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Verhandlungen
des
Naturwissen...
Vereins in
Karlsruhe
Naturwissenscha...
Verein Karlsruhe
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VERHANDLUNGEN
DES
NATUKWISSENSCHAFTLICHEN
VEREINS
IN
KARLSRUHE.
ELFTER BAND.
1888 BIS 1895.
Mit einer Karte und neun Tafeln.
KARLSRUHE.
DRÜCK UND VERLAG DER G. BRAUN’SCHEN HOFBUCHHANDLUNG.
1896.
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INHALT
Vorbericht.
Vorgänge von 1888 bis 1895 . XIII
Das Lokal. XIII
Besuch und Uebersicht der Sitzungen. XIV
Adressen und Beglückwünschungen. XIV
Nachrufe. XIV
Bewilligung von Beiträgen. XIV
Veröffentlichungen. XV
Besuch von Ausstellungen . XV
Rechnungsführung. XV
Kassenstand. XV
Bibliothek. XXVI
VorsUnd. XXXV
Bewegung unter den Mitgliedern.XXXVI
Mitgllederverzeicbniss.XXXVIII
Sitzungsberichte.
358. Sitzung am 1. Juni 1888.
Engler: Künstliche Medikamentstoffe. 1
359. Sitzung am 6. Juli 1888.
Zweites Gesuch des Herrn Dr. v. Rebeur-Paschwitz und
drittes Gesuch der Anthropologischen Kommission um
Beiträge zu wissenschaftlichen Arbeiten. 8
Engler: Bestimmung von Ozon in der Luft. 3
Derselbe: Weiteres über künstliche Medikamentstoffe... 4
Honseil: Aufsteigen der Aalbrut in Gewässern des Rbein-
gebietes. 4
Meidinger: Ein englischer Patentprozess. 4
360. Sitzung'am 26. Oktober 1888.
Engler : (Jeber das Ozon. 9
Meidinger: Der Phonograph und das Graphophon. ... 13
961. Sitzung am 9. November 1888.
Berts: Eine neue Influenz-Elektrisirmaschine.16
Meidinger : Die elektrischen Transformatoren.16
Plate: Photographien aus der Gegend des Titisee’s ... 17
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VI
388. Sitzung am 28. Mftrz 1890.
• Bley: Deutsche Pi oni rar beit in Ostafrika.94
389. SitzüBg am 25. April 1890.
Generalversammlung: Thfttigkeitsbericht.94
Fiats: Formverhältnisse des Granits.94
390. Sitzung am 9. Mai 1890.
Engler: Theorien der Bildung des Erdöls.96
391. Sitzung am 23. Mai 1890.
Wiener: Ergebnisse von Messungen an Kindern .... 98
Christiani: Anwendung von Kabeln im Fernsprechbetrieb . 101
392. Sitzung am 6. Juni 1890.
Lehmann: Flüssige Krystalle und spröde Flüssigkeiten . . 103
393. Sitzung am 20. Juni 1890.
Bunte: Heizwerth der Steinkohle.106
394. Sitzung am 4. Juli 1894.
Engler: Entwicklung der Strukturtheorie.110
Wiener: Wirklichkeit der Aussen weit.110
395. Sitzung am 10. Oktober 1890.
(5) Gesuch der Anthropologischen Kommission um Zuschuss 113
Caroli: Vorführung des Edison’schen Phonographen . . . 113
396. Sitzung am 24. Oktober 1890.
Ammon : Ergebnisse der Kopfroeesungen und Walten der
natürlichen Selektion beim Menschen.113
Wiener: Die Falb’schen Wetterprophezeiungen.121
397. Sitzung am 7. November 1890.
Lehmann: Molekulare Umlagerungen bei festen Körpern . 122
398. Sitzung am 19. November 1890.
Meyer: Besteigung des Kilimandscharo ........ 126
399. Sitzung am 21. November 1890.
Löwenhers: Arbeiten der phys.-techn. Reichsanstalt . . . 129
400. Sitzung am 5. Dezember 1890.
Valentinen Die Veränderlichkeit der Polhöbe.130
401. Sitzung am 9. Januar 1891.
Matthiessen: Planeten zwischen Mars und Jupiter . . . 134
Ammon: Merkwürdigkeiten aus der Artistenwelt .... 134
402. Sitzung am 14. Januar 1891.
Kling: Togoland an der westafrikanischen Küste .... 135
403. Sitzung am 30. Januar 1891.
Ammon: Atavistische Bildungen am menschlichen Körper 135
Strack: Blater’s Erleichterungstafel zum Rechnen .... 135
404. Sitzung am 13. Februar 1891.
Schell: Beziehungen der synthetischen Geometrie zur theo¬
retischen Mechanik. .136
405. Sitzung am 27. Februar 1891.
Leute: Botanische Funde in ägyptischen Todtenkammern . 137
Schleiermacher: Gesteinsplitter mit Blitzspuren.139
Meidinger: Merkwürdige Bodenerscheinung.139
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VII
406. Sitzung am 13. M&rz 1891.
Meidinger: Entwicklung der Dynamo-elektrischen Maschine 142
Strack: Merkwürdige Lichterscheinong am Himmel . . . 143
407. Sitzung am 1. Mai 1891.
Generalversammlung: Thätigkeitsbericht, Neuwahl des
Vorstandes.145
Schuberg: Wuchsverhaltnisse der Buche.145
408. Sitzung am 15. Mai 1891.
Kumm: Wechselbeziehungen zwischen Pflanzen und Ameisen 149
409. Sitzung am 29. Mai 1891.
Ammon: Beobachtungen im Lager der Rothh&ute.... 149
Meidinger: Elektrische Kraftübertragung zwischen Lauffen
und Frankfurt ..149
410. Sitzung am 12. Juni 1891.
Weise: Der Weisstannenkrebs ..160
411. Sitzung am 16. Oktober 1891.
(6) Gesuch der Anthropologischen Kommission um Zuschuss 154
Vorsitzender : Nachruf an Hofrath Just.164
Migula: Leuchtende Bakterien ..-.154
Meidinger: Technische Anwendungen der Elektrolyse • • 155
412. Sitzung am 30. Oktober 1891.
Adresse an Helmholtz.155
Endres: Klimatische etc. Bedeutung des Waldes .... 156
413. Sitzung am 13. November 1891.
Vorsitzender: Nachruf an Geh. Rath Schweig.159
Schreiben von Helmholtz.159
Schober: Entstehung der Harze in der Pflanze.160
Ammon : Anthropolog. Beobachtungen in der Arbeiterwelt . 162
Graebener: Seltsame Eibildung. 162
414. Sitzung am 23. November 1891.
Morgen: Reisen im Hinterland von Kamerun . . . . • 162
415. Sitzung am 27. November 1891.
Meidinger : Dynamo-Maschinen.162
Engter: Alkaloid-Synthese.163
416. Sitzung am 11. Dezember 1891.
Bebmann: Struktur der pflanzlichen Zellwände.164
Schüliheiss: Selbstaufzeichnender Regenmesser.166
417. Sitzung am 8. Januar 1892.
Christiani: Fernsprechverbindungsanlagen.166
Schtdtheiss : Aufzeichnung eines Registrirbarometers . . . 169
418. Sitzung am 22. Januar 1892.
Lehmann: Anwendung des Entrogieprinzips ih der Chemie 170
419. Sitzung am 5. Februar 1892.
Graf Pfeil: Uhaha und seine Bewohner.172
420. Sitzung am 19. Februar 1892.
Bistenpart: Neuer Stern im Sternbild des Fuhrmanns . . 172
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VIII
421. Sitzung am 4. März 1892.
Meidinger: Entwicklung der Aluminium-Industrie .... 175
.Ammon; Bemerkungen über Kopf-Indexe.175
422. Sitzung am 18. März 1892.
Treutlein: Einführung der neuen Zeit ........ 176
423. Sitzung am 20. Mai 1892.
Generalversammlung: Thätigkeitsbericht.176
Wiener: Lichtzerstreuung durch matte Körperoberflächen . 176
424. Sitzung am 14. Juni 1892.
Besuch der Landesgewerbehalle bei Beleuchtung .... 179
425. Sitzung am 17. Juni 1892.
Ammon: Kopfmessungeu an Gelehrten und Ungelehrten . . ISO
426. Sitzung am 1. Juli 1892.
Treutlein: Stundenzonenzeit und Weltzeit.183
427. Sitzung am 21. Oktober 1892.
(7) Gesuch der Anthropologischen Kommission um Zuschuss 183
Glückwunsch an v. Babo.184
Bistenpart: Unsichtbare Sterne.184
428. Sitzung am 25. Oktober 1892.
Schmitt: Sicherung der Karawanenstrasse in Deutsch-Ost¬
afrika etc. ... 1S4
429. Sitzung am 4. November 1892.
Wiener: Empfindungseinheit zum Messen der Empfindungs-
stärke.184
430. Sitzung am 18. November 1892.
Wilser: Unser Stammbaum.187
Bistenpart: Entwicklung des Kometen Holmes.192
431. Sitzung am 2. Dezember 1892.
Lehmann: Elektrisches Licht durch hochgespannte Ströme 193
432. Sitzung am 16. Dezember 1892.
Treutlein: Der Karlsruher Wetterkundige Stieffel .... 200
Meidinger: Nachruf an W. v. Siemens.200
433. Sitzung am 13. Januar 1893.
Ziegler: Die Urgeschichte der Familie.200
434. Sitzung am 10. Februar 1893.
Beitrag zu einem Gauss-Weber-Denkmal.202
Haid: Messung der neuen Bonner Basis.202
435. Sitzung am 24. Februar 1893.
Valentiner: Veröffentlichungen der Sternwarte. 4. Bd. . . 203
Hagen: Die Bataks im Innern von Sumatra.205
436. Sitzung am 10. März 1893.
Huber: Erlebnisse auf Sumatra’s Westküste.209
437. Sitzung am 1. April 1893.
Meyer: Die Entwicklung unserer Kolonien.210
438. Sitzung am 5. Mai 1893.
Generalversammlung: Thätigkeitsbericht, Neuwahl des
Vorstandes.. . . ..215
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IX
Ernennung von Grashof zum Ehrenpräsidenten.215
Vorlage von Ammon*s Werk: Die natürliche Auslese beim
Menschen.215
Engler: Die Elemente.215
439. Sitzung am 19. Mai 1893.
Adresse an Grashof . 217
Vorlage dreier Schriften von Wilser .217
Schöltz: Joseph Gottlieb Kölreuter.217
Scheurer: Edison*« Mimeograph.217
440. Sitzung am 2. Juni 1893.
Meidinger: Ammoniaksalze im Ofenrohr.217
Ammon: Bedeutung der Ständebildung für das Menschen¬
geschlecht .213
441. Sitzung am 16. Juni 1893.
Meidinger: Explosionen von Stubenöfen.219
Platz: Topogr. Verhältnisse des Lauterberges.219
Wiener: Strahlenbrechung in Atmosphäre.220
442. Sitzung am 80. Juni 1893.
(8) Gesuch der Anthropologischen Kommission um Zuschuss 222
Platz: Temperaturverhältnisse des badischen Landes . • . 222
Bistenpart: Thermometr. Aufzeichnungen der Sternwarte . 224
Schultheiss: Abnahme der Temperaturen mit Höhe . . . 224
Baur: Ueber Mimulus luteus.225
443. Sitzung am 13. Oktober 1893.
Engler: Reiseerinnerungen aus Amerika.226
444. Sitzung am 27. Oktober 1893.
Vorsitzender: Nachruf an Geh. Rath Grashof.227
Treutlein: Einführung der mitteleuropäischen Zeit.... 228
Migüla: Ein neues System der Bakteriologie.228
Graebener: Biitzspuren an einem Kupfer-Monument . . . 228
Baur: Solanum hystrix und rostratum.229
445. Sitzung am 10. November 1893.
Meyer: Ueber Physiologie der Stimme und Sprache . . . 229
446. Sitzung am 24. November 1893.
Vorsitzender: Danksagung von Prof. Rud. Grashof . . . 229
Vorsitzender: Das Gauss-Weber-Denkmal in Göttingen . . 230
Brauer: Besuch der Chicagoer Ausstellung.230
447. Sitzung am 8. Dezember 1893.
Ammon: Abnorme Bildung am Menschen ....... 232
Treutlein: Aufhebung des kirchlichen Verbotes der koperni-
kanischen Lehre.233
44S. Sitzung am 5. Januar 1894.
Vorsitzender: Nachruf an Geh. Hofrath Knop und an Prof.
Hertz in Bonn. 234
Mit: Ueber die Natur der Wärme.235
449. Sitzung am 19. Januar 1894.
Launhardt: Der Nordostseekanal.235
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X
450. Sitzung am. 2. Februar 1894.
DoU: Mitteilungen über Hertz.235
Haid: Bedeutung der Messungen der Schwerkraft für die
Erdmessung.235
451. Sitzung am 9. Februar 1894.
Schmidt-Schar ff: Reise in Mexico.236
452. Sitzung am 16. Februar 1894.
Christiani : Wirkungsweise der Induktionsübertrager im tele¬
phonischen Fernbetrieb.236
Schultheiss: Künstliche Erzeugung von Regen.238
453. Sitzung am 21. Februar 1894.
u. Stetten: Expedition von Kamerun nach Yola .... 240
454. Sitzung am 9. März 1894.
Wüser: Ueber Vererbungstheorien.240
455. Sitzung am 12. März 1894.
Spring : Die Stationen am Viktoriasee.244
456. Sitzung am 27. April 1894.
Bunte : Bemerkungen über die chemische Industrie Amerika’s 244
457. Sitzung am 11. Mai 1894.
WeUmer: Ueber den dynamischen Flug und die Segelrad¬
flugmaschine ..246
458. Sitzung am 25. Mai 1894.
General Versammlung: Tätigkeitsbericht. Kassenbericht.
Antrag des Kassirers.253
Ammon: Wachsthums- und Gestaltsverschiedenheiten des
menschlichen Körpers mit Bezug auf die Antike . . .
Wiener: Standesherkunft bedeutender M&nner.256
459. Sitzung am 8. Juni 1894.
Wiener: Ueber Wahrheit in der Kunst.257
Bistenpart: Entdeckungen der Lick-Sternwarte ..... 260
460. Sitzung am 22. Juni 1894.
(9.) Gesuch der Anthrop. Kommission um Zuschuss . . . 261
Behrens: Ueber den Botaniker J. G. Kölreuter.261
Baur: Pflanzen nach Kölreuter’s Namen.261
Ammon: Bastarde im Pflanzenreich.261
Meidinger: Ankündigung eines Vortrags Ober Durchsichtig¬
keit der Luft. 261
Reinhard: Führung der Vereinsmitglieder in die Gasaus¬
stellung am 26. Juni.262
461. Sitzung am 6. Juli 1894.
Treutlein: Mittheilung über Kölreuter.262
Lehmann: Die magische Kerze, elektrische Diffusion . . . 264
462. Sitzung am 20. Juli 1894.
Bistenpart: Schwankungen der Polhöhe.265
463. Sitzung am 26. Oktober 1894.
B. Doll: Ueber die Immunität.267
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XI
464. Sitzung am 9. November 1894.
M. Doll: Die optische Werkstätte von Zeiss, Jena . . . 267
465. 8itzung am 21. November 1894.
Herold: Land und Leute in Togo.271
466. Sitzung am 80. November 1894.
WtUer: Ueber europäische Menschenrassen.271
467. Sitzung am 14. Dezember 1894.
Lehmann: Der elektrische Lichtbogen.275
468. Sitzung am 11. Januar 1895.
Druck von Reutti’s Werk über die Lepidopteren Badens . 281
Meidinger: Ueber Durchsichtigkeit der Luft.281
469. Sitzung am 1. Februar 1895.
Schuliheiss: Meteorol. Beobachtungen am Eiffelthurm etc. . 281
470. Sitzung am 15. Februar 1895.
Kost: Ueber neuere Explosivstoffe.284
471. Sitzung am 1. März 1895.
Engler: Synthese, pflanzliche und thierische Stoffe aus
Elementen.287
472. Sitzung am 15. März 1895.
Trauschold: Ueber die Krym.289
Holemann: Modelle des Mechanismus der Kieferzange des
Wirbelthiertypus.291
473. Sitzung am 5. April 1895.
Ruidermann: Land und Leute am Viktoriasee.292
474. Sitzung am 3. Mai 1895.
Generalversammlung: Thätigkeitsbericht, Neuwahl des
Vorstandes.293
Engler: Ueber das Argon.293
Abhandlungen.
1. Der Aufstand in Deutsch-Ostafrika, von G . Märcker .... 1
2. Ueber das Wachsthum des menschlichen Körpers, von Geh. Hof¬
rath Dr. Wiener .22
3. Ein neuer Schädelmesser (Kranirmesser) von Geh. Hofrath
Dr. Wiener .43
4. Ueber die Schönheit der Linien, von Geh. Hofrath Dr. Wiener 47
5. Beweis für die Wirklichkeit der Aussenwelt, von Geh. Hofrath
Dr. Wiener .74
6. Das Xanthorrhoeaharz, von Dr. A. Schober .81
7. Zur Einführung der mitteleuropäischen Zeit, von Prof. J. P.
Treutlein .111
8. Ueber Stundenzonenzeit und Weltzeit, von Prof. J. P. Treutlein 138
9. Der Karlsruher Meteorologe Stiefle!, von Prof« J. P. Treutlein 162
10. Unsichtbare Sterne, von Dr. Fr. Ristenpart ....... 201
1L Studien über die Temperatur-Verhältnisse in Baden, von Prof.
Dr. Ph. Platz . 230. 490
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XII
1
12. J. G. Kölreuter, von Dr. J. Behrens ..268
13. Die Glocken und ihre Töne, von Geh. Hofrath Prof. Dr. W. Schell 321
14. Die Lehre von der Immunität, Vortrag von Dr. K. Doll . . 332
15. Pisidium ovatum Cless. von Geheimrath Prof. D. F. von Sand -
herger in Würzburg.344
16. Die Bedeutung der Ständebildung für das Menschengeschlecht,
von 0. Ammon .346
17. Mittheilungen über H. Hertz, von Dr. M. Doü .355
18. Ueber Durchsichtigkeit der Luft im Hinblick auf Fernsichten,
von Hofrath Prof. Dr. H. Meidinger .360
19. Das Erdbeben vom 13. Januar 1895 im südlichen Schwarzwald
und den benachbarten Gebieten des Eisass und der
Schweiz von Dr. A. Langenbeck in Strassburg . . . 412
20. Die Geschichte der Pocken und der Schutzpockenimpfungen
von Dr. K. Doll .. 467
Verzeichniss
der Stellen, mit denen der naturwissenschaftliche Verein in Tausch¬
verkehr steht, und ihrer eingesendeten Publikationen . 493
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VORBERICHT.
Das Lokal.
Die Sitzungen wurden, wie bereits 1883 begonnen (s.
9. Band S. IX.), in den Räumen der Gesellschaft „Museum“
abgehalten; im Winter diente der kleine Saal des Haupt*
gebäudes, im Sommer der Wirthschaftssaal des Gartenge¬
bäudes; bei den gemeinsamen Sitzungen mit andern Vereinen,
zu denen auch die Familienangehörigen der Mitglieder ge¬
laden waren, wurde der grosse Museumssaal verwendet.
Einige Sitzungen fanden im Hinblick auf Demonstrationen
im physikalischen Hörsaale der Technischen Hochschule statt.
Besuch und Uebersicht der Sitzungen.
1688/89 |
1889/90
1890/91 j
1891/92
1892 93
1693/94 1
o
-
) 2
I. Sitzungen mit andern Vereinen .
1
5
2
2
3
5
2
2 Gewöhnliche Sitzungen ....
12
14
16
14
12
15
14
Gesummter Besuch ad 2 ....
403
354
472
341
408,
452
503
Mittlerer Besuch ad 2.
33
25
29
24
34
30
36
Zahl der Vorträge ad 1 und 2 . .
20
31
25 [
22
18
29
24
Astronomie und Zeit.
1
1
2
2
4
2
2
Geodäsie, Topographie.
—
1
2 1
1
2
; —
Physik (reine und technische) . .
6
10
6
5
1
4
3
Meteorologie, Hydrographie . . .
11
5
3
o
—
4
2
f liemie (reine und technische) . .
3
11
i 3
2,
; 1
2
2
r l eehnik im Allgemeinen und Werk-
Stätten .........
1
1 1
1 '
|
1
1
Mineralogie und Geologie ....
1
1
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Botanik..
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2
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Land- und Forstwirtschaft . . .
1
2
1
2
—
—
—
Zoologie und Bakteriologie . . .
2
—
—
2
—
1
1
Medicin, Hygiene, Physiologie . .
Anthropologie, Völker- und Alter¬
—
1
1
1
1
thumskunde .
2
1
2
3
3
3
4
Erdbeschreibung, Reisen ....
1
5
2
2
4
6
3
Geschichtliches und Nachrufe . .
Berichte über Versammlungen, Aus¬
—
1
2
2
2
stellungen ..
Verschiedenes (Philosophie, Aesthe-
— I
i — |
— 1
1
—
1
tik, Musik, Kunst, Gerichtliches)
1
1
1
n
1
Adressen und Beglückwünschungen.
Zur Feier ihres 100jährigen Bestehens wurde der physi¬
kalisch-ökonomischen Gesellschaft in Königsberg ein Beglück¬
wünschungsschreiben gesendet (385. Sitzung).
Herrn Geh. Rath Dr. Helmholtz in Berlin wurde zur
Feier seines 70. Geburtstages eine künstlerisch ausgestattete
Adresse gesendet (412. u. 413. Sitzung).
Herrn Geh. Rath von Babo, z. Z. in Karlsruhe, wurden
zur Feier seines 50jährigen Doktor-Jubiläums die Glückwünsche
durch eine Kommission ausgedrückt (429. Sitzung).
Nachrufe.
Den mit Tod abgegangenen Mitgliedern Hofrath Dr. Just,
Geh. Rath Dr. Schweig, Geh. Rath Dr. Grashof, Geh.
Hofrath Dr. Knop und dem früheren Kollegen Professor
Dr. Hertz in Bonn wurden vom Vorsitzenden warme Nach¬
rufe gewidmet (411., 413., 444., 448. Sitzung).
Bewilligung von Beiträgen.
Zur Fortsetzung ihrer Untersuchung der körperlichen
Beschaffenheit der Bevölkerung Badens an den Militärpflich¬
tigen wurden der Anthropologischen Kommission in jedem
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XV
Jahre ein Beitrag von 200 M. bewilligt (359., 374., 395.,
411., 4£7., 442., 460. Sitzung).
Zu einem Ohm-Denkmal in München und einem Gauss-
Weber-Denkmal in Göttingen wurden je 100 M. (370. u.
434. Sitzung), zu einem Spital in Sansibar 50 M. beigetragen
(387. Sitzung).
Veröffentlichungen.
Die Veröffentlichung von Gerichtsnotar Reutti’s Werk über
die Lepidopteren Badens wurde beschlossen (468. Sitzung).
Besuch von Ausstellungen.
Am 14. Juni 1892 fand ein Abendbesuch der Grossh.
Landesgewerbehalle bei elektrischer Beleuchtung statt (424.
Sitzung), am 26. Juni 1894 ein Besuch der Ausstellung von
Gas- und Wasserapparaten in der städtischen Ausstellungs¬
halle (460. Sitzung).
Rechnungsführung.
Vom Jahre 1894 wird die Rechnungsführung über das
unabhängige Vereinsvermögen und die über die Schenkung
des früheren Vereins für wissenschaftliche Belehrung ver¬
einigt werden (458. Sitzung).
Kassenstand im Jahre 1888/89.
I. Des Naturwissenschaftlichen Vereins.
Einnahme.
1. Kassenrest von 1887/88 . . Ji>. 319.17
2. Beiträge von 130 Mitgliedern
i 5 1.„ 650.—
3. Zinsen, einschliesslich derjeni¬
gen von Vermögen ad II „ 720.75
4. Für verkaufte Drucksachen . „ 1.50
5. Temporäres Darlehen des
Kassiers. „ 700.—
Jk 2391.42
Digitized by Google
XVI
Ausgabe.
1. Dienerschaft, Abschriften, Porti,
Inserate etc. Jk
2. Staats- und Gemeindesteuern „
3. Lokalmiethe..
4. Büclier, Karten, Cliche’s, Ein¬
bände etc.„
5. Beitrag an die Anthrop.
Kommission.„
Beitrag an Dr. von Bebeur-
Paschwitz.„
Vortrag von Dr. Paulitzchke
G. Ankauf von Mobiliar . . . „
7. Für Jahresbericht X ... „
277.59
26.21
66.—
226.20
200 .—
83.20
66.43
30.23
1675.12
Jk 2650.98
Ausgaben .... Jk 2650.98
Einnahmen . . . . n 2391.42
also Mehrausgabe . Jk 259.56
gedeckt durch den Kassenbestand ad II.
II. Des ehemaligen Vereins für wissenschaftliche
Belehrung.
Einnahme.
Kassenrest von 1887/88 . Jk 473.43
Keine.
Kassenrest am 30. April 1889 . Jk. 473.43
also ad 1 Mehrausgabe . ... Ji 259.56
ad II Bestand.. 473.43
Verbleibt Kassenrest. Jk. 213.87
wovon baar in Kasse .... Jk. 183.—
bei der Badischen Bank . . . „ 30.87
Jk 213.87
Vermögensstand am 30. April 1889:
ad I Staatspapiere wie im Vorjahre Jk. 11685.72
Zugang.. 500.—
Jk. 12185.72
Digitized by Google
XVII
Uebertrag .. Jk. 12185.72
Mehrausgabe . . Jk. 259.56
Darlehen des Kassiers „ 700.—.
" „ 959.56
_ Jk 11226.16
ad II bei der Bank und baar Jk 473.43
Staatspapiere wie im Vorjahre 5700.—
Jk 6173.43
Jk 17399.59
am 30. April 1888 . , 18678.32
somit Abnahme in 1888/89 . Jk 1278.73
Kassenstand im Jahre 1889/90.
I. Des Naturwissenschaftlichen Vereins.
Einnahme.
d. Beiträge von 123 Mitgliedern
ä 5 JL und zwei rückständige
Beiträge vom Vorjahr . . Jk. 625.—
2. Zinsen, einschl. derjenigen von
Vermögen ad II . „ 705.25
3. Für verkaufte JL 500. — Ob¬
ligation . „ 532.50
Jk 1862.75
Ausgabe.
1. Schuld der Kasse vom Vorjahr Jk. 259.56
2. Rückerstattetes Darlehen des
Kassiers . . . . . . • „ 700.—
3. Dienerschaft, Abschriften,
Porti, Inserate etc. „ 234.39
4. Staats- und Gemeindesteuern „ 25.28
5. Lokalmiethe.„ 162.—
6. Beitrag für Ohms Denkmal.. „ 100.—
Beitrag an die Anthrop.
Kommission.. 200.—
Uebertrag
Jk 1681.23
Digitized by
Google
XVIII
Uebertrag . Jk.
Beitrag zum Vortrag von
Zöllner.„
Beitrag zum Vortrag von
Märker.„
Beitrag zum Vortrag von Bley „
Beitrag für deutsches Hospital
in Zansibar.„
7. Kassenrest am 30. April 1890 „
1681.23
34.10
30.85
28.40
50.—
38.17
1862.75
II. Des ehemaligen Vereins für wissenschaftliche
Belehrung.
Einnahme.
Kassenrest von 1888/89 . Jk 473.43
Ausgabe.
Keine.
Kassenrest am 30. April 1890 .„ 473.43
Kassenrest ad I. Jk 38.17
Kassenrest ad II.. 473.43
ergibt den Gesammtkassenrest von.„ 511.60
wovon baar in Kasse . . .
bei der Badischen Bank . .
. Jk
• 1)
A_
3.48
508.12
Vermögensstand am 30. April 1890:
ad I Staatspapiere wie im Vorjahre Jk
Abgang . . . ..„
Jk.
12185.72
500.—
511.60
Kassenrest.
Jk 11685.72
. „ 38.17
ad II bei der Bank und baar
Staatspapiere wie im Vorjahre
Jk.
n
473.43
5700.—
11723.89
6173.43
am 30. April 1889 . . .
• . •
Jk 17897.32
. . . „ 17399.59
somit Zunahme in 1889/90 . Jk 497.73
Digitized by Google
XIX
Kassenstand im Jahre 1890/91.
I. Des Naturwissenschaftlichen Vereins.
Einnahme.
1. Kassenrest von 1869/90 . . Jk
2. Beiträge von 118 Mitgliedern
i 5 «A..
3. Zinsen, einschliesslich derjeni¬
gen von
Vermögen ad 11 . Jl 699.44
Stückzinsen aus
JL 400 Obligation „ 4.05
»
4. Zinsen und Conto-Corrent an
der Badischen Bank . . . „
Ausgabe.
1. Dienerschaft, Abschriften,
Porti, Inserate etc.
JL
253.86
2.
Staats- und Gemeindesteuern
JJ
26.21
3.
Miethe.
Jl
12.—
4.
Clichds.
1)
107.75
5.
Beitrag zum Vortrag von Caroli
Beitrag an die Antrop.
Jl
50.—
Kommission . . . .
an Kolonialgesellschaft für zwei
»
200.—
6.
Vorträge.
1 Stück 4proz.Preuss. Consols
n
20.66
Jk 400 ä 106 1 /».
n
426.—
7.
Kassenrest am 30. April 1891
jj
235.04
Jk 1331.52
11. Des ehemaligen Vereins für wissenschaftliche
Belehrung.
Einnahme.
Kassenrest von 1889/90 . Jk. 473.43
b*
38.17
590 —
695.39
7.96
JL 1131.52
Digitized by <^.ooQ[e
XX
Ausgabe.
Keine.
Kassenrest am 30. April 1891. Jb. 473.43
Kassenrest ad I. Jk. 235.04
Kassenrest ad II. » 47 3.43
ergibt den Gesammtkassenrest von .... JL 708.47
wovon baar in Kasse. . . . Jk. 133.30
bei der Badischen Bank . . . 575.17
Jk 708.47
Vermögensstand am 30. April 1891:
ad I bei der Bank und baar. „ 235.04
Staatspapiere wie im Vorjahre . Jk. 11685.72
Zugang. . 400.—
Jk 12085.72
Jk 12320.76
ad II bei der Bank und baar . Jb. 473.43
Staatspapiere wie im Vorjahre . „ 5700.—
, 6173.43
Jk 18494.19
am 30. April 1890 .'. . . . „ 17897.32
somit Zunahme in 1890/91 . Jk. 596.87
Kassenstand im Jahre 1891/92.
I. Des Naturwissenschaftlichen Vereins.
Einnahme.
1. Kassenrest von 1890/91 . . Jk 235.04
2. Beiträge von 120 Mitgliedern
ä 5 Jk und ein rückständiger
Beitrag vom Vorjahr . . . „ 605.—
3. Zinsen, einschliess¬
lich derjenigen von
Vermögen ad II Jk 721.44
Stückzinsen . . „ 6.55
, 714.89
4. Zinsen und Conto-Corrent an
der Badischen Bank . . _ 7.96
Jk 1562.89
Digitized by
Google
XXI
Ausgabe.
1. Dienerschaft, Abschriften,
Porti, Inserate etc. . . .
A
179.84
2. Staats- und Gemeindesteuern
ff
26.74
3. Lokalmiethe ......
»
75.-
4. Clicbe’s etc.
»
159.50
5. Beitrag für Vortrag von
Hettner.
n
38.33
Beitrag an die Antrop.
Kommission.
»
200—
6. 1 Stück Preuss. Consols
A 500.— k 105 ... .
n
525—
7. Kassenrest am 30. April 1892
ff
358.48
A 1562.89
II. Des ehemaligen Vereins für wissenschaftliche
Belehrung.
Einnahme.
Kassenrest von 1890/91 ....
•
A
473.43
Ausgabe.
Keine.
Kassenrest am 30. April 1892
Kassenrest ad I. Jk
358.48
n
473.43
Kassenrest ad II. n
473.43
ergibt den Gesammtkassenrest von .
• • • •
n
831.91
wovon baar in Kasse . . . . A
149.99
bei der Badischen Bank . . . „
681.92
n
831.91
Vermögensstand am 30. April 1892.
ad I bei der Bank und baar . .
Staatspapiere wie im Vorjahre A
12085.72
n
358.48
Zugang . „
500—
A
12585.72
A
12944.20
ad II bei der Bank und baar . A
473.43
Staatspapiere wie im Vorjahre „
5700—
n
6173.43
A
19117.63
am 30. April 1891
•
ff
18494.19
somit Zunahme in 1891/92 . .
\
A
623.44
Digitized by Google
XXII
Kassenstand im Jahre 1892/93.
I. Des Naturwissenschaftlichen Vereins.
Einnahme.
1. Kassenrest von 1891/92 , . JL 358.48
2. Beiträge von 118 Mitgliedern
ä 5 A.„ 590.—
3. Zinsen einschliess¬
lich derjenigen von
Vermögen ad II . A 754.84
Stückzinsen . . „ 4.80
750.04
4. Zinsen und Conto-Corrent an
der Badischen Bank . . . „ 3.46
5 . für ein verkauftes Heft . . „ 5 .—
6. für eine ausgelooste Badische
Obligation. ' . . .' . . . „ 300.—
A 2006.98
Ausgabe.
1. Dienerschaft, Abschriften,
Porti, Inserate etc.
A
212.54
2. Staats- und Gemeindesteuern
25.42
3. Lokalmiethe.:
n
75.—
4. Clich6s..
»
5.—
5. Beitrag an die Anthrop.
Kommission.
n
200.—
Beitrag für Denkmal Gauss-
Weber . . . : . . .
»
100.—
6. 1 Stück Preuss. Consols
A 1000 .
1071.20
7. Kassenrest am 2. Mai 1893.
»
317.82
A 2006.98
II. Des ehemaligen Vereins für wissenschaftliche
Belehrung.
Einnahme.
Kassenrest von 1891/92 .A 473.43
Digitized by
Google
xxin
Ausgabe.
Keine.
Kassenrest am 2. Mai 1893 .„ 473.43
Kassenrest ad I. Jk. 317.82
Kassenrest ad II. 473.43
ergibt den Gesammtkassenrest von . ... Jk. 791.25
wovon baar in Kasse . ... Jk. 137.83
bei der Badischen Bank . . . „ 653.42
A79L25
Vermögensstand am 2. Mai 1893.
ad I bei der Bank und baar . i .... Jk. 317.82
Staatspapiere wie im Vorjahre Jk. 12585.72
ab eine ausgeloste Badische Ob¬
ligation . . 300.—
Jk. 12285.72
Zugang.„ 1000.—
' Jk. 13285.72
JL 13603.54
ad II bei der Bank und baar . JL 473.43
Staatspapiere wie im Vorjahre . „ 5700.—
~~ JL 6173.43
ZU 19776.97
Am 30. April 1892 .„ 19117.63
somit Zunahme in 1892/93 .. Jk 659.34
Kassenstand im Jahre 1893/94.
1. Des Naturwissenschaftlichen Vereins.
Einnahme.
1. Kassenrest von 1892/93 . . JL 317.82
2. Beiträge von 124 Mitgliedern
i 5 M.. 620.—
üebertrag . ~M> 937.82
Digitized by Google
XXIV
Uebertrag . M> 937.82
3. Zinsen einschliess¬
lich derjenigen von
Vermögen ad II. JL 783.44
Stückzinsen . . „ 9.50
773.94
4. Zinsen und Conto-Corrent an
der Badischen Bank . . . „ - 2.76
JL 1714.52
Ausgabe.
1. Dienerschaft, Abschriften,
Porti, Inserate etc.....
A
263.81
2. Staats- und Gemeindesteuern
v
25.55
3. Lokalmiethe.
f)
72.—
4. Clichös etc.
n
115.85.
5. Beitrag an die Anthrop.
Kommission.
n
200.—
Vortrag von 0. Meyer . .
n
50.—
„ „ Wellner . . .
r>
33.—
6. 1 Stück Preuss. Consols JL 600
n
643.30
7. Kassenrest am 18. Mai 1894
n
311.01
JL 1714.52
II. Des ehemaligen Vereins
für
wissenschaftliche
Belehrung.
Einnahme.
Kassenrest von 1892/93 . JL 473.43
Ausgabe.
Keine.
Kassenrest am 18. Mai 1894 . JL 473.43
Kassenrest ad I. JL 311.01
Kassenrest ad II. „ 473.43
ergibt den Gesammtkassenrest von . ... JL 784.44
wovon baar in Kasse. . . . JL 668.82
bei der Badischen Bank . . . „ 115.62
JL 784.44
Digitized by <^.ooQ[e
XXV
Yermögensstand am 18. Mai 1894.
ad I bei der Bank und baar .
Staatspapiere wie im Vorjahre
• I
Ms.
13285.72
Jk
311.01
Zugang .. .
n
600.—
13885.72
14196.73
ad II bei der Bank und baar .
JL
473.43
Staatspapiere wie im Vorjahre
r>
5700,—
Ms.
6173.43
Ms.
20370.16
Am 2. Mai 1893 .
• ■
. . . .
n
19776.97
somit Zunahme in 1893/94. .
• «
. . . .
JL
593.19
Kassenstand im Jahre 1894/95.
Des Naturwissenschaftlichen Verein:
3.
Einnahme.
1. Kassenrest von 1893/94 . .
2. Beiträge von 130 Mitgliedern
Ms.
784.44
ä 5i. .
3. Zinsen . . . . Ms. 790.78
n
650.—
Stückzinsen . . „ 6.40
T)
784.38
4 . Zinsen und Conto-Corrent an
der Badischen Bank . . .
5. für zwei ausgelooste Badische
n
i.—
Obligationen ä 100 fl. . .
n
3.42.86
Jk
2562.68
Ausgabe.
1. Dienerschaft, Abschriften,
Porti, Inserate etc. . . .
2. a conto des zu druckenden
Ms.
219.40
Berichts .
n
600 —
3. Staats- und Gemeindesteuern
»
26.34
Uebertrag .
Ms
845.74
Digitized by Google
XXVI
Uebertrag .
Jk
845.74
4. Lokalmiethe .......
75.—
5. Clichd’s etc.
51
40.—
6. Beitrag an die Anthrof.
Kommission.
»
200.—
Beitrag an den Colonial-
Yerein für Vorträge . . .
»
50.32
7. 1 Stück deutsche Reichsan¬
leihe Jk. 500 .
1»
470.50
8. Kassenrest am l .Mai 1895 .
n
881.12
wovon baar in Kasse ....
Jk.
200.46
bei der Badischen Bank . . .
7>
680.66
Vermögensstand am 1. Mai
1895.
Staatspapiere wie im Voijahre .
Jk.
13885.72
des ehern. Vereins für naturw.
Belehrung.
»
5700.—
Jk.
19585.72
ab zwei ausgelooste Badische Ob¬
ligationen .
w
342.86
Jk.
19242.86
Zugang .
n
500.—
Bei der Bank und baar . .
Am 18. Mai 1894 . . . »
somit Zunahme in 1894/95 .
Jk. 2562.68
Jk. 881.12
Jk. 19742.86
, 881.12
Jk 20623.98
„ 20370.16
Jk. 253.82
Digitized by Google
XXVII
Bibliothek.
Der Naturwissenschaftliche Verein unterhält zur Zeit
mit 146 Stellen (Vereine, Gesellschaften, Akademien, Mu¬
seen etc.) einen Austausch der Veröffentlichungen. Im Fol¬
genden sollen vorerst Diejenigen bezeichnet werden, welche
seit Ausgabe des 10. Bandes neu in den Verkehr eingetreten
sind; sodann wird ein Verzeichniss besonderer Einsendungen
von früher namhaft gemachten Stellen, sowie von Geschenken
von Privaten folgen.
Am Schlüsse des Bandes ist noch zur bequemen Ueber-
sicht ein Verzeichniss aller betreffenden Stellen nebst ihren
regelmässigen Veröffentlichungen beigefügt, wie sie in den
Bänden 6 bis 10 und nachstehend aufgenommen sind.
Neu zugegangen in den Tauschverkehr seit 1888.
Halifax (Nova Scotia). Nova Scotian Institute of Natural
Science. Proceedings and Transactions. Vol. VH Part
IH u. IV. 1888—1890. Second Ser. Vol. I, Part I, II
u. IU. 1890—1893.
Marseille. Faculte des Sciences. Annales. Von Band I,
1891 an.
Ulm und Oberschwaben. Verein für Mathematik und
Naturwissenschaften. Jahreshefte. Von I. 1888 an.
Gent. Kruidkundig Genootschap Dodonäa. Botanisch Jaar-
boek. Vom 1. Jahrgang 1889 an.
Württembergischer Schwarzwaldverein. Blätter des —.
Aus dem Schwarzwald. Calw, Wildbad. Vom I. Jahrgang
1893 an.
Milano. Sociöta Italiana di Scienze Naturali. Atti. Vol.
XXVI—XXXIII. 1883—1891.
Santiago. Deutscher wissenschaftlicher Verein. Verhand¬
lungen, 6. Heft, 1888 u. II. Bd., 1. Heft, 1889.
Ulm. Verein für Mathematik und Naturwissenschaften.
Jahreshefte 1. Jahrg. 1888. 4. u. 5. Jahrg. 1891/92.
Digitized by
Google
XXVIII
Hamilton, Canada. Hamilton Association. Journal and
Proceedings. Von Jahrg. 1890, Part VII an.
Upsala. Geological Institution of the University. Bulletin,
von Vol. 1, 1892/93 an.
Besondere Einsendungen*
a. Von Gesellschaften und Stellen.
Budapest. K. ungarische naturw. Gesellschaft:
Schenzl, G., Dr. Beiträge zur Kenntniss der erdmagnet.
Verhältnisse in den Ländern der Ungar. Krone, 539 S.
und 6 Taf. (4.) 1881.
— Orley, Ladislaus. Monographie der Anguilluliden. 165 S.
und 7 Taf. (8.) 1880.
— Maderspach, Livius. Magyarorszäg Vas4rcz - Fekhelyei.
111S. und 14 Taf. (4.) 1880.
— Buza, J. Die Krankheiten unserer Kulturpflanzen. 132 S.
(8.) 1879.
— Daday, E. Darstellung der ungar. zoolog. Literatur in
den Jahren 1870—1880. 186 S. (8.) 1882.
— Gruber, L. Anleitung zu geograph. Ortsbestimmungen.
307 S. (8.) 1883.
— Kosutany, T. Ungarns Tabaksorten. 47 S. (4.) 1882.
— Schenzl, G. Anleitung zu erdmagnetischen Messungen.
321 S. (8.) 1884.
— Hazslinszlky, F. Die Flechtenflora des ungar. Reiches.
304 S. (8.) 1884.
— Mathematische und naturwissenschaftliche Berichte aus
Ungarn. I. Bd. 419 S. und 5 Taf. (8.) 1882/83. II.
III. VI. Vli.
— Hazslinszky, Frigyes. A Magyar Birodalom Moh-Flöraja.
280 S. (8.) 1885.
— Heller Agost. A. Kir. Magyar Termeszerttudomänyi
Tärsulat Könyveinek Czimjegyzeke. II. Füzet. 179 S.
(8.) 1886.
* Siehe auch: 3.‘Heft 18Ö9 S. IX. — B. Heft 1871 S. X. —
7. Heft 1876 S. XV. - 8. Heft 1881 S. XXV. — 9. Heft 1888 S. XVTO.
— 10. Heft 1888 S. XXV.
Digitized by Google
XXIX
Budapest. Chyzer, Kornel. Die Churorte und Heilquellen
Ungarns. 120 S. (12.) 1885.
— Herman, Otto. Urgeschichtliche Spuren in den Geräthen
der ungar. volksthümlichen Fischerei. 45 S. (12) 1885.
— Budai, Josef. Die sekundären Eruptivgesteine des Per-
sanyer Gebirges. 63 S. (8.) 1886.
— Daday, Eugen. Morphologisch - physiologische Beiträge
zur Kenntniss der Hexarthra Polyptera, Schon. 107 S.
und 2 Taf. (8.) 1886.
— Läszlö Desiderius, Eduard. Chemische und mechanische
Analyse ungarländischer Thone mit Rücksicht auf ihre
industrielle Verwendbarkeit. 84 S. (8.) 1886.
— Kabos Hegyfoky. Die meteorologischen Verhältnisse des
Monats Mai in Ungarn. 204 S. (4.) 1886.
— Bela von Inkey. Nagyäg und seine Erzlagerstätten.
175 S. (4.) 23 Textabb. und 4 Karten. (1.)
— Herman, Otto. A magyar halaszat könyve (De piscatu
Hungariae). I. und H. zus. 860 S. Text mit vielen
Abbild, und 21 Taf. (8.) 1887.
— Simonkai, Lajos. Erdely edönyes floräjanak (Enumeratio
florae transsilvariae). 678 S. (8.) 1886.
— Daday de Dees, Eugenius. A magyarorszägi Cladoceräk
mngänrajza (Crustacea Cladocera faunae Hungariae).
128 S. und 4 Taf. mit je 1 S. Erläut. (4.) 1888.
— Fröhlich, J. Mathematische und naturwissenschaftliche
Berichte aus Ungarn. IV. Bd. (Juni 1885 bis Juni 1886).
303 S. und 3 Taf. V. Bd. (Juni 1886 bis Juni 1887).
(8.) 323 S. und 5 Taf. 8. u. 9. Bd. 10., 11. u. 12. Bd.
— Jelentes a Magyar Kir. Technolögiai Iparmuzeum 1888/89.
Evi MUködäsäröl. 87 S. (8.) 1889.
— Daday, Jenö. A Magyarorszägi Myriopodäk Magänrajza.
126 S. und 3 Taf. mit Erläuterungen. (4.) 1889.
— Ulbricht, Richärd. Adatok Abor-es Mustelcmzes Mod-
szerehez. 116 S. (8.) 1889.
— Hermann, 0. Lebensbild von J. S. von Pedenyi, der
Begründer der wissenschaftl. Ornithologie in Ungarn.
1799 bis 1855. 137 S. und 1 Taf.
— Daday, Jenö. A. Magyar Allattani Irodalom etc. 307 S.
(8.) 1891.
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XXX
Budapest. Pungur Gyula. A Magyarorszagi TUcsökfdldk
Termdszctrajza. 79 S. und 5 Taf. (4.) 1891.
Christiania. Von der König!. Universität. Publikation
der norwegischen Kommission der europäischen Grad¬
messung. Resultate der im Sommer 1894 in dem süd¬
lichsten Theile Norwegens ausgeführten Pendelbeob¬
achtungen, 1895. — Astronomische Beobachtungen und
Vergleich der astronom. und geodät. Resultate. 97. S.
1895.
— Von der Königlichen Universität.
The norwegian north-atlantic expedition. 1876—78:
— XIX. Actinida.
— XX. Tycnogonidea.
— XXL Grinoida echinida.
— XXII. Ophiuroidea.
— Norges Vaextrige et bidrag til Nord-Europas Natur- og
Culturhistorie, af F. C. Schübeler. I. Bd. 400 S. 3 Taf.
Christiania, 1885.
— Lakis Kratere og Laxastrome af A Heiland. 1886.
— Nordharets Dybder, Temperatur og Stromininger, ved H.
Mohn. XVIII. A. B.
— Viridarium Norwegium von Schubeier. II—IV. Th.
Rierulf. Bestrivelse af en Raekke norske Bergarten.
91 S. Christiania, 1892.
Chur. Naturl. Gesellschaft Graubündens. Die Ergebnisse
der sanitärischen Untersuchungen der Rekruten des Kan¬
tons in den Jahren 1875/79. 109 S. 4 Taf.
Deutsche Naturforscher und Aerzte:
a. Tageblatt der 62. Versammlung zu Heidelberg 1889.
750 S. (4.) Heidelberg.
b. Verhandlungen der 63. Versammlung zu Bremen 1890.
2. Theil. Abtheilungssitzung. 666 S. (8.) Leipzig.
c. Verhandlungen der 64. Versammlung zu Halle 1891.
2. Theil, 628 S. (8.) Leipzig.
Dürkheim. Pollichia. Festschrift zur 50jährigen Jubel¬
feier 1892.
Graz. Verein der Aerzte in Steiermark. Chronik des
Vereins der Aerzte in Steiermark 1863—1888 zur
Erinnerung an die Feier seines 25jährigen Bestandes.
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XXXI
Königsberg. Physikalisch-ökonomische Gesellschaft.
Führer durch die geolog. Sammlungen des Provinzial-
Museums. 106 S. mit 75 Textabb. und 2 Tabellen.
Leipa. Nordböhmischer Exkursionsklub. Häntschel’s
botanischer Wegweiser. 260 S. (12.) 1890.
Nürnberg. Naturhistorische Gesellschaft. Festschrift
zur Begrüssung des XVIII. Kongresses der deutschen
Anthropologischen Gesellschaft in Nürnberg. 91 S.
Text mit 12 Tafeln und 31 Abbild. (8) 1887.
Rom. Zoologicae Res. An. I. 1894, No. 2. 14 S. u. 1 Taf.
(8). Rom, 1894.
Sydney. Von Australian Museum und Department of mines:
— Catalogue of the Australian birds in the Museum. 1891.
— Catalogue of the Austr. stalk and sessile-eyd Crostacea.
1882.
— Descriptive catalogue of the Medusa in the Austr. seas.
— Catalogue of birds.
— Records of the Australian Museum.
— Descriptive catalogue of the spongs. 1888.
— Descriptive catalogue of exhibits of metals, minerals,
fossils and timbers. 1888.
— Memoire of the geological survey of New-South-Wales.
Palaeontology No. 3, 4.
— Geology of the vegetable creek tin-mining field, New-
England district. 1887.
— History and description of a new sperm whall, called
Euphysets. 1887.
— The invertebrate Fauna of the Hawkesbury — Wiana-
massa series. Palaeontology No. 1. 1888.
— Contributions of the tertiary Flora of Australia. Pa¬
laeontology No. 2. 1888.
— Mineral producta of New-South-Wales. 1887.
— Records of the geological survey of New-South-Wales
I. II. 1889.
— Wattles and wattle-barks. Technical education series.
No. 6. 1890.
Washington. Von Smithsonian Institution.
Annual report of the Controller of the Currency, 49
Congr. of the U. S. 1. Ses. 1885.
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XXXII
Washington. Bulletin of the Minnesota Academy of natural
Sciences. Ul. 1.
— Journal of the Elisha Mitchell scientific society. 1889.
— Report of the Secretary of agriculture. 1890—1893.
North American Fauna No. 8.
— U. S. Department of agriculture. Bulletin 3 und 4.
The Hawks and Owls.
— Memoirs of the National Academy of Sciences. VI.
— Annual address. Meriden scientific association. 1893.
Cincinnati Museum association. 12 Rep. 1892.
Wien. K. K. Geographische Gesellschaft. Mittheilungen.
Bd. XXXIII Nr. 1. 68 S. (8) u. 1 Taf. (4). Wien, 1890.
Zürich. Naturforschende Gesellschaft General-
Register der Publikationen. 92 S. (8.) Zürich, 1892.
Dieselbe. Neujahrsblatt 1892 bis 1895.
b. Von Privaten.
Ammon, Otto. Die natürliche Auslese beim Menschen.
326 S. (8.) Jena, 1893.
— Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grund¬
lagen. 408 S. (8.) Jena, 1895.
— La selection naturelle chez l’homme. (L’Anthropologie
Nov., Dez. 1892.)
— Die Bedeutung des Bauernstandes für den Staat und die
Gesellschaft. 36 S. Berlin, 1894.
— Anthropologische Untersuchungen der Wehrpflichtigen in
Baden. 36 S. (8.)
— Wiederholte Wägungen und Messungen von Soldaten.
34 S. u. 3 Taf. (8.) Berlin, 1893.
— Die Körpergrösse der Wehrpflichtigen im Grossherzog¬
thum Baden in den Jahren 1840—1864. 27 S. Text
(4) u. 2 Taf. (1). Karlsruhe, 1894.
— Anthropologisches aus Baden (Beilage der Allgemeinen
Zeitung, Nr. 10, Jahrg. 1894).
— Warum siegten die Japaner? (Naturw. Wochenschrift
Nr. 11, Jahrg. 1895).
— Und sie verzehren sich doch. („Das Land“, Nr. 17 u. 18,
Jahrg. 1895.)
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XXXIII
Ammon, Otto, Die Vererbung „erworbener“ Eigenschaften.
(Naturw. Wochenschrift Nr. 32, Jahrg. 1895).
— Die erste naturwissenschaftliche Gesellschaftstheorie
(Naturw. Wochenschrift Nr. 37, Jahrg. 1895).
— Die Auslegung graphischer Darstellungen in der Anthro-
pometrie (Naturw. Wochenschrift Nr. 44, Jahrg. 1895).
— Die ältesten Nachbildungen der menschlichen Gestalt
(Naturw. Wochenschrift Nr. 2, Jahrg. 1896).
Bauer, Wilh. Die Laubmoose des Grossherzogthums Baden.
79 S. (8.) Freiburg, 1894.
Emery, C. Estudios sobre las Hormigas de Costa Rica.
24 S. (8.) San Jose, 1894.
Harperath, L. 500 Thesen über die Weltbildung. 87 S.
(8.) Köln, 1894.
Kii chhoff, A. Bericht der Generalkommission für wissen¬
schaftliche Landeskunde über die zwei Geschäftsjahre
von Ostern 1889 bis Ostern 1891. 6 S. (8.) Berlin,
1891.
Knop, A. Beitrag zur Kenntniss der in den Diamantfeldern
von Jagersfontein (Südafrika) vorkommenden Mineralien
und Gesteine. 16 S. (8°.)
Krieger, Dr. Aetiologische Studien. Ueber die Disposition
zu Katarrh, Croup und Diphteritis der Luftwege. 2. Ausg.
271 S. (8.) Mit 25 Tab. Strassburg, 18S0.
Kuhn, M. Ueber die Beziehung zwischen Druck, Volumen
und Temperatur bei Gasen. 60 S. (12°.) Wien, 1893.
Kumm, Paul. Ferdinand Roemer, sein Leben und Wirken.
(Separat-Abdruck aus den Schriften der Naturforschen¬
den Gesellschaft in Danzig. Neue Folge VHI. Bd.,
1. Heft.) 30 S. (8.)
Kuntze, Otto. Geogenetische Beiträge. 77 S. mit 7 Textabb.
und 2 Profilen. (8.) Leipzig, 1895.
Langenbeck, R. Die Erdbebenerscheinungen in der ober¬
rheinischen Tiefebene und ihrer Umgebung (Separat-
Abdruck aus den „Geogr. Abhandlungen aus Eisass-
Lothringen“. 1895. Heft 2).
Lapouge, M. G. de. Granes modernes de Karlsruhe.
(L’Anthropologie), 17 S. (8.)
— Leben und Sterben der Völker, übersetzt von Otto
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XXXIV
Ammon (in der Täglichen Rundschau vom 18. Nov. 1894
veröffentlicht).
Mehlis C. Der Grabfund aus der Steinzeit von Kirchheim
a. d. Eck (Pfalz). 70 S. (8.) Mit 6 Taf. 1881. — Der
Drachenfels bei Diirkheim a. d. H. 32 S. (8) mit 1 Plan.
Dürkheim 1894. (Beide Schriften von der Pollichia).
Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und Heil¬
kunde. Zur Feier des 50jähr. Jubiläums der Universität
Bonn. 161 S. (4.) Mit 5 Taf. 1868.
Penck, A. Bericht der Centralkommission für wissenschaft¬
liche Landeskunde von Deutschland von Ostern 1891 bis
Ostern 1893. 21 S. (8.) Berlin, 1893.
Platz, Ph. Studien Uber Temperatur-Verhältnisse in Baden.
38 S. Text u. 6 Taf. (8.) Karlsruhe, 1894.
Sandberger, F. v. Ueber Steinkohlenformation und Roth-
liegendes im Schwarzwald und deren Floren. 26 S. (4.)
(Seite 77—102.) (4.)
— Ueber die Erzgänge der Gegend von Freudenstadt und
Bulach im Württembergischen Schwarzwald. (Aus den
Sitzungsberichten der mathemathisch - physikalischen
Klasse der Akademie der Wissenschaften 1891 Bd. XXI,
Heft 3. S. 281—318.)
— Studien zur Messung der horizontalen Gliederung von
Erdräumen. 44 S. u. 1 Taf. (8 # .) 1891.
— Uebersicht der Mineralien des Regierungsbezirks Unter¬
franken und Aschaffenburg (Sep.-Abdruck aus geo-
gnostische Jahreshefte IV. Jahrg.). 34 S. (8.) Kassel, 1892.
— Untersuchungen über die allgemeinste lineare Substitution
deren Potenzen eine endliche Gruppe bilden, von G. Rost.
28 S. (4.) Leipzig, 1892.
— Geologische Skizze der Umgebung von Würzburg. 12 S.
— Zur Geologie der Gegend von Homburg v. d. Höhe. 26 S.
u. 1 Taf. (8.) Wiesbaden, 1893.
— Verzeichniss der Conchylien des nördlichen badischen
Schwarzwaldes. 7 S. (8.)
— Ueber krystallisirte Hüttenprodukte u. A. 4 S. (8.)
— Bemerkungen über die Kalktuffablagerung im Becken
von Wiesbaden (Sonderabdruck aus den Jahrbüchern des
Nassauischen Vereins für Naturkunde. 48. Jahrg.).
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XXXV
Schiötz, O. E. Resultate der im Sommer 1893 im nörd¬
lichen Theile Norwegens ausgeführten Pendelbeobach¬
tungen nebst einer Untersuchung über den Einfluss der
Bodenerschütterungen auf die Schwingungszeit eines Pen¬
dels. 42 S. (8.) Christiania, 1894.
Schleicher, Karl. Darstellung und Umkehrung von Theta¬
quotienten, deren Charakteristiken aus Dritteln ganzer
Zahlen gebildet sind. 26 S. (8.) Bayreuth, 1890.
Wilser, L. Klima und Hautfarbe (Separatabdruck aus dem
Korrespondenzblatt der Deutschen anthropol. Gesellschaft
Nr. 3. 1894).
Wolf, J. Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen
Grundlagen (in der Beilage z. Allgem. Ztg. vom 17. Mai
1895 veröffentlicht).
Vorstand.
In den Generalversammlungen vom 3. Mai 1889 und
1. Mai 1891 wurde der frühere Vorstand wieder gewählt;
ebenso in der Generalversammlung vom 5. Mai 1893 mit
Ausnahme des wegen Erkrankung auf das Amt verzichten¬
den Geh. Rath Dr. Gras hof, an dessen Stelle Herr Direktor
Treutlein als Mitglied und Herr Geh. Hofrath Wiener als
Vorsitzender ernannt wurde; an Stelle des am 27. Dezember
1893 verstorbenen Geh. Hofrath Dr. Knop wurde Herr Hof¬
rath Dr. Lehmann gewählt. In der Generalversammlung
vom 3. Mai 1895 wurden dieselben Mitglieder bestätigt. Der
Vorstand besteht somit zur Zeit aus folgenden Herren:
1. Geh. Hofrath Prof. Dr. Wiener, Vorsitzender.
2. Geh. Hofrath Prof. Dr. Engler, Stellvertreter des
Vorsitzenden.
3. O. Bartning, Kassirer.
4. Hofrath Prof. Dr. Meidinger,
Bibliothekar.
5. Oberbaudirektor Prof. Hon seil.
6. Hofrath Prof. Dr. Lehmann.
7. Direktor Prof. Treutlein.
Schriftführer und
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XXXVI
Bewegung unter den Mitgliedern.
In der Zeit vom März 1888 bis Ende des Jahres 1895
hat die Zahl der ordentlichen Mitglieder um 78 zu- und um
62 abgenommen. Neu eingetreten sind die Herren:
Im Jahre 1888: Professor A. Holz mann, Assistent
Dr. K. Brick, Assistent Dr. H. Heine, Professor M. Möller,
prakt. Arzt Dr. A. Resch, Assistent Dr. P. Tschierske;
1889: prakt. Arzt Dr. F. Kaiser, Professor Dr. M.
Friedländer, prakt. Arzt Dr. E. Wernicke, Postrath
W. Cliristiani, Konsul W. S. Niebuhr, Ingenieur L.
Pulvermann, Mechaniker 0. Behm;
1890: prakt. Arzt Dr. A. Benckiser, Assistent Dr.
O. Pfeiffer, Hofrath Dr. 0. Lehmann, Assistent Dr.
P. K. Kumm, prakt. Arzt Dr. K. Doll, Bankdirektor A.
van der Kors, Ingenieur L. Bartning, Fabrikdirektor
H. Beeg;
1891: Professor Dr. W. Migula, Bergmeister Dr. L.
Buchrucker, Lehramtspraktikant M. Karle, Assistent Dr.
A. Liebrich;
1892: Direktor A. Maul, Direktor Fr. Reichard, Assi¬
stent Dr. F. Ristenpart, Professor II. Volz, Professor
Fr. Schmidt, Assistent Dr. G. Mie, Augenarzt Dr. Th.
Gelpke, Kustos Dr. K. Hilger, Professor Dr. H. Ziegler;
1893: Assistent Dr. K. Tesch, prakt. Arzt Dr. M.
Wormser, Professor E. Brauer, Assistent Dr. A. Schu-
berg, prakt. Arzt Dr. 0. Tross, Regierungsbaumeister
R. Näher, prakt. Arzt Dr. Fr. Netz, Photochemiker R. Jahr,
Ingenieur K. de Millas, Professor U. Müller;
1894: Ingenieur L. Schiff, Hilfsbibliothekar A. Voigt,
Geometer J. Bürgin, Postinspektor E. G. Spranger, Pro¬
fessor R. Massinger, prakt. Arzt Dr. K. Gutmann, Pro¬
fessor M. Wacker, prakt. Arzt Dr. E. Lembke, Professor
Dr. R. Brauns, prakt Arzt Dr. J. Jourdan, prakt. Arzt
Dr. E. Molitor;
1895: Professor R. Grashof, Staatsrath H. v. Traut-
schold, Geh. Rath 0. v. Struve, Lehrer L. Schröder,
Forstrath X. Siefert, Professor Dr. L. Klein, prakt. Arzt
Dr. E. Fischbach, Baurath A. Williard, Lehramtspraktikant
J. Dörr, Lehramtspraktikant A. Hübler, Lehramtsprakti-
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XXXVII
kant F: Stark, Professor E. Arnold, Augenarzt Dr. 0.
Brugger, Lehramtspraktikant K. Dienger, Professor Pr.
K. Futterer, Dr. R. Knittel, Garnison-Bauinspektor G.
H. Kolb, Generallieutenant z. D. E. Küster, prakt. Arzt
Dr. Fr. Levinger, Apotheker W. Löblein, Ingenieur L.
Pulvermann, Oberstlieutenant a. D. Chr. v. Schmalz,
Dr. H. Wislicenus.
Durch den Tod verlor der Verein 19 Mitglieder, nämlich
die Herren:
'Obergeometer Mayer (f 1889),
Geh. Rath Bär (f 1890),
Staatsrath Dr. Dell (f 1890),
Rechtsanwalt Kusel (f 1890),
Privatier Stiegler (f 1890),
Hofrath Dr. Just (f 1891),
Professor Maier (f 1891),
Geh. Rath Dr. Schweig (f 1891),
Geh. Rath Schmitt (f 1892),
Geh. Rath Dr. Grashot (f 1893),
Geh. Hofrath Dr. Knop (f 1893),
Privatier Kreglinger (f 1893),
Privatier von Ravenstein (f 1893),
Professor Richard (f 1893),
Assistent Dr. Scholtz (f 1893),
Direktor Stetter (f 1893),
Geh. Rath Zimmer (f 1893),
Geh. Rath Dr. Hardeck (f 1894),
Gerichtsnotar Reutti (f 1895),
sowie das Ehrenmitglied:
Herrn J. V. Hayden, United-States Geologist in Phila¬
delphia (f 1887).
Ausgetreten sind 43 Mitglieder, von denen, zum Theil
in Folge von Berufungen, von Karlsruhe fort zogen die Herren:
Ingenieur Groth, Dr. Eichler, Ingenieur Faber,
Dr. Heine, Professor Dr. Hertz, Ingenieur Kupferschmied,
Professor Möller, Centralinspektor Sayer, Oberingenieur
Schrödter, Dr. Tschierske, Assistenzarzt Dr. Wernicke,
Baurath Bissinger, Privatier Blau, Reallehrer Bopp,
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XXXVIII
Dr. Brick, Dr. Knoblauch, Dr. Kumm, Dr. Liebrich,
Dr. Matthiessen, Professor Rebmann, Dr. Schober, Forst¬
rath Weise, Professor Dr. Ziegler, Professor Dr. Brauns,
Professor Dr. Endres, Professor Dr. Friedländer, Lehr¬
amtspraktikant Karle, Oberregierungsrath Dr. Lydtin,
Dr. A. Schuberg.
Die Zahl der ordentlichen Mitglieder des Vereins beträgt
bei Abschluss dieses Bandes (Ende des Jahres 1895) 141
Personen.
Mitglieder ■ V erzeichniss.
a. Ehrenmitglieder.
Die Herren:
Moritz, Dr. A., Staatsrath in Dorpat (1804).
Sandberger, Geheimrath Dr. F. von, Professor der Minera¬
logie in Würzburg (1864).
Schönfeld, Dr. E., Professor der Astronomie in Bonn (1864).
Sohncke, Dr. L., Professor der Physik in München (1883).
b. Korrespondirende Mitglieder.
Herr Temple, R., Schriftsteller in Pest (1870).
c. Mitglieder.
Die Herren:
Ammon, 0., Privatier (1883).
Arnold, E., Professor der Elektrotechnik an der Technischen
Hochschule (1895).
Arnsperger, Dr. L., Obermedizinalrath (1883).
Bartning, 0., Privatier (1.82).
Battlehner, Dr. F., Geh. Rath (1866).
Baur, W., Apotheker in Ichenheim (1892).
Behm, 0., Mechaniker (1889).
Behrens, Dr. J., Assistent an der Technischen Hochschule
(1892).
Beinling, Dr. E., Landwirthschaflsinspektor an der land-
wirthschaftlich-botanischen Versuchsanstalt (1879).
Die beigefügten Jahreszahlen bedeuten das Jahr der Aufnahme.
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XXXIX
Benckiser, Dr. A., Hofrath (1890).
Bibliothek, Königliche, in Berlin (1882).
Blankenhorn, Dr. A., (1869).
Brauer, E., Professor der theoretischen Maschinenlehre an
der Technischen Hochschule (1893).
Brugger, Dr. 0., Augenarzt (1895).
Buchrucker, Dr. L., Bergmeister (1891).
Bürgin, J., Geometer (1894).
Bunte, Dr. H., Hofrath, Professor der chemischen Tech¬
nologie an der Technischen Hochschule (1888).
Caroli, W., Oberbergrath a. D. (1866).
Cathiau, Dr. J. Th., Gewerbeschul-Rektor (1876).
Christiani, W., Postrath (1889).
Delisle, K., Oberingenieur a. D. (1886).
Dieckhoff, Dr. E., Professor der Chemie an der Technischen
Hochschule (1880).
Deinger, K., Lehramtspraktikant (1895).
Döll, G., Apotheker (1875).
Dörr, J., Lehramtspraktikant (1895).
Doll, Dr. K., Stadtarzt (1890).
Doll, Dr. M., Obergeometer, Lehrer der praktischen Geo¬
metrie an der Technischen Hochschule (1872).
Dolletscheck, Ed., Kaufmann (1877).
Drach, A., Oberbaurath (1881)..
Edelsheim, W. Freiherr von, Obersthofmeister (1867).
En gier, Dr. K., Geh. Hofrath, Professor der Chemie an
der Technischen Hochschule (1876).
Fischbach, Dr. E., prakt. Arzt (1895).
Futterer, Dr. K., Professor der Mineralogie und Geologie
an der Technischen Hochschule (1895).
Gelpke, Dr. Th., Augenarzt (1892).
Gernet, K., Oberstabsarzt (1875).
Glöckner, E., Geh. Rath (1878).
Gmelin, Dr. A., Geh. Rath a. D. (1872).
Goffin, L., Direktor der Maschinenbau-Gesellschaft (1879).
Gräbener, L., Hofgartendirektor (1880).
Grashof, R., Professor am Gymnasium (1895).
Grimm, Dr. K. von, Ministerialpräsident a. D. (1886).
Gutmann, Dr. K., prakt. Arzt (1894).
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XL
Haass, R., Chemiker (1875).
Hafner, F., Regierungsrath (18SG).
Haid, Dr. M., Professor der Geodäsie an der Technischen
Hochschule (1882).
Hart, J., Geh. Hofrath, Professor des Maschinenbaues an
der Technischen Hochschule (1870).
Hassenkamp, K., Privatier (1875).
Heraberger, J., Hofbaudirektor (1880).
Hildebrandt, M., Geh. Finanzrath (1881).
Ililger, Dr. K., Kustos des Naturalien-Kabinets (1892).
Hoffmann, Dr. A., Generalarzt a. D. (1862).
Hoffmann, Dr. Hugo, Stadtarzt (1881).
Holzmann, Aug., Professor an der Ober-Realschule (1893).
Hon seil, M., Oberbaudirektor und Professor des Wasser¬
baues an der Technischen Hochschule (1884).
Hübler, A., Lehramtspraktikant (1895).
Jourdan, Dr. Jos., prakt. Arzt (1894).
Kaiser, Dr. Fr., Bezirksassistenzarzt (1889).
Käst, Dr. H., Professor der Chemie an der Technischen
Hochschule (1883).
Keller, Dr. K., Hofrath, Professor des Maschinenbaues an
der Technischen Hochschule (1869).
Klein, Dr. L., Professor der Botanik an der Technischen
Hochschule (1895).
Knittel, Dr. Rieh., Buchhändler (1895).
Kohlhepp, Fr., Bezirksthierarzt (18S6).
Kolb, G. H., Garnison-Bauinspektor (1895).
Kors, Aug. van der, Bankdirektor (1890).
Kossmann, Dr. H., Hofrath (1863).
Kressmann, A. Th., Major a. D. (1875).
Küster, E., Generallieutenant z. D. (1895).
Lautz, R., Kommerzienrath (1862).
Lehmann, Dr. 0., Hofrath, Professor der Physik an der
Technischen Hochschule (1890).
Lembke, Dr. Ernst, prakt. Arzt (1894).
Leutz, F.,‘Seminardirektor (1872).
Levinger, Dr. Friedr., prakt. Arzt (1895).
Löblein, Wilh., Apotheker (1895).
Lorenz, W., Kommerzienrath (1879).
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XII
Maier, E., Geh. Hofrath, Augenarzt (1871).
Massinger, R., Professor an der Ober-Realschule (1894).
Meidinger, Dr. H., Hofrath, Vorstand der Grossh. Landes¬
gewerbehalle und Professor der technischen Physik an
der Technischen Hochschule (1865).
Mie, Dr. Gust, Assistent am physikalischen Institut der
Technischen Hochschule (1892).
Migula, Dr. W., Professor der Botanik an der Technischen
Hochschule (1891).
Millas, K. de, Ingenieur (1893).
Molitor, Dr. E., prakt. Arzt (1894).
Molitor, Dr. F., Medizinalrath, Krankenhausarzt (1862).
Müller, Dr. Udo, Professor der Forstwissenschaft an der
Technischen Hochschule (1893).
Näher, R., Regierungsbaumeister (1893).
Nessler, Dr. J., Geh. Hofrath, Vorstand der landwirth-
schaftlichen Versuchsstation (1862).
Netz, Dr. F., prakt. Arzt (1893).
Nüsslin, Dr. 0-, Professor der Zoologie an der Technischen
Hochschule (1878).
Pfeiffer, Dr. 0., Assistent an der Landesgewerbehalle (1890).
Platz, Dr. Ph., Professor a. D. (1863).
Pulvermann, L., Ingenieur (1895).
Reck, K. Freiherr von, Kammerherr, Geh. Rath (1869).
Regenauer, E. von, Geh. Rath, Präsident der General¬
intendanz der Grossh. Givilliste (1868).
Reichard, Fr., Direktor der städtischen Gas- und Wasser¬
werke (1892).
Resch, Dr. A., Stadtarzt (1888).
Riffe], Dr. A., prakt. Arzt (1876).
Ristenpart, Dr. Fr., Assistent an der Sternwarte (1892).
Sachs, W., Ministerialrath (1885).
Sayer, C., Professor der Ingenieurwissenschaft an der Tech¬
nischen Hochschule (1891).
Schell, A., Bauinspektor (1878).
Schell, Dr. W., Geh. Hofrath, Professor der theoretischen
Mechanik an der Technischen Hochschule (1868).
Scheurer, K., Hofmechaniker (1877).
Schiff, L., Ingenieur (1893).
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XLII
Schleiermacher, Dr. A., Professor der Elektrotechnik an
der Technischen Hochschule (1881).
Schmaltz, Chr. von, Oberst a. D. (1895).
Schmidt, Fr., Professor der wissenschaftlichen Photographie
an der Technischen Hochschule (1892).
Schrickel, 0., Oberstabsarzt a. D. (1862.)
Schröder, Dr. E., Professor der Mathematik an der Tech¬
nischen Hochschule (1876).
Schröder, L., Lehrer (1895).
Schuberg, K., Oberforstrath, Professor der Forstwissen¬
schaft an der Technischen Hochschule (1872).
Schultheiss, Dr. Chr., Privatdozent für Meteorologie an der
Technischen Hochschule und Grossh. Meteorolog (1886).
Schweickert, M., Oberlehrer (1873).
Seeligmann, A., prakt. Arzt (1862).
Seith, K.; Professor am Gymnasium (1885).
Seneca, F., Fabrikant (1863).
Sickler, K., Privatier (1862).
Siefert, X., Forstrath (1895).
Sievert, Ed., Major a. D. (1884).
Spranger, Ed. G., Postinspektor (1894).
Sprenger, A. E., Ministerialrath (1878).
Spuler, Dr. K., prakt. Arzt (1862).
Stark, F., Lehramtspraktikant (1895).
Strack, Dr. 0., Professor am Gymnasium (1876).
Stratthaus, K., Korpsrossarzt a. D (1873).
Struve, 0. von, Wirkl. Geh. Rath (1895).
Tein, M. von, k. b. Bauamtsassessor (1888).
Trautschold, Dr. H. von, Staatsrath (1895).
Treutlein, J. P., Direktor am Realgymnasium (1875).
Tross, Dr. 0., prakt. Arzt (1893).
Valentiner, Dr. W., Vorstand der Sternwarte, Professor
der Astronomie an der Technischen Hochschule (1880).
Voigt, Dr. A., Hilfsbibliothekar an der Technischen Hoch¬
schule (1894).
Volz, H., Professor an der Akademie der bild. Künste (1892).
Wacker, M., Professor am Realgymnasium (1894).
Wagner, Dr. E., Geh. Rath, Oberschulrath und Konservator
der Alterthümer (1864).
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agner, Gust., Privatier in Achern (1876).
altz, L., Privatier (1875).
edekind, Dr. L., Professor der Mathematik an der Tech¬
nischen Hochschule (1876).
eil er, Dr. Aug., Professor a. D. (1883).
iener, Dr. Chr., Geh. Hofrath, Professor der darstellen¬
den Geometrie und graphischen Statik an der Tech¬
nischen Hochschule (1864).
illiard, A., Baurath (1895).
User, Dr. L., Stadtarzt (1881).
ormser, Dr. M., prakt. Arzt (1893).
Für die Redaktion verantwortlich
Der Schriftführer:
Hofrath Prof. Dr. H. Meidinger.
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Fortsetzung der Sitzungsberichte.
358. Sitzung am I. Juni 1888.
Anwesend 27 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Rath Dr. Grashof.
Herr Hofrath Dr. Engler hielt einen Vortrag über künst¬
liche Medikamentstoffe. Nach einer gedrängten Erläu¬
terung der chemischen Constitution der organischen Stoffe
auf Grund der bei den Atomen beobachteten Verwandtschafts¬
erscheinungen ging der Vortragende zur Besprechung einer
grösseren Anzahl künstlicher Medikamentstoffe über. Diese
gehören fast ausnahmslos der Gruppe der organischen Stoffe
an, enthalten sonach Kohlenstoff, Wasserstoff, meist auch
Sauerstoff, gleichsam als grundlegende Elemente, ln vielen
Fällen treten noch Stickstoff, Chlor, Brom, Jod und Schwefel
hinzu, und wie für die zahlreichen künstlichen Farbstoffe
(Anilinfarben etc.), so bildet auch für die in neuester Zeit
dargestellten künstlichen Medikamentstoffe der in den Gas¬
fabriken als Nebenprodukt erhaltene Theer vielfach das Aus¬
gangsmaterial.
Der Gastheer wird in besonderen Fabriken durch De¬
stillation in seine Einzelbestandtheile, wie z. B. Benzol,
Toluol, Xylol, Carbolsäure, Naphtalin, Anthracen, geschieden
und diese Substanzen wandern in die Farben- und chemischen
Fabriken, um hier weiter auf Farbstoffe oder auf Medikament¬
stoffe verarbeitet zu werden.
Die künstlichen Medikamentstoffe lassen sich ihrem
hauptsächlichen chemischen Charakter nach in die beiden
grossen Gruppen organischer Stoffe, in die von den Fett-
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2
stoflfen und die von den aromatischen Stoffen sich ableitenden
Substanzen einreihen, und im Grossen und Ganzen bedingt
die Zugehörigkeit zu einer dieser beiden Körperklassen, deren
innere Verschiedenheit durch verschiedene Bindungsweise der
Kohlenstoffatome dargethan wurde, die verschiedene Wirkungs¬
weise der künstlichen Medikamentstoffe. So gehören die
Hypnotica (Schlafmittel), wie z. B. Chloralhydrat, Paraldehyd.
Amvlenhydrat. Urethan, Methylal u. a. m., ferner die Ana-
esthetica (Betäubungsmittel), wie Schwefeläther, Chloroform,
Bromäthyl u. a. der Klasse der Fettkörper an und es zeigen
demgemäss die in denselben enthaltenen Kolilenstoffgruppi-
rungen vorwiegend offene Stoffe, während die Antiseptica,
also Carbolsäure, Resorcin, Benzoinsäure, Salicylsäure, Thy¬
mol, Naphtol u. s. w., dessgleichen die Antipyretica und die
Antiparasitica der Gruppe der aromatischen Stoffe angehören,
welche sich gegenüber den Fettkörpern durch ringförmige
Aneinanderlagerung der Kohlenstoffatome auszeichnen. Die
als Ersatzmittel für Chinin in neuerer Zeit gegen Fieber
vielfach verwendeten Antipyretica, wie Antifebrin, Kai'rin,
Thallin, Antipyrin u. a. weisen ausserdem noch einen Gehalt
an Stickstoff auf und stehen ihrer Constitution nach vielfach
in naher Beziehung zu den natürlichen Alkaloiden (Coniin,
Chinin, Atropin, Morphin etc.), welche theilweise als Ab¬
kömmlinge des im Gastheer ebenfalls enthaltenen Pyridins
erkannt worden sind. Besonderes Interesse verdienen endlich
noch die als Mittel gegen Hautkrankheiten verwendeten
Antiparasitica. Als einer der Repräsentanten dieser Medi¬
kamentgruppe wurde das im Goapulver enthaltene Chrysa-
robin aufgeführt, welches als ein directer Abkömmling des
im Gastheer ebenfalls enthaltenen Anthracens anzusehen ist.
Eine Substanz von ganz gleicher Wirkungsweise, das Anthra-
robin, wird in neuester Zeit durch Reduction des aus Anthra-
cen dargestellten künstlichen Alizarins fabrikmässig gewonnen
und als Antiparasiticum verwendet. Auch bei dieser neuesten
Medikamentgruppe (Robinkörper) zeigt sich, dass die Gleich¬
artigkeit der therapeutischen Wirkung und Verwendung auf
einer gewissen Uebereinstimmung der chemischen Constitution,
das heisst also der Art und Weise der Bindung der Atome
in den betreffenden Medikamentstoffen beruht.
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An der an den Vortrag sich anschliessenden Diskussion
nahmen ausser dem Vortragenden die Herren Generalarzt
Hofmann, Geb. Hofrath Wiener, Dr. Wilser und Professor
Schröder Theil.
359. Sitzung am 6. Juli 1888.
Auwesend 18 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
In der Sitzung vom 6. Juli wurde vorerst Berathung
gehalten über ein Gesuch des Herrn Dr. v. Rebeur-Paschwitz
und ein solches der anthropologischen Kommission des
Alterthumsvereins Karlsruhe um Gewährung von Beiträgen
für begonnene wissenschaftliche Arbeiten; den Vorschlägen
des Vorstandes entsprechend wurden die gewünschten Summen,
300 M. für ersteren, 200 M. für letztere, von der Versamm¬
lung bewilligt.
Im Anschluss hieran brachte Herr Hofrath Dr. Engler
die Wiederaufnahme der Bestimmungen des Ozons in der'
atmosphärischen Luft in Anregung. Im Aufträge der
Leopoldinisch-Carolin. Akademie der Naturforscher hatte
Redner vor einigen Jahren eine kritische Zusammenstellung
der Arbeiten über Ozon publizirt und ist jetzt der Ansicht,
dass es zeitgemäss wäre, die Bestimmung des Ozons in der
Luft nach neueren Methoden wieder aufzunehmen. Er hebt
dabei ganz besonders die Bedeutung des Ozons gegenüber
den in der Luft als schwebende Materie enthaltenen Keimen
und Sporen, unter diesen zweifellos auch Krankheitsträger,
hervor und betont die ungemein zerstörende Wirkung des
Ozons gegenüber organischen und organisirten Substanzen,
so dass nach seiner Auffassung dem Ozon als luftreinigendem
Gas eine weit wichtigere Rolle zukommt, als man gemeinhin
annimmt. Für Durchführung der immerhin sehr schwierigen
Untersuchungen soll ebenfalls finanzielle Unterstützung durch
den Verein in Aussicht genommen werden. Es handelt sich
dabei namentlich um Errichtung einer Anzahl von Stationen
an Orten verschiedener Höhenlage und verschiedener örtlicher
Beschaffenheit im Grossherzogthum Baden, sowie um Er¬
mittelung und Ausbildung einer zuverlässigen ozonometrischen
Methode.
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Der Vorsitzende, Herr Geh. Rath Dr. Grashof, sagt zu T
den Gegenstand für die nächste Sitzung zur Beschlussfassung
auf die Tagesordnung zu setzen.
Schliesslich ergänzte Herr Hofrath Dr. Engler noch seine
früheren Mittheilungen über künstliche Medikamentstoffe
durch Angaben über die chemische Constitution des Methylais,
Sulfonals, des Creolins. Phenacetins und ähnlicher Substanzen y
welche in neuester Zeit als Hypnotica, Antiseptica und Anti-
pyretica therapeutisch verwendet werden.
Herr Baudirektor Honseil besprach die auf Anregung
des Präsidiums des deutschen Fischerei Vereins seit etwa
Jahresfrist angewandten vergeblichen Bemühungen, in den
Gewässern des badischen Rheingebietes das Aufsteigen der
sogen. Aalbrut zu beobachten. Es sei hiernach nicht mehr
daran zu zweifeln, dass, bei uns wenigstens, die Aalbrut
viel langsamer wandert, als man seither anzunehmen geneigt
, war. Kleine Aale werden hierorts äusserst selten gefunden.
Was selbst von Berufsfischern oft als junge Aale bezeichnet
wird, sei die jugendliche Form des kleinen Flussneunauges
(Petromyzon Planen), ein wurmartiges Fischwesen, dessen
überaus häufiges Vorkommen in unseren Altrheinen und
Bächen durch die Nachforschungen nach dem jungen Fluss¬
aal erst bekanut geworden sei. Redner zeigt solche blinden
Neunaugen verschiedener Grösse vor und macht Mittheilungen
über deren biologische Verhältnisse, woran Herr Professor
Rebmann einige Bemerkungen anschliesst über die auch noch
bei anderen Fischarten vorkommenden Metamorphosen.
Herr Professor Dr. Meidinger hielt hierauf einen Vortrag
über einen englischen Patentprozess.
Am 1. bis 13. August 1887 wurde bei dem'High Court
of Justice in London ein Patentprozess verhandelt, welcher
nach dem Ausspruch des das Urtheil fällenden Richters,
Stephen, zu den mühsamsten und interessantesten Fällen
gehörte, welche demselben je vorkameu. Der Redner war
veranlasst worden, ein Gutachten hierbei abzugeben und hatte
dadurch Gelegenheit, einem Theil der Verhandlungen bei¬
zuwohnen und das englische Gerichtsverfahren kennen zu
lernen.
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Der Gegenstand betrifft den Transport australischen und
amerikanischen Fleisches nach London, beziehungsweise die
hierzu dienenden Kaltluftmaschinen. Das Fleisch, auf nahe
Null Grad abgekühlt, hält sich unbegrenzte Zeit unverändert,
auch im gefrorenen Zustand — aber aufgethaut fallt es bei
gewöhnlicher mittlerer Sommertemperatur rasch der Zer¬
setzung anheim; behufs längerer Konservirung wird es dess-
halb nicht unter Null gekühlt. Das Handelsgeschäft hat
sich ganz auf Grundlage der Kaltluftmaschine entwickelt,
die andern bekannten Kältemaschinen wagte man wegen der
bei ihnen verwendeten Chemikalien (Aether, Ammoniak) auf
dem Schiff nicht aufzustellen. Seit 10 Jahren ist das Geschäft
in der Entwicklung, gegenwärtig werden etwa eine Million
Thierkörper, insbesondere Hämmel, im Werthe von 20 Millio¬
nen Mark nach London jährlich importirt (wöchentlich ein
Schilf mit 20 bis 30 000 Stück).
Die Kaltluftmaschine ist im Wesen eine Windhausen’sche
mit besonderem Kompressions- und Expansionscylinder und
Einspritzen von Wasser in ersteren behufs Kühlung der sich
beim Zusammenpressen erhitzten Luft. Solche Maschinen
wurden zuerst 1871 gebaut, doch nur in wenigen Exemplaren
verbreitet, deren bekannteste die in der Hildebrand’schen
Brauerei in Pfungstadt einst befindliche ist. Die Maschinen
bewährten sich nicht, da sie sich mit dem aus der Luft bei
der Expansion und Abkühlung ausgeschiedenen Schnee ver¬
stopften. Coleman in Glasgow kam auf den glücklichen
Gedanken, die komprimirte und durch das zur Verfügung
stehende Wasser auf 20 bis 30° C. abgekühlte Luft in einem
Rohr durch den Raum, in welchem das Fleisch hängt, zu
führen und hier weiter bis auf nahe Null Grad abzukühlen,
wobei sich der weitaus grössere Theil ihres Dampfes als
flüssiges Wasser ausscheidet, so dass bei der nachfolgenden
Expansion im Cylinder sich so gut wie kein Schnee bilden
kann. Der einfache Gedanke bewährte sich und machte die
Verwendung der Kaltluftmaschine möglich. (Näheres siehe
Zeitschrift d. V. d. J. 1884 S. 132, von Schöttler.) Der Er¬
finder erhielt für den Verkauf seines Patents (Bell u. Coleman,
vom 15. März 1877) die Summe von 15 000 Pfd. St.; Eigen-
thömer desselben ist die Haslam Foundry and Engineering
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Company. — Seit einiger Zeit bauten nun J. u. E. Hall
ebenfalls Kaltluftmaschinen mit geringen Modifikationen;
statt ein Kühlrohr in «lern mit Fleisch behängten Raum, in
welchem fortwährend die expandirte kalte Luft hineingeblasen
wird, herumzuführen, wendeten sie eine mit jenem Raum
zusammenhängende Vorkammer an, in welcher das Kühlrohr
in Windungen sich befindet. Es kam darüber zur Klage.
Redner ist wohl der erste deutsche Technologe gewesen,
welcher Allgemeines und Ausführliches über Kältemaschinen
veröffentlichte, zuerst in den Jahren 1868 und 1869 in der
„Badischen Gewerbezeitung“. Die hier erschienenen und
auch in anderen Blättern abgedruckten Abhandlungen gaben
Anlass zu einer Einladung Windhausen’s an den Redner, die
erste 1871 in Berlin aufgestellte Kaltluftmaschine zu besich¬
tigen. Redner folgte der Einladung und lenkte durch einen
Vortrag in der Chemischen Gesellschaft die öffentliche Auf¬
merksamkeit auf die Maschine. Es gab dieser Umstand weiter¬
hin die Veranlassung, dass Redner von Professor A. W. Hof¬
mann in Berlin aufgefordert wurde, für den von Letzterem
herausgegebenen Bericht Uber die chemische Industrie auf der
Wiener Weltausstellung 1873 das Kapitel „Künstliche Er¬
zeugung von Kälte und Eis“ zu bearbeiten. (Bd. 4 S. 74
bis 106. 1875.) Die betreffende Abhandlung wurde an vielen
anderen Orten wieder abgedruckt (unter anderen „Bad. Gew.-
Zeitung“ 1874, S. 65), auch in einer englischen chemischen
Zeitschrift.
Im vorigen Sommer erging nun an den Redner die Ein¬
ladung, in dem Prozess Haslam contra Hall ein Gutachten
im Hinblick auf die einstigen Mängel der Windhausen’schen
Maschine und auf die Neuheit und den Werth des Cole-
man’schen Patentes abzugeben. Der Redner konnte ein
Gutachten ganz im Sinne der klagenden Partei Zusagen.
Anfangs August v. J. wurde die Sache in erster Instanz
in London verhandelt. Von beiden Parteien waren bei der
ungeheuren merkantilen Wichtigkeit des Gegenstandes die
ersten Rechtsanwälte und Techniker Englands aufgeboten.
Als Rechtsanwälte fungirten seitens der Kläger Sir Webster
(Attorney general), Mr. Aston und Mr. Carpmael; seitens
der Verklagten Sir James, Mr. Moulton und Mr. Bousfield.
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Als Techniker bildete Sir Bram well, Präsident des Ingenieur¬
vereins, den Hauptzeugen für die Kläger.
In erster Instanz leitet die Verhandlungen und fällt das
Urtheil ein Richter; derselbe erscheint, wie auch die Anwälte,
in schwarzem Talar und weisser Perriicke; er wird Mylord
angeredet. — Zur Bereithaltung des Materials finden die An¬
wälte Unterstützung durch eine grössere Anzahl jüngerer
Clerks, welche ebenfalls im Talar sind, jedoch nicht in
Perrücke; dieselben können auch Fragen an die Zeugen
richten. Der Richter sitzt ziemlich erhöht an einer Art
Katheder, der nur für eine Person Platz hat, zu seinen
Füssen am Boden sitzen an einem langen Tische drei Gerichts¬
schreiber; zu seiner Rechten und Linken befinden sich kleine
vorspringende Baikone für die Zeugen; unterhalb des einen
die Stenographen; gegenüber dem Richter auf Bänken die
Anwälte mit ihren Gehilfen, hinter denselben ansteigend,
eine Reihe von Bänken für die Zeugen; ein Stockwerk höher,
mit besonderem Zugang, Gallerien für das Publikum. In dem
neuen grossen Justizgebäude finden sich derartige zahlreiche,
gleich eingerichtete Sitzungssäle. Die Verhandlungen währen
von 10 bis 4 Uhr, mit einer halbstündigen Unterbrechung.
Die Verhandlungen begannen mit einer Darlegung de 8
Falles durch den Attorney general. Dann wurden sofort die
Zeugen der klagenden Partei citirt. Zuerst findet eine Be¬
fragung des Zeugen durch die klagende Partei statt (exami-
nation), dann durch die verklagte Partei (cross examination),
und dies wiederholt sich, bis jede Partei glaubt, alles Wissens-
werthe gehört zu haben. Mit welcher Gründlichkeit hierbei
verfahren wird, kann daraus entnommen werden, dass der
zuerst vorgeladene Hauptzeuge Sir Bramwell zwei Tage, bei¬
läufig elf Stunden, verhört wurde. Hierauf kamen die ge¬
druckten, in Jedermanns Händen befindlichen Aussagen von
Coleman (ein Quartheft von 40 Seiten), der in Glasgow
gerichtlich vernommen worden war, zur Verlesung, was zwei
Stunden dauerte. Dann folgten die Aussagen zweier Beamten
der klagenden Firma und am vierten Tage wurde der Redner
citirt, dessen Verhör auch die Zeit von zwei Stunden in
Anspruch nahm. Der Redner folgte den Verhandlungen, die
im Ganzen zwei volle Wochen dauerten, von da an nicht
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länger; zur Beurtheilung der Methode war die verflossene
Zeit völlig ausreichend.
Die Anwälte zeigten sich vortrefflich vorbereitet für ihre
Aufgabe; wenn man von diesem besonderen Falle aufs All¬
gemeine schliessen darf, so wird man dieselben stets in voller
wissenschaftlicher Kenntniss von Naturprozess und tech¬
nischer Einrichtung finden, wie es gewiss nur bei Männern
möglich ist, welche sich durch eingehendes naturwissenschaft¬
liches Studium als Specialisten für solche Streitfragen ein¬
geübt haben. Bis in das kleinste Einzelne wird Alles klar
zu stellen gesucht; die Fragen an die Zeugen sind häufig
nur auf ganz kurze Antworten der Bejahung oder Verneinung
eingerichtet, insbesondere bei denen, welche weniger sprach¬
gewandt sind. Die Gegenpartei sucht das aus dem Zeugen
zu erfragen, was von seiner Partei nicht berührt wurde,
sucht ihn auch in Widersprüche zu verwickeln, um dadurch
seine Aussagen als weniger zuverlässig erscheinen zu lassen,
wie es im Kriminalverfahren üblich ist. So machte Coleman
dem examinirenden Bousfield den Vorhalt: that js a catch
question, das ist eine Fangfrage, was Letzterer allerdings
zurückzuweisen suchte. Der Richter hört im Ganzen nur
zu, doch stellt er mitunter auch eine Frage an Zeugen wie
Anwälte. Die Verhandlungen ziehen sich sehr in die Länge,
vieles wird wiederholt, in immer neuen Wendungen vor¬
gebracht Dies dient aber zur vollständigen Orientirung des
Richters, so dass dieser zuletzt ein scharf begründetes Urtheil
zu fällen in der Lage ist.
Im vorliegenden Falle erfolgte nach drei Monaten, am
12 November, ein Ausspruch des Richters, aber noch kein
endgiltiges Urtheil (gedrucktes Aktenstück von 23 Seiten
Quart). In der Hauptsache wurde das Patent für verletzt
erklärt. Da sich aber in demselben noch ein Anspruch auf
die Verbindung mehrerer Cyliuder zur Herstellung möglichst
gleichförmiger Bewegung der Schwungradwelle befand, der
für hinfällig erklärt wurde, so stimmten die Parteien für
eine weitere Verhandlung, durch welche über die Principien-
frage entschieden werden sollte, ob die beabsichtigte Ver¬
nichtung des betreffenden Anspruchs durch das Patentamt
während des anhängigen Falles zulässig wäre.
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Die Kosten eines solchen Monstreprozesses übersteigen
alle in Deutschland gewohnten Vorstellungen; es wurde dem
Redner die Summe von etwa 10 000 Pfund Sterling für eine
Instanz genannt. Es sind aber noch zwei weitere Instanzen
vorhanden. Der letzte Ausspruch liegt beim Parlament.
360. Sitzung vom 26. Oktober 1888.
Anwesend 37 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr A. Holz mann, Lehramtspraktikant.
Nachdem der Vorsitzende, Herr Geh. Rath Dr. Grashof,
die Sitzung mit der Bemerkung eingeleitet hatte, dass der
demnächst zu haltende Vortrag zugleich zur Begründung des
Antrages über Errichtung von Stationen für Ermittelung des
Ozongehaltes der Luft dienen solle, und dass man desshalb
erst nach demselben über den Antrag selbst die Berathung
eröffnen und Beschluss fassen wolle, hielt Herr Hofrath
Dr. Engler einen ausführlichen Vortrag über das Ozon.
Schon im Jahre 1785 nahm van Marum beim Arbeiten mit
der Elektrisirmaschine einen eigenthümlichen Geruch wahr,
dessen Auftreten mit Veränderungen der umgebenden Luft,
insbesondere stärkeren Oxvdationswirkuugen in Verbindung
stand. Schönbein entdeckte dann später (1839), dass beim
Uebertritt der Elektricität durch Luft oder Sauerstoff der
letztere, welcher bekanntlich auch ein Bestandteil der Luft
ist, eine Veränderung erfahre derart, dass er von der ge¬
wöhnlichen inactiven, oder doch wenig activen Form in eine
activere Modification übergehe und dass er in letzterer
Gestalt, auf eine Reihe von Stoffen einwirke, dieselben oxydire
und verändere, gegenüber welchen gewöhnliche Luft oder
gewöhnlicher Sauerstoff unwirksam sind. Nach dem starken
Geruch des Gases nannte er dasselbe Ozon (o£av, riechen)
und stellte es auch noch nach anderen Methoden künstlich
dar. Nächst Schönbein haben sich dann auch nochMarig-
nac, Honzeau, v. Babo, Thenard, Andrews, Fox u. A. her¬
vorragende Verdienste um die Kenntniss des Ozons erworben;
Soret wies nach, dass der gewöhnliche Sauerstoff bei seiner
Umwandlung in Ozon auf genau zwei Drittel seines Volumens
verdichtet werde, sowie auch, dass, wenn man Ozon durch
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Erhitzen zerstört, aus zwei Raumtheilen desselben drei
Raumtheile gewöhnlichen Sauerstoffs zuriickgebildet werden,
das Molecül des Ozons sonach aus drei Atomen Sauerstoff
bestehe.
Obgleich man bisher nur mit Sauerstoff gearbeitet hat,
in welchem wenige Prozente Ozon enthalten sind, haben
sich schon ungemein energische Wirkungen selbst dieses
verdünnten Ozons ergeben; es bleicht sofort die Pfianzen-
farbstoffe, zerstört Holz, Kautschuk und alle organischen
Stoffe, oxydirt das Blut zu Kohlensäure und Wasser, wirkt
äusserst heftig auf die Respirationsorgane ein und tödtet
niedere Organismen, so auch die Mikroben der Atmosphäre
und des Wassers fast sofort. Ganz anders ist seine Wirkung
dagegen in starker Verdünnung, wo es, eingeathmet, Schwindel
und Schlaf erzeugt, in noch stärkerer Verdünnung dagegen
erfrischend und anregend wirkt. Vortragender stellte mittelst
eines Babo’schen Apparates Ozongas dar und demonstrirte
an demselben die wichtigsten Eigenschaften. Durch Modifi-
cation der Methode ist es ihm in Gemeinschaft mit Herrn
Dr. Dieckhoff gelungen, einen Sauerstoff mit 14 Prozent
Ozon darzustellen, während man bisher im günstigsten Falle
5,6 Prozent erhielt. Die Arbeit mit einem derart concen-
trivten Ozon erfordert wegen seiner äusserst heftigen Wir¬
kungen besondere Vorsicht.
Als fast regelmässiger Bestandtheil der atmosphärischen
Luft wurde das Ozon schon von Schönbein erkannt. Es
bildet sich darin durch Uebertritt der Elektricität, und der
fälschlich „schwefelartig“ genannte Geruch, der nach Ge¬
wittern mit starken Blitzschlägen oft deutlich wahrzunehmen
ist, muss auf die Bildung von Ozon zurückgeführt werden.
Auch die in der Natur zahlreich verlaufenden langsamen
Verbrennungsprozesse, sowie die Verdunstungsprozesse nament¬
lich salzhaltiger Flüssigkeiten, wie des Meerwassers und der
Salzsoolen auf Gradirwerken, sind als Quellen für Ozon¬
bildung anzuselien. Inwieweit mit der Entwicklung des Sauer¬
stoffs durch die Pflanzen auch die Bildung von Ozon verbunden
ist, muss noch dahingestellt bleiben. Von vornherein erscheint
dies wahrscheinlich, da fast aller bei gewöhnlicher oder nicht zu
hoher Temperatur künstlich erzeugte Sauerstoff ozonhaltig ist.
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Die Menge des in der Luft enthaltenen Ozons ist jedenfalls
sehr schwankend, sie ist am grössten nach Gewittern, grösser
bei Nacht als bei Tag, im Frühjahr als im Herbst; in
volkreichen Städten, insbesondere aber in den Wohnungen
findet sich wenig oder gar kein Ozon in der Luft, während
der Nachtzeit jedoch lässt es sich in Strassen und auf freien
Plätzen erkennen. Sehr bemerkenswerth ist die Zunahme
des Ozongehaltes mit der Höbe; diesbezügliche Versuche in
verschiedenen Höhen auf der Kathedrale zu Metz haben eine
Zunahme des Ozongehaltes bei 100 Meter auf das Sechs¬
fache von demjenigen bei 20 Meter ergeben und zu gleichen
Ergebnissen ist man durch Versuche auf der Kathedrale
zu Ainiens, sowie durch Ozonbestimmungen auf den Alpen
bis in Höhen von 2400 Metern gekommen. Ueberall zeigte
sich ein mit der Höhe zunehmender Ozongehalt in der Luft.
Endlich verdient nocli hervorgehoben zu werden, dass auch
an den Küsten und über dem Meere der Ozongehalt durch¬
weg höher gefunden wurde, als im Binnenlande, während
der höhere Ozongehalt in den Wäldern noch als eine offene
Frage zu betrachten ist.
Ucber die Rolle, welche das Ozon in unserer Atmo¬
sphäre spielt, sind noch wenig exakte Anhaltspunkte vorhanden,
wofür der Grund theilweise darin zu suchen ist, dass die
absoluten Mengen sehr gering sind (nach Schönbein durch¬
schnittlich in 1 Million Theilen Luft 2 Theile Ozon) und
dass man so geringen Mengen zur Zeit keine Bedeutung
beizulegen gewohnt ist. Berücksichtigt man jedoch, dass
unsere Begriffe von Menge jederzeit abhängig waren und
noch sind von den Mitteln zur Bestimmung derselben, von
der mehr oder weniger grossen Genauigkeit unserer Instru¬
mente und dass es Zeiten gab, in denen man auch z. B.
der Kohlensäure der Luft wegen ihrer scheinbar so geringen
Menge keine Bedeutung glaubte beilegen zu dürfen, während
wir jetzt wissen, dass es ohne dieselbe kein Pflanzenleben
gäbe, so kann die geringe Menge des in der Luft enthal¬
tenen Ozons kein triftiger Grund sein, dasselbe nicht zu
beachten, um so weniger, als das Gas eine ganz ausser-
gewöhnliche starke chemische Energie aufweist, also auch
schon in geringer Menge starke Wirkungen zeigt. Dass in
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den unteren Luftschichten sich weniger Ozon findet als in
den obereu, erklärt Vortragender damit, dass dasselbe durch
die von der festen Erdoberfläche abgerissenen, durch bewegte
Luft mit tortgeführten freien Staubtheilchen (Tyndall’s schwe¬
bende Materie) aufgebraucht wird; denn indem das Ozon
zerstörend auf diese schwebende Materie ein wirkt, wird es
selbst zerstört. Gerade aber in dieser zerstörenden Wirkung,
die das Ozon auf die in der Luft schwebenden Theilchen
ausübt, liegt ein wesentliches Moment seiner allgemeinen
sanitären Bedeutung, da es durch Vernichtung der An-
steckungsstoffe und Krankheitsmikroben einen höchst wich¬
tigen Luftreinigungsprozess ausübt. Demgemäss würde der
Kampf zwischen den unteren und oberen Luftregionen
hauptsächlich geführt durch die von der Erde sich ablösende
schwebende Materie einerseits und das in den oberen Luft¬
schichten angesammelte Ozon andererseits. Vielfach ist
desshalb auch schon das Auftreten von Epidemien mit dem
Fehlen des Ozons in der Luft in Verbindung gebracht worden;
doch mangeln hierfür noch exakte Nachweise. Naheliegend
ist ferner auch die günstige Wirkung hochliegender Luft¬
kurorte auf den notorisch höheren Ozongehalt der höheren
Luftschichten zurückzuführen.
Durch Untersuchungen, die von verschiedenen Forschern
in den letzten Jahren angestellt werden sind, ist eine ge¬
wisse Unsicherheit bezüglich des Ozongehaltes der Luft in
sofern eingetreten, als es durch Nachweis des Wasserstoff¬
superoxydes zweifelhaft geworden ist, ob das, was man
früher als Ozon ansah, nicht vielleicht auf Wasserstoffsuper¬
oxyd zurückzuführen ist, welches ähnliche Eigenschaften wie
das Ozon besitzt. Vortragender hat desshalb in Gemeinschaft
mit Herrn Dr. Dieckhoff die Ozonfrage wieder aufgegriffen
und es ist bereits gelungen, eine Methode aufzufinden,
durch welche das Ozon unter Ausschluss des Wasserstoff¬
superoxydes bestimmt werden kann. Betreffende Methode
wurde beschrieben und an einem aufgestellten Apparat er¬
läutert. Unter Zugrundelegung dieser neuen Methode sollen
nun an einer Reihe von Orten, welche sich durch Höhen¬
lage und Umgebung (Wald, Wasser) unterscheiden, Stationen
errichtet werden zur Bestimmung des Ozons an gleichen
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Tagen und Stunden des Jahres. Bezüglich der Auswahl
dieser Orte hatte Herr Baudirektor Professor Honseil die
Freundlichkeit, mit seinem Rath an die Hand zu gehen
(vorerst hat man in Aussicht genommen, je eine Station im
südlichen Schwarzwald in einer Höhe von etwa 1000 Meter,
im unteren Schwarzwald in etwa 800 Meter Höhe, auf der
nördlichen kahlen Abdachung des Schwarzwaldes, im Hardt¬
wald, am Rhein) und hat auch zugesagt, bei Auswahl ge¬
eigneter Persönlichkeiten an den vorhandenen meteorolo¬
gischen Beobachtungsstationen behilflich zu sein. Vorerst
ist eine Zeit von vier Jahren für die Beobachtungen in Aus¬
sicht genommen, da ein kürzerer Zeitraum kein genügend
richtiges Bild über die Schwankungen des Ozongehaltes zu
geben verspricht.
Nach einer kurzen, an den Vortrag sich anschliessenden
Berathung. an der sich die Herren Döll und Just betheiligten,
gab der Vorsitzende eine Uebersicht über die dem Verein zu
Gebote stehenden laufenden Geldmittel und empfahl namens
des Vorstandes die Bewilligung der Mittel für Errichtung
und Unterhaltung der Ozonstationen, welcher Vorschlag ein¬
stimmige Annahme fand.
Herr Professor Dr. Meidinger machte hierauf noch eine
Mittheilung über den Phonographen und das Graphophon.
Dem erfinderischen Edison ist es bekanntlich gelungen, die
Schallwellen der Luft in einer nachgiebigen Masse in Form
einer verschieden tief einschneidenden Furche gewissermassen
zu fixiren und von hier wiederum zu erzeugen, so dass
deutliche Töne und Worte zu Gehör gebracht werden konnten.
Der betreffende Apparat wurde von Edison als „Phonograph“
bezeichnet und zum ersten Male auf der elektrischen Aus¬
stellung von Paris 1881 grösseren Kreisen vorgeführt; er
machte selbst in seiner damaligen Unvollkommenheit grosses
Aufsehen. Derselbe ist inzwischen durch reisende Techniker
vielfach, selbst in Schulen, demonstrirt worden. Das als
nachgiebige Masse ursprünglich in ebener Tafel verwendete
Staniol gestattete nicht eine völlig getreue Wiedergabe der
Worte und Töne, auch war es nicht, abgelöst von dem In¬
strument, auf einem andern zu verwenden. Erst neuerdings
fand Edison Gelegenheit, sich mit der Vervollkommnung
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seines Phonographen zu beschäftigen und es ist ihm jetzt
gelungen, denselben in einer geradezu bewunderungswürdigen
Weise herzustellen. Das die Schallwellen aufnehmende
Organ ist eine Rolle, ein kleiner Cylinder aus Pappendeckel,
welcher mit einer dünnen Schicht Wachs überzogen ist; in
dieses Wachs wird die Schallfurche in einer ununterbrochenen
Schraubenlinie, welche von einem Ende der Rolle bis zum
andern in sehr nahen Windungen läuft, eingedrückt. Zur
Uebermittelung dient ein kleines Gehäuse mit einer Membran,
welche einseitig die Schallwellen des Wortes oder der Musik
durch einen Ti’ichter und Gummirohr aufnimmt (ähnlich dem
Telephon), während anderseitig ein mit ihr verbundener
Stift auf das Wachs drückt; durch rasche Drehung und seit¬
liche Verschiebung der Rolle entsteht die Schraubenfurche.
Wird nun nach Beendigung der Aufnahme eine ähnlich ge¬
formte Vorrichtung aufgesetzt, durch welche die Membran
jetzt mechanisch in Schwingung gelangt, so werden die Luft¬
wellen nach aussen gestossen und deutlich von einer grösseren
Zahl Menschen im Umkreise Worte und Töne in ursprüng¬
lichem Charakter vernommen. Die Rolle kann auf einem
andern gleich gebauten Instrument dieselbe Wirkung er¬
zeugen. Bedingung für richtige Functionirung ist eine rasche
sehr gleichförmige Drehung der Rolle; Edison verwendet
hierfür eine kleine Dynamomaschine, wodurch der Apparat
wohl etwas theuer wird.
Fast gleichzeitig mit dem neuen Phonographen von Edison
ist ein von den Amerikanern Tainter und Gebr. Bell erfundener
ähnlicher, aber als „Graphophon“ bezeichneter Apparat in
die Oelfentlichkeit gelangt. Derselbe besitzt ebenfalls einen
kleinen mit Wachs überzogenen Pappencylinder für die Auf¬
nahme der Schallwellen in einer Schraubenfurche; die Drehung
erfolgt hier durch Fusstritt und ist ein sinnreicher Zwischen¬
mechanismus angewendet, um den Umlauf zu einem voll¬
kommen gleichmässigeu zu machen. Bei der Reproduction
kann hier nur einer Person das Verzeichnete zu Gehör
gebracht werden, indem von der mechanisch in Schwingung
versetzten sehr kleinen Membran aus zwei Schallrohre in deren
beiden Ohren führen. Der ganze Apparat sieht einer gewöhn¬
lichen Nähmaschine in allgemeiner Form und Grösse sehr ähn-
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lieh. Der Redner hatte Gelegenheit, ein Graphophon im Septem¬
ber dieses Jahres in London kennen zu lernen, wo es kurz
zuvor von Amerika eingetroffen war. Der Chef der englischen
Staatstelegraphenverwaltung, Mr. Preece, hatte es auf seinem
Bureau in dem Hauptpostgebäude aufgestellt und demon-
strirte es dem ihn besuchenden Redner mit grossem Ent¬
gegenkommen. Die Wirkung der Reproduction eines auf
einer Rolle gravirten Musikstücks war geradezu verblüffend;
man glaubte in dem Zimmer Klavierspiel zu hören. Mr. Prcece
hatte noch die Freundlichkeit, dem Redner eine neue Rolle
zu präpariren, ein „Phonogramm“ herzustellen. Er sprach
einige Zeit in den Apparat und dann veranlasste er auch
den Redner hierzu. Bei der sofort erfolgenden Reproduction
war es dem Redner höchst überraschend, wohl sehr genau
die Stimme des Herrn Preece wieder zu erkennen, aber nicht
seine eigene; seine zuvor gesprochenen Worte schienen von
einer fremden Person zu stammen. Durch diesen merk¬
würdigen Apparat haben wir zuerst davon Kenntniss erlangt,
dass unsere Stimme auf uns selbst einen ganz anderen Ein¬
druck macht, als auf die Zuhörer, wahrscheinlich da wir die
Schallwellen zumeist direct aus der Mundhöhle in das Gehirn,
am wenigsten durch die äussere Luft in das Ohr zugeführt
erhalten. Die betreffende gravirte Rolle konnte Redner der
Versammlung vorzeigen. Sie ist im Ganzen 15 Centimeter
lang, 32 Millimeter weit und enthält auf das Millimeter
sechs Schraubengänge; ihr Ablauf erfolgte in beiläufig fünf
Minuten; eine so lange Zeit hindurch könnte man also
Musik, oder die Worte einer Person, oder auch das Gespräch
mehrerer Personen hören. — Von einem in der Wachsrolle
gravirten Phonograrom soll man mehrere hundert Reproduc-
tionen machen können ohne Verminderung der Wirkung.
Dieser mit wohl nicht höheren Kosten als eine Nähmaschine
herzustellende Apparat wird im Laufe der Zeit gewiss eine
grosse Verbreitung erlangen. In England denkt man bereits
daran, ihn für Korrespondenzen zu verwenden; die als
Waarenprobe (in kleinen Kästchen) zu versendende Rolle
soll nicht mehr Porto als ein gewöhnlicher Brief kosten. In
den Familien wird man sich Sammlungen von den Stimmen
seiner Angehörigen, von Musikaufführungen anlegen. Solche,
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die fremde Sprachen erlernen, können sich ohne Hilfe eines
Lehrers die richtige Aussprache vorführen und einprägen.
Wie wir jetzt unsere Sprache gesprochen haben, können wir
allen späteren Zeiten überliefern etc. Es würde wohl keine
Schwierigkeit haben, die immerhin leicht zu verletzenden
Wachsphonogramme galvanoplaslisch in Kupfer getreu zu
copiren. Durch Abbildungen und Tafelzeichnungen konnte
Redner die beiden Instrumente näher erläutern.
361. Sitzung am 9. November 1888.
Anwesend 32 Mitglieder. Vorsitzender Geh. Rath Dr. Grashof.
Herr Professor Dr. Hertz zeigte eine neue, dem physi¬
kalischen Kabinet der technischen Hochschule von J. R. Voss
in Berlin zugekommene, sehr wirksame Infi uenz-Elektrisir-
maschine vor, erläuterte dieselbe und stellte verschiedene,
zum Theil neue Versuche mit ihr an, von denen einer als be¬
sonders merkwürdig hervorgehoben werden mag: werden bei
Drehung der Glasscheibe die Pole so weit auseinander gerückt,
dass Entladungen nicht mehr erfolgen, so kann man, sofern
die Scblagweite nur wenig überschritten wurde, Funken
wieder erhalten, wenn man zuvor durch rasches Vorbeiführen
der Hand an dem negativen Pol hier einen Funken über¬
schlagen lässt; der positive Pol zeigt diese Eigenschaft nicht.
Herr Professor Dr. Meidinger berichtete alsdann über
die elektrischen Transformatoren. Man versteht hier¬
unter den allbekannten Inductionsmaschinen (Funkeninductoren)
im Prinzip ähnliche Apparate, bei welchen jedoch umgekehrt
Ströme von hoher Spannung und geringer Menge in solche
von schwacher Spannung und grosser Menge umgewandelt
werden sollen. Sie dienen bei der elektrischen Beleuchtung,
um den Strom auf grosse Entfernungen in dünnem Draht
transportiren und damit den Anlagen von einer Centralstelle
aus eine viel grössere Ausdehnung geben zu können, was
bei unmittelbarer Verwendung der Ströme wegen der bedeu¬
tenden Kosten der dann nothwendigen sehr dicken Kupfer¬
leitung nicht möglich ist. Die erst wenige Jahre alte Er¬
findung ist schon an vielen Orten mit Erfolg ins Leben ge-
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treten. Man hat die Stromumsetzung bis jetzt nur bei
Wechselströmen vornehmen, desshalb bei Kraftübertragungen
(Transmissionen) das Prinzip nicht verwerthen können.
Herr Professor Dr. Platz legte einige von ihm auf¬
genommene Photographien aus der Gegend des Titisees
und Schluchsees vor, welche die von ihm in früheren Vor¬
trägen (199. Sitzung am 16. November 1877, 215. Sitzung am
6. December 1878 und 336. Sitzung am 17. December 1886)
geschilderten und als Reste von Gletschern aus der Diluvial¬
zeit gedeuteten Kiesablagerungen illustriren. Es sind theils
Bilder der moränenartigen Hügel bei Altenweg, nahe dem
Titisee und bei Seebruck am südöstlichen Ende des Schluch¬
sees, theils Anschnitte solcher Kiesmassen von der Eisen¬
bahn zwischen Hinterzarten und Titisee, sowie aus den Um¬
gebungen von Schluchsee bei Fischbach und Seebruck, welche
die Moränenstructur: „Mangel an Schichtung und Mischung
von Sand und Kies mit grossen erratischen Blöcken“ in
ausgezeichneter Weise erkennen lassen, theils Aufnahmen
einzelner Blöcke und Blockgruppen aus den Bahngräben im
Torfmoor von Hinterzarten, welche auf Anordnung der
Grossh. Eisenbahndirection an den Bahnhöfen von Hinter¬
zarten und Titisee aufgestellt wurden und die für Gletscher¬
wirkung charakteristische Schleifung und Ritzung sehr schön
zeigen. Die photographische Aufnahme wurde gewählt, weil
sie allein ein vollkommen richtiges, von der subjectiven
Auffassung, wie von der Geschicklichkeit des Zeichners un¬
abhängiges Bild liefert. Solche Bilder sind zur Darstellung
geologischer Erscheinungen, wie z. B. Lagerung, Form und
Structur als zuverlässige Belege von grossem Werthe,
besonders wenn, wie hier, die zahlreichen Einzelheiten sich
nnr unvollkommen durch Zeichnung abbilden lassen; sie
wurden desshalb absichtlich, um ihre Naturwahrheit nicht zu
alteriren, ohne Retouche gelassen. Die Aufnahme geschah
mit einem Landschaftsobjectiv von Voigtländer, zu welchem
ganz neue, in der glastechnischen Anstalt zu Jena herge¬
stellte Glassorten verwendet wurden, welche sich durch
grosse lictitbrechende Kraft bei geringer Farbenzerstreuung
auszeichnen.
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362. Sitzung am 23. November 1888.
Anweseud 33 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. ßrashof.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. A. Resch, Arzt.
Herr Professor Dr. Endres sprach Uber pflanzen physio¬
logische und pflanzen che mische Forschungsergebnisse
i nt W a 1 d e. Nach einem kurzen Rückblick auf die geschichtliche
Entwickelung der forstlichen naturwissenschaftlichen Diszi¬
plinen ging Redner auf die Wachsthums- und Ernährungs¬
bedingungen der Pflanzen ein. Die Substanz der Pflanze,
bezw. des Baumes, setzt sich aus organischen und anorga¬
nischen Stoffen zusammen. Die organischen Bestandtheile
erhält der Baum durch die Assimilationsthätigkeit der chloro¬
phyllhaltigen Blätter, indem durch die Einwirkung des
Sonnenlichtes die Kohlensäure der Luft zerlegt und der
Kohlenstoff in den Blättern aufgespeichert wird. Der gesammte
Kohlenstoff auf der Erde wird einzig und allein durch diesen
Prozess gewonnen. Die mineralischen oder anorganischen
Nährstoffe erhält der Baum aus dem Boden, wo sie durch
den Einfluss des reinen oder kohlensäurehaltigen Wassers
in eine für die Aufnahme durch die Wurzeln brauchbare
Form gebracht werden, um mit dem Wasser in den äusseren
Splintschichten des Holzkörpers in die Blätter (Baumkrone)
zu wandern. Die chlorophyllhaltigen Blätter repräsentiren
die chemische Fabrik, in welcher durch den Prozess des
Stoffwechsels die organischen, assimilirten und die mine¬
ralischen, aus dem Boden stammenden Bestandtheile zu den
eigentlichen Holzsubstanzen bildenden Stoffen vereinigt und
nun von da im Cambium und in den Basttheilen der Rinde
zum Orte ihrer Verwendung transportirt werden. Die Holz¬
zelle ist um Mitte August fertig gebildet und unterliegt
keiner weiteren Veränderung mehr als jenen, welche durch
Intussuszeption der Kernsubstanz in die Zellwände und durch
Verharzung in den folgenden Jahren verursacht werden. Für
den Prozess der Verkernung fehlt noch die physiologische
wissenschaftliche Erklärung. Durch die jüngsten Unter¬
suchungsergebnisse von R. Hartig und R. Weber in München
über das Holz der Rothbuche wurde festgestellt, dass die
Rehabilitation des Baumes im Frühjahr, d. h. der Beginn
der vegetativen Thätigkeit, sich auf den Verbrauch der in
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den äussersten 3 bis 4 Jahrringen aufgespeicherten Kohlen¬
hydrate und Reservestoffe beschränkt, während das in den
übrigen äusseren Holztheilen abgelagerte Stärkemehl und die
noch im zentralen Holzkörper nachweisbaren stickstoffhaltigen
organischen Stoffe in jeder Jahreszeit in gleicher Menge
vorhanden sind. Die Thatsache beweist, dass die Jahreszeit
der Fällung auf die Qualität des Holzes keinen Einfluss
ausüben kann; wohl aber verdient die Winterfällung vor der
Somtnerfällung desswegen den Vorzug, weil die Winterkälte
die Pilzentwickelung auf den Schnittflächen verhindert. Die
nicht zur alljährlichen Rehabilitation verwendeten passiven
Reservestoffe sind aber keineswegs funktionslos, sondern dienen
nach der Verroutliung Hartig’s zur Dotirung des in ver¬
schiedenen Intervallen und in wechselnden Quantitäten
anfallenden Samenertrages. Hiermit übereinstimmend ist
das Ergebniss der von Weber ausgeführten Aschenanalysen,
dass vom Zeitpunkte der Pubertät des Baumes ab der Kali-
und Phosphorsäuregehalt des Holzes die in den Jugendjahren
vorhandene Höhe nicht mehr erreicht, weil gerade diese
Stoffe zur Samenbildung in grossen Mengen verwendet werden.
Die Rinde der Buche enthält, wie bei allen andern Wald¬
bäumen, die meiste Asche, und zwar zunächst sehr viel
Kalk und Kieselsäure. Im Baume steigt der Kaligehalt von
der Peripherie gegen das Centrum und von unten nach oben,
dagegen nimmt der Gehalt an Phosphorsäure und Magnesia
von aussen nach innen ab. Die aschenreichsten Bestand¬
teile des Baumes sind die jüngsten Zweige und die Blätter.
Den meisten Stickstoff enthalten die peripherischen Schichten
des Stammes. Nach den Untersuchungen E bermayer’s enthält
der Waldboden keine Spur von salpetersauren Salzen, wahr¬
scheinlich weil derselbe für die Entwickelung der bei der
Nitrification tätigen saprophytischen Bacterien nicht geeignet
ist. Im Innern des Baumes finden sich die Nitrate nur
dann, wenn solche im Boden Vorkommen, da die Oxydation
des Ammoniaks im Baume selbst unmöglich ist. Daher
erklärt sich die grosse Salpeterarmuth im Holze. Als Stick¬
stoffnahrung stehen den Waldbäumen nur Ammoniaksalze
und stickstoffhaltige organische Substanzen, die sogen. Amide,
zur Verfügung. Der jährliche Stickstoffbedarf des Waldes
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beträgt etwa 60 kg. für deu Hectar; hievon verbrauchen die
Blätter allein 44 kg. Die Menge des aus der Luft dem
Boden durch die wässerigen Niederschläge jährlich zukom¬
menden Stickstoffs beträgt 12 kg für den Hectar, welche
zwar für die Holzproduction, nicht aber für die Production
der Blätter hinreichend sind. Daraus erklärt sich die agri-
culturchemische Nothwendigkeit, dem Walde die Streudecke
zu belassen, weil diese allein die für die Blattproduction
nöthigen Stickstoffmengen zu liefern im Stande ist.
An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Berathung
an, an welcher sich ausser dem Vorredner die Herren
Ammon, Hofrath Just, Forstrath Schuberg, Forstrath Weise
und Geh. Hofrath Wiener betheiligten.
363. Sitzung am 7. Dezember 1888.
Anwesend 36 Mitglieder. Vorsitzender: Geh. Rath Dr. Grashof. Neu
angemeldete Mitglieder, die Herren: Prof. M. Möller, an der Techn.
Hochschule, Dr K. Brick, Dr. P. Tschierske und Dr. H Heine,
Assistenten an der Techn. Hochschule.
Herr Hofrath Dr. Just hielt einen Vortrag über Schutz¬
mittel der Pflanzen und behandelte besonders solche Schutz¬
mittel, deren sich die Pflanzen gegen Schnecken bedienen.
Dieselben wurden kürzlich von Professor Stahl in Jena in
einer interessanten Schrift behandelt, über welche der Vor¬
tragende berichtet.
Die Pflanzen haben, wenn sie überhaupt bestehen wollen
eine grosse Zahl der verschiedenartigsten Schutzmittel nöthig,
um sich gegen die mannigfachsten Angriffe zu vertheidigen.
Man kannte bis vor nicht langer Zeit an den Pflanzen nur
verhältnissmässig wenige Schutzmittel, die besonders auffallend
und in ihrer Wirkungsweise leicht zu beobachten sind. Solche
Schutzmittel (starke Bewachsung durch Dornen, heftig wirkende
Gifte u. dgl.) wurden ursprünglich besonders für tropische
Pflanzen von den Reisenden beschrieben. Je mehr jedoch
dieses interessante Gebiet der Biologie untersucht wurde, um
so mehr fand man, dass die Schutzmittel der Pflanzen ganz
ungemein verbreitet sind, so dass es wohl keine Pflanze gibt.
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die der Schutzmittel ganz entbehrt. Schädigungen können
die Pflanzen erleiden durch Angriffe der Thiere, durch
pflanzliche Parasiten, durch Verhinderung der Wanderung,
durch ungünstige klimatische Verhältnisse, durch unvorteil¬
hafte Zusammensetzung des Bodens, durch Wirkung von
Giften, durch Befruchtung unter nahen Verwandten, durch
ungünstige Keimungsbedingungen etc. Die verschiedenartigen
Schutzmittel, deren sich die Pflanzen gegen solche Schädi¬
gungen bedienen, kamen zur Besprechung und wurden durch
Beispiele erläutert. Die Schutzmittel der Pflanzen haben
meist nur eine relative, keine absolute Bedeutung. Würden
die Pflanzen es verstanden haben, ihre Schutzmittel so aus¬
zubilden, dass sie z. B. gegen die Angriffe der Thiere absolut
wirkten, so würde damit die Existenz der Thierwelt unmöglich,
da dieselbe in ihrer Ernährung direkt oder indirekt von den
Pflanzen unbedingt abhängig ist. Hätten andererseits die
Thiere es verstanden, die Schutzmittel der Pflanzen vollkommen
zu überwinden, so würde die Pflanzenwelt und in Folge dessen
auch die Thierwelt zu Grunde gehen. Manche Schutzmittel,
die ganz ungemein wirksam sind, werden doch von einzelnen
Thieren überwunden. Die vorzüglich bewaffneten Disteln
werden vom Esel gefressen Einige Pflanzen, die als Schutz¬
mittel heftig wirkende Gifte besitzen, werden von manchen
Thieren ohne Nachtheil gefressen. Oft sind gleichartige
Schutzmittel ganzen Familien eigenthümlich, wenn dieselben
auch über sehr weite, Strecken der Erde verbreitet sind
(z. B. die Behaarung der Asperifoliaceae), andererseits kommt
in bestimmten Familien ein sehr weit gehender Wechsel der
Schutzmittel vor.
Den Nachstellungen der Schnecken sind sehr viele
Pflanzen ausgesetzt. Die betreffenden Pflanzen sind aber
meist gegen die Schädigungen durch Schnecken so gut ge¬
schützt, dass die Schnecken nur mit Widerwillen, gedrängt
durch den Hunger, die Pflanzen anfressen und sich durch die
ihnen unangenehme Kost nicht genügend sättigen. Wenn
man Schnecken einfängt, so befinden sich dieselben fast stets
im Hungerzustande. Die Pflanzen sind also gegen die
Schnecken auch nur relativ geschützt und die Schnecken
können die Schutzmittel der Pflanzen nur theilweise über-
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winden. Es gibt solche Schnecken, welche ihre Nahrung an
sehr vielen Pflanzen suchen, das sind die Omnivoren. Ander¬
seits gibt es solche, welche sich nur an wenige Pilanzen halten
und die Schutzmittel derselben fast vollkommen überwunden
haben, das sind die Spezialisten. So frisst z. B. Simas maximus
fast nur Pilze, die von andern Schnecken vermieden werden.
In vielen Fällen sind die Schutzmittel, welche die
Bilanzen gegen die Schnecken anwenden, leicht verständlich.
Es handelt sich hier um sogenannte mechanische Schutz¬
mittel: starke Behaarung, Stacheln, Dornen, festwindende
Pilanzentheile, harte Haut- und Rindenbildungen. Häufig
bestehen die Schutzmittel aber in verschiedenen, in der
Pflanze enthaltenen oder von derselben ausgeschiedenen
Stoffen, welche den Schnecken so unangenehm sind, dass sie,
erst durch den Hunger getrieben, die Pflanzen anfressen
ohne sich ganz zu sättigen. Um den Werth und die Be¬
deutung solcher Schutzmittel zu prüfen, schlug Stahl folgendes
Verfahren ein: Er nahm Theile der geschützten Pflanzen
und setzte dieselben eingefangenen Schnecken entweder frisch
vor oder nachdem sie mit absolutem Alkohol ausgezogen
waren, so dass sie ihr Schutzmittel verloren hatten. Die
frischen Pilanzentheile wurden von den Schnecken nicht an¬
gerührt oder erst in hochgradigem Hungerzustande, während
die extrahirten Pilanzentheile gierig gefressen wurden. Es
war auf solche Weise festgesetzt, dass durch die Behandlung
mit Alkohol Stoffe aus der Pflanze entfernt wurden, welche
früher die Schnecken abhielten.
Als wichtige Schutzmittel ergaben sich auf solche Weise
Bitterstoffe, ätherische Oele, Gerbsäure, saure Säfte, Ablage¬
rungen von Kieselsäure und Kalk in den Pflanzentheilen.
Ein besonders wichtiges Schutzmittel sind die so ungemein
häufig auftretenden Krystalle von Calciumoxolat, welche
durch ihre scharfen Kanten, Ecken, Spitzen die Fusswerk-
zeuge der Schnecken verletzen.
364. Sitzung am 28. Dezember 1888.
Gemeinsam mit der Deutschen Kolonial-Gesellscbaft und der Badischen
Geographischen Gesellschaft.
Herr Professor Dr. Paulitschke aus Wien hielt einen
Vortrag über das Volk der Galla. Der Redner schilderte
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zunächst die ethnologische Stellung des von ihm 1884/85
besuchten grossen ostafrikanischen Volkes der Galla oder
Oromo und hob namentlich dessen Wichtigkeit und Zukunft
für die deutschen Besitzungen in Ostafrika hervor. Er
nannte sie mit Rücksicht auf die Züge des Volkes auf afri¬
kanischem Gebiete die „Gothen“ Afrika's. Hieran schloss
sich die Besprechung der Wohnsitze des Volkes. Die Galla
gliedern sich in grosse, viele Millionen Köpfe zählende Sippen,
die wiederum in eine Anzahl von Stämmen zerfallen, an
deren Spitze bei staatlichen Gebilden (Wollo-Galla, Djima,
Gumma, Kaffa) Könige oder Königinnen, sonst mächtige
Häuptlinge stehen.
Das Volk sass in den ersten Jahrhunderten der christ¬
lichen Zeitrechnung am Südrande des Golfs von Aden, wo
es auch mit dem Christenthum bekannt wurde, wie von den
Engländern und dem Vortragenden gemachte Funde beweisen.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wanderte das Volk in Schoa
ein. Die Galla sind Ackerbauer und Viehzüchter, also keine
Nomaden, wie die Somali, und bewohnen ein reiches, herrliches
Land. Die Gebiete der einzelnen Fürsten desselben sind
streng abgegrenzt durch meilenbreite wüst liegen gelassene
Landstreifen (udema) von einander gesondert. Durch Thor-
einlässe, welche in die Dornengrenzmauern eingehauen sind,
gelangt man in dieselben, nachdem man die Bewilligung des
Königs erlangt hat.
Der Vortragende schilderte sodann ein Gallagehöfte und
die Galladörfer, berichtete von der Lebhaftigkeit und Fröh¬
lichkeit, die in denselben herrscht, und beschrieb dann die
physischen und moralischen Eigentümlichkeiten der Rasse.
Paulit8chke nennt die Galla ein schönes, starkes Volk.
Schönheit zeichnet besonders die Frauen aus, die als Sclavinnen
im Oriente und in Afrika so sehr geschätzt sind. Dem
Charakter nach ist der Galla ein offener, ehrlicher Geselle,
treu, das gegebene Wort haltend, aber auch leidenschaftlich,
ungeduldig und schamlos, ohne Anlass kann er aus stoischer
Ruhe in wahnsinnige Wuth geraten; er ist starrsinnig,
Liebe und Hass ist bei ihm nie zu unterscheiden. Milde
macht ihn nur verwegen, Härte schüchtert ihn ein.
Prof. Paulrtschke schilderte im Anschlüsse hieran den
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Lebenslauf eines Individuums, Sitten und Gebräuche des
Volkes, er hob die Werthschätzung der Jungfräulichkeit bei
den Galla-Mädchen hervor.
Der Sinn des Volkes ist nur auf den Ackerbau, die
Vieh- und Bienenzucht gerichtet. Das Rind (Zebu) erfährt
eine sehr rationelle Pflege. Besitzer von 1000 Stück desselben
erfahren eine originelle Huldigung von ihren Nachbarn in
der Form der sogenannten Jungenkrönung. Die Nahrung
des Volkes besteht namentlich im Genüsse von Fleisch,
Butter und Honig. Eine eigenthümliche Rolle spielt das
Trinken von Blut und überhaupt der Gebrauch des Blutes.
Der Vortragende führt viele Fälle an, wo der Galla Blut
verwendet zu Waschungen u. s. w. Butter wird in Unmassen
verzehrt, dagegen hat sich das Volk zur Käsebereilung noch
nicht aufgeschwungen.
Krankheiten heilen die Galla durch Austreibung mittelst
grossen Lärmens, wohl auch durch Uebergüsse der Kranken
mit Bier (Honig-Hydromele), durch gewaltsames Einschütten
von Medikamenten u. s. w. Merkwürdig ist die Abschneidung
des Halszäpfchens hei verschiedenen Krankheiten.
Feinde zu tödten trägt den) Galla höchstes Lob ein.
Grosse Strenge entfalten die Häuptlinge im Kriege und Frieden.
Das Abhacken der Hände für Diebstahl, der äusserst selten
vorkommt, das Ausreissen der Augen, das Abschinden der
Rückenhaut sind die gewöhnlichen Strafen selbst für kleinere
Vergehen. Todschlag kann nur durch Geldbusse gesühnt
werden. Die Volks- und öffentliche Moral ist auf hoher
Stufe.
Die Religion des Volkes ist eine Naturreligion. Anklänge
an das Christenthuin, wie z. B. ein Frauencult (Mariam-
Cult), ein Engelcult kommen neben anderen Gülten vor.
Interessant waren die Ausführungen des Vortragenden
über die Denkungsweise des Volkes. Der Galla staunt und
wundert sich darüber, dass ihn Europäer besuchen und be¬
kleiden und bekehren wollen, während er nichts von alledem
wünsche.
Das Staatswesen der Galla ist ein eigenes Gemisch von
monarchisch-republikanischem Wesen. Wo keine absoluten
Herrscher bestehen, führt ein Rath von Aeltesten des Volkes,
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die Gada, das Regiment. Die Beschlüsse desselben werden
dnrch Eintauchen eines Holzscepters in warmes Stierblut veri-
ficirt. Gold darf nur der Fürst besitzen. Das Hofpersonale
der Fürsten besteht aus einer grossen Menge von Chargen
und namentlich aus weiblicher Bevölkerung. Der Galla lebt
in der Polygamie; doch gibt es bei dem Mittelmanne selten
mehr als zwei Frauen.
Iu der zweiten Hälfte seines Vortrags sprach Paulitschke
von den gegenwärtigen Verhältnissen in Ostafrika. Er er¬
klärt den Aufstand der Araber als Ausfluss der Reaction
gegen den Uebergang des bisher in Ostafrika bestandenen
national-arabischen Handels mit seinem grossen Kram von
Geheimnissen und althergebrachten Formen in die offen und
energisch handelnden deutschen Hände. Von Beschränkung
der Action Deutschlands in Ostafrika könne indess niemals
die Rede sein, selbst nicht auf längere Dauer. Die Be¬
wegungen sind allerdings bedeutender geworden, seit die
Aufständischen Führer gewonnen; doch werde sie, wenn man
Gewaltmittel zur Niederdrückung verwende, die jetzt durch¬
aus am Platze und nothwendig seien, rasch im Sande ver¬
laufen. Der Patriotismus müsse über die Krise hinweghelfen.
Der gewaltsamen Niederwerfung des Aufstandes durch
freiwillige koloniale Truppen (am besten aus Angehörigen
der Tropen bestehend) müsse rasch das Friedens werk folgen.
Paulitschke plädirt für Kreirung von Musterfarmen, reichliche
Unterstützung der christlichen Missionen, die neben dem
hohen Berufe der Glaubensverbreitung Handwerke lehren.
Vom Staate garantirte oder subventionirte Compagnien
hätten nach Redners Meinung die meiste Aussicht auf
Prosperität in Ostafrika. Das Dauerhafte staatlicher Autorität
mache tiefen Eindruck auf den Araber und Orientalen über¬
haupt. Capitalisten sollten trachten, an Stelle der indischen
Banianen in Ostafrika zu treten, welche Banquiers der geld-
loseu Araber seien. Ferner komme es in Ostafrik'a darauf
an, dass man, wenn von Handelscolonisation, die ja neben
der Ackerbaucolonisation noch immer im Vordergründe stehe,
die Rede sei, rasch und billig Waaren dahin senden könne.
Zur Sclavenfrage übergehend, bemerkte der Redner, er
billige die Initiative der Kirche in diesen Dingen. Cardinal
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Lavigerie’s Feldzugsplan gegen die Sclavenhändler sei natür¬
lich nicht so zu verstehen, dass die Priester selbst zu den
Waffen greifen, Lavigerie nebst seinen Missionaren wollen
nur den Anstoss dazu geben, dass von Seiten der euro¬
päischen Culturvölker in geeigneter Form auch im Innern
Centralafrika’s gegen den greuelhaften Menschenhandel ein¬
geschritten werde Daneben seien Blokade und Verbot der
Einfuhr von Waffen und Munition sehr wirkungsvolle Mittel
zur Bekämpfung des Sclavenhandels an der Küste und auf
offener See, nur müsse durch internationale Vereinbarung
Vorkehrung getroffen werden, dass an der ganzen ostafri¬
kanischen Küste keinerlei Plätze übrig bleiben, die von den
findigen Arabern weiterhin ausgenützt werden können, die
Blokade müsse vielmehr eine absolut zusammenhängende in
ganz Afrika sein.
Der Redner schliesst seinen durch einen Reichthum von
Photographien und ethnographischen Gegenständen belebten
Vortrag mit dem Ausdruck seiner Freude darüber, dass ge¬
rade in dem Lande Baden, das schon so manche tüchtige
Colonisten geliefert habe, der deutsch-coloniale Gedanke so
starke Wurzeln gefasst habe. Sowohl die Humanität und
das Christenthum als auch das wirtschaftliche Leben der
deutschen Nation wie die deutsche Wissenschaft, namentlich
die geographische, haben aus der jetzigen deutschcolonialen
Entwickelung noch hohe Vortheile zu erwarten.
365. Sitzung am II. Januar 1889.
Anwesend 28 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Rath Dr. Grashof.
Herr Geh. Hofrath Dr. Wagner sprach im Anschluss an
frühere Mittheilungen (331. Sitzung 1886) über Grabhügel¬
funde bei Hügelsheim, A. Rastatt, und Meissenheim, A. Lahr,
über neuere Forschungen in Betreff der Gagatkohle. Jn jenen
Grabhügeln waren grosse Armringe von gröberem, der Kohle
verwandten Stoff und Halsperlen von feiner eigentlicher
Gagatkohle gefunden worden. Die letztere, in England unter
dem Namen Jet, in Frankreich als Jayet bekannt, matt¬
schwarz, bituminös, von muschligem Bruch, sehr zäh, dicht
und widerstandsfähig, dabei spezifisch sehr leicht, bearbeitbar.
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scheint bis jetzt mineralogisch nicht sicher definirt. Nach
neuen Untersuchungen von Dr. Bleicher ist sie unzweifelhaft
pflanzlichen Ursprungs, aus Sumpfwasser abgesetzt, durch
Druck verdichtet. An einzelnen Stücken ist Holzstruktur
noch erkennbar. Sie findet sich in Deutschland im schwä¬
bischen Jura (bei Boll, Bahlingen, bei Pfohren, A Donau-
eschingen), in England an der Nordostküste (bei Whitby),
wo das Meer die Liasschichten und die leichten Gagatstücke
an das Land schwemmt (ähnlich dem Bernstein), in Frank¬
reich im Departement Aude, im Nordosten der Pyrenäen, in
Spanien, in Galizien und Asturien (besonders bei St. Jago
de Compostella). Hier überall kommt sie ausschliesslich in
Nestern, in kleineren Stücken von höchstens 50 Centimeter
Länge und nie über 2—3 Centimeter Dicke vor. Im Gegen¬
satz zur nicht bearbeitbaren Steinkohle der älteren Forma¬
tionen und zur Braunkohle mit dem Lignit im Tertiär und
in späteren Bildungen wird demnach der Gagat als Liaskohle
anzusehen sein. Der schöne, fein polirbare Stoff ist zu allen
Zeiten zu Schmuck bearbeitet worden, noch jetzt wird der
englische Jet mit Vorliebe, theils echt, theils gefälscht, zu
Trauerschmuck verwendet. Dem Vorkommen des Gagats
entsprechend haben sämmtliche aus demselben gefertigte
Kunsterzeugnisse gemein, dass sie bei beliebiger Längen¬
ausdehnung (alte römische Schmucknadeln sind bis zu 30
Centimeter lang) eine Dicke von 2 bis 3 Centimeter nie
übersteigen. Das Vorkommen der dickeren Armbänder aus
anscheinend gröberem Stoff in Grabhügeln beschränkt sich,
wie es scheint, auf Südwestdeutschland, die Nordschweiz,
Ostfrankreich. In den Sammlungen von Karlsruhe, Basel,
Colmar, Hagenau, Besangon sind sie in ziemlicher Zahl vor¬
handen. Nach der chemisch-mikroskopischen Untersuchung
von Dr. Bleicher ist ihr Stoff, wie der Gagat, aus Sumpf¬
wasser abgesetzt, nur mit dem Unterschied, dass ihm mehr
unorganische Materie, Kalk oder Kiesel beigemischt ist.
Die Annahme drängt sich demnach auf, dass auch solcher
roher Gagat in dickeren Stücken irgendwo in unseren
Gegenden sich finden müsste; merkwürdiger Weise ist aber
seine Spur, ausser in feinen verarbeiteten Stücken in unseren
Grabhügeln, bis jetzt nicht entdeckt.
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Herr Professor Dr. Meidinger berichtete hierauf über einige
merkwürdige Blitzschläge des vergangenen Sommers
in unserer Nähe. Am 12. Juli Abends 9 Uhr traf eine Ent¬
ladung das städtische Spital in Durlach. Der Blitz schlug
in den aus einem gezackten Eisenband bestehenden Ableiter;
an der Wand über dem ersten Stock im Hof zeigte sich
derselbe zerrissen, etwas höher war ein Kloben heraus¬
getrieben. Ferner fand man auf der Strassenseite des Ge¬
bäudes in Brusthöhe über dem Boden ein Stück Bewurf von
Handbreite zwischen dem Gasrohr der Laterne und dem 25
Centimeter entfernten Regenablaufrohre abgetrieben, ln
einem Fenster der auf der andern Seite der Strasse liegenden
Wirthschaft entstand ein unregelmässig rundes, etwa 12
Centimeter weites Loch. Gäste und Tisch wurden mit Staub
überschüttet. Die Erscheinungen erklären sich in der folgen¬
den Weise. Der Blitzableiter hatte nur eine kurze Boden¬
leitung, der Blitz staute sich in demselben, fuhr über das
nasse Dach in die Regenrinne und von dieser abwärts, um
in das, eine bessere Bodenleitung bildende Gasrohr über¬
zuspringen. Das Loch in der Fensterscheibe wurde durch
den über die Strasse geworfenen Mörtel gebildet, ähnlich wie
das Jahr zuvor das Loch in einem Teller bei dem Einschlag
in das Haus Nr. 3 Waldhornstrasse hier (s. 10 Bd. Abh. S. 223).
Am 25. Juli 8 Uhr Abends schlug der Blitz in das un-
bewaffnete Haus Leopoldstrasse 33 hier. Vorerst zeigte sich,
dass in der Parterrewohnung in zwei getrennten Räumen
aus dem unter der Decke laufenden Gasrohr grosse Flammen
herausschlugen; weiterer Gefahr konnte durch sofortiges Zu-
drehen des Haupthahnes der Gasleitung vorgebeugt werden.
Ferner zeigte sich noch, dass das hier befindliche elektrische
Läutewerk nicht mehr arbeitete, ebenso noch ein weiteres
das sich im dritten Stock des durch einen weiten Ilofraum
getrennten Hintergebäudes befand; sonstiger Schaden zeigte
sich vorerst nicht. — Die nähere Untersuchung ergab, dass
der Blitz durch das Ziegeldach des Hintergebäudes mit
Zersplitterung eines Balkens eingefallen war; den Eisendrähten
unter dem Deckenbewurf folgend sprang er alsdann in das
elektrische Läutewerk, welches, wie die Läutewerke aller
Stockwerke des Vorder- und Hinterhauses, von dem Strassen-
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thor aus betrieben werden kann und desshalb seine Draht¬
leitung bis dahin fortsetzt. Der Blitz folgte nun dieser
Leitung und an der gemeinsamen Batterie ging er in die
Drahtleitung des unteren Stocks des Vorderhauses über, um
an zwei geeigneten Stellen in die durch mehrere Räume
hindurch unmittelbar daneben laufende Gasleitung über¬
zuspringen, wobei zugleich das Läutewerk verletzt wurde.
Die beiden Vorfälle lehren von Neuem den grossen
Einfluss, welchen die in die Häuser führenden Rohrleitungen
auf die Blitzrichtung ausüben, und von welcher Wichtigkeit
die Anlage guter Blitzableiter in Gebäuden mit Rohrleitungen
sind, welche letztere am besten ausserhalb mit dem Blitz¬
ableiter in Verbindung zu bringen sind.
Zum Weiteren machte Prof. Meidinger auf einige Witte¬
rungserscheinungen dieses durch seine gleichmässige Tem¬
peratur so sehr bemerkenswerthen Winters aufmerksam. Nach
mehrtägigem gelinden Frost mit Nebel brach am Sonntag
den 9. Dezember die Sonne durch und führte die Temperatur
bald einige Grad über Null. Um die Mittagszeit überzog
sich der Himmel in grosser Höhe mit Wolken von regen¬
artiger Beschaffenheit. Der Redner machte an diesem Tag
eine Partie auf das alte Schloss in Baden und beobachtete
nun um 3 Uhr daselbst einen heftigen Südwest bei + 7° R.,
Baden lag in dichtem Dunst, der sich bis zum neuen Schloss
erhob; das ganze Oosthal, wie auch die Rheinebene, war
dunstig; darüber schauten sehr klar die Schwarzwaldberge
und die jenseitigen Vogesen heraus. Beim Abstieg um 4 Uhr
ergab sich, dass im Thal Windstille herrschte und die Tempe¬
ratur daselbst blos -1- 3° R. war. Der Temperaturunter¬
schied fiel insbesondere von der Höhe des neuen Schlosses
an lebhaft auf. Bis hierher erhob sich auch allein von unten
aufsteigender Rauch, welcher die Hauptursache des die
Niederung erfüllenden Dunstes war. Von 5 bis 7 Uhr fiel
im ganzen Rheinthal starker Regen, ohne dass sich jedoch
die Temperatur über 4 # R. gehoben hätte« — In der Nacht
heiterte sich der Himmel auf, die Bodenschichten kühlten
sich bis wenig unter Null Grad ab. Am andern Morgen
war Karlsruhe von einem Nebel erfüllt, wie er in ähnlicher
Dichte noch nicht beobachtet worden war; um 8 Uhr konnte
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man auf 12 Meter Entfernung nicht mehr sehen, um 9 Uhr
auf die doppelte Entfernung, um 11 Uhr schien die Sonne.
Der Thermometer zeigte um 10 Uhr -1- 1 # R.; auf dem
Thurmberg in Durlach war um dieselbe Zeit die Temperatur
2 */ a 0 höher. Der Nebel hatte sich nicht bis zu dieser Höhe
erstreckt. Um 12 Uhr zeigte der Thermometer in Karlsruhe
-+- 4° R. — Die nächsten Tage brachten wieder gelinden
Frost mit heiterem Himmel und nach oben abnehmender
Temperatur wie sonst Regel. Der kurze Regenfall war, wie
wiederholt in diesem Winter, mit keiner dauernden Witte¬
rungsänderung verbunden. Die in der Höhe höheren Tempe¬
raturen sind für den ganzen Winter charakteristisch gewesen;
auf dem Schwarzwald hatte man lange Zeit sehr warmen
Sonnenschein, während in der Rheinebene kalter Nebel lag.
Ein Zusammentreffen von Bedingungen, wie sie am Sonntag
den Rauchdunst in Baden und am Montag in Karlsruhe den
starken Nebel erzeugten, dürfte die Ursache der undurch¬
dringlichen Nebel sein, von denen London mitunter, wie z. B.
am letzten Tage des verflossenen Jahres, heimgesucht wird,
wo auf anderhalb Meter Entfernung bereits der Blick seine
Begrenzung findet.
An diese Mittheilung schloss sich eine Berathung, bei
welcher durch die Herren Professoren Platz und Rebmann
die Erscheinung zunehmender Temperatur in der Höhe bei
Nebel im Rheinthal zur Winterszeit eine weitere Bestätigung
aus eigener Erfahrung fand und insbesondere auch die grosse
Durchsichtigkeit der Luft betont wurde, welche Gelegenheit
zu den schönsten Fernsichten, von der Hornisgrinde aus bis
zu den Alpen, gibt.
Noch von einer anderen Beobachtung machte Herr Prof.
Meidinger Erwähnung. Die Tage nach Mitte Dezember
brachten gelinde Nachtfröste von etwa —4° R., während
Nachmittags der Thermometer auf 0 bis + 1° R. stieg;
dabei war die Atmosphäre dunstig, so dass die Bäume sich
mit Reif beschlugen und die Fernsicht sehr begrenzt war.
Mittwoch den 19. Dezember überzog sich der Himmel mit
einem Wolkenschleier, der Thermometer stieg auf -+- 2° R.
und dabei zeigte sich um Nachmittags, dass die fest ge¬
frorenen Eisflächen der Wiesen, auf denen Schlittschuhläufer
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sich bewegten, Nachmittags oberflächlich thauten und sich mit
Wasserpfiitzen bedeckten, während die Bäume im Wald, an
den Strassenalleen und auch über der Eisfläche selbst mit
festhängendem Reif bedeckt biieben und auch die Strassen
im Freien keine Thauspuren aufwiesen. Die Luft war voll¬
kommen windstill. Auch ganz abgelegene Eisflächen zeigten
die gleiche Erscheinung. Das Schmelzen des Eises bei Tempe¬
raturen Uber Null und bedecktem Himmel ist an sich ganz
natürlich, das Eis bleibt blos fest bei heitrem Himmel, wo
starke Ausstrahlung stattfinden kann, selbst bis zu -)- 4° R.
Das gegensätzliche Verhalten des Baumreifes ist nun sehr
auffallend und schwer erklärlich. Beim Erdboden konnte
man annehmen, dass die tieferen Schichten sich in einer
Temperatur unter Null befanden und dadurch die Wirkung
der wärmeren Luft an der Oberfläche ausglichen.
366. Sitzung am 25. Januar 1889.
Auwesend 42 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Herr Professor Dr. Valentiner berichtete über die Lick-
Sternwarte. In Amerika ist die Zahl der durch Private in’s
Leben gerufenen Sternwarten grösser als in irgend einem
anderen Lande und es erstaunt uns gar nicht mehr, von
derartigen neuen Stiftungen zu hören. Die testamentarische
Verfügung von J. Lick machte durch die Grossartigkeit der
Schenkungen überall Aufsehen. James Lick hat als Piano¬
forte- und Orgelfabrikant, durch glückliche Spekulationen ein
Vermögen von 3 Millionen Dollars (etwa 12 Millionen Mark)
erworben, er hat dasselbe einige Jahre vor seinem Tode
ganz zur Förderung von Wissenschaft und Kunst, für huma¬
nitäre Zwecke bestimmt Die Astronomie erhielt mit
700 000 Dollar (fast 3 Millionen Mark) die grösste Summe.
Für dieselbe sollte eine Lick's Namen tragende Sternwarte
mit dem grössten Fernrohr der Welt in damaliger Zeit er¬
richtet werden. So gross die Summe war, so mussten doch
von verschiedensten Seiten hohe Beiträge gegeben werden,
um das Institut lebensfähig zu machen. Der Kongress
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schenkte ein ungeheures Terrain, Private arrondirten und
vergrösserten dasselbe aus ihrem Besitz, um die Sternwarte
für alle Zeiten vor gefährlichen Anbauten zu schützen; das
County S. Clara, in welchem sich der 4300 Fuss hohe Mount
Hamilton, auf dessen Gipfel die Sternwarte errichtet werden
sollte, befindet, legte die prachtvolle, 50 km lange, nur der
Sternwarte dienende Fahrstrasse von der nächsten Stadt
S. Jose mit einem Aufwand von 300 000 Mark an, die Uni¬
versität S. Franzisko gewährt für die nächsten Jahre zur
Unterhaltung der Sternwarte jährlich 80 000 Mark, der Staat
Kalifornien übernimmt die Kosten der Veröffentlichungen,
Private sammeln einen Fonds für Vermehrung der Bibliothek
u. s. w. Die Sternwarte ist seit Beginn vorigen Jahres in
Thätigkeit, von Juni bis November wurde sie, trotz der
grossen Entfernung von jedem bewohnten Ort, und der Un¬
möglichkeit, in der Nähe eine Unterkunft zu finden, von über
4000 Fremden besucht, 2000 sahen Abends durch das grosse
Fernrohr. Alle diese Angaben beweisen das tiefgehende
Interesse des Amerikaners an der Astronomie, dasselbe ist
keineswegs auf einzelne Wohlhabende beschränkt, es durch¬
dringt das Volk; bestände nur annähernd solches Interesse
bei uns, so hätte ein altberühmtes Institut nicht seit 70
Jahren vergeblich um seine Existenz gerungen, wie es hier
der Fall ist; vergleichen wir uns im Einzelnen mit Amerika,
so müssen wir unumwunden erklären, nicht am Geld, sondern
am rechten Interesse fehlt es bei uns.
Nach vielfachen Prüfungen hatte sich der Mt. Hamilton
als besonders geeignet für die astronomischen Beobachtungen
gezeigt. Ungemeine Reinheit und Ruhe der Luft, gepaart
mit häufiger Klarheit des Himmels — im Durchschnitt kann
man jährlich auf 250 absolut klare Nächte rechnen, in den
Monaten Juli und August kommt auf 30 klare ein trüber
Tag — versprachen reiche Erfolge, und schon die ersten
Mittheilungen über dort allgestellte Beobachtungen zeigen
das Uebergewicht des unter so günstigen atmosphärischen
Verhältnissen aufgestellten Riesenrefraktors.
Es folgte eine detaillirte Besprechung der Gebäude und
Instrumente. An Hauptinstrumenten sind ausser dem 36-Zöller
noch ein ganz vorzüglicher 12-Zöller und ein Meridiankreis
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33
(Repsold), daneben eine grosse Anzahl kleinerer Instrumente
vorhanden. Das Interesse konzentrirt sich natürlich auf den
36-Zöller; das Glas lieferte Ch. Feil in Paris, die Linsen wurden
von A. Clark in Cambridgeport (Mass.) geschliffen, die Mon-
tirung übernahmen Warner &Iwasei in Cleveland (0). Die Brenn¬
weite des Objektivs ist 56 Fuss; für photographische Zwecke
ist eine Korrektorlinse (33 Zoll) vorhanden, welche vor das
Objektiv gesetzt wird. Die 70 Fuss im Durchmesser haltende
Kuppel ist leicht beweglich, zur Sicherheit und Bequemlich¬
keit des Astronomen lässt sich der Fussboden heben, so dass
für die Beobachtungen selbst in grösseren Zenithentfernungen
nur relativ kleine Treppen erforderlich sind
Anknüpfend an diese Beschreibung der Lick Sternwarte
wurde die Frage erörtert, ob solchen Instituten gegenüber
kleinere und mittlere Sternwarten für die Wissenschaft von
wirklichem Nutzen bleiben. Unter Vorlage zahlreicher Ab¬
bildungen und Anführung verschiedener Beobachtungen wurde
gezeigt, dass die Riesenfernrohre unsern Erwartungen auf
verschiedenen Gebieten der Astronomie nicht entsprechen und
mehrfach in der Leistungsfähigkeit selbst hinter den schwächeren
zurückstanden. Die Unruhe der Luft erlaubt nur in seltenen
Fällen die Anwendung stärkerer Vergrösserungen; Erfah¬
rungen in Washington, Strassburg, Gotteshead u. s. w. be¬
stätigen dies. Hier wird die Lick Sternwarte allen bestehen¬
den überlegen sein, mehr vielleicht noch ihrer günstigen
Lage wegen, als durch den 36-Zöller, dessen optische Stärke
an anderen Orten nicht zur Geltung kommen würde. Licht¬
schwache Kometen, Nebelflecke, enge und schwache Doppel¬
sterne werden in den grossen Fernrohren beobachtet und
entdeckt werden, Nebelflecke sich in Sternhaufen auflösen
lassen und somit immer neue Welten eröffnet werden. Das
unermessliche Arbeitsfeld aber, welches aufgeschlossen vor
den massigen Fernrohren lag, ist durch die grossen Instru¬
mente nicht enger begrenzt worden, es hat nur noch an
Ausdehnung gewonnen. Wenn Fernröhre mässiger Dimen¬
sionen an ruhigen Orten, fern von Fabrikanlagen und nicht
durch städtische Beleuchtungen gestört, aufgestellt sind, so
wird es denselben auf Generationen hinaus nicht an Arfceits-
stoff fehlen und sie haben hier die Wettbewerbung der
3
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grossen Fernröhre in keiner Weise zu fürchten, dazu treten
noch die sogenannten Fundamentalbestimmungen, welche, wie
viele andere Einzelfragen der Astronomie, zu ihrer Lösung
nur kleinere, aber gut aufgestellte Fernröhre fordern.
Herr Geh. Rath Dr. Grashof machte hierauf eine Mit¬
theilung über die Vergleichung und Anfertigung von
Stimmgabeln in der physikalisch-technischen Reichsanstalt
in Berlin. Um den Missständen entgegen zu wirken, welche bis¬
her durch die Verschiedenheiten des Normalstimmtons bei den
Musikinstituten verschiedener Staaten herbeigeführt wurden,
ist vom österreichischen Kultusministerium im Jahre 1885
eine internationale Konferenz zu Stande gebracht worden,
bei welcher von deutschen Staaten Preussen, Sachsen und
Württemberg durch Sachverständige vertreten waren, ausser¬
dem Italien, Russland und Schweden. Ebenso wie es für
Frankreich von der Regierung daselbst schon 1885, freilich
einseitig in rechtsverbindlicher Form, bestimmt worden war,
wurde einstimmig beschlossen, dass der normale Stimmton,
das eingestrichene a. durch 435 ganze Schwingungen defiuirt
und durch Normalstimmgabeln bei 15® C. angegeben werden
solle. Für Deutschland wurde seit Errichtung der physi¬
kalisch-technischen Reichsanstalt die zweite (technische) Ab¬
theilung derselben von Reichswegen mit den betreffenden
Vorarbeiten beauftragt, die nun in der Hauptsache ab¬
geschlossen sind. Sie bezogen sich auf die Herstellung von
Norraalgabeln, auf Bestimmungen für die Prüfung und Be¬
glaubigung eingelieferter Gabeln gemäss eigenen Versuchen,
und auf Untersuchung der Umstände, welche für die Zu¬
verlässigkeit, Stärke und Dauer des Tones besonders mass¬
gebend sind. Die Bestimmung der Schwingungszahl geschieht
in bekannter Weise durch Feststellung der in einer Sekunde
hörbaren Anschwellungen bei gleichzeitigem Ertönen eines
Tons von bekannter, wenig abweichender Schwingungszahl,
und zwar wird letzterer bei der Herstellung von Normal¬
gabeln durch eine Sirene hervorgebracht bei bekannter, durch
Zählwerk messbarer Zahl gleichförmiger Umdrehungen. Die
Prüfung vorgelegter Stimmgabeln geschieht in der Reichs¬
anstalt übrigens durch Vergleichung weder mit der Sirene,
was zu umständlich wäre, noch mit einer möglichst richtigen
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Normalgabel, sondern mit Differenzgabeln, die mit der Ge¬
nauigkeit von Normalen berichtigt sind, von welchen aber
die eine etwas zu viel, die andere ebenso viel zu wenig
Schwingungen bei der Normaltemperatur macht; die vor¬
gelegte Stimmgabel ist dann innerhalb kleiner Fehlergrenzen
richtig, wenn sie bei gleichzeitigem Ertönen mit der einen
oder andern dieser Differenzgabeln eine gleiche Zahl von
Schwebungen hören lässt. Die Reichsanstalt unterscheidet
hierbei, gemäss einer kürzlich erlassenen Bekanntmachung
ihres Präsidenten, v. Helmholtz, Stimmgabeln für den Hand¬
gebrauch und Orchestergabeln, die auf einen Schallkasten
geschraubt und mit dem Bogen angestrichen werden, ferner
gewöhnliche und Präzisionsstimmgabeln, von welchen die
ersteren bis auf 0,5 einer ganzen Schwingung berichtigt
werden, die letzteren bis 0,1 unter gleichzeitiger Beglaubi¬
gung des festgestellten Einflusses der Temperatur auf die
Schwingungszahl. Für alle diese Gabeln sind gewisse Be¬
schaffenheiten bezüglich auf Material, Herstellungsart, Form
und kleinste zulässige Dimensionen^ erfahrungsmässig vor¬
geschrieben.
Herr Professor Dr. Endres berichtete in Ergänzung
seines Vortrages vom 23. November v. J. über die neuesten
Untersuchungen von R. Hartig und R. Weber in München,
betreffend den Einfluss der Samenerzeugung auf Zuwachs¬
grösse und Reservestoffvorrath der Bäume. Frühere Unter¬
suchungsergebnisse führten zur Vermuthung, dass der Eintritt
eines Samenjahres abhängig sei von der Menge der im
Baume aufgespeicherten Kohlenhydrate und Proteinstoffe.
Diese Hypothese hat sich nun in so fern als richtig erwiesen,
als der überaus reiche Saraenertrag der Buchen im ver¬
flossenen Jahre den Zuwachs auf die Hälfte und den Stärke-
mehlvorrath auf die Hälfte bis auf zwei Drittel verminderte.
Der Stickstoff ist fast ganz verschwunden. Damit ist zwar
der physiologische Zusammenhang zwischen Fructification
und Reservestoffverbrauch dargethan, aber nicht die Frage
entschieden, ob es eine pflanzenphysiologische Nothwendigkeit
sei, dass die Menge dieser aufgespeicherten Stoffe zugleich
als primäres Agens für den Eintritt eines Samenjahres wirke.
Die bisherigen Erfahrungen sprechen vielmehr dafür, dass
3 *
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noch andere Faktoren, namentlich warme Sommer in dem der
Blüthenbildung vorhergehenden Jahre, auf den Blüthenansatz
Einfluss haben. Immerhin müsse man aber an den gefun¬
denen Thatsachen festhalten und bemüht sein, durch weitere
Untersuchungen an anderen Holzarten, namentlich an Nadel¬
hölzern, diese höchst interessanten Naturgesetze zu verfolgen.
367. Sitzung am 8. Februar 1889.
Anwesend 37 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu ängemeldetes Mitglied: Herr Dr. Fr. Kaiser, Arzt.
Herr Otto Ammon hielt einen Vortrag über Körper¬
messungen.
Die von dem Vortragenden in Folge Anregung aus aka¬
demischen Kreisen seit mehreren Jahren betriebenen Körper¬
messungen verfolgen verschiedene wissenschaftliche Zwecke,
nämlich 1. die Proportionen des menschlichen Körpers und
den Einfluss von Beruf und Lebensweise auf dieselben näher
als bisher kennen zu lernen; 2. durch Messung aller Mit¬
glieder von Familien die Gesetze der Vererbung körperlicher
Eigenschaften von Eltern auf Kinder und 3. durch jährliche
Wiederholung an den gleichen Individuen die Vorgänge des
Wachsthums der einzelnen Körpertheile zu studiren. Die
blosse Messung und Aufstellung von Tabellen genügt hiezu
nicht, da die augenblickliche Haltung von Einfluss ist; man
muss die Umrisslinien, besonders auch die Biegung des
Rückens aufzeichnen, um zu wissen, was, bezw. in welcher
Stellung man gemessen hat; denn manche Menschen haben
einen geraden, manche einen gebogenen Rücken („hohles
Kreuz*), was auf die Grösse, bezw. Länge des Rumpfes und
somit auf alle Proportionen einwirkt; ebenso bedingt die
Stellung der Beine (0-, X-, Säbel- und gerade Beine), die
Neigung des Beckens etc. wesentliche Verschiedenheiten.
Mittelst eines besonders konstruirten Apparates hat der Vor¬
tragende ausser den Massen auch die Umrisslinien von etwa
450 Personen verschiedenen Alters und Berufes aufgenommen
und die Umrisse im Massstab von 1:10 auf Netzpapier auf¬
getragen; eine Auswahl von etwa 150 Stück dieser Zeich¬
nungen, in systematischer Gruppirung an die Wand geheftet,
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gibt ein anschauliches Bild der vorkommenden grossen
Variabilität im Bau des Körpers, Länge von Rumpf, Hals,
Beinen und Armen, Breite von Becken und Brust, Tiefe der
letzteren, Stellung der Schultern und Anderes, was Redner
näher erläutert. Dadurch bieten die Messungen des Vor¬
tragenden wesentlich Neues, dass sie nicht nur die mittleren
Werthe der Masse erkennen lassen, sondern auch die Extreme
angeben, zwischen denen die Werthe sich bewegen. Auf die
Frage, was ist nun normal? antwortet der Redner: nicht
blo9 das arithmetische Mittel ist normal, sondern Alles, was
sich innerhalb des gegebenen Spielraumes bewegt und die
jedem Theil bestimmten Funktionen ungestört auszuiibcn
gestattet. Die Proportionen sind bei grossen Leuten anders,
als bei kleinen, da sich die Gewichte ähnlicher Körper wie
die dritten Potenzen, die Muskelquerschnitte etc. wie die
zweiten Potenzen verhalten würden. Für jede Grössenstufe
liegt die Kompromisslinie wieder anders, allgemein gütige
Proportionen existiren nicht. Die farbigen Menschen ver¬
schiedener Rassen haben im Gegensatz zu den Weissen die
besondere Eigenschaft einer viel schmäleren Hüfte, was dem
Ideal mancher Künstler von männlicher Schönheit entspricht.
Redner hält diese Anschauung für irrig. Das breite Becken
der Weissen (und zwar könnten sich beide Geschlechter aus
physiologischen Gründen nicht zu sehr von einander ent¬
fernen) sei geradezu ein Vorzug der weissen Rasse gegenüber
den Farbigen, welche in ihrem engen und überschlanken
Becken eine kindliche und thierähnliche Form bewahren;
nur durch das weite Becken sei der grosse und inhaltsreiche
Schädel des Weissen eine physiologische Möglichkeit. Eine
andere Verschiedenheit im Skelett der Weissen und Farbigen
besteht darin, dass bei den ersteren der Oberarm 2 bis 4 cm.
länger ist, als der Vorderarm, bei den Farbigen aber (Neger,
Singbalesen und Australier) Ober- und Vorderarm gleich
lang sind. Das Wachsthum geht nach dem Redner in der
Weise vor sich, dass von der Geburt an der Kopf und die
Beine am stärksten zunehmen, Rumpf und Arme schwächer.
Vom 7. Jahre an wachsen die Kopfmasse nur noch um
wenige Millimeter, und mit der Pubertät (welche sehr ver¬
schieden, im 12. bis 21. Jahre beginnt) tritt Stillstand ein.
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In diesem Zeitpunkt haben auch die Beine ihre grösste
relative Länge erreicht und es folgt nun ein stärkeres Wachs¬
thum des Rumpfes nach Länge und Breite; Brust und Becken
dehnen sich bei Knaben nach allen Richtungen, wogegen
bei Mädchen die Brustweite und Schulterbreite in Folge einer
viele Jahrtausende währenden Anpassung etwas Zurückbleiben.
Die weibliche Gestalt sieht dadurch viel breithüftiger aus,
als sie ist; der Unterschied der äusseren Weite und Höhe
der Darmbeinschaufeln beider Geschlechter ist nur gering.
Die Arme, besonders die Hände (Schaffhände) werden in
dieser Periode länger. Während bei Kindern die Spannweite
der horizontal ausgestreckten Arme meist kleiner ist, als die
Körpergrösse, übertrifft sie diese bei Erwachsenen um 8 bis
12 Centimeter, bisweilen sogar um 15 bis 17 Centimeter,
bei Farbigen um noch mehr. Der Einfluss der Berufsart
und Lebensweise äussert sich hauptsächlich auf die Gestalt
und Weite der Athemorgane. Hierüber hat der Vortragende
auch bei der Musterung zahlreiche Messungen gemacht. Bei
Leuten, welche mit starker Muskelanstrengung in freier Luft
arbeiten (Landwirthe, Maurer, Zimmerleute), trifft man die
weiteste Brust; nur wenig unterscheiden sich von ihnen die
mit starker Muskelkraft im geschlossenen Raume arbeitenden
Handwerker (Schmiede, Schlosser, Schreiner etc.), dann kommt
ein bedeutender Abfall zu Denjenigen, welche ohne grössere
Muskelanstrengung im geschlossenen Raume beschäftigt sind
(wie Spinnereiarbeiter). Die Letzten in der Reihe sind die
Sitzenden: Schreiber, Seminaristen und Gymnasiasten, nach
diesen kommen nur noch die wohlgenährten, aber eng¬
brüstigen, weil ungern Muskelarbeit verrichtenden Juden.
Das Schulturnen, mit zwei Stunden wöchentlich, verbessert
zwar in anerkennenswerther Weise die Muskeln und macht
gewandt, wirkt aber auf die Erweiterung der Brust so gut
wie gar nicht. Eine weit ansehnlichere Kräftigung bringt
der Militärdienst hervor, der für unser tintenklexendes
Säkulum eine unschätzbare Wohlthat ist. Die Zeichnungen
von Rekruten und Soldaten illustrirten dies. Der Mensch
hat seine jetzige Gestalt erworben lange vor der älteren
Steinzeit, als er ausschliesslich Jäger war, der durch die
Flinkigkeit und Kraft seiner Glieder das zur Nahrung er-
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forderliche Wild einholte und ohne Waffe überwand; ähnliche
Lebensbedingungen erhielten seinen Körperbau in der Urzeit
und noch im Mittelalter. Der Körper muss aber verkümmern,
wenn ihm seine Existenzbedingungen entzogen, also von
Jugend auf Luft und Bewegung nur in homöopathischen
Dosen zugemessen werden, wie es bei den Kindern der höhern
Klassen, bezw. den Zöglingen höherer Schulen der Fall ist;
schwache Brust und Nervosität sind die Folgen. Eine städ¬
tische Familie in sitzender Berufsart überdauert selten drei
Generationen, aber die noch am meisten in den natürlichen
Bedingungen lebenden Landleute schicken kräftigen Nach¬
wuchs, um die Städte neu zu bevölkern. Die halb freiwillige,
halb gezwungene Selbstvernichtung der höhern Stände er¬
scheint im gegebenen Falle hart, im Grossen angesehen ist
sie nur die Anwendung des Prinzips der Differenzirung, auf
welchem die Entstehung aller vollkommeneren Einzelwesen
beruht, auf die menschliche Gesellschaft. Die höhern Berufs¬
arten stellen die Gehirnzellen der Menschheit dar und können
darum nicht zugleich Fortpflanzungszellen sein, sondern
müssen die Landbewohner mit ihrem grossen Geburtenüber¬
schuss für die Verjüngung der Bevölkerung sorgen lassen.
Der Redner wünscht sehr, noch weitere Untersuchungen an
Knaben aus höhern Schulen vorzunehmen, und erklärt es als
ein Motiv seines heutigen Vortrages, weitere Kreise für die
Sache zu interessiren und zu bitten, dass ihm Knaben zur
Messung überlassen werden möchten. Erfahrungsgemäss
machen die vergleichenden Messungen den Knaben grosses
Vergnügen und sie können die Zeit kaum erwarten, bis sie
wiederkommen dürfen; hören sie nach einem Jahr, dass sie
nicht nur gewachsen, sondern auch beträchtlich stärker ge¬
worden seien, so gehen sie mit stolz erhobenem Haupte von
dannen, voll Eifers, durch gute Haltung und Turnübungen
noch mehr zuzunehmen. Die Ergebnisse sind natürlich auch
für die betreffenden Eltern und Erzieher von Wichtigkeit.
Nach einer Pause, welche der Betrachtung der Zeich¬
nungen und einer grossen Anzahl von Photographien in¬
teressanter Gestalten gewidmet war, welche Photographien
die Firma K. Ruf hier in vorzüglicher Weise für den Redner
ausgeführt hat, folgte der zweite Theil des Vortrages. Die Er-
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örterung der Gesetze der Vererbung stand nicht auf dem
Progamm, da sie allein schon Stoff für einen Abend geben
würde, dagegen wurden noch die Folgerungen gezogen, welche
sich aus den körperlichen Eigenschaften der Arier für die
Herkunft dieses Volkes ergeben. Die blauen Augen, blonden
Haare und weisse Haut, ebenso die Körpergrösse und Lang-
köpfigkeit der Germanen seien allen Ariern gemeinsame
Eigenschaften, welche auf einen nordischen Ursprung hin-
weisen, nach Lage der Sache auf Skandinavien. Die Kargheit
des Landes habe in beständigen Kämpfen der Bewohner um
die Nahrung diese Riesenleiber hervorgerufen und dem Be¬
völkerungsüberschuss den Weg durch ganz Europa, Klein¬
asien bis nach Persien, Afghanistan und Indien gewiesen.
Nicht von Asien nach Europa, sondern umgekehrt seien die
Arier gewandert. Vermöge ihrer körperlichen und geistigen
Vorzüge unterwarfen sie alle anderen Rassen und bildeten
den herrschenden Stand, den Adel, der sich nur langsam mit
den Unterworfenen verschmolz; so besonders im alten
Griechenland und Rom. Der Antheil der heutigen Nationen
an der Kulturarbeit soll nach dem französischen Anthro¬
pologen Lapouge zu der Menge des arischen Blutes im Ver¬
hältnis stehen, welches ihnen beigemischt ist. Fingerzeige
für die Herkunft der Arier aus einem nordischen Lande
seien: 1. Die helle Pigmentirung, welche niemals in einem
südlichen und heissen Lande entsteht. 2. Die Grösse und
Stärke der Körper, welche auf eine Jahrtausende lange
Selektion im harten Kampf unrs Dasein schliessen lässt.
3. Die geschlechtliche Spätreife; fast alle die Individuen,
welche im 20. bis 22. Jahre bei der Musterung noch völlig
oder nahezu unentwickelt sind, haben blaue Augen. 4. Die
Monogamie Die Arier treten als fertige Monogamisten in
die Geschichte ein: sie erregen durch ihre Sittenstrenge und
ihren Kindersegen die Bewunderung der fremden Völker.
Kein geistig noch so hochstehendes Volk hat je in einem
milden Klima mit reicher Produktionsfähigkeit des Bodens
die thatsächliehe Monogamie eingeführt. Im Reich der
Lebewesen findet man die Monogamie stets da, wo die Sorge
der Mutter allein nicht genügt, um den Nachwuchs auf¬
zubringen, sondern der Vater für Mutter und Kinder Nah-
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rung beschaffen muss. Das war zur Zeit des Jägerstadiums
des Meuschen im Norden sicherlich der Fall und schon so
frühe muss bei den Ariern durch Aussterben der nicht mit
der erblichen Anlage zur Monogamie begabten Individuen
diese Einrichtung herrschend geworden sein, was Redner
näher zu begründen sucht. Mit einem Ausblick auf eine
vielverheissende Zukunft der arischen Menschheit schloss der
Vortrag.
Der Vorsitzende, Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener, drückte
dem Herrn Redner den Dank der Versammlung für die
hochinteressanten Mittheilungen aus und fügte dann selbst nach
eigenen Beobachtungen einige Bemerkungen über die Wachs¬
timmsverhältnisse von Knaben bei, welche er durch eine
Kurve zu veranschaulichen suchte.
368. Sitzung am 22. Februar 1889.
Anwesend 60 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldete Mitglieder: Herr Professor Dr. M. Friedlftnder, an
der Technischen Hochschule, Herr Dr. E. Wern icke, Arzt.
Herr Professor Dr. Hertz sprach über die Beziehungen
zwischen Licht und Elektrizität. Es handelte sich dabei
nicht um die Erzeugung des Lichts durch den elektrischen
Strom, auch nicht um die feineren Wechselwirkungen, welche
zwischen beiden Kräften bestehen. Die Behauptung, welche
zu verfechten war, ist diese, dass das Licht an sich eine
elektrische Erscheinung sei, das Licht einer Stearinkerze
oder eines Glühwurms ebenso gut wie das einer Bogenlampe.
Die Vermuthung, dass dies so sei, ist nicht von heute und
gestern; sie ist seit den fünfziger Jahren ausgesprochen
worden und besonders vertreten durch den Engländer Max¬
well, welcher im Jahre 18R5 eine Theorie aufstellte, welche
die Erscheinungen beider Kräfte umfasste. Aber erst kürz¬
lich ist es dem Redner gelungen, diese Fragen der Ent¬
scheidung durch den Versuch nahezubringen. Diese Versuche
waren es, über welche berichtet wurde; dieselben haben die
erwähnten Vermuthungen zu fast sicheren Erkenntnissen
gemacht. Zunächst auf den Stand der heutigen Optik ein¬
gehend, zeigte der Redner, dass kein Zweifel möglich sei,
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dass das Licht in feinen Transversalwellen bestehe; dass
aber die zunächst gemachte und einstweilen festgehaltene
Anschauung, es seien diese Wellen elastischer Natur, nicht
durchzuführen sei. Denn elastische Transversalwellen sind
nur in festen Körpern bekannt und möglich, den inter¬
planetaren Raum aber mit einem festen elastischen Körper
zu füllen, geht nicht an. Sodann den Stand der Elek¬
trizitätslehre besprechend, erörterte der Redner, wie die
ältere Auffassung, derzufolge die elektrischen Erscheinungen
als die Wirkung eines Fluidums aufgefasst werden, immer
mehr an Boden verliert, obwohl sie aus der Sprache noch
nicht zu verbannen ist. An ihre Stelle tritt die zuerst von
Faraday ausgesprochene Anschauung, welche den Sitz der
elektrischen und magnetischen Kräfte in dem Raume selbst»
in welchem sie wirken, sucht. Eine Kugel elektrisiren,
würde also nach der früheren Auffassung bedeuten, dass in
sie oder auf sie etwas gebracht werde, das wir Elektrizität
nennen; nach der neueren Auffassung aber würde es heissen,
•lass die Kugel selbst gar nicht verändert., sondern der um¬
gebende Raum in Spannung versetzt werde. Nach dieser
letzteren Auffassung liegt es nun nahe, zu fragen, ob solche
Spannungen sich nicht mit messbarer Geschwindigkeit von
Punkt zu Punkt fortpflanzen. Gestützt auf die Ueberein-
stimmung gewisser elektrischer und optischer Grössen, be¬
hauptete Maxwell: erstens, dass in der That Zeit zur Aus¬
breitung erforderlich sei; zweitens, dass die Geschwindigkeit
der Ausbreitung die Lichtgeschwindigkeit sei; drittens, dass
die Wellen des Lichts nichts anderes seien, als wellenartig
sich ausbreitende elektrische Kräfte. Dass man diese Ver¬
muthungen weder beweisen, noch widerlegen konnte, lag an
der ungeheueren Grösse der Geschwindigkeit solcher elek¬
trischer Wellen, an der fast unbegreiflichen Schnelligkeit
solcher elektrischen Schwingungen. Man durfte voraussetzen,
dass dergleichen in allen Leitern möglich seien, ohne doch
ein Mittel zu besitzen, dieselben zu erregen. Der Vortragende
hat bemerkt, dass der elektrische Funke selbst, erzeugt
unter gewissen Nebenumständen, ein solches Mittel bietet.
Mit seiner Hilfe können wir im Raum Wellen erzeugen,
welche auf der einen Seite die Wirkungen elektrischer Kräfte
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zeigen, auf der andern Seite auch wieder genau sich ver¬
halten, wie das Licht. Seine letzten und einfachsten Ver¬
suche erläuterte der Vortragende eingehender. Der Leiter,
welcher die Schwingungen erregt, befindet sich im Brenn¬
punkte eines grösseren Hohlspiegels, die entstehenden Wellen
werden dadurch zusammengehalten und als Strahl in den
Raum fortgepflanzt. Sehen können wir den Strahl allerdings
nicht, wir nehmen seine Wirkung dadurch wahr, dass er in
andern Leitern, welche wir in ihn hineinhalten, wiederum
elektrische Funken erzeugt. Fangen wir ihn in einem zweiten
Hohlspiegel auf und concentriren ihn dadurch, so können
wir ihn auf eine Länge von mehr als 20 Meter nachweisen.
Mit diesem Strahl können wir nun aber dieselben einfachen
Versuche anstellen, welche wir am Licht zu sehen gewohnt
sind, wir können ihn durch Schirme abblenden, wir können
ihn von ebenen Spiegeln unter verschiedenen Winkeln regel¬
mässig reflektiren, wir können ihn durch ein grosses Prisma
vom geraden Wege ablenken oder brechen, wir können sogar
die feineren Erscheinungen, welche beim Lichte als Polari¬
sation bezeichnet werden, auf’s Genaueste nachahmeu. Es
ist schwer, sich der Ueberzeugung zu verschliessen, dass
dieser Strahl ebensowohl eine elektrische Erscheinung, als
ein Lichtstrahl sei. Dass wir ihn nicht sehen können, liegt
an der Grösse seiner Wellenlänge. Das sichtbare Licht hat
Wellenlängen von etwa 1 I 2000 Millimeter; man weiss längst,
dass es Licht gibt von grösseren Wellenlängen, welches
unsere Augen nicht wahrnehmen; hier haben wir nun sogar
Licht, dessen Wellenlänge zufolge den Messungen mehrere
Centimeter, ja mehrere Meter beträgt. Der Vortragende er¬
läuterte sodann die Vortheile, welche sich für die Lehre vom
Licht aus der Elektrizität ergeben, wenn man die Ueber-
einstiinmung des Wesens beider endgiltig annimmt. Ins¬
besondere die Eingangs erwähnten Schwierigkeiten der Optik
fallen dann fort. Vieles sei allerdings noch unerklärt und
Manches scheine unerklärlich, aber auch noch viele Versuche
seien ohne Weiteres anzustellen, und bis diese nicht an¬
gestellt seien, lasse sich noch nicht abschen, was auf diesem
Gebiete sich werde erklären lassen und was nicht.
Der Vorsitzende, Herr Geh. Hofrath Wiener, dankt
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dem Redner im Namen der Versammlung für seinen so sehr
interessanten Vortrag, spricht ihm das Bedauern über sein
baldiges Scheiden aus Karlsruhe aus, sowie die Glückwünsche
zu dem ehrenvollen Rufe nach Bonn und bittet, dass er
dem Vereine ein freundliches Angedenken bewahren möge.
369. Sitzung am 8. März 1889.
Anwesend 34 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Neu aogemeldetes Mitglied: Herr Postrath W. Christian!*.
Herr Geh. Hofrath Professor Dr. Schell hielt einen Vor¬
trag über die Glocken und ihre Töne; derselbe ist den Ab¬
handlungen hinten angereiht.
370. Sitzung am 3. Mai 1889.
Anwesend 19 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
General-Versa mm I uuff.
Herr Professor Dr. Meidinger liest einen Bericht über
die Thätigkeit des Vereins im verflossenen Jahre vor. Herr
0. Bartning berichtet über den Stand der Kasse des Vereins.
Bei der jetzt für die nächsten 2 Jahre statttindenden
Vorstandswahl wurden die seitherigen Mitglieder durch Ak¬
klamation wieder gewählt. Der Vorstand besteht somit weiter¬
hin aus den Herren: Geh. Rath Dr. Grashof, Hofrath Dr.
Knop, 0. Bartning, Prof. Dr. Meidinger, Geh. Hofrath Dr.
Engler, Baudirector Honseil, Geh. Hofrath Dr. Wiener.
In die weitere Tagesordnung eingehend wurde vorerst über
einen von den hervorragendsten Gelehrten Deutschlands er¬
gangenen Aufruf zur Errichtung eines Denkmals in München
für den berühmten Physiker Ohm, den Entdecker des nach
ihm benannten Ohm’schen Gesetzes, der Grundlage für alle
elektrischen Stromberechnungen, verhandelt; es wurde be¬
schlossen, einen Beitrag von 100 Mark aus der Vereinskasse
zu gewähren.
Hierauf machte Herr Geh. Rath Dr. Grashof Mittheilung
über ein Photometer, welches in der technischen Abtheilung
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der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, insbesondere
von den Herren Dr. 0. Lummer und Dr. E. Brodher an¬
gegeben worden ist in Folge von Versuchen über die in
der Technik gebräuchlichen Messungsmethoden von Licht¬
stärken, die durch Bedürfnisse und bezügliche Wünsche des
Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern veran¬
lasst wurden. Die gebräuchliche Anwendung des in solchen
Fällen zumeist benutzten Photometers von Bunsen leidet
nämlich an gewissen Unsicherheiten. Dieses Instrument
beruht darauf, dass, wenn ein mit einem Fettfleck versehenes
Papierblatt von den beiden Seiten her beleuchtet wird, das
Licht einer jeden von beiden Lichtquellen durch den Fett¬
fleck fast vollständig hindurchgeht, vom ungefettetcn Theil
des Papiers dagegen fast vollständig zerstreut wird, so dass
die von beiden Seiten her der Flächeneinheit des Papiers
zugestrahlten Lichtmengen nahezu als gleich gelten können,
wenn dem auf der einen oder anderen Seite beiindiichen
Auge der Fettfleck und seine ungefettete Umgebung gleich
hell erscheinen, die Grenze beider Theile nicht mehr wahr¬
genommen wird. Dabei liegen indessen einige Annahmen
zu Grunde, insbesondere die Annahme gleicher Beschaffenheit
und Wirkungsweise beider Seiten des Papiers, welche oft
nicht genügend zutreffen, wie sich daraus ergibt, dass in
Folge Umwendung des Papierblattes das Ergebniss sich
merklich ändert; auch wird das Licht vom Fettfleck nicht
nur durchgelassen, vom ungefetteten Papier nicht nur zer¬
streut. Die genannten Beobachter, ausgehend von der Er¬
wägung, dass zur Beseitigung fraglicher Unsicherheiten vor
Allem die zu vergleichenden Felder nur Licht von je einer
Lichtquelle erhalten sollten, haben nun ein Photometer
construirt, bei welchem das theilweise gefettete Papier ver¬
mieden, nämlich der Fettfleck durch die ebene innige Be¬
rührungsfläche von zwei Glasprismen, das ungefettete Papier
durch vollkommen reflektirende Flächen dieser Prismen ver¬
treten wird. Die anderweitige gewerbliche Herstellung des
zunächst in der mechanischen Werkstatt der Reichsanstalt
ausgeführten Instruments, welches sich gemäss den bisherigen
Untersuchungen als sehr brauchbar, zuverlässig und empfind¬
lich erwiesen hat, ist in Vorbereitung begriffen. Die nähere.
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Erklärung seiner Einrichtung und seines Gebrauchs kann
hier ohne Zeichnung nicht wohl geschehen.
Im Anschluss an diesen Vortrag erläuterte Herr Pro¬
fessor Dr. Bunte die Hefner-Alteneck’sche Amyl-Acetat-
lampe, mittelst deren, statt der sonst üblichen Kerzen, es
gelingt, eine sehr gleichförmige Lichtstärke für die Normal¬
einheit herzustellen.
371. Sitzung am 17. Mai 1889.
Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Batb Dr. Grashof.
Herr Baudirector Honseil brachte von der seit Anfang
v. J. durch das Hydrographische Amt der Marine der Ver¬
einigten Staaten zur Ausgabe gelangenden Pilot-Chart des
Nordatlantischeu Oceans eine Anzahl Exemplare zur An¬
sicht und erläuterte das eigenartige Kartenwerk in Bezug auf
seine Zweckbestimmung, die Art der Darstellung, das System
der Beobachtungen, deren Ergebnisse in der Karte verar¬
beitet erscheinen und deren Bedeutung für die physikalische
Erdenkunde. Mit der je zu Anfang des Monats erscheinenden
Karte soll dem, den Nordatlantischen Ocean befahrenden
Seemann ein Mittel an die Hand gegeben werden, um im
unmittelbaren Anschluss an das, was den Inhalt einer voll¬
ständigen Seekarte ausmacht, alle für die Führung der Schiffer
belangreichen Verhältnisse und Vorkommnisse, die veränder¬
lich und zufällig sind, zu erfahren, zu überschauen und zu
verstehen, so: Witterungsverhältnisse, insbesondere Häufigkeit
und Stärke der Winde, Sturmbahnen, Nebel und Eis, Passat¬
winde und Aequatorialregen, Schiffshindernisse an den Küsten,
treibende Wracks und Bojen, Treibholz u. dgl. in. Ferner
enthält die Karte die für den betreffenden Monat empfehlens*
werthen Dampfer- und Segelrouten und nautische Nach¬
richten und Belehrungen aller Art. Das Beobachtungs-
matcrial, insbesondere auch über die Vorgänge in der At¬
mosphäre haben im Wesentlichen die Schiffskapitäne nach der
in ihren Händen befindlichen Anleitung selbst zu liefern.
An Hand einer in grossem Massstab gezeichneten Karten¬
skizze besprach der Vortragende sodann die Kraft einiger
.Schiffswracke, die sich mehrere Monate lang schwimmend
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gehalten haben, insbesondere des Schooners W. L. White,
der am 13. März 1888 auf der Höhe der Delaware-Bay von
der Mannschaft verlassen und nach einer über zehn Monate
langen Reise — ein Spielball der Winde und Strömungen —
am 23. Januar 1889 auf Haskein Island, einer der kleinen
Felseninseln der Hebriden, gestrandet ist. Mehr als
5000 Seemeilen hat das Wrack zurückgelegt, fast immer in
der grössten Strasse der zwischen Europa und Nordamerika
verkehrenden Schiffe. Dort, wo der Labradorstrom mit dem
Golfstrom zusammentrifft, ist es sechs Monate lang in einer
Zickzackbahn hin- und hergetrieben worden. Bis dahin
hat die durchschnittliche Fahrt 32 Seemeilen, von dort bis
zur Strandung 15 Seemeilen in 24 Stunden betragen. Ueber
die Sichtung des Wracks sind von 45 passirenden Schiffen
Meldungen eingelaufen; wie gross die Zahl der Schiffe, die
bei Nacht und Nebel in die gefährliche Nähe gekommen
sind, ist nicht bekannt.
Der Vortrag schloss mit dem Hinweis auf die Be¬
ziehung der Vorgänge in der Atmosphäre über dem Ocean
auf das Klima der Festländer und wie auch die binnen¬
ländische Meteorologie aus dem besprochenen Unternehmen des
Hydrographischen Amtes in Washington Nutzen ziehe.
Herr Professor Dr. Endres zeigte ein ausgestopftes
Steppenhuhn (Syrrhaptes paradoxus Pall.) vor. welches im
vorigen Herbst in der Nähe von Lahr an einem Telegraphen¬
draht sich verletzt hatte und im Lahrer Naturwissenschaft¬
lichen Museum aufbewahrt ist. Dieser eigenartige Vogel
bewohnt die Kirghisensteppen, die Tartarei und China, ist
zum ersten Mal im Jahre 1863 schaarenweis nach Europa
gekommen und zeigte sich im vergangenen Jahre wieder bei
uns. Trotz der ihm zu Theil gewordenen Schonung kehrte
er aber wieder in seine alte Heim'ath zurück, so dass die
Hoffnung, denselben bei uns heimisch uiachen zu können,
sich nicht erfüllt hat. Der Grund für diese wiederholte
Rückwanderung dürfte vor Allem darin liegen, dass die
eigenartige Fussbildung des Steppenhuhnes dasselbe am
Scharren verhindert und ausreichende Ernährung nicht er¬
möglicht. Die Füsse sind klein, verkümmert, die Vorder¬
zehen bis zum vordersten Gliede verwachsen. Die Beine
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und die Zehen sind bis auf die Krallen befiedert, die Hinter¬
zehe fehlt und die Fusssohlen sind wie bei den vierfüssigen
Sohlengängern vollständig weich. Diese Fussbildung weist
darauf hin, dass das Huhn in seiner Heiniath die Nahrung
mühelos gewinnt und daher bei uns seine Existenzbedin¬
gungen nicht findet. Das Wildpret soll schlecht schmecken
und desshalb brauchen die Leckermäuler dessen wiederholte
Rückkehr nicht zu bedauern.
372. Sitzung am 4. Juni 1889.
Gemeiusam mit der Deutschen Colonialgesellschaft, der Geographischen
Gesellschaft, dem Alterthumsverein, dem Alpenverein, im grossen Saale
des Museums.
In Anwesenheit Ihrer Königlichen Hoheiten des Grossherzogs und
der Grossherzogin.
Herr Dr. Hans Meyer von Leipzig hielt einen Vortrag über
seine zweite Reise nach Ostafrika. Derselbe war Ende August
vorigen Jahres mit einer Karawane von 230 Trauern und
Soldaten von Sansibar aufgebrochen, um via Kilimandscharo
durch das mittlere Masaigebiet zum südlichen Victoria
Nyanza und dem räthselhaften See Muta Nsige vorzudringen.
Die Expedition war auf zwei Jahre berechnet. Anstatt auf
den vielbegangenen Karawanenrouten von Pangani oder von
Mombas dem Kilimandscharo zuzustreben, schlug Dr. Meyer
mit einem Theil seiner Karawane eine von Europäern und
Küstenkarawanen noch nie betretene Route quer durch das
Gebirgsland Usambara ein, um seine Reise sofort mit neuen
Forschungen zu beginnen. Diese dreiwöchentliche schwierige
Gebirgstour gelang auch vollkommen. Dr. Meyer fand ein
Gebirgsland von annähernd der Grösse des Königreichs
Sachsen, das im Süden und Norden giossartigen Urwald
trägt, während der centrale Theil Savannencharakter hat;
das bei gemässigtem Klima in den verschiedenen Höhenzonen
alle tropischen und subtropischen Kulturpflanzen hervor¬
bringt, das durch tief einschneidende Tliäler leicht zugäng¬
lich ist und dabei in nächster Nähe der Küste gelegen ist.
Die Bevölkerung ist ziemlich dicht, gutartig und besonders
reich an Rindviehheerden. Usambara allein ist werth aller
Opfer, die von der Ostafrikanischen Gesellschaft gebracht
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werden. Jenseits des Gebirgslandes Usambara wollte
Dr. Meyer seine Hauptkarawane wieder treffen. Es stellte
sich jedoch heraus, dass dieselbe durch den inzwischen an
der Küste losgebrochenen Aufstand zurückgehalten und zer¬
sprengt war. Dr. Meyer war desshalb gezwungen, zur Küste
zurückzukehren, ward aber unterwegs von dem hinterlistigen
Negerfürsten Sembodja in Masinde des grössten Theiles
seiner Güter beraubt. Beladen mit ihren Instrumenten,
Waffen und den nöthigsten Gegenständen verliessen die
Reisenden schleunigst die Gegend und stiessen bald auf
bewaffnetes, verdächtiges Negergesindel. Während sie am
Fluss ihre Mahlzeit einnahmen, wurde Dr. Meyer mit seinen
Leuten hinterrücks überfallen und unter Tumult und Geschrei
schwer misshandelt. Ein Keulenhieb streckte Dr. Meyer zu
Boden; als er wieder zur Besinnung gelangte, waren ihm
Hände und Risse gebunden und er mit einer Kette an seine
Gefährten, denen man, wie ihm, die Kleider vom Leibe ge¬
rissen hatte, gefesselt. So mussten sie einen ungemein be¬
schwerlichen Marsch antreten, bis der Araberführer Buschiri,
ein graubärtiger 45jähriger Mann, ihnen unter schwerer
Todesdrohung das Lösegeld erpresste und sie nach dessen
Entrichtung als Gäste behandelte. Er rühmte sich Dr. Meyer
gegenüber, den Aufstand mit aller Macht geschürt und seine
Expedition zersprengt zu haben. In Tangani, wohin dann
die Reisenden entlassen wurden und wo der Aufruhr tobte,
geleitete Buschiri Dr. Meyer und seine Gefährten zu dem
Indier, welcher das Lösegeld vorgeschossen. Es gelang ihnen
dort ein Boot zu besteigen und unter dem Feuer der Ver¬
folger an Bord des Sultandampfers sich in Sicherheit zu
bringen. Dr. Meyer sieht den inneren Grund zu dem Auf¬
stand in der lang genährten Unzufriedenheit der Araber mit
den durch das europäische Vordringen überall in Central¬
afrika veränderten Verhältnissen. Aeusserer Anlass zum Los¬
bruch an der Ostküste ist der Regierungswechsel in San¬
sibar, wo dem energischen Said Bargasch der schwach-
müthige Said Chalifa gefolgt war, und die Küstenbesetzung
seitens der Ostafrikanischen Gesellschaft. Einen religiösen
Charakter trägt der Aufstand durchaus nicht. Der Reichs-
kommissar wird nach Ansicht der Vortragenden gut thun,
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mit Buschiri, der Seele des Aufstandes, zu paktiren, nach¬
dem er ihm einen Begriff seiner Kriegsstärke gegeben. Wie
der Kongostaat mit Tippo Tipp paktirt hat, um am oberen
Kongo Ruhe zu schaffen, so sollten wir Buschiri zu gewinnen
suchen, um ihn als Gouverneur im Innern anzustellen.
Durch Gewährung von Vorschüssen zu massigem Zinsfuss an
die Araber sollte man dahin streben, dieselben, welche zu¬
meist nur als reich gelten, es aber in der That nicht sind,
vom Druck der indischen Kapitalisten frei zu machen. Die
Indier sind die Schmarotzer Ostafrikas. Durch ihr gewissen¬
loses Vorschusssystem mit 200 Procent Zinsforderung ist es
ihnen, die selbst nichts arbeiten, gelungen, die Araber völlig
zu umgarnen, ein System, dem selbst Tippo Tipp anheimfiel.
Dr. Meyer beabsichtigt, im kommenden Monat wiederum
nach Ostafrika aufzubrechen. Er will diesmal durch die
vom Aufstand unberührte englische Interessensphäre von
Mombas aus direct zum Kilimandscharo, dann nordwärts
weiter zum Kenia-Schneegebirge reisen und von dort den
Tanafluss llinab nach der Küste in Witu zurückkehren.
Mit einem Exkurs über die Stanley’sche Emin-Pascha-Expe-
dition, von welcher Dr. Meyer annimmt, dass sie, die wesent¬
lich von der Englisch-Ostafrikanischen Gesellschaft aus¬
geschickt ist, in Mombas, dem Hauptplatz der Englisch-
Ostafrikanischen Gesellschaft zur Küste, kommen wird, nach¬
dem sie mit Emin Pascha politische Abmachungen getroffen
und ihn mit reichlichen Mitteln versehen, in seiner Provinz
zurückgelassen habe, schloss Dr. Meyer seinen inhaltreichen,
klarverständlichen Vortrag.
373. Sitzung am 21. Juni 1889.
Anwesend 25 Personen. Vorsitzender: Herr Geb. Rath Dr. 6rashof.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Consul W. S. Niebuhr.
Herr Postrath Christiani sprach „über den Anruf im
Telegraphen- und Fernsprechbetrieb“, der sich je nach
Art der benutzten Apparate sehr verschieden gestalte. Will
der Telegraphirende sein Gegenüber aufmerksam machen, so
muss er sich an dessen Sinne, namentlich an das Gehör
wenden, weil dieses allein Eindrücke von allen Seiten auf-
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zunehmen vermag. Stein heil, welcher den ersten magnet¬
elektrischen Schreibtelegraphen herstellte, wies 1838 aus¬
drücklich auf die Nothwendigkeit hin, die Zeichen seines
Apparates auf den Gehörsinn zu übertragen, welchen Zweck
er erreichte, indem er Glocken in die Schlagweite des
Zeichengebers stellte. Von den neueren elektromagnetischen
Telegraphenapparaten arbeiten Morse und Hughes gewöhn¬
lich ohne besondere Weckvorrichtung; bei beiden genügt das
Geräusch des angezogenen oder abgestossenen Ankerhebels,
um den Beamten herbeizurufen. Dagegen müssen die laut¬
los arbeitenden Apparate, wie chemische und Copirtelegraphen,
Nadeltelegraphen u. dgl., stets mit Weckern verbunden sein.
Die Vorschläge zu Weckvorrichtungen sind desshalb eben so
alt, wie die Vorschläge zu elektrischen Telegraphen über¬
haupt. Schon gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, als
man nur Reibungselektrizität kannte und diese zur Ueber-
mittelung von Nachrichten zu benützen versuchte, tauchten
auch Pläne zu elektrischen Allarmvorrichtungen auf. Man
wollte ein Gefäss mit Knallgas laden und letzteres durch
den Funken einer Leydener Flasche zur Entzündung bringen.
Sömmering benützte 1809 in seinem Wasserzersetzungs¬
telegraphen die aufsteigenden Gasblasen, um das löffelartige
Ende eines doppelarmigen Hebels emporzuheben, dadurch
eine auf das andere Hebelende aufgeschobene Metallkugel
abgleiten und im Falle ein Läutewerk auslösen zu lassen.
Aehnliclie Mittel haben Weber und Schilling von Cannstatt
angegeben. Als Kuriosum wurde auch der Vorschlag von
Vorsselmann de Heer erwähnt, welcher die Aufmerksam¬
keit des Empfängers durch elektrisehe Schläge zu erregen
gedachte.
Der Wecker in seiner heutigen Form, welche das ver¬
längerte Ende eines Elektromagnetankers unmittelbar auf
die Glocke schlagen lässt, stammt von Wheatstone und
Cooke (1837); die Selbstunterbrechung mit ihrem bekannten
rasselnden Getön fügten Siemens & Halske hinzu. Eine
Abart sind die Wecker mit Selbstausschluss der Elektro¬
magnetrollen. In der Reichstelegraphenverwaltung werden
Wecker verwendet, welche nach Belieben auf Selbstunter¬
brechung oder Selbstausschluss geschaltet werden können.
4*
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Sie haben die grösste Verbreitung gefunden in den Stadt¬
fernsprecheinrichtungen, wo sie in der Regel mit Arbeits¬
strom betrieben werden. In den eigentlichen Telegraphen -
leitungen mit Fernsprechbetrieb dient dagegen neuerdings
zum Aufruf der Anstalten mit Erfolg die Ruhestromschaltung,
nachdem die Signalpfeifen und zum Tlieil auch die magnet¬
elektrischen Wecker verschiedener Uebelstände halber zurück¬
gezogen werden mussten.
Der Redner unterstützte seinen Vortrag durch Zeich¬
nungen und Vorführung von Apparaten. Eine Anfrage aus
dem Zuhörerkreis gab ihm schliesslich noch Veranlassung,
sich über die Verwendung und den Vortheil direkter Leitungen
im Telegraphenbetriebe zu äussern.
Herr Professor Dr. Meidinger machte sodann noch, auf
Grund einiger demselben von einem Verwandten in Phila¬
delphia zugesendeter Zeitungen, einige Mittheilungen über die
vor drei Wochen in Folge eines Dammbruches veranlasste un¬
geheure Ueberschwemmung in Pennsylvanien, durch
welche die in einem Thale liegende Stadt Johnstown, nahe
so gross wie Karlsruhe, im Zeiträume von kaum einer Stunde
vollständig zerstört wurde und viele Tausend von Menschen
ihr Leben verloren. Der Damm war bloss aus Erde gebildet
und oberflächlich mit Steinen lose belegt; derselbe staute
das Wasser thalaufwärts zu einem grossen See, dessen Länge
zu drei engl. Meilen, etwa so weit wie vom Marktplatz in
Karlsruhe bis nach Durlach-Bahnhof. angegeben wurde. Der
Bruch erfolgte durch Ueberlaufen des Wassers nach grossen
Regenfällen der vorausgegangenen Tage. Ein Dammmeister
sah die Gefahr voraus und telegraphirte drei Stunden vor
erfolgtem Bruch nach abwärts, dass das Wasser kommen
würde. Im nächsten Orte konnten sich auch alle Bewohner
retten, im acht Kilometer abwärts gelegenen Johnstown
wurde jedoch die Warnung nicht beachtet, welche schon in
früheren Zeiten wiederholt gegeben worden war. Die sich
in a / 4 Stunde entleerende Wassermasse wurde zu GO Mill.
Kubikmeter, die Höhe des sich fortwälzenden Stromes zu
15 Meter geschätzt.
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374. Sitzung am 5. Juli 1889.
Anwesend 28 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Ingenieur Pulvermann.
Der Vorsitzende bringt ein Schreiben der anthropolo¬
gischen Commission des Alterthums-Vereins zur Kenntniss,
worin um eine weitere Summe von 200 Mark gebeten wird
behufs Fortführung der begonnenen Untersuchung der
körperlicher Beschaffenheit der Bevölkerung Badens an den
Militärpflichtigen. Der Beitrag wird einstimmig bewilligt.
Herr Prof. Dr. Bunte hielt einen Vortrag über Licht-
maasse und Lichtmessung. Im Eingang schilderte Redner
die Bestrebungen zur Herstellung eines zuverlässigen Licht-
maasses für wissenschaftliche und technische Versuche zur
Feststellung der Helligkeit künstlicher Lichtquellen. Unter
Vorzeigung einer ziemlich vollständigen Sammlung von In¬
strumenten und Apparaten zur Herstellung sogen. Normal-
Hammen werden die einzelnen Lichtmaasse besprochen. Die
englische Spermacetikerze (Wallrathkerze), die deutsche Ver¬
eins-Paraffinkerze, welche in Deutschland und Oesterreich zur
Zeit das verbreitetste Liehtmaass ist ;die Amylacetat-Lampe von
Hefner-Alteneck, die Pentanlampe von Vernon Narcourt,
welche neuerdings in England viel besprochen wird/ Im
Anschlüsse an diese verschiedenen, in der Praxis gebrauchten
Lichtmaasse werden die von anderer Seite vorgeschlagenen
sogen, absoluten Lichtmaasse einer Kritik unterzogen, nament¬
lich die sogen. Platinlichteinheit von Violle, welche von dem
Elektrikercongress in Paris 1881 provisorisch angenommen
wurde, und die auf ähnlichen Grundsätzen beruhende Platin¬
lichteinheit von W. v. Siemens. Der Vortragende bespricht
die Anforderungen, welche man im Allgemeinen an Licht-
maasse zu stellen hat, und gibt eine Uebersicht, in wie weit
die bisherigen Normalflammen diesen Anforderungen ent¬
sprechen. Die namentlich in neuerer Zeit mit der raschen
Entwickelung des Beleuchtungswesens gesteigerten Anforde¬
rungen an zuverlässige Lichtmessungen haben eine Reihe
von Verbesserungen hervorgerufen, welche vom Vortragenden
an Hand der aufgestellten Instrumente erläutert werden.
Nicht nur die Lichtmaasse, sondern auch die Methoden zur
Messung der Helligkeit künstlicher Lichtquellen .haben im
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Laufe der letzten Jahre namhafte Verbesserungen erfahren,
wie ein im Saale aufgestelltes sogen. Winkelphotometer
zeigte. Während man nämlich früher sich darauf beschränkte,
die von einer Lichtquelle in horizontaler Richtung aus¬
gesandte Lichtmenge zu messen, hat sich in neuerer Zeit
das Bedürfniss herausgestellt, das unter verschiedenem Winkel
ausgehende Licht photometrisch zu bestimmen, da die elek¬
trischen Lampen und ebenso die neueren sogen, invertirten
Gaslampen eine sehr ungleichmässige Lichtvertheilung unter
verschiedenen Winkeln zeigen. Redner macht bei dieser
Gelegenheit darauf aufmerksam, dass es üblich sei, die
Lichtstärke der elektrischen Lampen nach der Maximallicht¬
menge zu bezeichnen, welche in bestimmter Richtung bei
freibrennenden Lampen ausgesendet werde. Dadurch ent¬
stehen oft unangenehme Missverständnisse, weil die sogen,
mittlere räumliche Intensität der Lampe meist nur etwa die
Hälfte betrage und die zur gleichmässigen Vertheilung der
Helligkeit und zum Schutze der Augen angewendeten matten
Glasglocken erhebliche Lichtmengen, bis zu 30 und 40 Pro¬
zent, absorbiren. So seien erst kürzlich auf Reklamation
des Berliner Magistrats über die elektrische Beleuchtung
auf der Strasse „Unter den Linden“ Messungen angestellt
worden, welche ergeben haben, dass die nominell 2000
Kerzen starken elektrischen Lichter bei freiem Brennen ohne
Glocke unter dem günstigsten Winkel in der That diese
Helligkeit zeigen, dass aber durch die gleichmässige Licht¬
vertheilung und die Lichtabsorption der Glocken die praktisch
zur Wirkung kommende Helligkeit der Lampen nur etwa
600 Kerzen sei. Der Vortragende knüpft daran die Be¬
merkung, wie nothwendig es sei, den erzielten Lichteffekt
direkt zu messen, zu welchem Zweck ein Photometer von
Willer construirt worden sei. Die Helligkeit einer Fläche
werde angegeben in sogen. Meterkerzen, d. h. eine Zahl,
welche angibt, wie viele Normalkerzen in der Entfernung
von einem Meter aufgestellt werden müssen, um die gleiche
Helligkeit, wie die gemessene, zu geben. Um einen Maass¬
stab für eine gute künstliche Beleuchtung zu haben, führt
Redner an, dass nach vielfach vergleichenden Messungen 10
Meterkerzen als diejenige Helligkeit bezeichnet werden müssen,
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welche zum Lesen und Schreiben erforderlich ist. Mit dem
Hinweis auf die Wichtigkeit solcher photometrischen Mes¬
sungen, namentlich in Bezug auf die Pflege des Auges in
den Schulen etc., schloss der Vortrag, an welchen sich noch
eine kleine Diskussion anschloss, insbesondere im Hinblick
auf die gleichraässige Beleuchtung grösserer Flächen durch
Bogenlichter. Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener machte darauf
aufmerksam, dass durch sehr grosse Erhebung der Bogen¬
lichter über dem Erdboden eine völlig gleichmässige Be¬
leuchtung desselben durch mehrere Lampen sich erzielen
lasse, und zwar ohne Lichtverlust, vorausgesetzt, dass die
zu beleuchtende Fläche gross genug sei.
Herr Dr. Doll machte hierauf eine Mittheilung über die
geodätischen Arbeiten Cassini’s in Baden. Cesar Fran¬
cois Cassini duThury, Director der Sternwarte in Paris, war
der berühmte Bearbeiter der ersten topographischen Karte
von Frankreich. Zur richtigen Verbindung der Hauptpunkte
dieser Karte mit denjenigen in Baden, Württemberg und
Bayern, unternahm er eine Längengradmessung zwischen
Paris und Wien und reiste Anfaugs Mai 1761 dahin ab.
Bei Wien wurde eine schon gemessene Basis von 4000
Toisen benutzt und an dieselbe eine Dreieckskette längs der
Donau bis Straubing angeschlossen; von da zweigte eine
zweite Kette ab, welche der Isar nach bis München, und von
da über Augsburg bis Donauwörth sich erstreckte, wo sie sich
mit der der Donau folgenden ersten Kette wieder vereinigte.
Nachdem bei München eine zweite Basis bestimmt wurde,
fand eine Fortsetzung der Dreieckskette über Ulm bis Stutt¬
gart statt, wo mit der Messung einer dritten Basis in diesem
Jahre abgeschlossen wurde. Die zweite Reise erfolgte An¬
fangs März 1762. Von Stuttgart wurde die Dreieckskette
bis Mannheim gebildet, dann nach Norden ausgedehnt bis
Frankfurt a. M. und Mainz; ferner von Mannheim in süd¬
licher Richtung bis Strassburg, wobei zum grossen Theil
die Punkte angenommen sind, die 70 Jahre später von Oberst
Klose als Dreieckspuukte ersten Ranges bestimmt wurden.
In der Pfalz fand Cassini eine Unterstützung durch die
Beihilfe des Pater Mayer, Hofastronom des Kurfürsten Karl
Theodor, mit welchem er eine Basis von Schwetzingen bis
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Heidelberg mass. ln Karlsruhe hielt sich dann Cassini 14
Tage auf, da sich der Markgraf Karl Friedrich und die
Frau Markgräfin sehr für seine geodätischen und astrono¬
mischen Arbeiten interessirten. Von Strassburg fand endlich
in möglichst gerader Richtung eine Dreiecksverbindung bis
Paris statt.
375. Sitzung am 19. Juli 1889.
Anwesend 25 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Herr Ingenieur E. Schröder zeigte eine Blitzphoto¬
graphie vor, welche unter seiner Leitung von dem Photo¬
graphen der deutschen Metallpatronenfabrik hier, G. Maisch,
am 12. Juli 1889, Abends 10 15 aufgenommen wurde. Es
knüpfte sich hieran eine Diskussion über die Höhe der
Gewitterwolken, an welcher sich die Herren Professoren Dr.
Meidinger, Platz und Schröder betheiligten. Die meisten
Gewitter scheinen nicht sehr hohe zu sein, denn auf dem
4000 Fuss hohen Kandel liegen dieselben nach Aussage der
Wirthe im Rasthaus, fast immer tiefer als die Gipfel.
Herr Professor Möller sprach über Reibungswider¬
stände bewegter atmosphärischer Luft in Beziehung
zur Erdrotation, um daraus die Entstehung der verschie¬
denen Witterungszonen, welche die Erde umspannen, abzuleiten.
Ein auf der Erdoberfläche sich bewegender Körper hat das Be¬
streben, ohne Rücksichtnahme auf die Drehung der Erde um
ihre Achse, eine gerade Bahn zu verfolgen. Dies gelingt der
trägen Masse nur unvollkommen, da sie sich von der krum¬
men Oberfläche der Erde nicht abheben kann. Es ist das
Verdienst des Franzosen Poisson, die aus jenem Widerstreit
der Trägheitskräfte, der Schwere und der Zentrifugalkräfte
sich ergebende Gesammtwirkung in vollkommener Weise
entwickelt zu haben. Zweiundzwanzig Jahre trat Poisson
für seine Anschauung ein, bis im Jahre 1859 die Akademie
der Wissenschaften zu Paris der neuen Lehre den Preis zu¬
erkannte. Dieselbe besagt, dass ein auf der Erdoberfläche
sich bewegender Körper in jeder Secunde um den 14 /i 0 oooo
Theil seiner Geschwindigkeit, multiplizirt mit dem Sinus
der geographischen Breite, auf der Nordhemishpäre nach
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rechts, auf der Südhemisphäre seitlich nach links von der
geraden Bahn (dem grössten Kreise) abgelenkt wird, wofern
nicht Kräfte bestehen, welche diese Abweichung verhindern.
Bei der Lokomotive sind es die Spurkränze der Räder,
welche das Fahrzeug zwingen, der Schienenbahn zu folgen.
Bei einem sich bewegenden Zug drängt bei uns jede Achse
gegen die rechte Schiene, und zwar mit einer Kraft, welche
hei 25 Meter sekundlicher Fahrgeschwindigkeit und 13,000
Kilogramm Achslast — 4 Kilogramm beträgt. Die Luft folgt
nicht so festen Schienengeleisen, sie irrt daher, durch die
Seitenablenkung getrieben, vom Ziele ab, bis sich zwischen
der treibenden Druckkraft, dem Gradienten (Druckgefälle)
und der Ablenkung wie dem Reibungswiderstande, dem die
bewegte Luft ausgesetzt ist, ein Gleichgewichtszustand ein¬
stellt. An Zeichnungen erläuterte der Vortragende zwei
besondere Fälle des Gleichgewichtszustandes bewegter Luft,
welche darin von einander abweichen, dass einmal die Luft
sich an der Erdoberfläche reibt, das anderemal von oben her
aus einer schnellen ziehenden Strömung Reibungswiderstand
empfängt. Unter Bezugnahme auf eine im Archiv der
deutschen Seewarte, 10. Jahrgang 1887, veröffentlichte
Arbeit des Vortragenden wird der letztere Fall besonders
behandelt, darüber sich der Amerikaner Professor Ferrel von
1856 bis zur Gegenwart in umfangreichen Abhandlungen
verbreitet hat. Der Unterwind erleidet durch die Reibung
am rauhen Erdboden Verzögerung, es wird seine Geschwin¬
digkeit und mithin auch die Seitenablenkung verkleinert und
auf so niedrig bemessenem Werthe gehalten, dass die trei¬
bende Druckdifferenz die ablenkende Fliehkraft überwindet
und dass die bewegte Luft auf spiralförmig gewundener
Bahn dem Orte tiefsten Luftdruckes zugeführt wird. Dem
entgegen zeigt eine in gewissem Abstande von dem Erd¬
boden ziehende Luftschicht, welche dem Reibungswiderstand
der rauhen Erdoberfläche weniger ausgesetzt ist, dagegen
von oben her lebhaften Ein- und Angriff durch eine schneller
bewegte Schicht erleidet, Beschleunigung ihrer Bewegung.
Vermöge der erhöhten Geschwindigkeit ist diese Luft, mitt¬
lerer Höhe, befähigt, eine so starke Seitenablenkung einzu¬
gehen, dass die Luft, dem Druckgefälle entgegen, aus niederem
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Druck in höheren Druck Übertritt. Dabei wird die Luft in
ihrer Bewegungsrichtung der Linie gleichen Luftdruckes, der
Isobare annähernd folgen, denn die geringste Seitenabweichung,
welche gegen stärkeren Druck sich richtet, bedingt Ge¬
schwindigkeitsverlust, also Verminderung der Ablenkung.
Ununterbrochen muss durch Einwirkung der oberen, schneller
treibenden Schicht der unteren Schicht, mittlerer Höhe, Be¬
wegung zugeführt werden, um den Verlust zu ersetzen, wo¬
fern die aus niedrigem in höheren Luftdruck eintretende
Schrägströmung erhalten werden soll. Diese Fähigkeit der
Luft, zeitweise, bezw. in begrenzter Schicht, unter günstigen
Umständen gar ununterbrochen gegen höheren Druck vor¬
zudringen, wird des Weiteren zur Erklärung der allgemeinen
Luftzirkulation der Atmosphäre ausgenutzt. Polwärts vom
30 . Grad nördlicher und südlicher Breite finden sich auf
beiden Hemisphären in unteren Schichten der Atmosphäre
vorwiegend polwärts treibende Luftdruckdifferenzen. In
höheren Schichten nehmen diese meridionalen, zum Pole
weisenden Gefälle der Flächen gleichen Druckes bedeutend
an Steilheit zu, da die über dem Pol befindliche Luft kalt,
ist und mithin eine Säule von gleichem Gewicht am Pol
kürzer, niedriger ist, als in der warmen Zone. Es besteht
die grosse Schwierigkeit, zu erkennen, wie unter diesen Um¬
ständen Luft vom Pol zum Aequator zurückströmen kann,
da doch in allen Schichten die Druckdifferenzen diesen Rück¬
strömungen entgegen wirken, ln allen Schichten der
Atmosphäre umwirbelt die Luft die polare Einsenkung. Es
treibt aber nur die Luft sehr hoher Schichten dabei langsam
in Spiralen dem Pole zu, soweit ihre um den Pol wirbelnde
Westost-Geschwindigkeit durch Reibung an unteren Schichten
gemindert wird und daher nicht die genügende Fliehkraft
verbleibt, um dem grossen polaren Gefälle der oberen Schichten
zu trotzen. Darunter befindet sich aber eine Schicht mitt¬
lerer Höhe, welcher von oben her Bewegung zugeführt wird
und welche daher in der zuvor besprochenen Weise stetig
gegen den Gradienten strömen und jene gesuchte, vom Pol
zum Aequator gerichtete Spiralbewegung vollführen kann.
Es kreist diese Luft vorwiegend als Westwind und nimmt
durch die Fliehkraft jene massige, aber hochwichtige nach
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Süd gerichtete Komponente gleichzeitig in sich auf. Die
Stärke der Westwind-Komponente lässt sich für jede Schicht
ausrechnen, wofern die Druckunterschieile (Barometerstände)
unten bekannt sind und soweit die horizontalen meridionalen
Temperatur-Unterschiede sich schätzen lassen. Leichter,
ungezwungener vollzieht sich die Luftzirkulation in der
heissen Zone. In Nähe des Aequators steigt erwärmte Luft,
Kondensation, Wolken und Regen veranlassend, empor, breitet
sich oben polwärts aus und erleidet erst dort, wo vermöge
des wachsenden Werthes des Sinus der geographischen Breite
die zum Aequator drängende Fliehkraft bemerkbar wird,
Behinderung in dein Bestreben polwärts abzufliessen. Der
Oberstrom, welcher z. B. auf der nördlichen Halbkugel am
10. Parallelkreis erst Südwind war, schwenkt vermöge der
wachsenden Fliehkraft nach rechts um, verwandelt sich am
25. Parallelkreise schon in starken Westwind und führt jetzt
kaum noch Luft polwärts ab. Vom Aequator treten von
hinten neue Luftmassen hinzu, welche gegen die früher
abgeüossene Luft sich stauen. In der Tiefe am Erdboden
bildet sich durch die Luftanhäufung ein Gürtel hohen Luft¬
druckes, etwa am 30. Parallelkreis belegen, aus. Vom 18.
bis 30. Grad sinkt die oben angestaute Luft niederwärts,
um unten wieder dem Aequator zuzuströmen. Der sich
senkende Luftstrom erleidet Zusammenpressung, Erwärmung
und gewinnt mithin die Fähigkeit, Feuchtigkeit in sich auf¬
zunehmen und trocknend auf Gegenstände einzuwirken.
Unter diesem fallenden, trockenen Luftstrom bilden sich auf
den Kontinenten die Wüstengürtel aus, welche die Erde am
Nord- und Südrand der heissen Zone umspannen. Dass
unsere gemässigte Zone von den fallenden, trockenen Luft-
massen der vom Aequator abströmenden Oberwinde nicht
anhaltend, sondern nur vorübergehend betrotfen wird, ver¬
danken wir den B'liehkräften jener durch Seitenablenkung
vorwiegend schon vom 18. bis zum 30. Parallelkreis an¬
gestauten und zum grössten Theil dazwischen abwärts
sinkenden Luftmassen. Ein Hinweis auf die Ursache einer
Veränderlichkeit der Witterung unserer gemässigten Zone,
begründet durch den wechselvollen Eingriff unterer Schichten
in anders bewegte obere Schichten, schloss den Vortrag.
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Herr Professor Treutlein ergänzte denselben noch durch
eine Mittheilung über Beobachtungen, welche an der Hamburg-
Berliner Eisenbahn ausgeführt sind. Die Rechtsablenkung
der Eisenbahnfahrzeuge, welche durch die Erdrotation erstrebt
wird, soll sich an einer seitlichen Bewegung der stark be¬
fahrenen Geleise sichtbar äussern.
376. Sitzung am 18. Oktober 1889.
Anwesend 29 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Professor Dr. Bunte hielt einen Vortrag über
Anlauffarben des Stahls. Wenn man ein polirtes Stück
Stahl langsam auf etwa 350 Gr. C. erhitzt, so überzieht sich
die Oberfläche desselben nach und nach mit verschiedenen
Farben: gelb, orange, violet, dunkelblau, hellblau etc., den
sogenannten Anlauffarben. Diese Anlauffarben besitzen in¬
sofern eine technische Wichtigkeit, weil sie als Merkmale
für die Härte und Elastizität bestimmter Stahlsorten und
für deren Verwendbarkeit für gewisse Zwecke angesehen
werden. So gibt man die gelbe Anlauflürbe Werkzeugen,
welche sehr hart sein sollen, z. B. Grabstichel; die purpur-
rothe Farbe erhalten Werkzeuge, welche mehr zäh als hart
sein sollen, z. B. HolzbearbeitungsWerkzeuge; violet und blau
lässt man Uhrfedern, Sensen etc., welche eine grosse Elasti¬
zität haben sollen, anlaufen. Ueber die Frage: ob und in
welchem Zusammenhang diese Anlauffarben mit der Härte und
der Zusammensetzung des Stahles stehen, wurden kürzlich
in der physikalisch-technischen Reichsanstalt in Berlin Ver¬
suche angestellt, über deren Ergebniss Herr Prof. Bunte
berichtete. Nach einer zusammenfassenden Darstellung der
bisher von anderer Seite zur Aufklärung der Frage an-
gestellten Versuche gibt der Vortragende eine Erklärung
für diese eigenthümlichen Farbenerscheinungen, welche von
einer sehr dünnen Oxydschicht herrührt, mit welcher sich
die Oberfläche des Metalles überzieht. Es entstehen als¬
dann, je nach der Dicke dieser Oxydschicht, sogenannte
Interferenzfarben, wie sie auch an Seifenblasen beobachtet
werden. Diese Erklärung wird dadurch bestätigt, dass die
Aufeinanderfolge der Farben genau dieselbe ist, wie bei
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den sogenannte Newton’schen Farbenringen. Wie schon aus
der Entstehungsursache dieser Farben vermuthet werden
kann, geben dieselben keinen bestimmten Anhaltspunkt für
die Härte; dieselbe ist vielmehr wesentlich bedingt durch
den Kohlenstoffgehalt des Stahles. Zu diesem Ergebniss
haben auch die Versuche in der physikalisch-technischen
Reichsanstalt geführt, indem durch dieselben nachgewiesen
wurde, dass das Auftreten der Anlauffarben keiner bestimmten
Temperatur entspricht, sondern abhängig ist von der ursprüng¬
lichen Härtp des Stahls, also dessen Kohlenstofifgehalt, ferner
von der Art der Erwärmung und der Dauer der Erhitzung.
Redner macht zum Schluss noch darauf aufmerksam, dass
das verschiedene Verhalten des Stahles beim Anlassen viel¬
leicht einen Schluss gestattet auf die Art der chemischen
Bindung, in welcher der Kohlenstoff' in den verschiedenen
Stahlsorten mit dem Eisen enthalten sei. An den Vortrag
knüpfte sich eine kurze Besprechung, an welcher sich die
Herren Professoren Schröder und Schleiermacher betheiligten.
Herr Professor Dr. Meidinger machte noch eine Mitthei¬
lung über die Ventilationseinrichtung des grossartigen
Zirkus Hippodrome in Paris, welche er bei einem Besuch
der Weltausstellung kürzlich kennen gelernt hatte. Es wird hier
ein ungeheurer Dachdom in zwei Hälften auf Schienen aus¬
einandergeschoben, so dass eine Oeffnung von etwa 45 Meter
Länge und 20 Meter Breite sich bildet, durch welche die
äussere Luft ungehindert Zutritt in das Innere findet, für
manche Fälle die vollkommenste Form der Ventilation, da
sie mit keinem merklichen Zug an den Thüren verbunden ist.
377. Sitzung am 2. November 1889.
Gemeinsam mit der deutschen Kolonialgesellschaft und der geographischen
Gesellschaft.
Herr Hugo Zöller (Reisender und Berichterstatter der
Kölnischen Zeitung) hielt einen Vortrag über „Deutsch-Neu¬
guinea“.
Der Vortrag beschäftigte sich in der Hauptsache mit
den barbarischen aber verbältnissmässig hoch begabten Ein¬
geborenen von Neuguinea, mit dem Vordringen des Redners
in das Innere dieses „dunklen Erdtheils“ der Antipoden,
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welches ihn als den ersten Sterblichen auf die Kammhöhe
einer der himmelragenden Gebirgsketten des Innern geführt
hat, sowie mit dem, was in vierjähriger opferwilliger Arbeit
deutsche Kultur an der Küste dieses barbarischsten aller
Barbarenländer geschaffen hat In Bezug auf landschaftliche
Schönheit ist Neuguinea, wo auch nicht das allerkleinste
Fleckchen Erde des denkbar üppigsten Pflanzenwuchses
entbehrt und welches einmal sämmtliche von Deutschland
benöthigte Kolonialprodukte erzeugen könnte, ein Paradies,
in welchem mit der Lieblichkeit eines tropischen palrnen-
umsäumten Baden-Badens die grossartigere Majestät einer
Alpenwelt, welche bisher bloss in weiter Ferne erschaut aber
nie vorher betreten worden war, sich vereinigt. In Finsch-
hafen, Butaueny, Constantinhafen, Stephansort, Ilatzfeldthafen
und Kerawarra erfreut man sich in luftigen europäischen
Holzhäusern nahezu jeder von Europa her gewohnten Com-
forts, wogende Mais-, Taro-, Yams- oder Mandioccafelder,
üppige Tabak-, Baumwoll-, Bananen- und Kokospttanzungen,
welche aber, so trefflich auch ihre Erzeugnisse sein mögen,
natürlich heute doch noch zu klein sind, um rentiren zu
können, umgeben, untermischt mit Gärten, in denen alle
Gemüse und Früchte der tropischen und subtropischen, sowie
auch einige der gemässigten Zone gedeihen, die oben er¬
wähnten Stationen der Neuguinea-Kompagnie. Rinder und
Pferde, welche in Kamerun und Togoland dem Fieber zu
erliegen pflegen, gedeihen hier ohne Schwierigkeit. Bloss
für Schafe scheint das Klima etwas allzu feucht zu sein.
Aber schon wenige Kilometer abseits jener kleinen Kultur-
centren, als welche die deutschen Stationen sich darstellen,
trifft man auf das unverfälschte Barbarenthum eines dünn
gesäeten, und, abgesehen von einigen in nächster Nähe der
Stationen verbreiteten Messern und Aexten, noch heute im
Steinzeitalter stehenden Volkes, eines Volkes, dessen Kultur
unzweifelhaft um Jahrtausende hinter derjenigen zurück ist,
welche unsere germanischen Vorfahren bereits zur Zeit
Cäsars erreicht hatten. Aber so niedrig auch der Kultur¬
standpunkt sein mag, so wäre es doch unrichtig, aus rohen
Sitten auf niedrige geistige Fähigkeiten scbliessen zu wollen.
Eine grosse Anzahl ethnographischer Gegenstände, welche
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Herr Zöller aus dem nie vorher betretenen Innern mitgebracht
hat, veranschaulichten die künstlerischen Anlagen der Ein¬
geborenen, bei denen kaum ein noch so unbedeutender
Gegenstand des Hausrathes ohne künstlerischen Schmuck ist.
Zur Kleidung, welche die denkbar einfachste ist, bildet die
Ueberfülle von Schmuck, Haarkämmen, Sternplatten, Brust¬
schmuck, Armringen, Bauchpressen, Nasenpflöcken u. s. w.
— einen auffallenden Gegensatz. Die von Herrn Zöller
vorgezeigten und erläuterten Kleidungsstücke, Schmucksachen
und Waffen erregten allgemeines Interesse.
Uebrigens ist der Schein kriegerischen Wesens stärker
als dieses selbst. Während zweitägiger Angriffe der wilden
wahrscheinlich nomadischen Binnenlandsbewohner ist von
Zollers Truppe niemand verletzt worden. Drang man gegen
sie vor, so nahmen die Eingeborenen, ihre Waffen im Stiche
lassend — die meisten der Zöller’scheu Speere, Keule, Bogen,
u. s. w. sind Beutewaffen — Reissaus. Zöller fand sehr
bald, dass die Schwierigkeiten des Vordringens in Neu-
Guinea denn doch viel grössere sind, als in Afrika, und zwar
einestheils wegen der Unwegsamkeit des Landes, anderntheils
wegen der Unmöglichkeit, Lebensmittel zu kaufen. In den
Fluss- oder Bachläufen bis zur Hälfte, zeitweilig sogar bis
zum Halse im Wasser watend, hat Zöller mit seiner aus 2
Weissen, 21 bewaffneten ehemaligen Kannibalen und 60—80
Lastträgern bestehenden Truppe in völlig unerforschtem
Lande eine Wegstrecke von 240 Kilometer zurückgelegt.
Durch Stürze von den Felsen trugen alle Mitglieder der
Expedition mehr oder minder schwere Verletzungen davon.
Nachdem man in dieser Weise in einer zweitägigen
Kletterarbeit endlich die Kammhöhe des Finisterre-Gebirges
in einer Meereshöhe von über 9000 Fuss erklommen hatte,
verhinderten zunächst aufsteigende Dünste alle Fernsicht.
Grossartig, allgewaltig bot sich aber die Aussicht bei
vollkommen klarem Himmel am andern Morgen dar. In
einem Umkreise von 180 Graden sah das entzückte Auge
Höhenzüge an Höhenzüge, Bergketten an Bergketten, Berg¬
gipfel an Berggipfel sich reihend, durch üppige Thäler und
herrliche baumreiche Bergabhänge unterbrochen, gewisser-
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massen Rigi-artig vor sich liegen. Eine Skizze jenes Gebirgs-
panoramas hat Redner im Saale aufgestellt.
Zunächst tritt eine gewaltige Bergkette auf, von der
bisher noch keine Kunde nach Europa gelangt war. Man
nannte dieselbe zu Ehren des deutschen obersten Gouverneurs
von Deutsch-Neu-Guinea oder Kaiser-Wilhelmsland, das
„Kraetke-Gebirg“.
Dahinter erhebt sich der „Rückgrat“ von Neu-Guinea,
das Bismarck-Gebirge, von welchem man von der Küste aus
nur einige Gipfel wahruimmt, ohne dass man bisher von
dessen gewaltiger Länge und weitverzweigter Fortsetzung
eine Kunde hatte. Einzelne Bergspitzen erheben sich bis
zu 16000—17000 Fuss, eine in einer Mulde zwischen zwei
dieser Gipfel wahrgenommene weisse Fläche wird wohl
sicherlich ewiger Schnee gewesen sein, wenigstens nach der
festen Ueberzeugung der zwei weissen Begleiter von Zoller.
Hungernd und von Wunden erschöpft, gelangte die Expedition
auf ihrem Rückmärsche schliesslich wieder in bewohnte
Landstriche. Wäre da Regenzeit eingetreten, so würde sie
hinter den fürchterlichen Engpässen des Finisterre wie in
einer Mausfalle gefangen gewesen sein.
378. Sitzung am 15. November 1889.
Anwesend 16 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener machte einige Bemer¬
kungen über die Voraussetzungslosigkeit der wissen¬
schaftlichen Forschung, insbesondere über den Satz „co-
gito, ergo sum“. Dieser Satz, „ich denke, also bin ich“, wel¬
chen Descartes an die Spitze seiner Philosophie stellte, dürfte
etwas genauer so ausgedrückt werden, „das Denken ist, folg¬
lich ist das Ich“. Aus dem Sein des Denkens wird auf das
Sein des Ich, d. h. aus dem Vorhandensein einer Thätigkeit
auf das Vorhaudensein eines thätigen Wesens, eines Sub¬
jektes, geschlossen. Bei einem voraussetzungslosen Denken,
was verlangt werden muss, ist aber jener Schluss nicht ohne
Weiteres berechtigt. Sehen wir zu, wie wir zu diesem
Schlüsse gelangen. Der Begriff des Subjektes entsteht aus
Erfahrung. Wir bemerken in unseren Denkvorgängen eine
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Menge von Vorstellungen, die sich beständig ändern. Das
sich Aendernde nennen wir das Subjekt, den Vorgang der
Aenderung eine Thätigkeit, die Aussage dieser Thätigkeit
das Prädikat. In dem Vorgänge „Karl geht“, wobei un-
erörtert bleiben kann, ob dem Vorgänge in unserer Vor¬
stellung (der ein sog. Sinneseindruck sein mag), ein Vor¬
gang ausserhalb uns als Ursache zu Grunde liegt, oder nicht,
ist „Karl“ das sich stetig Aendernde, das Subjekt, „Gehen“
seine Thätigkeit. Es gibt auch Vorgänge, welche kein Sub¬
jekt zu haben scheinen. „Es wetterleuchtet“ lässt ungewiss,
ob mit dem Verschwinden der Erscheinung ein Subjekt übrig
geblieben ist. Erst die Wissenschaft hat gezeigt, dass das
Wetterleuchten ein Widerschein entfernter Blitze ist, dass
also Luft das Subjekt, Glühen und Refiektiren ihre Thätig¬
keit ist. Wenn wir nun vom Denken auf ein Subjekt, das
leb, schliessen wollen, müssen wir untersuchen, ob ein sich
stetig änderndes Wesen da ist, von welchem das Denken
eine Aenderung oder Thätigkeit bildet. Wir finden nun,
dass dies wirklich der Fall ist. Wir haben eine Vorstellung'
von einer langen Gedankenkette, welche die Vorstellung des
eigenen Körpers als wesentlichen Bestandtheil enthält, und
welche an ihrem Ende stets neue Glieder ansetzt, dagegen
in ihren früheren Gliedern verblasst und abbröckelt. Von
dieser sich stetig ändernden Gedankenkette ist das letzte
Glied, das gegenwärtige Denken, eine Aenderung; diese
Kette nennen wir das Ich und es ist das wirklich vorhan¬
dene Subjekt bei der Thätigkeit des Denkens. Man bemerkt,
wie in diesem Falle das Denken voraussetzungslos ist, wie
selbst die sprachlichen Begriffe von Subjekt und Prädikat
sich erst bilden. Ebenso entsteht, am auffallendsten bei den
Geistesthätigkeiten, die man Sinneseindrücke nennt, aus der
ständigen Wiederkehr derselben Folge bei Wiederkehr der¬
selben Umstände die Thätigkeit der Schlussfolgerung, und
zwar zuerst gewohnheitsmässig, wie schon Hu me gezeigt
hat, d. i. nach dem Gesetz der Gedankenassociation, und
diese wird zu einer wissenschaftlichen Schlussfolgerung, wenn
unter jenen Umständen die wesentlichen erfahren und zun»
Bewusstsein gebracht sind. So sehen wir, dass alles Schliessen
voraussetzungslos ist, dass es aber eine bestimmte Grundlage
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besitzt, den gegebenen Strom der Gedanken. Man kann
dies auch so ausdrücken, dass sich auf Grund der Erfahrung
oder Induktion die Schlussfolgerung oder Deduktion aufbaut.
In der daran sich anschliessenden Verhandlung bringt
Herr Professor Rebmann die Frage der Vererbung körper¬
licher und geistiger Eigenschaften zur Sprache und er¬
wähnt, dass die Frage der Vererbung überhaupt noch vielfach
umstritten und ungeklärt sei. Herr Ammon setzt darauf
die Grundzüge der Weismann'schen Vererbungstheorie ausein¬
ander. Dieselbe nimmt die Kontinuität des Keimplasmas
an, sowie eine qualitative Verschiedenheit der Moleküle des¬
selben und erklärt mit Hilfe derselben die Erscheinungen
der Vererbung, läugnet aber die Vererbung erworbener Eigen¬
schaften. Professor Rebmann macht schliesslich darauf auf¬
merksam, dass die Thatsache der Vererbung unläugbar ist.
dass aber für die theoretische Erklärung derselben unsere
Kenntnisse von den morphologischen Verhältnissen und Vor¬
gängen dabei noch sehr mangelhaft sind.
Herr Professor Dr. Meidinger machte eine Mittheilung
über die auf der Pariser Ausstellung in Betrieb vorgeführte
sogen. Wassereisenbahn, chemin de fer glissant. Diese
Bahn, eine Erfindung des bei der Belagerung von Paris 1870
gefallenen Ingenieurs Girard, von Barre weiter entwickelt
und in einer Länge von 130 Meter in natürlichen Verhält¬
nissen in Paris ausgeführt, besteht aus breiten glatten
Schienen, auf denen die Wagen wie Schlitten mittelst breiter
geschlitzter Backen auf liegen. Durch die Schlitze wird unter
starkem Druck Wasser zugeführt, wodurch sich die Wagen
ganz wenig heben und nun wie auf Wasser schwimmend mit
sehr geringem Widerstand fortbewegen. Zwischen den
Schienen liegt ein Rohr, in welches fortwährend von einer
stehenden Maschine Wasser unter Hochdruck eingepumpt
wird; in geeigneten Entfernungen sind mit denselben auf¬
rechte Rohre verbunden, welche horizontale Öffnungen nach
entgegengesetzten Richtungen besitzen. Beim Vorüberfahren
stosst. der Wagen auf einen Zahn, wodurch nach der Fahrt¬
richtung dein Rohr ein Wasserstrahl entströmt, der auf tur¬
binenartig gekrümmte Flächen am Wagen aufstosst und dem¬
selben damit den Antrieb zur Fortbewegung ertheilt. Die
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Wagen fahren sehr ruhig und sollen sich angeblich mit einer
Geschwindigkeit von 200 Kilometer in der Stunde gefahrlos
bewegen lassen; dabei wären die Anlage, Betriebs- und
Unterhaltungskosten bedeutend geringer als bei dem üblichen
Lokomotivsystem. Die Ansichten der Versammlung über den
praktischen Werth dieser immerhin interessanten Erfindung
gingen sehr auseinander. (Eine kleine, im Besitz des Vor¬
tragenden befindliche Schrift behandelt das Nähere in Kon¬
struktion).
Herr Postrath Christiani legte ein Muster des kürzlich
von Karlsruhe nach Stuttgart gelegten unterirdischen
Kabels vor, indem er zugleich einige Bemerkungen über
dessen Ausführung und die Art der Arbeiten beifügte.
