er neben diesen Körnern — ich will 
nebenbei bemerken, dass die Bezeichnung Harzkörner für 


') pag. 256. 

*) 1. c. pag. 257. 

8 J Ucber die Entstellung des Harzes u. s. w. 


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Harztropfen von Müller 1 ) als unpassend bezeichnet worden 
ist — und neben Stärkekörnern in denselben Zellen farblose 
Körnchen beobachtet, die er für Gerbstoffkörner hält, so hält 
er es für wahrscheinlich, „dass die Stärke zuerst in Gerb¬ 
stoff übergeht und erst dieser sich in Harz umsetzt“ 4 ). 

Aus Wiesner’s Schilderung von der äusseren Gestalt der 
fraglichen Körner und aus einer Mittheilung, dass sie in 
fettem Oel ansgehöhlt werden, glaubte ich auf eine Aehn- 
lichkeit mit den von mir beschriebenen Harztropfen schliessen 
zu können und ich hoffte, Vergleichsobjecte für weitere 
Untersuchungen, besonders über die Zusammengehörigkeit 
mit den Stärkekörnern gefunden zu haben. Ergaben aber 
einerseits schon Beobachtungen von Wiesner selbst darin 
durchgreifende Unterschiede der von ihm und der von mir 
beobachteten Harzkörper, dass in den seinen in destillirtem 
Wasser keine Veränderung eintrat und von Alkohol oder Aether 
selbst unter Kochen eine Lösung nicht bewirkt wurde, so 
wurde andererseits ein Vergleich ganz und gar ausgeschlossen, 
da ich mit den Reagentien, die bei ihm eine hervorragende 
Bedeutung haben, nichts erreichte; es gelang mir weder durch 
Chromsäure eine Schichtung in den Harzkörpern hervorzu¬ 
rufen noch trat auf Eisenchlorid in irgend einem kleinen oder 
grossen Harztropfen eine Gerbstoffreaction ein. Ich kann 
somit für das von mir untersuchte Material einen Ueber- 
gang vou Stärke zu Harz durch Gerbstoff hindurch nicht an- 
nehineu. Gleichwohl könnte ja doch vielleicht ein anderer Zu¬ 
sammenhang zwischen den Stärkekörnern und den von mir 
beobachteten, in Wasser von Stärke nicht zu unterscheiden¬ 
den, durch Jod aber gelbgefärbten, kleinsten Tropfen besteheu. 
Wenn die Stärkekörner wirklich aus Granulöse und Cellulose 
bestehen, und in den anderen Gebilden etwas von Alkohol 
und Aether gelöst, der zurückbleibende Theil aber mit Jod 
gelb gefärbt wird, so ist vielleicht der die Blaufärbung be¬ 
wirkende Theil in einen durch Alkohol und Aether löslichen 
Stoff umgewandelt und die Stärkecellulose übrig geblieben? 
Da durch Chlorzinkjod in diesen Resten niemals eine violette, 
sondern immer eine gelbe Färbung eintrat, während die Wände 

*) Untersuchung über die Vertheiluog der Harze u. s. w. pag. 396. 

J ) 1. c. pa*. 126. 


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der Zellen violett gefärbt waren, so erwies sieb auch diese An¬ 
nahme als ungiltig. Kurz, ich bin ausser Stande, irgend wie 
einen Zusammenhang von Stärkekörnern und den kleinsten 
Elementen, welche offenbar aus ätherischem Oel und einer 
eiweissartigen Hülle bestehen und als Ausgangspunkte der 
grösseren Harztropfen angesehen werden müssen, anzugeben. 

Ueber einen Uebergang von Stärke in Harz spricht sich 
übrigens auch Müller, obwohl er „Amylumkörner überzogen mit 
einer Harzschicht und umlagert' von zahlreichen kleinen 
Harztröpfchen “*) beobachtet hat, sehr vorsichtig aus; er sagt:*) 
„Eben so wenig kann ich aus dem blossen Vorhandensein 
von Amylum und Harz in einer Zelle Anhaltspunkte eines 
directen Ueberganges des ersteren in letzteres erblicken, im 
Sinne einer Pseudomorphose.“ „Eine Verwandlung grosser 
ruhender Stärkekörner in Harz ohne Formänderung ist mir 
bis jetzt nirgends vorgekommen. Nirgends beobachtete ich 
bei genauester Musterung kleiner und grösserer Harztröpf¬ 
chen, eine Structur, welche eine Schichtung andeutete.“ 

Im vorliegenden Falle scheint mir ein vermittelnder 
Uebergang von Stärke durch Gerbstoff in Harz, wie Wiesner 
ihn annimmt, ausgeschlossen zu sein. Ob ein Uebergang, 
von Stärke in ätherisches Oel, wie Dippel will, anzunehmen 
ist, oder ob die das ätherische Oel enthaltenden kleinen Ge¬ 
bilde auf andere Weise, vielleicht selbständig in der leben¬ 
den Zelle entstanden sind, muss dahin gestellt bleiben. Eine 
eingehende Untersuchung über diesen wichtigen Punkt an 
frischem hier allerdings schwer zu erhaltendem Material wird 
vielleicht von glücklicherem Erfolge sein. Soviel steht fest, 
dass ätherischem Oel eine grosse Bedeutung in dem Xan- 
thorrhoeaharz zukommt, und die Entstehung des letzteren 
in erster Linie auf dieses und nicht auf die Zellwände zu¬ 
rückgeführt werden muss. Die Zellwände werden erst später, 
sagen wir secundär, bei der fortschreitenden Harzbildung in 
Mitleidenschaft gezogen. Ich glaube aber, dass die Vor¬ 
stellung, welche man von diesem Vorgänge der Verwand¬ 
lung der Zellwaud in Harz hat, eine irrthümliche ist. Es 


') 1. c. pag. 389. 
*) 1. c. pag. 402. 


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wird nämlich immer angegeben, dass die Cellulose das in 
Frage kommende Bildungsmaterial sei, und zwar ohne ge¬ 
nügende Begründung. Von dem Bestreben, die Verwandlung 
der Stärke und die der Zellwand in Harz unter einem ein¬ 
heitlichen Gesichtspunkt auffassen zu können, verleitet, sagt 
Wiesner: „Da die ganze Zellwand in Harz umgewandelt 
wird, so lässt sich dessen Entstehung nur aus dem Haupt¬ 
bestandteil der Zellwand — aus Cellulose — herleiten, und es 
ist nur fraglich, ob diese Umwandlung direct geschieht, oder 
ob nicht vorerst ein anderer Körper aus der Cellulose her¬ 
vorgeht.“ 1 ) Diesen anderen Körper gibt er weiterhin auf 
Grund seiner Beobachtungen an Pinus nigricans als Gerb¬ 
stoff an. Im Xanthorrhoeaharz habe ich nun auch an den 
Zellwänden niemals Gerbstoffreaction erhalten. Wenn ich 
die Veränderungen der Zellwände, soweit dies bei dem alten 
vorliegenden Material möglich ist, verfolge, so komme ich zu 
ganz anderen Schlüssen. Die Pareuchymzelle ist zu einer 
Sclerenchymzelle geworden; die Wand Verdickung ist durch¬ 
aus nicht gleichmässig, in einer etwas stärker als in der 
anderen. So lange die Wände weiss sind, lassen sich die 
Schichtung und die verzweigten Tüpfeln deutlich erkennen; 
wenn sie gelb geworden sind, wird die Schichtung etwas 
undeutlicher. 

Man kann nun Wände beobachten, die halb gelb und 
halb braun sind; wenn sie ganz braun geworden sind, ist 
von Schichtung nichts mehr zu sehen. Die in ihnen vor¬ 
handenen gelben bzw. braunen Tropfen heben sieb in den 
ersten Stadien noch scharf ab; später bilden sie mit den 
Wänden eine ununterscheidbare braune bis schwarze Harz- 
masse. 

Beobachten wir das Verhalten der Wände in einigen 
Reagentierr. In Kalilauge werden die verdickten weissen 
und gelben Wände nicht verändert; nur ihre Structur mit 
Schichtung und verzweigten Tüpfeln tritt klarer hervor, 
ln einer solchen gelben Sclerenchymzelle war der ursprüngliche 
braune Harztropfen durch das Reagens in eine braune Harz¬ 
seife verwandelt, welche in der Zelle eingeschlossen blieb. 

1 ) Entstehung des Harzes u. s w. pag. 128. 


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Die braunen Zellwände werden aber gleichfalls verseift; es 
bleibt von jeder Zelle ein die ursprüngliche Gestalt derselben 
noch aufweisender Rest übrig, der sich nach Entfernung der 
Kalilauge mit Chlorzinkjod violett färbte. In Alkohol wird 
ebenfalls, was Harz ist, gelöst; es blieben auch nach dieser 
Behandlung von den braunen Zellwänden Spuren zurück, 
die mit Chlorzinkjodlösung Cellulosereaction zeigten. In den 
gelben Wänden war durch Alkohol nur sehr wenig gelöst, 
die meisten waren unverändert, einige waren etwas dünner 
geworden, häufig war die Intercellularsubstanz gelöst. Durch 
Chlorzinkjod wurden alle diese Zellen noch intensiver gelb, 
Phlorogluciu und Salzsäure färbte dieselben nach Alkohol¬ 
einwirkung roth. Wenn man die Sclerenchymzellen ohne 
vorausgehende Alkoholbehandlung mit den genannten Reagen- 
tien färbt, so sieht man neben völlig rothgewordenen Wänden 
solche, in denen durch die rothe Farbe gelbe Flecken hin¬ 
durchscheinen; ich halte diese für die ersten innerhalb stark 
verholzter Wände auftretenden Spuren von Harz. 

Die Thatsache, dass eine Verharzung reiner Cellulose¬ 
wände noch nicht beobachtet worden ist, sondern immer nur 
verholzte Wände in Harz sich umbilden, der Umstand ferner, 
dass nach Fortspülung des Harzes in verharzten Wänden durch 
Alkohol nicht Holzsubstanz sondern gerade Cellulose zurück¬ 
bleibt, scheinen mir vielmehr dafür zu sprechen, dass das 
Harz aus der Holzsubstanz und nicht aus der Cellulose ent¬ 
standen ist. Dass als ein Bestandtheil der Holzsubstanz 
ein aromatischer Körper, das Vanillin, nachgewiesen ist, be¬ 
stärkt mich in dieser Annahme. Ich halte es für zweck¬ 
mässig, bei einer eingehenderen diesbezüglichen Untersuchung 
sich von diesem Gesichtspunkt leiten zu lassen. 


Figurenerklärung. 

Fig. 1. Theil eines Querschnittes von dem im Text ab¬ 
gebildeten Harzstücke. (Die Abbildung im Text zeigt oben 
die Schnittflächen.) Es liegt im innersten Tbeile eine Ge- 
fässbündelanlage innerhalb eines mehr oder weniger voll- 


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kommenen parenchymatischen Gewebes, das allmählich in den 
aus tangential abgeplatteten Zellen bestehenden Verdickungs¬ 
ring übergeht. In dem nach aussen folgenden Parenchym 
liegen die Krystallschläuche, welche in dem Harz selbst mit 
zahlreichen Krystallnadeln von oxalsaurem Kalk erfüllt sind. 
Zu äusserst Sclerenchymgewebe. 

Fig. 2. Parenchym- und Sclerenchymzellen, stärker 
vergrössert, mit gelben und braunen Harztropfen. 

Fig. 3. Zellen des Verdickungsringes mit Harztropfen 
und Stärkekörnern; der Pfeil gibt die Richtung nach der 
GefässbUndelanlage hin an. 

Fig. 4. Gelber Harztropfen von 13 ft Durchmesser unter 
Einwirkuug von destillirtem Wasser bei lOOOfacher Vergrös- 
serung (Zeiss, apochromat 2,0 mm, Apert 1,30 homogen. Immer¬ 
sion, Compensationsocular 8) gezeichnet. Der in Stäbchen zer¬ 
fallende Inhalt nur z. Th. wiedergegeben (vergl. Text S. 13). 

Fig. 5. Gelber Harztropfen nach mehrstündiger Ein¬ 
wirkung von destillirtem Wasser; erstes Auftreten der Maschen. 

Fig. 6. Eine Anzahl gelber Harztropfen nach kürzerer 
Einwirkung von Aether. 

Fig. 7. Braune Harztropfen nach Aetherbehandlung. 

Fig. 7a. Nach Aethereinwirkung zurückbleibende gelbe 
Riuge in Sclerenchymzellen. 

Karlsruhe i. B., Februar 1892. 

Botan. Institut der Techn. Hochschule. 


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Zur Einführung 1 
der mitteleuropäischen Zeit 

Vortrag gehalten im Naturw. Verein zu Karlsruhe am 18. März 1892. 

Von Prof. J. P. Trautlein. 

In wenigen Tagen, am 1. April d. J., werden die süd¬ 
deutschen Eisenbahnverwaltungen die schon seit Sommer 
v. J. im inneren Dienst verwendete neue „mitteleuropäische 
Zeit“ auch im sogenannten äusseren Dienste, d. h. im Ver¬ 
kehr mit den Reisenden einführen, sie werden im ganzen 
Gebiet von der französisclten bis zur ungarischen Grenze ihren 
Uhren einen vollständig gleichen Gang geben, die seitherigen 
Zeitunterschiede zwischen diesen Bahnverwaltungen werden 
dann aufgehört haben zu sein. 

Bereits haben die Post- und Telegraphenverwaltung, sowie 
eine Reihe von Städten, aber aucli die Staatsregierungen be¬ 
schlossen, diesem Vorgehen der Bahnen zu folgen, d. h. auch 
ihre Uhren nach der neuen Eisenbahnzeit zu richten. 

Wir alle werden also die praktischen Folgen dieser ein¬ 
schneidenden Maassregel zu spüren haben. — Schon aus 
diesem Grunde, aber auch wegen des mit diesem Vorgehen 
verknüpften wissenschaftlichen Interesses, und auch wegen der 
genau entgegengesetzten Stellung, welche Autoritäten ersten 
Ranges (z. B. Moltke einerseits und Direktor Förster von der 
Berliner Sternwarte anderseits) zur bevorstehenden Lösung 
der betreffenden Frage einnehmen — aus all diesen Gründen 
ist es wohl angezeigt, sich Rechenschaft zu geben von der 
Art und Bedeutung dieser Maassregel, von den Gründen und 
dem Gange ihrer geschichtlichen Entwickelung, sowie von den 
Folgerungen, welche sich für Gegenwart und Zukunft an sie 
knüpfen werden. 

Das Verständniss auf diesem Gebiete ist bedingt durch 
die Erkenntniss der Rolle, welche die Sonne spielt als Regler 
der Zeit. Nacht und Tag, Tageszeiten und Jahreszeiten, alle 


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diese Wechsel von Licht- und Wärmezuständen eines be¬ 
stimmten Ortes, sie hängen ab von der wechselnden Stellung 
der Sonne zu diesem Ort. Tagtäglich ihren fast überall 
schräg gestellten Kreisbogenweg am Himmel durchlaufend 
erreicht sie ja in einem gewissen Augenblick ihren höchsten 
Stand: man nennt diesen Zeitpunkt den wahren Mittag 
des betreffenden Erdortes. Die Zeitstrecke, welche vergeht 
von einem solchen Mittagspunkt bis zum nächstfolgenden, 
heisst ein Sonnentag; die mit ihm als der Maasseinheit 
und mittelst deren bekannten Unterabtheilungen an einem 
bestimmten Erdort durchgeführte Bestimmung eines Zeit¬ 
punktes liefert die Angabe ven dessen Sonnenzeit oder 
wahrer Ortszeit. 

Hätte nun die Sonne einen gleichmässigen Gang, so 
wären die einzelnen aufeinander folgenden Sonnentage sämmt- 
lich gleichgross. Das sind sie aber nicht, eben weil die Sonne 
während sie tagtäglich mit der Himmelskugel ihren westwärts 
gerichteten Umlauf um die Erde vollendet, bald rascher, bald 
langsamer ihre ostwärts gerichtete Bahn zwischen den Fix¬ 
sternen dahinzieht. So kommt es, dass die einzelnen Sonnen¬ 
tage je um */ 3 bis 1 j 2 Minute von einander verschieden sind. 
So gering auch diese Unterschiede auf den ersten Blick er¬ 
scheinen, so machen sie sich doch dadurch bemerklich, dass 
sie Wochen lang im gleichen Sinne wirken und sich so all- 
mählig summiren. 

Besonders auffällig ist dieser tägliche unregelmässige 
Gang der Sonne erst dann geworden, als man in den letzten 
Jahrhunderten mechanische Uhrwerke, Räderuhren herstellte, 
welche mehr und mehr sich dem Ideale näherten, unbedingt 
gleichmässig zu gehen. Natürlich stimmt die Zeit einer sol¬ 
chen Idealuhr mit der wahren Zeit des Ortes, an dem sie 
aufgestellt ist, meistens nicht überein: nur an vier Tagen des 
Jahres ist die Uebereinstimmung eine vollständige, an allen 
übrigen Tagen geht eine solche Uhr falsch. Früher suchte 
man nun die öffentlichen und privaten Räderubren durch Vor- 
und Rückrichten in Uebereinstimmung zu halten mit der 
wahren Zeit, d. h. mit dem Gang der Sonnenuhr des betref¬ 
fenden Ortes. Begreiflicher Weise kam aber hierdurch eine 
grosse Unsicherheit in den Gang der Uhren, insbesondere 


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113 


mussten die Bedingungen ihrer strengeren Ueberwachung 
ziemlich gelockert werden. Man ward so müde des steten 
Vor- und Zurückrichtens, die Wissenschaft und die Praxis 
des Lebens verlangten gleich sehr nach genau gleichförmigen 
Theilen der Zeit. So kam man auf den Gedanken, in dem 
Widerstreit zwischen dem Lauf der Sonne und dem Gang der 
Uhr gewissermaassen die Sonne als (meist) falsch gehend 
anzusehen: man ersetzte in Gedanken die so ungleichförmig 
sich bewegende wahre Sonne durch eine eingebildete, deren 
Lauf mit dem Gang jener Idealuhr übereinstimmt und so die 
Ungleichmässigkeit der wahren Sonnenzeit ausgleicht. Die 
Zeit, welche dieser eingebildeten sog. mittleren Sonne ent¬ 
spricht, oder welche von einer solchen genau gleichroässig 
gehenden Uhr angegeben wird, heisst die mittlere Zeit des 
betreffenden Erdortes, der Augenblick insbesondere, wo 
eine solche Uhr Mittag zeigt, heisst sein mittlerer 
Mittag. Der Vortheil der Einführung einer solchen mitt¬ 
leren Zeit ist klar; ins Leben wirklich eingeführt wurde sie 
erst in unserem Jahrhundert, so z. B. in Deutschland um 
1810, in Paris um 1816, in Frankreich durch königliche Or¬ 
donnanz im Jahre 1820. 

Wahre Zeit und mittlere Zeit eines Ortes sind wie gesagt 
fast stets verschieden von einander, nur an vier Tagen des 
Jahres (Mitte April und Mitte Juni, Anfang September und 
an Weihnachten) stimmen sie überein, werden aber von diesen 
Tagen ab mehr und mehr verschieden von einander derart, 
dass von Mitte April bis zum 14. Mai und von Anfang Sep¬ 
tember bis zum 3. November die wahre Sonne der mittleren 
tagtäglich vorauseilt, aber von Mitte Juni bis zum 26. Juli 
und von Ende Dezember bis zum 11. Februar die wahre 
Sonne hinter der mittleren zurückbleibt. An den genannten 
vier Tagen ist jener Unterschied je zu eiuem grössten Werthe 
herangewachsen: er beträgt am 14. Mai nur 4, am 26. Juli 
nur 6*/« Minuten, dagegen am 11. Februar 14*/, und am 
3. November 16*/» Minuten. 

Jene ersteren Unterschiede von wenigen Minuten im Mai 
und Juli fallen wegen ihrer Kleinheit nicht auf, auch weil 
sie zur Zeit der grossen Tageslängen eintreten; aber die 
letzteren Unterschiede von rund einer Viertelstunde im Fe- 

8 


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bruar und November machen sich recht bemerklich, weil zu 
diesen Zeiten kurzer Tage der bürgerliche Mittag um eine 
Viertelstunde gegen die wahre Tagesmitte verschoben ist, 
somit im Februar der Vormittag und im November 
der Nachmittag je um eine halbe Stunde kürzer ist 
als der andere Tagcstheil. 

Auf diese Thatsache der im Verlaufe des Jahres wechseln¬ 
den Länge von Vor- und Nachmittag stützt sich — wie ich 
gleich hier erwähnen will — ein Theil der Einwände, welche 
gegen die bevorstehende Einführung der sog. mitteleuropäi¬ 
schen Zeit erhoben werden. 

Indem ich die Erörterung dieser Einwände vorerst noch 
zurückstelle, will ich aber nicht unterlassen, hier einen Punkt 
besonders hervorzuheben. 

Als man vor 80 bis 100 Jahren die Angaben der Räder¬ 
uhren als mittlere Ortszeit einführte, hat man schon den 
natürlichen Boden der Zeitangabe verlassen, man hat ge¬ 
wissen in gleicher Weise wissenschaftlichen wie Bequemlich¬ 
keitsvortheilen zu Liebe die wahre Zeit aufgegeben und hat 
sie durch eine ideelle Zeit ersetzt. Damit war der erste 
Schritt geschehen auf einer Bahn der Verbesserung; wir 
dürfen uns nicht wundern, wenn Erwägungen gleicher Natur 
uns heute weiter drängen, und wir wurden und werden ge¬ 
drängt, weiter zu schreiten auf der einmal betretenen Bahn. 

Unsere seitherigen Betrachtungen bezogen sich auf die 
Bestimmung der Zeit für einen bestimmten Ort der Erde, wie 
sie sich ergiebt unter Verwerthung entweder der wahren oder 
der sog. mittleren Sonne. 

Indem aber die Sonne, und zwar die wahre wie die mitt¬ 
lere Sonne, je in einem Tag um die Erde herumläuft, be¬ 
stimmt sie zwar für alle nordsüdlich von einander liegende 
Punkte, d. h. für Punkte desselben Mittagskreises dieselbe 
Zeit, aber jeder östlich oder westlich von diesem letzteren 
gelegene Punkt hat eine von ihm durchaus verschiedene Zeit, 
der östliche hat frühere, der westliche hat spätere Zeit, und 
zwar muss dem 360ten Theil des Erdumfangs, d. h. jedem 
Grad Längenunterschied der 360te Theil von 24 Stunden, 
d. h. vier Minuten Zeitunterschied entsprechen. 


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Schon für ein und dieselbe Stadt sind die hieraus ent¬ 
springenden Zeitunterschiede zahlenmässig angebbar, wenn 
auch praktisch meist ohne Bedeutung: so geht hier in Karlsruhe 
das Ostende der fast genau 2 km langen Kaiserstrasse deren 
Westend um 6* vor; in Frankfurt a. M. hat der Ostbahnhof 
S s frühere Zeit als der West- oder Hauplbahnhof; der Zeit¬ 
unterschied der ganzen Ostwesterstreckung von Paris ergiebt 
etwas mehr als ‘/z> der von London etwa eine Minute. Dem¬ 
nach bedarf es schon für das genaue übereinstimmende Rich¬ 
ten der Uhren einer Stadt des Festsetzens eines Zeitmittels, 
das für die ganze Stadt als deren Ortszeit zu gelten hat. 

Beträchtlicher sind natürlich die Unterschiede, wenn ost- 
westwärts weiter von einander entfernte Orte betreffs ihrer 
Zeit verglichen werden. 

Früher, wo zur Zurücklegung einer derartigen Strecke 
Tage, ja Wochen nöthig waren, kam die hieraus entspringende 
Verschiedenheit der Ortszeiten nur der Wissenschaft zum Be¬ 
wusstsein, das gewöhnliche Leben brauchte sich nicht darum 
zu kümmern und hat sich darum auch nicht viel be¬ 
kümmert; machte man ja doch auch kein Aufhebens davon, 
wenn man von den Thürmen ein und derselben grösseren 
Stadt eine Viertelstunde lang dieselbe Stunde schlagen hörte, 
„es war ebenso lange vier Uhr, bis es fünf Uhr war.“* 

Im Zeitalter der Eisenbahnen ist dies anders geworden. 
Die Eisenbahnen ermöglichen uns eine so rasche Ortsverände¬ 
rung, dass dieselbe sogar im Vergleich zur Geschwindigkeit 
des Fortschreitens der Sonne auf ihrer Bahn, d. h. im Ver¬ 
gleich zur Geschwindigkeit der Zeitänderung in Betracht 
kommt, und zwar [— wegen des gegenseitigen Annäherns der 
Mittagskreise gegen die Pole hin —] um so mehr, in je 
höheren geographischen Breiten wir die Eisenbahn benützen. 

Einige Beispiele mögen dies erläutern. Unsere deutschen 
Schnellzüge durchfahren jetzt durchschnittlich 1 km in einer 
Minute. Ein solcher Schnellzug auf einer ostwestlich gerich¬ 
teten Bahn in der Breite Berlins durchfährt schon in 17 m 
eine Wegstrecke, deren Grenzpunkte einen Zeitunterschied 

* Nach E. Hammer Nullmeridian und Weltzeit. Hamburg, 1888. 
8”. 68 S. (Heft 43/44 der deutscheu Zeit- und Streitfragen, herausg. von 
F. v. Hohzendorff, Neue Folge, Jahrg. III), S. 41. 

8 * 


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116 


von l m haben; in den Aequatorgegenden hätte der Benützer 
eines solchen Schnellzuges je nach Verlauf von 28“, im mitt¬ 
leren Schweden und nördlichen Russland aber schon nach je 
13 m seine Taschenuhr um eine Minute vor- oder zurückzu¬ 
richten.* 

Natürlich muss sich diese Zeit- bezw. Uhr Verstellung 
auch in den Fahrplänen der Bahnzüge äussern. So braucht 
beispielsweise der sog. Orientexpresszug (Winter 1891/92) 
zum Durchfahren der Strecke Strassburg-Paris fahrplanmässig 
— 8 h 16 m . zum Durchfahren der Strecke Paris-Strassburg aber 
= 9 h ; der halbe Unterschied von 22“ kommt ziemlich genau dem 
Längenunterschied beider Orte gleich. Ebenso sagt derselbe 
Fahrplan, dass der eine Schnellzug von Berlin nach Frank¬ 
furt a. M. = ll h 38 m , der in entgegengesetzter Richtung aber 
= 12 h 18 m gebrauche, obwohl doch beide thatsächlich gleich 
rasch fahren; der scheinbare Widerspruch kommt eben her 
von dem nothwendiger Weise in Betracht zu ziehenden, 19“ 
betragenden Unterschied der Ortszeiten beider Grenzpunkte. 

Aus Erfahrungen, tagtäglichen tausendfältigen Erfahrun¬ 
gen solcher Art hätten die sämmtlichen Eisenbahnverwal¬ 
tungen — so sollte man meinen — schon lange die unbe¬ 
dingte Nöthigung entnehmen müssen, wenigstens für das der 
einzelnen Verwaltung unterstellte Gebiet einheitlichen Bahn¬ 
betriebs eine gemeinsame Zeit ein- und durchzuführen. 

Aber merkwürdiger Weise geschah dies nicht überall. 
So haben die mitteldeutschen, die sächsischen, die norddeut¬ 
schen Bahnen stets die Ortszeit weiter verwendet, und bis 
zur Stunde hat sich daran auch nichts geändert, trotzdem 
die mancherlei preussischen Bahnen in einheitlichen Staats¬ 
besitz übergegangen sind — die volle oder theilweise Ver¬ 
einheitlichung der Zeit blieb ausgeschlossen. 

Anders — wie ich meine, vernünftiger — verfuhren andere 
Bahnverwaltungen. Sie wählten als gemeinsame Zeit in den 
allermeisten Fällen die mittlere Ortszeit des Sitzes der Haupt¬ 
verwaltung der bezüglichen Bahn, also die mittlere Ortszeit 
der Hauptstadt des betreffenden Staats- oder Provinzgebietes. 
So rechnet man seit Jahren oder Jahrzehnten in Baden nach 


* Nach F. III, 13. (Vergl. uuten S. 17, Fussnote.) 


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117 


Karlsruher Zeit, in Württemberg nach Stuttgarter, in Bayern 
nach Münchener, in Oesterreich nach Prager, in Ungarn-Ga¬ 
lizien nach Budapester, in Rumänien nach Bukarester, in der 
Schweiz nach Berner, in Holland nach Amsterdamer, in Bel¬ 
gien nach Brüsseler, in Spanien nach Madrider Zeit; schon 
1848 hatEngland, das damalsanEisenbahnen reichste Land, durch¬ 
weg die Greenwicher Zeit eingeführt, für Irland aber die von 
Dublin als allgemein giltig festgesetzt; Italien nahm 1866 
(22. September) die mittlere Ortszeit von Rom an, Schweden 
führte auf Neujahr 1879 ebenfalls eiue gemeinsame einheit¬ 
liche Zeit ein, und auch für Frankreich sammt Korsika und 
Algier ist seit dem 14. März 1891 die Pariser die einzig ge¬ 
setzliche Zeit. 

Von Jahrfünft zu Jahrfünft fand so die beschränkte 
theilweise Vereinheitlichung der Zeit mehr und mehr Eingang; 
und wenn sie auch, wie die angegebenen Beispiele zeigen, 
nur je für gewisse kleinere oder grössere Verkehrsgebiete 
durchgeführt wurde, so durfte man sich immerhin des Fort¬ 
schrittes erfreuen, wenn man auf die Entwickelung seit 1820 
zurückschaute. 

Aber so sehr Nutzen bringend und angenehm jede solche 
wenigstens für grössere Verkehrsgebiete einheitliche Fest¬ 
setzung der gültigen Zeit auch war, sie konnte auf die Dauer 
doch nicht genügen. 

Je mehr die Zahl der Eisenbahnreisenden wuchs, je 
rascher ihre Fahrten und je grösser die zurückgelegten 
Strecken wurden, desto mehr machte sich und macht sich 
immer noch beim Uebertritt aus dem einen jener Verkehrs¬ 
gebiete in das angrenzende das Störende, das Missliche der 
jeweils nöthig werdenden neuen Zeitrechnung und der Uhr¬ 
verstellung geltend. Und dass bei einer grösseren Reise so 
häufig geändert werden muss, mehr noch, dass wegen der so 
ungleichen Grösse und Erstreckung der Verkehrsgebiete an 
jeder neuen Grenze ein ungleich grosser, so zu sagen ein un¬ 
sicherer, ein nur aus Tabellen entnehmbarer Betrag die Grösse 
der nöthigen Zeitänderung angiebt, ist dabei das wesentlich 
Unangenehme. 


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118 


Ich wähle drei einfache Beispiele* zur Verdeutlichung 
des Gesagten. So muss ein von London nach St. Petersburg 
Reisender beim Betreten der belgischen Grenze seine Uhr 
17” vorrichten, in Hcrbesthal wieder um 6”, dann auf 20 bis 
30 preussischen Stationen wegen der dort geltenden Ortszeit 
jedesmal um einige Minuten, endlich an der russischen Grenze 
um 30”, zusammen um zwei Stunden und eine Minute. 

Das zweite Beispiel betrachtet einen von London nach 
Konstantinopel Reisenden. Dieser muss seine Uhr in Ostende 
um 17” vorrichten, in Luxemburg 7”, in Eisass-Lothringen 
4”, an der badischen Grenze 2”, an der württembergischen 
3”, an der bayerischen 10”, an der österreichischen wieder 
11”; beim Betreten ungarischen Gebietes muss er seine Uhr 
abermals um 19” vorstellen, an der serbischen Grenze um 
6”, an der bulgarischen um 11” und an der türkischen um 
13”. Seine Reise regelt sich also nach 12 verschiedenen 
„Zeiten“; ein 11 maliges jedesmal ungleich starkes Aendern 
einer Uhr ist nöthig mit einem Gesanuntbetrag der Aenderung 
von 1 Stunde und 53 Miuuten. 

Ein drittes Beispiel fasst einen Reisenden ins Auge, der 
von London nach Indien geht. Er hat, zu Hause Green¬ 
wicher Zeit, trifft in Calais auf Pariser, an der italienischen • 
Grenze auf römische Zeit; in Brindisi auf dem Schiff tritt 
Schiffszeit ein, in Alexandria ägyptische Bahnzeit, in Suez 
wieder Schiflfszeit, welche mit täglicher Veränderung beibc- 
halten wird, bis Indien erreicht ist; bei der Ankunft in Bom¬ 
bay trifft er zweierlei Zeit an: die Ortszeit von Bombay und 
die indische Eisenbahnzeit, d. h. die Ortszeit von Madras. 

Dies sind fast unerträgliche Verhältnisse bei den grossen 
Geschwindigkeiten der heutigen Verkehrsmittel und bei der 
allgemeinen Zugänglichkeit von Taschenuhren, welche auf 
Wochen die Zeit innerhalb einer Minute bewahren. 

Aber die vorgeführten Beispiele sind noch von verhält- 
nissmässig einfacher und durchsichtiger Natur. Verwickelter 
sind Beispiele, wie sie z. B. Hesse-Wartegg (S. 11 f.) bei- 

* Diese Beispiele sind entnommen aus einer am 10. April 1891 
gehaltenen Rede des Eisenbahnministers im belgischen Abgeordnetenhaus. 
(Vgl. Hesse-Wartegg, die Einheitszeit nach Stundenzonen. Leipzig, 1892. 

8®. 74 S., S. 10 f.) 


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11 !) 


bringt — nur eines als Probe. In Holland zeigen die Uhren 
im Innern der Bahnhöfe Amsterdamer Zeit, die Uhren an den 
Aussensciten weichen um 5” von jener ab; einzelne der hol¬ 
ländischen Linien treten aber auf deutsches Gebiet über, wo 
beim reisenden Publikum nach der Ortszeit, im Babndienst 
nach mitteleuropäischer Zeit gerechnet wird. Also gelten hier 
auf so kleinen Strecken vier verschiedene Zeiten, und daraus 
sollen Reisende und Bedienstete klug werden! 

Diese und zahlreiche ähnliche Beispiele zeigen deutlich 
genug den bis heute im Eisenbahnwesen der ersten Kultur¬ 
staaten Europas herrschenden „heillosen Wirrwarr“ und die 
zwingende Nothwendigkeit einer gründlichen Besserung. , 

Wenn die besprochenen Unbequemlichkeiten und Miss¬ 
stände nur dem einzelnen Reisenden zur Last fielen, könnte 
man noch eher davon absehen. Aber es ist von der grössten 
Wichtigkeit, dass alle die verschiedenen Eisenbahnzeiten, zu 
welchen natürlich noch sämintliche Ortszeiten hinzukommen, 
eine ganz wesentliche Erschwerung tür den Betrieb der Eisen¬ 
bahnen sind — ich brauche das nicht näher auszuführen — 
und dass diese Erschwerung und die furchtbare Tragweite 
der Missstände sich ganz besonders bei den Leistungen zeigt, 
welche für militärische Zwecke von den Bahnen gefordert 
werden. In dieser Beziehung hat Moltke in seiner berühmten 
letzten Reichstagsrede am 16. März 1891 kurz und gründlich 
die Nothwendigkeit einer Besserung dargethan. 

Wie hier eine Besserung zu erzielen, zeigt das Beispiel 
von Canada und der Vereinigten Staaten Nordamerikas. 
Durch 100 Grade ostwestwärts sich erstreckend zeigt dieses 
Land Unterschiede der Ortszeit bis zum Betrage von fast 
7 Stunden. Auch da machten sich die aus solchen Unter¬ 
schieden entspringenden Schwierigkeiten recht bemerklich erst 
dann, als das Eisenbahnnetz des Landes sich mehr und mehr 
entwickelte; sie wurden grösser und ernster, als dieses Netz 
in ungeahnt rascher Weise sich zum grossartigsten der Erde 
herausbildete. Jede neue Bahnlinie nahm die ihr am passend¬ 
sten scheinende Zeit als Bahnzeit an, und so kam es, dass 
schon 1875 Hunderte von Eisenbahngesellschaften der Ver¬ 
einigten Staaten ihre Züge nach 75 verschiedenen Bahn- 


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120 


Zeiten* fahren Hessen! Wenn die Gebiete dieser Bahngesell¬ 
schaften noch wenigstens räumlich getrennt gewesen wären! Aber 
nichts weniger als das — die Linien der nach verschiedenen 
Zeiten fahrenden Bahnen kreuzten sich unzählige Male! Ja, 
eine kaum 20 deutsche Meilen lange Linie zwischen New-York 
und Philadelphia fuhr nach sieben verschiedenen Zeiten **, 
und entsprechend richtete man sich in manchen Städten nach 
vier, fünf, selbst sechs verschiedenen Eisenbahnzeiten!. 

So konnte es dort nicht bleiben, eine Reform that drin¬ 
gend Noth — und sie kam. 

Schon Ende der 60 er Jahre hatte Prof. Dowd in Sara- 
toga einen klaren, leicht durchführbaren Vorschlag zur Re¬ 
form gemacht, und Peirce war ihm 1875 darin gefolgt. Aber 
erst als von 1876 ab der Oberingenieur der canadischen Pa- 
cificbahn, S. Fleming, jenen Plan zu dem seinigen machte, 
durch Vorträge und Schriften, insbesondere seit 1879, leb¬ 
haft für ihn eintrat, kam Zug in die Sache. Dieser Plan 
bestand in Folgendem: man solle, absebend vom einzelnen 
Lande und nach allgemeiner Ordnung der Dinge strebend, 
die ganze Erdoberfläche durch 24 Mittagskreise von gleich- 
mässigen gegenseitigen Abständen von 15° in 24 Kugelzwei¬ 
ecke zertheilen, solle die mittlere Ortszeit des Mittelmeridians 
jeden solchen Zweiecks als Verkehrszeit für alle Orte dieses 
Zweiecks benützen und so die unendlich vielfältigen Einzel¬ 
zeiten aller Orte der Erde durch deren nur noch 24 ersetzen; 
dabei solle als Ausgangszeit die von Greenwich genommen 
werden. 

Den Nordamerikanern schien die Einführung dieser „Zo¬ 
nenzeiten“, deren jede sich also von ihren beiden nächstbe¬ 
nachbarten je um genau eine Stunde unterschied, also die 
Schaffung von „Einheitszeiten nach Stundenzonen“ 
schien ihnen eine durchaus passende und praktisch einfache 
Art, um aus dem vorhandenen Wirrwarr herauszukommen 
und so die Zeitrechnung den fortschreitenden Bedürfnissen 
hauptsächlich des Verkehrslebens anzupassep. 

* Hammer a. a. 0.. S. 44. — Nach Hesse-Wartegg a. a. 0., S. 3 
bestanden noch 1883 in den Vereinigten Staaten 49 verschiedene Eisen- 
babnzeiten. 

** Naeh Hesse-Wariegg a. a. 0. S. 4. 


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121 


Entsprechend dem Plane von Dowd, Pierce und Fleming 
wurde nämlich am 11. April 1S83 der nach St. Louis be¬ 
rufenen General time convention der Eiseubahnvertreter vorge¬ 
schlagen, die neue Zeitordnung nach Stundenzonen anzuneh-' 
men; dies geschah, und nach wenigen weiteren Verhandlungen 
ward am 14. September 1883 die Einführung der neuen Zeit 
endgültig beschlossen, ln anerkennenswerther Weise ver¬ 
zichtete man darauf, den Mittagskreis und die Zeit von 
Washington als Ausgang zu wählen, man wählte Greenwich 
in Rücksicht darauf, dass wohl bald auch die übrige Welt 
ihre Zeit nach dem gleichen Grundgedanken regeln werde. 
Man theilte das Gebiet der Vereinigten Staaten in fünf Zonen 
ein, deren Grenzen i. a. die Mittagskreise von 52 1 /, 0 , 67*/,*, 
82*/,*, 97 , / 2 0 » 112 1 /* 0 , 127 V 2 0 w - L- v - Gr. sind, deren be¬ 
zügliche neuen Zeiten also die Ortszeiten des 60., 75., 90., 
105., 120. Mittagskreises w. v. Gr. wurden. Die in diesen 
einzelnen fünf Gebieten geltenden Zeiten erhielten zur Unter¬ 
scheidung und behufs leichter Verständlichkeit für die Reisen¬ 
den die folgenden Namen: intercolonial, eastern, central, rocky- 
roountain und pacifictime, d. h. interkoloniale, östliche, mitt¬ 
lere, Felsengebirgs- und Stille Ocean-Zeit. Selbstverständlich 
folgen die Grenzen dieser fünf Gebiete je gleicher Zeit nicht 
überall mathematisch genau den wirklichen Mittagskreisen, 
sondern man nahm auf die Grenzen der Staaten, insbesondere 
auch auf die Endpunkte einzelner Eisenbahnlinien, soweit es 
nur irgend ging, die schuldige Rücksicht. 

Behufs Durchführung der Neuerung, die ja nicht er¬ 
zwungen werden konnte, wurden nun durch ein Comitö von 
Bahndirektoren die verschiedenen (rund 700) Eisenbahnge¬ 
sellschaften aufgefordert, im Allgemeininteresse des Verkehrs 
die gewählte Standard-Zeit einzuführen. Der Erfolg war 
überraschend *: ohne irgend welche staatliche Beihülfe hatten 
innerhalb 14 Tagen am 1. Oktober schon 58000 Meilen 
Eisenbahnen ihre seitherige Zeit durch die neue ersetzt, im 
November 1883 war sie schon auf 160 000 km Bahnlinien 
im Gebrauch, kurz in wenigen Wochen hatte das ganze 
Eisenbahnwesen der Union und das von Canada ohne die 


* Vergl. Hease-Wartegg a. a. 0 . S. 5. 


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122 


geringste Schwierigkeit die neue Zeit der Stundenzonen an¬ 
genommen. 

Dem Vorgang der Bahnen schlossen sich die Städte an y 
Tag um Tag folgten neue nach, und schon im Jahr darauf 
gab es, mit Ausnahme weniger Städte, keine Ortszeit mehr. 
Wie Hesse-Wartegg (S. 5) sagt, mussten behufs Einführung 
der Standard-Zeit in gar manchen Orten die Uhren um 35, 
selbst 40 Minuten verstellt werden, und es mag sich in Folge 
davon manche Widerwärtigkeit und mancher Irrthum ein¬ 
gestellt haben; aber gleichwohl unterwarfen sich (nahezu) 
alle der neuen Ordnung der Dinge, so dass es jetzt in den 
Vereinigten Staaten keine andere Zeit mehr giebt, als die 
genannte. 

Auch in Europa machte das Beispiel der Vereinigten 
Staaten bald seine Wirkung geltend, um so mehr, als es mit 
Bestrebungen, d. h. mit rein theoretischen Erwägungen ähn¬ 
licher Richtung zusammentraf. 

Ein erneuter Anstoss war von den Vereinigten Staaten, 
und zwar von privater und von amtlicher Seite gekommen: 
von privater, insofern der New-Yorker Professor Barnard auf 
dem Kölner Kongress der „Gesellschaft für Kodifikation des 
Völkerrechtes“ (1881) das Stundenzonensystem zur Sprache 
und zur Empfehlung brachte, von amtlicher Seite durch 
die Vereinigte Staaten-Regierung selbst. Offenbar veran¬ 
lasst durch die allseitige Theilnalnne und Billigung, welche 
drüben die Bestrebungen Flemings fanden, hatte im Jahre 
1882, also noch vor Beginn der wirklichen Reform, die Ver¬ 
einigte Staaten-Regierung alle civilisirten Staaten diplomatisch 
aufgefordert, durch Abgeordnete auf einer internationalen 
Konferenz in Washington die Frage der „Zeit“ und Ver¬ 
wandtes berathen zu lassen. Der Senat von Hamburg schlug 
dagegen vor, dass schon die im Herbst 1883 in Rom abzu¬ 
haltende Generalkonferenz der europäischen Gradmessung sich 
über diese Angelegenheit äussern solle. Dies geschah. Sa 
interessant aber auch die zu Rom gefassten theoretischen 
Beschlüsse waren, ihr praktisches Ergebniss war zunächst 
Null. Hieran änderte sich auch nichts durch die Berathungen 
der im Jahre darauf (1884) nach Washington berufenen inter- 


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123 


nationalen Konferenz, um so weniger, als ihre Beschlüsse 
den in Rom im Jahre vorher gefassten zum Theil wider¬ 
sprachen. 

Die Förderung der Sache kam auch auf europäischem 
Boden von Seiten der Praktiker, der Eisenbahnleute. Ich 
hatte ja vorhin schon zu erwähnen, dass Schweden mit Neu¬ 
jahr 1879 eine gemeinsame einheitliche Zeit einführte, und 
zwar war als solche mit gutem Takte die des 15. Mittagskreises 
östlich von Gr. gewählt worden, also eine Zeit, die der (schon 
seit 1848 durchgeführten) englischen genau tun eine Stunde 
voraus ist. Damit war die Möglichkeit einer weiteren Ein¬ 
führung, einer vielleicht allgemeinen Durchführung des Sy¬ 
stems der 24 Stundenzonen so gut wie gewährleistet — Eng¬ 
land und Schweden diesseits und Nordamerika jenseits des 
Atlantic bildeten die beiden Grundpfeiler der durchzuführen¬ 
den Vereinheitlichung. 

Das Streben nach einer solchen machte sich hauptsäch¬ 
lich in Oesterreich-Ungarn geltend. Und hier war es vor 
allen Dr. R. Schram, Privatdozent an der Wiener Universität, 
der unerinüdet für die Einführung der einheitlichen Stunden¬ 
zonen thätig war. Aber auch ihm blieb vorerst der Erfolg 
aus, auch selbst dann noch, als schon Japan, das sogar durch 
26 Längengrade sich erstreckende* Japan, (durch Gesetz vom 
12 . Juli 1886) vom 1. Januar 1888 ab die Zeit des 135.° 
ö. L. v. Gr., d. h. eine von der Greenwicher Zeit um neun 
Stunden verschiedene Zeit für das ganze Gebiet der Monar¬ 
chie eingeführt hatte. 

Mehr und mehr mahnte aber die Entwickelung des Eisen¬ 
bahnwesens, wohl hauptsächlich die Einrichtung der Orient- 
und anderer Blitzzüge, lebhaft daran, einen Schritt vorwärts 
zu thun. 

So beantragte denn die Direktion der Ungarischen Staats¬ 
bahnen — wem fiele nicht ein, dass dies dieselbe Verwaltung 
ist, welche zuerst den viel angefeindeten Kreiszonentarif für 
Personenbeförderung praktisch im Grossen verwirklichte? — 
also Ungarn beantragte am 6. November 1889 bei dem Ver¬ 
eine deutscher Eisenbahnverwaltungen, es möge im weit 


• Deutschlands ostwestliche Erstreckung beträgt rund 17*. 


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124 


überwiegenden Theil des Vereinsgebietes die seit fast 11 Jahren 
schon in Schweden angenommene Zeit zur Geltung kommen, 
d. i. die mittlere Zeit des 15° östl. v. Gr. ziehenden Mittags¬ 
kreises, desjenigen also, der ganz Schweden der Länge nach 
durchzieht und im weiteren südlichen Laufe annähernd Stettin, 
Stargard, Görlitz, Frankfurt a. 0., Prag, Linz, Fiume, Neapel, 
SirakHS, Malta, Mursuk schneidet, dessen Zeit somit gut als 
„mitteleuropäische Zeit“ benannt werden kann. 

Der zur Prüfung des ungarischen Antrages bestellte Aus¬ 
schuss kam (Mai 1890) zu dem Antrag, die Vereinsversamm¬ 
lung wolle beschliessen: 

1 . die Einführung der vorgeschlagenen Zonenzeit im 
Eisenbabndienst ist als im höchsten Grade zweckmässig an¬ 
zuerkennen ; 

2. eine gleiche Erklärung ist auch abzugeben in Bezug 
auf die Zeitangaben in den für das Publikum bestimmten 
Fahrplänen; 

3. die allgemeine Einführung gedachter Zonenzeit ist 
auch im bürgerlichen Leben als empfehlenswerth zu be¬ 
zeichnen. 

In der Vereinsversammlung selbst (zu Dresden, 31. Juli 
1890) erhob sich insbesondere gegen den zweiten Antrag Wider¬ 
sprach von Seiten der preussischen rechtsrheinischen Eisen¬ 
bahn Köln. So kam es, dass die Ausschussanträge nicht 
zur Annahme gelangten, sondern statt deren schliesslich die 
folgenden Beschlüsse gefasst wurden: 

1. Die vorgeschlagene Zonenzeit ist im inneren Eisen¬ 
bahndienst und zwar mit Beginn der nächstjährigen (d. i. 
1891er) Somroerfahrplanperiode zur Einführung zu bringen; 

2. die allgemeine Einführung gedachter Zonenzeit auch 
im bürgerlichen Leben ist als empfehlenswerth zu bezeichnen; 

3. die Abgabe einer gleichen Erklärung auch in Bezug 
auf die Zeitangaben in den für das Publikum bestimmten 
Fahrplänen ist so lange auszusetzen, als die empfohlene Zeit¬ 
rechnung nicht auch im bürgerlichen Leben zur allgemeinen 
Einführung gelangt. 


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Der erste dieser Beschlüsse ward einstimmig angenom¬ 
men, der dritte mit 159 gegen 136 Stimmen.* 

Am auffälligsten ist dieser dritte Beschluss — als ob 
ohne Vorgehen der Eisenbahnen das sog. bürgerliche Leben 
zur Einführung einer Einheitszeit gelangen könnte! 

Aber die Macht der Verhältnisse trieb die Sache zu 
einer rascheren Entwicklung, als sich jene Versammlung oder 
die Mehrheit jener Versammlung gedacht hatte. Zwar die 
norddeutschen, die preussischen Bahnen hielten fest an ihrer 
doppelten Zeit, da die Ministerien sich nicht für die Neue¬ 
rung entschliessen konnten. Denn als Ende 1890 der preussi- 
sehe Minister für Landwirthschaft das Landesökonomiekolle¬ 
gium ersucht hatte, sich zur Sache zu äussern, hatte dies 
mit einem ablehnenden Bescheid geantwortet. So blieb es 
denn im Norden bei der doppelten Zeitrechnung, und es sollte 
— wie es den Anschein gewann — eine neue Maingrenze 
gebildet werden. 

Denn für die süddeutschen Eisenbahnverwaltungen hiess 
die Dresdener Beschlüsse ausführen nichts anderes als 
zweierlei Zeit einführen, also einen gewaltigen Rückschritt 
machen. Als sich daher eine der betheiligten Bahnen zuerst 
weigern wollte, hieran theilzunehmen und ihr natürlich der 
Ausschluss aus dem Verein angedroht wurde, führte man 
zwar allgemein am vorbezeichneten Termin im innern Dienst 
die Einheitszeit ein, ja Oesterreich verwendete sie schon 
von Oktober 1891 ab auch im äusseren Dienst, und die süd¬ 
deutschen Bahnen beschlossen ihre gleichzeitige gemeinsame 
Einführung mit Beginn der Sommerfahrten am 1. Mai 1892, 
verlegten dann aber den Einführungszeitpunkt auf 1. April, 
wesentlich dem Machtgebot der Militärverwaltung sich fügend, 
deren Sommerfahrplan am letzteren Zeitpunkt beginnt. 

So werden wir also im ganzen Süden Deutschlands, 
ebenso wie in Oesterreich am kommenden 1. April die Eisen¬ 
bahnuhren verstellt und die Fahrpläne neu gedruckt sehen. 


* Der Verein umfasst 75 Eisenbahnverwaltungen mit im Ganzen 
73342 km Baholänge und mit (je dieser letzteren entsprechend) im Ganzen 
361 Stimmen. Von diesen waren 26 Stimmen nicht vertreten (Protokoll 
S. 16 big 19 und S. 23 f.) 


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126 


Was werden, was sollen die Städte daraufhin thun? — 
ist die nächstliegende Frage; denn nach dem Beispiel der 
Städte werden sich die Dörfer und müssen sich selbstver¬ 
ständlich die Privaten richten. 

Sehen wir zunächst zu, welchen Einfluss die allen - 
fallsige Annahme der Eisenbahnzeit für die verschie¬ 
denen Gebiete Deutschlands haben wird. 

Im ganzen Süden müssen die Uhren vorgerichtet werden, 
am wenigsten in Bayern, nämlich nur um 13” 34*, in Würt¬ 
temberg um 23“ 17% in Baden um 26“ 23', in Elsass-Loth- 
ringen um 28“ 55*. 

In Mittel- und Norddeutschland wo seither nicht für 
grössere Gebiete eine gemeinsame Zeit bestand, sondern nach 
Ortszeit gerechnet wurde, wird natürlich die nöthig werdende 
Uhrverstellung um so mehr betragen, je weiter ost- oder 
westwärts vom Hauptmittagskreis entfernt der betreifende 
Ort liegt. 

Im äussersten Osten wird die Zeitverschiebung bis zu 
3l m , im äussersten Westen bis zu 37“ betragen. Dies sind 
Werthe, die wohl beachtet sein wollen, um so mehr, als sie 
sich bei Beachtung weiterer noch zu besprechender Verhält¬ 
nisse gar noch vergrössern. 

Und eben diese beträchtlichen, bei Einführung der neuen 
Zeit nothwendig werdenden Zeitverschiebungen haben der 
ganzen Sache gar manche Gegner erstehen lassen, unter 
denen in erster Reihe der Direktor der Berliner Sternwarte, 
Förster, zu nennen ist. Wiederholt, in amtlicher und ausser- 
amtlicher Weise ist er der Einführung der Stundenzonen i. a. 
und der nun doch zur Durchführung kommenden geplanten 
deutschen Einheitszeit im besonderen entgegengetreten und 
hat sie in drei eigenen Schriften bekämpft; erst neulich noch, 
auf dem geographischen Kongress zu Bern iin Spätjahr 1891 
hat er sich lebhaft dagegen ausgesprochen. 

Bei Försters wissenschaftlicher Bedeutung und amtlicher 
Stellung hat man seine Gegengrunde zu hören und zu er¬ 
wägen. Da audere Gründe als die seinigen nicht vorgebracht 
werden, so habe ich mir die Mühe genommen, aus seinen 
drei verschiedenen (zum Theil in schrecklichem Stil und nicht 


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immer sehr klar geschriebenen) Schriften* seine Hauptgründe 
auszusuchen, und ich möchte sie ihnen hier in geordneter 
Reihenfolge vorführen, um zugleich meine Bemerkungen 
dagegen beizufügen. 

Fürs erste — meint Förster — kommen die durch die Ein¬ 
führung der neuen Zeit zu erwartenden Vortheile wesentlich 
nur den Verwaltungen der Verkehrsanstalten zu Gute (I, 46), 
hierdurch aber könne ein so schwerer Eingriff in die Zeit- 
eiutheilung und Lebensanordnung der grossen Masse der Be¬ 
völkerung nicht begründet werden. Aber man braucht nur 
einen Augenblick die grosse Verantwortung dieser Verwal¬ 
tungen sich zu vergegenwärtigen und daran zu denken, dass 
das, was sie thun, für die Reisenden, für uns geschieht, so 
sieht man, dass dieser Eiuwand hinfällig ist. 

Weiter weist Förster darauf hin, dass im Vergleich zur 
grossen Masse der sesshaften Bevölkerung die Anzahl der die Bahn 
Benützenden eine geringe sei (1, 9) und dass auch für diese 
die Zeit, welche sie auf der Bahn zubringen, nur ein ganz 
geringer Bruchtheil ihres Lebens sei (II, 10). 

Aber bei der schon so grossen und stets zunehmenden 
Zahl von Bahnfahrten ist dieser Einwand doch gewiss nicht 
völlig ernst zu nehmen. 

Förster meint eben, es müssten hauptsächlich die Lebens¬ 
interessen der sesshaften Bevölkerung ins Auge gefasst und 
gefördert werden, dieser sei aber durch die Einführung der 
neuen, ja überhaupt jeder sogenannten nationalen Einheits¬ 
zeit durchaus nicht gedient, sie habe nur Schaden davon, 
weil das sichere Beruhen ihrer Thätigkeit auf den natürlichen 
und gerade für die einfacheren Lebensverhältnisse wesent- 


* Die erste: „Zur Beurtheilung einiger Zeitfragen, insbesondere 
gegen die EinfQhrung einer deutschen Normalzeit“ in der Sammlung von 
Vorträgen und Abhandlungen von Wi!h. Förster. Dritte Folge (Berlin 
1890), S. 22—55 (= Vortrag gehalten in Hamburg, 7. Februar 1881); 
die zweite: „Ortszeit und Weltzeit“. Berlin 1884. (Broch); die dritte: 
„Weltzeit und Ortszeit im Bunde gegen die Vielheit der sog. Einheits¬ 
oder Zonenzeiten“. Berlin 1891. (Broch.) 

Ich bezeichne diese drei Schriften bzw. durch 1, II, III und füge 
diesen römischen Zahlen je die Seitenzahl bei. 

2 


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liebsten Grundlagen ihrer Lebenseintheilung angetastet wird. 
Denn was muthet man ihr zu? 

Man höre: Die Schule beispielsweise, wenn sie seither um 
8 Uhr nach Ortszeit begann und künftig dieselbe Beziehung 
zum Tagesanfang beibehalten will, wird künftig in Königs¬ 
berg um 7*' beginnen müssen, in Posen und Breslau um 7®*, 
in Berlin um 8 6 , in Magdeburg und München um 8 1 *, in 
Bremen und Heidelberg um 8**, in Karlsruhe um 8**, in 
Cleve und Metz um 8”. Und ähnlich in allen anderen Fällen: 
es werden einfach die Anfangs- und Endgrenzen des Arbeits¬ 
lebens oder im Grunde die jene Grenzen bedingenden natür¬ 
lichen Lichtzeiten künftig an verschiedenen Orten einfach 
durch verschiedene Uhrzeiten bezeichnet. 

In der That, so wird es werden. Aber ist denn das so 
schlimm? oder gar unausführbar? Gewiss nicht! Wir wissen 
ja, dass im letzten Jahrzehnt, auch ohne Aenderung der 
„Zeit“, schon recht viele Aenderungen gleicher Art, durch 
ganz andere Verhältnisse bedingt, durchgeführt worden sind: 
um * 1 , 7 , um * 1,2 beginnt vielfach im Handwerk, in den Fab¬ 
riken die Arbeit, das Gymnasium hier hält seit Jahren schon 
seine Stunden von 8 bis 8 5 ®, von 8® # bis 9 4# u. s. w., und 
Moltke hat dem König Stumm mit Recht entgegengehalten, 
wenn er in Neunkirchen seine Arbeiter um 6 Uhr alter Zeit 
haben wolle, so brauche er sie nur auf 6 2 * neuer Zeit zu be¬ 
stellen, es handle sich nur um eine Aenderung des Tarifes. 
Heute, wo die Uhren so sehr verbreitet sind, und wo alle 
Welt durch die Eisenbahnen an Zeitangaben wie 8 20 , 10 47 
gewöhnt ist, hat der vor 50 Jahren berechtigte Einwand des 
Ungewohnten und Unsicheren gewiss keine Bedeutung mehr. 

Dies kann auch Förster nicht läugnen. Er gibt zu (III, 
19), dass „es sehr wohl denkbar erscheine, dass der Mensch 
ziemlich bald daran gewöhnt werden kann, gewisse Tages¬ 
zeiten, für die er seither eine bestimmte zahleumässige Be¬ 
zeichnung gehabt hat, künftighin systematisch und dauernd 
mit einer anderen Bezeichnung zu versehen und dieselben 
Tageszeiten alsdann in der neueren Bezeichnungsform mit 
ähnlicher Sicherheit und Leichtigkeit einzuhalten wie früher*. 
Gleichwohl sträubt er sich gegen die Neuerung. 

Vor 11 Jahren hat dies übrigens Förster noch nicht so 


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ganz gelten lassen. Ja — meinte er damals (1,39) — wenn die 
Korrektur der Tageseinteilung stets ganze Stunden betrüge; 
aber um gewisse Ansätze von Zeitpunkten nicht in vollen 
Stunden aufgeben zu müssen, wird man Korrekturen um 
Bruchteile der Stunde lieber ganz auf sich beruhen lassen. 
So wird der Keim und Anfang eines Unbehagens überall 
gelegt werden. 

Dieses Uebelbehagen muss aber verstärkt werden — 
sagt Förster — durch eine andere Thatsache, die als not¬ 
wendige Folge der Abschaffung der Ortszeit auftritt und die 
ihm als sehr gewichtiger Grund erscheint gegen die Ein¬ 
führung der neuen Zeit. Diese Thatsache ist die zum Theil 
recht gross werdende Ungleichheit in der Länge von Vor¬ 
mittag und Nachmittag. Dass eine solche, und zwar für 
alle Punkte Deutschlands, die nicht auf dem Hauptmittags¬ 
kreis liegen, eintreten muss, ist klar: denn wenn die Sonne 
für irgend einen Ort nach dessen Ortszeit z. B. um 7 h auf-, 
also um 5 h untergeht, so sind Vormittag und Nachmittag 
gleichlang, jeder währt 5 Stunden; künftighin aber, falls 
jener Ort westlich vom Mittelmeridian liegt, heisst der 
Zeitpunkt des Sonnenaufgangs etwa 7*°, der des Untergangs 
5 30 und der wahre Mittag heisst 12*°; um 12 h aber hört nach 
bisher üblicher Abgrenzung der Vormittag auf, der Nach¬ 
mittag beginnt; demnach währt der Vormittag nur 4'/* Stun¬ 
den, der Nachmittag aber 5*/* Stunden, übertrifft also den 
Vormittag um eine ganze Stunde an Länge. Liegt jener 
Ort aber östlich vom Hauptmittagskreis, so übertrifft um¬ 
gekehrt der Vormittag den Nachmittag an Länge. Die Ver¬ 
schiebung des Mittagspunktes bängt ab von der Lage des 
Ortes: nach dem vorhin Gesagten steigt der Betrag dieser 
Mittagsverschiebung im Osten bis zu 31“, im Westen bis zu 
37“, der Unterschied in der Dauer von Vormittag und Nach¬ 
mittag kann hiernach also bis zum Doppelten dieser Werthe, 
d. h. im Osten bis zu l h 2“, im Westen bis zu l h 14“ be¬ 
tragen, so dass allein schon in Folge der Mittagsver¬ 
schiebung im Westgebiete der Vormittag im Hochsommer 
äussersten Falls nur 86 # /„ um Weihnachten gar nur 72 °/„ 
des bezüglichen Nachmittags betragen würde. 

Man wird Förster zugeben müssen (I, 40), dass solche 

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Unterschiede „für diejenigen, welche überwiegend nach der 
blossen Tageseintheilung in Vormittag und Nachmittag leben 
and arbeiten, sehr erheblich sind“, ja mehr als das, dass 
sh* „besonders für denjenigen Theil der Bevölkerung, der 
von den Lichtzeiten am meisten abhängt und vielleicht die 
Arbeit zu einer bestimmten Uhrzeit beginnt, dagegen mit 
einer bestimmten Lichtzeit schliesst, ganz unerträglich werden 
müssen“ (II, 5). 

Aber noch ist es hieran nicht genug, Förster führt noch 
weitere Thatsachen an, welche das von ihm gekennzeichnete 
Uebel noch schlimmer machen als es schon ist. Ich sprach 
ja im Eingang meines Vortrages von der künstlichen Ver¬ 
schiebung des Mittags, welche als Folge der Verwendung der 
mittleren Zeit anstatt der wahren Ortszeit eintreten musste 
und thatsächlich seit Anfang des Jahrhunderts eingetreten 
ist. Ich legte dar, dass diese Verschiebung im Laufe des 
Jahres meist weniger als */* Stunde beträgt, dass sie aber 
an 2 Tagen des Jahres bis zu '/ 4 Stunde anwächst, und zwar 
so, dass der bürgerliche Mittag etwa '/* Stunde im Novem¬ 
ber später, im Februar früher fällt als der wahre Mittag, so' 
dass der Vormittag um etwa i l i Stunde hei Beginn des 
Winters länger, am Ende des Winters kürzer ist, als der 
Nachmittag; in den übrigen Jahreszeiten ist dieser Unter¬ 
schied geringer und wird viermal im Jahre selbst 0. 

Im Falle der Einführung der Eisenbahnzeit als bürger¬ 
liche Zeit haben wir also künftig zwei Beträge der Zeit- 
insbesondere der Mittagsverschiebung zu beachten: einen ersten 
in Folge der früher geschehenen Einführung der mittleren 
Zeit, und einen zweiten grösseren in Folge der Einführung 
der mitteleuropäischen Zeit. Beide Beträge wirken nun zu¬ 
sammen, aber je nach Ort und Jahreszeit in wechselndem 
Sinne: nämlich in allen Orten östlich vom Hauptmittags¬ 
kreis ist der erste Betrag im November zum zweiten zuzu¬ 
zählen, im Februar von diesem abzuzählen, umgekehrt ist 
dagegen zu rechnen in allen Orten westlich vom Haupt¬ 
mittagskreis. 

Nehmen wir mit Förster (I, 44) als Grenzfall die Ver¬ 
hältnisse an einem in der Breite Berlins im äussersten Osten 


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liegenden deutschen Ort: dessen Vormittag ist da um l h 33“ 
länger als der Nachmittag, d. h. der Nachmittag beträgt nur 
71 °|, des Vormittags; zieht man aber gar einen noch weiter 
nördlich gelegenen Ort in Betracht, z. B. Memel (I, 44), so 
ist an demselben 9. November dessen Vormittag um 1“ 36“ 
länger als der Nachmittag, d. h. der Nachmittag beträgt 
sogar nur noch 69 # / 0 des Vormittags oder von der betreffen¬ 
den Tagesdauer kommen rund */ 5 auf den Vormittag und nur 
a , s auf den Nachmittag. — Umgekehrt natürlich an den 
Orten im äussersten Westen Deutschlands. 

Man sieht, durch die geplante Neuordnung der Zeit 
stellen sich Verhältnisse ein, die zeitweilig im Jahr gegen 
die jetzigen durchaus verändert sind und sicherlich alle 
Beachtung verdienen. Ja, wenn man auch in Zukunft überall 
und stets die Uhrzeit 12 als Scheidepunkt zwischen Vormittag 
und Nachmittag beibehalten wollte, so würden in der That, 
wie Förster sagt (11, 4), „der sesshaften Bevölkerung Ab¬ 
weichungen einer künstlichen von der natürlichen Zeit zu- 
gemuthet werden, welche die Grenzen des auf die Dauer Er¬ 
träglichen übersteigen“, und es würde, wie er an anderer 
Stelle (I, 40) sagt, „auf diese Bevölkerung durch die Störung 
und Verschiebung ihrer an den natürlichen Tagesepochen 
haftenden Gewohnheiten ein Zustand des Druckes geladen 
werden, welcher als ein täglich gegenwärtiger, dabei in seinen 
Zwecken und Zielen völlig unverstandener, allmählig zu solcher 
Spannung entwickelt werden könnte, dass man ihn, wenn 
auch nicht als eine entscheidende, so doch als eine mitwir¬ 
kende Krankheitsursache über kurz oder lang zu unerwünschter 
Erscheinung gelangen sehen würde“. Sie sehen, Förster 
stellt böse Tage in Aussicht. 

Aber sollte man denn nicht überall von vornherein ver¬ 
nünftig genug sein oder, durch die Erfahrung belehrt, bald 
zu der Uebung kommen, den Mittag anstatt auf 12 Uhr 
in die wahre Mitte des Tages zu verlegen? Was sollte 
die Fabriken abhalten, um 1 / s 12, um */, 1, um 12 40 Mittag 
zu machen? und ebenso die Beamten, die Handwerker? Was 
aber die hier wesentlich in Betracht kommende bäuerliche 
Bevölkerung betrifft, so weiss Jeder, dass diese sich über¬ 
haupt nicht um die 12 Uhr-Stunde kümmert — läutet’s nicht 

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beute wie seit langem in vielen Dörfern um 11 Ubr zu 
„Mittag“? Also die Möglichkeit, den aufgezeigten Miss¬ 
ständen abzuhelfen, ist gegeben, in einfachster Weise gegeben 
- so wird sich denn auch die Bevölkerung in allen ihren 
Schichten mit der neuen Hinrichtung zu befreunden wissen. 

Somit wird man auch den zuletzt berührten Einwand 
Förster’s als widerlegt betrachten können. 

Bedenklicher ist ein anderer Einwand, der sich dem letzt- 
angeführten unmittelbar anreibt, ja aus ihm entspringt und 
dem gegenüber auch die zuletzt angegebene Abhilfe sofort 
als nicht voll ausreichend erscheint: dieser Einwand (I, 41, 
45) gründet sich auf die ganz erheblichen Schwankungen, 
welche die Unterschiede in den Längen des Vormittags und 
Nachmittags im Verlauf eines Jahres aufweisen, periodische 
Schwankungen, welche selbst an demselben Orte nicht eine 
beständige, ein für allemal in Rechnung zu stellende Abän¬ 
derung der Tageseintheilung ermöglichen und welche sich 
zudem zwischen ziemlich weiten Grenzen hin und herbewegen. 
So ist es dem vorhin Gesagten zufolge erklärlich, dass der 
Längenunterschied zwischen Vormittag und Nachmittag z. B. 
bei Königsberg zwischen 10 m und l h 13 m sich unablässig ver¬ 
ändert, in Gumbinnen—Eydtkuhnen aber zwischen 30” und 
l h 33“, dagegen in Würzburg etwa zwischen 7“ und l h 10“ 
und in Koblenz zwischen 27“ und l h 30“. (I, 45). 

Also bei Einführung der Eisenbahnzeit wird man — 
wenigstens in den östlichen und westlichen Grenzgebieten — 
nicht bloss an eine veränderte, sondern auch an eine perio¬ 
disch veränderliche Zeiteintheilung des bürgerlichen Lebens 
und an dementsprechende Anpassungen sich zu gewöhnen 
haben. 

Wenn aber Förster (I, 41) meint, dass sich die Sache 
hauptsächlich desshalb besonders ungünstig gestalte, weil die 
genannten Abweichungen gerade dann am stärksten sind, 
wenn die Tage am kürzesten, also gerade dann am empfind¬ 
lichsten zum Bewusstsein kommen, so kann ich dies nicht 
für gerechtfertigt halten. Im Gegentheil, gerade in den un¬ 
günstigsten Monaten November und Februar ruht wenigstens 
die bäuerliche Feldarbeit fast ganz, Stellung und selbst Falsch¬ 
gehen der Uhr hat dann am wenigsten Bedeutung. 


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Uebrigens ist Dicht einzusehen, warum nicht hiergegen 
Abhilfe getroffen werden könne. Kann nicht auch die Zeit 
des mittaganzeigenden Glockenläutens auf den Dörfern im 
Sommer so, im Winter etwas anders festgelegt werden? Als 
ob wir nicht Alle jetzt schon mit dem Wechsel der Jahres¬ 
zeiten dieselbe Thätigkeit zu verschiedenen Zeiten ausübten? 

Freilich, wer sich an einem bestimmten Ort an eine be¬ 
stimmte Aenderung, ja an eine bestimmte Veränderlichkeit 
der Beziehungen zwischen seinem Thun und der Uhr gewöhnt 
hat, muss bei seiner Verpflanzung an einen anderen, in geo¬ 
graphischer Länge wesentlich verschiedenen Ort, sich neu 
eingewöhnen. Wenn Förster (I, 46; III, 19 f.) die hierin 
liegende Zumuthung, den UmbildungsVorgang der Gewohnheit 
bei jeder erheblichen und andauernden Veränderung des Auf¬ 
enthaltsortes immer aufs neue durchzumachen, als F.inwand 
gegen die Einführung der neuen Zeit hervorhebt, so hat er 
damit Recht — und doch wieder Unrecht: denn wenn die 
Wohnortänderung eine solche ist, dass der Zeitunterschied 
überhaupt in Betracht kommt, so ist mit ihr doch gewiss 
eine Aenderung in recht vielen anderen Dingen und Lebens¬ 
gewohnheiten verknüpft, so dass es auf jene verhältnissmässige 
Kleinigkeit wohl auch nicht mehr ankommt. 

Förster entnimmt einen weiteren Vorwurf gegen die neue 
Einrichtung (III, 20) aus der Erschwerung des Verkehrs von 
verschiedenen, besonders von weit auseinander wohnenden 
Menschen; ein und dieselbe Tageszeit werde ja bei ihnen 
künftig durch verschiedene Zeitangabe bezeichnet, und so 
komme — fürchtet Förster — in deren jetzt schon rege und 
immer mehr wachsende geschäftliche und sonstige Ver¬ 
bindungen ein gewisses Unbehagen, unablässig stellen sich 
Unsicherheiten und Weiterungen ein, die nur durch Kennt¬ 
nis oder Angabe der geographischen Länge des Wohnortes 
der Verkehrenden vermieden oder erledigt werden können. 

Mir aber scheint, man braucht sich nur die Art des Ver¬ 
kehrs zu vergegenwärtigen, um sofort zu sehen, dass Förster’s 
Befürchtungen in dieser Beziehung übertrieben sind. 

Wenn man sich alle die von Förster vorgebrachten Ein¬ 
wände und Befürchtungen vorhält, kommt naturgemäss der 


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Gedanke, ob denn all diese schweren Schäden, von denen wir 
hörten, auch bei den anderen Völkern sich zeigten, welche 
zum Theil lange vor uns ihre (nationale) Einheitszeit durch¬ 
geführt haben. 1 " In England besteht eine solche doch schon 
seit 1848, in Italien seit 1866, in Schweden seit 1879, in 
Frankreich seit 1891, und alle diese Länder haben ihre Ein¬ 
heitszeit nicht wieder abgeschafft, die Schäden müssen also 
doch nicht so übermässig gross sein. 

Wohl — entgegnet Förster (1, 48; III, 22) — aber diese 
Länder sind auch alle nicht in der ungünstigen Lage ge¬ 
wesen, in welcher sich Deutschland der Neuerung gegenüber 
befindet. Denn bei der Einführung der neuen Zeit blieb zwar 
die Abweichung der äussersten Ost- und Westgebiete dieser 
Länder durchaus nicht wesentlich hinter den grössten Ab¬ 
weichungen zurück, die in Deutschland auftreten; aber die 
Vertheilung der Bevölkerung im Lande ist hier eine ganz 
andere, viel ungünstigere. Denn während in England und 
Schottland, in Schweden, in Frankreich weniger als 20“ Zeit¬ 
unterschied (nach Förster) auf bezw. 99*/*, 97, 96 ° 0 der 
Gesammtbevölkerung treffen, werden in dieser Lage in Deutsch¬ 
land nur 56 # / 0 sein; während dagegen in jenen Ländern nur 
bezw. */»> 3 i 4 °/o der Bevölkerung durch Zeitverschiebungen 
von 20 bis 30 m betroffen wurden, müssen bei uns solchen 
Betrag 30 l /2 °/o aushalten, und 30 bis 40 m Abweichung der 
Einheitszeit von der Ortszeit müssen bei uns sogar von 
13 */ 2 °/ 0 der Bevölkerung „ohne Murren hinuntergeschluckt 
werden“ (III, 22). 

Das ist nun freilich nicht wenig — aber so schlimm, 
wie sich’s Förster ausmalt, wird es denn doch nicht werden. 
Er spricht sich in all den Jahren wiederholt scharf dahin 
aus, dass schon bei denjenigen Ostwesterstreckungen, welche 
Zeitabweichungen bis zu mehr als 15” bedingen, eine voll- 
ständigeVereinheitlichung der bürgerlichen Zeiten untereinander 
und mit der Zeit der Verkehrsanstalten undurchführbar-ist, 

* Die dnreh Einführung einer nationalen Einheitszeit nöthig ge¬ 
wordene ftusserste Zeitverschiebung (je im Osten als -4-, im Westen als 

— bezeichnet) betrug in England + 7 und —22, in Italien +24 und 

— 24, in Schweden -f- 36 und — 16, in Frankreich +- 21 und — 29, in 
Spanien +28 und —22, in Japan + 40 und —22 Minutedl 


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eben weil der sesshaften Bevölkerung Zeitverschiebungen zu- 
gemuthet werden, welche die Grenzen des auf die Dauer Er¬ 
träglichen überschreiten (II, 4), das ganze Gebäude solcher 
Einrichtungen würde sehr bald unter allgemeinster Abneigung 
zusammenbrechen (II, 6), das letzte Ende der ganzen „Re¬ 
form“ würde zweifellos mit Pauken und Trompeten der 
Wiedereinzug der Ortszeit in alle ihre alten Rechte im ge¬ 
wöhnlichen Arbeitsleben sein (III, 28). 

Welche Bewandtniss es mit solchen Voraussagungen hat, 
mag man daraus ersehen, dass Förster im Jahre 1883/84, 
als eben die Reform in Nordamerika im Gang war, auch den 
folgenden Ausspruch that: „Die Erwartung, dass die bürger¬ 
lichen Zeiten sich bis zu einer halben Stunde und darüber 
von den Ortssonnenzeiten entfernen und den stundenweise 
abgestuften Eisenbahnzeiten Gruppe für Gruppe anschliessen 
sollen, wird als eine gänzlich illusorische zu betrachten 
sein“ (II, 15). Und was lehrte die Erfahrung in den Ver¬ 
einigten Staaten? Dort hatten freilich manche und gerade die 
grössten und für den Verkehr wichtigsten Städte nur geringe 
Zeitverschiebung zu erleiden, aber an gar manchen Orten war 
diese grösser und wuchs vereinzelt sogar bis zu einer Stunde 
an. Aber gleichwohl hatten bereits im ersten Jahre nach 
der Einführung der neuen Zeit 85 °/ 0 .aller Städte mit über 
10000 Einwohnern diese angenommen. Das ist die Antwort 
der praktischen Amerikaner auf die theoretischen Bedenken 
eines deutschen Gelehrten. 

Förster erhebt auch immer wieder seine Stimme, um 
einen Einwand ganz anderer Art als die seitherigen gegen 
die Neuerung vorzubringen. Es werde — so sagt er (I, 48) 
— von manchen Seiten zur Empfehlung der Einführung der 
neuen Zeit im ganzen bürgerlichen Leben hervorgehoben, dass 
sie in hohem Grade im wissenschaftlichen Interesse 
liegen würde. Dies sei jedoch eine ganz irrige Behauptung 
(I, 48; III, 11, 27), ja jeder Radikalismus, der nach schema- 
tisirender Art die Ortszeiten verdrängen wolle, werde auf die 
Dauer der Lächerlichkeit verfallen (III, 11). Denn — so 
führt er aus (I, 49) — der überwiegende Theil der wissen¬ 
schaftlichen Zeitangaben verlangt die Beibehaltung der Orts¬ 
zeitangaben als Grundlagen der unmittelbaren ersten Auf- 


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Zeichnungen in der zwingendsten Weise. So sei nicht nur 
ein überwiegender Theil meteorologischer und ähnlicher Be¬ 
obachtungen auf feste Ortszeiten angewiesen, auch das ge¬ 
radezu wichtigste und grösste Gebiet der Präcisionszeitmes- 
sungen, das der himmlischen, geographischen und nautischea 
Ortsbestimmungen, müsse stets von den Ortszeiten seinen 
Ausgang nehmen. 

Nicht einmal das letztere muss man unbedingt zugehen 
— aber auch die volle Zustimmung hierin ändert nichts an 
der Beantwortung der Hauptfrage —, die erstere Behauptung 
aber betreffs der Wetterbeobachtungen scheint mir nicht so 
sicher richtig, wie sie ausgesprochen wurde. 

Wie, vielmehr wann werden denn unsere meteorologischen 
Thatsachen und Aufzeichnungen gewonnen? Sehen wir von 
selbstregistrirenden Apparaten ab, so ist man darauf ange¬ 
wiesen, zu bestimmten ausgewählten Zeitpunkten des Tages 
zu beobachten und aus den erhalteneu Zahlergebnisscn die 
Mittel zu ziehen. Als solche Zeitpunkte hat man in Preussen 
früher die Tagesstunden 6, 2, 10 ausgewählt, jetzt 7, 2, 9, 
in der Schweiz und in Russland 7, 1, 9, bei der Seewarte 
und sonst in Deutschland 8, 2, 8. Was wird es nun ver¬ 
schlagen, wenn rnan künftig bei uns die Beobachtungsuhr- 
zeiten 'etwas hin- oder herschiebt, um die seitherigen Zeit¬ 
punkte beizubehalten, oder wenn man selbst die seitherigen 
Uhrzeiten beibehält und so die Beobachtungszeiten etwas ver¬ 
schiebt? Gewinnt man durch letzteres nicht einen theilweise 
näheren Anschluss an die Beobachtungszeiten der übrigen 
Länder? Und werden dann nicht unsere deutschen Beobach¬ 
tungen zu völlig gleichzeitigen (synchronistischen), was doch 
in einem Sinne ein nicht zu unterschätzender Vortheil ist? 

Aber selbst wenn hier sogar einige Umrechnungen er¬ 
forderlich würden, erforderlich würden für die wenigen hoch¬ 
gebildeten und geübten Männer der ausübenden Wissen¬ 
schaft, könnte dies in Betracht kommen gegenüber der Siche¬ 
rung von Leben und Eigenthum Tausender, gegenüber dem 
Wohle des ganzen Weltverkehrs mit seinen Hunderten von 
Millionen von Theilnehmern ? 

Die Entwickelung der letzten Zeiten hat die deutliche 


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Antwort auf diese Frage gegeben, unaufhaltsam hat sich die 
Erkenntniss Bahn gebrochen von der Bedeutsamkeit und von 
den Vortheilen einer Vereinheitlichung der Zeit, in wenigen 
Tagen wird diese bei uns, in wenigen Jahren wohl überall 
in Europa durchgeführt sein, und bei einigem allerseits zu 
erweisendem guten Willen wird man auch in der Praxis des 
Lebens allüberall die nicht übergrossen Schwierigkeiten be- 
meistern, die sich in der ersten Zeit vielleicht noch der 
Durchführung dieser grossen völkereinenden und völkerver¬ 
bindenden Idee entgegenstellen mögen. 

Ist sie aber verwirklicht, so kündigt sich als ihr Gefolge 
jetzt schon deutlich genug die andere Idee einer allgemeinen 
Weltzeit an, über deren Entstehen, Ausbildung und fragliche 
Berechtigung ich Ihnen vielleicht ein ander Mal Bericht er¬ 
statten werde. 


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• Ueber Stundenzonenzeit und Weltzeit 

Vortrag gehalten im Naturwissenschaftlichen Verein an Karlsrahe am 

1. Juli 1892. 

Von Prof. J. P. Trautlein. 

Mitte März d. J. habe ich hier im Verein einen Vortrag 
gehalten Uber die sogenannte „Mitteleuropäische Zeit“, deren 
Einführung damals nahe bevorstand und die seitdem im Süden 
Deutschlands thatsächlich zur Durchführung gelangt ist. Ich 
musste damals wegen der Ueberfülle des Stoffes an einer 
Reihe von verwandten oder zugehörigen Dingen ganz vorüber¬ 
gehen oder konnte sie nur streifen; ich möchte das damals 
absichtlich bei Seite Gelassene heute nachholen und weiter 
ausführen, möchte Sie aber bitten, was ich heute Vorbringen 
werde, gewissermassen als den zweiten Theil meines damaligen 
Vortrages zu betrachten. 

Ich werde heute über Stundenzonenzeit und Weltzeit 
Bericht erstatten. 

Orts- und Zeitbestimmungen nehmen eine wichtige Rolle 
ein im Leben, im wissenschaftlichen wie im praktischen Leben 
der Menschen — begreiflich, dass man von jeher eifrige Sorge 
auf sie verwandt hat. 

Die Grundlage der Ortsbestimmung auf der Erde ist 
in natürlichster Weise durch den Aequator gegeben, von 
dem aus die geographische Breite gezählt wird; eine ebenso 
natürliche Anfangslinie für die Zählung der geographischen 
Längen gibt es nicht. Seit zwei Jahrtausenden haben Erd- 
und Himmelskundige andere und andere Mittagskreise als 
Hauptmittagskreise, als solche Anfangslinien (Nullmeridiane) 
ausgewählt und festgelegt; seit den letzten dritthalb Jahr¬ 
hunderten hat man sich oft und redlich bemüht, hierin Ueber- 
einstimmung herzustellen, eine für alle Völker gemeinsame, 
eine einheitliche Längenzählung zu vereinbaren. In unseren 
Tagen endlich ist man an diesem Ziele angelangt: wie 1863 
der Afrikaforscher Speke in seinem berühmten Telegramm 
mit Recht rühmen konnte „The Nile is settled“ („der Nil 


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ist abgemacht“), so kann man heute, trotz der noch bestehen¬ 
den Abneigung und Weigerung dev Franzosen, ruhig sagen: 
die Nullmeridianfrage ist erledigt, Greenwich hat gesiegt. 

Damit ist aber auch auf dem Gebiete der Zeitbestim¬ 
mung die baldige Alleinherrschaft von Greenwich endgültig 
entschieden. In der That, seit 1879 hat Schweden die um 
genau 1 Stunde von der Greenwicher verschiedene Zeit als 
Landeszeit angenommen, 1883 haben sich Canada und die 
Vereinigten Staaten in bekannter Weise ebenfalls an die 
Greenwicher Zeit angeschlossen; ihnen sind seit Oktober 1891 
Oesterreich, seit 1. April 1892 Süddeutschland auf gleichem 
, Wege gefolgt, indem erst die Eisenbahnen und die übrigen 
Verkehrsanstalten, dann durch diese gedrängt auch die Städte 
und Privaten die mitteleuropäische Zeit annahmen; Nord¬ 
deutschland wird im nächsten Jahre folgen, und wenn 
dann noch, was ziemlich sicher zu erwarten ist, Dänemark 
seine Uhrzeit um 9 m 41’, Italien die seine um 10 m 14*, Nor¬ 
wegen um 17“ 6‘, endlich die Schweiz* die ihrige um 30“ 
14* vorgeschoben haben wird, so rechnet ganz Mitteleuropa 
nach vollständig übereinstimmender einheitlicher Zeit. 

Ihre Einführung ist nur ein Schritt weiter auf der Bahn, 
die im Interesse des Weltverkehrs beschritten wurde und die 
dem Ziele zustrebt, für die ganze Erde mindestens eine über¬ 
sichtliche Weltzeitrechnung oder gar, wenn möglich, eine 
einheitliche sog. Weltzeit zu schaffen. 

Die bekannteren Bestrebungen in dieser Richtung sind 
kaum über 20 Jahre alt. Ende der 60er Jahre hatte Prof. 
Dowd in den Vereinigten Staaten, im Hinblick auf die daselbst 
täglich nöthiger werdende Vereinheitlichung der Eisenbahn¬ 
zeiten, den Vorschlag gemacht, dort je 15 Längengrade um¬ 
fassende Gebietsstreifen zu bilden und die Zeit ihres mitt¬ 
leren Mittagskreises als gemeinsame Zeit der betreffenden 
ganzen Zone zu gebrauchen. Noch kam der Plan zu früh. 
Als man aber um die Mitte der 70er Jahre in den Vereinigten 
Staaten dahin gelangt war, etwa 75 verschiedene Eisenbahn¬ 
zeiten zu verwenden, und als das Durcheinander der Zeiten 


* Schon jetzt dringen Nachrichten in die Oeffentlicbkeit, dass die 
Schweix die MEZ. in naher Zukunft einzufßhren beabsichtige. 


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grösser und grösser, die Vereinfachung immer dringender 
geworden war, kam man auf jene Vorschläge zurück; aber 
erst das energische Eintreten des Oberingenieurs der kana¬ 
dischen Pacificbahn, Fleming, Ende der 70er Jahre brachte 
Kanada und den Vereinigten Staaten die bekannten 5 Stunden¬ 
zonen, nachdem schon 1679 Schweden mit dem guten Bei¬ 
spiele einer einheitlichen, und zwar mit einer der englischen 
Zeit und der Zeit jener 5 Stundenzonen sich an- und ein¬ 
fügenden Zeitfestsetzung, vorangegangen war. 

Fleming hatte, wie seine Vorgänger, vorgeschlagen, die 
ganze Erdoberfläche in 24, je durch gleich weit von einander 
entfernte Mittagskreise begrenzte, Zweiecke zu theilen und 
jedem dieser Zweiecke die Zeit seines mittleren Mittagskreises 
zuzutheilen, so dass je zwei aneinander stossende Zweiecke 
oder Zonen 1 Stunde Zeitunterschied haben; als Ausgangs¬ 
oder Nullmeridian solle der um 180° von Greenwich ent¬ 
fernte, also der Gegenmittagskreis von Greenwich gewählt 
werden, der durch die Tschuktschen-Halbinsel nahe an der 
Beringsstrasse zieht, also annähernd Asien und Amerika 
scheidet, und von ihm aus sollen die geographischen Längen 
und die Stundenzonen von Ost nach West hin von 0® bis 
360° gezählt und es sollen die Mittelmeridiane der 24 Streifen 
durch die aufeinander folgenden Buchstaben des Alphabetes 
(ausser J und W) bezeichnet werden. So würden anstatt der 
unendlich vielen Ortszeiten nur noch 24 verschiedene Zeiten 
auf der Erde gelten, so dass man hiernach füglich von einer 
Weltzeitrechnung reden könnte. 

Diese Art der Zeitvereinfachung, das sog. Stunden- 
zonensystem, ward in Europa hauptsächlich durch Barnard, 
den Rektor der Kolumbia-Universität, bekannt, indem er es 
im Jahr 1881 sowohl dem internationalen geographischen 
Kongress zu Venedig, als auch der zu Köln tagenden Gesell¬ 
schaft zur Kodifikation des Völkerrechtes empfehlen liess 
bezw. selbst empfahl. Beide wissenschaftliche Versammlungen 
machten diese Anträge zu den ihrigen, mit der Abänderung 
jedoch, dass man in Venedig beschloss, die Längen vom 
Beringsmittagskreis ab nach Osten und nach Westen hin zu 
zählen. In den nächstfolgenden Jahren wurde die hiermit 
aufgeworfene Frage nach einer theilweise oder ganz einheit- 


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liehen Zeit ungemein eifrig erörtert, so amtlich auf der im 
Jahre 1883 zu Rom abgehaltenen Generalkonferenz der in¬ 
ternationalen Gradmessung. Hier ward, ohne auf das Stun¬ 
denzonensystem selbst einzugehen, betreffs der Grundlage 
desselben eine wichtige Aenderung beschlossen: es solle an¬ 
statt jenes Mittagskreises beim Beringsmeer als Ausgangs¬ 
oder Nullmeridian der von Greenwich gewählt werden, und 
von ihm aus solle die Zählung der geographischen Längen 
von West nach Ost hin stattfinden. Der erste Theil dieses 
Beschlusses ward auch im Jahre 1884 auf dem eigens für 
die Erörterung der Nullmeridian- und Zeitfrage nach Washing¬ 
ton berufenen internationalen Kongress aufrecht erhalten, der 
zweite Theil aber verschlechtert dahin abgeändert, dass die 
Längen vom Greenwicher Meridian ab nach Osten hin (als 
positive) und nach Westen hin (als negative) von 0 bis 180® 
gezählt werden sollen. 

Während sich dieser Washingtoner Kongress in gelehrten 
Erörterungen und merkwürdig schwankenden Abstimmungen 
erging, ward ihm von der Vertretung der amerikanischen 
Eisenbahnen mitgetheilt, dass ihr Land in die bekannten 
5 Stundenzonen eingetheilt und dass damit praktisch in einer 
für sie genügenden Weise die Vereinfachung und relative 
Vereinheitlichung der Zeit durchgeführt, zugleich damit die 
Einführung eines Weltzeitsystems angebahnt sei. Die Praxis 
hatte so den gelehrten Reden den Rang abgelaufen. Seit¬ 
dem haben auch weiter die Praktiker, die Eisenbahnleute, 
die Sache in die Hand genommen, haben sie für zwei wich¬ 
tige Gebiete der Erde entschieden und sind eifrig daran, ihr 
Werk, das System der 24 Stundenzonen, über die ganze 
Erde weg auszubreiten. 

Was nun die Erstreckung und Begrenzung dieser 
24 Stundenzonen betrifft, so kann es sich selbstverständ¬ 
lich wie in den Vereinigten Staaten, so überall auf der Erde 
nicht um mathematisch genaue Grenzlinien handeln, sondern 
man wird sich nach Staatengrenzen, Gebirgszügen, Fluss¬ 
läufen und dergl. richten.* 


* Beim Vortrag ward eine grosse Weltkarte benützt, in welcher im 
wesentlichen nach dem Kärtchen von Hesse-Wartegg (»Die Einheitszeit 


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So gehört beispielsweise zur Nullzone mit Greenwich- 
Zeit mathematisch ein Stück von Norwegen, von Deutsch¬ 
land, von Italien (Aosta, Susa), und auch das ganze West¬ 
drittel der Schweiz; natürlich wird man aber diese Theile 
ihren Hauptländern zuweisen. Dagegen gehört eigentlich 
nicht zur Null-Zone ganz Korsika und die ganze Regentschaft 
Tunis; aber dort hat man schon Pariser Zeit und wird sich 
wohl hüten, sie aufzugeben, und hier wird sie wohl auch zur 
Einführung kommen. So gehören also zur O-Zone in Europa 
Grossbritannien (Irland), Holland, Belgien, Spanien, Portugal, 
und später wohl auch Frankreich, das sich seither beharrlich 
gesträubt hat, seinen eigenen Pariser Mittagskreis aufzugeben 
zu Gunsten des englischen; neuerdings aber mehren sich die 
Anzeichen*, dass auch die französischen wissenschaftlichen 
Kreise endlich ein Einsehen haben und das Bessere einführen 
werden. In Afrika gehört zur Nullzone das ganze Westge¬ 
biet bis zur Länge der Nigermündung. 

Das Gebiet der ersten Zone, derjenigen mit mittel¬ 
europäischer Zeit, umfast ganz Skandinavien, Dänemark, 
Deutschland, Oesterreich-Ungarn, die Schweiz, Italien, Grie¬ 
chenland, Serbien; dabei ist zu bemerken, dass ein kleiner 
Theil Preussens (Stallupöhnen-Wirballen) sowie der grössere 
Theil Galiziens, die ganze Bukowina und Siebenbürgen, sowie 
die Osthälfte Griechenlands mathematisch eigentlich zur 
nächsten ostwärts' angrenzenden Zone gehören sollten. Die 
Zutheilung der südlichen afrikanischen Gebiete muss der 
Zukunft Vorbehalten bleiben. 

Die zweite Zone wird, wenn die Vereinheitlichung der 
Zeit soweit durchgeführt sein wird, ganz Westrussland, Ru¬ 
mänien, Bulgarien, die Türkei (vielleicht Griechenland?), 


nach Stundenzonen“. Leipzig, 1892. 8°. 74 S.) die Trenn ungslinien 
der Stundenzonen eingetragen waren. Aus eben dieser Schrift ist auch 
für den Vortrag Passendes übernommen worden. 

* In der Sitzung der Centralkommission der Geogr. Gesellschaft 
zu Paris vom 21. Februar 1890 leugnet zwar Caspari den Nutzen eines 
gemeinsamen Nullmeridians überhaupt und Tondini de Querengbi spricht 
für den von Jerusalem; aber zwei Redner (v. Nordling und F. Alexis) 
sprachen sieb für den Greenwicher Meridian a's Nullmeridian auch für 
Frankreich aus. 


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143 


Kleinasien und Aegypten umfassen; für Russland wird die 
Annahme der neuen Zeit um so leichter sein, als es nur 
um 1“ 18’ zu ändern hätte. 

Die dritte Zone wird enthalten das europäische Ost¬ 
russland bis zum Kaspisee, den Kaukasus (Persien?), Arabien, 
Abyssinien; die vierte umfasst Transkaukasien; die fünfte 
Vorderindien u. s. w. 

Auch die nicht unwichtige Benennung der verschie¬ 
denen Stundenzonen haben die Praktiker in die rechten 
Wege geleitet, obwohl freilich Förster (III, 31) meint, dass 
gerade in den Erörterungen über diese Benennungen und 
über die einzufübrendeu abgekürzten Bezeichnungen dieser 
Zonen uud Zeiten die Unzweckmässigkeit des ganzen Vor¬ 
schlags sich deutlich mache. Ich habe ja schon angeführt, 
dass nach Fleming-Barnard’s Vorschlägen die einzelnen Zonen 
nach den Buchstaben des Alphabetes kurz benannt und be¬ 
zeichnet werden sollten; ich könnte zufügen, dass in Aus¬ 
führung dieses Vorschlags die einen bei der Greenwich-Zone 
mit dem Buchstaben A, andere aber mit A bei der östlich 
davon folgenden beginnen wollten, so dass hiernach der Green¬ 
wich-Zone der Buchstabe U (= Universalzeit) oder Z (= Zöro) 
zuzutheilen wäre; wieder andere wollten beim Gegenmeridian 
von Greenwich mit A beginnen, während wieder andere die 
Verwendung der Zahlen von 1 bis 24 (— 0) vorschlugen. 
All diesen, wie Hesse-Wartegg sagt, Buchstaben- und Zahlen¬ 
krimskrams verwarfen dagegen die Nordamerikaner: was nach 
ihrer Landsleute Vorschlag als 16., 17., 18., 19. und 20. Zone 
oder als Zone Q, R, S, T, V hätte bezeichnet werden sollen, 
benannten sie in einer für Nordamerika klaren Weise als 
Pacific-, Felsengebirgs-, mittlere, östliche und interkoloniale 
Zone und Zeit; dass die im fernen Osten (seit Neujahr 1888) 
eingeführte „japanische Zeit“ benannt ward, ist ebenso natür¬ 
lich wie das, dass unsere Eisenbahnverwaltungen die klare 
Benennung „mitteleuropäische Zeit“ eingefübrt haben, welcher 
sich beiderseits ebenso verständlich künftig die „westeuro¬ 
päische“ und die „osteuropäische Zeit“ anschliessen werden. 

So wären 9 Zonen schon benannt. Betreffs der übrigen 
15 ist zu bemerken, dass ihrer 6 oder 7 (nämlich die [11.], 
12., 13., [14.], 15., 22. und 23.) fast ganz ins Meer oder 

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144 


auf spärlich bewohnte Gebiete fallen, dass also nur noch wei¬ 
tere 8 oder 7 in Betracht kommen und selbst dies nür in 
bedeutend geringerer Wichtigkeit. 

Gleichwohl hat man (— mehr der systematischen Voll¬ 
ständigkeit als des praktischen Bedürfnisses wegen —) allen 
24 Zonen und Zeiten geographische Namen verliehen. So 
z. B. benennt Dr. Schram die Zone und Zeit von Nummer: 
1= Adria- 9 = Japan- 1 17 = Rocky- 

2 = Balkan- 10 = Kuril- 18 = Superior- 

3 = Chaldäa- 11 = Loyal- 19 = Tolima- 

4 = Darja- 12 = Medium- 20 = Vincent- 

5 = Elephanta- 13 = Nunivak- 21 = Xingu- 

6 = Fakir- 14 = Otahiti- 22 = Young- 

7 = Gobi- 15 = Pitcairn- 23 = Zighinchor- 

8 = Hoang- 16 = Quadra- 24 = Universalzeit. 

Betreffs dieser Namen muss man Hesse-Wartegg (S. 48) 
Recht geben, wenn er sagt, dass man sich mit Namen wie 
Fakir-, Loyal-, Nunivak- u. s. w. -Zeit beim besten Willen 
nicht befreunden kann, da sie an im Allgemeinen ganz un¬ 
bekannte geographische Ortsnamen anknüpfen. Freilich darf 
man auch nicht ausser Acht lassen, dass die 1883 in Nord¬ 
amerika eingeführten Namen eben auch nicht für die Allge¬ 
meinheit brauchbar sind; denn dass für Venezuela, Bolivia, 
Argentinien der Name „Interkolonial“ der passende wäre, 
oder dass die Bewohner der Westküste Südamerikas ihre Zeit 
die „östliche Zeit“ nennen sollten, wäre doch zu viel verlangt. 

Desshalb haben Precht u. A. vorgeschlagen, die 24 Zonen 
und Zeiten mit den folgenden allgemeiner verständlichen 
Namen zu belegen: 

0 = Gr. = Westeuropäische = Welt = Kanal(zeit); 1 = Mit¬ 
teleuropäische = Schwedische; 2 = (West)Russische = Peters¬ 
burger = Bosporus; 3 = Ostrussische = Wolga = Kaukasus; 
4 = Transkaspische = Ural; 5 = Westvorderindische = Madras 
(nicht Bombay); 6 = Ostvorderindische = Kalkutta; 7 = Hin¬ 
terindische = Siam = Java = Malayische; 8 — (Ost)Chine- 
sische; 9 = Japan; 10 = Ostaustralische; 11 = Neukaledo- 
nische = Neuseeland = Kamtschatka; 12 = Antipoden; 
13 = Bering; 14 = Alaska = Tahiti; 15 = Britisch Kolumbia; 
16 = Pacific = Kalifornische; 17 = Felsengebirg; 18 = Cen- 


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14a 


tral = Mittelamerikanische; 19 = Oestliche = Kuba; 20 = 
Interkolonial = Amazonas = Südamerikanische = Argentinien; 
21 = (Ost)Brasilien; 22 = Azoren = Atlantische; 23 = Ka¬ 
narische = Senegal-Zeit. 

Ganz scharf, ganz neutral, also jeder Eifersüchtelei der 
Völker vorbeugend ist jedenfalls die Bezeichnung der Zonen 
durch Zahlen; welchen weiteren Vortheil diese gewähren, 
werden wir gleich hören. 

Denn es handelt sich ja nicht etwa um die tabellarische 
Anordnung dieser Dinge in Büchern — sie sind erdacht für 
den Verkehr, insbesondere für den brieflichen, für den tele¬ 
graphischen Weltverkehr. Wie würde sich da nach allge¬ 
meiner Einführung des Stundenzonensystems die sichere Zeit¬ 
bestimmung in beliebigen Gebieten gestalten? und wie die 
Zeitvergleichung zwischen beliebigen und entlegeneu Orten 
der Erde, etwa wenn es sich handelt um eine Handels¬ 
depesche aus Kalkutta nach London, um die Abfahrt eines 
Schiffes in Hamburg und seine Ankunft in New-York, um den 
Ausgang einer Erdbebenwelle von Arica und ihre Ankunft in 
Tahiti oder in Neuseeland u. Ä.? 

Als Grundbedingung für eine untrügliche Zeitbestimmung 
und Zeitvergleichung müsste die gestellt und erfüllt werden, 
dass bei jeder Zeitmeldung, welche aus einem Ort 
einer Zone nach einem solchen einer anderen Zone 
stattfindet, zugleich eine Kennzeichnung derjenigen 
Zone mitangegeben wird, von der die Meldung abgeht 
und deren Zeit der Angabe zu Grunde liegt. Dies könnte 
geschehen durch Beifügung eines der Zonennamen, wie ich 
solche vorhin mitgetheilt habe; dass ein derartiges Verfahren 
aber zu weitläufig wäre und dass es dabei wohl kaum ohne 
Benützung einer jene Namen erläuternden Tabelle abgehen 
könnte, ist sofort klar. In besserer Weise wollen desshalb 
Schram und Pasquier unmittelbar nach der Stundenzahl den 
die betreffende Zone kennzeichnenden Buchstaben beifügen, 
also z. B. 5D29, 8R50 u. s. w.; hieraus liesse sich natür¬ 
lich folgen, dass 5D29 = 4C29=3B29 = 2A29 = 1Z29 
sein muss, d. h. die Zeitangabe wäre auf Greenwich-Zeit 
zurückgeführt. 

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146 


Einen noch besseren Vorschlag macht Precht *: er will 
jeder Zeitangabe einer Zone die Nummer dieser Zone im 
System beifügen, d. h. die (römische) Zahl derjenigen Stunde, 
welche die Uhr jener Zone zeigt, wenn es in Greenwich O h = 
24 h ist, also z. B. 7 h 16 VII oder 7 iS VII; der Greenwich- oder 
Kanal-Zeit wäre XXIV oder Z (= Z4ro, anstatt 0) beizufügen. 
Dieses Verfahren würde auch die Bildung und Verwendung 
von mit Zahlwörtern zusammengesetzten Namen gestatten 
[wie Siebenzeit, Zwanzigzeit] und würde den Vortheil einer 
sehr bequemen Umrechnung gewähren. Denn die Umrech¬ 
nung solcher Zeitangaben in Greenwich-Zeit wäre rein mecha¬ 
nisch auszuführen. So wäre z. B. 

9 h 13 VI = 3 h 13 Z, weil die 6. Zone eine um 6 grössere 
Stundenzahl hat als Greenwich, und 
2 h 47 XX = (24 + 2) h 47 — 20 h = 6 h 47 Z u. ä„ 
d. b. man bat behufs Umrechnung auf Greenwich einfach 
die Zonennummer von der (nöthigenfalls um 24 vergrösserten) 
Stundenzahl abzuziehen. Entsprechend würde man verfahren, 
um die Zeitangabe aus einer Zone in die für eine andere 
Zone zu verwandeln (— von der Beachtung der möglicher¬ 
weise eintretenden Datumsverschiebung sei hier keine Rede —). 

Ich füge (nach Precht a. a. 0. S. 6) noch zwei Bei¬ 
spiele bei für die Berechnung einer Zeitstreckevergleichung. 


• a. Ein Schiff gehe in Hamburg ab (nach seitheriger Be¬ 
zeichnung) am 2. November l h 40 Morgens und komme 
in New-York an am 9. November 3 h 55 Nachmittags. 
Statt dessen künftig: Fahrt vom 2. November 1 4 *I 
bis 9. Nov. 15” XIX, also: 

Verflossene Zeit = (9. Nov. 20“ Z) — (2. Nov. O 4 * Z) 
= 7 Tage 20 Stunden 15 Minuten. 


b. Eintritt des Erdbebens in Arica am 
12. Juli 20» XIX = 13. Juli 1*Z 
Ankunft der Welle in Honolulu am 


| Unterschied 
I = 9 h 23“ 


13. Juli 0«XIV = 13 Juli 10»*Z | Unterschied 
Ankunft der Welle in Newcastle (Austr.) [ — ] 3 h 42 “ 
am 14. Juli IO 14 X = 14. JuliO ,4 Z J 


* Miitheilungen der Geogr. Gesellschaft io Hambarg 1889—90, 
Heft 1 (Hamburg, 1889), S. 3 u. 116. 


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147 


An diesen Beispielen lässt sich erkennen, welche Vor¬ 
theile die Ein- und Durchführung des Stundenzonensystems 
im Weltverkehr für die sofortige Bestimmung von Zeitunter¬ 
schieden gewähren würde. 

Nebenbei sei hier auch (mit Precht a. a. 0. S. 7) auf 
die Vortheile hingewiesen, welche die Anwendung des Stun- 
depzonensystems im geographischen Unterricht und für die 
praktische Verwerthung geographischer Kenntnisse gewähren 
würde. 

Denn leicht prägt sich ein, dass Europa 4 Stundenzonen, 
die Vereinigten Staaten deren 4—5 haben, und dies allein 
schon gibt eine Vorstellung von der riesigen Grösse dieser 
Republik, ganz ebenso, wie wenn man weiss, dass sich das 
europäische Russland allein durch 2 ‘/* Zonen hin erstreckt. 
Asien zieht sich hin durch die Zonen 2 bis 12, heisst doch nichts 
anderes, als dass es fast die ganze Halbkugel umspannt; 
Vorderindien bat nach Madras- und Kalkutta-Zeit zu rechnen, 
die japanische Zeit gilt auch für Mittelaustralien, die ost¬ 
russische auch für Deutsch-Ostafrika, sind in gleicher Weise 
gute geographische Beziehungsgleichungen. — Merkt man 
sich dazu, dass die Breite einer Stundenzone am Aequator 
rund 1700 km, in 20° Breite 1600 km, in 30® Breite 1450 km 
misst, in 60° Breite aber die Hälfte des Aequatorwerthes, so 
sieht man, dass die gedächtnissmässige Verknüpfung von Zoneu- 
nummem mit den Namen geographischer Dinge sehr dazu 
beiträgt, nicht nur über deren Lage, sondern auch über deren 
Grössenverhältnisse, d. h. über die Grundlagen der ganzen 
Erdkunde anschauliche Vorstellungen zu gewinnen. 

So viel über die geschichtliche Entwickelung, die Aus¬ 
sichten, die Vortheile des Stundenzonensystems. 

Ursprünglich in Amerika zu dem Zwecke erdacht, dem 
dortigen Wirrwarr der Uhrzeiten ein Ende zu machen, wurde 
es beim Entstehen sofort so ausgebildet, dass es für die Be¬ 
wohner der ganzen Erde zwar nicht ein durchweg gemein¬ 
sames, aber doch ein der vollen Uebereinstimmung sich sehr 
annäherndes Verfahren zur Zeitbestimmung werden konnte. 
Dass es auf dem besten Wege ist, dies zu werden, haben 
wir gehört. Wo es zur Einführung kommt, tritt es an die 
Stelle der bezüglichen natürlichen Ortszeit, oder an die Stelle 

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148 


einer künstlich geschaffenen Gebietszeit. Was diese Gebiets¬ 
zeit für recht verschieden grosse und zudem für ganz unregel¬ 
mässige Gebiete erreichen wollte und erreicht hat, das er¬ 
strebt die Stundenzonenzeit in einer geregelten, auf der ganzen 
Erde gleichförmig geregelten und dabei für den Weltverkehr 
wie für das bürgerliche Leben gleichgut brauchbaren Weise; sie 
erreicht dies durch die Einführung einer Zeit, welche zwar 
von den einzelnen Ortszeiten im allgemeinen abweicht, aber 
doch nur so viel oder so wenig davon abweicht, dass die 
Eintheilung des Tages in die üblichen Tageszeiten und deren 
Stundenbenennung im ganzen genommen überall erhalten 
bleibt. 

Weit mehr wollen die Freunde einer dritten Art von 
Zeitbestimmung ins Werk setzen. Sie betrachten die Gebiets- 
wie die Stundenzonen-Zeit als Stückwerk und erstreben die 
Annahme einer für alle Orte der Erde gleicbmässig geltenden 
kosmopolitischen oder Universalzeit, einer ächten 
Weltzeit. 

Schon 1828 hat John Herschel eine solche Weltzeit für 
gewisse Zwecke empfohlen, aber erst in der neueren Zeit des 
Eisenbahn- und noch mehr des Telegraphen-Schnellverkehrs 
ist man für diese Idee und ihre Ausgestaltung im vollen 
Ernste eingetreten. Namentlich waren es die im Jahre 1883 
auf der vorhin erwähnten internationalen Gradmessungskon¬ 
ferenz zu Rom versammelten Männer der Wissenschaft, welche 
laut die Schaffung und Einführung einer Weltzeit verlangten: 
„Die Vereinheitlichung der (geogr.) Längen und der Zeitan¬ 
gaben ist ebensosehr im Interesse der Wissenschaften als in 
demjenigen der Schifffahrt, des Handels und des internatio¬ 
nalen Verkehrs wüuschenswerth“ — lautet der erste der zu 
Rom gefassten Beschlüsse, und der fünfte und sechste der¬ 
selben sagen: „Für gewisse wissenschaftliche Zwecke und für 
den inneren Dienst der grossen Verwaltungen der Verkehrs¬ 
anstalten, wie der Eisenbahnen, der Dampferlinien, der Tele¬ 
graphen und Posten erkennt es die Konfererz als nützlich, 
eine Universalzeit einzuführen, neben welcher natürlich die 
einzelnen oder die national-unificirten Ortszeiten im bürger¬ 
lichen Leben auch ferner Anwendung finden werden“ — und: 
„Die Konferenz empfiehlt, als Ausgangspunkt der Universal- 


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149 


zeit und des Universaldaturas den mittleren Mittag zu 
Greenvich anzunehmen“. Mit einer an Einstimmigkeit gren¬ 
zenden Mehrheit wurden die Beschlüsse gefasst. 

Hier ward also eine ächte Weltzeit verlangt, aber freilich 
nur für wissenschaftliche Zwecke und für den inneren Dienst 
der Verkehrsanstalten, im gewöhnlichen Leben sollte sie gar 
nicht zur Anwendung kommen; sie hatte also gleichen Rang 
mit der Sternzeit der Astronomen. Eine Neuordnung in 
solcher Weise hätte natürlich niemand befriedigen können, 
am wenigsten. die Verwaltungen der Verkehrsanstalten, die 
ja schon genug unter der Zweiheit der angewandten Zeiten 
litten und denen so als Ersatz nur eine andere Zweiheit vor¬ 
geschlagen wurde. 

Als man daher im Jahre darauf zur Fortsetzung der 
Berathungen und zum Ausbau jener Beschlüsse wieder in 
Washington zusammentrat (1884), kam die Versammlung 
mehrfach zu ganz anderen, sogar den im Jahr zuvor ausge¬ 
sprochenen geradezu entgegengesetzten Forderungen; dass die 
Kraft der Beschlüsse dadurch nicht erhöht wurde, ist klar. 

Auf die Auffassung betreffs der Weltzeitfrage hatte jeden¬ 
falls die Thatsache grossen Einfluss, dass die Vertreter der 
amerikanischen Bahnen der Konferenz erklärten, seit kurzem 
sei für sie die Frage der Zeit Vereinheitlichung durch Annahme 
des Stundenzonensystems gelöst, jedes weitere Eintreten in 
diese Frage erscheine ihnen unzeitgemäss und unnütz. 

Offenbar unter dem Eindruck dieser Nachrichten empfahl 
dann die Konferenz zu Washington zwar wieder die Annahme 
eines Universaltages, aber nur, wie es hiess, „für alle Auf¬ 
gaben, für welche es zweckmässig erscheinen könne ihn an¬ 
zunehmen; er solle aber in keiner Weise den Gebrauch von 
Lokal- oder anderer Normalzeit beeinträchtigen, wo solche 
vorzuziehen sei“. Und während man zu Rom gefordert hatte, 
dass der Ausgangspunkt für die Weltzeit ynd für das Welt¬ 
datum der Greenwicher Mittag sein solle, kam man in 
Washington zu dem Beschluss, der Welttag solle mit Green¬ 
wicher Mitternacht beginnen, also mit dem üblichen Be¬ 
ginn des bürgerlichen Tages, und er solle mit dem Datum 
von Greenwich übereinstimmen. Was aber die Eintheilung 
dieses Tages betrifft, so war man zu Rom wie zu Washington 


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150 


der Ansicht, dass er wie üblich in 24 Stunden getheilt werde, 
dass aber diese Stunden nicht wie jetzt zweimal von 1 bis 
12 gezahlt, sondern dass sie von O h bis 24 h durchgezählt 
werden sollen. 

Ich möchte gleich hier abmachen, was Uber diese als 
neu vorgeschlagene Art der Stundenzählung zu sagen 
ist, weil sie unabhängig ist von der Wahl des Welttaganfanges 
(— sei diese Mittag oder Mitternacht —), ja weil sie selbst 
unter der Herrschaft des jetzt zum Theil noch gütigen Orts¬ 
zeitsystems, wie unter der des vordringenden Zonenzeitsystems 
wieder durchführbar wäre. 

Denn im Mittelaller war die Zählung der Stunden von 
1 bis 24 allgemein üblich, wie dies erhaltene Uhren, Ueber- 
lieferungen und bis vor kurzem (z. B. in Italien und Böhmen) 
erhaltene Gewohnheiten beweisen. Als dann die Halb- und 
Viertelstundenschlagwerke immer allgemeiner in Gebrauch 
kamen, um den Stand der Uhr, auch ohne diese anzusehen, 
zwar nur annähernd, aber hinreichend genau zu erfahren, da 
erschien wohl die Zählung bis 24 unbequem, schrittweise 
verschwand die 24-Theilung: man Hess diese noch auf der 
Vorderseite der Uhren bestehen, auf der Rückseite aber brachte 
man die jetzt gebräuchliche 12-Theilung an, und man konnte 
die Uhren selbst durch Verstellen eines Hebels nach Belieben 
24 Stunden oder zweimal 12 Stunden schlagen machen. 
Schliesslich blieb die 12-Theilung allein erhalten* und diese 
erfordert dann natürlich bei jeder Stundenangabe bürger¬ 
licher Zeit die Beifügung eines der Wörter „Vormittag“ oder 
„Nachmittag“. Dies aber ist offenbar unnöthig umständlich, 
erzeugt gar leicht Unsicherheit und schwer wiegende, zum 
Theil selbst recht grosse Gefahren bringende Verwechselungen 
und ist desshalb zumal im heutigen Verkehr mehr und mehr 
störend geworden; überdies tragen die in den verschiedenen 
Ländern gebräuchlichen, recht abweichenden Arten, die Vor- 
und Nachmittagstunden zu unterscheiden**, nicht zur Min¬ 
derung des Uebels bei. 

* So nach E. Weiss, „Zur Frage der Weltieit“, Sonderabdruck ans 
dem (Wiener) Astronomischen Kalender. Wien, 1886. 8°. 37 S., Seite 10. 

** In Deutschland wird V. und N. (oder Vm. und Nm.) gebraucht, es 
werden aber auch wie in der Schweiz die Stunden von 6 Uhr Abends bis 6** 


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Eine Aenderung, eine Besserung in dieser Beziehung 
wäre gewiss erwünscht, was ja natürlich nicht ausschliesst, 
dass man trotzdem auch nach wie vor die Namen „Vor-“ und 
»Nachmittag“ verwenden könne. Aber wie soll die Besse¬ 
rung geschehen, ohne ein Unzweckmässiges, das man zum 
einen Thor hinausweist, zum andern wieder hereinzuführen? 
Denn ein Schlagenlassen der Uhren von 1 bis 24 und ein 
ebensolches Zählen wird auszuschliessen sein, einmal wegen 
der viel grösseren Gefahr des Verzählens und dann weil 
Niemand zum Mitzählen die Geduld haben wird, mit Aus¬ 
nahme vielleicht von bettlägerigen Kranken. Unter diesen 
Umständen wird man aber auch nicht ernstlich daran denken 
können, eine wirkliche Eintheilung des Zifferblattumkreises 
in 24 gleiche Theile und ein Hinschreiben der Zahlen von 
1 bis 24 an solche Theilpunkte durchzuführen. Denn nicht 
bloss, dass dann die Stundentheile meist zu klein werden — 
wir beurtheilen ja überhaupt die Zeitangaben unserer Uhren 
viel weniger nach den Zahlen, bei oder zwischen welchen 
die Zeiger der Uhr stehen, sondern wir schätzen sie nach 
der Stellung dieser Zeiger zu dem hinzugedachten wagrechten 
und senkrechten Durchmesser des Zifferblattkreises; diese 
Schätzung aber ist fehlerlos durchzuführen bei der heute 
nöthigen Drittelstheilung des rechten Winkels, sie würde Un¬ 
sicherheit und Fehler in Menge bringen bei der der 24- 
Theilung zu Liebe nöthig werdenden Sechstelstheilung des 
Rechten. 

Also an Theilen und Schlagenlassen bis 24 ist nicht zu 
denken; aber trotzdem ist Abhilfe des heutigen Missstandes 
möglich. Man kann ja bei alten Thurmuhren einfach noch 


Morgens unterstrichen. In den englischen Kursbüchern werden 4 Tages¬ 
seiten angedentet: morn., non., aft., ngt. (= morning, noon, afternoon, 
night), in Italien wird „ant“ und „pom“ (antemeridian nnd pomeridian), 
aber auch „a“ und „f>* gebraucht; in Holland wird V. und A. (aber auch 
v.m. und n.m.) verwendet, in Belgien m. und s. (matin und soir), aber 
hier werden auch die Ankunfts- und Abfahrtszeiten in grosseren Stationen 
mit fetten Zahlen gedruckt — eben letzteres bedeutet hingegen in den ame¬ 
rikanischen Fahrplänen die Nacbmittagstnnden von Mittag bis Mitter¬ 
nacht. (Hesse-Wartegg S. 67.) 


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152 


unter den seitherigen Zahlen 1, 2, . . . die neuen 13, 14, 
. . . 24 anbringen, bei neu zu fertigenden aber kann man 
ein Zifferblatt an wenden, wie das beigezeichDete*, bei dem die 
inneren Zahlen wesentlich die Tages-, die äusseren die Nacht¬ 
stunden angeben und wie es an Bahn¬ 
uhren der Vereinigten Staaten viel¬ 
fach gebräuchlich ist. Wäre erst ein¬ 
mal die Gewöhnung an das Weiter¬ 
zählen über 12 hinaus bis 24 allge¬ 
mein geworden, so könnte man - 
und selbst jetzt schon — ohne Gefahr 
der Verwechslung die heutigen Ziffer¬ 
blätter verwenden, da niemand im 
Zweifel sein kann, ob 3 oder 15 Uhr, 7 oder 19 Uhr zu 
sagen ist. 

Bei Taschenuhren aber, die ja in nächster Nähe ab¬ 
gelesen werden, könnte man, wenn etwas geändert werden sollte, 
schon eher die 24-Theilung wirklich anbringen (mit Förster 
II, 18); besser aber könnte man auch die alte Einrichtung 
wieder einführen, bei welcher nur ein Minutenzeiger vorhan¬ 
den ist, während die Stundenzahl in einem Ausschnitt des 
Zifferblattes auf der unter dem letzteren sich drehenden 
Stundenscheibe sichtbar wird. 

In Erkenntniss der Vortheile, welche das Durchzählen 
der Stunden bis 24 unstreitig gewährt (wie sie ja auch beim 
Telegraphiren Arbeit und Kosten verringert), ist der hierauf 
bezügliche Beschluss der Konferenzen in Rom und Washington 
schon seit Jahren mehrfach in die Praxis übersetzt worden: 
so zählt die italienische Telegraphenverwaltung, auch die in 
Vorderindien, ebenso die englische Eastern Telegraph Company, 
die amerikanische Western Union Telegraph Company u. a. 
die Stunden von 1 bis 24, aber so zählt auch der vorder¬ 
indische Eisenbahnverkehr, und die kanadische Pacificbahn 
führte im Sommer 1886 erst versuchsweise das 24-Stunden- 
system ein und erlangte damit solchen Erfolg, dass die Gesell- 



* Nach E. Hammer, Nullmeridian und Weltzeit. Hamb .rg, 1888, 
Seite 31. 


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Schaft der amerikanischen Civilingenieure es sich zur Auf¬ 
gabe gemacht bat, dieses System in allen öffentlichen Zeit¬ 
angaben zur Geltung zu bringen (Hammer a. a. 0. S. 31). 

Auch bei uns, überall wäre diese Neuerung empfehlens- 
werth, was ja nicht ausschliesst, dass man im mündlichen 
Verkehr auch weiterhin die übliche Ausdrucksweise beibe¬ 
halten könnte. Wesentlich ist nur die Beseitigung der Doppel¬ 
deutigkeiten und Missverständnisse in Druck und Schrift, vor 
allem im Bahn- und Telegraphenverkehr, und die gesetzliche 
Anerkennung der Bezeichnungen und Benennungen 13, 14, 
15, ... bis 24 Uhr für die Stunden des Nachmittags bis 
zur Mitternacht. 

Man könnte vielleicht auch sagen: 13 bis 24 Uhr für 
die Stunden des Morgens bis zu Mittag — und dies bringt 
mich zurück zu meinem Ilauptthema, zur Erörterung des 
Welttages, wie er von den Kongressen in Rom und Washing¬ 
ton zur Einführung verlangt wurde: dort wünschte man seinen 
Beginn auf Mittag, hier wünschte man ihn auf Mitternacht 
festgesetzt zu sehen, dort überwogen die Interessen der Astro¬ 
nomen, hier die sog. bürgerlichen Lebensinteressen haupt¬ 
sächlich Europas. 

Vor Jahrhunderten wäre die Streitfrage, ob Mittag, ob 
Mitternacht, nicht so einfach zu stellen gewesen, man rechnete 
damals den Tag vom Aufgang, vom Untergang der Sonne ab, 
von der Abenddämmerung, von Mittag, von Mitternacht ab, 
ja in Basel begann vom Baseler Konzil (1443) bis 1770 der 
Tag eine Stunde vor Mitternacht — kurz, etwa 10 verschie¬ 
dene Tagesanfänge hat man verwendet.* In unseren Tagen 
stand die Wahl nur noch zwischen den zwei Anfangspunkten 
Mittag und Mitternacht. 

Folgen wir nun dem Washingtoner Beschluss und damit 
der heutigen allgemeinen Uebung und sehen wir zunächst 
zu, wie sich bei allgemeiner Einführung des Welt¬ 
tages und bei Festsetzung von dessen Anfang auf 
Mitternacht die Praxis des Lebens betreffs derNenn- 
und Zählweise der Tagesstunden gestalten würde. 


* Hammer a. a. 0. Seite 58 f. 


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154 


Wir versetzen uns, in Gedanken um die Erde herum¬ 
wandernd, nach einander an deren verschiedenste Orte und 
prüfen die Verhältnisse, wie sie sich für einen je an sei¬ 
nem Orte Verbleibenden gestalten würden. 

Wir in Europa hätten jedenfalls an dem bisher Gewohn¬ 
ten wenig zu ändern. In England und im ganzen Gebiete 
der westeuropäischen Zeit würde mit Mitternacht, d. h. mit 
0 h der Tag und das neue Datum beginnen; in Deutschland 
und im ganzen Gebiet der mitteleuropäischen Zeit würde Tages¬ 
anfang und Datumwechsel auf l h , im Gebiete der osteuro¬ 
päischen Zeit auf 2 h Morgens, bis hin zum Kaspisee auf 3 k 
Morgens der seitherigen Zeitzählung fallen, was ja praktisch 
ziemlich gleichgiltig wäre, da in diesen 2 oder 3 Stunden 
nach Mitternacht die wenigsten Schriftstücke abgefasst werden, 
in denen dann natürlich noch das Datum des vorhergehenden 
Tages und Zeitangaben wie 23 h -f- x Minuten zur Verwen¬ 
dung kommen müssten. Also in ganz Europa und Afrika würde 
der Tagesanfang und Datumwechsel in die Nachtzeit fallen. 

Anders, schlimmer gestaltet sich die Sache in deu weiter 
östlich gelegenen Gegenden. Dass man in Ostindien z. B. 
Morgens um 5 oder 6 Uhr den neuen Tag beginnen würde, 
könnte man noch hinnehmen; aber in Hinterindien und auf 
den Sundainseln müsste man ihn nach dortiger Ulnzeit um 
7 h , in Shangai um 8 h , in Japan um 9 h Vormittags beginnen, 
in Sydney und Melbourne um 10 h . Zwischen 10 h Vormittags 
und 4 h Nachmittags ihrer Uhrzeit würden nur Stellen des 
grossen Oceans je einen neuen Tag zu beginnen haben (die 
Fidschi- und Sandwich-Inseln, Neuseeland, Alaska), dagegen 
San Francisco Nachmittags um 4 h , Lima und New-York um 7 h 
Abends, Argentinien um 8 h , Brasilien um 9 h seines Abends 
(nach jetzt gebräuchlicher Stundenzählung). Hat man an all 
diesen Orten je an dem genannten Zeitpunkt den Tagesan¬ 
fang mit 0 b zu zählen begonnen, so würde man überall mit 
l h , 2 h ,. . . . bis 23 h zu zählen fortfahren. Natürlich würde 
so eine bestimmte in Weltzeit gemachte Zeitangabe, etwa 13\ 
an den verschiedenen Orten der Erde auf die verschiedensten 
Stunden je ihres Tages und ihrer Nacht fallen — oder umge¬ 
kehrt, um ein Beispiel zu gebrauchen, ein Engländer, der 
zu Hause gewohnt war, seinen Lunch um l h Mittags (eng- 


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155 


lischer Zeit) zu nehmen und dieser Gewohnheit treu bleiben 
möchte, müsste diesen in Ostindien um 8 h Weltzeit einnehmen, 
in Sydney um 3 h , in San Francisco um 2l\ in New-York 
um 18 b Weltzeit. Entsprechend würde man bei uns hier um 
19 b Weltzeit in’s Theater gehen, in Chicago wäre um 6 b Welt¬ 
zeit Mitternacht u. s. w. 

Auf diese Weise würden freilich die Uhrzeiten, zu denen 
seither alltäglich ganz bestimmte Thätigkeiten der Menschen 
vorgenommen wurden, an den meisten Orten der Erde mit 
neuen, völlig ungewohnt klingenden, aber Scharf bestimmtes 
angebenden Weltzeitnamen benannt werden; aber wenn sonst 
keine Schwierigkeiten sich einstellen würden, diese Namen 
und ihre vom Gewohnten sich loslösenden Bedeutungen und 
der Bruch mit den «seither unbewusst mit ihnen verknüpften 
Beziehungen, all dieses allein könnte uns nicht abhalten, bei 
sonstigen genügend grossen Vortheilen die Neuerung einzu¬ 
führen. Denn erstens ist doch das, die Mittagstunde mit 
12 Uhr zu bezeichnen, reine Gewohnheitssache, durch keine 
Nothwendigkeit bedingt, und es liesse sich, von den Schwierig¬ 
keiten des Uebergangs abgesehen, der Mittagspunkt ebenso 
gut durch 30 Uhr bezeichnen; und zweitens würden ja solche 
Anfangs ungewohnte Benennungen, an einem Orte einmal 
eingeführt, an demselben Orte dauernd unverändert bestehen 
bleiben und würden, ebenda bald gewohnheitsmässig gebraucht, 
bei allen Bewohnern des Ortes selbstverständlich nur das 
bedeuten, was sie bedeuten sollen. 

Gerade in Bezug auf diesen Punkt ist es zu bedauern, 
dass Männer wie Hesse-Wartegg (S. 60) und selbst A. Kirch- 
hoff* die Sache trüben, ja der Lächerlichkeit preisgeben, in¬ 
dem sie fälschlicherweise die für Greenwich gütigen Zeitbe¬ 
stimmungen „Nachts“, „Vormittags“ u. s. w. kurzer Hand 
auf andere Orte der Erde übertragen. „In Bombay wäre es 
um 7 b Morgens Mittag, in New-York würde die Oper um l b 
Mitternachts beginnen, der Schluss der Börse wäre in San 
Francisco um 10 b Nachts, in Sydney wäre um 5 b Nachmittags 
Frühstücksstunde“ — solche Beispiele bringt Hesse-Wartegg 


* Blatter fOr literarische Unterhaltung, Leipzig, 7. Januar 1892, 
No. 1, Seite 7. 


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bei, und Kirchhof! spricht von „Speisen Mitternachts bei 
Mittagsonne unter 180° Länge v. Gr.“ und von einem „ver¬ 
schwiegenen Stelldichein bei Mondenschein um 2 h Nachmit¬ 
tags“. Das sind nicht mehr hlos schlechte Witze, das sind 
bewusste Irreführungen, welche nur möglich sind, wenn man 
neben dem schon gerügten Fehler noch den andern begeht, 
zu thun, als ob niemand von einem Zählen der Stunden von 
1 bis 24 gesprochen hätte. In Wahl heit stellen sich diese 
Beispiele anders dar, nämlich so: nach Weltzeit schreibt man 
um Mittag in Bombay 7 h , beginnt die Oper in New-York 
um l h , schliesst die Börse in San Francisco um 22 h , ist in 
Sydney Frühstücksstunde um 17 h , und wiederum nach Welt¬ 
zeit wird man eben unter 180° Länge v. Gr. bei Mittagsonne 
um 0 h oder 24 h speisen und wird man dort ein Stelldichein 
auf 14 h verabreden müssen, damit es vielleicht bei Monden¬ 
schein stattfinden könne. 

Was an solcherlei Zeitbestimmungen Auffallendes oder 
gar Lächerliches sein soll, ist mir unerfindlich. Dagegen traue 
ich jedem geistig Gesunden zu, dass er bei allenfallsiger An¬ 
wendung der Weltzeit auch ohne besondere Unterweisung 
Begriffe und Wörter wie „Vormittag“, „Nachmittag“ nicht 
mehr für Zeitstrecken verwenden wird, deren Grenzpunkte 
durch die Stundennamen 0 (oder 6) und 12 bezw. 12 und 24 
(oder 18) bestimmt sind, sondern dass er, wo er auch sei 
und welche Sprache er rede, unter „Vormittag“ die Zeitstrecke 
von Sonnenaufgang (oder von Mitternacht) ab bis zum Höchst¬ 
stand der Sonne verstehen werde — und ähnlich für andere 
begrifflich verwandte Wörter. 

Also in der möglicherweise falschen Anwendung von 
Wörtern wie „Abends“, „Vormittags“ u. s. w. und auch in 
der Nöthigung, ungewohnte Zeitbestimmungen wie 20 Uhr 
und dergl. bilden und verwenden zu müssen, liegen durchaus 
nicht die Schwierigkeiten, welche sich der allgemeinen An¬ 
wendung der Weltzeit entgegenstellen. Sie liegen wo anders. 

Unter Tags das Datum, also auch den Namen des 
Wochentages ändern zu müssen, das ist, auch wenn 
wir vorerst nur au ihrem Wohnort Verbleibende in Betracht 
ziehen, für die grosse Mehrzahl der Erdorte die Haupt¬ 
schwierigkeit, welche in Betracht kommt. Wir wissen zwar, 


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dass Zahl und Bedeutung derjenigen Erdorte, welche zwischen 
ihrem seitherigen 10 h Vormittags und ihrem 4 h Nachmittags das 
Datum ändern mussten, verschwindend gering ist, und die 
Datumsänderung gerade in dieser mittleren Tageszeit erscheint 
Manchen als besonders schlimm; aber mir scheint, dass auch 
das Aendern Morgens vor 10 h und Nachmittags nach 4 h Orts¬ 
zeit recht schlimme Störungen im Gefolge haben würde. Man 
würde ja gewiss auch in diesen Fällen die Wörter „heute“, 
„gestern“, „morgen“, „vorgestern“, „übermorgen“ auf die 
wahren Sonnentage beziehen können und beziehen, und an¬ 
nähernde Zeitbestimmungen wie „gestern Abend“, „morgen 
Vormittag“ wären so gut verständlich und würden praktisch 
ebenso eindeutig verstanden werden, wie genaue Zeitangaben, 
z. B. „vorgestern um 22 h “, „morgen um 9 h “; denn jenes 
würde für einen den Welttag nach Ortszeit Morgens ‘/»H 
beginnenden Ort nicht anders als das heutige „vorgestern 
Morgens halb 9“ bedeuten und dieses wäre gleich dem heu¬ 
tigen „morgen Abend */ a 8 Uhr“. Ja sogar die Wochentag¬ 
namen könnte man begrifflich dem Welttag entsprechend um¬ 
deuten: man würde so an dem soeben als Beispiel verwen¬ 
deten Ort etwa Dienstag Morgen aufstehen, am selben Sonnen¬ 
tag noch Abends, aber doch schon Mittwochs zu Bett gehen, 
um am nächsten Morgen zwar, aber doch noch Mittwochs 
wieder aufzustehen. Bei solcher Neudeutung der Wochentag¬ 
namen wären dann freilich Angaben und Zusammenstellungen 
wie „heute ist Sonntag“ unmöglich. Um sie möglich zu 
machen, müsste man die Wochentagnamen den Sonnentagen 
zu weisen; dann wäre aber wiederum ein Datiren wie „Frei¬ 
tag den 18. März“ unbestimmt, vielmehr sinnlos. 

Man mag es also drehen und wenden wie ftian will — 
so sehr die Sache begrifflich festzulegen wäre, praktisch würde 
man fortwährend von einer Verwirrung in die andere fallen. 

Ja, aber — so höre ich sagen — die Astronomen haben 
seit langem schon die gleiche Art der Datumsänderung am 
hellen Mittag, und doch keine Verwirrung! Nein, keine Ver¬ 
wirrung — aber nur desshalb, weil sie nur rechnerisch, zah- 
lenmässig ihre Zeitangaben zu machen, zu vergleichen haben, 
nicht auch sozusagen lebendig-praktisch, sprachlich, und dann 
weil sie Thatsachen zu verzeichnen haben, bei welchen gerade 


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die absolute Zeit, zu welcher sie gescheben, von entscheiden* 
dem Interesse ist. 

Ich komme damit auf die Fälle zu sprechen, wo es sich 
um Mittlieilung einer Zeitangabe von einem Ort der Erde 
an einen andern Ort handelt und um die Beurtheilung 
jener Zeitangabe an diesem zweiten Ort. 

Wo es hier auf absolute Zeitbestimmungen ankommt wie 
bei wissenschaftlichen Dingen (Erdbeben, magnetische Stö¬ 
rungen etc.), würde die Verwendung der Weltzeit jede Um¬ 
rechnung unnöthig machen, weil die Zeitangaben, woher sie 
auch stammen, unmittelbar vergleichbar und verwerthbar sind, 
die Weltzeit wäre hier also sehr nutzenbringend. 

Dagegen hat im weit überwiegenden Theil des brieflichen 
und telegraphischen Fernverkehrs, im Nachrichtendienst für 
politische und Haudelszwecke die absolute Zeit meist keine 
Bedeutung; entscheidend für die Beurtheilung der fernher 
kommenden Zeitangabe ist hier die Kenntniss der Bezie¬ 
hung des mitgetheilten Zeitpunktes zur Tageszeit oder zu 
gewissen, an bestimmten Tageszeiten statthabenden Vorgängen 
jenes Ortes (z. B. Börse etc.). Und diese Beziehung zum 
Sonnenstand, zur Tageszeit gibt ja die Weltzeit nicht, aus 
einer reinen Weltzeitangabe wie 16 h lässt sich rein gar nichts 
erschlossen, sie bedeutet ja überall einen andern, keinen be¬ 
stimmten Zeitpunkt. Erst die Zufügung geographischer 
Längenunterschiede würde die gemeinte Zeit festlegen, wenn 
man die nöthige Umrechnung vornimmt. Fällt aber letzteres 
nöthig, so biisst die Verwendung der Weltzeit gerade den 
Vorzug ganz und gar ein, wegen dessen sie erdacht wurde 
und benützt würde. Insofern übertrifft also die Stunden¬ 
zonenzeit die Weltzeit ganz erheblich an praktischem Werth 
und wahrem Nutzen. 

Ich möchte nun auch noch Werth oder Unwerth der 
Weltzeit prüfen für Jemand, der von einem Ort der Erde 
zu einem andern hin in Bewegung begriffen ist, also 
für einen Reisenden. Am besten wählt man mit Weiss, dem 
Direktor der Wiener Sternwarte (a. a. 0. S. 31), die Fahrt 
■eines Schiffes, weil gerade für ein solches die Benützung der 
Weltzeit von wesentlichem Vortheil zu sein scheint. 


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Das Schiff mache also von Greenwich aus eine Reise um 
die Erde in östlicher Richtung — wie wird sich auf ihm die 
Regelung des Lebens nach Weltzeit gestalten? Ich wähle 
z. B. die Zeit des Mittagsmahles. Dieses werde bei der Ab¬ 
fahrt um 12 h , also richtig zu Mittag eingenommen. Will 
man diesen Zeitpunkt beibehalten, so wird man an Bord 
natürlich nicht die Stunde 12 beibebalten dürfen, sondern 
man wird bei Malta um ll h Weltzeit, bei Suez um I0 h , in 
Aden um 9 b , in Singapore um 5 h , bei den Fidschiinseln um 
O h , bei Tahiti um 22 h Weltzeit speisen u. s. w. Natürlich 
muss man wie das Essen so auch alle Arbeiten an Bord 
tagtäglich zu anderen Stunden der Weltzeit vornehmen, 
man muss also auch täglich der Mannschaft durch Tages¬ 
befehl verkünden, dass heute um . . . Uhr gefrühstückt, um 
. . . Uhr zu Mittag gegessen wird, dass die Wachen auf- 
ziehen um . . . Uhr, dass die Segelmanöver beginnen um 
. . . Uhr. 

Dass eine derartige Einrichtung kein Ideal von Einfach¬ 
heit, Annehmlichkeit und Pünktlichkeit wäre, ist doch unmittel¬ 
bar einleuchtend, und nicht minder, dass sich die Sache noch 
viel sonderbarer, ja schlimmer gestalten müsste auf einem 
Rreuzer, der, nach Ost oder West steuernd, täglich eine 
scheinbare Verfrühung bezw. Verspätung der Arbeiten und 
Essensstunden eintreten lassen müsste, zuweilen nordsüdlich 
fahrend dieselbe Stundenaustheilung Tage lang beibehalten 
müsste. Da ist doch eine, wenn nothwendig werdend, tag¬ 
tägliche Verstellung der Uhren je nach der durch die Fahrt 
erreichten Stundenzonenzeit (oder selbst Ortszeit) viel besser 
und gewiss vorzuziehen. 

Unsere seitherige Betrachtung bezog sich auf die Art 
und die Folgen der Einführung eines Welttages, wenn als dessen 
Anfang nach den Beschlüssen der Konferenz zu Washington 
der Augenblick der zu Greenwich stattfindenden Mitternacht 
gewählt würde, d. h. wenn der sog. bürgerliche englische Tag 
allgemeiner Welttag würde. 

Sehen wir nun entsprechend zu, wie sich bei Einführung 
des Welttages die Praxis des Lebens gestalten dürfte, wenn 
dessen Anfang auf den seitherigen Mittag zu Greenwich 


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festgesetzt, d. b. wenn der bei den Astronomen gebräuchliche 
Tag Welttag werden würde. 

Wir in Europa kämen jedenfalls schlecht dabei weg. 
Denn in dem Augenblick, wo für Greenwich der Höchststand 
der Sonne eintritt, wo also Mitteleuropa l b und Osteuropa 2 h 
seines Nachmittags hat, würde ein neuer Tag beginnen und 
müsste das Datum geändert werden; für ganz Europa träte 
also der Datumwechsel gerade in den Hauptgeschäftsstunden 
ein, in den Zeiten stärksten, zumal telegraphischen Verkehrs. 
Dass dies im höchsten Masse ungeschickt, ja unannehmbar 
wäre, scheint mir klar; Förster freilich bezeichnet es als 
.eine kleine, in den Diskussionen zu Rom wohl etwas über¬ 
trieben dargestellte Schwierigkeit* (II, 20). Die Misslichkeit 
des Nicktzusammenstiinmens von Datumzahl und Wochentag¬ 
namen wäre ja hier ebenfalls vorhanden wie in dem vorhin 
dargelegten Falle. 

Je weiter östlich liegende Gegenden ins Auge gefasst 
werden, zu um so späterer Nachmittags- bezw. Frühstunde 
(nach deren Ortszeit) würde für diese der neue Tag beginnen: 
so zu Bombay um 5 h Nachmittags, in Japan um 9 b Abends, 
auf den Sandwichinseln Morgens um 2 b , in San Francisco 
um 4 h Morgens, in New-Yorkum 9 b Morgens; diejenigen Orte, 
welche in der Nähe des Gegenmittagskreises von Greenwich, 
also beiderseits der jetzigen berühmten Datumgrenze liegen und 
seither um einen Tag im Datum verschieden waren, würden 
also bei Einführung der Weltzeit übereinstimmend einheit¬ 
liches Datum erhalten. Es ist nicht zu bestreiten, dass für 
jene Gegenden der Erde, in welchen die grössten Unsicher¬ 
heiten aller Angaben in blossen Ortsdaten nach aussen bin 
stattfinden, die Einführung eines Universaldatums von grösster 
Wichtigkeit, eine wahre Wohlthat sein würde; aber um ihnen, 
die doch nur ganz geringe Verkehrsbedeutung haben, diese 
Wohlthat zu sichern, will Förster (II, 21) gern dem ganzen 
europäischen Verkehr mitten in den Geschäftsstunden den 
Datumwechsel aufhalsen! 

Ich brauche die aus der Einführung des Welttages sich 
ergebenden Folgerungen für den Verkehr bei unserer jetzigen 
zweiten Annahme nicht nochmals durchzusprechen, sie sind 
ja sonst dieselben, wie ich sie vorhin dargelegt. 


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Unter Erwägung aller in Betracht kommenden Umstände 
ergibt sich also Folgendes: Für Handel und Verkehr würde 
die einheitliche Weltzeit nicht nur kein Ueberwiegen der 
Vortheile, sondern entschieden das der Nachtheile zur Folge 
haben, sie ist kein allgemeines Bedürfniss, ferner werden die 
von der Weltzeit zu erhoffenden Vortheile vollgiltig auch von 
der 24-Stundenzonenzeit geleistet, und dabei entspricht diese 
einem lebhaften Bedürfniss des Verkehrs und befriedigt dieses, 
wie die Erfahrung zeigt. Soll für mehr wissenschaftliche 
Zwecke eine Weltzeit eingeführt werden, so würde sich die 
an den bisherigen bürgerlichen Greenwicher Tag sich an¬ 
schliessende empfehlen, und dem entsprechend wäre von den 
Astronomen zu erwünschen, dass auch sie, etwa vom Beginn 
des nächstkommenden Jahrhunderts ab, den Datumwechsel 
um Mitternacht vornehmen. 


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Der Karlsruher Meteorolog 
Philipp Friedrich Stieffel (1797—1852). 

Ein Beitrag zur Geschichte der Meteorologie. 

Vortrag gehalten im Naturwissenschaftlichen Verein zu Karlsruhe am 
16. December 1892. 

Von Prof. J. P. Treutleln. 

Vor fast genau hundert Jahren hat ein ausdauernder 
und gründlicher Forscher „Untersuchungen über das Wahr¬ 
scheinliche der Wetterkunde“ veröffentlicht* (1788) und kommt 
darin am Schluss zu folgenden Sätzen: „Wir durchgingen 
nun Alles, woraus man auf die Witterung etwa schliessen 
kann, durchsuchten alle Spuren einer Wahrscheinlichkeit, 
hielten . . . Beobachtungen mehrerer Jahre gegen ein¬ 
ander — und was kann man zuletzt daraus schliessen? 
Dass der Winter kälter als der Sommer sei* Dieses ist das 
einzige, was sich mit einer Gewissheit bestimmen lässt, alles 
übrige geht nicht über die Grenzen einer zwar gegründeten, 
aber einer blossen Wahrscheinlichkeit . . und er fährt 
weiter: „Was lässt sich hieraus anders schliessen, als dass 
es dem allwissenden Schöpfer . . . seine Gestirne, diese 
fürchterlichen Körper, gewissen und unveränderten Gesetzen, 
unsere Luft aber, diesen gegen jenen unbeträchtlichen Theil 
der Schöpfung, nur solchen Gesetzen zu unterwerfen gefiel, 
die er oft durch zufällige Umstände abändern lässt, oft selbst 
willkürlich . . . abändert.“ 

In diesen zwei Sätzen kennzeichnet sich der Standpunkt 
der Wetterkunde vor 100 Jahren. Wie ist dagegen der 
heutige? Vor allem ist im zweiten der berührten Punkte 
eine grundsätzliche Aenderung vorgegangen: man sieht in 
den Wettervorgängen nicht mehr nur das wechselvolle Spiel 
des Zufalls; man ist überzeugt, dass wie die Gestirne, diese 

* van Bebber, Handbuch der ausübenden Witterungskunde, I, 16. 


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„fürchterlichen Körper“, ganz so auch die Luft „gewissen 
und unveränderten Gesetzen“ unterworfen ist, dass wie alles, 
so auch die Wettervorgänge nach grossen ewigen ehernen 
Gezetzen ihres Daseins Kreise vollenden. 

Und gestützt auf solche Denkweise hat man im ab¬ 
laufenden Jahrhundert mittelst mathematisch-physikalischer 
Betrachtungen, angelebnt an massenhaft beobachtete Witte- 
rungsthatsachen, eine reiche Fülle von Erkenntniss zu 
schöpfen vermocht, weit hinausgehend über jenes frühere 
Einzige, dass der Winter kälter ist als der Sommer, und 
man hat daraus für die Praxis des Lebens werthvolle Fol¬ 
gerungen gezogen. 

Nur eine derselben sei hier hervorgehoben: die täglichen 
Witterungsberichte sowie die Sturm- und Wettervorher- 
sagungen, die seit 1860 erst mehr privat und vereinzelt, 
dann verbreiteter und endlich allgemein und unter staatlicher 
Hülfe in allen Kulturstaaten zur Einführung gekommen sind. 

Möglich waren diese überhaupt erst, als die gänzlich 
neuen Grundlagen der heutigen Witterungskunde geschaffen 
waren. In dreifacher Richtung sind diese neu geworden: 
erstens verliess man die frühere fast ausschliessliche Aus¬ 
rechnung und vergleichende Verwendung von Mittelwerthen 
der Witterungselemente und ersetzte sie durch möglichst 
genaue Beobachtung, telegraphische Uebermittelung und 
kartographische Darstellung der auf grösserem Gebiet 
gleichzeitig vorhandenen Wetterlage; zweitens erkannte 
man die Luftdruckvertheilung als die eigentlich massgebende 
Ursache von Wind und Wetter, und drittens lernte man 
mehr und mehr die Sätze der Mechanik, insbesondere die 
mechanische Wärmetheorie aitf die Lehre vom Wetter an¬ 
wenden, und dies führte zu einer vollständigen Umgestaltung 
der Lehre vom Austausch der Wärme, von Verdunstung und 
Niederschlagsbildung. 

Die Erfolge, reiche Erfolge der so auf neue Grundlagen 
gestellten Wissenschaft sind denn auch nicht ausgeblieben, 
aber ausgeblieben ist bis jetzt die Erfüllung der Wünsche 
und Träume, ausgeblieben die Bestätigung der Versprechungen 
früherer Zeiten, auf Wochen, auf Monate hinaus den Wetter- 

11 * 


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verlauf Voraussagen zu können. Die Männer der Wissenschaft 
sind bescheiden geworden in dieser Beziehung, äusserst 
bescheiden, nur auf einen, auf zwei Tage voraus künden sie 
Wind und Wetter an, und selbst das nicht allzu sicher, drum 
mit recht vorsichtig gewählten Ausdrücken; unterfängt sich 
aber heute der eine oder andere, auf längere Zeit voraus 
Künder des Wetters zu sein, so muss er erfahren, dass der 
Prophet nicht geehrt wird im Vaterlande, wenigstens nicht 
von wissenschaftlichen Kreisen. 

Ich habe Ihnen soeben so zu sagen zwei Augenblicks¬ 
bilder aus der Entwickelungsgeschichte der Witterungskunde 
vorgeführt, das eine vom Anfang, das andere vom Ende der 
letzten 100 Jahre. Damals hat man rundweg erklärt, im 
wesentlichen nichts zu wissen vom Wetter und seinen 
Gesetzen, heute, trotz der vielen Mühen und Zahlen und 
Hypothesen, gibt die Wissenschaft unumwunden zu, erst am 
Anfang des Verständnisses zu stehen, manches zu wissen in 
der Theorie, doch wenig zu können in der Praxis der 
Witterungskunde. Wie — so fragt man sich bei solchem 
Stand der Dinge mit Fug und Recht — wie war es möglich, 
dass um die Mitte dieses Jahrhunderts ein wissenschaftlich 
gebildeter Mann sich an das Unternehmen wagen, ja es 
Jahre lang durchführen konnte, je für den ganzen folgenden 
Monat das kommende Wetter vorherzusagen? ein Mann zu¬ 
dem, der in der Wetterkunde theoretisch und praktisch er¬ 
fahren, ihrem Dienste Jahre lang treu ergeben war und ob 
seiner praktisch meteorologischen Thätigkeit heute noch ge¬ 
rühmt wird? Wie vermochte er zu behaupten, dass er nicht 
nach Vermuthungen, sondern auf wissenschaftliche Gründe 
gestützt seine Vorhersagungen bilde? 

Schon dieses kann unsere Neugier reizen; unser Interesse 
hieran wird aber noch lebendiger erregt, wenn wir hören, dass 
dieser Wetterprophet hier in Karlsruhe gelebt, von hier aus 
seine Vorhersagen ins Land hinausgegeben hat. Heute ist 
sein Wirken im Erinnern der Menge völlig vergessen — 
waren es doch im August d. J. 40 Jahre, seit er gestorben; 
aber ich selbst habe noch in den ersten Jahren meines Hier¬ 
seins des öfteren Anspielungen auf seine Bestrebungen, 


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Aeusserungen des Spottes gehört übor den „Wettermacher“ 
der 40er Jahre. Solche Aeusserungen haben mir schon vor 
Jahren den Wunsch nahe gelegt, die Sache genauer kennen 
zu lernen, zu einer eingehenderen Kenntniss der Persönlich¬ 
keit zu. gelangen; aber Jahre kamen und Jahre gingen, es 
blieb beim frommen Wunsche. Erst freundschaftliche Be¬ 
ziehungen zu den Nachkommen jenes Mannes haben in den 
letzten Jahren den alten Wunsch erneut und verstärkt in mir 
lebendig werden lassen, und so habe ich mich genauer unter¬ 
richtet. Was ich gefunden, wage ich hier vorzutragen, theils 
um dem mit dem Manne und seiner Sache verbundenen natür¬ 
lichen örtlichen Interesse zu genügen, theils auch, ja wesent¬ 
lich desshalb, weil mit solcher Darlegung ein nicht gerade 
wichtiger, aber immerhin kennzeichnender Beitrag zur Ge¬ 
schichte der Witterungskunde geliefert wird. 

Der Mann, dem mein Vortrag gilt, ist Philipp Friedrich 
Stieffel, zu seinen Lebzeiten Professor an der hiesigen 
Polytechnischen Schule. 

Zu Heidelberg 1797 geboren, ward er nach Durchlaufen 
der dortigen Volksschule Lehrling, dann Gehilfe im Geschäfte 
seines Vaters, eines Uhrmachers. Mit 18 Jahren erst ent¬ 
schloss er sich zum Studiren: gute Begabung, eiserner Fleiss 
und die Unterstützung talentvoller Freunde befähigten ihn, 
schon nach Jahresfrist die zum Eintritt in die Universität 
erforderliche Prüfung zu bestehen. Sein Wunsch war, Theo¬ 
logie und Philologie zu studiren; bald aber ward er durch 
Philosophie, später durch Mathematik und Naturkunde so 
sehr angezogen, dass die Beschäftigung mit diesen Fächern 
sein Hauptstudium in den Hintergrund drängte. Besonders 
war es der berühmte Hegel, dessen Vortrag und Lehre unsern 
jungen Stieffel tief innerlich erfassten. Er war nach dem 
Zeugniss seiner Freunde einer der Wenigen, welche mit Aus¬ 
dauer das neue, so schwer zugängliche philosophische System 
studirten, und seine geistige Eutwicklung zeigte die nachhaltige 
Einwirkung jener Philosophie, welche nachmals von kräftigeren 
und kühneren Geistern überwunden und zu höherem, freierem 
Standpunkt geführt wurde. 

Nach fünfjährigen Universitätsstudien und rühmlich be¬ 
standener Prüfung wird Stieffel 1821 unter die theologischen 


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und philologischen Landescandidaten aufgenommcn, musste aber 
auf den geistlichen Stand verzichten, da er, für einen miss¬ 
handelten Freund eintretend, in Folge eines Duells einen 
Theil von Unterlippe und Kinn eingebüsst hatte. So 
wandte er sich dem Lehrfach zu und trat nach kurzer 
Thätigkeit zu Kreuznach im Januar 1822'am hiesigen Lyceum 
(Gymnasium) ein; nach zwei Jahren wurde er den mit dem 
Lyceum verbundenen sogenannten „Realklassen“ als Lehrer 
zugewiesen und verblieb bei diesen auch, als sie im Jahre 
1825 zum sogenannten Polytechnischen Institut, dem Anfang 
unserer heutigen Technischen Hochschule, ausgestaltet wurden. 

An der Vorschule hatte Stieffel den Lehrauftrag für 
Mathematik und Naturgeschichte; am Polytechnikum selbst 
hielt er Vorträge über deutsche Sprache und Literatur, über 
Religion und über Ethik und Aesthetik, und in diesen letzteren 
Fächern suchte er die Ansichten seines Meisters auch in 
weiteren Kreisen zu verbreiten und liess sich, wie berichtet 
wird, hierbei und auch in seinen Conversationen und Privat¬ 
vorlesungen über Hegel’sche Philosophie so wenig als sein 
grosser Lehrer selbst durch die Gefahr der Unverständlich¬ 
keit von dem Vorgehen nach Hegel’schen Grundsätzen ab- 
schrecken. Seine philosophische Bildung war, dem Zeugniss 
seiner Vertrauten zu Folge, kein bloss angelerntes Wissen- 
sie zeigte sich und ward erprobt in ihrem sichtbaren Einfluss 
auf sein ganzes Denken und Handeln. Trübe Lebens¬ 
erfahrungen mancherlei Art stellten ihn oft auf die Probe, 
er bestand sie. Eine nicht kleine Kinderschaar und ein 
nothgedrungen künstlich vergrösserter Haushalt, eine recht 
schwache, oft gefährdete Gesundheit, dazu das geringe Ein¬ 
kommen brachten viele Sorgen; aber nichts konnte ihn ab¬ 
halten, zu arbeiten Tag und Nacht, zu streben nach Er- 
kenntniss, zu ringen nach Wahrheit. Iu seinem 55. Lebens¬ 
jahre, 1852, machte ein Schlaganfall seinem Leben und Streben 
ein Ende dort auf dem fernen Helgoland, wohin er behufs 
Kräftigung seiner Gesundheit gereist war, unmittelbar nach¬ 
dem er noch die letzte Monatsnummer seines Wetterboten für 
den August versandt hatte. * 


* Das Lebensgeschichtliche entstammt ausser mündlicheu Mit- 


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Wir wenden uns zu Stieffels Leistungen auf dem Gebiet 
der Naturkunde. 

Wir hörten ja vorhin, dass er an der Vorschule des 
Polytechnischen Instituts neben Mathematik auch Natur¬ 
geschichte zu unterrichten hatte. Durch diesen seinen Unter¬ 
richt veranlasst und zu dessen Förderung verfasste er nun 
im Jahre 1826 ein verhältnissraässig kurzes und doch ge¬ 
nügend gründliches Lehrbuch der „Naturgeschichte“ der drei 
Reiche.* Es schliesst sich im ganzen und für die damalige 
Zeit wohl auch am besten an Oken an und entbehrt nahezu 
aller wissenschaftlichen Selbständigkeit; wenn ich es trotzdem 
hier erwähne, so geschieht es wegen der klaren Erkenntniss 
der Bedeutung naturgeschichtlichen Unterrichtes überhaupt 
und wegen der feinen und bündigen Darlegung des Unterrichts¬ 
zieles und des richtigen, damals freilich und noch lange 
nachher nicht eben häufig geübten Unterrichtsbetriebes. 
Dieser Zweig des Unterrichts sei zu schätzen als „der einzige 
Gegenstand, welcher von der sinnlichen Anschauung aus¬ 
gehend den Verstand zum Wahr nehmen, Urtheilen und 
Denken des Unsinnlichen und Abstracten entwickelt, und 
man benutze ihn daher als Uebung der Sinne, als Ma¬ 
terial für den ersten Unterricht im Sprechen und 
Schreiben der Muttersprache, als Erweckung des Schön¬ 
heitsgefühls und Kunstsinnes und endlich in seiner 
mannigfaltigen Bedeutsamkeit als die erste moralische 
Bilderbibel zur Erbauung des höchsten im Menschen, näm¬ 
lich seines religiösen Wesens“. Mit solchen Worten leitet 
Stieffel sein Buch ein; es blieb sein einziges auf diesem Ge¬ 
biete und erlebte 1838 eine zweite Auflage. 

Neben den naturgeschichtlichen Studien beschäftigten 
Stieffel schon seit 1826 Studien und eigene Beobachtungen 
meteorologischer Art, und mehr und mehr nahmen diese und 
ihre Verwerthung sein volles Interesse in Anspruch. 

Die Witterungskunde hatte kurz zuvor einen neuen Auf- 

theilnngen von Seiten der Tochter Stieffels im Wesentlichen dem (von 
Directorüockel verfassten)Lebensbilde in „Neuer Nekrolog der Deutschen“, 
30. Jhrgg., 1852 (1854), S. 562-574. 

* Naturgeschichte för den Schulunterricht uud Selbstgebrauch. 
Heidelberg, Winter, 1826. 8°. 291 S. 


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schwung genommen oder vielmehr sie war gerade damals 
eigentlich begründet worden. Aufzeichnungen über Wind 
und Wetter hatte man ja schon früher an vielen, freilich 
nicht immer zweckmässig vertheilten Punkten der Erde ge¬ 
macht; aber der grösste Theil davon war an sich werthlos, 
und auch die zuverlässigen Beobachtungen waren mangels 
einer einheitlichen Methode vielfach unbrauchbar. Diese ein¬ 
heitliche Methode ward zum ersten Male, dazu auf einem 
recht grossen Gebiete, seit 1780 von der unter Karl Theodor 
gegründeten Mannheimer Meteorologischen Gesellschaft durch¬ 
geführt, deren Leitung sein Hofkaplan J. J. Hemmer hatte, 
derselbe, dessen Verdienste um die Einführung des Blitzab¬ 
leiters uns Herr Professor Meidinger so schön dargelegt hat. 
Leider währte die Wirksamkeit der Mannheimer Gesellschaft 
nur 12 Jahre; aber von ihr ging der Anstoss zum Neubetrieb 
der Witterungskunde aus. 

Schon ein Jahr vor der Gründung der Mannheimer Ge¬ 
sellschaft, also 1779, hatte hier in Karlsruhe Professor J. L. 
Böckmann d. ä. regelmässige Wetteraufzeichnungeu begonnen 
und hatte sie, zum Theil mit grossen Unterbrechungen, bis 
1789 fortgesetzt; neun Jahre später nahm Professor C. W. 
Böckmann d. j. die Beobachtungen seines Vaters wieder auf, 
setzte sie ununterbrochen bis zum Sommer 1821 fort, von 
wo ab sie Wucherer bis 1832 weiter führte. 

So war hier wie anderwärts eine ungefüge, fast er¬ 
drückende Masse von Beobachtungszahlen erwachsen — was 
sollte ihre weitere Aufhäufung, wenn nicht Gesetze daraus 
abgeleitet, wenn nicht die Zahlenmassen wenigstens veran¬ 
schaulicht wurden. Eine solche Veranschaulichung und zu¬ 
sammenfassende Deutung gelang bekanntlich Al. v. Humboldt 
(1817), indem er die Linien gleicher mittlerer Jahreswärme, 
die Jahresisothermen, zeichnete, und L. v. Buch (1819), in¬ 
dem er die Abhängigkeit des Barometerstandes von der 
Windrichtung ermittelte und die sogenannte barische Wind¬ 
rose feststellte. Damit waren gewisse Mittelwerthe wenigstens 
gedeutet und ihre Wichtigkeit für die Klimakunde dargethan; 
mehr noch als vorher richtete sich jetzt die Aufmerksamkeit 
der Wetterkundigen auf die Bestimmung und Vergleichung 
der Mittelwerthe aller Witterungselemente, um so vielleicht 


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169 


die Gesetze zu finden, welche den Witterungserscheinungen 
zu Grunde liegen. 

Für die vorhin erwähnten Karlsruher 42jährigen Beob¬ 
achtungen unterzog sich im Jahre 1832 0. Eisenlohr in 
Heidelberg* der Mühe, solche Mittel zu errechnen, und stellte 
weiterhin auf Grund desselben Thatsachenstoffes (1837 ver¬ 
öffentlichte) Untersuchungen** an über den Einfluss des 
Windes auf Barometerstand, Temperatur, Bewölkung und 
Niederschlagsbildung. 

Auf diese Eisenlohr’schen Vorarbeiten und ihre Ergeb¬ 
nisse stützte nachher vom Anfang der 40er Jahre ab Stieffel 
seine Vorhersagen des Wetters, indem er damit seine eigenen 
Beobachtungen und Erfahrungen verknüpfte. 

Denn schon bald nach seiner Versetzung ans Polytech¬ 
nische Institut, nämlich vom November 1826 ab ***, machte 
Stieffel tagtägliche genaue Witterungsaufzeichnungen, die 
ersten fünf Jahre noch neben, doch unabhängig von Wucherer, 
von 1832 ab bis zu seinem Tode, also 20 Jahre lang, allein. 
Während der letzten 17 Jahre seines Lebens wechselte Stieffel 
seine Wohnung nicht; er wohnte in einem Hause der Spital¬ 
strasse (heutige No. 50, in der Druckerei von Gutsch) und 
hatte sich hier ganz aus eigenen Mitteln eine vollständige 
Wetterwarte eingerichtet, f In dem nach Nord-Nord-West 
gelegenen Zimmer, nahe dem Fenster, hingen an einem dreh¬ 
baren Gestell vier verschiedenartige Barometer mit daran 
befestigten Thermometern; vor dem Vprfenster des Fensters 
waren in einem laternenartigen Gehäuse ein zugleich als 
Thermometer dienendes Psychrometer, ein Maximum-Minimum- 
Thermometer und ein Grannenhygrometer befestigt, und an dem 
drehbaren Gestelle, auf welchem jenes Gehäuse stand, waren 
nach unten hängend noch zwei Thermometer angeschraubt, 

* Otto Eisenlohr, Untersuchungen über das Klima und die Wit¬ 
terungs-Verhältnisse von Karlsruhe. Karlsruhe, 1832. 4°. 74 S. 

** Otto Eisenlohr, Untersuchungen Ober den Einfluss des Windes 
auf den Barometerstand, die Temperatur, die Bewölkung des Himmels 
und die verschiedenen Meteore nach 43jährigen zu Karlsruhe angestellten 
Beobachtungen. Heidelberg und Leipzig, 1837. 4 U . 112 S. 

*** Stieffel’s »Zeus“, Monatsblatt u. s. w., Jhrgg. 1848, S. 11, 

| Deren Beschreibung im „Zeus“, Jhrgg. 1848, S. 1 ff. 


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170 


an welchen (nach Laraont) Temperatur und Dunstdruck ab¬ 
gelesen wurden; überdies war aussen an dein Fensterpfosten 
ein Verdunstungsinesser (Atmometer) angebracht. Das Be¬ 
obachtungszimmer lag über der offenen Einfahrt in den ge¬ 
räumigen Hof; letzterer war nach Westen hin in lim, nach 
Osten hin in 16 m Entfernung durch eine 11 m hohe Mauer, 
nach Norden durch niedrige Hintergebäude abgeschlossen, 
hinter denen sich ziemlich grosse Gartenflächen ausdehnten. 
Der Hof war also genügend gross und frei und die Instru¬ 
mente wurden fast nie von der Sonne getroffen, und wenn 
auch zuweilen, so hatte dies nicht statt in der Nähe einer 
Beobachtungszeit. In der Mitte des Hofes befand sich in 1,8 in 
Höhe der Regenmesser, und dem Beobachtungsfenster gegen¬ 
über auf dem Hinterhause erhob sich bis 15 m über den Hof 
die die Windfahne tragende Stange. 

Während von 1798 ab die Beobachtuugszeitpunkte von 
einem Tage zum andern Morgens zwischen 6 h und 8\ Mittags 
zwischen l h und 3 h , Abends zwischen 9 h und ll h beliebig 
geschwankt hatten, führte Stieffel die sogenannten Mannheimer 
Beobachtungsstunden 7 h , 2 h , 9 h wieder ein und hielt sie streng 
fest. Anfangs, 1827. verzeichnete er nur den Stand von 
Barometer, Thermometer, Hygrometer, Windrichtung und die 
Beschaffenheit der Atmosphäre sammt Niederschlägen; 1828 
fügte er hinzu psychrometrische Differenzen, seit September 
1832 auch die tägliche Regenmenge, vom Januar 1835 ab 
anstatt Hygrometerstand die Feuchtigkeitsprocente, den Dunst¬ 
druck und die Verdunstungsmeuge, ferner Bemerkungen über 
Pflanzen und Thiere; vom April 1837 ab fügt er seinem 
Witterungstagebuch eine weitere Spalte bei für den täglichen 
Wasserstand des Rheins bei Knielingen, seit Januar 1838 
verzeichnet er auch den Niederst- und Höchststand des Thermo¬ 
meters sammt dem Unterschied beider, seit 1841 auch das 
Gewicht des in einem Kubikfuss (— 0,027 cbm) Luft ent¬ 
haltenen Wasserdampfes. Durch die Gauss’schen Studien 
über Magnetismus angeregt, beobachtet Stieflel seit 1838 
auch dreimal täglich die magnetische Deklination mit Hilfe einer 
Bussole, auf deren drehbahrer Fassung ein Fernrohr befestigt 
war; mit diesem wurde eine 13 m entfernte, an der Wand 
des Hinterhauses befestigte Skala abgelesen. In allen Jahren 


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171 


wurden noch zum Datum die bedeutenderen Mondpunkte 
eingetragen. 

So gestaltete sich schliesslich jedes seiner Monatsblätter 
in folgender Weise: (Siehe Tabelle Seite 62 und 63.) 

Ausdauernd und genau hatte Stieffel 13 Jahre lang Tag 
um Tag die Wettervorgänge selbst beobachtet, hatte sie mit 
den Aufzeichnungen seiner Vorgänger und mit den von Eisen¬ 
lohr errechneten Mittelwerthen verglichen und auf ihre Be¬ 
dingtheit geprüft, mehr und mehr wuchs die Zahl der Blätter 
seines Witterungstagebuches, mehr und mehr wuchs auch, wie 
er glaubte, sein Verständnis der Erscheinungen. 

So hielt er sich für berechtigt, Anderen Führer zu werden, 
auch seinen Mitbürgern die Freude und Anregung zu ver¬ 
schaffen, die ihm das Beschäftigen mit der Natur gewährte, 
ihnen womöglich auch Nutzen zu liefern aus dein Erkennen. 

So veröffentlichte er Ende 1839 das „Jahrbuch der 
Witterangs- und Himmelskunde für Deutschland im Jahr 
1840“, ein Büchlein von 208 Seiten. „Es versucht — so 
sagt Stieffel — die Ergebnisse der Erfahrung und Theorie 
zu benutzen und ein detaillirtes Gemälde des vaterländischen 
Klima aufzustellen . . ., es versucht eine Bekanntschaft mit 
den Gesetzen zu vermitteln, aus ihnen die Regeln abzuleiten 
oder zu bestätigen, mit denen sich dann das zufällige einzelne 
Ereigniss befriedigend vergleichen lässt.“ Denn „auch das 
Zufällige hat seinen Grund“ und „wo dem Unkundigen nur 
Zufall zu herrschen scheint, da walten Gesetze, die ihm 
nur einen gewissen Spielraum lassen, so dass auch er sich 
noch auf Regeln zurückführen lässt“. Und es sei „angenehm 
und begehrenswerth, auch das scheinbar Regelwidrige auf 
seinen Grund zurückführen, d. h. erklären zu können“. 

Stieffel will also im besten Sinne Lehrer seines Volkes 
sein, er will Methode und Ergebnisse der Wissenschaft popu- 
larisiren, nicht in der Art, dass er Vorschriften, Recepte 
liefert, fertig zum Gebrauch, sondern er will jeden für die 
Sache sich Interessirenden in den Stand setzen, auf Grund 
des bis dahin Erkannten die rings um ihn sich abspielenden 
Vorgänge zu begreifen; er will, wie Al. v. Humboldt um die 
gleiche Zeit in grösserem Rahmen und mit Meisterschaft 
durchführt, „den Gewinn darbieten, durch Einsicht in den 


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172 


1848 

Barometer 
red. auf 10 u = 27" j- 

Thermometer (in R.) 

Wind 

August 

7 b 2 h 

9“ Diff. 

7" 

2 h 9 h min. max. diff med. 

7“ 

2 h 

9 h 

1 . 

2. 

7.13 7.48 

8.98 1.85 

14.96 

18.72 14.40 14.24 19.44 5.20 16.0 

SW 1 

SW 4 

SW 

31. 

10^20 10 2G 

10.60 0.34 

13.92 

1 -1*64 13!84] 13*36] 14*88 K52 14.0 

no«; 

NC)i| 

. .6 

med. 

med. 

max. 

min. 

10.3110.10 10.19 1.12 
10.20 

12.73 a. 25. 3 43 
7.13 a. 1. a. 3. 

13.42 

18.55 14.54 12.33 19.24 7 31 15.34 
15 37 

23.84 a. 30 10.10 

8.00 a.26. a. 19. 

NW 3 SO 3 
NI S 3 
NO 8 ' SW 50 
0 4 W 21 

diff 

5.60 



15 84 

O-N 

16 W-S 77 





auf 20° an 13 Tagen 
auf 0° an 0 Tagen. 

Summe der Starke 
•- 120; 0-N : W-S 
0.87:1.»8; Wind 
(2) 22 ; (3) 10; 
Sturm 6. 


Zusammenhang der Erscheinungen den Genuss der Natur 
vermehrt und veredelt zu sehen“. 

So gibt denn Stiettel in seinem Jahrbuch zuerst (S. 5—145) 
für jeden Monat des kommenden Jahres einen Kalender mit 
Zeitgleichung für jeden Tag, letztere behufs Richtens der Uhr 
nach der Sonne, dann die Vorgänge am Sternhimmel, dann 
Witterungsangaben, d. h. die von Eisenlohr und von ihm selbst 
berechneten Mittel-, sowie die Nieder- und Höchstwerthe der 
sämmtlichen Witterungselemente für Karlsruhe; in zweiter 
Reihe bringt er diese selben Durchschnittsangaben und Zu¬ 
gehöriges für das ganze Jahr (S. 160—176) und für die ein¬ 
zelnen Jahreszeiten (S. 145 — 160), wobei er den klimatischen 
Frühling und Herbst mit dem Tage beginnen und endigen 
lässt, an welchem die Temperatur durchschnittlich erstmals 
wieder 5° und 14° bezw. 14° und 5° R. beträgt — er be¬ 
trachtet darnach als Grenzpunkte der klimatischen Jahres¬ 
zeiten den 19./20. März, 8 /9. Juni, 6./7. September, 6./7. No¬ 
vember und berechnet so den Frühling, Sommer, Herbst und 
Winter mit bezw. 81, 90, 61, 133 Tagen, die auf sie treffen¬ 
den Durchschnittszahlen der Witterungselemente aber nur je 
für die betrettenden vollen 2, 3, 2, 5 Kalendermonate. 


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173 



Atmosphäre 


Feuchtigkeit* 


£ 

o 


o 


o 

Duii8tdruck 

Procente 

Gewicht 

Hygrometer 

7 h 

* 

<x> 

ȧ 

2 h 

* 

Qi 

-Q 

9 

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Qi 

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9 h 

7 h 

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9 h 

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2 h 

9 h 

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48 

. 

1 49 

2.0 2.7 

2.7 

81 

62 

79 

4.5 4.7 

4.8!! 84 

67 

78 

. , 



49 



1 2.6 



74 

i 

4.7 



76 








| 4.0 

a. 8. 


94 

a 8. 

6.8 

a. 8 


94 

a. 8. 

Tage heiter 3 durchbr. 
ontbr, .. 12! trübe 

13 

i ii 

a. 5. 


41 

a 26. 

■ U 

a. 4. 



a 26. 

Regen 

21 

trübe 

3 

: 23 



53 

i 

. 3.6 



I 50 


Regen nnd 

Duft 


8 

J 





| | 





Sehne» 

— 

Nebel 

— 

1 










Schnee 

— 

Reif 


— 






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Hagel 

1 

HöhrAoeh 3 

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i 

Gewitter 

8 

Nordlicht 

— 

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1 







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i 

1 

| 



! 

I 


Stieffel will aber in und mit seinem Jahrbuch nicht nur 
„dem Bedürfniss (nach Aufklärung über das Wesen des 
Wetters) entgegenkommen und zur Verständigung über diese 
so einflussreichen Naturereignisse beitragen“, er will auch 
Solches bringen, „was dem Land- und Forstwirthe, dem Arzte 
und überhaupt Jedem auf so manche Frage Antwort geben 
kann“, d. h. er will beihelfen, Jedermann die Voraussage des 
kommenden Wetters zu ermöglichen. Denn „dem Vertrauten 
sagen die Instrumente und andere Data auf Stunden und 
Tage bestimmter voraus, welche Veränderungen eintreten 
werden von denen, die eintreten müssen und eintreten können“. 
Um also Jederman die zu solchem Zweck nöthige Handreichung 
zu gewähren, bietet er für jeden Monat die aus den Be¬ 
obachtungen der letztvergangenen 40—50 Jahre abgeleiteten 
„Regeln für die Wetteränderungen“ zur allgemeinen Ver- 
werthung und Ausnützung dar. Um eine Vorstellung von diesen 
Regeln zu geben, setze ich beispielsweise die von Stiefiel für 
den Februar gegebenen hierher. Sie lauten: 

„Das Steigen des Barometers deutet auf be¬ 
ginnende oder grösser werdende Kälte, die von einem 

* Die Angaben dieser Spalte beziehen sich auf den April 1847. 


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174 


Ost-Nordwind gebracht wird. War es yarm und ist das 
Steigen rasch, so entsteht zunächst Trübung und Schnee; 
fällt viel Schnee, so wird die Kälte um so strenger und 
anhaltender. Eine Periode auffallenden Steigens wechselt 
mit einer andern eben so auffallenden Fallens ab.® 

„Das Fallen bringt warme West-Südwinde, Trübung, 
erst Schnee, wenn es streng kalt war, dann Regen mit 
Nebel bis zu gänzlichem Aufthauen.“ 

„Selten wird ein warmer Wind so herrschend, dass 
auch er Aufheiterung veranlasste; auch kommen herr¬ 
schende Nord-Ostwinde mit ihrer trockenen Heiterkeit 
weniger vor als im Januar. Grössere Wärme im An¬ 
fang wird wieder durch Kälte nach der ersten Hälfte 
gebiisst. Auch wanne Tage gegen das Ende lassen nur 
um so mehr kalte Tage im März befürchten. Grosse 
Feuchtigkeit und Dunst oder selbst Nebel deuten 
auf Kälte in den oberen Regionen, wenn es unten milde 
war, und auf Wärme oben, wenn es unten kalt war. Die 
Nebel mildern die Kälte und vermindern die Wärme. 
Wird es unten trocken und hell, dann vermehren sich 
die Wolkenmassen bis zur Entladung, wenn diese nicht 
durch starken Wind gehemmt wird.“ 

Dem Mitgetheilten zufolge, wie diese Regeln gewonnen 
worden waren, konnten sie natürlich unmittelbar nur für 
Karlsruhe gelten; Stieffel vergleicht aber im ersten Jahrgang 
seines Jahrbuches mit den Karlsruher Witterungsverhältnissen 
zunächst die der wenigen sonstigen badischen Beobachtungs¬ 
orte (S. 178), dann auch die des Königreichs Sachsen (S. 179 
bis 185) und findet, dass hiernach der Zusatz „für Deutsch¬ 
land“ auf dem Titel seines Buches annähernd gerechtfertigt 
sei, doch will er in den folgenden Jahren mit solchen Ver¬ 
gleichungen fortfahren, „bis alle deutsche Lande in die Ver¬ 
gleichung mit aufgenomnien und alle Hülfsmittel der Be¬ 
obachtung in den einzelnen Aufsätzen gewürdigt sind“. 

Letzteres bezieht sich auf einen letzten und Haupttheil 
seiner durch Herausgabe des Jahrbuches bethätigten Absicht. 
Er will Verständniss erwecken und verbreiten für die Er¬ 
gebnisse nicht nur, sondern auch für die Methoden des 
Wetterstudiums. Drum fügt er gleich dem ersten Jahrgang 


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175 


eine klar geschriebene Abhandlung bei „Ueber das Barometer 
und seine Beobachtung“ (S. 188—200), die den damaligen 
Standpunkt der Wissenschaft treu wiedergibt und jedem Be¬ 
obachter ermöglichen sollte, sein Barometer im richtigen Sinne 
und mit Verständniss als „Wetterglas“ zu benützen. 

Das soeben nach Ziel und Inhalt gekennzeichnete „Jahr¬ 
buch“, erstmals für 1840 veröffentlicht, sollte Jedes Jahr in 
verjüngter und doch gereifter Kraft“ erscheinen. Aber 
„mancherlei Hemmnisse“ machten dessen Erscheinen gleich 
im folgenden Jahre unmöglich, und als es 1842, und auch 
hier verspätet, zur Ausgabe gelangte, hatte es seinen Titel 
und zum Theil seinen Charakter geändert. Es hiess nun: 
„Witterangsknnde. Mit Rücksicht auf Vermnth- 
liehe Witterung überhaupt und des Jahres 1842 
insbesondere“, der Hauptnachdruck ward also jetzt mehr 
noch wie früher auf die Kunde vom Wetter gelegt und auf 
dessen allenfallsige Vorher Verkündigung. 

Zwar ist unserem Stieflfel auch jetzt wieder das Lehrhafte 
Bedürfnis der Seele: „es thut Noth — sagt er — die Ent¬ 
deckungen und Resultate, welche die Meteorologie, diese 
Wissenschaft von dem physikalischen Leben der Erde, in sich 
fasst, allen Gebildeten mitzutheilen“; aber er fügt sofort hin¬ 
zu, dass es ebenso Noth thue, „sie wo möglich in den Stand 
zu setzen, eine Anwendung davon machen zu können“ 
Freilich sei „nichts veränderlicher und unbeständiger als das 
Wetter“; trotzdem lasse sich „eine gewisse Regelmässigkeit, 
nach welcher die Wetteränderungen erfolgen, in der Er¬ 
fahrung nachweisen und muss in einem gewissen Sinne zu¬ 
gegeben werden, dass auch der Zufall seinen Grund hat. .. . 
Gelingt es also dem Naturforscher aus der Beobachtung der 
einzelnen Erscheinungen, dieselben als Aeusserungen von Ge¬ 
setzen aufzufassen, welche keine Ausnahme erleiden, so wird 
die Annahme eines ausgedehnten Spieles der Zufälligkeit auf 
immer engere Grenzen eingeschränkt und zuletzt selbst eine 
Vorherbestimroung der Veränderungen möglich werden.“ 

So vertheidigt Stiefel „die von der Oberflächlichkeit ver¬ 
höhnte Meteorologie“ und will an seinem Theil mithelfen, sie 
auszubauen zu einer „Meteoromantie, d. i. zu einer Ver- 
muthung der künftigen Witterung aus der vergangenen“. 


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176 


Die Grundlage hierzu liefert die Thatsache, dass für einen 
bestimmten Bezirk „jede Jahreszeit, jeder Monat und selbst 
einzelne Perioden in demselben, auch jede Tageszeit ihren 
eigenthümlicben Witterungscharakter hat“, der sich auf 
Grund vieljähriger Beobachtungen der einzelnen Witterungs¬ 
elemente durch deren Mittelwerthe darstellt. 

Diese Durchschnittsergebnisse werden aber fortwährend be¬ 
einflusst und abgeändert durch Einwirkungen verschiedener Art. 

Dahin gehört vor allem die Einwirkung des Mondes. 
Stieffel skizzirt in aller Kürze die zwischen den äussersten 
Grenzen hin- und herschwankenden Meinungen über solche 
Mondwirkung, spricht sich aber schliesslich mit Berufung 
auf die Rechnungsergebnisse von Schübler, Flaugergues, Eisen¬ 
lohr, Bouvard u. A. dahin aus, dass deren „unmittelbare 
Vergleichungen der meteorischen Veränderungen mit jenen 
des Mondlaufes die Erfahrung seines Einflusses unläugbar 
gemacht haben, wenn man auch nicht zu erklären vermag, 
wie er denselben ausübt“. Die heutige Wissenschaft läugnet 
zwar auch nicht jeglichen Einfluss des Mondes auf die atmo¬ 
sphärischen Verhältnisse der Erde; sie erklärt es aber rund¬ 
weg „für verfehlt und jeder Wissenschaftlichkeit wider¬ 
sprechend, auf Mondeinflüsse Wetterprognosen zu gründen“, 
und sie erachtet „ein solches Vorgehen den astrologischen 
Bestrebungen fast gleich“ (v. Bebber I, S. 190). 

Stieffel, vor 50 Jahren, hält übrigens den Einfluss des 
Mondes für „gering“ und er könne selbst „sehr leicht durch 
die weit mächtigeren der Wind Wechsel ganz unwirksam werden“; 
aber ihn überhaupt in Rechnung zu ziehen, dürfe er nicht 
unterlassen. 

So berücksichtigt er denn 14 Zeitpunkte des Mondum¬ 
laufs um die Erde, natürlich die acht sogenannten Mondphasen 
(Neumond, erstes Viertel, Vollmond, letztes Viertel, sowie 
den ersten, zweiten, dritten, vierten Oktanten, d. h. die Zeit¬ 
punkte, welche mitten zwischen zwei aufeinanderfolgenden 
jener vier ersten liegen), die Erdnähe und Erdferne, endlich 
die Stellung im auf- und die im absteigenden Knoten und 
das nördliche und das südliche Lunistitium. Betreffs dieser 
14 Zeitpunkte betrachtet er als durch die Erfahrung festge- 
stellt: 1. dass der Mondeinfluss vom ersten bis dritten Ok- 


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177 


tanten ein ungünstiger, vom dritten bis ersten Oktanten ein 
günstiger sei, am günstigsten beim letzten Viertel, am un¬ 
günstigsten beim zweiten Oktanten — als ,,günstig“ ange¬ 
sehen hohen Barometerstand und damit zusammenhängend 
Aufheiterung und trockenen Wind aus Nord-Osten; 2. dass 
die Erdnähe gerne mit dem tiefsten Barometerstand und 
stürmischem Regen- bezw. Schneewetter Zusammentritt, da¬ 
gegen Erdferne mit dem höchsten Barometerstand und 
seltenerem Regen, auch dass sieben Tage nach demselben 
gerne wieder hohes Barometer vorkommt; 3. dass die vier 
vorhin zuletzt genannten Zeitpunkte des Mondumlaufs ein 
Zusammentreffen mit hohem Barometerstände zeigen derart, 
dass für das nördliche Lunistitium der höchste, für die 
Knoten der minder hohe und für das südliche Lunistitium 
der am wenigsten hohe bemerkt wurde. 

Zur wirklichen Geltung gelangen diese nach Stärke und 
Sinn wechselnden Einflüsse natürlich nur dann, wenn sie 
sowohl mit einander, als auch besonders mit dem vorhin ge¬ 
kennzeichneten allgemeinen Witterungscharakter im gleichen 
Wirkungssinne Zusammentreffen. 

Ausser durch den Mond wird der in den langjährigen 
Witterungselementen sich darstellende allgemeine Witterungs¬ 
charakter auch noch in anderer Weise beeinflusst, so durch 
die Verschiebung der Perioden. Denn „weil alles Na¬ 
türliche mit der Zufälligkeit behaftet ist“, so kann die Had- 
ley-Dove’sche Polar- bezw. Aequatorial-Luftströmung „bei uns 
manchmal Jahre lang nicht in gewöhnlicher Weise auftreten, 
so dass Sommer kühl und Winter mild werden; ein ander¬ 
mal verrückt sich der Charakter der Monate, indem der 
März den Charakter des April annimmt u. s. f.; oder es 
verschieben sich die Perioden eines Monates um einige Tage 
oder sie wechseln den Charakter“. „Nichts ist also gewisser, 
als dass jedes Jahr wieder ein absolut einzelnes ist und sich 
im Ganzen und Einzelnen von der Regelmässigkeit entfernen 
muss, welche auf Durchschnittszahlen aus allen Jahren sich 
gründet. . .. Aus solchen Gründen ist es unthunlich, die 
Witterung auf mehrere Monate, auf ein Jahr oder auf mehrere 
Jahre vorauszusagen.“ 

' 12 


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178 


„Wenn man dagegen — so fährt Stieffel fort — die 
Kenntniss des Witterungscharakters und der Perioden des¬ 
selben in einem Monat, sowie des Mondeinflusses zu Grunde 
legt und aus dem Charakter der gegenwärtigen Witterung 
und ihrer Dauer erwägt, welchen Einfluss sie auf die Perioden 
der folgenden haben werde, so kann es mit Glück und grosser 
Wahrscheinlichkeit des Gelingens versucht werden, auf die 
nächsten vier Wochen oder auf noch kürzere Zeit die ver- 
muthliche Witterung zu bestimmen.* 4 

Um also diese „Vermuthliche Witterang im Allge¬ 
meinen“ abzuleiten, entwirft Stieffel eine Tabelle, je für 
einen Monat bestimmt, und trägt in diese die Erfahrungs¬ 
tatsachen ersten und zweiten Ranges ein. Als Beispiel gebe 
ich hier (S. 69) seine Tabelle für Februar 1842. 

Diese Tabelle enthält 16 Spalten. In Spalte 2 und 3 sind 
die Mondstellungen und ihre Zeit eingetragen, in Spalte 4 und 5 
die Durchschnittsstände von Thermometer und Barometer nach 
langjährigen Beobachtungen; Spalte 6, 7, 8 geben den vorhin 
erwähnten Einfluss des sogenannten anomalistischen, drako¬ 
nischen und synodischen Mondumlaufes auf das Barometer, 
wobei als Stufen seines Standes die Ausdrücke: „höchst, 
höher, hoch, mittler, tief, tiefer, tiefst“ angenommen sind; 
Spalte 9 kennzeichnet den Einfluss des synodischen Mondes 
auf Richtung und Stärke des Windes und ebenso Spalte 10, 
11, 12, 13 den Einfluss des synodischen, anomalistischen und 
drakonischen Mondumlaufes auf Bewölkung und Nieder¬ 
schlagsbildung. 

Soweit enthält also jede solche Monatstabelle „nur Re¬ 
sultate aus der Erfahrung, also nichts Problematisches und 
Willkührliches“. 

Weiterhin ist es nun Sache des Wetterkundigen, Spalte 14 
auszufüllen: er hat „ein paar Tage oder Stunden vor dem 
Anfänge des betreffenden Monats aus dem bestehenden 
Witterungscharakter und den Andeutungen der Instrumente 
in Verbindung mit den Angaben der Tabelle des Einflusses 
eine Vorherbestimmung der „„Vermuthlichen Witterung im 
Allgemeinen““ zu versuchen* 1 und diese in Spalte 14 einzu¬ 
schreiben. 


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179 













18(3 


Diese Art von Vorherbestimmung des Wetters Jeder¬ 
mann zu ermöglichen, ist der wahre Zweck der StieffePschen 
„Witterungskunde“. Eben deshalb liefert dieses Buch für 
das Jahr (S. 57—75), für jede Jahreszeit (S. 198- 215) und 
für jeden Monat (S. 75—198) den oben S 66 erklärten 
„Witterungscharakter“, dann für jeden Monat auch, ganz 
wie das frühere Jahrbuch (vgl. oben S. 63), die „Regeln für 
die Wetteränderungen“ sammt. den üblichen Volks- oder 
Bauernregeln und jeweils schliesslich die vorhin besprochene 
„Tabelle“ zum Einträgen der vermutheten Witterung. 

In dieser Tabelle findet sich aber noch eine fünfzehnte 
Spalte, die mit „Vermutliliche Witterung im Einzelnen“ 
überschrieben ist und in welche ebenfalls ein Eintrag pro¬ 
phetischen Charakters gemacht werden kann, für die nächst¬ 
folgenden Tage nämlich geltend. Stieffel sagt hierüber Fol¬ 
gendes (S. 18): „Beobachten wir nun täglich zu bestimmten 
Stunden und auch ausser diesen, wenn es uns gefällt, vor 
Allem die Windrichtung, dann das Barometer, Thermometer 
und den Feuchtigkeitszustand der unteren Luftregion; er¬ 
wägen wir auch die Himmelsbeschaffenheit oder die Art der 
Dunst- und Wolkenbildung; vergleichen wir diese Erschei¬ 
nungen mit dem Charakter des Monates, des Tages und der 
Tageszeit, dann mit der kurz vorhergegangenen Witterung, 
also mit dem gegenwärtigen wirklichen Charakter derselben, 
dann sind wir im Stande, auf kürzere oder längere 
Zeit, also auf Stunden bis zu mehreren Tagen eine 
Wetterveränderung mit grosser Wahrscheinlichkeit 
vorauszusehen, von welcher wir aber die Dauer nicht mit 
gleicher Bestimmtheit anzugeben vermögen.“ 

Damit freilich, dass „der eine nur die Wolken ansieht, 
der andere nur das Barometer, jener nur die Verhältnisse 
gewisser Pflanzen und Thiere oder auch der Steine befragt, 
dieser nur sein Hühueraugc u. dg].“, damit ist es nicht 
gethan — immer wieder und eindringlich weist Stieffel dar¬ 
auf hin, dass es der Beobachtung des Gesammtstandes der 
vorhandenen Witterungselemente und ihrer Aenderungen in 
der letzten Zeit bedürfe, um vorausverkündend thätig zu 
sein: „nur der Erfahrene und Kundige ist im Stande, aus 


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181 


einer Summe von Andeutungen mannigfaltiger Art einen 
sicheren Schluss zu machen“. 

Aber wie viele „Erfahrene und Kundige“ solcher Art 
mochte es geben? Gehörte zu solcher Wissenschaft und Kunst, 
Schlüsse zu machen, nicht eine dauernde, eine berufsmässige 
Beschäftigung mit dem Wetter? 

Fragen solcher Art und die entsprechenden Antworten 
und Ueberlegungen drängten sich Stiefel naturgemäss von 
selbst auf und mögen ihm auch oft genug privatim und 
öffentlich entgegengehalten worden sein, Alles drängte darauf 
hin, dass er selbst der Mühe und Gefahr des Vorhersagens 
der „Witterung im Einzelnen“ sich unterziehe, dass er seinen 
festen Glauben an die sicheren Grundlagen seiner Wissenschaft, 
dass er seine heilige Ueberfeugung vom Gesetz im Zufall bethätige. 

Und Stiefel, folgerichtig auf seiner bisherigen Bahn 
weitergehend, that auch noch diesen Schritt, den dritten seines 
öffentlichen Auftretens: im Jahre 1840 hatte er im wesent¬ 
lichen nur die von Eisenlohr und von ihm selbst ermittelten 
allgemeinen „Witterungscharaktere“ und 1842 die Anleitung 
zur monatweisen Vorausbestimmung der „Vermuthlichen 
Witterung im Allgemeinen“ der Oeffentlichkeit dargeboten; 
1844 veröffentlichte er, monatweise vorausverkündend, je für 
den nächsten Monat die „Vermuthliche Witterung im Ein¬ 
zelnen“ und unterstellte sie der allgemeinen Erprobung. 

Ende December 1843 erschien die „Ankündigung“, dass 
Professor Stieffel vom neuen Jahre ab „ein Monatsblatt der 
künftigen vermuthlichen Witterung“ unter dem Titel* „Zeus“ 

* Die Wahl des Titels erläutert Stieffel im Jhrgg. 1844, Beilage 
zum Monat Juli. Hier heisst es: 

Ein Autor lässt einen Priester des Zeus sprechen: „Das Element, 
das alles füllt, das sich am freiesten und ungebundensten durch das Un- 
ermessliche breitet, ohne welches nichts bestehen kann, was lebt, selbst 
das Feuer nicht, ist die Luft. Wir gaben ihm den Namen Zeus und 
stellten diesen den Völkern in Wolken auf einem Donnerwagen mit dem 
flammichten zackichten Keil voll furchtbarer Majestät als dessen Re¬ 
genten vor, weil sie nicht bis zu dem Unsichtbaren gelangen und Gestalt 
für den Sinn haben müssen.“ Der Luftkreis mit seinen Veränderungen 
des Warmen und Kalten, Trocknen und Feuchten, Heitern uud Trüben 
ist auch der einzige Gegenstand dieser nach dem Zeus benannten 
Platter_ 


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182 


herausgeben werde, je am vorletzten Tag jedes Monates, einen 
halben Bogen Octav zum Monatspreis von 6 Kreuzern (= 17 Pfg.), 
zum Jahrespreis von 1 Gulden (= 1,71 M.)- „Das Blatt 
soll, soweit es seines Verfassers Erfahrung und Wissenschaft 
vermag, sich je am vorletzten Tag des laufenden Monats 
über das Wetter des nächsten aussprechen .. . Die fünfzig¬ 
jährige Erfahrung über die Witterung des betreffenden Mo¬ 
nats, die Witterung desselben Monats 19 oder 38 Jahre vor¬ 
her, also für dieses Jahr des Jahres 1825; die gegenwärtige 
Witterung des laufenden Monats und die Resultate wenigstens 
des vorhergehenden; dann besondere Belehrungen über die 
Beurtheilung der Anzeigen an Instrumenten oder sonst; die 
Erfahrung, welche in den Volksregeln niedergelegt ist, — 
alles dieses liefert die Gründe für den Glauben an das ver- 
muthete Wetter“. 

Stieffel verhehlt sich und Andern nicht das Gewagte 
seines Unternehmens. „Es gehört“ — sagt er in der An¬ 
kündigung — „ein Entschluss dazu, seine Erfahrung und 
die darauf zu bauenden Schlüsse den billig Urtheilenden und 
für Belehrung Dankbaren nicht vorzuenthalten und sich aus 
den bösen und losen Zungen nichts zu machen“ — und es 
kennzeichnet seine Art und sein Streben deutlich, wenn er 
betreffs seines Zeus beifügt: „Vergisst man dabei die Person 
des Verfassers, so geschieht ihm das Angenehmste. Vom 
Wetter selbst wird er täglich ohnedies gelobt oder getadelt 
werden.“ 

Das Interesse an dem neuen Unternehmen scheint ge¬ 
nügend gross gewesen zu sein; denn richtig erschien am vor¬ 
letzten Tage des alten Jahres das Zeus-Heftchen für den . 
Januar 1844. Was es enthielt, wird nach der voran¬ 
gegangenen Darlegung von Stieffel’s Bestrebungen leicht zu 
errathen sein. Es brachte auf ungefähr einer Seite 1) die 
durchschnittliche Witterung des Januar, auf der nächsten („weil 
in jedem 19. Jahre die Phasenänderungen des Mondes auf 
die nämlichen Tage fallen“) 2) die Witterung des Januars 
1825, weiter 3) die des Novembers und Decembers 1843, 
ferner 4) Regeln zur Beurtheilung des Barometers, der Wolken 
und Luftbeschaffenheit, der Niederschläge, kurz der Witterungs¬ 
erscheinungen im Januar, endlich nach 5) einer kurzen Be- 


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183 


lehrung über das Barometer und nach 6) Angabe der bezüg¬ 
lichen Volks wetter regeln die Hauptsache, 7) die Vermutliche 
Witterung im Januar, diese in folgender Form: 

vom 1.—3. eine Periode W.-S.licher Winde, Barometer 
im Fallen, windig, trüb, nicht kalt, geneigt zu Schnee 
und Regen; 

vom 4.-8. eine Periode O.-N.licher Winde, Barometer 
im Steigen, erst trüb und Schnee, etwa am 5., dann 
Aufheiterung, kalt am 7., doch nicht zu streng und 
anhaltend; 

vom 9.—11. eine Periode W.-S.licher Winde, Barometer 
fallend, stürmisch, Regen, dann Schnee; 
u. s. w. — zum Schluss: 

Im Ganzen sind W.-S. liehe Winde vorherrschend, daher 
mild und nass, auch stürmisch, Schnee und Kälte nicht 
bedeutend. 

Der Januar verging; an seinem letzten Tage erschien 
das Zeus-Heft für den Februar und brachte für diesen die¬ 
selben sieben Abschnitte mit ihren entsprechenden Angaben 
wie im vorigen Monat. Der interessanteste und gewiss mit 
Spannung erwartete dieser Abschnitte war der dritte, der 
über die „Nächstvergangene Witterung“ Bericht erstattete: 
hier wiederholte Stieffel in kleinem Druck die von ihm im 
Monat zuvor vermuthete Witterung und stellte von Periode 
zu Periode daneben die thatsächlich stattgehabte und die 
genaue Angabe, ob und inwieweit seine Voraussage einge¬ 
troffen sei oder nicht, so jedem Leser die Vergleichung vor 
Augen rückend. Er konnte mit offenbarem Vergnügen fest¬ 
stellen, dass für 21 der verflossenen 29 Tage seine 
Vermuthung eingetroffen sei. Und weiter erfahren wir, 
es seien ihm „von den Freunden des Zeus, deren er schon 
viele, besonders unter den Aerzten, Geistlichen und Oeco- 
nomen zähle, die erfreulichsten Versicherungen zugekommen, 
dass ihr Vertrauen durch den ersten Versuch nicht getäuscht 
worden sei“. 

So setzte also Stieffel sein Unternehmen fort, dabei frei¬ 
lich ehrlich erklärend, dass er auch „das ungünstige Urtheil 
nicht scheue, wenn völlig unregelmässiges Wetter an die 


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184 


Stelle des normalen tritt, weil wir nirgends behaupten, das 
erstere zu wissen oder wissen zu können“. 

Vorerst trafen seine Voraussagen befriedigend ein; gleich¬ 
wohl „verhinderten eine mehr oder minder falsche Auffassungs¬ 
weise und der Mangel an Aufmerksamkeit bei gewöhnlichen 
Witterungswechseln eine lebhaftere Anerkennung“ (S. 44). 
Diese kam aber reichlich, als er dem sonst so wetterwendischen 
April einen gegentheiligen Charakter vorhergesagt hatte; nach 
diesem „ganz aus seiner Art geschlagenen April... erkannte 
man an, hier ist nicht bloss glücklicher Zufall, sondern 
sichere Berechnung und Erfahrung allein vermag solches zu 
leisten“ und „Zuschriften mit Anerkennung folgten nun von 
allen Seiten“. 

Am Ende des ersten Halbjahres seiner Prognosen konnte 
Stieffel mittheilen (S. 59), dass „sich nicht nur die öffent¬ 
liche Meinung, sondern auch die der Meteorologen anerken¬ 
nend über diese Vergangenheit ausgesprochen“ habe; die 
Oberrheinische Zeitung, Karlsruher, Pforzheimer, Mannheimer 
Tagesblätter, die Weserzeitung brachten lobende und aner¬ 
kennende Berichte: man habe anfangs über das Unternehmen 
gespöttelt, aber mit dem wachsenden Erfolg des Eintreffens 
habe sich das neue Blatt Bahn gebrochen und habe sich 
einen weit reichenden Leserkreis erworben. In der That 
musste von den Monatsnummern des Januar bis Mai eine 
zweite Auflage gedruckt werden. 

Der Rückschlag blieb nicht aus, als gleich darauf die 
Vorhersage für den Juli sich als fast völlig verfehlt erwies, 
ein Fehler, der Stieffel zufolge durch die am 30. anstatt 
am 28. Juni erfolgte Vorhersage hätte vermieden werden 
können, der ihn „übrigens an seinen Berechnungen nicht irre 
machen könne“ (S. 62). 

Er setzte sie also fort und erklärt im Vorwort zum 
neuen Jahrgang 1845 erneut das Ziel seiner Arbeit.: „Was 
er eigentlich mit seinen Vermuthungen will, ist, 
Andere mit den Augen seiner Erfahrung sehen zu 
lassen. Dabei bescheidet er sich gerne, erst nach einem 
vorgesteckten Ziele zu streben. ... Er macht weder das 
Wetter, noch kann er dafür, wenn es nicht eintrifft. Es ist 
eben die Natur der natürlichen Dinge, in ihrer einzelnen Er- 


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J 



185 


scheinung das Gesetz oft nur verhüllt und verschoben abzu¬ 
bilden, während Wissenschaft und Kunst dem Gesetze nach¬ 
gehen und ein getreues Abbild desselben zu geben ver¬ 
suchen.“ 

Und ein halbes Jahr später (S. 49 ff.) spricht er sich 
über die die Vorhersagungen des Zeus ermöglichende und 
bedingende „Methode“ aus und sagt dabei: „Wenn wir es 
versuchen, das bloss Wahrscheinliche, also die Kegel in 
den Erscheinungen für ein bestimmtes Witterungsgebiet und 
für die nächste Zukunft aufzustellen, so wollen wir damit 
eine alte Forderung befriedigen, die an die Meteorologie 
gemacht wird, auch dem Leben nützlich zu werden, und 
ein allgemeines Interesse an derselben erwecken. Werden 
wir damit vielfältig verkannt und in die verspottete Klasse 
der Wetterpropheten gesetzt, so haben wir dies zunächst 
zu dulden und uns anderseits mit der jetzigen und künftigen 
Anerkennung zu trösten, die für unsere Methode nicht aus¬ 
bleibt und nicht ausbleiben kann.“ 

Stieffel setzte unbeirrt seinen Weg fort, aber nicht nur 
Wetter vorherverkündend und Monat um Monat Vorherver¬ 
kündigung und thatsächliche Witterung neben einander 
stellend, sondern stets darnach strebend, die Errungenschaften 
der wissenschaftlichen Witterungskunde weiteren Kreisen zu 
vermitteln. Diesem Zwecke dienten die durchaus populär ge¬ 
haltenen und stets auf praktische Verwerthung abzielenden 
Aufsätze, welche er über meteorologische Gegenstände in den 
fünf ersten Jahrgängen seines „Zeus“ einrückte. So be¬ 
handelte er nach einander die einzelnen Witterungselemente 
im Allgemeinen und die ihrer Erforschung dienenden Werk¬ 
zeuge, studirte besondere auffallende Erscheinungen, wie 
übermässig warme Tagesgruppen oder Windhosen, gab auch 
vielfach graphische Darstellungen gewonnener Zahlenergebnisse 
und Vergleichungen solcher aus verschiedenen Orten und 
Zeiten, klärte auf über den sogenannten hundertjährigen 
Kalender, beschrieb sein eigenes meteorologisches Obser¬ 
vatorium, sowie seine Art zu beobachten und sein Tage¬ 
buch u. 8. w. Seit April 1844 fügte er auch wieder regel¬ 
mässig Belehrungen und Berichte bei über die „Erscheinungen 
am Sternenhimmel“. 


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186 


So hatte er jetzt 22 Jahre lang seine Wetterstudien be¬ 
trieben und hatte während eines Jahrfünfts allmonatlich seine 
Vorhersagen veröffentlicht; er ging nun einen Schritt weiter. 
Die Wissenschaft, sagt er, habe sich „bisher mehr an die 
Untersuchung der Beschaffenheit und Veränderung wesentlicher 
Erscheinungen gehalten und habe die lebensvolle Wirklichkeit 
der bestimmten Witterung einzelner Tage nur wenig oder 
gar nicht beachtet“; es sei aber „nothwendig, aus dem All¬ 
gemeinen der unbestimmten Wahrnehmung das Bestimmte 
zu scheiden, abzutheilen und zur deutlichen Vorstellung zu 
bringen“ und so „die fliessende Natur des Wetters festzu¬ 
halten und in besonderen Bildern aufzustellen“. Die Witterung 
jedes Tages habe ein bestimmtes Gepräge, einen gewissen 
Charakter oder Typus, und demgemäss habe die fortschreitende 
Wissenschaft die Aufgabe, die in unserem Witterungsgebiet 
vorkommenden Witterungstypen festzustellen, sie ganz wie 
die Pflanzen und Thiere in der Naturgeschichte nach Arten, 
Gattungen, Familien, Ordnungen und Klassen zu scheiden, 
von jedem Typus zu ermitteln, aus welchem anderen er ent¬ 
standen und in welchen er übergehe, wie lange im Durch¬ 
schnitt und im einzelnen Fall er dauere und schliesslich wie 
sich jeder Witterungstypus erklären lasse. In der That, eine 
schwierige Aufgabe — aber Stieffel unterzog sich ihr und 
arbeitete mit eisernem Fleiss an ihrer Lösung: die Jahr¬ 
gänge 1849 und 1850 seines „Zeus“ veröffentlichten das 
Ergebnis seiner Untersuchungen als „ersten Versuch“ auf 
diesem Gebiete, der zunächst die „Möglichkeit“ einer solchen 
Festlegung von Wilterungstypen darthun sollte. 

Er unterscheidet zunächst vier Klassen, nämlich Winter-, 
Frühlings-, Sommer- und Herbsttypen*, indem er da¬ 
bei das Eintreten oder Nichteintreten einer mittleren Tages¬ 
temperatur von höchstens oder mindestens 5° und 14° R. als 
kennzeichnend ansieht. Jede dieser Klassen theilt er in zwei 

* In kleinem Unterschied gegen die vor neun Jahren aufgestellte 
Scheidung der klimatischen Jahreszeiten (s. ob. S. 62) rechnet er jetzt 
als Qrenztage den 24./25. März, 8./9. Juni, 4./5. September, 7./'8. November 
(als Mittel aus 57 Jahren) und berechnet so den Frühling, Sommer, Herbst 
und Winter jetzt mit bezw. 76, 88, 64, 137 Tagen. 


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187 


Ordnungen, in solche ohne nasse Niederschläge und solche 
mit nassen Niederschlägen, d. h. in trockene und nasse Typen. 

Jede der Ordnungen der trockenen Witterungstypen 
scheidet er je nach dem Grade der Bewölkung in vier Familien, 
nämlich in: 1. heitere, 2. unterbrochen heitere, 3. durch¬ 
brochen trübe, 4. trübe (vgl. Anm. S. 78); anderseits scheidet 
er die nassen Winter-, Frühlings- und Herbsttypen je in drei 
Familien, nämlich in solche 1. mit Regen, 2. mit Regen 
und Schnee, 3. mit Schnee, und jede derselben in drei 
Gruppen, die durch die drei Ueberschriften „unterbrochen 
heiter“, „durchbrochen trübe“, „trübe“ gekennzeichnet werden; 
bei den nassen Sommertypen fallen natürlich die zwei letzten 
Familien weg. 

Jede Familie hat durchweg zwei Gattungen: die eine 
mit einer für den Tag der betreffenden Jahreszeit niederen, 
die andere mit entsprechend hoher Temperatur, für Frühling, 
Herbst und Sommer die ersteren kühl oder rauh, die letzteren 
warm bis heiss genannt, für Winter jene als kalt, diese als 
gelinde bezeichnet. 

Auf diese Weise bildet Stieffel 4 Klassen, 8 Ordnungen, 
26 Familien, 92 Gattungen von Wettertypen, und dadurch, 
dass er jede der letzteren je nach der Richtung und Stärke 
des Windes in 9 Einzelfälle gliedert, gewinnt er im Ganzen 
für das Jahr ein Schema von 828 Einzeltypen der Witterung, 
nämlich je 234 Einzeltypen für Winter, Frühling und Herbst 
und 126 Einzeltypen für den Sommer. 

Ob diese schematisch gebildeten Einzeltypen in der 
Natur wirklich Vorkommen, stellt er fest an der Hand seines 
eigenen seit 21 Jahren geführten Tagebuches und auf Grund 
der älteren Beobachtungen. 

Um die Fülle, ja Ueberfülle des Stoffes zu bewältigen, 
schafft er sich zunächst eine eigene abkürzende Zeichen¬ 
sprache*, welche ihm gestattet, die Witterung, ja selbst den 


* Stieffel lässt bedeuten (Zeus 1849, S. 3): 


d = Duft, 

d/r = Reif durch Duft, 
n = Nebel, 
n/r — Reif durch Nebel, 
r = Regen, 


s/g = Graupelschnee, 
h = Hagel, 
g == Gewitter, 
g/w = Wetterleuchten, 
r/o = Glatteis, 


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Witterungsverlauf eines Tages in einer einzigen Zeile hin¬ 
reichend scharf darzustellen. So bedeutet z. B.: 

d/r h 2 ' 40 ° W-S olo tV0 bA= 

für den 12. Dezember 1848: „Morgens Duft, Reif, einige 
Wölkchen, später mehr Wolken, Nachmittags und Abends 
heiter und duftig; stille Luft, die Windrichtung schwankt 
etwas zwischen SW und SO; die Temperatur nieder bis Eis; 
das Barometer hoch und stetig“; 

— oder in später etwas vollständigerer Ausführung, wie z. B.: 

33 

86 h 42 ;®- S-N 2 tA21 bV< 

44 

für den 11. Juni 1801: „Unterbrochen heiter, Regen, wechseln¬ 
der, wenigstens einmal starker Wind, Sommertemperatur, 
höchste 21°, Barometer unter Mittel, steigt; dies gibt den 
Sommertypus 86, der vorgehende Tag hatte den Typus 33, 
der folgende den Typus 44“. 

In derartige, die Witterung und den Witterungsverlauf 
jedes Tages abgekürzt und doch kennzeichnend darstellende 
Formelzeilen schreibt nun Stieftel die Beobachtungen der 

rt = Regentropfen, ro = Gefrorene Regentropfen 

rs = Regen mit Schnee, fallen als Eiskörnchen 

s = Schnee, herab. 

8f == Schneeflocken, 

Ferner bedeutet ihm h mit den beigefügten Exponenten 0, 1, 2, 
. . ., 9, 10 den Grad der Himmelsbewölk ung derart, dass ein Tag, 
an welchem die Summe dieser Exponenten höchstens 3 ergibt, „heiter“ 
heisst, aber „unterbrochen heiter“, „durchbrochen trüb“, „trüb“ heisst, 
wenn jene Summe hezw. mehr als 3 und weniger als 15, mehr als 15 
und weniger als 27, mehr als 27 ausmacht. 

Weiter bedeutet O-N ein Schwanken der Windrichtung auf der 
kalten trockenen Seite der Windrose (NW, N, NO, 0) und W-S ein 
Schwanken auf der warmen nassen Seite der Windrose (SO, S, SW, W). 
Das Umschlagen aus O-N in W-S bezeichnet er durch O-W. das entgegen¬ 
gesetzte durch W-O. 

Die Windstärke (von Windstille bis Sturm) wird augedeutet 
durch Beifügung der Exponenten 0, 1,2, 3, 4. Betreffs der Tem¬ 
peratur bedeutet t/\ hohe, tV niedere, t= mittlere Temperaturin ihrer 
Klasse; t> bedeutet ab-, t< zunehmende Temperatur. Entsprechend 
beim Barometerstand, z. B. b/\> hoher fallender B. u. s. w. 


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letzten 40—50 Jahre um, so nicht weniger als 18 262 Zeilen 
benöthigend; die sämmtlichen Einzelformeln jedes bestimmten 
Tages ordnet er nach dem dargelegten Schema der Wit¬ 
terungstypen und klebt sie in dieser Ordnung auf ein Blatt, 
so dass er für jeden Tag des Jahres in bequemer Uebersicht 
die stattgehabten Witterungstypen vor Augen hat und daraus 
geradezu die „Witterungsgeschichte jedes Tages im Jahre ; ‘ 
abzuleseu vermag, dies um so leichter, als er seine Tages¬ 
formeln auf gegen 600 Kreissektoren-Blättern auch graphisch 
darstellt. * 

Seine Arbeit wird jäh unterbrochen durch die Stürme 
der Revolution. Dem Ruf zu den Waffen folgend tritt 
Stieffel bei der Karlsruher Bürgerwehr ein, und in der 
schauerlichen Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1849 wird 
auch er durch den Generalmarsch um Mitternacht aufge¬ 
scheucht, um das Zeughaus gegen die Angriffe der Frei- 
schaaren zu vertheidigen; als Freiwilliger begleitet er in jener 
Nacht seinen Obersten auf dem gefahrvollen Wege des Unter¬ 
handelns mit den abgefallenen zügellosen Soldaten. 

Begreiflich, dass in jener Zeit der allgemeinen Auflösung, 
bei solchem Zustand der politischen und socialen Atmosphäre 
das „Monatsblatt für künftige vermuthliche Witterung“ sein 
Erscheinen einstellte: im zweiten Halbjahr von 1849 igt der 
„Zeus“ nicht ausgegeben worden. 

Aber sofort mit Neujahr 1850, als die Verhältnisse sich 
wieder beruhigt hatten, trat Stieffel mit seinen Wetterberichten 
und Wettervorhersagen wieder hervor. Und jetzt sucht er 
auch Nutzen zu ziehen aus seiner tabellarischen Witterungs- 

* Die Ergebnisse dieser Arbeit grossen beharrlichen Fleisses hatte 
Stieffel in 12 Foliomappen gesammelt, jede für einen Monat bestimmt; 
als IS. kam hinzu die, in welcher er die Grundsätze seines Verfahrens 
und die Erklärung seiner Zeichen darlegte. Dieses umfassende Manu¬ 
skript gedachte er zu veröffentlichen unter dem Titel: „Grundlegung 
einer Charakteristik der Witterung für Mitteleuropa aus 50—67jährigen 
Beobachtungen in Karlsruhe“. Mit einer Stuttgarter Verlagsbandlung 
eingeleitete Unterhandlungen zerschlugen sich, uud so vermachte er dieses 
handschriftliche Werk im Vorgefühl seines nahen Todes der Grossh. 
Polytechnischen Schule. Diese, die jetzige Technische Hochschule zu 
Karlsruhe, besitzt es noch in ihrer Hibliotbek (freilich leider ohne die 
IS. Mappe). 


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190 


geschieht« der einzelnen Tage und Monate und wünscht jeden 
Leser mit deren Hülfe in den Stand zu setzen, noch sicherer 
wie vordem aus der gegenwärtigen Witterung einen Wahr- 
scheinlichkeitsschluss auf die nächstkünftige zu machen. 

Zu diesem Zwecke veröffentlicht er in engem Rahmen 
und nur Ziffernbezeichnung benützend den wesentlichen Ge¬ 
halt seiner Uebersichtstabellen, und zwar gibt er diesen für 
jeden Monat zweimal: erstens in schematischer Form, von 
seiner naturgeschichtlichen Eintheilung der Wettertypen Ge¬ 
brauch machend, und zweitens der Zeitfolge der Jahre nach. 

Als Beispiel des ersteren wähle ich ein paar Zeilen aus 
den Angaben für Januar, nämlich das Mittel aus 60 Jahren: 

rt 15. rm 229. t—0.1. to 18. WS 47. b 10,5 
und als Einzelfälle: 

A. Trockener Wintertypus. 

I. Gelinde mit Kälteperioden. 

1. Ost-Nordwinde vorherrschend, 
a. Barometer hoch. 

.1821 

.....< .1825 

rtll. rml90.11,2. mx7. mi— 6. toi 6. WS 35. bl 1,6 1824.(1. 


B. Nasser Wintertypus. 

VI. Kalte mit gelinden Perioden. 

2. West-Südwinde vorherrschend, 
b. Barometer im Mittel. 

.1846 

.. 1849 

rt 21. rm 654. t0,7. mx8. mi —9. to 14. WS74. b 10,0 1839. (24 


Letzteres bedeutet, dass im Januar 1839 (als einem der 
studirten 60 Jahre) die Zahl der Regentage 21 betrug, die 
gefallene Regenmenge 654 badische Kubikzoll, die Tem¬ 
peratur 0,7°, das Maximum 8°, das Minimum —9°, dass es Tage 
mit 0° in der Zahl 14 gab, dass der Barometerstand = 
27 badische Zoll -|- 10,0 Linien betrug, endlich dass sich in 


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191 


diesem Januar 1839 der 24. Typus des aufgestellten Typen¬ 
schemas verwirklicht hat. 

So ergeben die 60 Exemplare Januar im Ganzen 30 Arten 
(Typen) in 7 Gattungen. 

Als Beispiel von Stieffels zweiter Gruppe von Tabellen 
wähle ich ebenfalls die auf den Januar bezügliche; diese ent¬ 
hält unter der Ueberschrift 60 Zeilen wie die folgenden zwei: 


Ja¬ 

nuar 

.A 

b v 

W-S 

N-0 

<! © 

r rs 

S 

n 

h° 

1820 





. 




4*5 

2*3 

24 





1821 

1* 2* 3 

145 

Tö~ 

123 4 

1 

45 

4 


245 

125* 4* 

1345 





1822 

1* 


2 

12345 12 

1235 

• 

245 

1823 



1 




• 


In dieser auszugsweisen Darstellung bedeuten die Ziffern 
1, 2, 3, 4, 5 die aufeinanderfolgenden Fünftel (Hexaden) 
des Monats, die Sternchen bei der Angabe der Windrichtung 
das Walten von stürmischem Wind, im Uebrigen gelten die 
Zeichen, wie sie S. 78 erläutert wurden. 

Derartige Doppeltabellen für jeden Monat des Jahres 
füllen den grössten Theil des Zeus-Jahrganges 1850, und es 
ist hieraus nur zu erklärlich, dass die Theilnahme und Freude 
an solcher Art und Anleitung der Wettervorhersage bedenk¬ 
lich abnehmen musste; von allen Seiten dürften dem Heraus¬ 
geber Zuschriften und Abmahnungen zugekommen sein. Schon 
im Aprilheft bestätigt dies Stieffel selbst: „Die Abneigung 
— sagt er —, sich auf eine blosse Ziffer- und Zeichensprache 
einzulassen, ist so allgemein, dass unser Artikel I wenig 
Freunde haben wird und daher, wie fast zu fürchten steht, 
den nützlichen Zweck nicht vermittelt, welcher damit erreicht 
werden sollte. . . . Dagegen wird es freilich auch solche 
geben, welche Art und Inhalt dieses Artikels zu schätzen 
und zu benützen wissen. Sie werden die zwölf Monate des 
1850er Zeus als Taschenbuch stets zur Hand haben und ihn 

6 


t. 


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192 


häufig und nie vergeblich über die Vergangenheit und Zu¬ 
kunft der Witterung befragen.“ 

In dieser trostreichen Zuversicht führte er sein einmal 
begonnenes Vorhaben durch — aber freilich mit der natur- 
nothwendigon Folge, dass sich die Zahl der Abnehmer des „Zeus“ 
mehr und mehr verminderte und dass diese schliesslich ausblieben. 
Denn so müssen wir es wohl deuten, dass im Jahr 1851 der 
„Zeus“ nicht mehr selbständig erschien, sondern in Form 
eines Quartblattes je als Monatsbeilage zum Grossh. Badischen 
Landwirthschaftlichen Wochenblatt ausgegeben wurde mit 
dem Titel „Der Wetterbote aus der Vergangenheit und für 
die nächste Zukunft“; er gab nur noch die Mittel des ab¬ 
laufenden und neu anhebenden Monats und die verinuthliche 
Witterung dieses letzteren. 

Aber „nach einer Entschliessung der Grossh. Central¬ 
stelle des Landwirthschaftlichen Vereins wird der Wetterbote 
als Beilage nicht mehr erscheinen“ so hatte Stieffel Ende 
1851 öffentlich mitzutheilen, kündigte jedoch sofort auch die 
erneuerte Fortsetzung seines Monatsblattes „Zeus“ an. 

In der That erschien dieser wieder in der früheren Art. 
aber nur noch für die ersten acht Monate des Jahres 1852. 
Ende Juli hatte Stieffel noch das Augustheft fertiggestellt 
und war zu einem erneuten Aufenthalt auf Helgoland aus¬ 
gezogen, behufs Stärkung seiner Gesundheit —der 17. August 
setzte dort seinem Leben und Wirken ein Ende. Der Jahr¬ 
gang 1852 des „Zeus“ steht somit unvollendet in unseren 
Bibliotheken. 

In diesem letzten Jahrgang hat Stieffel, wie im Vor¬ 
gefühl seines nahen Todes, nochmal Rückschau gehalten auf 
seine Arbeit, man kann wohl sagen auf das Werk seines 
Lebens, und er hat erneut die Frage beantwortet, „inwiefern 
es bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft möglich 
ist, die Witterung eines gewissen Zeitabschnittes für ein 
bestimmtes Witterungsgebiet mit einem gewissen Grade von 
Wahrscheinlichkeit vorherzusagen“. 

Seine Gründe für die Bejahung dieser Frage und seine 
Art der Beantwortung kennen wir ja, ich will sie nicht 
wiederholen; wohl aber will ich versuchen, jetzt, nachdem 
40 Jahre seit seinem Tode vergangen und nachdem die 


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193 


Witterungskunde einen erneuten Aufschwung auf neuer 
Grundlage genommen, das Werk seines Lebens und sein 
Streben nach dem ersehnten Ziele zu würdigen. 

Die Grundlage jeder Naturforschung ist die Beobachtung, 
die Feststellung des Thatsächlichen; zur Erforschung des 
Wetters im Besonderen bedarf es langwährender und sorg¬ 
fältiger Beobachtungen und Aufzeichnungen. Und gerade 
betreffs dieser grundlegenden Thätigkeit verdient Stieffel 
ganz besonderes Lob: er ist in allererster Reihe ein aus¬ 
dauernder und ein genauer Beobachter. Nicht mit Mit¬ 
teln des Staates oder eines Vereins, sondern, mit einer aus 
eigenen, man darf wohl sagen am Munde abgesparten Mitteln 
selbst gebildeten Einrichtung, aus freier Neigung in Neben¬ 
momenten seines Berufes setzt er durch dritthalb Jahrzehnte 
ohne Unterbrechung seine Beobachtungen fort, sich anschliessend 
an die berühmte Mannheimer Glanzperiode des vorigen 
Jahrhunderts. Das Urtheil über sein Thun möge uns der 
amtliche erste Jahresbericht der Badischen Meteorologischen 
Centralstation Karlsruhe geben (1869). Hier heisst es 
(S. 273): „Stieffel beobachtete in ausgedehnterer und sorg¬ 
fältigerer Weise als seine Vorgänger. Die Stieffel’sche Be¬ 
obachtungsreihe ist die zuverlässigste, nicht nur wegen der 
ausgezeichneten Sorgfalt der Beobachtungen, sondern auch 
wegen der besseren Beobachtungsmethode und der besseren 
Beobachtungsinstrumente. Während vom Jahre 1798 an die 
Beobachtungsstunden von einem Tage zum andern Morgens 
zwischen 6 h und 8 h , Mittags zwischen l h und 3 h und Abends . 
zwischen 9 h und ll h beliebig schwankten, führte Stieffel 
die ursprünglichen Beobachtungsstunden 7 h , 2 h , 9 h wieder ein. 
An die Stelle des De Luc’schen und Saussure’schen Hygro¬ 
meters, mit welchem früher die Feuchtigkeit der Luft be¬ 
stimmtworden war, setzte Stieffel das zuverlässigere August’sche 
Psychrometer. Die Grade der Bewölkung, welche vor ihm 
mehr oder weniger roh geschätzt worden waren, ermittelte 
Stieffel genauer unter Zugrundelegung der lOtheiligen Be¬ 
wölkungsskala.“ 

Wie Stieffel selbstthätig das Wetter beobachtete, so 
suchte er auch an anderen Orten Mitarbeiter zu gewinnen, 

13 


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194 


überzeugt, dass nur die gemeinsame gleichartige Arbeit 
Vieler zur Annäherung ans Ziel führen könne. „Erst ihm 
gelang die Errichtung eines über das ganze (badische) Land 
ausgedehnten Systems meteorologischer Stationen. Auch 
erfolgte auf seine Anregung durch Vermittelung der Central¬ 
stelle des Landwirtschaftlichen Vereins im Jahre 1834 die 
Gründung eines Badischen Meteorologischen Vereins. Die 
Zahl der zur damaligen Zeit ins Leben getretenen verläss¬ 
lichen Stationen gibt Stieffel selbst* auf sieben an“.** 

Prof. Stieffel suchte aber nicht nur sich selbst, er suchte 
auch seinen Mitmenschen, allen Schichten seines Volkes „ein 
weites Naturgebiet befriedigend aufzuschliessen“, er war 
Volkslehrer im besten Sinne des Worts. Und wenn auch 
die acht bis neun Jahrgänge seines Zeus und seine anderen zwei 
vorher veröffentlichten Schriften keine weitere, insbesondere 
keine wissenschaftliche Bedeutung hätten oder haben, das 
Verdienst ist ihnen nicht abzusprechen, dass sie neben den 
wohlgepflegten literarischen und bald auch politischen In¬ 
teressen ebenso die naturwissenschaftlichen zu wecken suchten, 
dass sie in einer Zeit, wo die überreiche Fülle populärer 
Literatur sich noch nicht in alle Lande, am wenigsten in 
alle Schichten ergoss, dass sie damals in allgemein verständ¬ 
licher Weise den Sinn für Natur, das Verständniss für das 
scheinbar so regellose Wesen des Wetters zu fördern, zu 
vertiefen bestrebt waren, dass sie einer vernünftigen, einer 
rationellen Betrachtung, der Aufnahme einer Erklärung der 
• Naturvorgänge die Wege ebneten, dass sie physikalische 
Kenntnisse und Erkenntniss weithin verbreiteten. 

All dies bleibt wahr und ist eine wichtige Seite von 
Stieffel’s Wirksamkeit, wenn selbstder W etterprophet Stieffel 
vollständig zu verurtheilen wäre. Aber dass ihm mit letzterem 
in gewissem Sinn Unrecht geschähe, werden wir gleich 
sehen. Schauen wir uns zu diesem Zwecke um, wie es zur 


* ln einem Briefe Stieffels an Mahlmann rom Jahre 1846. Vgl. 
Hellmann, Repert. der deutschen Meteorol. 

** Beiträge zur Hydrographie des Grossherzogthums Baden, 2. Heft 
(1886), S. 6. 


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Zeit von Stieffels öffentlichem Auftreten um die Wettervorher¬ 
sage stand. Ein paar Beispiele genügen, dies darzuthun. 

Goethe erklärt (1825) zwar* „die Hauptbedingungen 
der Witterungslehre für tellurisch“, schreibt aber „die atmo¬ 
sphärischen Erscheinungen einer veränderlichen pulsirenden 
Schwerkraft der Erde“ zu und vergleicht diese „einem Ein- 
und Ausathmen vom Mittelpunkt gegen die Peripherie“; er 
stellt es dann, unentschieden lassend, ob darauf gegründet, 
als seine „Ueberzeugung hin, dass man 24 Stunden vorher 
die Witterung Voraussagen könne“, fährt dann freilich mit 
den Worten weiter: „Nimmt man dieses auch nicht für so 
ganz entschieden an, da in der täglichen Erscheinung auch 
irgend ein Schwanken gar wohl zum Vorschein kommen 
könnte, so kann man doch versichert sein, dass es in der 
Hauptsache nie trügen werde“. 

Dieser halb zuversichtlichen, halb schwankenden Meinung 
Goethe’s gegenüber lauten die Urtheile von Naturforschern 
der damaligen Zeit recht bestimmt, aber durchaus nicht in 
einem Sinne, der Stieffel’sche Bestrebungen hätte ermuntern 
können. 

Denn Littrow legte in der Naturforscherversammlung 
zu Jena (1835) ausführlich dar, nicht nur dass man in der 
Meteorologie noch gar nichts wisse, sondern auch dass über¬ 
haupt eine Beschäftigung damit thöricht sei. Auch Olbers 
sprach sich verwerfend aus über die praktischen Zwecke der 
Meteorologie seiner Zeit. Und Arago führt in einer aus¬ 
führlichen Abhandlung im Kalender für 1846 den Beweis, 
dass man niemals dazu gelangen werde, weder auf ein Jahr, 
noch auf einen Monat, ja nicht auf einen Tag die Witterung 
vorherzusagen; aus seinen Untersuchungen über die Störungen 
im Witterungsverlauf zieht er die gar zu kühne Folgerung, 
dass, welches auch die Fortschritte der Naturwissenschaft 
sein möchten, kein Naturforscher, wenn er ehrlich und eifer¬ 
süchtig auf seinen Ruf wäre, es jemals wagen würde, die 
künftige Witterung vorherzusagen (!). 

Auch Kämtz, „dessen Lehrbuch der Meteorologie in 


* Goethe’s Werke, Cotta’ache Ausgabe von 1867, Bd. 36, S. 216. 
212. 209. 


13* 


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196 


der Geschichte dieser Wissenschaft epochemachend“ war*, 
sagt zwar (1838)**, „dass die Natur bei den Aenderungen 
der Witterung nicht nach Laune regiert, sondern dass auch 
hierbei ewig unwandelbare Gesetze stattfinden“, aber zwei 
Jahre später lehnt er, der Mann der Wissenschaft, gleichwohl 
irgend welches Vorhersagen kurz und bündig ab, und es ver¬ 
dient die durch einen Vergleich gegebene Begründung seiner 
Meinung hier erwähnt zu werden ***: „Der Meteorolog — sagt 
er — ist durchaus nichts als der Geschichtschreiber der Wit¬ 
terung, er hat es nur damit zu thun, die Gesetze der ver¬ 
gangenen Ereignisse aufzusuchen, und so wenig als man es 
von einem Erzähler der Völkergeschichte fordert, dass er die 
zukünftigen Ereignisse mit Bestimmtheit angebe, ebenso wenig 
darf man es von ihm verlangen.“ 

Und Humboldt — ? Er sagt uns zwar im Kosmosf, 
es habe ihm „immer geschienen, dass die Meteorologie ihr 
Heil und ihre Wurzel wohl zuerst in der heissen Zone suchen 
müsse, in jener glücklichen Region, wo stets dieselben Lüfte 
wehen, wo Ebbe und Fluth des atmosphärischen Druckes, 
wo der Gang der Hydrometeore, wo das Eintreten elektrischer 
Explosionen periodisch wiederkehrend sind“; aber zwei 
Seiten vorher lesen wir, wie i. A. „die Mannigfaltigkeit der 
Störungen beschränkt und grösstentheils unmöglich macht 
die Vorherbestimmung atmosphärischer Veränderungen. Die¬ 
jenigen, welche den Werth der Meteorologie nicht in die 
Kenntniss der Phänomene selbst, sondern in jene proble¬ 
matische Vorherbestimmung setzen, sind von der festen Ueber- 
zeugung durchdrungen, dass die Meteorologie sich seit Jahr¬ 
hunderten keiner Fortschritte zu rühmen habe. Das Ver¬ 
trauen, das sie den Physikern entziehen, schenken sie dem 
Mondwechsel und gewissen, lange berufenen Kalendertagen.“ 

Also auch Humboldt, trotz seinem genialen und beredten 
Hinweis aqf die Tropenwitterung und die aus dem Ver¬ 
ständnis dieser zu erhoffende Einsicht, verhält sich äusserst 

• van Bebber, Handbuch d. a. W., I, 283. 

•• Nach Stieffel’s „Zeus“, Jhrgg. 1852, S. 12. 

••• Kämtz, Vorlesungen über Meteorologie, 1840, S. VII. 

f Kosmos, Bd. I, S. 366. 


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zweifelnd betreffs der Wettervorhersage für andere als tro¬ 
pische Breiten, er lässt sich daran genügen, Spott auszu¬ 
giessen über verfehlte Richtungen des Arbeitens, er ermuntert 
nicht, er mildert nicht seinen Hohn durch einen Ausblick auf 
anderweitig anzustellende Versuche. 

So sieht sich Stieffel ganz auf sich allein gestellt, als 
er sich daran macht, wie er glaubt, auf wissenschaftlicher 
Grundlage seine Wettervorhersagen auszubilden und zu ver¬ 
öffentlichen. Es gehörte in der That kein geringer Muth 
dazu, entgegen der geltenden wissenschaftlichen Ansicht seine 
abweichende Meinung öffentlich darzulegen und die Erprobung 
ihres Werthes jedem Beliebigen anheimzugeben; „während 
Unwissenheit als gesunder Verstand und Aufklärung ange¬ 
rechnet wird, dem das Wetter nur Zufall ist, der sich frei¬ 
lich nicht ausrechnen lässt“, wagt er es, „sich dem üblen 
Rufe blosszustellen und das Vorurtheil durch den Erfolg zu 
bekämpfen“, ja, wie er hofft, „zu besiegen“. 

Er stützt sich auf die aus vieljährigen Beobachtungen 
abgeleiteten Mittelwerthe der Witterungselemente und ist in¬ 
sofern noch theilweise Vertreter der überkommenen und noch 
lange Zeit in Uebung gebliebenen statistischen und Durch¬ 
schnittsmethode ; aber Stieffel geht schon darüber hinaus, wie 
ich oben dargelegt: „Mittelzahlen — sagt er — drücken 
nicht die Wirklichkeit aus und werden daher nie ein Gegen¬ 
stand der Vorherbestimmung, sie dienen nur als Vergleichungs¬ 
momente.“ 

In Bezug hierauf schrieb* ihm der bekannte Dr. E. F. 
Schimper (1852): „Indem der Verfasser des Zeus Wahr¬ 
scheinlichkeiten aufstellt, hat er das System der Nivellirungen, 
der Isometrien, schon hinter sich gelassen. Nicht der all¬ 
gemeine mittlere Charakter der Zeitstrecken soll angegeben 
werden — der ist längst ermittelt oder wird es immer ge¬ 
nauer; sondern es wird auf eine besondere Durchführung so 
oder so geschlossen aus der erlebten besonderen Durch¬ 
führung, die vorangegangen, eine Vereinigung von Un¬ 
gleichheiten, resp. speciellen Abweichungen von dem eben 
damit als das Nichtwirkliche erklärten „„Mittel““.“ 

• Stieffel’s „Zeus“, Jbrgg. 1852, S. 28. 


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198 


Und wohl in demselben Sinn* nennt ein neuerer Be- 
urtheiler, J. van Bebber (1885), Stieffel’s Methode „schon mehr 
den Forderungen der Wissenschaft entsprechend“, aber frei¬ 
lich lautet sein Schlussurtheil dahin, dass diese Methode 
„dennoch ungenügend und erfolglos war“. Ein hartes Ur- 
theil — und bestenfalls gerechtfertigt nur dann, wenn man 
Stieffels Verfahren und Leistung misst an den Errungen¬ 
schaften der neuesten Zeit als Massstab, d. h. wenn man 
die oberste Pflicht geschichtlicher Würdigung bei Seite setzt. 
Und was im Besonderen das „erfolglos“ betrifft, so könnte 
Stieffel, wenn er noch lebte, dem entgegentreten mit der von 
mir nicht geprüften, aber bei der Wahrhaftigkeit seines 
Wesens ungeprüft hinzunehmenden Behauptung, die sich in 
der letzten Februarnummer seines „Zeus“ findet, dass trotz 
seiner anfänglichen Ungeübtheit in den acht Jahren seiner 
Praxis etwa 70 v. H. seiner Voraussagungen, und zwar seiner 
Voraussagungen für einen ganzen Monat eingetroffen seien.** 
Die heutige Meteorologie, wie sie z. B. von der deutschen 
Seewarte ausgeübt wird, hat dagegen von ihren in den Jahren 
1877—1889 ausgegebenen nahezu 20000 Sturmwarnungen 
im Ganzen 55 v. H. Treffer gehabt oder 45 Trefferprocente, 
welche über dem zufälligen Eintreffen liegen, und von ihren 
allgemeinen Wettervorhersagen giebt sie die über dem blossen 
Zufall liegenden Trefferprocente für die Jahre 1886—88 zu 
durchschnittlich 14 an.*** 

Nun ist ja freilich klar, dass jene alten und diese neuen 
Zahlen nicht unmittelbar mit einander verglichen werden 
dürfen; aber trotz allem Schönen und Grossen, was die neuere 
Witterungskunde geleistet hat, ist eben doch das allgemein 
zugegeben, dass sie auf den „Erfolg“ ihrer Vorhersagungen, 
und zwar, wohlgemerkt, ihrer Vorhersagungen für einen, 
höchstens zwei Tage nicht gar stolz sein darf. 

Und was das „Genügen“ oder „Ungenügen“ der heutzu¬ 
tage verwandten wissenschaftlichen Methode des Wettervor- 
hersagens betrifft, so darf doch auch auf die folgende auf- 

* van Bebber, Handbuch d. a. W., I, 265. 

*• Stieffel’s »Zeus“, Jhrgg. 1852, S. 12. 

••• van Bebber, Handbuch d. a. W„ I, 382, 384. 


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199 


fallende Thatsache hingewiesen werden: der als Vorsteher 
einer bekannten und geachteten Wetterwarte mit dem Be- 
obachtungs- und Deutungsdienst wohlvertraute H. J. Klein 
hat* „unter dem Eindruck eben jener unerfreulichen That¬ 
sache, dass wir mit der Vorhersage noch nicht über die 
ersten Anfänge hinausgekommen sind, die Möglichkeit einer 
rein örtlichen, auf synoptische Thätigkeit ver¬ 
zichtenden Vorausbestimmung der Witterung ernstlich 
erwogen“. Und das mehr als 30 Jahre nach Stieffels Tod, 
nach der seitdem erfolgten glänzenden Weiterführung der 
Wetterkunde! 

Ferner wissen wir, dass erst in neuester Zeit W. Koppen 
die Aufeinanderfolge der unperiodischen Witterungserschei¬ 
nungen rationell zu betrachten in Angriff genommen hat, um 
die zu erwartenden Witterungswechsel und damit anderseits 
die Erhaltungstendenz des Wetters festzustellen.** Aber hat 
das nicht auch schon Stieffel als einen wichtigen Theil seiner 
Aufgabe erkannt, um so dem Wetterräthsel mehr und mehr 
auf die Spur zu kommen? Hat er nicht zum Theil für diesen 
Zweck seine Witterungstypen der einzelnen Tage aufgestellt 
(vgl. S. 76)? und wollte er nicht auch ihre Dauer im ein¬ 
zelnen Fall studiren und die Ursache oder wenigstens die 
Bedingungen ihrer Uebergänge in einander studiren? Also 
auch hier greift die neuere Entwickelung einen StieffePschen 
Gedanken wieder auf, wenn sie ihn natürlich an reicherem 
Stoff und in weiterem Ueberblick durchführen wird — zum 
Ziele gelangt ist hierin freilich auch die Neuzeit noch nicht. 

Und die Witterungstypen für ganze Jahresabschnitte, 
welche Hoffmeyer (1878) und van Bebber (1882) und Teis- 
serenc de Bort (1883) auf Grund der Erkenntniss von Zug¬ 
strassen der barometrischen Minima aufgestellt haben ***, 
linden sie nicht ihr freilich bescheidenes Vorbild in den eben 
wieder erwähnten Tageswitterungstypen, die Stieffel zu kenn¬ 
zeichnen, zu klassificiren unternahm? 

* S. Günther: Die Meteorologie ihrem neuesten Standpunkte ge¬ 
mäss u. s. w. (1889), S. 238. 

•* Ebenda, 8. 263. 

**• van Bebber, Lehrbuch der Meteorologie u. s. w. (1890), S. 317, 
324, 919. 


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200 


So sehen wir an einer Reihe einzelner Fälle, dass Stieffel 
beim Aufstellen der Ziele seiner Wetterforschung instinctiv 
auf richtiger Fährte war, wenn auch seine Methode nach 
dem Stande der damaligen Wissenschaft nicht als zulänglich 
bezeichnet werden kann. Aber auch berühmtere Mitarbeiter 
auf dem gleichen Felde hat die fortschreitende Wissenschaft 
überholt — man erinnere sich nur an den „Altmeister“ 
Dove! — und doch gedenkt ihrer die Wissenschaft mit An¬ 
erkennung und Dank; mir scheint — und es würde mich 
freuen, wenn ich durch meine vorstehende Darlegung zu 
diesem Ergebniss beitragen könnte — dass auch unser Karls¬ 
ruher Professor Stieffel, freilich viel kleiner als Dove, ehren¬ 
volle Erwähnung verdiene in der Geschichte der Wetterkunde 
wie in einer eingehenden Geschichte der Volkserziehung: er 
hat treu und ausdauernd, mit Hintansetzung eigenen äusseren 
Behagens nach dem hohen Ziele der Wahrheit gestrebt, der 
Wahrheit für sich und seine Mitlebenden, und wenn auch 
keine äussere Ehrenbezeugung und kein besonderer Lohn ihm 
zu Theil ward, trotz dem vielfachen, theils gut-, theils bös¬ 
artigen Spott über sein Prophetenthum durfte er mit Recht 
das Bewusstsein treuer Pflichterfüllung und edeln Strebens 
in sich tragen. Eine späte Zeit wird auch ihm gerecht. 


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Unsichtbare Sterne. 

Vortrag gehalten im Naturwissenschaftlichen Verein zu Karlsruhe am 
21. Oktober 1892. 

Von Dr. Fr. RUtenpart. 

Wenn wir an einem klaren Abende hinaustreten unter 
die wunderbare Pracht des Firmaments und die Sterne in 
ihrem so verschiedenen Glanze über uns erstrahlen sehen, so 
könnte uns der Gedanke beikommen, einmal den schwächsten 
aller Sterne aufzusuchen. Vielleicht glauben wir ihn in einem 
mattleuchtenden Pünktchen gefunden zu haben, das bald auf¬ 
blitzt, bald unsern Blicken entschwindet. Nehmen wir nun 
aber zur genaueren Fixirung dieser Stelle des Himmels ein 
Opernglas zur Hand, so sehen wir, dass der gedachte Stern 
gar nicht der schwächste ist, sondern dass jetzt um ihn lterum 
noch viel schwächere auftauchen und betrachten wir die Stelle 
mit einem kleinen Fernrohr, so ist unser vorhin gedachter 
schwächster Stern der hellste des ganzen Gesichtsfeldes, in 
dem noch viele kleinere stehen und dass selbst diese nicht 
die schwächsten sind, würden wir erfahren, wenn wir ein 
noch stärkeres Fernrohr zu Hilfe nähmen. Wir theilen die 
mit blossem Auge sichtbaren Sterne in sechs Klassen ein, 
dergestalt, dass die Helligkeit jeder folgenden Klasse sich zu 
der der vorhergehenden verhält wie 2:5, und wenn wir in 
gleicher Weise uns die Helligkeitsklassen fortgesetzt denken, 
so würde ein sechszölliger Refraktor, wie der hiesige, noch 
die Sterne zwölfter Grösse zeigen; ein Refraktor von 24 Zoll 
Oeffnung wäre schon nöthig, um die fünfzehnte Helligkeits¬ 
klasse sichtbar zu machen. Und unter den gleichen atmo¬ 
sphärischen Bedingungen zeigt das augenblicklich grösste 
Fernrohr, der 36-Zöller auf dem Mount Hamilton in Kalifor¬ 
nien, die Sterne bis zur sechszehnten Grösse. Damit ist aber 
auch die Grenze erreicht und doch ist nach dem Gesagten 
nicht zu zweifeln, dass die Konstruktion uocb stärkerer Ob- 
jektive|uns noch schwächere Sterne offenbaren würde. Aber 
selbst dann ist es klar, dass noch viele Sterne sich unserer 


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302 


sinnlichen Wahrnehmung entziehen, weil ihre Leuchtkraft eben 
noch unterhalb der durch die Kraft unserer Instrumente be¬ 
dingten unteren Grenze der Sichtbarkeit bleibt 

Es soll heute meine Aufgabe sein, ihnen jene Fälle vor¬ 
zuführen, wo solche unsichtbaren Sterne ihre Existenz dennoch 
unwiderleglich dem Auge des Geistes offenbart haben. Wir 
können für die Unsichtbarkeit drei Ursachen verantwortlich 
machen. Entweder ein Stern besitzt zwar hinreichende Leucht¬ 
kraft, befindet sich jedoch in einer die durchschnittliche der 
andern Sterne weit übertreffenden Entfernung; oder seine 
Entfernung ist zwar nicht so gross, aber seine Oberfläche 
sendet unverhält n issmässig wenig Licht aus und 2h letzterer 
Eventualität käme noch als Spezialfall hinzu, dass zwar weder 
die Leuchtkraft zu klein noch die Entfernung zu gross ist, 
dass jedoch der Stern einem viel helleren am Himmel so 
überaus nahe steht, dass er von dessen Glanze für uns völlig 
überstrahlt wird; ebenso wie z. B. die vier älteren Jupiters¬ 
monde mit blossem Auge wohl sichtbar wären, wenn sie sich 
nicht für dasselbe in den Strahlen ihres Hauptplaneten ver¬ 
bärgen. Von diesen drei Fällen kann jedoch der erstere 
nicht in Betracht kommen, denn da, wie wir gleich sehen wer¬ 
den, sich die unsichtbaren Sterne uns nur durch augenfällige 
Erscheinungen an benachbarten sichtbaren verrathen können, 
die in der Nähe dieser zu weit entfernten Sterne etwa stehen¬ 
den Körper ebenfalls wegen zu grosser Entfernung unsichtbar 
sind, so bleiben beide unserer Kenntniss völlig entzogen. 