Herr Professor Dr. Endres berichtete über die Ergebnisse
seiner in den Mittelwaldungen des Rheinthaies geführten
Untersuchungen bezüglich des Einflusses der Lichtstel¬
lungen auf den Höhen- und Stärkenzuwachs der
Laubhölzer. Dieselben haben ergeben, dass die unmittelbare
Folge der Schlagstellungen im Mittelwalde das Nachlassen
des Höhenwuchses der Oberholzbäume in den nächsten fünf
bis zehn Jahren ist. Erst wenn wieder Schluss eingetreten
ist. steigt der Höhenzuwachs bis zur nächsten Schlagstellung.
Am Baumschafte concentrirt sich der Zuwachs nach der
Lichtstellung auf die untersten Theile, nach wieder ein¬
getretenem Schlüsse dagegen auf die oberen. Erstere That-
sache lässt sich bis jetzt pfianzenphysiologisch nicht erklären.
Redner vermuthet, dass zwischen dem Zuwachs in den
verschiedenen Höhen des astlosen Schaftes und der Assimi-
lationsthätigkeit in den korrespondirenden Kronenhöhen eine
gesetzmässige Relation bestehe. Nach der Freistellung ist
die Assimilationsthätigkeit der unteren Kronentheile eine
sehr gesteigerte und, wie es scheint, werden die hierbei ge¬
wonnenen Baustoffe hauptsächlich zur Zellenbildung in den
unteren Schafttheilen verwendet. Auf Grund dieser Unter¬
suchungen glaubt Redner im Gegensatz zu den in neuerer
Zeit geltend gemachten Anschauungen den wissenschaftlichen
Beweis erbracht zu haben, dass zu frühzeitige Lichtstellungen
verzögernd auf die Höhenentwickelung wirken und desshalb
die Rentabilität der Waldungen nachtheilig beeinflussen.
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Herr Otto Ammon macht Mittheilung über anthropo¬
logische Merkwürdigkeiten von der Messe. Es werden
Zeichnungen von Riesen, Zwergen und Farbigen vorgelegt
und durch mündlichen Vortrag erläutert. Der Redner, welcher
seit mehreren Jahren die anlässlich der Messe hierher¬
gekommenen merkwürdigen Menschen anthropologisch auf¬
zunehmen pflegt, macht nähere Mittheilungen über die betr.
Persönlichkeiten, unter denen sich auch die Riesen Germak
und Robbin, sowie der Zwerg Büttner befanden. Aus der
Vergleichung ergeben sich interessante Wahrnehmungen über
den Bau des menschlichen Körpers.
379. Sitzung am 29. November 1889.
Anwesend 30 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Neu angemeldete8 Mitglied: Herr Mechaniker 0. Behm.
Herr Geh. Rath Dr. Grashof machte Mittheilung über
Robert Mayer, dem der Verein deutscher Ingenieure vor
Kurzem in Stuttgart, der Hauptstadt seines engeren Heimath-
landes, ein Denkmal errichtet hatte, als dem Begründer der
mechanischen Wärmelehre, die auch für die Technik seitdem
von so grosser und folgenreicher Bedeutung geworden ist.
Nachdem eine gewisse Beziehung zwischen Wärme und
mechanischer Arbeit schon früher aus vielfachen Erfahrungen
des täglichen Lebens und aus wissenschaftlichen Beobacht¬
ungen hatte gefolgert werden können, ist es Mayer, praktischer
Arzt in Heilbronn (geb. daselbst 1814, gest. 1878) gewesen,
der im Jahre 1842 und ausführlicher 1845 den Satz in be¬
stimmter Weise ausgesprochen und begründet hat, dass (mit
heutiger Terminologie gesprochen), mechanische Arbeiten
und lebendige Kräfte, Wärme und Licht, Elektrizität und
Magnetismus, sowie mechanisch-physikalische und chemische
Gruppirungszustände der Materie und ihrer kleinsten Theile
als verschiedene in einander unwandelbare Erscheinungs¬
formen einer gewissen Grösse, von Energie oder Arbeits¬
vermögen aufzufassen sind, deren gesammte Quantität un¬
veränderlich ist. Auch hat er zum ersten Mal das mecha¬
nische Wärmeäquivalent zu bestimmen gesucht, d. h. die
Arbeit, die der Wärmeeinheit, nämlich der Wärme, die zur
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Temperaturerhöhung von einem Kilogramm Wasser von 0 Grad
auf 1 Grad Celsius erfordert wird, äquivalent, in dieselbe
verwandelbar oder aus ihr entwickelbar ist; dass er sie mit
365 Meterkilogramm erheblich (um etwa 60 Meterkilogramm)
zu klein fand, lag nicht an der Methode, sondern nur an
der Ungenauigkeit der Rechnungsgrundlagen gemäss da¬
maliger Kenntniss. Jener erste Maver’sche Grundsatz in
Verbindung mit einem 20 Jahre später von Clausius ent¬
wickelten zweiten Hauptsatze, dem von demselben bezüglich
auf Wärme sogenannten Grundsatz der Aequivalenz der Ver¬
wandlungen, der nicht nur die Wärme an und für sich,
sondern auch den Temperaturzustand betrifft, in dem sie
vorhanden ist, haben die heutige mechanische Wärmelehre
zur Folge gehabt, wodurch unsere Auffassung der Natur¬
erscheinungen durch Beseitigung der früher angenommenen
sogenannten Imponderabilien eine ganz durchgreifende Um¬
gestaltung erfuhr. Mayer’s Leben ist dabei nicht glücklich
verlaufen; seine wissenschaftlichen Verdienste als die eines
einsamen Forschers, ausserhalb des Kreises bekannten Fach-
gelehrtenthums stehend, sind nur langsam bekannt und noch
später erst allgemein und gebührend gewürdigt worden;
entschieden und in vollem Maasse eigentlich erst 20 Jahre
nach dem Erseheinen seines ersten betreffenden Aufsatzes
von 1842 in Folge eines Vortrags des englischen Physikers
Tyndall, bei Gelegenheit der Londoner Weltausstellung, ge¬
halten vor Fachgelehrten der verschiedensten Länder. Mayer
war damals freilich schon ein halb gebrochener Mann durch
wiederholte Geistesstörungen, die zumeist, wie es scheint,
durch die ihn bedrückende, so zögernd erfolgende Beachtung
und Würdigung seiner reformatorischen Gedanken verursacht
wurden. Um so mehr glaubte der Verein deutscher In¬
genieure, mit über 6500 Mitgliedern in 31 Bezirksvereinen,
über Deutschland verbreitet, durch die Erhaltung der Züge
Mayer’s an hervorragender Stelle eine patriotische Pflicht
der Anerkennung, Verehrung und Dankbarkeit auszuüben.
Das Denkmal ist einfach, doch würdig und sehr gelungen
als Marmorbüste in 1 1 i 2 facher Naturgrösse auf geschliffenem
Granitsockel, von Professor Kopp ausgeführt und im Vor¬
gärtchen vor dem Polytechnikum in Stuttgart errichtet. Der
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Stadt wird es zur Zierde, dem engeren und weiteren Vater¬
lande zur Ehre gereichen.
Herr Professor Dr. Meidinger machte hierauf noch
einige Versuche mit einem von ihm hergestellten Apparate,
um die Bedingungen zu zeigen, unter welchen aus geheizten
Oefen Gase (Rauch) ausströmen können; es sollte hierauf
bei der Konstruktion der Oefen und der Herstellung der
ganzen Heizungsanlage sammt Kamin besondere Rücksicht
genommen werden. An einigen bekannten Füllöfen wurde
der grosse Unterschied im Verhalten nachgewiesen. In der
badischen Gewerbezeitung gedachte Redner sich hierüber dem¬
nächst näher auszusprechen. (1890 Nrn. 1, 4, 7, 13, sowie
1892 Nrn. 1 und 6.)
380. Sitzung am 13. Dezember 1889.
Gemeinsam mit der Deutschen Colonialgesellschalt und der Badischen
Geographischen Gesellschaft.
In Anwesenheit Sr. Königl. Hoheit des Grossherzogs.
Herr Lieutenant Märcker vom 137. Infanterieregiment
in Strassburg hielt einen Vortrag über den Deutsch-
Ostafrikanischen Aufstand und die Wissmann’sche
Schutztruppe.
Der Vortrag ist unter den Abhandlungen abgedruckt.
381. Sitzung am 10. Januar 1890.
Anwesend 20 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Professor Möller hielt einen Vortrag über: Die
Welle als Trägerin ruhender und fortschreitender
Energie.
Wir gewinnen mehr und mehr die Vorstellung, dass
Naturkräfte Wellenbewegung, Schwingungserscheinungen der
Materie seien. Ueber das Licht gehen in dieser Hinsicht
die Ansichten nicht auseinander und ist durch die Experi¬
mente von Herrn Professor Dr. Hertz auch die elektrische
Kraft auf Schwingungsenergie zurückgeführt. Von den ver¬
schiedenen Wellengattungen sind dem Vortragenden nur die
Wasserwellen näher bekannt, deren besondere Eigenarten
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aber Anschauungen über Wesen und Fortpflanzung der un¬
sichtbaren Naturkräfte erwecken. Es wird der Versuch ge¬
wagt, aus den am Wasser gewonnenen Erfahrungen die Wellen
zu konstruiren, welche im Luft- oder Aetherraum den elek¬
trischen Leitungsdraht in Richtung des positiven Stromes
begleiten Aus der Gestalt der Wellen (hier Kegelmäntel,
deren Achse der Draht bildet) und aus der radial mit Ent¬
fernung vom Draht abnehmenden Schwingungsamplitude er¬
geben sich verschiedene Rotationen der Materie, welche zur
Erklärung inducirter Ströme und magnetischer Kräfte her¬
angezogen werden können.
Ein Umstand ergab besonderen Anlass zur Darstellung
dieser Betrachtungen, welche gelegentlich der Beschäftigung
mit den bei der Bewegung des Wassers auftretenden Er¬
scheinungen gewonnen wurden, dabei die Uebertragung von
Bewegungsgrösse besondere Beachtung verdient. Nun machen
die Lehrbücher der Physik nicht darauf aufmerksam, wenn
nur Bewegungsgrösse (Produkt aus Geschwindigkeit mal
Masse), wenn hingegen Energie (Masse mal dem halben
Quadrat der Geschwindigkeit) übertragen wird, die Lehr¬
bücher heben nicht die Schwierigkeit hervor, welcher eine
vom Centrum sich radial ausbreitende Wellengruppe dadurch
begegnet, dass die bewegten Massen, gegen immer grössere
Kugelschalen treffend, von diesen theihveise reflectirt werden.
Es geht bei dem elastischen oder unelastischen Stoss nur
die Bewegungsgrösse, nicht die volle Energie auf grössere
Kreise über. Diese Thatsache kann zunächst am besten an
Wasserwellen studirt werden; ein weiterer Verfolg der
Schwingungstheorie wird schärfere Auffassungen über Aus¬
breitung des Schalls, des Lichtes und der Elektrizität er¬
geben. Man wird erkennen, dass von einem Mittelpunkt
ausgehende Centralschwingung in begrenzter Weise Aus¬
breitung der Energie zulässt, vielmehr ruhende, an den Ort
gefesselte Energie darstellt, wenn eine Ableitung fehlt; nur
gegen Ausbreitung geschützte, z. B. in einem Draht als
elektrischer Strom oder im Sprachrohr als Schall geleitete
Wellengattungen können auf grössere Entfernungen hin be¬
deutende Energie übertragen.
Im Aufträge von Herrn Professor Vaientiner erstattet
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hierauf Herr Dr. Mathiessen einen kurzen Bericht über den
Inhalt des dem Verein vorgelegten dritten Heftes der Ver¬
öffentlichungen der Karlsruher Sternwarte. Während
die beiden ersten Bände Ergebnisse einer grösseren Arbeit am
Meridiankreise enthalten, finden sich in dem jetzigen Aus¬
messungen von Sternhaufen und Kometenberechnungen, im
Wesentlichen von dem früheren Assistenten der Sternwarte,
Herrn Dr. v. Iiebeur-Pasch witz, aufgeführt. Die Einleitung
gibt eine Beschreibung des Instruments, nämlich des sechs¬
zölligen Refractors, welcher im Jahre 1835 durch die Firma
Böcker und Feker in Wetzlar neu montirt wurde. Was über
seine Aufstellung gesagt ist, trifft auch heute noch zu; die
Fundirung des Pfeilers ist eine so mangelhafte, dass Stö¬
rungen durch den Strassen- und Bahnverkehr oft ein Auf¬
halten im Beobachten veranlassen. Als sehr lästig sind
ebenfalls die bei der jetzigen Lage der provisorischen Stern¬
warte häufig über dem Gurtengelände auftretenden Nebel zu
bezeichnen.
Die beiden gemessenen Sternhaufen enthalten 5 bezw.
113 Sterne, welche noch mit Sicherheit bestimmt werden
konnten. Der Zweck solcher Arbeiten im Allgemeinen ist
der, durch Wiederholung der genauen mikrometrischen Fest¬
legung der Sternörter nach einem grösseren Zeitintervall
(20—30 Jahre) etwaigen gesetzmässigen Bewegungen im
Sternhaufen auf die Spur zu kommen. Bei der bekannten
Gruppe der Plejadcn haben die Untersuchungen von Bes sei
und Wolf schon ganz geringe systematische Veränderungen
im System erkennen lassen.
Die zweite Arbeit behandelt den im März 1882 von
Wells in Albany, Nordamerika, entdeckten Kometen, dessen
Bahn sich durch eine sehr geringe Periheldistanz auszeich¬
nete und dadurch zur Entscheidung der Frage über das
widerstehende Mittel sehr geeignet war. Das diesbezügliche
Ergebniss ist ein negatives; der Komet zeigt durchaus keine
aussergewöhnlichen Störungen in seinem Laufe in der Nähe
der Sonne, die Beobachtungen vor und nach dem Perihel
lassen sich mit demselben Elementensystem gut darstellen.
Dagegen nehmen die Ergebnisse der spektroskopischen
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Beobachtungen eine hervorragende Stelle ein. Es zeigten
sich Anfangs neben dem hellen kontinuirlichen Spektrum
die gewöhnlichen Kohlenwasserstoffbanden, welche indessen'
bei Annäherung an die Sonne immer mehr erblassten
und beim Auftreten von hellen Natriumlinien ganz ver¬
schwanden.
Auf den äusserst interessanten periodischen Kometen
Denning, dessen Wiederkehr Anfang 1890 zu erwarten ist,
soll später genauer eingegangen werden.
382. Sitzung am 24. Januar 1890.
Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Herr Geh. Rath Dr. Grashof machte Mittheilung über
die Bildung einer neuen Abtheilung für Instrumenten -
künde bei der Naturforscherversammlung zu Heidel¬
berg im vorigen Jahre.
Die Verhandlungen derselben begannen mit der Verlesung
eines Schreibens von Geh. Rath Professor Dr. Förster-Berlin,
durch welches unter Hervorhebung der für das Rechnen mit
Winkelgrössen so erheblichen Vorzüge der Decimaltheilung
des Quadranten in 100 Grade = 100.100 Minuten = 100 .
100.100 Sekunden statt der bisher gebräuchlichen Sexa-
gesimaltheilung, besonders der gleichzeitig in Heidelberg
zusammengetretene Mechanikertag aufgefordert wurde, die
allgemeinere Einführung der Decimaltheilung durch ent¬
sprechende instrumentale Ausführungen zu fördern, vorerst
bis zur nächstjährigen Versammlung die Ansichten und Er¬
fahrungen der Fachgenossen über die zweckmässigsten Ein-
theilungsstufen bei den verschiedenen Arten von Instrumenten
zu sammeln, und eine betreffende Einigung herbeizuführen
Wesentlich wird ausserdem die Hilfe der Physikalisch-tech¬
nischen Reichsanstalt sein bezüglich auf Herstellung von
Normaleintheilungen, sowie auch besonders die Herausgabe
von entsprechend eingerichteten Tafeln. In letzterer Be¬
ziehung ist namentlich der militärische Direktor des Landes¬
vermessungsdienstes von Frankreich in neuester Zeit sehr
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förderlich vorgegangen. Auch der deutsche Mechanikertag
wird sich eingehender mit der Frage beschäftigen.
Herr 0. Behm berichtete hierauf unter Vorlage von Zeich¬
nungen über einen von ihm verfertigten, zur Zeit in der Grossh.
Landes - Ge werbehal le ausgestellten selbstregistrirenden
Pegelapparat. Der Apparat hat den Zweck, die Niveau¬
schwankungen eines Flusses, eventuell von Meeresfluth und
-Ebbe, selbständig zu registriren und zwar für den Zeitraum
von je einer Woche. Auf einer Trommel ist ein Papierbogen
gespannt, welcher durch senkrechte Striche in Tage und
Stunden, durch waagerechte Striche in Millimeter getheilt
ist. Für eine Stunde ist der Raum von zwei Millimeter,
für einen Centimeter Wasserstand der Raum von einem
halben Millimeter berechnet, so dass also die Theilung von
Millimeter zu Millimeter gleich zwei Centimeter Wasserstand
entspricht. Die ganze Höhe der Trommel ist für acht Meter
Wasserstandsdifferenz berechnet. Die Trommel wird durch
ein Uhrwerk in 16S Stunden so weit um ihre Achse gedreht,
als der aufgespannte Bogen mit senkrechten Rubriken für
die Stunden versehen ist. Zur Kontrole der richtigen
Trommelbewegung ist ein Zifferblatt angebracht. Die auf-
und absteigenden Schwankungen werden durch einen kupfer¬
nen, an einem Kupferdraht aufgehängten Schwimmer auf
den Schreibstift übertragen. Nach Ablauf von einer Woche
ist das Papier zu entfernen, ein neuer Bogen aufzuspannen
und das Uhrwerk aufzuziehen.
Herr Professor Dr. Platz machte einige Mittheilungen
über neuerdings aufgefundene Spuren einer Eiszeit während
der Steinkohlenperiode. In Ostindien, Ostafrika und
Neuholland, also rings um den indischen Ocean, fand man
Schichten von Thon, Schiefer und Sandstein, welche theils
einzelne erratische Blöcke, theils grosse Anhäufungen der¬
selben einschliessen, und darunter zahlreich solche mit ge¬
schliffener und gekritzter Oberfläche, sowie auch auf den
von diesen Blöcken bedeckten Oberflächen ähnliche Schliffe,
wie auf dem Boden der jetzigen Gletscher. Sowohl die eng¬
lischen, wie auch der österreichische Geologe W. Waagen,
welcher selbst einen Theil dieser Gebilde untersucht hat,
halten dieselben für Ablagerungen von Gletschern. Waagen
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schliesst daraus, dass sich zur Steinkohlen zeit an der Stelle
des indischen Oceans ein gletscherbedecktes Festland befand,
dessen Ränder in den erwähnten Ländern erhalten blieben.
Es ergibt sich daraus ein merkwürdiger Gegensatz zwischen
der nördlichen und südlichen Erdhälfte: hier Eisbedeckung,
dort bis Grönland und Spitzbergen tropisches Klima mit
üppiger Vegetation. In einer späteren, der Diluvialperiode,
scheinen die klimatischen Verhältnisse umgekehrt gewesen
zu sein: in Europa zahlreiche Spuren einer Eiszeit, von
welchen im Süden noch nichts gefunden wurde. Diese Er¬
scheinungen deuten daher auf einen mehrmaligen Klima¬
wechsel auf der Erde in entgegengesetztem Sinne auf beiden
Erdhälften.
Herr Professor Dr. Meidinger berichtet zum Schluss über
die Form der 6000 Meter hohen Kibospitze des Kilima¬
ndscharo, welche Dr. Hans Meyer vou Leipzig im Oktober
v. J. zwei Mal bestiegen hatte. Näheres hierüber wird der¬
selbe nach seiner inzwischen erfolgten Rückkehr aus Afrika
dem Verein wohl demnächst persönlich mittheilen.
383. Sitzung am 7. Februar 1890.
Anwesend 19 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. A. Benckiser, Arzt.
Herr Professor Dr. Platz sprach über die Schneegrenze in
den Ostalpen. Die Mittheilungen waren dem kürzlich erschie¬
nenen Buche von Professor Dr. Richter in Gratz, einem der
erfahrensten Gebirgskenner, entnommen, welches neben der
eingehenden topographischen Beschreibung und Ausmessung
der Schneeregion eine Bestimmung der Schneegrenze in den
verschiedenen Gruppen der deutschen und österreichischen
Alpen enthält. Die normale oder klimatische Schneegrenze
wird durch die Unregelmässigkeiten der Gebirgsform so
wesentlich beeinflusst, dass sie an Ort und Stelle kaum durch
direkte Beobachtung zu ermitteln ist. Es kommt also darauf
an, die Faktoren der orographischen Begünstigung: Lage
gegen die Sonne, Beschattung, Neigung, aussergewöhnliche
Anhäufung des Schnees durch Lavinen, Gletscherbildung etc.
zu eliminiren, um die wahre klimatische Schneegrenze zu
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finden. Bei den grossen Gletschern, welche bis tief unter
die Schneegrenze hinabreichen, bietet die Theilung derselben
in das Schmelzgebiet — die Gletscherzunge, und das durch¬
schnittlich dreimal grössere Sammelgebiet wichtige Anhalts¬
punkte zur Bestimmung der Schneegrenze. Durch sorgfältige
Untersuchungen und Berücksichtigung aller orographischen
Einflüsse gelangte Richter zu folgenden Ergebnissen:
1. Die grösste Höhe hat die Schneegrenze in den zen¬
tralen Ketten des Oetzthals und der Ortlergruppe, da wo
das Alpengebiet die grösste Breite besitzt; sie liegt hier
über 2900 Meter. Diese auffallende Thatsache findet ihre
Erklärung in der grösseren Trockenheit dieser Gebiete.
2. Gegen Norden wie gegen Süden liegt die Schnee¬
grenze tiefer; in den nördlichen Ketten sinkt sie bis auf
2500 Meter (Zugspitze), in den südlichen bis 2700 Meter.
3. In dem zentralen Theil der östlichen Gebirgsgruppen,
dem Glocknergebiet, liegt die Schneegrenze tiefer, als im
Westen, sie erreicht hier nur 2800 Meter.
4. Man kann daher Gebiete gleicher Schneegrenzhöhe
konstruircn, welche ein anschauliches Bild der verschiedenen
Höhen der Schneelinie geben. Eine nach Richter kopirte
Karte und einige Profile dienten zur Erläuterung dieser
Ergebnisse.
384. Sitzung am 13. Februar 1890.
Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen
Geographischen Gesellschaft.
Herr Stadtpfarrer Wangemann aus Kiel hielt einen Vor¬
trag Uber Leben und Treiben in Sansibar zu Gunsten
eines Krankenhausverband in Sansibar; der reiche Inhalt des¬
selben lässt sich in Folgendem zusammenfassen.
Eine Fahrt nach Sansibar ist auf ihrer ersten Hälfte
sehr angenehm, kann aber im Rothen Meer und besonders
im Indischen Ocean, zumal wenn der Südwest-Monsum weht,
recht beschwerlich werden. Gewöhnlich fährt inan längs der
Somaliküste. Von Monda an wird die Küstenstrecke grün
und freundlich, bald zeigen sich die hohen Berge Usambaras.
Peinba ist sehr flach. Bald grüsst der Leuchtthurm auf der
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Nordspitze der Insel Sansibar, bald hebt sich auch die Stadt
aus dem Meere, auf einer Landecke nur wenige Meter über
dem Wasserspiegel gelegen. Die grossen weissen, würfel¬
artigen Häuser strahlen im Sonnenlicht, darüber wehen bunte
Flaggen und grüne Palmenkronen. Auf der Rhede liegen
immer eine Anzahl Kriegsschiffe, dazu Handelsdampfer, die
Flotte des Sultans, Segelschiffe und viele Hunderte von Dhau’s,
den arabischen Küstenfahrzeugen. In der Nähe verliert das
Stadtbild seine leuchtenden Farben. Durch das Gewimmel
der Dhau’s fährt das Boot den Fremden zum flachen Strand,
Negerjungen tragen die Passagiere durch’s niedrige Wasser
auf’s Trockene. Allein am Sultansparast ist eine etwas be¬
quemere Anlegestelle. Dort ist der Brennpunkt der Grösse
Sansibars. An einen verhältnissinässig kleinen Estrichplatz
drängen sich das kasernenartige Harerasgebäude, davor ein
kleiner Garten und eine Art Menagerie, der alte und der
neue Palast, der Leuchtthurm mit elektrischer Lampe, daneben
der grosse Staatsflaggenmast, endlich die ausgedehnten Zoll¬
gebäude, die die Reichthümer Sansibars bergen: Elfenbein,
Gewürznelken, Kautschuck, Kopal, ein bernsteinartiges Harz,
das sehr viel zur Lackfabrikation verwandt wird, Orseille,
eine Flechte, die zur Bereitung von Farbstoffen dient, Sesam
zur Oelerzeugung, Felle und Häute von der Somaliküste,
dazu alle Schätze Indiens, und alle Einfuhrartikel Europa’s
und Amerika’s, besonders Baumwollstoffe und Petroleum,
Messing- und Kupferdraht. Nach Norden zu liegt das indische
Viertel, wo Tausende von Hindu und Benianen aus der
Gegend von Bombay wohnen, arme Krämer, die mit wenig
Reis und Früchten handeln und steinreiche Millionäre, wie
die Bankiers Taria, Topan, Sawa, Hadschi u. A. Südlich
vom Palastviertel ist das alte portugiesische Fort, jetzt
Staatsgefängniss, dabei der Obstmarkt, auf dem im Dezember
1888 die Hinrichtungen stattfanden, durch welche der Sultan
in seiner jähen Laune seine Herrschergewalt dokumentiren
wollte, dann das arabische .Viertel, ein Gewirr von ganz
engen, zum Theil sehr düstern Gassen. Die Häuser sind
plump und massig aus Korallensteinen gebaut, das Innere
derselben ist feucht und düster. Da wohnt der Araber mit
seinen Frauen, Kindern, Sklaven. Auf den platten Dächern
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kann man Abends die Frauen wandeln sehen. Oft unter¬
brechen Ruinen und kleine Kirchhöfe die Hausreihen.
Zwischen den Gräbern nisten die wilden Hunde. In diesem
Viertel haben sich auch alle europäischen Fremden Sansibars
eingemiethet, dazu die portugiesischen Indier aus Goa. Diese
sind Krämer, Schneider, Köche Die Europäer sind vertreten
durch Deutsche, Engländer, Franzosen, Portugiesen. Aber
auch amerikanische Firmen sind am Platze. Sämmtliche
Fremde wohnen in arabischen Häusern, die ein wenig nach
abendländischer Art hergerichtet sind. Sie haben diese
Häuser meist dem Sultan oder wohlhabenden Arabern ab-
gemiethet. Grundeigenthum kann man zur Zeit in Sansibar
noch nicht erwerben, der Haupteigenthtimer der Stadt und
Insel, der Sultan und alle Araber verpachten oder vermiethen
nur, jedoch oft auf 100 Jahre. Von den Deutschen kommen
hauptsächlich die Hamburger Firmen Oswald und Hansing
in Betracht. Die einzige fahrbare Strasse der Stadt, die
aber höchstens 4 Meter breit ist, durchzieht auch dies
Viertel. An ihr liegen die bemerkenswerthesten Häuser, das
für den Reichskommissar Wissmann gemiethete Haus, ganz
in der Nähe auch das grosse, schöne Gebäude, das die Ost¬
afrikanische Gesellschaft gepachtet hat, das deutsche General¬
konsulat, das Haus des Sultansgenerals, Matthews, endlich
das jetzige deutsche Krankenhaus, ein ehemaliges indisches
Bäckerhaus. Die Strasse ist natürlich ungepfiastert, sehr
staubig bei trockenem Wetter, ein Sumpf zur Regenzeit.
Hinter den Häusern der Stadt breitet sich eine grosse Lagune
aus, welche das Gebiet des eigentlichen Sansibar von der
grossen Insel Sansibar trennt. Zur Ebbezeit ist die Lagune
trocken und entsendet dann entsetzliche Dünste. Es wird
einer späteren Zeit überlassen bleiben, sie abzudämmen.
Dann wird Sansibar ausserordentlich an Ausdehnung, be¬
sonders aber an Gesundheit gewinnen können. Durch die
Lagune führt ein Damm nach der grossen Insel Sansibar.
Dort finden wir zahlreiche Negervororte, freundliche Hütten
aus Stangengeflecht, das mit Lehm beklebt und mit trockenen
Palmblättern gedeckt ist, nachher zahlreiche stattliche Land¬
häuser der reichen Araber und Indier, umgeben von blühen¬
den Gärten und Pflanzungen. Hier hat sich auch der deutsche
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Klub ein schönes Landhaus mit schattigem Garten gemiethet.
Das Haus ist jedoch leider nur am Tage zu benützen, Nachts
soll es ungesund dort sein. Noch weiter ins wellige Land
hinaus begegnen wir den Gewürznelkenplantagen, dem Reich¬
thum der Araber, auf luftigen Landvorsprüngen längs der
Küste zwei grossen englischen Missionsstationen und einem
Lustschloss des Sultans
Die deutschen Kaufleute sind schon in den vierziger
Jahren nach Sansibar gekommen und führten früher ein
harmloses Leben. Die Sultane waren ihnen sehr wohlgesinnt,
weil sie keinerlei politische Interessen vertraten, und ge¬
währten ihnen vielen Verdienst. Im Herbst 1884 ward das
anders. Da kam Dr. Peters, wagte seine Landunterneh¬
mungen und erhielt auch für dieselben den Schutzbrief
Seiner Majestät des Kaisers. Alsbald strömten neue Deutsche
nach Sansibar, Beamte, Kaufleute, Plantagenverwalter, welche
der neu gegründeten Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft
oder der bald sich von ihr abzweigenden Plantagengesell¬
schaft dienen wollten. Der Sultan zeigte sich all diesen
Unternehmungen recht feindselig. Es mussten deutsche
Geschwader nach Sansibar gesandt werden, um den deutschen
Einfluss massgebend zu erhalten. Als nun die Ostafrikanische
Gesellschaft auch das den Sultanen noch gehörige Küstenland
in Zollpacht genommen hatte, kam der längstverhaltene Groll
der Araber zum Ausbruch, der Aufstand begann, ln kurzer
Zeit war die Küste bis auf Dar-es-Salaam und Bagamoyo,
die mit Hilfe der Kriegsschiffe gehalten wurden, wieder in
den Händen der Araber. Während nun in Deutschland
weitere Machtmittel, die Schutztruppe, vorbereitet wurden,
schlugen sich die Matrosen mit Buschiri, dem Haupt der
Aufständischen, an der Küste herum oder kreuzten längst
der Küste mit den Booten, um den Feind in seinem Haupt¬
erwerb, dem Sklavenhandel, zu schädigen, im April begann
die Thätigkeit der Schutztruppe und bald die Rückeroberung
der nördlichen Küstenstrecke. Sansibar blieb während dieser
Zeit äusserlich ruhig. Der Handel blühte nach wie vor,
zählt doch die Stadt gegen 100 000 Einwohner, die sich an
viele europäische Bedürfnisse gewöhnt hatten. Die Ordnung
hielt General Matthews mit seinen etwa 1000 Sultanssoldaten
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streng aufrecht. Die Araber und Indier feierten mit grossem
Pomp ihre religiösen Feste, es war nichts von den Unruhen
von drüben zu spüren. Mehrmals empfing der Sultan die
Offiziere der Kriegsschiffe und entfaltete dabei die ganze
wunderliche Pracht seines Hofstaates. Diese Feste und
Aufzüge stechen nun eigenthümlich ab gegen die Noth und
Entbehrungen, welchen die an der Küste kämpfenden und
auf der See kreuzenden deutschen Matrosen ausgesetzt waren.
Die waren allen Mühseligkeiten ihres Dienstes preisgegeben,
der Fieberluft, der furchtbaren Hitze, dem gewaltigen Regen.
Den deutschen Offizieren und Unteroffizieren der Schutztruppe
ging es später ebenso. Viele starben dahin, nicht weil es
an nöthiger ärztlicher Pflege fehlte, für diese war gesorgt,
aber an der ordentlichen Unterkuuft; denn in Sansibar gibt’s
keine nach Gesundheitsregeln gebauten Häuser. Ein solches
Haus ist darum, sofern wir unsere da draussen kämpfenden
und arbeitenden Landsleute erhalten wollen, eine dringende
Noth Wendigkeit. Man wende dagegen nicht ein: der Kampf
ist nun bald beendet. Die Zähigkeit der Araber zu über¬
winden wird uns noch viele Mühe machen, denn der islami¬
tische Araber streitet für ein Land, das er seit 1000 Jahren
beraubt, in dem er reich und mächtig geworden ist. Und
sollten wirklich diese Feinde einst, ganz zu Paaren getrieben
sein, so wird die wirtschaftliche Eroberung des Landes noch
so viel Anstrengung verursachen, noch'so viel Opfer kosten,
dass das Krankenhaus stets nothwendig sein wird. Das
Land ist der Opfer werth.
385. Sitzung am 21. Februar 1890.
Anwesend 27 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Der Vorsitzende machte davon Mittheilung, dass er auf
die ihm seit letzter Sitzung zugekommene Nachricht, dass
die Physikalisch-Oekonomische Gesellschaft in Königberg am
22. Februar ihr hundertjähriges Bestehen feiere, ein Be¬
glückwünschungsschreiben an dieselbe abgesendet habe.
Hierauf hielt Herr Dr. Mathiessen einen Vortrag über:
Neuere Resultate aas den Bewegungen der periodi¬
schen Kometen. Zu den interessantesten Mitgliedern unseres
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Sonnensystems gehören die periodischen Kometen; nicht etwa
wegen ihres äusseren Anblickes, hervorragender Schweifbildung
u. s. w., sie sind im Gegentheil meistens nur teleskopisch,
sondern wegen der grossen Eigenthümlichkeiten ihrer Bahn¬
verhältnisse. Vor allen Dingeu spielen sie eine wichtige
Rolle in der Entscheidung der Frage über das Vorhandensein
eines widerstehenden Mittels im Raume und können sehr
oft durch die Grösse der Störungen ihrer Bahn, welche durch
die grossen Planeten hervorgerufen werden, zur Massen¬
bestimmung dieser Himmelskörper verwendet werden. In
unserem Jahrhundert, hauptsächlich während der letzten
Jahrzehnte, hat sich die Zahl der periodischen Kometen in
ungeahnter Weise vermehrt; man theilt sie nach der Dauer
der Umlaufszeit in 3 Klassen, und selbst von den „Kometen
kurzer Umlaufszeit“ kennen wir nicht weniger als 24.
Nicht nur das ganze System hat seine Geschichte, sondern
es sind auch schon über mehrere einzelne Kometen ein¬
gehende geschichtliche Untersuchungen vorhanden. Die Frage
des widerstandleistenden Mediums muss bis jetzt als un¬
entschieden hingestellt werden; dagegen ist z. B. der Werth
für die Masse des Planeten Merkur aus der Bewegung des
Winnecke’schen Kometen mit verhältnissmässig grosser
Sicherheit ermittelt worden.
Zu Anfang dieses Jahres kehren zwei von den Kometen
wieder; auf die Ortsbestimmung des einen ist wegen einer
ungünstigen Lage zur Sonne von vornherein für diese Er¬
scheinung verzichtet worden, doch auch bei dem anderen,
dem Denning’schen, dessen Vorausberechnung von der hie¬
sigen Sternwarte übernommen wurde, bleibt wenig Hoffnung
auf Erfolg, da er sehr schwach ist und sich immer in der
Nähe der Sonne hält.
Herr Dr. Matthiessen berichtete sodann weiterhin über
Schiaparelli’s Resultate über die Rotation des Pla¬
neten Merkur. Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts war
es nicht gelungen, die Rotationsdauer des Merkur zu bestim¬
men ; dieser Planet ist nämlich wegen seiner grossen Sonnen¬
nähe äusserst schwierig zu beobachten. Im Frühjahre 1800
bemerkte der bekannte Liebhaber der Astronomie, Justizrath
Schröter in Lilienthal, eine eigenthümliche Abstumpfung des
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südlichen Horns der Merkursichel, fand dieselbe des Oefteren
z. B. auch im Herbst wieder, und berechnete daraus die
Rotation zu etwas mehr als 24 Stunden. Im Jahre 1S01
wurde diese Zahl nun durch ausgedehnte Beobachtungen von
Flecken, die sich auf der Merkurscheibe innerhalb weniger
Stunden stark bewegten, genau bestätigt. Mit Schröter zu¬
sammen beobachtete Harding, und Beide nahmen stets
dieselben Erscheinungen wahr. Das Endergebnis aus sieben
verschiedenen, zum Theile 14-monatlichen Perioden, betrug
nach der von Bessel ausgetührten Reduktion auf mittlere
Merkurtage: 24 H. 0 M. 53 S., welche Grösse noch heute in
allen gemeinverständlichen und wissenschaftlichen astrono¬
mischen Werken zu finden ist.
Um so überraschender wirken die Entdeckungen des
berühmten Mailänder Astronomen Schiaparelli. Dieser hat
vom Jahre 1882 ab die Oberfläche des innersten Planeten
unseres Sonnensystems genau studirt und dabei heraus¬
gefunden, dass die Flecke, welche fast immer deutlich zu
erkennen waren, keine erhebliche Bewegung innerhalb weniger
Stunden zeigen. Es folgt daraus, dass der Merkur ganz
langsam rotirt, nämlich nur ein Mal während seines 88tägigen
Umlaufes um die Sonne, immer dem Centralkörper dieselbe
Seite darbietend wie der Mond der Erde und Japetus dem
Saturn. Allerdings tritt eine ziemlich starke Libration in der
Länge auf, so dass doch erheblich mehr als die Hälfte des
Planeten Sonnenlicht empfängt. Eine Neigung des Aequators
gegen die Bahnebene hat Schiaparelli nicht feststellen können,
sie muss jedenfalls kleiner als 10 Grad sein. Das Aussehen
der Flecke im Allgemeinen war das von leichten rothbräun-
lichen Schatten; doch Hessen sich zuweilen auch weisse Par¬
tien scharf unterscheiden. Die von Schröter beobachtete
Abstumpfung des südlichen Horns hat Schiaparelli auch
einige Male gesehen und glaubt, sie durch auffällige Licht¬
unterschiede erklären zu können.
Herr Professor Dr. Meidinger machte Mittheilung von
einigen optischen Beobachtungen, die zwar keinen An¬
spruch auf völlige Neuheit machen wollten, wenn schon in
der Litteratur ein Hinweis auf dieselben nicht vorgefunden
werden konnte. Schaut man bei blauem Himmel über eine
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glatte, lange Wasserfläche, Sonne im Rücken oder auf der
Seite, so entspricht in der Nähe des Horizonts der Spiegel
des Himmels in Farbe und Helligkeit genau dem wirklichen
Himmel; je mehr der Blick des Auges auf die Wasserfläche
jedoch gegen den Standort rückt, um so mehr wird die
Farbe des Bildes dunkelblau gegen die entsprechende, dem
Zenith näher gelegene Stelle des Himmels. Zuletzt, wenn
man fast senkrecht auf das Wasser schaut, erscheint dessen
eigene Farbe oder die des Himmels überwiegend, immer je¬
doch im dunklen Tone. Diese Beobachtung lässt sich be¬
quem machen an dem Graben vor dem Walde auf der Strasse
von Gottesaue nach Grünwettersbach. Die Strahlen, welche
senkrecht auf das Wasser fallen, werden nur in geringem
Grade reflektirt, aber von einer gewissen Neigung an voll¬
ständig, darum die beiden Gegensätze in der Bildfarbe des
Himmels zwischen Horizont und Zenith; das dunklere Blau
in der Mitte setzt sich zusammen aus dem etwas geschwächten
Reflex und dem dunklen Ton des Wassers. So erklärt es
sich auch, dass bei Wind das Wasser in der Windrichtung
auch am Horizont dunkelblau erscheint; die dem Beschauer
zugekehrten Flächen der Wellen reflektiren eine höher ge¬
legene, tiefer blaue Stelle des Himmels und lassen zugleich
den dunkleren Ton des Wassers heraustreten. Senkrecht
gegen die Windrichtung betrachtet, erscheinen die Wellen
jedoch hell. So gibt sich ein grosser Wechsel des Farben¬
bildes kund, wenn man Gelegenheit hat, eine Wasserfläche
bei Wind in einem Halbkreis zu beschauen. Die überschwemm¬
ten Wiesen an Gottesaue bieten hiezu geeignetes Beobachtungs¬
gebiet.
Eine weitere Beobachtung bestand in dem Folgenden:
Schaut man gegen eine offene Flamme, z. B. von einer Kerze,
so findet man dieselbe umgeben von einem schwachen Farben¬
kranz und zwar von aussen nach innen zwei Mal folgend
roth-gelb-grün-blau, die Regenbogen- oder Spektral-Farben.
Die Breite des Kranzes hängt von dem Abstand des Lichtes
ab; bei 1 Meter Entfernung beträgt der Durchmesser des
äussersten Roth etwa 20 Centimeter, bei 2 Meter doppelt so
viel. Bei grösseren Entfernungen wird das Spektrum all-
mählig unklarer und verschwindet zuletzt. Bei einem schwa¬
chen Lichte kann man dasselbe bis zu dem kurzen Abstand
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von 20 Centimeter noch beobachten. Ein dunkler Hintergrund
ist erforderlich, um die Erscheinung deutlich wahrzunehmen;
dieselbe ist rein subjektiv, denn wenn man das Licht selbst
mit dem Finger verdeckt, so verschwindet sie sofort und
man erblickt die hinter dem Licht beleuchteten Gegenstände,
die vorher durch den Farbenkranz verdeckt waren. Ver¬
schiedene Beobachter nahmen das Gleiche wahr. Eine Er¬
klärung der Erscheinung konnte nicht gegeben werden.
Endlich wurde noch der Farbenerscheinungen gedacht,
welche fein geritztes, oder durch zartes Pulver schwach ge¬
trübtes Glas hervorruft, wenn es von Licht getroffen wird.
Diese sogenannten Interferenzfarben entstehen auch auf
Scheiben, auf denen sich Tabakdampf niedergeschlagen hat;
man kann solche von der Strasse aus an manchen Fenstern
beobachten, z. B. am Caf6 Bauer; an vielen Scheiben finden
sich hier die innen befindlichen Gasflammen von Farben¬
kränzen umgeben, wie sie als subjektive beim Blick in ein
freies Licht erscheinen, nur viel deutlicher und nicht in ge¬
nauer Folge der Regenbogenfarben. Die Farben hängen
von der Dicke der trübenden Theilchen ab; sie lassen sich
auch durch Anhauchen hervorrufen, und zwar in stetem
Wechsel, wenn man fortfährt, das Fenster schwach an¬
zuhauchen; zu einem gewissen Zeitpunkt sieht man in der
Mitte um die Flamme herum ein lebhaftes Blau. Zuletzt
verwischen sich die Farben mehr und die Scheibe erscheint
mattweiss, wie die meisten beschlagenen Schaufenster der
Läden. Wischt man mit einem Tuch oder der Hand
schwach über eine mit Cigarrendampf beschlagene Scheibe,
so verschwinden die Farbenringe und senkrecht gegen die
Streichrichtung laufen von dem Lichte jenseits sehr helle,
lange Linien aus, die sich bei näherer Betrachtung als aus
zahlreichen parallelen farbigen Streifen bestehend erweisen.
(Wie Herr Ammon später bemerkte, lassen sich dieselben
auch durch Anstreichen von Fett auf Glas hervorrufen; ja
sie entstehen schon auf Brillenglas, wenn man mit den immer
schwach fetten Fingern über dasselbe streicht.) Wenn als
Lichtquelle jenseits der Scheibe ein elektrisches Bogenlicht
vorhanden ist, so lassen sich sowohl durch Fettbestreichung
der Scheibe, wie durch Anhauchen sehr brillante Farben-
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Wirkungen hervorrufen; streicht man im Kreise, so erscheint
die ganze Scheibe blendend hell, in durchaus verschiedener
Wirkung von den durch Anhauchen erzielten Farbentönen.
386. Sitzung am 7. März 1890.
Anwesend 32 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener.
Der Vorsitzende machte von einer Einladung des Vor¬
standes des Geographischen Vereins Mittheilung zum Besuch
zweier in demselben demnächst stattfindenden Vorträge: am
14. März wird Herr Professor Kirchhoff aus Halle über die
„Entstehung der Nation“ sprechen, am 18. März Herr
Dr. Oberkammer aus München über „Cypem“.
Herr Professor Möller hielt einen Vortrag über das Län¬
genprofil der Flüsse, insbesondere dasjenige des Rheins
von Basel bis Mannheim. Im Jahre 1875 veröffentlichte
der verstorbene Professor Sternberg von hier eine Abhand¬
lung in der Zeitschrift für Bauwesen über die Ausbildung
des Längenprofiles der Flüsse nebst Anwendung auf die
Strecke des Rheinstromes zwischen Basel und Mannheim.
Es wurde gezeigt, nach welchem Verhältniss das Längenprofil
und damit die Höhengestaltung der Flusssohle von der Korn¬
grösse der Geschiebe und diese von dem durchlaufenen Wege
und der dabei erlittenen Abnutzung abhängig sei. Die Stern-
berg'sche Theorie berührt eine der wichtigsten Fragen des
Flussbaues und birgt für das Studium desselben leitende
G rundanschau ungen.
Ein Umstand trägt jedoch dazu bei, die Bedeutung der
Ausführungen minder auffällig erscheinen zu lassen. Die
Rechnung stützt sich in einem Punkt auf empirische Formeln,
indem aus der mittleren Wassergeschwindigkeit auf die
Wassergeschwindigkeit nahe der Sohle und von dieser auf
die das Geschiebe forttreibende Stosskraft des Wassers
geschlossen wird. Die benutzte mittlere Geschwindigkeit
gibt aber, je nach der Art der benutzten empirischen Formel,
verschiedene Werthe, woraus dann weiter mehrere Gruppen
von Ergebnissen abgeleitet sind.
Das auf den Rheinstrom sich beziehende Rechnungs¬
beispiel liefert, Obigem entsprechend, für die Sohlengestaltung
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— 86 —
des Rheines verschiedene Profilkurven, deren einige sich der
wahren Gestalt recht eng anschliessen, andere hingegen
Höhenabweichungen bis zu 22 und 60 Meter aufweisen.
Das Ergebniss, welches zwischen so weiten Grenzen schwankt,
erscheint dadurch wenig verlässlich und zu praktischer Ver¬
werfung minder geeignet.
Nun lässt sich aber erweisen, dass diese von den wahren
Verhältnissen abweichende Kurvengruppe aus den Betrach¬
tungen ganz auszuscheiden ist. Gestützt auf frühere Aus¬
führungen, welche die Stosskraft des Wassers aus der trei¬
benden Componente der Schwerkraft berechnen, erscheint
diese Stosskraft aber, durch eine exakte Formel ausgedrückt,
nicht dazu angethan, verschiedene sich widersprechende Er¬
gebnisse zu liefern, diese Unsicherheit ist nur durch den
von Sternberg und anderen Autoren eingeschlagenen Umweg
in die Ausführung hineingetragen, wobei die Ableitung der
Stosskraft aus der mittleren Wassergeschwindigkeit erfolgt.
Benutzt man für die Stosskraft die direkte Formel, dann
gelangt jene physikalisch nicht begründete Gruppe in Weg¬
fall, welche gegenüber den wahren Verhältnissen Abweichungen
zeigt, und es bleibt nur noch eine Kurvengruppe übrig,
welche sich den thatsächlichen Verhältnissen genau anschliesst,
dieselbe ist durch die Benutzung des Wurzelexponenten
n = 2 gekennzeichnet. Es gewinnt somit die Tragweite
der Theorie sehr an praktischer Bedeutung, die Rechnung
braucht nicht mehr nur einer Veranschaulichung der Vorgänge
zu dienen, sondern sie wird zur Beantwortung praktischer
Fragen verwerfet werden können, und dies um so leichter,
da sie auch eine Vereinfachung der Formeln, bezw. Ersatz
derselben durch den Vorgang vom Strom selbst, zulässt.
Was dem Construkteur in Eisen und Stein die Material¬
festigkeit bedeutet, ist dem am Fluss bauenden Ingenieur
die Festigkeit der Sohle, welche, da sie von der veränder¬
lichen Geschiebsbeschaffenheit abhängt, ein sorgfältiges prak¬
tisches Studium der Geschiebe, seiner Korngrösse und Menge,
wie des Geschiebeverschleisses erheischt. Zwar kann der
Einzelne darin wenig leisten, da die Veränderungen am Fluss
erst nach Jahren und Jahrzehnten deutlich hervortreten;
darum aber gerade, weil diese praktischen Kenntnisse schwer
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zu erwerben sind und dazu Veranstaltungen gehören, ist es
ein Verdienst der Theorie Sternberg’s, auf die Bedeutung
der wichtigen Beziehungen hingewiesen zu haben. Auch die
seit der Rheinkorrektion sich vollziehenden, meist geringen
Höhenänderungen der Flusssohle lassen sich an der Hand
der gleichen Theorie als leicht verständlich verfolgen.
Herr Hofgärtner Graebener besprach einige neue Ge¬
nussmittel aus dem Pflanzenreiche, zunächst eine neue Wein¬
rebe aus Mexico: Cissus mexicana, von der Firma Damman
u. Cie. in San Giovanni a Teduccio bei Neapel in den
Handel gegeben. Die Pflanze, in Wäldern der Provinz
Sinalva gefunden, ist ein Knollengewächs, dessen ziemlich
dick werdende Wurzeln aus Geröll und Felsen heraus im
Frühjahr lange Ranken treiben, welche während der Regen¬
periode schnell und üppig wachsen, Bäume erklettern und
Felsen überwuchern; im September beginnen die Beeren zu
reifen, dieselben sind gross, süss, von rother oder gelblicher
Farbe und wie das Laub denen unserer Reben ähnlich, die
Bewohner Sinalva’s bereiten daraus Wein, Essig und ein
Compot, das sie Uvata nennen, von Uva die Traube. Ende
Oktober fallen das Laub und zugleich auch die Jahrestriebe
ab. Die gehegten Hoffnungen, dass diese Knollenrebe unsere
Winter ausdauern und der Reblauskalamität ein Ende be¬
reiten werde, dürften sich wohl nicht erfüllen, auch müsse
man erst erproben, ob die Pflanze das halte, was von ihr
versprochen wurde; der botanische Garten besitze mehrere
Knollen davon. Möglich, dass für die Länder um das Mittel¬
ländische Meer diese neue Rebe von Bedeutung werde.
Samen und Knollen konnten vorgezeigt werden.
Das zweite Genussmittel betraf eine in Mauritius, Bour¬
bon und Madagascar vorkommende neue Art Kaffee, deren
Pflanze nach der „Gaea“ als Müssender borbonica, nach einer
holländischen Zeitschrift des Kaffeeimportgeschäfts als Gaert-
nera vaginata Lam. bezeichnet wird; letztere Zeitschrift
urtheilt nicht günstig, da der Bohne das Coffein, sowie ein
anderes Alkaloid fehle. Redner konnte Muster vorzeigen.
Ueber den reellen Werth dieser ganz neu auftauchenden
Frucht wird man erst später Bestimmtes hören.
Ein zwar altes, ja schon vor Hunderten von Jahren
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bekannt gewesenes Genussmittel ist das dritte, die Cola-Nuss;
neu an derselben ist, dass solche in neuerer Zeit auf An¬
regung von Herrn Dr. Spuler von Herrn Apotheker Schoch
hier als diätetisches Genussinittel hergestellt wird und zwar
in Form von Pulver, ähnlich dem Cacaopulver, und von
Brödchen und Bisquit; durch Gefälligkeit des letzteren Herrn
konnten Nüsse uud Präparate vorgezeigt werden. Die Heimath
der Cola-Nuss: Sterculia acuminata R. Br. ist West- und
Innerafrika, von Sierra Leone bis zum Congo und ins Inneie
bis an den Nyanzasee reichend; der Baum ist ferner angebaut
in Brasilien, Jamaica, Venezuela, Ostindien, Ceylon, Mauritius
und Zanzibar, er verlangt sehr warmes Klima und feuchten
Boden und steigt nicht über 200 Meter Höhe. Stamm glatt,
cylindrisch, Zweige ebenso, bis an den Boden hcrabhängend,
Blätter länglich eiförmig, 20 bis 30 Centimeter lang, 7 bis
10 Centimeter breit, glatt: Blüthe eine blassgelbe, traubige
Rispe, Frucht glatt, chokoladefarbig, länglich, 8 bis 16 Cen¬
timeter lang, 6 bis 7 Centimeter dick, schliesst 5 bis 16
kastanienähnliche Früchte in sich ein. Der Baum beginnt
im fünften Jahre zu tragen, erreicht aber erst im zehnten
Jahre volle Ertragsfähigkeit und liefert dann gegen 45 Kilo¬
gramm Früchte im Jahr, er wird 80 bis 90 Fuss hoch. Die
Cola-Nuss enthält u. A. 2,3 Coffein, 0,02 Theobromin, 1,5 Taunin,
2.8 Zucker, 33,7 Stärkemehl, 6,7 Procent Proteinstoffe; der
Coflöingehalt ist demnach ein weit grösserer, als bei den
besten Kaffeesorten, welche höchstens 1,8 besitzen, ausserdem
enthält Cola noch Theobromin, also die Alkaloide des Kaffee
und Cacao in sich vereinigt. Die wichtigste Wirkung der
Cola-Nuss in Afrika für Eingeborene wie für Europäer ist die,
dass nach Urtheil Aller, die solche kennen lernten, nach dem
Kauen derselben salzhaltiges, abgestandenes und fades Wasser
den schlechten Geschmack verliere und angenehm schmecken
soll; es werden ihr ferner diejenigen Eigenschaften zuge¬
schrieben, die dem reinen Coffein zukommen, sie wirkt ins¬
besondere erfrischend und anregend, und lässt nach ihrem
Genuss Hunger und Strapazen leichter ertragen. Durch die
Präparate des Herrn Schoch werde, entgegen anderen, haupt¬
sächlich in Paris hergestellten Colapräparaten, wie Tinktur,
Wein, Extrakt, Essenz, Syrup und dergl., wo wegen geringer
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Löslichkeit des Coffeins nicht dessen ganze vorhandene Menge
aufgelöst wurde, letzteres ganz dem Körper zugeführt, da die
ganze Cola-Nuss gemahlen und in angenehmer Form nur mit
etwas Eiweiss- und Zuckerzusatz gebacken sei, oder ähnlich
dem Cacao getrunken werde. Es empfehle sich, die Cola¬
bäume in unseren deutschen Colonien im Grossen anzubauen,
reichlichen Absatz würden die Früchte finden in Afrika und
auch in Europa, da die Frucht Zukunft haben werde.
Das vierte Genussmitte], von dem Redner sprach, und das er
gleichfalls vorzeigte, ist ein ganz neues, aus Japan stammendes
Gemüse, dort Choro-Gi genannt, botanisch: Stachis affinis
oder tubifera. Die bis zu zehn Centimeter langen und ein¬
einhalb bis zwei Centimeter dicken, eigenartig eingeschnürten
Knöllchen bilden sich zahlreich wie die Kartoffeln an den
Wurzelu; die Pflanze wird nur höchtens zwei Fuss hoch, die
Knöllchen erfrieren in unserem Klima durchaus nicht und
bleiben ähnlich wie die Topinambur im Boden, bis sie von
der Hausfrau gebraucht werden, sie können entweder gebraten
oder wie Spargeln zubereitet oder zur Verzierung von Platten
gebraucht werden; da sie 17,8 Procent Stärke und 4,3 Proc.
Eiweiss enthalten, bilden sie auch ein nahrhaftes, dabei
ausserordentlich ausgiebiges Gemüse, welches sich bald einen
ständigen Platz in unsern Gärten erobert haben werde.
Auf die Mittheilung des Herrn Maschineninspektor
Delisle, er habe s. Zt. in New-York zwei Gemüse gegessen,
die er seitdem nicht wieder gesehen habe, ein knollenartiges
Gewächs, der Kartoffel ähnlich, mit süsslichem Geschmack,
und die faustgrossen Früchte einer Nachtschattenart in
Scheiben geschnitten und gebraten, deren Namen er aber
nicht kenne, antwortete Herr Hofgärtner Gräbener, dass es
in ersterem Falle Bataten: Dioscorea Batatas, in letzterem
die Eierfrucht: Solanum Melongena gewesen sei; erstere,
eine Convolvulacee, habe derselbe gleichfalls viel in Südruss¬
land gegessen, hier auch anzubauen versucht, er habe jedoch
nur unreife, kleine Knollen geerntet, weil unsere Sommer zu
kurz und nicht warm genug seien; letztere Früchte würden
hie und da in Frühbeeten gezogen, die grossen gelben oder
violetten „Eierfrüchte“ als Delikatesse theuer verkauft, auch
sie gedeihen in gewöhnlichem Land nicht.
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Herr Professor Rebmann tlieilt noch mit, gelesen zu
haben, dass eines unserer einheimischen Stachys ähnliche
Knöllchen bilde wie das japanesische Stachys affinis, wenn
solches auf gut gedüngtem Boden wachse.
387. Sitzung am 21. März 1890.
Vorsitzender: Herr Geheime Rath Dr. Grashof. Anwesend 31 Mitglieder.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. 0. Pfeiffer, Assistent an der
Landesgewerbehalle.
Für ein in Sansibar zu errichtendes deutsches Hospital
wurde von dein Verein ein Betrag von 50 M. bewilligt.
Herr Dr. Schultheiss sprach über das Thema: Mond
und Wetter.
Nach den Ausführungen des Vortragenden wurde dem
Mond zu allen Zeiten eine unmittelbare Einwirkung auf das
Wetter zugeschrieben und er spielt auch in dem noch heut
zu Tage in unverdientem Ansehen stehenden lOOjährigeu
Kalender eine grosse Rolle. Den astrologischen Lehren ge¬
mäss, welche demselben zu Grund gelegt sind, soll nämlich
der Mond, wenn er „Regent“ sei, der Witterung einen kalten
und windigen Charakter verleihen, eine Behauptung, welcher
aber jede wissenschaftliche Berechtigung abzusprechen ist.
Ein Himmelskörper kann auf Vorgänge in unserer At¬
mosphäre nur entweder durch Wärmestrahlung oder durch
Massenwirkung entscheidenden Einfluss haben; die erstere
ist aber nach den exakten Forschungen Melloni’s verschwin¬
dend klein, so dass sie völlig äusser Acht gelassen werden
kann. Das Volk schreibt dem Mond keine erwärmende, sondern
eine erkältende Eigenschaft zu, was aber nur auf falscher
Beobachtung beruht; denn nicht der Mond, sondern das
Fehlen der Wolken, wodurch er eben sichtbar werden kann,
verursacht in hellen Nächten in Folge der verstärkten Aus¬
strahlung ein rasches Sinken der Temperatur der unteren
Luftschichten.
Während die Frage nach einer Wärmewirkung seitens
des Mondes wissenschaftlich nie ernstlich in Frage gekommen
ist, hat jene nach einer Massenwirkung seit Newton bis in
unsere Zeit viele eingehende Bearbeitungen gefunden, so
dass sich darüber eine eigene, sehr umfangreiche Litteratur
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gebildet bat. Bald nachdem durch deu genannten grossen
Naturforscher die Ebbe und Fluth in den Weltmeeren durch
die Anziehungskraft des Mondes erklärt worden war, ist zu¬
erst ein deutscher Physiker Segner in Halle auf den Ge¬
danken gekommen, dass eine der Wasserfluth analoge Luft-
fluth bestehen müsse. Seine allerdings auf falsche Voraus¬
setzungen gegründeten Rechnungen haben noch eine überaus
mächtige Einwirkung des Mondes ergeben, allein mit der
Verfeinerung der mathematischen Hilfsmittel und der Ent¬
wickelung der Kenntnisse der physikalischen Eigenschaften
der Atmosphäre ist die berechnete Einwirkung immer mehr
zusammengeschrumpft, so dass sie jetzt nur noch als eine
sehr kleine, wohl kaum jemals zur Geltung kommende an¬
gesehen werden kann. Von der Grösse der Wasserfluth in
den Oceanen kann nicht auf die Grösse der Luftfluth geschlossen
werden, weil die erstere ursprünglich nur eine sehr kleine
ist und erst durch Anlanden an flache Küsten je nach deren
Gestaltung zu grösseren Höhen anschwillt; eine solche einer
Stauung zu vergleichenden Summirung kleiner Wirkungen
kann aber bei der nach allen Seiten hin frei beweglichen Luft
nicht stattfinden. Langjährige Luftdruckbeobachtungen an
drei Tropenorten, St. Helena, Singapore und Batavia haben
zwar eine vom Monde abhängige bis zu 0,6 Mm. Qucck-
silberdruck gehende Einwirkung des Mondes erkennen lassen,
in der Weise, dass der Luftdruck zur Zeit der Kulminationen
einen grössten, zur Zeit von Auf- und Untergang dagegen
einen kleinsten Werth einnimmt, allein nachLaplace kann
diese Luftfluth auch anders als durch direkte Anziehung des
Mondes, nämlich durch die an den Küsten periodisch durch
die Wasserfluth erfolgten Hebungen der unteren Luftschichten
erklärt werden. In höheren Breiten kann wegen der grossen
unregelmässigen Schwankungen eine derartige Peiodicität im
Gange des Luftdrucks nicht mehr nachgewiesen werden.
Während also auch die Massenwirkung des Monds auf
die Atmosphäre nur eine sehr kleine, im Einzelfall gar nicht
erkennbare, sondern erst aus langjährigen Beobachtungen in
den Tropen, wo die Witterungselemente nur geringen Schwan¬
kungen unterworfen sind, sich ergebende ist, wird hauptsäch¬
lich von R. Falb und dessen Anhängern die Lehre von einer
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überaus mächtigen, ganz besonders im Einzelfall ausschlag¬
gebenden Einwirkung des Monds verfochten. Falb nimmt
an, dass durch den Mond ein kräftiger aufsteigender Luft¬
strom geschaffen wird, und dass dieser Auftrieb an Tagen,
an welchen die Mondanziehung durch die Sonne verstärkt
wird, also z. B. an allen Voll- und Neumonden, eine beson¬
ders grosse ist. In Folge dessen sollen an solchen „kriti¬
schen Tagen“ schlagende Wetter besonders häufig sein, weil
die Grubengase zum vermehrten Auftrieb veranlasst würden.
Allein das von Falb zur Bekräftigung seiner Theorie vor¬
gebrachte überaus dürftige statistische Material ist völlig
unzureichend, da nur einige wenige Grubenexplosionen und
nicht alle auf der gesammten Erde während einer bestimmten
Zeit vorgekommenen herangezogen worden sind; zudem sind
schlagende Wetter durchaus nicht beweisend für die vor¬
liegende Frage, da bei der Entzündung der immer vorhan¬
denen Kohlenwasserstoffe der Zufall und die Fahrlässigkeit
der Bergleute eine ausschlaggebende Rolle spielen. Es
müssen ferner einerseits den stärkern Anhäufungen der
Grubengase, welche, da rechtzeitig bemerkt, nicht zu Ex¬
plosionen geführt haben, herangezogen, andererseits bei einer
richtigen Statistik alle Grubenunfälle, welche auf andere Ur¬
sachen, z. B. auf Entzündung von Kohlenstaub zurück¬
zuführen sind, ausgeschieden werden; was aber Alles von
Seiten Falb’s nicht geschieht. Falb behauptet weiter, dass
die Einwirkung des Mondes durch schnelleres Fliessen der
nach der alten Dove'schen Anschauung in unseren Breiten
sich wechselseitig verdrängenden Luftströme, des feuchten,
warmen Aequatorialstromes und des trockenen, kalten Polar-
stroines geltend mache, wodurch die Ausbildung grosser
Temperaturditferenzen und die Entstehung tiefer Depressionen,
welche Stürme und Witterungsumschläge im Gefolge haben,
kurz alle Unbilden der Witterung bedingt würden, und zwar
soll diese Wirkung von der Nähe des Aequators, von dem
sich der Mond ja nie sehr weit entfernt, ausgehen. Falb
nimmt ferner eine bis zu 6 Tagen gehende Vor- und Nach¬
wirkung an. Allein eine verstärkte Anziehung der Luft am
Aequator, wenn eine solche in erheblichem Masse über¬
haupt bestehen würde, kann sich unmöglich bereits nach
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6 Tagen in unseren Breiten durch schnelleres Fliessen der
beiden Ströme geltend machen.
Der Weg, den Falb zur Bekräftigung seiner Theorie
einschlägt, ist ein völlig unwissenschaftlicher, da er nur
Einzelfälle anführt und uns zeigt, dass irgendwo in der
Welt in der Nähe eines kritischen Tages ein elementares
Ereigniss eingetreten ist. Da aber die Wirkung eines ein¬
zigen kritischen Tages auf 13 Tage sich erstreckt, von
einem Vollmond zum Neumond und umgekehrt nur 14 Tage
liegen, so müssen bei den gemachten Annahmen natürlich alle
Ereignisse sich auf den Mond zurückführen lassen. Falb’s Be¬
hauptungen wären erst dann richtig, wenn er beweisen könnte,
dass alle Vorgänge in der Atmosphäre sich vorzugsweise an
kritischen Tagen vollziehen; wenn die Methode des Beweises
durch das Zutreffen im einzelnen Fall richtig wäre, dann würde
z. B. auch Der Recht haben, der behaupten würde, der Frei¬
tag sei der Sterbetag der Menschen; denn jeder Freitag
bringt eine Menge sogenannter Belege, wobei man eben nur
vergisst, dass auch an andern Tagen Menschen sterben.
Der Vortragende ging dann noch weiter auf die sach¬
liche Prüfung der Falb’schen Theorie ein, da es immerhin
nicht unmöglich wäre, dass eine wenn auch ganz minimale
Fluthwirkung des Mondes doch die definitive Ausbildung
schon vorbereiteter Ereignisse befördern könnte. Er wies
aber nach, dass die Zeiten, wo die Fluthfaktoren ihr Maxi¬
mum erreichten, nämlich die Tag- und Nachtgleichen, durch¬
aus keine Aufregungen in der Lufthülle zeigen; denn in den
letzten 21 Jahren war das Frühlingsäquinoktium nur 6 Mal
stürmisch, wenn man mit Falb einen ziemlich weiten Spiel¬
raum von mehreren Tagen lässt. Ebenso wird der Glaube,
dass Voll- und Neumond Witterungswechsel hervorrufen,
durch die nachstehenden, aus hundertjährigen Beobachtungen
an einem und demselben Ort (Berlin) von Gronau mitgetheil-
ten Zahlen gründlich widerlegt, wonach eingetreten sind:
kein Witterungs-
Witterungswechsel wec hsel
beim
Vollmond
461
Mal
674
Mal
n
ersten Viertel
409
»
921
n
V)
Neumond
475
n
756
n
n
letzten Viertel
598
n
838
n
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Gerade der Umstand, dass Falb den in allen Schichten
der Bevölkerung ohne Unterschied des Standes fast zum
Glaubenssatz gewordenen Einfluss der Mondphasen auf
Witterungswechsel besonders stark betont hat, hat ihm ohne
Zweifel seine grosse Popularität verschafft.
Zum Schluss erwähnte der Redner noch; dass Falb in
jüngster Zeit ein gefährlicher Rivale in der Gunst des Pub¬
likums in der Person eines Astronomen Dr. Servus entstanden
ist, der alle Vorgänge in der Atmosphäre von der halben
Dauer der Sonnenrotationen, welche bekanntlich 13 Tage be¬
trägt, abhängig sein lässt; auch er hat kritische Tage, die
sich aber nicht mit denen von Falb decken, und er nimmt,
wie dieser, mehrere Tage Vor- und Nachwirkung an. Die
Richtigkeit seiner Theorie will auch er durch die Betonung
des Zutreffens im einzelnen Falle beweisen. Es steht aber
zu hoffen, dass das Publikum, wenn es eine Zeit lang von
zwei Seiten beunruhigt worden ist, sich allmählich an die
Harmlosigkeit der kritischen Tage gewöhnt.
388. Sitzung am 28. März 1890.
Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen
geographischen Gesellschaft.
Herr Fritz Bley aus Berlin hielt einen Vortrag über
deutsche Pionierarbeit in Ostafrika.
389. Sitzung am 25. April 1890.
Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
GeneralyerMammlung:.
Herr Professor Dr. Meidinger erstattete Bericht über
die Thätigkeit des Vereins im verflossenen Jahre. Herr
0. Bartning berichtete über den Stand der Kasse des Vereins.
Hierauf sprach Herr Professor Dr. Platz über die Form¬
verhältnisse des Granits. Nachdem auf der geologi¬
schen Karte von Baden die Verbreitung des Granits am
Nord-, Ost- und Südrande des Schwarzwaldes gezeigt worden
war, wurde dessen Zusammensetzung und Erscheinungsweise
besprochen. Der Granit ist ein körniges Gemenge von Feld-
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spath, Quarz und Glimmer, und nach der Art seines Auf¬
tretens ein eruptives Gestein. In der Regel ist derselbe
durch drei sich nahezu rechtwinklig schneidende Kluftsysteme
in theils schichtenähnliche, theils säulenförmige Blöcke ab¬
gesondert; seltener kommt die schalige Struktur vor, bei
welcher mehrere koncentrische Lagen um einen Kern ge¬
lagert sind. Der Verwitterung ist der Granit in sehr un¬
gleichem Masse unterworfen, besonders stark da, wo das
Gestein der beständigen Durchfeuchtung ausgesetzt ist, z. B.
im Waldboden, wo das Gestein oft auf grosse Tiefen ver¬
wittert ist, während freiliegende Massen, von denen das
Wasser rasch abfliesst, meist frisch erscheinen. Nur die
Kanten runden sich allmählig ab, wodurch die verborgene
Zerklüftung deutlicher hervortritt. Grössere Felsmassen er¬
scheinen dann wie aus einzelnen wollsackähnlichen Blöcken
aufgebaut, auch die schalige Structur tritt alsdann besonders
deutlich hervor. Alle diese Erscheinungsformen sind in dem
Garten des Herrn Lorenz hier in auserlesenen Exemplaren
von theilweise riesiger Grösse vereinigt; es liegen dort bank-
förmige, säulenförmige und schalige Blöcke, welche theilweise
noch scharfe Kanten mit allen Uebergängen zur vollkom¬
menen Abrundung zeigen. Besonders interessant sind die
schalig ausgehöhlten Blöcke, welche in dem Bassin des Gar¬
tens aufgestellt sind. Sie sind durch Auswitterung des Kerns
aus schaligen Blöcken entstanden und nachträglich durch
strömendes und wirbelndes, sandführendes Wasser abgeschliffen
worden, ähnlich wie die Gletschertöpfe im Gletschergarten
zu Luzern. Alle diese Blöcke stammen aus dem Murgthale,
sie wurden mit Ueberwindung grosser Schwierigkeiten hier¬
her transportirt und geben nicht bloss durch die malerische
Zusammenstellung das Bild einer Landschaft, wie sie in
Granitgebirgen häufig Vorkommen, sondern sind auch, indem
sie die charakteristischen Formen des Granits auf kleinem
Raume vereinigt darstellen, von wissenschaftlichem Interesse.
Von den interessantesten dieser Gesteine wurden zur Er¬
läuterung photographische Aufnahmen vorgelegt. — In der
darauf folgenden Besprechung wurde der Wunsch aus¬
gesprochen, diese Gebilde näher in Augenschein nehmen zu
können. Herr Lorenz hatte die Freundlichkeit, die Mit-
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glieder des Vereins auf Samstag, den 10. Mai, Abends 6 Uhr,
zur Besichtigung einzuladen. Dieselbe fand unter grosser
Betheiligung am betreffenden Tage statt. (Die Steine wurden
im folgenden Jahre in den Erbprinzengarten zur Ausschmückung
der von Herrn Lorenz gestifteten Nymphengruppe verbracht.)
390. Sitzung am 9. Mai 1890.
Anwesend 50 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Rath Dr. Grashof.
Neu angemeldete Mitglieder: Herr Professor Dr. 0. Lehmann an der
Technischen Hochschule, Herr Dr. Kumm, Assistent an der technischen
Hochschule.
Herr Geh. Hofrath Dr. Engler hielt einen längeren
wissenschaftlichen Vortrag, in welchem er einen Ueberblick
gab über die verschiedenen Theorien der Bildung
des Erdöls in der Natur, von denen er insbesondere die¬
jenige von Mendelejew, wonach das Erdöl durch Einwirkung
von Wasser auf den feurigflüssigen Kern des Erdinnern ent¬
standen sein sollte, einer kritischen Betrachtung unterzog.
Abgesehen davon, dass es schwer einzusehen ist, wie das
Wasser bis zu dem feurigflüssigen KohlenstofT-Eisenkern der
Erde gelangen soll, ohne vorher zu vergehen und zu disso-
ziren, spricht auch das Fehlen des Erdöls in fast allen Erd¬
spalten, das sehr seltene, ja nur ganz ausnahmsweise Vor¬
kommen in vulkanischem Eruptivgestein u. a. m. gegen die
Richtigkeit der Mendelejew’schen Hypothese. Die zweite
Theorie, die Bildung des Erdöles aus Pflanzenresten, glaubt
der Vortragende sowohl aus chemischen, als insbesondere
auch aus geognostischen Gründen verwerfen zu sollen; denn
wenn sich aus Pflanzensubstanz die Kohlenwasserstoffe des
Erdöls bilden sollen, so kann dies ohne Ausscheidung von
Kohle nicht geschehen und es müsste deshalb das Vor¬
kommen des Erdöles stets auch mit dem Vorkommen von
Kohle (Steinkohle, Braunkohle etc) in Verbindung stehen,
was aber thatsächlich nicht der Fall ist. Auf der andern
Seite findet sich Erdöl nur ganz ausnahmsweise in solchen
Steinkohlenflötzen in geringer Menge vor, in denen zugleich
auch thierische Reste (Fische etc.) nachweisbar sind. Hierauf
begründet der Vortragende die Richtigkeit der dritten Theorie:
der Bildung des Erdöles aus thierischen Resten. Abgesehen
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von dem steten Zusammentreffen von Erdöl mit thierischen
Resten (Fossile Fische, Saurier, Muscheln, Korallen etc.),
ja wiederholt'auftretenden direkten Einflüssen von Erdöl in
den versteinerten Wohnkammern solcher Thierreste (z. B.
auch in den Muschelresten von Malsch-Langenbrücken), dem
Austritt von Erdöl aus einem Korallenriff am Rothen Meer,
dem Reichthum der sogenannten Oelschiefer an Fischresten
und so weiter, sprechen ganz besonders auch chemische
Gründe für die Richtigkeit der letzteren Theorie. Insbeson¬
dere kommt dabei das Thierfett in Betracht, bezüglich dessen
im hiesigen chemischen Laboratorium nachgewiesen wurde,
dass es durch Destillation unter sehr starkem Druck in ein
Oel umgewandelt werden kann, welches alle wesentlichen
Eigenschaften mit dem natürlichen Erdöl theilt (beispiels¬
weise brannte während des Vortrages auch eine Lampe mit
aus Thran gewonnenem Erdöl gespeist). Wesentlich ist da¬
bei, dass diese Umwandlung der thierischen Fette ohne
Kohlenausscheidung vor sich geht, wodurch auch das Fehlen
der Steinkohle etc. in der Nähe des natürlichen Erdöls sich
erklärt. Andererseits findet aber bei der Umwandlung die
Bildung erheblicher Mengen brennbarer Gase statt, was mit
dem gleichzeitigen Vorkommen von solchem Gas mit dem
natürlichen Erdöl auffallend übereinstimmt.
Den Vorgang bei der Bildung des Erdöls kann man
sich etwa in der Weise vorstellen, dass in Folge irgend einer
äusseren Veranlassung die Anhäufung von Thierleibern statt-
gefunden hat, wie wir sie thatsächlich in grossen Lagern
vorhandener Reste noch wahrnehmen, dass dann über diese
sich weitere Schichten von Sedimentärgesteinen ablagerten
und einen gewaltigen Druck ausübten, während gleichzeitig
eine Erwärmung eintrat. Während die sehr leicht zersetz-
liche Muskelsubstanz längst verwest war, fand sich zu dieser
Zeit das bekanntlich sehr dauerhafte Fett noch vor und
unterlag dem Umwandlungsprozess, den man jetzt im Labo¬
ratorium nachahmen kann. Für die grosse Widerstands¬
fähigkeit des Fettes gegen Fäulniss, Verwesung etc. spricht
der Umstand, dass man wiederholt in alten Gräbern Fett¬
reste, sogen. Leichenwachs oder Adipocire auffindet, während
alle übrigen Theile des Kadavers, mit Ausnahme der Knochen,
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längst zersetzt und verschwunden sind. Auch in den fossilen
Knochen „vorweltlicher“ Thiere, z. B. beim Mammuth, hat
man wiederholt noch Fettreste nachgewiesen. Der Prozess
der Umwandlung von Thierfetten und fetten Oelen in Erdöl
besitzt vorerst nur wissenschaftliches Interesse, da bei den
derzeitigen Preisverhältnissen sich eine solche Umwandlung
praktisch nicht lohnen würde. Höchstens wäre vielleicht die
Verarbeitung von Besten und Abfällen (Thranreste bei der
Gewinnung des Thrans und Oelabfälle verschiedener Art) in
Betracht zu ziehen.
Zum Schluss zeigte Herr Mechaniker Behm einen Apparat
zur Bestimmung von Schmelzpunkten mittelst Hilfe
eines galvanischen Stromes vor.
391. Sitzung am 23. Mai 1890.
Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Geh. Hofrath Wiener theilte die Ergebnisse der
Messungen mit, die er an den Körpern seiner vier Kinder,
vier Söhnen I, II, III, IV, von ihrer Geburt bis zu ihrem
ausgewachsenen Zustande vorgenommen hatte, sowie die
Wachsthumsgesetze, die sich für dieselben ergeben haben.
Er mass die Körpergrösse zwischen Sohle und Scheitel im
Stehen, sobald sie dazu im Stande waren, vorher im Liegen,
den grössten Kopfumfang, den Kopfbogen von der Nasen¬
wurzel über den Scheitel bis zum oberen Rande des Hinter¬
hauptloches, einigemal die Kopflänge zwischen Stirn und
Hinterhaupt und die Kopfbreite hinter den Ohren. Die
Körpergrösse nimmt im Verlaufe eines Tages ab. Von
ihrem grössten Masse unmittelbar nach dem Erheben aus
dem Bette vermindert sie sich in der ersten Stunde etwa
um 1 Gentimeter, in den folgenden 3 Stunden etwa um
weitere 0,2 und bis Abend etwa um 0,2 Centimeter. Die
Abnahme vom ganzen Tage beträgt gewöhnlich zwischen 1
und 2 Gentimeter, und kann bei starker Ermüdung bis zu
3 Centimeter anwachsen. Sie rührt hauptsächlich von einer
Verkürzung der Wirbelsäule her, wie sich durch Striche er¬
kennen lässt, die man auf der Rückenseite anbringt. Eine
stärkere Ausbiegung des Rückgrates findet dabei gewöhnlich
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99
nicht statt Man kann die Verkürzung daher im Wesent¬
lichen nur einem Ausquetschen der zwischen den Wirbel¬
körpern lagernden Knorpelschichten durch das Körpergewicht
zuschreiben, wie es auch nach Wissen des Redners allgemein
geschieht. — Ein einstündiges Liegen stellt die volle Körper¬
grösse wieder her.
Trägt man nun das bei jeder Messung stattfindende
Alter durch eine Strecke auf einer Geraden, der Abscissen-
achse von einem festen Punkte an auf, und an dem anderen
Endpunkte der Strecke auf einer Senkrechten zu der Abscis-
senacbse die gemessene Körpergrösse als Ordinate, und ver¬
bindet deren Endpunkte durch eine Linie, so erhält man die
Wachsthumslinie, welche das Wachsthumsgesetz veran¬
schaulicht. Diese schliesst sich in den 4 vorliegenden Fällen
zwischen 2 und 12 Jahren sehr nahe einer Parabel an,
welche die Anschlussparabel heissen mag und welche
auch in ihren weiteren Theilen zur übersichtlichen Vorstel¬
lung der Wachsthumslinie dient. Die Anschlussparabel hat
ihre Achse in der Abscissenachse, ihren Scheitel in dem
Punkte, der dem negativen Alter von etwa 3 Jahren (—3,
von —2,7 bis —3,2) entspricht und schneidet die Ordinate
von 18 Jahren in der mit 18 Jahren erreichten fast vollen
Grösse, in unserem Falle von 173 bis 181 Centimeter. Die
Wachsthumslinie geht bei 0 Jahren von der Geburtsgrösse
mit 52 bis 55 Centimeter aus und schliesst sich mit 2 Jahren
berührend an die Anschlussparabel an. Dann folgt sie dieser
Parabel bis zu 12 Jahren mit Abweichungen, die selten
1 Centimeter erreichen. Mit 12 Jahren beginnt ein rascheres
Wachsen, ein Schuss. Die Wachsthumslinie erhebt sich über
die Parabel, hat mit etwa 15 Jahren ihren grössten Abstand
von etwa 8 Centimeter erreicht, und trifft sie wieder hori¬
zontal bei 18 Jahren. Im Einzelnen findet man: 1. das
Wachsthum ist am schnellsten im ersten halben Jahre und
beträgt hier 15 bis 20 Centimeter. Im ersten Jahre war es
18 bis 25 Centimeter, im zweiten 12 Centimeter, nahm von
da an bis zum 12. Jahre von 9 auf 5 Centimeter ab, dann
stieg es wieder, erreichte sein Maximum im 13., 14. oder
15. Jahre mit 8 bis 10 Centimeter, nahm dann wieder rasch
ab, so dass der Körper mit I6V2 Jahren fast seine volle
7*
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100
Grösse erreicht hatte. Von da bis zum 25. Jahre wuchs er
nur noch um 0,5 bis 1,5 Centimeter. Mit 2‘/ 4 bis 2 1 /*
Jahre hatte er die Hälfte der vollen Grösse erreicht. —
Quetelet in seinem Werke „Sur l’homme, Bruxelles 1836“
gibt im 2. Bande die mittlere Grösse des Menschen in den
verschiedenen Altern an, die aus sehr vielen Messungen an
verschiedenen Menschen gewonnen sind. Die daraus ge¬
bildete Linie des mittleren Wachsthums verläuft von 4 bis
16 Jahren geradlinig, und zeigt nicht den oben angeführten
Schuss. Da dieser in etwas wechselnden Altern stattfindet,
nämlich bei Beginn der Mannbarkeit, so verwischt sich die
Ausbiegung beim Suchen des Mittels, so dass die Linie des
mittleren Wachsthums einen anderen Charakter als die des
persönlichen Wachsthums zeigt.
Der Kopf wächst verhältnissmässig viel weniger, als der
ganze Körper. Bei III wuchs der Kopf um fang von der
Geburt bis zum Alter von 18 Jahren von 36 auf 59 Centi¬
meter, bei IV von 38 auf 59 Centimeter. Mit 2 Jahren
hatte er bei III schon 52,6, mit 6 Jahren 54,3 Centimeter
erreicht. Er wächst im ersten Jahre sehr rasch, von 2 Jahren
an nur noch sehr langsam. Mit 12 Jahren zeigt sich eben¬
falls eine kleine Steigerung des Wachsthums. Bei der Ge¬
burt war der Kopfumfang */, vom ausgewachsenen Zustande
und l / s der Körpergrösse, was die bekannte Erscheinung zeigt,
dass bei den Kindern der Kopf verhältnissmässig viel grösser,
als bei den Erwachsenen ist. Aehnliches gilt vom Kopf¬
bogen. — Die Kopflänge ergab sich bei den Erwachsenen
nahezu gleich 20, die Kopfbreite 15,8 bis 16,4; der In¬
dex, d, i. das Hundertfache des Verhältnisses der Breite
zur Länge, schwankend zwischen 79 und 82; die Köpfe
standen also nahe an der Grenze der Mesocephalen oder
Mittelköpfe (75—79,9) und der Brachycephalen oder Kurz¬
köpfe (80—84,9).
Der Vater zeigte eine Körpergrösse von 179 Centimeter,
die sich zwischen dem 32. und 63. Lebensjahre nicht geändert
hatte, einen Kopfumfang von 60,4, einen Kopfbogen von
37,7, eine Kopflänge von 20,9, eine Kopfbreite von 16,S
Centimeter, den Index = SO,5.
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101
Hierauf sprach Herr k. Postrath Christiani über die
Anwendung von Kabeln im Fernsprechbetrieb. In
seinem durch Ausstellung von Kabelmustern und Zeichnungen
unterstützten Vortrage führte er etwa Folgendes aus: Je
mehr sich die Fernsprechnetze unserer grossen Städte ver¬
dichten, um so schwieriger wird die Einführung der zahl¬
reichen Drähte in die Centralstellen oder Vermittelungsämter.
Bei der üblichen Führung der Leitungen über die Dächer
ist man zu immer grösserer Belastung der Häuser genöthigt,
und erreicht trotz Verkleinerung der Konstruktionstheile
und Verringerung der Drahtabstände schliesslich doch eine
Grenze, über welche man mit der Vermehrung der Drähte
nicht hinausgehen darf. Dann muss man sich zur Anwen¬
dung von Kabeln entschliessen, weil diese allein auf dem
denkbar geringsten Querschnitt die grösste Anzahl von
Leitungen vereinigen. Den Vorzügen der Kabel stehen aber
auch Nachtheile gegenüber. Kabel sind theurer, weil jede
Leitung in ihrer ganzen Länge eine isolirende Umhüllung
und ausserdem die Kabelseele eine äussere Bewehrung er¬
halten muss; sie lassen keine Vermehrung der Anschlüsse
um einzelne Leitungen, sondern immer nur um einen vollen
Kabelstrang zu, sie unterliegen ferner in hohem Grade den
Störungen, welche Ladung und Induktion in elektrischen
Stromkreisen hervorrufen, wenn nicht durch besondere, mehr
oder minder kostspielige Vorkehrungen dem Auftreten dieser
Erscheinungen entgegengewirkt wird. In letzterer Hinsicht
hat man allerdings schon recht günstige Erfolge erzielt.
Die Adern der neueren Fernsprechkabel werden mit einer
imprägnirten Gespinnstfaser isolirt und zur Fernhaitang der
Induktion entweder zu zweien verseilt, wobei die Drähte jeder
Doppelader als Hin- und Rückleitung dienen, oder sie werden
einzeln mit einer Staniolhülle umgeben, die ihrerseits mit
der Erde in gut leitender Verbindung steht. Die aus 27 bis
100 Adern zusammengedrehte Kabelseele ist in einem Blei¬
rohr luftdicht eingeschlossen, über welches sich in gewissen
Fällen noch eiserne Schutzdrähte legen. Bei uns gibt man
den staniolumhüllten Einzelleitungen den Vorzug, während
in Amerika das System der Doppelleitungen fast ausschliess¬
lich angewendet wird. Die Kabel kann man entweder als
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Luftkabel an den vorhandenen Fernsprechträgern aufhängen,
oder als Erdkabel versenken, sei es nun, dass man sie im
letzterem Falle unmittelbar in die Erde einhettet oder in
Kanäle oder Röhren einzieht. Je nach der beabsichtigten
Art der Auslegung muss die Schutzhülle eine verschiedene
Einrichtung erhalten. Luftkabel entbehren der Schutzdrähte,
werden aber, weil ohne diese ihre absolute Festigkeit zum
Tragen des eigenen Gewichts nicht ausreichen würde, mittelst
Blechhaken an einem Stahldrahtseil aufgehängt; Erdkabel
dagegen besitzen in der Regel eine Schutzdraht-Bewahrung,
welche sie gegen mechanische Angriffe bei Aufgrabungen etc.
unempfindlicher machen soll. Die Verbindung der einzelnen
Kabelstücke untereinander oder mit den oberirdischen Draht¬
leitungen erfolgt unter Verwendung eiserner Muffen, in
welchen die Löthstellen geborgen und durch Uebergiessung
mit einer Harzmasse gegen Luft- und Wasserzutritt verwahrt
werden. Bei der Anlage von Rohrsträngen zur Aufnahme
unterirdischer Leitungen muss man in gewissen Abständen
Einsteigeschächte an bringen, welche das Einziehen der Kabel
und die Herstellung von Abzweigungen erleichtern.
Zum Schlüsse fasste der Vortragende seine Ansicht über
die zukünftige Gestaltung der Fernsprechlinien in grossen
Städten dahin zusammen, dass unzweifelhaft die unterirdische
Führung der Hauptstränge, namentlich in der Nähe der Ver¬
mittelungsämter, sich als zweckmässig und nothwendig er¬
weisen werde, dass aber eine völlige Beseitigung der ober¬
irdischen Anlagen nicht empfohlen werden könne, weil letztere
die Verzweigung der Anschlussleitungen nach den Sprech¬
stellen mit weit geringeren Schwierigkeiten und Kosten er¬
mögliche, als dies bei der ausschliesslichen Benutzung von
Kabeln in absehbarer Zeit zu erwarten sei.
Die zur Erläuterung des Vortrags vorgezeigten Kabel¬
proben waren von der Firma Felten und Quilleaume in
Mülheim (Rhein) mit dankenswerther Bereitwilligkeit zur
Verfügung gestellt.
392. Sitzung am 6. Juni 1890.
Anwesend 46 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Herr Professor Dr. Lehmann hielt im physikalischen
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Hörsaale der Technischen Hochschule einen Vortrag über
flüssige Krystalle und spröde Flüssigkeiten mit
Experimenten. Nach den bis jetzt allgemein angenommenen
Definitionen und Anschauungen ist es unzulässig, von „flüssi¬
gen“ Krystallen zu reden. Der Vortragende sucht nach¬
zuweisen, dass gleichwohl verschiedene Substanzen in flüssigen
Krystallen auftreten können, dass somit unsere bisherigen Vor¬
stellungen über das Wesen der Krystallstruktur einer Aen-
derung bedürfen.
Dass wir seit alten Zeiten den festen Aggregatzustand
als ganz selbstverständliche Eigenschaft der Krystalle be¬
trachten, ja häufig (irrigerweise) fest und krystallisirt ge¬
radezu als gleichbedeutend betrachten, dürfte daher rühren,
dass uns wohlausgebildete Krystalle vorwiegend und nach
dem üblichen Gange des Unterrichts zuerst im Mineral¬
reiche begegnen. Wir haben uns darum gewöhnt, sie mit
Pflanzen und Thieren in Parallele zu stellen, welche letzteren
selbstverständlich niemals aus Flüssigkeiten allein zusammen¬
gesetzt sein können, da alle Lebensthätigkeit eine feste
Organisation zur nothwendigen Voraussetzung hat. Es kommt
hinzu, dass Krystalle ähnlich wie Pflanzen und Thiere bei
Darbietung einer geeigneten Nährflüssigkeit (übersättigte
Lösung der betr. Substanz) zu wachsen vermögen, ja dass
sie sich sogar, wenn durch geeignete Umstände Zertheilung
bewirkt wurde, vermehren können, insofern jedes Spaltungs¬
stück beim Fort wachsen sich wieder zum vollkommenen
Krystall ergänzt Ebenso wie bei Pflanzen und Thieren zu¬
nächst die morphologischen Eigenschaften in Betracht kommen,
so betrachtete man früher auch bei Krystallen die ebenflächig
begrenzte äussere Gestalt als wichtigstes Merkmal und defi-
nirte geradezu Krystalle als solche feste Körper, welche sich
bei ungestörtem Wachsthum in ebenflächiger Umgrenzung
ausgebildet haben.
Diese Definition, welche sich auch heute noch in man¬
chen hervorragenden Lehrbüchern findet, musste später ab¬
geändert werden, nachdem man erkannt hatte, dass sehr
häufig Gebilde mit krummflächiger und oft sehr bedeutend
verzerrter Oberfläche entstehen, die wir nothwendig als Kry¬
stalle bezeichnen müssen, da durch geringfügige Aenderungen
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104
der Wachsthumsbedingungen alle möglichen Uebergänge zu
den regelmässig polyedrischen Formen erhalten werden
können und darüber, ob die zum Theil noch nicht völlig
aufgeklärten Ursachen, welche die Anormalien der Form be¬
dingen, als „Störungen“ zu bezeichnen seien, die Ansichten
wesentlich divergirten.
Zur Erläuterung demonstrirte der Vortragende mit Hilfe
eines elektrischen Projektionsmikroskops* mit Heiz- und
Kühlvorrichtungen das Wachsen der Krystalle von 1) naph-
tionsaurem Natrium, 2) Salmiak, 3) Kalibichromat, 4) Ben¬
zoin. Die Krystalle erschienen in starker Vergrösserung auf
einem weissen Schirm im verdunkelten Zimmer und konnten
durch passende Regelung der Temperatur nach Belieben ge-
nöthigt werden, rasch oder langsam zu wachsen oder sich
wieder aufzulösen. Das erste Präparat erschien stets in sehr
vollkommenen, isolirten, tafelförmigen Krystallen, das zweite
stets in sehr vielfach verzweigten, tannenbaumartigen Ske¬
letten, das dritte in dünnen, windschief verbogenen Lamellen,
welche sich bei der Verdickung geradezurichten suchten, da¬
bei aber Risse erhielten und sich zu Büscheln von Lamellen
zerfaserten, bei Benzoin endlich trat die Zerfaserung schon
gleich bei Beginn der Krystallbildung ein, so dass bald die
Zerfaserung nach allen Richtungen gleichmässig stattfand
und die Enden der dicht aneinanderliegenden radialen Fasern
eine Kugelfläche bildeten, der Krystall sich also in einen so¬
genannten Sphärokrystall verwandelte.
Die Anomalien der äusseren Form geben zunächst An¬
lass, die Definition eines Krystalls dahin abzuändern, dass
das Hauptgewicht auf regelmässige innere Struktur gelegt
wurde. Ein Krystall wäre hiernach, wie Sohncke angibt, ein
homogener fester Körper, dessen geometrisches und physi¬
kalisches Gesammtverhalten nach den verschiedenen in ihm
gezogenen Richtungen im Allgemeinen verschieden ist, oder
kürzer: ein homogener, anisotroper, fester Körper. Auch
diese Definition erscheint noch nicht völlig befriedigend,
wenn wir beachten, dass alle möglichen Uebergänge vom
* Beschrieben in 0. Lehmann, Molekularphysik. Leipzig, W.
Eugelmanu, 1883, 1889.
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105
völlig homogenen Krvstall bis zu dem äusserst unhomogenen
gegen die Peripherie hin in feine Fasern aufgelösten Sphäro-
krystall möglich sind.
Berücksichtigt man, dass den Krystallen ein gewisses
Mass von Elastizität zukommt, dass sie sich bis zu gewissem
Grade ohne bleibende Aenderung biegen oder drillen lassen
und dass während der Deformation die geforderte Homogenität
der inneren Struktur nicht mehr vorhanden ist, so könnte
man sich veranlasst fühlen, die Definition in der Weise zu
ergänzen, dass Homogenität nur bei Abwesenheit eines äusseren
Zwangs nöthig ist. Die selbständige Ausbildung gekrümmter
und gedrehter Krystalle hätte man dann auf störende Kräfte
zurückzuführen, welche während des Wachsthums einen Zwang
ausüben können, wie z. B. die Wirkung der sogen. Ober¬
flächenspannung.
Auch eine solche Abänderung der Definition würde in-
dess keineswegs ausreichend sein, die Schwierigkeit zu be¬
seitigen. Es gibt eine grosse Anzahl von Körpern, welche
durch stetige Uebergänge mit vollkommenen Krystallen in
Beziehung stehen und doch trotz Abwesenheit jedes äusseren
Zwanges nicht homogen sind — die bleibend deformirten
Krystalle. Es ist bekannt, dass sich Blei, Zinn, Eisen u. s. w.
trotz krystallinischer Struktur durch Ausschmieden in die
mannigfaltigsten, ohne äusseren Zwang haltbaren Formen
bringen lassen. Man hat bisher angenommen, dass in diesem
Fall eine Zertrümmerung der das Metallstück zusammen¬
setzenden Krystalle in kleinere Bruchstücke und Wieder-
verschweissen derselben in unregelmässiger Aneinanderlage¬
rung stattfinde. Schon der eine Umstand, dass in solchem
Falle nothwendig Lücken im Innern entstehen müssten, falls
man eine Deformationsfähigkeit der einzelnen Krystallsplitter
läugnet, somit das geschmiedete Metall minder dicht sein
müsste, als das ungeschmiedete, was nicht der Fall ist, weist
darauf hin, dass, wenn eine solche Zertrümmerung eintritt,
die Bruchstücke vor dem Verschweissen nothwendig sich so
deformiren müssen, dass ihre Oberflächen sich gegenseitig
dicht aneinander anschmiegen. Der Vortragende hat nun
aber durch Ausschmieden, Walzen und Prägen durchsichtiger
Krystalle und Weiterwachsenlassen derselben nach der De-
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106
formation gezeigt, dass dies wirklich der Fall ist und durch
weitere Untersuchung verschiedener von Herrn Professor
Reinitzer in Prag hergestellter Präparate hat sich ergeben,
dass Krystalle existiren, welche kaum etwa die Festigkeit
von dünnem Kleister besitzen und unter dem geringsten
Drucke wie einer Flüssigkeit zum Fliessen kommen.
Der Vortragende demonstrirte diese Präparate mittelst
des Projectionsmikroskops unter Anwendung von polari-
sirtem Licht, so dass die Anisotropie deutlich erkannt wer¬
den konnte.
Absolute Homogenität kann hiernach unmöglich eine
wesentliche Eigenschaft eines Krystalls sein, denn derselbe
kann nicht aufhören Krystall zu sein, wenn wir ihn aus ur¬
sprünglich vollkommenem Zustande nach und nach immer
mehr deformiren, selbst dann nicht, wenn die Möglichkeit
der Prüfung der Struktur völlig geschwunden und scheinbar
eine amorphe Masse entstanden ist. Wie weit man auch
die Deformation treiben mag, stets behält der Körper un-
geändert seine Eigenschaft, in übersättigter Lösung weiter¬
zuwachsen, welche einem amorphen Körper unter keinen Um¬
ständen zukommt.
Wir müssen also solche Inhomogenitäten als möglich
zugeben, wie sie durch strömende Bewegung im Innern des
Krystalls entstehen können, damit fällt aber fernerhin die
Nothwendigkeit anzunehmen, dass ein Krystall immer fest
sein muss, es bleiben als charakteristische Merkmale nur
noch die chemische Homogenität und die Anisotropie. So¬
bald es gelingt, eine chemisch homogene Flüssigkeit nach¬
zuweisen, welche anisotrop ist und zwar im natürlichen, un¬
gezwungenem Zustande, so steht nichts im Wege, die Defi¬
nition des Krystallzustandes dahin zu erweitern, dass die
Grösse der Elastizitätsgrenze ganz unwesentlich ist, dass sie
sehr klein, ja sogar gleich Kuli sein kann, das heisst, dass
ein Krystall sehr weich, ja sogar völlig flüssig sein kann.
Die Entdeckung solcher Flüssigkeiten ist vor Kurzem Herrn
Professor Dr. Gattermann in Heidelberg gelungen und
der Vortragende führte diese Präparate gleichfalls mittelst
des Projektionsmikroskops im polarisirtem Lichte der Ver¬
sammlung vor, wobei die starke Doppelbrechung derselben
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107
durch die intensiven Polarisationsfarben selbst bei sehr dünner
Schicht ohne weiteres erkannt werden konnte.
Es handelte sich nun darum, nachzuweisen, dass diese
Präparate nicht etwa sehr weiche feste Körper, sondern
wirkliche Flüssigkeiten sind, und dass die beobachtete Aniso¬
tropie nicht etwa durch fremde Einlagerungen oder innere
Spannungen bedingt ist, sondern der völlig reinen, ringsum
freien Flüssigkeit zukommt. Dieser Nachweis wurde von
dem Vortragenden in der Weise erbracht, dass er völlig
homogene Kryställchen der betr. Präparate in einer spezifisch
gleichschweren Flüssigkeit durch Erwärmen in den flüssig-
krystallinischen Zustand überfübrte, wobei sie sich ähnlich
wie Oeltropfen in gleichschwerem Wasser-Alkoholgemisch zu
mathematisch genauen Kugeln abrundeten, was unmöglich
wäre, wenn sich der Wirkung der Oberflächenspannung irgend
welche elastische Kraft entgegenstellte. Dabei blieb die
Stärke der Doppelbrechung ungeändert und zwar war die
Lage der Schwingungsrichtungen an den verschiedenen Stellen
der Kugel derart, dass man annehmen musste, die Moleküle
ordneten sich zwischen zwei Punkten (Polen) auf der Ober¬
fläche in Ketten an, welche die kürzesten Verbindungslinien
dieser Polen bilden, ähnlich wie elektrische oder magnetische
Kraftlinien. Würde ein solcher Krystalltropfen gepresst, ge¬
zerrt oder in anderer Weise deformirt, so blieben die Pole
erhalten und die Molekularketten schmiegten sich jeweils der
betr. äusseren Gestalt an. Wurde ein Tropfen zertheilt, so
bildete sich im Momente der Trennung an dem Trennungs¬
punkte für jede Hälfte ein neuer Pol aus. Flossen zwei
Tropfen zu einem zusammen, so verschmolzen (oft erst nach
einiger Zeit) je zwei Pole zu einem oder zwei Pole hoben
sich gegenseitig auf, indem sie sich erst näherten und dann
plötzlich verschwanden.
Bezüglich der Sprödigkeit von Flüssigkeiten zeigte der
Vortragende durch Versuch, dass es harzartige Körper (z. B.
Marineleim) gibt, welche in einer Schachtel längere Zeit auf¬
bewahrt, völlig ebene Oberfläche annehmen wie Wasser in
einer Schüssel, so dass man annehmen muss, dass sie schon
durch die geringste Kraft zum Fliessen gebracht werden
können, also flüssig seien, während sie dagegen durch
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raschen Schlag mit einem kleinen Hammer in Splitter zer¬
trümmert werden wie Glas. Die nähere Untersuchung ergab,
dass selbst geringe Aenderungen der Temperatur hierbei
eine grosse Rolle spielen, dass mit steigender Temperatur
die Elastizitätsgrenze sehr rasch abnimmt und sehr wahr¬
scheinlich in dem Momente, wo sie den Werth Null erreicht,
d. h. beim wahren Verflüssigungspunkte gleichzeitig auch die
Sprödigkeit verschwindet.
393. Sitzung am 20. Juni 1890.
Anwesend 38 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. ltath Dr. Grashof.
Herr Professor Dr. Bunte sprach über den Heizwerth
der Steinkohle. Redner betont zunächst die wirtschaft¬
liche Bedeutung der Kohlen und führt an, dass in Preussen,
welches etwa ö / 10 der im deutschen Reich verbrauchten Kohlen
fördere, im Jahre 1889 von 235,000 Bergleuten 61,0 Milli¬
onen Tonnen Steinkohlen und 14 Millionen Tonnen Braun¬
kohlen, also im Ganzen etwa l*/ 4 Milliarde Centner Kohlen
gefördert worden seien. Man sollte meinen, dass für einen
Rohstoff von so eminenter Bedeutung, der gewissermassen
das wichtigste Nahrungsmittel für die Industrie darstelle,
längst Methoden bekannt und in Gebrauch seien, nach welchen
die wichtigste Eigenschaft, die Heizkraft, ermittelt und da¬
durch ein Massstab für die Bewerthung genommen werden
könne, ähnlich wie dies bei anderen Rohstoffen von weit ge¬
ringerer Bedeutung der Fall sei. So würde z. B. die Zucker¬
rübe ausschliesslich nach ihrem Zuckergehalt gehandelt und
bezahlt; bei künstlichen Düngemitteln diene allgemein deren
Phosphorsäure oder Stickstoffgehalt etc. als Grundlage für
den Handelswerth; gleichfalls sei dies der Fall bei Erzen,
Soda, Chlorkalk und vielen anderen Natur- und Kunstpro¬
dukten. Dem gegenüber begnüge mau sich bei der Kohle
meist mit einer ganz oberflächlichen Beurtheilung. Dieser
merkwürdige Zustand habe zum Theil seinen Grund darin,
dass bis in die neueste Zeit noch vielfach Unklarheiten und
Meinungsverschiedenheiten über die Grundlagen zur Beurthei¬
lung der Heizkraft der Steinkohle vorhanden seien. Vor etwa
30 Jahren haben nämlich Scheurer-Kestner und Meunier
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in Mülhausen Versuche im Kleinen angestellt, welche zu der
Meinung führten, als ob die chemische Zusammensetzung
der Kohle mit der Heizkraft derselben in keinem Zusammen¬
hänge stände. Um über diese Frage Klarheit zu gewinnen
und die Heizkraft unter Verhältnissen festzustellen, wie sie
der grossen Praxis, z. B. der Dampfkesselheizung, entsprechen,
wurde vor etwa 10 Jahren aus Mitteln der Königl. bayerischen
Staatseisenbahnen, unter Mitwirkung anderer staatlicher und
städtischer Behörden und Grossindustrieller in München eine
Heiz Versuchsstation errichtet, in welcher die in Süd¬
deutschland gebräuchlichen lind die auf den Königlich preus-
sischen Gruben in Schlesien und der Saar geforderten Kohlen
untersucht wurden. Diese Versuche gaben ein von den
Scheurer-Kestner’schen Werthen völlig abweichendes Ergebniss
und zeigten, dass die Heizkraft der Brennstoffe, insbeson¬
dere der Steinkohle, mit grosser Annäherung aus der chemi¬
schen Zusammensetzung ermittelt werden kann. Spätere
Versuche, welche von Schwachhöfer in Wien, von Stoh-
mann in Leipzig und Alexejew in St. Petersburg mit
kleinen Kalorimetern angestellt wurden, bestätigten theils
die Ergebnisse der Münchener Versuche, theils machten sich
abweichende Meinungen geltend, wie z. B. die von F. Fischer
in Hannover. Um die wichtige Frage nach dem Heizwerth
der Kohle zur endgiltigen Entscheidung zu bringen, hat
Redner eine Reihe von deutschen und ausländischen Kohlen
mit den von den Gegnern verwendeten Apparaten kalori¬
metrisch untersucht und dabei die von ihm früher gefundenen
Ergebnisse der Heizversuchsstation München vollkommen be¬
stätigt gefunden. Die zu den Versuchen verwendeten Appa¬
rate wurden der Versammlung theils in natura vorgeführt,
theils durch Zeichnung erläutert; ebenso die Ergebnisse der
Versuche durch graphische Darstellungen veranschaulicht.
Hiernach zeigen sowohl die Versuche im grossen Massstab,
als die kalorimetrischen Versuche im kleinen übereinstimmend,
dass die Heizkraft der Kohlen mit einer für die Praxis voll¬
kommen ausreichenden Genauigkeit aus der chemischen Zu¬
sammensetzung mit Hilfe der sogenannten Dulong’schen
Formel ermittelt werden kann. Redner gibt zum Schluss
der Hoffnung Ausdruck, dass nunmehr, nachdem eine Me-
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thode zur Feststellung des Heizwerthes wissenschaftlich be¬
gründet sei, dieselbe für die Beurtheilung der Kohlen in der
Praxis benutzt und zur Grundlage der Verwerthung in
Handel und Verkehr Anwendung finden möge.
394. Sitzung am 4. Juli 1890.
Anwesend 29 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Herr Geheimer Hofrath Dr. Engler sprach über die
neueste Entwickelung der Strukturtheorie (Stereo¬
chemie). An der Hand von Beispielen, namentlich aus dem
Gebiete der organischen Chemie, entwickelte er die derzeitigen
Ansichten über die Art und Weise, wie die chemischen Atome
innerhalb der mechanisch kleinsten Theilchen der Materie,
der Moleküle, aneinander gebunden sind und leitete die ver¬
schiedenen Eigenschaften der Stoffe von der Bindungsweise
der Atome ab, dabei hervorhebend, dass man Dank den
Untersuchungen van t’Hoff’s, Le Bil’s, Wislicenus’,
Viktor Meyer’s u. A. neuerdings den äusserst wichtigen
wissenschaftlichen Fortschritt zu verzeichnen habe, endlich
auch die Frage nach der räumlichen Anordnung der Atome
innerhalb der Moleküle näher treten zu können.
Herr Geheimer Hofrath Dr. Wiener behandelte die Frage
nach der Wirklichkeit der Aussenwelt. Wenn auch
jeder Unbefangene an der Wirklichkeit und an der Erkenn¬
barkeit der Aussenwelt nicht zweifelt, so wurde doch von
manchen Philosophen, insbesondere von Berkeley, ihre
Wirklichkeit, und von anderen, insbesondere von Kant,
ihre Erkennbarkeit (sein „Ding an sich“) geleugnet, und
Viele halten auch jetzt den Beweis für ihre Wirklichkeit für
unerbringbar. Der Vortragende ist entgegengesetzter Meinung
und will versuchen, diesen Beweis zu liefern. Es kann der¬
selbe im Folgenden, der nothwendigen Kürze halber, nur
andeutungsweise wiedergegeben werden.
Die Voraussetzung zu dem Beweise bildet das Gesetz
der Kausalität oder Ursächlichkeit, das oft so aus¬
gesprochen wird: „gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen“.
Um aber die unerklärten Worte „Ursache“ und „Wirkung“
nicht zu gebrauchen, sagt man besser: „Wenn in zwei Fällen
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alle Umstände die gleichen sind, so sind auch die Vorgänge
die gleichen.“ Dabei sind die Umstände alles Bestehende,
ausser dem, an welchem der Vorgang stattfindet. Da aber
zwei Fälle sich durch Ort oder Zeit oder beides unter¬
scheiden müssen, können nie alle Umstände dieselben sein.
Wir beschränken daher die Umstände auf die wesentlichen,
d. h. diejenigen, durch deren Aenderung in zwei Fällen auch
der Vorgang geändert wurde. Dieselben heissen auch die
Ursachen. Wer den Satz der Ursächlichkeit nicht an¬
erkennt, ist verloren; denn er kann keine Erfahrung machen
und wird über den Rand des Abgrundes schreiten. Er kann
zu keiner Erkenntniss gelangen und keine Wissenschaft
treiben, denn diese sucht die Abhängigkeit der Vorgänge
von den Umständen zu erforschen, setzt also eine solche
unveränderliche Abhängigkeit voraus. Die Wissenschaft
unterscheidet dann unter den Ursachen die treibenden, da¬
runter die Kräfte, und die Bedingungen, darunter den An¬
lass oder die Auslösung.
Um diesen Satz auf unseren Beweis anzuwenden, unter¬
scheiden wir im Ich die Sinneseindrücke und die inne¬
ren Gedanken. Die ersteren sind lebhaft, bestimmt, un¬
abhängig von unserer Willkür, oft unerwartet oder gegen
unsere Erwartung, die letzteren sind schwächer, schwankend,
veränderbar nach unserer Willkür und folgen dem vorher¬
gehenden Gedanken nach dem Gesetze der theilweisen Gleich¬
heit oder der Assoziation. Sie sind geschöpft aus dem vor¬
handenen Gedankenvorrathe, dessen kleinste Bestandtbeile
von Sinneseindrücken herrühren. Dieser Gesammtvorrath
von Gedanken bildet aber das Ich. Und da man findet,
dass nur die inneren Gedanken, nicht aber die Sinnesein¬
drücke vom Ich abhängen, so muss man annehmen, entweder
dass die Sinneseindrücke ohne Ursache hervorspringen, dass
also für sie das Gesetz der Ursächlichkeit nicht gilt, oder
dass für sie noch wesentliche Umstände ausser dem Ich vor¬
handen sind; und diese würden die Aussenwelt bilden.
Diese Annahme führt aber zur Bestätigung des Gesetzes
der Ursächlichkeit auch für die Sinneseindrücke. Wir er¬
kennen dies zunächst vermittelst des Beweises durch die
Wirkung der verdeckten Aussenwelt. Es werde dies
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durch ein Beispiel veranschaulicht. Man habe die gleichen
Sinneseindrücke von Kugeln, die an einer Wand auf Brett¬
chen liegen, dann den Sinneseindruck des Niedersinkens der
Brettchen und des Herabfallens der Kugeln mit Ausnahme
einer einzigen, die an der Stelle bleibt. Der Sinneseindruck
der Stellungsveränderung des Auges liefert den Sinnesein¬
druck einer aus der Wand in die Kugel gehenden Stange,
die an der Stelle der andern Kugeln fehlt. Es zeigt sich
also, dass ausserhalb des Ichs ein besonderer Umstand für
die eine Kugel stattfand, der den Vorgang änderte, ohne
dass im Ich irgend ein Unterschied der Sinneseindrücke be¬
standen hätte. Und dies findet sich in allen derartigen
Fällen bestätigt.
Andererseits vermögen wir das vom Ich ganz unab¬
hängige, scheinbar ganz regellose Hervorspringen von Sinnes¬
eindrücken durch die Annahme einer Aussenwelt dem Ge¬
setze der Ursächlichkeit zu unterwerfen durch das Gesetz
des Weltlaufes. Wenn wir in aufeinanderfolgenden Tagen
die Sonne gegen unsere Erwartung zu verschiedenen Zeiten
aufgehen sehen, und die Beobachtung ein ganzes Jahr lang
fortsetzen, so finden wir ein Gesetz für den Sonnenaufgang,
das sich in den folgenden Jahren bestätigt. So kommen
wir mit fortschreitender Forschung mehr und mehr dazu,
bei Annahme der Aussenwelt die Gesetze ihres Laufes zu
bestimmen, die unabhängig vom Ich erfolgen, aber durchaus
dem Gesetze der Ursächlichkeit entsprechen, und vermögen
daraus die durch sie bedingten Sinneseindrücke zum Voraus
zu bestimmen.
Wir kommen dabei zu dem Ergebniss, dass die Aussen¬
welt aus einzelnen wesenhaften Dingen besteht, d. h. Dingen
mit ihnen allein zukommenden Sitzen, welche die Ursachen
von Sinneseindrücken im Ich und den Vorgängen an andern
Aussendingen sind, wobei diese Vorgänge sich selbst wieder
durch Sinneseindrücke im Ich bemerkbar machen. Als Eigen¬
schaften dieser Dinge finden wir Wirkungsfähigkeiten, die
wir erforschen können, weitere sind uns undenkbar und von
Niemand ist noch eine weitere solche nur denkbare Eigen¬
schaft bezeichnet worden, so dass auch „das Ding an sich“
als willkürliche Annahme erscheint.
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So sehen wir, dass die Wirklichkeit der Aussenwelt mit
dem Gesetze der Ursächlichkeit untrennbar verbunden ist,
dass aber das letztere von Jedem, der durch Sprechen einen
Eindruck auf uns hervorbringen will, schon hierdurch an¬
erkannt wird.
395. Sitzung am 10. Oktober 1890.
Anwesend 48 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Neu aDgemeldetes Mitglied: Herr Dr. K. Doll, Arzt.
Auf Ansuchen der Anthropologischen Kommission des
Alterthumsvereins wird zur Fortsetzung der Untersuchungen
des Herrn Ammon ein weiterer Zuschuss von 200 M. bewilligt.
Herr Caroli aus Berlin führt ein Exemplar des Edi-
son’schen Phonographen vor und zeigt durch eine Beihe
von Versuchen dessen Eigenschaften und Leistungsfähigkeit.
396. Sitzung am 24. Oktober 1890.
Anwesend 16 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Herr 0. Ammon hielt einen Vortrag über die Ergeb¬
nisse der Kopfmessungen an den Zöglingen mehrerer
badischen Mittelschulen und über das Walten der
natürlichen Selektion beim Menschen.
Die anthropologische Untersuchung der Wehrpflichtigen
in Baden erweist sich mehr und mehr als ein für die Wissen¬
schaft fruchtbares Unternehmen. Wie es häufig zu geschehen
pflegt, bringen die Untersuchungen neben der Erfüllung ihres
eigentlichen Zweckes Aufschlüsse, die man gar nicht gesucht
hat, und indem sie eine Frage lösen, werfen sie eine neue
auf, so dass die Anregung zur Ausdehnung der Forschungen
auf verwandte Gebiete keinen Stillstand aufkommen lässt.
Eine der überraschendsten Beziehungen hat sich bei den
Kopfmessungen herausgestellt, welche im Zusammenhänge
mit der Hauptarbeit an den Zöglingen der Gymnasien und
Realgymnasien der Städte Karlsruhe und Mannheim vor¬
genommen wurden. Diese Messungen sollten die Lücke aus¬
füllen, welche dadurch entstand, dass bei den gelegentlich
des Ersatzgeschäftes gemessenen Wehrpflichtigen alle mit
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der Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligendienst versehenen,
also mit anderen Worten alle höher gebildeten, fehlen. Die
Zusammenstellung der Ergebnisse hat aber in einer die Er¬
wartungen weit übertreffenden Weise das geheimnissvolle
Walten der „natürlichen Selektion“ beim Menschen aufgedeckt
und merkwürdige Fingerzeige geliefert.
Schon längst wusste man, dass es Langköpfe und Rund¬
köpfe, dass es begabte und unbegabte Individuen gibt; aber
eine Beziehung zwischen Kopfindex und Begabung hat man
als ausgeschlossen erachtet. „Es gibt keine Bauernschädel,“
sagt v. Holder in einer Zusammenstellung der in Württem¬
berg vorkommenden Schädelformen, „obgleich diese Bevöl¬
kerungsklasse durch lange Reihen von Generationen ihre Be¬
schäftigung nicht wechselt. Gerade die bäuerliche Bevöl¬
kerung Württembergs zeigt die reichste Abwechselung in
ihren Schädelformen, von der extremsten Brachykephalie bis
zu der der Reihengräberform ähnlichen Dolichokephalie.
Aber es gibt auch keine Handwerker-, Beamten-, Schrift¬
gelehrten- oder Faullenzerschädel, obgleich die Thatsache
feststeht, dass in vielen Familien die eine oder andere dieser
Beschäftigungsweisen seit vielen Generationen auf einzelne
Familienglieder vererbt wird.“
Man wird nicht irren in der Annahme, dass diese An¬
schauung bis vor Kurzem von den meisten Forschern ge-
theilt wurde. Im Weiteren vertritt v. Holder die strenge
Erblichkeit der Kopfformen, und hierin wird man ihm ganz
allgemein auch heute noch beipflichten. Weder Beschäftigung^
noch Lebensweise, weder Klima, noch Höhenlage, gesteht
v. Holder, gewiss mit Recht, nur den leisesten Einfluss zu.
Nicht durch äussere Einwirkungen, nur durch Rassenkreuzung
und darauffolgende Selektion können neue Formen entstehen
und vorherrschend werden.
Mittlerweile hat sich aber ein Umschwung der Ansichten
in Bezug auf die Erblichkeit der geistigen Befähigung an¬
gebahnt. Es erschienen, bezw. wurden in ihrer Bedeutung
mehr und mehr gewürdigt die mit fast beispiellosem Sam-
melfleisse begründeten Werke von Francis Galton „Here-
ditary Genius“, „English Men of Science“, „Inquiries into
human Faculties“ und von de Candolle „Histoire des
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115
Sciences et des savants depuis deux si£cles“, welche die Erb¬
lichkeit der geistigen Anlagen durch eine Fülle unwiderleg¬
licher Beweise darthun; merkwürdigerweise hat man die Erb¬
lichkeit bei dem Hange zum Verbrechen viel früher und viel
allgemeiner angenommen, als bei den guten Eigenschaften.
Der naheliegende Gedanke, die beiden Vererbungsthat-
sachen mit einander zu verbinden und bestimmte Fähigkeiten
an bestimmte Kopfformen zu knüpfen, ist wohl von keinem
Gelehrten mit grösserer Thatkraft verfolgt worden, als von
de Lapouge. Ihm zufolge entspringt jede höhere Befähi¬
gung den blonden Langköpfen, welche Arier genannt werden
und von denen die Germanen ein Zweig sind. Auf die An¬
wesenheit von arischem Blut ist die höhere Gesittung und
Thatkraft aller Völker zurückzuführen, welche in der Ge¬
schichte eine Rolle gespielt haben und noch spielen. Die
Arier sind die Pioniere der Menschheit, die Bahnbrecher des
Fortschritts, während die Rundköpfe und die ihnen nahe¬
stehenden Kreuzungsprodukte die Träger des Stillstandes
sind. Die kühnen Theorien des geistvollen französischen Ge¬
lehrten sind von solcher Tragweite, dass man sich trotz der
tiefdurchdachten Begründung nicht sofort zu deren Annahme
entschliessen kann; gewiss wird man aber jede Gelegenheit gern
ergreifen, dieselben einer näheren Prüfung zu unterziehen.
Als ein geeigneter Probirstein erweisen sich die badi¬
schen Untersuchungen der Wehrpflichtigen. Frühere Ergeb¬
nisse zeigten, dass es allerdings Bauernschädel und Städter¬
schädel gibt. So waren bei den Wehrpflichtigen in der Stadt
Karlsruhe 30,0 Proz. Langköpfe, im Landbezirk nur 11,5
Proz.; in Mannheim Stadt 33,8 Proz., Land nur 23,9 Proz.
Umgekehrt waren die Rundköpfe auf dem flachen Lande
zahlreicher. Sie betrugen in Karlsruhe Stadt 18,5 Proz.,
Land 35,9 Proz., Mannheim Stadt 12,4 Proz., Land 24,6
Proz.* Vergleicht man die absoluten Masse, so findet man
* Unter Langköpfen sind alle mit einem kleineren Index als 80
verstanden, unter Randköpfen alle mit Index 85 und mehr. Die früher
veröffentlichten Ziffern von Karlsruhe und Mannheim haben behufs Er*
langung der Vergleichsfähigkeit mit den sp&ter folgenden eine kleine
Korrektur erfahren müssen, veil zwei verschiedene Beobachter nicht
ganz die gleiche Messungsmethode angewandt hatten.
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dem Vorstehenden entsprechend die Stadtköpfe länger als
die Landköpfe, aber letztere breiter als erstere. Dieses Er¬
gebnis, welches in einigen anderen Städten sich in ähnlicher
Weise wiederholte, gibt zu denken. Wenn wir von der fest¬
stehenden Thatsache ausgehen, dass das städtische Leben
unmöglich eine Umformung der Köpfe bewirken kann, so
werden wir zu dem Schlüsse gedrängt, dass zu der fort¬
dauernden Einwanderung nach den Städten die langköpfigen
Bestandtheile der Bevölkerung einen grösseren Antheil stellen,
als die rundköpfigen. Hinter diesem Schlüsse erhebt sich
aber gleich der weitere, dass den Langköpfen in höherem
Grade als den Rundköpfen diejenigen Eigenschaften inne¬
wohnen müssen, welche zu einem regsameren Leben, wie es
die Stadt bietet, hindrängen und befähigen. Wir sträuben
uns nur gegen die Annahme, dass ein so äusserliches Merk¬
mal, wie der Kopfindex, für das ganze geistige Wesen des
Menschen bestimmend sein soll. In früheren Veröffent¬
lichungen habe ich deswegen das Problem nur angedeutet,
ohne eine eigene Meinung zu äussern. Seitdem sind aber
unsere Arbeiten zu grösserer Bestimmtheit fortgeschritten.
Wie schon erwähnt, ist von der Anthropologischen Kom¬
mission des Karlsruher Alterthumsvereins auf meinen An¬
trag beschlossen worden, als Ersatz für die nicht vorhan¬
denen Einjahrig-Freiwilligen die Köpfe der Zöglinge von vier
Mittelschulen, den beiden Gymnasien und Realgymnasien in
Karlsruhe und Mannheim zu messen, und nachdem das
Grossh. Ministerium die Genehmigung ertheilt hatte, wurde
ich mit der Ausführung beauftragt.
Es wurden nur die vier oberen Klassen in Betracht ge¬
zögert, weil man von der Annahme ausging, dass in den
unteren Klassen das Wachsthum in zu fühlbarer Weise im
Rückstände sei, während man von den vier obersten ver¬
gleichsfähige Ziffern erwarten durfte; ich füge gleich das
Ergebniss an, dass die Schülerköpfe in den absoluten Massen
doch um einige Millimeter kleiner waren, als die der Wehr¬
pflichtigen, was jedoch auf den Index wenig Einfluss hat.
Im Ganzen wurden 581 Schüler, darunter 359 Badener, der
Messung unterzogen; das Zahlenmaterial gewinnt dadurch
an Werth, dass es bei sämmtlichen Schülern von der gleichen
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Hand und auf die nämliche Weise erhoben ist. Von jedem
Schüler wurde auch die Augen- und Haarfarbe notirt.
Jedermann der sich mit Statistik beschäftigt hat, weiss,
wie schwierig es ist, den trockenen Zahlen das in ihnen
verborgene Geheimniss abzuringen. Diese Schwierigkeit habe
ich im vorliegendem Falle stark empfinden müssen, und erst
nach mehreren verunglückten Versuchen ist es mir gelungen,
die Zahlen zum Reden zu bringen, was sie dann allerdings
dafür um so deutlicher thaten.
Mancher wird mit mir erwarten, es werde nun bei den
Schülern ein höherer Grad von Langköpfigkeit herauskommen,
als bei den Wehrpflichtigen, welche die nöthige Bildung zum
einjährigen Dienst nicht erlangt haben. Zu dieser Ver¬
gleichung konnten nur die in Karlsruhe, bezw. Mannheim
geborenen Schüler herangezogen werden, deren Väter eben¬
falls in der nämlichen Stadt geboren sind, weil wir bei der
Klassifikation der Wehrpflichtigen die gleiche Voraussetzung
gemacht hatten. Da findet man nun das folgende merk¬
würdige Ergebniss. Langköpfe: Karlsruhe Mittelschüler 30,2
Proz., Wehrpflichtige 30,0 Proz.; Mannheim Schüler 33,3
Proz., Wehrpflichtige 33,8 Proz. Rundköpfe: Karlsruhe
Schüler 22,6 Proz., Wehrpflichtige 18,5 Proz.; Mannheim
Schüler 12,8 Proz., Wehrpflichtige 12,4 Proz. Die Ueber-
einstimmung ist geradezu eine auffallende zu nennen. Also
kein Unterschied zwischen Gebildeten und weniger Gebildeten!
Auch der Versuch, einen solchen zwischen humanistischen
und Realgymnasien aufzusuchen, hatte kein Ergebniss.
Der springende Punkt stellte sich erst heraus, als dem
Studium derjenigen Schüler nahegetreten wurde, die nicht,
bezw. deren Eltern nicht in Karlsruhe oder Mannheim ge¬
boren sind. Es gibt eine zahlreiche Kategorie von Schülern,
die in der betreffenden Stadt das Licht der Welt erblickt
haben, jedoch auswärts geborene Väter besitzen. Bei einer
weiteren Kategorie sind sowohl die Schüler selbst, als die
Väter auswärts geboren. Ich vernachlässige hier die geringe
Zahl Derer, welche aus anderen grösseren Städten des Gross¬
herzogthums stammen, als die beiden in Rede stehenden,
und unterscheide demgemäss drei Kategorien: 1) Eigentliche
Stadtschüler, sie sowohl als ihre Eltern in der betreffenden
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Stadt geboren, somit das schon länger ansässige Element
darstellend. 2) Halbstadtschüler, sie selbst in der Stadt ge¬
boren, die Väter jedoch vom flachen Lande stammend: Ver¬
treter der in der Einwanderung begriffenen Elemente.
3) Eigentliche Landschüler, sie selbst und ihre Väter vom
flachen Lande stammend, welche ein entfernteres Stadium der
Einwanderung vertreten, aber früher oder später ihren Sitz
in der Stadt nehmen werden. Jetzt ergeben sich sprechende
Ziffern. Ich nehme Karlsruhe und Mannheim zusammen,
um eine bessere Uebersicht und den Vortheil grösserer Zahlen
zu erlangen.
Langköpfe: 1) Eigentliche Stadtschüler 31,5 Proz.,
2) Halbstadtschüler 23,1 Proz., 3) eigentliche Landschüler
17,1 Proz. In dem gleichen Schritt, als die Schüler der
eigentlichen Ansässigkeit ferner stehen, vermindert sich der
Grad der Langköpfigkeit.
Rundköpfe: 1) Eigentliche Stadtschüler 18,5 Proz.,
2) Halbstadtschüler 32,1 Proz., 3) eigentliche Landschüler
26.6 Proz. Die Zunahme ist hier nicht ganz so gesetzmässig,
ohne übrigens die erheblich grössere Langköpfigkeit des
schon länger ansässigen städtischen Elementes in Frage zu
stellen. Aber auch die Langköpfigkeit der Landschüler steht
noch weit über dem Mittel des Landes.
Der ganze Durchschnitt der bis jetzt aufgenommenen
Bezirke des Grossherzogthums, ungefähr die Hälfte umfassend,
beträgt 15,9 Proz. Langköpfe und 32,8 Proz. Rundköpfe;
der Schwarzwaldbezirk Wolfach hat von den ersteren nur
1.6 Proz., von den letzteren 64,3 Proz. Bekanntlich ist der
Schwarzwald der Ausstrahlungsmittelpunkt der Rundköpfe.
Blaue Augen waren vorhanden: 1) Eigentliche Stadt¬
schüler 38,0 Proz., 2) Halbstadtschüler 36,6 Proz., 3) eigent¬
liche Landschüler 28,6 Proz. Braune Augen: 1) Eigentliche
Stadtschüler 15,2 Proz., 2) Halbstadtschüler 17,2 Proz., 3)
eigentliche Landschüler 23,4 Proz. Die Zwischenstufen zwi¬
schen blau und braun können hier weggelassen werden.
Blonde Haare: 1) Eigentliche Stadtschüler 45,6 Proz.,
2) Halbstadtschüler 58,1 Proz., 3) eigentliche Landschüler
56,3 Proz. Braune und schwarze Haare: 1) Eigentliche
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Stadtschüler 45,5 und 10,9 Proz., 2) Halbstadtschüler 35,6
und 4,3 Proz., 3) eigentliche Landschüler 37,2 und 5,7 Proz.
Rothe Haare kamen nur wenig vor und bieten nichts Cha*
rakteristisches.
Die eigentlichen Stadtschüler bilden einen Gipfel der
Blauäugigkeit, stehen aber an Blondheit hinter den beiden
anderen Kategorien merklich zurück; ob dies ausschliesslich
der Anwendung von Salben und Pommaden zuzuschreiben
ist, wage ich nicht zu entscheiden. Richtiger würde es jeden¬
falls sein, von typischen „blauäugigen Langköpfen“, statt
von „blonden“ Langköpfen zu sprechen.
Wir sehen nun ganz deutlich, in welcher Weise sich die
gebildete Bevölkerung der Städte aus dem Lande ergänzt.
Die Städte, bezw. die Mittelschulen ziehen in grösserem
Masse die blauäugigen Langköpfe an, als die braunäugigen
Rundköpfe, und diese scheinen in ihnen weniger gut zu ge¬
deihen. Denn während der Zugang zu den Mittelschulen
genau dem Verhältniss der Stärke der Indexklassen bei der
schon länger ortsansässigen Bevölkerung entspricht, so sehen
wir doch, dass diese letztere langköpfiger ist, als der frische
Zuzug vom Lande. Es muss eine Art Selektion stattfinden,
welche die Rundköpfe in der Stadt rascher vermindert, als
die Langköpfe. Zuletzt werden aber auch diese in den
Städten aufgerieben, die sich ja nur durch die Einwanderung
vom Lande erhalten.
Auf dem Lande müssen die Langköpfe immer seltener
werden, daher auch der Zuzug nach den Städten an Lang-
köpfigkeit abnimmt. Wir haben hier einen wichtigen Finger¬
zeig auf die Ursachen, welche so verheerend auf die Lang¬
köpfe eingewirkt haben, ln den Reihengräbem finden wir
noch 69,1 Proz. Langköpfe und 9,3 Proz. Rundköpfe; jetzt
ist das Verhältniss in Baden 15,9 Proz. und 32,1 Proz.
Nicht bloss die Rassenmischungen mit Rundköpfen, nicht
bloss die Kreuzzüge und die Fehden des Mittelalters haben
dazu beigetragen, das germanische Element zu vermindern,
auch die städtische Kultur ist ein Mühlstein, der die Lang¬
köpfe zermalmt. Gewiss mancher Leser hat schon Einzel¬
thatsachen beobachtet, aus denen hervorgeht, wie energisch
die natürliche Selektion in den Städten wirkt, wie die Ein-
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zelnen im Existenzkampf untersinken, wie ganze Familien
sich auflösen, wie selbst von den Glücklichen, die sich empor¬
gearbeitet haben, häufig in der zweiten oder dritten Gene¬
ration nichts mehr vorhanden ist, und wie die Lücken immer¬
fort durch neue nachdrängende Einwanderer ausgefüllt wer¬
den. Aber solche Beobachtungen lassen sich schwer in Ziffern
und Beweise umprägen. Auch die Statistik vermochte bis
jetzt nicht die Thatsachen zu fassen.
Die auf- und absteigende Leiter unserer Prozentzahlen ist
deswegen so hoch interessant, weil sie uns einen ziflfernmässigen
Beweis von der Wirksamkeit der so oft gesuchten und von
Manchen fälschlich geläugneten, natürlichen Selektion beim
Menschen darbieten. Professor de Lapouge, mit dem ich
über den Gegenstand korrespondirte, legte die Zahlen ebenso
aus wie ich und kleidete seine Verwunderung über die merk¬
würdigen Ergebnisse in die Worte: „la selection sociale est
prise sur le fait“, das heisst, die Selektion bei der Arbeit
fassen.
Bei dieser Gelegenheit hatte Professor de Lapouge die
Gefälligkeit, mir die Maasse einer Anzahl von Schädeln aus
Montpellier zur Benutzung mitzutheilen. Die Schädel gehörten
theils Patriziern des 17. und 18. Jahrhunderts an, welche
eine Rolle in der Geschichte der genannten Stadt gespielt
haben, theils Plebejern, von denen man nichts Näheres weiss.
Die ersteren, 18 au der Zahl, reichen von Index 63 bis 78;
sie hören gerade da auf, wo die 117 anderen ihr Maximum
erreichen, welche daun bis Index 96 fortgehen. Der durch¬
schnittliche Index der Patrizierschädel ist 74,7, der der Ple¬
bejerschädel 78,3. Dieses Ergebniss sagt das Gleiche, was
unsere Schülerköpfe uns gelehrt haben, und ich brauche
kaum hinzuzufügen, dass in Montpellier solche Langköpfe,
wie die der erwähnten Patrizier, jetzt sehr selten gewor¬
den sind.
Die Lebensbedingungen in Mitteleuropa haben sich un¬
günstig für die Arier gestaltet. Die reinen Arier sind in
einem Selbstvernichtungsprozess begriffen; indem sie sich im
Interesse der höheren Geisteskultur, deren Sitze die Städte
sind, durch Ueberanstrengung und durch die mit der Kultur
verbundenen Schädlichkeiten körperlich aufreiben. Sie sind
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gewissermassen die Märtyrer der Kultur, aber alle Wohl-
thäter der Menschheit sind von jeher, seitdem die Welt
steht, Märtyrer gewesen.
. Die Frage, ob nach dem Aussterben des rein arischen
Elementes die von den andern nur angelernte Kultur noch
Bestand haben kann, scheint Professor de Lapouge nach
seinen Aufsätzen pessimistisch zu beurtheilen. Ich möchte
die Frage jetzt nicht näher erörtern, aber doch sei mir
die Andeutung gestattet, dass die den reinen Ariern nahe¬
stehenden Mischtypen in mancher Hinsicht den reinen Ariern,
die ja von jeher neben glänzenden Lichtseiten auch ihre
Schattenseiten besassen, überlegen sein können, schon ver¬
möge der Vortheile, welche die Kreuzung nicht zu verschie¬
dener Individuen im Allgemeinen gewährt, und insbesondere
im Hinblick auf die Ideen, welche Geh. Rath Weismann über
die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung entwickelt hat.
Wenn die grösstmögliche Aehnlichkeit der Eltern den er¬
heblichsten Vortheil für die Nachkommenschaft gewähren
würde, dann könnte man das fast ausschliessliche Herrschend¬
werden der sexuellen Fortpflanzung nicht begreifen; die Par-
thenogenesis, bei der jeder Sprössling das getreue Abbild
seiner eigenen Eltern ist, würde alsdann weit überlegen und
das Zusammenwirken zweier Individuen zur Erzeugung eines
dritten, welches dadurch auf neue Art kombinirte Eigen¬
schaften erlangt, rein überflüssig gewesen sein.
Vielleicht haben die dunkleren Haare der blauäugigen
und langköpfigen Stadtschüler in dieser Hinsicht doch etwas
zu bedeuten; ein Körnchen fremden Pigmentes und ein Tropfen
fremden Geistes — das war möglicherweise gerade das Wenige,
was den reinen Ariern gefehlt hat!
Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener machte eine Bemerkung
über die Falb’schen Wetterprophezeihungen. Der
14. September war wegen Neumondes als kritischer Tag an¬
gekündigt worden, und der 28. September wegen Vollmond
und Erdnähe als solcher ersten Ranges. In Wirklichkeit
war in Karlsruhe das Wetter vor dem 14. September schön,
blieb es bis zum 17., von wo an bis zum 25. schwache Be¬
wölkung und etwas Regen mit Sonnenschein wechselten,
wurde dann wieder vorherrschend schön, manchmal mit
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Morgennebel, bis am 1. Oktober Abends ein heftiges Gewitter
eintrat; hierauf folgte wieder sehr schönes Wetter. So könnte
als ganze Wirkung des kritischen Tages für uns nur das
drei Tage nachher eingetretene Gewitter bezeichnet werden.
DieZeitungen melden aber, Professor Falb habe furchtbare
Ueberschwemmungen bis zum 28. September wieder voraus¬
gesagt. Und schon vor diesem Tage verkünden sie, dass
schon eine Reihe von Hiobsposten eintreffen. Von allen
diesen früheren Vorgängen trägt nur einer das Datum, der
Wirbelsturm von Marseille vom 21. September; es ist dies
gerade mitten zwischen Neu- und Vollmond, zur Zeit eines
Viertels, wo doch die Wirkung des Mondes am schwächsten
ist. Jene Meldungen freilich verbreiten den Schein, als wenn
es verstärkte Bestätigung der Prophezeihung wäre, wenn die
Ereignisse sogar schon vor der angesagten Zeit eintreten.
Durch lebhafte Schilderung der verlorenen Menschenleben
wird der Eindruck auf den Leser verstärkt. Solchen Vor-
hersagereien sollten die Zeitungsredaktionen, die mehr der
Wahrheit als der Reklame, mehr der Allgemeinheit als
dem Einzelnen dienen wollen, einen Hemmschuh anlegen,
indem sie eine Vorhersagung nur aufnehmen, wenn der Ein¬
reichende sich verpflichtet, dieselbe seiner Zeit genau mit
dem wirklich eingetretenen Ereignisse zu vergleichen, und
damit dem Lesenden Gelegenheit zur Werthprüfung bietet;
und wenn sie dann Jeden, der sich nachher seiner über¬
nommenen Verpflichtung entzieht, zu keiner derartigen Ver¬
öffentlichung mehr zulassen.
397. Sitzung am 7. November 1890.
Anwesend 43 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Rath Dr. Grashof.
Herr Professor Dr. 0. Lehmann hielt im physikalischen
Hörsaale der technischen Hochschule einen Vortrag über
molekulare Umlagerungen bei festen Körpern, mit
Experimenten.
Das Bedürfniss, die Naturerscheinungen zu begreifen,
führt zu der Hypothese der Molekularstruktur der Körper.
Wir haben eine Erscheinung nur dann vollkommen begriffen,
wenn wir sie (wenigstens in Gedanken) selbst, durch unsere
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eigene Muskelkraft hervorrufen können. Darum denken wir
uns jede Veränderung in der Natur hervorgebracht durch
Kräfte, welche ausgeübt werden von Dingen, die ebenso exi-
stiren wie unser Ich und ebenso untheilbar sind wie dieses.
Unorganisirte Stoffe sind nun aber keine Individuen,
wir können sie vielmehr anscheinend endlos in Stücke zer-
theilen. Die Begreiflichkeit der Naturerscheinungen verlangt
also, dass diese Theilbarkeit eine beschränkte sei, dass wir
schliesslich zu kleinsten, weiter nicht mehr theilbaren Körper¬
chen, Atomen, gelangen. Aus den chemischen Erschei¬
nungen geht ferner hervor, dass verschiedenartige Atome
(und auch gleichartige) sich zu grösseren Komplexen, den
chemischen Molekülen, vereinigen können. Manche physi¬
kalische Erscheinungen weisen endlich darauf hin, dass
auch die chemischen Moleküle nicht direkt die Theilchen
sind, welche man als Endprodukte der mechanischen Theilung
der Körper denken kann, sondern dass diese physikali¬
schen Moleküle selbst wieder Komplexe aus mehreren
chemischen Molekülen seien.
Reihen sich Moleküle in gesetzmässiger Weise anein¬
ander, so muss die Gesetzmässigkeit in den Eigenschaften des
Aggregats und insbesondere, falls dasselbe fest ist, in der äus¬
seren Form zur Geltung gelangen. Man deutet die krystal-
lisirten Körper als solche regelmässige Molekülaggregate.
Schon seit langer Zeit sind nun Substanzen bekannt,
welche in zwei oder mehr verschieden krystallisirten Modi¬
fikationen auftreten können. Durch Druck oder Temperatur¬
änderung kann häufig die eine Modifikation direkt im festen
Zustande in die andere übergeführt werden.
Schwefel beispielsweise erstarrt aus dem Schmelzfluss
in braungelben Nadeln. Beim Abküblen verwandeln sich
diese in hellgelbe oktaedrische Krystalle.
Quecksilberjodid krystallisirt in der Kälte roth, in
der Hitze gelb. Die gelben Krystalle lassen sich oft bis zu
gewöhnlicher Temperatur abkühlen, berührt man sie aber
mit einem rothen Krystall, so werden sie an der berührten
Stelle sofort ebenfalls roth und der rothe Fleck wird immer
grösser, bis die ganze Masse in die rothe Form über¬
gegangen ist.
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Quecksilberkupferjodid ist in der Wärme dunkel¬
braun, in der Kälte hellroth und wird darum häufig als Ther-
moskop bei physikalischen Versuchen gebraucht.
Gegenstände aus reinem Zinn, Theekannen, Orgel¬
pfeifen u. dergl. erhalten zuweilen bei strenger Kälte graue
Flecken, die sich allmählig immer weiter ausbreiten und mit
Wunden verglichen worden sind, denn das Metall erweist
sich dort ganz verändert, sehr mürbe und brüchig.
Selbst das seiner Festigkeit halber in Gewerbe und In¬
dustrie so ungemein mannigfaltig verwendete Eisen scheint
trotz seiner Härte und Zähigkeit in ganz gleicher Weise
ohne den festen Zustand zu verlassen in eine andere Modi¬
fikation übergehen zu können. Erhitzt man einen Eisen¬
draht, etwa durch einen galvanischen Strom langsam bis
zur dunklen Rothgluth, so dehnt er sich, entsprechend der
steigenden Temperatur, stetig aus bis zu einer zwischen
600 und 700 Grad liegenden Temperatur. Dann schrumpft
er plötzlich um ein merkliches Stück zusammen, um sich
bei steigender Gluth abermals regelmässig auszudehnen.
Umgekehrt erfolgt bei Abkühlung bei jener Umwandlungs¬
temperatur plötzliche Ausdehnung. Zuweilen gelingt es, den
Draht bis zu ganz dunkler Gluth abzukühlen, ohne dass die
Umwandlung eintritt. Erfolgt sie dann aber, so wird durch
die freiwerdende Wärme die Temperatur wieder soweit ge¬
steigert, dass der Draht plötzlich von Neuem erglüht. Nähert
man ein hellglühendes Stück F.isen einem Magneten, so wird
es nicht angezogen, sinkt aber die Temperatur bis zum
Umwandlungspunkt, so erfolgt plötzlich Anziehung mit nicht
wesentlich geringerer Kraft als in der Kälte. Löthet man
einen Eisen- und Kupferdraht zusammen und verbindet die
freien Enden mit einem Galvanometer, so zeigt dieses beim
Erhitzen einen Thermostrom von steigender Stärke an, wel¬
cher aber sofort beim Ueberschreiten der Umwandlungs¬
temperatur verschwindet und einem solchen von entgegen¬
gesetzter Richtung Platz macht.
Ein häufig gebrauchtes Salz, das salpetersaure Am¬
moniak, besitzt nicht weniger als vier verschiedene Modi¬
fikationen. Aus dem Schmelzfiuss geht es zunächst bei etwa
106° C. in reguläre Ivrystalle über, diese verwandeln sich
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bei etwa 125° in rbomboidische, diese bei 85° in rhom¬
bische und letztere bei 36° in die gewöhnliche Modifika¬
tion. Beim Erwärmen werden alle diese Zustände in umge¬
kehrter Reihenfolge durchlaufen.
Derartige Umkehrbarkeit der Umwandlung ist nicht
immer vorhanden. So besitzt z. B. Schwefel ausser den
schon genannten Modifikationen noch eine dritte krystal-
linische, durch niedrigen Schmelzpunkt ausgezeichnet, welche
sich sowohl in die gewöhnliche hellgelbe, wie in die braun¬
gelbe umwandeln kann, nicht aber umgekehrt einfach durch
Aenderung der Temperatur in diese übergeht.
Besonders schön zeigt solche irreversible Umwandlung
des Orthoquecksilberditolyl. Auch hier besitzt, wie
ganz allgemein, die nadelförmig krystallisirende labile Modi¬
fikation niedrigeren Schmelzpunkt als die tafelartige stabile.
Bei Salmiak (verunreinigt durch Jod- und Bromammo-
niurn) krystallisiren merkwürdigerweise beide Modifikationen
äusserst ähnlich, beide in regulären Würfeln und Oktaedern.
Bei Protocatechusäure zeigt sich die sehr auffallende
Erscheinung, dass bei der Umwandlung eines grösseren
homogenen Krystalls nicht wie sonst lediglich die Struktur,
sondern auch die äussere Form sich ändert und zwar so,
dass alle Flächen, welche vor der Umwandlung eben waren,
es auch nach derselben sind, aber andere Winkel mit ein¬
ander bilden. Die Erscheinung macht ganz den Eindruck,
als ob das Raumgitter, welches die Moleküle bilden, aus
einem nahezu rechtwinkligen sich in ein schiefwinkeliges ver¬
wandle, ohne dass eine Aenderung der Moleküle selbst einträte.
In dieser Weise wurden auch die Umwandlungserschei¬
nungen früher gewöhnlich aufgefasst (Theorie der Poly¬
morphie). In Fällen, bei welchen eine Aenderung der
äusseren Form nicht zu beobachten ist, hat man auch an¬
genommen, dass nur eine gegenseitige Verdrehung der (polye-
drisch gedachten) Moleküle ohne Aenderung des Raumgitters
stattfinde (Theorie der molekularen Hemitropie). In
andern Fällen zeigen sich aber ausgesprochene Differenzen in
dem chemischen Verhalten der beiden Modifikationen, wodurch
man sich genöthigt sah, eine Aenderung der Moleküle selbst
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vorzunehmen, so dass die Umwandlung nur als die Folge
dieser chemischen Aenderungen erscheint. Hierauf weisen
ausserdem manche Erscheinungen hin, welche andeuten, dass
die verschiedenen Modifikationen auch noch in Lösung, also
bei völliger Vernichtung des molekularen Raumgitters, als
solche existiren können. Man kann sich nun die Verschieden¬
heit der Moleküle in zweierlei Art denken, entweder so, dass
die Atome in verschiedener Weise zu chemischen Molekülen
verkettet sind (Theorie der chemischen Isomerie), wobei
sich aber vielfache Widersprüche gegen die Lehren der
Stöchiometrie und die chemische Strukturtheorie ergeben,
oder aber so, dass die chemischen Moleküle sich in ver¬
schiedener Weise zu physikalischen zusammenlagern (Theorie
der physikalischen Isomerie). Die letztere Theorie
erscheint zur Zeit als die brauchbarste. Sie erhielt kürz¬
lich durch die Entdeckung tropfbar flüssiger Krystalle
eine neue Stütze, da die Existenz krystallinischer Flüssig¬
keiten beweist, dass das Raumgitter die eingreifendsten
Aenderungen erleiden kann, ohne dass die Eigenschaften der
Substanz in irgend erheblicher Weise geändert erscheinen.*
398. Sitzung am 19. November 1890.
Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen
Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums.
Herr Dr. Hans Meyer aus Leipzig hielt einen Vortrag
über seine dritte Reise nach Afrika mit Besteigung
der Kilimandscharo-Spitze.
Schneeberge sind in Afrika keine seltene Erscheinung,
aber Berge mit ewigem Schnee gibt es in Afrika nur in der
Aequatorialregion, weil nur dort vulkanische Kräfte die Berge
bis zu solcher Höhe aufgebaut haben, dass sich Schnee zu
allen Jahreszeiten auf ihnen halten kann. Dem Alterthum
war die Existenz von Schneebergen in Afrika sehr wohl be-
• Die besprochenen Erscheinungen wurden fast sämmtlich mit¬
telst eines elektrischen Projektionsmikroskops der Versammlung im
grossen Massstabe vom Vortragenden deraonstrirt Eine nähere Be¬
schreibung derselben ist zu finden in dem Buche: 0. Lehmann, Mole¬
kularphysik, Leipzig, W. Engelmann, 1S89.
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127
kannl. Aber alle hierauf bezüglichen Nachrichten, Beschrei¬
bungen und kartographischen Festlegungen beziehen sich auf
die nordafrikanischen Schneeberge des Atlas und der abys-
sinischen Hochlande. Von dem ewigen Schnee der Aequa-
torialregion wusste das Alterthum nichts. Die „Mondberge“
des Ptolemaios können nur auf die schneeigen Quellberge des
Blauen Nil in Abyssinien gedeutet werden, wie aus der
ganzen Schilderung und Nomenklatur hervorgeht; Stanley’s
Deutung auf das äquatoriale Ruwensori-Gebirge ist willkür¬
lich und phantastisch. Die von ihm angezogene alte Litteratur
ist mit viel grösserer Sicherheit auf Abyssinien zu beziehen.
Die Schneeberge der afrikanischen Tropenzone sind Ent¬
deckungen der Neuzeit und geknüpft an die Namen Johann
Rebmann, der den Kilimandscharo, Dr. Krapf, der den
Kenia, und Gasati, der den Ruwensori entdeckt hat. Ausser
diesen genannten drei Schneegebirgen gibt es in Afrika keinen
ewigen Schnee, da es sonst keine vulkanischen Herde gibt,
deren Aufschüttungen ja allein bis in die ewige Schneeregion
in die Höhe reichen. Das erste ewige Schnee tragende Ge¬
birge wurde in Afrika 1848 vom Missionar Rebmann ent¬
deckt, es ist der Kilimandscharo. Rebmann kam aber der
Schneeregion nicht nahe. Ebensowenig sein Missionsbruder
Krapf, der jedoch nordwärts weiter wandernd 1849 die über¬
raschende Entdeckung eines zweiten Schneeberges machte,
des Kenia. Es dauerte 40 Jahre, bevor das dritte afrika¬
nische Schneegebirge, der Ruwensori, von Emin Pascha’s
Genossen Casati 1887 entdeckt wurde, dessen Entdeckung
1888 Stanley’s Zug weiter ausdehnte. Im Lauf dieser 40 Jahre
wurde am Kilimandscharo von Baron von der Decken
(1861 und 1862), New (1871), Dr. Fischer (1883), Thom¬
son (1883), Johnston (1884), Graf Teleki und Höhnel
(1887), Abbott und Ehlers (1888) viel erforscht und häufig
der Versuch gemacht, über die Schneegrenze hinaufzudringen,
aber vergeblich. Auch am Kenia, wo 1877 Hildebrandt,
1883 Thomson, 1887 Graf Teleki und Höhnel forschten,
gelang es nur dem Grafen Teleki, tiefer und höher in die
Region des ewigen Schnees vorzudringen.
Erst Dr. Hans Meyer war auf seiner dritten Ostafrika-
Expedition 1889 im Stande, die Schnee- und Eiswelt des
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128
oberen Kilimandscharo genau zu untersuchen und den höch¬
sten Gipfel von Afrika zu ersteigen. Wie auf seiner ersten
Expedition 1887, so liess Dr. Meyer auch im Sommer 1889
das Gros seiner Karawane in Dschagga am Fuss des Ge¬
birges beim Häuptling Mareale zurück und stieg mit wenigen
Erprobten und seinem Begleiter, Herrn Ludwig Purt-
scheller, zu einem zwischen den beiden Kilimandscharo¬
gipfeln Kibo und Mawensii liegenden kleinen Plateau hinauf,
wo in 4330 Meter Höhe das höchste Standquartier für zwei¬
wöchentliche Besteigungen und Touren eingerichtet wurde.
Am 3. Oktober kletterten die beiden Europäer an den Lava¬
hängen des Kibo empor, ausgerüstet mit allem alpinen
Steigzeug, und betraten nach mancherlei Schwierigkeiten in
5570 Meter Höhe den Eismantel, der den ganzen oberen
Kibo einhüllt. Die Steigung war ungeheuer steil und das
Stufenhauen in dem spröden, harten Eis ausserordentlich
schwierig. Alle Hindernisse unserer alpinen Gletscherwelt
stellten sich auch den Reisenden entgegen, aber unter hef¬
tigem Kampf mit der Athemnoth langten sie doch nach elf-
stündiger Arbeit am oberen Rand des abgestumpften Kibo-
Kegels an und entdeckten dort einen Ungeheuern, thcilweise
mit Eis erfüllten Kraterkessel, dessen Existenz Dr. Meyer
schon immer andern Ansichten gegenüber vertheidigt hatte.
Dort sahen aber die Reisenden auch, dass auf dem Südrand
des Kraters der höchste Punkt des Berges lag, den sie wegen
völliger Erschöpfung nicht mehr zu erreichen vermochten.
Sie kehrten um, erreichten wohlbehalten ihr Zeltchen und
wiederholten am 6. Oktober dieselbe Tour, diesmal mit dem
Erfolg, dass Herr Dr. Meyer auf der höchsten dort aufragen¬
den Felsspitze die deutsche Flagge hissen durfte. Unter dem
lauten Beifall der Versammlung machte der muthige Forscher
die Mittheilung, dass er jenen Punkt „Kaiser-Wilhelm-Spitze“
genannt habe.
Der Eispanzer des Kibo, der zusammenhängend den
oberen Berg umspannt, im Norden nach oben abbricht, im
Süden aber bis zu etwa 4000 Meter sich herabsenkt, hat im
Ganzen wenig Aehnlichkeit mit den Eisgebieten der Alpen.
Bei der gleichmässigen Kegelform des Berges fehlen eigent¬
liche Firnreservoirs für Gletscherbildung. Der ganze Kegel-
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129
mantel bildet das Sammellager für die Niederschläge. Nur
wo wegen starker Neigung oder Muldenbildung die Eisdecke
sich spaltet und in Zungen ausläuft, bekommt das Eis den
Charakter von Gletschern zweiter Ordnung. Ringsum ist
der Eismantel durch eine steile Schmelzwand von 10 bis
SO Meter Höhe begrenzt, an der sich die verschiedenen
die Decke zusammensetzenden Eisschichten vortrefflich be¬
obachten lassen. Oben im Kraterkessel aber ist das Eis
zerfurcht wie der „nieve penitente“ der Anden und tritt aus
einer Spalte im Westen des Kessels als ein riesiger Gletscher
aus, dessen Zunge bis zu 3800 Meter Höhe hinabreicht.
Schnee gab es im Sommer auf dem Kibo fast gar nicht,
sondern nur Gletschereis, und der Mawensi hat im Sommer
seiner steilen Wände und porösen Laven wegen gar kein
Eis und keinen Schnee. Es ist sehr wahrscheinlich, dass
die Schnee- und Eisverhältnisse auf dem Kenia und Ruwen-
sori denen des Kilimandscharo, mit dem sie sehr ähnliches
Klima haben, gleichen. Für den Kenia will Dr. Meyer diese
Fragen im nächsten Jahre auf einer vierten Reise nach Ost¬
afrika zu lösen versuchen.
399. Sitzung am 21. November 1890.
Auwesend: 40 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grtshof.
Als Gäste waren geladen die Mitglieder des Karlsruher Bezirksvereins
deutscher Ingenieure und des Gewerbevereins.
Herr Dr. Löwenherz, Direktor der technischen Abtheilung
der physikalisch-technischen Reichsanstalt in Berlin, hielt
einen Vortrag über die Arbeiten der im Jahr 1887 ge¬
gründeten physikalisch-technischen Reichsanstalt.
Derselbe verbreitete sich insbesondere des Näheren über die
Arbeiten der technischen Abtheilung, welche sich in sechs
Gruppen sondern: 1. solche, welche sich auf Untersuchung
von Wärme und Druck beziehen; 2. elektrische; 3. optische;
4. präcisionsmechanische Untersuchungen, an welche sich
Prüfungen von Materialien der Feintechnik, sowie von Kon-
struktionstheilen anschliessen; 5. Werkstattsarbeiten und 6.
chemische Untersuchungen. Der vierten Abtheilung ist auch
die Prüfung von Stimmgabeln zugewiesen. (In der badischen
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130
Gewerbezeitung 1891 S. 90 ist der vollständige Vortrag ab¬
gedruckt).
400. Sitzung am 5. Dezember 1890.
Anwesend: 27 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashef.
Neu eingetreten die Herren : Bankdirektor A. van derKors, Ingenieur
L. Bartning, Fabrikdirektor H. Beeg von Durlach.
Herr Professor Dr. Valentiner hielt einen Vortrag über
die Veränderlichkeit der Polhöhe. Der wichtigste Gegen¬
stand der Besprechung auf der im September d. J. in Frei¬
burg abgehaltenen Konferenz der Permanenten Kommission
der Internationalen Erdmessung war unstreitig die neuer¬
dings mehrtach bemerkte Veränderlichkeit der Polhöhe oder
geographischen Breite. Da die Karlsruher Sternwarte be¬
reits in nächster £eit in Verbindung mit anderen Sternwarten
eine längere Beobachtungsreihe über diese Frage beginnen
wird, so mag eine kurze Mittheilung darüber hier am
Platze sein.
Veränderungen in der Polhöhe können hervorgerufen
werden, indem die Lage der Rotationsaxe in der Erde selbst
eine andere wird, oder indem die Richtung der Lothlinie
sich ändert. Für erstere sind die Vorbedingungen gegeben,
wenn die Rotationsaxe nicht genau mit der Hauptträg-
heitsaxe zusammenfällt, indem sich dann eine zehnmonat¬
liche Periode der Schwankung ergeben muss, für letzere,
wenn Hebungen und Senkungen der Erdoberfläche, Massen¬
verschiebungen im Innern vor sich gehen. Während sich
Polhöhenänderungen, die die erstere Ursache haben, auf
der ganzen Erdoberfläche zeigen müssen, werden die ande¬
ren im Allgemeinen nur in den Gegenden eintreten, wo
solche lokale Vorgänge statthatten. Es fragt sich nun, ob
diese Ursachen angenommen werden können? Prinzipiell
ohne Zweifel, aber es bleibt zu untersuchen, ob wir solche
Vorgänge in so hohem Betrage annehmen dürfen, dass die
Wirkungen, Veränderungen in der Polhöhe, durch die Beob¬
achtungen nachweisbar sind. Die Berechnung kann hier nur
unter gewissen Voraussetzungen geführt werden. Nimmt
man an, dass die Erde ein starrer Körper sei, so wird nach
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131
den Untersuchungen Darwins eine kaum im Jahrhundert
sicher bemerkbare Veränderlichkeit so enorme geologische
Massenverschiebungen fordern, wie sie die thatsächlich zu
beobachtenden weit überschreiten. Ganz anders werden aber
die Verhältnisse begreiflicherweise, sobald wir für die Erde
einen gewissen Grad der Plastizität annehmen. Alsdann ge¬
winnen selbst die meteorologischen Vorgänge in ihrer weitesten
Ausdehnung eine gewisse Bedeutung. Zwar gehen hier auch
die Rechnungsresultate der Gelehrten auseinander, doch lassen
die Mehrzahl eine merkbare Veränderlichkeit dann wohl an¬
nehmbar erscheinen. Es ist dabei sehr gut denkbar, dass
die erwähnte zehnmonatliche Periode nicht nachweisbar wäre,
weil zeitweise eintretende Massenverschiebungen eine starke
Aenderung in ihrer Phase und Amplitude bewirken könnten.
Es wurde frühzeitig, schon in den zwanziger Jahren
nach dem Nachweis der zehnmonatlichen Periode gesucht,
ebenso in den letzten Jahrzehnten nach etwaigen säkularen
Schwankungen, indessen stets ohne Erfolg. Die vielfach an¬
geführte Abnahme der geographischen Breiten, die an ver¬
schiedenen Sternwarten beobachtet worden sein sollte, ist in
keinem Falle als erwiesen anzusehen. Entweder lassen die
älteren Beobachtungen zu grosse Unsicherheiten erkennen,
oder auch, es sind die neueren durch Zahlenquellen, ins¬
besondere Refraktion, mehr oder minder zweifelhaft geworden.
Fanden somit die als möglich angenommenen Veränderungen
keine zahlenmässige Bestätigung, so war damit die Frage
doch noch keineswegs im negativen Sinne entschieden und
sie verschwand nicht aus dem Arbeitsprogramm gewisser
Sternwarten, sowie aus den Verhandlungen der Europäischen
oder Internationalen Erdmessung. Kein Wunder, liegt doch
ihre Wichtigkeit für alle auf die Erforschung der Erde Be¬
zug habenden Wissenschaften auf der Hand. In Betreff der
Astronomie und Erdmessung sei nur erwähnt, dass jede
Sternposition direkt oder indirekt auf der für den Beob¬
achtungsort angenommenen geographischen Breite ruht, dass
jede der zahllosen Breitenbestimmungen auf der Erde wieder
von den Sternörtern abhängig ist; findet also eine Verände¬
rung in der Polhöbe statt, so wird der Sternort beeinflusst
und hierdurch allein schon die Breitenbestimmung anderer
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132
Orte auf der Erde. Wir werden ebensogut fehlerhafte Schlüsse
über Ortsveränderungen am Himmel ziehen, wie über Einzel¬
aufgaben aus dem Gebiet der Erdmessung, indem hier die vielen
für die letztere angestellten Polhöhenbestimmungen zu Drei¬
ecken verbunden werden, die der scheinbaren Unsicherheit
der Einzelwerthe, aber nicht ihrer wirklichen entsprechen.
Von ganz anderer Wichtigkeit und Dringlichkeit wurde
die Frage noch, als aus Beobachtungen an der Berliner
Sternwarte mit ziemlicher Sicherheit eine sprungweise Aende-
rung der Polhöhe hervorzugehen schien. An solche Vorgänge
war im Allgemeinen weniger gedacht worden, aber räthsel-
hafte Erscheinungen, in früheren Beobachtungen an anderen
Sternwarten zu ganz andern Zwecken angestellt, wurden
durch ähnliche Annahme sofort erklärt, so dass dadurch vor¬
übergehende Schwankungen in der Polhöhe noch an Wahr¬
scheinlichkeit gewannen. Es erging nunmehr auf Grund
eines dem Centralbureau der Internationalen Erdmessung
von der Permanenten Kommission im Jahre 188S ertheilten
Mandats von jenem au verschiedene Sternwarten (auch an
die Karlsruher) die Aufforderung, nach gemeinsamem Pro¬
gramm etwa 1 bis 1 1 / 2 Jahr lang Beobachtungen anzustellen,
welche diese fundamentale Aufgabe lösen sollten. Die Re¬
sultate nun, welche an den Sternwarten Berlin, Potsdam,
Prag erhalten wurden, kamen im September d. J. in Frei¬
burg zur Mittheilung. Sie mussten allerdings das höchste
und allgemeinste Interesse erregen. Nach anscheinend längerer
Konstanz trat an allen drei Orten gleichzeitig ein allmähliges
Ansteigen der Polhöhe ein, welches nach mehreren Monaten
ein Maximum erreichte; dann folgte überall ein tieferes
Minimum und anscheinend nahm darauf die Polhöhe wieder
zu. Es erscheint kaum denkbar, dass an diesen drei so ver¬
schieden gelegenen Sternwarten gleiche meteorologische Ein¬
flüsse sich sollten bemerkbar gemacht haben, um so weniger,
als die angewandte Methode dieselben ganz auszuschliessen
geeignet ist. Andererseits ist die Art, in welcher sich die
Kurve vollzogen hat, in früheren Beobachtungen zu anderen
Zwecken ähnlich aufgetreten, konnte aber hier durch Un¬
sicherheiten in der Refraktion erklärt werden. Es bedarf
kaum eines Wortes, dass die Frage anstatt gelöst zu sein
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nur noch brennender geworden ist. Um den ursächlichen
Zusammenhang der Erscheinungen zu ergründen, muss es
auf Jahrzehnte die Aufgabe der Astronomen sein, die Lage
der Erdaxe und ihr Verhalten zu studiren. das Fundament
zu schaffen, auf welchem alle astronomischen Beobachtungen
und die von ihnen abhängigen Resultate ruhen müssen. Zu¬
nächst hat nun die Permanente Kommission, deren Sitzungen
Gelehrte fast aller Nationen beiwohnten, beschlossen, eine
für längere Zeit berechnete Expedition nach Honolulu zu
veranstalten, welche an diesem entfernten Ort der Erde
das Verhalten der Polhöhe zu beobachten hat, während
gleichzeitig in Europa in möglichst ausgedehnter Weise an
verschiedenen Sternwarten gleiche Beobachtungen angestellt
werden müssen. Auf diesen erneuten Ruf hin, dem ausser
den drei obigen Instituten auch Strassburg Folge leistet, hat
sich Redner ebenfalls entschlossen, den Versuch der Koope¬
ration an der Karlsruher Sternwarte zu wagen; vermuthlich
wird ferner noch Paris sich betheiligen. Unter den miss¬
lichen Verhältnissen, welche hier bekanntermassen herrschen
und welche für so feine und durchaus regelmässig an¬
zustellende Beobachtungen noch in erhöhtem Masse er¬
schwerend wirken, ist es freilich sehr fraglich, ob die Arbeit
hier gelingen wird. Indessen erschien es in diesem Falle,
wo der Plan zum Unternehmen in einer badischen Stadt ent¬
worfen, und nachdem von Seiten der badischen Regierung
die engere Betheiligung an den Arbeiten der Gradmessung
durch Ernennung eines besonderen Kommissars in Aussicht
genommen, geradezu als Ehrensache der Sternwarte, an
erster Stelle die Betheiligung zuzusichern. Um das Karls¬
ruher Institut an der Lösung einer der grössten und folg-
reichsten Aufgaben aller Zeiten theil nehmen zu lassen,
werden freilich andere vor Jahren begonnene und noch lange
nicht beendete Arbeiten zeitweilig etwas zurücktreten müssen,
was indessen an den übrigen Sternwarten ebenfalls nicht zu
vermeiden ist und was nur dann ernstlich zu beklagen wäre,
wenn sich etwa nach Jahresfrist die Unzulänglichkeit der
Beobachtungen trotz aller auf sie verwandten Mühe und Vor¬
sicht heraussteilen sollte.
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134
401. Sitzung am 9. Januar 1891.
Anwesend 18 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Herr Dr. Matthiessen sprach über das System der
kleinen Planeten zwischen Mars und Jupiter. Im
Oktober des vorigen Jahres ist die Zahl der Asteroiden auf
300 gestiegen und unser Sonnensystem hat somit in der
verhältnissmässig kurzen Zeit von 90 Jahren — der erste
der kleinen Planeten wurde in der Nacht des 1. Januar 1801
von Piazzi in Palermo entdeckt — eine wesentliche Bereiche¬
rung und ein ganz verändertes Aussehen bekommen. Früher
klaffte zwischen den Hauptplaneten Mars und Jupiter eine
auffallende Lücke mit einer Breite von nicht weniger als
550 Millionen Kilometer.
Von den Planetoiden sind nur 2 oder 3 unter günstigen
Verhältnissen dem blossen Auge sichtbar; die meisten erschei¬
nen in stärkeren Fernrohren als Sterne 10. bis 13. Grösse.
Ihre Gesammtmasse kann nach den theoretischen Untersuch¬
ungen Leverrier’s und nach photometrischen Messungen
an einzelnen Körperchen höchstens */* von derjenigen der
Erde betragen, wahrscheinlich ist sie viel geringer. Die An¬
ordnung in Bezug auf den mittleren Abstand von der Sonne
ist keine gleichmässige, sondern es treten, wie der amerika¬
nische Astronom Kirkwood zuerst nachWies, an denjenigen
Stellen Lücken auf, wo die Umlaufszeit mit derjenigen
Jupiters kommensurabel wäre.
Das grösste Interesse bietet die noch ungelöste Frage
über die Entstehung der kleinen Planeten; die Olbers’sche
Theorie von dem Zerspringen eines grösseren Weltkörpers
hat bei der jetzigen Breite der Zone, welche grösser ist als
der Abstand des Merkur vom Mars, bedeutend an Wahr¬
scheinlichkeit verloren.
Herr Otto Ammon machte einige Mittheilungen über
anthropologische Merkwürdigkeiten aus der Ar¬
tistenwelt. Dieselben • bezogen sich auf den während der
letzten Novembermesse hier ausgestellt gewesenen farbigen
Menschen, sog. „Orang-Gargasi“, welcher „nationaleGebräuche“
vorführte und Feuer frass, ferner auf den Herkules Holz¬
nagel von Berlin, welcher ebenfalls auf der Messe ein Pferd
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135
mit sammt dem Reiter mit seinen Schultern etwa 30 bis 40
Ctm. hoch hob, auf den Schnellläufer Dibbels aus Wien, der
sich voriges Jahr hier sehen liess, und endlich auf den
Schlangenmenschen Buttgereit aus Königsberg, einen sog.
»Vorwärts-Arbeiter“, der von 1888/90 seine Militärpflicht
jro Konstanzer Regiment abgeleistet hat. Die Mittheilungen
des Redners wurden durch Zeichnungen und Photographien
unterstützt. Die an dieselben sich knüpfende Berathung gab
Veranlassung, auf die Eigenthümlichkeiten des Lebens in
der Welt der „Artisten“ näher einzugehen.
402. Sitzung am 14. Januar 1891.
Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen
Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums.
Herr Hauptmann Kling von Stuttgart hielt einen Vortrag
über Togoland an der westafrikanischen Küste.
403. Sitzung am 30. Januar 1891.
Anweseud 17 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Dr. Grashof.
Herr 0. Ammon berichtete im Anschluss an seine Mit¬
theilungen in letzter Sitzung Uber einige atavistische Bil¬
dungen am menschlichen Körper unter Vorführung
derselben an einer grösseren Anzahl von Individuen.
Herr Professor Strack berichtete über seine Erfahrungen
an der Erleichterungstafel zur Ausführung von
Multiplikationen und Divisionen von J. Blater.
Diese Tafel ist eine vereinfachte uud dadurch verbesserte
Ausgabe der unverdienter Weise in Vergessenheit gerathenen
Napier'schen Rechenstäbchen. Drei säulenförmige Stäbchen
enthalten auf den vier Seitenflächen die Produkte der ein-
ziffrigen Zahlen. Nachdem die Stäbchen in geeigneter Weise
nebeneinander gelegt sind, liest man die 2, 3 . . . 9fachen
einer beliebig grossen Zahl ab. Es waren einige Hundert
Multiplikationen, von 2 Zahlen mit einander auf gewöhnlichem
Wege mit der Logarithmentafel und mit der Erleichterungs¬
tafel ausgeführt worden, das letztere Verfahren zeigte gegen¬
über den beiden ersten eine Zeitersparniss von etwa 20 Proz.;
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136
höher dürfte die Verminderung der geistigen Anspannung
sein. Produktentafeln sind bequemer, aber auch umfang¬
reicher. Die Erleichterungstafel ist zu 3 M., in einfacherer
Ausgabe zu 1,20 M. durch den Buchhandel zu beziehen.
404. Sitzung am 13. Februar 1891.
Anwesend 19 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Geh. Hofrath Dr. Schell hielt einen Vortrag über die
Beziehungen der synthetischen Geometrie zur theo¬
retischen Mechanik. Der erste Theil desselben hatte das
Ziel, den Einfluss zu zeigen, den die, vorzüglich von Möbius
und Grassmann entwickelte Theorie der Strecken auf die
Lehre von den Geschwindigkeiten, Beschleunigungen und
Kräften erster und höherer Ordnungen genommen hat, wie
ihre Aequivalenzen und Reduktionen alle Theile der Mechanik
beherrschen und wie insbesondere die geometrische Differen¬
tiation und Integration den Grundplan vorzeichnet, nach
welchem der Auf- und Ausbau dieser Wissenschaft erfolgt.
Der zweite Theil behandelte die Bedeutung der geometrischen
Verwandtschaften, insbesondere der Kollineation und Reci-
procität für die Geometrie der Bewegung der Systeme und
zeigte insbesondere, welche Aussichten sich hiedurch dem
Studium der Bewegung veränderlicher (biegsamer, flüssi¬
ger etc.). Systeme eröffnen. Während die Streckentheorie
geeignet ist, den Grundplan der Mechanik im Grossen uud
Ganzen festzulegen, kann die Theorie der Verwandtschaften
die Unterabtheilungen der einzelnen Hauptabschnitte liefern.
Zugleich wurde auf den Werth hingewiesen, den die Ueber-
tragung des Begriffs der Verwandtschaft auf die Bewegungen
selbst für die Mechanik hat, nicht bloss für die theoretische,
sondern auch für deren Anwendung auf die Physik, die
Maschinentechnik etc. Der dritte Theil endlich behandelte
die Fortschritte, welche die Mechanik theils gemacht hat, theils
ihr in Aussicht stehen durch die Revision und schärfere
Fassung der Vorstellungen und Begriffe von räumlichen
Dingen, welche die Neuzeit herbeigeführt hat. Es wurde
insbesondere auf die neuere Kritik des Kraftbegriffs und der
Kausalität hingewiesen.
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Dem ganzen Vortrage lag die Idee zu Grunde, dass die
Behauptung, welche seit Lagrange vielfach aufgetreten sei,
dass die Mechanik eine vorzugsweise analytische Grundlage
haben müsse, nicht korrekt sei, dass vielmehr neben der
analytischen auch eine synthetische Mechanik heut zu Tage
bestehe und dass beide Zweige zum Vortheil der Gesummt¬
wissenschaft ausgebildet werden müssen, dass aber immerhin
der Grundcharakter der theoretischen Mechanik vorzugsweise
der einer geometrischen Wissenschaft sei.
405. Sitzung am 27. Februar 1891.
Anwesend 21 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofratb Dr. Wiener.
Herr Direktor Leutz sprach über botanische Funde,
welche in den letzten zehn Jahren bei der Eröffnung ägypti¬
scher Todtenkammern gemacht wurden. Die Botaniker A.
Braun, Ascherson, Schweinfurth, die Archäologen Dü-
michen, Schiaparelli, besonders der Vorstand des ägypti¬
schen Museums in Kairo, Maspero, haben mit grosser Sorgfalt
die Pflanzenreste der Mumiensärge untersucht. Als Haupt¬
fundorte sind zu bezeichnen die Grabkammern der grossen
Könige von Aegypten, von 1500—1200 vor Christus, welche bei
Der-el-Bahari 1881 aufgefunden wurden, die Gräber bei dem
Tempel in Edfu, von Professor Dümichen untersucht, die
Gräber von Dra-Abu-Negga aus der 11. Dynastie, 2000 vor
Christus, von Schiaparelli untersucht, die Gräber von Gebe¬
len aus der Zeit der Ptolemäer, die Gräber von Scheich ab-del
Qurna, von Maspero untersucht. Die Mumiensärge ent¬
halten zahlreichen Blumenschmuck, theils Kränze, Sträusse,
oben auf oder an die Seite der Mumien gelegt, besonders aber
Blumengewinde. Im Blumenbinden waren die Aegypter schon
bei den Griechen berühmt. Die zahlreichen Gewinde be¬
stehen aus gefalteten Blättern einer Weide, Salix Safsaf oder
Mimusops; diese Blätter bilden Päckchen, welche durch
Fasern von Palmblättern aneinander gereiht sind; in die
Oeffnungen an der Seite sind Granatblüthen, Akazienblüthen,
Rittersporn, Saflor, Kornflocken u. a. eingesteckt. Merkwürdig
ist dabei die gute Erhaltung der einzelnen Theile, sogar der
Farbe. So ist z. B. die Mumie der Prinzessin Chonsu, bei
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Der-el-Bahari gefunden und von Professor Maspero 1886
aufgebunden, von oben bis unten mit Gewinden von Papaver
Rhoeas, unserer rothen Klatschrose, umwunden, wobei Staub¬
fäden und Beutel, Borstenhaare und Farbe wohl erhalten
sind. In den Blumengewinden von König Ahmes I., 1700
vor Christus, finden sich Blüthen von Delphinium orientale,
sehr schön in Form und Farbe erhalten. Die Mumie des
grossen Königs Rhamses II., zur Zeit Moses, bei Der-el-
Bahari gefunden, ist geschmückt mit gut erhaltenen Lotus-
blüthen, Nymphaea Lotus. Diese Art von Nymphaea war
früher die häufigste im Nil, später wurde sie von N. coerulea
verdrängt, deren blaue Blumenblätter sich ebenfalls zahlreich
in die Gewinde eingesteckt finden. Blätter der Wasserme¬
lone enthält der Sarg des Priesters Nibsoni in Der-el-Bahari,
noch lebhaft grün. Saflorbündel befinden sich in den Ge¬
winden der Mumie des Königs Amenhotep I. Im Blumen¬
schmuck der Prinzessin Chonsu, 1000 vor Christus, finden sich
die dunkelvioletten Blüthen einer Art Kornflocke, Centaurea
depressa, wobei die grauen, filzigen Blätter, die Borsteu,
Achänen und Pappus wohl erhalten sind. Auch blaue Wein¬
beeren finden sich in den Särgen, zwar eingeschrumpft, aber
noch mit dem bläulichen Reif. Zahlreich sind auch die
Ueberreste von Getreide, sowohl als Opfergaben, wie auch
als Todtenspeisen, z. B. in den Gräbern der 5. Dynastie,
3500 vor Christus, bei Dra abu Nega. Es sind dieselben Ge¬
treidekörner, wie sie heute noch in Aegypten gebaut werden.
Keimversuche blieben bis jetzt alle erfolglos. Der Name
Mumienwaizen beruht also auf einem Irrthum. Interessant
sind auch die Kränze aus gekeimter Gerste, die Körner sind
mit den vorstehenden Keimen zu kleinen Büscheln gebunden,
aus welchen die Kränze geflochten sind. In Aegypten war
die Bereitung von Bier aus Malz längst bekannt. Dieselbe
Mumie, welche den Malzkranz trägt, trägt auf der Brust ein
Gewinde von Sellerie, ein Beweis, dass die Griechen den
Gebrauch der Sellerie bei Todtenfeiern aus Aegypten geholt
haben, und zwar lange vor der geschichtlichen Zeit, 2000
vor Christus. Die Verbindung Aegyptens mit Griechenland
ergibt sich auch aus dem Umstande, dass Tannenzapfen und
eine Flechtenart, Parmelia furfuracea, in den Gräbern ge-
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funden wurden, welche Pflanzen niemals in Aegypten ge¬
wachsen sind. Noch eine Menge von Pflanzenresten, sowie
auch Gemälde von Pflanzen, deren Anbau und Zubereitung
der Früchte finden sich in den Grabkammern, aber stets
sind es solche Pflanzen, welche entweder jetzt noch in Ae¬
gypten Vorkommen, oder doch in den umliegenden Ländern,
so dass man hieraus den Schluss ziehen kann, dass Klima
und Vegetation sich in Aegypten seit 5000 Jahren nicht
verändert hat. Diese Untersuchungen haben zugleich chrono¬
logischen Werth, da aus der Art der Blumen und der Be-
kränzung, welche in den verschiedenen Perioden wechselte,
die Zeit, sogar der Monat der Beisetzung der Mumie er¬
schlossen werden kann. Ebenso beweisen sie uns die weit
über unsere sonstigen geschichtlichen Quellen hinausgehende
Verbindung der Länder des Mittelmeeres. Eine neue, grosse
Entdeckung von Mumiengräbern wurde im Februar d. J. von
dem Franzosen G re baut bei Der-el-Bahari gemacht, deren
Erforschung gewiss noch manchen interessanten Fund bieten
wird.
Herr Professor Dr. Schleiermacher legte einen Gestein¬
splitter mit Blitzspuren in Gestalt einer mit schwarzen
Perlen besetzten Schmelzrinde vor. Das Stück wurde lose
auf der Spitze des Riffier (Blankahorn, 3200 M.), Tyrol,
gefunden.
Herr Professor Dr. Meldinger lenkte die Aufmerksamkeit
der Versammlung auf eine an verschiedenen breiten, wenig
belebten Strassen der Stadt gegenwärtig zu beobachtende
Bodenerscheinung. Seit Wochen haben wir heiteres
Wetter bei fast ruhiger Luft, mitunter ganz Windstille, mit¬
unter schwache Strömung von Ost bis Südost, eine Witterung,
wie wir sie zuweilen längere Zeit im Oktober, ja bis in den
November hinein als Altweibersommer geniessen, z. B. gerade
im vergangenen Herbste. Während im letzteren Falle die
Temperaturen von Nachts 5 Grad bis Tags 15 Grad R. etwa
im Schatten schwanken, in der ersten Zeit etwas höher noch,
in der letzten Zeit etwas weniger, so war gegen Ende des
Winters bei gleich hohem und langem Sonnenstand die
Temperatur jedoch um 5 bis 7 Grad niedriger, Nachts —2
Grad bis 0, Tags -f- 8 bis 10 Grad R., jedoch auch mit
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140
einer Differenz von etwa 10 Grad R. zwischen Nacht-Mini¬
mum und Tag-Maximum. Bei den hohen Tagestemperaturen
schmolz nun überall der Schnee weg, doch das Eis auf den
Wiesen und im Stadtgarten blieb erhalten. Morgens wurde
vielfach bis zur Mittagszeit Schlittschuh gelaufen, später
wurde die Oberfläche des Eises jedoch zu weich. An einzelnen
Stellen der Strassen blieb aber auch der Schnee, sowie der
in der Nacht gefallene Reif liegen, ohne auch nur Spuren
von Aufthauen zu zeigen, so in der Bahnhofstrasse unmit¬
telbar am Hause des Redners und am Schlossplätze (auch
besonders bemerkenswerth in der Bismarckstrasse, wie später
von einigen der Anwesenden hervorgehoben wurde). Die be¬
treffenden, immer nur vereinzelten Stellen lagen im Schatten
hoher Häuser und wurden von der Sonne nicht getroffen, die
Grenzlinie entsprach scharf dem Sonnenstände.
Wie war es aber möglich, dass bei einer Lufttemperatur
von +10 Grad R. der Schnee nicht schmolz? Die Ursache
liegt in der Ausstrahlung nach dem blauen, vielleicht in
einer Temperatur von über 200 Grad unter Null befindlichen
Himmel, welche soviel oder noch mehr Wärme entführt, als
durch die Luft leitend zugeführt wird. Allerdings muss die
Strahlung nach einer grösseren Fläche des Himmels gerichtet
sein, um die volle Wirkung auszuüben; in der Tliat be¬
obachtete man die Erscheinung nur da, wo nach Norden
keine Häuser an der Strasse lagen, so dass also die be¬
treffenden Bodenflächen fast dem vollen halben Himmel zu¬
gekehrt waren. Häuser nach Norden beschränken nicht nur
die Ausstrahlung des Bodens nach dem Himmel, sie wirken
auch selbst direkt erwärmend durch ihre von der Tages¬
sonne beschienenen und von innen erwärmten Mauern. Auch
die Südhäuser besitzen diese Wirkung in Folge der inneren
Erwärmung in geringem Grade, desshalb zeigte sich kein
Reif in unmittelbarer Nähe der Mauern, sondern erst in
einem Abstand von etwa 3 Meter, wo übrigens auch die
bestrahlte Himmelsfläche schon etwas grösser war. Der
Boden besass, soweit er mit Reif bedeckt blieb, am Tage
eine Temperatur von 0 Grad bei 2 Centimeter Tiefe, dann
nahm die Temperatur etwas zu und bei 30 Centimeter Tiefe
war sie — 1 * Grad R. Morgens 9 Uhr war die Temperatur
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141
bei 2 Centimeter Tiefe —2 Grad R., während die Luft fast
-f-2 Grad R. zeigte. Die Temperatur der Erdoberfläche von
0 Grad bei hoher Tagestemperatur hat selbstverständlich
keinen Einfluss auf die Erscheinung des Nichtschmelzens des
Reifes, sie lässt eben die beiden gegen einander kämpfenden
Wirkungen der Ausstrahlung der Wärme nach dem Himmel
und der Zuleitung der Wärme durch die Luft uneingeschränkt
zur Geltung kommen. Bei -HlO Grad R. dürfte übrigens
die Grenze des Nichtschmelzens nahe erreicht sein, höhere
Lufttemperaturen wurden während der Periode nicht beob¬
achtet. Man wird daraus schliessen können, dass bei ruhiger,
oder nur mässig bewegter Luft Wasser schon bei -+-9 Grad
R gefrieren könne, wenn es im Freien der Wirkung des
ganzen durchaus unbewölkten Himmels ausgesetzt und nur
dafür Sorge getragen wird, dass es von den Seiten und vom
Boden keine Wärme aufnehmen kann, also z. B. Wasser in
der Höhlung eines Eisblocks. Das auf den Eisflächen der
Wiesen in Folge der Sonnenwirkung sich bildende Wasser
zeigte sich immer rasch wieder gefroren, sobald die Sonne
dem Horizont sich näherte, es wurde dies bei -4- 8 Grad R.
Lufttemperatur beobachtet. Der geringste Wolkenschleier
vermindert die Ausstrahlung erheblich, dickere Wolken ver¬
hindern sie völlig. Desshalb schmilzt aller Schnee bei be¬
decktem Himmel, sobald nur die Temperatur von 0 Grad
überschritten wird, starker Wind unterstützt die Wirkung
bedeutend. Jede andere Deckung über der Erde wirkt bei
heiterem Himmel ähnlich, z. B. ein Zeltdach. Desshalb war
auch im Walde der Ebene während dieser Periode aller
Schnee weggeschmolzen; hier kam eben die volle Luftwärme
zur Wirkung.
Der Unterschied der Lufttemperaturen zwischen Herbst
und Winter bei fast ganz gleicher Witterung und Sonnen¬
bestrahlung erklärt sich aus der Bodentemperatur. Im Herbst
ist dieselbe vom Sommer her viel höher als Ende Winter,
man wird mindestens 10 Grad R. Unterschied unter mittleren
Verhältnissen rechnen dürfen; darum kann sich die Luft im
Herbst weniger stark in Folge der Ausstrahlung nach dem
heiteren Himmel abkühlen. Im Uebrigen hat man in diesen
Temperaturen den reinen Ausdruck der örtlichen Erwärmung
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142
der Erde zu erkennen, unbeeinflusst durch Vorgänge an ent¬
fernteren Orten. Die Verhältnisse ändern sich sofort, sobald
ausgeprägte Windströmungen aus Südwest oder Nordost ein-
treten. Nicht selten haben wir im März wochenlang bei
heiterem Himmel recht rauhes Wetter mit Temperaturen,
die wenig über Null gehen — eine Folge der aus dem Norden
uns zugeführten kalten Luft. Mildes Frühlingswetter, wie
in den letzten Wochen (mit dem 1. März schloss es ab),
haben wir selten, in der Regel jedoch nach einem langen
Frostwinter.
406. Sitzung am 13. März 1891.
Anwesend 15 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Professor Dr. Meidinger hielt einen Vortrag über
die Entwickelung der dynamo-elektrischen Maschi¬
nen in den letzten Jahren. Die Pariser elektrische Aus¬
stellung des Jahres 18S1 Hess zum ersten Male die Bedeu¬
tung dieser Elektrizitätserzeuger für die Zukunft so recht
erkennen. Was damals konstruktiv vorgeführt wurde, unter¬
scheidet sich in hohem Grade von dem heute zur Ausführung
Kommenden nicht blos in Durchbildung, sondern auch
namentlich in den Dimensionen. Während damals die grössten
der Maschinen für höchstens 20 Pferde Triebkraft gebaut
wurden, sind jetzt solche für 100 Pferde häufig, ja man baut
sie für 1000, selbst für 10.000 Pferde bei Centralstationen
elektrischer Beleuchtungsanlagen. In Neuhausen am Rheinfall
bei Schaffhausen sind zwei Maschinen für je 600 und eine
für 300 Pferde zur Aluminiumgewinnung aufgestellt. Diese
so mächtigen Elektrizitätserzeuger sind in beträchtlichen In¬
duktordimensionen gebaut; bei der grossen Neuhauser Maschine
hat derselbe einen Durchmesser von 2,4 Meter; der Induktor
einer Wechselstrom-Maschine in Deptford bei London für
10,000 Pferde hat beinahe 14 Meter Durchmesser. Je grösser
die Maschinen gebaut werden , um so geringer kann ihre
Umdrehungsgeschwindigkeit sein, da für die Wirkung wesent¬
lich die Peripheriegeschwindigkeit massgebend ist. Letztere
Maschine macht blos 80 Umdrehungen in der Minute, die
Maschine in Neuhausen 200. Dadurch ist es nun möglich, die
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143
Dynamo’s direkt mit der Triebmaschine zu verkuppeln, ohne
Vorgelege, wodurch nicht nur ausserordentlich an Raum er¬
spart wird, sondern auch die Kosten sich erheblich ver¬
mindern.
Redner erläuterte noch die Konstruktion einiger neueren
Dynamo’s durch Zeichnungen, und theilte das theoretisch
Wissenswerthe mit über die Gleichstrommaschinen und die
Wechselstrommaschinen im Hinblick auf Centralanlagen, sowie
über die in Verbindung mit den Wechselstrommaschinen zur
Verwendung kommenden Transformatoren.
Herr Professor Dr. Strack berichtete hierauf über eine
am gleichen Tage Nachmittags gegen 3 Uhr am ganz heiteren
Himmel sich zeigende und nahe eine Stunde anhaltende höchst
merkwürdige Licht erschein ung. Herr Professor Franz
Sales Meyer von der Kunstgewerbeschule hätte die Er¬
scheinung im Freien beobachtet und aufgezeichnet. Seiner
Freundlichkeit war ein hektographischer Abdruck der Auf¬
nahme zu verdanken, welcher den Anwesenden in der Sitzung
gleich zugestellt werden konnte. Die beistehende Figur gibt
das genaue Bild der Erscheinung nach jener Aufnahme. Von
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144
der Sonne aus in gleicher Höhe über dem Horizont läuft ein
heller Streifen rings um den Himmel, zu beiden Seiten ist
derselbe gekreuzt durch Büsche], welche nach der Sonne zu
roth, nach aussen blau erscheinen mit den bekannten Ueber-
gangstönen. Nach dem Zenith zu zeigen sich zwei grössere
Bogen mit der Sonne als Mittelpunkt, an den oberen schliesst
sich in umgekehrtem Sinne ein kleinerer Bogen an, dessen
Mittelpunkt ungefähr in das Zenith fällt. Alle Bogen sind
an ihren nach der Sonne zugekehrten Seiten roth, nach
aussen blau. An die Schilderung der Erscheinung knüpfte
sich eine Besprechung über ihr Zustandekommen, nach welcher
sie als eine Wirkung der Lichtbrechung von in hoher Luft
vorhandenen feinen Eiskrystallen anzusehen sein dürfte.
Zum Schluss erläuterte Herr Dr. Schultheiss eine neue
amerikanische Erfindung: die W e b b’s cli e A d d i t i o n s-
maschine, welche dazu bestimmt ist, das Zusammenzählen
grösserer Zahlenreihen zu einer möglichst raschen, nicht mehr
ermüdenden, rein mechanischen Operation zu machen. Der
sehr handliche Apparat besteht aus zwei kreisrunden dreh¬
baren Scheiben, von denen die grössere, die eigentliche Addi¬
tionsscheibe, mit 100 kleinen Bohrungen versehen ist. Vor
diesen sind die Zahlen 0 bis 99, welche aber durch einen
festen, nicht drehbaren, ebenfalls mit den Zahlen 0 bis 99
versehenen Ring am Rande der Scheibe überdeckt sind, an¬
gebracht. Es können nur zweistellige Zahlen summirt werden;
hat man grössere Zahlen, so müssen dieselben in zweistellige
Gruppen zerlegt werden. Die Addition wird nun in der
Weise vorgenommen, dass ein Stift jeweils in ein den ein¬
zelnen Summanden entsprechendes Loch gesteckt und die
Scheibe dann bis zu einer bei der Ziffer 0 auf dem festen
Ring angebrachten Haltvorrichtung gedreht wird; an einem
der letzteren sich gegenüber befindenden Ausschnitt in dem
Ring erscheint dann auf der Scheibe die Zahl, welche der
Summe der Drehungen entspricht. Die Hunderter erscheinen
dabei, wie bei einem gewöhnlichen Zählwerk, von selbst auf
der zweiten Scheibe, welche auch zur Addition der Hunderter
dienen soll. Die Webb’sche Additionsmaschine soll sich viel¬
fach bewährt haben. Besonders verwendenswerth erscheint
sie bei der Summirung von Zahlen, welche zwischen engen
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145
Grenzen liegen; immerhin erfordert ihre Handhabung eine
gewisse Uebung, wenn Zeitersparnis erzielt werden soll.
407. Sitzung am I. Mai 1891.
Anwesend 21 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Greneral-Versammlung,
Herr Hofrath Dr. Meidinger liest einen Bericht über
die Tbätigkeit des Vereins im verflossenen Geschäftsjahr vor.
Herr 0. Bartning berichtet über den Stand der Kasse des
Vereins.
Bei der dieses Mal stattfindenden Vorstandswahl wurde
der frühere Vorstand wieder gewählt und Herr Professor Dr.
Lehmann an Stelle des Herrn Geh. Hofraths Dr. Knop, wel¬
cher aus Gesundheitsrücksichten eine Wiederwahl abgelehnt
hatte.
Herr Oberforstrath Schuberg hielt einen Vortrag über
die Wuchsverhältnisse der Buche in Hochgebirgs-
waldungen.
Zu den wichtigsten Aufgaben der Forschung im Gebiete
des Forstwesens gehört die Ermittelung des Wuchses und
Ertrages jener Holzarten, welche in ganzen Waldbeständen
auftreten, und die Zusammenfassung und klare Darstellung
der darüber seit Jahren gesammelten Untersuchungsergeb¬
nisse in sogen. Ertragstafeln. Der Baumwuchs folgt zwar
bestimmten, ziffernmässignachweisbaren Naturgesetzen, welche
jedoch nicht allein holzartenweise variiren, sondern auch je
nach den Verhältnissen des Standortes, der Waldentstehung
und Behandlung innerhalb gewisser Grenzen (Spielräumen)
mannigfache Wachsthumsformen in die Erscheinung treten
lassen.
In jedem Waldbestande entwickeln sich die einzelnen
Bäume ungleich in Höhe, Stärke, Schaft- und Kronenform.
Die Bäume von mittlerer Wuchsgrösse und Form herrschen
vor, die Zahl der zurückbleibenden und vorwüchsigen sinkt
gegenüber der herrschenden Mittelgrösse in einem gewissen
prozentischen Verhältniss, ähnlich wie dies der bekannte
belgische Statistiker Quetelet bezüglich der menschlichen
Körpergrösse innerhalb der Rassen und Volksstämme nach-
10
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146
gewiesen hat. Die gesammte Stammzahl der Bestände, im
Jugendalter sehr gross, aber je nach der künstlichen oder
natürlichen Entstehung (durch Samenabfall) schon sehr un¬
gleich, nimmt auch bis in’s höhere Alter — von vielen
Tausenden auf wenige Hunderte — in sehr ungleichem Ver¬
hältnis ab. Allgemein gilt als Regel, dass im Wettkampf
um Licht und Bodenraum die Schwächlinge desto rascher
und früher unterdrückt werden, demgemäss um so eher eine
kleinste Stammzahl stärkerer Bäume den Platz behauptet,
je günstiger die örtlichen Wachsthumsbedingungen sind.
Die dabei massgebenden mehrfachen und Wechsel vollen Ur¬
sachen sind einerseits den natürlichen Bedingungen der Er¬
nährung, andererseits, dem menschlichen Eingreifen zuzu¬
schreiben, müssen desswegen auf dem Wege der Untersuchung
und der statistischen Beobachtung ermittelt werden.
Beim Buchenwald ergaben diese beiden Ermittelungs¬
wege deutlicher hervortretende messbare Ergebnisse, weil
diese Holzart bei uns in grossen, reinen Beständen von der
Meeresküste bis zur Baumgrenze auf fast allen Bodenarten
und in allen Lagen vorkommt und gedeiht, meistens natür¬
lich verjüngt und waldbaulich im Hochwald nach gemein-
giltigen Regeln behandelt wird. Sie bietet daher sehr zahl¬
reiche Vergleichsobjekte.
Davon befanden sich seit Jahrzehnten bis heute viele
sog. Versuchsflächen in planmässiger Untersuchung. Das
daraus gewonnene Zahlenmaterial führte zur Feststellung der
wirtschaftlich wichtigsten Zahlenverhältnisse bezüglich des
Bestandswuchses und Ertrags von den geringsten bis zu den
besten Standorten, vom jüngsten bis zum höchstüblichen Alter,
woraus jedoch für die kurz bemessene Zeit eines Vortrages
nur einige charakteristische Zahlensätze sich vorführen lassen.
Im grossen Durchschnitt besitzt 1 Ha. Buchenwald im
Alter von. 40 80 120 Jahren
eine Stammzahl von
bei bestem Wuchs . .
. . 2400
800
500
bei mittlerem Wuchs .
. . 3800
1140
680
bei geringstem Wuchs .
. . 7100
1775
1000
jedoch mit der örtlichen
Aenderung,
dass
innerhalb jedes
Wuchsgrades bei geringster Erhebung
über
die Meereshöhe
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147
die Stammzahl sich ermässigt, mit zunehmender Erhebung
steigert und bei mittlerem Wuchs in den Extremen einer¬
seits wieder den Mittelzahlen des besten, andererseits des
geringsten Wuchses sich nähert.
Nebstdem pflegt bei Gleichheit der Standortsgüte und
der Erhebung ü. d. M. den Süd- und Westlagen eine grössere
Stammzahl eigen zu sein wie den Nord- und Ostlagen und
übt die Waldbehandlung eine weitere modifizirende Wirkung
bis zu einem gewissen Grade. Die letztere kann jedoch
ohne Schädigung des Waldes die Stammzahl in den Hoch*
lagen der Gebirge nicht bis Zu jener der tieferen Lagen
herabsetzen, die Wirtbschaft muss vielmehr zur Erhaltung
vollen Wuchses den Beständen der Hoch-, sowie der West-
und Südlagen die grössere Stammzahl bis in die höheren
Lebensalter belassen.
Demzufolge muss der Wuchsgang der Bestände nach
ihrer geringeren oder grösseren Stammzahl besonders beob¬
achtet und untersucht werden; die Stammzahl beeinflusst in
hohem Masse den Höhe- und Stärkewuchs, die Schaft- und
Kronenentwickelung der Bäume: bei gleicher Bodengüte ent¬
wickelt sich der Einzelbaum um so langsamer, je dichter
(stammreicher) der ganze Bestand bleibt. Die Grundflächen¬
summe aller Stämme (Summe der Querschnitte in Brusthöhe,
d. i. 1,3 Meter über dem Boden) ist zwar am grössten bei
der höchsten Stammzahl, aber auf 100 Stämme des dich¬
testen Bestandes entfällt die kleinste Grundfläche, z. B.
haben 100 Stück
im Alter von 40 SO 120 Jahren
Qm.
bei bestem Wuchs in räum¬
licher Stellung .... 1,54 6,20 11,35
bei bestem Wuchs in dichter
Stellung. 0,82 3,70 7,35
bei geringstem Wuchs in
räumlicher Stellung . . 0,37 2,10 4,5
bei geringstem Wuchs in
dichter Stellung. . . . 0,13 1,04 2,4
und dementsprechend einen grösseren oder kleineren Wachs-
thumsraum.
io*
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148
Ebenso unterscheidet sich die Höhe der Bestände sehr
wesentlich nach der Stellung, denn sie beträgt z. B. für
40 80 120 Jahre
Meter
bei bestem Wuchs in räuml. St. 16 28 35
„ „ „ dichter „ 13 23 28
Dessenungeachtet können die dichteren Bestände ebenso
viel Holzmasse liefern, wie die räumlicheren, weil die grössere
Zahl an Stämmen den geringeren durchschnittlichen Kubik¬
inhalt des Einzelstammes ausgleicht. Die Untersuchungen
darüber, bei welcher Bestandsdichtheit bezw. bei welchem
Grad der Zwischennutzungen (oder allmähligen Stammzahl¬
minderung) der höchste und werthvollste Ertrag erzielt wird,
sind noch nicht abgeschlossen.
Die grössere Dichtheit, welche namentlich den von
Jugend auf unter der Ungunst der klimatischen Verhältnisse
sich am langsamsten entwickelnden Waldbeständen des Hoch¬
gebirges ein charakteristisches Gepräge schlanker Schaftformen
und kleinerer Baumkronen verleiht und sie jünger erscheinen
lässt, als sie wirklich sind, äussert noch eine weitere wuchs¬
ändernde Wirkung. Der Massengehalt der jüngeren Bestände
bleibt oft lange und namhaft zurück und erreicht den grössten
durchschnittlichen Massenzuwachs anderer Waldlagen nicht
ganz oder erst viele Jahre später, z. B. bei mittlerer Stand-
ortsgüte im Alter von
100
110
120
130
Jahren
für 1 Jalir unil
Ha.
*
mit
4,48
4,57
4,67
4,G5
Fm.
anstatt im Alter von
90
100
110
120
Jahren
mit
4,80
4,78
4,74
4,66
Fm.
Aehnlich verhält sich’s mit dem grössten Höhe- und
Stärkewuchs u. s. w., weil die Kürze des Sommers, die Hef¬
tigkeit der Luftströmungen und der überreiche Schneefall
die Entwickelung von Jugend auf hemmt. Da aber gerade
hier alles schwächere Holz schwer absetzbar und gering-
werthig ist, bedarf es höherer Hiebsalter. Im Allgemeinen
sind diese Thatsaehen den Forstwirthen allerdings längst be¬
kannt und hohe Umtriebe immer von ihnen befürwortet
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149
worden. Aber die genaue Entzifferung dieser Thatsacben,
zur vollen Begründung der wirtschaftlichen Massnahmen
und zum Ausbau unanfechtbarer Zahlenwerke muss noch
erstrebt werden (und ist eingeleitet), da Vergleichszahlen
wie die obigen nur die Ergebnisse einiger örtlicher Unter¬
suchungen sind.
408. Sitzung am 15. Mai 1891.
Anwesend 21 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Dr. P. Kumm hielt einen Vortrag über die Wechsel¬
beziehungen zwischen Pflanzen und Ameisen.
409. Sitzung am 29. Mai 1891.
Anwesend 32 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr 0. Ammon machte Mitteilungen über Beobach¬
tungen und Messungen im Lager der ßothhäute
(Buffalo Bill).
Herr Hofrath Dr. Meidinger berichtete über die (als
Versuch) im Bau begriffene Kraftübertragungsanlagen
zwischen Lauffen am Neckar oberhalb Iieilbronn und
Frankfurt a. M. (elektrische Ausstellung). Die Entfernung
beträgt 175 Kilometer. Uebertragen soll werden eine zur
Verfügung stehende Wasserkraft von 300 Pferdestärken. Zur
Anwendung für die Leitung kommt ein Kupferdraht von 4 mm
Dicke, der auf Stangen, wie die Telegraphendrähte aufgehängt
ist mit Verwendung eigentümlicher Oel-Porzellan-Isolatoren,
die auch bei ganz nassem Wetter den Verlust von Elektricität
vollständig verhindern. Die Uebertragung erfolgt durch
Wechselströme von etwa 30 000 Volt Spannung, die in Lauffen
aus niedergespannten Strömen durch Transformatoren erzeugt
und in Frankfurt wieder in niedergespannte Ströme von 60
Volt zurück geführt werden, die nunmehr als gefahrlos zur
Verwendung kommen, um Licht und Kraft zu erzeugen.
Wie sich später zeigte, gelang der Versuch vollkommen;
die Uebertragung des Stromes auf die grosse Entfernung von
etwa 40 Stunden war nur mit einem Verlust von etwa
25 Prozent verbunden, wovon 11 Prozent auf die Leitung,
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150
8 Prozent auf die Dynamo-Maschine und 3 bis 4 Prozent
auf jeden der beiden Transformatoren entfallen.
410. Sitzung am 12. Juni 1891.
Anwesend 16 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Ilofrath Dr. Wiener.
Herr Forstrath Weise hielt einen Vortrag über den
Weisstannenkrebs. Einleitend hob er hervor, dass von
den beiden Forschern, die sich vor 25 Jahren mit dieser
für die Schwarzwaldwirthschaft sehr empfindlichen Krankheit
beschäftigt haben, de Bary die richtige Erklärung gefunden,
während Ratzeburg einer begleitenden Erscheinung eine zu
hohe Bedeutung beigelegt habe. De Bary habe die Krankheit
auf Infektion mit Aecidium elatinum zurückgeführt, Ratze¬
burg auf den Frass von Sesia cephiformis. Auffallend ist es,
dass trotz aller Nachforschungen unsere Erkenntniss über
die Entwickelung des Aec. elatinum seit de Bary wenig,
eigentlich gar nicht gefördert ist.
Der Vortragende ging nun auf eine Reihe der wesentlich
bei dieser Krankheit interessirenden Punkte ein, hob hervor,
dass auch seine Beobachtungen noch nicht zur völligen Auf¬
klärung der Erscheinungen ausreichten, dass er viel von
Wahrscheinlichkeiten selbst da sprechen müsse, wo eigentlich
Thatsachen angeführt werden sollten.*
Der erste Theil des Vortrags behandelte zunächst die
Frage, an welcher Stelle der Pilz Eingang findet. Zur Be¬
antwortung musste der eben entstehende Hexenbesen ein¬
gehend beobachtet werden und es ergab sich, dass die In¬
fektion nur durch die Knospe, und zwar in einem gewissen
Stadium ihrer Entwickelung geschehen könne. Eine Reihe
von Tafeln mit einer Auswahl von oben aus der Knospe
treibenden Hexenbesen wurde zur Klarstellung dieses Sach¬
verhalts vorgelegt. Bei diesem Material war die Infektion
der Knospe unzweifelhaft. Dass das Mycel auf anderem Wege
nicht eindringen könne, wurde durch folgendes bewiesen.
• Die Veranlassung, dass Redner mit seinen Beobachtungen an die
Oeffentlichkeit trat lag darin, dass er für den Herbst Karlsruhe verliess,
um als Direktor der Preuss. Forstakademie nach Münden überzusiedeln
und in dem neuen Wirkungskreise kein Beobachtungsmaterial fand.
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151
Wenn jede Stelle des Triebes oder jede Nadel den Eingang
zulässt, so muss in manchen Jahren eine Ueberschüttung des
Waldes mit Infektionen eintreten. Das ist aber niemals der
Fall und darin weicht der Hexenbesen von allen anderen
verwandten Pilzkrankheiten ab. Sein Auftreten ist immer
ein — für Pilzkrankheiten — sparsames, dabei aber ein
auffallend gleichmässiges. De Bary’s Behauptung, dass der
Pilz durch die gesunde Rinde eindringe, sei demnach nicht
aufrecht zu erhalten. Wenn Rb. Hartig behauptet, dass nur
eine Wundstelle den Eingang verschaffe, dass die Weisstanne
ohne Verwundung den Eintritt abwehre, so kann dem die
Thatsache entgegengehalten werden, dass die zahllosen Ver¬
wundungen durch einen Hagelschlag in einem Weisstannen¬
jungwuchs am Kandel keine Infektion zeigten, während die
gewöhnliche Form des aus der Terminalknospe eines Seiten¬
triebes austreibenden Hexenbesens reichlich vorhanden war.
Ausserdem kann aber noch entgegengehalten werden, dass
der Hexenbesen Lieblingsstandorte hat. Es sind das Ueber-
hälter, Bestandsränder, alte breitgewachsene Vorwüchse.
Wie sollten gerade diese fortdauernd Infektion begünstigenden
Beschädigungen ausgesetzt sein?
Erwägt man, dass die Tannenbestände durch die peren-
nirenden zahlreichen Hexenbesen mit Milliarden von Sporen
alljährlich überschüttet werden und dass dennoch die Krank¬
heit nicht verheerend auftritt, sondern hauptsächlich an den
oben genannten Lieblingsstandorten und dort im Vergleich
zu der Sporenmasse in gleichmässig relativ geringem Grade,
so muss man zugeben, dass die Natur der Verbreitung und
dem Eintritt des Pilzes schwere Hindernisse entgegengesetzt
hat. Sie bestehen darin, dass weder durch die gesunde noch
verwundete Rinde, weder durch die kranke noch gesunde
Nadel die Infektion möglich ist, sondern nur durch eine in
bestimmtem Entwickelungsstadium befindliche Knospe.
Die Thatsache der von Jahr zu Jahr auftretenden
Gleichmässigkeit der Hexenbesen, ihr relativ geringes Vor¬
kommen, die Häufung an bestimmten Standorten und Baum¬
formen, verbunden mit der Thatsache, dass eine 25jährige
scharfe Beobachtung durch Botaniker und Forstleute zu
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152
keinem Anhalt geführt hat, benutzt der Vortragende, um die
Wahrscheinlichkeit darzuthun, dass der bisher gesuchte
Zwischenwirth, bezw. Wirth der Zwischenform, überhaupt nicht
existire.
Im zweiten Theil des Vortrages wurde das Entstehen
des Stammkrebses besprochen. Das die inficirte Knospe
durchwuchernde Mycel durchzieht auch die Zellen des benach¬
barten Holzes und der Rinde und ruft dort die bekannte
Wucherung hervor, so dass der Hexenbesen auf einer Beule
aufsitzt. Diese Beule wird von Jahr zu Jahr etwas grösser,
indem jeder neue Jahrring in zwar schwachem aber immer¬
hin erweitertem Masse ergriffen wird. Dem Mycel geht die
Fähigkeit ab, verhexte Zellen zu durchwachsen, das Uebel
bleibt daher eng lokalisirt. Da es abgesehen von seltenen
Ausnahmen an den Zweigen entsteht, so könnte durch recht¬
zeitige Entfernung der mit Beulen behafteten Zweige der
Eintritt des Mycels in die Stammaxe leicht verhindert werden.
Das ist jedoch früher nie geschehen und daher tragen die
Altbestände des Schwarzwaldes die Krebse in so auffallend
reichem Masse.
Jede Astbeule rückt in Folge des Dicke-Wachsthums
des Stammes der Stammaxe von Jahr zu Jahr näher; be¬
rührt sie endlich den Stamm, so tritt das Mycel nun in den
Schaft selbst ein und treibt diesen auf. Der Stamm ver¬
schluckt gleichsam durch sein Dicke-Wachsthum die Beule.
Bei diesem Vorgänge ist bisher auf eine Eigenthümlichkeit
noch nicht hingewiesen, nämlich darauf, dass die kranke
Rinde der Beule von dem wuchernden Zuwachs nicht, wie
es normal ist, nach aussen abgeschoben wird, so dass nur
das Harz einwächst, sondern mit in den Stamm aufgenom¬
men wird.
Die Rinde verrottet häufig nach etlichen Jahren und
damit kann dann Regenwasser von aussen in den Stamm
gerathen, mit diesem die Sporen von Fäulnisspilzen. Darin
liegt der Hauptgrund für die Entstehung der sog. kranken
Krebse.
Die Stadien des Einwachsens der Astbeule in den Stamm
wurden an einer Reihe von Objekten gezeigt, endlich auch
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an aufgeschnittenen alten Stammkrebsen nachgewiesen, wie
die Krankheit von der Astbeule ausgegangen ist.
An dieser Stelle wies der Vortragende dann noch auf
die Ratzeburg’schen Beobachtungen hin und auf den Antheil,
den die Insekten weit an der Vergrösserung des Uebels trägt.
Nicht nur Sesia cephiformis, sondern auch Pissodes piceal
entwickelt sich unter der Rinde der Krebsbeulen. Der
Stamm sucht die Gänge durch Ueberwallung zu schliessen,
was auf die Dauer nicht gelingt- und so brechen dann die
Krebse auf, d. h. werden rindenlos und gestatten damit den
Fäulnisspilzen leichten Angriff.
Im letzten Theil des Vortrags wurden kurz die Abwehr¬
mittel besprochen. Sie zielen darauf hin, durch rechtzeitigen
Aushieb bei den ersten Läuterungs- und Durchforstungshieben
die Stämme zu entfernen, welche besondere Empfänglichkeit
für Aufnahme von Hexenbesen zeigen, es sind also namentlich
die alten sperrigen Vorwüchse aus den Verjüngungen zu hauen
und die Ränder zu durchmustern. Später sind gefährlich zur
Stammaxe stehende Beulen abzuschneiden bezw. die Stämme
mit solchen Beulen zu fällen. Die Erziehung und Pflege des
Bestandes in den ersten Jahrzehnten seines Lebens ist das
wichtigste Moment und allein ausreichend, um das Uebel
niederzuhalten.
Wo Ueberhälter stehen geblieben, sind sie im Auge zu
behalten und ohne Zögern zum Einschlag zu bringen, wenn
sich an ihnen die Hexenbesen mehr und mehr häufen. Be¬
standsränder soll man nicht von Weisstannen machen; wenn
es aber geschehen ist, so darf man sich nicht die Mühe ver¬
drossen lassen und die Besen herausschneiden.
Der Vortragende glaubt, dass der Femelschlagbetrieb
mit seinen langen Verjüngungen und der Benutzung alter
Vorwüchse das Uebel begünstigt hat, aber nur desshalb, weil
die frühere Zeit in Unkenntniss über den wahren Ursprung
des Uebels war. Nachdem wir diesen aber kennen, sollen
wir die geeigneten Gegenmittel ergreifen, wie sie vorher ge¬
schildert sind. Man wird dann die Vortheile des Femel-
schlagbetriebes geniessen, ohne den Nachtheil der Krebs¬
kalamität gross zu ziehen.
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154
411. Sitzung am 16. Oktober 1891.
Anwesend 31 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. W. Migula, Privatdocent an der
Technischen Hochschule.
Der Vorsitzende macht davon Mittheilung, dass unter
dem 20. Juni seitens der anthropologischen Kommission des
Alterthums-Vereins Karlsruhe ein Schreiben an den natur¬
wissenschaftlichen Verein gerichtet worden sei, in welchem
um Bewilligung eines weiteren Beitrags von 200 Mark zur
Fortsetzung der Untersuchungen der Wehrpflichtigen Badens
gebeten wurde; der Vorstand des Vereins könne dies Gesuch
befürworten. Da kein Einspruch erfolgt, so ist das Gesuch
genehmigt.
Der Vorsitzende widmete dem bisherigen Mitgliede, Herrn
Hofrath Prof. Dr. Just, den der Verein durch den Tod am
30. August d. J. verloren hatte, ehrende Worte. Der Ver¬
storbene hatte der Technischen Hochschule und dem Vereine
seit etwa 20 Jahren angehört. Neben dem, dass er den
Unterricht namentlich in physiologischer und mikroskopischer
Hinsicht erweiterte, den botanischen Garten, die landwirth-
schaftlich-botanische Versuchsanstalt und das bakteriologische
Institut schuf, diente er dem Vereine durch eine Reihe inter¬
essanter Vorträge, namentlich in der bezeichneten Richtung.
Die Anwesenden ehrten das Andenken an den Dahingeschie¬
denen durch Erheben von den Sitzen.
Herr Privatdozent Dr. Migula hielt einen Vortrag über
leuchtende Bakterien.
Es sind bis jetzt sechs Arten Leuchtbakterien genauer
bekannt, von denen zwei Arten, Photobaeterium Pflügeri und
Photobacterium phosphorescens besonders das Leuchten der
Seefische verursachen, zwei andere Photobacterium Fischeri
und Photobacterium balticum der Ostsee entstammen, eine
Art, Photobacterium iuminosum, der Nordsee, und zwei, Photo¬
bacterium indicum, dem indischen Ozean angehört. Sie
tragen namentlich an den Meeresküsten in der Nähe mensch¬
licher Niederlassungen, in Buchten, wo sich organische Stoffe
in grösserer Menge anhäufen, jedenfalls nicht unerheblich
zum Meeresleuchten bei; auch sind einige Arten schon im
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Binnenlande auf Fleisch gefunden worden, welches durch
seine Phosphorescenz dem Unkundigen Angst und Grauen
einflösste. Wahrscheinlich sind jene seltenen Erscheinungen
von leuchtenden) Fleisch, Schweiss, Harn zum grössten Theil
auf die massenhafte Entwickelung solcher Leuchtbakterien
zurückzuführen.
Ueber die Ursache der Lichtentwickelung ist zur Zeit
noch Nichts mit Sicherheit bekannt, vielleicht ist sie auf die
Bildung von Aldehyden zurückzuführen, welchen diese Eigen¬
schaft unter gewissen Verhältnissen zukommt. Das Licht
der einzelnen Arten ist so deutlich von einander verschieden,
dass man sie schon hiernach bei einiger Uebung von einander
trennen kann. Photobacterium phosphorescens zeigt beispiels¬
weise ein prachtvoll smaragdgrünes Licht, während Ph. lumino-
sum mehr röthlich ist. Auch im Spektrum zeigt sich mit
absoluter Sicherheit eine Verschiedenheit des Lichtes der
verschiedenen Arten.
Kulturen von stark leuchtenden Photobakterien wurden
nach Verdunkelung des Zimmers demonstrirt.
Herr Hofrath Dr. Meidinger machte zum Schlüsse einige
Mittheilungen über die neueren technischen Anwendungen
der Elektrolyse in der Metallurgie und in der chemischen
Fabrikation, welche sich auf die billige Erzeugung von
Starkströmen durch Dynamomaschinen gründen und wovon
die elektrotechnische Ausstellung in Frankfurt a. M. Einiges
vorgeführt hatte.
412. Sitzung am 30. Oktober 1891.
Auwesend 27 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Der Verein genehmigte die Absendung einer künstlerisch
ausgestatteten Adresse an Herrn Geh. Rath Dr. Herrn, v.
Helmholtz in Berlin zur bevorstehenden Feier seines 70. Ge¬
burtstages (geb. 31. August 1821).
Dieselbe hat folgenden Inhalt:
An Seine Excellenz den Geheimerath Dr. Hermann von
Helmholtz in Charlottenburg.
Bei der Feier des siebenzigsten Geburtstages Eurer
Excellenz drängt es den Naturwissenschaftlichen Verein in
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Karlsruhe, Ihnen mit den wärmsten Glückwünschen den
Ausdruck seiner grössten Hochachtung und Dankbarkeit dar¬
zubringen. Es liegt ein langes Leben voll von Arbeit und
reich an Erfolgen hinter Ihnen. Ihre Entdeckungen und
Erfindungen sind mit ehernem Griffel in die Tafeln der
Geschichte der Physiologie, der Physik und der Mathematik
eingegraben, und Ihrem Namen begegnet ebensowohl der
Gelehrte, wie der ausübende Arzt und Techniker.
Mögen Ihnen noch viele Jahre der Gesundheit und der
Kraft geschenkt sein; möge es Ihnen vergönnt sein, das
Reifen der Früchte zu beobachten, die so reich aus Ihrer
Geistesarbeit entsprossen.
Karlsruhe, den 30. Oktober 1891.
Im Namen des naturwissenschaftl. Vereins in Karlsruhe.
Der Vorstand (folgen die Namen).
Hierauf sprach Herr Professor Dr. Endres über die
klimatische, wasserwirthschaftlichc und hygienische
Bedeutung des Waldes. Redner betonte zunächst, dass
die allgemein verbreitete Ansicht, der Waldreichthum Central¬
europas habe im gegenwärtigen Jahrhundert abgenommen,
irrig sei. In Deutschland betrage die Veränderung der
Waldstandsziffern kaum 2 Prozent und in den letzten De¬
zennien sei eher eine Zunahme, als eine Abnahme der Wald¬
flächen festzustellen. Europa ist zu 30 Prozent, Deutschland
zu 25,7 Prozent, Oesterreich zu 32,6 Prozent, Frankreich zu
17,7 Prozent bewaldet. Die waldärmsten Länder sind Eng¬
land, Dänemark und Portugal, die waldreichsten Bosnien und
die Herzegowina, Finnland und Schweden.
Der Einfluss des Waldes auf die Luft- und Bodentem¬
peratur bestehe hauptsächlich in der Abschwächung der
Temperaturextreme im Sommer und im Winter. Die ab¬
solute Feuchtigkeit ist im Walde nicht grösser als auf freiem
Felde, dagegen ist die Waldluft um 3 bis 10 Prozent relativ
feuchter. Eine der wichtigsten Fragen sei die, ob der Wald
den Regen vermehren könne. Die darüber in Centraleuropa
angestellten Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen;
die bis jetzt gewonnenen Ergebnisse sprechen nicht gegen,
aber auch nicht zweifellos zu Gunsten der Bewaldung. Könnte
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die Frage auch unbedingt bejaht werden, so wäre damit eine
Wohlfahrtswirkung des Waldes in den seltensten Fällen fest¬
gestellt, weil in Centraleuropa gegenwärtig jährlich mehr
Regen fällt, als die Vegetation brauchen kann. Die Nieder¬
schlagsverhältnisse eines Gebietes sind weniger von der Be¬
waldung beeinflusst, als von dem Zug der Gebirge nach den
Himmelsrichtungen, von der Erhebung und von der Ent¬
fernung vom Meere. Auch auf die Gewitter- und Hagelbil¬
dung lässt sich kein direkter Einfluss des Waldes nachweisen.
Die in Württemberg seit dem Jahre 1828 darüber angestellten
statistischen Erhebungen haben dargethan, dass auf die Ent¬
stehung von Hagelstrecken die Richtung der Gebirgszüge
und die orographischen Verhältnisse mehr Einfluss haben, als
der Wald. Die in den letzten Dezennien festgestellte Zu¬
nahme der Blitzschläge sei nicht auf die „zunehmende Ent¬
waldung“, die, wie schon bemerkt, in diesem Jahrhundert
gar nicht stattgefunden hat, zurückzuführen, sondern wahr¬
scheinlich auf die allgemeinere Verwendung des Eisens in
Industrie und Technik.
Die wasserwirtschaftliche Bedeutung des Waldes in
Bezug auf Speisung von Quellen und die Wasserstands¬
bewegungen der Flüsse sei ebenfalls sehr zweifelhaft. Die
im Gebiete der Hauensteiner Alb im südlichen Schwarzwald
durchgeführten systematischen Untersuchungen haben ergeben,
dass auf der zu 51 Prozent bewaldeten grossen Fläche eine
Einwirkung der Art der Bodenbedeckung auf das Vorkommen
und die Ergiebigkeit der Quellen nicht nachzuweisen ist.
Grössere Ueberschwemmungen zu verhindern, ist der Wald
in den seltensten Fällen im Stande. In den meisten Gegen¬
den, so auch im Rheingebiete, tritt die Hochwassergefahr
im Spätwinter ein, weil um diese Zeit die meisten Nieder¬
schläge erfolgen. Zu derselben Zeit ist aber der Wasser¬
verbrauch im Walde in Folge der Vegetationsruhe und geringen
Verdunstung und die Wasserzurückhaitung durch den ge¬
frorenen Boden sehr minimal. Da nun im Walde der Schnee
langsamer schmilzt, als auf freiem Felde, so ist es möglich,
dass bei rasch aufeinanderfolgenden starken Niederschlägen
und Umschlag der Witterung der Wald die Hochwassergefahr
sogar steigert, ein Fall, der bei der Rheinüberschwemmung
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im Dezember 1882 eintrat und konstatirt wurde. In dem¬
selben Jahre wurde das dicht bewaldete Rheingebiet durch
Hochwasserkatastrophen ebenso heimgesucht, wie die wald¬
armen Länder Tirol und Kärnthen. Buchenlaub kann pro
Hektar höchstens 18,000 Liter, Moos 60,000 Liter Wasser
in sich aufsaugen, welche Wassermengen einer Regenhöhe
von 1,8 und 6,0 mm entsprechen. Die Niederschlagsmengen
im Hochgebirge erreichen aber 100 mm an einem Tage, in
Lausanne fielen 1890 in •/« Stunden allein 56 mm Regen.
Gegenüber solch’ gewaltigen Wassermassen ist daher der
Wald machtlos, um so mehr, als bei diesen starken Nieder¬
schlägen auch die Kronen nichts mehr aufsaugen können und
sämmtlicher Regen zu Boden fällt. — Unbestritten ist die
wohlthätige Wirkung des Waldes in Bezug auf die mecha¬
nische Befestigung des Verwitterungsbodens. Bodenabschwem¬
mungen, die Bildung von Trümmerfeldern und Ablagerung
von Schuttmassen nach den Thälern werden durch den auf
Bergwänden stockenden Wald verhütet oder vermindert,
ebenso die Geschiebeführungen in den Gewässern. Entstehen
Lawinen oberhalb der Waldvegetationsgrenze, dann ist aller¬
dings die Widerstandskraft der Holzbestockung nicht gross
genug, um ihre Fortbewegung zu verhindern, in der Schweiz
brachen 1887/88 SOS Lawinen oberhalb und 210 unterhalb
der Waldgrenze los; durch die ersteren wurden 1325 ha
Wald vollständig vernichtet.
Hinsichtlich der hygienischen Bedeutung des Waldes er¬
gibt sich Folgendes: Ein wesentlicher Unterschied in der
chemischen Zusammensetzung der Waldluft und Freiland¬
luft ist nicht festzustellen, namentlich ist der Sauerstoffgehalt
im Walde nicht grösser, als im Freien. Das belebende Ele¬
ment der Waldluft muss vielmehr in deren Reinheit gegen¬
über der Luft in bewohnten Orten, namentlich in grösseren
Städten, gesucht werden. In Paris fand man in einem Kubik¬
meter Luft durchschnittlich 3910 Bakterien, im Park von
Montsouris nur 455. Im Waldboden finden die pathogenen
Bakterien ungünstige Lebensbedingungen. Einmal bilden die
an Stickstoff, Phosphorsäure und Kalisalzen armen vege¬
tabilischen organischen Stoffe im Waldboden einen viel
schlechteren Nährboden, als die von tbierischen Stoffen ab-
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stammenden organischen Bestandtheile des Ackerbodens und
dann fehlt im Waldboden das für das Gedeihen der Spalt¬
pilze nöthige, tropfbar flüssige Wasser. Wenn daher der
Waldboden immun ist gegen pathogene Bakterien, so muss
auch die durch den Wald streichende Luft und das Quell¬
wasser im Walde frei sein von infektiösen Bestandtheilen.
An den Vortrag schloss sich eine längere, lebhafte Dis¬
kussion, an welcher sich die Herren Baudirektor Honseil,
Geb. Hofrath Dr. Engler, Hofrath Dr. Meidlnger und Ober¬
forstrath Schuberg betheiligten.
413. Sitzung am 13. November 1891.
Anwesend 26 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Der Vorsitzende widmete dem langjährigen Mitgliede
des Vereins, Herrn Geh. Rath Dr. Schweig, der am 2. No¬
vember im 86. Lebensjahr verschieden ist, ehrende Worte.
Der Dahingegangene gehörte zu den Gründern des Vereins,
welche diesem im Jahre 1862 die im Wesentlichen jetzt noch
bestehende Form und die noch geltenden Satzungen gegeben
haben. Er erfreute den Verein in früheren Jahren durch
Vorträge aus seinem ärztlichen und aus dem einschlägigen
chemischen Wissensgebiete, indem er Forschungen in dieser
Richtung mit besonderer Vorliebe oblag. Lange Zeit diente
er dem Vereine als Kassenführer. Wie der Dahingeschiedene
durch den Reichthum seines Wissens, durch die Unermüd¬
lichkeit und Hingebung in seinem hilfebringenden Berufe,
durch die Reinheit seines Charakters wohlthuend wirkte, ist
besonders denen bekannt, die ihm näher standen, und hat ihm
in weiten Kreisen eine hohe Achtung erworben. Die Anwesen¬
den ehrten sein Andenken durch Erheben von den Sitzen.
Sodann theilte der Vorsitzende das nachstehende Schreiben
des Herrn Geh. Raths H. v. Helmholtz in Charlottenburg
an den Verein mit:
Charlottenburg, den 9. November 1891.
Hochgeehrte Herren!
Sie haben mir zur Feier meines siebenzigsten Geburts¬
tages Worte wärmster Anerkennung für meine Wissenschaft-
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liehen Bestrebungen und freundliche Glückwünsche für die
Zukunft in künstlerischer Weise geschmückt gesendet. Ich
bitte Sie, dafür den Ausdruck meines tief empfundenen Dankes
annehmen zu wollen. Es ist für mich eine grosse und er¬
hebende Freude gewesen, in so hohem Masse durch die Zu¬
stimmung urteilsfähigster Männer geehrt zu werden.
In grösster Hochachtung
Ihr sehr ergebener
Dr. H. v. Helmholtz.
Herr Dr. Schober hielt hierauf einen Vortrag über die
Entstehung der Harze in der Pflanze. Bevor Redner
auf das eigentliche Thema einging, schilderte er die Orte,
in denen sich das Harz innerhalb der Pflanze befindet. Die
Harze, welche in grösseren Mengen aus der Pflanze gewonnen
werden — bei uns insbesondere die Harze der Nadelhölzer,
Tannen, Fichten, Kiefern, Lärchen, sodann das Harz einer
nordamerikanischen Konifere, der Kanadabalsam, das einer
nordafrikanischen und einer ostindischen Konifere, das Dam-
marharz, ebenso das Harz einer Terelinthaceenart, der Mastix
— liegen in diesen Pflanzen in besonderen Gängen, den so¬
genannten Harzgängen oder Harzkanälen. Ausser diesen
gibt es kleinere Höhlungen, welche mit Harz angefüllt sind
und Harzdrüsen heissen, den Oeldrüsen ähnlich, welche als
helle Punkte in den Blättern der Myrte, des Hypericum
perforatum u. s. w., schon dem blossen Auge sichtbar sind.
Redner ging sodann auf die Gewinnungsarten, das Harzen,
ein, welches naturgemäss verschieden ist, je nachdem die
Harzgänge und Drüsen sich reichlicher in dem Holz oder in
der Rinde verbreiten. Dass durch die Verwundungen, welche
mit den Harzen verbunden sind, sich überdies Harzmengen
neu bilden, ist bis jetzt von forstlicher Seite beobachtet. —
Es besteht ein prinzipieller Unterschied zwischen den eben
genannten aus den Bäumen hervortretenden Ilarzmassen und
solchen Harzen, welche durch Verwandlung von peripherischen
Gewebsstücken entstehen; erstere enthalten niemals Spuren
von Gewebsresten, letztere dagegen solche in reichem Masse.
Den Begriff „Harz“ chemisch festzustellen ist sehr
schwierig, da in allen Harzen neben den bisher nothwendig
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studirten Harzsäuren ätherisches Oel, Gummi, Schleim und
in solchen aus Pflanzengeweben direkt entstandenen auch noch
Zellulose, Stärke, Gerbstoff u a. m. immer gleichzeitig nach¬
zuweisen ist.
Ueber die Entstehung der Harze liegen zwiespältige
Meinungen bei Chemikern und Botanikern vor. Erstere
nehmen ätherisches Oel als den Ausgangspunkt der Harz¬
bildung an, von Botanikern sind aber bisher einmal die
Zellwände und sodann die Stärkekörner als Ursprungsmaterial
der llarze in Anspruch genommen. Nach einer Kritik der
einschlägigen botanischen Arbeiten berichtet der Vortragende
über mikroskopische Untersuchungen, welche er an einem
australischen Harz, einem Xantorrhoeaharz (im Handel unter
dem Namen Erdschellack bekannt) gemacht hat. Dasselbe
gehört zu den Harzen, welche durch Umwandlung von ober¬
flächlich gelegenen Gewehen der Pflanze entstehen und die¬
selbe in etwa 2 bis 4 cm grossen Stücken bedecken. In
den zum Theil noch gut erhaltenen Zellen des Untersuchungs¬
materials fanden sich Tropfen, welche aus Eiweiss, Harz und
ätherischem Oel bestehen. Diese deuten darauf hin, dass
das Xantorrhoeaharz zum Theil aus ätherischem Oel entsteht,
ein anderer Theil desselben allerdings aus der Zellwand. Es
ist aber an Stelle der Zellwand in der botanischen Literatur
bisher ohne Berechtigung immer die Zellulose als Bildungs-
material des Harzes genannt worden; aus Zellulose bestehen
allerdings die Zellwände anfänglich, es tritt aber Verharzung
derselben nur ein, wo sie aus Zellulose und Holzsubstanz
bestehen, d. h. wo Me aus reinen Zellulosewänden schon in
Holzwände übergegangen sind. Vor Allem wichtig ist, dass
also auch trotz der bisherigen gegentheiligen Annahmen in
der Pflanze wohl Harz aus ätherischem Oel hervorgeht. —
Ob die oben erwähnten aus Eiweiss, Harz und ätherischem
Oel bestehenden Gebilde mit Stärkekörnern, mit welchen sie
in jugendlichen Zellen, in Zellen eines sog. Bildungsgewebes,
zusammen auftreten, irgendwie Zusammenhängen, liess sich
bei dem alten und völlig abgestorbenen Material leider nicht
feststellen.
An den Vortrag knüpfte sich eine interessante Be¬
sprechung, an welcher sich die Herren Geh. Hofrath Dr.
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Engler und Professor l)r. Schröder ausser dem Vortragenden
betheiligten.
Herr 0. Ammon machte Mittheilungen über anthro¬
pologische Beobachtungen in der Arbeiterwelt.
Herr Gräbener berichtete Uber eine seltsame Eibil¬
dung. Ein äusserlich normales Hühnerei zeigte beim Auf¬
schlagen ausser dem normalen Dotter und Eiweiss, in letz¬
terem schwimmend, einen runden weisslichen (Gegenstand in
der Grösse einer mittelgrossen Nuss; durch Unvorsichtigkeit
zerplatzte dieser; die Schale oder äussere Haut war nun
ganz ähnlich der eines schallosen Eies, es entquoll derselben
gewöhnliches Eiweiss, von dem des Haupteies nicht zu unter¬
scheiden, sowie ein runder weisslicher Dotter oder ein drittes
Ei, wie eine Haselnuss gross. Handelt cs sich hier um zwei
ineinander steckende Eier, oder ist der Gegenstand eine, im
Eiweiss entstandene Abnormität? Die Frage, wie solch’ Ge¬
bilde entstehen konnte, bleibt eine offene, ebenso, was beim
Bebrüten des Eies herausgokommen wäre. Dem Vortragen¬
den war nicht bekannt, dass Aehnliches schon beobachtet
worden wäre.
414. Sitzung am 23. November 1891.
Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesdlschaft und der Badischen
Geographischen Gesellschatt im grossen Saale des Museums.
Herr Premierlieutenant Kurt Morgen hielt einen Vortrag
über seine Reisen und Forschungen im Hinterland
von Kamerun.
415. Sitzung am 27. November 1891.
Anweseud 25 Mitglieder. Vorsitzender: Herr (ich. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Herdmeister Dr. L. Buch¬
ruck er, Lehramtspraktikunt M. Karle, Dr. Li ehr ich, Assistent an
der Technischen Hochschule.
Herr Hofrath Dr. Meidinger erörterte iu einem längeren
Vortrage die Unterschiede des durch Dynamo-Ma¬
schinen erzeugten Wechselstroms, Gleichstroms
und Drehstroms, im besonderen Hinblick auf die elektrische
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Krafttransmissions-Anlage, welche sich während der Dauer
der elektrischen Ausstellung in Frankfurt a. M. vergangenen
Sommer zwischen Laufen oberhalb Heilbronn am Neckar und
Frankfurt in Betrieb befunden hatte.
Herr Geh. Hofrath Dr. Engler sprach Uber den neuesten
Stand der Alkaloid-Synthese. Bekanntlich ist es, nach¬
dem schon vorher eine Reihe wichtiger natürlicher Farbstoffe
und Riechstoffe, wie z B. das Krapproth und das Indigo¬
blau, das Vanillin und das Cumarin, die wirksamen Bestand-
theile der Vanille und des Waldmeisters, auf künstlichem
Wege dargestellt worden waren, gelungen, auch einen Re¬
präsentanten jener interessanten Pflanzengifte, der Alkaloide,
deren einzelne wie Morphin, Atropin, Cocain etc. sehr wich¬
tige Medikamente bilden, das Coniin auf künstlichem Wege
aus den Elementen aufzubauen. Ladenburg wählte als Aus-
gangsmaterial für diese Synthese einen Bestandtheil des
Gastheers, das Pikolin, welches er durch eine Reihe von
chemischen Metamorphosen in das Coniin überführte. Es
war dabei noch von ganz besonderem Interesse, dass es ihm
gelang, optisch aktives Coniin, dessen Bildung man früher
nur in der lebenden Pflanze für möglich hielt, zu erzeugen.
Später gelang es, auch das Trigonellin, das Alkaloid des „Bocks¬
hornsamen“ (Trigonelia fors. graec.), künstlich darzustellen.
Indem der Vortragende in den letzten Jahren mit
mehreren seiner Schüler eingehende Untersuchungen über
die Ketone des Pyridins (Bestandtheil des Gastheers und
muthinassliche Muttei Substanz sehr vieler Alkaloide) anstellte,
gelang es ihm in Gemeinschaft mit Herrn W. Bauer, aus
dem Aethyl-Pyridylketon mit nascirendein Wasserstoff einen
Körper zu isoliren, der nach seinen Eigenschaften mit dem
Pseudoconhydrin, einem Alkaloid des Schierlings, identisch
ist, womit das dritte künstliche Alkaloid dargestellt wäre.
Proben des künstlichen Alkaloids, sowie des aus Schierling
dargestellten natürlichen, aus denen die Uebereinstimmung
der beiden Substanzen liervorging, wurden vorgezeigt.
Als Alkaloide, deren synthetischer Aufbau in nicht ferner
Aussicht stehen dürfte, weil sie ihrer inneren chemischen
Konstitution nach bereits erkanut sind, wurden Tropin,
Atropin und Cocain bezeichnet.
n*
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416. Sitzung am II. Dezember 1891.
Anwesend 18 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Prof. Rebmann berichtete über neuere Forschungen
über die Struktur der pflanzlichen Zell wände, besonders
mit Bezug auf die Bewegung des Saftstroms im Pflanzen¬
körper. Der Begriff der pflanzlichen Zelle als eines in sich
abgeschlossenen Theils des Pflanzenkörpers rührt noch aus
den ersten Zeiten der mikroskopischen Forschung her, wo
eine naturgemäss noch rohe Methode wohl noch die leeren
Hohlräutne der Zellen, aber nicht mehr das darin enthaltene
Protoplasma zeigte. Mit der Zeit aber erkannte man mehr
und mehr dessen Existenz, seinen Bau und seine Bedeutung für
das Leben der Pflanze; ja nach und nach erschien es als der
alleinige Träger aller Lebensthätigkeiten. Damit trat auch
die Zellwand in die viel bescheidenere Rolle einer Hülle eines
kostbareren Inhalts zurück.
Erkannte man so, dass das Protoplasma bei sämmtlichen
Vorgängen der Bewegung, der Ernährung und Vermehrung
in allererster Linie betheiligt sei, so musste man schon aus
theoretischen Gründen zu der Vermuthung kommen, dass
das Protoplasma der Pflanze eine zusammenhängende Masse
sein müsse. Vor allem musste das zur Fortpflanzung ver¬
wendete Plasma, das als Idioplasma sämmtliche morpho¬
logischen und physiologischen Eigenheiten des Pflanzenkörpers
reproduziren kann, auch in allen Zellen der Pflanze vor¬
handen sein, um so mehr, als eine beliebige Zelle die Rolle
der Fortpflanzungszelle übernehmen kann. Nun hatte man
früher Kommunikationen zwischen einzelnen Zellen und Zell¬
gruppen schon entdeckt, so vor allem die Siebröhren, deren
Wände von feinen Oeffnungen durchbohrt und von Plasma-
strängen durchsetzt sind. Nach und nach mehrten sich die
Beobachtungen über derartige Zellwanddurchbohrungen und
eine besondere Aufmerksamkeit schenkte man längere Zeit
den „Zellen reizbarer Organe, weil man für das Hin- und
Herströmen des Zellsafts, dem man die Ausführung derartiger
Bewegungen zuschrieb, auch die Wege suchte. In neuerer
Zeit hat nun Herr Dr. Kienitz-Gerlaff in systematisier
Weise eine grössere Anzahl von Pflanzenarten nach dieser
Richtung untersucht und bei ihnen nahezu ausnahmslos die
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Plasmaverbindungen der Zellen in den verschiedensten Formen
und Grössenverhältnissen gefunden, in wachsenden Organen
ebensowohl, als in völlig ausgebildeten Geweben. Der Ana¬
logieschluss ist wohl nicht unerlaubt, dass nunmehr diese
Verbindungen nicht mehr als seltene Ausnahmen, sondern
als Regel zu gelten haben, auch wenn sie noch nicht überall
beobachtet worden sind. Theilweise stellen sie auch durch
ihre geringe Weite der Beobachtung sehr beträchtliche
Schwierigkeiten entgegen. Damit ist eine von Grund aus
von der frühem verschiedene Auffassung des Pflanzenkörpers
bedingt, der nicht mehr als Konglomerat in sich abgeschlos¬
sener Zellen, sondern als zusammenhängende Plasmamasse
anzusel en Ft. Diese baut sich, wo und wie es nöthig ist die
Zellwände als Stützen, als Hüllen, als Schutzmittel, schliesst
sich auch nach aussen völlig ab, so dass an der äussem
Haut, an den Wurzelhaaren u. s. w. nirgends Plasmastränge
an die äussere Fläche treten; auch die Schlie>szellen der
Spaltöffnungen sind nach innen nicht durchbohrt. Physiologisch
sind die Plasmaverbindungen als Bahnen des Saftstroms an¬
zusprechen, in welchen das Wasser, die Nährsalze und Kohlen¬
stoffverbindungen an die Wachsthumsstellen, ferner die Re¬
servestoffe in ihre Behälter bezw. an die Stellen des Ver¬
brauchs übergeführt werden. Ferner lässt sich nuu auch der
Mechanismus der Saftbewegung leichter verstehen, wenn man
nicht mehr die schwierige Frage zu lösen hat, wie die Pflanze
mit den verhältnissmässig geringen Kräften, mit denen sie
die Saftbewegung im Gang hält, Wurzeldruck, Kapillarität,
Transpiration (Diffusion hat man nach neuern Untersuchungen
auszuscheiden), im Stande sein soll, die grossen osmatischen
Widerstände im Innern der Pflanze zu überwinden. — In der
darauffolgenden Diskussion machte Herr Dr. Schober be¬
sonders darauf aufmerksam, dass man über die Grösse der
Kräfte, welche bei der Saftbewegung betheiligt sind, noch
recht wenig unterrichtet sei. Neuern Untersuchungen experi¬
menteller Art, besonders solche von Strasburger über die
Saftbewegung in den Gefässbündeln scheinen sogar die bisher
gewonnenen Ergebnisse überhaupt in Frage stellen zu wollen.
Ferner verbreitet er sich über die Rolle, welche insbesondere
die Gefässbündel bei der Saftleitung spielen. Dem gegenüber
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hebt Referent hervor, dass man für das Gesammtresultat
der Saftbewegung jedenfalls an ein Zusammenwirken ver¬
schiedener Kräfte zu denken habe, bei dem die Grösse der
Einzelleistung sich allerdings nur schwer wird feststellen
lassen, wahrscheinlich auch nach Ort und Zeit Veränderungen
und Schwankungen unterliegt.
Herr Dr. Schultheiss zeigte einen zur Aufstellung im
Hof der Technischen Hochschule bestimmten selbst-aufzeich-
nenden Regenmesser, System Ilottinger-Zürich, vor; bei diesem
Apparat, der nach dem Prinzip der Federwage gebaut ist,
wird das Gewicht des aufgefangenen Regenwassers auf einer,
in 24 Stunden sich einmal um ihre Axc drehenden Trom¬
mel zur Darstellung gebracht. Das Auffanggefäss leert sich
von selbst durch Umkippen aus, sobald eine bestimmte Menge
Wasser cingeflossen ist.
Hierauf erläuterte der Redner das zwar schon vor einigen
Jahren erschienene, aber noch zu wenig gewürdigte Erdprofil
des bayer. Ingenieur-Hauptmanns a. D. F. Lingg, in welchem
zunächst die Oberflächengestaltung der Erde in der Zone von
31 — 65° n. B. im Mas>stab von 1 : 100 000 und zwar ohne
die sonst bei Reliefs übliche Verzerrung des Höhenmassstabs
dargestellt ist, so dass jedem Millimeter in der Zeichnung
ein Kilometer in Wirklichkeit nach jeder Richtung hin ent¬
spricht; ausserdem ist aber auch noch alles eingezeichnet,
was sich von geologischen, geophysikalischen, astronomischen
und meteorologischen Verhältnissen graphisch darstellen lässt.
Der Redner machte auf die wichtigsten der in dem Lingg’schen
Profil in schier unerschöpflicher Menge gebotenen Einzelheiten
aufmerksam.
417. Sitzung am 8. Januar 1892.
Anwesend 28 Mitglieder. Vorsitzender: Herr (Jeli. Hofrath I>r. Wiener.
Neu angemeldete Mitglieder: Herr A. Maul, Direktor der Turnlehrer-
bildungsansialt und Herr Fr. Reichard, Direktor des Gas- und
Wasserwerks.
Herr Postrath Christiani hielt eiuen Vortrag über
Schleifenbetrieb und Mehrfachsprechen in Fern-
sprechverbindungsanlagefi. Seit SteinheiPs Entdeckung,
dass man die Erde als Rückleitung für elektrische Ströme
benützen könne, haben die Telegraphenverwaltungen ihre
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Leitungen aus Einzeldrähten mit beiderseitiger Erdverbmdung
gebildet und auf diese Weise eine beträchtliche Ersparnis»
an den Anlagekosten erzielt, die der weiteren Ausbreitung
des elektrischen Telegraphen ausserordentlich forderlich ge¬
wesen ist. Mit der Einführung des empfindlichen Fern¬
sprechers in den Nachrichtenverkehr beginnen sich erst die
minder günstigen Eigenschaften der Erdleitungen in (ei
Form von Nebengeräuschen bemerklich zu machen, die unter
besonderen Umständen, namentlich in der Nähe von Stark¬
stromleitungen, eine solche Stärke annehmen können, dass
jede Verständigung in der Fernsprechleitung aufgehoben wird.
Im Allgemeinen aber sind die Störungen durch e en
geräusche nur gering, und es lasst sich auf Giund er is
herigen Erfahrungen behaupten, dass auf kürzere Entfernungen,
also im Stadtverkehr, das System der Einzelleitungen im
Fernsprechbetriebe sich durchaus bewährt hat. Wenn man
daneben berücksichtigt, wie schwer es heute schon halt, den
nöthigen Flatz zur Anbringung neuer Anschlussdrähte zu ge¬
winnen, so wird man es gerechtfertigt finden, dass die
Telegraphen Verwaltungen keine Neigungen haben, den von
interessirter Seite geforderten Uebergang zum Schleifenbetneb
innerhalb der Städte zu bewerkstelligen und die damit ver¬
bundenen ausserordentlichen Kosten und Schwierigkeiten au
sich zu nehmen. Das zur Begründung dieses Verlangens
aufgerufene Schlagwort des Seih st sch utzes erscheint jedoch
in seinem vollen Lichte erst, wenn man sich vergegenwärtigt,
dass schon häufig eine störende, bisweilen sogar eine zer¬
störende Einwirkung der Starkstromanlagen auf die Tele¬
graphen- und Fernsprecheinrichtungen beobachtet worden ist,
noch niemals aber der umgekehrte ball.
Ein von dem Vortragenden in der Elektrotechnischen
Zeitschrift veröffentlichter Aufsatz über induktionsfreie Doppel¬
leitungen hat einigen Tagesblättern Veranlassung gegeben
entgegen der von den Regierungsorganen vertretenen Auf¬
fassung die Möglichkeit eines wirksamen Schutzes der Fern¬
sprechdrähte gegen die Einwirkung der Starkströme durch
die in jener Abhandlung vorgeschlagenen Anordnungen zu
behaupten. Darin bekundet sich insofern ein fundamentales
Missverständnis, als die Ausführungen des Verfassers sich
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lediglich auf den gegenseitigen Schutz längerer Fern¬
sprechschleifen, wo sie im Fernverkehr schon jetzt all¬
gemeine Anwendung finden, gegen störende Lautübertragung
beziehen, mit dem Schutze gegen andere Ströme aber nicht
das Geringste zu thun haben.
Während der erwähnte Aufsatz die technische Aus¬
rüstung der Linien in’s Auge fasst, betrachtet der Vor¬
tragende diesmal den Schleifonbetrieb unter einem anderen
Gesichtspunkt und beleuchtet die Frage, welche Vorbe¬
dingungen bei den Vermittelungsanstalten erfüllt werden
müssen, damit die regelrecht angelegten Scldeifleiiungen sich
auch wirklich induktionslos und frei von gegenseitiger Laut¬
übertragung verhalten. Die Lösung der Aufgabe liegt in der
völlig symmetrischen Vertheilung der für den Betrieb er¬
forderlichen Einrichtungen auf beide Schleifenzweige, so dass
diese sich in genau den nämlichen elektrischen Verhältnissen
hinsichtlich ihres Leitungswiderstandes, ihrer Polation, Ladung
und Selbstinduktion befinden. Man kann in Bezug auf
symmetrische Einrichtung und Einschaltung der Sprech- und
Signalapparate, sowie der zur Uebertragung der Gespräche
aus den Anschlussleitungen in die Verbindungsanlagen dienen¬
den Transformatoren gar nicht peinlich genug sein, findet
sich dann aber auch belohnt nicht blos durch das induktions¬
freie Verhalten der Verbindungen, sondern im Weiteren durch
die Möglichkeit einer Einrichtung zur doppelten Ausnutzung
der Schleifen, des sogenannten Doppelsprechens. Schaltet
man nämlich eine völlig ausgeglichene Doppelleitung als Theil
eines zweiten Stromkreises ein, indem man Sorge dafür trägt,
dass beiderseits die Spannungs-Nullpunkte zugleich die Aus¬
gangspunkte der Verzweigung bilden, so findet mangels einer
Spannungsdifferenz kein Uebergang der Schleifenströme in
den neuen Schliessungskreis statt, während umgekehrt die
aus der Zweigleitung in die Schleifendrähte übergehenden
Theilströme sich in ihrer Wukung auf die sekundäre Be¬
wickelung der Transformatoren bei richtiger Schaltung auf-
heben. Folglich müssen auch zwei Gespräche, das eine in
der Schleife, das andere über die Schleife hinweg in der
Einzelleitung, geführt werden können, ohne sich gegenseitig
zu beeinträchtigen.
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Der Redner erläuterte sodann einige den Bedürfnissen
des praktischen Betriebes angepasste Schaltungen zum Doppel-
fernsprschen und zeigte, wie man durch Kombination zweier
Schleifen zu einem Vierleitersystem mit vierfacher Aus¬
nützung gelangen könne. Zur leichteren Erzielung des elek¬
trischen Gleichgewichts empfiehlt er, statt der gebräuchlichen
induktionsübertrager solche mit veränderlichen Werthen, etwa
nach Art der Kurbelrheostaten, zu verwenden, mit deren
Hilfe man wohl auch ein Dreileitersystem mit dreifacher Aus¬
nützung einrichten könne. Die in Aussicht stehenden wirt¬
schaftlichen Vortheile Hessen die Anstellung praktischer Ver¬
suche gerechtfertigt erscheinen, die über den Werth derartiger
Vorschläge allein entscheiden können. In technischen Fragen,
damit schloss Herr Christiani, hat nicht die Theorie, sondern
die Praxis das letzte Wort.
Herr Dr. Schultheiss legte hierauf die Copie der Auf'
Zeichnung eines Registrirbarometers während des die
Insel Martinique am 18. August 1891 verheerenden Orkans
und zum Vergleich die Luftdruckregistrirungen von Hamburg
während eines stürmischen Tages vor, an denen eine Depres¬
sion über diese Stadt hinweggegangen war. In beiden Fällen
ist das Barometer um nahezu gleich viel gefallen — rund
30 Millimeter; in Hamburg hat sich dies in etwa 24 Stunden,
auf Martinique dagegen innerhalb weniger Stunden vollzogen.
Innerhalb zweier Stunden ist hier der Luftdruck um etwa
28 Millimeter gesunken; mit dein Eintritt des Orkans stieg er
ebenso rasch wieder, so dass er in weniger als einer Stunde
um 25 Millimeter zunehmen konnte. Die beiden Darstellungen
lassen die grundverschiedene Beschaffenheit der Depressionen
der höheren Breiten und der Cyklonen oder Tornadoes der
Tropen erkennen; jene besitzen ein weit entwickeltes Sturm-
feld, während bei diesen die Luftdruckunterschiede sich räum¬
lich äusserst eng zusammendrängen. Die tropischen Stürme,
welche in der Regel von elektrischen Entladungen begleitet
sind, erinnern viel mehr an unsere Gewitterstürme, bei denen
auch förmliche Sprünge im Luftdruckgefälle bestehen, so dass
innerhalb kurzer Zeit das Barometer rasch sinken und dann
ebenso rasch wieder steigen kann — bei den stärksten solcher
Böen betragen aber die Schwankungen des Luftdrucks nur
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wenige Millimeter; man vermag sieh daraus erst eine Vor¬
stellung davon machen, welche gewaltige Luftdruekunterschiede
bei dem Martinique-Orkan auf räumlich enge begrenztem
Gebiet bestanden haben müssen.
418. Sitzung am 22. Januar 1892.
Anwesend 29 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu allgemeldetes Mitglied: Herr Dr. F. Kistenpart, Assistent der
Sternwarte.
Herr Professor Dr. 0. Lehmann hielt einen Vortrag über
die Anwendung des Entropieprinzips in der Chemie.
Die chemischen Erscheinungen lassen sich im Allgemeinen
in befriedigender Weise erklären durch die Annahme, dass
zwischen den Atomen anziehende Kräfte thätig sind, welche
unter geeigneten Umständen dazu führen, dass die Atome
gewissermassen aufeinander losstürzen und sich dann, eine
chemische Verbindung bildend, gegenseitig festhalten. Aehn-
lich wie beim Niederstürzen einer Felsmasse auf die Erde in
Folge des Zusamnienstosses Wärme entsteht., ist auch die
Bildung einer chemischen Verbindung meistens mit Wärme¬
entwickelung verbunden, man glaubte (lesshalb, in Analogie
damit, dass ein fallender Körper das Bestreben hat, so tief
wie möglich zu stürzen, also durch seinen Fall so viel Wärme
wie möglich zu erzeugen, auch für den Verlauf chemischer
Reaktionen die Regel aufstellen zu können, dass die che¬
mische Anziehung der Atome denjenigen Prozess hervor¬
zurufen strebe, bei welchem sich ein Maximum von Wärme
entwickelt. Der Vergleich dieser Theorie mit den Ergeb¬
nissen der Beobachtung hat nun aber keineswegs eine be¬
friedigende Ueberein<tiinmung ergeben. Mischt man z. B.
Schwefelsäure mit Eis, so entsteht überhaupt keine Wärme,
sondern die Mischung kühlt sich auffallend stark ab. Wasser¬
stoff und Sauerstoff bei sehr hoher Temperatur gemischt,
vereinigen sich nicht, wie es dem Maximum der Wärme¬
entwickelung entspräche, vollständig zu Wasserdampf, viel¬
mehr bleibt ein bestimmter, von den näheren Umständen
abhängiger Bruchtheil des Gemisches unverändert.
Das Prinzip der maximalen Arbeit, wie es gewöhnlich
genannt wird, genügt also nicht streng den thatsächlichen
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Verhältnissen und erfordert eine entsprechende Aenderung.
Diese ist möglich durch Beiziehung der beiden Hauptsätze
der mechanischen Wärmetheorie, welche, wie Clausius ge¬
zeigt hat, zu dem Ergebniss führen, dass ein Vorgang in
der Natur immer so verlaufen muss, dass die Summe der
Entropien aller dabei betheiligten Körper ein Maximum wird.
Was unter Entropie zu verstehen ist, lässt sich mit wenig
Worten nicht erläutern. Der Sinn des Satzes ist der, dass,
weil Bewegung z. B. durch Reibung oder Zusammenstoss
immer vollständig vernichtet, d. h. in Wärme übergeführt
werden kann, dagegen Wärme sich niemals rückwärts voll¬
ständig in Bewegung umsetzen kann, ein Vorgang immer so
verlaufen muss, dass, Alles zusammengerechnet, die Gesammt-
menge* der Wärme sich auf Kosten der übrigen Energie¬
formen (Bewegung etc.) vermehrt. Im Wesentlichen ist also
das Entropieprinzip auf chemische Vorgänge angewendet
nichts Anderes als das Prinzip der grössten Arbeit, es ist
nur eine vollkommenere Form desselben, welche darauf
Rücksicht nimmt, dass die aufeinander stürzenden Atome
nicht in Ruhe waren und auch nach ihrer Vereinigung nicht
zur Ruhe kommen, vielmehr den Vorstellungen der mecha¬
nischen Wärmetheorie gemäss, welche die Wärme als eine
Art Bewegung betrachtet, sich äusserst lebhaft bewegen,
aufeinanderstossen, sich immerfort trennen und wieder ver¬
einigen und hierdurch ganz andere Erscheinungen bedingen
als sie dem ruhenden Gleichgewicht entsprechen würden.
Zum ersten Male wurde das Entropieprinzip auf chemische
Erscheinungen angewandt von Horstmann (1873), dann von
Willard Gibbs (1874—78), Helmholtz (1882), Duhem(1884 —
86), von t’IIoff (1884 — 86), Planck (18S7) u. A. Trotz ihres
jugendlichen Alters vermag die neue Theorie schon eine
stattliche Reihe von Erfolgen aufzuweisen. Es ist gelungen,
eine erhebliche Zahl wichtiger Vorgänge mittelst derselben
voraus zu berechnen und hierdurch gewisse Grössen genau
zu bestimmen, welche für die Chemie von fundamentaler Be¬
deutung sind. Dazu gehören die verschiedenartigen Disso-
ciationserscheinungen, die Massenwirkung, der Einfluss von
Temperatur und Druck auf das chemische Gleichgewicht,
Siedepunkts- und Gefrierpunkts-Erniedrigung durch Zusatz
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eines festen Körpers zu einem Lösungsmittel und die osmo¬
tischen Erscheinungen. Die letzteren drei gestatten unter
gewissen Voraussetzungen die Berechnung des Molekular¬
gewichts im flüssigen und festen Zustande — eine Aufgabe,
welche lange Zeit unlösbar erschien. Wenn auch gerade
hinsichtlich der letzterwähnten Nutzanwendung mit Recht
noch viele Bedenken geltend gemacht werden, so ist doch
nach den bisherigen raschen Fortschritten zu hoffen» dass
es gelingen werde, die Theorie noch so weit zu verbessern,
um auch die noch zweifelhaften Punkte aufzuklären.
Es knüpfte sich an den Vortrag eine längere Diskussion,
an welcher sich die Herren Geh. Hofrath Dr. Engler, Geh.
Hofrath Dr. Wiener und Dr. Schleiermacher betheiligten.
419. Sitzung am 5. Februar 1892.
Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen
Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums.
Herr Joachim Graf Pfeil aus Berlin hielt einen Vortrag
Uber Ulialia und seine Bewohner, verbunden mit Mit¬
theilungen über den Untergang der Zelewski’schen Ex¬
pedition.
Graf Pfeil ging in früher Jugend nach Südafrika und
führte dort ein mehrjähriges Wanderleben. Im Jahre 18S3
in die Heirnath zurückgekehrt schloss er sich im Oktober
1884 Dr. Peters an, um die ostafrikanischen Küstenland¬
schaften Usagara, Niguru, Useguraund Ukami für die Deutsch-
ostafrikanische Gesellschaft zu erwerben. Länger als 3 Jahre
hat Graf Pfeil in Ostafrika gearbeitet und sind die geo¬
graphischen und praktischen Ergebnisse seiner Forschungs¬
züge nach Zahl und Ausdehnung sehr bedeutsam. Im Herbst
des Jahres 1888 trat er in die Dienste der Neuguinea-
Gesellschaft, für welche er längere Zeit im fernen Osten
thätig gewesen ist.
420. Sitzung am 19. Februar 1892.
Anwesend 19 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Professor H. Volz an der Akademie
der bildenden Künste.
Herr Dr. Ristenpart berichtete über das Aufleuchten
eines neuen Sterns ein Sternbild des Fuhrmanns.
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Am 1. Februar erhielt die Sternwarte in Edinburg eine
anonyme Postkarte mit der Mittheilung, dass im Sternbilde
des Fuhrmanns unweit des Sternes zweiter Grösse ß Aurigae
ein neuer Stern aufgeleuchtet sei und damals die fünfte
Grösse besessen habe. Nachdem eine Nachforschung an dein
bezeichneten Ort das Vorhandensein des neuen Sterns bestätigt
hatte, wurde die Nachricht von der Entdeckung weiter ge¬
geben und unter anderm derselbe auch auf der hiesigen
Sternwarte beobachtet. Er nahm nach dem 1. Februar noch
ein weniges an Helligkeit zu, ist aber jetzt schon wieder
in langsamer Abnahme des Lichtes begriffen. Die erste Ent¬
deckung wurde von einem Liebhaber der Astronomie, Thomas
Anderson gemacht, der sich ehe die Sache von berufsmässiger
Seite bestätigt war, in den Mantel der Anonymität hüllen zu
sollen glaubte. Bald nach dem Bekanntwerden der Nachricht
kam indess von Professor Pickering, dem Direktor des
Harvard College in Amerika, die Nachricht, dass der Stern
schon früher beobachtet sei, wenngleich nicht auf okularem,
sondern auf photographischem Wege. Man ist dort damit
beschäftigt, den ganzen Himmel zum Zwecke der Chartirung
photographisch aufzunehmen und ein glücklicher Zufall hatte
es gefügt, dass am 1., 10. und 20. Dezember 1891 gerade
von der Himmelsgegend, wo der neue Stern stand, Platten
aufgenoromen waren, die das Objekt denn auch zeigten und
zwar war eine Lichtzunahme vom 1. bis zum 20. Dezember
deutlich erkennbar. Somit haben wir also hier nicht einen
neuen Stern in dem Sinne vor uns, wie z. B. der berühmte
tychonische Stern von 1572 einer war, der plötzlich, nachdem
er vorher unsichtbar gewesen, mit einem Glanze in die Er¬
scheinung trat, der ihn auch bei Tage sichtbar machte,
sondern wir haben es hier mit einem langsamen stetigen
Zunehmen der Helligkeit zu thun, dem eine ebensolche Ab¬
nahme des Lichtes folgen wird.
Am meisten Interesse beanspruchen jedoch die vornehm¬
lich zu Potsdam gemachten spektroskopischen Beobachtungen
des neuen Sterns. Es zeigte sich dabei, dass gleichzeitig
drei Spektren existirten, ein kontinuirliches, ein Absorptions¬
spektrum und ein Spektrum aus hellen Linien bestehend,
welche also auf das Bestehen glühender fester oder flüssiger
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Körper neben dunkeln und leuchtenden Gasen gleichzeitig
hinwiesen. Das eigenartigste aber war, dass sich aus der
Verschiebung der hellen Linien gegen die entsprechenden
dunkeln des Absorptionsspektrums ergab, dass die glühenden
Gase sich mit der Ungeheuern und bis jetzt unbekannten
Geschwindigkeit von 125 Meilen in der Sekunde relativ zu
dem Träger der dunkeln Gasmassen von uns entfernten.
Damit ist auch die Erklärung des Phänomens nahegelegt.
Wir können es hier nicht mit einem Körper zu thun haben,
einer Sonne, auf der etwa Ausbrüche von leuchtenden und
nichtleuchtenden Gasen aus dem Innern stattgefunden und
dem Stern einen erhöhten Glanz verliehen hätten. Es müssen
vielmehr zwei Körper als bei dem Vorgänge thätig angesehen
werden und ziemlich ungezwungen kann eine schon früher
von WiIsing aufgestellte Hypothese hier als durch einen
neuen Vorgang bestätigt betrachtet werden. Nach dieser
hätten wir es mit einem Doppclstern zu thun, dessen Bahn
derart exzentrisch gestaltet sei, dass zur Zeit des Periastrons
sich beide Komponenten einander nähern können bis auf
Entfernungen, die von derselben Ordnung sind wie ihre
Durchmesser. Nehmen wir noch analog wie bei unserer
Sonne an, dass beide Sterne mit gasigen Atmosphären um¬
geben seien, deren Höhe ihre Durchmesser um ein Mehrfaches
übertrifft, so werden bei der ungeheuren Annäherung beide
Atmosphären vielleicht mit einander in Berührung kommen,
jedenfalls aber durch die gegenseitige Anziehung der festen
Sonnenkerne für einige Zeit vollständig deformirt. Es wird in
Folge dessen die Höhe der Atmosphäre, welche ein von der
Oberfläche der betreffenden Sonne ausgehender Lichtstrahl
zu durchdringen hat, um zu unserm Auge zu gelangen für
gewisse gegenseitige Stellungen der beiden Körper bedeutend
vermindert, und schon dadurch ist eine Zunahme der Hellig¬
keiten beider Sonnen, die wegen ihrer Nähe von uns nur als
eine erblickt werden, gegeben. Gleichzeitig aber wird der
barometrische Druck, den die sonst kugelförmigen Atmosphären
auf die vulkanischen Schlote des festen Sonnenkörpers bisher
ausgeübt, nunmehr an gewissen Stellen vermindert, und an¬
dererseits wirkt auch die Anziehung der andern Sonne direkt
störend auf das glutflüssige Innere des Sonnenkörpers ein
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und veranlasst dadurch einen Ausbruch glühender Lava und
glühender Gase an die Oberfläche, die ihrerseits in weitem
Umkreise zu schmelzen beginnt und sich desshalb mit an
dem Aufleuchten des Sterns betheiligt. Die hier vorgegangene
gewaltige Revolution im Innern eines Doppelsternsystems,
die wenn beide Sonnen wie die unsrige mit einem Kranz
von Planeten umgeben sind, gleichbedeutend ist mit der
gleichzeitigen Vernichtung alles organischen Lebens auf diesen
Trabanten, wird nun durch den Lichtstrahl nach allen Seiten
des Universums hingemeldet und nach Jahren schlägt auch
an unsere Welteninsel die Kunde, dass dort vor unbekannter
Zeit in unbekannter Ferne und in nur ungefähr bekannter
Richtung eine Weltkatastrophe vor sicli gegangen, die sich
uns als die Erscheinung eines „neuen“ Sterns offenbart.
Man sieht auch, dass nach Erreichung des Maximums der
Helligkeit, wenn der neue Stern wieder zu verschwinden be¬
ginnt, der Träger der glühenden Gase — wenn wir uns
darunter den kleineren Begleiter vorstellen, der naturgemäss
am meisten unter der Katastrophe zu leiden hat — sich
von uns entfernen muss und dass dies mit einer so alle
bisherigen Begriffe übersteigenden Geschwindigkeit geschieht,
passt vollkommen in die Wilsing’sche Hypothese und spricht
für die vorübergehende grosse Nähe der beiden Himmelskörper.
421. Sitzung am 4. März 1892.
Anwesend 13 Mitglieder.. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Hofratli Meidinger machte Mittheilung über die
Entwicklung, welche die Aluminium-Industrie genom¬
men hat, im besonderen Hinblick auf die „elektrolytische
Gewinnung desselben, wie sie namentlich in Neuhausen bei
Schaffhausen in grossartigem Masse betrieben wird, von wo
gegenwärtig fast alles in Deutschland verwendete Aluminium
stammt.
Herr 0. Ammon machte einige Bemerkungen über
Kopf-Indexe, indem er zugleich die Köpfe der am heutigen
Abend bei sehr schlechtem Wetter wenig zahlreich erschie¬
nenen Mitglieder mass, die sich fast alle als ausgeprägte
Langschädel erwiesen.
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422. Sitzung am 18. März 1892.
Anwesend 33 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Professor Treutlein sprach über die Einfüh¬
rung der neuen Zeit. Der Vortrag ist unter den Abhand¬
lungen abgedruckt.
423. Sitzung am 20. Mai 1892.
Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener«
Generalyerwammlunp
Herr Hofrath Dr. Meidinger liest einen Bericht über
die Tbätigkeit des Vereins im verflossenen Geschäftsjahr vor.
Herr 0. Bartning berichtet über den Stand der Kasse des
Vereins.
Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener hielt hierauf einen Vor¬
trag über die Lichtzerstreuung durch matte Körper¬
oberflächen. Die Aufgabe, Körper nicht nur nach ihren
Formen, sondern auch nach ihren Helligkeitsverhältnissen
abzubilden, erfordert die Kenntniss der Gesetze jener Licht¬
zerstreuung. Die bisherigen Hauptquellen der erschlossenen
Erkenntniss rühren noch aus dem vorigen Jahrhundert her
und sind: Lambert, photometria, 1760, und Bouguer,
trait6 d’optique 1760. Nach Lambert soll eine matte Ober¬
fläche das auffallende Licht nach allen Richtungen gleich¬
förmig zerstreuen, So dass sie von allen Seiten gesehen*
gleich hell erscheint. Der Vortragende zeigt, dass, dem ent¬
gegen, von zwei neben einander gestellten, gleich stark be¬
leuchteten Kartonblättern das mehr senkrecht betrachtete
heller erscheint, als das mehr schief betrachtete. Das
Lambert’sche Gesetz trifft also hier nicht zu. Es trifft aber,
wie die Versuche zeigen, zu bei glühenden Körpern, indem
eine glühende Kugel gleichförmig hell, wie eine ebene Scheibe*
erscheint; ebenso bei vollkommen matten oder rauhen Ober¬
flächen, wie bei berussten oder bei weissen, durch einen
amorphen Niederschlag von Magnesiumoxyd überzogenen Ober¬
flächen. Die Licht-und Wärmezerstreuung rührt hier wesentlich
von einem Eindringen der Erschütterung in die Körpermasse
her; denn eine Schicht von Magnesiumoxyd auf einer be-
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russten Unterlage zerstreut bei einer Dicke von 0,26 Milli¬
meter doppelt so viel von der aufgestrahlten Wärme, als bei
0,05 Millimeter (Angström, 1885). Auch spricht für Ein¬
dringen die Färbung des zurückgeworfenen Lichtes. Bouguer
dagegen geht von der Annahme der auf der Oberfläche in
den verschiedensten Richtungen zerstreuten spiegelnden Flä¬
chenstückchen oder Facetten aus, und schloss aus einigen
Versuchen, dass solche in grösster Zahl in der Richtung der
Gesammtfläche vorhanden sind und um so weniger, je grösser
ihre Neigung gegen diese Fläche ist. Es entspricht dies den
halbmatten oder theilweise spiegelnden Flächen, wie bei Pa¬
pier, gegossenem (krystallischem) Gyps, mattem Silber. Nach
Bouguer hängt die Stärke des zurückgeworfenen Lichtes von
der Gesammtgrösse der Facetten ab, welche senkrecht auf der
Halbirungslinie des Winkels stehen, den der einfallende und
der ausfallende Strahl mit einander bilden. Danach müsste
die Lichtstärke dieselbe bleiben, wenn man den einfallenden
und den ausfallenden Strahl mit einander vertauscht. Dies
ist aber nicht richtig; denn bei streifendem Licht und senk¬
rechtem Beschauen ist die Helligkeit Null, aber bei streifen¬
dem Beschauen und senkrechter Beleuchtung findet man die
Helligkeit noch 0,6 von derjenigen bei senkrechtem Be¬
schauen. Es findet offenbar sowohl Eindringen, wie Ober¬
flächenspiegelung, und zwar mehrfache in den Vertiefungen
der Rauhigkeiten statt. Hier kann man nur durch Beobachten
an verschiedenartigen Oberflächen zur Erkenntniss gelangen,
und der Vortragende hat Beobachtungen an gegossenem Gypse
angestellt. Er benutzte zwei gleiche Gypsplatten, welche
dem Auge neben einander erschienen und durch Stearinkerzen
auf gleiche Helligkeiten gebracht wurden, so dass ihre Bilder
an der Grenze möglichst mit einander verschmolzen. Die
eine wurde senkrecht beleuchtet und betrachtet. Nennt man
ihre Helligkeit bei dem Lichtabstande von 1 M. Eins, so ist
sie bei einem Lichtabstande von 2,3 . . . Meter bekanntlich
V«» ‘/» • • • Die andere wurde in wechselnden Richtungen
beleuchtet und betrachtet. Dabei wurden vier Grössen ge¬
messen oder eingestellt. Der Abstand des Lichtes, der Ein-
und der Ausfallswinkel, d. h. der Winkel des Lichtstrahls oder
des Sehstrahls mit der Flächennormale, und das Azimuth,
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d. h. der Winkel der Ein- und der Ausfallsebene. Nach
hergestellter Gleichheit der Helligkeiten beider Scheiben konnte
man die Helligkeit der zweiten für den Lichtabstand von
ein Meter berechnen. Trägt man diese Helligkeiten für
einen fest angenommenen einfallenden Strahl auf allen aus¬
fallenden oder Sehstrahlen vom Flächenpunkt aus auf, so
bilden die Endpunkte der Strecken die Helligkeitsfläche; trägt
man sie dagegen bei festem Sehstrahl auf allen einfallenden
Lichtstrahlen auf, so erhält man die Beleuchtungsfläche.
Die in Intervallen von höchstens 30 zu 30° ausgeführten
Beobachtungen wurden nun mit möglichst geringen Aende-
rungen so korrigirt, dass beiderlei Flächen stetig wurden, und
zwar vermittelst Verzeichnung der Meridian- und der Kegel¬
kurven (entsprechend den Parallelkreisen) beider Flächen.
Nach Lambert ist die Helligkeit unabhängig von der Seh¬
richtung; also wäre die Helligkeitsfläche eine Halbkugel mit
dem betrachteten Punkte als Mittelpunkt, deren Halbmesser
bekanntlich mit zunehmendem Einfallswinkel abnimmt, näm¬
lich gleich dessen Cosinus ist; die Beleuchtungsfläche wäre
dagegen für jede Sehrichtung dieselbe Kugel vom Durch¬
messer Eins, welche die betrachtete Fläche berührt. Es
wurden nun vier Modelle von Helligkeitsflächen für die Ein¬
fallswinkel von 0, 30, 60, 82‘/j° aus Kartons hergestellt,
welche Meridiane und Kegelflächen von unveränderlichem
Ausfallswinkel darstellen. An jedem Modell war sowohl die
Fläche der beobachteten Helligkeiten, als die kugelförmige
der Lambert’schen Helligkeiten veranschaulicht, und die
ersteren durch weisse, die letzteren durch schwarze Färbung
nach innen gekennzeichnet, so dass eine leichte Vergleichung
von beiderlei Flächen möglich war. Die Ergebnisse dieser
Vergleichung sind nun folgende: 1. Wächst der Ausfallswinkel
von 0 bis 60°, so ist die Helligkeit im Allgemeinen wenig
verändert, meist etwas kleiner, als nach Lambert. 2. Wächst
dann der Ausfallswinkel von 60 auf 90°, so nimmt die •
Helligkeit merklich ab, bis zu etwa 0,6 derjenigen bei senk¬
rechtem Beschauen. 3. Auf der dem einfallenden Strahle
gegenüberliegenden Seite, also auf derjenigen der Spiegelung,
ist die Helligkeit grösser, als an der entsprechenden Stelle
derselben Seite. 4. Eine Spiegelung fängt an merklich zu
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werden bei einem Einfallswinkel von 45°, deutlicher bei 60 # .
In letzterem Falle ist die Helligkeit am grössten, nämlich
gleich 1 , bei dem Ausfallswinkel von 67°. Bei zunehmendem
Einfallswinkel tritt ein zunehmender Glanz ein, indem z. B.
bei den Einfallswinkeln von 75, 82 V 2 , 86 V 4 0 die grösste
Helligkeit gleich 2 , 5, 14 wird, bei den Ausfallswinkeln von
79 , 85, 88 °, die also etwas grösser, als die zugehörigen Ein¬
fallswinkel sind. Man kann sich dies leicht erklären, indem
durch das Wachsen der Ausfallswinkel die Neigung der spie¬
gelnden Facetten gegen die Gesammtoberfläche etwas grösser
als 0° wird, ihre Gesammtgrösse dadurch aber nur wenig
abnimmt, während der Ein- und der (gleiche) Ausfallswinkel
gegen diese Facetten, der schon an sich gross ist, noch an¬
wächst, und dadurch bekanntlich die Stärke der Spiegelung
rasch zunimmt. — Da so die verschiedenen Stoffarten unter¬
sucht werden müssten, ist hier ein grosses, besonders auch
für die Maler wichtiges Arbeitsfeld geboten.
Bei der sich an diesen Vortrag knüpfenden Diskussion
brachte Herr Hofrath Meidinger die Bede auf die bei der
letzten Mondfinsternis vom 21 . Mai gemachte Beobachtung,
dass auch der verfinsterte Theil des Mondes sichtbar gewesen
sei. Herr Dr. Ristenpart gab hierzu die Erklärung, dass
das Sonnenlicht in den Theilen der Erdatmosphäre, wo ge¬
rade Sonnen-Aufgang oder -Untergang stattfinde, beim Durch¬
gänge gebrochen werde und so, allerdings nur mit schwachem
Schein, im Stande sei, Körper zu erhellen, die sich im
Schatten der Erde, also eigentlich in völliger Finsterniss,
befänden. Da die Luft, wie wir dies bei den Morgen- und
Abendröthen so schön wahrnehmen, am meisten für die
rothen Strahlen durchlässig ist, so erscheint darum der Mond
in einem eigentümlich braun rothen Lichte. Ob man den
Mond bei totalen Finsternissen noch sehe oder nicht, dies
hänge davon ab, ob der Theil der Atmosphäre, den die
Sonnenstrahlen tangential treffen, bewölkt sei oder nicht;
im ersteren Falle könne kein Licht durch und der Mond sei
vollständig dunkel, doch sei dies der seltenere Fall.
424. Sitzung am 14. Juni 1892.
Für den heutigen Abend war der Verein von Herrn
Hofrath Meidinger zu einem Besuch der Grossh. Landes-
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gewerbeballe eingeladen, welche seit Kurzem dem Publi¬
kum auch Freitag Abends bei elektrischer Beleuchtung ge¬
öffnet ist. Es hatten sich zahlreiche Mitglieder, theilweise
in Begleitung von Familienangehörigen eingefunden.
Verschiedene Neuheiten erregen hier die Aufmerksamkeit
der Besucher: die vollständige Einrichtung einer elektrischen
Beleuchtung mit zwölfpferdigem Gasmotor, Dynamo, Akku¬
mulatoren, Elektromotoren; ferner die neuesten Erfindungen
auf dem Gebiete der Gasbeleuchtung und Gasheizung, das
Metall Aluminium, roh und in verschiedenen Gebrauchsgegen¬
ständen, insbesondere ist beachtenswerth die Vorführung
einer Pressluft-Kraft-Transmission von Firma Riedinger in
Augsburg, die einzige bis jetzt bestehende derartige Muster¬
anlage in Deutschland; im Grossen ist die Ausführung in
Offenbach seit einem Jahre gemacht und befindet sich in
zunehmender Entwickelung daselbst. Es wird sich später
Gelegenheit finden, Ausführliches über diese merkwürdige
und wichtige Form der Kraftvertheilung zu berichten.
425. Sitzung am 17. Juni 1892.
Anwesend 23 Mitglieder. Vorsitzender: Ilerr Geh. Hoirath Dr. Wiener.
Herr Otto Ammon sprach über Kopfmessungen an
Gelehrten und Ungelehrten. Aus den reichen Mate¬
rialien, welche sich bei den seit 1886 im Gange befindlichen
anthropologischen Untersuchungen der Wehrpflichtigen und
Gymnasiasten ergeben haben, theilte der Vortragende einige
überraschende Ergebnisse mit. Es hatte sich schon 1887
herausgestellt, dass die in den Städten Karlsruhe, Mannheim,
Heidelberg, Konstanz und Lörrach gemusterten Mannschaften
je nach ihrem Ursprung verschiedene Kopfformen zeigten.
Die in der Stadt Geborenen waren langköpfiger, als die vom
Lande Zugewanderten. Im Jahre 1891 wurde die Unter¬
suchung der Städte Karlsruhe und Freiburg nach einem er¬
weiterten Schema behufs näherer Erforschung des Sach¬
verhaltes mit möglichster Genauigkeit vorgenommen. Unter
den Stadtgeborenen wurde durch Befragung jedes einzelnen
Rekruten ermittelt, ob der Vater ebenfalls schon in der Stadt
geboren oder vom Lande Zugezogen war, so dass demnach
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die städtischen Rekruten in drei Ursprungsabtheilungen
zerfielen: vom Lande zugezogene, — Halbstädter (von zu¬
gezogenen Vätern Abstammende) — und eigentliche Städter
(von stadtgeborenen Vätern Abstammende). Die Vergleichung
der Kopfmasue ergab, dass schon die Zugezogenen in einem
geringen Grade langköpfiger sind, als der Durchschnitt der
ganzen Landbevölkerung, soweit das Grossherzogthum bis
jetzt aufgenommen ist (11,120 Mann vom Lande). Die Halb¬
städter sind aber in weit höherem Grade langköpfig als die
Zugewanderten, und die eigentlichen Städter übertreffen die
Halbstädter in gleichem Masse. Die Deutung dieser un¬
bestreitbaren Thatsachen kann nur darin gesucht werden,
dass hier eine Erscheinungsform der natürlichen Auslese
beim Menschen vorliegt, indem die Langköpfe den Kampf
im Wettbewerb der städtischen Bevölkerung besser bestehen
als die Rundköpfe. Eine Umrechnung der Ziffern ergibt,
dass von 100 einwandernden Langköpfen in der zweiten
städtischen Generation noch zehnmal so viele übrig sind,
als von 100 einwandernden Rundköpfen, dass also die Letz¬
teren durch die Schädlichkeiten des Stadtlebens zehnmal
stärker mitgenommen werden. Eine ähnliche, aber viel
schwächer markirte Auslese bewirken die Städte hinsichtlich
der hellen Farben, indem die blauen Augen und die blonden
Haare von Generation zu Generation zunehmen, also die
dunkeln Individuen ausgeschieden werden. Mit der Zeit
werden aber auch die blonden Langköpfe in den Städten
aufgerieben, nur geschieht dies langsamer als bei den dunkeln
Rundköpfen. In zwei bis drei Generationen erneuert sich
die städtische Bevölkerung fast vollständig durch Zuzug vom
Lande, wie der Vortragende durch die Ziffern der Rekruten-
Abtheilungen und die Statistik Georg Hansens darthat. Da
dem Landvolk fortwährend mehr Lang- als Rundköpfe durch
die Städte entzogen werden, um nie wieder zurückzukehren,
bei den Augen- und Haarfarben die Auslese aber viel weniger
sieh geltend macht, so erklärt die gefundene Thatsache ein
bisher für unlösbar gehaltenes Problem der Anthropologie,
nämlich die zunehmende Rundköpfigkeit der deutschen Be¬
völkerungen, die von dem mittleren Index der alten Germanen
der 77 betrug, in Baden auf 83,5 gekommen ist, während
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die Augen- und Haarfarben noch immer einen germanischen
Charakter zeigen. Bei den Wehrpflichtigen konnten die mit
der Berechtigung zum einjährigen Dienst Versehenen nicht
mitgemessen werden, daher wurden an iünf Gymnasien des
Landes Kopfmessungen vorgenommen, um die. Lücke aus¬
zufüllen. Man beschränkte sich aus gewissen Gründen auf
die vier oberen Klassen. Die Erwartung, bei ihnen mehr
Langköpfe zu finden, als bei der sonstigen Bevölkerung hat
sich zwar erfüllt, aber in einem nicht völlig befriedigenden
Grade. Erst als man die Untersekunda von den drei obersten
Klassen trennte, stellte sich das merkwürdige Ergebniss
heraus, dass die Schüler der drei obersten Klassen bedeutend
langköpfiger sind als die Untersekundaner, und überhaupt
die langköpfigste Gruppe bilden, die bei uns vorkommt. Der
nach Absolvirung der Untersekunda eintretende „Abfall“ trifft
also hauptsächlich die Rundköpfe, während sich die Lang¬
köpfe mit Vorliebe dem höheren Studium widmen. Die sich
ergebenden Schlussfolgerungen, die von dem Redner gezogen
wurden, werfen merkwürdige Lichter auf die sozialen Zu¬
stände. Unabweisbar ist die Thatsache. dass die höheren
Stände eine andere Kopfform besitzen als die unteren, und
zwar nähern sie sich derjenigen, welche die alten Germanen
besassen, ein Volk, welches durch seine Intelligenz und durch
seine sittlichen Anlagen das Alterthum in Erstaunen setzte,
und augenscheinlich jetzt noch seinen Charakter gleichzeitig
mit seiner Kopfform vererbt. Schliesslich wurden Mittheilungen
gemacht über Kopfmessungen, die der Vortragende vor einiger
Zeit (421. Sitzung) an Mitgliedern des Naturwissenschaftlichen
Vereins vorgenommen hat. Es handelte sich darum, zu
wissen, wie die Köpfe derjenigen Studirten, die nicht nur
die Prüfungen abgelegt, sondern auch den Wettkampf des
Lebens bestanden haben, sich zu denen der drei obersten
Gymnasialklassen und der Wehrpflichtigen verhalten. Das
Ergebniss war, dass sich unter ihnen ausserordentlich viele
Langköpfe und fast keine Rundköpfe befinden und dass sie
im Durchschnitt der Langköpfigkeit die Gymnasiasten noch
etwas übertreffen. Dabei sind aber die Köpfe der Gelehrten
auch durch ihre absolute Masse ausgezeichnet. Während die
Gymnasiasten sich von den Wehrpflichtigen nicht durch die
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Grösse, sondern nur durch die Form der Köpfe unterscheiden,
indem diese ebensoviel schmäler als länger sind, messen die
Köpfe der Gelehrten in Länge und Breite mehr als alle
übrigen Abtheilungen.
An den beifällig aufgenommenen Vortrag knüpfte sich
eine sehr belebte und anregende Besprechung. Herr Prof.
Treutlein warf die Frage auf, ob die alten Griechen und
Römer langköpfig oder kurzköpfig gewesen seien. Herr
Ammon und Herr Dr. Wilser führten die Beweise an, aus
denen die Langköpfigkeit der herrschenden Klassen bei den
beiden alten Kulturnationen hervorgeht und erklärten gewisse
Verschiebungen im Alterthum aus anthropologischen Ver¬
änderungen. Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener sprach sich
ebenfalls über das Thema aus und berührte die Schädelform
der antiken Statuen und Schillers, worauf Herr Professor
Volz die Schädelformen der antiken Plastiker, besonders die
Zeusmaske von Otricoli, vom künstlerischen Standpunkt
beleuchtete und Herr Ammon einige Bemerkungen über die
Dannecker’sche Schillerbüste und die Todtenmaske Schillers
nach dem bekannten Buche von Geheimerath Welcker in
Halle anschloss. Hiermit war die Verhandlung zu Ende,
doch blieben die Mitglieder noch gesellig vereint, um das
unerschöpfliche Thema weiter zu erörtern.
426. Sitzung am I. Juli 1892.
Anwesend 20 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Professor Treutlein sprach über Stundenzonen¬
zeit und Weltzeit. Def Vortrag, an welchen sich eine
lebhafte Diskussion mit den Herren Ammon, Professor Dr.
Schröder, Geh. Hofrath Dr. Wiener anknüpfte, ist unter den
Abhandlungen abgedruckt.
427. Sitzung am 21. Oktober 1892.
Anwesend 25 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Einem von der anthropologischen Kommission des Alter-
thums-Vereins Karlsruhe eingekommenen Gesuch um Bewil¬
ligung eines weiteren Beitrags von 200 M. zur Fortsetzung
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der Untersuchungen der Wehrpflichtigen Badens wird ent¬
sprochen.
Auf Antrag des Vorsitzenden wird beschlossen, dem hier
im Ruhestand lebenden Herrn Geh. Rath von Babo (früher
Professor der Chemie in Freiburg), welcher in den nächsten
Tagen die Feier seines 50jährigen Doktor-Jubiläums begeht,
die Glückwünsche des Vereins durch eine Kommission aus¬
zudrücken.
Herr Dr. Ristenpart hielt einen Vortrag über unsicht¬
bare Sterne. Derselbe ist unter den Abhandlungen ab¬
gedruckt.
428. Sitzung am 25. Oktober 1892.
Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen
Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums.
Herr Rochus Schmitt aus Berlin hielt einen Vortrag
über die Sicherung der Karawanenstrasse in Deutsch-
Ostafrika und die Bedeutung des Seengebietes.
429. Sitzung am 4. November 1892.
Anwesend 19 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener hielt einen Vortrag über
die Empfindungseinheit zum Messen der Empfin¬
dungsstärke.
Wenn die Oberfläche eines Körpers, z. B. einer Gyps-
platte, von einem Stearinlichte aus einer gewissen Entfernung
etwa senkrecht beleuchtet wird, £0 erhält sie eine gewisse
Helligkeit und übt einen gewissen Reiz auf das beschauende
Auge aus. Wenn dann unter gleichen Umständen 2, 3,... n
Lichter angebracht werden, so nennt man die Helligkeit
und den Reiz 2, 3, ... n mal so gross. Stellt man das
einzelne Licht in einen Abstand der , -y, • • • n
des erstgewählten auf, so ist die Helligkeit- 4, 9, ... n*
mal so gross, als im ersten Falle, wie Erwägungen und Be¬
obachtungen zeigen. Nicht aber wächst die Stärke der
Helligkeitsempfindung, oder die Empfindungsstärke in dem¬
selben Verhältnisse, wie die Helligkeit. Denn fügt man zu
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einem Lichte ein weiteres hinzu, so wächst die Helligkeits¬
empfindung sehr bedeutend; fügt man aber zu 100 Lichtern
ein weiteres hinzu, so ist die Zunahme der Helligkeits¬
empfindung unmerklich. Bei Vergleichung zweier Hellig¬
keitsempfindungen kann man vorerst nur sagen, ob sie gleich
stark sind, oder ob die eine stärker ist, als die andere.
Wir haben vorerst gar keinen Anhalt, um zu behaupten,
eine Empfindung sei doppelt so stark, als die andere, oder
der Unterschied zweier Empfindungen sei in einem Falle
eben so gross, wie in einem anderen.
Hier drängt sich uns als Masseinheit für die Zunahme
der Empfindungsstärke und damit für die Empfindungsstärke
selbst die Merkbarkeit dieser Zunahme auf, so dass wir
sagen, zwei Empfindungen sind um eine Empfindungs¬
einheit verschieden, wenn ihr Unterschied gerade bemerkt
oder empfunden werden kann. Um so abzählend die Empfin¬
dungsstärke zu messen, stellte Redner in einem dunklen
Raume zwei gleiche Gypsplatten neben einander auf und
liess sie aus grosser Entfernung von einer schwachen Benzin¬
flamme bestrahlen. Demungeachtet konnte Redner sie nicht
von dem dunklen Hintergründe unterscheiden. Er liess nun
die Flamme näher zu den Platten rücken, bis er sie gerade
bemerken konnte. Die von ihnen hervorgebrachte Empfin-
dungsstärke war jetzt gleich der Einheit. Dann liess er die
eine Platte näher an das Licht rücken, bis ihm deren Hellig¬
keit grösser als die der anderen Platte erschien; die durch
sie hervorgebrachte Empfindungsstärke war nun gleich zwei.
Dann liess er die andere Platte an der ersten vorbei rücken,
bis sie gerade als heller erkannt wurde; die durch sie hervor¬
gebrachte Empfindungsstärke war jetzt gleich drei u. s. w.
Dabei findet ein sehr einfacher Zusainmhang zwischen
der Zunahme der Empfindungsstärke und der Zunahme des
Reizes statt; derselbe ist durch das Weber’sche Gesetz aus¬
gedrückt, welches sagt, dass innerhalb gewisser Grenzen der
Unterschied zweier Empfindungen gerade bemerkbar ist,
wenn der Reiz sich um einen bestimmten verhältnissmässigen
Theil seiner Grösse ändert. So fand Redner, dass bei dem
vorher an die Dunkelheit gewöhnten Auge der Reiz um *12
wachsen musste, damit er bemerkbar wurde, bei einem, noch
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anderen Lichteindriicken ausgesetzten Auge um */»• Dieses
Verhältniss nennt Fechner die Unterschiedsschwelle;
dagegen Reizschwelle die Stärke des Reizes, den man der
Empfindungsstärke Null zuschreibt, der nämlich erst, wenn
er in jenem Verhältnisse (um Via oder */?) gesteigert wird,
die erste Empfindung hervorbringt. Es nimmt also nach dem
Weber'schen Gesetze die Empfindungsstärke jedesmal um eine
Einheit zu, wenn der Reiz um denselben verhältnissmässigen
Theil seiner Stärke zunimmt; oder die Empfindungsstärken
bilden eine arithmetische Reihe, wenn die zugehörigen Reize
eine geometrische bilden; oder die Empfindungsstärken
wachsen im Verhältniss mit den Logarithmen der Reize.
Bei diesen Beobachtungen ist die Genauigkeit keine sehr
grosse, weil die Unterscheidbarkeit einen gewissen Grad der
Deutlichkeit haben muss, dieser aber schwankt. Erst bei
dem Nehmen der Mittel aus einer Reihe von Beobachtungen
erhält man gute Uehereinstimmungen.
Ferner ergibt sich, dass die Empfindungseinheit schwankt,
indem sowohl die Unterschieds* als die Reizschwelle bei ver¬
schiedenen Menschen und auch bei demselben Menschen bei
seinen verschiedenen Zuständen wechselt. Es liegt dies in
der Natur der Sache, indem ja gerade etwas Persönliches,
die Stärke der persönlichen Empfindung, gemessen werden
soll. Diese Verschiedenheiten führen zum Begriff der Em¬
pfindlichkeit, und diese steht in zwei Fällen im um¬
gekehrten Verhältniss der Unterschieds- oder der Reiz¬
schwellen; doch lässt sich auch ein absolutes Mass der Em¬
pfindungsstärke angeben, indem man eine bestimmte Reiz- und
Unterschiedsschwelle zu Grunde legt, z. B. die mittleren
Werthe für die Reizschwelle = 0,0001 der Helligkeitseinheit
d. h. 1:10000 derjenigen Helligkeit, welche von einem
Stearinlichte bei einem senkrechten Abstande von 1 Meter
auf vollkommen weiss gedachtem, d. i. alles auffallende Licht
zurückstrahlendem Gypse hervorgebracht wird, während der
wirkliche Gyps nur 0,72 des auffallenden Lichtes zurück¬
strahlt; und für die Unterschiedsschwelle 0,1 oder 1:10 der
vorhandenen Helligkeit.
Die grössten Verdienste um diesen Wissenszweig hat
sich der tiefsinnige Fechner hauptsächlich durch sein Werk
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„Elemente der Psychophysik, 1860; zweite Auflage 1889“
erworben; doch hat er sich viele Widersacher, besonders
unter den Philosophen zugezogen, wohl wesentlich, weil er
seine Anschauungen durch die Formeln zu sehr verschleierte,
und besonders, weil er das Wesen der Empfindungseinheit
nicht deutlich hervortreten liess.
430. Sitzung am 18. November 1892.
Anwesend 32 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Photograph Fr. Schmidt, Lehrer an
der Technischen Hocbscbnle.
Herr Dr. Wilser sprach über Unsern Stammbaum.
Als im Jahre 1859 Darwin sein bahnbrechendes Werk:
„Die Entstehung der Arten“, herausgab, schrieb er darin in
Bezug auf den Menschen nur die wenigen Worte: „Licht
wird fallen auf den Ursprung des Menschen und seine Ge¬
schichte“. Diese Vorhersage ist in Erfüllung gegangen. Es
konnte nicht ausbleiben, dass die Schlussfolgerungen der
Darwinschen Lehre auch auf den Menschen gezogen wurden,
und der Erfolg war thatsächlich der, dass ein nie geahntes
Licht das frühere Dunkel erhellte. Der Körperbau des
Menschen stimmt so sehr mit dem der höheren Thiere über¬
ein, dass wir ihm wohl die höchste, nicht aber eine Sonder¬
stellung in der Natur einräumen können. Er ist die „Krone
der Schöpfung“, d. h. die höchst entwickelte Spitze einer
unendlich langen Entwickelungsreihe. Die erste Bedingung
für den Beginn organischen Lebens auf unserem Erdball war
die Erkaltung desselben und das dadurch ermöglichte Flüssig¬
werden des Wassers, denn alle Lebewesen bestehen zum
grössten Theil aus Wasser (der Mensch 70 Prozent, einzelne
Seethiere bis zu 99 Prozent). Die unumgängliche Voraus¬
setzung für die Entwickelungslehre ist die „Urzeugung“,
d. h. die Entstehung der niedersten Lebewesen auf natür¬
lichem Wege. Die weit vorgeschrittene Chemie unserer Tage
lässt es nicht mehr unmöglich erscheinen, dass aus der Salz¬
lösung des Meerwassers unter besonderen Umständen jene
Stoffe zusammentraten, aus denen die Thier- und Pflanzen¬
zellen sich aufbauen, die sogen. Eiweisskörper. Aus Flock-
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eben dieses „Urschleimes“ bildeten sich durch Ausscheidung
eines Kerns und später auch einer äusseren Haut, die ersten
„Zellen“. Aus Zellgruppen entstanden die allerersten Thiere
und Pflanzen in der allereinfachsten Gestalt kleiner Häufchen,
Bläschen, Schläuche und dergl. Nun schritt die Entwickelung
unaufhaltsam zu Thieren mit immer verwickelterem Körper¬
bau fort. Aus einem wurmartigen Geschöpf entstand das
erste Wirbelthier, von dem noch heute ein naher Verwand¬
ter, das Lanzetfischchen (Amphioxus) lebt. Eine weitere
Stufe aufwärts bildeten dann die Rundmäuler, von deren
heutigen Vertretern das Neunauge, wenn auch den meisten
Menschen wohl nur im marinirten Zustande, am bekanntesten
ist. Daraus entstanden die Urfische, die Knorpel- und
Schmelzfische, von denen heute noch die Haie, Rochen und
Störe leben. So weit war die Lebensentwickelung vorgeschrit¬
ten in der Zeit der ältesten geschichteten, d. h. aus dem
Wasser niedergeschlagenen Gesteine, der krystallinischen
Schiefer, die die sogen, archäische Formation bilden. Im
zweiten geologischen Zeitalter, das die Steinkohlenbildung
einschliesst, herrschten als höchste Wirbelthiere die Fische
vor; es bereiteten sich aber in den „Dipneusten“ oder Doppel-
athmern die Uebergänge für ein Leben auf dem Festlande
vor. Die Schwimmblase der Fische wurde zur luftathmenden
Lunge. Aus den Doppelathmern entstanden die ersten Am¬
phibien oder Doppelleber, in deren Entwickelung durch die
fortwirkende Vererbungskraft noch der ganze Uebergang vom
Leben im Wasser zu dem auf dem Lande sich widerspiegelt.
Aus dem Froschei schlüpft zuerst die als Wasserthier lebende
und mit Kiemen athmende Kaulquappe, die durch verschiedene
Uebergangsstufen zu dem luftathmenden, geschlechtsreifen
Thiere sich umbildet. Aus den Amphibien entstanden durch
völlige Entwöhnung vom Wasserleben die Kriechthiere oder
Reptilien. Im zweiten geologischen Zeitalter, besonders in
der Juraformation, bildeten sie in den gewaltigen und aben¬
teuerlichen Gestalten der Saurier die vorherrschende Thierart.
Zwei warmblütige Thierstämme entwickelten sich aus den Rep¬
tilien, die Vögel, deren ursprüngliche Gestalt noch der „Ur¬
vogel“ oder Archäopteryx erkennen lässt, den uns ein glück¬
licher Zufall als Versteuerung im Solenhofer Schiefer auf-
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bewahrt hat, und die Säugethiere, von deren ältesten Formen
noch nahe Verwandte auf dem jedenfalls lange Zeit von der
Verbindung mit den übrigen Welttheilen ausgeschlossenen
Australien leben, das merkwürdige Schnabelthier und der
Ameisenigel. Eine weitere Stufe bilden die Beutelthiere, von
denen noch zahlreiche Vertreter in Australien leben. Sie
gelangen noch im gleichen geologischen Zeitalter zur vollen
Entwickelung. Im dritten Zeitalter bilden sich dann die
eigentlichen Säugethiere aus, deren Junge schon so lebens¬
kräftig geboren werden, dass sie eines Tragbeutels nicht mehr
bedürfen. Unter ihren zahlreichen Gruppen beschäftigen uns
hier zumeist die Affen, die durch das Bindeglied der Halb¬
affen von den Beutelthieren abstammen. Sie erreichen ihre
völlige Ausbildung im nächsten Zeitalter, dem Tertiär, das
durch das Vorherrschen der riesenhaften Dickhäuter unter
den Säugethieren gekennzeichnet ist. Aus einer stummel-
schwänzigen Affenart, von der noch ein naher Verwandter
in Europa, auf dem Felsen von Gibraltar, lebt, haben sich
dann die menschenähnlichen Affen, die sogenannten Anthro¬
poiden, entwickelt. Die jetzt noch in Afrika und Asien
lebenden Arten sind von den unmittelbaren Vorfahren des
Menschen abstammende Seitenlinien. Von grosser Bedeutung
ist es, dass die asiatischen Anthropoiden, Orang und Gibbon,
rundköpfig, die afrikanischen dagegen, Gorilla und Schimpanse,
langköpfig sind. Da die Menschenrassen in den beiden
Welttheilen sich ebenso verhalten, so ist der Schluss gerecht¬
fertigt, dass schon der Vorfahr des Menschen, der zwischen
ihm und den Affen in der Mitte stehende sogenannte Pithe-
kantbropos, in Asien rundköpfig, in-Afrika und Europa lang¬
köpfig gewesen sein muss, d. h. dass es überhaupt nie eine
einheitliche Menschenrasse gegeben hat. Wie sollte der Ur¬
mensch gewesen sein, rundköpfig oder langköpfig? Es lässt
sich kein natürlicher Grund für die Umbildung der einen
Schädelform in die andere denken. Die Hauptmerkmale, die
den Menschen von den Anthropoiden scheiden, sind, ausser
der ganz bedeutenden Gehirnentwickelung, der aufrechte Gang
und die dadurch zum reinen Greifwerkzeug ausgebildete
Hand. Da Spuren des Menschen aus der Eiszeit gefunden
sind, so muss derselbe schon in der vorhergehenden Periode
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gelebt haben, wenn auch der Tertiärmensch bis jetzt nicht
mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Die Mensch¬
werdung hat jedenfalls in der alten Welt, wahrscheinlich
an zwei verschiedenen Stellen stattgefunden. Amerika und
Australien, die, wie die dort noch lebenden ursprüng¬
lichsten Säuger, die Gabel- und Beutelthiere, beweisen,
während langer Zeiträume von der alten Welt abgeschlossen
waren, sind erst später vom Menschen besiedelt worden,
und zwar Amerika von Asien her mit Bundköpfen, und von
Afrika her mit Langköpfen, Australien mit afrikanischen
Langköpfen. Der älteste Bewohner von Europa, der hier
unter Palmen und immergrünen Eichen mit dem Mammuth,
dem Nashorn und Löwen zusammengelebt hat, war, wie stets
sich mehrende. Funde zeigen, ein reiner Langkopf, von einer
Schädelbildung, dass wir in ihm den unmittelbaren Vorfahren
der späteren europäischen Kulturvölker erblicken dürfen.
Die Eiszeit, die aus noch nicht genügend aufgeklärten
Ursachen in der jüngsten Erdperiode über unseren Welttheil
hereinbrach, hat das Leben nicht völlig unterbrochen. Wenn
auch ganz Mitteleuropa von einer unwirthlichen Eismasse
bedeckt war, da die skandinavischen und Alpengletscher mit
denen der deutschen Mittelgebirge zusammenstiessen, so
blieben doch im Osten und Westen eisfreie Strecken. Selbst¬
verständlich sank auch hier die Temperatur ganz bedeutend,
was eine völlige Umgestaltung der Flora und Fauna zur
Folge hatte. Der Mensch entkam dieser an furchtbaren Um¬
wälzungen reichen Zeit nur mit Noth. Seine Geisteskräfte
mussten zur Erhaltung des Lebens aufs äusserste angestrengt
und geübt werden, die schärfste Auslese fand statt, d. h. es
ging Alles zu Grunde, was nicht körperlich und geistig am
Besten veranlagt war. Dies ist der einfache natürliche
Grund, warum die Europäer zur höchstentwickelten und kul¬
turfähigsten Basse wurden und die anderen Menschen weit
unter sich Hessen. Unter den Ureuropäern gab es wieder
eine Spaltung; ein Theil derselben wurde nach Skandinavien
verschlagen, wo, wie die Funde zeigen, der wichtige Kultur¬
fortschritt von der alten zur neueren Steinzeit gemacht
wurde. Diese Nordeuropäer erlitten durch einen unendlich
langen Aufenthalt in sonnenarmen Gegenden eine Farben-
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bleichung, sie bekamen blaue Augen, weisse Haut, helles
Haar. Wir nennen diese Rasse die skandisch-arische, weil
aus ihr alle sogenannten arischen oder indogermanischen
Völker hervorgegangen sind. Die Südeuropäer erlitten bei
gleichbleibender Schädelbildung keine so starke Bleichung,
sie behielten dunkle Haare und Augen. Geistig sind sie
ebenfalls gut veranlagt, werden jedoch, was Fähigkeit und
Begabung anlangt, von den Ariern übertroffen. Wir nennen
diese Rasse, die Mittelmeerrasse der Franzosen, die ibero-
semitische nach ihren westlichsten und östlichsten Gliedern.
Sie überfluthete, wahrscheinlich im Rücken von den Ariern
gedrängt, Nordafrika und einen Tbeil von Westasien. Die
Arier, die sich von Skandinavien aus fächerförmig nach Sü¬
den verbreitet haben, zerfallen in drei grosse Ströme. Der
Weststrom besteht aus den keltischen Völkern, den latinischen
Italern und Römern, der Oststrom theilt sich, den weiten
Länderstrecken entsprechend, wieder in drei Theile, den in¬
dischen, den skythisch-sarmatisch-persischen und den lito-
tbrakischen, der sich wieder in Tyrsener oder Etrusker,
Hellenen und kleinasiatiscber Thraker spaltet. In Nordeuropa
sind vom Oststrom die Slaven oder Wenden und ein Theil
der Litauer zurückgeblieben. Der Mittelstrom wird von den
Germanen gebildet und zerfällt in vier Arme, den kimbrisch-
ingävoniscben Stamm, der die Verbindung mit den Kelten
bildet, den marfisch-istävonisch-fränkischen, den herminonisch-
suebischen und den gotisch-vandilischen Stamm, der sich im
Osten an die Wenden anlehnt. Die germanischen Eroberer
unserer badischen Heimath gehörten dem dritten und zweiten
Stamme an. Nachdem das Zehntland von den Römern auf¬
gegeben war, nahmen zuerst die im Rheinthal vordringenden
suebischen Alamannen das Land in Besitz; sie wurden durch
die siegreichen Franken später bis hinter die Murg zurück¬
gedrängt. Von Osten her schoben sich, in den grösseren
Schwarzwaldthälern der Enz, Pfinz, Alb, Murg einzelne
zungenförmige Zweige der eigentlichen Schwaben in unser
Land herein, die in der Bodenseegegend mit den Lentienser
Alamannen oder Juthungen zusammentrafen. Unser Volk
besteht aber nicht aus rassereinen Abkömmlingen dieser ger¬
manischen Einwanderer. Es ist, wie die anthropologischen
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192
Untersuchungen auf’s bestimmteste nachgewiesen haben, mit
sehr bedeutenden rundköpfigen Bestandtheilen durchsetzt.
Man findet diese Rundköpfe in ganz Mitteleuropa. Sie ent¬
stammen einer Völkerfluth, die sich in vorgeschichtlicher Zeit
von Asien her über unseren Welttheil ergossen hat und deren
letzte geschichtliche Wellen die Hunnen, Avaren, Magyaren
und Türken sind.
So ist eine innige Verbindung hergestellt zwischen
Naturgeschichte und Menschengeschichte, die wir Welt¬
geschichte nennen, obgleich sie nur einen verschwindend
kleinen Bruchtheil derselben ausmacht. Eine Kluft zwischen
Vorgeschichte und Geschichte gibt es nicht mehr, ein lücken¬
loser Stammbaum vom Urschleimflöckchen bis auf den Kultur¬
menschen unserer Tage lässt sich erkennen. Wahrlich, es
ist dies unter den grossen Erfolgen der Naturwissenschaft
nicht der geringste. Er ist selbstverständlich nur dadurch
möglich, dass der Mensch völlig unter das allgemeine Ent¬
wickelungsgesetz gestellt und der Ursprung unseres Volkes
nicht in einem fremden Welttheil gesucht wird, wie man eine
Zeit lang auf Grund mangelhafter Kenntnisse gewähnt hat.
Hierauf berichtet Herr Dr. Ristenpart über die Ent¬
wickelung des Kometen Holmes am 6. November und
über die anfängliche irrige Identifizirung desselben mit dem
Bieha’scben Sternschnuppenschwarm. In Folge dieser Iden¬
tifizirung hatte man ein Zusammentreffen der Erde mit dem
Kometen für den 14. November vorhergesagt, welches sich
in einem prächtigen Meteorschauer äussern sollte. Dieses
Zusammentreffen hat nun nicht stattgefunden, vielmehr er¬
geben neuere Rechnungen, dass der Komet Holmes eine
ganz andere Bahn als der Bieha’sche beschreibt und sich
anstatt näher zu kommen vielmehr in gerader Linie von uns
entfernt. Damit aber wird der von Seiten des Bieha’schen
Kometen für den 27. November zu erwartende Sternschnuppen¬
fall in keiner Weise affizirt und wir dürfen daher an diesem
Tage, hoffentlich durch klares Wetter begünstigt, ein präch¬
tiges himmlisches Schauspiel erwarten.
431. Sitzung am 2. Dezember 1892.
Anwesend 50 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Hofrath Dr. 0 . Lehmann hielt im physikalischen
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Hörsaal der technischen Hochschule einen mit Experimenten
verbundenen Vortrag über elektrisches Licht, erzeugt
durch hochgespannte Ströme.
Durch Erfindung der Dynamomaschine wurde zwar das
Problem der billigen Erzeugung der Elektrizität gelöst, nicht
aber das der billigen Vertheilung derselben auf ausgedehnte
Gebiete.
Um einer Bogenlampe von gebräuchlicher Grösse (7 Amp.
Stromstärke), welche nur zwei Meter von der Stromquelle
(von 65 Volt Spannung) entfernt ist, den nöthigen Strom
zuzuleiten, genügen schon, wie Sie durch den Versuch sehen,
haarfeine Kupferdrähte (von 0,06 Quadratmill. Querschnitt),
welche keinen in Betracht kommenden Werth besitzen. Be¬
fände sich aber die Lampe statt in 2 Meter in 2 Kilometer
Entfernung, so wären zu ihrer Speisung Drähte von gegen
28 Quadratmill. Querschnitt erforderlich und sollte gar die
Leitung unterirdisch geführt werden, so müssten entsprechende
Kabel von gegen 500 Zentner Gewicht Verwendung findeni
welche allein schon ungefähr 15 000 M. kosten würden, wozu
dann noch ungefähr 5000 M. für Aufreissen und Wieder¬
herstellen von Strassenpflaster zu rechnen wären, somit ins-
gesammt ungefähr 20 000 M.
Wenn nun auch durch die Erfindung der Theilbarkeit
des elektrischen Lichtes, d. h. die Möglichkeit zahlreiche
Lampen aus derselben, entsprechend dicker genommenen
Leitung zu speisen, die Kosten sich erheblich vermindern, so
sind dennoch grössere Elektrizitätswerke genöthigt, Millionen
in Form von Kupferkabeln in der Erde zu vergraben und
die Konsumenten müssen das Licht trotz der billigen Her¬
stellung so theuer bezahlen, dass die Einnahmen ausreichen,
diese Millionen zu verzinsen und zu amortisiren. Kein
Wunder, wenn das elektrische Licht, obschon seit Erfindung
der Dynamomaschine bereits 20 Jahre verflossen sind, noch
nicht die Verbreitung gefunden hat, welche man hinsichtlich
seiner bedeutenden Vorzüge erwarten konnte.
Das Streben aller modernen Elektrotechniker ist dess-
halb darauf gerichtet, die Kosten für das Leitungsnetz zu
reduziren und in der That sind schon zahlreiche Fortschritte
in dieser Hinsicht zu verzeichnen.
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Nach der Theorie kann dieselbe Leistung, welche wir
mit 50 Volt x 7 Ampere bei unserer Lampe erzielen, an¬
nähernd auch durch 100 Volt X 3,5 Ampere erzielt werden,
d. h. mit doppelter Spannung und halber Stromstärke. Diese
Aenderung ermöglicht .die Verminderung des Kupferquer¬
schnitts und damit des Haupttheils der Leitungskosten auf
den vierten Theil des früheren Werthes und könnten wir bei¬
spielsweise zu tausendfacher Spannung, also tausend Mal
kleinerer Stromstärke übergehen, so könnte man mit Kupfer¬
drähten von dem millionsten Theil des anfänglich genannten
Querschnittes, d. h. mit den dünnsten, praktisch herstellbaren,
also sehr billigen Drähten auskommen, und die Kosten würden
sich reduziren auf diejenigen für die isolirende Hülle, und
auf die Kosten für die Verlegung.
Zur Erzeugung so hoher Spannung sind nun aber die
gewöhnlich gebrauchten Dynamomaschinen nicht geeignet, es
muss vielmehr an Stelle des Gleichstroms Wechselstrom
treten. Ich zeige zunächst, dass mit einer (im physikalischen
Institut der technischen Hochschule von den Herren Eitner,
Gercke und Bleidorn gebauten) Wechselstrommaschine
elektrische Lampen eben so gut gespeist werden können wie
mit Gleichstrom und benütze nun den Strom dieser Maschine,
welche nur niedrige Spannung (etwa 72 Volt.) erzeugt, um
hochgespannten Strom zu erzeugen. Hierzu dient ein aus
alter Zeit stammender kleiner Induktionsapparat (Ruhmkorff’s
Funkeninduktor), an welchem alles für unseren Zweck Ueber-
flüssige beseitigt ist. Ich leite den Strom der Maschine in
die sogenannte primäre Spule und verbinde die Klemm¬
schrauben der sekundären mit einer Serie von 60 hinterein¬
ander geschalteten Glühlampen, deren jede 65 Volt, zum
normalen Brennen erfordert. Sie sehen diese Lampen hell
leuchten, der aus der sekundären Spule austretende Induk¬
tionsstrom hat also eine Spannung von etwa 60 x 65, d. h.
von gegen 4000 Volt. Die direkte Verwendung des durch
solche Apparate (in der Technik Transformatoren genannt)
erzielten Hochspannungsstromes, welcher, wie bemerkt, leicht
durch sehr dünne Kabel auf grosse Entfernungen fortgeleitet
werden kann, verbietet sich desshalb, weil die Berührung der
Drähte lebensgefährlich wäre und auch die Schaltung vieler
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Lampen in Sene hintereinander zu unbequem würde. Man
transformirt desshalb am Verbrauchsorte durch einen gleich¬
eingerichteten Apparat den Strom wieder auf niedrige
Spannung, wie ich es vor Ihren Augen nun wirklich aus¬
führe, indem in die Enden einer langen, dünnen Kupfer¬
drahtleitung, welche vielmal in diesem Saale ringsherum ge¬
führt ist und die Fernleitung, welche vom ersten Trans¬
formator ausgeht, repräsentiren soll, mit den Sekundärklemmen
eines gleichen zweiten Induktionsapparates verbinde, dessen
Primärklemmen mit den Klemmschrauben einer Bogenlampe
in Verbindung stehen. Sobald der Strom geschlossen wird,
sehen Sie letztere ganz normal, wie bei direktem Anschluss
an die Maschine, in Thätigkeit kommen und helles Licht aus¬
strahlen.
Durch Anwendung grösserer Induktionsapparate (Trans¬
formatoren) würde es möglich sein, weit höhere Spannungen
und dementsprechend geringere Kupferquerschnitte zu er¬
zielen, doch müsste entsprechend die Dicke der isolirenden
Hülle grösser gewählt werden und die Ersparnis an Kupfer¬
gewicht würde völlig aufgewogen, wenn nicht gar übertroffen,
durch die Mehrkosten der Isolirung, ja wir kommen schliess¬
lich zu einer Grenze, bei welcher sich die Isolirung über¬
haupt unmöglich erweist, da auch die besten Isolatoren beim
Ansteigen der Spannung über einen äussersten Werth (das
sogenannte Entladungspotentialgefälle) gewissermassen brechen
unter dem darauf lastenden elektrischen Druck, indem sie
unter Funkenerscheinung durchschlagen werden.
Ich zeige Ihnen diese Erscheinung, die Bildung des elek¬
trischen Funkens unter Zuhilfenahme einer mächtigen Elek-
trisirmaschine zunächst in Luft von gewöhnlicher Dichte,
sodann (mittelst des elektrischen Ei’s) in verdünnter Luft
und nun mittelst einer Akkumulatorenbatterie von etwa 2000
Volt Spannung bei einer, nur sehr verdünnte Luft enthal¬
tenden Geissler’schen Röhre. Wir erkennen, dass die Ent¬
ladungsspannung um so kleiner ist, je mehr man die Luft
verdünnt, verdichtete Luft ist im Stande, entsprechend grössere
Spannungen auszuhalten. Die Erscheinung selbst gestaltet
sich verschieden, je nachdem die Elektrizität der Durch¬
bruchsstelle rasch oder langsam zufliessen kann. So tritt bei
13*
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Einschaltung einer feuchten Schnur in die Leitung an Stelle
des hellleuchtenden gewöhnlichen Funkens ein blass-violett*
rother, büschelartig verzweigter; bei vorheriger Ansammlung
der Elektrizität in einer Batterie Leydener Flaschen wird
dagegen der Funke von blendendem Glanze und betäubendem
Knall. Wie sollen wir uns diese Erscheinung erklären?
Ohne auf Einzelheiten einzugehen, will ieh nur andeuten,
dass man annimmt, das isolirende Medium (die Luft oder der
Aether) in der Nähe der geladenen Konduktoren befinde sich
in einem eigentümlichen Zwangszustande (Polarisations¬
zustande), vergleichbar mit dem Zustand einer gespannten
Feder oder eines magnetisirten Stahlstabes. Einige vierzig
Tafeln, welche hier an den Wänden angeheftet sind, geben
für verschiedene Formen von Konduktoren die Richtung und
Grösse der Spannung durch entsprechend gezeichnete Kurven
und Farben wieder. Die Hauptsache ist dieser eigentüm¬
liche Polarisationszustand des Isolators (Dielektrikums) und
die Konduktoren sind gewissermassen leere Räume, welche
nur dazu dienen, den Isolator zu begrenzen. Die Elektrizität
ist also nicht ein feines Fluidum auf den Konduktoren, wie
man früher annahm, sondern ein Zwangszustand des Dielek¬
trikums (Aethers).
Nun haben wir gesehen, dass mit Zunahme der Spannung
eine immer geringer werdende Drahtdicke zur Uebertragung
der elektrischen Energie ausreicht. Wenn nun der Sitz dieser
Energie überhaupt nicht in dem Drahte, sondern in dem
umgebenden Medium ist, sollte es nicht unter Anwendung
genügend hoher Spannungen möglich sein, die Drähte über¬
haupt wegzulassen und nur das Dielektrikum zu benutzen?
Ich habe hier zwei grosse Drahtgitter in etwa 2 Meter
Abstand, welche ich mit den Konduktoren der Elektrisir-
maschine verbinde. In die Nähe derselben bringe ich eva-
kuirte (luftleere) Glasröhren. Sobald die Konduktoren so
weit genähert werden, dass Funken zwischen ihnen über¬
springen, sehen Sic die Röhren hell aufleuchten und ich kann
so ein anscheinend kontinuirliches Leuchten in ihnen erzeugen,
selbst wenn sie sich in grösserer Entfernung von den Draht¬
gittern befinden, während sie doch nicht die mindeste metal¬
lische Verbindung mit denselben haben. Hier erhalten wir
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also elektrisches Licht in freistehenden Lampen, ohne Zu¬
leitungen. Das Licht ist nicht gerade besonders stark, kann
aber durch Anwendung mächtiger Maschinen und entsprechen¬
der Modifikationen des Verfahrens, wie der Elektrotechniker
Nikola Tesla in New-York gezeigt hat, so sehr gesteigert
werden, dass es praktisch verwerthbar wird. Es ist dazu
vor Allem nöthig, Wechselströme von ausserordentlich hoher
Polwechselzahl herzustellen und den Drahtgittern zuzuführen.
„Die Gitter laden sich“ bedeutet nichts Anderes, als:
in der umgebenden Luft, also auch in den evakuirten Köhren,
stellt sich der Polarisationszustand her. „Die Gitter entladen
sich“, heisst: der Polarisationszustand verschwindet. Tritt
der Strom nur wieder mit gewechselter Richtung in die
Gitter ein, so stellt sich der Polarisationszustand ebenfalls
in gewechselter Richtung wieder her u. s. w. Während aber
die gewöhnliche Luft den Polarisationszustand aushalten kann,
gilt dies nicht für die verdünnte Luft in den Röhren. Dort
tritt jedesmal Entladung unter Lichterscheinung ein und er¬
folgen die Stromwechsel hinreichend rasch, so wird dieses
Licht praktisch gleichmässig und sehr hell.
Zur Herstellung von Wechselströmen mit der erforder¬
lichen Polwechselzahl genügen die gebräuchlichen Wechsel¬
strommaschinen ohne Weiteres nicht, es ist vielmehr nöthig,
einen Kondensator (Leydener Flasche) hinzuzufügen. Ich
habe hier einen grossen RuhmkorfPsehen Funkeninduktor,
welchen ich als Transformator benutze. Er transformirt die
Spannung unserer Wechselstrommaschine auf 10,000 bis
20,000 Volt. Verbinde ich die Klemmen der sekundären
Spule mit zwei Kohlen- oder Metallspitzen, so entsteht bei
Annäherung derselben ein Lichtbogen, welchen ich bis auf
etwa 20 Centimeter Länge durch Auseinanderziehen der
Spitzen ausdehnen kann. Diese Vergrösserung des Bogens
ist möglich, weil die Luft durch den Stromdurchgang erhitzt
und dadurch verdünnt wird. Man hat auch vermuthet, dass
in Folge der hohen Temperatur der Stickstoff der Luft ver¬
brennt und sich mit dem Sauerstoff verbindet, wodurch aber¬
mals Wärme frei wird, welche die Wirkung steigert. Lasse
ich den Lichtbogen iu Leuchtgas entstehen, so wird er
gleichfalls von grosser Länge und grossem Glanze, da durch
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Zersetzung des Gases sich massenhaft Russpartikelchen ab¬
scheiden, welche den Strom leiten und zum hellen Glühen
erhitzt werden.
Ich blase nun mittelst eines grossen Gebläses Luft von
acht Atmosphären Spannung zwischen den Spitzen durch.
Wir sehen die umgekehrte Wirkung. Ich muss die Spitzen
näher bringen, wenn nicht die Entladung aufhören soll und
sie findet nicht mehr als Lichtbogen, sondern in Form eines
prasselnden Funkenstromes statt.
Verbinde ich die Spitzen mit den Belegungen einer
Leydener Flasche, so ruft jede solche Funkenentladung einen
kurz dauernden Wechselstrom von eminent hoher Wechsel¬
zahl hervor, indem durch eine solche Entladung nicht nur
einfach die Flasche entladen wird, sondern der Elektricität
wie eine träge Masse zwischen den Belegungen hin- und
herpendelt, so dass sich diese in rascher Folge im einen
und andern Sinn laden, bis durch den Widerstand der
Funkenstrecke die Thatkraft erschöpft ist. Diese Wechsel¬
ströme leite ich nun durch einen kreisförmig gebogenen
Draht und nähere demselben einen zweiten, in etwa 15 Win¬
dungen aufgerollten. Schon bei grösserer Entfernung sehen
wir zwischen den Enden der Drahtrolle, welche auf etwa 10
Millimeter genähert sind, Funken überspringen. Wir haben
hier einen Transformator einfachster Art, die primäre Spule
besteht nur aus einer Windung, die sekundäre aus 15. Man
könnte denken, dass die Wirkung erhöht wird, wenn wir die
Zahl der Windungen grösser nehmen, etwa wie bei diesem,
aus zwei Rollen bestehenden Transformator, welcher für ge¬
wöhnliche Wechselströme bestimmt ist und wie Sie sehen,
funktionirt, sobald die beiden Rollen auf genügend kleinem
Abstand genähert werden. Wir treffen aber dabei auf eine
eigenthümliche Schwierigkeit. Ich bringe die beiden Enden
der primären Schleife einander nahe und Sie sehen kräftige
Funken zwischen denselben überschlagen. Es ist dem Wechsel¬
strom unmöglich geworden, das kurze Stück dicken Kupfer¬
drahtes zu durchlaufen, er wählt lieber den zwar kürzeren,
aber unter anderen Verhältnissen ungangbaren Weg durch
die Luft. Nehmen wir statt einer einfachen Schleife eine
Spule, so geht fast gar nichts mehr hindurch. Wechselströme
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von so hoher Wechsclzahl vermögen eher durch einen Granit¬
block als durch eine gut leitende Drahtspirale hindurchzu¬
gehen! Wir müssen uns also in der Zahl der Windungen
beschränken, können aber immerhin noch etwas weiter gehen.
Ich habe in diesem Saale auf Porzellanisolatoren eine vier¬
eckige primäre Schleife von etwa 10 Meter Seitenlänge auf¬
gespannt. In ihrer Nähe sind 7 gleiche Windungen zu
einer sekundären Spule vereinigt und zu zwei Spitzen ge¬
führt. Leite ich durch die primäre Schleife den Entladungs¬
strom unseres Kondensators, so erhalten wir an dem sekun¬
dären Schleifensystem einen prasselnden Funkenstrom von
etwa der fünffachen Länge des primären. Durch Vcrgrösse-
rung der Zahl der Schleifen können wir noch bedeutend
höhere Spannungen erhalten und, indem wir diese unseren
Drahtgittern zuführen, die Tesla’schen Experimente in bril¬
lanter Form wiederholen.
Indess man wird sagen, wozu alle die Arbeit, es ist
keine Aussicht vorhanden, auf diesem Wege ohne Drähte die
elektrische Energie auf grössere Entfernung fortzusenden,
da die leitende Erde die Kraftlinien des elektrischen Polari¬
sationszustandes gegen sich hinzieht und eine weitere Aus¬
breitung derselben hindert !
Nuu, die Versuche meines berühmten Vorgängers, Pro¬
fessor Hertz in Bonn, haben gezeigt, dass dies nicht immer
der Fall ist. Es gibt eine Art Funkenentladung, bei welcher
der Polarisationszustaud mit der Entladung nicht völlig ver¬
schwindet, sondern ein Theil desselben mit der ungeheuren
Geschwindigkeit von 300,000 Kilometer in der Sekunde in
den Raum hinauseilt, unbekümmert um die Anwesenheit der
Erde, selbst Mauern durchdringend, immerfort in geradliniger
Bahn weiterschreitend, wie das Licht, bis es auf einen
metallenen Spiegel trifft, welcher ihn reflektirt, wie eine
Welle oder auf ein schief begrenztes, dichteres Medium,
welches ihn von der Bahn ablenkt, wie einen Lichtstrahl.
Durch einen Hohlspiegel lassen sich solche elektrische Strahlen
parallel richten und nach einem beliebigen fernen Orte
dirigiren, wo sie durch einen zweiten Hohlspiegel gesammelt
und wieder auf einen kleinen Raum konzentrirt und als
Wechselstrom in einer Drahtleitung aufgefangen und zur
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Lichterzeugung verwerthet werden können. Freilich handelt
es sich hierbei bis jetzt nur um Laboratoriumsversuche im
Kleinen, es wird noch viel Zeit, Mühe und Geld kosten, bis
dieses neue Feld wissenschaftlicher Forschung genügend vor¬
gearbeitet ist, um auch dem Techniker eine nutzbringende
Bearbeitung zu versprechen und es ist noch ganz unsicher,
ob dies überhaupt jemals der Fall sein wird; allein wir
können nicht Voraussagen, was das Ergebniss der weiteren
Forschungen sein wird, gewiss ist nur, dass noch eine andere
Art der Fortpflanzung elektrischer Energie möglich ist, als
die gewöhnliche Leitung, nämlich eben die mit Hilfe sehr
schneller elektrischer Schwingungen zu erzielende Strahlung,
dass somit die Hoffnung auf Entdeckung einer noch billigeren
Art der Vertheilung der Elektrizität, als wir sie heute be¬
sitzen, nicht absolut aussichtslos erscheint, wenn auch ihre
Verwirklichung in absehbarer Zeit nicht bevorzustelien scheint.
432. Sitzung am 16. Dezember 1892.
Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofratb Dr. Wiener.
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Dr. G. Mie, Assistent an der
Technischen Hochschule, Dr. Th. Gelpke, Augeuarzt, Dr. K. Hilger,
Kustos ain Grossb, Naturalienkabinet, Professor Dr. H. Ziegler,
an der Technischen Hochschule.
Herr Professor Treutlein hielt einen Vortrag über den
Karlsruher Wetterkundigen Ph. Fr. Stieffel (1797—1852)
und gab damit einen Beitrag zur Geschichte der Wetterkunde.
Der Vortrag ist unter den Abhandlungen abgedrukt.
Hierauf widmete Herr Hofrath Dr. Meidinger dem am
6. Dezember verstorbenen grossen Ingenieur und Elektriker
Geheimrath Dr. Werner v. Siemens in Berlin einen Nach¬
ruf, wobei er zugleich auf die Bedeutung seiner drei Brüder,
Wilhelm, Karl und Friedrich als Techniker hin wies, welche
vier zusammen eine in einer Familie wohl noch nie Vor¬
gefundene und dem Fortschritt der Welt nutzbar gewordene
technische Kapazität repräsentirten.
433. Sitzung am 13. Januar 1892.
Anwesend 33 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Professor Dr. Ziegler hielt einen Vortrag über
„die Urgeschichte der Familie“. Die Urgeschichte der
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Familie kann nach ethnographischen und sprachlichen und
auch nach zoologischen Anhaltspunkten hypothetisch konstruirt
werden. Es wäre vielleicht unnöthig sich mit dieser rein
theoretischen Frage zu beschäftigen, wenn nicht in Betreff
derselben zur Zeit schon bestimmte Theorien weit verbreitet
wären. Die Lehren von Bachofen und von Morgan sind
von Engels und von Bebel angenommen worden und
werden von ihnen als das Resultat der modernen Wissen¬
schaft dargestellt. Diese Theorien können aber weder vom
Standpunkte des Ethnographen noch von dem des Zoologen
als richtig anerkannt werden. Neuere Ethnographen(Starcke,
Westermarck u. A.) haben gezeigt, dass die Thatsachen,
welche aus der Völkerkunde, der Sagengeschichte und der
Geschichte als Beweise aufgeführt werden, keineswegs zu den
Schlüssen berechtigen, die man daraus gezogen hat. Es
handelt sich in erster Linie um die Behauptung, dass die
Menschen im Urzustände nicht in Familien gelebt hätten und
dass ein gänzlich ungeregelter und beliebiger Verkehr zwischen
den Geschlechtern geherrscht habe (Promiscuität). Diese
Lehre und die ganze hypothetische Reihe von Familienver-
hältnissen, welche dieselbe zum Ausgangspunkt nimmt, können
einer ernsten Kritik nicht Stand halten; es ist vielmehr sehr
wahrscheinlich, dass in der Menschheit in den ältesten Zeiten
die Monogamie die herrschende Familienform war. Vom
zoologischen Standpunkte aus muss betont werden, dass bei
den dem Menschen am nächsten verwandten Thieren nämlich
den Anthropoiden bereits die Monogamie besteht. Nimmt
man demgemäss an, dass dieses Familienverhältniss für die
Menschheit das ursprünglichste und natürlichste ist, so kann
man doch ohne Schwierigkeit erklären, wie unter besonderen
sozialen Verhältnissen bei manchen Völkern neben der Mono¬
gamie die Polygynie, bei anderen die Polyandrie zur Ent¬
wickelung kamen. Auch das bei einigen Völkern Vorgefundene
Mutterrecht kann auf Grund der Monogamie abgeleitet werden,
wenn die leicht erklärliche Vorstellung besteht, dass das Kind
mit der Mutter aber nicht mit dem Vater blutverwandt sei.
In der an den Vortrag sich anschliessenden Diskussion
sprachen Herr 0. Ammon, Herr Geh. Hofrath Wiener und
der Vortragende.
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434. Sitzung am 10. Februar 1893.
Anweseud 18 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Professor A. Holzmann, an der
Oberrealschule.
Der Vorsitzende machte davon Mittheilung, dass von
Göttingen eine Einladung an den Verein ergangen sei, sich
an der Errichtung eines Gauss-Weber Denkmals in Göttingen
zu betheiligen. Es wurde beschlossen einen Beitrag von
100 M. aus Vereinsmitteln zu gewähren, ausserdem wurde
eine Liste in Umlauf gesetzt zur Zeichnung besondrer Bei¬
träge einzelner Mitglieder.
Herr Professor Dr. Haid berichtete über die im ver¬
gangenen Sommer ausgeführte Messung der neuen Bonner
Basis und über die Generalkonferenz der Vereinigung für
internationale Erdmessung, welche Ende September vorigen
Jahres in Brüssel stattgefunden hat. Nach einem kurzen
Rückblick auf die Entwickelung der Basis-Apparate und der
Methode der Messung wurde namentlich auf den jetzt mit
dem Bessel’schen und Brunner’schen Apparate erreichten
Genauigkeitsgrad hingewiesen. Der Verlauf der Basis-Mes¬
sung bei Bonn durch die königl. preussische Landesaufnahme
mittelst ersterem Apparat und der darauffolgenden Messung
durch das königl. geodätische Institut mit dem Brunner’schen
Apparat war durch Photographien veranschaulicht. Ueber-
gehend auf die Verhandlungen der Brüsseler Konferenz wurde
in einer Vergleichung der wesentlichsten in Europa gemessenen
Grundlinien gezeigt, dass dieselben jetzt mit Ausnahme der
russischen gut übereinstimmen. Ferner machte der Vor¬
tragende Mittheilung über die Lothabweichungen in der
jetzt endgiltig von Professor Helmert bearbeiteten Längen¬
gradmessung in 52° Breite, wonach die mathematische Erd¬
oberfläche innerhalb des europäischen Festlandes vom Meeres¬
strande ab in ostwestlicher Richtung eine stärkere Krümmung
zeigt, als man aus den Ergebnissen der europäischen Breiten¬
gradmessungen erwartete, was darauf hindeutet, dass die
Kontinentalmasse nur zum Theil durch unterirdische Massen¬
defekte kompensirt ist. Für die Alpen ergaben die Schwere-
Messungen, wie auch die Bestimmung der Lothabweichungen,
welche Oberstleutnant von Sterneck in den letzten Jahren
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längs der Brennerbahn von München bis Mantua ausgeführt
hat, das übereinstimmende Ergebniss, dass die Alpenmasse
reichlich zur Hälfte durch Massendefekte ausgeglichen ist.
Auch im Schwarzwald und in der Rheinebene ist es beab¬
sichtigt, solche Untersuchungen vorzunehmen und hat die
Grossh. Regierung die Mittel zur Anschaffung eines Stern-
eck’schen Pendelapparates bewilligt Zum Schluss wurden
noch bezüglich der Veränderungen der geographischen Breite
die Ergebnisse der gleichzeitigen Beobachtungen in Berlin,
Prag, Strassburg, Honolulu und Washington aus den Jahren
1891/92 roitgetheilt. Uebereinstimmend weisen diese sämmt-
lichen Beobachtungen auf eine periodisch verlaufende Ver¬
schiebung der Erdachse im Erdkörper hin, in der Art, dass
die Pole in etwa 393 Tagen in einem Abstand von 0,5
Bogensekunden um einen Punkt mittlerer Lage kreisen.
435. Sitzung am 24. Februar 1893.
Anwesend 41 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Professor Dr. Valentiner berichtet über den In¬
halt des 4. Bandes der Veröffentlichungen der
Grossh. Sternwarte, sowie über die Arbeiten andern ihm
unterstellten Institut. Die Sternwarte hat seit ihrer Grün¬
dung in Mannheim an erster Stelle der sogenannten Fix¬
sternastronomie gedient, und ist trotz der bekanntlich jetzt
geringen Mittel von der alten Ueberlieferung nicht abgewichen.
In der Voraussetzung, dass der gegenwärtige Zustand ein
vorübergehender ist, wurde in ein Arbeitsprogramm ein¬
getreten, das fast sämmtliche Staatsinstitute verfolgen, weil
nur solche festgegründete Anstalten in der Lage sind, Arbei¬
ten zu unternehmen, die zur Vollendung oft viele Jahre, selbst
Jahrzehnte, erfordern. Die sogenannten Fixsternkataloge
bieten die Grundlage für alle Untersuchungen über die Ent¬
fernungen, die Bewegungen der Fixsterne, des Sonnensystems,
über den Bau des Weltalls, die Bewegungen der Glieder des
Sonnensystems u. dgl. m. Hier wurde ein solcher Fixstern¬
katalog in Angriff genommen; der erste Theil, welcher etwa
20,000 Ortsbestimmungen der Sterne fordert, wird voraus¬
sichtlich in Jahresfrist fertig sein. Im 2. und 4. Bande der
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„Veröffentlichungen“ sind die Ergebnisse von ungefähr 13,000
Beobachtungen initgetheilt. Zahlreiche Vergleiche mit ähn¬
lichen Arbeiten an neuzeitigen und gut ausgerüsteten Stern¬
warten Deutschlands, Englands, Amerikas u. s. w. zeigen,
dass die hiesigen Beobachtungen allen ebenbürtig sind. Am
Refraktor sind Spezialsysteme des Fixsterngebietes, die Stern¬
haufen, beobachtet. Diese Arbeiten bilden ebenfalls die Grund¬
lagen für Ermittelung der Bewegungen in Systemen, denen
wahrscheinlich das System, zu dem unsere Sonne gehört,
ähnlich ist. Bisher sind nur in der Plejadengruppe Be¬
wegungen erkannt, die es wahrscheinlich machen, dass die¬
selbe aus zwei, von einander getrennten Gruppen besteht.
Im besprochenen 4. Hefte findet sich noch eine sehr aus¬
gedehnte Untersuchung des Assistenten der Sternwarte, Dr.
Ristenpart, über die Constante der Präzession und die Fort¬
bewegung des Sonnensystems. Es stehen sich zur Zeit noch
die Bessel’schen und Struve’schen Werthe der Präzession,
dieser fundamentalen Grösse in der Astronomie, gegenüber;
die Ristenpart’sche Arbeit ergibt fast genau den Bessel'schen
Werth. In Betreff weiterer Fragen, welche diese Arbeit be¬
rührt, insbesondere den Bau des Weltalls, wird ein eingehen¬
der Vortrag in Aussicht gestellt, da hier namentlich auch
durch die Arbeiten Seeliger’s, Schönfeld’s, Gould’s u. A. viel
Neues und Interessantes geliefert worden ist.
Des Weiteren wird mitgetheilt, dass regelmässige Mond¬
beobachtungen, wie in Greenwich, Paris, Strassburg, Königs¬
berg u. s. w., angestellt werden und dass im März v. J. auch
hier die Beobachtungen über die Veränderlichkeit der Polhöhe
in Verbindung mit einer Neubestimmung der Aberrations¬
konstante begonnen wurden und dass auch hier nach dem
bereits gewonnenen Material die Schwankung zu Tage tritt.
Letztere Beobachtungen werden jedenfalls mehrere Jahre
fortgesetzt werden müssen, da die Periode und volle Gesetz¬
mässigkeit der Veränderlichkeit noch ganz unbekannt ist.
Ueber diesen Gegenstand, der zahlreiche und umfangreiche
Untersuchungen, namentlich in jüngster Zeit, veranlasste,
wird ebenfalls ein späterer Vortrag ausführlicher berichten.
Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener spricht hierauf die Hoff¬
nung aus, dass in möglichster Bälde die Verhältnisse durch
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einen Neubau der Sternwarte sieb günstiger gestalten mögen
und dadurch die ununterbrochene Fortsetzung der begonnenen
Arbeiten gewährleistet werde.
Hierauf hielt Herr Dr. B. Hagen aus Homburg einen
Vortrag über die Bataks im Innern von Sumatra.
Der Redner gab vorerst eine kurze Erklärung des
Namens Sumatra, welcher wahrscheinlich zuerst von den
Arabern der Insel nach einer alten Stadt Samudera oder
Sumottra auf der Nordostküste beigelegt ward. Die Ein¬
geborenen kennen selbstverständlich diesen Namen nicht.
Wenn man sich der Ostküste Sumatras nähert, so erblickt
das Auge nur einen ununterbrochenen Streifen dichtver¬
schlungenen, niedrigen Rhizophorenwald, der die ganze
dahinterliegende flache Küstenebene verdeckt. In der Ferne
steht wie eine Wand eine dunkle Gebirgsmauer, von der
zwei zackige, rauchende Vulkane als Wahrzeichen auf die
Küstenebene von Deli, das weitbekannte Tabaksland, herab¬
schauen. Hier in dieser KUstenebene wohnen die Malaien,
dort hinter jener Gebirgsmauer, auf den kühlen Hochebenen,
die Bataks, jenes hochinteressante Naturvolk, gewissermassen
die Tyroler Sumatras. Ihre Zahl mag vielleicht 2 bis 300,000
Seelen betragen. Nur wenige, schwer gangbare Pässe führen
hinauf zu ihrem ziemlich unfruchtbaren Lande, und dies,
sowie der argwöhnische, kriegerische Sinn der Bataks haben
Einwanderung so ziemlich verhindert und die Rasse der Be¬
wohner anthropologisch ziemlich rein erhalten. Die Bataks
sind von kleiner Statur, im Mittel 160 Centimeter gross,
und zeichnen sich aus durch einen sehr grossen Kopf, langen
Rumpf und kurze Extremitäten, also Verhältnisse, welche sie
auf eine sehr niedrige Stufe der körperlichen Entwickelung
stellen. Der Vortragende erläutert dies an von ihm selbst
aufgenommenen Photographien.
Ein gemeinsamer Staatsverband existirt zwischen ihnen
nicht, jedes Dorf, welches mit Hecke und festem Zaun um¬
schlossen, gewissermassen eine kleine Festung darstellt, ist
selbstherrlich, und so war der Vortragende, welcher zwei
Mal Reisen nach der nördlichen Hochebene von Tobah und
dem grossen, damals noch wenig bekannten Tobahsee unter¬
nahm, genöthigt, durch Geschenke (Jacke, Kopftuch und ein
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Goldstück — deutsches 20-Mark-Stück —) seinen Durchzug
von den einzelnen Dorfhäuptlingen zu erkaufen. Die Häuser
sind schwer aus Holz gebaut, mit hohem, steilem Dach aus
Zuckerpalmenfasern, und stehen auf Pfählen, also richtige
Pfahlbauten; das Innere besteht aus einem einzigen Raum
mit so viel Feuerstellen, als Familien darin wohnen. Oeffent-
liche Gebäude sind das Rathhaus, welches zugleich als Nacht¬
quartier für durchreisende Fremde dient, und die Reisstampfe,
wo der Reis für die täglichen Mahlzeiten enthülst wird. Die
dumpfen Schläge dieser Reisstampfe sind es gewöhnlich,
welche dem Reisenden die Nähe einer Ansiedelung verrathen.
Der Vortragende ward überall freundlich und zuvor¬
kommend empfangen, obwohl beim ersten Erscheinen überall
das einzige Dorfthor krachend geschlossen und erst nach
längerem Pariamentiren und Darreichung der üblichen Ge¬
schenke wieder geöffnet ward. Als Gastgeschenke wurden
ihm Reiss, Hühner, Ziegen, Schweine und — Hunde ange-
boten. Letztere sind eine beliebte Speise. Wollte man ihn
besonders ehren, so lud ihn der Radjah (Häuptling) zum
gemeinsamen Bade ein.
Vortragender gibt nun eine kurze Schilderung des Lebens
und Treibens in einem solchen Dorfe. Obwohl man Anfänge
von Handel und Gewerbe bei den Bataks trifft (Pferdehandel
nach der Küstenebene, Metallindustrie, Töpferei), so ist der
Batak doch der Hauptsache nach Ackerbauer. Die Ackerbau-
verhähltnisse sind sehr geregelt; jedes Grundstück ist sauber
mit Hecke oder einem kleinen Erdwall umgeben; das Aus¬
säen und die Ernte werden durch Feste gefeiert. Angebaut
wird Reis, Mais und süsse Kartoffeln. Die Kokospalme und
der Pisang haben hier in etwa 1200 Meter Höhe ihre Grenze
und der Vortragende konnte oft bewundern, wie Erdbeeren
und Veilchen neben der Palme, und das Vergissmeinnicht
neben dem Pisang blühten.
Auch die Rechtsverhältnisse sind sehr geordnet, jede
Woche wird von dem Radjah mit zwei Beisitzern unter
freiem Himmel Gericht gehalten. Auch finden regelmässig
bei jedem grösseren Dorf Wochenmärkte statt, wo oft Tau¬
sende von Leuten zusammenströmen.
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Und bei diesem, in so geordneten, geregelten Verhält¬
nissen lebenden Volke, welches man beinahe ein Kulturvolk
nennen möchte, herrscht noch — Kannibalismus! Und zwar
Kannibalismus in seiner scheusslichsten Form, indem unter
gewissen Umständen Menschen bei lebendigem Leibe verzehrt
werden! Der Vortragende erzählt einen ihm bekannt ge¬
wordenen Fall. Allerdings ist das Gefressenwerden nur als
gesetzliche Strafe für gewisse Verbrechen festgesetzt, und ist
nach des Redners Erfahrung schon ziemlich selten geworden,
Dank dem Einflüsse der holländischen Regierung, auch bei
den unabhängigen Stämmen; Redner ist der Ueberzeugung,
dass der Kannibalismus der Bataks in nicht ferner Zeit der
Vergangenheit angehören wird. Einzelne Stämme, wie z. B.
die Karo-Bataks, haben ihm schon seit längerer Zeit entsagt.
Die Entstehung dieser Unsitte ist sehr schwer zu erklären,
und reicht jedenfalls in die graueste Vorzeit zurück.
Da der Batak die häuslichen Geschäfte völlig seiner
bessern Hälfte überlässt und die Landwirthschaft, bei der er
mithilft, bald besorgt ist, so hat er sehr viel freie Zeit und
füllt diese mit zwei Dingen aus, die bei ihm zur Leidenschaft
geworden sind: das sind das Spiel und das Kriegführen.
Die Spielwuth beherrscht den Batak so vollkommen, dass er
manches Mal nicht nur sein Hab und Gut, sondern auch
Weib und Kind und zuletzt sich selbst verspielt. Es kann
Vorkommen, dass ein freier und wohlhabender Mann sich des
Morgens zum Spiel niedersetzt und Abends als armer, besitz¬
loser Sklave seines glücklichen Gegners aufsteht. Denn
Sklaverei herrscht noch bei den Bataks, wenn auch in sehr
milder Form.
Die andere Leidenschaft ist der Kriegssport. Da jedes
Dorf sich als unabhängig betrachtet, fehlt es niemals an An¬
lass zu Reibereien, und bei jeder Ansiedelung findet man
Erdschanzen und Verhaue. Jeder freie Batak besitzt ein
Gewehr; Feuersteingewehre sind bevorzugt; dieselben werden
mit einer guten Handvoll selbstgefertigten Pulvers geladen
und beim Losschiessen weit vom Körper abgehalten; nach
dem Schuss muss sich der Schütze wie ein Kreisel blitzschnell
herumdrehen, um dem furchtbaren Rückstoss der überladenen
Waffe auszuweichen. Dem Batak kommt es mehr auf tüch-
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tiges Knallen, als auf’s Treffen an. Fiir gewöhnlich ent¬
scheidet der erste Todte schon über Sieg und Niederlage,
eine Einrichtung, worin diese „Wilden“ ausgebildeten Euro¬
päern als nachahmenswerthe Vorbilder dienen könnten. Dieser
Todte wird sofort von den Zauberpriestern, den Gurus, in
Beschlag genommen und sein Körper zu allerei Zaubermitteln
verarbeitet Denn der Batak ist ein armer Mann, für den
die ganze Welt und alle Geschöpfe voll böser, rachsüchtiger
Geister stecken, mit denen er jeden Augenblick in Konflikt
kommen kann und gegen die nur eine Unmenge Zaubermittel
schützen können. Gute Geister gibt’s nur wenige, und auch
die werden böse, wenn sie vernachlässigt werden und ihre
Opfergaben nicht gehörig empfangen. Einen dreieinigen
Gott — eine Erinnerung an die indische Trimurti — kennt
der Batak wohl, derselbe schwebt aber in nebelhafter Ferne
und kümmert sich um den Menschen nicht; folglich kümmert
sich der Batak auch nicht um ihn. Die Religion dieses
Volkes ist, kurz gesagt, der Ahnenkultus mit starken in¬
dischen und theilweise auch schon muhamedanischen Bei¬
mischungen.
Den Verkehr zwischen der Menschen- und Geisterwelt
vermitteln die Zauberpriester, die Gurus, welche ihre Weis¬
heit aus Büchern schöpfen, die mit einer selbstverfertigten
Tinte auf Baumrinde mit eigenthümlichen, an das Indische
erinnernden Schriftzeichen geschrieben sind. Diese Bücher
enthalten ausschliesslich Zauberformeln und Rezepte, also
keine juristischen oder geschichtlichen Aufzeichnungen; man
muss sich eigentlich verwundern, dass die Bataks noch nicht
auf schriftliche Fixirung ihrer geschichtlichen Erinnerungen
und Rechtsgewohnheiten verfallen sind, denn die Kunst des
Lesens und Schreibens ist unter den Bataks sehr verbreitet.
Dieses Volk ist überhaupt ein geistig sehr regsames
und bildungsfähiges, wie man an den Stämmen wahrnehmen
kann, welche bereits muhamedanische Kultur angenommen
haben, namentlich die Völker aus Rau, Mandeling, Angkola
und Sipirok, die schon einige Zeit unter holländischer Herr¬
schaft stehen. Auch die Missionäre, namentlich die rhei¬
nische Missionsgesellschaft, rühmen die Bildungsfähigkeit
dieser Stämme und machen viele Proselyten. Das Gouverne-
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ment hat zahlreiche, stark besuchte Schulen errichtet, worin
beinahe jeder Zögling in drei Sprachen lesen und schreiben
lernt (Redner zeigt eine solche kalligraphisch tadellose Schrift¬
probe vor), um später im Regierungsdienst eine gut bezahlte
Stelle als Schreiber, Schullehrer, Aufseher, Eisenbahnkonduk¬
teur, Telegraphist u. s. w. zu finden, oder am Hof der
malaischen Sultane als Sekretär, Minister und Grosswürden¬
träger zu fungiren.
Aber auch der sogenannte „wilde“, unabhängige Batak
ist mit Verstand und Geist hochbegabt; er hält gern grosse
Reden, und die lebhaften Unterhaltungen der Bataks am
abendlichen Herdfeuer waren für den Verfasser stets eine
Quelle des Genusses. Namentlich beliebt sind Erzählungen
von Schwänken und Eulenspiegeleien. Auch das Aufgeben
von Räthseln ist sehr im Schwung und ein guter Witz oder
ein gelungenes Räthsel wird mit fröhlichem Gelächter be¬
lohnt. Die Musik wird sehr gepflegt, besonders eine Art
Mandoline wird gespielt, auf der der Batak sehr hübsche
Melodien vorzutragen versteht; er führt dies geliebte Instru¬
ment auf allen seinen Reisen mit sich und verkürzt sich den
langen Weg durch Klimpern auf der Kutjapi, wie dies In¬
strument genannt wird. Dass schliesslich in diesem merk¬
würdigen Volk eine poetische Ader steckt, beweist der Vor¬
tragende durch das Vorlesen der Uebersetzung eines bata-
kischen Gedichtes.
Herr Fr. Huber, geodät. Zeichner, welcher längere Jahre
in holländischen Diensten in Sumatra gelebt, als Gast in der
Sitzung anwesend, fügte einige Bemerkungen bei und erbot
sich zu weiteren Mittheilungen für einen ganzen Abend, was
gleich für die nächste Sitzung angenommen wurde.
436. Sitzung am 10. März 1893.
Anwesend 26 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angenaeldetes Mitglied: Herr Dr. Tesch, Assistent an der
Technischen Hochschule.
Herr Franz Huber sprach über persönliche Erleb¬
nisse auf Sumatras Westküste, dessen Naturwunder
und Bewohner, nebst Skizzen aus dem Reiche
Atschin.
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437. Sitzung am i. April 1893.
Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen
Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums.
Herr Dr. Hans Meyer von Leipzig hielt einen Vortrag
über die Entwickelung unserer Kolonien.
Bei einem Ueberblick über die Entwickelung unserer
Kolonien haben wir ausser der politischen und wirtlischaft-
lichen Fortbildung auch die geographische Forschung als die
erste Grundlage aller kolonialen Entwickelung mit in Be¬
tracht zu ziehen.
Beginnen wir die Rundschau im fernsten Osten. Dort
war bisher das Marschallschutzgebiet das Stiefkind des
Interesses, vor Allem, weil es uns keine Schwierigkeiten
gemacht hat. Das Gebiet liefert zufolge seiner Bodenbe¬
schaffenheit nur Kokosnüsse als Handelsartikel (Kopra), der
aber den drei dortigen Firmen ausreichenden Gewinn bringt.
Der Umsatz der deutschen Jaluitgesellschaft ist mehr als
doppelt so gross wie jener der beiden anderen Firmen.
Europäer wohnen jetzt 94 im Schutzgebiet. Die Verwal-
tungskosten trägt das Land selbst, das Reich zahlt gar
keinen Zuschuss.
Im Neu-Guinea-Schutzgebiet (Kaiser Wilhelms-Land
und Bismarckarchipel) liegen die Verhältnisse viel ungün¬
stiger. Zur geographischen Erschliessung des Innern ist seit
Jahren gar nichts geschehen, wogegen die Engländer auf
Neu-Guinea von ihrem Bezirk aus Erhebliches geleistet haben.
Der Bismarckarchipel liefert den beiden dortigen Firmen
(Hernsheim und Handels- und Plantagengesellschaft der Süd¬
seeinseln) einen ziemlich gewinnbringenden Artikel in der
Kopra, aber in Kaiser Wilhelms-Land macht die tiefe Kultur¬
stufe der Eingeborenen allen Handel fast unmöglich. Da¬
gegen hat dort der Tabakbau gute Ergebnisse erzielt, so
dass sich eine Pächtergesellschaft (Astrolabe Komp.) nur für
den Tabakbau gebildet hat, deren Produkte bereits in Bremen
zu guten Preisen verkauft werden. Die neue Hauptstation
Friedrich Wilhelms-Hafen ist seit 1892 mit Singapore in
Dampferverbindung. Die Kompagnie verwaltet sich selber,
hat aber bisher die Riesensumme von 6 412 000 M. veraus¬
gabt, was nur zu leisten ist durch den Opfermuth des an
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der Spitze stehenden Herrn von Hansemann. Die Erschlies¬
sung des gebirgigen, für Plantagenbau aller Art geeigneten
Inlandes ist die wichtigste Aufgabe der Zukunft.
In Afrika ist Togoland eine unserer erträgnissreichsten
Kolonien. Dem Handel sehr hinderlich ist aber, dass die
beiden Hauptwasserstrassen (Volta und Mono) auf dem eng¬
lischen, bezw. französischen Nachbargebiet münden. Gebiets¬
ausdehnung nach dem Innern ist um so mehr anzustreben,
als uns dort die Franzosen, ebenso wie im Hinterland von
Kamerun, abzuschneiden suchen. Ihre Absicht geht dahin,
von Senegambien bis zum Tsadsee die Länder des Innern
unter französischen Schutz zu stellen und vom Tsadsee aus
ihr Schutzgebiet südwärts bis zum Kongo, nordwärts bis
nach Tunis, ostwärts vielleicht bis zum Nil auszudehnen. Die
Reisen Binger’s und Monteil’s haben uns im Hinterland
von Togo bereits stark entgegengearbeitet, wogegen leider
die Reise unseres Hauptmanns Kling nichts ausgerichtet hat.
Handelsfirmen hat Togo jetzt vier mehr als im Vorjahre.
Hauptausfuhrartikel sind Palmöl, Palmkerne und Kautschuck,
deren Werth 1892 2 848 000 M. betrug. Die Einfuhrwaaren
sind vorwiegend deutschen Ursprungs. Im Innern steht die
wissenschaftliche Station Misahöhe unter Leitung des Leipziger
Naturforschers Dr. Grüner.
Ebenfalls im besten Gedeihen ist Kamerun. Auch
diese Kolonie erhält sich bereits selbst. 1892 haben sich
dort drei neue deutsche Firmen etablirt, die Zahl der Euro¬
päer ist von 166 auf 191 gestiegen. Einfuhr und Ausfuhr
(vor Allem Palmöl, Palmkerne, Kautschuk, Kakao, Kaffee)
sind um je 300 000 M. gewachsen. Die Zwischenhändlerzone
wird mit steigendem Erfolg durchbrochen. Im Hinterland
jedoch suchen uns die Franzosen das Vordringen zu ver¬
sperren, um ihr Kongogebiet mit dem Tsadsee zu verbinden.
Unsere beiden Expeditionen unter Dr. Zintgraff und Leut¬
nant Ramsay, die dem französischen Vordringen entgegen¬
arbeiten sollten, sind leider erfolglos gewesen, während nament¬
lich der französische Leutnant Mizon vom Benue bis zum
Kongo unser Hinterland durchzog und überall Verträge ab¬
schloss. Auch jetzt ist er wieder am Benuö und der Herzog von
Ujes vom Kongo her thätig, so dass wir uns heiss bemühen
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212
müssen, um uns wenigstens nicht auch vom Tsadsee ab¬
sperren zu lassen. Eine grosse deutsche Privatexpedition
würde dort Bedeutendes leisten können!
Unser Schutzgebiet in Südwestafrika ist in erfreu¬
lichem Fortschritt begriffen. Die Zahl der Europäer ist von
620 auf 670 gestiegen, die fast alle Handel mit Vieh und
Häuten (das Gebiet enthält etwa 1 1 / 4 Million Rinder) treiben.
Da auf dem Hochplateau das Klima sehr gut ist, hat die
Südwestafrikanische Siedelungsgesellschaft einige
deutsche Familien bei Windhoek angesiedelt, und es ist sehr
zu wünschen, dass auch den Boercn der benachbarten Kap-
kolonie von unserer Regierung die erbetene Erlaubniss zur
Ansiedelung ertheilt werde, wodurch auch der drohenden
Anglisirung von ganz Südafrika eine Schranke gezogen
würde. Aus diesem letzteren Grund ist vor Allem die Da-
maraland-Konzession zu verwerfen, die dem englischen
Kapital in unserem Gebiet ausserordentliche Vorrechte vor
deutschen Unternehmungen einräuint. Ihre staatsrechtliche
Unhaltbarkeit verlangt glücklicherweise eine nochmalig Revi¬
sion dieser Konzession. Würde das deutsche Kapital nicht
so sehr durch die Haltung unserer Kolonialregierung ent-
muthigt, so würde es sich mehr nach Südwestafrika wagen.
Neuerdings hat sich glücklicherweise der Reichskanzler einer
günstigeren Auffassung zugewendet.
In Ostafrika haben sich, Dank der ruhigen Verwal¬
tung des Gouverneurs v. Soden, die Verhältnisse im Küsten¬
gebiete so gefestigt, dass das deutsche Kapital endlich an
die Kultivation des aussichtsreichen Usambaragebirges gehen
kann. v. Soden wird namentlich von den Anhängern des
früheren Militärregiments, dessen Willkürherrschaft er beseitigt
hat, auf’s Heftigste angegriffen. Hätten ihm grössere Mittel
und eine stärkere Schutztruppe zur Verfügung gestanden, so
würden sich die militärischen Niederlagen der beiden letzten
Jahre nicht ereignet haben oder doch schnell ausgewetzt
worden sein. Jetzt endlich ist eine Erhöhung des Budgets
und der Schutztruppe beabsichtigt. Im Innern haben sich nur
die von Emin Pascha angelegten beiden Stationen Bukoba
und Muanka friedlich entwickelt. Emin Paschas Reichsexpe¬
dition und die Antisklavereiexpedition des Dr. Bau mann sind
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die einzigen, die auch geographisch Grosses geleistet haben.
Emin wollte vom Albertsee nach Nordwest bis Kamerun
Vordringen, um dessen Hinterland für Deutschland zu sichern.
Die wichtigsten geographischen Ergebnisse seiner und des
Dr. Stuhl mann Thätigkeit sind: Entdeckung des Mfumbiro-
gebirges mit einem thätigen Vulkan, genauere Erforschung
des schneebedeckten Ruvensorogebirges, das gegen Stanley’s
Angabe nicht vulkanisch ist, sorgfältige topographische
Aufnahme des ganzen durchzogenen Gebietes, reiche, wissen¬
schaftliche Sammlungen aller Art. Nach den jüngsten Nach¬
richten ist an Emin’s Ermordung durch die Araber kaum
mehr zu zweifeln.
Dr. 6au mann hat auf seiner grossen Reise vom Kili¬
mandscharo zum Viktoria Nyanza, von dort zum Tanganji¬
kasee und zurück zur Küste fast durchweg neue Strecken
eingeschlagen und die schönsten Erfolge errungen. Die
wichtigsten sind: die Erforschung des Mangorasee’s südwest¬
lich vom Kilimandscharo, die Entdeckung des bis dahin noch
ganz unbekannten Eiassi-Sees, die Entschleierung des Ge¬
bietes zwischen Viktoria-See und Tanganjika und die Ent¬
deckung der Kageraquelle, wodurch Baumann in Wirklichkeit
der Entdecker der Nilquellen geworden ist. Die Berge des
Quellgebietes werden von den Eingeborenen „Mondberge“
genannt, in seltsamer Uebereinstimmung mit den Nachrichten
des Alterthums.
Diesen Erfolgen gegenüber sind leider die beiden Unter¬
nehmungen des Peters- und Wissmanndampfers ziemlich
aussichtslos. Der nachgewiesene Brennholzmangel am Vik¬
toriasee wird zur Folge haben, dass der Petersdampfer an
der Meeresküste bleibt, wo er als Zollschiff gute Dienste
leisten kann. Der für den Tanganjikasee zur Unterdrückung
des dortigen besonders schwunghaften Sklavenhandels be¬
stimmte Wissmanndampfer wird, nach den jüngsten Berichten
der Expedition, besten Falls den Nyassasee erreichen können,
wo aber bereits durch englische Schiffe und Stationen dem
Sklavenhandel kräftig gesteuert wird.
Im ostafrikanischen Küstengebiet, im wirklichen
Schutzbereich der Regierung, ist die friedliche Kolonisations¬
arbeit im besten Fortgang. Hier ist in dem küstennahen
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Bergland Usambara endlich die waldige, wasserreiche, gegen
800 Meter hohe Landschaft Handei von der neu gebildeten
Usambara-Kaffeebau-Gesellschaft zur Anpflanzung von
Kaffee ausersehen worden, und dies ist vielversprechend,
denn weder in Ceylon, noch in Java oder den Philippinen
hat der Herr Vortragende Gebiete gesehen, die für Kaffeebau
besser geeignet wären, als Handei.
Die deutschen Handelsunternehmungen werden da¬
gegen durch den englischen Freihafen Zanzibar noch sehr
gelähmt; nach Hamburg hat unser Gebiet 1891 nur für
520 276 M., Zanzibar hingegen für 1 819 520 M. befördert.
Herabsetzung der Frachtsätze unserer subventionirten Dampfer¬
linie, regerer, direkter Schiffsverkehr mit Indien und grössere
Verdichtung unseres Zollnetzes zur Verhinderung des aus¬
gedehnten Schmuggels sind absolut nothwendig.
Vor Allem aber muss für alle unsere Kolonien die
Reichsregierung bemüht sein, durch grössere Stetigkeit und
Festigkeit ihrer Kolonialpolitik das deutsche Privatkapital
mehr zu kolonialen Unternehmungen zu ermuthigen: recht¬
liche Begünstigungen und Garantien für solche Unterneh¬
mungen werden dann das Uebrigc thun. Zwar hat der
Reichskanzler neuerdings eine viel kolonialfreundlichere Hal¬
tung gezeigt als früher, aber eine nachhaltige Förderung
unserer kolonialen Aufgaben ist doch erst durch eine selbst¬
ständige Organisation unserer kolonialen Leitung zu erwarten,
durch die Schaffung eines vom Auswärtigen Amt unabhängigen
Kolonialamtes mit einem auch praktisch erfahrenen, klugen
und massvollen Kolonialministers. Immerhin lässt sich auch
jetzt schon von der Gesammtentwickelung unserer Kolonien
sagen, dass sie, trotz mancher Fehlschläge, sehr erfreulich ist.
Reicher Beifall lohnte den Redner, der jetzt schon zum
vierten Male bei uns Karlsruhern erschienen ist, für seine
lehrreichen, wichtigen Mittheilungen. Möge die zugesicherte
freundliche Aufnahme ihm nicht nur eine wohlthuende Er¬
innerung bilden, sondern auch eine Ermuthigung, uns ferner¬
hin mit dem Ergebniss seiner Forschungen auf dem geogra¬
phischen und kolonialen Gebiet, die sich durch hohen Grad
von Unparteilichkeit und Objektivität ausäeichnen, in unmit¬
telbarer Weise bekannt zu machen.
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438. Sitzung am 5. Mai 1893.
Anwesend 83 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
General-Versammlung.
Herr Hofrath Dr. Meidinger liesst einen Bericht über
die Thätigkeit des Vereins im verflossenen Geschäftsjahr vor.
Herr 0. Bartning berichtet über den Stand der Kasse des
Vereins.
Es hatte dieses Mal die statutengemässe Neuwahl des
Vorstandes auf die nächsten zwei Jahre zu erfolgen. Der
stellvertretende Vorsitzende, Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener,
machte die Mittheilung, dass Herr Geh. Rath Dr. Grashof
den Wunsch ausgedrückt habe, ihn wegen seiner leidenden
Gesundheit nicht wieder in den Vorstand und zum Vor¬
sitzenden zu wählen. Auf Akklamation wurde hierauf der
frühere Vorstand wieder ernannt und Herr Professor Treut-
lein als neues Mitglied.
Herr Geh. Hofrath Wiener widmete Herrn Geh. Rath
Grashof, welcher das Amt des Vorsitzenden seit 25 Jahren
bekleidet und ganz wesentlich zum Aufschwung des Vereins
beigetragen hatte, Worte des warmen Dankes und beantragte
seine Ernennung zum Ehrenpräsidenten des Vereins, was
mit lebhaftem Beifall von den Anwesenden aufgenommen
wurde. Die Mittheilung soll in Form einer künstlerisch aus¬
gestatteten Adresse erfolgen.
Der Vorsitzende legt die von Herrn Ammon dem Verein
zum Geschenk gegebene Schrift: „Die natürliche Auslese beim
Menschen“ unter Ausdruck des Dankes an den Verfasser der
Versammlung vor.
Herr Geh. Hofrath Engler hielt darauf einen Vortrag
über die Elemente. In einem geschichtlichen Rückblick
auf die Entwicklung der Elementenlehre wurde gezeigt, wie
bei fast allen alten Kulturvölkern die Frage nach den letzten
Bestandtheilen der Materie auftauchte, und wie insbesondere
bei den Indiern durch Buddha die Lehre von den vier mate¬
riellen Elementen Wasser, Feuer, Luft und Erde nebst einem
fünften Element, Aether, ausgebildet wurde. Diese vier
bezw. fünf Elemente kehren auch bei Aristoteles wieder,
welcher jedoch seine vier Erdenelemente nur als die Träger
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216
je zweier seiner bekannten vier Qualitäten (warm, kalt,
trocken, feucht) ansah, während er dem das ganze Weltall
durchdringenden fünften Element später Essentiaquinta Quint¬
essenz, eine mehr ätherische, geistige Beschaffenheit beilegte.
Neben diesen Aristotelischen Elementen tauchen andere und
neue Elemente erst auf mit der Entwickelung der Alchemie,
welche ihre hauptsächlichste Begründung Ende des 8. Jahr¬
hunderts durch den berühmten in Spanien lebenden arabischen
Gelehrten Geber gefunden hat. Dieser nimmt zunächst in
den Metallen dje zwei Elemente Quecksilber und Schwefel
an, spätere Alchemisten fügten weitere hinzu, so Albertus
Magnus das Wasser, Andere das Salz etc. Indessen hing
nebenbei auch noch eine grosse Zahl von Gelehrten der alten
Aristotelischen Lehre an. Zu einer richtigen, auf das Expe¬
riment gegründeten Auffassung der Elementstoffe als unzer¬
legbare Substanzen kam man erst im 17. Jahrhundert und
Boyle und Lavoisier waren es, welchen wir die erste syste¬
matische Eintheilung der Elemente verdanken. Befanden sich
unter des Letzteren Elementen auch solche, die nach unse¬
rer jetzigen Kenntniss keine sind, wie Wärme, Licht, die
Erden etc., so baute sich doch auf seinem Elementensystem
unser jetziges mit den derzeit bekannten gegen 70 Elementen
auf. Neue Hilfsmittel hatten jeweils die Entdeckung neuer
Elemente zur Folge, so die durch Huinphrey Davy ein¬
geführte Elektrolyse, die Entdeckung der Metalle Kalium,
Natrium, Aluminium, Magnesium etc., die Ausbildung der
Spektralanalyse durch Bunsen und Kirchhof, das Auffinden
einer weiteren Anzahl von Metallen. Nachdem dann noch
an das ebenfalls durch die Spektralanalyse ermöglichte Auf¬
finden einer grossen Zahl unserer terrestrischen Elemente
auf der Sonne und theilweise auch Fixsterne erinnert worden
war, wurde das Wesen der Grundstoffe eingehender behandelt
und daraus abgeleitet und begründet, wie unsere jetzigen
Elemente nicht als die letzten Bestandtheile der Materie,
vielmehr nur als bestimmte Kombinationen eines einzigen
oder nur weniger Urelemente betrachtet werden dürfen. Zum
Schluss wurden an der Hand einer neueren Schrift Vilde’s
gewisse Beziehungen zwischen den Regelmässigkeiten in der
Entfernung der Planeten von der Sonne und den Differenzen
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der Atomgewichte einiger Elementgruppen, sowie die Bil¬
dungstheorie der Planeten und der Elemente aus dem so¬
genannten Urnebel besprochen.
439. Sitzung am 19. Mai 1893.
Anwesend 20 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. M. Wormser, Arzt.
Der Vorsitzende legt die an Herrn Geh. Rath Dr. Gras-
hof gerichtete Adresse, betr. seine Ernennung zum Ehren¬
präsidenten des Vereins vor.
Weiterhin übergibt derselbe drei von Herrn Dr. Wilser
verfasste Schriften dem Verein, unter Ausdruck des Dankes
an den Geber: 1. Die Vererbung der geistigen Eigenschaften.
2. Badische Schädel. 3. Die Bevölkerung von Böhmen in
vorgeschichtlicher und frühgeschichtlicher Zeit.
Herr Dr. Scholtz hält hierauf einen Vortrag über
Joseph Gottlieb Kölreuter, ein Karlsruher Bota¬
niker. Der Vortrag sollte in erweiterter Form und mit Be¬
nutzung neuen zur Verfügung stehenden Materials den Ab¬
handlungen angereiht werden; der bereits im August erfolgte
bedauernswerthe Tod des jungen Gelehrten machte die Aus¬
führung unmöglich.
Herr Hofmechaniker Scheurer demonstrirte zum Schluss
einen von Edison erfundenen Vervielfältigungsapparat, ge¬
nannt Mimeograph.
440. Sitzung am 2. Juni 1893.
Anwesend 16 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Der Vorsitzende berichtete über die Uebergabe der
Adresse an Herrn Geh. Rath Dr. Grashof und die Dank¬
sagung desselben.
Herr Ilofrath Dr. Meidinger machte Mittheilung von der
eigenthttinlichen Bildung, bezw. Ausscheidung von Am¬
moniaksalzen, namentlich schwefligsaurem und schwefel¬
sauren Ammoniak, in den Ofenröhren der Füllöfen bei
Verwendung der Anthracitkohlen, was man bei keinem an¬
deren Brennstoff beobachtet. Das Rohr füllt sich dadurch
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mit einer harten Masse dicht aus, so dass über kurz oder
lang der Zug unterbrochen wird. Nur bei mässig starkem
Feuer, wobei das Rohr noch mit der Hand sich anfassen
lässt, erfolgt die Salzausscheidung in demselben, bei starkem
Feuer bleibt es rein und das Kamin erhält den Absatz. Das
Rohr ist dadurch dem raschen Durchrosten ausgesetzt. Am
Ende der Heizperiode sollte man den Absatz aus den Rohren
entfernen, was rasch dadurch erfolgt, dass man sie in’s
Wasser legt, oder Wasser von der Wasserleitung durch-
fliessen lässt; die Salze sind sehr leicht löslich. — Die
Bildung der Salze erklärt sich durch den in der Kohle vor¬
handenen Schwefel und Stickstoff. Ersterer verbrennt zu
schwelliger, theilweise auch Schwefel-Säure, der Stickstoff
wird bei der Erhitzung als Ammoniak (grossentheils) aus¬
getrieben, das nun wieder unter Ausscheidung von Stickstoff
verbrennen oder mit der schwefligen und Schwefelsäure sich
zu den Salzen verbinden kann. Die Salze sind flüchtig, sie
sublimiren und schlagen sich an den kälteren Stellen fest
nieder. Bei den gewöhnlichen Oefen mit Flammkohlenbrand
beobachtet man aus dem Grunde keinen Salzabsatz in den
Rohren, weil diese hier immer viel heisser sind, indem die
Verbrennungsprodukte stets mit hoher Temperatur in’s Kamin
abziehen. Auch ein enges Kamin kann durch die Ammoniak¬
salze fast verschlossen werden. Man kann solche dann durch
ein starkes in das Kamin einziehendes Flammfeuer hinaus¬
treiben, eventuell auch durch oben in das Kamin eingegos¬
senes Wasser auflösen, wenn die Werkzeuge des Kaminfegers
(Besen, Bürste, Keil) die fest sitzende Kruste nicht mecha¬
nisch entfernen sollten. Der Vortrag gab Anlass zu einer
Erörterung über die Bedeutung des jetzt grossentheils aus
den Kohlen stammenden Ammoniaks für die Ernährnng der
Pflauzen, an welcher sich die Herren 0. Ammon und Engler
betheiligten.
Hierauf hielt Herr 0. Ammon einen Vortrag über die
Bedeutung der Ständebildung für das Menschen¬
geschlecht. Dieser Vortrag, welcher auf Grund der Ent¬
wickelungslehre und umfassender eigener Studien wesentlich
neue Gedanken darlegte, erweckte die Theilnahme der Zuhörer
in hohem Grade und gab Anlass zu einer eingehenden und
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belebten Erörterung, an welcher sich die Herren Wiener,
Wilser, Engler, Treutlein und Honsell betheiligten. (Ein
ausführliches Referat über den Vortrag ist unter die Abhand¬
lungen im zweiten Theile dieses Bandes aufgenommen.)
441. Sitzung am 16. Juni 1893.
Anwesend 12 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Hofrath Dr. Meidinger berichtete über die Explo¬
sionen von Stubenöfen, welche in den letzten Jahren
bei uns vielfach beobachtet wurden, namentlich bei Thonöfen,
die für lange dauernde Verbrennung, als sogenannte Füll¬
öfen, eingerichtet sind; nicht weniger als 10 solcher Explo¬
sionen aus nahen Kreisen waren dem Redner bekannt ge¬
worden. Derselbe untersuchte zunächst die Bedingungen von
Gasexplosionen im Allgemeinen und zeigte dann, wie durch
ihre besondere konstruktive Anordnung, theilweise auch durch
.die Art der Bedienung die meist gebräuchlichen Thonfüllöfen
zu Explosionen besonders geneigt sind und gab schliesslich
die Mittel an, wie bei den vorhandenen Oefen und noch
besser beim Bau neuer Oefen der Erscheinung vorzubeugen
sein dürfte. — Ueber den Gegenstand hat der Redner in
der von ihm herausgegebenen „Badischen Gewerbezeitung“
(1893 Nr. 1 bis 8) eine ausführliche Abhandlung mit vielen
Abbildungen veröffentlicht.
Herr Professor Dr. Platz machte einige Mittheilungen
über die topographischen Verhältnisse des Lauter¬
bergs. Der Mittelpunkt desselben liegt 390 Meter südlich
vom 49. Breitegrad, welcher den Stadtgartensee ungefähr in
der Mitte, etwas südlich von dem felsigen Vorsprung des
Ostufers, durchschneidet, 54475 Meter südlich und 4217 Meter
westlich von der Mannheimer Sternwarte, dem Ausgangspunkt
der badischen Landesvermessung. Derselbe ist 38 Meter
hoch; die Meereshöbe der Plattform beträgt 151 Meter, über
welche sich noch der 6 Meter hohe Thurm erhebt.
Von diesem überblickt man einen Umkreis von 25,7
Kilometer Radius auf der Ebene, Berge natürlich noch in
grösserer Entfernung.
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Zur Bestimmung der Weltgegenden dient am besten der
Thurmberg, welcher fast genau östlich liegt (Thurmmitte
Nord 89 • 47' 36" Ost), also nur um 12' 24" von der Ost¬
richtung abweicht; die Entfernung beträgt 6,1 Kilometer.
Der Kirchthurm von Ettlingen (Entfernung 9,87 Kilo¬
meter) liegt 4° 32' östlich von der Südrichtung.
Der Schlossthurm (Entfernung 1,932 Kilometer) liegt
5° 10' östlich, die evangelische Kirche (Entfernung 1,333
Kilometer) liegt 8 0 40' östlich, die katholische Stadtkirche
(Entfernung 1,364 Kilometer) liegt 7° 55' westlich von der
Nordrichtung.
Die Frage: Ist das Strassburger Münster vom Lauter¬
berg sichtbar? kann nach dem Grundsatz gelöst werden:
Ein Punkt ist von einem anderen aus sichtbar, wenn die
Summe der beiden Sehweiten grösser ist als die Entfernung,
und kein höherer Punkt dazwischen liegt.
Die Visirlinie nach dem Strassburger Münster bildet mit
der Südlinie einen Winkel von 46° 21' nach Westen, sie
zieht nahe links von der Front des Stephanienbades in
Beiertheim vorbei. In dieser Richtung sieht man den Kirch¬
thurm von Oetigheim, dessen Richtungswinkel 46° 48' beträgt,
und der nur 17 Kilometer entfernt ist. Das Strassburger
Münster muss also etwas links von diesem Thurme gesucht
werden; die Entfernung beträgt 66,5 Kilometer, und die Er¬
niedrigung in Folge der Erdkrümmung (inklusive Strahlen¬
brechung) 294 Meter.
Die Sehweite von der Spitze beträgt 50,2 Kilometer,
vom Lauterberg 25,7 Kilometer, die Summe der Sehweiten
beträgt also 75,9 Kilometer; sie ist grösser als die Ent¬
fernung, folglich kann die Spitze des Münsterthurms gesehen
werden, wenn sie nicht, wie wahrscheinlich, durch den
zwischenliegenden Wald verdeckt wird.
Die Sehweite von der 66 Meter hohen Plattform des
Münsters beträgt 37,5 Kilometer, sie kann folglich nicht
gesehen werden, sondern nur ein bei der grossen Entfernung
jedenfalls schwor auffindbarer Theil der Pyramide.
Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener fügt in Bezug auf die
erwähnte Strahlenbrechung in der Atmosphäre eine Bemerkung
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zu. Während ein geneigt gegen unten gehender Lichtstrahl
beim Uebergang in stets dichtere Luftschichten der Lothlinie
stets zu gebrochen wird und desswegen eine nach unten hohle,
krumme Bahn beschreibt, könnte es scheinen, dass ein hori¬
zontal ausgesendeter Lichtstrahl, weil er in kein dichteres
Mittel eintritt, sich ungebrochen horizontal fortbewegt. Dies
ist aber nicht der Fall, wie schon Wollaston im Jahre 1800
durch Versuche und durch Theorie, freilich noch die Emana¬
tionstheorie, gezeigt hat. Der Strahl wird auch, nach unten
hohl gekrümmt, und zwar ist die Krümmung des horizontalen
Strahls am stärksten. Die Undulationstheorie zeigt, dass
der horizontale Strahl, der stets in vertikalem Sinne eine
Dicke besitzt, an seinem unteren Rande sich langsamer fort¬
bewegt, als an seinem oberen, dass daher die Wellenober¬
fläche, welche durch Punkte gleichzeitiger übereinstimmender
Schwingungsphase bestimmt ist, aus der vertikalen in eine
geneigte Lage übergeht, und dass die darauf senkrechte
Linie des Strahls sich gegen unten neigt. Auf die Dicke
des Strahls kommt es dabei gar nicht an, sondern auf die
Veränderung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes
oder des Brechungskoeffizienten des Mittels auf 1 Meter
Höhenunterschied, das sogenannte vertikale Gefälle des
Brechungskoeffizienten.
Der Vortragende erwähnt die neuerdings veröffentlichten
Versuche seines Sohnes in Aachen über diesen Gegenstand.
Derselbe lagerte u. A. Alkohol über Schwefelkohlenstoff, und
durch die allmählige Diffusion ergab sich eine Schicht, in
welcher der Brechungskoeffizient nach unten zunahm. Indem
er etwas Fluoreszin zusetzte, wurde ein durchgeschickter
Strahl bei Benutzung eines Glasgefässes sichtbar, und wenn
der Strahl etwas aufwärts hineingeschickt wurde, sah man,
wie er sich an einer höchsten Stelle wieder abwärts bog.
Derartige Vorgänge erklären auch die Luftspiegelung.
Jene Erscheinung wurde weiter dazu benutzt, die Gesetze
der Diffusion zu studiren. Es wurden Sonnenstrahlen durch
einen geradlinigen Spalt geschickt, der unter 45 Grad gegen
den Horizont geneigt war, dann durch ein Diffusionsgefäss
der eben beschriebenen Art mit zwei vertikalen parallelen
Glaswänden; und dann wurde das Spaltbild auf einem weissen
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Schirm aufgefangen. Der obere und untere Theil des Bildes
bestanden aus Stücken ein und derselben, unter 45 Grad ge¬
neigten geraden Linie; gegen die Mitte wich das Spaltbild
von dem geradlinigen unabgelenkten mehr und mehr ab.
Jene äusseren Theile rührten von Lichtstrahlen her, die
durch unvermischte Flüssigkeit gingen; die Abweichung der
mittleren war mit dem Gefälle des Brechungskoeffizienten
und mit der Dicke der vom Licht durchschrittenen Schicht
proportional. Die Veränderung der Gestalt des Bildes liess
auf den Vorgang der Diffusion schliessen. Es ergab sich
hier ein genaueres Verfahren zur Bestimmung der Diffusions¬
konstanten. d. i. der Geschwindigkeit der Diffusion.
442. Sitzung am 30. Juni 1893.
Anwesend 15 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener.
Auf Antrag des Vorstandes ertheilt die Versammlung
ihre Zustimmung, dass der anthropologischen Kommission
des Alterthumsvereins, ihrem Gesuch vom 7. Juni entsprechend,
eine weitere Zuwendung von 200 M. zur Fortsetzung der
begonnenen Untersuchungen gemacht werde. Herr Bau¬
direktor Honseil drückt hierbei den Wunsch aus, dass von
der später herauszugebenden Schrift dem Verein eine grössere
Zahl Exemplare zur Abgabe an andere Vereine, mit denen
wir im Tauschverkehr stehen, verabfolgt werden möge. Herr
Generalarzt Dr. Hoffmann hält es schwierig, jetzt bereits eine
Zusage darüber zu geben, da sämmtliche Publikationen nur
einen geringen Absatz fänden und ein Verleger, der Honorar
zahle, sich kaum dürfte gewinnen lassen. Es könnten später
mit einem Verleger hierüber Verhandlungen gepflogen werden.
Hierauf sprach Herr Professor Dr. Platz über die Tempe¬
ratur Verhältnisse des badischen Landes.
Es wurde zunächst eine graphische Darstellung des jähr¬
lichen Temperaturverlaufs an 9 Stationen des meteorologischen
Netzes nach den von Dr. Singer in München berechneten
normalen Monatsmitteln vorgelegt. Dieselbe zeigt, dass die
monatlichen Temperaturmittel fast überall parallel verlaufen,
so dass auch hier der Satz von Hann-Wien bestätigt ist:
In klimatisch ähnlich gelegenen Regionen ist der Tempe-
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raturverlauf im Durchschnitt der gleiche, und nur durch die
verschiedene Höhenlage modifizirt. So zeigen Mannheim
(Höhe 119 Meter), Karlsruhe (124 Meter), Bretten (188 Meter),
Wertheim (149 Meter), Buchen (334 Meter) und Villiogen
(709 Meter) denselben Temperaturverlauf, derselbe erstreckt
sich über ganz Südwestdeutschland: Baden, Württemberg
und Bayern (ausschliesslich Alpenland) und wahrscheinlich
auch Eisass; diese Länder bilden eine klimatische Provinz.
Villingen ist im Verhältniss zu seiner Höhenlage (709 Meter)
um mehr als einen Grad zu kalt, es ist kälter als die höher
gelegenen Stationen und überhaupt die kälteste Station des
Landes. Das Jahresmittel beträgt hier nur 5,7 4 , in Höchen¬
schwand (1011 Meter) 5,9°, in Todtnauberg (1021 Meter)
6,4°. Beide letzteren Stationen haben einen verhältniss-
mässig zu warmen Winter, Meersburg (430 Meter) zu
warmen Sommer. Zur näheren Untersuchung des Tempe¬
raturverlaufs wurden 4 Stationen ausgewählt: Karlsruhe
als Repräsentant der Rheinebene und des Hügellandes,
Höchenschwand (hoher Schwarzwald), Villingen (Ostabhang)
und Meersburg (Bodenseegebiet) und von diesen folgende
Grössen berechnet und graphisch dargestellt: das Monats¬
mittel, die mittleren Temperaturen um 7, 2 und 9 Uhr
(K. Z.), das mittlere Tagesmaximum und Minimum für jeden
Monat, das mittlere absolute Monatsmaximum und Minimum,
sowie die höchsten und tiefsten Temperaturen, Alles für den
Zeitraum von 1871—1890.
Hier ergeben sich nun beträchtliche Unterschiede. Die
kleinsten Tagesschwankungen hat Meersburg mit 6,5 0 C. im
Jahresdurchschnitt, sodann folgt Höchenschwand mit 7,1°,
Karlsruhe mit 7,9° und endlich Villingen mit 9,9°.
Auch die monatliche und jährliche Schwankung zeigt
denselben Verlauf, nämlich:
Karlsruhe monatlich 22,2°, jährlich 42,3",
Höchenschwand „ 21,7°, „ 40,1°,
Meersburg „ 18,8°, „ 38,0°,
Villingen „ 24,5°, „ 47,8°.
Dasselbe zeigt sich in den extremen, während des Zeit¬
raums 1871—90 beobachteten Temperaturen: Karlsruhe hat
einen Temperaturumfang von 59,5, Höchenschwand von 51,5,
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224
Meersburg von 47,5 Villingen von 63,0°. Villingen hat also
die grössten, Meersburg die kleinsten Schwankungen.
Aus den Darstellungen ergibt sich auch die wahrschein¬
liche und mögliche Dauer der frostfreien Zeit; in Villingen
ist nur der Juli absolut frostfrei, wahrscheinlich hingegen
die 3 Monate Juni, Juli, August, in Höchenschwand sind
absolut frostfrei 3 Monate, wahrscheinlich 4 Monate, in Karls¬
ruhe absolut frostfrei 3 Monate (Juni, Juli, August), wahr¬
scheinlich 5 Monate, in Meersburg ebenso 5 Monate (Mai,
Juni, Juli, August, September) und wahrscheinlich 6 Monate
(noch Oktober). (Ausführlich ist der Gegenstand unter den
Abhandlungen besprochen.)
Im Anschluss an die Ausführungen des Herrn Professor
Platz legte Herr Dr. Ristenpart die graphischen thermo-
metrischen Aufzeichnungen der Grossh. Sternwarte
vor. Letztere besitzt seit vorigem Jahre einen Thermo¬
graphen, welcher die Ausdehnung bezw. Zusammenziehung
einer Metalllamelle durch ein Hebelwerk auf eine Feder
überträgt, die an einer Walze entlang gleitet, welche sich in
sieben Tagen einmal heruradreht. Man kann so den täg¬
lichen Verlauf der Temperatur recht gut verfolgen. Besonders
interessant ist es, dass man die Zeit, zu welcher ein Ge¬
witter eingetreten, bequem an dem Thermographen ablesen
kann, indem in Folge der plötzlichen Abkühlung die Kurve
dann senkrecht nach unten eilt. Dies wurde an mehreren
Beispielen gezeigt.
Hierauf sprach Herr Dr. Schultheiss über das Maass
der Abnahme der Mitteltemperaturen mit der Höhe.
Die landläufige Ansicht ist, dass die mittlere Jahrestempe¬
ratur in allen Klimaten bei je 100 Meter Erhebung um
0,58° C. abnehme; Redner weist jedoch darauf hin, dass
von den einzelnen Forschern recht weit von dieser Zahl ab¬
weichende Werthe gefunden worden sind, und dass zu deren
Ableitung nur die Temperaturen topographisch gleichartig
gelegener Orte verwendet werden dürfen, da die Mitteltempe¬
raturen nur in seltenen Fällen auch wirklich die Wärme¬
verhältnisse der betreffenden Höhenschicht darstellen. In der
Regel ist die Ortstemperatur lokal mehr oder minder beein¬
flusst; so zeigen z. B. alle in Thalkesseln oder in Fluss-
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thälern gelegene Stationen in Folge der verstärkten Aus¬
strahlung zu tiefe, die in Städten oder an Seen gelegenen
dagegen zu hohe Temperaturen. Bei der Ableitung des
Maasses der Wärmeabnahme mit der Höhe müssen desshalb
immer viele Stationen mit ganz verschiedener Lage zum
Mittel vereinigt werden. Wenn man aber die vertikale
Temperaturvertheilung in einem kleinen Gebiet mit wenigen
Stationen studiren will, so wird am einfachsten die Wärme¬
abnahme als konstant, etwa zu 0,5° für 100 Meter ange¬
nommen; nimmt man dann weiter an, dass eine Station
annähernd die Wärmeverhältnisse ihrer Höhenlage wiedergibt,
so können die Temperaturen, welche an den einzelnen Sta¬
tionen herrschen sollten, berechnet werden. Der Unterschied
der Ortstemperatur von der berechneten sogenannten idealen
gibt dann ein wichtiges Merkmal für das Klima des Ortes.
Auf Grund dieser Anschauungen findet man, dass von den
badischen meteorologischen Stationen im Jahresdurchschnitt
zu warm sind: Meersburg um 0,8°, Höchenschwand um 0,8°,
Todtnauberg um 1,3°, Freiburgum 1,1°, Mannheim um 0,5°,
Heidelberg um 0,2°; zu kalt dagegen Villingen um 0,9°,
Donaueschingen um 0,6°, Gengenbach um 0,3°, Baden um
0,2°, Bretten um 0,1°, Buchen und Wertheim um 0,8°, vor¬
ausgesetzt, dass Karlsruhe als normal warm anzusehen ist.
Redner erwähnt noch, dass die ideale Temperatur, weil
sie nicht lokal beeinflusst ist, wie die wirklich beobachtete,
bei der Reduktion von Luftdruckmitteln auf den Meeres¬
spiegel, vortheilhafte Anwendung finden kann; nimmt man
nämlich bei dieser Operation als Mitteltemperatur der Luft¬
säule zweier verschieden hoch gelegenen Orte das Mittel der
lokal beeinflussten Örtstemperaturen, so werden unter Um¬
ständen grosse Fehler begangen, welche bei Verwendung der
idealen Temperaturen aber erfahrungsgemäss beträchtlich
vermindert werden.
Zum Schluss machte Herr Apotheker W. Baur Mitthei¬
lung über Mimulus luteus — gelbe Gauklerblume. Diese, in
Chile (Südamerika) einheimische Pflanze wurde zuerst im
oberen Kinzigthal bei Schappach und Rippoldsau in grösserer
Menge vor etwa 35 Jahren beobachtet, von dort verbreitete
sie sich das Kinzigthal abwärts, stellenweise bis Offenburg
15
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226
und Kehl; auch bei Triberg wurde sie beobachtet. In diesem
Sommer wurde die Pflanze zum ersten Male in der Karlsruher
Gegend am Rheinufer bei Maxau in grösserer Anzahl gefunden.
Die in der Pflanzenwelt schon lange und häufig ge*
machte Beobachtung, dass Zwitter und einhäusige Blüthen
mit dem Pollen (männlicher Blüthenstaub) aus einer andern
Blume des gleichen oder eines andern Stockes leichter be¬
fruchtet werden, als mit demjenigen aus derselben Blume,
bezw. einer solchen desselben Stockes, lässt sich an dieser
Pflanze deutlich beobachten.
Berührt man die an dem langen, trichterförmigen
Pistill befindliche zweiklappige Narbe mit dem Pollen aus
der gleichen Blume, so scbliesst sich diese Klappe, öffnet
sich aber nach einiger Zeit wieder; bringt man aber Pollen
aus einer andern Blume, oder noch besser aus der Blume
eines andern Stockes auf die Narbe, so schliesst sich diese
und bleibt geschlossen, d. h. sie ist befruchtet.
Da die Befruchtung dieser Pflanze fast ausschliesslich
durch Insekten stattfindet, so können, wegen der Eigenthüm-
lichkeit der Narbe, sich bei jeder Berührung zu schliessen,
nur Pollen aus einer andern Blume an die Narbe gelangen.
443. Sitzung am 13. Oktober 1893.
Anwesend 63 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Professor E. Brauer an der
Technischen Hochschule.
Herr Geh. Hofrath Dr. Engler theilte Reiseerinne¬
rungen aus Amerika mit, die er gelegentlich eines mehr¬
monatlichen Aufenthaltes dortselbst gesammelt hatte. Mit
einer Erzählung der Ueberfahrt, eines Aufenthaltes auf dem
Landsitze Henry Villards bei New-York, Besichtigung der
Niagarafälle und der grossen, dort im Bau begriffenen Wasser¬
kraftanlagen beginnend, verbreitete er sich dann eingehender
über die Verkehrseinrichtungen, über Sitten und Gebräuche
bei den Amerikanern, über die Lebensweise der Amerika¬
reisenden und vor Allem über die Ausstellung in Chicago,
welche genauer kennen zu lernen dem Vortragenden als Mit¬
glied des internationalen Preisgerichts reichlich Gelegenheit
geboten war. Von den drei Theilen derselben, der eigent-
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227
liehen internationalen Weltausstellung, der grossen Gruppe
der Einzelausstellungen sämmtlicher amerikanischer Staaten
von mehr lokalem Interesse und dem Biesenannex der Ver-
gnflgungslokale wurde der erstere ausführlich besprochen und
ein Vergleich zwischen den Leistungen der konkurrirenden
Völker gezogen. Auch Vortragender bestätigt, dass Deutsch¬
land den grossen Wettkampf der Nationen auf amerikanischem
Boden mit Ehren bestanden habe und dass ihm nach über¬
einstimmendem Urtheil der Preisrichter auf mehreren der
wichtigsten industriellen Gebiete, so ganz zweifellos auf dem
der grossen chemischen Industrie, voran die badische Anilin-
und Sodafabrik, und auch auf dem der Eisen-Grossindustrie
mit Krupp an der Spitze, sowie auf dem Gebiete des Hoch¬
schulwesens die Siegespalme zugefallen sei. Aber auch auf
anderen Gebieten, so besonders auf dem des Kunstgewerbes,
worin Berlin, Baden und Bayern sich besonders auszeich¬
neten, der Textilindustrie und der Elektrotechnik, ferner in
der Fabrikation der Maschinen, des Porzellans und sonstiger
Thonwaaren, der Uhren und Spielwaaren, des Papiers,
Leders etc. hatte Deutschland sehr bemerkenswerthe Erfolge
zu verzeichnen und stand es den konkurrirenden Staaten zum
Mindesten ebenbürtig zur Seite, so dass Redner den Ausspruch
eines hervorragenden Amerikaners, diese Ausstellung habe
dem Ansehen der Deutschen im Auslande und besonders in
Amerika mindestens ebenso viel genützt, wie die Jahre 1870
und 1871, Bur als richtig anerkennen könne. Die Früchte
würden sicherlich auch nicht ausbleiben, falls Amerika die
zur Zeit fast unübersteigliche Schutzzollmauer der Mac-
Kinleybill, wie man jetzt zu erwarten berechtigt sei, auch
nur theilweise beseitigen werde, ln einer weiteren Mitthei¬
lung soll über sonstige Reisen des Vortragenden in Amerika
berichtet werden.
444. Sitzung am 27. Oktober 1893.
Anwesend 42 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener.
Nen angemeldete Mitglieder, die Herren: Dr. A. Schub erg, Assistent
an der Technischen Hochschule uud Dr. 0. Tross, Arzt.
Der Vorsitzende widmet dem am 26. Oktober gestorbenen
Ehrenpräsidenten Geh. Rath Dr. Grashof einen warmen Nach-
15*
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ruf, indem er besonders darauf hinwies, dass derselbe während
25 Jahren den Verein geleitet und wesentlich zum Blühen
desselben beigetragen habe; Vorsitzender werde ihm im
Namen des Vereins einen Kranz auf das Grab legen.
Herr Professor Treutlein berichtet über die Fortschritte
in der Einführung der mitteleuropäischen Zeit.
Anknüpfend an einen im März v. J. gehaltenen Vortrag er¬
wähnt er, dass man damals geglaubt habe, die Schweiz
werde bald dem von Oesterreich und Süddeutschland ge¬
gebenen Beispiele nachfolgen. In der That erbaten auch die
Schweizer Bahnen — es gibt deren 21 — vom Bundesrath
die Einführung der mitteleuropäischen Zeit; dieser aber
konnte sich bis heute noch nicht schlüssig machen über
diese Frage. Aber vermuthlich wird auch die Schweiz bis
nächsten Sommer zu dieser Vereinheitlichung kommen, weil
eben jetzt Italien mit gutem Beispiel vorgegangen ist. Ita¬
lien, das 1866 die römische Zeit einführte und damals Zeit¬
verschiebungen bis zu 24 Minuten vornehmen musste, hat
mit dem 1. November d. J. die mitteleuropäische Zeit ein¬
geführt, zunächst im Eisenbahndienst, und musste desshalb
jetzt wieder eine Zeitverschiebung vornehmen; diese beträgt
auf dem Festland 10 Minuten, auf Sicilien, wo noch paler-
mitaner Zeit gilt, nur 6 Minuten. Was von Bedeutung ist
und bei uns wie überall nachgeahmt werden sollte, ist die
Verfügung, dass im italienischen Balmdienst künftig die
Stunden von der einen Mitternacht ab bis zur nächsten von
1 bis 24 durchgezählt werden sollen.
Herr Dr. Migula hielt einen Vortrag über ein neues
System der Bakteriologie.
Herr Hofgärtner Graebener machte Mittheilung von
Blitzspuren an einem Kupfer-Monument.
Gelegentlich eines Besuches der Parkanlagen und der
reichen Pflanzenbestände in Wilhelmshöhe bei Kassel, bestieg
Redner auch den auf dem Bergkamra errichteten weithin sicht¬
baren Herkules oder wie das Volk sagt den „grossen Christoph“;
die 10 Meter hohe Figur ist bekanntlich eine Nachbildung der
Marmorstatue des Farnesischen Herkules, ganz aus Kupfer
getrieben, in der Dicke eines starken Kartons; sie steht auf
einer 31 Meter hohen Pyramide. Man kann in die Keule
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steigen, in der etwa 8 bis 10 Personen Platz haben, und
von wo aus man eine schöne Aussicht über rlen Park, Wil¬
helmshöhe und Kassel hat. Der Führer machte aufmerksam
auf die vielen „Blitzlöcher“ in der Kupferwandung, und in
der That konnte Redner in dem sichtbaren Theil der Keule
gegen 30 solcher Löcher zählen, kreisrund, etwa in Bleistift-
dicke, glatt durchschlagen, nach allen Himmelsrichtungen hin;
bei näherer Untersuchung fand sich, dass die Ränder der
meisten Löcher nach innen gingen, doch auch einige zeigten
Ausstülpungen nach aussen.
Herr Apotheker Baur machte Mittheilung Uber die an
verschiedenen Orten in Deutschland, namentlich im Rhein¬
gebiet, so auch bei Achern, aufgetretenen Solanum hystrix
und Solanum rostratum, welche in den Vereinigten Staaten
wild wachsen und zum Theil dem Koloradokäfer als Futter¬
pflanze dienen, die aber, weil einjährig und bei uns nur aus¬
nahmsweise Samen bringend, kaum eine Gefahr zur . Ein¬
schleppung des für unsere Kartoffel so schädlichen Kolo¬
radokäfers bieten werden.]
445. Sitzung am 10. November 1893.
Anwesend zahlreiche Mitglieder mit ihren Familien. Vorsitzender: Herr
Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr 0. Meyer hielt einen unterhaltenden Vortrag über
die Physiologie der Stimme und der Sprache mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Stimmverlegungskunst, soge¬
nannten Bauchreden, mit verschiedenen Sprachproben.
446. Sitzung am 24. November 1893.
Anwesend 88 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Maschineningenieur R. Näher,
Dr. Fr. Netz, Arzt, Photochemiker R. Jahr, Ingenieur K. de Millas
und U. Maller, Lehrer an der Technischen Hochschule.
Der Vorsitzende las ein Schreiben von Herrn Professor
Rud. Gras ho f vor, worin derselbe seinen Dank für die
Theilnahme ausdrückt, welche der Verein beim Hinscheiden
seines Vaters, Geh. Rath Grashof, bewiesen hat.
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230
Der Vorsitzende bringt ferner ein Schreiben des Komi¬
tees zur Errichtung eines Gauss-Weber-Denkmals in Göt¬
tingen zur Kenntniss der Versammlung, wonach für das
Denkmal bis jetzt rund 25 000 M. eingegangen sind.
Herr Professor Brauer macht Mittheilungen Uber Nord¬
amerika und den Besuch der Chicagoer Ausstel¬
lung.
Aus den Wahrnehmungen seiner Reise, welche das
Studium des amerikanischen Maschinenwesens bezweckte, hob
der Vortragende diejenigen heraus, welche zugleich ein all¬
gemeineres oder ein speciell naturwissenschaftliches Interesse
hatten.
Anknüpfend an einen kürzlich gehaltenen Vortrag des
Herrn Engler wurde zunächst an Hand grosser Photographien
und Zeichnungen die Wasserkraft des Niagara und deren
technische Verwerthung besprochen, welche, in kleinen An¬
lagen schon vor 20 Jahren begonnen, neuerdings bereits
120 000 Pferd zu liefern im Stande ist. Die nutzbare Kraft
der beiden Fälle berechnet sich bei einem sekundlichen
Wasserzufluss von 7000 cbm und einer Fallhöhe von 48 bis
50 Meter auf 3 500 000 Pferd, während unter Hinzurech¬
nung der Stromschnellen sich das Doppelte hiervon ergibt,
etwa ein Drittel der Energie sämmtlicher Dampfmaschinen
der Erde. Bei der Ausnützung dieser Naturgewalt liegt die
Frage nahe, ob nicht das viel genannte Arbeitsvermögen der
Ebbe und Fluth ein ebenso grosses oder grösseres Recht auf
technische Ausnützung besitzt. Diese Frage ist zu verneinen.
Weil der Wechsel zwischen Hoch- und Niedrigwasser täglich
nur zweimal stattfindet, so sind Hoch- und Tiefhaltungen
von so gewaltigen Flächen nöthig — 1 bis 2 Quadratkilo¬
meter für je 100 Pferd — dass auf denselben bei rationeller
Waldwirtschaft soviel Holz gewonnen werden könnte, um
mit Holzfeuer eine gleiche Leistung mit Dampfmaschinen zu
erzielen. Selbst nach Erschöpfung unserer Kohlenvorräthe
dürfte daher die Ausnützung dieses Energievermögens nur
in vereinzelten, durch die Strandbildung besonders geeigneten
Fällen Aussicht auf Verwirklichung haben.
Auf die Ausstellung in Chicago übergehend schilderte
der Vortragende zunächst die aus 52 Dampfkesseln bestehende
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Dampfcentrale, welche sich besonders durch die Petroleum-
beizung von ähnlichen europäischen Anlage unterschied.
Unter den Dampfmaschinen herrscht noch immer die Corliss-
Maschine. Besonderes Interesse erregte die schwedische
Dampfturbine von De Laval, mit ihrem kleinen Schaufel¬
rädchen, welches 20 000 bis 30 000 Umdrehungen in einer
Minute machte. Als ein weiteres Beispiel der gewaltigen
Geschwindigkeiten moderner Maschinen konnte die Sägemühle
von Allis erwähnt werden, in welcher mit einer Bandsäge
Stämme von 4 Meter Länge in 4 Sekunden längs geschnitten
und in der 5ten Sekunde auf den nächsten Schnitt zurück¬
geschoben wurden. Andere Neuheiten auf dem Gebiete der
Holzbearbeitung waren das Walzen verzierter Holzleisten,
Beliefcopirmaschinen für Holzornamente, sowie eine Ketten¬
säge zum Ausbohren von Zapfenlöchern für Holzverbin¬
dungen.
Aus dem Gebiete des Transportwesens wurde Kinsman’s
Block-System für Eisenbahnen erwähnt, bei welchem selbst¬
tätig im Falle der Gefahr der Dampf der Lokomotive ab¬
gestellt und die Luftbremse eingerückt wird, beides auf elek¬
trischem Wege. Haarmanns Gleismuseum gab eine gründliche
Belehrung über die Geschichte des Eisenbahnoberbaues. Bald-
win’s Compoundlokomotiven, Cook’s elektrische Hochbahn,
Bovets magnetische Adhäsion zwischen Kette und Triebrad
bei Kettenschiffen, endlich die unter dem Namen movable
8ide walk bekannt gewordene Kettenbahn wurden kurz er¬
läutert.
Als eine höchst eigenartige Neuerung auf dem Gebiete
des Bergbaues wurde C. Andrews Kohlentransport durch
Röhren mittelst Wasser erwähnt, ein Verfahren, welches
zwar praktische Proben bestanden haben soll, jedoch noch
erhebliche Schwierigkeiten haben dürfte.
Nach weiteren kurzen Hinweisen auf schraubenförmig
genietete Röhren, die Röhren von Mannesmann und Stumm,
sowie die Entwickelung der Niederdruckdampf-Heizung in
Amerika ging der Vortragende über auf die mechanischen
Messinstrumente.
Insbesondere wurden hier besprochen der Tabor-Indi¬
kator für Dampfmaschinen, neuere Waagenkonstruktionen und
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232
Maschinen zur Materialprüfung, Maschinen zum Messen der
Fläche von unregelmässig gestalteten Thierhäuten, der so¬
genannte Telautagraph, welcher die Schriftzüge elektrisch
überträgt, endlich die sinnreichen elektrischen Apparate,
welche von der Regierung der Vereinigten Staaten benutzt
werden, die statistischen Zahlen aus den einzelnen Zählkarten
zu gewinnen.
Ein anfänglich mit mehr oder weniger Spott aufgenom¬
menes Unternehmen, das Riesenrad von Ferris stellte sich
in Wirklichkeit dar als ein achtunggebietendes Werk der
Ingenieurkunst, dessen schwierigste Aufgabe, der Bewegungs-
mechanismus, seine Lösung einem Deutschen, Herrn Diescher
in Pittsburg, ehemaligem Schüler der hiesigen Technischen
Hochschule verdankt. Das Rad hat 80 Meter Durchmesser
und kann gleichzeitig in 36 Waggons je 60 Personen, zu¬
sammen also 2160 Personen, aufnehmen. Eine Rundfahrt
mit diesem Rad bei schönem Sonnenuntergang war ein
grossartiger Naturgenuss.
Den Schluss des Vortrages bildeten Mittheilungen über
die Einrichtung amerikanischer Schulen, welche besonders
in den Lehrmitteln viel Gutes und Eigenartiges aufweisen.
447. Sitzung am 8. Dezember 1893.
Anwesend 28 Mitglieder, Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr 0. Ammon sprach im Anschluss an einen von ihm
am 30. Januar 1891 gehaltenen Vortrag über weitere Be¬
obachtungen einer bei beiden Geschlechtern des Menschen
bisweilen vorkommenden abnormen Bildung, über welche
namentlich durch Professor v. Bardeleben (Jena) und durch
den Vortragenden selbst Material gesammelt wurde. Nach
der gegebenen Erklärung würde diese Abnormität als eine
Folge von „Rückschlag“, namentlich hervorgerufen durch die
Vermischung verschiedener Menschenvarietäten, aufzufassen
sein. Im Anschlüsse hieran wurden neuerliche Beobachtungen
einer anderen eigenthümlichen Gestaltung mitgetheilt, die
nicht als „abnorm“ bezeichnet werden kann, da sie häufig
bei Knaben und Jünglingen im Entwicklungsalter vorüber-
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233
gellend eintritt und nachher wieder vollständig verschwindet.
Diese aus naheliegenden Gründen heutzutage meist über¬
sehene Eigentümlichkeit konnte den scharfen Augen der
Alten nicht entgehen und hat wahrscheinlich den Anlass zu
der künstlerischen Gestaltung des sogenannten Hermaphro¬
diten gegeben, von welchem Statuen in Rom, Florenz und
Paris in den Sammlungen zu sehen sind. Auf diese Weise
würde sich die Entstehung jenes sonderbaren Erzeugnisses
der antiken griechischen Kunst auf eine einfache Weise und
mit Vermeidung der obscönen Deutungsversuche anderer Au¬
toren erklären lassen; auch hier haben die Griechen die
Natur nachgebildet, allerdings mit etwas phantastischen Zu-
thaten. Der Vortrag war durch eine Kundgebung nach der
Natur und durch Vorzeigung von Photographien unterstützt
und erweckte eine lebhafte, im Wesentlichen zustimmende
Diskussion, an welcher sich die Herren Dr. Wilser, Dr.
Schuberg und Dr. Tross betheiligten. Dabei wurde die
Frage der Naturgesetze der Vererbung mehrfach gestreift
und der Wunsch geäussert, dass durch ein Mitglied in einem
besondern Vortrage eine Uebersicht der Litteratur zu dieser
Frage mit Berücksichtigung des Standpunktes von A. Weis¬
mann gegeben werden möchte.
Hierauf sprach Herr Professor Treutleio über die Auf¬
hebung des kirchlichen Verbotes der kopernikani-
schen Lehre. Er gibt den wesentlichen Gehalt dieser
Lehre an, kennzeichnet ihre anfangs langsame Ausbreitung
und skizzirt Anlass und Art ihres Verbotes durch die Kirche
(1G16), sowie die Art der Veröffentlichung des letzteren im
sogenannten Index, dann auch die allmählich milder werdende
Handhabung des Verbotes. Hierauf erzählt der Vortragende,
wie anlässlich der Herausgabe eines Werkes von Professor
Settele, welchem anfangs die Druckerlaubniss verweigert
wurde (1820), die damals gelehrte kopernikanische Lehre als
von der des Kopernikus verschieden dargestellt ward, wie
gewisse Beamte des Papstes päpstlicher waren als dieser in
Bezug auf das Imprimatur, und wie es trotzdem schliesslich
(1822) zur endgiltigen Aufhebung des Verbotes kam, der
dann die Streichung der betreffenden Bücher auf dem Index
folgte (1835). Eine kurze Angabe über- die Quelle der vor-
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getragenen geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Skizze
machte den Beschluss.
Hierzu bemerkt Herr Dr. Ristenpart, dass Professor
Settele, wenn er sich in seiner Eingabe an den Papst 1818
darauf berufen habe, dass man ja von einigen Fixsternen
schon Parallaxen kenne, welche die Umdrehung der Erde
um die Sonne zur Evidenz bewiesen, sich damit im Unrecht
befunden habe. Sehr bald nach Aufstellung des koperni-
kanischen Systems und besonders gegen dessen Verfechter
Galilei wurde geltend gemacht, dass, wenn die Erde um die
Sonne eine Ellipse beschriebe, die Sterne sich am Himmel
scheinbar in kleinen Ellipsen bewegen müssten, welche die
Erdbewegung abspiegelten. Die von den Astronomen darauf
zu dem Zwecke, um diese Bewegung der Fixsterne zu er¬
mitteln, angestellten Beobachtungen hatten zwar in einzelnen
Fällen schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts einen
scheinbaren Erfolg, indem sie für die grossen Axen dieser
kleinen Ellipsen, die Sogenannten Parallaxen, Beträge bis zu
einigen Sekunden ergeben. Doch wurde schon damals bald
nachgewiesen, dass jene Resultate nur Beobachtungsfehlern
verdankt seien. Und im Jahre 1818 war thatsächlich noch
von keinem Fixstern die Parallaxe bekannt. Denn erst 1836
gelang es Bessel, bei 61 Cygni eine Parallaxe von 0",3
nachzuweisen (feinere neuere Beobachtungen geben 0",5) und
mit dieser Kleinheit der Parallaxen erledigt sich der damalige
Einwurf der Gegner des kopernikanischen Systems, da diese,
ebenso wie seine Vertheidiger, die Entfernungen der Fixsterne
viel zu gering annehmen.
448. Sitzung am 5. Januar 1894.
Anwesend 30 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu augemeldete Mitglieder, die Herren: Ingenieur L. Schiff und Dr.
Andr. Voigt, Hilfsbibliothekar an der Technischen Hochschule.
Der Vorsitzende widmet wannen Nachruf dem inzwischen
verstorbenen langjährigen Mitglied Herrn Geh. Hofrath Dr.
Knop und dem in Bonn verstorbenen früheren Mitglied
Herrn Professor Dr. Hertz.
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— 235
Herr Dr. Mie hielt einen Vortrag über die Natur der
Wärme, worin er die früheren und die heutigen An¬
schauungen über dieselbe und die Aequivalenz zwischen
Wärme und Arbeit entwickelt. Es entspann sich darüber
eine Diskussion, an der sich hauptsächlich Herr Hofrath Dr.
Lehmann betheiligte.
449. Sitzung am 19. Januar 1894.
Gemeinsam mit der Badischen Geographischen Gesellschaft, zufolge
einer Einladung der letzteren.
Herr Geh. Rath Professor Launhardt von Hannover hielt
einen Vortrag über den Nordostseekanal.
450. Sitzung am 2. Februar 1894.
Anwesend 43 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Geometer Jos. Bürgin.
Herr Dr. M. Doll macht einige Mittheilungen aus dem
Leben des jüngst verstorbenen Professors Hertz in Bonn
(s. die Abhandlungen).
Herr Professor Dr. Haid sprach über die Bedeutung
der Messungen der Schwerkraft für die Erdmes¬
sung. Aus denselben kann die Erdgestalt im Allgemeinen,
wie die Abplattung des Erdkörpers, bestimmt und ferner die
wellenförmigen kontinentalen Abweichungen der mathema¬
tischen Erdoberfläche, des Geoids, von dem Erdellipsoid ab¬
geleitet werden. Für letztere Bestimmungen sind zur Zeit
die Schwerenmessungen noch nicht in genügender Weise
über die Erdoberfläche ausgedehnt; doch darf man hoffen,
dass in absehbarer Zeit für einige Orte die Erhöhung des
Geoids über das Ellipsoid aus Schweremessungen kann be¬
rechnet werden. Ausserdem geben detail lirte Bestimmungen
der Schwerkraft, wie solche mit dem leicht transportablen
Sterneck’schen Pendelapparat ausgeführt werden können
Aufschluss über die Massenvertheilung in der Erdrinde.
Der Vortragende theilte die vorläufigen Ergebnisse der Mes¬
sungen mit, welche er längs der Strecke Strassburg-Kniebis-
Horb a. N. an 14 Orten im September v. J. vorgenommen
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hat. Darnach erscheinen die über das Meeresniveau sich er¬
hebenden Gebirgsmassen des Kniebis zu einem Drittel durch
unterirdische im Meeresniveau kondensirt gedachte Massen¬
defekte kompensirt, und unter dem Rhein- wie auch unter
dem Neckarthal Massenansammlungen vorhanden zu sein.
Die Ausführung dieser Messungen wurde noch besonders
durch das kaiserliche Reichspostarat gefördert, welches durch
Vermittelung der hiesigen Oberpostdirektion behufs exakter
Bestimmung des Gangs der Pendeluhr genehmigte, dass täg¬
lich am Morgen und Abend eine direkte telegraphische Ver¬
bindung der einzelnen Pendelstationen mit der hiesigen Stern¬
warte unentgeltlich zur Verfügung gestellt werde.
An den Vortrag knüpfte sich eine Diskussion mit den
Herren Ristenpart, Schröder, Platz.
451. Sitzung am 9. Februar 1894.
Gemeinsam mit der Badischen Geographischen Gesellschaft, zufolge
einer Einladung der letzteren.
Herr Dr. jur. Schmidt-ScharfT aus Frankfurt a. M. hielt
einen Vortrag über: Meine Reise in Mexico.
452. Sitzung am 16. Februar 1894.
Anwesend 23 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Postinspektor Spranger und
Professor R. Massinger an der Oberrealschule.
Herr Postrath Christiani sprach über die Wirkungs¬
weise der 1 nduktions-Uebertrager im telephonischen
Fernbetrieb, unter Vorführung erläuternder Experimente
an einer künstlich nachgebildeten Fernsprecliverbindungs-
anlage, wobei das mit Hilfe eines Induktors hervorgerufene
laute Ertönen der Fernsprecher an verschiedenen Stellen der
Stromverbindungen jeweils die Wirkung der Versuchsschal¬
tungen für die Zuhörer erkennbar machte.
Die Fernsprechanschlüsse innerhalb der Stadtnetze be¬
stehen aus Einzelleitungen, die bei einem Vermittlungsamt
zusammenlaufen und hier nach Belieben untereinander oder
mit einer Fernleitung verbunden werden können; die Fern¬
verbindungen sind dagegen in der Regel aus Doppelleitungen
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237
gebildet, um die störenden Nebengeräusche, namentlich das
Mithören der Gespräche aus Nachbarleitungen, zu vermeiden.
In diesem Falle werden die beiden Drähte als Hin- und
Rückleitung geschaltet Will man nun beiderseits die Einzel¬
leitung eines Theilnehmers mit einem solchen metallischen
Schliessungskreise zur Abwickelung eines Ferngesprächs ver¬
einigen, so muss bei den Vermittelungsämtern ein Apparat
eingeschaltet werden, der die Laute aus der einfachen in die
doppelte Leitung, und umgekehrt überträgt. Dieser Apparat,
der sogenannte Induktions-Uebertrager, besteht in der bei
der Reichstelegraphenverwaltung üblichen Form aus zwei
Elektromagnetrollen mit doppelter Bewickelung von isolirtem
Draht, deren Kerne aus weichen Eisendrähten zusammgesetzt
sind und an den Enden durch eiserne Querstücke zusammen¬
gehalten werden. Wird die eine Bewickelung mit der Leitung
des Theilnehmers, die andere mit den beiden Zweigen der
Fernleitungsschleife vereinigt, so erfolgt die Uebertragung
des Gesprächs durch die elektromagnetische Wechselwirkung
beider Induktionsspulen.
Nach einigen theoretischen Betrachtungen über den
Verlauf der elektrischen Stromwellen in Telegraphen- und
Fernsprechleitungen und die Zeitdauer, welche dieselben in
Anspruch nehmen, sowie die daraus und aus der Fort¬
pflanzungsgeschwindigkeit der Elektrizität sich ergebenden
Schlussfolgerungen bezüglich der Wellenlänge der Telephon¬
ströme, wies der Vortragende nach, dass die Induktions-
Uebertrager nicht blos elektromagnetische Wirkungen zeigen,
sondern wegen ihrer gleichzeitigen Bewickelung mit zwei
isolirten Drähten auch die Eigenschaften von Kondensatoren
besitzen, deren elektrostatischer Einfluss je nach der Art,
in welcher die Apparate geschaltet werden, die elektromag¬
netische Induktion bald verstärke, bald schwäche. Durch
diese Erscheinungen werde das elektrische Gleichgewicht in
der Fernleitungsschleife gestört und die Erzielung völliger
Freiheit von Nebengeräuschen erschwert. Auf der andern
Seite habe aber die Kondensatorwirkung der Uebertrager
den Vortheil, dass sie unter Umständen die Verständigung
in der Sprechleitung noch aufrecht erhält, wenn diese stellen¬
weise unterbrochen ist, weil die durch elektrostatische Ver-
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theilung hervorgerufenen Stromwellen einer geschlossenen
Strombahn nicht bedürfen.
Man kann sogar die elektrostatische Wirkung der In-
duktions-Uebertrager dazu benutzen, um auf derselben Fern¬
verbindung die gleichzeitige Führung von zwei Gesprächen
zu ermöglichen, von denen das eine auf elektromagnetischem,
das andere auf elektrostatischem Wege zu Stande kommt.
Der Vortragende liess es aber dahin gestellt, ob eine solche
Schaltung zum Doppelsprechen praktische Bedeutung erlangen
könne, da inan genöthigt sei, das eine Gespräch mit gleich¬
gerichteten Strömen in beiden Drähten zu führen, wodurch
eine störende Uebertragung auf die Nachbarleitungen hervor¬
gerufen werde. Ausserdem mache die Natur des Fernsprech¬
betriebes cs erforderlich, dass alle Doppelleitungen in der
gleichen Weise eingerichtet seien, damit man sie ohne
Weiteres untereinander verbinden könne; die Verallgemeine¬
rung der fraglichen Doppelsprechschaltung sei aber nicht
durchführbar.
Bei der gewöhnlichen Betriebsweise wirkt nach der An¬
sicht des Redners die elektrostatische Vertheilung im Ueber-
tragungsapparat nur auf den einen Zweig der Fernleitungs¬
schleife ein, und zwar im Sinne einer Verstärkung des auf
elektromagnetischem Wege erzeugten Sprechstromes; völliges
Gleichgewicht werde sich voraussichtlich durch eine verän¬
derte Wickelungsweise der Elektromagnetrollen erzielen lassen,
in welcher Richtung er seine Untersuchung fortzusetzen be¬
absichtige.
Herr Dr. Schultheiss berichtete sodann über die im
Sommer 1891 von der Regierung der Vereinigten Staaten
von Nordamerika nach den regenarmen Gebieten von Texas
ausgeschickte Expedition, welche dort Versuche anstellen
sollte, ob durch künstliche Erschütterungen der Luft Regen
erzeugt werden könnte. Für diese Versuche waren vom
Senate auf Betreiben eines Senators 9000 Dollars (etwa
39,000 M.) ausgesetzt, durch Sammlungen in Texas waren
später noch weitere 10 000 Dollars aufgebracht worden; die
Gesammtkosten beliefen sich somit auf etwa 80 000 M*
Charakteristisch ist, dass die Fachmänner des rühmlichst be¬
kannten Vereinigte Staaten-Wetter-Bureaus nicht über die
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Angelegenheit befragt wurden. Die Luft sollte durch Explosion
yon Ballons mit etwa 3 Meter Durchmesser, welche mit
Knallgas gefüllt waren, ferner durch Abbrennen grösserer
Mengen von Sprengmitteln, insbesondere von Dynamit und
dann durch GeschUtzfeuer erschüttert werden. Nach lang¬
wierigen Vorversuchen machte die Expedition*, deren Gepäck
unter Anderem aus 14 000 Pfd. Eisenfeilspähnen, 16 000 Pfd.
Schwefelsäure, 2 000 Pdf. chlorsaurem Kali, 500 Pfd. Braun¬
stein zu Erzeugung von Knallgas, ferner aus 8 Dynamo¬
maschinen bestand, in Texas drei grössere Versuche an drei
verschiedenen Orten. Der stärkste Angriff, welcher auf den
Himmel unternommen wurde, war jener in den Tagen vom
16. bis 18. Oktober in San Diego bewerkstelligte. Alle zwei
Minuten wurden 50 Chargen zu je 2 Pfd. Dynamit abgegeben
und beständig wurde heftiges Geschützfeuer unterhalten,
wozu 500 Pfd. verwendet wurden; ausserdem wurden ins-
gesammt 10 Ballons zur Explosion gebracht. Trotz dieser
ungeheuren Anstrengung wurde kein Erfolg erzielt. Der
Expedition widerfuhr das Missgeschick, dass sich vor dem
ersten grösseren Versuch ein stärkerer Regen einstellte, dass
es aber darnach nicht mehr regnete. Der zweite Versuch
verlief ohne jedes Ergebniss, und nur der dritte dreitägige
erzielte scheinbar einen vollen Erfolg, indem darnach starkes
Regenwetter eintrat. Allein bei näherer Untersuchung ergibt
sich, dass dasselbe durch eine das Mississippithal herab¬
ziehende barometrische Depression, welche schon während
der Versuche Regenfälle im Osten der Union verursacht
hatte, bedingt war. Der Redner verbreitete sich dann dar¬
über, dass nach dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse
von den Vorgängen in der Lufthülle es als unmöglich be¬
trachtet werden muss, den Wasserdampf der Luft durch
Erschütterungen zur Kondensation zu bringen; letztere tritt
in ausgiebigerem Masse nur ein, wenn die Luft gezwungen
ist, in die Höhe zu steigen. Es ist nun wohl möglich, durch
starke Erwärmung am Boden — etwa durch Abbrennen
grösserer Flächen trockenen Grases — lokale aufsteigende
Luftströme und dadurch auch schwache, räumlich enge be¬
grenzte Regenfälle zu erzeugen, allein es fehlt völlig an
Mitteln, die Luft über grösseren Gebieten zum Aufsteigen zu
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240
bringen, wie dies in den Depressionen der Fall ist und da¬
durch ausgiebigeren, weit verbreiteten Regen zu erzeugen.
An den Vortrag schloss sich eine rege Diskussion an.
453. Sitzung am 21. Februar 1894.
Gemeinsam mit der Deutsclien Kolonialgesellschaft und der Badischen
Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums.
Herr Rittmeister v. Stetten hielt einen Vortrag über:
Meine Expedition von Kamerun nach Yola im Jahre
1893. Der Redner hat im November 1891 die Straf-Expe-
dition v. Gravenreuth’s gegen Buea freiwillig als erster Offi¬
zier mitgemacht, wobei er verwundet wurde und Gravenreuth
selbst fiel, Übernahm dann nach kurzem Aufenthalte in Deutsch¬
land die Leitung der Polizeitruppe in Kamerun, führte im
Oktober 1892 eine Expedition nach dem Balilande und trat
im Februar 1893 die grosse Kamerun-Hinterland-Expedition
nach Yola in Adamaya an, woselbst er mit dem Emir einen
Vertrag abschloss, der Deutschland das in seiner Interessen¬
sphäre gelegenen Adamaya sicherte. Durch Ordensauszeich¬
nungen und Charakterisirung als Rittmeister wurden seine
Leistungen allerhöchsten Ortes anerkannt.
Für den gleichen Abend hatte die Geographische
Gesellschaft Karlsruhe eine Einladung an den Verein ge¬
richtet zur Theilnahme an dem dritten Projektionsabend im
Saal der Vier Jahreszeiten, wo eine Reihe schöner Moment¬
aufnahmen, Stimmungsbilder von der See etc. zur Vorführung
kamen und ausserdem interessante photographische Leistungen
von Vereinsmitgliedern ausgestellt waren.
454. Sitzung am 9. März 1894.
Anwesend 32 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Dr. Wilser sprach über Vererbungstheorien.
Während das Wort „Vererbung“ heutzutage auf Aller Lippen
ist, herrschen über das Wesen derselben noch recht unklare
Vorstellungen, was nicht zu verwundern, da die Fachgelehrten
selbst in dieser Frage sich schroff gegenüberstehen und ihre
Ansichten unter der Losung Nulla est epigenesis und Nulla
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est praeformatio bekämpfen. Die Wichtigkeit braucht nicht
hervorgehoben zu werden; die Frage beschäftigt den Zoologen
und Botaniker, den Anthropologen, den Psychologen und
Philosophen, den Kriminalisten und Sozialpolitiker, ganz be¬
sonders aber die Männer der Praxis, Aerzte, Thierzüchter
und Gärtner. Nachdem schon Hippokrates und Aristo¬
teles der Sache ihre Aufmerksamkeit zugewendet hatten,
brachte das ganze Mittelalter, in dem ja das Studium der
Natur verpönt war, keine weitere Aufklärung, obgleich im
Volksbewusstsein die Macht der Vererbung immer lebendig
war. Erst in neuerer Zeit, im 17. Jahrhundert, legten die
bahnbrechenden Entdeckungen von Harvey, Swammer-
dam, Malpighi, Leeuwenhoek den Grund zu weiterem
Fortschritt. Trotzdem herrschte in der ersten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts noch allgemein die Ansicht vom voll¬
ständig vorgebildeten Keim (praeformatio), der bei der Ent¬
wickelung sich nur „auswachse“. Nur darüber wurde mit
Erbitterung gestritten, ob diese Keime von väterlicher (Ani-
malkulisten) oder mütterlicher (Ovulisten) Seite stammten.
Es war ein Deutscher, Kaspar Friedrich Wolff, der im
Jahre 1759 durch seine Theoria generationis die wissen¬
schaftliche Entwickelungslehre begründete. Seine der Zeit
vorauseilenden Anschauungen wurden jedoch von dem damals
in der Gelehrtenwelt allmächtigen Albrecht von Haller
mit den Worten: Nulla est epigenesis niedergedonnert. Erst
nach Wolff’s Tode fand seine Lehre Anerkennung, und
neues Leben kam in unsere Wissenschaft durch die For¬
schungen von Pander und Karl v. Bär. Ungeahnte Be¬
deutung musste die Vererbungsfrage gewinnen, als, auf den
Schultern von Lamarck und Malthus stehend, gerade
100 Jahre nach Wolffs Schrift Darwin die staunende
Welt mit seiner Lehre von der natürlichen Entwickelung
aller Lebewesen überraschte. Er selbst stellte auch eine
Vererbungstheorie, Pangenesis, auf, die im Grundgedanken
richtig war, in den Einzelheiten jedoch nicht befriedigen
konnte. Näher kam der Sache sein Landsmann, der Natur¬
philosoph Herbert Spencer, der sich den organischen Stoff
aus kleinen „Einheiten“ zusammengesetzt dachte, denen
„Polarität“ Wachsthums- u. Entwickelungsgesetze vorschriebe.
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Hering lehrte das „Gedächtniss der Materie“, Hackel die
auf Wellenbewegung kleinster Theile beruhende „Perigenesis
der Plastidule“; Keiner aber hatte bis dahin an der Ver¬
erbungsfähigkeit „erworbener Eigenschaften“ gezweifelt. Dies
blieb Weismann Vorbehalten, der im letzten Jahrzehnt die
Theorie von der „Kontinuität des Keimplasmas“ aufstellte
und folgerichtig bis zu seiner im letzten Jahre erschienenen
Schrift von der „Allmacht der Naturzüchtung“ ausgestaltete.
Er nennt die Naturzüchtung allmächtig, weil ihm zur Er¬
klärung der fortschreitenden Entwickelung, an der er doch
festhält, kein anderes Mittel bleibt. Da jedoch die Natur¬
züchtung nur Nützliches hervorbringen kann, in der Natur
jedoch zahlreiche gleichgiltige, überflüssige oder gar schäd¬
liche Eigenschaften und Körpertheile Vorkommen, so bekommt
schon dadurch die Allmacht ein Loch; ausserdem muss Weis¬
mann zur Erklärung des langsamen Schwindens entbehrlich
gewordener Theile, sogenannte „rudimentärer Organe“, zur
Hilfshypothese der „Panmixie“, d. h. der aufgehobenen Zucht*
wähl, seine Zuflucht nehmen. Durch eine einfache Rechnung
kann aber gezeigt werden, dass „Panmixie“ zwar die Gegen¬
sätze ausgleichen, nicht aber einen Schwund herbeiführen
kann. Da die geringfügigsten Kleinigkeiten, wie Wärzchen,
Hautfalten u. dergl. — was an Beispielen erörtert wird —
sich vererben, so müsste der durch Weis mann’s Phantasie
im Kern der Kleinzelle errichtete Bau von „Iden, Determi¬
nanten und Biophoren“ so bis in’s Einzelste dem aus¬
gewachsenen Körper entsprechen, dass der Vorwurf, seine
Lehre enthalte unter einem anscheinend wissenschaftlicheren
Mäntelchen die alte von Wolff abgethane „Praeformatio“,
nicht ungerechtfertigt ist. Es hat daher nicht an Gegnern ge¬
fehlt: in Deutschland traten Eimer, Hackel, in England
Spencer, Beddoe, in Amerika Ward, in Frankreich To-
pinard für die Vererbung „erworbener Eigenschaften“ ein.
Ganz kürzlich aber ist in Deutschland von Haacke eine
neue Vererbungstheorie aufgestellt worden, die ebenfalls in
diesem Sinne die einzelnen Erscheinungen der Vererbung
erklärt. Träger der Vererbung ist nach Haacke nicht nur
der Kern, sondern auch das Plasma der Keimzelle mit seinem
Mittelpunkt, dem Centrosoma. Durch das Plasma werden
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-Gestalt und Zeichnung, durch den Kern Chemismus und
Färbung übertragen. Das Plasma ist nicht formlos, sondern
aus kleinen Bausteinen von regelmässiger, rhombischer Form,
den sogenannten „Gemmarien“, zusammengesetzt. Körper-
und Keimzellen befinden sich im Gleichgewichtszustand und
bilden ein System, das sich im Ganzen verändert, wenn in
irgend einem Theile eine Verschiebung eintritt. Die ganze
Vererbung beruht auf dem Grundgesetz des Beharrungs¬
vermögens. Die Theorie hat sehr viel Ansprechendes und
erklärt' gut alle Erscheinungen des Lebens. Anpassungen
und Entartungen vererben sich als solche; die Auslese ist
mächtig, wirkt aber in etwas anderer Weise als man sich
bisher vorgestellt hatte. Im Kampf um’s Dasein der Einzel¬
wesen gibt das Wirksamste den Ausschlag, nämlich die
Lebenskraft, neben der die ganz geringfügigen Unterschiede
der „Ausstattung“ gar nicht in Betracht kommen. In einem
beschränkten Gebiete können sich wegen der unbehinderten
allgemeinen Kreuzung nicht zwei neue Bassen bilden; die
„Amphimixis“ wirkt also gerade in entgegengesetztem Sinne,
als Weismann angenommen. Erst wenn das Gebiet so gross
ist, dass eine allgemeine „Amphimixis“ nicht mehr möglich,
zeigen sich Rassenunterschiede, und nun kommt die Aus¬
stattung zur Geltung, da die besser angepasste Rasse auf
Kosten der andern sich ausdehnt. Es zeigt sich, dass der
vielfach verkannte Moritz Wagner in der Hauptsache recht
hatte. Es werden, was bisher nicht möglich war, vier Arten
des „Rückschlags“ unterschieden und genau aus natürlichen
Ursachen erklärt. Die Männer der praktischen Anwendung
der Wissenschaft, Aerzte und Züchter, finden bei Haacke
reiche Belehrung, Erklärung der Erfahrungsthatsachen und
werthvolle Winke, während ihnen Weismann nichts zu
bieten vermochte. Die allerfeinsten Vorgänge bei der Ver¬
erbung, die sich unseren Sinnen entziehen, werden wohl
immer „Theorie“ bleiben müssen. Jedenfalls aber verdient
eine solche Theorie den Vorzug, die uns das Verständniss
der Natur erleichtert. Es wäre ja gut für die Menschheit,
wenn sich erworbene Krankheitsanlagen nicht vererben könn¬
ten und wenn zufällig auftretende ungünstige Abänderungen
sofort durch die natürliche Auslese wieder ausgemerzt würden.
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Die tägliche Erfahrung lehrt uns aber, dass dies nicht der
Fall ist und dass durch die Vererbung nicht nur Vervoll¬
kommnung, sondern auch Entartung übertragen wird, was
wir mit in den Kauf nehmen müssen und wonach wir uns
zu richten haben. — ln der dem Vortrage folgenden Be¬
sprechung vertheidigte Herr 0. Ammon die Weismann’sche
Theorie aufs wärmste. Ein Schlusswort des Vortragenden
erwartete, nach der jetzigen Sachlage, von der nächsten Zu¬
kunft eine endgiltige Entscheidung der hochwichtigen Frage
zum grossen Vortheil für die Biologie, die Wissenschaft vom
Leben, der noch grosse Aufgaben gestellt sind. Hoffentlich
fehlt es dann nicht an Männern, die die Natur wieder mehr
unter freiem Himmel, in Wald und Feld, aut Bergeshöhen
und Meereswogen beobachten und nicht nur kleine und kleinste
Theile, sondern auch wieder ganze Thiere und Pflanzen
kennen.
455. Sitzung am 12. März 1894.
Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellscbaft und der Badischen
Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums.
Herr Kapitain Spring, kaiserl. Lieutnant zur See der
Reserve aus Bruchsal hielt einen Vortrag über die Natio¬
nen am Viktoriasee und die Lebensweise und Krieg¬
führung der an diesem wohnenden Volksstämme.
Der Redner wurde im Jahr 1891 vom Antisklaverei-
Komitee in Dienst genommen, marschirte im Jahr 1892 als
Führer einer Gouvernements-Karawane von Bagamoyo ab,
wurde in Tabora in die Kämpfe mit Sikki verwickelt und
dabei durch einen Speerstich verwundet. Am Viktoriasee
war er mit der Untersuchung und Aufnahme des südöstlichen
Theiles des Sees beauftragt, hier hat er astronomische Orts¬
bestimmungen und Aufnahmen gemacht, namentlich von der
Insel Ukerewe und der benachbarten Küste. Nach Ablauf
seines Kontraktes im Jahr 1893 kehrte er zurück.
456. Sitzung am 27. April 1894.
Anwesend 29 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Hofrath Dr. Bunte macht Mitteilungen über seine
mehrmonatliche Studienreise durch Amerika und speziell
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über die chemische Industrie der Vereinigten Staa¬
ten. Dem Charakter des Landes entsprechend sind be¬
sonders diejenigen Zweige der chemischen Technik entwickelt,
welche sich unmittelbar an Landwirthschaft und Bergbau
anschliessen. Ausgehend von Chicago, das dem Besucher
der Weltausstellung den ungeheueren Reichthum Amerikas
an Bodenprodukten augenfällig zeigte, schildert Redner zu¬
nächst die mit den Riesen-Schlächtereien dieser Stadt in
Verbindung stehenden Fabriken für Fleischkonserven, Ver¬
arbeitung der Fette zu Margarine, Seife etc. und die Ver-
werthung der Abfallprodukte. Von den etwa 100 Meilen
weit entfernten Erdölfeldern erhält Chicago direkt in Rohr¬
leitungen Naturgas, das für gewerbliche und häusliche Zwecke
vielfach benutzt wird und Erdöl, das in der nahegelegenen
grossen Raffinerie namentlich für den Westen gereinigt wird.
Sodann schildert er die am Ufer des Michigansees gelege¬
nen grossen Eisenwerke der Illinois Steet Works, welche
die mächtigen Erz-Lager am Oberen See ausbeuten. Auf
der Reise nach dem Westen durchschneidet die Bahn reiche
Getreideländer, die Mühlenindustrie hat in den Schwester¬
städten St. Paul und Mineapolis ihren Hauptsitz. Die
Naturwunder des Yellowstone National Parkas, die heissen
Quellen, Gaysir und Cannions, zu deren Besichtigung eine
sechstägige Rundfahrt erforderlich ist, wurden flüchtig ge¬
schildert und sodann der Edelmetallschätze Montena’s an
Gold, Silber und Kupfer, welche in den Bergstädten Butte
und Helena ausgebeutet werden, gedacht. Im Westen, wie
im Osten ist die Holz- und Papierindustrie angesiedelt,
welche wegen des kolossalen Papierverbrauches der Ameri¬
kanischen Zeitungen in grosser Blüthe steht; die Wasser¬
kräfte des Niagara ebenso wie die des Kolumbia River wird
grossentheils zur Herstellung von Holzstoff für Papier ver¬
wendet. In Kalifornien ist einerseits die Gold- und Queck¬
silbergewinnung charakteristisch, welche der Redner kurz schil¬
dert, andererseits die herrlichen Früchte, Birnen und Pfirsiche,
welche zu Konserven verarbeitet werden; auch finden sich Spiri¬
tusbrennereien und die Anfänge einer Rübenzuckerindustrie.
Der Lick - Sternwarte auf dem Monnt Hamilton wurde ein
Besuch abgestattet und Photographien des grossen Refraktors
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vorgelegt. Bei der Schilderung der Rückreise von St. Fran-
zisko nach dem Felsengebirge wurde der aufblühenden Mor¬
monenstadt Saltlake-City gedacht, in deren Nähe die Salz¬
gewinnung betrieben wird und wo sich die Anfänge einer
chemischen Industrie zeigen. Im Herzen des Felsengebirges,
in Kolorado, ist besonders der Bergbau sowie die Silber¬
und Bleigewinnung entwickelt, welche ihre Hauptsitze in
Aspen und Leadville sowie in Denver hat; an Hand von
Photographien schildert Redner die dortigen Hüttenwerke
und sozialen Zustände. Von den im Osten vertretenen In¬
dustrien bespricht Redner besonders die Gewinnung und Ver¬
arbeitung des Erdöls, die in der Umgebung von Pittsburg
ihren Hauptsitz hat, sowie die ebenfalls dort grossartig ent¬
wickelte Eisen-, Glas- und Thonwaarenindustrie. Nach einer
kurzen Schilderung der grossartigen Phosphorit- und Dünger-
Industrie in Florida, sowie der im Osten betriebenen Schwefel¬
säure- und Sodafabrikation, macht der Vortragende auf das
Vorkommen von Mineralien der seltenen Erden, welche in
der Gasglühlichtbeleuchung Verwendung finden, aufmerksam
und schildert die hauptsächlich in Philadelphia sesshafte In¬
dustrie der feineren chemischen Präparate. Mit einer kurzen
Beschreibung der in Baltimore, Philadelphia und New-York-
Broklyn befindlichen grossen Zuckerraffinerien, in denen neben
Colonialzucker hauptsächlich deutscher Rübenzucker verarbei¬
tet wird, schliesst Redner seinen Ueberblick über die chemische
und metallurgische Industrie der Vereinigten Staaten.
457. Sitzung am II. Mai 1894.
Gemeinsam mit dem Karlsruher Bezirksverein Deutscher Ingenieure und
dem badischen Architekten- und Ingenieur-Verein.
Herr Professor Wellmer aus Brünn hielt einen Vortrag
über den dynamischen Flug und die Segelrad-Flug¬
maschine, mit Experimenten.
Das Ziel, frei in der Luft zu schweben und sich in ihr
fortzubewegen, lässt sich auf zweierlei Weise erreichen: auf
statischem Wege durch die bekannten Luftballons und auf
dynamischem Wege durch die sogenannten Flugmaschinen,
welche, ausgerüstet mit einer inneren motorischen Kraft,
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vermöge der Wirkung bewegter Flügelflächen die Befähigung
erhalten sollen, sich vom Erdboden aufzuschwingen und ihre
Last im leichten Luftmedium fliegend zu tragen.
In Bezug auf das Emporsteigen in die freie Luft und
auf die Lenkbarkeit des Fluges besteht zwischen den an¬
geführten zwei Methoden von Luftfahrzeugen ein greller
Gegensatz. Während der Luftballon, wenn er nur eine ent¬
sprechend leichte Gasfüllung und Bauart besitzt und gross
genug ist, vollkommen sicher aufsteigt und schwebt und auch
grosse Lasten zu heben vermag, dagegen wegen seines Riesen¬
körpers jeglicher Lenkbarkeit entbehrt, weil er, einer ein¬
gekapselten Wolke vergleichbar, ein willenloser Spielball der
Windströmungen im Luftozean schwimmt, liegt bei dem Baue
der Flugmaschinen der Uebelstand vornehmlich in der
Schwierigkeit, einen sicheren Aufstieg in die freie Luft ein¬
zuleiten; wenn diese jedoch einmal überwunden sein würde,
dann wäre die Steuerung und Lenkung des Luftfahrzeuges
nach irgend einer beliebigen Richtung und der Vorwärtsflug
mit irgend einer gewünschten Fluggeschwindigkeit, wie sich
das aus zahlreichen und zuverlässigen, sowohl theoretischen
als praktischen Erfahrungen ergibt, verhältnissmässig leicht
zu bewerkstelligen. Dieser Gegensatz beider Flugsysteme,
welcher im wesentlichen darin besteht, dass jedem von ihnen
gerade die Bedingung mangelt, welche dem andern zu gute
kommt, führt naturgemäss zu dem naheliegenden Gedanken,
eine Kombination zu suchen, welche die gute Steigkraft des
Ballons mit der guten Lenkbarkeit der Flugmaschinen ver¬
einigt. Bei diesem Beginnen wird jedoch leider die Voll¬
kommenheit der günstigen Eigenschaften beider Flugmethoden
gegenseitig abgeschwächt, indem auch die ungünstigen Eigen¬
schaften in der Verbindung zusammentreten, und so kommt
es, dass die zahlreichen Konstruktionen von Ballons mit
Flugmaschinen wenig Erfolg aufweisen. Erwähnenswerth sind
in dieser Richtung die Spitzballons mit Motor von Giffard
in Paris 1852, Dupuy de L6me in Vincennes 1872, Hänlein
in Brünn 1872, Rena'rd und Krebs in Meudon. Alle Aus¬
führungen dieser Art besitzen an Stelle der sonst üblichen
Kugelform eine zigarrenförmige, zugespitzte Bauart des Ballon¬
körpers, damit derselbe beim Fluge die der Fortbewegung
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Widerstand entgegensetzende Luft leichter durchschneide,
sowie ferner eine im Gondelgerüste gelagerte Kraftmaschine,
welche mittels umlaufender Luftschrauben oder eines andern
die Luft nach rückwärts schiebenden Treibapparates die Flug¬
bahn in vergeschriebener Richtung erzwingen soll; aber die
Leistungen dieser mit Motorbetrieb ausgestatteten Ballons
erweisen sich schon gegen massige Luftströmungen unzu¬
länglich.
Das Missverhältniss zwischen dem durch den unver¬
meidlichen Riesenkörper des Ballons verursachten Luftwider¬
stand und der zu dessen Ueberwindung erforderlichen moto¬
rischen Kraft wird sich voraussichtlich niemals ausgleichen
lassen, und aus diesem Grunde kann man die Möglichkeit
einer gedeihlichen Lösung des aeronautischen Problems in
der Zukunft einzig nur in der Verwendung von dynamischen
Flugmaschinen erblicken.
Auf Grundlage eingehender Untersuchungen über die
Flugmethoden und den Flugmeclianismus der Vögel und In¬
sekten, sowie unter Hinweis auf die sorgfältigen theoretischen
Arbeiten und praktischen Proben, Erfahrungen und Ver¬
suchsergebnisse, welche von hervorragenden Männern auf
dem Gebiete der Flugtechnik, wie Kargei, Miller, v. Hauen¬
fels, Gerlach, Lippert, v. Parseval, Lilienthal, Steiger, v. Lössl,
Wellner, Hörnes, Platte, Graffigny, Langley u. a. geliefert
wurden, kann als gültig und kaum noch anfechtbar der
Schluss gezogen werden, dass es für die Zwecke der Flug¬
maschinen am günstigsten sei, sanft nach oben gewölbte,
beiderseits spitz auslaufende Tragflächen zu benützen und
dieselben unter kleinen Elevationswinkeln gegen die Luft zu
führen.
Die Möglichkeit, mittels bewegter Flügelflächen einen
schweren Körper in der Luft schwebend zu erhalten, oder,
kurz gesagt, die Tragfähigkeit der Flügelflächen beruht immer
auf dem Umstande, dass Luft in grösserer Masse unter den
Flächen zusammengeschoben und dadurch ein verdichtetes
Luftpolster unterhalb derselben gebildet wird, dessen Wirkung
sich in einer nach oben, also in tragendem Sinne, drückenden
Kraft äussert. Je grösser die Flügel sind und je rascher sie
in geneigter Lage bewegt werden, desto mehr und desto dich-
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tere Luft wird sich in der Regel, wenn nicht Wind oder
andere störende Einflüsse zur Geltung kommen, unter den¬
selben ansammeln, desto grösser wird die erzeugte Hebe¬
kraft sein. Der hervorgerufene dynamische Luftdruck wächst
im quadratischen Verhältnisse mit der Bewegungsgeschwin¬
digkeit der Flächen, und aus diesem Grunde können auch
kleine Flügel eine ganz bedeutende Tragfähigkeit entwickeln,
wenn sie kräftig und schnell in Bewegung gesetzt werden.
Um den Vorwärtsflug eines Luftfahrzeuges in horizontaler
Richtung zu ermöglichen, ist es ausserdem nothwendig, dass
eine vortreibende Kraft geschaffen werde, und dies kann
wieder nur durch einen Abstoss oder Rückdruck geschehen,
welcher dadurch verursacht wird, dass Luft nach rückwärts
geschleudert wird. Hiernach kann man bei einer vollstän¬
digen Flugmaschine jedesmal eine hebende und eine vorwärts¬
treibende Wirkung unterscheiden, ohne dass desshalb unter
allen Umständen für beide Zwecke gesonderte Flächen vor¬
handen sein müssten, denn es lassen sich die Flügel, ihre
Form, Lage und Führung zumeist ohne Schwierigkeit in
solcher Weise wählen und anordnen, dass dieselben gleich¬
zeitig sowohl Auftrieb als Vortrieb zu schaffen im Stande
sind. Wegen der grossen Mannigfaltigkeit der mechanischen
Hilfsmittel und bei dem lebhaften Bestreben, lenkbare Luft¬
schiffe zu erfinden, ist es begreiflich, dass sich im Laufe der
Zeit vielerlei Gattungen von Flugmaschinensystemen heraus¬
gebildet haben, doch sind darunter vorzugsweise nur zwei
Gruppen hervorzuheben, welche sich bei den Flugtechnikern
besonderer Beliebtheit erfreuen, nämlich die Schraubenflieger
und die Drachenflieger.
Die ersteren besitzen auf lotrechten Achsen wagrecht
im Kreise umlaufende Propeller (Luftschrauben, Flügelräder)
mit windschief gestellten Ruderflächen in der Form, wie sie
an den Windmühlen wahrzunehmen sind. Die rotirenden
Schlagflächen fassen die Luft und erzeugen, dieselbe nach
unten schiebend, eine Hebekraft nach oben. Der sich dabei
in der Luft abspielende Vorgang ist ganz ähnlich demjenigen,
welcher bei der Schiffsschraube im Wasser vor sich geht.
Das Kinderspielzeug: die „Goldfliegen“, vierflügelige Schrauben
aus gebogenem Draht mit Leinwand- oder Papierüberzug,
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welche, durch eine einfache Spule mit einer Schnur in raschen
Umlauf gesetzt, in die Luft emporfliegen und oft eine ganz be¬
deutende Steigekraft zeigen, stellt unmittelbar das'einfachste
Bild eines Schraubenfliegers vor Augen.
Wenn man jedoch dieses Projekt unter Berücksichtigung
aller Erfahrungen auf seine praktische Brauchbarkeit in ein¬
gehender Weise prüft, so zeigt sich, dass die motorische
Leistungsfähigkeit aller bis jetzt bekannten Kraftmaschinen
(mit Dampf-, Gas- oder elektrischem Betrieb) viel zu klein
ist, um jene Hebekraft zu schaffen, welche das Eigengewicht
der Maschine sammt Zubehör erfordern. Die rotirende Luft¬
schraube arbeitet nämlich mit grossen Effektverlusten und
erscheint hierdurch für die Schaffung der Hebekraft wenig
geeignet.
Die zweite Gattung von Flugmaschinen, die Drachen¬
flieger, fusst in letzter Linie auf dem Vorbilde des als Spiel¬
zeug bekannten Drachen, welcher im Winde steigt und sich
in der Höhe schwebend erhält. Die gegen die schräge Trag¬
fläche des Drachen herankommende Luft verdichtet sich unter
derselben und drückt dagegen in hebendem Sinne. Je
schärfer der Wind weht, desto kräftigersteigen die Drachen;
je rascher die Drachenflieger vorwärts bewegt werden, desto
grösser wird die Tragfähigkeit ihrer Flächen. Die Ge¬
schwindigkeit des Fluges kommt also den Drachenfliegern in
günstiger Weise zu statten. Sie hat leider einen wesent¬
lichen Uebelstand im Gefolge, welcher der praktischen Be¬
nützung dieses Flugsystems hindernd entgegensteht, nämlich
die Schwierigkeit des Anflugs. Ein langsamer Aufstieg in
die Luft aus der anfänglichen Ruhelage ist unmöglich, denn
der rasche Flug bildet eine Vorbedingung für das Trag¬
vermögen der Drachenflächen, und für je schnellere Fahrt
der Drachenflieger bestimmt ist, um so kleinere Tragflächen
muss er haben, um so mehr aber wachsen auch die Schwie¬
rigkeiten und Gefahren beim Beginn der Fahrt. Alle Vor¬
kehrungen, welche in dieser Richtung Abhilfe schaffen sollten,
erscheinen unzulänglich. In hohem Grade bedeutsam, lehr¬
reich und anerkennenswerth sind die Bemühungen von Otto
Lilienthal in Berlin, den persönlichen Kunstflug zu pflegen.
Demselben ist es bereits gelungen, mit Hilfe zweier Flügel
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von zusammen 14 qm Flächenausmass in sanftem Gleitfluge
gegen Wind eine Strecke von über 200 m von einer Anhöhe
herab schwebend zurückzulegen.
In neuester Zeit ist es dem Reduer gelungen, einen
Typus von Flugfahrzeugen herzustellen, welcher, wenn auch
auf einer neuen Grundlage aufgebaut, doch gewissennassen
als ein Bindeglied zwischen den Schraubenfliegern und den
Drachenfliegern aufzufassen ist und die vortheilhaften Eigen¬
schaften beider Systeme, bei Vermeidung ihrer Schatten¬
seiten, in verheissungsvoller Weise zu vereinigen scheint.
Das Segelrad, dieses neuartige, vom Redner vorgesehla-
gene Getriebe, auf welchem sein Flugmaschinensystem be¬
gründet ist, besitzt eine wagerecht liegende Achse mit Speichen
und daran trommelartig im Kreise gestellte Tragflächen,
welche durch eine eigenthümliche Excentersteuerung während
des Umlaufs kleine Verdrehungen erfahren.
Die Vorderkanten der Flügelflächen werden jedesmal,
wenn sie in die obere und wenn sie in die untere Lage
kommen, ein wenig in die Höhe geschoben, so dass dieselben
wie Drachenilächen oder schräggestellte Segel wirkend, Luft
unter sich zusammenschieben und Hebekraft liefern, während
ihre schraubenförmig gebauten Versteifungsrippen gleichzeitig
eine vorwärtstreibende Kraft erzeugen. Auf diese Art ist
das Segelrad im Stande, bei geringstem Stirnwiclerstand in
der Flugrichtung sowohl den Auftrieb als den Vortrieb zu
besorgen.
Der geradlinige schnelle Vorwärtsflug, welchen die
Drachenflieger zur Schaffung von Hebekraft benötliigen, ist
hier in die einfache, und technisch bequeme Kreisrichtung
übergeführt.
Solche Segelrädcr sind nun an der Flugmaschine mehrere
hintereinander und zumeist auch, paarweise in zwei Gruppen
mit gegenläufiger Bewegung, nebeneinander gestellt. Das
cigarrenförmige Schiff mit den Räumen zur Aufnahme des
Motors und der Personen, als der schwerste Theil des Fahr¬
zeugs, ruht wagerecht unterhalb der Segelräder in der Mitte,
so dass das Gesammtbild einem Riesenvogel ähnlich wird,
welcher an Stelle der gewöhnlichen Flügel ein Paar rotiren-
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der Flügelräder mit fortdauernd nacheinander im tragenden
und vorwärtsschiebenden Sinne wirkenden Tragflächen besitzt
Der Segelradmechanismus stellt sich in dieser Beziehung
thatsächlich als eine maschinelle Umgestaltung des Vogel¬
flügelmechanismus dar, dessen schwingende Hinundher-
bewegung hier in eine stetige Rotation aufgelöst erscheint
Die Segelräder, welche durch das bei den Motoren üb¬
liche Kurbelgetriebe in rasche Umdrehung versetzt werden,
sichern, zufolge des dynamischen Gesetzes der freien Achse,
die wagerechte Lage des Fahrzeugs, verleihen ihm eine
grosse Stabilität gegen störende Schwankungen aller Art und
gestatten sowohl einen bequemen, langsamen Anflug, als auch
die Erzielung grosser Fluggeschwindigkeiten.
Je schneller die Maschinen arbeiteu, desto mehr wächst
die Steigkraft des Luftschiffs, und das Verbleiben desselben
beim Fluge in gleicher Höhenlage steht mit einer bestimmten
Umlaufsgeschwindigkeit der Segelräder im Einklang. Die
Wendungen in der Fahrrichtung lassen sich in bequemer
Weise durch gewöhnliche, am Schiffsende angebrachte Steuer¬
ruder, wie sie bei Booten im Gebrauche sind, bewirken,
oder auch dadurch, dass einseitig eine schnellere Bewegung
der Segelräder eingeleitet wird. Das Eigentümliche der
Wirkungsweise dieser Segelräder besteht darin, dass sie trotz
ihrer raschen Umlaufsbewegung die Luft nicht etwa nach
allen Seiten auseinanderschleudern, sondern dieselbe vielmehr
von beiden Seiten her, vornehmlich auch von oben und von
vom, heransaugend an sich ziehen und zu einem mächtigen,
nach unten quer durch die Radtrommel ziehenden Strome
vereinigen. Der schädigende Einfluss ungünstiger Winde
und Luftströmungen dürfte sich wegen der den Segelrädern
innewohnenden grossen Eigengeschwindigkeit nur wenig be-
merklich machen, zumal auch die Fortbewegung soweit be¬
schleunigt werden kann, dass sie die Schnelligkeit der Eisen¬
bahnzüge weitaus übertrifft.
Hochfahrten bis über die Wolkenregion, wie sie bei
längeren Luftbailonreisen schon wegen der statischen Flug¬
methode dieser Fahrzeuge nothwendig und auch zum Behufe
von meteorologischen Beobachtungen geboten sind, werden
bei Segelradflugmaschinen kaum im Aussicht zu nehmen sein,
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da es genügt, in massiger Höhe über der Erdoberfläche auf
kürzester Luftlinie zum Reiseziel zu fliegen.
Der östereichische Ingenieur- und Architektenverein lässt
weitgehende Versuche und Proben vornehmen, nach deren
Ergebniss die Brauchbarkeit und Tragweite der neuen Er¬
findung zu ermessen sein wird.
458. Sitzung am 25. Mai 1894.
Anwesend 26 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
General verwa mmlung.
Herr Hofrath Dr. Meidinger liest einen Bericht über
die Thätigkeit des Vereins im verflossenen Geschäftsjahr vor.
Herr 0. Bartning berichtet über den Stand der Kasse des
Vereins.
Der Kassier regt an, die Rechnungführung über das
unabhängige Vereinsvermögen und die über die Schenkung
des früheren Vereins für wissenschaftliche Belehrung der
Einfachheit halber im engeren Sinne zu vereinigen als es
bisher geschehen ist. Am Abschluss jeder Jahresrechnung
soll die Notiz beigefügt werden, dass 3 962 M. 78 Pf. als
Vermögen oder Schenkung unantastbar sei. Im Uebrigen
würde eine Trennung nicht gemacht. (S. Heft 7 S. XII und
XIII). Der Vorstand spricht sich für eine derartige Behand¬
lung, welche das Wesen der Schenkung nicht berührt, nach¬
träglich besonders aus und wird darnach für die Folge hier¬
nach vom Kassier verfahren werden. (Mittheilung hiervon
an den Verein in der 463. Sitzung.)
Nach Erledigung des geschäftlichen Theils sprach Herr
0. Ammon über Wachsthums- und Gestaltsverschieden¬
heiten des menschlichen Körpers mit Bezugnahme
auf die Antike. Den Ausgangspunkt des Redners bildete
eine in der Besprechung über seinen früheren Vortrag vom
8. Dezember v. J. aufgeworfene besondere Frage, welche der
Redner mittlerweile durch nähere Untersuchungen zu beant¬
worten versucht hatte. Der Vortrag wurde durch eine grosse
Zahl von Wandtafeln erläutert, welche lebensgrosse mensch¬
liche Gestalten nach der Natur in verschiedenen Lebensaltern
unter Hervorhebung ihrer Abweichungen von einander und
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von den Formen antiker Statuen darstellten. Da ohne diese
Tafeln der Gegenstand nicht verständlich gemacht werden
kann, so muss die Berichterstattung unterbleiben. Nur das
soll hervorgehoben werden, dass es auch jetzt noch besonders
ausgebildete Gestalten gibt, welche den Formen der Antike
wenigstens nahe kommen. Als Muster der letzteren hatte
der Redner den Doryphoros von Polyklet gewählt, dessen
Canon im Alterthum bis zu der Zeit Lysipps für massgebend
galt. Der Redner wies darauf hin, dass die antiken Bild¬
hauer sich manchmal willkürliche Abweichungen von der
Natur erlaubten, die theils aus Schönheitsrücksichten zu er¬
klären, theils aber als Versehen zu betrachten sind. In der
Besprechung des Vortrages, an welcher §ich die Herren Pro¬
fessor Volz, Geh. Rath Dr. E. Wagner und Geheimer Hof¬
rath Dr. Wiener wiederholt betheiligten, wurde auf diese
letzteren Punkte besonders eingegangen. Wir fassen hier
das Vorgebrachte und die Erwiderung des Vortragenden zu¬
sammen. Antike Bildhauer haben manchmal Kinder und
Jünglinge nach den Verhältnissen der Erwachsenen, nur in
verkleinertem Massstabe, dargestellt, so die beiden Söhne des
Laokoon, was bei näherer Betrachtung störend wirkt, denn
die Köpfe erscheinen zu klein. Man könnte dieses Ver¬
fahren dadurch rechtfertigen wollen, dass die Gestalt des
Vaters als Mittelpunkt des Ganzen desto mehr hervorgeboben
werden sollte; aber die Methode der Assyrer und Aegypter
wonach Könige und Heerführer in Bildwerken durch unver-
hält.nissmässige Grösse ausgezeichnet wurden, ist doch zu
kindlich, um für den Höhepunkt der hellenischen Kunst Gel¬
tung beanspruchen zu können. Ein anderer Verstoss liegt
darin, dass z. B. in der Niobidengruppe des Skopas das
jüngste Töchterchen, welches dem Beschauer die Rückseite
darbietet, nicht bloss einen viel zu kleinen Kopf, sondern
breite Hüften, wie eine erwachsene Jungfrau besitzt. Die
breite Hüfte der Mädchen tritt jedoch in Wirklichkeit erst
nach der Entwickelung hervor, bis dahin sind die Verschieden¬
heiten der äusseren Umrisslinien von Knaben und Mädchen
so unbedeutend, dass sie nur durch genaue Messung, nicht
durch das blosse Augenmass bemerkt werden können. In
dem Falle der Niobetochter lässt sich nicht behaupten, dass
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Schönheitsrücksichten bestimmend gewesen seien, denn die
breite Rückseite des Kindes ist nichts weniger als wohl¬
gefällig, und Niemand wird bezweifeln, dass eine grössere
Annäherung an die Wirklichkeit schöner gewirkt haben würde.
Dass die Alten recht gut zu beurtheilen wussten, wie schlank
unentwickelte weibliche Formen aussehen, beweist die spar¬
tanische Schnellläuferin in der Galleria dei candelabri im
Vatikan. Ferner, führte der Vortragende aus, sei ein Mann
mit so ausgebildeten Muskeln wie der Farnesische Herkules
physiologisch unmöglich ohne die entsprechenden Verdauungs¬
organe zur Ernährung der gewaltigen Muskelmassen, mit
andern Worten, der Herkules müsste einen vorstehenden,
runden Bauch haben, wie ihn alle athletischen Champions
besitzen. Hier habe der Künstler aus ästhetischen Rücksich¬
ten auf die physiologische Harmonie der Theile verzichtet.
Die Antike biete viel Schönes und Erhabenes, müsser aber
doch mit prüfendem Auge genossen und nicht bloss angestaunt
werden, weil sie „klassisch“ sei. Gar Manches, was bewundert
werde, halte die nähere Prüfung nicht aus, so der Apollo
von Belvedere, der sogenannte O-Beine besitze und bei uns
zur Kavallerie eingetheilt werden müsste. Selbst bei einer
der berühmtesten Statuen, dem Hermes des Praxiteles, wollte
der Vortragende eine ungerechtfertigte Abweichung von der
Natur entdecken, indem beide Brustmuskeln ganz gleich stark
hervortretend und gleich hoch stehend modellirt seien, während
der rechte Arm erhoben ist und der linke herabhängt. Die
verschiedene Stellung der Arme bedinge, dass der rechte
Brustmuskel flach gezogen und höher stehend erscheinen
müsse, als der linke, ähnlich wie bei einer vorgezeigten Akt-
Photographie oder bei dem Giganten des pergamenischen
Frieses, welcher in der Karlsruher Kunsthalle ganz in der
Nähe des Hermes steht. Diese Abweichung könne ebenfalls
nicht aus Schönheitsrücksichten erklärt werden, sondern wahr¬
scheinlich nur dadurch, dass Praxiteles, wie von Homer aus¬
gesagt werde, auch manchmal geschlafen habe. Es sei be¬
zeichnend für den Mangel an Verständniss der Natur, dass
die bezeichnete Unregelmässigkeit bei einer so bekannten
Statue, deren Büste durch Abgüsse in vielen Privathäusern
verbreitet sei, gar nicht bemerkt, geschweige denn störend
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empfunden werde. Hingegen sei beim Hermes das starke
Herabsteigen der Schlüsselbeine nach der Mitte zu, wo sie
fast unter einem rechten Winkel zusammenstossen, nicht als
Fehler anzusehen, obwohl eine so starke Senkung in der
Natur niemals beobachtet werde. Hier habe der Künstler
mit Bewusstsein und auf sinnreiche Weise einen ästhetischen
Zweck verfolgt: den unschönen leeren Raum zwischen den
Schultern und dem Haupte zu verkleinern, ohne den Hals zu
kurz zu machen. Die Besprechung erstreckte sich auch auf
die Formen ägyptischer Statuen, die sich durch schmale
Hüften auszeichnen. Hierbei kommt, wie allseitig überein¬
stimmend ausgesprochen wurde, die Eigenthümlichkeit der
ägyptischen Rasse in Betracht. Alle farbigen Rassen sind
in bemerkenswerther Weise schlankhüftig, und die weiblichen
Gestalten weichen von den männlichen weniger ab, als bei
den weissen Rassen. Die übertriebene Schlankhüftigkeit ist
daher vom Standpunkt der Träger der höheren Kultur nicht
als Schönheitsideal anzuerkennen und die Ausprägung der
Unterschiede in der Gestalt beider Geschlechter ist ein mit
der höheren Entwickelung fortschreitendes Merkmal.
Herr Geheime Hofrath Wiener machte, im Anschluss an
einen früheren Vortrag des Herrn 0. Ammon, einige Mitthei¬
lungen über die Standesherkunft bedeutender Männer,
hier Mathematiker, die er gelegentlich gesammelt hatte. Er
unterschied die Herkunft aus höherem, mittlerem und nie¬
derem Stande. Aus höherem Stande rühren her: der Mathe¬
matiker und Philosoph Descartes (1596—1650), der aus einer
französischen altadeligen Familie entstammt; mehrere Mathe¬
matiker Bernoulli (17. und 18. Jahrhundert) aus einer be¬
rühmten Kaufmannsfamilie in Basel. Aus dem mittleren
Stande: Lagrange (1736—1813, der Vater französischer
Kriegsschatzmeister), Newton (1643—1727, der Vater Guts¬
besitzer mit bescheidenen Mitteln in der Grafschaft Lincoln),
Kepler (1571—1630, der Vater Bürgermeister in Magstadt
in Württemberg), der Mathematiker und Philosoph Leibnitz
(1646 — 1716, der Vater Aktuarius der Universität Leipzig),
Euler (1707—1783, der Vater kalvinistischer Seelsorger in
Basel). Aus dem niederen Stande: Monge (1746—1818, der
Vater bescheidener Handelsmann in Beaune in Nordfrank-
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reich), Steiner (1796—1863, der Vater bescheidener Land-
wirth im Kanton Bern), Gauss (1777—1855, der Vater wenig
bemittelter Wasserkunstmeister in Braunschweig). Wenn
man die Familie Bernoulli nur für eine Person rechnet, so
gehören den verschiedenen Ständen 2, 5, 3 an. Da in unseren
Fällen von einem Rassenunterschied der verschiedenen Stände
kaum die Rede sein kann, so kommen bei der Erzeugung
der Männer nur die Standesunterschiede in Betracht. Ob¬
gleich die wenigen hier gegebenen Zahlen zu einem allge¬
meinen Schlüsse nicht berechtigen, so dürften sie doch schon
einen gewissen Anhalt gewähren. Vielleicht stehen die zwei
ersten Zahlen 2 und 5 nicht ganz ausser Verhältnis der
Zahl der Mitglieder der Stände. Der niederste Stand mit
der Zahl 3 hat aber offenbar die meisten Mitglieder. Dass
nun dieser Stand eine verhältnissmässig weit geringere An¬
zahl bedeutender Männer liefert, ist sehr leicht erklärlich
1. aus den geringeren Mitteln, die zu einer höheren Aus¬
bildung zur Verfügung stehen, 2. aus der geringeren An¬
regung zu höherer geistiger Beschäftigung, <}. aus dem Um¬
stande, dass in den höheren Ständen schon in den Eltern
durch das oft nothwendig gewesene erfolgreiche eigene Auf¬
wärtsringen eine höhere Befähigung vorhanden ist, die sich
dann auf den Sohn vererbt.
459. Sitzung am 8. Juni 1894.
Anwesend 29 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Dr. K. Gut mann, Arzt ucd
Professor M. Wacker an der Realschule.
Herr Geheime Hofrath Dr. Wiener macht im Anschluss
an die Verhandlungen in der vorhergehenden Sitzung eine
Bemerkung über die Wahrheit in der Kunst. Das Ziel
aller Thätigkit des Menschen ist Beglückung des Handeln¬
den. Selbstsüchtig ist derjenige, welcher sein Glück ohne
Rücksicht oder gar auf Kosten des Glückes Anderer sucht,
sittlich derjenige, welcher diese Rücksicht nimmt und ein
eigenes Glück in der Beglückung Anderer findet. Auch die
Wissenschaft und Kunst unterliegen dem Gesetze der Be¬
glückung; die Wissenschaft müsste unterdrückt werden,
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wenn sie der Menschheit zum Unsegen gereichte. Dies ist
aber widersinnig, denn die Erkenntniss der Wahrheit lehrt
Folgen vorausseben und gewährt Mittel, die gesetzten Ziele
sicherer zu erreichen. Es ist ein Irrthum und unerreichbar,
wenn eine Regierung die ganze Erkenntniss für sich allein
in Anspruch nehmen wollte und die unwissenden Unter¬
gebenen leichter, vielleicht mit dem Ziele ihres Wohles, zu
regieren glaubte. Meist ist ein Streben, die Wissenschaft
zu unterdrücken, auf die Ausbeutung der Regierten gerichtet.
Die Wissenschaft für sich hat aber als einziges Ziel die Er¬
forschung der Wahrheit, deren Kennzeichen ausschliesslich
die Widerspruchsiosigkeit ist, und nicht die Nützlichkeit
einer Lehre, wie selbst grosse Denker, so Kant, meinten;
einer Nützlichkeit, die, wenn sie der Widerspruchsiosigkeit
entgegensteht, nur eine irrthümliche sein kann. Auch die
Kunst hat das Ziel zu beglücken, sowohl den Künstler als
die anderen Geniessenden des Kunstwerks, wobei beide Ziele
sich meist unmittelbar decken, und wobei meist auch die
Beglückung des, Künstlers durch die der Anderen bedingt
ist. Dass im Allgemeinen die Wahrheit die erste Bedingung
für die Wirkung bildet, ist selbstverständlich. Wenn der
Künstler eine menschliche Leidenschaft darstellen, also den
Beschauer zum Bewusstsein und zum Nachempfinden der¬
selben oder zum Empfinden ihrer Wirkung bringen will, so
muss er den Menschen mit den Mienen und Geberden dar¬
stellen, welche jene Leidenschaft herbeiführt. Die Streitfrage
bezieht sich blor darauf, ob kleine Abweichungen von der
Wahrheit erlaubt oder zur Steigerung der Wirkung geboten
sind. Da handelt es sich zunächst um Abweichungen, die
auf Unkenntniss beruhen. Wenn Giotto (1276—1336) durch
seine Gemälde eine so grosse Wirkung auf seine Zeitgenossen
hervorbrachte, obgleich er bedeutende Fehler gegen die Per¬
spektive beging, so leuchtet es ein, dass diese Fehler der
Wirkung nicht schadeten, weil die Perspektive damals über¬
haupt nicht bekannt war; jetzt machen die Bilder in dieser
Richtung den Eindruck der Kindlichkeit. Viele Maler halten
aber jetzt noch manche Abweichungen von der Perspektive
für geboten, wenn dadurch etwa eine wohlthätigere Massen-
vertheilung herbeigeführt werde, während andere Künstler
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dem widersprechen, indem sie dies Mittel für nicht nothwen-
dig erklären. So hat Paul Veronese (1528—1588) in seiner
.Hochzeit von Kana“ sieben verschiedene Augenpunkte und
fünf verschiedene Horizonte angewendet. Aber man muss dies
für ein Spielen mit der ihm bekannten Perspektive erklären;
denn der Maler Bossuet, Professor an der Akademie der
schönen Künste in Brüssel, hat das Bild perspektivisch rich¬
tig nachkonstruirt, derart, dass die Massenvertheilung im
Wesentlichen dieselbe blieb (1871). Wenn aufgerollte Schrift¬
rollen gewöhnlich mit einer krummen Umrisslinie dargestellt
werden, so verletzt dies das Auge jeden Kenners, da dieser
Umriss nur geradlinig sein kann; mag der Künstler den
Formenreichthum in die Schnittgrenzen legen. Die früher
bei der Erörterung erwähnte symmetrische Gestaltung der
beiden Brustmuskeln des Hermes des Praxiteles, dessen einer
Arm emporgehoben ist. während der andere herabhängt, hat
den Sprechenden bisher nicht gestört; jetzt, nachdem er dar¬
auf aufmerksam gemacht ist, dass der Brustmuskel beim
erhobenen Arm gestreckt und flacher sein muss, würde es
ihn stören, und er hat bei anderen Kunstwerken auch diese
Verschiedenheit der Muskeln beachtet gefundeu. Somit
findet man, dass eine wachsende allgemeine Einsicht auch
eine vergrösserte Annäherung an die Wahrheit erfordert.
Desswegen sind aber doch gewisse Abweichungen gerecht¬
fertigt. Die vollrunde Darstellung der Köpfe im Vorder¬
gründe einer Reliefperspektive ist geometrisch unrichtig; der
Kopf müsste nach den geometrischen Regeln abgeflacht sein.
Aber dann wären die wahren Beleuchtungsverhältnisse nicht
erreicht, der Kopf würde auch flach, also falsch erscheinen.
Desswegen bilden alle Künstler diese Köpfe vollrund; sie be¬
gehen dabei nicht einmal einen Fehler gegen die Wahrheit,
sondern nur eine Abweichung von den ausschliesslich geo¬
metrischen Gesetzen. Wenn, wie früher erwähnt, dem Körper
des farnesischen Herkules die zur Ernährung der gewaltigen
Muskeln nothwendigen grossen Verdauungsorgane, wie sie
die Athleten wirklich besitzen, nicht gegeben wurden, so
kann man dies nur billigen. Denn diese weisen auf die rein
körperliche Entwickelung im Gegensatz zur geistigen hin.
Ebenso ist es gerechtfertigt, wenn der Körper der Niobe
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jungfräulicher gebildet wurde, als es der Mutter von 14
Kindern zukommt. Es sind dies nur Weglassungen von
Mängeln. Gewisse Uebertreibungen und Steigerungen der
Gegensätze sind wohl den bildenden Künstlern, sowie den
Schauspielern erlaubt, um den beabsichtigten Eindruck um
so sicherer hervorzubringen. Die richtigen Grenzen zu finden,
ist Sache des feinen Empfindens des Künstlers.
Herr Dr. Ristenpart sprach Uber einige der neueren
Entdeckungen der grossen Lick-Sternwarte in Kali¬
fornien. Zunächst wurde die erst kürzlich bekannt gewordene
Entdeckung eines Kometen auf den Negativen, welche Pro¬
fessor Schaeberle während der totalen Sonnenfinsterniss vom
16. April 1893 von der Sonnenkorona erhalten hatte, erwähnt
und darauf hingewiesen, dass dieser Komet, der weder vor,
noch nach seiner Sonnennähe direkt gesehen worden ist, ganz
unbemerkt vorübergezogen wäre, wenn nicht zufällig an
jenem Tage, wo er die Sonnenkorona passirte, der Mond die
Sonne abgeblendet hätte. Von den Entdeckungen, die mit
dem grossen Lick-Fernrohr selbst erhalten sind, wurde zu¬
erst die des 5. Jupitermondes durch Barnard besprochen.
Die ausserordentliche Kleinheit dieses Satelliten gegenüber
den vier schon lange bekannten hat zu der Vermuthung
Anlass gegeben, als könne dieser Mond dem Jupiter-System
nicht von Anfang an angehört haben, sondern sei ein Fremd¬
ling, ein Ueberrest eines dem Jupiter sehr nahe gekommenen
Kometen. Diese Ansicht ist jedoch aus verschiedenen Grün¬
den sehr unwahrscheinlich, namentlich weil zwischen den
Umlaufszeiten des 4. und 5. Mondes das einfache Verhält-
niss 2:67 genau besteht, welches nur die Folge lange wir¬
kender gegenseitiger Beziehung sein kann. Das grosse Lick-
Fernrohr hat auch zum ersten Male Oberflächenbeobachtungen
auf den vier älteren Jupitermonden ermöglicht. Der erste
zeigt eine helle äquatoriale Zone und dunkle Pole, wodurch
er beim Vorübergang über die Scheibe des Jupiters bisweilen
doppelt erscheint, indem sich das äquatoriale Band mit dem
hellen Untergrund der Planetenscheibe vermischt und die
beiden dunkeln Polkappen scheinbar getrennt neben einander
herwandern. Auf dem 3. Mond wurden dunkle und hellere
Partien, ähnlich wie auf dem unserigen, entdeckt, die binnen
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Kurzem erlauben werden, die Umdrehungszeit dieses Mondes
um seine Axe zu bestimmen. Endlich sind durch das Lick*
Fernrohr auch die wahren Durchmesser einiger der grössten
Planetoiden bekannt geworden, welche in kleineren Tele¬
skopen keine messbare Scheibe zeigen, sondern nur als Punkte
erscheinen. Dieselben sind für Ceres 960, für Pallas 437,
für Vesta 379 Kilometer.
An den Vortrag schloss sich eine ziemlich lebhafte
Debatte an, welche sich namentlich um die Möglichkeit der
Konstruktion noch grösserer Fernrohre, sowie um die Frage
drehte, wieso Kometen, die eine so ausserordentlich feine
Matevie besitzen müssen, doch ohne Widerstand zu erfahren
die Sonnenkorona passiren können, welche doch hauptsächlich
aus Wasserstoff besteht und somit hemmend wirken müsste.
460. Sitzung am 22. Juni 1894.
Anwesend 15 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Auf Antrag des Vorstandes ertheilt die Versammlung
die Genehmigung, dass der anthropologischen Kommission
des Alterthumsvereins, ihrem Gesuch vom 7. Juni entsprechend,
auch für das laufende Jahr eine Zuwendung von 200 M. zur
Fortsetzung der begonnenen Untersuchungen gemacht werde.
Herr Dr. Behrens hielt einen Vortrag über Joseph
Gottlieb Kölreuter, ein Karlsruher Botaniker des
lb. Jahrhunderts. Eine ausführliche Behandlung des Ge¬
genstandes befindet sich unter den Abhandlungen im zweiten
Theile.
Im Anschluss an diesen Vortrag zeigte Herr Apotheker
Baur einige nach Kölreuter’s Namen bezeichnete Pflanzen
vor: Kölreutera paniculata und Kölreutera (jetzt Funaria)
hygrometrica.
Auf Anregung von Herrn 0. Ammon entspinnt sich eine
längere Diskussion über Bastarde im Pflanzenreiche (die
Kölreuter zuerst erzeugt hatte) und im Thierreiche, an der
sich die Herren Behrens und Gräbener noch besonders be¬
theiligten.
Herr Hofrath Dr. Meidinger stellt in Aussicht einen Vor¬
trag über Durchsichtigkeit der Luft im Hinblick auf Fern-
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sichten, als Einleitung zu einer Diskussion über den Gegen*
stand auf Grund der besondern Beobachtungen und Erfah¬
rungen der Mitglieder des Vereins.
Am 26. Juni fand in der städtischen Ausstellungshalle,
wo gelegentlich der vom 19. bis 21. Juni dahier tagenden 34.
Jahresversammlung des Deutschen Vereins von Gas- und
Wasserfachmännern eine Ausstellung von Gas- und Wasser¬
apparaten veranstaltet worden war, unter Führung des Herrn
Direktor Reichard eine Besichtigung der ausgestellten Ge¬
genstände durch die Vereinsmitglieder mit ihren Damen statt.
Bei letzteren erregten namentlich die zahlreich in den ver¬
schiedensten Formen vorgeführten GaskochapparaXe hohes
Interesse; die Speisen wurden vor den Augen der Anwesen¬
den darauf zubereitet und dann im Restaurationslokale zur
Kost derselben dargeboten.
461. Sitzung am 6. Juli 1894.
Anwesend 46 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Im physikalischen Hörsaale der Technischen Hochschule.