Wenn wir einem Himmelskörper die Leuchtkraft ganz 
oder theilweise absprechen, so müssen wir ihm doch jene 
Eigenschaften belassen, welche die Physik als allgemeine 
Eigenschaften der Körper bezeichnet, ohne die ein Körper 
gar nicht gedacht werden kann, und unter diesen sind es nun 
zwei, Masse und Figur, die uns auch die Existenz unsicht¬ 
barer Sterne offenbaren können. Wenn wir an einem Sterne 
die Einwirkungen der Anziehungskraft einer andern Masse 
beobachten, so müssen wir diese Masse als vorhanden voraus¬ 
setzen, mag ihre Leuchtkraft nun ausreichen, um sie unserem 
Auge zu offenbaren oder nicht; denn Masse und Leuchtkraft 
eines Sternes sind zwei von einander ganz unabhängige Eigen¬ 
schaften. Und wenn wir andererseits das Licht eines Sternes 


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208 


erblassen und dann denselben wieder zu vollem Glanze zu¬ 
rückkehren sehen, so ist die Annahme, dass sich ein dunkler 
Körper zwischen den Stern und unser Auge geschoben habe, 
eine unter andern Erklärungen dieses Phänomens; in ge¬ 
wissen Fällen aber wird sie durch das Hinzutreten weiter unten 
zu besprechender Wahrnehmungen zu der einzig möglichen. 
In unserm Planetensystem sind Schlüsse, wie die beiden eben 
angeführten, gezogen worden und werden noch heute gezogen. 
So schloss Leverrier aus den Abweichungen des Planeten 
Uranus von der ihm durch die Anziehung der Sonne und der 
bekannten Hauptplaneten allein angewiesenen Bahn auf die 
Existenz eines unbekannten Planeten jenseits der Uranusbahn 
und so schliessen wir regelmässig b?i jeder Sonnenfinstemiss, 
dass das Licht der Sonne verschwindet, weil sich ein undurch¬ 
sichtiger Körper zwischen sie und uns schiebt, und wissen 
sogar, da kurz vor und kurz nach den Sonnenfinsternissen 
der Mond in unmittelbarer Nähe der Sonne steht und seine 
Bahn ihn dann direkt vor der Sonne vorüberführt, dass dieser 
verdeckende Körper der Mond ist. Es handelt sich also nur 
um eine Uebertragung dieser Schlüsse von dem Sonnensystem 
auf das grosse System des Fixsternhimmels, in dem die Sonne 
nicht mehr das dominirende, sondern ein Millionen von Sonnen 
koordinirtes Glied ist. 

In diesem Systeme, das aus unendlicher Ferne betrachtet 
als ein Ganzes denselben Eindruck darbieten würde, wie ihn 
uns die auflösbaren Sternhaufen oder Nebelflecke zeigen, sind 
nun die Beziehungen der einzelnen Sonnen zu ihren Nachbar¬ 
sonnen in zweifacher Art geregelt. Entweder sind die Ent¬ 
fernungen, welche einen Stern von den ihm nächsten trennen 
von höherer Ordnung als die Durchmesser dieser Sterne, so 
ist z. B. die Entfernung des uns nächsten Sternes a Cen- 
tauri von der Sonne = 4 1 /, x 10 18 Meilen, also etwa das 
24 Millionenfache von dem 188 000 Meilen betragenden 
Durchmesser der Sonne. In einem solchen Falle bewegen 
sich die einzelnen Sonnen entweder geradlinig, wenn wir gar 
keine Einwirkungen der andern Sonnen des Sternhaufens auf 
sie annehmen, deren Anziehungen im Einzelnen allerdings 
verschwindend sind; da wir aber doch eine aus der Gesammt- 
wirkung aller Sterne des Haufens auf den einen resultirende 


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304 


Anziehungskraft voraussetzen müssen, die ihn stets von der 
geraden Linie nach dem Schwerpunkt des Haufens zu ab¬ 
lenkt, so resultirt dann für den Stern eine geschlossene, das 
Centrum umkreisende Bahn, die aber von so ungeheurer Aus¬ 
dehnung sein und so langsam durchlaufen werden muss, dass 
sie sich für die kurze Zeit, seit der wir die Bewegungen der 
Fixsterne beobachten, nicht von einer geraden Linie unter¬ 
scheidet. Wir beobachten also an den Sternen dieser Art 
eine geradlinige Bewegung, die sich an die Himmelssphare 
als gleichförmige Bewegung in einem durch den Stern gehen¬ 
den grössten Kreise projizirt und die wir in einem gleich- 
mässigen Fortrücken des Sterns nach seinen beiden Coordi- 
naten, der Rektascension und Deklination wahrnehmen. Die 
Eigenbewegung solcher Sterne ist leicht zu linden und in 
Rechnung zu bringen; man braucht nur den Stern zu zwei 
verschiedenen Epochen zu beobachten. Die beobachtete Orts¬ 
differenz di vidi rt durch die Zwischenzeit der beiden Beob¬ 
achtungen gibt die jährliche Eigenbewegung und um den 
Ort des Sterns für eine spätere Zeit voraus zu berechnen, 
ist es nur nöthig, zu dem letzten Ort die Eigenbewegung 
multiplizirt mit der Zwischenzeit hinzuzufügen. 

Eine andere Klasse von Sternen aber ist in unseren 
Sternhaufen von einem oder mehreren benachbarten durch 
Abstände getrennt, die ihre Durchmesser nur um das Tausend¬ 
fache oder noch weniger Ubertreffen. Dann wird die An¬ 
ziehungskraft dieses oder dieser so nahe stehenden Sterne 
von entscheidender Wirkung auf die Bewegung des Sterns 
sein und er wird, im Falle ein Binärsystem vorliegt, sich mit 
dem zweiten Sterne um den gemeinsamen Schwerpunkt, jeder 
in einer Keplcr’schen Ellipse herumschwingen, im Falle aber 
drei oder noch mehr Sonnen zu einem solch engen Gonnex 
verbunden sind, werden sehr komplizirte Bewegungen ein- 
treten müssen, die noch nicht völlig analytisch behandelt 
sind. Ausser dieser geschlossenen Bahn aber werden die so 
verbundenen Sterne noch eine fortschreitende Bewegung am 
Himmel haben, indem sie ebenso wie die einfachen Sterne der 
Anziehung der Gesammtmasse des Sternhaufens unterworfen 
sind und diese fortschreitende Bewegung wird sich analytisch 
so aussprechen, dass der Schwerpunkt der verbundenen Sonnen 


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305 


sich geradlinig und gleichförmig bewegt wie ein einfacher 
Stern. Aus genauen Beobachtungen des relativen Ortes des 
schwächeren Sterns eines Doppelsternpaares in Bezug auf den 
helleren und des absoluten Ortes des helleren bezogen auf 
die Fundamentalebenen unseres Coordinatensystems zu ver¬ 
schiedenen Zeiten lässt sich dann sowohl die fortschreitende 
Bewegung des Schwerpunkts als auch die elliptische beider 
(Komponenten des Systems um den Schwerpunkt ermitteln; 
ferner aber auch das Verhältniss der beiden Massen, da stets 
der Schwerpunkt die Verbindungslinie beider Sterne im um¬ 
gekehrten Verhältniss der Massen theilt, der Ort dieses 
Schwerpunkts aber jederzeit bekannt ist, sobald die gleich¬ 
förmige Bewegung desselben abgeleitet wurde. 

Von diesen Bewegungsgesetzen für die einfachen Sterne 
und die Sternsysteme machen nun zwei Sterne des Himmels, 
und zwar zwei der hellsten, scheinbar eine Ausnahme. Es 
sind dies Sirius and Procyon, a Canis majoris und roinoris, 
welche dem Augenschein nach zu den einfachen Sternen ge¬ 
hören. Im Jahre 1845 kam Bessel nach sorgfältiger Zusam¬ 
menstellung aller früheren Ortsbestimmungen dieser beiden 
Sterne zu dem Schluss, dass, obwohl kein in der Nähe 
stehender Stern auf eine Duplicität derselben hindeutete, die 
Eigenbewegung des Sirius in Rektascension, die des Procyon 
in Deklination dennoch keine gleichförmige und geradlinige 
sei. Es blieben vielmehr, wenn man die Eigenbewegung als 
gleichförmig und geradlinig annahm, noch Unterschiede zwi¬ 
schen den beobachteten und den berechneten Oertern dieser 
Sterne übrig, die sich nicht durch Beobachtungsfehler er¬ 
klären Hessen. Diese Abweichungen aber zeigten keine un¬ 
regelmässigen Sprünge, sondern einen regelmässigen Gang 
und Bessel wagte damals die kühne Hypothese, dass Sirius 
und Procyon keine einfachen Sterne, sondern mit dunkeln 
Begleitern zu Binärsystemen verbunden seien. Die Kühnheit 
dieser Behauptung fand damals fast allgemeinen Widerspruch; 
man war eben zu sehr von der Vorstellung befangen, dass 
grosse Masse auch grosse Leuchtkraft bedinge und es konnte 
ja nicht ein kleiner Planet des Sirius oder Procyon die be¬ 
obachteten unregelmässigen Bewegungen hervorrufen, sondern 
es mussten hier dunkle oder doch schwachleuchtende Körper von 


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206 


gleicher Massenordnung angenommen werden. Bessel starb im 
folgenden Jahre 1846, in demselben, in welchem der aus der 
unregelmässigen Bewegung des Uranus von Leverrier errech- 
nete Planet Neptun wirklich aufgefunden wurde. Diese Ent¬ 
deckung gab Veranlassung, auch die Bessel’sche Vorhersage 
der dunkeln Fixsternbegleiter genauer der Rechnung zu unter¬ 
ziehen. Peters wies auch in den Deklinationen des Sirius, 
Mädler in den Rektascensionen des Procyon den Mangel gleich¬ 
förmiger Bewegung nach und der erstgenannte unternahm es, 
die Bewegung des Schwerpunkts und des sichtbaren Sternes 
in dem hypothetischen Siriussystem zu trennen und die 
Ellipse des Sirius um den Schwerpunkt zu berechnen. Diese 
Arbeit nahm auch für Procyon 1865 Auwers in die Hand und 
lieferte aus einer umfassenden Behandlung des ganzen damals 
vorhandenen Zahlenmaterials den vollgültigen Beweis für die 
Richtigkeit der Bessel’schen Hypothese. Indem er die Bahnen 
beider Sterne um den Schwerpunkt ableitete, zeigte er gleich¬ 
zeitig, dass die unter Voraussetzung dieser Bahnen abgeleite¬ 
ten Oerter des Sirius und Procyon von den beobachteten nur 
um so geringe Grössen abwichen, dass man dafür überall die 
Beobachtungsfehler verantwortlich machen konnte. Auwers 
kam dabei zu folgenden definitiven Resultaten: 

1. Sirius. 

Durchgang des Sirius durch das Periastron, d. h. den 
Punkt der Bahn, in welchem er dem Schwerpunkt am näch¬ 
sten ist 1843.275. 

Umlaufszeit. 49.399 Jahre 

Halbe grosse Axe der Bahn . . . 273307 
Excentricität der Bahnellipse . . 0.6148 

2. Procyon. 

Zeit, zu welcher die Rektascension des Procyon in Folge 
seiner Bewegung um den Schwerpunkt am kleinsten war 
1875.361. 

Umlaufszeit. 39.866 Jahre 

Radius der Kreisbahn.079805 

Bei Procyon, der eine Bahn beschreibt, die nicht merk¬ 
lich von dem Kreise abweicht, kann natürlich nicht wie bei 


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207 


Sirius als Ausgangspunkt der Zeitzählung der Durchgang 
durch das Periastron gewählt worden, welcher sich hierfür 
bei Doppelsternbahnen naturgemäss aufdrängt, sondern man 
muss einen etwas willkürlichen Zeitpunkt ansetzen, worunter 
der hier gewählte wegen der Berechnung der Einwirkungen 
der Bahnbewegung auf die Bewegung an der Sphäre ziemlich 
bequem ist. 

Es war gewiss eine schöne Bestätigung der Bessel’schen 
Voraussage und der Auwers’schen Rechnungen, dass im Jahre 
1862 der Siriusbegleiter wirklich aufgefunden wurde. Der 
amerikanische Optiker Alvan Clark hatte ein neues 18-zöl- 
liges Fernrohr konstruirt und richtete dasselbe, um es auf 
Reinheit der Bilder zu prüfen, auch auf den Sirius und da 
sah er denn einen schwachen Stern in dessen unmittelbarer 
Nähe, nur 10" von Sirius entfernt. Aus der Auwers’schen 
Siriusbahn kann man jederzeit die Richtung erschliessen, in 
welcher vom Hauptstern aus der hypothetische Begleiter 
stehen muss, denn der Ort des Schwerpunkts und des einen 
Sternes des Systems sind ja bekannt, der andere Stern aber 
muss mit diesen beiden in gerader Linie liegen, und zwar so, 
dass der Schwerpunkt zwischen beiden Sternen liegt. Somit 
ist die Richtung nach dem Begleiter bekannt und thatsäch- 
lich stand der von Alvan Clark entdeckte Begleiter in der 
von Auwers berechneten Richtung. Die Entfernung beider 
Sterne aber lässt sich aus der Bahn des Sirius allein nicht 
erschliessen.* Zwar ist die Entfernung des Sirius vom Schwer¬ 
punkt bekannt. Die des Begleiters vom Schwerpunkt wird 
aus dieser erhalten durch Multiplikation mit dem umgekehrten 
Verhältniss der Massen, welches aber, ehe der Begleiter ent¬ 
deckt war, nicht bestimmt werden konnte. Durch die Ent¬ 
deckung wurde erst das Verhältniss der Abstände vom 
Schwerpunkt und damit das Verhältniss der Massen bekannt. 
Nur so viel ist aus den Auwers’schen Bahnelementen zu er¬ 
sehen, dass im Jahre 1862 die Zeit für die Auffindung des 
Begleiters sehr günstig war. Wenn Sirius 1843 dem Schwer¬ 
punkt am nächsten war, so muss er nach einem halben Um¬ 
lauf, also nach 24.7 Jahren von demselben am meisten ent¬ 
fernt sein, also 1868 den grössten Abstand haben. Gleich¬ 
zeitig hat dann aber auch der Begleiter seinen grössten 


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208 


Abstand vom Schwerpunkt, da ja die Bahn desselben eine 
genaue vergrösserte Kopie der BahD des Hauptsterns ist, 
somit sind also die beiden Sterne in ihrem grössten Abstande 
und da dieser Abstand wenige Jahre vor und nach der an¬ 
gegebenen Zeit nur wenig kleiner ist, so war 1862 der Be¬ 
gleiter weit genug von dem strahlenden Hauptgestini entfernt, 
um gesehen werden zu können. Derselbe ist ein Stern achter 
Grösse, so dass er zwar nicht völlig dunkel ist, jedoch bleibt 
darum das Siriussystem nicht minder ein merkwürdiges unter 
den übrigen Doppelsternen. Denn die Leuchtkraft des Be¬ 
gleiters ist nur etwa x /«ooo von der des Sirius, während seine 
Masse aus den Dimensionen seiner Bahn zu */, 7 der Sirius¬ 
masse folgt. Es bleibt also immerhin wunderbar, wie bei so 
geringem Massenunterschied dieser grosse Unterschied der 
Helligkeit stattfinden kann, da sich alle Gründe, die man für 
die geringe Helligkeit des Begleiters anzuführen vermag, auch 
mit demselben Recht auf Sirius anwenden lassen, weil eine 
ganz verschiedene Struktur beider Körper bei ihrer grossen 
Nähe kaum begreiflich scheint. Nach der Entdeckung 1862 
wurde der Siriusbegleiter auch in weit schwächeren Fern¬ 
rohren erblickt, als das war, mit dem er zuerst gesehen 
wurde. Die genaue Kenntniss der Stelle, wo man ihn zu 
suchen hatte, machte ihn sogar in Instrumenten bis zu 6 Zoll 
Oeffnung sichtbar. Eine grosse Anzahl von Messungen des 
relativen Ortes des Begleiters gegen den Hauptstern sind 
seitdem ausgeführt worden. Nach 1868 aber verminderte sich 
der Abstand beider Sterne von einander wieder und nach und 
nach ging der Begleiter den schwächeren Fernrohren ver¬ 
loren. 1887 war er für alle Fernröhre bis auf das Riesen¬ 
teleskop auf dem Mount Hamilton in den Strahlen des Haupt¬ 
sterns verborgen. Letzteres aber gestattete noch bis 1890 
denselben zu sehen und sehr werthvolle Messungen anzu¬ 
stellen. Gegenwärtig (nach Auwers alten Rechnungen 1892.67, 
nach neueren, die auch die mikrometrischen Messungen be¬ 
rücksichtigen 1893.6) findet der Durchgang durchs Periastron 
statt, in welchem der Begleiter von Sirius nur 2f8 absteht 
und in dieser Distanz vermag selbst das Lickfernrohr den 
kleinen Stern nicht bei Sirius zu zeigen. 1896 darf man auf 
die Wiederauffindung des Begleiters durch dasselbe rechnen. 


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209 


Da neuerdings auch die Parallaxe des Sirius bekannt ge¬ 
worden, so lassen sich die Entfernungen hier auch in line¬ 
arem Maasse ausdrücken und beide Massen selbst bestimmen. 
Darnach ist: Entfernung des Sirius von der Sonne = 543 000 
Erdbahnradien = 10 S60 x 10 9 Meilen —- 116 x 10* Sonnen¬ 
durchmesser, welche Strecke vom Licht in 8.7 Jahren durch¬ 
laufen wird. Die grosse Halbaxe der Siriusbahn beträgt 19.92 
Erdbahnradien = 398.4 x 10® Meilen und übertrifft etwas den 
Halbmesser der Uranusbahn. Die Masse des Sirius beträgt 
2.20, die des Begleiters 1.04 von der Masse unserer Sonne. 

Es hat natürlich auch nicht an Versuchen gefehlt, den 
Begleiter des Procyon aufzufinden. Da für denselben eine 
Kreisbahn angenommen ist, so sind alle Zeiten gleich günstig 
zur Auffindung desselben. Die geringeren Dimensionen der 
Bahn allein können noch nicht die Entdeckung als schwieriger 
gegenüber der des Siriusbegleiters erscheinen lassen, da ja 
für den wirklichen Abstand des Begleiters allein das (un¬ 
bekannte) Massenverhältniss maassgebend ist. 1873 wollte 
Struve mit dem Pulkowaer 30-Zöller einen Begleiter entdeckt 
haben. Nachsuchungen, die in Folge dessen in den Jahren 1874 
und 1876 von den amerikanischen Astronomen Holden, Clark, 
Watson, Peters und Newcomb am 26-Zöller der Sternwarte 
in Washington angestellt wurden, ergaben, dass der Struve’sche 
Begleiter nicht vorhanden sei. Dagegen wurden drei andere 
in Abständen von 6, 8 und 10" in verschiedenen Richtungen 
um den Hauptstern mehr oder weniger sicher konstatirt. 
1888 durchforschte Burnham mit dem Riesenfernrohr der Lick- 
Sternwarte die Gegend um Procyon und fand dieselbe völlig 
leer und seine Angabe ist entscheidend gegenüber denen 
der anderen Astronomen, da nicht nur die optische Ueber- 
legenheit des Lickfernr.ohrs, sondern auch die ausgezeichnet 
durchsichtige Luft des Mount Hamilton schwer zu ihren 
Gunsten in die Wage fallen. Lichtknoten, die in den strah- 
ligen Bildern der helleren Sterne durch Fehler der Fernrohr- 
objektive entstehen, mögen die andern Beobachter irregeleitet 
haben. Doch, wenn auch der Procyonbegleiter hiernach von 
der optischen Wahrnehmung ausgeschlossen erscheint, so wird 
an seiner Existenz darum doch kein Zweifel sein dürfen. Er 
steht eben entweder dem Hauptstern zu nahe oder ist zu 

14 


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210 


lichtschwach, um ähnlich wie der Akolyth des Sirius auch 
sinnlich wahrnehmbar zu sein. 

Noch bei einigen anderen helleren Sternen hat man Un¬ 
regelmässigkeiten in der Eigenbewegung auffinden und durch 
Annahme eines dunkeln Begleiters erklären wollen, so nament¬ 
lich bei Spica, dem hellsten Stern im Sternbilde der Jung¬ 
frau; doch hat Auwers gezeigt, dass nur Beobachtungsfehler 
zu dieser Annahme Anlass geboten haben. 

Wir kommen nun zu einem andern Phänomen, welches 
man durch die Annahme unsichtbarer Sterne hat erklären 
wollen, ich meine den regelmässigen Lichtwechsel der Sterne 
vom Algoltypus. Es ist bekannt, dass nicht alle Sterne des 
Himmels stets in gleichem Glanz erstrahlen. Die Helligkeit 
vieler, vielleicht der meisten, ist Aenderungen unterworfen, 
die gar mannichfacher Art sind. Ohne hier auf die übrigen 
Klassen, in welche man die veränderlichen Sterne eintheilt, 
der Kürze wegen eingehen zu können, greife ich nur die eben¬ 
genannte heraus, welche für uns von besonderem Interesse 
erscheint. Diese Klasse hat ihren Namen von dem Sterne 
ß Persei oder Algol, welcher der hellste dieser Kategorie von 
Sternen ist und dessen Lichtwechsel für die andern Sterne 
der Klasse typisch ist.. Algol steht an der Spitze jenes gleich¬ 
schenkligen Dreiecks, welches zu Anfang des Winters etwa 
um 8 Uhr, hoch im Osten am Himmel in der Nähe der 
Milchstrasse steht und von dessen Basis eine Linie von drei 
Sternen hinab zum bekannten Sternhaufen der Plejaden führt. 
Der Stern ist für gewöhnlich von der Grösse 2.2; plötzlich 
fängt sein Glanz an abzunehmen und sinkt langsam und 
stetig bis zur Grösse 4.0. Nachdem er dort kurze Zeit ver¬ 
weilt, steigt er in genau der gleichen Weise und in derselben 
Zeit wieder zur Grösse 2.2 an, die er dann wieder längere 
Zeit unverändert beibehält. Von dem Moment, wo das Licht 
des Sterns zu erblassen anfängt, vergehen bis zum Minimum 
4 h 52 , /* m und von da bis zum Wiedererreichen der Helligkeit 
2.2 ebenfalls genau 4 h 52V 2 m . Dann bleibt die Helligkeit 
während 2 d ll h 4 m unverändert und hierauf beginnt wieder das 
langsame Absinken bis zur Grösse 4.0, so dass im Ganzen 
die Vorgänge eine Periode von 2 d 20 h 49” haben; über die auch 
genaueres noch weiter unten zu sagen ist. Zur Erklärung 


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211 


dieses Phänomens sind zwei verschiedene Annahmen gemacht 
worden. Nach der einen ist Algol eine Sonne, die schon so 
weit in der Erkaltung vorgeschritten ist, dass bereits grosse 
Schlackenfelder auf der glühend flüssigen, auch bereits ziem¬ 
lich zähe gewordenen Oberfläche schwimmen. Diese Schlacken¬ 
felder sollen vorzugsweise auf der einen Hälfte der Oberfläche 
sich gebildet haben und die Sonne um eine Axe in 2 d 20 h 49 m 
derart rotiren, dass bald die noch fast völlig leuchtende, 
bald die nahezu erkaltete Hälfte unsern Blicken sich zukehrt. 
Es könnten dabei allerdings Erscheinungen ähnlich den be¬ 
obachteten sich herausstellen. Doch ist ein wohlbegründeter 
Einwurf gegen diese Hypothese, dass einerseits zur Zeit des 
Minimums Algol nur den sechsten Theil des Lichtes uns zu¬ 
sendet, im Vergleich zu dem ungeschwächten, also */* der 
dann uns zugekehrten Hemisphäre im Vergleich zu denen 
der entgegengesetzten Hemisphäre nahezu ganz dunkel sein 
müssen, während doch die Dauer der Lichtabnahme nur den 
sechsten Theil der ganzen Periode dauert. Denkt man sich 
in der Mitte der uns während des Minimums zugewandten 
Hemisphäre also einen grossen Schlackenfleck, so würde die 
unverminderte Helligkeit nicht */# der ganzen Periode, sondern 
nur einen geringen Bruchtheil derselben dauern dürfen. Denn 
sehr bald, nachdem die völlig erleuchtete Seite uns zugekehrt 
ist, müssten in Folge der Rotation bereits Theile des 
Schlackenfeldes nach vorn kommen und das Licht desshalb 
anfangen zu erblassen. Eine andere Annahme besagt, dass 
Algol mit einem wenig leuchtenden Körper zu einem Doppel¬ 
sternsystem verbunden sei, dessen Bahnebene nahezu durch 
die Sonne geht und dass die Umlaufszeit beider Körper um 
den Schwerpunkt eben jene 2 d 20 h 49 m betrage, welche die 
Periode des Lichtwechsels ist. Dann muss bei jedem Umlaufe 
der dunkle Begleiter einmal zwischen uns und Algol treten 
und uns einen Theil von dessen Lichte entziehen. Gegen 
diese Hypothese wurde der Einwand gemacht, dass eine Um¬ 
laufszeit von nicht einmal drei Tagen ganz unerhört gering 
für ein Doppelsternsystem sei, da sonst die Umlaufszeiten in 
den bekannten Systemen selten Jahrzehnte, meist aber viele 
Jahrhunderte betragen. Man müsste also zur Erklärung 
solch geringer Umlaufszeit entweder ganz exorbitant grosse 

14* 


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212 


Massen oder aber einen sehr geringen Abstand annehmen, 
bei welch letzterem es wieder kaum erklärlich scheine, dass der 
eine Stern sich noch in voller Glühhitze befinde, während der 
andere schon fast erkaltet sein müsse. Wenngleich die meisten 
Astronomen schon lange der zweiten Erklärung mehr zuneigten, 
so konnte doch die alte Astronomie allein eine definitive Ent¬ 
scheidung hier nicht treffen. Dieselbe wurde zu Gunsten der 
zweiten Hypothese vielmehr erst 1888 durch das Spektroskop 
gebracht. 

Um zu erklären, auf welche Weise dies geschah, muss 
ich etwas weit ausholen und Ihnen das Doppler’sche Prin¬ 
zip in Erinnerung bringen, welches besagt, dass, wenn 
die Erregungsstelle einer Wellenbewegung selbst in Bewe¬ 
gung ist, sich dadurch die Länge der ausgesandten Wellen 
und ihre Schwingungsdauer ändert. Es werden dann durch 
einen Punkt, dem sich die Erregungsstelle der Welle nähert 
in einer Sekunde nicht nur jene Anzahl von Wellen gehen, 
die derselbe bei ruhender Erregungsstelle erhalten würde, 
sondern noch ein weiterer Bruchtheil dieser Anzahl, der 
sich zur ganzen Anzahl ebenso verhält wie die Geschwindig¬ 
keit der Erregungsstelle zur Fortpflanzungsgeschwindigkeit 
der Welle als solcher. Durch einen Punkt aber, von dem 
sich die Erregungsstelle wegbewegt, werden ebenso viel Wellen 
weniger gehen. Es ist dabei zunächst gleichgültig, ob sich 
die Erregungsstelle oder ob sich der Beobachter bewegt. Im 
Falle der Annäherung beider findet eine Vermehrung, im 
Falle der Entfernung eine Verminderung der zum Beobachter 
gelangenden Wellen statt, und zwar ist rechnerisch als Ge¬ 
schwindigkeit der Annäherung beziehungsweise Entfernung 
die relative Geschwindigkeit beider Punkte zu Grunde zu 
legen. Ein sehr geläufiges Beispiel aus dem Gebiete der 
Schallwellen möge dies darthun. Steht man dicht an einem 
Schienenstrang, auf welchem eine pfeifende Lokomotive heran¬ 
braust, die z. B. den Ton a ertönen lässt, welcher in der 
Sekunde 435 Schwingungen macht und sei die Geschwindig¬ 
keit der Lokomotive 20 Meter, so werden wir nicht 435 
Schwingungen in der Sekunde wahrnehmen, sondern 435 + 
20 

sr; x 435 = 435 + 26 = 461; 461 Schwingungen aber 


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213 


cbarakterisiren schon etwa den Ton b. Nachdem die Loko¬ 
motive vorübergesaust ist, entfernt sie sich mit einer Ge¬ 
schwindigkeit von 20 Metern und wir werden jetzt nur 435 


20 

— 33Ö X 435 ~ 435 — 26 = 409 Schwingungen erhalten, 


die etwa dem Tone as entsprechen. Im Momente also, wo die 
Lokomotive vorüberfährt, sinkt der von uns wahrgenommene 
Ton um einen ganzen Ton von b auf as und man braucht durch¬ 
aus nicht musikalisch begabt zu sein, um eine solch starke 
Verschiedenheit zu empfinden. Auch bei geringerer Geschwin¬ 
digkeit als der angenommenen von 20 Metern ist das Phä¬ 
nomen für feine Ohren noch durchaus leicht wahrnehmbar. 

Genau die gleichen Vorgänge spielen sich nun ab bei der 
Bewegung einer Lichtquelle, nur dass hier die erforderlichen 
Geschwindigkeiten so sehr alle experimentell herstellbaren 
übersteigen, dass die Wirkungen solcher Bewegungen den 
Augen nicht ohne Weiteres bemerkbar werden. Setzen wir z. B. 
ein gelbes Licht, dessen Farbe genau der Stelle der Linie D 
im Spektrum entspricht, voraus, so macht der ausgesandte 
Lichtstrahl 526 x IO 1 * Schwingungen in der Sekunde; sollte 
derselbe in Folge Bewegung des Beobachters oder der Licht¬ 
quelle als grün erscheinen, also 589 X 10 1 * Schwingungen das 
Auge statt der eben genannten Zahl treffen, so könnte diese 
Vermehrung der Lichtwellen um Vs ihrer Anzahl nur erreicht 
werden durch eine Annäherung von Beobachter und Licht¬ 
quelle, die mit einer Geschwindigkeit von etwa 35 000 km zu 
erfolgen hätte, welche ungefähr dem achten Theile der Fort¬ 
pflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes entspricht. Selbst um 
die Farbe nur um den hundertsten Theil vom Gelb zum Grün 
zu verschieben — und eine solch geringe NUance würde wohl 
kaum noch ein Auge zu unterscheiden vermögen — wäre noch 
eine Geschwindigkeit von 350 km erforderlich, die wir natür¬ 
lich experimentell durchaus nicht hersteilen können. Ja selbst 
im Weltenraum sind derartige Geschwindigkeiten selten und 
schon aus diesem Grunde ist die Erklärung, die Doppler selbst 
für die manchmal auffallend verschiedene Färbung der Dop¬ 
pelsternpaare aus seinem Prinzip hat folgern wollen, irrig. 
Doppler meinte nämlich, dass bei dem Umlauf um den Schwer¬ 
punkt der Fall einmal eintreten müsse, dass sich die eine 


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214 


Komponente eines Doppelsternpaares gerade von uns entferne 
und die andere gleichzeitig gerade auf uns zu bewege, und 
dass dann, wenn beide ursprünglich von gleicher Farbe seien, 
die des sich nähernden sich nach dem Violet, die des sich 
entfernenden sich nach dem Roth zu verschieben müsste, 
woher dann die wahrgenommenen Farbenunterschiede stammen 
sollten. Diese Erklärung ist aber wegen der Grösse der dabei 
erforderlichen Geschwindigkeiten eine unzulässige, zudem 
müssten ja auch die Farben wieder einander gleich werden, 
wenn beide Sterne nach Ablauf von einem Viertel der Um¬ 
laufszeit sich nicht mehr auf uns zu oder von uns weg, son¬ 
dern beide einander parallel und senkrecht zur Gesichtslinie 
bewegten. 

Auf Lichtquellen, die ein kontinuirliches Spektrum weissen 
Lichtes aussenden, können die Bewegungsverhältnisse der 
Lichtquelle oder des -Beobachters desshalb keine Einwirkung 
ausüben, weil bei einer Verschiebung der Farben nach dem 
Roth oder Violet zu auf der einen Seite die Endfarben in 
den unsichtbaren Theil des Spektrums rücken, auf der andern 
aus dem unsichtbaren Theil in den sichtbaren Theil des 
Spektrums hineintreten und somit die Gesammtgestaltung 
des Spektrums unverändert bleibt. Ist dagegen das Spektrum 
mit dunkeln Linien durchzogen, welche je nach ihrer 
Lage in demselben eine verschiedene und eben durch die 
Lage charakterisirte Wellenlänge und Schwingungsdauer 
haben, so ändern diese in Folge von Bewegungen ihre Wellen¬ 
länge, also auch ihre Lage im Spektrum; und dieses ist der 
Punkt, wo die Spektralanalyse einsetzt, um die kosmischen 
Bewegungen zu erforschen. In den Spektren der spektralana¬ 
lytisch untersuchten Sterne finden sich fast immer Linien, 
die entweder hell oder dunkel sind, je nach dem sie von 
selbst leuchtenden Gasen oder wenig leuchtenden Gasen, die 
hellleuchtende feste oder flüssige Sonnenkerne als Atmosphären 
umgeben, herrühren. Diese Linien kann man in den meisten 
Fällen mit Linien, die in den Spektren auf der Erde vor¬ 
kommender Elemente bekannt sind, identifiziren und dadurch 
das Vorkommen dieses Elementes in Gasform in der Atmo¬ 
sphäre des untersuchten Sternes nachweisen. Vergleicht man 
nun das Spektrum eines Sternes mit einem genau daneben- 


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215 


gelagerten künstlichen eines irdischen Elementes und man 
bemerkt, dass die Linien im Sternspektrum gegen die ent¬ 
sprechenden im künstlichen Spektrum verschoben sind, so wird 
man daraus auf eine Bewegung des Sterns gegen die Erde 
oder der Erde gegen den Stern oder vielmehr beider gegen¬ 
einander nach dem eben Gesagten schliessen müssen und 
die Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung aus der 
Grösse der Linienverschiebung zu bestimmen im Stande sein. 
Indes gehören diese Messungen noch zu den allerschwierig¬ 
sten, weil eben die in Betracht kommenden Geschwindigkeiten 
so gering sind gegenüber der Lichtgeschwindigkeit. So hat 
z. B. die Wasserstofflinie F eine Wellenlänge von 486.5 pp 
(pp — Milliontel Millimeter); eine Bewegung der Lichtquelle 
von 1000 km in der Sekunde würde die Wellenlänge um 
1.62 pp ändern und damit die Lage der Linie erst um den 
150ten Theil der Länge des sichtbaren Spektrums verschieben, 
während Geschwindigkeiten von 1000 km auch im Welten- 
raum nicht zu erwarten sind. Geschwindigkeiten von 20 km, 
die schon Vorkommen, würden eine Verschiebung der Linie F 
um 0.032 pp oder den 7500ten Theil der Länge des Spektrums 
überhaupt erzeugen und es ist kaum nöthig zu bemerken, 
wie schwierig Messungen solch kleiner Grössen auszuführen 
sind. In der That haben die Bestimmungen der Geschwindig¬ 
keiten der Sterne im Visionsradius, wie sie zuerst in grösserer 
Anzahl in Greenwich ausgeführt wurden, zwar Resultate er¬ 
geben, aber von ausserordentlicher Unsicherheit. In Potsdam 
wurden dieselben Beobachtungen in der Weise wiederholt, 
dass man die Spektren der Sterne und daneben auf derselben 
Platte das irdische Vergleichsspektrum photographirte und 
nachher die Verschiebungen der Linien gegeneinander sorg¬ 
fältig ausmass, und es sind dadurch unvergleichlich genauere 
Resultate erzielt worden als in Greenwich. In Folge der 
Unruhe der Luft erscheinen die Linien im Spektrum nämlich 
meist unscharf mit verwaschenen Rändern und der okulare 
Beobachter ist dann in der Auffassung der Mitte der ziemlich 
breiten Linie immer grösserer Unsicherheit ausgesetzt, während 
auf der photographischen Platte sich von den durch die Luft- 
Unruhe verursachten Schwankungen nur ein Mittelzustand der 
.Linie aufzeichnet, auf deren Mitte nachher beim Ausmessen 


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216 


in aller Ruhe eingestellt werden kann. Wie sehr die Pots¬ 
damer Messungen den Greenwicher überlegen sind, möge sich 
aus folgender Nebeneinanderstellung einiger Resultate egeben: 

Greenwich Potsdam 

Name des Sterns Mittel äusserste Werthe Mittel fiusserste Werth b 
ß Andromedae — 7 + 72 — 9314-12 +15 + 8 

a Ursae maioris — 52 | — 5 — 1)61* — 27 — 24 — 29 

«Arietis —6+101 — 61! — 15 -16 —'.2 

In dieser Tabelle stehen die Geschwindigkeiten, mit deren 
sich die drei angeführten Sterne uns nähern ( —) oder ron 
uns entfernen (+) und zwar in Kilometern; zuerst steht 
der aus allen an beiden Orten ausgeführten Beobachtungen 
folgende Mittelwerth und daneben die extremsten Weithe, 
welche für den betreffenden Stern unter den Messungen Vor¬ 
kommen. Man sieht ohne Weiteres die Ueberlegenheit Pots¬ 
dams, wo der wahrscheinliche Fehler einer Messung einer 
Sterngeschwindigkeit im Yisionsradius sich nur zu ± 3 km 
ergibt. 

Als nun in den Jahren 1888 und 1889 Algol spektro¬ 
skopisch untersucht wurde, fanden sich folgende merkwürdige 
Resultate. 

Die Geschwindigkeit Algols im Visionsradius war 


1888 am 

4. 

Dez. 

11.4 Stunden nach dem Minimum 

— 46 km 

1889 , 

6. 

Jan. 

22.4 


vor „ 


+ 29 n 

1889 „ 

9. 


19.4 

n 

vor „ 

r 

+ 32 „ 

1889 „ 

13. 

Nov. 

13.3 

n 

nach „ 

n 

£ 

O 

! 

1889 „ 

23. 

r> 

22.3 


vor ,, 

n 

+ 42 „ 

1889 „ 

26. 

r> 

19.6 

T) 

vor „ 


+ 45 „ 


Wären diese Messungen in Greenwich angcstellt, so 
würde man sich über die schlechte Uebereinstimmung nicht 
weiter wundern und einfach ein Mittel bilden. Bei der Ge¬ 
nauigkeit der Potsdamer Messungen aber ist hierdurch die 
Thatsache hinreichend verbürgt, dass Algol vor dem Mini¬ 
mum sich von^uns entfernt, nach dem Minimum sich uns 
nähert. Ein solcher Wechsel in der relativen Bewegung 
gegen uns ist aber nothwendig, wenn Algol, wie die zweite 
der oben für den Lichtwechsel angeführten Erklärungs- 


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217 


hypothesen behauptet, sich mit einem dunkeln Begleiter um 
den gemeinsamen Schwerpunkt schwingt. Denn nehmen wir 
einmal die Entfernung des Schwerpunkts von uns als un¬ 
veränderlich an, so befindet sich zur Zeit des Minimums, 
wenn der dunkle Begleiter zwischen uns und Algol steht, 
Algol in dem von der Erde entferntesten Punkte seiner 
Bahn; er muss aber vor dem Minimum auf dem Wege nach 
diesem entferntesten Punkte sich von uns entfernen, nach 
Durchpassiren durch den entferntesten Punkt, also nach 
dem Minimum sich uns wieder nähern. Da also die beob¬ 
achteten Erscheinungen genau den von der zweiten Hypo¬ 
these geforderten entsprechen, so ist diese Hypothese, wonach 
Algol nebst einem unsichtbaren Begleiter zusammen ein 
Binärsystem bilden, dessen Bahnebene durch die Sonne (oder 
Erde) geht, hiermit zur Evidenz erwiesen. Es bleibt dabei 
nur unentschieden, in welcher Richtung die Bahnbewegung 
vor sich geht, also ob Algol beim Durchgänge durch den 
entferntesten Punkt seiner Bahn sich von der Erde aus 
gesehen, von rechts nach links oder von links nach rechts 
bewegt. Da nunmehr von der Algolbahn sowohl die Zeit, 
in welcher sie durchlaufen wird, als auch die Geschwindig¬ 
keit der Bahnbewegung bekannt ist, so lassen sich unter 
Voraussetzung einer Kreisbahn die linearen Dimensionen der 
Bahn berechnen und mit Hinzuziehung der Dauer der Ver¬ 
finsterung und der Curve der Lichtabnahme findet Wilsing 
auch für die Durchmesser der beiden Körper und ihre Atmo¬ 
sphären folgende Zahlen: 

Durchmesser des Hauptsterns. 1700 000 km, 

„ „ Begleiters. 1330 000 „ 

Distanz der Mittelpunkte. 5 180 000 „ 

Höhe der Atmosphäre Algols. 400 000 „ 

„ „ „ des Begleiters . . . 310 000 ,, 

Bahngeschwindigkeit Algols. 42 „ 

„ des Begleiters ... 89 „ 

Translationsgeschwindigkeit des Systems . . —4 ,, 

Maasse Algols — 4 / ö , Maasse des Begleiters = 2 / e der Sonnen- 
maasse. 

Dies neue Binärsystem, welches wir so durch die Spek¬ 
tralanalyse kennen gelernt haben, bietet des Merkwürdigen 


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218 


genug. Erstlich ist der Abstand beider Körper ganz ausser¬ 
ordentlich klein im Verhältnis zu den Durchmessern; er ist 
nur das dreifache des Durchmessers des grösseren, das vier¬ 
fache von dem des kleineren Körpers, während sonst in 
Binärsystemen der Abstand die Durchmesser um das Tausend¬ 
fache und mehr übertrifft. Wir kennen zwar von keinem 
Fixstern sonst den linearen Durchmesser, müssen dies aber 
doch schliessen aus den Massen, die uns ja bei einigen be¬ 
kannt sind, wenn wir nicht über ihre Dichtigkeit durchaus 
unzulässige Annahmen machen wollen. Die Atmosphären 
beider Körper kommen sich gar bis auf einen Abstand nahe, 
der nicht einmal so gross ist wie die Summe beider Durch¬ 
messer, so dass also zwischen Algol und seinem Begleiter 
zwei Körper von denselben Dimensionen keinen Platz fänden. 
Und bei all dem müssen wir den einen Körper stark leuch¬ 
tend, den andern nahezu dunkel annehmen, oder was auf 
dasselbe hinauskommt, der Atmosphäre des Begleiters eine 
grosse Absorptionsfähigkeit zusprechen, denn sonst müsste 
derselbe ja allein in Folge des von Algol empfangenen reflek- 
tirten Lichtes sichtbar sein. Es zeigt sieb, dass der Begleiter 
nicht den 80. Theil des Lichtes von Algol aussenden kann, 
sonst würden wir nicht nur ein Minimum während eines 
Umlaufes beobachten, sondern zwei. Denn wenn beide 
Körper von uns aus gesehen nebeneinander stehen, empfangen 
wir die Summe der von beiden ausgesandten Lichtmengen. 
Steht der Begleiter vor Algol, so empfangen wir das ganze 
Licht des Begleiters, während von dem des Algol ein Theil 
durch den Begleiter verdeckt wird. Nach einem halben 
Umlauf steht nun Algol vor dem Begleiter und wir empfangen 
alles von Algol ausgesandte Licht, dagegen von dem des 
Begleiters wenig oder vielleicht auch garnichts, wenn der 
kleinere Begleiter ganz verdeckt wird. Es ist nun dieses zur 
Zeit der Mitte der Maxima von uns empfangene Licht, wel¬ 
ches gegenüber dem sonst empfangenen um das Licht des 
Begleiters nahezu ganz vermindert erscheint, nicht merklich 
schwächer, als das Licht beider zusammen, denn man beob¬ 
achtet um diese Zeit keine Lichtabnahme. Eine solche 
müsste aber bemerkt werden, wenn der Begleiter wenigstens 
den 80. Theil des Algolliehtes aussendete. Und um diesen 


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219 


wunderbaren Punkt kommen wir nicht leicht herum: Wie 
ist es möglich, dass aus so grosser Nähe von einem fast 
gleichgrossen Körper, wenn er auch selbst kein Eigenlicht 
ausstrahlen sollte, so wenig Licht zurückgeworfen wird, dass 
er nicht einmal */»» von der Leuchtkraft des Hauptsterns 
besitzt! 

Indessen zeigt sich im Algolsystem noch eine andere 
Unregelmässigkeit. Die Periode des Lichtwechsels oder was 
damit gleichbedeutend ist, die Umlaufszeit im System ist nicht 
konstant. Da diese Periode so kurz ist, ist sie, obwohl die 
Beobachtung der Zeit, zu welcher ein Minimum statt hat, 
mit einem Fehler von einigen Minuten behaftet sein kann, 
dennoch mit sehr grosser Genauigkeit bekannt. Seitdem die 
ersten genaueren Helligkeitsschätzungen an Algol gemacht 
wurden, sind mehr als 13 000 Umläufe verflossen und somit 
dividiren sich die Zeitfehler der Beobachtungen, wenn man 
nur einigermaassen entfernte Epochen zusammen nimmt, durch 
solch grosse Zahlen, dass es durchaus nicht illusorisch ist, 
die Umlaufszeit bis auf Hundertelzeitsekunden anzugeben. 
Nun finden sich folgende Werthe für die Länge der Periode, 
geltend für das beigesetzte Jahr im Mittel 


1789 2 d 20 h 

48 m 58!74 

1806 

58.45 

1830 

57.97 

1846 

53.45 

1852 

53.21 

1855 

51.91 

1863 

54.57 

1866 

54.45 

1869 

53.68 

1872 

53.42 


Es macht sich hier also anfangs eine Abnahme, seit 
1855 wieder eine Zunahme und neuerdings wieder eine Ab¬ 
nahme in der Dauer einer Revolution bemerklich. ohne dass 
jedoch ein bestimmtes mit der Zeit fortschreitendes Gesetz 
sich hier auszusprechen scheint. Während man lange sich 
damit begnügte, diese Unregelmässigkeiten bloss zu konstatiren, 
hat es neuerdings der amerikanische Astronom Chandler ver- 


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220 


sucht, eine bestimmte Erklärung zu geben und zu begründen. 
Da in einem System, in dem nur zwei Körper vorhanden 
sind, die Umlanfszeit eine unveränderliche ist, so nahm er 
zur Erklärung einen dritten dunkeln Körper an, der in dem 
System die obengenannten Störungen hervorbringen sollte. 
Er hat diese Annahme dadurch zu stützen versucht, dass er 
auch in der Eigenbewegung Algols Unregelmässigkeiten nach¬ 
zuweisen sich bemühte, ähnlich wie sie bei Sirius und Procyon 
auf die Existenz eines unsichtbaren Begleiters hingewiesen 
haben. Eine solche Unregelmässigkeit der Eigenbewegung 
kann nämlich naturgemäss nicht dem mit Algol so eng ver¬ 
bundenen Begleiter zugeschrieben werden. Denn die Ab¬ 
weichungen, die Algol in Folge seiner Bahnbewegung von 
der uns wahrnehmbaren geradlinigen Eigenbewegung hat, 
betragen linear nur 1730000 km, erscheinen uns also, da 
Algols Entfernung mindestens zu 500 x 10 11 km anzunehmen 
ist, selbst wenn sie von uns unter rechtem Winkel erblickt 
würden, nur als ein Winkel von % ooo" an der Sphäre proji- 
zirt, also weit unterhalb der in unsern Messungen noch zu 
verbürgenden Grössen. Chandler glaubt auch aus dem von 
ihm bearbeiteten Zahlenmaterial die Existenz dieses dritten 
Körpers, um den denn Algol mit seinem Begleiter zusam¬ 
men eine geschlossene Bahn beschriebe, folgern zu dürfen 
und damit alle beobachteten Unregelmässigkeiten erklären 
zu können. Indes will ich die von ihm gefundenen Zahlen 
unterdrücken, denn man darf einerseits nicht vergessen, in 
welch’ ungeheurer Nähe Algol und sein Begleiter schweben, 
so dass auch Veränderungen in der Massenvertheilung inner¬ 
halb beider Körper einen Einfluss auf die Umlaufszeit haben 
müssen, andererseits scheint die Frage nach den wenigen 
Zahlen des vorliegenden Beobachtungsmaterials doch wohl 
noch nicht völlig spruchreif. 

Dagegen ist die Existenz eines zweiten wenig leuchten¬ 
den Körpers in nächster Nähe bei Algol als Ursache des 
periodischen Lichtwechsels wohl über jeden Zweifel erhaben 
und damit müssen auch für die andern Veränderlichen des 
Algoltypus, deren im Ganzen jetzt neun bekannt sind, unsicht¬ 
bare Begleiter angenommen werden. Die kürzeste Periode 
unter allen hat der Stern U Ophiuchi, bei welchem sich der 


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221 


Lichtwechsel schon in 20 Stunden regelmässig wiederholt. Bei 
den andern Sternen des Algoltypus ist noch nicht spektrosko¬ 
pisch der Nachweis für die Richtigkeit dieser Erklärung er¬ 
bracht worden, weil überhaupt erst bei den helleren Sternen 
die Bewegungen im Visionsradius untersucht sind und die 
Spektren der schwächeren Sterne wegen der für den beab¬ 
sichtigten Zweck erforderlichen grossen Dispersion mit den 
vorhandenen Spektroskopen auf Linienverschiebungen noch 
nicht untersucht werden können. 

Es ist schon oben als ein Spezialfall der Existenz 
unsichtbarer Sterne hervorgehoben worden, dass zwei helle 
Sterne so dicht bei einander stehen, dass es uns auch mit 
den besten Hilfsmitteln nur möglich ist, an ihrer Stelle einen 
einzigen zu erblicken. Dass dann doch zwei Sterne dort 
vorhanden sind, ist in einzelnen Fällen gelungen nachzuweisen. 
Bei Algol haben wir eben gesehen, dass wenn der Begleiter 
heller als 7$o im Vergleich zum Hauptstern wäre, wir zwei 
allerdings ziemlich verschiedene Minima beobachten müssten, 
würden aber beide Körper gar gleich hell und gleich gross 
sein, so würden wir zwei ganz gleiche Minima wahrnehmen 
und die Zeit von Minimum zu Minimum wäre dann nicht 
. die Dauer der ganzen, sondern nur der halben Umlaufszeit. 
Dass bei Algol die Verhältnisse nicht so liegen, sieht man 
aus der Art der Bewegung im Visionsradius. Diese ist so, 
wie sie nur sein kann, wenn thatsächlich die Periode einem 
ganzen Umlauf entspricht. Aber bei den andern spektro¬ 
skopisch noch nicht untersuchten Sternen des Algoltypus ist 
eine solche Annahme, dass zwei gleichhelle Sterne eines sehr 
engen Doppelsternpaares um einander rotiren und dass also 
die Periode nur einem halben Umlauf entspricht, wohl mög¬ 
lich, wenn noch die folgenden zwei Voraussetzungen zutrefifen, 
dass 1. die beiden Sterne wirklich genau gleichhell oder 
doch so wenig in der Helligkeit verschieden sind, dass nicht 
die beiden Minima ungleich werden, woran ja sofort die 
wahre Thatsache erkennt werden würde; und 2. müssen die 
Bahnen, welche beide Körper um den Schwerpunkt beschreiben 
genau kreisförmig sein, oder wenn sie Ellipsen sind, muss 
die Apsidenlinie (d. h. die vom Schwerpunkt nach dem näch¬ 
sten Punkt der Bahnellipse gezogene Linie, die rückwärts 


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222 


verlängert auch durch den entferntesten Punkt derselben geht), 
genau in der Richtung nach der Erde zu liegen. Denn nur 
in diesem Falle werden die beiden Theile der Umlautszeit, die 
die Körper des Systems brauchen von einer Verfinsterung, bei 
welcher der eine uns zunächst steht, bis zur folgenden, wobei der 
andere uns am nächsten ist, und von da bis zu einer dritten 
Verfinsterung, wo wieder der erste voransteht — bei diesen 
Verfinsterungen wechseln die Körper fortwährend in der Rolle 
des verfinsternden und verfinsterten ab — genau einander 
gleich und die Hälfte der ganzen Umlaufszeit sein. Da beide 
Umstände indes wohl kaum Zusammentreffen werden, ist es 
nicht sehr wahrscheinlich, dass unter den andern Sternen 
des Algoltypus solche sind, bei denen eine Periode nur einem 
halben Umlauf entspricht. Nur einer ist unter ihnen, von 
dem neuerdings Duner nachgewiesen hat, dass wir in der 
That es mit zwei leuchtenden Sternen zu thun haben, die 
sich gegenseitig verfinstern. Dies ist der Stern Y Cygni; 
bei demselben trifft wohl die erste, nicht aber die zweite 
unserer eben gemachten Voraussetzungen zu, d. h. die Bahn 
ist eine Ellipse, deren Apsidenlinie nicht in die Richtung der 
Visirlinie fällt. Dann brauchen die Körper für jenen Theil 
ihrer durch die Visirlinie in zwei Abschnitte getrennten Bahn, 
in welchem sie das Periastron passiren, also dem Anziehungs¬ 
centrum am nächsten sind, eine weit kürzere Zeit als für den 
andern und es müssen desshalb die Minima in ungleichen, aber 
alternirend immer gleichen Abständen auf einander folgen. 
Der genannte Stern hat für gewöhnlich die Grösse 7.1 und 
sinkt im Minimum zur Grösse 7.9 ab. Die Zeit zwischen zwei 
aufeinanderfolgenden Minimis beträgt einmal l d 8 b 32 m 38' und 
das nächstemal l d 15 h 22“ 6 S , worauf wieder ein Abstand von 
l d 8 h 32 m 38 9 und dann wieder einer von l d 15 h 22 m 6 s folgt und 
sofort. Es liegt auf der Hand, dass hier die eben gegebene 
Annahme zweier nahezu gleichheller Sterne, deren Bahnebene, 
nicht aber deren Apsidenlinie durch die Sonne geht, erforder¬ 
lich und hinreichend ist, um das Phänomen zu erklären. 

Damit sind aber auch die Fälle, in denen die alte Astro¬ 
nomie uns zur Kenntniss mit den Augen nicht wahrnehm¬ 
barer Sterne führen kann, erschöpft. Ganz selbstständig hat 
sie dies nur bei Sirius, Procyon und Y Cygni vermocht. Bei 


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223 


den acht anderen Sternen des Algoltypus bedurfte sie schon der 
Spektralanalyse, um den Beweis stringend zu führen. Grosse 
Entfernung von uns, die die seitlichen Eigenbewegungen zu 
klein erscheinen lässt, hindert sie, weitere Fälle von Systemen 
wie Sirius und Procyon aufzudecken, während sie Binärsysteme 
nach Art des Algolsystems nur aufdecken kann, wenn die 
Bahnebene direkt durch die Sonne geht. Für die Spektral¬ 
analyse bildet die grosse Entfernung kein Hinderniss, sie 
lehrt die Bewegungen direkt in linearem Maasse kennen, 
gleichgültig in welcher Entfernung von uns sie vor sich gehen. 
Und so sei es denn mir vergönnt, sie noch mit einigen un¬ 
sichtbaren Sternen bekannt zu machen, deren Kenntniss wir 
allein der Spektroskopie verdanken. 

In genau der gleichen Weise wie bei Algol wurde die 
Duplicität von a Virginis oder Spica erkannt, dem Haupt¬ 
stern in der Jungfrau. Die spektroskopisch gemessene Ge¬ 
schwindigkeit dieses Sternes im Visionsradius fand sich 

1889 April 21 zu — 91 Kilometern 

. 29 , - 98 

Mai 1 , + 46 „ 

1890 April 4 „ — 21 

. 9 , -104 

» 10 » ~ 1 

. 11 » + 56 

. 13 » -109 

» 15 » + 81 

wo wieder das negative Vorzeichen eine Annäherung, das positive 
eine Entfernung bedeutet. Diese Zahlen sprechen vollkom¬ 
men beweisend eine Aenderung der Geschwindigkeit im 
Visionsradius aus, die nur herrühren kann von der Bewegung 
in einer geschlossenen Bahn, bei deren Durchlaufen sich uns 
der Stern bald nähert, bald sich von uns entfernt. Der zweite 
Körper des Systems muss ein dunkler oder wenig leuchtender 
sein wie bei Algol, nur kann die Ebene der Bahn nicht durch 
die Visirlinie gehen, sondern muss dagegen um einen Winkel 
geneigt sein, der immer unbekannt bleiben wird, aber nicht 
gross sein kann, da alle Bewegungen in dem System uns mit 
dem cosinus dieses Winkels multiplizirt erscheinen, ehe sie als 
Bewegungen im Visionsradius beobachtet werden können. Aus 


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224 


der Veränderlichkeit der beobachteten Bewegungen fand man 
eine Periode von 4 Tagen 0.3 Stunden, nach welcher Zeit die 
Bewegungen in gleicher Grösse und Richtung sich wieder¬ 
holen, und diese Zeit muss also als Unilaufszeit im Spica- 
system angesehen werden. Aus der Geschwindigkeit der 
Bahnbewegung und der Umlaufszeit ergiebt sich ohne Weiteres 
der Halbmesser, wenn wir die Bahn vorläufig als Kreis an¬ 
nehmen zu 3 488 000 Kilometer, was nur 3 l / 2 Sonnendurch¬ 
messern entspricht. Und da dieser Abstand vom Schwerpunkte 
sicher nicht sehr klein ist im Verhältniss zum Abstand der 
beiden Sterne selbst, so finden wir auch hier wie beim Algol- 
system zwei Sterne in so ungemein geringer Entfernung, von 
denen der eine stark, der andere fast gar nicht leuchtend ist. 

Den Begleitern von Algol und Spica kann auch schon 
deswegen nur sehr wenig Licht zugeschrieben werden, weil 
sich sonst auch von ihnen Linien im Spektrum zeigen müssten. 
Denn die Unsichtbarkeit derselben allein würde ja noch nicht 
ihre Dunkelheit beweisen, da ja bei dem geringen Abstand 
beider Sterne von ihren Begleitern es denkbar wäre, dass 
wenn auch Hauptstern und Begleiter leuchtend wären, sie 
doch selbst für die stärksten Fernröhre nur in einen sicht¬ 
baren Stern Zusammenflüssen würden. So liegt nämlich der 
Fall bei einer jetzt zu erwähnenden Klasse von Doppelsternen, 
die uns eben erst die Spektroskopie kennen lehrte. Beide 
Komponenten sind leuchtend, aber optisch untrennbar. Die 
Spektren beider Sterne liegen völlig übereinander, die dunkeln 
Linien in beiden Spektren decken sich ebenfalls, man könnte 
also in keiner Weise erkennen, dass man zwei Sterne vor 
sich hat, wenn — die Sterne in Ruhe wären. Aber das sind 
sie ja eben nicht, sondern sie müssen wegen ihrer ungeheuren 
Nähe um einander rotiren, und zwar hat dabei der eine Stern 
immer gerade die entgegengesetzte Bewegung im Visionsradius 
wie der andere, d. h. wenn die Sterne sich in ihrer Bahn im 
grössten Abstande von der durch den Schwerpunkt derselben 
von uns aus hindurchgelegten Visirlinie der eine rechts der 
andere links befinden, so nähert sich uns der eine, der andere 
entfernt sich von uns. Die Spektrallinien des ersten Sterns 
werden nach dem Violet, die des zweiten nach dem Roth hin 
verschoben; die sich vorher überdeckenden Linien rücken aus- 


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225 


einander. Sämmtliche Linien des Spektrums erscheinen 
doppelt, sämmtliche desshalb, weil beide Sterne ihres wohl 
unzweifelhaft gleichen Ursprungs wegen auch aus gleichen 
Stoffen bestehen werden und somit dieselben Linien im Spek¬ 
trum aufweisen. Es ist klar, dass der Abstand der beiden 
Theile einer solchen verdoppelten Linie, umgesetzt in das 
lineare Maass von Kilometern der Summe der Geschwindig¬ 
keiten der beiden Komponenten entspricht. Nach dem Durch- 
passiren durch die beiderseits von der eben erwähnten durch 
den Schwerpunkt gezogenen Visirlinie entferntesten Stellen 
der Bahn, werden die Abstände der verdoppelten Linien sich 
verringern müssen, weil die Geschwindigkeiten im Visions¬ 
radius kleiner werden und beim Durchgang durch die Visir¬ 
linie selbst, wo gar keine Bewegung im Visionsradius 
vorhanden ist, sondern sich die Sterne von uns gesehen, 
nur seitlich bewegen, der eine von links nach rechts, der 
andere von rechts nach links, müssen die Linien beider 
Spektren sich wieder decken, also einfach erscheinen. Solche 
Vorgänge sind denn in der That auch in den Spektren zweier 
Sterne bislang konstatirt und zwar ist dann klar, dass die 
vom Einfachsehen der Linien bis zum weitesten Auseinander¬ 
rücken verfliessende Zeit einem Viertel eines Umlaufs in der 
Bahn gleichkommt, dass von einer Verdopplung bis zur 
nächsten die halbe Umlaufszeit verfliesst. Ueber eine etwaige 
Ellipticität der Bahnen, die natürlich aus Messungen zu sehr 
verschiedenen Zeiten während der Periode sich ergeben würde, 
lassen die bisherigen spärlichen Beobachtungen noch keinen 
Schluss zu. Unter Annahme einer Kreisbahn und gleicher 
Massen findet sich die Bahngeschwindigkeit aus dem halben 
Abstand der verdoppelten Linien. So z. B. ergibt sich bei 
ß Aurigae, dem schwächeren Stern an der Basis des grossen 
von Fuhrmann gebildeten Dreiecks die Umlaufszeit der beiden 
Sonnen zu 3 d 23 h 36”7, der Abstand der Sterne beträgt 
12.3 Millionen Kilometer etwa V« des Abstandes der Sonne 
von uns, die Bahngeschwindigkeit ist 225 km in der Sekunde 
und die Summe beider Massen 4.7 mal der Masse unserer 
Sonne. Ein weiterer Stern dieser Klasse ist der zweite Stern 
der Deichsel des grossen Himmelswagens £ Ursac maioris, 
allgemein bekannt dadurch, dass nocli ein zweiter Stern, das 

15 


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Reiterlein oder Alcor (der Prüfer) dicht über ihm steht. Von 
diesem Sterne ist jedoch nur bekannt, dass nach 105 Tagen 
immer die gleichen Verdoppelungen der Linien zu erwarten sind. 
Er ist schwieriger spektroskopisch zu beobachten als ß Auri- 
gae und es scheinen ausserdem Unregelmässigkeiten noch 
nicht aufgeklärter Art das einfache Phänomen der Verdoppe¬ 
lung zu stören. Endlich gehört noch der südliche Stern 
erster Grösse im prächtigen Sternbilde des Orion wahrschein¬ 
lich in diese Klasse, ß Orionis oder Rigel, doch kennt man 
hier noch nicht einmal die Periode. Man darf eben nicht 
vergessen, dass die letzterwähnten Messungen zu den aller¬ 
schwierigsten gehören und andererseits erst seit so kurzer 
Zeit auf dem Gebiete der Spektrophotographic gearbeitet 
wird, dass eigentlich schon das bisher Erreichte fast wunder¬ 
bar erscheint. 

Zwar hat schon Fraunhofer 1814 die von ihm entdeckte 
Spektralanalyse auch zur Untersuchung des Fixsternlichtes 
angewandt. Doch kann man erst seit 1863 (Iluggins und 
Miller) von der Spektralanalyse der Gestirne als einer be¬ 
sonderen Wissenschaft reden, die Idee, die Sternspektren zu 
photographiren aber wurde praktisch verwirklicht erst in 
Potsdam 1887 und dieser letzte Zweig der neuen Wissen¬ 
schaft ist es ja allein, der befähigt hat, die ausserordent¬ 
lichen hier mitgetheilten Resultate zu erlangen. Welch ein 
Ausblick aber eröffnet sich dann in die Zukunft. Nach fünf 
Jahren vermag sich die Spektrophotographic bereits eben¬ 
bürtig an die Seite der 5000jährigen Astronomie zu stellen 
und so sind die Erwartungen, die wir noch von den Ent¬ 
deckungen dieser neuen Disziplin hegen dürfen, gewiss grosse 
und berechtigte. Darum aber ist die alte Astronomie nicht 
werthlos, sie war vor der Spektralanalyse da und kann woh] 
dieser, nicht umgekehrt diese jener entrathen; gemeinsam 
und sich ergänzend aber können sie zu Resultaten führen, 
die geeignet sind, unsere Kenntniss vom Bau des Univer¬ 
sums ungeahnt zu erweitern. 

Wer hätte vor 1887 geglaubt, dass eine solche Zahl von 
Doppelsternsystemen existiren, wie wir sie jetzt kennen gelernt 
haben? Denn wir müssen sowohl die Zahl der Algolsysteme 


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227 


weit grösser als die neun bekannten annehmen, da deren Ent¬ 
deckung für die schwächeren Sterne eine ziemlich schwierige 
und zufällige ist. Aber auch die Systeme nach Art von Spica 
und ß Aurigae sind offenbar erst zum allergeringsten Thcil 
bekannt. Wir können die Doppelsternsysteme in folgende 
Klassen theilen: 

1. Beide Komponenten leuchtend. 

a. Optisch trennbar. 

b. Optisch untrennbar 

a. Bahnebene geht durch die Visirlinie (Y Cygnid) 
ß. Bahnebene gegen die Visirlinie wenig geneigt 
(ß Aurigae), 

y. Bahnebene gegen die Visirlinie nahezu um 90 0 
geneigt. 

2. Eine Komponente leuchtend, die andere wenig oder 

nicht. 

a. Bahnebene geht durch die Visirlinie (Algol). 

b. Bahnebene wenig gegen die Visirlinie geneigt 
(Spica). 

c. Bahnebene stark gegen die Visirlinie geneigt. 
a. Entfernung von uns klein (Sirius, Procyon). 
ß. Entfernung von uns gross. 

3. Beide Komponenten dunkel. 

Die alte Astronomie kannte nur die Sterne 1 a, deren Zahl 
etwa soviel sind als einfache Sterne, sie kannte durch 

Bessel die Sterne 2ca, durch Dun£r die Sterne Iba und muth- 
masste die Sterne 2 a. Die Spektroskopie erhob die Existenz 
der Sterne 2a zur Gewissheit und lehrte die Klassen lb/3 und 
2 b kennen. Die Klassen ley, 2cß und 3 jedoch werden immer 
unserer Kenntniss entzogen bleiben, auf sie führen nur Ana¬ 
logieschlüsse. Wenn aber schon die Zahl der der alten 
Astronomie bekannten Doppelsterne so nahe an die Zahl der 
einfachen herankam, daun ist mit Hinzunahme all dieser 
neuen Klassen, von denen doch einige wenigstens sehr zahl¬ 
reiche Vertreter haben müssen, sicherlich die Zahl der Binär¬ 
systeme der der einfachen Sonnen mindestens gleich. 

Die Gesammtheit der von uns gesehenen Fixsterne müssen 
wir uns entstanden denken aus einer ursprünglichen Nebcl- 

15* 


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masse, die sich in nichts von den jetzt noch am Himmel 
stehenden unzähligen Nebelflecken unterschied. Als dieselbe 
sich nun zertheilte in die Einzelwelten, die jetzt als Sterne 
ein selbständiges Dasein fuhren, da scheinen also die beiden 
Fälle, dass ein solches neues Schwerezentrum von dem nächst 
benachbarten durch einen im Vergleich zu seiner Masse un¬ 
endlich grossen oder auch nur massigen oder gar kleinen 
Raum getrennt war, ziemlich gleich oft. eingetreten zu sein. 
Im ersten Falle entstand ein einfacher Stern, im zweiten ein 
Binär-, oder wenn vielleicht noch andere Schwerezentren in 
geringer Entfernung sich befanden, überhaupt ein vielfaches 
System. Unsere Sonne gehört zu den einfachen Sternen, denn 
die bisweilen gemachte Annahme, dass sie vielleicht doch mit 
einem andern Stern physisch verbunden sei, der sich nur für 
den Bewohner der Erde, die der Sonne so sehr nahe steht, 
wegen der immerhin grossen Entfernung äusserlich nicht von 
den andern Sternen unterschiede, wird dadurch hinfällig, dass 
diese hypothetische zweite Sonne dann eine ganz beträchtlich 
grössere Eigenbewegung als die andern Sterne zeigen und 
wenigstens in den Bewegungen der Sonnenfernen Planeten 
merkbare Störungen hervorrufen müsste 

Nichts aber ist geeigneter den anthropozentrischen Stand¬ 
punkt der Astronomie des Mittelalters zu widerlegen, als die 
jetzt von der Existenz zahlloser unsichtbarer Sterne gewon¬ 
nene Kenntniss. Dieser Standpunkt, wonach die Erde das 
Zentrum aller Bewegungen sein und die Sterne nur zur Er¬ 
götzung ihrer Bewohner sich um dieselbe drehen sollten, erlitt 
den ersten Stoss, als Galilei die Jupiterstrabanten entdeckte 
und somit der Jupiter auch als Zentrum von Umlaufs¬ 
bewegungen erschien. Er erlitt den zweiten Stoss, als nach 
Entdeckung der Doppelsternsysteme eine Menge von Rotations- 
centren auch ausserhalb des Sonnensystems bekannt wurden; 
aber an all diesen konnte sich doch wenigstens das Auge 
erfreuen. Nun aber wissen wir, dass es Körper gibt, grösser 
und massiger zum Theil als unsere Sonne, die unserer sinn¬ 
lichen Wahrnehmung stets verborgen bleiben und doch in 
ihren Systemen nicht eine untergeordnete Rolle, wie etwa ein 
dunkles Planetchen, dessen Vorhandensein auch bei andern 
Sonnen ja wohl keineswegs bestritten wird, sondern eine völlig 


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229 


neben dem uns sichtbaren Sterne ihres Systems gleichberech¬ 
tigte Rolle spielen. Masse und Leuchtkraft eines Sternes sind 
zwei ganz von einander unabhängige Begriffe; der erstere 
bestimmt seine Wichtigkeit im Gesammtspiel der Welten, der 
letztere das Interesse unserer Sinne und dies kann zu jener 
oft in gar keinem Verhältniss stehen. Damit ist aber un¬ 
vereinbar jener kurzsichtige Standpunkt, der die Gesammt- 
heit der Erscheinungswelt auf den Menschen als Zentrum 
bezieht. 


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230 


Studien über die Temperaturverhältnisse 
in Baden. 

Von Professor Dr. Ph. Platz. 

Seit dem Jahr 1869 besteht in Baden ein Netz von 
meteorologischen Stationen, an welchen nach einheitlichem 
Plane und unter steter Controle der Centralstation zu Karls¬ 
ruhe Luftdruck, Temperatur, Niederschlag, Feuchtigkeit, 
Windrichtung und Stärke sowie der Zustand des Himmels 
beobachtet werden. Die Zahl der Stationen beträgt gegen¬ 
wärtig 14, welche in zweckmässiger Auswahl über das ganze 
Land vertheilt sind. 

Nach der Lage sind die Stationen in folgender Weise 
vertheilt: 


Meeresliöhe. 


Rheinthal: 

Mannheim .... 

96 m 


Karlsruhe .... 

124 „ 

Seitenthäler: 

Heidelberg .... 

120 „ 


Freiburg .... 

281 „ 


Gcngcnbach (s. 1888) 

181 ,. 


Baden . 

217 „ 

Mainthal: 

Wertheim .... 

149 „ 

Fränkisches u. kraich- 



gaucr Hügelland: 

Buchen . 

345 „ 


Breiten. 

189 „ 

Schwarzwald: 

Todtnauberg . . . 

1022 „ 


Höchenschwand . . 

1005 „ 

Hochfläche der Baar: 

Villingen .... 

715 „ 


Donaueschingen . . 

690 „ 

Bodensee: 

Meersburg .... 

406 „ 


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231 


Eingegangen sind die Stationen: 

Königsstuhl bei Heidelberg . . 558 m 


Petersthal.394 „ 

Sehweigmatt. 735 „ 

Schopfheim (seit 1892) . . . 383 „ 

Badenweiler.421 „ 


Ausser diesen als Stationen zweiter Ordnung eingerich¬ 
teten Punkten sind noch 32 Regenstationen vorhanden, an 
welchen lediglich die Niederschlagsmenge beobachtet wird. 

In den Jahresberichten des Grossherzoglichen Central- 
büreaus sind in immer steigendem Umfang die berechneten 
Monats- und Jahresresultate, sowie von Karlsruhe und Höchen¬ 
schwand, und seit 1892 auch von Villingen, die täglichen 
Beobachtungen publicirt. Aus diesen, dem Verfasser mit 
grösster Liberalität mitgetheilten Publikationen, wurde das 
Material zu den folgenden Studien entnommen, und, wo 
nöthig, aus den Originalaufzeichnungen ergänzt, wobei sich 
der Verfasser der freundlichen Unterstützung des Beamten 
des Centralbürenus, Herrn Dr. Schultheiss, zu erfreuen hatte. 

I. Die Temper aturverhäitnisse im Allgemeinen. 

An den Stationen wird die Temperatur um 7 h Vormittags, 
2 h Nachmittags und 9 h Abends (mittlere Karlsruher Zeit oder 
7 h 26” etc. mitteleuropäische Zeit) beobachtet und daraus nach 
7 4-2 4- 2*9 

der Formel- 4 X — das Tagesmittel berechnet. Ausser¬ 

dem wird täglich seit 1875 die höchste und niedrigste Tempe¬ 
ratur notirt. In den Jahresberichten sind jeweils ausser den 
Jahresresultaten auch die fünfjährigen Mittel berechnet, welche 
je den Zeitraum vom Jahr 1—5 und 6—10 umfassen. Um 
mit dieser Zeiteintheilung in Uebereinstimmung zu bleiben, 
wurde auch im folgenden nur der Zeitraum von vier Lustren, 
1871—1890 in Rechnung gezogen. 

Aus demselben Material hat bereits Dr. Singer* die 
monatlichen*und jährlichen Temperaturmittel für 18 badische 
Stationen berechnet und auf die.Hann’sche Normalperiode 
von 1851—1880 reducirt. Da hierbei mit sorgfältiger Kritik 

* Karl SiDger, Temperaturmittel für Süddeulscbland, München 1889. 


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232 


alle Unregelmässigkeiten ausgeschlossen wurden, so müssen 
diese Werthe als die bis jetzt zuverlässigsten gelten. 

Die Reduction geschieht nach den von Lamont aufge¬ 
stellten und von Hann* begründeten Sätzen, dass die Tempe¬ 
raturunterschiede benachbarter Orte sehr nahe 
constant, die Differenzen also gleich sind. Mit Hülfe dieses 
Satzes können auch kürzere Beobachtungsreihen durch Ver¬ 
gleichung mit zuverlässigen Normalstationen auf dieselbe Zeit 
reducirt und somit vergleichbar gemacht werden. Die Unter¬ 
suchungen haben gezeigt, dass dieser Satz — annähernd 
ähnliche klimatische Verhältnisse vorausgesetzt — in weitem 
Umfange gilt, insbesondere für ganz Süddeutschland: Baden, 
Bayern und Württemberg bilden eine klimatische Provinz; 
innerhalb dieses Bezirks gehen die Temperaturänderungen 
fast ganz parallel und sind im Wesentlichen nur durch die 
verschiedene Höhenlage bedingt. 

Durch Brückner** wurde nachgewiesen, dass das Klima 
auf der ganzen Erde gewissen gleichzeitigen Schwankungen 
unterworfen ist, welche eine Periode von annähernd 36 Jahren 
umfassen. Die wahre Mitteltemperatur wird also am sichersten 
aus einer solchen Periode von ca. 36— 40 Jahren abgeleitet 
werden, wenigstens für die Normalstationen, aus denen dann 
auch die wahren Temperaturen anderer Orte aus kürzeren 
Beobachtungsreihen berechnet werden können. 

Nach Brückner folgte auf die letzte warme Periode 
von 1851—1870, eine kalte von 1871—1885; die Kälte 
dauerte aber bis 1891; erst im Jahr 1892 stieg die Tempe¬ 
ratur in ganz Baden wieder bis zum Mittel. Der Umfang 
der ganzen Periode betrug also 39 Jahre, 19 warme und 
20 kalte. Damit stimmt auch der Gegensatz zwischen den 
guten Weinjahren der Periode 1851 — 1870 und den darauf 
folgenden durchschnittlich geringen Erträgen; damit stimmt 
auch die früher ohne bestimmten Beweis gemachte Annahme,, 
dass zur Erzielung richtiger Temperaturmittel eine Reihe 
von wenigstens 40 Jahren erforderlich sei. 

* Die Temperaturverhältnisse der österreichischen Alpenländer, 
Sitzungsberichte der Wiener Akademie, 1884 und 1885. 

** Brückner, die Klimaschwankungen seit 1706 (Geographische 
Abhandlungen von Penk, Band IV, Heft 2), Wien 1890. 


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233 


Die Normalperiode von Hann (1851—1880) entspricht 
nicht ganz der letzten Brückner’schen Periode, die hieraus 
ermittelten Temperaturen werden also, da darin noch 6 kalte 
Jahre fehlen, etwas zu hoch sein. Doch ist ihre Anwendung 
insofern ein Fortschritt, als dadurch wenigstens vergleichbare, 
nach demselben Grundsatz gebildete Zahlen erhalten werden, 
während z. B. die 30 Jahre 1850—1880 ein zu hohes, die 
letzten 20 aber ein zu niederes Mittel ergeben hätten. 

für Karlsruhe wäre das der Brückner’schen Periode 

entsprechende Temperaturmittel folgendes: 

Mittel. 

Jahr 1851—1880 nach Singer 9,7. 30.9,7 =291,00 

„ 1881—1885 (met. Berichte) 9,91. 5.9,91= 49,53 

„ 1886—1890 ( „ „ ) 9,20. 5.9,19= 46,01 

„ 1891 = 9,30. 1.9,30= 9,30 

40 Jahre, Summa . . 395,86 
Durchschnitt .... 9,655‘ 

Der von Singer ermittelte 30jährige Durchschnitt weicht 
also von dem 41jährigen nur sehr wenig ab; die Abweichung 
liegt innerhalb der durch die Abrundung verursachten'Fehler¬ 
grenze. Die Singer’sche Zahl 9,7 ist eine abgerundete, sie 
könnte auch in Wirklichkeit 9,74 sein; alsdann würde sich 
das Resultat auf 9,68 stellen, also dem Mittel von 9,7® noch 
näher kommen. 

Die Zahlen der 30jährigen Periode können also 
als wahre Mittel angesehen werden. 

Da die Temperatur vom Sonnenstand abhängig ist, so 
werden, — ceteris paribus — zwei Beobachtungen nur dann 
gleichwerthig sein, wenn sie bei gleichem Sonnenstand, d. h. 
nach gleicher Ortszeit, ausgeführt sind. Bei dem geringen 
Längen unterschied innerhalb des badischen Landes beträgt 
die Zeitdifferenz zwischen den einzelnen Stationen nur wenige 
Minuten, bewirkt also keinen merklichen Temperatur¬ 
unterschied. 

In der Tabelle I (s. S. 236 u. 237) sind die monatlichen 
und Jahresmittel für die 14 im Jahr 1892 bestehenden Stationen 
für die Zeit von 1871—1890 angegeben, welche den allgemeinen 
Verlauf der Wärme im ganzen Land darstellen. In derselben 


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234 


Tabelle sind noch die von Singer berechneten Normal werthe 
für die Periode 1851—1880 aufgeführt, sowie die Unter¬ 
schiede beider (+ wärmer, — kälter) als die Normalperiode. 
Tabelle II (s. S. 238)'enthält dieselben Werthe für die Jahres¬ 
zeiten. 

Die Vergleichung der beiden Zahlenreihen ergibt zu¬ 
nächst als Bestätigung der Brückner’schen Lehre von den 
Temperaturschwankungen; dassdiePeriodevon 1871—1890 
in den Jahresmitteln überall durchschnittlich um 
0,2° zu kalt war; nur in Viilingen, Freiburg und Heidelberg 
ist die beobachtete Jahreswärme 1871—1890 der normalen 
gleich; diese Ausnahmen lassen an diesen Orten gewisse — 
jetzt noch nicht bekannte — störende Einflüsse vermuthen. 

In den Monatsresultaten herrscht selbstverständlich auch 
die negative Differenz, nur März und November sind 
allgemein zu warm. Die Abweichungen vertheilen sich 
in folgender Weise: 

Die Tabelle enthält im Ganzen 168 Einzelresultate, dar¬ 
unter sind 37 zu warm, 13 dem normalen Zustand gleich, 
und 118 zu kalt. Im Einzelnen zählt Freiburg 5 zu warme 
Monate, Meersburg 4. Viilingen, Schopfheim, Todtnauberg 
und Heidelberg je 3, die übrigen 8 Stationen je 2. 


Auf die einzelnen 

ist 

Stationen 

dem Mittel 
gleich 

vertheilt: 

zu warm 

zu kalt 

Januar in . . . 

— 

3 

11 

Stationen 

Februar in . . . 

4 

3 

7 

V 

März in . . . . 

— 

13 

1 

n 

April in. . . . 

— 

— 

14 

r> 

Mai in ... . 

— 

— 

14 

n 

Juni iu . . . . 

1 

— 

13 

n 

Juli in ... . 

3 

2 

9 

« 

August in . . . 

2 

1 

11 

r> 

September iu . . 

1 

— 

13 

r> 

Oktober in . . . 

— 

— 

14 

» 

November in . . 

— 

14 

— 

n 

Dezember in 

3 

— 

11 

V 

Summa 14 

36 

118 Stationen 


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235 


Die Vergleichung der Jahresmittel, wobei die von Singer 
berechneten Normaltemperaturen zu Grunde gelegt werden, 
ergibt zunächst, dass die Temperaturen durchaus nicht regel¬ 
mässig mit der Meereshöhe abnehmen. Villingen, der kälteste 
Ort, liegt 307 m tiefer als das um 0,6° wärmere Todtnau¬ 
berg ; Meersburg (406 m) ist um 0,2° wärmer als das 258 m 
tiefer gelegene Wertheim; 'Freiburg ist gleich warm mit 
dem um 161 m tiefer liegenden Heidelberg etc. 

Die lokalen Einflüsse der Lage sind also im Stande, 
das Gesetz über die Abnahme der Temperatur mit der Höhe 
(durchschnittlich 1° Temperaturabnahme auf 200 m Höhen¬ 
zunahme) sehr erheblich zu modisiciren. 

In der Wärme von Meersburg, Schopfheim und Freiburg 
gegenüber den um 1,5° der nördlicher gelegenen Stationen 
Wertheim und Buchen scheint sich der Einfluss der geo¬ 
graphischen Breite neben den lokalen Einflüssen bemerklich 
zu machen. 

Der Verlauf der Temperatur innerhalb des 
Jahres gibt sich in den Monatsmitteln zu erkennen. Im 
Allgemeinen erkennt man daraus, besonders durch graphische 
Darstellung, dass der Temperaturverlauf an den meisten 
Orten, dem Lamont’schen Gesetz entsprechend, ein nahezu 
identischer ist, indem die Differenzen zwischen je zwei Orten 
fast gleich sind, die Teinperaturcurven also nahezu parallel 
laufen. 

In Tabelle III a (s. S. 239) sind einige dieser Differenz¬ 
reihen zusammengestellt, welche den Parallelismus des Tempe¬ 
raturganges beweisen. Es ergibt sich daraus, dass im ganzen 
Rheintahl, im kraichgauer und fränkischen Hügelland, sowie 
im Mainthal und vom Ostabhange des Schwarzwaldes die 
Temperaturen parallel verlaufen; die Abweichung der grössten 
und kleinsten Monatsdifferenz zweier Orte bleibt meistens 
unter 1°. Etwas abweichend verhält sich der März, welcher 
in den höher gelegenen Stationen relativ zu kalt ist. Es 
konnten daher bei der graphischen Darstellung auf Taf. I, 
um die Zeichnung nicht zu überladen, einige der Stationen 
weggclassen werden. 

Villingen ist der kälteste Ort, nicht bloss in Baden, 
sondern in ähnlicher Höhenlage in ganz Süddeutschland, 


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Tabelle I. Monatliche und Jahresmittel der Temperatur. 


236 



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1871—1890 


237 



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Tabelle II. Jahreszeitenmittel der Temperatur und Vergleichung mit der Normalperiode 1851—1880. 


238 



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239 


Tabelle lila. Differenzen der Monatsmittel im Rheinthal, der Baar 
und dem Hügelland. 


1 

Karlsruhe- , 
Mannheim ; 

Karlsruhe- 

Wertheim 

Karlsruhe- ' 
Buchen 

Karlsruhe- 

Bretteu 

Karlsruhe- 

Schopfheim 

Karlsruke- 

Villingen 

ti 

• a 

S 2 

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2?Jb 

.S © 
— 3 

ö .§ 

© O) 

ä z 

33 o> 

Höhenunter -1 
schied i. Mtr. I 

28 

24 

221 

64 

249 


24 

526 

369 

556 

Januar . . 

0,3 

1,0 

2,0 

m 1 

0,3 

4,2 

0,2 

3,7 

2,2 

3,2 

Februar. . 

0,3 

13 

2.2 

0,5 

1,3 

3,8 

0,3 

3,0 

1,6 

2,5 

März. . . 


1,3 

2,5 

0,6 

0,8 

4,3 

0,3 

3,7 

1,8 


April. . . 

0,6 

0,9 


0,5 

0,5 

4,1 

0,3 

3,5 

2,1 

3,2 

Mai . . . 

0,7 

0,7 

1,8 

0.5 

Exa 

4,1 

0,5 

3,4 1 

2,3 

3,4 | 

Juni . . . 

0,8 

0,8 

18 

0,4 

0,7 

4,1 

0,6 

3,7 

2,3 

3,3 

Juli . . . 

0,9 

1,0 

1,9 

0,5 

0,5 

3,8 

0,6 

3,3 

1,9 

2,8 

August . . 

0,8 

1,1 

2,0 

0,5 

0,8 

4,2 

0,8 

3,7 

2,2 

3,1 

September . 

0,8 

1,1 


0,4 

0,7 

3,8 

0,0 

3,4 

1,8 

2,7 

Oktober. . 

0,5 

0,8 

1,9 

0,4 

0,8 

3,4 

0,5 

3,0 

1,5 

2,6 

November . 

0,2 

1,2 


0,4 

1,1 

4,0 

0,4 

3,6 

2,0 

2,8 

Dezember . 

0,2 

0,8 

1,8 

0,5 

1,4 

4,3 

0,3 

3,8 

2,5 

3,5 

Jahr . . . 

0,6 



0,5 

1,1 



3,5 

2,0 

3,0 


Tabelle III b. Differenzen der Monatsmittel I Tabelle III c. Differenzen der 
für den hohen Schwarzwald I Monatsmittel für den Bodensee. 



Karlsruhe- 

Höchenschw. 

Karlsruhe- 

Todtnauberg 

Yillingen- 

Höchenschw. 

Villingen- 

Schopfheim 

Villingen- 

Todtnauberg 

Karlsruhe- 

Meersburg 

Villingen- 

Meersburg 

Bretten- 

Meersburg 

Buchen- 

Meersburg 

Höchenschw.- 

Meersburg 

Todtnauberg- 

Meersburg 

Höhenunter -1 
schied i. Mtr./ 

881 

897 

291 

341 

307 

282 

308 

218 

61 

599 

615 

Januar . . 

2,6 

1,9 

-1,8 

3,9 

-2,3 

1,7 

2,5 

1,2 

0,3 

0,7 

0,2 

Februar. . 

3,2 

1,9 

-0,6 

2,5 

-1,9 

1,8 

2,0 

1,3 

0,4 

1,4 

0,1 

März. . . 

4,4 

3,7 

0,1 

3,5 

-0,6 

1,3 

3,0 

0,7 

1,2 

3,1 

2,4 

April. . . 

4,6 

4,3 

0,5 

3,6 

0,2 

0,8 

3,3 

0,3 

1,2 

3,7 

3,5 

Mai . . . 

4,8 

4,8 

0,8 

3,5 

0,7 

0,8 

3,3 

0,3 

1,0 

4,1 

4,0 

Juni . . . 

4,9 

4,8 

0,8 

3,4 

0,7 

0,8 

3,3 

0,4 

1,0 

4,1 

4,0 

Juli . . . 

4,4 

4,1 

0,6 

3,3 

0,3 

0,3 

3,5 

-0,2 

1,6 

4,1 

3,8 

August . . 

3 4 

3,8 

-0,1 

3,4 

-0,4 

-0,1 

4,3 

-0,6 

2,1 

4,2 

3,9 

September . 

3,6 

3,8 

-0,2 

3,1 

-0,5 

-0,2 

4,0 

-0,6 

2,2 

3,8 

3,5 

Oktober. . 

3,1 

2,6 

-0,3 

2,6 

-0,8 

0,2 

3,2 

0,2 

1,7 

2,9 

2,4 

November . 

3,9 

3,1 

-0,1 

2,9 

-0,9 

1,3 

2,7 

0,9 

0,7 

2,6 

1,8 

Dezember . 

2,6 

2,2 

-1,7 

2,9 

-2,1 

1,0 

3,3 

0,5 

0,8 

1,6 

1,2 

Jahr . . . 

3,8 

3,3 

0,2 

34 

0,7 

0,8 

3,2 

0,3 

0,8 

3,0 

2,5 


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240 


wie aus folgendem aus der Abhandlung von Singer* ent¬ 
nommenen Angaben hervorgeht: 



Meeres¬ 

höhe 

Jahres¬ 

temperatur 

gegen 
Villingen i 

Villingen, Baden .... 

714 

5,7 

kälter 

' Donaueschingen, Baden . . 

690 

6,2 

0,5° 

Kempten, Bayern .... 

696 

6,6 

0,9 

Feld bei Miesbach, Bayern . 

717 

6,2 

0,5 

Freudenstadt, Württemberg 

733 

6,7 

1,0 

Münsingen, Württemberg . 

719 

6,5 

0,8 

Isny, Württemberg . . . 

721 

7,3 

1,6 

Hausen ab Verena, Würt¬ 
temberg . 

803 

6,2 

0,5 

1 


Selbst die ca. 300 m höher gelegenen Stationen Höchen¬ 
schwand und Todtnauberg im Schwarzwald haben höhere 
Jahrestemperaturen. 

Villingen liegt in einem weiten flachen Thal, in welcher 
Lage der Wärmeverlust durch Ausstrahlung besonders gross 
ist, und zugleich an der Stelle, wo sich die Neigung des 
Thaies erheblich verringert, sodass hier die Ansammlung der 
herabsinkenden kalten Luftmassen begünstigt wird; beide 
Umstände zusammen mögen die auffallend niedere Temperatur 
dieses Ortes, der im Vergleich zu seiner Höhe um 1° zu kalt 
ist, erklären. In etwas vermindertem Grade machen sich die er¬ 
kältenden Einflüsse auch noch bei Donaueschingen geltend. 

Wie Villingen, ist auch Buchen abnorm kalt, sein 
Jahresmittel ist um 1,1° kälter als das des 50 m höher ge¬ 
legenen Schopfheim, ebenso haben die württembcrgischen 
Stationen in gleicher Höhe, z. B. Calw im Nagoldthal (350 m) 
Jahresmittel 8,0°, Tübingen (325 m) mit 8,4°, Gaildorf (336 m) 
mit 8,8° durchweg höhere Temperaturen. 

Eine erhebliche Abweichung von diesem weitaus vor¬ 
herrschenden Temperaturverlauf zeigen die Stationen des 
hohen Schwarzwaldes: Höchenschwand auf flacher 
Hochebene und Todtnauberg an einem nach Süden geneigten 

* Die Temperaturmittel von Süddeutschland. 


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241 


Abhang. Todtnauberg hat im Januar die Wärme von 
Schopfheim, welches 648 m tiefer liegt; und ist um 2,3° 
wärmer als Villingen, von da an wächst die Wärme langsam 
bis zum März, wo die Temperaturdififerenz Todtnauberg- 
Villingen nur noch 0,6° beträgt; von hier ist Todtnauberg 
etwas kälter bis zum Juli, von da bis Jahresschluss aber 
wärmer als Villingen. Ganz ähnlich verhält sich Höchen¬ 
schwand, so dass der Satz gilt: Im April, Mai, Juni und 
Juli ist der hohe Schwarzwald kälter, in den übrigen 
Monaten wärmer als der Ostabhang (die Baar). Der 
zweite oder Schwarzwaldtypus ist also durch relativ 
warmen Winter und Herbst und kühlen Frühling 
charakterisirt. 

Ein dritter Typus wird gebildet durch die Umgebun¬ 
gen des Bodensees. Die vier Stationen Meersburg, Fried¬ 
richshafen, Lindau und Bregenz haben fast ganz parallelen 
Temperaturgang, doch sinkt die Temperatur von Westen gegen 
Osten, also je mehr man sich den Alpen nähert: Meersburg 
und Friedrichshafen haben 8,8, Lindau 8,3 und Bregenz 8,2° 
mittlere Jahrestemperatur. Dieses Sinken der Temperatur ist 
besonders im Sommer bedeutend, wo der Unterschied zwischen 
Meersburg und Bregenz 1,35° beträgt. 

Verglichen mit Karlsruhe, als dem Typus der Rhein¬ 
ebene, ist der Januar in Meersburg um 1,7. der Februar 
um 1,8° kälter; mit zunehmender Jahreszeit verringert sich 
der Unterschied immer mehr, so dass August und September 
um Meersburg etwas wärmer sind, als in Karlsruhe. Auch 
der September und Oktober sind dort am Bodensee wenig 
kälter, erst im November sinkt die Temperatur rasch. Kalter 
Winter, warmer Sommer und Herbst charakterisiren 
also das Bodenseeklima. 

Tabelle III b (s. S. 239) enthält die charakteristischen 
Differenzen des Schwarzwaldklimas, Tabelle IIIc (s. S. 239) 
diejenigen der Bodenseegegend. 

Noch deutlicher als in den Monatsmitteln tritt der charak¬ 
teristische Temperaturverlauf in den Mitteln der Jahreszeiten 
auf. Es mögen desshalb auch hier einige Differenzen an¬ 
geführt werden. 

16 


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242 



Im Vergleich zu Karlsruhe, als Typus der Rheinebene 
erscheint also in Wertheim der Sommer relativ warm, in 
Buchen ebenso, aber der Frühling rauh, in Bretten Winter 
und Frühling relativ kälter als Sommer und Herbst. Gegen 
Karlsruhe ist in Villingen der Herbst warm, in Meersburg 
der Sommer und Herbst warm, der Winter kalt. Gegen 
Villingen haben Höchenschwand und Todtnauberg zu warme 
Winter. 


II. Die Temperaturschwankungen. 

Für die Charakteristik der Temperatur eines Ortes ist 
die Angabe der Monatstemperatur nicht ausreichend; hierüber 
gibt die Untersuchung des mittleren täglichen Temperatur¬ 
verlaufs Auskunft. 

Seit 1873 werden in den Publikationen die Monats¬ 
mittel der Beobachtungen an den 3 Stunden 7 h , 2 h und 9 h 
angegeben; seit 1875 wurde auch das tägliche Maximum und 
Minimum am Thermonietrographen beobachtet, allein bis 1888 
nur die monatlichen Extreme publicirt. Von dieser Zeit an 
enthalten die in der Karlsruher Zeitung mitgetheilten Monats¬ 
berichte auch die Monatsmittel der höchsten und niedersten 
Temperaturen, welche an neuen zuverlässigeren Instrumenten 
(von Fuess, Berlin) beobachtet wurden. Endlich enthalten 
die Berichte noch die Angabe der wirklich beobachteten 
Temperaturextreme für jeden Monat. 

Das tägliche Maximum und Minimum gibt Aufschluss 
über die Grösse der täglichen Schwankungen in jedem 
Monat; das Mittel der Extreme liefert die mittlere Monats- 


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243 


Schwankung, und die Extreme selbst den ganzen Um¬ 
fang der Temperatur für einen bestimmten Ort. Aus 
diesen letzteren ergibt sich auch der Umfang der wahr¬ 
scheinlichen und der sicheren frostfreien Zeit, ein 
für die Beurtheilung des Klimas und der Vegetationsverhält- 
nisse höchst wichtiges Moment. Ausser dem Mittel der täg¬ 
lichen Extreme, aus welchem sich die Grösse der täglichen 
Temperaturschwankung ergibt; enthalten die Monatsberichte 
seit 1891 auch die grösste tägliche Schwankung für 
jeden Monat, woraus sich ebenfalls wichtige klimatische 
Schlüsse ergeben. Der Beobachtung der Extremtemperaturen 
wird daher in neuerer Zeit mit Recht grosse Aufmerksamkeit 
zugewendet. 

Wie bemerkt, enthalten die Berichte erst seit 1888 die 
mittleren Maxima und Minima für jeden Monat; die mühsame 
und bei der Ungenauigkeit der früheren Instrumente doch 
unsichere Berechnung aus den Beobachtungsjournalen kann 
jedoch umgangen werden, indem das öfters erwähnteLamont’sche 
Gesetz des parallelen Temperaturverlaufs es ermöglicht, diese 
Daten mit vollkommener Sicherheit aus den gegebenen Termin¬ 
beobachtungen mit Hülfe der seit 1888 gegebenen Zahlen 
auf einen längeren Zeitraum zu berechnen. 

Zu diesem Zwecke wurden für den Zeitraum 1888—1892 
sowohl die Mittel für die Beobachtung um 7 Uhr, wie für 
das Minimum, und ebenso für 2 Uhr und das Maximum be¬ 
rechnet, und die mittleren Differenzen zur Berechnung des 
Minimums aus der Beobachtung um 7 Uhr, wie des Maxi¬ 
mums aus derjenigen um 2 Uhr für den Zeitraum 1871—1890 
benützt, indem von dem 20jährigen Mittel für h 7 die 5jährige 
Differenz h 7— Minimum abgezogen, zu dem Mittel für b 2 
die Differenz Maximum — h 2 addirt wurde. 

Dass diese Methode richtige Resultate liefern muss, ergibt 
sich daraus, dass jedes der benützten Monatsmittel schon das 
Mittel aus 30—31 Einzelbeobachtungen, das 5jährige Mittel 
also aus 150 einzelnen Zahlen ist. Ferner liegt zwischen 
Minimum (Sonnenaufgang) und h 7 nur ein kurzer Zeitraum 
der zur Zeit des höchsten Sonnenstandes nur 3 Stunden — 
sonst immer weniger — beträgt, es ist also anzunehmen, dass 

16* 


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244 


während dieses Zeitraums eine wesentliche Witterungsänderung 
nicht eintreten werde. In der Tliat ergibt die Prüfung, dass die 
Temperaturen h 7 und Minimum, ebenso h 2 und Maximum, 
einen parallelen Verlauf haben. Während also die einzelnen 
Monatsmittel in ziemlich weiten Grenzen schwanken, sind die 
Differenzen h 7— Minimum und Maximum - h 2 nahezu con- 
stant. Die Veränderlichkeit der Differenzen ist weit kleiner 
als die Veränderlichkeit der Einzelwerthe. 

Einige Beispiele mögen zum Beweise ausführlich auf¬ 
geführt und daran der Gang der Rechnung dargelegt werden. 

Die Temperaturschwankungen sind am grössten im 
Winter; seit 1800 war in Karlsruhe der kälteste Winter 
1829—1830 = —4,51°, der wärmste 1833 — 1834 — 5,40°, 
also eine Differenz von 9,91°. 

Die Berechnung für den Dezember 1888 — 1892 für Karls¬ 
ruhe liefert folgendes Resultat: 


1. Karlsruhe, Dezember. 


Jahr 

"7 

Min. 

Diffe¬ 
renz 
'7-Min 

h 2 

Max . 

Diffe¬ 

renz 

Max. — h 2 

1888 

- 1,38 

- 2,35 

1,0 

2,18 

2,72 

0,5 

1889 

- 1,10 

- 2,17 

1,1 

0,77 

1,70 

0,9 

1890 

- 4,88 

- 5,92 

1,0 

- 1,39 

- 0,58 

0,8 

1891 

-+- 1,70 

- HO,20 

1,5 

5,30 

6,20 

0,9 

1S92 

- 1,80 

- 3,10 

1,3 

1,00 

2,00 

1 0 

Mittel . . 

- 1,49 

- 2,67 

1,2 

-+- i,57 

2,41 

0,8 


Während also die Morgentemperaturen um 5,7° schwanken, 
schwanken die Differenzen h 7—Minimum nur um 0,5°; ebenso 
gering ist die Schwankung der Differenzen in den Mittags¬ 
temperaturen, die Differenzen Maximum — h 2 weichen eben¬ 
falls nur um 0,5° von einander ab. 

Aehnliche Resultate liefert der Dezember in Villingen, 
welcher Ort durch die grössten Temperaturschwankungen 
ausgezeichnet ist. 


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245 


2. Villingen, Dezember. 



g 


§§ 

b 2 

mitftl. 

Max. 

Diffe¬ 

renz 

Max. — h 2| 

1888 

—5,59 

- 7,46 

1,9 

-f-3,06 

-*-3,45 

0,39 

1889 

-6,11 

- 8,77 

2,7 

-2,37 

-1,47 

0,90 

1890 

-9,70 

-11,68 

2,0 

-5,92 

-5,15 

0,77 

1891 

-3,40 

- 5,40 

2,0 

•+■1,10 

+-2,70 

0.60 

1892 

-6,40 

- 8,80 

2,4 

-1,60 

-0,90 

0,70 

Mittel . . 

—G,24 

- 8,42 

2,2 

-1,40 

-0,25 

0,70 


Hier betragen die Schwankungen der Temperaturen 
6—7°, die Schwankungen der Differenzen 0,8—0,5°. 

Im Juni ist der Zeitabstand zwischen Sonnenaufgang 
(Minimum) und h 7 am grössten, nämlich 3 Stunden, also 
die Möglichkeit eines unregelmässigen Temperaturganges in 
dieser Zwischenzeit am grössten; die Beobachtungen ergeben 
folgendes Resultat: 


3. Karlsruhe, Juni. 


IBQH 

"7 

mittl. 

Min. 

Diffe¬ 

renz 

h 7— Min. 

*2 

mittl. 

Max 

Diffe- 1 
renz 

Max. - h 2 

1888 

16,40 

12,63 

3,8 

22,08 

23,46 

1,5 

1889 

18,17 

14,87 

3,3 

23,83 

24,86 

1,0 

1890 

14,76 

11,44 

3,4 

20,18 

21,35 

1,2 

1891 

15,20 

12,50 

2,7 

20,60 

21,80 

1,2 

1892 

15,80 

12,60 

3,2 

21,00 

22,30 

1 3 1 

Mittel . . 

16,06 

12,81 

3,3 

21,54 

22,75 

1,25 


Die Abweichung in den Temperaturen beträgt etwas 
über 3°, die Abweichung der Differenzen 1,1° und 0,5°, 


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246 


4. Villingen, Juni. 


Jahr 

g 


REIS 

jfl 

“2 

mittl. 

Max 

Diffe¬ 

renz 

Max. — h 2 

1888 

12,91 

7,88 

5,05 

19,04 

20,57 

1,53 

1889 

14,35 

9,82 

4,53 

19,45 

21,46 

2,01 

1890 

10,61 

5,96 

4,65 

16,65 

j 17,97 

| 1,32 

1891 

11,80 

7,80 

4,00 

17,80 

19,00 

i 1,20 

1992 

12,50 

7,70 

4,80 

18.20 

19,50 

1,30 1 

Mittel . . 

12,43 

7,83 

4,60 

18,23 

i 

19,70 

1 

1,47 ! 

I 

1 ’ 


Die Abweichung in den Temperaturen beträgt durch¬ 
schnittlich 3,5°, die Abweichung in den Differenzen 1,0° und 0,8°. 

Auffallend sind die grösseren Unterschiede in der Diffe¬ 
renz h 7— Minimum in Höchenschwand, welches sonst sehr 
geringe Temperatursclnvaukungen hat. Die grössten Un¬ 
regelmässigkeiten hat der 

Mai ( h 7—Min. 1888 = 4,5®, 1891 =2,1°), Unterschied 2,4°. 

Juni ( h 7—Min. 1888 = 4,9°, 1892 = 2,7°), , 2,2°. 

Aug. ( h 7— Min. 1888 — 4,2°, 1891 = 2,2°), . 2,0®. 

Der Durchschnitt der sämmtlichen Monats-Differenzen 
beträgt in Höchenschwand 1,5°, in Villingen 1,1°. Da die 
Abweichungen nur in den heissen Monaten Vorkommen, so 

sind wahrscheinlich warme Winde, gegen welche Villingen 
mehr geschützt ist als Höchenschwand, die Ursache dieser 
U nregelmässigkeiten. 

Diese Unregelmässigkeiten bewirken, dass die mittleren 
Minima von Höchenschwand im Sommer etwas minder genau 
sind, als die übrigen Resultate; sie können aber die Gültig¬ 
keit des Verfahrens, bei welchem ja nur die Mittel von 
5 Jahren angewendet werden, nicht alteriren. 

Nachdem die Richtigkeit des Satzes, dass die Tempera¬ 
turen h 7 und Minimum, ebenso h 2 und Maximum, parallel 
gehen, bewiesen wurde, soll für obige Beispiele die Berech¬ 
nung des mittleren Maximums und Minimums durchgeführt 
werden. 


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1. Karlsruhe, Dezember. 



h 7 

Min. 

b 2 

Max. 

öjähriges Mittel . . . 
20jähriges „ ... 

-1,49 

-+-0,22 

-2 67 

-Hl, 57 
-h2,27 

2,41 

Differenz. 

-Hl, 27 

-Hl 27 

+ 

© 

o 

+ 

© 

o 

20jähriges Mittel . . . 


-1.40 


3.1 


Mittleres Maximum 1871—90 = . . . . 3,10“ 


Minimum 1871—90 = . . . . 1,40° 


Mittlere Tagcsschwankung =.4,51° 

Mittleres Maximum =. h 2 +0,8° 

„ Minimum =. h 7 —1,6° 

2. Karlsruhe, Juni. 



fl 




5jähriges Mittel. . . . 
20jähriges „ .... 

16,06 

15,66 

12,81 

21,54 

21,13 

22,75 

Differenz . 

-0,40 

-0,40 

-0,41 

-0,41 

20jähriges Mittel . . . 


12,41 


22,34 


Mittleres Maximum 1871—90 = ... 22,34° 

„ Minimum 1871—90 = ... 12,41° 


Mittlere Tagesschwankung =.9,93® 

Mittleres Maximum =. h 2H-l,21° 

„ Minimum =. h 7 —3,25® 

3. Villingen, Dezember. 




Min. 

mm 

Max. 

öjähriges Mittel. . . . 

-6,24 

-8,42 

-1,14 

-0,25 

20jähriges „ .... 

-4,19 


-0,59 


Differenz . 

-h2,05 

-h2 05 

-HO,55 

-HO,55 

20jiihiiges Mittel . . 


-6,37 


-f-0,30 


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248 


. +0,30° 

. -6,37° 


Mittleres Maximum 1871—90 = . 

„ Minimum 1871—90 = . 

Mittlere Tagesschwankung. = ... G,67° 

Mittleres Maximum = h 2 +0,7° 

„ Minimum =. h 7 —2,2° 

4. Villingen, Juni. 



h? 

Min. 


Max. ' 

5jähriges Mittel.... 

11,49 

7,74 

18,81 

20,13 

20jährige8 „ .... 

12,37 


19,81 


Differenz. 

-hl,88 

-+-1,88 

-+-1,00 

1,00 

20jähriges Mittel . . . 


1 9,62 

i 


21,13 


Mittleres Maximum 1871—90 = . . . 21,13° 

„ Minimum 1871 - 90 = ... 9,62° 


Mittlere Tagesschwankung = . .. 11,51° 

Mittleres Maximum 1871—90 — . . h 2 -4-1,6° 

„ Minimum 1871—90 = . . h 7 — 4,6° 

Man addirt, resp. subtrahirt zu dem 5jährigen mittleren 
Minimum oder Maximum die Differenz aus der 5jährigen und 
20jährigen Temperatur h 7 und h 2, und erhält so das 20jäh- 
rige Mittel des Maximums und Minimums. 

Um zu prüfen, wie sich der mittlere tägliche Tempera¬ 
turgang in den einzelnen Regionen des Landes verhält, 
wurden zunächst die Tagesschwankungen für jeden Monat 
des 5jährigen Zeitraums 1888 — 1892 aus den in den Monats¬ 
berichten gegebenen einzelnen Zahlen berechnet und in Ta¬ 
belle IV (s. S. 249) zusammengestellt. 

Diese Zahlen sind zunächst, weil aus dem kurzen Zeit¬ 
raum von 5 Jahren abgeleitet, nicht als normale Wertlie zu 
betrachten, wohl aber sind sie unter sich vergleichbar, 
und ergeben, dass auch im täglichen Temperaturgang 
sich dieselben vier Zonen herausstellen, wie sie sich 
aus der Betrachtung der Monatsmittel ergeben haben. 
Indess ergibt sich darin ein ganz wesentlicher Unterschied, 


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Tabelle IV. Die mittlere Tagesschwankung. 1888-1892. 


249 



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Tabelle V. Temperaturschwankungen im Zeitraum 1871—1890 an den meteorologischen Stationen 
Karlsruhe, Höchenschwand, Villingen, Meersburg und Buchen. 



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Tabelle V. Fortsetzung. 


252 



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253 



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"7 V. 

Beobachtungen. b 2 M. 

”9 Ab. 

Mittleres Maximum. 

Mittleres Minimum. 

Mittlere Tagesschwankung . . . 

Monatsmittel 1871—1890 .... 

Mittleres Monatsmaximum . . . 
Mittleres Monatsminimum . . . 
Mittlere Monatsschwankung . . . 

Absolutes Maximum . . 
Extreme Absolutes Minimum . . 

Schwankung .... 


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254 


Jahresresultate. 



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5,6 

5,7 

8,8 

7,5' 

| Normales Mittel 1851 — 1880 . . . 

9,7 

5,9 

5,7 

8,9 

7,7 

1 1870-1890 { ZU 1 * a i rm . 

0,1 

0,3 

0,0 

0,1 

0,2 

Mittlere Tagesschwankung .... 

7,9 

7,1 

9,9 

6,5 

8 , 7 : 

Mittlere Monatsschwankung .... 

22,2) 

21,7 

24,5 

18,8 

24,5, 

Mittlere Jahresschwankung .... 

H 

20,1 

47,8 

38,0 

35,8 

. i Maximum. 

Kxtreme < . 

1 Minimum. 

35,5 
-24,0 ( 

30,3 

-21,2 

31,0 

-32,0 

31,5 

—16,0 

34,0 

-32,4 

Differenz . 

59,5 

51,5 

03,0 

47,5 

00,4 


(lass die Stationen des fränkischen Hügellandes: Wertheim 
und Buchen, sich in dem täglichen Temperaturgang nicht 
wie früher in den Monatsmitteln an die Rheinebene, sondern 
an die weit entfernte hochgelegene Baar anschliessen, an 
welche auch die auffallend niedere, der Höhenlage nicht ent¬ 
sprechende Temperatur erinnert. 

In den einzelnen Zonen sind die Schwankungen derart 
übereinstimmend, dass es zur Charakterisirung vollständig 
genügt, die langwierige Berechnung auf je eine Station zu 
beschränken. Es wurden dazu als Repräsentanten gewählt: 
Karlsruhe für die Rheinebene, 

Villingen für die Baar, 

Höchenschwand für den hohen Schwarzwald, 
Meersburg für die Bodenseegegend, und 
Buchen für das fränkische Hügelland. 

Von diesen Stationen sind in Tabelle V (s. S. 250—254) 
die 20jährigen Mittel (1871—1890)jder 3 Beobachtungsstunden, 
das mittlere Maximum und Minimum, und daraus die mittlere 
Tagesschwankung, ferner das mittlere Maximum und Mini- 


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255 


mum eines jeden Monats, sowie daraus die mittlere Monats¬ 
schwankung und endlich die während dieses Zeitraums beob¬ 
achtete Extreme, woraus sich der ganze Umfang der Tem¬ 
peratur ergibt, zusammengestellt. 

Von den 4 ersten Stationen wurden ferner die Resultate 
auf Tafel II—VI graphisch dargestellt, so dass hier die 
sämmtlichen Verhältnisse bequem überblickt und verglichen 
werden können. 

Hieraus ergeben sich folgende Resultate: 

1. Die mittleren Tagesschwankungen sind im all¬ 
gemeinen der Sommer grösser als im Winter, sie sind 
am grössten im Mai, am kleinsten im November. 

2. Die mittleren Schwankungen haben in jeder Zone einen 
verschiedenen, von der mittleren Temperatur unabhängigen 
Verlauf; der klimatische Charakter einer Region ist ganz 
wesentlich durch die Grösse der Schwankungen characterisirt. 

Im Einzelnen zeigen also die verschiedenen Zonen fol¬ 
genden thermischen Charakter 

1. Die Bodenseegegend (Meersburg) hat sehr geringe 
Tagesschwankungen; sie betrugen im Durchschnitte des 
ganzen Jahres 6,5°. Auf die Jahreszeiten vertheilt, ist die 
Schwankung im Sommer etwa doppelt so gross wie im 
Winter; überhaupt sind die Schwankungen im Winter und 
Herbst kleiner als im Frühling und Sommer. Ebenso sind 
die mittleren Maxima und Minima des Monats die kleinsten, 
und folglich auch der Durchschnitt daraus, die mittlere Mo¬ 
natsschwankung mit 18,8°. Im Winter dauert die Kälte 
zwar lang, erreicht aber nur —16°, weniger als in den übrigen 
Zonen. Auch die höchste Sommertemperatur von 31,5° über¬ 
steigt nicht wesentlich die von Villingen und Höchenschwand; 
der ganze Temperaturumfang beträgt hier 47,5°. 

Die Ursache dieser Gleichmässigkeit des Klimas liegt in 
dem regulirenden Einfluss der grossen Wassermasse des 
Bodensees, welche einerseits im Frühjahr die rasche Erwär¬ 
mung verhindert, andrerseits aber auch bis in den Oktober 
hinein die Abkühlung verzögert. Im Sommer wird daher die 
Hitze selten so drückend wie in der Rheinebene, da von dem 
selten über 21 # erwärmten Seewasser besonders Abends frische 


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256 


Winde die Wärme massigen; der Abend ist in der Regel 
angenehm kühl, der Morgen ziemlich warm; die Differenz 
h 7 - Minimum ist klein. 

Sicher frostfrei sind nach den bisherigen Erfahrungen 
die 5 Monate Mai — September, wahrscheinlich frostfrei 
auch der Oktober. 

Im direkten Gegensatz zu Meersburg steht das Klima 
der Baar (Villingen) und des Fränkischen Hügel¬ 
landes (Buchen und Wertheim). 

Sowohl die täglichen wie die monatlichen Schwankungen 
sind hier sehr gross; warmen Tagen folgen kühle Nächte; 
das Mittel der Tagesschwankung im Verlauf des ganzen 
Jahres beträgt hier 9,9°. Ebenso ist die mittlere Monats¬ 
schwankung sehr gross, wie aus der Tabelle V zu entnehmen 
ist, — das Jahresmittel derselben beträgt 24,5® — und auch 
die extremsten Temperaturen: grosse Winterkälte Und rela¬ 
tiv zur Höhe beträchtliche Sommerwärme. Der tiefsten 
Temperatur von Meersburg von —16,0° steht hier ein Mini¬ 
mum von -32° entgegen, während die Sommerhitze mit 
31,0° der von Meersburg fast gleichkommt; der Temperatur¬ 
umfang beträgt 63°. 

Im fränkischen Hügelland (Buchen) finden wir die 
gleichen grossen Tagesschwankungen, ja der Umfang der 
Temperatur im ganzen Jahr ist noch etwas grösser: Buchen 
hat dieselbe extremste Winterkälte wie Villingen, trotz seiner 
um 375 m tieferen Lage, während die extreme Sonnen wärme 
bis auf 34° steigt, so dass der gesammte Temperaturumfang 
66,4° beträgt. In der Baar isl nur der Juli absolut frost¬ 
frei, durchschnittlich frostfrei sind nur die 3 Sommermonate; 
im fränkischen Hügellande sind absolut frostfrei 3 Monate, 
durchschnittlich die 4 Monate, Juni bis September. 

Beide Orte haben also ein ausgesprochenes Continen- 
talklima. 

Die dritte Zone, die des hohen Schwarzwaldes 
(Höchenschwand), welche ihrer hohen Lage entsprechend ein 
ziemlich niederes Jahresmittel der Temperatur, aber sehr 
milde Wintertemperaturen zeigt, hat auffallender Weise 
ähnlich geringe Tages- und Monatsschwankungeu wie Meers- 


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257 


bürg; das Jahresmittel der Tagesschwankungen beträgt 7,1°, 
das Mittel der Monatsschwankungen 21,7". Absolut frost¬ 
frei sind hier nur die zwei Monate Juli und August, 
durchschnittlich hingegen die 4 Monate Juni-September. 

Höchenschwand liegt auf einer freien, schwach nach 
Süden abfallenden Hochebene, welche an Osten und Westen 
von tief eingeschnittenen Thälern (Alb und Schwarza) be¬ 
grenzt und gegen Norden von durchschnittlich 1200 Meter 
hohen Gebirgszügen des Blasiwaldes eingeschlossen ist. Eine 
Ansammlung stagnirender kalter Luftmassen, wie im Thal 
von Villingen, ist hier nicht möglich, und ebenso der Zu¬ 
tritt der kalten Nordwinde beschränkt, während die warmen 
Südwinde freien Zutritt haben; diese Umstände mögen die 
geringen Temperaturschwankungen, wenigstens zum Theil, 
erklären. 

Das Rheinthal (Karlsruhe), der wärmste Theil von 
Deutschland, hat trotzdem grössere Temperaturschwankungen 
als Schwarzwald und Bodensee, indem das Jahresmittel der 
Tagesschwankung 7,9°, der Monatsschwankung 22,2° beträgt. 

Den Bewohnern der Städte mag diess auffallend erscheinen, 
da hier, selbst auf der Nordseite, die Temperatur in den 
Häusern oft auf 27—28° steigt und selbst das Offenhalten 
der Fenster in der Nacht keine erhebliche Abkühlung bewirkt. 
Es rührt diess davon her, dass die lange und intensive Sonnen¬ 
strahlung die Steinmassen stark erhitzt, sodass diese sich 
während der kurzen Nächte nur wenig abkühlen. Im Freien 
und im Walde ist es aber zur Zeit des Sonnenaufgangs ganz 
angenehm kühl, da das mittlere Minimum im Sommer nur 
13,3° beträgt. Um 7 Uhr hat die Sonne schon eine Höhe 
von 25—27°, die Strahlen wirken also bei heiterem Wetter 
sehr energisch, bei trübem Wetter aber wirkt die grosse 
relative Feuchtigkeit auch bei minder hoher Temperatur er¬ 
schlaffend und drückend. 

Absolut frostfrei sind hier die drei Sommermonate Juni 
bis August; durchschnittlich frostfrei hingegen die fünf Monate 
Mai bis September, sodass die frostfreie Zeit hier weniger 
lange dauert als am Bodensee. 

Dass hier die extreme Sonnenwärme den höchsten Grad 
mit 36,0° (für Karlsruhe) erreicht, ist selbstverständlich, auf- 

17 


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258 


fallend aber sind die, wenn auch selten, auftretenden hohen 
Kältegrade, indem die grösste Kälte in dem Zeitraum 1871— 
1890—24® betrug, also tiefer war als auf dem Schwarzwald. 

Im Frühling ist die Temperatur im Allgemeinen hoch, 
schon im April wird fast die Sommerhitze von 25° erreicht, 
und im Mai sind Temperaturen von 30—31® nicht selten. 

Durch diese hohen Wärmegrade wird die Vegetation rasch 
gefördert, um so schädlicher wirken aber hier die gleichfalls 
nicht seltenen Kälterückfälle; die Eismänner (11.—13. Mai) 
sind hier am meisten gefürchtet. 

Sehr charakteristisch zeigen sich die Unterschiede der 
Schwankungen in den Jahreszeitmitteln, wesshalb die Ueber- 
siclit derselben hier beigesetzt wird: 


Tabelle VI. Mittlere Tages- und Monatsschwankung. 



Tagesschwankung 

Monatsschwankung * 


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5,6 

9,4 

10,0 

7,1 

22,1 

23,2 

21,7 

21,3 

Höchenschwand 

5,7 

7,9 

8,0 

6,5 

20,3 

22,3 

20,2 

21,4 

Villingen.... 

8,4 

10,8 

11,3 

9,2 

25,7 

26,8 

22,6 

,24,1 

Buchen .... 

6,1 

: 9,8 

10,7 

8,1 

26,9 

26,7 

25,0| 

22,0 | 

Meersburg . . . 

4,3 

1 

7,8 

8,3 

5,6 

17,3 

21,1 

19,2 1 

16,2 j 


Aus den in Tabelle V angegebenen Mitteltemperaturen 
lässt sich der Gang der Temperatur im Laufe des Tages an¬ 
geben, wenigstens für die wärmere Jahreszeit, für welche die 
Zeit des Maximums und Minimums genügend genau bekannt 
ist; für den Winter ist diese Zeit für unsere Gegend noch 
nicht genau festgestellt, da noch keine registrirenden Thermo¬ 
meter aufgestellt sind. 

Als Beispiel möge hier der mittlere tägliche Temperatur¬ 
gang im Mai und Juli für einige Stationen dargestellt werden. 

I. Karlsruhe, Mai. Sonnenaufgang Mitte Mai um 
4 Uhr 22 Min., Zeit des Minimums ca. 4 Uhr, Zeit des Maxi¬ 
mums ca. 3 Uhr. 


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259 


Minimum . . . h 4 = 8,1° 

Temperatur. . . h 7 = 11,4° Steigen um 3,3® in 3 Stunden 

„ . . . “2 = 17,3° „ 5,9® in 7 

„ Maximum h 3=18,3® „ 1,0° in 1 „ 

Summa: Steigen um 10,2® in 11 Stunden 
Temperatur. . . “9 = 12,6® Fallen um 5,7° in 6 Stunden 

„ Minimum “4 = 8,1® „ 4,5° in 7 „ 

Summa: Fallen um 10,2°in 13 Stunden 

2 . Karlsruhe, Juli. Sonnenaufgang Mitte Juli um 
4 Uhr 15 Min., Zeit des Minimums ca. 4 Uhr, Zeit des Maxi¬ 
mums ca. 3 Uhr. 