Herr Direktor Treutlein macht eine Mittheilung im An¬
schluss an den neulichen Vortrag des Herrn Dr. Behrens
über den Karlsruher Botaniker Koelreuter (1733 bis
1806). Dieser hatte u. A. auch Antheil an einem grossen
botanischen Kupferwerk, das die Markgräfin Karoline Luise
herausgeben wollte (1774), dessen weiteres Schicksal aber
unbekannt geblieben. Der Vortragende hatte nun das Glück,
durch die Beihilfe des Herrn Oberbibliothekars Dr. Brambach
von jenem Werke, das auf wohl 10 000 Blatt Abbildungen
geplant war, etwa 500 vor der Schrift gewonnene Probe¬
abzüge aufzufinden. Von diesen wurden Proben vorgelegt,
zugleich auch handschriftliche Aufzeichnungen, aus denen
über die Vergütungen Aufschluss genommen werden kann,
welche der aus Toulouse stammende Kupferstecher Gautier
d'Agoti für die Fertigstellung der Platten erhielt. Zum Ver¬
gleich wurden auch in Farben angelegte botanische Tafeln
aus dem Jahre 1768 vorgezeigt, und es wurden die Gründe
kurz erwähnt, welche in damaliger Zeit zur Herausgabe
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neuer botanischer Abbildungswerke führten. Auch Handzeich¬
nungen konnten vorgelegt werden, welche vermuthlich als
Originale des Karlsruher Kupferwerkes dienten und vielleicht
von der Frau Markgräfin selbst gefertigt sind. Der Vor¬
tragende behielt sich weitere Mittheilungen über diesen Ge¬
genstand vor, wenn seine bezüglichen Nachforschungen zu
neuen Ergebnissen führen sollten.
Herr Hofrath Dr. Lehmann demonstrirte sodann eine
magische Kerze, welche sich gegen das Aufsetzen eines
Löschhorns sehr widerspenstig zeigte. Die Wirkung beruhte
auf der zuerst vonEliha Thomson aufgefundenen sogenannten
elektroinduktiven Abstossung, welche zwischen einer von
Wechselströmen durchflossenen Elektromagnetspule und einem
über den Einsenkern geschobenen Metallring auftritt, da die
in letzterem induzirten Wechselströme nahezu um 180° in
ihrer Phase gegen den Primärstrom verschoben, d. h. in
jedem Momente dem Primärstrom entgegengesetzt gerichtet
sind und somit abgestossen werden müssen. Die auffallende
Grösse der Abstossungskraft wurde sodann an einem ein¬
fachen Transformatormodell nach V. v. Lang demonstrirt.
Serviettenringe aus Aluminium oder Kupfer wurden beim
Schliessen des Stromes mehrere Meter hoch emporgeschleudert,
selbst mehrere gleichzeitig. Ein grösserer Kupferzylinder
konnte je nach der Stärke des Stromes in verschiedener
Höhe schwebend erhalten werden. Ein schwebender Ring
wurde durch einen zweiten angezogeu. Dass die Induktions¬
ströme Ursache der Abstossung sind, wurde mit einer auf
den Eisenkern geschobenen Sekundärspule nachgewiesen.
Dieselbe blieb unbeweglich, so lange ihre Enden nicht mit
einander verbunden waren, wurde aber kräftig emporgeschleu¬
dert, sobald man die Enden in Kontakt brachte. Die Inten¬
sität des dabei auftretenden Induktionsstromes wurde demon¬
strirt durch Erzeugung von Funken auf einer Feile, Speisung
von acht Stück parallel oder hintereinander geschalteten 16-
NK-Glühlampen, welche zu hellem Leuchten gebracht wurden,
Treiben eines kleinen Elektromotors und einer Anzahl parallel
geschalteter Klingeln. Dass diese letzteren für Gleichstrom
bestimmten Apparate auch durch Wechselstrom betrieben
werden konnten, wurde näher erläutert, indem gezeigt wurde,
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dass der von Wechselstrom umflossene Eisenkern in hohem
Masse die Eigenschaft hatte, weiches Eisen (speziell Feil-
spähne) anzuziehen.
Die zweite Mittbeilung des Herrn Hofrath Lehmann be*
zog sich auf die Erscheinungen beim Durchgang elek¬
trischer Ströme durch nicht-metallische Flüssig¬
keiten, insbesondere eine neu aufgefundene Erscheinung,
die elektrische Diffusion. Zunächst wurde mittelst eines
elektrischen Projektionsmikroskops das Wachsen und Auf¬
lösen von Zinnkrystallen beim Durchgang des Stromes durch
eine Zinnchlorürlösung demonstrirt, sodann das Auftreten der
rothen Färbung am negativen Pol bei der für sogenannte
Polsucher benützten Flüssigkeit, die Ausscheidung von Anilin¬
schwarz-Dendriten bei Elektrolyse von salzsaurem Anilin uud
die elektrische Diffusion bei Lösungen von Anilinviolett, Eosin,
Kongoroth, Tropäolin, Bordeauxroth und flüssiger Tusche.
Das Wesen der elektrischen Diffusion, welche sich durch
Auftreten anders gefärbter, sich rasch ausbreitender Höfe
um die Elektroden und verschiedene andere Erscheinungen
(vergl. Zeitschrift für physikalische Chemie XIV; 301, 1894)
kundgibt, bestehe wahrscheinlich darin, dass die an den
Elektroden auftretenden Zersetzungsprodukte nicht zur Aus¬
scheidung gelangen, sondern indem sie die Elektrisirung der
Elektroden annehmen, von diesen abgestossen werden und
dem Spannungsgefälle in der Lösung folgend auf ein¬
ander zu wandern. Zum Schluss wurde gezeigt, dass ausser
der elektrischen Diffusion noch eine andere Wirkung bei
Anwendung sehr hoher Spannung auftreten kann, die soge¬
nannte elektrische Konvektion, welche darin besteht, dass
nicht nur in der Flüssigkeit gelöste Moleküle, sondern die
Flüssigkeit als solche von den Elektroden abgestossen wird
und sich mit zahllosen Wirbeln erfüllt, was eingelagerte Farb¬
stoffpartikelchen erkennen hassen. Speziell wurden diese
Strömungen, sowie die Anordnung der Farbstoffpartikel¬
chen zu Kraftlinien und die Anhäufung derselben an einem
Pol demonstrirt bei Tusche, Berlinerblau und Floreutiner-
lack in Acetal, bei Spannungen zwischen etwa 1000 und
10 000 Volt.
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462. Sitzung am 20. Juli 1894.
Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Dr. E. Lembke, Arzt, und
Professor Dr. Brauns an der Technischen Hochschule.
Herr Dr. Ristenpart hielt einen Vortrag über die
Schwankungen der Polhöhe und die Konstante der
Lichtgeschwindigkeit nach den Beobachtungen der Grossh.
Sternwarte.
In den Jahren 1888—89 entdeckten fast gleichzeitig
Küstner in Berlin und Chandler in Cambridge (Massa-
chussets) in längeren Beobachtungsreihen der geographischen
Breite eine deutlich ausgesprochene Veränderung derselben,
an die man niemals hatte glauben wollen, wenngleich einzelne
Andeutungen einer solchen auf Lageänderung der Erdachse
im Innern des Erdkörpers zurückzuführende Schwankung
auch früher schon bemerkt worden waren. Nachdem in den
Jahren 1891 bis 1892 durch gleichzeitige Beobachtungen in
Berlin, Prag, Strassburg einerseits und Honolulu, welches
etwa 12 Stunden in Länge von den ersten drei Beobachtungs¬
orten entfernt liegt, andererseits nachgewiesen war, dass man
es thatsächlich mit Lageverschiebungen der Rotationsachse
zu thun hatte, stellte sich die Nothwendigkeit heraus, die
geographische Breite fortwährend zu bestimmen und unter
den wenigen Sternwarten, welche sich dieser Aufgabe zu
unterziehen bereit waren, befand sich auch die hiesige. Sie
wählte eine — von Küstner vorgeschlagene — Methode der
Beobachtung, welche ausser den Veränderungen der Polhöhe
auch die astronomisch wichtige Konstante der Aberration am
günstigsten zu bestimmen erlaubt, die aber andererseits dem
Beobachter erhöhte Anstrengungen zumuthet, da die Beob¬
achtung bis zur Morgendämmerung auszudehnen ist, auch
günstiges Wetter, nämlich Klarheit des Himmels während der
ganzen Nacht verlangt wird. Es hat daher nur noch eine
Sternwarte — Bamberg — sich zu diesem Programm ent¬
schlossen, welche aber nicht vom Wetter begünstigt wurde.
Im Ganzen wurden hier von März 1892 bis jetzt etwa
36 000 Einzelmessungen in 262 Beobachtungsnächten erlangt.
Sie zeigen, dass die geographische Breite des Pfeilers, auf
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welchem das Passageninstrument in der Sternwarte steht, am
grössten war mit 49° 0,29.*60 am 5. November 1892, dann
abnahm bis auf 29'03 am 3. Juli 1893, wieder wuchs bis
auf 29?53 am 25. Dezember 1893 und seitdem von Neuem
im Abnehmen begriffen ist — Juni 14. war sie 29*23. In
Linearmass bedeutet das, dass der Nordpol der Erde seinen
Abstand von Karlsruhe in dieser Zeit periodisch um 17 Meter
geändert hat, da eine Bogensekunde 30.9 Metern auf der
Erdoberfläche entspricht. Chandler hat für die Breitenände¬
rungen zwei Formeln aufgestellt, die aber beide von den
hiesigen (und gleichzeitigen Strassburger) Beobachtungen
nicht bestätigt wurden. Die Ursache dieser Wanderungen
der Erdachse im Innern der Erde liegt daran, dass die Um¬
drehungsachse nicht mit der Trägheitsachse zusammenfällt,
infolge dessen muss sie nach theoretischen Untersuchungen,
die schon Euler anstellte, sich fortwährend um diese be¬
wegen, in einer Zeit von 306 Tagen, wenn die Erde ein
starrer Körper ist. Die Umlaufszeit ist aber, wie die Be¬
obachtungen zeigen, viel grösser, gegenwärtig etwa 400 Tage,
was also auf die Elastizität des Erdkörpers — die beweg¬
lichen Wassermassen der Ozeane und die feuerflüssigen
Massen im Innern zurückzuführen ist. Die Lichtgeschwin¬
digkeit ergab sich aus der bisherigen Aberrationskonstante
unter der Voraussetzung, dass die Erde von der Sonne einen
scheinbaren Durchmesser von 17f60 hat, zu 300 590 Kilo¬
meter, während die Physik dafür nur 299 890 Kilometer
findet. Die bisherigen hiesigen Beobachtungen liefern eine
Aberrationskonstante, welche in gleicher Weise umgesetzt auf
300 034 Kilometer führt, also bedeutend näher an dem
physikalischen Werth. Indessen ist die Reduktion der Karls¬
ruher Messungen noch keine endgiltige, weil zur genauen
Bestimmung der Oerter der benutzen Fixsterne hier die in-
strumentellen Hilfsmittel fehlen; dieselbe wird von auswärtigen
Sternwarten hoffentlich freundlichst übernommen werden.
An der Diskussion, welche hauptsächlich die Ursache der
Polhöhenschwankung erörterte, betheiligten sich die Herren
Professoren Haid, Brauer, Platz, Geh. Hofrath Wiener, 0.
Ammon und Dr. Mie.
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463. Sitzung am 26. Oktober 1894.
Anwesend 42 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Dr. med. R. Doll hielt einen Vortrag über die
Immunität; derselbe ist unter den Abhandlungen abge¬
druckt. Es knüpfte sich daran eine Diskussion mit den
Herren 0. Ammon, Dr. Wilser und Geh. Hofrath Wiener.
464. Sitzung am 9. November 1894.
Anwesend 24 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. Jos. Jourdan, Arzt.
Herr Dr. M. Doll, welcher in den letzten Jahren wieder¬
holt Gelegenheit hatte, das optische Institut in Jena persön¬
lich keimen zu lernen, machte über dieses hochbedeutsame
und in seiner Art einzig dastehende Unternehmen auf dem
Gebiete der praktischen Optik einige Mittheilungen. Die
optische Werkstätte von Karl Zeiss in Jena wurde
1846 von dem 1888 verstorbenen Mechaniker Dr. Karl
Zeiss (geb. zu Weimar 1810) gegründet. Im Jahr 1866
setzte sich dieser in Verbindung mit dem damaligen Uni-
versitäts-Docenten, späteren Professor Dr. Ernst Abbe, der
sich von dieser Zeit an ununterbrochen bis heute der wissen¬
schaftlichen Leitung des Betriebes widmete. Nach dem Tode
des Gründers und dem bald nachher erfolgten Ausscheiden
seines Sohnes, Dr. R. Zeiss, aus der Firma, ging deren
Vertretung an Professor Abbe allein über. Hervorgegangen
aus kleinen Anfängen, ist die Zeiss’sche Anstalt gegenwärtig
das grösste, den Bau rein wissenschaftlicher Instrumente be¬
treibende Unternehmen in- und ausserhalb Deutschlands.
Die Vergrösserung und Vervollkommnung des mechanischen
und optischen Betriebs veranlasste im Jahr 1880 den Ankauf
eines 80 Ar grossen Grundstücks, auf dem für die Zwecke
der Anstalt Neubauten entstunden und in mustergiltiger
Weise eingerichtet sind (u. A. elektrischer Kraft- und Licht¬
betrieb). Neben einem Personal von über 20 wissenschaft¬
lichen, technischen und kaufmännischen Beamten für die
Leitung des Betriebs beziffert sich jetzt die Zahl der Arbeiter
auf 450, wozu noch etwa 20 Arbeiter von dem Glaswerk
kommen. Letzteres, eine Tochter der optischen Werkstätte,
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ist ebenfalls eine Schöpfung von Professor Abbe, lediglich
hervorgegangen aas dem Bedürfniss nach besserem optischen
Glase, als das bis dahin vorhandene war. Seit dem Tode
Fraunhofer’s (1826) bat die Glastcchnik keine nennens¬
werten Erfolge in 'der Vervollkommnung optischen Glases
za verzeichnen gehabt. Auf Anregung von Abbe und unter
dessen Beihilfe hat Dr. Otto Schott im Jahr 1881 die
Herstellung neuer Glasflüsse in Angriff genommen und zu
dem Ende sich die Aufgabe gestellt, den Einfluss aller in
Frage kommenden Elemente auf das optische Verhalten
(Brechung und Dispersion) des Glases kennen zu lernen.
Bis zum Jahr 1883 waren diese langwierigen Untersuchungen
zum befriedigenden Abschluss gekommen, so dass nun mit
der Anlage des eigentlichen Glaswerks „Glastecbnisches
Laboratorium Schott und Genossen“ und der fabri-
kationsmässigen Herstellung optischen Glases begonnen werden
konnte. Auch diese Anlage hat sich in der relativ kurzen
Zeit ihres Bestehens stark vergrössert. Gegenwärtig werden
jährlich 200 grosse Häfen optischen Glases geschmolzen, da¬
neben noch eine Anzahl kleiner Häfen von Spezial-Glas. In
den letzten Jahren hat das Glaswerk auch die Herstellung
von Thermometer-Glas und sogenanntem Verband-Glas in An¬
griff genommen. Letzteres dient hauptsächlich für chemische
Zwecke und zeichnet sich durch hohe Widerstandsfähigkeit
gegen relativ grosse und plötzliche Temperatur-Veränderungen
aus. Die Untersuchung des für optische Zwecke bestimmten
Glases (Bestimmung von Brechung und Dispersion) geschieht
durch einen Angestellten der Werkstätte Dr. P. Riedel.
Wie für beste Arbeitsleistung sorgen die Zeiss'sche An¬
stalt und das Glaswerk in höchst anerkennenswerther Weise
auch für die Wohlfahrt ihrer Arbeiter und Beamten, für
welche und deren Angehörige die Besitzer der beiden Ge¬
schäfte 1888 eine Pensionskasse aus eigenen Mitteln gegründet
haben. Dieselbe gewährt, gedeckt durch Kapitalfonds, ohne
Beitragsleistung allen Beamten und Arbeitern beider
Anstalten vom 5. Jahre ihrer Dienstzeit ab eine Invaliden-
und Alterspension von 50—75°/ 0 des je nach der Dienst¬
zeit pensionsfähig werdenden Lohnes oder Gehaltes, und
bietet den hinterlassenen Wittwen und Kindern eine
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Rente von 40 # / 0 , bezw. 20 °/ 0 der Pension des Verstorbenen.
Professor Abbe ging aber noch weiter, indem er im Jahr
1891, um die Sicherung und Fortentwickelung des optischen
Instituts unabhängig zu machen von Privatinteressen, das¬
selbe an die 1889 von ihm begründete Karl Zeiss-Stif-
tung überführte, welche, als juristische Person, vertreten
durch das Kultusdepartement des weimarschen Staatsministe¬
riums, seitdem alleinige Inhaberin der Zeiss’schen Werkstätte
und Mitinhaberin des Glaswerks geworden ist. Namens der
Stiftung wird die Firma Karl Zeiss nunmehr unter Mit¬
wirkung eines Regierungskommissärs von Professor Abbe
im Verein mit Dr. S. Czapski und Dr. 0. Schott geleitet.
Bis zum Jahr 1890 war die Thätigkeit der Jenaer
Werkstätte fast ausschliesslich auf die Mikroskop-Optik be¬
schränkt. Wie bahnbrechend die Werkstätte auf diesem
Arbeitsgebiet dank der eingehenden theoretischen und experi¬
mentellen Untersuchungen von Abbe gewirkt hat, dürfte
selbst den weitesten Kreisen bekannt sein. Seit dem Jahr
1890 hat die Firma sich aber auch mit dem Bau von anderen
optischen Instrumenten befasst. In erster Linie ist hier zu
nennen die Anfertigung photographischer Objektive. Die¬
selben werden in einer besonderen Betriebsabtheilung her¬
gestellt, welche der wissenschaftlichen Leitung von Dr. P.
Rudolph unterstellt ist. Von diesem rühren auch die Be¬
rechnungen der rühmlichst bekannt gewordenen Zeiss’schen
Anastigmate her. Die Nachfrage nach diesen Objektiven ist
von Anfang an eine so grosse gewesen, dass die Firma sich
veranlasst gesehen hat, sich mit einer Reihe in- und auslän¬
discher Fabrikanten zu verbinden, um den Bedarf zu decken.
Die Zahl der in der Werkstätte allein in den letzten 4 Jahren
hergestellten Objektive beziffert sich schon über 10 000.
Eine dritte, ebenfalls von den beiden übrigen Abthei¬
lungen abgetrennte Betriebsabtheilung befasst sich mit der
Herstellung von optischen und mechanischen Messinstrumen¬
ten, die sowohl für wissenschaftliche und technische Unter¬
suchungen als auch namentlich für Zwecke des wissenschaft¬
lichen Unterrichts in dem physikalischen Laboratorium be¬
stimmt sind. Als wissenschaftlicher Leiter dieser Abtheilung
ist der Privatdozent für Physik an der Universität Bonn Dr.
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270
C. Pulfricb nach Jena berufen worden. In diesem Jahre
hat die Firma mit der Konstruktion und Einführung neuer
eigenartiger Doppelfernrohre begonnen. Der Vor¬
tragende erläuterte an der Hand schematischer Zeichnungen
und durch Vorzeigen mehrerer Exemplare dieser Doppelfern¬
rohre deren Einrichtung und Wirkungsweise. Die Objektive
stehen bei allen weiter auseinander als die Okulare, bei
einigen ist der Abstand der Objektive der sechs- bis acht¬
fache des natürlichen Augenabstandes. In Folge der dadurch
vergrösserten parallaktischen Differenz der Einzelbilder erhöht
sich ganz beträchtlich die Wahrnehmbarkeit der Tiefe ent¬
fernter Gegenstände (die Wirkung nimmt zu in dem Ver¬
hältnis des Produkts der Vergrösserungszahl in den Abstand
der Objektive), so dass man mit diesen Doppelfernrohren
selbst noch auf mehrere Kilometer Entfernung ein plastisches
Bild der Gegenstände erhält. Sie bringen also das Prinzip
des Helmholtz’schen Telestereoskops voll zur Geltung.
Sie haben noch den weiteren Vortheil eines grösseren
Gesichtsfeldes, als für die betreffenden Vergrösserungen
mit dem Galiläi’schen Fernrohr erreichbar, und ohne die
unbequeme, den Gebrauch erschwerende Verlängerung der
Rohre, welche die Anwendung sogenannter terrestrischer
Okulare mit sich bringt. Es wird dies erreicht durch die
Anwendung eines Okulars vom Typus des astronomischen
in Verbindung mit einem System von Porro’schen Reflexions¬
prismen. Die Lichtstrahlen werden auf ihrem Wege vom
Objektiv zum Okular einer viermaligen totalen Reflexion
unterworfen und zwar in solcher Weise, dass zugleich mit
einer Aufrichtung des vom Objektiv entworfenen umgekehrten
Bildes eine seitliche Verschiebung der Okularaxe gegen die
Objektivaxe herbeigeführt wird. Redner erklärte zum Schluss
noch ein Instrument aus der optischen Werkstätte, nämlich
das Butterrefraktometer zur Unterscheidung von Kunst-
und Naturbutter und zur Untersuchung der Oele und Fette,
dessgleichen zur Glyzerinbestimmung und zu mancherlei an¬
dern Zwecken verwendbar.
An den Vortrag knüpfte sich eine längere Diskussion,
an der sich die Herren Geh. Hofrath Wiener, Photochemiker
Jahr und Ingenieur Schiff betheiligten.
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465. Sitzung am 21. November 1894.
Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft and der Badischen
Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums.
Herr Hauptmann B. Herold von Köln hielt einen Vor¬
trag über Land und Leute in Togo.
466. Sitzung am 30. November 1894.
Anwesend SO Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Dr. Wilser hielt einen Vortrag über europäische
Menschenrassen.
Unter den anthropologischen Merkmalen, Schädelform,
Farben, Körpergrösse u. A. nimmt die erstere darum die
hervorragendste Stellung ein, weil sie, nicht beeinflusst durch
äussere Lebensbedingungen, Culturhöhe, Klima, Wohnsitze
u. dergl., seit den ältesten Zeiten sich nur durch Rassen¬
mischung verändert hat. Unter allen Verhältnissen des
Schädels ist das wichtigste das der Breite zur Länge, aus¬
gedrückt durch den Index, d. h. die Verhältnisszahl der
Breite id Prozenten. Will man, was für viele Untersuchungen
von grösster Wichtigkeit ist, den Index lebender Bevölker¬
ungen mit demjenigen trockener Schädel vergleichen, so darf
man nicht, wie bisher die Anthropologen gethan, den Unter¬
schied an der Leiche zu Grunde legen, denn dieser gilt
immer nur für den einzelnen Fall, sondern man muss ent¬
weder die Urmasse der Köpfe in solche von Schädeln oder
umgekehrt verwandeln, indem man je 1 cm, entsprechend
der Dicke der Kopfschwarte und der Durchfeuchtung des
lebenden Knochens, zuzählt, bezw. abzieht und dann erst
den Index berechnet. Nach der Gestalt des Schädels scheidet
sich die gesammte Menschheit in zwei Hauptrassen, Lang¬
köpfe und Rundköpfe, zwischen denen selbstverständlich
zahllose Mischrassen bestehen. Die Langköpfe haben ihren
Verbreitungsmittelpunkt im Westen der alten Welt, Europa
und Afrika, die Rundköpfe im Osten, in Asien. Die aller¬
ältesten in unserem Welttheil gefundenen Schädel, diejenigen
von Neanderthal, Olmo, Brünn, Przedmost, die alle
noch aus der Mammuthzeit stammten, sind rassenreine Lang-
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272
köpfe, die, abgesehen von einigen Merkmalen ihres hohen
Alterthums, denen der europäischen Kulturvölker so sehr
gleichen, dass eine Blutsverwandtschaft nicht von der Hand
zu weisen ist. Allein diese durch naturwissenschaftliche
Forschung festgestellte Thatsache genügt schon, um den
lange gehegten Wahn von der Einwanderuug unserer Vor¬
fahren aus Asien zu widerlegen. Von diesen allerältesten
Europäern sind zahlreiche Bildwerke gefunden worden, die
mit merkwürdiger Naturtreue theils Thiere, theils den Men¬
schen selbst darstellen. Aus diesen ältesten Erzeugnissen
der Kunst in unserem Welttheil, sowie aus den Grabfunden
von Schweizersbild bei Schaffhausen und Champ-Blanc
am Genfersee scheint hervorzugehen, dass damals in Europa,
wie noch heute in Afrika, neben einer hochgewachsenen eine
buschmannähnliche Zwergrasse gelebt hat. Manches spricht
für Professor Kollmann’s Ansicht, dass die Zwerge die
Vorläufer der grossen Menschen gewesen. Auch die euro¬
päische Thierwelt hatte ursprünglich mit der afrikanischen
vieles gemeinsam: hier wie dort gab es Elefanten, Nashörner,
Löwen, Hyänen, Antilopen, Affen. Erst die Eiszeit mit
ihren gewaltigen Umwälzungen hat eine scharfe Trennung
der beiden Faiinen zur Folge gehabt. Nach den neuesten
Anschauungen hat die Eiszeit ungefähr um’s Jahr 100 000
vor unserer Zeitrechnung begonnen und ist nach verschie¬
denen Schwankungen, eisfreien Zwischenzeiten und Nach¬
schüben ums Jahr 15 000 zu Ende gewesen. Diese Zeit der
schwersten Noth, die bei der schärfsten Auslese im harten
Daseinskämpfe die äusserste Anspannung aller Kräfte er¬
heischte, hat leiblich, durch die Farbenbleichung, und geistig,
durch mächtige Entwickelung des Verstandes und Stählung
der Willenskraft, aus dem europäischen Menschen das ge¬
macht, was er heute ist, Herr der Welt. Das Wort Moritz
Wagner’s „die Eiszeit hat den Menschen gemacht“ schrän¬
ken wir heute dahin ein: „sie hat den weissen Menschen
gemacht“. In Amerika, wo ursprünglich, wie die Schädel¬
funde von Calaveras, Rock Bluff, Somiduro, Cordoba zeigen,
den Ureuropäern sehr nahestehende Langköpfe gelebt hatten,
wurde durch die Eiszeit im Norden offenbar alles Leben ver¬
nichtet und das öde Land erhielt neue Bewohner durch
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Einwanderung asiatischer Rundköpfe, die sich bis an die
Südspitze des Welttheils ausbreiteten, im Süden noch da
und dort vermischt mit Nachkommen der früheren Lang¬
köpfe. Nach der Eiszeit schritt die Kulturentwickelung in
Europa langsam, aber unaufhaltsam vor, und die Zeit bis
auf unsere Tage wird ungefähr in folgender Weise durch
die einzelnen Perioden, die von früheren Forschern viel zu
kurz für die natürliche Entwickelung angenommen waren,
ausgefüllt: Steinzeit 8000, Kupferzeit 2000, Bronzezeit 4000
und endlich Eisenzeit 3000 Jahre. Nach dem Schmelzen
der zusammenhängenden Eisdecke von Mitteleuropa war
hier zunächst ein Oedland entstanden, das erst wieder durch
pflanzliche, thierische und menschliche Einwanderer belebt
werden musste. In der kältesten Zeit hatten die Menschen
am Rande der grossen Gletscher fast ausschliesslich von
grossen Rennthierheerden gelebt und hatten sich mit diesen
bei der allmählichen Erwärmung nach Norden zurückgezogen,
wo ihnen, wie die sogen. Kjökkinmöddinger, ungeheure Ab¬
fallhaufen, der dänischen und südschwedischen Küsten zeigen,
der wichtige Fortschritt von der rohen alten zu der ver-
hältnissmässig weit in der Gesittung vorgeschrittenen neuen
Steinzeit gelang. Bald wurde in Nordeuropa für die mächtig
an wachsende Bevölkerung der Raum zu enge und es be¬
gannen schon in der Steinzeit jene welterschütternden, aber
auch weltumgestaltenden Wanderungen, deren geschichtliche
Nachklänge wir in der „Völkerwanderung“ und der Besie¬
delung neuer Welttheile, wie Nordamerika und Australien,
erkennen. Denn jene Nordcuropäer sind das vielgesuchte
Stammvolk der „Arier“ oder „Indogermanen“. In Südeuropa
war ein anderer Zweig der Ureuropäer zurückgeblieben, der,
weniger durch die Eiszeit beeinflusst, von den Nordeuropäern
sich besonders durch dunklere Haut, schwarze Haare und
braune Augen unterschied bei ziemlich gleicher Schädelform;
aus dieser „Mittelmeerrasse“ sind als östlichste und west¬
lichste Ausstrahlungen die semitischen undiberisch-berberischen
Völker hervorgegangen. Zwischen Nord- und Südeuropäer
aber hatten sich in der Zeit der Oede von Osten her asia¬
tische Rundköpfe wie ein Keil eingeschoben; die meisten
Rundköpfe in Mitteleuropa stammen wohl aus früher, vor-
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geschichtlicher Zeit, es haben aber, wie uns die Geschichte
lehrt, auch noch spätere Nachschübe, Hunnen, Avaren,
Magyaren, Türken, stattgefunden. Schon in den ältesten
Pfahlbauten der Schweiz stiessen die Rundköpfe mit nor¬
dischen Langköpfen, die auch in unserem Lande, z. B. auf
dem Michaelsberg bei Untergrombach, sich angesiedelt hatten,
zusammen, und die Schädelfunde in Frankreich, wie auch
die von Gollignon entworfene Karte der französischen
Bevölkerung nach den Schädelformen zeigen auPs deutlichste
das Eindringen der Rundköpfe von Osten her. Die allmäh¬
liche Ersetzung der Langköpfe in Mitteleuropa durch die
Rundköpfe ist eine der merkwürdigsten Erscheinungen und
war eine der schwerwiegendsten Fragen für die Anthropo¬
logie. Wir beantworten sie heute dahin, dass in dem Ge¬
menge dieser beiden Rassen eine einseitige Vermehrung
durch ungleiche Auslese stattgefunden. Die Langköpfe, als
Herrenvolk und eigentliche Kulturträger, standen bei allen
Kämpfen mit eisernen und geistigen Waffen im Vorder¬
treffen, während die Rundköpfe, mehr an der Scholle klebend
und für die Bedürfnisse des Augenblicks sorgend, zahlreichen
Nachwuchs aufziehen konnten. So wurden der Einen immer
weniger, der Anderen mehr. Die kulturgeschichtliche Be¬
deutung eines Volkes aber kann unfraglich nach seinem
Gehalt an Langköpfen geschätzt werden. Auf diese Weise
fällt Licht auf manche sonst räthselhafte Vorgänge, auf das
Werden und Vergehen der Völker. Die Anthropologie, wenn
sie die Errungenschaften unseres naturwissenschaftlichen
Jahrhunderts auf den Menschen anzuwenden versteht, hat
wichtige Aufgaben und eine grosse Zukunft. Nicht nur er¬
möglicht sie ein richtiges Verständniss der Geschichte da¬
durch, dass sie deren natürliche Grundlagen aufdeckt und
die Lücken der Ueberlieferung ausfüllt, sondern sie zeigt
auch, indem sie die innersten Triebfedern des Volkslebens
enthüllt, was wir thun können, wo der Hebel angesetzt werden
muss zur Lösung der sozialen Frage. Weit entfernt, Um¬
sturz oder Gleichmacherei zu verkünden, lehrt sie im Gegen-
theil auf’s Eindringlichste die Naturnothwendigkeit der
Sittengesetze und der Abstufung der menschlichen Gesellschaft.
— Der Vortrag wurde durch zahlreiche Abbildungen sowie
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durch einige Schädel aus der Grossh. Alterthumssammlung,
die der Herr Konservator gütigst zur Verfügung gestellt hatte,
erläutert An der lebhaften und eingehenden Besprechung
betheiligten sich besonders die Herren Geh. Hofrath Wiener,
Ammon, Dr. Doll und der Vortragende.
467. Sitzung am 14. Dezember 1894.
Anwesend 72 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Dr. Ed. Molitor, Arzt.
Im physikalischen Hörsaale der Technischen Hochschule.
Herr Hofrath Dr. Lehmann hielt einen Experimental¬
vortrag über den elektrischen Lichtbogen und die
Entstehung des Lichtes.
Der elektrische Lichtbogen ist eine der glänzendsten
und, insbesondere seit Einführung der elektrischen Beleuch¬
tung, bekanntesten, trotzdem aber hinsichtlich seines eigent¬
lichen Wesens am wenigsten aufgeklärten Erscheinungen.
Beobachtet man den Lichtbogen bei starker Vergrösserung
(er wurde hierzu zuerst bei horizontaler, dann bei vertikaler
Stellung der Kohlenspitzen auf einen Schirm projizirt), so
zeigt sich, dass die mit den Zuleitungsdrähten in Verbindung
stehenden Kohlenspitzen, insbesondere die positive, hell er¬
glühen, während der Lichtbogen selbst nur schwach leuchtet,
und zwei schief gegen einander gerichteten Flammen mit
bläulichem Kern und grünlicher, zeitweise auch gelblicher
Hülle gleicht, die sich zu einer einzigen spitz zulaufenden
Flamme vereinigen. Die Flammenform ist dadurch bediugt,
dass sich die Luft in Folge des Stromdurchganges stark er¬
hitzt und wie eine Flamme aufsteigt und dass der Strom
den Weg durch die erhitzte Luft vorzieht, obschon dieser
grösser ist als die direkte Entfernung der Kohlenspitzen.
In verdünnter Luft geht die spitzwinklige Form des Licht¬
bogens in wirkliche Bogenform über und bei grösserer Ver¬
dünnung ist die Krümmung so gering, dass sie kaum mehr
erkannt werden kann, weil die Steigkraft der verdünnten
Luft im Verhältniss zur Reibung sehr gering ist.
Versuchen wir uns nun klar zu machen, welches die
Ursache dieser Lichterscheinung ist, so scheint auf den
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ersten Blick die Erklärung eine sehr einfache. Der Strom
geht von einer Kohlenspitze zur andern über wie durch
einen Draht, aber da die Luft nicht undurchsichtig ist wie
der Draht, so sehen wir eben den Strom selbst als ein
feines bläulich oder grünlich leuchtendes Fluidum, welches
sich mit grosser Leichtigkeit zwischen den Luftmolekülen
hindurchzubewegen vermag und dabei gewissermassen durch
Reibung die Temperatur erhöht, so sehr, dass die Enden
der Kohlenstäbe zur intensiven Weissgluth gebracht werden.
Wir werden uns auch alsbald weiter sagen, dass das bläu¬
liche und grünliche Licht nicht dem elektrischen Fluidum
selbst zukommt, sondern erst durch Erglühen der Luft zu
Stande kommt, dass also das elektrische Fluidum an sich
unsichtbar sei. Aber wenn dem so ist, wenn wir das Fluidum
nicht sehen können, welches sind denn die Beweise, dass es
wirklich existirt und in den Draht strömt?
Der bisherigen Forschung ist es nicht geglückt, diese
Beweise zu finden. Längs der elektrischen Leitung strömt
allerdings etwas, wir können es sogar genau in Zahlen
messen, seine Geschwindigkeit angeben und es zu allerlei
technischeu Zwecken nutzbar verwerthen; aber es ist seinem
Wesen nach eine Energie, ein unsichtbarer und unfühlbarer
Bewegungszustand, der, der Leitung am einen Ende mit-
getheilt, am andern wieder zum Vorschein kommt, sei es
als Arbeit eines Elektromotors, oder als Wärme eines glühen¬
den Drahtes, oder in Form des Lichtes einer Bogenlampe.
Der elektrische Strom ist desshalb weniger vergleichbar dem
Wasserstrom in einer Wasserleitung, als dem Energiestrom
in der Transmissionswelle einer grossen Fabrik. Denken wir
uns eine solche Trausmissionswelle von ungeheurer Länge, sie
möge sich auf 5 km Entfernung hinziehen, so wird die Bewegung,
welche die Dampfmaschine der Riemscheibe an einem Eude
mittheilt, erst im Verlauf einer Sekunde am andern Ende
ankommen und die dort befindliche Arbeitsmaschine in
Thätigkeit setzen. Man kann sagen, die Energie, welche
die Dampfmaschine an die Transmissionswelle abgegeben hat,
sei mit der Geschwindigkeit von 5 km pro Sekunde längs
dieser Welle fortgewandert und schliesslich an die Arbeits¬
maschine übertragen worden. Dieser Energiefluss findet
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statt, ohne dass irgend eine Materie längs der Welle wan¬
dert, ja aus der Entfernung bemerken wir kaum etwas von
dem Fortschreiten des Bewegungszustandes, und die Welle
kann die grössten Kräfte übertragen, ohne sich auch nur
merklich zu erwärmen. Ganz lässt sich Erwärmung aller¬
dings nicht vermeiden, denn die Welle muss von Strecke zu
Strecke durch Lager unterstützt sein und an diesen Stellen
ist die Erzeugung von Wärme unvermeidlich.
Im Falle des elektrischen Stromes erfolgt die Kraft¬
übertragung mit viel grösserer Geschwindigkeit, die Energie
legt 300 000 km pro Sekunde längs der Leitung zurück, wir
können aber ebenfalls die grössten Kräfte in ganz unsicht¬
barer Weise übertragen und die Leitung würde sich nicht
im geringsten erwärmen, wenn wir sie aus widerstandsfreiem
Draht herstellen könnten. Wir haben es auch in der Ge¬
walt. die Energie ganz oder zum grössten Theil in Form
von Wärme an einer beliebigen Stelle auftreten zu lassen,
wenn wir nur dort einen grossen Widerstand einschalten
(Versuch mit 500 Ampere), ebenso wie wir durch starkes
Bremsen einer Transmissionswelle dieselbe an einer beliebigen
Stelle zum Glühen bringen können, wenn die Kraft dazu
ausreicht.
Es gibt nun allerdings Fälle, in welchen der elektrische
Strom unzweifelhaft mit dem Wandern von Materie ver¬
knüpft ist, aber das, was in diesem Falle wandert, ist nicht
ein unsichtbares Fluidum, sondern gewöhnliche sichtbare und
wägbare Materie verschiedenster chemischer Zusammensetzung.
Diese Fälle sind die Leitung des Stromes in Elektrolyten
und die mechanische Ueberführung der Elektrizität mit der
rotirenden Scheibe einer Elektrisirmaschine oder die Wirbel¬
bewegung in einer schlechtlcitenden Flüssigkeit. Selbst diese
scheinbaren Ausnahmen beweisen indess nichts für die Exi¬
stenz eines Stromes elektrischer Materie.
Die elektrolytischen Erscheinungen, z. B. die Zersetzung
des Wassers, können wir uns in der Weise vorstellen, dass
unter der grossen Masse von Molekülen, welche sich in leb¬
haftester Bewegung befinden, auch solche vorhanden sind,
welche etwa durch heftigen Zusammenprall mit andern in
entgegengesetzt elektrische Spaltungsstücke — Jonen —
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zertrümmert wurden, so dass sich in Folge der elektrischen
Kraft die positiven Theile gegen die negative Elektrode hin¬
bewegen, die negativen gegen die positive. Speziell beim
Wasser würden in solcher Art am positiven Pole Sauerstoff-,
am negativen Wasserstoffatome zum Vorschein kommen und
ihre Elektrizität an die Elektroden abgeben.
Die Menge der von einer bestimmten Quantität Wasser¬
stoff- oder Sauerstoffatomen abgegebenen Elektrizität kennen
wir leicht messen. Es zeigt sich z. B., dass 1 mg Wasserstoff
100 Coulomb zu transportiren vermag, also wenn wir auf
Grund der Resultate der kinetischen Gastheorie annehmen,
dass 1 mg Wasserstoff 200 Trillionen Moleküle enthält, ein
einzelnes Wasserstoffinolekül ein halbes Trilliontel Coulomb.
Dies scheint eine sehr kleine Zahl, repräsentirt aber
doch eine sehr grosse Elektrizitätsmenge, denn 1 Coulomb ist
so viel Elektrizität, dass zwei mit je 1 Coulomb geladene
Konduktoren in 1 m Entfernung sich gegenseitig anziehen
oder abstossen würden, mit einer Kraft von uahezu einer
Milliarde Kilogramm.
Dieser grossen elektrischen Kapazität der Moleküle ent¬
spricht eine sehr grosse treibende Kraft, welche die Jonen
den Elektroden zuführt. Die Rechnung ergibt, dass, wenn
wir beispielsweise Wasser zwischen zwei im Abstand von
2 cm befindlichen Platinblechen, welche etwa mit zwei hinter¬
einandergeschalteten Chromsäureelementen in Verbindung
stehen, zersetzen, Wasserstoffionen im Gesammtbeträge von
1 mg mit einer Kraft von rund 5000 kg gegen die negative
Elektrode hingetrieben werden. Dies ist eine ungeheuer
grosse Kraft, so dass wir meinen sollten, der ganze Apparat
würde dadurch sofort zertrümmert werden. In Wirklichkeit
findet dies nicht statt, weil eine gleich grosse Kraft die Sauer¬
stoffionen nach der entgegengesetzten Richtung treibt und weil
beide in Folge ihrer überaus grossen Zertheilung unter den
Wassermolekülen so grossen Reibungswiderstand erfahren,
dass sie thatsächlich nur mit der Geschwindigkeit von 0,3 mm
pro Sekunde vorwärts kommen.
Kehren wir nun wieder zur Betrachtung des Lichtbogens
zurück. Wir hätten obigem zufolge anzunehmen, dass eine
Art unsichtbares Räderwerk die Energie bis zu der Stelle
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Überträgt, wo der Lichtbogen entsteht. Dort aber stellt sich
der Funktion des Räderwerks ein überaus grosses Hinderniss
entgegen. Die Luftmoleküle sind gewissermassen Steine,
welche in zahllosen Massen in das Getriebe der unsichtbaren
Räder hineingeworfen und zermalmt werden, so dass in Folge
der enorm hohen Reibungswiderstände eine Temperatur ent¬
steht, die weit über alle sonst auf künstliche Weise zu er¬
zielenden Temperaturen hinausgeht (ca. 2000—3000°) und aus¬
reicht, die sonst völlig feuerbeständige Kohle zu verflüchtigen.
Ist nun diese hohe Temperatur an sich die Ursache,
dass der Lichtbogen, d. h. die heisse Luft, leuchtet? Die
Versuche, Luft künstlich durch Erhitzen bis zum Glühen
leuchtend zu machen, haben ein negatives Resultat ergeben.
Luft, welche so heiss ist, dass hineingebrachte Körper sofort
weissglühend werden, ist an sich ganz dunkel, dagegen kann
durch chemische Prozesse (man denke z. B. an das Phos-
phoresziren von Phosphordampf im Dunkeln) schon bei ganz
niedriger Temperatur Licht erzeugt werden. Die meisten
Lichtquellen erzeugen Licht durch Verbrennungsprozesse,
wobei gleichzeitig Wärme entsteht. Man dachte sich früher
diesen Prozess so, dass die zur Vereinigung gelangenden
Moleküle durch Anziehungskräfte getrieben auf einander los-
stürzen und hierdurch Wärme erzeugen. Untersucht man
nun aber auf dem Wege der Rechnung, wie viel Wärme
z. B. bei Verbrennung von 1 Gramm Wasserstoff entstehen
würde, wenn die Wasserstoffatome durch Massenanziehung,
d. h. durch Gravitationskraft auf die Sauerstoffatome getrieben
würden, so findet man (nach F. Exner, Sitzb. d. Wien.
Akad. Juli 1894) dafür nur fünf Quadrilliontel einer Calorie,
während thatsächlich 34 Calorien entstehen. Die Ansicht
kann also nicht richtig sein.
Sollte die Wärme vielleicht auf elektrischem Wege ent¬
stehen? Wir haben gesehen, dass Wasserstoff- und Sauer¬
stoffatome auch elektrisch werden können, und zwar stark
elektrisch. Versuchen wir nun zu berechnen, ob etwa diese
elektrische Anziehungskraft ausreichen würde, die auftretende
Wärme zu erklären, so finden wir (nach demselben Autor)
thatsächlich fast genau die wirklich beobachtete Zahl.
Halten wir damit zusammen, dass nach den Maxwell-
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Hertz’schen Forschungen das Licht nothwendig eine elek¬
trische Wellenbewegung sein muss, was sich schon daraus
ergibt, dass es sich ebenso wie elektrische Wellen mit der
Geschwindigkeit von 300 000 km per Sekunde fortpflanzt, so
liegt es sehr nahe, anzunehmen, dass in allen Fällen, wo
Licht auftritt, ein Ausgleich molekularer elektrischer Ladun¬
gen die eigentliche Ursache der Entstehung der Lichtschwin¬
gungen ist.
Somit wäre auch im Falle des elektrischen Lichtbogens
näher zu untersuchen, ob und aus welchen Gründen derartige
molekulare Ladungen auftreten können und ob sich durch
den Ausgleich zahlenmässig genau diejenige Lichtart, die
man thatsächlich beobachtet, ergeben muss. Eine grosse
Schwierigkeit dabei ist die Beschaffung einer geeigneten
Elektrizitätsquclle. Eine grosse Influenzmaschine (die grösste
jemals gebaute), deren Beschaffung dem Physikalischen In¬
stitut der Technischen Hochschule durch Zuwendung privater
Mittel ermöglicht wurde, lieferte noch immer nicht die aus¬
reichende Elektrizitätsmenge. Besondere Dienste leistete
dagegen neuerdings eine Dynamomaschine, welche beim Brande
der hiesigen Bahnhofsanlagc stark beschädigt und dem
Physikalischen Institut mit dankenswerthem Entgegenkommen
seitens Grossh. Generaldirektion der Staatseisenbahnen über¬
lassen worden war. Die Maschine wurde für hohe Spannung
(2000 Volt) in der Werkstätte des Instituts neu bewickelt
und gestattete, im Vacuum Lichtbogen von 20—30 cm Länge
herzustellen, so dass deren Beschaffenheit im einzelnen näher
geprüft werden konnte. (Es folgte nun eine Reihe von De¬
monstrationen bei diesem Lichtbogen bei verschiedenen
Elektroden und verschiedenen Gasen und Dämpfen, sowie
auch vergleichsweise unter Anwendung einer Akkumulatoren¬
batterie für 2000 Volt und eines Transformators für dieselbe
Spannung). Die bisherigen Ergebnisse scheinen darauf hin¬
zuweisen, dass die Annahme, das Licht entstehe durch Aus¬
gleich entgegengesetzter Atomladungen, berechtigt ist, und
die auf Grund dieser Annahme angestellten Berechnungen
haben ergeben, dass die Schwingungszahl und die Wellenlänge
der elektrischen Strahlung, die eintreten muss, wenn die ent¬
gegengesetzten Ladungen zweier Atome sich ausgleichen, in
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guter Uebereinstimmung stehen mit der Schwingungszahl und
Wellenlänge des thatsächlich beobachteten Lichtes.
Besondere Aufmerksamkeit wurde auch den Strömungs¬
vorgängen und dem Auftreten von Wirbeln im Lichtbogen
gewidmet, welche durch Rauch und Eindringen fremder
Gasströme und Dämpfe sichtbar gemacht werden, sowie
dem Auftreten der Schichtungen. Dabei zeigen sich eigen¬
tümliche Erscheinungen, welche zum Theil durch die Elek¬
trizität der Flammen und den sog. elektrischen Wind ihre
Erklärung finden. Durch Demonstration von zwei grossen
Gasflammen und zwei grossen Flugrädern wurden diese Ver¬
hältnisse näher erläutert.
468. Sitzung am II. Januar 1895.
Anwesend 27 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath I)r. Wiener*
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Professor R. Grashof am
Gymnasium, Staatsrath H. v. Trautschold, Geh. Rath 0. v. Struve,
Lehrer Ludw. Schröder.
Die Versammlung erklärte auf Antrag des Vorstandes
ihre Zustimmung, dass die zweite Auflage des Werkes des
kürzlich verstorbenen Mitgliedes Gerichtsnotar Reutti
„Uebersicht der Lepidopteren des Grossherzogthums Baden“
als 12. Heft der Verhandlungen unseres Vereins heraus¬
gegeben werde.
Herr Hofrath Dr. Meidinger hielt einen Vortrag über
Durchsichtigkeit der Luft im Hinblick auf Fernsichten; der¬
selbe ist in erweiterter Form den Abhandlungen ange¬
schlossen. An den Vortrag knüpfte sich eine Diskussion
mit den Herren Dr. Schultheiss, Geh. Hofrath Wiener, Dr.
Wilser, Professor Platz.
469. Sitzung am I. Februar 1895.
Anwesend 38 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Forstrath X. Siefert.
Herr Dr. Schultheiss hielt einen Vortrag über die Er¬
gebnisse der meteorologischen Beobachtungen am
Eiffelthurm und am Strassburger Münster.
Auf der Spitze des ersteren ist seit dem Ausstellungs-
jahr 1889 eine Station erster Ordnung mit selbst aufschrei-
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282
benden Instrumenten für- alle meteorologischen Elemente
eingerichtet; ausserdem sind noch auf einer Zwischenplatt¬
form in 197 m über dem Boden und auf der zweiten Platt¬
form in 123 m Registrirthermometer aufgestellt. Ein solches
Instrument befindet sich seit dem Jahre 1891 auch in dem
Helm des Strassburger Münsters in 136 m über dem Boden.
Windfahne und Windgeschwindigkeitsmesser — beide selbst-
aufschreibend — sind auf der äussersten Spitze des Münster-
thurmes angebracht. Der Vortragende erörterte zunächst
die Wärmevorgänge in der Atmosphäre unter dem Einfluss
der Sonnenstrahlung; demnach wird die Luft nur in geringem
Grade durch die Sonnenstrahlen direkt, vielmehr erst vom
Boden her erwärmt; sie erkaltet durch die Berührung mit
dem durch Ausstrahlung sich abkühlenden Boden, zum Theil
auch durch eigene Ausstrahlung. Diese ist wohl stärker in
dünner Luft, als in dichter, und ihr wirkt wohl der Wasser¬
dampf der Luft entgegen, der trotz mehrfach dagegen gel¬
tend gemachter Eicwände doch noch für Wärme undurch¬
lassend gehalten wird, allein vielmehr kommt noch die
topographische Lage eines Ortes in Betracht; es haben näm¬
lich alle Mulden-, Kessel-, und Thallagen kalte Nächte,
während diese in freien Lagen in der Höhe verhältniss-
mässig warm sind. Als Belege für diese Erscheinung, deren
nähere Erklärung in Hann’s meisterhaftem Handbuch der
Klimatologie und in Wöeikofs Werke über die Klimate der
Erde ausführlich zu finden ist, können die Beobachtungen
von Villingen und Höchenschwand dienen; ersterer Ort liegt
in 700 m Höhe über dem Meere in einer flachen Thalmulde
und hat ausserordentlich kalte Nächte, besonders im Winter,
wenn Schnee liegt. Das Temperaturminimum ist im Jahres¬
durchschnitt um 2,7 0 zu tief. In Höchenschwand da¬
gegen, das in 1000 m auf einer allseits freien Hochfläche
liegt, fällt das Thermometer nie so tief wie in der Rhein¬
ebene, das Temperaturminimum ist dort um 0,7° zu
hoch; das Maximum ist andererseits etwas zu niedrig, ent¬
sprechend der kleinen wärmenden Bodenfläche. Das Höhen¬
klima zeichnet sich also — aber nur in freien Lagen —
durch geringe periodische Wärmeschwankungen aus, worin
es Aehnlichkeit mit dem maritimen Klima besitzt.
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Die Beobachtungen am Eiffelthurm und am Strassburger
Münster lassen nun erkennen, dass die periodischen Wärme¬
schwankungen beim freien Aufstieg in der Atmosphäre etwa
8 Mal so rasch abnehmen, als an den Bergen, so dass sie
auf der Eiffelthunnspitze bereits geringer sind, als auf dem
2500 m hohen Gipfel des Säntis. Nach den Beobachtungen
an beiden Thürmen reicht die durch stärkere Erkaltung des
Bodens in einiger Höhe entstehende warme Schicht weiter
hinauf, als man bisher angenommen hatte; es betragen näm¬
lich die Jahresmittel der Temperatur für die Nachtstunden
in Paris (Parc St. Maur) 6,8° C., auf der zweiten Plattform
7,7°, auf der Zwischenplattform 7,8° und auf der Spitze 7,0°.
Die wärmste Schicht, die um 1° höhere Temperatur besitzt
als die Luft am Boden, liegt im Mittel in der halben Höhe
des Eiffelthurms. Von da ab nimmt die Luftwärme nach
oben hin ab, jedoch so langsam, dass die Spitze noch etwas
wärmer bleibt als der Boden. Der Wärmeüberschuss der
Spitze des Strassburger Münsters beträgt in der Nacht 1,4°.
Um 6 Uhr Abends ist nach dem Jahresdurchschnitt die Luft
in Parc St. Maur so wfeit erkaltet, dass sie gleich warm ist
mit der der zweiten Plattform; dreiviertel Stunden später
ist am Boden die Temperatur der Zwischenplattform, aber
erst um IO 1 /* Uhr ist jene der Spitze erreicht. Viel schneller
geht am Morgen die Herstellung des Zustandes, in dem die
Luftwärme nach oben hin abnimmt, vor sich, entsprechend
der beim Beginne der Insolation sehr rasch sich vollziehenden
Erwärmung der unteren Luftschichten, was sich auch durch
einen förmlichen Knick in der normalen Temperaturkurve
erkennen lässt; etwa um 6 Uhr 15 Min. früh ist die Tem¬
peratur am Boden so weit gestiegen, dass sie gleich mit
jener der Eißelthurmspitze ist und schon eine Stunde später
ist der Boden wärmer als die zweite Plattform. Am Tage
sind die vertikalen Temperaturunterschiede am grössten in
den Mittagsstunden. Am Nachmittag sind die Bedingungen
für ein Aufsteigen der Luft gegeben, da die untersten
Schichten zu warm, also zu leicht geworden sind. Am Eiffel¬
thurm nimmt der Wasserdampfgehalt viel schneller, etwa
6 Mal so rasch ab, als längs der Bergseiten.
Die Windgeschwindigkeit wächst nach den Beobachtungen
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an beiden Thürinen und nach denen am 50 m hoben Wasser¬
thurm in Strassburg in den untersten Luftschichten nach oben
hin sehr rasch, entsprechend der Entfernung von der durch
Reibung verzögernd auf die Luftströmungen einwirkenden
Erdoberfläche. Von etwa 50 Meter an scheint bis in die
Höhe der Eiffelthurmspitze die Windgeschwindigkeit propor¬
tional der Erhebung über den Boden zu wachsen; dort ist
sie im Jahresmittel grösser als auf der Spitze des Säntis,
woraus ebenfalls wieder die Wirkung der Reibung erkannt
werden kann. Die Tagesperiode der Windgeschwindigkeit
zeigt sowohl auf dem Eiffelthurm wie auf dem Strassburger
Münster den gleichen Verlauf, wie auf hohen Bergen, indem
hier der Wind in der Nacht stärker weht als am Tage. In
den tieferen Lagen nimmt dagegen die Windgeschwindigkeit
gegen Mittag und in den ersten Nachmittagsstunden zu. Die
Schicht, in welcher die beiden vollkommen von einander ver¬
schiedenen Tageskurven in einander übergehen, scheint nicht
viel höher als 50 Meter über dem Boden zu liegen. Die
starke Luftbewegung auf dem Eiffelthurm — 9 Meter in der
Sekunde im Jahresmittel — verursacht, dass zu geringe
Niederschläge gemessen werden, wie dies überhaupt bei
Thürmen der Fall ist; sie verursacht ferner in dem ge¬
schlossenen Raume, in welchem das Barometer hängt, eine
Saugwirkung, so dass dort oben etwas zu niedriger Luftdruck
beobachtet wird.
An den Vortrag schloss sich eine rege, länger andau¬
ernde Besprechung mit den Herren Hofrath Meidinger, Dr.
Wilser, Geh. Hofrath Engler, Prof. Platz, Prof. Endres,
0. Ammon an, in welcher auch noch andere, dem Gebiete der
Meteorologie angehörige Themata zur Sprache kamen.
470. Sitzung am 15. Februar 1895.
Anwesend 33 Mitglieder. Vorsitzender: Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldetes Mitglied: Herr Prof. Dr. L. Klein,
an der technischen Hochschule.
Herr Professor Dr. Käst hielt einen Vortrag über neuere
Explosivstoffe.
Der Vortragende wies darauf hin, dass Jahrhunderte
lang das Schwarzpulver als alleiniges Spreng- und Treibmittel
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in Verwendung stand und wesentliche Veränderungen in seiner
Zusammensetzung auch bis zur neuesten Zeit nicht erlitten
hat. Seit der Entdeckung der Nitrocellulose (Schiessbaum¬
wolle) und des Nitroglycerins in den Jahren 1846 und 1847,
welche Körper als Repräsentanten der Gruppe der sog. bri¬
santen Sprengstoffe angesehen werden können, hat man mit
Erfolg versucht, diese äusserst sprengkräftigen Substanzen für
sich oder in Kombination mit anderen als Substitute des
Schwarzpulvers zu verwenden. Die lose Schiessbaumwolie
wird ihrer relativ geringen Brisanz wegen zu Sprengzwecken
nicht mehr benutzt; mau bedient sich der durch starke
Pressung hergestellten komprimirten Schiessbaumwolie mit
einem Wassergehalte von etwa 20 Proz., welche, weil wenig
sensibel, ungefährlich zu handhaben und zu transportiren und
erst durch Einschaltung sog. Initialladungen von trockener
Nitrocellulose zur vollständigen Explosion gebracht werden
kann. Die Schiessbaumwolie findet als Sprengstoff haupt¬
sächlich in der Militärtechnik Verwendung. Auch das Nitro¬
glycerin wird, seiner gefährlichen Handhabung wegen, nur
noch selten für sich als Sprengmittel benutzt. Dagegen leiten
sich von ihm eine grosse Reihe zum Theil sehr wirksamer
Sprengstoffe ab, welche allgemein als Dynamite bezeichnet
werden können. Man stellt sie dar, indem man das Nitro¬
glycerin von anderen Substanzen aufsaugen lässt, und erreicht
dadurch einen für den Gebrauch wünschenswerthen Rückgang
der Sensibilität des Sprengstoffs, ohne aber die Sprengkraft
wesentlich zu beeinträchtigen. Je nachdem diese Saugstoffe
unverbrennlich oder verbrennlich bezw. selbst explosiv sind
oder aus Mischungen beider bestehen, unterscheidet man
Dynamite mit unwirksamer Basis, als deren Repräsentant
der Nobel’sche Guhrdynamit No. 1 mit einem Gehalt von
bis zu 75 Proz. Nitroglycerin und 25 Proz. Kieselguhr zu
betrachten ist, Dynamite mit wirksamer Basis, zu welchen
einer unserer brauchbarsten Sprengstoffe, die Nobel’sche
Sprenggelation, bestehend aus 92 bis 93 Proz. Nitroglycerin
und 7 bis 8 Proz. löslicher Nitrocellulose, zu rechnen ist, und
endlich die grosse Reihe der Dynamite mit gemischter
Basis, zu welcher die Nobel’schen Gelatinedynamite und die¬
sen verwandte Sprengstoffe gehören.
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Eine besondere Gruppe von Explosivkörpern stellen die
sog. Sprengel’schen Sprengstoffe dar, welche als wirksame
Bestandteile aromatische Nitrokörper, so z. B. die verschie¬
denen Nitrirungsstufen des Benzols, Toluols, Naphtalins,
Kresols u. s. w. enthalten. Solche Sprengstoffe sind der
Hellhoffit, Roburit, Ecrasit u. a. ln bedeutendem Masse
findet, speziell auf militär-technischem Gebiete, neuerdings
das Trinitrophenol (Pikrinsäure) Verwendung, und zwar so¬
wohl in pulverförmigem wie geschmolzenem Zustande. Die
Pikrinsäure steht in Bezug auf Brisanz der Nitrocellulose
und den vom Nitroglycerin sich ableitenden Sprengstoffen
nicht nach, übertrifft diese aber hinsichtlich Stabilität
und Sicherheit gegen zufällige Explosionen. Letztgenannte
werthvolle Eigenschaft geht jedoch verloren, wenn man
die Pikrinsäure mit Nitrocellulose kombinirt, wie die mit
dem sogenannten Melinit gemachten Erfahrungen bewiesen
haben.
Redner kommt sodann auf die modernen, rauchschwachen,
irrthümlich auch als brisant bezeichneten Schiesspulver zu
sprechen, welche mit dem alten Schwarzpulver nichts mehr
als den Verwendungszweck gemeinsam haben, hinsichtlich
ihrer Zusammensetzung aber als Abkömmlinge der brisanten
Sprengstoffe aufzufassen sind. Es wurde gezeigt, dass von
jeder typischen Gruppe von Sprengstoffen auch ein rauch¬
schwaches Pulver abgeleitet werden kann, in dem Sinne, dass
das sog. Blättchen-Pulver, wie es zuerst die französische
Armee hatte und welches jetzt in verschiedenen Armeen, auch
in der deutschen, im Gebrauch steht, ein Abkömmling der
Nitrocellulose ist, welche bei der fabrikatorischen Herstellung
des Pulvers durch Lösungsmittel (Essigäther, Aceton) gelati-
nirt wird. Die modernen Gewehrpulver der englischen und
italienischen Armee haben in qualitativer Hinsicht gleiche
Zusammensetzung wie die Sprenggelatine, bei ihrer Darstellung
dient zur Gelatinirung der Schiessbaumwolle Nitroglycerin.
In enger Beziehung zu den Sprengel’schen Sprengstoffen steht
ein, allerdings nur für Jagdzwecke Verwendung findendes
Pulver, der sog. Plastomenit. Ueber pikrinsäurehaltige Schiess¬
pulver ist neuerdings nichts in die Oeffentlichkeit gedrungen,
versuchsweise war Mitte der 80er Jahre ein aus Ammonium-
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pikrat und Kalisalpeter bestehendes Pulver (Poudre Brugere)
in der französischen Armee in Benutzung.
Der Vortrag wurde durch einige Demonstrationen ergänzt.
In der Diskussion bemerkt Herr Geh. Hofrath Dr.
Engler, dass anfänglich bei der Herstellung rauchschwacher
Pulver aus Nitrocellulose der gelatinirten Masse Antiseptica
zwecks Erzielung grösserer Stabilität zugesetzt wurden. Herr
Bergmeister Buchrucker machte Mittheilung über Verwen¬
dung verschiedener Sprengstoffe im Bergbau und über Erfah¬
rungen, welche man mit einigen modernen Sprengstoffen
(Roburit, Westfalit) speziell bei der Benutzung in Kohlenberg¬
werken gemacht hat.
471. Sitzung am I. März 1895.
Anwesend 41 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geb. Hofrath Dr. Wiener.
Neu angemeldete Mitglieder, die Herren: Ing. L. Pulvermann
und Dr. Eng. Fiacbbacb, Arzt.
Herr Geh. Hofrath Engler sprach über den künstlichen
Aufbau, die sogenannte Synthese, pflanzlicher und
thierischer Stoffe aus ihren Elementen auf che¬
mischem Wege.
War man früher der Ansicht, dass bei den im Lebens¬
prozess der Pflanzen und Thiere gebildeten Stoffen eine be¬
sondere Kraft wirksam sein müsse, die Lebenskraft, so wurde
durch Entdeckungen Wöhlers u. A. schon in der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts der Beweis erbracht, dass man
eine ganze Reihe jener Verbindungen auf rein chemischem
Wege erzeugen könne. Den ersten Pflanzenfarbstoff, das
Krapproth, lehrten Grabe und Liebermann 1869 künstlich
bereiten, eine Entdeckung, die so rasch technisch verwerthet
wurde, dass schon 10 Jahre später die bis dahin so bedeu¬
tende französische Krapp-Erzeugung so viel wie vernichtet
war. Bald darauf gelang dem Vortragenden in Gemeinschaft
mit Emmerling die künstliche Darstellung des Indigo’s nach
einem Prozess, den er wissenschaftlich und praktisch erst in
den letzten Wochen näher begründen und feststellen konnte.
Ein Präparat dieses künstlichen Farbstoffs, bei dessen Be¬
reitung man von Essigsäure und Benzoesäure ausgeht, wurde
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vorgezeigt. Weitere Pflanzenstotfe folgten, wobei von beson¬
derem Interesse die Synthese einiger als Medikamentstoffe
verwendeten Pflanzengiftstoffe war, darunter als erstes das
Coniin des Schierlings durch Ladenburg. Auch die künst¬
liche Erzeugung aromatischer Riechstoffe wurde durch die
Entdeckung des Kumarins, des Duftes des Waldmeisters, ein¬
geleitet und als neueste dieser Art wurden der Moschus und
das Jonon, der duftende Bestandtheil des Veilchen, genannt.
Während die Entdeckung des ersteren, des Moschus, durch
Baur auf das Karlsruher chemische Laboratorium zurück¬
zuführen ist, wurde die Bereitungsweise des Jonons durch
Tiemann im Berliner Universitäts-Laboratorium entdeckt.
Die meisten dieser Stoffe werden zur Zeit in Fabriken her¬
gestellt; das so ohne Vanille bereitete Vanillin wird statt
Vanille, Heliotropin statt natürlichen Heliotropduftes, künst¬
licher Moschus statt des natürlichen aus dem Moschusthier,
Jonon statt natürlichen Veilchenduftes verwendet. An einer
Reihe herumgereichter Präparate konnten sich die Anwesenden
von der völligen Uebereiristimmung des Duftes dieser Kunst¬
produkte mit dem der natürlichen Stoffe überzeugen. Trotz
des hohen Preises derselben, so z. B. des Jonons, von dem
ein Kilogramm auf 10 000 Mark zu stehen kommt, ist die
Fabrikation doch eine sehr rentable, weil man nur Spuren
der künstlichen, meist festen Stoffe zur Erzeugung eines
schon starken Duftes gebraucht. — Als neuesten und voraus¬
sichtlich bedeutungsvollsten Fortschritt auf dem Gebiete der
Synthese bezeichnet Vortragender die künstliche Darstellung
der Nährstoffe auf rein chemischem Wege. Von den für
die Ernährung des Menschen wichtigsten Stoffen: Wasser und
Salze, Fette und Kohlenhydrate, Eiweisskörper, kann man
bis jetzt einzelne aus allen Gruppen mit Ausnahme der Ei¬
weisskörper künstlich darstellen. Untersuchungen neuesten
Datums lassen jedoch erkennen, dass man der Lösung auch
des Problems der Erzeugung von künstlichem Eiweiss nicht
mehr ferne ist; schon hat Lilienfeld eine Substanz dar¬
gestellt, die alle Eigenschaften eines Eiweisskörpers besitzt.
Damit wäre aber die Frage der künstlichen Darstellung der
Nährstoffe prinzipiell gelöst. Der Vortrag schloss mit einem
Blick in eine ferne Zukunft, in der die Landwirtschaft, durch
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die chemische Industrie vollständig ersetzt sein, die Nahrungs¬
mittel in chemischen Fabriken in bequemer kompakter Form
dargestellt werden. Das neue, auf elektrischem Wege aus
Kalk und Kohle bereitete Calciumcarbid spiele bei dieser
Synthese einst vielleicht eine wichtigere Rolle als für die
Gasfabrikation. Gehen unsere jetzigen Energiequellen für
industrielle Zwecke, Holz und Kohle zu Ende, so liegen in
der Wärme des Erdinnern und der Sonnenwärme noch so
gewaltige Energiequellen vor, welche die Technik der Zukunft
nutzbar machen kann, dass es an Kraft zum Betrieb der
Fabriken auch auf Jahrhunderte und Jahrtausende hinaus
nicht fehlen wird. An den Vortrag schloss sich eine leb¬
hafte Diskussion an, an welcher sich die Herren Geh.
Hofrath Wiener, Prof. Schröder, Dr. Doll und Dr. Tross
betheiligten.
472. Sitzung am 15. März 1895.
Anwesend 28 Mitglieder. Vorsitzender Herr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Herr Staatsrath von Trautschold sprach über die Krym
und ihr Südufer, letzteres mit der italienischen Riviera ver¬
gleichend. Obgleich Norditalien und die Krym unter den
gleichen Breitegraden liegen, ist das Klima der letzteren
weniger mild als das der Riviera. Orangen kommen auf dem
Südufer der Krym im Freien nicht mehr fort. Ursache der
Verschiedenheit ist der höhere Schutz der Alpenketten für
die Riviera und ihre westlichere Lage. Das taurische Gebirge
ist verhältnissmässig schmal und der höchste Berg, Tscbadyr-
Dagh, erhebt sich nur bis 1660 Meter über dem Meere.
Nachdem der Vortragende die Salzgewinnung auf den flachen
Ufern aus dem Seewasser berührt und des wirksamen Schlamm¬
bades Ssaki erwähnt, schilderte er den Bau des taurischen
Gebirges, das seine Entstehung der Hebung durch eruptive
Gesteine (Diabase) verdankt, die an verschiedenen Stellen des
Südufers zu Tage treten. Ohne ihr Gebirge würde die Krym
unfruchtbare Steppe sein (die sie in der nördlichen Hälfte
auch jetzt noch ist), denn die nach Westen fliessenden Flüsse
Alma, Katscha, Balbek, Tschernaja und der sich nach Nord-
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ost wendende Ssalgir haben alle ihren Ursprung auf der Höhe.
Dank dieser Segen spendenden Feuchtigkeit haben sich ihre
Thäler mehr oder weniger in wahre Gärten verwandelt. Um
die Kultur der Krym hat sich am meisten Anfangs dieses
Jahrhunderts der Fürst Woronzov verdient gemacht. Durch
ihn ist erst das felsige Südufer zugänglich gemacht worden.
Dem Bau guter Wege folgte die Anlegung von Weinbergen,
der Bau von Villen (von denen die schönste Alupka des Fürsten
Woronzov); man schickte Brustkranke nach Jalta, Theodosia
wurde beliebtes Seebad, jetzt fehlt es nicht mehr an Gast¬
häusern, in denen man zu kürzerem oder längerem Aufenthalt
Unterkunft findet. Ausfuhrartikel sind Aepfel, Nüsse, Wein.
In fruchtbaren Jahren sind 50 bis 100 Stützen für die Aeste
der Aepfelbäume nöthig und ein einziger Nussbaum (Juglans
regia) liefert 60 000 Nüsse. Alles an Früchten geht in das
Innere von Russland. Die verschiedensten französischen und
rheinischen Reben, auch ungarische sind angepflanzt, haben
aber auf diesem Boden und unter diesem Klima ein ganz
verschiedenes Getränk geliefert. Nichtsdestoweniger sind die
Weine gut und feurig und haben die ausländischen Weine
fast vom Markte in Russland verdrängt. Dasselbe kann man
vom Champagner sagen, der in der Krym seit ungefähr 10
Jahren hergestellt wird und dem ausländischen bedeutende
Konkurrenz macht. Wälder gibt es noch in ziemlicher Aus¬
dehnung auf der Höhe des Gebirges, nämlich Buchenwälder,
die im nördlichen Russland ganz fehlen, und Kiefernwälder.
Durch das trockene Klima ist auch die Flora der wildwach¬
senden Pflanzen beeinflusst, und sind es namentlich die
stacheligen Sträucher aus den Familien der Rhamneen (Pa-
linurus) und der Asparagineen (Ruscus), die sich breit
machen.
Die Bevölkerung der taurischen Halbinsel ist bunt genug.
Durch die Mongolenhorden des Dschingischan und Tamerlan
wurde alle ältere Kultur zerstört und es siedelte sich ein
tatarisches Volk an, dessen Hauptort noch jetzt Baktschi-
Ssarei ist. Der Handel liegt noch in den Händen der Karaim-
Juden, Armenier und der Griechen. Ackerbau wird getrieben
von deutschen Kolonisten in der Nähe von Karassu-Basar.
Die Besitzer des Landes, die Russen, vertheilen sich auf
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Sebastopol Simferopol (Hauptstadt des taurischen Gouverne¬
ments), Jalta, überhaupt das Südufer der Krym und Kertsch.
Die letztgenannte Stadt am Eingang des liimmerischen Bos¬
porus ist der Sammelplatz von ungefähr einem Dutzend
Völkerschaften, kaukasischen, asiatischen und europäischen
(Italienern), die sich hier zu Handelszwecken zusammenfinden.
Herr Otto Ammon sprach über die ihm durch Herrn
Bildhauer Prof. F. Schaper in Berlin zur Veröffentlichung
mitgetheilten Kopfmasse des Fürsten Bismarck. Darnach ist
der Schädel Bismarck’s von ungewöhnlicher Grösse und steht
an Inhalt über allen bis jetzt bekannten Schädeln hervor¬
ragender Persönlichkeiten. Die Form des Schädels entspricht
derjenigen der alten Germanen, wie sie bei uns in den so¬
genannten Reihengräbern gefunden zu werden pflegt. (Näheres
veröffentlichte der Redner hierüber in der „Täglichen Rund¬
schau, Unterhaltungsbeilage“ 1895 No. 71, 72 und 98, 100.)
Auf Antrag des Vorsitzenden wurde beschlossen, dass die Ver¬
sammlung Herrn Professor Schaper ihren Dank ausspreche.
Herr Professor Holzmann zeigte vier von ihm entworfene
und selbstgefertigte Modelle vor, die den Bewegungsmecha-
nismus der Kieferzange der Wirbelthiere veranschaulichen. —
Bekanntlich hat die Verschiedenheit der Bewegung und Be¬
weglichkeit der Kieferzange der Thiere mit innerem Knochen¬
gerüst in erster Reihe darin seinen Grund, dass die Anzahl
der beweglichen Knochen bei den einzelnen Klassen bezw.
Abtheilungen verschieden gross ist. Man kann in dieser
Hinsicht bei den Wirbelthieren im Grossen und Ganzen vier
Typen unterscheiden, die grossentheils mit den Klassen des
Wirbelthierkreises zusammenfallen. Der erste Typus ist ver¬
treten durch die Klasse der Säugethiere, bei deren Kopf¬
zange der Unterkiefer allein aktive Bewegungen zu machen
imStande ist. Weit beweglicher ist der Kieferapparat beim
zweiten Typus, bei dem durch die Möglichkeit der Hebung
der Oberbacke Quadratbein, Jochbein, Ober- und Zwischen¬
kiefer an der Bewegung theilnehmen. Dieser Typus um¬
fasst die Klassen der Vögel, Amphibien und Reptilien mit
Ausnahme der Ordnung der Schlangen, die einen besonderen,
den dritten, Typus repräsentiren. Bei den Schlangen ist
die Beweglichkeit der Kieferknochen noch grösser, besonders
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da einerseits die in der Regel bezahnten Flügel-Gaumenbeine
gleichsam als zweite Oberkiefer thätig sind und andererseits
das den Unterkiefer tragende bewegliche Quadratbein nicht
am Schädel selbst, sondern an einem selbstbeweglichen
Knochen, dem Schuppenbein eingelenkt ist. Den vierten
Typus zeigen uns die Knochenfische. Er ist besonders
charakterisirt durch die Grösse des Zwischenkiefers und
Quadratbeines, durch die Beweglichkeit eines oberhalb des
Oberkiefers befindlichen Zwischenstückes und durch die
Stellung der Mundöffnung.
Als Vertreter der vier Typen wurden gewählt der
Schädel eines Pferdes (Equus caballus), eines Haushuhns
(Gallus domesticus), einer gemeinen Natter (Tropidonotus
natrix) und eines Karpfen (Cyprinus carpio). Die Dar¬
stellungen sind Vertikalprojektionen. Die einzelnen Knochen
sind durch flache, dünne Brettchen aus Ahornholz wieder¬
gegeben und, soweit nicht beweglich, auf ein schwarzes Brett
aufgeschraubt. Dieses Unterlagebrett ist bei allen Modellen
gleich gross (75x55 cm) und somit auch ungefähr die Grösse
der dargestellten Schädel; daher ist der Maassstab der Ver-
grösserung bei den verschiedenen Thieren verschieden gross,
und zwar beim Pferd 4:5, beim Huhn 1:12, bei der Natter
1:30, beim Karpfen 1:6. Die an der Bewegung haupt¬
sächlich theilnehmenden Knochen (Unterkiefer, Zwischen¬
kiefer, Oberkiefer, Jochbein, Quadratbein und Gaumenflügel¬
bein) sind buntfarbig, und zwar trägt ein und dieselbe
Knochenart bei jedem Modell dieselbe Farbe. Die beweg¬
lichen Knochen sind am Schädel bezw. unter einander durch
Spiralfedern festgehalten.
Die Modelle sollen betrachtet und benützt werden als
grosse, für den Schulunterricht bestimmte, bewegliche Ab¬
bildungen.
473. Sitzung am 5. April 1895.
Gemeinsam mit der Deutschen Kolonialgesellschaft und der Badischen
Geographischen Gesellschaft im grossen Saale des Museums.
Der Afrikareisende Herr Rindermann hielt einen Vor¬
trag über Land und Leute am Viktoria-See in Deutsch-
Ostafrika.
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474. Sitzung am 3. Mai 1895.
Anwesend 54 Mitglieder. Vorsitzender: üerr Geh. Hofrath Dr. Wiener.
Neu eingetreten die Herren; Banrath A. Williard, die Lehramts¬
praktikanten J. Dörr, A. Hobler und F. Stark.
Greneralyerimmmluiiff.
Herr Hofrath Dr. Meidinger liest einen Bericht aber die
Thätigkeit des Vereins im verflossenen Geschäftsjahre vor.
Herr 0. Bartning berichtet über den Stand der Kasse des
Vereins.
Für die nächsten zwei Jahre hatte eine Neuwahl des
Vorstandes stattzufinden; durch Akklamation wurden die
früheren Mitglieder wieder gewählt.
Herr Geh. Hofrath Engler hielt einen Vortrag über das
Argon, einen neuentdeckten Bestandtheil der atmosphärischen
Luft. Zwei englischen Naturforschern, dem Physiker Lord
Rayleigh und dem Chemiker Professor Ratnsay, hat man
diese wichtige Entdeckung zu verdanken, welche nur dadurch
möglich wurde, dass der Erstgenannte der beiden Gelehrten
exakte Bestimmungen des spezifischen Gewichtes des aus
Luft dargestellten Stickstoffs ausführte und dabei fand, dass
dieser Luftstickstoff immer etwas schwerer war als der auf
chemischem Wege präparirte reine Stickstoff. Genauere ge¬
meinschaftliche Untersuchungen ergaben alsdann, dass dem
Luftstickstoff immer etwas Argon beigemischt sei und davon
sein grösseres Gewicht herrühre. Der neue Stoff, ein farb¬
loses, geruch- und geschmackloses Gas, auch chemisch sehr
indifferent, hat sich bis jetzt noch mit keinem anderen
Elemente verbinden lassen und ist auch gerade infolge dieses
indifferenten Verhaltens seiner Entdeckung bisher entgangen,
trotzdem er in erheblich grösserer Menge in der Luft ent¬
halten ist, zu V* bis 2 Proz., als Kohlensäure und Wasser¬
dampf. Unter hohem Druck in Verbindung mit starker
Abkühlung verdichtet sich das Argon zu einer farblosen
Flüssigkeit, die bei noch niedererer Temperatur fest wird.
Von besonderem Interesse ist das auf elektrischem Wege er¬
zeugte Funkenspektrum, welches Vortragender an einem durch
Professor Ramsay erhaltenen Präparate vorzuzeigen in der
Lage war. Je nach Gasdruck und Spannung der Elektrizität
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ist die Farbe des glühenden Gases orangeroth oder stahlblau
und zeigt das Spektrum entsprechend gefärbte charakteris¬
tische Linien. Ob in dem Argon ein neues Element vorliegt,
oder nur eine besondere Modifikation eines schon bekannten
Elementes, vielleicht des Stickstoffs, ist noch nicht entschieden.
— Von fast noch grösserem Interesse als die Entdeckung
des Argons ist die Wahrnehmung Ramsay’s, dass ein aus
Cleve'it, einem bei Carlshuus in Norwegen sich findenden
Mineral dargestelltes argonhaltiges Gas das Spektrum des
Heliums zeigt, eines in seinem Wesen noch nicht näher er¬
kannten, höchst merkwürdigen Stoffes, der bislang nur in der
die Sonne umgebenden Gashülle nachgewiesen wurde und den
man auf der Erde bis jetzt vergeblich gesucht hatte. Letztere
Entdeckung würde, falls sie sich bei den zur Zeit in Gang
befindlichen eingehenden Untersuchungen bestätigte, eine der
wichtigsten auf chemisch-astrophysikalischem Gebiet der neue¬
sten Zeit sein. An diese Ausführungen schloss sich eine
Diskussion, woran sich Herr Dr. Ristenpart und der Vor¬
tragende betheiligten.
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Abhandlungen.
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Der Aufstand in Deutseh-Ostafrika und die
Wissmann’sehe Expedition.
Von Lieutenant a. I). Georg MSrcker.
Von allen deutschen Colonialerwerbungen ist ohne Frage
Ostafrika die bei weitem bedeutungsvollste. Während wir
in Togo und Kamerun, in Südwestafrika und der Südsee
Gebiete haben, die zum grössten Thcil von uns erst entdeckt
werden mussten, besitzen wir in Ostafrika eins der ältesten
Handelsgebiete der Welt. Die Reliefs der Tempelruinen von
Der-el-Bahri beschreiben uns die Handelszüge, welche die
Königin Hatschepsu bereits im Jahre 1650 v. Chr. Geburt
nach dem heutigen Somalilande sandte, um von dort Gold,
Myrrhen und Getreide nach Egypten bringen zu lassen. Die
Wappen und Inschriften über den Thoren der prachtvollen
portugiesischen Burgruinen in unseren ostafrikanischen Küsten¬
städten sagen uns, dass das unternehmungslustige, seefahrende
Volk der Portugiesen lange Jahrzehnte hindurch einen schwung¬
haften Handel in unserer jetzigen Golonie getrieben hat. Weit
über Indien hinaus erstreckten sich Ostafrika’s Handelsbezie¬
hungen. Noch heute finden wir nicht selten chinesische Por¬
zellanteller auf arabischen Kirchhöfen, in arabischen Häusern
in die Wände gemauert und die reichen Suahili in Lamu
schätzen dieselben noch jetzt sehr hoch und geben sie un¬
gern weg.
Auch in politischer Beziehung steht Ostafrika vornan.
Nicht nur mit England und dem Sultan von Sansibar, auch
mit Portugal und Frankreich brachte uns die Besitzergreifung
Ostafrikas in directe, allerdings meistens unangenehme Be¬
rührung. Denn sämmtliche Mächte betrachteten Deutschlands
Eindringen als eine Beeinträchtigung ihrer bereits bestehen¬
den Interessen. Vor allem war dies bei England der Fall,
welches in Folge einer 18jährigen, eifrigen Thätigkeit seines
1 *
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Generalconsuls John Kirk ganz Ostafrika bereits in seinem
Besitz geglaubt hatte. Man darf auch nicht verkennen, dass
England zu einer solchen Annahme Berechtigung genug hatte,
da es seit Jahren bereits vieles zur Cultivirung Ostafrikas
gcthan hatte. Seit dem Jahr 1872 hatten englische Kreuzer
die Ostküste Afrikas bewacht, um die Sklavenausfuhr im
Grossen zu verhindern, eine Sache, die England viele Millionen
gekostet hat. Zahlreiche englische Missionsstationen befanden
sich in Ostafrika und nicht wenig Missionare hatten mit ihrem
Blute einen Anspruch Englands auf O.stafrika geschaffen. Die
deutsche Besitzergreifung kam für England wie ein Blitz
aus heiterm Himmel. Sie war das Werk des jetzt auf dem
Wege nach Wadelai angeblich erlegenen, damals 24jährigen
Dr. Peters, welcher mit 2 Genossen, Dr. Carl Jühlke und
Joachim Graf Pfeil einen shooting trip (Jagdausflug), wie er
zur Täuschung der argwöhnischen Engländer sagte, in das
Innere Ostafrikas, gegenüber der Insel Sansibar unternahm-
In zehnwöchentlicher Reise schloss diese erste deutsche ost¬
afrikanische Expedition Verträge mit den Aeltesten der Pro¬
vinzen Useguha, Nguru, Usagara und Ukami ab; zum freu¬
digen Erstaunen von ganz Deutschland wurden diese Verträge
vom Auswärtigen Amt sofort anerkannt und Anfang 1885
ein Kaiserlich deutscher Schutzbrief über die neu erworbenen
Gebiete ausgesprochen. Eine rasch gebildete deutsch-ost-
afrikanische Gesellschaft sandte in schneller Aufeinanderfolge
15 weitere Expeditionen nach Ostafrika, behufs weiterer
Landeserwerbungen. Ende 1886 konnte das Organ der Ge¬
sellschaft, die „ Colonial - Politische Correspondenz “ stolz
melden: Die deutsche Flagge weht vom Cap Guardafui im
Norden bis zum Rovuma im Süden. Aber diese Verträge
wurden von den übrigen europäischen Mächten nicht all¬
gemein anerkannt und im November 1886 wurde in dem
Londoner diplomatischen Uebereinkommen eine territoriale
Theilung Ostafrikas publizirt. Danach erhielt der Sultan von
Sansibar ausser den Inseln Mafia, Sansibar, Pemba und Lamu
und den 4 Häfen an der Somaliküste noch den ganzen Küsten¬
streifen vom Rovuma bis zum Osifluss im Norden in einer
Breite von 2*/* deutschen Meilen. Das Hinterland dieses
sansibaritischen Küstenstreifens vom Rovuma bis zum Tana-
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fiuss wurde unter Deutschland und England getheilt. Als
Demarkationslinie galt eine Linie vom Ostufer des Victoria
Nyanza unter 1° südl. Breite zur Mündung des Umbaflusses.
Damit war nun sowohl die deutsch-ostafrikanische, wie
die zur Nutzbarmachung des nördlichen englischen Theils ge¬
bildete englisch-ostafrikanische Gesellschaft vollständig von
der Küste abgeschnitten und eine gedeihliche Entwickelung
beider Gesellschaften konnte unter solchen Umständen nicht
erwartet werden. Diese Gesellschaften machten daher den Ver¬
such, vom Sultan von Sansibar die Abtretung der Küste zu
erlangen, und dieser Versuch glückte. Die Gesellschaften
schlossen mit dem Sultan einen Vertrag auf 50 Jahre, wo¬
nach die Zollerhebung, sowie die Landeshoheit an der Küste
mit allen Rechten pachtweise auf sie übergingen. Die ge-
sammten Zolleinnahmen sollten dem Sultan in der Grösse,
in welcher er dieselben bisher bezogen hatte, unbedingt ver¬
bleiben. Da aber durch die von Deutschland zu erwartenden
Culturen und Steigerungen der Handelsverbindungen, in¬
gleichen dadurch, dass die Zollerhebungen in die llände
deutscher, statt arabischer und indischer Zollbeamten gelegt
wurde, eine bedeutende Mehreinnahme an Zöllen bevorstand,
wurde weiter bedungen, dass von diesem plus der Sultan
50 # / o beziehen sollte. Damit die Gesellschaften aber auf
alle Fälle ihre Auslagen ersetzt erhielten, wurde eine reich¬
lich bemessene Minimalentschädigungssumme festgesetzt. Der
Sultan verpflichtete sich, für Aufrechterhaltung der Ruhe und
Ordnung im Küstengebiet beim Uebergang der Verwaltung
an Deutschland Sorge zu tragen. Dieser Vertrag, von der
englisch-ostafrikanischen Gesellschaft vorgeschlagen, war das
Resultat hundertjähriger reicher Erfahrung auf colonialem
Gebiet und vorzüglich dazu geeignet, beiden Vertragenden
zum Vortheil zu gereichen. Der Sultan konnte sich nach
menschlicher Berechnung nur gut dabei stehen und die Ge¬
sellschaften bekamen im allerungünstigsten Falle ihre Aus¬
lagen reichlich ersetzt. Machte der Sultan jedoch Geschäfte»
so verdienten auch sie, und umgekehrt.
Unter dem energischen, den Europäern im Grossen und
Ganzen freundlich gegenüberstchenden, kurz vor Ratifizirung
<les Vertrages gestorbenen Sultan Said Bargasch wäre das
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Abkommen entschieden zum Segen Ostafrikas geworden. Der
schwache, von wenigen fanatischen Arabern völlig beherrschte
Nachfolger Seyd Khalifa jedoch liess sich einreden, dass dieser
Vertrag der erste Schritt dazu sei, ihn seiner Herrschaft
gänzlich zu berauben, und wurde schliesslich wohl auch dazu
bewegt, nicht dagegen einzuschreiten, als unter der Hand ein
Aufstand gegen die Europäer an der Kliste angezettelt wurde.
Wäre letztere nur von den indolenten Negern bewohnt gewesen,
so wäre die Erregung des Aufstandes von Sansibar aus vielleicht
schwerer geworden, aber man hätte ihn nach seinem Willen
lenken können. An der Küste sasscn jedoch einige Tausend
Araber, welche durch den Besitz der werthvollen Cocosnuss-
pflanzungen und durch den Handel die wirkliche Macht in
Händen hatten. Diese wussten genau, dass mit dem Beginn der
deutschen Verwaltung ihre Haupteinuahmequelle, der Sklaven¬
handel, sein Ende erreiche und ihnen damit die Lebensadern
unterbunden würden. Begreiflicherweise lag es in ihrem In¬
teresse, sich mit allen Kräften gegen das neue Regiment zu
wehren. Zugleich aber benutzten mehrere alte, an der Küste
ansässige Geschlechter den Aufstand als erwünschte Gelegen¬
heit, sich von der Oberherrschaft des Sultans, die sie stets nur
widerwillig anerkannt hatten, freizumachen. So wuchs denn
die Bewegung, obwohl von den Sansibar-Arabern ins Leben
gerufen, diesen bald über den Kopf.
Mit der Uebernalnne der Küste durch die deutsch-ost¬
afrikanische Gesellschaft trat der Umschwung der Verhält¬
nisse deu Küstenbewohnern greifbar vor Augen. Die indischen
Zöllpächter machten den deutschen Beamten Platz, die Terri¬
torialoberhoheit, besonders die Gerichtsbarkeit ging auf die
deutschen Bezirkschefs über, neben der rothen Sultanflagge
wurde die sogen. Usagaraflagge, d. h. die Flagge der ost¬
afrikanischen Gesellschaft, gehisst. Es erscheint durchaus
unangebracht, die Flaggenhissung als den Grund zur Empö¬
rung darzustellen, da es dem Charakter der Araber nicht
entspricht, aus so ideellen Gründen die Gefahren einer Er¬
hebung auf sich zu nehmen. Religiöse Gründe haben eben¬
falls nicht mitgesprochen, wenn der religiöse Fanatismus ja
auch dort leicht zu Tage tritt, wo der Araber zu den Waffen
greift. Auch der schwere Vorwurf, der den Beamten der ost-
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afrikanischen Gesellschaft gemacht wurde, durch grobe Fehler,
Tor allem in der Behandlung der Neger, den Aufstand her¬
vorgerufen zu haben, ist entschieden unbegründet und un¬
gerecht. Weil am Pangani ein unverschämter Neger zur
Strafe ins Wasser geworfen wurde, deshalb soll 2 Tage da¬
rauf an einem Ort, der 50 deutsche Meilen entfernt ist, eine
Empörung gegen die Europäer ausgebrocben sein! Die Be-
amten haben gar nicht die Zeit gehabt, sich so verhasst zu
machen, dass die Bevölkerung durch deren Benehmen zu
einer Empörung hätte gereizt werden können. Der eigent¬
liche Grund der Erhebung war vielmehr ganz entschieden die
Unterdrückung des Sklavenhandels, die als eine ganz natür¬
liche Folge der deutschen Verwaltung allgemein angesehen
werden musste. Die Araber hatten übrigens mit der Be¬
wältigung der wenigen deutschen Beamten leichtes Spiel.
Man kann die deutsch-ostafrikanische Gesellschaft doch wohl
nicht gut von dem Vorwurf befreien, die ganze Sache etwas
zu leicht genommen zu haben oder wenigstens dem Sultan all¬
zuviel Vertrauen geschenkt zu haben. Zum mindesten hätten
die Beamten wohl ein paar Wochen vor dem 15. August,
dem Tage der Küstenübernahme, auf die Stationen gesandt
werden müssen, um die Bevölkerung kennen zu lernen und
sich mit ihr soweit als angängig zu befreunden. Aber wenige
Tage vorher erst betraten die deutschen Beamten die Orte,
wo noch nie zuvor Weisse stationirt gewesen waren. Sie
hatten natürlich keine Ahnung, wer ihr Freund, wer ihr Feind
war. Auch fanden die Beamten nicht die gehofften Macht¬
mittel vor, um sich im Falle eines feindlichen Angriffs ver-
theidigen zu können. Wohl waren auf jeder Station etwa
15 arabische Soldaten des Sultans; aber es zeigte sich dies
als ein Gesindel, welches sehr zu fürchten, gar nicht zu
gebrauchen war. Beim ersten Anprall der Aufständischen
mussten die Beamten die Stationen verlassen und ihr Leben
durch die Flucht retten. Im Norden konnten sie von den
deutschen Kriegsschiffen aufgenommen werden, die Beamten
der südlichen Stationen Lindi und Mikindani aber mussten
in Ruderbooten auf die hohe See flüchten, wo sie vom eng¬
lischen Kanonenboot Pinguin aufgenommen wurden. Leider
ist es nicht ohne den Verlust von Menschenleben abgegangen.
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In Kilwa batten die Beamten, in ihrem Hause von den zahl¬
reichen Aufständischen eingeschlossen, Nothsignale vom Dache
des Hauses gegeben, die von der auf Aussenrhede liegenden
Möve jedoch scheinbar nicht bemerkt wurden. Lieutenant
Krieger, der von einer im Hofe stehenden Gocospalme aus mit
der Flagge das Nothzeichen geben wollte, wurde durch einen
Schuss in den Kopf getödtet. Zwei Tage darauf wurde das
Haus gestürmt und Steuerbeamter Hessel jagte sich selbst eine
Kugel durch den Kopf, um nicht in Gefangenschaft zu fallen.
Der Sultan war nach dem Vertrage verpflichtet, mit
seinen Machtmitteln die Ordnung aufrecht zu erhalten. Er
machte auch nothgedrungen einen Versuch, indem er gegen
die Aufständischen in Pangani, die sich von ihm losgesagt
hatten, seine sansibaritischen Paradetruppen unter General
Matthews entsendete. Die Haltung der Soldaten war aber der¬
art unzuverlässig, und es desertirten sofort so viele Leute, dass
Matthews die Mannschaften sofort wieder einschiffen musste.
Wohl hätte die Marine, nach der Meinung vieler damals
in Sansibar ansässiger Deutscher, durch ein thatkräftiges, so¬
fortiges Eingreifen den Aufstand im Keime ersticken können.
Aber was sich nachher in Samoa, allerdings gerade in um¬
gekehrter Weise gezeigt hat, trat auch hier zu Tage. Die
lange voraus ertheilten Befehle wollten zu den plötzlich ver¬
änderten Verhältnissen nicht passen und so konnte es ge¬
schehen, dass die Beamten von den Stationen vertrieben
wurden, während die deutschen Kriegsschiffe davor lagen.
Ja, in Kilwa wurden 2 Deutsche ermordet und von der auf
ßhede liegenden Möve fiel auch nicht ein Schuss. Die Neger
und Araber konnten ein solches Verfahren unserer Marine
natürlich nicht begreifen und legten es einfach als Zeichen
von Angst und Schwäche aus. Aus Anlass der Samoawirren
ist glücklicherweise der Coinmandantur der Schiffe mehr Frei¬
heit des Handelns zugelegt worden, und hoffentlich kommt
die Marine nicht wieder in die Lage, von einem ihrer schönsten
Zwecke abstehen zu müssen, dem nämlich, die Deutschen im
Auslande zu schützen.
Am 16. August brach der Aufstand los, in zwei Tagen
war ganz Ostafrika, bis auf die Stationen Dar-es-Salaam und
Bagamoyo in Händen der Araber.
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Es galt nun für das Reich, der deutsch-ostafrikanischen
Gesellschaft den im Kaiserlichen Schutzbrief zugesicherten
Schutz* zu verleihen. Da nun aber der Aufstand, obwohl in
erster Linie gegen die Gesellschaft gerichtet, sich darauf
nicht beschränkte, sondern auch das Leben und das Eigen¬
thum von Angehörigen anderer Staaten bedrohte, und vor
allem, da er einen neuen Aufschwung des Sklavenhandels
hervorrief, fanden sich einige andere Mächte bereit, mit
Deutschland gemeinschaftlich vorzugehen. Als geeignetes
Mittel zur Unterdrückung erschien eineBlokade der ganzen
ostafrikanischen Küste, mit doppeltem Zweck: die Einfuhr
von Waffen und die Sklavenausfuhr zu verhindern. Diese
Blokade wurde denn auch von Deutschland, England etc.
eröffnet.
Aber bald zeigte sich, dass die Blokade — trotz der
wundervollen Leistungen 1 ) unserer Marine — ihren Zweck
nicht völlig erreichte und unverhältnissmässige Opfer forderte.
Nicht einmal die Unterdrückung der Sklavcuausfuhr gelang
vollständig. Und im deutschen Schutzgebiet herrschte die
Anarchie weiter, wurden Greuel der schlimmsten Art gegen
deutschfreundliche Eingeborene verübt und alles zerstört, was
durch deutschen Fleiss geschaffen war. Wollte man der Re¬
bellen Herr werden, so konnte es nur durch militärische Opera¬
tionen auf dem Festland geschehen.
Diese Aufgabe zu übernehmen war die deutsch-ostafrika¬
nische Gesellschaft bereit. Sie wollte selbst eine Truppe bilden,
und erbat sich Vom Reich nur die Zinsgarantie für die An¬
leihe, deren sie zu diesem Zweck benöthigt war. Da nun
sichere Aussicht war, dass die Verzinsung und Amortisirung
dieses Capitals durch die Zölle ermöglicht werden würde, so¬
bald erst wieder Ordnung herrschte, so würde auf diesem
Wege das Reich von finanziellen Opfern überhaupt frei ge¬
blieben sein.
Trotzdem überwogen die Bedenken gegen diesen Vor¬
schlag. Die Aufgabe schien zu gross für eine Privatgesell-
*) Der Redner erwähnte, dass ihm ein französischer Admiral hei
einem zufälligen Zusammentreffen auf einer gemeinschaftlichen Reise die
Leistungen der deutschen Kriegsmarine geradezu ;;ls „formidablee et
effroyables“ bezeichnet habe.
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Schaft; nur dadurch konnte dem Auftreten einer Colouial-
truppe der nöthige Nachdruck verliehen werden, dass das
Reich mit seinen Machtmitteln dahinter stand; und man er¬
wartete — wie sich später zeigte, mit Recht — Grosses von
dem Eindruck, der auf die Araber hervorgerufen werden würde
durch die Thatsache, dass sie sich nunmehr mit dem so wohl
bekannten und wegen seiner herrlichen Armee gefürchteten
Deutschland im Kriege befänden.
Somit beschloss die Reichsregierung, den Kampf zur
Sache des Reichs zu machen und der Reichstag bewilligte die
Mittel. Als Commissär wurde Hauptmann Wissmann nach
Sansibar gesandt, mit dem Aufträge, eine Truppe von ein¬
geborenen und aus anderen Theilen Afrikas angeworbenen
Soldaten zu bilden und mit dieser Buschiri zu Leibe zu gehen.
Die Blokade ward aufgehoben.
Ueber die deutsche Schutztruppe von Ostafrika be¬
stehen in Deutschland noch die sonderbarsten Vermuthungen.
So bin ich oft gefragt worden, ob unsere Soldaten vollständig
bekleidet seien oder nur den Schurz tragen, wie die anderen
Neger. Wenn ich dann die Gegenfrage stellte, ob sich die
Betreffenden preussische Officiere denken könnten, die mit
einer Horde schwarzer, unbekleideter Menschen Parademarsch
übten, dann wurde mir allerdings stets ein offenes Nein zur
Antwort. Es sei mir deshalb gestattet, unsere Truppen in
kurzen Strichen zu charakterisiren. Ich kann mich dazu wohl
für befugt halten, da ich leider der erste der Wissmann’schen
Offiziere bin, der krankheitshalber hat nach Deutschland zu¬
rückkehren müssen.
Die, wie bemerkt, von deutschen Offizieren und deutschen
Unteroffizieren geführte deutsche Schutztruppe für Ostafrika
besteht aus 600 Sudanesen, 450 Sulus und 150 ostafrika¬
nischen Soldaten. Eine Zeit lang enthielt sie noch 100
Somalis. An Waffen führen die Mannschaften neben dem
Hirschfänger das Infanteriegewehr Modell 71 oder den Kara¬
biner. Die Sudauesen stammen aus dem oberen Quellgebiet
des Nils, aus dem Bezirk Khartum, aus Darfur, Kordofan und
Emins Provinz. Die Leute haben eine ebenholzschwarze Farbe
und sind, Männlein wie Weiblein, von einer geradezu ab¬
schreckenden Hässlichkeit. Sämmtliche Sudanesen gehörten
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früher der englisch-egyptischen Armee an, die meisten von
ihnen haben die Feldzüge gegen den Mahdi und Arabi Pascha
mitgemacht und bei Suakim gekämpft und nicht wenige unserer
sudanesischen Unteroffiziere sind mit vier bis fünf Medaillen
geschmückt.
Die Leute sind Soldaten von Kind auf und man findet
deshalb die meisten der militärischen Eigenschaften bei ihnen
in wirklich hervorragendem Masse vor. So besitzt der Sudanese
eine hervorragende Disciplin, Wachtvergehen kommen sehr
selten vor und über Mangel an Tapferkeit kann man durch¬
aus nicht klagen. Das Einzige, was an den Sudanesen aus¬
zusetzen ist, wäre ein wenig ausgebildetes Reinlichkeitsgefühl,
aber unter der deutschen Zucht sind auch hierin schon be¬
deutende Fortschritte zu erkennen. Das Engagement der
Sudanesen war nicht leicht gewesen. Man hatte ihnen das
Doppelte an Lohn zahlen müssen, als man geglaubt hatte;
denn die Leute gingen ungern so weit von Hause weg, es
war ihnen wohl bekannt, dass sie blutige Kämpfe zu bestehen
haben würden, und es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass
der englische Einfluss im Sudan in gewichtiger Weise mit-
gesprochen hat. Zum Schluss musste den Leuten noch be¬
willigt werden, ihre Frauen und Kinder mitnehmen zu dürfen,
eine keineswegs angenehme Zugabe.
Die 350 Sulus stammen aus dem Süden, aus der portu¬
giesischen Colonie Ma^ambique, und zwar aus dem Hinterland
von Inhambane. Kann man den Sudanesen mit seiner abso¬
luten Disciplin, der Ruhe des erfahrenen Kriegers, die oft
beinahe in Schwerfälligkeit ausartet, mit dem Russen ver¬
gleichen, so ähnelt der Sulu dein Franzosen. Er besitzt viel
Schneid, Elan, ist sehr beweglich und wenig disciplinirt.
Letzteres kann nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt,
dass die Leute fast noch nie vorher mit Weissen in Berührung
gekommen sind, dass sie sozusagen in ganz wildem Zustande
angeworben wurden und noch nicht vollständig gezähmt sind.
Dabei sind die Sulus merkwürdigerweise zum Europäer sehr
zutraulich. Es kommt ihnen gar nicht darauf an, an einen
Offizier mit der Bitte um eine Cigarrette heranzutreten, und,
wenn dieser Bitte nicht sofort genügt wird, solange an der
Schulter des betreffenden Europäers zu schubbern, bis dieser
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schliesslich aus reiner Langeweile seine Cigarrentasche her¬
vorzieht. Die Sulus sind sehr musikalisch. Ihre melodischen
Gesänge sind Kanons und oft hört man, wie eine Abtheilung
bei Beginn einer neuen Strophe einen Viertel- oder halben
Tact auslässt und das Lied mit dem veränderten, klappenden
Tact ohne Fehler zu Ende fuhrt. Höchst amüsant sind ihre
Kriegstänze. Wird auf dein Marsche eine Rast, beim Exer¬
zieren eine Pause gemacht, dann springt der Vortänzer der
Compagnie auf einen Offizier, am liebsten seinen Compagnie¬
chef, los, fuchtelt ihm mit dem Messer unter der Nase herum,
dabei von einem Fuss auf den andern hüpfend, und singt:
»Soll ich ihn tödten, soll ich ihn tödten?“ Unterdess hat
die Compagnie einen grossen Kreis um die Beiden gebildet
und antwortet prompt: „Ja, du musst ihn tödten, ja, du
musst ihn tödten.“ Die Sulus sind mehr als tapfer, sie sind,
wenn sie Gegner sehen, überhaupt nicht zu halten. Leider
besitzen sie, wie so viele Stämme Afrika’s, die scheusslicbe
Gewohnheit des Verstümmelns von Verwundeten, und aus
diesem Grunde war eine stetige, scharfe Ueberwachung der
Sulucompagnien nothwendig. Da diese Truppe aber nur halb
so viel kostet als die Sudanesen und da man bei ihr stets
und unbedingt davor sicher ist, dass sie im Gefecht ihre
Führer im Stich lässt, so kann man sie wohl als den Kern
der deutschen Schutztruppe bezeichnen. Dazu kommt ihre
grosse Widerstandsfähigkeit gegen das feuchte ostafrikanische
Küstenklima. Von den 600 Sudanesen starben in den ersten
4 Wochen in Bagamoyo 68 Mann am Fieber, während die
Sulucompagnie noch keinen Mann verloren hatte.
Die zuerst vorhandenen Truppen waren die Askaris, das
sind ostafrikanische Soldaten, die während des Aufstandes
von den Stationschefs von Bagamoyo und Dar-es-Salaam an¬
geworben und einexerziert waren. Die Leute gehörten nicht
den mohamedanischen Küstenstämmen, sondern den Stämmen
des Innern an, die von Hause aus schon einen natürlichen
Hass gegen die arabischen Sklavenhändler, ihre Unterdrücker,
haben. Der Ostafrikaner ist, wenigstens was die meisten
Völkerschaften anbetrifft, von Natur nicht gerade ein Held
und mau hatte desshalb auch anfangs von den Askaris nicht
allzuviel erwartet. Doch haben sie wirklich alles Mögliche
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geleistet. Bei der Erstürmung von Buschiri’s erstem Lager
hatten z. B. die Askaris mehr Todte und Verwundete als
Sudanesen und Sulus zusammen genommen. Im Juni d. J.
beschloss Hauptmann Wissmann, aus den Bewohnern der
Provinz Usaramo, dem Hinterlande von Dar-es-Salasm, eine
besondere Compagnie zu formiren, und da ich der Suahili-
sprache mächtig war, wurde ich mit dieser Aufgabe betraut.
Die Leute strömten in Scharen herbei, um sich anwerben
zu lassen, trotz der nicht gerade allzu günstigen Bedingungen.
Jeder Rekrut musste bei seinem Eintritt folgende Erklärung
unterschreiben: dass er sich zu einer 2jährigen Dienstzeit ver¬
pflichte, gegen einen monatlichen Sold von 14 Mark 1 ), ohne
Verpflegung, und dass das Verlassen des Dienstes während
dieser Zeit die Todesstrafe zur Folge haben werde. Das
Unterschreiben geschieht nicht wie bei uns durch das Zeichnen
dreier Kreuze, sondern jeder Mann hat ein bestimmtes Zeichen,
das aus allerlei Kraxeln und Krähenfüssen besteht. Manche
Leute zeichneten ganze Landschaften auf das Papier und
hörten nicht eher auf, als bis ich einem meiner schwarzen
Gefreiten einen Wink gab, worauf dieser den Betreffenden
dann zum Enden nöthigte. Ob sich eine Truppe, aus Küsten¬
negern gebildet, im ernsthaften Kampfe bewähren wird, ist
fraglich. Ich habe mit diesen Leuten nur kleine Scharmützel mit¬
gemacht, bei denen eine scharfe Ueberwachung möglich war.
Bis zum August d. J. hatten wir auch 100 Somalis in
der Truppe, die in Aden angeworben waren und als Boots¬
leute verwendet wurden. Die Somalis sind keine Neger, sondern
gehören dem semitischen Stamme an. Brugsch Pascha will
in ihnen die rothe Rasse sehen, die dem Rothen Meer den
Namen gegeben hat. Vor kurzem ist aus dem Munde eines nicht
unbedeutenden Gelehrten die etwas abenteuerlich klingende
Behauptung laut geworden, die Somalis seien die Nachkommen
jener Vandalen, die in Folge der Völkerwanderung aus Spanien
nach Marokko gedrängt wurden. Sie seien dann an den Ufern
des Mittel- und Rothen Meeres entlang bis zu ihren jetzigen
Wohnsitzen gedrängt worden. Den Grund für diese Behauptung
*) Die anderen Trappen sind viel theurer. Von den Sudanesen
erhalt der gemeine Mann monatlich 40 Mark, yon den Somalis und
Sulus etwa */, dieser Summe, wie der Redner gelegentlich bemerkte.
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gibt eine merkwürdige Uebereinstimmung der Sprachen. Die
Somalis sind ein wunderhübscher Menschenschlag. Feine
Mund- und Lippenbildungen, spitze Nasenformen, feurig und
herrisch blickende Augen unterscheiden sie eben so sehr, wie
der elastisch gebaute, sehnige und geschmeidige Körper von
der unförmigen Negerrasse. Die Somalis sind die fanatischsten
Mohamedaner, die man sich denken kann. Nimmt man dazu
ihren herrischen Stolz, ihre unbändige Wildheit und ihre
grenzenlose Habsucht, so begreift man, dass der Verkehr mit
diesem Volke ein überaus schwieriger ist, dass stets die grösste
Vorsicht dabei am Platze war. Die geringste körperliche
Züchtigung, die man einem Somali zu Theil werden lässt, ist
meiner Ansicht nach gleichbedeutend mit der versuchten so¬
fortigen Ermordung des betreffenden Europäers. Wurden
andererseits die Somalis richtig behandelt, achtete man ihre
Stammescigenthiimlichkeiten, ihre religiösen Gebräuche, dann
konnte man sich auch unbedingt auf sie verlassen. Leider
vertrugen die Leute, an das trockene Klima ihrer Steppen
gewöhnt, das feuchtheisse Klima Ostafrika’s gar nicht, und
nachdem von den 100 Somalis innerhalb eines Vierteljahres
fast 50 am Fieber gestorben waren, wurden die Uebrigen in
ihre Heimath zurückbefördert. Von der Pflichttreue und dem
guten Willen, welcher die 10, mir in Dar-es-Salaam unter¬
stellten Somali beseelte, hier ein kleines Beispiel. Ich hatte
noch spät in einer Nacht Briefe auf die im Hafen liegende
Karola zu bringen. Als mich meine Somalibootsleute ins
Boot tragen wollen, fühle ich an ihren heissen Köpfen, dass
sie starkes Fieber haben. Auf meine Frage erfahre ich, dass
alle 10 Somali starkes Fieber haben. Ich gebe darauf den
Befehl, die Leute sollen sich in das auf dem Dache des
Stationshauses befindliche Hospital begeben und mir welche
von meinen Askaris herunterschicken. Da erklären sie mir
aber, das würden sie nie zulassen, dass wir von Andern, als
von ihnen gerudert würden. Sie würden dafür bezahlt und
so lange sie sich überhaupt bewegen könnten, würden sie
nicht dulden, das jemand Anderes sich an den Booten zu
schaffen machte.
Die Strafen bestehen in Gefängnissstrafen, Geldstrafen
«nd in Prügel. Letztere Strafart ist von der englisch-egyp-
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tischen Armee übernommen und jedenfalls die wirksamste.
Es wurden die zuerkannten Hiebe von einem eingeborenen
Unteroffizier mit einem Tau ausgetheilt. Bei den Sudanesen
und Askaris geschah die Züchtigung vor der ganzen Garnison,
die Sulus wurden nur in verschlossenen Räumen und nur in
Gegenwart von Sulus geschlagen, bei den Somalis fiel die
Prügelstrafe natürlich ganz fort.
Das Exerzieren geschah in den ersten vier Wochen nach
englisch-egyptischem Reglement. Das heisst, es wurden haupt¬
sächlich Bajonettangriffe und Carrebildungen geübt, mit welcher
Kriegsweise die Engländer im Sudan die meisten Erfolge er¬
zielt hatten. Die Gommandos bei den Sudanesencompagnien
waren arabisch; den Dolmetscher machten die französisch
sprechenden schwarzen Offiziere. Den Sulus wurden die Com-
mandos durch englisch sprechende Dolmetscher übermittelt.
Bald jedoch wurde das Exerzieren nach dem neuen deutschen
Exerzierreglement und mit deutschen Commandos eingeführt
und wunderbar schnell gewöhnten sich die sonst so conser-
vativen Schwarzen an diese Neuerung.
Um einen Beweis zu geben von den schwierigen Ver¬
hältnissen, in denen wir uns zuerst befanden, möchte ich an¬
führen, dass in unserer Truppe nicht weniger als 10 Sprachen
gesprochen wurden.
Es sei mir gestattet, mit wenigen Worten die in Deutsch¬
land leider so vielfach vertretene und doch so unendlich irrige
Ansicht zu widerlegen, als ob die deutsche Schutztruppe in
übermässiger und unnöthiger Weise scharf, ja brutal voigehe.
Glaubt man denn, dass das Niederbrennen der Dörfer, das
Hängen der Araber uns ein so besonderes Vergnügen bereite;
dass Major Wissmann so schneidig vorginge, wenn es nicht
absolut nothwendig wäre. Vor allen Dingen darf man das
Niederbrennen der Dörfer nicht zu tragisch nehmen. Dieselben
bestehen ja lediglich aus Lehmhütten und sind in 3, 4 Tagen
wieder aufgebaut. Saadani ist jetzt viermal von uns zerstört,
viermal von den Bewohnern wieder aufgebaut worden. Es
kommt ja für uns nicht blos darauf an, den Aufstand nieder¬
zudämpfen, sondern den Negern gleich den Daumen so aufs
Auge zu drücken, dass ihnen die Lust zu einem zweiten
Putsch gründlich vergeht. Wir müssen den Negern endlich
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imponiren, was bis jetzt noch durchaus nicht der Fall war.
Der Neger stellt meistens den Araber noch höher als den
Europäer. Es liegt dies sowohl in der äusseren Erscheinung
als auch im Benehmen der beiden Rassen. Der Araber mit
seinem würdevollen, gemessenen Benehmen, seiner unerschütter¬
lichen Ruhe imponirt dem Neger erheblich mehr als der Euro¬
päer, der auf der Strasse rennt, der dem orientalischen pole¬
pole (langsam) das dem Neger sehr unsympathische upesi
upesi (schnell) gcgenüberstellt. Was dem Neger noch mehr
imponirt, ist, dass ihn der Araber im Allgemeinen viel gering¬
schätziger behandelt, als der Europäer. Letzterer straft wohl
eigenhändig ein Vergehen des Negers. Der Araber ist zu
stolz, um einen so tief unter ihm stehenden Menschen über¬
haupt anzufassen; er lässt ihn durch einen anderen Neger
züchtigen.
Es kam für uns also darauf an, dem Neger klar zu
machen, dass wir es einerseits sehr gut mit ihm meinten,
dnss wir aber anderseits, wenn er dies nicht anerkenne, von
uns ebenso bezwungen werden könne, wie vom Araber. Wir
wollten eben dahin kommen, dass die Neger sich zu uns
schlugen und selbst gegen die Sklavenräuber auftraten. Und
dass Wissmann dies gelungen ist, möchte ich als den grössten
von ihm errungenen Erfolg ansehen.
Den Arabern gegenüber wäre Sanftmuth und Milde nun
vollends am falschen Ort. Es ist recht bezeichnend für unsere
Verhältnisse, dass bei uns Stimmen laut werden können, die
Wissmann’s Vorgehen ein brutales nennen. Was sind denn
das für Herren, mit denen wir in Ostafrika zu thun haben?
Premierlieutenant Gravenreuth hat bei seinem letzten grösseren
Zuge in die Provinz Usaramo mehrere Dorfälteste gefunden,
denen Buschiri die beiden Füsse hatte abhacken lassen und
ihnen dann empfohlen hatte, doch zu ihren Freunden, den
Deutschen an der Küste, zu marschiren. Man fand Kinder
deutschfreundlicher Neger an den Füssen über langsam bren¬
nenden Holzfeuern aufgehängt. Diesen Schurken gegenüber
ist blos eins am Platz: einen Strick um den Hals und an
die nächste Palme.
Redner theilt noch folgende Episode über eine Landung
bei Sadaani mit:
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17
Anfang Juni 1889 beschloss Hauptmann Wissmann, die
Küstenstadt Saadani, welche einen Hauptstutzpunkt der Auf¬
ständischen bildete, anzugreifen, und zwar von der See aus.
Der Angriff wurde eröffnet durch ein längeres Bombardement
von dem deutschen Geschwader aus. Die aufständischen Truppen
lagen an der Küste, sie hatten zahlreiche Fahnen aufgesteckt,
und diese bildeten natürlicherweise die Zielpunkte. Doch
machte die Beschiessung wenig Eindruck, so ging denn Wiss¬
mann mit 500 Mann in Booten gegen das Ufer vor. Die
Brandung hinderte das Landen, es erfolgte daher in ziem¬
licher Entfernung von der Küste Wissmann’s Befehl: „Ins
Wasser“. Doch da zögerten die Truppen, dem ungewohnten
Befehl Folge zu leisten, erst als die deutschen Offiziere ihnen
voran ins Wasser sprangen, folgten sie. Basch war in dem
seichten Wasser das Ufer gewonnen, und was die Granaten
nicht vermocht hatten, das gelang dem deutschen Hufrah:
die Aufständischen liefen davon, und nach kurzem Kampfe
war Saadani gewonnen. Und nun, da die vorherige Stellung
der Araber in den Händen der Deutschen war, erkannte man
auch, weshalb die Beschiessung verhältnissmässig so wenig
gewirkt hatte: die Araber hatten eine Art Schützengräben
gezogen, in nicht unbeträchtlicher Entfernung von einander,
in welchen die Truppen lagen. Jeweils genau in der Mitte
zwischen zwei solchen Verhauen hatten sie eine Fahne auf¬
gepflanzt, und da nun hauptsächlich auf diese Fahnen gefeuert
worden war, hatte man sehr wenig getroffen.
Als eine weitere Episode theilt Redner Näheres über die
Erstürmung des zweiten Lagers von Buschiri mit.
Dasselbe war in einem undurchdringlichen Busch- und
Dornendickichte so versteckt angelegt, dass die zu dessen
Ajufhebung abgesendete Schutztruppe auf ihrem Marsche Feuer
bekam ohne zunächst zu erkennen, von welchem Platze aus
die Schüsse kamen. Erst an einem späteren Tage entdeckte
man, dass die Schüsse aus dem befestigten Lager gekommen
waren. Dasselbe wurde nun genommen und man hatte Ge¬
legenheit, an den Palissadengängen, wohl verbarrikadirten Ein¬
gängen, Zickzackwindungen der Wege ins Innere und Gängen
durch das Dornengebüsch Einblicke in die sehr entwickelte
Befestigungskunst der Araber zu thun.
2
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18
Redner beendigt seinen Vortrag mit folgenden Schluss¬
betrachtungen:
Um die ostafrikanische Colonie dem Vaterlande nutzbar
zu machen, dazu ist vor allem nöthig eine gesicherte directe
Verbindung mit dem Mutterlande. Der unnatürliche Zustand,
dass wir im Handel und Verkehr mit unserer Colonie auf die
Transportmittel fremder Nationen angewiesen sind, dass die
deutschen Einfuhrartikel und die Ausfuhr Ostafrika’s ihren
Weg über fremdländische Häfen nehmen müssen, bedarf
dringend einer baldigen Aenderung, wenn unsere Interessen
nicht schwer geschädigt werden sollen. Wohl möglich, dass
sich eine subventionirte Dampferlinie in den ersten Jahren
nicht rentiren wird; aber das ist ja gerade der Zweck solcher
Linien, dass sie die Grundlagen schaffen helfen, auf denen
sich der überseeische Handel zu voller Selbstständigkeit ent-
faltenr kann. Der Handel folgt der Flagge. Sowie überhaupt
englische Interessen in Ostafrika entstanden waren, errichteten
die Engländer sofort eine directe Dampferlinie London-San¬
sibar; wir beratschlagen seit 3 Jahren bereits, ob auch wir
wohl eine solche Linie nöthig haben. Was den Handel Ost-
afrika’s betrifft, so wird derselbe im grossen Publikum in
Deutschland übrigens meistens weit unterschätzt. Ich bin
kein Kaufmann und kann Ihnen mit Zahlen nicht viel auf¬
warten ; doch weiss ich, dass im vorigen Jahre für 2 1 /, Million
Waaren aus-, für 4 i j 2 Million eingeführt sind. Und dabei
herrschte an der Küste völlige Anarchie, die Neger hatten
aufgehört, ihr Getreide zu bauen, Handel und Verkehr waren
fast völlig ins Stocken gekommen. Und doch kann man an¬
nehmen, dass die Ausfuhr noch grösser gewesen ist, da ein
grosser Theil der ausgeführten Waaren Sansibar gar nicht
passirt hat und eine Zollerhebung ja in den letzten 4 1 /* Mo¬
naten nur in Bagamoyo und Dar-es-Salaam stattgefunden hat.
Während die Ausfuhr sich auf wenige Artikel erstreckt, von
denen Elfenbein, Kautschuk, Orseille, Sesam, Kopra und Kopal
die wichtigsten sind, weist die Einfuhr über hundert ver¬
schiedene Nummern auf. Die Ausfuhr wird sich rasch steigern,
sobald die deutschen Plantagengesellschaften mit ihrer Thätig-
keit werden begonnen haben. Dass ein guter Tabak in Ost¬
afrika gewonnen werden kann, scheint durch die von der
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19
Plantage Lewa erzielten Resultate erwiesen zu sein. Die
Versuche, die mit dem Anbau von Kaffee auf der Insel San¬
sibar gemacht werden, können erst in 4 Jahren ein Urtheil
zulassen. Grosse Hoffnungen kann man dagegen auf den
Baumwollenbau setzen. Die Baumwolle gedeiht in ganz Ost¬
afrika; die leichte Gultur lässt sie besonders als Sammelcultur
geeignet erscheinen, d. h. man wird die Neger selbst dazu
bringen müssen, die Baumwolle zu bauen.
Mit einem Worte, Ostafrika besitzt ein Culturvermögen,
welches die besten Ergebnisse verheisst. Wir blicken heute
erst auf einen vierjährigen Zeitraum colonialwirthschaftlicher
Entwickelung zurück, und heute schon Gewinne aus unseren
Schutzgebieten erwarten zu wollen heisst ein nicht mehr als
kindliches Verständnis von diesen Dingen besitzen. Dass
diese Gewinne nicht ausbleiben werden, steht, wenigstens was
Ostafrika betrifft, für mich völlig ausser Frage. Allerdings
ist nöthig, dass man die Entwickelung der Golonien nicht
geradezu verhindert. Aber was müssen wir bei uns in Deutsch¬
land erleben? Während in Ostafrika von einigen Dutzend
Deutscher frisch und thatenfreudig vorwärts gegangen wird,
wir ein hoffnungsvolles Entfalten deutsch- colonialer Keime
sehen, wird in Deutschland von colonialfeindlicher Seite aus
in gehässiger, spöttischer Weise darüber geurtheilt, ja man
scheut sich nicht, den Männern, die im Kampf mit Menschen
und Naturgewalten Leben und Gesundheit in jeder Secunde
aufs Spiel setzen, die gewöhnlichsten, gemeinsten Motive unter¬
zuschieben.
Meine Herrschaften, fassen wir alles zusammen, was mit
dem Aufstande zusammenhängt, betrachten wir vor allem
unsere Stellung der Negerbevölkerung gegenüber vor und
nach dem Aufstande, dann müssen wir entschieden zu der
Erkenntnis3 kommen, dass für unsere colonisatorische Thätig-
keit in Ostafrika, ja für die gedeihliche Fortentwickelung
unserer gesammten Colonialpolitik überhaupt uns nichts hat
mehr nützen können, als der Ausbruch der Unruhen in Ost¬
afrika. Endlich hat man in Deutschland eingeseben, dass es
unmöglich ist, in grossem Stil Golonialpolitik zu treiben, wenn
man nicht Menschenleben und Geldmittel einzusetzen gewillt
ist. Kein Zweifel, Deutschland wird noch manches Opfer für
2 *
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20
die Erhaltung seines überseeischen Besitzstandes und für seine
civilisatorischen Aufgaben in Afrika zu bringen haben, aber
es wird sie ohne Zögern und mit um so freudigerem Muthe
leisten, als der bisherige Gang der Dinge bewiesen hat, dass
wir uns jetzt auf dem richtigen Wege befinden. Kein aben¬
teuerliches, wildes Vorgehen, keine unnöthigen Ausgaben, aber
ebenso wenig auch ein Knickern oder Zaudern, wo es ein
thatkräftiges, energisches Eingreifen gilt. Weder eine Förde¬
rung ausschliesslich privater Erwerbsbestrebungen aus Reichs¬
mitteln, aber auch keine Preisgebung deutschen Schaffens, das
dem gesammten Vaterlande zu Gute kommt. Manchem Colonial¬
enthusiasten mag ja eine solche Umsetzung eines starken
nationalen Gefühls in culturelle Thaten sehr nüchtern Vor¬
kommen, aber sie allein verbürgt dauernde Erfolge.
Wenn wir nun mit dem Gewinn aus unseren Colonien
die wirthschaftliche Macht Deutschlands stärken, dann stärken
wir auch zugleich das Gewicht des deutschen Namens und
weltpolitischen Einflusses des Reichs. Nach diesen Erfolgen
strebt die Colonialpolitik in ihrer nationalen Bedeutung. Bei
allen unseren colonialpolitischen Bestrebungen verfolgen wir
doch vor allem den Zweck, dem Deutschthum als solchem
Ruhm, Ehre und Gewinn zu sichern, deutsche Art, deutsche
Sitte und Cultur, deutsche Sprache auf den ihnen gebührenden
Platz zu erheben.
Der von den deutschen Fürsten getragene Gedanke der
colonialen Reichspolitik war eine Errungenschaft in nationaler
Hinsicht, er stand in engster Verbindung mit dem Reichs¬
gedanken. Das nationale Hinausstreben von 1884 war die
nothwendige Folge des nationalen Zusammenschlusses von 1871.
Manchem der Aelteren unseres Volkes mag das Gefühl für
diesen Zusammenhang, für die nationale Bedeutung der Colo¬
nialpolitik fremd sein. Aber die Ereignisse von 1870/71 haben
ein Geschlecht gezeitigt, das warme Empfindung hat für das,
was der Deutsche so lang entbehren musste, für nationalen
Stolz. Diese Jüngeren, in deren Kindheit die Freudenfeuer
hineinleuchteten, womit ihre Väter den Sieg von Sedan,
die Aufrichtung des Kaiserreichs begrüssten, deren erste
Regungen selbstständigen Denkens und Fühlens von grossen
nationalen Ereignissen beherrscht waren, sie müssen alle
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21
fühlen, dass die Begeisterung des Jahres 1870 und die Be¬
geisterung des Jahres 1884, als es hiess, das Reich hat seinen
eisernen Fuss auf die afrikanische Küste gesetzt und dort
seine Flagge entfaltet, aus derselben Quelle entstammen. Geht
der Nationalstolz unserem Volke nicht verloren, dann ist
auch für unsere coloniale Entwickelung die Zukunft gesichert.
Aber die jetzigen und künftigen Unternehmungen müssen
nicht blos mit den Wünschen, sondern auch mit dem Opfer¬
sinn einer warmen Vaterlandsliebe begleitet werden, denn
nie sind solche Unternehmungen gediehen, wenn sie nicht ein
ganzes, grosses Volk als Rückhalt hatten, wenn nicht in der
grossen Masse des Volkes die Uebereinstimmung herrschte,
dass diese Sache des Volkes Sache sei.
Für welches Volk aber ist es jetzt leichter, den natio¬
nalen Gedanken in sich aufnehmen zu können, als für uns
Deutsche, denen die letzten Jahrzehnte einen so herrlichen
nationalen Aufschwung, eine Erfüllung der idealsten Träume
gebracht haben? Die Feinde unseres geeinten Deutschlands
wurden in den Staub getreten, und mit dem Siege zugleich
die deutsche Einheit errungen. Als der deutsche Aar den
ihm vorgeschriebenen Weg vom Fels zum Meer vollendet hatte,
da streckte er seine Schwingen aus und nahm seinen Weg
auf das blaue Weltenmeer hinaus und weit über das Meer
bis zu den palmengeschmückten Gestaden unseres Neudeutsch¬
lands. Mag ihm der Palmenwedel eine ebenso sichere Ruhe¬
stätte gewähren wie der Ast der deutschen Eiche, mag er
sich recht wohl fühlen in der tropischen Gluth der afrika¬
nischen Sonne, so dass man auch hier wieder von ihm sagen
kann: Nec soli cedit.
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22
Ueber das Wachsthum des menschlichen
Körpers.
Von Geh. Hofrath Prof. Dr. Chr. Wiener in Karlsruhe
Ueber das Wachsthum des menschlichen Körpers hatte
ich durch meine vier Söhne Gelegenheit Beobachtungen zu
machen, und ich will die Ergebnisse der von mir vorgenom¬
menen Messungen und einige daraus gezogene Schlussfolge¬
rungen im Folgenden mittheilen.
Messungen über das Wachsthum des menschlichen Körpers
sind schon zahlreiche vorgenommen und veröffentlicht worden;
die ersten und vielleicht wichtigsten sind die vonQuctelet,
veröffentlicht in seinem Werke „Sur l’homme et le dövelop-
pement de ses facultes, Bruxelles 1836“. Darin sind im
2. Bande die mittlere Grösse und die Grenzgrössen jeder
Altersklasse aus einer grossen Anzahl von Messungen an
Soldaten, in Schulen, Pensionaten, Waisenhäusern u. s. w.
ermittelt. Durch diese Messungen an wechselnden Personen
wurden die Ergebnisse einerseits befreit von den Unregel¬
mässigkeiten, die bei den einzelnen Menschen Vorkommen, aber
andererseits wurden auch diese Eigentbümlichkeiten der Ein¬
zelnen verwischt. Und gerade deswegen dürften die folgenden
an denselben Menschen durchgeführten Messungen neben jenen
mittleren ein Interesse bieten, zumal, soviel der Verfasser weiss,
noch keine derartige Beobachtungen veröffentlicht worden sind.
Ich mass an meinen Söhnen, die ich dem Alter nach mit
I, II, III, IV bezeichnen will, von ihrer Geburt an die Körper¬
grösse zwischen Fusssohle und Scheitel, den Umfang des
Kopfes über Stirn und Hinterkopf, da wo er am grössten ist,
und den Kopfbogen, d. i. die Länge des Bogens von der
Nasenwurzel zwischen den Augenbrauen über den Scheitel bis
zum oberen Rande des Hinterhauptloches, und ausserdem einige¬
mal die Kopflänge und Kopfbreite, alles in Centimetern.
Die Körpergrösse bestimmte ich in aufrechter Stellung an einer
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23
lothrechten Wand mittelst eines an die Wand und auf den
Scheitel aufgelegten Winkelscheites, Kopfumfang und Bogen
mittelst einer umgelegten Schnur oder eines Bandmasses.
Die Kopflänge und Breite mass ich mittelst eines von mir
konstruirten Schädelmessers, welcher den Kopf rahmenartig
umgibt, und in welchem der Massstab in der Mittellinie ver¬
schoben werden kann.
Was die Genauigkeit anbelangt, so ergaben sich bei
wiederholten Messungen in der Körpergrösse Unterschiede bis
zu 3 mm, in Kopflänge und -Breite bis zu 1mm, im Kopf¬
umfang bis zu 5 mm, im Kopfbogen kamen sogar, wenn auch
selten, solche bis zu 10 mm vor. Die letzteren Abweichungen
an den Kopfmassen, wenn sie in Zeitabständen von einigen
Wochen oder Monaten genommen waren, rühren zum Theil von
der wechselnden Stärke der Haare, diejenigen beim Kopfbogen
aber auch von der Unsicherheit der beiden Grenzpunkte her.
Die Körpergrösse wurde in natürlich aufrechter
Stellung ohne Strecken und Zusammensinkenlassen gemessen.
Ich fand dabei, dass sich die Grösse aus dieser natürlich auf¬
rechten Stellung durch Strecken um 0,4 bis 0,7 cm vermehrt.
Die Vergrösserung wurde dabei bewirkt durch das mehr Gerad-
biegen des nach hinten hohlen Rückgrates. Denn Striche, die
bei III (27,8 Jahre alt) auf dem Rückgrat an seinem unteren
sichtbaren Ende über den Gesässbacken, in der Mitte des
Rückens und am obersten Halswirbel angebracht waren, er¬
gaben, dass durch das Strecken der erste seine Höhe von
95,0 cm nicht änderte, der zweite (121,7 cm) sie um 0,3, der
dritte (158,8) sie um 0,7 und der Scheitel des Kopfes (177,7)
sie ebenfalls um 0,7 cm vermehrte. Bei IV (18 Jahre) fand
ich eine Vergrösserung von 0,4 cm. Diese Beobachtungen
stimmen mit einer angenäherten Berechnung der Streckung
des krummen Rückgrats überein. Nach einer Messung ver¬
mindert sich nämlich dessen Wölbungstiefe oder Pfeilhöhe von
6 auf 4,5 cm. Ein Kreisbogen von 158,8 — 95,0 = 63,8 cm
Sehne und 6 cm Pfeilhöhe ist um 1,12 cm länger als die Sehne,
derjenige von 4,5 cm Pfeilhöhe um 0,63 cm, also ist die Streckung
= 1,12 — 0,63 = 0,49 cm, was mit dem gemessenenen 0,7 bis
0,4 ziemlich übereinstimrat. Dabei ist auf die genaue Form¬
änderung nicht eingegangen.
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24
Beim Messen des auf wagrechter Matratze liegenden Körpers
fand ich eine Verminderung der Körpergrösse um 0,3 bis 0,8 cm,
sowohl bei der Bauch-, wie der Rückenlage, bei ersterer durch
eine stärkere Biegung des Rückgrates nach dem höher liegenden
Hals, bei der letzteren durch eine Beugung des hinten auf¬
liegenden Kopfes. Doch sind die Messungen beim Liegen un¬
sicherer.
Von Belang ist die tägliche Schwankung der Körper¬
grösse, welche schon vor Quetelet bekannt war (am angef.
Orte S. 24). Dieselbe ist, wie ich fand, unmittelbar nach dem
Erheben aus dem Bette am grössten und nimmt bis zum Abend
um 1 bis 2 cm, ja nach starker Ermüdung um 3 cm ab.
Findet während des Tages ein längeres Liegen statt, z. B.
nach dem Mittagsessen etwa eine Stunde lang, so nimmt der
Körper wieder seine grösste Länge an. Ich will hierüber
einige Messungen anführen:
II, 24,31 Jahre alt; Körpergrösse g, alsbald nach dem
Erheben aus dem Bette, und t Zeit später (in Stunden h und
Minuten m).
t
3,0 m
4,5 m
9,5 m
20,5 m
27,0 m
35,0>
e
177,3
177,3
177,2
177,1
177,1
176,9 cm
t
56 m
1 h 43 m
4 h 27 m
9 h 15 m
15 h 59 m
g
176,5
176,8
176,2
176,1
176,0 cm
III, 19,22 Jahre alt.
t
1,2 m
4,0 m
16,5 m
22 m
30,5 m
52 m
g
177,9
177,9
177,3
177,4
177,3
177,0 cm
t
1 h38m
4 h 22 m
5 h 54 m
!
i
g
177,2
176,4
175,9 cm
Nachmittags nach einer Stunde halbliegend auf dem
Kanapee:
t
6 h 40 m
g
176,9
176,0 cm
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25
IV, 11,53 Jahre alt.
t
5 Sec.
7 m
20 m
1 h 20 m
g
150,3
150,0
149,9
149,9 cm
11,10 Jahre alt, Vormittags, alsbald nach dem Aufstehen,
147,4, Abends 13Va Stunden später 146,7. 5 Tage später zu
entsprechenden Zeiten 147,9 und 147,2 cm.
An mir selbst fand ich in einem Alter von 54,17 Jahren
Vormittags alsbald nach dem Erheben aus dem Bette 180,3 cm,
nach dem Mittagsessen 179,4 cm, nach 2 Stunden liegend auf
dem Kanapee, zum Theil schlafend, zum Theil lesend, 180,1 cm.
Ebenso 2 Tage später, nahezu zu denselben Zeiten 179,8,
179,1, 179,8 und Abends spät 179,1 cm; noch 2 Tage später
früh 180,0 cm, Abends, 14 Stunden später, 179,1cm.
Es ergibt sich also, dass das Kleinerwerden hauptsächlich
in der ersten Stunde nach dem Erheben vor sich geht und
dass nach 4 bis 5 Stunden so ziemlich die kleinste Grösse
erreicht ist.
Die Verkleinerung während des Tages findet hauptsächlich
im Rückgrate statt. Ich machte auf der Rückenseite des Körpers
einige wagrechte Striche mit Tusche und mass deren Höhe un¬
mittelbar nach dem Erbeben aus dem Bette und Abends, 15
Stunden später. Ich fand bei III im Alter von 27,83 Jahren
Morgens Abends
Kniekehle. 49,8 49,8,
Obere Grube an den Gesässebacken 95,6 95,1,
Scheitel. 179,0 177,7.
Diese Verkleinerung ist nicht mit einer stärkeren Aus¬
biegung des Rückgrates verbunden und kann daher nur, wie
es auch allgemein geschieht, dem durch das Gewicht der oberen
Theile bewirkten Zusammendrücken und Ausquetschen der in
den Gelenkräumen gelagerten schleimigen Knorpelschichten
zugeschrieben werden. Der grössere Theil der Verkleinerung
findet im RUckgrate statt. Eine andere Messung hatte auch
eine Senkung schon in der Kniekehle ergeben, wesshalb eine
Zusammendrückung des Fussgewölbes nicht ausgeschlossen ist.
Doch sind diese Messungen schwierig, da kleinere Schwankungen
in der Neigung des Körpers und seiner Theile wechselnde
Zahlen liefern.
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26
Ich habe die unmittelbaren Ergebnisse der Mes¬
sungen der Körpergrössen, des Kopfumfangs und des
Kopfbogens meiner 4 Söhne in den Tabellen 1 (I, II, III,
IV) niedergelegt.
Tabelle I.
Unmittelbare Ergebnisse der Körpermessungen.
(Alter in Jahren, Längen in Centimetern, V = Vormittags, N = Nachmittags.)
I. Geboren am 4. Juni 1856.
Alter 0,00 0,64 1,47 2,47 2,93 4,02 5,07 6,00 7,01
Körpergrössc 54,0 75,0 78,3 88,4 93,3 100,1 106,8 113,7 119,8
Kopfumfang
(C
1,5 52.
,8 51,9
52,9
53,5
53,5
54,4
Kopfbogen
35
,5 36,
,2 36,3
36,4
37,0
37,5
37,5
Alter
8,00
9,00 10,04 11,06 11,98 12,99
14,00
15,01
Körpergrösse
125,2
130,5 135,0 141,1 146,1 154,7
164,2
169,0
Kopfumfang
54,8
55,0
55,0
56,2
56,5
57,3
57,0
57,0
Kopfbogen
37,3
37,5
38,7
39,1
39,1
38,0
38,5
38,1
Alter
16,00
17,02
18,00
18,56
19,01
19,56
20,00
20,56
Körpergrö88e
171,4
172,7
172,6
172,8
172,9
173,0
' 172,9
173,3
Kopfumfang
58,0
58,0
58,6
59,0
59,0
Kopfbogen
38.5
39,0
39,0
39,5
39,5
Alter
21,00
22,25
23,00
23,56
25,00
27,81
N
l 28,23
Körpergrösse
172,7
173,4
173,3
173,3
172,6
172,7
Kopfumfang
58,5
59,0
59,0
59,0
Kopfbogen
39,5
39,8
39,0
39,0
V
N
Alter
32,27
33,91
Körpergrösse
173,1
172,6
Kopfumfang
59,5
Kopfbogen
39,0
Alter 32,27
Kopflänge 20,1
Kopfbreite 15,8
78,7
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27
Tabelle 1 (Fortsetzung).
II. Geboren am 15. Mai 1857, wohl etwas verfrüht geboren.
Alter 0,00 0,52 1,52 2,01 3,08 4,01 5,01 6,02 7,00
Körpergrösse 46,0 66,5 76,9 83,8 92,9 101,3 107,2 114,4119,5
Kopfumf&og
45,5 50,0 50,
5 51,7
52,2
52,5
53,0
53,7
Kopfbogen
30,5 34,0 34,
4 35,1
35,1
35.3
35,8
36,5
Alter
8,11
9,21 1
10,02 1
11,04 12,05 13,00 ]
14,06
15,05
Körpergrösse
125,6
132,2 ]
134,9
140,8 146,4 153,2 :
161,8
169,2
Kopfumfang
54,0
53,2
53,8
54,8
54,6
54,7
55,1
56,0
Kopfbogen
37,5
37,0
37,0
37,0
36,5
36,5
36,5
3i>,0
Alter
16,01
17,05
17,61
17,70
18,02
18,34
18,61
Körpergrösse
173,3
175,2
175,8
176,3
176,3
177,0
176,5
Kopfumfang
57,0
57,0
57,4
Kopfbogen
37,0
38,0
37,5
Alter
19,06
19,61
20,00
21,08
21,61
22,06
22,61
Körpergrösse
176,3
176,4
176,7
176,7
176,7
176,6
176,7
Kopfumfäng
58,0
58,5
57,5
57,5
57,0
57,5
Kopfbogen
38,5
38,0
38,0
37,5
37,8
38,0
V
N
N
T
N
Alter
24,31
J)
26,95
31,32
31,33
Körpergrösse
177,3
176,0
176,8
177,2
176,7
Kopfumfang
59,0
Kopfbogen
39,0
Alter 31,32
Kopfl&nge 19,6
Kopfbreite 16,0 Index 81 ’ 6
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28
Tabelle 1 (Fortsetzung).
III. Geboreu am 15. Juni 1862.
Alter 0,01 0,25 0,50 1,00 2,11 3,02 4,01 5,03 6,11
Körpergrösse 52,4 61,0 71,0 74,2 88,2 94,2 102,0108,0 115,2
Kopfumfang 35,9 41,5 46,0 48,8 53,0 52,8 53,2 54,0 54,2
Kopfbogen 24,5 27,7 29,5 33,4 36,3 35,8 35,7 35,7 35,6
Alter
6,96
8,01
8,98
9,97 ]
10,99 :
11,97
12,53
12,97
Körpergrösse
120,2
125,8 131,0 1
136,5 1
142,1
145,1
148,8
151,8
KopfamfiiDg
54,0
54,0
54,0
54,0
55,5
55,7
56,0
Kopfbogen
36,0
36,0
36,2
36,0
36,3
36,6
36,5
Alter
13,53
14,00
14,53
15,01
15,50
16,00
16,53
17,00
Körpergrösse
154,1
157,1
161,6
166,6
169,7
172,2
174,7
175,7
Kopfumfang
56,5
57,0
57,8
58,0
57,7
58,2
Kopfbogen
37,0
37,6
38,0
39,0
38,0
38,2
V
N
N
Alter
17,53
18,03
18,57
19,04
19,22
19,58
19,72
Körpergrösse
175,7
176,6
176,3
177,5
177,9
175,9
177,3
177,8
Kopfumfang
58,0
58,5
59,0
58,4
Kopfbogen
38,0
38,5
39,5
39,0
N
N
N
V
N
Alter
21,30
23,22
25,54
26,23
27,83
Körpergröße
176,8
177,6
177,9
178,5
179,0
177,7
Kopfumfang
58,5
Kopfbogen
37,7
Alter 25,54
Kopflänge 20,3
Kopfbreite 16,4
Index 80,8
26,23
19,8
16,3
Index 82,3
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29
Tabelle 1 (Fortsetzung).
IV. Geboren am 25. Dezember 1869.
Alter 0,00 0,14 0,51 0,71 0,99 2,01 3,40 4,00 5,00
Körpergröße 55,0 63,0 74,0 70,0 73,8 86,0100,0 104,2 111,1
Alter
5,45
5,70
6,00
6,45
7,00
7,48
7,97
8,47
Körpergrösse 114,1
115,7
116,7
119,9
124,0
126,3
130,2
132,6
Y
N
V
Alter
9,00
9,47
10,00
10,50
11,05
11,10
1)
11,20
Körpergrösse 136,3
138,0
141,4
143,0
146,3
147,4
146,7
148,3
Y
Y
V
V
N
V
N
N
Alter
11,36
11,45
11,53
11,73
11,77
11,85
12,03
Körpergrösse 148,8
149,8
149,9
150,5
150,8
152,3
152,2
153,0
N
N
V
N
N
N
N
V
Alter
12,13
12,20
12,29
12,35
12,47
12,54
12,72
12,85
Körpergröße 153,7
155,5
156,2
157,1
156,9
157,8
159,8
161,0
N
N
N
N
N
N
N
N
Alter
12,94
13,04
13,11
13,20
13,29
13,37
13,47
13,54
Körpergr össe 161,6
163,2
163,7
164,1
164,9
165,8
166,6
167,7
N
N
N
V
N
N
N
N
Alter
13,60
13,71
13,72
13,72
13,74
13,77
13,80
Körpergröße 168,6
165,5
165,6
166,4
165,4
165,6
166,1
165,9
N
N
N
N
N
N
N
N
Alter
13,84
13,95
14,03
14,10
14,20
14,29
14,33
14,67
Körpergröße 166,4
167,7
168,7
169,8
170,3
171,0
171,2
173,2
N
V
N
»
N
N
»
N
Alter
14,77
14,85
14,94
15,03
15,10
15,19
15,27
15,36
Körpergröße 17 4,2
174,2
175,1
174,9
175,6
176,1
176,6
176,7
N
N
N
N
N
N
N
K
Alter
15,44
15,52
15,69
15,77
15,86
15,94
16,02
16,11
Körpergröße 177,0
177,0
177,7
177,7
177,8
178,2
178,3
178,6
N
N
N
N
N
N
N
N
Alter
16,18
16,27
16,34
16,59
16,60
16,85
16,99
17,28
Körpergröße 178,9
179,0
179,3-
179,4
178,8
179,5
179,8
180,0
N
N
V
N
V
N
Alter
17,60
18,02
18,89
20,30
»
Körpergrösse 179,8
180,1
181,7
179,8
182,3
181,0
Digitized by <^.ooQLe
30
Tabttle 1 (Fortsetzung).
Alter
0,00
0,14 0,51
0,71
0,99
2,01
3,40
4,00
5,00
Kopfumfang
38,0
42,0 45,0
47,0
48,7
51,0
53,0
53,4
54,0
Kopfbogen
27,0 30,0
30,0
33,7
35,5
35,0
36,0
37,0
Alter
5,45
6,00 6,45
7,00
7,48
7,97
8,47
9.00
9,47
Kopfumfang
53,7
54,0 55,0
54,5
54,5
54,5
54,5
55,0
55,0
Kopfbogen
37,0
38,0 37,5
38,0
38,0
37,0
37,5
37,5
37,0
Alter
10,00 10,50 11
,05 12,03
12,72
14,33 16,00 20,35
Kopfumfang
55,'
J 55,6 56,0
56,5
56,8
58,
5 58
,8 59,0
Kopfbogen
38,0 38,0 37,5
38,0
38,5
39,
0 40
,0 39,2
Alter 18,07
Kopflänge 20,0
Kopfbreite 16,2
Index 81,0
Vater von 1, II, III, IV. Geboren am 7. Dezember 1826.
VN N VN
Alter 31,96 54,16 „ 60,64 63,44 „
Körpergröße 178,7 180,3 179,1 178,4 180,2 179,3
Kopfumfang 60,0 60,8
Kopfbogen 37,2 38,0
Alter 60,64
Kopflänge 20,9
Kopfbreite 16,8
Index 80,5
Mutter von I, II, UI. Geboren am 20. Mai 1835.
Alter 23,51
Körpergrös8e 158,8
Kopfumfang 57,0
Kopfbogen 35,8
Mutter von IV. Geboren am 21.
N
Alter 35,12 49,39 Alter
KörpergrÖ88e 163,9 164,1 Kopflänge
Kopfumfang 57,0 Kopfbreite
Kopfbogen 36,5
April 1834.
53,73
18,9
17,0
Index 90,0
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31
Da mir Anfangs die tägliche Veränderung der Grösse
nicht bekannt war, verzeicbnete ich die Tageszeit nicht.
Doch ist anzunehmen, dass meist nicht alsbald nach dem
Aufsteben gemessen wurde, und dass überwiegend die kleinste
Körpergrösse erhalten worden ist. Später habe ich meist
Abends gemessen, weil die kleinste Grösse die den Tag
über vorherrschende ist. V und N bedeuten Vor- und Nach¬
mittags. Ich mass gewöhnlich 2 bis 3mal hinter einander
und verzeicbnete das Mittel der nur um wenige Millimeter
von einander abweichenden Ablesungen. Das Alter ist in
Jahren auf 2 Decimalstellen, die Längen sind in Centimeter
angegeben. In den Figuren 1 bis 4 sind die Ergebnisse in
Kurven dargestellt, deren Abscissen das Alter, deren Ordinaten
die zugehörigen Grössen ausdrücken. In den Tabellen 2 (I, II,
III, IV) habe ich durch Einschaltung die Grössen für die
Zeitpunkte der zurückgelegten ganzen Jahre mit Ausgleichung
kleiner Widersprüche und Unsicherheiten vermittelst der Ste¬
tigkeit und die daraus hervorgebenden Zuwachse in den ein¬
zelnen Jahren eingetragen. Man kann aus den Tabellen und
Figuren folgende Beobachtungen und Schlüsse ziehen.
I. Die Körpergrösse.
1. Der Verlauf des Wacbsthums ist ein ziemlich stetiger.
Die Schwankungen bei den bald aufeinander folgenden Mes¬
sungen sind meist kleiner als die täglichen Schwankungen
und können daher in diesen ihren Grund haben.
Bemerkenswerth ist bei IV eine Verminderung der Grösse
um 3,1cm im Alter von 13*/» Jahren innerhalb 42 Tagen;
diese Verkleinerung beruht nicht auf einem Irrthum, wie die
mehrfachen kurz vorhergehenden und nachfolgenden Mes¬
sungen nachweisen. Erst innerhalb des folgenden Vierteljahrs
konnte die frühere Grösse wieder erreicht werden. Die Ver¬
kleinerung fand während eines Landaufenthaltes in den Herbst¬
ferien statt, von dem der Sohn unwohl zurückkam. Unwohl¬
sein, das vielleicht durch zu reichlichen Obstgenuss verursacht
war, dürfte eine Schwächung der Muskeln, welche das Rück¬
grat gestreckt erhalten, sowie eine Säfteentziehung des Ge¬
lenkknorpels herbeigeführt und so jene Erscheinung bewirkt
haben.
Digitized by
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33
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3
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37
Fig. 4.
2. Die Grösse bei der Geburt betrug von I, III, IV, 54,0,
52,4, 55,0 cm, bei II nur 46 cm. Ich vermuthe, dass letzterer
Knabe verfrüht zur Welt kam; mit 5 Jahren besass er nahe¬
zu dieselbe Grösse, wie seine Brüder. Der Körper war bei
16 1 /* bis 18 Jahren mit 173 bis 180 cm fast ganz ausge¬
wachsen, von wo an bis zu 25 Jahren noch eine Vergrösserung
um 0,5 bis 1,5 cm eintrat. Die Hälfte der vollen Körpergrösse
war bezw. mit 2*/*, 2*/*, 2 1 /*. 2 1 /* Jahren erreicht.
3. Das Wachsthum war in den 6 bis 8 ersten Monaten
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38
am grössten. Es betrug in den ersten 6 Monaten 15, 20,
19, 19 cm, verminderte sich aber dann rasch, so dass es im
ersten ganzen Jahre nur 18, 25, 22, 19 betrug. Eine Ab¬
nahme bei IV im Alter zwischen 0,5 und 0,7 Jahren fiel mit
einem krankhaften Zustande zu jener Zeit zusammen.
Im zweiten Jahr betrug der Zuwachs 12 bis 13 cm. Von
da an nahm der Jahreszuwachs bis zu 12 Jahren langsam und
mehr oder weniger stetig von 9 bis auf 5 cm ab. Dann aber
trat bei allen ein rasches Wachsen, im Schuss ein, der im
13., 14. oder 15. Jahre sein Maximum mit 8,2 bis 9,9 cm er¬
reichte. Es sind dies aber die Zeiten der entstehenden Mann¬
barkeit. — Eine Zeit lang nahm ich bei IV häufigere Mes¬
sungen vor, um eine etwaige Abhängigkeit des Wachsthums
von der Jahreszeit zu finden; eine solche ergab sich aber nicht.
4. Von der Gestalt der Wachsthumslinie kann man sich
auf folgende Art eine übersichtliche Vorstellung machen.
Der Anblick der Linien lässt vermuthen, dass ihr Theil zwi¬
schen 2 und 12 Jahren ein Stück einer Parabel ist, deren Axe
in der Abscissenaxe liegt. Dies bestätigt sich bei der Probe;
Parabeln, welche ich durch die Punkte bei 2 bis 2 1 /* und bei
etwa 11 Jahren legte, haben folgende Gleichungen, wenn x das
Alter in Jahren und y die zugehörige Grösse in Centimetem
bezeichnet:
I: y*=1412 (#+3,06),
II: y* = 1439 (.r-+-2,86),
ni: y* = 1426 (>-+-3,20),
IV: 1568 (rr-f-2,70).
Die Parabeln sind gestrichelt eingezeichnet; ihre Scheitel
liegen bezw. bei x = —3,06; —2,86; —3,20; —2,70; also alle
in der Nähe von —3 Jahren. Die Ordinaten dieser Parabeln
und ihre Abweichungen von den wirklichen Grössen sind in den
Tabellen 2 verzeichnet. Die Parabeln schmiegen sich inner¬
halb jener Grenzen den Wachsthumslinien gut an. Unter 2
Jahren liegt die Wachsthumslinie unter der Parabel, von 12
Jahren an im Allgemeinen Uber derselben und schneidet die
Parabel bei einer Abscisse von 18 bis 19 Jahren. Diese Er¬
hebung über die Parabel zeigt jenes rasche Wachsthum zur
Zeit der beginnenden Mannbarkeit an, und die Wachsthums¬
linie erreicht im 15. oder 16. Jahre ihren grössten Abstand
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39
von der Parabel mit 9,4; 8,6; 6,9; 8,0 cm. Ausnahmsweise
tritt bei III zwischen 11 und 13 Jahren die Wachsthumslinie
unter die Parabel; es war dies offenbar eine aussergewöhnliche
Erscheinung; denn der Knabe erschien damals auffallend klein
gegen seine Kameraden. Das raschere Wachsthum begann
dann erst im 13. Jahre und erreichte im 15. sein Maximum.
Auch die Kurve der Jahreszuwachse gibt darüber Rechen¬
schaft
Jene Parabel könnte man Anschlussparabel nennen;
anschliessend ist sie nur zwischen 2 und 12 Jahren; aber sie
bietet in ihrem Anschluss an die Wachsthumslinie ein leichtes
Verfahren zu deren Verzeichnung. Man zeichnet die Parabel
mit dem Scheitel in —3 Jahren und der erreichten vollen
Grösse bei 18 Jahren, schliesst dann die Kurve bei 0 Jahren
mit der Geburtsgrösse (von etwa 53 cm), berührend bei 2
Jahren, und rückwärts verlängert die Abscissenaxe bei —*/ 4
Jahren treffend, an, und setzt zwischen 12 und 18 Jahren die
Wölbung des Wachsthumsschusses auf, welche bei etwa 15
Jahren ihren grössten Abstand von 8 bis 9 cm erreicht, bei
12 Jahren sich berührend an die Parabel anschliesst und sie
bei 18 Jahren horizontal trifft.
Quetelet in seinem angeführten Werke gibt Gestalten der
Wachsthumskurve für das männliche und das weibliche Ge¬
schlecht, welche beide ihrer Gestaltung nach untereinander über¬
einstimmen, von der von mir gefundenen Form aber abweichen.
Nach ihm (am angef. Orte S. 26) verläuft die Kurve zwischen
4 bis 5 und etwa 16 Jahren geradlinig mit dem gleichförmigen
Jahreszuwachs von etwa 56 Millimeter, in den 3 folgenden
Jahren aber nur noch mit 40, 25 und 25 mm. Die Einbiegung
der Kurve und der hervorragende Schuss fehlt also. Es ist mir
nicht zweifelhaft, dass diese Einbiegung durch das Ziehen
des Mittels verwischt worden ist, indem die Einbiegung bei
verschiedenen Menschen an verschiedenen Stellen auftritt
Quetelet hat für die Wachsthumskurve die Gleichung
3. Grades aufgestellt
i y , t+x
y+ 1000 (T-y) ~ a x+ 1+*/.*'
Darin bedeutet x das Alter in Jahren, y die zugehörige
Grösse, t und T die Grösse bei der Geburt und die des aus-
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40
gewachsenen Menschen, a den jährlichen Zuwachs zwischen 4
und 16 Jahren, alle Laugen ausgedrückt in Metern. Er er¬
hielt für die Männer in Brüssel t = 0,500m, T— 1,684na,
a = 0,0545 m; für die Frauen in Brüssel t — 0,49 m, T =
1,579 in, a — 0,052 m.
II. Die Kopfgrösse.
1. Der Kopf wächst verhältnissmässig viel weniger als
der Körper. Der Kopfumfang ergab sich bei der Geburt bei
III gleich 35,9cm und stieg auf 58,5 bis59,0 cm bei 18 Jahren;
bei IV von 38,0 bis auf die gleiche Grösse in gleichem Alter
wie bei III. Er wuchs also nur auf das l,6fache seiner An¬
fangsgrösse, während die Körpergrösse von etwa 53 auf 178 cm,
also auf sein 3,4faches stieg. Es ist demnach der Kopf bei
den Kindern verhältnissmässig viel grösser, etwa doppelt so
gross, als bei den Erwachsenen. Das Verhältniss des Kopf¬
umfangs zur Körpergrösse betrug z. B. bei III im Alter
von 0 1 2 5 10 18 Jahren
bezw. 0,68 0,66 0,61 0,50 0,40 0,33,
fiel also von nahezu */ 3 auf I / a , so dass der Kopf des neu
geborenen Kindes im Verhältniss zur Körpergrösse sehr nahe
noch einmal so gross, als der des Erwachsenen war.
2. Der Kopfumfang wächst ebenso wie der Körper im
ersten Jahre, besonders aber im ersten halben Jahre am
stärksten, im zweiten merklich weniger, und nimmt von da
an nur ganz langsam zu; im 14. Jahre tritt wieder eine Stei¬
gerung des Zuwachses ein und mit 17 oder 18 Jahren ist er
so ziemlich ausgewachsen; eine noch spätere Zunahme ist jeden¬
falls gering. So war der Zuwachs des Kopfumfangs bei 111
ausgehend von 35,9 cm im ersten halben Jahr 10,1, im zweiten
2,8 cm, also im ersten ganzen Jahr 12,9, im zweiten Jahre
3,8, im dritten 0,8, blieb dann bis zum 12. Jahre 0,3 bis 0,2,
um dann auf 0,5 zu steigen, drei Jahre so gross bleiben, vom
17. bis 20. Jahre 0,1 zu betragen und dann fast zu verschwin¬
den. Der ähnliche Vorgang fand auch bei den drei anderen statt.
3. Aehnliche Erscheinungen, wie der Kopfumfang, zeigt
auch der Kopfbogen. Er wuchs bei III, von 24,5 cm aus¬
gehend, im ersten Jahre um 8,9, im zweiten um 2,1, dann
jährlich bis zum 13. Jahre im Mittel nur um 0,1, dann um
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0,4; 0,6; 0,4, während von da an der mittlere Zuwachs bis
zum 25. Jahre nur 0,1 betrug.
4. In den Tabellen 1 sind auch die Kopflängen von
Stirn bis Hinterkopf und die Kopfbreiten zwischen den grössten
Ausladungen des Schädels nahe über den Ohren, gemessen
an den erwachsenen Söhnen, angegeben. Sie sind ziemlich
übereinstimmend 20 bezw. 16 cm, dazu ist der Kopfindex
zugefügt, d. i. das Hundertfache des Verhältnisses der Breite
zur Länge, oder die Breite, ausgedrückt in Procenten der
Länge. Er wechselt zwischen 78,7 und 82,3. Die Söhne
gehören daher zu den Mesocephalen und Brachycephalen,
wenn man, wie es jetzt gewöhnlich geschieht, vom Index
gleich
70 bis 74,9 die Dolichocephalen oder Langköpfe,
75 bis 79,9 die Mesocephalen oder Mittelköpfe,
80 bis 84,9 die Brachycephalen oder Kurzköpfe,
85 bis 89,9 die Hyperbrachycephalen,
90 bis 94,9 die Ultrabrachycephalen
rechnet.
Die Eitern.
Endlich mögen noch die Masse der Eltern angegeben
werden. Der Vater ist geboren am 26. Dezember 1826.
Für ihn gilt:
Alter
31,96
54,16 V
54,16N
60,64N
63,44N
Körpergrösse
178,7
180,3
179,1
178,4
179,3
Kopfumfang
60,0
60,8
60,3
Kopfbogen
37,2
38,0
38,0
Kopfl&nge
1
|
20,9
Kopfbreite
16,8
Kopfindex
80,5
Eine Abnahme der Körpergrösse bei einem Alter von
63*/a Jahr gegen 32 Jahr ist also nicht zu bemerken, die
nach Quetelet (a. a. 0. S. 35) mit dem 50. Jahre beginnen
und im 80. Jahre gegen 6 bis 7 cm betragen soll.
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42
Die Mutter der drei ersten Söhne war geboren am
20. Mai 1835 und hatte im Alter von 23,51 Jahren 158,8 cm
Körpergrösse, 57,0 cm Kopfumfang, 3518 cm Kopfbogen.
Die Mutter des vierten Sohnes ist am 21. April 1834
geboren, hatte im Alter von 35,12 Jahren 163,9 cm Körper¬
grösse, 57,0 cm Kopfumfang, 36,5 cm Kopfbogen, im Alter
von 49,39 Jahren 164,1 cm Körpergrösse und im Alter von
53,73 Jahren 18,9 cm Kopflänge, 17,0 cm Kopfbreite, dem¬
nach einen Index von 90.
Die Masse sind in den Fig. Im. 4 eingetragen.
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43
Ein neuer Sehädelmesser (Kraniometer).
Von Geh. Hofrath Prof. Dr. Chr. Wiener in Karlsruhe.
Der Verfasser hatte mit grosser Theilnabme die anthro¬
pologischen Aufnahmen des Herrn Otto Ammon verfolgt,
worüber dieser schon v
mehrere sehr interes¬
sante Veröffentlichungen
gemacht hat. Derselbe
benutzte dabei den heim
Militär gebräuchlichen
Tasterzirkel, welcher
zwei ausgebauchte Arme
mit Endknöpfchen be¬
sitzt, deren Abstand auf
einem Gradbogen abge¬
lesen wird. Dies Instru¬
ment gab aber bei den
Schädelmessungen wegen
der Biegsamkeit der Arme und wegen der Klein¬
heit der Theilung keine genügende Genauigkeit.
Der Verfasser machte Herrn Ammon auf
die im Forstwesen heim Messen der Baum¬
stammdicken gebräuchliche Kluppe aufmerksam,
welche im Wesentlichen mit dem von den Mecha¬
nikern benutzten Kaliber und auch mit dem von
Herrn Virchow angewendeten, aus Metall ge¬
arbeiteten, zerlegbaren Kraniometer überein¬
stimmt.
Herr Ammon liess sich ein Instrument in
der Art der Kluppen von Albert Nestler in
Lahr in Baden aus Holz anfertigen, der es in
vorzüglicher Weise ausführte. Dasselbe ist in
*/* der natürlichen Grösse nebenbei abgebildet.
Es besteht aus einem auf die hohe Kante gestellten Massstabe,
der in Millimeter getheilt ist, und zwei darauf senkrechten
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44
Armen, von denen der eine am Ende des Massstabes fest
angebracht, der andere aber auf demselben verschiebbar
ist, wobei die Sicherheit der Führung durch eine Feder be¬
wirkt wird. Der eine Arm ist etwas länger als der andere,
weil die grösste Länge des Kopfes zwischen der Unter¬
stirne und dem Hinterhaupte etwas nach hinten abfällt, aber
in horizontaler Ausdehnung gemessen werden soll. Es wird
dabei der Massstab horizontal Uber den Scheitel des Kopfes
und der längere Arm an das Hinterhaupt gelegt. Herr
Ammon wendet dies Instrument seitdem ununterbrochen an
und findet es sehr bequem und fördernd, Eigenschaften,
welche nothwendig sind, da die meisten Messungen bei Mili¬
tärmusterungen vorgenommen werden und mit diesen gleichen
Schritt halten müssen.
Die grösstmögliche Genauigkeit kann ich aber der Kluppe
nicht zuerkennen; denn die geringste Biegung des Mass¬
stabes, eine ungleichmässige Anspannung der Führungsfeder
und eine Biegung der Arme, welche beim Andrücken derselben
an den Kopf stets eintritt, haben alsbald eine merkliche Ab-
weichuug der Arme von der parallelen Stellung und dadurch
fehlerhafte Messungsergebnisse zur Folge, wie es die nachher
anzuführenden Versuche auch bestätigen. Zur Vermeidung
dieser Mängel konstruirte ich daher einen andern Schädel¬
messer,*) der ebenfalls in */, der natürl. Gr. auf S. 26 abge¬
bildet ist. Derselbe besteht aus einem quadratischen Rahmen
aus Holzstäben, von denen die zwei gegenüberstehenden,
welche bei Anwendung von Druck auf Biegung in Anspruch
genommen werden, stärker gebildet und nach der Mitte ver¬
stärkt sind, von denen aber die beiden andern nur auf Zug
in Anspruch genommenen leichter und gleichmässig stark ge¬
bildet sind. In den Ecken ist der Rahmen durch kreisförmig
ausgeschnittene Brettstückchen versteift. Der Rahmen besitzt
in der Mitte der einen Seite einen flachen Griff und bietet
das Aussehen eines Zeitungshalters.
In einer Führung auf dem Griffe bewegt sich nach einer
Mittellinie des Quadrates ein Massstab, der Millimeter angibt
*) Das Instrument batte ich in der Schreinerei von Markstahler
in Karlsruhe ausfQhren und bei Mechaniker Sickler theilen lassen. Ich
legte es dem Naturw. Verein in seiner Sitzung vom 13. Januar 1888 vor.
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45
und auf einer Marke am Griffe Null ablesen lässt, wenn der
Massstab an der gegenüberstehenden Seite des Quadrates an*
stösst. Zieht man den Massstab zurück und bringt den Kopf
in den Rahmen mit dieser gegenüberliegenden Seite und mit
dem Massstabsende zur Berührung, so kann man an der
Marke die Kopfdicke ablesen. Wegen der erwähnten tieferen
Lage der Stelle der grössten Ausladung des Hinterhauptes
ist an jener gegenüberstehenden Seite ein aufrechtes Plättchen
angebracht, so dass beim Gebrauch das Instrument umge-
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46
kehrt wird. Ferner kann die Stellung der Marke korrigirt
werden, indem das Brettchen, welches sie trägt, mittelst eines
Schlitzes, eines FUhrungsstiftes und einer Klemmschraube
beweglich und feststellbar gemacht ist.
Ich stellte vergleichende Versuche über die Genauigkeit
der beiden Schädelmesser an. Ich fasste die Dicke eines
Holz- oder Eisenkörpers mit parallelen Begrenzungsflächen
zwischen zwei aufgelegte Lineale, und mass den Abstand der
Kanten derselben dicht an dem Körper mittelst eines gewöhn¬
lichen Massstabes; das Ergebniss betrachtete ich als das sicherste
Mass. Nachdem ich den dabei angewendeten Massstab mit
denjenigen der beiden Instrumente verglichen und überein¬
stimmend gefunden hatte, mass ich dieselbe Dicke mit diesen.
Ich fand mit dem Rahmeninstrumente nur Abweichungen von
kleinen Bruchtheilen eines Millimeters, bei der Kluppe dagegen
Masse, die um 1,0 bis 2,0 mm zu klein waren. Bei dem
Rahmeninstrumente konnte ich durch sehr starkes Andrücken,
wie es aber bei den Messungen nicht vorkommt, Abweichungen
von nur 0,5 mm hervorbringen, herrührend von schwachen
Ausbiegungen der Querstücke des Rahmens. Bei der Klupp-
dagegen zeigte sich, dass sich die Arme beim Aneinander¬
schieben zwar dicht aneinanderlcgten, beim Auseinander¬
schieben aber ihre parallele Lage verloren und an den Spitzen
einen um 1,0 bis 1,5 mm grösseren Abstand als auf dem
Massstabe annahmen, und dass dieser Unterschied bei etwas
kräftigem Andrücken an den zu messenden Körper 2 mm
und noch mehr betrug. Um so viel fand man die zu messende
Dicke zu klein. Dabei hat man für die Stärke des Zusammen¬
drückens kein sicheres Gefühl, da der bewegliche Arm sich
nicht leicht bewegt und daher einen ziemlichen Kraftaufwand
erfordert, wobei aber die Empfindung für das Mass dieser
Kraft vermindert wird. Durch eine mässige Verstärkung der
Arme könnte das Instrument wohl etwas verbessert werden,
doch bleibt immer die Schwierigkeit bestehen, eine genaue
Parallelverschiebung der Arme zu gewährleisten. Auch Forst¬
leute hörte ich über die Unsicherheit der Kluppen klagen.
Ich muss zufügen, dass ich die Benutzung des Rahmeninstru¬
mentes bequem und förderlich fand, wobei die leichtere Ver¬
schiebbarkeit des Massstabs günstig wirkt.
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47
Ueber die Schönheit der Linien.*)
Von Geb. Hofrath Prof. Dr. Cbr. Wiener in Karlsruhe.
Das Schöne theilt sich nach meiner Auffassung**) in das
unmittelbar wirkende oder formal Schöne und in das
mittelbar wirkende oder charakteristisch Schöne. Das erstere
ist dasjenige, welches unabhängig von dem Gegenstände, an
welchem es sich befindet, unmittelbar, d. h. ohne Vermittlung
vorhergehender Erfahrungen in uns vermittelst des Auges oder
Ohres einen angenehmen Eindruck hervorbringen kann. So
kann unabhängig von dem Gegenstände, an welchem sie sich
befindet, eine Linie durch ihre Gesetzmässigkeit befriedigend
auf den Formensinn, eine Farbe durch ihre Reinheit und
Fülle auf den Farbensinn, ein Ton durch seinen Wohlklang
auf den Tonsinn wirken. Mittelbar wirkend oder cha¬
rakteristisch schön ist der durch das Auge oder Ohr wahr¬
nehmbare Ausdruck einer BeglUckungs-, meistens Leistungs¬
fähigkeit des Gegenstandes, an dem er sich befindet, welcher
in dem sittlichen, unbetheiligten Menschen einen angenehmen
Eindruck hervorbringen kann, gleichartig mit demjenigen im
schönen Gegenstände oder im Betheiligten. Es wirkt mittel¬
bar, nämlich auf der Grundlage der vorher nothwendigen Er¬
fahrung über den Zusammenhang der Beglückungsfähigkeit
mit ihrer sinnlichen Erscheinung. So kann eine Linie am
*) Dieser Vortrag wurde im Naturwissenschaftlichen Verein am
11. Mai 1888 gehalten und durch Figuren von grossem Massstabe unter¬
stützt. Sein hauptsächlichster Inhalt wurde in den Verh. d. Naturw. Ver.,
B. 10, 1888, S. 184 mitgetheilt, aber ohne Beigabe der Figuren. Ich
gebe im Obigen den vervollständigten und zum Theil erweiterten Inhalt
unter Zufügung der Figuren, da diese erst die Anschauung und volle
Ueberzeugung verschaffen. Ausserdem füge ich die Erklärung und, so¬
weit sie neu ist, die Begründung der geometrischen Konstruktion der Fi¬
guren bei.
**) C. Wiener, die Qrundzüge der Weltordnung, Leipzig 1863, S.
495 ff.
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48
menschlichen Körper als charakteristische Form einer Be-
glücknngs- oder Leistungsfähigkeit desselben angenehm wirken
und für schön erklärt werden; eine Farbe, z. B. das Grün einer
Wiese, als charakteristisches Zeichen ihres gesunden Standes,
der Klang einer Stimme als Zeichen der Kraft oder vielleicht
der liebenswürdigen Verbindlichkeit eines Menschen. — Daraus
ergibt sich der für beide Arten des Schönen geltende allge¬
meine Begriff, wenn wir beachten, dass die Wirkung auch
durch die Einbildungskraft allein erfolgen kann: Schön ist
derjenige Gegenstand oder Vorgang, welcher vermittelst des
Auges oder des Ohres und der zugehörigen Geistesvermögen,
oder auch vermittelst letzterer allein, eine angenehme Em¬
pfindung in dem sittlichen, unbetheiligten Menschen hervor¬
bringen kann.
Wir wollen uns im Folgenden mit der Schönheit der
Linien, und zwar hauptsächlich mit ihrer formalen Schönheit
beschäftigen.
Eine Linie ist formal schön oder sie wirkt unmittelbar
befriedigend, wenn sie eine Gesetzmässigkeit erkennen
lässt. Die Gesetzmässigkeit kann in einer Stetigkeit be¬
stehen, oder in einer Regelmässigkeit, unter welcher die
nach einer gewissen Regel stattfindende Wiederholung von
Theilen verstanden sein soll. Wir nennen*) eine Linie zwischen
zweien ihrer Punkte stetig von der ersten Ordnung, wenn
man auf ihr vom einen zum andern Punkte gelangen kann,
wenn also die Linie keine Unterbrechung erleidet; stetig von
der zweiten Ordnung, wenn bei diesem Durchlaufen die Tan¬
gente alle Zwischenlagen durchläuft, wenn also die Linie keine
Ecke besitzt; stetig von der dritten Ordnung, wenn der (sich
am innigsten anschmiegende) Krümmungskreis alle Zwischen¬
gestalten durchläuft, wenn also an keiner Stelle ein Sprung
von einer Krümmung zu einer davon verschiedenen stattfindet;
und kann so noch höhere Ordnungen bezeichnen. Diese drei
Stetigkeiten empfindet der Beschauer angenehm, und den
Mangel, selbst der dritten, fühlt er, auch wenn er ungeübt
ist, als unbefriedigend und verletzend.
Man überzeugt sich hiervon durch Betrachtung der Fig. 7,
*) C. Wiener, Lehrbuch der darstellenden Geometrie, Leipzig, B. 1,
1884, S. 157.
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50
welche fünf Ovallinien von ähnlichem Aussehen und gleichen
Axen darstellt. Der Leser vergleiche sie nach ihrer Schön¬
heit, ehe er das Folgende liest. Als schönste hat noch Jeder,
den ich fragte, selbst Kinder von 10 Jahren, die mittlere (0)
erkannt. Sie ist eine Ellipse, und diese besitzt die Stetig¬
keiten aller Ordnungen, insbesondere auch die der dritten;
ihre Krümmung ändert sieb stetig, und nicht ein kleinstes
Stückchen derselben ist ein Kreisbogen. Die vier anderen
Linien (2, 3, 4, 5) sind Kreisbogenovalen, deren jede aus
vier berührend in einander übergehenden Kreisbogen zusammen
gesetzt ist, nämlich aus zwei gegenüber stehenden gleichen
Bogen mit dem grösseren Halbmesser, und zwei anderen gegen¬
über stehenden gleichen Bogen mit dem kleineren Halbmesser.
Durch Aenderung der Halbmesser kann man unendlich viele
solcher Ovalen bilden. Die Grenzgestalten sind die 1 und 6
in Fig. 2. In 1 sind zwei Bogen zu geraden Linien und
Fig. 2.
ihre Halbmesser unendlich gross geworden; die anderen Bogen
wurden dadurch Halbkreise. In 6 sind die beiden anderen
Bogen zu Punkten und ihre Halbmesser Null geworden. Die
Figur nimmt dadurch die Gestalt einer Linse an. Beide Grenz¬
gestalten bieten nicht mehr das Aussehen einer Ovalen; in
beiden ist das Verhältniss des grösseren zum kleineren Halb¬
messer unendlich gross. In den zwischenliegenden Figuren ist
dieses Verhältniss kleiner; und man könnte vermuthen, dass
die Ovale am schönsten sein und im Ansehen der Ellipse am
nächsten kommen möchte, wenn jenes Verhältniss möglichst
klein ist. Dieser Fall ist in der Ovale 3 hergestellt. Man
könnte aber auch vermuthen, dass eine schönste Gestalt er¬
reicht würde, wenn man den Unterschied jener Halbmesser
möglichst klein macht. Dieser Fall in der Ovale 5 herge-
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stellt. Aber beide Gestalten 3 und 5 befriedigen offenbar
nicht., 3 erscheint auf den Seiten zu stumpf, 5 zu spitz. Ich
habe eine zwischen 3 und 5, näher bei 3 liegende Gestalt 4
eingeschaltet, welche vielleicht noch am meisten befriedigt;
aber auch sie steht weit hinter der Ellipse zurück. 2 ist
zwischen 1 und 3, näher bei 3 eingeschaltet. Bei allen Kreis¬
bogenovalen, obgleich sic die Stetigkeiten erster und zweiter
Ordnung besitzen, fällt die Stelle des Zusammentreffens der
beiden verschiedenen Kreisbogen, oder der Unstetigkeitspunkt
dritter Ordnung, störend auf; er erscheint in uneigentlichem
Sinne wie ein Knick.
Ein anderes Beispiel dieser Art bieten die Linien a und b
der Fig. 3 dar. Erstere ist eine Linie vierter Ordnung,
Fig. 3.
die Durchschnittslinie zweier schiefen Kreiscylinder, welche
die Stetigkeiten aller Ordnungen besitzt; letztere eine Nachbil¬
dung derselben aus Kreisbogen. Hier sind die Schönheiten
der ersten gegen die zweite Figur besonders an den Stellen
der stärkeren Krümmung zu erkennen. Ein anderes Beispiel
ist in der Fig. 4 geboten, a stellt wieder eine Linie vierter
Ordnung, einen ebenen Schnitt eines Kreisringes dar, b eine
Nachbildung mittelst Kreisbogen. Die Figur a besitzt eine
schiefe Symmetrie, indem alle wagrecht gezogenen Sehnen
derselben durch eine gegen sie geneigte Gerade halbirt werden.
4*
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52
Auch diese Symmetrie fehlt in b. Die Fig. 3b ist durch 7,
die 4b durch 10 Kreisbogen gebildet. Es ist selbstverständ¬
lich, dass man durch Vermehrung der Anzahl der Bogen den
Unterschied gegen die Figuren a bis zur Unmerklichkeit herunter¬
setzen könnte. Sobald er aber bemerkbar ist, zeigt er eine
Unschönheit der Kreisbogenlinien. Eine weitere Ursache der
Unschönheit in der Fig. 3b als jene Unstetigkeit der dritten
Fig. 4.
Ordnung ist nicht vorhanden. Die Abweichung von a be¬
gründet für sich nicht eine Unschönheit; denn die a braucht
nicht daneben zu liegen; und wenn sie daneben liegt, weiss
Niemand von vorn herein, welche das Muster und welche die
Nachbildung ist. In den Figuren 4 könnte man die in b fehlende
Symmetrie noch für eine Ursache halten; jedenfalls ist aber
die schiefe Symmetrie auch in a bei der vorliegenden Gestalt
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wenig merklich, und die Unstetigkeit bildet den Hauptmangel,
wie man bei Vergleichung einzelner Stücke findet.
Als Ursache dieses angenehmen Eindruckes ist
schon mehrfach die Stetigkeit der Veränderung in der An¬
spannung der Muskeln angegeben worden, welche den Aug¬
apfel bewegen, wenn die Richtung des deutlichen Sehens die
gegebene Linie umfährt, wobei jede plötzliche, stossweise
oder nur unstetige Aenderung der Richtung eine unangenehme
Empfindung hervorbringen soll. Diese Erklärung hat etwas
bestechendes, indem sie eine schon im Auge liegende greif¬
bare Ursache angibt und die so häufig hervortretende Spar¬
samkeit im Arbeitsaufwands heranzieht. Dennoch kann ich
derselben nicht beistimmen. Denn ich habe bei mir und bei
Anderen, welche die Ovalen der Fig. 1 verglichen, immer
beobachtet, dass sie mit dem Blicke nicht die einzelnen Linien
umfahren, sondern höchstens bei der Ausdehnung des Ge¬
sichtsfeldes mit dem Blicke ein wenig hin und hergingen.
Sodann wäre ein sehr genaues Umfahren der Linien mit der
Sehrichtung nothwendig, da die Abweichungen jener Ovalen
sehr gering sind. Wenn man bedenkt, wie schwierig schon
ein solches Umfahren mit der Hand ist, und wie man bei Hand¬
habung des Planimeters die Linien mit dem Fahrstift gar nicht
genau verfolgen kann, sondern sie mit Wellen umzieht, und
wie diese Operation eine wahrhaft schmerzhafte ist, und mit
dem schwerer beweglichen Augapfel noch schwieriger und
schmerzhafter sein wird, so kann man an die Hervorbringung
eines Wohlgefühles in den Muskeln nicht glauben. Dasselbe
mag wohl hervorgebracht werden, wenn man eine stetige Linie
frei, ohne Vorzeichnung, im Schwünge zeichnet, wo sich durch
die natürliche Stetigkeit der Aenderung in den Muskelan¬
spannungen eine stetige Linie bildet, und vielleicht in ähn¬
licher Weise bei dem Auge; das zwangsweise Nachfahren
gegebener Linien ist aber schmerzhaft. Die oben mitgetheilte
Beobachtung, dass auch thatsächlich bei der Vergleichung
der Linien ein Umfahren mit dem Blicke gar nicht statt¬
findet, die weitere Bemerkung, dass in vielen Fällen, z. B.
bei einer grossen Anzahl perlartig aneinander gereihter kleiner
Ellipsen ein solches Umfahren gewiss nicht ausgeführt wird,
und dass man dennoch rasch die Mangelhaftigkeit einer ein-
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zelnen Perle erkennt, zeigen, dass ein Ueberblick über die
Figur genügt, um ihre Schönheit zu beurtheilen. Das Bild
wird auf die Netzhaut geworfen und erst in dem hinter der
Netzhaut liegenden Gehirne kann das Wohlgefühl und die
Erkenntniss der Schönheit herbeigeführt werden. Es muss
dem Geiste möglich sein, eine grössere Fläche des Bildes
zugleich in seinen Einzelnheiten zu erfassen und seine Voll¬
kommenheiten und Mängel zu erkennen. Dabei ist ein be¬
sonderes Geistesvermögen, der Formensinn thätig, wobei
unter Geistesvermögen ein solches geistiges Vermögen ver-
Fig. 5.
standen werden soll, welches unabhängig von anderen geistigen
Vermögen, z. B. vom Schlussfolgerungsvermögen, gross oder
klein sein kann. Der Formensinn ist durch Anlage und Aus¬
bildung verschieden gross bei verschiedenen Personen; der
bildende Künstler hat ihn besonders nöthig.
Als zweite Art der formalen Schönheit der Linien haben
wir ihre in der Wiederkehr einzelner Theile bestehende Re¬
gelmässigkeit angeführt. Dieselbe kann durch Symmetrie
hervorgebracht werden. So ist eine Ellipse symmetrisch in
Bezug auf zwei Axen und erzeugt hierdurch auch die ange¬
nehme Empfindung der Regelmässigkeit. Dadurch erscheint
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auch eine Kreisbogenovale immer noch schön. Diese Schön¬
heit kann auch ohne jede Schönheit der einzelnen Theile auf-
treten. Zeichnet man eine beliebige, wenn auch unstetige
Linie, bringt sie in einen Winkel, welcher eine gerade Anzahl
mal in vier Rechten enthalten ist, und bildet sie symmetrisch
gegen dessen Grenzlinien in den benachbarten gleichen kon-
centrischen Winkeln ab und so fort, so erhält man einen
regelmässigen Stern, der schön ist. Auf diese Arten sind
die Fig. 5 und 6 gebildet. In Fig. 5 besteht der will-
Fig. 6.
kiirliche Linienzug aus krummen Linienstücken, die zwei
Ecken bilden; der einschliessende Winkel ist der achte Theil
von vier Rechten; in Fig. 6 aus einem Zug von vier geraden
Linienstücken, die in Ecken zusammenstossen; der einschlies¬
sende Winkel ist der zehnte Theil von vier Rechten. Ist
der ursprüngliche Linienzug schon für sich schön, so ist der
entstehende Stern doppelt schön. Auf dieser Wirkung be¬
ruht das Kaleideskop. Die Figuren, an welchen sich Kinder
erfreuen, und welche sie hervorbringen, indem sie einige
Tropfen Tinte in die Kante eines zusammengefalteten Papiers
bringen und sie durch Streichen ausbreiten, bieten eine Schön¬
heit durch Symmetrie in Bezug auf eine Gerade.
Auch in gerader Linie aneinander gereiht, können kon¬
gruente Formen angenehm wirken, wie Bauglieder, z. B. Säulen
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oder Fenster, oder Ornamente, wie im Mäander. So zeigt
Fig. 7a zwei aneinander gefügte Quadrate mit ihren Diagonalen
und einem koncentrischen Kreise, eine ganz einfache Form, wie
sie bei eisernen Geländern vorkommt. Dabei wird der Reiz
noch erhöht, wenn die einzelnen Theile nicht kongruent, son¬
dern gesetzmässig verändert wiederkehren, wie es in der Per¬
spektive stattfindet und in Fig. 7 b für unsere Geländerform
Fig. 7.
ausgeführt ist. Aehnlich ist es mit der Wiederkehr von Motiven
in der Musik, deren variirte Form einen hohen Genuss gewährt.
Das Erkennen sowohl der Uebereinstimmung, wie der Regel
in der Veränderung erzeugt eine Freude. In ähnlicher Weise
ist der fünfeckige Stern der Fig. 6 in ein Rechteck gefasst
und in mehrfacher Wiederholung perspektiv in Fig. 8 dar¬
gestellt.
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i
Besonders woblthuend wirkt eine Linie, wenn Stetigkeit
der Best&ndtheile und Regelmässigkeit in deren Wiederkehr
vereinigt sind. Ein Kreis ist stetig, hat unendlich viele
Symmetrie&xen und wurde von den Alten als die vollkommenste
Linie angesehen. Auf sie glaubten sie daher die Bahn der
Planeten zurückführen zu müssen, was sie auch vermittelst
der Epicykel genügend für die damalige Messungsgenauigkeit
erreichten. Aber der Kreis ist arm an Veränderung und Ab-
Fig. 8.
wechslung. Viel reicher und dadurch schöner sind eine Ellipse,
eine Wellen- oder Cosinuslinie, die in Fig. 9 dargestellt
ist und welche Hogarth in seiner „Zergliederung der Schön¬
heit, 1753“ als die angenehmste Form für das Auge bezeichnete,
oder die verschlungene Cykloide, welche die Fig. 10 zeigt.
Die Wellenlinie hat vor der letzteren Linie zwar den Vorzug
einer grösseren Regelmässigkeit, aber sie ist auch einförmiger
als diese. Man möchte vermuthen, dass die verschlungene
Cykloide leicht ohne merkliche Störung ihrer Schönheit durch
aneinander gefügte zweierlei Halbkreise nachgeahmt werden
könnte; ich habe es in Fig. 11 gethan, aber die Verminderung
der Schönheit ist doch sehr auffallend.
Eine sehr hohe Befriedigung wird hervorgebracht durch
eine Schaar gesetzmässiger Linien, welche gesetzmässig in-
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Fig. 9.
einander übergehen, z. B. eine
Schaar von Kegelschnitten,
welche alle dieselben vier
Geraden berühren oder durch
dieselben vier Punkte gehen.*)
Besonders günstig wirkt eine
Schaar konfokaler cassi¬
nischer Linien, wie solche
in Fig. 12 dargestellt sind.
Man kann leicht den Ueber-
gang ihrer Gestalten inein¬
ander verfolgen. Dieselben
gehen von zwei Punkten aus,
gehen in zwei getrennte kreis¬
artige Linien über und indem
sie wachsen und sich nach
innen zuspitzen, in die achter¬
förmige Lemniskate, dann in
eine brillenartige Linie, von
da in eine Ovale, und diese
nähert sich bei beständigem
Wachsen mehr und mehr
einem Kreise, der ihre Grenz¬
gestalt bildet. Es sind dies
die Linien, welche eine Platte
eines zweiadrigen Krvstalls in
dem Polarisationsapparate in
prachtvollen Farben zeigen
kann.
Die stetigen und die regel¬
mässigen Linien und Flächen
treten in der Natur sehr
häufig auf und bilden einen
wesentlichen Theil der Schön¬
heit der Natur. Es geschieht
dies überall da, wo die Kräfte,
welche jene Formen hervor-
*) Dargestellt in dem angef. Lehrb. d. darat. Geom., B. 1, S. 357,
362, 365, 351, 356.
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bringen, in stetiger und regelmässiger Weise wirken. So
ist die Krystallform, welche langsam erstarrende Körper
annehmen, durch die Form ihrer Molekeln und durch die
äusseren Umstände bei ihrer Bildung bedingt; die Gestalt und
Farbenzeichnung von Pflanzenblättern durch das Wachsthums-
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61
gesetz ihrer Rippen und der zwischenliegenden Zellschichten; die
spiralige Gestalt von Muscheln durch den Umstand, dass dem
wachsenden Thiere stets das alte Gehäuse zu enge wird, dass
es auf demselben weiterkriecht und neues erweitertes Gehäuse
bildet. Dabei entsteht die logarithmische Spirale*), wie bei
dem Goniatites und der Clymenia, wenn das Verhältniss der
abgesonderten Schalenmasse zu der gleichzeitigen Körperzu¬
nahme unveränderlich ist, es entsteht die parabolische Spirale,
wie bei dem Papiernautilus, wenn dies Verhältniss mit zu¬
nehmendem Abstande des Thieres von dem Ursprungspunkte
der Schale proportional ist. Die archimedische Spirale kommt
nicht vor und kann nicht Vorkommen, weil sich bei ihr die
Gangweite nach aussen nicht vergrössert, sondern unverändert
bleibt. Andererseits ist die Gestalt von Bergen und Thälern,
welche durch Auswaschung geformt werden, durch die Gesetze
bedingt, nach welchen die Gewässer auf die Gesteine ein wirken.
Veranschaulichen wir uns nun auch noch die mittelbar
wirkende oder charakteristische Schönheit der Linien
durch einige Beispiele. Es sind hier zu bezeichnen die Formen
des kräftigen und gewandten Körpers eines Menschen oder
eines Thieres, des muskulösen Armes, der schlanken und doch
kräftigen Gestalt. Dazu kommt die anmuthige Bewegung,
welche rund und stetig ist und eine durch Sparsamkeit der
Kraftanstrengung herbeigeführte grössere Leistungsfähigkeit
anzeigt. Am schwierigsten ist die Schönheit des menschlichen
Gesichtes zu erklären. Im Allgemeinen ist eine gewisse, auf
Gesundheit weisende Fülle nothwendig. Am sichersten lässt
sich noch die Stirne und die Kopfform beurtheilen. So zeigt
z. B. die in der Mitte hohe und durchbildete Stirne des
olympischen Zeus die grosse Entwicklung der Denkkräfte an,
während die Seitentheile gegen die Schläfen zurückweichen.
*) Diese Abhängigkeit habe ich nachgewiesen in den schon ange¬
führten Grandzügen der Weltordnung, S. 227 ff. Bei den angegebenen
Spiralen nimmt anf einem aus dem Ursprungspunkte gezogenen Strahle
die Gangweite nach aussen zu; sie ist bei der logarithmischen Spirale
stets dasselbe Vielfache der vorhergehenden Gangweite, z. B. 1Ä / 9 oder a5 / 18 ;
bei der parabolischen nimmt die Gangweite stets um dieselbe Grösse gegen
die vorhergehende zu; bei der archimedischen dagegen ändert sie sich
nicht. Doch sei bemerkt, dass unter der parabolischen Spirale auch häufig
eine andere verstanden wird, als die hier bezeicbnete.
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62
Diese bei Schiller so sehr hervortretenden Theile werden von
den Phrenologen als der Sitz der Idealität angegeben; aber
Zeus, das Vorbild für Andere, bedurfte dieses Vermögens
nicht. Jesus Kopf wird immer schmal zwischen den Ohren
dargestellt; der dorthin gelegte Kampf- und Zerstörungssinn
war bei ihm gering. Sein Kampfessinn floss aus höheren
Trieben, aus dem Mitleiden für diejenigen, denen er das Heil
bringen wollte, aber nicht aus unmittelbarer Lust am Kampfe
und am Zerstören. Viel weniger sicher ist der Zusammen¬
hang des Wesens des Menschen mit seinen Gesichtszügen zu
ermitteln, wozu aber Versuche, unter andern von Lavater in
seiner Physiognomik und von Campe mit seinem Gesichts¬
winkel, gemacht wurden. Jedem Volke sind gewisse Gesichts-
züge eigentümlich, und es entnimmt auch den Ausdruck der
Schönheit von sich selbst. Der Kenner der verschiedenen
Völker kann sie aus den Formen des ihm am höchsten stehen¬
den Volkes hernehmen.
Wenn so in der Natur das charakteristisch Schöne die
Form ist, welche sich bei der Entwickelung eines beglückungs¬
fähigen Wesens notwendig bildet, so lauscht der schaffende
Künstler, der eine Idee verkörperlichen will, der Natur die
äusseren Formen ab, welche mit dem inneren Wesen des dar¬
zustellenden Gebildes verbunden sind, und diese Formen, die
er nachbildet, rufen dann wieder in dem Beschauer die Idee
des Künstlers hervor und erfüllen ihn mit dem Glücke, das
dieser Idee inne wohnt.
Anhang.
Im Folgenden will ich die Nachahmung krummer Linien
durch einen Zug von Kreisbogen, insbesondere die Kreisbogen¬
ovalen behandeln und ausserdem von den im Obigen betrachteten
Kurven zweckmässige Verzeichnungen mittelst ihrer ausgezeich¬
neten Punkte und der Krümmungskreise in denselben angeben,
die vielleicht auch einem Künstler dienlich sein könnten.
Die Nachahmung krummer Linien durch einen Zug ven Kreisbogen.
Es soll zunächst die allgemeinere Aufgabe gelöst werden,
von welcher die Ovalenverzeichnung ein besonderer Fall ist:
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63
Eine gegebene krumme Linie durch berührend an¬
einander g.ereihte Kreisbogen nachzuahmen. Die¬
selben sollen in gewählten Punkten der krummen Linie unter
Berührung derselben und ausserdem je in einem Zwischen¬
punkte unter gegenseitiger Berührung zusammenstossen. Man
kann diese Aufgabe auf folgende Weise lösen.*)
Von den gewählten Punkten der krummen Linie oder
Kurve seien A und B (Fig. 13J zwei aufeinanderfolgende, A M,
B M seien die Normalen der Kurve und daher auch der er¬
setzenden Kreisbogen in A und B. Man ziehe aus ihrem
Fig. 13.
Schnittpunkte M als Mittelpunkt durch einen jener Punkte,
.etwa A, einen Kreisbogen, schneide ihn mit MB in B',
ziehe nach einem willkürlichen Punkte C' dieses Bogens die
Linie AC', sodann BC||B'C' bis C auf AC, lege durch C
eine Parallele zu C' M, schneide sie mit M A und M B in A 0
und B 0 , so sind A 0 und B, die Mittelpunkte der ersetzenden
Kreisbogen A G und B G. Denn die aus A 0 und B 0 durch
A und B gezogenen Kreise gehen auch durch C, weil A 0 A
= Au C, und B 0 B = B 0 C, indem die Dreiecke A 0 A C und
•) Eine andere Auflösung gab Du Hays in seinem Aufsätze: Des
courbeg ä plusieurs centres, ou de l’imitation des courbes continues par
la röunion de divers arcs de cercles (Journ. de Math, par Liouville, t. 15,
1850, p. 241 — 254).
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64
B 0 B C bezw. ähnlich mit den gleichschenklichen Dreiecken
MAC' und M B' C' sind; und beide Kreisbogen berühren sich
im Punkte C der A, B 0 . — Indem man sich C' auf dem
Kreise A B' bewegen lässt, erhält man die verschiedenen Auf¬
lösungen. Dabei beschreibt der Trennungspunkt C der beiden
Kreisbogen selbst einen Kreisbogen zwischen A und B. Denn
die Strahlen A C', B' C' beschreiben gleiche Strahlenbüschel,
wenn der Punkt C' den Kreis A B' beschreibt; die damit kon¬
gruenten Büschel der Strahlen A C, B C bestimmen daher
ebenfalls einen Kreis AB (in der Zeichnung strichpunktirt).
Seine Tangenten in A und B entsprechen den vereinigten
Strahlen BA und AB; die in A ist also AD, wenn D auf
dem Kreisbogen A B' und wenn B' D || B A; die in B ist B' E',
wenn E' auf dem Kreise A B' und auf A B. Der Mittelpunkt
F des Kreisbogens wird also erhalten durch AF J_ AD, BF
_L B' E'.
Die Kreisbogenovale.
Um nun die Ellipse durch eine Kreisbogenovale nachzu¬
ahmen, haben wir (Fig. 14) auf der Ellipse als die Punkte A u. B
die Scheitel der grossen und der klei¬
nen Axe zu wählen. Die Konstruktion
gestaltet sich dann so. Man zeichnet
aus dem Mittelpunkt M der Ellipse den
Viertelskieis A B' bis B' auf M B,
zieht aus B die Gerade B C, so dass
sie die gedachte Viertelsellipse A B
trifft, sonst aber willkürlich, dann
B' C'||B C bis C' auf dem Viertelskreise,
sodann A C', schneidet sie mit B C in
C, und zieht endlich CA,B 0 ||C'M;
diese trifft die MA und MB in den
Mittelpunkten A, und B, der gesuchten
Kreisbogen. Die Halbmesser derselben
sind A„ A = r„ B 0 B = r t .
Die Grenzgestalten erhält man (Fig. 15), wenn C' in 1
und 6 fällt, wobei B' 11| M A, also 1 in B, und wenn B' 61| B A.
Sie sind in der früheren Fig. 2 dargestellt. Die zwischen-
Fig. 14.
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65
liegenden Gestalten der Fig. 1 sind durch die zwischenliegenden
Punkte 2, 3, 4, 5 bestimmt.
Man kann nun vermuthen, weil in den Grenzgestalten 1 und
6 das Verhältniss r 2 : r t unendlich wird, dass man die schönste
Gestalt der Ovale erhalte, wenn man r 2 : r t zu einem Minimum
mache, oder vielleicht für r 2 — r, ein Minimum. Diese beiden
Fälle wollen wir daher untersuchen. Denkt man sich r t und
daher auch A 0 willkürlich angenommen (Fig. 16), so bestimmt
man B D und r 2 , indem man auf B M gegen M hin die B D = r t
aufträgt, A, D in E halbirt und E B 0 _L A„ D bis B 0 auf B M
Fig. 16.
zieht Nun sind die rechtwinkligen Dreiecke A 0 M D und
B 0 ED ähnlich, und bezeichnet man A 0 D mit m, so ist, da
B 0 D = r 2 — r,, MA, = a-r,, MD = b- r„ E D = \ m,
B 0 D: E D = A 0 D: M D, oder
_ m m _ (a —r,)* + (b —r,) 2
* 1 2 b-r, - 2 (b - r,j
F * = 2 (b 1 - r t ) br ‘ “ 2 r i 2 + aZ “ 2a, 'i + r i 2
+ b* - 2 b r, + r, 2 );
woraus, wenn man AB = c setzt,
£* — 1 /a 2 + b 2
r t 2 (b — r 2 ) \ r,
Nun soll 1) r 2 : r, ein Minimum sein; dann muss
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66
d r, (b — r,) 2
— b c* + 2 c* r, — 2 ar t 2
2 r x 2 (b — r t )*
2 o c* bc 2
woraus r, 2 — 2 r,-— = - -
*2 a 2 a
oder r t = 2 C a ±j/ [c± Kc*- 2 ab],
0der Fl ~ 2 a - fc±(a — b)].
Vertauscht man a mit b und r t mit r 2 , so erhält man
r 2 = 2 C b t c + ( a ~ b )l‘
Man konstruirt diese Formel, indem man aus II als Mittel¬
punkt einen Kreis durch B' zieht und denselben mit A t B
schneidet, wobei A t der zweite Scheitel der grossen Axe.
Wählt man unter den zwei Schnittpunkten den inneren F der
Strecke A t B, so erhält man die ellipsenartige Gestalt, wählt
man den äusseren, so erhält man eine fremde, für unseren
Zweck der Nachahmung unbrauchbare Gestalt der Auflösung
der Aufgabe. Man halbirt dann A, F in G, zieht G A' f I A, B.
so schneidet diese die Axen in den gesuchten Punkten A' 0 und
B 0 . Es ist nämlich dann F B = a — b, A t G = 4 [c — (a — b)],
G B = 1 [c -f (a — b)], woraus wegen Aehnlichkeit der Drei¬
ecke A, MB, A, G A' 0 , B 0 GB die Uebereinstimmung mit den
beiden Formeln folgt. Die frühere allgemeine Konstruktion
liefert unsere besondere Auflösung, wenn man beachtet, dass
A« B 0 _L A B, also auch M C' _L A B stehen muss. Die andere
Auflösung würde man erhalten, wenn man statt C' seinen
Gegenpunkt auf dem Kreise AB' wählen würde. Dass aber
die Auflösung mit C' ein Minimum und nicht ein Maximum
des Verhältnisses r 2 : r t liefert, folgt daraus, dass C' der einzige
der Aufgabe entsprechende Punkt auf dem Viertelskreise A B'
ist und dass für A sowohl wie für B' r 2 : r, = oo, daher für
C' kleiner, also ein Minimum ist.
2) Es soll r 2 — r t ein Minimum werden. Durch Differen¬
tiation des obigen Ausdruckes von r 2 — r 2 , erhält man
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d(r a — r t )
dr,
_ , —(b —r,)[2(a—r,)+2(b— r t )] + [(a-r t ) g + (b —r t )»]
(b — r,)*
daher 0=(a—r,) 2 — 2(a — r^b — r,)4-(b— r,) 2 —2(b— r,)*
. = [(» — r») — (b — r t )] 2 — 2 (b — rj»,
± (a — b) — Kir(b — r t ),
r i = bqz^i (a —b),
woraus durch Vertauschung
r 2 = a± Ff(a — b).
Daraus folgt
a —r t = a — b±^i(a—b),r,—b=a—b±7 / J(a —b),
also a — r x = r, — b, oder M A, = B 0 M, oder die vier Mittel¬
punkte, wie A 0 , B„ liegen auf einem aus M mit dem Halb-
Fit/. 17.
messer a — b ± Kj (a — b) gezogenen Kreise oder in den
Ecken eines Quadrates, dessen Seiten 45® mit den Axen bilden.
Man erhält (Fig. 17) M A 0 = D B', wenn man aus B einen
berührenden Kreis an die Gerade A B' zieht und ihn mit der
unverlängerten M B in D schneidet. Denn es ist B B' = a — b
und da A B' 45® mit B B' bildet, ist der Abstand des B von
AB' oder der Halbmesser jenes Kreises, oder DB = K$
(a — b), und DB'= a — b-f-KjXa — b), entsprechend dem
oberen Zeichen der Formel. Das untere Zeichen würde den
Schnittpunkt jenes Kreises auf der verlängerten M B ergeben,
aber keine Nachahmung der Ellipse liefern. — Unsere all-
5*
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gemeine Auflösung geht in diese besondere über durch M C'
_L A B' oder unter 45° gegen die Axen. Es entspricht dem 5
in Fig. 15 und in Fig. 1. In Fig. 15 ist also 1 in B', M 3
_L A B, M 5 _L A B', B' 61| B A, 3.4 = i 3.5, 2 zwischen I u 3.
Vorteilhafte Verzeichnung der Ellipse aus den Axen mittelst
vier oder acht KrOmmungskreisen.
Die Krümmungsmittelpunkte A t , B 0 für die Scheitel A, B
werden bekanntlich dadurch gefunden, dass man (Fig. 18)
Fig. 18.
/ I X
aus A M B ein Rechteck bildet und aus dessen neuem Eck¬
punkte D eine Senkrechte auf A B fällt; diese schneidet die
Axen in A 0 und B 0 . Die aus diesen und ihren zu M symme¬
trischen Punkten durch die zugehörigen Scheitel gezogenen
Krümmungskreise reichen bei Ellipsen von geringerer Excen-
tricität zur Verzeichnung aus; die zwischen den Kreisen ver¬
mittelnden Bogen können mittelst des Kurvenlineals einge¬
schaltet werden.
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Bei grösserer Excentricität ist in jedem Quadranten ein
Zwischenpunkt mit seiner Tangente oder, noch besser, mit
seinem Krümmungskreise' nützlich. Die mit den Scheitel-
sehnen A, B, AB parallelen Durchmesser, nämlich MG, MG,,
sind konjugirt, und die Tangenten in ihren Endpunkten sind
ebenfalls zu jenen Scheitelsehnen parallel und schneiden die
Axen in Punkten, wie A', B', derart, dass M A' = V2 M A,
M B' = V 2 M B, also M A' die Hypotenuse eines gleichschenk¬
ligen rechtwinkligen Dreiecks, dessen Katheten = M A. Dabei
ist auch C in der Mitte von A' B'. Die Normale in C ist
daher die G C 0 X A' B' oder J_ A B, und der Krümmungsmittel
punkt C 0 liegt auf M C 0 _|_ A, B, oder in der Mitte von A" B",
wenn A" und B" die Schnittpunkte der C C 0 mit a und b. Denn
der Krümmungshalbmesser r einer Kurve in einem Punkte P
hängt nur ab von der Länge y ihrer Sehne, welche man parallel
ihrer Tangente in P und benachbart zu derselben zieht, und
von dem (unendlich kleinen) Abstande x beider Parallelen
[r = (4 y) 2; 2 x]. Er ist also im Punkte C der gleiche für
alle (affinen) Ellipsen, welche MCj = c zu einem Halbdurch¬
messer haben, und deren Punkte C auf einer Parallelen zu
M C t liegen, deren Abstand von M C, = d sei, also auch von
einer Ellipse von den Halbaxen c und d, nämlich r = c*: d.
Zieht man daher M C 0 J_ M C (oder X A, B), so ist C C 0 =
M G 8 : d = c*: d = r. Da aber M C 0 und C C 0 gleich geneigt
gegen die Axen sind, so ist C 0 M = C 0 A" = C 0 B".
Verzeichnung der Cosinuslinie.
Die Cosinuslinie, welche von der Sinuslinie nicht in der
Gestalt, sondern nur in dem Ursprungspunkt der Koordinaten
und daher in der Gleichung abweicht, hat die Gleichung
* x
y — b cos-—-
a
Die allgemeine Cosinuslinie geht für b = a in die reine
Gosinuslinie über, deren Gleichung daher ist für a = a und
für a = 1,
y = a cos — und y = cos x.
J a J
Eine einfache Verzeichnungsweise der allgemeinen Co-
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70
sinuslinie ist folgende. *) Ist M der Ursprungspunkt der
Koordinaten (Fig. 19), sind M X und M Y die Axen, und sind
gegeben der Scheitel der Kurve B auf M Y und der benachbarte
Wendepunkt C auf MX, so ist M B = b, M C = J n a = $•
3,14 a = 1,57 a, und hierdurch ist a = M C : 1,57 bestimmt.
Man beschreibe nun aus M als Mittelpunkt Kreise mit b und
a als Halbmesser; ersterer schneidet die M Y und M X in
B und B„ letzterer in A und A, und die über M hinaus ver¬
längerte A M in A'. Es ist dann M C = Viertelskreis A A t .
Die Tangente C U der Kurve in C ist senkrecht auf B, A'.
Den Krümmungsmittelpunkt B 0 für B erhält man auf B M,
wenn man B M A, zu einem Rechtecke vervollständigt und
aus dem neuen Eckpunkte D die
D B 0 J_ B A, zieht. Um einen Zwi¬
schenpunkt P zwischen B und C zu er¬
halten, zieht man einen Strahl aus M,
schneidet ihn mit den Kreisen A A,
und B B t in R und S, macht auf M X
die M Q = Bogen A R (durch einige
kleinere Bogenstücke), so ist Q P || M Y,
S P || M X. Die Tangente P T in P
erhält man, wenn man S V J_ M X
fällt und P T _]_ V A' zieht. Man reicht
gewöhnlich mit einem Zwischenpunkte P aus und macht dann
zweckmässig Winkel B M S etwa = 40®.
Verzeichnung der verschlungenen Cykloide.**)
Es sei gegeben (Fig. 20) ein unterer Scheitel A, die
Ganghöhe A A', die darauf senkrechte halbe Gangweite A' B =
A' B', so sind B und B' die zwei benachbarten oberen Scheitel.
Man verzeichnet nun über A A' als Durchmesser aus seinem
Mittelpunkte M einen Halbkreis A C, A', bestimmt dann auf
M A den Punkt A, so, dass M A, der Halbmesser eines
Kreises, dessen Umfang gleich der Gangweite B B', also
MA, =BB': 3.14 ist, zieht A t B,1MA und macht AjB,
= A' B. Dann theilt man den Halbkreis A C, A! und die
Strecke A t B, in dieselbe Anzahl gleicher Theile, hier 4,
*) Siehe C. Wiener, darstellende Geometrie, B. 2, S. 363 ff.
**) Vergl. die angeführte darst Geom., B. 2, S. 826 und 371.
Fig. 19.
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höchstens 6, durch die Theilungspunkte P,, C lt Q, und P 0 , C 0 , Qo,
zieht durch die ersteren Parallele zu A t B x> beschreibt uns
P 0 , C 0 , Qo Kreisbogen bezw. mit den Halbmessern A, P t , A, C t »
A t Q lt schneidet diese mit jenen Parallelen aus Pj, C,, Q,
bezw. in den Punkten P, C, Q, und zwar derart, dass P 0 P
# A x Pi, C 0 C # Ai Qo Q # A, Q„ so sind P, C, Q Punkte
der Kurve, und jene Kreisbogen berühren dieselbe in diesen
Punkten, ohne aber Krümmungskreise zu bilden. Man hätte
auch Pj P = Ai P 0 = i Ai B t , C t C = A t C 0 = 1 Aj Bj u. s. w.
machen können. Für A und B erhält man die Krümmungs¬
mittelpunkte A 0 und B 0 , wenn man ADiAM und aufMA,
die M Aj' = M A t macht, und A a und B a auf D A bestimmt
durch •§: D A, A a = •§; D A,' B, = 90°. Dann ist A A 0 = A A a ,
B B, = A B a .
Fi(j. 20.
B' 4' Jt
Man kann bei derselben Ganghöhe und Weite die Ge¬
stalt der Kurve noch ändern und dabei den Doppelpunkt auf
der M A' seine Lage ändern lassen, wenn man die Figur affin
verändert, z. B. alle Abstände von A A' in der Richtung B B' nach
demselben Verhältnisse verändert, entweder vergrössert oder
verkleinert. Hat man so M, A', B (dabei aber ^;MA'B = 90°)
und den Doppelpunkt R auf MA' willkürlich angenommen,
wobei man die Buchstaben R, R t , R, in der Figur leicht in
Gedanken zufügen wird, so bestimme man zuerst eine ver¬
schlungene Cykloide mittelst M, A', R und unabhängig von B.
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72
Zu dem Ende verzeichne mau den Halbkreis A' C t A, die
R Rj _L M A' bis R t auf dem Halbkreise, wobei A t R, Ri R
sein würde, bestimme dann auf MA den Punkt A t derart,
dass Bogen A R,: Halbkreis A R, A' = A t R,: A t Bj — R t R:
3,14. M A t . (Dabei ist aber nicht A t B t = A' B.) Die dadurch
bestimmte verschlungene Cykloide muss dann affin so ver¬
wandelt werden, dass die Abstände der Punkte von AA'
verändert werden im Verhältnisse von Bj: A' B. Man führt
dies zweckmässig dadurch aus, dass man die Abstände der
Kreispunkte P,, C n Q, von AA' in diesem Verhältnisse ver¬
ändert, wodurch man die neuen Punkte P t ', C/, Q,' erhält,
welche auf einer halben Ellipse A C,' A' liegen, und dass man
P t ' P = i A'B, 0/0 = 1 A'B, Q/Q = J A'B macht.
Kreisbogen, welche die Kurve in den konstruirten Punkten
berühren, erhält man dann nicht, Tangenten wären aber aus
der Affinitätsbeziehung unschwer zu erhalten. *)
Verzeichnung der Cassinischen Linie.
Dieselbe kann in allen ihren besonderen Formen als Schnitt
einer Ringfläche, die durch Umdrehung eines Kreises um eine
in seiner Ebene liegende Gerade entsteht, mit einer Ebene
angesehen werden, welche parallel mit deren Umdrehungsaxe im
Abstande von derselben gleich dem Halbmesser r des erzeugen¬
den Kreises gelegt wird.**) Seien (Fig. 21) a die Axe und k jener
Kreis, mit dessen Ebene die Schnittebene parallel ist und auf
welche Ebene unsere Kurve projicirt wird, sei F der Mittel¬
punkt des Kreises, M auf a der Mittelpunkt der Kurve (F M_|_a).
Man erhält auf einer zu a senkrechten Geraden (allgemeine)
Punkte P und Q der Kurve, wenn man jene Gerade mit dem
Kreise k in zwei Punkten, Pi und Q,, schneidet, deren Pa¬
rallelkreise aus dem Punkte der a in umgelegter Lage zeichnet
und auf diesen P' und Q' und deren Projektionen P und Q
auf die gewählte Gerade so bestimmt, dass P P' = Q Q' = r
ist. Die Tangente P T in einem dieser Punkte, z. B. P, er¬
hält man, wenn man an k in P, die Tangente zieht, sie mit
a in B schneidet, ebenso die Tangente an den umgelegten
*) Die Krümmungshalbmesser für die Scheitel sind am angeführten
Orte S. 372 bestimmt.
**) Ans dieser Entstehungsweise ist in der angef. darst. Geom. } B. 2, S.
166 ff., das meiste in der oben angegebenen Verzeichnungsweiae entwickelt.
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73
Kreis in P' mit P Q in B', und P T ]| B B' zieht; denn B B'
ist der Schnitt der Ebene, welche den Ring, sowie den ihn
entlang des Parallelkreises von P berührenden Kegel in P
berührt, mit der Ebene des k, und damit ist der Schnitt dieser
Berührungsebene mit der Ebene unserer Kurve, d. i. PT pa¬
rallel. — Die Punkte C, C, auf den zu a senkrechten Tan¬
genten des k erhält man durch MC = MC 1 =MF. Den
Krümmungsmittelpunkt C, für C erhält man auf C C, ■ a, wenn
man CEJ_MCj bis E auf MF und dannEC 0 XCE (jjMC 4 )
zieht. — Den Punkt A der Kurve auf M F erhält man, wenn
Fi ff. 21.
man auf jener zu a senkrechten Tangente des k den Punkt
A' auf dem aus M den k berührenden Kreise bestimmt; dann
ist A die Projektion des A' auf M F. Der Krümmungsmittel¬
punkt A 0 (in der Figur ist der Buchstabe zunächst rechts von F
einzusetzen) für A ist die Projektion des Schnittpunktes von
M A' mit dem aus M durch F gelegten Kreise auf die Gerade
MA. — Den Punkt D der Kurve auf a erhält man, wenn
man auf k den Punkt D, so bestimmt, dass sein Abstand von
a = r ist, und D, D J_ a zieht. Der Krümmungsmittelpunkt
D 0 für D ist der Schnittpunkt von a mit F D,. Mittelst dieser
Krümmungskreise und Tangenten ist die Kurve meist hin¬
länglich bestimmt; in unserem Falle kann sogar Q und fast
auch P entbehrt werden.
Für die Lemniskate gilt das für unseren allgemeinen Fall
angegebene Verfahren; es ist nur noch zuzufügen, dass die
Tangenten im Doppelpunkte M45° mit a bilden.
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74
Beweis für die Wirklichkeit der
Aussenwelt-*)
Von Geh. Hofrath Prof. Dr. Chr. Wiener in Karlsruhe.
Der gewöhnlichen Annahme, dass ausser dem Ich eine
Welt, die Aussenwelt, bestehe, welche durch die Sinnesein¬
drücke auf uns einwirke, steht der von Berkeley aufgestellte
Idealismus gegenüber, wonach nur unsere Vorstellungen etwas
Wirkliches sind, und wonach mit dem Aufhören des Ichs und
der Vorstellungen auch die ganze vorgestellte Welt verschwinden
soll. Unfolgerichtig nahm aber Berkeley ausser dem Ich noch
andere Ich oder Geister und Gott als wirklich bestehend an.
Kant dagegen nahm eine Aussenwelt an; von derselben kennten
wir aber nur die Eindrücke, die sie auf uns hervorbringe; von
dem eigentlichen Wesen eines Dinges dieser Aussenwelt, „dem
Ding an sich“ vermöchten wir nie Kenntniss zu erhalten.
Wenn auch thatsächlich Jeder an die Wirklichkeit der
Aussenwelt glaubt, so halten doch Viele diese Wirklichkeit
für unbeweisbar. Ich halte den Beweis für möglich und will
versuchen, ihn im Folgenden zu liefern. Derselbe kann nicht
etwa in einem dialektischen Kunststücke bestehen, sondern er
muss die Vorgänge klar legen und ihre zwingende Wirkung
nachweisen, welche in dem Einzelnen, wenn auch unbewusst,
die Sicherheit der Ueberzeugung hervorbringen.
*) Diese Frage habe ich zwar schon ausführlich in meinen „Grund¬
zügen der Weltordnung, Leipzig 1863“, S. 626 ff. und in einem Aufsätze
„Die ersten Sätze der Erkenntniss“ in der Samml. wiss. Vortr., heraus-
gegeb. von Virchow und Holtzendorff, Ser. IX, Heft 212, Berlin 1874,
behandelt; aber der Gegenstand verliess mich unterdessen nicht und treibt
mich wieder zu einer neuen Darstellung, in welcher ich den schon früher
gegebenen Beweis in immer schärfere Beleuchtung zu setzen versuche.
Den oben in etwas erweiterter Form gegebenen Vortrag hielt ich in der
Sitzung des Naturw. Vereins vom 4. Juli 1890.
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75
Der Beweis hat zur Voraussetzung das Gesetz der
Kausalität oder Ursächlichkeit, und dieses bildet die
Voraussetzung für die Möglichkeit eines jeden Beweises. Dieser
Satz wird oft so ausgedrückt: „Gleiche Ursachen haben gleiche
Wirkungen.“ Will man den Begriff von Ursache und Wirkung
nicht voraussetzen, so kann man den Satz so aussprechen:
„Wenn in zwei Fällen alle Umstände die gleichen sind, so
sind auch die Vorgänge die gleichen.“ Dabei sind die Um¬
stände alles Bestehende ausser dem, an welchem der Vorgang
stattfindet. Da aber zwei Fälle als getrennt oder nicht identisch
nur dann bezeichnet werden können, wenn sie durch Ort oder
Zeit oder durch beides verschieden sind und da an zwei ver¬
schiedenen Orten die Lagen gegen andere Körper verschieden
sind, zu zwei verschiedenen Zeiten aber nie alle Umstände
übereinstimmend gefunden werden, so können in zwei Fällen
nie alle Umstände die gleichen sein. Diese Schwierigkeit ver¬
schwindet, wenn wir die wesentlichen Umstände von den un¬
wesentlichen unterscheiden. Wesentlich sind solche, mit deren
Aenderung in irgend zwei Fällen sich der Vorgang geändert
hat, unwesentlich die anderen. Die wesentlichen Umstände
nennt man Ursachen des Vorgangs. Der Satz der Ursäch¬
lichkeit heisst dann: „In zwei Fällen sind die Vorgänge
die gleichen, wenn die für sie wesentlichen Umstände
oder ihre Ursachen die gleichen sind.“
Wer dieses Gesetz der Ursächlichkeit in seinem Handeln
nicht anerkennt, der ist verloren. Denn er kann keine Er¬
fahrung machen; und wenn er auch einen Menschen einen
Abgrund hinunterstürzen sah, wird er nicht an Wiederholung
glauben und den Rand des Abgrunds überschreiten. Wer das
Gesetz in seinem Denken nicht anerkennt, der kann nicht
schlussfolgern. Mit der Ziffer 2 wird er nicht immer dieselbe
Vorstellung zu verbinden glauben; und wenn für ihn einmal
2x2 = 4 war, so kann es ein andermal 6 sein. Gerade
die Wissenschaft sucht die Abhängigkeit der Vorgänge von
den Umständen zu erforschen und hat ohne die Voraussetzung,
dass unter denselben Umständen auch die Vorgänge immer
dieselben sind, gar keine Aufgabe, weil dann eine solche Ab¬
hängigkeit nicht besteht. Es gibt dann keine Wissenschaft.
Die Menschheit ist aber nicht erst allmählich auf dieses Ge-
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76
setz geführt worden, das etwa, wie eine erfundene Hypothese,
sich allmählich mehr und mehr bestätigte; nein, schon lange
vor dem Entstehen der Wissenschaft wird dem Menschen durch
die beständige Wiederholung der Vorgäuge in seinem Inneren
gcwohnheitsinässig dieses Gesetz als Richtschnur aufgedrängt.
Bei dem Thiere ist der Vorgang des Schlusses in der Regel
derselbe, wie bei den Menschen; es besteht aber der Unter¬
schied, dass das Gesetz der Ursächlichkeit bei dem Menschen
zum Bewusstsein gelangen kann und bei höherer Entwickelung
dazu gelangt, bei den Thieren aber nicht.
Die Wissenschaft unterscheidet nun unter den wesent¬
lichen Umständen oder Ursachen für einen Vorgang die trei¬
bende Ursache, durch deren Verstärkung der Vorgang verstärkt
wird, von den Bedingungen, das sind alle anderen wesent¬
lichen Umstände. Bei den treibenden Ursachen upterscheidet
sie wieder die Kraft, d. i. die wesentliche Eigenschaft der
treibenden Ursache; und bei den Bedingungen den Anlass
oder die Auslösung, d. i. zuletzt erfüllte Bedingung, durch
deren Erfülltwerden der fragliche Vorgang beginnt. So ist
bei der Atwoodschen Fallsmaschine eine Bedingung die Leicht¬
beweglichkeit der Leitrolle, der Anlass, das Beiseiteschieben
des Stellhebels, die treibende Ursache, das aufgelegte Ueber-
gewicht, die Kraft, das Verhalten dieses Uebergewichtes auf
der Waage oder sein Gewicht.
Um nun das Gesetz der Ursächlichkeit auf unsere Frage
von der Wirklichkeit der Aussen weit anzuwenden, unter¬
scheiden wir bei den Vorgängen im Ich die Sinnesein¬
drücke und die inneren Gedanken. Die ersteren sind
lebhafter, die letzteren schwächer; die ersteren sind bestimmt
und nicht willkürlich veränderlich, die letzteren können nach
Willkür iin Ganzen oder in ihren Theilen verändert werden;
die ersteren treten oft unerwartet und unabhängig von den
vorhergehenden Gedanken auf, die letzteren hängen von den
vorhergehenden Gedanken ab und sind mit ihnen durch das
Gesetz der Gedankenfolge verbunden; die ersteren sind oft
neu, die letzteren sind stets Erinnerungen an frühere Ge¬
danken und in ihren kleinsten Bestandtheilen solche an Sinnes¬
eindrücke, sie gehören dem gegebenen Gedankenvorrathe an.
Jenes Gesetz der Gedankenfolge sagt aber, dass ein
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7 1
innerer Gedanke, der in uns auftritt, mit seinem vor¬
hergehenden, mag dieser wieder ein innerer Gedanke oder
ein Sinneseindruck sein, stets einen Theil gemein hat, und
dass unter den vielen bei dem gegebenen Gedankenvorrathe
danach möglichen Gedanken ein solcher eher folgt, welcher
mit dem vorhergehenden einen grösseren Theil gemein hat,
oder ein solcher, welcher einen grösseren Trieb des Erwachens
zur Erinnerung besitzt, d. h. lebhafter und erregender auf-
treten kann. Ein Beispiel ist: Eine Mutter wird leichter an
ihr Kind erinnert, als eine Schwester oder gar ein Bruder
an ihr Schwesterchen. Wenn wir auch wegen der Verwickelung
der Umstände in vielen Fällen den neuen Gedanken nicht
Voraussagen können, der in einem Anderen durch eine An¬
regung hervorgebracht wird, so ist er doch auch in vielen
Fällen als bestimmt oder als wahrscheinlich anzugeben. Auf
den Sinneseindruck eines ausgesprochenen Wortes folgt die
Vorstellung des bezeichneten Gegenstandes, auf eine An¬
spielung folgt mehr oder weniger sicher der von dem An¬
spielenden beabsichtigte Gedanke. Jeder wirklich eintretende
innere Gedanke bestätigt aber das ausgesprochene Gesetz der
Gedankenfolge und kein einziger widerspricht ihm, wenn man
sich beobachtet. Die inneren Gedanken bilden daher eine
Kette zusammenhängender Glieder, die Sinneseindrücke da¬
gegen sind unabhängig von dem Gedankenvorrathe. Eine
Bedingung müssen die inneren Gedanken freilich erfüllen, damit
überhaupt ein Sinneseindruck stattfinden kann; es muss das
Bewusstsein des geöffneten Sinnes und einer gewissen Auf¬
merksamkeit vorhanden sein oder hervorgerufen werden können.
Welcher Sinneseindruck aber dann hervortritt, ist unabhängig
von dem Gedankenvorrathe, insbesondere von dem un¬
mittelbar vorhergehenden Gedanken, so dass wir für einen
bestimmten hervorspringenden Sinneseindruck nie wesent¬
liche Umstände oder Ursachen in den inneren Gedanken
finden können, derart, dass bei Wiederkehr der letzteren
auch derselbe Sinneseindruck einträte. Einem für uns neuen
Schauspiele sehen wir oft mit Erwartung und Neugierde zu;
und die Sinneseindrücke, die wir empfangen, können für uns
ganz unerwartet oder unserer etwa gehegten Erwartung ent¬
gegengesetzt sein. Der Gesammtvorrath der Gedanken
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bildet aber das Ich; und da die Sinneseindrücke von
diesem Vorrathe unabhängig sind, so haben sie ihre Ursache
nicht im Ich. Wir haben daher die Wahl anzunehmen, ent¬
weder dass die Sinneseindrücke ursachlos hervorspringen,
dass also für sie das Gesetz der Ursächlichkeit nicht gilt,
oder dass ihre Ursachen ausserhalb des Ichs liegen. Diese
ausserhalb des Ichs liegenden Ursachen der Sinneseindrücke
würden wir dann die Aussenwelt nennen. So finden wir also,
dass wegen der Unwillkürlichkeit der Sinnesein¬
drücke und wegen ihrer Unabhängigkeit vom Ich
die Allgemeinheit des Gesetzes der Ursächlichkeit
nicht gewahrt werden kann durch die alleinige An¬
nahme des Ichs.
Durch die Annahme der Aussenwelt ist dies aber
möglich. Erkennen wir dies zuerst für die Verschiedenheit
des Verlaufes von ursprünglich gleichen Sinneseindrücken.
Beobachten wir, dass die Vorgänge an zwei Sinneseindrücken,
für welche die Umstände im Ich gleich waren, dennoch ver¬
schieden verlaufen, so finden wir stets ausserhalb des Ichs
eine Verschiedenheit der Umstände, welche durch spätere
Sinneseindrücke bemerkbar wird. Zeigen wir dies an einem
Beispiele. Man habe die gleichen Sinneseindrücke von Kugeln,
die an einer Wand auf Brettchen liegen, dann den Sinnesein¬
druck des Niedersinkens der Brettchen und des Herabfallens
der Kugeln, mit Ausnahme bei einer einzigen, die an der
Stelle bleibt. Der Sinneseindruck einer Stellungsveränderung
des Augös liefert den Sinneseindruck einer aus der Wand in
die Kugel gehenden Stange, die an den Stellen der anderen
Kugeln fehlt. Obgleich also im Ich die Sinneseindrücke der
Kugeln und der sinkenden Brettchen gleich waren, so folgten
darauf doch nicht die gleichen Sinneseindrücke der fallenden
Kugeln. Es konnte also nur ausserhalb des Ichs ein besonderer
Umstand für die eine an der Stelle gebliebene Kugel vor¬
handen sein; und dies bestätigte sich, indem nachträglich
dieser besondere Umstand auch einen besonderen Sinnesein¬
druck, den der Stange, hervorbrachte. Dieser Umstand, die
Stange, musste aber schon während des Vorganges vorhanden
gewesen sein, weil man findet, dass sie nur mit längerem
Zeitaufwand entfernt oder eingesetzt werden kann. Man kann
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dies den Beweis durch die Wirkung der verdeckten
Aussenwelt nennen.
Andererseits vermögen wir das vom Ich ganz unabhängige,
scheinbar ganz regellose Hervorspringen von Sirineseindriicken
durch die Annahme einer Aussenwelt dem Gesetze der Ur¬
sächlichkeit zu unterwerfen durch das Gesetz des Welt¬
laufes. Zeigen wir auch dies an einem Beispiele. Tritt
eines Morgens, indem wir sechs Uhr schlagen hören, der
Sinneseindruck der aufgehenden Sonne ein, so kann am fol¬
genden Tage unter gleichen Umständen, insbesondere beim
Hören des Sechsuhrschlagens, sich die Erinnerung an die aüf-
gehende Sonne einstellen; der gleichartige Sinneseindruck aber
bleibt aus; er tritt erst zwei Minuten später ein. Am folgen¬
den Tage erwarten wir diesen Sinneseindruck abermals zwei
Minuten später und es trifft zu. Später aber finden wir uns
getäuscht; die Verspätung wird geringer und noch später tritt
eine Verbrühung ein u. s. w. Durch Beobachtung während
eines ganzen Jahres finden wir ein Zeitgesetz für die auf¬
gehende Sonne, das sich in den folgenden Jahren bestätigt.
Dieses Gesetz äussert sich Anfangs gegen unsere Erwartung;
es hat also seine Begründung nicht im Ich. Wenn wir aber
die Aussenwelt annehmen, so können wir mit wechselndem
Grade der Vollkommenheit die Gesetze ihres Laufes erforschen,
die vollkommen unabhängig vom Ich sind, aber selbst durch¬
aus dem Gesetze der Ursächlichkeit entsprechen, so dass wir
im Stande sind, die Sinneseindrücke voraus zu bestimmen, so
weit unsere Forschungsergebnisse reichen.
Wir kommen bei weiterem Eindringen zu dem Ergebnisse,
dass die Aussenwelt aus einzelnen wesenhaften Dingen,
d. h. Dingen mit ihnen allein zukommenden Sitzen
besteht, welche die Ursachen sind von Sinneseindrücken im
Ich und von Vorgängen an anderen Aussendingen, wobei diese
Vorgänge sich selbst wieder durch Sinneseindrücke im Ich be¬
merkbar machen. Die Aussenursache des Gesichtseindrucks
einer Flamme verursacht zugleich bei genäherter Hand eine
Wärmeempfindung im Ich und das ersichtliche Entflammen
eines genäherten Papiers. Entfernt man die Ursache des Ge¬
sichtseindrucks, so verschwinden auch die Ursachen der an¬
deren Vorgänge; alle sind also untrennbar verbunden, oder
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sie haben einen gemeinsamen Sitz. Diesen gemeinsamen Sitz
mit der Fähigkeit, Ursache einer ganzen Reihe von Vorgängen
zu sein, oder mit seinen verschiedenen Wirkungsfähigkeiten,
nennt man ein wesenhaftes Aussending. Seine Eigenschaften
sind nur die Fähigkeiten der Einwirkung auf andere Aussen-
dinge oder auf das Ich vermittelst unserer Sinne. Weitere
Eigenschaften, welche die Annahme eines „Dinges an sich“
rechtfertigen würden, sind undenkbar; niemand kann eine
solche etwa mögliche Eigenschaft anführen. Die Wirkungen
der Aussendinge finden wir aber bei allen unseren Unter¬
suchungen nach unabänderlichen Gesetzen vor sich gehen
unter voller Giltigkeit des Gesetzes der Ursächlichkeit.
So ist, wie wir glauben, gezeigt, dass das Gesetz der Ur¬
sächlichkeit, welches die alleinige Grundlage für unsere Er-
kenntniss, für die Wissenschaft und für unser gesichertes Be¬
stehen bildet, nur als giltig angesehen werden kann, wenn
wir die Aussenwelt als bestehend annehmen; dass also Jeder,
der die Möglichkeit einer Erkenntniss, der Wissenschaft, die
Zulässigkeit des Wortes „Beweis“ zugibt, der Erfahrungen
zur Sicherung seines Bestehens benutzt, die Wirklichkeit der
Aussenwelt anzuerkennen genöthigt ist
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Das Xanthorrhoeaharz.
Ein Beitrag zur Entstehung der Harze.
Von Dr. Alfred Schaber.
Von der Beobachtung ausgehend, dass die ätherischen
Oele an der atmosphärischen Luft in Folge einer Aufnahme
von Sauerstoff aus dem dünnflüssigen Zustand in einen
dickflüssigen übergehen, dabei eine gelbe bis bräune Farbe
annehmen und schliesslich zähe, feste, völlig harzähnliche
Massen werden, haben die Chemiker seit lange auch um¬
gekehrt die Entstehung der Harze aus ätherischem Oel
angenommen.
Wenn es nun bisher auch nicht gerade gelungen ist, die
in der Natur vorkommenden Harze aus ätherischen Oelen
zu erhalten, so sind doch durch Hlasiwetz 1 ) schon in der
Mitte der sechziger Jahre einige experimentelle Beweise für
diese Annahme erbracht worden.
Nachdem der genannte Forscher für eine grosse Anzahl
von Harzen den Zusammenhang festgestellt hat, dass aus
ihnen durch Oxydation mit schmelzenden Alcalien Zersetzungs¬
produkte entstehen, welche alle Glieder der aromatischen
Reihe (Phenole und Oxysäuren) sind, gelang es ihm, das
Bittermandelöl (Benzaldehyd) in ein Harz überzufübren,
welches dem natürlich verkommenden Benzoeharz sowohl
in der Zusammensetzung als auch darin gleicht, dass es die¬
selben Zersetzungsproducte wie dieses gibt. Aber auch aus
anderen ätherischen Oelen, aus Nelkenöl, aus Rautenöl und
') Zur Chemie der Harze io Wiesner, Die technisch verwendeten
Gummiarten, Harze und Balsame. Erlangen 1869 pag. 70 u. ff. Origi-
nalabhandlungen: Annalen der Chemie und Pbarmacie 1866 und 1866.
Sitzungsber. d. Wien. Acad. I.I., 1866. 2. Abtheilung.
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aus Anisöl hat er auf künstlichem Wege Harze dargestellt,
und er theilt mit, dass im Anschluss an seine Untersuchungen
von Barth aus einigen Terpenen, aus Terpentinöl, Wach¬
holderöl und Lavcudelöl durch längeres Kochen in alkoholischer
Kalilösung oder in zugeschmolzenen Röhren Harze gewonnen
worden sind. Hlasiwetz schliesst daraus, dass auch die
natürlichen Terpenharze, Terpentin, Mastix. Sandarac, Elemi
u. s. w. aus ätherischen Oelen. entstanden seien.
In allen Arbeiten, welche sich mit diesem Gegenstände
beschäftigen, ist darauf hingewiesen, dass die Chemie in
dieser Beziehung in einem gewissen Gegensatz zu den bota¬
nischen Anschauungen stehe, nach denen die Entstehung
der Harze aus anderem Material, aus der Zellwand nämlich
und aus den Stärkekörnern hergeleitet werden müsse.
Während Hlasiwetz nun, mit diesen botanischen An¬
schauungen wohl bekannt, auf Grund seiner oben mitgetheil-
ten experimentellen Erfahrungen aber nur für die Terpenharze
eine Entstehung aus ätherischem Oel ausspricht und eine
weitere Verallgemeinerung sorgfältig vermeidet, indem er für
andere Harze die Möglichkeit anderer Entstehungsweisen offen
lässt, hat die Botanik die Zurückführung der Harze auf
ätherisches Oel überhaupt nicht recht anerkennen wollen.
Der bedeutendste Vertreter dieser Meinung ist Wiesner.
Derselbe spricht sich in seiner 1866 erschienenen Harzarbeit 1 )
vielleicht noch ohne Kenntniss der Hlasiwetz’schen Unter¬
suchung in folgender Weise aus: „Es liegen keine That-
sachen vor, welche auf die Entstehung der Harze aus äther
rischem Oel mit Bestimmtheit schliessen Hessen, geschweige
auf eine alleinige Entstehung aus diesen Körpern hinweisen
würden.“ Er nennt weiterhin diese Vorstellungsweise ein
altes Vorurtheil, von dem sich der Forscher, der an diese
Frage herantrete, emancipiren müsse und spricht an dem¬
selben Orte die VermuthuLg aus, dass sich eher umgekehrt
die Entstehung von ätherischem Oel aus Harz durch eine
fortgesetzte Reduction erklären Hesse. Aber auch nachdem
schon Hlasiwetz in dem oben citirten Werke von Wiesner
J ) lieber die Entstehung des Harzes im Innern der Pflattzenzellen.
Sitzungsber. d. Wien. Acnd. d. Wiss. UI. zweite Abtheilung pag. 128.
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(Die technisch verwert he teil Gununiartrn, Harze und Balsame)
seihst die Ergebnisse seiner Versuche in einem besondern
„Zur Chemie der Harze“ betitelten Kapitel zusainmengestellt
hatte, fasst Wiesner an einem anderen Orte*) seine Meinung
dahin zusammen: „Die Auffindungen der Pflanzeuphysiologie,
dass in gewissen Geweben die anfänglich aus Cellulose be¬
stehende Wand sich in Harz verwandelt (Karsten, Wiegand)
und dass sich auch Stärkekörnchen in harzige Massen um-
setzen (Wiesner), konnten bis jetzt mit den auf die Ent¬
stehung der Harze abzielenden Beobachtungen der Chemiker
noch nicht in Einklang gebracht werden.“
Die vorliegende Arbeit erhebt nicht den Anspruch, die
an sich sehr schwierige Frage nach der einen oder anderen
Richtung entscheiden zu wollen, zumal es sich in derselben
nur um die Untersuchung eines einzigen Harzes, des Xan-
thorrhoeaharzes, handelt. Die überraschenden Ergebnisse aber,
welche sich bei der Untersuchung herausgestellt haben, verdienen
es vielleicht, in der ganzen Frage mit angehört zu werden.
Ich muss zunächst auf denjenigen Theil der botanischen
Beobachtungen näher cingehen, welche zu der Annahme einer
Entstehung von Harz aus den Zellwänden geführt haben.
Nachdem dieselbe zuerst von Karsten*) mehr allgemein aus¬
gesprochen worden ist, hat sie später Wiegand*) besonders
lebhaft in dieser Frage in den Vordergrund gestellt. Die
Arbeit Wiegands, in welcher dies geschieht, ist in der bota¬
nischen Literatur bekannt und häufig citirt- Wir ver¬
danken derselben die Kenntniss über die Entstehung des
Kirschgummis. Wie Mohl schon früher die Entstehung des
Traganths aus Zellen des Markes und der Markstrahlen
durch eine Verflüssigung der Wände nachgewiesen hat, so
hat Wiegand für den aus Amygdaleen herrührenden Gummi
in einer sehr ausführlichen und erschöpfenden Untersuchung
festgestellt , — und später ist es von Frank 1 2 3 4 ) bestätigt
1 ) Rohstoffe des Pflanzenreichs. Leipzig 1873 psg. 73.
2 ) Karsten, Uebfr die Entstehung des Harzes, Botan. Zeitung 1857.
3 ) Wiegand, lieber die Desorganisation der Pflanzenzelle, Pringsheims
Jahrb. 1868.
4 ) lieber die anatomische Bedeutung und die Entstehung der vege-
tab. Schleime. Pringsheims Jahrb. 1866—18G7.
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worden — dass auch dieser aus Zellen des Holzes und der
Rinde, und zwar wiederum durch eine Verflüssigung der
Zellwände entstehe. Er hat diese Entstehungsweise auch
für den Acaciengummi wahrscheinlich gemacht und sie in
einem besonderen Theile seiner Arbeit auch auf die Harze
übertragen. So deutet er die Harzmassen in Holz und Rinde
der Coniferen, von denen er jedoch bezeichnender Weise —
es steht dieser Theil der Arbeit dem erst erwähnten auf¬
fallend an Ausführlichkeit und an Vollständigkeit bezüglich
des Untersuchungsmaterials nach — nur zwei, abies pec-
tinata und pinus Strohus, untersucht hat, nicht als Inhalts¬
massen histologisch gesonderter Harzgänge, sondern als gang¬
artig und, wie er es nennt, drusenartig geworden dadurch,
dass Zellen, welche ehemals an dieser Stelle vorhanden ge¬
wesen seien, durch Verflüssigung und Verwandlung ihrer
Wände in Harz sich umgebildet hätten. Den Vorgang stellt
er sich derart vor, dass sich die innerste Schicht der dicken
Wand loslöse, sich in Harz verwandle und nun entweder an
ihrer Stelle als innerste W T andbekleidung bleibe oder tropfen-
artig in dem Zellraum zusammenfliesse; die Dicke der Zell*
wand nehme in demselben Maasse ab, als die Harztropfen
in dem Zellraum an Grösse zunehmen, bis schliesslich die
ganze Zelle auf diese Weise zu Harz werde.
Die falsche Auffassung der Harzgänge und der Ent¬
stehung derselben als gangartige Harzmassen durch Ver¬
wandlung ursprünglich dort vorhandener Zellen hat schon in
demselben Jahre Dippel 1 ) zurückgewiesen; eine scharfe Kritik
hat sie späterhin von N. J. C. Müller 2 ) erfahren, welcher die
schizogene Entstehung der Harzgänge festgestellt hat. Der
erstgenannte Forscher hat aber auch den Grundgedanken der
Wiegand’schen Vorstellung, dass die Zellwände das Material
zur Harzbildung hergeben, als einen falschen erkannt, indem
er bei abies pectinata beobachtet hat, dass in Zellen, welche
Harz enthalten, die Wände weder in ihrer Dicke noch in
ihrem chemischen Charakter eine Veränderung erleiden; er
1 ) Die Harzbeh<or der Weisstanne und die Entstehung des Harzes
in denselben. Botan. Zeit. 1863.
*) Untersuchung Ober die Vertheilung der Harze u. s. w. Prings-
heiuts Jabrb. 1866—1867.
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spricht vielmehr auf Grund einer Reihe von Beobachtungen,
auf die ich später zuriickkommen muss, den Satz aus, dass
die Harzbildung vom Zellinhalte ausgehe, und wo die Wände
in Mitleidenschaft gezogen würden, dies nur als ein secun-
därer Prozess anzusehen sei. 1 ) Gleichwohl hat Wiesner in
seiner schon citirten Arbeit „über die Entstehung des
Harzes u. s. w.“, ohne von den Beobachtungen Dippels Notiz
zu nehmen, an der Meinung von Karsten und Wiegand fest¬
gehalten und durch einige eigene Beobachtungen an pinus
nigricans, wo die Bildung des Harzes aus Holzzellen durch
Verwandlung der einzelnen Wandschichten derselben von
innen nach aussen zu erfolgen soll 2 ), glaubt er, neues Be¬
weismaterial für sie gebracht zu haben; auch späterhin ist
er in seinem Urtheil über diesen Gegenstand derselben treu
geblieben. Die folgenden Beobachtungen sprechen gegen
Karsten, Wiegand und Wiesner für die Ansicht Dippels und
fallen vielleicht um so mehr in's Gewicht, als sie an einem
Harze gemacht worden sind, an welchem auch Wiegand
selbst seine Studien gemacht hat und mit welchem er seine
Entstehungstheörie ganz besonders stichhaltig beweisen zu
können glaubt. Ich habe schon oben erwähnt, dass es sich
um das Xanthorrhoeaharz handelt, und will, da ich im Laufe
der Darstellung des öfteren an die Schilderung Wiegands
anknüpfen muss, dieselbe zweckmässig im Wortlaut wieder¬
geben.*)
„Einen besonders lehrreichen Fall,“ so beginnt diese
Schilderung, „liefert das als Resina Xantorrhoeae rubra oder
Gummi Nutt in den Handel kommende rubinrothe Harz von
Xantorrhoea arborea und australis. Die Stücke werden zum
Theil von einem weisslichen, zerreiblichen Parenchym bedeckt
und nach innen zu von einem körnigen Gewebe unregel¬
mässig — schichtenartig durchsetzt. Verfolgt man unter
dem Mikroskop den Uebergang zwischen diesem Gewebe in
die angrenzende Harzmasse, so kann man folgende Stufen
einer allmähligen Umwandlung unterscheiden: 1. Zellen mit
stark verdickten, porösen, fast farblosen Wänden, ohne
V 1. c. pag. 258.
*) 1. c. pag. 129.
*) 1. c. pag. 167. u. f.
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86
Inhalt, 2. die Zellwand gelb, nach innen mit einer braunen,
die Höhle nicht ausfüllendeu Harzmasse ganz oder stellen¬
weis ausgekleidet, 3. die Zellwand verdickt, braun, die Höhle
mit Harz ausgefüllt, 4. eine homogene, aber auf dem Bruch
nicht glasige Harzmasse, die sich durch Alcohol mncerircn
lässt, so dass nach der Auflösung des Harzes ein paren-
chymatisches Gewebe von dünnwandigen Zellen übrig bleibt.
5. eine homogene Harzmasse von glasigem Bruch, durch
Weingeist ohne Rückstand löslich. Es geht hieraus her¬
vor, dass das Harz sich nicht als ausgescbiedene Masse
zwischen dem Zellgewebe ablagert, sondern dass es an der¬
selben Stelle, wo es sich findet, auch entstanden ist, — dass
die Erzeugung desselben innerhalb der Zellen beginnt, aber
nicht sowohl aus dem Inhalt als auf Kosten der Zellwände,
deren Dicke von innen nach aussen in demselben Maasse
abnimint und zuletzt verschwindet, wie die Harzausfüllung
der Höhle zunimmt. Auch wird bereits durch die von innen
nach aussen die Zellwand durchdringende .gelbe und dann
braunrothe Färbung eine alluiählige Umwandlung derselben
in Harz augedeutet.“
So Wiegand. Es spricht zunächst für die irrthümlichc
Anschauung des Autors in der ganzen Harzangelegenheit
überhaupt, dass er das Xanthorrhoeaharz als ein Beweis¬
material für seine Deutung der Harzmasscn in den Kanälen
der Coniferen einführt. Beide Harze sind so grundver¬
schiedener, wenn ich so sagen darf, localer Natur, dass ein
Zusammenwerfen derselben bezüglich ihrer Entstehung nicht
von Vortheil erscheint. Fliesst doch das Xanthorrhoeaharz
nicht, wie Terpentin und andere in Gängen befindliche Harze
aus dem Innern der Pflanze heraus, sondern bedeckt den
Stamm gewissermassen als ein anatomischer Theil desselben
und kann von ihm ohne weitere künstliche Mittel abgehoben
werden; die Seite, mit welcher es au dem Stamm anlag,.ist
fast immer deutlich erkennbar, da sie flach oder doch nur
wenig gewölbt ist im Gegensatz zu der äusseren Seite, die
muschelig oder höckerig oder auch ganz glaskopfähnlich
aussieht.
Doch ganz abgesehen davon, dass Wiegand die ihrer
Abstammung nach so verschiedenen Harze nicht scharf aus-
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einaudergehalten hat, ist auch seine spezielle Erklärung
von der Entstehung des Xanthorrhoeaharz an sich eine
durchaus unrichtige.
Bevor ich nun meine nach dieser Richtung hin gemach¬
ten Beobachtungen mittheile, will ich die anatomischen Ver¬
hältnisse des in Frage kommenden Harzes, die ja auch in
der Beschreibung Wiegands eine Rolle spielen, etwas genauer
erörtern. Dieselben können dann einmal zur besseren
Orientirung für die weiteren Mittheilungen dienen, sodann
aber werde ich dazu veranlasst, weil ich in dieser Hinsicht
auch etwas neues für das Harz mittheilen kann.
Wiegand beschreibt nur Sclerenchyinzellen und sagt
ganz allgemein, dass dieselben an der Innenseite von einem
„weissen, zerreisslichen Parenchym bedeckt“ werden. Ausser
Wiegand hat Wiesncr noch zweimal 1 ) die Anatomie des
Xanthorrhoeaharzes beschrieben und dabei auch dieses weisse
Parenchym in seine histologischen Elemente aufgelöst; er
unterscheidet in demselben von innen nach den Scleren-
chyuizellen zu „1. tangential abgeplattete, sehr dünnwandige
Zellen mit Stärke und Chlorophylleinsehlüssen“ und „2. minder
deutlich abgeplattete, inhaltslose Parenchymzellen“, und
zwischen den letzteren „stärker verdickte, mit Krystallen
von oxalsaurcm Kalk erfüllte Parenchymzellen“; von diesen
drei verschiedenen Zellformen gibt er überdies die Grösse an.
Das Untersuchungsmaterial, welches mir zu Gebote
staud, erlaubte mir, diese anatomischen Beobachtungen noch
zu erweitern und dieselben auch mit einiger Sicherheit zu
deuten. Die Harzstücke, welche ich untersuchte, stammen
aus einer grösseren Sammlung von Xanthorrhoeaharzen,
welche vor mehreren Jahren das hiesige botanische Museum
von Herrn Baron v. Müller aus Melburn erhalten hat. Da
ich an den Sammlungsgläsern nur Nummern vorfand, die
jedenfalls mit einer, leider nicht mehr vorhandenen Liste in
Beziehung standen, kann ich mit Sicherheit die Xanthor-
rhoeaspecies, von welcher die untersuchten Stücke abstaminen,
nicht angeben. Ein Theil der in der Sammlung befindlichen
*) Die technisch verwendeten Gummiarten, Harze und Balsame
pag. 190 und Rohstoffe d. Pflanzenreichs pag 149 u. f.
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88
Harze entspricht vollkommen der Beschreibung, wie sie
Wiesner von dem rothen von Xanthorrhoea australis R. Br.
herrührenden Harze gibt; sie sind braun bis roth und er¬
innern in ihrer Form an den rothen Glaskopf. Ein anderer
Theil derselben, zu dem auch die untersuchten gehören,
sind aber in der Farbe auffallend stark in’s Braune und
Schwarze geneigt und gar nicht roth, zeigen auch keine
Aebnlichkeit mit dem rothen Glaskopf, sondern haben eine
mehr muschelige und blätterige Structur. Die Grundfarbe
ist braun, am äussersten Theile schwarz, und dort stark
glänzend; doch sind auch die braunen Stellen ohne Regel¬
mässigkeit von dunkelbraunen, fast schwarzen, stark glänzen¬
den bandartigen Stellen durchsetzt. Ich möchte dieses Harz
danach mehr als ein schwarzes Xanthorrhoeaharz bezeichnen,
von welchem das rothe von Xanthorrhoea australis abstam¬
mende sich durch die mehr rothe Grundfarbe unterscheidet.
Allerdings sieht man auf ganz rotben, ■ glaskopfähnlichcn
Harzen auf frischen Schnitten auch eine schwarze, stärk
glänzende Farbe, so dass möglicherweise die rothen Harze
auch einmal schwarz gewesen sind. Diese Frage lässt sich
natürlicherweise hier nicht entscheiden. Es kommt auch
nicht darauf an, ob die schwarzen Harzstücke ebenfalls von
Xanthorrhoea australis oder von einer anderen Species, viel¬
leicht von X. arborea oder X. quadrangulata herrühren, da
sich a priori annehmen lässt, dass der Entstehungsprozess
bei allen der gleiche ist. Die Hauptsache ist, dass unter
den schwarzen Harzstücken solche von so unvollkommener
Verharzung vorhanden waren, dass sie sich für das Studium
der Anatomie als auch der fortschreitenden Verharzung ganz
besonders eigneten.
Die flache Seite dieser Stücke nun, mit welcher dieselben
einst dem Stamme ansassen, war nicht nur von einem
weissen, zerreiblichen Parenchym bedeckt, sondern an der
Innenfläche desselben verliefen überdies dünne Stränge,
welche sich bald aneinander legen, bald auseinander treten
und Lücken lassen, sodass ein längsverlaufendes, maschen¬
artiges Netz zu Staude kommt; in die Lücken treten andere,
dickere Gewebsstränge ein, die sich in der Harzmasse selber
als querverlaufende Stränge beobachten lassen, und deren
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Richtung im allgemeinen die der längs verlaufenden senk¬
recht schneidet. Beistehende Abbildung a stellt das Harz¬
stück dar, an welchem ich die Untersuchungen zum grössten
Theil gemacht habe. Die an der Innenfläche längsverlaufen-
den dünnen Stränge treten
deutlich hervor; die dazu
senkrechten dickeren Stränge
sind hackenförmig abgebro¬
chen. ln b sind eine Anzahl
solcher dünnen Stränge unter-
Lupenvergrösserung wieder¬
gegeben; die querverlaufen¬
den sind in den Lücken durch
die Kreise angedeutet.
Ich trage keine Bedenken, die letzeren querverlaufenden
dickeren Stränge für die Gefässbündel der Blätter oder viel¬
mehr der Blattstiele zu halten, welche sich an die Blattspur¬
stränge im Stamm angesetzt haben und nun ab¬
gebrochen sind, da die Blätter selber abiielen; es
muss erwähnt werden, dass die Blätter der Xan-
thorrhoeabäume gleich den Wedeln der Cycadeen
mit Zurücklassung lang andauernder Basalt heile
vom Stamm abfallen. Diese Gefässbündel vor
allem sind es, welche durch Zerreissung und Zer¬
faserung dem Harze das blätterige Aussehen geben.
Die an der Innenseite des Harzes verlaufenden
Längsstränge aber, welche häufig mit einander
anastomosirend das oben geschilderte maschen-
förmige Netz ergeben, sind im Querschnitt als
dünnere Gefässbündel zu erkennen, den secun-
dären Gefässbündeln gewisser Monocotyledonen vergleichbar,
welche einem durch einen sogenannten Verdickungsring her¬
vorgerufenen anormalen Dickenwachsthum ihre Entstehung
verdanken.
Die Vermuthung, dass wir es auch hier mit solchen
secundären Gefässbündeln zu thun haben, bestätigte sich
vollkommen bei der mikroskopischen Untersuchung der schon
von Wiesner beschriebenen tangential abgeplatteten Zellen;
ich fand im innersten Theile dieses Gewebes viele — ich
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zählte auf einer Längslinie von ca. 2'/* nun 7 — Gefäss-
bündelanlagen innerhalb eines parenchymatischen Gewebes.')
Ich glaube somit mit Bestimmtheit das aus tangential abge¬
platteten Zellen bestehende Gewebe des Xanthorrhoeaharzes
als einen Verdickungsring deuten zu können, welcher gerade
so wie bei anderen Monocotyledonen, Yucca, Aloe, Dracaena
u. a. ein anormales Dickeuwachsthum hervorruft, nach
innen secuudäres Parenchym mit secundären Gefässbündeln
erzeugend, nach aussen ein dünnwandiges vielfach von Kry-
stallschläuchen durchsetztes Parenchym abscheidend, das zu
äusserst in ein dickwandiges Sclerenchym übergeht.
Es ergibt sich also aus dieser anatomischen Unter¬
suchung, dass auch die Gattung Xanthorrhoea zu den mit
anormalem Dickeuwachsthum begabten Monocotyledonen gehört,
was nicht wunderbar erscheint, da sie gerade wie die übrigen
anormalen Dickenwachser eine Liliacee ist; sodann aber kann
ich die allgemeine Bemerkung, mit welcher Wiesner seine
anatomische Schilderung des Harzes schliesst 2 ), dass das rothe
Xanthorrhoeaharz offenbar aus den peripherischen Geweben
des Stammes hervorgehe, noch dahin erweitern, dass es die
von einem Verdickungsring nach aussen abgeschiedenen Ge¬
webe sind, welche später als Harz von dem Stamm abge-
nommen werden können. Die Elemente derselben, die
Parenchyinzellen mit den Krystallschläuchen und die Scleren-
chymzellen waren aber in meinen Untersuchungsstücken ganz
vortrefflich erhalten und schienen ganz besonders geeignet,
die Bildung des Harzes selber zu verfolgen.
Ich habe schon oben erwähnt, dass Wiegand nur die
Sclerenchyinzelleu des Harzes schildert. Die Beschreibung
ist ziemlich genau und unterscheidet drei verschiedene Zu¬
stände: 1. Sclerenchyinzelleu mit farblosen Wänden ohne
Inhalt, 2. solche mit gelben Wänden und braunen, die Höhle
nicht ausfüllendcn Harztropfen und 6. solche mit braunen
Wänden und braunen Harztropfen, welche die llöhle völlig
ausfüllen. In dieser Beziehung habe ich zunächst nichts
hinzuzufügen. Dagegen beobachtete ich in meinem Harzstücke
nicht nur in den Sclcrenchymzellen braune, die Höhle mehr
') Tafel I Fig. 1.
*) Rohstoffe pag. 150.
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01
oder weniger nusfüllende Tropfen, sondern auch in allen
Pareuchymzellen und z. Th. auch in den älteren tangential-
abgeplatteten Zellen des Verdickungsringes mit grosser
Kcgelimissigkeit inei.-t je einen, seltener zwei oder mehr hell-
bis dunkelgelbe Tropfen. 1 ,' Es entstand sogleich die Frage,
ob die braunen Tropfen der Sclerenchymzellen nicht richtiger
auf diese gelben lnhaltsgcbilde der l'arenchyuizellen zurück¬
zuführen sind, als darauf, dass die innerste Wandschicht sich
losgelöst habe und tropfenartig zusanuneugeflossen sei, wie
Wiegand will. Ich bin überzeugt, auch Wiegand hätte, wenn
ihm die gelben Tropfen in den Parenchymzellen aufgestossen
wären, eine andere Erklärung für die Entstehung des Xanthor-
rhoeaharzes wenigstens gesucht. Er hat aber Parenchym¬
zellen gar nicht einer Untersuchung unterzogen, vielleicht
waren sie bei seinem Material auch nicht so erhalten, dass
sich eine Untersuchung empfahl. Dass aber Wiesner diese
Inhaltsgebilde der Parenchymzellen gar nicht erwähnt, ist
zu verwundern, um so mehr, da er die taugential abgeplatteten
Zellen „mit Stärke und GhlorophylleiuschlUssen“ erfüllt be¬
schreibt, und die „Chlorophylleiuschlüsse“, wie ich später
noch ausführlicher zu erörtern habe, jedenfalls nichts
anderes sind als solche kleine gelbe Inhaltsgebilde. Doch
cs ist möglich, dass auch in seinem Untersuchungs-
material die gelben Tropfen der Parenchymzellen auf irgend
eine Weise zu Gruude gegangen waren; jedenfalls nennt er
die Parenchyinzellen „inhaltslos“.
Obwohl ich nun die Zusammengehörigkeit dieser gelben
Tropfen mit den braunen der Sclerenchymzellen von vornherein
annahm, war es doch nöthig, dieselbe noch genauer zu studiren
und dabei möglicherweise über die chemischen Bestandtheile
beider Tropfen ins Klare zu kommen. Durch einige Messungen
stellte ich zunächst fest, dass die Tropfen im Verhältnis zu
der Grösse ihrer Zelle von innen nach aussen, d. h. von den
tangential abgeplatteten Zellen nach den verdickten Scleren¬
chymzellen zu, an Grösse zunehmen. Es lässt sich zwar
nicht für jede aufeinander folgenden Zellen das Gesetz durch¬
führen, aber im Allgemeinen kann ich es als gütig bezeichnen.
*) Yergl, Kig, 2, u. 3.
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92
Die tangential abgeplatteten Zellen nehmen im Mittel in
tangentialer Richtung c. 60 ft, in radialer c. 25—30 ft ein,
• die gelben Tropfen in denselben betragen in der Nähe der
Parenchymzellen c. 10 ft im Durchmesser; die Parenchym¬
zellen sind meist auch noch in tangentialer Richtung etwas
grösser als in radialer, nämlich 40—60 ft in ersterer, 30—50 ft
in radialer; ihre Inhaltsgebilde haben 20 ft und mehr im
Durchmesser, füllen aber den Zellraum auch nicht aus. In
den Sclerenchymzellen, welche so gross wie die grössten
Parenchymzellen und nach allen Richtungen gleichmässig
ausgedehnt sind, wird der Durchmesser der Inhaltsgebilde von
innen nach aussen fortschreitend grösser, bis schliesslich der
ganze Zellraum von den nunmehr braunen Tropfen einge¬
nommen wird; allerdings kommen auch in den Sclerenchym¬
zellen zuweilen allein, zuweilen mit grösseren zusammen
kleinere Tropfen vor.
Schon allein nach diesen Grössenverhältnissen wäre die
Deutung zulässig, dass in den Zellen des Verdickungsringes
gelbe Tropfen auftreten, welche bei der Ausdehnung dieser
Zellen in radialer Richtung, d. h. bei ihrer Verwandlung in
Parenchyinzellen gleichzeitig grösser werden und, wenn die
Parenchymzellen sich in Sclerenchymzellen umbilden, bei
weiterem fortschreitendem Wachsthum ihre gelbe Farbe in
eine braune verwandeln.
Aus weiteren Beobachtungen über die Gestalt und die
Natur der fraglichen Gebilde wurden die Verhältnisse noch
klarer.
In den Zellen des Verdickuugsriuges und in denen des
Parenchymgewebes sind die gelben Tropfen von regelmässiger
Form, meist Kugeln oder EUipsoide, hin und wieder etwas
verzerrt von diesen Grundformen; in einigen Präparaten
waren zuweilen an der Grenze des Parenchym- und Scleren-
chymgewebes sowohl in Parenchymzellen wie in Sclerenchym¬
zellen die gelben Tropfen derart gedehnt, dass sie die
ganzen Zellen erfüllten und wie zerflossen aussahen; im All¬
gemeinen herrschte jedoch in den meisten Präparaten auch
an dieser Stelle die Kugelform vor. Diese gelben Kugeln
erscheinen nun in destillirtem Wasser zuerst sehr stark
lichtbrechend und lebhaft glänzend, sie sehen ungefähr aus
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wie gelb gefärbte Oeltropfen. Nach einigem Verweilen in
Wasser tritt innerhalb einer scharf ausgeprägten Umgrenzung
eine Veränderung mit dem gelben Inhalt ein, die von der
Peripherie nach innen fortschreitet. Die Farbe wird matter
und die Lichtbrechung schwächer, noch scheint sich der
Glanz und die stärkere Lichtbrechung in der Mitte zu con-
centriren, bald aber hört auch dort beides auf; der ganze
Tropfen ist wieder gleicbmässig, sieht nun aber anders aus als
vorher. Wie sich bei der Beobachtung unter dem Ocularmi-
krometer feststellen lässt, nimmt die Grösse des Tropfens,
jedenfalls in Folge eines Wassereintritts, etwas zu; der In¬
halt aber sieht aus, als wäre er in eine grosse Zahl kleiner
mattgelber Stäbchen zerfallen, zwischen denen sich eine
Flüssigkeit befindet. Da es Schwierigkeiten hatte, mit dem
Zeichenprisma bei einer so starken Vergrösserung, dass die
Stäbchen einigermassen deutlich wurden, das vollständige
Bild des mit den Stäbchen erfüllten Tropfen wiederzugeben,
habe ich mich begnügt, die bei der Einstellung unter dem
Prisma stärker hervortretenden Stäbchen in Fig. 4 der
Tafel zu zeichnen und füge hinzu, dass der ganze Tropfen
mit diesen Gebilden, welche regellos durcheinander lagen,
dicht erfüllt war. Ob dieser Vorgang vielleicht ein Aus-
krystallisiren irgend einer Substanz in dem eingedrungenen
Wasser, etwa von Harzsäure, bedeutet, ist zwar eine sehr
nahe liegende Vermuthung, muss aber doch dahingestellt
bleiben. Jedenfalls tritt derselbe in allen gelben Tropfen,
in den einen früher, in den anderen später ein. Noch eine
andere Erscheinung fällt auf. In einigen Tropfen sieht
man nicht eine Umgrenzung, sondern zwei, als wären zwei
Tropfen zu einem zusammengetreten; in anderen Zellen
wieder sind überhaupt zwei oder mehrere Tropfen neben
einander zu finden, welche noch nicht zusammengeflossen sind.
Die Parenchymzellen in Fig. 2 zeigen mehrere derartiger
Stadien. Diese Thatsache veranlasst mich zu der Vorstellung,
dass die Tropfen dadurch grösser geworden sind, dass zwei
oder mehrere, überhaupt wohl alle, die sich in einer Zelle
befinden, das Bestreben haben, zu einem einzigen zusammen-
zufliessen. Lässt man das Wasser längere Zeit, mehrere
Stunden bis zu einem Tage wirken, so beobachtet man selbst
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in «len anscheinend einfachen Tropfen, ilic ieli als Tlieil-
tropfen bezeichnen will, dass die Stäbchen nicht mehr so
regellos durcheinander liegen, sondern dass sie sich derart
gruppiren, dass sic die Umgrenzung von feinen Löchern
oder Maschen bilden; es treten erst einige solcher Maschen
hervor (vergl. Fig. 5), bald aber gleicht der ganze Tropfen
einer maschenförmig durchlöcherten Kugel. In der Um¬
grenzung der Masche sind aber die Stäbchen formen als
solche nicht mehr deutlich zu erkennen; nur bei sehr starken
Vergrößerungen (Zeiss apochromat 2.0 mm apert. 1,30
homogen. Innvers. und Compensationsocular 18) lassen sie
sich noch unterscheiden. Es wäre möglich, dass auch diese
Theiltropfen durch Zusammenflüssen vieler kleiner Tröpfchen
entstanden sind, dass jede Masche ein solches Theiltröpfchen
bedeutet, an dessen ursprüngliche Umgrenzung sich immer
die dazu gehörigen gelben Stäbchen zurückziehen, in Folge
des eintretenden Wassers dazu gedrängt; eine Deutung,
welche durch die später zu beschreibenden Erscheinungen,
die in Folge der Einwirkung von Alkohol und Aether
sowie von Salzsäurecarmin eintreten, an Wahrscheinlichkeit
gewinnt.
Was nun die Tropfen in den Selerenchymzellen anbe¬
trifft, so sind dieselben namentlich in unmittelbarer Nähe
der Parenchymzellen oft von derselben Farbe, wie die jener,
nämlich gelb; die meisten aber sind braun, bald dunkler
bald heller und es finden sich alle nur möglichen Liebergänge
in der Farbe von gelb zu braun Die Tropfen sind braune,
glänzende Kugeln, doch sind die Abweichungen von dieser
Form durch Abplattungen und Verzerrungen im Allgemeinen
häufiger als bei den gelben Gebilden.
In einigen Selerenchymzellen liegen neben einem grösseren
auch ein oder mehrere kleine braune, zuweilen auch kleine
gelbe Kugeln. Auch hier wiederum in den braunen Tropfen
sind im Innern zuweilen Grenzlinien zu beobachten, welche
gerade so wie die (irenzlinien in den gelben Körpern
die Grenzen ursprünglicher Theiltropfen andeuten. In deu
Selerenchymzellen in Fig. 2 sind diese Verhältnisse wieder¬
gegeben. Von der Einwirkung des destillirten Wassers auf
diese braunen Tropfen ist. bemerkenswerther nichts weiter
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mitzutheilen; sie sind sein - widerstandsfähig gegen dasselbe.
Die Wände der Sclerenchymzellen sind zuerst weiss, später
gelb, dann braun bis schwarz.
Es ist nicht zu leugnen, dass besonders die letzteren
an vielen Stellen zerstört sind und man wohl von einer
Desorganisation derselben sprechen kann. Ich komme da¬
rauf noch einmal zurück. Dass aber aus den Wänden die
braunen Tropfen hervorgegangen sein können, wird im
höchsten Grade unwahrscheinlich, wenn man in den noch
gut erhaltenen, nicht desorganisirten Sclerenchymzellen be¬
obachtet, dass die Tropfen, auch wenn sie den ganzen
Zeitraum ausfüllen, sich immer scharf von der Wand al>-
lieben. Vielmehr beweist die im ganzen gleiche morpho¬
logische Structur der beiden Tropfen, der gelben und der
braunen, sowie ferner die Thatsnche, dass in den Sclereu-
chymzellen sich ebenso wie in den Parenchymzellen gelbe
Tropfen finden und endlich der allmählige Uebergang der
gelben Farbe zu der braunen, dass die braunen Tropfen der
Sclerenchymzellen aus gelbon hervorgegangen sind. .Noch
deutlicher wird der Zusammenhang durch Reactionen mit
Alkohol und mit Aether.
Bei langsamer Einwirkung von 1)5 # / # igem Alkohol quillt
in den gelben Tropfen der Inhalt in Gestalt vieler kleiner
Tröpfchen hervor und gibt dem Ganzen einen Moment das
Aussehen einer Brombeere ungefähr, bald aber lösen sich
diese Tröpfchen vollständig auf, und die schon öfters er¬
wähnte Umgrenzung bleibt als eine weisse, helle Hülle oder
vielmehr als ein weisser Ring zurück, der sehr schnell zu
einem amorphen Häufchen zusammenschrumpft; in anderen
Tropfen bleibt zuerst ein aus mehreren solchen Ringen be¬
stehendes Gerüst zurück, wieder andere zerfallen in eine
Anzahl solcher weissen Ringe; das Zusammenscbrumpfen
tritt natürlich auch in diesen kleinen Ringen, deren Auf¬
treten ein weiteres Beweismaterial für meine Vorstellung
von der Zusammensetzung der Tropfen aus vielen kleineren
Elementen gibt, sehr bald ein. Ganz anolog verhalten
sich die braunen Harzmassen. Auch in diesen wird durch
Alkohol der Inhalt gelöst, und das anfänglich zurückbleibend
weisse Gerüst, das hier allerdings viel weniger deutlich als
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bei den gelben Tropfen ist, eontrahirt sich wiederum zu
einer kleinen amorphen Masse. Jedenfalls sind in den
braunen wie in den gelben Körpern zwei verschiedenartige
chemische Körper zu unterscheiden, ein in Aklohol löslicher
und ein in Alkohol unlöslicher, und zwar vom letzeren in
den braunen Tropfen weniger als in den gelben. Aus der
gerüstartigen Structur der ungelösten Substanz und aus dem
Zerfall in viele kleine Ringe ergibt sich, dass jedes der die
Theiltropfen zusammensetzenden Elemente aus den beiden
verschiedenen Substanzen besteht.
Für die weitere Beobachtung der gelben und der braunen
Tropfen wurden Reactionen mit Aether sehr instructiv und
förderten einigermassen die Einsicht in die chemische Natur
derselben. Ich habe mit Aether auf verschiedene Weise ge¬
arbeitet; ich habe Schnitte sogleich in Aether gelegt und
denselben längere Zeit wirken lassen, ich habe in Wasser¬
präparaten das Wasser auf einmal durch Aether ersetzt
und endlich habe ich in Wasserpräparaten durch Zusatz von
Aether denselben langsam auf die Tropfen einwirken lassen.
Die beiden ersten Methoden ergaben dasselbe Resultat wie
Alkohol; der Inhalt der Tropfen wurde gelöst und es blieben
z. T. weisse, noch straffgespannte Ringe, z. T. weisse amorphe
Häufchen zurück, welche aber in Wasser ebenfalls sich zu
turgescenten Ringen ausdehnten. Dagegen war die letztan¬
gegebene Methode mehr von Vortheil. Durch Zusatz von
Aether in Wasserpräparaten wurde in den gelben Tropfen,
welche wir zunächst beobachten wollen, die Hauptmasse des
Inhalts zuerst unter Tropfenbildung gelöst, es bleibt aber
nicht wie bei der Einwirkung von Alkohol ein weisser, sondern
ein viel stärkerer Ring von gelber Farbe zurück, und zwar
tritt zuerst nach Lösung des Inhalts ein gelbes Gerüst auf,
dem ähnlich, welches ich für die längere Einwirkung von
Wasser beschrieben habe, allmählig wird alle nicht gelöste,
diesmal gelbe Masse an die Peripherie so zusammengedrängt,
dass der dicke gelbe Ring zu Stande kommt. Fig. 6. ist
die Abbildung einer Anzahl solcher zurückgebliebenen gelben
Ringe, man sieht, dass in den einzelnen Tropfen das Ver¬
hältnis der gelösten zu der zurückgebliebenen Masse eiu
verschiedenes ist und dass sich den beschriebenen und in
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Fig. 2 gezeichneten aus grösseren Tropfen zusammengesetz¬
ten Tropfen entsprechende Formen wiederfinden. Immer
also bleibt ein grösserer Rest als in Alkohol zurück, und
2war ein Rest, der überdies gelb gefärbt bleibt. In diesem
Stadium verharren die Tropfen, auch wenn schon längere
Zeit durch fortwährenden Aetherzusatz alles Wasser durch
Aether ersetzt ist. Wenn aber immer weiter mit dem Zu¬
satz von Aether fortgefahren wird, tritt schliesslich noch
eine weitere Reaction ein; es verschwindet allmählig die
gelbe Farbe des Ringes, der Ring wird weiss und gleich¬
zeitig dünner und zuletzt ist das Resultat der Reaction ein
gleiches wie das der Alkoholreaction.
Ich schliesse daraus, dass die ganze in Alkohol lösliche
Masse offenbar aus zwei verschiedenen Körpern besteht,
einem in Aether sehr leicht löslichen Theil und einem erst
durch längere Einwirkung von Aether lösbaren Theile.
Wie verhalten sich nun bie braunen Tropfen gegen
diese langsame Einwirkung von Aether? Auch in ihnen
werden zunächst viele Tröpfchen frei, welche die braunen
Tropfen ganz bedecken und bald völlig verschwinden; es
bleibt wiederum eine ungelöste Masse zurück, welche braun
gefärbt ist und nur selten die Form eines Ringes, häufiger
die eines maschenförmig durchbohrten und durchlöcherten
Gerüstes hat. Fig. 7 zeigt einige solcher Formen. Dieser
Zustand erhält sich auch hier einige Zeit, dann aber wird
durch fortgesetztes Zuführen von Aether auch die braune
Masse gelöst und verschwindet bis auf geringe Spuren einer
weissen Substanz; häufig bleiben auch aus diesen braunen
Gerüsten kleine gelbe Ringe zurück, die an die oben be¬
schriebenen erinnern und von denen in Fig. 7 b die in einer
Sclerenchymzelle zurückgebliebenen abgebildet sind; sie
werden wie diese nach weiterer Aetherwirkung weiss und
schrumpfen zusammen. Das Zurückbleiben dieser Ringe deutet
einmal wieder die Zusammensetzung brauner Tropfen aus
Theiltropfen an, die den gelben gleichen, sodann ergibt sich
daraus, dass die braune Masse häufig noch eine gelbe ver¬
deckt; es lässt sich dies am besten so erklären, dass die
ursprünglich gelbe Farbe noch nicht vollkommen in eine
braune übergegangen ist.
7
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Sehen wir davon ab, dass sich die- braune Substanz
etwas rascher löst als die von ihr verdeckte gelbe, so müssen
wir auch denjenigen Theil in den braunen Tropfen, welcher
in Alkohol gleichmässig gelöst wird, in zwei verschiedene
chemische Körper sondern, einen in Aether leicht löslichen
und einen in Aether schwer löslichen. Von dem ersteren
ist aber verhältnissmässig in den braunen Körpern weniger
vorhanden als in den gelben.
Wir kommen nunmehr zu einer chemischen Deutung der
gelben wie der braunen Tropfen; wir können drei verschiedene
ßestandtheile derselben angeben: 1. einen in Alkohol und
Aether leicht löslichen, offenbar sehr flüchtigen Theil, 2. einen
in Alkohol leicht löslichen, in Aether aber schwer löslichen
Theil, welcher bei den gelben Tropfen gelb, bei den braunen
braun ist, und 3. einen weder in Alkohol noch in Aether lös¬
lichen Theil, der als weisse Masse zurückbleibt.
Ich bezeichne den ersten Theil als einen offenbar sehr
flüchtigen und glaube, dass mir Destillationsversuche im
Kleinen die Berechtigung dazu geben; ich Hess eine Anzahl
Schnitte in einem Schälchen in Wasser im Trockenschrank
ungefähr eine Stunde kochen. Das Resultat war folgendes:
Von den gelben Tropfen blieben kleine gelbe amorphe Häuf¬
chen zurück, bisweilen waren auch gelbe Ringe zu beobachten
wie nach der ersten Einwirkung von Aether. In den braunen
Tropfen aber entstand das nun schon bekannte braune, oft
auch ein braungelbes Gerüst mit den maschenförmigen Durch¬
brechungen. Ich halte diesen flüchtigen Bestandtheil der
Tropfen für ätherisches Oel, welches innerhalb der gelben,
bezw. braunen Masse so vollständig von der Luft abgeschlossen
war, dass es in dem Harzstück selber nicht mehr ver¬
flüchtigen konnte. Die Reaction mit einem fetten Oel — ich
verwendete Leinöl — scheint mir das zu bestätigen. Ich
legte die Schnitte nicht direct in Oel, sondern Hess dasselbe
wieder langsam hinzutreten. Die Einwirkung ist nur eine
sehr allmähliche, nach einiger Zeit aber beobachtet man
wiederum die von den gelben Tropfen zurückbleibenden gelben
Ringe, das ätherische Oel ist gelöst; die braunen Tropfen
sind theils in die netzförmig durchbrochenen Gerüste umge¬
wandelt, theils in dicke braune Ringe. Auch Terpentinöl gab
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nach längerer Einwirkung das gleiche Resultat. Ich möchte
übrigens nicht unerwähnt lassen, dass bei dem Destillations¬
versuch durch längeres, mehrstündiges Kochen die gelben
Reste völlig zerstört werden, die braunen halten sich etwas
länger intact, werden aber gewissermassen auseinanderge¬
sprengt, und in vielen Zellen, in denen grosse braune Körper
•waren, sieht man nur noch kleine braune und gelbe, z. Th.
zusammengebackene Ringe.
Von dem zweiten Bestandtheil der Tropfen habe ich
oben angegeben, dass derselbe in Alkohol leicht und in Aether
schwerer löslich ist. Ich kann hinzufügen, dass in den Leinöl¬
präparaten nach mehreren Tagen die gelben Reste, d. h.
Ringe heller waren, es machte den Eindruck, als sei etwas
von der gelben Masse von dem Leinöl gelöst; die braunen
Reste waren unverändert; doch ist nicht ausgeschlossen, dass
auch von diesen durch noch längere Wirkung des Leinöls
etwas gelöst wird. In den Terpentinölpräparaten habe ich
gerade in den Resten der braunen Tropfen beobachten können,
«lass an vielen Stellen die braune Farbe heller wird und
von den noch dunkelbraun gebliebenen Partien sich dadurch
abhebt.
Wir haben somit in dem zweiten Bestandtheil der Tropfen
«inen Körper vor uns, der sowohl von Alkohol und Aether
als auch von Leinöl und Terpentinöl eine Einwirkung erfährt.
Ich halte eben diesen Theil für Harz; durch die gelbe, bezw.
braune Farbe desselben ist die Farbe des ganzen Tropfens
bedingt. Dieser Theil ist es auch, wenigstens in den
gelben Körpern, von welchem ich die Vermuthung aussprach,
dass er in Wasser auskrystallisirt. Dass in den braunen
Harzkörpern von dem ersten, in Aether leicht löslichen,
flüchtigen Theile, den ich nunmehr direct als ätherisches Oel
bezeichnen will, weniger vorhanden ist als in den gelben,
wie ich oben mitgetheilt habe, führe ich darauf zurück, dass
in den braunen Harzkörpern schon mehr von dem ätherischen
Oel in Harz übergegangen ist; denn ich zweifle nicht daran,
dass das ätherische Oel das Material ist, aus welchem das
Harz hervorgeht, und zwar zunächst ein gelbes, welches noch
mehr oder weniger den Charakter einer Flüssigkeit hat und
vielleicht nicht unrichtig wegen seines übrigen Gehaltes an
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100
noch uhverharztem Oel als Balsamtropfen bezeichnet werden
kann und daraus durch weitere Oxydation wahrscheinlich ein
braunes, welches immer mehr die Natur eines festen Körpers
annimmt.
Es bleibt noch übrig, die Natur des dritten Körpers, des
Restes, welcher weder in Alkohol noch in Aether und natür¬
lich auch nicht in Leinöl oder in Terpentinöl gelöst worden
ist, zu bestimmen. Es fiel mir auf, dass durch Jodzusatz
die gelbe Farbe der Harzkörper noch intensiver wurde und
ich versuchte, ob auch die durch Alkoholbehandlung ent¬
standenen weissen Reste diese Reaction zeigten. Es erfolgte
in der That ihre Gelbfärbung durch Jod. Nunmehr auf die
Vermuthung gebracht, dass ich Eiweiss vor mir haben könnte,
versuchte ich Färbung mit Salzsäurecarmin. Ich wendete
Grenacher’schen alkoholischen Salzsäurecarmin an und führte
denselben solchen Resten zu, welche nach längerer Aether-
behandlung ihre gelbe Farbe eingebüsst hatten, aber noch
die Form straffgespannter Ringe zeigten. Sie wurden gleich¬
falls gefärbt. Die Ringe behielten aber bei der Aufnahme
des rothen Farbstoffs nicht diese Form, sondern wurden
gleichzeitig wieder zu maschenförrnig durchlöcherten Kugeln
aufgetrieben, deren zartes Netzwerk sehr schön rothgefärbt
war. Ich halte die je eine Oeffnung begrenzenden Ringe
meiner früheren Deutung entsprechend für die ursprünglichen
Umgrenzungen der kleinsten Tropfen, durch deren Zusammen-
fliessen die grösseren entstanden sind. Dieses Netzwerk ist
also in Alkohol und den anderen angewandten Reagentien
so zusammengeklappt, dass es wie ein Ring anzusehen war;
durch Salzsäurecarmin wurde es wieder aufgebläht. Ich will
bei dieser Gelegenheit noch eine Beobachtung registriren, die
ich beim Einlegen von Leinöl- und Terpentinölpräparaten in
Glyceringelatine machen konnte und die hierher gehört. Die
zum Theil nach gelben, zum Theil schon heller gewordenen
Ringe, welche diese Reagentien .zurückgelassen hatten, wurden
in der Glyceringelatine auch zu einem solchen Netzwerk aufge¬
trieben. Leider erhält sich jedoch dasselbe nicht durchgehends
in jener, sondern die einzelnen Ringelchen werden mit der
Zeit brüchig und zerbröckeln.
Gerade so wie durch Salzsäurecarmin werden diese Reste
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101
auch durch Eosin roth gefärbt. Da überdies auch Millon’s
Reagens eine mattrothe Färbung bewirkt, glaube ich diese
Reste für Eiweiss halten zu müssen. Diese Deutung wird
dadurch, dass die fragliche Masse von Kalilauge gelöst wird,
noch wahrscheinlicher. Auch die Deutung des flüchtigen
Theiles als ätherisches Oel wird durch die Reaction mit Kali¬
lauge bestätigt; in ihr zerfliessen die gelben wie die braunen
Tropfen, hinterlassen aber eine grosse Zahl sehr kleiner
Tröpfchen, mit denen die ganze Fläche des Schnittes bedeckt,
sowie die Umgebung desselben erfüllt ist. Dass diese nur
ätherisches Oel, welches von der Kalilauge keine Einwirkung
erfährt, sein können, liegt auf der Hand.
Welche Rolle aber das Eiweiss spielt, in welchem das
ätherische Oel und das aus diesem hervorgehende Harz wie
in einer Hülle oder besser wie in einer Tasche liegt, und von
welchem in den braunen Harzkörpern nur noch geringe
Spuren, weit weniger als in den gelben nachzuweisen sind,
vermag ich nicht anzugeben.
Ich möchte aber als einen analogen Fall die von Pfeffer
beschriebenen Oelkörper der Lebermoose hier heranziehen. 1 )
Auch diese enthalten innerhalb einer membranartigen Hülle,
welche nach Auflösung des Inhalts zurückbleibt, sich mit Jod
und Cochenille färbt und von Pfeffer als ein eiweissartiger
Stoff gedeutet wird, eine homogene ölartige oder eine „emul¬
sionsartige“ Masse.
Die Beschreibung und die Abbildungen, welche der Autor
von diesen Oelkörpern bezüglich ihrer äusseren Gestalt gibt,
stimmen in vieler Beziehung mit den gelben Harztropfen
des Xantorrhoeaharzes überein; auch in ihrer Grösse —
20 ft — unterscheiden sie sich von denselben nicht. Ihre
Inhaltsmasse jedoch, welche durch verdünnten Alkohol zu
einem den Innenraum nicht völlig ausfüllenden Oeltropfen
zusammengezogen, durch concentrirteren Alkohol aber, sowie
durch Benzol, Aether, Schwefelkohlenstoff gelöst wird, hält
er für ein Gemenge von fettem Oel und Harz, obwohl Kali¬
lauge selbst nach viertelstündigem Kochen dieselben unver¬
ändert lässt. Er wird zu der Annahme, dass in diesen
*) Pfeffer, Die Oelkörper der Lebermoose - Flora. 1874 No. 1—3.
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102
Oelkörpern Harz und fettes Oel und nicht etwa ätherisches
Cel vorliegt, durch Destillationsversuche veranlasst, welche
er in gleicher Weise wie ich die meinen gemacht hat. Ich
möchte an dieser Stelle erwähnen, dass ich durch die Kennt-
niss der Pfeffer'schen zu den meinen überhaupt angeregt
worden bin. Nach lebhaftem Kochen vou */* bis 1 Stunde
ist in den Oelkörpern nichts verflüchtigt worden. Es ist
dies ein bemerkenswerther Unterschied von den Ergebnissen,
die ich bei dem gleichen Versuche in den gelben Harz¬
körpern erhalten habe und die mich auf das bestimmteste
veranlassen, dort ätherisches Oel anzunehmen. Es scheint
mir nöthig, noch einen Augenblick bei diesem Punkte zu
verweilen. Pfeffer nimmt in den Oelkörpern neben dem
Gemenge von Oel und Harz innerhalb der Hülle noch er¬
hebliche Mengen Wasser an. Durch verdünnten Alkohol
trete eine Sonderung beider Flüssigkeiten ein; das Oel ziehe
sich zu dem den Innenraum nicht ausfüllenden Tropfen
zusammen und das Wasser nehme den zwischen diesem und
der Hüllmembran befindlichen Raum ein; dieselbe Wirkung
werde durch Erwärmen der Oelkörper bis zu 60—70° C.
hervorgerufen; darum bewirken auch wasserentziehende Mit¬
tel, Zuckerlösung und Glycerin erhebliche Volumenverminde¬
rungen und Formveränderungen. Er behandelt daher die
Oelkörper, bevor er sie einer Destillation unterwirft, mit
verdünntem Alkohol zur Beseitigung des Wassers.
Es könnte mir nun leicht der Vorwurf gemacht werden,
dass durch meine Destillationsversuche, da ich solche Vor-
sichtsmassregeln nicht getroffen habe, auch nur Wasser aus
den Harzkörpern verflüchtigt ist und nicht ätherisches Oel.
Es geht aber aus meinen früheren Darstellungen hervor,
dass ich derselben auch nicht benöthigte; denn durch Alkohol
wird in den Harzkörpern der Inhalt niemals in einen Oel-
tropfen und Wasser getrennt, auch durch verdünuten Alkohol
nicht, welcher gerade so wie der 95 # / 0 ige, nur etwas lang¬
samer, etwa wie der Aether erst den flüchtigen Bestandtheil,
sodann den gelben bzw. braunen völlig auflöst. Es würde
also eine der Destillation vorangehende Behandlung mit
Alkohol oder mit Aether keinen Zweck haben. Die Annahme
aber, dass eben dieser vor dem gelben oder braunen Harz
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von Alkohol und Aether gelöste, durch Destillation ver¬
flüchtigende Antheil Wasser wäre, wird durch Versuche mit
Glycerin und Zuckerlösungen zurückgewiesen, welche weder
die Grösse noch die Form der Harzkörper in einer auffäl¬
ligen Weise verändern; nur heller werden dieselben, eine
Wasserentziehung ist nicht zu beobachteu.
Trotz dieses etwas abweichenden Verhaltens der Harz¬
körper des Xanthorrhoeaharzes von den Oelkörpern der
Lebermoose und der daraus sich ergebenden verschiedenen
chemischen Deutung bleibt eine Analogie beider Gebilde doch
darin bestehen, dass öl- und harzartige Stoffe in einer Ei-
weisshülle liegen. Von dieser macht übrigens Pfeffer noch
die Bemerkung, dass das Material, aus welchem sie ent¬
standen sei, aus der Masse des Oelkörpers selbst stamme*).
Ich glaube bis jetzt den Nachweis geführt zu haben,
dass ein Zusammenhang sowohl in der morphologischen
Structur als auch in der chemischen Zusammensetzung
zwischen den braunen, die Sclerenchymzellen erfüllenden
Harzmassen und den gelben Tropfen in den Parenchym¬
zellen besteht, mit anderen Worten, das die erstercn aus
letzteren entstanden sind. Gleichzeitig ist festgestellt, dass
die Bestandtheile beider Massen ätherisches Oel und Harz
sind, welche in einer Eiweisstasche liegen; letztere ist in
den braunen Körpern zum grossen Theil verloren gegangen.
Es tritt nunmehr eine andere Frage lebhafter in den
Vordergrund. Wo und woraus entstehen die gelben Harz¬
körper? Dass dieselben nicht nur in den Parenchymzellen,
sondern auch in den an diese angrenzenden tangential ab¬
geplatteten Zellen des Verdickungsringes anzutreffen sind,
habe ich schon oben kurz erwähnt. Je weiter man nun in
diesem Gewebe in der Richtung auf die secundären Gefäss-
bündelanlagen zurückgeht, um so kleiner werden die Tropfen
in den Zellen; 5 fi und weniger habe ich gemessen, ihre
Farbe ist ein helleres Gelb und sie sind auch viel häufiger
zu zweien und mehreren in einer Zelle als in dem Paren¬
chymgewebe. Jetzt treten auch in denselben Zellen neben
den gelben kleinen Tropfen Stärkekörner auf. Die ersteren
*) 1. c. pag. 21.
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gleichen aber immer noch in ihren Eigenschaften vollkommen
den grösseren Harztropfen in den Parenchymzellen; ihr
Inhalt differenzirt sich in Wasser; durch Alkohol, Aether u.
s. w. wird er zuerst mit Zurücklassung eines hellgelben, sodann
eines weissen Ringes gelöst, nur dass die Löslichkeit der
flüchtigen und der gelben Masse nicht so verschieden ist.
Sie sind es offenbar, welche Wiesner wie angegeben als
Chlorophylleinschlüsse bezeichnet, ein Irrthum, welcher wohl
daher rührt, dass in seinem Untersuchungsobjecte seiner Be¬
schreibung nach die Parenchymzellen leer waren. In Schnit¬
ten, die ich aus tiefer liegenden, von der Luft mehr ab¬
geschlossenen Partien entnommen habe, waren in derselben
Region, die ich soeben beschrieben habe, neben den Stärke¬
körnern kleine, sehr hellgelbe Tropfen vorhanden, welche sich
auffallend lange in Wasser homogen erhielten und von äthe¬
rischen Oeltropfen kaum zu unterscheiden waren. Man
stösst in allen Schnitten in der angegebenen Richtung zu¬
rückgehend schliesslich auf Zellen, die anscheinend nur von
Stärkekörnern erfüllt sind. (Fig. 3 dient zur Illustration der
geschilderten Verhältnisse.) Durch Zusatz Von Jod werden
diese aber nicht alle blau, eine vcrbältnissmässig geringe
Zahl in jeder Zelle nimmt gelbe Farbe an. Operirt man in
dieser Gegend mit Alkohol oder mit Aether, so bleiben die
wahren Stärkekörner intact, die anderen an Zahl geringeren
Elemente aber verlieren durch diese Reagcntien ihren In¬
halt und es bleibt ein weisser, durch Jod wiederum gelb
gefärbter Ring zurück. Es ist anzunehmen, dass hier die
eisten nachweisbaren Gebilde vorliegen, aus denen durch
Zusammenfliessen mehrerer und durch Verharzung des in
ihnen enthaltenen ätherischen Oeles zuerst die grösseren
gelben Harzkörper entstanden sind. Woraus aber sind sie
selber hervorgegangen? Der naheliegendste Gedanke ist der,
dass die Stärkekörner das Material zu ihrer Bildung her¬
gegeben haben, um so mehr als schon öfter der Zusammen¬
hang von Stärke und Harz ausgesprochen worden ist. Zuerst
von Dippel in der bereits citirten Arbeit. 1 ) Er nimmt an,
da bei abies pectinata in Zellen, welche später Harz
*) Die Harzbeb<er der Weisstanne u. s. w.
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105
führen, in der Ruheperiode im jungen Zustand dersel¬
ben Stärkekörner vorhanden sind, welche während der
Vegetation bei gleichzeitigem Auftreten einer hellgelblichen,
stark lichtbrechenden Flüssigkeit allmählich verschwinden
und später einem halhflussigen Harz Platz machen, „dem
hie und da noch einzelne Stärkekörner beigemengt“ *) sind,
„dass das anfänglich vorhandene, die Zellen erfüllende Stärke¬
mehl während der Vegetationsperiode eine Umwandlung
in fluchtiges Oel (Terpentinöl) erfahren hat, und dass aus
diesem die zuletzt auftretenden Umwandlungsproducte, Bal¬
same resp. Harze hevvorgehen“. s )
Anders gibt Wiesner den Zusammenhang von Stärke¬
körnern und Harz an. 3 )
In den Zellen von Markstrahlen und Holzpareuchym
einiger von ihm zu anderen Zwecken untersuchten Laubbäume,
' bes. Rothbuche, Ahorn, Ulme und einer australischen Protea-
art fand er mit Stärkekörnern zusammen, einzeln und auch
in grösserer Zahl „Harzkörner“. Er beschreibt dieselben als
kugelförmige, manchmal bedeutend abgeplattete Gebilde mit
regelmässiger Umgrenzung. Durch die optische Eigenschaft
derselben, gleich den Stärkekörnern als Sammellinsen zu
wirken, sowie durch die von Chromsäure in ihnen hervorge¬
rufene Schichtung wird er veranlasst, ihre Verwandtschaft mit
den Stärkekörnern zu prüfen. Ihre Harznatur gab sich durch
die Verseifung in Kalilauge, Ammoniak und kohlensaures Natron
kund; ihre ursprüngliche Stärkenatur aber erwies sich that-
sächlich dadurch, dass in einigen schon durch Jod allein, in
anderen nach vorheriger kurzer Einwirkung von Kalilauge
durch Jod im Innern eine Blaufärbung hervorgerufen wurde.
Wiesner führt diese Blaufärbung auf die Anwesenheit von
Granulöse in den „Harzkörnern“ zurück, und er weist noch
durch Jod und Schwefelsäure, sowie durch Kupferoxydam¬
moniak Cellulose gesondert nach und überdies durch Eisen¬
chlorid Gerbstolf. Da er neben diesen Körnern — ich will
nebenbei bemerken, dass die Bezeichnung Harzkörner für
') pag. 256.
*) 1. c. pag. 257.
8 J Ucber die Entstellung des Harzes u. s. w.
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106
Harztropfen von Müller 1 ) als unpassend bezeichnet worden
ist — und neben Stärkekörnern in denselben Zellen farblose
Körnchen beobachtet, die er für Gerbstoffkörner hält, so hält
er es für wahrscheinlich, „dass die Stärke zuerst in Gerb¬
stoff übergeht und erst dieser sich in Harz umsetzt“ 4 ).
Aus Wiesner’s Schilderung von der äusseren Gestalt der
fraglichen Körner und aus einer Mittheilung, dass sie in
fettem Oel ansgehöhlt werden, glaubte ich auf eine Aehn-
lichkeit mit den von mir beschriebenen Harztropfen schliessen
zu können und ich hoffte, Vergleichsobjecte für weitere
Untersuchungen, besonders über die Zusammengehörigkeit
mit den Stärkekörnern gefunden zu haben. Ergaben aber
einerseits schon Beobachtungen von Wiesner selbst darin
durchgreifende Unterschiede der von ihm und der von mir
beobachteten Harzkörper, dass in den seinen in destillirtem
Wasser keine Veränderung eintrat und von Alkohol oder Aether
selbst unter Kochen eine Lösung nicht bewirkt wurde, so
wurde andererseits ein Vergleich ganz und gar ausgeschlossen,
da ich mit den Reagentien, die bei ihm eine hervorragende
Bedeutung haben, nichts erreichte; es gelang mir weder durch
Chromsäure eine Schichtung in den Harzkörpern hervorzu¬
rufen noch trat auf Eisenchlorid in irgend einem kleinen oder
grossen Harztropfen eine Gerbstoffreaction ein. Ich kann
somit für das von mir untersuchte Material einen Ueber-
gang vou Stärke zu Harz durch Gerbstoff hindurch nicht an-
nehineu. Gleichwohl könnte ja doch vielleicht ein anderer Zu¬
sammenhang zwischen den Stärkekörnern und den von mir
beobachteten, in Wasser von Stärke nicht zu unterscheiden¬
den, durch Jod aber gelbgefärbten, kleinsten Tropfen besteheu.
Wenn die Stärkekörner wirklich aus Granulöse und Cellulose
bestehen, und in den anderen Gebilden etwas von Alkohol
und Aether gelöst, der zurückbleibende Theil aber mit Jod
gelb gefärbt wird, so ist vielleicht der die Blaufärbung be¬
wirkende Theil in einen durch Alkohol und Aether löslichen
Stoff umgewandelt und die Stärkecellulose übrig geblieben?
Da durch Chlorzinkjod in diesen Resten niemals eine violette,
sondern immer eine gelbe Färbung eintrat, während die Wände
*) Untersuchung über die Vertheiluog der Harze u. s. w. pag. 396.
J ) 1. c. pa*. 126.
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107
der Zellen violett gefärbt waren, so erwies sieb auch diese An¬
nahme als ungiltig. Kurz, ich bin ausser Stande, irgend wie
einen Zusammenhang von Stärkekörnern und den kleinsten
Elementen, welche offenbar aus ätherischem Oel und einer
eiweissartigen Hülle bestehen und als Ausgangspunkte der
grösseren Harztropfen angesehen werden müssen, anzugeben.
Ueber einen Uebergang von Stärke in Harz spricht sich
übrigens auch Müller, obwohl er „Amylumkörner überzogen mit
einer Harzschicht und umlagert' von zahlreichen kleinen
Harztröpfchen “*) beobachtet hat, sehr vorsichtig aus; er sagt:*)
„Eben so wenig kann ich aus dem blossen Vorhandensein
von Amylum und Harz in einer Zelle Anhaltspunkte eines
directen Ueberganges des ersteren in letzteres erblicken, im
Sinne einer Pseudomorphose.“ „Eine Verwandlung grosser
ruhender Stärkekörner in Harz ohne Formänderung ist mir
bis jetzt nirgends vorgekommen. Nirgends beobachtete ich
bei genauester Musterung kleiner und grösserer Harztröpf¬
chen, eine Structur, welche eine Schichtung andeutete.“
Im vorliegenden Falle scheint mir ein vermittelnder
Uebergang von Stärke durch Gerbstoff in Harz, wie Wiesner
ihn annimmt, ausgeschlossen zu sein. Ob ein Uebergang,
von Stärke in ätherisches Oel, wie Dippel will, anzunehmen
ist, oder ob die das ätherische Oel enthaltenden kleinen Ge¬
bilde auf andere Weise, vielleicht selbständig in der leben¬
den Zelle entstanden sind, muss dahin gestellt bleiben. Eine
eingehende Untersuchung über diesen wichtigen Punkt an
frischem hier allerdings schwer zu erhaltendem Material wird
vielleicht von glücklicherem Erfolge sein. Soviel steht fest,
dass ätherischem Oel eine grosse Bedeutung in dem Xan-
thorrhoeaharz zukommt, und die Entstehung des letzteren
in erster Linie auf dieses und nicht auf die Zellwände zu¬
rückgeführt werden muss. Die Zellwände werden erst später,
sagen wir secundär, bei der fortschreitenden Harzbildung in
Mitleidenschaft gezogen. Ich glaube aber, dass die Vor¬
stellung, welche man von diesem Vorgänge der Verwand¬
lung der Zellwaud in Harz hat, eine irrthümliche ist. Es
') 1. c. pag. 389.
*) 1. c. pag. 402.
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108
wird nämlich immer angegeben, dass die Cellulose das in
Frage kommende Bildungsmaterial sei, und zwar ohne ge¬
nügende Begründung. Von dem Bestreben, die Verwandlung
der Stärke und die der Zellwand in Harz unter einem ein¬
heitlichen Gesichtspunkt auffassen zu können, verleitet, sagt
Wiesner: „Da die ganze Zellwand in Harz umgewandelt
wird, so lässt sich dessen Entstehung nur aus dem Haupt¬
bestandteil der Zellwand — aus Cellulose — herleiten, und es
ist nur fraglich, ob diese Umwandlung direct geschieht, oder
ob nicht vorerst ein anderer Körper aus der Cellulose her¬
vorgeht.“ 1 ) Diesen anderen Körper gibt er weiterhin auf
Grund seiner Beobachtungen an Pinus nigricans als Gerb¬
stoff an. Im Xanthorrhoeaharz habe ich nun auch an den
Zellwänden niemals Gerbstoffreaction erhalten. Wenn ich
die Veränderungen der Zellwände, soweit dies bei dem alten
vorliegenden Material möglich ist, verfolge, so komme ich zu
ganz anderen Schlüssen. Die Pareuchymzelle ist zu einer
Sclerenchymzelle geworden; die Wand Verdickung ist durch¬
aus nicht gleichmässig, in einer etwas stärker als in der
anderen. So lange die Wände weiss sind, lassen sich die
Schichtung und die verzweigten Tüpfeln deutlich erkennen;
wenn sie gelb geworden sind, wird die Schichtung etwas
undeutlicher.
Man kann nun Wände beobachten, die halb gelb und
halb braun sind; wenn sie ganz braun geworden sind, ist
von Schichtung nichts mehr zu sehen. Die in ihnen vor¬
handenen gelben bzw. braunen Tropfen heben sieb in den
ersten Stadien noch scharf ab; später bilden sie mit den
Wänden eine ununterscheidbare braune bis schwarze Harz-
masse.
Beobachten wir das Verhalten der Wände in einigen
Reagentierr. In Kalilauge werden die verdickten weissen
und gelben Wände nicht verändert; nur ihre Structur mit
Schichtung und verzweigten Tüpfeln tritt klarer hervor,
ln einer solchen gelben Sclerenchymzelle war der ursprüngliche
braune Harztropfen durch das Reagens in eine braune Harz¬
seife verwandelt, welche in der Zelle eingeschlossen blieb.
1 ) Entstehung des Harzes u. s w. pag. 128.
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109
Die braunen Zellwände werden aber gleichfalls verseift; es
bleibt von jeder Zelle ein die ursprüngliche Gestalt derselben
noch aufweisender Rest übrig, der sich nach Entfernung der
Kalilauge mit Chlorzinkjod violett färbte. In Alkohol wird
ebenfalls, was Harz ist, gelöst; es blieben auch nach dieser
Behandlung von den braunen Zellwänden Spuren zurück,
die mit Chlorzinkjodlösung Cellulosereaction zeigten. In den
gelben Wänden war durch Alkohol nur sehr wenig gelöst,
die meisten waren unverändert, einige waren etwas dünner
geworden, häufig war die Intercellularsubstanz gelöst. Durch
Chlorzinkjod wurden alle diese Zellen noch intensiver gelb,
Phlorogluciu und Salzsäure färbte dieselben nach Alkohol¬
einwirkung roth. Wenn man die Sclerenchymzellen ohne
vorausgehende Alkoholbehandlung mit den genannten Reagen-
tien färbt, so sieht man neben völlig rothgewordenen Wänden
solche, in denen durch die rothe Farbe gelbe Flecken hin¬
durchscheinen; ich halte diese für die ersten innerhalb stark
verholzter Wände auftretenden Spuren von Harz.
Die Thatsache, dass eine Verharzung reiner Cellulose¬
wände noch nicht beobachtet worden ist, sondern immer nur
verholzte Wände in Harz sich umbilden, der Umstand ferner,
dass nach Fortspülung des Harzes in verharzten Wänden durch
Alkohol nicht Holzsubstanz sondern gerade Cellulose zurück¬
bleibt, scheinen mir vielmehr dafür zu sprechen, dass das
Harz aus der Holzsubstanz und nicht aus der Cellulose ent¬
standen ist. Dass als ein Bestandtheil der Holzsubstanz
ein aromatischer Körper, das Vanillin, nachgewiesen ist, be¬
stärkt mich in dieser Annahme. Ich halte es für zweck¬
mässig, bei einer eingehenderen diesbezüglichen Untersuchung
sich von diesem Gesichtspunkt leiten zu lassen.
Figurenerklärung.
Fig. 1. Theil eines Querschnittes von dem im Text ab¬
gebildeten Harzstücke. (Die Abbildung im Text zeigt oben
die Schnittflächen.) Es liegt im innersten Tbeile eine Ge-
fässbündelanlage innerhalb eines mehr oder weniger voll-
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110
kommenen parenchymatischen Gewebes, das allmählich in den
aus tangential abgeplatteten Zellen bestehenden Verdickungs¬
ring übergeht. In dem nach aussen folgenden Parenchym
liegen die Krystallschläuche, welche in dem Harz selbst mit
zahlreichen Krystallnadeln von oxalsaurem Kalk erfüllt sind.
Zu äusserst Sclerenchymgewebe.
Fig. 2. Parenchym- und Sclerenchymzellen, stärker
vergrössert, mit gelben und braunen Harztropfen.
Fig. 3. Zellen des Verdickungsringes mit Harztropfen
und Stärkekörnern; der Pfeil gibt die Richtung nach der
GefässbUndelanlage hin an.
Fig. 4. Gelber Harztropfen von 13 ft Durchmesser unter
Einwirkuug von destillirtem Wasser bei lOOOfacher Vergrös-
serung (Zeiss, apochromat 2,0 mm, Apert 1,30 homogen. Immer¬
sion, Compensationsocular 8) gezeichnet. Der in Stäbchen zer¬
fallende Inhalt nur z. Th. wiedergegeben (vergl. Text S. 13).
Fig. 5. Gelber Harztropfen nach mehrstündiger Ein¬
wirkung von destillirtem Wasser; erstes Auftreten der Maschen.
Fig. 6. Eine Anzahl gelber Harztropfen nach kürzerer
Einwirkung von Aether.
Fig. 7. Braune Harztropfen nach Aetherbehandlung.
Fig. 7a. Nach Aethereinwirkung zurückbleibende gelbe
Riuge in Sclerenchymzellen.
Karlsruhe i. B., Februar 1892.
Botan. Institut der Techn. Hochschule.
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Zur Einführung 1
der mitteleuropäischen Zeit
Vortrag gehalten im Naturw. Verein zu Karlsruhe am 18. März 1892.
Von Prof. J. P. Trautlein.
In wenigen Tagen, am 1. April d. J., werden die süd¬
deutschen Eisenbahnverwaltungen die schon seit Sommer
v. J. im inneren Dienst verwendete neue „mitteleuropäische
Zeit“ auch im sogenannten äusseren Dienste, d. h. im Ver¬
kehr mit den Reisenden einführen, sie werden im ganzen
Gebiet von der französisclten bis zur ungarischen Grenze ihren
Uhren einen vollständig gleichen Gang geben, die seitherigen
Zeitunterschiede zwischen diesen Bahnverwaltungen werden
dann aufgehört haben zu sein.
Bereits haben die Post- und Telegraphenverwaltung, sowie
eine Reihe von Städten, aber aucli die Staatsregierungen be¬
schlossen, diesem Vorgehen der Bahnen zu folgen, d. h. auch
ihre Uhren nach der neuen Eisenbahnzeit zu richten.
Wir alle werden also die praktischen Folgen dieser ein¬
schneidenden Maassregel zu spüren haben. — Schon aus
diesem Grunde, aber auch wegen des mit diesem Vorgehen
verknüpften wissenschaftlichen Interesses, und auch wegen der
genau entgegengesetzten Stellung, welche Autoritäten ersten
Ranges (z. B. Moltke einerseits und Direktor Förster von der
Berliner Sternwarte anderseits) zur bevorstehenden Lösung
der betreffenden Frage einnehmen — aus all diesen Gründen
ist es wohl angezeigt, sich Rechenschaft zu geben von der
Art und Bedeutung dieser Maassregel, von den Gründen und
dem Gange ihrer geschichtlichen Entwickelung, sowie von den
Folgerungen, welche sich für Gegenwart und Zukunft an sie
knüpfen werden.
Das Verständniss auf diesem Gebiete ist bedingt durch
die Erkenntniss der Rolle, welche die Sonne spielt als Regler
der Zeit. Nacht und Tag, Tageszeiten und Jahreszeiten, alle
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112
diese Wechsel von Licht- und Wärmezuständen eines be¬
stimmten Ortes, sie hängen ab von der wechselnden Stellung
der Sonne zu diesem Ort. Tagtäglich ihren fast überall
schräg gestellten Kreisbogenweg am Himmel durchlaufend
erreicht sie ja in einem gewissen Augenblick ihren höchsten
Stand: man nennt diesen Zeitpunkt den wahren Mittag
des betreffenden Erdortes. Die Zeitstrecke, welche vergeht
von einem solchen Mittagspunkt bis zum nächstfolgenden,
heisst ein Sonnentag; die mit ihm als der Maasseinheit
und mittelst deren bekannten Unterabtheilungen an einem
bestimmten Erdort durchgeführte Bestimmung eines Zeit¬
punktes liefert die Angabe ven dessen Sonnenzeit oder
wahrer Ortszeit.
Hätte nun die Sonne einen gleichmässigen Gang, so
wären die einzelnen aufeinander folgenden Sonnentage sämmt-
lich gleichgross. Das sind sie aber nicht, eben weil die Sonne
während sie tagtäglich mit der Himmelskugel ihren westwärts
gerichteten Umlauf um die Erde vollendet, bald rascher, bald
langsamer ihre ostwärts gerichtete Bahn zwischen den Fix¬
sternen dahinzieht. So kommt es, dass die einzelnen Sonnen¬
tage je um */ 3 bis 1 j 2 Minute von einander verschieden sind.
So gering auch diese Unterschiede auf den ersten Blick er¬
scheinen, so machen sie sich doch dadurch bemerklich, dass
sie Wochen lang im gleichen Sinne wirken und sich so all-
mählig summiren.
Besonders auffällig ist dieser tägliche unregelmässige
Gang der Sonne erst dann geworden, als man in den letzten
Jahrhunderten mechanische Uhrwerke, Räderuhren herstellte,
welche mehr und mehr sich dem Ideale näherten, unbedingt
gleichmässig zu gehen. Natürlich stimmt die Zeit einer sol¬
chen Idealuhr mit der wahren Zeit des Ortes, an dem sie
aufgestellt ist, meistens nicht überein: nur an vier Tagen des
Jahres ist die Uebereinstimmung eine vollständige, an allen
übrigen Tagen geht eine solche Uhr falsch. Früher suchte
man nun die öffentlichen und privaten Räderubren durch Vor-
und Rückrichten in Uebereinstimmung zu halten mit der
wahren Zeit, d. h. mit dem Gang der Sonnenuhr des betref¬
fenden Ortes. Begreiflicher Weise kam aber hierdurch eine
grosse Unsicherheit in den Gang der Uhren, insbesondere
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113
mussten die Bedingungen ihrer strengeren Ueberwachung
ziemlich gelockert werden. Man ward so müde des steten
Vor- und Zurückrichtens, die Wissenschaft und die Praxis
des Lebens verlangten gleich sehr nach genau gleichförmigen
Theilen der Zeit. So kam man auf den Gedanken, in dem
Widerstreit zwischen dem Lauf der Sonne und dem Gang der
Uhr gewissermaassen die Sonne als (meist) falsch gehend
anzusehen: man ersetzte in Gedanken die so ungleichförmig
sich bewegende wahre Sonne durch eine eingebildete, deren
Lauf mit dem Gang jener Idealuhr übereinstimmt und so die
Ungleichmässigkeit der wahren Sonnenzeit ausgleicht. Die
Zeit, welche dieser eingebildeten sog. mittleren Sonne ent¬
spricht, oder welche von einer solchen genau gleichroässig
gehenden Uhr angegeben wird, heisst die mittlere Zeit des
betreffenden Erdortes, der Augenblick insbesondere, wo
eine solche Uhr Mittag zeigt, heisst sein mittlerer
Mittag. Der Vortheil der Einführung einer solchen mitt¬
leren Zeit ist klar; ins Leben wirklich eingeführt wurde sie
erst in unserem Jahrhundert, so z. B. in Deutschland um
1810, in Paris um 1816, in Frankreich durch königliche Or¬
donnanz im Jahre 1820.
Wahre Zeit und mittlere Zeit eines Ortes sind wie gesagt
fast stets verschieden von einander, nur an vier Tagen des
Jahres (Mitte April und Mitte Juni, Anfang September und
an Weihnachten) stimmen sie überein, werden aber von diesen
Tagen ab mehr und mehr verschieden von einander derart,
dass von Mitte April bis zum 14. Mai und von Anfang Sep¬
tember bis zum 3. November die wahre Sonne der mittleren
tagtäglich vorauseilt, aber von Mitte Juni bis zum 26. Juli
und von Ende Dezember bis zum 11. Februar die wahre
Sonne hinter der mittleren zurückbleibt. An den genannten
vier Tagen ist jener Unterschied je zu eiuem grössten Werthe
herangewachsen: er beträgt am 14. Mai nur 4, am 26. Juli
nur 6*/« Minuten, dagegen am 11. Februar 14*/, und am
3. November 16*/» Minuten.
Jene ersteren Unterschiede von wenigen Minuten im Mai
und Juli fallen wegen ihrer Kleinheit nicht auf, auch weil
sie zur Zeit der grossen Tageslängen eintreten; aber die
letzteren Unterschiede von rund einer Viertelstunde im Fe-
8
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114
bruar und November machen sich recht bemerklich, weil zu
diesen Zeiten kurzer Tage der bürgerliche Mittag um eine
Viertelstunde gegen die wahre Tagesmitte verschoben ist,
somit im Februar der Vormittag und im November
der Nachmittag je um eine halbe Stunde kürzer ist
als der andere Tagcstheil.
Auf diese Thatsache der im Verlaufe des Jahres wechseln¬
den Länge von Vor- und Nachmittag stützt sich — wie ich
gleich hier erwähnen will — ein Theil der Einwände, welche
gegen die bevorstehende Einführung der sog. mitteleuropäi¬
schen Zeit erhoben werden.
Indem ich die Erörterung dieser Einwände vorerst noch
zurückstelle, will ich aber nicht unterlassen, hier einen Punkt
besonders hervorzuheben.
Als man vor 80 bis 100 Jahren die Angaben der Räder¬
uhren als mittlere Ortszeit einführte, hat man schon den
natürlichen Boden der Zeitangabe verlassen, man hat ge¬
wissen in gleicher Weise wissenschaftlichen wie Bequemlich¬
keitsvortheilen zu Liebe die wahre Zeit aufgegeben und hat
sie durch eine ideelle Zeit ersetzt. Damit war der erste
Schritt geschehen auf einer Bahn der Verbesserung; wir
dürfen uns nicht wundern, wenn Erwägungen gleicher Natur
uns heute weiter drängen, und wir wurden und werden ge¬
drängt, weiter zu schreiten auf der einmal betretenen Bahn.
Unsere seitherigen Betrachtungen bezogen sich auf die
Bestimmung der Zeit für einen bestimmten Ort der Erde, wie
sie sich ergiebt unter Verwerthung entweder der wahren oder
der sog. mittleren Sonne.
Indem aber die Sonne, und zwar die wahre wie die mitt¬
lere Sonne, je in einem Tag um die Erde herumläuft, be¬
stimmt sie zwar für alle nordsüdlich von einander liegende
Punkte, d. h. für Punkte desselben Mittagskreises dieselbe
Zeit, aber jeder östlich oder westlich von diesem letzteren
gelegene Punkt hat eine von ihm durchaus verschiedene Zeit,
der östliche hat frühere, der westliche hat spätere Zeit, und
zwar muss dem 360ten Theil des Erdumfangs, d. h. jedem
Grad Längenunterschied der 360te Theil von 24 Stunden,
d. h. vier Minuten Zeitunterschied entsprechen.
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115
Schon für ein und dieselbe Stadt sind die hieraus ent¬
springenden Zeitunterschiede zahlenmässig angebbar, wenn
auch praktisch meist ohne Bedeutung: so geht hier in Karlsruhe
das Ostende der fast genau 2 km langen Kaiserstrasse deren
Westend um 6* vor; in Frankfurt a. M. hat der Ostbahnhof
S s frühere Zeit als der West- oder Hauplbahnhof; der Zeit¬
unterschied der ganzen Ostwesterstreckung von Paris ergiebt
etwas mehr als ‘/z> der von London etwa eine Minute. Dem¬
nach bedarf es schon für das genaue übereinstimmende Rich¬
ten der Uhren einer Stadt des Festsetzens eines Zeitmittels,
das für die ganze Stadt als deren Ortszeit zu gelten hat.
Beträchtlicher sind natürlich die Unterschiede, wenn ost-
westwärts weiter von einander entfernte Orte betreffs ihrer
Zeit verglichen werden.
Früher, wo zur Zurücklegung einer derartigen Strecke
Tage, ja Wochen nöthig waren, kam die hieraus entspringende
Verschiedenheit der Ortszeiten nur der Wissenschaft zum Be¬
wusstsein, das gewöhnliche Leben brauchte sich nicht darum
zu kümmern und hat sich darum auch nicht viel be¬
kümmert; machte man ja doch auch kein Aufhebens davon,
wenn man von den Thürmen ein und derselben grösseren
Stadt eine Viertelstunde lang dieselbe Stunde schlagen hörte,
„es war ebenso lange vier Uhr, bis es fünf Uhr war.“*
Im Zeitalter der Eisenbahnen ist dies anders geworden.
Die Eisenbahnen ermöglichen uns eine so rasche Ortsverände¬
rung, dass dieselbe sogar im Vergleich zur Geschwindigkeit
des Fortschreitens der Sonne auf ihrer Bahn, d. h. im Ver¬
gleich zur Geschwindigkeit der Zeitänderung in Betracht
kommt, und zwar [— wegen des gegenseitigen Annäherns der
Mittagskreise gegen die Pole hin —] um so mehr, in je
höheren geographischen Breiten wir die Eisenbahn benützen.
Einige Beispiele mögen dies erläutern. Unsere deutschen
Schnellzüge durchfahren jetzt durchschnittlich 1 km in einer
Minute. Ein solcher Schnellzug auf einer ostwestlich gerich¬
teten Bahn in der Breite Berlins durchfährt schon in 17 m
eine Wegstrecke, deren Grenzpunkte einen Zeitunterschied
* Nach E. Hammer Nullmeridian und Weltzeit. Hamburg, 1888.
8”. 68 S. (Heft 43/44 der deutscheu Zeit- und Streitfragen, herausg. von
F. v. Hohzendorff, Neue Folge, Jahrg. III), S. 41.
8 *
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116
von l m haben; in den Aequatorgegenden hätte der Benützer
eines solchen Schnellzuges je nach Verlauf von 28“, im mitt¬
leren Schweden und nördlichen Russland aber schon nach je
13 m seine Taschenuhr um eine Minute vor- oder zurückzu¬
richten.*
Natürlich muss sich diese Zeit- bezw. Uhr Verstellung
auch in den Fahrplänen der Bahnzüge äussern. So braucht
beispielsweise der sog. Orientexpresszug (Winter 1891/92)
zum Durchfahren der Strecke Strassburg-Paris fahrplanmässig
— 8 h 16 m . zum Durchfahren der Strecke Paris-Strassburg aber
= 9 h ; der halbe Unterschied von 22“ kommt ziemlich genau dem
Längenunterschied beider Orte gleich. Ebenso sagt derselbe
Fahrplan, dass der eine Schnellzug von Berlin nach Frank¬
furt a. M. = ll h 38 m , der in entgegengesetzter Richtung aber
= 12 h 18 m gebrauche, obwohl doch beide thatsächlich gleich
rasch fahren; der scheinbare Widerspruch kommt eben her
von dem nothwendiger Weise in Betracht zu ziehenden, 19“
betragenden Unterschied der Ortszeiten beider Grenzpunkte.
Aus Erfahrungen, tagtäglichen tausendfältigen Erfahrun¬
gen solcher Art hätten die sämmtlichen Eisenbahnverwal¬
tungen — so sollte man meinen — schon lange die unbe¬
dingte Nöthigung entnehmen müssen, wenigstens für das der
einzelnen Verwaltung unterstellte Gebiet einheitlichen Bahn¬
betriebs eine gemeinsame Zeit ein- und durchzuführen.
Aber merkwürdiger Weise geschah dies nicht überall.
So haben die mitteldeutschen, die sächsischen, die norddeut¬
schen Bahnen stets die Ortszeit weiter verwendet, und bis
zur Stunde hat sich daran auch nichts geändert, trotzdem
die mancherlei preussischen Bahnen in einheitlichen Staats¬
besitz übergegangen sind — die volle oder theilweise Ver¬
einheitlichung der Zeit blieb ausgeschlossen.
Anders — wie ich meine, vernünftiger — verfuhren andere
Bahnverwaltungen. Sie wählten als gemeinsame Zeit in den
allermeisten Fällen die mittlere Ortszeit des Sitzes der Haupt¬
verwaltung der bezüglichen Bahn, also die mittlere Ortszeit
der Hauptstadt des betreffenden Staats- oder Provinzgebietes.
So rechnet man seit Jahren oder Jahrzehnten in Baden nach
* Nach F. III, 13. (Vergl. uuten S. 17, Fussnote.)
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117
Karlsruher Zeit, in Württemberg nach Stuttgarter, in Bayern
nach Münchener, in Oesterreich nach Prager, in Ungarn-Ga¬
lizien nach Budapester, in Rumänien nach Bukarester, in der
Schweiz nach Berner, in Holland nach Amsterdamer, in Bel¬
gien nach Brüsseler, in Spanien nach Madrider Zeit; schon
1848 hatEngland, das damalsanEisenbahnen reichste Land, durch¬
weg die Greenwicher Zeit eingeführt, für Irland aber die von
Dublin als allgemein giltig festgesetzt; Italien nahm 1866
(22. September) die mittlere Ortszeit von Rom an, Schweden
führte auf Neujahr 1879 ebenfalls eiue gemeinsame einheit¬
liche Zeit ein, und auch für Frankreich sammt Korsika und
Algier ist seit dem 14. März 1891 die Pariser die einzig ge¬
setzliche Zeit.
Von Jahrfünft zu Jahrfünft fand so die beschränkte
theilweise Vereinheitlichung der Zeit mehr und mehr Eingang;
und wenn sie auch, wie die angegebenen Beispiele zeigen,
nur je für gewisse kleinere oder grössere Verkehrsgebiete
durchgeführt wurde, so durfte man sich immerhin des Fort¬
schrittes erfreuen, wenn man auf die Entwickelung seit 1820
zurückschaute.
Aber so sehr Nutzen bringend und angenehm jede solche
wenigstens für grössere Verkehrsgebiete einheitliche Fest¬
setzung der gültigen Zeit auch war, sie konnte auf die Dauer
doch nicht genügen.
Je mehr die Zahl der Eisenbahnreisenden wuchs, je
rascher ihre Fahrten und je grösser die zurückgelegten
Strecken wurden, desto mehr machte sich und macht sich
immer noch beim Uebertritt aus dem einen jener Verkehrs¬
gebiete in das angrenzende das Störende, das Missliche der
jeweils nöthig werdenden neuen Zeitrechnung und der Uhr¬
verstellung geltend. Und dass bei einer grösseren Reise so
häufig geändert werden muss, mehr noch, dass wegen der so
ungleichen Grösse und Erstreckung der Verkehrsgebiete an
jeder neuen Grenze ein ungleich grosser, so zu sagen ein un¬
sicherer, ein nur aus Tabellen entnehmbarer Betrag die Grösse
der nöthigen Zeitänderung angiebt, ist dabei das wesentlich
Unangenehme.
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118
Ich wähle drei einfache Beispiele* zur Verdeutlichung
des Gesagten. So muss ein von London nach St. Petersburg
Reisender beim Betreten der belgischen Grenze seine Uhr
17” vorrichten, in Hcrbesthal wieder um 6”, dann auf 20 bis
30 preussischen Stationen wegen der dort geltenden Ortszeit
jedesmal um einige Minuten, endlich an der russischen Grenze
um 30”, zusammen um zwei Stunden und eine Minute.
Das zweite Beispiel betrachtet einen von London nach
Konstantinopel Reisenden. Dieser muss seine Uhr in Ostende
um 17” vorrichten, in Luxemburg 7”, in Eisass-Lothringen
4”, an der badischen Grenze 2”, an der württembergischen
3”, an der bayerischen 10”, an der österreichischen wieder
11”; beim Betreten ungarischen Gebietes muss er seine Uhr
abermals um 19” vorstellen, an der serbischen Grenze um
6”, an der bulgarischen um 11” und an der türkischen um
13”. Seine Reise regelt sich also nach 12 verschiedenen
„Zeiten“; ein 11 maliges jedesmal ungleich starkes Aendern
einer Uhr ist nöthig mit einem Gesanuntbetrag der Aenderung
von 1 Stunde und 53 Miuuten.
Ein drittes Beispiel fasst einen Reisenden ins Auge, der
von London nach Indien geht. Er hat, zu Hause Green¬
wicher Zeit, trifft in Calais auf Pariser, an der italienischen •
Grenze auf römische Zeit; in Brindisi auf dem Schiff tritt
Schiffszeit ein, in Alexandria ägyptische Bahnzeit, in Suez
wieder Schiflfszeit, welche mit täglicher Veränderung beibc-
halten wird, bis Indien erreicht ist; bei der Ankunft in Bom¬
bay trifft er zweierlei Zeit an: die Ortszeit von Bombay und
die indische Eisenbahnzeit, d. h. die Ortszeit von Madras.
Dies sind fast unerträgliche Verhältnisse bei den grossen
Geschwindigkeiten der heutigen Verkehrsmittel und bei der
allgemeinen Zugänglichkeit von Taschenuhren, welche auf
Wochen die Zeit innerhalb einer Minute bewahren.
Aber die vorgeführten Beispiele sind noch von verhält-
nissmässig einfacher und durchsichtiger Natur. Verwickelter
sind Beispiele, wie sie z. B. Hesse-Wartegg (S. 11 f.) bei-
* Diese Beispiele sind entnommen aus einer am 10. April 1891
gehaltenen Rede des Eisenbahnministers im belgischen Abgeordnetenhaus.
(Vgl. Hesse-Wartegg, die Einheitszeit nach Stundenzonen. Leipzig, 1892.
8®. 74 S., S. 10 f.)
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11 !)
bringt — nur eines als Probe. In Holland zeigen die Uhren
im Innern der Bahnhöfe Amsterdamer Zeit, die Uhren an den
Aussensciten weichen um 5” von jener ab; einzelne der hol¬
ländischen Linien treten aber auf deutsches Gebiet über, wo
beim reisenden Publikum nach der Ortszeit, im Babndienst
nach mitteleuropäischer Zeit gerechnet wird. Also gelten hier
auf so kleinen Strecken vier verschiedene Zeiten, und daraus
sollen Reisende und Bedienstete klug werden!
Diese und zahlreiche ähnliche Beispiele zeigen deutlich
genug den bis heute im Eisenbahnwesen der ersten Kultur¬
staaten Europas herrschenden „heillosen Wirrwarr“ und die
zwingende Nothwendigkeit einer gründlichen Besserung. ,
Wenn die besprochenen Unbequemlichkeiten und Miss¬
stände nur dem einzelnen Reisenden zur Last fielen, könnte
man noch eher davon absehen. Aber es ist von der grössten
Wichtigkeit, dass alle die verschiedenen Eisenbahnzeiten, zu
welchen natürlich noch sämintliche Ortszeiten hinzukommen,
eine ganz wesentliche Erschwerung tür den Betrieb der Eisen¬
bahnen sind — ich brauche das nicht näher auszuführen —
und dass diese Erschwerung und die furchtbare Tragweite
der Missstände sich ganz besonders bei den Leistungen zeigt,
welche für militärische Zwecke von den Bahnen gefordert
werden. In dieser Beziehung hat Moltke in seiner berühmten
letzten Reichstagsrede am 16. März 1891 kurz und gründlich
die Nothwendigkeit einer Besserung dargethan.
Wie hier eine Besserung zu erzielen, zeigt das Beispiel
von Canada und der Vereinigten Staaten Nordamerikas.
Durch 100 Grade ostwestwärts sich erstreckend zeigt dieses
Land Unterschiede der Ortszeit bis zum Betrage von fast
7 Stunden. Auch da machten sich die aus solchen Unter¬
schieden entspringenden Schwierigkeiten recht bemerklich erst
dann, als das Eisenbahnnetz des Landes sich mehr und mehr
entwickelte; sie wurden grösser und ernster, als dieses Netz
in ungeahnt rascher Weise sich zum grossartigsten der Erde
herausbildete. Jede neue Bahnlinie nahm die ihr am passend¬
sten scheinende Zeit als Bahnzeit an, und so kam es, dass
schon 1875 Hunderte von Eisenbahngesellschaften der Ver¬
einigten Staaten ihre Züge nach 75 verschiedenen Bahn-
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120
Zeiten* fahren Hessen! Wenn die Gebiete dieser Bahngesell¬
schaften noch wenigstens räumlich getrennt gewesen wären! Aber
nichts weniger als das — die Linien der nach verschiedenen
Zeiten fahrenden Bahnen kreuzten sich unzählige Male! Ja,
eine kaum 20 deutsche Meilen lange Linie zwischen New-York
und Philadelphia fuhr nach sieben verschiedenen Zeiten **,
und entsprechend richtete man sich in manchen Städten nach
vier, fünf, selbst sechs verschiedenen Eisenbahnzeiten!.
So konnte es dort nicht bleiben, eine Reform that drin¬
gend Noth — und sie kam.
Schon Ende der 60 er Jahre hatte Prof. Dowd in Sara-
toga einen klaren, leicht durchführbaren Vorschlag zur Re¬
form gemacht, und Peirce war ihm 1875 darin gefolgt. Aber
erst als von 1876 ab der Oberingenieur der canadischen Pa-
cificbahn, S. Fleming, jenen Plan zu dem seinigen machte,
durch Vorträge und Schriften, insbesondere seit 1879, leb¬
haft für ihn eintrat, kam Zug in die Sache. Dieser Plan
bestand in Folgendem: man solle, absebend vom einzelnen
Lande und nach allgemeiner Ordnung der Dinge strebend,
die ganze Erdoberfläche durch 24 Mittagskreise von gleich-
mässigen gegenseitigen Abständen von 15° in 24 Kugelzwei¬
ecke zertheilen, solle die mittlere Ortszeit des Mittelmeridians
jeden solchen Zweiecks als Verkehrszeit für alle Orte dieses
Zweiecks benützen und so die unendlich vielfältigen Einzel¬
zeiten aller Orte der Erde durch deren nur noch 24 ersetzen;
dabei solle als Ausgangszeit die von Greenwich genommen
werden.
Den Nordamerikanern schien die Einführung dieser „Zo¬
nenzeiten“, deren jede sich also von ihren beiden nächstbe¬
nachbarten je um genau eine Stunde unterschied, also die
Schaffung von „Einheitszeiten nach Stundenzonen“
schien ihnen eine durchaus passende und praktisch einfache
Art, um aus dem vorhandenen Wirrwarr herauszukommen
und so die Zeitrechnung den fortschreitenden Bedürfnissen
hauptsächlich des Verkehrslebens anzupassep.
* Hammer a. a. 0.. S. 44. — Nach Hesse-Wartegg a. a. 0., S. 3
bestanden noch 1883 in den Vereinigten Staaten 49 verschiedene Eisen-
babnzeiten.
** Naeh Hesse-Wariegg a. a. 0. S. 4.
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121
Entsprechend dem Plane von Dowd, Pierce und Fleming
wurde nämlich am 11. April 1S83 der nach St. Louis be¬
rufenen General time convention der Eiseubahnvertreter vorge¬
schlagen, die neue Zeitordnung nach Stundenzonen anzuneh-'
men; dies geschah, und nach wenigen weiteren Verhandlungen
ward am 14. September 1883 die Einführung der neuen Zeit
endgültig beschlossen, ln anerkennenswerther Weise ver¬
zichtete man darauf, den Mittagskreis und die Zeit von
Washington als Ausgang zu wählen, man wählte Greenwich
in Rücksicht darauf, dass wohl bald auch die übrige Welt
ihre Zeit nach dem gleichen Grundgedanken regeln werde.
Man theilte das Gebiet der Vereinigten Staaten in fünf Zonen
ein, deren Grenzen i. a. die Mittagskreise von 52 1 /, 0 , 67*/,*,
82*/,*, 97 , / 2 0 » 112 1 /* 0 , 127 V 2 0 w - L- v - Gr. sind, deren be¬
zügliche neuen Zeiten also die Ortszeiten des 60., 75., 90.,
105., 120. Mittagskreises w. v. Gr. wurden. Die in diesen
einzelnen fünf Gebieten geltenden Zeiten erhielten zur Unter¬
scheidung und behufs leichter Verständlichkeit für die Reisen¬
den die folgenden Namen: intercolonial, eastern, central, rocky-
roountain und pacifictime, d. h. interkoloniale, östliche, mitt¬
lere, Felsengebirgs- und Stille Ocean-Zeit. Selbstverständlich
folgen die Grenzen dieser fünf Gebiete je gleicher Zeit nicht
überall mathematisch genau den wirklichen Mittagskreisen,
sondern man nahm auf die Grenzen der Staaten, insbesondere
auch auf die Endpunkte einzelner Eisenbahnlinien, soweit es
nur irgend ging, die schuldige Rücksicht.
Behufs Durchführung der Neuerung, die ja nicht er¬
zwungen werden konnte, wurden nun durch ein Comitö von
Bahndirektoren die verschiedenen (rund 700) Eisenbahnge¬
sellschaften aufgefordert, im Allgemeininteresse des Verkehrs
die gewählte Standard-Zeit einzuführen. Der Erfolg war
überraschend *: ohne irgend welche staatliche Beihülfe hatten
innerhalb 14 Tagen am 1. Oktober schon 58000 Meilen
Eisenbahnen ihre seitherige Zeit durch die neue ersetzt, im
November 1883 war sie schon auf 160 000 km Bahnlinien
im Gebrauch, kurz in wenigen Wochen hatte das ganze
Eisenbahnwesen der Union und das von Canada ohne die
* Vergl. Hease-Wartegg a. a. 0 . S. 5.
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122
geringste Schwierigkeit die neue Zeit der Stundenzonen an¬
genommen.
Dem Vorgang der Bahnen schlossen sich die Städte an y
Tag um Tag folgten neue nach, und schon im Jahr darauf
gab es, mit Ausnahme weniger Städte, keine Ortszeit mehr.
Wie Hesse-Wartegg (S. 5) sagt, mussten behufs Einführung
der Standard-Zeit in gar manchen Orten die Uhren um 35,
selbst 40 Minuten verstellt werden, und es mag sich in Folge
davon manche Widerwärtigkeit und mancher Irrthum ein¬
gestellt haben; aber gleichwohl unterwarfen sich (nahezu)
alle der neuen Ordnung der Dinge, so dass es jetzt in den
Vereinigten Staaten keine andere Zeit mehr giebt, als die
genannte.
Auch in Europa machte das Beispiel der Vereinigten
Staaten bald seine Wirkung geltend, um so mehr, als es mit
Bestrebungen, d. h. mit rein theoretischen Erwägungen ähn¬
licher Richtung zusammentraf.
Ein erneuter Anstoss war von den Vereinigten Staaten,
und zwar von privater und von amtlicher Seite gekommen:
von privater, insofern der New-Yorker Professor Barnard auf
dem Kölner Kongress der „Gesellschaft für Kodifikation des
Völkerrechtes“ (1881) das Stundenzonensystem zur Sprache
und zur Empfehlung brachte, von amtlicher Seite durch
die Vereinigte Staaten-Regierung selbst. Offenbar veran¬
lasst durch die allseitige Theilnalnne und Billigung, welche
drüben die Bestrebungen Flemings fanden, hatte im Jahre
1882, also noch vor Beginn der wirklichen Reform, die Ver¬
einigte Staaten-Regierung alle civilisirten Staaten diplomatisch
aufgefordert, durch Abgeordnete auf einer internationalen
Konferenz in Washington die Frage der „Zeit“ und Ver¬
wandtes berathen zu lassen. Der Senat von Hamburg schlug
dagegen vor, dass schon die im Herbst 1883 in Rom abzu¬
haltende Generalkonferenz der europäischen Gradmessung sich
über diese Angelegenheit äussern solle. Dies geschah. Sa
interessant aber auch die zu Rom gefassten theoretischen
Beschlüsse waren, ihr praktisches Ergebniss war zunächst
Null. Hieran änderte sich auch nichts durch die Berathungen
der im Jahre darauf (1884) nach Washington berufenen inter-
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123
nationalen Konferenz, um so weniger, als ihre Beschlüsse
den in Rom im Jahre vorher gefassten zum Theil wider¬
sprachen.
Die Förderung der Sache kam auch auf europäischem
Boden von Seiten der Praktiker, der Eisenbahnleute. Ich
hatte ja vorhin schon zu erwähnen, dass Schweden mit Neu¬
jahr 1879 eine gemeinsame einheitliche Zeit einführte, und
zwar war als solche mit gutem Takte die des 15. Mittagskreises
östlich von Gr. gewählt worden, also eine Zeit, die der (schon
seit 1848 durchgeführten) englischen genau tun eine Stunde
voraus ist. Damit war die Möglichkeit einer weiteren Ein¬
führung, einer vielleicht allgemeinen Durchführung des Sy¬
stems der 24 Stundenzonen so gut wie gewährleistet — Eng¬
land und Schweden diesseits und Nordamerika jenseits des
Atlantic bildeten die beiden Grundpfeiler der durchzuführen¬
den Vereinheitlichung.
Das Streben nach einer solchen machte sich hauptsäch¬
lich in Oesterreich-Ungarn geltend. Und hier war es vor
allen Dr. R. Schram, Privatdozent an der Wiener Universität,
der unerinüdet für die Einführung der einheitlichen Stunden¬
zonen thätig war. Aber auch ihm blieb vorerst der Erfolg
aus, auch selbst dann noch, als schon Japan, das sogar durch
26 Längengrade sich erstreckende* Japan, (durch Gesetz vom
12 . Juli 1886) vom 1. Januar 1888 ab die Zeit des 135.°
ö. L. v. Gr., d. h. eine von der Greenwicher Zeit um neun
Stunden verschiedene Zeit für das ganze Gebiet der Monar¬
chie eingeführt hatte.
Mehr und mehr mahnte aber die Entwickelung des Eisen¬
bahnwesens, wohl hauptsächlich die Einrichtung der Orient-
und anderer Blitzzüge, lebhaft daran, einen Schritt vorwärts
zu thun.
So beantragte denn die Direktion der Ungarischen Staats¬
bahnen — wem fiele nicht ein, dass dies dieselbe Verwaltung
ist, welche zuerst den viel angefeindeten Kreiszonentarif für
Personenbeförderung praktisch im Grossen verwirklichte? —
also Ungarn beantragte am 6. November 1889 bei dem Ver¬
eine deutscher Eisenbahnverwaltungen, es möge im weit
• Deutschlands ostwestliche Erstreckung beträgt rund 17*.
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124
überwiegenden Theil des Vereinsgebietes die seit fast 11 Jahren
schon in Schweden angenommene Zeit zur Geltung kommen,
d. i. die mittlere Zeit des 15° östl. v. Gr. ziehenden Mittags¬
kreises, desjenigen also, der ganz Schweden der Länge nach
durchzieht und im weiteren südlichen Laufe annähernd Stettin,
Stargard, Görlitz, Frankfurt a. 0., Prag, Linz, Fiume, Neapel,
SirakHS, Malta, Mursuk schneidet, dessen Zeit somit gut als
„mitteleuropäische Zeit“ benannt werden kann.
Der zur Prüfung des ungarischen Antrages bestellte Aus¬
schuss kam (Mai 1890) zu dem Antrag, die Vereinsversamm¬
lung wolle beschliessen:
1 . die Einführung der vorgeschlagenen Zonenzeit im
Eisenbabndienst ist als im höchsten Grade zweckmässig an¬
zuerkennen ;
2. eine gleiche Erklärung ist auch abzugeben in Bezug
auf die Zeitangaben in den für das Publikum bestimmten
Fahrplänen;
3. die allgemeine Einführung gedachter Zonenzeit ist
auch im bürgerlichen Leben als empfehlenswerth zu be¬
zeichnen.
In der Vereinsversammlung selbst (zu Dresden, 31. Juli
1890) erhob sich insbesondere gegen den zweiten Antrag Wider¬
sprach von Seiten der preussischen rechtsrheinischen Eisen¬
bahn Köln. So kam es, dass die Ausschussanträge nicht
zur Annahme gelangten, sondern statt deren schliesslich die
folgenden Beschlüsse gefasst wurden:
1. Die vorgeschlagene Zonenzeit ist im inneren Eisen¬
bahndienst und zwar mit Beginn der nächstjährigen (d. i.
1891er) Somroerfahrplanperiode zur Einführung zu bringen;
2. die allgemeine Einführung gedachter Zonenzeit auch
im bürgerlichen Leben ist als empfehlenswerth zu bezeichnen;
3. die Abgabe einer gleichen Erklärung auch in Bezug
auf die Zeitangaben in den für das Publikum bestimmten
Fahrplänen ist so lange auszusetzen, als die empfohlene Zeit¬
rechnung nicht auch im bürgerlichen Leben zur allgemeinen
Einführung gelangt.
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125
Der erste dieser Beschlüsse ward einstimmig angenom¬
men, der dritte mit 159 gegen 136 Stimmen.*
Am auffälligsten ist dieser dritte Beschluss — als ob
ohne Vorgehen der Eisenbahnen das sog. bürgerliche Leben
zur Einführung einer Einheitszeit gelangen könnte!
Aber die Macht der Verhältnisse trieb die Sache zu
einer rascheren Entwicklung, als sich jene Versammlung oder
die Mehrheit jener Versammlung gedacht hatte. Zwar die
norddeutschen, die preussischen Bahnen hielten fest an ihrer
doppelten Zeit, da die Ministerien sich nicht für die Neue¬
rung entschliessen konnten. Denn als Ende 1890 der preussi-
sehe Minister für Landwirthschaft das Landesökonomiekolle¬
gium ersucht hatte, sich zur Sache zu äussern, hatte dies
mit einem ablehnenden Bescheid geantwortet. So blieb es
denn im Norden bei der doppelten Zeitrechnung, und es sollte
— wie es den Anschein gewann — eine neue Maingrenze
gebildet werden.
Denn für die süddeutschen Eisenbahnverwaltungen hiess
die Dresdener Beschlüsse ausführen nichts anderes als
zweierlei Zeit einführen, also einen gewaltigen Rückschritt
machen. Als sich daher eine der betheiligten Bahnen zuerst
weigern wollte, hieran theilzunehmen und ihr natürlich der
Ausschluss aus dem Verein angedroht wurde, führte man
zwar allgemein am vorbezeichneten Termin im innern Dienst
die Einheitszeit ein, ja Oesterreich verwendete sie schon
von Oktober 1891 ab auch im äusseren Dienst, und die süd¬
deutschen Bahnen beschlossen ihre gleichzeitige gemeinsame
Einführung mit Beginn der Sommerfahrten am 1. Mai 1892,
verlegten dann aber den Einführungszeitpunkt auf 1. April,
wesentlich dem Machtgebot der Militärverwaltung sich fügend,
deren Sommerfahrplan am letzteren Zeitpunkt beginnt.
So werden wir also im ganzen Süden Deutschlands,
ebenso wie in Oesterreich am kommenden 1. April die Eisen¬
bahnuhren verstellt und die Fahrpläne neu gedruckt sehen.
* Der Verein umfasst 75 Eisenbahnverwaltungen mit im Ganzen
73342 km Baholänge und mit (je dieser letzteren entsprechend) im Ganzen
361 Stimmen. Von diesen waren 26 Stimmen nicht vertreten (Protokoll
S. 16 big 19 und S. 23 f.)
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126
Was werden, was sollen die Städte daraufhin thun? —
ist die nächstliegende Frage; denn nach dem Beispiel der
Städte werden sich die Dörfer und müssen sich selbstver¬
ständlich die Privaten richten.
Sehen wir zunächst zu, welchen Einfluss die allen -
fallsige Annahme der Eisenbahnzeit für die verschie¬
denen Gebiete Deutschlands haben wird.
Im ganzen Süden müssen die Uhren vorgerichtet werden,
am wenigsten in Bayern, nämlich nur um 13” 34*, in Würt¬
temberg um 23“ 17% in Baden um 26“ 23', in Elsass-Loth-
ringen um 28“ 55*.
In Mittel- und Norddeutschland wo seither nicht für
grössere Gebiete eine gemeinsame Zeit bestand, sondern nach
Ortszeit gerechnet wurde, wird natürlich die nöthig werdende
Uhrverstellung um so mehr betragen, je weiter ost- oder
westwärts vom Hauptmittagskreis entfernt der betreifende
Ort liegt.
Im äussersten Osten wird die Zeitverschiebung bis zu
3l m , im äussersten Westen bis zu 37“ betragen. Dies sind
Werthe, die wohl beachtet sein wollen, um so mehr, als sie
sich bei Beachtung weiterer noch zu besprechender Verhält¬
nisse gar noch vergrössern.
Und eben diese beträchtlichen, bei Einführung der neuen
Zeit nothwendig werdenden Zeitverschiebungen haben der
ganzen Sache gar manche Gegner erstehen lassen, unter
denen in erster Reihe der Direktor der Berliner Sternwarte,
Förster, zu nennen ist. Wiederholt, in amtlicher und ausser-
amtlicher Weise ist er der Einführung der Stundenzonen i. a.
und der nun doch zur Durchführung kommenden geplanten
deutschen Einheitszeit im besonderen entgegengetreten und
hat sie in drei eigenen Schriften bekämpft; erst neulich noch,
auf dem geographischen Kongress zu Bern iin Spätjahr 1891
hat er sich lebhaft dagegen ausgesprochen.
Bei Försters wissenschaftlicher Bedeutung und amtlicher
Stellung hat man seine Gegengrunde zu hören und zu er¬
wägen. Da audere Gründe als die seinigen nicht vorgebracht
werden, so habe ich mir die Mühe genommen, aus seinen
drei verschiedenen (zum Theil in schrecklichem Stil und nicht
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127
immer sehr klar geschriebenen) Schriften* seine Hauptgründe
auszusuchen, und ich möchte sie ihnen hier in geordneter
Reihenfolge vorführen, um zugleich meine Bemerkungen
dagegen beizufügen.
Fürs erste — meint Förster — kommen die durch die Ein¬
führung der neuen Zeit zu erwartenden Vortheile wesentlich
nur den Verwaltungen der Verkehrsanstalten zu Gute (I, 46),
hierdurch aber könne ein so schwerer Eingriff in die Zeit-
eiutheilung und Lebensanordnung der grossen Masse der Be¬
völkerung nicht begründet werden. Aber man braucht nur
einen Augenblick die grosse Verantwortung dieser Verwal¬
tungen sich zu vergegenwärtigen und daran zu denken, dass
das, was sie thun, für die Reisenden, für uns geschieht, so
sieht man, dass dieser Eiuwand hinfällig ist.
Weiter weist Förster darauf hin, dass im Vergleich zur
grossen Masse der sesshaften Bevölkerung die Anzahl der die Bahn
Benützenden eine geringe sei (1, 9) und dass auch für diese
die Zeit, welche sie auf der Bahn zubringen, nur ein ganz
geringer Bruchtheil ihres Lebens sei (II, 10).
Aber bei der schon so grossen und stets zunehmenden
Zahl von Bahnfahrten ist dieser Einwand doch gewiss nicht
völlig ernst zu nehmen.
Förster meint eben, es müssten hauptsächlich die Lebens¬
interessen der sesshaften Bevölkerung ins Auge gefasst und
gefördert werden, dieser sei aber durch die Einführung der
neuen, ja überhaupt jeder sogenannten nationalen Einheits¬
zeit durchaus nicht gedient, sie habe nur Schaden davon,
weil das sichere Beruhen ihrer Thätigkeit auf den natürlichen
und gerade für die einfacheren Lebensverhältnisse wesent-
* Die erste: „Zur Beurtheilung einiger Zeitfragen, insbesondere
gegen die EinfQhrung einer deutschen Normalzeit“ in der Sammlung von
Vorträgen und Abhandlungen von Wi!h. Förster. Dritte Folge (Berlin
1890), S. 22—55 (= Vortrag gehalten in Hamburg, 7. Februar 1881);
die zweite: „Ortszeit und Weltzeit“. Berlin 1884. (Broch); die dritte:
„Weltzeit und Ortszeit im Bunde gegen die Vielheit der sog. Einheits¬
oder Zonenzeiten“. Berlin 1891. (Broch.)
Ich bezeichne diese drei Schriften bzw. durch 1, II, III und füge
diesen römischen Zahlen je die Seitenzahl bei.
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128
liebsten Grundlagen ihrer Lebenseintheilung angetastet wird.
Denn was muthet man ihr zu?
Man höre: Die Schule beispielsweise, wenn sie seither um
8 Uhr nach Ortszeit begann und künftig dieselbe Beziehung
zum Tagesanfang beibehalten will, wird künftig in Königs¬
berg um 7*' beginnen müssen, in Posen und Breslau um 7®*,
in Berlin um 8 6 , in Magdeburg und München um 8 1 *, in
Bremen und Heidelberg um 8**, in Karlsruhe um 8**, in
Cleve und Metz um 8”. Und ähnlich in allen anderen Fällen:
es werden einfach die Anfangs- und Endgrenzen des Arbeits¬
lebens oder im Grunde die jene Grenzen bedingenden natür¬
lichen Lichtzeiten künftig an verschiedenen Orten einfach
durch verschiedene Uhrzeiten bezeichnet.
In der That, so wird es werden. Aber ist denn das so
schlimm? oder gar unausführbar? Gewiss nicht! Wir wissen
ja, dass im letzten Jahrzehnt, auch ohne Aenderung der
„Zeit“, schon recht viele Aenderungen gleicher Art, durch
ganz andere Verhältnisse bedingt, durchgeführt worden sind:
um * 1 , 7 , um * 1,2 beginnt vielfach im Handwerk, in den Fab¬
riken die Arbeit, das Gymnasium hier hält seit Jahren schon
seine Stunden von 8 bis 8 5 ®, von 8® # bis 9 4# u. s. w., und
Moltke hat dem König Stumm mit Recht entgegengehalten,
wenn er in Neunkirchen seine Arbeiter um 6 Uhr alter Zeit
haben wolle, so brauche er sie nur auf 6 2 * neuer Zeit zu be¬
stellen, es handle sich nur um eine Aenderung des Tarifes.
Heute, wo die Uhren so sehr verbreitet sind, und wo alle
Welt durch die Eisenbahnen an Zeitangaben wie 8 20 , 10 47
gewöhnt ist, hat der vor 50 Jahren berechtigte Einwand des
Ungewohnten und Unsicheren gewiss keine Bedeutung mehr.
Dies kann auch Förster nicht läugnen. Er gibt zu (III,
19), dass „es sehr wohl denkbar erscheine, dass der Mensch
ziemlich bald daran gewöhnt werden kann, gewisse Tages¬
zeiten, für die er seither eine bestimmte zahleumässige Be¬
zeichnung gehabt hat, künftighin systematisch und dauernd
mit einer anderen Bezeichnung zu versehen und dieselben
Tageszeiten alsdann in der neueren Bezeichnungsform mit
ähnlicher Sicherheit und Leichtigkeit einzuhalten wie früher*.
Gleichwohl sträubt er sich gegen die Neuerung.
Vor 11 Jahren hat dies übrigens Förster noch nicht so
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ganz gelten lassen. Ja — meinte er damals (1,39) — wenn die
Korrektur der Tageseinteilung stets ganze Stunden betrüge;
aber um gewisse Ansätze von Zeitpunkten nicht in vollen
Stunden aufgeben zu müssen, wird man Korrekturen um
Bruchteile der Stunde lieber ganz auf sich beruhen lassen.
So wird der Keim und Anfang eines Unbehagens überall
gelegt werden.
Dieses Uebelbehagen muss aber verstärkt werden —
sagt Förster — durch eine andere Thatsache, die als not¬
wendige Folge der Abschaffung der Ortszeit auftritt und die
ihm als sehr gewichtiger Grund erscheint gegen die Ein¬
führung der neuen Zeit. Diese Thatsache ist die zum Theil
recht gross werdende Ungleichheit in der Länge von Vor¬
mittag und Nachmittag. Dass eine solche, und zwar für
alle Punkte Deutschlands, die nicht auf dem Hauptmittags¬
kreis liegen, eintreten muss, ist klar: denn wenn die Sonne
für irgend einen Ort nach dessen Ortszeit z. B. um 7 h auf-,
also um 5 h untergeht, so sind Vormittag und Nachmittag
gleichlang, jeder währt 5 Stunden; künftighin aber, falls
jener Ort westlich vom Mittelmeridian liegt, heisst der
Zeitpunkt des Sonnenaufgangs etwa 7*°, der des Untergangs
5 30 und der wahre Mittag heisst 12*°; um 12 h aber hört nach
bisher üblicher Abgrenzung der Vormittag auf, der Nach¬
mittag beginnt; demnach währt der Vormittag nur 4'/* Stun¬
den, der Nachmittag aber 5*/* Stunden, übertrifft also den
Vormittag um eine ganze Stunde an Länge. Liegt jener
Ort aber östlich vom Hauptmittagskreis, so übertrifft um¬
gekehrt der Vormittag den Nachmittag an Länge. Die Ver¬
schiebung des Mittagspunktes bängt ab von der Lage des
Ortes: nach dem vorhin Gesagten steigt der Betrag dieser
Mittagsverschiebung im Osten bis zu 31“, im Westen bis zu
37“, der Unterschied in der Dauer von Vormittag und Nach¬
mittag kann hiernach also bis zum Doppelten dieser Werthe,
d. h. im Osten bis zu l h 2“, im Westen bis zu l h 14“ be¬
tragen, so dass allein schon in Folge der Mittagsver¬
schiebung im Westgebiete der Vormittag im Hochsommer
äussersten Falls nur 86 # /„ um Weihnachten gar nur 72 °/„
des bezüglichen Nachmittags betragen würde.
Man wird Förster zugeben müssen (I, 40), dass solche
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Unterschiede „für diejenigen, welche überwiegend nach der
blossen Tageseintheilung in Vormittag und Nachmittag leben
and arbeiten, sehr erheblich sind“, ja mehr als das, dass
sh* „besonders für denjenigen Theil der Bevölkerung, der
von den Lichtzeiten am meisten abhängt und vielleicht die
Arbeit zu einer bestimmten Uhrzeit beginnt, dagegen mit
einer bestimmten Lichtzeit schliesst, ganz unerträglich werden
müssen“ (II, 5).
Aber noch ist es hieran nicht genug, Förster führt noch
weitere Thatsachen an, welche das von ihm gekennzeichnete
Uebel noch schlimmer machen als es schon ist. Ich sprach
ja im Eingang meines Vortrages von der künstlichen Ver¬
schiebung des Mittags, welche als Folge der Verwendung der
mittleren Zeit anstatt der wahren Ortszeit eintreten musste
und thatsächlich seit Anfang des Jahrhunderts eingetreten
ist. Ich legte dar, dass diese Verschiebung im Laufe des
Jahres meist weniger als */* Stunde beträgt, dass sie aber
an 2 Tagen des Jahres bis zu '/ 4 Stunde anwächst, und zwar
so, dass der bürgerliche Mittag etwa '/* Stunde im Novem¬
ber später, im Februar früher fällt als der wahre Mittag, so'
dass der Vormittag um etwa i l i Stunde hei Beginn des
Winters länger, am Ende des Winters kürzer ist, als der
Nachmittag; in den übrigen Jahreszeiten ist dieser Unter¬
schied geringer und wird viermal im Jahre selbst 0.
Im Falle der Einführung der Eisenbahnzeit als bürger¬
liche Zeit haben wir also künftig zwei Beträge der Zeit-
insbesondere der Mittagsverschiebung zu beachten: einen ersten
in Folge der früher geschehenen Einführung der mittleren
Zeit, und einen zweiten grösseren in Folge der Einführung
der mitteleuropäischen Zeit. Beide Beträge wirken nun zu¬
sammen, aber je nach Ort und Jahreszeit in wechselndem
Sinne: nämlich in allen Orten östlich vom Hauptmittags¬
kreis ist der erste Betrag im November zum zweiten zuzu¬
zählen, im Februar von diesem abzuzählen, umgekehrt ist
dagegen zu rechnen in allen Orten westlich vom Haupt¬
mittagskreis.
Nehmen wir mit Förster (I, 44) als Grenzfall die Ver¬
hältnisse an einem in der Breite Berlins im äussersten Osten
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liegenden deutschen Ort: dessen Vormittag ist da um l h 33“
länger als der Nachmittag, d. h. der Nachmittag beträgt nur
71 °|, des Vormittags; zieht man aber gar einen noch weiter
nördlich gelegenen Ort in Betracht, z. B. Memel (I, 44), so
ist an demselben 9. November dessen Vormittag um 1“ 36“
länger als der Nachmittag, d. h. der Nachmittag beträgt
sogar nur noch 69 # / 0 des Vormittags oder von der betreffen¬
den Tagesdauer kommen rund */ 5 auf den Vormittag und nur
a , s auf den Nachmittag. — Umgekehrt natürlich an den
Orten im äussersten Westen Deutschlands.
Man sieht, durch die geplante Neuordnung der Zeit
stellen sich Verhältnisse ein, die zeitweilig im Jahr gegen
die jetzigen durchaus verändert sind und sicherlich alle
Beachtung verdienen. Ja, wenn man auch in Zukunft überall
und stets die Uhrzeit 12 als Scheidepunkt zwischen Vormittag
und Nachmittag beibehalten wollte, so würden in der That,
wie Förster sagt (11, 4), „der sesshaften Bevölkerung Ab¬
weichungen einer künstlichen von der natürlichen Zeit zu-
gemuthet werden, welche die Grenzen des auf die Dauer Er¬
träglichen übersteigen“, und es würde, wie er an anderer
Stelle (I, 40) sagt, „auf diese Bevölkerung durch die Störung
und Verschiebung ihrer an den natürlichen Tagesepochen
haftenden Gewohnheiten ein Zustand des Druckes geladen
werden, welcher als ein täglich gegenwärtiger, dabei in seinen
Zwecken und Zielen völlig unverstandener, allmählig zu solcher
Spannung entwickelt werden könnte, dass man ihn, wenn
auch nicht als eine entscheidende, so doch als eine mitwir¬
kende Krankheitsursache über kurz oder lang zu unerwünschter
Erscheinung gelangen sehen würde“. Sie sehen, Förster
stellt böse Tage in Aussicht.
Aber sollte man denn nicht überall von vornherein ver¬
nünftig genug sein oder, durch die Erfahrung belehrt, bald
zu der Uebung kommen, den Mittag anstatt auf 12 Uhr
in die wahre Mitte des Tages zu verlegen? Was sollte
die Fabriken abhalten, um 1 / s 12, um */, 1, um 12 40 Mittag
zu machen? und ebenso die Beamten, die Handwerker? Was
aber die hier wesentlich in Betracht kommende bäuerliche
Bevölkerung betrifft, so weiss Jeder, dass diese sich über¬
haupt nicht um die 12 Uhr-Stunde kümmert — läutet’s nicht
9*
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132
beute wie seit langem in vielen Dörfern um 11 Ubr zu
„Mittag“? Also die Möglichkeit, den aufgezeigten Miss¬
ständen abzuhelfen, ist gegeben, in einfachster Weise gegeben
- so wird sich denn auch die Bevölkerung in allen ihren
Schichten mit der neuen Hinrichtung zu befreunden wissen.
Somit wird man auch den zuletzt berührten Einwand
Förster’s als widerlegt betrachten können.
Bedenklicher ist ein anderer Einwand, der sich dem letzt-
angeführten unmittelbar anreibt, ja aus ihm entspringt und
dem gegenüber auch die zuletzt angegebene Abhilfe sofort
als nicht voll ausreichend erscheint: dieser Einwand (I, 41,
45) gründet sich auf die ganz erheblichen Schwankungen,
welche die Unterschiede in den Längen des Vormittags und
Nachmittags im Verlauf eines Jahres aufweisen, periodische
Schwankungen, welche selbst an demselben Orte nicht eine
beständige, ein für allemal in Rechnung zu stellende Abän¬
derung der Tageseintheilung ermöglichen und welche sich
zudem zwischen ziemlich weiten Grenzen hin und herbewegen.
So ist es dem vorhin Gesagten zufolge erklärlich, dass der
Längenunterschied zwischen Vormittag und Nachmittag z. B.
bei Königsberg zwischen 10 m und l h 13 m sich unablässig ver¬
ändert, in Gumbinnen—Eydtkuhnen aber zwischen 30” und
l h 33“, dagegen in Würzburg etwa zwischen 7“ und l h 10“
und in Koblenz zwischen 27“ und l h 30“. (I, 45).
Also bei Einführung der Eisenbahnzeit wird man —
wenigstens in den östlichen und westlichen Grenzgebieten —
nicht bloss an eine veränderte, sondern auch an eine perio¬
disch veränderliche Zeiteintheilung des bürgerlichen Lebens
und an dementsprechende Anpassungen sich zu gewöhnen
haben.
Wenn aber Förster (I, 41) meint, dass sich die Sache
hauptsächlich desshalb besonders ungünstig gestalte, weil die
genannten Abweichungen gerade dann am stärksten sind,
wenn die Tage am kürzesten, also gerade dann am empfind¬
lichsten zum Bewusstsein kommen, so kann ich dies nicht
für gerechtfertigt halten. Im Gegentheil, gerade in den un¬
günstigsten Monaten November und Februar ruht wenigstens
die bäuerliche Feldarbeit fast ganz, Stellung und selbst Falsch¬
gehen der Uhr hat dann am wenigsten Bedeutung.
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133
Uebrigens ist Dicht einzusehen, warum nicht hiergegen
Abhilfe getroffen werden könne. Kann nicht auch die Zeit
des mittaganzeigenden Glockenläutens auf den Dörfern im
Sommer so, im Winter etwas anders festgelegt werden? Als
ob wir nicht Alle jetzt schon mit dem Wechsel der Jahres¬
zeiten dieselbe Thätigkeit zu verschiedenen Zeiten ausübten?
Freilich, wer sich an einem bestimmten Ort an eine be¬
stimmte Aenderung, ja an eine bestimmte Veränderlichkeit
der Beziehungen zwischen seinem Thun und der Uhr gewöhnt
hat, muss bei seiner Verpflanzung an einen anderen, in geo¬
graphischer Länge wesentlich verschiedenen Ort, sich neu
eingewöhnen. Wenn Förster (I, 46; III, 19 f.) die hierin
liegende Zumuthung, den UmbildungsVorgang der Gewohnheit
bei jeder erheblichen und andauernden Veränderung des Auf¬
enthaltsortes immer aufs neue durchzumachen, als F.inwand
gegen die Einführung der neuen Zeit hervorhebt, so hat er
damit Recht — und doch wieder Unrecht: denn wenn die
Wohnortänderung eine solche ist, dass der Zeitunterschied
überhaupt in Betracht kommt, so ist mit ihr doch gewiss
eine Aenderung in recht vielen anderen Dingen und Lebens¬
gewohnheiten verknüpft, so dass es auf jene verhältnissmässige
Kleinigkeit wohl auch nicht mehr ankommt.
Förster entnimmt einen weiteren Vorwurf gegen die neue
Einrichtung (III, 20) aus der Erschwerung des Verkehrs von
verschiedenen, besonders von weit auseinander wohnenden
Menschen; ein und dieselbe Tageszeit werde ja bei ihnen
künftig durch verschiedene Zeitangabe bezeichnet, und so
komme — fürchtet Förster — in deren jetzt schon rege und
immer mehr wachsende geschäftliche und sonstige Ver¬
bindungen ein gewisses Unbehagen, unablässig stellen sich
Unsicherheiten und Weiterungen ein, die nur durch Kennt¬
nis oder Angabe der geographischen Länge des Wohnortes
der Verkehrenden vermieden oder erledigt werden können.
Mir aber scheint, man braucht sich nur die Art des Ver¬
kehrs zu vergegenwärtigen, um sofort zu sehen, dass Förster’s
Befürchtungen in dieser Beziehung übertrieben sind.
Wenn man sich alle die von Förster vorgebrachten Ein¬
wände und Befürchtungen vorhält, kommt naturgemäss der
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134
Gedanke, ob denn all diese schweren Schäden, von denen wir
hörten, auch bei den anderen Völkern sich zeigten, welche
zum Theil lange vor uns ihre (nationale) Einheitszeit durch¬
geführt haben. 1 " In England besteht eine solche doch schon
seit 1848, in Italien seit 1866, in Schweden seit 1879, in
Frankreich seit 1891, und alle diese Länder haben ihre Ein¬
heitszeit nicht wieder abgeschafft, die Schäden müssen also
doch nicht so übermässig gross sein.
Wohl — entgegnet Förster (1, 48; III, 22) — aber diese
Länder sind auch alle nicht in der ungünstigen Lage ge¬
wesen, in welcher sich Deutschland der Neuerung gegenüber
befindet. Denn bei der Einführung der neuen Zeit blieb zwar
die Abweichung der äussersten Ost- und Westgebiete dieser
Länder durchaus nicht wesentlich hinter den grössten Ab¬
weichungen zurück, die in Deutschland auftreten; aber die
Vertheilung der Bevölkerung im Lande ist hier eine ganz
andere, viel ungünstigere. Denn während in England und
Schottland, in Schweden, in Frankreich weniger als 20“ Zeit¬
unterschied (nach Förster) auf bezw. 99*/*, 97, 96 ° 0 der
Gesammtbevölkerung treffen, werden in dieser Lage in Deutsch¬
land nur 56 # / 0 sein; während dagegen in jenen Ländern nur
bezw. */»> 3 i 4 °/o der Bevölkerung durch Zeitverschiebungen
von 20 bis 30 m betroffen wurden, müssen bei uns solchen
Betrag 30 l /2 °/o aushalten, und 30 bis 40 m Abweichung der
Einheitszeit von der Ortszeit müssen bei uns sogar von
13 */ 2 °/ 0 der Bevölkerung „ohne Murren hinuntergeschluckt
werden“ (III, 22).
Das ist nun freilich nicht wenig — aber so schlimm,
wie sich’s Förster ausmalt, wird es denn doch nicht werden.
Er spricht sich in all den Jahren wiederholt scharf dahin
aus, dass schon bei denjenigen Ostwesterstreckungen, welche
Zeitabweichungen bis zu mehr als 15” bedingen, eine voll-
ständigeVereinheitlichung der bürgerlichen Zeiten untereinander
und mit der Zeit der Verkehrsanstalten undurchführbar-ist,
* Die dnreh Einführung einer nationalen Einheitszeit nöthig ge¬
wordene ftusserste Zeitverschiebung (je im Osten als -4-, im Westen als
— bezeichnet) betrug in England + 7 und —22, in Italien +24 und
— 24, in Schweden -f- 36 und — 16, in Frankreich +- 21 und — 29, in
Spanien +28 und —22, in Japan + 40 und —22 Minutedl
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135
eben weil der sesshaften Bevölkerung Zeitverschiebungen zu-
gemuthet werden, welche die Grenzen des auf die Dauer Er¬
träglichen überschreiten (II, 4), das ganze Gebäude solcher
Einrichtungen würde sehr bald unter allgemeinster Abneigung
zusammenbrechen (II, 6), das letzte Ende der ganzen „Re¬
form“ würde zweifellos mit Pauken und Trompeten der
Wiedereinzug der Ortszeit in alle ihre alten Rechte im ge¬
wöhnlichen Arbeitsleben sein (III, 28).
Welche Bewandtniss es mit solchen Voraussagungen hat,
mag man daraus ersehen, dass Förster im Jahre 1883/84,
als eben die Reform in Nordamerika im Gang war, auch den
folgenden Ausspruch that: „Die Erwartung, dass die bürger¬
lichen Zeiten sich bis zu einer halben Stunde und darüber
von den Ortssonnenzeiten entfernen und den stundenweise
abgestuften Eisenbahnzeiten Gruppe für Gruppe anschliessen
sollen, wird als eine gänzlich illusorische zu betrachten
sein“ (II, 15). Und was lehrte die Erfahrung in den Ver¬
einigten Staaten? Dort hatten freilich manche und gerade die
grössten und für den Verkehr wichtigsten Städte nur geringe
Zeitverschiebung zu erleiden, aber an gar manchen Orten war
diese grösser und wuchs vereinzelt sogar bis zu einer Stunde
an. Aber gleichwohl hatten bereits im ersten Jahre nach
der Einführung der neuen Zeit 85 °/ 0 .aller Städte mit über
10000 Einwohnern diese angenommen. Das ist die Antwort
der praktischen Amerikaner auf die theoretischen Bedenken
eines deutschen Gelehrten.
Förster erhebt auch immer wieder seine Stimme, um
einen Einwand ganz anderer Art als die seitherigen gegen
die Neuerung vorzubringen. Es werde — so sagt er (I, 48)
— von manchen Seiten zur Empfehlung der Einführung der
neuen Zeit im ganzen bürgerlichen Leben hervorgehoben, dass
sie in hohem Grade im wissenschaftlichen Interesse
liegen würde. Dies sei jedoch eine ganz irrige Behauptung
(I, 48; III, 11, 27), ja jeder Radikalismus, der nach schema-
tisirender Art die Ortszeiten verdrängen wolle, werde auf die
Dauer der Lächerlichkeit verfallen (III, 11). Denn — so
führt er aus (I, 49) — der überwiegende Theil der wissen¬
schaftlichen Zeitangaben verlangt die Beibehaltung der Orts¬
zeitangaben als Grundlagen der unmittelbaren ersten Auf-
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136
Zeichnungen in der zwingendsten Weise. So sei nicht nur
ein überwiegender Theil meteorologischer und ähnlicher Be¬
obachtungen auf feste Ortszeiten angewiesen, auch das ge¬
radezu wichtigste und grösste Gebiet der Präcisionszeitmes-
sungen, das der himmlischen, geographischen und nautischea
Ortsbestimmungen, müsse stets von den Ortszeiten seinen
Ausgang nehmen.
Nicht einmal das letztere muss man unbedingt zugehen
— aber auch die volle Zustimmung hierin ändert nichts an
der Beantwortung der Hauptfrage —, die erstere Behauptung
aber betreffs der Wetterbeobachtungen scheint mir nicht so
sicher richtig, wie sie ausgesprochen wurde.
Wie, vielmehr wann werden denn unsere meteorologischen
Thatsachen und Aufzeichnungen gewonnen? Sehen wir von
selbstregistrirenden Apparaten ab, so ist man darauf ange¬
wiesen, zu bestimmten ausgewählten Zeitpunkten des Tages
zu beobachten und aus den erhalteneu Zahlergebnisscn die
Mittel zu ziehen. Als solche Zeitpunkte hat man in Preussen
früher die Tagesstunden 6, 2, 10 ausgewählt, jetzt 7, 2, 9,
in der Schweiz und in Russland 7, 1, 9, bei der Seewarte
und sonst in Deutschland 8, 2, 8. Was wird es nun ver¬
schlagen, wenn rnan künftig bei uns die Beobachtungsuhr-
zeiten 'etwas hin- oder herschiebt, um die seitherigen Zeit¬
punkte beizubehalten, oder wenn man selbst die seitherigen
Uhrzeiten beibehält und so die Beobachtungszeiten etwas ver¬
schiebt? Gewinnt man durch letzteres nicht einen theilweise
näheren Anschluss an die Beobachtungszeiten der übrigen
Länder? Und werden dann nicht unsere deutschen Beobach¬
tungen zu völlig gleichzeitigen (synchronistischen), was doch
in einem Sinne ein nicht zu unterschätzender Vortheil ist?
Aber selbst wenn hier sogar einige Umrechnungen er¬
forderlich würden, erforderlich würden für die wenigen hoch¬
gebildeten und geübten Männer der ausübenden Wissen¬
schaft, könnte dies in Betracht kommen gegenüber der Siche¬
rung von Leben und Eigenthum Tausender, gegenüber dem
Wohle des ganzen Weltverkehrs mit seinen Hunderten von
Millionen von Theilnehmern ?
Die Entwickelung der letzten Zeiten hat die deutliche
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Antwort auf diese Frage gegeben, unaufhaltsam hat sich die
Erkenntniss Bahn gebrochen von der Bedeutsamkeit und von
den Vortheilen einer Vereinheitlichung der Zeit, in wenigen
Tagen wird diese bei uns, in wenigen Jahren wohl überall
in Europa durchgeführt sein, und bei einigem allerseits zu
erweisendem guten Willen wird man auch in der Praxis des
Lebens allüberall die nicht übergrossen Schwierigkeiten be-
meistern, die sich in der ersten Zeit vielleicht noch der
Durchführung dieser grossen völkereinenden und völkerver¬
bindenden Idee entgegenstellen mögen.
Ist sie aber verwirklicht, so kündigt sich als ihr Gefolge
jetzt schon deutlich genug die andere Idee einer allgemeinen
Weltzeit an, über deren Entstehen, Ausbildung und fragliche
Berechtigung ich Ihnen vielleicht ein ander Mal Bericht er¬
statten werde.
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• Ueber Stundenzonenzeit und Weltzeit
Vortrag gehalten im Naturwissenschaftlichen Verein an Karlsrahe am
1. Juli 1892.
Von Prof. J. P. Trautlein.
Mitte März d. J. habe ich hier im Verein einen Vortrag
gehalten Uber die sogenannte „Mitteleuropäische Zeit“, deren
Einführung damals nahe bevorstand und die seitdem im Süden
Deutschlands thatsächlich zur Durchführung gelangt ist. Ich
musste damals wegen der Ueberfülle des Stoffes an einer
Reihe von verwandten oder zugehörigen Dingen ganz vorüber¬
gehen oder konnte sie nur streifen; ich möchte das damals
absichtlich bei Seite Gelassene heute nachholen und weiter
ausführen, möchte Sie aber bitten, was ich heute Vorbringen
werde, gewissermassen als den zweiten Theil meines damaligen
Vortrages zu betrachten.
Ich werde heute über Stundenzonenzeit und Weltzeit
Bericht erstatten.
Orts- und Zeitbestimmungen nehmen eine wichtige Rolle
ein im Leben, im wissenschaftlichen wie im praktischen Leben
der Menschen — begreiflich, dass man von jeher eifrige Sorge
auf sie verwandt hat.
Die Grundlage der Ortsbestimmung auf der Erde ist
in natürlichster Weise durch den Aequator gegeben, von
dem aus die geographische Breite gezählt wird; eine ebenso
natürliche Anfangslinie für die Zählung der geographischen
Längen gibt es nicht. Seit zwei Jahrtausenden haben Erd-
und Himmelskundige andere und andere Mittagskreise als
Hauptmittagskreise, als solche Anfangslinien (Nullmeridiane)
ausgewählt und festgelegt; seit den letzten dritthalb Jahr¬
hunderten hat man sich oft und redlich bemüht, hierin Ueber-
einstimmung herzustellen, eine für alle Völker gemeinsame,
eine einheitliche Längenzählung zu vereinbaren. In unseren
Tagen endlich ist man an diesem Ziele angelangt: wie 1863
der Afrikaforscher Speke in seinem berühmten Telegramm
mit Recht rühmen konnte „The Nile is settled“ („der Nil
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139
ist abgemacht“), so kann man heute, trotz der noch bestehen¬
den Abneigung und Weigerung dev Franzosen, ruhig sagen:
die Nullmeridianfrage ist erledigt, Greenwich hat gesiegt.
Damit ist aber auch auf dem Gebiete der Zeitbestim¬
mung die baldige Alleinherrschaft von Greenwich endgültig
entschieden. In der That, seit 1879 hat Schweden die um
genau 1 Stunde von der Greenwicher verschiedene Zeit als
Landeszeit angenommen, 1883 haben sich Canada und die
Vereinigten Staaten in bekannter Weise ebenfalls an die
Greenwicher Zeit angeschlossen; ihnen sind seit Oktober 1891
Oesterreich, seit 1. April 1892 Süddeutschland auf gleichem
, Wege gefolgt, indem erst die Eisenbahnen und die übrigen
Verkehrsanstalten, dann durch diese gedrängt auch die Städte
und Privaten die mitteleuropäische Zeit annahmen; Nord¬
deutschland wird im nächsten Jahre folgen, und wenn
dann noch, was ziemlich sicher zu erwarten ist, Dänemark
seine Uhrzeit um 9 m 41’, Italien die seine um 10 m 14*, Nor¬
wegen um 17“ 6‘, endlich die Schweiz* die ihrige um 30“
14* vorgeschoben haben wird, so rechnet ganz Mitteleuropa
nach vollständig übereinstimmender einheitlicher Zeit.
Ihre Einführung ist nur ein Schritt weiter auf der Bahn,
die im Interesse des Weltverkehrs beschritten wurde und die
dem Ziele zustrebt, für die ganze Erde mindestens eine über¬
sichtliche Weltzeitrechnung oder gar, wenn möglich, eine
einheitliche sog. Weltzeit zu schaffen.
Die bekannteren Bestrebungen in dieser Richtung sind
kaum über 20 Jahre alt. Ende der 60er Jahre hatte Prof.
Dowd in den Vereinigten Staaten, im Hinblick auf die daselbst
täglich nöthiger werdende Vereinheitlichung der Eisenbahn¬
zeiten, den Vorschlag gemacht, dort je 15 Längengrade um¬
fassende Gebietsstreifen zu bilden und die Zeit ihres mitt¬
leren Mittagskreises als gemeinsame Zeit der betreffenden
ganzen Zone zu gebrauchen. Noch kam der Plan zu früh.
Als man aber um die Mitte der 70er Jahre in den Vereinigten
Staaten dahin gelangt war, etwa 75 verschiedene Eisenbahn¬
zeiten zu verwenden, und als das Durcheinander der Zeiten
* Schon jetzt dringen Nachrichten in die Oeffentlicbkeit, dass die
Schweix die MEZ. in naher Zukunft einzufßhren beabsichtige.
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140
grösser und grösser, die Vereinfachung immer dringender
geworden war, kam man auf jene Vorschläge zurück; aber
erst das energische Eintreten des Oberingenieurs der kana¬
dischen Pacificbahn, Fleming, Ende der 70er Jahre brachte
Kanada und den Vereinigten Staaten die bekannten 5 Stunden¬
zonen, nachdem schon 1679 Schweden mit dem guten Bei¬
spiele einer einheitlichen, und zwar mit einer der englischen
Zeit und der Zeit jener 5 Stundenzonen sich an- und ein¬
fügenden Zeitfestsetzung, vorangegangen war.
Fleming hatte, wie seine Vorgänger, vorgeschlagen, die
ganze Erdoberfläche in 24, je durch gleich weit von einander
entfernte Mittagskreise begrenzte, Zweiecke zu theilen und
jedem dieser Zweiecke die Zeit seines mittleren Mittagskreises
zuzutheilen, so dass je zwei aneinander stossende Zweiecke
oder Zonen 1 Stunde Zeitunterschied haben; als Ausgangs¬
oder Nullmeridian solle der um 180° von Greenwich ent¬
fernte, also der Gegenmittagskreis von Greenwich gewählt
werden, der durch die Tschuktschen-Halbinsel nahe an der
Beringsstrasse zieht, also annähernd Asien und Amerika
scheidet, und von ihm aus sollen die geographischen Längen
und die Stundenzonen von Ost nach West hin von 0® bis
360° gezählt und es sollen die Mittelmeridiane der 24 Streifen
durch die aufeinander folgenden Buchstaben des Alphabetes
(ausser J und W) bezeichnet werden. So würden anstatt der
unendlich vielen Ortszeiten nur noch 24 verschiedene Zeiten
auf der Erde gelten, so dass man hiernach füglich von einer
Weltzeitrechnung reden könnte.
Diese Art der Zeitvereinfachung, das sog. Stunden-
zonensystem, ward in Europa hauptsächlich durch Barnard,
den Rektor der Kolumbia-Universität, bekannt, indem er es
im Jahr 1881 sowohl dem internationalen geographischen
Kongress zu Venedig, als auch der zu Köln tagenden Gesell¬
schaft zur Kodifikation des Völkerrechtes empfehlen liess
bezw. selbst empfahl. Beide wissenschaftliche Versammlungen
machten diese Anträge zu den ihrigen, mit der Abänderung
jedoch, dass man in Venedig beschloss, die Längen vom
Beringsmittagskreis ab nach Osten und nach Westen hin zu
zählen. In den nächstfolgenden Jahren wurde die hiermit
aufgeworfene Frage nach einer theilweise oder ganz einheit-
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141
liehen Zeit ungemein eifrig erörtert, so amtlich auf der im
Jahre 1883 zu Rom abgehaltenen Generalkonferenz der in¬
ternationalen Gradmessung. Hier ward, ohne auf das Stun¬
denzonensystem selbst einzugehen, betreffs der Grundlage
desselben eine wichtige Aenderung beschlossen: es solle an¬
statt jenes Mittagskreises beim Beringsmeer als Ausgangs¬
oder Nullmeridian der von Greenwich gewählt werden, und
von ihm aus solle die Zählung der geographischen Längen
von West nach Ost hin stattfinden. Der erste Theil dieses
Beschlusses ward auch im Jahre 1884 auf dem eigens für
die Erörterung der Nullmeridian- und Zeitfrage nach Washing¬
ton berufenen internationalen Kongress aufrecht erhalten, der
zweite Theil aber verschlechtert dahin abgeändert, dass die
Längen vom Greenwicher Meridian ab nach Osten hin (als
positive) und nach Westen hin (als negative) von 0 bis 180®
gezählt werden sollen.
Während sich dieser Washingtoner Kongress in gelehrten
Erörterungen und merkwürdig schwankenden Abstimmungen
erging, ward ihm von der Vertretung der amerikanischen
Eisenbahnen mitgetheilt, dass ihr Land in die bekannten
5 Stundenzonen eingetheilt und dass damit praktisch in einer
für sie genügenden Weise die Vereinfachung und relative
Vereinheitlichung der Zeit durchgeführt, zugleich damit die
Einführung eines Weltzeitsystems angebahnt sei. Die Praxis
hatte so den gelehrten Reden den Rang abgelaufen. Seit¬
dem haben auch weiter die Praktiker, die Eisenbahnleute,
die Sache in die Hand genommen, haben sie für zwei wich¬
tige Gebiete der Erde entschieden und sind eifrig daran, ihr
Werk, das System der 24 Stundenzonen, über die ganze
Erde weg auszubreiten.
Was nun die Erstreckung und Begrenzung dieser
24 Stundenzonen betrifft, so kann es sich selbstverständ¬
lich wie in den Vereinigten Staaten, so überall auf der Erde
nicht um mathematisch genaue Grenzlinien handeln, sondern
man wird sich nach Staatengrenzen, Gebirgszügen, Fluss¬
läufen und dergl. richten.*
* Beim Vortrag ward eine grosse Weltkarte benützt, in welcher im
wesentlichen nach dem Kärtchen von Hesse-Wartegg (»Die Einheitszeit
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142
So gehört beispielsweise zur Nullzone mit Greenwich-
Zeit mathematisch ein Stück von Norwegen, von Deutsch¬
land, von Italien (Aosta, Susa), und auch das ganze West¬
drittel der Schweiz; natürlich wird man aber diese Theile
ihren Hauptländern zuweisen. Dagegen gehört eigentlich
nicht zur Null-Zone ganz Korsika und die ganze Regentschaft
Tunis; aber dort hat man schon Pariser Zeit und wird sich
wohl hüten, sie aufzugeben, und hier wird sie wohl auch zur
Einführung kommen. So gehören also zur O-Zone in Europa
Grossbritannien (Irland), Holland, Belgien, Spanien, Portugal,
und später wohl auch Frankreich, das sich seither beharrlich
gesträubt hat, seinen eigenen Pariser Mittagskreis aufzugeben
zu Gunsten des englischen; neuerdings aber mehren sich die
Anzeichen*, dass auch die französischen wissenschaftlichen
Kreise endlich ein Einsehen haben und das Bessere einführen
werden. In Afrika gehört zur Nullzone das ganze Westge¬
biet bis zur Länge der Nigermündung.
Das Gebiet der ersten Zone, derjenigen mit mittel¬
europäischer Zeit, umfast ganz Skandinavien, Dänemark,
Deutschland, Oesterreich-Ungarn, die Schweiz, Italien, Grie¬
chenland, Serbien; dabei ist zu bemerken, dass ein kleiner
Theil Preussens (Stallupöhnen-Wirballen) sowie der grössere
Theil Galiziens, die ganze Bukowina und Siebenbürgen, sowie
die Osthälfte Griechenlands mathematisch eigentlich zur
nächsten ostwärts' angrenzenden Zone gehören sollten. Die
Zutheilung der südlichen afrikanischen Gebiete muss der
Zukunft Vorbehalten bleiben.
Die zweite Zone wird, wenn die Vereinheitlichung der
Zeit soweit durchgeführt sein wird, ganz Westrussland, Ru¬
mänien, Bulgarien, die Türkei (vielleicht Griechenland?),
nach Stundenzonen“. Leipzig, 1892. 8°. 74 S.) die Trenn ungslinien
der Stundenzonen eingetragen waren. Aus eben dieser Schrift ist auch
für den Vortrag Passendes übernommen worden.
* In der Sitzung der Centralkommission der Geogr. Gesellschaft
zu Paris vom 21. Februar 1890 leugnet zwar Caspari den Nutzen eines
gemeinsamen Nullmeridians überhaupt und Tondini de Querengbi spricht
für den von Jerusalem; aber zwei Redner (v. Nordling und F. Alexis)
sprachen sieb für den Greenwicher Meridian a's Nullmeridian auch für
Frankreich aus.
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Kleinasien und Aegypten umfassen; für Russland wird die
Annahme der neuen Zeit um so leichter sein, als es nur
um 1“ 18’ zu ändern hätte.
Die dritte Zone wird enthalten das europäische Ost¬
russland bis zum Kaspisee, den Kaukasus (Persien?), Arabien,
Abyssinien; die vierte umfasst Transkaukasien; die fünfte
Vorderindien u. s. w.
Auch die nicht unwichtige Benennung der verschie¬
denen Stundenzonen haben die Praktiker in die rechten
Wege geleitet, obwohl freilich Förster (III, 31) meint, dass
gerade in den Erörterungen über diese Benennungen und
über die einzufübrendeu abgekürzten Bezeichnungen dieser
Zonen uud Zeiten die Unzweckmässigkeit des ganzen Vor¬
schlags sich deutlich mache. Ich habe ja schon angeführt,
dass nach Fleming-Barnard’s Vorschlägen die einzelnen Zonen
nach den Buchstaben des Alphabetes kurz benannt und be¬
zeichnet werden sollten; ich könnte zufügen, dass in Aus¬
führung dieses Vorschlags die einen bei der Greenwich-Zone
mit dem Buchstaben A, andere aber mit A bei der östlich
davon folgenden beginnen wollten, so dass hiernach der Green¬
wich-Zone der Buchstabe U (= Universalzeit) oder Z (= Zöro)
zuzutheilen wäre; wieder andere wollten beim Gegenmeridian
von Greenwich mit A beginnen, während wieder andere die
Verwendung der Zahlen von 1 bis 24 (— 0) vorschlugen.
All diesen, wie Hesse-Wartegg sagt, Buchstaben- und Zahlen¬
krimskrams verwarfen dagegen die Nordamerikaner: was nach
ihrer Landsleute Vorschlag als 16., 17., 18., 19. und 20. Zone
oder als Zone Q, R, S, T, V hätte bezeichnet werden sollen,
benannten sie in einer für Nordamerika klaren Weise als
Pacific-, Felsengebirgs-, mittlere, östliche und interkoloniale
Zone und Zeit; dass die im fernen Osten (seit Neujahr 1888)
eingeführte „japanische Zeit“ benannt ward, ist ebenso natür¬
lich wie das, dass unsere Eisenbahnverwaltungen die klare
Benennung „mitteleuropäische Zeit“ eingefübrt haben, welcher
sich beiderseits ebenso verständlich künftig die „westeuro¬
päische“ und die „osteuropäische Zeit“ anschliessen werden.
So wären 9 Zonen schon benannt. Betreffs der übrigen
15 ist zu bemerken, dass ihrer 6 oder 7 (nämlich die [11.],
12., 13., [14.], 15., 22. und 23.) fast ganz ins Meer oder
3
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auf spärlich bewohnte Gebiete fallen, dass also nur noch wei¬
tere 8 oder 7 in Betracht kommen und selbst dies nür in
bedeutend geringerer Wichtigkeit.
Gleichwohl hat man (— mehr der systematischen Voll¬
ständigkeit als des praktischen Bedürfnisses wegen —) allen
24 Zonen und Zeiten geographische Namen verliehen. So
z. B. benennt Dr. Schram die Zone und Zeit von Nummer:
1= Adria- 9 = Japan- 1 17 = Rocky-
2 = Balkan- 10 = Kuril- 18 = Superior-
3 = Chaldäa- 11 = Loyal- 19 = Tolima-
4 = Darja- 12 = Medium- 20 = Vincent-
5 = Elephanta- 13 = Nunivak- 21 = Xingu-
6 = Fakir- 14 = Otahiti- 22 = Young-
7 = Gobi- 15 = Pitcairn- 23 = Zighinchor-
8 = Hoang- 16 = Quadra- 24 = Universalzeit.
Betreffs dieser Namen muss man Hesse-Wartegg (S. 48)
Recht geben, wenn er sagt, dass man sich mit Namen wie
Fakir-, Loyal-, Nunivak- u. s. w. -Zeit beim besten Willen
nicht befreunden kann, da sie an im Allgemeinen ganz un¬
bekannte geographische Ortsnamen anknüpfen. Freilich darf
man auch nicht ausser Acht lassen, dass die 1883 in Nord¬
amerika eingeführten Namen eben auch nicht für die Allge¬
meinheit brauchbar sind; denn dass für Venezuela, Bolivia,
Argentinien der Name „Interkolonial“ der passende wäre,
oder dass die Bewohner der Westküste Südamerikas ihre Zeit
die „östliche Zeit“ nennen sollten, wäre doch zu viel verlangt.
Desshalb haben Precht u. A. vorgeschlagen, die 24 Zonen
und Zeiten mit den folgenden allgemeiner verständlichen
Namen zu belegen:
0 = Gr. = Westeuropäische = Welt = Kanal(zeit); 1 = Mit¬
teleuropäische = Schwedische; 2 = (West)Russische = Peters¬
burger = Bosporus; 3 = Ostrussische = Wolga = Kaukasus;
4 = Transkaspische = Ural; 5 = Westvorderindische = Madras
(nicht Bombay); 6 = Ostvorderindische = Kalkutta; 7 = Hin¬
terindische = Siam = Java = Malayische; 8 — (Ost)Chine-
sische; 9 = Japan; 10 = Ostaustralische; 11 = Neukaledo-
nische = Neuseeland = Kamtschatka; 12 = Antipoden;
13 = Bering; 14 = Alaska = Tahiti; 15 = Britisch Kolumbia;
16 = Pacific = Kalifornische; 17 = Felsengebirg; 18 = Cen-
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14a
tral = Mittelamerikanische; 19 = Oestliche = Kuba; 20 =
Interkolonial = Amazonas = Südamerikanische = Argentinien;
21 = (Ost)Brasilien; 22 = Azoren = Atlantische; 23 = Ka¬
narische = Senegal-Zeit.
Ganz scharf, ganz neutral, also jeder Eifersüchtelei der
Völker vorbeugend ist jedenfalls die Bezeichnung der Zonen
durch Zahlen; welchen weiteren Vortheil diese gewähren,
werden wir gleich hören.
Denn es handelt sich ja nicht etwa um die tabellarische
Anordnung dieser Dinge in Büchern — sie sind erdacht für
den Verkehr, insbesondere für den brieflichen, für den tele¬
graphischen Weltverkehr. Wie würde sich da nach allge¬
meiner Einführung des Stundenzonensystems die sichere Zeit¬
bestimmung in beliebigen Gebieten gestalten? und wie die
Zeitvergleichung zwischen beliebigen und entlegeneu Orten
der Erde, etwa wenn es sich handelt um eine Handels¬
depesche aus Kalkutta nach London, um die Abfahrt eines
Schiffes in Hamburg und seine Ankunft in New-York, um den
Ausgang einer Erdbebenwelle von Arica und ihre Ankunft in
Tahiti oder in Neuseeland u. Ä.?
Als Grundbedingung für eine untrügliche Zeitbestimmung
und Zeitvergleichung müsste die gestellt und erfüllt werden,
dass bei jeder Zeitmeldung, welche aus einem Ort
einer Zone nach einem solchen einer anderen Zone
stattfindet, zugleich eine Kennzeichnung derjenigen
Zone mitangegeben wird, von der die Meldung abgeht
und deren Zeit der Angabe zu Grunde liegt. Dies könnte
geschehen durch Beifügung eines der Zonennamen, wie ich
solche vorhin mitgetheilt habe; dass ein derartiges Verfahren
aber zu weitläufig wäre und dass es dabei wohl kaum ohne
Benützung einer jene Namen erläuternden Tabelle abgehen
könnte, ist sofort klar. In besserer Weise wollen desshalb
Schram und Pasquier unmittelbar nach der Stundenzahl den
die betreffende Zone kennzeichnenden Buchstaben beifügen,
also z. B. 5D29, 8R50 u. s. w.; hieraus liesse sich natür¬
lich folgen, dass 5D29 = 4C29=3B29 = 2A29 = 1Z29
sein muss, d. h. die Zeitangabe wäre auf Greenwich-Zeit
zurückgeführt.
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Einen noch besseren Vorschlag macht Precht *: er will
jeder Zeitangabe einer Zone die Nummer dieser Zone im
System beifügen, d. h. die (römische) Zahl derjenigen Stunde,
welche die Uhr jener Zone zeigt, wenn es in Greenwich O h =
24 h ist, also z. B. 7 h 16 VII oder 7 iS VII; der Greenwich- oder
Kanal-Zeit wäre XXIV oder Z (= Z4ro, anstatt 0) beizufügen.
Dieses Verfahren würde auch die Bildung und Verwendung
von mit Zahlwörtern zusammengesetzten Namen gestatten
[wie Siebenzeit, Zwanzigzeit] und würde den Vortheil einer
sehr bequemen Umrechnung gewähren. Denn die Umrech¬
nung solcher Zeitangaben in Greenwich-Zeit wäre rein mecha¬
nisch auszuführen. So wäre z. B.
9 h 13 VI = 3 h 13 Z, weil die 6. Zone eine um 6 grössere
Stundenzahl hat als Greenwich, und
2 h 47 XX = (24 + 2) h 47 — 20 h = 6 h 47 Z u. ä„
d. b. man bat behufs Umrechnung auf Greenwich einfach
die Zonennummer von der (nöthigenfalls um 24 vergrösserten)
Stundenzahl abzuziehen. Entsprechend würde man verfahren,
um die Zeitangabe aus einer Zone in die für eine andere
Zone zu verwandeln (— von der Beachtung der möglicher¬
weise eintretenden Datumsverschiebung sei hier keine Rede —).
Ich füge (nach Precht a. a. 0. S. 6) noch zwei Bei¬
spiele bei für die Berechnung einer Zeitstreckevergleichung.
• a. Ein Schiff gehe in Hamburg ab (nach seitheriger Be¬
zeichnung) am 2. November l h 40 Morgens und komme
in New-York an am 9. November 3 h 55 Nachmittags.
Statt dessen künftig: Fahrt vom 2. November 1 4 *I
bis 9. Nov. 15” XIX, also:
Verflossene Zeit = (9. Nov. 20“ Z) — (2. Nov. O 4 * Z)
= 7 Tage 20 Stunden 15 Minuten.
b. Eintritt des Erdbebens in Arica am
12. Juli 20» XIX = 13. Juli 1*Z
Ankunft der Welle in Honolulu am
| Unterschied
I = 9 h 23“
13. Juli 0«XIV = 13 Juli 10»*Z | Unterschied
Ankunft der Welle in Newcastle (Austr.) [ — ] 3 h 42 “
am 14. Juli IO 14 X = 14. JuliO ,4 Z J
* Miitheilungen der Geogr. Gesellschaft io Hambarg 1889—90,
Heft 1 (Hamburg, 1889), S. 3 u. 116.
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147
An diesen Beispielen lässt sich erkennen, welche Vor¬
theile die Ein- und Durchführung des Stundenzonensystems
im Weltverkehr für die sofortige Bestimmung von Zeitunter¬
schieden gewähren würde.
Nebenbei sei hier auch (mit Precht a. a. 0. S. 7) auf
die Vortheile hingewiesen, welche die Anwendung des Stun-
depzonensystems im geographischen Unterricht und für die
praktische Verwerthung geographischer Kenntnisse gewähren
würde.
Denn leicht prägt sich ein, dass Europa 4 Stundenzonen,
die Vereinigten Staaten deren 4—5 haben, und dies allein
schon gibt eine Vorstellung von der riesigen Grösse dieser
Republik, ganz ebenso, wie wenn man weiss, dass sich das
europäische Russland allein durch 2 ‘/* Zonen hin erstreckt.
Asien zieht sich hin durch die Zonen 2 bis 12, heisst doch nichts
anderes, als dass es fast die ganze Halbkugel umspannt;
Vorderindien bat nach Madras- und Kalkutta-Zeit zu rechnen,
die japanische Zeit gilt auch für Mittelaustralien, die ost¬
russische auch für Deutsch-Ostafrika, sind in gleicher Weise
gute geographische Beziehungsgleichungen. — Merkt man
sich dazu, dass die Breite einer Stundenzone am Aequator
rund 1700 km, in 20° Breite 1600 km, in 30® Breite 1450 km
misst, in 60° Breite aber die Hälfte des Aequatorwerthes, so
sieht man, dass die gedächtnissmässige Verknüpfung von Zoneu-
nummem mit den Namen geographischer Dinge sehr dazu
beiträgt, nicht nur über deren Lage, sondern auch über deren
Grössenverhältnisse, d. h. über die Grundlagen der ganzen
Erdkunde anschauliche Vorstellungen zu gewinnen.
So viel über die geschichtliche Entwickelung, die Aus¬
sichten, die Vortheile des Stundenzonensystems.
Ursprünglich in Amerika zu dem Zwecke erdacht, dem
dortigen Wirrwarr der Uhrzeiten ein Ende zu machen, wurde
es beim Entstehen sofort so ausgebildet, dass es für die Be¬
wohner der ganzen Erde zwar nicht ein durchweg gemein¬
sames, aber doch ein der vollen Uebereinstimmung sich sehr
annäherndes Verfahren zur Zeitbestimmung werden konnte.
Dass es auf dem besten Wege ist, dies zu werden, haben
wir gehört. Wo es zur Einführung kommt, tritt es an die
Stelle der bezüglichen natürlichen Ortszeit, oder an die Stelle
10 *
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einer künstlich geschaffenen Gebietszeit. Was diese Gebiets¬
zeit für recht verschieden grosse und zudem für ganz unregel¬
mässige Gebiete erreichen wollte und erreicht hat, das er¬
strebt die Stundenzonenzeit in einer geregelten, auf der ganzen
Erde gleichförmig geregelten und dabei für den Weltverkehr
wie für das bürgerliche Leben gleichgut brauchbaren Weise; sie
erreicht dies durch die Einführung einer Zeit, welche zwar
von den einzelnen Ortszeiten im allgemeinen abweicht, aber
doch nur so viel oder so wenig davon abweicht, dass die
Eintheilung des Tages in die üblichen Tageszeiten und deren
Stundenbenennung im ganzen genommen überall erhalten
bleibt.
Weit mehr wollen die Freunde einer dritten Art von
Zeitbestimmung ins Werk setzen. Sie betrachten die Gebiets-
wie die Stundenzonen-Zeit als Stückwerk und erstreben die
Annahme einer für alle Orte der Erde gleicbmässig geltenden
kosmopolitischen oder Universalzeit, einer ächten
Weltzeit.
Schon 1828 hat John Herschel eine solche Weltzeit für
gewisse Zwecke empfohlen, aber erst in der neueren Zeit des
Eisenbahn- und noch mehr des Telegraphen-Schnellverkehrs
ist man für diese Idee und ihre Ausgestaltung im vollen
Ernste eingetreten. Namentlich waren es die im Jahre 1883
auf der vorhin erwähnten internationalen Gradmessungskon¬
ferenz zu Rom versammelten Männer der Wissenschaft, welche
laut die Schaffung und Einführung einer Weltzeit verlangten:
„Die Vereinheitlichung der (geogr.) Längen und der Zeitan¬
gaben ist ebensosehr im Interesse der Wissenschaften als in
demjenigen der Schifffahrt, des Handels und des internatio¬
nalen Verkehrs wüuschenswerth“ — lautet der erste der zu
Rom gefassten Beschlüsse, und der fünfte und sechste der¬
selben sagen: „Für gewisse wissenschaftliche Zwecke und für
den inneren Dienst der grossen Verwaltungen der Verkehrs¬
anstalten, wie der Eisenbahnen, der Dampferlinien, der Tele¬
graphen und Posten erkennt es die Konfererz als nützlich,
eine Universalzeit einzuführen, neben welcher natürlich die
einzelnen oder die national-unificirten Ortszeiten im bürger¬
lichen Leben auch ferner Anwendung finden werden“ — und:
„Die Konferenz empfiehlt, als Ausgangspunkt der Universal-
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149
zeit und des Universaldaturas den mittleren Mittag zu
Greenvich anzunehmen“. Mit einer an Einstimmigkeit gren¬
zenden Mehrheit wurden die Beschlüsse gefasst.
Hier ward also eine ächte Weltzeit verlangt, aber freilich
nur für wissenschaftliche Zwecke und für den inneren Dienst
der Verkehrsanstalten, im gewöhnlichen Leben sollte sie gar
nicht zur Anwendung kommen; sie hatte also gleichen Rang
mit der Sternzeit der Astronomen. Eine Neuordnung in
solcher Weise hätte natürlich niemand befriedigen können,
am wenigsten. die Verwaltungen der Verkehrsanstalten, die
ja schon genug unter der Zweiheit der angewandten Zeiten
litten und denen so als Ersatz nur eine andere Zweiheit vor¬
geschlagen wurde.
Als man daher im Jahre darauf zur Fortsetzung der
Berathungen und zum Ausbau jener Beschlüsse wieder in
Washington zusammentrat (1884), kam die Versammlung
mehrfach zu ganz anderen, sogar den im Jahr zuvor ausge¬
sprochenen geradezu entgegengesetzten Forderungen; dass die
Kraft der Beschlüsse dadurch nicht erhöht wurde, ist klar.
Auf die Auffassung betreffs der Weltzeitfrage hatte jeden¬
falls die Thatsache grossen Einfluss, dass die Vertreter der
amerikanischen Bahnen der Konferenz erklärten, seit kurzem
sei für sie die Frage der Zeit Vereinheitlichung durch Annahme
des Stundenzonensystems gelöst, jedes weitere Eintreten in
diese Frage erscheine ihnen unzeitgemäss und unnütz.
Offenbar unter dem Eindruck dieser Nachrichten empfahl
dann die Konferenz zu Washington zwar wieder die Annahme
eines Universaltages, aber nur, wie es hiess, „für alle Auf¬
gaben, für welche es zweckmässig erscheinen könne ihn an¬
zunehmen; er solle aber in keiner Weise den Gebrauch von
Lokal- oder anderer Normalzeit beeinträchtigen, wo solche
vorzuziehen sei“. Und während man zu Rom gefordert hatte,
dass der Ausgangspunkt für die Weltzeit ynd für das Welt¬
datum der Greenwicher Mittag sein solle, kam man in
Washington zu dem Beschluss, der Welttag solle mit Green¬
wicher Mitternacht beginnen, also mit dem üblichen Be¬
ginn des bürgerlichen Tages, und er solle mit dem Datum
von Greenwich übereinstimmen. Was aber die Eintheilung
dieses Tages betrifft, so war man zu Rom wie zu Washington
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150
der Ansicht, dass er wie üblich in 24 Stunden getheilt werde,
dass aber diese Stunden nicht wie jetzt zweimal von 1 bis
12 gezahlt, sondern dass sie von O h bis 24 h durchgezählt
werden sollen.
Ich möchte gleich hier abmachen, was Uber diese als
neu vorgeschlagene Art der Stundenzählung zu sagen
ist, weil sie unabhängig ist von der Wahl des Welttaganfanges
(— sei diese Mittag oder Mitternacht —), ja weil sie selbst
unter der Herrschaft des jetzt zum Theil noch gütigen Orts¬
zeitsystems, wie unter der des vordringenden Zonenzeitsystems
wieder durchführbar wäre.
Denn im Mittelaller war die Zählung der Stunden von
1 bis 24 allgemein üblich, wie dies erhaltene Uhren, Ueber-
lieferungen und bis vor kurzem (z. B. in Italien und Böhmen)
erhaltene Gewohnheiten beweisen. Als dann die Halb- und
Viertelstundenschlagwerke immer allgemeiner in Gebrauch
kamen, um den Stand der Uhr, auch ohne diese anzusehen,
zwar nur annähernd, aber hinreichend genau zu erfahren, da
erschien wohl die Zählung bis 24 unbequem, schrittweise
verschwand die 24-Theilung: man Hess diese noch auf der
Vorderseite der Uhren bestehen, auf der Rückseite aber brachte
man die jetzt gebräuchliche 12-Theilung an, und man konnte
die Uhren selbst durch Verstellen eines Hebels nach Belieben
24 Stunden oder zweimal 12 Stunden schlagen machen.
Schliesslich blieb die 12-Theilung allein erhalten* und diese
erfordert dann natürlich bei jeder Stundenangabe bürger¬
licher Zeit die Beifügung eines der Wörter „Vormittag“ oder
„Nachmittag“. Dies aber ist offenbar unnöthig umständlich,
erzeugt gar leicht Unsicherheit und schwer wiegende, zum
Theil selbst recht grosse Gefahren bringende Verwechselungen
und ist desshalb zumal im heutigen Verkehr mehr und mehr
störend geworden; überdies tragen die in den verschiedenen
Ländern gebräuchlichen, recht abweichenden Arten, die Vor-
und Nachmittagstunden zu unterscheiden**, nicht zur Min¬
derung des Uebels bei.
* So nach E. Weiss, „Zur Frage der Weltieit“, Sonderabdruck ans
dem (Wiener) Astronomischen Kalender. Wien, 1886. 8°. 37 S., Seite 10.
** In Deutschland wird V. und N. (oder Vm. und Nm.) gebraucht, es
werden aber auch wie in der Schweiz die Stunden von 6 Uhr Abends bis 6**
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151
Eine Aenderung, eine Besserung in dieser Beziehung
wäre gewiss erwünscht, was ja natürlich nicht ausschliesst,
dass man trotzdem auch nach wie vor die Namen „Vor-“ und
»Nachmittag“ verwenden könne. Aber wie soll die Besse¬
rung geschehen, ohne ein Unzweckmässiges, das man zum
einen Thor hinausweist, zum andern wieder hereinzuführen?
Denn ein Schlagenlassen der Uhren von 1 bis 24 und ein
ebensolches Zählen wird auszuschliessen sein, einmal wegen
der viel grösseren Gefahr des Verzählens und dann weil
Niemand zum Mitzählen die Geduld haben wird, mit Aus¬
nahme vielleicht von bettlägerigen Kranken. Unter diesen
Umständen wird man aber auch nicht ernstlich daran denken
können, eine wirkliche Eintheilung des Zifferblattumkreises
in 24 gleiche Theile und ein Hinschreiben der Zahlen von
1 bis 24 an solche Theilpunkte durchzuführen. Denn nicht
bloss, dass dann die Stundentheile meist zu klein werden —
wir beurtheilen ja überhaupt die Zeitangaben unserer Uhren
viel weniger nach den Zahlen, bei oder zwischen welchen
die Zeiger der Uhr stehen, sondern wir schätzen sie nach
der Stellung dieser Zeiger zu dem hinzugedachten wagrechten
und senkrechten Durchmesser des Zifferblattkreises; diese
Schätzung aber ist fehlerlos durchzuführen bei der heute
nöthigen Drittelstheilung des rechten Winkels, sie würde Un¬
sicherheit und Fehler in Menge bringen bei der der 24-
Theilung zu Liebe nöthig werdenden Sechstelstheilung des
Rechten.
Also an Theilen und Schlagenlassen bis 24 ist nicht zu
denken; aber trotzdem ist Abhilfe des heutigen Missstandes
möglich. Man kann ja bei alten Thurmuhren einfach noch
Morgens unterstrichen. In den englischen Kursbüchern werden 4 Tages¬
seiten angedentet: morn., non., aft., ngt. (= morning, noon, afternoon,
night), in Italien wird „ant“ und „pom“ (antemeridian nnd pomeridian),
aber auch „a“ und „f>* gebraucht; in Holland wird V. und A. (aber auch
v.m. und n.m.) verwendet, in Belgien m. und s. (matin und soir), aber
hier werden auch die Ankunfts- und Abfahrtszeiten in grosseren Stationen
mit fetten Zahlen gedruckt — eben letzteres bedeutet hingegen in den ame¬
rikanischen Fahrplänen die Nacbmittagstnnden von Mittag bis Mitter¬
nacht. (Hesse-Wartegg S. 67.)
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152
unter den seitherigen Zahlen 1, 2, . . . die neuen 13, 14,
. . . 24 anbringen, bei neu zu fertigenden aber kann man
ein Zifferblatt an wenden, wie das beigezeichDete*, bei dem die
inneren Zahlen wesentlich die Tages-, die äusseren die Nacht¬
stunden angeben und wie es an Bahn¬
uhren der Vereinigten Staaten viel¬
fach gebräuchlich ist. Wäre erst ein¬
mal die Gewöhnung an das Weiter¬
zählen über 12 hinaus bis 24 allge¬
mein geworden, so könnte man -
und selbst jetzt schon — ohne Gefahr
der Verwechslung die heutigen Ziffer¬
blätter verwenden, da niemand im
Zweifel sein kann, ob 3 oder 15 Uhr, 7 oder 19 Uhr zu
sagen ist.
Bei Taschenuhren aber, die ja in nächster Nähe ab¬
gelesen werden, könnte man, wenn etwas geändert werden sollte,
schon eher die 24-Theilung wirklich anbringen (mit Förster
II, 18); besser aber könnte man auch die alte Einrichtung
wieder einführen, bei welcher nur ein Minutenzeiger vorhan¬
den ist, während die Stundenzahl in einem Ausschnitt des
Zifferblattes auf der unter dem letzteren sich drehenden
Stundenscheibe sichtbar wird.
In Erkenntniss der Vortheile, welche das Durchzählen
der Stunden bis 24 unstreitig gewährt (wie sie ja auch beim
Telegraphiren Arbeit und Kosten verringert), ist der hierauf
bezügliche Beschluss der Konferenzen in Rom und Washington
schon seit Jahren mehrfach in die Praxis übersetzt worden:
so zählt die italienische Telegraphenverwaltung, auch die in
Vorderindien, ebenso die englische Eastern Telegraph Company,
die amerikanische Western Union Telegraph Company u. a.
die Stunden von 1 bis 24, aber so zählt auch der vorder¬
indische Eisenbahnverkehr, und die kanadische Pacificbahn
führte im Sommer 1886 erst versuchsweise das 24-Stunden-
system ein und erlangte damit solchen Erfolg, dass die Gesell-
* Nach E. Hammer, Nullmeridian und Weltzeit. Hamb .rg, 1888,
Seite 31.
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Schaft der amerikanischen Civilingenieure es sich zur Auf¬
gabe gemacht bat, dieses System in allen öffentlichen Zeit¬
angaben zur Geltung zu bringen (Hammer a. a. 0. S. 31).
Auch bei uns, überall wäre diese Neuerung empfehlens-
werth, was ja nicht ausschliesst, dass man im mündlichen
Verkehr auch weiterhin die übliche Ausdrucksweise beibe¬
halten könnte. Wesentlich ist nur die Beseitigung der Doppel¬
deutigkeiten und Missverständnisse in Druck und Schrift, vor
allem im Bahn- und Telegraphenverkehr, und die gesetzliche
Anerkennung der Bezeichnungen und Benennungen 13, 14,
15, ... bis 24 Uhr für die Stunden des Nachmittags bis
zur Mitternacht.
Man könnte vielleicht auch sagen: 13 bis 24 Uhr für
die Stunden des Morgens bis zu Mittag — und dies bringt
mich zurück zu meinem Ilauptthema, zur Erörterung des
Welttages, wie er von den Kongressen in Rom und Washing¬
ton zur Einführung verlangt wurde: dort wünschte man seinen
Beginn auf Mittag, hier wünschte man ihn auf Mitternacht
festgesetzt zu sehen, dort überwogen die Interessen der Astro¬
nomen, hier die sog. bürgerlichen Lebensinteressen haupt¬
sächlich Europas.
Vor Jahrhunderten wäre die Streitfrage, ob Mittag, ob
Mitternacht, nicht so einfach zu stellen gewesen, man rechnete
damals den Tag vom Aufgang, vom Untergang der Sonne ab,
von der Abenddämmerung, von Mittag, von Mitternacht ab,
ja in Basel begann vom Baseler Konzil (1443) bis 1770 der
Tag eine Stunde vor Mitternacht — kurz, etwa 10 verschie¬
dene Tagesanfänge hat man verwendet.* In unseren Tagen
stand die Wahl nur noch zwischen den zwei Anfangspunkten
Mittag und Mitternacht.
Folgen wir nun dem Washingtoner Beschluss und damit
der heutigen allgemeinen Uebung und sehen wir zunächst
zu, wie sich bei allgemeiner Einführung des Welt¬
tages und bei Festsetzung von dessen Anfang auf
Mitternacht die Praxis des Lebens betreffs derNenn-
und Zählweise der Tagesstunden gestalten würde.
* Hammer a. a. 0. Seite 58 f.
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154
Wir versetzen uns, in Gedanken um die Erde herum¬
wandernd, nach einander an deren verschiedenste Orte und
prüfen die Verhältnisse, wie sie sich für einen je an sei¬
nem Orte Verbleibenden gestalten würden.
Wir in Europa hätten jedenfalls an dem bisher Gewohn¬
ten wenig zu ändern. In England und im ganzen Gebiete
der westeuropäischen Zeit würde mit Mitternacht, d. h. mit
0 h der Tag und das neue Datum beginnen; in Deutschland
und im ganzen Gebiet der mitteleuropäischen Zeit würde Tages¬
anfang und Datumwechsel auf l h , im Gebiete der osteuro¬
päischen Zeit auf 2 h Morgens, bis hin zum Kaspisee auf 3 k
Morgens der seitherigen Zeitzählung fallen, was ja praktisch
ziemlich gleichgiltig wäre, da in diesen 2 oder 3 Stunden
nach Mitternacht die wenigsten Schriftstücke abgefasst werden,
in denen dann natürlich noch das Datum des vorhergehenden
Tages und Zeitangaben wie 23 h -f- x Minuten zur Verwen¬
dung kommen müssten. Also in ganz Europa und Afrika würde
der Tagesanfang und Datumwechsel in die Nachtzeit fallen.
Anders, schlimmer gestaltet sich die Sache in deu weiter
östlich gelegenen Gegenden. Dass man in Ostindien z. B.
Morgens um 5 oder 6 Uhr den neuen Tag beginnen würde,
könnte man noch hinnehmen; aber in Hinterindien und auf
den Sundainseln müsste man ihn nach dortiger Ulnzeit um
7 h , in Shangai um 8 h , in Japan um 9 h Vormittags beginnen,
in Sydney und Melbourne um 10 h . Zwischen 10 h Vormittags
und 4 h Nachmittags ihrer Uhrzeit würden nur Stellen des
grossen Oceans je einen neuen Tag zu beginnen haben (die
Fidschi- und Sandwich-Inseln, Neuseeland, Alaska), dagegen
San Francisco Nachmittags um 4 h , Lima und New-York um 7 h
Abends, Argentinien um 8 h , Brasilien um 9 h seines Abends
(nach jetzt gebräuchlicher Stundenzählung). Hat man an all
diesen Orten je an dem genannten Zeitpunkt den Tagesan¬
fang mit 0 b zu zählen begonnen, so würde man überall mit
l h , 2 h ,. . . . bis 23 h zu zählen fortfahren. Natürlich würde
so eine bestimmte in Weltzeit gemachte Zeitangabe, etwa 13\
an den verschiedenen Orten der Erde auf die verschiedensten
Stunden je ihres Tages und ihrer Nacht fallen — oder umge¬
kehrt, um ein Beispiel zu gebrauchen, ein Engländer, der
zu Hause gewohnt war, seinen Lunch um l h Mittags (eng-
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155
lischer Zeit) zu nehmen und dieser Gewohnheit treu bleiben
möchte, müsste diesen in Ostindien um 8 h Weltzeit einnehmen,
in Sydney um 3 h , in San Francisco um 2l\ in New-York
um 18 b Weltzeit. Entsprechend würde man bei uns hier um
19 b Weltzeit in’s Theater gehen, in Chicago wäre um 6 b Welt¬
zeit Mitternacht u. s. w.
Auf diese Weise würden freilich die Uhrzeiten, zu denen
seither alltäglich ganz bestimmte Thätigkeiten der Menschen
vorgenommen wurden, an den meisten Orten der Erde mit
neuen, völlig ungewohnt klingenden, aber Scharf bestimmtes
angebenden Weltzeitnamen benannt werden; aber wenn sonst
keine Schwierigkeiten sich einstellen würden, diese Namen
und ihre vom Gewohnten sich loslösenden Bedeutungen und
der Bruch mit den «seither unbewusst mit ihnen verknüpften
Beziehungen, all dieses allein könnte uns nicht abhalten, bei
sonstigen genügend grossen Vortheilen die Neuerung einzu¬
führen. Denn erstens ist doch das, die Mittagstunde mit
12 Uhr zu bezeichnen, reine Gewohnheitssache, durch keine
Nothwendigkeit bedingt, und es liesse sich, von den Schwierig¬
keiten des Uebergangs abgesehen, der Mittagspunkt ebenso
gut durch 30 Uhr bezeichnen; und zweitens würden ja solche
Anfangs ungewohnte Benennungen, an einem Orte einmal
eingeführt, an demselben Orte dauernd unverändert bestehen
bleiben und würden, ebenda bald gewohnheitsmässig gebraucht,
bei allen Bewohnern des Ortes selbstverständlich nur das
bedeuten, was sie bedeuten sollen.
Gerade in Bezug auf diesen Punkt ist es zu bedauern,
dass Männer wie Hesse-Wartegg (S. 60) und selbst A. Kirch-
hoff* die Sache trüben, ja der Lächerlichkeit preisgeben, in¬
dem sie fälschlicherweise die für Greenwich gütigen Zeitbe¬
stimmungen „Nachts“, „Vormittags“ u. s. w. kurzer Hand
auf andere Orte der Erde übertragen. „In Bombay wäre es
um 7 b Morgens Mittag, in New-York würde die Oper um l b
Mitternachts beginnen, der Schluss der Börse wäre in San
Francisco um 10 b Nachts, in Sydney wäre um 5 b Nachmittags
Frühstücksstunde“ — solche Beispiele bringt Hesse-Wartegg
* Blatter fOr literarische Unterhaltung, Leipzig, 7. Januar 1892,
No. 1, Seite 7.
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156
bei, und Kirchhof! spricht von „Speisen Mitternachts bei
Mittagsonne unter 180° Länge v. Gr.“ und von einem „ver¬
schwiegenen Stelldichein bei Mondenschein um 2 h Nachmit¬
tags“. Das sind nicht mehr hlos schlechte Witze, das sind
bewusste Irreführungen, welche nur möglich sind, wenn man
neben dem schon gerügten Fehler noch den andern begeht,
zu thun, als ob niemand von einem Zählen der Stunden von
1 bis 24 gesprochen hätte. In Wahl heit stellen sich diese
Beispiele anders dar, nämlich so: nach Weltzeit schreibt man
um Mittag in Bombay 7 h , beginnt die Oper in New-York
um l h , schliesst die Börse in San Francisco um 22 h , ist in
Sydney Frühstücksstunde um 17 h , und wiederum nach Welt¬
zeit wird man eben unter 180° Länge v. Gr. bei Mittagsonne
um 0 h oder 24 h speisen und wird man dort ein Stelldichein
auf 14 h verabreden müssen, damit es vielleicht bei Monden¬
schein stattfinden könne.
Was an solcherlei Zeitbestimmungen Auffallendes oder
gar Lächerliches sein soll, ist mir unerfindlich. Dagegen traue
ich jedem geistig Gesunden zu, dass er bei allenfallsiger An¬
wendung der Weltzeit auch ohne besondere Unterweisung
Begriffe und Wörter wie „Vormittag“, „Nachmittag“ nicht
mehr für Zeitstrecken verwenden wird, deren Grenzpunkte
durch die Stundennamen 0 (oder 6) und 12 bezw. 12 und 24
(oder 18) bestimmt sind, sondern dass er, wo er auch sei
und welche Sprache er rede, unter „Vormittag“ die Zeitstrecke
von Sonnenaufgang (oder von Mitternacht) ab bis zum Höchst¬
stand der Sonne verstehen werde — und ähnlich für andere
begrifflich verwandte Wörter.
Also in der möglicherweise falschen Anwendung von
Wörtern wie „Abends“, „Vormittags“ u. s. w. und auch in
der Nöthigung, ungewohnte Zeitbestimmungen wie 20 Uhr
und dergl. bilden und verwenden zu müssen, liegen durchaus
nicht die Schwierigkeiten, welche sich der allgemeinen An¬
wendung der Weltzeit entgegenstellen. Sie liegen wo anders.
Unter Tags das Datum, also auch den Namen des
Wochentages ändern zu müssen, das ist, auch wenn
wir vorerst nur au ihrem Wohnort Verbleibende in Betracht
ziehen, für die grosse Mehrzahl der Erdorte die Haupt¬
schwierigkeit, welche in Betracht kommt. Wir wissen zwar,
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157
dass Zahl und Bedeutung derjenigen Erdorte, welche zwischen
ihrem seitherigen 10 h Vormittags und ihrem 4 h Nachmittags das
Datum ändern mussten, verschwindend gering ist, und die
Datumsänderung gerade in dieser mittleren Tageszeit erscheint
Manchen als besonders schlimm; aber mir scheint, dass auch
das Aendern Morgens vor 10 h und Nachmittags nach 4 h Orts¬
zeit recht schlimme Störungen im Gefolge haben würde. Man
würde ja gewiss auch in diesen Fällen die Wörter „heute“,
„gestern“, „morgen“, „vorgestern“, „übermorgen“ auf die
wahren Sonnentage beziehen können und beziehen, und an¬
nähernde Zeitbestimmungen wie „gestern Abend“, „morgen
Vormittag“ wären so gut verständlich und würden praktisch
ebenso eindeutig verstanden werden, wie genaue Zeitangaben,
z. B. „vorgestern um 22 h “, „morgen um 9 h “; denn jenes
würde für einen den Welttag nach Ortszeit Morgens ‘/»H
beginnenden Ort nicht anders als das heutige „vorgestern
Morgens halb 9“ bedeuten und dieses wäre gleich dem heu¬
tigen „morgen Abend */ a 8 Uhr“. Ja sogar die Wochentag¬
namen könnte man begrifflich dem Welttag entsprechend um¬
deuten: man würde so an dem soeben als Beispiel verwen¬
deten Ort etwa Dienstag Morgen aufstehen, am selben Sonnen¬
tag noch Abends, aber doch schon Mittwochs zu Bett gehen,
um am nächsten Morgen zwar, aber doch noch Mittwochs
wieder aufzustehen. Bei solcher Neudeutung der Wochentag¬
namen wären dann freilich Angaben und Zusammenstellungen
wie „heute ist Sonntag“ unmöglich. Um sie möglich zu
machen, müsste man die Wochentagnamen den Sonnentagen
zu weisen; dann wäre aber wiederum ein Datiren wie „Frei¬
tag den 18. März“ unbestimmt, vielmehr sinnlos.
Man mag es also drehen und wenden wie ftian will —
so sehr die Sache begrifflich festzulegen wäre, praktisch würde
man fortwährend von einer Verwirrung in die andere fallen.
Ja, aber — so höre ich sagen — die Astronomen haben
seit langem schon die gleiche Art der Datumsänderung am
hellen Mittag, und doch keine Verwirrung! Nein, keine Ver¬
wirrung — aber nur desshalb, weil sie nur rechnerisch, zah-
lenmässig ihre Zeitangaben zu machen, zu vergleichen haben,
nicht auch sozusagen lebendig-praktisch, sprachlich, und dann
weil sie Thatsachen zu verzeichnen haben, bei welchen gerade
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158
die absolute Zeit, zu welcher sie gescheben, von entscheiden*
dem Interesse ist.
Ich komme damit auf die Fälle zu sprechen, wo es sich
um Mittlieilung einer Zeitangabe von einem Ort der Erde
an einen andern Ort handelt und um die Beurtheilung
jener Zeitangabe an diesem zweiten Ort.
Wo es hier auf absolute Zeitbestimmungen ankommt wie
bei wissenschaftlichen Dingen (Erdbeben, magnetische Stö¬
rungen etc.), würde die Verwendung der Weltzeit jede Um¬
rechnung unnöthig machen, weil die Zeitangaben, woher sie
auch stammen, unmittelbar vergleichbar und verwerthbar sind,
die Weltzeit wäre hier also sehr nutzenbringend.
Dagegen hat im weit überwiegenden Theil des brieflichen
und telegraphischen Fernverkehrs, im Nachrichtendienst für
politische und Haudelszwecke die absolute Zeit meist keine
Bedeutung; entscheidend für die Beurtheilung der fernher
kommenden Zeitangabe ist hier die Kenntniss der Bezie¬
hung des mitgetheilten Zeitpunktes zur Tageszeit oder zu
gewissen, an bestimmten Tageszeiten statthabenden Vorgängen
jenes Ortes (z. B. Börse etc.). Und diese Beziehung zum
Sonnenstand, zur Tageszeit gibt ja die Weltzeit nicht, aus
einer reinen Weltzeitangabe wie 16 h lässt sich rein gar nichts
erschlossen, sie bedeutet ja überall einen andern, keinen be¬
stimmten Zeitpunkt. Erst die Zufügung geographischer
Längenunterschiede würde die gemeinte Zeit festlegen, wenn
man die nöthige Umrechnung vornimmt. Fällt aber letzteres
nöthig, so biisst die Verwendung der Weltzeit gerade den
Vorzug ganz und gar ein, wegen dessen sie erdacht wurde
und benützt würde. Insofern übertrifft also die Stunden¬
zonenzeit die Weltzeit ganz erheblich an praktischem Werth
und wahrem Nutzen.
Ich möchte nun auch noch Werth oder Unwerth der
Weltzeit prüfen für Jemand, der von einem Ort der Erde
zu einem andern hin in Bewegung begriffen ist, also
für einen Reisenden. Am besten wählt man mit Weiss, dem
Direktor der Wiener Sternwarte (a. a. 0. S. 31), die Fahrt
■eines Schiffes, weil gerade für ein solches die Benützung der
Weltzeit von wesentlichem Vortheil zu sein scheint.
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Das Schiff mache also von Greenwich aus eine Reise um
die Erde in östlicher Richtung — wie wird sich auf ihm die
Regelung des Lebens nach Weltzeit gestalten? Ich wähle
z. B. die Zeit des Mittagsmahles. Dieses werde bei der Ab¬
fahrt um 12 h , also richtig zu Mittag eingenommen. Will
man diesen Zeitpunkt beibehalten, so wird man an Bord
natürlich nicht die Stunde 12 beibebalten dürfen, sondern
man wird bei Malta um ll h Weltzeit, bei Suez um I0 h , in
Aden um 9 b , in Singapore um 5 h , bei den Fidschiinseln um
O h , bei Tahiti um 22 h Weltzeit speisen u. s. w. Natürlich
muss man wie das Essen so auch alle Arbeiten an Bord
tagtäglich zu anderen Stunden der Weltzeit vornehmen,
man muss also auch täglich der Mannschaft durch Tages¬
befehl verkünden, dass heute um . . . Uhr gefrühstückt, um
. . . Uhr zu Mittag gegessen wird, dass die Wachen auf-
ziehen um . . . Uhr, dass die Segelmanöver beginnen um
. . . Uhr.
Dass eine derartige Einrichtung kein Ideal von Einfach¬
heit, Annehmlichkeit und Pünktlichkeit wäre, ist doch unmittel¬
bar einleuchtend, und nicht minder, dass sich die Sache noch
viel sonderbarer, ja schlimmer gestalten müsste auf einem
Rreuzer, der, nach Ost oder West steuernd, täglich eine
scheinbare Verfrühung bezw. Verspätung der Arbeiten und
Essensstunden eintreten lassen müsste, zuweilen nordsüdlich
fahrend dieselbe Stundenaustheilung Tage lang beibehalten
müsste. Da ist doch eine, wenn nothwendig werdend, tag¬
tägliche Verstellung der Uhren je nach der durch die Fahrt
erreichten Stundenzonenzeit (oder selbst Ortszeit) viel besser
und gewiss vorzuziehen.
Unsere seitherige Betrachtung bezog sich auf die Art
und die Folgen der Einführung eines Welttages, wenn als dessen
Anfang nach den Beschlüssen der Konferenz zu Washington
der Augenblick der zu Greenwich stattfindenden Mitternacht
gewählt würde, d. h. wenn der sog. bürgerliche englische Tag
allgemeiner Welttag würde.
Sehen wir nun entsprechend zu, wie sich bei Einführung
des Welttages die Praxis des Lebens gestalten dürfte, wenn
dessen Anfang auf den seitherigen Mittag zu Greenwich
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festgesetzt, d. b. wenn der bei den Astronomen gebräuchliche
Tag Welttag werden würde.
Wir in Europa kämen jedenfalls schlecht dabei weg.
Denn in dem Augenblick, wo für Greenwich der Höchststand
der Sonne eintritt, wo also Mitteleuropa l b und Osteuropa 2 h
seines Nachmittags hat, würde ein neuer Tag beginnen und
müsste das Datum geändert werden; für ganz Europa träte
also der Datumwechsel gerade in den Hauptgeschäftsstunden
ein, in den Zeiten stärksten, zumal telegraphischen Verkehrs.
Dass dies im höchsten Masse ungeschickt, ja unannehmbar
wäre, scheint mir klar; Förster freilich bezeichnet es als
.eine kleine, in den Diskussionen zu Rom wohl etwas über¬
trieben dargestellte Schwierigkeit* (II, 20). Die Misslichkeit
des Nicktzusammenstiinmens von Datumzahl und Wochentag¬
namen wäre ja hier ebenfalls vorhanden wie in dem vorhin
dargelegten Falle.
Je weiter östlich liegende Gegenden ins Auge gefasst
werden, zu um so späterer Nachmittags- bezw. Frühstunde
(nach deren Ortszeit) würde für diese der neue Tag beginnen:
so zu Bombay um 5 h Nachmittags, in Japan um 9 b Abends,
auf den Sandwichinseln Morgens um 2 b , in San Francisco
um 4 h Morgens, in New-Yorkum 9 b Morgens; diejenigen Orte,
welche in der Nähe des Gegenmittagskreises von Greenwich,
also beiderseits der jetzigen berühmten Datumgrenze liegen und
seither um einen Tag im Datum verschieden waren, würden
also bei Einführung der Weltzeit übereinstimmend einheit¬
liches Datum erhalten. Es ist nicht zu bestreiten, dass für
jene Gegenden der Erde, in welchen die grössten Unsicher¬
heiten aller Angaben in blossen Ortsdaten nach aussen bin
stattfinden, die Einführung eines Universaldatums von grösster
Wichtigkeit, eine wahre Wohlthat sein würde; aber um ihnen,
die doch nur ganz geringe Verkehrsbedeutung haben, diese
Wohlthat zu sichern, will Förster (II, 21) gern dem ganzen
europäischen Verkehr mitten in den Geschäftsstunden den
Datumwechsel aufhalsen!
Ich brauche die aus der Einführung des Welttages sich
ergebenden Folgerungen für den Verkehr bei unserer jetzigen
zweiten Annahme nicht nochmals durchzusprechen, sie sind
ja sonst dieselben, wie ich sie vorhin dargelegt.
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Unter Erwägung aller in Betracht kommenden Umstände
ergibt sich also Folgendes: Für Handel und Verkehr würde
die einheitliche Weltzeit nicht nur kein Ueberwiegen der
Vortheile, sondern entschieden das der Nachtheile zur Folge
haben, sie ist kein allgemeines Bedürfniss, ferner werden die
von der Weltzeit zu erhoffenden Vortheile vollgiltig auch von
der 24-Stundenzonenzeit geleistet, und dabei entspricht diese
einem lebhaften Bedürfniss des Verkehrs und befriedigt dieses,
wie die Erfahrung zeigt. Soll für mehr wissenschaftliche
Zwecke eine Weltzeit eingeführt werden, so würde sich die
an den bisherigen bürgerlichen Greenwicher Tag sich an¬
schliessende empfehlen, und dem entsprechend wäre von den
Astronomen zu erwünschen, dass auch sie, etwa vom Beginn
des nächstkommenden Jahrhunderts ab, den Datumwechsel
um Mitternacht vornehmen.
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Der Karlsruher Meteorolog
Philipp Friedrich Stieffel (1797—1852).
Ein Beitrag zur Geschichte der Meteorologie.
Vortrag gehalten im Naturwissenschaftlichen Verein zu Karlsruhe am
16. December 1892.
Von Prof. J. P. Treutleln.
Vor fast genau hundert Jahren hat ein ausdauernder
und gründlicher Forscher „Untersuchungen über das Wahr¬
scheinliche der Wetterkunde“ veröffentlicht* (1788) und kommt
darin am Schluss zu folgenden Sätzen: „Wir durchgingen
nun Alles, woraus man auf die Witterung etwa schliessen
kann, durchsuchten alle Spuren einer Wahrscheinlichkeit,
hielten . . . Beobachtungen mehrerer Jahre gegen ein¬
ander — und was kann man zuletzt daraus schliessen?
Dass der Winter kälter als der Sommer sei* Dieses ist das
einzige, was sich mit einer Gewissheit bestimmen lässt, alles
übrige geht nicht über die Grenzen einer zwar gegründeten,
aber einer blossen Wahrscheinlichkeit . . und er fährt
weiter: „Was lässt sich hieraus anders schliessen, als dass
es dem allwissenden Schöpfer . . . seine Gestirne, diese
fürchterlichen Körper, gewissen und unveränderten Gesetzen,
unsere Luft aber, diesen gegen jenen unbeträchtlichen Theil
der Schöpfung, nur solchen Gesetzen zu unterwerfen gefiel,
die er oft durch zufällige Umstände abändern lässt, oft selbst
willkürlich . . . abändert.“
In diesen zwei Sätzen kennzeichnet sich der Standpunkt
der Wetterkunde vor 100 Jahren. Wie ist dagegen der
heutige? Vor allem ist im zweiten der berührten Punkte
eine grundsätzliche Aenderung vorgegangen: man sieht in
den Wettervorgängen nicht mehr nur das wechselvolle Spiel
des Zufalls; man ist überzeugt, dass wie die Gestirne, diese
* van Bebber, Handbuch der ausübenden Witterungskunde, I, 16.
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163
„fürchterlichen Körper“, ganz so auch die Luft „gewissen
und unveränderten Gesetzen“ unterworfen ist, dass wie alles,
so auch die Wettervorgänge nach grossen ewigen ehernen
Gezetzen ihres Daseins Kreise vollenden.
Und gestützt auf solche Denkweise hat man im ab¬
laufenden Jahrhundert mittelst mathematisch-physikalischer
Betrachtungen, angelebnt an massenhaft beobachtete Witte-
rungsthatsachen, eine reiche Fülle von Erkenntniss zu
schöpfen vermocht, weit hinausgehend über jenes frühere
Einzige, dass der Winter kälter ist als der Sommer, und
man hat daraus für die Praxis des Lebens werthvolle Fol¬
gerungen gezogen.
Nur eine derselben sei hier hervorgehoben: die täglichen
Witterungsberichte sowie die Sturm- und Wettervorher-
sagungen, die seit 1860 erst mehr privat und vereinzelt,
dann verbreiteter und endlich allgemein und unter staatlicher
Hülfe in allen Kulturstaaten zur Einführung gekommen sind.
Möglich waren diese überhaupt erst, als die gänzlich
neuen Grundlagen der heutigen Witterungskunde geschaffen
waren. In dreifacher Richtung sind diese neu geworden:
erstens verliess man die frühere fast ausschliessliche Aus¬
rechnung und vergleichende Verwendung von Mittelwerthen
der Witterungselemente und ersetzte sie durch möglichst
genaue Beobachtung, telegraphische Uebermittelung und
kartographische Darstellung der auf grösserem Gebiet
gleichzeitig vorhandenen Wetterlage; zweitens erkannte
man die Luftdruckvertheilung als die eigentlich massgebende
Ursache von Wind und Wetter, und drittens lernte man
mehr und mehr die Sätze der Mechanik, insbesondere die
mechanische Wärmetheorie aitf die Lehre vom Wetter an¬
wenden, und dies führte zu einer vollständigen Umgestaltung
der Lehre vom Austausch der Wärme, von Verdunstung und
Niederschlagsbildung.
Die Erfolge, reiche Erfolge der so auf neue Grundlagen
gestellten Wissenschaft sind denn auch nicht ausgeblieben,
aber ausgeblieben ist bis jetzt die Erfüllung der Wünsche
und Träume, ausgeblieben die Bestätigung der Versprechungen
früherer Zeiten, auf Wochen, auf Monate hinaus den Wetter-
11 *
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164
verlauf Voraussagen zu können. Die Männer der Wissenschaft
sind bescheiden geworden in dieser Beziehung, äusserst
bescheiden, nur auf einen, auf zwei Tage voraus künden sie
Wind und Wetter an, und selbst das nicht allzu sicher, drum
mit recht vorsichtig gewählten Ausdrücken; unterfängt sich
aber heute der eine oder andere, auf längere Zeit voraus
Künder des Wetters zu sein, so muss er erfahren, dass der
Prophet nicht geehrt wird im Vaterlande, wenigstens nicht
von wissenschaftlichen Kreisen.
Ich habe Ihnen soeben so zu sagen zwei Augenblicks¬
bilder aus der Entwickelungsgeschichte der Witterungskunde
vorgeführt, das eine vom Anfang, das andere vom Ende der
letzten 100 Jahre. Damals hat man rundweg erklärt, im
wesentlichen nichts zu wissen vom Wetter und seinen
Gesetzen, heute, trotz der vielen Mühen und Zahlen und
Hypothesen, gibt die Wissenschaft unumwunden zu, erst am
Anfang des Verständnisses zu stehen, manches zu wissen in
der Theorie, doch wenig zu können in der Praxis der
Witterungskunde. Wie — so fragt man sich bei solchem
Stand der Dinge mit Fug und Recht — wie war es möglich,
dass um die Mitte dieses Jahrhunderts ein wissenschaftlich
gebildeter Mann sich an das Unternehmen wagen, ja es
Jahre lang durchführen konnte, je für den ganzen folgenden
Monat das kommende Wetter vorherzusagen? ein Mann zu¬
dem, der in der Wetterkunde theoretisch und praktisch er¬
fahren, ihrem Dienste Jahre lang treu ergeben war und ob
seiner praktisch meteorologischen Thätigkeit heute noch ge¬
rühmt wird? Wie vermochte er zu behaupten, dass er nicht
nach Vermuthungen, sondern auf wissenschaftliche Gründe
gestützt seine Vorhersagungen bilde?
Schon dieses kann unsere Neugier reizen; unser Interesse
hieran wird aber noch lebendiger erregt, wenn wir hören, dass
dieser Wetterprophet hier in Karlsruhe gelebt, von hier aus
seine Vorhersagen ins Land hinausgegeben hat. Heute ist
sein Wirken im Erinnern der Menge völlig vergessen —
waren es doch im August d. J. 40 Jahre, seit er gestorben;
aber ich selbst habe noch in den ersten Jahren meines Hier¬
seins des öfteren Anspielungen auf seine Bestrebungen,
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165
Aeusserungen des Spottes gehört übor den „Wettermacher“
der 40er Jahre. Solche Aeusserungen haben mir schon vor
Jahren den Wunsch nahe gelegt, die Sache genauer kennen
zu lernen, zu einer eingehenderen Kenntniss der Persönlich¬
keit zu. gelangen; aber Jahre kamen und Jahre gingen, es
blieb beim frommen Wunsche. Erst freundschaftliche Be¬
ziehungen zu den Nachkommen jenes Mannes haben in den
letzten Jahren den alten Wunsch erneut und verstärkt in mir
lebendig werden lassen, und so habe ich mich genauer unter¬
richtet. Was ich gefunden, wage ich hier vorzutragen, theils
um dem mit dem Manne und seiner Sache verbundenen natür¬
lichen örtlichen Interesse zu genügen, theils auch, ja wesent¬
lich desshalb, weil mit solcher Darlegung ein nicht gerade
wichtiger, aber immerhin kennzeichnender Beitrag zur Ge¬
schichte der Witterungskunde geliefert wird.
Der Mann, dem mein Vortrag gilt, ist Philipp Friedrich
Stieffel, zu seinen Lebzeiten Professor an der hiesigen
Polytechnischen Schule.
Zu Heidelberg 1797 geboren, ward er nach Durchlaufen
der dortigen Volksschule Lehrling, dann Gehilfe im Geschäfte
seines Vaters, eines Uhrmachers. Mit 18 Jahren erst ent¬
schloss er sich zum Studiren: gute Begabung, eiserner Fleiss
und die Unterstützung talentvoller Freunde befähigten ihn,
schon nach Jahresfrist die zum Eintritt in die Universität
erforderliche Prüfung zu bestehen. Sein Wunsch war, Theo¬
logie und Philologie zu studiren; bald aber ward er durch
Philosophie, später durch Mathematik und Naturkunde so
sehr angezogen, dass die Beschäftigung mit diesen Fächern
sein Hauptstudium in den Hintergrund drängte. Besonders
war es der berühmte Hegel, dessen Vortrag und Lehre unsern
jungen Stieffel tief innerlich erfassten. Er war nach dem
Zeugniss seiner Freunde einer der Wenigen, welche mit Aus¬
dauer das neue, so schwer zugängliche philosophische System
studirten, und seine geistige Eutwicklung zeigte die nachhaltige
Einwirkung jener Philosophie, welche nachmals von kräftigeren
und kühneren Geistern überwunden und zu höherem, freierem
Standpunkt geführt wurde.
Nach fünfjährigen Universitätsstudien und rühmlich be¬
standener Prüfung wird Stieffel 1821 unter die theologischen
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166
und philologischen Landescandidaten aufgenommcn, musste aber
auf den geistlichen Stand verzichten, da er, für einen miss¬
handelten Freund eintretend, in Folge eines Duells einen
Theil von Unterlippe und Kinn eingebüsst hatte. So
wandte er sich dem Lehrfach zu und trat nach kurzer
Thätigkeit zu Kreuznach im Januar 1822'am hiesigen Lyceum
(Gymnasium) ein; nach zwei Jahren wurde er den mit dem
Lyceum verbundenen sogenannten „Realklassen“ als Lehrer
zugewiesen und verblieb bei diesen auch, als sie im Jahre
1825 zum sogenannten Polytechnischen Institut, dem Anfang
unserer heutigen Technischen Hochschule, ausgestaltet wurden.
An der Vorschule hatte Stieffel den Lehrauftrag für
Mathematik und Naturgeschichte; am Polytechnikum selbst
hielt er Vorträge über deutsche Sprache und Literatur, über
Religion und über Ethik und Aesthetik, und in diesen letzteren
Fächern suchte er die Ansichten seines Meisters auch in
weiteren Kreisen zu verbreiten und liess sich, wie berichtet
wird, hierbei und auch in seinen Conversationen und Privat¬
vorlesungen über Hegel’sche Philosophie so wenig als sein
grosser Lehrer selbst durch die Gefahr der Unverständlich¬
keit von dem Vorgehen nach Hegel’schen Grundsätzen ab-
schrecken. Seine philosophische Bildung war, dem Zeugniss
seiner Vertrauten zu Folge, kein bloss angelerntes Wissen-
sie zeigte sich und ward erprobt in ihrem sichtbaren Einfluss
auf sein ganzes Denken und Handeln. Trübe Lebens¬
erfahrungen mancherlei Art stellten ihn oft auf die Probe,
er bestand sie. Eine nicht kleine Kinderschaar und ein
nothgedrungen künstlich vergrösserter Haushalt, eine recht
schwache, oft gefährdete Gesundheit, dazu das geringe Ein¬
kommen brachten viele Sorgen; aber nichts konnte ihn ab¬
halten, zu arbeiten Tag und Nacht, zu streben nach Er-
kenntniss, zu ringen nach Wahrheit. Iu seinem 55. Lebens¬
jahre, 1852, machte ein Schlaganfall seinem Leben und Streben
ein Ende dort auf dem fernen Helgoland, wohin er behufs
Kräftigung seiner Gesundheit gereist war, unmittelbar nach¬
dem er noch die letzte Monatsnummer seines Wetterboten für
den August versandt hatte. *
* Das Lebensgeschichtliche entstammt ausser mündlicheu Mit-
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167
Wir wenden uns zu Stieffels Leistungen auf dem Gebiet
der Naturkunde.
Wir hörten ja vorhin, dass er an der Vorschule des
Polytechnischen Instituts neben Mathematik auch Natur¬
geschichte zu unterrichten hatte. Durch diesen seinen Unter¬
richt veranlasst und zu dessen Förderung verfasste er nun
im Jahre 1826 ein verhältnissraässig kurzes und doch ge¬
nügend gründliches Lehrbuch der „Naturgeschichte“ der drei
Reiche.* Es schliesst sich im ganzen und für die damalige
Zeit wohl auch am besten an Oken an und entbehrt nahezu
aller wissenschaftlichen Selbständigkeit; wenn ich es trotzdem
hier erwähne, so geschieht es wegen der klaren Erkenntniss
der Bedeutung naturgeschichtlichen Unterrichtes überhaupt
und wegen der feinen und bündigen Darlegung des Unterrichts¬
zieles und des richtigen, damals freilich und noch lange
nachher nicht eben häufig geübten Unterrichtsbetriebes.
Dieser Zweig des Unterrichts sei zu schätzen als „der einzige
Gegenstand, welcher von der sinnlichen Anschauung aus¬
gehend den Verstand zum Wahr nehmen, Urtheilen und
Denken des Unsinnlichen und Abstracten entwickelt, und
man benutze ihn daher als Uebung der Sinne, als Ma¬
terial für den ersten Unterricht im Sprechen und
Schreiben der Muttersprache, als Erweckung des Schön¬
heitsgefühls und Kunstsinnes und endlich in seiner
mannigfaltigen Bedeutsamkeit als die erste moralische
Bilderbibel zur Erbauung des höchsten im Menschen, näm¬
lich seines religiösen Wesens“. Mit solchen Worten leitet
Stieffel sein Buch ein; es blieb sein einziges auf diesem Ge¬
biete und erlebte 1838 eine zweite Auflage.
Neben den naturgeschichtlichen Studien beschäftigten
Stieffel schon seit 1826 Studien und eigene Beobachtungen
meteorologischer Art, und mehr und mehr nahmen diese und
ihre Verwerthung sein volles Interesse in Anspruch.
Die Witterungskunde hatte kurz zuvor einen neuen Auf-
theilnngen von Seiten der Tochter Stieffels im Wesentlichen dem (von
Directorüockel verfassten)Lebensbilde in „Neuer Nekrolog der Deutschen“,
30. Jhrgg., 1852 (1854), S. 562-574.
* Naturgeschichte för den Schulunterricht uud Selbstgebrauch.
Heidelberg, Winter, 1826. 8°. 291 S.
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168
schwung genommen oder vielmehr sie war gerade damals
eigentlich begründet worden. Aufzeichnungen über Wind
und Wetter hatte man ja schon früher an vielen, freilich
nicht immer zweckmässig vertheilten Punkten der Erde ge¬
macht; aber der grösste Theil davon war an sich werthlos,
und auch die zuverlässigen Beobachtungen waren mangels
einer einheitlichen Methode vielfach unbrauchbar. Diese ein¬
heitliche Methode ward zum ersten Male, dazu auf einem
recht grossen Gebiete, seit 1780 von der unter Karl Theodor
gegründeten Mannheimer Meteorologischen Gesellschaft durch¬
geführt, deren Leitung sein Hofkaplan J. J. Hemmer hatte,
derselbe, dessen Verdienste um die Einführung des Blitzab¬
leiters uns Herr Professor Meidinger so schön dargelegt hat.
Leider währte die Wirksamkeit der Mannheimer Gesellschaft
nur 12 Jahre; aber von ihr ging der Anstoss zum Neubetrieb
der Witterungskunde aus.
Schon ein Jahr vor der Gründung der Mannheimer Ge¬
sellschaft, also 1779, hatte hier in Karlsruhe Professor J. L.
Böckmann d. ä. regelmässige Wetteraufzeichnungeu begonnen
und hatte sie, zum Theil mit grossen Unterbrechungen, bis
1789 fortgesetzt; neun Jahre später nahm Professor C. W.
Böckmann d. j. die Beobachtungen seines Vaters wieder auf,
setzte sie ununterbrochen bis zum Sommer 1821 fort, von
wo ab sie Wucherer bis 1832 weiter führte.
So war hier wie anderwärts eine ungefüge, fast er¬
drückende Masse von Beobachtungszahlen erwachsen — was
sollte ihre weitere Aufhäufung, wenn nicht Gesetze daraus
abgeleitet, wenn nicht die Zahlenmassen wenigstens veran¬
schaulicht wurden. Eine solche Veranschaulichung und zu¬
sammenfassende Deutung gelang bekanntlich Al. v. Humboldt
(1817), indem er die Linien gleicher mittlerer Jahreswärme,
die Jahresisothermen, zeichnete, und L. v. Buch (1819), in¬
dem er die Abhängigkeit des Barometerstandes von der
Windrichtung ermittelte und die sogenannte barische Wind¬
rose feststellte. Damit waren gewisse Mittelwerthe wenigstens
gedeutet und ihre Wichtigkeit für die Klimakunde dargethan;
mehr noch als vorher richtete sich jetzt die Aufmerksamkeit
der Wetterkundigen auf die Bestimmung und Vergleichung
der Mittelwerthe aller Witterungselemente, um so vielleicht
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169
die Gesetze zu finden, welche den Witterungserscheinungen
zu Grunde liegen.
Für die vorhin erwähnten Karlsruher 42jährigen Beob¬
achtungen unterzog sich im Jahre 1832 0. Eisenlohr in
Heidelberg* der Mühe, solche Mittel zu errechnen, und stellte
weiterhin auf Grund desselben Thatsachenstoffes (1837 ver¬
öffentlichte) Untersuchungen** an über den Einfluss des
Windes auf Barometerstand, Temperatur, Bewölkung und
Niederschlagsbildung.
Auf diese Eisenlohr’schen Vorarbeiten und ihre Ergeb¬
nisse stützte nachher vom Anfang der 40er Jahre ab Stieffel
seine Vorhersagen des Wetters, indem er damit seine eigenen
Beobachtungen und Erfahrungen verknüpfte.
Denn schon bald nach seiner Versetzung ans Polytech¬
nische Institut, nämlich vom November 1826 ab ***, machte
Stieffel tagtägliche genaue Witterungsaufzeichnungen, die
ersten fünf Jahre noch neben, doch unabhängig von Wucherer,
von 1832 ab bis zu seinem Tode, also 20 Jahre lang, allein.
Während der letzten 17 Jahre seines Lebens wechselte Stieffel
seine Wohnung nicht; er wohnte in einem Hause der Spital¬
strasse (heutige No. 50, in der Druckerei von Gutsch) und
hatte sich hier ganz aus eigenen Mitteln eine vollständige
Wetterwarte eingerichtet, f In dem nach Nord-Nord-West
gelegenen Zimmer, nahe dem Fenster, hingen an einem dreh¬
baren Gestell vier verschiedenartige Barometer mit daran
befestigten Thermometern; vor dem Vprfenster des Fensters
waren in einem laternenartigen Gehäuse ein zugleich als
Thermometer dienendes Psychrometer, ein Maximum-Minimum-
Thermometer und ein Grannenhygrometer befestigt, und an dem
drehbaren Gestelle, auf welchem jenes Gehäuse stand, waren
nach unten hängend noch zwei Thermometer angeschraubt,
* Otto Eisenlohr, Untersuchungen über das Klima und die Wit¬
terungs-Verhältnisse von Karlsruhe. Karlsruhe, 1832. 4°. 74 S.
** Otto Eisenlohr, Untersuchungen Ober den Einfluss des Windes
auf den Barometerstand, die Temperatur, die Bewölkung des Himmels
und die verschiedenen Meteore nach 43jährigen zu Karlsruhe angestellten
Beobachtungen. Heidelberg und Leipzig, 1837. 4 U . 112 S.
*** Stieffel’s »Zeus“, Monatsblatt u. s. w., Jhrgg. 1848, S. 11,
| Deren Beschreibung im „Zeus“, Jhrgg. 1848, S. 1 ff.
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170
an welchen (nach Laraont) Temperatur und Dunstdruck ab¬
gelesen wurden; überdies war aussen an dein Fensterpfosten
ein Verdunstungsinesser (Atmometer) angebracht. Das Be¬
obachtungszimmer lag über der offenen Einfahrt in den ge¬
räumigen Hof; letzterer war nach Westen hin in lim, nach
Osten hin in 16 m Entfernung durch eine 11 m hohe Mauer,
nach Norden durch niedrige Hintergebäude abgeschlossen,
hinter denen sich ziemlich grosse Gartenflächen ausdehnten.
Der Hof war also genügend gross und frei und die Instru¬
mente wurden fast nie von der Sonne getroffen, und wenn
auch zuweilen, so hatte dies nicht statt in der Nähe einer
Beobachtungszeit. In der Mitte des Hofes befand sich in 1,8 in
Höhe der Regenmesser, und dem Beobachtungsfenster gegen¬
über auf dem Hinterhause erhob sich bis 15 m über den Hof
die die Windfahne tragende Stange.
Während von 1798 ab die Beobachtuugszeitpunkte von
einem Tage zum andern Morgens zwischen 6 h und 8\ Mittags
zwischen l h und 3 h , Abends zwischen 9 h und ll h beliebig
geschwankt hatten, führte Stieffel die sogenannten Mannheimer
Beobachtungsstunden 7 h , 2 h , 9 h wieder ein und hielt sie streng
fest. Anfangs, 1827. verzeichnete er nur den Stand von
Barometer, Thermometer, Hygrometer, Windrichtung und die
Beschaffenheit der Atmosphäre sammt Niederschlägen; 1828
fügte er hinzu psychrometrische Differenzen, seit September
1832 auch die tägliche Regenmenge, vom Januar 1835 ab
anstatt Hygrometerstand die Feuchtigkeitsprocente, den Dunst¬
druck und die Verdunstungsmeuge, ferner Bemerkungen über
Pflanzen und Thiere; vom April 1837 ab fügt er seinem
Witterungstagebuch eine weitere Spalte bei für den täglichen
Wasserstand des Rheins bei Knielingen, seit Januar 1838
verzeichnet er auch den Niederst- und Höchststand des Thermo¬
meters sammt dem Unterschied beider, seit 1841 auch das
Gewicht des in einem Kubikfuss (— 0,027 cbm) Luft ent¬
haltenen Wasserdampfes. Durch die Gauss’schen Studien
über Magnetismus angeregt, beobachtet Stieflel seit 1838
auch dreimal täglich die magnetische Deklination mit Hilfe einer
Bussole, auf deren drehbahrer Fassung ein Fernrohr befestigt
war; mit diesem wurde eine 13 m entfernte, an der Wand
des Hinterhauses befestigte Skala abgelesen. In allen Jahren
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wurden noch zum Datum die bedeutenderen Mondpunkte
eingetragen.
So gestaltete sich schliesslich jedes seiner Monatsblätter
in folgender Weise: (Siehe Tabelle Seite 62 und 63.)
Ausdauernd und genau hatte Stieffel 13 Jahre lang Tag
um Tag die Wettervorgänge selbst beobachtet, hatte sie mit
den Aufzeichnungen seiner Vorgänger und mit den von Eisen¬
lohr errechneten Mittelwerthen verglichen und auf ihre Be¬
dingtheit geprüft, mehr und mehr wuchs die Zahl der Blätter
seines Witterungstagebuches, mehr und mehr wuchs auch, wie
er glaubte, sein Verständnis der Erscheinungen.
So hielt er sich für berechtigt, Anderen Führer zu werden,
auch seinen Mitbürgern die Freude und Anregung zu ver¬
schaffen, die ihm das Beschäftigen mit der Natur gewährte,
ihnen womöglich auch Nutzen zu liefern aus dein Erkennen.
So veröffentlichte er Ende 1839 das „Jahrbuch der
Witterangs- und Himmelskunde für Deutschland im Jahr
1840“, ein Büchlein von 208 Seiten. „Es versucht — so
sagt Stieffel — die Ergebnisse der Erfahrung und Theorie
zu benutzen und ein detaillirtes Gemälde des vaterländischen
Klima aufzustellen . . ., es versucht eine Bekanntschaft mit
den Gesetzen zu vermitteln, aus ihnen die Regeln abzuleiten
oder zu bestätigen, mit denen sich dann das zufällige einzelne
Ereigniss befriedigend vergleichen lässt.“ Denn „auch das
Zufällige hat seinen Grund“ und „wo dem Unkundigen nur
Zufall zu herrschen scheint, da walten Gesetze, die ihm
nur einen gewissen Spielraum lassen, so dass auch er sich
noch auf Regeln zurückführen lässt“. Und es sei „angenehm
und begehrenswerth, auch das scheinbar Regelwidrige auf
seinen Grund zurückführen, d. h. erklären zu können“.
Stieffel will also im besten Sinne Lehrer seines Volkes
sein, er will Methode und Ergebnisse der Wissenschaft popu-
larisiren, nicht in der Art, dass er Vorschriften, Recepte
liefert, fertig zum Gebrauch, sondern er will jeden für die
Sache sich Interessirenden in den Stand setzen, auf Grund
des bis dahin Erkannten die rings um ihn sich abspielenden
Vorgänge zu begreifen; er will, wie Al. v. Humboldt um die
gleiche Zeit in grösserem Rahmen und mit Meisterschaft
durchführt, „den Gewinn darbieten, durch Einsicht in den
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172
1848
Barometer
red. auf 10 u = 27" j-
Thermometer (in R.)
Wind
August
7 b 2 h
9“ Diff.
7"
2 h 9 h min. max. diff med.
7“
2 h
9 h
1 .
2.
7.13 7.48
8.98 1.85
14.96
18.72 14.40 14.24 19.44 5.20 16.0
SW 1
SW 4
SW
31.
10^20 10 2G
10.60 0.34
13.92
1 -1*64 13!84] 13*36] 14*88 K52 14.0
no«;
NC)i|
. .6
med.
med.
max.
min.
10.3110.10 10.19 1.12
10.20
12.73 a. 25. 3 43
7.13 a. 1. a. 3.
13.42
18.55 14.54 12.33 19.24 7 31 15.34
15 37
23.84 a. 30 10.10
8.00 a.26. a. 19.
NW 3 SO 3
NI S 3
NO 8 ' SW 50
0 4 W 21
diff
5.60
15 84
O-N
16 W-S 77
auf 20° an 13 Tagen
auf 0° an 0 Tagen.
Summe der Starke
•- 120; 0-N : W-S
0.87:1.»8; Wind
(2) 22 ; (3) 10;
Sturm 6.
Zusammenhang der Erscheinungen den Genuss der Natur
vermehrt und veredelt zu sehen“.
So gibt denn Stiettel in seinem Jahrbuch zuerst (S. 5—145)
für jeden Monat des kommenden Jahres einen Kalender mit
Zeitgleichung für jeden Tag, letztere behufs Richtens der Uhr
nach der Sonne, dann die Vorgänge am Sternhimmel, dann
Witterungsangaben, d. h. die von Eisenlohr und von ihm selbst
berechneten Mittel-, sowie die Nieder- und Höchstwerthe der
sämmtlichen Witterungselemente für Karlsruhe; in zweiter
Reihe bringt er diese selben Durchschnittsangaben und Zu¬
gehöriges für das ganze Jahr (S. 160—176) und für die ein¬
zelnen Jahreszeiten (S. 145 — 160), wobei er den klimatischen
Frühling und Herbst mit dem Tage beginnen und endigen
lässt, an welchem die Temperatur durchschnittlich erstmals
wieder 5° und 14° bezw. 14° und 5° R. beträgt — er be¬
trachtet darnach als Grenzpunkte der klimatischen Jahres¬
zeiten den 19./20. März, 8 /9. Juni, 6./7. September, 6./7. No¬
vember und berechnet so den Frühling, Sommer, Herbst und
Winter mit bezw. 81, 90, 61, 133 Tagen, die auf sie treffen¬
den Durchschnittszahlen der Witterungselemente aber nur je
für die betrettenden vollen 2, 3, 2, 5 Kalendermonate.
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173
Atmosphäre
Feuchtigkeit*
£
o
o
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Duii8tdruck
Procente
Gewicht
Hygrometer
7 h
*
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2 h
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Qi
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Schnee
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Reif
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Hagel
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HöhrAoeh 3
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Gewitter
8
Nordlicht
—
i
, j
1
! i
i
1
|
!
I
Stieffel will aber in und mit seinem Jahrbuch nicht nur
„dem Bedürfniss (nach Aufklärung über das Wesen des
Wetters) entgegenkommen und zur Verständigung über diese
so einflussreichen Naturereignisse beitragen“, er will auch
Solches bringen, „was dem Land- und Forstwirthe, dem Arzte
und überhaupt Jedem auf so manche Frage Antwort geben
kann“, d. h. er will beihelfen, Jedermann die Voraussage des
kommenden Wetters zu ermöglichen. Denn „dem Vertrauten
sagen die Instrumente und andere Data auf Stunden und
Tage bestimmter voraus, welche Veränderungen eintreten
werden von denen, die eintreten müssen und eintreten können“.
Um also Jederman die zu solchem Zweck nöthige Handreichung
zu gewähren, bietet er für jeden Monat die aus den Be¬
obachtungen der letztvergangenen 40—50 Jahre abgeleiteten
„Regeln für die Wetteränderungen“ zur allgemeinen Ver-
werthung und Ausnützung dar. Um eine Vorstellung von diesen
Regeln zu geben, setze ich beispielsweise die von Stiefiel für
den Februar gegebenen hierher. Sie lauten:
„Das Steigen des Barometers deutet auf be¬
ginnende oder grösser werdende Kälte, die von einem
* Die Angaben dieser Spalte beziehen sich auf den April 1847.
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174
Ost-Nordwind gebracht wird. War es yarm und ist das
Steigen rasch, so entsteht zunächst Trübung und Schnee;
fällt viel Schnee, so wird die Kälte um so strenger und
anhaltender. Eine Periode auffallenden Steigens wechselt
mit einer andern eben so auffallenden Fallens ab.®
„Das Fallen bringt warme West-Südwinde, Trübung,
erst Schnee, wenn es streng kalt war, dann Regen mit
Nebel bis zu gänzlichem Aufthauen.“
„Selten wird ein warmer Wind so herrschend, dass
auch er Aufheiterung veranlasste; auch kommen herr¬
schende Nord-Ostwinde mit ihrer trockenen Heiterkeit
weniger vor als im Januar. Grössere Wärme im An¬
fang wird wieder durch Kälte nach der ersten Hälfte
gebiisst. Auch wanne Tage gegen das Ende lassen nur
um so mehr kalte Tage im März befürchten. Grosse
Feuchtigkeit und Dunst oder selbst Nebel deuten
auf Kälte in den oberen Regionen, wenn es unten milde
war, und auf Wärme oben, wenn es unten kalt war. Die
Nebel mildern die Kälte und vermindern die Wärme.
Wird es unten trocken und hell, dann vermehren sich
die Wolkenmassen bis zur Entladung, wenn diese nicht
durch starken Wind gehemmt wird.“
Dem Mitgetheilten zufolge, wie diese Regeln gewonnen
worden waren, konnten sie natürlich unmittelbar nur für
Karlsruhe gelten; Stieffel vergleicht aber im ersten Jahrgang
seines Jahrbuches mit den Karlsruher Witterungsverhältnissen
zunächst die der wenigen sonstigen badischen Beobachtungs¬
orte (S. 178), dann auch die des Königreichs Sachsen (S. 179
bis 185) und findet, dass hiernach der Zusatz „für Deutsch¬
land“ auf dem Titel seines Buches annähernd gerechtfertigt
sei, doch will er in den folgenden Jahren mit solchen Ver¬
gleichungen fortfahren, „bis alle deutsche Lande in die Ver¬
gleichung mit aufgenomnien und alle Hülfsmittel der Be¬
obachtung in den einzelnen Aufsätzen gewürdigt sind“.
Letzteres bezieht sich auf einen letzten und Haupttheil
seiner durch Herausgabe des Jahrbuches bethätigten Absicht.
Er will Verständniss erwecken und verbreiten für die Er¬
gebnisse nicht nur, sondern auch für die Methoden des
Wetterstudiums. Drum fügt er gleich dem ersten Jahrgang
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eine klar geschriebene Abhandlung bei „Ueber das Barometer
und seine Beobachtung“ (S. 188—200), die den damaligen
Standpunkt der Wissenschaft treu wiedergibt und jedem Be¬
obachter ermöglichen sollte, sein Barometer im richtigen Sinne
und mit Verständniss als „Wetterglas“ zu benützen.
Das soeben nach Ziel und Inhalt gekennzeichnete „Jahr¬
buch“, erstmals für 1840 veröffentlicht, sollte Jedes Jahr in
verjüngter und doch gereifter Kraft“ erscheinen. Aber
„mancherlei Hemmnisse“ machten dessen Erscheinen gleich
im folgenden Jahre unmöglich, und als es 1842, und auch
hier verspätet, zur Ausgabe gelangte, hatte es seinen Titel
und zum Theil seinen Charakter geändert. Es hiess nun:
„Witterangsknnde. Mit Rücksicht auf Vermnth-
liehe Witterung überhaupt und des Jahres 1842
insbesondere“, der Hauptnachdruck ward also jetzt mehr
noch wie früher auf die Kunde vom Wetter gelegt und auf
dessen allenfallsige Vorher Verkündigung.
Zwar ist unserem Stieflfel auch jetzt wieder das Lehrhafte
Bedürfnis der Seele: „es thut Noth — sagt er — die Ent¬
deckungen und Resultate, welche die Meteorologie, diese
Wissenschaft von dem physikalischen Leben der Erde, in sich
fasst, allen Gebildeten mitzutheilen“; aber er fügt sofort hin¬
zu, dass es ebenso Noth thue, „sie wo möglich in den Stand
zu setzen, eine Anwendung davon machen zu können“
Freilich sei „nichts veränderlicher und unbeständiger als das
Wetter“; trotzdem lasse sich „eine gewisse Regelmässigkeit,
nach welcher die Wetteränderungen erfolgen, in der Er¬
fahrung nachweisen und muss in einem gewissen Sinne zu¬
gegeben werden, dass auch der Zufall seinen Grund hat. .. .
Gelingt es also dem Naturforscher aus der Beobachtung der
einzelnen Erscheinungen, dieselben als Aeusserungen von Ge¬
setzen aufzufassen, welche keine Ausnahme erleiden, so wird
die Annahme eines ausgedehnten Spieles der Zufälligkeit auf
immer engere Grenzen eingeschränkt und zuletzt selbst eine
Vorherbestimroung der Veränderungen möglich werden.“
So vertheidigt Stiefel „die von der Oberflächlichkeit ver¬
höhnte Meteorologie“ und will an seinem Theil mithelfen, sie
auszubauen zu einer „Meteoromantie, d. i. zu einer Ver-
muthung der künftigen Witterung aus der vergangenen“.
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176
Die Grundlage hierzu liefert die Thatsache, dass für einen
bestimmten Bezirk „jede Jahreszeit, jeder Monat und selbst
einzelne Perioden in demselben, auch jede Tageszeit ihren
eigenthümlicben Witterungscharakter hat“, der sich auf
Grund vieljähriger Beobachtungen der einzelnen Witterungs¬
elemente durch deren Mittelwerthe darstellt.
Diese Durchschnittsergebnisse werden aber fortwährend be¬
einflusst und abgeändert durch Einwirkungen verschiedener Art.
Dahin gehört vor allem die Einwirkung des Mondes.
Stieffel skizzirt in aller Kürze die zwischen den äussersten
Grenzen hin- und herschwankenden Meinungen über solche
Mondwirkung, spricht sich aber schliesslich mit Berufung
auf die Rechnungsergebnisse von Schübler, Flaugergues, Eisen¬
lohr, Bouvard u. A. dahin aus, dass deren „unmittelbare
Vergleichungen der meteorischen Veränderungen mit jenen
des Mondlaufes die Erfahrung seines Einflusses unläugbar
gemacht haben, wenn man auch nicht zu erklären vermag,
wie er denselben ausübt“. Die heutige Wissenschaft läugnet
zwar auch nicht jeglichen Einfluss des Mondes auf die atmo¬
sphärischen Verhältnisse der Erde; sie erklärt es aber rund¬
weg „für verfehlt und jeder Wissenschaftlichkeit wider¬
sprechend, auf Mondeinflüsse Wetterprognosen zu gründen“,
und sie erachtet „ein solches Vorgehen den astrologischen
Bestrebungen fast gleich“ (v. Bebber I, S. 190).
Stieffel, vor 50 Jahren, hält übrigens den Einfluss des
Mondes für „gering“ und er könne selbst „sehr leicht durch
die weit mächtigeren der Wind Wechsel ganz unwirksam werden“;
aber ihn überhaupt in Rechnung zu ziehen, dürfe er nicht
unterlassen.
So berücksichtigt er denn 14 Zeitpunkte des Mondum¬
laufs um die Erde, natürlich die acht sogenannten Mondphasen
(Neumond, erstes Viertel, Vollmond, letztes Viertel, sowie
den ersten, zweiten, dritten, vierten Oktanten, d. h. die Zeit¬
punkte, welche mitten zwischen zwei aufeinanderfolgenden
jener vier ersten liegen), die Erdnähe und Erdferne, endlich
die Stellung im auf- und die im absteigenden Knoten und
das nördliche und das südliche Lunistitium. Betreffs dieser
14 Zeitpunkte betrachtet er als durch die Erfahrung festge-
stellt: 1. dass der Mondeinfluss vom ersten bis dritten Ok-
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tanten ein ungünstiger, vom dritten bis ersten Oktanten ein
günstiger sei, am günstigsten beim letzten Viertel, am un¬
günstigsten beim zweiten Oktanten — als ,,günstig“ ange¬
sehen hohen Barometerstand und damit zusammenhängend
Aufheiterung und trockenen Wind aus Nord-Osten; 2. dass
die Erdnähe gerne mit dem tiefsten Barometerstand und
stürmischem Regen- bezw. Schneewetter Zusammentritt, da¬
gegen Erdferne mit dem höchsten Barometerstand und
seltenerem Regen, auch dass sieben Tage nach demselben
gerne wieder hohes Barometer vorkommt; 3. dass die vier
vorhin zuletzt genannten Zeitpunkte des Mondumlaufs ein
Zusammentreffen mit hohem Barometerstände zeigen derart,
dass für das nördliche Lunistitium der höchste, für die
Knoten der minder hohe und für das südliche Lunistitium
der am wenigsten hohe bemerkt wurde.
Zur wirklichen Geltung gelangen diese nach Stärke und
Sinn wechselnden Einflüsse natürlich nur dann, wenn sie
sowohl mit einander, als auch besonders mit dem vorhin ge¬
kennzeichneten allgemeinen Witterungscharakter im gleichen
Wirkungssinne Zusammentreffen.
Ausser durch den Mond wird der in den langjährigen
Witterungselementen sich darstellende allgemeine Witterungs¬
charakter auch noch in anderer Weise beeinflusst, so durch
die Verschiebung der Perioden. Denn „weil alles Na¬
türliche mit der Zufälligkeit behaftet ist“, so kann die Had-
ley-Dove’sche Polar- bezw. Aequatorial-Luftströmung „bei uns
manchmal Jahre lang nicht in gewöhnlicher Weise auftreten,
so dass Sommer kühl und Winter mild werden; ein ander¬
mal verrückt sich der Charakter der Monate, indem der
März den Charakter des April annimmt u. s. f.; oder es
verschieben sich die Perioden eines Monates um einige Tage
oder sie wechseln den Charakter“. „Nichts ist also gewisser,
als dass jedes Jahr wieder ein absolut einzelnes ist und sich
im Ganzen und Einzelnen von der Regelmässigkeit entfernen
muss, welche auf Durchschnittszahlen aus allen Jahren sich
gründet. . .. Aus solchen Gründen ist es unthunlich, die
Witterung auf mehrere Monate, auf ein Jahr oder auf mehrere
Jahre vorauszusagen.“
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178
„Wenn man dagegen — so fährt Stieffel fort — die
Kenntniss des Witterungscharakters und der Perioden des¬
selben in einem Monat, sowie des Mondeinflusses zu Grunde
legt und aus dem Charakter der gegenwärtigen Witterung
und ihrer Dauer erwägt, welchen Einfluss sie auf die Perioden
der folgenden haben werde, so kann es mit Glück und grosser
Wahrscheinlichkeit des Gelingens versucht werden, auf die
nächsten vier Wochen oder auf noch kürzere Zeit die ver-
muthliche Witterung zu bestimmen.* 4
Um also diese „Vermuthliche Witterang im Allge¬
meinen“ abzuleiten, entwirft Stieffel eine Tabelle, je für
einen Monat bestimmt, und trägt in diese die Erfahrungs¬
tatsachen ersten und zweiten Ranges ein. Als Beispiel gebe
ich hier (S. 69) seine Tabelle für Februar 1842.
Diese Tabelle enthält 16 Spalten. In Spalte 2 und 3 sind
die Mondstellungen und ihre Zeit eingetragen, in Spalte 4 und 5
die Durchschnittsstände von Thermometer und Barometer nach
langjährigen Beobachtungen; Spalte 6, 7, 8 geben den vorhin
erwähnten Einfluss des sogenannten anomalistischen, drako¬
nischen und synodischen Mondumlaufes auf das Barometer,
wobei als Stufen seines Standes die Ausdrücke: „höchst,
höher, hoch, mittler, tief, tiefer, tiefst“ angenommen sind;
Spalte 9 kennzeichnet den Einfluss des synodischen Mondes
auf Richtung und Stärke des Windes und ebenso Spalte 10,
11, 12, 13 den Einfluss des synodischen, anomalistischen und
drakonischen Mondumlaufes auf Bewölkung und Nieder¬
schlagsbildung.
Soweit enthält also jede solche Monatstabelle „nur Re¬
sultate aus der Erfahrung, also nichts Problematisches und
Willkührliches“.
Weiterhin ist es nun Sache des Wetterkundigen, Spalte 14
auszufüllen: er hat „ein paar Tage oder Stunden vor dem
Anfänge des betreffenden Monats aus dem bestehenden
Witterungscharakter und den Andeutungen der Instrumente
in Verbindung mit den Angaben der Tabelle des Einflusses
eine Vorherbestimmung der „„Vermuthlichen Witterung im
Allgemeinen““ zu versuchen* 1 und diese in Spalte 14 einzu¬
schreiben.
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18(3
Diese Art von Vorherbestimmung des Wetters Jeder¬
mann zu ermöglichen, ist der wahre Zweck der StieffePschen
„Witterungskunde“. Eben deshalb liefert dieses Buch für
das Jahr (S. 57—75), für jede Jahreszeit (S. 198- 215) und
für jeden Monat (S. 75—198) den oben S 66 erklärten
„Witterungscharakter“, dann für jeden Monat auch, ganz
wie das frühere Jahrbuch (vgl. oben S. 63), die „Regeln für
die Wetteränderungen“ sammt. den üblichen Volks- oder
Bauernregeln und jeweils schliesslich die vorhin besprochene
„Tabelle“ zum Einträgen der vermutheten Witterung.
In dieser Tabelle findet sich aber noch eine fünfzehnte
Spalte, die mit „Vermutliliche Witterung im Einzelnen“
überschrieben ist und in welche ebenfalls ein Eintrag pro¬
phetischen Charakters gemacht werden kann, für die nächst¬
folgenden Tage nämlich geltend. Stieffel sagt hierüber Fol¬
gendes (S. 18): „Beobachten wir nun täglich zu bestimmten
Stunden und auch ausser diesen, wenn es uns gefällt, vor
Allem die Windrichtung, dann das Barometer, Thermometer
und den Feuchtigkeitszustand der unteren Luftregion; er¬
wägen wir auch die Himmelsbeschaffenheit oder die Art der
Dunst- und Wolkenbildung; vergleichen wir diese Erschei¬
nungen mit dem Charakter des Monates, des Tages und der
Tageszeit, dann mit der kurz vorhergegangenen Witterung,
also mit dem gegenwärtigen wirklichen Charakter derselben,
dann sind wir im Stande, auf kürzere oder längere
Zeit, also auf Stunden bis zu mehreren Tagen eine
Wetterveränderung mit grosser Wahrscheinlichkeit
vorauszusehen, von welcher wir aber die Dauer nicht mit
gleicher Bestimmtheit anzugeben vermögen.“
Damit freilich, dass „der eine nur die Wolken ansieht,
der andere nur das Barometer, jener nur die Verhältnisse
gewisser Pflanzen und Thiere oder auch der Steine befragt,
dieser nur sein Hühueraugc u. dg].“, damit ist es nicht
gethan — immer wieder und eindringlich weist Stieffel dar¬
auf hin, dass es der Beobachtung des Gesammtstandes der
vorhandenen Witterungselemente und ihrer Aenderungen in
der letzten Zeit bedürfe, um vorausverkündend thätig zu
sein: „nur der Erfahrene und Kundige ist im Stande, aus
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einer Summe von Andeutungen mannigfaltiger Art einen
sicheren Schluss zu machen“.
Aber wie viele „Erfahrene und Kundige“ solcher Art
mochte es geben? Gehörte zu solcher Wissenschaft und Kunst,
Schlüsse zu machen, nicht eine dauernde, eine berufsmässige
Beschäftigung mit dem Wetter?
Fragen solcher Art und die entsprechenden Antworten
und Ueberlegungen drängten sich Stiefel naturgemäss von
selbst auf und mögen ihm auch oft genug privatim und
öffentlich entgegengehalten worden sein, Alles drängte darauf
hin, dass er selbst der Mühe und Gefahr des Vorhersagens
der „Witterung im Einzelnen“ sich unterziehe, dass er seinen
festen Glauben an die sicheren Grundlagen seiner Wissenschaft,
dass er seine heilige Ueberfeugung vom Gesetz im Zufall bethätige.
Und Stiefel, folgerichtig auf seiner bisherigen Bahn
weitergehend, that auch noch diesen Schritt, den dritten seines
öffentlichen Auftretens: im Jahre 1840 hatte er im wesent¬
lichen nur die von Eisenlohr und von ihm selbst ermittelten
allgemeinen „Witterungscharaktere“ und 1842 die Anleitung
zur monatweisen Vorausbestimmung der „Vermuthlichen
Witterung im Allgemeinen“ der Oeffentlichkeit dargeboten;
1844 veröffentlichte er, monatweise vorausverkündend, je für
den nächsten Monat die „Vermuthliche Witterung im Ein¬
zelnen“ und unterstellte sie der allgemeinen Erprobung.
Ende December 1843 erschien die „Ankündigung“, dass
Professor Stieffel vom neuen Jahre ab „ein Monatsblatt der
künftigen vermuthlichen Witterung“ unter dem Titel* „Zeus“
* Die Wahl des Titels erläutert Stieffel im Jhrgg. 1844, Beilage
zum Monat Juli. Hier heisst es:
Ein Autor lässt einen Priester des Zeus sprechen: „Das Element,
das alles füllt, das sich am freiesten und ungebundensten durch das Un-
ermessliche breitet, ohne welches nichts bestehen kann, was lebt, selbst
das Feuer nicht, ist die Luft. Wir gaben ihm den Namen Zeus und
stellten diesen den Völkern in Wolken auf einem Donnerwagen mit dem
flammichten zackichten Keil voll furchtbarer Majestät als dessen Re¬
genten vor, weil sie nicht bis zu dem Unsichtbaren gelangen und Gestalt
für den Sinn haben müssen.“ Der Luftkreis mit seinen Veränderungen
des Warmen und Kalten, Trocknen und Feuchten, Heitern uud Trüben
ist auch der einzige Gegenstand dieser nach dem Zeus benannten
Platter_
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182
herausgeben werde, je am vorletzten Tag jedes Monates, einen
halben Bogen Octav zum Monatspreis von 6 Kreuzern (= 17 Pfg.),
zum Jahrespreis von 1 Gulden (= 1,71 M.)- „Das Blatt
soll, soweit es seines Verfassers Erfahrung und Wissenschaft
vermag, sich je am vorletzten Tag des laufenden Monats
über das Wetter des nächsten aussprechen .. . Die fünfzig¬
jährige Erfahrung über die Witterung des betreffenden Mo¬
nats, die Witterung desselben Monats 19 oder 38 Jahre vor¬
her, also für dieses Jahr des Jahres 1825; die gegenwärtige
Witterung des laufenden Monats und die Resultate wenigstens
des vorhergehenden; dann besondere Belehrungen über die
Beurtheilung der Anzeigen an Instrumenten oder sonst; die
Erfahrung, welche in den Volksregeln niedergelegt ist, —
alles dieses liefert die Gründe für den Glauben an das ver-
muthete Wetter“.
Stieffel verhehlt sich und Andern nicht das Gewagte
seines Unternehmens. „Es gehört“ — sagt er in der An¬
kündigung — „ein Entschluss dazu, seine Erfahrung und
die darauf zu bauenden Schlüsse den billig Urtheilenden und
für Belehrung Dankbaren nicht vorzuenthalten und sich aus
den bösen und losen Zungen nichts zu machen“ — und es
kennzeichnet seine Art und sein Streben deutlich, wenn er
betreffs seines Zeus beifügt: „Vergisst man dabei die Person
des Verfassers, so geschieht ihm das Angenehmste. Vom
Wetter selbst wird er täglich ohnedies gelobt oder getadelt
werden.“
Das Interesse an dem neuen Unternehmen scheint ge¬
nügend gross gewesen zu sein; denn richtig erschien am vor¬
letzten Tage des alten Jahres das Zeus-Heftchen für den .
Januar 1844. Was es enthielt, wird nach der voran¬
gegangenen Darlegung von Stieffel’s Bestrebungen leicht zu
errathen sein. Es brachte auf ungefähr einer Seite 1) die
durchschnittliche Witterung des Januar, auf der nächsten („weil
in jedem 19. Jahre die Phasenänderungen des Mondes auf
die nämlichen Tage fallen“) 2) die Witterung des Januars
1825, weiter 3) die des Novembers und Decembers 1843,
ferner 4) Regeln zur Beurtheilung des Barometers, der Wolken
und Luftbeschaffenheit, der Niederschläge, kurz der Witterungs¬
erscheinungen im Januar, endlich nach 5) einer kurzen Be-
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lehrung über das Barometer und nach 6) Angabe der bezüg¬
lichen Volks wetter regeln die Hauptsache, 7) die Vermutliche
Witterung im Januar, diese in folgender Form:
vom 1.—3. eine Periode W.-S.licher Winde, Barometer
im Fallen, windig, trüb, nicht kalt, geneigt zu Schnee
und Regen;
vom 4.-8. eine Periode O.-N.licher Winde, Barometer
im Steigen, erst trüb und Schnee, etwa am 5., dann
Aufheiterung, kalt am 7., doch nicht zu streng und
anhaltend;
vom 9.—11. eine Periode W.-S.licher Winde, Barometer
fallend, stürmisch, Regen, dann Schnee;
u. s. w. — zum Schluss:
Im Ganzen sind W.-S. liehe Winde vorherrschend, daher
mild und nass, auch stürmisch, Schnee und Kälte nicht
bedeutend.