Minimum . . . . h 4 = 14,5° 

Temperatur . . . h 7 = 17,2°Steigen um 2,7® in 3 Stunden 

„ . . . h 2 = 22,8° „ 5,6° in 7 

„ Maximum h 3 = 24,1® „ 1,3® in 1 „ 

Summa: Steigen um 9,6® in 11 Stunden 
Temperatur . . . “9 = 18,2° Fallen um 5,9® in 6 Stunden 

„ Minimum *‘4=14,5° „ 3,7® in 7 „ 

Summa: Fallen um 9,G®in 13 Stunden 
Die Zeit des Fallens ist also etwas länger als die des 
Steigens; die Wärme steigt rascher als sie abnimmt. 

3. Villingen, Mai. Maximum und Minimum fallen 
nahezu auf die gleiche Zeit. 

Minimum . . . . h 4 = 3,5® 

Temperatur . . . h 7 = 7,9®Steigenum4,4° in 3 Stunden 

„ • • • “2=13,8® ,, 5,9® in 7 

„ Maximum ll 3 = 15,1® „ 1,3® in 1 „ 

Summa: Steigen um 11,6® in 11 Stunden 
Temperatur . . . h 9 = 12,1® Fallen um 3® in 6 Stunden 

„ Minimum h 4 = 3,5° „ 8,6® in 7 „ 

Summa: Fallen um 11,6®in 13 Stunden 

4. Villingen, Juli. 

Temperat. Minimum “2= 9,7® Steigen um 4,3° in 3 Stunden 
„ . . . “7 = 14,0® , 5,9® in 7 

„ Maximum h 3 = 19,9® „ 1,4® in 1 „ 

Summa: Steigen um 11,6® in 11 Stunden 

17* 


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260 


Temperatur . . . h 9 = 14,0 # Fallen um 7,3° in 6 Stunden 

„ Minimum h 4 = 9,7° B 4,3° in 7 „ 

Summa: Fallen um 11,6° in 13 Stunden. 

In Villingen ist also das Steigen in den Morgenstunden 
rascher als in Karlsruhe. 

Die bisher angegebenen Werthe sind Mittelzahlen; für 
die Charakteristik des Klimas sind aber noch die extremen 
Temperaturen von Interesse. Ein vollständiges Bild hiervon 
kann zur Zeit noch nicht gegeben werden, da es die weit¬ 
läufige Zusammenstellung der höchsten und niedersten Tempe¬ 
raturen aus den Originalen erfordern würde. 

Aus diesen könnte die im Laufe eines Monats beobachtete 
höchste und niedrigste Tagestemperatur, ebenso für jeden 
Tag das Maximum und Minimum und daraus die Grösse der 
wirklich eingetretenen Schwankungen berechnet werden. In 
Tabelle V ist in der Rubrik „Extreme“ das Maximum und 
Minimum eines jeden Monats angegeben, und daraus der 
ganze Umfang der Temperatur im Verlauf des Monats be¬ 
rechnet; für die Tagesschwankungen ist das Material erst 
seit 1891 publicirt, und zwar die grösste tägliche Schwank¬ 
ung, die kleinste ist nicht von Interesse. 

Obgleich dieser Zeitraum viel zu kurz ist, um eine voll¬ 
ständige Uebersicht Uber diesen Faktor des Klimas zu geben, 
ist die Kenntniss der grössten wirklichen Schwankung an 
einem Tage doch von grossem Interesse, wesshalb das bia 
jetzt publicirte Material in Tabelle VII (s. S. 262 u. 263) mit- 
getheilt wird. 

Der Vergleich dieser extremen mit der mittleren Tages¬ 
schwankung (Tabelle IV) zeigt zunächst, dass die erstere 
nahezu den doppelten Werth der mittleren Schwankung er¬ 
reicht; und ferner, dass auch hier dieselben Gesetze gelten, 
wie bei der mittleren Schwankung: Meersburg, Höchen¬ 
schwand und Todtnauberg sind durch kleine, Vi Hingen, 
Donaueschingen und Buchen durch grosse Schwank¬ 
ungen ausgezeichnet. Auch hier sind die Schwankungen 
im Frühling und Sommer am grössten, indem hier sowohl 
die Bestrahlung bei Tag, wie die Ausstrahlung bei Nacht 


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261 


am wirksamsten siud. Die Monatsberichte zeigen, dass die 
Schwankung bei klarem ruhigem Wetter besonders gross ist. 

Die grösste Tagesschwankung findet sich, wie zu er¬ 
warten, in Villingen im April 1893 mit 25°, die kleinste 
mit 7,2® im November 1890 in Meersburg. 

Von Karlsruhe, Höchenschwand und seit 1892 auch von 
Villingen, sind die täglichen Beobachtungen in den Jahres¬ 
berichten publicirt, so dass sich die Schwankung mit der 
Lage der beiden Extreme vergleichen lässt. Die Prüfung hat 
ergeben, dass die extreme Tagesschwankung in der Regel 
an den Tagen eines Maximums oder Minimums der Monats¬ 
temperatur, immer aber mit einem aussergewöhnlichenTempe¬ 
raturstand verbunden ist. 

Am 22. Januar 1892 war in Karlsruhe die grösste Tages¬ 
schwankung, an diesem Tage war das Maximum —0,6®, das 
Minimum —14,5®, das Monatsmittel +0,4® die Schwankung 
lag ganz unterhalb des Mittels. 

Im Mai 1891 betrug zu Karlsruhe die grösste Temperatur¬ 
schwankung am 1. 15,5®, die Extreme 11,5® und 27,0®, das 
Mittel 14,3®, die Schwankung lag fast ganz oberhalb des 
Mittels. 

In Villingen betrug am 13. März 1892 die grösste 
Schwankung 24,2®, die Extreme —21,0° und +3,2®, das Mittel 
—2,7®, auch hier lag die Schwankung fast ganz unterhalb 
des Mittels. Extreme Schwankungen sind also in 
der Regel an extreme Temperaturen geknüpft; Zeiten, 
im welchen die Tagestemperatur annähernd dem Monatsmittel 
entspricht, haben auch nur mittlere Schwankung. 

Die Vergleichung der Tabelle VII mit den in Tabelle V 
angegebenen, in jedem Monat wirklich eingetretenen Extremen 
zeigt, dass die höchste und niederste Temperatur eines Monats 
nicht an einem und demselben Tage eintritt, indem die 
grösste, an einem Tage beobachtete Schwankung 
nicht die Hälfte der ganzen Schwankung innerhalb 
des Monats erreicht. 

In je grösserem Umfange man die Einzelwerthe zu einem 
Mittel zusammenfasst, desto kleiner werden die Schwankungen; 
die Monatsmittel der Temperatur schwanken daher in engeren 


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Tabelle VH. Grösste tägliche Schwankung. 


262 



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Tabelle VIII. Höchste und niederste Monatstemperaturen 1871—1890 zu Karlsruhe, Höchenschwand, 

Villingen, Meersburg und Buchen. 


264 



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265 


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266 


Grenzen als die Tagesmittel. In Tabelle VIII (s. S. 264 u. 265) 
sind die grössten und kleinsten von 1871—1890 beobachteten 
Monatsmittel zusammengestellt, und daraus berechnet, um wie 
viel sich dieselben unterscheiden. 

Von den einzelnen Monaten haben August und September 
die geringsten Unterschiede, ganz besonders gross sind sie 
aber ira Dezember, dieser ist also der veränderlichste Monat. 
Ueberhaupt ist die Veränderlichkeit im Winter am grössten, 
während der als veränderlich verrufene April überall nur 
kleine Schwankungen in der Temperatur —nicht im Wetter — 
zeigt. 

Die Veränderlichkeit in den Jahreszeiten zeigt Tabelle IX. 


Tabelle IX. Veränderlichkeit der Monatsmittel. 



Karls¬ 

ruhe 

Höchen¬ 

schwand 

Vil- 

lingen 

Meers¬ 

burg 

Buchen i 

Winter .... 

10,4 

7,5 

10,4 

9,1 

10,4 

Frühling .... 

5,2 

6,5 

5,0 

5,1 

5,3 j 

Sommer .... 

4,8 

5,4 

4,5 

4,7 

4,9 

Herbst. 

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i 

| 

5,5 

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; : 

5,2 

5,3 


Die Schwankungen der Monatsmittel sind also 
im ganzen Lande nahezu gleich. 

Die Unterschiede zwischen der höchsten und niedersten 
Jahrestemperatur sind natürlich kleiner, als die Monats¬ 
schwankungen, sie betragen durchschnittlich die Hälfte, wie 
aus Tabelle X hervorgeht. 


Tabelle X Höchste und niederste Jahrestemperaturen 
1871—1890. 



Karls¬ 

ruhe 

Höchen¬ 

schwand 

Vil- 

lingen 

Meers¬ 

burg 

Buchen 

| Höchste .... 

188110,5 

1872 1 6,0 

i 

1872 7,2 

1884 

9,6 

1874 9,5 

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1871 8,1 

1 

1887 4,7 

1887 4,4 

1879 

7,8 

1878 6,3 

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267 


In dieser Jahresveränderlichkeit tritt wieder der Unter¬ 
schied der einzelnen Zonen sehr deutlich hervor; Meersburg 
mit der kleinsten, Villingen und Buchen mit der grössten 
Schwankung. 

In allen Beziehungen, dein Verlauf der Temperatur im 
Allgemeinen, in den Schwankungen, der Veränderlichkeit und 
in den Extremen, sondern sich also die vier klimatischen 
Regionen des Landes scharf von einauder. Im schärfsten 
Gegensatz stehen die geographisch einander naheliegenden 
continentalen Klimate der Baar und das maritime 
Klima des Bodenseebeckens, ganz isolirt liegt die Kälteinsel 
des Fränkischen Hügellandes. Zwischen diesen beiden 
nimmt das des Rheinthals eine Zwischenstellung ein. Eine 
Sonderstellung hat das Klima des hohen Schwarzwaldes, 
welches durch seine warmen Winter einerseits dem Rheinthal, 
durch die geringen Schwankungen andererseits der Bodensee¬ 
gegend anschliesst, wenn auch diesen Analogieen wohl andere 
Ursachen zu Grunde liegen werden. 


Anmerkung: Alle Temperaturen sind in Centesimalgradeu, alle 
Zeitangaben in mittlerer Karlsruher Zeit, welche gegen die mitteleuro¬ 
päische Zeit um 26 Minuten zurück ist (M.E.Z. = M.K.Z. 26 m. 
7 h K.Z. = 7 h 26 m M.E.Z.), ausgedrückt. 

Nachträge: 

Zu Seite 230: Im Laufe des Jahres 1893 sind zwei Stationen als solche 
zweiter Ordnung neu eingerichtet worden: 

Kniebis im nördlichen Schwarzwald (Meereshöhe = 903,7 m), seit 
1. August, früher nur Regenstation. 

Badenweiler (Meereshöhe = 401,4 m), mit Privatmitteln nach 
dem Muster der staatlichen Stationen eingerichtet. 

Zu Seite 17: Die Abweichungen der Differenzen Max. - h 2 in Höchen¬ 
schwand erklären sich nach Mittheilung des Herrn Dr. Schultheiss durch 
die früher zu wenig geschützte Aufstellung des Thermometers, wodurch 
zeitweise das Minimum zu hoch wurde. Seitdem diesem Uebelstand ab« 
geholfen wurde, stimmen die Differenzen gut mit den übrigen Stationen. 


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268 


Joseph Gottlieb Koelreuter. 

Ein Karlsruher Botaniker des 18. Jahrhunderts. 

Von Dr. J. Behrens. 

Schon als mein am 5. August 1893 verstorbener Freund 
Dr. Max Scholtz 1891 nach Karlsruhe übersiedelte, trug er 
sich mit der Idee, hier an der Stelle, wo Koelreuter die 
längste Zeit seines Lebens gelebt und gewirkt hat, und wo 
ohne Zweifel sich noch Spuren seiner Thätigkeit auffinden 
lassen mussten, zu versuchen, das Material für die so wün- 
schenswerthe Biographie des grossen Botanikers zusammen¬ 
zubringen. Unterstützt von den verschiedensten Seiten, 
hatte er im Sommersemester 1893 begonnen, sich eingehen¬ 
der mit der Sammlung von Material für die Biographie zu 
beschäftigen. Schon hatte er einen grossen Theil der im 
Grossh. Generallandesarchiv vorhandenen, auf Koelreuter be¬ 
züglichen Aktenstücke excerpirt, als ihn plötzlich die tückische 
Krankheit überfiel, die seinem Leben allzufrüh ein Ende 
machte. 

Es erschien mir gewissermassen als Pflicht, die Lieblings¬ 
idee des Todten auszuführen, und so ist der hier vorliegende 
Versuch einer Biographie entstanden. Ueber die Berechtigung 
einer solchen ist es unnöthig, ein Wort zu verlieren. Nichts 
ist naheliegender, als der Wunsch, auch das Werden und 
Wirken eines grossen Mannes, der durch seine Schriften 
unsere Bewunderung und Theilnahme erregt und weit über 
seine Zeitgenossen und einen grossen Theil seiner Nachfolger 
hervorragt, kennen zu lernen. 

Ich entledige mich zunächst der angenehmen Pflicht, 
allen denen, welche durch gütigen Rath oder durch Mit¬ 
theilungen verschiedener Art mich unterstützt haben, meinen 
verbindlichsten Dank auszusprechen, insbesondere den Herren: 
Archivdirektor Dr. von Weech, Direktor des Grossh. General¬ 
landesarchivs, Professor Dr. Famintzin, Mitglied der Kais. 


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269 


Akademie in St. Petersburg, Professor Dr. Ascherson in 
Berlin, Dr. Hilger, Custos des Grossh. Naturalienkabinets, 
Rektor Weizsäcker in Calw sowie den Enkeln Koelreuter’s, 
Herrn Apotheker Koelreuter in Horaberg und Frau Stadt¬ 
pfarrer Hauber in Stuttgart. Weitere Mittheilungen ver¬ 
danke ich dem Kgl. Universitätsamt in Tübingen und dem 
Kgl. Bürgermeisteramt in Sulz am Neckar. Das von Herrn 
Koelreuter gütigst zur Verfügung gestellte Bildniss seines 
Grossvaters ist von Herrn Schmidt, Docent für Photographie 
an der Technischen Hochschule hier, photographirt. 

Ausser den eigenen Werken Koelreuter’s und den vor¬ 
handenen kurzen, theilweise sicher falsche Angaben ent¬ 
haltenden biographischen Notizen in Gärtner, Bastardbefruch¬ 
tung (S. 4 und 5), deren Inhalt in Sachs’ Geschichte der 
Botanik (S. 439) und in Pfeffer’s neue Ausgabe der vor¬ 
läufigen Nachricht (Ostwald’s Klassiker der exakten Wissen¬ 
schaften No. 4, S. 266) übergegangen ist, in Band II der 
Memoires de l’Acad. Impür. de St. Petersbourg (S. 4 und 5), 
in Sprengel’s Geschichte der Botanik (II S. 256), in Hart- 
weg’s Hortus Carlsruhanus (Karlsruhe 1825, S. XVI), in der 
Flora 1839, I (S. 245) und in der Allgemeinen deutschen 
Biographie (Bd. XVI, 1882, S. 493—496) haben mir als 
Quellen gedient die Akten des Grossh. Generallandesarchivs 
und solche des Grossh. Naturalienkabinets sowie folgende, 
im Nachfolgenden nicht citirte Werke, die über jene Zeit 
handeln: 

Historia et comment. Academiae Theodoro-Palatinae I, 
S. 1—150. 

Böckmann, Welche Fortschritte machten Mathematik 
und Naturlehre in den badischen Ländern? Carlsruhe 1787. 

Brunn, F. L., Briefe über Carlsruhe. Berlin, 1791. 

Drais, Freihr. von, Geschichte der Regierung und Bildung 
von Baden unter Karl Friedrich. I u. II. Carlsruhe 1818. 

Fecht, Geschichte der Haupt- und Residenzstadt Karls¬ 
ruhe. Karlsruhe 1887. 

Meerwein, Grundstein zu einem Ehrendenkmal für die 
um Badens Landeskultur verdienten Männer. Carlsruhe 1822. 

Nebenius, C. F., Karl Friedrich von Baden. Heraus¬ 
gegeben von Fr. v. Weech. Karlsruhe 1S68. 


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270 


Weecli, Fr. vou, Baden unter den Grossherzogeu Karl 
Friedrich, Karl, Ludwig, 1738—1830. Freiburg 1863. 

— Die Markgräfinnen Maria Viktoria und Caroline 
Louise von Baden. Karlsruhe 1872. 

I. 

Joseph Gottlieb Koelreuter wurde geboren zu Sulz am 
Neckar am 27. April 1733 als ältester Sohn des dortigen 
Apothekers Johann Konrad Koelreuter und dessen Frau 
Katharina Margaretha geb. Ilaupt. Ausser ihm wurden 
seinen Eltern noch zwei jüngere Söhne geboren, der spätere 
Sulzer Arzt Johann Konrad Christoph 1 und der Apotheker 
Christian Ludwig, von denen der erstere 1782, der andere 
erst 1820 starb. Die Familie Koelreuter stammte aus Oester¬ 
reich, wo im Jahre 1569 Kaiser Maximilian einem Vorfahren, 
dem Florian Kellerriedter, Gegenschreiber des Stifts Krems¬ 
münster, Adel und Wappen verliehen hat. 

Ueber seine Jugendjahre ist nichts bekannt. Es lässt 
sich indess annehmen, dass der Knabe schon in der Jugend, 
angeregt durch seinen Vater, sich mit der Flora und Fauna 
seiner engeren Heimath bekannt gemacht hat. In seiner 
Dissertation wird auch eine eigene Insektensammlung ei- 
wähnt. 

Im Jahre 1748 treffen wir Koelreuter in Tübingen, wo 
er am 19. November für das medicinische Studium sich 
iinmatrikuliren Hess. Hier hatte unter seinen Lehrern ins¬ 
besondere der Professor Johann Georg Gmelin, der bekannte 
Erforscher Sibiriens, auf seinen Studiengang Einfluss. Im 
Jahre 1753 setzte er seine Studien in Strassburg fort, kehrte 
aber schon- am 3. Mai 1754 nach Tübingen zurück, wo er 
auch am 27. Juni des folgenden Jahres sich auf Grund seiner 
„Dissertatio inauguralis medica de insectis coleopteris nec 
non de plantis quibusdam rarioribus (cum icone)“ den medi- 
cinischen Doktorgrad erwarb. 

Bald nach seiner Promotion im Jahre 1756 ging Koel¬ 
reuter als Adjunkt der Kais. Akalemie der Wissenschaften 

1 S. auch dritte Fortsetzung der vorl. Nachricht S. 33 (Pfeffer’s 
Ausg. S. 180). 


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271 


für die Naturgeschichte nach Petersburg, eine Berufung, die 
gewiss noch auf die Fürsorge des kurz zuvor verstorbenen 
Gmelin für seinen talentvollen Schüler zurückzuführen ist. 
In Petersburg beschäftigte sich Koelreuter, wie seine zahl¬ 
reichen, in dieser Zeit entstandenen Schriften zeigen, haupt¬ 
sächlich mit Zoologie, vor allem mit der Ordnung und Be¬ 
stimmung der Fischsammlung der Akademie. Dass er ausserdem 
auch seine botanischen Studien nicht vergass, folgt nicht 
nur aus seinen eigenen Angaben 1 , sondern auch aus der Be¬ 
merkung des Akademikers Laxmann, der seine neue Sapinda- 
ceengattung Koelreuteria „viro et de re herbaria et de horto 
nostro botanico optime merito celeberrimo Koelreutero“ als 
Unterpfand seiner und aller Botaniker Verehrung widmet. 2 
In Petersburg (und nicht in Sulz, wie Gärtner angibt) Wal¬ 
es denn auch, wo Koelreuter seine ersten fruchtlosen Bastar- 
dirungsversuche im Jahre 1759 anstellte, und zwar mit Hi- 
biscus trionum und Pentapetes phoenicea, Hibiscus trionum 
und Gossypium lierbaceum, Atropa physaloides und Physalis 
Alkekengi. Die vorläufige Nachricht ist überhaupt in Peters¬ 
burg entstanden. 

Die Frucht seiner Thätigkeit in den reichen Sammlungen 
Petersburg^ waren folgende Arbeiten, die fast sämmtlich in 
den Schriften der Petersburger Akademie veröffentlicht sind: 

Polypi marini, Russis karakatiza, recentioribus Graecis 
OxTccitovg dicti, descriptio. Novi commentarii Academiae 
scientiarum Petropolitanae. Tom. VII ad annum 1758 et 1759. 
Petropoli 1761. p. 321 ff. 

Zoophyti marini e Coralliorum genere historia. Ibid. 
p. 344. 

Descriptio Tubiporae maris albi accolae. Ibid. p. 374. 

Continuatio historiae zoophyti marini e coralliorum genere. 
Ibid. p. 377. 

Piscium rariorum e Museo Petropolitano exceptorum 
descriptio. Novi commentarii etc. Tom. VIII, p. 404. 

1 Vorläufige Nachricht etc. 1761. S. 42 (32), Fortsetzung der vorl 
Nachricht 1763. S. 60 (45), 61 (79). Zweite Fortsetzung 1764. S. 64 
(79). Dritte Fortsetzung der vorläufigen Nachricht etc. 1766, S. 52 
135, 151 (S. 198, 251 und 260 der Ausgabe von Pfeffer). 

* Laxmann, Koelreuteria paniculata novum plantarum genus. Nov. 
commentarii. Tom. XVI, p. 561. 


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272 


Descriptionis pisciura rariorum e museo Petropolitano 
exceptorum continuatio. Novi coramentarii Tom. IX, p. 420. 

Piscium rariorum e museo Petropolitano exceptorum de- 
scriptiones continuatae. Novi commentarii. Tom. X, p. 329. 

Dentalii americani ingentis magnitudinis descriptio. Ibid. 
p. 352. 

Insectorum musei Petropolitani rariorum, Americae po- 
tissimum meridionalis incolarum, descriptiones. Novi commen¬ 
tarii Tom. XI, p. 401. 

Descriptio Fuci foliacei frondibus fructificantibus pa- 
pillatis. Ibid. p. 424. 

Aves indicae rarissiraae et incognitae. Ibid. p. 429. 

Descriptio piscis e Gadorum genere, Russis Nowaga dicti, 
historico-anatomica. Novi commentarii. Tom. XIV, p. 484. 

Descriptio Cyprini Rutili, quem Halawel Russi vocant, 
historico-anatomica. Novi commentarii. Tom. XV, p. 494. 

Descriptio piscis e Coregonorum genere, russice Sig vo- 
cati, historico-anatomica Ibid. p. 504. 

Observationes splanchnologicae ad Accipenseris rutheni 
Linn. anatomen spectantes. Novi commentarii. Tom. XVI, p. 42. 

Observationum splanchnologicarum ad Accipenseris ru¬ 
theni Linn. anatomen, speciatim vero ad ipsorum auditus 
organum spectantium continuatio. Novi commentarii XVII, 
p. 521. 

Descriptio piscis e Coregonorum genere, russice Ria- 
pucha dicti, historico-anatomica. Novi commentarii. Tom. 
XVIII, p. 503. 

Observationes in Gado Iota institutae. Novi commen¬ 
tarii. Tom. XIX, p. 424. 

Lernaeae forsan adhuc incognitae, Gadi callar L. bran- 
chiis firmiter inhaerentis descriptio. Historia et commen- 
tationes Academiae eiectoralis scientiarum et elegantiorum 
literarum Theodoro-Palatinae. Vol. III Physicum. Mann- 
heimii 1775, p. 57. 

Descriptio Pleuroncctis flesi et passeris Linnaei historico- 
anatomica. Nova acta. IX. Petropoli 1795, p. 327. 

Von seinen botanischen Arbeiten ist ausser der eben 
erwähnten Beschreibung einer Floridee des Weissen Meeres 
nach einem getrockneten Exemplar, wie schon oben er- 


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273 


wähnt, die „Vorläufige Nachricht von einigen das Geschlecht 
der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobachtungen“ 
eine und allerdings die wichtigste Frucht des Petersburger 
Aufenthaltes. Diese Abhandlung gab Koelreuter, wie er in 
der Vorrede erzählt, Gelegenheit, mit dem Göttinger Pro¬ 
fessor Abraham Gotthelf Kästner in Verbindung zu treten, 
der sich schon früher mit der von Koelreuter endgiltig ge¬ 
lösten Frage der Sexualität der Pflanzen beschäftigt und die 
letztere gegen die Einwürfe Möllers im Hamburger Magazin 
vertheidigt hatte. 1 Leider ging das erste Manuskript, das 
am 4. Oktober 1760 an Kästner abgesandt war, unterwegs 
zwischen Petersburg und Göttingen verloren. 

Im Sommer des Jahres 1761 verliess Koelreuter Peters¬ 
burg und kehrte in seine Heimath zurück. Auf der Reise be¬ 
rührte er im August Berlin, wo er mit dem durch seine ge¬ 
lungene Befruchtung von Chamaerops humilis (1749) be¬ 
kannten Professor und Akademiker Johann Gottlieb Gleditsch 
bekannt und befreundet wurde. Von der Hochschätzung, 
welche dieser dem weit jüngeren Koelreuter entgegenbrachte, 
legen seine Aeusserungen über ihn Zeugniss ab. 2 Ende August 
und Anfang September verweilte Koelreuter in Leipzig im 
anregenden Verkehr mit den dortigen Botanikern, insbeson¬ 
dere mit dem durch seine 1737 erschienene Dissertation de 
sexu plantarum auf dem gleichen Gebiet thätigen Professor 
Christian Gottlieb Ludwig, nebenbei demselben, dem Goethe 
die erste Anregung zu seinen naturwissenschaftlichen Be¬ 
schäftigungen verdankt. In Leipzig ist auch die Vorrede zur 
vorläufigen Nachricht verfasst, die auf Betreiben der Leip¬ 
ziger Freunde 1761 bei Gleditsch in Leipzig erschien. 

Nach Sulz zurückgekehrt, setzte Koelreuter seine Be¬ 
obachtungen über die Sexualverhältnisse der Pflanzen fort. 
Leider fehlen aus dieser Zeit alle Nachrichten mit Ausnahme 
des Wenigen, was sich seinen Schriften entnehmen lässt. 
Darnach blieb er in Sulz nur bis zum Herbst 1762 und 
siedelte dann nach Calw in Württemberg über, wo sein 
Freund und wohl auch Studiengenosse Joseph Gärtner da- 

1 Vgl. Kurt Sprengel, Geschichte der Botanik. Bd. II, S. 265. 

* Joh. Gottl. Gleditsch, Vermischte physikalisch-botanisch-oekono- 
mische Abhandlungen II. Halle 1766, S. 127, sowie III. Halle 1767, S. 43. 

18 


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274 


mals, mit den Studien zu seiner Carpologie beschäftigt, ein 
zurückgezogenes Gelehrtenleben führte, über das man sich 
die Anekdote erzählt, dass er, der sonst das Haus nicht zu 
verlassen pflegte, als er einmal zu einem vornehmen Kranken 
gerufen wurde, in Pantoffeln gehen musste, weil die Mäuse 
seine Stiefel zernagt hatten. Als Gast Gärtner’s und im 
freundschaftlichen Zusammenleben mit ihm setzte Koelreuter 
in dessen Garten seine Bastardirungsversuche fort. Nach 
seiner Rückkehr in die Heimat erhielt Koelreuter den Titel 
eines herzoglich Württembergischcn Professors der Natur¬ 
geschichte, der ihm jedoch keinerlei Verpflichtungen zu lehren 
auferlegte. Die Fortsetzung sowie auch die zweite Fort¬ 
setzung der vorläufigen Nachricht sind im wesentlichen die 
Frucht seiner Arbeiten in Sulz und Calw und die Vorreden 
beide aus Calw datirt. 

Mit dem Schlüsse des Jahres 1763 trat ein Wendepunkt 
in Koelreuter’s äusseren Verhältnissen ein, indem er von dem 
Markgrafen Karl Friedrich von Baden-Durlach einen Ruf als 
Aufseher und Direktor der fürstlichen Gärten mit dem Titel 
und Rang eines Raths und Professors der Naturgeschichte 
nach Karlsruhe erhielt und annahm. Die fürstliche Signatur 
ist unterm 11. November 1763 ausgestellt. Am 7. Dezem¬ 
ber 1763 teilte Koelreuter dem Markgrafen nebst dem Dank 
für die Anstellung mit, dass er unterm 19. November aus 
den herzoglich württerabergischen Diensten entlassen sei und, 
sobald es die Umstände gestatten würden, nach Karlsruhe 
übersiedeln werde. 

Mit dieser Wendung des Schicksals schien für Koelreuter 
der richtige Platz gefunden zu sein, wo er seinen Forsch¬ 
ungen unabhängig und nach seinem Belieben sich widmen 
und dieselben noch weiter ausdehnen konnte. Die äusseren 
Verhältnisse in Karlsruhe waren dazu die denkbar günstigsten. 

Es stand ihm als Direktor der fürstlichen Gärten hier 
ein botanischer Garten zur Verfügung, der einer der grössten 
und best ausgestatteten der damaligen Zeit war. Er wurde 
im Jahre 1717 von Karl Wilhelm, dem Gründer Karlsruhes, 
angelegt und schon das erste, 1733 gedruckte Verzeichniss 
zählt ca. 2000 Species auf, die in ihm kultivirt wurden. 
Ungefähr ebensoviele sind auch in dem 1747 erschienenen 


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275 


Hortus Carlsruhanus von Josua Risler aufgezählt, von denen 
allerdings durch die Misswirtschaft der Gärtner ein Theil 
gerade der seltensten gegen Ende der fünfziger Jahre zu 
Grunde gegangen war. 

Dazu kam das grosse Interesse, welches der Markgraf 
selbst und seine Gemahlin, die Markgräfin Karoline Louise, 
den Naturwissenschaften und insbesondere der Botanik zu- 
wendeten. Bei Karl Friedrich, einem der edelsten und unter- 
richtetsten Fürsten seiner Zeit, erstreckte sich dieses Interesse 
allerdings vor allem auf die praktische Anwendung der 
Wissenschaft in den Verhältnissen, auf welchen das Staats¬ 
wesen sich aufbaut, vorzüglich also in der Landwirtschaft. 

Der klar blickende Fürst war indess der Ueberzeugung, 
dass durch ein gründliches, rein wissenschaftliches Studium der 
Erscheinungen in der Pflanzenwelt die besten Früchte auch 
für den praktischen Pflanzenbau gewonnen werden, eine 
Wahrheit, die in allen Zweigen der Praxis immer wieder 
sich bewährt und eigentlich auch selbstverständlich ist. Dazu 
kam, dass Karl Friedrich wenigstens in der ersten Periode 
seiner Regierung ein erklärter Auhänger der physiokratischen 
Schule war, welche in der landwirtschaftlichen Produktion 
den einzigen oder doch wichtigsten Faktor der Wohlfahrt 
des Staates erblickte. 

Die Hauptgedanken der physiokratischen Lehre stellte 
der Markgraf selbst in einer kurzen Schrift zusammen, die 
unter dem Titel: „Abregö des principes de l’öconomie poli- 
tique“, 1772 zu Paris vom Grafen Mirabeau publizirt, nach¬ 
träglich auch ins Deutsche übersetzt wurde. 1 Dementsprechend 
legte er denn auch grossen Werth auf die Förderung der 
Naturwissenschaften und interessirte sich insbesondere leb¬ 
haft für Botanik. Noch mehr that dies die Fürstin. In 
einem Brief an Linnö vom 1. Januar 1774 schreibt Björn¬ 
stahl 2 : „Am hiesigen Hofe höre ich alle Tage von Ihnen 
reden. Sie sind der Gegenstand der Gespräche des regierenden 
Fürsten und der Fürstin. Denn diese sind nicht nur Lieb- 

1 Schlettweins Archiv für den Menschen und Bürger IV. S. 235. 

1 Jakob Jonas Björnstahls Briefe auf seinen ausländischen Reisen. 
Aus dem Schwedischen übersetzt von Just Emst Groskurd und Christian 
Heinrich Groskurd. III. Rostock und Leipzig 1781. S. 330. 

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haber der Naturgeschichte, sondern auch in derselben so zu 
Hause, dass man darüber in Verwunderung gerathen muss.“ 
Und an einer anderen Stelle 1 sagt er von der Markgrätin: 
„In der Botanik ist sie so stark wie ein Professor“. Auch 
Friedrich Leopold von Stolberg erwähnt in einem Brief vom 
24. Mai 1775 an Klopstock gelegentlich seines ersten Be¬ 
suches in Karlsruhe, wo er damals mit Goethe zusammen 
weilte, die Vorliebe der Markgräfin für die scientia amabilis: 
„Den Markgrafen muss man lieben, die Markgräfin vertieft 
sich stark in die Botanik und ist mir zu gelehrt, sonst ge¬ 
fällt sie mir“. Mit Linne soll die Markgräfin in Briefwechsel 
gestanden haben. Björnstahl hatte den Auftrag, ihn nach 
Karlsruhe einzuladen. Von der Werthschätzung, welche 
Linn6 der Markgräfin entgegenbrachte, zeugt der Name Caro- 
linea princeps, den er ihr zu Ehren einer südamerikanischen 
Bombacee beilegte. 

Dem Interesse, das die fürstlichen Herrschaften den 
Wissenschaften und insbesondere den Naturwissenschaften 
zuwendeten, entsprach auch der Charakter des Hofes. Unter 
den tüchtigen Ministern des Markgrafen tritt durch eine 
mehr als gewöhnliche Beschäftigung mit der Botanik insbe¬ 
sondere der Geheimerath Reinhard hervor, den die gleiche 
Liebe zur Wissenschaft mit Koelreuter in Freundschaft ver¬ 
band. Ebenso standen der Geheimerath von Edelsheim, 
sowie der Oberforstmeister und Geheimerath von Geusau 
Koelreuter nahe. 

Ueberhaupt waren tüchtige Männer in Karlsruhe, meist 
vom Markgrafen dorthin berufen. Der Polizeirath Schlett¬ 
wein, der in seinen Schriften sich als ein tüchtiger und in 
der Botanik nicht unbewanderter Mann zeigt, aber berüchtigt 
durch seinen allzugrossen Eifer für das physiokratische System 
und durch den Übeln Ausgang der auf seinen Rath unter¬ 
nommenen Versuche, dasselbe in einzelnen Ortschaften durch¬ 
zuführen, erfreute sich damals der besondern Werthschätzung 
Karl Friedrichs. Am Gymnasium wirkte der als Physiker 
nicht unbedeutende Boeckmann, der Begründer des 1779 
errichteten meteorologischen Instituts. Von anderen seien ge¬ 
nannt der Philosoph Tittel, der Historiker Sachs, Rektor des 

1 Briefe. V. 1782. S. 127. 


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Gymnasiums, der Literarhistoriker Bougine sowie der fürst¬ 
liche Bibliothekar Molter. 

Von dem regen Interesse, das man am Hofe allen wissen¬ 
schaftlichen und literarischen Bestrebungen entgegenbracbte, 
zeugen ferner die zum Theil wiederholten Besuche unserer 
Dichterheroen Goethe und Klopstock, der beiden Stolberg, 
Herder’s, des Historikers Schöpflin, Forster’s, des berühmten 
Beisenden, sowie Voltaire’s. 

In diesen Kreis trat Koelreuter unter den günstigsten 
Auspicien ein. Ich kann es mir nicht versagen, die An¬ 
stellungsurkunde in ihrem Wortlaute nach dem im Grossh. 
Generallandesarchiv vorhandenen Original hier mitzutheilen: 

„Wir, Karl Friedrich u. s. w. urkunden hiermit, dass 
Wir den in herzoglich würterabergischen Diensten gestan¬ 
denen Professor J. G. Koelreuter in Unsere fürstliche Dienste 
als Professor der Botanik mit dem Charakter und Rang eines 
fürstlichen Raths dergestalt gnädigst angenommen haben, 
dass er in unserer Residenzstadt Carlsruh seine haushäbliche 
Wohuung nehmen und sich gleich bei dem Antritt seines 
Dienstes angelegen sein lassen solle, nicht allein 

1. sämmtliche in Unseren fürstlichen Gärten befindliche 
exotische und andere Pflanzen unter die behörige Namen zu 
bringen, sondern auch 

2. diejenigen, welche zusammengehören, zu bemerken 
und darüber einen richtigen Catalogus zu begreifen, und 

3. die abmangelnden von auswärtigen Orten her zu ver¬ 
schreiben und überhaupt über das Seminarium die Aufsicht 
zu haben, und in re botanica alle Correspondenz zu führen, 
auch 

4. Unseren fürstlichen Gärtnern zur Hand zu gehen, 
auf was Art die Exotica zu traktiren seien. Wir (werden) 
Unsere sämmtliche Gärtner dahier anweisen lassen, dass sie 
alle demjenigen, so der Rath und Professor Koelreuter als 
in seinen Dienst einschlagend disponiren wird, behörig nach¬ 
geleben sollen. 

5. hac derselbe auf den nächst dem Fasanengarten neu 
angelegten Obstgarten zu sehen, damit derselbe nach dem 
diesfalls gemachten und von Uns genehmigten Projekte in 
Ansehung derer Obstsorten eingerichtet werde und sich zu 


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dem Ende von solchem Plane eine Abschrift zustellen zu 
lassen. Da auch 

6. Unsere Intention dahin gehet, dass in dem Garten hinter 
Unserem hiesigen Schlosse alle möglichen Holtzsorten, so viel 
derer beigebracbt werden können, gepflanzet werden sollen, 
so hat derselbe solche behörig zu classificiren und zu speci- 
ficiren, auch unseren Gärtnern darunter das Nöthige an die 
Hand zu geben, woneben Wir ihn, Rath Koelreuter, gnädigst 
anweisen, 

7. in re botanica fleissige Observationen zu machen, als 
worinnen ihm unsere sämmtliche Gärtner ohnverdrossen an 
die Hand gehen sollen, die Erwählung derer Materien aber 
seiner eigenen Willkür lediglich überlassen, ausserdem aber 
denselbigen anderer Gärtnereisachen und was eigentlich zu 
der Anlage, Eintbeilung uud Besorgung derer Gärten gehört, 
aller weiteren Beschäftigung entheben. 

Wegen solcher Dienste wollen wir dem Rath und Pro¬ 
fessor Koelreuter von dem 23. Januar dieses Jahres an eine 
jährliche Geldbesoldung von 600 Gulden nebst 50 Gulden 
für Hauszins abreichen lassen. 

Sollen aber wegen dieses Dienstes sich zwischen Uns 
und Ihm Irrungen ergeben, denen Wir Uns in Güte nicht 
vergleichen möchten, so sollen wir beiderseits gehalten sein, 
von Unserem Fürstl. Hofgerichte Rechts zu nehmen und Uns 
an dessen Ausspruch ohne weiteres Appelliren oder andere 
Weigerung begnügen. 

Wäre Uns auch der Rath Koelreuter zu einem Diener 
nicht mehr anständig, oder aber ihm also zu dienen länger 
nicht gelegen, so solle jeder Theil dem anderen ein Viertel¬ 
jahr vor Ausgang des Jahres aufkünden.“ 

Koelreuter trat also am 23. Januar 1764 seinen Dienst 
an. Die Anstellungsurkunde ist vom 22. Februar datirt. 
Die am 11. November 1763 ausgestellte Signatur bestimmte 
noch, dass von der Geldbesoldung, „falls er sich der Tafel 
bei Hofe bedienen wolle, für deren freien Genuss ihm ein 
Abzug von 150 Gulden gemacht werden solle.“ Letztere 
Klausel wurde dadurch hinfällig, dass Koelreuter sich in der 
Stadt eine Kost aussuchte. 


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279 


Von der erleuchteten Gesinnung des Markgrafen zeugt 
insbesondere der Satz der Anstellungsurkunde, durch welchen 
jede Beeinflussung der wissenschaftlichen Thätigkeit Koel- 
reuter’s ausgeschlossen wird. Im Uebrigen waren die Auf¬ 
gaben, welche des neuen Gartendirektors harrten, nicht ge¬ 
ringe. Waren die vorhandenen Anlagen und Gärten an sich 
schon gross und weitläufig genug, um die Verwaltung der¬ 
selben zu einem umfangreichen Geschäft zu machen, so 
kamen dazu noch allerlei Pläne und Anstalten, die bestehen¬ 
den Anlagen zu erweitern. So sollte im hinteren Schloss¬ 
garten ein möglichst reichhaltiges Arboretum angelegt wer¬ 
den, das alle im Freien ausbaltenden in- und ausländischen 
Holzgewächse enthalten sollte. Ferner war ein umfang¬ 
reiches Obstbaumsortiment, überhaupt ein pomologischer 
Galten gegründet worden, der aber nicht nur die Sammlung 
sämmtlicher vorhandenen Obstsorten, sondern auch die Er¬ 
ziehung neuer Sorten zum Wohle des Landes zum Zweck 
hatte. Auch die Sorge für diese beiden Schöpfungen Karl 
Friedrichs fiel Koelreuter zu und stellte um so grössere An¬ 
forderungen an ihn, als ausser dem Plan, der freilich vor¬ 
handen war, noch alles der Verwirklichung harrte. Dazu 
kamen die Streitigkeiten und Eifersüchteleien der verschie¬ 
denen Gärtner unter sich, welche dem Dirigenten seine Ab¬ 
sichten sehr erschweren mussten, und welche schon 1762 den 
damals mit der Revision der Gärten und Gewächshäuser be¬ 
trauten Hofrath und Leibarzt Ph. A. Eichrodt zu dem Vor¬ 
schläge veranlassten, es möge am zuträglichsten sein, wenn 
man die beiden Gärtner Saul und Müller trenne. 

Zunächst widmete sich Koelreuter eifrig seinen Aufgaben. 
In den Akten des Grossh. Generallandesarchiv findet sich: 
Koelreuteri Consignatio vegetabilium secundum C. Linnaei 
Syst. nat. Tom. II. edit. dec. quorum vel ipsa planta vel 
semina recentia desiderantur sowie ein Oatalogue des plantes 
d’un professeur en botanique de Franecker fait en 1753 avec 
des marques ajoutees par Mr. Koelreuter ä toutes les plantes 
qu’on desirait en 1765. Bezüglich des Bezuges nordameri- 
kaniscber Gehölze für das Arboretum correspondirte sowohl er 
wie der Hofrath Schmidt von Rossau insbesondere mit dem 
Strassburger Professor Spielmann, bekannt durch seine Flora 


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von Strassburg. Er selbst bereicherte das Arboretum durch 
die Schenkung von Thuja orientalis L., Lycium barbarum L., 
Genista florida L. und Ononis antiquorum L. im Früh¬ 
jahr 1766. 

Die Frucht seiner wissenschaftlichen Thätigkeit in den 
beiden ersten Jahren seines Aufenthaltes in Karlsruhe ist die 
dritte Fortsetzung der vorläufigen Nachricht, die zu Anfang 
1766 erschien. 

Ueber eine Wiederholung des bekannten Versuches von 
Gleditsch, der in den Jahren 1749—1751 die Inflorescenz 
einer weiblichen Chamaerops des Berliner Gartens mit dem 
Pollen einer aus Leipzig bezogenen männlichen Inflorescenz 
erfolgreich befruchtet hatte, berichtet Koelreuter in der 
Historie der Versuche etc. 1 Aus dem Carlsruher botanischen 
Garten wurde Ende Frühjahr 1767 in Papierkapseln Pollen 
von Chamaerops nach Berlin und Petersburg geschickt, haupt¬ 
sächlich in der Absicht, die Dauer der Wirksamkeit des 
Pollens zu prüfen. Die Bestäubung wurde in Berlin von 
Gleditsch an dem schon zu den früheren Versuchen benutzten 
Exemplar, in Petersburg vom dortigen Obergärtner Eckleben 
an einer hundertjährigen, bis dahin stets sterilen Pflanze, 
an beiden Orten aber mit dem günstigsten Erfolge ausge¬ 
führt. „Ich werde die näheren Umstände von dieser merk¬ 
würdigen physikalischen Begebenheit an einem anderen Orte 
anführen und zugleich zeigen, was mir hauptsächlich Anlass 
gegeben, diesen Versuch damals vorzuschlagen und zu ver¬ 
anstalten, und worauf sich meine Hoffnung zu einem glück¬ 
lichen Erfolge desselben eigentlich gegründet habe.“ Diese 
weitere Mittheilung ist nicht erschienen. Aber die in dem 
Versuche erzeugten Früchte befanden sich noch in der Samm¬ 
lung C. Fr. Gärtner’s, 2 dessen Vater sie entweder von Peters¬ 
burg, wohin er 17G8 ging, mitgebracht oder von Koelreuter 
erhalten hatte, wie dieser ihm auch Exemplare der von ihm 
erzogenen Bastarde mitzutheilen pflegte. 3 

1 Historia et comment. Acad. Theodoro-palat. III physicum. 1775, 
p. 38—39. 

1 C. Fr. Gärtner, Befruchtungsorgane der vollkommeneren Ge¬ 
wächse. Stuttgart 1844, S. 146. 

8 Sein Sohn C. Fr. Gärtner war wenigstens im Besitze von Original¬ 
exemplaren der Koelreuter'schen Bastarde Vgl. Bastarderzeugung S. 234. 


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281 


Leider gingen alle die schönen Hoffnungen, die sich an 
die Uebersiedlung Ivoelreuter’s nach Karlsruhe knüpften, 
nicht in Erfüllung. Die Hauptursache davon lag in den un¬ 
erquicklichen Zuständen, welche in dem Verhältuiss zwischen 
Koelreuter und den Gärtnern sich bald einstellten. Eifer¬ 
süchtig und übelwollend, wie sie vor der 1762 eingetretenen 
Abgrenzung der einzelnen Ressorts unter einander zum 
Schaden des Gartens gewesen waren, vereinigte sie jetzt 
gemeinsamer Neid und Missgunst gegen den ihnen Vorge¬ 
setzten Koelreuter, den sie auf alle Weise, insbesondere in¬ 
dem sie für seine Versuchspflanzen keinerlei Sorge trugen, 
zu schikaniren und missliebig zu machen suchten. Ins¬ 
besondere mit dem Obergärtner Saul war es Koelreuter 
unmöglich zusammen zu arbeiten. So kam es schon im 
Jahre 1767 so weit, dass der Markgraf selbst, von den zwi¬ 
schen Koelreuter und dem Obergärtner Saul sowie Hof¬ 
gärtner Müller obwaltenden Misshelligkeiten in Kenntniss 
gesetzt, dahin entschied, „dass dem Rath Koelreuter ein 
eigener Platz zu seinen Pflanzungen anzuweisen und ihm ein 
besonderer Tagelöhner zuzugeben, auf den Winter aber wegen 
Aufbehaltung seiner Gewächse hinlänglich Vorsehung zu thun 
seie, mit aiigefügtem weiterem Auftrag an wohlgedachtes 
(fürstl. Rent-Kammer-) Collegium, denen streitigen Theilen 
sämmtlich anzudeuten, wie Serenissimus aller solcher Händel 
müde seien und ihnen einmal für allemal befehlen Hessen, 
sich auf geziemende und dem herrschaftlichen Dienst gemässe 
Art mit einander zu comportiren.“ Nichts destoweniger 
dauerten die Streitigkeiten fort und führten im Beginn des 
Jahres 1769 endlich zum definitiven Bruch. Am 13. Februar 
dieses Jahres berichtet Saul an das Rentkainmerkollegium, 
Koelreuter habe ihm auf eine Anfrage, was mit seinen Ver¬ 
suchspflanzen geschehen solle, geantwortet, er solle solche 
„kecklich und frei“ wegwerfen, da sie nicht mehr gebraucht 
würden. Koelreuter, zum Bericht aufgefordert, schreibt 
unterm 22. Februar 1769 folgendes: 

„Das niederträchtige, ungeschliffene Betragen und der 
vorsätzliche Ungehorsam des Obergärtners Saul gegen meine 
Verordnungen haben mich bewogen, meine viele Mühe und 
eigene nicht geringe Kosten, die ich auf die Unterhaltung 


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282 


meiner bisherigen Korrespondenz und der damit verbunden 
gewesenen Anschaffung ausländischer Samen verwendet, nicht 
länger vergeblich zu verschwenden, und dies um so mehr, 
da die anbefohlene Besorgung und Erhaltung meiner ange¬ 
zogenen Gewächse in denen unter gedachtem Obergärtner 
stehenden Gärten, Geländen und Orangeriehäusern ohnehin 
ganz wider die Natur der Sache beschlossen worden. Ich 
habe daher vor einem Jahr in dem bei meiner Behausung 
befindlichen Garten auf meine eigene Kosten eine kleine 
Anlage gemacht und auch zu dem Ende alle diejenigen Ge¬ 
wächse, die ich bei der höchst erbärmlichen Behandlung 
derselben noch zu gutem Glücke so lange erhalten, dahin 
bringen lassen, die übrigen aber, die teils bereits verdorben, 
teils vom Unkraut ganz erstickt und darunter tief begraben 
gewesen, ihrem nothwendigen und gewöhnlichen Schicksal 
leider überlassen müssen. Als mich nun der Obergärtner 
Saul vor einiger Zeit fragen liess, was mit den letzteren zu 
machen sei, so liess ich ihm zur Antwort melden, er könne 
damit anfangen, was ihm gut dünke, und wenn er sie alle 
wegwerfen und ausleeren lassen wollte, so hätte ich ebenfalls 
nichts dagegen einzuwenden, indem ich sie ohnehin nicht 
mehr gebrauchen könnte, und sic, wie bisher geschehen, 
nur noch ferner zu einem schändlichen Spektakel da stehen 
würden. Was er in seinem Promemoria von Kosten spricht, 
womit man meine Gewächse schon einige Jahre her den 
Winter über hätte erhalten müssen, verstehe ich nicht und 
sehe es vor ein leeres Geschwätz an. Denn ich weiss gewiss, 
dass er ihretwegen kein Scheit Holz mehr verbrannt hat, 
welches auch nie von ihm gefordert worden, und bin über¬ 
zeugt, dass, wenn man alle Mühe und Arbeit der Taglöhner, 
die neben ihrem gewöhnlichen Geschäfte diese ganze Zeit 
über sich nur wunderselten etwas damit zu schaffen gemacht 
haben, aufs höchste anschlagen könnte, nicht 15 Gulden 
(sage: fünfzehn Gulden) herauskommen würden.“ 

ln beleidigtem Selbstgefühl betrat Koelreuter den Garten, 
der von da an bis zur Ernennung Gmelin’s 1 zum Garten- 

1 Gmolin, C. Ch. Ueber den Einfluss der Naturwissenschaft auf 
das gesammte Staats wohl etc. Carlsruhe 1809, p. 362—390 (Geschichte 
des Gartens). 


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283 


direktor in Folge der Zänkereien unter den Gärtnern mehr 
und mehr verfiel und 1784 mehr einem Gemüsegarten zur 
Nutzniessung des Obergärtners als einem fürstlichen Hof¬ 
garten glich, nicht wieder, setzte aber seine Bastardirungs- 
versuche noch bis zum Jahre 1776 in seiner Privatwohnung 
beim Hofschlosser Hugenest in der Waldhornstrasse, wo ihm 
eia Garten zur Verfügung stand, fort. Seine letzten Bastar- 
dirungsversuche (Mirabilis) rühren aus diesem Jahre her, 
nur wenige Beobachtungen über spontan entstandene Ab¬ 
kömmlinge von Mirabilisbastarden, die wohl in Töpfen ge¬ 
zogen sind, rühren aus den Jahren 1777 und 1778 her, wo 
Koelreuter kein Garten mehr zu Gebote stand infolge seines 
Umzugs in ein eigenes Haus in der Kronenstrasse, der durch 
einen heftigen Streit mit seinem früheren Hauswirtk und wohl 
auch durch die Absicht desselben, sein Haus zu verkaufen, 
nothwendig geworden war. Der Streit mit dem Hausbesitzer 
Hugenest scheint von beiden Seiten recht heftig und nicht 
gerade mit zarten Worten geführt zu sein; wenn auch vom 
fürstlichen Hofrathskollegium in der Injuriensache Hugenest 
als „autor rixae“ in die Kosten verurtheilt wird, so heisst 
es doch, dass „die zwischen dem Rath Koelreuter und dem 
Hofschlosser Hugenest vorgefallenen Injurien gegen einander 
aufzuheben sein möchten“. Auch hier zeigt sich, wie auch 
in der Gärtnersache, der sehr reizbare Charakter Koelreuters; 
als durch Zuspruch des Hofrathskollegiums es gelungen war, 
den Hugenest zu bestimmen, Kölreuter zur Vollendung 
seiner Versuche noch bis zum 23. August wohnen zu lassen, 
stellt sich heraus, dass dieser vorzeitig „seine Pflanzen alle 
ausgerupft habe, mithin keine Rücksicht mehr auf selbige 
zu nehmen sei“. 

Charakteristisch für Koelreuter ist auch die Geschichte 
seiner Ernennung zum Hofrath im Jahre 1769. Am 30. No¬ 
vember dieses Jahres wandte er sich mit einem Gesuche des 
Inhaltes an den Markgrafen, es möchten ihm, da er mit seiner 
bisherigen Besoldung nicht gut auskommen könne und willens 
sei, einen eigenen Haushalt anzufangen, 100 Thaler seiner 
Geldbesoldung in eine Naturalbesoldung umgewandelt werden. 
Zugleich bat er: „Da ich eben die Ursache zu haben glaube, 
auf die Beförderung meiner Ehre zu sehen als andere, die 


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in Euer Hochfiirsll. Durchlaucht Diensten zu stehen die Gnade 
haben, so füge erstgedachter untertänigster Bitte auch noch 
diese bei, dass Euer Hochfürstl. Durchlaucht mir zugleich den 
Charakter und Rang eines Fürstl. Hofraths zu erteilen 
gnädigst geruhen möchten“. Als der Markgraf dann unterm 

4. Dezember, der letzteren Bitte willfahrend, Koelreuter zum 
Hofrath ernannte, dagegen bezüglich des erstem Punktes 
zunächst zur Geduld verweisen liess, lehnte dieser kurz 
unter dem 11. Dezember die Rangerhöhung ab unter der 
Begründung, dass ihn „ein bloss höherer Charakter und Rang 
in Ansehung seiner Ausgaben und ökonomischen Einrichtung 
nur noch in grössere Verlegenheit als zuvor setzen würde“, 
und stellte die Signatur wieder zurück. 

Alle mir bekannt gewordenen gedruckten Arbeiten Koel- 
reuters rühren, soweit das in ihnen zur Darstellung ge¬ 
brachte Thatsachen-Material in Frage kommt, aus den Jahren 
vor 1777 her, mit vielleicht einer Ausnahme (de antherarum 
pulvere), obwohl der eifrige, jetzt zur Unthätigkeit gezwungene 
Forscher, der sich selbst charakterisirt als „einen Mann, der 
zur Erforschung der Naturgeheimnisse zwar nicht die schlech¬ 
teste Anlage, viel guten Willen und eine unwiderstehliche 
Neigung hat, aber gar wenig Vermögen, Unterstützung und 
Gelegenheit, sie in Wirksamkeit zu setzen und nach seinem 
eigenen Wunsche, Wahl und Einsicht in Erfüllung zu bringen“ 1 , 
bis zum Ende seines Lebens fortfuhr, die Ergebnisse seiner 
Beobachtungen und Versuche zu publiziren. Meist sind sie 
in den Schriften der Petersburger Akademie veröffentlicht, 
zu deren auswärtigem Ehrenmitgliede er mittels Diploms 
vom 18. Juli 1768 ernannt war, und von der er eine jähr¬ 
liche Pension von 200 Rubel bezog. Einige wenige finden 
sich im dritten Bande der Historia und commentationes der 
Pfälzischen Akademie, zu deren ausserordentlichem Mitgliede 
Koelreuter in der Herbstsitzung am 17. Oktober 1765 ge¬ 
wählt war, und mit deren Mannheimer Mitgliedern er in 
freundschaftlichem Verkehr stand. Ein Briefwechsel mit dem 
Sekretär der Akademie, Lainey, vom Jahre 1765 bis 1775 
reichend, findet sich in den Akten des Grossh. Generallandes- 

1 Das entdeckte Geheiraniss der Kryptogamie. Karlsruhe 1777, 

5. 155. 


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285 


archivs. Darnach wollte Koelreuter seinen später in den 
Nova acta der Petersburger Akademie erschienenen Aufsatz 
über die Reizbarkeit der Staubfäden von Berberis ursprünglich 
1775 in einer öffentlichen Versammlung der pfälzischen 
Akademie lesen. Ueber eine ihm von der Akademie über¬ 
sandte Preisschrift, die ohne Zweifel die 1771 gestellte Preis¬ 
aufgabe betraf (es sollte experimentell an Osmunda regalis, 
Pteris aquilina, Equisetum arvense und E. palustre die Frage 
nach der Sexualität der Kryptogamen gelöst werden J ), sprach 
Koelreuter offen seine, wie es scheint, da er um strengste 
Diskretion bittet und vermeiden möchte, einem Mann, der 
es gut gemeint habe, von einer unangenehmen. Seite her 
bekannt zu werden, nicht eben günstige Meinung aus. 
Vielleicht führte das einen Streit mit Necker herbei, der 
ja in Bezug auf die Sexualität der Kryptogamen den der 
Koelreuterschen Ansicht ganz entgegengesetzten Standpunkt 
vertrat, und vereitelte so die Reise nach Mannheim zum 
Zweck des Vortrags. Medikus, der als Director des bota¬ 
nischen Gartens der Akademie in Mannheim lebte, verdankt 
eine Menge von Beobachtungen, insbesondere die über die 
„Reizbarkeit“ der Staubfäden von Kalmia, den Bau der 
Narben von Martynia, Bignonia, Lobelia, „der mündlichen 
Unterredung“ Koelreuter’s, der 1772 in Gegenwart von Medi¬ 
kus im Schwetzinger Hofgarten die von ihm übrigens richtiger 
gedeuteten Bewegungen der Staubfäden von Kalmia entdeckt 
hatte. 1 2 Ausserdem gehörte er der freien ökonomischen 
Sozietät zu Sankt Petersburg sowie einer fürstlich hessischen 
Sozietät der Wissenschaften an, deren Sitz mir unbekannt 
geblieben ist. Von der Berlinischen Gesellschaft natur¬ 
forschender Freunde wurde er am 11. Oktober 1774 zum 
auswärtigen Mitgliede gewählt. 

Die Frucht seiner wissenschaftlichen Thätigkeit in Karls¬ 
ruhe sind ausser der vorhin schon erwähnten dritten Fort- 

1 Vgl. Necker, Eclaircissements sur la propagation des Filic£es en 
g6n6ral. Hist, et comra. Acad. elect. Theod. — palat. HI. Physic. 
1775, p. 275. 

2 Vgl. Casimir Medicus, von der Neigung der Pflanzen, sich zu 
begatten. Hist, et comm. Acad Theod. — palat III. phys 1775, 
p. 116—192 sowie S. 274. — Koelreuter, de antherarum pulvere. H 
Nova acta XV. p. S69. 


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286 


Setzung der vorläufigen Nachricht folgende Aufsätze, die in 
den Jahren von 1772 bis 1804 niedergeschrieben sind: 

Historie der Versuche, welche von dem Jahre 1691 an 
bis auf das Jahr 1752 über das Geschlecht der Pflanzen an¬ 
gestellt worden sind, nebst einer historisch physikalischen 
Erörterung, dass Rudolf Jakob Camerer der erste gewesen, 
der diese für die physikalischen und ökonomischen Wissen¬ 
schaften so wichtige Wahrheit durch eigene in dieser Ab¬ 
sicht angestellte Versuche erwiesen. (Historia et commen- 
tationes Academiac Electoralis scientiarum et elegantiorum 
literarum Theodoro-Palatinae. Vol. III Physicum. Mannheim 
1775, S. 21—40.) 

Historisch physikalische Beschreibung der wahren männ¬ 
lichen Zeugungstheile und der eigentlichen Befruchtungsart 
bei der Schwalbenwurz und den damit verwandten Pflanzen¬ 
geschlechtern. (Ibidem S. 41—56.) 

Lychni-Cucubalus, novum plantae hybridae genus. (Novi 
commentarii Acad. Sc. Imper. Petropolitanae. T. XX 1776. 
p. 431—448 mit 1 Tafel.) 

Das entdeckte Geheimniss der Ivryptogamie. Eine der 
Kurpfälzischen Akademie zugedacht gewesene Preisschrift. 
Carlsruhe 1777. Druckts und verlegts Michael Maklot, Mark¬ 
gräflich Badischer Hofbuchhändler und Hofbuchdrucker. 

Digitales hybridae. Acta Acad. Imp. Petrop. pro 1777. 
Pars prior. Petrop. 1778, p. 215—233.) 

Lobeliae hybridae (Acta pro 1777. Pars posterior. Petrop. 
1780, p. 185—192.) 

Lycia hybrida (Acta pro 1778. Pars prior. Petrop. 1780. 
p. 219-224.) 

Digitales aliae hybridae (Acta pro 1778. Pars posterior. 
Petr. 1781, p. 261—274.) 

Verbasca nova hybrida (Acta pro 1781. Pars prior. 
Petr. 1784, p. 249—270.) 

Daturae novae hybridae (Acta pro 1781. Pars posterior. 
Petropoli 1785, p. 303—313.) 

Malvacei ordinis plantae novae hybridae (Acta pro 1782. 
Pars posterior. Petr. 1784, p. 251—288.) 

Lina hybrida (Nova acta Ac. Imp. Petrop. Tom. I. 
Petrop. 1787, p. 339—346.) 


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287 


Dianthi novi hybridi. (Ibid. Tom. III. 1788, p. 277—284.) 

Nouvelles observations et experiences sur l’irritabilitd 
des dtamines de I’Epine vinette (Berberis vulgaris L.). Ibid. 
Tom. VI. 1790, p. 207—216.) 

Observationes quaedam circa vera Stigmata et fructi- 
ficationem Periplocae graecae L. (Ibid. Tom. X. 1797, 
p. 407—413.) 

Mirabiles Jalapae hybridae. (Ibid. Tom. XI. 1798, 
p. 389—399.) 

Mirabilium Jalaparum hybridarum continuata descriptio. 
(Ibid. Tom. XII. 1801, p. 378-398.) 

Mirabilium Jalaparum hybridarum ulterius continuata 
descriptio. (Ibid. Tom. XIII. 1802, p. 305— 335.) 

Mirabilium Jalaparum hybridarum spicilegium ultimum. 
(Ibid. Tom. XIV. 1805, p. 373-408.) 

De antherarum pulvere. Sectio 1 (De loco originalis ge- 
nerationis antherarum pulveris, ejus situ et nexu cum antheris 
nec non de ratione ac modo, quo ille secemitur atque excer- 
nitur) und 2 (De maturitate pulveris antherarum). (Ibid. XV, 
1806, p. 359—370.) 

Continuatio dissertationis de pulvere antherarum. Sectio 3 
(De colore antherarum pulveris). (Ibid. p. 371—398.) 

Dissertationis de antherarum pulvere continuatio. Sectio 4 
(De figura antherarum pulveris). (Memoires de l’Acad. iinper. 
des Sciences de St. Petersbourg. Tom. III. St. Petersbourg 
1811, p. 159—199.) 

Ausser diesen botanischen, auf die wir weiterhin zurück¬ 
kommen, sind noch einige zoologische Arbeiten zu nennen: 

Nachricht von einer schwarzbraunen Wanze, die sich die 
Rothtannenzapfen zu ihrem Winterlager erwählt und gegen 
diese Jahreszeit den Kreuzvögeln zur täglichen Speise dient. 
(Hist, et comment. Acad. Sc. Theodoro-palatinae. Vol. III, 
Physicum. 1775, p. 62—68 mit 2 Abbildungen; beruht auf 
1752 noch in Sulz gemachten Beobachtungen.) 

Observationes anatomico-physiologicae Mytili cygnei L. 
ovaria concernentes. (Nova acta VI, 1790, p. 236—239.) 

Wenn Koelreuter auch seit 1769 den Hofgarten nicht 
mehr betrat oder ihm doch seine Thätigkeit nicht mehr 
widmete, so blieben doch seine Beziehungen zu den fürst- 


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288 


liehen Herrschaften, insbesondere zu der für die Botanik be¬ 
geisterten Markgräfin dieselben wie vorher. Insbesondere ist 
seine Mitwirkung an dem grossen, von der Markgräfin ge¬ 
planten Kupferwerke zu konstatiren, das auf gegen 10000 
Platten alle Pflanzengattungen des Linne’schen Systems nebst 
ihren Blüthentheilen enthalten sollte. Björnstahl, der im 
Beginn des Jahres 1774 in Karlsruhe war, schreibt darüber 
an Linnd am 1. Januar: „Die Prinzessin hat ein ausge¬ 
zeichnetes Naturalienkabinet ... Sie hat neulich ein Werk 
angefangen, wovon ich nicht weiss, ob ich sagen soll, dass 
es der Prinzessin und ihrem Geschmack und Eifer für die 
Wissenschaften oder Ihrem Natursysteme grössere Ehre macht. 
Sie lässt nämlich alle Ihre Gattungen der Pflanzen nebst 
deren sämmtlichen Befruchtungstheilen auf die aller prächtigste 
Art und mit so vielen Kosten in Kupfer stechen, dass auf 
jede Platte nur ein Gewächs mit dessen daneben gesetzten 
Staubwegen und Staubgefässen zu stehen kommt, und die 
Anzahl der Kupferplatten bis an 10000 steigen wird . . . 
Der Anfang des Werkes ist bereits gemacht. Ein guter 
Kupferstecher aus Paris, Herr Gautier Dagoti, ist vor einigen 
Wochen hierhergekommen. Die Gattungen der Veronica sind 
schon alle fertig und sehr schön gerathen, denn die Prin¬ 
zessin hat die genaueste Aufsicht darüber .... Jede Platte 
untersucht sie genau, verbessert die Fehler und ändert die 
geringsten Irrthümer; darauf erleuchtet sie selbst die Ge¬ 
wächse mit den lebhaftesten Farben, so dass dieses Werk 
das genaueste, sorgfältigste und prächtigste wird, das die 
Botanik je gehabt hat und dem Titel, den es bekommt, ent¬ 
spricht, nämlich Icones omnium specierum plantarum Linnaei 
equitis.“ 1 Mit demselben Briefe schickt Björnstahl, der auch 
Koelreuter aufgesucht hatte und von ihm eine Empfehlung 
ausrichtet, „eine Veronica, die neulich in Kupfer gestochen 
worden, zur Probe“ im Aufträge der Markgräfin. 2 

An diesem Werke, dessen späteres Schicksal unbekannt 
ist, hatte auch Koelreuter Antheil. Im Grossh. Naturalien¬ 
kabinet, das aus der oben erwähnten Sammlung der Mark¬ 
gräfin Caroline Louise horvorgegangen ist, finden sich in 

1 Björnstahl, Briefe. B DI, p. 3SO f. 

5 Ibid. p. 338. 


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einem Fascikel, das von Alexander Braun’s Hand die Auf¬ 
schrift trägt: „Wissenschaftliche Papiere von Koelreuter“, 
zwei von letzterem selbst geschriebene Verzeichnisse von 
Pflanzen mit Angabe der Originalabbildungen, ein „Verzeich¬ 
niss derjenigen Pflanzen, von deren in verschiedenen Büchern 
vorkommenden Abbildungen Copien zu verfertigen wären“, 
das auf 38 Bogenseiten 1066 Pflanzen sammt den Werken 
und Autoren aufzählt, die Abbildungen davon geben, und 
ferner ein umfassender angelegter Pflanzenkatalog, ähnlich 
wie der vorige, aber nur von den Monandria bis zu den 
Tetrandria monogynia incl. fortgeführt, auf 75 Seiten viel 
mehr Pflanzen als voriger enthaltend. In ihm liegend fand 
sich ein Papier von der Hand der Markgräfin, das zeigt, 
dass auch dieser Katalog dem oben erwähnten Plane zu 
dienen bestimmt war: es enthält nämlich Titel und Preis 
zweier kurz vorher erschienener ähnlicher Tafelwerke, des 
Hortus botanicus Vindobonensis und der Flora austriaca. 

In demselben Fascikel liegt ferner ein Manuskript in 
Form eines Berichtes, der ohne Zweifel auf eine Anfrage der 
Markgräfin angefertigt und vom 23. Mai 1778 datirt ist: 
„Physikalische Untersuchung eines auf den Nadeln des 
Lärchenbaumes angetroffenen Insekts mit weisser Wolle, 
genannt Aphis Pini L. S. N. Chermes Pini. In. Suec. 794. 
Psylla lanata Pini Geoffroy Hist, des Ins. T. 1 p. 488 n. 6“. 
Das Manuskript enthält manche für die damalige Zeit neue 
Beobachtung über die Lebensweise dieser Aphide. Weiter 
sind einige Blätter vorhanden: Aceris cathartici descriptio und 
Aceris pensylvanici descriptio. 

Schon im Jahre 1762 hatte Markgraf Karl Friedrich 
eine Gesellschaft errichtet, welche „von Zeit zu Zeit zusammen¬ 
treten und die Landwirthschaft im Baden-Durlachischen zu 
verbessern und zu vergrössern trachten solle“. Die ersten 
Mitglieder waren ausser dem Markgrafen die Herren von 
Palm, von Schilling, von Edelsheim und Stallmeister Wipper¬ 
mann, die allerdings in diesem Jahre bis zum September 
neunmal zusanimenkamen. Dann hörten indess die Zusammen¬ 
künfte auf. Erst ein zweiter Versuch der Gründug einer 
ökonomischen Gesellschaft glückte besser. Am 10. Novem¬ 
ber 1764 trug in einer Sitzung, an der Geh. Rath und 

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290 


Kammerpräsident von Gemrningen, Geh. Rath Reinhard, 
Hofrath von Schmidt, Rath Koelreuter und der Kammer- 
und Polizeirath Schlettwein theilnahmen, der Erstere den 
Wunsch des Fürsten vor, die Anwesenden möchten sich zu 
einer ökonomischen Gesellschaft vereinigen, zu der später 
noch andere herzugezogen werden sollten. Schlettwein wurde 
mit der Ausarbeitung eines Planes beauftragt. Die Sitzungen 
fanden alle Samstage im Schlosse statt, und es nahmen an 
denselben häufig auch der Markgraf selbst sowie sein Bruder 
Markgraf Wilhelm Ludwig theil. Zugezogen wurden noch 
Kammerjunker von Palm, Sekretär Molter, Pagenhofmeister 
Lux, Professor Böckmann und Meerwein. So wohlthätig die 
Gesellschaft zunächst wirkte, so hatte sie doch auf die Dauer 
keinen Bestand. Zwar fanden die Sitzungen im Jahre 1765 
regelmässig statt, doch war die Sitzung vom. 19. April 1766 
die letzte, und nur ein Erlass Karl Friedrichs vom 14. April 
1769, durch den die Gesellschaft zum Stellen von Preisauf¬ 
gaben aufgefordert wird, erinnert noch einmal an ihre ein¬ 
stige Blüthe. 1 

Koelreuter war in dieser Gesellschaft eines der rührigsten 
Mitglieder. Schon in der zweiten Sitzung verliest er einen 
Brief des Waldmeister Hecht in Sulz an ihn, worin die Vor¬ 
theile des Anbaues von Rothtannen auseinander gesetzt werden, 
und dieser sich erbietet, eine Quantität Samen zu übersenden. 
Auf den Vorschlag Koelreuters wird denn auch beschlossen, 
es solle von Hecht für Versuche im Forstamte Pforzheim ein 
Simri bezogen werden. In der dritten Sitzung „proponirte 
zwar Hofrath Koelreuter verschiedene in die Physik und 
Meteorologie einschlagende Fragen, man hielt es aber dermal 
nicht für rathsam, von solchen einen Gebrauch zu machen, 
weil wenige in dem Lande sich finden möchten, die deren 
Beantwortung übernehmen könnten“. In der siebenten 
Sitzung (22. Dezember 1764) .wurde Hofrath Koelreuter’s 
an fiirstl. Rentkammer eingesandter Bericht von den im 
Pforzheimer Marktum gefundenen ausserordentlichen und mit 
keiner bisher bekannten Arten von Kornwürmern einige 

1 Näheres über dieselbe, spec. über ihre Statuten in Schlettweins 
Archiv für den Menschen und Bürger. B. I. Leipzig. 1780 p. 430—462. 
Das hier Referirte nach den Akten im Grossh. Generallandesarchiv. 


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291 


Gleichheit habenden Insecten vorgelesen.“ Am 9. Februar 
1765 verlas Koelreuter einen „Entwurf einiger Versuche, die 
ich auf allerhöchste und gnädigste Genehmigung Sr. Hoch¬ 
fürstlichen Durchlaucht zum Besten der ökonomischen Gesell¬ 
schaft künftigen Sommer anzustellen willens bin“: 

„1. Vers. Um die Grösse des Nutzens, der von dem 
Anbaue der gemeinen Gerste und einer anderen sechszeilig- 
ten Gattung dieser Feldfrucht vorzüglich zu erwarten steht, 
und um den Unterschied der Wirkung, welche verschiedene 
Erdarten auf dieselbe äussern möchten, näher bestimmen zu 
können, so soll zu dem Ende in dem hinter des Obergärtners 
H. Saul Behausung liegenden Küchengarten ein der Sonne 
und freien Luft ausgesetztes Bett von 56' in die Länge und 
5' in die Breite, in fünf gleiche Theile quer abgetheilt, 

der eine auf hiesiger gemeiner und zwar wohlgedüngter 
Feld- oder Ackererde, 

der andere mit einer Vermischung von i / i ungedüngter 
Ackererde und */» Mergel, 

der dritte mit einer Vermischung von % ungedüngter 
Ackererde und x /s Leimen, 

der vierte mit eben derselben, aber wohlgedüngten Ver¬ 
mischung und 

der fünfte mit */* hiesiger gemeiner ungedüngter Feld¬ 
oder Ackererde und 1 j a Salpetererde auf 1' tief angefüllt 
werden. Eine jede dieser fünf Abtheilungen wird in die Quere 
wieder in zwei gleiche Theile abgetheilt, und der eine mit 
gemeiner Gerste, der andere aber mit der obgedachten sechs- 
zeiligten gegen das Ende des May oder zu Anfang des 
Junius angesät. Die Aussaat geschieht an einem Tage und 
unter gleichen Umständen. Es werden nämlich beiderlei 
Samen nach der ganzen Länge des Bettes hin nach geraden 
Linien auf einen starken Zoll tief einzel und sowohl in die Breite 
als Länge 3" weit von einander gesteckt. Die Wartung soll 
von der Aussaat bis zur Ernte durch alle Abtheilungen hin¬ 
durch einerley sein, und das ganze Bett bei erfolgender Reife 
der Frucht mit einem enge gestrickten Garn überzogen werden, 
um die Sperlinge davon abzuhalten. 

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292 


2. Vers. Die Vermischung einer Kohl- und einer Rüben¬ 
pflanze wird zeigen, ob die Meynung derjenigen, die den Ur¬ 
sprung der sogenannten Kohlraben daraus herleiten wollen, 
gegründet sey oder nicht. 

3. Vers. Es soll die Probe gemacht werden, ob zwi¬ 
schen einem Citronen- und Pomeranzenbaume eine frucht¬ 
bare Vermischung stattfinde, oder nicht; desgleichen sollen 
einige merklich von einander unterschiedene Varietäten von 
einer oder der anderen Gattung dieses Geschlechts mit ein¬ 
ander befruchtet und von denen daraus erzeugten Samen 
junge Bäumchen gezogen werden. 

4. Vers. Eben dieser Versuch wird auch mit der Zeit 
bei verschiedenen Varietäten der Apfel- und Birnbäume vor- 
genommen werden. Die Erfahrung wird alsdann lehren, ob 
durch diesen Weg jemals neue Sorten Obst entstanden seyn 
mögen, oder noch erhalten werden können.“ 

Ueber das Schicksal dieser Vorsätze konnte ich nichts 
erfahren. Der DUngungs- resp. Anbauversuch scheint das 
Schicksal der meisten derartigen Versuche getheilt zu haben: 
er ist wahrscheinlich resultatlos verlaufen. Dass er einge¬ 
leitet wurde, folgt aus einem Reskript vom 11. Mai 1765, 
wodurch die Oekonomieverwaltung Gottesau angewiesen wird, 
„dem Rath und Professor Koelreuter zur Machung seiner 
Versuche ein Karren voll oder mehr Ackererde, von welcher 
derselbe begehren wird, ab dasigen Kammergütern zukommen 
zu lassen“. Die Bastardirung von Kohl und Rübe scheiterte 
wohl an dem Widerstande, den gerade die Cruciferen solchen 
Versuchen entgegensetzen 1 , die von Citrus dürfte nicht aus¬ 
geführt sein, ebensowenig die an Apfel- und Birnbäumen 
wegen der grossen Schwierigkeit, welche deren Blüthen der 
Kastration bieten. 

Dagegen war Koelreuter betheiligt bei den Versuchen 
des Geheimrath Reinhard, neue Sorten von Obstbäumen zu 
erzielen. Wegen der Schwierigkeit der künstlichen Fremd¬ 
bestäubung sammelte dieser die Kerne des bei ihm gegessenen 

* Vgl. Gärtner, Bastarderzeugung im Pflanzenreich. Stuttgart 1849, 
S. 116, 134, 171. Nach Sageret vermag Brassica oleracea L. durch keine 
fremde Art befruchtet zu werden, wohl aber die andern Arten zu be¬ 
fruchten. Vergl. Focke, Pflanzenmischlinge. Berlin 1881, S. 38. 


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293 


Tafelobstes in der Erwartung, dass wenigstens einzelne von 
ihnen einer Kreuzung verschiedener Sorten durch Bienen 
und andere Insekten ihre Entstehung verdanken, und daher 
neue Sorten aus diesen erwachsen würden, „wie .... unser 
scharfsichtiger Koelreuter dieses alles so oft zu grosser Ver¬ 
wunderung mit wirklichen und wohlgerathenen Versuchen 
gezeiget und es gar bei Pflanzen, die nicht als Varietäten, 
sondern als besondere Gattungen anzusehen sind, dargethan 
und auf gewisse Art neue Geschöpfe von Pflanzen hervor¬ 
gebracht hat“. 1766 blühte der erste Apfelbaum aus diesen 
Kernen und trug 34 theils grosse, theils nur mittelgrosse 
Aepfel. Reinhard fing nun an, einen davon mit Koelreuter, 
seinem „werthen Freund“, zu kosten; „wir fanden ihn gut, 
aber doch noch nicht in seiner Vollkommenheit“. Die voll¬ 
kommene Zeitigung der neuen Sorte, die von allen bisher 
bekannten Sorten verschieden war, trat um Neujahr ein und 
der Apfel hielt sich gut bis zum März. Koelreuter hielt 
- -diese Reinette St. Silvestre genannte Neuzüchtung, für welche 
Reinhard mit der Zukunft noch eine Qualitätsverbesserung 
erhofft, für ein Kreuzungsprodukt des weissen Kalvill mit 
•der pomme d’or oder Reinette d’Angleterre. 1 

Ebensowenig wie über die Ausführung der im Vorher¬ 
gehenden mitgetheilten Pläne konnte ich über die Ausarbeitung 
einiger besonderer Fragen erfahren, welche der Markgraf selbst 
am Schluss der Sitzung vom 23. März 1765 Koelreuter zur Be¬ 
arbeitung vorschlug. Es sind dies folgende: 

„1. Ob und inwieweit der Kreislauf der Säfte in den 
Bäumen und Pflanzen gegründet sei, und falls er richtig ist, 
was für nützliche Folgerungen in Erziehung und Wartung 
der Pflanzen daraus hergeleitet werden können; 

2. Was für Arten von Unkräutern befinden sich auf den 
hier herumliegenden Sandfeldern ? Wann gehen sie auf ? 
Wann sind sie in der Blüthe, und wann bringen sie ihren 
Samen? Welche Art von Boden liebt jede am meisten? 
Welche Art verabscheut jede? Wie liessen sie sich am 
sichersten ausrotten?“ 

Die Neigung zur Uebertragung und Anwendung der 

1 Reinhard, Vermischte Schriften. Bd. VII. Frankfurt und Leipzig 
1767, S. 1003, 1005 ff. 


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294 


Resultate seiner wissenschaftlichen Forschung auf die Praxis 
war bei Koelreuter überhaupt vorhanden. Ich verweise dies* 
bezüglich auf die zweite Fortsetzung der vorläufigen Nach¬ 
richt S. 120—121 (p. 157 und 158 der Ausgabe von Pfeffer), 
wo von der Möglichkeit, durch Bastardirungen zu neuen 
Bluinensorten zu gelangen, und von den dazu nothwendigen 
Massregelu die Rede ist, sowie auf die dritte Fortsetzung 
S. 45 (194 Pfeffer), wo der Gedanke geäussert wird, dass es 
möglich sei, durch Bastardirung zu schnellwüchsigeren Holz¬ 
sorten im Interesse des Waldbaues zu gelangen, ein Gedanke, 
dessen Wahrheit bekanntlich Klotzsch durch seine Versuche 
festgestellt haben will*. In seinen Werken* wiederholen sich 
solche Andeutungen über die grossen Vortheile, welche der 
Praxis durch Bastardirung erwachsen dürften, Andeutungen, 
über deren Berechtigung wir nach den grossartigen Erfolgen, 
welche die Anwendung der künstlichen Fremdbestäubung seit¬ 
her und insbesondere neuerdings nicht nur in der Gärtnerei, 
sondern auch in der Landwirthschaft zur Erzielung neuer 
und besserer Sorten gehabt hat, kein Wort zu verlieren 
brauchen. Koelreuter scheint diese Methode zuerst bewusst 
geübt zu haben. In der Inhaltsübersicht des Aufsatzes: 
Dianthi novi hybridi wenigstens heisst es: „Effectivement 
on doit ä l’exemple de M. Koelreuter la production de ce 
grand nombre de Varietes d’oeillets des jardins, qui ont paru 
en Europe depuis une vingtaine d’annees et qui continuent 
encore ä paraltre. 8 '* Auch Gärtner 1 2 3 4 erwähnt als Vorläufer 
Koelreuters in der Bastardirung von Pflanzen nur einen ein¬ 
zigen gelungenen Versuch eines Londoner Gärtners Thomas 
Fairchild. 

Auch an deu späteren Bemühungen Karl Friedrichs 
und der badischeu Regierung zur Hebung der Landwirth¬ 
schaft nahm Koelreuter regen Antheil. So empfahl er nach 

1 I. F. Klotzsch, Pflanzenbastarde und Mischlinge, Sep. aus Ver- 
handl. der Berl. Akad. 1854, S. 23—24 (Ainus glutinosa X incana, Ulmua 
campestris X effusa etc.) 

2 Lobeliae hybridae p. 186/7. — Mirabilium Jalaparum kybridarum 
continuata descriptio p. 398. 

3 Nova acta DI. 1788. Histoire p. 194. 

4 A. a. 0. p. 4. 


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295 


dem Zeugnisse Guielin’s* zum Anbau ganz vorzüglich den 
von ihm erzeugten Bastard Nicotiana tabacum x paniculata 
als sehr geeignet. Auch für die Seidenzucht, der unter 
Karl Friedrich ganz besondere Aufmerksamkeit von der Re¬ 
gierung geschenkt wurde, interessirte sich Koelreuter und 
schrieb eine empfehlende Vorrede zu der 1776 anonym er¬ 
schienenen (von Eyring herriihrenden) „Vollständigen aus 
vieljähriger Erfahrung gegründeten Anleitung sowohl zur 
Seidenzucht als auch zum Pflanzen und Beschneiden der 
Maulbeerbäume nebst einer Widerlegung einiger bei dieser 
Zucht eingeschlichenen Missbrauche und Vorurtheile“, einer 
Schrift, die Koelreuter schon einige Jahre vorher an die freie 
ökonomische Soeietät zu Petersburg geschickt hatte, in deren 
Abhandlungen sie ohne Zweifel, ins Russische übersetzt, eben¬ 
falls erschienen ist. Auch die Leinbastardirungen, von denen 
der Autor sagt: „Castrationis opus in hoc genere difficillimum 
nec nisi summo inane peragendum“ *, sind wohl in der Neben¬ 
absicht gemacht worden, eine für die Kultur geeignete, durch 
längeren und üppigeren Wuchs den gewöhnlichen Flachs 
übertreffende Bastardsorte zu gewinnen. Noch im Jahre 1790 
wurde auf Veranlassung des Markgrafen Koelreuter zur 
Meinungsäusserung über die Ursachen des damaligen Rück¬ 
ganges resp. der Ausartung der Kartoffel aufgefordert ins¬ 
besondere mit Rücksicht darauf, dass ein gewisser Posselt 
in Pforzheim auf Grund eines Aufsatzes im Stuttgarter 
Oekonomiewochenblatt in einer Eingabe an den Markgrafen 
die ausserordentlich verbreitete und schädliche Krankheit auf 
die Bestäubung der Kartoffel mit dem Pollen der „Viehgrund¬ 
birnen“ (Topinambur) zurückführen wollte. Koelreuter wies 
in seinem Gutachten vom 29. April 1790 ganz richtig auf 
die vorhergegangenen nassen Jahrgänge und auf Fehler in 

1 C. C. Gmelin, Einfluss der Naturwissenschaft auf das gesammte 
Staatswohl. Carlsruhe 1809, S. 87. — Ein von Koelreuter erzeugter 
Bastardtabak (Nicotiana hybrida ex patre N. paniculatae et N. tabaci 
matre) wurde neben einer Digitalis hybrida Koelr. und einer Mirabilis 
hybrida Koelr. noch 1811 im Hofgarten cultivirt. Vgl. Hortus Magni 
Ducis Badensis. Carlsr. 1811, S. 92, 179 und 184. Danach ist die An¬ 
gabe Focke’s (Pflanzenmischlinge S. 285) über das Nichtgelingen der 
Befruchtung von N. tabacum durch N. paniculata zu korrigiren 

2 Lina hybrida, p. 346. 


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296 


der Kultur und Behandlung als die wahrscheinlichen Ur¬ 
sachen der Erkrankung hin, mit der Bemerkung, dass, ab¬ 
gesehen von der Unwahrscheinlichkeit der angenommenen 
widernatürlichen Bestäubung, die Einwirkung des Pollens 
sich ausschliesslich auf das Ovarium und die darin ent¬ 
stehenden Samen sowie die aus diesen erwachsenden Pflanzen 
erstreckt, nicht aber auf die übrigen Theile der Mutter¬ 
pflanze; da nun die Kartoffeln nicht durch Samen, sondern 
durch ihre Knollen fortgepflanzt werden, so kann folglich 
die Befruchtung der Kartoffelblüthen, sie mag herkommen 
woher sie will, gar nicht in Betracht kommen. Er macht 
dann zur Hebung des Uebels den Vorschlag, Samen oder 
Beeren von Kartoffeln aus Amerika kommen zu lassen, um 
dadurch wieder zu einer guten unverfälschten Art zu kommen 1 ; 
er theilt also die damals wie noch heute viel verbreitete An¬ 
nahme einer Degeneration der Kartoffel durch die stetige 
ungeschlechtliche Fortpflanzung. Hierauf wurde wirklich dein 
Hofgärtner Schweickert aufgetragen, er solle sich Kartoffel¬ 
samen von Amerika zu verschaffen suchen, Koelreuter aber 
mit der Ausarbeitung einer kurzen populären Schrift über 
Kultur und Behandlung sowie über die Ursachen des Aus- 
artens der Kartoffeln beauftragt, die indes nicht erschien. 
Eine im Jahre 1796 als Beigabe zum historischen Land¬ 
kalender auf Kosten des Markgrafen gedruckte Abhandlung 
rührt von dem Geheimen Rath Reinhard, dem Sohn des 
schon oben Erwähnten, her. 

Im Jahre 1775 hatte Koelreuter einen eigenen Haus¬ 
stand gegründet, indem er sich mit der Tochter des weiland 
Hofrath und Landschreiber Süss, Karoline Auguste, vermählte. 
Im Jahre 1776 bezog, wie schon oben erwähnt, Koelreuter 
sein eigenes Haus in der Kronenstrasse, das leider eines 
Gartens entbehrte. Der Umzug beraubte ihn daher der Ge¬ 
legenheit, seine Bastardirungsversuche weiterhin fortzusetzen. 
Friedrich Leopold von Stolberg, der im Jahre 1791 gelegent¬ 
lich seines zweiten Besuches in Karlsruhe bei Schlosser, 
Goethe’s Schwager, auch Koelreuter aufsuchte, sagt darüber: 
«Dieser so bescheidene als kühne Forscher, welcher die 

1 Mit europäischem Samen hatte man schon Versuche gemacht, 
indes nur sehr zweifelhafte Erfolge erzielt. 


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297 


Bienen auf ihrer Kunst beschlich, durch eine an das Honig- 
behältniss der Blumen angesetzte Glasröhre den Pflanzen 
ihren Nektar stahl und Honig hervorbrachte, dieser merk¬ 
würdige Mann hat kein Plätzchen Erde, welches ihm zu 
Gebote stünde. 1 “ Seine Ehe war mit Kindern reich ge¬ 
segnet. Nicht weniger als fünf Knaben und zwei Mädchen 
gingen aus ihr hervor, von denen aber nur vier Kinder den 
Vater überlebten. Die Kinder waren: 

Gottlieb Friedrich, geboren am 15. Mai 1778; 

Karl August, geboren am 30. Juli 1781; 

Wilhelm Ludwig, geboren am 7. Dezember 1782, ge¬ 
storben am 23. Januar 1783; 

Wilhelm Ludwig, geboren am 12. Februar 1784; 

Gustav Eberhard, geboren am 6. November 1785, ge¬ 
storben am 8. April 1786; 

Karoline Amalie, geboren am 10. November 1786; 

Friederike Sophie, geboren am 17. Januar 1788. 

Von den sieben Kindern überlebten den Vater nur Karl 
August, der in Freiburg und Paris Chemie studirte, später 
Apotheker in Bretten, Wilhelm Ludwig, Geheimer Hofrath 
und berühmter Arzt in Karlsruhe*, und die beiden Töchter, 
unter denen nur der Erstere Nachkommen hinterliess. 

An der Fortsetzung seines Lieblingsstudiums durch die 
Verhältnisse gehindert, schwer getroffen durch den Tod der 
Kinder, noch dazu vielfach von Krankheit heimgesucht, ver¬ 
lebte Koelreuter keinen heiteren Lebensabend. Als im Jahre 
1783 der Kechnungsrath Weissinger, mit der Revision der 
Gewächshäuser beauftragt, bittet, den Rath Koelreuter, „der 
ohnehin zu denen exotischen Gewächsen angestellt und dessen 
Fach es eigentlich ist“, als Sachverständigen zuzuziehen, wird 
ihm erwidert, dass dieser zur Zeit erkrankt sei, er also ent¬ 
weder einen andern vorschlagen oder warten solle, bis Koel¬ 
reuter wieder gesund sei. Auch die Gunst des Hofes scheint 
er zu dieser Zeit nicht besessen zu haben. Als wenigstens 

* Fr. L. ron Stolberg, Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien 
und Sicilien. Bd. I. Königsberg und Leipzig 1794, S. 48. 

* Vgl. seine Biographie in Neuer Nekrolog der Deutschen. 26. Jahr¬ 
gang. 1848. Weimar 1850, S. 623 ff. 


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298 


der zur Revision der exotischen Gärtnerei zugezogene Dr. 
Schrickel in seinem Gutachten vom 5. April 1785 vorschlug, 
den Garten „dauerhaft wieder von neuem zu gründen“, in¬ 
dem Gmelin als vom Markgrafen zum Lehrer der Natur¬ 
geschichte, also auch der Botanik angestellt, in Zukunft so¬ 
wohl das Weitere wie auch die Aufsicht und systematische 
Anordnung besorgen könnte, wenn der Markgraf „den in 
diesem Theil der Naturhistorie freilich weit erfahreneren und 
gelehrteren Herrn Professor Koelreuter wieder von neuem 
anzustellen gnädigst nicht gesonnen sein sollte“, wurde 
Letzterer übergangen und später Gmelin zum Aufseher des 
Gartens bestellt. 

Während Koelreuter bisher in vollständig geregelten 
finanziellen Verhältnissen gelebt hatte, treten in dieser Pe¬ 
riode auch Sorgen in dieser Beziehung an ihn heran, die 
sich leicht erklären lassen, durch die Vergrösserung seiner 
Familie bei gleichbleibendem beschränkten Einkommen, das 
Heranwachsen der Kinder und durch das mit der fran¬ 
zösischen Revolution und den folgenden Kriegsjahren ein¬ 
tretende Sinken des Geldwerthes. Schon im Jahre 1790 er¬ 
hält Koelreuter aus der Kasse des Fürsten eine Unter¬ 
stützung von 20 Louisd’or. Auf die Bitte vom 15. Oktober 
1791, die Pension von 200 Rubel, welche Koelreuter seitens 
der Kais. Akademie in St. Petersburg zustand, aber sehr 
unregelmässig ausgezahlt wurde, möge ihm auf das Gehalt 
angewiesen werden, das der Staatsrath von Koch in Petersburg 
aus der Markgräflichen Kasse bezog, und umgekehrt diesem 
die 200 Rubel, welche Koelreuter in Petersburg zustanden, 
wird ihm wiederum durch den Geheimen Rath von Gayling 
eine Unterstützung von 10 Louisd’or überreicht und Geheimer 
Rath von Edelsheim angewiesen, bezüglich der Pension das 
Nöthige zu besorgen. Von Gayling nahm sich überhaupt 
Koelreuters in dessen bedrängten Umständen energisch an, 
und insbesondere seiner Verwendung verdankte derselbe die 
wiederholten, nicht unbeträchtlichen Unterstützungen, deren 
er sich besonders in den Jahren 1797 bis 1803 aus der 
fürstlichen Kasse erfreute und die z. B. im Jahre 1797 
3 Hektoliter Roggen, 12 Hektoliter Dinkel, 6 Hektoliter Wein 
erster Klasse betrugen. Als' 1798 der talentvolle älteste 


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299 


Sohn Koelreuter’s, Gottlieb Friedrich, die Universität zum 
Studium der Medicin beziehen sollte, und sein Vater sich 
ausser Stande sah, die dazu nöthigcn Kosten aufzubringen, 
wurde demselben auf sein Gesuch für das erste Jahr ein 
Studienbeitrag von 150 Gulden verliehen. Derselbe Betrag 
wird auch 1799 zu dem gleichen Zweck ausgeworfen. Im 
Jahre 1801 sah sich Koelreuter noch einmal genöthigt, die 
persönliche Hilfe des Fürsten anzurufen, als ihm eine Schuld 
von 500 Gulden plötzlich gekündigt war. Wie bisher, so 
trat auch diesmal der Markgraf für ihn ein. 

Es ist, als wenn sich die gedrückte Lage Koelreuter’s 
seit 1790 auch in der Handschrift geltend machte. Dieselbe 
ist allerdings noch deutlich, aber zeigt durchaus nicht mehr 
das Charakteristische und Zierliche, das seine früheren Schrift- 
ziigc (Vgl. die Unterschrift unter dem Bildniss) aufweisen. 
Der härteste Schlag sollte ihn aber erst im Jahre 1801 treffen, 
das ihn sowohl seines hoffnungsvollen ältesten Sohnes wie 
seiner Frau beraubte. Die letztere starb am 7. April im 
Alter von 51 Jahren 6 Monaten 1 . 

Ueber die wissenschaftlichen Bestrebungen und das 
Wirken Koelreuter’s in dieser ganzen Zeit ist wenig bekannt. 
Abgesehen davon, dass er seine Müsse dazu benutzte, frühere 
Beobachtungen zum Druck auszuarbeiten, scheint er sich 
noch mit mikroskopischen Beobachtungen, vielleicht in Be¬ 
ziehung zu der Abhandlung „de pulvere antherarum“ be¬ 
schäftigt zu haben. Sein Enkel, Herr Apotheker Koelreuter 
in Homberg, bewahrt noch das von ihm benutzte Mikroskop. 
Mit Eifer verfolgte Koelreuter die Fortschritte der Glas¬ 
fabrikation in Baden und berichtete darüber in einem Briefe 
au die Petersburger Akademie vom 17. November 1789, dass 
einige Chemiker Flintglas zu machen versuchen und schon 
solches von höherem specifischen Gewicht erzielt haben als 
das beste englische*. Wahrscheinlich wurden auch die chemi¬ 
schen Studien wieder aufgenommen, von denen eine seiner 
ersten Abhandlungen „Zoophyti marini e coralliorum genere 
historia“ Zeugniss gibt, und es ist kein Grund vorhanden, 


1 Vgl. Allgem. Intelligenz- und Wochenblatt 1801, Nr. 15. 
* Nova acta. VII. Histoire p. 21 f. 


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300 


die Angabe Gärtner’s zu bezweifeln, dass Koelreuter sich 
nach 1790 mit alchemistischen Versuchen befasst habe. 1 2 
Den Keim zu diesem Abwege finden wir, wie Gärtner richtig 
bemerkt, in der Vorrede zur zweiten Fortsetzung der vor¬ 
läufigen Nachricht, die Sachs, der die alchemistischen Ver¬ 
suche Koelreuter’s bezweifelt, damals nicht Vorgelegen hat.* 
Dort zeigt der Autor, wie die Theorie der Alchemisten von 
der Verwandlung der Metalle mit seiner Theorie über die 
Erzeugung und Verwandlung der Pflanzen sehr viel überein¬ 
kommt. „Wer weiss .... ob die Alchymisten ihren End¬ 
zweck nicht eher erreicht haben würden, wenn sie bei ihrer 
wichtigen Unternehmung eben diejenigen Regeln beobachtet 
hätten, nach denen man sich bei der Verwandlung der 
Pflanzen nothwendigerweise richten muss?“ Koelreuter ist 
also sehr geneigt, an die Möglichkeit der Veredlung der 
Metalle zu glauben, und es war wohl naheliegend, dass er 
solche Versuche selbst begann, sobald er Veranlassung und 
Gelegenheit dazu hatte. Und die Veranlassung sehe ich in 
den Verhältnissen in Karlsruhe zu Ende der 80er Jahre des 
vorigen Jahrhunderts. 

Wie überhaupt damals ein gewisser Hang zum Mysti¬ 
schen sich überall bemerklich machte, so war das insbeson¬ 
dere in Karlsruhe der Fall, wo Lavater grossen Einfluss 
hatte. Als gar Böckmann, von Karl Friedrich zum Studium 
der magnetischen Kuren des Grafen von Puysegur nach 
Strassburg gesandt, ein begeisterter Adept des Magnetismus 
geworden war, war bald die ganze vornehme Welt Karls¬ 
ruhe^ für die geheimnissvollen Lehren des Spiritismus, 
Mysticismus, Somnambulismus, Magnetismus u. s. w. ge¬ 
wonnen. Hofprediger Walz, Professor Wucherer vom Gym¬ 
nasium, der russische Gesandte Jean de Krook, ein Baron 
Rosenfeld, die Frau des markgräflichen Geheimsekretärs 
Griesbach standen an der Spitze der Bewegung, der aller¬ 
dings eine andere Partei, an ihrer Spitze Schlosser, Ring 
und Koelreuter, mit Erfolg entgegentrat'. Der letztere war 

1 Gärtner, Bastarderzeugung im Pflanzen reich. S. 5. 

2 Sachs, Geschichte der Botanik. München 1875. S. 430 und 445. 

8 Fr. von Weech, Karlsruhe, Geschichte der Stadt und ihrer Ver¬ 
waltung. Karlsruhe 1893, p. 69—71. 


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301 


indess, wie wir gesehen haben, weit entfernt, die alchemisti- 
schen Lehren ohne weiteres zu verwerfen, und mag so wieder 
auf derartige Versuche geführt sein. 

Im Jahre 1805 leuchtete noch einmal ein Sonnenblick 
dem einsam gewordenen Greise. Am 15. April wurde ihm 
vom Kurfürsten Karl Friedrich mit Rückwirkung vom 
23. Oktober 1804 an Charakter und Rang als Oberhofrath mit 
einer Besoldung von jährlich 800 Gulden Geld, 6 Malter Roggen, 
12 Malter Dinkel, 2 Malter Gerste und 10 Ohm Wein erster 
Klasse verliehen. 1 Nicht lange mehr sollte Koelreuter sich 
dieses Zeichens der Anerkennung freuen. Am 11. November 
1806 Morgens gegen 3 Uhr erlöste der Tod den grossen 
Mann von einer 1 */a Jahre lang mit Standhaftigkeit und 
Ruhe ertragenen „schleimigen Lungensucht.“ 2 

Seinem Andenken ist von Laxmann schon im Jahre 1772 
die Sapindaceengattung Koelreuteria gewidmet. Hedwig be¬ 
nannte nach ihm 1782 eine Moosgattung Koelreutera, ein 
Naine, der allerdings der Scbreber’schen Bezeichnung Funaria 
weichen musste. Dasselbe Schicksal theilten der von Murray 
aufgestellte Gattungsname Koelreutera (jetzt Gisekia, Umbelli- 
fere) und die Persoon’sche Art Koelreutera triphylla, die jetzt 
Urvillea ulmacea Kunth heisst. Wie übrigens nicht nur die 
Zugehörigkeit zu so vielen gelehrten Gesellschaften, sondern 
auch die ehrenden Anerkennungen zeigen, welche die zeit¬ 
genössischen Botaniker in ihren Werken Koelreuter zollen*, 
war dieser nichts weniger als verkannt und unbeachtet 
wie etwa sein Zeitgenosse Sprengel. Erst der Naturphilo¬ 
sophie im übelsten Sinne des Wortes, die unter dem Ein¬ 
flüsse Hegel’s insbesondere von Schelver, der aus dem Be¬ 
griffe der Pflanze das Fehlen der sexuellen Differenzirung 
bei derselben ableitete, in die Lehre von der Sexualität hinein¬ 
getragen wurde, blieb es Vorbehalten, das Andenken des 
grossen Physiologen eine Zeit lang zu verdunkeln, bis die 
weiteren Fortschritte der Wissenschaft auch ihm wie so 


1 Ein Malter oder ein Ohm = 150 Liter. 

* Vgl. die Todesanzeige in No. 185 der Karlsruher Zeitung (vom 
19. November) 1806. 

* Z. B. Jacquio, der mit Koelreuter ober die Bliltheneinrichtung 
der Asclepiadeen stritt. (Mise, austriaca Vol. I. 1778, p. 4, 6, 7 ) 


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302 


vielen anderen die gebührende Anerkennung wieder verschafft 
haben, die vor Kurzem in der Neuausgabe seiner vier wich¬ 
tigsten Schriften, der vorläufigen Nachricht und ihrer Fort¬ 
setzungen, durch Pfeffer einen neuen Ausdruck gefunden hat. 1 2 * * * 


II. 

Das Hauptverdienst, das Koelreuter durch seine bota¬ 
nischen Schriften sich erworben, ist die Lieferung des unum- 
stösslichen Nachweises der sexuellen Differenzirung im Pflanzen¬ 
reich, zunächst bei den Phanerogamen, dadurch, dass es ihm 
gelang, Bastarde hervorzubringen. Der Beweis ist so schla¬ 
gend und unwiderleglich, dass die späteren Gegner der 
Sexualität bei den Pflanzen, Schelver und Henschel, um ihn 
zu entkräften, genöthigt waren, die Glaubwürdigkeit der 
Koelreuter’schen Angaben in Zweifel zu ziehen. Eine gewisse 
Berechtigung dazu war desshalb vorhanden, weil Koelreuter 
seine Methode leider nicht oder doch nicht im Zusammen¬ 
hänge ausführlicher veröffentlicht und so eine Kontrole er¬ 
leichtert hatte.* Auch diese Zweifel wurden aber widerlegt 
durch die Thatsache, dass Gärtner bei der Wiederholung der 
Versuche Bastarde erhielt, welche mit den Koelreuter’schen 
vor beinahe einem Jahrhundert erzeugten Originalen in allem 
übereinstimmten. 8 

Der Umstand, dass die Bastarde im allgemeinen das 
Mittel halten zwischen den Stammarten, gab Koelreuter den 
Fingerzeig für die Aufstellung einer eigenen Theorie der 
Befruchtung. Seine mikroskopischen Untersuchungen hatten 
ihm gezeigt, dass das Pollenkorn aus einer Haut, deren 
komplizirten Aufbau aus einer mit den verschiedensten 


1 Vgl. Schelver, Kritik der Lehre von den Geschlechtern der 
Pflanze. Heidelberg 1812; Idem, Lebens* und Formgeschichte der Pflan¬ 
zenwelt. Handbuch seiner Vorlesungen über die physiologische Botanik 
für seine Zuhörer und gebildete Naturfreunde. Heidelberg 1822. 

2 Er bediente sich eines Malerpinsels zum Aufbringen des Pollens 

auf die Narbe der castrirten Blüthe. Vgl. Lina hybrida. Nova acta I, 

p. 346; Lobeliae hybridae. Acta pro 1777. II, p. 1S5—186 u. a. 

8 Gärtuer, Bastarderzeugung, S. 234. 


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303 


Skulpturen versehenen äusseren Haut und einer inneren 
Cellulosetnembran, aus Exine und Intine, er richtig er¬ 
kannte, und dem von der Haut umschlossenen Inhalt besteht, 
den er als zellenförmiges Gewebe bezeichnet. Das Platzen 
des Pollenkorns im Wasser, das von dem Freiherrn von 
Gleichen-Russworm kurz zuvor für ein wesentliches Moment 
des Befruchtungsvorganges gehalten war, erkannte er ebenso 
richtig als einen abnormen Vorgang. Leider sah er die Pollen¬ 
schläuche, die erst über 60 Jahre später entdeckt wurden, nicht 
oder deutete sie doch, wo er ihre Anfänge (Passiflora coerulea) 
gesehen hatte, falsch. Seine Theorie der Befruchtung ging 
davon aus, dass er, wie die Eigenschaften des Bastardes 
eine Mischung aus denen der Stammarten vorstellen, so auch 
bei dem Befruchtungsakte als wesentlichen Vorgang die 
Mischung zweier Substanzen, einer männlichen und einer 
weiblichen, den Trägern der Eigenschaften von Vater und 
von Mutter, annahm, eine Theorie, Uber die wir im Grunde 
genommen auch heute noch nicht hinausgekommen sind 
Aus dem Unstande nun, dass das Pollenkorn auf der be¬ 
stäubungsreifen Narbe nach und nach collabirt und sich 
entleert, ohne dass doch ein Zerplatzen eintritt, wurde er zu 
dem Schluss geführt, dass die männliche Substanz das auf 
dem Pollenkorn haftende Oel sein müsse; er stellte sich vor, 
dass dieses im Innern des Kornes bereitet werde und unter 
dem Druck der Häute aus ihm durch die vorhandenen Oeff- 
nungen (die vorgebildeten Austrittsstellen für den Pollen- 
schlauch) austrete. Durch die Umwandlung des Pollen- 
inhaltes in Oel und den Uebertritt des letzteren nach aussen 
erklärte er sich das Collabiren der Körner auf der Narbe, 
das er besonders an den grossen Körnern des Malvaceen- 
pollens beobachtete. 

Das Oel des Pollens mischt sich mit der Narbenfeuchtig¬ 
keit. Die letztere war demnach Koelreuter anfänglich sehr 
geneigt, als die weibliche Feuchtigkeit anzusprechen. Da 
ihm aber die Erzeugung von Bastarden durch Uebertragen 
fremder Narbenflüssigkeiten auf die zuvor abgetrocknete 
Narbe anderer Arten nicht gelang, hielt er das doch für 
zweifelhaft und sah in der Narbenflüssigkeit, bis gelungene 
Versuche ein anderes lehren würden, nur das Vehikel, be- 


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301 


stimmt, den männlichen Befruchtungsstoff durch den Griffel 
in das Ovarium zu leiten 1 . 

Nach den überzeugenden Beweisen, welche die gelungene 
Bastarderzeugung für die sexuelle Differenzirung bei den 
Blütbenpflanzen geliefert hatte, war Koelreuter der festen 
Ueberzeugung, dass auch bei den Kryptogamen geschlecht¬ 
liche Vorgänge nicht fehlen würden. Seine Bemühungen, 
denselben durch das Experiment näher zu treten, sind aller¬ 
dings nicht von Erfolg gewesen und mussten schon darum, 
z. B. bei den Gefässkryptogamen, zu einem unglücklichen 
Resultate führen, als er den Sexualvorgang den damaligen 
Kenntnissen entsprechend bei der Sporenpflanze aufsuchte. 

Seine Ansichten und Untersuchungen über die Sexualität 
der Kryptogamen sind zusammengefasst in dem 1777 er¬ 
schienenen Werke: „Das entdeckte Geheimniss der Krypto- 
gamie“. Dasselbe verdankt seine Entstehung der schon im 
Vorhergehenden erwähnten, 1771 gestellten Preisaufgabe der 
Kurpfälzischen Akademie und polemisirt gegen Necker, der 
die Sexualität der Kryptogamen überhaupt leugnete und 
z. B. die Sporen der Equiseten sowie der Moose und Farne 
für einen tauben Staub ohne jede Bedeutung für Befruchtung 
sowohl wie Fortpflanzung erklärte. 2 Koelreuter fasst die 
Sporen der Kryptogamen richtig als Vermehrungsorgane auf, 
fehlt aber darin, dass er ihre Entstehung direkt auf eine 
stattgehabte Befruchtung zurückführen will. Der wirkliche 
Sachverhalt wurde denn auch bei den Gefässkryptogamen 
erst ca. 70 Jahre später entdeckt und die Koelreuter’schen 
Ideen sind jedenfalls nicht schlechter als diejenigen, welche 
z. B. Hedwig in der später erschienenen (durch eine 1779 
ausgeschriebene Preisfrage der Petersburger Akademie ver- 
anlassten) Theoria generationis äussert. Durch seine Auf¬ 
fassung der Blütheneinrichtung bei den Asclepiadeen und 
Orchideen, auf die wir später eingehen werden, beeinflusst, 


1 Vgl. Vorläufige Nachricht etc. p. 1-9 (7—12 der Ausgabe von 
Pfeffer); Zweite FortsetzuDg etc. S. 65—73 (124—129 bei Pfeffer); Dritte 
Fortsetzuug etc. S. 137—156 (252 -263 bei Pfeffer). 

2 Z. B. Necker, Eclaircissements sur la propagation des filict§e3 en 
general. Hist, et comment. Acad. Theodoro-palat. III phys. 1775 p. 275 
bis 318, insbes. p. 314 u. 315. 


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S05 


glaubte Koelreuter des Räthsels Lösung darin zu finden, dass 
„die Natur .... bei den einfacheren, kryptogamischen 
Pflanzen vielleicht .... ohne eine wirkliche Trennung der 
männlichen Zeugungstheile von dem Ganzen zu veranstalten 
oder ihnen so wenig als den weiblichen irgend ein merklich 
unterscheidendes und gewöhnliches Aussehen zu geben, theils 
durch zarte, mit Samengefässen durchwobene und an den 
weiblichen Samenbläschen oder Eierstöcken dicht anliegende 
Häute eine Vermischung der beiden Samenfeuchtigkeiten 
und folglich eine wahre Befruchtung bewerkstelligen könnte“. 
So soll denn bei den Lebermoosen das Perianth, welches die 
junge Kapsel umhüllt, bei den Laubmoosen die Calyptra, bei 
den Lycopodiaceen und Equiseten die Wand der Sporen¬ 
kapseln selbst und bei den Farnen endlich das lndusium 
das männliche Sexualorgan sein. Zum Theil suchte Koel¬ 
reuter diese Ansicht auch experimentell zu begründen. Ver¬ 
suchspflanzen waren Polytrichum commune, Mnium punc- 
tatum, Funaria hygrometrica, Bryum caespiticium, Hypnum 
serpens, Asplenium filix mas, Scolopendrium officinarum. Die 
Entfernung der Haube von den jungen Seten resp. des In- 
dusiums verhinderte vielfach die Bildung der Sporenkapseln. 
Neben diesen falschen Ansichten finden sich übrigens in dem 
Werke eine Menge richtiger Beobachtungen und Deutungen, 
unter anderem z. B. der Antheridien bei Polytrichum. 

Den ersten Bastard zog Koelreuter in Petersburg 1760, 
eine Nicotiana paniculata x rustica. Die Gesammtzahl 
der mir bekannten gelungenen Versuche beträgt 283, wo 
allerdings auch die spontan entstandenen Abkömmlinge von 
Bastarden und die Varietätenbastarde mitgezählt sind, und 
daran sind hauptsächlich die Gattungen Mirabilis (82), Dian- 
thus (54), Nicotiana (43), Verbascum (36) und die Malva- 
ceen (20) betheiligt. Auch einen Gattungsbastard hat Koel¬ 
reuter schon in den Jahren 1766 und 1767 sowie 1771 er¬ 
zogen durch Bestäubung der Lychnis dioica alba mit dem 
Pollen des cucubalus viscosus L. 1 Er begnügte sich nicht 
damit, zwei verschiedene Arten mit einander zu verbinden, 
sondern versuchte auch durch immer wiederholte Bestäubung 
der erzogenen Bastarde mit dem Pollen der ursprünglichen 

* Melamlrium viscosum Cel. X all>um Garcke. 

20 


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306 


Vater- resp Mutterpflanze die eine Art in die andere über¬ 
zuführen, ein Versuch, der ihm nicht nur bei Nicotiana pani- 
culata und rustica, sondern auch mit Dianthus superbus und 
chinensis, Dianthus chinensis und hortensis, Dianthus bar- 
batus und chinensis, Dianthus plumarius und chinensis, Mira- 
bilis longiflora und vulgaris vollständig glückte. 

Einen Haupterfolg seiner Bastardirungen, abgesehen von 
dem Beweis der Sexualität der Pflanzen, sah Koelreuter mit 
Recht in der dadurch herbeigeführten Beseitigung der Evo¬ 
lutionstheorie. „Dogma itaque Aristotelicum, quo species in 
speciem transmutari non posse perhibetur, doctrinaque omnis 
hodiernorum physiologorum de praeformatis germinibus re 
ipsa satis superque refutatur.“ 1 2 

Wenn in dem ersten Theile dieses Ausspruches unseres 
Autors ein Anklang an descendenztheoretische Vorstellungen 
gefunden werden könnte, so wäre eine solche Deutung des¬ 
selben allerdings nicht richtig. Koelreuter war weit entfernt, 
der Bastardirung eine Rolle bei der Entstehung der heutigen 
Pflanzenformen zuzutheilen, und polemisirt sogar gegen der¬ 
artige damals verbreitete Ansichten, die allerdings in der 
Fassung jener Zeit abenteuerlich genug lauten. Insbesondere 
wendet er sich auch mit Recht gegen die abenteuerlichen 
Bastarde, welche z. B. Linne beschreibt.* Koelreuter war 
überhaupt geneigt, das Vorkommen von Bastarden in 
der Natur zu bezweifeln, wenigstens unter natürlichen Be¬ 
dingungen, insbesondere weil, wie Versuche ihn belehrt hatten, 
der zugehörige Pollen, der in der Natur ja äusserst selten 
fehlen würde, in seiner Wirkung jeden fremden Blütben- 
staub, der auf die Narbe kommt, ausschliesst, und weil ferner 
Bastarde sich in Folge ihrer geschwächten Fruchtbarkeit 
nicht würden erhalten können. Die letztere betrachtete er 
sogar als eine charakteristische Eigenschaft der Art- resp. 
Gattungsbastarde und hielt für das einzige und beste Kri¬ 
terium verschiedener Arten, dass dieselben unfruchtbare 
Bastarde geben müssten. Doch waren Koelreuter selbst 
schon fruchtbare Bastarde bekannt, z. B. Dianthus chinensi- 
barbatus, D. carthusianorum-superbus, Li num aust riaco-perenne, 

1 Mirabiles Jalapae hybridae. Nova acta XI, p. 399. 

2 Vorl. Nachricht S. 36 ff. (23 ff.); Dritte Fortsetzung S.36ff. (188 ff.) 


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307 


Mirabilis longiflora-vulgaris, Datura ferox-infermis, und wir 
wissen beute, dass sich unter den Bastarden von voller Frucht¬ 
barkeit bis zu völliger Sterilität eine ununterbrochene Stufen¬ 
leiter aufstellen lassen würde. Ist es ja doch mehr als 
wahrscheinlich, dass Bastardbefruchtungen eine hervorragende 
Rolle bei der Entstehung neuer Arten spielen. 

Dass Koelreuter die wichtige Rolle, welche die Bastard¬ 
erzeugung für die Ziele des Gartenbaues und der Landwirth- 
schaft zu spielen berufen ist, nicht übersah, darauf ist im 
Vorhergehenden schon hingewiesen. Hier sei noch einmal 
darauf aufmerksam gemacht, dass überhaupt jene allgemeinen 
Sätze, welche Naegeli seinerzeit aus den sämmtlichen bisher 
gemachten Bastardirungen Koelreuter’s, Gärtner’s, Knight’s, 
Herbert’s, Sageret’s, Lecoq’s etc. gezogen und übersichtlich 
zusammengestellt hat 1 , grösstentheils schon von Koelreuter 
aus seinen Beobachtungen abgeleitet und ausgesprochen sind. 
Er kannte schon die eigenthümlichen Verschiedenheiten in 
dem Verhalten der Pflanzen bei Bestäubung mit. dem Pollen 
anderer Arten, welches Naegeli später mit dem Namen der 
sexuellen Affinität bezeichnet hat, hatte beobachtet, dass die 
Varietätenbastarde im allgemeinen fruchtbarer sind als die 
Artbastarde; seine Versuche hatten gezeigt, dass bei gleich¬ 
zeitiger Bestäubung der Narbe mit verschiedenen Pollen¬ 
sorten nur der Pollen der gleichen Species, derjenige von 
grösster sexueller Affinität, wirksam ist. Dass die Einwirkung 
der Befruchtung sich nur auf den Embryo und auf die 
daraus erwachsende Tochterpflanze, nicht aber auf andere 
Theile des Mutterindividuums erstreckt, hat Koelreuter, wie 
wir gesehen haben, in seinem Gutachten über das Ausarten 
der Grundbirnen als etwas Selbstverständliches ausgesprochen. 
In der Vereinigung der elterlichen Merkmale beim Bastard 
und in der Variationstendenz der Nachkommen des Bastardes 
erblickte er den Grund ihrer Anwendbarkeit für die Zwecke 
der Praxis: vielfach erwähnt er, auch als Kriterium für die 
Bastardnatur einer von ihm erzogenen Pflanze, ihr üppiges 
vegetatives Wachsthum, z B. bei Mirabilis longiflora-Jalapa 2 , 

1 Naegeli, Die Bastar.lbildung im Pflanzenreiche. Sitzungstier, der 
Kgl. bayr. Akafl. d. Wiss. zu München. 1865. Bd. II, S. 395—443. 

* Mirabiles Jalapae hybridac. Nova acta XI, p. 393. 

20 * 


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308 


Linum austriaco-perenne 1 , Lycium afro-barbarum 2 , Digitalis 
purpurea-lutea 8 . 

Ausser den einfachen Bastarden erzog, wie wir oben 
schon erwähnt, Koelreuter auch abgeleitete Bastarde, in¬ 
dem er den Bastard mit dem Pollen seiner Vater- oder 
Mutterpflanze wieder bestäubte, und ihn so unter Um¬ 
ständen in eine der Stammarten zurückverwandelt. Er ver¬ 
einigte mit Glück auch drei Arten in einen Bastard.* Da¬ 
gegen gelang es ihm nicht, eine Klasse von Bastarden zu 
erzeugen, die nach seiner Theorie der Befruchtung als 
Mischung zweier Flüssigkeiten doch möglich sein musste, die 
sogenannten unvollkommenen Bastarde oder Tinkturen, die 
aus der Bestäubung mit fremdem und zugleich dem eigenen 
Pollen der Mutterart entstehen sollten. Bei diesen Versuchen 
erhielt er, wie das nach unserm heutigen Wissen vom Be¬ 
fruchtungsvorgang ja nicht anders sein konnte, immer nur 
einfach die Mutterart wieder. 

Von ganz besonderem Interesse sind die Entdeckungen, 
welche Koelreuter über Blütheneinrichtungen und Bestäubungs¬ 
verhältnisse machte, und in denen er als ein Vorläufer 
Christian Konrad Sprengers erscheint. Obgleich ein Theil 
seiner bezüglichen Arbeiten, insbesondere die Abhandlung de 
antherarum pulvere, erst nach dem Hauptwerke Sprengers* 
veröffentlicht wurde, ist, wie hier bemerkt sein möge, Koel¬ 
reuter wohl nicht von Sprengel beeinflusst, dessen Werk ihm 
nicht bekannt gewesen zu sein scheint. Es ist wenigstens nicht 
citirt und fehlt auch in der hiesigen Hof- und Landesbibliothek, 
an welche Koelreuter’s Bücher nach seinem Tode wenigstens 
zum Theil übergegangen sind z. B. Schriften der Petersburger 
Akademie. 

Nach unserer heutigen Auffassung erscheint, wie bei 
Sprengel, so auch bei Koelreuter die Verkennung der Wichtig¬ 
keit der Fremdbestäubung als ein Mangel, der sich der 

1 Lina hybrida. Nova acta 1, p, 339. 

2 Lycia hybrida. Acta 1778, I, 8. 219. 

3 Digitales hybridae. Acta pro 1777, I, p. 215. 

4 Die theoretischen Schlüsse aus Koelreuter’s sowie Gärtner’s etc. 
Versuchen zog Xaegeli, Ueber die abgeleiteten Pflanzenbastarde. Sitzungs- 
ber. d. Ak. d. Wiss. zu München. 1866, I, p. 71 ff. 

5 Das entdeckte Geheimuis9 im Bau und in der Befruchtung der 
Blumen. Berlin 1793. 


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309 


richtigen Deutung mancher Blütheneinrichtungen hindernd in 
den Weg stellt. Allerdings findet sich, wie bei Sprengel, 
so auch bei ihm au einer Stelle 1 schon eine Aeusserung, die 
gleichsam den übrigens 1799 von Knight ja schon klar aus¬ 
gesprochenen Satz von der unvorteilhaften stetigen Selbst¬ 
bestäubung ahnend andeutet: „An id aliquid in recessu 
habeat, quod hujuscemodi flores nunquara proprio suo pul¬ 
vere, sed semper eo aliorum suae speciei impraegnentur, 
merito quaeritur. Certe natura nil facit frustra.“ Im übrigen 
sind ja heute unsere Ansichten über die Nothwendigkeit der 
Fremdbestäubung schon wesentlich modifizirt und sogar eine 
Anzahl von Blütheneinrichtungen, die Hildebrand und Her¬ 
mann Müller noch als Fremdbestäubung begünstigend ge¬ 
deutet haben, als ausschliesslich oder doch vorwiegend der 
Selbstbestäubung angepasst erkannt; wenn auch die Frage 
noch nicht vollständig gelöst ist*, so ist also immerhin Vor¬ 
sicht in Bezug auf das Knight-Darwin’sche Gesetz angezeigt. 