Der Januar verging; an seinem letzten Tage erschien
das Zeus-Heft für den Februar und brachte für diesen die¬
selben sieben Abschnitte mit ihren entsprechenden Angaben
wie im vorigen Monat. Der interessanteste und gewiss mit
Spannung erwartete dieser Abschnitte war der dritte, der
über die „Nächstvergangene Witterung“ Bericht erstattete:
hier wiederholte Stieffel in kleinem Druck die von ihm im
Monat zuvor vermuthete Witterung und stellte von Periode
zu Periode daneben die thatsächlich stattgehabte und die
genaue Angabe, ob und inwieweit seine Voraussage einge¬
troffen sei oder nicht, so jedem Leser die Vergleichung vor
Augen rückend. Er konnte mit offenbarem Vergnügen fest¬
stellen, dass für 21 der verflossenen 29 Tage seine
Vermuthung eingetroffen sei. Und weiter erfahren wir,
es seien ihm „von den Freunden des Zeus, deren er schon
viele, besonders unter den Aerzten, Geistlichen und Oeco-
nomen zähle, die erfreulichsten Versicherungen zugekommen,
dass ihr Vertrauen durch den ersten Versuch nicht getäuscht
worden sei“.
So setzte also Stieffel sein Unternehmen fort, dabei frei¬
lich ehrlich erklärend, dass er auch „das ungünstige Urtheil
nicht scheue, wenn völlig unregelmässiges Wetter an die
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Stelle des normalen tritt, weil wir nirgends behaupten, das
erstere zu wissen oder wissen zu können“.
Vorerst trafen seine Voraussagen befriedigend ein; gleich¬
wohl „verhinderten eine mehr oder minder falsche Auffassungs¬
weise und der Mangel an Aufmerksamkeit bei gewöhnlichen
Witterungswechseln eine lebhaftere Anerkennung“ (S. 44).
Diese kam aber reichlich, als er dem sonst so wetterwendischen
April einen gegentheiligen Charakter vorhergesagt hatte; nach
diesem „ganz aus seiner Art geschlagenen April... erkannte
man an, hier ist nicht bloss glücklicher Zufall, sondern
sichere Berechnung und Erfahrung allein vermag solches zu
leisten“ und „Zuschriften mit Anerkennung folgten nun von
allen Seiten“.
Am Ende des ersten Halbjahres seiner Prognosen konnte
Stieffel mittheilen (S. 59), dass „sich nicht nur die öffent¬
liche Meinung, sondern auch die der Meteorologen anerken¬
nend über diese Vergangenheit ausgesprochen“ habe; die
Oberrheinische Zeitung, Karlsruher, Pforzheimer, Mannheimer
Tagesblätter, die Weserzeitung brachten lobende und aner¬
kennende Berichte: man habe anfangs über das Unternehmen
gespöttelt, aber mit dem wachsenden Erfolg des Eintreffens
habe sich das neue Blatt Bahn gebrochen und habe sich
einen weit reichenden Leserkreis erworben. In der That
musste von den Monatsnummern des Januar bis Mai eine
zweite Auflage gedruckt werden.
Der Rückschlag blieb nicht aus, als gleich darauf die
Vorhersage für den Juli sich als fast völlig verfehlt erwies,
ein Fehler, der Stieffel zufolge durch die am 30. anstatt
am 28. Juni erfolgte Vorhersage hätte vermieden werden
können, der ihn „übrigens an seinen Berechnungen nicht irre
machen könne“ (S. 62).
Er setzte sie also fort und erklärt im Vorwort zum
neuen Jahrgang 1845 erneut das Ziel seiner Arbeit.: „Was
er eigentlich mit seinen Vermuthungen will, ist,
Andere mit den Augen seiner Erfahrung sehen zu
lassen. Dabei bescheidet er sich gerne, erst nach einem
vorgesteckten Ziele zu streben. ... Er macht weder das
Wetter, noch kann er dafür, wenn es nicht eintrifft. Es ist
eben die Natur der natürlichen Dinge, in ihrer einzelnen Er-
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J
185
scheinung das Gesetz oft nur verhüllt und verschoben abzu¬
bilden, während Wissenschaft und Kunst dem Gesetze nach¬
gehen und ein getreues Abbild desselben zu geben ver¬
suchen.“
Und ein halbes Jahr später (S. 49 ff.) spricht er sich
über die die Vorhersagungen des Zeus ermöglichende und
bedingende „Methode“ aus und sagt dabei: „Wenn wir es
versuchen, das bloss Wahrscheinliche, also die Kegel in
den Erscheinungen für ein bestimmtes Witterungsgebiet und
für die nächste Zukunft aufzustellen, so wollen wir damit
eine alte Forderung befriedigen, die an die Meteorologie
gemacht wird, auch dem Leben nützlich zu werden, und
ein allgemeines Interesse an derselben erwecken. Werden
wir damit vielfältig verkannt und in die verspottete Klasse
der Wetterpropheten gesetzt, so haben wir dies zunächst
zu dulden und uns anderseits mit der jetzigen und künftigen
Anerkennung zu trösten, die für unsere Methode nicht aus¬
bleibt und nicht ausbleiben kann.“
Stieffel setzte unbeirrt seinen Weg fort, aber nicht nur
Wetter vorherverkündend und Monat um Monat Vorherver¬
kündigung und thatsächliche Witterung neben einander
stellend, sondern stets darnach strebend, die Errungenschaften
der wissenschaftlichen Witterungskunde weiteren Kreisen zu
vermitteln. Diesem Zwecke dienten die durchaus populär ge¬
haltenen und stets auf praktische Verwerthung abzielenden
Aufsätze, welche er über meteorologische Gegenstände in den
fünf ersten Jahrgängen seines „Zeus“ einrückte. So be¬
handelte er nach einander die einzelnen Witterungselemente
im Allgemeinen und die ihrer Erforschung dienenden Werk¬
zeuge, studirte besondere auffallende Erscheinungen, wie
übermässig warme Tagesgruppen oder Windhosen, gab auch
vielfach graphische Darstellungen gewonnener Zahlenergebnisse
und Vergleichungen solcher aus verschiedenen Orten und
Zeiten, klärte auf über den sogenannten hundertjährigen
Kalender, beschrieb sein eigenes meteorologisches Obser¬
vatorium, sowie seine Art zu beobachten und sein Tage¬
buch u. 8. w. Seit April 1844 fügte er auch wieder regel¬
mässig Belehrungen und Berichte bei über die „Erscheinungen
am Sternenhimmel“.
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So hatte er jetzt 22 Jahre lang seine Wetterstudien be¬
trieben und hatte während eines Jahrfünfts allmonatlich seine
Vorhersagen veröffentlicht; er ging nun einen Schritt weiter.
Die Wissenschaft, sagt er, habe sich „bisher mehr an die
Untersuchung der Beschaffenheit und Veränderung wesentlicher
Erscheinungen gehalten und habe die lebensvolle Wirklichkeit
der bestimmten Witterung einzelner Tage nur wenig oder
gar nicht beachtet“; es sei aber „nothwendig, aus dem All¬
gemeinen der unbestimmten Wahrnehmung das Bestimmte
zu scheiden, abzutheilen und zur deutlichen Vorstellung zu
bringen“ und so „die fliessende Natur des Wetters festzu¬
halten und in besonderen Bildern aufzustellen“. Die Witterung
jedes Tages habe ein bestimmtes Gepräge, einen gewissen
Charakter oder Typus, und demgemäss habe die fortschreitende
Wissenschaft die Aufgabe, die in unserem Witterungsgebiet
vorkommenden Witterungstypen festzustellen, sie ganz wie
die Pflanzen und Thiere in der Naturgeschichte nach Arten,
Gattungen, Familien, Ordnungen und Klassen zu scheiden,
von jedem Typus zu ermitteln, aus welchem anderen er ent¬
standen und in welchen er übergehe, wie lange im Durch¬
schnitt und im einzelnen Fall er dauere und schliesslich wie
sich jeder Witterungstypus erklären lasse. In der That, eine
schwierige Aufgabe — aber Stieffel unterzog sich ihr und
arbeitete mit eisernem Fleiss an ihrer Lösung: die Jahr¬
gänge 1849 und 1850 seines „Zeus“ veröffentlichten das
Ergebnis seiner Untersuchungen als „ersten Versuch“ auf
diesem Gebiete, der zunächst die „Möglichkeit“ einer solchen
Festlegung von Wilterungstypen darthun sollte.
Er unterscheidet zunächst vier Klassen, nämlich Winter-,
Frühlings-, Sommer- und Herbsttypen*, indem er da¬
bei das Eintreten oder Nichteintreten einer mittleren Tages¬
temperatur von höchstens oder mindestens 5° und 14° R. als
kennzeichnend ansieht. Jede dieser Klassen theilt er in zwei
* In kleinem Unterschied gegen die vor neun Jahren aufgestellte
Scheidung der klimatischen Jahreszeiten (s. ob. S. 62) rechnet er jetzt
als Qrenztage den 24./25. März, 8./9. Juni, 4./5. September, 7./'8. November
(als Mittel aus 57 Jahren) und berechnet so den Frühling, Sommer, Herbst
und Winter jetzt mit bezw. 76, 88, 64, 137 Tagen.
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Ordnungen, in solche ohne nasse Niederschläge und solche
mit nassen Niederschlägen, d. h. in trockene und nasse Typen.
Jede der Ordnungen der trockenen Witterungstypen
scheidet er je nach dem Grade der Bewölkung in vier Familien,
nämlich in: 1. heitere, 2. unterbrochen heitere, 3. durch¬
brochen trübe, 4. trübe (vgl. Anm. S. 78); anderseits scheidet
er die nassen Winter-, Frühlings- und Herbsttypen je in drei
Familien, nämlich in solche 1. mit Regen, 2. mit Regen
und Schnee, 3. mit Schnee, und jede derselben in drei
Gruppen, die durch die drei Ueberschriften „unterbrochen
heiter“, „durchbrochen trübe“, „trübe“ gekennzeichnet werden;
bei den nassen Sommertypen fallen natürlich die zwei letzten
Familien weg.
Jede Familie hat durchweg zwei Gattungen: die eine
mit einer für den Tag der betreffenden Jahreszeit niederen,
die andere mit entsprechend hoher Temperatur, für Frühling,
Herbst und Sommer die ersteren kühl oder rauh, die letzteren
warm bis heiss genannt, für Winter jene als kalt, diese als
gelinde bezeichnet.
Auf diese Weise bildet Stieffel 4 Klassen, 8 Ordnungen,
26 Familien, 92 Gattungen von Wettertypen, und dadurch,
dass er jede der letzteren je nach der Richtung und Stärke
des Windes in 9 Einzelfälle gliedert, gewinnt er im Ganzen
für das Jahr ein Schema von 828 Einzeltypen der Witterung,
nämlich je 234 Einzeltypen für Winter, Frühling und Herbst
und 126 Einzeltypen für den Sommer.
Ob diese schematisch gebildeten Einzeltypen in der
Natur wirklich Vorkommen, stellt er fest an der Hand seines
eigenen seit 21 Jahren geführten Tagebuches und auf Grund
der älteren Beobachtungen.
Um die Fülle, ja Ueberfülle des Stoffes zu bewältigen,
schafft er sich zunächst eine eigene abkürzende Zeichen¬
sprache*, welche ihm gestattet, die Witterung, ja selbst den
* Stieffel lässt bedeuten (Zeus 1849, S. 3):
d = Duft,
d/r = Reif durch Duft,
n = Nebel,
n/r — Reif durch Nebel,
r = Regen,
s/g = Graupelschnee,
h = Hagel,
g == Gewitter,
g/w = Wetterleuchten,
r/o = Glatteis,
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Witterungsverlauf eines Tages in einer einzigen Zeile hin¬
reichend scharf darzustellen. So bedeutet z. B.:
d/r h 2 ' 40 ° W-S olo tV0 bA=
für den 12. Dezember 1848: „Morgens Duft, Reif, einige
Wölkchen, später mehr Wolken, Nachmittags und Abends
heiter und duftig; stille Luft, die Windrichtung schwankt
etwas zwischen SW und SO; die Temperatur nieder bis Eis;
das Barometer hoch und stetig“;
— oder in später etwas vollständigerer Ausführung, wie z. B.:
33
86 h 42 ;®- S-N 2 tA21 bV<
44
für den 11. Juni 1801: „Unterbrochen heiter, Regen, wechseln¬
der, wenigstens einmal starker Wind, Sommertemperatur,
höchste 21°, Barometer unter Mittel, steigt; dies gibt den
Sommertypus 86, der vorgehende Tag hatte den Typus 33,
der folgende den Typus 44“.
In derartige, die Witterung und den Witterungsverlauf
jedes Tages abgekürzt und doch kennzeichnend darstellende
Formelzeilen schreibt nun Stieftel die Beobachtungen der
rt = Regentropfen, ro = Gefrorene Regentropfen
rs = Regen mit Schnee, fallen als Eiskörnchen
s = Schnee, herab.
8f == Schneeflocken,
Ferner bedeutet ihm h mit den beigefügten Exponenten 0, 1, 2,
. . ., 9, 10 den Grad der Himmelsbewölk ung derart, dass ein Tag,
an welchem die Summe dieser Exponenten höchstens 3 ergibt, „heiter“
heisst, aber „unterbrochen heiter“, „durchbrochen trüb“, „trüb“ heisst,
wenn jene Summe hezw. mehr als 3 und weniger als 15, mehr als 15
und weniger als 27, mehr als 27 ausmacht.
Weiter bedeutet O-N ein Schwanken der Windrichtung auf der
kalten trockenen Seite der Windrose (NW, N, NO, 0) und W-S ein
Schwanken auf der warmen nassen Seite der Windrose (SO, S, SW, W).
Das Umschlagen aus O-N in W-S bezeichnet er durch O-W. das entgegen¬
gesetzte durch W-O.
Die Windstärke (von Windstille bis Sturm) wird augedeutet
durch Beifügung der Exponenten 0, 1,2, 3, 4. Betreffs der Tem¬
peratur bedeutet t/\ hohe, tV niedere, t= mittlere Temperaturin ihrer
Klasse; t> bedeutet ab-, t< zunehmende Temperatur. Entsprechend
beim Barometerstand, z. B. b/\> hoher fallender B. u. s. w.
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letzten 40—50 Jahre um, so nicht weniger als 18 262 Zeilen
benöthigend; die sämmtlichen Einzelformeln jedes bestimmten
Tages ordnet er nach dem dargelegten Schema der Wit¬
terungstypen und klebt sie in dieser Ordnung auf ein Blatt,
so dass er für jeden Tag des Jahres in bequemer Uebersicht
die stattgehabten Witterungstypen vor Augen hat und daraus
geradezu die „Witterungsgeschichte jedes Tages im Jahre ; ‘
abzuleseu vermag, dies um so leichter, als er seine Tages¬
formeln auf gegen 600 Kreissektoren-Blättern auch graphisch
darstellt. *
Seine Arbeit wird jäh unterbrochen durch die Stürme
der Revolution. Dem Ruf zu den Waffen folgend tritt
Stieffel bei der Karlsruher Bürgerwehr ein, und in der
schauerlichen Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1849 wird
auch er durch den Generalmarsch um Mitternacht aufge¬
scheucht, um das Zeughaus gegen die Angriffe der Frei-
schaaren zu vertheidigen; als Freiwilliger begleitet er in jener
Nacht seinen Obersten auf dem gefahrvollen Wege des Unter¬
handelns mit den abgefallenen zügellosen Soldaten.
Begreiflich, dass in jener Zeit der allgemeinen Auflösung,
bei solchem Zustand der politischen und socialen Atmosphäre
das „Monatsblatt für künftige vermuthliche Witterung“ sein
Erscheinen einstellte: im zweiten Halbjahr von 1849 igt der
„Zeus“ nicht ausgegeben worden.
Aber sofort mit Neujahr 1850, als die Verhältnisse sich
wieder beruhigt hatten, trat Stieffel mit seinen Wetterberichten
und Wettervorhersagen wieder hervor. Und jetzt sucht er
auch Nutzen zu ziehen aus seiner tabellarischen Witterungs-
* Die Ergebnisse dieser Arbeit grossen beharrlichen Fleisses hatte
Stieffel in 12 Foliomappen gesammelt, jede für einen Monat bestimmt;
als IS. kam hinzu die, in welcher er die Grundsätze seines Verfahrens
und die Erklärung seiner Zeichen darlegte. Dieses umfassende Manu¬
skript gedachte er zu veröffentlichen unter dem Titel: „Grundlegung
einer Charakteristik der Witterung für Mitteleuropa aus 50—67jährigen
Beobachtungen in Karlsruhe“. Mit einer Stuttgarter Verlagsbandlung
eingeleitete Unterhandlungen zerschlugen sich, uud so vermachte er dieses
handschriftliche Werk im Vorgefühl seines nahen Todes der Grossh.
Polytechnischen Schule. Diese, die jetzige Technische Hochschule zu
Karlsruhe, besitzt es noch in ihrer Hibliotbek (freilich leider ohne die
IS. Mappe).
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190
geschieht« der einzelnen Tage und Monate und wünscht jeden
Leser mit deren Hülfe in den Stand zu setzen, noch sicherer
wie vordem aus der gegenwärtigen Witterung einen Wahr-
scheinlichkeitsschluss auf die nächstkünftige zu machen.
Zu diesem Zwecke veröffentlicht er in engem Rahmen
und nur Ziffernbezeichnung benützend den wesentlichen Ge¬
halt seiner Uebersichtstabellen, und zwar gibt er diesen für
jeden Monat zweimal: erstens in schematischer Form, von
seiner naturgeschichtlichen Eintheilung der Wettertypen Ge¬
brauch machend, und zweitens der Zeitfolge der Jahre nach.
Als Beispiel des ersteren wähle ich ein paar Zeilen aus
den Angaben für Januar, nämlich das Mittel aus 60 Jahren:
rt 15. rm 229. t—0.1. to 18. WS 47. b 10,5
und als Einzelfälle:
A. Trockener Wintertypus.
I. Gelinde mit Kälteperioden.
1. Ost-Nordwinde vorherrschend,
a. Barometer hoch.
.1821
.....< .1825
rtll. rml90.11,2. mx7. mi— 6. toi 6. WS 35. bl 1,6 1824.(1.
B. Nasser Wintertypus.
VI. Kalte mit gelinden Perioden.
2. West-Südwinde vorherrschend,
b. Barometer im Mittel.
.1846
.. 1849
rt 21. rm 654. t0,7. mx8. mi —9. to 14. WS74. b 10,0 1839. (24
Letzteres bedeutet, dass im Januar 1839 (als einem der
studirten 60 Jahre) die Zahl der Regentage 21 betrug, die
gefallene Regenmenge 654 badische Kubikzoll, die Tem¬
peratur 0,7°, das Maximum 8°, das Minimum —9°, dass es Tage
mit 0° in der Zahl 14 gab, dass der Barometerstand =
27 badische Zoll -|- 10,0 Linien betrug, endlich dass sich in
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191
diesem Januar 1839 der 24. Typus des aufgestellten Typen¬
schemas verwirklicht hat.
So ergeben die 60 Exemplare Januar im Ganzen 30 Arten
(Typen) in 7 Gattungen.
Als Beispiel von Stieffels zweiter Gruppe von Tabellen
wähle ich ebenfalls die auf den Januar bezügliche; diese ent¬
hält unter der Ueberschrift 60 Zeilen wie die folgenden zwei:
Ja¬
nuar
.A
b v
W-S
N-0
<! ©
r rs
S
n
h°
1820
.
4*5
2*3
24
1821
1* 2* 3
145
Tö~
123 4
1
45
4
245
125* 4*
1345
1822
1*
2
12345 12
1235
•
245
1823
1
•
In dieser auszugsweisen Darstellung bedeuten die Ziffern
1, 2, 3, 4, 5 die aufeinanderfolgenden Fünftel (Hexaden)
des Monats, die Sternchen bei der Angabe der Windrichtung
das Walten von stürmischem Wind, im Uebrigen gelten die
Zeichen, wie sie S. 78 erläutert wurden.
Derartige Doppeltabellen für jeden Monat des Jahres
füllen den grössten Theil des Zeus-Jahrganges 1850, und es
ist hieraus nur zu erklärlich, dass die Theilnahme und Freude
an solcher Art und Anleitung der Wettervorhersage bedenk¬
lich abnehmen musste; von allen Seiten dürften dem Heraus¬
geber Zuschriften und Abmahnungen zugekommen sein. Schon
im Aprilheft bestätigt dies Stieffel selbst: „Die Abneigung
— sagt er —, sich auf eine blosse Ziffer- und Zeichensprache
einzulassen, ist so allgemein, dass unser Artikel I wenig
Freunde haben wird und daher, wie fast zu fürchten steht,
den nützlichen Zweck nicht vermittelt, welcher damit erreicht
werden sollte. . . . Dagegen wird es freilich auch solche
geben, welche Art und Inhalt dieses Artikels zu schätzen
und zu benützen wissen. Sie werden die zwölf Monate des
1850er Zeus als Taschenbuch stets zur Hand haben und ihn
6
t.
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192
häufig und nie vergeblich über die Vergangenheit und Zu¬
kunft der Witterung befragen.“
In dieser trostreichen Zuversicht führte er sein einmal
begonnenes Vorhaben durch — aber freilich mit der natur-
nothwendigon Folge, dass sich die Zahl der Abnehmer des „Zeus“
mehr und mehr verminderte und dass diese schliesslich ausblieben.
Denn so müssen wir es wohl deuten, dass im Jahr 1851 der
„Zeus“ nicht mehr selbständig erschien, sondern in Form
eines Quartblattes je als Monatsbeilage zum Grossh. Badischen
Landwirthschaftlichen Wochenblatt ausgegeben wurde mit
dem Titel „Der Wetterbote aus der Vergangenheit und für
die nächste Zukunft“; er gab nur noch die Mittel des ab¬
laufenden und neu anhebenden Monats und die verinuthliche
Witterung dieses letzteren.
Aber „nach einer Entschliessung der Grossh. Central¬
stelle des Landwirthschaftlichen Vereins wird der Wetterbote
als Beilage nicht mehr erscheinen“ so hatte Stieffel Ende
1851 öffentlich mitzutheilen, kündigte jedoch sofort auch die
erneuerte Fortsetzung seines Monatsblattes „Zeus“ an.
In der That erschien dieser wieder in der früheren Art.
aber nur noch für die ersten acht Monate des Jahres 1852.
Ende Juli hatte Stieffel noch das Augustheft fertiggestellt
und war zu einem erneuten Aufenthalt auf Helgoland aus¬
gezogen, behufs Stärkung seiner Gesundheit —der 17. August
setzte dort seinem Leben und Wirken ein Ende. Der Jahr¬
gang 1852 des „Zeus“ steht somit unvollendet in unseren
Bibliotheken.
In diesem letzten Jahrgang hat Stieffel, wie im Vor¬
gefühl seines nahen Todes, nochmal Rückschau gehalten auf
seine Arbeit, man kann wohl sagen auf das Werk seines
Lebens, und er hat erneut die Frage beantwortet, „inwiefern
es bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft möglich
ist, die Witterung eines gewissen Zeitabschnittes für ein
bestimmtes Witterungsgebiet mit einem gewissen Grade von
Wahrscheinlichkeit vorherzusagen“.
Seine Gründe für die Bejahung dieser Frage und seine
Art der Beantwortung kennen wir ja, ich will sie nicht
wiederholen; wohl aber will ich versuchen, jetzt, nachdem
40 Jahre seit seinem Tode vergangen und nachdem die
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193
Witterungskunde einen erneuten Aufschwung auf neuer
Grundlage genommen, das Werk seines Lebens und sein
Streben nach dem ersehnten Ziele zu würdigen.
Die Grundlage jeder Naturforschung ist die Beobachtung,
die Feststellung des Thatsächlichen; zur Erforschung des
Wetters im Besonderen bedarf es langwährender und sorg¬
fältiger Beobachtungen und Aufzeichnungen. Und gerade
betreffs dieser grundlegenden Thätigkeit verdient Stieffel
ganz besonderes Lob: er ist in allererster Reihe ein aus¬
dauernder und ein genauer Beobachter. Nicht mit Mit¬
teln des Staates oder eines Vereins, sondern, mit einer aus
eigenen, man darf wohl sagen am Munde abgesparten Mitteln
selbst gebildeten Einrichtung, aus freier Neigung in Neben¬
momenten seines Berufes setzt er durch dritthalb Jahrzehnte
ohne Unterbrechung seine Beobachtungen fort, sich anschliessend
an die berühmte Mannheimer Glanzperiode des vorigen
Jahrhunderts. Das Urtheil über sein Thun möge uns der
amtliche erste Jahresbericht der Badischen Meteorologischen
Centralstation Karlsruhe geben (1869). Hier heisst es
(S. 273): „Stieffel beobachtete in ausgedehnterer und sorg¬
fältigerer Weise als seine Vorgänger. Die Stieffel’sche Be¬
obachtungsreihe ist die zuverlässigste, nicht nur wegen der
ausgezeichneten Sorgfalt der Beobachtungen, sondern auch
wegen der besseren Beobachtungsmethode und der besseren
Beobachtungsinstrumente. Während vom Jahre 1798 an die
Beobachtungsstunden von einem Tage zum andern Morgens
zwischen 6 h und 8 h , Mittags zwischen l h und 3 h und Abends .
zwischen 9 h und ll h beliebig schwankten, führte Stieffel
die ursprünglichen Beobachtungsstunden 7 h , 2 h , 9 h wieder ein.
An die Stelle des De Luc’schen und Saussure’schen Hygro¬
meters, mit welchem früher die Feuchtigkeit der Luft be¬
stimmtworden war, setzte Stieffel das zuverlässigere August’sche
Psychrometer. Die Grade der Bewölkung, welche vor ihm
mehr oder weniger roh geschätzt worden waren, ermittelte
Stieffel genauer unter Zugrundelegung der lOtheiligen Be¬
wölkungsskala.“
Wie Stieffel selbstthätig das Wetter beobachtete, so
suchte er auch an anderen Orten Mitarbeiter zu gewinnen,
13
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194
überzeugt, dass nur die gemeinsame gleichartige Arbeit
Vieler zur Annäherung ans Ziel führen könne. „Erst ihm
gelang die Errichtung eines über das ganze (badische) Land
ausgedehnten Systems meteorologischer Stationen. Auch
erfolgte auf seine Anregung durch Vermittelung der Central¬
stelle des Landwirtschaftlichen Vereins im Jahre 1834 die
Gründung eines Badischen Meteorologischen Vereins. Die
Zahl der zur damaligen Zeit ins Leben getretenen verläss¬
lichen Stationen gibt Stieffel selbst* auf sieben an“.**
Prof. Stieffel suchte aber nicht nur sich selbst, er suchte
auch seinen Mitmenschen, allen Schichten seines Volkes „ein
weites Naturgebiet befriedigend aufzuschliessen“, er war
Volkslehrer im besten Sinne des Worts. Und wenn auch
die acht bis neun Jahrgänge seines Zeus und seine anderen zwei
vorher veröffentlichten Schriften keine weitere, insbesondere
keine wissenschaftliche Bedeutung hätten oder haben, das
Verdienst ist ihnen nicht abzusprechen, dass sie neben den
wohlgepflegten literarischen und bald auch politischen In¬
teressen ebenso die naturwissenschaftlichen zu wecken suchten,
dass sie in einer Zeit, wo die überreiche Fülle populärer
Literatur sich noch nicht in alle Lande, am wenigsten in
alle Schichten ergoss, dass sie damals in allgemein verständ¬
licher Weise den Sinn für Natur, das Verständniss für das
scheinbar so regellose Wesen des Wetters zu fördern, zu
vertiefen bestrebt waren, dass sie einer vernünftigen, einer
rationellen Betrachtung, der Aufnahme einer Erklärung der
• Naturvorgänge die Wege ebneten, dass sie physikalische
Kenntnisse und Erkenntniss weithin verbreiteten.
All dies bleibt wahr und ist eine wichtige Seite von
Stieffel’s Wirksamkeit, wenn selbstder W etterprophet Stieffel
vollständig zu verurtheilen wäre. Aber dass ihm mit letzterem
in gewissem Sinn Unrecht geschähe, werden wir gleich
sehen. Schauen wir uns zu diesem Zwecke um, wie es zur
* ln einem Briefe Stieffels an Mahlmann rom Jahre 1846. Vgl.
Hellmann, Repert. der deutschen Meteorol.
** Beiträge zur Hydrographie des Grossherzogthums Baden, 2. Heft
(1886), S. 6.
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195
Zeit von Stieffels öffentlichem Auftreten um die Wettervorher¬
sage stand. Ein paar Beispiele genügen, dies darzuthun.
Goethe erklärt (1825) zwar* „die Hauptbedingungen
der Witterungslehre für tellurisch“, schreibt aber „die atmo¬
sphärischen Erscheinungen einer veränderlichen pulsirenden
Schwerkraft der Erde“ zu und vergleicht diese „einem Ein-
und Ausathmen vom Mittelpunkt gegen die Peripherie“; er
stellt es dann, unentschieden lassend, ob darauf gegründet,
als seine „Ueberzeugung hin, dass man 24 Stunden vorher
die Witterung Voraussagen könne“, fährt dann freilich mit
den Worten weiter: „Nimmt man dieses auch nicht für so
ganz entschieden an, da in der täglichen Erscheinung auch
irgend ein Schwanken gar wohl zum Vorschein kommen
könnte, so kann man doch versichert sein, dass es in der
Hauptsache nie trügen werde“.
Dieser halb zuversichtlichen, halb schwankenden Meinung
Goethe’s gegenüber lauten die Urtheile von Naturforschern
der damaligen Zeit recht bestimmt, aber durchaus nicht in
einem Sinne, der Stieffel’sche Bestrebungen hätte ermuntern
können.
Denn Littrow legte in der Naturforscherversammlung
zu Jena (1835) ausführlich dar, nicht nur dass man in der
Meteorologie noch gar nichts wisse, sondern auch dass über¬
haupt eine Beschäftigung damit thöricht sei. Auch Olbers
sprach sich verwerfend aus über die praktischen Zwecke der
Meteorologie seiner Zeit. Und Arago führt in einer aus¬
führlichen Abhandlung im Kalender für 1846 den Beweis,
dass man niemals dazu gelangen werde, weder auf ein Jahr,
noch auf einen Monat, ja nicht auf einen Tag die Witterung
vorherzusagen; aus seinen Untersuchungen über die Störungen
im Witterungsverlauf zieht er die gar zu kühne Folgerung,
dass, welches auch die Fortschritte der Naturwissenschaft
sein möchten, kein Naturforscher, wenn er ehrlich und eifer¬
süchtig auf seinen Ruf wäre, es jemals wagen würde, die
künftige Witterung vorherzusagen (!).
Auch Kämtz, „dessen Lehrbuch der Meteorologie in
* Goethe’s Werke, Cotta’ache Ausgabe von 1867, Bd. 36, S. 216.
212. 209.
13*
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196
der Geschichte dieser Wissenschaft epochemachend“ war*,
sagt zwar (1838)**, „dass die Natur bei den Aenderungen
der Witterung nicht nach Laune regiert, sondern dass auch
hierbei ewig unwandelbare Gesetze stattfinden“, aber zwei
Jahre später lehnt er, der Mann der Wissenschaft, gleichwohl
irgend welches Vorhersagen kurz und bündig ab, und es ver¬
dient die durch einen Vergleich gegebene Begründung seiner
Meinung hier erwähnt zu werden ***: „Der Meteorolog — sagt
er — ist durchaus nichts als der Geschichtschreiber der Wit¬
terung, er hat es nur damit zu thun, die Gesetze der ver¬
gangenen Ereignisse aufzusuchen, und so wenig als man es
von einem Erzähler der Völkergeschichte fordert, dass er die
zukünftigen Ereignisse mit Bestimmtheit angebe, ebenso wenig
darf man es von ihm verlangen.“
Und Humboldt — ? Er sagt uns zwar im Kosmosf,
es habe ihm „immer geschienen, dass die Meteorologie ihr
Heil und ihre Wurzel wohl zuerst in der heissen Zone suchen
müsse, in jener glücklichen Region, wo stets dieselben Lüfte
wehen, wo Ebbe und Fluth des atmosphärischen Druckes,
wo der Gang der Hydrometeore, wo das Eintreten elektrischer
Explosionen periodisch wiederkehrend sind“; aber zwei
Seiten vorher lesen wir, wie i. A. „die Mannigfaltigkeit der
Störungen beschränkt und grösstentheils unmöglich macht
die Vorherbestimmung atmosphärischer Veränderungen. Die¬
jenigen, welche den Werth der Meteorologie nicht in die
Kenntniss der Phänomene selbst, sondern in jene proble¬
matische Vorherbestimmung setzen, sind von der festen Ueber-
zeugung durchdrungen, dass die Meteorologie sich seit Jahr¬
hunderten keiner Fortschritte zu rühmen habe. Das Ver¬
trauen, das sie den Physikern entziehen, schenken sie dem
Mondwechsel und gewissen, lange berufenen Kalendertagen.“
Also auch Humboldt, trotz seinem genialen und beredten
Hinweis aqf die Tropenwitterung und die aus dem Ver¬
ständnis dieser zu erhoffende Einsicht, verhält sich äusserst
• van Bebber, Handbuch d. a. W., I, 283.
•• Nach Stieffel’s „Zeus“, Jhrgg. 1852, S. 12.
••• Kämtz, Vorlesungen über Meteorologie, 1840, S. VII.
f Kosmos, Bd. I, S. 366.
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197
zweifelnd betreffs der Wettervorhersage für andere als tro¬
pische Breiten, er lässt sich daran genügen, Spott auszu¬
giessen über verfehlte Richtungen des Arbeitens, er ermuntert
nicht, er mildert nicht seinen Hohn durch einen Ausblick auf
anderweitig anzustellende Versuche.
So sieht sich Stieffel ganz auf sich allein gestellt, als
er sich daran macht, wie er glaubt, auf wissenschaftlicher
Grundlage seine Wettervorhersagen auszubilden und zu ver¬
öffentlichen. Es gehörte in der That kein geringer Muth
dazu, entgegen der geltenden wissenschaftlichen Ansicht seine
abweichende Meinung öffentlich darzulegen und die Erprobung
ihres Werthes jedem Beliebigen anheimzugeben; „während
Unwissenheit als gesunder Verstand und Aufklärung ange¬
rechnet wird, dem das Wetter nur Zufall ist, der sich frei¬
lich nicht ausrechnen lässt“, wagt er es, „sich dem üblen
Rufe blosszustellen und das Vorurtheil durch den Erfolg zu
bekämpfen“, ja, wie er hofft, „zu besiegen“.
Er stützt sich auf die aus vieljährigen Beobachtungen
abgeleiteten Mittelwerthe der Witterungselemente und ist in¬
sofern noch theilweise Vertreter der überkommenen und noch
lange Zeit in Uebung gebliebenen statistischen und Durch¬
schnittsmethode ; aber Stieffel geht schon darüber hinaus, wie
ich oben dargelegt: „Mittelzahlen — sagt er — drücken
nicht die Wirklichkeit aus und werden daher nie ein Gegen¬
stand der Vorherbestimmung, sie dienen nur als Vergleichungs¬
momente.“
In Bezug hierauf schrieb* ihm der bekannte Dr. E. F.
Schimper (1852): „Indem der Verfasser des Zeus Wahr¬
scheinlichkeiten aufstellt, hat er das System der Nivellirungen,
der Isometrien, schon hinter sich gelassen. Nicht der all¬
gemeine mittlere Charakter der Zeitstrecken soll angegeben
werden — der ist längst ermittelt oder wird es immer ge¬
nauer; sondern es wird auf eine besondere Durchführung so
oder so geschlossen aus der erlebten besonderen Durch¬
führung, die vorangegangen, eine Vereinigung von Un¬
gleichheiten, resp. speciellen Abweichungen von dem eben
damit als das Nichtwirkliche erklärten „„Mittel““.“
• Stieffel’s „Zeus“, Jbrgg. 1852, S. 28.
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198
Und wohl in demselben Sinn* nennt ein neuerer Be-
urtheiler, J. van Bebber (1885), Stieffel’s Methode „schon mehr
den Forderungen der Wissenschaft entsprechend“, aber frei¬
lich lautet sein Schlussurtheil dahin, dass diese Methode
„dennoch ungenügend und erfolglos war“. Ein hartes Ur-
theil — und bestenfalls gerechtfertigt nur dann, wenn man
Stieffels Verfahren und Leistung misst an den Errungen¬
schaften der neuesten Zeit als Massstab, d. h. wenn man
die oberste Pflicht geschichtlicher Würdigung bei Seite setzt.
Und was im Besonderen das „erfolglos“ betrifft, so könnte
Stieffel, wenn er noch lebte, dem entgegentreten mit der von
mir nicht geprüften, aber bei der Wahrhaftigkeit seines
Wesens ungeprüft hinzunehmenden Behauptung, die sich in
der letzten Februarnummer seines „Zeus“ findet, dass trotz
seiner anfänglichen Ungeübtheit in den acht Jahren seiner
Praxis etwa 70 v. H. seiner Voraussagungen, und zwar seiner
Voraussagungen für einen ganzen Monat eingetroffen seien.**
Die heutige Meteorologie, wie sie z. B. von der deutschen
Seewarte ausgeübt wird, hat dagegen von ihren in den Jahren
1877—1889 ausgegebenen nahezu 20000 Sturmwarnungen
im Ganzen 55 v. H. Treffer gehabt oder 45 Trefferprocente,
welche über dem zufälligen Eintreffen liegen, und von ihren
allgemeinen Wettervorhersagen giebt sie die über dem blossen
Zufall liegenden Trefferprocente für die Jahre 1886—88 zu
durchschnittlich 14 an.***
Nun ist ja freilich klar, dass jene alten und diese neuen
Zahlen nicht unmittelbar mit einander verglichen werden
dürfen; aber trotz allem Schönen und Grossen, was die neuere
Witterungskunde geleistet hat, ist eben doch das allgemein
zugegeben, dass sie auf den „Erfolg“ ihrer Vorhersagungen,
und zwar, wohlgemerkt, ihrer Vorhersagungen für einen,
höchstens zwei Tage nicht gar stolz sein darf.
Und was das „Genügen“ oder „Ungenügen“ der heutzu¬
tage verwandten wissenschaftlichen Methode des Wettervor-
hersagens betrifft, so darf doch auch auf die folgende auf-
* van Bebber, Handbuch d. a. W., I, 265.
*• Stieffel’s »Zeus“, Jhrgg. 1852, S. 12.
••• van Bebber, Handbuch d. a. W„ I, 382, 384.
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199
fallende Thatsache hingewiesen werden: der als Vorsteher
einer bekannten und geachteten Wetterwarte mit dem Be-
obachtungs- und Deutungsdienst wohlvertraute H. J. Klein
hat* „unter dem Eindruck eben jener unerfreulichen That¬
sache, dass wir mit der Vorhersage noch nicht über die
ersten Anfänge hinausgekommen sind, die Möglichkeit einer
rein örtlichen, auf synoptische Thätigkeit ver¬
zichtenden Vorausbestimmung der Witterung ernstlich
erwogen“. Und das mehr als 30 Jahre nach Stieffels Tod,
nach der seitdem erfolgten glänzenden Weiterführung der
Wetterkunde!
Ferner wissen wir, dass erst in neuester Zeit W. Koppen
die Aufeinanderfolge der unperiodischen Witterungserschei¬
nungen rationell zu betrachten in Angriff genommen hat, um
die zu erwartenden Witterungswechsel und damit anderseits
die Erhaltungstendenz des Wetters festzustellen.** Aber hat
das nicht auch schon Stieffel als einen wichtigen Theil seiner
Aufgabe erkannt, um so dem Wetterräthsel mehr und mehr
auf die Spur zu kommen? Hat er nicht zum Theil für diesen
Zweck seine Witterungstypen der einzelnen Tage aufgestellt
(vgl. S. 76)? und wollte er nicht auch ihre Dauer im ein¬
zelnen Fall studiren und die Ursache oder wenigstens die
Bedingungen ihrer Uebergänge in einander studiren? Also
auch hier greift die neuere Entwickelung einen StieffePschen
Gedanken wieder auf, wenn sie ihn natürlich an reicherem
Stoff und in weiterem Ueberblick durchführen wird — zum
Ziele gelangt ist hierin freilich auch die Neuzeit noch nicht.
Und die Witterungstypen für ganze Jahresabschnitte,
welche Hoffmeyer (1878) und van Bebber (1882) und Teis-
serenc de Bort (1883) auf Grund der Erkenntniss von Zug¬
strassen der barometrischen Minima aufgestellt haben ***,
linden sie nicht ihr freilich bescheidenes Vorbild in den eben
wieder erwähnten Tageswitterungstypen, die Stieffel zu kenn¬
zeichnen, zu klassificiren unternahm?
* S. Günther: Die Meteorologie ihrem neuesten Standpunkte ge¬
mäss u. s. w. (1889), S. 238.
•* Ebenda, 8. 263.
**• van Bebber, Lehrbuch der Meteorologie u. s. w. (1890), S. 317,
324, 919.
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200
So sehen wir an einer Reihe einzelner Fälle, dass Stieffel
beim Aufstellen der Ziele seiner Wetterforschung instinctiv
auf richtiger Fährte war, wenn auch seine Methode nach
dem Stande der damaligen Wissenschaft nicht als zulänglich
bezeichnet werden kann. Aber auch berühmtere Mitarbeiter
auf dem gleichen Felde hat die fortschreitende Wissenschaft
überholt — man erinnere sich nur an den „Altmeister“
Dove! — und doch gedenkt ihrer die Wissenschaft mit An¬
erkennung und Dank; mir scheint — und es würde mich
freuen, wenn ich durch meine vorstehende Darlegung zu
diesem Ergebniss beitragen könnte — dass auch unser Karls¬
ruher Professor Stieffel, freilich viel kleiner als Dove, ehren¬
volle Erwähnung verdiene in der Geschichte der Wetterkunde
wie in einer eingehenden Geschichte der Volkserziehung: er
hat treu und ausdauernd, mit Hintansetzung eigenen äusseren
Behagens nach dem hohen Ziele der Wahrheit gestrebt, der
Wahrheit für sich und seine Mitlebenden, und wenn auch
keine äussere Ehrenbezeugung und kein besonderer Lohn ihm
zu Theil ward, trotz dem vielfachen, theils gut-, theils bös¬
artigen Spott über sein Prophetenthum durfte er mit Recht
das Bewusstsein treuer Pflichterfüllung und edeln Strebens
in sich tragen. Eine späte Zeit wird auch ihm gerecht.
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Unsichtbare Sterne.
Vortrag gehalten im Naturwissenschaftlichen Verein zu Karlsruhe am
21. Oktober 1892.
Von Dr. Fr. RUtenpart.
Wenn wir an einem klaren Abende hinaustreten unter
die wunderbare Pracht des Firmaments und die Sterne in
ihrem so verschiedenen Glanze über uns erstrahlen sehen, so
könnte uns der Gedanke beikommen, einmal den schwächsten
aller Sterne aufzusuchen. Vielleicht glauben wir ihn in einem
mattleuchtenden Pünktchen gefunden zu haben, das bald auf¬
blitzt, bald unsern Blicken entschwindet. Nehmen wir nun
aber zur genaueren Fixirung dieser Stelle des Himmels ein
Opernglas zur Hand, so sehen wir, dass der gedachte Stern
gar nicht der schwächste ist, sondern dass jetzt um ihn lterum
noch viel schwächere auftauchen und betrachten wir die Stelle
mit einem kleinen Fernrohr, so ist unser vorhin gedachter
schwächster Stern der hellste des ganzen Gesichtsfeldes, in
dem noch viele kleinere stehen und dass selbst diese nicht
die schwächsten sind, würden wir erfahren, wenn wir ein
noch stärkeres Fernrohr zu Hilfe nähmen. Wir theilen die
mit blossem Auge sichtbaren Sterne in sechs Klassen ein,
dergestalt, dass die Helligkeit jeder folgenden Klasse sich zu
der der vorhergehenden verhält wie 2:5, und wenn wir in
gleicher Weise uns die Helligkeitsklassen fortgesetzt denken,
so würde ein sechszölliger Refraktor, wie der hiesige, noch
die Sterne zwölfter Grösse zeigen; ein Refraktor von 24 Zoll
Oeffnung wäre schon nöthig, um die fünfzehnte Helligkeits¬
klasse sichtbar zu machen. Und unter den gleichen atmo¬
sphärischen Bedingungen zeigt das augenblicklich grösste
Fernrohr, der 36-Zöller auf dem Mount Hamilton in Kalifor¬
nien, die Sterne bis zur sechszehnten Grösse. Damit ist aber
auch die Grenze erreicht und doch ist nach dem Gesagten
nicht zu zweifeln, dass die Konstruktion uocb stärkerer Ob-
jektive|uns noch schwächere Sterne offenbaren würde. Aber
selbst dann ist es klar, dass noch viele Sterne sich unserer
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302
sinnlichen Wahrnehmung entziehen, weil ihre Leuchtkraft eben
noch unterhalb der durch die Kraft unserer Instrumente be¬
dingten unteren Grenze der Sichtbarkeit bleibt
Es soll heute meine Aufgabe sein, ihnen jene Fälle vor¬
zuführen, wo solche unsichtbaren Sterne ihre Existenz dennoch
unwiderleglich dem Auge des Geistes offenbart haben. Wir
können für die Unsichtbarkeit drei Ursachen verantwortlich
machen. Entweder ein Stern besitzt zwar hinreichende Leucht¬
kraft, befindet sich jedoch in einer die durchschnittliche der
andern Sterne weit übertreffenden Entfernung; oder seine
Entfernung ist zwar nicht so gross, aber seine Oberfläche
sendet unverhält n issmässig wenig Licht aus und 2h letzterer
Eventualität käme noch als Spezialfall hinzu, dass zwar weder
die Leuchtkraft zu klein noch die Entfernung zu gross ist,
dass jedoch der Stern einem viel helleren am Himmel so
überaus nahe steht, dass er von dessen Glanze für uns völlig
überstrahlt wird; ebenso wie z. B. die vier älteren Jupiters¬
monde mit blossem Auge wohl sichtbar wären, wenn sie sich
nicht für dasselbe in den Strahlen ihres Hauptplaneten ver¬
bärgen. Von diesen drei Fällen kann jedoch der erstere
nicht in Betracht kommen, denn da, wie wir gleich sehen wer¬
den, sich die unsichtbaren Sterne uns nur durch augenfällige
Erscheinungen an benachbarten sichtbaren verrathen können,
die in der Nähe dieser zu weit entfernten Sterne etwa stehen¬
den Körper ebenfalls wegen zu grosser Entfernung unsichtbar
sind, so bleiben beide unserer Kenntniss völlig entzogen.
Wenn wir einem Himmelskörper die Leuchtkraft ganz
oder theilweise absprechen, so müssen wir ihm doch jene
Eigenschaften belassen, welche die Physik als allgemeine
Eigenschaften der Körper bezeichnet, ohne die ein Körper
gar nicht gedacht werden kann, und unter diesen sind es nun
zwei, Masse und Figur, die uns auch die Existenz unsicht¬
barer Sterne offenbaren können. Wenn wir an einem Sterne
die Einwirkungen der Anziehungskraft einer andern Masse
beobachten, so müssen wir diese Masse als vorhanden voraus¬
setzen, mag ihre Leuchtkraft nun ausreichen, um sie unserem
Auge zu offenbaren oder nicht; denn Masse und Leuchtkraft
eines Sternes sind zwei von einander ganz unabhängige Eigen¬
schaften. Und wenn wir andererseits das Licht eines Sternes
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erblassen und dann denselben wieder zu vollem Glanze zu¬
rückkehren sehen, so ist die Annahme, dass sich ein dunkler
Körper zwischen den Stern und unser Auge geschoben habe,
eine unter andern Erklärungen dieses Phänomens; in ge¬
wissen Fällen aber wird sie durch das Hinzutreten weiter unten
zu besprechender Wahrnehmungen zu der einzig möglichen.
In unserm Planetensystem sind Schlüsse, wie die beiden eben
angeführten, gezogen worden und werden noch heute gezogen.
So schloss Leverrier aus den Abweichungen des Planeten
Uranus von der ihm durch die Anziehung der Sonne und der
bekannten Hauptplaneten allein angewiesenen Bahn auf die
Existenz eines unbekannten Planeten jenseits der Uranusbahn
und so schliessen wir regelmässig b?i jeder Sonnenfinstemiss,
dass das Licht der Sonne verschwindet, weil sich ein undurch¬
sichtiger Körper zwischen sie und uns schiebt, und wissen
sogar, da kurz vor und kurz nach den Sonnenfinsternissen
der Mond in unmittelbarer Nähe der Sonne steht und seine
Bahn ihn dann direkt vor der Sonne vorüberführt, dass dieser
verdeckende Körper der Mond ist. Es handelt sich also nur
um eine Uebertragung dieser Schlüsse von dem Sonnensystem
auf das grosse System des Fixsternhimmels, in dem die Sonne
nicht mehr das dominirende, sondern ein Millionen von Sonnen
koordinirtes Glied ist.
In diesem Systeme, das aus unendlicher Ferne betrachtet
als ein Ganzes denselben Eindruck darbieten würde, wie ihn
uns die auflösbaren Sternhaufen oder Nebelflecke zeigen, sind
nun die Beziehungen der einzelnen Sonnen zu ihren Nachbar¬
sonnen in zweifacher Art geregelt. Entweder sind die Ent¬
fernungen, welche einen Stern von den ihm nächsten trennen
von höherer Ordnung als die Durchmesser dieser Sterne, so
ist z. B. die Entfernung des uns nächsten Sternes a Cen-
tauri von der Sonne = 4 1 /, x 10 18 Meilen, also etwa das
24 Millionenfache von dem 188 000 Meilen betragenden
Durchmesser der Sonne. In einem solchen Falle bewegen
sich die einzelnen Sonnen entweder geradlinig, wenn wir gar
keine Einwirkungen der andern Sonnen des Sternhaufens auf
sie annehmen, deren Anziehungen im Einzelnen allerdings
verschwindend sind; da wir aber doch eine aus der Gesammt-
wirkung aller Sterne des Haufens auf den einen resultirende
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304
Anziehungskraft voraussetzen müssen, die ihn stets von der
geraden Linie nach dem Schwerpunkt des Haufens zu ab¬
lenkt, so resultirt dann für den Stern eine geschlossene, das
Centrum umkreisende Bahn, die aber von so ungeheurer Aus¬
dehnung sein und so langsam durchlaufen werden muss, dass
sie sich für die kurze Zeit, seit der wir die Bewegungen der
Fixsterne beobachten, nicht von einer geraden Linie unter¬
scheidet. Wir beobachten also an den Sternen dieser Art
eine geradlinige Bewegung, die sich an die Himmelssphare
als gleichförmige Bewegung in einem durch den Stern gehen¬
den grössten Kreise projizirt und die wir in einem gleich-
mässigen Fortrücken des Sterns nach seinen beiden Coordi-
naten, der Rektascension und Deklination wahrnehmen. Die
Eigenbewegung solcher Sterne ist leicht zu linden und in
Rechnung zu bringen; man braucht nur den Stern zu zwei
verschiedenen Epochen zu beobachten. Die beobachtete Orts¬
differenz di vidi rt durch die Zwischenzeit der beiden Beob¬
achtungen gibt die jährliche Eigenbewegung und um den
Ort des Sterns für eine spätere Zeit voraus zu berechnen,
ist es nur nöthig, zu dem letzten Ort die Eigenbewegung
multiplizirt mit der Zwischenzeit hinzuzufügen.
Eine andere Klasse von Sternen aber ist in unseren
Sternhaufen von einem oder mehreren benachbarten durch
Abstände getrennt, die ihre Durchmesser nur um das Tausend¬
fache oder noch weniger Ubertreffen. Dann wird die An¬
ziehungskraft dieses oder dieser so nahe stehenden Sterne
von entscheidender Wirkung auf die Bewegung des Sterns
sein und er wird, im Falle ein Binärsystem vorliegt, sich mit
dem zweiten Sterne um den gemeinsamen Schwerpunkt, jeder
in einer Keplcr’schen Ellipse herumschwingen, im Falle aber
drei oder noch mehr Sonnen zu einem solch engen Gonnex
verbunden sind, werden sehr komplizirte Bewegungen ein-
treten müssen, die noch nicht völlig analytisch behandelt
sind. Ausser dieser geschlossenen Bahn aber werden die so
verbundenen Sterne noch eine fortschreitende Bewegung am
Himmel haben, indem sie ebenso wie die einfachen Sterne der
Anziehung der Gesammtmasse des Sternhaufens unterworfen
sind und diese fortschreitende Bewegung wird sich analytisch
so aussprechen, dass der Schwerpunkt der verbundenen Sonnen
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305
sich geradlinig und gleichförmig bewegt wie ein einfacher
Stern. Aus genauen Beobachtungen des relativen Ortes des
schwächeren Sterns eines Doppelsternpaares in Bezug auf den
helleren und des absoluten Ortes des helleren bezogen auf
die Fundamentalebenen unseres Coordinatensystems zu ver¬
schiedenen Zeiten lässt sich dann sowohl die fortschreitende
Bewegung des Schwerpunkts als auch die elliptische beider
(Komponenten des Systems um den Schwerpunkt ermitteln;
ferner aber auch das Verhältniss der beiden Massen, da stets
der Schwerpunkt die Verbindungslinie beider Sterne im um¬
gekehrten Verhältniss der Massen theilt, der Ort dieses
Schwerpunkts aber jederzeit bekannt ist, sobald die gleich¬
förmige Bewegung desselben abgeleitet wurde.
Von diesen Bewegungsgesetzen für die einfachen Sterne
und die Sternsysteme machen nun zwei Sterne des Himmels,
und zwar zwei der hellsten, scheinbar eine Ausnahme. Es
sind dies Sirius and Procyon, a Canis majoris und roinoris,
welche dem Augenschein nach zu den einfachen Sternen ge¬
hören. Im Jahre 1845 kam Bessel nach sorgfältiger Zusam¬
menstellung aller früheren Ortsbestimmungen dieser beiden
Sterne zu dem Schluss, dass, obwohl kein in der Nähe
stehender Stern auf eine Duplicität derselben hindeutete, die
Eigenbewegung des Sirius in Rektascension, die des Procyon
in Deklination dennoch keine gleichförmige und geradlinige
sei. Es blieben vielmehr, wenn man die Eigenbewegung als
gleichförmig und geradlinig annahm, noch Unterschiede zwi¬
schen den beobachteten und den berechneten Oertern dieser
Sterne übrig, die sich nicht durch Beobachtungsfehler er¬
klären Hessen. Diese Abweichungen aber zeigten keine un¬
regelmässigen Sprünge, sondern einen regelmässigen Gang
und Bessel wagte damals die kühne Hypothese, dass Sirius
und Procyon keine einfachen Sterne, sondern mit dunkeln
Begleitern zu Binärsystemen verbunden seien. Die Kühnheit
dieser Behauptung fand damals fast allgemeinen Widerspruch;
man war eben zu sehr von der Vorstellung befangen, dass
grosse Masse auch grosse Leuchtkraft bedinge und es konnte
ja nicht ein kleiner Planet des Sirius oder Procyon die be¬
obachteten unregelmässigen Bewegungen hervorrufen, sondern
es mussten hier dunkle oder doch schwachleuchtende Körper von
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206
gleicher Massenordnung angenommen werden. Bessel starb im
folgenden Jahre 1846, in demselben, in welchem der aus der
unregelmässigen Bewegung des Uranus von Leverrier errech-
nete Planet Neptun wirklich aufgefunden wurde. Diese Ent¬
deckung gab Veranlassung, auch die Bessel’sche Vorhersage
der dunkeln Fixsternbegleiter genauer der Rechnung zu unter¬
ziehen. Peters wies auch in den Deklinationen des Sirius,
Mädler in den Rektascensionen des Procyon den Mangel gleich¬
förmiger Bewegung nach und der erstgenannte unternahm es,
die Bewegung des Schwerpunkts und des sichtbaren Sternes
in dem hypothetischen Siriussystem zu trennen und die
Ellipse des Sirius um den Schwerpunkt zu berechnen. Diese
Arbeit nahm auch für Procyon 1865 Auwers in die Hand und
lieferte aus einer umfassenden Behandlung des ganzen damals
vorhandenen Zahlenmaterials den vollgültigen Beweis für die
Richtigkeit der Bessel’schen Hypothese. Indem er die Bahnen
beider Sterne um den Schwerpunkt ableitete, zeigte er gleich¬
zeitig, dass die unter Voraussetzung dieser Bahnen abgeleite¬
ten Oerter des Sirius und Procyon von den beobachteten nur
um so geringe Grössen abwichen, dass man dafür überall die
Beobachtungsfehler verantwortlich machen konnte. Auwers
kam dabei zu folgenden definitiven Resultaten:
1. Sirius.
Durchgang des Sirius durch das Periastron, d. h. den
Punkt der Bahn, in welchem er dem Schwerpunkt am näch¬
sten ist 1843.275.
Umlaufszeit. 49.399 Jahre
Halbe grosse Axe der Bahn . . . 273307
Excentricität der Bahnellipse . . 0.6148
2. Procyon.
Zeit, zu welcher die Rektascension des Procyon in Folge
seiner Bewegung um den Schwerpunkt am kleinsten war
1875.361.
Umlaufszeit. 39.866 Jahre
Radius der Kreisbahn.079805
Bei Procyon, der eine Bahn beschreibt, die nicht merk¬
lich von dem Kreise abweicht, kann natürlich nicht wie bei
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Sirius als Ausgangspunkt der Zeitzählung der Durchgang
durch das Periastron gewählt worden, welcher sich hierfür
bei Doppelsternbahnen naturgemäss aufdrängt, sondern man
muss einen etwas willkürlichen Zeitpunkt ansetzen, worunter
der hier gewählte wegen der Berechnung der Einwirkungen
der Bahnbewegung auf die Bewegung an der Sphäre ziemlich
bequem ist.
Es war gewiss eine schöne Bestätigung der Bessel’schen
Voraussage und der Auwers’schen Rechnungen, dass im Jahre
1862 der Siriusbegleiter wirklich aufgefunden wurde. Der
amerikanische Optiker Alvan Clark hatte ein neues 18-zöl-
liges Fernrohr konstruirt und richtete dasselbe, um es auf
Reinheit der Bilder zu prüfen, auch auf den Sirius und da
sah er denn einen schwachen Stern in dessen unmittelbarer
Nähe, nur 10" von Sirius entfernt. Aus der Auwers’schen
Siriusbahn kann man jederzeit die Richtung erschliessen, in
welcher vom Hauptstern aus der hypothetische Begleiter
stehen muss, denn der Ort des Schwerpunkts und des einen
Sternes des Systems sind ja bekannt, der andere Stern aber
muss mit diesen beiden in gerader Linie liegen, und zwar so,
dass der Schwerpunkt zwischen beiden Sternen liegt. Somit
ist die Richtung nach dem Begleiter bekannt und thatsäch-
lich stand der von Alvan Clark entdeckte Begleiter in der
von Auwers berechneten Richtung. Die Entfernung beider
Sterne aber lässt sich aus der Bahn des Sirius allein nicht
erschliessen.* Zwar ist die Entfernung des Sirius vom Schwer¬
punkt bekannt. Die des Begleiters vom Schwerpunkt wird
aus dieser erhalten durch Multiplikation mit dem umgekehrten
Verhältniss der Massen, welches aber, ehe der Begleiter ent¬
deckt war, nicht bestimmt werden konnte. Durch die Ent¬
deckung wurde erst das Verhältniss der Abstände vom
Schwerpunkt und damit das Verhältniss der Massen bekannt.
Nur so viel ist aus den Auwers’schen Bahnelementen zu er¬
sehen, dass im Jahre 1862 die Zeit für die Auffindung des
Begleiters sehr günstig war. Wenn Sirius 1843 dem Schwer¬
punkt am nächsten war, so muss er nach einem halben Um¬
lauf, also nach 24.7 Jahren von demselben am meisten ent¬
fernt sein, also 1868 den grössten Abstand haben. Gleich¬
zeitig hat dann aber auch der Begleiter seinen grössten
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208
Abstand vom Schwerpunkt, da ja die Bahn desselben eine
genaue vergrösserte Kopie der BahD des Hauptsterns ist,
somit sind also die beiden Sterne in ihrem grössten Abstande
und da dieser Abstand wenige Jahre vor und nach der an¬
gegebenen Zeit nur wenig kleiner ist, so war 1862 der Be¬
gleiter weit genug von dem strahlenden Hauptgestini entfernt,
um gesehen werden zu können. Derselbe ist ein Stern achter
Grösse, so dass er zwar nicht völlig dunkel ist, jedoch bleibt
darum das Siriussystem nicht minder ein merkwürdiges unter
den übrigen Doppelsternen. Denn die Leuchtkraft des Be¬
gleiters ist nur etwa x /«ooo von der des Sirius, während seine
Masse aus den Dimensionen seiner Bahn zu */, 7 der Sirius¬
masse folgt. Es bleibt also immerhin wunderbar, wie bei so
geringem Massenunterschied dieser grosse Unterschied der
Helligkeit stattfinden kann, da sich alle Gründe, die man für
die geringe Helligkeit des Begleiters anzuführen vermag, auch
mit demselben Recht auf Sirius anwenden lassen, weil eine
ganz verschiedene Struktur beider Körper bei ihrer grossen
Nähe kaum begreiflich scheint. Nach der Entdeckung 1862
wurde der Siriusbegleiter auch in weit schwächeren Fern¬
rohren erblickt, als das war, mit dem er zuerst gesehen
wurde. Die genaue Kenntniss der Stelle, wo man ihn zu
suchen hatte, machte ihn sogar in Instrumenten bis zu 6 Zoll
Oeffnung sichtbar. Eine grosse Anzahl von Messungen des
relativen Ortes des Begleiters gegen den Hauptstern sind
seitdem ausgeführt worden. Nach 1868 aber verminderte sich
der Abstand beider Sterne von einander wieder und nach und
nach ging der Begleiter den schwächeren Fernrohren ver¬
loren. 1887 war er für alle Fernröhre bis auf das Riesen¬
teleskop auf dem Mount Hamilton in den Strahlen des Haupt¬
sterns verborgen. Letzteres aber gestattete noch bis 1890
denselben zu sehen und sehr werthvolle Messungen anzu¬
stellen. Gegenwärtig (nach Auwers alten Rechnungen 1892.67,
nach neueren, die auch die mikrometrischen Messungen be¬
rücksichtigen 1893.6) findet der Durchgang durchs Periastron
statt, in welchem der Begleiter von Sirius nur 2f8 absteht
und in dieser Distanz vermag selbst das Lickfernrohr den
kleinen Stern nicht bei Sirius zu zeigen. 1896 darf man auf
die Wiederauffindung des Begleiters durch dasselbe rechnen.
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209
Da neuerdings auch die Parallaxe des Sirius bekannt ge¬
worden, so lassen sich die Entfernungen hier auch in line¬
arem Maasse ausdrücken und beide Massen selbst bestimmen.
Darnach ist: Entfernung des Sirius von der Sonne = 543 000
Erdbahnradien = 10 S60 x 10 9 Meilen —- 116 x 10* Sonnen¬
durchmesser, welche Strecke vom Licht in 8.7 Jahren durch¬
laufen wird. Die grosse Halbaxe der Siriusbahn beträgt 19.92
Erdbahnradien = 398.4 x 10® Meilen und übertrifft etwas den
Halbmesser der Uranusbahn. Die Masse des Sirius beträgt
2.20, die des Begleiters 1.04 von der Masse unserer Sonne.
Es hat natürlich auch nicht an Versuchen gefehlt, den
Begleiter des Procyon aufzufinden. Da für denselben eine
Kreisbahn angenommen ist, so sind alle Zeiten gleich günstig
zur Auffindung desselben. Die geringeren Dimensionen der
Bahn allein können noch nicht die Entdeckung als schwieriger
gegenüber der des Siriusbegleiters erscheinen lassen, da ja
für den wirklichen Abstand des Begleiters allein das (un¬
bekannte) Massenverhältniss maassgebend ist. 1873 wollte
Struve mit dem Pulkowaer 30-Zöller einen Begleiter entdeckt
haben. Nachsuchungen, die in Folge dessen in den Jahren 1874
und 1876 von den amerikanischen Astronomen Holden, Clark,
Watson, Peters und Newcomb am 26-Zöller der Sternwarte
in Washington angestellt wurden, ergaben, dass der Struve’sche
Begleiter nicht vorhanden sei. Dagegen wurden drei andere
in Abständen von 6, 8 und 10" in verschiedenen Richtungen
um den Hauptstern mehr oder weniger sicher konstatirt.
1888 durchforschte Burnham mit dem Riesenfernrohr der Lick-
Sternwarte die Gegend um Procyon und fand dieselbe völlig
leer und seine Angabe ist entscheidend gegenüber denen
der anderen Astronomen, da nicht nur die optische Ueber-
legenheit des Lickfernr.ohrs, sondern auch die ausgezeichnet
durchsichtige Luft des Mount Hamilton schwer zu ihren
Gunsten in die Wage fallen. Lichtknoten, die in den strah-
ligen Bildern der helleren Sterne durch Fehler der Fernrohr-
objektive entstehen, mögen die andern Beobachter irregeleitet
haben. Doch, wenn auch der Procyonbegleiter hiernach von
der optischen Wahrnehmung ausgeschlossen erscheint, so wird
an seiner Existenz darum doch kein Zweifel sein dürfen. Er
steht eben entweder dem Hauptstern zu nahe oder ist zu
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lichtschwach, um ähnlich wie der Akolyth des Sirius auch
sinnlich wahrnehmbar zu sein.
Noch bei einigen anderen helleren Sternen hat man Un¬
regelmässigkeiten in der Eigenbewegung auffinden und durch
Annahme eines dunkeln Begleiters erklären wollen, so nament¬
lich bei Spica, dem hellsten Stern im Sternbilde der Jung¬
frau; doch hat Auwers gezeigt, dass nur Beobachtungsfehler
zu dieser Annahme Anlass geboten haben.
Wir kommen nun zu einem andern Phänomen, welches
man durch die Annahme unsichtbarer Sterne hat erklären
wollen, ich meine den regelmässigen Lichtwechsel der Sterne
vom Algoltypus. Es ist bekannt, dass nicht alle Sterne des
Himmels stets in gleichem Glanz erstrahlen. Die Helligkeit
vieler, vielleicht der meisten, ist Aenderungen unterworfen,
die gar mannichfacher Art sind. Ohne hier auf die übrigen
Klassen, in welche man die veränderlichen Sterne eintheilt,
der Kürze wegen eingehen zu können, greife ich nur die eben¬
genannte heraus, welche für uns von besonderem Interesse
erscheint. Diese Klasse hat ihren Namen von dem Sterne
ß Persei oder Algol, welcher der hellste dieser Kategorie von
Sternen ist und dessen Lichtwechsel für die andern Sterne
der Klasse typisch ist.. Algol steht an der Spitze jenes gleich¬
schenkligen Dreiecks, welches zu Anfang des Winters etwa
um 8 Uhr, hoch im Osten am Himmel in der Nähe der
Milchstrasse steht und von dessen Basis eine Linie von drei
Sternen hinab zum bekannten Sternhaufen der Plejaden führt.
Der Stern ist für gewöhnlich von der Grösse 2.2; plötzlich
fängt sein Glanz an abzunehmen und sinkt langsam und
stetig bis zur Grösse 4.0. Nachdem er dort kurze Zeit ver¬
weilt, steigt er in genau der gleichen Weise und in derselben
Zeit wieder zur Grösse 2.2 an, die er dann wieder längere
Zeit unverändert beibehält. Von dem Moment, wo das Licht
des Sterns zu erblassen anfängt, vergehen bis zum Minimum
4 h 52 , /* m und von da bis zum Wiedererreichen der Helligkeit
2.2 ebenfalls genau 4 h 52V 2 m . Dann bleibt die Helligkeit
während 2 d ll h 4 m unverändert und hierauf beginnt wieder das
langsame Absinken bis zur Grösse 4.0, so dass im Ganzen
die Vorgänge eine Periode von 2 d 20 h 49” haben; über die auch
genaueres noch weiter unten zu sagen ist. Zur Erklärung
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dieses Phänomens sind zwei verschiedene Annahmen gemacht
worden. Nach der einen ist Algol eine Sonne, die schon so
weit in der Erkaltung vorgeschritten ist, dass bereits grosse
Schlackenfelder auf der glühend flüssigen, auch bereits ziem¬
lich zähe gewordenen Oberfläche schwimmen. Diese Schlacken¬
felder sollen vorzugsweise auf der einen Hälfte der Oberfläche
sich gebildet haben und die Sonne um eine Axe in 2 d 20 h 49 m
derart rotiren, dass bald die noch fast völlig leuchtende,
bald die nahezu erkaltete Hälfte unsern Blicken sich zukehrt.
Es könnten dabei allerdings Erscheinungen ähnlich den be¬
obachteten sich herausstellen. Doch ist ein wohlbegründeter
Einwurf gegen diese Hypothese, dass einerseits zur Zeit des
Minimums Algol nur den sechsten Theil des Lichtes uns zu¬
sendet, im Vergleich zu dem ungeschwächten, also */* der
dann uns zugekehrten Hemisphäre im Vergleich zu denen
der entgegengesetzten Hemisphäre nahezu ganz dunkel sein
müssen, während doch die Dauer der Lichtabnahme nur den
sechsten Theil der ganzen Periode dauert. Denkt man sich
in der Mitte der uns während des Minimums zugewandten
Hemisphäre also einen grossen Schlackenfleck, so würde die
unverminderte Helligkeit nicht */# der ganzen Periode, sondern
nur einen geringen Bruchtheil derselben dauern dürfen. Denn
sehr bald, nachdem die völlig erleuchtete Seite uns zugekehrt
ist, müssten in Folge der Rotation bereits Theile des
Schlackenfeldes nach vorn kommen und das Licht desshalb
anfangen zu erblassen. Eine andere Annahme besagt, dass
Algol mit einem wenig leuchtenden Körper zu einem Doppel¬
sternsystem verbunden sei, dessen Bahnebene nahezu durch
die Sonne geht und dass die Umlaufszeit beider Körper um
den Schwerpunkt eben jene 2 d 20 h 49 m betrage, welche die
Periode des Lichtwechsels ist. Dann muss bei jedem Umlaufe
der dunkle Begleiter einmal zwischen uns und Algol treten
und uns einen Theil von dessen Lichte entziehen. Gegen
diese Hypothese wurde der Einwand gemacht, dass eine Um¬
laufszeit von nicht einmal drei Tagen ganz unerhört gering
für ein Doppelsternsystem sei, da sonst die Umlaufszeiten in
den bekannten Systemen selten Jahrzehnte, meist aber viele
Jahrhunderte betragen. Man müsste also zur Erklärung
solch geringer Umlaufszeit entweder ganz exorbitant grosse
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Massen oder aber einen sehr geringen Abstand annehmen,
bei welch letzterem es wieder kaum erklärlich scheine, dass der
eine Stern sich noch in voller Glühhitze befinde, während der
andere schon fast erkaltet sein müsse. Wenngleich die meisten
Astronomen schon lange der zweiten Erklärung mehr zuneigten,
so konnte doch die alte Astronomie allein eine definitive Ent¬
scheidung hier nicht treffen. Dieselbe wurde zu Gunsten der
zweiten Hypothese vielmehr erst 1888 durch das Spektroskop
gebracht.
Um zu erklären, auf welche Weise dies geschah, muss
ich etwas weit ausholen und Ihnen das Doppler’sche Prin¬
zip in Erinnerung bringen, welches besagt, dass, wenn
die Erregungsstelle einer Wellenbewegung selbst in Bewe¬
gung ist, sich dadurch die Länge der ausgesandten Wellen
und ihre Schwingungsdauer ändert. Es werden dann durch
einen Punkt, dem sich die Erregungsstelle der Welle nähert
in einer Sekunde nicht nur jene Anzahl von Wellen gehen,
die derselbe bei ruhender Erregungsstelle erhalten würde,
sondern noch ein weiterer Bruchtheil dieser Anzahl, der
sich zur ganzen Anzahl ebenso verhält wie die Geschwindig¬
keit der Erregungsstelle zur Fortpflanzungsgeschwindigkeit
der Welle als solcher. Durch einen Punkt aber, von dem
sich die Erregungsstelle wegbewegt, werden ebenso viel Wellen
weniger gehen. Es ist dabei zunächst gleichgültig, ob sich
die Erregungsstelle oder ob sich der Beobachter bewegt. Im
Falle der Annäherung beider findet eine Vermehrung, im
Falle der Entfernung eine Verminderung der zum Beobachter
gelangenden Wellen statt, und zwar ist rechnerisch als Ge¬
schwindigkeit der Annäherung beziehungsweise Entfernung
die relative Geschwindigkeit beider Punkte zu Grunde zu
legen. Ein sehr geläufiges Beispiel aus dem Gebiete der
Schallwellen möge dies darthun. Steht man dicht an einem
Schienenstrang, auf welchem eine pfeifende Lokomotive heran¬
braust, die z. B. den Ton a ertönen lässt, welcher in der
Sekunde 435 Schwingungen macht und sei die Geschwindig¬
keit der Lokomotive 20 Meter, so werden wir nicht 435
Schwingungen in der Sekunde wahrnehmen, sondern 435 +
20
sr; x 435 = 435 + 26 = 461; 461 Schwingungen aber
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cbarakterisiren schon etwa den Ton b. Nachdem die Loko¬
motive vorübergesaust ist, entfernt sie sich mit einer Ge¬
schwindigkeit von 20 Metern und wir werden jetzt nur 435
20
— 33Ö X 435 ~ 435 — 26 = 409 Schwingungen erhalten,
die etwa dem Tone as entsprechen. Im Momente also, wo die
Lokomotive vorüberfährt, sinkt der von uns wahrgenommene
Ton um einen ganzen Ton von b auf as und man braucht durch¬
aus nicht musikalisch begabt zu sein, um eine solch starke
Verschiedenheit zu empfinden. Auch bei geringerer Geschwin¬
digkeit als der angenommenen von 20 Metern ist das Phä¬
nomen für feine Ohren noch durchaus leicht wahrnehmbar.
Genau die gleichen Vorgänge spielen sich nun ab bei der
Bewegung einer Lichtquelle, nur dass hier die erforderlichen
Geschwindigkeiten so sehr alle experimentell herstellbaren
übersteigen, dass die Wirkungen solcher Bewegungen den
Augen nicht ohne Weiteres bemerkbar werden. Setzen wir z. B.
ein gelbes Licht, dessen Farbe genau der Stelle der Linie D
im Spektrum entspricht, voraus, so macht der ausgesandte
Lichtstrahl 526 x IO 1 * Schwingungen in der Sekunde; sollte
derselbe in Folge Bewegung des Beobachters oder der Licht¬
quelle als grün erscheinen, also 589 X 10 1 * Schwingungen das
Auge statt der eben genannten Zahl treffen, so könnte diese
Vermehrung der Lichtwellen um Vs ihrer Anzahl nur erreicht
werden durch eine Annäherung von Beobachter und Licht¬
quelle, die mit einer Geschwindigkeit von etwa 35 000 km zu
erfolgen hätte, welche ungefähr dem achten Theile der Fort¬
pflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes entspricht. Selbst um
die Farbe nur um den hundertsten Theil vom Gelb zum Grün
zu verschieben — und eine solch geringe NUance würde wohl
kaum noch ein Auge zu unterscheiden vermögen — wäre noch
eine Geschwindigkeit von 350 km erforderlich, die wir natür¬
lich experimentell durchaus nicht hersteilen können. Ja selbst
im Weltenraum sind derartige Geschwindigkeiten selten und
schon aus diesem Grunde ist die Erklärung, die Doppler selbst
für die manchmal auffallend verschiedene Färbung der Dop¬
pelsternpaare aus seinem Prinzip hat folgern wollen, irrig.
Doppler meinte nämlich, dass bei dem Umlauf um den Schwer¬
punkt der Fall einmal eintreten müsse, dass sich die eine
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Komponente eines Doppelsternpaares gerade von uns entferne
und die andere gleichzeitig gerade auf uns zu bewege, und
dass dann, wenn beide ursprünglich von gleicher Farbe seien,
die des sich nähernden sich nach dem Violet, die des sich
entfernenden sich nach dem Roth zu verschieben müsste,
woher dann die wahrgenommenen Farbenunterschiede stammen
sollten. Diese Erklärung ist aber wegen der Grösse der dabei
erforderlichen Geschwindigkeiten eine unzulässige, zudem
müssten ja auch die Farben wieder einander gleich werden,
wenn beide Sterne nach Ablauf von einem Viertel der Um¬
laufszeit sich nicht mehr auf uns zu oder von uns weg, son¬
dern beide einander parallel und senkrecht zur Gesichtslinie
bewegten.
Auf Lichtquellen, die ein kontinuirliches Spektrum weissen
Lichtes aussenden, können die Bewegungsverhältnisse der
Lichtquelle oder des -Beobachters desshalb keine Einwirkung
ausüben, weil bei einer Verschiebung der Farben nach dem
Roth oder Violet zu auf der einen Seite die Endfarben in
den unsichtbaren Theil des Spektrums rücken, auf der andern
aus dem unsichtbaren Theil in den sichtbaren Theil des
Spektrums hineintreten und somit die Gesammtgestaltung
des Spektrums unverändert bleibt. Ist dagegen das Spektrum
mit dunkeln Linien durchzogen, welche je nach ihrer
Lage in demselben eine verschiedene und eben durch die
Lage charakterisirte Wellenlänge und Schwingungsdauer
haben, so ändern diese in Folge von Bewegungen ihre Wellen¬
länge, also auch ihre Lage im Spektrum; und dieses ist der
Punkt, wo die Spektralanalyse einsetzt, um die kosmischen
Bewegungen zu erforschen. In den Spektren der spektralana¬
lytisch untersuchten Sterne finden sich fast immer Linien,
die entweder hell oder dunkel sind, je nach dem sie von
selbst leuchtenden Gasen oder wenig leuchtenden Gasen, die
hellleuchtende feste oder flüssige Sonnenkerne als Atmosphären
umgeben, herrühren. Diese Linien kann man in den meisten
Fällen mit Linien, die in den Spektren auf der Erde vor¬
kommender Elemente bekannt sind, identifiziren und dadurch
das Vorkommen dieses Elementes in Gasform in der Atmo¬
sphäre des untersuchten Sternes nachweisen. Vergleicht man
nun das Spektrum eines Sternes mit einem genau daneben-
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gelagerten künstlichen eines irdischen Elementes und man
bemerkt, dass die Linien im Sternspektrum gegen die ent¬
sprechenden im künstlichen Spektrum verschoben sind, so wird
man daraus auf eine Bewegung des Sterns gegen die Erde
oder der Erde gegen den Stern oder vielmehr beider gegen¬
einander nach dem eben Gesagten schliessen müssen und
die Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung aus der
Grösse der Linienverschiebung zu bestimmen im Stande sein.
Indes gehören diese Messungen noch zu den allerschwierig¬
sten, weil eben die in Betracht kommenden Geschwindigkeiten
so gering sind gegenüber der Lichtgeschwindigkeit. So hat
z. B. die Wasserstofflinie F eine Wellenlänge von 486.5 pp
(pp — Milliontel Millimeter); eine Bewegung der Lichtquelle
von 1000 km in der Sekunde würde die Wellenlänge um
1.62 pp ändern und damit die Lage der Linie erst um den
150ten Theil der Länge des sichtbaren Spektrums verschieben,
während Geschwindigkeiten von 1000 km auch im Welten-
raum nicht zu erwarten sind. Geschwindigkeiten von 20 km,
die schon Vorkommen, würden eine Verschiebung der Linie F
um 0.032 pp oder den 7500ten Theil der Länge des Spektrums
überhaupt erzeugen und es ist kaum nöthig zu bemerken,
wie schwierig Messungen solch kleiner Grössen auszuführen
sind. In der That haben die Bestimmungen der Geschwindig¬
keiten der Sterne im Visionsradius, wie sie zuerst in grösserer
Anzahl in Greenwich ausgeführt wurden, zwar Resultate er¬
geben, aber von ausserordentlicher Unsicherheit. In Potsdam
wurden dieselben Beobachtungen in der Weise wiederholt,
dass man die Spektren der Sterne und daneben auf derselben
Platte das irdische Vergleichsspektrum photographirte und
nachher die Verschiebungen der Linien gegeneinander sorg¬
fältig ausmass, und es sind dadurch unvergleichlich genauere
Resultate erzielt worden als in Greenwich. In Folge der
Unruhe der Luft erscheinen die Linien im Spektrum nämlich
meist unscharf mit verwaschenen Rändern und der okulare
Beobachter ist dann in der Auffassung der Mitte der ziemlich
breiten Linie immer grösserer Unsicherheit ausgesetzt, während
auf der photographischen Platte sich von den durch die Luft-
Unruhe verursachten Schwankungen nur ein Mittelzustand der
.Linie aufzeichnet, auf deren Mitte nachher beim Ausmessen
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216
in aller Ruhe eingestellt werden kann. Wie sehr die Pots¬
damer Messungen den Greenwicher überlegen sind, möge sich
aus folgender Nebeneinanderstellung einiger Resultate egeben:
Greenwich Potsdam
Name des Sterns Mittel äusserste Werthe Mittel fiusserste Werth b
ß Andromedae — 7 + 72 — 9314-12 +15 + 8
a Ursae maioris — 52 | — 5 — 1)61* — 27 — 24 — 29
«Arietis —6+101 — 61! — 15 -16 —'.2
In dieser Tabelle stehen die Geschwindigkeiten, mit deren
sich die drei angeführten Sterne uns nähern ( —) oder ron
uns entfernen (+) und zwar in Kilometern; zuerst steht
der aus allen an beiden Orten ausgeführten Beobachtungen
folgende Mittelwerth und daneben die extremsten Weithe,
welche für den betreffenden Stern unter den Messungen Vor¬
kommen. Man sieht ohne Weiteres die Ueberlegenheit Pots¬
dams, wo der wahrscheinliche Fehler einer Messung einer
Sterngeschwindigkeit im Yisionsradius sich nur zu ± 3 km
ergibt.
Als nun in den Jahren 1888 und 1889 Algol spektro¬
skopisch untersucht wurde, fanden sich folgende merkwürdige
Resultate.
Die Geschwindigkeit Algols im Visionsradius war
1888 am
4.
Dez.
11.4 Stunden nach dem Minimum
— 46 km
1889 ,
6.
Jan.
22.4
vor „
+ 29 n
1889 „
9.
19.4
n
vor „
r
+ 32 „
1889 „
13.
Nov.
13.3
n
nach „
n
£
O
!
1889 „
23.
r>
22.3
vor ,,
n
+ 42 „
1889 „
26.
r>
19.6
T)
vor „
+ 45 „
Wären diese Messungen in Greenwich angcstellt, so
würde man sich über die schlechte Uebereinstimmung nicht
weiter wundern und einfach ein Mittel bilden. Bei der Ge¬
nauigkeit der Potsdamer Messungen aber ist hierdurch die
Thatsache hinreichend verbürgt, dass Algol vor dem Mini¬
mum sich von^uns entfernt, nach dem Minimum sich uns
nähert. Ein solcher Wechsel in der relativen Bewegung
gegen uns ist aber nothwendig, wenn Algol, wie die zweite
der oben für den Lichtwechsel angeführten Erklärungs-
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217
hypothesen behauptet, sich mit einem dunkeln Begleiter um
den gemeinsamen Schwerpunkt schwingt. Denn nehmen wir
einmal die Entfernung des Schwerpunkts von uns als un¬
veränderlich an, so befindet sich zur Zeit des Minimums,
wenn der dunkle Begleiter zwischen uns und Algol steht,
Algol in dem von der Erde entferntesten Punkte seiner
Bahn; er muss aber vor dem Minimum auf dem Wege nach
diesem entferntesten Punkte sich von uns entfernen, nach
Durchpassiren durch den entferntesten Punkt, also nach
dem Minimum sich uns wieder nähern. Da also die beob¬
achteten Erscheinungen genau den von der zweiten Hypo¬
these geforderten entsprechen, so ist diese Hypothese, wonach
Algol nebst einem unsichtbaren Begleiter zusammen ein
Binärsystem bilden, dessen Bahnebene durch die Sonne (oder
Erde) geht, hiermit zur Evidenz erwiesen. Es bleibt dabei
nur unentschieden, in welcher Richtung die Bahnbewegung
vor sich geht, also ob Algol beim Durchgänge durch den
entferntesten Punkt seiner Bahn sich von der Erde aus
gesehen, von rechts nach links oder von links nach rechts
bewegt. Da nunmehr von der Algolbahn sowohl die Zeit,
in welcher sie durchlaufen wird, als auch die Geschwindig¬
keit der Bahnbewegung bekannt ist, so lassen sich unter
Voraussetzung einer Kreisbahn die linearen Dimensionen der
Bahn berechnen und mit Hinzuziehung der Dauer der Ver¬
finsterung und der Curve der Lichtabnahme findet Wilsing
auch für die Durchmesser der beiden Körper und ihre Atmo¬
sphären folgende Zahlen:
Durchmesser des Hauptsterns. 1700 000 km,
„ „ Begleiters. 1330 000 „
Distanz der Mittelpunkte. 5 180 000 „
Höhe der Atmosphäre Algols. 400 000 „
„ „ „ des Begleiters . . . 310 000 ,,
Bahngeschwindigkeit Algols. 42 „
„ des Begleiters ... 89 „
Translationsgeschwindigkeit des Systems . . —4 ,,
Maasse Algols — 4 / ö , Maasse des Begleiters = 2 / e der Sonnen-
maasse.
Dies neue Binärsystem, welches wir so durch die Spek¬
tralanalyse kennen gelernt haben, bietet des Merkwürdigen
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218
genug. Erstlich ist der Abstand beider Körper ganz ausser¬
ordentlich klein im Verhältnis zu den Durchmessern; er ist
nur das dreifache des Durchmessers des grösseren, das vier¬
fache von dem des kleineren Körpers, während sonst in
Binärsystemen der Abstand die Durchmesser um das Tausend¬
fache und mehr übertrifft. Wir kennen zwar von keinem
Fixstern sonst den linearen Durchmesser, müssen dies aber
doch schliessen aus den Massen, die uns ja bei einigen be¬
kannt sind, wenn wir nicht über ihre Dichtigkeit durchaus
unzulässige Annahmen machen wollen. Die Atmosphären
beider Körper kommen sich gar bis auf einen Abstand nahe,
der nicht einmal so gross ist wie die Summe beider Durch¬
messer, so dass also zwischen Algol und seinem Begleiter
zwei Körper von denselben Dimensionen keinen Platz fänden.
Und bei all dem müssen wir den einen Körper stark leuch¬
tend, den andern nahezu dunkel annehmen, oder was auf
dasselbe hinauskommt, der Atmosphäre des Begleiters eine
grosse Absorptionsfähigkeit zusprechen, denn sonst müsste
derselbe ja allein in Folge des von Algol empfangenen reflek-
tirten Lichtes sichtbar sein. Es zeigt sieb, dass der Begleiter
nicht den 80. Theil des Lichtes von Algol aussenden kann,
sonst würden wir nicht nur ein Minimum während eines
Umlaufes beobachten, sondern zwei. Denn wenn beide
Körper von uns aus gesehen nebeneinander stehen, empfangen
wir die Summe der von beiden ausgesandten Lichtmengen.
Steht der Begleiter vor Algol, so empfangen wir das ganze
Licht des Begleiters, während von dem des Algol ein Theil
durch den Begleiter verdeckt wird. Nach einem halben
Umlauf steht nun Algol vor dem Begleiter und wir empfangen
alles von Algol ausgesandte Licht, dagegen von dem des
Begleiters wenig oder vielleicht auch garnichts, wenn der
kleinere Begleiter ganz verdeckt wird. Es ist nun dieses zur
Zeit der Mitte der Maxima von uns empfangene Licht, wel¬
ches gegenüber dem sonst empfangenen um das Licht des
Begleiters nahezu ganz vermindert erscheint, nicht merklich
schwächer, als das Licht beider zusammen, denn man beob¬
achtet um diese Zeit keine Lichtabnahme. Eine solche
müsste aber bemerkt werden, wenn der Begleiter wenigstens
den 80. Theil des Algolliehtes aussendete. Und um diesen
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219
wunderbaren Punkt kommen wir nicht leicht herum: Wie
ist es möglich, dass aus so grosser Nähe von einem fast
gleichgrossen Körper, wenn er auch selbst kein Eigenlicht
ausstrahlen sollte, so wenig Licht zurückgeworfen wird, dass
er nicht einmal */»» von der Leuchtkraft des Hauptsterns
besitzt!
Indessen zeigt sich im Algolsystem noch eine andere
Unregelmässigkeit. Die Periode des Lichtwechsels oder was
damit gleichbedeutend ist, die Umlaufszeit im System ist nicht
konstant. Da diese Periode so kurz ist, ist sie, obwohl die
Beobachtung der Zeit, zu welcher ein Minimum statt hat,
mit einem Fehler von einigen Minuten behaftet sein kann,
dennoch mit sehr grosser Genauigkeit bekannt. Seitdem die
ersten genaueren Helligkeitsschätzungen an Algol gemacht
wurden, sind mehr als 13 000 Umläufe verflossen und somit
dividiren sich die Zeitfehler der Beobachtungen, wenn man
nur einigermaassen entfernte Epochen zusammen nimmt, durch
solch grosse Zahlen, dass es durchaus nicht illusorisch ist,
die Umlaufszeit bis auf Hundertelzeitsekunden anzugeben.
Nun finden sich folgende Werthe für die Länge der Periode,
geltend für das beigesetzte Jahr im Mittel
1789 2 d 20 h
48 m 58!74
1806
58.45
1830
57.97
1846
53.45
1852
53.21
1855
51.91
1863
54.57
1866
54.45
1869
53.68
1872
53.42
Es macht sich hier also anfangs eine Abnahme, seit
1855 wieder eine Zunahme und neuerdings wieder eine Ab¬
nahme in der Dauer einer Revolution bemerklich. ohne dass
jedoch ein bestimmtes mit der Zeit fortschreitendes Gesetz
sich hier auszusprechen scheint. Während man lange sich
damit begnügte, diese Unregelmässigkeiten bloss zu konstatiren,
hat es neuerdings der amerikanische Astronom Chandler ver-
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220
sucht, eine bestimmte Erklärung zu geben und zu begründen.
Da in einem System, in dem nur zwei Körper vorhanden
sind, die Umlanfszeit eine unveränderliche ist, so nahm er
zur Erklärung einen dritten dunkeln Körper an, der in dem
System die obengenannten Störungen hervorbringen sollte.
Er hat diese Annahme dadurch zu stützen versucht, dass er
auch in der Eigenbewegung Algols Unregelmässigkeiten nach¬
zuweisen sich bemühte, ähnlich wie sie bei Sirius und Procyon
auf die Existenz eines unsichtbaren Begleiters hingewiesen
haben. Eine solche Unregelmässigkeit der Eigenbewegung
kann nämlich naturgemäss nicht dem mit Algol so eng ver¬
bundenen Begleiter zugeschrieben werden. Denn die Ab¬
weichungen, die Algol in Folge seiner Bahnbewegung von
der uns wahrnehmbaren geradlinigen Eigenbewegung hat,
betragen linear nur 1730000 km, erscheinen uns also, da
Algols Entfernung mindestens zu 500 x 10 11 km anzunehmen
ist, selbst wenn sie von uns unter rechtem Winkel erblickt
würden, nur als ein Winkel von % ooo" an der Sphäre proji-
zirt, also weit unterhalb der in unsern Messungen noch zu
verbürgenden Grössen. Chandler glaubt auch aus dem von
ihm bearbeiteten Zahlenmaterial die Existenz dieses dritten
Körpers, um den denn Algol mit seinem Begleiter zusam¬
men eine geschlossene Bahn beschriebe, folgern zu dürfen
und damit alle beobachteten Unregelmässigkeiten erklären
zu können. Indes will ich die von ihm gefundenen Zahlen
unterdrücken, denn man darf einerseits nicht vergessen, in
welch’ ungeheurer Nähe Algol und sein Begleiter schweben,
so dass auch Veränderungen in der Massenvertheilung inner¬
halb beider Körper einen Einfluss auf die Umlaufszeit haben
müssen, andererseits scheint die Frage nach den wenigen
Zahlen des vorliegenden Beobachtungsmaterials doch wohl
noch nicht völlig spruchreif.
Dagegen ist die Existenz eines zweiten wenig leuchten¬
den Körpers in nächster Nähe bei Algol als Ursache des
periodischen Lichtwechsels wohl über jeden Zweifel erhaben
und damit müssen auch für die andern Veränderlichen des
Algoltypus, deren im Ganzen jetzt neun bekannt sind, unsicht¬
bare Begleiter angenommen werden. Die kürzeste Periode
unter allen hat der Stern U Ophiuchi, bei welchem sich der
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221
Lichtwechsel schon in 20 Stunden regelmässig wiederholt. Bei
den andern Sternen des Algoltypus ist noch nicht spektrosko¬
pisch der Nachweis für die Richtigkeit dieser Erklärung er¬
bracht worden, weil überhaupt erst bei den helleren Sternen
die Bewegungen im Visionsradius untersucht sind und die
Spektren der schwächeren Sterne wegen der für den beab¬
sichtigten Zweck erforderlichen grossen Dispersion mit den
vorhandenen Spektroskopen auf Linienverschiebungen noch
nicht untersucht werden können.
Es ist schon oben als ein Spezialfall der Existenz
unsichtbarer Sterne hervorgehoben worden, dass zwei helle
Sterne so dicht bei einander stehen, dass es uns auch mit
den besten Hilfsmitteln nur möglich ist, an ihrer Stelle einen
einzigen zu erblicken. Dass dann doch zwei Sterne dort
vorhanden sind, ist in einzelnen Fällen gelungen nachzuweisen.
Bei Algol haben wir eben gesehen, dass wenn der Begleiter
heller als 7$o im Vergleich zum Hauptstern wäre, wir zwei
allerdings ziemlich verschiedene Minima beobachten müssten,
würden aber beide Körper gar gleich hell und gleich gross
sein, so würden wir zwei ganz gleiche Minima wahrnehmen
und die Zeit von Minimum zu Minimum wäre dann nicht
. die Dauer der ganzen, sondern nur der halben Umlaufszeit.
Dass bei Algol die Verhältnisse nicht so liegen, sieht man
aus der Art der Bewegung im Visionsradius. Diese ist so,
wie sie nur sein kann, wenn thatsächlich die Periode einem
ganzen Umlauf entspricht. Aber bei den andern spektro¬
skopisch noch nicht untersuchten Sternen des Algoltypus ist
eine solche Annahme, dass zwei gleichhelle Sterne eines sehr
engen Doppelsternpaares um einander rotiren und dass also
die Periode nur einem halben Umlauf entspricht, wohl mög¬
lich, wenn noch die folgenden zwei Voraussetzungen zutrefifen,
dass 1. die beiden Sterne wirklich genau gleichhell oder
doch so wenig in der Helligkeit verschieden sind, dass nicht
die beiden Minima ungleich werden, woran ja sofort die
wahre Thatsache erkennt werden würde; und 2. müssen die
Bahnen, welche beide Körper um den Schwerpunkt beschreiben
genau kreisförmig sein, oder wenn sie Ellipsen sind, muss
die Apsidenlinie (d. h. die vom Schwerpunkt nach dem näch¬
sten Punkt der Bahnellipse gezogene Linie, die rückwärts
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222
verlängert auch durch den entferntesten Punkt derselben geht),
genau in der Richtung nach der Erde zu liegen. Denn nur
in diesem Falle werden die beiden Theile der Umlautszeit, die
die Körper des Systems brauchen von einer Verfinsterung, bei
welcher der eine uns zunächst steht, bis zur folgenden, wobei der
andere uns am nächsten ist, und von da bis zu einer dritten
Verfinsterung, wo wieder der erste voransteht — bei diesen
Verfinsterungen wechseln die Körper fortwährend in der Rolle
des verfinsternden und verfinsterten ab — genau einander
gleich und die Hälfte der ganzen Umlaufszeit sein. Da beide
Umstände indes wohl kaum Zusammentreffen werden, ist es
nicht sehr wahrscheinlich, dass unter den andern Sternen
des Algoltypus solche sind, bei denen eine Periode nur einem
halben Umlauf entspricht. Nur einer ist unter ihnen, von
dem neuerdings Duner nachgewiesen hat, dass wir in der
That es mit zwei leuchtenden Sternen zu thun haben, die
sich gegenseitig verfinstern. Dies ist der Stern Y Cygni;
bei demselben trifft wohl die erste, nicht aber die zweite
unserer eben gemachten Voraussetzungen zu, d. h. die Bahn
ist eine Ellipse, deren Apsidenlinie nicht in die Richtung der
Visirlinie fällt. Dann brauchen die Körper für jenen Theil
ihrer durch die Visirlinie in zwei Abschnitte getrennten Bahn,
in welchem sie das Periastron passiren, also dem Anziehungs¬
centrum am nächsten sind, eine weit kürzere Zeit als für den
andern und es müssen desshalb die Minima in ungleichen, aber
alternirend immer gleichen Abständen auf einander folgen.
Der genannte Stern hat für gewöhnlich die Grösse 7.1 und
sinkt im Minimum zur Grösse 7.9 ab. Die Zeit zwischen zwei
aufeinanderfolgenden Minimis beträgt einmal l d 8 b 32 m 38' und
das nächstemal l d 15 h 22“ 6 S , worauf wieder ein Abstand von
l d 8 h 32 m 38 9 und dann wieder einer von l d 15 h 22 m 6 s folgt und
sofort. Es liegt auf der Hand, dass hier die eben gegebene
Annahme zweier nahezu gleichheller Sterne, deren Bahnebene,
nicht aber deren Apsidenlinie durch die Sonne geht, erforder¬
lich und hinreichend ist, um das Phänomen zu erklären.
Damit sind aber auch die Fälle, in denen die alte Astro¬
nomie uns zur Kenntniss mit den Augen nicht wahrnehm¬
barer Sterne führen kann, erschöpft. Ganz selbstständig hat
sie dies nur bei Sirius, Procyon und Y Cygni vermocht. Bei
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223
den acht anderen Sternen des Algoltypus bedurfte sie schon der
Spektralanalyse, um den Beweis stringend zu führen. Grosse
Entfernung von uns, die die seitlichen Eigenbewegungen zu
klein erscheinen lässt, hindert sie, weitere Fälle von Systemen
wie Sirius und Procyon aufzudecken, während sie Binärsysteme
nach Art des Algolsystems nur aufdecken kann, wenn die
Bahnebene direkt durch die Sonne geht. Für die Spektral¬
analyse bildet die grosse Entfernung kein Hinderniss, sie
lehrt die Bewegungen direkt in linearem Maasse kennen,
gleichgültig in welcher Entfernung von uns sie vor sich gehen.
Und so sei es denn mir vergönnt, sie noch mit einigen un¬
sichtbaren Sternen bekannt zu machen, deren Kenntniss wir
allein der Spektroskopie verdanken.
In genau der gleichen Weise wie bei Algol wurde die
Duplicität von a Virginis oder Spica erkannt, dem Haupt¬
stern in der Jungfrau. Die spektroskopisch gemessene Ge¬
schwindigkeit dieses Sternes im Visionsradius fand sich
1889 April 21 zu — 91 Kilometern
. 29 , - 98
Mai 1 , + 46 „
1890 April 4 „ — 21
. 9 , -104
» 10 » ~ 1
. 11 » + 56
. 13 » -109
» 15 » + 81
wo wieder das negative Vorzeichen eine Annäherung, das positive
eine Entfernung bedeutet. Diese Zahlen sprechen vollkom¬
men beweisend eine Aenderung der Geschwindigkeit im
Visionsradius aus, die nur herrühren kann von der Bewegung
in einer geschlossenen Bahn, bei deren Durchlaufen sich uns
der Stern bald nähert, bald sich von uns entfernt. Der zweite
Körper des Systems muss ein dunkler oder wenig leuchtender
sein wie bei Algol, nur kann die Ebene der Bahn nicht durch
die Visirlinie gehen, sondern muss dagegen um einen Winkel
geneigt sein, der immer unbekannt bleiben wird, aber nicht
gross sein kann, da alle Bewegungen in dem System uns mit
dem cosinus dieses Winkels multiplizirt erscheinen, ehe sie als
Bewegungen im Visionsradius beobachtet werden können. Aus
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224
der Veränderlichkeit der beobachteten Bewegungen fand man
eine Periode von 4 Tagen 0.3 Stunden, nach welcher Zeit die
Bewegungen in gleicher Grösse und Richtung sich wieder¬
holen, und diese Zeit muss also als Unilaufszeit im Spica-
system angesehen werden. Aus der Geschwindigkeit der
Bahnbewegung und der Umlaufszeit ergiebt sich ohne Weiteres
der Halbmesser, wenn wir die Bahn vorläufig als Kreis an¬
nehmen zu 3 488 000 Kilometer, was nur 3 l / 2 Sonnendurch¬
messern entspricht. Und da dieser Abstand vom Schwerpunkte
sicher nicht sehr klein ist im Verhältniss zum Abstand der
beiden Sterne selbst, so finden wir auch hier wie beim Algol-
system zwei Sterne in so ungemein geringer Entfernung, von
denen der eine stark, der andere fast gar nicht leuchtend ist.
Den Begleitern von Algol und Spica kann auch schon
deswegen nur sehr wenig Licht zugeschrieben werden, weil
sich sonst auch von ihnen Linien im Spektrum zeigen müssten.
Denn die Unsichtbarkeit derselben allein würde ja noch nicht
ihre Dunkelheit beweisen, da ja bei dem geringen Abstand
beider Sterne von ihren Begleitern es denkbar wäre, dass
wenn auch Hauptstern und Begleiter leuchtend wären, sie
doch selbst für die stärksten Fernröhre nur in einen sicht¬
baren Stern Zusammenflüssen würden. So liegt nämlich der
Fall bei einer jetzt zu erwähnenden Klasse von Doppelsternen,
die uns eben erst die Spektroskopie kennen lehrte. Beide
Komponenten sind leuchtend, aber optisch untrennbar. Die
Spektren beider Sterne liegen völlig übereinander, die dunkeln
Linien in beiden Spektren decken sich ebenfalls, man könnte
also in keiner Weise erkennen, dass man zwei Sterne vor
sich hat, wenn — die Sterne in Ruhe wären. Aber das sind
sie ja eben nicht, sondern sie müssen wegen ihrer ungeheuren
Nähe um einander rotiren, und zwar hat dabei der eine Stern
immer gerade die entgegengesetzte Bewegung im Visionsradius
wie der andere, d. h. wenn die Sterne sich in ihrer Bahn im
grössten Abstande von der durch den Schwerpunkt derselben
von uns aus hindurchgelegten Visirlinie der eine rechts der
andere links befinden, so nähert sich uns der eine, der andere
entfernt sich von uns. Die Spektrallinien des ersten Sterns
werden nach dem Violet, die des zweiten nach dem Roth hin
verschoben; die sich vorher überdeckenden Linien rücken aus-
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225
einander. Sämmtliche Linien des Spektrums erscheinen
doppelt, sämmtliche desshalb, weil beide Sterne ihres wohl
unzweifelhaft gleichen Ursprungs wegen auch aus gleichen
Stoffen bestehen werden und somit dieselben Linien im Spek¬
trum aufweisen. Es ist klar, dass der Abstand der beiden
Theile einer solchen verdoppelten Linie, umgesetzt in das
lineare Maass von Kilometern der Summe der Geschwindig¬
keiten der beiden Komponenten entspricht. Nach dem Durch-
passiren durch die beiderseits von der eben erwähnten durch
den Schwerpunkt gezogenen Visirlinie entferntesten Stellen
der Bahn, werden die Abstände der verdoppelten Linien sich
verringern müssen, weil die Geschwindigkeiten im Visions¬
radius kleiner werden und beim Durchgang durch die Visir¬
linie selbst, wo gar keine Bewegung im Visionsradius
vorhanden ist, sondern sich die Sterne von uns gesehen,
nur seitlich bewegen, der eine von links nach rechts, der
andere von rechts nach links, müssen die Linien beider
Spektren sich wieder decken, also einfach erscheinen. Solche
Vorgänge sind denn in der That auch in den Spektren zweier
Sterne bislang konstatirt und zwar ist dann klar, dass die
vom Einfachsehen der Linien bis zum weitesten Auseinander¬
rücken verfliessende Zeit einem Viertel eines Umlaufs in der
Bahn gleichkommt, dass von einer Verdopplung bis zur
nächsten die halbe Umlaufszeit verfliesst. Ueber eine etwaige
Ellipticität der Bahnen, die natürlich aus Messungen zu sehr
verschiedenen Zeiten während der Periode sich ergeben würde,
lassen die bisherigen spärlichen Beobachtungen noch keinen
Schluss zu. Unter Annahme einer Kreisbahn und gleicher
Massen findet sich die Bahngeschwindigkeit aus dem halben
Abstand der verdoppelten Linien. So z. B. ergibt sich bei
ß Aurigae, dem schwächeren Stern an der Basis des grossen
von Fuhrmann gebildeten Dreiecks die Umlaufszeit der beiden
Sonnen zu 3 d 23 h 36”7, der Abstand der Sterne beträgt
12.3 Millionen Kilometer etwa V« des Abstandes der Sonne
von uns, die Bahngeschwindigkeit ist 225 km in der Sekunde
und die Summe beider Massen 4.7 mal der Masse unserer
Sonne. Ein weiterer Stern dieser Klasse ist der zweite Stern
der Deichsel des grossen Himmelswagens £ Ursac maioris,
allgemein bekannt dadurch, dass nocli ein zweiter Stern, das
15
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226
Reiterlein oder Alcor (der Prüfer) dicht über ihm steht. Von
diesem Sterne ist jedoch nur bekannt, dass nach 105 Tagen
immer die gleichen Verdoppelungen der Linien zu erwarten sind.
Er ist schwieriger spektroskopisch zu beobachten als ß Auri-
gae und es scheinen ausserdem Unregelmässigkeiten noch
nicht aufgeklärter Art das einfache Phänomen der Verdoppe¬
lung zu stören. Endlich gehört noch der südliche Stern
erster Grösse im prächtigen Sternbilde des Orion wahrschein¬
lich in diese Klasse, ß Orionis oder Rigel, doch kennt man
hier noch nicht einmal die Periode. Man darf eben nicht
vergessen, dass die letzterwähnten Messungen zu den aller¬
schwierigsten gehören und andererseits erst seit so kurzer
Zeit auf dem Gebiete der Spektrophotographic gearbeitet
wird, dass eigentlich schon das bisher Erreichte fast wunder¬
bar erscheint.
Zwar hat schon Fraunhofer 1814 die von ihm entdeckte
Spektralanalyse auch zur Untersuchung des Fixsternlichtes
angewandt. Doch kann man erst seit 1863 (Iluggins und
Miller) von der Spektralanalyse der Gestirne als einer be¬
sonderen Wissenschaft reden, die Idee, die Sternspektren zu
photographiren aber wurde praktisch verwirklicht erst in
Potsdam 1887 und dieser letzte Zweig der neuen Wissen¬
schaft ist es ja allein, der befähigt hat, die ausserordent¬
lichen hier mitgetheilten Resultate zu erlangen. Welch ein
Ausblick aber eröffnet sich dann in die Zukunft. Nach fünf
Jahren vermag sich die Spektrophotographic bereits eben¬
bürtig an die Seite der 5000jährigen Astronomie zu stellen
und so sind die Erwartungen, die wir noch von den Ent¬
deckungen dieser neuen Disziplin hegen dürfen, gewiss grosse
und berechtigte. Darum aber ist die alte Astronomie nicht
werthlos, sie war vor der Spektralanalyse da und kann woh]
dieser, nicht umgekehrt diese jener entrathen; gemeinsam
und sich ergänzend aber können sie zu Resultaten führen,
die geeignet sind, unsere Kenntniss vom Bau des Univer¬
sums ungeahnt zu erweitern.
Wer hätte vor 1887 geglaubt, dass eine solche Zahl von
Doppelsternsystemen existiren, wie wir sie jetzt kennen gelernt
haben? Denn wir müssen sowohl die Zahl der Algolsysteme
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227
weit grösser als die neun bekannten annehmen, da deren Ent¬
deckung für die schwächeren Sterne eine ziemlich schwierige
und zufällige ist. Aber auch die Systeme nach Art von Spica
und ß Aurigae sind offenbar erst zum allergeringsten Thcil
bekannt. Wir können die Doppelsternsysteme in folgende
Klassen theilen:
1. Beide Komponenten leuchtend.
a. Optisch trennbar.
b. Optisch untrennbar
a. Bahnebene geht durch die Visirlinie (Y Cygnid)
ß. Bahnebene gegen die Visirlinie wenig geneigt
(ß Aurigae),
y. Bahnebene gegen die Visirlinie nahezu um 90 0
geneigt.
2. Eine Komponente leuchtend, die andere wenig oder
nicht.
a. Bahnebene geht durch die Visirlinie (Algol).
b. Bahnebene wenig gegen die Visirlinie geneigt
(Spica).
c. Bahnebene stark gegen die Visirlinie geneigt.
a. Entfernung von uns klein (Sirius, Procyon).
ß. Entfernung von uns gross.
3. Beide Komponenten dunkel.
Die alte Astronomie kannte nur die Sterne 1 a, deren Zahl
etwa soviel sind als einfache Sterne, sie kannte durch
Bessel die Sterne 2ca, durch Dun£r die Sterne Iba und muth-
masste die Sterne 2 a. Die Spektroskopie erhob die Existenz
der Sterne 2a zur Gewissheit und lehrte die Klassen lb/3 und
2 b kennen. Die Klassen ley, 2cß und 3 jedoch werden immer
unserer Kenntniss entzogen bleiben, auf sie führen nur Ana¬
logieschlüsse. Wenn aber schon die Zahl der der alten
Astronomie bekannten Doppelsterne so nahe an die Zahl der
einfachen herankam, daun ist mit Hinzunahme all dieser
neuen Klassen, von denen doch einige wenigstens sehr zahl¬
reiche Vertreter haben müssen, sicherlich die Zahl der Binär¬
systeme der der einfachen Sonnen mindestens gleich.
Die Gesammtheit der von uns gesehenen Fixsterne müssen
wir uns entstanden denken aus einer ursprünglichen Nebcl-
15*
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228
masse, die sich in nichts von den jetzt noch am Himmel
stehenden unzähligen Nebelflecken unterschied. Als dieselbe
sich nun zertheilte in die Einzelwelten, die jetzt als Sterne
ein selbständiges Dasein fuhren, da scheinen also die beiden
Fälle, dass ein solches neues Schwerezentrum von dem nächst
benachbarten durch einen im Vergleich zu seiner Masse un¬
endlich grossen oder auch nur massigen oder gar kleinen
Raum getrennt war, ziemlich gleich oft. eingetreten zu sein.
Im ersten Falle entstand ein einfacher Stern, im zweiten ein
Binär-, oder wenn vielleicht noch andere Schwerezentren in
geringer Entfernung sich befanden, überhaupt ein vielfaches
System. Unsere Sonne gehört zu den einfachen Sternen, denn
die bisweilen gemachte Annahme, dass sie vielleicht doch mit
einem andern Stern physisch verbunden sei, der sich nur für
den Bewohner der Erde, die der Sonne so sehr nahe steht,
wegen der immerhin grossen Entfernung äusserlich nicht von
den andern Sternen unterschiede, wird dadurch hinfällig, dass
diese hypothetische zweite Sonne dann eine ganz beträchtlich
grössere Eigenbewegung als die andern Sterne zeigen und
wenigstens in den Bewegungen der Sonnenfernen Planeten
merkbare Störungen hervorrufen müsste
Nichts aber ist geeigneter den anthropozentrischen Stand¬
punkt der Astronomie des Mittelalters zu widerlegen, als die
jetzt von der Existenz zahlloser unsichtbarer Sterne gewon¬
nene Kenntniss. Dieser Standpunkt, wonach die Erde das
Zentrum aller Bewegungen sein und die Sterne nur zur Er¬
götzung ihrer Bewohner sich um dieselbe drehen sollten, erlitt
den ersten Stoss, als Galilei die Jupiterstrabanten entdeckte
und somit der Jupiter auch als Zentrum von Umlaufs¬
bewegungen erschien. Er erlitt den zweiten Stoss, als nach
Entdeckung der Doppelsternsysteme eine Menge von Rotations-
centren auch ausserhalb des Sonnensystems bekannt wurden;
aber an all diesen konnte sich doch wenigstens das Auge
erfreuen. Nun aber wissen wir, dass es Körper gibt, grösser
und massiger zum Theil als unsere Sonne, die unserer sinn¬
lichen Wahrnehmung stets verborgen bleiben und doch in
ihren Systemen nicht eine untergeordnete Rolle, wie etwa ein
dunkles Planetchen, dessen Vorhandensein auch bei andern
Sonnen ja wohl keineswegs bestritten wird, sondern eine völlig
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229
neben dem uns sichtbaren Sterne ihres Systems gleichberech¬
tigte Rolle spielen. Masse und Leuchtkraft eines Sternes sind
zwei ganz von einander unabhängige Begriffe; der erstere
bestimmt seine Wichtigkeit im Gesammtspiel der Welten, der
letztere das Interesse unserer Sinne und dies kann zu jener
oft in gar keinem Verhältniss stehen. Damit ist aber un¬
vereinbar jener kurzsichtige Standpunkt, der die Gesammt-
heit der Erscheinungswelt auf den Menschen als Zentrum
bezieht.
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230
Studien über die Temperaturverhältnisse
in Baden.
Von Professor Dr. Ph. Platz.
Seit dem Jahr 1869 besteht in Baden ein Netz von
meteorologischen Stationen, an welchen nach einheitlichem
Plane und unter steter Controle der Centralstation zu Karls¬
ruhe Luftdruck, Temperatur, Niederschlag, Feuchtigkeit,
Windrichtung und Stärke sowie der Zustand des Himmels
beobachtet werden. Die Zahl der Stationen beträgt gegen¬
wärtig 14, welche in zweckmässiger Auswahl über das ganze
Land vertheilt sind.
Nach der Lage sind die Stationen in folgender Weise
vertheilt:
Meeresliöhe.
Rheinthal:
Mannheim ....
96 m
Karlsruhe ....
124 „
Seitenthäler:
Heidelberg ....
120 „
Freiburg ....
281 „
Gcngcnbach (s. 1888)
181 ,.
Baden .
217 „
Mainthal:
Wertheim ....
149 „
Fränkisches u. kraich-
gaucr Hügelland:
Buchen .
345 „
Breiten.
189 „
Schwarzwald:
Todtnauberg . . .
1022 „
Höchenschwand . .
1005 „
Hochfläche der Baar:
Villingen ....
715 „
Donaueschingen . .
690 „
Bodensee:
Meersburg ....
406 „
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231
Eingegangen sind die Stationen:
Königsstuhl bei Heidelberg . . 558 m
Petersthal.394 „
Sehweigmatt. 735 „
Schopfheim (seit 1892) . . . 383 „
Badenweiler.421 „
Ausser diesen als Stationen zweiter Ordnung eingerich¬
teten Punkten sind noch 32 Regenstationen vorhanden, an
welchen lediglich die Niederschlagsmenge beobachtet wird.
In den Jahresberichten des Grossherzoglichen Central-
büreaus sind in immer steigendem Umfang die berechneten
Monats- und Jahresresultate, sowie von Karlsruhe und Höchen¬
schwand, und seit 1892 auch von Villingen, die täglichen
Beobachtungen publicirt. Aus diesen, dem Verfasser mit
grösster Liberalität mitgetheilten Publikationen, wurde das
Material zu den folgenden Studien entnommen, und, wo
nöthig, aus den Originalaufzeichnungen ergänzt, wobei sich
der Verfasser der freundlichen Unterstützung des Beamten
des Centralbürenus, Herrn Dr. Schultheiss, zu erfreuen hatte.
I. Die Temper aturverhäitnisse im Allgemeinen.
An den Stationen wird die Temperatur um 7 h Vormittags,
2 h Nachmittags und 9 h Abends (mittlere Karlsruher Zeit oder
7 h 26” etc. mitteleuropäische Zeit) beobachtet und daraus nach
7 4-2 4- 2*9
der Formel- 4 X — das Tagesmittel berechnet. Ausser¬
dem wird täglich seit 1875 die höchste und niedrigste Tempe¬
ratur notirt. In den Jahresberichten sind jeweils ausser den
Jahresresultaten auch die fünfjährigen Mittel berechnet, welche
je den Zeitraum vom Jahr 1—5 und 6—10 umfassen. Um
mit dieser Zeiteintheilung in Uebereinstimmung zu bleiben,
wurde auch im folgenden nur der Zeitraum von vier Lustren,
1871—1890 in Rechnung gezogen.
Aus demselben Material hat bereits Dr. Singer* die
monatlichen*und jährlichen Temperaturmittel für 18 badische
Stationen berechnet und auf die.Hann’sche Normalperiode
von 1851—1880 reducirt. Da hierbei mit sorgfältiger Kritik
* Karl SiDger, Temperaturmittel für Süddeulscbland, München 1889.
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232
alle Unregelmässigkeiten ausgeschlossen wurden, so müssen
diese Werthe als die bis jetzt zuverlässigsten gelten.
Die Reduction geschieht nach den von Lamont aufge¬
stellten und von Hann* begründeten Sätzen, dass die Tempe¬
raturunterschiede benachbarter Orte sehr nahe
constant, die Differenzen also gleich sind. Mit Hülfe dieses
Satzes können auch kürzere Beobachtungsreihen durch Ver¬
gleichung mit zuverlässigen Normalstationen auf dieselbe Zeit
reducirt und somit vergleichbar gemacht werden. Die Unter¬
suchungen haben gezeigt, dass dieser Satz — annähernd
ähnliche klimatische Verhältnisse vorausgesetzt — in weitem
Umfange gilt, insbesondere für ganz Süddeutschland: Baden,
Bayern und Württemberg bilden eine klimatische Provinz;
innerhalb dieses Bezirks gehen die Temperaturänderungen
fast ganz parallel und sind im Wesentlichen nur durch die
verschiedene Höhenlage bedingt.
Durch Brückner** wurde nachgewiesen, dass das Klima
auf der ganzen Erde gewissen gleichzeitigen Schwankungen
unterworfen ist, welche eine Periode von annähernd 36 Jahren
umfassen. Die wahre Mitteltemperatur wird also am sichersten
aus einer solchen Periode von ca. 36— 40 Jahren abgeleitet
werden, wenigstens für die Normalstationen, aus denen dann
auch die wahren Temperaturen anderer Orte aus kürzeren
Beobachtungsreihen berechnet werden können.
Nach Brückner folgte auf die letzte warme Periode
von 1851—1870, eine kalte von 1871—1885; die Kälte
dauerte aber bis 1891; erst im Jahr 1892 stieg die Tempe¬
ratur in ganz Baden wieder bis zum Mittel. Der Umfang
der ganzen Periode betrug also 39 Jahre, 19 warme und
20 kalte. Damit stimmt auch der Gegensatz zwischen den
guten Weinjahren der Periode 1851 — 1870 und den darauf
folgenden durchschnittlich geringen Erträgen; damit stimmt
auch die früher ohne bestimmten Beweis gemachte Annahme,,
dass zur Erzielung richtiger Temperaturmittel eine Reihe
von wenigstens 40 Jahren erforderlich sei.
* Die Temperaturverhältnisse der österreichischen Alpenländer,
Sitzungsberichte der Wiener Akademie, 1884 und 1885.
** Brückner, die Klimaschwankungen seit 1706 (Geographische
Abhandlungen von Penk, Band IV, Heft 2), Wien 1890.
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233
Die Normalperiode von Hann (1851—1880) entspricht
nicht ganz der letzten Brückner’schen Periode, die hieraus
ermittelten Temperaturen werden also, da darin noch 6 kalte
Jahre fehlen, etwas zu hoch sein. Doch ist ihre Anwendung
insofern ein Fortschritt, als dadurch wenigstens vergleichbare,
nach demselben Grundsatz gebildete Zahlen erhalten werden,
während z. B. die 30 Jahre 1850—1880 ein zu hohes, die
letzten 20 aber ein zu niederes Mittel ergeben hätten.
für Karlsruhe wäre das der Brückner’schen Periode
entsprechende Temperaturmittel folgendes:
Mittel.
Jahr 1851—1880 nach Singer 9,7. 30.9,7 =291,00
„ 1881—1885 (met. Berichte) 9,91. 5.9,91= 49,53
„ 1886—1890 ( „ „ ) 9,20. 5.9,19= 46,01
„ 1891 = 9,30. 1.9,30= 9,30
40 Jahre, Summa . . 395,86
Durchschnitt .... 9,655‘
Der von Singer ermittelte 30jährige Durchschnitt weicht
also von dem 41jährigen nur sehr wenig ab; die Abweichung
liegt innerhalb der durch die Abrundung verursachten'Fehler¬
grenze. Die Singer’sche Zahl 9,7 ist eine abgerundete, sie
könnte auch in Wirklichkeit 9,74 sein; alsdann würde sich
das Resultat auf 9,68 stellen, also dem Mittel von 9,7® noch
näher kommen.
Die Zahlen der 30jährigen Periode können also
als wahre Mittel angesehen werden.
Da die Temperatur vom Sonnenstand abhängig ist, so
werden, — ceteris paribus — zwei Beobachtungen nur dann
gleichwerthig sein, wenn sie bei gleichem Sonnenstand, d. h.
nach gleicher Ortszeit, ausgeführt sind. Bei dem geringen
Längen unterschied innerhalb des badischen Landes beträgt
die Zeitdifferenz zwischen den einzelnen Stationen nur wenige
Minuten, bewirkt also keinen merklichen Temperatur¬
unterschied.
In der Tabelle I (s. S. 236 u. 237) sind die monatlichen
und Jahresmittel für die 14 im Jahr 1892 bestehenden Stationen
für die Zeit von 1871—1890 angegeben, welche den allgemeinen
Verlauf der Wärme im ganzen Land darstellen. In derselben
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234
Tabelle sind noch die von Singer berechneten Normal werthe
für die Periode 1851—1880 aufgeführt, sowie die Unter¬
schiede beider (+ wärmer, — kälter) als die Normalperiode.
Tabelle II (s. S. 238)'enthält dieselben Werthe für die Jahres¬
zeiten.
Die Vergleichung der beiden Zahlenreihen ergibt zu¬
nächst als Bestätigung der Brückner’schen Lehre von den
Temperaturschwankungen; dassdiePeriodevon 1871—1890
in den Jahresmitteln überall durchschnittlich um
0,2° zu kalt war; nur in Viilingen, Freiburg und Heidelberg
ist die beobachtete Jahreswärme 1871—1890 der normalen
gleich; diese Ausnahmen lassen an diesen Orten gewisse —
jetzt noch nicht bekannte — störende Einflüsse vermuthen.
In den Monatsresultaten herrscht selbstverständlich auch
die negative Differenz, nur März und November sind
allgemein zu warm. Die Abweichungen vertheilen sich
in folgender Weise:
Die Tabelle enthält im Ganzen 168 Einzelresultate, dar¬
unter sind 37 zu warm, 13 dem normalen Zustand gleich,
und 118 zu kalt. Im Einzelnen zählt Freiburg 5 zu warme
Monate, Meersburg 4. Viilingen, Schopfheim, Todtnauberg
und Heidelberg je 3, die übrigen 8 Stationen je 2.
Auf die einzelnen
ist
Stationen
dem Mittel
gleich
vertheilt:
zu warm
zu kalt
Januar in . . .
—
3
11
Stationen
Februar in . . .
4
3
7
V
März in . . . .
—
13
1
n
April in. . . .
—
—
14
r>
Mai in ... .
—
—
14
n
Juni iu . . . .
1
—
13
n
Juli in ... .
3
2
9
«
August in . . .
2
1
11
r>
September iu . .
1
—
13
r>
Oktober in . . .
—
—
14
»
November in . .
—
14
—
n
Dezember in
3
—
11
V
Summa 14
36
118 Stationen
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235
Die Vergleichung der Jahresmittel, wobei die von Singer
berechneten Normaltemperaturen zu Grunde gelegt werden,
ergibt zunächst, dass die Temperaturen durchaus nicht regel¬
mässig mit der Meereshöhe abnehmen. Villingen, der kälteste
Ort, liegt 307 m tiefer als das um 0,6° wärmere Todtnau¬
berg ; Meersburg (406 m) ist um 0,2° wärmer als das 258 m
tiefer gelegene Wertheim; 'Freiburg ist gleich warm mit
dem um 161 m tiefer liegenden Heidelberg etc.
Die lokalen Einflüsse der Lage sind also im Stande,
das Gesetz über die Abnahme der Temperatur mit der Höhe
(durchschnittlich 1° Temperaturabnahme auf 200 m Höhen¬
zunahme) sehr erheblich zu modisiciren.
In der Wärme von Meersburg, Schopfheim und Freiburg
gegenüber den um 1,5° der nördlicher gelegenen Stationen
Wertheim und Buchen scheint sich der Einfluss der geo¬
graphischen Breite neben den lokalen Einflüssen bemerklich
zu machen.
Der Verlauf der Temperatur innerhalb des
Jahres gibt sich in den Monatsmitteln zu erkennen. Im
Allgemeinen erkennt man daraus, besonders durch graphische
Darstellung, dass der Temperaturverlauf an den meisten
Orten, dem Lamont’schen Gesetz entsprechend, ein nahezu
identischer ist, indem die Differenzen zwischen je zwei Orten
fast gleich sind, die Teinperaturcurven also nahezu parallel
laufen.
In Tabelle III a (s. S. 239) sind einige dieser Differenz¬
reihen zusammengestellt, welche den Parallelismus des Tempe¬
raturganges beweisen. Es ergibt sich daraus, dass im ganzen
Rheintahl, im kraichgauer und fränkischen Hügelland, sowie
im Mainthal und vom Ostabhange des Schwarzwaldes die
Temperaturen parallel verlaufen; die Abweichung der grössten
und kleinsten Monatsdifferenz zweier Orte bleibt meistens
unter 1°. Etwas abweichend verhält sich der März, welcher
in den höher gelegenen Stationen relativ zu kalt ist. Es
konnten daher bei der graphischen Darstellung auf Taf. I,
um die Zeichnung nicht zu überladen, einige der Stationen
weggclassen werden.
Villingen ist der kälteste Ort, nicht bloss in Baden,
sondern in ähnlicher Höhenlage in ganz Süddeutschland,
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Tabelle I. Monatliche und Jahresmittel der Temperatur.
236
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1871—1890
237
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Tabelle II. Jahreszeitenmittel der Temperatur und Vergleichung mit der Normalperiode 1851—1880.
238
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239
Tabelle lila. Differenzen der Monatsmittel im Rheinthal, der Baar
und dem Hügelland.
1
Karlsruhe- ,
Mannheim ;
Karlsruhe-
Wertheim
Karlsruhe- '
Buchen
Karlsruhe-
Bretteu
Karlsruhe-
Schopfheim
Karlsruke-
Villingen
ti
• a
S 2
.3 o>
^3 =5
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53 rj
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•S <v
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l
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o> a
2?Jb
.S ©
— 3
ö .§
© O)
ä z
33 o>
Höhenunter -1
schied i. Mtr. I
28
24
221
64
249
24
526
369
556
Januar . .
0,3
1,0
2,0
m 1
0,3
4,2
0,2
3,7
2,2
3,2
Februar. .
0,3
13
2.2
0,5
1,3
3,8
0,3
3,0
1,6
2,5
März. . .
1,3
2,5
0,6
0,8
4,3
0,3
3,7
1,8
April. . .
0,6
0,9
0,5
0,5
4,1
0,3
3,5
2,1
3,2
Mai . . .
0,7
0,7
1,8
0.5
Exa
4,1
0,5
3,4 1
2,3
3,4 |
Juni . . .
0,8
0,8
18
0,4
0,7
4,1
0,6
3,7
2,3
3,3
Juli . . .
0,9
1,0
1,9
0,5
0,5
3,8
0,6
3,3
1,9
2,8
August . .
0,8
1,1
2,0
0,5
0,8
4,2
0,8
3,7
2,2
3,1
September .
0,8
1,1
0,4
0,7
3,8
0,0
3,4
1,8
2,7
Oktober. .
0,5
0,8
1,9
0,4
0,8
3,4
0,5
3,0
1,5
2,6
November .
0,2
1,2
0,4
1,1
4,0
0,4
3,6
2,0
2,8
Dezember .
0,2
0,8
1,8
0,5
1,4
4,3
0,3
3,8
2,5
3,5
Jahr . . .
0,6
0,5
1,1
3,5
2,0
3,0
Tabelle III b. Differenzen der Monatsmittel I Tabelle III c. Differenzen der
für den hohen Schwarzwald I Monatsmittel für den Bodensee.
Karlsruhe-
Höchenschw.
Karlsruhe-
Todtnauberg
Yillingen-
Höchenschw.
Villingen-
Schopfheim
Villingen-
Todtnauberg
Karlsruhe-
Meersburg
Villingen-
Meersburg
Bretten-
Meersburg
Buchen-
Meersburg
Höchenschw.-
Meersburg
Todtnauberg-
Meersburg
Höhenunter -1
schied i. Mtr./
881
897
291
341
307
282
308
218
61
599
615
Januar . .
2,6
1,9
-1,8
3,9
-2,3
1,7
2,5
1,2
0,3
0,7
0,2
Februar. .
3,2
1,9
-0,6
2,5
-1,9
1,8
2,0
1,3
0,4
1,4
0,1
März. . .
4,4
3,7
0,1
3,5
-0,6
1,3
3,0
0,7
1,2
3,1
2,4
April. . .
4,6
4,3
0,5
3,6
0,2
0,8
3,3
0,3
1,2
3,7
3,5
Mai . . .
4,8
4,8
0,8
3,5
0,7
0,8
3,3
0,3
1,0
4,1
4,0
Juni . . .
4,9
4,8
0,8
3,4
0,7
0,8
3,3
0,4
1,0
4,1
4,0
Juli . . .
4,4
4,1
0,6
3,3
0,3
0,3
3,5
-0,2
1,6
4,1
3,8
August . .
3 4
3,8
-0,1
3,4
-0,4
-0,1
4,3
-0,6
2,1
4,2
3,9
September .
3,6
3,8
-0,2
3,1
-0,5
-0,2
4,0
-0,6
2,2
3,8
3,5
Oktober. .
3,1
2,6
-0,3
2,6
-0,8
0,2
3,2
0,2
1,7
2,9
2,4
November .
3,9
3,1
-0,1
2,9
-0,9
1,3
2,7
0,9
0,7
2,6
1,8
Dezember .
2,6
2,2
-1,7
2,9
-2,1
1,0
3,3
0,5
0,8
1,6
1,2
Jahr . . .
3,8
3,3
0,2
34
0,7
0,8
3,2
0,3
0,8
3,0
2,5
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240
wie aus folgendem aus der Abhandlung von Singer* ent¬
nommenen Angaben hervorgeht:
Meeres¬
höhe
Jahres¬
temperatur
gegen
Villingen i
Villingen, Baden ....
714
5,7
kälter
' Donaueschingen, Baden . .
690
6,2
0,5°
Kempten, Bayern ....
696
6,6
0,9
Feld bei Miesbach, Bayern .
717
6,2
0,5
Freudenstadt, Württemberg
733
6,7
1,0
Münsingen, Württemberg .
719
6,5
0,8
Isny, Württemberg . . .
721
7,3
1,6
Hausen ab Verena, Würt¬
temberg .
803
6,2
0,5
1
Selbst die ca. 300 m höher gelegenen Stationen Höchen¬
schwand und Todtnauberg im Schwarzwald haben höhere
Jahrestemperaturen.
Villingen liegt in einem weiten flachen Thal, in welcher
Lage der Wärmeverlust durch Ausstrahlung besonders gross
ist, und zugleich an der Stelle, wo sich die Neigung des
Thaies erheblich verringert, sodass hier die Ansammlung der
herabsinkenden kalten Luftmassen begünstigt wird; beide
Umstände zusammen mögen die auffallend niedere Temperatur
dieses Ortes, der im Vergleich zu seiner Höhe um 1° zu kalt
ist, erklären. In etwas vermindertem Grade machen sich die er¬
kältenden Einflüsse auch noch bei Donaueschingen geltend.
Wie Villingen, ist auch Buchen abnorm kalt, sein
Jahresmittel ist um 1,1° kälter als das des 50 m höher ge¬
legenen Schopfheim, ebenso haben die württembcrgischen
Stationen in gleicher Höhe, z. B. Calw im Nagoldthal (350 m)
Jahresmittel 8,0°, Tübingen (325 m) mit 8,4°, Gaildorf (336 m)
mit 8,8° durchweg höhere Temperaturen.
Eine erhebliche Abweichung von diesem weitaus vor¬
herrschenden Temperaturverlauf zeigen die Stationen des
hohen Schwarzwaldes: Höchenschwand auf flacher
Hochebene und Todtnauberg an einem nach Süden geneigten
* Die Temperaturmittel von Süddeutschland.
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241
Abhang. Todtnauberg hat im Januar die Wärme von
Schopfheim, welches 648 m tiefer liegt; und ist um 2,3°
wärmer als Villingen, von da an wächst die Wärme langsam
bis zum März, wo die Temperaturdififerenz Todtnauberg-
Villingen nur noch 0,6° beträgt; von hier ist Todtnauberg
etwas kälter bis zum Juli, von da bis Jahresschluss aber
wärmer als Villingen. Ganz ähnlich verhält sich Höchen¬
schwand, so dass der Satz gilt: Im April, Mai, Juni und
Juli ist der hohe Schwarzwald kälter, in den übrigen
Monaten wärmer als der Ostabhang (die Baar). Der
zweite oder Schwarzwaldtypus ist also durch relativ
warmen Winter und Herbst und kühlen Frühling
charakterisirt.
Ein dritter Typus wird gebildet durch die Umgebun¬
gen des Bodensees. Die vier Stationen Meersburg, Fried¬
richshafen, Lindau und Bregenz haben fast ganz parallelen
Temperaturgang, doch sinkt die Temperatur von Westen gegen
Osten, also je mehr man sich den Alpen nähert: Meersburg
und Friedrichshafen haben 8,8, Lindau 8,3 und Bregenz 8,2°
mittlere Jahrestemperatur. Dieses Sinken der Temperatur ist
besonders im Sommer bedeutend, wo der Unterschied zwischen
Meersburg und Bregenz 1,35° beträgt.
Verglichen mit Karlsruhe, als dem Typus der Rhein¬
ebene, ist der Januar in Meersburg um 1,7. der Februar
um 1,8° kälter; mit zunehmender Jahreszeit verringert sich
der Unterschied immer mehr, so dass August und September
um Meersburg etwas wärmer sind, als in Karlsruhe. Auch
der September und Oktober sind dort am Bodensee wenig
kälter, erst im November sinkt die Temperatur rasch. Kalter
Winter, warmer Sommer und Herbst charakterisiren
also das Bodenseeklima.
Tabelle III b (s. S. 239) enthält die charakteristischen
Differenzen des Schwarzwaldklimas, Tabelle IIIc (s. S. 239)
diejenigen der Bodenseegegend.
Noch deutlicher als in den Monatsmitteln tritt der charak¬
teristische Temperaturverlauf in den Mitteln der Jahreszeiten
auf. Es mögen desshalb auch hier einige Differenzen an¬
geführt werden.
16
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242
Im Vergleich zu Karlsruhe, als Typus der Rheinebene
erscheint also in Wertheim der Sommer relativ warm, in
Buchen ebenso, aber der Frühling rauh, in Bretten Winter
und Frühling relativ kälter als Sommer und Herbst. Gegen
Karlsruhe ist in Villingen der Herbst warm, in Meersburg
der Sommer und Herbst warm, der Winter kalt. Gegen
Villingen haben Höchenschwand und Todtnauberg zu warme
Winter.
II. Die Temperaturschwankungen.
Für die Charakteristik der Temperatur eines Ortes ist
die Angabe der Monatstemperatur nicht ausreichend; hierüber
gibt die Untersuchung des mittleren täglichen Temperatur¬
verlaufs Auskunft.
Seit 1873 werden in den Publikationen die Monats¬
mittel der Beobachtungen an den 3 Stunden 7 h , 2 h und 9 h
angegeben; seit 1875 wurde auch das tägliche Maximum und
Minimum am Thermonietrographen beobachtet, allein bis 1888
nur die monatlichen Extreme publicirt. Von dieser Zeit an
enthalten die in der Karlsruher Zeitung mitgetheilten Monats¬
berichte auch die Monatsmittel der höchsten und niedersten
Temperaturen, welche an neuen zuverlässigeren Instrumenten
(von Fuess, Berlin) beobachtet wurden. Endlich enthalten
die Berichte noch die Angabe der wirklich beobachteten
Temperaturextreme für jeden Monat.
Das tägliche Maximum und Minimum gibt Aufschluss
über die Grösse der täglichen Schwankungen in jedem
Monat; das Mittel der Extreme liefert die mittlere Monats-
Digitized by Google
243
Schwankung, und die Extreme selbst den ganzen Um¬
fang der Temperatur für einen bestimmten Ort. Aus
diesen letzteren ergibt sich auch der Umfang der wahr¬
scheinlichen und der sicheren frostfreien Zeit, ein
für die Beurtheilung des Klimas und der Vegetationsverhält-
nisse höchst wichtiges Moment. Ausser dem Mittel der täg¬
lichen Extreme, aus welchem sich die Grösse der täglichen
Temperaturschwankung ergibt; enthalten die Monatsberichte
seit 1891 auch die grösste tägliche Schwankung für
jeden Monat, woraus sich ebenfalls wichtige klimatische
Schlüsse ergeben. Der Beobachtung der Extremtemperaturen
wird daher in neuerer Zeit mit Recht grosse Aufmerksamkeit
zugewendet.
Wie bemerkt, enthalten die Berichte erst seit 1888 die
mittleren Maxima und Minima für jeden Monat; die mühsame
und bei der Ungenauigkeit der früheren Instrumente doch
unsichere Berechnung aus den Beobachtungsjournalen kann
jedoch umgangen werden, indem das öfters erwähnteLamont’sche
Gesetz des parallelen Temperaturverlaufs es ermöglicht, diese
Daten mit vollkommener Sicherheit aus den gegebenen Termin¬
beobachtungen mit Hülfe der seit 1888 gegebenen Zahlen
auf einen längeren Zeitraum zu berechnen.
Zu diesem Zwecke wurden für den Zeitraum 1888—1892
sowohl die Mittel für die Beobachtung um 7 Uhr, wie für
das Minimum, und ebenso für 2 Uhr und das Maximum be¬
rechnet, und die mittleren Differenzen zur Berechnung des
Minimums aus der Beobachtung um 7 Uhr, wie des Maxi¬
mums aus derjenigen um 2 Uhr für den Zeitraum 1871—1890
benützt, indem von dem 20jährigen Mittel für h 7 die 5jährige
Differenz h 7— Minimum abgezogen, zu dem Mittel für b 2
die Differenz Maximum — h 2 addirt wurde.
Dass diese Methode richtige Resultate liefern muss, ergibt
sich daraus, dass jedes der benützten Monatsmittel schon das
Mittel aus 30—31 Einzelbeobachtungen, das 5jährige Mittel
also aus 150 einzelnen Zahlen ist. Ferner liegt zwischen
Minimum (Sonnenaufgang) und h 7 nur ein kurzer Zeitraum
der zur Zeit des höchsten Sonnenstandes nur 3 Stunden —
sonst immer weniger — beträgt, es ist also anzunehmen, dass
16*
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244
während dieses Zeitraums eine wesentliche Witterungsänderung
nicht eintreten werde. In der Tliat ergibt die Prüfung, dass die
Temperaturen h 7 und Minimum, ebenso h 2 und Maximum,
einen parallelen Verlauf haben. Während also die einzelnen
Monatsmittel in ziemlich weiten Grenzen schwanken, sind die
Differenzen h 7— Minimum und Maximum - h 2 nahezu con-
stant. Die Veränderlichkeit der Differenzen ist weit kleiner
als die Veränderlichkeit der Einzelwerthe.
Einige Beispiele mögen zum Beweise ausführlich auf¬
geführt und daran der Gang der Rechnung dargelegt werden.
Die Temperaturschwankungen sind am grössten im
Winter; seit 1800 war in Karlsruhe der kälteste Winter
1829—1830 = —4,51°, der wärmste 1833 — 1834 — 5,40°,
also eine Differenz von 9,91°.
Die Berechnung für den Dezember 1888 — 1892 für Karls¬
ruhe liefert folgendes Resultat:
1. Karlsruhe, Dezember.
Jahr
"7
Min.
Diffe¬
renz
'7-Min
h 2
Max .
Diffe¬
renz
Max. — h 2
1888
- 1,38
- 2,35
1,0
2,18
2,72
0,5
1889
- 1,10
- 2,17
1,1
0,77
1,70
0,9
1890
- 4,88
- 5,92
1,0
- 1,39
- 0,58
0,8
1891
-+- 1,70
- HO,20
1,5
5,30
6,20
0,9
1S92
- 1,80
- 3,10
1,3
1,00
2,00
1 0
Mittel . .
- 1,49
- 2,67
1,2
-+- i,57
2,41
0,8
Während also die Morgentemperaturen um 5,7° schwanken,
schwanken die Differenzen h 7—Minimum nur um 0,5°; ebenso
gering ist die Schwankung der Differenzen in den Mittags¬
temperaturen, die Differenzen Maximum — h 2 weichen eben¬
falls nur um 0,5° von einander ab.
Aehnliche Resultate liefert der Dezember in Villingen,
welcher Ort durch die grössten Temperaturschwankungen
ausgezeichnet ist.
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245
2. Villingen, Dezember.
g
§§
b 2
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Max.
Diffe¬
renz
Max. — h 2|
1888
—5,59
- 7,46
1,9
-f-3,06
-*-3,45
0,39
1889
-6,11
- 8,77
2,7
-2,37
-1,47
0,90
1890
-9,70
-11,68
2,0
-5,92
-5,15
0,77
1891
-3,40
- 5,40
2,0
•+■1,10
+-2,70
0.60
1892
-6,40
- 8,80
2,4
-1,60
-0,90
0,70
Mittel . .
—G,24
- 8,42
2,2
-1,40
-0,25
0,70
Hier betragen die Schwankungen der Temperaturen
6—7°, die Schwankungen der Differenzen 0,8—0,5°.
Im Juni ist der Zeitabstand zwischen Sonnenaufgang
(Minimum) und h 7 am grössten, nämlich 3 Stunden, also
die Möglichkeit eines unregelmässigen Temperaturganges in
dieser Zwischenzeit am grössten; die Beobachtungen ergeben
folgendes Resultat:
3. Karlsruhe, Juni.
IBQH
"7
mittl.
Min.
Diffe¬
renz
h 7— Min.
*2
mittl.
Max
Diffe- 1
renz
Max. - h 2
1888
16,40
12,63
3,8
22,08
23,46
1,5
1889
18,17
14,87
3,3
23,83
24,86
1,0
1890
14,76
11,44
3,4
20,18
21,35
1,2
1891
15,20
12,50
2,7
20,60
21,80
1,2
1892
15,80
12,60
3,2
21,00
22,30
1 3 1
Mittel . .
16,06
12,81
3,3
21,54
22,75
1,25
Die Abweichung in den Temperaturen beträgt etwas
über 3°, die Abweichung der Differenzen 1,1° und 0,5°,
Digitized by Google
246
4. Villingen, Juni.
Jahr
g
REIS
jfl
“2
mittl.
Max
Diffe¬
renz
Max. — h 2
1888
12,91
7,88
5,05
19,04
20,57
1,53
1889
14,35
9,82
4,53
19,45
21,46
2,01
1890
10,61
5,96
4,65
16,65
j 17,97
| 1,32
1891
11,80
7,80
4,00
17,80
19,00
i 1,20
1992
12,50
7,70
4,80
18.20
19,50
1,30 1
Mittel . .
12,43
7,83
4,60
18,23
i
19,70
1
1,47 !
I
1 ’
Die Abweichung in den Temperaturen beträgt durch¬
schnittlich 3,5°, die Abweichung in den Differenzen 1,0° und 0,8°.
Auffallend sind die grösseren Unterschiede in der Diffe¬
renz h 7— Minimum in Höchenschwand, welches sonst sehr
geringe Temperatursclnvaukungen hat. Die grössten Un¬
regelmässigkeiten hat der
Mai ( h 7—Min. 1888 = 4,5®, 1891 =2,1°), Unterschied 2,4°.
Juni ( h 7—Min. 1888 = 4,9°, 1892 = 2,7°), , 2,2°.
Aug. ( h 7— Min. 1888 — 4,2°, 1891 = 2,2°), . 2,0®.
Der Durchschnitt der sämmtlichen Monats-Differenzen
beträgt in Höchenschwand 1,5°, in Villingen 1,1°. Da die
Abweichungen nur in den heissen Monaten Vorkommen, so
sind wahrscheinlich warme Winde, gegen welche Villingen
mehr geschützt ist als Höchenschwand, die Ursache dieser
U nregelmässigkeiten.
Diese Unregelmässigkeiten bewirken, dass die mittleren
Minima von Höchenschwand im Sommer etwas minder genau
sind, als die übrigen Resultate; sie können aber die Gültig¬
keit des Verfahrens, bei welchem ja nur die Mittel von
5 Jahren angewendet werden, nicht alteriren.
Nachdem die Richtigkeit des Satzes, dass die Tempera¬
turen h 7 und Minimum, ebenso h 2 und Maximum, parallel
gehen, bewiesen wurde, soll für obige Beispiele die Berech¬
nung des mittleren Maximums und Minimums durchgeführt
werden.
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1. Karlsruhe, Dezember.
h 7
Min.
b 2
Max.
öjähriges Mittel . . .
20jähriges „ ...
-1,49
-+-0,22
-2 67
-Hl, 57
-h2,27
2,41
Differenz.
-Hl, 27
-Hl 27
+
©
o
+
©
o
20jähriges Mittel . . .
-1.40
3.1
Mittleres Maximum 1871—90 = . . . . 3,10“
Minimum 1871—90 = . . . . 1,40°
Mittlere Tagcsschwankung =.4,51°
Mittleres Maximum =. h 2 +0,8°
„ Minimum =. h 7 —1,6°
2. Karlsruhe, Juni.
fl
5jähriges Mittel. . . .
20jähriges „ ....
16,06
15,66
12,81
21,54
21,13
22,75
Differenz .
-0,40
-0,40
-0,41
-0,41
20jähriges Mittel . . .
12,41
22,34
Mittleres Maximum 1871—90 = ... 22,34°
„ Minimum 1871—90 = ... 12,41°
Mittlere Tagesschwankung =.9,93®
Mittleres Maximum =. h 2H-l,21°
„ Minimum =. h 7 —3,25®
3. Villingen, Dezember.
Min.
mm
Max.
öjähriges Mittel. . . .
-6,24
-8,42
-1,14
-0,25
20jähriges „ ....
-4,19
-0,59
Differenz .
-h2,05
-h2 05
-HO,55
-HO,55
20jiihiiges Mittel . .
-6,37
-f-0,30
Digitized by Google
248
. +0,30°
. -6,37°
Mittleres Maximum 1871—90 = .
„ Minimum 1871—90 = .
Mittlere Tagesschwankung. = ... G,67°
Mittleres Maximum = h 2 +0,7°
„ Minimum =. h 7 —2,2°
4. Villingen, Juni.
h?
Min.
Max. '
5jähriges Mittel....
11,49
7,74
18,81
20,13
20jährige8 „ ....
12,37
19,81
Differenz.
-hl,88
-+-1,88
-+-1,00
1,00
20jähriges Mittel . . .
1 9,62
i
21,13
Mittleres Maximum 1871—90 = . . . 21,13°
„ Minimum 1871 - 90 = ... 9,62°
Mittlere Tagesschwankung = . .. 11,51°
Mittleres Maximum 1871—90 — . . h 2 -4-1,6°
„ Minimum 1871—90 = . . h 7 — 4,6°
Man addirt, resp. subtrahirt zu dem 5jährigen mittleren
Minimum oder Maximum die Differenz aus der 5jährigen und
20jährigen Temperatur h 7 und h 2, und erhält so das 20jäh-
rige Mittel des Maximums und Minimums.
Um zu prüfen, wie sich der mittlere tägliche Tempera¬
turgang in den einzelnen Regionen des Landes verhält,
wurden zunächst die Tagesschwankungen für jeden Monat
des 5jährigen Zeitraums 1888 — 1892 aus den in den Monats¬
berichten gegebenen einzelnen Zahlen berechnet und in Ta¬
belle IV (s. S. 249) zusammengestellt.
Diese Zahlen sind zunächst, weil aus dem kurzen Zeit¬
raum von 5 Jahren abgeleitet, nicht als normale Wertlie zu
betrachten, wohl aber sind sie unter sich vergleichbar,
und ergeben, dass auch im täglichen Temperaturgang
sich dieselben vier Zonen herausstellen, wie sie sich
aus der Betrachtung der Monatsmittel ergeben haben.
Indess ergibt sich darin ein ganz wesentlicher Unterschied,
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Tabelle IV. Die mittlere Tagesschwankung. 1888-1892.
249
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Tabelle V. Temperaturschwankungen im Zeitraum 1871—1890 an den meteorologischen Stationen
Karlsruhe, Höchenschwand, Villingen, Meersburg und Buchen.
Digitized by Google
Digitized by
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Tabelle V. Fortsetzung.
252
Digitized by
Google
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254
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Mittlere Monatsschwankung ....
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-32,4
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51,5
03,0
47,5
00,4
(lass die Stationen des fränkischen Hügellandes: Wertheim
und Buchen, sich in dem täglichen Temperaturgang nicht
wie früher in den Monatsmitteln an die Rheinebene, sondern
an die weit entfernte hochgelegene Baar anschliessen, an
welche auch die auffallend niedere, der Höhenlage nicht ent¬
sprechende Temperatur erinnert.
In den einzelnen Zonen sind die Schwankungen derart
übereinstimmend, dass es zur Charakterisirung vollständig
genügt, die langwierige Berechnung auf je eine Station zu
beschränken. Es wurden dazu als Repräsentanten gewählt:
Karlsruhe für die Rheinebene,
Villingen für die Baar,
Höchenschwand für den hohen Schwarzwald,
Meersburg für die Bodenseegegend, und
Buchen für das fränkische Hügelland.
Von diesen Stationen sind in Tabelle V (s. S. 250—254)
die 20jährigen Mittel (1871—1890)jder 3 Beobachtungsstunden,
das mittlere Maximum und Minimum, und daraus die mittlere
Tagesschwankung, ferner das mittlere Maximum und Mini-
Digitized by Google
255
mum eines jeden Monats, sowie daraus die mittlere Monats¬
schwankung und endlich die während dieses Zeitraums beob¬
achtete Extreme, woraus sich der ganze Umfang der Tem¬
peratur ergibt, zusammengestellt.
Von den 4 ersten Stationen wurden ferner die Resultate
auf Tafel II—VI graphisch dargestellt, so dass hier die
sämmtlichen Verhältnisse bequem überblickt und verglichen
werden können.
Hieraus ergeben sich folgende Resultate:
1. Die mittleren Tagesschwankungen sind im all¬
gemeinen der Sommer grösser als im Winter, sie sind
am grössten im Mai, am kleinsten im November.
2. Die mittleren Schwankungen haben in jeder Zone einen
verschiedenen, von der mittleren Temperatur unabhängigen
Verlauf; der klimatische Charakter einer Region ist ganz
wesentlich durch die Grösse der Schwankungen characterisirt.
Im Einzelnen zeigen also die verschiedenen Zonen fol¬
genden thermischen Charakter
1. Die Bodenseegegend (Meersburg) hat sehr geringe
Tagesschwankungen; sie betrugen im Durchschnitte des
ganzen Jahres 6,5°. Auf die Jahreszeiten vertheilt, ist die
Schwankung im Sommer etwa doppelt so gross wie im
Winter; überhaupt sind die Schwankungen im Winter und
Herbst kleiner als im Frühling und Sommer. Ebenso sind
die mittleren Maxima und Minima des Monats die kleinsten,
und folglich auch der Durchschnitt daraus, die mittlere Mo¬
natsschwankung mit 18,8°. Im Winter dauert die Kälte
zwar lang, erreicht aber nur —16°, weniger als in den übrigen
Zonen. Auch die höchste Sommertemperatur von 31,5° über¬
steigt nicht wesentlich die von Villingen und Höchenschwand;
der ganze Temperaturumfang beträgt hier 47,5°.
Die Ursache dieser Gleichmässigkeit des Klimas liegt in
dem regulirenden Einfluss der grossen Wassermasse des
Bodensees, welche einerseits im Frühjahr die rasche Erwär¬
mung verhindert, andrerseits aber auch bis in den Oktober
hinein die Abkühlung verzögert. Im Sommer wird daher die
Hitze selten so drückend wie in der Rheinebene, da von dem
selten über 21 # erwärmten Seewasser besonders Abends frische
Digitized by Google
256
Winde die Wärme massigen; der Abend ist in der Regel
angenehm kühl, der Morgen ziemlich warm; die Differenz
h 7 - Minimum ist klein.
Sicher frostfrei sind nach den bisherigen Erfahrungen
die 5 Monate Mai — September, wahrscheinlich frostfrei
auch der Oktober.
Im direkten Gegensatz zu Meersburg steht das Klima
der Baar (Villingen) und des Fränkischen Hügel¬
landes (Buchen und Wertheim).
Sowohl die täglichen wie die monatlichen Schwankungen
sind hier sehr gross; warmen Tagen folgen kühle Nächte;
das Mittel der Tagesschwankung im Verlauf des ganzen
Jahres beträgt hier 9,9°. Ebenso ist die mittlere Monats¬
schwankung sehr gross, wie aus der Tabelle V zu entnehmen
ist, — das Jahresmittel derselben beträgt 24,5® — und auch
die extremsten Temperaturen: grosse Winterkälte Und rela¬
tiv zur Höhe beträchtliche Sommerwärme. Der tiefsten
Temperatur von Meersburg von —16,0° steht hier ein Mini¬
mum von -32° entgegen, während die Sommerhitze mit
31,0° der von Meersburg fast gleichkommt; der Temperatur¬
umfang beträgt 63°.
Im fränkischen Hügelland (Buchen) finden wir die
gleichen grossen Tagesschwankungen, ja der Umfang der
Temperatur im ganzen Jahr ist noch etwas grösser: Buchen
hat dieselbe extremste Winterkälte wie Villingen, trotz seiner
um 375 m tieferen Lage, während die extreme Sonnen wärme
bis auf 34° steigt, so dass der gesammte Temperaturumfang
66,4° beträgt. In der Baar isl nur der Juli absolut frost¬
frei, durchschnittlich frostfrei sind nur die 3 Sommermonate;
im fränkischen Hügellande sind absolut frostfrei 3 Monate,
durchschnittlich die 4 Monate, Juni bis September.
Beide Orte haben also ein ausgesprochenes Continen-
talklima.
Die dritte Zone, die des hohen Schwarzwaldes
(Höchenschwand), welche ihrer hohen Lage entsprechend ein
ziemlich niederes Jahresmittel der Temperatur, aber sehr
milde Wintertemperaturen zeigt, hat auffallender Weise
ähnlich geringe Tages- und Monatsschwankungeu wie Meers-
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257
bürg; das Jahresmittel der Tagesschwankungen beträgt 7,1°,
das Mittel der Monatsschwankungen 21,7". Absolut frost¬
frei sind hier nur die zwei Monate Juli und August,
durchschnittlich hingegen die 4 Monate Juni-September.
Höchenschwand liegt auf einer freien, schwach nach
Süden abfallenden Hochebene, welche an Osten und Westen
von tief eingeschnittenen Thälern (Alb und Schwarza) be¬
grenzt und gegen Norden von durchschnittlich 1200 Meter
hohen Gebirgszügen des Blasiwaldes eingeschlossen ist. Eine
Ansammlung stagnirender kalter Luftmassen, wie im Thal
von Villingen, ist hier nicht möglich, und ebenso der Zu¬
tritt der kalten Nordwinde beschränkt, während die warmen
Südwinde freien Zutritt haben; diese Umstände mögen die
geringen Temperaturschwankungen, wenigstens zum Theil,
erklären.
Das Rheinthal (Karlsruhe), der wärmste Theil von
Deutschland, hat trotzdem grössere Temperaturschwankungen
als Schwarzwald und Bodensee, indem das Jahresmittel der
Tagesschwankung 7,9°, der Monatsschwankung 22,2° beträgt.
Den Bewohnern der Städte mag diess auffallend erscheinen,
da hier, selbst auf der Nordseite, die Temperatur in den
Häusern oft auf 27—28° steigt und selbst das Offenhalten
der Fenster in der Nacht keine erhebliche Abkühlung bewirkt.
Es rührt diess davon her, dass die lange und intensive Sonnen¬
strahlung die Steinmassen stark erhitzt, sodass diese sich
während der kurzen Nächte nur wenig abkühlen. Im Freien
und im Walde ist es aber zur Zeit des Sonnenaufgangs ganz
angenehm kühl, da das mittlere Minimum im Sommer nur
13,3° beträgt. Um 7 Uhr hat die Sonne schon eine Höhe
von 25—27°, die Strahlen wirken also bei heiterem Wetter
sehr energisch, bei trübem Wetter aber wirkt die grosse
relative Feuchtigkeit auch bei minder hoher Temperatur er¬
schlaffend und drückend.
Absolut frostfrei sind hier die drei Sommermonate Juni
bis August; durchschnittlich frostfrei hingegen die fünf Monate
Mai bis September, sodass die frostfreie Zeit hier weniger
lange dauert als am Bodensee.
Dass hier die extreme Sonnenwärme den höchsten Grad
mit 36,0° (für Karlsruhe) erreicht, ist selbstverständlich, auf-
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fallend aber sind die, wenn auch selten, auftretenden hohen
Kältegrade, indem die grösste Kälte in dem Zeitraum 1871—
1890—24® betrug, also tiefer war als auf dem Schwarzwald.
Im Frühling ist die Temperatur im Allgemeinen hoch,
schon im April wird fast die Sommerhitze von 25° erreicht,
und im Mai sind Temperaturen von 30—31® nicht selten.
Durch diese hohen Wärmegrade wird die Vegetation rasch
gefördert, um so schädlicher wirken aber hier die gleichfalls
nicht seltenen Kälterückfälle; die Eismänner (11.—13. Mai)
sind hier am meisten gefürchtet.
Sehr charakteristisch zeigen sich die Unterschiede der
Schwankungen in den Jahreszeitmitteln, wesshalb die Ueber-
siclit derselben hier beigesetzt wird:
Tabelle VI. Mittlere Tages- und Monatsschwankung.
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Monatsschwankung *
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20,2
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10,7
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7,8
8,3
5,6
17,3
21,1
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Aus den in Tabelle V angegebenen Mitteltemperaturen
lässt sich der Gang der Temperatur im Laufe des Tages an¬
geben, wenigstens für die wärmere Jahreszeit, für welche die
Zeit des Maximums und Minimums genügend genau bekannt
ist; für den Winter ist diese Zeit für unsere Gegend noch
nicht genau festgestellt, da noch keine registrirenden Thermo¬
meter aufgestellt sind.
Als Beispiel möge hier der mittlere tägliche Temperatur¬
gang im Mai und Juli für einige Stationen dargestellt werden.
I. Karlsruhe, Mai. Sonnenaufgang Mitte Mai um
4 Uhr 22 Min., Zeit des Minimums ca. 4 Uhr, Zeit des Maxi¬
mums ca. 3 Uhr.
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Minimum . . . h 4 = 8,1°
Temperatur. . . h 7 = 11,4° Steigen um 3,3® in 3 Stunden
„ . . . “2 = 17,3° „ 5,9® in 7
„ Maximum h 3=18,3® „ 1,0° in 1 „
Summa: Steigen um 10,2® in 11 Stunden
Temperatur. . . “9 = 12,6® Fallen um 5,7° in 6 Stunden
„ Minimum “4 = 8,1® „ 4,5° in 7 „
Summa: Fallen um 10,2°in 13 Stunden
2 . Karlsruhe, Juli. Sonnenaufgang Mitte Juli um
4 Uhr 15 Min., Zeit des Minimums ca. 4 Uhr, Zeit des Maxi¬
mums ca. 3 Uhr.
Minimum . . . . h 4 = 14,5°
Temperatur . . . h 7 = 17,2°Steigen um 2,7® in 3 Stunden
„ . . . h 2 = 22,8° „ 5,6° in 7
„ Maximum h 3 = 24,1® „ 1,3® in 1 „
Summa: Steigen um 9,6® in 11 Stunden
Temperatur . . . “9 = 18,2° Fallen um 5,9® in 6 Stunden
„ Minimum *‘4=14,5° „ 3,7® in 7 „
Summa: Fallen um 9,G®in 13 Stunden
Die Zeit des Fallens ist also etwas länger als die des
Steigens; die Wärme steigt rascher als sie abnimmt.
3. Villingen, Mai. Maximum und Minimum fallen
nahezu auf die gleiche Zeit.
Minimum . . . . h 4 = 3,5®
Temperatur . . . h 7 = 7,9®Steigenum4,4° in 3 Stunden
„ • • • “2=13,8® ,, 5,9® in 7
„ Maximum ll 3 = 15,1® „ 1,3® in 1 „
Summa: Steigen um 11,6® in 11 Stunden
Temperatur . . . h 9 = 12,1® Fallen um 3® in 6 Stunden
„ Minimum h 4 = 3,5° „ 8,6® in 7 „
Summa: Fallen um 11,6®in 13 Stunden
4. Villingen, Juli.
Temperat. Minimum “2= 9,7® Steigen um 4,3° in 3 Stunden
„ . . . “7 = 14,0® , 5,9® in 7
„ Maximum h 3 = 19,9® „ 1,4® in 1 „
Summa: Steigen um 11,6® in 11 Stunden
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Temperatur . . . h 9 = 14,0 # Fallen um 7,3° in 6 Stunden
„ Minimum h 4 = 9,7° B 4,3° in 7 „
Summa: Fallen um 11,6° in 13 Stunden.
In Villingen ist also das Steigen in den Morgenstunden
rascher als in Karlsruhe.
Die bisher angegebenen Werthe sind Mittelzahlen; für
die Charakteristik des Klimas sind aber noch die extremen
Temperaturen von Interesse. Ein vollständiges Bild hiervon
kann zur Zeit noch nicht gegeben werden, da es die weit¬
läufige Zusammenstellung der höchsten und niedersten Tempe¬
raturen aus den Originalen erfordern würde.
Aus diesen könnte die im Laufe eines Monats beobachtete
höchste und niedrigste Tagestemperatur, ebenso für jeden
Tag das Maximum und Minimum und daraus die Grösse der
wirklich eingetretenen Schwankungen berechnet werden. In
Tabelle V ist in der Rubrik „Extreme“ das Maximum und
Minimum eines jeden Monats angegeben, und daraus der
ganze Umfang der Temperatur im Verlauf des Monats be¬
rechnet; für die Tagesschwankungen ist das Material erst
seit 1891 publicirt, und zwar die grösste tägliche Schwank¬
ung, die kleinste ist nicht von Interesse.
Obgleich dieser Zeitraum viel zu kurz ist, um eine voll¬
ständige Uebersicht Uber diesen Faktor des Klimas zu geben,
ist die Kenntniss der grössten wirklichen Schwankung an
einem Tage doch von grossem Interesse, wesshalb das bia
jetzt publicirte Material in Tabelle VII (s. S. 262 u. 263) mit-
getheilt wird.
Der Vergleich dieser extremen mit der mittleren Tages¬
schwankung (Tabelle IV) zeigt zunächst, dass die erstere
nahezu den doppelten Werth der mittleren Schwankung er¬
reicht; und ferner, dass auch hier dieselben Gesetze gelten,
wie bei der mittleren Schwankung: Meersburg, Höchen¬
schwand und Todtnauberg sind durch kleine, Vi Hingen,
Donaueschingen und Buchen durch grosse Schwank¬
ungen ausgezeichnet. Auch hier sind die Schwankungen
im Frühling und Sommer am grössten, indem hier sowohl
die Bestrahlung bei Tag, wie die Ausstrahlung bei Nacht
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am wirksamsten siud. Die Monatsberichte zeigen, dass die
Schwankung bei klarem ruhigem Wetter besonders gross ist.
Die grösste Tagesschwankung findet sich, wie zu er¬
warten, in Villingen im April 1893 mit 25°, die kleinste
mit 7,2® im November 1890 in Meersburg.
Von Karlsruhe, Höchenschwand und seit 1892 auch von
Villingen, sind die täglichen Beobachtungen in den Jahres¬
berichten publicirt, so dass sich die Schwankung mit der
Lage der beiden Extreme vergleichen lässt. Die Prüfung hat
ergeben, dass die extreme Tagesschwankung in der Regel
an den Tagen eines Maximums oder Minimums der Monats¬
temperatur, immer aber mit einem aussergewöhnlichenTempe¬
raturstand verbunden ist.
Am 22. Januar 1892 war in Karlsruhe die grösste Tages¬
schwankung, an diesem Tage war das Maximum —0,6®, das
Minimum —14,5®, das Monatsmittel +0,4® die Schwankung
lag ganz unterhalb des Mittels.
Im Mai 1891 betrug zu Karlsruhe die grösste Temperatur¬
schwankung am 1. 15,5®, die Extreme 11,5® und 27,0®, das
Mittel 14,3®, die Schwankung lag fast ganz oberhalb des
Mittels.
In Villingen betrug am 13. März 1892 die grösste
Schwankung 24,2®, die Extreme —21,0° und +3,2®, das Mittel
—2,7®, auch hier lag die Schwankung fast ganz unterhalb
des Mittels. Extreme Schwankungen sind also in
der Regel an extreme Temperaturen geknüpft; Zeiten,
im welchen die Tagestemperatur annähernd dem Monatsmittel
entspricht, haben auch nur mittlere Schwankung.
Die Vergleichung der Tabelle VII mit den in Tabelle V
angegebenen, in jedem Monat wirklich eingetretenen Extremen
zeigt, dass die höchste und niederste Temperatur eines Monats
nicht an einem und demselben Tage eintritt, indem die
grösste, an einem Tage beobachtete Schwankung
nicht die Hälfte der ganzen Schwankung innerhalb
des Monats erreicht.
In je grösserem Umfange man die Einzelwerthe zu einem
Mittel zusammenfasst, desto kleiner werden die Schwankungen;
die Monatsmittel der Temperatur schwanken daher in engeren
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Tabelle VH. Grösste tägliche Schwankung.
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Tabelle VIII. Höchste und niederste Monatstemperaturen 1871—1890 zu Karlsruhe, Höchenschwand,
Villingen, Meersburg und Buchen.
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Grenzen als die Tagesmittel. In Tabelle VIII (s. S. 264 u. 265)
sind die grössten und kleinsten von 1871—1890 beobachteten
Monatsmittel zusammengestellt, und daraus berechnet, um wie
viel sich dieselben unterscheiden.
Von den einzelnen Monaten haben August und September
die geringsten Unterschiede, ganz besonders gross sind sie
aber ira Dezember, dieser ist also der veränderlichste Monat.
Ueberhaupt ist die Veränderlichkeit im Winter am grössten,
während der als veränderlich verrufene April überall nur
kleine Schwankungen in der Temperatur —nicht im Wetter —
zeigt.
Die Veränderlichkeit in den Jahreszeiten zeigt Tabelle IX.
Tabelle IX. Veränderlichkeit der Monatsmittel.
Karls¬
ruhe
Höchen¬
schwand
Vil-
lingen
Meers¬
burg
Buchen i
Winter ....
10,4
7,5
10,4
9,1
10,4
Frühling ....
5,2
6,5
5,0
5,1
5,3 j
Sommer ....
4,8
5,4
4,5
4,7
4,9
Herbst.
o,5
i
|
5,5
i 5,4 1
; :
5,2
5,3
Die Schwankungen der Monatsmittel sind also
im ganzen Lande nahezu gleich.
Die Unterschiede zwischen der höchsten und niedersten
Jahrestemperatur sind natürlich kleiner, als die Monats¬
schwankungen, sie betragen durchschnittlich die Hälfte, wie
aus Tabelle X hervorgeht.
Tabelle X Höchste und niederste Jahrestemperaturen
1871—1890.
Karls¬
ruhe
Höchen¬
schwand
Vil-
lingen
Meers¬
burg
Buchen
| Höchste ....
188110,5
1872 1 6,0
i
1872 7,2
1884
9,6
1874 9,5
i Niederste . . .
1871 8,1
1
1887 4,7
1887 4,4
1879
7,8
1878 6,3
| Differenz . . .
2,4
it v >!
| l 2 ’ 1
2,8
1,8
-3>2j
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267
In dieser Jahresveränderlichkeit tritt wieder der Unter¬
schied der einzelnen Zonen sehr deutlich hervor; Meersburg
mit der kleinsten, Villingen und Buchen mit der grössten
Schwankung.
In allen Beziehungen, dein Verlauf der Temperatur im
Allgemeinen, in den Schwankungen, der Veränderlichkeit und
in den Extremen, sondern sich also die vier klimatischen
Regionen des Landes scharf von einauder. Im schärfsten
Gegensatz stehen die geographisch einander naheliegenden
continentalen Klimate der Baar und das maritime
Klima des Bodenseebeckens, ganz isolirt liegt die Kälteinsel
des Fränkischen Hügellandes. Zwischen diesen beiden
nimmt das des Rheinthals eine Zwischenstellung ein. Eine
Sonderstellung hat das Klima des hohen Schwarzwaldes,
welches durch seine warmen Winter einerseits dem Rheinthal,
durch die geringen Schwankungen andererseits der Bodensee¬
gegend anschliesst, wenn auch diesen Analogieen wohl andere
Ursachen zu Grunde liegen werden.
Anmerkung: Alle Temperaturen sind in Centesimalgradeu, alle
Zeitangaben in mittlerer Karlsruher Zeit, welche gegen die mitteleuro¬
päische Zeit um 26 Minuten zurück ist (M.E.Z. = M.K.Z. 26 m.
7 h K.Z. = 7 h 26 m M.E.Z.), ausgedrückt.
Nachträge:
Zu Seite 230: Im Laufe des Jahres 1893 sind zwei Stationen als solche
zweiter Ordnung neu eingerichtet worden:
Kniebis im nördlichen Schwarzwald (Meereshöhe = 903,7 m), seit
1. August, früher nur Regenstation.
Badenweiler (Meereshöhe = 401,4 m), mit Privatmitteln nach
dem Muster der staatlichen Stationen eingerichtet.
Zu Seite 17: Die Abweichungen der Differenzen Max. - h 2 in Höchen¬
schwand erklären sich nach Mittheilung des Herrn Dr. Schultheiss durch
die früher zu wenig geschützte Aufstellung des Thermometers, wodurch
zeitweise das Minimum zu hoch wurde. Seitdem diesem Uebelstand ab«
geholfen wurde, stimmen die Differenzen gut mit den übrigen Stationen.
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268
Joseph Gottlieb Koelreuter.
Ein Karlsruher Botaniker des 18. Jahrhunderts.
Von Dr. J. Behrens.
Schon als mein am 5. August 1893 verstorbener Freund
Dr. Max Scholtz 1891 nach Karlsruhe übersiedelte, trug er
sich mit der Idee, hier an der Stelle, wo Koelreuter die
längste Zeit seines Lebens gelebt und gewirkt hat, und wo
ohne Zweifel sich noch Spuren seiner Thätigkeit auffinden
lassen mussten, zu versuchen, das Material für die so wün-
schenswerthe Biographie des grossen Botanikers zusammen¬
zubringen. Unterstützt von den verschiedensten Seiten,
hatte er im Sommersemester 1893 begonnen, sich eingehen¬
der mit der Sammlung von Material für die Biographie zu
beschäftigen. Schon hatte er einen grossen Theil der im
Grossh. Generallandesarchiv vorhandenen, auf Koelreuter be¬
züglichen Aktenstücke excerpirt, als ihn plötzlich die tückische
Krankheit überfiel, die seinem Leben allzufrüh ein Ende
machte.
Es erschien mir gewissermassen als Pflicht, die Lieblings¬
idee des Todten auszuführen, und so ist der hier vorliegende
Versuch einer Biographie entstanden. Ueber die Berechtigung
einer solchen ist es unnöthig, ein Wort zu verlieren. Nichts
ist naheliegender, als der Wunsch, auch das Werden und
Wirken eines grossen Mannes, der durch seine Schriften
unsere Bewunderung und Theilnahme erregt und weit über
seine Zeitgenossen und einen grossen Theil seiner Nachfolger
hervorragt, kennen zu lernen.
Ich entledige mich zunächst der angenehmen Pflicht,
allen denen, welche durch gütigen Rath oder durch Mit¬
theilungen verschiedener Art mich unterstützt haben, meinen
verbindlichsten Dank auszusprechen, insbesondere den Herren:
Archivdirektor Dr. von Weech, Direktor des Grossh. General¬
landesarchivs, Professor Dr. Famintzin, Mitglied der Kais.
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269
Akademie in St. Petersburg, Professor Dr. Ascherson in
Berlin, Dr. Hilger, Custos des Grossh. Naturalienkabinets,
Rektor Weizsäcker in Calw sowie den Enkeln Koelreuter’s,
Herrn Apotheker Koelreuter in Horaberg und Frau Stadt¬
pfarrer Hauber in Stuttgart. Weitere Mittheilungen ver¬
danke ich dem Kgl. Universitätsamt in Tübingen und dem
Kgl. Bürgermeisteramt in Sulz am Neckar. Das von Herrn
Koelreuter gütigst zur Verfügung gestellte Bildniss seines
Grossvaters ist von Herrn Schmidt, Docent für Photographie
an der Technischen Hochschule hier, photographirt.
Ausser den eigenen Werken Koelreuter’s und den vor¬
handenen kurzen, theilweise sicher falsche Angaben ent¬
haltenden biographischen Notizen in Gärtner, Bastardbefruch¬
tung (S. 4 und 5), deren Inhalt in Sachs’ Geschichte der
Botanik (S. 439) und in Pfeffer’s neue Ausgabe der vor¬
läufigen Nachricht (Ostwald’s Klassiker der exakten Wissen¬
schaften No. 4, S. 266) übergegangen ist, in Band II der
Memoires de l’Acad. Impür. de St. Petersbourg (S. 4 und 5),
in Sprengel’s Geschichte der Botanik (II S. 256), in Hart-
weg’s Hortus Carlsruhanus (Karlsruhe 1825, S. XVI), in der
Flora 1839, I (S. 245) und in der Allgemeinen deutschen
Biographie (Bd. XVI, 1882, S. 493—496) haben mir als
Quellen gedient die Akten des Grossh. Generallandesarchivs
und solche des Grossh. Naturalienkabinets sowie folgende,
im Nachfolgenden nicht citirte Werke, die über jene Zeit
handeln:
Historia et comment. Academiae Theodoro-Palatinae I,
S. 1—150.
Böckmann, Welche Fortschritte machten Mathematik
und Naturlehre in den badischen Ländern? Carlsruhe 1787.
Brunn, F. L., Briefe über Carlsruhe. Berlin, 1791.
Drais, Freihr. von, Geschichte der Regierung und Bildung
von Baden unter Karl Friedrich. I u. II. Carlsruhe 1818.
Fecht, Geschichte der Haupt- und Residenzstadt Karls¬
ruhe. Karlsruhe 1887.
Meerwein, Grundstein zu einem Ehrendenkmal für die
um Badens Landeskultur verdienten Männer. Carlsruhe 1822.
Nebenius, C. F., Karl Friedrich von Baden. Heraus¬
gegeben von Fr. v. Weech. Karlsruhe 1S68.
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270
Weecli, Fr. vou, Baden unter den Grossherzogeu Karl
Friedrich, Karl, Ludwig, 1738—1830. Freiburg 1863.
— Die Markgräfinnen Maria Viktoria und Caroline
Louise von Baden. Karlsruhe 1872.
I.
Joseph Gottlieb Koelreuter wurde geboren zu Sulz am
Neckar am 27. April 1733 als ältester Sohn des dortigen
Apothekers Johann Konrad Koelreuter und dessen Frau
Katharina Margaretha geb. Ilaupt. Ausser ihm wurden
seinen Eltern noch zwei jüngere Söhne geboren, der spätere
Sulzer Arzt Johann Konrad Christoph 1 und der Apotheker
Christian Ludwig, von denen der erstere 1782, der andere
erst 1820 starb. Die Familie Koelreuter stammte aus Oester¬
reich, wo im Jahre 1569 Kaiser Maximilian einem Vorfahren,
dem Florian Kellerriedter, Gegenschreiber des Stifts Krems¬
münster, Adel und Wappen verliehen hat.
Ueber seine Jugendjahre ist nichts bekannt. Es lässt
sich indess annehmen, dass der Knabe schon in der Jugend,
angeregt durch seinen Vater, sich mit der Flora und Fauna
seiner engeren Heimath bekannt gemacht hat. In seiner
Dissertation wird auch eine eigene Insektensammlung ei-
wähnt.
Im Jahre 1748 treffen wir Koelreuter in Tübingen, wo
er am 19. November für das medicinische Studium sich
iinmatrikuliren Hess. Hier hatte unter seinen Lehrern ins¬
besondere der Professor Johann Georg Gmelin, der bekannte
Erforscher Sibiriens, auf seinen Studiengang Einfluss. Im
Jahre 1753 setzte er seine Studien in Strassburg fort, kehrte
aber schon- am 3. Mai 1754 nach Tübingen zurück, wo er
auch am 27. Juni des folgenden Jahres sich auf Grund seiner
„Dissertatio inauguralis medica de insectis coleopteris nec
non de plantis quibusdam rarioribus (cum icone)“ den medi-
cinischen Doktorgrad erwarb.
Bald nach seiner Promotion im Jahre 1756 ging Koel¬
reuter als Adjunkt der Kais. Akalemie der Wissenschaften
1 S. auch dritte Fortsetzung der vorl. Nachricht S. 33 (Pfeffer’s
Ausg. S. 180).
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271
für die Naturgeschichte nach Petersburg, eine Berufung, die
gewiss noch auf die Fürsorge des kurz zuvor verstorbenen
Gmelin für seinen talentvollen Schüler zurückzuführen ist.
In Petersburg beschäftigte sich Koelreuter, wie seine zahl¬
reichen, in dieser Zeit entstandenen Schriften zeigen, haupt¬
sächlich mit Zoologie, vor allem mit der Ordnung und Be¬
stimmung der Fischsammlung der Akademie. Dass er ausserdem
auch seine botanischen Studien nicht vergass, folgt nicht
nur aus seinen eigenen Angaben 1 , sondern auch aus der Be¬
merkung des Akademikers Laxmann, der seine neue Sapinda-
ceengattung Koelreuteria „viro et de re herbaria et de horto
nostro botanico optime merito celeberrimo Koelreutero“ als
Unterpfand seiner und aller Botaniker Verehrung widmet. 2
In Petersburg (und nicht in Sulz, wie Gärtner angibt) Wal¬
es denn auch, wo Koelreuter seine ersten fruchtlosen Bastar-
dirungsversuche im Jahre 1759 anstellte, und zwar mit Hi-
biscus trionum und Pentapetes phoenicea, Hibiscus trionum
und Gossypium lierbaceum, Atropa physaloides und Physalis
Alkekengi. Die vorläufige Nachricht ist überhaupt in Peters¬
burg entstanden.
Die Frucht seiner Thätigkeit in den reichen Sammlungen
Petersburg^ waren folgende Arbeiten, die fast sämmtlich in
den Schriften der Petersburger Akademie veröffentlicht sind:
Polypi marini, Russis karakatiza, recentioribus Graecis
OxTccitovg dicti, descriptio. Novi commentarii Academiae
scientiarum Petropolitanae. Tom. VII ad annum 1758 et 1759.
Petropoli 1761. p. 321 ff.
Zoophyti marini e Coralliorum genere historia. Ibid.
p. 344.
Descriptio Tubiporae maris albi accolae. Ibid. p. 374.
Continuatio historiae zoophyti marini e coralliorum genere.
Ibid. p. 377.
Piscium rariorum e Museo Petropolitano exceptorum
descriptio. Novi commentarii etc. Tom. VIII, p. 404.
1 Vorläufige Nachricht etc. 1761. S. 42 (32), Fortsetzung der vorl
Nachricht 1763. S. 60 (45), 61 (79). Zweite Fortsetzung 1764. S. 64
(79). Dritte Fortsetzung der vorläufigen Nachricht etc. 1766, S. 52
135, 151 (S. 198, 251 und 260 der Ausgabe von Pfeffer).
* Laxmann, Koelreuteria paniculata novum plantarum genus. Nov.
commentarii. Tom. XVI, p. 561.
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272
Descriptionis pisciura rariorum e museo Petropolitano
exceptorum continuatio. Novi coramentarii Tom. IX, p. 420.
Piscium rariorum e museo Petropolitano exceptorum de-
scriptiones continuatae. Novi commentarii. Tom. X, p. 329.
Dentalii americani ingentis magnitudinis descriptio. Ibid.
p. 352.
Insectorum musei Petropolitani rariorum, Americae po-
tissimum meridionalis incolarum, descriptiones. Novi commen¬
tarii Tom. XI, p. 401.
Descriptio Fuci foliacei frondibus fructificantibus pa-
pillatis. Ibid. p. 424.
Aves indicae rarissiraae et incognitae. Ibid. p. 429.
Descriptio piscis e Gadorum genere, Russis Nowaga dicti,
historico-anatomica. Novi commentarii. Tom. XIV, p. 484.
Descriptio Cyprini Rutili, quem Halawel Russi vocant,
historico-anatomica. Novi commentarii. Tom. XV, p. 494.
Descriptio piscis e Coregonorum genere, russice Sig vo-
cati, historico-anatomica Ibid. p. 504.
Observationes splanchnologicae ad Accipenseris rutheni
Linn. anatomen spectantes. Novi commentarii. Tom. XVI, p. 42.
Observationum splanchnologicarum ad Accipenseris ru¬
theni Linn. anatomen, speciatim vero ad ipsorum auditus
organum spectantium continuatio. Novi commentarii XVII,
p. 521.
Descriptio piscis e Coregonorum genere, russice Ria-
pucha dicti, historico-anatomica. Novi commentarii. Tom.
XVIII, p. 503.
Observationes in Gado Iota institutae. Novi commen¬
tarii. Tom. XIX, p. 424.
Lernaeae forsan adhuc incognitae, Gadi callar L. bran-
chiis firmiter inhaerentis descriptio. Historia et commen-
tationes Academiae eiectoralis scientiarum et elegantiorum
literarum Theodoro-Palatinae. Vol. III Physicum. Mann-
heimii 1775, p. 57.
Descriptio Pleuroncctis flesi et passeris Linnaei historico-
anatomica. Nova acta. IX. Petropoli 1795, p. 327.
Von seinen botanischen Arbeiten ist ausser der eben
erwähnten Beschreibung einer Floridee des Weissen Meeres
nach einem getrockneten Exemplar, wie schon oben er-
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273
wähnt, die „Vorläufige Nachricht von einigen das Geschlecht
der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobachtungen“
eine und allerdings die wichtigste Frucht des Petersburger
Aufenthaltes. Diese Abhandlung gab Koelreuter, wie er in
der Vorrede erzählt, Gelegenheit, mit dem Göttinger Pro¬
fessor Abraham Gotthelf Kästner in Verbindung zu treten,
der sich schon früher mit der von Koelreuter endgiltig ge¬
lösten Frage der Sexualität der Pflanzen beschäftigt und die
letztere gegen die Einwürfe Möllers im Hamburger Magazin
vertheidigt hatte. 1 Leider ging das erste Manuskript, das
am 4. Oktober 1760 an Kästner abgesandt war, unterwegs
zwischen Petersburg und Göttingen verloren.
Im Sommer des Jahres 1761 verliess Koelreuter Peters¬
burg und kehrte in seine Heimath zurück. Auf der Reise be¬
rührte er im August Berlin, wo er mit dem durch seine ge¬
lungene Befruchtung von Chamaerops humilis (1749) be¬
kannten Professor und Akademiker Johann Gottlieb Gleditsch
bekannt und befreundet wurde. Von der Hochschätzung,
welche dieser dem weit jüngeren Koelreuter entgegenbrachte,
legen seine Aeusserungen über ihn Zeugniss ab. 2 Ende August
und Anfang September verweilte Koelreuter in Leipzig im
anregenden Verkehr mit den dortigen Botanikern, insbeson¬
dere mit dem durch seine 1737 erschienene Dissertation de
sexu plantarum auf dem gleichen Gebiet thätigen Professor
Christian Gottlieb Ludwig, nebenbei demselben, dem Goethe
die erste Anregung zu seinen naturwissenschaftlichen Be¬
schäftigungen verdankt. In Leipzig ist auch die Vorrede zur
vorläufigen Nachricht verfasst, die auf Betreiben der Leip¬
ziger Freunde 1761 bei Gleditsch in Leipzig erschien.
Nach Sulz zurückgekehrt, setzte Koelreuter seine Be¬
obachtungen über die Sexualverhältnisse der Pflanzen fort.
Leider fehlen aus dieser Zeit alle Nachrichten mit Ausnahme
des Wenigen, was sich seinen Schriften entnehmen lässt.
Darnach blieb er in Sulz nur bis zum Herbst 1762 und
siedelte dann nach Calw in Württemberg über, wo sein
Freund und wohl auch Studiengenosse Joseph Gärtner da-
1 Vgl. Kurt Sprengel, Geschichte der Botanik. Bd. II, S. 265.
* Joh. Gottl. Gleditsch, Vermischte physikalisch-botanisch-oekono-
mische Abhandlungen II. Halle 1766, S. 127, sowie III. Halle 1767, S. 43.
18
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274
mals, mit den Studien zu seiner Carpologie beschäftigt, ein
zurückgezogenes Gelehrtenleben führte, über das man sich
die Anekdote erzählt, dass er, der sonst das Haus nicht zu
verlassen pflegte, als er einmal zu einem vornehmen Kranken
gerufen wurde, in Pantoffeln gehen musste, weil die Mäuse
seine Stiefel zernagt hatten. Als Gast Gärtner’s und im
freundschaftlichen Zusammenleben mit ihm setzte Koelreuter
in dessen Garten seine Bastardirungsversuche fort. Nach
seiner Rückkehr in die Heimat erhielt Koelreuter den Titel
eines herzoglich Württembergischcn Professors der Natur¬
geschichte, der ihm jedoch keinerlei Verpflichtungen zu lehren
auferlegte. Die Fortsetzung sowie auch die zweite Fort¬
setzung der vorläufigen Nachricht sind im wesentlichen die
Frucht seiner Arbeiten in Sulz und Calw und die Vorreden
beide aus Calw datirt.
Mit dem Schlüsse des Jahres 1763 trat ein Wendepunkt
in Koelreuter’s äusseren Verhältnissen ein, indem er von dem
Markgrafen Karl Friedrich von Baden-Durlach einen Ruf als
Aufseher und Direktor der fürstlichen Gärten mit dem Titel
und Rang eines Raths und Professors der Naturgeschichte
nach Karlsruhe erhielt und annahm. Die fürstliche Signatur
ist unterm 11. November 1763 ausgestellt. Am 7. Dezem¬
ber 1763 teilte Koelreuter dem Markgrafen nebst dem Dank
für die Anstellung mit, dass er unterm 19. November aus
den herzoglich württerabergischen Diensten entlassen sei und,
sobald es die Umstände gestatten würden, nach Karlsruhe
übersiedeln werde.
Mit dieser Wendung des Schicksals schien für Koelreuter
der richtige Platz gefunden zu sein, wo er seinen Forsch¬
ungen unabhängig und nach seinem Belieben sich widmen
und dieselben noch weiter ausdehnen konnte. Die äusseren
Verhältnisse in Karlsruhe waren dazu die denkbar günstigsten.
Es stand ihm als Direktor der fürstlichen Gärten hier
ein botanischer Garten zur Verfügung, der einer der grössten
und best ausgestatteten der damaligen Zeit war. Er wurde
im Jahre 1717 von Karl Wilhelm, dem Gründer Karlsruhes,
angelegt und schon das erste, 1733 gedruckte Verzeichniss
zählt ca. 2000 Species auf, die in ihm kultivirt wurden.
Ungefähr ebensoviele sind auch in dem 1747 erschienenen
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275
Hortus Carlsruhanus von Josua Risler aufgezählt, von denen
allerdings durch die Misswirtschaft der Gärtner ein Theil
gerade der seltensten gegen Ende der fünfziger Jahre zu
Grunde gegangen war.
Dazu kam das grosse Interesse, welches der Markgraf
selbst und seine Gemahlin, die Markgräfin Karoline Louise,
den Naturwissenschaften und insbesondere der Botanik zu-
wendeten. Bei Karl Friedrich, einem der edelsten und unter-
richtetsten Fürsten seiner Zeit, erstreckte sich dieses Interesse
allerdings vor allem auf die praktische Anwendung der
Wissenschaft in den Verhältnissen, auf welchen das Staats¬
wesen sich aufbaut, vorzüglich also in der Landwirtschaft.
Der klar blickende Fürst war indess der Ueberzeugung,
dass durch ein gründliches, rein wissenschaftliches Studium der
Erscheinungen in der Pflanzenwelt die besten Früchte auch
für den praktischen Pflanzenbau gewonnen werden, eine
Wahrheit, die in allen Zweigen der Praxis immer wieder
sich bewährt und eigentlich auch selbstverständlich ist. Dazu
kam, dass Karl Friedrich wenigstens in der ersten Periode
seiner Regierung ein erklärter Auhänger der physiokratischen
Schule war, welche in der landwirtschaftlichen Produktion
den einzigen oder doch wichtigsten Faktor der Wohlfahrt
des Staates erblickte.
Die Hauptgedanken der physiokratischen Lehre stellte
der Markgraf selbst in einer kurzen Schrift zusammen, die
unter dem Titel: „Abregö des principes de l’öconomie poli-
tique“, 1772 zu Paris vom Grafen Mirabeau publizirt, nach¬
träglich auch ins Deutsche übersetzt wurde. 1 Dementsprechend
legte er denn auch grossen Werth auf die Förderung der
Naturwissenschaften und interessirte sich insbesondere leb¬
haft für Botanik. Noch mehr that dies die Fürstin. In
einem Brief an Linnö vom 1. Januar 1774 schreibt Björn¬
stahl 2 : „Am hiesigen Hofe höre ich alle Tage von Ihnen
reden. Sie sind der Gegenstand der Gespräche des regierenden
Fürsten und der Fürstin. Denn diese sind nicht nur Lieb-
1 Schlettweins Archiv für den Menschen und Bürger IV. S. 235.
1 Jakob Jonas Björnstahls Briefe auf seinen ausländischen Reisen.
Aus dem Schwedischen übersetzt von Just Emst Groskurd und Christian
Heinrich Groskurd. III. Rostock und Leipzig 1781. S. 330.
18*
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276
haber der Naturgeschichte, sondern auch in derselben so zu
Hause, dass man darüber in Verwunderung gerathen muss.“
Und an einer anderen Stelle 1 sagt er von der Markgrätin:
„In der Botanik ist sie so stark wie ein Professor“. Auch
Friedrich Leopold von Stolberg erwähnt in einem Brief vom
24. Mai 1775 an Klopstock gelegentlich seines ersten Be¬
suches in Karlsruhe, wo er damals mit Goethe zusammen
weilte, die Vorliebe der Markgräfin für die scientia amabilis:
„Den Markgrafen muss man lieben, die Markgräfin vertieft
sich stark in die Botanik und ist mir zu gelehrt, sonst ge¬
fällt sie mir“. Mit Linne soll die Markgräfin in Briefwechsel
gestanden haben. Björnstahl hatte den Auftrag, ihn nach
Karlsruhe einzuladen. Von der Werthschätzung, welche
Linn6 der Markgräfin entgegenbrachte, zeugt der Name Caro-
linea princeps, den er ihr zu Ehren einer südamerikanischen
Bombacee beilegte.
Dem Interesse, das die fürstlichen Herrschaften den
Wissenschaften und insbesondere den Naturwissenschaften
zuwendeten, entsprach auch der Charakter des Hofes. Unter
den tüchtigen Ministern des Markgrafen tritt durch eine
mehr als gewöhnliche Beschäftigung mit der Botanik insbe¬
sondere der Geheimerath Reinhard hervor, den die gleiche
Liebe zur Wissenschaft mit Koelreuter in Freundschaft ver¬
band. Ebenso standen der Geheimerath von Edelsheim,
sowie der Oberforstmeister und Geheimerath von Geusau
Koelreuter nahe.
Ueberhaupt waren tüchtige Männer in Karlsruhe, meist
vom Markgrafen dorthin berufen. Der Polizeirath Schlett¬
wein, der in seinen Schriften sich als ein tüchtiger und in
der Botanik nicht unbewanderter Mann zeigt, aber berüchtigt
durch seinen allzugrossen Eifer für das physiokratische System
und durch den Übeln Ausgang der auf seinen Rath unter¬
nommenen Versuche, dasselbe in einzelnen Ortschaften durch¬
zuführen, erfreute sich damals der besondern Werthschätzung
Karl Friedrichs. Am Gymnasium wirkte der als Physiker
nicht unbedeutende Boeckmann, der Begründer des 1779
errichteten meteorologischen Instituts. Von anderen seien ge¬
nannt der Philosoph Tittel, der Historiker Sachs, Rektor des
1 Briefe. V. 1782. S. 127.
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277
Gymnasiums, der Literarhistoriker Bougine sowie der fürst¬
liche Bibliothekar Molter.
Von dem regen Interesse, das man am Hofe allen wissen¬
schaftlichen und literarischen Bestrebungen entgegenbracbte,
zeugen ferner die zum Theil wiederholten Besuche unserer
Dichterheroen Goethe und Klopstock, der beiden Stolberg,
Herder’s, des Historikers Schöpflin, Forster’s, des berühmten
Beisenden, sowie Voltaire’s.
In diesen Kreis trat Koelreuter unter den günstigsten
Auspicien ein. Ich kann es mir nicht versagen, die An¬
stellungsurkunde in ihrem Wortlaute nach dem im Grossh.
Generallandesarchiv vorhandenen Original hier mitzutheilen:
„Wir, Karl Friedrich u. s. w. urkunden hiermit, dass
Wir den in herzoglich würterabergischen Diensten gestan¬
denen Professor J. G. Koelreuter in Unsere fürstliche Dienste
als Professor der Botanik mit dem Charakter und Rang eines
fürstlichen Raths dergestalt gnädigst angenommen haben,
dass er in unserer Residenzstadt Carlsruh seine haushäbliche
Wohuung nehmen und sich gleich bei dem Antritt seines
Dienstes angelegen sein lassen solle, nicht allein
1. sämmtliche in Unseren fürstlichen Gärten befindliche
exotische und andere Pflanzen unter die behörige Namen zu
bringen, sondern auch
2. diejenigen, welche zusammengehören, zu bemerken
und darüber einen richtigen Catalogus zu begreifen, und
3. die abmangelnden von auswärtigen Orten her zu ver¬
schreiben und überhaupt über das Seminarium die Aufsicht
zu haben, und in re botanica alle Correspondenz zu führen,
auch
4. Unseren fürstlichen Gärtnern zur Hand zu gehen,
auf was Art die Exotica zu traktiren seien. Wir (werden)
Unsere sämmtliche Gärtner dahier anweisen lassen, dass sie
alle demjenigen, so der Rath und Professor Koelreuter als
in seinen Dienst einschlagend disponiren wird, behörig nach¬
geleben sollen.
5. hac derselbe auf den nächst dem Fasanengarten neu
angelegten Obstgarten zu sehen, damit derselbe nach dem
diesfalls gemachten und von Uns genehmigten Projekte in
Ansehung derer Obstsorten eingerichtet werde und sich zu
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278
dem Ende von solchem Plane eine Abschrift zustellen zu
lassen. Da auch
6. Unsere Intention dahin gehet, dass in dem Garten hinter
Unserem hiesigen Schlosse alle möglichen Holtzsorten, so viel
derer beigebracbt werden können, gepflanzet werden sollen,
so hat derselbe solche behörig zu classificiren und zu speci-
ficiren, auch unseren Gärtnern darunter das Nöthige an die
Hand zu geben, woneben Wir ihn, Rath Koelreuter, gnädigst
anweisen,
7. in re botanica fleissige Observationen zu machen, als
worinnen ihm unsere sämmtliche Gärtner ohnverdrossen an
die Hand gehen sollen, die Erwählung derer Materien aber
seiner eigenen Willkür lediglich überlassen, ausserdem aber
denselbigen anderer Gärtnereisachen und was eigentlich zu
der Anlage, Eintbeilung uud Besorgung derer Gärten gehört,
aller weiteren Beschäftigung entheben.
Wegen solcher Dienste wollen wir dem Rath und Pro¬
fessor Koelreuter von dem 23. Januar dieses Jahres an eine
jährliche Geldbesoldung von 600 Gulden nebst 50 Gulden
für Hauszins abreichen lassen.
Sollen aber wegen dieses Dienstes sich zwischen Uns
und Ihm Irrungen ergeben, denen Wir Uns in Güte nicht
vergleichen möchten, so sollen wir beiderseits gehalten sein,
von Unserem Fürstl. Hofgerichte Rechts zu nehmen und Uns
an dessen Ausspruch ohne weiteres Appelliren oder andere
Weigerung begnügen.
Wäre Uns auch der Rath Koelreuter zu einem Diener
nicht mehr anständig, oder aber ihm also zu dienen länger
nicht gelegen, so solle jeder Theil dem anderen ein Viertel¬
jahr vor Ausgang des Jahres aufkünden.“
Koelreuter trat also am 23. Januar 1764 seinen Dienst
an. Die Anstellungsurkunde ist vom 22. Februar datirt.
Die am 11. November 1763 ausgestellte Signatur bestimmte
noch, dass von der Geldbesoldung, „falls er sich der Tafel
bei Hofe bedienen wolle, für deren freien Genuss ihm ein
Abzug von 150 Gulden gemacht werden solle.“ Letztere
Klausel wurde dadurch hinfällig, dass Koelreuter sich in der
Stadt eine Kost aussuchte.
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279
Von der erleuchteten Gesinnung des Markgrafen zeugt
insbesondere der Satz der Anstellungsurkunde, durch welchen
jede Beeinflussung der wissenschaftlichen Thätigkeit Koel-
reuter’s ausgeschlossen wird. Im Uebrigen waren die Auf¬
gaben, welche des neuen Gartendirektors harrten, nicht ge¬
ringe. Waren die vorhandenen Anlagen und Gärten an sich
schon gross und weitläufig genug, um die Verwaltung der¬
selben zu einem umfangreichen Geschäft zu machen, so
kamen dazu noch allerlei Pläne und Anstalten, die bestehen¬
den Anlagen zu erweitern. So sollte im hinteren Schloss¬
garten ein möglichst reichhaltiges Arboretum angelegt wer¬
den, das alle im Freien ausbaltenden in- und ausländischen
Holzgewächse enthalten sollte. Ferner war ein umfang¬
reiches Obstbaumsortiment, überhaupt ein pomologischer
Galten gegründet worden, der aber nicht nur die Sammlung
sämmtlicher vorhandenen Obstsorten, sondern auch die Er¬
ziehung neuer Sorten zum Wohle des Landes zum Zweck
hatte. Auch die Sorge für diese beiden Schöpfungen Karl
Friedrichs fiel Koelreuter zu und stellte um so grössere An¬
forderungen an ihn, als ausser dem Plan, der freilich vor¬
handen war, noch alles der Verwirklichung harrte. Dazu
kamen die Streitigkeiten und Eifersüchteleien der verschie¬
denen Gärtner unter sich, welche dem Dirigenten seine Ab¬
sichten sehr erschweren mussten, und welche schon 1762 den
damals mit der Revision der Gärten und Gewächshäuser be¬
trauten Hofrath und Leibarzt Ph. A. Eichrodt zu dem Vor¬
schläge veranlassten, es möge am zuträglichsten sein, wenn
man die beiden Gärtner Saul und Müller trenne.
Zunächst widmete sich Koelreuter eifrig seinen Aufgaben.
In den Akten des Grossh. Generallandesarchiv findet sich:
Koelreuteri Consignatio vegetabilium secundum C. Linnaei
Syst. nat. Tom. II. edit. dec. quorum vel ipsa planta vel
semina recentia desiderantur sowie ein Oatalogue des plantes
d’un professeur en botanique de Franecker fait en 1753 avec
des marques ajoutees par Mr. Koelreuter ä toutes les plantes
qu’on desirait en 1765. Bezüglich des Bezuges nordameri-
kaniscber Gehölze für das Arboretum correspondirte sowohl er
wie der Hofrath Schmidt von Rossau insbesondere mit dem
Strassburger Professor Spielmann, bekannt durch seine Flora
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280
von Strassburg. Er selbst bereicherte das Arboretum durch
die Schenkung von Thuja orientalis L., Lycium barbarum L.,
Genista florida L. und Ononis antiquorum L. im Früh¬
jahr 1766.
Die Frucht seiner wissenschaftlichen Thätigkeit in den
beiden ersten Jahren seines Aufenthaltes in Karlsruhe ist die
dritte Fortsetzung der vorläufigen Nachricht, die zu Anfang
1766 erschien.
Ueber eine Wiederholung des bekannten Versuches von
Gleditsch, der in den Jahren 1749—1751 die Inflorescenz
einer weiblichen Chamaerops des Berliner Gartens mit dem
Pollen einer aus Leipzig bezogenen männlichen Inflorescenz
erfolgreich befruchtet hatte, berichtet Koelreuter in der
Historie der Versuche etc. 1 Aus dem Carlsruher botanischen
Garten wurde Ende Frühjahr 1767 in Papierkapseln Pollen
von Chamaerops nach Berlin und Petersburg geschickt, haupt¬
sächlich in der Absicht, die Dauer der Wirksamkeit des
Pollens zu prüfen. Die Bestäubung wurde in Berlin von
Gleditsch an dem schon zu den früheren Versuchen benutzten
Exemplar, in Petersburg vom dortigen Obergärtner Eckleben
an einer hundertjährigen, bis dahin stets sterilen Pflanze,
an beiden Orten aber mit dem günstigsten Erfolge ausge¬
führt. „Ich werde die näheren Umstände von dieser merk¬
würdigen physikalischen Begebenheit an einem anderen Orte
anführen und zugleich zeigen, was mir hauptsächlich Anlass
gegeben, diesen Versuch damals vorzuschlagen und zu ver¬
anstalten, und worauf sich meine Hoffnung zu einem glück¬
lichen Erfolge desselben eigentlich gegründet habe.“ Diese
weitere Mittheilung ist nicht erschienen. Aber die in dem
Versuche erzeugten Früchte befanden sich noch in der Samm¬
lung C. Fr. Gärtner’s, 2 dessen Vater sie entweder von Peters¬
burg, wohin er 17G8 ging, mitgebracht oder von Koelreuter
erhalten hatte, wie dieser ihm auch Exemplare der von ihm
erzogenen Bastarde mitzutheilen pflegte. 3
1 Historia et comment. Acad. Theodoro-palat. III physicum. 1775,
p. 38—39.
1 C. Fr. Gärtner, Befruchtungsorgane der vollkommeneren Ge¬
wächse. Stuttgart 1844, S. 146.
8 Sein Sohn C. Fr. Gärtner war wenigstens im Besitze von Original¬
exemplaren der Koelreuter'schen Bastarde Vgl. Bastarderzeugung S. 234.
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281
Leider gingen alle die schönen Hoffnungen, die sich an
die Uebersiedlung Ivoelreuter’s nach Karlsruhe knüpften,
nicht in Erfüllung. Die Hauptursache davon lag in den un¬
erquicklichen Zuständen, welche in dem Verhältuiss zwischen
Koelreuter und den Gärtnern sich bald einstellten. Eifer¬
süchtig und übelwollend, wie sie vor der 1762 eingetretenen
Abgrenzung der einzelnen Ressorts unter einander zum
Schaden des Gartens gewesen waren, vereinigte sie jetzt
gemeinsamer Neid und Missgunst gegen den ihnen Vorge¬
setzten Koelreuter, den sie auf alle Weise, insbesondere in¬
dem sie für seine Versuchspflanzen keinerlei Sorge trugen,
zu schikaniren und missliebig zu machen suchten. Ins¬
besondere mit dem Obergärtner Saul war es Koelreuter
unmöglich zusammen zu arbeiten. So kam es schon im
Jahre 1767 so weit, dass der Markgraf selbst, von den zwi¬
schen Koelreuter und dem Obergärtner Saul sowie Hof¬
gärtner Müller obwaltenden Misshelligkeiten in Kenntniss
gesetzt, dahin entschied, „dass dem Rath Koelreuter ein
eigener Platz zu seinen Pflanzungen anzuweisen und ihm ein
besonderer Tagelöhner zuzugeben, auf den Winter aber wegen
Aufbehaltung seiner Gewächse hinlänglich Vorsehung zu thun
seie, mit aiigefügtem weiterem Auftrag an wohlgedachtes
(fürstl. Rent-Kammer-) Collegium, denen streitigen Theilen
sämmtlich anzudeuten, wie Serenissimus aller solcher Händel
müde seien und ihnen einmal für allemal befehlen Hessen,
sich auf geziemende und dem herrschaftlichen Dienst gemässe
Art mit einander zu comportiren.“ Nichts destoweniger
dauerten die Streitigkeiten fort und führten im Beginn des
Jahres 1769 endlich zum definitiven Bruch. Am 13. Februar
dieses Jahres berichtet Saul an das Rentkainmerkollegium,
Koelreuter habe ihm auf eine Anfrage, was mit seinen Ver¬
suchspflanzen geschehen solle, geantwortet, er solle solche
„kecklich und frei“ wegwerfen, da sie nicht mehr gebraucht
würden. Koelreuter, zum Bericht aufgefordert, schreibt
unterm 22. Februar 1769 folgendes:
„Das niederträchtige, ungeschliffene Betragen und der
vorsätzliche Ungehorsam des Obergärtners Saul gegen meine
Verordnungen haben mich bewogen, meine viele Mühe und
eigene nicht geringe Kosten, die ich auf die Unterhaltung
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282
meiner bisherigen Korrespondenz und der damit verbunden
gewesenen Anschaffung ausländischer Samen verwendet, nicht
länger vergeblich zu verschwenden, und dies um so mehr,
da die anbefohlene Besorgung und Erhaltung meiner ange¬
zogenen Gewächse in denen unter gedachtem Obergärtner
stehenden Gärten, Geländen und Orangeriehäusern ohnehin
ganz wider die Natur der Sache beschlossen worden. Ich
habe daher vor einem Jahr in dem bei meiner Behausung
befindlichen Garten auf meine eigene Kosten eine kleine
Anlage gemacht und auch zu dem Ende alle diejenigen Ge¬
wächse, die ich bei der höchst erbärmlichen Behandlung
derselben noch zu gutem Glücke so lange erhalten, dahin
bringen lassen, die übrigen aber, die teils bereits verdorben,
teils vom Unkraut ganz erstickt und darunter tief begraben
gewesen, ihrem nothwendigen und gewöhnlichen Schicksal
leider überlassen müssen. Als mich nun der Obergärtner
Saul vor einiger Zeit fragen liess, was mit den letzteren zu
machen sei, so liess ich ihm zur Antwort melden, er könne
damit anfangen, was ihm gut dünke, und wenn er sie alle
wegwerfen und ausleeren lassen wollte, so hätte ich ebenfalls
nichts dagegen einzuwenden, indem ich sie ohnehin nicht
mehr gebrauchen könnte, und sic, wie bisher geschehen,
nur noch ferner zu einem schändlichen Spektakel da stehen
würden. Was er in seinem Promemoria von Kosten spricht,
womit man meine Gewächse schon einige Jahre her den
Winter über hätte erhalten müssen, verstehe ich nicht und
sehe es vor ein leeres Geschwätz an. Denn ich weiss gewiss,
dass er ihretwegen kein Scheit Holz mehr verbrannt hat,
welches auch nie von ihm gefordert worden, und bin über¬
zeugt, dass, wenn man alle Mühe und Arbeit der Taglöhner,
die neben ihrem gewöhnlichen Geschäfte diese ganze Zeit
über sich nur wunderselten etwas damit zu schaffen gemacht
haben, aufs höchste anschlagen könnte, nicht 15 Gulden
(sage: fünfzehn Gulden) herauskommen würden.“
ln beleidigtem Selbstgefühl betrat Koelreuter den Garten,
der von da an bis zur Ernennung Gmelin’s 1 zum Garten-
1 Gmolin, C. Ch. Ueber den Einfluss der Naturwissenschaft auf
das gesammte Staats wohl etc. Carlsruhe 1809, p. 362—390 (Geschichte
des Gartens).
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direktor in Folge der Zänkereien unter den Gärtnern mehr
und mehr verfiel und 1784 mehr einem Gemüsegarten zur
Nutzniessung des Obergärtners als einem fürstlichen Hof¬
garten glich, nicht wieder, setzte aber seine Bastardirungs-
versuche noch bis zum Jahre 1776 in seiner Privatwohnung
beim Hofschlosser Hugenest in der Waldhornstrasse, wo ihm
eia Garten zur Verfügung stand, fort. Seine letzten Bastar-
dirungsversuche (Mirabilis) rühren aus diesem Jahre her,
nur wenige Beobachtungen über spontan entstandene Ab¬
kömmlinge von Mirabilisbastarden, die wohl in Töpfen ge¬
zogen sind, rühren aus den Jahren 1777 und 1778 her, wo
Koelreuter kein Garten mehr zu Gebote stand infolge seines
Umzugs in ein eigenes Haus in der Kronenstrasse, der durch
einen heftigen Streit mit seinem früheren Hauswirtk und wohl
auch durch die Absicht desselben, sein Haus zu verkaufen,
nothwendig geworden war. Der Streit mit dem Hausbesitzer
Hugenest scheint von beiden Seiten recht heftig und nicht
gerade mit zarten Worten geführt zu sein; wenn auch vom
fürstlichen Hofrathskollegium in der Injuriensache Hugenest
als „autor rixae“ in die Kosten verurtheilt wird, so heisst
es doch, dass „die zwischen dem Rath Koelreuter und dem
Hofschlosser Hugenest vorgefallenen Injurien gegen einander
aufzuheben sein möchten“. Auch hier zeigt sich, wie auch
in der Gärtnersache, der sehr reizbare Charakter Koelreuters;
als durch Zuspruch des Hofrathskollegiums es gelungen war,
den Hugenest zu bestimmen, Kölreuter zur Vollendung
seiner Versuche noch bis zum 23. August wohnen zu lassen,
stellt sich heraus, dass dieser vorzeitig „seine Pflanzen alle
ausgerupft habe, mithin keine Rücksicht mehr auf selbige
zu nehmen sei“.
Charakteristisch für Koelreuter ist auch die Geschichte
seiner Ernennung zum Hofrath im Jahre 1769. Am 30. No¬
vember dieses Jahres wandte er sich mit einem Gesuche des
Inhaltes an den Markgrafen, es möchten ihm, da er mit seiner
bisherigen Besoldung nicht gut auskommen könne und willens
sei, einen eigenen Haushalt anzufangen, 100 Thaler seiner
Geldbesoldung in eine Naturalbesoldung umgewandelt werden.
Zugleich bat er: „Da ich eben die Ursache zu haben glaube,
auf die Beförderung meiner Ehre zu sehen als andere, die
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in Euer Hochfiirsll. Durchlaucht Diensten zu stehen die Gnade
haben, so füge erstgedachter untertänigster Bitte auch noch
diese bei, dass Euer Hochfürstl. Durchlaucht mir zugleich den
Charakter und Rang eines Fürstl. Hofraths zu erteilen
gnädigst geruhen möchten“. Als der Markgraf dann unterm
4. Dezember, der letzteren Bitte willfahrend, Koelreuter zum
Hofrath ernannte, dagegen bezüglich des erstem Punktes
zunächst zur Geduld verweisen liess, lehnte dieser kurz
unter dem 11. Dezember die Rangerhöhung ab unter der
Begründung, dass ihn „ein bloss höherer Charakter und Rang
in Ansehung seiner Ausgaben und ökonomischen Einrichtung
nur noch in grössere Verlegenheit als zuvor setzen würde“,
und stellte die Signatur wieder zurück.
Alle mir bekannt gewordenen gedruckten Arbeiten Koel-
reuters rühren, soweit das in ihnen zur Darstellung ge¬
brachte Thatsachen-Material in Frage kommt, aus den Jahren
vor 1777 her, mit vielleicht einer Ausnahme (de antherarum
pulvere), obwohl der eifrige, jetzt zur Unthätigkeit gezwungene
Forscher, der sich selbst charakterisirt als „einen Mann, der
zur Erforschung der Naturgeheimnisse zwar nicht die schlech¬
teste Anlage, viel guten Willen und eine unwiderstehliche
Neigung hat, aber gar wenig Vermögen, Unterstützung und
Gelegenheit, sie in Wirksamkeit zu setzen und nach seinem
eigenen Wunsche, Wahl und Einsicht in Erfüllung zu bringen“ 1 ,
bis zum Ende seines Lebens fortfuhr, die Ergebnisse seiner
Beobachtungen und Versuche zu publiziren. Meist sind sie
in den Schriften der Petersburger Akademie veröffentlicht,
zu deren auswärtigem Ehrenmitgliede er mittels Diploms
vom 18. Juli 1768 ernannt war, und von der er eine jähr¬
liche Pension von 200 Rubel bezog. Einige wenige finden
sich im dritten Bande der Historia und commentationes der
Pfälzischen Akademie, zu deren ausserordentlichem Mitgliede
Koelreuter in der Herbstsitzung am 17. Oktober 1765 ge¬
wählt war, und mit deren Mannheimer Mitgliedern er in
freundschaftlichem Verkehr stand. Ein Briefwechsel mit dem
Sekretär der Akademie, Lainey, vom Jahre 1765 bis 1775
reichend, findet sich in den Akten des Grossh. Generallandes-
1 Das entdeckte Geheiraniss der Kryptogamie. Karlsruhe 1777,
5. 155.
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285
archivs. Darnach wollte Koelreuter seinen später in den
Nova acta der Petersburger Akademie erschienenen Aufsatz
über die Reizbarkeit der Staubfäden von Berberis ursprünglich
1775 in einer öffentlichen Versammlung der pfälzischen
Akademie lesen. Ueber eine ihm von der Akademie über¬
sandte Preisschrift, die ohne Zweifel die 1771 gestellte Preis¬
aufgabe betraf (es sollte experimentell an Osmunda regalis,
Pteris aquilina, Equisetum arvense und E. palustre die Frage
nach der Sexualität der Kryptogamen gelöst werden J ), sprach
Koelreuter offen seine, wie es scheint, da er um strengste
Diskretion bittet und vermeiden möchte, einem Mann, der
es gut gemeint habe, von einer unangenehmen. Seite her
bekannt zu werden, nicht eben günstige Meinung aus.
Vielleicht führte das einen Streit mit Necker herbei, der
ja in Bezug auf die Sexualität der Kryptogamen den der
Koelreuterschen Ansicht ganz entgegengesetzten Standpunkt
vertrat, und vereitelte so die Reise nach Mannheim zum
Zweck des Vortrags. Medikus, der als Director des bota¬
nischen Gartens der Akademie in Mannheim lebte, verdankt
eine Menge von Beobachtungen, insbesondere die über die
„Reizbarkeit“ der Staubfäden von Kalmia, den Bau der
Narben von Martynia, Bignonia, Lobelia, „der mündlichen
Unterredung“ Koelreuter’s, der 1772 in Gegenwart von Medi¬
kus im Schwetzinger Hofgarten die von ihm übrigens richtiger
gedeuteten Bewegungen der Staubfäden von Kalmia entdeckt
hatte. 1 2 Ausserdem gehörte er der freien ökonomischen
Sozietät zu Sankt Petersburg sowie einer fürstlich hessischen
Sozietät der Wissenschaften an, deren Sitz mir unbekannt
geblieben ist. Von der Berlinischen Gesellschaft natur¬
forschender Freunde wurde er am 11. Oktober 1774 zum
auswärtigen Mitgliede gewählt.
Die Frucht seiner wissenschaftlichen Thätigkeit in Karls¬
ruhe sind ausser der vorhin schon erwähnten dritten Fort-
1 Vgl. Necker, Eclaircissements sur la propagation des Filic£es en
g6n6ral. Hist, et comra. Acad. elect. Theod. — palat. HI. Physic.
1775, p. 275.
2 Vgl. Casimir Medicus, von der Neigung der Pflanzen, sich zu
begatten. Hist, et comm. Acad Theod. — palat III. phys 1775,
p. 116—192 sowie S. 274. — Koelreuter, de antherarum pulvere. H
Nova acta XV. p. S69.
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Setzung der vorläufigen Nachricht folgende Aufsätze, die in
den Jahren von 1772 bis 1804 niedergeschrieben sind:
Historie der Versuche, welche von dem Jahre 1691 an
bis auf das Jahr 1752 über das Geschlecht der Pflanzen an¬
gestellt worden sind, nebst einer historisch physikalischen
Erörterung, dass Rudolf Jakob Camerer der erste gewesen,
der diese für die physikalischen und ökonomischen Wissen¬
schaften so wichtige Wahrheit durch eigene in dieser Ab¬
sicht angestellte Versuche erwiesen. (Historia et commen-
tationes Academiac Electoralis scientiarum et elegantiorum
literarum Theodoro-Palatinae. Vol. III Physicum. Mannheim
1775, S. 21—40.)
Historisch physikalische Beschreibung der wahren männ¬
lichen Zeugungstheile und der eigentlichen Befruchtungsart
bei der Schwalbenwurz und den damit verwandten Pflanzen¬
geschlechtern. (Ibidem S. 41—56.)
Lychni-Cucubalus, novum plantae hybridae genus. (Novi
commentarii Acad. Sc. Imper. Petropolitanae. T. XX 1776.
p. 431—448 mit 1 Tafel.)
Das entdeckte Geheimniss der Ivryptogamie. Eine der
Kurpfälzischen Akademie zugedacht gewesene Preisschrift.
Carlsruhe 1777. Druckts und verlegts Michael Maklot, Mark¬
gräflich Badischer Hofbuchhändler und Hofbuchdrucker.
Digitales hybridae. Acta Acad. Imp. Petrop. pro 1777.
Pars prior. Petrop. 1778, p. 215—233.)
Lobeliae hybridae (Acta pro 1777. Pars posterior. Petrop.
1780, p. 185—192.)
Lycia hybrida (Acta pro 1778. Pars prior. Petrop. 1780.
p. 219-224.)
Digitales aliae hybridae (Acta pro 1778. Pars posterior.
Petr. 1781, p. 261—274.)
Verbasca nova hybrida (Acta pro 1781. Pars prior.
Petr. 1784, p. 249—270.)
Daturae novae hybridae (Acta pro 1781. Pars posterior.
Petropoli 1785, p. 303—313.)
Malvacei ordinis plantae novae hybridae (Acta pro 1782.
Pars posterior. Petr. 1784, p. 251—288.)
Lina hybrida (Nova acta Ac. Imp. Petrop. Tom. I.
Petrop. 1787, p. 339—346.)
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Dianthi novi hybridi. (Ibid. Tom. III. 1788, p. 277—284.)
Nouvelles observations et experiences sur l’irritabilitd
des dtamines de I’Epine vinette (Berberis vulgaris L.). Ibid.
Tom. VI. 1790, p. 207—216.)
Observationes quaedam circa vera Stigmata et fructi-
ficationem Periplocae graecae L. (Ibid. Tom. X. 1797,
p. 407—413.)
Mirabiles Jalapae hybridae. (Ibid. Tom. XI. 1798,
p. 389—399.)
Mirabilium Jalaparum hybridarum continuata descriptio.
(Ibid. Tom. XII. 1801, p. 378-398.)
Mirabilium Jalaparum hybridarum ulterius continuata
descriptio. (Ibid. Tom. XIII. 1802, p. 305— 335.)
Mirabilium Jalaparum hybridarum spicilegium ultimum.
(Ibid. Tom. XIV. 1805, p. 373-408.)
De antherarum pulvere. Sectio 1 (De loco originalis ge-
nerationis antherarum pulveris, ejus situ et nexu cum antheris
nec non de ratione ac modo, quo ille secemitur atque excer-
nitur) und 2 (De maturitate pulveris antherarum). (Ibid. XV,
1806, p. 359—370.)
Continuatio dissertationis de pulvere antherarum. Sectio 3
(De colore antherarum pulveris). (Ibid. p. 371—398.)
Dissertationis de antherarum pulvere continuatio. Sectio 4
(De figura antherarum pulveris). (Memoires de l’Acad. iinper.
des Sciences de St. Petersbourg. Tom. III. St. Petersbourg
1811, p. 159—199.)
Ausser diesen botanischen, auf die wir weiterhin zurück¬
kommen, sind noch einige zoologische Arbeiten zu nennen:
Nachricht von einer schwarzbraunen Wanze, die sich die
Rothtannenzapfen zu ihrem Winterlager erwählt und gegen
diese Jahreszeit den Kreuzvögeln zur täglichen Speise dient.
(Hist, et comment. Acad. Sc. Theodoro-palatinae. Vol. III,
Physicum. 1775, p. 62—68 mit 2 Abbildungen; beruht auf
1752 noch in Sulz gemachten Beobachtungen.)
Observationes anatomico-physiologicae Mytili cygnei L.
ovaria concernentes. (Nova acta VI, 1790, p. 236—239.)
Wenn Koelreuter auch seit 1769 den Hofgarten nicht
mehr betrat oder ihm doch seine Thätigkeit nicht mehr
widmete, so blieben doch seine Beziehungen zu den fürst-
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liehen Herrschaften, insbesondere zu der für die Botanik be¬
geisterten Markgräfin dieselben wie vorher. Insbesondere ist
seine Mitwirkung an dem grossen, von der Markgräfin ge¬
planten Kupferwerke zu konstatiren, das auf gegen 10000
Platten alle Pflanzengattungen des Linne’schen Systems nebst
ihren Blüthentheilen enthalten sollte. Björnstahl, der im
Beginn des Jahres 1774 in Karlsruhe war, schreibt darüber
an Linnd am 1. Januar: „Die Prinzessin hat ein ausge¬
zeichnetes Naturalienkabinet ... Sie hat neulich ein Werk
angefangen, wovon ich nicht weiss, ob ich sagen soll, dass
es der Prinzessin und ihrem Geschmack und Eifer für die
Wissenschaften oder Ihrem Natursysteme grössere Ehre macht.
Sie lässt nämlich alle Ihre Gattungen der Pflanzen nebst
deren sämmtlichen Befruchtungstheilen auf die aller prächtigste
Art und mit so vielen Kosten in Kupfer stechen, dass auf
jede Platte nur ein Gewächs mit dessen daneben gesetzten
Staubwegen und Staubgefässen zu stehen kommt, und die
Anzahl der Kupferplatten bis an 10000 steigen wird . . .
Der Anfang des Werkes ist bereits gemacht. Ein guter
Kupferstecher aus Paris, Herr Gautier Dagoti, ist vor einigen
Wochen hierhergekommen. Die Gattungen der Veronica sind
schon alle fertig und sehr schön gerathen, denn die Prin¬
zessin hat die genaueste Aufsicht darüber .... Jede Platte
untersucht sie genau, verbessert die Fehler und ändert die
geringsten Irrthümer; darauf erleuchtet sie selbst die Ge¬
wächse mit den lebhaftesten Farben, so dass dieses Werk
das genaueste, sorgfältigste und prächtigste wird, das die
Botanik je gehabt hat und dem Titel, den es bekommt, ent¬
spricht, nämlich Icones omnium specierum plantarum Linnaei
equitis.“ 1 Mit demselben Briefe schickt Björnstahl, der auch
Koelreuter aufgesucht hatte und von ihm eine Empfehlung
ausrichtet, „eine Veronica, die neulich in Kupfer gestochen
worden, zur Probe“ im Aufträge der Markgräfin. 2
An diesem Werke, dessen späteres Schicksal unbekannt
ist, hatte auch Koelreuter Antheil. Im Grossh. Naturalien¬
kabinet, das aus der oben erwähnten Sammlung der Mark¬
gräfin Caroline Louise horvorgegangen ist, finden sich in
1 Björnstahl, Briefe. B DI, p. 3SO f.
5 Ibid. p. 338.
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einem Fascikel, das von Alexander Braun’s Hand die Auf¬
schrift trägt: „Wissenschaftliche Papiere von Koelreuter“,
zwei von letzterem selbst geschriebene Verzeichnisse von
Pflanzen mit Angabe der Originalabbildungen, ein „Verzeich¬
niss derjenigen Pflanzen, von deren in verschiedenen Büchern
vorkommenden Abbildungen Copien zu verfertigen wären“,
das auf 38 Bogenseiten 1066 Pflanzen sammt den Werken
und Autoren aufzählt, die Abbildungen davon geben, und
ferner ein umfassender angelegter Pflanzenkatalog, ähnlich
wie der vorige, aber nur von den Monandria bis zu den
Tetrandria monogynia incl. fortgeführt, auf 75 Seiten viel
mehr Pflanzen als voriger enthaltend. In ihm liegend fand
sich ein Papier von der Hand der Markgräfin, das zeigt,
dass auch dieser Katalog dem oben erwähnten Plane zu
dienen bestimmt war: es enthält nämlich Titel und Preis
zweier kurz vorher erschienener ähnlicher Tafelwerke, des
Hortus botanicus Vindobonensis und der Flora austriaca.
In demselben Fascikel liegt ferner ein Manuskript in
Form eines Berichtes, der ohne Zweifel auf eine Anfrage der
Markgräfin angefertigt und vom 23. Mai 1778 datirt ist:
„Physikalische Untersuchung eines auf den Nadeln des
Lärchenbaumes angetroffenen Insekts mit weisser Wolle,
genannt Aphis Pini L. S. N. Chermes Pini. In. Suec. 794.
Psylla lanata Pini Geoffroy Hist, des Ins. T. 1 p. 488 n. 6“.
Das Manuskript enthält manche für die damalige Zeit neue
Beobachtung über die Lebensweise dieser Aphide. Weiter
sind einige Blätter vorhanden: Aceris cathartici descriptio und
Aceris pensylvanici descriptio.
Schon im Jahre 1762 hatte Markgraf Karl Friedrich
eine Gesellschaft errichtet, welche „von Zeit zu Zeit zusammen¬
treten und die Landwirthschaft im Baden-Durlachischen zu
verbessern und zu vergrössern trachten solle“. Die ersten
Mitglieder waren ausser dem Markgrafen die Herren von
Palm, von Schilling, von Edelsheim und Stallmeister Wipper¬
mann, die allerdings in diesem Jahre bis zum September
neunmal zusanimenkamen. Dann hörten indess die Zusammen¬
künfte auf. Erst ein zweiter Versuch der Gründug einer
ökonomischen Gesellschaft glückte besser. Am 10. Novem¬
ber 1764 trug in einer Sitzung, an der Geh. Rath und
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Kammerpräsident von Gemrningen, Geh. Rath Reinhard,
Hofrath von Schmidt, Rath Koelreuter und der Kammer-
und Polizeirath Schlettwein theilnahmen, der Erstere den
Wunsch des Fürsten vor, die Anwesenden möchten sich zu
einer ökonomischen Gesellschaft vereinigen, zu der später
noch andere herzugezogen werden sollten. Schlettwein wurde
mit der Ausarbeitung eines Planes beauftragt. Die Sitzungen
fanden alle Samstage im Schlosse statt, und es nahmen an
denselben häufig auch der Markgraf selbst sowie sein Bruder
Markgraf Wilhelm Ludwig theil. Zugezogen wurden noch
Kammerjunker von Palm, Sekretär Molter, Pagenhofmeister
Lux, Professor Böckmann und Meerwein. So wohlthätig die
Gesellschaft zunächst wirkte, so hatte sie doch auf die Dauer
keinen Bestand. Zwar fanden die Sitzungen im Jahre 1765
regelmässig statt, doch war die Sitzung vom. 19. April 1766
die letzte, und nur ein Erlass Karl Friedrichs vom 14. April
1769, durch den die Gesellschaft zum Stellen von Preisauf¬
gaben aufgefordert wird, erinnert noch einmal an ihre ein¬
stige Blüthe. 1
Koelreuter war in dieser Gesellschaft eines der rührigsten
Mitglieder. Schon in der zweiten Sitzung verliest er einen
Brief des Waldmeister Hecht in Sulz an ihn, worin die Vor¬
theile des Anbaues von Rothtannen auseinander gesetzt werden,
und dieser sich erbietet, eine Quantität Samen zu übersenden.
Auf den Vorschlag Koelreuters wird denn auch beschlossen,
es solle von Hecht für Versuche im Forstamte Pforzheim ein
Simri bezogen werden. In der dritten Sitzung „proponirte
zwar Hofrath Koelreuter verschiedene in die Physik und
Meteorologie einschlagende Fragen, man hielt es aber dermal
nicht für rathsam, von solchen einen Gebrauch zu machen,
weil wenige in dem Lande sich finden möchten, die deren
Beantwortung übernehmen könnten“. In der siebenten
Sitzung (22. Dezember 1764) .wurde Hofrath Koelreuter’s
an fiirstl. Rentkammer eingesandter Bericht von den im
Pforzheimer Marktum gefundenen ausserordentlichen und mit
keiner bisher bekannten Arten von Kornwürmern einige
1 Näheres über dieselbe, spec. über ihre Statuten in Schlettweins
Archiv für den Menschen und Bürger. B. I. Leipzig. 1780 p. 430—462.
Das hier Referirte nach den Akten im Grossh. Generallandesarchiv.
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Gleichheit habenden Insecten vorgelesen.“ Am 9. Februar
1765 verlas Koelreuter einen „Entwurf einiger Versuche, die
ich auf allerhöchste und gnädigste Genehmigung Sr. Hoch¬
fürstlichen Durchlaucht zum Besten der ökonomischen Gesell¬
schaft künftigen Sommer anzustellen willens bin“:
„1. Vers. Um die Grösse des Nutzens, der von dem
Anbaue der gemeinen Gerste und einer anderen sechszeilig-
ten Gattung dieser Feldfrucht vorzüglich zu erwarten steht,
und um den Unterschied der Wirkung, welche verschiedene
Erdarten auf dieselbe äussern möchten, näher bestimmen zu
können, so soll zu dem Ende in dem hinter des Obergärtners
H. Saul Behausung liegenden Küchengarten ein der Sonne
und freien Luft ausgesetztes Bett von 56' in die Länge und
5' in die Breite, in fünf gleiche Theile quer abgetheilt,
der eine auf hiesiger gemeiner und zwar wohlgedüngter
Feld- oder Ackererde,
der andere mit einer Vermischung von i / i ungedüngter
Ackererde und */» Mergel,
der dritte mit einer Vermischung von % ungedüngter
Ackererde und x /s Leimen,
der vierte mit eben derselben, aber wohlgedüngten Ver¬
mischung und
der fünfte mit */* hiesiger gemeiner ungedüngter Feld¬
oder Ackererde und 1 j a Salpetererde auf 1' tief angefüllt
werden. Eine jede dieser fünf Abtheilungen wird in die Quere
wieder in zwei gleiche Theile abgetheilt, und der eine mit
gemeiner Gerste, der andere aber mit der obgedachten sechs-
zeiligten gegen das Ende des May oder zu Anfang des
Junius angesät. Die Aussaat geschieht an einem Tage und
unter gleichen Umständen. Es werden nämlich beiderlei
Samen nach der ganzen Länge des Bettes hin nach geraden
Linien auf einen starken Zoll tief einzel und sowohl in die Breite
als Länge 3" weit von einander gesteckt. Die Wartung soll
von der Aussaat bis zur Ernte durch alle Abtheilungen hin¬
durch einerley sein, und das ganze Bett bei erfolgender Reife
der Frucht mit einem enge gestrickten Garn überzogen werden,
um die Sperlinge davon abzuhalten.
19*
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2. Vers. Die Vermischung einer Kohl- und einer Rüben¬
pflanze wird zeigen, ob die Meynung derjenigen, die den Ur¬
sprung der sogenannten Kohlraben daraus herleiten wollen,
gegründet sey oder nicht.
3. Vers. Es soll die Probe gemacht werden, ob zwi¬
schen einem Citronen- und Pomeranzenbaume eine frucht¬
bare Vermischung stattfinde, oder nicht; desgleichen sollen
einige merklich von einander unterschiedene Varietäten von
einer oder der anderen Gattung dieses Geschlechts mit ein¬
ander befruchtet und von denen daraus erzeugten Samen
junge Bäumchen gezogen werden.
4. Vers. Eben dieser Versuch wird auch mit der Zeit
bei verschiedenen Varietäten der Apfel- und Birnbäume vor-
genommen werden. Die Erfahrung wird alsdann lehren, ob
durch diesen Weg jemals neue Sorten Obst entstanden seyn
mögen, oder noch erhalten werden können.“
Ueber das Schicksal dieser Vorsätze konnte ich nichts
erfahren. Der DUngungs- resp. Anbauversuch scheint das
Schicksal der meisten derartigen Versuche getheilt zu haben:
er ist wahrscheinlich resultatlos verlaufen. Dass er einge¬
leitet wurde, folgt aus einem Reskript vom 11. Mai 1765,
wodurch die Oekonomieverwaltung Gottesau angewiesen wird,
„dem Rath und Professor Koelreuter zur Machung seiner
Versuche ein Karren voll oder mehr Ackererde, von welcher
derselbe begehren wird, ab dasigen Kammergütern zukommen
zu lassen“. Die Bastardirung von Kohl und Rübe scheiterte
wohl an dem Widerstande, den gerade die Cruciferen solchen
Versuchen entgegensetzen 1 , die von Citrus dürfte nicht aus¬
geführt sein, ebensowenig die an Apfel- und Birnbäumen
wegen der grossen Schwierigkeit, welche deren Blüthen der
Kastration bieten.
Dagegen war Koelreuter betheiligt bei den Versuchen
des Geheimrath Reinhard, neue Sorten von Obstbäumen zu
erzielen. Wegen der Schwierigkeit der künstlichen Fremd¬
bestäubung sammelte dieser die Kerne des bei ihm gegessenen
* Vgl. Gärtner, Bastarderzeugung im Pflanzenreich. Stuttgart 1849,
S. 116, 134, 171. Nach Sageret vermag Brassica oleracea L. durch keine
fremde Art befruchtet zu werden, wohl aber die andern Arten zu be¬
fruchten. Vergl. Focke, Pflanzenmischlinge. Berlin 1881, S. 38.
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293
Tafelobstes in der Erwartung, dass wenigstens einzelne von
ihnen einer Kreuzung verschiedener Sorten durch Bienen
und andere Insekten ihre Entstehung verdanken, und daher
neue Sorten aus diesen erwachsen würden, „wie .... unser
scharfsichtiger Koelreuter dieses alles so oft zu grosser Ver¬
wunderung mit wirklichen und wohlgerathenen Versuchen
gezeiget und es gar bei Pflanzen, die nicht als Varietäten,
sondern als besondere Gattungen anzusehen sind, dargethan
und auf gewisse Art neue Geschöpfe von Pflanzen hervor¬
gebracht hat“. 1766 blühte der erste Apfelbaum aus diesen
Kernen und trug 34 theils grosse, theils nur mittelgrosse
Aepfel. Reinhard fing nun an, einen davon mit Koelreuter,
seinem „werthen Freund“, zu kosten; „wir fanden ihn gut,
aber doch noch nicht in seiner Vollkommenheit“. Die voll¬
kommene Zeitigung der neuen Sorte, die von allen bisher
bekannten Sorten verschieden war, trat um Neujahr ein und
der Apfel hielt sich gut bis zum März. Koelreuter hielt
- -diese Reinette St. Silvestre genannte Neuzüchtung, für welche
Reinhard mit der Zukunft noch eine Qualitätsverbesserung
erhofft, für ein Kreuzungsprodukt des weissen Kalvill mit
•der pomme d’or oder Reinette d’Angleterre. 1
Ebensowenig wie über die Ausführung der im Vorher¬
gehenden mitgetheilten Pläne konnte ich über die Ausarbeitung
einiger besonderer Fragen erfahren, welche der Markgraf selbst
am Schluss der Sitzung vom 23. März 1765 Koelreuter zur Be¬
arbeitung vorschlug. Es sind dies folgende:
„1. Ob und inwieweit der Kreislauf der Säfte in den
Bäumen und Pflanzen gegründet sei, und falls er richtig ist,
was für nützliche Folgerungen in Erziehung und Wartung
der Pflanzen daraus hergeleitet werden können;
2. Was für Arten von Unkräutern befinden sich auf den
hier herumliegenden Sandfeldern ? Wann gehen sie auf ?
Wann sind sie in der Blüthe, und wann bringen sie ihren
Samen? Welche Art von Boden liebt jede am meisten?
Welche Art verabscheut jede? Wie liessen sie sich am
sichersten ausrotten?“
Die Neigung zur Uebertragung und Anwendung der
1 Reinhard, Vermischte Schriften. Bd. VII. Frankfurt und Leipzig
1767, S. 1003, 1005 ff.
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294
Resultate seiner wissenschaftlichen Forschung auf die Praxis
war bei Koelreuter überhaupt vorhanden. Ich verweise dies*
bezüglich auf die zweite Fortsetzung der vorläufigen Nach¬
richt S. 120—121 (p. 157 und 158 der Ausgabe von Pfeffer),
wo von der Möglichkeit, durch Bastardirungen zu neuen
Bluinensorten zu gelangen, und von den dazu nothwendigen
Massregelu die Rede ist, sowie auf die dritte Fortsetzung
S. 45 (194 Pfeffer), wo der Gedanke geäussert wird, dass es
möglich sei, durch Bastardirung zu schnellwüchsigeren Holz¬
sorten im Interesse des Waldbaues zu gelangen, ein Gedanke,
dessen Wahrheit bekanntlich Klotzsch durch seine Versuche
festgestellt haben will*. In seinen Werken* wiederholen sich
solche Andeutungen über die grossen Vortheile, welche der
Praxis durch Bastardirung erwachsen dürften, Andeutungen,
über deren Berechtigung wir nach den grossartigen Erfolgen,
welche die Anwendung der künstlichen Fremdbestäubung seit¬
her und insbesondere neuerdings nicht nur in der Gärtnerei,
sondern auch in der Landwirthschaft zur Erzielung neuer
und besserer Sorten gehabt hat, kein Wort zu verlieren
brauchen. Koelreuter scheint diese Methode zuerst bewusst
geübt zu haben. In der Inhaltsübersicht des Aufsatzes:
Dianthi novi hybridi wenigstens heisst es: „Effectivement
on doit ä l’exemple de M. Koelreuter la production de ce
grand nombre de Varietes d’oeillets des jardins, qui ont paru
en Europe depuis une vingtaine d’annees et qui continuent
encore ä paraltre. 8 '* Auch Gärtner 1 2 3 4 erwähnt als Vorläufer
Koelreuters in der Bastardirung von Pflanzen nur einen ein¬
zigen gelungenen Versuch eines Londoner Gärtners Thomas
Fairchild.
Auch an deu späteren Bemühungen Karl Friedrichs
und der badischeu Regierung zur Hebung der Landwirth¬
schaft nahm Koelreuter regen Antheil. So empfahl er nach
1 I. F. Klotzsch, Pflanzenbastarde und Mischlinge, Sep. aus Ver-
handl. der Berl. Akad. 1854, S. 23—24 (Ainus glutinosa X incana, Ulmua
campestris X effusa etc.)
2 Lobeliae hybridae p. 186/7. — Mirabilium Jalaparum kybridarum
continuata descriptio p. 398.
3 Nova acta DI. 1788. Histoire p. 194.
4 A. a. 0. p. 4.
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295
dem Zeugnisse Guielin’s* zum Anbau ganz vorzüglich den
von ihm erzeugten Bastard Nicotiana tabacum x paniculata
als sehr geeignet. Auch für die Seidenzucht, der unter
Karl Friedrich ganz besondere Aufmerksamkeit von der Re¬
gierung geschenkt wurde, interessirte sich Koelreuter und
schrieb eine empfehlende Vorrede zu der 1776 anonym er¬
schienenen (von Eyring herriihrenden) „Vollständigen aus
vieljähriger Erfahrung gegründeten Anleitung sowohl zur
Seidenzucht als auch zum Pflanzen und Beschneiden der
Maulbeerbäume nebst einer Widerlegung einiger bei dieser
Zucht eingeschlichenen Missbrauche und Vorurtheile“, einer
Schrift, die Koelreuter schon einige Jahre vorher an die freie
ökonomische Soeietät zu Petersburg geschickt hatte, in deren
Abhandlungen sie ohne Zweifel, ins Russische übersetzt, eben¬
falls erschienen ist. Auch die Leinbastardirungen, von denen
der Autor sagt: „Castrationis opus in hoc genere difficillimum
nec nisi summo inane peragendum“ *, sind wohl in der Neben¬
absicht gemacht worden, eine für die Kultur geeignete, durch
längeren und üppigeren Wuchs den gewöhnlichen Flachs
übertreffende Bastardsorte zu gewinnen. Noch im Jahre 1790
wurde auf Veranlassung des Markgrafen Koelreuter zur
Meinungsäusserung über die Ursachen des damaligen Rück¬
ganges resp. der Ausartung der Kartoffel aufgefordert ins¬
besondere mit Rücksicht darauf, dass ein gewisser Posselt
in Pforzheim auf Grund eines Aufsatzes im Stuttgarter
Oekonomiewochenblatt in einer Eingabe an den Markgrafen
die ausserordentlich verbreitete und schädliche Krankheit auf
die Bestäubung der Kartoffel mit dem Pollen der „Viehgrund¬
birnen“ (Topinambur) zurückführen wollte. Koelreuter wies
in seinem Gutachten vom 29. April 1790 ganz richtig auf
die vorhergegangenen nassen Jahrgänge und auf Fehler in
1 C. C. Gmelin, Einfluss der Naturwissenschaft auf das gesammte
Staatswohl. Carlsruhe 1809, S. 87. — Ein von Koelreuter erzeugter
Bastardtabak (Nicotiana hybrida ex patre N. paniculatae et N. tabaci
matre) wurde neben einer Digitalis hybrida Koelr. und einer Mirabilis
hybrida Koelr. noch 1811 im Hofgarten cultivirt. Vgl. Hortus Magni
Ducis Badensis. Carlsr. 1811, S. 92, 179 und 184. Danach ist die An¬
gabe Focke’s (Pflanzenmischlinge S. 285) über das Nichtgelingen der
Befruchtung von N. tabacum durch N. paniculata zu korrigiren
2 Lina hybrida, p. 346.
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296
der Kultur und Behandlung als die wahrscheinlichen Ur¬
sachen der Erkrankung hin, mit der Bemerkung, dass, ab¬
gesehen von der Unwahrscheinlichkeit der angenommenen
widernatürlichen Bestäubung, die Einwirkung des Pollens
sich ausschliesslich auf das Ovarium und die darin ent¬
stehenden Samen sowie die aus diesen erwachsenden Pflanzen
erstreckt, nicht aber auf die übrigen Theile der Mutter¬
pflanze; da nun die Kartoffeln nicht durch Samen, sondern
durch ihre Knollen fortgepflanzt werden, so kann folglich
die Befruchtung der Kartoffelblüthen, sie mag herkommen
woher sie will, gar nicht in Betracht kommen. Er macht
dann zur Hebung des Uebels den Vorschlag, Samen oder
Beeren von Kartoffeln aus Amerika kommen zu lassen, um
dadurch wieder zu einer guten unverfälschten Art zu kommen 1 ;
er theilt also die damals wie noch heute viel verbreitete An¬
nahme einer Degeneration der Kartoffel durch die stetige
ungeschlechtliche Fortpflanzung. Hierauf wurde wirklich dein
Hofgärtner Schweickert aufgetragen, er solle sich Kartoffel¬
samen von Amerika zu verschaffen suchen, Koelreuter aber
mit der Ausarbeitung einer kurzen populären Schrift über
Kultur und Behandlung sowie über die Ursachen des Aus-
artens der Kartoffeln beauftragt, die indes nicht erschien.
Eine im Jahre 1796 als Beigabe zum historischen Land¬
kalender auf Kosten des Markgrafen gedruckte Abhandlung
rührt von dem Geheimen Rath Reinhard, dem Sohn des
schon oben Erwähnten, her.
Im Jahre 1775 hatte Koelreuter einen eigenen Haus¬
stand gegründet, indem er sich mit der Tochter des weiland
Hofrath und Landschreiber Süss, Karoline Auguste, vermählte.
Im Jahre 1776 bezog, wie schon oben erwähnt, Koelreuter
sein eigenes Haus in der Kronenstrasse, das leider eines
Gartens entbehrte. Der Umzug beraubte ihn daher der Ge¬
legenheit, seine Bastardirungsversuche weiterhin fortzusetzen.
Friedrich Leopold von Stolberg, der im Jahre 1791 gelegent¬
lich seines zweiten Besuches in Karlsruhe bei Schlosser,
Goethe’s Schwager, auch Koelreuter aufsuchte, sagt darüber:
«Dieser so bescheidene als kühne Forscher, welcher die
1 Mit europäischem Samen hatte man schon Versuche gemacht,
indes nur sehr zweifelhafte Erfolge erzielt.
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Bienen auf ihrer Kunst beschlich, durch eine an das Honig-
behältniss der Blumen angesetzte Glasröhre den Pflanzen
ihren Nektar stahl und Honig hervorbrachte, dieser merk¬
würdige Mann hat kein Plätzchen Erde, welches ihm zu
Gebote stünde. 1 “ Seine Ehe war mit Kindern reich ge¬
segnet. Nicht weniger als fünf Knaben und zwei Mädchen
gingen aus ihr hervor, von denen aber nur vier Kinder den
Vater überlebten. Die Kinder waren:
Gottlieb Friedrich, geboren am 15. Mai 1778;
Karl August, geboren am 30. Juli 1781;
Wilhelm Ludwig, geboren am 7. Dezember 1782, ge¬
storben am 23. Januar 1783;
Wilhelm Ludwig, geboren am 12. Februar 1784;
Gustav Eberhard, geboren am 6. November 1785, ge¬
storben am 8. April 1786;
Karoline Amalie, geboren am 10. November 1786;
Friederike Sophie, geboren am 17. Januar 1788.
Von den sieben Kindern überlebten den Vater nur Karl
August, der in Freiburg und Paris Chemie studirte, später
Apotheker in Bretten, Wilhelm Ludwig, Geheimer Hofrath
und berühmter Arzt in Karlsruhe*, und die beiden Töchter,
unter denen nur der Erstere Nachkommen hinterliess.
An der Fortsetzung seines Lieblingsstudiums durch die
Verhältnisse gehindert, schwer getroffen durch den Tod der
Kinder, noch dazu vielfach von Krankheit heimgesucht, ver¬
lebte Koelreuter keinen heiteren Lebensabend. Als im Jahre
1783 der Kechnungsrath Weissinger, mit der Revision der
Gewächshäuser beauftragt, bittet, den Rath Koelreuter, „der
ohnehin zu denen exotischen Gewächsen angestellt und dessen
Fach es eigentlich ist“, als Sachverständigen zuzuziehen, wird
ihm erwidert, dass dieser zur Zeit erkrankt sei, er also ent¬
weder einen andern vorschlagen oder warten solle, bis Koel¬
reuter wieder gesund sei. Auch die Gunst des Hofes scheint
er zu dieser Zeit nicht besessen zu haben. Als wenigstens
* Fr. L. ron Stolberg, Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien
und Sicilien. Bd. I. Königsberg und Leipzig 1794, S. 48.
* Vgl. seine Biographie in Neuer Nekrolog der Deutschen. 26. Jahr¬
gang. 1848. Weimar 1850, S. 623 ff.
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der zur Revision der exotischen Gärtnerei zugezogene Dr.
Schrickel in seinem Gutachten vom 5. April 1785 vorschlug,
den Garten „dauerhaft wieder von neuem zu gründen“, in¬
dem Gmelin als vom Markgrafen zum Lehrer der Natur¬
geschichte, also auch der Botanik angestellt, in Zukunft so¬
wohl das Weitere wie auch die Aufsicht und systematische
Anordnung besorgen könnte, wenn der Markgraf „den in
diesem Theil der Naturhistorie freilich weit erfahreneren und
gelehrteren Herrn Professor Koelreuter wieder von neuem
anzustellen gnädigst nicht gesonnen sein sollte“, wurde
Letzterer übergangen und später Gmelin zum Aufseher des
Gartens bestellt.
Während Koelreuter bisher in vollständig geregelten
finanziellen Verhältnissen gelebt hatte, treten in dieser Pe¬
riode auch Sorgen in dieser Beziehung an ihn heran, die
sich leicht erklären lassen, durch die Vergrösserung seiner
Familie bei gleichbleibendem beschränkten Einkommen, das
Heranwachsen der Kinder und durch das mit der fran¬
zösischen Revolution und den folgenden Kriegsjahren ein¬
tretende Sinken des Geldwerthes. Schon im Jahre 1790 er¬
hält Koelreuter aus der Kasse des Fürsten eine Unter¬
stützung von 20 Louisd’or. Auf die Bitte vom 15. Oktober
1791, die Pension von 200 Rubel, welche Koelreuter seitens
der Kais. Akademie in St. Petersburg zustand, aber sehr
unregelmässig ausgezahlt wurde, möge ihm auf das Gehalt
angewiesen werden, das der Staatsrath von Koch in Petersburg
aus der Markgräflichen Kasse bezog, und umgekehrt diesem
die 200 Rubel, welche Koelreuter in Petersburg zustanden,
wird ihm wiederum durch den Geheimen Rath von Gayling
eine Unterstützung von 10 Louisd’or überreicht und Geheimer
Rath von Edelsheim angewiesen, bezüglich der Pension das
Nöthige zu besorgen. Von Gayling nahm sich überhaupt
Koelreuters in dessen bedrängten Umständen energisch an,
und insbesondere seiner Verwendung verdankte derselbe die
wiederholten, nicht unbeträchtlichen Unterstützungen, deren
er sich besonders in den Jahren 1797 bis 1803 aus der
fürstlichen Kasse erfreute und die z. B. im Jahre 1797
3 Hektoliter Roggen, 12 Hektoliter Dinkel, 6 Hektoliter Wein
erster Klasse betrugen. Als' 1798 der talentvolle älteste
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Sohn Koelreuter’s, Gottlieb Friedrich, die Universität zum
Studium der Medicin beziehen sollte, und sein Vater sich
ausser Stande sah, die dazu nöthigcn Kosten aufzubringen,
wurde demselben auf sein Gesuch für das erste Jahr ein
Studienbeitrag von 150 Gulden verliehen. Derselbe Betrag
wird auch 1799 zu dem gleichen Zweck ausgeworfen. Im
Jahre 1801 sah sich Koelreuter noch einmal genöthigt, die
persönliche Hilfe des Fürsten anzurufen, als ihm eine Schuld
von 500 Gulden plötzlich gekündigt war. Wie bisher, so
trat auch diesmal der Markgraf für ihn ein.
Es ist, als wenn sich die gedrückte Lage Koelreuter’s
seit 1790 auch in der Handschrift geltend machte. Dieselbe
ist allerdings noch deutlich, aber zeigt durchaus nicht mehr
das Charakteristische und Zierliche, das seine früheren Schrift-
ziigc (Vgl. die Unterschrift unter dem Bildniss) aufweisen.
Der härteste Schlag sollte ihn aber erst im Jahre 1801 treffen,
das ihn sowohl seines hoffnungsvollen ältesten Sohnes wie
seiner Frau beraubte. Die letztere starb am 7. April im
Alter von 51 Jahren 6 Monaten 1 .
Ueber die wissenschaftlichen Bestrebungen und das
Wirken Koelreuter’s in dieser ganzen Zeit ist wenig bekannt.
Abgesehen davon, dass er seine Müsse dazu benutzte, frühere
Beobachtungen zum Druck auszuarbeiten, scheint er sich
noch mit mikroskopischen Beobachtungen, vielleicht in Be¬
ziehung zu der Abhandlung „de pulvere antherarum“ be¬
schäftigt zu haben. Sein Enkel, Herr Apotheker Koelreuter
in Homberg, bewahrt noch das von ihm benutzte Mikroskop.
Mit Eifer verfolgte Koelreuter die Fortschritte der Glas¬
fabrikation in Baden und berichtete darüber in einem Briefe
au die Petersburger Akademie vom 17. November 1789, dass
einige Chemiker Flintglas zu machen versuchen und schon
solches von höherem specifischen Gewicht erzielt haben als
das beste englische*. Wahrscheinlich wurden auch die chemi¬
schen Studien wieder aufgenommen, von denen eine seiner
ersten Abhandlungen „Zoophyti marini e coralliorum genere
historia“ Zeugniss gibt, und es ist kein Grund vorhanden,
1 Vgl. Allgem. Intelligenz- und Wochenblatt 1801, Nr. 15.
* Nova acta. VII. Histoire p. 21 f.
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300
die Angabe Gärtner’s zu bezweifeln, dass Koelreuter sich
nach 1790 mit alchemistischen Versuchen befasst habe. 1 2
Den Keim zu diesem Abwege finden wir, wie Gärtner richtig
bemerkt, in der Vorrede zur zweiten Fortsetzung der vor¬
läufigen Nachricht, die Sachs, der die alchemistischen Ver¬
suche Koelreuter’s bezweifelt, damals nicht Vorgelegen hat.*
Dort zeigt der Autor, wie die Theorie der Alchemisten von
der Verwandlung der Metalle mit seiner Theorie über die
Erzeugung und Verwandlung der Pflanzen sehr viel überein¬
kommt. „Wer weiss .... ob die Alchymisten ihren End¬
zweck nicht eher erreicht haben würden, wenn sie bei ihrer
wichtigen Unternehmung eben diejenigen Regeln beobachtet
hätten, nach denen man sich bei der Verwandlung der
Pflanzen nothwendigerweise richten muss?“ Koelreuter ist
also sehr geneigt, an die Möglichkeit der Veredlung der
Metalle zu glauben, und es war wohl naheliegend, dass er
solche Versuche selbst begann, sobald er Veranlassung und
Gelegenheit dazu hatte. Und die Veranlassung sehe ich in
den Verhältnissen in Karlsruhe zu Ende der 80er Jahre des
vorigen Jahrhunderts.
Wie überhaupt damals ein gewisser Hang zum Mysti¬
schen sich überall bemerklich machte, so war das insbeson¬
dere in Karlsruhe der Fall, wo Lavater grossen Einfluss
hatte. Als gar Böckmann, von Karl Friedrich zum Studium
der magnetischen Kuren des Grafen von Puysegur nach
Strassburg gesandt, ein begeisterter Adept des Magnetismus
geworden war, war bald die ganze vornehme Welt Karls¬
ruhe^ für die geheimnissvollen Lehren des Spiritismus,
Mysticismus, Somnambulismus, Magnetismus u. s. w. ge¬
wonnen. Hofprediger Walz, Professor Wucherer vom Gym¬
nasium, der russische Gesandte Jean de Krook, ein Baron
Rosenfeld, die Frau des markgräflichen Geheimsekretärs
Griesbach standen an der Spitze der Bewegung, der aller¬
dings eine andere Partei, an ihrer Spitze Schlosser, Ring
und Koelreuter, mit Erfolg entgegentrat'. Der letztere war
1 Gärtner, Bastarderzeugung im Pflanzen reich. S. 5.
2 Sachs, Geschichte der Botanik. München 1875. S. 430 und 445.
8 Fr. von Weech, Karlsruhe, Geschichte der Stadt und ihrer Ver¬
waltung. Karlsruhe 1893, p. 69—71.
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indess, wie wir gesehen haben, weit entfernt, die alchemisti-
schen Lehren ohne weiteres zu verwerfen, und mag so wieder
auf derartige Versuche geführt sein.
Im Jahre 1805 leuchtete noch einmal ein Sonnenblick
dem einsam gewordenen Greise. Am 15. April wurde ihm
vom Kurfürsten Karl Friedrich mit Rückwirkung vom
23. Oktober 1804 an Charakter und Rang als Oberhofrath mit
einer Besoldung von jährlich 800 Gulden Geld, 6 Malter Roggen,
12 Malter Dinkel, 2 Malter Gerste und 10 Ohm Wein erster
Klasse verliehen. 1 Nicht lange mehr sollte Koelreuter sich
dieses Zeichens der Anerkennung freuen. Am 11. November
1806 Morgens gegen 3 Uhr erlöste der Tod den grossen
Mann von einer 1 */a Jahre lang mit Standhaftigkeit und
Ruhe ertragenen „schleimigen Lungensucht.“ 2
Seinem Andenken ist von Laxmann schon im Jahre 1772
die Sapindaceengattung Koelreuteria gewidmet. Hedwig be¬
nannte nach ihm 1782 eine Moosgattung Koelreutera, ein
Naine, der allerdings der Scbreber’schen Bezeichnung Funaria
weichen musste. Dasselbe Schicksal theilten der von Murray
aufgestellte Gattungsname Koelreutera (jetzt Gisekia, Umbelli-
fere) und die Persoon’sche Art Koelreutera triphylla, die jetzt
Urvillea ulmacea Kunth heisst. Wie übrigens nicht nur die
Zugehörigkeit zu so vielen gelehrten Gesellschaften, sondern
auch die ehrenden Anerkennungen zeigen, welche die zeit¬
genössischen Botaniker in ihren Werken Koelreuter zollen*,
war dieser nichts weniger als verkannt und unbeachtet
wie etwa sein Zeitgenosse Sprengel. Erst der Naturphilo¬
sophie im übelsten Sinne des Wortes, die unter dem Ein¬
flüsse Hegel’s insbesondere von Schelver, der aus dem Be¬
griffe der Pflanze das Fehlen der sexuellen Differenzirung
bei derselben ableitete, in die Lehre von der Sexualität hinein¬
getragen wurde, blieb es Vorbehalten, das Andenken des
grossen Physiologen eine Zeit lang zu verdunkeln, bis die
weiteren Fortschritte der Wissenschaft auch ihm wie so
1 Ein Malter oder ein Ohm = 150 Liter.
* Vgl. die Todesanzeige in No. 185 der Karlsruher Zeitung (vom
19. November) 1806.
* Z. B. Jacquio, der mit Koelreuter ober die Bliltheneinrichtung
der Asclepiadeen stritt. (Mise, austriaca Vol. I. 1778, p. 4, 6, 7 )
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vielen anderen die gebührende Anerkennung wieder verschafft
haben, die vor Kurzem in der Neuausgabe seiner vier wich¬
tigsten Schriften, der vorläufigen Nachricht und ihrer Fort¬
setzungen, durch Pfeffer einen neuen Ausdruck gefunden hat. 1 2 * * *
II.
Das Hauptverdienst, das Koelreuter durch seine bota¬
nischen Schriften sich erworben, ist die Lieferung des unum-
stösslichen Nachweises der sexuellen Differenzirung im Pflanzen¬
reich, zunächst bei den Phanerogamen, dadurch, dass es ihm
gelang, Bastarde hervorzubringen. Der Beweis ist so schla¬
gend und unwiderleglich, dass die späteren Gegner der
Sexualität bei den Pflanzen, Schelver und Henschel, um ihn
zu entkräften, genöthigt waren, die Glaubwürdigkeit der
Koelreuter’schen Angaben in Zweifel zu ziehen. Eine gewisse
Berechtigung dazu war desshalb vorhanden, weil Koelreuter
seine Methode leider nicht oder doch nicht im Zusammen¬
hänge ausführlicher veröffentlicht und so eine Kontrole er¬
leichtert hatte.* Auch diese Zweifel wurden aber widerlegt
durch die Thatsache, dass Gärtner bei der Wiederholung der
Versuche Bastarde erhielt, welche mit den Koelreuter’schen
vor beinahe einem Jahrhundert erzeugten Originalen in allem
übereinstimmten. 8
Der Umstand, dass die Bastarde im allgemeinen das
Mittel halten zwischen den Stammarten, gab Koelreuter den
Fingerzeig für die Aufstellung einer eigenen Theorie der
Befruchtung. Seine mikroskopischen Untersuchungen hatten
ihm gezeigt, dass das Pollenkorn aus einer Haut, deren
komplizirten Aufbau aus einer mit den verschiedensten
1 Vgl. Schelver, Kritik der Lehre von den Geschlechtern der
Pflanze. Heidelberg 1812; Idem, Lebens* und Formgeschichte der Pflan¬
zenwelt. Handbuch seiner Vorlesungen über die physiologische Botanik
für seine Zuhörer und gebildete Naturfreunde. Heidelberg 1822.
2 Er bediente sich eines Malerpinsels zum Aufbringen des Pollens
auf die Narbe der castrirten Blüthe. Vgl. Lina hybrida. Nova acta I,
p. 346; Lobeliae hybridae. Acta pro 1777. II, p. 1S5—186 u. a.
8 Gärtuer, Bastarderzeugung, S. 234.
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Skulpturen versehenen äusseren Haut und einer inneren
Cellulosetnembran, aus Exine und Intine, er richtig er¬
kannte, und dem von der Haut umschlossenen Inhalt besteht,
den er als zellenförmiges Gewebe bezeichnet. Das Platzen
des Pollenkorns im Wasser, das von dem Freiherrn von
Gleichen-Russworm kurz zuvor für ein wesentliches Moment
des Befruchtungsvorganges gehalten war, erkannte er ebenso
richtig als einen abnormen Vorgang. Leider sah er die Pollen¬
schläuche, die erst über 60 Jahre später entdeckt wurden, nicht
oder deutete sie doch, wo er ihre Anfänge (Passiflora coerulea)
gesehen hatte, falsch. Seine Theorie der Befruchtung ging
davon aus, dass er, wie die Eigenschaften des Bastardes
eine Mischung aus denen der Stammarten vorstellen, so auch
bei dem Befruchtungsakte als wesentlichen Vorgang die
Mischung zweier Substanzen, einer männlichen und einer
weiblichen, den Trägern der Eigenschaften von Vater und
von Mutter, annahm, eine Theorie, Uber die wir im Grunde
genommen auch heute noch nicht hinausgekommen sind
Aus dem Unstande nun, dass das Pollenkorn auf der be¬
stäubungsreifen Narbe nach und nach collabirt und sich
entleert, ohne dass doch ein Zerplatzen eintritt, wurde er zu
dem Schluss geführt, dass die männliche Substanz das auf
dem Pollenkorn haftende Oel sein müsse; er stellte sich vor,
dass dieses im Innern des Kornes bereitet werde und unter
dem Druck der Häute aus ihm durch die vorhandenen Oeff-
nungen (die vorgebildeten Austrittsstellen für den Pollen-
schlauch) austrete. Durch die Umwandlung des Pollen-
inhaltes in Oel und den Uebertritt des letzteren nach aussen
erklärte er sich das Collabiren der Körner auf der Narbe,
das er besonders an den grossen Körnern des Malvaceen-
pollens beobachtete.
Das Oel des Pollens mischt sich mit der Narbenfeuchtig¬
keit. Die letztere war demnach Koelreuter anfänglich sehr
geneigt, als die weibliche Feuchtigkeit anzusprechen. Da
ihm aber die Erzeugung von Bastarden durch Uebertragen
fremder Narbenflüssigkeiten auf die zuvor abgetrocknete
Narbe anderer Arten nicht gelang, hielt er das doch für
zweifelhaft und sah in der Narbenflüssigkeit, bis gelungene
Versuche ein anderes lehren würden, nur das Vehikel, be-
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stimmt, den männlichen Befruchtungsstoff durch den Griffel
in das Ovarium zu leiten 1 .
Nach den überzeugenden Beweisen, welche die gelungene
Bastarderzeugung für die sexuelle Differenzirung bei den
Blütbenpflanzen geliefert hatte, war Koelreuter der festen
Ueberzeugung, dass auch bei den Kryptogamen geschlecht¬
liche Vorgänge nicht fehlen würden. Seine Bemühungen,
denselben durch das Experiment näher zu treten, sind aller¬
dings nicht von Erfolg gewesen und mussten schon darum,
z. B. bei den Gefässkryptogamen, zu einem unglücklichen
Resultate führen, als er den Sexualvorgang den damaligen
Kenntnissen entsprechend bei der Sporenpflanze aufsuchte.
Seine Ansichten und Untersuchungen über die Sexualität
der Kryptogamen sind zusammengefasst in dem 1777 er¬
schienenen Werke: „Das entdeckte Geheimniss der Krypto-
gamie“. Dasselbe verdankt seine Entstehung der schon im
Vorhergehenden erwähnten, 1771 gestellten Preisaufgabe der
Kurpfälzischen Akademie und polemisirt gegen Necker, der
die Sexualität der Kryptogamen überhaupt leugnete und
z. B. die Sporen der Equiseten sowie der Moose und Farne
für einen tauben Staub ohne jede Bedeutung für Befruchtung
sowohl wie Fortpflanzung erklärte. 2 Koelreuter fasst die
Sporen der Kryptogamen richtig als Vermehrungsorgane auf,
fehlt aber darin, dass er ihre Entstehung direkt auf eine
stattgehabte Befruchtung zurückführen will. Der wirkliche
Sachverhalt wurde denn auch bei den Gefässkryptogamen
erst ca. 70 Jahre später entdeckt und die Koelreuter’schen
Ideen sind jedenfalls nicht schlechter als diejenigen, welche
z. B. Hedwig in der später erschienenen (durch eine 1779
ausgeschriebene Preisfrage der Petersburger Akademie ver-
anlassten) Theoria generationis äussert. Durch seine Auf¬
fassung der Blütheneinrichtung bei den Asclepiadeen und
Orchideen, auf die wir später eingehen werden, beeinflusst,
1 Vgl. Vorläufige Nachricht etc. p. 1-9 (7—12 der Ausgabe von
Pfeffer); Zweite FortsetzuDg etc. S. 65—73 (124—129 bei Pfeffer); Dritte
Fortsetzuug etc. S. 137—156 (252 -263 bei Pfeffer).
2 Z. B. Necker, Eclaircissements sur la propagation des filict§e3 en
general. Hist, et comment. Acad. Theodoro-palat. III phys. 1775 p. 275
bis 318, insbes. p. 314 u. 315.
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S05
glaubte Koelreuter des Räthsels Lösung darin zu finden, dass
„die Natur .... bei den einfacheren, kryptogamischen
Pflanzen vielleicht .... ohne eine wirkliche Trennung der
männlichen Zeugungstheile von dem Ganzen zu veranstalten
oder ihnen so wenig als den weiblichen irgend ein merklich
unterscheidendes und gewöhnliches Aussehen zu geben, theils
durch zarte, mit Samengefässen durchwobene und an den
weiblichen Samenbläschen oder Eierstöcken dicht anliegende
Häute eine Vermischung der beiden Samenfeuchtigkeiten
und folglich eine wahre Befruchtung bewerkstelligen könnte“.
So soll denn bei den Lebermoosen das Perianth, welches die
junge Kapsel umhüllt, bei den Laubmoosen die Calyptra, bei
den Lycopodiaceen und Equiseten die Wand der Sporen¬
kapseln selbst und bei den Farnen endlich das lndusium
das männliche Sexualorgan sein. Zum Theil suchte Koel¬
reuter diese Ansicht auch experimentell zu begründen. Ver¬
suchspflanzen waren Polytrichum commune, Mnium punc-
tatum, Funaria hygrometrica, Bryum caespiticium, Hypnum
serpens, Asplenium filix mas, Scolopendrium officinarum. Die
Entfernung der Haube von den jungen Seten resp. des In-
dusiums verhinderte vielfach die Bildung der Sporenkapseln.
Neben diesen falschen Ansichten finden sich übrigens in dem
Werke eine Menge richtiger Beobachtungen und Deutungen,
unter anderem z. B. der Antheridien bei Polytrichum.
Den ersten Bastard zog Koelreuter in Petersburg 1760,
eine Nicotiana paniculata x rustica. Die Gesammtzahl
der mir bekannten gelungenen Versuche beträgt 283, wo
allerdings auch die spontan entstandenen Abkömmlinge von
Bastarden und die Varietätenbastarde mitgezählt sind, und
daran sind hauptsächlich die Gattungen Mirabilis (82), Dian-
thus (54), Nicotiana (43), Verbascum (36) und die Malva-
ceen (20) betheiligt. Auch einen Gattungsbastard hat Koel¬
reuter schon in den Jahren 1766 und 1767 sowie 1771 er¬
zogen durch Bestäubung der Lychnis dioica alba mit dem
Pollen des cucubalus viscosus L. 1 Er begnügte sich nicht
damit, zwei verschiedene Arten mit einander zu verbinden,
sondern versuchte auch durch immer wiederholte Bestäubung
der erzogenen Bastarde mit dem Pollen der ursprünglichen
* Melamlrium viscosum Cel. X all>um Garcke.
20
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306
Vater- resp Mutterpflanze die eine Art in die andere über¬
zuführen, ein Versuch, der ihm nicht nur bei Nicotiana pani-
culata und rustica, sondern auch mit Dianthus superbus und
chinensis, Dianthus chinensis und hortensis, Dianthus bar-
batus und chinensis, Dianthus plumarius und chinensis, Mira-
bilis longiflora und vulgaris vollständig glückte.
Einen Haupterfolg seiner Bastardirungen, abgesehen von
dem Beweis der Sexualität der Pflanzen, sah Koelreuter mit
Recht in der dadurch herbeigeführten Beseitigung der Evo¬
lutionstheorie. „Dogma itaque Aristotelicum, quo species in
speciem transmutari non posse perhibetur, doctrinaque omnis
hodiernorum physiologorum de praeformatis germinibus re
ipsa satis superque refutatur.“ 1 2
Wenn in dem ersten Theile dieses Ausspruches unseres
Autors ein Anklang an descendenztheoretische Vorstellungen
gefunden werden könnte, so wäre eine solche Deutung des¬
selben allerdings nicht richtig. Koelreuter war weit entfernt,
der Bastardirung eine Rolle bei der Entstehung der heutigen
Pflanzenformen zuzutheilen, und polemisirt sogar gegen der¬
artige damals verbreitete Ansichten, die allerdings in der
Fassung jener Zeit abenteuerlich genug lauten. Insbesondere
wendet er sich auch mit Recht gegen die abenteuerlichen
Bastarde, welche z. B. Linne beschreibt.* Koelreuter war
überhaupt geneigt, das Vorkommen von Bastarden in
der Natur zu bezweifeln, wenigstens unter natürlichen Be¬
dingungen, insbesondere weil, wie Versuche ihn belehrt hatten,
der zugehörige Pollen, der in der Natur ja äusserst selten
fehlen würde, in seiner Wirkung jeden fremden Blütben-
staub, der auf die Narbe kommt, ausschliesst, und weil ferner
Bastarde sich in Folge ihrer geschwächten Fruchtbarkeit
nicht würden erhalten können. Die letztere betrachtete er
sogar als eine charakteristische Eigenschaft der Art- resp.
Gattungsbastarde und hielt für das einzige und beste Kri¬
terium verschiedener Arten, dass dieselben unfruchtbare
Bastarde geben müssten. Doch waren Koelreuter selbst
schon fruchtbare Bastarde bekannt, z. B. Dianthus chinensi-
barbatus, D. carthusianorum-superbus, Li num aust riaco-perenne,
1 Mirabiles Jalapae hybridae. Nova acta XI, p. 399.
2 Vorl. Nachricht S. 36 ff. (23 ff.); Dritte Fortsetzung S.36ff. (188 ff.)
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307
Mirabilis longiflora-vulgaris, Datura ferox-infermis, und wir
wissen beute, dass sich unter den Bastarden von voller Frucht¬
barkeit bis zu völliger Sterilität eine ununterbrochene Stufen¬
leiter aufstellen lassen würde. Ist es ja doch mehr als
wahrscheinlich, dass Bastardbefruchtungen eine hervorragende
Rolle bei der Entstehung neuer Arten spielen.
Dass Koelreuter die wichtige Rolle, welche die Bastard¬
erzeugung für die Ziele des Gartenbaues und der Landwirth-
schaft zu spielen berufen ist, nicht übersah, darauf ist im
Vorhergehenden schon hingewiesen. Hier sei noch einmal
darauf aufmerksam gemacht, dass überhaupt jene allgemeinen
Sätze, welche Naegeli seinerzeit aus den sämmtlichen bisher
gemachten Bastardirungen Koelreuter’s, Gärtner’s, Knight’s,
Herbert’s, Sageret’s, Lecoq’s etc. gezogen und übersichtlich
zusammengestellt hat 1 , grösstentheils schon von Koelreuter
aus seinen Beobachtungen abgeleitet und ausgesprochen sind.
Er kannte schon die eigenthümlichen Verschiedenheiten in
dem Verhalten der Pflanzen bei Bestäubung mit. dem Pollen
anderer Arten, welches Naegeli später mit dem Namen der
sexuellen Affinität bezeichnet hat, hatte beobachtet, dass die
Varietätenbastarde im allgemeinen fruchtbarer sind als die
Artbastarde; seine Versuche hatten gezeigt, dass bei gleich¬
zeitiger Bestäubung der Narbe mit verschiedenen Pollen¬
sorten nur der Pollen der gleichen Species, derjenige von
grösster sexueller Affinität, wirksam ist. Dass die Einwirkung
der Befruchtung sich nur auf den Embryo und auf die
daraus erwachsende Tochterpflanze, nicht aber auf andere
Theile des Mutterindividuums erstreckt, hat Koelreuter, wie
wir gesehen haben, in seinem Gutachten über das Ausarten
der Grundbirnen als etwas Selbstverständliches ausgesprochen.
In der Vereinigung der elterlichen Merkmale beim Bastard
und in der Variationstendenz der Nachkommen des Bastardes
erblickte er den Grund ihrer Anwendbarkeit für die Zwecke
der Praxis: vielfach erwähnt er, auch als Kriterium für die
Bastardnatur einer von ihm erzogenen Pflanze, ihr üppiges
vegetatives Wachsthum, z B. bei Mirabilis longiflora-Jalapa 2 ,
1 Naegeli, Die Bastar.lbildung im Pflanzenreiche. Sitzungstier, der
Kgl. bayr. Akafl. d. Wiss. zu München. 1865. Bd. II, S. 395—443.
* Mirabiles Jalapae hybridac. Nova acta XI, p. 393.
20 *
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308
Linum austriaco-perenne 1 , Lycium afro-barbarum 2 , Digitalis
purpurea-lutea 8 .
Ausser den einfachen Bastarden erzog, wie wir oben
schon erwähnt, Koelreuter auch abgeleitete Bastarde, in¬
dem er den Bastard mit dem Pollen seiner Vater- oder
Mutterpflanze wieder bestäubte, und ihn so unter Um¬
ständen in eine der Stammarten zurückverwandelt. Er ver¬
einigte mit Glück auch drei Arten in einen Bastard.* Da¬
gegen gelang es ihm nicht, eine Klasse von Bastarden zu
erzeugen, die nach seiner Theorie der Befruchtung als
Mischung zweier Flüssigkeiten doch möglich sein musste, die
sogenannten unvollkommenen Bastarde oder Tinkturen, die
aus der Bestäubung mit fremdem und zugleich dem eigenen
Pollen der Mutterart entstehen sollten. Bei diesen Versuchen
erhielt er, wie das nach unserm heutigen Wissen vom Be¬
fruchtungsvorgang ja nicht anders sein konnte, immer nur
einfach die Mutterart wieder.
Von ganz besonderem Interesse sind die Entdeckungen,
welche Koelreuter über Blütheneinrichtungen und Bestäubungs¬
verhältnisse machte, und in denen er als ein Vorläufer
Christian Konrad Sprengers erscheint. Obgleich ein Theil
seiner bezüglichen Arbeiten, insbesondere die Abhandlung de
antherarum pulvere, erst nach dem Hauptwerke Sprengers*
veröffentlicht wurde, ist, wie hier bemerkt sein möge, Koel¬
reuter wohl nicht von Sprengel beeinflusst, dessen Werk ihm
nicht bekannt gewesen zu sein scheint. Es ist wenigstens nicht
citirt und fehlt auch in der hiesigen Hof- und Landesbibliothek,
an welche Koelreuter’s Bücher nach seinem Tode wenigstens
zum Theil übergegangen sind z. B. Schriften der Petersburger
Akademie.
Nach unserer heutigen Auffassung erscheint, wie bei
Sprengel, so auch bei Koelreuter die Verkennung der Wichtig¬
keit der Fremdbestäubung als ein Mangel, der sich der
1 Lina hybrida. Nova acta 1, p, 339.
2 Lycia hybrida. Acta 1778, I, 8. 219.
3 Digitales hybridae. Acta pro 1777, I, p. 215.
4 Die theoretischen Schlüsse aus Koelreuter’s sowie Gärtner’s etc.
Versuchen zog Xaegeli, Ueber die abgeleiteten Pflanzenbastarde. Sitzungs-
ber. d. Ak. d. Wiss. zu München. 1866, I, p. 71 ff.
5 Das entdeckte Geheimuis9 im Bau und in der Befruchtung der
Blumen. Berlin 1793.
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richtigen Deutung mancher Blütheneinrichtungen hindernd in
den Weg stellt. Allerdings findet sich, wie bei Sprengel,
so auch bei ihm au einer Stelle 1 schon eine Aeusserung, die
gleichsam den übrigens 1799 von Knight ja schon klar aus¬
gesprochenen Satz von der unvorteilhaften stetigen Selbst¬
bestäubung ahnend andeutet: „An id aliquid in recessu
habeat, quod hujuscemodi flores nunquara proprio suo pul¬
vere, sed semper eo aliorum suae speciei impraegnentur,
merito quaeritur. Certe natura nil facit frustra.“ Im übrigen
sind ja heute unsere Ansichten über die Nothwendigkeit der
Fremdbestäubung schon wesentlich modifizirt und sogar eine
Anzahl von Blütheneinrichtungen, die Hildebrand und Her¬
mann Müller noch als Fremdbestäubung begünstigend ge¬
deutet haben, als ausschliesslich oder doch vorwiegend der
Selbstbestäubung angepasst erkannt; wenn auch die Frage
noch nicht vollständig gelöst ist*, so ist also immerhin Vor¬
sicht in Bezug auf das Knight-Darwin’sche Gesetz angezeigt.
In der vorläufigen Nachricht giebt Koelreuter einen
Ueberblick über die Bestäubungseinrichtungen, wie er sie
sich vorstellte. Er hat diese Vorstellungen übrigens, wie wir
sehen werden, später selbst vielfach modifizirt und insbeson¬
dere auf die Hilfe der Insekten noch grösseren Werth gelegt
als in der vorläufigen Nachricht und ihren Fortsetzungen.
Als einfachster Typus der Bestäubungseinrichtungen wird zu¬
nächst die Sicherung der Bestäubung durch unmittelbare
Berührung von Narbe und Antheren aufgeführt. Hierher
rechnet Koelreuter die Gräser, die Compositen, Lobelien, Pa-
pilionaceen, viele Cruciferen, die Gattungen Linum, Verbas-
cum, Nicotiana und Campanula. Gerade hier ist er aller¬
dings ziemlich weit von der Wahrheit entfernt. So hat
er insbesondere die Proterandrie bei den Kompositen,
1 Dissertatiouis de antherarum pulvere continuatio. Mdmoires de
l’Academie imp. de St. Petersbourg III, 1811, S. 198. Cit. von H. Malier,
Befruchtung der BlQthen durch Insekten p. 25 (nach Axell) ohne An¬
gabe des Ortes, woher die Stelle stammt.
1 Vgl. insbesondere Rosen, Bemerkungen über die Bedeutung der
Heterogamie für die Bildung und Erhaltung, der Arten im Anschluss au
zwei Arbeiten von Burck. Bot. Ztg. 1891, p. 201 ff, 215 ff. Dort die
Alteren Arbeiten Burcks, ferner Burck, Ueber die Befruchtung der Ari-
stolochia-Blüthe. Bot. Ztg. J892, No. 8 u. 9.
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Lobelien und Campanulaceen übersehen, die alle ausgeprägte
Insektenblumen sind. Für die erstem gibt er freilich in
der dritten Fortsetzung eine Mitwirkung der Insekten bei
der Bestäubung zu, indess nur so, dass dieselben durch Be¬
rührung die Staubfadenröhre zur Verkürzung reizen und so
eine frühere Bestäubung der in ihr befindlichen Narbe mit
dem zugehörigen Pollen bewirken sollen, als der Fall sein
würde, wenn der Griffel die Staubfadenröhre langsam durch¬
wüchse. Unter den Lobeliaceeu hat Hildebrand bei Lobelia
erinus L. in abnormen Fällen Selbstbestäubung nach¬
gewiesen 1 2 * 4 , im allgemeinen ist diese unmöglich, und schon
Koelreuter erwähnt in den Lobeliae hybridae* die Seltenheit
des Fruchttragens bei diesen Pflanzen in unseren Gärten
und führt das auf den mangelnden Besuch oder das Fehlen
der zur Bestäubung geeigneten Insekten zurück, ja beschreibt
auch die Proterandrie richtig, indess nur als eine in unserm
Klima besonders bei Lobelia cardinalis eintretende Abnormi¬
tät. Ebenso sind die Verbasca, bei denen Koelreuter selbst
seinen Irrtum später erkannte“, die Papilionaceen und Lein¬
arten im allgemeinen Insektenblütler, doch kommt bei Linum
usitatissimum sowie bei einigen Papilionaceen, z. B. der Erbse
regelmässig Selbstbestäubung zu Stande, und zwar mit vollem
Erfolge, und auch bei Verbascum ist diese nicht vermieden.*
Auf Nicotiana kommen wir im Nachfolgenden zurück.
Bei einer anderen Zahl von Pflanzen gelangt der Pollen
durch eine leichte, von Wind oder Insekten herrührende
Erschütterung auf die Narbe. Koelreuter unterscheidet da¬
von als dritte Bestäubungseinrichtung die Windbestäubung
der diöcischen Windblüther als verursacht „durch eine
stärkere Erschütterung und einen den weiblichen Pflanzen
günstigen Wind“, während zu seiner zweiten Klasse vor¬
nehmlich die monöcischen anemophilen Gewächse gehören,
wie Birke, Hasel, Cupuliferen, Coniferen, Sparganium, Coix,
Zea, Ricinus und Sagittaria, von denen nur bei der letzteren
1 Bot. Ztg. 1870, p. 638.
2 Acta pro 1777, II, S. 185/186.
8 Dritte Fortsetzung p. 38 u. 30 (Pfeffer 190).
4 Hermann Müller, Die Beiruclitung der Blumen durch Insekten.
Leipzig 1873, 3. 278.
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311
die Windbliithigkeit unwahrscheinlich, mindestens sehr zweifel¬
haft ist. 1 Zu derselben Klasse rechnet Koelreuter ferner
alle jene Zwitterbliithen, in denen die Antheren eine solche
Lage haben, dass der Pollen auf die zuständige Narbe fallen
muss, z. B. Symphytum, Cerinthe, Cyclamen, Galanthus und
Solanum-Arten sowie Ruta graveolens, bei der er die eigen-
thümlichen Bewegungen der Staubfäden richtiger als Sprengel*
beschreibt, indess die ausgeprägte Proterandrie übersehen
hat. Die von Koelreuter angenommene Selbstbefruchtung
tritt ein, wenn die Blume ohne Insektenbesuch verblüht.*
Von den übrigen entspricht insbesondere Solanum der Auf¬
fassung Koelreuter’s, die übrigen sind ausgeprägte Insekten¬
blumen, und erst wenn Insektenbesuch ausbleibt, tritt die
Selbstbestäubung ein.*
Durch Explosion der Antheren wird der Pollen in die
Luft geschleudert, und so entweder die zuständige, nächste
Narbe damit belegt oder derselbe durch den Wind zu den
Narben anderer Stöcke befördert. Koelreuter führt hier nur
nach Vaillant Parietaria, Opuntia und Helianthemum, von
denen die beiden letzten sicher nicht dahin gehören, nach
Blair Morus und nach Aiston Urtica dioica an. Eigene Be¬
obachtungen hat er darüber nicht gemacht. Dagegen zählt
er zu diesem Typus auch die eigenthümliche Blütheneinrich-
tung von Kalmia, welche er 1772 entdeckte. „Momentaneam
hanc pulveris explosionem, simulac antherae corniculorum
nectariferorum cavo antea infixae staminibus vel leviter irri-
tatis vel etiam sua sponte vi filamentorum elastica inde
resiliunt, jam ante multos annos in horto electorali Schwetzing-
ensi praesente D. D. Casimiro Medico primus detexi.“ 5 Koel¬
reuter hat also die Bewegung richtiger aufgefasst als Medicus,
der sie 1775 in den Abhandlungen der Kurpfälzischen Aka¬
demie (Bd. III phys.) beschrieb und als Reizbewegung auf-
1 Mir ist keine Untersuchung über die Blütbeneiorichtung und Be¬
stäubung von Sagittaria bekannt.
* A. a. 0. p. 236 u. 237.
* Hermann Müller, A. a. 0. p. 159.
* Vgl. H. Müller, A. a. 0. S. 269, 71. Kerner, Pflanzenleben II,
S. 3*3 u. 374; Ascberson, Ber. d. D. bot. Ges. X, 1892, S. 226 ff.
und 314 ff.
s De antherarum pulvere. Nova acta XV, p. 369.
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312
fasste, und seine Beobachtung ist noch neuerdings von Drude,
der das Verhalten der Staubfäden als auf Fremdbestäubung
gerichtet deutet, durchaus bestätigt worden 1 .
Koelreuter’s fünfter Typus der Blütheneinrichtungen ist
die Bestäubung durch Insektenhilfe, und gerade in der Ent-
räthselung einiger solcher Bestäubungseinrichtungen liegt
seine Hauptbedeutung als Vorläufer Sprengers und der neueren
Blüthenbiologie. Es ist kaum zweifelhaft, dass Sprengel,
obwohl seine ersten Beobachtungen durchaus selbständig und
ohne Kenntniss der Koelreuter’schen Forschungen gemacht
sind, doch weiterhin stark von den letzteren beeinflusst ist.
Das gilt, glaube ich, sogar von dem Titel seines entdeckten
Geheimnisses, welcher der Koelreuter’schen Ausdrucksweise
genau entspricht. Nicht nur im Titel des „entdeckten Ge¬
heimnisses der Ivryptogamie“ 2 , sondern auch in der vor¬
läufigen Nachricht 8 sowie in der Vorrede zur ersten Fort¬
setzung findet sich bei Koelreuter dieselbe Ausdrucksweise
lur den gleichen Gegenstand.
Von besonderem Interesse und hervorragender Wichtig¬
keit als Stütze der Theorie ist zunächst ein exakter Versuch
Koelreuter’s an Hibiscus, die Leistungsfähigkeit der Insekten
bezüglich der Bestäubung zu bestimmen im Vergleich zu
künstlicher Bestäubung. 4 Trotz theilweise ungünstiger
Witterung war der Erfolg beider Arten von Bestäubung bei¬
nahe gleich. Den süssen Saft der Blumen fasst Koelreuter
durchaus richtig als Anlockungsmittel für die Bestäubungs¬
vermittler auf 5 und beweist seine Identität mit dem Bienen¬
honig. Schon der Gedanke, dass die Gestalt und Skulptur
der Pollenkörner im Zusammenhänge mit der Art der Pollen¬
verbreitung stehe, ist von ihm ausgesprochen. Unter den
Folgerungen aus dem Abschnitt: „De figura antherarum
pulveris“ findet sich auch folgende: „Pulverem antherarum
earum praecipue plantarum ac arborum, quorum copula aeris
medio vel venti ope in distans fit, plerumque globosum ac
1 Eugler-Prantl, Natürliche Pflanzenfamilien IV, 1, p. 26.
2 Vgl. auch die Abhandlung über die Blütheneinrichtung der As-
clepiadeen. Comment. Ac. Theodoro-palatinae III. pbys. p. 54.
a p. 23 (Pteifer p 21).
4 Erste Fortsetzung p 6S u. 69 (Pfeffer p. 82).
5 Vorl. Nachricht p. 22 u. 46 ff. (Puffer p. 20 u. 34 ft.)
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exiguae valde magnitudinis esse.Pulverem aculeatum
floribus compositis et malvaceorum fere ordini proprium
eum in finem potissimum aculeis villisque instructum esse
videri, ut insectorum corpusculis pilosis eo facilius adhaereat,
quorum opera pronuba in transferendo eo in Stigmata patentia
ac rorida, ut in aliis plautis perpluribus, ita singulariter in
classe Monadelphiarum et Syngenesiarum semper maxima est “. 1
Von Pflanzen, deren Blütheneinrichtung auf Insekten¬
hilfe berechnet ist, nennt Koelreuter in der vorläufigen Nach¬
richt ausser Ficus, die er selbst nicht beobachtet hat, vor¬
nehmlich die Cucurbitaceen, Iris und die Malvaceen.
Zu seiner Darstellung der Cucurbitaceen-Bestäubung ist
kaum etwas hinzuzufügen. Eben dasselbe gilt für Iris, deren
Narben Koelreuter zuerst entdeckte, und deren Bestäubung
durch Hummeln er ausführlich und anschaulich schildert.
Sprengel hat seine Darstellung nur bestätigt, Hermann
Müller unsere Kenntniss infofern erweitert, als er ausser der
dem Hummelbesuch angepassten Race von Iris pseudacorus
noch eine auf Schwebfliegen angewiesene kennen lehrte . 2 Bei
den Malvaceen nimmt Koelreuter in der vorläufigen Nachricht
noch Uebertragung des Blüthenstaubes auf die zuständige
Narbe der gleichen Blüthe an, entdeckte aber später 3 4 die
Proterandrie, welche Bestäubung mit dem Pollen der gleichen
Blüthe ausschliesst und Fremdbestäubung unumgänglich
macht. Diese Entdeckung führt ihn am gleichen Orte zu
der schon vorher angeführten Aeusserung über die vermuth-
liche Wichtigkeit der Fremdbestäubung. Schon in der vor¬
läufigen Nachricht beschreibt Koelreuter die Dichogamie von
Epilobium und Polemonium, an welch letzterer sie von
Sprengel übersehen, von Axel bestätigt wurde.* In der ersten
Fortsetzung weist Koelreuter auf die Nothwendigkeit der
Insektenbeihilfe für die Bestäubung der Mistel hin, eine Be¬
obachtung, die für uns um so interessanter ist, als wir darin
noch nicht über Koelreuter hinausgekommen sind, und zwei
1 Dissertationis de antherarum pulvere continuatio. Mem. de l’Acad.
imp. de St. Petersbourg UI, p. 197 u. 198.
2 A. a. 0. p. 67 ff.
3 Dissertationis de antherarum pulvere continuatio. M6m. l’Acad.
III, p. 198.
4 Vgl. Sprengel, p. 109, H. Müller, p. 264.
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noch neuerdings erschienene Notizen Uber die Bestäubung
der Mistel erst wieder darauf aufmerksam machen mussten,
dass dieselbe nicht wind-, sondern insektenblüthig ist . 1 2 * Als
Bestäubungsvermittler nennt Koelreuter Dipteren, Loew ver-
muthet Andrenen und Lindman neben letzteren Dipteren.
Koelreuter hält seine Beobachtung für um so interessanter,
als er hier eine Pflanze gefunden hat, die in ihrer ganzen
Existenz von Thieren abhängig ist, in ihrer Befruchtung von
den Insekten, in der Verbreitung von den Vögeln.
Die Bestäubung von Sambucus wird in der vorläufigen
Nachricht auf die Thätigkeit von Blasenfüssen zurückgeführt,
welche den Pollen auf das Stigma verschleppen, was noch heute
unseren Erfahrungen über die Bestäubung des Hollunders
entspricht.*
Auch die Reizbarkeit der Geschlechtsorgane fasst Koel¬
reuter als die Bestäubung begünstigende und insbesondere
der Insektenhilfe angepasste Einrichtung auf. Bezüglich der
Compositen mit reizbarer Staubfadenröhre ist das Nähere
im Vorhergehenden schon mitgetheilt. An der gleichen Stelle
in der dritten Fortsetzung der vorläufigen Nachricht be¬
schreibt Koelreuter auch die Bewegungen, mit welchen die
Staubfäden von Cacteen, von Helianthemum und Cistus auf
Berührungsreize reagiren. Er vermuthet, dass auch diese
Bewegungen, zu denen in der Natur wohl meist die Insekten
den Anlass geben, die Bestäubung der zuständigen Narbe zum
Ziele haben. Auch heute harrt die Frage nach der biologischen
Bedeutung der Reizbarkeit dieser Gebilde ebenso wie nach der
Art der Bewegung und des Bewegungsmechanismus noch der
Lösung. Eine eigene Abhandlung behandelt ausführlich die
Reizbarkeit der Staubfäden bei Berberis . 8 In dieser ist nicht
nur die Bewegung und die Art der Reaktion auf verschiedene
Reize, z. B. durch Wassertropfen, Verletzung etc. sehr gut
beschrieben, auch über den Bewegungsmechanismus sind
Untersuchungen mitgetheilt und der Bewegung die Rolle
einer Förderung der Bestäubung zugewiesen. Koelreuter ist
1 Loew, Bot. Centralblatt XLI1I, 1890, p. 129 ff. und Lindmau.
Ibid. XLIV, 1890, p. 241 f.
2 Vgl. Kirchner, Flora von Stuttgart. Stuttgart 1688, S. 669.
8 Xouvelles observations etc. Nova acta VI, p. 207—216.
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indess in denselben Fehler verfallen, den später Sprengel*
beging, indem er die Blütheneinrichtung als Anpassung an
Selbstbestäubung deutete. Nach H. Müller* wird vielmehr
das Insekt, das sich auf der die Mitte der Blüthe einnehmen¬
den Scheibe niedergelassen hat, durch das Anschlägen der
von ihm berührten Staubfäden an seinen Kopf beunruhigt,
so dass es, mit Pollen behaftet, die erste Blüthe verlässt und
nun beim Aufsuchen einer jeden weiteren Fremdbestäubung
bewirkt. Von Insekten hat Koelreuter beobachtet grosse
und kleine Käfer, Fliegen verschiedener Art, Bienen und
Wespen. „C’est ainsi que la nature parvint 4 son but de
fecondation et de propagation de notre arbrisseau par le
moyen de ces petites creatures, que plusieurs faux philo-
sophes ont regardd avec tant d’ignorance comroe des ßtres
inutiles. Ces animaux, en gofttant avec delectation le mets
le plus doux, trouvent non seulement leur propre avantage,
mais ils pröparent en mßme temps, sans le savoir, un aliment
futur, tant pour la posterite de leur propre espece, que pour
tant d’autres creatures, avant leur existence. Voilä un nou-
vel exemple et qui jusqu’ ä ce jour n’a point 6td reinarqud,
qui nous prouve clairement l’intimitd entre le regne animal
et le regne vegetal et la n^cessite de leur connexion dans
l’dconomie de la nature.“ So schliesst der Aufsatz Koelreuter’s.
Ebenso wie die Reizbarkeit der Staubfäden betrachtet
Koelreuter auch die der Narbenlappen, welche er als erster
bei Martynia annua und Bignonia radicans entdeckte und
genauer untersuchte*, als Anpassungen an die Bestäubung.
Er verkannte indess ihre eigentliche Bedeutung als Mittel,
Bestäubung mit dem Pollen derselben Blüthe zu verhüten
und Fremdbestäubung zu sichern, und sah ihre Aufgabe
darin, dass zwischen den zusammengelegten Narbenlappen
der von Insekten dahingeschleppte Pollen vor ungünstigen
äusseren Verhältnissen geschützt werde, um so sicherer seine
befruchtende Wirkung ausüben zu können. Diese Ansicht
beruhte auf der Beobachtung, dass die Narbenlappen nach
1 A. a. 0. S. 203 ff.
* A. a. 0. S. 124 ff.
8 Dritte Fortsetzung ctc. S. 134 ff (Pfeffer p. 250 ff).
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316
einer Schliessung auf mechanische Reize hin sich bald wieder
öffnen, dagegen nach Belegung mit Pollen geschlossen bleiben.
Als weitere Beispiele für Bestäubung durch Insekten¬
hilfe nennt Koelreuter in der vorläufigen Nachricht noch eine
grosse Anzahl von Pflanzen, bei denen er im allgemeinen
Verschleppung des Pollens von den Antheren auf die Narbe
derselben Blüthe, also Selbstbestäubung durch Insekten an-
nimmt. Dahin gehören zunächst verschiedene Arten Papaver,
bei denen schon Koelreuter neben der Thätigkeit der Insekten
die bei den hierhergehörigen Arten so verbreitete spontane
Selbstbestäubung bemerkte, die bei P. somniferum ja auch
von vollem Erfolge ist. Auch bei Nymphaea und Nuphar be¬
wirken die Insekten meist Selbstbestäubung, daneben aller¬
dings auch Fremdbestäubung. Auch die Paeonien und Citrus,
bei welch’ letzterer Selbstbestäubung allerdings Fruchtansatz
bewirkt, rechnet Koelreuter dahin. Hypericum bietet nach
unserer heutigen Auffassung für Fremd- und Selbstbestäubung
bei eintretendem Insektenbesuch gleiche Chancen; bleiben
die Insekten aus, so tritt unvermeidlich spontane Selbst¬
bestäubung ein. Bei Oenothera mit vorwiegend Nachtfaltern
angepasster Blumeneinrichtung hat Koelreuter die bei Epi-
lobium entdeckte Dichogamie übersehen, ebenso bei Echium,
wo durch dieselbe und durch die Lage der entwickelten
Narben Selbstbestäubung, die er noch für möglich und vor¬
kommend hielt, weil hin und wieder eine Anthere das Stigma
berühre, ganz unmöglich gemacht wird. Hyoscyamus hat
allerdings die Möglichkeit der Selbstbestäubung noch ebenso
>vie Nicotiana gewahrt 1 , viel wirksamer aber ist die Thätig¬
keit der Insekten, wie Koelreuter schon richtig erkannte.
Auf die letztere sind in erster Linie auch die Arten von
Convolvulus und von Mirabilis angewiesen; bei beiden ist
indess auch spontane Selbstbestäubung möglich, bei Mirabilis
indem der Griffel, nachdem die Narbe eine Zeit lang vor und
über den Antheren gestanden, also eine der Fremdbestäubung
durch besuchende Insekten günstige Stellung eingenommen
hat, sich einrollt und so die Narbe in Berührung mit den
Antheren bringt 8 . Auch bei dem Löwenmaul (Antirrhinum)
1 Kerner, Pflanzenleben II, p. 361.
1 Kermr, A. a. 0. p. 353 f.
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317
und bei Scrofularia, zwei dem Insektenbesuch ange¬
passten Blumenformen, ist neben Fremdbestäubung durch
die Besucher spontane Selbstbestäubung durch direkte Be¬
rührung der Geschlechtstheile oder dadurch, dass die Narbe
sich gerade in der Fallrichtung des Pollens befindet, er¬
möglicht und, wenigstens bei Scrofularia, von vollem Erfolg 1 .
Die Polemik Sprengel’s gegen Koelreuter und Medikus 2 be¬
züglich der Bestäubung von Scrofularia ist also doch nicht
ganz berechtigt.
Gleich heftig poleinisirt Sprengel gegen Koelreuter bei
seiner Darstellung der Bestäubungseinrichtungen der Ascle-
piadeen*. Koelreuter hat indessen in seiner zunächst hierher
gehörigen Abhandlung: Ueber die Befruchtung der Schwalben¬
wurz, den Blüthenbau selbst richtiger als später Sprengel
erkannt. Innerhalb der Krone stehen, alternirend mit. den
Einschnitten derselben, fünf Nektargefässe von bei den ver¬
schiedenen Gattungen verschiedener Form. An die im Innern
der Bliithe stehende walzenförmige, fleischige Säule sind die
fünf verbeiterten Staubfäden angewachsen, die zwischen sich
eine schmale Spalte lassen. In den Antheren ist der Pollen
in wachsartige Massen zusaminengeballt, und je die rechte
und linke Pollinie zweier benachbarter Antheren hängt durch
ein gelbliches Stielchen mit einem hornartigen schwarzen
Käppchen zusammen, welches sich über der Spalte zwischen
den Staubfäden befindet. Nimmt man das letztere weg, so
folgen auch die Pollinien; Koelreuter vergleicht das Gebilde mit
einer Wage, bei der das Käppchen die Zunge, die Stielchen
der Pollinien den Wagebalken und letztere selbst die Ge¬
wichte vorstellen. Die Pollinien hält er mit Recht für äqui¬
valent den Pollenkörnern. Sprengel hält mit Jacquin den
fleischigen Knopf in der Mitte der Blüthe, welcher die weib¬
lichen Geschlechtstheile bedeckt, für die wahre Narbe, Koel¬
reuter dagegen hat richtig erkannt, dass diese unter dem
Knopf sich befindet und von der fleischigen Säule ein¬
geschlossen ist. Der Bestäubungsmechauismus aber ist
Koelreuter entgangen, dagegen, zum Theil wenigstens, von
1 Vgl. Kirchner, a. a. 0. p. 580. H. Müller, a. a. 0. p. 280—283.
1 Sprengel, a. a. 0. p. 36.
8 A. a. 0. p. 140 ff.
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318
Sprengel richtig gedeutet, während er in voller Klarheit erst
von Hildebrand und Delpino erkaunt wurde 1 . Koelreuter
glaubte, dass die befruchtende Materie, das an den Pollen
hängende Oel, von der inneren Oberfläche der Beutelchen,
in dem die Pollinien stecken, aufgesogen und so durch das
Gewebe zu den mit dem schwammigen Körper der fleischigen
Säule verwachsenen Griffeln hingeleitet werde, allerdings eine
eigenthümliche Theorie. Heute wissen wir, dass die schwarzen
Käppchen, wie Koelreuter sie nennt, Klemmkörper sind, in
welchen sich die Insekten mit Beinen oder Rüsseln fangen.
Sie reissen dann die Klemmkörper sammt den an ihnen
hängenden Pollinien los und bringen diese beim Besuch
anderer Blüthen in eine der fünf Spalten der fleischigen
Säule, wo sie an der dort allein zugänglichen Narbe hängen
bleiben.
Interessant ist es, dass, wie Sprengel und ebenso Del¬
pino von der Beobachtung der Orchideenblüthe aus die richtige
Deutung der Blütheneinrichtung bei den Asclepiadeen fanden,
so Koelreuter vor ihnen den umgekehrten Weg machte. Er
schloss von seiner Deutung der Asclepiadeenblüthe auf die
Orchideen, bei denen er die Pollinien ebenfalls richtig erkannte.
Leider ist die in der Abhandlung über die Schwalbenwurz ver¬
sprochene Beschreibung der Orchideenblüthe nicht publicirt.
Schon in der eben erwähnten Arbeit theilt Koelreuter
mit, dass die Periploca graeca L. eine Ausnahme von dem
gemeinsamen Typus der Blütheneinrichtung unter den Ascle¬
piadeen macht. Er beschreibt dieselbe in den „Observationes
quaedam circa vera Stigmata et fructificationem Periplocae
graecae L. 2 “. Auch hier ist die Blütheneinrichtung durch¬
aus richtig erkannt, der Bestäubungsmechanismus indess ganz
falsch gedeutet. Zwischen den fünf Staubfäden, die mit der
centralen fleischigen Säule und auch, wenigstens die Antheren,
unter sich verwachsen sind, befinden sich fünf Löcher, durch
welche man fünf weisse, mit einer klebrigen Feuchtigkeit über¬
zogene, glänzende Köpfchen (capitula) sieht, die Griffe der
1 Vgl. insbesondere F. Hildebrand, Delpino’s Beobachtungen über
<lie Bestäubungsvorrichtungen bei den Phanerogamen. Bot. Ztg. 1867,
No. 34 (p. 265 ff).
2 Nova acta X, p. 407—413.
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319
Ketinacula, die Koelreuter allerdings falsch als Nektarien zu
deuten geneigt ist. Der ein wenig verbreiterte Griff hängt
nach oben hin mittels eines kurzen dünneren Stielchens mit
einem löffel- oder spatelförmigen, oben ausgerandeten Plätt¬
chen, der Schaufel, zusammen. In Blüthen mit noch ge¬
schlossenen Antheren, ist die Schaufel von einer glänzenden
klebrigen Flüssigkeit bedeckt, in älteren Blüthen mit Pollen,
der aus den gerade über der Schaufel stehenden Fächern
zweier Antheren, der rechts und links benachbarten, darauf
gefallen ist. Der Pollen ist nämlich bei Periploca nicht zu
Pollinien vereinigt, sondern staubförmig und besteht aus zu
je vier verwachsenen Körnern. Von dem Pollen sowohl wie
von den Retinakeln gibt Koelreuter gute Abbildungen.
Leider verfällt er auch hier wieder in den Irrthum, die
Schaufeln für die wahren Stigmata zu halten, von denen
aus der männliche Befruchtungsstoff zu den mit dem fleischi¬
gen Narbenkopfe verwachsenen Griffeln und durch diese in
das Ovar geleitet werde. In Wahrheit ist auch hier die
Einrichtung eine Anpassung an die Insekten, welche den
Rüssel in die fünf Oeffnungen zwischen den Staubfäden
hineinstecken und beim Zurückziehen unfehlbar die klebrige
Innenseite des Griffes berühren, der auf diese Weise sammt
dem Löffel voll Pollen davon getragen wird. In der näch¬
sten Blüthe, welche das Insekt besucht, reibt es dann die
Schaufel mit dem Pollen bei der gleichen Thätigkeit unfehl¬
bar an der Unterseite des Narbenkopfes, wo sich die Stig¬
mata befinden, und bewirkt so Fremdbestäubung 1 .
Auch bei einer Pflanze, deren complicirte Bestäubungs¬
verhältnisse Darwin zu einer seiner schönsten Arbeiten ver¬
anlasst haben 2 , bei Lythrum salicaria, hat Koelreuter schon
wenigstens einen Theil ihrer eigentümlichen Blüthenein-
richtung erkannt und zwar den Farbenunterschied des Pollens
von den längeren und den kürzeren Staubfäden. So gering¬
fügig diese Beobachtung ist, so wird sie bemerkenswert
1 Hildebrand, a. a. 0. Bot. Ztg. 1867, p. 273.
* Darwin, On Lythrum salicaria, Journal of the proceeding of the
Linnean society VIII, 1864, p. 31 ff und 169 ff. On the character and
hybridlike nature of the offspring from the illegitimate unions of dimor-
phic and trimorphic plants. Ibid. X, p. 393 ff. Vgl. Müller, a. a. 0.
p. 191-196.
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320
durch die Fragen, die er daran knüpft: „An majores ad
germen foecundandura prae minoribus magis idonei ? an vero
utrarumque symbola ad bunc actum necessaria? En singu-
larissimum in regno vegetabili phaenomenonUnd diese
Fragen rufen noch einmal das Bedauern in uns wach, dass
dem grossen Beobachter und Experimentator in der zweiten
Hälfte seines Lebens jede Gelegenheit und Möglichkeit zur
Fortsetzung seiner Versuche und Beobachtungen genommen
war. Er hätte gewiss zu den früheren Leistungen, die ihn
zum bedeutendsten Physiologen des vorigen Jahrhunderts
machen und ihn in die Zahl unserer grössten Biologen über¬
haupt einreihen, noch weitere, nicht minder bedeutsame hin¬
zugefügt.
Karlsruhe, Februar 1894.
1 Contiuuatio dissertationis de pulvere antherarum. Nova acta XV,
p. 375.
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Die Gloeken und ihre Töne.
Von Geb. Hofratb Prof. Dr. Schell.
Die ältesten Techniker, die Phönizier, übten die Kunst,
grosse Bronzeraassen zu giessen, bereits mit Virtuosität. Sie
gossen, wie wir noch heute, in Lehmformen. Von dem Phö¬
nizier Hiram rührten die Bronzebilder im Tempel Salomo’s
her und er hat das eherne Meer, gleichfalls auf Salomo’s
Veranlassung, gegossen. Es war ein gegen 5 Meter weites,
2,5 Meter hohes und 3 Centimeter dickes Opferbecken in
Form einer niedern Glocke und ist an Grösse nur von zwei
russischen Glocken übertroffen. Die Chinesen besassen seit
2255 v. Chr. Glocken und Glockenspiele; im assyrischen
Nimrod-Palast fand man 24 Glocken von 5—8 Centimeter
Durchmesser, welche wahrscheinlich zu Opferzwecken dienten.
Auch die jüdischen Priester bedienten sich der Handglocken,
um den Beginn des Gottesdienstes anzuzeigen. Die Römer
machten bereits ausgedehnten Gebrauch von den Glocken zur
Bezeichnung der Stunden. Die ersten christlichen Gemeinden
des Orients, sowie die Klöster dortselbst brauchten zu kirch¬
lichen Zwecken nicht Glocken, sondern die Tuba und gewisse
Klapperinstrumente, wie ein Brett oder Blech, welches, auf
dem linken Arm ruhend, mit einem Hammer an verschiedenen
Stellen in wechselndem Rhythmus angeschlagen wurde.
Im Abendlande kommt bei Gregor von Tours im 6. Jahr¬
hundert ein „signum“ zur Bezeichnung der Stunden des
Gottesdienstes vor, welches mit einem Seile bewegt wird.
Man glaubt diese Stelle auf die Glocken deuten zu dürfen,
um so mehr, als signum ecclesiae der spätere Name der
Kirchenglockcn ist. Der Abt Walafrid Strabo des Klosters
Reichenau sagt, dass Campanien, wo viel Erz und die Kunst
des Giessens bekannt war, die Heiinath der Glocken sei
Die Glocke heisst lateinisch: campana oder nola; der letztere
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Name rUhrt aber nicht von der gleichnamigen Stadt Cam-
paniens her, sondern ist keltischen Ursprungs (noll heisst
„tönen“ und noch heute heisst im Englischen knoll soviel als
läuten). Die Nachrichten, dass Bischof Paulinus von Nola
und Papst Sabinianus im 7. Jahrhundert die Kirchenglocken
eingeftthrt haben, sind nicht sicher, doch steht so viel fest,
dass damals der Gebrauch der Glocken allgemeiner wurde
und man anfing, eine Glocke zwischen zwei steinernen Pfosten
an der Giebelmauer der Kirche aufzuhängen. Die Gemeinden
hatten übrigens meist nur eine einzige Glocke. Die Glocken-
thürme sind aus dem Bedürfniss oder dem Luxus mehrerer
Glocken entsprungen.
Der Ton geläuteter Glocken von einiger Tiefe macht
einen gewaltigen Eindruck auf das Gemüth des Menschen.
Es ist eine feierliche Stimmung, aber unter Umständen auch
Angst und Schrecken, die ihn ergreifen, wenn die Glocke tönt.
Die Kirche, die bürgerliche Gemeinde und der Staat ver¬
wenden bei den mannigfachsten Veranlassungen das Glocken¬
geläute. Auch die Musik bedient sich zuweilen der Glocken,
indess nur selten als selbständiges Kunstmittel. In früheren
Zeiten liebte man die Glockenspiele. Ein Manuskript des
Klosters St. Blasien aus dem 6. Jahrhundert enthält eine
Zeichnung, in welcher ein Mönch ein Glockenspiel von fünf
kleinen Glocken mit einem kleinen Hammer spielt. Solche
Glockenspiele (meist von vier Glöckchen, daher quadrilio,
französisch carillon genannt) waren in den Klöstern neben
dem Monochord sehr üblich, vermuthlich um die Tonica der
Kirchentöne beim Gesangsunterricht anzugeben. Hieran
knüpft sich eine Spielerei, welche bis in die Neuzeit mannig¬
fach geübt worden ist, die kombinatorische Lösung der Auf¬
gabe, melodische Tonfolgen mit vier, fünf, sechs und mehr
Glockentönen zu finden. Ein englischer Buchdrucker, Fabian
Stedmaqn (geb. 1631 zu Cambridge) hat hiezu eine Anleitung
geschrieben und die Sache zu einem belustigenden Spiele
gemacht. Es wurde zu einer Art Manie, dass Gesellschaften
junger Männer unter besonderen Vorständen in Stadt und
Land herumzogen und auf den Kirchthürmeu unermüdlich
zum Zwecke dieser kombinatorischen Spielerei und zum Aerger
der Einwohner die Glocken anschlugen und sämmtliche Per-
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Imitationen derselben durchprobirten und zwar noch dazu in
-den mannigfachsten Rhythmen. Die Glockenspiele kamen
zuerst in England auf. 1487 wurde in Alost ein solches
.aufgestellt. Man hatte sie von vier und mehr Oktaven, An¬
fangs diatonisch, später auch mit chromatischen Tönen. Die
Vorrichtung für das Spiel war sehr einfach. Am untern
Ende des Klöppels wurde ein Seil befestigt und dies hori¬
zontal an einem Haken aufgehangen; ein zweiter Strang, in
der Mitte des Seiles befestigt, lief durch den Fussboden des
Glockenthurmes hinunter zu einer Art Taste, welche mit der
Faust geschlagen oder mit den Füssen getreten wurde. Die
ganze Glockenreihe konnte auf diese Weise mit einer Art
Manual- oder Pedalklaviatur gespielt werden. Die Künstler,
welche hierfür angestellt waren, heissen Kampanisten. Später
liess man die Glocken durch Hämmer von aussen anschlagen,
•die durch Abstrakten mit der Klaviatur in Verbindung standen.
Dieser Art waren auch die Glockenspiele der Orgeln. Sie
Messen Cymbeln (Cymbalum heisst Glocke) und ihre Glocken
•waren alle an ein und derselben horizontalen Axe befestigt.
JEs mag in diesen Cymbeln vielleicht die allererste Idee zur
Erfindung des Hammerklaviers zu suchen sein. Noch später
setzte man die Kompositionen für die Glockenspiele auf eine
Walze und liess sie durch Drehung derselben nach Art der
Drehorgel spielen. Am verbreitetsten waren die Glockenspiele
in Holland. Der berühmte Glockengiesser Hemony in Züt-
phen hat zwischen 1645 und 1655 viele Glockenspiele von
15—26 Glocken gebaut. Von ihm ist auch das auf dem
Schlossthurme zu Darmstadt mit 28 Glocken. Das Glocken¬
spiel in Antwerpen hat 90, das in Delft 800 Glocken. Auch
•die Franklin’sche Glasharmonia gehört unter die Glockenspiele.
Das Material der Glocken heisst das Glockengut oder die
Glockenspeise. Das frühere Mittelalter hat zwei Arten Glocken,
geschmiedete von Eisen oder Bronze und solche aus gegossener
Bronze. Die ältesten waren aus Eisenblech; es finden sich
solche in Irland, hie und da auch in Deutschland. Das
städtische Museum in Köln bewahrt eine solche aus dem
Anfang des 7. Jahrhunderts. Sie ist aus drei Platten mit
kupfernen Nägeln zusammengenietet; ihr Rand ist elliptisch
und die Axen der Ellipsen und die Höhe der Glocke stehen
21 *
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im Verhältniss von 3:2:4. Die Glockenspeise ist eine
Legirung von Kupfer und Zinn, für grosse Glocken vom
spezifischen Gewichte 8,8 bis 8,9. Nur die bedeutendsten)
Glockengiesser haben sich indessen um letzteres gekümmert;
die meisten mischen verschiedenes Glockengut untereinander
auch mit Kanonenmetall zusammen und urtheilen nach dem
Bruche von Probestängelchen, jeder nach seiner eigenen Er¬
fahrung. Das günstigste Mischungsverhältniss von drei Theilen
Kupfer und zwei Theilen Zinn rührt aus dem Alterthum her;
es gibt den schönsten Ton; 4:1 ist das schlechteste. Letz¬
teres liefert das weiche Metall der Hausglocken. Bei 3:1
ist das spezifische Gewicht 8,9; das Metall steht in der Mitte
zwischen glasig-muscheligem und krystallinischem Bruche.
Für mittelgrosse Glocken ist es sehr geeignet, für grosse
etwas zu brüchig. Die grosse Westmünsterglocke, von Denison
gegossen, hat das Mischungsverhältniss 22 :7. Kupfer wird
durch Zusatz von Zinn härter und wächst Anfangs die Härte
mit zunehmendem Zinngehalte; es ist gelblichweiss bis weiss.
Dann nähert es sich aber unter wachsender Sprödigkeit
der Stahlhärte bei krystallinischem Bruche und wird blau¬
weiss. Bei weiterem Zinnzusatz nimmt die Sprödigkeit wie¬
der ab, das Metall wird dehnbarer und gelbweiss; bei geringem
Kupfergehalt erscheint es als gehärtetes Zinn und wird, mit
etwas Antimon versetzt, für Hausglocken sehr brauchbar (im
Verhältniss von Kupfer zu Zinn, wie 1:19).
Der Ton der Glocke hängt ausser von der Form und
Dicke sehr wesentlich von ihrem Gewichte ab. Innerhalb
gewisser enger Grenzen liefert ein gegebenes Gewicht nur
einen guten Glockenton, den zu finden, auch heute noch die
schwierige Aufgabe des Giessers ist. Durch Umgiessen wächst
die Dichtigkeit und wird ein weiterer Zusatz an Zinn noth-
wendig; damit ändert sich aber der Ton. Spröde Glocken
von einiger Grösse springen heim Anschlägen des Klöppels
und müssen umgegossen werden. Oft feilt man den Sprung
so weit aus, dass die Ränder beim Tönen nicht zusammen¬
schlagen; natürlich ändert sich auch hierdurch der Ton.
Auf die Elastizität des Gusses und damit auch auf den Ton
hat die Schnelligkeit des Einströmens der Masse in die Form
und die Einwirkung der Luft im Ofen, d. h. der Oxyda-
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325
tionsprozess des Metalls Einfluss. 20 Minuten genügen im
Allgemeinen, um einen guten Guss ohne Blasen zu erhalten,
■wenn die Einflussöffnung hinreichend weit ist.
Genauere Untersuchungen darüber, wie die Tonhöhe der
Glocken unter übrigens gleichen geometrischen Verhältnissen
mit dem Material, dessen Elastizität mit dem spezifischen
Gewicht variirt, liegen bis jetzt nicht vor. Diese Aenderun-
gen können sehr bedeutend sein. Man hat Aluminium als
Zusatz gewählt, jedoch ohne Erfolg. Dagegen hat sich seit
dem 17. Jahrhundert Gusseisen als brauchbar erwiesen, wenn
•es auch rauh im Ton ist. Nicht ganz zu verachten sind
die seit 1852 von Bochum zu beziehenden Gussstahlglocken,
wenigstens für mässige Anforderungen an die Tonschönheit.
Stahlstäbe können keinen Ersatz bieten für Glocken; sie
tragen den Ton nicht weit.
Die heutige Form der Glocken hat sich bis jetzt als
die zweckmässigste erwiesen. Die dickste Stelle, nämlich die,
an welcher der Klöppel anschlägt und wo die Glocke den
grössten Widerstand zu leisten hat, heisst der Schlagring;
mit der Dicke daselbst, am sogenannten Schlag, als Ein¬
heit werden alle anderen Dimensionen der Glocke gemessen.
Das Glockenprofil (die Projektion der Glocke auf eine Ebene
ihrer Axe) heisst die Rippe. Ihre Konstruktion ist erfah-
rungsmässig innerhalb gewisser, etwas dehnbarer Grenzen
festgestellt, wechselt aber von Nation zu Nation, in kleinen
Differenzen von Meister zu Meister und selbst von Glocke
zu Glocke. Der grösste Durchmesser, der der Mündung,
beträgt ll s / 4 , 12, 13, 14, 15 Schläge, bei den ältesten und
grössten Glocken beträgt er ll*/ 4 bis 12, bei neueren deut¬
schen 14 Schläge, bei französischen 15. Die französischen
sind die dünnsten und tragen den Ton nicht in grosse Ferne.
Eine rationell begründete Konstruktion der Rippe existirt
nicht; dazu hat bis jetzt sogar die heutige Theorie der
Schwingungen elastischer Glocken noch nicht zu führen ver¬
mocht. Der oberste Theil der Glocke heisst die Haube oder
Platte; ihr Durchmesser ist die Hälfte vom Durchmesser der
Mündung. Die Haube hat nach oben eine Verstärkung
behufs solider Befestigung des Henkels. Die gerade Linie
vom unteren Glockenrande nach dem Rande der Haube
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. 326
gezogen, heisst die Standlinie, ihre Neigung gegen de»
Durchmesser der Mündung bestimmt die Höhe der Glocke-
Auf der Standiinie werden an bestimmten Stellen Ordinaten
von vorgeschriebener Länge errichtet, um feste Punkte des
mittleren Theiles der Rippe, des Glockenhalses, zu gewinnen.
Sie bestimmen zugleich die Schweifung der Glocke, welche
aus Kreisbogen mit bestimmten Radien zusammengesetzt
wird. Bei der englischen Rippe ist die innere Schweifung
gewöhnlich etwas mehr als ein Quadrant einer Ellipse. Auch:
die Dicken werden nach bestimmten Normen aufgetragen,
um die innere Form der Rippe mit Hilfe von Kreisbogen
konstruiren zu können. Die Schweifung variirt stark bei
den Meistern. Die ersten Glocken waren kegelförmig; sie
hatten einen kurzen Klang. Man näherte die Form dem
Zylinder und bog den Glockenrand nach aussen. Der Ton
ward besser und man sparte ausserdem an Metall, indem,
man die Glocken nach oben mehr zusammenzog.
In Bezug auf die Töne der Glocke unterscheidet man-
ihren Hauptton und die Nebentöne. Der Hauptton ist der
Ton, den man beim Läuten der Glocke am auffallendsten
hört, die Nebentöne, theils höhere, theils tiefere, bemerkt
man erst, nachdem die Glocke einige Zeit geläutet wurde.
Die Nebentöne wechseln mit der Stellung des Ohres gegen
die Glocke. Fällt die Axe des Ohres nahezu in die Ebene
des Glockenrandes, so hört man den Hauptton stärker und
die Nebentöne schwächer; ist die Axe des Ohres senkrecht
zu dieser Ebene, so findet das Umgekehrte statt. Die von
einer Mauer reflektirten Glockentöne sind höher, wenn man
ler Mauer näher steht, und sinken mit der Entfernung des-
Beobachters von derselben. Bei langsamem Läuten werden
die Nebentöne deutlicher gehört, als bei raschem. Bei sehr
zahlreichen Schlägen in der Minute verschmelzen sie in einen
schrillen Ton von starkem Nachhall, der oft drei Oktaven
höher ist, als der Hauptton. Auch macht es einen Unter¬
schied, ob die Glocke geläutet, oder von aussen mit einem
Hammer angeschlagen wird. Im letzteren Falle sind din
Nebentöne weniger deutlich. Beim Läuten entsteht auch
das sogenannte Wallen des Tones, eine Art von Tremoliren
oder Beben desselben. Da der Klöppel nicht am Rand&
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327
anschlägt, so ist begreiflich, dass auch tiefere Töne zum
Erklingen kommen. Schlägt man die Glocke leise mit dem
Fingerknöchel in verschiedenen Höhen an, so erhält man
verschiedene Töne. Man hat dieselben zu ordnen und die
Schweifung so zu führen gesucht, dass einzelne von ihnen
als hellklingende Nebentöne auftreten. An der Haube an¬
geschlagen, wo der Glockendurchmesser die Hälfte der Mün¬
dung beträgt, gibt die Glocke die Oktave des Haupttones;
ist der Durchmesser des Halses in */ a der Höhe, von oben
gerechnet zugleich */ t von dem der Mündung, so erhält man
die grosse Terz, bei */ 3 gibt die Glocke die reine Quinte.
Die Lage dieser Stellen hängt natürlich von der Konstruktion
der Rippe ab. Die Glockengiesser suchen zu bewirken, dass
die Glocke die grosse und kleine Terz und die reine Quinte
als Nebentöne des Läutetones hören lasse und unterscheiden
in Bezug auf die Terz Dur- und Mollglocken. Eine ordent¬
liche Theorie der Glockenobertöne gibt es bis jetzt noch
nicht. Untertöne machen sich gleichfalls geltend; von ihnen
aber wird heutzutage noch gar nicht geredet. Wenn die
grosse Terz und reine Quinte bei allen Glocken eines Ge¬
läutes als Nebentöne Vorkommen, so hat dies einen stark
dissonirenden Einfluss und wird man wohl thun, in gewissen
Fällen die Quarte an Stelle der Terz einzuführen.
Euler glaubte, dass die Glocke in Ringen schwinge und
kreisförmige Knotenlinien sich auf ihr bildeten. Chladni
widerlegte diese Ansicht, experimentell und zeigte, dass
nur Meridianschnitte als solche auftreten und die Knoten¬
linien die Glocke regelmässig abtheilen. Ihr Zusammenhang
mit den Obertönen scheint ihm aber entgangen zu sein.
Melde hat sie auf sehr elegante Weise sichtbar zu machen
gelehrt (s. dessen Akustik). Die Theorie der Obertöne lässt
übrigens noch viel zu wünschen; insbesondere ist die Be¬
stimmung des zweiten noch sehr zweifelhafter Natur. Der
Grund, dass noch viele akustische Fragen über die Glocken
heute noch nicht genügend beantwortet werden können, liegt
vor Allem darin, dass man mit grossen Glocken zu experi-
mentiren kaum Gelegenheit findet und kleine Glocken, wie
die von Luftpumpen etc., nicht hinreichend tiefe Töne geben.
In Bezug auf die absolute Tonhöhe der Glocke ist man leicht
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Täuschungen uin eine, oder auch zwei Oktaven unterworfen.
Die Meisten taxiren den Hauptton zu tief. Hemony verlangt,
dass jede gute Glocke drei Oktaven, die grosse und di«
kleine Terz und die reine Quinte hören lasse.
Wenn zwei Glocken von gleichem Material (spezif. Ge¬
wicht) geometrisch einander ähnlich sind, so verhalten sich
die Schwingungszahlen ihrer Haupttöne, wie die Darch-
messer ihrer Mündungen, überhaupt wie homologe Linien.
Dies Verhältniss ist gleich dem der Kubikwurzeln aus ihren
Gewichten. Hienach kann man die Gewichte der Glocken
eines Glockenspiels durch das der tiefsten Glocke bestimmen.
Die Gewichte ähnlicher Glocken wachsen daher sehr rasch
mit der Tiefe. So fordert bei dem Mischungsverhältniss
78: 22 der Glockenspeise das c* nahezu 7,17 Zentner, c, schon
57,36 Zentner, c weiter 458,88 Zentner und C 3681,24
Zentner.
Auch in Bezug auf den Guss der Glocken mag Einiges
erwähnt werden. Die Form wird aus Lehm gebaut, der mit
Flachs oder Kälberhaaren zusammengeknetet ist. Sie wird
in einer genügend grossen, viereckigen tiefen Dammgrube
aufrecht gebaut. Ein Pfahl in der Mitte der Grube bezeich¬
net Zentrum oder Axe des ganzen Mauerwerks; um ihn
herum wird kreisförmig das Fundament, der sogenannte
Stand der Form aus Ziegelsteinen gemauert. Auf diesem
erhebt sich ein runder Ofen im Innern der ganzen Form,
mit vier Zuglöchern, welche durch das Fundament führen.
Diesem Ofen wird der Kern der Form aufgemauert, der sich
der innern Form der Glocke anschmiegen muss. In den¬
selben ist ein plattes Eisen quer über den Ofen vermauert
mit einer Pfanne, in welcher sich das Ende einer vertikalen
Spindel dreht, deren oberes Ende in einen quer über der
Grube befestigten Balken, den Vorrichtbaum, eingezapft ist.
Diese Spindel bildet mit der an ihr befestigten und um sie
drehbaren Schablone den sogenannten Zirkel, mit Hilfe dessen
der Lehmform ihre genaue Gestalt gegeben wird. Diese
Schablone ist nach dem Innern der Glocke ausgeschnitten
und bestimmt zunächst die Gestalt des Kernes der Form.
Der Ofen wird geheizt und der Kern getrocknet, nachdem
er bis auf eine Oeffnung oben fertig gemauert ist. Hierauf
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'wird der Kern geäschert, d. h. mit einer Tünche aus ge¬
siebter Asche und Bier überstrichen. Sodann wird weiterer
Lehm mit den Händen aufgetragen, um das sogenaunte Hemd
zu bilden, welches vorläufig den Raum einnimmt, den beim
Guss der Glocke das Metall ausfülien soll. Während dessen
wird die Schablone nach der äusseren Form der Rippe aus¬
geschnitten und wieder an der Spindel befestigt. Nachdem
das Hemd sorgfältig getrocknet und mit der Schablone aller
überflüssige Lehm abgestrichen ist, wird dasselbe mit Talg
und Wachs überzogen, nochmals mit der Schablone abge¬
strichen und werden die Verzierungen und die Inschrift auf¬
getragen. Nachdem dies Alles vollendet und vollständig
getrocknet ist, fehlt blos noch der Mantel. Er wird auf den
Talg in der Dicke von einem Schlage in Lehm aufgetragen.
Vorher ist aber das Hemd mit einer Mischung aus sehr feinem
Thon und Ziegelmehl, mit Bier angemacht, mehrmals über¬
strichen worden, damit es nicht an dem Mantel festhafte.
Nachdem der Mantel aufgetragen und durch Kohlenfeuer ge¬
trocknet ist, wobei der Talg und das Wachs schmilzt, sich
in den Lehm hineinzieht und einen leeren Raum zwischen
Hemd und Mantel lässt, wird der Mantel in die Höhe ge¬
wunden (abgebunden), das Hemd abgelöst, sodann der Mantel
wieder sorgfältig auf den Stand niedergelassen und mit Erde
und Asche in der Grube verrammt. Zwischen Mantel und
Kern ist jetzt der bisher von dem Hemde eingenommene
leere Raum, den nun das Glockenmetall einzunehmen hat.
Der Schmelzofen ist in der Nähe der Grube und aus ihm
strömt dieses nach Ausstossung des Zapfens durch das Giess¬
loch und die aus Ziegelsteinen gemauerten Giessrinne in die
Form ein. Nach 20 Minuten ist der Guss beendet, nach
weiteren 24 Stunden ist die Glocke erkaltet und kann aus
der Grube herausgewunden werden. Sie wird mit Sand ab¬
gerieben und ist vollendet.
Die Glockenprobe hat vor Allem die Reinheit des Gusses
zu konstatiren, sichtbare Porositäten sind Grund genug, die
Glocke zurückzuweisen. Dann muss die Glocke geläutet
werden, um den Ton und ihre Ausdauer zu prüfen; denu
viele Glocken springen bei ihrem eisten Gebrauch. Viele
lassen 24 Stunden Probe läuten. Weniger lästig und in
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330
allen Fällen genügend ist eine Garantie für ein Jahr, nach
dessen Ablauf erst die Zahlung fällig wird. Das Gewicht
des Klöppels soll nur i j M vom Gewichte der Glocke betragen;
die Hämmer für den Stundenschlag der Uhr sollen mehr als
V« wiegen und ihr Hub soll 30 Centimeter betragen, damit
der Stundenschlag weithin hörbar sei. Der Klöppel wird
nicht gegossen, sondern von weichem Eisen geschmiedet. Ein¬
gehängt wird er mittelst Riemen von Rindsleder, die am
Ende zugeschnallt werden. Der bimförmige Ball desselben
hat einen Durchmesser von l /3 Schlag. Der untere Rumpf
dient zur Umschlingung des Seiles, wenn die Glocke bloss
angeschlagen werden soll, bei grossen Glocken auch zum Fest¬
halten des Klöppels zu Anfang und Ende des Läutens.
Für den Mechanismus des Läutens hat man viele sehr
sinnreiche Einrichtungen. Viele grössere Glocken werden mit
Hilfe eines Schwungrads geläutet, das auf der Glockenaxe
sitzt und am Rande mit zwei Rinnen versehen ist, in denen
die Glockenstränge laufen. Zum Läuten gehört das regel¬
mässige Penduliren der Glocke und des Klöppels. Dies ist
von der relativen Lage der Schwerpunkte dieser beiden Theile
abhängig. Glocke und Klöppel bilden ein Doppelpendel: es
kann sich ereignen, dass beider Schwerpunkte so liegen, dass
beide Theile nicht wie zwei mit einander beweglich verbundene
Körper, sondern zusammen wie ein einziger Körper schwingen.
In diesem Falle ist das Anschlägen des Klöppels an die
Glocke unmöglich und die Glocke kann nicht geläutet werden.
Dies trat bei der 500 Zentner schweren Kölner Kaiserglocke
ein. Ausser dem eigentlichen Läuten der Glocke bedient
man sich auch des „Beierns“ derselben, wobei die Glocke
nicht schwingt, sondern bloss der Klöppel an sie anseblägt.
Grössere Kirchen haben nicht eine Glocke, sondern ein
ganzes Glockengeläute. Man unterscheidet harmonische und
melodische Geläute. Erstere geben den harten oder weichen
Dreiklang an. Bei ihnen sind die Nebentöne sorgfältig zu
berücksichtigen. Nicht alle Glocken des Geläutes dürfen die
grosse Terz hören lassen, sonst entsteht unangenehmes
Schwirren. Bei zwei Glocken hat man Kombinationen wie
CD, CE, CF; bei dreien, wie CDE, DEF, CDF, CEG (sehr
häufig), DFA etc.; bei vieren, wie CDEF, DEFG, CEFG,
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DFGA, CEGA; bei fünfen, wie CDEFG, DEFGA, CEFGA»
CDEGA, DEGAH, CEGBc u. s. w.; bei acht Glocken:
CDEFGAHc (Reims), CEGBHcde (Aachen).
Das Geläute der Karlsruher Stadtkirche ist: b, des,,
f, t asj, C 2 , es*, b„ des 3 . Es enthält eine schöne Mischung
harter und weicher Dreiklänge, mannigfacher Septimen- und
Nonenakkorde etc. Es ist seiner Grundidee nach offenbar
so konstruirt, dass von unten nach oben kleine und grosse
Terzen abwechselnd über einander gesetzt wurden. Die beiden
kleinsten Glocken sind später zugefügte, nicht dem ursprüng¬
lichen Geläute angehörig.
Die Litteratur über die Glocken ist ziemlich reichhaltig,
was geschichtliche Notizen betrifft, aber arm in Bezug auf
die Töne der Glocken und ihre Zusammensetzung zum
Geläute, hinsiohtlich des Metalles und ihres Gewichtes, sowie
der Art ihrer Aufhängung.
Professor Schafhäutl in München hat die Münchener
und viele andere Glocken sorgfältig untersucht und in einer
Abhandlung Uber die Uhr und die grosse Glocke im Par¬
lamentsgebäude in London sehr werthvolle Mittheilungen
über die Töne der Glocken und die Kunst des Glocken-
giessens gegeben (siehe Kunst- und Gewerbeblatt, heraus¬
gegeben vom polytechnischen Verein für das Königreich
Bayern, B. 46, München 1868, S. 326. u. ffg.). Von
neueren deutschen Werken ist Otte, Glockenkunde, 2. Aull.,
Leipzig 1884, zu erwähnen, woselbst auch sehr sorgfältige
Litteraturangaben zu finden sind.
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Die Lehre von der Immunität
Von Dr. med. K. Doll.
Meine Herrn! Ich möchte mir erlauben, Ihnen im Fol¬
genden ein Referat über den derzeitigen Stand der Lehre
von der Immunität zu geben. Es handelt sich dabei um Er¬
scheinungen, die das Interesse namentlich der Aerzte von
jeher auf das Lebhafteste in Anspruch genommen haben, und
gerade neuerdings ist dieses Interesse durch die Ergebnisse
der bakteriologischen Forschungen aufs neue angeregt worden.
Trotzdem muss gleich bekannt werden, dass das eigentliche
Wesen der Erscheinungen zur Zeit für uns noch in tiefes
Dunkel gehüllt ist. Doch hoffe ich Ihnen zeigen zu können,
dass durch die neuesten Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit
da und dort ein Lichtstrahl der Erkenntniss hingefallen ist.
Ich bin Ihnen zunächst wohl eine Definition und nähere
Erläuterung des Begriffes Immunität schuldig. Gebildet aus
immus der Dienst mit der privativen Vorsilbe in bezeichnet
manus ein Individuum, das irgend einer höheren Gewalt
nicht dienstbar nicht unterworfen ist. Diese höheren Ge¬
walten sind nun für die Immunität im medizinischen Sinne
das Heer all’ der Schädlichkeiten, die Leben und Gesundheit
bedrohen. Aus diesem Heer heben sich zwei grosse Gruppen
mit besonderer Schärfe und Wichtigkeit heraus: einmal die
sogenannten Gifte, zum anderen die Erreger der sogenannten
Infektionskrankheiten, von denen wir theils sicher wissen,
theils nur verrauthen, dass sie organischer Natur sind, also
die Gruppe der pathogenen Mikroorganismen. Es muss hier
gleich allgemein vorausgeschickt werden, dass nicht etwa die
absolute Immunität bei Menschen oder Thieren allein, sondern
auch die relative, als blos verminderte Empfänglichkeit mit
allen stufenvveisen Uebergängen zum Gegentheil der hohen
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335
Empfänglichkeit oder Anfälligkeit in den Kreis der Betrach¬
tung gehören.
Beschäftigen wir uns zunächst mit der Immunität gegen
chemische Gifte, der Giftfestigkeit. Sie tritt in zwei Formen
in die Erscheinung als natürliche, d. h. dem Individuum oder
der Species von selbst immanente oder als eine während des
Lebens erworbene Eigenschaft.
Für die erste Form mögen Ihnen einige Beispiele ge¬
nügen. Bekannt ist, dass den Giftschlangen ihr eigenes Gift
nichts anhaben kann. Bekannt dürfte sein die geringe Em¬
pfänglichkeit der Vögel gegen das Opium und seine Derivate.
Eine Taube erträgt das Vielfache der für ein Kind tödtlichen
Dosis Opium, ohne auch nur betäubt zu werden. Sie er¬
sehen aus dieser einen Thatsache noch ausserdem, dass es
nicht statthaft ist, mit Arzneimitteln an Thieren angestellte
Versuche ohne weiteres auf den Menschen zu übertragen.
Unsere Beobachtung am Krankenbett zeigt uns die verschie¬
dene Reaktion unserer Kranken auf dieselbe Arzneisubstanz,
ja die verschiedene Reaktion desselben Individuums je nach
seiner physischen oder psychischen Verfassung. Wir stossen
bisweilen auf die störende Erscheinung der sogenannten Idio¬
synkrasie, wobei ein bestimmtes Mittel bei derselben Person
stets nicht gewünschte Erscheinungen zur Folge hat. Wir
treten damit schon über auf das Gebiet der erworbenen Gift¬
immunität, welche meist als eine relative sich zeigend, mit
dem Begriff der Gewöhnung vielfach zusammenfällt. Der
Beispiele hierfür gibt es im täglichen Leben genug. Denken
Sie an die Folgen der ersten per nefas gerauchten Cigarre
und an die Behaglichkeit, mit der Sie sich jetzt diesem Ge¬
nuss hingeben. Denken Sie an die enormen Leistungen in
der Vertilgung von Alkoholicis, die manche Menschen all¬
mählich fertig bringen. Denken Sie an die traurigen Er¬
scheinungen des Morphinismus, endlich an den habituellen
Arsenikgenuss. Auch andere Beziehungen gehören hierher.
Die relative Unempfindlichkeit der Alkoholiker gegen Opium
und Morphium, die Schwierigkeit sie zu cbloroformiren, die
Unempfindlichkeit des hochfiebernden Menschen gegen grosse
Alkoholgaben. Schon im Alterthum scheint die Möglichkeit
der Gewöhnung an Gifte bekannt gewesen zu sein. Wenig-
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334
stens wird vom König Mitbridates Eupator von Pontus be¬
richtet, er habe nicht nur 22 Sprachen gesprochen, sondern
habe auch den eigenthümlichen Sport getrieben, durch all¬
mähliche Gewöhnung an alle Gifte sich giftfest zu machen.
Electuarium Mithridaticum hiess noch im Mittelalter ein Ge¬
heimmittel, das angeblich Giftfestigkeit verleihen sollte.
Wir haben uns sodann zu der zweiten wichtigeren und
interessanteren Gruppe von Immunitätserscheinungen zu
wenden, zu denen, welche sich auf die Infektionskrankheiten
beziehen. Wir können wohl für diese Immunität im engeren
Sinne eine eigene mehr bakteriologisch-wissenschaftlich ge¬
fasste Definition aufstellen dahin lautend: Immun ist der¬
jenige Organismus, der für einen bestimmten Krankheits¬
erreger keinen oder einen schlechten Nährboden abgibt. Man
hat die Immunität, von der wir jetzt sprechen, eingetheilt
in eine lokale und eine allgemeine. Die Bezeichnung lokal
verdient sie dann, wenn die Unempfindlichkeit gegen ein
Krankheitsgift nur bestimmten Körpertheilen oder Organen
zukommt, während andere dafür empfänglich sind. So ist
nachgewiesen worden, dass unsere Mundhöhle sehr häufig
eine Anzahl pathogener Mikroorganismen beherbergt, die
aber dort für gewöhnlich keinen Schaden anrichten. Das
Mundhöhlenepithel besitzt also ihnen gegenüber lokale Im¬
munität. Der Cholerabacillus beginnt erst im Darm seine
verderbliche Thätigkeit, wenn es ihm gelungen ist, den Magen,
dessen Salzsäuregehalt ihm wenig zuträglich ist, lebend zu
passiren. Es erklärt sich wohl aus diesem Umstand, dass
bei der letzten Hamburger Epidemie, wo ja offenbar die In¬
fektionsmöglichkeit durch das Trinkwasser eine sehr all¬
gemeine war, die Erkrankungsziffern nicht noch viel höhere
waren. Rufen Sie sich zum Vergleich damit die Verhält¬
nisse bei unserer letzten grossen Influenzaepidemie in’s Ge¬
dächtnis, wo etwa ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung
erkrankten, so wird Ihnen der Unterschied zwischen lokaler
und allgemeiner Immunität beziehungsweise lokaler und all¬
gemeiner Empfänglichkeit noch klarer sein. Von dem uns
noch nicht sicher bekannten Erreger der Influenza, der uns
ja wohl durch die Luft zugeführt werden muss, wissen wir
nicht, wo er seinen Sitz aufschlägt, wir können aber auch
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kein Organ nennen, wo er ihn nicht aufschlagen kann. Ein
analoges Verhalten wie die Influenza zeigen namentlich die
cxanthematischen Infektionskrankheiten wie Masern, Scharlach
und Pocken. Wir können uns wohl kaum eine andere Vor¬
stellung machen, als dass die Infektionsträger durch eine
Eingangspforte, z. B. die Athmungsorgane eingedrungen in
die Blutbahn gelangen und auf diesem Wege ihre Verbrei¬
tung durch den ganzen Körper finden. Es ist wohl keiu
Zufall, dass es gerade bei dieser Gruppe von Krankheiten
bisher nicht geglückt ist, der specifischen Krankheitserreger
habhaft zu werden, dass sie sich gegen alle Angriffe der
Bakteriologen bis jetzt hartnäckig immun gezeigt haben.
Wenn in den letzten Ausführungen wohl mehr von In¬
fektion als von Immunität die Rede war, so bitte ich das
mit den untrennbaren Beziehungen zu entschuldigen, in denen
•die beiden Begriffe zu einander stehen. Wo keine Infek¬
tionsmöglichkeit besteht, kann auch von Immunität füglich
nicht die Rede sein.
Genau wie bei der Giflfestigkeit tritt uns auch die
Immunität gegenüber den Infektionskrankheiten in zwei
Formen entgegen; erstens als natürliche, d. h. gleichsam von
selbst dem Individuum oder der Species eigenthümliche und
zweitens als während des Lebens erworbene. Wir kennen
unter unseren sozialen und klimatischen Verhältnissen nur
eine Krankheit, die wohl keinen verschont, das sind die
Masern. Ihnen gegenüber ist also unsere natürliche Immu¬
nität gleich Null. Anders steht es schon mit dem Scharlach.
Es gibt genug Menschen, die trotz gegebener Ansteckungs¬
gelegenheit davon nie befallen werden. Es ist uns eine ge¬
läufige Sache, dass äussere Verhältnisse, wie Strapazen,
Hunger, Rekonvalescenz, Kummer und Sorgen die Empfäng¬
lichkeit erhöhen, manche Krankheiten dagegen, wie die
croupöse Lungenentzündung und der Typhus befallen relativ
häufig Menschen, die im Vollbesitz ihrer Körperkräfte stehen.
Unterschiede in der Empfänglichkeit, die Alter und Geschlecht
betreffen, möchte ich als bekannt nur andeuten. Auch die
verschiedenen Menschenrassen haben darin ihre Eigenthüm-
lichkeiten. So ist der eingewanderte Europäer in gewissen
Tropenländern dem Wechselfieber oder dem Gelbfieber mehr
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unterworfen als der Eingeborene. Sehen wir uns in der
Thierwelt um, so lassen sich die Beispiele von natürlicher
Immunität fast in’s Unendliche vermehren. Gewiss auffallend
ist es, dass der sogenannten Mäusesepticämie, deren Bacillus
im Jahr 1878 von Koch entdeckt wurde, Haus- und weisse
Mäuse sicher erliegen, während ihre Vettern die Feldmäuse
dafür vollkommen unempfänglich sind. Der Milzbrand (An¬
thrax) mit seinem so genau gekannten Bacillus decimirt die
Rinder- und Schafherden, ist aber auch auf Mäuse, Meer-,
schweinchen, Kaninchen und auf den Menschen übertragbar.
Hunde, Ratten, die meisten Vögel, die Amphibien mit Aus¬
nahme des Frosches verhalten sich abweisend. Kaninchen
und Meerschweinchen sind wegen ihrer hohen Empfänglich¬
keit die beliebtesten Versuchsthiere für Impfungen mit Tuber¬
kulose, Hunde, Ratten und weisse Mäuse sind dazu nicht zu
gebrauchen. Wie gesagt Hessen sich solche Beispiele von
Empfänglichkeit einer Species und natürlicher Immunität
einer anderen für dieselbe Krankheit noch in grosser Zahl
anfdhren. Doch will ich Sie damit nicht weiter ermüden und
zur Betrachtung der erworbenen Immunität übergehen.
Der Erwerb dieser wünschenswerten Eigenschaft kann
auf zwei Wegen stattfinden, auf einem natürlichen und auf
einem künstlichen. Den ersteren beschreitet die Natur selbst,
wenn sie uns mit dem Ueberstehen einer Infektionskrankheit
gleichzeitig die Unfähigkeit beschert, ein zweites Mal daran
zu erkranken. Es ist Ihnen bekannt, dass jeder, der einmal
Masern, Scharlach, Pocken, Wasserblattern oder Keuchhusten
gehabt hat, für sein ganzes Leben vor einer zweiten Er¬
krankung derselben Art so gut wie sicher sein kann Leider
kommt diese Immunität verleihende Kraft nur einer kleinen
Gruppe von Krankheiten zu. Andere sind durch das gerade
Gegentheil berüchtigt, d. h. dass sie eine gewisse Neigung
zu erneutem Befallenwerden zurück lassen. Jedem bekannt
ist diese fatale Eigenschaft vom akuten Gelenkrheumatismus
und dem Wechselfieber, sie kommt ferner bestimmten Formen
akuter Lungenentzündung und dem Erysipel, namentlich der
Gesichtsrose zu. Von manchen Aerzten wird auch für die
Diphtherie und den Typhus die Erhöhung der EmpfängUch-
keit durch eine vorausgegangene Erkrankung daran an-
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337
genommen. Einen zeitlich beschränkten Schutz scheint das
Ueberstehen der Cholera zu gewähren, wenigstens sind zwei¬
malige Erkrankungen während derselben Epidemie kaum be¬
obachtet. Dass die Influenza nicht einmal diesen geringen
Schutz bietet, hat mancher von uns, der zweimal in kurzer
Frist erkrankte, zu seinem Verdruss erfahren.
Den Weg, auf dem uns die Natur, wie eben geschildert,
in gewissen Fällen Immunität verleiht, hat nun der Mensch
künstlich zu schaffen gesucht und zwar nicht ohne Erfolg.
Seine Mittel dazu sind die sogenannten Schutzimpfungen.
Unter Schutzimpfung sind also künstliche Massnahmen zu
verstehen, welche einem Organismus Immunität gegen eine
bestimmte Infektion gewähren sollen. Neuerdings ist, wie
ich später noch kurz zu erwähnen habe, der Begriff in
manchen Fällen dahin erweitert worden,, dass die Impfung
ausserdem noch nachträglich Heilung bei schon ausgebrochener
Krankheit bieten soll.
Es ist eine Erfahrungsthatsache, dass schon das Ueber¬
stehen einer hierzu geeigenschafteten Infektionskrankheit
auch in ihrer allerleichtesten oder wie wir sagen einer abor¬
tiven Form genügt, um volle Immunität für später zu ge¬
währen. Ein Kind, das bei seinem leichten Scharlach wegen
der geringen Beschwerden kaum im Bett zu halten ist, ist
ebenso gut für sein ganzes Leben vor dieser Krankheit ge¬
feit, wie ein anderes, das ein schwerer Scharlach an den
Rand des Grabes bringt. Dies, meine Herren, ist der Punkt,
wo der Versuch einer Schutzimpfung anknüpft. Das Streben
geht dann dahin, den Infektionsstoff der betreffenden Krank¬
heit in einer Weise zu modifiziren, wir können sagen abzu¬
schwächen, dass er eine leichte, ungefährliche Erkrankung
und gleichzeitig damit die Immunität im Gefolge hat. Eine
solche Modifikation kann auf verschiedenen Wegen erreicht
werden. Wir können den Infektionsstoff andere Thiere
passiren lassen, also seinen natürlichen Nährboden ändern,
wir können den künstlichen Nährboden einer Reinkultur und
die Reinkultur selbst durch die mannigfachsten Agentien be¬
einflussen, so durch die verschiedensten Chemikalien, durch
erhöhte oder herabgesetzte Temperatur, durch Abschluss der
Luft, durch Veränderung des Luftdrucks. Ich erinnere hier
22
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nur an unsere, seiner Zeit ganz empirisch gefundene gesetz¬
liche Schutzpockenimpfung oder an Pasteurs Impfungen gegen
Hundswuth und eine Reihe von in der Thiermedizin prak¬
tisch eingefübrten Schutzimpfungen, die auf Verwerthung
dieses Gedankens beruhen.
Doch ehe wir zu den neuen und hochinteressanten Ge¬
sichtspunkten, welche die moderne Bakteriologie, die vorhin
mit dem Ausdruck »Reinkultur“ schon auf der Bildfläche
erschienen ist, für die Immunitätslehre geliefert hat, über¬
gehen, muss ich Sie noch in Kürze mit den Theorien bekannt
machen, die man schon vor der jungen bakteriologischen
Aera zur Erklärung der so räthselhaften Immunitätserschei¬
nungen aufgestellt hat. Die eine Theorie war die sogenannte
Erscböpfungstheorie. Man dachte sich, beim Ueberstehen
einer Infektionskrankheit werden von den Mikroorganismen
bestimmte Stoffe verbraucht, aufgezehrt, so dass die Gewebs-
säfte für später keinen Nährboden für dieselbe Bakterienart
mehr abgeben können. Warum aber, so frägt man sofort,
werden diese Stoffe nicht alsbald durch den Stoffwechsel
wieder ersetzt, oder warum werden sie bei der einen Krank¬
heit ersetzt und bei der anderen nicht?
Ganz ähnlich verhält es sich mit der entgegengesetzten
Theorie. Diese nimmt an, dass eine Invasion von Bakterien
im Körper irgend welche Stoffe zurücklässt, etwa eigene
Stoffwechselprodukte oder Auswurfsstoffe der Bakterien, welche
die Entwicklung der gleichen Species hemmen können, also
gleichsam die Produktion eines Gegengiftes. Warum wird
denn, fragen wir, dieses Gegengift, das wir uns doch nur
als einen löslichen Körper denken könnten, währeud des
weiteren Lebens nicht durch den Stoffwechsel wieder aus¬
geschieden oder was sollte es veranlassen, sich immer wieder
neu zu bilden? Sie sehen diese Theorien erscheinen recht grau.
Schon mehr auf dem Boden der bakteriologischen Wis¬
senschaft steht die sogenannte Kampftheorie. Sie gründet
sich auf die hoch interessante Beobachtung des Russen Metsch-
nikoff, dass in gewissen Fällen von Bakterieninvasion an der
Infektionsstelle alsbald eine beträchtliche Vermehrung der
weissen Blutzellen, der sogenannten Leukozyten statt hat,
dass dieselben die Bakterien in sich aufnehmen, gleichsam
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fressen und auf diese Weise unschädlich machen. Die weissen
Blutkörper haben für diese Funktion den Titel Phagocyten
(Fresszellen) erhalten, den Vorgang nannte man Phagocytose.
Diese Anschauung hat ja entschieden etwas Bestechendes
wenn sie auch so grob mechanisch keinenfalls gedacht werden
darf und jedenfalls noch chemische Vorgänge der allerfeinsten
Art in den Zellen mit spielen müssten. Wenn wir aber so
neugierig sind zu fragen: Ja warum bekommen denn plötz¬
lich durch das Ueberstehen einer immunisirenden Infektions¬
krankheit unsere Leukozyten die Fähigkeit, den Feind, wenn
er wieder kommt, alsbald zu vernichten, was sie doch vorher
nicht konnten, und wodurch sind diese äusserst vergäng¬
lichen, in stetem Untergang und steter Neubildung begriffenen
Zellen im Stande, diese neu erworbene Kraft auf ungezählte
■Generationen ihrer Nachkommen zu übertragen? Wenn wir
so fragen, so sind wir wieder gänzlich am Ende mit unserer
Weisheit.
Gegenstand eigentlicher wissenschaftlicher Forschung
konnte die Frage der Immunität erst werden, als man durch
Robert Koch’s Entdeckungen auf dem Gebiet der Bakterio¬
logie in den Stand gesetzt war, mit den ausserhalb des
Körpers rein gezüchteten Mikroorganismen zu experimentiren.
Die ersten Versuche zur Erzielung künstlicher Immunität
für Milzbrand und die sogenannte Hühner- oder Geflügel-
Cholera wurden von Pasteur unternommen. Durch Einwirkung
höherer Temperaturen auf Kulturen von Milzbrand und
Hübnercholera oder durch Passirenlassen durch andere Thier-
Jcörper erzielte er eine künstliche Abschwächung der Virulenz
verschiedenen Grades. Damit nach einander geimpfte Thiere
waren später gegen Infektion mit vollvirulentem Material
immun. Aehnlich war sein Verfahren bei der Hundswuth.
Eine prinzipiell wichtige Modifikation bildete der von
Toussaint und Chauveau geführte Nachweis, dass es möglich
sei, mit Kulturen auch nach Abtödtung der Bakterien noch
Immunität zu erzielen, d. h. dass also zur Erzeugung künst¬
licher Immunität die Uebertragung lebender Bakterien keines¬
wegs nöthig sei.
Eine wichtige Etappe bildet weiterhin die Entdeckung,
dass normalen, nicht geimpften Individuen frisch entnom-
22 *
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340
menes Blut, sowie andere Körperflüssigkeiten wie der Liquor
pericardii oder humor aqueus von bestimmten Thieren und vom
Menschen gewisse Bakterienarten abzutödten im Stande ist.
Bald wurde diese auffallende Thatsache durch Behring
dahin präcisirt, dass das Blutserum, d. h. Blut minus die
körperlichen Elemente (rothe und w'eisse Blutkörper) in den
obigen Fällen der Träger des bakterientödtenden Prinzips
sei. Es lag nun nahe, weiterhin den Eigenschaften des
Blutserums nicht von normalen sondern von künstlich immu-
nisirten Thieren nachzugehen, und auf diesem Gebiet ist es
namentlich, wo wir dem neuerdings viel genannten Namen
Behring immer wieder begegnen. Inzwischen war noch durch
die Arbeiten von Löffler,' Brieger, C. Frankel u. A. nach¬
gewiesen worden, dass gewisse Bakterien, z. B. die der Diph¬
therie und des Tetanus lösliche giftige Substanzen in ihren
Kulturen besitzen, welche dieselbe deletäre Wirkung auf
Thiere ausüben, wie die keimhaltigen Kulturen selbst, und
dass nicht eigentlich die Bakterien das Wirksame darstellen,
sondern vielmehr die von ihnen produzirten löslichen Gift¬
substanzen.
Behring, zum Theil in Gemeinschaft mit dem Japaner
Kitasato arbeitete weiterhin vorzugsweise mit Diphtherie-
und Tetanuskulturen, welche in ihrer Virulenz durch Zusatz
von Jodtrichlorid, also auf chemischem Wege abgeschwächt
waren. Im Verlauf dieser Untersuchungen stellte sich heraus,
dass die gegen Tetanus immunisirten Thiere ebenso gegen
die Einführung der lebenden Tetanusbazillen wie gegen das
von ihnen produzirte keimfreie lösliche Gift geschützt waren.
Für diese Art von Schutz konnten natürlich die nur für den
Kampf mit den lebenden Bakterien geschmiedeten Waffen,
die Leukozyten einerseits im Sinne von Metscbnikoffs Kampf¬
theorie und die abtödtenden Eigenschaften der normalen
Körperflüssigkeiteu andererseits, nicht herangezogen werden.
Vielmehr mussten bei solchen gegen Gifte geschützten Thieren
giftwidrige Kräfte im Organismus vorhanden sein. Den ge¬
nannten Autoren gelang es nun, diese Thatsache zu be¬
weisen. Entzogen sie nämlich einem derartigen,
gegen Tetanus geschützten Versuchsthier etwas
Blut und mischten sie dieses mit dem Tetanusgift
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341
ausserhalb des Organismus, so wurde das Gift zer¬
stört. Ferner: Injicirten sie das zellenfreie Serum
des gegen Tetanus geschützten Versuchsthieres
einem neuen Thier, so war dieses sowohl gegen
Tetanusbazillen als Tetanusgift geschützt.
Weiterhin konnten sie nach weisen, dass der Schutz so¬
fort eintritt, auch bei gleichzeitiger Injektion von Serum
und Gift, ja sogar dann noch, wenn ein Thier bereits unter
der Wirkung des Giftes s^eht, also krank ist. Damit war
die Möglichkeit einer Heilwirkung dieser Mittel experimentell
begründet. Da fernerhin das Serum von Thieren, die gegen
Tetanus immunisirt waren, nur wieder gegen Tetanus, das
von diphtherieimmunen Thieren dagegen nur gegen diese
Krankheit, nicht aber vice versa, wirkte, so war mit diesem
Faktum die Spezifizität dieser wahren Gegengifte oder Anti¬
toxine gegeben. Sie haben in den vorstehenden Ergebnissen
der experimentellen Forschung die fundamentale Grundlage
für die neuerdings so viel besprochene Blutserumtherapie
speziell der Diphtherie.
In einer ganz merkwürdigen Weise wurden die obigen
Resultate von Behring durch Untersuchungen von Ehrlich
bestätigt, die sich auf die Immunisirung gegen giftige
Pflanzeneiweissstoffe, wohlgemerkt keine Alkaloide, beziehen,
und wir kommen damit auf unsere ersten Betrachtungen
über Immunität gegen Gifte wieder zurück. Ehrlich ging
in der Weise vor, dass er seine Versuchsthiere, haupt¬
sächlich weisse Mäuse, mit immer steigenden Dosen von Ricin
und Abrin fütterte*. Es gelang ihm dadurch die Thiere
gegen die lokalen und allgemeinen Giftwirkungen dieser
Pflanzenstoffe zu festigen. Das Blutserum solcher Thiere
hob, wenn es im Reagenzglase dem Ricin oder Abrin zu¬
gemischt wurde, die Wirkung dieser Gifte bei der nachherigen
Einspritzung des Gemisches bei Thieren auf. Ebenso schützte
die vorherige Injektion des Serums gegen die nachfolgende
Einverleibung des Giftes. Serum von räcinfesten Thieren
schützt nur gegen Ricin, solches von abrinfesten Thieren
nur gegen Abrin.
* Ricin stammt von Ricinus commnnis, Abrin aus den sogenannten
Jequiritisamen von Abrus precatoria.
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342
Die Versuche von Behring und Ehrlich haben, des
Weiteren noch eine Reihe hochinteressanter Details zu Tage
gefördert, die für die Immunitätslehre von Bedeutung sind.
Als praktisch sehr wichtig ist davon zu erwähnen, dass es
Behring gelang, die Immunisirungwerthe oder Gegengiftwerthe
seiner Serumarten genau zahleninässig festzustellen. Sein
Vorgehen hierbei zu schildern würde zu weit abführen.
Vielleicht interessirt Sie aber, eine Angabe über den Ira-
munisirungswerth des Behring’schen Diphtherieheilserums zu
erhalten. Die schwächste von den drei Sorten des Diph¬
therieheilserums, also der Inhalt eines zirka 10 ccm halten¬
den Fläschchens, hat einen Werth von 600 Antitoxineinheiten.
Was bedeutet Antitoxineinheit? Eine Antitoxineinheit ist im
Stande 10 ccm Normalgift zu neutralisiren. Was heisst
Normalgift? Normalgift ist eine Lösung von Diphtherie¬
toxin (d. h. von Diphtheriebazillen erzeugten Giftes), von
der 0,4 ccm genügen, um 1 kg Meerschweinchen sicher zu
tödten. Ein solches Fläschchen voll vermag also 6000 ccm
Normalgift zu neutralisiren. Sie sehen hieraus, bis zu wel¬
chen enormen Graden durch fortgesetzte progressive Im¬
pfungen die Immunität der Serum spendenden Thiere ge¬
trieben ist.
Halten wir das wichtige Ergebniss der vorstehend skiz-
zirten Versuche von Behring und Ehrlich fest: Die Immu¬
nität von in dieser Weise künstlich immunisirten Thieren
beruht auf der Anwesenheit eines Antikörpers, eines Anti¬
toxins, eines Gegengiftes in ihrem Blutserum. Dieses Anti¬
toxin ist im Stande, iin Reagenzglas ausserhalb des Organis¬
mus das Toxin zu zerstören, ferner ist es im Stande, anderen
Thieren einverleibt diese selbst unempfänglich zu machen.
In ganz überraschender Weise kommen wir damit auf die
vorhin angeführte und etwas verächtlich behandelte alte
Gegengifttheorie wieder hinaus. Nur ein sehr wichtiger Um¬
stand ist dabei zu beachten. Behring’s Pferde und Häinmel
sind nicht dauernd Tetanus- oder Diphtberieimmun, und Ehr-
lich’s weisse Mäuse sind nicht dauernd Ricin- oder Abrin-fest.
Ihre ausserordentlich hoch getriebenen Immunitätsgrade
sinken bald ab und verschwinden schliesslich ganz, wenn sie
nicht immer von Neuem durch Impfungen mit abgeschwäch-
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tem. Virus aufgefrischt werden. Die Natur leistet also doch
erheblich mehr, wenn sie uns durch einmaliges Ueberstehen
der Masern, z. B. in frühester Kiudheit zeitlebens Immunität
gegen das Maserngift verleiht. Meines Erachtens geht daraus
hervor, dass natürlich durch Ueberstehen einer Krankheit
erworbene und künstlich durch Impfung erzeugte Immunität
durchaus verschiedene biologische Vorgänge sein können,
jedenfalls ist es nicht statthaft, was zur Erklärung der letz¬
teren gefunden ist, ohne Weiteres auf die erstem zu über¬
tragen.
Ich komme damit auf das Eingangs gesagte zurück, dass
zwar da und dort der Schleier des Geheimnisses gelüftet
worden ist, dass wir aber noch weit entfernt sind, eine all¬
gemein gültige Erklärung dessen, was wir Immunität nennen,
geben zu können.
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I
Pisidium ovatum Cless.,
ein Rest der Fauna der Eiszeit im Schwarzwald.
Von dem Ehrenmitglieds Professor von Sandberger in Würzburg.
Iin Jahre 1874 fand ich die gebrechlichen Schälchen
einer kleinen Erbsmuschel zuerst in einem Teiche am Buch¬
hofe und dann in seichten Quelltümpeln im Granitgebiete an
mehreren anderen Orten bei Schapbach und erkannte sie als
neu. Ich übersandte sie daher Herrn S. Clessin, jetzt Vor¬
stand der Eisenbahnstation Ocbsenfurt, welcher die Gattung
Pisidium am gründlichsten untersucht hatte. Derselbe be¬
stätigte, dass die Art neu sei und theilte mir zugleich mit,
dass er sie gleichzeitig im bayerischen Walde, also gleich¬
falls im Urgebirge gefunden habe. Er benannte sie Pisidium
ovatum. Seitdem hat er diese Art auch in seiner Mono¬
graphie der Gattung (Martini und Chemnitz Conchylien-
Kabinet, 2. Aufl. Monograph. Cycladearum S. 27 Taf. II
Fig. 22, 24) genauer beschrieben und abgebildet, aber nur
noch Hermannstadt in Siebenbürgen als weiteren Fundort
genannt.
Ein helles Licht fiel in neuester Zeit auf diese Funde
durch die Entdeckung der Art in alpinen Hochseen, nämlich
Gafinsee im Bhätikon 2313 m und jenen am St. Bernhard
2560 und 2570 m ü. M. durch Zschokke. 1 Hiernach kann
man nicht daran zweifeln, dass Pisidium ovatum eine zurück,
gebliebene Form aus der Eiszeit sei. Bisher konnte nur
eine Landschnecke, Helix edentula, die auf dem Kniebis und
dem Hohen Kandel bei Freiburg gefunden worden war, auch
hierher bezogen werden. Nachdem nun im nördlichen Schwarz- #
1 Die Fauna hochgelegener Gebirgsseen. Verh. d. Naturf. Gesell¬
schaft in Basel. Bd. XI. Heft 1.
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345
wald unzweifelhafte Moränen, besonders schön am Elbachsee
bei Rippoldsau 1 entdeckt worden sind, begreift man, dass
diesen Formen eine erhöhte Wichtigkeit beigelegt werden muss.
Das weit verbreitete Vorkommen von Planaria alpina*
scheint mir, da diese Form sogar in der Nähe von Würzburg
auftritt, keinen so schlagenden Beweis für die Herkunft von
Thieren aus der Eiszeit zu liefern.
1 Regelmanu in Blättern des Württemberg. Schwarzwald-Vereins.
II. Jahrg. S. 59 ff.
* W. Voigt. Zool. Jahrbücher. Bd. VIII. S. 131 ff.
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Die Bedeutung der Ständebildung für das
Mensehengeschleeht.
Vod Otto Ammon.
(Nach einem im Naturwissenschaftlichen Vereine am 2. Juni 1893
gehaltenen Vortrag.)
Der Redner knüpfte an einen äusserst interessanten
Vortrag an, welchen einige Zeit vorher Herr Professor Dr.
E. Ziegler über „Die Entstehung der Familie“ in dem Natur¬
wissenschaftlichen Vereine gehalten hatte, und aus welchem
hervorging, dass die Bildung der Familie nicht sowohl von
willkürlichen Satzungen, sondern von Naturgesetzen abhängt,
welche je nach den äusseren Lebensumständen Einehe oder
Vielehe entstehen lassen. Einen ähnlichen Griff in’s volle
Menschenleben that auch der jetzige Redner, indem er die
Entstehung der Stände durch Naturgesetz besprach. Bei
allen Völkern finde man abgesonderte Stände, die bisweilen
in förmliche Kasten ausarten. Im Alterthum, wie im Mittel-
alter habe man die Stände stets als eine selbstverständliche
und nützliche Einrichtung angesehen. Seit 100 Jahren habe
sich die Meinung hauptsächlich unter dem Einflüsse der, der
französischen Revolution zu Grunde liegenden Ideen geändert.
Man sehe jetzt die Stände als eine überlebte, zopfige Sache
an, welche nur einen Hemmschuh des Fortschrittes bilde und
höchstens Spott verdiene. Wie Professor Ziegler bei seinen
Erörterungen von den Schriften sozialistischer Schriftsteller
ausging,, indem er die von diesen behauptete Geltung des
Mutterrechts bestritt, zugleich betonend, die Wissenschaft
dürfe sich gegenüber den falschen Lehren der Tageslitteratur
nicht gleichgiltig verhalten, sondern habe die Pflicht, die¬
selben zu widerlegen, so bezog sich der Vortragende eben¬
falls auf das sozialistische Zukunfts-Ideal, in welchem alle
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Menschen nicht nur gleiche politische Rechte, sondern auch
gleiche Arbeit und gleiche Genüsse zugetheilt bekommen
sollen, die Standesunterschiede also selbstverständlich auf¬
gehoben sind. Die sozialdemokratische Lehre beschäftige
heute die Gemüther in hervorragendem Grade, doch müsse
man sagen, dass weder Theologen, noch Juristen, noch Poli¬
tiker oder Volkswirthschafter bis jetzt im Stande gewesen
seien, ihr mit Erfolg entgegenzutreten. Redner führte dies
näher aus. Das Gefühl, oder richtiger vielleicht, der Instinkt,
sage uns aber deutlich, dass jene Lehre trotzdem nicht rich¬
tig sein könne. Das genüge freilich nicht, man verlange
eine verstandesmässige Nachweisung der Irrthümer, welche
jene Lehre enthalte, und diese Nachweisung könne nur von
der Naturwissenschaft, im engeren Sinne von der Anthro¬
pologie ausgehen.
Die Anthropologie sei die einzige Wissenschaft, welche
aus voller Ueberzeugung die Ungleichheit der Menschen
behaupten und hieraus die logischen Folgerungen zu ziehen
vermöge. Die geistigen Anlagen der Menschen seien von
Geburt an ungleich, und sie könnten auch nicht durch die
Wirkung des Unterrichts und der Erziehung gleich gemacht
werden. An der Hand der Galton’schen Statistik wird dar-
gethan, dass die Vertheilung der Begabungen in einer vor¬
handenen Menschenmenge sich nach der Gauss’schen Wahr¬
scheinlichkeitsformel abstufe, dass beispielsweise nach dieser
Formel unter 1 Million Menschen ungefähr 513,582, also
mehr als die Hälfte, dem Mittelgut angehören, dass in den
höheren Graden der Begabung die Zahl der Individuen rasch
abnimmt, dass ferner nur etwa 250 Köpfe in 1 Million als*
„hervorragend“ bezeichnet werden können, und dass unter
diesen wiederum im Durchschnitt nur ein einziger wahrhaft
„genialer“ Mensch vorkommt. „Das Genie thront wie auf
einsamen Bergesgipfeln über der breiten Masse“. Aehnlich
ist die Abstufung nach unten beschaffen: auch die Schwäch¬
sten im Geiste kommen nur vereinzelt vor. In welcher Be¬
ziehung steht nun die Ungleichheit der Menschen zur
Ständebildung? Der Vortragende schilderte mit einigem
Humor, dass wir bis jetzt die Ursache der Ständebildung
vergeblich gesucht hätten; aber wir hätten in der Authro-
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pologie auch eine Ursache, zu der wir bis jetzt keine Wir¬
kung kennen: die natürliche Züchtung des Menschen. Wir
müssten nothwendig annehmen, dass der Mensch, wie jedes
organische Wesen, dieser wirkenden Kraft unterworfen
sei, aber bis jetzt seien wir ziemlich im Dunkeln darüber
geblieben, wie und wo die natürliche Züchtung sich beim
Menschen äussere; wir haben nur vermuthen können, dass
die natürliche Züchtung beim Menschen hauptsächlich auf
seine Geistes- und Charakteranlagen wirke. Sollten nun am
Ende, fragt der Redner, die Wirkung ohne erkennbare Ur¬
sache und die Ursache ohne erkennbare Wirkung zusammen-
gehcren? Diese Frage wird bejaht: Die natürliche Züch¬
tung beim Menschen und die Bildung der Stände
verhalten sich wie eine Gussform und ihr Erzcug-
niss. Die Stände sind die Form, innerhalb deren und
durch welche die natürliche Züchtung der Geistes- und
Charakteranlagen des Menschen sich vollzieht.
Das Wesen der Ständebildung ist, dass Gruppen von
Individuen abgesondert werden, welche sozial besser gestellt
sind als die grosse Masse und eine förmliche Stufenleiter
bilden. Ihre Bevorzugung besteht darin, dass sie besser er¬
nährt werden, besser wohnen, die gemeinen Schädlichkeiten
des Lebens besser von sich abzuhalten und endlich ihre
Kinder besser zu erziehen vermögen, als die unter ihnen
stehenden Klassen. Die Wirkung dieser Einrichtung ist
die folgende:
1. Die Möglichkeit, durch die Anspannung aller Kräfte
in eine sozial höhere Stufe vorzudringen, gewährt einen
ausserordentlich starken Antrieb im Kampfe um’s Da¬
sein. Wenn es wahr ist, dass der Wettkampf eine Quelle
alles Grossen und Bedeutenden in der Welt bildet, dann ist
der Antrieb, den die Ständebildung gewährt, nicht gering
anzuschlageu. Man schaift und spart, um emporzukommen.
Die Sozialisten lehren zwar, dass der Gemeinsinn der
Menschen vollkommen hinreichend sei, um sie auch ohne
den bestehenden Zwang zur Entfaltung und Bethätigung
aller Kräfte anzuspornen, und es soll nicht geleugnet werden,
dass auch der Gemeinsinn in dieser Richtung thätig ist.
Wenn aber zwei Ursachen zur Hervorbringung einer Wirkung
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Zusammengehen, dann sind wir nicht berechtigt, nach Be¬
seitigung der einen Ursache von der zweiten allein die
nämliche Wirkung zu erwarten, welche vorher von Beiden
zusammen hervorgebracht wurde.
Die Versetzung aller Menschen in vollkommen gleiche
Lebensbedingungen würde den Wettbewerb aufheben und die
Kräfte-Entfaltung in einer Weise beeinträchtigen, die sich
gar nicht zum Voraus berechnen lässt.
2. Die bessere Ernährung und anregendere Lebensweise
wirken ihrerseits steigernd auf die geistigen Anlagen
der Individuen ein, allerdings sowohl auf die guten, als auf
die schlimmen. Ein Nutzen ist nur da zu erwarten, wo die
guten Anlagen überwiegen, also bei denjenigen Individuen,
welche sich durch Verstand, Fleiss, Thatkraft und ähnliche
Eigenschaften auf der sozialen Stufenleiter in die Höhe ge¬
bracht haben. In der grossen Masse, welche diese Eigen¬
schaften nur in geringerem Grade besitzt, würden überwiegend
die wilden Triebe, Gewaltthätigkeit, Sinnlichkeit, Genusssucht
u. s. w. der Steigerung durch bessere Ernährung theilhaftig
werden, wie man dies an Einzelnen oft genug beobachten
kann.
Diese beiden Wirkungen der Ständebildung würden eine
förmliche Absonderung der Stände nicht bedingen. Die
Absonderung wird jedoch nothwendig durch die beiden
folgenden Punkte:
3. Die Absonderung der Stände findet ihren bezeich¬
nendsten Ausdruck darin, dass die Individuen meist nur
innerhalb ihres Standes heirathen. Das heisst soviel,
als dass solche Individuen in der Regel Zusammenkommen,
welche schon eine Siebung im Kampfe uin’s Dasein durch-
gemacht und ihre höhere Befähigung durch den Erfolg be-
thätigt haben. Die Verbindung solcher Individuen gewährt
Aussicht auf eine noch höher befähigte Nachkommenschaft,
in welcher die Anlagen der Eltern gesteigert erscheinen,
ganz ähnlich den Erfahrungen bei der methodischen Züch¬
tung, wo man durch Paarung vorzüglicher Individuen eine
von Generation durch Generation veredelte Varietät erzielt.
Je ähnlicher die Anlagen hervorragender Eltern einander
sind, desto günstiger ist die Aussicht für die Nachkommen,
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je weiter die filtern voneinander absteben, desto grösser
ist die Wahrscheinlichkeit, dass in den Kindern nicht nur
ungünstige Kombinationen von Anlagen eintreten, sondern
auch Rückschläge auf die wilden, unsteten, grausamen
Urtriebe längst erloschener Vorfahren. Ohne die Stände¬
bildung würde es einem seltenen Zufall überlassen sein, dass
die passenden Personen sich vereinigen; die Ständebildung,
welche den höher Befähigten einen abgesonderten Platz im
Leben anweist, erhöht die Wahrscheinlichkeit passen¬
der Verbindungen in ausserordentlichem Grade.
Gäbe es keine Ständebildung, so würden wir eine weit ge¬
ringere Anzahl hochbegabter und genialer Menschen besitzen,
als dies unter der Herrschaft der Ständebildung der Fall ist.
Da nun das Vorhandensein solcher hochstehenden Individuen,
welche zur Leitung des Staates und zur Beförderung der
Wissenschaft, zur Vermehrung der Güterproduktion durch
neue praktische Erfindungen u. s. w. befähigt sind, im In¬
teresse der ganzen Art, des gesainmten Menschen¬
geschlechtes liegt, so muss die Ständebildung als eine
Einrichtung angesehen werden, welche zum Vortheil nicht
der einzelnen sozial höher stehenden Individuen, sondern
zum Vortheil der Gesammtheit entstanden ist.
Redner knüpft hieran weitere Auslassungen, welche dar-
thun, dass die Befähigung, der Wahrscheinlichkeitsrechnung
entsprechend, ihren Gipfelpunkt thatsächlich meist in der
zweiten oder dritten Geschlechtsfolge erreicht, welche der
sozial erhöhten Lebenshaltung theilhaftig geworden ist. Die
Wahrscheinlichkeit, dass in den folgenden Generationen
wiederum genau passende elterliche Anlagen zur Vereinigung
gelangen, ist sehr gering, wenn auch theoretisch die Mög¬
lichkeit vorliegt. Es gibt einzelne Familien, welche durch
mehr als sechs Generationen hindurch bedeutende Persön¬
lichkeiten hervorgebracht haben, allein dies sind seltene
Ausnahmen. In der Regel macht sich in der vierten, manch¬
mal schon in der dritten Geschlechtsfolge eine Abnahme der
Befähigung bemerklich, häufig tritt auch die körperliche
Entartung hinzu, und andere Individuen und Familien rücken
vor. Es folgten Bemerkungen über die längere Lebensdauer
der höheren Stände, die durch ihre geringere Fruchtbarkeit
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mehr als aufgewogeu wird. Die höheren Stände würden
aussterben, wenn sie nicht beständig Zufuhr von frischen
aufsteigenden Kräften erhielten. Die Stände sind nichts
Starres, sondern in ihnen .herrscht beständig Aufsteigen,
Entfaltung, Verblühen und Niedergang: alles Dies geschieht,
wie gesagt, im Interesse der ganzen Gattung, die sich ohne
die Einrichtung der Stände unmöglich auf ihrer geistigen
und kulturellen Höhe erhalten könnte.
4. Endlich ist die Wirkung der Absonderung auf die
Erziehung der Kinder in’s Auge zu fassen. Die Natur
selbst erfordert die Trennung der Kinder aus den verschie¬
denen Ständen. Wie die Erfahrung lehrt, ist die Vereinigung
der Kinder in der sogenannten einheitlichen Volksschule dem
Unterrichtszweck nicht förderlich; dies hat sich besonders
in unserer Nachbarschaft Mannheim gezeigt, welche die ein¬
heitliche Volksschule einführte, während Karlsruhe eine nach
dem Schulgeld dreifach abgestufte Volksschule besitzt. Aber
nicht nur dies. Die artigen Kinder nehmen eher die Fehler
der unartigen an, als das Umgekehrte geschieht. Dies rührt
daher, dass die Schutztriebe, welches jedes Individuum
besitzt, bei den Kindern noch unentwickelt sind und erst
in einem vorgerückteren Alter zur Entfaltung gelangen. Man
nennt dies „homochrone Vererbung“. Damit hängt zusammen,
dass die Kinder keine Schutztriebe brauchen, weil sie durch
die hochausgebildeten elterlichen Schutztriebe hinlänglich ge¬
sichert sind; es findet hierin eine gegenseitige Anpassung
statt. Der Instinkt der Eltern zum Schutze ihrer Kinder
ist schon in der Thierwelt und nicht minder beim Menschen
einer der stärksten, die es gibt, er ist oft stärker, als der
Selbsterhaltungstrieb, denn nicht selten opfern Geschöpfe
eher ihr eigenes Leben auf, als dasjenige ihrer Sprösslinge.
Die Kinder selbst sind aber desswegen jeder schädlichen Ein¬
wirkung, die nicht durch die Eltern abgehalten wird,
schutzlos preisgegeben, und daher entspringt die Gefahr der
Vermischung der Kinder von höher gebildeten Klassen mit
Kindern der untersten Stufen. Gerade hierbei zeigt sich
aber die ungeheuere Macht des elterlichen Instinktes: Die
Schaffung der einheitlichen Volksschule hat überall und hatte
auch in Mannheim die Folge, dass eine Anzahl von Privat-
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schulen entstanden, welche von den Kindern der höheren
Stände und des bessern Bürgerstandes besucht wurden.
Kein Vater, keine Mutter würde sich zwingen lassen, ihre
Kinder unkontrolirbaren Einwirkungen preiszugeben. Man
kann oft beobachten, dass selbst Angehörige des Bürger¬
standes, die sich durch Tüchtigkeit aus dem Proletariat
heraufgearbeitet haben, keine grössere Sorge kennen, als
ihren Kindern eine bessere Schulbildung zukommen zu lassen,
und dass sie dieselben beinahe ängstlich von den früheren
proletarischen Genossen absondern. Das pflegt als Hochmuth
ausgelegt und bespöttelt zu werden: es ist jedoch der Aus¬
fluss eines gesunden elterlichen Instinktes. Sehr
belehrend und zugleich erheiternd ist die Beobachtung, wie
der Instinkt sich den falschen Lehren des Verstandes stets
widersetzt und Recht behält. Es kann Jemand in höherer
sozialer Stellung ein überzeugter Demokrat und glühender
Anhänger der Lehre von der Gleichheit aller Menschen sein,
aber es fällt ihm nicht ein, seinen Sohn einen Fabrikarbeiter
werden zu lassen; und sollte ein ganz braver Proletarier
um die Hand seiner Tochter anhalten, so wird er jenen
gross ansehen und die Ehe zu hindern suchen. Gelingt ihm
dies nicht, so wird er sich nicht nehmen lassen, die Ileirath
als ein Unglück zu betrachten, und dies mit gutem Grund:
denn aus solchen ungleichen Ehen geht nach den Gesetzen
der Natur selten etwas Gutes hervor. Unsere Bauern, ja,
nicht nur diese, auch Angehörige anderer Stände, halten den
Grundsatz ein, dass bei Heirathen das beiderseitige Ver¬
mögen entsprechend sein müsse. Das geschieht vernünf¬
tigerweise nur der zu erwartenden Kinder wegen, aber
auch hier ist der Instinkt mächtiger als die Abstraktion
einer idealen Liebe, die ein glücklich liebend Paar auch in
der kleinsten Hütte Raum linden lässt! Der Vortragende
gab nun noch eine Besprechung der Abstufung der Befähigung
der Menschen nach unten hin, wo zunächst bei dem Mit¬
telgut solche kommen, die eben nur zur Handarbeit
taugen, dann solche, die nicht einmal hierzu genügend
befähigt sind, endlich die eigentlich Schwachsinnigen.
Eine grosse Rolle spielt der Standard of Life, das Min¬
dest maass der Lebenshaltung, welches durch das Herkom-
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men bestimmt wird und grosse örtliche und zeitliche Ver¬
schiedenheiten aufweist. Die Menschen vermehren sich weit
rascher, als die Mittel zur Erhaltung des Lebens, sodass
immer eine grosse Zahl von Individuen sich an der äus-
sersten Grenze der Existenzmöglichkeit herum¬
schlagen muss. Eine Verbesserung der Lebenslage der
unteren Klassen hat in der Regel zur Folge, dass viele
Leute noch früher heirathen und noch mehr Kinder erzeugen,
worauf das frühere Elend wieder hergestellt ist. Eine „Lö¬
sung“ der sozialen Frage ist daher ebenso undenk¬
bar wie die Quadratur des Zirkels; stets wird die
Menschheit bestrebt sein, sich bis an die äusserste Grenze
der Möglichkeit auszudehnen. Allerdings muss die Abstufung
der Einkommen ungefähr der Abstufung der Befähi¬
gungen entsprechen; weicht die Einkommenskurve erheblich
von der Befähigungskurve ab, dann ist etwas faul im Staate
und entsteht begründete Unzufriedenheit. Auch dürfen die
Stände keine Kasten sein, sondern jeder befähigte Mensch
soll sich in der Lage befinden, durch Fleiss und Tüchtigkeit
an den Platz im Leben zu gelangen, an welchen er
gehört. Noch Eines ist möglich, der Standard of
Life kann erhöht werden. Wir wissen aus den For¬
schungen der Volkswirthschafter, dass jede Abkürzung der
Arbeitszeit, jede Verbesserung der Löhne der Arbeiterklasse
eine Steigerung der Produktionsmenge zur Folge hat, weil
die Arbeiter geschickter und leistungsfähiger werden, und
dass zu gleicher Zeit die Lebenshaltung steigt. Aber es
wäre ein verhängnissvoller Irrthum, zu glauben, dass alle
Individuen der unteren Befähigungsstufen dieser Hebung
theilhaftig werden könnten. Nicht jeder Spinner oder Weber,
der bisher eine Maschine bedient hat, lernt durch Aufbesse¬
rung seines Lohnes zwei, drei und mehr Maschinen be¬
dienen, sondern ein Theil kann den Fortschritten nicht
folgen und wird in die unterste Stufe des Proletariates
hinuntergestossen, die der Vagabundage und dem Ver¬
brecherthum verfällt. Die Steigerung der Leistungsfähig¬
keit der Glücklicheren selbst gibt den Anstoss zur Verminde¬
rung der Arbeiterzahl und zur Ausscheidung der Un¬
befähigtsten. Jede Erhöhung des Standard of Life hat daher
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eine Licht- und eine Schattenseite, indem nicht nur
das Loos der Einen verbessert, sondern auch dasjenige der
Andern verschlechtert wird. Je höher die Ansprüche an die
Leistungsfähigkeit der Arbeiter steigen, desto mehr unbe¬
fähigte Menschen können nicht mehr mitthun, die bei
geringerem Standard of Life noch zur eigentlichen Arbeiter¬
klasse gehört hätten: jetzt sind sie rettungslos verloren.
Daher die seltsame Thatsache, die von den Volkswirthschaf-
tern und Sozialpolitikern vergeblich zu erklären versucht
wurde, dass wir seit 20 Jahren unendliche Klagen über die
Zunahme der Verbrechen und des Landstreicher¬
thums zu hören bekamen, während in Deutschland ein ganz
ungeahnter Aufschwung der Industrie stattfand und der
Standard of Life der gesicherten Arbeiter sich in 20 Jahren
mehr gehoben hat als vorher in einem Jahrhundert! Der
Redner deutete noch an, dass in dieser Aufstellung der Be¬
griff der „Befähigung“ nur summarisch genommen worden
sei. In Wirklichkeit sei die Begabung der Individuen aus
einer grösseren Zahl einzelner Anlagen zusammengesetzt, die
vereinigt sein müssten, um den Erfolg hervorzubringen.
Fehle eine derselben, dann bleibe der Erfolg aus. Daher
sei nicht gesagt, dass es den Leuten der unteren Klassen
durchweg an Verstand fehlen müsse, es könnten hochintelli¬
gente Individuen darunter sein, denen aber eine andere Gabe
abgehe, sodass sie nicht zum Erfolge gelangen könnten.
Solche ungünstig und widerspruchsvoll ausgestattete Leute
fühlten sich mit Grund unglücklich, jedoch ihnen sei nicht
zu helfen. Im Grossen und Ganzen stelle die Stände¬
bildung eine natürliche Auslese nach der Befähigung
dar, und es sei Aufgabe der Anthropologie, diesen Gegen¬
stand im Einzelnen näher zu studiren, nicht aber in unge¬
rechtfertigten Stolze über die falschen Schlagworte der Ge¬
genwart hinwegzugehen. Sicherlich vergebe sich die Wissen¬
schaft nichts, wenn sie sich der Tagesfragen bemächtige und
dieselben mit ihrem Lichte erhelle; dadurch werde sie sich
im edelsten Sinne volksthümlich und nützlich machen.
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Mittheilungen über Heinrich Hertz.
Von Dr. M. Doll.
Die ausserordentliche Theilnahme, welche sich bei dem
Hinscheiden des Professors Hertz gezeigt hat, und zwar nicht
nur für den Gelehrten, sondern auch für den Menschen, er-
muthigt mich einer Aufforderung nachzukommen und Ihnen
einige Mittheilungen aus dem Leben meines lieben Schwieger¬
sohnes zu machen.
Heinrich Rudolf Hertz ward am 22. Februar 1857, als
ältester Sohn des damaligen Rechtsanwalts, spätem Senators
Hertz zu Hamburg geboren. Nachdem er bis zu seiner Kon¬
firmation eine Bürgerschule besucht hatte, bereitete er sich
in den Jahren 1873/74 zu Hause auf die Gymnasialstudien
vor und trat zu Ostern 1874 in die Oberprima der Gelehrten¬
schule des Johanneums, welches er Ostern 1875 mit dem
Zeugniss der Reife verliess. Schon als Knabe entwickelte
er neben grossen Geistesgaben ein ungewöhnlich reges In¬
teresse an den exakten Wissenschaften. Ausser den Schul¬
fächern betrieb er mit Eifer mechanische Arbeiten an der
Hobel- und Drehbank und verfertigte sich mit den ein¬
fachsten Hilfsmitteln ganz brauchbare Instrumente, wie z. B.
ein Spektroskop u. a. Auch zeigte sich bei ihm ein grosses
Interesse für fremde Sprachen. Noch in der Zeit seines
Schulbesuchs verschaffte sich der junge Mann eine arabische
Grammatik, welche ihn so sehr interessirte, dass er unter
der Beihülfe eines Orientalen, der in Hamburg lebte, die
arabische Sprache lernte. Hertz war mit einem ausserordent¬
lichen Sprachtalent begabt, denn in der Schule hatte er
französisch und englisch gelernt, im Johanneum lateinisch
und griechisch und hatte dabei ein so gutes Gedächtniss,
dass er einen grossen Theil der Homer’schen Gesänge aus-
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wendig konnte; ferner las er die italienischen Klassiker in»
Original, und als ich mich einmal mit ihm über die spanische
Sprache unterhielt, sagte er mir: übersetzen kann ich sie
auch, aber sprechen kann ich sie nicht.
Dasselbe Talent, wie bei dem Erlernen der Sprachen
hatte Hertz auch bei dem Studium der mathematischen Dis-
ciplinen, welche er sich in der Hauptsache durch häusliches
Studium angeeignet hatte.
Als es galt einen Beruf zu wählen, bestimmte ihn der
Wunsch, Nützliches und Dauerndes zu schaffen und die an¬
geborene Bescheidenheit, die ihn an seiner Befähigung zur
Förderung der Theorie zweifeln liess, ausserdem wohl auch
die Freude an mechanischen Arbeiten sich zum Ingenieur
auszubilden.
Zur Vorbereitung auf diesen Beruf arbeitete er in Ge-
mässheit der damaligen Vorschriften während des Jahres
1875/76 als Volontär auf dem städtischen Bauamte in Frank¬
furt a/M. Das Sommersemester 1876 studirte er auf der
Polytechnischen Schule in Dresden. Herbst 1876/77 diente
er als Einjähriger im Eisenbahnbataillon in Berlin.
Im Herbst 1877 ging Hertz nach München in der Ab¬
sicht sich auf der Technischen Hochschule als Ingenieur
auszubilden. In der Zeit las er ein Buch über Wärmetheorie,
welches sein ganzes Denken so in Anspruch nahm, dass der
Drang nach wissenschaftlichen Studien mehr und mehr her¬
vortrat, wodurch er sich überzeugte nur in diesem Studium
seine wahre Befriedigung finden zu können und ging daher
als Student der Physik zur Universität über, wo er einige
Kollegien belegte, musste sich aber nach dem Besuch einer
Vorlesung immer sagen, was hier vorgetragen wird, das
weisst du ja schon und so beschäftigte er sich in der Haupt¬
sache mit häuslichem Studien.
Von München ging Hertz im Herbst 1878 nach Berlin,
wo er sich 1879, durch die Lösung einer von der Fakultät
gestellten Preisaufgabe „Ueber die Grösse der Extraströme“
die ersten Lorbeeren holte, durch Verleihung einer goldenen
Medaille. Diese Preisschrift hätte er auch zur Erlangung
des Doktorgrades, 1880, verwenden können, seine Disser¬
tationsschrift handelte aber: „Von der elektrischen Induktion
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in rotirenden Kugeln“. Durch diese Arbeit wurde Helmholtz
auf ihn aufmerksam, er erwählte ihn im Sommer 1S80 zu
seinem Assistenten, wodurch Hertz zwei Jahre am Physi¬
kalischen Institut thätig war; und die Anregungen dieses
hervorragenden Physikers wirkten auf die Entwicklung des
jungen Talentes ausserordentlich förderlich.
Ostern 1883 habilitirte sich Hertz mit einem Lehrauf¬
trag des Unterrichts-Ministers und auf den Rath des Herrn
von Helmholtz als Privatdocent an der Universität Kiel. Von
jener Zeit sprach er immer mit Begeisterung über die frische
Luft, die grossartigen Wälder und das blaue Meer, was
nirgends schöner sein könne, als es da war. Er lebte in
einem befreundeten Kreis junger Akademiker, hatte nur
wenige Stunden zu lesen und konnte ganz der Ausarbeitung
seiner Gedanken leben, was ihm immer die liebste Beschäf¬
tigung war.
Von Kiel nahm Hertz 1885 einen Ruf als ordentlicher
Professor für Physik an die Technische Hochschule in Karls¬
ruhe an, und hier gelang es ihm, das, was bis dahin über
die Beziehungen zwischen Licht und Elektricität nur als eine
geistreiche Meinung einzelner Gelehrter bekannt war durch
sinnreich erdachte Versuche zu beweisen; und es war dies
kein glücklicher Zufall, der ihn dazu geführt hat, wie Hertz
sich seiner Zeit in einer Sitzung des Naturwissenschaftlichen
Vereins, in all zu grosser Bescheidenheit äusserte, denn schon
im Jahr 1882 stellte Helmholtz eine Preisaufgabe zur Lösung
dieses Problems, und seit dieser Zeit beschäftigte sich der
strebsame Forscher mit dieser Frage.
Im Jahr 1889 folgte Hertz einem Ruf an die Universität
Bonn, wohin er zu Ostern übersiedelte. Durch den Umzug
dahin trat in seinen Arbeiten eine Pause ein, einmal dadurch,
da sein Vorgänger, der Herr Geheimerath Clausius mehr
mathematischer Physiker war, daher musste die Sammlung
physikalischer Apparate ergänzt und neue Räume zur Auf¬
stellung derselben, durch Benutzung der früheren Dienst¬
wohnung, geschaffen werden. Ferner nahm die Korrespondenz,
verursacht durch die Karlsruher Arbeiten, ausserordentlich
viel Zeit in Anspruch, um all die Anfragen zu beantworten,
welche von jungen Physikern an ihn gerichtet waren, die an
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seine Theorien anschlossen und weiter arbeiteten, denn wie
gerne war er bereit über manche unvorhergesehene Schwie¬
rigkeiten Auskunft zu ertheilen und mit Rath und That bei¬
zustehen.
Hertz war bei den Studenten sehr beliebt, denn als er
nach einer längeren Pause, verursacht durch seine Krankheit,
die Vorträge wieder beginnen konnte, so brach ein Jubel los,
wie man ihn vorher wohl selten gehört hatte. Von seinen
Assistenten und Praktikanten wurde er aber geradezu
verehrt.
Seine Arbeit der drei letzten Jahre ist ein mathematisches
Werk über die Prinzipien der Mechanik, dasselbe erscheint im
Sommer 1894 bei Barth in Leipzig in dem Format der Annalen,
in einem Umfang von 280 bis 290 Seiten und enthält ausser
der Einleitung Lehrsätze mit den zugehörigen Beweisen. Herr
Geheimerath von Helmholtz wird dazu ein Vorwort schreiben
und der Verleger das Bild des Verfassers beigeben. Ueber
den Inhalt schreibt Hertz an den Verleger: „Bei der Be¬
arbeitung der Prinzipien der Mechanik bin ich von ganz
neuen Gesichtspunkten ausgegangen, von welchen bis jetzt
noch nichts bekannt, und über welche auch noch nichts ver¬
öffentlicht ist, und jeden einzelnen Satz habe ich wiederholt
durchgearbeitet“. Ihm selbst war es jedoch nur vergönnt
14 Tage vor seinem Tod die ersten neun Seiten Korrektur
zu lesen, das weitere zur Herausgabe besorgte sein Assistent
Pr. Lenard.
Die Bearbeitung dieses letzten Werkes, welches er gleich¬
sam als ein Vermächtniss an die Wissenschaft hinterlassen
hat, erfuhr aber wiederholte Unterbrechungen durch die auf¬
tretende Krankheit, welche sich zuerst im August 1892 durch
eine allgemeine Herabstimmung und durch heftiges Fliessen
der Nase zeigte. Die Ursache war eine Kiefereiterung, deren
Vorhandensein sich zu Anfang Oktober in einer Mittelohr¬
eiterung äusserte, welche dem Kranken bis zur Operation,
Ende Oktober grosse Schmerzen verursachte. Bald trat
wieder Besserung ein, so dass er im Dezember schon wieder
den ganzen Tag ausser dem Bett zubringen konnte. Geistige
Arbeiten waren ihm jedoch untersagt; aber wie sich Hertz
bei seinen wissenschaftlichen Studien immer die schwierigsten
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Aufgaben stellte, so beschäftigte er sich nun mit der Her¬
stellung eines Karton • Modelles des Kölner Domes und mit
grosser Sorgfalt setzte er die kleinen gotischen Thürmchen
auf. \ber mit Wehmuth erfüllte es den Zuschauer, dass der
Gelehrte, der sonst nur mit ernsten Dingen beschäftigt war,
sich auf diese Weise unterhalten musste.
Sobald sich Hertz wieder etwas gekräftigt hatte, so
wurden zur Behandlung der Kiefereiterung Zähne gezogen,
Anbohrungen gemacht, Kanülen eingesetzt und durch die
täglichen Ausspühlungen wurde er sehr geplagt. Von einem
Aufenthalt in Oberitalien kehrte der Kranke im Frühjahr
gut aussehend zurück und konnte im Sommersemester 1893
seine Vorlesungen wieder aufnehmen.
Eine Badekur in Reichenhall im August wirkte sehr
kräftigend, aber leider begann Ende September wieder eine
starke Eiterung, die eine erneute Operation bedingte, auf
welche sich Hertz so wohl fühlte, dass er mit dem Beginn
des Wintersemesters seine Vorträge anfangen konnte.
Sehr beängstigend waren jedoch die im November auf¬
tretenden Gliederschmerzen, welche fast täglich Zunahmen,
so dass er am 7. Dezember seine Vorlesungen schliessen
musste. Er übergab sodann das Physikalische Institut zur
Verwaltung seinem Assistenten, schrieb seinen letzten Willen
nieder, und legte sich auf ein Schmerzenslager, das an Hef¬
tigkeit mehr und mehr zunahm, bis am 1. Januar 1894 der
erlösende Tod eintrat.
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Ueber Durchsichtigkeit der Luft im Hinblick
auf Fernsiehten.
Voa Hofrath Prof. Dr. H. Meidinger.
Einleitung. Die Stimmung des Menschen, seine Lebens¬
freudigkeit, seine Arbeitslust, sind nicht selten durch die Be¬
schaffenheit der Atmosphäre beeinflusst. Heiterer Himmel,
Sonnenschein wirken anregend, belebend; trüber Himmel,
fehlendes Licht machen Missmuth, halten die Gedanken ferne.
Daneben gibt es noch einen Zustand der Atmosphäre, der
unabhängig von dem Grade der Verschleierung des Firma¬
mentes durch Wolken ist, der uns in der Regel nicht so un¬
mittelbar offenkundig wird, in besonderen Fällen jedoch in
auffallender Weise sich zu erkennen gibt und dann unsere
Stimmung ebenfalls zu beeinflussen geeignet ist: die Durch¬
sichtigkeit der Luft, welche die Deutlichkeit entfernter Gegen¬
stände und die Weite des Blicks bedingt. Die Luft kann
bei heiterem wie bei bedecktem Himmel einen hohen oder
geringen Grad der Durchsichtigkeit besitzen, im extremen
Falle ist sie undurchsichtig — bei Nebel, der Wolkenbildung
auf der Erdoberfläche selbst. Dieser letztere Zustand kann
durch alle Zwischenstufen in die vollkommenste Klarheit über¬
gehen, wo der Blick in die Weite nur durch die runde Form
der Erde selbst seine Grenze findet und bei Gebirgen über
300 Kilometer hinaus sich erstrecken kann. Die Trübung
der Atmosphäre, soweit sie nicht von unverkennbarem Nebel
herrührt, der alles auf kurze Entfernungen verhüllt, wird
Duft genannt.
Der Duft hat nicht nur die Wirkung, je nach seiner
Stärke oder nach der Grösse der Entfernung die Gegenstände
verschieden deutlich erscheinen zu lassen, sondern auch ihren
Farbenton zu mildern, das Grelle desselben, besonders in der
Beleuchtung bei Sonnenschein abzuschwächen. Es entsteht
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damit eine neue malerische Wirkung der Landschaft, die von
den Künstlern zumeist hoch geschätzt wird. Lässt sich der
Maler im Allgemeinen als Freund des Duftes ansehen, so be¬
findet sich in anderer Lage der zumeist nicht künstlerisch
beanlagte oder ausgebildete Spaziergänger,, der Freund der
Bewegung in der freien Natur, der Tourist, welcher Berge
besteigt, um die Landschaft zu bewundern. Ihm ist der Duft
eine Beschränkung des Genusses, er verkürzt den Blick in
die Weite. Er will viel und vielerlei sehen, besonders be-
merkenswerthe Punkte erkennen, an die sich persönliche oder
allgemeine Erinnerungen knüpfen, er will die Grösse der
Welt so recht empfinden, die nirgends mehr als auf der Höhe
zum Bewusstsein kommt; der Blick in die Unendlichkeit des
gestirnten Himmels kann letztere W'irkung nicht in dem
Grade hervorrufen, es fehlt hier jeder Vergleich für die Sinne,
es ist alles Abstraktion, nur die geistige Vertiefung in die
Materie kann das Erhabene fassen machen. Je nach der
Stärke des Duftes nun ist Aussicht oder keine Aussicht vor¬
handen und ist der Zweck der Bemühungen erreicht oder
nicht erreicht, die Freude bereitet oder verdorben. Hat man
von einem bemerkenswerthen hohen Punkt alles gesehen, was
überhaupt in der Möglichkeit lag, so darf man sich zu den
besonders Beglückten zählen, man gedenkt dessen noch nach
Jahren und findet darin wiederholt ein Unterhaltungsthema
im geselligen Kreise. Im Hinblick auf die grosse Mehrzahl
derartig empfindender Menschen insbesondere soll die folgende
Untersuchung angestellt werden. Als praktisches Ziel ist
dabei ins Auge zu fassen: gibt es im Zustand der Atmo¬
sphäre, im Witterungscharakter liegende Anzeichen, aus denen
sich der Grad ihrer Durchsichtigkeit erschliessen lässt, um
bei Besteigung eines Berges oder erhöhten Punktes überhaupt
mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Aussicht rechnen zu
können? Die Frage kann allgemein und auch im Besonderen
behandelt werden. Es lässt sich von vornherein aunehmen,
dass die Lage eines Ortes nicht ohne Einfluss auf die Durch¬
sichtigkeit seiner Atmosphäre ist, sowohl im Hinblick auf
mehr Nord oder Süd, seinen Abstand von Pol und Aequator,
wie auf Beschaffenheit seiner Umgebung. Eine sehr grosse
Stadt oder eine industrielle Gegend, in der viele Kohlen ge-
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brannt werden, ist fast immer in einen Schleier gehüllt, der
jeden Fernblick hindert, auch wenn sonst die Bedingungen
zu einem solchen günstig wären; je nach Windrichtung
kann dann doch Aussicht nach der einen oder andern Rich¬
tung sich eröffnen. Ein allgemeines Gesetz kann blos aus
längerer, Jahre hindurch andauernder Beobachtung erschlossen
werden, und zwar an Orten, die unmittelbaren Einflüssen der
Umgebung möglichst entzogen sind. Das Ergebniss wird
zwar immer eine lokale Färbung tragen und sich durchaus
nicht auf sehr entfernte Orte übertragen lassen, so dass man
z. B. nicht schliessen darf, eine bestimmte Windrichtung, die
am einen Orte mit klarer Luft verbunden ist, müsse solche
überall zeigen. Aber es wird der fortgesetzten Beobachtung
doch gelingen, das besondere Lokale zu erkennen, es auf
seine Ursachen zurückzuführen und nach seiner Heraus¬
schälung das Allgemeine zu begründen. Das Folgende stellt
einen Versuch der Lösung der Aufgabe dar.
Die Lage des Ortes, an weichem die Beobachtungen haupt¬
sächlich gemacht wurden, Karlsruhe im südlichen Deutschland,
in der von SSW nach NNO zwischen Basel und Darmstadt auf
eine Strecke von 270 km sich ziehenden, 30 bis 40 km breiten
Rheinebene, ist für den Zweck nicht ungünstig. Odenwald
und Schwarzwald begrenzen rechtsseitig des Rheins die Ebene
auf eine sichtbare Strecke von 125 km (Melibokus NNO 80 km,
Hornisgrinde SSW 45 km — rein nördlich, sehr selten
sichtbar, der Taunus, 135 km), fast parallel linksrheinisch
laufend Haardtgebirge und Vogesen, sichtbar auf noch etwas
weiter (Ausläufer der Haardt bei Deidesheim nach NNW
50 km, Odilienberg nach SW 100 km und noch weiter süd¬
lich). Die leicht erreichbaren, bis zu 1200 m gehenden Gipfel
gestatten, die Beobachtungen gelegentlich auch von der
Höhe anzustellen, die, wie sich zeigen wird, zu ganz un¬
erwarteten Ergebnissen führen können. Karlsruhe und Nach¬
barschaft haben eine massig entwickelte Industrie, der er¬
zeugte Rauch stört den Fernblick nicht wesentlich; für das
Studium ist er sogar als vortheilhaft zu bezeichnen, indem
er den weiterreichenden Einfluss des Rauchs auf die Durch¬
sichtigkeit der Luft im Allgemeinen unmittelbar erschliessen
lässt. In Bezug auf weitere Rauchentwicklung in dem Rhein-
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364
tlial ist nach NNW insbesondere das 50 Kilometer entfernte
Mannheim nebst Ludwigshafen namhaft zu machen, wo sich
zahlreiche Fabrikanlagen mit Raucherzeugung vorfinden, nach
SSW das Eisass mit verschiedenen grösseren und kleineren
Städten von industrieller Bedeutung (Strassburg, Kolmar,
Mülhausen etc.). Fast überall werden in den Wohnhäusern
Steinkohlen gebrannt, auf dem rechten Rheinufer mehr die
Ruhrkohle, auf dem linken Ufer mehr die gasreichere, stärker
russende Saarkohle, welche dort billiger zu beziehen ist.
Die Beobachtungen dürften für den hiesigen Standpunkt
als abgeschlossen angesehen werden und ebenso möchte, was
sich denselben entnehmen lässt, kaum eine Erweiterung zu¬
lassen. Aber vollständig ausgetragen kann die Sache noch
nicht angesehen werden. Die Beobachtungen wurden wesent¬
lich in der Tiefe (120 m Uber dem Meere) angestellt. Höhe
und Tiefe verhalten sich aber, wie die mehr zufälligen Be¬
obachtungen zeigten, oft verschieden und wird darüber be¬
sonders gehandelt werden müssen. Nur durch lange fort¬
gesetzte regelmässige Beobachtungen auf grossen Höhen, min¬
destens 1500 m über dem Meer, wird sich ein voller Einblick
in die Vorgänge gewinnen lassen und das noch immer nicht
völlig gelöste Räthsel des Duftes und der klaren Aussichten
wissenschaftlich verschwinden.
Die Wirkung des Duftes auf das Kolorit, der
Landschaft. Die blaue Farbe des Himmels schrieb man
früher der Luft zu, bezw. ihren gasförmigen Bestandtheilen.
Neuerdings neigt man der Ansicht zu, dass die ganze Atmo¬
sphäre mit einem äusserst feinen Staub erfüllt sei, der den
eigentlichen Träger der blauen Farbe bilde, während die Luft
selbst das Licht ohne irgend welche Veränderungen hindurch¬
lasse. Die Wirkung des Staubs beruht darauf, dass er von
dem weissen Sonnenlicht die blauen Strahlen von geringer
Wellenlänge reflektirt und dadurch sichtbar wird, während
die anderen Strahlen von grösserer Wellenlänge in seiner
kleinen Masse kein Hinderniss für ihre Fortbewegung finden.
Grössere Staubtheilchen hingegen reflektiren alle Strahlen, sie
erscheinen dadurch weiss. Die durch den Duft bewirkte
Trübung der Luft rührt ohne jeden Zweifel von solchem ver-
hältnissmässig grobem Staub her, der übrigens immer noch
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sehr fein sein muss, sonst würde er sich rasch senken. Die
Geschwindigkeit, mit der ein fester Körper in der Luft fällt,
nimmt mit seiner Grösse ab; der Widerstand der Luft kann
relativ so anwachsen, dass sich ein Staubtheilchen im Laufe
eines Tages noch nicht um ein Meter senkt. Je mehr die
Luft von dem Duftstaub enthält, um so weniger klar ist sie,
um so beschränkter ist der Fernblick, die Gegenstände sind
wie mit einem weissen Schleier bedeckt.
Das natürliche Kolorit der Gegenstände kann übrigens
auch in völlig duftfreier Luft nur auf eine beschränkte Ent¬
fernung erhalten bleiben; es muss sich mit der blauen Farbe
des feinsten Luftstaubes, oder sagen wir für die Folge einfacher
„der Luft selbst“, mengen. Der blaue Ton wird um so mehr
überwiegen, je grösser die Entfernung ist. Das Luftblau des
Himmels hat vollkommenes Schwarz zum Hintergrund, der
Ton erscheint um so mehr dunkel, je geringer die Höhe der
ganzen Atmosphäre ist. Auf sehr hohen Bergen erscheint
der Himmel mehr dunkelblau, wobei allerdings noch mit-
wirken wird, dass auch der Duftstaub, der wohl mehr an
die tieferen Regionen gebunden ist, sich erheblich vermindert.
Die Farbe des Hintergrundes wird nun bis zu einer gewissen
Entfernung auf den Blauton immer einwirken. Die über uns
befindliche Luftsäule würde bei unveränderter Dichtigkeit
keine grössere Höhe als rund 8000 m haben, etwas mehr als
eine deutsche Meile. Schwarze Gegenstände, die ebenso weit
in horizontalem Sinne von uns entfernt sind, würden danach
mit dem gleich starken Blau sich bedecken, sofern die Wir¬
kung von den gasförmigen Bestandtheilen der Luft abhinge.
So stark erscheint das Blau jedoch nicht. Die Erklärung kann
man wohl nur in dem staubförmigen Träger des Blau finden;
derselbe ist voraussichtlich in der mehr als 10 Meilen hohen
Atmosphäre in grösserer Menge vorhanden, als in blos einer
Meile horizontaler Luftschicht; man wird doch nicht an¬
nehmen können, dass die Menge des Staubes unmittelbar
an die Gewichtsmenge oder Dichtigkeit der Luft geknüpft
sei. Gewiss kann derselbe auch von stark verdünnter Luft
gleich gut getragen werden, allerdings muss er mit den letzten
Spuren der Luft am Ende auch verschwinden. Eine grössere
Dichtigkeit des Staubes dürfte immerhin unmittelbar über der
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Erdoberfläche vorhanden sein; mit Aufsteigen bei der Er¬
wärmung dehnt sich die Luft aus und der in ihr enthaltene
Staub muss sich dann entsprechend verdünnen. Aber die
in den tieferen Regionen erfolgenden Wasserniederschläge
werden hier stets einen Theil des Staubs mit zu Boden führen,
der Duftstaub kann durch dieselben sogar vollständig entfernt
werden, worauf später noch zurückgekommen werden wird.
Auf den Farben ton des Hintergrundes hat nun auch der
Grad seiner Helligkeit einen bedeutenden Einfluss, der ganz
von dem Scheinen und von der Stellung der Sonne abhängt.
Bei halbbedecktem Himmel, wenn die Sonne bald frei scheint,
bald hinter Wolken tritt, kann man dies unverkennbar wahr¬
nehmen; ein bewaldeter Berg im Abstand von etwa zwei
Meilen erscheint mehr grün bei Sonnenschein, mehr blau,
wenn er nicht vom Licht getroffen wird; das Gleiche zeigt
sich auch, wenn die Bergwand winkelig läuft; die nicht von
der Sonne getroffenen Flächen erscheinen mehr blau als die
beleuchteten Flächen. Der natürliche Farbenton einer grünen
Bergwand zeigt sich aber immer bei einer gewissen Ent¬
fernung, drei bis vier Meilen, von dem Luftblau ganz unter¬
drückt. Bei duftfreier Atmosphäre erscheint der Ton dann
tief dunkelblau, wie man ihn am Himmel nie in dem Grade
beobachtet. Die ganz bewaldeten Abfälle des Schwarzwaldes
nähern sich gegen SO Karlsruhe bis auf 5 Kilometer und
laufen gegen SW weiter in einer sich allmählig erhöhenden
Wand bis zu dem 525 m hohen Fremersberg bei Baden,
26 Kilometer weit, der dann noch von der 20 Kilometer
weiter nach Süden liegenden 1200 m hohen Hornisgrinde
überragt wird. Man hat hier Gelegenheit, die Uebergänge
des Grün in das Blau allmählig zu verfolgen. Der Fremers¬
berg ist immer rein blau; schon am Eichelsberg am Ausgang
des Murgthaies, 18 Kilometer von Karlsruhe, ist das Grün
des Waldes fast verschwunden, bei fehlendem Sonnenlicht
stets. Das Haardtgebirge jenseits des Rheins, dessen nächster
Punkt (Madenburg bei Klingenmünster, 474 m hoch) 32 Kilo¬
meter von Karlsruhe entfernt ist, erscheint immer blau. Das
Blau wird uni so reiner sein, je grösser die von dem Licht
durchdrungene Luftmasse ist, je weiter entfernt der Gegen¬
stand. Bei sehr wenig gefärbtem Hintergrund, wie z. B. beim
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Kalkgebirge, ist das Blau bei duftfreier Atmosphäre auch auf
grosse Entfernungen sehr licht und Schneeberge erscheinen
kaum gefärbt; die blendende Wirkung des Weiss übertönt
fast vollständig das lichtschwache, verhältnissmässig spärliche
Blau der Luft.
Bei ganz duftfreier Atmosphäre erscheinen auch sehr
ferne Waldgebirge ziemlich dunkelblau und dadurch verhält¬
nissmässig nahe gerückt. So ist z. B. kein wesentlicher
Unterschied in dem Ton des Fremersberges und der über¬
ragenden, fast doppelt so entfernten Hornisgrinde. Der¬
artiges beobachtet man jedoch nur selten. Unter gewöhn¬
lichen Umständen erscheint das ferne Gebirge viel lichter im
Blauton und dadurch erhalten wir gerade den Eindruck seiner
grösseren Entfernung von uns. Der zumeist vorhandene Duft
summirt sein Weiss zu dem des Duftblau und mitunter in
dem Grade überwiegend, dass selbst nahe Gebirge durch das
Weiss schleierartig verdeckt werden und von einem Blauton
dann nichts mehr übrig bleibt. So kommt es auch, dass der
Himmel über dem Horizont immer heller erscheint, als im
Zenith; die vom Licht durchdrungene Luftschicht ist viel
länger im ersteren Falle und damit das Weiss des Duftes in
grösserer Menge vorhanden. Der lichte Blauton, welcher bei
mässigem Duft über den entfernten Gegenständen liegt, wird
von den Malern dem Duft selbst zugeschrieben, derselbe also
für bläulich gefärbt erklärt.
Die Wirkung des Duftes ist sehr verschieden bei Sonnen¬
schein und bei verdeckter Sonne, im ersteren Falle auch je
nach der Weltgegend, nach der der Blick gerichtet ist. Der
Duft wird in viel höherem Grade wahrgenommen bei schei¬
nender Sonne, wenn ihr Licht die einzelnen Staubtheilchen
trifft. Dieselben erscheinen dann stark hell, indem sie die
Sonnenstrahlen reflektiren, sie blenden damit das Auge und
lassen den Hintergrund der Landschaft weniger zur Geltung
kommen. Man kann solches bei fernen Gebirgen ganz auf¬
fallend beobachten, wenn bei halbbedecktem Himmel die Sonne
bald frei scheint, bald hinter Wolken tritt. Abwechselnd
erscheint das Gebirge bald lichtblau, bald dunkelblau. Bei
nicht scheinender Sonne und schwachem Duft zeigen sich
Fremersberg und Hornisgrinde im gleichen dunklen Ton,
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letztere wie direkt hinter ersterem stehend. Sobald die Sonne
scheint, wird die Hornisgrinde blass und tritt für die Em¬
pfindung weit zurück. So erklärt es sich, dass ferne Gebirge
kurz vor Sonnenuntergung deutlicher hervortreten, wenn sie
bei höherem Sonnenstand nur schwach sichtbar waren; stets
werden sie dunkler. Ganz besonders auffallend wird solches,
wenn sie in der Richtung der untergehenden Sonne liegen,
wie z. B. das Haardtgebirge für den Beobachter in Karlsruhe.
Es ist eine bekannte Thatsache, dass in der Richtung der
Sonne die Landschaft zumeist weniger klar erscheint, der
Fernblick begrenzter ist, als in entgegengesetztem Sinne. In
der Richtung der Sonne wirken eben die Staubtheilchen des
Duftes am meisten hell und blendend, sie reflektiren das Licht
am stärksten; es gibt sich dies ebenso in dem Blau des Him¬
mels um die Sonne herum zu erkennen, es ist in der Regel
mehr weiss. Bei heiterem Wetter und vollkommen duftfreier
Luft, sehr selten in der Tiefe, öfter auf hohen Bergen, er¬
scheint der Himmel auch unmittelbar um die Sonne herum
tiefblau, ist überhaupt ein Unterschied in dem Blauton bis
zum Horizont kaum zu bemerken. — Man hat bei dem Rauch
Gelegenheit, Aehnliches wie bei dem allgemeinen Duft zu be¬
obachten. Befindet man sich auf einem mässig hohen Aus¬
sichtspunkt, z. B. 50 m hoch und schaut nach einem nicht
sehr entfernten Orte, über dem die etwas tief stehende Sonne
scheint, so wird Ort und Landschaft dahinter fast unsichtbar
sein, sobald Rauch aus den Schornsteinen der Häuser auf¬
steigt; mit einem Schlag kann sich das Bild ändern, wenn
die Sonne hinter Wolken geht, verhältnissmässig deutlich tritt
dann alles hervor. Bei entgegengesetztem Stand der Sonne
ist solches weit weniger auffallend. Kann man einen solchen
Ort (auch nur ein einzelnes Gebäude, von welchem Rauch auf¬
steigt) umkreisen, so lassen sich bei fortdauerndem Sonnen¬
schein die verschiedenartigen Wirkungen des Rauchs je nach
der Stellung der Sonne zu diesem und dem Beschauer deut¬
lich erkennen. Ein mit Duft erfülltes Thal erscheint gegen
die in seiner Axe stehende Sonne trübe, in entgegengesetzter
Richtung klar, was man oft bei der Bahnfahrt durch die
Schwarzwaldthäler beobachten kann, die sich mit dem Loko-
motivrauch füllen. — Ein weiteres Beispiel von der Wirkung des
Rauchs. Ein Zimmer liege gegen Westen oder Osten, so dass
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es von der tiefstebenden Sonne durchstrichen werden kann.
Wird in diesem Zimmer geraucht, so sind die darin befind¬
lichen Personen für einen im Hintergrund stehenden Be¬
schauer fast nicht sichtbar, wenn die Sonne in das Zimmer
nach jenem zu hereinscheint. So sind auch die Kaffee- oder
Bierwirthschaften, in denen sehr stark geraucht wird, dem
Anschein nach des Abends immer stärker mit trübendem
Bauch erfüllt, als am Tag; die vielen vertheilten Lichter
beleuchten ihn eben immer gegen die einzelnen Gäste hin,
während am Tage die Sonne in der Regel nicht nahe hori¬
zontal hereintritt und wenn sie es thut, doch nur kurze Zeit.
Noch in anderer Weise hat man Gelegenheit, die Wir¬
kung des von der Sonne beleuchteten Staubes zu beobachten.
Die Fensterscheiben bedecken sich nach einiger Zeit immer
mit Staub. Schaut man dann durch sie ins Freie, während
sie von dem Sonnenlicht getroffen werden, so erscheint draussen
alles verschleiert, während der Blick durch ein daneben be¬
findliches, von der Sonne nicht getroffenes Fenster keine Un¬
klarheit wahrnehmen lässt. Man ersieht hieraus zugleich,
wie gering die Menge des Staubs in der Luft sein muss,
welche den Duft hervorruft; hier ist (in gerader Linie, im
einzelnen Strahl, nicht dem Volume nach) auf Meilen Wegs
vertheilt, was in dünner, bei mangelndem Sonnenschein kaum
wahrnehmbarer Schicht auf dem Fenster lagert.
Die Materie des Staubs. Die Frage, welche zunächst
interessirt, ist die: woraus besteht der Duftstaub? Auf dem
direkten Weg der Analyse wird man dies kaum mit Sicherheit
ausfindig machen können. Wenn man Luft filtrirt. so bleibt
allerdings der in ihr enthaltene Staub zurück und bei grossen
Mengen kann man ihn in seinen Bestandtheilen bestimmen.
Die eigentliche trüb machende Substanz könnte im beson¬
deren Versuch eine nebensächliche Rolle spielen. Was uns
als gleichmässiger Duft der Luft erscheint, ist es durchaus
nicht in der Masse; mehr oder weniger trübe Stellen
neben und hintereinander wechseln ab und summiren sich
in ihrer Wirkung zu etwas gleichartigem. Da kann nun das
Filtrat recht wohl einer Luftmasse entnommen werden,
die gerade die trüb machende Substanz nur in geringem
Grade enthält. Das Filtrat der Luft ist organischer und an¬
organischer Art; in den geschlossenen Wohnungen wird die
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organische Substanz eine grössere Rolle spielen, im Freien je
nach Ort und Zeit bald die eine bald die andere. (Die Frage
der Substanz des Himmelsblau wird hiermit nicht berührt.)
Wie gross in den Wohnungen die Menge des Staubes ist,
davon überzeugt man sich, wenn man in ein dunkles Zimmer
das Sonnenlicht durch einen feinen Spalt eintreten lässt; der
ganze Strahl erscheint hell durch zahllose herumschwirrende
Theilchen, sogenannte Sonnenstäubchen. Die Fülle des in der
freien Luft befindlichen Staubes tritt lebhaft durch die Wirkung
des elektrischen Scheinwerfers zur Nachtzeit vor Augen. Auf
Kilometer weit wird in dem konisch sich erweiternden Strahl
die Luft sichtbar durch Milliarden leuchtender Punkte.
Der Staub besteht im Hause aus zerriebenen Nahrungs¬
mitteln, Kleiderstoffen, Möbeln, Körpertheilen, Kohle und
Asche, im Freien auch aus Rauch, Steinpulver (Strassen-
und Feldstaub), zerriebenen und zersetzten Pflanzentheilen,
Thierresten, Thierkoth; dazu noch die organisirte Substanz
der Bakterien, der kleinsten Lebewesen, welche die Ursache
der Gährung, der Fäulniss, vieler Krankheiten etc. bilden.
Unter den genannten Stoffen wird man die Materie des
Duftes zu suchen haben. Welche dürften nun vorzugsweise
in Frage kommen? Doch wohl nur solche Stoffe, von denen
es feststeht, dass sie sich zu jeder Zeit in grossen Mengen
entwickeln und erheben können, denn man sieht oft die klare
Luft bei Windstille innerhalb weniger Tage sich mit starkem
Duft erfüllen, der nur lokale Ursache haben kann. An den or¬
ganischen Staub wird nun nicht als stete Hauptquelle des Duftes
zu denken sein. W r as sich davon in den Wohnstätten der
Menschen, durch den Verkehr auf den Strassen entwickelt,
dürfte für das grosse Ganze kaum in Betracht kommen. Die
Bakterien haben gewiss nur einen ganz geringfügigen Antheil
an dem Duft, in der kalten Jahreszeit können sie sich nicht
vermehren, auch nicht bei dauernd trockenem warmem Wetter.
Abgestorbene Pflanzen zersetzen sich auch nur bei feuchtem
und wärmerem Wetter, nicht bei Frost; der Wind kann sie
zwar durch die Bewegung zerreiben und zerstäuben, er weht
aber nicht immer. Die zähe lebende Pflanzensubstanz wider¬
steht der Wirkung des Windes. Von Thierresten dürften
wohl nur die der Insekten quantitativ in Betracht kommen,
deren Zerfall aber an die gleichen Bedingungen wie bei der
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Pflanze gebunden ist. Dass diese Stoffe alle in höhere Luft¬
schichten gelangen und Duft bildend wirken können, ist un¬
bestreitbar. Allein zwei Bedingungen sind hierfür zu erfüllen:
erstens, der Boden muss ganz trocken sein, damit sie sich
von demselben loslösen können, Feuchtigkeit wirkt als Binde¬
mittel; zweitens, es muss Wind wehen, der sie auftreibt und
mit in die Höhe führt. Da wir nun auch bei nassem Wetter,
bei Schnee, bei Windstille die Luft sich bald trüben sehen,
so kann den organischen Stoffen keine hervorragende Rolle
bei der Duftbildung im Allgemeinen zukommen. Auch kommt
es vor, dass bei trockenem starkem Ostwind und Föhn die
Luft tagelang sehr klar ist (s. später), wo man annehmen
muss, dass aller organischer Staub des ausgetrockneten Bodens
weggeweht wurde — und doch kann bald nach eingetretener
Windstille die Luft wieder mit Duft erfüllt sein.
Für den anorganischen Staub kann man sich zwei Haupt¬
quellen denken: einmal Felder und Strassen, von denen das
feinstpulvrige Material durch den Wind aufgeweht und fort¬
getragen wird, dann den durch die menschliche Thätigkeit
bei der Verbrennung entwickelten Rauch (nebst Asche). Dass
auch durch vulkanischen Staub gelegentlich Dufterscheinungen
hervorgerufen werden können, scheint festzustehen. Am
26. August 1883 fand in der Sundastrasse (Insel Krakatau)
einer der stärksten vulkanischen Ausbrüche der Neuzeit statt.
Bald darauf zeigten sich fortschreitend über die ganze Erde,
zu- und abnehmend, blendende weissliche Töne des Himmels¬
blau weit um die Sonne herum, und höchst merkwürdige
Färbungen über einen grossen Theil des Himmels einige Zeit
nach Sonnenuntergang. Der Sitz des Staubs musste an zwei
Meilen hoch weit über den Wolken sein, als Tiefenduft machte
er sich bei uns nicht merklich. Ein Zusammenhang mit
dem Krakatau-Ausbruch war unverkennbar; ähnliches wurde
auch 1783 nach einem Ausbruch des Hekla beobachtet. —
Der mineralische Staub der Strassen und Felder hat ohne
Zweifel einen Einfluss auf den Duft. Derselbe ist jedoch
wie der organische Staub an die beiden Bedingungen
geknüpft: vollkommene Trockenheit des Bodens und Wind,
und kann darum bei uns ebensowenig als hauptsächlichste
Ursache des Duftes angesehen werden. Dass, was bei
uns nicht direkt nachweisbar, auf weithin der Feld-
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staub sehr duftige Luft machen kann, darüber wurden dem
Verfasser von Herrn Dr. Hans Meyer in Leipzig Mitthei¬
lungen gemacht. Derselbe fand auf seiner Reise um die Erde
in den trockensten Ländern, wie Aegypten, Hochmexiko, ost¬
afrikanisches Steppenland, während der Trockenzeit die Luft
oft ausserordentlich trübe, wenn Wind wehte, was häufig
der Fall war. Auch in Senegambien führen während der
trockenen Jahreszeit die Ost- und Nordostpassate aus der
Sahara mit Staub erfüllte Luft zu; ähnliches wird aus den
unter den Passaten liegenden Ländern Südamerika’s berichtet.
Im südlichen Russland, von der Westküste des Asow’schen
Meeres ausgehend, heben mitunter trockene heftige wirbelnde
Ostwinde die oberen Schichten des Erdbodens vollständig weg
und bilden dichten Duft, dessen Wirkung bis nach Petersburg
und Schweden beobachtet wurde.
Es bleibt jetzt nur noch der Rauch, das Produkt unvoll¬
kommener Verbrennung alles Brennbaren auf der Erde,
Pflanzensubstanz (Holz) und Kohle in der Hauptsache, im Hin¬
blick auf Duftbildung zu untersuchen übrig. Es wurde in der
Einleitung bereits auf denselben hingewiesen, ohne dabei je¬
doch einen weiterreichenden Einfluss in Betracht zu ziehen.
Wenn man sich in industrieller Gegend oder in einer grossen
Stadt, wo viele russende Kohlen gebrannt werden, befindet,
so bezeichnet man die dann immer beobachtete Lufttrübung
nicht als Duft, sondern als Rauch, der sich dem Blick in der
Entwicklung stets darbietet. Dass derselbe weit fortgetragen
werden kann, davon gab der früher mehr wie jetzt in ganz
Deutschland und weit über seine Grenzen hinaus beobachtete
sogenannte „Höhenrauch“ Beweis. Lange Zeit blieb man
über die Abstammung desselben im Unklaren. Im Süden
von Deutschland wurde er fast nur bei ganz heiterem Wetter
wahrgenominen, sein Erscheinen blieb auf die Sommermonate
beschränkt. Er war mitunter so stark, dass das Himmels¬
blau einen stark grauen Ton erhielt und das Sonnenlicht
merklich geschwächt wurde; das Gebirg konnte schon auf
wenige Kilometer völlig verdeckt sein. Verfasser kann sich
einer so starken Wirkung allerdings nur zweimal deutlich
erinnern, das erste Mal im Jahre 1850 bei einer minera¬
logischen Exkursion von Giessen aus in den Vogelsberg
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(Juni oder Juli); das andere Mal im August 1864 bei einer
Fussparthie durch das ganze Murgthal. Hier waren die
nahen Berge kaum zu sehen, die Sonne schien bräunlich durch
den grauen Himmel und wärmte nur mit geringer Kraft, der
Genuss der Bewegung in der so schönen Landschaft ging
vollständig verloren. Es war immer mehr nördliche Luft¬
strömung, die den Höhenrauch zuführte, dieselbe dauerte
nicht mehr als ein paar Tage, mit Drehen des Windes mehr
nach Osten verschwand die Erscheinung. Stets war ein
eigenthümlicher Geruch mit der Trübung verbunden. Der
Höhenrauch wurde überall als grosse Belästigung empfunden,
er wirkte niederdrückend auf die Stimmung, man schrieb
ihm auch nachtheilige Einwirkung auf die in der Entwick¬
lung begriffene Vegetation zu. „Der Höhenrauch ist hinein¬
geschlagen“ war ein oft gehörter Ausdruck, wenn Früchte
den erwarteten Ertrag nicht gaben. Die veränderten Ver¬
kehrsverhältnisse, Eisenbahnen, Telegraphen, die Gründung
meteorologischer Stationen brachten endlich Klärung. Der
Höhenrauch ist das Produkt von Torfmoorbränden, welche
in Nordwestdeutschland, besonders im hannoverschen Her¬
zogthum Meppen-Arenberg, etwa 400 km von Karlsruhe,
absichtlich hervorgerufen wurden, um einen Nährboden für
mehrjährige Kulturen zu gewinnen. Es befinden sich dort
rechts und links des Flusses Ems auf viele Meilen ausge¬
dehnte Moore, die, abgesehen von der beschränkten Torf¬
gewinnung, nur auf diese Weise nutzbar gemacht werden
konnten. Die im Frühjahr bis in den Sommer hinein in
Brand gesetzten Flächen waren früher sehr gross, das Feuer
ist nicht klar, sondern schmauchig, mit starkem Rauch ver¬
bunden (extra schwach künstlich unterhalten, um weitere
Ausdehnung des Feuers zu verhindern) und so erklärt es
sich, dass der Höhenrauch in breiten Flächen so weit getragen
werden konnte, je nach Windrichtung nach Nord, Süd, Ost,
West. Er wurde beobachtet bis Petersburg, Dublin, Wien,
bis zum Fuss der Alpen, die seinem Weiterschreiten nach
Süden eine Grenze setzten. Da die nördliche Luftströmung
uns meist heiteres Wetter bringt, so erklärt sich das Zu¬
sammenfallen des Höhenrauchs mit solchem, wodurch die
Belästigung mehr empfunden wurde, als wenn er sich nur
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bei trübem, unfreundlichem Wetter gezeigt hätte — was
jedoch nicht ganz ausgeschlossen gewesen sein dürfte.
Der Höhenrauch ist in dem letzten Jahrzehnt eine ver-
hältnissmässig seltene Erscheinung geworden, er tritt nicht
mehr in der Intensität auf wie früher und wird wohl im
Laufe der Zeit ganz aus der Erinnerung der Lebenden
kommen; ein schwaches Auftreten wird unbemerkt bleiben.
Die Abnahme des Höhenrauchs findet seine Erklärung
in dem Zurückgehen des Moorbrennens. Der dadurch
erzeugte Rauch musste natürlich in der Nähe noch viel
mehr belästigen als in der Ferne. Es bildete sich nun im
Jahr 1870 in Bremen ein Verein gegen das Moorbrennen,
der sich nach und nach über ganz Norddeutschland erstreckte
und auf dem Wege der Verwaltung und durch die Lehre
dahin zu wirken suchte, dass die Brandkultur eingeschränkt
und andere Kulturmethoden eingeführt würden. Die Bemü¬
hungen zeigten sich von Erfolg gekrönt; das Moorbrennen
wird bald aufhören. Dasselbe wurde übrigens erst seit einem
Jahrhundert geübt, als von 1786 an die Moore kolonisirt
und nach und nach an 30 Dörfer gegründet wurden.
Aehnliche Lufttrübungen wie durch das Moorbrennen
beobachtete Dr. Hans Meyer durch häufig wiederkehrende
Steppenbrände in Ostafrika, wie auch aus andern tropischen
Ländern von Reisenden berichtet wird.
Lässt sich nun, was hier in besonderen Fällen als Ur¬
sache von starken, weithin sich erstreckenden Lufttrübungen
bestimmt nachgewiesen werden konnte, der Rauch, auf das
Allgemeine anwenden und in ihm die Hauptmaterie des
Duftes, wenigstens in den Kulturländern der gemässigten
Zone, erblicken? Auf Grund langjähriger Beobachtungen
glaubt Verfasser dies bejahen zu können. Die Schlüsse
konnten sich lediglich gründen auf die Beschaffenheit der
Luft im Hinblick auf Durchsichtigkeit je nach Windrichtung,
mit Berücksichtigung der weiteren Umgebung.
Rauch, der aus einem Schornstein bei schwachem Wind
ausströmt, schreitet in einer sich immer mehr verbreiternden
Säule lange Strecken horizontal vorwärts, man kann ihn über
vier Kilometer weit deutlich verfolgen. Allmählich wird seine
Verdünnung so gross, dass er sich dem Blick entzieht. Von
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einem Senken auf den Boden ist dabei keine Rede, nur
Wind von oben kann ihn niederdrücken, damit ist jedoch
nicht gesagt, dass seine Theile auf den Boden fallen. Die
trübende Raucbsubstanz, zumeist Kohlenwasserstoffe von
hohem Siedpunkt, denen bei schwarzem Rauch schwerer, sich
bald senkender Russ beigemengt ist, befindet sich ohne
Zweifel im Zustand feinster Vertheilung, so dass sie lange
schweben bleibt, vielleicht ohne ein anderes Agens gar nicht
zum Niederschlag auf die Erde kommt (man darf dabei auch
an den Cigarrenrauch in ruhiger Zimmerluft denken). So
erklärt es sich, dass der aus einer grösseren Stadt sich erhebende
Rauch bei ruhiger Luft gleichmässig über derselben lagert
so dass man die einzelnen Quellen desselben bald nicht mehr
erkennt. Bei Wind wird nun dieser Rauch fortgeweht und
im Verhältniss des Fortschreitens wird er immer mehr aus*
einandergehen und grössere Räume mit weniger dichter und
trübender Materie erfüllen. Als Ursache der Verdünnung
wird man die Luftströmung und die mit anderer ruhender
oder entgegengesetzt ziehender Luft erfolgenden Mischungen
und Wirbel allein nicht ansehen können, solche sind bei
mässigem Wind auch ausgeschlossen. Es dürfte die Elek-
tricität hierbei wohl eine Rolle spielen. Die Luft enthält
immer freie Elektricität, es ist auch nicht unmöglich, dass
die aus einem Schornstein aufziehende Luft in Folge der
Reibung an dessen Wänden die eine Elektricität aufgenom¬
men hat. Die trübenden Theile des Rauchs, die immer fest
und hygroskopisch sein werden (die von Anfang an etwa
flüssigen werden bald verdampfen, wie Wasserdunst), müssen
nun, gleichartig elektrisch, einander abstossen und immer
grössere Räume erfüllen, wobei sie in gleichen, an den Grenzen
sich allmählich vermindernden Abstand kommen und dadurch
gleichmässige Trübung bewirken.
Je nach der Stärke des Windes wird die Luft nun mehr
oder weniger Rauch enthalten bei gleicher Entwicklung des¬
selben und verschieden getrübt erscheinen. Im weiteren
Verlauf werden sich dann auch auffallende Unterschiede in
der Trübung zu erkennen geben. Des Nachts gehen die
Feuer meist aus und wird wenig oder kein Rauch entwickelt;
so kann dann derselbe Wind an entfernten Orten helle Luft
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und wieder Trübung bringen, je nach der veränderlichen
Stärke kann das Eine oder das Andere längere oder kürzere
Zeit andauern und es werden ausserdem Verschiebungen
durch geringe Aenderung der Windrichtung eintreten. Ver¬
fasser könnte sich auf diese Weise die folgende Beobachtung
erklären. Am Sonntag den 18. Juni 1893 machte derselbe
Nachmittags eine Parthie nach Baden zur Besteigung des
670 in hohen Merkur. Der Himmel war heiter, die Luft duft¬
frei, das ganze Gebirge lag während der Bahnfahrt (3 bis 4
Uhr) äusserst klar vor dem Auge; selten hatte Verfasser
Gelegenheit, von Rastatt aus das Murgthal so scharf und
deutlich bis zu dem entferntesten Punkt (etwa 20 km weit)
zu sehen. Die Lufttemperatur um 2 Uhr war 29° C., Wind
aus Nordost schwach. Barometerstand 770 mm (Meer). Die
Tage zuvor und nachher ähnliche Witterung, Gewitter frei.
Schon beim Aufstieg auf den Merkur zeigte sich eine schwache
Trübung; um 7 Uhr erwies sich die Aussicht von der Spitze des
Berges nur mässig klar, die erwartete weite Fernsicht war nicht
vorhanden. Nach Nordost, weit jenseits dem 30 km entfern¬
ten Karlsruhe, zeigte sich wie eine Wand bis zu einer Höhe
von etwa 5 Grad über dem Horizont (vielleicht 1000 m hoch)
eine nach oben gerade abgeschnittene graue Schicht. Man
würde annehmen dürfen, dass mit dieser die grosse Tages¬
produktion von Rauch aus einer entfernten Gegend ihren
Anfang nahm, während sie sich in der schwachen Trübung
des Schwarzwaldes bereits in ersten Vorläufern zeigte und
die ganz klare Luft am Nachmittag der Ruhepause in der
vorausgegangenen Nacht entsprach. Nicht oft hat man
Gelegenheit, derartige Erscheinungen so ganz bestimmt zu
beobachten, in schwächerer Form doch nicht selten, sobald
einmal die Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist. (Ueber die
lokale Wirkung von Gewitter, bezw. Regen, später).
Das Resultat wird sich vielfach verwischen, da auf einem
langen Wege befindliche, Rauch entwickelnde Orte nach und
nach ihre Luft den Beobachtern zusenden, so dass denk¬
barer Weise eine ununterbrochene Trübung mit nur geringen
Nüancen folgt. Einen Wechsel in dem Grad der Durchsichtig¬
keit der Luft in kurzer Zeit an von direktem Rauch entfern¬
ten Orten kann man mitunter beobachten und zwar sowohl
bei fast mangelndem Duft und guter Fernsicht in dem Ton
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oder Dunkel des Himmelsblau (etwa 45 Grad Höhe), wie bei
starkem Duft in der Trübung von nicht sehr entfernten
(1 bis 2 Meilen) Bergen; ersteres in unseren Gegenden be¬
sonders bei massigem Wind aus mehr westlicher Richtung
und geringer Bewölkung, letzteres bei heiterem trockenem
Sommerwetter. Im ersteren Falle kann auch gleichzeitig das
Himmelsblau in gleichem Abstand zu beiden Seiten von der
Sonne und in gleicher Höhe verschieden stark sein.
Die Stärke der Trübung der Luft zeigt sich im Allge¬
meinen von der Windrichtung bedingt. Winde, die ganz dem
Rheinthale folgen, nordöstlich oder südwestlich, geben schlechte
Aussichten, besonders ist das Haardtgebirge dann nur
schwach sichtbar, die Vogesen gar nicht; besser sieht man
den Schwarzwald in seinen entfernteren Theilen, Odenwald
jedoch nicht. Die Erscheinung erklärt sich aus den vielen
im Rheinthal zwischen Frankfurt—Mainz und Basel—Mühl¬
hausen gelegenen Städten und Industriepunkten; der von den¬
selben entwickelte Rauch bleibt iin Thal bei. jenen Winden
und wird aufwärts oder abwärts getragen je nach Nordost
oder Südwest. Die im Allgemeinen grössere Trübung des
Haardtgebirges und der Vogesen hat ihren Grund wohl darin,
dass auf dem linken Rheinufer im Ganzen mehr Industrie
vorhanden ist, so dass sich jenseits mehr Rauch anhäuft als
diesseits; doch beobachtet man auch das Entgegengesetzte
und zwar dann, wenn die Winde mehr ihre Richtung nach
den rechtsrheinischen Gebirgen haben, jetzt kann das Haardt¬
gebirge klarer daliegen als Schwarzwald.
Kommt der Wind mehr von Osten, so zeigt sich grössere
Durchsichtigkeit der Luft, und ganz auffallend, wenn er,
was selten, in die südliche Richtung übergeht. Schwarzwald
und Odenwald haben keine grösseren Städte und wenig Rauch
entwickelnde Industrie; es wird in den Wohnungen auch noch
viel (weniger Rauch gebendes) Holz gebrannt. Bei bestimmter
Windrichtung (OSO) könnte etwa nur der Einfluss des 60 km
entfernten Stuttgart (140 000 Einwohner) sich besonders gel¬
tend machen, das viel Industrie hat und von einer der um¬
gebenden Höhen betrachtet, sich meist stark durch Rauch
getrübt darbietet.
In entgegengesetztem Sinn wirkend zeigen sich die Winde,
die von West bis Nord kommen. Nach Norden zu gehen
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die Vogesen in die Haardt über; jenseits des Gebirges fast
westlich von Karlsruhe, etwas nach Nord, gegen 100 km ent¬
fernt, finden sich die grossen Kohlenlager der Saargegend,
welche zur Entwicklung bedeutender Industrien in weitem
Kreise Anlass gegeben haben (Saarbrücken, Saargemünd,
Neunkirchen etc. etc.). Hier findet sich die Luft stets stark
mit Rauch beladen, der dann seinen Einfluss bei westlicher
bis nordwestlicher Windrichtung über das Gebirge hinaus
bis nach Karlsruhe und weiter geltend machen wird.
Nordwind ist bei uns immer kalt; er kann heiteres und
regnerisches Wetter bringen; immer findet sich die Luft sehr
trübe. In auffallender Weise wurde dies in den Tagen des
9. bis 11. Juni 1893 bei heiterem Wetter beobachtet, man
konnte blos auf ein paar Stunden weit sehen; mit Ueber-
gehen des Windes mehr nach Osten wurde es wärmer und
verschwand der Duft. Man hätte an den Höhenrauch denken
können; da sich jedoch der eigenthümliche Geruch desselben
nicht zu erkennen gab, so muss man auf eine andere Quelle
schliessen. Diese wird zu suchen sein in dem westfälischen
Kohlen- und Industriegebiet, das ebenfalls fast nördlich (ganz
wenig nach West) von Karlsruhe liegt, wie die Gegend des
Moorbrennens an der Ems, doch nur etwa 270 km entfernt.
Welchen Umfang daselbst die Rauchtrübung der Luft durch
die mächtig, in viel höherem Grad als in der Saargegend, ent¬
wickelte Industrie einnimmt, davon konnte sich Verfasser an
den Tagen des 5. bis 7. April 1894 auf einer Reise durch
das Gebiet von Westen nach Osten (Linie Köln—Berlin)
überzeugen. Das Wetter war an diesen Tagen völlig heiter
bei kaum merkbarem Nordostwind, für die Jahreszeit sehr
warm. Ueber 100 km weit (westöstlich) war das Land mit
Rauch bedeckt, mehr oder weniger stark, je nach den beson¬
deren Industriecentren. In Folge des unmerklichen Windes
vermochte sich der Rauch im Ganzen dicht anzuhäufen und
man begreift wohl, wie er dann weit von seiner Productions-
stätte starke Trübung der Luft erzeugen kann.
MaD kann die Frage aufwerfen: wie kommt es, dass
man den Kaminrauch nicht riecht, wenn er als Hauptursache
des Duftes gelten soll, während doch der Höhenrauch vom
Moorbrennen bis in die Zimmer hinein Geruchswirkung her¬
vorruft. Der Grund wird in Doppeltem zu suchen sein:
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erstens darin, dass der Steinkohlenrauch, um den es sich
hauptsächlich handelt, bei Weitem den starken Geruch nicht
besitzt, wie der Torfrauch, zweitens darin, dass er sich in
viel geringeren Mengen entwickelt als der Moorrauch, den
man auf grossen zusammenhängenden Flächen besonders
erzeugt, um nur ein schwaches Feuer zu unterhalten. Doch
glaubte Verfasser mitunter Raucbgeruch im Freien bei
starkem Duft empfunden zu haben. Wenn man aus verhält-
nissmässig reiner Luft in eine Stadt kommt, die mit viel
Rauch erfüllt ist, so macht sich derselbe dem empfindlichen
Organ wohl immer durch den Geruch merklich, nach einiger
Zeit des Aufenthalts wird der Sinn jedoch abgestumpft.
Besonders auffallend ist solches bei Braunkohlenrauch, der
ganz charakteristisch ist und lebhafter riecht als Steinkohlen¬
rauch. Die Gegend von Halle an der Saale ist reich an
Braunkohlenlagern, in Halle werden Braunkohlen vorzugs¬
weise gebrannt. Die Luft zeigte sich dem Verfasser bei
jedem Besuch unverkennbar nach dem Rauch des Brennstoffs
riechend. Die Bewohner empfinden dies nicht. Die Trübung
der Luft durch denselben ist dabei nicht so stark wie durch
Steinkohlen; die jüngeren Brennstoffe nähern sich in dieser
Hinsicht mehr dem Holz. Auch die älteren (mageren) Stein¬
kohlen, wie Anthracit, geben wenig oder gar keinen Rauch;
dieselben kommen in Europa jedoch nur gering vor, können
desshalb auf die Verminderung der Rauchbildung durch
Kohlen nur geringen Einfluss üben. In England, dem wahren
Lande des Steinkohlenrauchs (Holz, Torf. Braunkohlen werden
daselbst so gut wie nicht gebrannt), ist die Luft mehr wie
anderswo dauernd getrübt. Bei einer Reise des Verfassers
am 28. Juli 1887 von London nach Liverpool war die Luft
bei heiterem windstillem Wetter auf die ganze Entfernung
von 260 km so mit Duft erfüllt, dass der Blick nur ein
paar Kilometer weit reichte. Es ist auffallend, dass alle
Sendungen, die von England zu uns nach dem Continent
kommen, einen eigenthümlichen Geruch, den „englischen“
Geruch, haben; es dürfte derselbe vom Kohlenrauch stammen.
Nach alle dem wird es kaum mehr einem Zweifel unter¬
liegen, dass der Duft in Europa vorzugsweise vom Rauch
stammt und dass derselbe mit Entwicklung der Industrie
und der zunehmenden Verwendung von Kohlen als Brennstoff
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in der Vermehrung begriffen ist. Orte, Gegenden, die früher
davon befreit waren, verändern dadurch ihr Aussehen dauernd,
unter Umständen auch nur theilweise, der Reiz der Lage,
der landschaftlichen Schönheit geht dadurch mehr oder minder
verloren. Einen Ueberblick über eine sehr grosse Stadt von
einem Thurm gewinnt man dadurch fast nicht mehr. Die Grösse
von London bleibt dem Blick verborgen. Es könnte wohl
an einem Sommermorgen (besonders Montags) bald nach
Sonnenaufgang bei West- oder Südwestwind vollkommene
Klarheit herrschen; nur wenige werden jedoch davon Kennt-
niss erhalten. An dem starken Rauch in London, wie wohl
in den meisten englischen Städten ist die Art des häuslichen
Feuerungswesens mitbetheiligt. Die allgemein verbreitete
offene Kaminfeuerung ist mit viel Rauch verbunden; dies
macht sich nicht blos im Winter geltend, wennschon auch
vorzugsweise, sondern das ganze Jahr über, da in den
Küchen am ganzen Tag zur steten Verfügung über heiss
Wasser ein Kaminfeuer unterhalten wird, vor welchen dann
auch die beliebten Röstungen von Fleisch und Brod vorge¬
nommen werden. Es sind dies viele Hunderttausend kleine
Raucherzeugungsstätten, die in ihrer Summe gewaltig wirken
müssen.. Paris zeigt sich viel weniger in Rauch gehüllt als
London, woran gewiss nicht blos die geringere Grösse der
Stadt schuld ist. Verfasser lebte vom Herbst 1855 bis Früh¬
jahr 1856 während 9 Monaten in Paris und bestieg bei
günstigem Wetter oft das Pantheon, um die Aussicht zu
geniessen. Zumeist hatte er einen klaren Blick über die
ganze schöne Umgebung. Damals hatte der Kohlenbrand
allerdings noch nicht den heutigen Umfang angenommen;
Verfasser brannte selbst Holz in einer offenen Kaminfeuerung,
die Kohlen als Brennstoff waren ihm persönlich noch ganz
fremd. Seit bald 40 Jahren hat sich der Zustand wohl ver¬
ändert; aber immer gibt es noch sehr klare Aussichten
daselbst. Bei dem Besuch der Ausstellung im Jahre 1889
fuhr Verfasser am ersten Sonntag des Oktobers Nachmittags
2 Uhr bei mildem Wetter auf den 300 m hohen Eiffelthurm
und wurde durch eine geradezu vollkommene, duftfreie Aus¬
sicht überrascht; der Blick geht theilweise doch über 40
km weit. Als Grund im Allgemeinen für den geringeren
Rauch in Paris lässt sich bezeichnen: es wird daselbst immer
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noch viel Holz gebrannt, an den kommenden kühleren Oktober¬
tagen wurde dem Verfasser jeden Morgen ein Kaminfeuer
mit Holz angemacht; ferner werden in den kleineren Haus¬
haltungen die Speisen vielfach über Holzkohlen zubereitet,
die zu diesem Zweck auch in Form von Briquettes (aus
Pulver mit Bindemittel und etwas Salpeter gepresste cylin-
drische Stücke von 9 cm Länge und 3 cm Durchmesser) in
grossen Mengen aus Deutschland dahin exportirt werden;
auch hat die Gasfeuerung in der Küche wie im Wohnzimmer
eine grosse Verbreitung erlangt. An jenem Sonntag kam
noch hinzu, dass die Fabriken in Stillstand waren und dass
es Nachmittagsstunde war, zu welcher die Küchenfeuerungen
unterbrochen sind. Die Dejeuner-Zeit geht um 1 Uhr zu
Ende, die Diner-Zeit beginnt erst um 5 Uhr; während einiger
Stunden ist Buhepause. — Von deutschen Städten ist Stutt¬
gart besonders hervorzuheben wegen der Veränderungen, die
es durch die Entwicklung der Industrie und den Kohlenbrand
erfahren hat. Zwischen hohen Bergen gelegen hat Stuttgart
wohl die schönste Lage aller Städte in Deutschland, der
Blick von einer seiner Höhen, die mit Bahnen zu erreichen
sind, gewährt einen hohen Genuss. Die Luft zeigt sich von
Jahr zu Jahr zunehmend mit Rauch getrübt, so dass nament¬
lich bei Windstille oder mässigem Wind die Stadt fast ver¬
hüllt ist und nur der Blick über den Wald auf der Höhe
nach den fernen Bergen des Schwarzwaldes (SW) und der
rauhen Alp (SO) ungetrübt ist.
Wie das nur kurze, kaum eine Meile lange Thal
von Stuttgart, das nach SW zur Hochebene ansteigt und
nach NO in die schwach hüglige Ebene ausläuft, so kann
auch ein sehr langes enges Thal im ganzen Verlauf durch
Rauch verdüstert werden. Als Beispiel möge das romantische
Rheinthal zwischen Bingen und Bonn dienen. Es wird von
vielen Dampfbooten befahren und an verschiedenen Stellen
hat sich die Industrie in den letzten Jahrzehnten angesiedelt.
Der Verfasser hatte in seiner Jugend in den Jahren 1848
und 1849 die Strecke zwischen Mainz und Coblenz wieder¬
holt befahren, indem er von seiner Vaterstadt Frankfurt aus
Freunde in Coblenz besuchte, im Sommer wie Winter; es
stehen ihm je fünf Fahrten auf- und abwärts in Erinnerung.
Er fand die Luft immer klar. Herbstnebel, welche die
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Fahrten unterbrechen, gab es damals auch schon, solche sind
ausgeschlossen. Der Rauch der (noch wenigen) Dampfschiffe
hatte eine nur geringe Einwirkung auf die Durchsichtigkeit
der Luft. Bei der oben bezeichneten Reise durch Westfalen
fuhr er am 5. April 1894 mit der Bahn das Rheinthal hinunter
von Mainz bis Cöln. Bei völlig heiterem Himmel in der Höhe
und Windstille war in dem ganzen Flussthal ein so starker
Rauchduft, dass die gegenüberliegenden Uferberge unklar
waren, bald mehr bald weniger, oft zur Unkenntlichkeit.
Die Fahrt auf dem Fluss, die anfangs im Plane gelegen hatte,
würde unter diesen Umständen eines jeden Reizes entbehrt
haben. Es ist natürlich nicht immer so auf dem Rhein; am
26. Juli 1891 fuhr Verfasser mit dem Dampfboot den ganzen
Fluss entlang von Mainz bis Rotterdam; die Luft war befrie¬
digend klar. In jenem Falle war die tagelang andauernde
fast völlige Windstille die Ursache des dicken Rauchs; bei
starkem Wind kann derselbe so völlig fortgetrieben werden,
dass von einer Trübung der Luft keine Rede mehr ist. Da¬
zwischen liegen nun alle Uebergänge; im Allgemeinen wird
die Luft im Rheinthal nicht mehr so klar sein wie in
früheren Zeiten.
Ferne Gebirge erscheinen ebenso nicht mehr so klar,
wie vor der Zeit der reichlichen Verwendung der Kohlen.
Nördlich und nordwestlich der Stadt Frankfurt a. M. zieht
sich gegen N. und NW. die Kette des Taunusgebirges in einem
Abstand von 10 bis 30 km hin. In den ersten 13 Jahren
seines Lebens hatte Verfasser das Gebirg von dem 4 km
westlich von Frankfurt entfernten, an dem Main gelegenen
Dorfe Niederrad, wo sein Vater Pfarrer war, fortwährend
vor Augen, soweit seine Erinnerung geht, fast anhaltend
klar (der Abstand vom Gebirge ist hier gleich gross. Später
wohnte Verfasser in Frankfurt). Jetzt zeigt sich ihm bei einer
gelegentlichen Reise nach Frankfurt das Gebirg zumeist
getrübt, Fälle vollkommener Klarheit sind sehr selten. —
Das am linken Rheinufer etwa 50 km sich hinziehende Haardt¬
gebirge bildet einen schönen Abschluss der Landschaft gegen
West und Nordwest vom gegenüber liegenden badischen Ufer
aus gesehen. Verfasser wohnte als Studirender 1854 und
1855 und dann wieder als Privatdocent der Universität 1857
bis 1865 in Heidelberg, seit 1865 in Karlsruhe. Während
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seines ganzen Aufenthaltes in Heidelberg konnte man zumeist
das Haardtgebirge gut sehen; es machte namentlich von der
Terrasse des berühmten Schlosses aus bei Sonnenuntergang
eine vorzüglich wirkende Horizontalbegrenzung. Jetzt liegt es
verhältnissmässig selten klar da. — Aehnliches kann man von
dem Blick auf die Haardt von Karlsruhe aus sagen. Seit
1865 hat sich das Gebirge mehr und mehr dem Auge verhüllt,
wennschon auch noch Tage grosser Klarheit Vorkommen, sie
sind jedoch selten.
Es ist wohl nicht zu bestreiten: die Menschen ver¬
derben sich selbst unbeabsichtigt, unbewusst, ihre schöne
Luft, mit Zunahme der Gultur in den civilisirten Ländern
in steigendem Grade. In früheren Zeiten, als Holz den ein¬
zigen Brennstoff bildete, machte sich dies in geringerem
Grade merklich, und nur gelegentlich, bei Moor- oder
Steppenbränden konnte es auffallender hervortreten, immer
jedoch mehr strichweise. Seit Verwendung der Kohlen und
insbesondere mit Entwicklung der Industrie zeigt es sich
unverkennbar als dauernde Erscheinung, die zunimmt und
über ganze Länder sich erstreckt. Ins Bewusstsein tritt es
allerdings lebhaft nur der älteren Generation, welche noch
den besseren Zustand gekannt hat; die jüngere Generation
wächst in den veränderten Verhältnissen auf und weiss es
nicht anders. Nur da, wo die Rauchtrübung einen höheren
Grad erreicht, in grösseren Städten, fasst man sie als wirk¬
liche Kalamität auf und sucht sich ihrer zu erwehren. Es
kommen dabei allerdings mehr ästhetische Gründe zur Wir¬
kung als hygienische. Gesundheitlich nachtheilig erweist
sich der Rauch nicht; seine schwereren niedersinkenden
Theile bedecken jedoch alles mit Schmutz und dann wird
auch gewiss die Stimmung beeinflusst.
Ob je die ursprünglichen Zustände wiederhergestellt
werden können? Schwer zu beantworten! Eine ökonomische
Frage. An das Zurückkehren zum ursprünglichen Holz¬
brand ist nicht zu denken, wenigstens so lange die Kohlen-
vorräthe nicht erschöpft sind. Der jährliche Holzzuwachs
hätte schon lange nicht mehr dem gesteigerten Bedürfniss
nach Wärme als motorischer und chemisch umbildender
Kraft Befriedigung gewähren können. Bios an die aus¬
schliessliche Verwendung nicht flammender und rauchender
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Kohlen, wie der Anthracit und die ihm nahe stehenden
mageren Kohlen, könnte gedacht werden, oder an die Um¬
wandlung der Flammkohlen in eine Form, in der sie beim
Brennen keinen Rauch entwickeln. In den Gasfabriken ge¬
schieht letzteres. Das Gas findet nun nicht blos als Leucht¬
stoff Verwendung, sondern wird auch immer mehr beliebt
als Heizstoff, für zahlreiche Zwecke im Gewerbe und im
Hauswesen, in der Küche zur Zubereitung der Speisen, im
Wohnzimmer zur Erwärmung der Luft. Die als Nebenpro-
duct gewonnenen Koks, für den Verkauf */s his */* der ver¬
wendeten Kohlen, werden von Anfang an als werthvoller
Brennstoff geschätzt. Für Hüttenzwecke (besonders Eisen¬
gewinnung) werden solche auch in grossen Mengen beson¬
ders an den Kohlengruben hergestellt. Bei der Umwandlung
der Kohlen wird aber eine grosse Menge Wärme verbraucht,
dazu kommen dann noch die Arbeitskosten: so erklärt sich,
dass Gas und Koks als Brennstoffe zusammengenommen viel
theurer sein müssen, als die ursprünglichen Kohlen. Es
könnte also nicht daran gedacht werden, allgemein oder nur
in umfangreicherem Grade Gas und Koks statt der Kohlen
zu verwenden. Das Gleiche lässt sich in Bezug auf das
besondere, als „Wassergas“ bezeichnete Vergasungsproduct
der Kohlen sagen, das namentlich in Amerika eine nicht
unbedeutende Verwendung zu Leucht- und Heizzwecken ge¬
funden hat, was in Deutschland bis jetzt nicht der Fall ist.
— Anthracit und die ihm im Verhalten nahe stehenden
mageren Kohlen kommen in Europa in verhältnissmässig so
geringen Mengen vor, dass sie nur zum kleinen Theile den
Bedarf an Wärme decken können. — Nun noch die Rauch¬
verzehrung in geeigneten Feuerungsanlagen. In der Gross¬
industrie wird es erstrebt, die Dampfkesselfeuerungen, um
die es sich hauptsächlich handelt, so zu leiten, dass die Ver¬
brennung eine vollkommene ist und die Schornsteine keinen
Rauch mehr aussenden. Mehr oder weniger gut ist das Ziel
erreicht. Aus dem Umstande, dass die meisten Schornsteine
noch starken Qualm eine Zeitlang nach dem Schüren aus-
stossen, ist jedoch zu schliessen, dass die Rauchverzehrung
mit gewissen Mängeln verbunden ist, sei es, dass die Anlage
oder Unterhaltung kostspielig ist oder dass der gute Erfolg eine
grosse Aufmerksamkeit, einen geschickten Heizer bedingt.
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Im Allgemeinen treten die Dampfkesselbesitzer nicht gerne
und freiwillig an die Aufgabe heran, zumeist folgen sie nur
polizeilichem Zwang. Wenn nun auch in vielen Städten ein
Verbot des starken Qualmens der Schornsteine besteht, so
ist doch ein massiger, lichter Rauch zulässig. Dessen Summe
von vielen Schornsteinen kann sehr wohl eine starke Trü¬
bung bewirken, ja der lichte Rauch dürfte die Hauptquelle
des Duftes sein, da die den dicken Rauch schwärzende Ma¬
terie wahrscheinlich als schwerer Russ sich bald zu Boden
senkt. — Dann kommt aber noch weiter der Rauch aus
den Hausschornsteinen in Betracht. Unsere gewöhnlichen,
zumeist verbreiteten Stubenöfen und Kochherde werden kaum
je auf vollkommene Raucliverzehrung einzurichten sein; beim
periodischen Schüren mit Flammkohlen lässt sich eine an¬
fängliche Rauchbildung gar nicht vermeiden. Da wo die
offenen, kalorisch sehr unwirksamen, Kaminfeuerungen be¬
liebt sind, ja fast die einzige Art der Zimmerheizung bilden,
wie in England, ist in absehbarer Zeit an eine Aenderung,
an eine Verwendung weniger Rauch bildender und vor
Allem viel ökonomischerer geschlossener Oefen nicht zu den¬
ken; viel eher dürfte die Kostenfrage als der Rauch einstens
dahin führen. Das offene Feuer ist zur Zeit viel zu sehr
mit allen Gewohnheiten, mit den Anschauungen des Behag¬
lichen und hygienisch Zweckmässigen, mit der Art des Haus¬
baus und der Zimmereinrichtung verbunden. Die häuslichen
Heizapparate bilden, im Winter wenigstens, die Hauptquelle
des Rauchs, was nur nicht so in die Augen fällt, da derselbe
von zahlreichen Stellen in geringer Menge sich entwickelt
und bald in der übrigen Luft gleichmässig vertheilt.
Mit der steigenden Cultur, mit Verfeinerung der Sitten
entwickelt sich bei dem Menschen der Sinn für das Natur¬
schöne; nicht blos, dass die in den Städten Wohnenden im
Sommer für eine Zeitlang den Landaufenthalt zur Erfrischung
suchen, soweit es ihre Mittel irgend ermöglichen — die
Freude an der die Gesundheit so fördernden Bewegung in
der Natur, an dem Durchwandern von Berg und Thal nimmt
in den letzten Jahrzehnten progressiv zu und es werden auch
die Bewohner von Städten davon ergriffen, die sich ursprüng¬
lich durch ihr Naturell oder durch die reizlose Umgebung
in der Ebene zum Spazierengehen weniger animirt fanden
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In der Vaterstadt des Verfassers, in Frankfurt, ist die Be¬
völkerung von jeher viel gewandert, ursprünglich war der nahe
Taunus das stete beliebte Ziel; mit Entwicklung der Eisen¬
bahnen schloss sich der Odenwald, der Rhein an. Auch auf
der Universität Giessen, wo Verfasser von 1849 bis 1853
studirte, ist die Bevölkerung immer wanderlustig gewesen,
bewogen durch die hübsche Umgebung, durch die vielfachen,
3 bis 7 km entfernten Zielpunkte auf Bergeshöhen. Ebenso
in Heidelberg. In Karlsruhe fand Verfasser vor drei Jahr¬
zehnten die Sachlage verschieden; nur wenig kam die Be¬
völkerung hinaus. Der herrliche Aussichtspunkt des Thurm¬
bergs bei Durlach, 5 km von Karlsruhe, war den Meisten
unbekannt; es war eine Wildniss. Vor 10 Jahren erst ent¬
stand eine Wirthschafl oben, der bald eine zweite folgte und
jetzt geht eine Seilbahn auf den 140 m über der Ebene
befindlichen Punkt. Alt und Jung ist heute von der Wander¬
lust ergriffen, ein Schwarzwaldverein hat sich im Jahre 1887
in Karlsruhe (als Zweig des bereits seit drei Jahrzehnten
bestehenden allgemeinen Schwarzwaldvereins) gebildet, der
neue Wege plant, Aussichtspunkte ausfindig macht und Pa¬
villons oder Thürme daselbst baut, zahlreiche Wegweiser
errichtet, Karten der Umgebung herausgibt, Sonntagsaus¬
flüge in Gesellschaft veranstaltet. Der Sinn der Menschen
hat eine Umwälzung erfahren. Wie hier, so ist es im
ganzen Lande Baden; ja man kann sagen, im grössten
Theile von Deutschland, wo sich irgend Gebirge vorfinden;
auch in andern Ländern. War der Sinn für das Wandern
in freier Natur vorher nicht vorhanden, so wurde er ge¬
weckt, lag er schon im Blut der Bevölkerung, so wurde er
noch verstärkt durch den Zeitgeist und durch das gemein¬
same Zusammenwirken.
Die Zeit der schönen, weiten Fernblicke von der Höhe
scheint nun als Regel für immer vorüber zu sein. Wo die
Empfänglichkeit für die Aufnahme des Naturschönen in
immer grössere Massen dringt und gewiss einen veredelnden
Einfluss auf ihr Empfinden, auf ihr Thun und Lassen aus¬
übt, wird der erstrebte höchste Genuss nur Wenigen mehr
zu Theil. Es bleibt im Ganzen eine Sache des Zufalls, ob
der Lohn für stattgehabte oft grosse Mühen sich einstellt.
In wie weit der Zustand der Atmosphäre in der Tiefe auf
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Fernsichtep von der Höhe schliessen lässt, wird am Schluss
zu untersuchen sein.
Dass Orte, die, in schöner Gegend liegend, auf Fremden-
besuch eingerichtet sind, sich den dicken Hohlenrauch oder
sonstigen Staub der Fabriken fern zu halten suchen, ist
erklärlich; ein Beispiel aus unmittelbarer Nähe bietet uns
Heidelberg, das zur Zeit grosse Opfer bringt, um die Ver¬
legung der am 4. Februar 1895 abgebrannten Cementfabrik,
deren, den vielen hohen Schornsteinen in Massen entströmender
weisser Qualm aus Cementstaub bestand, zu ermöglichen.
In Reichenhall und Berchtesgaden befinden sich grosse Salz¬
siedereien; hier wird während der Saison, bezw. Reisezeit,
nur Holz gebrannt. Aehnliches, namentlich Koksbrand, dürfte
im Laufe der Zeit wohl auch den die romantischen Gebirgs¬
seen in grösserer Zahl befahrenden Dampfbooten etc. zur
Vorschrift gemacht werden.
Einwirkung von feuchter Luft und Regen auf
den Duft. Im Vorhergehenden wurde der Feuchtigkeits¬
gehalt der Luft nicht in Betracht gezogen; ihr Zustand wurde
als der mittlere von massiger Trockenheit angenommen.
Welche Wirkung übt nun ein hoher Grad von Feuchtigkeit
auf den Luftduft und ferner: Wie wirkt Regen, also der
sich bei Übersättigung zu Tropfen verdichtende Wasserdampf?
Es wurde oben schon auf Hygroskopicität des Rauchs
hingewiesen, wodurch seine Theilchen elektrisch leitend werden
und sich abstossen können; dass aller organische sowie mi¬
neralische Staub in hohem Grad Wasser aufnehmen kann,
darf als gewiss angesehen werden.
Kühlt sich gesättigte Luft ab, so bildet sich zuerst
Nebel, feinste Wassertröpfchen, die bei ihrer Vermehrung
zusammentreten, an Gewicht zunehmen und zuletzt als
Regen niedersinken. Durch neuere Untersuchungen ist es
nun wahrscheinlich, ja fast zur Gewissheit gemacht, dass
Nebel, wie Wolken, durchaus an das Vorhandensein von
Luftstaub gebunden sind, an dem sich der Wasserdampf ver¬
dichtet; fehlt der Staub, so fällt bei der Abkühlung eines
gesättigten Raums das Wasser sofort tropfbar nieder, ohne
den Raum durch Nebel undurchsichtig zu machen. Man
wird annehmen müssen, dass die Eigenschaft, Nebel hervor-
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zurufen, dem Staub jeder Abstammung zukommt. Ent¬
hielte die Luft keinen Staub, so würde der Himmel
dauernd schwarz und mit Sternen bedeckt erscheinen, Regen
würde fallen, ohne dass wir durch eine Veränderung des
Himmels darauf vorbereitet wären, Dämmerung würde es
nicht geben, eine gleichförmige Beleuchtung würde fehlen, etc.;
der Zustand würde ganz verschieden von dem wirklichen
sein und kein erfreulicher nach unseren Anschauungen. Aus
der Wasser anziehenden und Nebel bildenden Eigenschaft
des Staubes erklärt sich ungezwungen, dass bei feuchtem
Wetter die Luft stark mit Duft erfüllt erscheint, die Aussicht
sehr beschränkt ist, oft kaum über 2 km geht, ohne dass
Regen fällt. Die Herbstnebel, welche im Oktober und Novem¬
ber die Rheinebene oft erfüllen, geben nie zu Regen Ver¬
anlassung, sie gehen selten über 200 bis 300 Meter hoch;
sie schwinden häufig gegen Mittag in Folge der Erwär¬
mung durch die Sonne von oben, vorher sieht man schon
die Sonne durchscheinen. Bei diesen Nebeln ist die Luft
durchaus nicht mit Wasserdampf gesättigt, um so weniger,
je dünner sie sind, nur bei ganz dicken Nebeln weicht
der mit feuchten Lappen umwickelte Thermometer des
August’schen Psychrometers in seinen Anzeigen kaum ab
von dem Stand des frei hängenden Thermometers, der die
wahre Lufttemperatur anzeigt. Auch dies stimmt sehr gut
mit der Annahme von, den Nebel bildendem, Staub. Ist die
Luft klar geworden und scheint frei die Sonne, so bleibt der
Blick darum doch beschränkt, eigentliche Fernsichten gibt
es nicht, die Luft ist immer noch mässig feucht, so dass der
Staub relativ viel Wasser enthält und dadurch auf die Ent¬
fernung mehr trübend wirkt, als in trockener Luft. Wie
sehr starker Staub in der Luft — der Rauch — die Bildung
des Nebels befördern kann, bis zur völligen Undurchsichtig¬
keit auf ein paar Schritt, so dass man am Tag Laternen
zur Strassenbeleuchtung anzünden muss, davon liefert die
Riesenstadt London mitunter den Beweis, früher häufiger,
als in den letzten Jahren, da der Rauch jetzt im Ganzen
etwas schwächer ist, indem die Fabriken rauchverzehrende
Feuerungen anwenden müssen und auf der Themse keine
Flammkohle gebrannt werden darf.
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Bei gleicher Staubüberfüllung erscheint feuchte Luft
trüber als trockene!
Welche Wirkung hat nun der Regen? Eine wichtige,
segensreiche! Er ist das Reinigungsmittel, durch welches
die Luft von ihrem Staub befreit wird. Gäbe es keinen Regen,
so würde sich die Luft immer dichter mit Staub erfüllen,
vielleicht zuletzt dauernd erscheinen wie zur Zeit des Höhen¬
rauchs und zwar über die ganze Erde. Eine Grenze müsste
es zuletzt geben, da mit Abnahme der wärmenden Wirkung
der Sonnenstrahlen auch die Luftströmungen auf der Erde
aufhören würden und der Staub, theils nicht mehr gebildet
werden (als mineralischer) theils nicht mehr fortgetragen und
sich mischen könnte mit der übrigen Luft (als Rauch). Von
der reinigenden Wirkung des Regens erlangt man nicht
immer unmittelbar Kenntniss. Dass, so lange es regnet, die
Luft auf kurze Entfernung ganz trübe, undurchsichtig ist,
erscheint selbstverständlich. Aber auch bei jedem längere
Zeit dauernden, sogenannten Landregen ist die Luft immer
sehr trübe in den Pausen, wo der Regen aufhört. Sie bleibt
eben dann mit Wasserdampf nahe gesättigt und jetzt macht
der in der Luft noch befindliche Staub seine trübende Wir¬
kung weiter geltend, ln Karlsruhe beobachtet man solches
immer sowohl bei Südwestwind wie bei dem kalten Nordwind,
von denen ersterer den Rauch des ganzen Rheinthals von
Basel ab mitbringt, letzterer wahrscheinlich den Rauch des
westfälischen Kohlenbezirks. Die Erscheinung findet keine
Ausnahme, soweit die langjährigen Erfahrungen des Verfassers
reichen. Aus dem Jahre 1894 zwei Beobachtungen: Am
20. April war bei kühlem Nordwind (10® C. Barometer-
Meereshöhe 750 mm) fast den ganzen Tag über Landregen,
das Gebirge war in den Pausen nicht sichtbar, am folgenden
Tag hörte Regen auf, Gebirg wurde zwar sichtbar, aber nicht
weiter als auf etwa 10 km Entfernung. — Sonntag den
10. Juni zeigte sich Nachmittags bei 18° C. (Barometer
760 mm) und bedecktem Himmel die Luft sehr trübe, Wind
mässig aus SW; Schwarzwald auf nicht mehr als etwa 20 km
sichtbar, Haardt ganz verdeckt. Um 5 Uhr stellte sich ein
zweistündiger heftiger Regen ein; dann klärte es sich wieder
auf, aber das Gebirg blieb fast verdeckt.
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- Unmittelbar auf Regen kann die Luft aber auch sehr klar
werden und die Fernsicht vorzüglich. Solche Regen sind immer
von kurzer Dauer, gewöhnlich heftige Platzregen, die meist aus
der Gegend zwischen Süd west und West zu uns gezogen kommen,
bei gebrochenem, halb heiterem Himmel sich mitunter über
unseren Häuptern bilden, gelegentlich auch mit Blitz und
Donner verbunden sind, bald an dieser, bald an jener Stelle
des Himmels sich zeigen und ganz örtlichen Charakter tragen.
Windstärke im Allgemeinen gering, doch mit dem Regen
meist zunehmend. Bei solcher Witterung ist die Luft über¬
haupt klar, ohne Zweifel schon früher gewaschen. Sie ist
auch nicht sehr feucht; sie kühlt sich durch den Regen zwar
ab, erhöht ihre Temperatur nach Aufhören desselben aber bald
wieder. Am 7. Juni 1894 hatte das Wetter diesen Charakter
(Temperatur Nachmittags 21 # C, relative Feuchtigkeit 54°).
Wenn bei solcher Witterung die Fernsicht einseitig unvoll¬
kommen ist, so rührt dies von Regen nach dieser Rich¬
tung, mit Verschwinden desselben tritt Klarheit ein. Das
Bild der Landschaft von der Höhe ist dann wechselnd und
von grossem Reiz. Es ist übrigens nicht ausgeschlossen,
dass bei derartigen örtlichen Platzregen die Luft auch ein¬
mal trüb erscheint; es würde dies dann der Fall sein, wenn
in ihr, seit sie den letzten Staub (Rauch) aufgenommen,
nicht bereits Niederschläge stattgefunden hatten, sondern
wenn dieselben jetzt erst beginnen; die klarere Luft würde
nun andern Gegenden zu Gut kommen. Eine solche Witterung
dauert selten mehr als 2 Tage. — Ganz verschieden hiervon
ist ein Zustand der Atmosphäre, wie er sich mitunter im
Sommer zu erkennen gibt, so in den Tagen vom 22. bis
26. Mai 1895 in Mittel- und Süddeutschland, wohl auch noch
weiter hin. Bei mittlerem Druck bestand um diese Zeit
eine flache Depression über Mitteleuropa; Himmel heiter oder
gebrochen, Wind schwach oder Null aus Ost und Südost,
Temperatur ziemlich hoch bis 22° C., auch Feuchtigkeitsgehalt
der Luft verhältnissmässig hoch. Zahlreiche vereinzelte starke
Gewitter fanden über dem ganzen Gebiet statt; dieselbe’u
waren von keinem nennenswerthen Wind bestimmter Richtung
begleitet, sie entluden sich am Orte ihrer Bildung, zogen
nicht weiter. Die Luft war während der ganzen Zeit stark
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duftig, trübe, nur vorübergehend wurde sie, wo es geregnet
batte, klar, Aussichten gab es jedoch nicht.
Der Wasserdampf für sich ist vollkommen durchsichtig
wie auch die Hauptbestandtheile der Luft: Stickstoff und
Sauerstoff; nur ausgeschieden in Form von Wolken und
Nebel oder, wie man auch oft sagt, „Dunst" im Hinblick
auf schwache Ausscheidung, namentlich bei mildem Wetter,
erzeugt er Trübung. Am Meer, welches die Quelle alles
Wassers der Luft bildet, muss dieselbe immer feuchter sein,
als im Innern des Landes; es kann nun ganz wie dort die
Luft klar oder trübe sein, je nach Windrichtung und Stärke.
Solches lässt sich immer bei der Ueberfahrt über den Ka¬
nal oder bei einem längeren Aufenthalt in den Nordsee¬
bädern beobachten. Windstille ist in Ostende immer mit
trüber Luft verbunden, auch schwacher Wind, namentlich
wenn er aus der Richtung von England kommt. — Land¬
seen, welche von hohen Bergen eingeschlossen sind, werden
bei ruhiger Luft besonders trüben Blick zeigen, sofern Kohlen
an ihren Ufern oder auf sie befahrenden Dampfschiffen ge¬
brannt werden. Solches konnte Verfasser lebhaft an den
Tagen vom 7. bis 16. August 1893 am Vierwaldstätter See,
30. August am Thuner See und 31. August bis 2. September
am Genfer See beobachten. Bei dauernd heiterem Himmel
und ruhigem Nordostwind war die Luft sehr trübe an allen
drei Seen und der Blick beschränkt auf die nächste Um¬
gebung. Von Montreux am Genfer See konnte man zwar
die gegenüberliegenden Berge auf französischem Ufer sehen,
aber das Dent du Midi nach dem Rhonethal, der schönste
Blick, blieb verhüllt. Am 2. September trat bei Windstille
Regen ein und schon vorher wurden die Berge am linken
Seeufer fast unsichtbar.
Man spricht vielfach vom italienischen Himmel und meint
damit ein dunkles Blau. Im Norden von Italien, wo die
grossen, viel Rauch erzeugenden Städte liegen, in der Lom¬
bardei und in Venedig, konnte Verfasser bei mehrmaligem
Besuch keinen Unterschied in der Klarheit der Luft gegen
Süddeutschland finden. Der dunkle Himmel muss im Ganzen
auf den südlichen Theil der Halbinsel beschränkt sein, wo
Rauch weniger entwickelt wird und wo die grossen Flächen
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des mittelländischen Meeres mehr sich geltend machen.
(Aehnlich in Griechenland und Spanien.) — Aegypten ist ein
Land von grosser Trockenheit, regnet es daselbst doch so
gut wie nicht; Rauch wird auch nur wenig erzeugt, im
geringsten Grade von Kohlen. Die Luft zeichnet sich durch
grosse Klarheit aus, der Himmel durch tiefdunkles Blau.
Doch nicht immer. Hier sind es insbesondere die Winde
(Ghamsin oder Samum), welche Trübung bringen, insofern
sie aus S bis SSO von der nubischen Wüste kommen und
den Staub aufjagen, wie schon früher angegeben wurde.
Heisse staubführende, heftige Winde, wahrscheinlich von der
Sahara her, werden auch in Sicilien und im südlichen Italien
beobachtet.
Die Zone der (subtropischen) Passatwinde ist berühmt
wegen ihres hohen Grades von Klarheit der Luft, was sich
insbesondere des Nachts in der Pracht des gestirnten Him¬
mels zu erkennen gibt, es fehlt dort eben an allem trüben¬
den Rauch. Cronau schildert den ihm auf einer Reise nach
den Antillen 1890 gewordenen Eindruck der Himmelsbläue
und ihrer Wirkungen in geradezu begeisterter Weise (Köl¬
nische Zeitung, 16. Dez. 1894, Nr. 1020: Auf den Pfaden
grosser Entdecker). — Die Luft ist hier wohl wasserreich, aber
relativ trocken; mehr nach dem Aequator hin, wo sie immer
feuchter wird und sich in den Kalmen erhebt, um nach Nord
und Süd überzufliessen, erscheint der Himmel jedoch in Folge
der in der Höhe beginnenden Verdichtung des Wasserdampfs
mehr weissblau, ja fast weiss, hellleuchtend und eine hohe
Gluth allseitig ausstrahlend (Hann, Klimatologie, S. 403).
Der Blick in der Tiefe horizontal kann dabei sehr weit
gehen. Zur Regenzeit, die sich in den Tropen immer nur
in vorübergehenden heftigen Güssen charakterisirt, fand
Dr. Hans Meyer (mündliche Mittheilung) die Luft in Ceylon,
Java, Sansibar, vollkommen klar. — Ebenso kann
sich das Extrem, strenge Winterkälte und grosse Trockenheit,
durch hohen Grad von klarer Luft auszeichnen. Erman
schildert dies in seinem Reisewerk über Sibirien eingehend;
derselbe befand sich vom 7. Februar bis 19. März in Irkutzk
(Ostsibirien), die Temperaturen waren Morgens —30 bis
—20° C. und stiegen im Laufe des Tages bis —5°C. Der
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Himmel war fortwährend dunkelblau, die Atmosphäre wind¬
stille; die Luft so trocken, dass nasse Gegenstände in we¬
nigen Stunden ihr Wasser, das anfangs gefror, vollständig
verloren. Die Klarheit der Luft wurde hier derjenigen am
Beginn der Passatregionen an die Seite gestellt (Hann,
S. 582). Die Luft ist auch hier rauchfrei; die Bevölkerung
ist zu dünn 1 , was durch Holzbrand an Rauch in die Luft
gelangt, ist zu wenig, als dass sich die Luft dadurch mit
merklichem Duft erfüllen könnte. Wenn bei uns, wie im
Anfang des Jahres 1895 strenge Winterkälte mit ruhiger
Luft eintritt, so ist die Atmosphäre im Rheinthal immer mit
starkem Duft erfüllt, die Fernsicht durchaus beschränkt; es
kann nur der sich überall entwickelnde dicke Rauch die
Ursache hiervon sein.