In der vorläufigen Nachricht giebt Koelreuter einen 
Ueberblick über die Bestäubungseinrichtungen, wie er sie 
sich vorstellte. Er hat diese Vorstellungen übrigens, wie wir 
sehen werden, später selbst vielfach modifizirt und insbeson¬ 
dere auf die Hilfe der Insekten noch grösseren Werth gelegt 
als in der vorläufigen Nachricht und ihren Fortsetzungen. 
Als einfachster Typus der Bestäubungseinrichtungen wird zu¬ 
nächst die Sicherung der Bestäubung durch unmittelbare 
Berührung von Narbe und Antheren aufgeführt. Hierher 
rechnet Koelreuter die Gräser, die Compositen, Lobelien, Pa- 
pilionaceen, viele Cruciferen, die Gattungen Linum, Verbas- 
cum, Nicotiana und Campanula. Gerade hier ist er aller¬ 
dings ziemlich weit von der Wahrheit entfernt. So hat 
er insbesondere die Proterandrie bei den Kompositen, 

1 Dissertatiouis de antherarum pulvere continuatio. Mdmoires de 
l’Academie imp. de St. Petersbourg III, 1811, S. 198. Cit. von H. Malier, 
Befruchtung der BlQthen durch Insekten p. 25 (nach Axell) ohne An¬ 
gabe des Ortes, woher die Stelle stammt. 

1 Vgl. insbesondere Rosen, Bemerkungen über die Bedeutung der 
Heterogamie für die Bildung und Erhaltung, der Arten im Anschluss au 
zwei Arbeiten von Burck. Bot. Ztg. 1891, p. 201 ff, 215 ff. Dort die 
Alteren Arbeiten Burcks, ferner Burck, Ueber die Befruchtung der Ari- 
stolochia-Blüthe. Bot. Ztg. J892, No. 8 u. 9. 


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310 


Lobelien und Campanulaceen übersehen, die alle ausgeprägte 
Insektenblumen sind. Für die erstem gibt er freilich in 
der dritten Fortsetzung eine Mitwirkung der Insekten bei 
der Bestäubung zu, indess nur so, dass dieselben durch Be¬ 
rührung die Staubfadenröhre zur Verkürzung reizen und so 
eine frühere Bestäubung der in ihr befindlichen Narbe mit 
dem zugehörigen Pollen bewirken sollen, als der Fall sein 
würde, wenn der Griffel die Staubfadenröhre langsam durch¬ 
wüchse. Unter den Lobeliaceeu hat Hildebrand bei Lobelia 
erinus L. in abnormen Fällen Selbstbestäubung nach¬ 
gewiesen 1 2 * 4 , im allgemeinen ist diese unmöglich, und schon 
Koelreuter erwähnt in den Lobeliae hybridae* die Seltenheit 
des Fruchttragens bei diesen Pflanzen in unseren Gärten 
und führt das auf den mangelnden Besuch oder das Fehlen 
der zur Bestäubung geeigneten Insekten zurück, ja beschreibt 
auch die Proterandrie richtig, indess nur als eine in unserm 
Klima besonders bei Lobelia cardinalis eintretende Abnormi¬ 
tät. Ebenso sind die Verbasca, bei denen Koelreuter selbst 
seinen Irrtum später erkannte“, die Papilionaceen und Lein¬ 
arten im allgemeinen Insektenblütler, doch kommt bei Linum 
usitatissimum sowie bei einigen Papilionaceen, z. B. der Erbse 
regelmässig Selbstbestäubung zu Stande, und zwar mit vollem 
Erfolge, und auch bei Verbascum ist diese nicht vermieden.* 
Auf Nicotiana kommen wir im Nachfolgenden zurück. 

Bei einer anderen Zahl von Pflanzen gelangt der Pollen 
durch eine leichte, von Wind oder Insekten herrührende 
Erschütterung auf die Narbe. Koelreuter unterscheidet da¬ 
von als dritte Bestäubungseinrichtung die Windbestäubung 
der diöcischen Windblüther als verursacht „durch eine 
stärkere Erschütterung und einen den weiblichen Pflanzen 
günstigen Wind“, während zu seiner zweiten Klasse vor¬ 
nehmlich die monöcischen anemophilen Gewächse gehören, 
wie Birke, Hasel, Cupuliferen, Coniferen, Sparganium, Coix, 
Zea, Ricinus und Sagittaria, von denen nur bei der letzteren 


1 Bot. Ztg. 1870, p. 638. 

2 Acta pro 1777, II, S. 185/186. 

8 Dritte Fortsetzung p. 38 u. 30 (Pfeffer 190). 

4 Hermann Müller, Die Beiruclitung der Blumen durch Insekten. 
Leipzig 1873, 3. 278. 


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311 


die Windbliithigkeit unwahrscheinlich, mindestens sehr zweifel¬ 
haft ist. 1 Zu derselben Klasse rechnet Koelreuter ferner 
alle jene Zwitterbliithen, in denen die Antheren eine solche 
Lage haben, dass der Pollen auf die zuständige Narbe fallen 
muss, z. B. Symphytum, Cerinthe, Cyclamen, Galanthus und 
Solanum-Arten sowie Ruta graveolens, bei der er die eigen- 
thümlichen Bewegungen der Staubfäden richtiger als Sprengel* 
beschreibt, indess die ausgeprägte Proterandrie übersehen 
hat. Die von Koelreuter angenommene Selbstbefruchtung 
tritt ein, wenn die Blume ohne Insektenbesuch verblüht.* 
Von den übrigen entspricht insbesondere Solanum der Auf¬ 
fassung Koelreuter’s, die übrigen sind ausgeprägte Insekten¬ 
blumen, und erst wenn Insektenbesuch ausbleibt, tritt die 
Selbstbestäubung ein.* 

Durch Explosion der Antheren wird der Pollen in die 
Luft geschleudert, und so entweder die zuständige, nächste 
Narbe damit belegt oder derselbe durch den Wind zu den 
Narben anderer Stöcke befördert. Koelreuter führt hier nur 
nach Vaillant Parietaria, Opuntia und Helianthemum, von 
denen die beiden letzten sicher nicht dahin gehören, nach 
Blair Morus und nach Aiston Urtica dioica an. Eigene Be¬ 
obachtungen hat er darüber nicht gemacht. Dagegen zählt 
er zu diesem Typus auch die eigenthümliche Blütheneinrich- 
tung von Kalmia, welche er 1772 entdeckte. „Momentaneam 
hanc pulveris explosionem, simulac antherae corniculorum 
nectariferorum cavo antea infixae staminibus vel leviter irri- 
tatis vel etiam sua sponte vi filamentorum elastica inde 
resiliunt, jam ante multos annos in horto electorali Schwetzing- 
ensi praesente D. D. Casimiro Medico primus detexi.“ 5 Koel¬ 
reuter hat also die Bewegung richtiger aufgefasst als Medicus, 
der sie 1775 in den Abhandlungen der Kurpfälzischen Aka¬ 
demie (Bd. III phys.) beschrieb und als Reizbewegung auf- 

1 Mir ist keine Untersuchung über die Blütbeneiorichtung und Be¬ 
stäubung von Sagittaria bekannt. 

* A. a. 0. p. 236 u. 237. 

* Hermann Müller, A. a. 0. p. 159. 

* Vgl. H. Müller, A. a. 0. S. 269, 71. Kerner, Pflanzenleben II, 
S. 3*3 u. 374; Ascberson, Ber. d. D. bot. Ges. X, 1892, S. 226 ff. 
und 314 ff. 

s De antherarum pulvere. Nova acta XV, p. 369. 


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312 


fasste, und seine Beobachtung ist noch neuerdings von Drude, 
der das Verhalten der Staubfäden als auf Fremdbestäubung 
gerichtet deutet, durchaus bestätigt worden 1 . 

Koelreuter’s fünfter Typus der Blütheneinrichtungen ist 
die Bestäubung durch Insektenhilfe, und gerade in der Ent- 
räthselung einiger solcher Bestäubungseinrichtungen liegt 
seine Hauptbedeutung als Vorläufer Sprengers und der neueren 
Blüthenbiologie. Es ist kaum zweifelhaft, dass Sprengel, 
obwohl seine ersten Beobachtungen durchaus selbständig und 
ohne Kenntniss der Koelreuter’schen Forschungen gemacht 
sind, doch weiterhin stark von den letzteren beeinflusst ist. 
Das gilt, glaube ich, sogar von dem Titel seines entdeckten 
Geheimnisses, welcher der Koelreuter’schen Ausdrucksweise 
genau entspricht. Nicht nur im Titel des „entdeckten Ge¬ 
heimnisses der Ivryptogamie“ 2 , sondern auch in der vor¬ 
läufigen Nachricht 8 sowie in der Vorrede zur ersten Fort¬ 
setzung findet sich bei Koelreuter dieselbe Ausdrucksweise 
lur den gleichen Gegenstand. 

Von besonderem Interesse und hervorragender Wichtig¬ 
keit als Stütze der Theorie ist zunächst ein exakter Versuch 
Koelreuter’s an Hibiscus, die Leistungsfähigkeit der Insekten 
bezüglich der Bestäubung zu bestimmen im Vergleich zu 
künstlicher Bestäubung. 4 Trotz theilweise ungünstiger 
Witterung war der Erfolg beider Arten von Bestäubung bei¬ 
nahe gleich. Den süssen Saft der Blumen fasst Koelreuter 
durchaus richtig als Anlockungsmittel für die Bestäubungs¬ 
vermittler auf 5 und beweist seine Identität mit dem Bienen¬ 
honig. Schon der Gedanke, dass die Gestalt und Skulptur 
der Pollenkörner im Zusammenhänge mit der Art der Pollen¬ 
verbreitung stehe, ist von ihm ausgesprochen. Unter den 
Folgerungen aus dem Abschnitt: „De figura antherarum 
pulveris“ findet sich auch folgende: „Pulverem antherarum 
earum praecipue plantarum ac arborum, quorum copula aeris 
medio vel venti ope in distans fit, plerumque globosum ac 

1 Eugler-Prantl, Natürliche Pflanzenfamilien IV, 1, p. 26. 

2 Vgl. auch die Abhandlung über die Blütheneinrichtung der As- 
clepiadeen. Comment. Ac. Theodoro-palatinae III. pbys. p. 54. 

a p. 23 (Pteifer p 21). 

4 Erste Fortsetzung p 6S u. 69 (Pfeffer p. 82). 

5 Vorl. Nachricht p. 22 u. 46 ff. (Puffer p. 20 u. 34 ft.) 


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313 


exiguae valde magnitudinis esse.Pulverem aculeatum 

floribus compositis et malvaceorum fere ordini proprium 
eum in finem potissimum aculeis villisque instructum esse 
videri, ut insectorum corpusculis pilosis eo facilius adhaereat, 
quorum opera pronuba in transferendo eo in Stigmata patentia 
ac rorida, ut in aliis plautis perpluribus, ita singulariter in 
classe Monadelphiarum et Syngenesiarum semper maxima est “. 1 

Von Pflanzen, deren Blütheneinrichtung auf Insekten¬ 
hilfe berechnet ist, nennt Koelreuter in der vorläufigen Nach¬ 
richt ausser Ficus, die er selbst nicht beobachtet hat, vor¬ 
nehmlich die Cucurbitaceen, Iris und die Malvaceen. 

Zu seiner Darstellung der Cucurbitaceen-Bestäubung ist 
kaum etwas hinzuzufügen. Eben dasselbe gilt für Iris, deren 
Narben Koelreuter zuerst entdeckte, und deren Bestäubung 
durch Hummeln er ausführlich und anschaulich schildert. 
Sprengel hat seine Darstellung nur bestätigt, Hermann 
Müller unsere Kenntniss infofern erweitert, als er ausser der 
dem Hummelbesuch angepassten Race von Iris pseudacorus 
noch eine auf Schwebfliegen angewiesene kennen lehrte . 2 Bei 
den Malvaceen nimmt Koelreuter in der vorläufigen Nachricht 
noch Uebertragung des Blüthenstaubes auf die zuständige 
Narbe der gleichen Blüthe an, entdeckte aber später 3 4 die 
Proterandrie, welche Bestäubung mit dem Pollen der gleichen 
Blüthe ausschliesst und Fremdbestäubung unumgänglich 
macht. Diese Entdeckung führt ihn am gleichen Orte zu 
der schon vorher angeführten Aeusserung über die vermuth- 
liche Wichtigkeit der Fremdbestäubung. Schon in der vor¬ 
läufigen Nachricht beschreibt Koelreuter die Dichogamie von 
Epilobium und Polemonium, an welch letzterer sie von 
Sprengel übersehen, von Axel bestätigt wurde.* In der ersten 
Fortsetzung weist Koelreuter auf die Nothwendigkeit der 
Insektenbeihilfe für die Bestäubung der Mistel hin, eine Be¬ 
obachtung, die für uns um so interessanter ist, als wir darin 
noch nicht über Koelreuter hinausgekommen sind, und zwei 

1 Dissertationis de antherarum pulvere continuatio. Mem. de l’Acad. 
imp. de St. Petersbourg UI, p. 197 u. 198. 

2 A. a. 0. p. 67 ff. 

3 Dissertationis de antherarum pulvere continuatio. M6m. l’Acad. 
III, p. 198. 

4 Vgl. Sprengel, p. 109, H. Müller, p. 264. 


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314 


noch neuerdings erschienene Notizen Uber die Bestäubung 
der Mistel erst wieder darauf aufmerksam machen mussten, 
dass dieselbe nicht wind-, sondern insektenblüthig ist . 1 2 * Als 
Bestäubungsvermittler nennt Koelreuter Dipteren, Loew ver- 
muthet Andrenen und Lindman neben letzteren Dipteren. 
Koelreuter hält seine Beobachtung für um so interessanter, 
als er hier eine Pflanze gefunden hat, die in ihrer ganzen 
Existenz von Thieren abhängig ist, in ihrer Befruchtung von 
den Insekten, in der Verbreitung von den Vögeln. 

Die Bestäubung von Sambucus wird in der vorläufigen 
Nachricht auf die Thätigkeit von Blasenfüssen zurückgeführt, 
welche den Pollen auf das Stigma verschleppen, was noch heute 
unseren Erfahrungen über die Bestäubung des Hollunders 
entspricht.* 

Auch die Reizbarkeit der Geschlechtsorgane fasst Koel¬ 
reuter als die Bestäubung begünstigende und insbesondere 
der Insektenhilfe angepasste Einrichtung auf. Bezüglich der 
Compositen mit reizbarer Staubfadenröhre ist das Nähere 
im Vorhergehenden schon mitgetheilt. An der gleichen Stelle 
in der dritten Fortsetzung der vorläufigen Nachricht be¬ 
schreibt Koelreuter auch die Bewegungen, mit welchen die 
Staubfäden von Cacteen, von Helianthemum und Cistus auf 
Berührungsreize reagiren. Er vermuthet, dass auch diese 
Bewegungen, zu denen in der Natur wohl meist die Insekten 
den Anlass geben, die Bestäubung der zuständigen Narbe zum 
Ziele haben. Auch heute harrt die Frage nach der biologischen 
Bedeutung der Reizbarkeit dieser Gebilde ebenso wie nach der 
Art der Bewegung und des Bewegungsmechanismus noch der 
Lösung. Eine eigene Abhandlung behandelt ausführlich die 
Reizbarkeit der Staubfäden bei Berberis . 8 In dieser ist nicht 
nur die Bewegung und die Art der Reaktion auf verschiedene 
Reize, z. B. durch Wassertropfen, Verletzung etc. sehr gut 
beschrieben, auch über den Bewegungsmechanismus sind 
Untersuchungen mitgetheilt und der Bewegung die Rolle 
einer Förderung der Bestäubung zugewiesen. Koelreuter ist 

1 Loew, Bot. Centralblatt XLI1I, 1890, p. 129 ff. und Lindmau. 
Ibid. XLIV, 1890, p. 241 f. 

2 Vgl. Kirchner, Flora von Stuttgart. Stuttgart 1688, S. 669. 

8 Xouvelles observations etc. Nova acta VI, p. 207—216. 


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315 


indess in denselben Fehler verfallen, den später Sprengel* 
beging, indem er die Blütheneinrichtung als Anpassung an 
Selbstbestäubung deutete. Nach H. Müller* wird vielmehr 
das Insekt, das sich auf der die Mitte der Blüthe einnehmen¬ 
den Scheibe niedergelassen hat, durch das Anschlägen der 
von ihm berührten Staubfäden an seinen Kopf beunruhigt, 
so dass es, mit Pollen behaftet, die erste Blüthe verlässt und 
nun beim Aufsuchen einer jeden weiteren Fremdbestäubung 
bewirkt. Von Insekten hat Koelreuter beobachtet grosse 
und kleine Käfer, Fliegen verschiedener Art, Bienen und 
Wespen. „C’est ainsi que la nature parvint 4 son but de 
fecondation et de propagation de notre arbrisseau par le 
moyen de ces petites creatures, que plusieurs faux philo- 
sophes ont regardd avec tant d’ignorance comroe des ßtres 
inutiles. Ces animaux, en gofttant avec delectation le mets 
le plus doux, trouvent non seulement leur propre avantage, 
mais ils pröparent en mßme temps, sans le savoir, un aliment 
futur, tant pour la posterite de leur propre espece, que pour 
tant d’autres creatures, avant leur existence. Voilä un nou- 
vel exemple et qui jusqu’ ä ce jour n’a point 6td reinarqud, 
qui nous prouve clairement l’intimitd entre le regne animal 
et le regne vegetal et la n^cessite de leur connexion dans 
l’dconomie de la nature.“ So schliesst der Aufsatz Koelreuter’s. 

Ebenso wie die Reizbarkeit der Staubfäden betrachtet 
Koelreuter auch die der Narbenlappen, welche er als erster 
bei Martynia annua und Bignonia radicans entdeckte und 
genauer untersuchte*, als Anpassungen an die Bestäubung. 
Er verkannte indess ihre eigentliche Bedeutung als Mittel, 
Bestäubung mit dem Pollen derselben Blüthe zu verhüten 
und Fremdbestäubung zu sichern, und sah ihre Aufgabe 
darin, dass zwischen den zusammengelegten Narbenlappen 
der von Insekten dahingeschleppte Pollen vor ungünstigen 
äusseren Verhältnissen geschützt werde, um so sicherer seine 
befruchtende Wirkung ausüben zu können. Diese Ansicht 
beruhte auf der Beobachtung, dass die Narbenlappen nach 


1 A. a. 0. S. 203 ff. 

* A. a. 0. S. 124 ff. 

8 Dritte Fortsetzung ctc. S. 134 ff (Pfeffer p. 250 ff). 


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316 


einer Schliessung auf mechanische Reize hin sich bald wieder 
öffnen, dagegen nach Belegung mit Pollen geschlossen bleiben. 

Als weitere Beispiele für Bestäubung durch Insekten¬ 
hilfe nennt Koelreuter in der vorläufigen Nachricht noch eine 
grosse Anzahl von Pflanzen, bei denen er im allgemeinen 
Verschleppung des Pollens von den Antheren auf die Narbe 
derselben Blüthe, also Selbstbestäubung durch Insekten an- 
nimmt. Dahin gehören zunächst verschiedene Arten Papaver, 
bei denen schon Koelreuter neben der Thätigkeit der Insekten 
die bei den hierhergehörigen Arten so verbreitete spontane 
Selbstbestäubung bemerkte, die bei P. somniferum ja auch 
von vollem Erfolge ist. Auch bei Nymphaea und Nuphar be¬ 
wirken die Insekten meist Selbstbestäubung, daneben aller¬ 
dings auch Fremdbestäubung. Auch die Paeonien und Citrus, 
bei welch’ letzterer Selbstbestäubung allerdings Fruchtansatz 
bewirkt, rechnet Koelreuter dahin. Hypericum bietet nach 
unserer heutigen Auffassung für Fremd- und Selbstbestäubung 
bei eintretendem Insektenbesuch gleiche Chancen; bleiben 
die Insekten aus, so tritt unvermeidlich spontane Selbst¬ 
bestäubung ein. Bei Oenothera mit vorwiegend Nachtfaltern 
angepasster Blumeneinrichtung hat Koelreuter die bei Epi- 
lobium entdeckte Dichogamie übersehen, ebenso bei Echium, 
wo durch dieselbe und durch die Lage der entwickelten 
Narben Selbstbestäubung, die er noch für möglich und vor¬ 
kommend hielt, weil hin und wieder eine Anthere das Stigma 
berühre, ganz unmöglich gemacht wird. Hyoscyamus hat 
allerdings die Möglichkeit der Selbstbestäubung noch ebenso 
>vie Nicotiana gewahrt 1 , viel wirksamer aber ist die Thätig¬ 
keit der Insekten, wie Koelreuter schon richtig erkannte. 
Auf die letztere sind in erster Linie auch die Arten von 
Convolvulus und von Mirabilis angewiesen; bei beiden ist 
indess auch spontane Selbstbestäubung möglich, bei Mirabilis 
indem der Griffel, nachdem die Narbe eine Zeit lang vor und 
über den Antheren gestanden, also eine der Fremdbestäubung 
durch besuchende Insekten günstige Stellung eingenommen 
hat, sich einrollt und so die Narbe in Berührung mit den 
Antheren bringt 8 . Auch bei dem Löwenmaul (Antirrhinum) 

1 Kerner, Pflanzenleben II, p. 361. 

1 Kermr, A. a. 0. p. 353 f. 


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317 


und bei Scrofularia, zwei dem Insektenbesuch ange¬ 
passten Blumenformen, ist neben Fremdbestäubung durch 
die Besucher spontane Selbstbestäubung durch direkte Be¬ 
rührung der Geschlechtstheile oder dadurch, dass die Narbe 
sich gerade in der Fallrichtung des Pollens befindet, er¬ 
möglicht und, wenigstens bei Scrofularia, von vollem Erfolg 1 . 
Die Polemik Sprengel’s gegen Koelreuter und Medikus 2 be¬ 
züglich der Bestäubung von Scrofularia ist also doch nicht 
ganz berechtigt. 

Gleich heftig poleinisirt Sprengel gegen Koelreuter bei 
seiner Darstellung der Bestäubungseinrichtungen der Ascle- 
piadeen*. Koelreuter hat indessen in seiner zunächst hierher 
gehörigen Abhandlung: Ueber die Befruchtung der Schwalben¬ 
wurz, den Blüthenbau selbst richtiger als später Sprengel 
erkannt. Innerhalb der Krone stehen, alternirend mit. den 
Einschnitten derselben, fünf Nektargefässe von bei den ver¬ 
schiedenen Gattungen verschiedener Form. An die im Innern 
der Bliithe stehende walzenförmige, fleischige Säule sind die 
fünf verbeiterten Staubfäden angewachsen, die zwischen sich 
eine schmale Spalte lassen. In den Antheren ist der Pollen 
in wachsartige Massen zusaminengeballt, und je die rechte 
und linke Pollinie zweier benachbarter Antheren hängt durch 
ein gelbliches Stielchen mit einem hornartigen schwarzen 
Käppchen zusammen, welches sich über der Spalte zwischen 
den Staubfäden befindet. Nimmt man das letztere weg, so 
folgen auch die Pollinien; Koelreuter vergleicht das Gebilde mit 
einer Wage, bei der das Käppchen die Zunge, die Stielchen 
der Pollinien den Wagebalken und letztere selbst die Ge¬ 
wichte vorstellen. Die Pollinien hält er mit Recht für äqui¬ 
valent den Pollenkörnern. Sprengel hält mit Jacquin den 
fleischigen Knopf in der Mitte der Blüthe, welcher die weib¬ 
lichen Geschlechtstheile bedeckt, für die wahre Narbe, Koel¬ 
reuter dagegen hat richtig erkannt, dass diese unter dem 
Knopf sich befindet und von der fleischigen Säule ein¬ 
geschlossen ist. Der Bestäubungsmechauismus aber ist 
Koelreuter entgangen, dagegen, zum Theil wenigstens, von 

1 Vgl. Kirchner, a. a. 0. p. 580. H. Müller, a. a. 0. p. 280—283. 

1 Sprengel, a. a. 0. p. 36. 

8 A. a. 0. p. 140 ff. 


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318 


Sprengel richtig gedeutet, während er in voller Klarheit erst 
von Hildebrand und Delpino erkaunt wurde 1 . Koelreuter 
glaubte, dass die befruchtende Materie, das an den Pollen 
hängende Oel, von der inneren Oberfläche der Beutelchen, 
in dem die Pollinien stecken, aufgesogen und so durch das 
Gewebe zu den mit dem schwammigen Körper der fleischigen 
Säule verwachsenen Griffeln hingeleitet werde, allerdings eine 
eigenthümliche Theorie. Heute wissen wir, dass die schwarzen 
Käppchen, wie Koelreuter sie nennt, Klemmkörper sind, in 
welchen sich die Insekten mit Beinen oder Rüsseln fangen. 
Sie reissen dann die Klemmkörper sammt den an ihnen 
hängenden Pollinien los und bringen diese beim Besuch 
anderer Blüthen in eine der fünf Spalten der fleischigen 
Säule, wo sie an der dort allein zugänglichen Narbe hängen 
bleiben. 

Interessant ist es, dass, wie Sprengel und ebenso Del¬ 
pino von der Beobachtung der Orchideenblüthe aus die richtige 
Deutung der Blütheneinrichtung bei den Asclepiadeen fanden, 
so Koelreuter vor ihnen den umgekehrten Weg machte. Er 
schloss von seiner Deutung der Asclepiadeenblüthe auf die 
Orchideen, bei denen er die Pollinien ebenfalls richtig erkannte. 
Leider ist die in der Abhandlung über die Schwalbenwurz ver¬ 
sprochene Beschreibung der Orchideenblüthe nicht publicirt. 

Schon in der eben erwähnten Arbeit theilt Koelreuter 
mit, dass die Periploca graeca L. eine Ausnahme von dem 
gemeinsamen Typus der Blütheneinrichtung unter den Ascle¬ 
piadeen macht. Er beschreibt dieselbe in den „Observationes 
quaedam circa vera Stigmata et fructificationem Periplocae 
graecae L. 2 “. Auch hier ist die Blütheneinrichtung durch¬ 
aus richtig erkannt, der Bestäubungsmechanismus indess ganz 
falsch gedeutet. Zwischen den fünf Staubfäden, die mit der 
centralen fleischigen Säule und auch, wenigstens die Antheren, 
unter sich verwachsen sind, befinden sich fünf Löcher, durch 
welche man fünf weisse, mit einer klebrigen Feuchtigkeit über¬ 
zogene, glänzende Köpfchen (capitula) sieht, die Griffe der 


1 Vgl. insbesondere F. Hildebrand, Delpino’s Beobachtungen über 
<lie Bestäubungsvorrichtungen bei den Phanerogamen. Bot. Ztg. 1867, 
No. 34 (p. 265 ff). 

2 Nova acta X, p. 407—413. 


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319 


Ketinacula, die Koelreuter allerdings falsch als Nektarien zu 
deuten geneigt ist. Der ein wenig verbreiterte Griff hängt 
nach oben hin mittels eines kurzen dünneren Stielchens mit 
einem löffel- oder spatelförmigen, oben ausgerandeten Plätt¬ 
chen, der Schaufel, zusammen. In Blüthen mit noch ge¬ 
schlossenen Antheren, ist die Schaufel von einer glänzenden 
klebrigen Flüssigkeit bedeckt, in älteren Blüthen mit Pollen, 
der aus den gerade über der Schaufel stehenden Fächern 
zweier Antheren, der rechts und links benachbarten, darauf 
gefallen ist. Der Pollen ist nämlich bei Periploca nicht zu 
Pollinien vereinigt, sondern staubförmig und besteht aus zu 
je vier verwachsenen Körnern. Von dem Pollen sowohl wie 
von den Retinakeln gibt Koelreuter gute Abbildungen. 
Leider verfällt er auch hier wieder in den Irrthum, die 
Schaufeln für die wahren Stigmata zu halten, von denen 
aus der männliche Befruchtungsstoff zu den mit dem fleischi¬ 
gen Narbenkopfe verwachsenen Griffeln und durch diese in 
das Ovar geleitet werde. In Wahrheit ist auch hier die 
Einrichtung eine Anpassung an die Insekten, welche den 
Rüssel in die fünf Oeffnungen zwischen den Staubfäden 
hineinstecken und beim Zurückziehen unfehlbar die klebrige 
Innenseite des Griffes berühren, der auf diese Weise sammt 
dem Löffel voll Pollen davon getragen wird. In der näch¬ 
sten Blüthe, welche das Insekt besucht, reibt es dann die 
Schaufel mit dem Pollen bei der gleichen Thätigkeit unfehl¬ 
bar an der Unterseite des Narbenkopfes, wo sich die Stig¬ 
mata befinden, und bewirkt so Fremdbestäubung 1 . 

Auch bei einer Pflanze, deren complicirte Bestäubungs¬ 
verhältnisse Darwin zu einer seiner schönsten Arbeiten ver¬ 
anlasst haben 2 , bei Lythrum salicaria, hat Koelreuter schon 
wenigstens einen Theil ihrer eigentümlichen Blüthenein- 
richtung erkannt und zwar den Farbenunterschied des Pollens 
von den längeren und den kürzeren Staubfäden. So gering¬ 
fügig diese Beobachtung ist, so wird sie bemerkenswert 

1 Hildebrand, a. a. 0. Bot. Ztg. 1867, p. 273. 

* Darwin, On Lythrum salicaria, Journal of the proceeding of the 
Linnean society VIII, 1864, p. 31 ff und 169 ff. On the character and 
hybridlike nature of the offspring from the illegitimate unions of dimor- 
phic and trimorphic plants. Ibid. X, p. 393 ff. Vgl. Müller, a. a. 0. 
p. 191-196. 


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320 


durch die Fragen, die er daran knüpft: „An majores ad 
germen foecundandura prae minoribus magis idonei ? an vero 
utrarumque symbola ad bunc actum necessaria? En singu- 
larissimum in regno vegetabili phaenomenonUnd diese 
Fragen rufen noch einmal das Bedauern in uns wach, dass 
dem grossen Beobachter und Experimentator in der zweiten 
Hälfte seines Lebens jede Gelegenheit und Möglichkeit zur 
Fortsetzung seiner Versuche und Beobachtungen genommen 
war. Er hätte gewiss zu den früheren Leistungen, die ihn 
zum bedeutendsten Physiologen des vorigen Jahrhunderts 
machen und ihn in die Zahl unserer grössten Biologen über¬ 
haupt einreihen, noch weitere, nicht minder bedeutsame hin¬ 
zugefügt. 

Karlsruhe, Februar 1894. 


1 Contiuuatio dissertationis de pulvere antherarum. Nova acta XV, 
p. 375. 


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Die Gloeken und ihre Töne. 

Von Geb. Hofratb Prof. Dr. Schell. 

Die ältesten Techniker, die Phönizier, übten die Kunst, 
grosse Bronzeraassen zu giessen, bereits mit Virtuosität. Sie 
gossen, wie wir noch heute, in Lehmformen. Von dem Phö¬ 
nizier Hiram rührten die Bronzebilder im Tempel Salomo’s 
her und er hat das eherne Meer, gleichfalls auf Salomo’s 
Veranlassung, gegossen. Es war ein gegen 5 Meter weites, 
2,5 Meter hohes und 3 Centimeter dickes Opferbecken in 
Form einer niedern Glocke und ist an Grösse nur von zwei 
russischen Glocken übertroffen. Die Chinesen besassen seit 
2255 v. Chr. Glocken und Glockenspiele; im assyrischen 
Nimrod-Palast fand man 24 Glocken von 5—8 Centimeter 
Durchmesser, welche wahrscheinlich zu Opferzwecken dienten. 
Auch die jüdischen Priester bedienten sich der Handglocken, 
um den Beginn des Gottesdienstes anzuzeigen. Die Römer 
machten bereits ausgedehnten Gebrauch von den Glocken zur 
Bezeichnung der Stunden. Die ersten christlichen Gemeinden 
des Orients, sowie die Klöster dortselbst brauchten zu kirch¬ 
lichen Zwecken nicht Glocken, sondern die Tuba und gewisse 
Klapperinstrumente, wie ein Brett oder Blech, welches, auf 
dem linken Arm ruhend, mit einem Hammer an verschiedenen 
Stellen in wechselndem Rhythmus angeschlagen wurde. 

Im Abendlande kommt bei Gregor von Tours im 6. Jahr¬ 
hundert ein „signum“ zur Bezeichnung der Stunden des 
Gottesdienstes vor, welches mit einem Seile bewegt wird. 
Man glaubt diese Stelle auf die Glocken deuten zu dürfen, 
um so mehr, als signum ecclesiae der spätere Name der 
Kirchenglockcn ist. Der Abt Walafrid Strabo des Klosters 
Reichenau sagt, dass Campanien, wo viel Erz und die Kunst 
des Giessens bekannt war, die Heiinath der Glocken sei 
Die Glocke heisst lateinisch: campana oder nola; der letztere 

21 


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322 


Name rUhrt aber nicht von der gleichnamigen Stadt Cam- 
paniens her, sondern ist keltischen Ursprungs (noll heisst 
„tönen“ und noch heute heisst im Englischen knoll soviel als 
läuten). Die Nachrichten, dass Bischof Paulinus von Nola 
und Papst Sabinianus im 7. Jahrhundert die Kirchenglocken 
eingeftthrt haben, sind nicht sicher, doch steht so viel fest, 
dass damals der Gebrauch der Glocken allgemeiner wurde 
und man anfing, eine Glocke zwischen zwei steinernen Pfosten 
an der Giebelmauer der Kirche aufzuhängen. Die Gemeinden 
hatten übrigens meist nur eine einzige Glocke. Die Glocken- 
thürme sind aus dem Bedürfniss oder dem Luxus mehrerer 
Glocken entsprungen. 

Der Ton geläuteter Glocken von einiger Tiefe macht 
einen gewaltigen Eindruck auf das Gemüth des Menschen. 
Es ist eine feierliche Stimmung, aber unter Umständen auch 
Angst und Schrecken, die ihn ergreifen, wenn die Glocke tönt. 
Die Kirche, die bürgerliche Gemeinde und der Staat ver¬ 
wenden bei den mannigfachsten Veranlassungen das Glocken¬ 
geläute. Auch die Musik bedient sich zuweilen der Glocken, 
indess nur selten als selbständiges Kunstmittel. In früheren 
Zeiten liebte man die Glockenspiele. Ein Manuskript des 
Klosters St. Blasien aus dem 6. Jahrhundert enthält eine 
Zeichnung, in welcher ein Mönch ein Glockenspiel von fünf 
kleinen Glocken mit einem kleinen Hammer spielt. Solche 
Glockenspiele (meist von vier Glöckchen, daher quadrilio, 
französisch carillon genannt) waren in den Klöstern neben 
dem Monochord sehr üblich, vermuthlich um die Tonica der 
Kirchentöne beim Gesangsunterricht anzugeben. Hieran 
knüpft sich eine Spielerei, welche bis in die Neuzeit mannig¬ 
fach geübt worden ist, die kombinatorische Lösung der Auf¬ 
gabe, melodische Tonfolgen mit vier, fünf, sechs und mehr 
Glockentönen zu finden. Ein englischer Buchdrucker, Fabian 
Stedmaqn (geb. 1631 zu Cambridge) hat hiezu eine Anleitung 
geschrieben und die Sache zu einem belustigenden Spiele 
gemacht. Es wurde zu einer Art Manie, dass Gesellschaften 
junger Männer unter besonderen Vorständen in Stadt und 
Land herumzogen und auf den Kirchthürmeu unermüdlich 
zum Zwecke dieser kombinatorischen Spielerei und zum Aerger 
der Einwohner die Glocken anschlugen und sämmtliche Per- 


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323 


Imitationen derselben durchprobirten und zwar noch dazu in 
-den mannigfachsten Rhythmen. Die Glockenspiele kamen 
zuerst in England auf. 1487 wurde in Alost ein solches 
.aufgestellt. Man hatte sie von vier und mehr Oktaven, An¬ 
fangs diatonisch, später auch mit chromatischen Tönen. Die 
Vorrichtung für das Spiel war sehr einfach. Am untern 
Ende des Klöppels wurde ein Seil befestigt und dies hori¬ 
zontal an einem Haken aufgehangen; ein zweiter Strang, in 
der Mitte des Seiles befestigt, lief durch den Fussboden des 
Glockenthurmes hinunter zu einer Art Taste, welche mit der 
Faust geschlagen oder mit den Füssen getreten wurde. Die 
ganze Glockenreihe konnte auf diese Weise mit einer Art 
Manual- oder Pedalklaviatur gespielt werden. Die Künstler, 
welche hierfür angestellt waren, heissen Kampanisten. Später 
liess man die Glocken durch Hämmer von aussen anschlagen, 
•die durch Abstrakten mit der Klaviatur in Verbindung standen. 
Dieser Art waren auch die Glockenspiele der Orgeln. Sie 
Messen Cymbeln (Cymbalum heisst Glocke) und ihre Glocken 
•waren alle an ein und derselben horizontalen Axe befestigt. 
JEs mag in diesen Cymbeln vielleicht die allererste Idee zur 
Erfindung des Hammerklaviers zu suchen sein. Noch später 
setzte man die Kompositionen für die Glockenspiele auf eine 
Walze und liess sie durch Drehung derselben nach Art der 
Drehorgel spielen. Am verbreitetsten waren die Glockenspiele 
in Holland. Der berühmte Glockengiesser Hemony in Züt- 
phen hat zwischen 1645 und 1655 viele Glockenspiele von 
15—26 Glocken gebaut. Von ihm ist auch das auf dem 
Schlossthurme zu Darmstadt mit 28 Glocken. Das Glocken¬ 
spiel in Antwerpen hat 90, das in Delft 800 Glocken. Auch 
•die Franklin’sche Glasharmonia gehört unter die Glockenspiele. 
Das Material der Glocken heisst das Glockengut oder die 
Glockenspeise. Das frühere Mittelalter hat zwei Arten Glocken, 
geschmiedete von Eisen oder Bronze und solche aus gegossener 
Bronze. Die ältesten waren aus Eisenblech; es finden sich 
solche in Irland, hie und da auch in Deutschland. Das 
städtische Museum in Köln bewahrt eine solche aus dem 
Anfang des 7. Jahrhunderts. Sie ist aus drei Platten mit 
kupfernen Nägeln zusammengenietet; ihr Rand ist elliptisch 
und die Axen der Ellipsen und die Höhe der Glocke stehen 

21 * 


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324 


im Verhältniss von 3:2:4. Die Glockenspeise ist eine 
Legirung von Kupfer und Zinn, für grosse Glocken vom 
spezifischen Gewichte 8,8 bis 8,9. Nur die bedeutendsten) 
Glockengiesser haben sich indessen um letzteres gekümmert; 
die meisten mischen verschiedenes Glockengut untereinander 
auch mit Kanonenmetall zusammen und urtheilen nach dem 
Bruche von Probestängelchen, jeder nach seiner eigenen Er¬ 
fahrung. Das günstigste Mischungsverhältniss von drei Theilen 
Kupfer und zwei Theilen Zinn rührt aus dem Alterthum her; 
es gibt den schönsten Ton; 4:1 ist das schlechteste. Letz¬ 
teres liefert das weiche Metall der Hausglocken. Bei 3:1 
ist das spezifische Gewicht 8,9; das Metall steht in der Mitte 
zwischen glasig-muscheligem und krystallinischem Bruche. 
Für mittelgrosse Glocken ist es sehr geeignet, für grosse 
etwas zu brüchig. Die grosse Westmünsterglocke, von Denison 
gegossen, hat das Mischungsverhältniss 22 :7. Kupfer wird 
durch Zusatz von Zinn härter und wächst Anfangs die Härte 
mit zunehmendem Zinngehalte; es ist gelblichweiss bis weiss. 
Dann nähert es sich aber unter wachsender Sprödigkeit 
der Stahlhärte bei krystallinischem Bruche und wird blau¬ 
weiss. Bei weiterem Zinnzusatz nimmt die Sprödigkeit wie¬ 
der ab, das Metall wird dehnbarer und gelbweiss; bei geringem 
Kupfergehalt erscheint es als gehärtetes Zinn und wird, mit 
etwas Antimon versetzt, für Hausglocken sehr brauchbar (im 
Verhältniss von Kupfer zu Zinn, wie 1:19). 

Der Ton der Glocke hängt ausser von der Form und 
Dicke sehr wesentlich von ihrem Gewichte ab. Innerhalb 
gewisser enger Grenzen liefert ein gegebenes Gewicht nur 
einen guten Glockenton, den zu finden, auch heute noch die 
schwierige Aufgabe des Giessers ist. Durch Umgiessen wächst 
die Dichtigkeit und wird ein weiterer Zusatz an Zinn noth- 
wendig; damit ändert sich aber der Ton. Spröde Glocken 
von einiger Grösse springen heim Anschlägen des Klöppels 
und müssen umgegossen werden. Oft feilt man den Sprung 
so weit aus, dass die Ränder beim Tönen nicht zusammen¬ 
schlagen; natürlich ändert sich auch hierdurch der Ton. 
Auf die Elastizität des Gusses und damit auch auf den Ton 
hat die Schnelligkeit des Einströmens der Masse in die Form 
und die Einwirkung der Luft im Ofen, d. h. der Oxyda- 


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325 


tionsprozess des Metalls Einfluss. 20 Minuten genügen im 
Allgemeinen, um einen guten Guss ohne Blasen zu erhalten, 
■wenn die Einflussöffnung hinreichend weit ist. 

Genauere Untersuchungen darüber, wie die Tonhöhe der 
Glocken unter übrigens gleichen geometrischen Verhältnissen 
mit dem Material, dessen Elastizität mit dem spezifischen 
Gewicht variirt, liegen bis jetzt nicht vor. Diese Aenderun- 
gen können sehr bedeutend sein. Man hat Aluminium als 
Zusatz gewählt, jedoch ohne Erfolg. Dagegen hat sich seit 
dem 17. Jahrhundert Gusseisen als brauchbar erwiesen, wenn 
•es auch rauh im Ton ist. Nicht ganz zu verachten sind 
die seit 1852 von Bochum zu beziehenden Gussstahlglocken, 
wenigstens für mässige Anforderungen an die Tonschönheit. 
Stahlstäbe können keinen Ersatz bieten für Glocken; sie 
tragen den Ton nicht weit. 

Die heutige Form der Glocken hat sich bis jetzt als 
die zweckmässigste erwiesen. Die dickste Stelle, nämlich die, 
an welcher der Klöppel anschlägt und wo die Glocke den 
grössten Widerstand zu leisten hat, heisst der Schlagring; 
mit der Dicke daselbst, am sogenannten Schlag, als Ein¬ 
heit werden alle anderen Dimensionen der Glocke gemessen. 
Das Glockenprofil (die Projektion der Glocke auf eine Ebene 
ihrer Axe) heisst die Rippe. Ihre Konstruktion ist erfah- 
rungsmässig innerhalb gewisser, etwas dehnbarer Grenzen 
festgestellt, wechselt aber von Nation zu Nation, in kleinen 
Differenzen von Meister zu Meister und selbst von Glocke 
zu Glocke. Der grösste Durchmesser, der der Mündung, 
beträgt ll s / 4 , 12, 13, 14, 15 Schläge, bei den ältesten und 
grössten Glocken beträgt er ll*/ 4 bis 12, bei neueren deut¬ 
schen 14 Schläge, bei französischen 15. Die französischen 
sind die dünnsten und tragen den Ton nicht in grosse Ferne. 
Eine rationell begründete Konstruktion der Rippe existirt 
nicht; dazu hat bis jetzt sogar die heutige Theorie der 
Schwingungen elastischer Glocken noch nicht zu führen ver¬ 
mocht. Der oberste Theil der Glocke heisst die Haube oder 
Platte; ihr Durchmesser ist die Hälfte vom Durchmesser der 
Mündung. Die Haube hat nach oben eine Verstärkung 
behufs solider Befestigung des Henkels. Die gerade Linie 
vom unteren Glockenrande nach dem Rande der Haube 


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. 326 


gezogen, heisst die Standlinie, ihre Neigung gegen de» 
Durchmesser der Mündung bestimmt die Höhe der Glocke- 
Auf der Standiinie werden an bestimmten Stellen Ordinaten 
von vorgeschriebener Länge errichtet, um feste Punkte des 
mittleren Theiles der Rippe, des Glockenhalses, zu gewinnen. 
Sie bestimmen zugleich die Schweifung der Glocke, welche 
aus Kreisbogen mit bestimmten Radien zusammengesetzt 
wird. Bei der englischen Rippe ist die innere Schweifung 
gewöhnlich etwas mehr als ein Quadrant einer Ellipse. Auch: 
die Dicken werden nach bestimmten Normen aufgetragen, 
um die innere Form der Rippe mit Hilfe von Kreisbogen 
konstruiren zu können. Die Schweifung variirt stark bei 
den Meistern. Die ersten Glocken waren kegelförmig; sie 
hatten einen kurzen Klang. Man näherte die Form dem 
Zylinder und bog den Glockenrand nach aussen. Der Ton 
ward besser und man sparte ausserdem an Metall, indem, 
man die Glocken nach oben mehr zusammenzog. 

In Bezug auf die Töne der Glocke unterscheidet man- 
ihren Hauptton und die Nebentöne. Der Hauptton ist der 
Ton, den man beim Läuten der Glocke am auffallendsten 
hört, die Nebentöne, theils höhere, theils tiefere, bemerkt 
man erst, nachdem die Glocke einige Zeit geläutet wurde. 
Die Nebentöne wechseln mit der Stellung des Ohres gegen 
die Glocke. Fällt die Axe des Ohres nahezu in die Ebene 
des Glockenrandes, so hört man den Hauptton stärker und 
die Nebentöne schwächer; ist die Axe des Ohres senkrecht 
zu dieser Ebene, so findet das Umgekehrte statt. Die von 
einer Mauer reflektirten Glockentöne sind höher, wenn man 
ler Mauer näher steht, und sinken mit der Entfernung des- 
Beobachters von derselben. Bei langsamem Läuten werden 
die Nebentöne deutlicher gehört, als bei raschem. Bei sehr 
zahlreichen Schlägen in der Minute verschmelzen sie in einen 
schrillen Ton von starkem Nachhall, der oft drei Oktaven 
höher ist, als der Hauptton. Auch macht es einen Unter¬ 
schied, ob die Glocke geläutet, oder von aussen mit einem 
Hammer angeschlagen wird. Im letzteren Falle sind din 
Nebentöne weniger deutlich. Beim Läuten entsteht auch 
das sogenannte Wallen des Tones, eine Art von Tremoliren 
oder Beben desselben. Da der Klöppel nicht am Rand& 


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anschlägt, so ist begreiflich, dass auch tiefere Töne zum 
Erklingen kommen. Schlägt man die Glocke leise mit dem 
Fingerknöchel in verschiedenen Höhen an, so erhält man 
verschiedene Töne. Man hat dieselben zu ordnen und die 
Schweifung so zu führen gesucht, dass einzelne von ihnen 
als hellklingende Nebentöne auftreten. An der Haube an¬ 
geschlagen, wo der Glockendurchmesser die Hälfte der Mün¬ 
dung beträgt, gibt die Glocke die Oktave des Haupttones; 
ist der Durchmesser des Halses in */ a der Höhe, von oben 
gerechnet zugleich */ t von dem der Mündung, so erhält man 
die grosse Terz, bei */ 3 gibt die Glocke die reine Quinte. 
Die Lage dieser Stellen hängt natürlich von der Konstruktion 
der Rippe ab. Die Glockengiesser suchen zu bewirken, dass 
die Glocke die grosse und kleine Terz und die reine Quinte 
als Nebentöne des Läutetones hören lasse und unterscheiden 
in Bezug auf die Terz Dur- und Mollglocken. Eine ordent¬ 
liche Theorie der Glockenobertöne gibt es bis jetzt noch 
nicht. Untertöne machen sich gleichfalls geltend; von ihnen 
aber wird heutzutage noch gar nicht geredet. Wenn die 
grosse Terz und reine Quinte bei allen Glocken eines Ge¬ 
läutes als Nebentöne Vorkommen, so hat dies einen stark 
dissonirenden Einfluss und wird man wohl thun, in gewissen 
Fällen die Quarte an Stelle der Terz einzuführen. 

Euler glaubte, dass die Glocke in Ringen schwinge und 
kreisförmige Knotenlinien sich auf ihr bildeten. Chladni 
widerlegte diese Ansicht, experimentell und zeigte, dass 
nur Meridianschnitte als solche auftreten und die Knoten¬ 
linien die Glocke regelmässig abtheilen. Ihr Zusammenhang 
mit den Obertönen scheint ihm aber entgangen zu sein. 
Melde hat sie auf sehr elegante Weise sichtbar zu machen 
gelehrt (s. dessen Akustik). Die Theorie der Obertöne lässt 
übrigens noch viel zu wünschen; insbesondere ist die Be¬ 
stimmung des zweiten noch sehr zweifelhafter Natur. Der 
Grund, dass noch viele akustische Fragen über die Glocken 
heute noch nicht genügend beantwortet werden können, liegt 
vor Allem darin, dass man mit grossen Glocken zu experi- 
mentiren kaum Gelegenheit findet und kleine Glocken, wie 
die von Luftpumpen etc., nicht hinreichend tiefe Töne geben. 
In Bezug auf die absolute Tonhöhe der Glocke ist man leicht 


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Täuschungen uin eine, oder auch zwei Oktaven unterworfen. 
Die Meisten taxiren den Hauptton zu tief. Hemony verlangt, 
dass jede gute Glocke drei Oktaven, die grosse und di« 
kleine Terz und die reine Quinte hören lasse. 

Wenn zwei Glocken von gleichem Material (spezif. Ge¬ 
wicht) geometrisch einander ähnlich sind, so verhalten sich 
die Schwingungszahlen ihrer Haupttöne, wie die Darch- 
messer ihrer Mündungen, überhaupt wie homologe Linien. 
Dies Verhältniss ist gleich dem der Kubikwurzeln aus ihren 
Gewichten. Hienach kann man die Gewichte der Glocken 
eines Glockenspiels durch das der tiefsten Glocke bestimmen. 
Die Gewichte ähnlicher Glocken wachsen daher sehr rasch 
mit der Tiefe. So fordert bei dem Mischungsverhältniss 
78: 22 der Glockenspeise das c* nahezu 7,17 Zentner, c, schon 
57,36 Zentner, c weiter 458,88 Zentner und C 3681,24 
Zentner. 

Auch in Bezug auf den Guss der Glocken mag Einiges 
erwähnt werden. Die Form wird aus Lehm gebaut, der mit 
Flachs oder Kälberhaaren zusammengeknetet ist. Sie wird 
in einer genügend grossen, viereckigen tiefen Dammgrube 
aufrecht gebaut. Ein Pfahl in der Mitte der Grube bezeich¬ 
net Zentrum oder Axe des ganzen Mauerwerks; um ihn 
herum wird kreisförmig das Fundament, der sogenannte 
Stand der Form aus Ziegelsteinen gemauert. Auf diesem 
erhebt sich ein runder Ofen im Innern der ganzen Form, 
mit vier Zuglöchern, welche durch das Fundament führen. 
Diesem Ofen wird der Kern der Form aufgemauert, der sich 
der innern Form der Glocke anschmiegen muss. In den¬ 
selben ist ein plattes Eisen quer über den Ofen vermauert 
mit einer Pfanne, in welcher sich das Ende einer vertikalen 
Spindel dreht, deren oberes Ende in einen quer über der 
Grube befestigten Balken, den Vorrichtbaum, eingezapft ist. 
Diese Spindel bildet mit der an ihr befestigten und um sie 
drehbaren Schablone den sogenannten Zirkel, mit Hilfe dessen 
der Lehmform ihre genaue Gestalt gegeben wird. Diese 
Schablone ist nach dem Innern der Glocke ausgeschnitten 
und bestimmt zunächst die Gestalt des Kernes der Form. 
Der Ofen wird geheizt und der Kern getrocknet, nachdem 
er bis auf eine Oeffnung oben fertig gemauert ist. Hierauf 


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'wird der Kern geäschert, d. h. mit einer Tünche aus ge¬ 
siebter Asche und Bier überstrichen. Sodann wird weiterer 
Lehm mit den Händen aufgetragen, um das sogenaunte Hemd 
zu bilden, welches vorläufig den Raum einnimmt, den beim 
Guss der Glocke das Metall ausfülien soll. Während dessen 
wird die Schablone nach der äusseren Form der Rippe aus¬ 
geschnitten und wieder an der Spindel befestigt. Nachdem 
das Hemd sorgfältig getrocknet und mit der Schablone aller 
überflüssige Lehm abgestrichen ist, wird dasselbe mit Talg 
und Wachs überzogen, nochmals mit der Schablone abge¬ 
strichen und werden die Verzierungen und die Inschrift auf¬ 
getragen. Nachdem dies Alles vollendet und vollständig 
getrocknet ist, fehlt blos noch der Mantel. Er wird auf den 
Talg in der Dicke von einem Schlage in Lehm aufgetragen. 
Vorher ist aber das Hemd mit einer Mischung aus sehr feinem 
Thon und Ziegelmehl, mit Bier angemacht, mehrmals über¬ 
strichen worden, damit es nicht an dem Mantel festhafte. 
Nachdem der Mantel aufgetragen und durch Kohlenfeuer ge¬ 
trocknet ist, wobei der Talg und das Wachs schmilzt, sich 
in den Lehm hineinzieht und einen leeren Raum zwischen 
Hemd und Mantel lässt, wird der Mantel in die Höhe ge¬ 
wunden (abgebunden), das Hemd abgelöst, sodann der Mantel 
wieder sorgfältig auf den Stand niedergelassen und mit Erde 
und Asche in der Grube verrammt. Zwischen Mantel und 
Kern ist jetzt der bisher von dem Hemde eingenommene 
leere Raum, den nun das Glockenmetall einzunehmen hat. 
Der Schmelzofen ist in der Nähe der Grube und aus ihm 
strömt dieses nach Ausstossung des Zapfens durch das Giess¬ 
loch und die aus Ziegelsteinen gemauerten Giessrinne in die 
Form ein. Nach 20 Minuten ist der Guss beendet, nach 
weiteren 24 Stunden ist die Glocke erkaltet und kann aus 
der Grube herausgewunden werden. Sie wird mit Sand ab¬ 
gerieben und ist vollendet. 

Die Glockenprobe hat vor Allem die Reinheit des Gusses 
zu konstatiren, sichtbare Porositäten sind Grund genug, die 
Glocke zurückzuweisen. Dann muss die Glocke geläutet 
werden, um den Ton und ihre Ausdauer zu prüfen; denu 
viele Glocken springen bei ihrem eisten Gebrauch. Viele 
lassen 24 Stunden Probe läuten. Weniger lästig und in 


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330 


allen Fällen genügend ist eine Garantie für ein Jahr, nach 
dessen Ablauf erst die Zahlung fällig wird. Das Gewicht 
des Klöppels soll nur i j M vom Gewichte der Glocke betragen; 
die Hämmer für den Stundenschlag der Uhr sollen mehr als 
V« wiegen und ihr Hub soll 30 Centimeter betragen, damit 
der Stundenschlag weithin hörbar sei. Der Klöppel wird 
nicht gegossen, sondern von weichem Eisen geschmiedet. Ein¬ 
gehängt wird er mittelst Riemen von Rindsleder, die am 
Ende zugeschnallt werden. Der bimförmige Ball desselben 
hat einen Durchmesser von l /3 Schlag. Der untere Rumpf 
dient zur Umschlingung des Seiles, wenn die Glocke bloss 
angeschlagen werden soll, bei grossen Glocken auch zum Fest¬ 
halten des Klöppels zu Anfang und Ende des Läutens. 

Für den Mechanismus des Läutens hat man viele sehr 
sinnreiche Einrichtungen. Viele grössere Glocken werden mit 
Hilfe eines Schwungrads geläutet, das auf der Glockenaxe 
sitzt und am Rande mit zwei Rinnen versehen ist, in denen 
die Glockenstränge laufen. Zum Läuten gehört das regel¬ 
mässige Penduliren der Glocke und des Klöppels. Dies ist 
von der relativen Lage der Schwerpunkte dieser beiden Theile 
abhängig. Glocke und Klöppel bilden ein Doppelpendel: es 
kann sich ereignen, dass beider Schwerpunkte so liegen, dass 
beide Theile nicht wie zwei mit einander beweglich verbundene 
Körper, sondern zusammen wie ein einziger Körper schwingen. 
In diesem Falle ist das Anschlägen des Klöppels an die 
Glocke unmöglich und die Glocke kann nicht geläutet werden. 
Dies trat bei der 500 Zentner schweren Kölner Kaiserglocke 
ein. Ausser dem eigentlichen Läuten der Glocke bedient 
man sich auch des „Beierns“ derselben, wobei die Glocke 
nicht schwingt, sondern bloss der Klöppel an sie anseblägt. 

Grössere Kirchen haben nicht eine Glocke, sondern ein 
ganzes Glockengeläute. Man unterscheidet harmonische und 
melodische Geläute. Erstere geben den harten oder weichen 
Dreiklang an. Bei ihnen sind die Nebentöne sorgfältig zu 
berücksichtigen. Nicht alle Glocken des Geläutes dürfen die 
grosse Terz hören lassen, sonst entsteht unangenehmes 
Schwirren. Bei zwei Glocken hat man Kombinationen wie 
CD, CE, CF; bei dreien, wie CDE, DEF, CDF, CEG (sehr 
häufig), DFA etc.; bei vieren, wie CDEF, DEFG, CEFG, 


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DFGA, CEGA; bei fünfen, wie CDEFG, DEFGA, CEFGA» 
CDEGA, DEGAH, CEGBc u. s. w.; bei acht Glocken: 
CDEFGAHc (Reims), CEGBHcde (Aachen). 

Das Geläute der Karlsruher Stadtkirche ist: b, des,, 
f, t asj, C 2 , es*, b„ des 3 . Es enthält eine schöne Mischung 
harter und weicher Dreiklänge, mannigfacher Septimen- und 
Nonenakkorde etc. Es ist seiner Grundidee nach offenbar 
so konstruirt, dass von unten nach oben kleine und grosse 
Terzen abwechselnd über einander gesetzt wurden. Die beiden 
kleinsten Glocken sind später zugefügte, nicht dem ursprüng¬ 
lichen Geläute angehörig. 

Die Litteratur über die Glocken ist ziemlich reichhaltig, 
was geschichtliche Notizen betrifft, aber arm in Bezug auf 
die Töne der Glocken und ihre Zusammensetzung zum 
Geläute, hinsiohtlich des Metalles und ihres Gewichtes, sowie 
der Art ihrer Aufhängung. 

Professor Schafhäutl in München hat die Münchener 
und viele andere Glocken sorgfältig untersucht und in einer 
Abhandlung Uber die Uhr und die grosse Glocke im Par¬ 
lamentsgebäude in London sehr werthvolle Mittheilungen 
über die Töne der Glocken und die Kunst des Glocken- 
giessens gegeben (siehe Kunst- und Gewerbeblatt, heraus¬ 
gegeben vom polytechnischen Verein für das Königreich 
Bayern, B. 46, München 1868, S. 326. u. ffg.). Von 
neueren deutschen Werken ist Otte, Glockenkunde, 2. Aull., 
Leipzig 1884, zu erwähnen, woselbst auch sehr sorgfältige 
Litteraturangaben zu finden sind. 


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Die Lehre von der Immunität 

Von Dr. med. K. Doll. 

Meine Herrn! Ich möchte mir erlauben, Ihnen im Fol¬ 
genden ein Referat über den derzeitigen Stand der Lehre 
von der Immunität zu geben. Es handelt sich dabei um Er¬ 
scheinungen, die das Interesse namentlich der Aerzte von 
jeher auf das Lebhafteste in Anspruch genommen haben, und 
gerade neuerdings ist dieses Interesse durch die Ergebnisse 
der bakteriologischen Forschungen aufs neue angeregt worden. 
Trotzdem muss gleich bekannt werden, dass das eigentliche 
Wesen der Erscheinungen zur Zeit für uns noch in tiefes 
Dunkel gehüllt ist. Doch hoffe ich Ihnen zeigen zu können, 
dass durch die neuesten Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit 
da und dort ein Lichtstrahl der Erkenntniss hingefallen ist. 

Ich bin Ihnen zunächst wohl eine Definition und nähere 
Erläuterung des Begriffes Immunität schuldig. Gebildet aus 
immus der Dienst mit der privativen Vorsilbe in bezeichnet 
manus ein Individuum, das irgend einer höheren Gewalt 
nicht dienstbar nicht unterworfen ist. Diese höheren Ge¬ 
walten sind nun für die Immunität im medizinischen Sinne 
das Heer all’ der Schädlichkeiten, die Leben und Gesundheit 
bedrohen. Aus diesem Heer heben sich zwei grosse Gruppen 
mit besonderer Schärfe und Wichtigkeit heraus: einmal die 
sogenannten Gifte, zum anderen die Erreger der sogenannten 
Infektionskrankheiten, von denen wir theils sicher wissen, 
theils nur verrauthen, dass sie organischer Natur sind, also 
die Gruppe der pathogenen Mikroorganismen. Es muss hier 
gleich allgemein vorausgeschickt werden, dass nicht etwa die 
absolute Immunität bei Menschen oder Thieren allein, sondern 
auch die relative, als blos verminderte Empfänglichkeit mit 
allen stufenvveisen Uebergängen zum Gegentheil der hohen 


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Empfänglichkeit oder Anfälligkeit in den Kreis der Betrach¬ 
tung gehören. 

Beschäftigen wir uns zunächst mit der Immunität gegen 
chemische Gifte, der Giftfestigkeit. Sie tritt in zwei Formen 
in die Erscheinung als natürliche, d. h. dem Individuum oder 
der Species von selbst immanente oder als eine während des 
Lebens erworbene Eigenschaft. 

Für die erste Form mögen Ihnen einige Beispiele ge¬ 
nügen. Bekannt ist, dass den Giftschlangen ihr eigenes Gift 
nichts anhaben kann. Bekannt dürfte sein die geringe Em¬ 
pfänglichkeit der Vögel gegen das Opium und seine Derivate. 
Eine Taube erträgt das Vielfache der für ein Kind tödtlichen 
Dosis Opium, ohne auch nur betäubt zu werden. Sie er¬ 
sehen aus dieser einen Thatsache noch ausserdem, dass es 
nicht statthaft ist, mit Arzneimitteln an Thieren angestellte 
Versuche ohne weiteres auf den Menschen zu übertragen. 
Unsere Beobachtung am Krankenbett zeigt uns die verschie¬ 
dene Reaktion unserer Kranken auf dieselbe Arzneisubstanz, 
ja die verschiedene Reaktion desselben Individuums je nach 
seiner physischen oder psychischen Verfassung. Wir stossen 
bisweilen auf die störende Erscheinung der sogenannten Idio¬ 
synkrasie, wobei ein bestimmtes Mittel bei derselben Person 
stets nicht gewünschte Erscheinungen zur Folge hat. Wir 
treten damit schon über auf das Gebiet der erworbenen Gift¬ 
immunität, welche meist als eine relative sich zeigend, mit 
dem Begriff der Gewöhnung vielfach zusammenfällt. Der 
Beispiele hierfür gibt es im täglichen Leben genug. Denken 
Sie an die Folgen der ersten per nefas gerauchten Cigarre 
und an die Behaglichkeit, mit der Sie sich jetzt diesem Ge¬ 
nuss hingeben. Denken Sie an die enormen Leistungen in 
der Vertilgung von Alkoholicis, die manche Menschen all¬ 
mählich fertig bringen. Denken Sie an die traurigen Er¬ 
scheinungen des Morphinismus, endlich an den habituellen 
Arsenikgenuss. Auch andere Beziehungen gehören hierher. 
Die relative Unempfindlichkeit der Alkoholiker gegen Opium 
und Morphium, die Schwierigkeit sie zu cbloroformiren, die 
Unempfindlichkeit des hochfiebernden Menschen gegen grosse 
Alkoholgaben. Schon im Alterthum scheint die Möglichkeit 
der Gewöhnung an Gifte bekannt gewesen zu sein. Wenig- 


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stens wird vom König Mitbridates Eupator von Pontus be¬ 
richtet, er habe nicht nur 22 Sprachen gesprochen, sondern 
habe auch den eigenthümlichen Sport getrieben, durch all¬ 
mähliche Gewöhnung an alle Gifte sich giftfest zu machen. 
Electuarium Mithridaticum hiess noch im Mittelalter ein Ge¬ 
heimmittel, das angeblich Giftfestigkeit verleihen sollte. 

Wir haben uns sodann zu der zweiten wichtigeren und 
interessanteren Gruppe von Immunitätserscheinungen zu 
wenden, zu denen, welche sich auf die Infektionskrankheiten 
beziehen. Wir können wohl für diese Immunität im engeren 
Sinne eine eigene mehr bakteriologisch-wissenschaftlich ge¬ 
fasste Definition aufstellen dahin lautend: Immun ist der¬ 
jenige Organismus, der für einen bestimmten Krankheits¬ 
erreger keinen oder einen schlechten Nährboden abgibt. Man 
hat die Immunität, von der wir jetzt sprechen, eingetheilt 
in eine lokale und eine allgemeine. Die Bezeichnung lokal 
verdient sie dann, wenn die Unempfindlichkeit gegen ein 
Krankheitsgift nur bestimmten Körpertheilen oder Organen 
zukommt, während andere dafür empfänglich sind. So ist 
nachgewiesen worden, dass unsere Mundhöhle sehr häufig 
eine Anzahl pathogener Mikroorganismen beherbergt, die 
aber dort für gewöhnlich keinen Schaden anrichten. Das 
Mundhöhlenepithel besitzt also ihnen gegenüber lokale Im¬ 
munität. Der Cholerabacillus beginnt erst im Darm seine 
verderbliche Thätigkeit, wenn es ihm gelungen ist, den Magen, 
dessen Salzsäuregehalt ihm wenig zuträglich ist, lebend zu 
passiren. Es erklärt sich wohl aus diesem Umstand, dass 
bei der letzten Hamburger Epidemie, wo ja offenbar die In¬ 
fektionsmöglichkeit durch das Trinkwasser eine sehr all¬ 
gemeine war, die Erkrankungsziffern nicht noch viel höhere 
waren. Rufen Sie sich zum Vergleich damit die Verhält¬ 
nisse bei unserer letzten grossen Influenzaepidemie in’s Ge¬ 
dächtnis, wo etwa ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung 
erkrankten, so wird Ihnen der Unterschied zwischen lokaler 
und allgemeiner Immunität beziehungsweise lokaler und all¬ 
gemeiner Empfänglichkeit noch klarer sein. Von dem uns 
noch nicht sicher bekannten Erreger der Influenza, der uns 
ja wohl durch die Luft zugeführt werden muss, wissen wir 
nicht, wo er seinen Sitz aufschlägt, wir können aber auch 


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kein Organ nennen, wo er ihn nicht aufschlagen kann. Ein 
analoges Verhalten wie die Influenza zeigen namentlich die 
cxanthematischen Infektionskrankheiten wie Masern, Scharlach 
und Pocken. Wir können uns wohl kaum eine andere Vor¬ 
stellung machen, als dass die Infektionsträger durch eine 
Eingangspforte, z. B. die Athmungsorgane eingedrungen in 
die Blutbahn gelangen und auf diesem Wege ihre Verbrei¬ 
tung durch den ganzen Körper finden. Es ist wohl keiu 
Zufall, dass es gerade bei dieser Gruppe von Krankheiten 
bisher nicht geglückt ist, der specifischen Krankheitserreger 
habhaft zu werden, dass sie sich gegen alle Angriffe der 
Bakteriologen bis jetzt hartnäckig immun gezeigt haben. 

Wenn in den letzten Ausführungen wohl mehr von In¬ 
fektion als von Immunität die Rede war, so bitte ich das 
mit den untrennbaren Beziehungen zu entschuldigen, in denen 
•die beiden Begriffe zu einander stehen. Wo keine Infek¬ 
tionsmöglichkeit besteht, kann auch von Immunität füglich 
nicht die Rede sein. 

Genau wie bei der Giflfestigkeit tritt uns auch die 
Immunität gegenüber den Infektionskrankheiten in zwei 
Formen entgegen; erstens als natürliche, d. h. gleichsam von 
selbst dem Individuum oder der Species eigenthümliche und 
zweitens als während des Lebens erworbene. Wir kennen 
unter unseren sozialen und klimatischen Verhältnissen nur 
eine Krankheit, die wohl keinen verschont, das sind die 
Masern. Ihnen gegenüber ist also unsere natürliche Immu¬ 
nität gleich Null. Anders steht es schon mit dem Scharlach. 
Es gibt genug Menschen, die trotz gegebener Ansteckungs¬ 
gelegenheit davon nie befallen werden. Es ist uns eine ge¬ 
läufige Sache, dass äussere Verhältnisse, wie Strapazen, 
Hunger, Rekonvalescenz, Kummer und Sorgen die Empfäng¬ 
lichkeit erhöhen, manche Krankheiten dagegen, wie die 
croupöse Lungenentzündung und der Typhus befallen relativ 
häufig Menschen, die im Vollbesitz ihrer Körperkräfte stehen. 
Unterschiede in der Empfänglichkeit, die Alter und Geschlecht 
betreffen, möchte ich als bekannt nur andeuten. Auch die 
verschiedenen Menschenrassen haben darin ihre Eigenthüm- 
lichkeiten. So ist der eingewanderte Europäer in gewissen 
Tropenländern dem Wechselfieber oder dem Gelbfieber mehr 


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336 


unterworfen als der Eingeborene. Sehen wir uns in der 
Thierwelt um, so lassen sich die Beispiele von natürlicher 
Immunität fast in’s Unendliche vermehren. Gewiss auffallend 
ist es, dass der sogenannten Mäusesepticämie, deren Bacillus 
im Jahr 1878 von Koch entdeckt wurde, Haus- und weisse 
Mäuse sicher erliegen, während ihre Vettern die Feldmäuse 
dafür vollkommen unempfänglich sind. Der Milzbrand (An¬ 
thrax) mit seinem so genau gekannten Bacillus decimirt die 
Rinder- und Schafherden, ist aber auch auf Mäuse, Meer-, 
schweinchen, Kaninchen und auf den Menschen übertragbar. 
Hunde, Ratten, die meisten Vögel, die Amphibien mit Aus¬ 
nahme des Frosches verhalten sich abweisend. Kaninchen 
und Meerschweinchen sind wegen ihrer hohen Empfänglich¬ 
keit die beliebtesten Versuchsthiere für Impfungen mit Tuber¬ 
kulose, Hunde, Ratten und weisse Mäuse sind dazu nicht zu 
gebrauchen. Wie gesagt Hessen sich solche Beispiele von 
Empfänglichkeit einer Species und natürlicher Immunität 
einer anderen für dieselbe Krankheit noch in grosser Zahl 
anfdhren. Doch will ich Sie damit nicht weiter ermüden und 
zur Betrachtung der erworbenen Immunität übergehen. 

Der Erwerb dieser wünschenswerten Eigenschaft kann 
auf zwei Wegen stattfinden, auf einem natürlichen und auf 
einem künstlichen. Den ersteren beschreitet die Natur selbst, 
wenn sie uns mit dem Ueberstehen einer Infektionskrankheit 
gleichzeitig die Unfähigkeit beschert, ein zweites Mal daran 
zu erkranken. Es ist Ihnen bekannt, dass jeder, der einmal 
Masern, Scharlach, Pocken, Wasserblattern oder Keuchhusten 
gehabt hat, für sein ganzes Leben vor einer zweiten Er¬ 
krankung derselben Art so gut wie sicher sein kann Leider 
kommt diese Immunität verleihende Kraft nur einer kleinen 
Gruppe von Krankheiten zu. Andere sind durch das gerade 
Gegentheil berüchtigt, d. h. dass sie eine gewisse Neigung 
zu erneutem Befallenwerden zurück lassen. Jedem bekannt 
ist diese fatale Eigenschaft vom akuten Gelenkrheumatismus 
und dem Wechselfieber, sie kommt ferner bestimmten Formen 
akuter Lungenentzündung und dem Erysipel, namentlich der 
Gesichtsrose zu. Von manchen Aerzten wird auch für die 
Diphtherie und den Typhus die Erhöhung der EmpfängUch- 
keit durch eine vorausgegangene Erkrankung daran an- 


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genommen. Einen zeitlich beschränkten Schutz scheint das 
Ueberstehen der Cholera zu gewähren, wenigstens sind zwei¬ 
malige Erkrankungen während derselben Epidemie kaum be¬ 
obachtet. Dass die Influenza nicht einmal diesen geringen 
Schutz bietet, hat mancher von uns, der zweimal in kurzer 
Frist erkrankte, zu seinem Verdruss erfahren. 

Den Weg, auf dem uns die Natur, wie eben geschildert, 
in gewissen Fällen Immunität verleiht, hat nun der Mensch 
künstlich zu schaffen gesucht und zwar nicht ohne Erfolg. 
Seine Mittel dazu sind die sogenannten Schutzimpfungen. 
Unter Schutzimpfung sind also künstliche Massnahmen zu 
verstehen, welche einem Organismus Immunität gegen eine 
bestimmte Infektion gewähren sollen. Neuerdings ist, wie 
ich später noch kurz zu erwähnen habe, der Begriff in 
manchen Fällen dahin erweitert worden,, dass die Impfung 
ausserdem noch nachträglich Heilung bei schon ausgebrochener 
Krankheit bieten soll. 

Es ist eine Erfahrungsthatsache, dass schon das Ueber¬ 
stehen einer hierzu geeigenschafteten Infektionskrankheit 
auch in ihrer allerleichtesten oder wie wir sagen einer abor¬ 
tiven Form genügt, um volle Immunität für später zu ge¬ 
währen. Ein Kind, das bei seinem leichten Scharlach wegen 
der geringen Beschwerden kaum im Bett zu halten ist, ist 
ebenso gut für sein ganzes Leben vor dieser Krankheit ge¬ 
feit, wie ein anderes, das ein schwerer Scharlach an den 
Rand des Grabes bringt. Dies, meine Herren, ist der Punkt, 
wo der Versuch einer Schutzimpfung anknüpft. Das Streben 
geht dann dahin, den Infektionsstoff der betreffenden Krank¬ 
heit in einer Weise zu modifiziren, wir können sagen abzu¬ 
schwächen, dass er eine leichte, ungefährliche Erkrankung 
und gleichzeitig damit die Immunität im Gefolge hat. Eine 
solche Modifikation kann auf verschiedenen Wegen erreicht 
werden. Wir können den Infektionsstoff andere Thiere 
passiren lassen, also seinen natürlichen Nährboden ändern, 
wir können den künstlichen Nährboden einer Reinkultur und 
die Reinkultur selbst durch die mannigfachsten Agentien be¬ 
einflussen, so durch die verschiedensten Chemikalien, durch 
erhöhte oder herabgesetzte Temperatur, durch Abschluss der 
Luft, durch Veränderung des Luftdrucks. Ich erinnere hier 

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nur an unsere, seiner Zeit ganz empirisch gefundene gesetz¬ 
liche Schutzpockenimpfung oder an Pasteurs Impfungen gegen 
Hundswuth und eine Reihe von in der Thiermedizin prak¬ 
tisch eingefübrten Schutzimpfungen, die auf Verwerthung 
dieses Gedankens beruhen. 

Doch ehe wir zu den neuen und hochinteressanten Ge¬ 
sichtspunkten, welche die moderne Bakteriologie, die vorhin 
mit dem Ausdruck »Reinkultur“ schon auf der Bildfläche 
erschienen ist, für die Immunitätslehre geliefert hat, über¬ 
gehen, muss ich Sie noch in Kürze mit den Theorien bekannt 
machen, die man schon vor der jungen bakteriologischen 
Aera zur Erklärung der so räthselhaften Immunitätserschei¬ 
nungen aufgestellt hat. Die eine Theorie war die sogenannte 
Erscböpfungstheorie. Man dachte sich, beim Ueberstehen 
einer Infektionskrankheit werden von den Mikroorganismen 
bestimmte Stoffe verbraucht, aufgezehrt, so dass die Gewebs- 
säfte für später keinen Nährboden für dieselbe Bakterienart 
mehr abgeben können. Warum aber, so frägt man sofort, 
werden diese Stoffe nicht alsbald durch den Stoffwechsel 
wieder ersetzt, oder warum werden sie bei der einen Krank¬ 
heit ersetzt und bei der anderen nicht? 

Ganz ähnlich verhält es sich mit der entgegengesetzten 
Theorie. Diese nimmt an, dass eine Invasion von Bakterien 
im Körper irgend welche Stoffe zurücklässt, etwa eigene 
Stoffwechselprodukte oder Auswurfsstoffe der Bakterien, welche 
die Entwicklung der gleichen Species hemmen können, also 
gleichsam die Produktion eines Gegengiftes. Warum wird 
denn, fragen wir, dieses Gegengift, das wir uns doch nur 
als einen löslichen Körper denken könnten, währeud des 
weiteren Lebens nicht durch den Stoffwechsel wieder aus¬ 
geschieden oder was sollte es veranlassen, sich immer wieder 
neu zu bilden? Sie sehen diese Theorien erscheinen recht grau. 

Schon mehr auf dem Boden der bakteriologischen Wis¬ 
senschaft steht die sogenannte Kampftheorie. Sie gründet 
sich auf die hoch interessante Beobachtung des Russen Metsch- 
nikoff, dass in gewissen Fällen von Bakterieninvasion an der 
Infektionsstelle alsbald eine beträchtliche Vermehrung der 
weissen Blutzellen, der sogenannten Leukozyten statt hat, 
dass dieselben die Bakterien in sich aufnehmen, gleichsam 


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339 


fressen und auf diese Weise unschädlich machen. Die weissen 
Blutkörper haben für diese Funktion den Titel Phagocyten 
(Fresszellen) erhalten, den Vorgang nannte man Phagocytose. 
Diese Anschauung hat ja entschieden etwas Bestechendes 
wenn sie auch so grob mechanisch keinenfalls gedacht werden 
darf und jedenfalls noch chemische Vorgänge der allerfeinsten 
Art in den Zellen mit spielen müssten. Wenn wir aber so 
neugierig sind zu fragen: Ja warum bekommen denn plötz¬ 
lich durch das Ueberstehen einer immunisirenden Infektions¬ 
krankheit unsere Leukozyten die Fähigkeit, den Feind, wenn 
er wieder kommt, alsbald zu vernichten, was sie doch vorher 
nicht konnten, und wodurch sind diese äusserst vergäng¬ 
lichen, in stetem Untergang und steter Neubildung begriffenen 
Zellen im Stande, diese neu erworbene Kraft auf ungezählte 
■Generationen ihrer Nachkommen zu übertragen? Wenn wir 
so fragen, so sind wir wieder gänzlich am Ende mit unserer 
Weisheit. 

Gegenstand eigentlicher wissenschaftlicher Forschung 
konnte die Frage der Immunität erst werden, als man durch 
Robert Koch’s Entdeckungen auf dem Gebiet der Bakterio¬ 
logie in den Stand gesetzt war, mit den ausserhalb des 
Körpers rein gezüchteten Mikroorganismen zu experimentiren. 
Die ersten Versuche zur Erzielung künstlicher Immunität 
für Milzbrand und die sogenannte Hühner- oder Geflügel- 
Cholera wurden von Pasteur unternommen. Durch Einwirkung 
höherer Temperaturen auf Kulturen von Milzbrand und 
Hübnercholera oder durch Passirenlassen durch andere Thier- 
Jcörper erzielte er eine künstliche Abschwächung der Virulenz 
verschiedenen Grades. Damit nach einander geimpfte Thiere 
waren später gegen Infektion mit vollvirulentem Material 
immun. Aehnlich war sein Verfahren bei der Hundswuth. 

Eine prinzipiell wichtige Modifikation bildete der von 
Toussaint und Chauveau geführte Nachweis, dass es möglich 
sei, mit Kulturen auch nach Abtödtung der Bakterien noch 
Immunität zu erzielen, d. h. dass also zur Erzeugung künst¬ 
licher Immunität die Uebertragung lebender Bakterien keines¬ 
wegs nöthig sei. 

Eine wichtige Etappe bildet weiterhin die Entdeckung, 
dass normalen, nicht geimpften Individuen frisch entnom- 

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340 


menes Blut, sowie andere Körperflüssigkeiten wie der Liquor 
pericardii oder humor aqueus von bestimmten Thieren und vom 
Menschen gewisse Bakterienarten abzutödten im Stande ist. 

Bald wurde diese auffallende Thatsache durch Behring 
dahin präcisirt, dass das Blutserum, d. h. Blut minus die 
körperlichen Elemente (rothe und w'eisse Blutkörper) in den 
obigen Fällen der Träger des bakterientödtenden Prinzips 
sei. Es lag nun nahe, weiterhin den Eigenschaften des 
Blutserums nicht von normalen sondern von künstlich immu- 
nisirten Thieren nachzugehen, und auf diesem Gebiet ist es 
namentlich, wo wir dem neuerdings viel genannten Namen 
Behring immer wieder begegnen. Inzwischen war noch durch 
die Arbeiten von Löffler,' Brieger, C. Frankel u. A. nach¬ 
gewiesen worden, dass gewisse Bakterien, z. B. die der Diph¬ 
therie und des Tetanus lösliche giftige Substanzen in ihren 
Kulturen besitzen, welche dieselbe deletäre Wirkung auf 
Thiere ausüben, wie die keimhaltigen Kulturen selbst, und 
dass nicht eigentlich die Bakterien das Wirksame darstellen, 
sondern vielmehr die von ihnen produzirten löslichen Gift¬ 
substanzen. 

Behring, zum Theil in Gemeinschaft mit dem Japaner 
Kitasato arbeitete weiterhin vorzugsweise mit Diphtherie- 
und Tetanuskulturen, welche in ihrer Virulenz durch Zusatz 
von Jodtrichlorid, also auf chemischem Wege abgeschwächt 
waren. Im Verlauf dieser Untersuchungen stellte sich heraus, 
dass die gegen Tetanus immunisirten Thiere ebenso gegen 
die Einführung der lebenden Tetanusbazillen wie gegen das 
von ihnen produzirte keimfreie lösliche Gift geschützt waren. 
Für diese Art von Schutz konnten natürlich die nur für den 
Kampf mit den lebenden Bakterien geschmiedeten Waffen, 
die Leukozyten einerseits im Sinne von Metscbnikoffs Kampf¬ 
theorie und die abtödtenden Eigenschaften der normalen 
Körperflüssigkeiteu andererseits, nicht herangezogen werden. 
Vielmehr mussten bei solchen gegen Gifte geschützten Thieren 
giftwidrige Kräfte im Organismus vorhanden sein. Den ge¬ 
nannten Autoren gelang es nun, diese Thatsache zu be¬ 
weisen. Entzogen sie nämlich einem derartigen, 
gegen Tetanus geschützten Versuchsthier etwas 
Blut und mischten sie dieses mit dem Tetanusgift 


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ausserhalb des Organismus, so wurde das Gift zer¬ 
stört. Ferner: Injicirten sie das zellenfreie Serum 
des gegen Tetanus geschützten Versuchsthieres 
einem neuen Thier, so war dieses sowohl gegen 
Tetanusbazillen als Tetanusgift geschützt. 

Weiterhin konnten sie nach weisen, dass der Schutz so¬ 
fort eintritt, auch bei gleichzeitiger Injektion von Serum 
und Gift, ja sogar dann noch, wenn ein Thier bereits unter 
der Wirkung des Giftes s^eht, also krank ist. Damit war 
die Möglichkeit einer Heilwirkung dieser Mittel experimentell 
begründet. Da fernerhin das Serum von Thieren, die gegen 
Tetanus immunisirt waren, nur wieder gegen Tetanus, das 
von diphtherieimmunen Thieren dagegen nur gegen diese 
Krankheit, nicht aber vice versa, wirkte, so war mit diesem 
Faktum die Spezifizität dieser wahren Gegengifte oder Anti¬ 
toxine gegeben. Sie haben in den vorstehenden Ergebnissen 
der experimentellen Forschung die fundamentale Grundlage 
für die neuerdings so viel besprochene Blutserumtherapie 
speziell der Diphtherie. 

In einer ganz merkwürdigen Weise wurden die obigen 
Resultate von Behring durch Untersuchungen von Ehrlich 
bestätigt, die sich auf die Immunisirung gegen giftige 
Pflanzeneiweissstoffe, wohlgemerkt keine Alkaloide, beziehen, 
und wir kommen damit auf unsere ersten Betrachtungen 
über Immunität gegen Gifte wieder zurück. Ehrlich ging 
in der Weise vor, dass er seine Versuchsthiere, haupt¬ 
sächlich weisse Mäuse, mit immer steigenden Dosen von Ricin 
und Abrin fütterte*. Es gelang ihm dadurch die Thiere 
gegen die lokalen und allgemeinen Giftwirkungen dieser 
Pflanzenstoffe zu festigen. Das Blutserum solcher Thiere 
hob, wenn es im Reagenzglase dem Ricin oder Abrin zu¬ 
gemischt wurde, die Wirkung dieser Gifte bei der nachherigen 
Einspritzung des Gemisches bei Thieren auf. Ebenso schützte 
die vorherige Injektion des Serums gegen die nachfolgende 
Einverleibung des Giftes. Serum von räcinfesten Thieren 
schützt nur gegen Ricin, solches von abrinfesten Thieren 
nur gegen Abrin. 

* Ricin stammt von Ricinus commnnis, Abrin aus den sogenannten 
Jequiritisamen von Abrus precatoria. 


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342 


Die Versuche von Behring und Ehrlich haben, des 
Weiteren noch eine Reihe hochinteressanter Details zu Tage 
gefördert, die für die Immunitätslehre von Bedeutung sind. 
Als praktisch sehr wichtig ist davon zu erwähnen, dass es 
Behring gelang, die Immunisirungwerthe oder Gegengiftwerthe 
seiner Serumarten genau zahleninässig festzustellen. Sein 
Vorgehen hierbei zu schildern würde zu weit abführen. 
Vielleicht interessirt Sie aber, eine Angabe über den Ira- 
munisirungswerth des Behring’schen Diphtherieheilserums zu 
erhalten. Die schwächste von den drei Sorten des Diph¬ 
therieheilserums, also der Inhalt eines zirka 10 ccm halten¬ 
den Fläschchens, hat einen Werth von 600 Antitoxineinheiten. 
Was bedeutet Antitoxineinheit? Eine Antitoxineinheit ist im 
Stande 10 ccm Normalgift zu neutralisiren. Was heisst 
Normalgift? Normalgift ist eine Lösung von Diphtherie¬ 
toxin (d. h. von Diphtheriebazillen erzeugten Giftes), von 
der 0,4 ccm genügen, um 1 kg Meerschweinchen sicher zu 
tödten. Ein solches Fläschchen voll vermag also 6000 ccm 
Normalgift zu neutralisiren. Sie sehen hieraus, bis zu wel¬ 
chen enormen Graden durch fortgesetzte progressive Im¬ 
pfungen die Immunität der Serum spendenden Thiere ge¬ 
trieben ist. 

Halten wir das wichtige Ergebniss der vorstehend skiz- 
zirten Versuche von Behring und Ehrlich fest: Die Immu¬ 
nität von in dieser Weise künstlich immunisirten Thieren 
beruht auf der Anwesenheit eines Antikörpers, eines Anti¬ 
toxins, eines Gegengiftes in ihrem Blutserum. Dieses Anti¬ 
toxin ist im Stande, iin Reagenzglas ausserhalb des Organis¬ 
mus das Toxin zu zerstören, ferner ist es im Stande, anderen 
Thieren einverleibt diese selbst unempfänglich zu machen. 
In ganz überraschender Weise kommen wir damit auf die 
vorhin angeführte und etwas verächtlich behandelte alte 
Gegengifttheorie wieder hinaus. Nur ein sehr wichtiger Um¬ 
stand ist dabei zu beachten. Behring’s Pferde und Häinmel 
sind nicht dauernd Tetanus- oder Diphtberieimmun, und Ehr- 
lich’s weisse Mäuse sind nicht dauernd Ricin- oder Abrin-fest. 
Ihre ausserordentlich hoch getriebenen Immunitätsgrade 
sinken bald ab und verschwinden schliesslich ganz, wenn sie 
nicht immer von Neuem durch Impfungen mit abgeschwäch- 


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tem. Virus aufgefrischt werden. Die Natur leistet also doch 
erheblich mehr, wenn sie uns durch einmaliges Ueberstehen 
der Masern, z. B. in frühester Kiudheit zeitlebens Immunität 
gegen das Maserngift verleiht. Meines Erachtens geht daraus 
hervor, dass natürlich durch Ueberstehen einer Krankheit 
erworbene und künstlich durch Impfung erzeugte Immunität 
durchaus verschiedene biologische Vorgänge sein können, 
jedenfalls ist es nicht statthaft, was zur Erklärung der letz¬ 
teren gefunden ist, ohne Weiteres auf die erstem zu über¬ 
tragen. 

Ich komme damit auf das Eingangs gesagte zurück, dass 
zwar da und dort der Schleier des Geheimnisses gelüftet 
worden ist, dass wir aber noch weit entfernt sind, eine all¬ 
gemein gültige Erklärung dessen, was wir Immunität nennen, 
geben zu können. 


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I 


Pisidium ovatum Cless., 

ein Rest der Fauna der Eiszeit im Schwarzwald. 

Von dem Ehrenmitglieds Professor von Sandberger in Würzburg. 

Iin Jahre 1874 fand ich die gebrechlichen Schälchen 
einer kleinen Erbsmuschel zuerst in einem Teiche am Buch¬ 
hofe und dann in seichten Quelltümpeln im Granitgebiete an 
mehreren anderen Orten bei Schapbach und erkannte sie als 
neu. Ich übersandte sie daher Herrn S. Clessin, jetzt Vor¬ 
stand der Eisenbahnstation Ocbsenfurt, welcher die Gattung 
Pisidium am gründlichsten untersucht hatte. Derselbe be¬ 
stätigte, dass die Art neu sei und theilte mir zugleich mit, 
dass er sie gleichzeitig im bayerischen Walde, also gleich¬ 
falls im Urgebirge gefunden habe. Er benannte sie Pisidium 
ovatum. Seitdem hat er diese Art auch in seiner Mono¬ 
graphie der Gattung (Martini und Chemnitz Conchylien- 
Kabinet, 2. Aufl. Monograph. Cycladearum S. 27 Taf. II 
Fig. 22, 24) genauer beschrieben und abgebildet, aber nur 
noch Hermannstadt in Siebenbürgen als weiteren Fundort 
genannt. 

Ein helles Licht fiel in neuester Zeit auf diese Funde 
durch die Entdeckung der Art in alpinen Hochseen, nämlich 
Gafinsee im Bhätikon 2313 m und jenen am St. Bernhard 
2560 und 2570 m ü. M. durch Zschokke. 1 Hiernach kann 
man nicht daran zweifeln, dass Pisidium ovatum eine zurück, 
gebliebene Form aus der Eiszeit sei. Bisher konnte nur 
eine Landschnecke, Helix edentula, die auf dem Kniebis und 
dem Hohen Kandel bei Freiburg gefunden worden war, auch 
hierher bezogen werden. Nachdem nun im nördlichen Schwarz- # 


1 Die Fauna hochgelegener Gebirgsseen. Verh. d. Naturf. Gesell¬ 
schaft in Basel. Bd. XI. Heft 1. 


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wald unzweifelhafte Moränen, besonders schön am Elbachsee 
bei Rippoldsau 1 entdeckt worden sind, begreift man, dass 
diesen Formen eine erhöhte Wichtigkeit beigelegt werden muss. 

Das weit verbreitete Vorkommen von Planaria alpina* 
scheint mir, da diese Form sogar in der Nähe von Würzburg 
auftritt, keinen so schlagenden Beweis für die Herkunft von 
Thieren aus der Eiszeit zu liefern. 


1 Regelmanu in Blättern des Württemberg. Schwarzwald-Vereins. 
II. Jahrg. S. 59 ff. 

* W. Voigt. Zool. Jahrbücher. Bd. VIII. S. 131 ff. 


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Die Bedeutung der Ständebildung für das 
Mensehengeschleeht. 

Vod Otto Ammon. 

(Nach einem im Naturwissenschaftlichen Vereine am 2. Juni 1893 
gehaltenen Vortrag.) 

Der Redner knüpfte an einen äusserst interessanten 
Vortrag an, welchen einige Zeit vorher Herr Professor Dr. 
E. Ziegler über „Die Entstehung der Familie“ in dem Natur¬ 
wissenschaftlichen Vereine gehalten hatte, und aus welchem 
hervorging, dass die Bildung der Familie nicht sowohl von 
willkürlichen Satzungen, sondern von Naturgesetzen abhängt, 
welche je nach den äusseren Lebensumständen Einehe oder 
Vielehe entstehen lassen. Einen ähnlichen Griff in’s volle 
Menschenleben that auch der jetzige Redner, indem er die 
Entstehung der Stände durch Naturgesetz besprach. Bei 
allen Völkern finde man abgesonderte Stände, die bisweilen 
in förmliche Kasten ausarten. Im Alterthum, wie im Mittel- 
alter habe man die Stände stets als eine selbstverständliche 
und nützliche Einrichtung angesehen. Seit 100 Jahren habe 
sich die Meinung hauptsächlich unter dem Einflüsse der, der 
französischen Revolution zu Grunde liegenden Ideen geändert. 
Man sehe jetzt die Stände als eine überlebte, zopfige Sache 
an, welche nur einen Hemmschuh des Fortschrittes bilde und 
höchstens Spott verdiene. Wie Professor Ziegler bei seinen 
Erörterungen von den Schriften sozialistischer Schriftsteller 
ausging,, indem er die von diesen behauptete Geltung des 
Mutterrechts bestritt, zugleich betonend, die Wissenschaft 
dürfe sich gegenüber den falschen Lehren der Tageslitteratur 
nicht gleichgiltig verhalten, sondern habe die Pflicht, die¬ 
selben zu widerlegen, so bezog sich der Vortragende eben¬ 
falls auf das sozialistische Zukunfts-Ideal, in welchem alle 


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347 


Menschen nicht nur gleiche politische Rechte, sondern auch 
gleiche Arbeit und gleiche Genüsse zugetheilt bekommen 
sollen, die Standesunterschiede also selbstverständlich auf¬ 
gehoben sind. Die sozialdemokratische Lehre beschäftige 
heute die Gemüther in hervorragendem Grade, doch müsse 
man sagen, dass weder Theologen, noch Juristen, noch Poli¬ 
tiker oder Volkswirthschafter bis jetzt im Stande gewesen 
seien, ihr mit Erfolg entgegenzutreten. Redner führte dies 
näher aus. Das Gefühl, oder richtiger vielleicht, der Instinkt, 
sage uns aber deutlich, dass jene Lehre trotzdem nicht rich¬ 
tig sein könne. Das genüge freilich nicht, man verlange 
eine verstandesmässige Nachweisung der Irrthümer, welche 
jene Lehre enthalte, und diese Nachweisung könne nur von 
der Naturwissenschaft, im engeren Sinne von der Anthro¬ 
pologie ausgehen. 

Die Anthropologie sei die einzige Wissenschaft, welche 
aus voller Ueberzeugung die Ungleichheit der Menschen 
behaupten und hieraus die logischen Folgerungen zu ziehen 
vermöge. Die geistigen Anlagen der Menschen seien von 
Geburt an ungleich, und sie könnten auch nicht durch die 
Wirkung des Unterrichts und der Erziehung gleich gemacht 
werden. An der Hand der Galton’schen Statistik wird dar- 
gethan, dass die Vertheilung der Begabungen in einer vor¬ 
handenen Menschenmenge sich nach der Gauss’schen Wahr¬ 
scheinlichkeitsformel abstufe, dass beispielsweise nach dieser 
Formel unter 1 Million Menschen ungefähr 513,582, also 
mehr als die Hälfte, dem Mittelgut angehören, dass in den 
höheren Graden der Begabung die Zahl der Individuen rasch 
abnimmt, dass ferner nur etwa 250 Köpfe in 1 Million als* 
„hervorragend“ bezeichnet werden können, und dass unter 
diesen wiederum im Durchschnitt nur ein einziger wahrhaft 
„genialer“ Mensch vorkommt. „Das Genie thront wie auf 
einsamen Bergesgipfeln über der breiten Masse“. Aehnlich 
ist die Abstufung nach unten beschaffen: auch die Schwäch¬ 
sten im Geiste kommen nur vereinzelt vor. In welcher Be¬ 
ziehung steht nun die Ungleichheit der Menschen zur 
Ständebildung? Der Vortragende schilderte mit einigem 
Humor, dass wir bis jetzt die Ursache der Ständebildung 
vergeblich gesucht hätten; aber wir hätten in der Authro- 


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348 


pologie auch eine Ursache, zu der wir bis jetzt keine Wir¬ 
kung kennen: die natürliche Züchtung des Menschen. Wir 
müssten nothwendig annehmen, dass der Mensch, wie jedes 
organische Wesen, dieser wirkenden Kraft unterworfen 
sei, aber bis jetzt seien wir ziemlich im Dunkeln darüber 
geblieben, wie und wo die natürliche Züchtung sich beim 
Menschen äussere; wir haben nur vermuthen können, dass 
die natürliche Züchtung beim Menschen hauptsächlich auf 
seine Geistes- und Charakteranlagen wirke. Sollten nun am 
Ende, fragt der Redner, die Wirkung ohne erkennbare Ur¬ 
sache und die Ursache ohne erkennbare Wirkung zusammen- 
gehcren? Diese Frage wird bejaht: Die natürliche Züch¬ 
tung beim Menschen und die Bildung der Stände 
verhalten sich wie eine Gussform und ihr Erzcug- 
niss. Die Stände sind die Form, innerhalb deren und 
durch welche die natürliche Züchtung der Geistes- und 
Charakteranlagen des Menschen sich vollzieht. 

Das Wesen der Ständebildung ist, dass Gruppen von 
Individuen abgesondert werden, welche sozial besser gestellt 
sind als die grosse Masse und eine förmliche Stufenleiter 
bilden. Ihre Bevorzugung besteht darin, dass sie besser er¬ 
nährt werden, besser wohnen, die gemeinen Schädlichkeiten 
des Lebens besser von sich abzuhalten und endlich ihre 
Kinder besser zu erziehen vermögen, als die unter ihnen 
stehenden Klassen. Die Wirkung dieser Einrichtung ist 
die folgende: 

1. Die Möglichkeit, durch die Anspannung aller Kräfte 
in eine sozial höhere Stufe vorzudringen, gewährt einen 
ausserordentlich starken Antrieb im Kampfe um’s Da¬ 
sein. Wenn es wahr ist, dass der Wettkampf eine Quelle 
alles Grossen und Bedeutenden in der Welt bildet, dann ist 
der Antrieb, den die Ständebildung gewährt, nicht gering 
anzuschlageu. Man schaift und spart, um emporzukommen. 
Die Sozialisten lehren zwar, dass der Gemeinsinn der 
Menschen vollkommen hinreichend sei, um sie auch ohne 
den bestehenden Zwang zur Entfaltung und Bethätigung 
aller Kräfte anzuspornen, und es soll nicht geleugnet werden, 
dass auch der Gemeinsinn in dieser Richtung thätig ist. 
Wenn aber zwei Ursachen zur Hervorbringung einer Wirkung 


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Zusammengehen, dann sind wir nicht berechtigt, nach Be¬ 
seitigung der einen Ursache von der zweiten allein die 
nämliche Wirkung zu erwarten, welche vorher von Beiden 
zusammen hervorgebracht wurde. 

Die Versetzung aller Menschen in vollkommen gleiche 
Lebensbedingungen würde den Wettbewerb aufheben und die 
Kräfte-Entfaltung in einer Weise beeinträchtigen, die sich 
gar nicht zum Voraus berechnen lässt. 

2. Die bessere Ernährung und anregendere Lebensweise 
wirken ihrerseits steigernd auf die geistigen Anlagen 
der Individuen ein, allerdings sowohl auf die guten, als auf 
die schlimmen. Ein Nutzen ist nur da zu erwarten, wo die 
guten Anlagen überwiegen, also bei denjenigen Individuen, 
welche sich durch Verstand, Fleiss, Thatkraft und ähnliche 
Eigenschaften auf der sozialen Stufenleiter in die Höhe ge¬ 
bracht haben. In der grossen Masse, welche diese Eigen¬ 
schaften nur in geringerem Grade besitzt, würden überwiegend 
die wilden Triebe, Gewaltthätigkeit, Sinnlichkeit, Genusssucht 
u. s. w. der Steigerung durch bessere Ernährung theilhaftig 
werden, wie man dies an Einzelnen oft genug beobachten 
kann. 

Diese beiden Wirkungen der Ständebildung würden eine 
förmliche Absonderung der Stände nicht bedingen. Die 
Absonderung wird jedoch nothwendig durch die beiden 
folgenden Punkte: 

3. Die Absonderung der Stände findet ihren bezeich¬ 
nendsten Ausdruck darin, dass die Individuen meist nur 
innerhalb ihres Standes heirathen. Das heisst soviel, 
als dass solche Individuen in der Regel Zusammenkommen, 
welche schon eine Siebung im Kampfe uin’s Dasein durch- 
gemacht und ihre höhere Befähigung durch den Erfolg be- 
thätigt haben. Die Verbindung solcher Individuen gewährt 
Aussicht auf eine noch höher befähigte Nachkommenschaft, 
in welcher die Anlagen der Eltern gesteigert erscheinen, 
ganz ähnlich den Erfahrungen bei der methodischen Züch¬ 
tung, wo man durch Paarung vorzüglicher Individuen eine 
von Generation durch Generation veredelte Varietät erzielt. 
Je ähnlicher die Anlagen hervorragender Eltern einander 
sind, desto günstiger ist die Aussicht für die Nachkommen, 


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350 


je weiter die filtern voneinander absteben, desto grösser 
ist die Wahrscheinlichkeit, dass in den Kindern nicht nur 
ungünstige Kombinationen von Anlagen eintreten, sondern 
auch Rückschläge auf die wilden, unsteten, grausamen 
Urtriebe längst erloschener Vorfahren. Ohne die Stände¬ 
bildung würde es einem seltenen Zufall überlassen sein, dass 
die passenden Personen sich vereinigen; die Ständebildung, 
welche den höher Befähigten einen abgesonderten Platz im 
Leben anweist, erhöht die Wahrscheinlichkeit passen¬ 
der Verbindungen in ausserordentlichem Grade. 
Gäbe es keine Ständebildung, so würden wir eine weit ge¬ 
ringere Anzahl hochbegabter und genialer Menschen besitzen, 
als dies unter der Herrschaft der Ständebildung der Fall ist. 
Da nun das Vorhandensein solcher hochstehenden Individuen, 
welche zur Leitung des Staates und zur Beförderung der 
Wissenschaft, zur Vermehrung der Güterproduktion durch 
neue praktische Erfindungen u. s. w. befähigt sind, im In¬ 
teresse der ganzen Art, des gesainmten Menschen¬ 
geschlechtes liegt, so muss die Ständebildung als eine 
Einrichtung angesehen werden, welche zum Vortheil nicht 
der einzelnen sozial höher stehenden Individuen, sondern 
zum Vortheil der Gesammtheit entstanden ist. 

Redner knüpft hieran weitere Auslassungen, welche dar- 
thun, dass die Befähigung, der Wahrscheinlichkeitsrechnung 
entsprechend, ihren Gipfelpunkt thatsächlich meist in der 
zweiten oder dritten Geschlechtsfolge erreicht, welche der 
sozial erhöhten Lebenshaltung theilhaftig geworden ist. Die 
Wahrscheinlichkeit, dass in den folgenden Generationen 
wiederum genau passende elterliche Anlagen zur Vereinigung 
gelangen, ist sehr gering, wenn auch theoretisch die Mög¬ 
lichkeit vorliegt. Es gibt einzelne Familien, welche durch 
mehr als sechs Generationen hindurch bedeutende Persön¬ 
lichkeiten hervorgebracht haben, allein dies sind seltene 
Ausnahmen. In der Regel macht sich in der vierten, manch¬ 
mal schon in der dritten Geschlechtsfolge eine Abnahme der 
Befähigung bemerklich, häufig tritt auch die körperliche 
Entartung hinzu, und andere Individuen und Familien rücken 
vor. Es folgten Bemerkungen über die längere Lebensdauer 
der höheren Stände, die durch ihre geringere Fruchtbarkeit 


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mehr als aufgewogeu wird. Die höheren Stände würden 
aussterben, wenn sie nicht beständig Zufuhr von frischen 
aufsteigenden Kräften erhielten. Die Stände sind nichts 
Starres, sondern in ihnen .herrscht beständig Aufsteigen, 
Entfaltung, Verblühen und Niedergang: alles Dies geschieht, 
wie gesagt, im Interesse der ganzen Gattung, die sich ohne 
die Einrichtung der Stände unmöglich auf ihrer geistigen 
und kulturellen Höhe erhalten könnte. 

4. Endlich ist die Wirkung der Absonderung auf die 
Erziehung der Kinder in’s Auge zu fassen. Die Natur 
selbst erfordert die Trennung der Kinder aus den verschie¬ 
denen Ständen. Wie die Erfahrung lehrt, ist die Vereinigung 
der Kinder in der sogenannten einheitlichen Volksschule dem 
Unterrichtszweck nicht förderlich; dies hat sich besonders 
in unserer Nachbarschaft Mannheim gezeigt, welche die ein¬ 
heitliche Volksschule einführte, während Karlsruhe eine nach 
dem Schulgeld dreifach abgestufte Volksschule besitzt. Aber 
nicht nur dies. Die artigen Kinder nehmen eher die Fehler 
der unartigen an, als das Umgekehrte geschieht. Dies rührt 
daher, dass die Schutztriebe, welches jedes Individuum 
besitzt, bei den Kindern noch unentwickelt sind und erst 
in einem vorgerückteren Alter zur Entfaltung gelangen. Man 
nennt dies „homochrone Vererbung“. Damit hängt zusammen, 
dass die Kinder keine Schutztriebe brauchen, weil sie durch 
die hochausgebildeten elterlichen Schutztriebe hinlänglich ge¬ 
sichert sind; es findet hierin eine gegenseitige Anpassung 
statt. Der Instinkt der Eltern zum Schutze ihrer Kinder 
ist schon in der Thierwelt und nicht minder beim Menschen 
einer der stärksten, die es gibt, er ist oft stärker, als der 
Selbsterhaltungstrieb, denn nicht selten opfern Geschöpfe 
eher ihr eigenes Leben auf, als dasjenige ihrer Sprösslinge. 
Die Kinder selbst sind aber desswegen jeder schädlichen Ein¬ 
wirkung, die nicht durch die Eltern abgehalten wird, 
schutzlos preisgegeben, und daher entspringt die Gefahr der 
Vermischung der Kinder von höher gebildeten Klassen mit 
Kindern der untersten Stufen. Gerade hierbei zeigt sich 
aber die ungeheuere Macht des elterlichen Instinktes: Die 
Schaffung der einheitlichen Volksschule hat überall und hatte 
auch in Mannheim die Folge, dass eine Anzahl von Privat- 


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schulen entstanden, welche von den Kindern der höheren 
Stände und des bessern Bürgerstandes besucht wurden. 
Kein Vater, keine Mutter würde sich zwingen lassen, ihre 
Kinder unkontrolirbaren Einwirkungen preiszugeben. Man 
kann oft beobachten, dass selbst Angehörige des Bürger¬ 
standes, die sich durch Tüchtigkeit aus dem Proletariat 
heraufgearbeitet haben, keine grössere Sorge kennen, als 
ihren Kindern eine bessere Schulbildung zukommen zu lassen, 
und dass sie dieselben beinahe ängstlich von den früheren 
proletarischen Genossen absondern. Das pflegt als Hochmuth 
ausgelegt und bespöttelt zu werden: es ist jedoch der Aus¬ 
fluss eines gesunden elterlichen Instinktes. Sehr 
belehrend und zugleich erheiternd ist die Beobachtung, wie 
der Instinkt sich den falschen Lehren des Verstandes stets 
widersetzt und Recht behält. Es kann Jemand in höherer 
sozialer Stellung ein überzeugter Demokrat und glühender 
Anhänger der Lehre von der Gleichheit aller Menschen sein, 
aber es fällt ihm nicht ein, seinen Sohn einen Fabrikarbeiter 
werden zu lassen; und sollte ein ganz braver Proletarier 
um die Hand seiner Tochter anhalten, so wird er jenen 
gross ansehen und die Ehe zu hindern suchen. Gelingt ihm 
dies nicht, so wird er sich nicht nehmen lassen, die Ileirath 
als ein Unglück zu betrachten, und dies mit gutem Grund: 
denn aus solchen ungleichen Ehen geht nach den Gesetzen 
der Natur selten etwas Gutes hervor. Unsere Bauern, ja, 
nicht nur diese, auch Angehörige anderer Stände, halten den 
Grundsatz ein, dass bei Heirathen das beiderseitige Ver¬ 
mögen entsprechend sein müsse. Das geschieht vernünf¬ 
tigerweise nur der zu erwartenden Kinder wegen, aber 
auch hier ist der Instinkt mächtiger als die Abstraktion 
einer idealen Liebe, die ein glücklich liebend Paar auch in 
der kleinsten Hütte Raum linden lässt! Der Vortragende 
gab nun noch eine Besprechung der Abstufung der Befähigung 
der Menschen nach unten hin, wo zunächst bei dem Mit¬ 
telgut solche kommen, die eben nur zur Handarbeit 
taugen, dann solche, die nicht einmal hierzu genügend 
befähigt sind, endlich die eigentlich Schwachsinnigen. 
Eine grosse Rolle spielt der Standard of Life, das Min¬ 
dest maass der Lebenshaltung, welches durch das Herkom- 


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men bestimmt wird und grosse örtliche und zeitliche Ver¬ 
schiedenheiten aufweist. Die Menschen vermehren sich weit 
rascher, als die Mittel zur Erhaltung des Lebens, sodass 
immer eine grosse Zahl von Individuen sich an der äus- 
sersten Grenze der Existenzmöglichkeit herum¬ 
schlagen muss. Eine Verbesserung der Lebenslage der 
unteren Klassen hat in der Regel zur Folge, dass viele 
Leute noch früher heirathen und noch mehr Kinder erzeugen, 
worauf das frühere Elend wieder hergestellt ist. Eine „Lö¬ 
sung“ der sozialen Frage ist daher ebenso undenk¬ 
bar wie die Quadratur des Zirkels; stets wird die 
Menschheit bestrebt sein, sich bis an die äusserste Grenze 
der Möglichkeit auszudehnen. Allerdings muss die Abstufung 
der Einkommen ungefähr der Abstufung der Befähi¬ 
gungen entsprechen; weicht die Einkommenskurve erheblich 
von der Befähigungskurve ab, dann ist etwas faul im Staate 
und entsteht begründete Unzufriedenheit. Auch dürfen die 
Stände keine Kasten sein, sondern jeder befähigte Mensch 
soll sich in der Lage befinden, durch Fleiss und Tüchtigkeit 
an den Platz im Leben zu gelangen, an welchen er 
gehört. Noch Eines ist möglich, der Standard of 
Life kann erhöht werden. Wir wissen aus den For¬ 
schungen der Volkswirthschafter, dass jede Abkürzung der 
Arbeitszeit, jede Verbesserung der Löhne der Arbeiterklasse 
eine Steigerung der Produktionsmenge zur Folge hat, weil 
die Arbeiter geschickter und leistungsfähiger werden, und 
dass zu gleicher Zeit die Lebenshaltung steigt. Aber es 
wäre ein verhängnissvoller Irrthum, zu glauben, dass alle 
Individuen der unteren Befähigungsstufen dieser Hebung 
theilhaftig werden könnten. Nicht jeder Spinner oder Weber, 
der bisher eine Maschine bedient hat, lernt durch Aufbesse¬ 
rung seines Lohnes zwei, drei und mehr Maschinen be¬ 
dienen, sondern ein Theil kann den Fortschritten nicht 
folgen und wird in die unterste Stufe des Proletariates 
hinuntergestossen, die der Vagabundage und dem Ver¬ 
brecherthum verfällt. Die Steigerung der Leistungsfähig¬ 
keit der Glücklicheren selbst gibt den Anstoss zur Verminde¬ 
rung der Arbeiterzahl und zur Ausscheidung der Un¬ 
befähigtsten. Jede Erhöhung des Standard of Life hat daher 

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eine Licht- und eine Schattenseite, indem nicht nur 
das Loos der Einen verbessert, sondern auch dasjenige der 
Andern verschlechtert wird. Je höher die Ansprüche an die 
Leistungsfähigkeit der Arbeiter steigen, desto mehr unbe¬ 
fähigte Menschen können nicht mehr mitthun, die bei 
geringerem Standard of Life noch zur eigentlichen Arbeiter¬ 
klasse gehört hätten: jetzt sind sie rettungslos verloren. 
Daher die seltsame Thatsache, die von den Volkswirthschaf- 
tern und Sozialpolitikern vergeblich zu erklären versucht 
wurde, dass wir seit 20 Jahren unendliche Klagen über die 
Zunahme der Verbrechen und des Landstreicher¬ 
thums zu hören bekamen, während in Deutschland ein ganz 
ungeahnter Aufschwung der Industrie stattfand und der 
Standard of Life der gesicherten Arbeiter sich in 20 Jahren 
mehr gehoben hat als vorher in einem Jahrhundert! Der 
Redner deutete noch an, dass in dieser Aufstellung der Be¬ 
griff der „Befähigung“ nur summarisch genommen worden 
sei. In Wirklichkeit sei die Begabung der Individuen aus 
einer grösseren Zahl einzelner Anlagen zusammengesetzt, die 
vereinigt sein müssten, um den Erfolg hervorzubringen. 
Fehle eine derselben, dann bleibe der Erfolg aus. Daher 
sei nicht gesagt, dass es den Leuten der unteren Klassen 
durchweg an Verstand fehlen müsse, es könnten hochintelli¬ 
gente Individuen darunter sein, denen aber eine andere Gabe 
abgehe, sodass sie nicht zum Erfolge gelangen könnten. 
Solche ungünstig und widerspruchsvoll ausgestattete Leute 
fühlten sich mit Grund unglücklich, jedoch ihnen sei nicht 
zu helfen. Im Grossen und Ganzen stelle die Stände¬ 
bildung eine natürliche Auslese nach der Befähigung 
dar, und es sei Aufgabe der Anthropologie, diesen Gegen¬ 
stand im Einzelnen näher zu studiren, nicht aber in unge¬ 
rechtfertigten Stolze über die falschen Schlagworte der Ge¬ 
genwart hinwegzugehen. Sicherlich vergebe sich die Wissen¬ 
schaft nichts, wenn sie sich der Tagesfragen bemächtige und 
dieselben mit ihrem Lichte erhelle; dadurch werde sie sich 
im edelsten Sinne volksthümlich und nützlich machen. 


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Mittheilungen über Heinrich Hertz. 

Von Dr. M. Doll. 

Die ausserordentliche Theilnahme, welche sich bei dem 
Hinscheiden des Professors Hertz gezeigt hat, und zwar nicht 
nur für den Gelehrten, sondern auch für den Menschen, er- 
muthigt mich einer Aufforderung nachzukommen und Ihnen 
einige Mittheilungen aus dem Leben meines lieben Schwieger¬ 
sohnes zu machen. 

Heinrich Rudolf Hertz ward am 22. Februar 1857, als 
ältester Sohn des damaligen Rechtsanwalts, spätem Senators 
Hertz zu Hamburg geboren. Nachdem er bis zu seiner Kon¬ 
firmation eine Bürgerschule besucht hatte, bereitete er sich 
in den Jahren 1873/74 zu Hause auf die Gymnasialstudien 
vor und trat zu Ostern 1874 in die Oberprima der Gelehrten¬ 
schule des Johanneums, welches er Ostern 1875 mit dem 
Zeugniss der Reife verliess. Schon als Knabe entwickelte 
er neben grossen Geistesgaben ein ungewöhnlich reges In¬ 
teresse an den exakten Wissenschaften. Ausser den Schul¬ 
fächern betrieb er mit Eifer mechanische Arbeiten an der 
Hobel- und Drehbank und verfertigte sich mit den ein¬ 
fachsten Hilfsmitteln ganz brauchbare Instrumente, wie z. B. 
ein Spektroskop u. a. Auch zeigte sich bei ihm ein grosses 
Interesse für fremde Sprachen. Noch in der Zeit seines 
Schulbesuchs verschaffte sich der junge Mann eine arabische 
Grammatik, welche ihn so sehr interessirte, dass er unter 
der Beihülfe eines Orientalen, der in Hamburg lebte, die 
arabische Sprache lernte. Hertz war mit einem ausserordent¬ 
lichen Sprachtalent begabt, denn in der Schule hatte er 
französisch und englisch gelernt, im Johanneum lateinisch 
und griechisch und hatte dabei ein so gutes Gedächtniss, 
dass er einen grossen Theil der Homer’schen Gesänge aus- 

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wendig konnte; ferner las er die italienischen Klassiker in» 
Original, und als ich mich einmal mit ihm über die spanische 
Sprache unterhielt, sagte er mir: übersetzen kann ich sie 
auch, aber sprechen kann ich sie nicht. 

Dasselbe Talent, wie bei dem Erlernen der Sprachen 
hatte Hertz auch bei dem Studium der mathematischen Dis- 
ciplinen, welche er sich in der Hauptsache durch häusliches 
Studium angeeignet hatte. 

Als es galt einen Beruf zu wählen, bestimmte ihn der 
Wunsch, Nützliches und Dauerndes zu schaffen und die an¬ 
geborene Bescheidenheit, die ihn an seiner Befähigung zur 
Förderung der Theorie zweifeln liess, ausserdem wohl auch 
die Freude an mechanischen Arbeiten sich zum Ingenieur 
auszubilden. 

Zur Vorbereitung auf diesen Beruf arbeitete er in Ge- 
mässheit der damaligen Vorschriften während des Jahres 
1875/76 als Volontär auf dem städtischen Bauamte in Frank¬ 
furt a/M. Das Sommersemester 1876 studirte er auf der 
Polytechnischen Schule in Dresden. Herbst 1876/77 diente 
er als Einjähriger im Eisenbahnbataillon in Berlin. 

Im Herbst 1877 ging Hertz nach München in der Ab¬ 
sicht sich auf der Technischen Hochschule als Ingenieur 
auszubilden. In der Zeit las er ein Buch über Wärmetheorie, 
welches sein ganzes Denken so in Anspruch nahm, dass der 
Drang nach wissenschaftlichen Studien mehr und mehr her¬ 
vortrat, wodurch er sich überzeugte nur in diesem Studium 
seine wahre Befriedigung finden zu können und ging daher 
als Student der Physik zur Universität über, wo er einige 
Kollegien belegte, musste sich aber nach dem Besuch einer 
Vorlesung immer sagen, was hier vorgetragen wird, das 
weisst du ja schon und so beschäftigte er sich in der Haupt¬ 
sache mit häuslichem Studien. 

Von München ging Hertz im Herbst 1878 nach Berlin, 
wo er sich 1879, durch die Lösung einer von der Fakultät 
gestellten Preisaufgabe „Ueber die Grösse der Extraströme“ 
die ersten Lorbeeren holte, durch Verleihung einer goldenen 
Medaille. Diese Preisschrift hätte er auch zur Erlangung 
des Doktorgrades, 1880, verwenden können, seine Disser¬ 
tationsschrift handelte aber: „Von der elektrischen Induktion 


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in rotirenden Kugeln“. Durch diese Arbeit wurde Helmholtz 
auf ihn aufmerksam, er erwählte ihn im Sommer 1S80 zu 
seinem Assistenten, wodurch Hertz zwei Jahre am Physi¬ 
kalischen Institut thätig war; und die Anregungen dieses 
hervorragenden Physikers wirkten auf die Entwicklung des 
jungen Talentes ausserordentlich förderlich. 

Ostern 1883 habilitirte sich Hertz mit einem Lehrauf¬ 
trag des Unterrichts-Ministers und auf den Rath des Herrn 
von Helmholtz als Privatdocent an der Universität Kiel. Von 
jener Zeit sprach er immer mit Begeisterung über die frische 
Luft, die grossartigen Wälder und das blaue Meer, was 
nirgends schöner sein könne, als es da war. Er lebte in 
einem befreundeten Kreis junger Akademiker, hatte nur 
wenige Stunden zu lesen und konnte ganz der Ausarbeitung 
seiner Gedanken leben, was ihm immer die liebste Beschäf¬ 
tigung war. 

Von Kiel nahm Hertz 1885 einen Ruf als ordentlicher 
Professor für Physik an die Technische Hochschule in Karls¬ 
ruhe an, und hier gelang es ihm, das, was bis dahin über 
die Beziehungen zwischen Licht und Elektricität nur als eine 
geistreiche Meinung einzelner Gelehrter bekannt war durch 
sinnreich erdachte Versuche zu beweisen; und es war dies 
kein glücklicher Zufall, der ihn dazu geführt hat, wie Hertz 
sich seiner Zeit in einer Sitzung des Naturwissenschaftlichen 
Vereins, in all zu grosser Bescheidenheit äusserte, denn schon 
im Jahr 1882 stellte Helmholtz eine Preisaufgabe zur Lösung 
dieses Problems, und seit dieser Zeit beschäftigte sich der 
strebsame Forscher mit dieser Frage. 

Im Jahr 1889 folgte Hertz einem Ruf an die Universität 
Bonn, wohin er zu Ostern übersiedelte. Durch den Umzug 
dahin trat in seinen Arbeiten eine Pause ein, einmal dadurch, 
da sein Vorgänger, der Herr Geheimerath Clausius mehr 
mathematischer Physiker war, daher musste die Sammlung 
physikalischer Apparate ergänzt und neue Räume zur Auf¬ 
stellung derselben, durch Benutzung der früheren Dienst¬ 
wohnung, geschaffen werden. Ferner nahm die Korrespondenz, 
verursacht durch die Karlsruher Arbeiten, ausserordentlich 
viel Zeit in Anspruch, um all die Anfragen zu beantworten, 
welche von jungen Physikern an ihn gerichtet waren, die an 


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seine Theorien anschlossen und weiter arbeiteten, denn wie 
gerne war er bereit über manche unvorhergesehene Schwie¬ 
rigkeiten Auskunft zu ertheilen und mit Rath und That bei¬ 
zustehen. 

Hertz war bei den Studenten sehr beliebt, denn als er 
nach einer längeren Pause, verursacht durch seine Krankheit, 
die Vorträge wieder beginnen konnte, so brach ein Jubel los, 
wie man ihn vorher wohl selten gehört hatte. Von seinen 
Assistenten und Praktikanten wurde er aber geradezu 
verehrt. 

Seine Arbeit der drei letzten Jahre ist ein mathematisches 
Werk über die Prinzipien der Mechanik, dasselbe erscheint im 
Sommer 1894 bei Barth in Leipzig in dem Format der Annalen, 
in einem Umfang von 280 bis 290 Seiten und enthält ausser 
der Einleitung Lehrsätze mit den zugehörigen Beweisen. Herr 
Geheimerath von Helmholtz wird dazu ein Vorwort schreiben 
und der Verleger das Bild des Verfassers beigeben. Ueber 
den Inhalt schreibt Hertz an den Verleger: „Bei der Be¬ 
arbeitung der Prinzipien der Mechanik bin ich von ganz 
neuen Gesichtspunkten ausgegangen, von welchen bis jetzt 
noch nichts bekannt, und über welche auch noch nichts ver¬ 
öffentlicht ist, und jeden einzelnen Satz habe ich wiederholt 
durchgearbeitet“. Ihm selbst war es jedoch nur vergönnt 
14 Tage vor seinem Tod die ersten neun Seiten Korrektur 
zu lesen, das weitere zur Herausgabe besorgte sein Assistent 
Pr. Lenard. 

Die Bearbeitung dieses letzten Werkes, welches er gleich¬ 
sam als ein Vermächtniss an die Wissenschaft hinterlassen 
hat, erfuhr aber wiederholte Unterbrechungen durch die auf¬ 
tretende Krankheit, welche sich zuerst im August 1892 durch 
eine allgemeine Herabstimmung und durch heftiges Fliessen 
der Nase zeigte. Die Ursache war eine Kiefereiterung, deren 
Vorhandensein sich zu Anfang Oktober in einer Mittelohr¬ 
eiterung äusserte, welche dem Kranken bis zur Operation, 
Ende Oktober grosse Schmerzen verursachte. Bald trat 
wieder Besserung ein, so dass er im Dezember schon wieder 
den ganzen Tag ausser dem Bett zubringen konnte. Geistige 
Arbeiten waren ihm jedoch untersagt; aber wie sich Hertz 
bei seinen wissenschaftlichen Studien immer die schwierigsten 


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Aufgaben stellte, so beschäftigte er sich nun mit der Her¬ 
stellung eines Karton • Modelles des Kölner Domes und mit 
grosser Sorgfalt setzte er die kleinen gotischen Thürmchen 
auf. \ber mit Wehmuth erfüllte es den Zuschauer, dass der 
Gelehrte, der sonst nur mit ernsten Dingen beschäftigt war, 
sich auf diese Weise unterhalten musste. 

Sobald sich Hertz wieder etwas gekräftigt hatte, so 
wurden zur Behandlung der Kiefereiterung Zähne gezogen, 
Anbohrungen gemacht, Kanülen eingesetzt und durch die 
täglichen Ausspühlungen wurde er sehr geplagt. Von einem 
Aufenthalt in Oberitalien kehrte der Kranke im Frühjahr 
gut aussehend zurück und konnte im Sommersemester 1893 
seine Vorlesungen wieder aufnehmen. 

Eine Badekur in Reichenhall im August wirkte sehr 
kräftigend, aber leider begann Ende September wieder eine 
starke Eiterung, die eine erneute Operation bedingte, auf 
welche sich Hertz so wohl fühlte, dass er mit dem Beginn 
des Wintersemesters seine Vorträge anfangen konnte. 

Sehr beängstigend waren jedoch die im November auf¬ 
tretenden Gliederschmerzen, welche fast täglich Zunahmen, 
so dass er am 7. Dezember seine Vorlesungen schliessen 
musste. Er übergab sodann das Physikalische Institut zur 
Verwaltung seinem Assistenten, schrieb seinen letzten Willen 
nieder, und legte sich auf ein Schmerzenslager, das an Hef¬ 
tigkeit mehr und mehr zunahm, bis am 1. Januar 1894 der 
erlösende Tod eintrat. 


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Ueber Durchsichtigkeit der Luft im Hinblick 
auf Fernsiehten. 

Voa Hofrath Prof. Dr. H. Meidinger. 

Einleitung. Die Stimmung des Menschen, seine Lebens¬ 
freudigkeit, seine Arbeitslust, sind nicht selten durch die Be¬ 
schaffenheit der Atmosphäre beeinflusst. Heiterer Himmel, 
Sonnenschein wirken anregend, belebend; trüber Himmel, 
fehlendes Licht machen Missmuth, halten die Gedanken ferne. 
Daneben gibt es noch einen Zustand der Atmosphäre, der 
unabhängig von dem Grade der Verschleierung des Firma¬ 
mentes durch Wolken ist, der uns in der Regel nicht so un¬ 
mittelbar offenkundig wird, in besonderen Fällen jedoch in 
auffallender Weise sich zu erkennen gibt und dann unsere 
Stimmung ebenfalls zu beeinflussen geeignet ist: die Durch¬ 
sichtigkeit der Luft, welche die Deutlichkeit entfernter Gegen¬ 
stände und die Weite des Blicks bedingt. Die Luft kann 
bei heiterem wie bei bedecktem Himmel einen hohen oder 
geringen Grad der Durchsichtigkeit besitzen, im extremen 
Falle ist sie undurchsichtig — bei Nebel, der Wolkenbildung 
auf der Erdoberfläche selbst. Dieser letztere Zustand kann 
durch alle Zwischenstufen in die vollkommenste Klarheit über¬ 
gehen, wo der Blick in die Weite nur durch die runde Form 
der Erde selbst seine Grenze findet und bei Gebirgen über 
300 Kilometer hinaus sich erstrecken kann. Die Trübung 
der Atmosphäre, soweit sie nicht von unverkennbarem Nebel 
herrührt, der alles auf kurze Entfernungen verhüllt, wird 
Duft genannt. 

Der Duft hat nicht nur die Wirkung, je nach seiner 
Stärke oder nach der Grösse der Entfernung die Gegenstände 
verschieden deutlich erscheinen zu lassen, sondern auch ihren 
Farbenton zu mildern, das Grelle desselben, besonders in der 
Beleuchtung bei Sonnenschein abzuschwächen. Es entsteht 


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damit eine neue malerische Wirkung der Landschaft, die von 
den Künstlern zumeist hoch geschätzt wird. Lässt sich der 
Maler im Allgemeinen als Freund des Duftes ansehen, so be¬ 
findet sich in anderer Lage der zumeist nicht künstlerisch 
beanlagte oder ausgebildete Spaziergänger,, der Freund der 
Bewegung in der freien Natur, der Tourist, welcher Berge 
besteigt, um die Landschaft zu bewundern. Ihm ist der Duft 
eine Beschränkung des Genusses, er verkürzt den Blick in 
die Weite. Er will viel und vielerlei sehen, besonders be- 
merkenswerthe Punkte erkennen, an die sich persönliche oder 
allgemeine Erinnerungen knüpfen, er will die Grösse der 
Welt so recht empfinden, die nirgends mehr als auf der Höhe 
zum Bewusstsein kommt; der Blick in die Unendlichkeit des 
gestirnten Himmels kann letztere W'irkung nicht in dem 
Grade hervorrufen, es fehlt hier jeder Vergleich für die Sinne, 
es ist alles Abstraktion, nur die geistige Vertiefung in die 
Materie kann das Erhabene fassen machen. Je nach der 
Stärke des Duftes nun ist Aussicht oder keine Aussicht vor¬ 
handen und ist der Zweck der Bemühungen erreicht oder 
nicht erreicht, die Freude bereitet oder verdorben. Hat man 
von einem bemerkenswerthen hohen Punkt alles gesehen, was 
überhaupt in der Möglichkeit lag, so darf man sich zu den 
besonders Beglückten zählen, man gedenkt dessen noch nach 
Jahren und findet darin wiederholt ein Unterhaltungsthema 
im geselligen Kreise. Im Hinblick auf die grosse Mehrzahl 
derartig empfindender Menschen insbesondere soll die folgende 
Untersuchung angestellt werden. Als praktisches Ziel ist 
dabei ins Auge zu fassen: gibt es im Zustand der Atmo¬ 
sphäre, im Witterungscharakter liegende Anzeichen, aus denen 
sich der Grad ihrer Durchsichtigkeit erschliessen lässt, um 
bei Besteigung eines Berges oder erhöhten Punktes überhaupt 
mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Aussicht rechnen zu 
können? Die Frage kann allgemein und auch im Besonderen 
behandelt werden. Es lässt sich von vornherein aunehmen, 
dass die Lage eines Ortes nicht ohne Einfluss auf die Durch¬ 
sichtigkeit seiner Atmosphäre ist, sowohl im Hinblick auf 
mehr Nord oder Süd, seinen Abstand von Pol und Aequator, 
wie auf Beschaffenheit seiner Umgebung. Eine sehr grosse 
Stadt oder eine industrielle Gegend, in der viele Kohlen ge- 


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brannt werden, ist fast immer in einen Schleier gehüllt, der 
jeden Fernblick hindert, auch wenn sonst die Bedingungen 
zu einem solchen günstig wären; je nach Windrichtung 
kann dann doch Aussicht nach der einen oder andern Rich¬ 
tung sich eröffnen. Ein allgemeines Gesetz kann blos aus 
längerer, Jahre hindurch andauernder Beobachtung erschlossen 
werden, und zwar an Orten, die unmittelbaren Einflüssen der 
Umgebung möglichst entzogen sind. Das Ergebniss wird 
zwar immer eine lokale Färbung tragen und sich durchaus 
nicht auf sehr entfernte Orte übertragen lassen, so dass man 
z. B. nicht schliessen darf, eine bestimmte Windrichtung, die 
am einen Orte mit klarer Luft verbunden ist, müsse solche 
überall zeigen. Aber es wird der fortgesetzten Beobachtung 
doch gelingen, das besondere Lokale zu erkennen, es auf 
seine Ursachen zurückzuführen und nach seiner Heraus¬ 
schälung das Allgemeine zu begründen. Das Folgende stellt 
einen Versuch der Lösung der Aufgabe dar. 

Die Lage des Ortes, an weichem die Beobachtungen haupt¬ 
sächlich gemacht wurden, Karlsruhe im südlichen Deutschland, 
in der von SSW nach NNO zwischen Basel und Darmstadt auf 
eine Strecke von 270 km sich ziehenden, 30 bis 40 km breiten 
Rheinebene, ist für den Zweck nicht ungünstig. Odenwald 
und Schwarzwald begrenzen rechtsseitig des Rheins die Ebene 
auf eine sichtbare Strecke von 125 km (Melibokus NNO 80 km, 
Hornisgrinde SSW 45 km — rein nördlich, sehr selten 
sichtbar, der Taunus, 135 km), fast parallel linksrheinisch 
laufend Haardtgebirge und Vogesen, sichtbar auf noch etwas 
weiter (Ausläufer der Haardt bei Deidesheim nach NNW 
50 km, Odilienberg nach SW 100 km und noch weiter süd¬ 
lich). Die leicht erreichbaren, bis zu 1200 m gehenden Gipfel 
gestatten, die Beobachtungen gelegentlich auch von der 
Höhe anzustellen, die, wie sich zeigen wird, zu ganz un¬ 
erwarteten Ergebnissen führen können. Karlsruhe und Nach¬ 
barschaft haben eine massig entwickelte Industrie, der er¬ 
zeugte Rauch stört den Fernblick nicht wesentlich; für das 
Studium ist er sogar als vortheilhaft zu bezeichnen, indem 
er den weiterreichenden Einfluss des Rauchs auf die Durch¬ 
sichtigkeit der Luft im Allgemeinen unmittelbar erschliessen 
lässt. In Bezug auf weitere Rauchentwicklung in dem Rhein- 


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tlial ist nach NNW insbesondere das 50 Kilometer entfernte 
Mannheim nebst Ludwigshafen namhaft zu machen, wo sich 
zahlreiche Fabrikanlagen mit Raucherzeugung vorfinden, nach 
SSW das Eisass mit verschiedenen grösseren und kleineren 
Städten von industrieller Bedeutung (Strassburg, Kolmar, 
Mülhausen etc.). Fast überall werden in den Wohnhäusern 
Steinkohlen gebrannt, auf dem rechten Rheinufer mehr die 
Ruhrkohle, auf dem linken Ufer mehr die gasreichere, stärker 
russende Saarkohle, welche dort billiger zu beziehen ist. 

Die Beobachtungen dürften für den hiesigen Standpunkt 
als abgeschlossen angesehen werden und ebenso möchte, was 
sich denselben entnehmen lässt, kaum eine Erweiterung zu¬ 
lassen. Aber vollständig ausgetragen kann die Sache noch 
nicht angesehen werden. Die Beobachtungen wurden wesent¬ 
lich in der Tiefe (120 m Uber dem Meere) angestellt. Höhe 
und Tiefe verhalten sich aber, wie die mehr zufälligen Be¬ 
obachtungen zeigten, oft verschieden und wird darüber be¬ 
sonders gehandelt werden müssen. Nur durch lange fort¬ 
gesetzte regelmässige Beobachtungen auf grossen Höhen, min¬ 
destens 1500 m über dem Meer, wird sich ein voller Einblick 
in die Vorgänge gewinnen lassen und das noch immer nicht 
völlig gelöste Räthsel des Duftes und der klaren Aussichten 
wissenschaftlich verschwinden. 

Die Wirkung des Duftes auf das Kolorit, der 
Landschaft. Die blaue Farbe des Himmels schrieb man 
früher der Luft zu, bezw. ihren gasförmigen Bestandtheilen. 
Neuerdings neigt man der Ansicht zu, dass die ganze Atmo¬ 
sphäre mit einem äusserst feinen Staub erfüllt sei, der den 
eigentlichen Träger der blauen Farbe bilde, während die Luft 
selbst das Licht ohne irgend welche Veränderungen hindurch¬ 
lasse. Die Wirkung des Staubs beruht darauf, dass er von 
dem weissen Sonnenlicht die blauen Strahlen von geringer 
Wellenlänge reflektirt und dadurch sichtbar wird, während 
die anderen Strahlen von grösserer Wellenlänge in seiner 
kleinen Masse kein Hinderniss für ihre Fortbewegung finden. 
Grössere Staubtheilchen hingegen reflektiren alle Strahlen, sie 
erscheinen dadurch weiss. Die durch den Duft bewirkte 
Trübung der Luft rührt ohne jeden Zweifel von solchem ver- 
hältnissmässig grobem Staub her, der übrigens immer noch 


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sehr fein sein muss, sonst würde er sich rasch senken. Die 
Geschwindigkeit, mit der ein fester Körper in der Luft fällt, 
nimmt mit seiner Grösse ab; der Widerstand der Luft kann 
relativ so anwachsen, dass sich ein Staubtheilchen im Laufe 
eines Tages noch nicht um ein Meter senkt. Je mehr die 
Luft von dem Duftstaub enthält, um so weniger klar ist sie, 
um so beschränkter ist der Fernblick, die Gegenstände sind 
wie mit einem weissen Schleier bedeckt. 

Das natürliche Kolorit der Gegenstände kann übrigens 
auch in völlig duftfreier Luft nur auf eine beschränkte Ent¬ 
fernung erhalten bleiben; es muss sich mit der blauen Farbe 
des feinsten Luftstaubes, oder sagen wir für die Folge einfacher 
„der Luft selbst“, mengen. Der blaue Ton wird um so mehr 
überwiegen, je grösser die Entfernung ist. Das Luftblau des 
Himmels hat vollkommenes Schwarz zum Hintergrund, der 
Ton erscheint um so mehr dunkel, je geringer die Höhe der 
ganzen Atmosphäre ist. Auf sehr hohen Bergen erscheint 
der Himmel mehr dunkelblau, wobei allerdings noch mit- 
wirken wird, dass auch der Duftstaub, der wohl mehr an 
die tieferen Regionen gebunden ist, sich erheblich vermindert. 
Die Farbe des Hintergrundes wird nun bis zu einer gewissen 
Entfernung auf den Blauton immer einwirken. Die über uns 
befindliche Luftsäule würde bei unveränderter Dichtigkeit 
keine grössere Höhe als rund 8000 m haben, etwas mehr als 
eine deutsche Meile. Schwarze Gegenstände, die ebenso weit 
in horizontalem Sinne von uns entfernt sind, würden danach 
mit dem gleich starken Blau sich bedecken, sofern die Wir¬ 
kung von den gasförmigen Bestandtheilen der Luft abhinge. 
So stark erscheint das Blau jedoch nicht. Die Erklärung kann 
man wohl nur in dem staubförmigen Träger des Blau finden; 
derselbe ist voraussichtlich in der mehr als 10 Meilen hohen 
Atmosphäre in grösserer Menge vorhanden, als in blos einer 
Meile horizontaler Luftschicht; man wird doch nicht an¬ 
nehmen können, dass die Menge des Staubes unmittelbar 
an die Gewichtsmenge oder Dichtigkeit der Luft geknüpft 
sei. Gewiss kann derselbe auch von stark verdünnter Luft 
gleich gut getragen werden, allerdings muss er mit den letzten 
Spuren der Luft am Ende auch verschwinden. Eine grössere 
Dichtigkeit des Staubes dürfte immerhin unmittelbar über der 


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Erdoberfläche vorhanden sein; mit Aufsteigen bei der Er¬ 
wärmung dehnt sich die Luft aus und der in ihr enthaltene 
Staub muss sich dann entsprechend verdünnen. Aber die 
in den tieferen Regionen erfolgenden Wasserniederschläge 
werden hier stets einen Theil des Staubs mit zu Boden führen, 
der Duftstaub kann durch dieselben sogar vollständig entfernt 
werden, worauf später noch zurückgekommen werden wird. 

Auf den Farben ton des Hintergrundes hat nun auch der 
Grad seiner Helligkeit einen bedeutenden Einfluss, der ganz 
von dem Scheinen und von der Stellung der Sonne abhängt. 
Bei halbbedecktem Himmel, wenn die Sonne bald frei scheint, 
bald hinter Wolken tritt, kann man dies unverkennbar wahr¬ 
nehmen; ein bewaldeter Berg im Abstand von etwa zwei 
Meilen erscheint mehr grün bei Sonnenschein, mehr blau, 
wenn er nicht vom Licht getroffen wird; das Gleiche zeigt 
sich auch, wenn die Bergwand winkelig läuft; die nicht von 
der Sonne getroffenen Flächen erscheinen mehr blau als die 
beleuchteten Flächen. Der natürliche Farbenton einer grünen 
Bergwand zeigt sich aber immer bei einer gewissen Ent¬ 
fernung, drei bis vier Meilen, von dem Luftblau ganz unter¬ 
drückt. Bei duftfreier Atmosphäre erscheint der Ton dann 
tief dunkelblau, wie man ihn am Himmel nie in dem Grade 
beobachtet. Die ganz bewaldeten Abfälle des Schwarzwaldes 
nähern sich gegen SO Karlsruhe bis auf 5 Kilometer und 
laufen gegen SW weiter in einer sich allmählig erhöhenden 
Wand bis zu dem 525 m hohen Fremersberg bei Baden, 
26 Kilometer weit, der dann noch von der 20 Kilometer 
weiter nach Süden liegenden 1200 m hohen Hornisgrinde 
überragt wird. Man hat hier Gelegenheit, die Uebergänge 
des Grün in das Blau allmählig zu verfolgen. Der Fremers¬ 
berg ist immer rein blau; schon am Eichelsberg am Ausgang 
des Murgthaies, 18 Kilometer von Karlsruhe, ist das Grün 
des Waldes fast verschwunden, bei fehlendem Sonnenlicht 
stets. Das Haardtgebirge jenseits des Rheins, dessen nächster 
Punkt (Madenburg bei Klingenmünster, 474 m hoch) 32 Kilo¬ 
meter von Karlsruhe entfernt ist, erscheint immer blau. Das 
Blau wird uni so reiner sein, je grösser die von dem Licht 
durchdrungene Luftmasse ist, je weiter entfernt der Gegen¬ 
stand. Bei sehr wenig gefärbtem Hintergrund, wie z. B. beim 


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Kalkgebirge, ist das Blau bei duftfreier Atmosphäre auch auf 
grosse Entfernungen sehr licht und Schneeberge erscheinen 
kaum gefärbt; die blendende Wirkung des Weiss übertönt 
fast vollständig das lichtschwache, verhältnissmässig spärliche 
Blau der Luft. 

Bei ganz duftfreier Atmosphäre erscheinen auch sehr 
ferne Waldgebirge ziemlich dunkelblau und dadurch verhält¬ 
nissmässig nahe gerückt. So ist z. B. kein wesentlicher 
Unterschied in dem Ton des Fremersberges und der über¬ 
ragenden, fast doppelt so entfernten Hornisgrinde. Der¬ 
artiges beobachtet man jedoch nur selten. Unter gewöhn¬ 
lichen Umständen erscheint das ferne Gebirge viel lichter im 
Blauton und dadurch erhalten wir gerade den Eindruck seiner 
grösseren Entfernung von uns. Der zumeist vorhandene Duft 
summirt sein Weiss zu dem des Duftblau und mitunter in 
dem Grade überwiegend, dass selbst nahe Gebirge durch das 
Weiss schleierartig verdeckt werden und von einem Blauton 
dann nichts mehr übrig bleibt. So kommt es auch, dass der 
Himmel über dem Horizont immer heller erscheint, als im 
Zenith; die vom Licht durchdrungene Luftschicht ist viel 
länger im ersteren Falle und damit das Weiss des Duftes in 
grösserer Menge vorhanden. Der lichte Blauton, welcher bei 
mässigem Duft über den entfernten Gegenständen liegt, wird 
von den Malern dem Duft selbst zugeschrieben, derselbe also 
für bläulich gefärbt erklärt. 

Die Wirkung des Duftes ist sehr verschieden bei Sonnen¬ 
schein und bei verdeckter Sonne, im ersteren Falle auch je 
nach der Weltgegend, nach der der Blick gerichtet ist. Der 
Duft wird in viel höherem Grade wahrgenommen bei schei¬ 
nender Sonne, wenn ihr Licht die einzelnen Staubtheilchen 
trifft. Dieselben erscheinen dann stark hell, indem sie die 
Sonnenstrahlen reflektiren, sie blenden damit das Auge und 
lassen den Hintergrund der Landschaft weniger zur Geltung 
kommen. Man kann solches bei fernen Gebirgen ganz auf¬ 
fallend beobachten, wenn bei halbbedecktem Himmel die Sonne 
bald frei scheint, bald hinter Wolken tritt. Abwechselnd 
erscheint das Gebirge bald lichtblau, bald dunkelblau. Bei 
nicht scheinender Sonne und schwachem Duft zeigen sich 
Fremersberg und Hornisgrinde im gleichen dunklen Ton, 


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letztere wie direkt hinter ersterem stehend. Sobald die Sonne 
scheint, wird die Hornisgrinde blass und tritt für die Em¬ 
pfindung weit zurück. So erklärt es sich, dass ferne Gebirge 
kurz vor Sonnenuntergung deutlicher hervortreten, wenn sie 
bei höherem Sonnenstand nur schwach sichtbar waren; stets 
werden sie dunkler. Ganz besonders auffallend wird solches, 
wenn sie in der Richtung der untergehenden Sonne liegen, 
wie z. B. das Haardtgebirge für den Beobachter in Karlsruhe. 
Es ist eine bekannte Thatsache, dass in der Richtung der 
Sonne die Landschaft zumeist weniger klar erscheint, der 
Fernblick begrenzter ist, als in entgegengesetztem Sinne. In 
der Richtung der Sonne wirken eben die Staubtheilchen des 
Duftes am meisten hell und blendend, sie reflektiren das Licht 
am stärksten; es gibt sich dies ebenso in dem Blau des Him¬ 
mels um die Sonne herum zu erkennen, es ist in der Regel 
mehr weiss. Bei heiterem Wetter und vollkommen duftfreier 
Luft, sehr selten in der Tiefe, öfter auf hohen Bergen, er¬ 
scheint der Himmel auch unmittelbar um die Sonne herum 
tiefblau, ist überhaupt ein Unterschied in dem Blauton bis 
zum Horizont kaum zu bemerken. — Man hat bei dem Rauch 
Gelegenheit, Aehnliches wie bei dem allgemeinen Duft zu be¬ 
obachten. Befindet man sich auf einem mässig hohen Aus¬ 
sichtspunkt, z. B. 50 m hoch und schaut nach einem nicht 
sehr entfernten Orte, über dem die etwas tief stehende Sonne 
scheint, so wird Ort und Landschaft dahinter fast unsichtbar 
sein, sobald Rauch aus den Schornsteinen der Häuser auf¬ 
steigt; mit einem Schlag kann sich das Bild ändern, wenn 
die Sonne hinter Wolken geht, verhältnissmässig deutlich tritt 
dann alles hervor. Bei entgegengesetztem Stand der Sonne 
ist solches weit weniger auffallend. Kann man einen solchen 
Ort (auch nur ein einzelnes Gebäude, von welchem Rauch auf¬ 
steigt) umkreisen, so lassen sich bei fortdauerndem Sonnen¬ 
schein die verschiedenartigen Wirkungen des Rauchs je nach 
der Stellung der Sonne zu diesem und dem Beschauer deut¬ 
lich erkennen. Ein mit Duft erfülltes Thal erscheint gegen 
die in seiner Axe stehende Sonne trübe, in entgegengesetzter 
Richtung klar, was man oft bei der Bahnfahrt durch die 
Schwarzwaldthäler beobachten kann, die sich mit dem Loko- 
motivrauch füllen. — Ein weiteres Beispiel von der Wirkung des 
Rauchs. Ein Zimmer liege gegen Westen oder Osten, so dass 


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es von der tiefstebenden Sonne durchstrichen werden kann. 
Wird in diesem Zimmer geraucht, so sind die darin befind¬ 
lichen Personen für einen im Hintergrund stehenden Be¬ 
schauer fast nicht sichtbar, wenn die Sonne in das Zimmer 
nach jenem zu hereinscheint. So sind auch die Kaffee- oder 
Bierwirthschaften, in denen sehr stark geraucht wird, dem 
Anschein nach des Abends immer stärker mit trübendem 
Bauch erfüllt, als am Tag; die vielen vertheilten Lichter 
beleuchten ihn eben immer gegen die einzelnen Gäste hin, 
während am Tage die Sonne in der Regel nicht nahe hori¬ 
zontal hereintritt und wenn sie es thut, doch nur kurze Zeit. 

Noch in anderer Weise hat man Gelegenheit, die Wir¬ 
kung des von der Sonne beleuchteten Staubes zu beobachten. 
Die Fensterscheiben bedecken sich nach einiger Zeit immer 
mit Staub. Schaut man dann durch sie ins Freie, während 
sie von dem Sonnenlicht getroffen werden, so erscheint draussen 
alles verschleiert, während der Blick durch ein daneben be¬ 
findliches, von der Sonne nicht getroffenes Fenster keine Un¬ 
klarheit wahrnehmen lässt. Man ersieht hieraus zugleich, 
wie gering die Menge des Staubs in der Luft sein muss, 
welche den Duft hervorruft; hier ist (in gerader Linie, im 
einzelnen Strahl, nicht dem Volume nach) auf Meilen Wegs 
vertheilt, was in dünner, bei mangelndem Sonnenschein kaum 
wahrnehmbarer Schicht auf dem Fenster lagert. 

Die Materie des Staubs. Die Frage, welche zunächst 
interessirt, ist die: woraus besteht der Duftstaub? Auf dem 
direkten Weg der Analyse wird man dies kaum mit Sicherheit 
ausfindig machen können. Wenn man Luft filtrirt. so bleibt 
allerdings der in ihr enthaltene Staub zurück und bei grossen 
Mengen kann man ihn in seinen Bestandtheilen bestimmen. 
Die eigentliche trüb machende Substanz könnte im beson¬ 
deren Versuch eine nebensächliche Rolle spielen. Was uns 
als gleichmässiger Duft der Luft erscheint, ist es durchaus 
nicht in der Masse; mehr oder weniger trübe Stellen 
neben und hintereinander wechseln ab und summiren sich 
in ihrer Wirkung zu etwas gleichartigem. Da kann nun das 
Filtrat recht wohl einer Luftmasse entnommen werden, 
die gerade die trüb machende Substanz nur in geringem 
Grade enthält. Das Filtrat der Luft ist organischer und an¬ 
organischer Art; in den geschlossenen Wohnungen wird die 


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organische Substanz eine grössere Rolle spielen, im Freien je 
nach Ort und Zeit bald die eine bald die andere. (Die Frage 
der Substanz des Himmelsblau wird hiermit nicht berührt.) 
Wie gross in den Wohnungen die Menge des Staubes ist, 
davon überzeugt man sich, wenn man in ein dunkles Zimmer 
das Sonnenlicht durch einen feinen Spalt eintreten lässt; der 
ganze Strahl erscheint hell durch zahllose herumschwirrende 
Theilchen, sogenannte Sonnenstäubchen. Die Fülle des in der 
freien Luft befindlichen Staubes tritt lebhaft durch die Wirkung 
des elektrischen Scheinwerfers zur Nachtzeit vor Augen. Auf 
Kilometer weit wird in dem konisch sich erweiternden Strahl 
die Luft sichtbar durch Milliarden leuchtender Punkte. 

Der Staub besteht im Hause aus zerriebenen Nahrungs¬ 
mitteln, Kleiderstoffen, Möbeln, Körpertheilen, Kohle und 
Asche, im Freien auch aus Rauch, Steinpulver (Strassen- 
und Feldstaub), zerriebenen und zersetzten Pflanzentheilen, 
Thierresten, Thierkoth; dazu noch die organisirte Substanz 
der Bakterien, der kleinsten Lebewesen, welche die Ursache 
der Gährung, der Fäulniss, vieler Krankheiten etc. bilden. 

Unter den genannten Stoffen wird man die Materie des 
Duftes zu suchen haben. Welche dürften nun vorzugsweise 
in Frage kommen? Doch wohl nur solche Stoffe, von denen 
es feststeht, dass sie sich zu jeder Zeit in grossen Mengen 
entwickeln und erheben können, denn man sieht oft die klare 
Luft bei Windstille innerhalb weniger Tage sich mit starkem 
Duft erfüllen, der nur lokale Ursache haben kann. An den or¬ 
ganischen Staub wird nun nicht als stete Hauptquelle des Duftes 
zu denken sein. W r as sich davon in den Wohnstätten der 
Menschen, durch den Verkehr auf den Strassen entwickelt, 
dürfte für das grosse Ganze kaum in Betracht kommen. Die 
Bakterien haben gewiss nur einen ganz geringfügigen Antheil 
an dem Duft, in der kalten Jahreszeit können sie sich nicht 
vermehren, auch nicht bei dauernd trockenem warmem Wetter. 
Abgestorbene Pflanzen zersetzen sich auch nur bei feuchtem 
und wärmerem Wetter, nicht bei Frost; der Wind kann sie 
zwar durch die Bewegung zerreiben und zerstäuben, er weht 
aber nicht immer. Die zähe lebende Pflanzensubstanz wider¬ 
steht der Wirkung des Windes. Von Thierresten dürften 
wohl nur die der Insekten quantitativ in Betracht kommen, 
deren Zerfall aber an die gleichen Bedingungen wie bei der 


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Pflanze gebunden ist. Dass diese Stoffe alle in höhere Luft¬ 
schichten gelangen und Duft bildend wirken können, ist un¬ 
bestreitbar. Allein zwei Bedingungen sind hierfür zu erfüllen: 
erstens, der Boden muss ganz trocken sein, damit sie sich 
von demselben loslösen können, Feuchtigkeit wirkt als Binde¬ 
mittel; zweitens, es muss Wind wehen, der sie auftreibt und 
mit in die Höhe führt. Da wir nun auch bei nassem Wetter, 
bei Schnee, bei Windstille die Luft sich bald trüben sehen, 
so kann den organischen Stoffen keine hervorragende Rolle 
bei der Duftbildung im Allgemeinen zukommen. Auch kommt 
es vor, dass bei trockenem starkem Ostwind und Föhn die 
Luft tagelang sehr klar ist (s. später), wo man annehmen 
muss, dass aller organischer Staub des ausgetrockneten Bodens 
weggeweht wurde — und doch kann bald nach eingetretener 
Windstille die Luft wieder mit Duft erfüllt sein. 

Für den anorganischen Staub kann man sich zwei Haupt¬ 
quellen denken: einmal Felder und Strassen, von denen das 
feinstpulvrige Material durch den Wind aufgeweht und fort¬ 
getragen wird, dann den durch die menschliche Thätigkeit 
bei der Verbrennung entwickelten Rauch (nebst Asche). Dass 
auch durch vulkanischen Staub gelegentlich Dufterscheinungen 
hervorgerufen werden können, scheint festzustehen. Am 
26. August 1883 fand in der Sundastrasse (Insel Krakatau) 
einer der stärksten vulkanischen Ausbrüche der Neuzeit statt. 
Bald darauf zeigten sich fortschreitend über die ganze Erde, 
zu- und abnehmend, blendende weissliche Töne des Himmels¬ 
blau weit um die Sonne herum, und höchst merkwürdige 
Färbungen über einen grossen Theil des Himmels einige Zeit 
nach Sonnenuntergang. Der Sitz des Staubs musste an zwei 
Meilen hoch weit über den Wolken sein, als Tiefenduft machte 
er sich bei uns nicht merklich. Ein Zusammenhang mit 
dem Krakatau-Ausbruch war unverkennbar; ähnliches wurde 
auch 1783 nach einem Ausbruch des Hekla beobachtet. — 
Der mineralische Staub der Strassen und Felder hat ohne 
Zweifel einen Einfluss auf den Duft. Derselbe ist jedoch 
wie der organische Staub an die beiden Bedingungen 
geknüpft: vollkommene Trockenheit des Bodens und Wind, 
und kann darum bei uns ebensowenig als hauptsächlichste 
Ursache des Duftes angesehen werden. Dass, was bei 
uns nicht direkt nachweisbar, auf weithin der Feld- 


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staub sehr duftige Luft machen kann, darüber wurden dem 
Verfasser von Herrn Dr. Hans Meyer in Leipzig Mitthei¬ 
lungen gemacht. Derselbe fand auf seiner Reise um die Erde 
in den trockensten Ländern, wie Aegypten, Hochmexiko, ost¬ 
afrikanisches Steppenland, während der Trockenzeit die Luft 
oft ausserordentlich trübe, wenn Wind wehte, was häufig 
der Fall war. Auch in Senegambien führen während der 
trockenen Jahreszeit die Ost- und Nordostpassate aus der 
Sahara mit Staub erfüllte Luft zu; ähnliches wird aus den 
unter den Passaten liegenden Ländern Südamerika’s berichtet. 
Im südlichen Russland, von der Westküste des Asow’schen 
Meeres ausgehend, heben mitunter trockene heftige wirbelnde 
Ostwinde die oberen Schichten des Erdbodens vollständig weg 
und bilden dichten Duft, dessen Wirkung bis nach Petersburg 
und Schweden beobachtet wurde. 

Es bleibt jetzt nur noch der Rauch, das Produkt unvoll¬ 
kommener Verbrennung alles Brennbaren auf der Erde, 
Pflanzensubstanz (Holz) und Kohle in der Hauptsache, im Hin¬ 
blick auf Duftbildung zu untersuchen übrig. Es wurde in der 
Einleitung bereits auf denselben hingewiesen, ohne dabei je¬ 
doch einen weiterreichenden Einfluss in Betracht zu ziehen. 
Wenn man sich in industrieller Gegend oder in einer grossen 
Stadt, wo viele russende Kohlen gebrannt werden, befindet, 
so bezeichnet man die dann immer beobachtete Lufttrübung 
nicht als Duft, sondern als Rauch, der sich dem Blick in der 
Entwicklung stets darbietet. Dass derselbe weit fortgetragen 
werden kann, davon gab der früher mehr wie jetzt in ganz 
Deutschland und weit über seine Grenzen hinaus beobachtete 
sogenannte „Höhenrauch“ Beweis. Lange Zeit blieb man 
über die Abstammung desselben im Unklaren. Im Süden 
von Deutschland wurde er fast nur bei ganz heiterem Wetter 
wahrgenominen, sein Erscheinen blieb auf die Sommermonate 
beschränkt. Er war mitunter so stark, dass das Himmels¬ 
blau einen stark grauen Ton erhielt und das Sonnenlicht 
merklich geschwächt wurde; das Gebirg konnte schon auf 
wenige Kilometer völlig verdeckt sein. Verfasser kann sich 
einer so starken Wirkung allerdings nur zweimal deutlich 
erinnern, das erste Mal im Jahre 1850 bei einer minera¬ 
logischen Exkursion von Giessen aus in den Vogelsberg 


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(Juni oder Juli); das andere Mal im August 1864 bei einer 
Fussparthie durch das ganze Murgthal. Hier waren die 
nahen Berge kaum zu sehen, die Sonne schien bräunlich durch 
den grauen Himmel und wärmte nur mit geringer Kraft, der 
Genuss der Bewegung in der so schönen Landschaft ging 
vollständig verloren. Es war immer mehr nördliche Luft¬ 
strömung, die den Höhenrauch zuführte, dieselbe dauerte 
nicht mehr als ein paar Tage, mit Drehen des Windes mehr 
nach Osten verschwand die Erscheinung. Stets war ein 
eigenthümlicher Geruch mit der Trübung verbunden. Der 
Höhenrauch wurde überall als grosse Belästigung empfunden, 
er wirkte niederdrückend auf die Stimmung, man schrieb 
ihm auch nachtheilige Einwirkung auf die in der Entwick¬ 
lung begriffene Vegetation zu. „Der Höhenrauch ist hinein¬ 
geschlagen“ war ein oft gehörter Ausdruck, wenn Früchte 
den erwarteten Ertrag nicht gaben. Die veränderten Ver¬ 
kehrsverhältnisse, Eisenbahnen, Telegraphen, die Gründung 
meteorologischer Stationen brachten endlich Klärung. Der 
Höhenrauch ist das Produkt von Torfmoorbränden, welche 
in Nordwestdeutschland, besonders im hannoverschen Her¬ 
zogthum Meppen-Arenberg, etwa 400 km von Karlsruhe, 
absichtlich hervorgerufen wurden, um einen Nährboden für 
mehrjährige Kulturen zu gewinnen. Es befinden sich dort 
rechts und links des Flusses Ems auf viele Meilen ausge¬ 
dehnte Moore, die, abgesehen von der beschränkten Torf¬ 
gewinnung, nur auf diese Weise nutzbar gemacht werden 
konnten. Die im Frühjahr bis in den Sommer hinein in 
Brand gesetzten Flächen waren früher sehr gross, das Feuer 
ist nicht klar, sondern schmauchig, mit starkem Rauch ver¬ 
bunden (extra schwach künstlich unterhalten, um weitere 
Ausdehnung des Feuers zu verhindern) und so erklärt es 
sich, dass der Höhenrauch in breiten Flächen so weit getragen 
werden konnte, je nach Windrichtung nach Nord, Süd, Ost, 
West. Er wurde beobachtet bis Petersburg, Dublin, Wien, 
bis zum Fuss der Alpen, die seinem Weiterschreiten nach 
Süden eine Grenze setzten. Da die nördliche Luftströmung 
uns meist heiteres Wetter bringt, so erklärt sich das Zu¬ 
sammenfallen des Höhenrauchs mit solchem, wodurch die 
Belästigung mehr empfunden wurde, als wenn er sich nur 


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bei trübem, unfreundlichem Wetter gezeigt hätte — was 
jedoch nicht ganz ausgeschlossen gewesen sein dürfte. 

Der Höhenrauch ist in dem letzten Jahrzehnt eine ver- 
hältnissmässig seltene Erscheinung geworden, er tritt nicht 
mehr in der Intensität auf wie früher und wird wohl im 
Laufe der Zeit ganz aus der Erinnerung der Lebenden 
kommen; ein schwaches Auftreten wird unbemerkt bleiben. 
Die Abnahme des Höhenrauchs findet seine Erklärung 
in dem Zurückgehen des Moorbrennens. Der dadurch 
erzeugte Rauch musste natürlich in der Nähe noch viel 
mehr belästigen als in der Ferne. Es bildete sich nun im 
Jahr 1870 in Bremen ein Verein gegen das Moorbrennen, 
der sich nach und nach über ganz Norddeutschland erstreckte 
und auf dem Wege der Verwaltung und durch die Lehre 
dahin zu wirken suchte, dass die Brandkultur eingeschränkt 
und andere Kulturmethoden eingeführt würden. Die Bemü¬ 
hungen zeigten sich von Erfolg gekrönt; das Moorbrennen 
wird bald aufhören. Dasselbe wurde übrigens erst seit einem 
Jahrhundert geübt, als von 1786 an die Moore kolonisirt 
und nach und nach an 30 Dörfer gegründet wurden. 

Aehnliche Lufttrübungen wie durch das Moorbrennen 
beobachtete Dr. Hans Meyer durch häufig wiederkehrende 
Steppenbrände in Ostafrika, wie auch aus andern tropischen 
Ländern von Reisenden berichtet wird. 

Lässt sich nun, was hier in besonderen Fällen als Ur¬ 
sache von starken, weithin sich erstreckenden Lufttrübungen 
bestimmt nachgewiesen werden konnte, der Rauch, auf das 
Allgemeine anwenden und in ihm die Hauptmaterie des 
Duftes, wenigstens in den Kulturländern der gemässigten 
Zone, erblicken? Auf Grund langjähriger Beobachtungen 
glaubt Verfasser dies bejahen zu können. Die Schlüsse 
konnten sich lediglich gründen auf die Beschaffenheit der 
Luft im Hinblick auf Durchsichtigkeit je nach Windrichtung, 
mit Berücksichtigung der weiteren Umgebung. 

Rauch, der aus einem Schornstein bei schwachem Wind 
ausströmt, schreitet in einer sich immer mehr verbreiternden 
Säule lange Strecken horizontal vorwärts, man kann ihn über 
vier Kilometer weit deutlich verfolgen. Allmählich wird seine 
Verdünnung so gross, dass er sich dem Blick entzieht. Von 


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einem Senken auf den Boden ist dabei keine Rede, nur 
Wind von oben kann ihn niederdrücken, damit ist jedoch 
nicht gesagt, dass seine Theile auf den Boden fallen. Die 
trübende Raucbsubstanz, zumeist Kohlenwasserstoffe von 
hohem Siedpunkt, denen bei schwarzem Rauch schwerer, sich 
bald senkender Russ beigemengt ist, befindet sich ohne 
Zweifel im Zustand feinster Vertheilung, so dass sie lange 
schweben bleibt, vielleicht ohne ein anderes Agens gar nicht 
zum Niederschlag auf die Erde kommt (man darf dabei auch 
an den Cigarrenrauch in ruhiger Zimmerluft denken). So 
erklärt es sich, dass der aus einer grösseren Stadt sich erhebende 
Rauch bei ruhiger Luft gleichmässig über derselben lagert 
so dass man die einzelnen Quellen desselben bald nicht mehr 
erkennt. Bei Wind wird nun dieser Rauch fortgeweht und 
im Verhältniss des Fortschreitens wird er immer mehr aus* 
einandergehen und grössere Räume mit weniger dichter und 
trübender Materie erfüllen. Als Ursache der Verdünnung 
wird man die Luftströmung und die mit anderer ruhender 
oder entgegengesetzt ziehender Luft erfolgenden Mischungen 
und Wirbel allein nicht ansehen können, solche sind bei 
mässigem Wind auch ausgeschlossen. Es dürfte die Elek- 
tricität hierbei wohl eine Rolle spielen. Die Luft enthält 
immer freie Elektricität, es ist auch nicht unmöglich, dass 
die aus einem Schornstein aufziehende Luft in Folge der 
Reibung an dessen Wänden die eine Elektricität aufgenom¬ 
men hat. Die trübenden Theile des Rauchs, die immer fest 
und hygroskopisch sein werden (die von Anfang an etwa 
flüssigen werden bald verdampfen, wie Wasserdunst), müssen 
nun, gleichartig elektrisch, einander abstossen und immer 
grössere Räume erfüllen, wobei sie in gleichen, an den Grenzen 
sich allmählich vermindernden Abstand kommen und dadurch 
gleichmässige Trübung bewirken. 

Je nach der Stärke des Windes wird die Luft nun mehr 
oder weniger Rauch enthalten bei gleicher Entwicklung des¬ 
selben und verschieden getrübt erscheinen. Im weiteren 
Verlauf werden sich dann auch auffallende Unterschiede in 
der Trübung zu erkennen geben. Des Nachts gehen die 
Feuer meist aus und wird wenig oder kein Rauch entwickelt; 
so kann dann derselbe Wind an entfernten Orten helle Luft 


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und wieder Trübung bringen, je nach der veränderlichen 
Stärke kann das Eine oder das Andere längere oder kürzere 
Zeit andauern und es werden ausserdem Verschiebungen 
durch geringe Aenderung der Windrichtung eintreten. Ver¬ 
fasser könnte sich auf diese Weise die folgende Beobachtung 
erklären. Am Sonntag den 18. Juni 1893 machte derselbe 
Nachmittags eine Parthie nach Baden zur Besteigung des 
670 in hohen Merkur. Der Himmel war heiter, die Luft duft¬ 
frei, das ganze Gebirge lag während der Bahnfahrt (3 bis 4 
Uhr) äusserst klar vor dem Auge; selten hatte Verfasser 
Gelegenheit, von Rastatt aus das Murgthal so scharf und 
deutlich bis zu dem entferntesten Punkt (etwa 20 km weit) 
zu sehen. Die Lufttemperatur um 2 Uhr war 29° C., Wind 
aus Nordost schwach. Barometerstand 770 mm (Meer). Die 
Tage zuvor und nachher ähnliche Witterung, Gewitter frei. 
Schon beim Aufstieg auf den Merkur zeigte sich eine schwache 
Trübung; um 7 Uhr erwies sich die Aussicht von der Spitze des 
Berges nur mässig klar, die erwartete weite Fernsicht war nicht 
vorhanden. Nach Nordost, weit jenseits dem 30 km entfern¬ 
ten Karlsruhe, zeigte sich wie eine Wand bis zu einer Höhe 
von etwa 5 Grad über dem Horizont (vielleicht 1000 m hoch) 
eine nach oben gerade abgeschnittene graue Schicht. Man 
würde annehmen dürfen, dass mit dieser die grosse Tages¬ 
produktion von Rauch aus einer entfernten Gegend ihren 
Anfang nahm, während sie sich in der schwachen Trübung 
des Schwarzwaldes bereits in ersten Vorläufern zeigte und 
die ganz klare Luft am Nachmittag der Ruhepause in der 
vorausgegangenen Nacht entsprach. Nicht oft hat man 
Gelegenheit, derartige Erscheinungen so ganz bestimmt zu 
beobachten, in schwächerer Form doch nicht selten, sobald 
einmal die Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist. (Ueber die 
lokale Wirkung von Gewitter, bezw. Regen, später). 

Das Resultat wird sich vielfach verwischen, da auf einem 
langen Wege befindliche, Rauch entwickelnde Orte nach und 
nach ihre Luft den Beobachtern zusenden, so dass denk¬ 
barer Weise eine ununterbrochene Trübung mit nur geringen 
Nüancen folgt. Einen Wechsel in dem Grad der Durchsichtig¬ 
keit der Luft in kurzer Zeit an von direktem Rauch entfern¬ 
ten Orten kann man mitunter beobachten und zwar sowohl 
bei fast mangelndem Duft und guter Fernsicht in dem Ton 


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oder Dunkel des Himmelsblau (etwa 45 Grad Höhe), wie bei 
starkem Duft in der Trübung von nicht sehr entfernten 
(1 bis 2 Meilen) Bergen; ersteres in unseren Gegenden be¬ 
sonders bei massigem Wind aus mehr westlicher Richtung 
und geringer Bewölkung, letzteres bei heiterem trockenem 
Sommerwetter. Im ersteren Falle kann auch gleichzeitig das 
Himmelsblau in gleichem Abstand zu beiden Seiten von der 
Sonne und in gleicher Höhe verschieden stark sein. 

Die Stärke der Trübung der Luft zeigt sich im Allge¬ 
meinen von der Windrichtung bedingt. Winde, die ganz dem 
Rheinthale folgen, nordöstlich oder südwestlich, geben schlechte 
Aussichten, besonders ist das Haardtgebirge dann nur 
schwach sichtbar, die Vogesen gar nicht; besser sieht man 
den Schwarzwald in seinen entfernteren Theilen, Odenwald 
jedoch nicht. Die Erscheinung erklärt sich aus den vielen 
im Rheinthal zwischen Frankfurt—Mainz und Basel—Mühl¬ 
hausen gelegenen Städten und Industriepunkten; der von den¬ 
selben entwickelte Rauch bleibt iin Thal bei. jenen Winden 
und wird aufwärts oder abwärts getragen je nach Nordost 
oder Südwest. Die im Allgemeinen grössere Trübung des 
Haardtgebirges und der Vogesen hat ihren Grund wohl darin, 
dass auf dem linken Rheinufer im Ganzen mehr Industrie 
vorhanden ist, so dass sich jenseits mehr Rauch anhäuft als 
diesseits; doch beobachtet man auch das Entgegengesetzte 
und zwar dann, wenn die Winde mehr ihre Richtung nach 
den rechtsrheinischen Gebirgen haben, jetzt kann das Haardt¬ 
gebirge klarer daliegen als Schwarzwald. 

Kommt der Wind mehr von Osten, so zeigt sich grössere 
Durchsichtigkeit der Luft, und ganz auffallend, wenn er, 
was selten, in die südliche Richtung übergeht. Schwarzwald 
und Odenwald haben keine grösseren Städte und wenig Rauch 
entwickelnde Industrie; es wird in den Wohnungen auch noch 
viel (weniger Rauch gebendes) Holz gebrannt. Bei bestimmter 
Windrichtung (OSO) könnte etwa nur der Einfluss des 60 km 
entfernten Stuttgart (140 000 Einwohner) sich besonders gel¬ 
tend machen, das viel Industrie hat und von einer der um¬ 
gebenden Höhen betrachtet, sich meist stark durch Rauch 
getrübt darbietet. 

In entgegengesetztem Sinn wirkend zeigen sich die Winde, 
die von West bis Nord kommen. Nach Norden zu gehen 


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die Vogesen in die Haardt über; jenseits des Gebirges fast 
westlich von Karlsruhe, etwas nach Nord, gegen 100 km ent¬ 
fernt, finden sich die grossen Kohlenlager der Saargegend, 
welche zur Entwicklung bedeutender Industrien in weitem 
Kreise Anlass gegeben haben (Saarbrücken, Saargemünd, 
Neunkirchen etc. etc.). Hier findet sich die Luft stets stark 
mit Rauch beladen, der dann seinen Einfluss bei westlicher 
bis nordwestlicher Windrichtung über das Gebirge hinaus 
bis nach Karlsruhe und weiter geltend machen wird. 

Nordwind ist bei uns immer kalt; er kann heiteres und 
regnerisches Wetter bringen; immer findet sich die Luft sehr 
trübe. In auffallender Weise wurde dies in den Tagen des 
9. bis 11. Juni 1893 bei heiterem Wetter beobachtet, man 
konnte blos auf ein paar Stunden weit sehen; mit Ueber- 
gehen des Windes mehr nach Osten wurde es wärmer und 
verschwand der Duft. Man hätte an den Höhenrauch denken 
können; da sich jedoch der eigenthümliche Geruch desselben 
nicht zu erkennen gab, so muss man auf eine andere Quelle 
schliessen. Diese wird zu suchen sein in dem westfälischen 
Kohlen- und Industriegebiet, das ebenfalls fast nördlich (ganz 
wenig nach West) von Karlsruhe liegt, wie die Gegend des 
Moorbrennens an der Ems, doch nur etwa 270 km entfernt. 
Welchen Umfang daselbst die Rauchtrübung der Luft durch 
die mächtig, in viel höherem Grad als in der Saargegend, ent¬ 
wickelte Industrie einnimmt, davon konnte sich Verfasser an 
den Tagen des 5. bis 7. April 1894 auf einer Reise durch 
das Gebiet von Westen nach Osten (Linie Köln—Berlin) 
überzeugen. Das Wetter war an diesen Tagen völlig heiter 
bei kaum merkbarem Nordostwind, für die Jahreszeit sehr 
warm. Ueber 100 km weit (westöstlich) war das Land mit 
Rauch bedeckt, mehr oder weniger stark, je nach den beson¬ 
deren Industriecentren. In Folge des unmerklichen Windes 
vermochte sich der Rauch im Ganzen dicht anzuhäufen und 
man begreift wohl, wie er dann weit von seiner Productions- 
stätte starke Trübung der Luft erzeugen kann. 

MaD kann die Frage aufwerfen: wie kommt es, dass 
man den Kaminrauch nicht riecht, wenn er als Hauptursache 
des Duftes gelten soll, während doch der Höhenrauch vom 
Moorbrennen bis in die Zimmer hinein Geruchswirkung her¬ 
vorruft. Der Grund wird in Doppeltem zu suchen sein: 


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erstens darin, dass der Steinkohlenrauch, um den es sich 
hauptsächlich handelt, bei Weitem den starken Geruch nicht 
besitzt, wie der Torfrauch, zweitens darin, dass er sich in 
viel geringeren Mengen entwickelt als der Moorrauch, den 
man auf grossen zusammenhängenden Flächen besonders 
erzeugt, um nur ein schwaches Feuer zu unterhalten. Doch 
glaubte Verfasser mitunter Raucbgeruch im Freien bei 
starkem Duft empfunden zu haben. Wenn man aus verhält- 
nissmässig reiner Luft in eine Stadt kommt, die mit viel 
Rauch erfüllt ist, so macht sich derselbe dem empfindlichen 
Organ wohl immer durch den Geruch merklich, nach einiger 
Zeit des Aufenthalts wird der Sinn jedoch abgestumpft. 
Besonders auffallend ist solches bei Braunkohlenrauch, der 
ganz charakteristisch ist und lebhafter riecht als Steinkohlen¬ 
rauch. Die Gegend von Halle an der Saale ist reich an 
Braunkohlenlagern, in Halle werden Braunkohlen vorzugs¬ 
weise gebrannt. Die Luft zeigte sich dem Verfasser bei 
jedem Besuch unverkennbar nach dem Rauch des Brennstoffs 
riechend. Die Bewohner empfinden dies nicht. Die Trübung 
der Luft durch denselben ist dabei nicht so stark wie durch 
Steinkohlen; die jüngeren Brennstoffe nähern sich in dieser 
Hinsicht mehr dem Holz. Auch die älteren (mageren) Stein¬ 
kohlen, wie Anthracit, geben wenig oder gar keinen Rauch; 
dieselben kommen in Europa jedoch nur gering vor, können 
desshalb auf die Verminderung der Rauchbildung durch 
Kohlen nur geringen Einfluss üben. In England, dem wahren 
Lande des Steinkohlenrauchs (Holz, Torf. Braunkohlen werden 
daselbst so gut wie nicht gebrannt), ist die Luft mehr wie 
anderswo dauernd getrübt. Bei einer Reise des Verfassers 
am 28. Juli 1887 von London nach Liverpool war die Luft 
bei heiterem windstillem Wetter auf die ganze Entfernung 
von 260 km so mit Duft erfüllt, dass der Blick nur ein 
paar Kilometer weit reichte. Es ist auffallend, dass alle 
Sendungen, die von England zu uns nach dem Continent 
kommen, einen eigenthümlichen Geruch, den „englischen“ 
Geruch, haben; es dürfte derselbe vom Kohlenrauch stammen. 

Nach alle dem wird es kaum mehr einem Zweifel unter¬ 
liegen, dass der Duft in Europa vorzugsweise vom Rauch 
stammt und dass derselbe mit Entwicklung der Industrie 
und der zunehmenden Verwendung von Kohlen als Brennstoff 


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in der Vermehrung begriffen ist. Orte, Gegenden, die früher 
davon befreit waren, verändern dadurch ihr Aussehen dauernd, 
unter Umständen auch nur theilweise, der Reiz der Lage, 
der landschaftlichen Schönheit geht dadurch mehr oder minder 
verloren. Einen Ueberblick über eine sehr grosse Stadt von 
einem Thurm gewinnt man dadurch fast nicht mehr. Die Grösse 
von London bleibt dem Blick verborgen. Es könnte wohl 
an einem Sommermorgen (besonders Montags) bald nach 
Sonnenaufgang bei West- oder Südwestwind vollkommene 
Klarheit herrschen; nur wenige werden jedoch davon Kennt- 
niss erhalten. An dem starken Rauch in London, wie wohl 
in den meisten englischen Städten ist die Art des häuslichen 
Feuerungswesens mitbetheiligt. Die allgemein verbreitete 
offene Kaminfeuerung ist mit viel Rauch verbunden; dies 
macht sich nicht blos im Winter geltend, wennschon auch 
vorzugsweise, sondern das ganze Jahr über, da in den 
Küchen am ganzen Tag zur steten Verfügung über heiss 
Wasser ein Kaminfeuer unterhalten wird, vor welchen dann 
auch die beliebten Röstungen von Fleisch und Brod vorge¬ 
nommen werden. Es sind dies viele Hunderttausend kleine 
Raucherzeugungsstätten, die in ihrer Summe gewaltig wirken 
müssen.. Paris zeigt sich viel weniger in Rauch gehüllt als 
London, woran gewiss nicht blos die geringere Grösse der 
Stadt schuld ist. Verfasser lebte vom Herbst 1855 bis Früh¬ 
jahr 1856 während 9 Monaten in Paris und bestieg bei 
günstigem Wetter oft das Pantheon, um die Aussicht zu 
geniessen. Zumeist hatte er einen klaren Blick über die 
ganze schöne Umgebung. Damals hatte der Kohlenbrand 
allerdings noch nicht den heutigen Umfang angenommen; 
Verfasser brannte selbst Holz in einer offenen Kaminfeuerung, 
die Kohlen als Brennstoff waren ihm persönlich noch ganz 
fremd. Seit bald 40 Jahren hat sich der Zustand wohl ver¬ 
ändert; aber immer gibt es noch sehr klare Aussichten 
daselbst. Bei dem Besuch der Ausstellung im Jahre 1889 
fuhr Verfasser am ersten Sonntag des Oktobers Nachmittags 
2 Uhr bei mildem Wetter auf den 300 m hohen Eiffelthurm 
und wurde durch eine geradezu vollkommene, duftfreie Aus¬ 
sicht überrascht; der Blick geht theilweise doch über 40 
km weit. Als Grund im Allgemeinen für den geringeren 
Rauch in Paris lässt sich bezeichnen: es wird daselbst immer 


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noch viel Holz gebrannt, an den kommenden kühleren Oktober¬ 
tagen wurde dem Verfasser jeden Morgen ein Kaminfeuer 
mit Holz angemacht; ferner werden in den kleineren Haus¬ 
haltungen die Speisen vielfach über Holzkohlen zubereitet, 
die zu diesem Zweck auch in Form von Briquettes (aus 
Pulver mit Bindemittel und etwas Salpeter gepresste cylin- 
drische Stücke von 9 cm Länge und 3 cm Durchmesser) in 
grossen Mengen aus Deutschland dahin exportirt werden; 
auch hat die Gasfeuerung in der Küche wie im Wohnzimmer 
eine grosse Verbreitung erlangt. An jenem Sonntag kam 
noch hinzu, dass die Fabriken in Stillstand waren und dass 
es Nachmittagsstunde war, zu welcher die Küchenfeuerungen 
unterbrochen sind. Die Dejeuner-Zeit geht um 1 Uhr zu 
Ende, die Diner-Zeit beginnt erst um 5 Uhr; während einiger 
Stunden ist Buhepause. — Von deutschen Städten ist Stutt¬ 
gart besonders hervorzuheben wegen der Veränderungen, die 
es durch die Entwicklung der Industrie und den Kohlenbrand 
erfahren hat. Zwischen hohen Bergen gelegen hat Stuttgart 
wohl die schönste Lage aller Städte in Deutschland, der 
Blick von einer seiner Höhen, die mit Bahnen zu erreichen 
sind, gewährt einen hohen Genuss. Die Luft zeigt sich von 
Jahr zu Jahr zunehmend mit Rauch getrübt, so dass nament¬ 
lich bei Windstille oder mässigem Wind die Stadt fast ver¬ 
hüllt ist und nur der Blick über den Wald auf der Höhe 
nach den fernen Bergen des Schwarzwaldes (SW) und der 
rauhen Alp (SO) ungetrübt ist. 

Wie das nur kurze, kaum eine Meile lange Thal 
von Stuttgart, das nach SW zur Hochebene ansteigt und 
nach NO in die schwach hüglige Ebene ausläuft, so kann 
auch ein sehr langes enges Thal im ganzen Verlauf durch 
Rauch verdüstert werden. Als Beispiel möge das romantische 
Rheinthal zwischen Bingen und Bonn dienen. Es wird von 
vielen Dampfbooten befahren und an verschiedenen Stellen 
hat sich die Industrie in den letzten Jahrzehnten angesiedelt. 
Der Verfasser hatte in seiner Jugend in den Jahren 1848 
und 1849 die Strecke zwischen Mainz und Coblenz wieder¬ 
holt befahren, indem er von seiner Vaterstadt Frankfurt aus 
Freunde in Coblenz besuchte, im Sommer wie Winter; es 
stehen ihm je fünf Fahrten auf- und abwärts in Erinnerung. 
Er fand die Luft immer klar. Herbstnebel, welche die 


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Fahrten unterbrechen, gab es damals auch schon, solche sind 
ausgeschlossen. Der Rauch der (noch wenigen) Dampfschiffe 
hatte eine nur geringe Einwirkung auf die Durchsichtigkeit 
der Luft. Bei der oben bezeichneten Reise durch Westfalen 
fuhr er am 5. April 1894 mit der Bahn das Rheinthal hinunter 
von Mainz bis Cöln. Bei völlig heiterem Himmel in der Höhe 
und Windstille war in dem ganzen Flussthal ein so starker 
Rauchduft, dass die gegenüberliegenden Uferberge unklar 
waren, bald mehr bald weniger, oft zur Unkenntlichkeit. 
Die Fahrt auf dem Fluss, die anfangs im Plane gelegen hatte, 
würde unter diesen Umständen eines jeden Reizes entbehrt 
haben. Es ist natürlich nicht immer so auf dem Rhein; am 
26. Juli 1891 fuhr Verfasser mit dem Dampfboot den ganzen 
Fluss entlang von Mainz bis Rotterdam; die Luft war befrie¬ 
digend klar. In jenem Falle war die tagelang andauernde 
fast völlige Windstille die Ursache des dicken Rauchs; bei 
starkem Wind kann derselbe so völlig fortgetrieben werden, 
dass von einer Trübung der Luft keine Rede mehr ist. Da¬ 
zwischen liegen nun alle Uebergänge; im Allgemeinen wird 
die Luft im Rheinthal nicht mehr so klar sein wie in 
früheren Zeiten. 

Ferne Gebirge erscheinen ebenso nicht mehr so klar, 
wie vor der Zeit der reichlichen Verwendung der Kohlen. 
Nördlich und nordwestlich der Stadt Frankfurt a. M. zieht 
sich gegen N. und NW. die Kette des Taunusgebirges in einem 
Abstand von 10 bis 30 km hin. In den ersten 13 Jahren 
seines Lebens hatte Verfasser das Gebirg von dem 4 km 
westlich von Frankfurt entfernten, an dem Main gelegenen 
Dorfe Niederrad, wo sein Vater Pfarrer war, fortwährend 
vor Augen, soweit seine Erinnerung geht, fast anhaltend 
klar (der Abstand vom Gebirge ist hier gleich gross. Später 
wohnte Verfasser in Frankfurt). Jetzt zeigt sich ihm bei einer 
gelegentlichen Reise nach Frankfurt das Gebirg zumeist 
getrübt, Fälle vollkommener Klarheit sind sehr selten. — 
Das am linken Rheinufer etwa 50 km sich hinziehende Haardt¬ 
gebirge bildet einen schönen Abschluss der Landschaft gegen 
West und Nordwest vom gegenüber liegenden badischen Ufer 
aus gesehen. Verfasser wohnte als Studirender 1854 und 
1855 und dann wieder als Privatdocent der Universität 1857 
bis 1865 in Heidelberg, seit 1865 in Karlsruhe. Während 


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seines ganzen Aufenthaltes in Heidelberg konnte man zumeist 
das Haardtgebirge gut sehen; es machte namentlich von der 
Terrasse des berühmten Schlosses aus bei Sonnenuntergang 
eine vorzüglich wirkende Horizontalbegrenzung. Jetzt liegt es 
verhältnissmässig selten klar da. — Aehnliches kann man von 
dem Blick auf die Haardt von Karlsruhe aus sagen. Seit 
1865 hat sich das Gebirge mehr und mehr dem Auge verhüllt, 
wennschon auch noch Tage grosser Klarheit Vorkommen, sie 
sind jedoch selten. 

Es ist wohl nicht zu bestreiten: die Menschen ver¬ 
derben sich selbst unbeabsichtigt, unbewusst, ihre schöne 
Luft, mit Zunahme der Gultur in den civilisirten Ländern 
in steigendem Grade. In früheren Zeiten, als Holz den ein¬ 
zigen Brennstoff bildete, machte sich dies in geringerem 
Grade merklich, und nur gelegentlich, bei Moor- oder 
Steppenbränden konnte es auffallender hervortreten, immer 
jedoch mehr strichweise. Seit Verwendung der Kohlen und 
insbesondere mit Entwicklung der Industrie zeigt es sich 
unverkennbar als dauernde Erscheinung, die zunimmt und 
über ganze Länder sich erstreckt. Ins Bewusstsein tritt es 
allerdings lebhaft nur der älteren Generation, welche noch 
den besseren Zustand gekannt hat; die jüngere Generation 
wächst in den veränderten Verhältnissen auf und weiss es 
nicht anders. Nur da, wo die Rauchtrübung einen höheren 
Grad erreicht, in grösseren Städten, fasst man sie als wirk¬ 
liche Kalamität auf und sucht sich ihrer zu erwehren. Es 
kommen dabei allerdings mehr ästhetische Gründe zur Wir¬ 
kung als hygienische. Gesundheitlich nachtheilig erweist 
sich der Rauch nicht; seine schwereren niedersinkenden 
Theile bedecken jedoch alles mit Schmutz und dann wird 
auch gewiss die Stimmung beeinflusst. 

Ob je die ursprünglichen Zustände wiederhergestellt 
werden können? Schwer zu beantworten! Eine ökonomische 
Frage. An das Zurückkehren zum ursprünglichen Holz¬ 
brand ist nicht zu denken, wenigstens so lange die Kohlen- 
vorräthe nicht erschöpft sind. Der jährliche Holzzuwachs 
hätte schon lange nicht mehr dem gesteigerten Bedürfniss 
nach Wärme als motorischer und chemisch umbildender 
Kraft Befriedigung gewähren können. Bios an die aus¬ 
schliessliche Verwendung nicht flammender und rauchender 


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Kohlen, wie der Anthracit und die ihm nahe stehenden 
mageren Kohlen, könnte gedacht werden, oder an die Um¬ 
wandlung der Flammkohlen in eine Form, in der sie beim 
Brennen keinen Rauch entwickeln. In den Gasfabriken ge¬ 
schieht letzteres. Das Gas findet nun nicht blos als Leucht¬ 
stoff Verwendung, sondern wird auch immer mehr beliebt 
als Heizstoff, für zahlreiche Zwecke im Gewerbe und im 
Hauswesen, in der Küche zur Zubereitung der Speisen, im 
Wohnzimmer zur Erwärmung der Luft. Die als Nebenpro- 
duct gewonnenen Koks, für den Verkauf */s his */* der ver¬ 
wendeten Kohlen, werden von Anfang an als werthvoller 
Brennstoff geschätzt. Für Hüttenzwecke (besonders Eisen¬ 
gewinnung) werden solche auch in grossen Mengen beson¬ 
ders an den Kohlengruben hergestellt. Bei der Umwandlung 
der Kohlen wird aber eine grosse Menge Wärme verbraucht, 
dazu kommen dann noch die Arbeitskosten: so erklärt sich, 
dass Gas und Koks als Brennstoffe zusammengenommen viel 
theurer sein müssen, als die ursprünglichen Kohlen. Es 
könnte also nicht daran gedacht werden, allgemein oder nur 
in umfangreicherem Grade Gas und Koks statt der Kohlen 
zu verwenden. Das Gleiche lässt sich in Bezug auf das 
besondere, als „Wassergas“ bezeichnete Vergasungsproduct 
der Kohlen sagen, das namentlich in Amerika eine nicht 
unbedeutende Verwendung zu Leucht- und Heizzwecken ge¬ 
funden hat, was in Deutschland bis jetzt nicht der Fall ist. 
— Anthracit und die ihm im Verhalten nahe stehenden 
mageren Kohlen kommen in Europa in verhältnissmässig so 
geringen Mengen vor, dass sie nur zum kleinen Theile den 
Bedarf an Wärme decken können. — Nun noch die Rauch¬ 
verzehrung in geeigneten Feuerungsanlagen. In der Gross¬ 
industrie wird es erstrebt, die Dampfkesselfeuerungen, um 
die es sich hauptsächlich handelt, so zu leiten, dass die Ver¬ 
brennung eine vollkommene ist und die Schornsteine keinen 
Rauch mehr aussenden. Mehr oder weniger gut ist das Ziel 
erreicht. Aus dem Umstande, dass die meisten Schornsteine 
noch starken Qualm eine Zeitlang nach dem Schüren aus- 
stossen, ist jedoch zu schliessen, dass die Rauchverzehrung 
mit gewissen Mängeln verbunden ist, sei es, dass die Anlage 
oder Unterhaltung kostspielig ist oder dass der gute Erfolg eine 
grosse Aufmerksamkeit, einen geschickten Heizer bedingt. 


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Im Allgemeinen treten die Dampfkesselbesitzer nicht gerne 
und freiwillig an die Aufgabe heran, zumeist folgen sie nur 
polizeilichem Zwang. Wenn nun auch in vielen Städten ein 
Verbot des starken Qualmens der Schornsteine besteht, so 
ist doch ein massiger, lichter Rauch zulässig. Dessen Summe 
von vielen Schornsteinen kann sehr wohl eine starke Trü¬ 
bung bewirken, ja der lichte Rauch dürfte die Hauptquelle 
des Duftes sein, da die den dicken Rauch schwärzende Ma¬ 
terie wahrscheinlich als schwerer Russ sich bald zu Boden 
senkt. — Dann kommt aber noch weiter der Rauch aus 
den Hausschornsteinen in Betracht. Unsere gewöhnlichen, 
zumeist verbreiteten Stubenöfen und Kochherde werden kaum 
je auf vollkommene Raucliverzehrung einzurichten sein; beim 
periodischen Schüren mit Flammkohlen lässt sich eine an¬ 
fängliche Rauchbildung gar nicht vermeiden. Da wo die 
offenen, kalorisch sehr unwirksamen, Kaminfeuerungen be¬ 
liebt sind, ja fast die einzige Art der Zimmerheizung bilden, 
wie in England, ist in absehbarer Zeit an eine Aenderung, 
an eine Verwendung weniger Rauch bildender und vor 
Allem viel ökonomischerer geschlossener Oefen nicht zu den¬ 
ken; viel eher dürfte die Kostenfrage als der Rauch einstens 
dahin führen. Das offene Feuer ist zur Zeit viel zu sehr 
mit allen Gewohnheiten, mit den Anschauungen des Behag¬ 
lichen und hygienisch Zweckmässigen, mit der Art des Haus¬ 
baus und der Zimmereinrichtung verbunden. Die häuslichen 
Heizapparate bilden, im Winter wenigstens, die Hauptquelle 
des Rauchs, was nur nicht so in die Augen fällt, da derselbe 
von zahlreichen Stellen in geringer Menge sich entwickelt 
und bald in der übrigen Luft gleichmässig vertheilt. 

Mit der steigenden Cultur, mit Verfeinerung der Sitten 
entwickelt sich bei dem Menschen der Sinn für das Natur¬ 
schöne; nicht blos, dass die in den Städten Wohnenden im 
Sommer für eine Zeitlang den Landaufenthalt zur Erfrischung 
suchen, soweit es ihre Mittel irgend ermöglichen — die 
Freude an der die Gesundheit so fördernden Bewegung in 
der Natur, an dem Durchwandern von Berg und Thal nimmt 
in den letzten Jahrzehnten progressiv zu und es werden auch 
die Bewohner von Städten davon ergriffen, die sich ursprüng¬ 
lich durch ihr Naturell oder durch die reizlose Umgebung 
in der Ebene zum Spazierengehen weniger animirt fanden 

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In der Vaterstadt des Verfassers, in Frankfurt, ist die Be¬ 
völkerung von jeher viel gewandert, ursprünglich war der nahe 
Taunus das stete beliebte Ziel; mit Entwicklung der Eisen¬ 
bahnen schloss sich der Odenwald, der Rhein an. Auch auf 
der Universität Giessen, wo Verfasser von 1849 bis 1853 
studirte, ist die Bevölkerung immer wanderlustig gewesen, 
bewogen durch die hübsche Umgebung, durch die vielfachen, 
3 bis 7 km entfernten Zielpunkte auf Bergeshöhen. Ebenso 
in Heidelberg. In Karlsruhe fand Verfasser vor drei Jahr¬ 
zehnten die Sachlage verschieden; nur wenig kam die Be¬ 
völkerung hinaus. Der herrliche Aussichtspunkt des Thurm¬ 
bergs bei Durlach, 5 km von Karlsruhe, war den Meisten 
unbekannt; es war eine Wildniss. Vor 10 Jahren erst ent¬ 
stand eine Wirthschafl oben, der bald eine zweite folgte und 
jetzt geht eine Seilbahn auf den 140 m über der Ebene 
befindlichen Punkt. Alt und Jung ist heute von der Wander¬ 
lust ergriffen, ein Schwarzwaldverein hat sich im Jahre 1887 
in Karlsruhe (als Zweig des bereits seit drei Jahrzehnten 
bestehenden allgemeinen Schwarzwaldvereins) gebildet, der 
neue Wege plant, Aussichtspunkte ausfindig macht und Pa¬ 
villons oder Thürme daselbst baut, zahlreiche Wegweiser 
errichtet, Karten der Umgebung herausgibt, Sonntagsaus¬ 
flüge in Gesellschaft veranstaltet. Der Sinn der Menschen 
hat eine Umwälzung erfahren. Wie hier, so ist es im 
ganzen Lande Baden; ja man kann sagen, im grössten 
Theile von Deutschland, wo sich irgend Gebirge vorfinden; 
auch in andern Ländern. War der Sinn für das Wandern 
in freier Natur vorher nicht vorhanden, so wurde er ge¬ 
weckt, lag er schon im Blut der Bevölkerung, so wurde er 
noch verstärkt durch den Zeitgeist und durch das gemein¬ 
same Zusammenwirken. 

Die Zeit der schönen, weiten Fernblicke von der Höhe 
scheint nun als Regel für immer vorüber zu sein. Wo die 
Empfänglichkeit für die Aufnahme des Naturschönen in 
immer grössere Massen dringt und gewiss einen veredelnden 
Einfluss auf ihr Empfinden, auf ihr Thun und Lassen aus¬ 
übt, wird der erstrebte höchste Genuss nur Wenigen mehr 
zu Theil. Es bleibt im Ganzen eine Sache des Zufalls, ob 
der Lohn für stattgehabte oft grosse Mühen sich einstellt. 
In wie weit der Zustand der Atmosphäre in der Tiefe auf 


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Fernsichtep von der Höhe schliessen lässt, wird am Schluss 
zu untersuchen sein. 

Dass Orte, die, in schöner Gegend liegend, auf Fremden- 
besuch eingerichtet sind, sich den dicken Hohlenrauch oder 
sonstigen Staub der Fabriken fern zu halten suchen, ist 
erklärlich; ein Beispiel aus unmittelbarer Nähe bietet uns 
Heidelberg, das zur Zeit grosse Opfer bringt, um die Ver¬ 
legung der am 4. Februar 1895 abgebrannten Cementfabrik, 
deren, den vielen hohen Schornsteinen in Massen entströmender 
weisser Qualm aus Cementstaub bestand, zu ermöglichen. 
In Reichenhall und Berchtesgaden befinden sich grosse Salz¬ 
siedereien; hier wird während der Saison, bezw. Reisezeit, 
nur Holz gebrannt. Aehnliches, namentlich Koksbrand, dürfte 
im Laufe der Zeit wohl auch den die romantischen Gebirgs¬ 
seen in grösserer Zahl befahrenden Dampfbooten etc. zur 
Vorschrift gemacht werden. 

Einwirkung von feuchter Luft und Regen auf 
den Duft. Im Vorhergehenden wurde der Feuchtigkeits¬ 
gehalt der Luft nicht in Betracht gezogen; ihr Zustand wurde 
als der mittlere von massiger Trockenheit angenommen. 
Welche Wirkung übt nun ein hoher Grad von Feuchtigkeit 
auf den Luftduft und ferner: Wie wirkt Regen, also der 
sich bei Übersättigung zu Tropfen verdichtende Wasserdampf? 

Es wurde oben schon auf Hygroskopicität des Rauchs 
hingewiesen, wodurch seine Theilchen elektrisch leitend werden 
und sich abstossen können; dass aller organische sowie mi¬ 
neralische Staub in hohem Grad Wasser aufnehmen kann, 
darf als gewiss angesehen werden. 

Kühlt sich gesättigte Luft ab, so bildet sich zuerst 
Nebel, feinste Wassertröpfchen, die bei ihrer Vermehrung 
zusammentreten, an Gewicht zunehmen und zuletzt als 
Regen niedersinken. Durch neuere Untersuchungen ist es 
nun wahrscheinlich, ja fast zur Gewissheit gemacht, dass 
Nebel, wie Wolken, durchaus an das Vorhandensein von 
Luftstaub gebunden sind, an dem sich der Wasserdampf ver¬ 
dichtet; fehlt der Staub, so fällt bei der Abkühlung eines 
gesättigten Raums das Wasser sofort tropfbar nieder, ohne 
den Raum durch Nebel undurchsichtig zu machen. Man 
wird annehmen müssen, dass die Eigenschaft, Nebel hervor- 

25 * 


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zurufen, dem Staub jeder Abstammung zukommt. Ent¬ 
hielte die Luft keinen Staub, so würde der Himmel 
dauernd schwarz und mit Sternen bedeckt erscheinen, Regen 
würde fallen, ohne dass wir durch eine Veränderung des 
Himmels darauf vorbereitet wären, Dämmerung würde es 
nicht geben, eine gleichförmige Beleuchtung würde fehlen, etc.; 
der Zustand würde ganz verschieden von dem wirklichen 
sein und kein erfreulicher nach unseren Anschauungen. Aus 
der Wasser anziehenden und Nebel bildenden Eigenschaft 
des Staubes erklärt sich ungezwungen, dass bei feuchtem 
Wetter die Luft stark mit Duft erfüllt erscheint, die Aussicht 
sehr beschränkt ist, oft kaum über 2 km geht, ohne dass 
Regen fällt. Die Herbstnebel, welche im Oktober und Novem¬ 
ber die Rheinebene oft erfüllen, geben nie zu Regen Ver¬ 
anlassung, sie gehen selten über 200 bis 300 Meter hoch; 
sie schwinden häufig gegen Mittag in Folge der Erwär¬ 
mung durch die Sonne von oben, vorher sieht man schon 
die Sonne durchscheinen. Bei diesen Nebeln ist die Luft 
durchaus nicht mit Wasserdampf gesättigt, um so weniger, 
je dünner sie sind, nur bei ganz dicken Nebeln weicht 
der mit feuchten Lappen umwickelte Thermometer des 
August’schen Psychrometers in seinen Anzeigen kaum ab 
von dem Stand des frei hängenden Thermometers, der die 
wahre Lufttemperatur anzeigt. Auch dies stimmt sehr gut 
mit der Annahme von, den Nebel bildendem, Staub. Ist die 
Luft klar geworden und scheint frei die Sonne, so bleibt der 
Blick darum doch beschränkt, eigentliche Fernsichten gibt 
es nicht, die Luft ist immer noch mässig feucht, so dass der 
Staub relativ viel Wasser enthält und dadurch auf die Ent¬ 
fernung mehr trübend wirkt, als in trockener Luft. Wie 
sehr starker Staub in der Luft — der Rauch — die Bildung 
des Nebels befördern kann, bis zur völligen Undurchsichtig¬ 
keit auf ein paar Schritt, so dass man am Tag Laternen 
zur Strassenbeleuchtung anzünden muss, davon liefert die 
Riesenstadt London mitunter den Beweis, früher häufiger, 
als in den letzten Jahren, da der Rauch jetzt im Ganzen 
etwas schwächer ist, indem die Fabriken rauchverzehrende 
Feuerungen anwenden müssen und auf der Themse keine 
Flammkohle gebrannt werden darf. 


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Bei gleicher Staubüberfüllung erscheint feuchte Luft 
trüber als trockene! 

Welche Wirkung hat nun der Regen? Eine wichtige, 
segensreiche! Er ist das Reinigungsmittel, durch welches 
die Luft von ihrem Staub befreit wird. Gäbe es keinen Regen, 
so würde sich die Luft immer dichter mit Staub erfüllen, 
vielleicht zuletzt dauernd erscheinen wie zur Zeit des Höhen¬ 
rauchs und zwar über die ganze Erde. Eine Grenze müsste 
es zuletzt geben, da mit Abnahme der wärmenden Wirkung 
der Sonnenstrahlen auch die Luftströmungen auf der Erde 
aufhören würden und der Staub, theils nicht mehr gebildet 
werden (als mineralischer) theils nicht mehr fortgetragen und 
sich mischen könnte mit der übrigen Luft (als Rauch). Von 
der reinigenden Wirkung des Regens erlangt man nicht 
immer unmittelbar Kenntniss. Dass, so lange es regnet, die 
Luft auf kurze Entfernung ganz trübe, undurchsichtig ist, 
erscheint selbstverständlich. Aber auch bei jedem längere 
Zeit dauernden, sogenannten Landregen ist die Luft immer 
sehr trübe in den Pausen, wo der Regen aufhört. Sie bleibt 
eben dann mit Wasserdampf nahe gesättigt und jetzt macht 
der in der Luft noch befindliche Staub seine trübende Wir¬ 
kung weiter geltend, ln Karlsruhe beobachtet man solches 
immer sowohl bei Südwestwind wie bei dem kalten Nordwind, 
von denen ersterer den Rauch des ganzen Rheinthals von 
Basel ab mitbringt, letzterer wahrscheinlich den Rauch des 
westfälischen Kohlenbezirks. Die Erscheinung findet keine 
Ausnahme, soweit die langjährigen Erfahrungen des Verfassers 
reichen. Aus dem Jahre 1894 zwei Beobachtungen: Am 
20. April war bei kühlem Nordwind (10® C. Barometer- 
Meereshöhe 750 mm) fast den ganzen Tag über Landregen, 
das Gebirge war in den Pausen nicht sichtbar, am folgenden 
Tag hörte Regen auf, Gebirg wurde zwar sichtbar, aber nicht 
weiter als auf etwa 10 km Entfernung. — Sonntag den 
10. Juni zeigte sich Nachmittags bei 18° C. (Barometer 
760 mm) und bedecktem Himmel die Luft sehr trübe, Wind 
mässig aus SW; Schwarzwald auf nicht mehr als etwa 20 km 
sichtbar, Haardt ganz verdeckt. Um 5 Uhr stellte sich ein 
zweistündiger heftiger Regen ein; dann klärte es sich wieder 
auf, aber das Gebirg blieb fast verdeckt. 


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390 


- Unmittelbar auf Regen kann die Luft aber auch sehr klar 
werden und die Fernsicht vorzüglich. Solche Regen sind immer 
von kurzer Dauer, gewöhnlich heftige Platzregen, die meist aus 
der Gegend zwischen Süd west und West zu uns gezogen kommen, 
bei gebrochenem, halb heiterem Himmel sich mitunter über 
unseren Häuptern bilden, gelegentlich auch mit Blitz und 
Donner verbunden sind, bald an dieser, bald an jener Stelle 
des Himmels sich zeigen und ganz örtlichen Charakter tragen. 
Windstärke im Allgemeinen gering, doch mit dem Regen 
meist zunehmend. Bei solcher Witterung ist die Luft über¬ 
haupt klar, ohne Zweifel schon früher gewaschen. Sie ist 
auch nicht sehr feucht; sie kühlt sich durch den Regen zwar 
ab, erhöht ihre Temperatur nach Aufhören desselben aber bald 
wieder. Am 7. Juni 1894 hatte das Wetter diesen Charakter 
(Temperatur Nachmittags 21 # C, relative Feuchtigkeit 54°). 
Wenn bei solcher Witterung die Fernsicht einseitig unvoll¬ 
kommen ist, so rührt dies von Regen nach dieser Rich¬ 
tung, mit Verschwinden desselben tritt Klarheit ein. Das 
Bild der Landschaft von der Höhe ist dann wechselnd und 
von grossem Reiz. Es ist übrigens nicht ausgeschlossen, 
dass bei derartigen örtlichen Platzregen die Luft auch ein¬ 
mal trüb erscheint; es würde dies dann der Fall sein, wenn 
in ihr, seit sie den letzten Staub (Rauch) aufgenommen, 
nicht bereits Niederschläge stattgefunden hatten, sondern 
wenn dieselben jetzt erst beginnen; die klarere Luft würde 
nun andern Gegenden zu Gut kommen. Eine solche Witterung 
dauert selten mehr als 2 Tage. — Ganz verschieden hiervon 
ist ein Zustand der Atmosphäre, wie er sich mitunter im 
Sommer zu erkennen gibt, so in den Tagen vom 22. bis 
26. Mai 1895 in Mittel- und Süddeutschland, wohl auch noch 
weiter hin. Bei mittlerem Druck bestand um diese Zeit 
eine flache Depression über Mitteleuropa; Himmel heiter oder 
gebrochen, Wind schwach oder Null aus Ost und Südost, 
Temperatur ziemlich hoch bis 22° C., auch Feuchtigkeitsgehalt 
der Luft verhältnissmässig hoch. Zahlreiche vereinzelte starke 
Gewitter fanden über dem ganzen Gebiet statt; dieselbe’u 
waren von keinem nennenswerthen Wind bestimmter Richtung 
begleitet, sie entluden sich am Orte ihrer Bildung, zogen 
nicht weiter. Die Luft war während der ganzen Zeit stark 


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391 


duftig, trübe, nur vorübergehend wurde sie, wo es geregnet 
batte, klar, Aussichten gab es jedoch nicht. 

Der Wasserdampf für sich ist vollkommen durchsichtig 
wie auch die Hauptbestandtheile der Luft: Stickstoff und 
Sauerstoff; nur ausgeschieden in Form von Wolken und 
Nebel oder, wie man auch oft sagt, „Dunst" im Hinblick 
auf schwache Ausscheidung, namentlich bei mildem Wetter, 
erzeugt er Trübung. Am Meer, welches die Quelle alles 
Wassers der Luft bildet, muss dieselbe immer feuchter sein, 
als im Innern des Landes; es kann nun ganz wie dort die 
Luft klar oder trübe sein, je nach Windrichtung und Stärke. 
Solches lässt sich immer bei der Ueberfahrt über den Ka¬ 
nal oder bei einem längeren Aufenthalt in den Nordsee¬ 
bädern beobachten. Windstille ist in Ostende immer mit 
trüber Luft verbunden, auch schwacher Wind, namentlich 
wenn er aus der Richtung von England kommt. — Land¬ 
seen, welche von hohen Bergen eingeschlossen sind, werden 
bei ruhiger Luft besonders trüben Blick zeigen, sofern Kohlen 
an ihren Ufern oder auf sie befahrenden Dampfschiffen ge¬ 
brannt werden. Solches konnte Verfasser lebhaft an den 
Tagen vom 7. bis 16. August 1893 am Vierwaldstätter See, 
30. August am Thuner See und 31. August bis 2. September 
am Genfer See beobachten. Bei dauernd heiterem Himmel 
und ruhigem Nordostwind war die Luft sehr trübe an allen 
drei Seen und der Blick beschränkt auf die nächste Um¬ 
gebung. Von Montreux am Genfer See konnte man zwar 
die gegenüberliegenden Berge auf französischem Ufer sehen, 
aber das Dent du Midi nach dem Rhonethal, der schönste 
Blick, blieb verhüllt. Am 2. September trat bei Windstille 
Regen ein und schon vorher wurden die Berge am linken 
Seeufer fast unsichtbar. 

Man spricht vielfach vom italienischen Himmel und meint 
damit ein dunkles Blau. Im Norden von Italien, wo die 
grossen, viel Rauch erzeugenden Städte liegen, in der Lom¬ 
bardei und in Venedig, konnte Verfasser bei mehrmaligem 
Besuch keinen Unterschied in der Klarheit der Luft gegen 
Süddeutschland finden. Der dunkle Himmel muss im Ganzen 
auf den südlichen Theil der Halbinsel beschränkt sein, wo 
Rauch weniger entwickelt wird und wo die grossen Flächen 


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392 


des mittelländischen Meeres mehr sich geltend machen. 
(Aehnlich in Griechenland und Spanien.) — Aegypten ist ein 
Land von grosser Trockenheit, regnet es daselbst doch so 
gut wie nicht; Rauch wird auch nur wenig erzeugt, im 
geringsten Grade von Kohlen. Die Luft zeichnet sich durch 
grosse Klarheit aus, der Himmel durch tiefdunkles Blau. 
Doch nicht immer. Hier sind es insbesondere die Winde 
(Ghamsin oder Samum), welche Trübung bringen, insofern 
sie aus S bis SSO von der nubischen Wüste kommen und 
den Staub aufjagen, wie schon früher angegeben wurde. 
Heisse staubführende, heftige Winde, wahrscheinlich von der 
Sahara her, werden auch in Sicilien und im südlichen Italien 
beobachtet. 

Die Zone der (subtropischen) Passatwinde ist berühmt 
wegen ihres hohen Grades von Klarheit der Luft, was sich 
insbesondere des Nachts in der Pracht des gestirnten Him¬ 
mels zu erkennen gibt, es fehlt dort eben an allem trüben¬ 
den Rauch. Cronau schildert den ihm auf einer Reise nach 
den Antillen 1890 gewordenen Eindruck der Himmelsbläue 
und ihrer Wirkungen in geradezu begeisterter Weise (Köl¬ 
nische Zeitung, 16. Dez. 1894, Nr. 1020: Auf den Pfaden 
grosser Entdecker). — Die Luft ist hier wohl wasserreich, aber 
relativ trocken; mehr nach dem Aequator hin, wo sie immer 
feuchter wird und sich in den Kalmen erhebt, um nach Nord 
und Süd überzufliessen, erscheint der Himmel jedoch in Folge 
der in der Höhe beginnenden Verdichtung des Wasserdampfs 
mehr weissblau, ja fast weiss, hellleuchtend und eine hohe 
Gluth allseitig ausstrahlend (Hann, Klimatologie, S. 403). 
Der Blick in der Tiefe horizontal kann dabei sehr weit 
gehen. Zur Regenzeit, die sich in den Tropen immer nur 
in vorübergehenden heftigen Güssen charakterisirt, fand 
Dr. Hans Meyer (mündliche Mittheilung) die Luft in Ceylon, 
Java, Sansibar, vollkommen klar. — Ebenso kann 
sich das Extrem, strenge Winterkälte und grosse Trockenheit, 
durch hohen Grad von klarer Luft auszeichnen. Erman 
schildert dies in seinem Reisewerk über Sibirien eingehend; 
derselbe befand sich vom 7. Februar bis 19. März in Irkutzk 
(Ostsibirien), die Temperaturen waren Morgens —30 bis 
—20° C. und stiegen im Laufe des Tages bis —5°C. Der 


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333 


Himmel war fortwährend dunkelblau, die Atmosphäre wind¬ 
stille; die Luft so trocken, dass nasse Gegenstände in we¬ 
nigen Stunden ihr Wasser, das anfangs gefror, vollständig 
verloren. Die Klarheit der Luft wurde hier derjenigen am 
Beginn der Passatregionen an die Seite gestellt (Hann, 
S. 582). Die Luft ist auch hier rauchfrei; die Bevölkerung 
ist zu dünn 1 , was durch Holzbrand an Rauch in die Luft 
gelangt, ist zu wenig, als dass sich die Luft dadurch mit 
merklichem Duft erfüllen könnte. Wenn bei uns, wie im 
Anfang des Jahres 1895 strenge Winterkälte mit ruhiger 
Luft eintritt, so ist die Atmosphäre im Rheinthal immer mit 
starkem Duft erfüllt, die Fernsicht durchaus beschränkt; es 
kann nur der sich überall entwickelnde dicke Rauch die 
Ursache hiervon sein. 

Norwegen ist dünn bevölkert, es wird daselbst, abgesehen 
von den wenigen am Meere liegenden grösseren Städten, blos 
Holz gebrannt. Bei einer Reise durch das Land von Helsing¬ 
borg über Christiania (gerade Linie 60 deutsche Meilen) nach 
Drontheim (52 Meilen) mit der Bahn, von da über Moltke 
nach Bergen (60 Meilen) zu Schiff, ebenso durch Hardanger und 
Sognefiord, von Lärdalsören mit dem Wagen an den 
Mjösensee (27 Meilen, Fahrt von 3 Tagen), von Hamar über 
Christiania nach Helsingborg wieder mit der Bahn, während 
der Tage vom 24. August bis 10. September 1889 fand Ver¬ 
fasser die Luft überall klar, die Aussichten, insbesondere 
von dem 1470 m hohen Stugunös befriedigend, während das 
Wetter verschiedenen Charakter trug, in den ersten Tagen 
etwas regnerisch, in der letzten Zeit jedoch dauernd heiter 
bei Windstille. Ein tief blauer Himmel wurde allerdings 
nicht beobachtet. 

Beziehungen der Duftstärke zu der Höhe. Wie 
kommt der Träger des Duftes, der sich nur in der Nähe 
des Erdbodens entwickeln kann, in die Höhe, bis zu welchem 
senkrechten Abstand vom Boden kann er getragen werden? 
Dies sind Fragen von allgemeinem Interesse sowohl wie im 
besondern Hinblick auf den Genuss von Aussichten. Vom 


1 Die Stadt zahlt 44 000, das gleichnamige Gouvernement, um 
die Hälfte grösser als Deutschland, 410 000 Einwohner. 


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Nebel wissen wir, dass er zumeist nur geringe Höhe besitzt 
und dass man auf darüber hinausragenden Bergen sehr weite 
Aussichten haben kann, die ihres Reizes nicht entbehren, 
wenn auch der Blick in die Tiefe verschleiert bleibt. Verhält 
sich der Duft in dieser Hinsicht dem Nebel ähnlich? 

Dass den Dufttheilchen, soweit sie vom Rauch stammen, 
ein Streben innewohnt, sich gleichmässig in der Luft zu 
vertheilen, davon war schon früher die Rede, man kann es 
täglich beobachten. Windwirbel können solches nur befördern. 
Diese sind jedoch nicht immer und überall da, sie haben im 
Allgemeinen keine steigende Tendenz. Dass, wenn die Luft 
bei Wind über Gebirge geht, der Duft mit in die Höhe 
genommen wird, ist selbstverständlich. Die Luft ist aber 
immer und überall in absteigender und aufsteigender Be¬ 
wegung, dadurch dass sie ungleich warm und feucht ist und 
damit verschiedenes Gewicht besitzt; die schwerere (kältere, 
trockenere) Luft sinkt nieder und drückt damit die leichtere 
(wärmere, feuchtere) in die Höhe. Dies macht sich im Kleinen 
geltend bei jeder aus Schornsteineu strömenden Luft, wie im 
Grossen, wenn ganze Länder bedeckende Luftmassen verschie¬ 
denen Gewichtes in Berührung mit einander stehen. So kommt 
das ganze Luftmeer der Erde in dauernde Bewegung und auch 
Mischung, denn die sich erhebende leichte Luft muss hoch oben 
nach allen Seiten überfliessen und über die schwere Luft ge¬ 
langen, mit der sie dann bald sich vereint. Dabei ist noch 
zu beachten, dass die aufsteigende Luft sich durch die Aus¬ 
dehnung abküblt und damit Anlass zu Wolkenbildung und 
Niederschlägen gibt, während die sinkende Luft sich durch 
die Verdichtung erwärmt, damit relativ trockner wird und 
klaren Himmel bringt. Es gibt sich solches in werkwür¬ 
diger Weise zu erkennen, wenn feuchte Winde von Italien 
über die Alpen wehen. Beim Aufsteigen zur Alpenhöbe ver¬ 
liert die sich stark abkühlende Luft einen grossen Theil 
ihres Wassers in Regengüssen am südlichen Fuss des Ge¬ 
birges, die nördlich niedersinkende Luft erwärmt sich, wird 
nun fast wolkenfrei und strömt bei ausgeprägtem baro¬ 
metrischem Minimum mit grosser, oft sturmartiger Ge¬ 
schwindigkeit nach Norden. Man nennt diesen trockenen 
Wind „Föhn“, er kann Tage dauern, wiederholt sind in der 


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Schweiz während desselben ganze Orte, die früher meist aus 
Holz gebaut waren, abgebrannt. Die Luft ist dabei sehr rein. 
Selten erstreckt sich der Föhn tief nach Deutschland hinein; 
in höchst auffallender Weise machte sich seine Wirkung in 
der ersten Januarwoche des Jahres 1877 bis weit nach 
Mitteldeutschland geltend; in Karlsruhe wurden damals bei 
dem heftigen, mehrere Tage dauernden Südwind Tempera¬ 
turen über 15° C. vom Verfasser beobachtet, die Luft war 
ausnehmend klar, alle Gebirge im Umkreis scharf sichtbar. 

In Bezug auf den aus Schornsteinen strömenden Rauch 
ist noch eine Bemerkung zu machen. Er wird von grossen 
Mengen heisser Luft getragen und doch sieht man ihn nur 
bei völliger Windstille senkrecht zu grösserer Höhe empor¬ 
steigen, bei schwachem Wind biegt er kurz über der Schorn¬ 
steinmündung um und zieht horizontal weiter, worauf bereits 
früher hingewiesen wurde. Der eigentliche Rauch befindet 
sich sehr bald nicht mehr in der Luft, die ihn aus dem 
Schornstein herausgeführt hat. Diese diffundirt mit grosser 
Geschwindigkeit in die kalte Luft seitlich und nach oben 
hinein, als wenn es chemisch verschiedene Gase wären, wäh¬ 
rend kalte Luft an ihre Stelle tritt und nunmehr Träger 
des Rauchs wird; dieser bleibt dabei ruhig an seiner Stelle, 
ihm als festem Körper geht das Diffusionsvermögen ab. 
Wohl schon ein paar Meter von der Schornsteinmündung 
ist der Vorgang beendet, auch beim senkrechten Aufwärts¬ 
strömen des Rauchs bei Windstille. Im letzteren Falle 
nehmen die in die Rauchmasse eintretenden kalten Luft- 
theilchen die Geschwindigkeit der aus ihr heraustretenden 
heissen Theilchen an und nunmehr bewegt sich die ganze 
Masse von der Temperatur der Umgebung noch eine ge¬ 
wisse Strecke senkrecht aufwärts, bis ihre Geschwindigkeit 
durch den Anstoss an die ruhende Luft aufgezehrt ist. Der 
Vorgang ist damit noch nicht zu Ende. Die aus dem Rauch 
heraustretenden warmen Lufttheilchen müssen sich zugleich 
in Masse in der Umgebung erheben. Die Diffusion schreitet 
fort, die Masse warme Luft wird immer grösser, aber ihre 
Temperatur immer geringer, der Auftrieb vermindert sich, 
ein Stillstand wird aber erst in grösserer Höhe eintreten, 
wo durch die fortschreitende Diffusion die Temperaturen sich 


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ausgeglichen haben. Bei diesem Aufsteigen der Luftmassen 
werden natürlich in allen Fällen auch die in ihr enthaltenen 
Dufttheile in die Höhe geführt, der ursprüngliche Bauch 
jedoch nur dann, wenn er sich ganz senkrecht erhoben hat; 
sobald Wind geht und er horizontal fortgetrieben wird, be¬ 
findet er sich rasch unterhalb der erwärmten Luftmasse, er 
kann dem Auftrieb nicht unterliegen, nur an einer anderen 
Stelle, wo er über von unten kommender heisser Luft hin¬ 
wegzieht, könnte er auch mit in die Höhe genommen 
werden. 

Die Erwärmung der gesammten Luftmasse erfolgt fast 
ganz vom Boden aus, ihre direkte Erwärmung durch Absorp¬ 
tion der Sonnenstrahlen ist nur gering. Wenn man sich 
eine vollkommen gleichartige grosse Ebene denkt und gleich 
starke Bestrahlung derselben durch die Sonne, so kann 
die über derselben befindliche, durch Leitung erwärmte 
Luft sich nicht in ihrer ganzen Ausdehnung erheben, 
sie kann blos durch Diffusion in die darüber gelagerte kalte 
Luft gelangen, während diese umgekehrt abwärts diffundirt. 
Dabei bleibt der Duftstaub an seiner Stelle. Bei der un¬ 
gleichen Beschaffenheit des Bodens werden einzelne Stellen 
jedoch höher erwärmt als andere und es müssen jetzt Massen¬ 
strömungen eintreten, in Folge deren auch bei höchstem 
Barometerstand nie völlige Windstille sein kann; der Wind 
kommt bald von dieser bald von jener Seite. Damit gelangen 
denn die Staubtheile auch in die Höhe; immerhin wird 
die Erhebung derselben nur eine beschränkte sein können. 
— Unter allen Umständen kommt der Rauch in Concen- 
tration nicht sehr hoch; nur ganz allmählig, nachdem die 
Verdünnung eingetreten, wird er von der Luftströmung mit 
in die Höhe geführt. Wenn man von dem 140 m hohen 
Thurmberg bei Durlach auf das 5 km entfernte Karlsruhe 
schaut, so sieht man den bei massigem Wind aufsteigenden 
Rauch ganz tief liegen, scheinbar unmittelbar über den 
Häusern. Sehr weit über Karlsruhe hinaus erstreckt sich 
seine Massenwirkung in der Regel nicht. — Nur bei Steppen¬ 
oder Moorbränden, wo auf grossen Flächen sehr heisse Luft 
entsteht, kann dicker Rauch auch zu grösseren Höhen mit¬ 
genommen werden. 


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Im Allgemeinen wird man sagen können: bei hohem 
Barometerstand, bei dauernd heiterem Wetter, bei Nordost- 
bis Ostwind, bleibt der Duft mehr in der Tiefe als bei 
niedrigem Barometerstand, bei Südwestwind. Die Wirkung 
gegen den unbedeckten Himmel, die Farbe des Blau kann 
in beiden Fällen die gleiche sein, aber der Blick in hori¬ 
zontalem Sinne wird bei Nordostwinden beschränkter sein, 
als bei (gleich starken) Südwestwinden. Dies findet sich 
auch thatsächlich bestätigt, wo nicht gerade wie im Rhein- 
thal die Südwestwinde den Rauch einer langen Ebene her- 
beiführen. Im Allgemeinen sind aber bei uns die Aussichten 
von mittleren Höhen bei heiterem schönen Wetter nicht sehr 
klar. Umgekehrt wird auf sehr grossen Höhen die Luft bei 
heiterem Wetter durchsichtiger sein, der Blick über den Duft 
der Tiefe hinaus weiter reichen als bei Wolkenhimmel mit 
Südwestwind; in letzterem Falle wird noch hinzukommen, 
dass der an sich stärkere Duft auch durch die Wirkung der 
feuchteren Luft noch mehr getrübt wird. Wenn zwar, wie 
es z. B. im August 1893 und im April 1894 der Fall war, 
Wochen lang heiteres Wetter mit fast völliger Windstille 
herrscht, so wird der Rauchduft allmählig auch sehr hoch 
kommen können und die Fernsicht auf grossen Höhen be¬ 
schränken. Nicht blos die Windrichtung, sondern auch 
die Windstärke spielt bei Aussichten von Höhenpunkten 
eine Rolle; Wind wirkt verdünnend auf den in die Luft ein¬ 
tretenden Rauch, ganz im Verhältniss seiner Stärke. 

Einige Beobachtungen über die Wirkung hohen Drucks 
bei ruhiger Luft und im Ganzen heiterem Wetter. Im 
Rheinthal liegen im Herbst (Oktober und November) oft 
Tage lang Nebel, mehr oder minder stark und anhaltend; 
dabei ist die Temperatur in der früheren Jahreszeit mild, in 
der späteren niedrig. Auf den Höhen über 600 m, mitunter 
noch tiefer herab, scheint die Sonne und ist es relativ 
warm. Man hat hier häufig herrliche Aussichten auf grosse 
Entfernungen, über den im Thale liegenden Nebel hinweg. 
Verfasser sah unter solchen Umständen einmal (Sonntag, 
den 6. November 1892) Morgens 10 Uhr bei 12° C. von 
dem 1050 m hohen Schliffkopf bei Allerheiligen die ganze 
Kette der Alpen bis zum Montblanc, auf eine Entfernung 


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39S 


von 320 km völlig klar. Der Nebel in dem Rheinthal war 
nur schwach, man konnte den Anfang der Ebene gerade noch 
erkennen, der Eindruck war ein Mittelding zwischen starkem 
Duft und Nebel; von den Vogesen erschien nur hin und wieder 
eine Spitze, die 80 km entfernte rauhe Alp lag deutlich da, 
scheinbar sehr nahe, in der Tiefe darunter zeigten sich weisse 
Nebelstreifen. Man kann annehmen, dass die Luft in dieser 
Höhe völlig duftfrei war. Die Sonne stand um die Beobach¬ 
tungsstunde unmittelbar über den Alpen, der Schliffkopf 
wurde nicht beschienen, der Himmel war nur theilweise 
wolkenfrei, auch unmittelbar über dem ganzen Schwarzwald; 
aber nach Süden zu lag ruhig, vielleicht 30 km ent¬ 
fernt, scheinbar hoch, eine nicht sehr breite, aber von Ost 
nach West stark in die Länge gezogene, den Schwarzwald 
beschattende Wolke, unterhalb deren jedoch bis zu den 
Alpen herab der Himmel klar blau war. Bei duftfreier 
Luft ist die Aussicht in der Richtung der Sonne ebenso scharf 
wie nach anderen Richtungen, es fehlt eben der den Hintergrund 
verdeckende Blendstoflf. Die klare Luft hielt sich einige 
Stunden, dann trübte sie sich. Nachmittags 3 Uhr war 
Verfasser noch auf der nördlich, in gerader Linie vom 
Schliffkopf aus 8 km entfernten Hornisgrinde, jetzt waren 
die Alpen kaum noch zu erkennen; am Abend trat Wit¬ 
terungsänderung ein. Mehrere Tage zuvor hatte das Wetter den 
gleichen Charakter, wie Sonntag frühe, dasselbe hatte den 
Verfasser gerade zu der Parthie in den Schwarzwald veran¬ 
lasst. Wahrscheinlich waren die Alpen die ganze Zeit hin¬ 
durch gleich sichtbar gewesen. Wiederholt war dem Ver¬ 
fasser von Freunden versichert worden, sie hätten im Herbst 
und Winter die Alpen von der Hornisgrinde aus gesehen; 
er hatte immer einige Zweifel in die Richtigkeit der Beob¬ 
achtung gesetzt; nun fand er sich durch den eigenen 
Augenschein überzeugt. Nie hatte er zuvor bei zahlreichen 
Besteigungen der selbst viel näher gerückten südlichen 
Schwarzwaldberge (Feldberg 1500 m., Belchen und Blauen) 
die Alpen wahrgenommen, allerdings hatte das Wetter auch 
immer anderen Charakter und war es Sommerzeit. 

Dass klare Fernsichten von grosser Höhe jedoch auch im 
Sommer stattfinden können, erlebte Verfasser am 16. August 


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1893 am Vierwaldstätter See. Wie schon früher bemerkt, 
war das Wetter während einer Woche heiter gewesen, Wind 
fehlend, die Luft sehr duftig, höchste Tagestemperatur etwa 
28° C. Die Weiterreise war auf jenen Tag festgesetzt und 
in dieselbe einbegriffen der Besuch des Rigi. Die Erwar¬ 
tungen auf Aussicht von der Höhe konnten nur ganz nied¬ 
rig gestimmt sein, Tags zuvor gab es keinen Fernblick. 
Eine wirkliche Ueberraschung wurde den, wie immer bei 
heiterem Wetter, zahlreichen Auffahrenden (von Vitznau aus) 
zu Theil. Etwa in halber Höhe des 1800 m hohen (1363 m 
über dem See liegenden) Berges, unterhalb Ealtbad, traten 
(Morgens 10 Uhr) in SSW die 70 km (Jungfrau) ent¬ 
fernten Schneeberge des Berner Oberlandes über den Duft 
der Tiefe hervor, mit Höhersteigen des Bahnzugs immer 
mehr anwachsend. Bei Kaltbad (1440 m) lag die ganze Kette 
völlig klar vor Augen, ein wahrhaft grossartiges Bild! Ver¬ 
fasser war zuvor neun Mal auf diesem berühmtesten Aus¬ 
sichtspunkt der Alpen gewesen und hatte das Berner Ge¬ 
birge nie gesehen. Ebenso erschienen äusserst klar alle 
andern in der Richtung von NNO nach SSW liegenden 
Alpen, vom Sentis an bis zum Pilatus. Diese hatte Ver¬ 
fasser wohl auch sonst zumeist sehen können, doch nie so 
bestimmt, so vollzählig, so nahe gerückt. Die Aussicht hielt 
den ganzen Tag an, doch war am Abend die Klarheit etwas 
vermindert. Am andern Morgen konnte man die Schnee¬ 
berge noch sehen, im Laufe des Vormittags verhüllten sie 
sich. Der Blick in die von der Sonne beschienene Ebene 
reichte bei dem starken Duft nicht Uber 20 km, Luzern 
(14 km) konnte noch gesehen werden, viel weiter nicht. Das 
Jura-Gebirge blieb bis auf einige schwache Wölbungen voll¬ 
ständig verhüllt, wie eine Wand lag der Duft darüber, ge¬ 
radlinig nach oben abgeschnitten. Der Jura bildet zu anderen 
Zeiten einen schönen Horizontabschluss nach W bis NNW. 
Der Blick in das davorliegende lachende Flachland von der 
Höhe hat sonst auch seinen Reiz. Darauf musste man dieses 
Mal verzichten. Im Uebrigen ist die Aussicht vom Rigi auch 
zu anderen Zeiten, wo die höchsten Alpen nicht erscheinen, 
immer grossartig, besonders unmittelbar in die Tiefe nach 
den Seen, dieselbe war an diesem Tage wegen des Duftes 


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400 


minder schön. Die Zeiten, wo der Blick in die Höhe und 
die Tiefe nach allen Seiten völlig klar ist, sind ohne Zweifel 
äusserst selten; es wird von darüber gemachten Erfahrungen 
noch berichtet werden. 

Wie soll man sieb diese gewiss merkwürdige Erscheinung 
des einen klaren Tages in der Höhe mitten in einer längeren 
Periode unveränderlichen ruhigen Wetters erklären? Dass der 
Duft allein sich in der Nacht zwischen den Lufttheilchen 
hindurch gesenkt habe, ist nicht anzunehmen; das hätte dann 
in jeder anderen Nacht auch geschehen müssen. Es bleibt 
nur die Annahme übrig, dass die ganze Luftmasse sich 
gesenkt habe und dabei den Duft hinabgeführt. Man braucht 
dabei nicht einmal an ein sehr tiefes Senken zu denken; 
500 m würden schon reichen. Wie hoch der Duft über den 
ßigi hinausgegangen ist oder gewöhnlich bei ähnlichem 
Witterungscharakter hinausgeht, kann man nicht sagen. Um 
den Blick auf die Schneeberge des Berner Oberlandes, wie 
auf alle höheren Berge als 1800 m zu verhüllen, genügt eine 
Erhebung des Duftes bis zu dieser Höhe. Reichte er blos so 
weit, so brauchte sich die ganze Luft nur bis etwa 150 m 
unterhalb Kaltbad zu senken, um die Berner Schneeberge 
erscheinen zu lassen. Die sich senkende Luft musste dann 
im horizontalen Sinne ausweichen. Dies konnte nur in der 
Richtung der Ebene WNO geschehen, da nach Süd die 
Alpen ein Hinderniss bildeten. Einen besonders merklichen 
Wind braucht die Senkung nicht im Gefolge zu haben. Es 
ist auch nicht nöthig, an eine sehr ausgedehnte horizontale 
Erstreckung der sich senkenden Luftmassen zu denken. 
Starker Duft wirkt auch auf geringe Entfernung trübend, er 
konnte sehr wohl in den Alpen stellenweise, z. B. um den 
Vierwaldstätter See herum höher hinaufgegangen sein und 
dann bedurfte es nur der Senkung gerade dieser betreffenden 
Strecken — was immerhin ein merkwürdiges Zusammen¬ 
treffen sein würde. 

Die Ursache, welche den Duft nach abwärts führte, 
wirkte jedenfalls nicht lange nach, allraählig stieg er wieder 
in die Höhe, unzweifelhaft mit der im Thale Tags über ge¬ 
bildeten warmen Luft und daun kam es für die nächste Zeit 
zu keiner weiteren Senkung. Welches war nun die Ursache? 


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401 


Man wird wohl blos an ein von Ferne her wirkendes baro¬ 
metrisches Minimum denken dürfen. Es kann zwar auch 
durch Herabfliessen der Nachts an den kalten Bergwänden 
sich abkuhlenden Luft, die dann dem Thallauf folgend oft 
ziemlichen Wind erzeugt (wie es z. B. in Freiburg i. B. am 
Ausgang des von den hohen Schwarzwaldbergen umsäumten 
Dreysam Thaies an schönen Sommerabenden oft empfindlich 
beobachtet wird) ein Sinken der ganzen überstellenden Luft 
erfolgen, die Wirkung erscheint jedoch nicht stark genug, 
um doch immerhin beträchtliche Luftmassen abzuführen; auch 
müsste sich dann die Erscheinung täglich bei unveränderter 
Witterung zeigen. Die wahre Erklärung muss der Zukunft 
Vorbehalten bleiben; sie kann nur auf Grund lange fort¬ 
gesetzter Beobachtung von der Höhe mit Berücksichtigung 
zugleich der Witterung an entfernten Punkten im Umkreis 
mit Sicherheit gegeben werden. Die meteorologische Beob¬ 
achtung im Allgemeinen hat sich bisher auf die Durchsichtig¬ 
keit der Luft nicht eingehender erstreckt. Es wäre gewiss 
keine undankbare Aufgabe, solche für die Folge mit in Berück¬ 
sichtigung zu ziehen. Fernsichten kann man allerdings nicht 
überall, wo meteorologische Stationen sind, beobachten; in 
Gebirgsgegenden wird sich jedoch immer der eine oder andere 
Punkt finden; so bildet z. B. im Lande Baden das 1000 in 
hohe Höchenschwand bei St. Blasien am Südabhang des Schwarz¬ 
waldes, von wo man bei klarer Luft die Kette der Alpen 
übersieht (berühmte Aussicht), im Vordergrund der Jura, eine 
geeignete Station, und hat man daselbst auch schon seit einer 
Reihe von Jahren die, immer nur seltenen Fälle, wo die Alpen 
sichtbar waren (meist bei Hochdruck), notirt. Auf Rigi und 
dem in Luftlinie 18 km entfernten 333 m höheren Pilatus 
könnten sich die Wirthe mit den Beobachtungen befassen; 
ebenso auf dem 2500 m hohen Sentis bei Appenzell, auf dem 
Niesen (2366 m) oder Faulhorn (2683 m) im Berner Oberland, 
auf dem Schafberg (1776 m) im Salzkammergut, auf dem 
Sonnblick (3106) im hohen Tauern, etc. Der 4810 m 
hohe Montblanc besitzt jetzt auch eine Station, die besonders 
interessante Resultate in Bezug auf den Duft in so grosser 
Höhe fördern würde. 

Vorausbestimmung von Fernsichten. Sind wir nach 

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402 


unseren Erfahrungen in der Lage, mit einiger Zuverlässig¬ 
keit den Durchsichtigkeitszustand der Luft in der Höhe von 
der Tiefe aus zu bestimmen oder auch an einem gegebenen 
Punkt auf Grund des allgemeinen Witterungscharakters 
vorauszusagen, wie sich daselbst in nächster Zeit, sagen wir 
bis zu 12 Stunden, die Luft im Hinblick auf Durchsichtigkeit 
verhalten wird? Nicht sehr viel ist bis jetzt seitens der 
Wissenschaft oder unseres Wissens zu erwarten. Die Luft 
ist in ihrer Duftbeschaffenheit zufolge des Einwirkens der 
Menschen zu verschiedenartig gestaltet und wieder beeinflusst 
durch die Strömungen und die Niederschläge, als dass sich 
das Zusammenwirken dieser Faktoren für einen Ort auf Grund 
der vorausgegangenen Witterung und des augenblicklichen 
Zustandes bestimmen Hesse. Es sind ja schon im Vorher¬ 
gehenden Beispiele darüber mitgetheilt worden, wie sich die 
Durchsichtigkeit der Luft bei gleichem Witterungscharakter 
sehr ändern kann, im einen wie im andern Sinne. Bei der 
Fahrt mit der Eisenbahn über grosse Strecken hat man immer 
Gelegenheit, Beobachtungen über den verschiedenen Grad der 
Durchsichtigkeit der Luft zu machen, sei es, dass man durch 
Industriegegenden fährt, wie bereits oben von Westfalen er¬ 
wähnt wurde, sei es, dass man aus Gegenden mit Hochdruck 
und ruhender Luft in solche mit Tiefdruck und bewegter 
Luft gelangt. Ueber einen ganz eigentümlichen Fall kann 
Verfasser von Sonntag den 3. September 1893 berathen. Er 
fuhr an diesem Tage von Bern nach Karlsruhe. Tags zuvor 
hatte es in der Südschweiz (Genf-Bern) andauernd geregnet 
(Landregen). Der Sonntag Morgen war in Bern heiter, wenig 
Wolken, aber dunstduftig. Die Abfahrt erfolgte um 11 Uhr. 
Der Juta zeigte sich in starkem Duft. Jenseits des Hauen¬ 
steintunnels war der Duft völlig verschwunden, bei der An¬ 
näherung an Basel lag der Schwarzwald völlig klar da, Ver¬ 
fasser hatte ihn von dieser Seite nie zuvor so scharf gesehen. 
Dies war auch bei der Weiterfahrt am Gebirge entlang bis 
nach Freiburg hin zu beobachten; man konnte sagen: abso¬ 
lute Durchsichtigkeit der Luft. Dann äuderte sich der Zu¬ 
stand, es zeigte sich Duft, erst massig, dann zunehmend, bis 
zuletzt bei Baden (6 30 ) das Gebirg in der gewöhnlichen mitt¬ 
leren Klarheit dalag. Dabei blieben die Berge am linken 


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403 


Rheinufer, Vogesen und später Ilaardt, völlig verhüllt, dicker 
Duft lagerte über dem Eisass. Bei dem Witterungscharakter 
■darf man für die merkwürdige Erscheinung wohl die Erklä¬ 
rung geben, dass die Luft am rechten Rheinufer bis zu dem 
Jura auf eine gewisse Strecke durch Regen gereinigt worden 
war, dies konnte aber an einem entfernten Punkt geschehen 
sein, die klare Luft wurde mit dem Wind weiter getragen 
und auf der überströmten Strecke während einer gewissen 
Zeit, vielleicht nur auf einige Stunden wahrgenommen. Die 
Aussicht von den Höhen war so lange in der Nähe bis zu 
einiger Entfernung äusserst klar, eine ausgedehnte Fernsicht 
nach allen Seiten gab es aber nicht. 

Weiter macht sich noch geltend die Wirkung der Nacht, 
sowie der Sonn« und Feiertage, wo die industrielle Thätigkeit 
ruht. Wie sich dies auf grössere Entfernungen äussert, ist 
unberechenbar, für die nahe Umgebung eines viel Rauch 
erzeugenden Bezirks kann es wohl berücksichtigt werden. 
An Sonntagen, wo die meisten Menschen allein Zeit zu 
grösseren Spaziergängen und Ausflügen haben, ist mehr 
Wahrscheinlichkeit, in dem Umkreis einer Stadt klare Luft 
zu finden, als an einem Werktag; so z. B. wird der Blick 
auf Stuttgart von einer der umgebenden Höhen an Sonntagen 
im Allgemeinen viel schöner sein als an anderen Tagen. 
Vielleicht gewinnt man an Sonntagen überhaupt nur eine 
Vorstellung von der Eigenthümlichkeit der Lage manchen 
Ortes. Edinburg wird als eine der schönst gelegenen Städte 
Europa’s angesehen. Verfasser hielt sich an drei aufeinander 
folgenden Tagen, 7. bis 9. August 1887, daselbst auf. Wäre 
■der erste Tag nicht ein Sonntag gewesen, so würde Verfasser 
■ohne irgend eine Vorstellung von der Lage der schottischen 
Hauptstadt wieder abgereist sein. Das Wetter war an den 
folgenden Tagen nicht ungünstig, mässiger Wind, halbbedeckter 
Himmel, aber die ganze Umgegend in undurchdringlichen 
Rauch dauernd gehüllt. Die Industrie ist daselbst eben hoch 
entwickelt. Sehr starker Wind wird wohl auch an Werk¬ 
tagen die Dichtigkeit des Rauchs vermindern und einen Ueber- 
blick über Stadt und Umgebung möglich machen, dies dürfte 
sich aber auf wenige Tage des Jahres beschränken. Fallen 
zwei Feiertage hinter einander, wie auf Ostern oder Pfingsten, 

2G* 


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404 


so ist am zweiten (MoDtag) günstigerer Fernblick zu erwarte» 
als am ersten. 

Im Allgemeinen wird man mehr im negativen Sinne sein 
Prognostikon stellen können, als im positiven, d. h. man wird 
aus dem Witterungscharakter eher auf ungünstige als auf 
schöne Aussicht schliessen. Ist die Luft am Orte des Beob¬ 
achters sehr duftig, so wird der Blick vom höheren Punkt 
in die unmittelbare Tiefe jedenfalls des Reizes entbehren, 
sollte er auch über das Gebirgsland oder nach fernen Berg¬ 
spitzen ungetrübt sein. Klare Luft lässt zwar auch vom 
höheren Punkt einen schönen Blick in die Niederung als 
sicher erwarten, aber die Art des Fernblicks bleibt unbestimm¬ 
bar. Ein grau blauer Himmel, wie er in Karlsruhe bei West- 
bis Nordwind mitunter beobachtet wird, kann zum Besteigen 
von Bergen nicht animiren, eine auch nur massige Aussicht 
ist unwahrscheinlich, doch könnte dabei von sehr grossen 
Höhen der Blick über den Duft hinweggehen. Bei andau¬ 
erndem Wind aus der Hauptregengegend, sobald dieselbe, 
wie in Karlsruhe die Rheinebene, viel Rauch erzeugt, werden 
Aussichten nicht zu erwarten sein. Dauernd heiteres Wetter 
bei Windstille ist auch nicht günstig für Aussichten ange¬ 
legt, besonders wenn die Gegend viel Rauch producirt, da 
derselbe sich dann hieranhäuft; ist das heitere Wetter mit Wind 
verbunden, der aus Rauch erzeugender Gegend kommt, wie 
in Karlsruhe das Rheinthal von NO nach SW, so ist schlechte 
Aussicht zu erwarten. Für Karlsruhe und wohl das ganze 
Rheinthal südlich von Darmstadt bis Basel sind die östlichen 
bis südlichen Winde bei fast immer heiterem Himmel als die 
günstigsten für Aussichten anzusehen, wenn sie auch nicht 
absolute Klarheit bringen. Vollkommene Durchsichtigkeit 
der ganzen Luft ist zumeist an nicht lange vorausgegangenes 
Waschen derselben durch Regen geknüpft; vollkommene 
Durchsichtigkeit in der Höhe an hohen Druck mit Windstille 
und Niedersinken der Luftmasse, wo dann in der Tiefe der 
Duft sich anhäuft. In letzterem Falle ist wohl auf längere 
Zeit ein gleicher Zustand zu erwarten, und kann die Aus¬ 
sicht auf sehr grosse Entfernungen sich erstrecken; im 
ersteren Falle dürfte die Klarheit der Luft zumeist nur ein 
raässig grosses Gebiet einnehmen und bald vorübergehen. I» 


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405 


Bezug auf dieses ist dem Verfasser eine Erfahrung aus 1869 
in Erinnerung; die Ueberraschung wirkte so nachhaltig, dass 
sie ihm nicht in Vergessenheit kam. Samstag den 3. Juli 
regnete es bei starkem Wind den ganzen Morgen heftig bis 
gegen Tisch, dann erfolgte Aufklärung, Nachmittags wehte 
noch ziemlicher Wind, gegen Abend war ganz heiteres Wetter 
in voraussichtlicher Beständigkeit eingetreten. W T as am Ge- 
birg von Karlsruhe zu sehen war auf beiden Seiten des Rheins, 
lag in voller Klarheit da, die Luft war absolut durchsichtig. 
Es verlockte dies die Familie zu einem Ausflug in den 
Schwarzwald. Der folgende Sonntag war ein warmer heiterer 
Sommertag bei Nordost (auch die nächsten Tage anhaltend) 

— von der Haardt und den Vogesen aber von frühe an 
nicht viel zu sehen, wie zu den damaligen Zeiten bei heiterem 
Wetter Ferusichten zu sein pflegten. Wo war die durchsich¬ 
tige Luft hingekommen? Staub konnte sich nicht entwickelt 
haben, ebenso nicht Rauch. Es musste eben in der Nacht 
die Duftluft von weither angerückt sein, von Orten, wo es nicht 
geregnet hatte. Die Erscheinung dürite sich in Parallele 
bringen lassen mit der Beobachtung am 3. September 1893 
auf der Fahrt von Bern nach Karlsruhe. Wäre man am 
Samstag mit der Bahn, statt nach Süden, nach Norden gefahren, 
so würde man in einer gewissen Entfernung von Karlsruhe 
wohl in Gegenden gekommen sein, wo die Luft duftig war. 

— Im Wesen stimmte die Beobachtung ja auch mit derje¬ 
nigen am 18. Juni 1893 bei der Besteigung des Merkur über¬ 
ein, doch schien damals die Klarheit der Luft durch voraus¬ 
gegangenen Regen nicht erfolgt zu sein. 

Ob bei Duft in der Tiefe Fernblick zu erwarten ist, lässt 
sich mitunter aus der blauen Farbe des Himmels, wenn solcher 
sichtbar ist, erschliessen. Sonntag den 20. Januar 1895 regnete 
es im Rheinthal Morgens zu wiederholten Malen bei schwachem 
Westwind; Nachmittags klärte es sich auf, der Himmel trat 
stellenweise hervor, aber in der Tiefe blieb in Folge starken 
Duftes der Blick auf höchstens 1000 m beschränkt. Das 
Blau des Himmels war dabei ziemlich lebhaft, so dass man 
annehmen durfte, die Dufthöhe sei nur gering, und man 
suchte dieselbe zu ergründen durch Besteigung des Thurm¬ 
bergs bei Durlach. Thatsächlich ging der Duft nicht einmal 


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bis zu Kircbthurmhöhe, aber die ganze Ebene stundenweit 
überlagernd. Darüber hinaus völlige Klarheit der Luft, 
Haardtgebirge deutlich sichtbar in den oberen Theilen, 
Schwarzwald greifbar nahe gerückt. In der Ebene Wind¬ 
stille, auf der Höhe schwacher Westwind. 

Der Blauton des Himmels kann im Allgemeinen jedoch 
und bei heiterem Wetter kein sicheres Anzeichen für den Grad 
der Durchsichtigkeit der Luft abgeben. Allerdings wird ein 
dunkles Blau auch einen klaren Blick im horizontalen Sinne 
erwarten lassen; aber ein Graublau deutet nicht auf das 
Gegentheil, ebenso wenig eine Bedeckung mit Wolken. Das 
Graublau kann herrühren von Duft in der Tiefe, wie von 
schwachem Nebel in grosser Höhe, in welch’ letzterem Falle 
in der Tiefe die Luft duftfrei sein kann, wie namentlich in 
der Gegend der Kalmen am Aequator. worauf oben bereits 
hingewiesen wurde. Zumeist deutet bei uns ein graublauer 
Himmel allerdings auf vom Boden sich zu grösserer Höhe 
erstreckenden Duft und auf schlechte Fernsichten; nur bei den 
sich auflöseuden Herbstnebeln kann der dann meist schwach¬ 
blaue Himmel ein Zeichen für verhältnissmässig niedrigen Duft 
sein und wird klare Luft auf höheren Bergen zu erwarten 
sein, gerade wie bei Bestehen des Nebels. 

In den Alpen gewinnen die Leute für manche Witterungs¬ 
zustände aus langer Erfahrung einen Blick in Bezug auf 
die Luftbeschaffenheit und können den Fremden mit einiger 
Sicherheit zu einer Bergbesteigung rathen. Verfasser war 
vom 29. August bis 5. September 1875 im Engadin. Das 
vorausgegangene warme Wetter war mit dem Eintreffen in 
St. Moritz umgeschlagen und in dem 1800 m hohen Thale 
wurde es bei fast andauerndem Kegen empfindlich kalt; die 
drei letzten Tage der Woche wurde der Aufenthalt in Pont- 
resina genommen, das Wetter besserte sich und am Frei¬ 
trag (3. September) ging die Losung in den Hotels: Morgen 
früh muss der Piz Languard (3266 m) bestiegen werden. Der Auf¬ 
stieg erfordert vier Stunden, wovon die ersten drei Stunden 
zumeist zu Pferd zurückgelegt werden, dann bleibt noch 
eine Stunde zu Fuss zur Erklimmung des steilen Kegels. 
Der Aufbruch erfolgte um fünf Uhr, der Himmel war voll¬ 
ständig heiter, die aufgehende Sonne beleuchtete die Berg- 


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407 


spitzen in prachtvoller Weise, einer der schönsten Sonnen¬ 
aufgänge, deren sich Verfasser erinnert. Um neun Uhr 
war die Spitze des berühmten Aussichtsberges erreicht und 
hier entwickelte sich ein Blick, wie man ihn selten geniessen 
kann, nach Versicherung der Führer träte eine solche Klar¬ 
heit der Luft nur einige Mal im Jahre ein. Es war eben 
Alles zu sehen, was in der Möglichkeit lag, in die Thaltiefe, 
wie in die Ferne. Die Luft war völlig ruhig, bei der grossen 
Höhe war die Temperatur sehr milde, so dass die mit¬ 
genommenen Ueberkleidcr sich unnöthig erwiesen. Der vor¬ 
ausgegangene Regen hatte sich ohne Zweifel über eine sehr 
grosse Fläche erstreckt und reinigend gewirkt. Wie lange 
nachhaltig die Luft so vollkommen klar bleiben konnte, dar¬ 
über wurden keine weiteren Erfahrungen gemacht; Tags 
darauf fand die Abreise statt. Aber aus den Aeusserungen 
der Ortsansässigen war zu entnehmen, dass die Dauer in der 
Regel nicht lange ist. 

Zu welcher Tageszeit ist mehr klare Luft zu erwarten; 
bei Sonnenaufgang, zur Mittagszeit oder bei Sonnenunter¬ 
gang? Je nach den besonderen, mehr zufälligen Erfahrungen, 
die Jemand gemacht hat, wird er sich für das eine oder 
andere entscheiden, besonders wird ein gewisser Gegensatz 
zwischen Aufgang und Untergang der Sonne gemacht. Ver¬ 
fasser hat zu allen Tageszeiten gleich klare und unklare 
Aussichten gefunden, er wüsste nicht, zu welcher Stunde 
überwiegend das eine oder andere. Er hat acht Mal auf 
dem Rigi übernachtet und nur ein Mal einen dankbaren Hoch¬ 
blick bei Sonnenaufgang erlebt, am 17. August 1893. Doch 
war die Aussicht Tags zuvor um die Mittagszeit schärfer und 
beim Sonnenuntergang ungefähr so, wie zehn Stunden später 
beim Aufgang. Auf dem Faulhorn hatte er hingegen im 
August 1854 bei seiner ersten Schweizerreise bei Sonnen¬ 
aufgang einen vollkommen klaren Blick auf die Kette der 
Schneeberge des Berner Oberlandes, während Abends zuvor 
die Luft etwas getrübt war; er sah thatsächlich die Hochalpen 
in der Frühe nie wieder in solcher Schönheit aus der Nähe. Bei 
der Besteigung des Piz Languard war die Luft bei Sonnen¬ 
aufgang völlig klar, ebenso auch noch um die Mittagszeit, 
als der Rückweg von dem Gipfel angetreten wurde. Die 


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Zeit des Aufenthaltes auf dem Brävent war Spätnachmittag, 
bis eine Stunde vor Sonnenuntergang. Die Aussicht auf die 
Alpen von den Schwarzwaldhöhen bei Allerheiligen war bis 
zur Mittagszeit völlig klar. Am 19. August 1893 bei 
heiterem Wetter übernachtete Verfasser auf der 1970 m hohen 
Schynigen Platte bei Interlaken, auf welche kurz zuvor eine 
neue Bergbahn eröffnet worden war. Am Nachmittag und 
Abend des Tages war die Aussicht nach der Kette der nahen 
Schneeberge (Jungfrau in gerader Linie 14 km) sowie in das 
Grindelwald- und Lauterbrunnenthal klar, am Morgen des 
20. August massig nur noch um die Zeit des Sonnenauf¬ 
gangs, bald wurde das Bild stark getrübt durch den Dult, 
von einer schönen Aussicht konnte man nicht mehr sprechen. 
Ist die Luft duftig, so treten kurz vor Sonnenuntergang 
bei heiterem Himmel ferne Berge immer viel deutlicher her¬ 
vor, besonders in der Richtung der Sonne, da dann der Duft 
nicht mehr blendet; umgekehrt bei Aufgang der Sonne, kurz vor¬ 
her bis zu ihrer vollen Sichtbarkeit ist die Aussicht am 
klarsten; sobald die Luft stärker beschienen wird, fängt der 
Duft an, blendend zu wirken, insbesondere in der Richtung 
der Sonne. — Verfasser wüsste dem Sonnenaufgang keinen 
Vorzug vor dem Sonnenuntergang einzuräumen. Was zum 
Uebernachten auf einem hohen Berg veranlassen kann, ist 
nur die neue Chance für eine schöne Aussicht, in der Hoff¬ 
nung einer Veränderung der Luftbeschaffenheit während der 
Nacht, sofern der Abendblick nicht befriedigte. Wenn Tou¬ 
risten mehr in der Frühe Berge besteigen, um die Sonne 
aufgehen zu sehen, so liegt dem die Berechtigung zu Grunde, 
dass sie bei duftigem Wetter dann doch eher überhaupt 
etwas sehen werden, als während des Tages, und dass bei 
von einem Nachtquartier entfernten Höhenpunkten längeres 
Wandern in zunehmender Dunkelheit des Abends nicht an¬ 
genehm ist. — Weite des Fernblickes, die bei jeder Tages¬ 
zeit ohne Zweifel die gleiche sein kann, da sie im Wesent¬ 
lichen von der Stärke des Duftes der Luft abhängt, welche 
von der Tageszeit nicht abhängt, ist nicht gleich zu stellen 
mit Farbenschönheit des landschaftlichen Bildes; diese ist 
bei tiefstehender Sonne, Morgens wie Abends, ohne Zweifel 
grösser als am Tage, da dort die gelben und rothen Töne 


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409 


der, grosse Luftschichten durchwandernden Sonnenstrahlen 
zur Geltung kommen, welche dem vollen Tageslicht fehlen. 

Bei ohne vorausgegangenen Hegen mitunter sich ein¬ 
stellender sehr klarer Luft hört man vielfach die Aeusserung: 
Es wird Regen geben. Der Anschauung liegt gewiss die Er¬ 
fahrung zu Grunde. Kann das Zusammentreffen als Regel an¬ 
gesehen werden? Gewiss nicht, denn man beobachtet auch 
vorübergehend klare Luft, ohne dass Regen folgt. Man wird 
sich deshalb gewiss nicht von der Besteigung eines Aus¬ 
sichtspunktes abhalten lassen in der Befürchtung, dass die 
Mühe nicht gelohnt würde. Auch geht doch oft eine längere 
Zeit darüber hin, ehe nach den ersten Kennzeichen der 
durchsichtigen Luft der Regen wirklich kommt. Verfasser 
hat darüber eine ihn sehr befriedigende Erfahrung gemacht. 
Die Tage 23. bis 26. Juli 1886 brachte er in Chamonix 
(1050 m hoch) zu. Das Wetter war zu Ausflügen in die 
Umgegend günstig. Sonntag den 25. Juli war es völlig 
heiter, es wehte ein massig starker, weicher Südwestwind, 
man hatte die.Empfindung, es müsse Regen geben (ohne 
Zweifel war die Luft ziemlich wasserhaltig). Es wurde 
die Parthie nach der Flegere (1800 m) und von da auf 
den 2520 m hohen Br6vent gemacht. Die Luft war von 
einer völligen Durchsichtigkeit in die Tiefe wie nach den 
entferntesten Punkten. Nach Nordost über Nord bis Süd¬ 
west ist der Blick fast unbegrenzt, da höhere Berge fast 
ganz fehlen; blos nach N.-Nordost stehen einige Spitzen über 
(Mont Rouan und Tour Salliöres, 24 km); nach Nordost bis 
S.-Südwest findet eine Ueberragung durch die Montblanc¬ 
kette statt; wenig mehr nach Norden, fast nordöstlich, traten 
die Spitzen der Berner Alpen auf 120 km Entfernung deut¬ 
lich hervor. Die Berge waren ausserordentlich nahe gerückt, 
man täuschte sich völlig über die Entfernung. Der auf der 
andern Thalseite sich erhebende Montblanc, iu Luftlinie 
11 km entfernt, schien nur einen Abstand von wenigen 
Kilometer zu haben. Fast senkrecht unterhalb des Brövent- 
gipfels (etwa 300 m tiefer) liegt ein kleiner See (lac du Br4- 
vent), an welchem der eine Weg von Chamonix vorbeiführt, 
beim Aufstieg bedarf man von hier noch einer Stunde Zeit, 
um die Spitze zu erreichen. Verfasser kannte die Entfernung 


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nicht, da er den andern Weg, von entgegengesetzter Seite, 
gekommen war. Der See war dem Auge so nahe gerückt, 
dass er in einigen Minuten von oben erreichbar schien. Beim 
Abstieg sollte nun der Weg am See vorbeigenommen werden 
und es schien dem Verfasser unglaublich, dass, wie der 
Führer versicherte, eine Zeit von 20 Minuten darüber hin¬ 
gehen würde, ehe auf dem steilen Zickzackweg der See 
erreicht sei. Thatsächüch traf es zu. Man ging immer 
rasch bergab, fast andauernd den Blick auf den See gerichtet, 
das Bild, das er gewährte, blieb lange unverändert, er schien 
immer im gleichen Abstand zu liegen. Verfasser kann sich 
eines ähnlichen Erlebnisses nicht erinnern, es war die grösste 
optische Täuschung, die er im Hinblick auf Distanzbestimmung 
im Freien erfuhr. 

Die Blicke vom Piz Languard und von Brevent waren 
vollkommen und in gleicher Weise bei keiner anderen Berg¬ 
besteigung vom Verfasser weder früher noch später gefunden 
worden. Auf ersterem Berg tlieilte er den Genuss mit zahl¬ 
reichen andern Personen, auf dem Brevent war er allein mit 
dem Führer. Wie verschieden in beiden Fällen die Wit¬ 
terung vor- und nachher! Im Engadin regnete es Tage 
vorher, dann trat dauernd heiteres Wetter ein; in Chamonix 
war es zuvor heiter und der geahnte Regen stellte sich tags 
nachher ein. Am Montag fand die Abreise nach Genf statt; 
in der Frähe war es noch ziemlich heiter, doch hatte der 
Himmel von seiner Klarheit verloren, die Trübung nahm zu, 
bald begann Regen, der sich als Landregen den ganzen Tag 
bis zur Ankunft in Genf fortsetzte. 

Noch eine andere Erfahrung. Verfasser war am 24. Au¬ 
gust 1882 in Zermatt (1620 m), nur den einen Tag konnte 
er verweilen. Er kam über den Simplon aus Italien, hatte 
zuvor andauernd heiteres Wetter. In Zermatt langte er 
Morgens 10 Uhr von St. Niklaus an, sein Ziel war der Gorner- 
grat (8136 m). Der in der Frühe heitere Himmel fing an sich 
schwach zu trüben, die Luft war sehr klar, man hatte das Gefühl, 
dass Regen bevorstehe. Während andere Mitreisende zögerten, 
nahm Verfasser ein Pferd und setzte sich ohne Zeitverlust 
in Bewegung; er langte nach 3 Stunden auf dem Riffelhaus 
(2570 m) an, erquickte sich rasch und erreichte dann in 


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weiteren 1 */ 2 Stunden um 3 Uhr die Spitze des Gornergrats. 
Der Iiimmel hatte sich inzwischen mehr überzogen, die Wol¬ 
ken waren jedoch hoch, die Aussicht vorzüglich, wenn auch 
in Wirkung nicht vollkommen, es war Alles unbeleuchtet, da¬ 
durch kalt im Ton, aber der Eindruck der grossartigen Natur der 
Monte Rosa-Gruppe mit Matterhorn und der Blick auf ent¬ 
fernte Berge war nahe voll da. Der Abstieg nach einer 
halben Stunde begann, als die ersten Regentropfen fielen. 
Bis zum Riffelhaus ging es noch leidlich, dann folgte aber 
richtiger Landregen bis nach Zermatt, der sich bei der Rück¬ 
reise auch noch einen Theil des folgenden Tages hindurch 
fortsetzte. Aber der Zweck war voll erreicht. 

Die Anschauung, dass auf klare Luft Regen folgen werde, 
gründet sich wohl auf die Wirkung feuchter Luft auf die 
Haut, auf die geringere Verdunstung, wofür man eine feine 
Empfindung hat und woraus man das Weitere auf Grund 
vorausgegangener Erfahrungen schliesst; aber die Luft kann 
auch klar bei Trockenheit sein und dann folgt kein Regen, 
so dass eine allgemein gültige Regel nicht besteht. 

Welcher Zusammenhang findet statt zwischen längere 
Zeit klarer Luft und darauf folgendem Landregen? — An¬ 
haltender Regen ist es fast immer, der unter solchen Umständen 
beobachtet wird; die klare Luft mit gewitterartigen kurzen 
Platzregen bald hier, bald dort, wovon früher die Rede war, 
trägt anderen Charakter. Ist es die noch reine feuchte 
Luft, welche vom Meer zu uns kommt, die zuvor nicht über 
die Erdoberfläche gestrichen ist, erst in unserer Nähe sich 
aus der Höhe niedersenkt, um später der, mit Verschiebung 
des barometrischen Minimums, zu grösserer Höhe wieder 
aufsteigenden gleichartigen Luft Raum zu geben? Die Be¬ 
antwortung dieser und mancher anderer Fragen wird weitere 
Beobachtungen erheischen, namentlich das Zusammenwirken 
zahlreicher meteorologischer Stationen im besonderen Hin¬ 
blick auf Bestimmung des Grades der Durchsichtigkeit der 
Luft im Allgemeinen. 


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Das Erdbeben vom 13. Januar 1895 

im südlichen Schwarzwald und den benachbarten Gebieten 
des Eisass und der Schweiz. 

Bearbeitet von Dr. R. Langenbeck in Strassburg i. E. 

Das Material für die Bearbeitung des Erdbebens vom 
13 . Januar ist, soweit es Baden betrifft, zum grösseren Theil 
durch das Central-Bureau für Meteorologie und Hydrographie 
in Karlsruhe gesammelt worden, dessen Vorstand, Herr Ober¬ 
baudirektor Honsell, mir dasselbe auf meine Bitte mit der 
grössten Bereitwilligkeit zur Verfügung stellte. Eine grosse 
Anzahl weiterer Nachrichten habe ich auf briefliche Anfrage, 
namentlich an die Bürgermeisterämter der einzelnen Ort¬ 
schaften, erhalten. Sehr wesentlich wurde ich hierbei durch 
Herrn Professor Dr. Neumann in Freiburg unterstützt, der 
in der Breisgauer Zeitung eine Bitte um Einsendung von 
Nachrichten veröffentlichte und mir die daraufhin eingelaufcnen 
Berichte freundlichst übersandte. Aus dem Eisass liefen auf 
ausgesandte Fragebogen und private Erkundigungen eine 
Anzahl von Berichten ein. Für die Schweiz überliess mir 
die dortige Erdbeben-Kommission in dankenswerthester Weise 
das von ihr gesammelte Material. Aus Basel sandte mir 
Herr Professor Dr. Riggenbach eine Mittheilung. Aus Württem¬ 
berg habe ich von den Herren Professoren Dr. Eck und Dr. 
A. Schmidt Mittheilungen erhalten. Ich gestatte mir an 
dieser Stelle, allen den Behörden und einzelnen Herren, 
welche mich bei der Sammlung des Materials unterstützt 
haben, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. 


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Zusammenstellung der Berichte. 

I. Baden. 

1. Frei bürg. 

a. Breisgauer Zeitung: Gestern Nachmittag (13. Januar) 
um 5 Uhr 20 Min. wurde hier ein aus SW. kommender 
Erdstoss wahrgenommen. Die Erschütterung, die er in den 
Häusern hervorrief, glich denen, die von schweren Lastwagen 
erzeugt werden. Nach einigen Beobachtungen wurden auch 
Stühle etwas gerückt und Flaschen umgeworfen. 

b. A. Hubacher (Stadtstrasse, Vorort Herdern). Betreffend 
das Erdbeben vom 13. Januar kann ich mittheilen, dass ich zu 
derselben Zeit in meinem Wohnzimmer auf dem Kanapee sass 
und mit meinen Kindern spielte. Auf einmal gab es einen 
Ruck, und zwar von unten nach oben, von einem ziemlich 
starken, dumpfen Getöse begleitet, das 2 bis 3 Sekunden 
andauerte. Die Kinder schwankten und kamen aus Angst 
zu mir gesprungen mit der Frage: „Papa was ist das?“ Es 
war f» Uhr 20 Min. 

c. Dr. Görger (Villa Willyama, nördliche Höhen am Fuss 
des Schlossberges). Die Wirkung des betreffenden Erdbebens 
war in meinem Hause Nachmittags nach 5 Uhr in der Weise 
zu verspüren, dass wir zu ebener Erde eine Schwankung von 
WSW. nach ONO. (durch den Kompass festgestellt) merkten, 
und gleichzeitig ein Geräusch entstand, als ob ein Ofen 
geplatzt, oder ein Kamin umgestürzt wäre. Wir sassen 
gerade mit einigen Bekannten beim Kaffeetisch, und sah ich 
mich veranlasst, in allen Räumen nachzusehen, ob nichts 
passirt wäre. Die Köchin, welche im dritten Stock krank 
zu Bette lag, gab an, dass sich das Bett in obiger Richtung 
stark bewegt habe. Die Erscheinung dauerte nur wenige 
Sekunden. Uebereinstimmend ein mündlicher Bericht von 
Dr. Walz an Professor Dr. Neumann. 

d. A. Ritter (Karlsplatz, N., Ebene). Die betreffende 
Erderschütterung war Mittags 5 Uhr 20 Min. in der ganzen 
Etage bemerkbar. 

e. Dr. Eisenlohr(Karlsstrasse, N., Ebene): Ich beobachtete 
das am 13. Januar stattgehabte Erdbeben 5 Uhr 20 Nach¬ 
mittags, empfand es aber nur als einen Stoss, von dem das 


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Haus erzitterte, nicht als wellenförmige Bewegung. Ich glaubte 
desshalb an eine Explosion. 

f. Fischer (Deutschordenstrasse). An den» betreffenden 
Sonntag zwischen 5 und 6 Uhr hörte ich, obgleich schwer¬ 
hörig, einen dumpfen Fall, als ob eine Masse Schnee vom 
Dache fiele; der neben mir sitzenden Dame war es, als ob 
sie zuerst einen Krach, dann ein Rollen unter sich vernähme. 
Sie fühlte ein Zittern unter den Füssen, und mir war es, 
als ob ich Wärme von unten fühlte. Als wir hinausgingen, 
um nachzusehen, waren die Mädchen im Begriff, die Treppe 
hinaufzulaufen; ihnen war es gewesen, als ob über ihnen eine 
Menge Stühle gerückt würden. 

g. MusikerBirnschein (Hildastrasse): Ich stand an meinem 
Schreibtisch in dem östlichen Eckzimmer des dritten Stockes 
des freistehenden Hauses Hildastrasse 14. Da gewahrte ich 
ein einmaliges, ziemlich bedeutendes, genau von SW. nach 
NO. sich bewegendes Senken und Heben des Fussbodens, 
sammt Schreibpultes, ähnlich der Empfindung: „wenn man 
auf einer Eisenbahnbrücke steht, und der Schnellzug fährt 
darüber.“ Diese Bewegung war mit dem Geräusch eines 
entfernten Donners begleitet und dauerte ca. 2 Sekunden. 
Das Oel in meiner Lampe brauchte ca. eine Minute, bis es 
wieder ruhig stand. Mir war sofort klar, dass das ein Erd- 
stoss gewesen war. (Ich habe schon im März 1872 in Weimar 
und im Frühling 1887 in Montreux ein Erdbeben erlebt.) Es 
war genau 5 Uhr 25 Nachmittags. 

h. Pfarrer Hansen (Hildastrasse). Am 13. Januar Nach¬ 
mittags 5 Uhr 20 sass ich in meinem nach W. gelegenen 
Wohnzimmer (2. Stock) neben meiner Klavier spielenden 
Tochter, als plötzlich ein Krach erfolgte, wie wenn auf der 
Strasse ein Kohlenwagen umgestürzt wäre. Es folgte diesem 
Krach, der mich mit dem Rut „was war das?“ aufspringen 
Hess, ein donnerähnliches Rollen. Das Ganze währte etwa 
4—5 Sekunden. Meine Frau, die sich in einem nach 0. 
gelegenen Zimmer befand, rief gleich, „das war ein Erdbeben“. 
Die Richtung einer etwaigen Wellenbewegung haben wir nicht 
wahrgenommen; nur einen Stoss und Krach mit folgendem 
donnerähnlichen Getöse. Ich war erstaunt, von befreundeten 


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Familien, die in der Nähe wohnen, zu hören, dass sie nichts 
wahrgenommen hätten. 

i. Professor Dr. Kewitscb: Ich sass still in meinem 
Zimmer, Hotel Bellevue, und schaute durchs Fenster nach 
dem Wald, als ich plötzlich etwa 5 1 /« Uhr Nachmittags ein 
Geräusch hörte, wie wenn ein schwerer Lastwagen über ein 
Steinpflaster schnell dahinfährt. Dabei sah ich, wie das 
Haus — ich war im 3. Stock — schwankte, und zwar in der 
Richtung N.—S., der Vorgang währte etwa 2 Sekunden. Ein 
Engländer in demselben Hause hatte das Erdbeben auch 
gespürt, mein Sohn aber, der draussen spazirte, hatte nichts 
empfunden. 

k. Platenius (Villa Berthold, auf dem alten Festungswall): 
Ich weiss mich des Tages und der Stunde nicht mehr zu 
erinnern, wohl aber, dass ich kürzlich eine deutliche Er¬ 
schütterung in unserem Hause verspürte, bei der ich sofort 
an einen Erdstoss dachte, und die scheinbar vom oberen 
Stockwerk ins Partere, in dem ich mich befand, in gerader 
Richtung an einem schweren Eichenholzbüffet, welches nach 
N. steht, entlang ging. Meine Schwester, welche sich im 
oberen Stock in einem anderen Teil des Hauses befand, fühlte 
nichts, dagegen spürte unser Mädchen im Keller eine starke 
Erschütterung. 

l. Frau Major Bühler (Bismarckstrasse): 5 Uhr 20 heftiges 
Rollen unter der Küche; alle Gegenstände zitterten; Gefühl, 
wie wenn ein grosser Dampfer sich in Bewegung setzt. 

m. C. Stimmel (Ludwigsstrasse): Am Tisch sitzend und 
schreibend, fühlte ich den Boden unter mir wanken, sich wie 
wellenförmig zuerst erheben, dann senken, und zwar von 0. 
nach W. Ich glaubte mich auf hoher See und das Schiff von 
den Wellen sanft aber rasch gehoben und gesenkt. In diesem 
unsicheren Gefühl beugte ich mich über den Tisch, mit den 
Händen denselben festhaltend, zugleich meine Umgebung auf 
das bestimmteste versichernd, dass das ein Erdbeben war. 
Zu gleicher Zeit hörte ich im Erdgeschoss unter uns ein 
deutlich wahrnehmbares unterirdisches Getöse, ähnlich wie 
dumpfes Rollen oder Donnern. Meiner am gleichen Tisch 
sitzenden Mutter erschien es, als wäre in einer oberen Etage 
zum mindesten ein Kassenschrank oder Sekretär umgefallen. 


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n. Buisson (Rosastrasse): Abends 5 Uhr 25 Minuten 
schien mir im östlich anstossenden Nebenhause der denkbar 
schwerste Gegenstand umzustürzen. Ich erhielt in diesem 
Moment von derselben Seite her einen heftigen Stoss, der 
mich von meinem Sitze aufspringen liess; darauf folgte ein 
Poltern und Dröhnen, welches den Boden unter meinen Füssen 
erbeben und erzittern machte. Während es geschienen hatte, 
als sei der erste schwere Fall im mittleren Stockwerk 
geschehen, hatte ich die Empfindung, als sei das folgende 
Dröhnen und Poltern oben im 3. Stock erfolgt und setzte 
sich gegen die Rückseite des Hauses (gegen N.) wieder hinab. 

o. Fritz Scholle (Schwimmbadstrasse, südlich der Dreisam): 
Wir sassen nach 5 Uhr in grösserer Gesellschaft in den 
Parterreräumen meines Hauses, als wir plötzlich in der 
oberen Etage einen Krach hörten, als wäre etwas sehr 
Schweres zu Boden gestürzt, und zwar mit solcher Gewalt, 
dass das ganze Haus erbebte. Ich stieg erschreckt hinauf, 
um nach der Ursache zu sehen, fand aber in beiden Stock¬ 
werken nichts, dabei hatten aber die Mägde in beiden das 
gleiche Geräusch wahrgenommen, nur mit dem Unterschied, 
dass diesem noch ein Donner oder ein Lärm, als ob grosse 
Schneemassen vom Dach gerutscht, voraufgegangen war. 
Diese Naturerscheinung, die ich sogleich für ein Erdbeben 
hielt, trat gleichartig bei befreundeten Familien, und zwar 
Kronenstrasse und Ecke Göthe-Baslerstrasse auf. 

p. Dr. Gartipp (Güntersthalerstrasse, südlich der Dreisam): 
Ich befand mich am fraglichen Sonntag ca. 5 1 /* Uhr in 
meinem nach W. gelegenen Zimmer, als ich den südlichen 
Theil der Wohnung, welcher frei nach dem Garten liegt, stark 
erbeben fühlte. Ob die Bewegung von 0. nach W. oder 
umgekehrt ging, habe ich nicht beobachtet, sicherlich ging 
sie nicht von N. nach S. Die Fenster klirrten, Möbel wurden 
nicht gerückt. Meine Frau, die sich in der nach 0. gelegenen 
Küche befand, hatte die gleiche Beobachtung der Erschütter¬ 
ung nur des südlichen Zimmers gemacht. Die Dauer schätze 
ich auf 2 Sekunden. 

q. H. Stärker (Lorettoberg, im S. über der Stadt): Mein 
Haus steht völlig isolirt. Am 13. Januar, Nachmittags 5 Uhr 
15. Min., vernahmen wir in drei verschiedenen Zimmern 


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gleichzeitig unter Klirren der Lampengläser ein Getöse, das 
so stark war, dass meine Frau fürchtete, es sei eine schwere 
Maschine umgestürzt. Ich selbst war mir schnell klar, dass 
ein Erdstoss stattgefunden hatte. Etwa ®/ 4 Stunden später 
kam abermals eine Erschütterung, die so auffällig dem Her¬ 
unterlassen von hölzernen Rollläden glich, dass ich keine 
Notiz davon nahm, bis mir gesagt wurde, dass die Läden 
noch nicht heruntergelassen seien. Auch bei früheren Ge¬ 
legenheiten fand ich, dass wir in unserer Lage die Erdstüsse 
intensiver fühlten, als beispielsweise in der Stadt, wo Bekannte 
nichts von einem Erdbeben am Sonntag fühlten. Wir alle 
hatten das Gefühl des oberirdischen Stosses, der anscheinend 
vom Hexenthal (von S.) herkam. 

Ausserdem noch zehn mündliche Mittheilungen aus dem 
südlichen Theil der Stadt an Herrn Professor Neumann, die 
mit den angeführten durchaus übereinstimmen. 

2. Umgebung von Freiburg. 

a. Bericht von Strassenmeister Grossholz in Freiburg: 
Nach eingezogenen Erkundigungen wurde das Erdbeben am 
13. Januar 5 Uhr 15 Min. in den Orten Zähringen, St. 
Georgen und Ebringen, in letzterem Ort am deutlichsten 
wahrgenommen, und zwar um 5 Uhr 15 Min. Nachts 
zwischen 12 und 1 Uhr hat Hauptlehrer Friedrich in Ebringen 
und dessen Ehefrau die gleiche Wahrnehmung gemacht, wie 
des Abends um 5 Uhr. Das Rollen, welches einem dumpfen 
Donner ähnlich war, sei von W. nach 0. gezogen. In allen 
übrigen Orten am Tuniberg und in der March wurden 
keine Wahrnehmungen eines Erdbebens gemacht. 

b. Gelegentlich einer Diensttour wurde durch die Gross¬ 
herzogliche Strassenbau-Inspection Freiburg festgestellt, dass 
das Erdbeben auch in Wildthal (besonders auch im Wirts¬ 
haus, trotz lebhafter Unterhaltung) Gundelfingen. und am 
oberen Ende von Langendenzlingen wahrgenommen wurde. 

c. Marie Tenne in Ebringen (welche mit Nähen beschäf¬ 
tigt war): Es erfolgte um 5 Uhr 15 Minuten ein ziemlich 
starker Stoss mit dumpfem Rollen, ähnlich wie ein im Lauf 
begriffener Eisenbahnzug. Der Tisch zitterte und der Stuhl, 
auf dem ich sass, erhielt einen Stoss, jedoch nur ganz kurz. 

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d. Lehrer Sutz in Merzhausen (am Schönberg): Am 
13. Januar sass ich Abends zwischen 5 und 6 Uhr im Hirschen, 
als man um V*6 Uhr plötzlich einen Schlag, dem ein in 
der Richtung von W. nach 0. etwa 3—4 Schunden andauern¬ 
des Rollen folgte, vernahm. Als ich bald darauf ins benach¬ 
barte, V 4 Stunde davon gelegene Au kam, wurde mir das 
gleiche Vorkommniss erzählt, nur war es dort so stark, dass 
Thiiren und Tische zitterten. 

e. Pfarrer Schroff in Wittnau: Ich wurde durch ein 
Heftiges Zittern des ganzen, solid gemauerten Hauses, indessen 
zweitem Stock ich mich befand, erschreckt. Die Fenster 
klirrten stark. Ein gewaltiges, etwa 3 Sekunden anhaltendes 
Donnern begleitete das Ende der Bewegung, welche 6 Sekunden 
dauern mochte. Das Geräusch schien über mir zu sein. Die 
Fortbewegungsrichtung kann ich nicht konstatiren. Zeit 5 Uhr 
16. Min. Ausserdem nahmen es viele andere Personen in 
Wittnau wahr, unter anderen Bürgermeister Gutmann und 
Steuererheber Eckert. (Siehe auch 3.) 

3. Dreisamthai und nördlich desselben. 

a. Bericht von Strassenmeister Deckelmeier in Freiburg: 
Am 13 dieses Monats Abends zwischen 5 Uhr 15 und 5 Uhr 
20 Minuten wurde in sämmtlichen Ortschaften des diesseitigen 
Strassenmeisterbezirks ein Erdbeben verspürt, wobei folgende 
Wahrnehmungen gemacht wurden: Die Richtung der Erd¬ 
bewegung war von S. nach N. Einige Angaben lauten auch 
von S. nach 0. kommend. Es wurde nur ein, jedoch ziem¬ 
lich starker Erdstoss verspürt, welcher von einem donner¬ 
ähnlichen Getöse, ähnlich wie das Rollen eines schwer 
beladenen Wagens, begleitet war. Strassenwart Ahal von 
Sölden glaubte, es käme ein schwer beladener Wagen in 
der Richtung zwischen Bollschweil und St. Ulrich daherge¬ 
fahren, was auch noch mehrere Einwohner von Sölden 
behaupteten. Kreiswegwart Renz in Au glaubte, der Schnee 
von seinem Hausdach sei herabgestürzt und habe das Gepolter 
verursacht. Der Schnee vom Haus ist zwar nicht herab¬ 
gestürzt, jedoch war der Schnee von den Bäumen in seinem 
Hof abgeschüttelt. Die Frau des Strassenwarts Sutter in 
Ebnet glaubte, es sei eine Stützmauer im Rebgelände umge- 


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stürzt. Aehnliche Angaben wurden von den Strassenwarten 
in Kirchzarten, Oberried, St. Wilhelm, Hofsgrund 
und Horben gemacht. In Freiburg wurde der Stoss nur 
von Einzelnen wahrgenommen und war derselbe auch nur 
ganz schwach. 

b. Bericht des Strassenmeisters Berger in Kirchzarten; 
Das am 13. Januar in Lenzkirch wahrgenommene Erdbeben 
war auch im ganzen diesseitigen Bezirk bemerkbar. Bezüg¬ 
lich der Einzelheiten ist beizufügen: 1. Das Erdbeben fand 
überall fast zu gleicher Zeit statt, nämlich um 5 Uhr 15 
bis 20 Minuten. 2. Die Richtung desselben wurde bezeichnet 
grösstentheils von S. nach N., andere behaupten, die genauere 
Richtung sei SO. nach NW. 3. Dauer: etwa 10 Sekunden. 
4. Als besondere Erscheinungen sind wahrgenommen worden: 
Erschüttern der Häuser, Klirren der Fenster, Aneinander- 
stossen der Gläser in Schränken, durchweg begleitet von 
donnerähnlichem Getöse. Die im Höllenthal wohnenden 
Leute glaubten, es fahre ein Zug iu der Richtung gegen 
Freiburg, andere waren der Meinung, es falle eine grosse 
Schneemasse vom Dache, andere, es sei Holz oder andere 
Gegenstände umgefallen, bis sich der wahre Sachverhalt 
herausstellte. Besonders heftig war das Erdbeben in Hinter¬ 
zarten, St. Märgen, St. Peter und Buchenbach. Hier- 
sclbst war es schwächer und wurde von mir selbst nicht 
wahrgenommen. 

In der Nacht vom 13. auf 14., etwa um 2 Uhr, soll sich 
der Erdstoss unter ähnlichen Erscheinungen wiederholt haben, 
was in Hinterzarten und auch hier (in Kirchzarten), 
wie ich nachträglich erfahren habe, beobachtet werden 
konnte. Ueber letzteren Fall konnte ich bisher nichts be¬ 
stimmtes in Erfahrung bringen. 

c. Breisgauer Zeitung: Buchenbach, 13. Januar. Am 
heutigen Sonntag Nachmittags 5 Uhr 20 Minuten, fand dahier 
ein 4 bis 5 Sekunden währendes Erdbeben statt. Die Er¬ 
schütterung erstreckte sich von S. nach N. 

d. Pfarrer Weiss in Buchenbach: 5 Uhr 20 Minuten 
Nachmittags ein heftiges, donnerähnliches Rollen, so dass 
Fenster und Thüren rüttelten. Dasselbe kam von SW. und 
dauerte 10 Sekunden. Das Barometer zeigte keine Veränder- 

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ung. Das Erdbeben haben noch mehrere Personen be¬ 
obachtet. 

e. Forstwart Tritschler in Bachenbach: 5 Uhr 20 Minuten 
ein Erdstoss mit donnerartigem, unterirdischem Rollen von 
SO. nach N. 

f. Bürgermeister Hensler in Hinterzarten: Am Sonntag 
den 13. Januar nach 5 Uhr wurde von mehreren Bewohnern 
dahier ein Erdbeben bemerkt, welches 4— 5 Sekunden dauernd 
mit donnerähnlichem Rollen, nicht stossend, sondern nur zitternd, 
ohne etwas umzustossen oder zu beschädigen, hier durchzog. 

g. Bürgermeister Hag in St. Märgen: Das Erdbeben 
machte sich hier am Sonntag den 13. Januar gegen 6 Uhr 
durch Fenstererzittern und dumpfes Rollen, ähnlich dumpfem 
Donner, bemerkbar. Schaden wurde nicht angerichtet. Das 
Erdbeben war in seiner Art stossend. 

h. K. Ketterer in St. Peter: Am 13. Januar 4 Uhr 
50 Minuten wurde hier ein erdbebenartiges Getöse in SO.- 
Richtung wahrgenommen, welches 10—15 Sekunden dauerte, 
durch welches in einigen Häusern die Fenster klirrten. 

i. W. Wiedmer in Breitnau: Hier wurde am 13. 
Januar ein Erdbeben beobachtet. Der erste Stoss fand statt 
um 5 Uhr 15 Minuten Abends und dauerte etwa 12 Sekunden; 
die Bewegung ging von W. nach 0. Der zweite Stoss folgte 
etwa 6 Sekunden später, hatte dieselbe Richtung, war 
aber schwächer und dauerte etwa 6 Sekunden. Die Stärke 
der Stösse war etwa, wie wenn grosse Schneemassen von 
den Dächern rutschen. Die Fensterscheiben klirrten, und 
die in den Zimmern aufgehängten Lampen kamen in Beweg¬ 
ung. Der Himmel war dicht bewölkt, und 6 Uhr 30 Minuten 
fiel etwas Schnee. Windrichtung W.—0., Stärke 4. 

4. Breisach und Kaiserstuhl. 

In Alt-Breisach und dem ganzen Gebiet des Kaiserstuhls 
wurde das Erdbeben nicht wahrgenommen, wie die von 
Bürgermeister Köhler und Strassenmeister Ratzel eingezogenen 
Erkundigungen ergaben. 

5. Glotterthal, Eltzthal, Simonswälder Thal. 

a. Bericht von Strassenmeister Angstmann inWaldkirch: 
Ich habe gelegentlich der Strassenbereisung in Erfahrung 


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gebracht, dass ain 13. Januar ein Erdbeben stattgefunden 
habe und zwar, soweit es diesseitigen Bezirk betrifft, im 
Simonswälder Thal und im Glotterthal. Die genommene 
Richtung und die Zeitdauer, ebenso die Zeit der Erscheinung 
konnte von keinem der hierwegen Befragten mit Ausnahme 
des Uhrenmacher Fehrenbach (s. unten) bestimmt angegeben 
werden, und wurde bezüglich der Zeit stets eine Mittheilung 
gemacht, wie: „Es war am Zunachten, oder es ist um */ 2 6 Uhr 
herum gewesen“. Die Mittheilungen sind folgende: 

I. Im Simonswälder Thal. 

Die Bewohner von Bleibach, insbesondere die in der, 
Mitte des Dorfes wohnende Familie des Zieglers Hoch haben 
ein Rollen, wie Donner, gehört. Strassen wart Straub von 
Bleibach, welcher am östlichen Ende des Ortes wohnt, gibt 
an: „Ich bin in der Scheuer, meine Frau und Töchter in der 
Stube beim Nachtessen gewesen, als auf einmal das Haus 
erzitterte und das Geschirr auf dem Tisch durch Aneinander¬ 
schlagen zu klirren anfing; die Dauer kann 3 Sekunden 
gewesen sein.“ Dabei ist zu bemerken, dass der auf etwa 
20 Meter Entfernung südlich wohnende Nachbar nichts be¬ 
merkt haben will. Frau Th. Kerg von Altsimonswald, 
auf der Gemarkungsgrenze Altsimonswald wohnend, glaubte, 
dem gehörten Geräusch nach, die Kuh im Stall sei unruhig 
geworden und brumme. Die Bewohner des Schwarzbauern¬ 
hofes, nördlich der Landstrasse auf der Gemarkung Bleibach 
gelegen, gaben an, das Haus habe gezittert. In Unter¬ 
simonswald gaben sämmtliche Befragten an, dass sie, bezüg¬ 
lich ihre Hausgenossen ein Geräusch, wie Donner gehört 
haben, doch ist hierzu zu bemerken, dass in den besetzten 
Stuben der Wirthshäuser hiervon nichts gehört wurde. Uhr¬ 
macher Fehrenbach in Altsimonswald gibt an: „Ich hörte 
ein donnerähnlicbes Rollen mehrere Sekunden lang; in der 
Mitte verspürte ich einen ziemlich starken Stoss, so dass ich 
auf der Bank im Zimmer, wo ich ausruhte, gerüttelt wurde. 
Ich sah sofort auf meine Uhr, diese zeigte 5 Uhr 20 Mi¬ 
nuten; die Dauer ist etwa 5—6 Sekunden“. Strassenwart 
Wehrles Ehefrau (bei km 11 der Strasse 38 wohnend) sagt: 
„Ich habe ein Geräusch gehört, wie wenn ein Wagen durch 


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die Scheuer fährt (der Scheuerbodeu besteht aus tanneuen 
Flöcklingen mit Holzrippen); in der Küche hat das Geschirr 
geklirrt.“ Sternenwirth Stratz aus Obersimonswald hat ein 
Geräusch wie Donner gehört; der Schall sei von der Bergseite, 
d. h. von N. her gekommen. Im Allgemeinen wurde in 
Obersimonswald von allen Befragten ein donnerähnliches 
Geräusch vernommen. 

II. Im Glotterthal. 

Frau B. Lang von Föhrenthal gibt an, dass sie ein 
polterndes Geräusch gehört und geglaubt habe, es sei in der 
Scheuer etwas los, ein Erzittern hat sie nicht beobachtet. 
Franz Joseph Gehr von Unterglotterthal sagt: „Ich und 
meine Familie haben ein erzitterndes, donnerähnliches Geräusch 
wahrgenommen.“ Andere Befragte beobachteten ein mehr oder 
weniger starkes Donnern oder auch „wie der dumpfe Schalt 
eines Kanonenschusses“. 

b. M. Leichtelen in Waldkirch: Tlieile mit, dass wir das 
Erdbeben Sonntag den 13. Januar Abends 5 Uhr 15 Minuten 
hier verspürten. Dasselbe hörte sich an, wie das Rollen 
eines schweren Wagens, erschütterte das Haus, wurde eine 
Treppe hoch stärker gespürt, wie zu ebener Erde, und zog 
sich von W. nach 0. 

c. Rosa Wengler in Gutach bei Waldkirch: Am 
Abend des 13. Januar sassen ich und meine Eltern im Wohn¬ 
zimmer beisammen, als wir plötzlich, es mochte ungefähr 
*/,6 Uhr gewesen sein, einen harten Knall vernommen haben 
in der Stärke eines harten, kurzen und dumpfen Donner¬ 
schlages, dem ein heftiges Erzittern unseres Hauses folgte, 
so dass wir meinten, es wäre in der Nähe unseres Ortes ein 
Böllerschuss losgefeuert worden, und haben uns desshalb nicht 
weiter darum gekümmert. Erst durch die Zeitungsberichte 
darauf aufmerksam gemacht nahmen wir an, dass diese 
Erschütterung vielleicht ein Erdbeben gewesen sei, weil 
Datum, Zeit und Stärke übereinstimmten. Unser Nachbar, 
Kaufmann Kern, hat die Erschütterung auch wahrgenommen; 
er glaubte, dass im Keller ein Petroleumfass umgefallen sei. 

d. Rathschreiber Rapp in Elzach: Theile mit, dass das 
Erdbeben am 13. Januar auch hier wahrgenommen wurde 


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und zwar Nachmittags etwa 5 1 /* Uhr. Dasselbe dauerte etwa 
2 Sekunden, bewegte sich von 0. nach W. und machte 
sich hauptsächlich durch ein donnerähnliches Geräusch und 
Erschütterung bemerkbar. 

e. Nicht wahrgenommen wurde das Erdbeben in 
Ober-Prechthal, Emniendingen. Kenzingen nach Mit¬ 
theilungen der dortigen Bürgermeister und anderer Personen. 

6. Umgebung von Triberg. 

a. Bericht von Strassenmeister Pabst in Triberg: Ueber 
das unterm 13. Januar erfolgte Erdbeben beehre ich mich 
auf Grund eingezogener Erkundigungen im diesseitigen Bezirk 
geziemend zu berichten. 

Das Erdbeben wurde zwischen 5‘/« und 5 1 /* Uhr Abends 
bemerkt, und zwar in den Orten St. Georgen, Brigach, 
Nussbach, Gremmelsbach, Schönach und Schönwald. 
Hierbei wurden folgende Erscheinungen wahrgenommen: 

1. St. Georgen. Durch Anna Maier im Hause des 
Bürgermeisters Wintermantel. Zeit: 5 Uhr 20 Abends. 
Heftige Bewegung ca. 2—3 Sekunden anhaltend, Rich¬ 
tung NW.—SO. Geräusch ähnlich Donnerrollen. Gläser, 
die auf dem Tisch standen, zitterten. Eine grössere Anzahl 
Einwohner haben das Beben unter gleichen Erscheinungen 
gespürt. 

2. Brigach. Rathschreiber Kieninger gewahrte um 
5'/* Uhr Abends eine ziemlich starke Erderschütterung, 
begleitet von dumpfem Donnerrollen. Die Erscheinung dauerte 
ca. 3 Sekunden, Richtung N.—S.; dasselbe beobachteten 
andere Einwohner. 

3. Nussbach. Frau Bürgermeister Biller und deren 
12jährige Tochter haben 5 Uhr 20 Minuten einen kräftigen, 
kurz anhaltenden Stoss verspürt und dabei donnerähnliches 
Getöse vernommen. Richtung scheinbar von N. her. Ein 
grösserer Theil der Einwohnerschaft bemerkte das Gleiche. 

4. Gremmelsbach. Gemeinderechner Dold vernahm 
um 5 Uhr 20 Minuten dumpfes Donnern, eine Bewegung, 
Stoss oder dergleichen wurde jedoch nicht wahrgenommen. 
Das Gleiche bestätigen die Frau des Strassenwarts Günter 
und andere Einwohner. 


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5. Schünacb. Eine Anzahl Einwohner, besonders 
Bäcker W. Ketterer beobachteten das Erdbeben um ß 1 ^ Uhr. 
Richtung anscheinend von NW. her. Dauer ca. 2 Sekunden. 
Die Bewegung, begleitet von donnerähnlichem Getöse, war 
ziemlich heftig, so dass Ketterer im ersten Augenblick glaubte, 
das Haus müsse Beschädigungen erhalten haben, was aber 
nicht der Fall war. 

6. Schönwald. Beobachter G. Dold. Die gleiche 
Erscheinung wurde auch hier bemerkt. Dauer ca. 2—3 
Sekunden, Richtung scheinbar vor. N. her. Zeit 5[ 2 Uhr 
Abends. Eine grössere Anzahl Leute beobachteten das Erd¬ 
beben ebenfalls. 

Die gemachten Erhebungen haben ergeben, dass in St. 
Georgen die Bewegung am heftigsten war, während in 
Gremmelsbach ausser dem donnerartigen Getöse weitere Erschei¬ 
nungen nicht beobachtet wurden. In Peterzell, Langen- 
schiltach, Buchenberg, Tennenbronn, Reichenbach 
und Homberg waren die Erhebungen resultatlos. 

In Triberg wurde am Sonntag den 13. nichts beobachtet, 
dagegen konnte ich in Erfahrung bringen, dass einige Leute 
am 14. früh 6 Uhr ein Erdbeben verspürt haben wollen. 
Techniker Brendle hier theilte mit, dass er um genannte Zeit 
einen Stoss verspürte, begleitet von einem Getöse, ähnlich 
dem Einfallen einer Holzbeuge. Die Bewegung hielt 2 bis 
3 Sekunden an, die Richtung hat er nicht beobachtet. Der 
Stoss und das Getöse waren so heftig, dass seine Frau und 
Kinder darüber erwachten. Dieselbe Erscheinung um dieselbe 
Zeit haben ferner noch wahrgenommen Rechtsagent Kreutzer 
und Buchhalter Ritter hier. Anderenorts wurden solche Beob¬ 
achtungen nicht gemacht. 

b. Nicht wahrgenommen wurde das Erdbeben in 
Triberg (Bürgermeister Hack) und Hornberg (Oberlehrer 
Ernst). Siehe auch 7. 

7. Yöhrenbaeh und Umgegend. 

a. Bericht von Strassenmeister König in Furtwangen: 
Beehre mich ergebenst zu berichten, dass das am 13. Januar 
Abends zwischen 5 und 5 Uhr 50 Minuten stattgefundene 
Erdbeben nach den angestellten Forschungen in sämmtlichen 


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Gemeinden des Bezirks verspürt worden ist. Die Namen der 
Gemeinden sind folgende: 

1. Unter-Kirnach. 5 Uhr 10 Minuten starkes, donner¬ 
artiges Getöse, Zittern der Fenster und anderer Gegenstände. 
Richtung N.—S. 

2. Ober-Kirnach. 5 Uhr 10 Minuten starkes, donner¬ 
artiges Gerumpel und Rollen mit zwei heftigen Stössen, 
Richtung N.—S. 

3. Langenbach. 5 Uhr 15 Minuten donnerartiges 
Rollen, Zittern der Thüren und Fenster. Richtung N.—S. 

4. Vöhrenbach. 5 Uhr 15 Minuten starkes Gerumpel 
und Erschütterung von Gegenständen. Richtung N.—S. 

5. Linach. Desgleichen. Richtung unbestimmt. 

6. Schönenbach. 5 Uhr 15 Minuten desgleichen. 

7. Rohrbach. 5 Uhr 15 Minuten starkes Gerumpel 
und Getöse, Erschütterung der Gegenstände, Lampen, Thüren 
und Fenster. Richtung SO.—N. 

8. Furtwangen. 5 Uhr 15 Minuten in einzelnen 
Häusern starkes Getöse und Gerumpel, Bewegung der einzelnen 
Gegenstände, z. B. Hängelampen. Richtung SO.—N. 

9. Gütenbach. 5 Uhr 20 Minuten starkes Gerumpel 
gleich dem Umfallen einer Holzbeuge, Zittern der Fenster 
und sonstiger Gegenstände. Richtung unbestimmt. 

10. Neukirch. 5 Uhr 20 Minuten leichtes Getöse, 
gleich den vom Dach herunterfallenden Schneemassen. Rich¬ 
tung unbekannt. 

11. Schönwald. 5 Uhr 15 Minuten starkes Getöse. 
Erschütterung der Häuser. Richtung N.—S. 

Die Zeit der Erdbewegung konnte nirgends genau 
ermittelt werden, indem die Uhren in den abgelegenen Thälern 
nie genaue Zeit angeben, ebenso ist die Angabe der Richtung 
nur eine muthmassliche, die Zeitdauer des Erdbebens beträgt 
ziemlich übereinstimmend 3 bis 5 Sekunden. 

b. Bericht von Strassenmeister Heimburger in Villingen: 
Sägereibesitzer Rosenfelder in Unter-Kirnach hat am 
13. Januar 5 Uhr 20 Minuten Nachmittags folgende Erschei¬ 
nungen wahrgenommen. Die Richtung des Stosses kann 
derselbe nicht augeben, der Stoss war aber ziemlich heftig, 
so dass er glaubte, es hätte ihm jemand die Säge anlaufen 


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lassen. Dauer ca. 2 Sekunden. Ausserdem haben noch 
folgende Personen das Erdbeben beobachtet: 1. Kunstwoll- 
fabrikant Müller auf dein sogenannten Hammer, Station 
Unter-Kirnach, 2. Rathschreiber Kieninger in Brigach 
3. J. Schultheiss, Chr. Weisser, R. Mayer. Apotheker Brunner, 
sämmtlich in St. Georgen. 

c. Bürgermeister Ringauch in Flirtwangen: Das Erd¬ 
beben wurde Sonntag den 13. Januar Nachmittags zwischen 
5 und 1 2 6 Uhr etwa 2 Sekunden lang wahrgenommen; Zit¬ 
tern des Bodens und der Hausgegenstände. Richtung N.—W. 

8. Villingen und Umgegend. 

a. Strassenmeister Heimburger in Villingen: Am 
13. Januar 5 Uhr 15 Minuten ist von dem Unterzeichneten, 
Frau und Tochter ein Erdbeben beobachtet worden. Es war 
ein donnerähnliches Rollen von N. nach S., war wellenförmig 
und ziemlich heftig, dass das Haus erschütterte und die 
Thürschlinge der Wohnzimmer im zweiten Stockwerk 
schlotterte. Dauer ca. 2 Sekunden. Die Nachbarn w r ollen 
jedoch nichts verspürt haben; auch habe ich sonst noch 
Niemanden erfahren, der etwas gespürt hätte. 

b. Professor Schumacher in Villingen: Hier am Ort 
ist nur eine Beobachtung gemacht worden. Am 13. Januar 
5 Uhr 15 Minuten Abends 2 Sekunden lang ein Schlag 
mit folgendem Rollen durch das Haus hindurch von N. nach 
S., ähnlich wie ein unterirdischer Donner. In dem Orte Stock¬ 
burg, eine Stunde nordwestlich von hier, will ein Bauer zwei 
Schläge beobachtet haben, doch glaubte er, im Stall sei etwas 
losgestürzt. 

c. Schüssler in Villingen: Beehre mich ergebenst mit- 
zutheilen, dass am 13. Januar 5 Uhr 15 Minuten p. m. Leute 
hier einen Erdstoss wahrgenommen haben wollen, der sich 
von N. nach S. fortgepflanzt habe. Ich befand mich zu 
dieser Zeit ausserhalb der Stadt und kann nichts näheres 
angeben, auch meine Angehörigen, die zu Hause waren, 
nahmen nichts wahr. 

d. Hauptlehrer König in Kappel (7 km nordöstlich von 
Villingen): Am 13. Januar Abends etwa 1 / 2 6 Uhr sass ich 
mit meiner Frau in der Wohustube. Auf einmal hörte ich 


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ein intensives Geräusch, fast wie schleifendes Rennen, meinte, 
es springe jemand vom ersten Stock in den zweiten herauf 
und von da in den Speicher. Ein Erschüttern des Zimmer¬ 
bodens oder gar von Möbeln vernahm ich nicht, dagegen 
will meine Frau eine Art Beben gefühlt und sich im Gefühl 
der Unsicherheit am Tisch gehalten haben. Da ich noch 
nie ein Erdbeben erlebt, war mir der Vorgang unheimlich. 
Als ich nachher zum Bier kam, wollte Niemand ähnliches 
bemerkt haben, bis zuletzt ein junger Zimmermann, der etwa 
1 km östlich vom Schulhaus wohnt, sagte, er habe um jene 
Zeit im Bette geruht und sei ihm vorgekommen, als sei seine 
Schlafstelle kurz in die Höhe geworfen und nachher wieder 
gefallen. Auch in anderen vereinzelten Häusern ist um jene 
Zeit ähnliches gehört worden. Ich glaubte die Richtung sei 
von W. nach 0. Die Detonation war kurz, vielleicht 2 bis 
4 Sekunden. 

9. Donaueschingen und Umgegend. 

a. Donaueschinger Wochenblatt. Donaueschingen. 
Von verschiedenen Seiten wird uns mitgetheilt, dass am Sonn¬ 
tag den 13. d. Mts. zwischen 5 und 6 Uhr Nachmittags 
sowohl hier, wie in benachbarten Orten ein Erdstoss verspürt 
wurde. Besonders stark soll sich derselbe in Pföhren 
fühlbar gemacht haben, wo ein mehrere Minuten langes An¬ 
dauern festzustellen war. 

b. Nachrichten gesammelt von Bürgermeister Fischer in 
Donaueschingen. 

1. Kammerrath Hopfgartner, Vorstand der meteorolo¬ 
gischen Station: Ich habe weder etwas von dem Erdbeben 
wahrgenommen, noch von anderer Seite gehört, dass es wahr¬ 
genommen wurde. 

2. Bauassistent Mayer: Nach */ 4 6 Uhr am 13. Januar 
Abends vernahm ich ein Geräusch im Hause und Erschütter¬ 
ung, wie das Vorbeifahren eines schweren Lastwagens es 
hervorbringt. Diese Erschütterungen dauerten 2—3 Sekun¬ 
den und endigten mit einem starken Stoss, wie er etwa 
durch das Fallen eines schweren Sackes in einem Gebäude 
erzeugt wird. Das Erdbeben wurde scheint’s nur in den höher 
gelegenen Theilen der Stadt verspürt, während in den auf an- 


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geschwemmtem Terrain der Unterstadt aufgeführten Gebäuden 
nichts bemerkt wurde. Ueber die Richtung der Bewegung 
kann ich keine Angaben machen. 

3. Progymnasial-Direktor Bissinger: Das vorbereitende 
Geräusch habe ich nicht vernommen oder nicht beachtet, da 
ich gerade mit einer Arbeit beschäftigt an meinem Schreib¬ 
tische sass, wohl aber den Erdstoss verspürt. Dieser schien 
mir in senkrechter Richtung zu erfolgen, es war eine Empfin¬ 
dung, wie wenn das ganze Zimmer plötzlich etwa einen Fuss 
tief herunterfiele; dabei klirrten die Fenster und wackelten 
die im Zimmer stehenden Gipsbüsten und Vasen; zugleich 
hörte ich ein dumpfes Geräusch, wie wenn in einiger Ent¬ 
fernung eine sehr grosse Last zu Boden fiele. Es war nur 
ein Ton, kein fortdauerndes Geräusch. Ich sah sofort nach 
der Uhr, es war 5 Uhr 20 Minuten Nachmittags; da ich 
jedoch nicht weiss, ob meine Uhr genau gerichtet' war, könnte 
es auch einige Minuten früher oder später gewesen sein. 

4. Frau Kaufmann Hafner wurde durch ein Getöse 
erschreckt, als ob in der überliegenden Wohnung ein ziemlich 
schwerer Körper umgestürzt sei. 

5. Steuerkommissär Burger gibt an, genau zur frag¬ 
lichen Zeit ein starkes Geräusch vernommen zu haben, als 
ob eine Holzbcuge zusammengestürzt sei. Da aus dem 
Getöse ein bestimmter Ort, wo dasselbe entstanden sein 
könne, nicht erkennbar war, habe er seiner Frau bedeutet, 
dass ein Erdstoss stattgefunden haben müsse. Eine Bewe¬ 
gung wurde nicht wahrgenommen. 

Es wird bemerkt, dass die Gebäude von Maier, Bissinger, 
Burger in unmittelbarer Nähe im erhöhten Stadttheile ge¬ 
legen sind, das Haus von Hafner liegt etwa 10 Meter tiefer 
und 200 Meter entfernt davon. 

c. Strassenmeister Mayer in Donaueschingen: InPföhren 
wurde am 13. Januar 5 Uhr und einige Minuten Nachmittags 
von dem dortigen Lehrer, den Landwirthen Wolf, Griesshuber 
und mehreren anderen Personen ein Erdbeben wahrgenommen 
und zwar als zweimaliges Erzittern der Häuser, so dass in 
den Stallungen das Vieh unruhig wurde, ein Rollen und 
Tosen, wie ferner Donner. Im fürstlichen Jägerhaus Thier- 


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garten bei Pföhren wurde durch den fürstlichen Oberförster 
ein zweimaliges Erzittern des Hauses wahrgenommen. 

d. Strassenmeister Lawo in Donaueschingen: Laut Er¬ 
kundigungen im diesseitigen Bezirk hat die Familie Wehrle 
in Zindelsheim am 13. Januar um */ 4 6 Uhr ein Rauschen 
wahrgenommen, etwa wie wenn im oberen Stockwerk etwas 
umgefallen wäre. Sonst konnte ich nichts zuverlässiges 
erfahren. In Wolterdingen und Thannheim hat man 
nichts bemerkt. 

10. Bonndorf, Stühlingen und Umgegend. 

a. Bürgermeister Pfeerle in Bonndorf: Das Erdbeben 
vom 13. Januar machte sich auch in hiesiger Stadt und im 
Weiler Waldeck aber nur in gelinder Weise wahrnehmbar. 
Am genannten Tage Abends etwa 5 Uhr hörte man von der 
östlichen bis zur westlichen Seite ein kleines Donnern, sodass 
in der westlichen Stadtseite an einigen Häusern die Fenster 
klirrten, ln der Wirthschaft zum Waldeck war es schon ein 
wenig ärger. Die Gläser auf dem Tische bewegten sich, und 
im Keller wurden die Bierfässer gerüttelt. Alles dauerte 
etwa 10 Sekunden. 

b. Bürgermeisteramt Stühlingen: Wir beehren uns, das 
Resultat unserer Erhebungen im Folgenden mitzutheilen: Hier 
am Platze selbst wurde das Erdbeben nicht wahrgenommen. 
Dagegen verspürte man dasselbe in den umliegenden Ort¬ 
schaften Bettmaringen, Wittlekofen, Wellendingen, 
Brunnadern, Dillendorf, Schwaningen, Weizen, 
Grimmeishofen, Fützen, Schleitheim (Kanton Schaff¬ 
hausen). Zeit des Eintritts 5 Uhr 15 Minuten. Art der 
Erscheinung: donnerähnliches Rollen, kurze Bewegung (Rüt¬ 
teln), Klirren der Fensterscheiben. Richtung NO.—SW. 

c. Strassenmeister Böhme in Bonndorf: 1. Am 13.Januar 
5 Uhr 15 Minuten wurde eine Erschütterung von etwa 50 
Sekunden Zeitdauer verspürt, welche mit einer Heftigkeit 
auftrat, dass die Fensterscheiben klirrten. Die Bewegung 
ging von 0.—W. 2. Ergänzend berichte ich, dass in folgen¬ 
den Orten des diesseitigen Bezirks das Erdbeben verspürt 
wurde: Bonndorf, Ebnet, Wittlekofen, Wellendingen 
und Gündelwangen. In den Ortschaften im Wutachthal 


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430 


and am rechtsseitigen Abhang desselben, wie Achdorf, Asel¬ 
fingen, Ewatingen, Boll und Reiselfingen wurde 
nichts gespürt. Nach den Aussagen glaubwürdiger Leute 
schwankt die Zeitdauer zwischen 50 bis 60 Sekunden, begleitet 
war der Stoss von einem donnerähnlichen, dumpfen Rollen. 
Die Stärke des Stosses wurde verschieden angegeben, in 
Wittlekofen war er so stark, dass die Möbel schwankten, 
was in Bonndorf nicht der Fall war, woraus zu schliessen, 
dass sich das Erdbeben von S. nach N. bewegte. 

d. Strassenmeister Egle in Uehlingen: Am 13. Januar 
5 Uhr 20 Minuten Nachmittags wurde hier durch Strassen- 
wart Schnitzer, Wirth Fischer und G. Buchmüller ein Erd¬ 
beben beobachtet. Dasselbe bewegte sich von 0. nach W. 
Es erfolgten in einem Zeitraum von 4—5 Sekunden 2 Stösse; 
der letztere war bedeutend stärker und von einem dumpfen 
Rollen begleitet, das sich im Zimmer anhörte, als fahre ein 
schwer beladener Wagen in rascher Gangart am Hause 
vorbei. Die Häuser erzitterten und die Fenster klirrten 
schwach. Das Erdbeben wurde im ganzen Strassenmeister- 
bezirk Uehlingen verspürt und zwar von folgenden Per¬ 
sonen: Hirsch wirth Rebmann in Birkendorf, Gendarm 
Seitz in Grafenhausen, den Bürgermeistern in den Gemein¬ 
den Riedern, Hurrlingep, Buggenried, Beenden, 
Berau, Aichen, Kränkingen, Breitenfeld. Die beiden 
letzteren geben an, in der Richtung N.—S. am selbigen 
Abend um 8^2 Uhr eine zweite Erdbewegung (nur ein Stoss) 
beobachtet zu haben, der ebenfalls von donnerartigem Rollen 
begleitet war. 

11 . Bericht der Wasser- und Strassenbau-Inspektion 

Waldshut. 

Im Strassenmeisterbezirk Säckingen wurde das Erd¬ 
beben mit den in der Meldung geschilderten Erscheinungen 
überall beobachtet, am schwächsten jedoch von Oellingen 
abwärts gegen Rheinfel den, wo man von dem Ereigniss 
wenig mehr in Erfahrung bringen konnte. 

Die Zeitaugabe 5 Uhr 14 Minuten für Säckingen ist 
ganz genau, im Uebrigen wurde im Bezirk 5 Uhr 15 Minuten 
genannt. Am stärksten wurde die Erscheinung in älteren 


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431 


Häusern wahrgenommen, wo Fenster und Thüren mehr 
vereigenschaftet sind, zu klirren und zu rütteln. 

Im Bezirk Görwihl wurde über dem sogenannten 
Hotzenwald eine Erschütterung von 5—6 Sekunden Dauer 
wahrgenommen, als fahre ein schwer beladener Wagen neben 
dem Hause vorbei, begleitet von einem donnerähnlichen 
Getöse. Die Zeitangaben bewegen sich um 5 Uhr 10 bis 
5 Uhr 30 Minuten, und sind nicht genau zuverlässig, weil 
hier, weiter ab von der Bahn, die Uhren vielfach differiren. 
Besonders stark wollte man die Erscheinung in Segeten 
verspürt haben. Sechs ausgefüllte Formulare geben im Ein¬ 
zelnen Aufschluss (s. unter 12). 

Für den Strassenmeisterbezirk Waldshut wurden nach 
einzelnen Ortschaften folgende Erhebungen und Wahrnehm¬ 
ungen gemacht. 

In Waldshut wurde von mehreren Personen um 5 Uhr 
20 Minuten Abends ein donnerähnliches Getöse in der Richtung 
SW.—NO. gehört und darnach eine heftige Erderschütterung 
wahrgenommen. Gleichzeitig folgte ein leichter Schneefall, 
welcher aber nur bis ‘/ 3 7 Uhr anhielt. 

Hauenstein. Im Orte selbst will Niemand etwas 
bemerkt haben, wohl aber auf der Eisenbahnstation. Die 
Frau des Billetausgebers befand sich allein im Bureau. 5 Uhr 
20 Minuten hörte sie ein Getöse und glaubte der um 1 / 2 6 Uhr 
fällige Güterzug fahre von Albbruck her unangemeldet in 
die Station ein. Als sie desswegen herauseilte, verspürte sie 
eine heftige Erderschütterung. 

H o c h s a 1. Der Bürgermeister hörte kurz vor */ 2 6 Uhr 
einen in der Richtung von Lauffenburg (SW.) kommen¬ 
den, ziemlich langanhaltenden Donner, und gleich darauf 
bebte das ganze Haus. Die Frau Bürgermeister befand sich 
im Keller, sie hörte das Getöse an, wie wenn ein schwerer 
Wagen schnell vor dem Hause vorbeigefahren käme. Weil 
aber Schnee lag, ging sie aus dem Keller heraus auf die 
Strasse, in der Meinung, der Schnee sei vom Dach gerutscht 
oder sonst etwas schlimmes passirt. Der Knecht war im 
Stall und hatte bemerkt, dass die Kühe aufhörten zu fressen. 

ln Schachen ist das Erdbeben von vielen Leuten 
verspürt worden und zwar nur ein Stoss, aber ein heftiger 


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432 


> 


und ziemlich lang andauernder. Die Familie Strittmatter im 
zweithöchst gelegenen Haus gab an: Etwa um */ 2 6 Uhr Abends 
hörten sie ein donnerähnliches Getöse in der Richtung gegen 
das Albthal zu (nordöstlich). Im Hause selbst habe sich Alles 
bewegt, und die Kinder haben sich sehr gefürchtet. Um 7*/ 4 Uhr 
wollen sie noch einmal ein ähnliches Getöse wahrgenommen 
haben, aber nicht so heftig. 

Alb. Die Frau des Bürgermeisters hörte kurz vor V*6 
Uhr Abends ein Getöse, als komme ein Wagen von Hauen¬ 
stein (westlich); gleichzeitig fingen die Fenster an zu 
klirren. 

Itzwihl-Haide. Zimmermeister Ebner hörte um Va6 
Uhr Abends einen Donner, der ziemlich lange anhielt; er 
meinte, es komme von Görwihl her (westliche Richtung), 
darauf folgte eine Erschütterung des ganzen Hauses; er selbst 
war im Stall. Die Kinder kamen aus der Stube und Küche 
und waren sehr ängstlich, weil sie meinten, das Haus falle 
zusammen. 

Unter- und Ober-Alpfen. Hier ist dasselbe um die 
gleiche Zeit wahrgenommen worden, besonders in dem höher 
gelegenen Stiegenwirthshaus. 

Waldkirch. Desgleichen um Vs6 Uhr von Ober-Alpfen 
(SW.) herkommend. Die Erschütterung war ziemlich heftig 
und ist vom Bürgermeister und dessen Frau und noch vielen 
anderen Personen wahrgenommen worden. 

In Bannholz - Remetschwiel-Waldhaus ist das 
gleiche wahrgenommen worden in der Richtung SW.—NO. 

Brunnadern. Die aus mehreren erwachsenen Personen 
bestehende Familie Schmied befand sich in der Stube bei¬ 
sammen, als das donnerähnliche Getöse erfolgte; es war kurz 
vor V*6 Uhr Abends. Alle vermutheten, es komme ein 
Gewitter von Dachsberg (W.) her. Als im Hause Alles zu 
zittern anfing, und die Fenster klirrten, gingen sie hinaus, 
um nachzusehen, ob am Hause etwas passirt sei. 

In Nöggenschwiel (zwischen Berau und Bannholz) 
hat es der Bürgermeister und noch viele Leute wahrgenommen. 
Es war noch nicht Va 6 Uhr Abends, als von Waldshut her¬ 
kommend ein starkes Getöse gehört wurde. Es war nur 
ein Stoss, aber ein ziemlich heftiger und lang andauernder. 


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433 


Für den Strassenineisterbezirk Thiengen sind drei aus¬ 
gefüllte Meldeformulare hier angeschlossen (s. unter 12), und 
wurde im Uebrigen noch festgestellt: 

In Horheim durch Gemeinderath Dannefel um 5 Uhr 
20 Minuten ein donnerähnliches Rollen von 15—20 Sekunden 
Dauer, dem zwei leichte, scheinbar von 0. kommende Stösse 
— von einander etwa 3 Sekunden getrennt — folgten, so 
dass das Haus leicht erschüttert wurde, und die Fenster 
klirrten. 

In Oberlauchringen durch Altbürgermeister Moser, 
während dieser in seinem Haus stand, um 5 Uhr 15 Minuten 
ein Getöse von etwa */» Minute Dauer, gleich dem eines 
rasch fahrenden Fuhrwerks, in der Richtung von 0. 

In Obermettingen durch Landwirth Köhler um 5 Uhr 
15 bis 5 Uhr 20 Minuten ein donnerähnliches, 15—20 Sekunden 
dauerndes Rollen, dem ein starker Stoss folgte, durch welchen 
das von Stein erbaute Haus erschüttert und die Fenster zum 
Klirren gebracht wurden. 

InDetzelndurchLandwirth Albrechtumö Uhr 15 Minuten 
ein 15—20 Sekunden anhaltendes Rollen, gleich dem eines 
schnell fahrenden Fuhrwerks und Zittern der Fenster im 
ersten Stock seines von Stein erbauten Hauses. 

Als Zeit des Erdbebens darf für die Gegend zwischen 
Eberfingen und Untereggingen ziemlich zuverlässig 5 Uhr 
17 Minuten festgestellt werden. Im Wutachthal wurden über¬ 
all zwei Erdstösse beobachtet, im Steinathal dagegen nur ein 
Rollen wahrgenommen. 

Im Rheinthal wurde das Erdbeben in Kadelburg be¬ 
merkt, dagegen nicht in Thiengen undUnterlauchringen. 

Im Strassenmeisterbezirk Jestetten wurden keine Wahr¬ 
nehmungen mehr über das Erdbeben gemacht. Einzig in 
dem im Wutachthal gelegenen Orten Degernau, auch hier nur 
von drei Personen, welche auf einem 40—50 m über dem Ort 
hervorragenden Bergkegel wohnen, konnte man das erfahren, 
was im Meldeformular (siehe unter 12) niedergelegt ist. 

12. Amt Waldshut. 

a. Oberförster Greiner in Thiengen: In Thiengen selbst 
hat sich das Erdbeben nur schwach bemerklich gemacht. 

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434 


Nur eine einzige Person konnte ich ermitteln, welche am 
13. Januar Nachmittags zwischen 5 und 6 Uhr in den Bureau¬ 
räumen der Domänenverwaltung (im Schlossgebäude) ein 
Rollen und gleichzeitig ein Klirren der Fenster bemerkt haben 
will. Dagegen ist auf den Ausläufern des südlichen Schwarz¬ 
waldes nördlich und nordwestlich von Thiengen (Höchen- 
schwander Berg, Berauer und Aichener Berg) die 
Erschütterung überall ziemlich stark aufgetreten. Die Aus¬ 
sagen aller hierüber Befragten stimmen darin überein, dass 
das Erdbeben Nachmittags zwischen 5 und 6 Uhr stattgefunden 
hat, 5 — 10 Sekunden wahrgenommen wurde und sich durch 
ein von W. gegen 0. fortschreitendes Rollen äusserte, welches 
in den Häusern die Fenster erzittern machte. Eine Person 
will während des Rollens einen ziemlich starken, kurzen 
Stoss wahrgenommen haben. 

b. Strassenmeister Spiegelhalder in Jestetten: Messner 
Weber in Degernau hat am 13. Januar 5 Uhr 25 Minuten 
ein Erdbeben beobachtet. Um angegebene Zeit plötzlich ein 
dumpfes Getöse, wie ferner Donner, und zugleich eine deutlich 
wahrgenommene momentane Erschütterung. Die Richtung 
der Bewegung kann derselbe nicht angeben. N. Kurz in 
Degernau befand sich um obige Zeit in der Sakristei; er 
hörte ein kurzes Geräusch, ähnlich wie vom Dach fallender 
Schnee; zugleich hörte er ein Kirchenfenster klirren, ohne jedoch 
eine Erschütterung wahrzunehmen. Wittwe Weissenberger 
in Degernau hat die Erscheinung auch beobachtet. 

c. Strassenmeister Kinschele in Thiengen: Am 13. Januar 
5 Uhr 45 Minuten ist durch Wittwe Rüstermann in Kadel- 
burg ein Erdbeben beobachtet. Im zweiten Stock des Zoll¬ 
gebäudes, mit gewölbtem Keller massiv aus Stein gebaut ein 
etwa 20—30 Sekunden anhaltendes Rollen gleich dem eines 
Gewitters. Richtung scheinbar von W. her. Erschütterung 
des Hauses und Klirren der Fenster. In Untermettingcn 
wurde das Erdbeben um 5 Uhr 20 Minuten durch Gemeinde¬ 
rath Wehler beobachtet. Im eisten Stock seines aus Stein 
und Riegelholz erbauten Hauses zuerst ein ca. 20 Sekunden 
anhaltendes Rollen, gleich dem eines rasch fahrenden Fuhr¬ 
werks; Erschütterung des Hauses und Zittern der Fenster. 
Dieselbe Erscheinung wurde noch von vielen Personen wahr- 


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genommen. In Untereggingen wurden von Landwirth Albiker 
folgende Erscheinungen wahrgenommen: Im ersten Stock des 
aus Stein und Riegelholz erbauten Hauses zuerst Geräusch 
eines schnell fahrenden Fuhrwerks, darauf 2 Stösse in Zwischen¬ 
räumen von 2—3 Sekunden. Richtung scheinbar von W. 
Erschütterung des Hauses und Zittern der Fenster. Die 
Erscheinung ist ca. 4 Minuten nachdem der Zug die Station 
Untereggingen verlassen, eingetreten. Da der Zug eingezogenen 
Erkundigungen nach um 5 Uhr 13 Minuten die Station 
Untereggingen verlassen hat, ist als sicher anzunehmen, dass 
das Erdbeben um 5 Uhr 17 oder 5 Uhr 18 Minuten statt¬ 
gefunden hat. In Eberfingen hat Steinhauer Boll folgende Er¬ 
scheinungen wahrgenommen: Im zweiten Stock seines aus Stein 
aufgeführten Hauses mit gewölbtem Keller zuerst ein donner¬ 
ähnliches Rollen von 15—20 Sekunden Dauer, dann zwei Stösse 
in Zwischenräumen von 3—4 Sekunden. Richtung von 0. 
her. Erzittern des Hauses und Klirren der Fenster. Zeit: 
4 Minuten vor Ankunft des Zuges, der um 5 Uhr 21 Minuten 
Nachmittags auf Station Eberfingen eintrifft. Steinhauer Bark 
hat dieselben Wahrnehmungen gemacht. 

d. Hauptlehrer Wehrle in Rotzingen: Das Erdbeben am 
13. Januar 5 Uhr 20 Minuten ist in Rotzingen und dem 
benachbarten Burg von zahlreichen Personen wahrgenommen. 
Es war begleitet von donnerartigem Getöse gleich mittel¬ 
starkem Donner. Die Erschütterung war so heftig, dass 
der Boden, Stühle etc. erzitterten, und die Bewegung sogar 
auf der sogenannten Kunst deutlich verspürt wurde, die Er¬ 
scheinung dauerte etwa 36 Sekunden, Richtung: NW.—SO. 

e. Hauptlehrer Hinnenberger in Niederwihl: Am 
13. Januar 5 Uhr 16 Minuten wurde von mir, Bezirksrath 
Reutter, Accisor Reutter, Gypsermeister Schrieder und Anderen 
ein Erdbeben beobachtet. Es verursachte ein donnerähnliches 
Getöse und eine kleine Erschütterung des Bodens und der 
Fenster, sowie meines Körpers. Richtung: SW.—NO. 

f. Bürgermeister Mann inSegeten (südöstlich von Höchen¬ 
schwand): Am 13. Januar 5 Uhr 10 Minuten Nachmittags 
wurde von mir, E. Meier und E. Mann ein Erdbeben beob¬ 
achtet. Man hörte ein donnerähnliches Rollen von ca. 20 

28, 


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Sekunden Dauer von W. nach 0., anfangs schwächer, alsdann 
zunehmend und am Ende eine starke Erschütterung. 

g. Strassenmeister Kuner in Engelschwand: Am Januar 
5 Uhr wurde von mehreren Personen ein Erdbeben wahr¬ 
genommen. das sich durch Erzittern der Fenster und Haus¬ 
böden und Donnerrollen äusserte. Richtung: W.—O. 

13. Amt Säckingen. 

a. J. Zimmermann in Säckingen: Für den Herrn 
Bürgermeister, der nichts bemerkt hat, theile ich mit, dass 
ich am fraglichen Tage das Erdbeben wahrgenommen habe. 
Dasselbe fand etwa 5 Uhr 20 Minuten statt und bestand in 
einer ca. 5 Sekunden andauernden, massigen Erschütterung 
des Hauses, wobei sich ein dumpfes Getöse vernehmen liess. 
Ueber die Art der Bewegung bin ich mir nicht klar, doch 
neige ich zu der Ansicht, dass sie wellenförmig war. Auch 
die Richtung kann ich nicht absolut sicher angeben, sie mag 
eine west-östliche oder südwest-nordöstliche gewesen sein. 
Ein Umwerfen oder Schwanken von Geschirr oder gar Be¬ 
schädigung desselben hat nicht stattgefunden. 

b. Strassenmeister Bachmann in Säckingen: Fabrikant 
Bally hat am 13. Januar 5 Uhr 14 Minuten folgende Er¬ 
scheinungen wahrgenommen: Ein dumpfes donnerartiges 
Rollen, als führe ein Wagen vor dem Hause vorbei in der 
Richtung von SW. nach NO., 3—4 Sekunden anhaltend. 
Kleine Erschütterung sofort bemerkbar, Klirren der Fenster, 
theils auch Thüren. In anderen Häusern haben sich auch 
leicht hängende Gegenstände an der Wand bewegt, auch 
solche, welche auf Möbeln standen. Auch eine Anzahl anderer 
Personen (8 werden namhaft gemacht) haben das Erdbeben 
wahrgenommen. 

c. Bürgermeister Sutter in Hottingen: Am 13. Januar 
5 Uhr 15 Minuten Nachmittags wurde von demselben ein 
Erdbeben beobachtet. Die Erschütterung war ziemlich stark, 
dass theilweise die Fenster klapperten, erfolgte von N. nach S. 
und hielt ca. 6 Sekunden an. Auch haben noch 6 andere 
Personen (namhaft gemacht) das Erdbeben beobachtet 

d. Hauptlehrer Brachat in Herrischried: Am 13. Januar 
etwa 5 Uhr 20 Minuten wurde von demselben ein Erdbeben 


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beobachtet. Es war eia donnerähnliches Geräusch wahrzu¬ 
nehmen, das dem Rollen eines schwer beladenen Wagens auf 
hart gefrorenem Boden ähnlich klang. Die Fenster klirrten, 
die Möbel zitterten. Das Erdbeben dauerte etwa 5 Sekunden. 
Ausserdem haben Frau Dr. Kaudewitz und eine grosse Anzahl 
Schulkinder das Erdbeben beobachtet. 

14. Amt St. Blasien. 

a. Bericht von Strassenmeister Läubin in St. Blasien: 
Bezüglich des Zeitpunktes des Erdbebens schwanken die An¬ 
gaben zwischen 5 und 5*^ Uhr. Wahrgenommen wurde 
dasselbe in allen Ortschaften des Amtsbezirks St. Blasien 
•und in gleicher Stärke. Die Wahrnehmungen waren: Donner¬ 
ähnliches Getöse, wie wenn eine grössere Masse Schnee vom 
Dache fiele, sodann Erzittern des Hauses und Klirren der 
Fenster. Beim Bürgermeister in Urberg fiel gleichzeitig 
das Verschlussblech, welches lose vor der Oeffnung des 
Ofens (Kunst) steht, in welchem die Speisen warmgehalten 
werden, um. 

In Vogelbach (Ibachthal) meinte der im zweiten Stock 
wohnende Gr. Rotzinger, ein etwas schwerhöriger Mann, sein 
vor ihm stehender Kachelofen falle um und sprang erschreckt 
ans Fenster. Für die Richtung der Bewegung geben weit¬ 
aus die meisten Leute des Bezirks von 0. nach W. an und 
hauptsächlich solche, welche allein und ruhig zu Hause 
waren. 

In Höchenschwand beobachtete der Berichterstatter 
das Erdbeben selbst um 5 Uhr 10 Minuten Nachmittags. 
Im ersten Stock des Hotels Höchenschwand, einem massiv 
gebauten dreistöckigen Haus, wurde ein starkes, donnerähnliches 
Getöse (Rollen), dann Erzittern des ganzen Hauses und starkes 
Klirren der Fenster wahrgenommen; Richtung scheinbar von 
NW. her. Der ganze Vorgang dauerte 5—6 Sekunden. 

b. Oberförster Königer in St. Blasien: Sonntag den 
13. Januar Nachmittags 5 Uhr 22 Minuten wurde hier ein 
Erdbeben wahrgenommen. Es bestand in einem Erdstoss 
von W. nach 0., vielleicht auch in umgekehrter Richtung; 
derselbe war von einem donnerartigen Krachen und Rollen 
begleitet, ähnlich wie wenn eine Mauer eingestürzt oder ein 


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sehr schwerer Gegenstand im oberen Stock des Hauses um- 
gestürzt wäre. Das Haus zitterte merklich. Der Stoss dauerte 
nur wenige Sekunden. Beobachter waren ausser dem Unterzeich¬ 
neten und dessen Dienstpersonal: Forstpraktikant Dr. Haus¬ 
rath hier und Waldhüter Kunzeimann in Mutterslehen. 

c. Bürgermeister Jäger in St. Blasien: Mache die er¬ 
gebene Mittheilung, dass bei dem am 13. Januar statt¬ 
gefundenen Erdbeben nach den von uns gemachten Wahr¬ 
nehmungen Erdscbwankungen nach irgend einer Richtung 
nicht fühlbar waren, vielmehr überall nur ein dumpfes Rollen 
in der Erde, als wäre im Kellerraum eine Mauer oder Warnl 
plötzlich eingestürzt, wahrnehmbar wurde. 

d. Bürgermeister Dietsche in Höchenschwand: Hier 
wurde am 13. Januar Abends 6 Uhr 10 Minuten ein Erd¬ 
beben wahrgenommen. Es hatte die Richtung von NW. nach 
SO., verursachte keine Beschädigung. Einige Beobachter 
glaubten, es rutsche eine Masse Schnee vom Dache, andere, 
es fahre ein schwerbeladener Wagen auf holperiger Strasse, 
andere, es donnere. In einigen Häusern wankte der Ofen. 

e. Schwarzwälder Bote: Frohnschwand 13. Januar. 
Heute Abend 5 Uhr 40 Minuten wurde ein ziemlich starkes 
Erdbeben in der Richtung von NW. nach SO. wahrgenommen. 
Dasselbe dauerte etwa 2 Minuten und war von einem starken 
Rollen begleitet, sodass in den Wohnhäusern ein starkes 
Klirren der Fenster bemerkbar war. 

f. Münchener Neueste Nachrichten: Schwarzhalden 
14. Januar. Im Gebiete des badischen Schwarzwaldes waren 
Sonntag den 13. Januar Abends zwischen '/« und 1 /* 6 Uhr 
zwei von gewaltigem Getöse begleitete Erdstösse zu verspüren. 
Nicht blos hier, sondern auch in Schluchsee, Blasi¬ 
wald, Titisee erzitterten die Häuser, und flohen die Be¬ 
wohner erschreckt ins Freie. Von irgend welchem angerich¬ 
teten Schaden ist bis zur Stunde Nichts bekannt geworden 
(Schwarzhalden liegt östlich, Blasiwald westlich der Strasse 
von St. Blasien nach Schluchsee). 

g. Fabrikant Ulmenstein in Schwarzhalden: Ich kann 
von hier berichten, dass wir hier das Erdbeben recht stark 
gespürt haben. In der Wohnung des Betriebsleiters des 
Elektricitätswerkes hier hat die Wand in der Küche 


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einen Riss bekommen. Es war zwischen 5 1 /« und 5*/ 2 Uhr, 
als ich von Blasiwald herabkam; in dem weichen Schnee 
habe ich keine Erschütterung bemerkt, wohl aber ein Brausen. 
In meinem Hause hat meine Frau ein förmliches Donnern 
und Rollen gespürt, auch hat das Haus, natürlich im oberen 
Stock mehr, eine heftige Erschütterung erlitten, doch ohne 
weiteren Schaden. 

h. Bürgermeister Itogg in Schluchsee: Das Erdbeben 
am 13. Januar Abends 5 1 /* Uhr wurde hier wahrgenommen 
in der Richtung von SO nach NW., wellenförmig, ohne 
Beschädigungen anzurichten, etwas umzuwerfen oder ins 
Wanken zu bringen. Ein Donnern, Rollen oder ähnliches 
Geräusch wurde hier nicht wahrgenommen. 

i. Bürgermeister Mayer in Menzenschwand (Hinter¬ 
dorf): Das fragliche Erdbeben am 13. Januar Nachmittags 
zwischen 4 und */ s 5 Uhr hat sich hier ziemlich stark bemerk¬ 
bar gemacht. Ich selbst sass an meinem Schreibtisch; an¬ 
fänglich vernahm ich ein ziemlich heftiges donnerähnliches 
Geräusch, gleich darauf verspürte ich wellenförmige Beweg¬ 
ungen. Ein Bild über meinem Schreibtisch kam ins Wanken, 
ebenso das Wasser in meinem Goldfischaquarium. Schaden 
verursachte das Erdbeben nicht. Die Bewegung kam nach 
meiner Ansicht von 0. nach W., das Erdbeben dauerte etwa 
4—5 Sekunden. Nach Aussage anderer Leute soll etwa eine 
halbe Stunde vorher ein kleineres Erdbeben stattgefunden 
haben. 

k. Gemeinderath SchlageterinMenzenschwand(Vorder- 
dorf): Theile mit, dass das Erdbeben hier gegen V 2 6 Uhr 
Abends wahrgenommen wurde. Dasselbe bewegte sich von 0. 
nach W. mit donnerartigem Rollen, währte einige Sekunden, 
ln manchen Häusern wurde Fensterklirren bemerkt, Schaden 
wurde nirgends angerichtet. Viele Leute waren der Meinung, 
die schweren Schncemassen auf den Dächern seien im Rollen, 
die sich bei Thauwetter mit ähnlichem Geräusch loslösen 
und niederstürzen. 

l. Wasmer in Bernau: Am 13. Januar 5 h. 10 m. p. 
wurde ein Erdbeben wahrgenommen. Dauer 2—3 Sekunden, 
Richtung war nicht erkennbar. Es war ein schwaches donner- 


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ähnliches Getöse hörbar und eine schwache Erschütterung, 
die in den Häusern mehr bemerkt wurde, als im Freien. 

m. Bürgermeister Trütschler in Todtmoos: Am Sonntag, 
den 13. Januar wurde auch hier ein Erdbeben wahrgenommen 
und zwar von N. gegen S. Die Bewegung war wellenförmig 
und derart, als wenn man oben auf der Bühne einen kleinen 
Wagen schnell bewegen würde. Beschädigungen hat das 
Erdbeben nicht verursacht, keine Möbel oder Geschirr um¬ 
geworfen. Die Fensterscheiben haben nur in den von Stein 
gebauten grösseren Gebäuden geklappert. Das Erdbeben 
hat 4—6 Sekunden gedauert. Gleichzeitig hat man ein Rollen 
gehört; vorher und nachher wurde nichts wahrgenommen. 

n. Brunner in Todtmoos: Am 13. Januar wurde hier 
ein von NW. nach SO. ziehendes, sehr starkes unterirdisches 
Rollen wahrgenommen, ln meiner Wohnung haben sämmt- 
liche Fenster geklirrt. Andere Leute hier sind sogar um¬ 
gefallen in ihren zur Zeit befindlichen Stellungen. Das Erd¬ 
beben dauerte */ 2 Minute. 

15. Amt Neustadt. 

a. Berichte des Strassenmeisters Huber in Lenzkirch: 
Zeige ergebenst an, dass heute (13. Januar) Abends 5 Uhr 
21 Minuten ein Erdbeben mit donnerartigem Rollen von SW. 
nach N. wahrgenommen wurde. Die Wahrnehmung dauerte 
10—15 Sekunden. 

Zur Ergänzung des Berichts vom 13. d. M. theile ich 
weiter mit, dass das Erdbeben und donnerartige Rollen am 
13 d. M. Abends genau um 5 Uhr 21*/ 2 Minuten (mittel¬ 
europäische Zeit) in den Ortschaften Lenzkirch, Altglas¬ 
hütte, Bärenthal, Neuglashütte, Hinterzarten, Yier- 
thäler, Saig und Grünwald wahrgenommen wurde. Ausser 
dem donnerartigen Rollen wurde in Lenzkirch von Frau Ganter, 
welche sich zur betreffenden Zeit in der Küche befand, ein 
Schwanken und Klirren des Küchekastens beobachtet. In Fisch¬ 
bach im Hause des Andreas Mahler bemerkten die Bewohner ein 
Schwanken unter den Füssen. In Kappel, Falkau und 
Raithenbuch war mit dem Rollen noch ein Klirren der 
Fenster bemerkbar, und ist laut Postkarte von Herrn Hotelier 
Mayer (Feldbergerhof) auf dem Feldberg das Erdbeben 


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stark wahrgenommen worden. Nach ziemlich zuverlässigen 
Mitteilungen hat sich das Erdbeben von SW. nach NO. 
fortgesetzt. 

Die Erhebungen am 14. und 18. d. M. über das Erd¬ 
beben im Orte Göschweiler blieben erfolglos. Am 22. 
hat der Unterzeichnete nochmals nachgefragt, und hat sich 
ergeben, dass Frau Kaufmann Zölle, sowie Georg Gromann 
ein donnerartiges Rollen mit Klirren der Fenster gehört 
haben. Die Familie des Benedikt Frey hat mit dem donner¬ 
artigen Rollen noch ein Erschüttern, bezüglich Schwanken, 
nebst Klirren der Fenster wahrgenommen. Ausser diesen 
Personen hat sich in Göschweiler Niemand mehr gefunden, 
der über obigen Betreff Aufschluss geben konnte. In Stall egg 
(an der Wutach nordöstlich von Göschweiler) ist das Erd¬ 
beben nicht verspürt worden. 

. b. Bürgermeister Willinann inLenzkirch: Am 13. Januar 
Nachmittags etwa 5 1 /* Uhr wurde hier ein ziemlich starker 
Erdstoss mit donnerartigem Geräusch bemerkt. 

c. Frau Faller-Eigler in Titisee: Theile auf Anfrage 
ergebenst mit, dass auch hier am 13. Januar 5 Uhr 15 Minuten 
sich ein Erdbeben 1 1 / a Minuten lang fühlbar gemacht hat. 
Zuerst ein unterirdisches Rollen und Getöse in der Erde; 
nachher von W. her ein Ruck und ein Wackeln im ganzen 
Haus. Bei uns selbst hat kein Geschirr gewankt, aber in 
Hinterzarten, ‘/s Stunde von hier, soll es dasselbe gethan 
haben. Nachher war wieder alles ruhig. Schaden hat das 
Erdbeben nicht verursacht. 

d. Bericht von Strassenmeister Matt in Neustadt: Nach 
vorgenommenen Erhebungen wurde am 13. Januar etwa 
Abends 5 Uhr 20 Minuten in sämmtlichen Ortschaften dies¬ 
seitigen Bezirks mit Ausnahme von Löffingen und 
Seppenhofen eine Erderschütterung von 6 Sekunden Dauer 
nnter dumpfem Rollen angeblich von W. gegen 0. und zwar 
in den Orten Neustadt, Röthenbach, Dittishausen 
und Schwärzenbach nur leicht, in den übrigen Ortschaften 
etwas heftiger wahrgenommen, sodass Wände und Fenster 
gerüttelt und Tafeln bewegt wurden. Beschädigungen kamen 
hierdurch nicht vor 


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c. Bürgermeister Schweiggen in Neustadt: Theile mit, 
dass das Erdbeben am 13. Januar auch hier wahrgenommen 
wurde und zwar etwa um 5 Uhr 20 Minuten. Zuerst wurde 
ein Geräusch wahrgenommen, ähnlich, wie wenn der Schnee 
von den Dächern abrutscht. Demselben folgte ein Rollen, 
wie wenn ein Lastwagen schnell fährt. Dasselbe bewegte 
sich von W. nach 0. und wurde in oberen Stadttheilen 
stärker wahrgenommen als unten. Schaden hat dasselbe 
keinen angerichtet. Möbel und Geschirr wurden nicht in 
Bewegung gesetzt. 

d. Lehrer Dorer in Saig: Bei der heute fl3. Januar) 
mässig kalten Witterung und den mit dichten Schneewolken 
behangenen Himmel fand ein Erdbeben mit donnerartig 
rollendem Getöse um 5 Uhr 10-20 Minuten statt, sodass 
Hängelampen in der Richtung von NW. nach SO. in stark 
schwingende Bewegung kamen. Das Erdbeben dauerte über 
60 Sekunden. 

e. Badische Presse: Eckbach-Joosthai (nordwestlich 
von Neustadt), 14. Januar. Ein starkes Erdbeben, das gut 
5 Sekunden anhielt, fand gestern, Sonntag Nachmittag statt. 
Jeder war erst der Ansicht, es rühre von herabfallendem 
Schnee her. Jeder erzählte Abends im Wirthshaus von 
diesem Getöse. 

f. Hotelier Mayer auf dem Feldberg: Theile auf Anfrage 
mit, dass das Erdbeben hier stark verspürt wurde. Die 
Bewegung war Abends zwischen 5 und 1 /* 6 Uhr mit donner¬ 
ähnlichem Geräusch verbunden. Schwankungen wurden nur 
in sehr geringem Maass wahrgenommen. Bewegungen an 
Bildern bemerkten wir nicht. Das einzige, was damit in 
Verbindung gesetzt werden könnte, ist, dass ein wenig Schnee 
vom Dach fiel. 


16. Wiesenthal. 

a. Karlsruher Zeitung: Aus dem Wiesenthal, 18. Januar. 
Den Berichten über die letzten Erdstösse nach lässt sich nun¬ 
mehr feststellen, dass dieselben sich in Todtnau und Um¬ 
gebung stark fühlbar machten, an manchen Stellen so, dass 
sogar Menschen auf der Strasse zu Fall kamen. Im Innern 
der Häuser klirrten viele Gegenstände von selbst, die sonst 


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nur berührt einen Ton von sich geben; lose stehende Sachen 
fielen uni. Von grösseren Beschädigungen hört man nichts. 
Thälabwärts schwächte sich die Bewegung immer mehr ab, 
sodass in Schopfheim nur zwei ganz leichte Erdschwing¬ 
ungen bemerkbar waren; in Lörrach wurde gar nichts 
mehr gespürt. 

b. Hauptlehrer Schulz in Todtnauberg: Am 13. Januar 
5 Uhr 15 Minuten wurde hier ein Erdbeben beobachtet. 
Dasselbe erfolgte in einem heftigen Stoss, welcher sich von 
SW. nach NO. fortpflanzte. Die Gegenstände wankten. Die 
Gläser auf den Tischen klirrten. Das Erdbeben dauerte 
etwa 3 Sekunden. Die Herren Leipheimer aus Karlsruhe, 
Pfarrer Schott, Altbürgermeister Bender und Engelwirth 
Klingeln haben dasselbe ebenfalls beobachtet. 

c. Breisgauer Zeitung: Todtnau. 14. Januar. Gestern 
Nachmittag 5 Uhr 15 Minuten hatten wir ein so starkes 
Erdbeben, dass man meinte, die Häuser würden einstürzen. 
Geräthe stürzten um, Personen kamen ins Schwanken, und 
Einzelne sollen sogar umgefallen sein. Der Erdstoss bewegte 
sich in der Richtung nach 0. weiter. 

d. Bürgermeister Thoma in Todtnau: Hier wurde das 
Erdbeben etwa 20 Minuten nach 5 Uhr Nachmittags wahr¬ 
genommen. Die Richtung ging von 0. nach W. und hatte 
einen leichten Stoss verursacht, wie wenn Schnee vom Dache 
fiele, ohne irgend eine Beschädigung zu verursachen. 

e. Badische Presse: Schönau, 13. Januar. Heute Abend, 
etwa 5 Uhr 20 Minuten wurden hier zwei Erdstösse wahrge- 
nonnnen. Dieselben folgten kurz aufeinander, und dauerte 
jeder kaum eine Sekunde. 

Marnbach, 14. Januar. Gestern Abend 5V« Uhr wurde 
hier ein ziemlich heftiger Erdstoss wahrgenommen. Fenster 
und Thüren klirrten, und die Uhren klingelten. Buben, die 
auf dem Eise sich vergnügten, glaubten, der Zug „rumple“ 
daher und bemerkten nachher, dass das Eis Risse erhalten 
hatte. 

Muggenbrunn, 14. Januar. Gestern Abend */*6 Uhr 
war hier ein ziemlich starkes Erdbeben wahrnehmbar, das 
sich in der Richtung von 0. nach W. fortzubewegen schien. 


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Wohl im Zusammenhang damit trat um dieselbe Zeit Schnee¬ 
fall ein. 

Zell i. W., 13. Januar. Heute Abend gegen 5 Uhr 
.wurde in unserer Gegend ein ziemlich heftiger Erdstoss ver¬ 
spürt, dem ein donnerähuliches Rollen folgte. Der Stoss 
schien die Richtung von 0. nach W. zu haben. 

f. Strassenmeister Dehoff in Schönau: Am 13. Januar 
5 Uhr 10 Minuten wurde hier ein Erdbeben beobachtet, ein 
rollendes, etwa 3—4 Sekunden anhaltendes Geräusch, 
ähnlich dem Fahren eines Eisenbahnzuges, verbunden mit 
Erschütterung. Eine Richtung konnte nicht bestimmt wahr¬ 
genommen werden. 

g. Bürgermeister Winter in Zell i. W.: Das am 
13. Januar hier verspürte Erdbeben wurde etwa Nachmittags 
5 Uhr 20 Minuten wahrgenommen. In der Hauptsache wurde 
in den Häusern ein Geräusch gehört, gleich einem schweren 
Lastwagen, der über gefrorenen Boden gefahren wird. Alles 
hat einen kurzen Stoss wahrgenommen, in nordost-südwestlicher 
Richtung. Beschädigungen kamen keine vor, obwohl der 
Stoss, beziehungsweise die Bewegung eine starke war. 

h. Bericht von Strassenmeister Peter in Wiesleth: Am 
13. Januar um 5 Uhr 20 Minuten Nachmittags ist in Wies¬ 
leth durch Postagent Vogt ein Erdbeben beobachtet worden. 
Derselbe hat hierbei folgende Erscheinungen wahrgenommen: 
5 Uhr 20 Minuten Nachmittags hörte derselbe plötzlich ein 
donnerartiges Getöse, welches etwa 8—10 Sekunden anhielt 
und mit einem kräftigen Stoss endigte. Fenster und Thüren 
klirrten; an Gegenständen, wie Tischen und Stühlen konnte 
derselbe in Folge des Stosses eine Bewegung wahrnehmen. 
Der Stoss erfolgte in der Richtung von SO. nach NW. 
Ausserdem haben noch verschiedene Personen in Wiesleth, 
Eichholz, Henschenberg, Schillighof und Langenau 
das Erdbeben wahrgenommen. 

i. Strassenmeister Kupfert in Schopfheim: DurchStrassen- 
wart Lenz in F ah mau wurde am 13. Januar 5 Uhr 30 
Minuten Nachmittags im Freien auf der Strasse ein donner¬ 
ähnliches Getöse wahrgenommen, welches etwa 3 Sekunden 
andauerte und sich in der Richtung von W. nach 0. bewegte. 
Der Berichterstatter in Schopfheim, der um diese Zeit 


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krank im Bett lag, hat nichts von dem Erdbeben bemerkt, 
wohl aber seine Frau im zweiten Stock eines massiven Hauses; 
die Fenster des Stockwerks sollen geklirrt haben. 

k. Frau Oesterlin in Fahrn au: Am Sonntag den 
13. Januar sassen meine Mutter und ich Abends zwischen. 
5 und 6 Uhr allein in unserer Wohnstube. Meine Mutter 
am Ofen legte die Hand aufs Bett, ich sass am Fenster in 
Gedanken und legte die Hand auf den Sims. Plötzlich sagte 
die Mutter: „Jetzt hat doch das Bett gezittert.“ Gleichzeitig 
bemerkte ich, dass das Simms sammt meiner Hand und auch 
die Fenster stark gezittert hatten und hörte zugleich ein 
Getöse. Da ich wusste, dass sich Niemand im unteren 
Stock befand, sagte ich zu meiner Mutter Jetzt hat es gewiss 
geerdbebt“. 

l. Hauptlehrer Huber in Maul bürg: Am 13. Januar 
5 Uhr 15 Minuten Nachmittags wurde hier ein ziemlich 
heftiger Erdstoss verspürt. Derselbe wurde in allen Theilen 
des Ortes von verschiedenen Personen beobachtet. Der 
Richtung nach schien sich derselbe von N. nach S. fortzu¬ 
bewegen. Begleitet war derselbe.von einem Rollen und Tosen. 
Ausser dem deutlich wahrnehmbaren Klirren der Fenster¬ 
scheiben wurde die Bewegung besonders stark durch das 
Rütteln der Bettstatt bemerkt, in der sich Schreiber dieses 
damals als Patient befand. 

m. Bürgermeisteramtsverweser Oestreicher in Lörraih: 
In hiesiger Stadt wurde am 13. Januar von einem Erdbeben 
nichts wahrgenommen. 

17. Umgebung von Kandcrn. 

a. Badische Presse: Rändern, 14. Januar. Gestern 
Abend 5 Uhr 15 Minuten wurde hier ein leichter Erdstoss 
verspürt. In der eine Stunde östlich von hier gelegenen 
Ortschaft Malsburg soll die Erschütterung heftig und von 
lautem Getöse begleitet gewesen sein. Auch in Sali neck, 
Schopfheim i. W. und Oberbränd (Amt Neustadt) wurdn 
die Erderschütterung gespürt. 

b. Bürgermeister Berner in Kandern: Uebereinstim- 
mend mit a.; Richtung wird W.—0. angegeben. 


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c. Strassenmeister Sack in Kandern: Von Maurer¬ 
meister Köbel in Kandern wurde am 13. Januar 5 Uhr 15 
Minuten Nachmittags ein Erdbeben beobachtet. Es erfolgte 
ein heftiger Stoss in der Erde, welcher die Richtung von 
SW. nach NO. zu nehmen schien. Derselbe hielt etwa 
2 Sekunden an und war von einem donnerähnlichen Getöse 
begleitet. Der Stoss war so heftig, dass die Fenster zitterten 
und klirrten. Der Ofen und sonstige Zimmergeräthe haben 
gewankt. Zu derselben Zeit fand starker Schneefall statt. 
Ausserdem ist das Erdbeben noch in folgenden Orten des 
Amtsbezirks Müllheim beobachtet: Malsburg, Lütschen- 
bach, Marzell, Vogelbach, Sitzenkirch. Der Stoss 
wurde überall um 5 Uhr 15 Minuten verspürt, und dauerte 
etwa 2 Sekunden. Bezüglich der Richtung sind die Meisten 
der Ansicht, dass der Stoss von SW. nach NO. erfolgt sei. 

18. Amt Müllheim (vergl. auch 17). 

a. Strassenmeister Stutz in Müllheim: Am 13. Januar 
nach 5 Uhr wurde in den Orten Feldberg, Obereggenen, 
Schallsingen, Lipburg, Badenweiler und Schweighof 
von mehreren Personen ein Erdbeben beobachtet. Es ging 
ein Geräusch voraus, wie wenn grössere Fässer ins Rollen 
gekommen wären. Dieses Rollen dauerte 2—3 Sekunden, 
hierauf trat eine kurze Pause ein, dann folgte ein kurzer aber 
kräftiger Stoss, so dass in den Wohnungen Geräthe schwank¬ 
ten. In Schweighof glaubten die Beobachter, dass der Stoss 
von W. nach 0. erfolgte, in allen anderen Orten von 0. 
nach W. 

b. Bürgermeister Blankenhorn in Müllheim: Theile auf 
Anfrage mit, dass sich Sonntag den 13. Januar in Müllheim 
ein Erdbeben nicht bemerkbar gemacht hat. 

c. Badische Presse: Von Blauen, 14. Januar. Ver¬ 
schiedene Personen haben gestern Abend i j i G Uhr einen 
Erdstoss, welcher die Thüren und Fenster erschüttern liess, 
verspürt und ein denselben begleitendes Rollen und Tosen, 
wie ferner Donner gehört. 

d. Professor Neumann aus Freiburg, der sich zur Zeit 
des Erdbebens in Badenweiler befand, theilte mir mit, dass 


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dort das Erdbeben nicht wahrgenommen sei, dagegen stark 
auf dem Blauen. 


19. Amt Staufen. 

a. Bericht von Strassenmeister Klehammer in Staufen: 
Am Sonntag Abend (13. Januar) s / 4 6 Uhr bemerkte ich hier 
ein starkes Brausen, wie eines herannahenden Gewittersturms; 
dabei war es ziemlich ruhig. Eine Dienstreise am Montag 
in Folge dieser Erscheinung ins Münsterthal ergab folgendes: 
Es wurde von Strassenwart Stiegeler in Untermünster¬ 
thal, Lehrer Seilnacht in Obermünsterthal, Belkele in 
Neuhof, Strassenwart Stoham in Giesshübel um */ 4 6 Uhr 
ein donnerähnliches Geräusch in der Luft, unterirdisches 
dumpfes Rollen, Erzittern der Häuser, 3—4 Sekunden an¬ 
haltend, bemerkt, Richtung SO.—NW. Nachforschungen in 
Krozingen, - Heitersheim, Döttingen, Ballrechten, 
Pfaffenweiler ergaben nichts. Ziegler Löffler in Ball¬ 
rechten hat ebenfalls eine leichte Bewegung mit Rollen von 
SO. nach NW. bemerkt. 

b. H. Schober in Freiburg: Am Sonntag den 13. Januar 
ging ich geschäftlich nach Sölden und kam dort um 4 Uhr 
Nachmittags an. Nach Erledigung meiner Geschäfte ging ich 
ins Wirthshaus zur Krone. Nachdem ich und mein Vater 
uns eine Zeit lang mit dem Wirth und der Wirthin unter¬ 
halten, rief die letztere plötzlich: „Um Gottes Willen, was 
ist denn los?“ Kaum hatte dieselbe angefangen zu sprechen, 
kam uns derselbe Gedanke, denn wir verspürten zwei ziem¬ 
lich starke Stösse, welche in der Richtung von Ehrenstetten 
nach Sölden kamen (also SW.—NO.). Auch hörte man ein 
dumpfes, donnerartiges Rollen, das auch später von den Dorf¬ 
bewohnern bestätigt wurde. Das ganze Erdbeben dauerte 
meiner Ansicht nach höchstens 4—5 Sekunden und war um 
5 Uhr 15 Minuten. Von verschiedenen Einwohnern wurde 
behauptet, dass Flaschen, welche aut dem Gesimse standen, 
umfielen, und Fenstbr klirrten; dieses jedoch nur von den¬ 
jenigen, welche auf den Anhöhen wohnten. 

c. Strassenmeister Brechtei in Krozingen: Auf verehr- 
lichen Auftrag habe ich gehorsamst zu berichten, dass von 
dem am 13. Januar im südlichen Schwarzwald stattgefundenen 


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Erdbeben im Bezirk des Unterzeichneten nach eingehenden 
Erkundigungen keinerlei Wahrnehmungen in Erfahrung ge¬ 
bracht werden konnten. 

Negative Nachrichten iagen weiterhin noch vor aus 
Staufen und Heitersheim (Bürgermeisterämter). 

20. Zusammenstellung (S. 450 u. 451) der von den Post¬ 
anstalten des Ober-Postdirektionsbezirks Konstanz gemachten 
Beobachtungen. 


II. Eisass. 

21. Kolmar. 

a. Professor Dr. Gneisse: Von dem fraglichen Erdbeben 
habe ich und meine Familie nichts gespürt, auch keiner der 
Kollegen, die ich fragen konnte. Nur Dr. Köhler erzählte, 
dass am Sonntag den 13. Januar sein Dienstmädchen eine 
Erschütterung des Hauses verspürt habe zwischen 5 und 7 
Uhr Nachmittags und in Abwesenheit der Herrschaft sehr 
dadurch geängstigt worden sei. Der Redakteur des „Elsässer 
Tageblatts“ erklärte, dass er keine Korrespondenz aus Kolmar 
und Umgebung erhalten habe, dagegen Mittheilungen, dass 
das Erdbeben in St. Ludwig und Sierenz, bemerkt 
worden sei. 

b. Gasdirektor Kern: Theile auf Anfrage ergebenst mit, 
dass weder ich noch meine Bekannten etwas von dem Erd¬ 
beben gespürt haben, noch auf der Polizei, dem Stadthause 
oder den Zeitungsredaktionen hier am 13. Januar oder 
einem anderem Tage etwas von einem solchen bemerkbar 
geworden ist. 

22. Mülhausen und Umgegend. 

a. Strassburger Post. Habsheim, 16. Januar. Der am 
13. d. M. in Zell im Wiesenthal beobachtete Erdstoss wurde 
auch hier bemerkt. Es war gegen 5 Uhr Nachmittags, als 
plötzlich die Krähen vom Boden aufflogen, und ein hiesiger 
Einwohner eine Erschütterung wahrnahm und dann nach der 
Ursache desselben, ohne gerade an einen Erdstoss zu denken, 
in den Räumen seines Hauses forschte. Einem anderen 


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hiesigen Einwohner ist in seinem Zimmer ein Bücherschrank 
umgestürzt. 

b. Dr. Bronnert, Assistent an der Chemie-Schule in 
Mülhausen: Am 13. Januar wurde von mir in meiner Woh¬ 
nung, Brubacher Strasse auf dem Rebberg, östlich der Bahn 
im ersten Stock ein Erdstoss wahrgenommen. Es war nach 
meiner Uhr 5 Uhr 15 Minuten Nachmittags; da dieselbe 
gegen die Telegraphenuhr 5 Minuten nachging, war es also 
5 Uhr 20 Minuten. Ich sass an meinem Schreibtisch. Es 
war eine einmalige, etwa 10 Sekunden andauernde Erschütte¬ 
rung, die alles erzittern liess, ohne in einer Richtung be¬ 
stimmend zu beeinflussen. Möbel fielen keine um, dazu war 
der Stoss zu schwach. Dagegen gerieth eine Hängelampe in 
Schwingungen, doch entsprachen auch diese keiner bestimm¬ 
ten Himmelsrichtung. Nachbarn haben den Stoss ebenfalls 
w'ahrgenommen, jenseits der Bahn im eigentlichen Mülhausen 
konnte dagegen Niemand die geringste Auskunft geben. 

c. Professor Dr. Förster in Mülhausen: Mir ist nichts 
von einem Erdbeben bekannt geworden; auch habe ich trotz 
eifrigem Nachfragen nichts davon zu hören bekommen. 

23. Negative Nachrichten liegen vor aus: Neu- 
Breisach (Bürgermeisteramt), Gebweiler (Oberlehrer Dr. 
Wirz), Hüningen (Bürgermeisteramt), Altkirch (Kreis¬ 
direktor Illing), Pfirt (Apotheker Kern). Auch die In¬ 
strumente der Strassburger Erdbebenstation zeigten keinen 
Ausschlag. 


III. Württemberg. 

24. Aus Württemberg liegt nur eine positive Nachricht 
vor, nämlich aus dem Schwarzwälder Boten: Schramberg, 
18. Januar. Am letzten Sonntag wurde in verschiedenen 
Orten des Schwarzwaldes eine an manchen Orten ziemlich 
heftige Erderschütterung verspürt. Auch hier wurde die 
Erschütterung um 5 Uhr 30 Minuten (nach der Kirchenuhr) 
bemerkt und zwar in der Dauer von etwa 4 Sekunden in 
der ungefähren Richtung SW.—NO. 

Negative Nachrichten liegen vor aus Tuttlingen, 
Rottweil (Stadtschultheissämter) und Stuttgart. Professor 

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452 


Dr. A. Schmidt in Stuttgart schreibt: Von dem Erdbeben 
des südlichen Schwarzwaldes am 13. Januar ist meines 
Wissens in Württemberg und Hohenzollern nichts verspürt 
worden. Mein Seismometer zeigte am 14. einen Ausschlag 
von nordsüdlich 2 mm (vertikal 0), wie er z. B. auch am 
17. sich zeigte und an den letzt verflossenen Februartagen 
noch grösser war. Professor Haag in Rottweil theilte mir 
mit, dass der im dortigen Gymnasium aufgestellte Seismograph 
am 13. Januar keinen Erdstoss anzeigte. 


IV. Schweiz. 

25. Mittheilungen der Schweizer Erdbebenkommission 
durch Herrn Privätdozenten Dr. Früh in Zürich. 

a. Schaffhausen. Am 13. Januar etwa 5 Uhr 15 bis 
25 Minuten wurde ein Erdstoss wahrgenommen; eine Familie, 
die beim Vesperessen war, wurde so erschreckt, dass sie in 
den Hausgang floh. 

b. Unter-Hai lau (Kanton Schaffhausen). Am 13. Januar 
5 h. 18 p. m. zwei massig starke Erdstösse S.—N., von 
mehreren Personen wahrgenommen (Bericht der meteoro¬ 
logischen Station.) 

c. Aarau. 1. 5 h. 20 m. p. „Ich vernahm im Haus 
einen Knall, wie einen Pistolenschuss, oder wie wenn eine Thür 
heftig zugeschlagen w'ird.“ 

2. 5 h. 20 m. p. „Krachen iin Hause“. 

3. 5 h. 20 m. p. „Im Arbeitszimmer mit meinen Samm¬ 
lungen beschäftigt fühlte ich plötzlich eine stossähnliche Er¬ 
schütterung des Hauses; leere Blumentöpfe zwischen den 
Fenstern klirrten etwa 10 Sekunden nach“ (rechte Nieder¬ 
terrasse an der Aare). 

4. Ein Dr. med. meldet: Der Sekretär meiner Woh¬ 
nung und ein Küchenschrank geriethen ins Schwanken. Die 
Kranken hatten das Gefühl, sie würden aus dem Bett ge¬ 
worfen. Der Assistent beobachtete eine Hängelampe in der 
Richtung 0.—W. schwankend (rechte Niederterrasse). 

d. Leibstädt (linkes Rheinufer zwischen Laufenburg 
und Koblenz), ca. 5 h. 18 m. p. ein Erdstoss. 


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453 


e. Rheinfelden. Zwischen 4 und 5 Uhr Nachmittags 
«in sonderbares Erschüttern des Hauses. 

f. Pratteln und Kaiseraugst (Basler Gebiet). Ein 
Erdstoss am 13. Januar gemeldet. 

26. Mittheilung von Herrn Professor Dr. Riggenbach in 
Basel: In Basel ist von dem Erdstoss am 13. Januar nichts 
verspürt worden, wenigstens nicht in meinem Institut. Auch 
eine Aufforderung zur Mittheilung von Beobachtungen, die 
ich hiesigen Blättern zugehen liess, brachte mir bisher 
keine hiesigen Beobachtungen ein. Dagegen wurde mir mit- 
getheilt, dass in Schaffhausen am 13. Abends 5 1 /* Uhr 
ein Erdstoss wahrgenommen worden sei. 

27. Mittheilung von Herrn Reallehrer Pletscher in 
Sehleitheim (Kanton Schaffhausen). 

In Schleitheim wurde von mir am 13. Januar 5 Uhr 
15 Minuten Nachmittags ein Erdbeben beobachtet. Ein 
kurzes, dumpfes unterirdisches Rollen, das von S. her zu 
kommen schien. Einmaliger starker Stoss (im dritten Stock 
eines massiv gebauten Hauses). Lose an der Wand hängende 
Gegenstände geriethen in leise Schwingungen. Ausser mir 
haben noch vier Personen der Familie Stamm in drei ver¬ 
schiedenen Lokalitäten das Erdbeben beobachtet, doch schien 
ihnen die Bewegung von NO. nach SW. zu gehen. 


Das Erschütterungsgebiet. 

Das zusammenhängende Erschütterungsgebiet umfasst so 
ziemlich den gesammten südlichen Schwarzwald nebst einem 
grossen Theil des Rheinthaies von Schaffhausen abwärts bis 
gegen Basel. Die Westgrenze desselben fällt nahezu mit der 
Hauptverwerfung, welche die mesozoischen und tertiären 
Ablagerungen der Vorberge von dem krystallinischen Grund¬ 
gebirge trennt, zusammen. In der Vorbergzone sind nur 
wenige Orte, von denjenigen der Ebene nur einige dem 
Gebirgsrande nahe liegende der Freiburger Bucht, nämlich 
der untere Theil von Freiburg selbst, St. Georgen, Gundel¬ 
fingen und Denzlingen erschüttert. Nach NW. folgt die Grenze 
des Schüttergebiets dem Elzthal bis Elzach aufwärts, im N. so 


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454 


ziemlich der Südgrenze des Triberger Granitmassivs, in welchem 
nur noch an vier Orten die Erschütterung wahrgenommen 
wurde, während von zahlreichen anderen bestimmt negative 
Nachrichten vorliegen, sodann der Linie St. Georgeu-Stock- 
burg-Kappel (nordöstlich von Villingen). Die Ostgrenze des 
geschlossenen Schüttergebiets wird durch eine Linie von 
Kappel über Villingen, Zindelsheim, Dittirhausen, Röthen¬ 
bach, Göschweiler nach Gundelfingen bezeichnet und folgt 
weiterhin auf eine weite Strecke dem Wutachthaie. Oestlich 
desselben liegen nur aus einigen Orten des Klettgau und 
aus Schaffhausen positive Nachrichten vor. Im Süden folgt 
die Grenze dem Rheinthal von Kadelburg abwärts bis nach 
Basel. Im SW. scheidet aus dem Schüttergebiet das untere 
Wiesenthal abwärts Maulburg und die Masse des Dinkelbergs 
aus. Die Grenze bilden hier im allgemeinen die Verwer¬ 
fungen, welche dieses Gebiet von dem eigentlichen Schwarz¬ 
wald trennen. Ausserhalb derselben wurden nur noch die 
Orte Fahrnau, Langenau, Schopfheim, Maulburg und Oeflingen 
und auch diese meist nur sehr schwach erschüttert. 

Abgesehen von dem durch obige Grenzen bezeichneten 
geschlossenen Schüttergebiet wurde das Erdbeben aber noch 
in einer Anzahl mehr isolirter Punkte wahrgenommen, 
welche von ersterem theils durch Gebiete, aus denen negative, 
tlieils durch grössere Zonen, aus denen gar keine Nachrichten 
vorliegen, getrennt sind. Zwei derselben, Schramberg im N. 
und Schaffhausen im SO. dürfen allerdings wohl als vorge¬ 
schobene Posten des geschlossenen Verbreitungsgebiets ange¬ 
sehen werden, da sie von den Grenzen desselben nicht 
allzuweit entfernt sind, und keine Orte mit negativen Nach¬ 
richten dazwischen liegen. Anders steht es schon mit Aarau 
(auf der Karte nicht mehr angegeben), das sehr weit von 
der Südgrenze des geschlossenen Verbreitungsgebiets liegt. 
Als bestimmt isolirte Punkte müssen einmal Donaueschingen 
und Pföhren, sodann die Orte im Eisass. in denen das Erd¬ 
beben noch wahrgenommen wurde, angesehen werden, da 
zwischen ihnen und den Grenzen des geschlossenen Verbrei¬ 
tungsgebiets eine Anzahl von Orten, in denen das Erdbeben 
bestimmt nicht gespürt wurde, liegt. Abgesehen von Kolmar, 
von wo neben verschiedenen negativen nur eine, noch dazu 


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etwas zweifelhafte positive Nachricht vorliegt (21 a.), liegen 
letztere (St. Ludwig, Sierenz, Habsheira, Rebberg bei Mül¬ 
hausen), sämmtlich nahezu auf einer von SO. nach NW. sich 
erstreckenden geraden Linie. 

Zeitbestimmungen. 

Die für die Bestimmung der Erdbebenelemente so ausser¬ 
ordentlich wichtigen Zeitangaben sind leider für unser Erd¬ 
beben sehr ungenau und grösstentheils völlig werthlos. Sehr 
viele Angaben sind ganz allgemein gehalten „zwischen 5 und 
5 l 2 Uhr“, „etwa um o l / 4 Uhr“ und ähnliche. Die genaueren 
Angaben aber stehen unter einander vielfach derartig in 
Widerspruch, dass sie völlig unbrauchbar sind. Vor allem 
scheint fast nirgends eine Vergleichung der Ortsuhren mit 
den Bahn- oder Telegraphenuhren stattgefunden zu haben. 
Aber selbst die doch wohl auf Telegraphenuhr bezogenen 
Angaben der Postanstalten des Postdirektionsbezirks Kon¬ 
stanz erweisen sich als völlig unzuverlässig. Wenn die Zeit¬ 
angaben für zwei unmittelbar benachbarte Orte, wie Alb- 
bruck und Hauenstein, um volle fünf Minuten, diejenigen von 
Görwihl um zehn Minuten, von Rändern und Zell i. W., 
welche Orte nur etwa 14 km von einander entfernt sind, 
sogar um 20 Minuten differiren, wenn für St. Margen, einem 
Ort, der entschieden dem Epicentrum des Erdbebens schon 
ziemlich fern liegt, die früheste Angabe, nämlich 5 Uhr 
8 Minuten sich findet, so erhellt aus diesen wenigen Beispielen 
zur Genüge die Werthlosigkeit der Angaben. Einige derselben 
scheinen allerdings genauer zu sein. So stehen die Angaben 
5 Uhr 20 Minuten für Kirchzarten und Oberried, 5 Uhr 
10 Minuten für Menzenschwand, 5 Uhr 14 Minuten für 
Titisee und Altglashütte, 5 Uhr 15 Minuten für St. Blasien 
und Schluchsee unter sich und mit den aus anderen Gründen 
gemachten Annahmen über den Ausgangspunkt des Erdbebens 
(s. unten) leidlich in Uebereinstimmung. Aber die glaub¬ 
würdigen von den unglaubwürdigen Angaben streng zu sondern 
und dieselben für die Bestimmung des Oberflächenmittel¬ 
punkts zu verwerthen, erweist sich doch als Unmöglichkeit. 

Unter den sonstigen Angaben verdient noch einiges 
Vertrauen die Angabe für den Rebberg bei Mühlhausen 


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(5 Uhr 20 Minuten), weil der Beobachter, Dr. Bronnert 
seine Uhr unmittelbar nach der Beobachtung mit der dortigen 
Telegraphenuhr verglichen hat. Ferner scheint aus den von 
der Strassenbau-Inspektion Waldshut gemachten Angaben 
wenigstens soviel mit Sicherheit hervorzugehen, dass im Amt 
Säckingen die Erschütterung um rund 2 Minuten früher als 
in den Orten im Wutachthal wahrgenommen wurde. 

Da die frühesten Angaben (abgesehen von den entschie¬ 
den falschen von St. Margen) 5 Uhr 10 Minuten lauten, für 
einige Orte an der Grenze des Schüttergebiets die Zeit 5 Uhr 
20 Minuten ziemlich feststeht, so hat sich jedenfalls inner¬ 
halb dieses Zeitraums von 10 Minuten wahrscheinlich aber 
in noch kürzerer Zeit das Erdbeben über das gesammte er¬ 
schütterte Gebiet ausgebreitet. 


Art und Stärke der Erschütterung. 

Die Form der Erschütterung wird in sehr mannigfaltiger 
Art geschildert, bald als ein mehr oder weniger heftiger 
Stoss, Ruck oder Schlag, bald als deutlich wellenförmige, 
auf- und abschwankende, bald als rüttelnde Bewegung, viel¬ 
fach nur als ein leises Erzittern des Bodens oder des Hauses, 
dabei herrscht in den Angaben völlige Regellosigkeit. Von 
nahe benachbarten Orten wird die Erschütterung ganz ver¬ 
schiedenartig geschildert, ja in den Orten, aus welchen eine 
grössere Zahl von Berichten vorliegt, wie Freiburg (1), St. 
Blasien (14), Donaueschingen (9), kommen so ziemlich alle 
angegebenen Formen der Bewegung in den Berichten vor. 
Der Ort, an welchem und die Stellung, in welcher sich die 
Beobachter zur Zeit des Eintritts der Erschütterung befanden 
und ihr subjektives Empfinden spielen dabei offenbar eine 
grosse Rolle. In sehr vielen Berichten finden sich genaue 
Angaben über Form der Erschütterung überhaupt nicht, es 
wird nur angegeben, dass an dem betreffenden Ort ein 
Erdbeben wahrgenommen ist. 

Im Allgemeinen wurde nur ein Stoss wahrgenommen, 
von zwei, rasch aufeinander folgenden Stössen wird nur aus 
folgenden Ortschaften berichtet; Sölden (Amt Staufen), 
Brcitnau (nördlich vom Dreisamthai), Ober-Ivirnach (nördlich 


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von Yöhrenbach), Stockburg (nordwestlich von Villingen), 
Pföhren (östlich von Donaueschingen), Schwarzhalden und 
Blasiwald (zwischen St. Blasien nnd Schluchsee), Uehlingen, 
den Orten im unteren Wutachthal, Schönau und Schopfheim. 
In Uehlingen war der zweite Stoss der stärkere, in allen 
übrigen Ortschaften war er bedeutend schwächer als der erste. 

Die Bewegung, wie auch die begleitenden Schallerschein¬ 
ungen waren im Allgemeinen von kurzer Dauer. Die meisten 
Angaben schwanken zwischen 2 und 10 Sekunden (vergleiche 
namentlich den Bericht 20). Doch wird von einzelnen Orten, 
welche sämmtlich dem südöstlichen Theil des Schüttergebietes 
augehören, die Erschütterung, bezüglich der Schall als 
lang andauernd angegeben, so in Hochsal und Schachen 
(bei Hauenstein), Itzwihl - Haide (Albthal), Nöggenschwiel 
(zwischen Bernau und Bannholz), Segeten (südöstlich von 
Höchenschwand); auch in einigen Berichten aus St. Blasien und 
Umgegend wird die Dauer der Erschütterung auf 50—60 
Sekunden geschätzt. 

Sehr schwierig erscheint es, sich ein einigermassen klares 
Bild von der Stärke der Erschütterung an den einzelnen 
Orten zu machen. Die Bezeichnungen „schwach“, „ziemlich 
stark“, „stark“, „sehr stark“ sind natürlich rein subjektiv 
und könnten höchstens dann von Werth sein, wenn aus dem¬ 
selben Ort eine grössere Anzahl von Beobachtern dieselben 
Angaben machten. Meist aber sind die Angaben über die 
Stärke bei den verschiedenen Berichten aus dem gleichen 
Ort sehr abweichend von einander, wie es auch durchaus in 
der Natur der Sache liegt. Denn ein Erdbeben pflegt in 
Gebäuden stärker empfunden zu werden als im Freien, in 
höheren Stockwerken stärker als in tieferen. Auch der Grund 
und Boden, auf welchem die Häuser stehen, die Bauart und 
das Alter derselben kommen sehr wesentlich in Betracht. Nun 
sind allerdings bei einer ganzen Reihe von Berichten diese 
Momente genügend berücksichtigt, bei der Mehrzahl aber 
fehlen derartige Angaben gänzlich. Im Allgemeinen wird 
man aber wohl sagen können, dass, je stärker das Erdbeben 
an einem Ort auftrat, um so grösser auch die Anzahl der 
Personen sein wird, von denen dasselbe wahrgenommen wurde. 
Von diesem Gesichtspunkt ausgehend lassen sich die von dem 


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Erdbeben betroffenen Orte nach der Stärke der Erschütterung 
in drei Gruppen theilen. Als Orte stärkster Erschütterung 
bezeichnen wir diejenigen, in welchen das Erdbeben ganz 
allgemein, in die zweite Gruppe stellen wir diejenigen, in 
welchen es von einer grösseren Anzahl von Personen, in die 
dritte diejenigen, an welchen es nur von ganz vereinzelten 
Personen, oder wo die Erschütterung selbst überhaupt nicht 
mehr, sondern nur die begleitenden Schallerscheinungen wahr- 
genommen wurden. 

In die erste Gruppe gehören die Orte im oberen Wiesen¬ 
thal bis etwa Zell abwärts, Todtmoos, Feldberghot, die Orte 
am Südostabhang des Feldbergmassivs, die Umgebung von 
St. Blasien und Schluchsee. Von vielen der hierher gehörigen 
Ortschaften wird die Erschütterung ausdrücklich als „stark“ 
oder „sehr stark“ angegeben, so von Todtnauberg (16 b), 
Todtnau (16 a undc), Muggenbrunn (16 e), Zell (16 g, h), 
Todtmoos (14 n), Feldberghof (15 f). Höchenschwand (14 a), 
Schwarzhalden, Blasiwald, Schluchsee (14 f, g, 20). In Todt¬ 
nau und Todtmoos sollen einzelne Personen in Folge der 
Erschütterung umgefallen sein, in letzterem Orte auch ver¬ 
schiedentlich Gegenstände. Die Erschütterung war so heftig, 
dass man glaubte, die Häuser stürzten ein (14 n, 16 c). In 
Schwarzhalden, Blasiwald, Schluchsee stürzten viele Personen 
erschreckt ins Freie (14 f), in ersterem Ort erhielt in einem 
Hause eine Wand einen Riss (14 g). In Urberg fiel in einem 
Hause das Verschlussblech von der Ofenöffnung ab (14 a), 
in Marnbach erhielt das Eis der Wiese Risse, ln einzelnen 
Berichten wird das Erdbeben allerdings auch nur als schwach 
oder massig stark bezeichnet, so in einem der Berichte aus 
Todtnau (16 d), von Bernau (14 e). 

Zur dritten Gruppe (Orte schwächster Erschütterung) 
gehören die sämmtlichen Orte im Eisass, aus denen positive 
Nachrichten vorliegen mit Ausnahme von Habsheim, wo das 
Erdbeben sich stärker wahrnehmbar machte (21, 22), ferner 
Staufen (19), Badenweiler (18), Schliengen (20), Schopfheim 
(16 a, k), Oedingen, Hauenstein, Albbruck (11), Thiengen 
(11, 12 a), Kadelburg und die meisten Orte im untern Wutach¬ 
thal (12 b. c), Schaff hausen (25 a) auch wohl die meisten 
anderen Orte auf Schweizer Gebiet, obwohl von dort keine 


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Angaben über Stärke des Erdbebens oder die Anzahl der 
Beobachtungen vorliegen, Göschweiler (15 a), Zindelsheim (9 a), 
Kappel bei Villingen (8 d), Stockburg (8 b), Gremmelsbach 
(6 a), die Orte im Simonswälder-, Elz- und Glotterthal (5). 

Der mittleren Gruppe gehören wohl sämmtliche übrigen 
Ortschaften, in denen das Erdbeben wahrgenommen wurde, 
an; ausserhalb Badens nur Habsheim (22 a), Aarau, Unter- 
Hallau (25 c), Schleitheim (16) Schramberg (24). Mehr 
oder weniger starkes Klirren der Fenster und Thüren und 
Erzittern der Häuser wurde in den Orten dieser Gruppe 
ziemlich häufig wahrgenommen, auch von Hin- und Her¬ 
schwanken von Gegenständen, namentlich von Bildern an der 
Wand, Hängelampen und ähnlichem ist noch häufig die Rede. 
Als stärker erschüttert, wie die Umgebung werden von den 
Orten dieser Gruppen ausdrücklich hervorgehoben: Lorettoberg 
südlich von Freiburg (1 qj, Ebringen (südwestlich von Freiburg 
(2 a, c), Buchenbach im Dreisamthai (3), Hinterzarten, St. 
Märgen, St. Peter (3 b—h), St. Georgen bei Triberg (6 a). 
Wittlekofen, Amt Bonndorf (10 c), Segeten, Amt Waldshut 
(11, 12 f). 

Nach der Forel’schen Skala würde die Stärke in den 
Orten der ersten Gruppe etwa als 5, in denen der zweiten 
als 4, in denen der dritten als 3 zu bezeichnen sein. 

Richtung der Bewegung. 

Es ist bekanntlich ausserordentlich schwer, ohne zuverlässige 
Instrumente aus der unmittelbaren Wahrnehmung die Fort¬ 
pflanzungsrichtung einer Erdbebenbewegung festzustellen. 
Auch erleidet dieselbe lokal mannigfache Ablenkungen. Es 
kann daher nicht überraschen, wenn in den Berichten aus 
denselben oder nahe benachbarten Orten zum Theil sehr 
widersprechende Angaben über die Fortpflanzungsrichtung sich 
linden. So wird in Freiburg als Richtung der Bewegung drei¬ 
mal S.—N., einmal SW.—NO., einmal WSW.—ONO., zweimal 
W.—0., einmal Ö. -N. angegeben. Indess darf man wohl an¬ 
nehmen, dass wenn von demselben Orte oder von mehreren benach¬ 
barten eine grössere Zahl übereinstimmender Richtungsangaben 
vorliegen, die von ihnen bezeichnete Richtung als die vorherr¬ 
schende in dem betreffenden Gebiet angesehen werden darf. 


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Ich habe es daher nicht für überflüssig erachtet, die an¬ 
gegebenen Richtungen in die beigefügte Karte einzutragen. 
Ich habe dabei im Allgemeinen nur die vorherrschenden 
Richtungen eingezeichnet. Lagen von einem Orte mehrere 
verschiedene Richtungsangaben vor, über deren Werthig- 
keit eine Entscheidung nicht möglich war, so sind die¬ 
selben sämmtlich eingetragen, z. B. bei Freiburg, Kirch- 
zarten, Oberried, Todtmoos. Ich habe ferner darauf ver¬ 
zichtet, den Sinn der Bewegung durch einen beigefügten Pfeil 
anzudeuten, wie man es in vielen der älteren Erdbebenarbeiten 
findet, ich habe mich vielmehr darauf beschränkt, den Himmels¬ 
strich, in welchem sich die Bewegung vollzog, durch einen 
einfachen rothen Strich anzugeben. Denn bekanntlich ist es 
für den Beobachter nahezu unmöglich festzustellen, ob eine 
Erschütterung in der einen oder der unmittelbar entgegen¬ 
gesetzten Richtung fortschreitet. 

Ein Blick auf die Karte lässt nun doch im Allgemeinen 
eine ziemliche Gesetzmässigkeit in den Fortpflanzungsrich¬ 
tungen erkennen, deren Feststellung für die Beurtheilung der 
Lage des Erdbebenherdes und für die Ausbreitung der Er¬ 
schütterung von hohem Werth ist. )n dem ganzen nordöst¬ 
lichen Theile des Schüttergebiets, in der Umgebung von 
Triberg, Furtwangen, Yöhrenbach, Villingen, ebenso im 
Dreisamthai und dessen nächster Umgebung ist die Fort¬ 
pflanzungsrichtung ganz vorwiegend eine südnördliche und 
gerade hier durch eine recht grosse Zahl von einander unab¬ 
hängiger Beobachtungen festgestellt. Die Richtung NW.—SO. 
herrscht in dem Gebiet südöstlich vom Feldberg massiv und in der 
südöstlichen Granitmasse vor, ostwestliche Richtung im Wiesen¬ 
thal, der Umgebung von Neustadt, und am westlichen und 
südwestlichen Rand des geschlossenen Schüttergebiets. Der 
Triaszug im SO. zeigt, dem Streichen seiner Schichten ent¬ 
sprechend, ganz vorwiegend die Fortpflanzungsrichtung 
SW.—NO. 


Schallerscheinungen. 

Das Erdbeben war in dem gesammten Gebiet von Schall¬ 
erscheinungen begleitet. Nur ein Bericht aus Schluchsee 
(14 h) gibt ausdrücklich an, dass ein Rollen, Donnern oder 


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ähnliches Geräusch nicht wahrgenommen sei, während in 
einem anderen (20) von dort donnerähnliches Rollen erwähnt 
wird. Dagegen wurde an einer Anzahl von Orten nahe der 
Grenze des Schüttergebiets die Schallerscheinung allein ohne 
Erschütterung beobachtet, nämlich in Staufen, .Unter- und 
Ober-Simonswald, Föhren thal, Unter - Glotterthal, Gremmels- 
bach, Zindelsheim und Ober-Lauchringen. Die Erscheinung 
selbst wird von den einzelnen Beobachtern sehr verschieden¬ 
artig geschildert. Einige vergleichen sie mit dem dumpfen 
Schall, der durch das Herabfallen grosser Schneemassen vom 
Dache verursacht wird, andere mit dem Geräusch, den eine 
schnell fahrende Eisenbahn oder ein über holperiges Pflaster 
fahrender Lastwagen hervorbringt, andere glaubten nach dem 
Ton annehmen zu müssen, dass im oberen Stockwerk oder 
im Nebenhause ein schwerer Gegenstand umgefallen sei. Viel¬ 
fach wird das Erdbebengeräusch auch als unterirdisches Rollen, 
als rumpelndes Getöse, als ferner Donner, als starkes Rauschen, 
in einzelnen Fällen auch als ein scharfer Knall, wie bei 
einer Explosion, bezeichnet. 

Im Allgemeinen treten Schall und Erschütterung gleich¬ 
zeitig ein. In einer Anzahl von Berichten aber wird aus¬ 
drücklich hervorgehoben, dass der Schall der Erschütterung 
vorausging oder, dass letztere wenigstens erst gegen Ende 
der Schallerschütterung eintrat. Solche Angaben liegen vor 
aus mehreren Orten des Amts Müllheim, aus Wiesleth, 
Waldshut, Hochsal, Itzwihl-Haide, Segeten, Brunnadern, 
Horheim, Unter-Mettingen, Unter-Eggingen, Eberfingen, 
Höchenschwand, Menzenschwand, Titisee. Diese Orte ge¬ 
hören fast sämmtlich dem südöstlichen Theile des Schütter¬ 
gebiets an. Später als die Erschütterung soll die Schall¬ 
erscheinung in Wittnau und Merzhausen, südlich von Frei¬ 
burg wahrgenommen sein. 

Vor- und Nachbeben. 

* In Menzenschwand wollen einige Bewohner eine halbe 
Stunde vor der Haupterschütterung eine leichtere bemerkt 
haben (14 i). Nachbeben wurden an mehreren Orten beob¬ 
achtet, nämlich in Lorettoberg um 6 Uhr, in Schachen (Amt 
Waldshut) um 7 */* Uhr, in Kränkingen und Breitenfeld (bei 


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Uehlingen) um 8 l /* Uhr, in Ebringen (bei Freiburg) zwischen 
12 und 1 Uhr Nachts, in Kirchzarten und Hinterzarten 
zwischen 2 und 3 Uhr Nachts, in Triberg am folgenden 
Morgen um 6 Uhr. 

Lage des Erdbebenherdes. 

Den Erdbebenherd haben wir naturgemäss in dem Gebiet 
stärkster Erschütterung zu suchen, umsomehr als dieses 
innerhalb des gesanunten Schüttergebiets eine ziemlich zentrale 
Lage einnimint. Den Ausgangsort des Erdbebens näher 
lokalisiren zu wollen, erscheint gewagt. Als sehr wahrschein¬ 
lich ist jedoch anzunehmen, dass das Erdbeben von der 
Grenzlinie zwischen Granit und Gneiss ausging, welche, gros- 
seutheils allerdings durch untercarbone Ablagerungen über¬ 
deckt, von der Bärhalde längs des Südostabhanges des Her- 
zogenhorns nach SSW. zieht. Diese Linie fällt nahezu 
in die Verbindungslinie der beiden entferntesten Punkte 
des geschlossenen Schüttergebiets Schramberg- Pratteln. 
Es stehen mit dieser Annahme ferner die meisten der beob¬ 
achteten Fortpflanzuugsrichtungen sehr wohl im Einklang. 
Auch diejenigen Zeitbestimmungen, welche noch als die 
relativ besten angesehen werden mussten, widersprechen 
derselben keineswegs. Das in Menzenschwand beobachtete 
Vorbeben weist ebenfalls darauf hin, dass dieser Ort dem 
Ausgangsort des Erdbebens sehr nahe liegt. Endlich führt 
auch eine Vergleichung unseres Erdbebens mit demjenigen 
vom 21. April 1885 zu dem gleichen Ergebniss. Dasselbe 
war allerdings schwächer und weniger ausgedehnt, zeigt aber 
im übrigen grosse Uebereinstimmung mit unserem Erdbeben, 
namentlich auch in Bezug auf die beobachteten Fortptian- 
zungsrichtungen, ist daher zweifellos auf die gleichen Ursachen 
zurückzuführen. Die über dasselbe vorliegenden Beobach¬ 
tungen weisen ebenfalls auf den Südostabhang des Feldberg¬ 
massivs als Ursprungsort hin (vergl. Knop „das Erdbeben der 
Feldberggruppe vom 21. April 18S5“, diese Zeitschrift Bd. 10. 
Abhand]. S. 62—67). Die bezeichnete Grenzlinie zwischen 
Granit und Gneiss dürfte daher als die wahrscheinliche Erd- 
bebenaxe anzusehen sein. 

Zur Berechnung der Tiefe des Erdbebenherdes fehlt jede 


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Grundlage. Da aus den Zeitangaben wenigstens so viel her- 
vorgeht, dass das Erdbeben eine gewisse Zeit, mindestens 
6 Minuten brauchte, um sich über das gesamnite Schütter¬ 
gebiet auszubreiten, so ist doch wohl die Annahme berechtigt, 
dass der Erdbebenherd nicht in sehr grosser Tiefe lag. Auch 
über die Ursache des Erbebens sind natürlich nur Vermu¬ 
thungen möglich. Am wahrscheinlichsten ist es, eine geringe 
Verschiebung zwischen Gneiss und Granit als Ursache anzu¬ 
sehen, doch könnte man auch an eine Auslösung von Span¬ 
nungen denken, welche durch Nachfaltungen im Sinne der 
alten Faltung des Grundgebirges hervorgerufen wären. 


Fortpflanzung der Erschütterung. 

Entsprechend der Lage der Erdbebenaxe pflanzte sich die 
Erdbebenbewegung nach NO. und SW. weiter fort, als in den 
übrigen Richtungen. Doch waren, wie bei allen Erdbeben, 
für die Ausbreitung der Erdbebenwelle sehr wesentlich mit¬ 
wirkende Faktoren die Gesteinsbeschaft'enheit, die Lagerungs¬ 
verhältnisse und der Verlauf der grossen Verwerfungsspalten. 
Nach NW. quer zum Streifen des Gneisses erlitt die Er¬ 
schütterung rasch eine bedeutende Abschwächung. Die Orte 
im Simonswälder-, Glotter- und Elzthal gehören bereits 
sämmtlich der dritten Gruppe (schwächster Erschütterung) 
an. Nach NO. dagegen pflanzte sich die Erschütterung längs 
dem Streichen des Gneisses mit ziemlich unverminderter Stärke 
bis an den Rand des Triberger Grauitmassivs fort. Dieses 
selbst scheint gewissermassen als Wellenbrecher gedient zu 
haben. Von allen Orten, welche demselben angehören, wurde 
das Erdbeben nur in Schönacb, Nussbach, Brigach und 
Gremmelsbach, im letzteren nur noch das Erdbebengeräusch, 
wahrgenommen, während von einer Reihe anderer Orte direkt 
negative Nachrichten vorliegen. In den dem Triberger 
Granitmassiv östlich angelagerten Sedimentärschichten dagegen 
wurde die Erschütterung noch weiter nach N. bis in die Gegend 
von Schramberg fortgepflanzt. 

Sehr auffallend tritt der Einfluss der Gesteinslagerung 
auf die Fortpflanzung des Erdbebens in dem Triaszuge, der 
im südöstlichsten Theil des Schüttergebiets von SW. nach 


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NO. streicht, hervor. Nach der Lage desselben zu der Erd- 
bebenaxe hätte man erwarten sollen, dass die Erschütterung 
sich hier vorwiegend in der Richtung NW.—SO. oder NNW.— 
SSO. fortgeptianzt haben sollte. Beobachtet wurde aber 
ganz vorwiegend die Fortpflanzungsrichtung SW.—NO. Es 
haben also hier die Fortpflanzungsrichtungen eine Ablenkung 
im Sinne des Streichens der Schichten erlitten. Dass diese Auf¬ 
fassung die richtige ist, geht auch aus der Thatsache hervor, 
dass das erschütterte Gebiet an der grossen Verwerfung, die 
im mittleren Wutachthal von 0. nach W. verläuft, plötzlich 
unvermittelt abschneidet. Von fast allen Orten südlich der¬ 
selben liegen positive, von allen unmittelbar nördlich der¬ 
selben gelegenen, Stallegg, Boll, Ewatingen, Aselfingen, Ach- 
dorf und mehreren noch weiter nördlich gelegenen, wie Reisel¬ 
fingen, Seppenhofen, Löffingen negative und jedenfalls von 
keinem nördlich derselben gelegenen Orte bis nach Donau- 
eschingen hin positive Nachrichten vor. Es muss also die 
Erschütterung von S., bezüglich SW. her gegen die Ver¬ 
werfung vorgerückt und an ihr vollständig vernichtet oder 
zurückgeworfen sein. Wir haben hier also wieder ein schönes 
Beispiel für die neuerdings namentlich von Aug. Schmidt 
nachdrücklich hervorgehobene Thatsache, dass die Fort¬ 
pflanzungsrichtung keineswegs immer mit der Richtung nach 
dem Herde zusammenfällt (vergl. Aug. Schmidt, „Unter¬ 
suchung über zwei neuere Erdbeben“. Jahreshefte des Ver¬ 
eins für vaterl. Naturkunde in Württemberg 1890; derselbe 
„Fällt die Richtung der Erdbebenstösse in die Richtung der 
Fortpflanzung der Erdbebenwelle?“ Bericht über die Ver¬ 
sammlung des oberrheinischen geologischen Vereins 1S94). 

Der Einfluss der Verwerfungen macht sich auch im SW. 
deutlich bemerkbar. Namentlich die grossen Verwerfungen, 
welche das untere Wdesenthal und den Dinkelberg vom 
Schwarzwald trennen, haben sich als starke Hemmnisse für 
die Fortpflanzung der Erschütterung erwiesen. Dass auch in 
der Rheinebene, abgesehen von einigen Orten im Eisass und 
in der Freiburger Bucht, das Erdbeben nirgends mehr ge¬ 
spürt wurde, ist allerdings wohl nicht allein auf die Wirkung 
der den Westabfall des Schwarzwaldes begleitenden Ver¬ 
werfungen, sondern auch auf den Umstand zurückzuführen, 


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dass die lockeren Ablagerungen der Ebene Erschütterungen viel 
schlechten fortleiten, als die festen Gresteine des Gebirges. 

Die isolirten Schüttergebiete bedürfen noch einer be¬ 
sonderen Betrachtung. In den hochgelegenen Theilen von 
Donauescbingen und in Pföhren wurde die Erschütterung 
noch ziemlich stark wahrgenominen, während in der ganzen 
Umgebung dieselbe sich theils gar nicht, theils nur sehr 
schwach bemerklich machte, und namentlich aus zahlreichen 
Orten südlich und westlich von Donaueschingen direkt 
negative Nachrichten vorliegen. Es ist nun sehr bemerkens- 
werth, dass in keinem der ziemlich zahlreichen Berichte aus 
beiden Orten eine bestimmte Himmelsrichtung angegeben 
wird, nach welcher der Stoss sich fortgepflanzt hätte, dass 
dagegen in zwei Berichten (9 b 3 u. 20) ausdrücklich her¬ 
vorgehoben wird, dass der Stoss ein senkrechter von unten 
nach oben gerichteter gewesen sei, und hiermit auch die 
anderen Berichte sehr wohl übereinstimmen. Man gewinnt 
aus denselben den Eindruck, als ob hier ein sekundäres 
Schütterzentrum vorliege. Nun sind in Dürrheim, nördlich 
von Donaueschingen, in einer Tiefe von nicht ganz 100 m 
ziemlich mächtige Lager von Gyps und Steinsalz, also von 
Gesteinen, in denen sich häufig durch Auslaugung Hohlräume 
bilden, erbohrt, und diese Lager setzen sich aller Wahrschein¬ 
lichkeit nach gegen S. bis über Donaueschingen hinaus fort 
(siehe Vogelgesang „Geologische Beschreibung der Um¬ 
gebungen von Triberg und Donaueschingen“ Karlsruhe 1872, 
S. 80—82). Demnach dürfte es als ziemlich sicher anzusehen 
sein, dass die Erschütterung in Donaueschingeu und Pföhren 
nicht als unmittelbare Fortpflanzung der Haupterschütterung 
anzusehen ist, sondern hervorgerufen ist durch einen kleinen 
Einsturz innerhalbder Gyps- oder Steinsalzlagerim Untergründe 
dieser Orte, der selbst allerdings wohl unter Einwirkung 
des Erdbebens im Schwarzwalde zu Stande gekommen ist. 

Einigermassen räthselhaft erscheint die Fortpflanzung 
der Erschütterung im Eisass längs der Linie St. Ludwig- 
Mülhausen, während im übrigen das Erdbeben in der Rhein¬ 
ebene nicht mehr wahrgenommen wurde. Am wahrschein¬ 
lichsten ist die Annahme, dass es sich auch hier um ein so¬ 
genanntes Relaisbeben, um eine durch das Hauptbeben 

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hervorgerufene Auslösung von Spannungen längs einer in 
jener Richtung in der Tiefe verlaufenden Dislokationslinie 
handelt. Ein unmittelbarer Beweis für diese Annahme lässt 
sich allerdings nicht erbringen. Doch darf wohl darauf hin- 
gewiesen werden, dass im Sundgau und besonders in der 
Umgebung von Mülhausen schon mehrfach selbständige, 
nicht von anderen Gegenden nach dort fortgepflanzte Erd¬ 
erschütterungen beobachtet sind, so am 18. August 1728, 
am 1. September und 2. Dezember 1761, am 11. März 1816. 
am 29. Januar 1835, am 24. Januar 1840, am 4. März 1859 
(vergl. Langenbeck: „Die Erdbebenerscheinungen in der Ober¬ 
rhein. Tiefebene und ihren Umgebungen“. Geogr. Abhand¬ 
lungen aus dem Reichsland Elsass-Lothringen Heft I und II.) 

Schluss. 

Als Resultate der vorstehenden Untersuchung dürften 
wir angeben: Das Erdbeben vom 13. Januar 1895 ging 
wahrscheinlich aus von der am Südostabhang des 
Feldbergmassivs von NNO. nach SSW. verlaufenden 
Grenzlinie zwischen Granit und Gneiss. Von hier 
pflanzte sich die Erschütterung nach NO. und SW. 
weiter als in der anderer Himmelsrichtungen fort. 
Im W., SW. und im mittleren Wutachthal ist das ge¬ 
schlossene Schüttergebiet durch Verwerfungen, im 
N. durch das Triberger Granitmassiv ziemlich scharf 
begrenzt, während im S., SO. und NO. eine scharfe 
Grenzlinie für dasselbe sich nicht angeben lässt. In 
der Umgebung von Donaueschingen und im Sundgau 
wurden durch das Hauptbeben sekundäre Erschütte¬ 
rungen, sogenannte Relaisbeben, hervorgerufen. 

Viele Erscheinungen bleiben allerdings noch unerklärt, 
so, wesshalb am Triberger Granitmassiv die Erschütterung 
sich brach, während die Granitmasse des südwestlichen 
Schwarzwaldes dieselbe sehr gut weiterleitete, weshalb die 
Erschütterung an verschiedenen Orten von so verschiedener 
Dauer, weshalb im S. und SO. des Schüttergebiets der Schall 
der Erschütterung voranging, während er in den übrigen 
Gebieten gleichzeitig mit dieser wahrgenommen wurde. 


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Die Geschichte der Pocken 
und der Schutzpockenimpfungen. 

Von Dr. med. K. Doll. 

Am 14. Mai 1896 sind 100 Jahre seit der ersten ziel¬ 
bewussten Kuhpockenimpfung durch den englischen Arzt Jenner 
verflossen. Dieser Umstand rechtfertigt es wohl, einen Rück¬ 
blick auf die Geschichte der Pocken und der Schutzpocken- 
iinpfungen zu werfen, dies umsomehr, als z. Zt. die Impffrage, 
wenigstens nach ihrer praktischen Seite hin, zu einem gewissen 
Abschluss gediehen zu sein scheint. 

Nach den angestellten Forschungen darf es wohl als aus¬ 
gemacht gelten, dass die Pocken- oder Blatternseuche lat. 
Variola aussereuropäischen Ursprungs ist und dass sie den 
Boden unseres Erdtheils erst mit dem Beginn des Mittelalters 
betreten hat. Auch die asiatischen und afrikanischen Küsten¬ 
länder des Mittelmeeres scheinen vor dieser Zeit von ihr frei 
gewesen zu sein, wenigstens ist uns weder in ägyptischen 
Urkunden, noch im alten oder neuen Testament, noch in 
Schriften des klassischen Alterthums eine Krankheitsbeschrei¬ 
bung überliefert, welche auf die Blattern passen würde. Dass 
flas alte Reich der Pharaonen die Blattern nicht gekannt hat, 
folgert man auch aus der Thatsache, dass bis jetzt noch 
keine mit Blatternnarben versehene Mumie gefunden worden 
ist, während sonstige Narben als Residuen von allerhand 
Verletzungen an ihnen nichts ungewöhnliches sind. Für das 
alte Rom, wo man ja, wie schon aus den darauf bezüglichen 
Eigennamen ersichtlich ist, körperlichen Eigentümlichkeiten 
und Gebrechen lebhafte Beachtung schenkte, wird darauf 

so* 


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468 


hingewiesen, dass nirgends in der lateinischen Litteratur, 
namentlich nicht in Satyren und Comödien, eines Menschen 
mit Pockennarben Erwähnung geschieht. Allerdings berichtet 
das zweite Buch Moses Cap. 9 Vers 10 u. ff. von bösen 
schwarzen Blattern (in Luthers Uebersetzung) als einer der 
10 ägyptischen Plagen, welche Menschen und Vieh befielen. 
Indessen wird von den Bibelforschern mit guten Gründen 
angenommen, dass es sich dabei um einen in Aegypten auch 
heute noch endemischen Hitzeausschlag oder um die dort nicht 
minder verbreitete Krätze gehandelt habe. Desgleichen wird 
das Sterben aller ägyptischen Erstgeburt als letzte Plage als 
eine Wirkung der auch von altersher in Aegypten heimischen 
Beulenpest aufgefasst. Es scheint vielmehr, dass die Wiege 
der Blattern in Ostasien, namentlich in Hindostan und China 
zu suchen ist, andererseits sollen sie auch im Innern von 
Afrika unter der schwarzen Menschenrasse seit uralten Zeiten, 
wie ja auch jetzt noch, gehaust haben. Mangels schriftlicher 
Ueberlieferungen aus dem dunkeln Erdtheil ist indessen diese 
Annahme ebensowenig mit Sicherheit zu beweisen, wie zu 
widerlegen. In Arabien sesshaft ist die Krankheit sicher erst 
seit etwa der Mitte des sechsten Jahrhunderts, wo sie bei 
einer Belagerung Mekka’s durch die Abyssinier zum ersten 
Mal auftrat und das Belagerungsheer aufrieb. Von da hat 
sie dann in die Länder des Islams offenbar rasche Verbreitung 
gefunden. Der erste Einbruch in Europa erfolgte im Jahre 
581, wo eine furchtbare Epidemie, namentlich in Südfrank¬ 
reich und Italien, herrschte. In den Familien der Merovin- 
gischen Könige Chilperich und Guntram forderte sie u. a. 
schwere Opfer. Späterhin haben namentlich die Kreuzzüge 
mit ihrem Menschengewoge viel zur Generalisirung der Seuche 
beigetragen. Den verwegenen Fahrten der Normannen schreibt 
man die Verschleppung nach den nordischen Küstenländern, 
nach England, Dänemark, Island und von da nach der West¬ 
küste Grönlands zu. Die ersten zuverlässigen Nachrichten 
über das Auftreten der Blattern in Deutschland fallen merk¬ 
würdiger Weise erst in das Jahr 1493, noch später kamen 
sie nach Schweden und Russland. Ihren verderblichen Kreis 
um den Erdball haben sie dann mit dem Uebertritt auf das 
amerikanische Festland geschlossen. Es ist wohl sicher, dass sie 


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469 


dort früher nicht bekannt waren und erst durch die spanischen 
Eroberer (zuerst 1527 nach Mexiko) eingeschleppt wurden. 
Mehr noch als die Feuerwaffen und das Feuerwasser des 
weissen Mannes haben sie dort unter der Urbevölkerung auf¬ 
geräumt. In Europa erreichten die Pocken ihren Höhepunkt 
an Ausbreitung und Intensität im Laufe des 18. Jahrhunderts. 
Sie waren damit zur dominirenden Volkskrankbeit in des 
Wortes schlimmster Bedeutung geworden. Die Berichte über 
die Pockensterblichkeit .aus jener Zeit lauten geradezu schauer¬ 
lich. Sie betrug z. B. in England durchschnittlich */»» der 
Gesammtmortalität, in Frankreich rund 30 000 Menschen 
jährlich, im damaligen Gebiet der preussischen Monarchie 
allein im Jahre 1796 nicht weniger als 26 646 Seelen. Und 
viele von den Wenigen, welche die Krankheit glücklich über¬ 
standen, waren zeitlebens zu Krüppeln geworden oder zum 
mindesten durch die bekannten Narben entstellt. Eine Art 
Galgenhumor machte sich in dieser Pockennoth damals in 
dem geflügelten Wort Luft: Von Pocken und Liebe bleiben 
nur wenige frei. 

Bekanntlich sind die natürlichen Blattern eine in hohem 
Grade contagiöse Krankheit, und zwar ist ihr Contagium ein 
flüchtiges, volatiles, das also durch die Luft seine Verbrei¬ 
tung findet. Man glaubt sich durch Beobachtungen, für 
deren Unanfechtbarkeit allerdings wohl Niemand einstehen 
kann, zu der Annahme berechtigt, dass ein Pockenkranker 
bis auf 100 Meter Entfernung für Andere ansteckend sein 
könne. Die Empfänglichkeit für die Pocken ist eine sehr 
allgemeine, aber nicht absolute, wie wir dies von den Masern 
wohl sagen können. Es gab immer genug ungeimpfte Per¬ 
sonen, ca. 1 i, derselben, welche trotz gegebener Ansteckungs¬ 
gelegenheit nicht befallen wurden. Wohl nur dieser Umstand 
der weit verbreiteten Empfänglichkeit für beide sonst so 
grundverschiedene Krankheiten macht es erklärlich, dass 
selbst die Aerzte im frühen Mittelalter Masern und Pocken 
vielfach für dieselbe Krankheit ansahen. Aus demselben 
Grund wurden auch die Pocken mit der Zeit zu einer vor¬ 
wiegenden Kinderkrankheit, da eben jeweils bei Ausbruch 
einer Epidemie die älteren Generationen schon mehr oder 
weniger durchseucht waren. Wir kommen damit auf die 


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sehr wichtige Eigentümlichkeit der Blattern, die sie ja mit 
einigen andern Infektionskrankheiten gemein haben, dass- 
nämlich das einmalige Ueberstehen, und zwar einerlei ob die 
Krankheit nur ganz leicht oder ob sie schwer auftrat, gegen 
eine spätere Erkrankung mit nahezu vollkommener Sicher¬ 
heit schützt. Nicht nur eine der mörderischsten, auch eine 
der scheusslichsten Krankheiten sind die Blattern. Es möge 
dies durch eine Schilderung belegt werden, welche Kussmaul 
in seinen 20 Briefen über Menschenpocken- und Kuhpocken¬ 
impfung mit folgenden Worten gibt: 

„Wenigen Familien war es wohl erspart, ein liebes Kind r 
eine gute Mutter, einen theuren Vater zu einer fiebernden, 
schmerzgequälten, am ganzen Körper zur Unkenntlichkeit 
angeschwollenen und durch Geschwulst und Entzündung 
blinden, heiseren, mit Eiter und Borken von Kopf bis zu 
Fuss bedeckten, die Luft verpestenden, unförmlichen Masse 
umgewandelt zu sehen. Andere Seuchen quälen uns auch 
mit Fieber, Schmerz und Pein der mannigfachsten Art, keine 
aber entstellt uns so abscheulich, erschwert auch der auf¬ 
opferndsten Liebe so ihre Aufgabe. Die zärtlichste Mutter 
muss irre daran werden, ob dieses beulenbedeckte Jammer¬ 
bild, diese scheussliche Larve wirklich die Hülle jener ge¬ 
liebten Seele ist, die noch vor wenigen Tagen des Herzens 
Freude und Abgott gewesen, und die Lippe muss den Dienst 
versagen, wenn die harte Stunde kommt, wo es gilt, aufs 
entstellte Antlitz den Abschiedskuss für’s Leben zu drücken.“ 

Was Wunder, dass die Menschen angesichts solchen 
Jammers und Elendes, wie es uns die Pockennoth, nament¬ 
lich des vorigen Jahrhunderts zeigt, mit dem Muth der Ver¬ 
zweiflung zu Massregeln griffen, die — wenn auch selbst 
gefährlich — doch einigen Schutz versprachen, mit einem 
Muth der Verzweiflung, mit dem verglichen uns die Aengst- 
lichkeit vieler Eltern gegenüber unserer jetzigen so vervoll- 
kommneten Impfmethode fast komisch anmuthen muss. Eine 
sehr merkwürdige und keineswegs hinreichend erklärte Be¬ 
obachtung bot einen Hoffnungsschimmer. Passierte es näm¬ 
lich zufällig, dass Personen nicht auf dem gewöhnlichen 
Weg durch die Luft, sondern durch direkten Kontakt eiuer 
kleinen Hautverletzung mit Blatternkranken bei deren Pflege 


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471 


angesteckt wurden, so verlief die daraus entstehende Er¬ 
krankung leichter und weit seltener tödtlich. Man kam 
also darauf, sich künstlich in dieser Weise mit dem Gift 
der genuinen Menschenblattern zu infiziren, uin damit eine 
leichtere Erkrankung an den richtigen Blattern zu erzielen 
und für später gefeit zu sein. Auch trieb derselbe Muth der 
Verzweiflung dazu, bei nur leicht Erkrankten absichtlich die 
Ansteckung zu suchen, z. B. durch Anziehen ihrer Kleider 
in der gewiss oft schwer getäuschten Hoffnung, dann auch 
selbst nur leicht zu erkranken. Pockeokaufen nannte man 
dieses heroische Verfahren und es wurde thatsächlich Geld 
bezahlt für die Erlaubnis, sich von einem solchen Kranken 
anstecken zu lassen. 

Wir stehen damit vor dem Begriff der Variolation, 
d. h. der absichtlichen Inokulation der genuinen Menschen¬ 
blattern. Heute wissen wir, dass schon seit alten Zeiten 
diese Art der Einimpfung der Menschenblattern in China 
und Ostindien, in letzterem Land durch die Braminen geübt 
wurde. In den Ländern am Kaukasus, namentlich in Cir- 
cassien und Georgien, war es üblich, die schönen Töchter 
des Landes, die in die türkischen Harems verhandelt werden 
sollten, in dieser Weise impfen zu lassen, um eine spätere 
Entstellung durch Blatternnarben unmöglich zu machen. Im 
Jahre 1672 erscheint diese Art der Impfung, durch eine 
circassische Frau eingeführt, zuerst auf europäischem Boden 
in Konstantinopel. Dort lernte sie die Gemahlin des eng¬ 
lischen Gesandten bei der Pforte Lady Montaguc kennen. 
Ihren Sohn hatte sie schon 1717 in Konstantinopel impfen 
lassen, ihre Tochter wurde 1720 in London geimpft. Damit 
war diese Art der Impfung nach England verpflanzt. Manche 
folgten nach, viele, namentlich auch viele Aerzte wollten 
Nichts von diesem kühnen Verfahren wissen. Doch die 
praktischen Engländer fanden bald einen Weg, um der 
Sache auf den Grund zu kommen. Man impfte im Jahre 
1721 sieben zum Tode verurtheilte Verbrecher, alle sieben 
überstanden die eingeimpfte Krankheit leicht und zeigten 
sich darnach im Verkehr mit Blatternkranken immun. Da¬ 
mit war das Eis gebrochen und nach dem Vorgang der 
königlichen Familie wurden zahlreiche derartige Impfungen 


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ausgefiihrt. Der Rückschlag auf den ersten Enthusiasmus 
blieb nicht lange aus. Was hatte man auch erreicht? Man 
erzeugte durch diese Impfung eine Krankheit, die sogenannte 
Varioline, welche immernoch eine Sterblichkeit von ca. 2 Proz. 
aufwies, während allerdings von den Ungeiinpften 14 vom 
100, in schlimmen Epidemien auch vielmehr starben. Vor 
allem aber, und das war die bedenklichste Seite, leistete 
man der allgemeinen Verbreitung der Krankheit Vorschub. 
Jeder so künstlich geblätterte Mensch reproduzirte das Gift 
in’s ungemessene und wurde für seine noch nicht geblätterte 
Umgebung ein Infektionsherd auf dem Wege der gewöhn¬ 
lichen Uebertragung durch die Luft. So wurden in dem 
volkreichen London viele Infektionen herbeigeführt und das 
Wüthcn einer schlimmen Epidemie im Jahre 1723 führte 
einen Parlamentsbeschluss herbei, welcher die Variolation, 
d. h. also die künstliche Einimpfung der Menschen blättern 
verbot. Doch damit war die Sache nicht abgethan. Im 
Jahre 1738 herrschte in der Provinz Carolina in Nordamerika 
eine mörderische Blatternseuche. In der äussersten Noth und 
Verzweiflung griff man wieder auf die Impfungen zurück 
und siehe da: nunmehr starben von 100 Geimpften nur noch 
8, während vorher fast Alle erlegen waren. Diese Resultate 
regten zu neuen Versuchen im englischen Mutterlande an 
und von da an wurde die Menschenblatternimpfung in Eng¬ 
land nicht mehr aufgegeben. Man bemühte sich eifrig um 
die Verbesserung der Methode, man gründete eigene öffent¬ 
liche und private Einimpfungshospitäler. Selbst nach Ein¬ 
führung der Kuhpockenimpfung der Vaccination hielt sich 
die Menschenpockenimpfung die Variolation noch längere 
Zeit in England in Laienhänden als ein einträgliches Geschäft, 
bis ihr ein erneuter Parlamentsbeschluss vom Jahre 1840 
endgiltig das Lebenslicht ausblies. Wenn wir das Facit aus 
der Variolation ziehen, so ist es Folgendes: Die Variolation 
bot dem Einzelnen, der in der Lage war und den Muth 
hatte, sich impfen zu lassen, weit günstigere Chancen des 
unversehrten Ueberstehens, als die natürlich acquirirten 
Blattern. War man doch am Ende des vorigen Jahrhunderts 
durch Verbesserung der Methoden dahin gekommen, dass 
beispielsweise unter den Händen der berühmten deutschen 


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Aerzte Hufeland und G. P. Hofmann die Sterblichkeit der 
künstlich Geblätterten nur noch 1 auf mehrere 1000 betrug. 
Dagegen wurde die Gefahr für die übrige Bevölkerung wesent¬ 
lich gesteigert, weil — wie oben schon dargethan — immer 
neue Ausgangsherde für die Seuche künstlich geschaffen 
wurden. So wurde thatsäcblich die Sterblichkeit an den Pocken 
namentlich in den grossen Städten bei Anwendung der 
Variolation gesteigert, nicht vermindert. Diese war also hilf¬ 
reich dem Einzelnen, verderblich für die Gesammtheit und 
damit musste sie fallen. Nur unter einer Bedingung hätte 
durch diese Inoculationsmethode der Pockennoth wirklich ge¬ 
steuert werden können, und dahin gehende Vorschläge wurden 
auch allen Ernstes gemacht, wenn man nämlich sämmtliche 
noch nicht natürlich oder künstlich geblätterte Menschen bei¬ 
spielsweise in ganz Europa zu gleicher Zeit hätte impfen 
können. Solche Plänemacher wurden damals als Phantasten 
verlacht, doch muss man sagen, dass bei unseren heutigen 
Verkehrsmitteln und unter dem Schutz eines gesetzlichen 
Impfzwanges die Ausführung einer solchen Idee nicht so 
ganz ausser dem Bereiche der Möglichkeit läge. Doch haben 
wir zum Glück solche heroische Massregeln nicht mehr 
nöthig, nachdem die Hilfe aus einem anderen Reich, näm¬ 
lich dem Thierreich sich eingestellt hat. Wir müssen damit 
zunächst von den Menschenpocken auf die Thierpocken 
übergehen. 

Es erkranken nämlich auch eine Anzahl Thierspezies 
an Affektionen, welche mit den Menschenblattern identisch 
oder mindestens nahe verwandt sind. Es sind dies die 
Pferde, Schafe, Ziegen, Kamele, Hunde und Schweine und 
vor Allem das Rindvieh. Am genauesten gekannt von diesen 
Thierpocken sind die Schafpocken, Pferdepocken und Kuh¬ 
pocken, die Variola ovina, Variola equina und Variola bovina 
oder vaccina auch kurzweg als Ovine, Equine und Bovine 
bzw. Vaccine bezeichnet. Die grösste Aehnlichkeit von diesen 
mit den Menschenpocken haben die Schafpocken, insofern 
als sie auch unter schweren häufig tödtlichen Allgemein¬ 
erscheinungen mit einem über den ganzen Körper verbreiteten 
Ausschlag epidemisch auftreten und ihr Contagium wie bei 
den Menschenpocken ein sehr volatiles, verbreitungsfähigesr 


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ist. Die Heimath der Ovine ist namentlich der Osten 
Europas. Die Pferdepocken stellen einen auf die Gegend der 
Fesselgelenke der Thiere beschränkten pustulösen, im Ganzen 
weniger gefährlichen Ausschlag dar, welcher früher häufig 
mit der sog. Mauke, einer phlegmonösen Entzündung derselben 
Gegend verwechselt wurde. Bei weitem die wichtigsten sind 
die Variola bovina oder meist vaccina genannt, weil sie last 
nur an den weiblichen Thieren und zwar ausschliesslich an 
den Eutern bzw. Zitzen zur Zeit der Lactation Vorkommen. 
Die dabei an den Eutern aufschiessenden Vaccinebläschen 
lassen die Milchkühe nur leicht und ungefährlich erkranken 
und — was das Wichtigste ist — ihr Contagium ist ein 
ausschliesslich fixes, das also nur durch direkte Berührung 
infiziren kann. Wann und wo diese verschiedenen Thier¬ 
pocken speziell die Kuhpockenkrankheit, die uns ja weitaus 
am meisten interessirt, zuerst aufgetaucht sind, das ist nicht 
festzustellen. Die naheliegende Auffassung, als ob sie etwa 
immer wieder aus den Menschenpocken entständen, muss an 
der Hand der Erfahrung als unzutreffend zurückgewiesen 
werden. Die Thierepidemien, nämlich bei den Schafen Heerden- 
epidemien, bei Pferden und Kühen Stallepidemien, letztere 
im Allgemeinen recht selten und von geringer Ausdehnung, 
zeigten sich nach Ort und Zeit von den menschlichen 
Epidemien durchaus unabhängig. Wir müssen vielmehr an¬ 
nehmen, dass die Thierpocken speziell die Kuhpocken vor 
Alters zwar vielleicht einmal aus den Menschenpocken ent¬ 
standen sind, seither aber als eine selbständige Krankheit 
fortexistiren, die ihren eigenthümlichen modifizirt milden 
Charakter zu unserm Glück mit grosser Zähigkeit festhält. 

Wir haben also hier das von der Natur allein ausgeführtc 
hoch interessante Experiment vor uns, dass eine Infektions¬ 
krankheit durch Verpflanzung auf einen anderen Wirth, auf 
einen anderen Nährboden, einen anderen Charakter erhält 
und dass dieser modifizirte Charakter durch ungezählte 
Generationen konstant bleibt. Ja des Merkwürdigen noch 
mehr, — und damit greifen wir den späteren Ausführungen 
vor — verpflanzen wir diese im Thierkörper modifizirte Krank¬ 
heit auf den Menschen zurück, so behält sie auch hier ihren 
veränderten Charakter unentwegt bei und fällt nicht etwa in 


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die Menschenkrankbeit wieder zurück, ja sie lässt sich von 
Mensch zu Mensch durch ungezählte Generationen unverändert 
fortzüchten. Und schliesslich das Allermerkwürdigste: die 
auf den Menschen zufällig oder absichtlich übertragenen Kuh¬ 
pocken machen ihn für die Ansteckung mit den ächten 
Menschenpocken unempfänglich — wohl ein Hinweis darauf, 
dass die beiden Krankheiten nicht verschiedene Krankheits¬ 
spezies, sondern Spielarten derselben Spezies sind. Es darf 
hier wohl noch eingeschaltet werden, dass wir als Ursache 
sämmtlicher Pockenkrankheiten organische Erreger annehmen 
müssen, wenn es auch den eifrigsten Bemühungen bis jetzt 
nicht geglückt ist, den betreffenden Mikroorganismus mit 
Sicherheit nachzuweisen. Neuerdings ist von L. Pfeiffer eine 
geisseltragende Amöbe beschrieben worden, welche der Erreger 
sowohl der Variola als der Vaccine sein soll. Doch bleiben 
weitere Untersuchungen darüber noch abzuwarten. Die That- 
sache der unbegrenzten Reproduktion eines Contagiums im 
erkrankten Körper können wir uns nur als Wirkung eines 
sich vermehrenden organischen Erregers denken. Auch wird 
unter dieser Annahme, wenn wir nur an die Erzeugung von 
Spielarten im Pflanzenreich denken, die Bildung von Krank¬ 
heitsmodifikationen unserm Verständniss entschieden näher 
gerückt. Doch kehren wir nach dieser mehr theoretischen 
Abschweifung zur Geschichte zurück. 

Von den ersten 70 er Jahren des vorigen Jahrhunderts 
an praktizirte in seiner Vaterstadt Berkeley, einem Markt¬ 
flecken von ca. 800 Einwohnern in der englischen Grafschaft 
Gloucester, der Wundarzt Edward Jenner. Geboren am 
17. Mai 1749 als Sohn des dortigen Geistlichen und Schul- 
rektorS hatte er schon frühe durch naturwissenschaftliche 
Studien die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf sich gelenkt. 
Der bekannte Weltumsegler Capitän Cook trug ihm die Stelle 
eines Naturforschers für seine zweite Weltreise an, doch lehnte 
Jenner zu Gunsten seiner ärztlichen Niederlassung in seiner 
Heimath das Anerbieten ab. Seine ärztliche Thätigkeit, die 
ihn namentlich viel auf die grossen Maiereien der Grafschaft 
hinausführtc, liess ihm auch später noch Zeit zu natur¬ 
wissenschaftlichen, namentlich vergleichend anatomischen 
Studien. Mit seinem früheren Lehrer und Freund, dem be- 


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rühmten Arzt John Hunter stand er in lebhaftem schriftlichen 
Verkehr über Alles, was ihm Herz und Kopf erfüllte. Ueber 
Jenner’s äussere Erscheinung erfahren wir von einem seiner 
Freunde Folgendes: „Sein Aeusseres verrieth nichts Ausser¬ 
ordentliches, er war unter mittlerer Grösse, kräftig und wohl¬ 
gebaut, sein Gesichtsausdruck ernst aber mild, seine Kleidung 
gewählt und pünktlich, seine Maniren elegant. Alles verrieth 
an ihm den gesetzten und sorgfältigen Mann. Er trug — 
so erzählt sein Freund — als ich ihn zum erstenmale sah, 
einen blauen Rock mit gelben Knöpfen, glänzend gewichste 
Jockeystiefel mit silbernen Sporen, in der Hand eine Reit¬ 
peitsche mit silbernem Griff, auf dem Kopfe, dessen Haare 
wohl geordnet, einen breitkrämpigen Hut. Das ganze Bild 
eines Gentleman.“ 

Wie Jenner selbst erzählt wurde seine Aufmerksamkeit 
auf die Kuhpocken und ihre Schutzkraft zuerst gelenkt, als 
er noch bei einem Landwundarzt in der Lehre war, und zwar 
durch eine Bäuerin, welche gelegentlich äusserte, sie könne 
die Menschenpocken nicht bekommen, da sie die Kuhpocken 
gehabt habe. Jenner erfuhr bald, dass dies ein in dortiger 
Gegend allgemein verbreiteter Volksglaube sei. Seitdem ver¬ 
lor er die Sache nicht aus den Augen. Es wird uns be¬ 
richtet, dass Jenner als Mitglied einer ärztlichen Gesellschaft, 
welche in Alveston 10 englische Meilen von Bristol ihre 
Versammlungen abhielt, immer wieder die Frage von der 
Schutzkraft der Kuhpocken zur Sprache brachte. Er fand 
aber so wenig Gehör und Glauben, dass man ihn scherzweise 
mit der Ausschliessung bedrohte, wenn er fortfahre, seine 
Kollegen mit einem so unfruchtbaren Thema zu behelligen. 
Die mit grosser Geduld und Ausdauer fortgesetzten Beob¬ 
achtungen führten Jenner schliesslich zu folgender fundamen¬ 
talen Thatsache: bei den Milchkühen der grossen Maiereien 
traten da und dort Erkrankungen an Kuhpocken, Vaccine, 
in Form von Stallepidemien auf. Passirte es nun, dass 
Melker oder Melkerinnen in einem bestimmten Stadium der 
Kuhpocken durch Vermittelung kleiner Verletzungen an den 
Händen sich infizirten und an ihren Händen also dieselben 
Vaccinepusteln bekamen, so waren diese Personen für die 
Ansteckung mit Menschenblattern nicht mehr empfänglich. 


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Nichts lag also näher, als die Kuhpocken absichtlich auf den 
Menschen zu übertragen, d. h. ihn zu vacciniren. Die erste 
zielbewusste Vaccination führte Jenner am 14. Mai 1796 
aus, indem er von der ächten Kuhpocke an der Hand des 
Milchmädchens Sarah Nelmes einen achtjährigen Knaben 
impfte. Einige Zeit später inoculirte er denselben Knaben 
mit ächten Menschenpocken, doch versagte die Inoculation 
vollkommen. Damit war experimentell der Beweis der Schutz¬ 
kraft der Kuhpocken geliefert. Erst im Jahre 1798 konnte 
Jenner seine Versuche in grösserem Umfange wieder auf¬ 
nehmen, da zwischendurch die Kuhpocken in seiner Heimath 
erloschen waren. Er konnte dann bald den zweiten Fundamen¬ 
talsatz aufstellen und experimentell beweisen, dass die Kuh¬ 
pocke auch durch eine Reihe von Menschen fortgepflanzt, 
also immer von Mensch zu Mensch verimpft sich nicht merklich 
verändert und vor Allem nichts von ihrer Schutzkraft gegen 
die Menschenpocken einbüsst. Es bleibt demnach Jenner’s 
unvergänglicher Ruhm und unvergängliches Verdienst um das 
Wohl der Menschheit, mit bewunderungswürdiger Ausdauer 
seinen Gegenstand verfolgt und schliesslich wissenschaftlich 
exakt die beiden Fundamentalsätze bewiesen zu haben: 1. Die 
Kuhpocke schützt den Menschen vor den Menschenpocken 
und 2. die Kubpocken sind von Mensch zu Mensch weiter 
verimpfbar ohne Einbusse dieser SehutzkrafL 

Thatsächlich ist Jenner rein chronologisch nicht der 
erste, der vaccinirt hat. Von nicht sicher bewiesenen Nach¬ 
richten über frühere Vaccinationen in England und Frankreich 
abgesehen, gebührt der Ruhm der Priorität einem deutschen 
Schulmeister. Der Landschullehrer Plett zu Hasselburg in 
Holstein impfte im Jahr 1791 drei Kinder des Pächters 
Martini mit Kuhpockengift. Die drei Kinder blieben von den 
Pocken gänzlich verschont, als im Jahre 1794 ihre anderen 
Geschwister schwer daran erkrankten. Plett scheint zu 
weiteren Versuchen keinen Muth gehabt zu haben, denn eines 
der von ihm geimpften Kinder bekam eine heftige Entzündung 
am Arm. Plett hat nämlich sehr unzweckmässiger Weise 
seine Impfungen an den Fingern vorgenommen, wo die Impf¬ 
wunden nachträglicher Verunreinigung am allermeisten aus¬ 
gesetzt sind. 


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Dass Jenner’s Veröffentlichungen das allergrösste Auf¬ 
sehen erregten, lässt sich denken. Die Meinungen waren 
natürlich getheilt, auf der einen Seite die Enthusiasten, 
welche nun mit einem Male alle Pockennoth für immer ge¬ 
bannt glaubten, auf der andern Seite die ängstlichen Ge- 
müther, welche die Uebertragung auch noch anderer Eigen¬ 
schaften von der Kuh auf den Menschen fürchteten und die 
allmähliche Degeneration der Menschheit durch fortgesetzte 
Impfungen zum lieben Vieh prophezeiten oder gar die From¬ 
men , welche es für eine Sünde erklärten, dem Gang der 
göttlichen Vorsehung in die Räder fallen zu wollen. Doch 
machte man sich auch alsbald daran, nachzuprüfen und über¬ 
all zeigte sich die Bestätigung der Jenner’schen Lehre. So 
waren bis zum August 1800 in London durch die dortigen 
Aerzte schon 15 000 Menschen glücklich mit Kuhpockenstoff 
geimpft und bei ungefähr 5000 derselben wurde der nach- 
herige Versuch mit der Einimpfung von Menschenblattern¬ 
stoff gemacht, ohne dass die Blattern bei einem Einzigen 
von ihnen ausgebrochen wären, ln Oxford impfte man 326 
Personen im Alter von 11 Tagen bis zu 75 Jahren, 173 von 
diesen Geimpften wurden später die Blattern ohne Eftekt 
eingeimpft. Der Konsul Bonaparte der damaligen fran¬ 
zösischen Republik setzte eine ärztliche Prüfungskommission 
nieder. Dieselbe vaccinirte 150 Kinder, von denen 19 nach 
2—3 Monaten mit Menschenblatternstoff ohne Erfolg geimpft 
wurden. Die Nachprüfungen in Deutschland, namentlich durch 
Ballhorn und Stromeyer in Haunover, und Soeinmering in 
Frankfurt a./M., führten zu denselben Resultaten. Einige 
Daten aus unserer engeren Heiinath haben vielleicht noch be¬ 
sonderes Interesse. Die ersten Impfungen in grossem Mass¬ 
stab wurden bei uns in Pforzheim ausgeführt, namentlich 
von Dr. Roller, dem Vater des bekannten Ulenauer Arztes. 
Man begegnete damit nach dem Bericht des Leibarztes des 
Markgrafen Karl Friedrich von Baden auf’s glücklichste 
einer damals im Bezirke Pforzheim grassirenden Blattern¬ 
epidemie. Kein richtig vaccinirtes Kind wurde angesteckt 
und das Eindringen der Seuche wurde an vielen Orten durch 
die rechtzeitige Impfung aller Ungeblatterten verhütet. Aus 
den ersten Jahren des Jahrhunderts hören wir in Karlsruhe 


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die Doktoren Schweikhard, Flachsland, Zandt, Jägerschmidt 
als eifrige Impfärzte nennen. Dem Dr. Schütz in Bruchsal 
wird amtlich bezeugt, dass er, während in dem Dorf Unter¬ 
grombach die Blattern herrschten, 49 Kinder daselbst vac- 
cinirte. Von diesen 49 starb keines, von 59 nichtgeimpften, 
welche alle an den Blattern erkrankten, starben 13. Es 
muss rühmend hervorgehoben werden, dass neben anderen 
Gebildeten namentlich viele Geistliche aller Confessionen 
durch Belehrung selbst von der Kanzel herab und Bekäm¬ 
pfung der Vorurtheile, welche sich jeder neuen Sache ent¬ 
gegenstemmen, der raschen Verbreitung der segensreichen 
Jenner’schen Erfindung durch alle Volksschichten mächtigen 
Vorschub geleistet haben. Thatsächlich hat die Ausführung 
der Impfung schon in den ersten Jahren riesige Dimensionen 
angenommen. Namentlich in England wurden grosse Sum¬ 
men gestiftet, Gesellschaften zur Ausbreitung der Vacci- 
nation und öffentliche Impfanstalten errichtet, Impfstoff wurde 
in alle Länder Europa’s, nach Persien und Ostindien, nach 
Amerika und Neuholland geschickt. Jenner selbst wandte 
im Interesse der Impfsache aus eigenen Mitteln 6000 Pfund 
auf, für einen Landarzt eine respektable Summe. Doch 
zeigten sich seine Landsleute dankbar, indem ihm auf Wil¬ 
liam Pitts Antrag vom englischen Parlament zweimal Grati¬ 
fikationen, zuerst im Betrage von 10 000 und später von 
20 000 Pfund votirt wurden. Zu erwähnen ist noch, dass 
namentlich in Italien die Kuhpockenimpfung bald sich grosser 
Erfolge und Beliebtheit erfreute. Der Hauptförderer in 
diesem Land war der Arzt am Krankenhause in Mailand 
Ludovico Sacco. Ueberall, wo die Blattern ausbrachen, 
wurde er von der Regierung hingeschickt und es gelang ihm 
durch die Vaccination in glänzender Weise der Seuchen 
Herr zu werden. Ein Beispiel von vielen ist folgendes: In 
der kleinen Gemeinde Concasio starben durch bösartige 
Blattern von 100 Erkrankten zwischen 60 und 70. Sacco 
nahm eine allgemeine Impfung vor, der über 500 Personen 
unterzogen wurden. Dies hemmte wie mit einem Schlag 
Krankheit und Sterben. Von den 500 Geimpften erkrankten 
nur noch 11, welche schon vor der Impfung angesteckt 
waren. Indess verliefen bei diesen die Blattern und Kuh- 


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480 


pocken gutartig neben einander und die Seuche forderte 
weiter keine Opfer mehr. 

Derartige Impfungen, die erst bei Ausbruch einer Epi¬ 
demie vorgenommen werden, um die nicht Erkrankten zu 
schützen, nennt man Nothimpfungen. Es kommt dabei der 
Umstand günstig zu Statten, dass die Incubationszeit der 
Vaccine um einiges kürzer ist, als die der Variola. Wenn 
also die Vaccination gleichzeitig mit der Blatterninfektio» 
stattfindet oder ihr unmittelbar auf dem Fusse folgt, so ent¬ 
faltet sie ihre schützende Wirkung trotzdem noch. Es tritt 
dann häufig neben den Vaccinepusteln eine leichte Erkran¬ 
kung an abgeschwächter Variola, sog. Variolois auf. Die 
beiden Affektionen laufen dann gutartig nebeneinander her. 

Bis in den Anfang des zweiten Decenniums unseres 
Jahrhunderts wird übereinstimmend aus allen Ländern, wo 
fleissig vaccinirt wurde, eine auffallende Abnahme selbst 
Verschwinden der Blatternkrankheit berichtet. Es ist dies 
gewiss dem Impfen zuzuschreiben, jedoch nur unter Mit¬ 
wirkung eines andern hochwichtigen Faktors, nämlich der 
bei den älteren Generationen in Folge früherer Durchseuchung 
noch bestehenden natürlich erworbenen Immunität. Bald 
wurde indess die Sachlage eine andere. Die Blattern traten 
immer wieder auf, zum Theil unter den Ungeimpften in sehr 
bösartiger Form, aber auch viele früher Geimpfte wurden 
ergriffen, wenn auch meist nur in der Form der milderen 
Variolois. Das Verhältniss stellte sich so, dass die Prozent¬ 
zahl der Todesfälle bei den Geimpften immer mindestens 
um das 3—5fache, oft auch um das 10 und mehrfache hinter 
der Ziffer der Ungeimpften zurück blieb. In der äusserst 
bösartigen Epidemie in Genf (hämorrhagische sog. schwarze 
Blattern) in den Jahren 1858/59 lieferten die Geimpften 
9,5 die Ungeimpften aber 45 Proz. Todte. Eine Zusammen¬ 
stellung von Kussmaul aus verschiedenen Epidemien umfasst 
160 000 Erkrankungen. Darunter starben von den vacci- 
nirten 4,5 Proz. von den nicht vaccinirten Erkrankten 
29 Proz. Dabei machte man weiterhin die Beobachtung, dass 
die Neigung der Geimpften an echten Blattern zu erkranken 
um so grösser war, je längere Zeit seit ihrer Vaccination 
verstrichen. Man wurde stutzig, nachdem seither Jenner’s 


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481 


Auffassung von der zeitlich unbegrenzten Schutzkraft der 
Vaccination als unanfechtbares Axiom gegolten hatte. Zu¬ 
nächst schob man die Schuld auf ungenügende oder mit 
schlechter sog. degenerirter humanisirter Lymphe ausgeführte 
Impfungen. Endlich musste man sich eben doch zu der 
Erkenntniss bequemen, dass die Schutzkraft der Vaccination 
eine zeitlich begrenzte, individuell zwar verschiedene, aber 
im Durchschnitt 10—12 Jahre nicht überdauernde sei. Mit 
dieser Erkenntniss stand man vor der Nothwendigkeit der 
Wiederimpfung, der Revaccination. 

Ueber diese Verhältnisse ist im weiteren Verlauf unseres 
Jahrhunderts ein enormes statistisches Material aufgehäuft 
worden. Es gab wohl keinen civilisirten Staat, in dem nicht 
eine eigene Commission mit der Prüfung aller dieser wichtigen 
Fragen beschäftigt gewesen wäre. Eine grosse Reihe akten- 
mässiger Erhebungen aus den verschiedensten Ländern wurde 
auf Veranlassung des englischen Parlaments im Jahre 1857 
in dem sog. Blaubuch zusammengestellt. Das Gewicht dieser 
Dokumente führte dann in England zur Erlassung einer 
Impfbill, welche die Vaccination obligatorisch machte. Doch 
ist ihre Durchführung bis auf den heutigen Tag eine sehr 
laxe, wesshalb auch England keineswegs pockenfrei geworden 
ist. Um durch weitere Details nicht zu ermüden, möge im 
Folgenden nur noch die Entwickelung des Impfwesens in 
Baden und Deutschland mit einigen Strichen gezeichnet 
werden. Die badische Staatsverwaltung ist auch in diesen 
Fragen seit der weisen Regierung des Markgrafen späteren 
Grossherzogs Karl Friedrich bis auf die heutige Zeit bahn¬ 
brechend und vorbildlich vorgegangen. 

Schon im Dezember 1803 erliess die badische Regierung 
eine Verordnung, in welcher namentlich der folgende Ein¬ 
gangspassus bemerkenswerth ist: 

„Wir Karl Friedrich von Gottes Gnaden u. s. w. haben 
aus den uns vorgelegten Berichten und tabellarischen Ueber- 
sichten über die in unsern Landen veranstalteten Impfungen, 
der sog. Kuh- oder Schutzpocken mit höchster Zufriedenheit 
ersehen, wie die meisten Physici, Medicinae Praktici, Wund- 
und Hebärzte sich mit allem Eifer dem Geschäfte der Kuh¬ 
pocken-Impfung unterzogen haben, und wie ihre diesfallsige 

31 


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482 


rühmliche Bemühungen mit dem erwünschten Erfolge gekrönt 
worden; so sehr Wir nun auch durch diese Erfahrungen 
immer mehr von dem wohlthätigen Vermögen dieser Schutz¬ 
pocken gegen die natürlichen Menschenblattern zu sichern, 
überzeugt wurden: und daher die allgemeinere Verbreitung 
dieser Kuhpockenimpfung gerne sehen würden, so sind Wir 
doch noch zur Zeit nicht gemeint, nach dem Antrag einiger 
Aerzte diesem Unserm Wunsch Gesetzeskraft zu ertheilen, 
umsomehr, als Wir noch nicht volle Gewissheit haben, ob 
die Schutzkraft der Kuhpocken für die ganze Lebensdauer, 
oder etwa nur auf mehrere Jahre hinaus sich erstrecke, und 
Wir wollen uns inzwischen noch damit begnügen, immer 
mehrere Erfahrungen darüber anstellen zu lassen.“ 

Es findet hier der Zweifel an der unbegrenzten Schutz¬ 
kraft der Vaccination zum ersten Male offiziellen Ausdruck. 
Einige weitere Erlasse der nächsten Jahre betreffen vorzugs¬ 
weise die Technik der Impfung und die dabei gemachten 
Beobachtungen. Im November 1808 verfügt ein badisches 
Regierungsrescript, dass kein Eingeborener des Landes in 
Schulen, bei Gewerken oder in öffentlichen Anstalten auf¬ 
genommen werden oder aus öffentlichen Fonds Unterstützung 
bekommen soll, der nicht einen Schein vom Physikat vor¬ 
weisen kann, dass er mit den Schutzpocken geimpft worden 
sei. In den Städten Mannheim, Karlsruhe und Meersburg 
wird je ein Impfinstitut errichtet, welches für Beschaffung 
und Bereithaltung humanisirter Lymphe zu sorgen hat. Wir 
haben also hier den ersten schüchternen Versuch eines Impf¬ 
zwanges. Dieser wird dann perfekt durch die Verordnung 
vom 17. April 1815, welche die Impfung mit Schutzblattern 
für Jedermann als gesetzlich nothwendig erklärt und gleich 
darauf erfolgt die Instruktion für die Vornahme dieser Im¬ 
pfungen, welche bei allen Kindern im Verlauf des ersten 
Lebensjahres stattfinden sollen. Bayern hat sein Impfgesetz 
schon */ 4 Jahre früher erlassen, Württemberg folgte erst 
1818 nach. In den badischen Verordnungen der folgenden 
Jahre tauchen dann immer wieder die Zweifel an der zeit¬ 
lich unbeschränkten Schutzkraft der Impfung auf, welche 
auch durch verschiedene Gutachten der Sanitätskommission 
und der beiden Landesuniversitäten zunächst nicht geklärt 


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483 


werden, bis dann vom Jahre 1836 an die Revaccinationen 
durch die Sanitätskommission wiederholt und eindringlich 
empfohlen werden und speziell immer , so oft irgendwo die 
Blattern auftreten. Im Jahre 1840 wurde in Baden die 
Wiederimpfung beim Militär eingefiihrt, nachdem dieselbe 
schon durch Kabinetsordre vom 16. Juni 1834 für die preus- 
sische Armee obligatorisch gemacht worden war. Bayern 
folgte 1844 mit der Rekrutenrevaccination nach. Aus dem 
gewaltigen statistischen Material der folgenden Jahrzehnte 
mögen nur einige besonders wichtige Angaben herausgeboben 
werden. Die meisten Blatternsterbfälle der Gesammtbevölke- 
rung im Grossherzogthum Baden vom Jahr 1810—1855 
fallen auf das Jahr 1850, nämlich 250. Der Grund davon 
liegt nahe genug. In den Revolutionsjahren 1848/49 und 
im Jahre 1850 wurde die Impfung nicht mit der Ordnung 
wie früher und später ausgeführt, die Revaccination des 
Militärs wurde 1848 gar nicht, 1849 und 1850 nur bei ein¬ 
zelnen Truppentheilen vorgenommen. In dem Decenium von 
1825—1835, also vor Einführung der Rekruten-Revaccination 
waren bei der preussischen Armee 496 Mann an den Pocken 
gestorben. Von 1835, nach Einführung der Revaccination, 
bis 1845 starben noch 39 Mann, von da an werden es immer 
weniger, in vielen Jahren stirbt nicht ein Einziger. In der 
österreichischen Armee existirt ein categorischer Impfzwang 
erst seit Kurzem. Dementsprechend verlor dieselbe auch in 
den letzten Jahren noch durchschnittlich 91 Mann jährlich 
an den Blattern. Dabei ist nicht zu vergessen, dass die 
Kopfstärke dieser Kontingente mit der Zeit erheblich ge¬ 
wachsen ist. Der Feldzug von 1866, wo die preussische 
Armee in voller Kriegsstärke in Böhmen stand, und die 
Quartiere bezog, welche die stark infizirten Oesterreicher 
und Sachsen eben verlassen hatten, und wo bei der Civil- 
bcvölkerung eine äusserst heftige Epidemie herrschte, brachte 
nur 11 Pockentodesfälle. 

Ein geradezu erdrückendes Beweismaterial für den Werth 
der Vaccination namentlich aber der Revaccination liefern 
uns die Erfahrungen der Kriegsjahre 1870/71. Deutschland 
hat mehr als eine Million Soldaten über die Grenze geführt, 
Civil- und Militärbevölkerung des Landes, in welches sie ein- 

31* 


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484 


traten, war tief durchseucht, an vielen Orten, in welche 
unsere Truppen einrückten, herrschten die bösartigsten Formen, 
blutige und schwarze Pocken. Unter diesen Verhältnissen, 
wie sie ungünstiger nicht sein konnten, mussten die Vacci- 
nationen ihren Werth zeigen und sie haben es in einem 
Grade gethan, gegen welchen auch der verstockteste Impf¬ 
gegner Nichts mehr Vorbringen kann. Doch lassen wir die 
Zahlen sprechen: Im deutsch-französischen Krieg hat das 
deutsche Heer 261 Mann und zwar vorzugsweise nicht revacci- 
nirte Landwehrleute, dagegen das dem Revaccinationszwang 
nicht und auch bis heute noch nicht unterworfene französische 
Heer 23 468 Mann an den Pocken verloren. Dabei möge 
nicht unerwähnt bleiben, dass die andern Kriegskrankheiten 
wie Dysenterie und Typhus auf beiden Seiten ungefähr in 
gleichen Verhältnissen ihre Opfer forderten. In sehr aus¬ 
gedehntem Maasse haben bekanntlich in den beiden Kriegs¬ 
jahren die Pocken unter der Civilbevölkerung Deutschlands 
geherrscht. Eingeschleppt wurden sie uns durch die aus 
Frankreich ausgewiesenen Landsleute und durch die fran¬ 
zösischen Kriegsgefangenen. Preussens 23 Millionen be¬ 
tragende Civilbevölkerung verlor in den Jahren 1870/71 allein 
59 800 Menschen durch die Blattern. 

Einen schlagenderen Beweis für den Werth der Revacci- 
nation kann man sich kaum denken, als die schwer heim¬ 
gesuchte nicht revaccinirte Civilbevölkerung auf der einen 
Seite, das unter den ungünstigsten Verhältnissen in Feindes¬ 
land als nahezu gefeit sich erweisende revaccinirte Militär 
auf der andern Seite. Dieses Verhältniss, sodann das Drängen 
vieler Aerzte und ärztlicher Korporationen, namentlich auch 
der Lebensversicherungsgesellschaften, die ja an der Bekämpf¬ 
ung von Epidemien ein hervorragendes Interesse haben, führte 
im Jahre 1874 unser jetzt gütiges Reichsimpfgesetz herbei. 
Das Wesentliche desselben besteht darin, dass es neben der 
Kinderimpfung spätestens in dem auf das Geburtsjahr folgen¬ 
den Kalenderjahr eine Wiederimpfung der Schulkinder im 
12. Lebensjahr obligatorisch macht. Rechnet man dazu die 
Rekrutenimpfung, so hat also bei uns jedes Individuum, das 
öffentliche Schulen besucht und beim Militär dient im Ganzen 
sich mindestens drei Impfungen zu unterziehen. Welches ist 


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485 


nun der Erfolg unseres Impfgesetzes? Wie Jedermann aus 
eigener Erfahrung bekannt der, dass das Deutsche Reich seit 
1874, also seit über 20 Jahren, ein nahezu pockenfreies 
Land ist, obwohl in den Nachbarländern, die eine obligatorische 
Revaccination nicht kennen, andauernd Pockenheerde sich be¬ 
befinden und unsere modernen Verkehrsverhältnisse einer 
Verschleppung gewiss günstig sind. Zu derselben Zeit, in 
welcher das Deutsche Reich sich so gegen die Pocken geschützt 
erwies, kamen, um einige Parallelzahlen anzuführen, 1880 in 
Paris 2260 Pockentodesfälle vor und annähernd gleiche 
Zahlen in ganz Frankreich, in Antwerpen 812, in Brügge 51, 
in Lüttich 59, in London 475, Wien 534, Prag 450, Dublin 
266, in ganz Spanien 12 165, in Madrid 1202, Odessa 94, 
u. s. w. In Deutschland sind sehr exponirte Städte wie die 
dem Seehandel geöffneten Hafenplätze Hamburg und Bremen, 
der Seuche beinahe vollständig entgangen. Diese angeführten 
Zuhlen widerlegen auch die wunderliche von den Impfgegnern 
kolportirte Behauptung, dass die Pocken in Europa allmählich 
von selbst erloschen seien. Der jüngeren Generation der 
Aerzte bei uns sind zwar die Blattern aus der Vorlesung und 
aus dem Lehrbuch bekannt, gesehen haben die wenigsten 
von ihnen welche. Die älteren Aerzte können noch aus 
eigener Anschauung genug davon erzählen. 

Man hat, namentlich auch in den Reichstagsverhand¬ 
lungen, welche der Einführung unseres Reichsimpfgesetzes 
voraufgingen, viel darüber diskutirt, ob denn der Staat über¬ 
haupt das Recht habe, den Einzelnen zu zwingen, sich selbst 
oder seine Kinder impfen zu lassen, ob das nicht ein unstatt¬ 
hafter Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen 
sei. Wo die bittere Noth Lebrmeisterin ist, da kommt 
man mit doktrinären Erwägungen nicht weit. Sobald eine 
Staatsverwaltung die Ueberzeugung gewonnen hat, dass eine 
Maassregel nur dann dem öffentlichen Wohle wirklich dient, 
wenn sie sich auf alle Individuen ausnahmslos erstreckt, so 
ist sie zum gesetzlichen Zwang unzweifelhaft nicht nur be¬ 
rechtigt, sondern sogar verpflichtet. Man denke doch an den 
Militärdienst, den jeder Taugliche von uns leisten muss und 
der ihn selbst in Friedenszeiten ungleich mehr Gefahren für 
Leben und Gesundheit aussetzt, als die Impfung. 


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486 


Mit der Ausübung des Impfzwanges übernimmt aller¬ 
dings die Staatsverwaltung gleichzeitig die ernste Verpflich¬ 
tung, die Gefahren, welche dem Einzelnen aus der Vaccination 
etwa entspringen können, ganz zu beseitigen oder wenigstens 
auf das möglichste Mindestmaass zurückzuführen. Es bleiben 
nun noch die dabin abzielenden Einrichtungen der neuesten 
Zeit kurz zu schildern. Dieselben sind geeignet, den prin¬ 
zipiellen Impfgegnern ihre einzige Waffe, welche nicht ganz 
stumpf ist, d. i. der Hinweis auf die sog. Impfschäden, zu 
entwinden. Es kann und soll nämlich nicht geleugnet werden, 
dass durch die Vaccination Kinder und Erwachsene ab und zu 
zu Schaden gekommen sind. Diese Schädigungen sind vorzugs¬ 
weise zweierlei Art, einmal die sog. accidentellen Wundkrank¬ 
heiten, also Wundrose, Pyämie und Septicämie, wie sie bei un¬ 
geeignetem Verfahren zu jeder kleinen Verletzung hinzutreten 
können. Zu ihrer Verhütung gibt es nur eins, nämlich die 
peinlichste Sorgfalt und Reinlichkeit an Händen und Instru¬ 
menten. Selbstverständlich ist die Beobachtung einer der¬ 
artigen Asepsis Pflicht jedes Impfarztes. Die zweite Möglich¬ 
keit der Impfschädigung ist die Mitübertragung einer Krankheit 
von dem, welchem die Lymphe abgenommen wird, auf die, 
welchen sie eingeimpft wird. In Betracht kommt dabei eigent¬ 
lich nur eine Krankheit, eine sehr hässliche, die Syphilis. Es 
sind im Ganzen aus aller Herren Länder unter vielen Mil¬ 
lionen von Impfungen ca. 300 Fälle von Impfübertragung der 
Syphilis festgestellt. Auch von allen möglichen andern Krank¬ 
heiten, namentlich Rachitis und Scrophulose, müssen die 
Aerzte alltäglich hören, dass sie vom Impfen herkämen. Hier 
ist es das trügerische post hoc ergo propter hoc, das ja auch 
in der wissenschaftlichen Medicin schon zu manchem falschen 
Schluss geführt hat. Auch ist nicht zu vergessen, dass die 
zwei ersten Lebensjahre, in denen nun einmal die Kinder ge¬ 
impft werden müssen, überhaupt die grösste Morbidität und 
Mortalität mitden übrigen Lebensperioden verglichen aufweisen. 

Um nun die Uebertragung der Syphilis mit absoluter 
Sicherheit zu vermelden, gibt es nur einen Weg. Man muss 
die Verwendung der humanisirten Lymphe, d. h. des durch 
ungezählte Menschengenerationen aus ursprünglichen Kuh¬ 
pocken fortgezüchteten Impfstoffes ganz aufgeben und zur 


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487 


Lymphegewinnung eine Thierspezies verwenden, welche für 
Syphilis überhaupt nicht empfänglich ist. Wir dürfen mit 
Befriedigung feststellen, dass Dank rastloser Bemühungen 
dieses Problem heute gelöst ist Ursprünglich hauptsächlich 
in Holland kultivirt, hat die Verwendung animaler Lymphe 
in den letzten Jahren in Deutschland rasch Verbreitung ge¬ 
funden und den Gebrauch der humanisirten Lymphe fast 
ganz verdrängt, namentlich seitdem im Jahre 1884 eine im 
Reichsgesundheitsamt niedergesetzte Kommission die animale 
Impfung zur möglichst allgemeinen Einführung empfohlen 
hat. Eine Reihe von Impfinstituten, dasjenige für das Gross- 
herzogthum Baden und als eine Musteranstalt bekannte, hier 
in Karlsruhe, meist in Anlehnung an die Schlachthöfe er¬ 
richtet, besorgen die Herstellung, Konservirung und Ver¬ 
sendung der animalen Lymphe. Die verwendeten Thiere sind 
Kälber oder junge Rinder, — beispielsweise waren im Jahre 
1892 1368 Thiere nöthig, um den gesammten Bedarf an 
animaler Lymphe in Deutschland zu decken. Bei uns in 
Baden hat sich um die Einführung der animalen Impfung 
namentlich der jetzige Vorstand der Karlsruher Impfanstalt, 
der Geh. Hofrath Dr. Fischer verdient gemacht. Zuerst für 
sich, dann im Auftrag und mit Unterstützung des Grossb. 
Ministeriums hat der Genannte zunächst in Ueberlingen und 
nach seiner Versetzung dahin in Pforzheim sich mit der 
Herstellung animaler Lymphe beschäftigt. Seit 1887 besteht 
unter seiner Leitung das Impfinstitut im Karlsruher Schlacht- 
und Viehhof zur Versorgung des ganzen Grossherzogthums 
einschliesslich des 14. Armeekorps. Im Jahre 1890 beispiels¬ 
weise wurden dort 38 Thiere, meist grössere Rinder männ¬ 
lichen Geschlechts verwendet. Dieselben lieferten eine Ge- 
sammtmenge von 2853 Gramm zubereiteter Lymphe und, da 
ein Gramm für 100 Impfungen ausreicht, Stoff für über 
280 000 Einzelimpfungen. 

Es dürfte nun noch von Interesse sein zu erfahren, wie 
denn die Gewinnung der Thierlymphe in solchen Massen 
im Karlsruher und den andern Instituten bewerkstelligt wird. 
Zur Animpfung der Thiere bieten sich drei Quellen dar: 
1. Die Verwendung originärer Kuhpockenlymphe, originärer 
Vaccine, wie sie Jenner s. Zt. von dem spontan damit in- 


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488 


fizirten Milchmädchen auf den Knaben weiter verimpft hat. 
2. Als meist geübte Methode, weil die Beschaffung am leich¬ 
testen, die Uebertragung humanisirter Kinderlymphe auf die 
Impfthiere. Der so gewonnene Stoff heisst Retrovaccine, 
weil er vom Menschen auf das Thier wieder zurück ge¬ 
wandert ist. 3. Die Verimpfung achter Menschenblattern auf 
die Thiere, woraus eine abgeschwächte Vaccine von sehr 
guter Wirksamkeit entsteht, nachdem der Stoff durch 3—4 
Kälber hindurchgegangen ist. Den auf diesem Weg gewon¬ 
nenen Impfstoff nennt man Variola-Vaccine. Dieser letzte 
Modus wurde im Karlsruher Institut im Jahr 1890 erprobt, 
als eine kleine in Lörrach unter italienischen Bahnarbeitem 
ausgebrochene Blatternepidemie Gelegenheit bot, richtigen 
Menschenblatternstoff zu bekommen. 

Die Technik dieser Thierimpfungen ist kurz folgende: 
Die in geeigneter Weise mit auseinander gespreizten Beinen 
auf einem Tisch gefesselten Thiere werden an der Bauchhaut 
und den Innenflächen der Oberschenkel rasirt, die Haut 
sorgfältig desinfizirt und gewaschen. Die so präparirte Haut¬ 
fläche wird dann mit einer grossen Zahl von Scarifikationen 
oder seichten Kritzelschnitten versehen und in diese hinein 
der Impfstoff verrieben. Nach einigen Tagen ist diese ganze 
Fläche dicht mit Vaccinepusteln besetzt. Dann kommt das 
Thier nochmals zur Abimpfung auf den Impftisch. Die 
Impffläche wird mit einem geeigneten Instrument, meist 
einem scharfen Löffel, bis in die Schleimschicht der cutis 
hinein abgeschabt, der gesammelte Stoff in einem Mörser 
zerrieben und mit Glycerin versetzt. Der so gewonnene 
längere Zeit haltbare Impfstoff wird dann luftdicht ver¬ 
schlossen an die Impfärzte verschickt. Selbstverständlich 
wird kein Thier eingestellt, das nicht vorher auf’s Genaueste 
thierärztlich auf seine Gesundheit untersucht ist, desgleichen' 
wird von keinem Thier der Impfstoff verwendet, ehe es ge¬ 
schlachtet ist und eine genaue anatomische Untersuchung 
sein Freisein von Krankheiten, speziell von Tuberkulose 
oder Perlsucht, wie sie beim Rindvieh heisst, erwiesen hat. 
Damit sind wir bei dem heutigen Stand des Impfwesens an¬ 
gelangt. 

Es sind zum Theil recht verwickelte und komplizirte 


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489 


Verhältnisse, für die ich mir erlaubt habe, die Geduld des 
Lesers in Anspruch zu nehmen. Doch durfte aus diesem 
ganzen Entwickelungsgang das Eine noch zu entnehmen sein, 
dass die durch die Noth diktirte und im Wesentlichen auf 
der Erfahrung eines Jahrhunderts aufgebaute Schutzpocken¬ 
impfung in ihrer heutigen Ausgestaltung unstreitig die grösste 
Errungenschaft ist, welche die Medicin auf therapeutischem 
oder vielmehr prophylaktischem Gebiet jemals gezeitigt hat. 
Wenn wir uns nun heutigen Tags in unserm Vaterland 
einer so weitgehenden Sicherheit gegenüber dem furchtbaren 
Pockenelend erfreuen, so liegt darin gleichzeitig eine Gefahr. 
Diese Sicherheit darf uns nicht leichtsinnig werden lassen, 
wir dürfen nicht meinen, man könnte wohl die straffen 
Zügel des Impfzwanges nachlassen, wir müssen uns immer 
wieder vergegenwärtigen, wie es früher war und damit an 
der Ueberzeugung von der Nothwendigkeit und der Zweck¬ 
mässigkeit der getroffenen Schutzmassregeln festhalten. Vor 
Allem aber wollen wir auch der Dankbarkeit nicht vergessen 
gegen den bescheidenen Landarzt von Berkeley und alle die 
Männer, welche an der Bekämpfung der Pockenkrank¬ 
heit, dieser Geissei des Menschengeschlechtes, mitgearbeitet 
haben. 


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Studien über die Temperaturverhältnisse 
in Baden. 

(Siehe Seite 230 bis 259 der Abhandlungen.) 
Druckfehler in Tabelle V. 


s. 

250. Januar: Höchenschwand h 2 M. 

—0,6 statt +0,6. 

8 

290. Buchen, absol. Minimum - 

-31,1 

8 

+31,1. 

8 

250. Februar: Höchenschwand mittleres 





Maximum 

1,8 

8 

0,6. 

8 

250. Februar: Höchenschwand mittlere 





Tagesschwankung 

6,8 

8 

5,6. 

8 

250. Februar: Buchen: mittl. Maximum 

8,0 

8 

2,0. 

8 

250. „ „ mittlere Tages¬ 





schwankung 

6,9 

8 

5,3. 

8 

252. August: Höchenschwand h 2 M. 

15,8 

8 

22,3. 

8 

252. Septemb.: Villingen h 2 M. 

16,1 

8 

10,1. 

8 

252. Septemb.:Karlsruhe, absol. Maxi¬ 





mum 

29,8 

8 

25,8. 


Nachtrag. 

Der durch geringe Schwankungen ausgezeichnete ther¬ 
mische Charakter des Bodenseebeckens erstreckt sich nicht 
weit landeinwärts, wie aus den Beobachtungen des Pfarrers 
Sulzer in Ittendorf (Berichte über die Verhandlungen der 
naturforschenden Gesellschaft in Freiburg i. B., Band II, 
Heft 1, Freiburg 1859) von 1837 bis 1858 hervorgeht. Itten¬ 
dorf liegt in 456 Meter Meereshöhe, also 61 Meter über dem 
Bodenseespiegel, östlich von Meersburg, und ist von diesem 
Orte 5,5 Kilometer, vom nächsten Ufer bei Hagnau 3,33 Kilo¬ 
meter entfernt. Maximum und Minimum wurden nicht 
beobachtet, hingegen sind in den Monatsresultaten die Tem¬ 
peraturunterschiede zwischen Morgen und Mittag ( h 2— h 7), 
sowie zwischen Mittag und Abend ( b 2— h 9), angegeben, und 
können also mit den Beobachtungen in Meersburg annähernd 
verglichen werden, obgleich sie in eine frühere Periode fallen. 


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491 


ln der folgenden Tabelle sind diese Schwankungen zu- 
sammengestellt. 



Januar 

Februar 

März | 

4-3 

fl t «-» 

fi.ts 

Mittlere 

Schwan¬ 

kung 

Monats¬ 

mittel 

Mittlere 

Schwan¬ 

kung 

Monats¬ 

mittel 

Mittlere 

Schwan¬ 

kung 

h 2- h 7 


Er 

CO 

> 

b 2- h 9 

b 2- b 7 

b 2- b 9 

Meersburg . . 

-0,6 

1,5 

0,9 

0,9 

3,1 

1,9 

4,1 

4,4 

2,4 

Ittendorf . . . 

-1.2 

2,1 

1,6 

0,2 

4,9 

3,5 

3,3 

6,7 

4,4 

Differenz . . . 


0,6 

0,7 


1,8 

1,6 


2,3 

2,0 


April 



Mai 



Juni 


Meersburg . . 

8,6 

6,2 

3,0 

12,5 

6,0 

3,5 

16,4 

4,8 

3,8 

Ittendorf . . . 

8,5 

7,6 

7,5 

13,0 

7,1 

6,6 

16,7 

7,0 

6,9 

Differenz . . . 


2,4 

4,5 


2,1 

2,1 

i 2,2 

2,1 



Juli 


August 

September 

Meersburg . . 

18,5 

4,7 

8,8 

18,0 

4,7 

3,5 

14,6 

4,3 

3,1 

Ittendorf . . . 

17,6 

7,4 

5,9 

16,8 

7,4 

5,5 

13,6 

__7,4 

5,6 

Differenz . . . 


2,7 

2,1 


2,7 

2,0 


3,1 

2,4 


Oktober 

November 

Dezember 

Meersburg . . 

8,9 

3,5 

2,4 

4,1 

2,2 

1,5 

0,0 

1,8 

1,4 

Ittendorf . . . 

9,0 

5,4 

4,2 

3,6 

3,4 

2,7 

-0,1 

2,6 

1,9 

Differenz . . . 


1,9 

1,8 


1,2 

1,2 


0,7 

0,5 


Die mittlere Schwankung h 2— h 7 beträgt in Meersburg 
3,8 # , in Ittendorf 5,8 # , ist also hier um 2° grösser; der 
Unterschied ist am kleinsten im Januar mit 0,6°, am grössten 
im September mit 3,1°, sie ist durchgängig sogar etwas 
grösser als in Karlsruhe. 

Der mässigende Einfluss des Bodensees erstreckt 
sich also nicht bis Ittendorf, er scheint auf den etwa 
3 Kilometer breiten Uferstreifen, vielleicht auch auf die 
grösseren einmündenden Thäler in ihrem flachen Unterlauf 
beschränkt zu sein. 


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Abhandlungen Seite 41 Zeile 22 von oben lies 7. Dezember statt 
26. Dezember. 


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Verzeichntes 

der Stellen, mit denen der naturwissenschaftliche Verein im 
Tauschverkehr steht, und deren eingesendete Publikationen. 


1895. 

Annaberg-Buchholz. Verein für Naturkunde. Vom I. 
Jahresbericht 1868 an. 

Augsburg. Naturhistorischer Verein. Vom XVIII. Bericht 
1865 an. 

Aussig. Naturwissenschaftlicher Verein. Vom I. Jahres¬ 
bericht 1876/77 an. 

Bamberg. Naturforschende Gesellschaft. Berichte. Vom 
VI. Bericht 1861/62 an. 

Basel. Naturforschende Gesellschaft: 

a. Verhandlungen 1850 bis 1852. III. Bd. — 1862. 
3. Heft. — Vom IV. Band 1864 an vollständig. 

b. Festschrift zur Feier des 50jährig. Bestehens. 1867. 
166 S. 

Bergen (-Norwegen). Museum. Aarsberetning. Von 1886 an. 
Berlin. Botanischer Verein für die Provinz Brandenburg 
und die angrenzenden Länder. Verhandlungen vom VI. 
Jahrgang 1864 an. 

— Geologische Gesellschaft. Zeitschrift. Vom XV. Band 
1863 an. — Bibliothekkatalog 1887. 

Bern. Naturforschende Gesellschaft. Mittheilungen. Vom 
Jahre 1850 (No. 167) an. 

Bistritz in Siebenbürgen. Gewerbeschule. Jahresbericht, 
von V. 1879 an. 

Bonn. Naturhistorischer Verein der preussischen Rheinlande 
und Westphalens. Verhandlungen. Vom XXII. Jahr¬ 
gang (resp. 3. Folge, II. Jahrgang) 1865 an. 


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494 


Boston. American Academy of arts and Sciences. Procee- 
dings. Von VIII. 1873 an. 

Braunschweig. Verein für Naturwissenschaften. Jahres¬ 
bericht. Von I. 1879—80 an. 

Bremen. Naturwissenschaftlicher Verein. Verhandlungen. 
Vom I. Band 1868 an, mit 2 Beilagen. — Festschrift 
zur Feier des 25jähr. Bestehens 1889. 

Breslau. Schles. Gesellschaft für vaterländische Kultur: 

a. Jahresbericht. Vom XLII. Jahrgang 1864 an. 

b. Abhandlungen. Philosophisch-historische Abtheilung. 
Von 1864 an. 

c. Abtheilung für Naturwissenschaften und Medicin. Von 
1864 an. 

d. Denkschrift zur Feier ihres 50jährigen Bestehens. 1853. 

e. Grundzüge der schles. Klimatologie von Galle. 1857. 
Brünn. Naturforschender Verein. Verhandluqgen. Vom 

III. Band 1864 an. 

Brüssel. Acad4mie royale des Sciences, -des lettres et des 
beaux arts de Belgique: 

a. Bulletins. Vom XXXV. Jahrgang 1866 an (Band 21). 

b. Annuaire. Vom XXXIII. Jahrgang 1866 an. 

c. Centime anniversaire de fondation. 2 Bde.. 1872. 

— Sociötö royale de Botanique de Belgique. Bulletin vom 

IV. Band 1865 an. 

— Sociütü entomologique de Belgique. Annales und Me- 
moires. Vom XIII. Jahrgang 1869 an. 

— Annales mütüorologiques de l’observatoire royale de 
Bruxelles. II. 1867 und 68. 

— Sociöte Malacologique. Annales. Vom Bd. XI. 1876 an. 
Von 1881 an unter dem Titel: Sociötd royale malacolo¬ 
gique de Belgique. Annales, von 1886 an: Procfcs ver- 
baux des scüances- 

Budapest. König!. Ungarische Naturw. Gesellschaft: Ca- 
talog der Bibliothek. Verschiedenes s. 8. Bd. S. XXII. 
1877 und 11. Bd. 1895 S. XXVIII. 

Canada. Geological and natural survey of Canada. Reports 
of progress. 1879—85. (Ottawa.) 

Cassel. Verein für Naturkunde. Bericht. Von XXIV. und 
XXV (1876—78) an. 


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495 


Cbapel Hill (North-Carolina). Elisha Mitchell Scientific 
Society. Journal. Von Vol. IV. 2. 1887 an. 
Chemnitz. Naturwissenschaftlicher Verein. Berichte. Vom 
I. Jahrgang 1865 an. 

Cherbourg. Sociöte nationale des Sciences naturelles et 
mathdmatiques. Mömoires, von XXI. 1877 an. 
Christiania. Königliche Universität. Verschiedene Ab¬ 
handlungen. s. 8. Bd. S. XXV., 9, Bd. S. XVHL, 10. 
Bd. S. XXV. 11. Bd. 1895 S. XXIX. 

Chur. Naturforschende Gesellschaft Graubündens. Jahres¬ 
bericht. Vom XII. Jahrgang 1866 an. — Naturgeschicht¬ 
liche Beiträge zur Kenntniss der Umgebungen Churs. 
1874. — H. Ardüser’s rätische Chronik von Bott. 1877. 
Colmar. Sociäte d’histoire naturelle. Bulletin. Vom VI. 
Jahrgang 1865 an. 

Cord oha (Rep. Argent.) Academia nacional de Ciencias en 
Cordoba. Boletin. Von Bd. VI. 1884 an. 

Danzig. Naturforschende Gesellschaft: 

a. Neueste Schriften. Vom IV. bis VI. Band, 1843 bis 
1862. 

b. Schriften. Neue Folge. Vom I. Band 1863 an. 

c. A. Menge. Preuss. Spinnen. 1866. 
Donaueschingen. Verein für Geschichte und Naturge¬ 
schichte der Baar und der angrenzenden Landestheile 
in Donaueschingen. Schriften. Vom I. Jahrgang 1870 an. 

Dresden. Naturw. Gesellschaft Isis. Sitzungsberichte. 

a. Sitzungsberichte und Abhandlungen von 1865 an. 

b. Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens 1885. 
— Gesellschaft für Natur- und Heilkunde: 

a. Jahresbericht. Von 1865 bis 1886. 

b. Denkschrift zur Feier ihres 50jährigen Bestehens. 
Dresden. 1868. 4. 

Dürkheim. Pollichia, naturwissenschaftlicher Verein der 
Rheinpfalz. 

a. Jahresbericht. Vom XX. 1863 an. 

b. Festschrift zur 50jährigen Stiftungsfeier 1892. 
Düsseldorf. Naturwissenschaftlicher Verein. Mittheilungen 

Von I. 1887 an. 


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496 


Elberfeld. Naturwissenschaftlicher Verein. Jahresbericht. 

1851. 1858. 1878. 1884. 1887. 

Emden. Naturforschende Gesellschaft: 

a. Jahresbericht. Von LI. 1865 an. 

b. Kleine Schriften von XIII. an. 

c. Festschrift zur Feier ihres 50jährigen Bestehens. 
Erlangen. Physiologisch-medizinische Societät. Sitzungs¬ 
bericht, von VIII. 1875—76 an. 

Florenz. Biblot'eca nationale. Publicazione dei R. instituto 
di studi superiori. Sezione di scienze fisische e naturali. 
Von 1877 an. Sezione di medicina e chirurgia. Von 
I. 1876 an. 

Frankfurt a. M. Physikalischer Verein. Jahresbericht. 
Von 1845 an. 

— Senckenbergische naturforschende Gesellschaft. Berichte 
von 1869 an. 

Frankfurt a. 0. Naturwissenschaftlicher Verein des Regie¬ 
rungsbezirks Frankfurt a. 0. Monatliche Mittheilungen. 
Von 1883/84 an. Seit 1891 unter dem Titel „Helios“. 
Freiburg. Naturforschende Gesellschaft: 

a. Berichte über die Verhandlungen. Vom I. Band 
1858 an. Freiburg. 

b. Festschrift zur Feier des 50jährigen Jubiläums im 
Jahre 1871. 

c. Festschrift. Der 56. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher gewidmet. 1883. 

Fulda. Verein für Naturkunde Bericht von I. 1870 an. 
St. Gallen. Naturwissenschaftliche Gesellschaft. Berichte 
über die Thätigkeit. Von 1858 an. 

Genf. Socidtd pour l’avancement des arts. Proces verbal 
des sceances. Von 1862 bis 1871. No. 44 bis 54. 
Gent. Kruidkundig Genootschap Dodonäa. Botanisch Jar- 
boek. Von I. 1889 an. 

Giessen. Oberhessische Gesellschaft für Natur- und Heil¬ 
kunde. Bericht. Vom VII. Jahrgang 1859 an. 

Graz. Naturwissenschaftlicher Verein für Steiermark. Mit¬ 
theilungen. Vom I. Heft 1863 an. 


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497 


Graz. Verein der Aerzte in Steiermark. Mittheilungen. Von 
XVIII. 1881 an. — Chronik des Vereins der Aerzte in 
Steiermark 1863—1888. 

— Akademischer naturwissenschaftlicher Verein. Jahres¬ 
bericht. I. Jahrgang 1875 bis V. 1879. Schluss. 

Greifswalde. Geographische Gesellschaft. Jahresberichte. 
Von II. 1883 an. 

Halifax (Nova Scotia). Nova Scotian Institute of natural 
Science. Proceedings and transactions. Von Vol. VH. 
1888 Part. III u. IV an. 

Halle. Naturforschende Gesellschaft. Bericht. Von 1864 an. — 
Festschrift zur Feier ihres 100jährigen Bestehens 1879. 

— Verein für Erdkunde. Mittheilungen. Von 1877 an. 

— Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften. Neue 
Folge. Von 1870 Bd. I. an. Seit 1882 herausgegeben 
vom Naturwissenschaftlichen Verein für Sachsen-Thür¬ 
ingen als Zeitschrift für Naturwissenschaften. 

— Kaiserl. Leopoldinisch-Karolinisch-Deutsche Akademie 
der Naturforscher: 

Leopoldina, amtliches Organ. Von X. 1874 an. 

Nova acta. s. 9. Bd. S. XVIII. 

Hamburg. Naturwissenschaftlicher Verein. Thätigkeits- 
bericht. Von 1869 an. Abhandlungen aus dem Gebiete 
der Naturwissenschaften. Vom IV. Band, 4. Abth., an. 
Hamburg. — Festschrift zur Feier des 50jährigen Be¬ 
stehens 1887. 

— Geographische Gesellschaft. Jahresbericht von 1.1874 an. 

Hamburg-Altona. Naturwissenschaftlicher Vereiu. Ver¬ 
handlungen, von I. 1876 bis VI. 1881. Schluss. 

Hamilton (Canada). Hamilton association Journal and 
proceedings. Von VII. 1891 an. 

Hanau. Wetterauische Gesellschaft für die gesammte Natur¬ 
kunde. Bericht, von 1879 an (enthält 1873—1879). 

Hannover. Gesellschaft für Mikroskopie. Jahresbericht. 
I. 1880 und II. 1882. 

— Naturhistorische Gesellschaft. Jahresberichte. Vom 
XVIII. 1867 an. 

Heidelberg. Naturhistorisch-Medicinischer Verein. Ver¬ 
handlungen. Vom I. Band 1S57 an. Heidelberg. 8. — 

32 


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498 


Festschrift zur Feier des 500jährigen Bestehens der 
Ruperto-Carola. 1886. 

Helsingfors. Societas pro Fauna et Flora Fennica. (Finn- 
ländische Zoologische und Botanische Gesellschaft): 

a. Meddelanden. Von I. (1876) an. 

b. Notiser ur Sällskapets. Von II. (1852) an. 

c. Acta Societas I. Von I. (1875) an. 

Innsbruck. Naturwissenschaftlich-Medicinischer Verein. 

Berichte, von VI. 1875 an. 

Karlsruhe. Badische Gewerbezeitung, redigirt von H. Mei- 
dinger. Vom I. Jahrgang 1867 an. Karlsruhe. 

— Meteorologische Centralstation. Jahresbericht 1 bis 14. 
1869 bis 1892. Schluss. 

— Centralbüreau für Meteorologie und Hydrographie im 
Grossherzogthum Baden: 

a. Jahresbericht. Von I. 1883 an. 

b. Beiträge zur Hydrographie des Grossh. Baden. Von 
I. 1884 an. 

c. Niederschlagsbeobachtungen der meteorologischen 
Stationen im Grossh. Baden. Von 1888 an. 

d. Der Rheinstrom und seine wichtigsten Nebenflüsse. 
1889. 

e. Ergebnisse der Untersuchung der Hochwasserverhält¬ 
nisse im deutschen Rheingebiet. 1891. 

— Grossh. Sternwarte. Veröffentlichungen. Von 1.1884 an. 
Kiel. Verein nördlich der Elbe zur Verbreitung natur¬ 
wissenschaftlicher Kenntnisse. Mittheilungen. Heft 1 
(1857) 4—7. 9 (1868) Schluss. 

— Naturwissenschaftlicher Verein für Schleswig-Holstein. 
Schriften, von I. 3 (1875) an. 

Königsberg. Schriften der Königl. Physikalisch-Oekono- 
mischen Gesellschaft. Vom I. Jahrgang 1860 an. — 
Führer durch die geol. Sammlung des Provinzial-Museums. 
Landshut. Botanischer Verein. Bericht. Vom I. 1864 an. 
Lausanne. Sockte Vaudoise des Sciences naturelles. Bul¬ 
letins des seances. Vom VII. Bd. 1861 an. 

Leipa. Nordböhmischer Excursionsklub. Mittheilungen. 
Vom VI. Jahrgang 1883 an. Verschiedenes s. 10 Bd. 
S. XXIV. 


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499 


Leipzig. Museum für Völkerkunde. Bericht von I. 1873 an. 

— Naturforschende Gesellschaft. Sitzungsberichte, von II. 
1875 an. 

— Jablonowsky’sche Gesellschaft. Preisschriften. XII. 1867. 
XXVI. 1886. XXVII. 1890. 

St. Louis. Academy of Science: 

Transactions. Von III. 1873 an. 

Contributions to the archaeology of Missouri. I. Pot- 
tery. 30 S. (I.) 24 Taf. 1880. 

Lüneburg. Naturwissenschaftlicher Verein für das Fürsten¬ 
thum Lüneburg. Von V. 1870/71 an. 

Luxembourg. Societö de Botanique. Recueil des meraoires 
et des travaux. Von No. I 1874 an. 

Luxembourg. Institut royal grand-ducal de Luxembourg, 
section des Sciences naturelles (cidevant societö des 
Sciences naturelles et mathematiques) Mdmoires. Von 
XVIII. 1881 an. 

Luxemburg. Verein Luxemburger Naturfreunde „Fauna“. 
Von Jahrgang 1891 an. 

Madison. Wisconsin Academy of scienses, arts and let- 
ters. Von VIII. 1888 an. 

Magdeburg. Naturwissenschaftlicher Verein. Jahresbericht. 
Vom I. 1871 an. kl. 8. — Abhandlungen. Vom II. Heft 
1870 an. — Festschrift zur Feier des 25jähr. Stiftungs¬ 
tages. 

Mannheim. Verein für Naturkunde. Jahresbericht vom 
XVIII. 1853 an. 

Marburg. Gesellschaft zur Beförderung der gesammten 
Naturwissenschaften: 

a. Sitzungsberichte. Von 1867 an. 

b. Schriften. Vom IX. 1872 an. 

c. Supplementhefte I. bis V., zum IX. Band. 1866 bis 
1869. 

Marseille. Facultd des scienses. Annales. Von 1.1891 an. 
Melbourne. Public library, Museums and National Gallery 
of Victoria. Prodomus of the geology of Victoria. Von 
I. 1878 an. 

Mexico. Observatorio astronomico nacioual de Tacubaya. 
Anuario. Von VIII. 1888 an. 

32* 


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500 


Milano. Societa Italiano di scienze naturali. Atti. Von 
XXVI. 1883 an. 

Milwaukee. Naturhistorischer Verein von Wisconsin. Jahres¬ 
bericht, von 1877—78 an. 

Minnesota. The geological and natural history survey of 
Minnesota. Annual report. Von I. 1872 an. — First 
report of the state Zoologist 1892. 

Modena. Societa dei naturalisti. Annuario. Vom DI. Jahr¬ 
gang 1868 an. 

Moskau. Socidte imperiale des naturalistes. Bulletin, von 
1877 an. 

München. Königl. Bayer. Akademie der Wissenschaften: 

a. Sitzungsberichte. Vom I. Band, Jahrgang 1865, an. 
Jährlich 2 Bände. 

b. Almanach für 1865 und 1871. 

Münster. Westphälischer Provinzialverein für Wissenschaft 
und Kunst. Jahresbericht, von VI. 1877 an. 

Nancy. Societe des Sciences (Anc. Soc. des Sc. natur ä 
Strasbourg, fondee en 1828). Von 1874 an. 
Neuchatel. Societd des Sciences naturelles. Bulletin. Vom 
IV. Band 1856 an. 

Nürnberg. Naturhistorische Gesellschaft. Abhandlungen. 
Vom I. Heft 1852 an. — Festschrift zur Begrtissung des 
18. Kongresses der deutschen anthropologischen Gesell¬ 
schaft. 1887. 

Offenbach. Verein für Naturkunde: 

a. Bericht. Vom V. 1863/64 an. 

b. Denkschrift an die Senckenbergische Stiftung in Frank¬ 
furt bei deren Säcularfeier 1863. 

Osnabrück. Naturwissenschaftlicher Verein. Jahresbericht. 
Vom I. 1870/71 an. 

Philadelphia. Academy of natural Sciences. Proceedings. 
Von 1877 an. 

— Wagner Free Institute of Sciences. Transactions. Von 
Vol. I. 1887 an. 

Pisa. Societa Toscana di scienze naturali. Atti. Vom I. 
Vol. 1875 an. 


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501 


Prag. Naturhistorischer Verein Lotos in Prag. Lotos, Zeit¬ 
schrift für Naturwissenschaften. Vom XII. Jahrgang 
1862 an. 

— Königl. Böhm. Gesellschaft der Wissenschaften in Prag. 

a. Sitzungsberichte. Vom Jahrgang 1865 an. 

b. Abhandlungen. Fünfte Folge. Vom XIV. Band 
1866 an. 

c. Repertorium sämmtlicher Schriften, vom Jahre 1769 
bis 1868. 

Putbus. Entomologischq Nachrichten, herausgegeben von 
Dr. F. Rätter in Putbus. Vom I. Jahrgang 1875 an. 
Regensburg. Zoologisch-Mineralogischer Verein. Corre- 
spondenzblatt. Vom XXV. Jahrgang 1871 an. Von 1886 
an: Naturwissenschaftlicher Verein. Berichte. 

Reichenberg. Verein der Naturfreunde. Mittheilungen 
vom IV. Jahrgang 1873 an. 

Rom. R. Accademia dei Lincei. Atti. Memorie und Tran- 
sunti. Von Serie III., 1876—77 an. 

— R. Comitato geologico d’Italia. Bolletino. Von 1870 
an. Von 1870 bis 1878 in Florenz. 

San Francisco. California Academy of Sciences. 

a. Bulletin. Von Vol. I. No. 4 1885 an. 

b. Proceedings. Von Vol. I. 1889 an. 

c. Occasional papers. Von Vol. I. 1890 an. 

Santiago. Deutscher wissenschaftlicher Verein: Verhand¬ 
lungen. Vom 6. Heft 1888 an. 

Schweizerische naturforschende Gesellschaft (auch Soctete 
helvötique bei Versammlungen in d. franz. Schweiz). 

a. Verhandlungen bei ihren Versammlungen an verschie¬ 
denen Orten. Von der 36. Versammlung 1851 an voll¬ 
ständig. (1855 fehlt). 

b. Geschichte der Gesellschaft zur Feier des 50jährigen 
Jubiläums. 1865. Zürich. 

Socidtd Murithienne (Botanique). Bulletin. I. bis IV. 
1868—1874. Nebst einer Einleitung: Guide du botaniste 
sur le Grand St. Bernard, par M. G. G. Tissiere. 1868. 
Wechselnde Zusammenkunft und Druck. 


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502 


Sondershausen. Botanischer Verein Irmischia. Corre- 
spondenzblatt. 1. Jahrgang 1881 bis 6. Jahrgang 1886. 
— Abhandlungen 1882. 

Stettin. Verein für Erdkunde. Jahresberichte. Vonl. 1883an. 
Stuttgart. K. statistisch-topographisches Bureau. Viertel¬ 
jahrsschrift für Württembergische Geschichte und Alter- 
thumrkunde, in Verbindung mit dem Verein für Kunst 
und Alterthum in Ulm und Oberschwaben, sowie dem 
Württemb. Alterthunisverein in Stuttgart. Vom I. Jahr¬ 
gang 1878 an. 

— Verein für vaterländische Naturkunde in Württem¬ 
berg. Jahreshefte. Vom XX. Jahrgang 1864 an. — Fest¬ 
schrift zum 400jähr. Jubiläum der Tübinger Universität. 

Sydney. Australian museum. Report for 1881. 1884. 

— Royal Society of New South Wales: 

Journal (transactions) & proceedings of the Royal So¬ 
ciety. Von IX. 1875 an. — Rules and list of members 
und verschiedenes Andere s. 9 Bd. S. XIX und 11. Bd. 
1895 S. XXXI. 

— Departement of mines. Annual report 1876—79. 1881. 
1886. 1889. 

— Australian Association for the advancement of Science. 
Report of the meetings. I. 1887. III. 1891. V. 1893. 

Triest. Societä Adriatica di scienze naturali. Bolletino. 
Von III. 1878 an. 

Ulm und Oberschwaben. Verein für Mathematik und 
Naturwissenschaften. Jahreshefte von I. 1888 an. 

— Verein für Kunst und Alterthum. Verhandlungen I. 
1869 bis VII. 1875. Korrespondenzblatt I. 1876 und 
II. 1877. (Dann vereinigt mit der Vierteljahrsschrift 
für Württ. Geschichte etc. s. Stuttgart.) 

Upsala. Geological Institution of University. Bulletin. Vom 
I. 1892/93 an. 

Venedig. Notarisia. Commentarium physiologicum. Von 
I. 1886 an. 

Washington. Smithsonian Institution. 

a. Annual report of the board of regents. Von 1869 an. 

b. List of foreign correspondents of the Smithsonian In¬ 
stitution. 1882. 


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503 


c. Verschiedenes s. 6. Bd. S. 232; 7. Bd. S. XVII; 
8. Bd. S. XXVI; 9. Bd. S. XIX; 11. Bd. 1895 
S. XXXII. 

Wernigerode. Naturwissenschaftlicher Verein des Harzes. 
Schriften. Von I. 1887 an. 

Wien. Akademie der Wissenschaften. Anzeiger. Mathe¬ 
matisch-naturwissenschaftliche Klasse. Vom III. Jahr¬ 
gang 1866 an. 

— K. K. geologische Reichsanstalt. Verhandlungen, von 
1873 an. Jahrbuch, von 1873 an. 

— Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kennt¬ 
nisse. XVI. 1876 bis XX. 1880. 

— K. k. Naturhistorisches Hofmuseum. Annalen. Von 
I. 1865 an. 

Wiesbaden. Nassauischer Verein für Naturkunde. Jahr¬ 
bücher. Vom XIV. Heft 1859 an. 

Württembergischer Schwarzwaldverein. Schriften des—. 
Aus dem Schwarzwald. Vom I. Jahrgang 1894 an. 

Würzburg. Physikalisch-Medizinische Gesellschaft. Würz¬ 
burger naturwissenschaftliche Zeitschrift. V. Band »1864 
und VI. Band 1866/67. Nebst Sitzungsberichten von 
1864 bis 1867. 

— Als Fortsetzung: Verhandlungen der physikalisch-medi¬ 
zinischen Gesellschaft. Neue Folge. 1868. Bd. I. 

Zwickau. Verein für Naturkunde. Jahresbericht von 1872 an. 

Zürich. Naturforschende Gesellschaft. Vierteljahrsschrift. 
Vom I. Jahrgang 1856 an. — Generalregister der Pub¬ 
likationen 1892. — Neujahrsblatt 1892/95. 


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Aöh. d. nufurw. Vier, zu fortsruhe. Bund XL 


Turf. 



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Beilage suBandXI , 18^)5 deiA erhajuiliiTigen des naturvr. Vereins in Karlsruhe 



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