Norwegen ist dünn bevölkert, es wird daselbst, abgesehen
von den wenigen am Meere liegenden grösseren Städten, blos
Holz gebrannt. Bei einer Reise durch das Land von Helsing¬
borg über Christiania (gerade Linie 60 deutsche Meilen) nach
Drontheim (52 Meilen) mit der Bahn, von da über Moltke
nach Bergen (60 Meilen) zu Schiff, ebenso durch Hardanger und
Sognefiord, von Lärdalsören mit dem Wagen an den
Mjösensee (27 Meilen, Fahrt von 3 Tagen), von Hamar über
Christiania nach Helsingborg wieder mit der Bahn, während
der Tage vom 24. August bis 10. September 1889 fand Ver¬
fasser die Luft überall klar, die Aussichten, insbesondere
von dem 1470 m hohen Stugunös befriedigend, während das
Wetter verschiedenen Charakter trug, in den ersten Tagen
etwas regnerisch, in der letzten Zeit jedoch dauernd heiter
bei Windstille. Ein tief blauer Himmel wurde allerdings
nicht beobachtet.
Beziehungen der Duftstärke zu der Höhe. Wie
kommt der Träger des Duftes, der sich nur in der Nähe
des Erdbodens entwickeln kann, in die Höhe, bis zu welchem
senkrechten Abstand vom Boden kann er getragen werden?
Dies sind Fragen von allgemeinem Interesse sowohl wie im
besondern Hinblick auf den Genuss von Aussichten. Vom
1 Die Stadt zahlt 44 000, das gleichnamige Gouvernement, um
die Hälfte grösser als Deutschland, 410 000 Einwohner.
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Nebel wissen wir, dass er zumeist nur geringe Höhe besitzt
und dass man auf darüber hinausragenden Bergen sehr weite
Aussichten haben kann, die ihres Reizes nicht entbehren,
wenn auch der Blick in die Tiefe verschleiert bleibt. Verhält
sich der Duft in dieser Hinsicht dem Nebel ähnlich?
Dass den Dufttheilchen, soweit sie vom Rauch stammen,
ein Streben innewohnt, sich gleichmässig in der Luft zu
vertheilen, davon war schon früher die Rede, man kann es
täglich beobachten. Windwirbel können solches nur befördern.
Diese sind jedoch nicht immer und überall da, sie haben im
Allgemeinen keine steigende Tendenz. Dass, wenn die Luft
bei Wind über Gebirge geht, der Duft mit in die Höhe
genommen wird, ist selbstverständlich. Die Luft ist aber
immer und überall in absteigender und aufsteigender Be¬
wegung, dadurch dass sie ungleich warm und feucht ist und
damit verschiedenes Gewicht besitzt; die schwerere (kältere,
trockenere) Luft sinkt nieder und drückt damit die leichtere
(wärmere, feuchtere) in die Höhe. Dies macht sich im Kleinen
geltend bei jeder aus Schornsteineu strömenden Luft, wie im
Grossen, wenn ganze Länder bedeckende Luftmassen verschie¬
denen Gewichtes in Berührung mit einander stehen. So kommt
das ganze Luftmeer der Erde in dauernde Bewegung und auch
Mischung, denn die sich erhebende leichte Luft muss hoch oben
nach allen Seiten überfliessen und über die schwere Luft ge¬
langen, mit der sie dann bald sich vereint. Dabei ist noch
zu beachten, dass die aufsteigende Luft sich durch die Aus¬
dehnung abküblt und damit Anlass zu Wolkenbildung und
Niederschlägen gibt, während die sinkende Luft sich durch
die Verdichtung erwärmt, damit relativ trockner wird und
klaren Himmel bringt. Es gibt sich solches in werkwür¬
diger Weise zu erkennen, wenn feuchte Winde von Italien
über die Alpen wehen. Beim Aufsteigen zur Alpenhöbe ver¬
liert die sich stark abkühlende Luft einen grossen Theil
ihres Wassers in Regengüssen am südlichen Fuss des Ge¬
birges, die nördlich niedersinkende Luft erwärmt sich, wird
nun fast wolkenfrei und strömt bei ausgeprägtem baro¬
metrischem Minimum mit grosser, oft sturmartiger Ge¬
schwindigkeit nach Norden. Man nennt diesen trockenen
Wind „Föhn“, er kann Tage dauern, wiederholt sind in der
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Schweiz während desselben ganze Orte, die früher meist aus
Holz gebaut waren, abgebrannt. Die Luft ist dabei sehr rein.
Selten erstreckt sich der Föhn tief nach Deutschland hinein;
in höchst auffallender Weise machte sich seine Wirkung in
der ersten Januarwoche des Jahres 1877 bis weit nach
Mitteldeutschland geltend; in Karlsruhe wurden damals bei
dem heftigen, mehrere Tage dauernden Südwind Tempera¬
turen über 15° C. vom Verfasser beobachtet, die Luft war
ausnehmend klar, alle Gebirge im Umkreis scharf sichtbar.
In Bezug auf den aus Schornsteinen strömenden Rauch
ist noch eine Bemerkung zu machen. Er wird von grossen
Mengen heisser Luft getragen und doch sieht man ihn nur
bei völliger Windstille senkrecht zu grösserer Höhe empor¬
steigen, bei schwachem Wind biegt er kurz über der Schorn¬
steinmündung um und zieht horizontal weiter, worauf bereits
früher hingewiesen wurde. Der eigentliche Rauch befindet
sich sehr bald nicht mehr in der Luft, die ihn aus dem
Schornstein herausgeführt hat. Diese diffundirt mit grosser
Geschwindigkeit in die kalte Luft seitlich und nach oben
hinein, als wenn es chemisch verschiedene Gase wären, wäh¬
rend kalte Luft an ihre Stelle tritt und nunmehr Träger
des Rauchs wird; dieser bleibt dabei ruhig an seiner Stelle,
ihm als festem Körper geht das Diffusionsvermögen ab.
Wohl schon ein paar Meter von der Schornsteinmündung
ist der Vorgang beendet, auch beim senkrechten Aufwärts¬
strömen des Rauchs bei Windstille. Im letzteren Falle
nehmen die in die Rauchmasse eintretenden kalten Luft-
theilchen die Geschwindigkeit der aus ihr heraustretenden
heissen Theilchen an und nunmehr bewegt sich die ganze
Masse von der Temperatur der Umgebung noch eine ge¬
wisse Strecke senkrecht aufwärts, bis ihre Geschwindigkeit
durch den Anstoss an die ruhende Luft aufgezehrt ist. Der
Vorgang ist damit noch nicht zu Ende. Die aus dem Rauch
heraustretenden warmen Lufttheilchen müssen sich zugleich
in Masse in der Umgebung erheben. Die Diffusion schreitet
fort, die Masse warme Luft wird immer grösser, aber ihre
Temperatur immer geringer, der Auftrieb vermindert sich,
ein Stillstand wird aber erst in grösserer Höhe eintreten,
wo durch die fortschreitende Diffusion die Temperaturen sich
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ausgeglichen haben. Bei diesem Aufsteigen der Luftmassen
werden natürlich in allen Fällen auch die in ihr enthaltenen
Dufttheile in die Höhe geführt, der ursprüngliche Bauch
jedoch nur dann, wenn er sich ganz senkrecht erhoben hat;
sobald Wind geht und er horizontal fortgetrieben wird, be¬
findet er sich rasch unterhalb der erwärmten Luftmasse, er
kann dem Auftrieb nicht unterliegen, nur an einer anderen
Stelle, wo er über von unten kommender heisser Luft hin¬
wegzieht, könnte er auch mit in die Höhe genommen
werden.
Die Erwärmung der gesammten Luftmasse erfolgt fast
ganz vom Boden aus, ihre direkte Erwärmung durch Absorp¬
tion der Sonnenstrahlen ist nur gering. Wenn man sich
eine vollkommen gleichartige grosse Ebene denkt und gleich
starke Bestrahlung derselben durch die Sonne, so kann
die über derselben befindliche, durch Leitung erwärmte
Luft sich nicht in ihrer ganzen Ausdehnung erheben,
sie kann blos durch Diffusion in die darüber gelagerte kalte
Luft gelangen, während diese umgekehrt abwärts diffundirt.
Dabei bleibt der Duftstaub an seiner Stelle. Bei der un¬
gleichen Beschaffenheit des Bodens werden einzelne Stellen
jedoch höher erwärmt als andere und es müssen jetzt Massen¬
strömungen eintreten, in Folge deren auch bei höchstem
Barometerstand nie völlige Windstille sein kann; der Wind
kommt bald von dieser bald von jener Seite. Damit gelangen
denn die Staubtheile auch in die Höhe; immerhin wird
die Erhebung derselben nur eine beschränkte sein können.
— Unter allen Umständen kommt der Rauch in Concen-
tration nicht sehr hoch; nur ganz allmählig, nachdem die
Verdünnung eingetreten, wird er von der Luftströmung mit
in die Höhe geführt. Wenn man von dem 140 m hohen
Thurmberg bei Durlach auf das 5 km entfernte Karlsruhe
schaut, so sieht man den bei massigem Wind aufsteigenden
Rauch ganz tief liegen, scheinbar unmittelbar über den
Häusern. Sehr weit über Karlsruhe hinaus erstreckt sich
seine Massenwirkung in der Regel nicht. — Nur bei Steppen¬
oder Moorbränden, wo auf grossen Flächen sehr heisse Luft
entsteht, kann dicker Rauch auch zu grösseren Höhen mit¬
genommen werden.
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Im Allgemeinen wird man sagen können: bei hohem
Barometerstand, bei dauernd heiterem Wetter, bei Nordost-
bis Ostwind, bleibt der Duft mehr in der Tiefe als bei
niedrigem Barometerstand, bei Südwestwind. Die Wirkung
gegen den unbedeckten Himmel, die Farbe des Blau kann
in beiden Fällen die gleiche sein, aber der Blick in hori¬
zontalem Sinne wird bei Nordostwinden beschränkter sein,
als bei (gleich starken) Südwestwinden. Dies findet sich
auch thatsächlich bestätigt, wo nicht gerade wie im Rhein-
thal die Südwestwinde den Rauch einer langen Ebene her-
beiführen. Im Allgemeinen sind aber bei uns die Aussichten
von mittleren Höhen bei heiterem schönen Wetter nicht sehr
klar. Umgekehrt wird auf sehr grossen Höhen die Luft bei
heiterem Wetter durchsichtiger sein, der Blick über den Duft
der Tiefe hinaus weiter reichen als bei Wolkenhimmel mit
Südwestwind; in letzterem Falle wird noch hinzukommen,
dass der an sich stärkere Duft auch durch die Wirkung der
feuchteren Luft noch mehr getrübt wird. Wenn zwar, wie
es z. B. im August 1893 und im April 1894 der Fall war,
Wochen lang heiteres Wetter mit fast völliger Windstille
herrscht, so wird der Rauchduft allmählig auch sehr hoch
kommen können und die Fernsicht auf grossen Höhen be¬
schränken. Nicht blos die Windrichtung, sondern auch
die Windstärke spielt bei Aussichten von Höhenpunkten
eine Rolle; Wind wirkt verdünnend auf den in die Luft ein¬
tretenden Rauch, ganz im Verhältniss seiner Stärke.
Einige Beobachtungen über die Wirkung hohen Drucks
bei ruhiger Luft und im Ganzen heiterem Wetter. Im
Rheinthal liegen im Herbst (Oktober und November) oft
Tage lang Nebel, mehr oder minder stark und anhaltend;
dabei ist die Temperatur in der früheren Jahreszeit mild, in
der späteren niedrig. Auf den Höhen über 600 m, mitunter
noch tiefer herab, scheint die Sonne und ist es relativ
warm. Man hat hier häufig herrliche Aussichten auf grosse
Entfernungen, über den im Thale liegenden Nebel hinweg.
Verfasser sah unter solchen Umständen einmal (Sonntag,
den 6. November 1892) Morgens 10 Uhr bei 12° C. von
dem 1050 m hohen Schliffkopf bei Allerheiligen die ganze
Kette der Alpen bis zum Montblanc, auf eine Entfernung
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von 320 km völlig klar. Der Nebel in dem Rheinthal war
nur schwach, man konnte den Anfang der Ebene gerade noch
erkennen, der Eindruck war ein Mittelding zwischen starkem
Duft und Nebel; von den Vogesen erschien nur hin und wieder
eine Spitze, die 80 km entfernte rauhe Alp lag deutlich da,
scheinbar sehr nahe, in der Tiefe darunter zeigten sich weisse
Nebelstreifen. Man kann annehmen, dass die Luft in dieser
Höhe völlig duftfrei war. Die Sonne stand um die Beobach¬
tungsstunde unmittelbar über den Alpen, der Schliffkopf
wurde nicht beschienen, der Himmel war nur theilweise
wolkenfrei, auch unmittelbar über dem ganzen Schwarzwald;
aber nach Süden zu lag ruhig, vielleicht 30 km ent¬
fernt, scheinbar hoch, eine nicht sehr breite, aber von Ost
nach West stark in die Länge gezogene, den Schwarzwald
beschattende Wolke, unterhalb deren jedoch bis zu den
Alpen herab der Himmel klar blau war. Bei duftfreier
Luft ist die Aussicht in der Richtung der Sonne ebenso scharf
wie nach anderen Richtungen, es fehlt eben der den Hintergrund
verdeckende Blendstoflf. Die klare Luft hielt sich einige
Stunden, dann trübte sie sich. Nachmittags 3 Uhr war
Verfasser noch auf der nördlich, in gerader Linie vom
Schliffkopf aus 8 km entfernten Hornisgrinde, jetzt waren
die Alpen kaum noch zu erkennen; am Abend trat Wit¬
terungsänderung ein. Mehrere Tage zuvor hatte das Wetter den
gleichen Charakter, wie Sonntag frühe, dasselbe hatte den
Verfasser gerade zu der Parthie in den Schwarzwald veran¬
lasst. Wahrscheinlich waren die Alpen die ganze Zeit hin¬
durch gleich sichtbar gewesen. Wiederholt war dem Ver¬
fasser von Freunden versichert worden, sie hätten im Herbst
und Winter die Alpen von der Hornisgrinde aus gesehen;
er hatte immer einige Zweifel in die Richtigkeit der Beob¬
achtung gesetzt; nun fand er sich durch den eigenen
Augenschein überzeugt. Nie hatte er zuvor bei zahlreichen
Besteigungen der selbst viel näher gerückten südlichen
Schwarzwaldberge (Feldberg 1500 m., Belchen und Blauen)
die Alpen wahrgenommen, allerdings hatte das Wetter auch
immer anderen Charakter und war es Sommerzeit.
Dass klare Fernsichten von grosser Höhe jedoch auch im
Sommer stattfinden können, erlebte Verfasser am 16. August
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1893 am Vierwaldstätter See. Wie schon früher bemerkt,
war das Wetter während einer Woche heiter gewesen, Wind
fehlend, die Luft sehr duftig, höchste Tagestemperatur etwa
28° C. Die Weiterreise war auf jenen Tag festgesetzt und
in dieselbe einbegriffen der Besuch des Rigi. Die Erwar¬
tungen auf Aussicht von der Höhe konnten nur ganz nied¬
rig gestimmt sein, Tags zuvor gab es keinen Fernblick.
Eine wirkliche Ueberraschung wurde den, wie immer bei
heiterem Wetter, zahlreichen Auffahrenden (von Vitznau aus)
zu Theil. Etwa in halber Höhe des 1800 m hohen (1363 m
über dem See liegenden) Berges, unterhalb Ealtbad, traten
(Morgens 10 Uhr) in SSW die 70 km (Jungfrau) ent¬
fernten Schneeberge des Berner Oberlandes über den Duft
der Tiefe hervor, mit Höhersteigen des Bahnzugs immer
mehr anwachsend. Bei Kaltbad (1440 m) lag die ganze Kette
völlig klar vor Augen, ein wahrhaft grossartiges Bild! Ver¬
fasser war zuvor neun Mal auf diesem berühmtesten Aus¬
sichtspunkt der Alpen gewesen und hatte das Berner Ge¬
birge nie gesehen. Ebenso erschienen äusserst klar alle
andern in der Richtung von NNO nach SSW liegenden
Alpen, vom Sentis an bis zum Pilatus. Diese hatte Ver¬
fasser wohl auch sonst zumeist sehen können, doch nie so
bestimmt, so vollzählig, so nahe gerückt. Die Aussicht hielt
den ganzen Tag an, doch war am Abend die Klarheit etwas
vermindert. Am andern Morgen konnte man die Schnee¬
berge noch sehen, im Laufe des Vormittags verhüllten sie
sich. Der Blick in die von der Sonne beschienene Ebene
reichte bei dem starken Duft nicht Uber 20 km, Luzern
(14 km) konnte noch gesehen werden, viel weiter nicht. Das
Jura-Gebirge blieb bis auf einige schwache Wölbungen voll¬
ständig verhüllt, wie eine Wand lag der Duft darüber, ge¬
radlinig nach oben abgeschnitten. Der Jura bildet zu anderen
Zeiten einen schönen Horizontabschluss nach W bis NNW.
Der Blick in das davorliegende lachende Flachland von der
Höhe hat sonst auch seinen Reiz. Darauf musste man dieses
Mal verzichten. Im Uebrigen ist die Aussicht vom Rigi auch
zu anderen Zeiten, wo die höchsten Alpen nicht erscheinen,
immer grossartig, besonders unmittelbar in die Tiefe nach
den Seen, dieselbe war an diesem Tage wegen des Duftes
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400
minder schön. Die Zeiten, wo der Blick in die Höhe und
die Tiefe nach allen Seiten völlig klar ist, sind ohne Zweifel
äusserst selten; es wird von darüber gemachten Erfahrungen
noch berichtet werden.
Wie soll man sieb diese gewiss merkwürdige Erscheinung
des einen klaren Tages in der Höhe mitten in einer längeren
Periode unveränderlichen ruhigen Wetters erklären? Dass der
Duft allein sich in der Nacht zwischen den Lufttheilchen
hindurch gesenkt habe, ist nicht anzunehmen; das hätte dann
in jeder anderen Nacht auch geschehen müssen. Es bleibt
nur die Annahme übrig, dass die ganze Luftmasse sich
gesenkt habe und dabei den Duft hinabgeführt. Man braucht
dabei nicht einmal an ein sehr tiefes Senken zu denken;
500 m würden schon reichen. Wie hoch der Duft über den
ßigi hinausgegangen ist oder gewöhnlich bei ähnlichem
Witterungscharakter hinausgeht, kann man nicht sagen. Um
den Blick auf die Schneeberge des Berner Oberlandes, wie
auf alle höheren Berge als 1800 m zu verhüllen, genügt eine
Erhebung des Duftes bis zu dieser Höhe. Reichte er blos so
weit, so brauchte sich die ganze Luft nur bis etwa 150 m
unterhalb Kaltbad zu senken, um die Berner Schneeberge
erscheinen zu lassen. Die sich senkende Luft musste dann
im horizontalen Sinne ausweichen. Dies konnte nur in der
Richtung der Ebene WNO geschehen, da nach Süd die
Alpen ein Hinderniss bildeten. Einen besonders merklichen
Wind braucht die Senkung nicht im Gefolge zu haben. Es
ist auch nicht nöthig, an eine sehr ausgedehnte horizontale
Erstreckung der sich senkenden Luftmassen zu denken.
Starker Duft wirkt auch auf geringe Entfernung trübend, er
konnte sehr wohl in den Alpen stellenweise, z. B. um den
Vierwaldstätter See herum höher hinaufgegangen sein und
dann bedurfte es nur der Senkung gerade dieser betreffenden
Strecken — was immerhin ein merkwürdiges Zusammen¬
treffen sein würde.
Die Ursache, welche den Duft nach abwärts führte,
wirkte jedenfalls nicht lange nach, allraählig stieg er wieder
in die Höhe, unzweifelhaft mit der im Thale Tags über ge¬
bildeten warmen Luft und daun kam es für die nächste Zeit
zu keiner weiteren Senkung. Welches war nun die Ursache?
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Man wird wohl blos an ein von Ferne her wirkendes baro¬
metrisches Minimum denken dürfen. Es kann zwar auch
durch Herabfliessen der Nachts an den kalten Bergwänden
sich abkuhlenden Luft, die dann dem Thallauf folgend oft
ziemlichen Wind erzeugt (wie es z. B. in Freiburg i. B. am
Ausgang des von den hohen Schwarzwaldbergen umsäumten
Dreysam Thaies an schönen Sommerabenden oft empfindlich
beobachtet wird) ein Sinken der ganzen überstellenden Luft
erfolgen, die Wirkung erscheint jedoch nicht stark genug,
um doch immerhin beträchtliche Luftmassen abzuführen; auch
müsste sich dann die Erscheinung täglich bei unveränderter
Witterung zeigen. Die wahre Erklärung muss der Zukunft
Vorbehalten bleiben; sie kann nur auf Grund lange fort¬
gesetzter Beobachtung von der Höhe mit Berücksichtigung
zugleich der Witterung an entfernten Punkten im Umkreis
mit Sicherheit gegeben werden. Die meteorologische Beob¬
achtung im Allgemeinen hat sich bisher auf die Durchsichtig¬
keit der Luft nicht eingehender erstreckt. Es wäre gewiss
keine undankbare Aufgabe, solche für die Folge mit in Berück¬
sichtigung zu ziehen. Fernsichten kann man allerdings nicht
überall, wo meteorologische Stationen sind, beobachten; in
Gebirgsgegenden wird sich jedoch immer der eine oder andere
Punkt finden; so bildet z. B. im Lande Baden das 1000 in
hohe Höchenschwand bei St. Blasien am Südabhang des Schwarz¬
waldes, von wo man bei klarer Luft die Kette der Alpen
übersieht (berühmte Aussicht), im Vordergrund der Jura, eine
geeignete Station, und hat man daselbst auch schon seit einer
Reihe von Jahren die, immer nur seltenen Fälle, wo die Alpen
sichtbar waren (meist bei Hochdruck), notirt. Auf Rigi und
dem in Luftlinie 18 km entfernten 333 m höheren Pilatus
könnten sich die Wirthe mit den Beobachtungen befassen;
ebenso auf dem 2500 m hohen Sentis bei Appenzell, auf dem
Niesen (2366 m) oder Faulhorn (2683 m) im Berner Oberland,
auf dem Schafberg (1776 m) im Salzkammergut, auf dem
Sonnblick (3106) im hohen Tauern, etc. Der 4810 m
hohe Montblanc besitzt jetzt auch eine Station, die besonders
interessante Resultate in Bezug auf den Duft in so grosser
Höhe fördern würde.
Vorausbestimmung von Fernsichten. Sind wir nach
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unseren Erfahrungen in der Lage, mit einiger Zuverlässig¬
keit den Durchsichtigkeitszustand der Luft in der Höhe von
der Tiefe aus zu bestimmen oder auch an einem gegebenen
Punkt auf Grund des allgemeinen Witterungscharakters
vorauszusagen, wie sich daselbst in nächster Zeit, sagen wir
bis zu 12 Stunden, die Luft im Hinblick auf Durchsichtigkeit
verhalten wird? Nicht sehr viel ist bis jetzt seitens der
Wissenschaft oder unseres Wissens zu erwarten. Die Luft
ist in ihrer Duftbeschaffenheit zufolge des Einwirkens der
Menschen zu verschiedenartig gestaltet und wieder beeinflusst
durch die Strömungen und die Niederschläge, als dass sich
das Zusammenwirken dieser Faktoren für einen Ort auf Grund
der vorausgegangenen Witterung und des augenblicklichen
Zustandes bestimmen Hesse. Es sind ja schon im Vorher¬
gehenden Beispiele darüber mitgetheilt worden, wie sich die
Durchsichtigkeit der Luft bei gleichem Witterungscharakter
sehr ändern kann, im einen wie im andern Sinne. Bei der
Fahrt mit der Eisenbahn über grosse Strecken hat man immer
Gelegenheit, Beobachtungen über den verschiedenen Grad der
Durchsichtigkeit der Luft zu machen, sei es, dass man durch
Industriegegenden fährt, wie bereits oben von Westfalen er¬
wähnt wurde, sei es, dass man aus Gegenden mit Hochdruck
und ruhender Luft in solche mit Tiefdruck und bewegter
Luft gelangt. Ueber einen ganz eigentümlichen Fall kann
Verfasser von Sonntag den 3. September 1893 berathen. Er
fuhr an diesem Tage von Bern nach Karlsruhe. Tags zuvor
hatte es in der Südschweiz (Genf-Bern) andauernd geregnet
(Landregen). Der Sonntag Morgen war in Bern heiter, wenig
Wolken, aber dunstduftig. Die Abfahrt erfolgte um 11 Uhr.
Der Juta zeigte sich in starkem Duft. Jenseits des Hauen¬
steintunnels war der Duft völlig verschwunden, bei der An¬
näherung an Basel lag der Schwarzwald völlig klar da, Ver¬
fasser hatte ihn von dieser Seite nie zuvor so scharf gesehen.
Dies war auch bei der Weiterfahrt am Gebirge entlang bis
nach Freiburg hin zu beobachten; man konnte sagen: abso¬
lute Durchsichtigkeit der Luft. Dann äuderte sich der Zu¬
stand, es zeigte sich Duft, erst massig, dann zunehmend, bis
zuletzt bei Baden (6 30 ) das Gebirg in der gewöhnlichen mitt¬
leren Klarheit dalag. Dabei blieben die Berge am linken
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Rheinufer, Vogesen und später Ilaardt, völlig verhüllt, dicker
Duft lagerte über dem Eisass. Bei dem Witterungscharakter
■darf man für die merkwürdige Erscheinung wohl die Erklä¬
rung geben, dass die Luft am rechten Rheinufer bis zu dem
Jura auf eine gewisse Strecke durch Regen gereinigt worden
war, dies konnte aber an einem entfernten Punkt geschehen
sein, die klare Luft wurde mit dem Wind weiter getragen
und auf der überströmten Strecke während einer gewissen
Zeit, vielleicht nur auf einige Stunden wahrgenommen. Die
Aussicht von den Höhen war so lange in der Nähe bis zu
einiger Entfernung äusserst klar, eine ausgedehnte Fernsicht
nach allen Seiten gab es aber nicht.
Weiter macht sich noch geltend die Wirkung der Nacht,
sowie der Sonn« und Feiertage, wo die industrielle Thätigkeit
ruht. Wie sich dies auf grössere Entfernungen äussert, ist
unberechenbar, für die nahe Umgebung eines viel Rauch
erzeugenden Bezirks kann es wohl berücksichtigt werden.
An Sonntagen, wo die meisten Menschen allein Zeit zu
grösseren Spaziergängen und Ausflügen haben, ist mehr
Wahrscheinlichkeit, in dem Umkreis einer Stadt klare Luft
zu finden, als an einem Werktag; so z. B. wird der Blick
auf Stuttgart von einer der umgebenden Höhen an Sonntagen
im Allgemeinen viel schöner sein als an anderen Tagen.
Vielleicht gewinnt man an Sonntagen überhaupt nur eine
Vorstellung von der Eigenthümlichkeit der Lage manchen
Ortes. Edinburg wird als eine der schönst gelegenen Städte
Europa’s angesehen. Verfasser hielt sich an drei aufeinander
folgenden Tagen, 7. bis 9. August 1887, daselbst auf. Wäre
■der erste Tag nicht ein Sonntag gewesen, so würde Verfasser
■ohne irgend eine Vorstellung von der Lage der schottischen
Hauptstadt wieder abgereist sein. Das Wetter war an den
folgenden Tagen nicht ungünstig, mässiger Wind, halbbedeckter
Himmel, aber die ganze Umgegend in undurchdringlichen
Rauch dauernd gehüllt. Die Industrie ist daselbst eben hoch
entwickelt. Sehr starker Wind wird wohl auch an Werk¬
tagen die Dichtigkeit des Rauchs vermindern und einen Ueber-
blick über Stadt und Umgebung möglich machen, dies dürfte
sich aber auf wenige Tage des Jahres beschränken. Fallen
zwei Feiertage hinter einander, wie auf Ostern oder Pfingsten,
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so ist am zweiten (MoDtag) günstigerer Fernblick zu erwarte»
als am ersten.
Im Allgemeinen wird man mehr im negativen Sinne sein
Prognostikon stellen können, als im positiven, d. h. man wird
aus dem Witterungscharakter eher auf ungünstige als auf
schöne Aussicht schliessen. Ist die Luft am Orte des Beob¬
achters sehr duftig, so wird der Blick vom höheren Punkt
in die unmittelbare Tiefe jedenfalls des Reizes entbehren,
sollte er auch über das Gebirgsland oder nach fernen Berg¬
spitzen ungetrübt sein. Klare Luft lässt zwar auch vom
höheren Punkt einen schönen Blick in die Niederung als
sicher erwarten, aber die Art des Fernblicks bleibt unbestimm¬
bar. Ein grau blauer Himmel, wie er in Karlsruhe bei West-
bis Nordwind mitunter beobachtet wird, kann zum Besteigen
von Bergen nicht animiren, eine auch nur massige Aussicht
ist unwahrscheinlich, doch könnte dabei von sehr grossen
Höhen der Blick über den Duft hinweggehen. Bei andau¬
erndem Wind aus der Hauptregengegend, sobald dieselbe,
wie in Karlsruhe die Rheinebene, viel Rauch erzeugt, werden
Aussichten nicht zu erwarten sein. Dauernd heiteres Wetter
bei Windstille ist auch nicht günstig für Aussichten ange¬
legt, besonders wenn die Gegend viel Rauch producirt, da
derselbe sich dann hieranhäuft; ist das heitere Wetter mit Wind
verbunden, der aus Rauch erzeugender Gegend kommt, wie
in Karlsruhe das Rheinthal von NO nach SW, so ist schlechte
Aussicht zu erwarten. Für Karlsruhe und wohl das ganze
Rheinthal südlich von Darmstadt bis Basel sind die östlichen
bis südlichen Winde bei fast immer heiterem Himmel als die
günstigsten für Aussichten anzusehen, wenn sie auch nicht
absolute Klarheit bringen. Vollkommene Durchsichtigkeit
der ganzen Luft ist zumeist an nicht lange vorausgegangenes
Waschen derselben durch Regen geknüpft; vollkommene
Durchsichtigkeit in der Höhe an hohen Druck mit Windstille
und Niedersinken der Luftmasse, wo dann in der Tiefe der
Duft sich anhäuft. In letzterem Falle ist wohl auf längere
Zeit ein gleicher Zustand zu erwarten, und kann die Aus¬
sicht auf sehr grosse Entfernungen sich erstrecken; im
ersteren Falle dürfte die Klarheit der Luft zumeist nur ein
raässig grosses Gebiet einnehmen und bald vorübergehen. I»
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Bezug auf dieses ist dem Verfasser eine Erfahrung aus 1869
in Erinnerung; die Ueberraschung wirkte so nachhaltig, dass
sie ihm nicht in Vergessenheit kam. Samstag den 3. Juli
regnete es bei starkem Wind den ganzen Morgen heftig bis
gegen Tisch, dann erfolgte Aufklärung, Nachmittags wehte
noch ziemlicher Wind, gegen Abend war ganz heiteres Wetter
in voraussichtlicher Beständigkeit eingetreten. W T as am Ge-
birg von Karlsruhe zu sehen war auf beiden Seiten des Rheins,
lag in voller Klarheit da, die Luft war absolut durchsichtig.
Es verlockte dies die Familie zu einem Ausflug in den
Schwarzwald. Der folgende Sonntag war ein warmer heiterer
Sommertag bei Nordost (auch die nächsten Tage anhaltend)
— von der Haardt und den Vogesen aber von frühe an
nicht viel zu sehen, wie zu den damaligen Zeiten bei heiterem
Wetter Ferusichten zu sein pflegten. Wo war die durchsich¬
tige Luft hingekommen? Staub konnte sich nicht entwickelt
haben, ebenso nicht Rauch. Es musste eben in der Nacht
die Duftluft von weither angerückt sein, von Orten, wo es nicht
geregnet hatte. Die Erscheinung dürite sich in Parallele
bringen lassen mit der Beobachtung am 3. September 1893
auf der Fahrt von Bern nach Karlsruhe. Wäre man am
Samstag mit der Bahn, statt nach Süden, nach Norden gefahren,
so würde man in einer gewissen Entfernung von Karlsruhe
wohl in Gegenden gekommen sein, wo die Luft duftig war.
— Im Wesen stimmte die Beobachtung ja auch mit derje¬
nigen am 18. Juni 1893 bei der Besteigung des Merkur über¬
ein, doch schien damals die Klarheit der Luft durch voraus¬
gegangenen Regen nicht erfolgt zu sein.
Ob bei Duft in der Tiefe Fernblick zu erwarten ist, lässt
sich mitunter aus der blauen Farbe des Himmels, wenn solcher
sichtbar ist, erschliessen. Sonntag den 20. Januar 1895 regnete
es im Rheinthal Morgens zu wiederholten Malen bei schwachem
Westwind; Nachmittags klärte es sich auf, der Himmel trat
stellenweise hervor, aber in der Tiefe blieb in Folge starken
Duftes der Blick auf höchstens 1000 m beschränkt. Das
Blau des Himmels war dabei ziemlich lebhaft, so dass man
annehmen durfte, die Dufthöhe sei nur gering, und man
suchte dieselbe zu ergründen durch Besteigung des Thurm¬
bergs bei Durlach. Thatsächlich ging der Duft nicht einmal
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40G
bis zu Kircbthurmhöhe, aber die ganze Ebene stundenweit
überlagernd. Darüber hinaus völlige Klarheit der Luft,
Haardtgebirge deutlich sichtbar in den oberen Theilen,
Schwarzwald greifbar nahe gerückt. In der Ebene Wind¬
stille, auf der Höhe schwacher Westwind.
Der Blauton des Himmels kann im Allgemeinen jedoch
und bei heiterem Wetter kein sicheres Anzeichen für den Grad
der Durchsichtigkeit der Luft abgeben. Allerdings wird ein
dunkles Blau auch einen klaren Blick im horizontalen Sinne
erwarten lassen; aber ein Graublau deutet nicht auf das
Gegentheil, ebenso wenig eine Bedeckung mit Wolken. Das
Graublau kann herrühren von Duft in der Tiefe, wie von
schwachem Nebel in grosser Höhe, in welch’ letzterem Falle
in der Tiefe die Luft duftfrei sein kann, wie namentlich in
der Gegend der Kalmen am Aequator. worauf oben bereits
hingewiesen wurde. Zumeist deutet bei uns ein graublauer
Himmel allerdings auf vom Boden sich zu grösserer Höhe
erstreckenden Duft und auf schlechte Fernsichten; nur bei den
sich auflöseuden Herbstnebeln kann der dann meist schwach¬
blaue Himmel ein Zeichen für verhältnissmässig niedrigen Duft
sein und wird klare Luft auf höheren Bergen zu erwarten
sein, gerade wie bei Bestehen des Nebels.
In den Alpen gewinnen die Leute für manche Witterungs¬
zustände aus langer Erfahrung einen Blick in Bezug auf
die Luftbeschaffenheit und können den Fremden mit einiger
Sicherheit zu einer Bergbesteigung rathen. Verfasser war
vom 29. August bis 5. September 1875 im Engadin. Das
vorausgegangene warme Wetter war mit dem Eintreffen in
St. Moritz umgeschlagen und in dem 1800 m hohen Thale
wurde es bei fast andauerndem Kegen empfindlich kalt; die
drei letzten Tage der Woche wurde der Aufenthalt in Pont-
resina genommen, das Wetter besserte sich und am Frei¬
trag (3. September) ging die Losung in den Hotels: Morgen
früh muss der Piz Languard (3266 m) bestiegen werden. Der Auf¬
stieg erfordert vier Stunden, wovon die ersten drei Stunden
zumeist zu Pferd zurückgelegt werden, dann bleibt noch
eine Stunde zu Fuss zur Erklimmung des steilen Kegels.
Der Aufbruch erfolgte um fünf Uhr, der Himmel war voll¬
ständig heiter, die aufgehende Sonne beleuchtete die Berg-
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spitzen in prachtvoller Weise, einer der schönsten Sonnen¬
aufgänge, deren sich Verfasser erinnert. Um neun Uhr
war die Spitze des berühmten Aussichtsberges erreicht und
hier entwickelte sich ein Blick, wie man ihn selten geniessen
kann, nach Versicherung der Führer träte eine solche Klar¬
heit der Luft nur einige Mal im Jahre ein. Es war eben
Alles zu sehen, was in der Möglichkeit lag, in die Thaltiefe,
wie in die Ferne. Die Luft war völlig ruhig, bei der grossen
Höhe war die Temperatur sehr milde, so dass die mit¬
genommenen Ueberkleidcr sich unnöthig erwiesen. Der vor¬
ausgegangene Regen hatte sich ohne Zweifel über eine sehr
grosse Fläche erstreckt und reinigend gewirkt. Wie lange
nachhaltig die Luft so vollkommen klar bleiben konnte, dar¬
über wurden keine weiteren Erfahrungen gemacht; Tags
darauf fand die Abreise statt. Aber aus den Aeusserungen
der Ortsansässigen war zu entnehmen, dass die Dauer in der
Regel nicht lange ist.
Zu welcher Tageszeit ist mehr klare Luft zu erwarten;
bei Sonnenaufgang, zur Mittagszeit oder bei Sonnenunter¬
gang? Je nach den besonderen, mehr zufälligen Erfahrungen,
die Jemand gemacht hat, wird er sich für das eine oder
andere entscheiden, besonders wird ein gewisser Gegensatz
zwischen Aufgang und Untergang der Sonne gemacht. Ver¬
fasser hat zu allen Tageszeiten gleich klare und unklare
Aussichten gefunden, er wüsste nicht, zu welcher Stunde
überwiegend das eine oder andere. Er hat acht Mal auf
dem Rigi übernachtet und nur ein Mal einen dankbaren Hoch¬
blick bei Sonnenaufgang erlebt, am 17. August 1893. Doch
war die Aussicht Tags zuvor um die Mittagszeit schärfer und
beim Sonnenuntergang ungefähr so, wie zehn Stunden später
beim Aufgang. Auf dem Faulhorn hatte er hingegen im
August 1854 bei seiner ersten Schweizerreise bei Sonnen¬
aufgang einen vollkommen klaren Blick auf die Kette der
Schneeberge des Berner Oberlandes, während Abends zuvor
die Luft etwas getrübt war; er sah thatsächlich die Hochalpen
in der Frühe nie wieder in solcher Schönheit aus der Nähe. Bei
der Besteigung des Piz Languard war die Luft bei Sonnen¬
aufgang völlig klar, ebenso auch noch um die Mittagszeit,
als der Rückweg von dem Gipfel angetreten wurde. Die
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Zeit des Aufenthaltes auf dem Brävent war Spätnachmittag,
bis eine Stunde vor Sonnenuntergang. Die Aussicht auf die
Alpen von den Schwarzwaldhöhen bei Allerheiligen war bis
zur Mittagszeit völlig klar. Am 19. August 1893 bei
heiterem Wetter übernachtete Verfasser auf der 1970 m hohen
Schynigen Platte bei Interlaken, auf welche kurz zuvor eine
neue Bergbahn eröffnet worden war. Am Nachmittag und
Abend des Tages war die Aussicht nach der Kette der nahen
Schneeberge (Jungfrau in gerader Linie 14 km) sowie in das
Grindelwald- und Lauterbrunnenthal klar, am Morgen des
20. August massig nur noch um die Zeit des Sonnenauf¬
gangs, bald wurde das Bild stark getrübt durch den Dult,
von einer schönen Aussicht konnte man nicht mehr sprechen.
Ist die Luft duftig, so treten kurz vor Sonnenuntergang
bei heiterem Himmel ferne Berge immer viel deutlicher her¬
vor, besonders in der Richtung der Sonne, da dann der Duft
nicht mehr blendet; umgekehrt bei Aufgang der Sonne, kurz vor¬
her bis zu ihrer vollen Sichtbarkeit ist die Aussicht am
klarsten; sobald die Luft stärker beschienen wird, fängt der
Duft an, blendend zu wirken, insbesondere in der Richtung
der Sonne. — Verfasser wüsste dem Sonnenaufgang keinen
Vorzug vor dem Sonnenuntergang einzuräumen. Was zum
Uebernachten auf einem hohen Berg veranlassen kann, ist
nur die neue Chance für eine schöne Aussicht, in der Hoff¬
nung einer Veränderung der Luftbeschaffenheit während der
Nacht, sofern der Abendblick nicht befriedigte. Wenn Tou¬
risten mehr in der Frühe Berge besteigen, um die Sonne
aufgehen zu sehen, so liegt dem die Berechtigung zu Grunde,
dass sie bei duftigem Wetter dann doch eher überhaupt
etwas sehen werden, als während des Tages, und dass bei
von einem Nachtquartier entfernten Höhenpunkten längeres
Wandern in zunehmender Dunkelheit des Abends nicht an¬
genehm ist. — Weite des Fernblickes, die bei jeder Tages¬
zeit ohne Zweifel die gleiche sein kann, da sie im Wesent¬
lichen von der Stärke des Duftes der Luft abhängt, welche
von der Tageszeit nicht abhängt, ist nicht gleich zu stellen
mit Farbenschönheit des landschaftlichen Bildes; diese ist
bei tiefstehender Sonne, Morgens wie Abends, ohne Zweifel
grösser als am Tage, da dort die gelben und rothen Töne
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der, grosse Luftschichten durchwandernden Sonnenstrahlen
zur Geltung kommen, welche dem vollen Tageslicht fehlen.
Bei ohne vorausgegangenen Hegen mitunter sich ein¬
stellender sehr klarer Luft hört man vielfach die Aeusserung:
Es wird Regen geben. Der Anschauung liegt gewiss die Er¬
fahrung zu Grunde. Kann das Zusammentreffen als Regel an¬
gesehen werden? Gewiss nicht, denn man beobachtet auch
vorübergehend klare Luft, ohne dass Regen folgt. Man wird
sich deshalb gewiss nicht von der Besteigung eines Aus¬
sichtspunktes abhalten lassen in der Befürchtung, dass die
Mühe nicht gelohnt würde. Auch geht doch oft eine längere
Zeit darüber hin, ehe nach den ersten Kennzeichen der
durchsichtigen Luft der Regen wirklich kommt. Verfasser
hat darüber eine ihn sehr befriedigende Erfahrung gemacht.
Die Tage 23. bis 26. Juli 1886 brachte er in Chamonix
(1050 m hoch) zu. Das Wetter war zu Ausflügen in die
Umgegend günstig. Sonntag den 25. Juli war es völlig
heiter, es wehte ein massig starker, weicher Südwestwind,
man hatte die.Empfindung, es müsse Regen geben (ohne
Zweifel war die Luft ziemlich wasserhaltig). Es wurde
die Parthie nach der Flegere (1800 m) und von da auf
den 2520 m hohen Br6vent gemacht. Die Luft war von
einer völligen Durchsichtigkeit in die Tiefe wie nach den
entferntesten Punkten. Nach Nordost über Nord bis Süd¬
west ist der Blick fast unbegrenzt, da höhere Berge fast
ganz fehlen; blos nach N.-Nordost stehen einige Spitzen über
(Mont Rouan und Tour Salliöres, 24 km); nach Nordost bis
S.-Südwest findet eine Ueberragung durch die Montblanc¬
kette statt; wenig mehr nach Norden, fast nordöstlich, traten
die Spitzen der Berner Alpen auf 120 km Entfernung deut¬
lich hervor. Die Berge waren ausserordentlich nahe gerückt,
man täuschte sich völlig über die Entfernung. Der auf der
andern Thalseite sich erhebende Montblanc, iu Luftlinie
11 km entfernt, schien nur einen Abstand von wenigen
Kilometer zu haben. Fast senkrecht unterhalb des Brövent-
gipfels (etwa 300 m tiefer) liegt ein kleiner See (lac du Br4-
vent), an welchem der eine Weg von Chamonix vorbeiführt,
beim Aufstieg bedarf man von hier noch einer Stunde Zeit,
um die Spitze zu erreichen. Verfasser kannte die Entfernung
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nicht, da er den andern Weg, von entgegengesetzter Seite,
gekommen war. Der See war dem Auge so nahe gerückt,
dass er in einigen Minuten von oben erreichbar schien. Beim
Abstieg sollte nun der Weg am See vorbeigenommen werden
und es schien dem Verfasser unglaublich, dass, wie der
Führer versicherte, eine Zeit von 20 Minuten darüber hin¬
gehen würde, ehe auf dem steilen Zickzackweg der See
erreicht sei. Thatsächüch traf es zu. Man ging immer
rasch bergab, fast andauernd den Blick auf den See gerichtet,
das Bild, das er gewährte, blieb lange unverändert, er schien
immer im gleichen Abstand zu liegen. Verfasser kann sich
eines ähnlichen Erlebnisses nicht erinnern, es war die grösste
optische Täuschung, die er im Hinblick auf Distanzbestimmung
im Freien erfuhr.
Die Blicke vom Piz Languard und von Brevent waren
vollkommen und in gleicher Weise bei keiner anderen Berg¬
besteigung vom Verfasser weder früher noch später gefunden
worden. Auf ersterem Berg tlieilte er den Genuss mit zahl¬
reichen andern Personen, auf dem Brevent war er allein mit
dem Führer. Wie verschieden in beiden Fällen die Wit¬
terung vor- und nachher! Im Engadin regnete es Tage
vorher, dann trat dauernd heiteres Wetter ein; in Chamonix
war es zuvor heiter und der geahnte Regen stellte sich tags
nachher ein. Am Montag fand die Abreise nach Genf statt;
in der Frähe war es noch ziemlich heiter, doch hatte der
Himmel von seiner Klarheit verloren, die Trübung nahm zu,
bald begann Regen, der sich als Landregen den ganzen Tag
bis zur Ankunft in Genf fortsetzte.
Noch eine andere Erfahrung. Verfasser war am 24. Au¬
gust 1882 in Zermatt (1620 m), nur den einen Tag konnte
er verweilen. Er kam über den Simplon aus Italien, hatte
zuvor andauernd heiteres Wetter. In Zermatt langte er
Morgens 10 Uhr von St. Niklaus an, sein Ziel war der Gorner-
grat (8136 m). Der in der Frühe heitere Himmel fing an sich
schwach zu trüben, die Luft war sehr klar, man hatte das Gefühl,
dass Regen bevorstehe. Während andere Mitreisende zögerten,
nahm Verfasser ein Pferd und setzte sich ohne Zeitverlust
in Bewegung; er langte nach 3 Stunden auf dem Riffelhaus
(2570 m) an, erquickte sich rasch und erreichte dann in
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weiteren 1 */ 2 Stunden um 3 Uhr die Spitze des Gornergrats.
Der Iiimmel hatte sich inzwischen mehr überzogen, die Wol¬
ken waren jedoch hoch, die Aussicht vorzüglich, wenn auch
in Wirkung nicht vollkommen, es war Alles unbeleuchtet, da¬
durch kalt im Ton, aber der Eindruck der grossartigen Natur der
Monte Rosa-Gruppe mit Matterhorn und der Blick auf ent¬
fernte Berge war nahe voll da. Der Abstieg nach einer
halben Stunde begann, als die ersten Regentropfen fielen.
Bis zum Riffelhaus ging es noch leidlich, dann folgte aber
richtiger Landregen bis nach Zermatt, der sich bei der Rück¬
reise auch noch einen Theil des folgenden Tages hindurch
fortsetzte. Aber der Zweck war voll erreicht.
Die Anschauung, dass auf klare Luft Regen folgen werde,
gründet sich wohl auf die Wirkung feuchter Luft auf die
Haut, auf die geringere Verdunstung, wofür man eine feine
Empfindung hat und woraus man das Weitere auf Grund
vorausgegangener Erfahrungen schliesst; aber die Luft kann
auch klar bei Trockenheit sein und dann folgt kein Regen,
so dass eine allgemein gültige Regel nicht besteht.
Welcher Zusammenhang findet statt zwischen längere
Zeit klarer Luft und darauf folgendem Landregen? — An¬
haltender Regen ist es fast immer, der unter solchen Umständen
beobachtet wird; die klare Luft mit gewitterartigen kurzen
Platzregen bald hier, bald dort, wovon früher die Rede war,
trägt anderen Charakter. Ist es die noch reine feuchte
Luft, welche vom Meer zu uns kommt, die zuvor nicht über
die Erdoberfläche gestrichen ist, erst in unserer Nähe sich
aus der Höhe niedersenkt, um später der, mit Verschiebung
des barometrischen Minimums, zu grösserer Höhe wieder
aufsteigenden gleichartigen Luft Raum zu geben? Die Be¬
antwortung dieser und mancher anderer Fragen wird weitere
Beobachtungen erheischen, namentlich das Zusammenwirken
zahlreicher meteorologischer Stationen im besonderen Hin¬
blick auf Bestimmung des Grades der Durchsichtigkeit der
Luft im Allgemeinen.
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Das Erdbeben vom 13. Januar 1895
im südlichen Schwarzwald und den benachbarten Gebieten
des Eisass und der Schweiz.
Bearbeitet von Dr. R. Langenbeck in Strassburg i. E.
Das Material für die Bearbeitung des Erdbebens vom
13 . Januar ist, soweit es Baden betrifft, zum grösseren Theil
durch das Central-Bureau für Meteorologie und Hydrographie
in Karlsruhe gesammelt worden, dessen Vorstand, Herr Ober¬
baudirektor Honsell, mir dasselbe auf meine Bitte mit der
grössten Bereitwilligkeit zur Verfügung stellte. Eine grosse
Anzahl weiterer Nachrichten habe ich auf briefliche Anfrage,
namentlich an die Bürgermeisterämter der einzelnen Ort¬
schaften, erhalten. Sehr wesentlich wurde ich hierbei durch
Herrn Professor Dr. Neumann in Freiburg unterstützt, der
in der Breisgauer Zeitung eine Bitte um Einsendung von
Nachrichten veröffentlichte und mir die daraufhin eingelaufcnen
Berichte freundlichst übersandte. Aus dem Eisass liefen auf
ausgesandte Fragebogen und private Erkundigungen eine
Anzahl von Berichten ein. Für die Schweiz überliess mir
die dortige Erdbeben-Kommission in dankenswerthester Weise
das von ihr gesammelte Material. Aus Basel sandte mir
Herr Professor Dr. Riggenbach eine Mittheilung. Aus Württem¬
berg habe ich von den Herren Professoren Dr. Eck und Dr.
A. Schmidt Mittheilungen erhalten. Ich gestatte mir an
dieser Stelle, allen den Behörden und einzelnen Herren,
welche mich bei der Sammlung des Materials unterstützt
haben, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.
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Zusammenstellung der Berichte.
I. Baden.
1. Frei bürg.
a. Breisgauer Zeitung: Gestern Nachmittag (13. Januar)
um 5 Uhr 20 Min. wurde hier ein aus SW. kommender
Erdstoss wahrgenommen. Die Erschütterung, die er in den
Häusern hervorrief, glich denen, die von schweren Lastwagen
erzeugt werden. Nach einigen Beobachtungen wurden auch
Stühle etwas gerückt und Flaschen umgeworfen.
b. A. Hubacher (Stadtstrasse, Vorort Herdern). Betreffend
das Erdbeben vom 13. Januar kann ich mittheilen, dass ich zu
derselben Zeit in meinem Wohnzimmer auf dem Kanapee sass
und mit meinen Kindern spielte. Auf einmal gab es einen
Ruck, und zwar von unten nach oben, von einem ziemlich
starken, dumpfen Getöse begleitet, das 2 bis 3 Sekunden
andauerte. Die Kinder schwankten und kamen aus Angst
zu mir gesprungen mit der Frage: „Papa was ist das?“ Es
war f» Uhr 20 Min.
c. Dr. Görger (Villa Willyama, nördliche Höhen am Fuss
des Schlossberges). Die Wirkung des betreffenden Erdbebens
war in meinem Hause Nachmittags nach 5 Uhr in der Weise
zu verspüren, dass wir zu ebener Erde eine Schwankung von
WSW. nach ONO. (durch den Kompass festgestellt) merkten,
und gleichzeitig ein Geräusch entstand, als ob ein Ofen
geplatzt, oder ein Kamin umgestürzt wäre. Wir sassen
gerade mit einigen Bekannten beim Kaffeetisch, und sah ich
mich veranlasst, in allen Räumen nachzusehen, ob nichts
passirt wäre. Die Köchin, welche im dritten Stock krank
zu Bette lag, gab an, dass sich das Bett in obiger Richtung
stark bewegt habe. Die Erscheinung dauerte nur wenige
Sekunden. Uebereinstimmend ein mündlicher Bericht von
Dr. Walz an Professor Dr. Neumann.
d. A. Ritter (Karlsplatz, N., Ebene). Die betreffende
Erderschütterung war Mittags 5 Uhr 20 Min. in der ganzen
Etage bemerkbar.
e. Dr. Eisenlohr(Karlsstrasse, N., Ebene): Ich beobachtete
das am 13. Januar stattgehabte Erdbeben 5 Uhr 20 Nach¬
mittags, empfand es aber nur als einen Stoss, von dem das
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Haus erzitterte, nicht als wellenförmige Bewegung. Ich glaubte
desshalb an eine Explosion.
f. Fischer (Deutschordenstrasse). An den» betreffenden
Sonntag zwischen 5 und 6 Uhr hörte ich, obgleich schwer¬
hörig, einen dumpfen Fall, als ob eine Masse Schnee vom
Dache fiele; der neben mir sitzenden Dame war es, als ob
sie zuerst einen Krach, dann ein Rollen unter sich vernähme.
Sie fühlte ein Zittern unter den Füssen, und mir war es,
als ob ich Wärme von unten fühlte. Als wir hinausgingen,
um nachzusehen, waren die Mädchen im Begriff, die Treppe
hinaufzulaufen; ihnen war es gewesen, als ob über ihnen eine
Menge Stühle gerückt würden.
g. MusikerBirnschein (Hildastrasse): Ich stand an meinem
Schreibtisch in dem östlichen Eckzimmer des dritten Stockes
des freistehenden Hauses Hildastrasse 14. Da gewahrte ich
ein einmaliges, ziemlich bedeutendes, genau von SW. nach
NO. sich bewegendes Senken und Heben des Fussbodens,
sammt Schreibpultes, ähnlich der Empfindung: „wenn man
auf einer Eisenbahnbrücke steht, und der Schnellzug fährt
darüber.“ Diese Bewegung war mit dem Geräusch eines
entfernten Donners begleitet und dauerte ca. 2 Sekunden.
Das Oel in meiner Lampe brauchte ca. eine Minute, bis es
wieder ruhig stand. Mir war sofort klar, dass das ein Erd-
stoss gewesen war. (Ich habe schon im März 1872 in Weimar
und im Frühling 1887 in Montreux ein Erdbeben erlebt.) Es
war genau 5 Uhr 25 Nachmittags.
h. Pfarrer Hansen (Hildastrasse). Am 13. Januar Nach¬
mittags 5 Uhr 20 sass ich in meinem nach W. gelegenen
Wohnzimmer (2. Stock) neben meiner Klavier spielenden
Tochter, als plötzlich ein Krach erfolgte, wie wenn auf der
Strasse ein Kohlenwagen umgestürzt wäre. Es folgte diesem
Krach, der mich mit dem Rut „was war das?“ aufspringen
Hess, ein donnerähnliches Rollen. Das Ganze währte etwa
4—5 Sekunden. Meine Frau, die sich in einem nach 0.
gelegenen Zimmer befand, rief gleich, „das war ein Erdbeben“.
Die Richtung einer etwaigen Wellenbewegung haben wir nicht
wahrgenommen; nur einen Stoss und Krach mit folgendem
donnerähnlichen Getöse. Ich war erstaunt, von befreundeten
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Familien, die in der Nähe wohnen, zu hören, dass sie nichts
wahrgenommen hätten.
i. Professor Dr. Kewitscb: Ich sass still in meinem
Zimmer, Hotel Bellevue, und schaute durchs Fenster nach
dem Wald, als ich plötzlich etwa 5 1 /« Uhr Nachmittags ein
Geräusch hörte, wie wenn ein schwerer Lastwagen über ein
Steinpflaster schnell dahinfährt. Dabei sah ich, wie das
Haus — ich war im 3. Stock — schwankte, und zwar in der
Richtung N.—S., der Vorgang währte etwa 2 Sekunden. Ein
Engländer in demselben Hause hatte das Erdbeben auch
gespürt, mein Sohn aber, der draussen spazirte, hatte nichts
empfunden.
k. Platenius (Villa Berthold, auf dem alten Festungswall):
Ich weiss mich des Tages und der Stunde nicht mehr zu
erinnern, wohl aber, dass ich kürzlich eine deutliche Er¬
schütterung in unserem Hause verspürte, bei der ich sofort
an einen Erdstoss dachte, und die scheinbar vom oberen
Stockwerk ins Partere, in dem ich mich befand, in gerader
Richtung an einem schweren Eichenholzbüffet, welches nach
N. steht, entlang ging. Meine Schwester, welche sich im
oberen Stock in einem anderen Teil des Hauses befand, fühlte
nichts, dagegen spürte unser Mädchen im Keller eine starke
Erschütterung.
l. Frau Major Bühler (Bismarckstrasse): 5 Uhr 20 heftiges
Rollen unter der Küche; alle Gegenstände zitterten; Gefühl,
wie wenn ein grosser Dampfer sich in Bewegung setzt.
m. C. Stimmel (Ludwigsstrasse): Am Tisch sitzend und
schreibend, fühlte ich den Boden unter mir wanken, sich wie
wellenförmig zuerst erheben, dann senken, und zwar von 0.
nach W. Ich glaubte mich auf hoher See und das Schiff von
den Wellen sanft aber rasch gehoben und gesenkt. In diesem
unsicheren Gefühl beugte ich mich über den Tisch, mit den
Händen denselben festhaltend, zugleich meine Umgebung auf
das bestimmteste versichernd, dass das ein Erdbeben war.
Zu gleicher Zeit hörte ich im Erdgeschoss unter uns ein
deutlich wahrnehmbares unterirdisches Getöse, ähnlich wie
dumpfes Rollen oder Donnern. Meiner am gleichen Tisch
sitzenden Mutter erschien es, als wäre in einer oberen Etage
zum mindesten ein Kassenschrank oder Sekretär umgefallen.
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n. Buisson (Rosastrasse): Abends 5 Uhr 25 Minuten
schien mir im östlich anstossenden Nebenhause der denkbar
schwerste Gegenstand umzustürzen. Ich erhielt in diesem
Moment von derselben Seite her einen heftigen Stoss, der
mich von meinem Sitze aufspringen liess; darauf folgte ein
Poltern und Dröhnen, welches den Boden unter meinen Füssen
erbeben und erzittern machte. Während es geschienen hatte,
als sei der erste schwere Fall im mittleren Stockwerk
geschehen, hatte ich die Empfindung, als sei das folgende
Dröhnen und Poltern oben im 3. Stock erfolgt und setzte
sich gegen die Rückseite des Hauses (gegen N.) wieder hinab.
o. Fritz Scholle (Schwimmbadstrasse, südlich der Dreisam):
Wir sassen nach 5 Uhr in grösserer Gesellschaft in den
Parterreräumen meines Hauses, als wir plötzlich in der
oberen Etage einen Krach hörten, als wäre etwas sehr
Schweres zu Boden gestürzt, und zwar mit solcher Gewalt,
dass das ganze Haus erbebte. Ich stieg erschreckt hinauf,
um nach der Ursache zu sehen, fand aber in beiden Stock¬
werken nichts, dabei hatten aber die Mägde in beiden das
gleiche Geräusch wahrgenommen, nur mit dem Unterschied,
dass diesem noch ein Donner oder ein Lärm, als ob grosse
Schneemassen vom Dach gerutscht, voraufgegangen war.
Diese Naturerscheinung, die ich sogleich für ein Erdbeben
hielt, trat gleichartig bei befreundeten Familien, und zwar
Kronenstrasse und Ecke Göthe-Baslerstrasse auf.
p. Dr. Gartipp (Güntersthalerstrasse, südlich der Dreisam):
Ich befand mich am fraglichen Sonntag ca. 5 1 /* Uhr in
meinem nach W. gelegenen Zimmer, als ich den südlichen
Theil der Wohnung, welcher frei nach dem Garten liegt, stark
erbeben fühlte. Ob die Bewegung von 0. nach W. oder
umgekehrt ging, habe ich nicht beobachtet, sicherlich ging
sie nicht von N. nach S. Die Fenster klirrten, Möbel wurden
nicht gerückt. Meine Frau, die sich in der nach 0. gelegenen
Küche befand, hatte die gleiche Beobachtung der Erschütter¬
ung nur des südlichen Zimmers gemacht. Die Dauer schätze
ich auf 2 Sekunden.
q. H. Stärker (Lorettoberg, im S. über der Stadt): Mein
Haus steht völlig isolirt. Am 13. Januar, Nachmittags 5 Uhr
15. Min., vernahmen wir in drei verschiedenen Zimmern
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gleichzeitig unter Klirren der Lampengläser ein Getöse, das
so stark war, dass meine Frau fürchtete, es sei eine schwere
Maschine umgestürzt. Ich selbst war mir schnell klar, dass
ein Erdstoss stattgefunden hatte. Etwa ®/ 4 Stunden später
kam abermals eine Erschütterung, die so auffällig dem Her¬
unterlassen von hölzernen Rollläden glich, dass ich keine
Notiz davon nahm, bis mir gesagt wurde, dass die Läden
noch nicht heruntergelassen seien. Auch bei früheren Ge¬
legenheiten fand ich, dass wir in unserer Lage die Erdstüsse
intensiver fühlten, als beispielsweise in der Stadt, wo Bekannte
nichts von einem Erdbeben am Sonntag fühlten. Wir alle
hatten das Gefühl des oberirdischen Stosses, der anscheinend
vom Hexenthal (von S.) herkam.
Ausserdem noch zehn mündliche Mittheilungen aus dem
südlichen Theil der Stadt an Herrn Professor Neumann, die
mit den angeführten durchaus übereinstimmen.
2. Umgebung von Freiburg.
a. Bericht von Strassenmeister Grossholz in Freiburg:
Nach eingezogenen Erkundigungen wurde das Erdbeben am
13. Januar 5 Uhr 15 Min. in den Orten Zähringen, St.
Georgen und Ebringen, in letzterem Ort am deutlichsten
wahrgenommen, und zwar um 5 Uhr 15 Min. Nachts
zwischen 12 und 1 Uhr hat Hauptlehrer Friedrich in Ebringen
und dessen Ehefrau die gleiche Wahrnehmung gemacht, wie
des Abends um 5 Uhr. Das Rollen, welches einem dumpfen
Donner ähnlich war, sei von W. nach 0. gezogen. In allen
übrigen Orten am Tuniberg und in der March wurden
keine Wahrnehmungen eines Erdbebens gemacht.
b. Gelegentlich einer Diensttour wurde durch die Gross¬
herzogliche Strassenbau-Inspection Freiburg festgestellt, dass
das Erdbeben auch in Wildthal (besonders auch im Wirts¬
haus, trotz lebhafter Unterhaltung) Gundelfingen. und am
oberen Ende von Langendenzlingen wahrgenommen wurde.
c. Marie Tenne in Ebringen (welche mit Nähen beschäf¬
tigt war): Es erfolgte um 5 Uhr 15 Minuten ein ziemlich
starker Stoss mit dumpfem Rollen, ähnlich wie ein im Lauf
begriffener Eisenbahnzug. Der Tisch zitterte und der Stuhl,
auf dem ich sass, erhielt einen Stoss, jedoch nur ganz kurz.
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d. Lehrer Sutz in Merzhausen (am Schönberg): Am
13. Januar sass ich Abends zwischen 5 und 6 Uhr im Hirschen,
als man um V*6 Uhr plötzlich einen Schlag, dem ein in
der Richtung von W. nach 0. etwa 3—4 Schunden andauern¬
des Rollen folgte, vernahm. Als ich bald darauf ins benach¬
barte, V 4 Stunde davon gelegene Au kam, wurde mir das
gleiche Vorkommniss erzählt, nur war es dort so stark, dass
Thiiren und Tische zitterten.
e. Pfarrer Schroff in Wittnau: Ich wurde durch ein
Heftiges Zittern des ganzen, solid gemauerten Hauses, indessen
zweitem Stock ich mich befand, erschreckt. Die Fenster
klirrten stark. Ein gewaltiges, etwa 3 Sekunden anhaltendes
Donnern begleitete das Ende der Bewegung, welche 6 Sekunden
dauern mochte. Das Geräusch schien über mir zu sein. Die
Fortbewegungsrichtung kann ich nicht konstatiren. Zeit 5 Uhr
16. Min. Ausserdem nahmen es viele andere Personen in
Wittnau wahr, unter anderen Bürgermeister Gutmann und
Steuererheber Eckert. (Siehe auch 3.)
3. Dreisamthai und nördlich desselben.
a. Bericht von Strassenmeister Deckelmeier in Freiburg:
Am 13 dieses Monats Abends zwischen 5 Uhr 15 und 5 Uhr
20 Minuten wurde in sämmtlichen Ortschaften des diesseitigen
Strassenmeisterbezirks ein Erdbeben verspürt, wobei folgende
Wahrnehmungen gemacht wurden: Die Richtung der Erd¬
bewegung war von S. nach N. Einige Angaben lauten auch
von S. nach 0. kommend. Es wurde nur ein, jedoch ziem¬
lich starker Erdstoss verspürt, welcher von einem donner¬
ähnlichen Getöse, ähnlich wie das Rollen eines schwer
beladenen Wagens, begleitet war. Strassenwart Ahal von
Sölden glaubte, es käme ein schwer beladener Wagen in
der Richtung zwischen Bollschweil und St. Ulrich daherge¬
fahren, was auch noch mehrere Einwohner von Sölden
behaupteten. Kreiswegwart Renz in Au glaubte, der Schnee
von seinem Hausdach sei herabgestürzt und habe das Gepolter
verursacht. Der Schnee vom Haus ist zwar nicht herab¬
gestürzt, jedoch war der Schnee von den Bäumen in seinem
Hof abgeschüttelt. Die Frau des Strassenwarts Sutter in
Ebnet glaubte, es sei eine Stützmauer im Rebgelände umge-
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stürzt. Aehnliche Angaben wurden von den Strassenwarten
in Kirchzarten, Oberried, St. Wilhelm, Hofsgrund
und Horben gemacht. In Freiburg wurde der Stoss nur
von Einzelnen wahrgenommen und war derselbe auch nur
ganz schwach.
b. Bericht des Strassenmeisters Berger in Kirchzarten;
Das am 13. Januar in Lenzkirch wahrgenommene Erdbeben
war auch im ganzen diesseitigen Bezirk bemerkbar. Bezüg¬
lich der Einzelheiten ist beizufügen: 1. Das Erdbeben fand
überall fast zu gleicher Zeit statt, nämlich um 5 Uhr 15
bis 20 Minuten. 2. Die Richtung desselben wurde bezeichnet
grösstentheils von S. nach N., andere behaupten, die genauere
Richtung sei SO. nach NW. 3. Dauer: etwa 10 Sekunden.
4. Als besondere Erscheinungen sind wahrgenommen worden:
Erschüttern der Häuser, Klirren der Fenster, Aneinander-
stossen der Gläser in Schränken, durchweg begleitet von
donnerähnlichem Getöse. Die im Höllenthal wohnenden
Leute glaubten, es fahre ein Zug iu der Richtung gegen
Freiburg, andere waren der Meinung, es falle eine grosse
Schneemasse vom Dache, andere, es sei Holz oder andere
Gegenstände umgefallen, bis sich der wahre Sachverhalt
herausstellte. Besonders heftig war das Erdbeben in Hinter¬
zarten, St. Märgen, St. Peter und Buchenbach. Hier-
sclbst war es schwächer und wurde von mir selbst nicht
wahrgenommen.
In der Nacht vom 13. auf 14., etwa um 2 Uhr, soll sich
der Erdstoss unter ähnlichen Erscheinungen wiederholt haben,
was in Hinterzarten und auch hier (in Kirchzarten),
wie ich nachträglich erfahren habe, beobachtet werden
konnte. Ueber letzteren Fall konnte ich bisher nichts be¬
stimmtes in Erfahrung bringen.
c. Breisgauer Zeitung: Buchenbach, 13. Januar. Am
heutigen Sonntag Nachmittags 5 Uhr 20 Minuten, fand dahier
ein 4 bis 5 Sekunden währendes Erdbeben statt. Die Er¬
schütterung erstreckte sich von S. nach N.
d. Pfarrer Weiss in Buchenbach: 5 Uhr 20 Minuten
Nachmittags ein heftiges, donnerähnliches Rollen, so dass
Fenster und Thüren rüttelten. Dasselbe kam von SW. und
dauerte 10 Sekunden. Das Barometer zeigte keine Veränder-
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ung. Das Erdbeben haben noch mehrere Personen be¬
obachtet.
e. Forstwart Tritschler in Bachenbach: 5 Uhr 20 Minuten
ein Erdstoss mit donnerartigem, unterirdischem Rollen von
SO. nach N.
f. Bürgermeister Hensler in Hinterzarten: Am Sonntag
den 13. Januar nach 5 Uhr wurde von mehreren Bewohnern
dahier ein Erdbeben bemerkt, welches 4— 5 Sekunden dauernd
mit donnerähnlichem Rollen, nicht stossend, sondern nur zitternd,
ohne etwas umzustossen oder zu beschädigen, hier durchzog.
g. Bürgermeister Hag in St. Märgen: Das Erdbeben
machte sich hier am Sonntag den 13. Januar gegen 6 Uhr
durch Fenstererzittern und dumpfes Rollen, ähnlich dumpfem
Donner, bemerkbar. Schaden wurde nicht angerichtet. Das
Erdbeben war in seiner Art stossend.
h. K. Ketterer in St. Peter: Am 13. Januar 4 Uhr
50 Minuten wurde hier ein erdbebenartiges Getöse in SO.-
Richtung wahrgenommen, welches 10—15 Sekunden dauerte,
durch welches in einigen Häusern die Fenster klirrten.
i. W. Wiedmer in Breitnau: Hier wurde am 13.
Januar ein Erdbeben beobachtet. Der erste Stoss fand statt
um 5 Uhr 15 Minuten Abends und dauerte etwa 12 Sekunden;
die Bewegung ging von W. nach 0. Der zweite Stoss folgte
etwa 6 Sekunden später, hatte dieselbe Richtung, war
aber schwächer und dauerte etwa 6 Sekunden. Die Stärke
der Stösse war etwa, wie wenn grosse Schneemassen von
den Dächern rutschen. Die Fensterscheiben klirrten, und
die in den Zimmern aufgehängten Lampen kamen in Beweg¬
ung. Der Himmel war dicht bewölkt, und 6 Uhr 30 Minuten
fiel etwas Schnee. Windrichtung W.—0., Stärke 4.
4. Breisach und Kaiserstuhl.
In Alt-Breisach und dem ganzen Gebiet des Kaiserstuhls
wurde das Erdbeben nicht wahrgenommen, wie die von
Bürgermeister Köhler und Strassenmeister Ratzel eingezogenen
Erkundigungen ergaben.
5. Glotterthal, Eltzthal, Simonswälder Thal.
a. Bericht von Strassenmeister Angstmann inWaldkirch:
Ich habe gelegentlich der Strassenbereisung in Erfahrung
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gebracht, dass ain 13. Januar ein Erdbeben stattgefunden
habe und zwar, soweit es diesseitigen Bezirk betrifft, im
Simonswälder Thal und im Glotterthal. Die genommene
Richtung und die Zeitdauer, ebenso die Zeit der Erscheinung
konnte von keinem der hierwegen Befragten mit Ausnahme
des Uhrenmacher Fehrenbach (s. unten) bestimmt angegeben
werden, und wurde bezüglich der Zeit stets eine Mittheilung
gemacht, wie: „Es war am Zunachten, oder es ist um */ 2 6 Uhr
herum gewesen“. Die Mittheilungen sind folgende:
I. Im Simonswälder Thal.
Die Bewohner von Bleibach, insbesondere die in der,
Mitte des Dorfes wohnende Familie des Zieglers Hoch haben
ein Rollen, wie Donner, gehört. Strassen wart Straub von
Bleibach, welcher am östlichen Ende des Ortes wohnt, gibt
an: „Ich bin in der Scheuer, meine Frau und Töchter in der
Stube beim Nachtessen gewesen, als auf einmal das Haus
erzitterte und das Geschirr auf dem Tisch durch Aneinander¬
schlagen zu klirren anfing; die Dauer kann 3 Sekunden
gewesen sein.“ Dabei ist zu bemerken, dass der auf etwa
20 Meter Entfernung südlich wohnende Nachbar nichts be¬
merkt haben will. Frau Th. Kerg von Altsimonswald,
auf der Gemarkungsgrenze Altsimonswald wohnend, glaubte,
dem gehörten Geräusch nach, die Kuh im Stall sei unruhig
geworden und brumme. Die Bewohner des Schwarzbauern¬
hofes, nördlich der Landstrasse auf der Gemarkung Bleibach
gelegen, gaben an, das Haus habe gezittert. In Unter¬
simonswald gaben sämmtliche Befragten an, dass sie, bezüg¬
lich ihre Hausgenossen ein Geräusch, wie Donner gehört
haben, doch ist hierzu zu bemerken, dass in den besetzten
Stuben der Wirthshäuser hiervon nichts gehört wurde. Uhr¬
macher Fehrenbach in Altsimonswald gibt an: „Ich hörte
ein donnerähnlicbes Rollen mehrere Sekunden lang; in der
Mitte verspürte ich einen ziemlich starken Stoss, so dass ich
auf der Bank im Zimmer, wo ich ausruhte, gerüttelt wurde.
Ich sah sofort auf meine Uhr, diese zeigte 5 Uhr 20 Mi¬
nuten; die Dauer ist etwa 5—6 Sekunden“. Strassenwart
Wehrles Ehefrau (bei km 11 der Strasse 38 wohnend) sagt:
„Ich habe ein Geräusch gehört, wie wenn ein Wagen durch
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die Scheuer fährt (der Scheuerbodeu besteht aus tanneuen
Flöcklingen mit Holzrippen); in der Küche hat das Geschirr
geklirrt.“ Sternenwirth Stratz aus Obersimonswald hat ein
Geräusch wie Donner gehört; der Schall sei von der Bergseite,
d. h. von N. her gekommen. Im Allgemeinen wurde in
Obersimonswald von allen Befragten ein donnerähnliches
Geräusch vernommen.
II. Im Glotterthal.
Frau B. Lang von Föhrenthal gibt an, dass sie ein
polterndes Geräusch gehört und geglaubt habe, es sei in der
Scheuer etwas los, ein Erzittern hat sie nicht beobachtet.
Franz Joseph Gehr von Unterglotterthal sagt: „Ich und
meine Familie haben ein erzitterndes, donnerähnliches Geräusch
wahrgenommen.“ Andere Befragte beobachteten ein mehr oder
weniger starkes Donnern oder auch „wie der dumpfe Schalt
eines Kanonenschusses“.
b. M. Leichtelen in Waldkirch: Tlieile mit, dass wir das
Erdbeben Sonntag den 13. Januar Abends 5 Uhr 15 Minuten
hier verspürten. Dasselbe hörte sich an, wie das Rollen
eines schweren Wagens, erschütterte das Haus, wurde eine
Treppe hoch stärker gespürt, wie zu ebener Erde, und zog
sich von W. nach 0.
c. Rosa Wengler in Gutach bei Waldkirch: Am
Abend des 13. Januar sassen ich und meine Eltern im Wohn¬
zimmer beisammen, als wir plötzlich, es mochte ungefähr
*/,6 Uhr gewesen sein, einen harten Knall vernommen haben
in der Stärke eines harten, kurzen und dumpfen Donner¬
schlages, dem ein heftiges Erzittern unseres Hauses folgte,
so dass wir meinten, es wäre in der Nähe unseres Ortes ein
Böllerschuss losgefeuert worden, und haben uns desshalb nicht
weiter darum gekümmert. Erst durch die Zeitungsberichte
darauf aufmerksam gemacht nahmen wir an, dass diese
Erschütterung vielleicht ein Erdbeben gewesen sei, weil
Datum, Zeit und Stärke übereinstimmten. Unser Nachbar,
Kaufmann Kern, hat die Erschütterung auch wahrgenommen;
er glaubte, dass im Keller ein Petroleumfass umgefallen sei.
d. Rathschreiber Rapp in Elzach: Theile mit, dass das
Erdbeben am 13. Januar auch hier wahrgenommen wurde
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und zwar Nachmittags etwa 5 1 /* Uhr. Dasselbe dauerte etwa
2 Sekunden, bewegte sich von 0. nach W. und machte
sich hauptsächlich durch ein donnerähnliches Geräusch und
Erschütterung bemerkbar.
e. Nicht wahrgenommen wurde das Erdbeben in
Ober-Prechthal, Emniendingen. Kenzingen nach Mit¬
theilungen der dortigen Bürgermeister und anderer Personen.
6. Umgebung von Triberg.
a. Bericht von Strassenmeister Pabst in Triberg: Ueber
das unterm 13. Januar erfolgte Erdbeben beehre ich mich
auf Grund eingezogener Erkundigungen im diesseitigen Bezirk
geziemend zu berichten.
Das Erdbeben wurde zwischen 5‘/« und 5 1 /* Uhr Abends
bemerkt, und zwar in den Orten St. Georgen, Brigach,
Nussbach, Gremmelsbach, Schönach und Schönwald.
Hierbei wurden folgende Erscheinungen wahrgenommen:
1. St. Georgen. Durch Anna Maier im Hause des
Bürgermeisters Wintermantel. Zeit: 5 Uhr 20 Abends.
Heftige Bewegung ca. 2—3 Sekunden anhaltend, Rich¬
tung NW.—SO. Geräusch ähnlich Donnerrollen. Gläser,
die auf dem Tisch standen, zitterten. Eine grössere Anzahl
Einwohner haben das Beben unter gleichen Erscheinungen
gespürt.
2. Brigach. Rathschreiber Kieninger gewahrte um
5'/* Uhr Abends eine ziemlich starke Erderschütterung,
begleitet von dumpfem Donnerrollen. Die Erscheinung dauerte
ca. 3 Sekunden, Richtung N.—S.; dasselbe beobachteten
andere Einwohner.
3. Nussbach. Frau Bürgermeister Biller und deren
12jährige Tochter haben 5 Uhr 20 Minuten einen kräftigen,
kurz anhaltenden Stoss verspürt und dabei donnerähnliches
Getöse vernommen. Richtung scheinbar von N. her. Ein
grösserer Theil der Einwohnerschaft bemerkte das Gleiche.
4. Gremmelsbach. Gemeinderechner Dold vernahm
um 5 Uhr 20 Minuten dumpfes Donnern, eine Bewegung,
Stoss oder dergleichen wurde jedoch nicht wahrgenommen.
Das Gleiche bestätigen die Frau des Strassenwarts Günter
und andere Einwohner.
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5. Schünacb. Eine Anzahl Einwohner, besonders
Bäcker W. Ketterer beobachteten das Erdbeben um ß 1 ^ Uhr.
Richtung anscheinend von NW. her. Dauer ca. 2 Sekunden.
Die Bewegung, begleitet von donnerähnlichem Getöse, war
ziemlich heftig, so dass Ketterer im ersten Augenblick glaubte,
das Haus müsse Beschädigungen erhalten haben, was aber
nicht der Fall war.
6. Schönwald. Beobachter G. Dold. Die gleiche
Erscheinung wurde auch hier bemerkt. Dauer ca. 2—3
Sekunden, Richtung scheinbar vor. N. her. Zeit 5[ 2 Uhr
Abends. Eine grössere Anzahl Leute beobachteten das Erd¬
beben ebenfalls.
Die gemachten Erhebungen haben ergeben, dass in St.
Georgen die Bewegung am heftigsten war, während in
Gremmelsbach ausser dem donnerartigen Getöse weitere Erschei¬
nungen nicht beobachtet wurden. In Peterzell, Langen-
schiltach, Buchenberg, Tennenbronn, Reichenbach
und Homberg waren die Erhebungen resultatlos.
In Triberg wurde am Sonntag den 13. nichts beobachtet,
dagegen konnte ich in Erfahrung bringen, dass einige Leute
am 14. früh 6 Uhr ein Erdbeben verspürt haben wollen.
Techniker Brendle hier theilte mit, dass er um genannte Zeit
einen Stoss verspürte, begleitet von einem Getöse, ähnlich
dem Einfallen einer Holzbeuge. Die Bewegung hielt 2 bis
3 Sekunden an, die Richtung hat er nicht beobachtet. Der
Stoss und das Getöse waren so heftig, dass seine Frau und
Kinder darüber erwachten. Dieselbe Erscheinung um dieselbe
Zeit haben ferner noch wahrgenommen Rechtsagent Kreutzer
und Buchhalter Ritter hier. Anderenorts wurden solche Beob¬
achtungen nicht gemacht.
b. Nicht wahrgenommen wurde das Erdbeben in
Triberg (Bürgermeister Hack) und Hornberg (Oberlehrer
Ernst). Siehe auch 7.
7. Yöhrenbaeh und Umgegend.
a. Bericht von Strassenmeister König in Furtwangen:
Beehre mich ergebenst zu berichten, dass das am 13. Januar
Abends zwischen 5 und 5 Uhr 50 Minuten stattgefundene
Erdbeben nach den angestellten Forschungen in sämmtlichen
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Gemeinden des Bezirks verspürt worden ist. Die Namen der
Gemeinden sind folgende:
1. Unter-Kirnach. 5 Uhr 10 Minuten starkes, donner¬
artiges Getöse, Zittern der Fenster und anderer Gegenstände.
Richtung N.—S.
2. Ober-Kirnach. 5 Uhr 10 Minuten starkes, donner¬
artiges Gerumpel und Rollen mit zwei heftigen Stössen,
Richtung N.—S.
3. Langenbach. 5 Uhr 15 Minuten donnerartiges
Rollen, Zittern der Thüren und Fenster. Richtung N.—S.
4. Vöhrenbach. 5 Uhr 15 Minuten starkes Gerumpel
und Erschütterung von Gegenständen. Richtung N.—S.
5. Linach. Desgleichen. Richtung unbestimmt.
6. Schönenbach. 5 Uhr 15 Minuten desgleichen.
7. Rohrbach. 5 Uhr 15 Minuten starkes Gerumpel
und Getöse, Erschütterung der Gegenstände, Lampen, Thüren
und Fenster. Richtung SO.—N.
8. Furtwangen. 5 Uhr 15 Minuten in einzelnen
Häusern starkes Getöse und Gerumpel, Bewegung der einzelnen
Gegenstände, z. B. Hängelampen. Richtung SO.—N.
9. Gütenbach. 5 Uhr 20 Minuten starkes Gerumpel
gleich dem Umfallen einer Holzbeuge, Zittern der Fenster
und sonstiger Gegenstände. Richtung unbestimmt.
10. Neukirch. 5 Uhr 20 Minuten leichtes Getöse,
gleich den vom Dach herunterfallenden Schneemassen. Rich¬
tung unbekannt.
11. Schönwald. 5 Uhr 15 Minuten starkes Getöse.
Erschütterung der Häuser. Richtung N.—S.
Die Zeit der Erdbewegung konnte nirgends genau
ermittelt werden, indem die Uhren in den abgelegenen Thälern
nie genaue Zeit angeben, ebenso ist die Angabe der Richtung
nur eine muthmassliche, die Zeitdauer des Erdbebens beträgt
ziemlich übereinstimmend 3 bis 5 Sekunden.
b. Bericht von Strassenmeister Heimburger in Villingen:
Sägereibesitzer Rosenfelder in Unter-Kirnach hat am
13. Januar 5 Uhr 20 Minuten Nachmittags folgende Erschei¬
nungen wahrgenommen. Die Richtung des Stosses kann
derselbe nicht augeben, der Stoss war aber ziemlich heftig,
so dass er glaubte, es hätte ihm jemand die Säge anlaufen
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lassen. Dauer ca. 2 Sekunden. Ausserdem haben noch
folgende Personen das Erdbeben beobachtet: 1. Kunstwoll-
fabrikant Müller auf dein sogenannten Hammer, Station
Unter-Kirnach, 2. Rathschreiber Kieninger in Brigach
3. J. Schultheiss, Chr. Weisser, R. Mayer. Apotheker Brunner,
sämmtlich in St. Georgen.
c. Bürgermeister Ringauch in Flirtwangen: Das Erd¬
beben wurde Sonntag den 13. Januar Nachmittags zwischen
5 und 1 2 6 Uhr etwa 2 Sekunden lang wahrgenommen; Zit¬
tern des Bodens und der Hausgegenstände. Richtung N.—W.
8. Villingen und Umgegend.
a. Strassenmeister Heimburger in Villingen: Am
13. Januar 5 Uhr 15 Minuten ist von dem Unterzeichneten,
Frau und Tochter ein Erdbeben beobachtet worden. Es war
ein donnerähnliches Rollen von N. nach S., war wellenförmig
und ziemlich heftig, dass das Haus erschütterte und die
Thürschlinge der Wohnzimmer im zweiten Stockwerk
schlotterte. Dauer ca. 2 Sekunden. Die Nachbarn w r ollen
jedoch nichts verspürt haben; auch habe ich sonst noch
Niemanden erfahren, der etwas gespürt hätte.
b. Professor Schumacher in Villingen: Hier am Ort
ist nur eine Beobachtung gemacht worden. Am 13. Januar
5 Uhr 15 Minuten Abends 2 Sekunden lang ein Schlag
mit folgendem Rollen durch das Haus hindurch von N. nach
S., ähnlich wie ein unterirdischer Donner. In dem Orte Stock¬
burg, eine Stunde nordwestlich von hier, will ein Bauer zwei
Schläge beobachtet haben, doch glaubte er, im Stall sei etwas
losgestürzt.
c. Schüssler in Villingen: Beehre mich ergebenst mit-
zutheilen, dass am 13. Januar 5 Uhr 15 Minuten p. m. Leute
hier einen Erdstoss wahrgenommen haben wollen, der sich
von N. nach S. fortgepflanzt habe. Ich befand mich zu
dieser Zeit ausserhalb der Stadt und kann nichts näheres
angeben, auch meine Angehörigen, die zu Hause waren,
nahmen nichts wahr.
d. Hauptlehrer König in Kappel (7 km nordöstlich von
Villingen): Am 13. Januar Abends etwa 1 / 2 6 Uhr sass ich
mit meiner Frau in der Wohustube. Auf einmal hörte ich
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ein intensives Geräusch, fast wie schleifendes Rennen, meinte,
es springe jemand vom ersten Stock in den zweiten herauf
und von da in den Speicher. Ein Erschüttern des Zimmer¬
bodens oder gar von Möbeln vernahm ich nicht, dagegen
will meine Frau eine Art Beben gefühlt und sich im Gefühl
der Unsicherheit am Tisch gehalten haben. Da ich noch
nie ein Erdbeben erlebt, war mir der Vorgang unheimlich.
Als ich nachher zum Bier kam, wollte Niemand ähnliches
bemerkt haben, bis zuletzt ein junger Zimmermann, der etwa
1 km östlich vom Schulhaus wohnt, sagte, er habe um jene
Zeit im Bette geruht und sei ihm vorgekommen, als sei seine
Schlafstelle kurz in die Höhe geworfen und nachher wieder
gefallen. Auch in anderen vereinzelten Häusern ist um jene
Zeit ähnliches gehört worden. Ich glaubte die Richtung sei
von W. nach 0. Die Detonation war kurz, vielleicht 2 bis
4 Sekunden.
9. Donaueschingen und Umgegend.
a. Donaueschinger Wochenblatt. Donaueschingen.
Von verschiedenen Seiten wird uns mitgetheilt, dass am Sonn¬
tag den 13. d. Mts. zwischen 5 und 6 Uhr Nachmittags
sowohl hier, wie in benachbarten Orten ein Erdstoss verspürt
wurde. Besonders stark soll sich derselbe in Pföhren
fühlbar gemacht haben, wo ein mehrere Minuten langes An¬
dauern festzustellen war.
b. Nachrichten gesammelt von Bürgermeister Fischer in
Donaueschingen.
1. Kammerrath Hopfgartner, Vorstand der meteorolo¬
gischen Station: Ich habe weder etwas von dem Erdbeben
wahrgenommen, noch von anderer Seite gehört, dass es wahr¬
genommen wurde.
2. Bauassistent Mayer: Nach */ 4 6 Uhr am 13. Januar
Abends vernahm ich ein Geräusch im Hause und Erschütter¬
ung, wie das Vorbeifahren eines schweren Lastwagens es
hervorbringt. Diese Erschütterungen dauerten 2—3 Sekun¬
den und endigten mit einem starken Stoss, wie er etwa
durch das Fallen eines schweren Sackes in einem Gebäude
erzeugt wird. Das Erdbeben wurde scheint’s nur in den höher
gelegenen Theilen der Stadt verspürt, während in den auf an-
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geschwemmtem Terrain der Unterstadt aufgeführten Gebäuden
nichts bemerkt wurde. Ueber die Richtung der Bewegung
kann ich keine Angaben machen.
3. Progymnasial-Direktor Bissinger: Das vorbereitende
Geräusch habe ich nicht vernommen oder nicht beachtet, da
ich gerade mit einer Arbeit beschäftigt an meinem Schreib¬
tische sass, wohl aber den Erdstoss verspürt. Dieser schien
mir in senkrechter Richtung zu erfolgen, es war eine Empfin¬
dung, wie wenn das ganze Zimmer plötzlich etwa einen Fuss
tief herunterfiele; dabei klirrten die Fenster und wackelten
die im Zimmer stehenden Gipsbüsten und Vasen; zugleich
hörte ich ein dumpfes Geräusch, wie wenn in einiger Ent¬
fernung eine sehr grosse Last zu Boden fiele. Es war nur
ein Ton, kein fortdauerndes Geräusch. Ich sah sofort nach
der Uhr, es war 5 Uhr 20 Minuten Nachmittags; da ich
jedoch nicht weiss, ob meine Uhr genau gerichtet' war, könnte
es auch einige Minuten früher oder später gewesen sein.
4. Frau Kaufmann Hafner wurde durch ein Getöse
erschreckt, als ob in der überliegenden Wohnung ein ziemlich
schwerer Körper umgestürzt sei.
5. Steuerkommissär Burger gibt an, genau zur frag¬
lichen Zeit ein starkes Geräusch vernommen zu haben, als
ob eine Holzbcuge zusammengestürzt sei. Da aus dem
Getöse ein bestimmter Ort, wo dasselbe entstanden sein
könne, nicht erkennbar war, habe er seiner Frau bedeutet,
dass ein Erdstoss stattgefunden haben müsse. Eine Bewe¬
gung wurde nicht wahrgenommen.
Es wird bemerkt, dass die Gebäude von Maier, Bissinger,
Burger in unmittelbarer Nähe im erhöhten Stadttheile ge¬
legen sind, das Haus von Hafner liegt etwa 10 Meter tiefer
und 200 Meter entfernt davon.
c. Strassenmeister Mayer in Donaueschingen: InPföhren
wurde am 13. Januar 5 Uhr und einige Minuten Nachmittags
von dem dortigen Lehrer, den Landwirthen Wolf, Griesshuber
und mehreren anderen Personen ein Erdbeben wahrgenommen
und zwar als zweimaliges Erzittern der Häuser, so dass in
den Stallungen das Vieh unruhig wurde, ein Rollen und
Tosen, wie ferner Donner. Im fürstlichen Jägerhaus Thier-
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garten bei Pföhren wurde durch den fürstlichen Oberförster
ein zweimaliges Erzittern des Hauses wahrgenommen.
d. Strassenmeister Lawo in Donaueschingen: Laut Er¬
kundigungen im diesseitigen Bezirk hat die Familie Wehrle
in Zindelsheim am 13. Januar um */ 4 6 Uhr ein Rauschen
wahrgenommen, etwa wie wenn im oberen Stockwerk etwas
umgefallen wäre. Sonst konnte ich nichts zuverlässiges
erfahren. In Wolterdingen und Thannheim hat man
nichts bemerkt.
10. Bonndorf, Stühlingen und Umgegend.
a. Bürgermeister Pfeerle in Bonndorf: Das Erdbeben
vom 13. Januar machte sich auch in hiesiger Stadt und im
Weiler Waldeck aber nur in gelinder Weise wahrnehmbar.
Am genannten Tage Abends etwa 5 Uhr hörte man von der
östlichen bis zur westlichen Seite ein kleines Donnern, sodass
in der westlichen Stadtseite an einigen Häusern die Fenster
klirrten, ln der Wirthschaft zum Waldeck war es schon ein
wenig ärger. Die Gläser auf dem Tische bewegten sich, und
im Keller wurden die Bierfässer gerüttelt. Alles dauerte
etwa 10 Sekunden.
b. Bürgermeisteramt Stühlingen: Wir beehren uns, das
Resultat unserer Erhebungen im Folgenden mitzutheilen: Hier
am Platze selbst wurde das Erdbeben nicht wahrgenommen.
Dagegen verspürte man dasselbe in den umliegenden Ort¬
schaften Bettmaringen, Wittlekofen, Wellendingen,
Brunnadern, Dillendorf, Schwaningen, Weizen,
Grimmeishofen, Fützen, Schleitheim (Kanton Schaff¬
hausen). Zeit des Eintritts 5 Uhr 15 Minuten. Art der
Erscheinung: donnerähnliches Rollen, kurze Bewegung (Rüt¬
teln), Klirren der Fensterscheiben. Richtung NO.—SW.
c. Strassenmeister Böhme in Bonndorf: 1. Am 13.Januar
5 Uhr 15 Minuten wurde eine Erschütterung von etwa 50
Sekunden Zeitdauer verspürt, welche mit einer Heftigkeit
auftrat, dass die Fensterscheiben klirrten. Die Bewegung
ging von 0.—W. 2. Ergänzend berichte ich, dass in folgen¬
den Orten des diesseitigen Bezirks das Erdbeben verspürt
wurde: Bonndorf, Ebnet, Wittlekofen, Wellendingen
und Gündelwangen. In den Ortschaften im Wutachthal
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and am rechtsseitigen Abhang desselben, wie Achdorf, Asel¬
fingen, Ewatingen, Boll und Reiselfingen wurde
nichts gespürt. Nach den Aussagen glaubwürdiger Leute
schwankt die Zeitdauer zwischen 50 bis 60 Sekunden, begleitet
war der Stoss von einem donnerähnlichen, dumpfen Rollen.
Die Stärke des Stosses wurde verschieden angegeben, in
Wittlekofen war er so stark, dass die Möbel schwankten,
was in Bonndorf nicht der Fall war, woraus zu schliessen,
dass sich das Erdbeben von S. nach N. bewegte.
d. Strassenmeister Egle in Uehlingen: Am 13. Januar
5 Uhr 20 Minuten Nachmittags wurde hier durch Strassen-
wart Schnitzer, Wirth Fischer und G. Buchmüller ein Erd¬
beben beobachtet. Dasselbe bewegte sich von 0. nach W.
Es erfolgten in einem Zeitraum von 4—5 Sekunden 2 Stösse;
der letztere war bedeutend stärker und von einem dumpfen
Rollen begleitet, das sich im Zimmer anhörte, als fahre ein
schwer beladener Wagen in rascher Gangart am Hause
vorbei. Die Häuser erzitterten und die Fenster klirrten
schwach. Das Erdbeben wurde im ganzen Strassenmeister-
bezirk Uehlingen verspürt und zwar von folgenden Per¬
sonen: Hirsch wirth Rebmann in Birkendorf, Gendarm
Seitz in Grafenhausen, den Bürgermeistern in den Gemein¬
den Riedern, Hurrlingep, Buggenried, Beenden,
Berau, Aichen, Kränkingen, Breitenfeld. Die beiden
letzteren geben an, in der Richtung N.—S. am selbigen
Abend um 8^2 Uhr eine zweite Erdbewegung (nur ein Stoss)
beobachtet zu haben, der ebenfalls von donnerartigem Rollen
begleitet war.
11 . Bericht der Wasser- und Strassenbau-Inspektion
Waldshut.
Im Strassenmeisterbezirk Säckingen wurde das Erd¬
beben mit den in der Meldung geschilderten Erscheinungen
überall beobachtet, am schwächsten jedoch von Oellingen
abwärts gegen Rheinfel den, wo man von dem Ereigniss
wenig mehr in Erfahrung bringen konnte.
Die Zeitaugabe 5 Uhr 14 Minuten für Säckingen ist
ganz genau, im Uebrigen wurde im Bezirk 5 Uhr 15 Minuten
genannt. Am stärksten wurde die Erscheinung in älteren
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Häusern wahrgenommen, wo Fenster und Thüren mehr
vereigenschaftet sind, zu klirren und zu rütteln.
Im Bezirk Görwihl wurde über dem sogenannten
Hotzenwald eine Erschütterung von 5—6 Sekunden Dauer
wahrgenommen, als fahre ein schwer beladener Wagen neben
dem Hause vorbei, begleitet von einem donnerähnlichen
Getöse. Die Zeitangaben bewegen sich um 5 Uhr 10 bis
5 Uhr 30 Minuten, und sind nicht genau zuverlässig, weil
hier, weiter ab von der Bahn, die Uhren vielfach differiren.
Besonders stark wollte man die Erscheinung in Segeten
verspürt haben. Sechs ausgefüllte Formulare geben im Ein¬
zelnen Aufschluss (s. unter 12).
Für den Strassenmeisterbezirk Waldshut wurden nach
einzelnen Ortschaften folgende Erhebungen und Wahrnehm¬
ungen gemacht.
In Waldshut wurde von mehreren Personen um 5 Uhr
20 Minuten Abends ein donnerähnliches Getöse in der Richtung
SW.—NO. gehört und darnach eine heftige Erderschütterung
wahrgenommen. Gleichzeitig folgte ein leichter Schneefall,
welcher aber nur bis ‘/ 3 7 Uhr anhielt.
Hauenstein. Im Orte selbst will Niemand etwas
bemerkt haben, wohl aber auf der Eisenbahnstation. Die
Frau des Billetausgebers befand sich allein im Bureau. 5 Uhr
20 Minuten hörte sie ein Getöse und glaubte der um 1 / 2 6 Uhr
fällige Güterzug fahre von Albbruck her unangemeldet in
die Station ein. Als sie desswegen herauseilte, verspürte sie
eine heftige Erderschütterung.
H o c h s a 1. Der Bürgermeister hörte kurz vor */ 2 6 Uhr
einen in der Richtung von Lauffenburg (SW.) kommen¬
den, ziemlich langanhaltenden Donner, und gleich darauf
bebte das ganze Haus. Die Frau Bürgermeister befand sich
im Keller, sie hörte das Getöse an, wie wenn ein schwerer
Wagen schnell vor dem Hause vorbeigefahren käme. Weil
aber Schnee lag, ging sie aus dem Keller heraus auf die
Strasse, in der Meinung, der Schnee sei vom Dach gerutscht
oder sonst etwas schlimmes passirt. Der Knecht war im
Stall und hatte bemerkt, dass die Kühe aufhörten zu fressen.
ln Schachen ist das Erdbeben von vielen Leuten
verspürt worden und zwar nur ein Stoss, aber ein heftiger
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432
>
und ziemlich lang andauernder. Die Familie Strittmatter im
zweithöchst gelegenen Haus gab an: Etwa um */ 2 6 Uhr Abends
hörten sie ein donnerähnliches Getöse in der Richtung gegen
das Albthal zu (nordöstlich). Im Hause selbst habe sich Alles
bewegt, und die Kinder haben sich sehr gefürchtet. Um 7*/ 4 Uhr
wollen sie noch einmal ein ähnliches Getöse wahrgenommen
haben, aber nicht so heftig.
Alb. Die Frau des Bürgermeisters hörte kurz vor V*6
Uhr Abends ein Getöse, als komme ein Wagen von Hauen¬
stein (westlich); gleichzeitig fingen die Fenster an zu
klirren.
Itzwihl-Haide. Zimmermeister Ebner hörte um Va6
Uhr Abends einen Donner, der ziemlich lange anhielt; er
meinte, es komme von Görwihl her (westliche Richtung),
darauf folgte eine Erschütterung des ganzen Hauses; er selbst
war im Stall. Die Kinder kamen aus der Stube und Küche
und waren sehr ängstlich, weil sie meinten, das Haus falle
zusammen.
Unter- und Ober-Alpfen. Hier ist dasselbe um die
gleiche Zeit wahrgenommen worden, besonders in dem höher
gelegenen Stiegenwirthshaus.
Waldkirch. Desgleichen um Vs6 Uhr von Ober-Alpfen
(SW.) herkommend. Die Erschütterung war ziemlich heftig
und ist vom Bürgermeister und dessen Frau und noch vielen
anderen Personen wahrgenommen worden.
In Bannholz - Remetschwiel-Waldhaus ist das
gleiche wahrgenommen worden in der Richtung SW.—NO.
Brunnadern. Die aus mehreren erwachsenen Personen
bestehende Familie Schmied befand sich in der Stube bei¬
sammen, als das donnerähnliche Getöse erfolgte; es war kurz
vor V*6 Uhr Abends. Alle vermutheten, es komme ein
Gewitter von Dachsberg (W.) her. Als im Hause Alles zu
zittern anfing, und die Fenster klirrten, gingen sie hinaus,
um nachzusehen, ob am Hause etwas passirt sei.
In Nöggenschwiel (zwischen Berau und Bannholz)
hat es der Bürgermeister und noch viele Leute wahrgenommen.
Es war noch nicht Va 6 Uhr Abends, als von Waldshut her¬
kommend ein starkes Getöse gehört wurde. Es war nur
ein Stoss, aber ein ziemlich heftiger und lang andauernder.
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433
Für den Strassenineisterbezirk Thiengen sind drei aus¬
gefüllte Meldeformulare hier angeschlossen (s. unter 12), und
wurde im Uebrigen noch festgestellt:
In Horheim durch Gemeinderath Dannefel um 5 Uhr
20 Minuten ein donnerähnliches Rollen von 15—20 Sekunden
Dauer, dem zwei leichte, scheinbar von 0. kommende Stösse
— von einander etwa 3 Sekunden getrennt — folgten, so
dass das Haus leicht erschüttert wurde, und die Fenster
klirrten.
In Oberlauchringen durch Altbürgermeister Moser,
während dieser in seinem Haus stand, um 5 Uhr 15 Minuten
ein Getöse von etwa */» Minute Dauer, gleich dem eines
rasch fahrenden Fuhrwerks, in der Richtung von 0.
In Obermettingen durch Landwirth Köhler um 5 Uhr
15 bis 5 Uhr 20 Minuten ein donnerähnliches, 15—20 Sekunden
dauerndes Rollen, dem ein starker Stoss folgte, durch welchen
das von Stein erbaute Haus erschüttert und die Fenster zum
Klirren gebracht wurden.
InDetzelndurchLandwirth Albrechtumö Uhr 15 Minuten
ein 15—20 Sekunden anhaltendes Rollen, gleich dem eines
schnell fahrenden Fuhrwerks und Zittern der Fenster im
ersten Stock seines von Stein erbauten Hauses.
Als Zeit des Erdbebens darf für die Gegend zwischen
Eberfingen und Untereggingen ziemlich zuverlässig 5 Uhr
17 Minuten festgestellt werden. Im Wutachthal wurden über¬
all zwei Erdstösse beobachtet, im Steinathal dagegen nur ein
Rollen wahrgenommen.
Im Rheinthal wurde das Erdbeben in Kadelburg be¬
merkt, dagegen nicht in Thiengen undUnterlauchringen.
Im Strassenmeisterbezirk Jestetten wurden keine Wahr¬
nehmungen mehr über das Erdbeben gemacht. Einzig in
dem im Wutachthal gelegenen Orten Degernau, auch hier nur
von drei Personen, welche auf einem 40—50 m über dem Ort
hervorragenden Bergkegel wohnen, konnte man das erfahren,
was im Meldeformular (siehe unter 12) niedergelegt ist.
12. Amt Waldshut.
a. Oberförster Greiner in Thiengen: In Thiengen selbst
hat sich das Erdbeben nur schwach bemerklich gemacht.
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434
Nur eine einzige Person konnte ich ermitteln, welche am
13. Januar Nachmittags zwischen 5 und 6 Uhr in den Bureau¬
räumen der Domänenverwaltung (im Schlossgebäude) ein
Rollen und gleichzeitig ein Klirren der Fenster bemerkt haben
will. Dagegen ist auf den Ausläufern des südlichen Schwarz¬
waldes nördlich und nordwestlich von Thiengen (Höchen-
schwander Berg, Berauer und Aichener Berg) die
Erschütterung überall ziemlich stark aufgetreten. Die Aus¬
sagen aller hierüber Befragten stimmen darin überein, dass
das Erdbeben Nachmittags zwischen 5 und 6 Uhr stattgefunden
hat, 5 — 10 Sekunden wahrgenommen wurde und sich durch
ein von W. gegen 0. fortschreitendes Rollen äusserte, welches
in den Häusern die Fenster erzittern machte. Eine Person
will während des Rollens einen ziemlich starken, kurzen
Stoss wahrgenommen haben.
b. Strassenmeister Spiegelhalder in Jestetten: Messner
Weber in Degernau hat am 13. Januar 5 Uhr 25 Minuten
ein Erdbeben beobachtet. Um angegebene Zeit plötzlich ein
dumpfes Getöse, wie ferner Donner, und zugleich eine deutlich
wahrgenommene momentane Erschütterung. Die Richtung
der Bewegung kann derselbe nicht angeben. N. Kurz in
Degernau befand sich um obige Zeit in der Sakristei; er
hörte ein kurzes Geräusch, ähnlich wie vom Dach fallender
Schnee; zugleich hörte er ein Kirchenfenster klirren, ohne jedoch
eine Erschütterung wahrzunehmen. Wittwe Weissenberger
in Degernau hat die Erscheinung auch beobachtet.
c. Strassenmeister Kinschele in Thiengen: Am 13. Januar
5 Uhr 45 Minuten ist durch Wittwe Rüstermann in Kadel-
burg ein Erdbeben beobachtet. Im zweiten Stock des Zoll¬
gebäudes, mit gewölbtem Keller massiv aus Stein gebaut ein
etwa 20—30 Sekunden anhaltendes Rollen gleich dem eines
Gewitters. Richtung scheinbar von W. her. Erschütterung
des Hauses und Klirren der Fenster. In Untermettingcn
wurde das Erdbeben um 5 Uhr 20 Minuten durch Gemeinde¬
rath Wehler beobachtet. Im eisten Stock seines aus Stein
und Riegelholz erbauten Hauses zuerst ein ca. 20 Sekunden
anhaltendes Rollen, gleich dem eines rasch fahrenden Fuhr¬
werks; Erschütterung des Hauses und Zittern der Fenster.
Dieselbe Erscheinung wurde noch von vielen Personen wahr-
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435
genommen. In Untereggingen wurden von Landwirth Albiker
folgende Erscheinungen wahrgenommen: Im ersten Stock des
aus Stein und Riegelholz erbauten Hauses zuerst Geräusch
eines schnell fahrenden Fuhrwerks, darauf 2 Stösse in Zwischen¬
räumen von 2—3 Sekunden. Richtung scheinbar von W.
Erschütterung des Hauses und Zittern der Fenster. Die
Erscheinung ist ca. 4 Minuten nachdem der Zug die Station
Untereggingen verlassen, eingetreten. Da der Zug eingezogenen
Erkundigungen nach um 5 Uhr 13 Minuten die Station
Untereggingen verlassen hat, ist als sicher anzunehmen, dass
das Erdbeben um 5 Uhr 17 oder 5 Uhr 18 Minuten statt¬
gefunden hat. In Eberfingen hat Steinhauer Boll folgende Er¬
scheinungen wahrgenommen: Im zweiten Stock seines aus Stein
aufgeführten Hauses mit gewölbtem Keller zuerst ein donner¬
ähnliches Rollen von 15—20 Sekunden Dauer, dann zwei Stösse
in Zwischenräumen von 3—4 Sekunden. Richtung von 0.
her. Erzittern des Hauses und Klirren der Fenster. Zeit:
4 Minuten vor Ankunft des Zuges, der um 5 Uhr 21 Minuten
Nachmittags auf Station Eberfingen eintrifft. Steinhauer Bark
hat dieselben Wahrnehmungen gemacht.
d. Hauptlehrer Wehrle in Rotzingen: Das Erdbeben am
13. Januar 5 Uhr 20 Minuten ist in Rotzingen und dem
benachbarten Burg von zahlreichen Personen wahrgenommen.
Es war begleitet von donnerartigem Getöse gleich mittel¬
starkem Donner. Die Erschütterung war so heftig, dass
der Boden, Stühle etc. erzitterten, und die Bewegung sogar
auf der sogenannten Kunst deutlich verspürt wurde, die Er¬
scheinung dauerte etwa 36 Sekunden, Richtung: NW.—SO.
e. Hauptlehrer Hinnenberger in Niederwihl: Am
13. Januar 5 Uhr 16 Minuten wurde von mir, Bezirksrath
Reutter, Accisor Reutter, Gypsermeister Schrieder und Anderen
ein Erdbeben beobachtet. Es verursachte ein donnerähnliches
Getöse und eine kleine Erschütterung des Bodens und der
Fenster, sowie meines Körpers. Richtung: SW.—NO.
f. Bürgermeister Mann inSegeten (südöstlich von Höchen¬
schwand): Am 13. Januar 5 Uhr 10 Minuten Nachmittags
wurde von mir, E. Meier und E. Mann ein Erdbeben beob¬
achtet. Man hörte ein donnerähnliches Rollen von ca. 20
28,
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436
Sekunden Dauer von W. nach 0., anfangs schwächer, alsdann
zunehmend und am Ende eine starke Erschütterung.
g. Strassenmeister Kuner in Engelschwand: Am Januar
5 Uhr wurde von mehreren Personen ein Erdbeben wahr¬
genommen. das sich durch Erzittern der Fenster und Haus¬
böden und Donnerrollen äusserte. Richtung: W.—O.
13. Amt Säckingen.
a. J. Zimmermann in Säckingen: Für den Herrn
Bürgermeister, der nichts bemerkt hat, theile ich mit, dass
ich am fraglichen Tage das Erdbeben wahrgenommen habe.
Dasselbe fand etwa 5 Uhr 20 Minuten statt und bestand in
einer ca. 5 Sekunden andauernden, massigen Erschütterung
des Hauses, wobei sich ein dumpfes Getöse vernehmen liess.
Ueber die Art der Bewegung bin ich mir nicht klar, doch
neige ich zu der Ansicht, dass sie wellenförmig war. Auch
die Richtung kann ich nicht absolut sicher angeben, sie mag
eine west-östliche oder südwest-nordöstliche gewesen sein.
Ein Umwerfen oder Schwanken von Geschirr oder gar Be¬
schädigung desselben hat nicht stattgefunden.
b. Strassenmeister Bachmann in Säckingen: Fabrikant
Bally hat am 13. Januar 5 Uhr 14 Minuten folgende Er¬
scheinungen wahrgenommen: Ein dumpfes donnerartiges
Rollen, als führe ein Wagen vor dem Hause vorbei in der
Richtung von SW. nach NO., 3—4 Sekunden anhaltend.
Kleine Erschütterung sofort bemerkbar, Klirren der Fenster,
theils auch Thüren. In anderen Häusern haben sich auch
leicht hängende Gegenstände an der Wand bewegt, auch
solche, welche auf Möbeln standen. Auch eine Anzahl anderer
Personen (8 werden namhaft gemacht) haben das Erdbeben
wahrgenommen.
c. Bürgermeister Sutter in Hottingen: Am 13. Januar
5 Uhr 15 Minuten Nachmittags wurde von demselben ein
Erdbeben beobachtet. Die Erschütterung war ziemlich stark,
dass theilweise die Fenster klapperten, erfolgte von N. nach S.
und hielt ca. 6 Sekunden an. Auch haben noch 6 andere
Personen (namhaft gemacht) das Erdbeben beobachtet
d. Hauptlehrer Brachat in Herrischried: Am 13. Januar
etwa 5 Uhr 20 Minuten wurde von demselben ein Erdbeben
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beobachtet. Es war eia donnerähnliches Geräusch wahrzu¬
nehmen, das dem Rollen eines schwer beladenen Wagens auf
hart gefrorenem Boden ähnlich klang. Die Fenster klirrten,
die Möbel zitterten. Das Erdbeben dauerte etwa 5 Sekunden.
Ausserdem haben Frau Dr. Kaudewitz und eine grosse Anzahl
Schulkinder das Erdbeben beobachtet.
14. Amt St. Blasien.
a. Bericht von Strassenmeister Läubin in St. Blasien:
Bezüglich des Zeitpunktes des Erdbebens schwanken die An¬
gaben zwischen 5 und 5*^ Uhr. Wahrgenommen wurde
dasselbe in allen Ortschaften des Amtsbezirks St. Blasien
•und in gleicher Stärke. Die Wahrnehmungen waren: Donner¬
ähnliches Getöse, wie wenn eine grössere Masse Schnee vom
Dache fiele, sodann Erzittern des Hauses und Klirren der
Fenster. Beim Bürgermeister in Urberg fiel gleichzeitig
das Verschlussblech, welches lose vor der Oeffnung des
Ofens (Kunst) steht, in welchem die Speisen warmgehalten
werden, um.
In Vogelbach (Ibachthal) meinte der im zweiten Stock
wohnende Gr. Rotzinger, ein etwas schwerhöriger Mann, sein
vor ihm stehender Kachelofen falle um und sprang erschreckt
ans Fenster. Für die Richtung der Bewegung geben weit¬
aus die meisten Leute des Bezirks von 0. nach W. an und
hauptsächlich solche, welche allein und ruhig zu Hause
waren.
In Höchenschwand beobachtete der Berichterstatter
das Erdbeben selbst um 5 Uhr 10 Minuten Nachmittags.
Im ersten Stock des Hotels Höchenschwand, einem massiv
gebauten dreistöckigen Haus, wurde ein starkes, donnerähnliches
Getöse (Rollen), dann Erzittern des ganzen Hauses und starkes
Klirren der Fenster wahrgenommen; Richtung scheinbar von
NW. her. Der ganze Vorgang dauerte 5—6 Sekunden.
b. Oberförster Königer in St. Blasien: Sonntag den
13. Januar Nachmittags 5 Uhr 22 Minuten wurde hier ein
Erdbeben wahrgenommen. Es bestand in einem Erdstoss
von W. nach 0., vielleicht auch in umgekehrter Richtung;
derselbe war von einem donnerartigen Krachen und Rollen
begleitet, ähnlich wie wenn eine Mauer eingestürzt oder ein
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sehr schwerer Gegenstand im oberen Stock des Hauses um-
gestürzt wäre. Das Haus zitterte merklich. Der Stoss dauerte
nur wenige Sekunden. Beobachter waren ausser dem Unterzeich¬
neten und dessen Dienstpersonal: Forstpraktikant Dr. Haus¬
rath hier und Waldhüter Kunzeimann in Mutterslehen.
c. Bürgermeister Jäger in St. Blasien: Mache die er¬
gebene Mittheilung, dass bei dem am 13. Januar statt¬
gefundenen Erdbeben nach den von uns gemachten Wahr¬
nehmungen Erdscbwankungen nach irgend einer Richtung
nicht fühlbar waren, vielmehr überall nur ein dumpfes Rollen
in der Erde, als wäre im Kellerraum eine Mauer oder Warnl
plötzlich eingestürzt, wahrnehmbar wurde.
d. Bürgermeister Dietsche in Höchenschwand: Hier
wurde am 13. Januar Abends 6 Uhr 10 Minuten ein Erd¬
beben wahrgenommen. Es hatte die Richtung von NW. nach
SO., verursachte keine Beschädigung. Einige Beobachter
glaubten, es rutsche eine Masse Schnee vom Dache, andere,
es fahre ein schwerbeladener Wagen auf holperiger Strasse,
andere, es donnere. In einigen Häusern wankte der Ofen.
e. Schwarzwälder Bote: Frohnschwand 13. Januar.
Heute Abend 5 Uhr 40 Minuten wurde ein ziemlich starkes
Erdbeben in der Richtung von NW. nach SO. wahrgenommen.
Dasselbe dauerte etwa 2 Minuten und war von einem starken
Rollen begleitet, sodass in den Wohnhäusern ein starkes
Klirren der Fenster bemerkbar war.
f. Münchener Neueste Nachrichten: Schwarzhalden
14. Januar. Im Gebiete des badischen Schwarzwaldes waren
Sonntag den 13. Januar Abends zwischen '/« und 1 /* 6 Uhr
zwei von gewaltigem Getöse begleitete Erdstösse zu verspüren.
Nicht blos hier, sondern auch in Schluchsee, Blasi¬
wald, Titisee erzitterten die Häuser, und flohen die Be¬
wohner erschreckt ins Freie. Von irgend welchem angerich¬
teten Schaden ist bis zur Stunde Nichts bekannt geworden
(Schwarzhalden liegt östlich, Blasiwald westlich der Strasse
von St. Blasien nach Schluchsee).
g. Fabrikant Ulmenstein in Schwarzhalden: Ich kann
von hier berichten, dass wir hier das Erdbeben recht stark
gespürt haben. In der Wohnung des Betriebsleiters des
Elektricitätswerkes hier hat die Wand in der Küche
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439
einen Riss bekommen. Es war zwischen 5 1 /« und 5*/ 2 Uhr,
als ich von Blasiwald herabkam; in dem weichen Schnee
habe ich keine Erschütterung bemerkt, wohl aber ein Brausen.
In meinem Hause hat meine Frau ein förmliches Donnern
und Rollen gespürt, auch hat das Haus, natürlich im oberen
Stock mehr, eine heftige Erschütterung erlitten, doch ohne
weiteren Schaden.
h. Bürgermeister Itogg in Schluchsee: Das Erdbeben
am 13. Januar Abends 5 1 /* Uhr wurde hier wahrgenommen
in der Richtung von SO nach NW., wellenförmig, ohne
Beschädigungen anzurichten, etwas umzuwerfen oder ins
Wanken zu bringen. Ein Donnern, Rollen oder ähnliches
Geräusch wurde hier nicht wahrgenommen.
i. Bürgermeister Mayer in Menzenschwand (Hinter¬
dorf): Das fragliche Erdbeben am 13. Januar Nachmittags
zwischen 4 und */ s 5 Uhr hat sich hier ziemlich stark bemerk¬
bar gemacht. Ich selbst sass an meinem Schreibtisch; an¬
fänglich vernahm ich ein ziemlich heftiges donnerähnliches
Geräusch, gleich darauf verspürte ich wellenförmige Beweg¬
ungen. Ein Bild über meinem Schreibtisch kam ins Wanken,
ebenso das Wasser in meinem Goldfischaquarium. Schaden
verursachte das Erdbeben nicht. Die Bewegung kam nach
meiner Ansicht von 0. nach W., das Erdbeben dauerte etwa
4—5 Sekunden. Nach Aussage anderer Leute soll etwa eine
halbe Stunde vorher ein kleineres Erdbeben stattgefunden
haben.
k. Gemeinderath SchlageterinMenzenschwand(Vorder-
dorf): Theile mit, dass das Erdbeben hier gegen V 2 6 Uhr
Abends wahrgenommen wurde. Dasselbe bewegte sich von 0.
nach W. mit donnerartigem Rollen, währte einige Sekunden,
ln manchen Häusern wurde Fensterklirren bemerkt, Schaden
wurde nirgends angerichtet. Viele Leute waren der Meinung,
die schweren Schncemassen auf den Dächern seien im Rollen,
die sich bei Thauwetter mit ähnlichem Geräusch loslösen
und niederstürzen.
l. Wasmer in Bernau: Am 13. Januar 5 h. 10 m. p.
wurde ein Erdbeben wahrgenommen. Dauer 2—3 Sekunden,
Richtung war nicht erkennbar. Es war ein schwaches donner-
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440
ähnliches Getöse hörbar und eine schwache Erschütterung,
die in den Häusern mehr bemerkt wurde, als im Freien.
m. Bürgermeister Trütschler in Todtmoos: Am Sonntag,
den 13. Januar wurde auch hier ein Erdbeben wahrgenommen
und zwar von N. gegen S. Die Bewegung war wellenförmig
und derart, als wenn man oben auf der Bühne einen kleinen
Wagen schnell bewegen würde. Beschädigungen hat das
Erdbeben nicht verursacht, keine Möbel oder Geschirr um¬
geworfen. Die Fensterscheiben haben nur in den von Stein
gebauten grösseren Gebäuden geklappert. Das Erdbeben
hat 4—6 Sekunden gedauert. Gleichzeitig hat man ein Rollen
gehört; vorher und nachher wurde nichts wahrgenommen.
n. Brunner in Todtmoos: Am 13. Januar wurde hier
ein von NW. nach SO. ziehendes, sehr starkes unterirdisches
Rollen wahrgenommen, ln meiner Wohnung haben sämmt-
liche Fenster geklirrt. Andere Leute hier sind sogar um¬
gefallen in ihren zur Zeit befindlichen Stellungen. Das Erd¬
beben dauerte */ 2 Minute.
15. Amt Neustadt.
a. Berichte des Strassenmeisters Huber in Lenzkirch:
Zeige ergebenst an, dass heute (13. Januar) Abends 5 Uhr
21 Minuten ein Erdbeben mit donnerartigem Rollen von SW.
nach N. wahrgenommen wurde. Die Wahrnehmung dauerte
10—15 Sekunden.
Zur Ergänzung des Berichts vom 13. d. M. theile ich
weiter mit, dass das Erdbeben und donnerartige Rollen am
13 d. M. Abends genau um 5 Uhr 21*/ 2 Minuten (mittel¬
europäische Zeit) in den Ortschaften Lenzkirch, Altglas¬
hütte, Bärenthal, Neuglashütte, Hinterzarten, Yier-
thäler, Saig und Grünwald wahrgenommen wurde. Ausser
dem donnerartigen Rollen wurde in Lenzkirch von Frau Ganter,
welche sich zur betreffenden Zeit in der Küche befand, ein
Schwanken und Klirren des Küchekastens beobachtet. In Fisch¬
bach im Hause des Andreas Mahler bemerkten die Bewohner ein
Schwanken unter den Füssen. In Kappel, Falkau und
Raithenbuch war mit dem Rollen noch ein Klirren der
Fenster bemerkbar, und ist laut Postkarte von Herrn Hotelier
Mayer (Feldbergerhof) auf dem Feldberg das Erdbeben
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441
stark wahrgenommen worden. Nach ziemlich zuverlässigen
Mitteilungen hat sich das Erdbeben von SW. nach NO.
fortgesetzt.
Die Erhebungen am 14. und 18. d. M. über das Erd¬
beben im Orte Göschweiler blieben erfolglos. Am 22.
hat der Unterzeichnete nochmals nachgefragt, und hat sich
ergeben, dass Frau Kaufmann Zölle, sowie Georg Gromann
ein donnerartiges Rollen mit Klirren der Fenster gehört
haben. Die Familie des Benedikt Frey hat mit dem donner¬
artigen Rollen noch ein Erschüttern, bezüglich Schwanken,
nebst Klirren der Fenster wahrgenommen. Ausser diesen
Personen hat sich in Göschweiler Niemand mehr gefunden,
der über obigen Betreff Aufschluss geben konnte. In Stall egg
(an der Wutach nordöstlich von Göschweiler) ist das Erd¬
beben nicht verspürt worden.
. b. Bürgermeister Willinann inLenzkirch: Am 13. Januar
Nachmittags etwa 5 1 /* Uhr wurde hier ein ziemlich starker
Erdstoss mit donnerartigem Geräusch bemerkt.
c. Frau Faller-Eigler in Titisee: Theile auf Anfrage
ergebenst mit, dass auch hier am 13. Januar 5 Uhr 15 Minuten
sich ein Erdbeben 1 1 / a Minuten lang fühlbar gemacht hat.
Zuerst ein unterirdisches Rollen und Getöse in der Erde;
nachher von W. her ein Ruck und ein Wackeln im ganzen
Haus. Bei uns selbst hat kein Geschirr gewankt, aber in
Hinterzarten, ‘/s Stunde von hier, soll es dasselbe gethan
haben. Nachher war wieder alles ruhig. Schaden hat das
Erdbeben nicht verursacht.
d. Bericht von Strassenmeister Matt in Neustadt: Nach
vorgenommenen Erhebungen wurde am 13. Januar etwa
Abends 5 Uhr 20 Minuten in sämmtlichen Ortschaften dies¬
seitigen Bezirks mit Ausnahme von Löffingen und
Seppenhofen eine Erderschütterung von 6 Sekunden Dauer
nnter dumpfem Rollen angeblich von W. gegen 0. und zwar
in den Orten Neustadt, Röthenbach, Dittishausen
und Schwärzenbach nur leicht, in den übrigen Ortschaften
etwas heftiger wahrgenommen, sodass Wände und Fenster
gerüttelt und Tafeln bewegt wurden. Beschädigungen kamen
hierdurch nicht vor
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442
c. Bürgermeister Schweiggen in Neustadt: Theile mit,
dass das Erdbeben am 13. Januar auch hier wahrgenommen
wurde und zwar etwa um 5 Uhr 20 Minuten. Zuerst wurde
ein Geräusch wahrgenommen, ähnlich, wie wenn der Schnee
von den Dächern abrutscht. Demselben folgte ein Rollen,
wie wenn ein Lastwagen schnell fährt. Dasselbe bewegte
sich von W. nach 0. und wurde in oberen Stadttheilen
stärker wahrgenommen als unten. Schaden hat dasselbe
keinen angerichtet. Möbel und Geschirr wurden nicht in
Bewegung gesetzt.
d. Lehrer Dorer in Saig: Bei der heute fl3. Januar)
mässig kalten Witterung und den mit dichten Schneewolken
behangenen Himmel fand ein Erdbeben mit donnerartig
rollendem Getöse um 5 Uhr 10-20 Minuten statt, sodass
Hängelampen in der Richtung von NW. nach SO. in stark
schwingende Bewegung kamen. Das Erdbeben dauerte über
60 Sekunden.
e. Badische Presse: Eckbach-Joosthai (nordwestlich
von Neustadt), 14. Januar. Ein starkes Erdbeben, das gut
5 Sekunden anhielt, fand gestern, Sonntag Nachmittag statt.
Jeder war erst der Ansicht, es rühre von herabfallendem
Schnee her. Jeder erzählte Abends im Wirthshaus von
diesem Getöse.
f. Hotelier Mayer auf dem Feldberg: Theile auf Anfrage
mit, dass das Erdbeben hier stark verspürt wurde. Die
Bewegung war Abends zwischen 5 und 1 /* 6 Uhr mit donner¬
ähnlichem Geräusch verbunden. Schwankungen wurden nur
in sehr geringem Maass wahrgenommen. Bewegungen an
Bildern bemerkten wir nicht. Das einzige, was damit in
Verbindung gesetzt werden könnte, ist, dass ein wenig Schnee
vom Dach fiel.
16. Wiesenthal.
a. Karlsruher Zeitung: Aus dem Wiesenthal, 18. Januar.
Den Berichten über die letzten Erdstösse nach lässt sich nun¬
mehr feststellen, dass dieselben sich in Todtnau und Um¬
gebung stark fühlbar machten, an manchen Stellen so, dass
sogar Menschen auf der Strasse zu Fall kamen. Im Innern
der Häuser klirrten viele Gegenstände von selbst, die sonst
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nur berührt einen Ton von sich geben; lose stehende Sachen
fielen uni. Von grösseren Beschädigungen hört man nichts.
Thälabwärts schwächte sich die Bewegung immer mehr ab,
sodass in Schopfheim nur zwei ganz leichte Erdschwing¬
ungen bemerkbar waren; in Lörrach wurde gar nichts
mehr gespürt.
b. Hauptlehrer Schulz in Todtnauberg: Am 13. Januar
5 Uhr 15 Minuten wurde hier ein Erdbeben beobachtet.
Dasselbe erfolgte in einem heftigen Stoss, welcher sich von
SW. nach NO. fortpflanzte. Die Gegenstände wankten. Die
Gläser auf den Tischen klirrten. Das Erdbeben dauerte
etwa 3 Sekunden. Die Herren Leipheimer aus Karlsruhe,
Pfarrer Schott, Altbürgermeister Bender und Engelwirth
Klingeln haben dasselbe ebenfalls beobachtet.
c. Breisgauer Zeitung: Todtnau. 14. Januar. Gestern
Nachmittag 5 Uhr 15 Minuten hatten wir ein so starkes
Erdbeben, dass man meinte, die Häuser würden einstürzen.
Geräthe stürzten um, Personen kamen ins Schwanken, und
Einzelne sollen sogar umgefallen sein. Der Erdstoss bewegte
sich in der Richtung nach 0. weiter.
d. Bürgermeister Thoma in Todtnau: Hier wurde das
Erdbeben etwa 20 Minuten nach 5 Uhr Nachmittags wahr¬
genommen. Die Richtung ging von 0. nach W. und hatte
einen leichten Stoss verursacht, wie wenn Schnee vom Dache
fiele, ohne irgend eine Beschädigung zu verursachen.
e. Badische Presse: Schönau, 13. Januar. Heute Abend,
etwa 5 Uhr 20 Minuten wurden hier zwei Erdstösse wahrge-
nonnnen. Dieselben folgten kurz aufeinander, und dauerte
jeder kaum eine Sekunde.
Marnbach, 14. Januar. Gestern Abend 5V« Uhr wurde
hier ein ziemlich heftiger Erdstoss wahrgenommen. Fenster
und Thüren klirrten, und die Uhren klingelten. Buben, die
auf dem Eise sich vergnügten, glaubten, der Zug „rumple“
daher und bemerkten nachher, dass das Eis Risse erhalten
hatte.
Muggenbrunn, 14. Januar. Gestern Abend */*6 Uhr
war hier ein ziemlich starkes Erdbeben wahrnehmbar, das
sich in der Richtung von 0. nach W. fortzubewegen schien.
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Wohl im Zusammenhang damit trat um dieselbe Zeit Schnee¬
fall ein.
Zell i. W., 13. Januar. Heute Abend gegen 5 Uhr
.wurde in unserer Gegend ein ziemlich heftiger Erdstoss ver¬
spürt, dem ein donnerähuliches Rollen folgte. Der Stoss
schien die Richtung von 0. nach W. zu haben.
f. Strassenmeister Dehoff in Schönau: Am 13. Januar
5 Uhr 10 Minuten wurde hier ein Erdbeben beobachtet, ein
rollendes, etwa 3—4 Sekunden anhaltendes Geräusch,
ähnlich dem Fahren eines Eisenbahnzuges, verbunden mit
Erschütterung. Eine Richtung konnte nicht bestimmt wahr¬
genommen werden.
g. Bürgermeister Winter in Zell i. W.: Das am
13. Januar hier verspürte Erdbeben wurde etwa Nachmittags
5 Uhr 20 Minuten wahrgenommen. In der Hauptsache wurde
in den Häusern ein Geräusch gehört, gleich einem schweren
Lastwagen, der über gefrorenen Boden gefahren wird. Alles
hat einen kurzen Stoss wahrgenommen, in nordost-südwestlicher
Richtung. Beschädigungen kamen keine vor, obwohl der
Stoss, beziehungsweise die Bewegung eine starke war.
h. Bericht von Strassenmeister Peter in Wiesleth: Am
13. Januar um 5 Uhr 20 Minuten Nachmittags ist in Wies¬
leth durch Postagent Vogt ein Erdbeben beobachtet worden.
Derselbe hat hierbei folgende Erscheinungen wahrgenommen:
5 Uhr 20 Minuten Nachmittags hörte derselbe plötzlich ein
donnerartiges Getöse, welches etwa 8—10 Sekunden anhielt
und mit einem kräftigen Stoss endigte. Fenster und Thüren
klirrten; an Gegenständen, wie Tischen und Stühlen konnte
derselbe in Folge des Stosses eine Bewegung wahrnehmen.
Der Stoss erfolgte in der Richtung von SO. nach NW.
Ausserdem haben noch verschiedene Personen in Wiesleth,
Eichholz, Henschenberg, Schillighof und Langenau
das Erdbeben wahrgenommen.
i. Strassenmeister Kupfert in Schopfheim: DurchStrassen-
wart Lenz in F ah mau wurde am 13. Januar 5 Uhr 30
Minuten Nachmittags im Freien auf der Strasse ein donner¬
ähnliches Getöse wahrgenommen, welches etwa 3 Sekunden
andauerte und sich in der Richtung von W. nach 0. bewegte.
Der Berichterstatter in Schopfheim, der um diese Zeit
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krank im Bett lag, hat nichts von dem Erdbeben bemerkt,
wohl aber seine Frau im zweiten Stock eines massiven Hauses;
die Fenster des Stockwerks sollen geklirrt haben.
k. Frau Oesterlin in Fahrn au: Am Sonntag den
13. Januar sassen meine Mutter und ich Abends zwischen.
5 und 6 Uhr allein in unserer Wohnstube. Meine Mutter
am Ofen legte die Hand aufs Bett, ich sass am Fenster in
Gedanken und legte die Hand auf den Sims. Plötzlich sagte
die Mutter: „Jetzt hat doch das Bett gezittert.“ Gleichzeitig
bemerkte ich, dass das Simms sammt meiner Hand und auch
die Fenster stark gezittert hatten und hörte zugleich ein
Getöse. Da ich wusste, dass sich Niemand im unteren
Stock befand, sagte ich zu meiner Mutter Jetzt hat es gewiss
geerdbebt“.
l. Hauptlehrer Huber in Maul bürg: Am 13. Januar
5 Uhr 15 Minuten Nachmittags wurde hier ein ziemlich
heftiger Erdstoss verspürt. Derselbe wurde in allen Theilen
des Ortes von verschiedenen Personen beobachtet. Der
Richtung nach schien sich derselbe von N. nach S. fortzu¬
bewegen. Begleitet war derselbe.von einem Rollen und Tosen.
Ausser dem deutlich wahrnehmbaren Klirren der Fenster¬
scheiben wurde die Bewegung besonders stark durch das
Rütteln der Bettstatt bemerkt, in der sich Schreiber dieses
damals als Patient befand.
m. Bürgermeisteramtsverweser Oestreicher in Lörraih:
In hiesiger Stadt wurde am 13. Januar von einem Erdbeben
nichts wahrgenommen.
17. Umgebung von Kandcrn.
a. Badische Presse: Rändern, 14. Januar. Gestern
Abend 5 Uhr 15 Minuten wurde hier ein leichter Erdstoss
verspürt. In der eine Stunde östlich von hier gelegenen
Ortschaft Malsburg soll die Erschütterung heftig und von
lautem Getöse begleitet gewesen sein. Auch in Sali neck,
Schopfheim i. W. und Oberbränd (Amt Neustadt) wurdn
die Erderschütterung gespürt.
b. Bürgermeister Berner in Kandern: Uebereinstim-
mend mit a.; Richtung wird W.—0. angegeben.
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c. Strassenmeister Sack in Kandern: Von Maurer¬
meister Köbel in Kandern wurde am 13. Januar 5 Uhr 15
Minuten Nachmittags ein Erdbeben beobachtet. Es erfolgte
ein heftiger Stoss in der Erde, welcher die Richtung von
SW. nach NO. zu nehmen schien. Derselbe hielt etwa
2 Sekunden an und war von einem donnerähnlichen Getöse
begleitet. Der Stoss war so heftig, dass die Fenster zitterten
und klirrten. Der Ofen und sonstige Zimmergeräthe haben
gewankt. Zu derselben Zeit fand starker Schneefall statt.
Ausserdem ist das Erdbeben noch in folgenden Orten des
Amtsbezirks Müllheim beobachtet: Malsburg, Lütschen-
bach, Marzell, Vogelbach, Sitzenkirch. Der Stoss
wurde überall um 5 Uhr 15 Minuten verspürt, und dauerte
etwa 2 Sekunden. Bezüglich der Richtung sind die Meisten
der Ansicht, dass der Stoss von SW. nach NO. erfolgt sei.
18. Amt Müllheim (vergl. auch 17).
a. Strassenmeister Stutz in Müllheim: Am 13. Januar
nach 5 Uhr wurde in den Orten Feldberg, Obereggenen,
Schallsingen, Lipburg, Badenweiler und Schweighof
von mehreren Personen ein Erdbeben beobachtet. Es ging
ein Geräusch voraus, wie wenn grössere Fässer ins Rollen
gekommen wären. Dieses Rollen dauerte 2—3 Sekunden,
hierauf trat eine kurze Pause ein, dann folgte ein kurzer aber
kräftiger Stoss, so dass in den Wohnungen Geräthe schwank¬
ten. In Schweighof glaubten die Beobachter, dass der Stoss
von W. nach 0. erfolgte, in allen anderen Orten von 0.
nach W.
b. Bürgermeister Blankenhorn in Müllheim: Theile auf
Anfrage mit, dass sich Sonntag den 13. Januar in Müllheim
ein Erdbeben nicht bemerkbar gemacht hat.
c. Badische Presse: Von Blauen, 14. Januar. Ver¬
schiedene Personen haben gestern Abend i j i G Uhr einen
Erdstoss, welcher die Thüren und Fenster erschüttern liess,
verspürt und ein denselben begleitendes Rollen und Tosen,
wie ferner Donner gehört.
d. Professor Neumann aus Freiburg, der sich zur Zeit
des Erdbebens in Badenweiler befand, theilte mir mit, dass
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dort das Erdbeben nicht wahrgenommen sei, dagegen stark
auf dem Blauen.
19. Amt Staufen.
a. Bericht von Strassenmeister Klehammer in Staufen:
Am Sonntag Abend (13. Januar) s / 4 6 Uhr bemerkte ich hier
ein starkes Brausen, wie eines herannahenden Gewittersturms;
dabei war es ziemlich ruhig. Eine Dienstreise am Montag
in Folge dieser Erscheinung ins Münsterthal ergab folgendes:
Es wurde von Strassenwart Stiegeler in Untermünster¬
thal, Lehrer Seilnacht in Obermünsterthal, Belkele in
Neuhof, Strassenwart Stoham in Giesshübel um */ 4 6 Uhr
ein donnerähnliches Geräusch in der Luft, unterirdisches
dumpfes Rollen, Erzittern der Häuser, 3—4 Sekunden an¬
haltend, bemerkt, Richtung SO.—NW. Nachforschungen in
Krozingen, - Heitersheim, Döttingen, Ballrechten,
Pfaffenweiler ergaben nichts. Ziegler Löffler in Ball¬
rechten hat ebenfalls eine leichte Bewegung mit Rollen von
SO. nach NW. bemerkt.
b. H. Schober in Freiburg: Am Sonntag den 13. Januar
ging ich geschäftlich nach Sölden und kam dort um 4 Uhr
Nachmittags an. Nach Erledigung meiner Geschäfte ging ich
ins Wirthshaus zur Krone. Nachdem ich und mein Vater
uns eine Zeit lang mit dem Wirth und der Wirthin unter¬
halten, rief die letztere plötzlich: „Um Gottes Willen, was
ist denn los?“ Kaum hatte dieselbe angefangen zu sprechen,
kam uns derselbe Gedanke, denn wir verspürten zwei ziem¬
lich starke Stösse, welche in der Richtung von Ehrenstetten
nach Sölden kamen (also SW.—NO.). Auch hörte man ein
dumpfes, donnerartiges Rollen, das auch später von den Dorf¬
bewohnern bestätigt wurde. Das ganze Erdbeben dauerte
meiner Ansicht nach höchstens 4—5 Sekunden und war um
5 Uhr 15 Minuten. Von verschiedenen Einwohnern wurde
behauptet, dass Flaschen, welche aut dem Gesimse standen,
umfielen, und Fenstbr klirrten; dieses jedoch nur von den¬
jenigen, welche auf den Anhöhen wohnten.
c. Strassenmeister Brechtei in Krozingen: Auf verehr-
lichen Auftrag habe ich gehorsamst zu berichten, dass von
dem am 13. Januar im südlichen Schwarzwald stattgefundenen
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Erdbeben im Bezirk des Unterzeichneten nach eingehenden
Erkundigungen keinerlei Wahrnehmungen in Erfahrung ge¬
bracht werden konnten.
Negative Nachrichten iagen weiterhin noch vor aus
Staufen und Heitersheim (Bürgermeisterämter).
20. Zusammenstellung (S. 450 u. 451) der von den Post¬
anstalten des Ober-Postdirektionsbezirks Konstanz gemachten
Beobachtungen.
II. Eisass.
21. Kolmar.
a. Professor Dr. Gneisse: Von dem fraglichen Erdbeben
habe ich und meine Familie nichts gespürt, auch keiner der
Kollegen, die ich fragen konnte. Nur Dr. Köhler erzählte,
dass am Sonntag den 13. Januar sein Dienstmädchen eine
Erschütterung des Hauses verspürt habe zwischen 5 und 7
Uhr Nachmittags und in Abwesenheit der Herrschaft sehr
dadurch geängstigt worden sei. Der Redakteur des „Elsässer
Tageblatts“ erklärte, dass er keine Korrespondenz aus Kolmar
und Umgebung erhalten habe, dagegen Mittheilungen, dass
das Erdbeben in St. Ludwig und Sierenz, bemerkt
worden sei.
b. Gasdirektor Kern: Theile auf Anfrage ergebenst mit,
dass weder ich noch meine Bekannten etwas von dem Erd¬
beben gespürt haben, noch auf der Polizei, dem Stadthause
oder den Zeitungsredaktionen hier am 13. Januar oder
einem anderem Tage etwas von einem solchen bemerkbar
geworden ist.
22. Mülhausen und Umgegend.
a. Strassburger Post. Habsheim, 16. Januar. Der am
13. d. M. in Zell im Wiesenthal beobachtete Erdstoss wurde
auch hier bemerkt. Es war gegen 5 Uhr Nachmittags, als
plötzlich die Krähen vom Boden aufflogen, und ein hiesiger
Einwohner eine Erschütterung wahrnahm und dann nach der
Ursache desselben, ohne gerade an einen Erdstoss zu denken,
in den Räumen seines Hauses forschte. Einem anderen
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hiesigen Einwohner ist in seinem Zimmer ein Bücherschrank
umgestürzt.
b. Dr. Bronnert, Assistent an der Chemie-Schule in
Mülhausen: Am 13. Januar wurde von mir in meiner Woh¬
nung, Brubacher Strasse auf dem Rebberg, östlich der Bahn
im ersten Stock ein Erdstoss wahrgenommen. Es war nach
meiner Uhr 5 Uhr 15 Minuten Nachmittags; da dieselbe
gegen die Telegraphenuhr 5 Minuten nachging, war es also
5 Uhr 20 Minuten. Ich sass an meinem Schreibtisch. Es
war eine einmalige, etwa 10 Sekunden andauernde Erschütte¬
rung, die alles erzittern liess, ohne in einer Richtung be¬
stimmend zu beeinflussen. Möbel fielen keine um, dazu war
der Stoss zu schwach. Dagegen gerieth eine Hängelampe in
Schwingungen, doch entsprachen auch diese keiner bestimm¬
ten Himmelsrichtung. Nachbarn haben den Stoss ebenfalls
w'ahrgenommen, jenseits der Bahn im eigentlichen Mülhausen
konnte dagegen Niemand die geringste Auskunft geben.
c. Professor Dr. Förster in Mülhausen: Mir ist nichts
von einem Erdbeben bekannt geworden; auch habe ich trotz
eifrigem Nachfragen nichts davon zu hören bekommen.
23. Negative Nachrichten liegen vor aus: Neu-
Breisach (Bürgermeisteramt), Gebweiler (Oberlehrer Dr.
Wirz), Hüningen (Bürgermeisteramt), Altkirch (Kreis¬
direktor Illing), Pfirt (Apotheker Kern). Auch die In¬
strumente der Strassburger Erdbebenstation zeigten keinen
Ausschlag.
III. Württemberg.
24. Aus Württemberg liegt nur eine positive Nachricht
vor, nämlich aus dem Schwarzwälder Boten: Schramberg,
18. Januar. Am letzten Sonntag wurde in verschiedenen
Orten des Schwarzwaldes eine an manchen Orten ziemlich
heftige Erderschütterung verspürt. Auch hier wurde die
Erschütterung um 5 Uhr 30 Minuten (nach der Kirchenuhr)
bemerkt und zwar in der Dauer von etwa 4 Sekunden in
der ungefähren Richtung SW.—NO.
Negative Nachrichten liegen vor aus Tuttlingen,
Rottweil (Stadtschultheissämter) und Stuttgart. Professor
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Dr. A. Schmidt in Stuttgart schreibt: Von dem Erdbeben
des südlichen Schwarzwaldes am 13. Januar ist meines
Wissens in Württemberg und Hohenzollern nichts verspürt
worden. Mein Seismometer zeigte am 14. einen Ausschlag
von nordsüdlich 2 mm (vertikal 0), wie er z. B. auch am
17. sich zeigte und an den letzt verflossenen Februartagen
noch grösser war. Professor Haag in Rottweil theilte mir
mit, dass der im dortigen Gymnasium aufgestellte Seismograph
am 13. Januar keinen Erdstoss anzeigte.
IV. Schweiz.
25. Mittheilungen der Schweizer Erdbebenkommission
durch Herrn Privätdozenten Dr. Früh in Zürich.
a. Schaffhausen. Am 13. Januar etwa 5 Uhr 15 bis
25 Minuten wurde ein Erdstoss wahrgenommen; eine Familie,
die beim Vesperessen war, wurde so erschreckt, dass sie in
den Hausgang floh.
b. Unter-Hai lau (Kanton Schaffhausen). Am 13. Januar
5 h. 18 p. m. zwei massig starke Erdstösse S.—N., von
mehreren Personen wahrgenommen (Bericht der meteoro¬
logischen Station.)
c. Aarau. 1. 5 h. 20 m. p. „Ich vernahm im Haus
einen Knall, wie einen Pistolenschuss, oder wie wenn eine Thür
heftig zugeschlagen w'ird.“
2. 5 h. 20 m. p. „Krachen iin Hause“.
3. 5 h. 20 m. p. „Im Arbeitszimmer mit meinen Samm¬
lungen beschäftigt fühlte ich plötzlich eine stossähnliche Er¬
schütterung des Hauses; leere Blumentöpfe zwischen den
Fenstern klirrten etwa 10 Sekunden nach“ (rechte Nieder¬
terrasse an der Aare).
4. Ein Dr. med. meldet: Der Sekretär meiner Woh¬
nung und ein Küchenschrank geriethen ins Schwanken. Die
Kranken hatten das Gefühl, sie würden aus dem Bett ge¬
worfen. Der Assistent beobachtete eine Hängelampe in der
Richtung 0.—W. schwankend (rechte Niederterrasse).
d. Leibstädt (linkes Rheinufer zwischen Laufenburg
und Koblenz), ca. 5 h. 18 m. p. ein Erdstoss.
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e. Rheinfelden. Zwischen 4 und 5 Uhr Nachmittags
«in sonderbares Erschüttern des Hauses.
f. Pratteln und Kaiseraugst (Basler Gebiet). Ein
Erdstoss am 13. Januar gemeldet.
26. Mittheilung von Herrn Professor Dr. Riggenbach in
Basel: In Basel ist von dem Erdstoss am 13. Januar nichts
verspürt worden, wenigstens nicht in meinem Institut. Auch
eine Aufforderung zur Mittheilung von Beobachtungen, die
ich hiesigen Blättern zugehen liess, brachte mir bisher
keine hiesigen Beobachtungen ein. Dagegen wurde mir mit-
getheilt, dass in Schaffhausen am 13. Abends 5 1 /* Uhr
ein Erdstoss wahrgenommen worden sei.
27. Mittheilung von Herrn Reallehrer Pletscher in
Sehleitheim (Kanton Schaffhausen).
In Schleitheim wurde von mir am 13. Januar 5 Uhr
15 Minuten Nachmittags ein Erdbeben beobachtet. Ein
kurzes, dumpfes unterirdisches Rollen, das von S. her zu
kommen schien. Einmaliger starker Stoss (im dritten Stock
eines massiv gebauten Hauses). Lose an der Wand hängende
Gegenstände geriethen in leise Schwingungen. Ausser mir
haben noch vier Personen der Familie Stamm in drei ver¬
schiedenen Lokalitäten das Erdbeben beobachtet, doch schien
ihnen die Bewegung von NO. nach SW. zu gehen.
Das Erschütterungsgebiet.
Das zusammenhängende Erschütterungsgebiet umfasst so
ziemlich den gesammten südlichen Schwarzwald nebst einem
grossen Theil des Rheinthaies von Schaffhausen abwärts bis
gegen Basel. Die Westgrenze desselben fällt nahezu mit der
Hauptverwerfung, welche die mesozoischen und tertiären
Ablagerungen der Vorberge von dem krystallinischen Grund¬
gebirge trennt, zusammen. In der Vorbergzone sind nur
wenige Orte, von denjenigen der Ebene nur einige dem
Gebirgsrande nahe liegende der Freiburger Bucht, nämlich
der untere Theil von Freiburg selbst, St. Georgen, Gundel¬
fingen und Denzlingen erschüttert. Nach NW. folgt die Grenze
des Schüttergebiets dem Elzthal bis Elzach aufwärts, im N. so
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ziemlich der Südgrenze des Triberger Granitmassivs, in welchem
nur noch an vier Orten die Erschütterung wahrgenommen
wurde, während von zahlreichen anderen bestimmt negative
Nachrichten vorliegen, sodann der Linie St. Georgeu-Stock-
burg-Kappel (nordöstlich von Villingen). Die Ostgrenze des
geschlossenen Schüttergebiets wird durch eine Linie von
Kappel über Villingen, Zindelsheim, Dittirhausen, Röthen¬
bach, Göschweiler nach Gundelfingen bezeichnet und folgt
weiterhin auf eine weite Strecke dem Wutachthaie. Oestlich
desselben liegen nur aus einigen Orten des Klettgau und
aus Schaffhausen positive Nachrichten vor. Im Süden folgt
die Grenze dem Rheinthal von Kadelburg abwärts bis nach
Basel. Im SW. scheidet aus dem Schüttergebiet das untere
Wiesenthal abwärts Maulburg und die Masse des Dinkelbergs
aus. Die Grenze bilden hier im allgemeinen die Verwer¬
fungen, welche dieses Gebiet von dem eigentlichen Schwarz¬
wald trennen. Ausserhalb derselben wurden nur noch die
Orte Fahrnau, Langenau, Schopfheim, Maulburg und Oeflingen
und auch diese meist nur sehr schwach erschüttert.
Abgesehen von dem durch obige Grenzen bezeichneten
geschlossenen Schüttergebiet wurde das Erdbeben aber noch
in einer Anzahl mehr isolirter Punkte wahrgenommen,
welche von ersterem theils durch Gebiete, aus denen negative,
tlieils durch grössere Zonen, aus denen gar keine Nachrichten
vorliegen, getrennt sind. Zwei derselben, Schramberg im N.
und Schaffhausen im SO. dürfen allerdings wohl als vorge¬
schobene Posten des geschlossenen Verbreitungsgebiets ange¬
sehen werden, da sie von den Grenzen desselben nicht
allzuweit entfernt sind, und keine Orte mit negativen Nach¬
richten dazwischen liegen. Anders steht es schon mit Aarau
(auf der Karte nicht mehr angegeben), das sehr weit von
der Südgrenze des geschlossenen Verbreitungsgebiets liegt.
Als bestimmt isolirte Punkte müssen einmal Donaueschingen
und Pföhren, sodann die Orte im Eisass. in denen das Erd¬
beben noch wahrgenommen wurde, angesehen werden, da
zwischen ihnen und den Grenzen des geschlossenen Verbrei¬
tungsgebiets eine Anzahl von Orten, in denen das Erdbeben
bestimmt nicht gespürt wurde, liegt. Abgesehen von Kolmar,
von wo neben verschiedenen negativen nur eine, noch dazu
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etwas zweifelhafte positive Nachricht vorliegt (21 a.), liegen
letztere (St. Ludwig, Sierenz, Habsheira, Rebberg bei Mül¬
hausen), sämmtlich nahezu auf einer von SO. nach NW. sich
erstreckenden geraden Linie.
Zeitbestimmungen.
Die für die Bestimmung der Erdbebenelemente so ausser¬
ordentlich wichtigen Zeitangaben sind leider für unser Erd¬
beben sehr ungenau und grösstentheils völlig werthlos. Sehr
viele Angaben sind ganz allgemein gehalten „zwischen 5 und
5 l 2 Uhr“, „etwa um o l / 4 Uhr“ und ähnliche. Die genaueren
Angaben aber stehen unter einander vielfach derartig in
Widerspruch, dass sie völlig unbrauchbar sind. Vor allem
scheint fast nirgends eine Vergleichung der Ortsuhren mit
den Bahn- oder Telegraphenuhren stattgefunden zu haben.
Aber selbst die doch wohl auf Telegraphenuhr bezogenen
Angaben der Postanstalten des Postdirektionsbezirks Kon¬
stanz erweisen sich als völlig unzuverlässig. Wenn die Zeit¬
angaben für zwei unmittelbar benachbarte Orte, wie Alb-
bruck und Hauenstein, um volle fünf Minuten, diejenigen von
Görwihl um zehn Minuten, von Rändern und Zell i. W.,
welche Orte nur etwa 14 km von einander entfernt sind,
sogar um 20 Minuten differiren, wenn für St. Margen, einem
Ort, der entschieden dem Epicentrum des Erdbebens schon
ziemlich fern liegt, die früheste Angabe, nämlich 5 Uhr
8 Minuten sich findet, so erhellt aus diesen wenigen Beispielen
zur Genüge die Werthlosigkeit der Angaben. Einige derselben
scheinen allerdings genauer zu sein. So stehen die Angaben
5 Uhr 20 Minuten für Kirchzarten und Oberried, 5 Uhr
10 Minuten für Menzenschwand, 5 Uhr 14 Minuten für
Titisee und Altglashütte, 5 Uhr 15 Minuten für St. Blasien
und Schluchsee unter sich und mit den aus anderen Gründen
gemachten Annahmen über den Ausgangspunkt des Erdbebens
(s. unten) leidlich in Uebereinstimmung. Aber die glaub¬
würdigen von den unglaubwürdigen Angaben streng zu sondern
und dieselben für die Bestimmung des Oberflächenmittel¬
punkts zu verwerthen, erweist sich doch als Unmöglichkeit.
Unter den sonstigen Angaben verdient noch einiges
Vertrauen die Angabe für den Rebberg bei Mühlhausen
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(5 Uhr 20 Minuten), weil der Beobachter, Dr. Bronnert
seine Uhr unmittelbar nach der Beobachtung mit der dortigen
Telegraphenuhr verglichen hat. Ferner scheint aus den von
der Strassenbau-Inspektion Waldshut gemachten Angaben
wenigstens soviel mit Sicherheit hervorzugehen, dass im Amt
Säckingen die Erschütterung um rund 2 Minuten früher als
in den Orten im Wutachthal wahrgenommen wurde.
Da die frühesten Angaben (abgesehen von den entschie¬
den falschen von St. Margen) 5 Uhr 10 Minuten lauten, für
einige Orte an der Grenze des Schüttergebiets die Zeit 5 Uhr
20 Minuten ziemlich feststeht, so hat sich jedenfalls inner¬
halb dieses Zeitraums von 10 Minuten wahrscheinlich aber
in noch kürzerer Zeit das Erdbeben über das gesammte er¬
schütterte Gebiet ausgebreitet.
Art und Stärke der Erschütterung.
Die Form der Erschütterung wird in sehr mannigfaltiger
Art geschildert, bald als ein mehr oder weniger heftiger
Stoss, Ruck oder Schlag, bald als deutlich wellenförmige,
auf- und abschwankende, bald als rüttelnde Bewegung, viel¬
fach nur als ein leises Erzittern des Bodens oder des Hauses,
dabei herrscht in den Angaben völlige Regellosigkeit. Von
nahe benachbarten Orten wird die Erschütterung ganz ver¬
schiedenartig geschildert, ja in den Orten, aus welchen eine
grössere Zahl von Berichten vorliegt, wie Freiburg (1), St.
Blasien (14), Donaueschingen (9), kommen so ziemlich alle
angegebenen Formen der Bewegung in den Berichten vor.
Der Ort, an welchem und die Stellung, in welcher sich die
Beobachter zur Zeit des Eintritts der Erschütterung befanden
und ihr subjektives Empfinden spielen dabei offenbar eine
grosse Rolle. In sehr vielen Berichten finden sich genaue
Angaben über Form der Erschütterung überhaupt nicht, es
wird nur angegeben, dass an dem betreffenden Ort ein
Erdbeben wahrgenommen ist.
Im Allgemeinen wurde nur ein Stoss wahrgenommen,
von zwei, rasch aufeinander folgenden Stössen wird nur aus
folgenden Ortschaften berichtet; Sölden (Amt Staufen),
Brcitnau (nördlich vom Dreisamthai), Ober-Ivirnach (nördlich
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von Yöhrenbach), Stockburg (nordwestlich von Villingen),
Pföhren (östlich von Donaueschingen), Schwarzhalden und
Blasiwald (zwischen St. Blasien nnd Schluchsee), Uehlingen,
den Orten im unteren Wutachthal, Schönau und Schopfheim.
In Uehlingen war der zweite Stoss der stärkere, in allen
übrigen Ortschaften war er bedeutend schwächer als der erste.
Die Bewegung, wie auch die begleitenden Schallerschein¬
ungen waren im Allgemeinen von kurzer Dauer. Die meisten
Angaben schwanken zwischen 2 und 10 Sekunden (vergleiche
namentlich den Bericht 20). Doch wird von einzelnen Orten,
welche sämmtlich dem südöstlichen Theil des Schüttergebietes
augehören, die Erschütterung, bezüglich der Schall als
lang andauernd angegeben, so in Hochsal und Schachen
(bei Hauenstein), Itzwihl - Haide (Albthal), Nöggenschwiel
(zwischen Bernau und Bannholz), Segeten (südöstlich von
Höchenschwand); auch in einigen Berichten aus St. Blasien und
Umgegend wird die Dauer der Erschütterung auf 50—60
Sekunden geschätzt.
Sehr schwierig erscheint es, sich ein einigermassen klares
Bild von der Stärke der Erschütterung an den einzelnen
Orten zu machen. Die Bezeichnungen „schwach“, „ziemlich
stark“, „stark“, „sehr stark“ sind natürlich rein subjektiv
und könnten höchstens dann von Werth sein, wenn aus dem¬
selben Ort eine grössere Anzahl von Beobachtern dieselben
Angaben machten. Meist aber sind die Angaben über die
Stärke bei den verschiedenen Berichten aus dem gleichen
Ort sehr abweichend von einander, wie es auch durchaus in
der Natur der Sache liegt. Denn ein Erdbeben pflegt in
Gebäuden stärker empfunden zu werden als im Freien, in
höheren Stockwerken stärker als in tieferen. Auch der Grund
und Boden, auf welchem die Häuser stehen, die Bauart und
das Alter derselben kommen sehr wesentlich in Betracht. Nun
sind allerdings bei einer ganzen Reihe von Berichten diese
Momente genügend berücksichtigt, bei der Mehrzahl aber
fehlen derartige Angaben gänzlich. Im Allgemeinen wird
man aber wohl sagen können, dass, je stärker das Erdbeben
an einem Ort auftrat, um so grösser auch die Anzahl der
Personen sein wird, von denen dasselbe wahrgenommen wurde.
Von diesem Gesichtspunkt ausgehend lassen sich die von dem
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Erdbeben betroffenen Orte nach der Stärke der Erschütterung
in drei Gruppen theilen. Als Orte stärkster Erschütterung
bezeichnen wir diejenigen, in welchen das Erdbeben ganz
allgemein, in die zweite Gruppe stellen wir diejenigen, in
welchen es von einer grösseren Anzahl von Personen, in die
dritte diejenigen, an welchen es nur von ganz vereinzelten
Personen, oder wo die Erschütterung selbst überhaupt nicht
mehr, sondern nur die begleitenden Schallerscheinungen wahr-
genommen wurden.
In die erste Gruppe gehören die Orte im oberen Wiesen¬
thal bis etwa Zell abwärts, Todtmoos, Feldberghot, die Orte
am Südostabhang des Feldbergmassivs, die Umgebung von
St. Blasien und Schluchsee. Von vielen der hierher gehörigen
Ortschaften wird die Erschütterung ausdrücklich als „stark“
oder „sehr stark“ angegeben, so von Todtnauberg (16 b),
Todtnau (16 a undc), Muggenbrunn (16 e), Zell (16 g, h),
Todtmoos (14 n), Feldberghof (15 f). Höchenschwand (14 a),
Schwarzhalden, Blasiwald, Schluchsee (14 f, g, 20). In Todt¬
nau und Todtmoos sollen einzelne Personen in Folge der
Erschütterung umgefallen sein, in letzterem Orte auch ver¬
schiedentlich Gegenstände. Die Erschütterung war so heftig,
dass man glaubte, die Häuser stürzten ein (14 n, 16 c). In
Schwarzhalden, Blasiwald, Schluchsee stürzten viele Personen
erschreckt ins Freie (14 f), in ersterem Ort erhielt in einem
Hause eine Wand einen Riss (14 g). In Urberg fiel in einem
Hause das Verschlussblech von der Ofenöffnung ab (14 a),
in Marnbach erhielt das Eis der Wiese Risse, ln einzelnen
Berichten wird das Erdbeben allerdings auch nur als schwach
oder massig stark bezeichnet, so in einem der Berichte aus
Todtnau (16 d), von Bernau (14 e).
Zur dritten Gruppe (Orte schwächster Erschütterung)
gehören die sämmtlichen Orte im Eisass, aus denen positive
Nachrichten vorliegen mit Ausnahme von Habsheim, wo das
Erdbeben sich stärker wahrnehmbar machte (21, 22), ferner
Staufen (19), Badenweiler (18), Schliengen (20), Schopfheim
(16 a, k), Oedingen, Hauenstein, Albbruck (11), Thiengen
(11, 12 a), Kadelburg und die meisten Orte im untern Wutach¬
thal (12 b. c), Schaff hausen (25 a) auch wohl die meisten
anderen Orte auf Schweizer Gebiet, obwohl von dort keine
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Angaben über Stärke des Erdbebens oder die Anzahl der
Beobachtungen vorliegen, Göschweiler (15 a), Zindelsheim (9 a),
Kappel bei Villingen (8 d), Stockburg (8 b), Gremmelsbach
(6 a), die Orte im Simonswälder-, Elz- und Glotterthal (5).
Der mittleren Gruppe gehören wohl sämmtliche übrigen
Ortschaften, in denen das Erdbeben wahrgenommen wurde,
an; ausserhalb Badens nur Habsheim (22 a), Aarau, Unter-
Hallau (25 c), Schleitheim (16) Schramberg (24). Mehr
oder weniger starkes Klirren der Fenster und Thüren und
Erzittern der Häuser wurde in den Orten dieser Gruppe
ziemlich häufig wahrgenommen, auch von Hin- und Her¬
schwanken von Gegenständen, namentlich von Bildern an der
Wand, Hängelampen und ähnlichem ist noch häufig die Rede.
Als stärker erschüttert, wie die Umgebung werden von den
Orten dieser Gruppen ausdrücklich hervorgehoben: Lorettoberg
südlich von Freiburg (1 qj, Ebringen (südwestlich von Freiburg
(2 a, c), Buchenbach im Dreisamthai (3), Hinterzarten, St.
Märgen, St. Peter (3 b—h), St. Georgen bei Triberg (6 a).
Wittlekofen, Amt Bonndorf (10 c), Segeten, Amt Waldshut
(11, 12 f).
Nach der Forel’schen Skala würde die Stärke in den
Orten der ersten Gruppe etwa als 5, in denen der zweiten
als 4, in denen der dritten als 3 zu bezeichnen sein.
Richtung der Bewegung.
Es ist bekanntlich ausserordentlich schwer, ohne zuverlässige
Instrumente aus der unmittelbaren Wahrnehmung die Fort¬
pflanzungsrichtung einer Erdbebenbewegung festzustellen.
Auch erleidet dieselbe lokal mannigfache Ablenkungen. Es
kann daher nicht überraschen, wenn in den Berichten aus
denselben oder nahe benachbarten Orten zum Theil sehr
widersprechende Angaben über die Fortpflanzungsrichtung sich
linden. So wird in Freiburg als Richtung der Bewegung drei¬
mal S.—N., einmal SW.—NO., einmal WSW.—ONO., zweimal
W.—0., einmal Ö. -N. angegeben. Indess darf man wohl an¬
nehmen, dass wenn von demselben Orte oder von mehreren benach¬
barten eine grössere Zahl übereinstimmender Richtungsangaben
vorliegen, die von ihnen bezeichnete Richtung als die vorherr¬
schende in dem betreffenden Gebiet angesehen werden darf.
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460
Ich habe es daher nicht für überflüssig erachtet, die an¬
gegebenen Richtungen in die beigefügte Karte einzutragen.
Ich habe dabei im Allgemeinen nur die vorherrschenden
Richtungen eingezeichnet. Lagen von einem Orte mehrere
verschiedene Richtungsangaben vor, über deren Werthig-
keit eine Entscheidung nicht möglich war, so sind die¬
selben sämmtlich eingetragen, z. B. bei Freiburg, Kirch-
zarten, Oberried, Todtmoos. Ich habe ferner darauf ver¬
zichtet, den Sinn der Bewegung durch einen beigefügten Pfeil
anzudeuten, wie man es in vielen der älteren Erdbebenarbeiten
findet, ich habe mich vielmehr darauf beschränkt, den Himmels¬
strich, in welchem sich die Bewegung vollzog, durch einen
einfachen rothen Strich anzugeben. Denn bekanntlich ist es
für den Beobachter nahezu unmöglich festzustellen, ob eine
Erschütterung in der einen oder der unmittelbar entgegen¬
gesetzten Richtung fortschreitet.
Ein Blick auf die Karte lässt nun doch im Allgemeinen
eine ziemliche Gesetzmässigkeit in den Fortpflanzungsrich¬
tungen erkennen, deren Feststellung für die Beurtheilung der
Lage des Erdbebenherdes und für die Ausbreitung der Er¬
schütterung von hohem Werth ist. )n dem ganzen nordöst¬
lichen Theile des Schüttergebiets, in der Umgebung von
Triberg, Furtwangen, Yöhrenbach, Villingen, ebenso im
Dreisamthai und dessen nächster Umgebung ist die Fort¬
pflanzungsrichtung ganz vorwiegend eine südnördliche und
gerade hier durch eine recht grosse Zahl von einander unab¬
hängiger Beobachtungen festgestellt. Die Richtung NW.—SO.
herrscht in dem Gebiet südöstlich vom Feldberg massiv und in der
südöstlichen Granitmasse vor, ostwestliche Richtung im Wiesen¬
thal, der Umgebung von Neustadt, und am westlichen und
südwestlichen Rand des geschlossenen Schüttergebiets. Der
Triaszug im SO. zeigt, dem Streichen seiner Schichten ent¬
sprechend, ganz vorwiegend die Fortpflanzungsrichtung
SW.—NO.
Schallerscheinungen.
Das Erdbeben war in dem gesammten Gebiet von Schall¬
erscheinungen begleitet. Nur ein Bericht aus Schluchsee
(14 h) gibt ausdrücklich an, dass ein Rollen, Donnern oder
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461
ähnliches Geräusch nicht wahrgenommen sei, während in
einem anderen (20) von dort donnerähnliches Rollen erwähnt
wird. Dagegen wurde an einer Anzahl von Orten nahe der
Grenze des Schüttergebiets die Schallerscheinung allein ohne
Erschütterung beobachtet, nämlich in Staufen, .Unter- und
Ober-Simonswald, Föhren thal, Unter - Glotterthal, Gremmels-
bach, Zindelsheim und Ober-Lauchringen. Die Erscheinung
selbst wird von den einzelnen Beobachtern sehr verschieden¬
artig geschildert. Einige vergleichen sie mit dem dumpfen
Schall, der durch das Herabfallen grosser Schneemassen vom
Dache verursacht wird, andere mit dem Geräusch, den eine
schnell fahrende Eisenbahn oder ein über holperiges Pflaster
fahrender Lastwagen hervorbringt, andere glaubten nach dem
Ton annehmen zu müssen, dass im oberen Stockwerk oder
im Nebenhause ein schwerer Gegenstand umgefallen sei. Viel¬
fach wird das Erdbebengeräusch auch als unterirdisches Rollen,
als rumpelndes Getöse, als ferner Donner, als starkes Rauschen,
in einzelnen Fällen auch als ein scharfer Knall, wie bei
einer Explosion, bezeichnet.
Im Allgemeinen treten Schall und Erschütterung gleich¬
zeitig ein. In einer Anzahl von Berichten aber wird aus¬
drücklich hervorgehoben, dass der Schall der Erschütterung
vorausging oder, dass letztere wenigstens erst gegen Ende
der Schallerschütterung eintrat. Solche Angaben liegen vor
aus mehreren Orten des Amts Müllheim, aus Wiesleth,
Waldshut, Hochsal, Itzwihl-Haide, Segeten, Brunnadern,
Horheim, Unter-Mettingen, Unter-Eggingen, Eberfingen,
Höchenschwand, Menzenschwand, Titisee. Diese Orte ge¬
hören fast sämmtlich dem südöstlichen Theile des Schütter¬
gebiets an. Später als die Erschütterung soll die Schall¬
erscheinung in Wittnau und Merzhausen, südlich von Frei¬
burg wahrgenommen sein.
Vor- und Nachbeben.
* In Menzenschwand wollen einige Bewohner eine halbe
Stunde vor der Haupterschütterung eine leichtere bemerkt
haben (14 i). Nachbeben wurden an mehreren Orten beob¬
achtet, nämlich in Lorettoberg um 6 Uhr, in Schachen (Amt
Waldshut) um 7 */* Uhr, in Kränkingen und Breitenfeld (bei
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462
Uehlingen) um 8 l /* Uhr, in Ebringen (bei Freiburg) zwischen
12 und 1 Uhr Nachts, in Kirchzarten und Hinterzarten
zwischen 2 und 3 Uhr Nachts, in Triberg am folgenden
Morgen um 6 Uhr.
Lage des Erdbebenherdes.
Den Erdbebenherd haben wir naturgemäss in dem Gebiet
stärkster Erschütterung zu suchen, umsomehr als dieses
innerhalb des gesanunten Schüttergebiets eine ziemlich zentrale
Lage einnimint. Den Ausgangsort des Erdbebens näher
lokalisiren zu wollen, erscheint gewagt. Als sehr wahrschein¬
lich ist jedoch anzunehmen, dass das Erdbeben von der
Grenzlinie zwischen Granit und Gneiss ausging, welche, gros-
seutheils allerdings durch untercarbone Ablagerungen über¬
deckt, von der Bärhalde längs des Südostabhanges des Her-
zogenhorns nach SSW. zieht. Diese Linie fällt nahezu
in die Verbindungslinie der beiden entferntesten Punkte
des geschlossenen Schüttergebiets Schramberg- Pratteln.
Es stehen mit dieser Annahme ferner die meisten der beob¬
achteten Fortpflanzuugsrichtungen sehr wohl im Einklang.
Auch diejenigen Zeitbestimmungen, welche noch als die
relativ besten angesehen werden mussten, widersprechen
derselben keineswegs. Das in Menzenschwand beobachtete
Vorbeben weist ebenfalls darauf hin, dass dieser Ort dem
Ausgangsort des Erdbebens sehr nahe liegt. Endlich führt
auch eine Vergleichung unseres Erdbebens mit demjenigen
vom 21. April 1885 zu dem gleichen Ergebniss. Dasselbe
war allerdings schwächer und weniger ausgedehnt, zeigt aber
im übrigen grosse Uebereinstimmung mit unserem Erdbeben,
namentlich auch in Bezug auf die beobachteten Fortptian-
zungsrichtungen, ist daher zweifellos auf die gleichen Ursachen
zurückzuführen. Die über dasselbe vorliegenden Beobach¬
tungen weisen ebenfalls auf den Südostabhang des Feldberg¬
massivs als Ursprungsort hin (vergl. Knop „das Erdbeben der
Feldberggruppe vom 21. April 18S5“, diese Zeitschrift Bd. 10.
Abhand]. S. 62—67). Die bezeichnete Grenzlinie zwischen
Granit und Gneiss dürfte daher als die wahrscheinliche Erd-
bebenaxe anzusehen sein.
Zur Berechnung der Tiefe des Erdbebenherdes fehlt jede
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463
Grundlage. Da aus den Zeitangaben wenigstens so viel her-
vorgeht, dass das Erdbeben eine gewisse Zeit, mindestens
6 Minuten brauchte, um sich über das gesamnite Schütter¬
gebiet auszubreiten, so ist doch wohl die Annahme berechtigt,
dass der Erdbebenherd nicht in sehr grosser Tiefe lag. Auch
über die Ursache des Erbebens sind natürlich nur Vermu¬
thungen möglich. Am wahrscheinlichsten ist es, eine geringe
Verschiebung zwischen Gneiss und Granit als Ursache anzu¬
sehen, doch könnte man auch an eine Auslösung von Span¬
nungen denken, welche durch Nachfaltungen im Sinne der
alten Faltung des Grundgebirges hervorgerufen wären.
Fortpflanzung der Erschütterung.
Entsprechend der Lage der Erdbebenaxe pflanzte sich die
Erdbebenbewegung nach NO. und SW. weiter fort, als in den
übrigen Richtungen. Doch waren, wie bei allen Erdbeben,
für die Ausbreitung der Erdbebenwelle sehr wesentlich mit¬
wirkende Faktoren die Gesteinsbeschaft'enheit, die Lagerungs¬
verhältnisse und der Verlauf der grossen Verwerfungsspalten.
Nach NW. quer zum Streifen des Gneisses erlitt die Er¬
schütterung rasch eine bedeutende Abschwächung. Die Orte
im Simonswälder-, Glotter- und Elzthal gehören bereits
sämmtlich der dritten Gruppe (schwächster Erschütterung)
an. Nach NO. dagegen pflanzte sich die Erschütterung längs
dem Streichen des Gneisses mit ziemlich unverminderter Stärke
bis an den Rand des Triberger Grauitmassivs fort. Dieses
selbst scheint gewissermassen als Wellenbrecher gedient zu
haben. Von allen Orten, welche demselben angehören, wurde
das Erdbeben nur in Schönacb, Nussbach, Brigach und
Gremmelsbach, im letzteren nur noch das Erdbebengeräusch,
wahrgenommen, während von einer Reihe anderer Orte direkt
negative Nachrichten vorliegen. In den dem Triberger
Granitmassiv östlich angelagerten Sedimentärschichten dagegen
wurde die Erschütterung noch weiter nach N. bis in die Gegend
von Schramberg fortgepflanzt.
Sehr auffallend tritt der Einfluss der Gesteinslagerung
auf die Fortpflanzung des Erdbebens in dem Triaszuge, der
im südöstlichsten Theil des Schüttergebiets von SW. nach
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464
NO. streicht, hervor. Nach der Lage desselben zu der Erd-
bebenaxe hätte man erwarten sollen, dass die Erschütterung
sich hier vorwiegend in der Richtung NW.—SO. oder NNW.—
SSO. fortgeptianzt haben sollte. Beobachtet wurde aber
ganz vorwiegend die Fortpflanzungsrichtung SW.—NO. Es
haben also hier die Fortpflanzungsrichtungen eine Ablenkung
im Sinne des Streichens der Schichten erlitten. Dass diese Auf¬
fassung die richtige ist, geht auch aus der Thatsache hervor,
dass das erschütterte Gebiet an der grossen Verwerfung, die
im mittleren Wutachthal von 0. nach W. verläuft, plötzlich
unvermittelt abschneidet. Von fast allen Orten südlich der¬
selben liegen positive, von allen unmittelbar nördlich der¬
selben gelegenen, Stallegg, Boll, Ewatingen, Aselfingen, Ach-
dorf und mehreren noch weiter nördlich gelegenen, wie Reisel¬
fingen, Seppenhofen, Löffingen negative und jedenfalls von
keinem nördlich derselben gelegenen Orte bis nach Donau-
eschingen hin positive Nachrichten vor. Es muss also die
Erschütterung von S., bezüglich SW. her gegen die Ver¬
werfung vorgerückt und an ihr vollständig vernichtet oder
zurückgeworfen sein. Wir haben hier also wieder ein schönes
Beispiel für die neuerdings namentlich von Aug. Schmidt
nachdrücklich hervorgehobene Thatsache, dass die Fort¬
pflanzungsrichtung keineswegs immer mit der Richtung nach
dem Herde zusammenfällt (vergl. Aug. Schmidt, „Unter¬
suchung über zwei neuere Erdbeben“. Jahreshefte des Ver¬
eins für vaterl. Naturkunde in Württemberg 1890; derselbe
„Fällt die Richtung der Erdbebenstösse in die Richtung der
Fortpflanzung der Erdbebenwelle?“ Bericht über die Ver¬
sammlung des oberrheinischen geologischen Vereins 1S94).
Der Einfluss der Verwerfungen macht sich auch im SW.
deutlich bemerkbar. Namentlich die grossen Verwerfungen,
welche das untere Wdesenthal und den Dinkelberg vom
Schwarzwald trennen, haben sich als starke Hemmnisse für
die Fortpflanzung der Erschütterung erwiesen. Dass auch in
der Rheinebene, abgesehen von einigen Orten im Eisass und
in der Freiburger Bucht, das Erdbeben nirgends mehr ge¬
spürt wurde, ist allerdings wohl nicht allein auf die Wirkung
der den Westabfall des Schwarzwaldes begleitenden Ver¬
werfungen, sondern auch auf den Umstand zurückzuführen,
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dass die lockeren Ablagerungen der Ebene Erschütterungen viel
schlechten fortleiten, als die festen Gresteine des Gebirges.
Die isolirten Schüttergebiete bedürfen noch einer be¬
sonderen Betrachtung. In den hochgelegenen Theilen von
Donauescbingen und in Pföhren wurde die Erschütterung
noch ziemlich stark wahrgenominen, während in der ganzen
Umgebung dieselbe sich theils gar nicht, theils nur sehr
schwach bemerklich machte, und namentlich aus zahlreichen
Orten südlich und westlich von Donaueschingen direkt
negative Nachrichten vorliegen. Es ist nun sehr bemerkens-
werth, dass in keinem der ziemlich zahlreichen Berichte aus
beiden Orten eine bestimmte Himmelsrichtung angegeben
wird, nach welcher der Stoss sich fortgepflanzt hätte, dass
dagegen in zwei Berichten (9 b 3 u. 20) ausdrücklich her¬
vorgehoben wird, dass der Stoss ein senkrechter von unten
nach oben gerichteter gewesen sei, und hiermit auch die
anderen Berichte sehr wohl übereinstimmen. Man gewinnt
aus denselben den Eindruck, als ob hier ein sekundäres
Schütterzentrum vorliege. Nun sind in Dürrheim, nördlich
von Donaueschingen, in einer Tiefe von nicht ganz 100 m
ziemlich mächtige Lager von Gyps und Steinsalz, also von
Gesteinen, in denen sich häufig durch Auslaugung Hohlräume
bilden, erbohrt, und diese Lager setzen sich aller Wahrschein¬
lichkeit nach gegen S. bis über Donaueschingen hinaus fort
(siehe Vogelgesang „Geologische Beschreibung der Um¬
gebungen von Triberg und Donaueschingen“ Karlsruhe 1872,
S. 80—82). Demnach dürfte es als ziemlich sicher anzusehen
sein, dass die Erschütterung in Donaueschingeu und Pföhren
nicht als unmittelbare Fortpflanzung der Haupterschütterung
anzusehen ist, sondern hervorgerufen ist durch einen kleinen
Einsturz innerhalbder Gyps- oder Steinsalzlagerim Untergründe
dieser Orte, der selbst allerdings wohl unter Einwirkung
des Erdbebens im Schwarzwalde zu Stande gekommen ist.
Einigermassen räthselhaft erscheint die Fortpflanzung
der Erschütterung im Eisass längs der Linie St. Ludwig-
Mülhausen, während im übrigen das Erdbeben in der Rhein¬
ebene nicht mehr wahrgenommen wurde. Am wahrschein¬
lichsten ist die Annahme, dass es sich auch hier um ein so¬
genanntes Relaisbeben, um eine durch das Hauptbeben
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hervorgerufene Auslösung von Spannungen längs einer in
jener Richtung in der Tiefe verlaufenden Dislokationslinie
handelt. Ein unmittelbarer Beweis für diese Annahme lässt
sich allerdings nicht erbringen. Doch darf wohl darauf hin-
gewiesen werden, dass im Sundgau und besonders in der
Umgebung von Mülhausen schon mehrfach selbständige,
nicht von anderen Gegenden nach dort fortgepflanzte Erd¬
erschütterungen beobachtet sind, so am 18. August 1728,
am 1. September und 2. Dezember 1761, am 11. März 1816.
am 29. Januar 1835, am 24. Januar 1840, am 4. März 1859
(vergl. Langenbeck: „Die Erdbebenerscheinungen in der Ober¬
rhein. Tiefebene und ihren Umgebungen“. Geogr. Abhand¬
lungen aus dem Reichsland Elsass-Lothringen Heft I und II.)
Schluss.
Als Resultate der vorstehenden Untersuchung dürften
wir angeben: Das Erdbeben vom 13. Januar 1895 ging
wahrscheinlich aus von der am Südostabhang des
Feldbergmassivs von NNO. nach SSW. verlaufenden
Grenzlinie zwischen Granit und Gneiss. Von hier
pflanzte sich die Erschütterung nach NO. und SW.
weiter als in der anderer Himmelsrichtungen fort.
Im W., SW. und im mittleren Wutachthal ist das ge¬
schlossene Schüttergebiet durch Verwerfungen, im
N. durch das Triberger Granitmassiv ziemlich scharf
begrenzt, während im S., SO. und NO. eine scharfe
Grenzlinie für dasselbe sich nicht angeben lässt. In
der Umgebung von Donaueschingen und im Sundgau
wurden durch das Hauptbeben sekundäre Erschütte¬
rungen, sogenannte Relaisbeben, hervorgerufen.
Viele Erscheinungen bleiben allerdings noch unerklärt,
so, wesshalb am Triberger Granitmassiv die Erschütterung
sich brach, während die Granitmasse des südwestlichen
Schwarzwaldes dieselbe sehr gut weiterleitete, weshalb die
Erschütterung an verschiedenen Orten von so verschiedener
Dauer, weshalb im S. und SO. des Schüttergebiets der Schall
der Erschütterung voranging, während er in den übrigen
Gebieten gleichzeitig mit dieser wahrgenommen wurde.
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Die Geschichte der Pocken
und der Schutzpockenimpfungen.
Von Dr. med. K. Doll.
Am 14. Mai 1896 sind 100 Jahre seit der ersten ziel¬
bewussten Kuhpockenimpfung durch den englischen Arzt Jenner
verflossen. Dieser Umstand rechtfertigt es wohl, einen Rück¬
blick auf die Geschichte der Pocken und der Schutzpocken-
iinpfungen zu werfen, dies umsomehr, als z. Zt. die Impffrage,
wenigstens nach ihrer praktischen Seite hin, zu einem gewissen
Abschluss gediehen zu sein scheint.
Nach den angestellten Forschungen darf es wohl als aus¬
gemacht gelten, dass die Pocken- oder Blatternseuche lat.
Variola aussereuropäischen Ursprungs ist und dass sie den
Boden unseres Erdtheils erst mit dem Beginn des Mittelalters
betreten hat. Auch die asiatischen und afrikanischen Küsten¬
länder des Mittelmeeres scheinen vor dieser Zeit von ihr frei
gewesen zu sein, wenigstens ist uns weder in ägyptischen
Urkunden, noch im alten oder neuen Testament, noch in
Schriften des klassischen Alterthums eine Krankheitsbeschrei¬
bung überliefert, welche auf die Blattern passen würde. Dass
flas alte Reich der Pharaonen die Blattern nicht gekannt hat,
folgert man auch aus der Thatsache, dass bis jetzt noch
keine mit Blatternnarben versehene Mumie gefunden worden
ist, während sonstige Narben als Residuen von allerhand
Verletzungen an ihnen nichts ungewöhnliches sind. Für das
alte Rom, wo man ja, wie schon aus den darauf bezüglichen
Eigennamen ersichtlich ist, körperlichen Eigentümlichkeiten
und Gebrechen lebhafte Beachtung schenkte, wird darauf
so*
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hingewiesen, dass nirgends in der lateinischen Litteratur,
namentlich nicht in Satyren und Comödien, eines Menschen
mit Pockennarben Erwähnung geschieht. Allerdings berichtet
das zweite Buch Moses Cap. 9 Vers 10 u. ff. von bösen
schwarzen Blattern (in Luthers Uebersetzung) als einer der
10 ägyptischen Plagen, welche Menschen und Vieh befielen.
Indessen wird von den Bibelforschern mit guten Gründen
angenommen, dass es sich dabei um einen in Aegypten auch
heute noch endemischen Hitzeausschlag oder um die dort nicht
minder verbreitete Krätze gehandelt habe. Desgleichen wird
das Sterben aller ägyptischen Erstgeburt als letzte Plage als
eine Wirkung der auch von altersher in Aegypten heimischen
Beulenpest aufgefasst. Es scheint vielmehr, dass die Wiege
der Blattern in Ostasien, namentlich in Hindostan und China
zu suchen ist, andererseits sollen sie auch im Innern von
Afrika unter der schwarzen Menschenrasse seit uralten Zeiten,
wie ja auch jetzt noch, gehaust haben. Mangels schriftlicher
Ueberlieferungen aus dem dunkeln Erdtheil ist indessen diese
Annahme ebensowenig mit Sicherheit zu beweisen, wie zu
widerlegen. In Arabien sesshaft ist die Krankheit sicher erst
seit etwa der Mitte des sechsten Jahrhunderts, wo sie bei
einer Belagerung Mekka’s durch die Abyssinier zum ersten
Mal auftrat und das Belagerungsheer aufrieb. Von da hat
sie dann in die Länder des Islams offenbar rasche Verbreitung
gefunden. Der erste Einbruch in Europa erfolgte im Jahre
581, wo eine furchtbare Epidemie, namentlich in Südfrank¬
reich und Italien, herrschte. In den Familien der Merovin-
gischen Könige Chilperich und Guntram forderte sie u. a.
schwere Opfer. Späterhin haben namentlich die Kreuzzüge
mit ihrem Menschengewoge viel zur Generalisirung der Seuche
beigetragen. Den verwegenen Fahrten der Normannen schreibt
man die Verschleppung nach den nordischen Küstenländern,
nach England, Dänemark, Island und von da nach der West¬
küste Grönlands zu. Die ersten zuverlässigen Nachrichten
über das Auftreten der Blattern in Deutschland fallen merk¬
würdiger Weise erst in das Jahr 1493, noch später kamen
sie nach Schweden und Russland. Ihren verderblichen Kreis
um den Erdball haben sie dann mit dem Uebertritt auf das
amerikanische Festland geschlossen. Es ist wohl sicher, dass sie
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dort früher nicht bekannt waren und erst durch die spanischen
Eroberer (zuerst 1527 nach Mexiko) eingeschleppt wurden.
Mehr noch als die Feuerwaffen und das Feuerwasser des
weissen Mannes haben sie dort unter der Urbevölkerung auf¬
geräumt. In Europa erreichten die Pocken ihren Höhepunkt
an Ausbreitung und Intensität im Laufe des 18. Jahrhunderts.
Sie waren damit zur dominirenden Volkskrankbeit in des
Wortes schlimmster Bedeutung geworden. Die Berichte über
die Pockensterblichkeit .aus jener Zeit lauten geradezu schauer¬
lich. Sie betrug z. B. in England durchschnittlich */»» der
Gesammtmortalität, in Frankreich rund 30 000 Menschen
jährlich, im damaligen Gebiet der preussischen Monarchie
allein im Jahre 1796 nicht weniger als 26 646 Seelen. Und
viele von den Wenigen, welche die Krankheit glücklich über¬
standen, waren zeitlebens zu Krüppeln geworden oder zum
mindesten durch die bekannten Narben entstellt. Eine Art
Galgenhumor machte sich in dieser Pockennoth damals in
dem geflügelten Wort Luft: Von Pocken und Liebe bleiben
nur wenige frei.
Bekanntlich sind die natürlichen Blattern eine in hohem
Grade contagiöse Krankheit, und zwar ist ihr Contagium ein
flüchtiges, volatiles, das also durch die Luft seine Verbrei¬
tung findet. Man glaubt sich durch Beobachtungen, für
deren Unanfechtbarkeit allerdings wohl Niemand einstehen
kann, zu der Annahme berechtigt, dass ein Pockenkranker
bis auf 100 Meter Entfernung für Andere ansteckend sein
könne. Die Empfänglichkeit für die Pocken ist eine sehr
allgemeine, aber nicht absolute, wie wir dies von den Masern
wohl sagen können. Es gab immer genug ungeimpfte Per¬
sonen, ca. 1 i, derselben, welche trotz gegebener Ansteckungs¬
gelegenheit nicht befallen wurden. Wohl nur dieser Umstand
der weit verbreiteten Empfänglichkeit für beide sonst so
grundverschiedene Krankheiten macht es erklärlich, dass
selbst die Aerzte im frühen Mittelalter Masern und Pocken
vielfach für dieselbe Krankheit ansahen. Aus demselben
Grund wurden auch die Pocken mit der Zeit zu einer vor¬
wiegenden Kinderkrankheit, da eben jeweils bei Ausbruch
einer Epidemie die älteren Generationen schon mehr oder
weniger durchseucht waren. Wir kommen damit auf die
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sehr wichtige Eigentümlichkeit der Blattern, die sie ja mit
einigen andern Infektionskrankheiten gemein haben, dass-
nämlich das einmalige Ueberstehen, und zwar einerlei ob die
Krankheit nur ganz leicht oder ob sie schwer auftrat, gegen
eine spätere Erkrankung mit nahezu vollkommener Sicher¬
heit schützt. Nicht nur eine der mörderischsten, auch eine
der scheusslichsten Krankheiten sind die Blattern. Es möge
dies durch eine Schilderung belegt werden, welche Kussmaul
in seinen 20 Briefen über Menschenpocken- und Kuhpocken¬
impfung mit folgenden Worten gibt:
„Wenigen Familien war es wohl erspart, ein liebes Kind r
eine gute Mutter, einen theuren Vater zu einer fiebernden,
schmerzgequälten, am ganzen Körper zur Unkenntlichkeit
angeschwollenen und durch Geschwulst und Entzündung
blinden, heiseren, mit Eiter und Borken von Kopf bis zu
Fuss bedeckten, die Luft verpestenden, unförmlichen Masse
umgewandelt zu sehen. Andere Seuchen quälen uns auch
mit Fieber, Schmerz und Pein der mannigfachsten Art, keine
aber entstellt uns so abscheulich, erschwert auch der auf¬
opferndsten Liebe so ihre Aufgabe. Die zärtlichste Mutter
muss irre daran werden, ob dieses beulenbedeckte Jammer¬
bild, diese scheussliche Larve wirklich die Hülle jener ge¬
liebten Seele ist, die noch vor wenigen Tagen des Herzens
Freude und Abgott gewesen, und die Lippe muss den Dienst
versagen, wenn die harte Stunde kommt, wo es gilt, aufs
entstellte Antlitz den Abschiedskuss für’s Leben zu drücken.“
Was Wunder, dass die Menschen angesichts solchen
Jammers und Elendes, wie es uns die Pockennoth, nament¬
lich des vorigen Jahrhunderts zeigt, mit dem Muth der Ver¬
zweiflung zu Massregeln griffen, die — wenn auch selbst
gefährlich — doch einigen Schutz versprachen, mit einem
Muth der Verzweiflung, mit dem verglichen uns die Aengst-
lichkeit vieler Eltern gegenüber unserer jetzigen so vervoll-
kommneten Impfmethode fast komisch anmuthen muss. Eine
sehr merkwürdige und keineswegs hinreichend erklärte Be¬
obachtung bot einen Hoffnungsschimmer. Passierte es näm¬
lich zufällig, dass Personen nicht auf dem gewöhnlichen
Weg durch die Luft, sondern durch direkten Kontakt eiuer
kleinen Hautverletzung mit Blatternkranken bei deren Pflege
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angesteckt wurden, so verlief die daraus entstehende Er¬
krankung leichter und weit seltener tödtlich. Man kam
also darauf, sich künstlich in dieser Weise mit dem Gift
der genuinen Menschenblattern zu infiziren, uin damit eine
leichtere Erkrankung an den richtigen Blattern zu erzielen
und für später gefeit zu sein. Auch trieb derselbe Muth der
Verzweiflung dazu, bei nur leicht Erkrankten absichtlich die
Ansteckung zu suchen, z. B. durch Anziehen ihrer Kleider
in der gewiss oft schwer getäuschten Hoffnung, dann auch
selbst nur leicht zu erkranken. Pockeokaufen nannte man
dieses heroische Verfahren und es wurde thatsächlich Geld
bezahlt für die Erlaubnis, sich von einem solchen Kranken
anstecken zu lassen.
Wir stehen damit vor dem Begriff der Variolation,
d. h. der absichtlichen Inokulation der genuinen Menschen¬
blattern. Heute wissen wir, dass schon seit alten Zeiten
diese Art der Einimpfung der Menschenblattern in China
und Ostindien, in letzterem Land durch die Braminen geübt
wurde. In den Ländern am Kaukasus, namentlich in Cir-
cassien und Georgien, war es üblich, die schönen Töchter
des Landes, die in die türkischen Harems verhandelt werden
sollten, in dieser Weise impfen zu lassen, um eine spätere
Entstellung durch Blatternnarben unmöglich zu machen. Im
Jahre 1672 erscheint diese Art der Impfung, durch eine
circassische Frau eingeführt, zuerst auf europäischem Boden
in Konstantinopel. Dort lernte sie die Gemahlin des eng¬
lischen Gesandten bei der Pforte Lady Montaguc kennen.
Ihren Sohn hatte sie schon 1717 in Konstantinopel impfen
lassen, ihre Tochter wurde 1720 in London geimpft. Damit
war diese Art der Impfung nach England verpflanzt. Manche
folgten nach, viele, namentlich auch viele Aerzte wollten
Nichts von diesem kühnen Verfahren wissen. Doch die
praktischen Engländer fanden bald einen Weg, um der
Sache auf den Grund zu kommen. Man impfte im Jahre
1721 sieben zum Tode verurtheilte Verbrecher, alle sieben
überstanden die eingeimpfte Krankheit leicht und zeigten
sich darnach im Verkehr mit Blatternkranken immun. Da¬
mit war das Eis gebrochen und nach dem Vorgang der
königlichen Familie wurden zahlreiche derartige Impfungen
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ausgefiihrt. Der Rückschlag auf den ersten Enthusiasmus
blieb nicht lange aus. Was hatte man auch erreicht? Man
erzeugte durch diese Impfung eine Krankheit, die sogenannte
Varioline, welche immernoch eine Sterblichkeit von ca. 2 Proz.
aufwies, während allerdings von den Ungeiinpften 14 vom
100, in schlimmen Epidemien auch vielmehr starben. Vor
allem aber, und das war die bedenklichste Seite, leistete
man der allgemeinen Verbreitung der Krankheit Vorschub.
Jeder so künstlich geblätterte Mensch reproduzirte das Gift
in’s ungemessene und wurde für seine noch nicht geblätterte
Umgebung ein Infektionsherd auf dem Wege der gewöhn¬
lichen Uebertragung durch die Luft. So wurden in dem
volkreichen London viele Infektionen herbeigeführt und das
Wüthcn einer schlimmen Epidemie im Jahre 1723 führte
einen Parlamentsbeschluss herbei, welcher die Variolation,
d. h. also die künstliche Einimpfung der Menschen blättern
verbot. Doch damit war die Sache nicht abgethan. Im
Jahre 1738 herrschte in der Provinz Carolina in Nordamerika
eine mörderische Blatternseuche. In der äussersten Noth und
Verzweiflung griff man wieder auf die Impfungen zurück
und siehe da: nunmehr starben von 100 Geimpften nur noch
8, während vorher fast Alle erlegen waren. Diese Resultate
regten zu neuen Versuchen im englischen Mutterlande an
und von da an wurde die Menschenblatternimpfung in Eng¬
land nicht mehr aufgegeben. Man bemühte sich eifrig um
die Verbesserung der Methode, man gründete eigene öffent¬
liche und private Einimpfungshospitäler. Selbst nach Ein¬
führung der Kuhpockenimpfung der Vaccination hielt sich
die Menschenpockenimpfung die Variolation noch längere
Zeit in England in Laienhänden als ein einträgliches Geschäft,
bis ihr ein erneuter Parlamentsbeschluss vom Jahre 1840
endgiltig das Lebenslicht ausblies. Wenn wir das Facit aus
der Variolation ziehen, so ist es Folgendes: Die Variolation
bot dem Einzelnen, der in der Lage war und den Muth
hatte, sich impfen zu lassen, weit günstigere Chancen des
unversehrten Ueberstehens, als die natürlich acquirirten
Blattern. War man doch am Ende des vorigen Jahrhunderts
durch Verbesserung der Methoden dahin gekommen, dass
beispielsweise unter den Händen der berühmten deutschen
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Aerzte Hufeland und G. P. Hofmann die Sterblichkeit der
künstlich Geblätterten nur noch 1 auf mehrere 1000 betrug.
Dagegen wurde die Gefahr für die übrige Bevölkerung wesent¬
lich gesteigert, weil — wie oben schon dargethan — immer
neue Ausgangsherde für die Seuche künstlich geschaffen
wurden. So wurde thatsäcblich die Sterblichkeit an den Pocken
namentlich in den grossen Städten bei Anwendung der
Variolation gesteigert, nicht vermindert. Diese war also hilf¬
reich dem Einzelnen, verderblich für die Gesammtheit und
damit musste sie fallen. Nur unter einer Bedingung hätte
durch diese Inoculationsmethode der Pockennoth wirklich ge¬
steuert werden können, und dahin gehende Vorschläge wurden
auch allen Ernstes gemacht, wenn man nämlich sämmtliche
noch nicht natürlich oder künstlich geblätterte Menschen bei¬
spielsweise in ganz Europa zu gleicher Zeit hätte impfen
können. Solche Plänemacher wurden damals als Phantasten
verlacht, doch muss man sagen, dass bei unseren heutigen
Verkehrsmitteln und unter dem Schutz eines gesetzlichen
Impfzwanges die Ausführung einer solchen Idee nicht so
ganz ausser dem Bereiche der Möglichkeit läge. Doch haben
wir zum Glück solche heroische Massregeln nicht mehr
nöthig, nachdem die Hilfe aus einem anderen Reich, näm¬
lich dem Thierreich sich eingestellt hat. Wir müssen damit
zunächst von den Menschenpocken auf die Thierpocken
übergehen.
Es erkranken nämlich auch eine Anzahl Thierspezies
an Affektionen, welche mit den Menschenblattern identisch
oder mindestens nahe verwandt sind. Es sind dies die
Pferde, Schafe, Ziegen, Kamele, Hunde und Schweine und
vor Allem das Rindvieh. Am genauesten gekannt von diesen
Thierpocken sind die Schafpocken, Pferdepocken und Kuh¬
pocken, die Variola ovina, Variola equina und Variola bovina
oder vaccina auch kurzweg als Ovine, Equine und Bovine
bzw. Vaccine bezeichnet. Die grösste Aehnlichkeit von diesen
mit den Menschenpocken haben die Schafpocken, insofern
als sie auch unter schweren häufig tödtlichen Allgemein¬
erscheinungen mit einem über den ganzen Körper verbreiteten
Ausschlag epidemisch auftreten und ihr Contagium wie bei
den Menschenpocken ein sehr volatiles, verbreitungsfähigesr
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ist. Die Heimath der Ovine ist namentlich der Osten
Europas. Die Pferdepocken stellen einen auf die Gegend der
Fesselgelenke der Thiere beschränkten pustulösen, im Ganzen
weniger gefährlichen Ausschlag dar, welcher früher häufig
mit der sog. Mauke, einer phlegmonösen Entzündung derselben
Gegend verwechselt wurde. Bei weitem die wichtigsten sind
die Variola bovina oder meist vaccina genannt, weil sie last
nur an den weiblichen Thieren und zwar ausschliesslich an
den Eutern bzw. Zitzen zur Zeit der Lactation Vorkommen.
Die dabei an den Eutern aufschiessenden Vaccinebläschen
lassen die Milchkühe nur leicht und ungefährlich erkranken
und — was das Wichtigste ist — ihr Contagium ist ein
ausschliesslich fixes, das also nur durch direkte Berührung
infiziren kann. Wann und wo diese verschiedenen Thier¬
pocken speziell die Kuhpockenkrankheit, die uns ja weitaus
am meisten interessirt, zuerst aufgetaucht sind, das ist nicht
festzustellen. Die naheliegende Auffassung, als ob sie etwa
immer wieder aus den Menschenpocken entständen, muss an
der Hand der Erfahrung als unzutreffend zurückgewiesen
werden. Die Thierepidemien, nämlich bei den Schafen Heerden-
epidemien, bei Pferden und Kühen Stallepidemien, letztere
im Allgemeinen recht selten und von geringer Ausdehnung,
zeigten sich nach Ort und Zeit von den menschlichen
Epidemien durchaus unabhängig. Wir müssen vielmehr an¬
nehmen, dass die Thierpocken speziell die Kuhpocken vor
Alters zwar vielleicht einmal aus den Menschenpocken ent¬
standen sind, seither aber als eine selbständige Krankheit
fortexistiren, die ihren eigenthümlichen modifizirt milden
Charakter zu unserm Glück mit grosser Zähigkeit festhält.
Wir haben also hier das von der Natur allein ausgeführtc
hoch interessante Experiment vor uns, dass eine Infektions¬
krankheit durch Verpflanzung auf einen anderen Wirth, auf
einen anderen Nährboden, einen anderen Charakter erhält
und dass dieser modifizirte Charakter durch ungezählte
Generationen konstant bleibt. Ja des Merkwürdigen noch
mehr, — und damit greifen wir den späteren Ausführungen
vor — verpflanzen wir diese im Thierkörper modifizirte Krank¬
heit auf den Menschen zurück, so behält sie auch hier ihren
veränderten Charakter unentwegt bei und fällt nicht etwa in
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die Menschenkrankbeit wieder zurück, ja sie lässt sich von
Mensch zu Mensch durch ungezählte Generationen unverändert
fortzüchten. Und schliesslich das Allermerkwürdigste: die
auf den Menschen zufällig oder absichtlich übertragenen Kuh¬
pocken machen ihn für die Ansteckung mit den ächten
Menschenpocken unempfänglich — wohl ein Hinweis darauf,
dass die beiden Krankheiten nicht verschiedene Krankheits¬
spezies, sondern Spielarten derselben Spezies sind. Es darf
hier wohl noch eingeschaltet werden, dass wir als Ursache
sämmtlicher Pockenkrankheiten organische Erreger annehmen
müssen, wenn es auch den eifrigsten Bemühungen bis jetzt
nicht geglückt ist, den betreffenden Mikroorganismus mit
Sicherheit nachzuweisen. Neuerdings ist von L. Pfeiffer eine
geisseltragende Amöbe beschrieben worden, welche der Erreger
sowohl der Variola als der Vaccine sein soll. Doch bleiben
weitere Untersuchungen darüber noch abzuwarten. Die That-
sache der unbegrenzten Reproduktion eines Contagiums im
erkrankten Körper können wir uns nur als Wirkung eines
sich vermehrenden organischen Erregers denken. Auch wird
unter dieser Annahme, wenn wir nur an die Erzeugung von
Spielarten im Pflanzenreich denken, die Bildung von Krank¬
heitsmodifikationen unserm Verständniss entschieden näher
gerückt. Doch kehren wir nach dieser mehr theoretischen
Abschweifung zur Geschichte zurück.
Von den ersten 70 er Jahren des vorigen Jahrhunderts
an praktizirte in seiner Vaterstadt Berkeley, einem Markt¬
flecken von ca. 800 Einwohnern in der englischen Grafschaft
Gloucester, der Wundarzt Edward Jenner. Geboren am
17. Mai 1749 als Sohn des dortigen Geistlichen und Schul-
rektorS hatte er schon frühe durch naturwissenschaftliche
Studien die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf sich gelenkt.
Der bekannte Weltumsegler Capitän Cook trug ihm die Stelle
eines Naturforschers für seine zweite Weltreise an, doch lehnte
Jenner zu Gunsten seiner ärztlichen Niederlassung in seiner
Heimath das Anerbieten ab. Seine ärztliche Thätigkeit, die
ihn namentlich viel auf die grossen Maiereien der Grafschaft
hinausführtc, liess ihm auch später noch Zeit zu natur¬
wissenschaftlichen, namentlich vergleichend anatomischen
Studien. Mit seinem früheren Lehrer und Freund, dem be-
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rühmten Arzt John Hunter stand er in lebhaftem schriftlichen
Verkehr über Alles, was ihm Herz und Kopf erfüllte. Ueber
Jenner’s äussere Erscheinung erfahren wir von einem seiner
Freunde Folgendes: „Sein Aeusseres verrieth nichts Ausser¬
ordentliches, er war unter mittlerer Grösse, kräftig und wohl¬
gebaut, sein Gesichtsausdruck ernst aber mild, seine Kleidung
gewählt und pünktlich, seine Maniren elegant. Alles verrieth
an ihm den gesetzten und sorgfältigen Mann. Er trug —
so erzählt sein Freund — als ich ihn zum erstenmale sah,
einen blauen Rock mit gelben Knöpfen, glänzend gewichste
Jockeystiefel mit silbernen Sporen, in der Hand eine Reit¬
peitsche mit silbernem Griff, auf dem Kopfe, dessen Haare
wohl geordnet, einen breitkrämpigen Hut. Das ganze Bild
eines Gentleman.“
Wie Jenner selbst erzählt wurde seine Aufmerksamkeit
auf die Kuhpocken und ihre Schutzkraft zuerst gelenkt, als
er noch bei einem Landwundarzt in der Lehre war, und zwar
durch eine Bäuerin, welche gelegentlich äusserte, sie könne
die Menschenpocken nicht bekommen, da sie die Kuhpocken
gehabt habe. Jenner erfuhr bald, dass dies ein in dortiger
Gegend allgemein verbreiteter Volksglaube sei. Seitdem ver¬
lor er die Sache nicht aus den Augen. Es wird uns be¬
richtet, dass Jenner als Mitglied einer ärztlichen Gesellschaft,
welche in Alveston 10 englische Meilen von Bristol ihre
Versammlungen abhielt, immer wieder die Frage von der
Schutzkraft der Kuhpocken zur Sprache brachte. Er fand
aber so wenig Gehör und Glauben, dass man ihn scherzweise
mit der Ausschliessung bedrohte, wenn er fortfahre, seine
Kollegen mit einem so unfruchtbaren Thema zu behelligen.
Die mit grosser Geduld und Ausdauer fortgesetzten Beob¬
achtungen führten Jenner schliesslich zu folgender fundamen¬
talen Thatsache: bei den Milchkühen der grossen Maiereien
traten da und dort Erkrankungen an Kuhpocken, Vaccine,
in Form von Stallepidemien auf. Passirte es nun, dass
Melker oder Melkerinnen in einem bestimmten Stadium der
Kuhpocken durch Vermittelung kleiner Verletzungen an den
Händen sich infizirten und an ihren Händen also dieselben
Vaccinepusteln bekamen, so waren diese Personen für die
Ansteckung mit Menschenblattern nicht mehr empfänglich.
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Nichts lag also näher, als die Kuhpocken absichtlich auf den
Menschen zu übertragen, d. h. ihn zu vacciniren. Die erste
zielbewusste Vaccination führte Jenner am 14. Mai 1796
aus, indem er von der ächten Kuhpocke an der Hand des
Milchmädchens Sarah Nelmes einen achtjährigen Knaben
impfte. Einige Zeit später inoculirte er denselben Knaben
mit ächten Menschenpocken, doch versagte die Inoculation
vollkommen. Damit war experimentell der Beweis der Schutz¬
kraft der Kuhpocken geliefert. Erst im Jahre 1798 konnte
Jenner seine Versuche in grösserem Umfange wieder auf¬
nehmen, da zwischendurch die Kuhpocken in seiner Heimath
erloschen waren. Er konnte dann bald den zweiten Fundamen¬
talsatz aufstellen und experimentell beweisen, dass die Kuh¬
pocke auch durch eine Reihe von Menschen fortgepflanzt,
also immer von Mensch zu Mensch verimpft sich nicht merklich
verändert und vor Allem nichts von ihrer Schutzkraft gegen
die Menschenpocken einbüsst. Es bleibt demnach Jenner’s
unvergänglicher Ruhm und unvergängliches Verdienst um das
Wohl der Menschheit, mit bewunderungswürdiger Ausdauer
seinen Gegenstand verfolgt und schliesslich wissenschaftlich
exakt die beiden Fundamentalsätze bewiesen zu haben: 1. Die
Kuhpocke schützt den Menschen vor den Menschenpocken
und 2. die Kubpocken sind von Mensch zu Mensch weiter
verimpfbar ohne Einbusse dieser SehutzkrafL
Thatsächlich ist Jenner rein chronologisch nicht der
erste, der vaccinirt hat. Von nicht sicher bewiesenen Nach¬
richten über frühere Vaccinationen in England und Frankreich
abgesehen, gebührt der Ruhm der Priorität einem deutschen
Schulmeister. Der Landschullehrer Plett zu Hasselburg in
Holstein impfte im Jahr 1791 drei Kinder des Pächters
Martini mit Kuhpockengift. Die drei Kinder blieben von den
Pocken gänzlich verschont, als im Jahre 1794 ihre anderen
Geschwister schwer daran erkrankten. Plett scheint zu
weiteren Versuchen keinen Muth gehabt zu haben, denn eines
der von ihm geimpften Kinder bekam eine heftige Entzündung
am Arm. Plett hat nämlich sehr unzweckmässiger Weise
seine Impfungen an den Fingern vorgenommen, wo die Impf¬
wunden nachträglicher Verunreinigung am allermeisten aus¬
gesetzt sind.
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Dass Jenner’s Veröffentlichungen das allergrösste Auf¬
sehen erregten, lässt sich denken. Die Meinungen waren
natürlich getheilt, auf der einen Seite die Enthusiasten,
welche nun mit einem Male alle Pockennoth für immer ge¬
bannt glaubten, auf der andern Seite die ängstlichen Ge-
müther, welche die Uebertragung auch noch anderer Eigen¬
schaften von der Kuh auf den Menschen fürchteten und die
allmähliche Degeneration der Menschheit durch fortgesetzte
Impfungen zum lieben Vieh prophezeiten oder gar die From¬
men , welche es für eine Sünde erklärten, dem Gang der
göttlichen Vorsehung in die Räder fallen zu wollen. Doch
machte man sich auch alsbald daran, nachzuprüfen und über¬
all zeigte sich die Bestätigung der Jenner’schen Lehre. So
waren bis zum August 1800 in London durch die dortigen
Aerzte schon 15 000 Menschen glücklich mit Kuhpockenstoff
geimpft und bei ungefähr 5000 derselben wurde der nach-
herige Versuch mit der Einimpfung von Menschenblattern¬
stoff gemacht, ohne dass die Blattern bei einem Einzigen
von ihnen ausgebrochen wären, ln Oxford impfte man 326
Personen im Alter von 11 Tagen bis zu 75 Jahren, 173 von
diesen Geimpften wurden später die Blattern ohne Eftekt
eingeimpft. Der Konsul Bonaparte der damaligen fran¬
zösischen Republik setzte eine ärztliche Prüfungskommission
nieder. Dieselbe vaccinirte 150 Kinder, von denen 19 nach
2—3 Monaten mit Menschenblatternstoff ohne Erfolg geimpft
wurden. Die Nachprüfungen in Deutschland, namentlich durch
Ballhorn und Stromeyer in Haunover, und Soeinmering in
Frankfurt a./M., führten zu denselben Resultaten. Einige
Daten aus unserer engeren Heiinath haben vielleicht noch be¬
sonderes Interesse. Die ersten Impfungen in grossem Mass¬
stab wurden bei uns in Pforzheim ausgeführt, namentlich
von Dr. Roller, dem Vater des bekannten Ulenauer Arztes.
Man begegnete damit nach dem Bericht des Leibarztes des
Markgrafen Karl Friedrich von Baden auf’s glücklichste
einer damals im Bezirke Pforzheim grassirenden Blattern¬
epidemie. Kein richtig vaccinirtes Kind wurde angesteckt
und das Eindringen der Seuche wurde an vielen Orten durch
die rechtzeitige Impfung aller Ungeblatterten verhütet. Aus
den ersten Jahren des Jahrhunderts hören wir in Karlsruhe
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die Doktoren Schweikhard, Flachsland, Zandt, Jägerschmidt
als eifrige Impfärzte nennen. Dem Dr. Schütz in Bruchsal
wird amtlich bezeugt, dass er, während in dem Dorf Unter¬
grombach die Blattern herrschten, 49 Kinder daselbst vac-
cinirte. Von diesen 49 starb keines, von 59 nichtgeimpften,
welche alle an den Blattern erkrankten, starben 13. Es
muss rühmend hervorgehoben werden, dass neben anderen
Gebildeten namentlich viele Geistliche aller Confessionen
durch Belehrung selbst von der Kanzel herab und Bekäm¬
pfung der Vorurtheile, welche sich jeder neuen Sache ent¬
gegenstemmen, der raschen Verbreitung der segensreichen
Jenner’schen Erfindung durch alle Volksschichten mächtigen
Vorschub geleistet haben. Thatsächlich hat die Ausführung
der Impfung schon in den ersten Jahren riesige Dimensionen
angenommen. Namentlich in England wurden grosse Sum¬
men gestiftet, Gesellschaften zur Ausbreitung der Vacci-
nation und öffentliche Impfanstalten errichtet, Impfstoff wurde
in alle Länder Europa’s, nach Persien und Ostindien, nach
Amerika und Neuholland geschickt. Jenner selbst wandte
im Interesse der Impfsache aus eigenen Mitteln 6000 Pfund
auf, für einen Landarzt eine respektable Summe. Doch
zeigten sich seine Landsleute dankbar, indem ihm auf Wil¬
liam Pitts Antrag vom englischen Parlament zweimal Grati¬
fikationen, zuerst im Betrage von 10 000 und später von
20 000 Pfund votirt wurden. Zu erwähnen ist noch, dass
namentlich in Italien die Kuhpockenimpfung bald sich grosser
Erfolge und Beliebtheit erfreute. Der Hauptförderer in
diesem Land war der Arzt am Krankenhause in Mailand
Ludovico Sacco. Ueberall, wo die Blattern ausbrachen,
wurde er von der Regierung hingeschickt und es gelang ihm
durch die Vaccination in glänzender Weise der Seuchen
Herr zu werden. Ein Beispiel von vielen ist folgendes: In
der kleinen Gemeinde Concasio starben durch bösartige
Blattern von 100 Erkrankten zwischen 60 und 70. Sacco
nahm eine allgemeine Impfung vor, der über 500 Personen
unterzogen wurden. Dies hemmte wie mit einem Schlag
Krankheit und Sterben. Von den 500 Geimpften erkrankten
nur noch 11, welche schon vor der Impfung angesteckt
waren. Indess verliefen bei diesen die Blattern und Kuh-
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pocken gutartig neben einander und die Seuche forderte
weiter keine Opfer mehr.
Derartige Impfungen, die erst bei Ausbruch einer Epi¬
demie vorgenommen werden, um die nicht Erkrankten zu
schützen, nennt man Nothimpfungen. Es kommt dabei der
Umstand günstig zu Statten, dass die Incubationszeit der
Vaccine um einiges kürzer ist, als die der Variola. Wenn
also die Vaccination gleichzeitig mit der Blatterninfektio»
stattfindet oder ihr unmittelbar auf dem Fusse folgt, so ent¬
faltet sie ihre schützende Wirkung trotzdem noch. Es tritt
dann häufig neben den Vaccinepusteln eine leichte Erkran¬
kung an abgeschwächter Variola, sog. Variolois auf. Die
beiden Affektionen laufen dann gutartig nebeneinander her.
Bis in den Anfang des zweiten Decenniums unseres
Jahrhunderts wird übereinstimmend aus allen Ländern, wo
fleissig vaccinirt wurde, eine auffallende Abnahme selbst
Verschwinden der Blatternkrankheit berichtet. Es ist dies
gewiss dem Impfen zuzuschreiben, jedoch nur unter Mit¬
wirkung eines andern hochwichtigen Faktors, nämlich der
bei den älteren Generationen in Folge früherer Durchseuchung
noch bestehenden natürlich erworbenen Immunität. Bald
wurde indess die Sachlage eine andere. Die Blattern traten
immer wieder auf, zum Theil unter den Ungeimpften in sehr
bösartiger Form, aber auch viele früher Geimpfte wurden
ergriffen, wenn auch meist nur in der Form der milderen
Variolois. Das Verhältniss stellte sich so, dass die Prozent¬
zahl der Todesfälle bei den Geimpften immer mindestens
um das 3—5fache, oft auch um das 10 und mehrfache hinter
der Ziffer der Ungeimpften zurück blieb. In der äusserst
bösartigen Epidemie in Genf (hämorrhagische sog. schwarze
Blattern) in den Jahren 1858/59 lieferten die Geimpften
9,5 die Ungeimpften aber 45 Proz. Todte. Eine Zusammen¬
stellung von Kussmaul aus verschiedenen Epidemien umfasst
160 000 Erkrankungen. Darunter starben von den vacci-
nirten 4,5 Proz. von den nicht vaccinirten Erkrankten
29 Proz. Dabei machte man weiterhin die Beobachtung, dass
die Neigung der Geimpften an echten Blattern zu erkranken
um so grösser war, je längere Zeit seit ihrer Vaccination
verstrichen. Man wurde stutzig, nachdem seither Jenner’s
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Auffassung von der zeitlich unbegrenzten Schutzkraft der
Vaccination als unanfechtbares Axiom gegolten hatte. Zu¬
nächst schob man die Schuld auf ungenügende oder mit
schlechter sog. degenerirter humanisirter Lymphe ausgeführte
Impfungen. Endlich musste man sich eben doch zu der
Erkenntniss bequemen, dass die Schutzkraft der Vaccination
eine zeitlich begrenzte, individuell zwar verschiedene, aber
im Durchschnitt 10—12 Jahre nicht überdauernde sei. Mit
dieser Erkenntniss stand man vor der Nothwendigkeit der
Wiederimpfung, der Revaccination.
Ueber diese Verhältnisse ist im weiteren Verlauf unseres
Jahrhunderts ein enormes statistisches Material aufgehäuft
worden. Es gab wohl keinen civilisirten Staat, in dem nicht
eine eigene Commission mit der Prüfung aller dieser wichtigen
Fragen beschäftigt gewesen wäre. Eine grosse Reihe akten-
mässiger Erhebungen aus den verschiedensten Ländern wurde
auf Veranlassung des englischen Parlaments im Jahre 1857
in dem sog. Blaubuch zusammengestellt. Das Gewicht dieser
Dokumente führte dann in England zur Erlassung einer
Impfbill, welche die Vaccination obligatorisch machte. Doch
ist ihre Durchführung bis auf den heutigen Tag eine sehr
laxe, wesshalb auch England keineswegs pockenfrei geworden
ist. Um durch weitere Details nicht zu ermüden, möge im
Folgenden nur noch die Entwickelung des Impfwesens in
Baden und Deutschland mit einigen Strichen gezeichnet
werden. Die badische Staatsverwaltung ist auch in diesen
Fragen seit der weisen Regierung des Markgrafen späteren
Grossherzogs Karl Friedrich bis auf die heutige Zeit bahn¬
brechend und vorbildlich vorgegangen.
Schon im Dezember 1803 erliess die badische Regierung
eine Verordnung, in welcher namentlich der folgende Ein¬
gangspassus bemerkenswerth ist:
„Wir Karl Friedrich von Gottes Gnaden u. s. w. haben
aus den uns vorgelegten Berichten und tabellarischen Ueber-
sichten über die in unsern Landen veranstalteten Impfungen,
der sog. Kuh- oder Schutzpocken mit höchster Zufriedenheit
ersehen, wie die meisten Physici, Medicinae Praktici, Wund-
und Hebärzte sich mit allem Eifer dem Geschäfte der Kuh¬
pocken-Impfung unterzogen haben, und wie ihre diesfallsige
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rühmliche Bemühungen mit dem erwünschten Erfolge gekrönt
worden; so sehr Wir nun auch durch diese Erfahrungen
immer mehr von dem wohlthätigen Vermögen dieser Schutz¬
pocken gegen die natürlichen Menschenblattern zu sichern,
überzeugt wurden: und daher die allgemeinere Verbreitung
dieser Kuhpockenimpfung gerne sehen würden, so sind Wir
doch noch zur Zeit nicht gemeint, nach dem Antrag einiger
Aerzte diesem Unserm Wunsch Gesetzeskraft zu ertheilen,
umsomehr, als Wir noch nicht volle Gewissheit haben, ob
die Schutzkraft der Kuhpocken für die ganze Lebensdauer,
oder etwa nur auf mehrere Jahre hinaus sich erstrecke, und
Wir wollen uns inzwischen noch damit begnügen, immer
mehrere Erfahrungen darüber anstellen zu lassen.“
Es findet hier der Zweifel an der unbegrenzten Schutz¬
kraft der Vaccination zum ersten Male offiziellen Ausdruck.
Einige weitere Erlasse der nächsten Jahre betreffen vorzugs¬
weise die Technik der Impfung und die dabei gemachten
Beobachtungen. Im November 1808 verfügt ein badisches
Regierungsrescript, dass kein Eingeborener des Landes in
Schulen, bei Gewerken oder in öffentlichen Anstalten auf¬
genommen werden oder aus öffentlichen Fonds Unterstützung
bekommen soll, der nicht einen Schein vom Physikat vor¬
weisen kann, dass er mit den Schutzpocken geimpft worden
sei. In den Städten Mannheim, Karlsruhe und Meersburg
wird je ein Impfinstitut errichtet, welches für Beschaffung
und Bereithaltung humanisirter Lymphe zu sorgen hat. Wir
haben also hier den ersten schüchternen Versuch eines Impf¬
zwanges. Dieser wird dann perfekt durch die Verordnung
vom 17. April 1815, welche die Impfung mit Schutzblattern
für Jedermann als gesetzlich nothwendig erklärt und gleich
darauf erfolgt die Instruktion für die Vornahme dieser Im¬
pfungen, welche bei allen Kindern im Verlauf des ersten
Lebensjahres stattfinden sollen. Bayern hat sein Impfgesetz
schon */ 4 Jahre früher erlassen, Württemberg folgte erst
1818 nach. In den badischen Verordnungen der folgenden
Jahre tauchen dann immer wieder die Zweifel an der zeit¬
lich unbeschränkten Schutzkraft der Impfung auf, welche
auch durch verschiedene Gutachten der Sanitätskommission
und der beiden Landesuniversitäten zunächst nicht geklärt
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werden, bis dann vom Jahre 1836 an die Revaccinationen
durch die Sanitätskommission wiederholt und eindringlich
empfohlen werden und speziell immer , so oft irgendwo die
Blattern auftreten. Im Jahre 1840 wurde in Baden die
Wiederimpfung beim Militär eingefiihrt, nachdem dieselbe
schon durch Kabinetsordre vom 16. Juni 1834 für die preus-
sische Armee obligatorisch gemacht worden war. Bayern
folgte 1844 mit der Rekrutenrevaccination nach. Aus dem
gewaltigen statistischen Material der folgenden Jahrzehnte
mögen nur einige besonders wichtige Angaben herausgeboben
werden. Die meisten Blatternsterbfälle der Gesammtbevölke-
rung im Grossherzogthum Baden vom Jahr 1810—1855
fallen auf das Jahr 1850, nämlich 250. Der Grund davon
liegt nahe genug. In den Revolutionsjahren 1848/49 und
im Jahre 1850 wurde die Impfung nicht mit der Ordnung
wie früher und später ausgeführt, die Revaccination des
Militärs wurde 1848 gar nicht, 1849 und 1850 nur bei ein¬
zelnen Truppentheilen vorgenommen. In dem Decenium von
1825—1835, also vor Einführung der Rekruten-Revaccination
waren bei der preussischen Armee 496 Mann an den Pocken
gestorben. Von 1835, nach Einführung der Revaccination,
bis 1845 starben noch 39 Mann, von da an werden es immer
weniger, in vielen Jahren stirbt nicht ein Einziger. In der
österreichischen Armee existirt ein categorischer Impfzwang
erst seit Kurzem. Dementsprechend verlor dieselbe auch in
den letzten Jahren noch durchschnittlich 91 Mann jährlich
an den Blattern. Dabei ist nicht zu vergessen, dass die
Kopfstärke dieser Kontingente mit der Zeit erheblich ge¬
wachsen ist. Der Feldzug von 1866, wo die preussische
Armee in voller Kriegsstärke in Böhmen stand, und die
Quartiere bezog, welche die stark infizirten Oesterreicher
und Sachsen eben verlassen hatten, und wo bei der Civil-
bcvölkerung eine äusserst heftige Epidemie herrschte, brachte
nur 11 Pockentodesfälle.
Ein geradezu erdrückendes Beweismaterial für den Werth
der Vaccination namentlich aber der Revaccination liefern
uns die Erfahrungen der Kriegsjahre 1870/71. Deutschland
hat mehr als eine Million Soldaten über die Grenze geführt,
Civil- und Militärbevölkerung des Landes, in welches sie ein-
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traten, war tief durchseucht, an vielen Orten, in welche
unsere Truppen einrückten, herrschten die bösartigsten Formen,
blutige und schwarze Pocken. Unter diesen Verhältnissen,
wie sie ungünstiger nicht sein konnten, mussten die Vacci-
nationen ihren Werth zeigen und sie haben es in einem
Grade gethan, gegen welchen auch der verstockteste Impf¬
gegner Nichts mehr Vorbringen kann. Doch lassen wir die
Zahlen sprechen: Im deutsch-französischen Krieg hat das
deutsche Heer 261 Mann und zwar vorzugsweise nicht revacci-
nirte Landwehrleute, dagegen das dem Revaccinationszwang
nicht und auch bis heute noch nicht unterworfene französische
Heer 23 468 Mann an den Pocken verloren. Dabei möge
nicht unerwähnt bleiben, dass die andern Kriegskrankheiten
wie Dysenterie und Typhus auf beiden Seiten ungefähr in
gleichen Verhältnissen ihre Opfer forderten. In sehr aus¬
gedehntem Maasse haben bekanntlich in den beiden Kriegs¬
jahren die Pocken unter der Civilbevölkerung Deutschlands
geherrscht. Eingeschleppt wurden sie uns durch die aus
Frankreich ausgewiesenen Landsleute und durch die fran¬
zösischen Kriegsgefangenen. Preussens 23 Millionen be¬
tragende Civilbevölkerung verlor in den Jahren 1870/71 allein
59 800 Menschen durch die Blattern.
Einen schlagenderen Beweis für den Werth der Revacci-
nation kann man sich kaum denken, als die schwer heim¬
gesuchte nicht revaccinirte Civilbevölkerung auf der einen
Seite, das unter den ungünstigsten Verhältnissen in Feindes¬
land als nahezu gefeit sich erweisende revaccinirte Militär
auf der andern Seite. Dieses Verhältniss, sodann das Drängen
vieler Aerzte und ärztlicher Korporationen, namentlich auch
der Lebensversicherungsgesellschaften, die ja an der Bekämpf¬
ung von Epidemien ein hervorragendes Interesse haben, führte
im Jahre 1874 unser jetzt gütiges Reichsimpfgesetz herbei.
Das Wesentliche desselben besteht darin, dass es neben der
Kinderimpfung spätestens in dem auf das Geburtsjahr folgen¬
den Kalenderjahr eine Wiederimpfung der Schulkinder im
12. Lebensjahr obligatorisch macht. Rechnet man dazu die
Rekrutenimpfung, so hat also bei uns jedes Individuum, das
öffentliche Schulen besucht und beim Militär dient im Ganzen
sich mindestens drei Impfungen zu unterziehen. Welches ist
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nun der Erfolg unseres Impfgesetzes? Wie Jedermann aus
eigener Erfahrung bekannt der, dass das Deutsche Reich seit
1874, also seit über 20 Jahren, ein nahezu pockenfreies
Land ist, obwohl in den Nachbarländern, die eine obligatorische
Revaccination nicht kennen, andauernd Pockenheerde sich be¬
befinden und unsere modernen Verkehrsverhältnisse einer
Verschleppung gewiss günstig sind. Zu derselben Zeit, in
welcher das Deutsche Reich sich so gegen die Pocken geschützt
erwies, kamen, um einige Parallelzahlen anzuführen, 1880 in
Paris 2260 Pockentodesfälle vor und annähernd gleiche
Zahlen in ganz Frankreich, in Antwerpen 812, in Brügge 51,
in Lüttich 59, in London 475, Wien 534, Prag 450, Dublin
266, in ganz Spanien 12 165, in Madrid 1202, Odessa 94,
u. s. w. In Deutschland sind sehr exponirte Städte wie die
dem Seehandel geöffneten Hafenplätze Hamburg und Bremen,
der Seuche beinahe vollständig entgangen. Diese angeführten
Zuhlen widerlegen auch die wunderliche von den Impfgegnern
kolportirte Behauptung, dass die Pocken in Europa allmählich
von selbst erloschen seien. Der jüngeren Generation der
Aerzte bei uns sind zwar die Blattern aus der Vorlesung und
aus dem Lehrbuch bekannt, gesehen haben die wenigsten
von ihnen welche. Die älteren Aerzte können noch aus
eigener Anschauung genug davon erzählen.
Man hat, namentlich auch in den Reichstagsverhand¬
lungen, welche der Einführung unseres Reichsimpfgesetzes
voraufgingen, viel darüber diskutirt, ob denn der Staat über¬
haupt das Recht habe, den Einzelnen zu zwingen, sich selbst
oder seine Kinder impfen zu lassen, ob das nicht ein unstatt¬
hafter Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen
sei. Wo die bittere Noth Lebrmeisterin ist, da kommt
man mit doktrinären Erwägungen nicht weit. Sobald eine
Staatsverwaltung die Ueberzeugung gewonnen hat, dass eine
Maassregel nur dann dem öffentlichen Wohle wirklich dient,
wenn sie sich auf alle Individuen ausnahmslos erstreckt, so
ist sie zum gesetzlichen Zwang unzweifelhaft nicht nur be¬
rechtigt, sondern sogar verpflichtet. Man denke doch an den
Militärdienst, den jeder Taugliche von uns leisten muss und
der ihn selbst in Friedenszeiten ungleich mehr Gefahren für
Leben und Gesundheit aussetzt, als die Impfung.
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486
Mit der Ausübung des Impfzwanges übernimmt aller¬
dings die Staatsverwaltung gleichzeitig die ernste Verpflich¬
tung, die Gefahren, welche dem Einzelnen aus der Vaccination
etwa entspringen können, ganz zu beseitigen oder wenigstens
auf das möglichste Mindestmaass zurückzuführen. Es bleiben
nun noch die dabin abzielenden Einrichtungen der neuesten
Zeit kurz zu schildern. Dieselben sind geeignet, den prin¬
zipiellen Impfgegnern ihre einzige Waffe, welche nicht ganz
stumpf ist, d. i. der Hinweis auf die sog. Impfschäden, zu
entwinden. Es kann und soll nämlich nicht geleugnet werden,
dass durch die Vaccination Kinder und Erwachsene ab und zu
zu Schaden gekommen sind. Diese Schädigungen sind vorzugs¬
weise zweierlei Art, einmal die sog. accidentellen Wundkrank¬
heiten, also Wundrose, Pyämie und Septicämie, wie sie bei un¬
geeignetem Verfahren zu jeder kleinen Verletzung hinzutreten
können. Zu ihrer Verhütung gibt es nur eins, nämlich die
peinlichste Sorgfalt und Reinlichkeit an Händen und Instru¬
menten. Selbstverständlich ist die Beobachtung einer der¬
artigen Asepsis Pflicht jedes Impfarztes. Die zweite Möglich¬
keit der Impfschädigung ist die Mitübertragung einer Krankheit
von dem, welchem die Lymphe abgenommen wird, auf die,
welchen sie eingeimpft wird. In Betracht kommt dabei eigent¬
lich nur eine Krankheit, eine sehr hässliche, die Syphilis. Es
sind im Ganzen aus aller Herren Länder unter vielen Mil¬
lionen von Impfungen ca. 300 Fälle von Impfübertragung der
Syphilis festgestellt. Auch von allen möglichen andern Krank¬
heiten, namentlich Rachitis und Scrophulose, müssen die
Aerzte alltäglich hören, dass sie vom Impfen herkämen. Hier
ist es das trügerische post hoc ergo propter hoc, das ja auch
in der wissenschaftlichen Medicin schon zu manchem falschen
Schluss geführt hat. Auch ist nicht zu vergessen, dass die
zwei ersten Lebensjahre, in denen nun einmal die Kinder ge¬
impft werden müssen, überhaupt die grösste Morbidität und
Mortalität mitden übrigen Lebensperioden verglichen aufweisen.
Um nun die Uebertragung der Syphilis mit absoluter
Sicherheit zu vermelden, gibt es nur einen Weg. Man muss
die Verwendung der humanisirten Lymphe, d. h. des durch
ungezählte Menschengenerationen aus ursprünglichen Kuh¬
pocken fortgezüchteten Impfstoffes ganz aufgeben und zur
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487
Lymphegewinnung eine Thierspezies verwenden, welche für
Syphilis überhaupt nicht empfänglich ist. Wir dürfen mit
Befriedigung feststellen, dass Dank rastloser Bemühungen
dieses Problem heute gelöst ist Ursprünglich hauptsächlich
in Holland kultivirt, hat die Verwendung animaler Lymphe
in den letzten Jahren in Deutschland rasch Verbreitung ge¬
funden und den Gebrauch der humanisirten Lymphe fast
ganz verdrängt, namentlich seitdem im Jahre 1884 eine im
Reichsgesundheitsamt niedergesetzte Kommission die animale
Impfung zur möglichst allgemeinen Einführung empfohlen
hat. Eine Reihe von Impfinstituten, dasjenige für das Gross-
herzogthum Baden und als eine Musteranstalt bekannte, hier
in Karlsruhe, meist in Anlehnung an die Schlachthöfe er¬
richtet, besorgen die Herstellung, Konservirung und Ver¬
sendung der animalen Lymphe. Die verwendeten Thiere sind
Kälber oder junge Rinder, — beispielsweise waren im Jahre
1892 1368 Thiere nöthig, um den gesammten Bedarf an
animaler Lymphe in Deutschland zu decken. Bei uns in
Baden hat sich um die Einführung der animalen Impfung
namentlich der jetzige Vorstand der Karlsruher Impfanstalt,
der Geh. Hofrath Dr. Fischer verdient gemacht. Zuerst für
sich, dann im Auftrag und mit Unterstützung des Grossb.
Ministeriums hat der Genannte zunächst in Ueberlingen und
nach seiner Versetzung dahin in Pforzheim sich mit der
Herstellung animaler Lymphe beschäftigt. Seit 1887 besteht
unter seiner Leitung das Impfinstitut im Karlsruher Schlacht-
und Viehhof zur Versorgung des ganzen Grossherzogthums
einschliesslich des 14. Armeekorps. Im Jahre 1890 beispiels¬
weise wurden dort 38 Thiere, meist grössere Rinder männ¬
lichen Geschlechts verwendet. Dieselben lieferten eine Ge-
sammtmenge von 2853 Gramm zubereiteter Lymphe und, da
ein Gramm für 100 Impfungen ausreicht, Stoff für über
280 000 Einzelimpfungen.
Es dürfte nun noch von Interesse sein zu erfahren, wie
denn die Gewinnung der Thierlymphe in solchen Massen
im Karlsruher und den andern Instituten bewerkstelligt wird.
Zur Animpfung der Thiere bieten sich drei Quellen dar:
1. Die Verwendung originärer Kuhpockenlymphe, originärer
Vaccine, wie sie Jenner s. Zt. von dem spontan damit in-
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488
fizirten Milchmädchen auf den Knaben weiter verimpft hat.
2. Als meist geübte Methode, weil die Beschaffung am leich¬
testen, die Uebertragung humanisirter Kinderlymphe auf die
Impfthiere. Der so gewonnene Stoff heisst Retrovaccine,
weil er vom Menschen auf das Thier wieder zurück ge¬
wandert ist. 3. Die Verimpfung achter Menschenblattern auf
die Thiere, woraus eine abgeschwächte Vaccine von sehr
guter Wirksamkeit entsteht, nachdem der Stoff durch 3—4
Kälber hindurchgegangen ist. Den auf diesem Weg gewon¬
nenen Impfstoff nennt man Variola-Vaccine. Dieser letzte
Modus wurde im Karlsruher Institut im Jahr 1890 erprobt,
als eine kleine in Lörrach unter italienischen Bahnarbeitem
ausgebrochene Blatternepidemie Gelegenheit bot, richtigen
Menschenblatternstoff zu bekommen.
Die Technik dieser Thierimpfungen ist kurz folgende:
Die in geeigneter Weise mit auseinander gespreizten Beinen
auf einem Tisch gefesselten Thiere werden an der Bauchhaut
und den Innenflächen der Oberschenkel rasirt, die Haut
sorgfältig desinfizirt und gewaschen. Die so präparirte Haut¬
fläche wird dann mit einer grossen Zahl von Scarifikationen
oder seichten Kritzelschnitten versehen und in diese hinein
der Impfstoff verrieben. Nach einigen Tagen ist diese ganze
Fläche dicht mit Vaccinepusteln besetzt. Dann kommt das
Thier nochmals zur Abimpfung auf den Impftisch. Die
Impffläche wird mit einem geeigneten Instrument, meist
einem scharfen Löffel, bis in die Schleimschicht der cutis
hinein abgeschabt, der gesammelte Stoff in einem Mörser
zerrieben und mit Glycerin versetzt. Der so gewonnene
längere Zeit haltbare Impfstoff wird dann luftdicht ver¬
schlossen an die Impfärzte verschickt. Selbstverständlich
wird kein Thier eingestellt, das nicht vorher auf’s Genaueste
thierärztlich auf seine Gesundheit untersucht ist, desgleichen'
wird von keinem Thier der Impfstoff verwendet, ehe es ge¬
schlachtet ist und eine genaue anatomische Untersuchung
sein Freisein von Krankheiten, speziell von Tuberkulose
oder Perlsucht, wie sie beim Rindvieh heisst, erwiesen hat.
Damit sind wir bei dem heutigen Stand des Impfwesens an¬
gelangt.
Es sind zum Theil recht verwickelte und komplizirte
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489
Verhältnisse, für die ich mir erlaubt habe, die Geduld des
Lesers in Anspruch zu nehmen. Doch durfte aus diesem
ganzen Entwickelungsgang das Eine noch zu entnehmen sein,
dass die durch die Noth diktirte und im Wesentlichen auf
der Erfahrung eines Jahrhunderts aufgebaute Schutzpocken¬
impfung in ihrer heutigen Ausgestaltung unstreitig die grösste
Errungenschaft ist, welche die Medicin auf therapeutischem
oder vielmehr prophylaktischem Gebiet jemals gezeitigt hat.
Wenn wir uns nun heutigen Tags in unserm Vaterland
einer so weitgehenden Sicherheit gegenüber dem furchtbaren
Pockenelend erfreuen, so liegt darin gleichzeitig eine Gefahr.
Diese Sicherheit darf uns nicht leichtsinnig werden lassen,
wir dürfen nicht meinen, man könnte wohl die straffen
Zügel des Impfzwanges nachlassen, wir müssen uns immer
wieder vergegenwärtigen, wie es früher war und damit an
der Ueberzeugung von der Nothwendigkeit und der Zweck¬
mässigkeit der getroffenen Schutzmassregeln festhalten. Vor
Allem aber wollen wir auch der Dankbarkeit nicht vergessen
gegen den bescheidenen Landarzt von Berkeley und alle die
Männer, welche an der Bekämpfung der Pockenkrank¬
heit, dieser Geissei des Menschengeschlechtes, mitgearbeitet
haben.
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Studien über die Temperaturverhältnisse
in Baden.
(Siehe Seite 230 bis 259 der Abhandlungen.)
Druckfehler in Tabelle V.
s.
250. Januar: Höchenschwand h 2 M.
—0,6 statt +0,6.
8
290. Buchen, absol. Minimum -
-31,1
8
+31,1.
8
250. Februar: Höchenschwand mittleres
Maximum
1,8
8
0,6.
8
250. Februar: Höchenschwand mittlere
Tagesschwankung
6,8
8
5,6.
8
250. Februar: Buchen: mittl. Maximum
8,0
8
2,0.
8
250. „ „ mittlere Tages¬
schwankung
6,9
8
5,3.
8
252. August: Höchenschwand h 2 M.
15,8
8
22,3.
8
252. Septemb.: Villingen h 2 M.
16,1
8
10,1.
8
252. Septemb.:Karlsruhe, absol. Maxi¬
mum
29,8
8
25,8.
Nachtrag.
Der durch geringe Schwankungen ausgezeichnete ther¬
mische Charakter des Bodenseebeckens erstreckt sich nicht
weit landeinwärts, wie aus den Beobachtungen des Pfarrers
Sulzer in Ittendorf (Berichte über die Verhandlungen der
naturforschenden Gesellschaft in Freiburg i. B., Band II,
Heft 1, Freiburg 1859) von 1837 bis 1858 hervorgeht. Itten¬
dorf liegt in 456 Meter Meereshöhe, also 61 Meter über dem
Bodenseespiegel, östlich von Meersburg, und ist von diesem
Orte 5,5 Kilometer, vom nächsten Ufer bei Hagnau 3,33 Kilo¬
meter entfernt. Maximum und Minimum wurden nicht
beobachtet, hingegen sind in den Monatsresultaten die Tem¬
peraturunterschiede zwischen Morgen und Mittag ( h 2— h 7),
sowie zwischen Mittag und Abend ( b 2— h 9), angegeben, und
können also mit den Beobachtungen in Meersburg annähernd
verglichen werden, obgleich sie in eine frühere Periode fallen.
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491
ln der folgenden Tabelle sind diese Schwankungen zu-
sammengestellt.
Januar
Februar
März |
4-3
fl t «-»
fi.ts
Mittlere
Schwan¬
kung
Monats¬
mittel
Mittlere
Schwan¬
kung
Monats¬
mittel
Mittlere
Schwan¬
kung
h 2- h 7
Er
CO
>
b 2- h 9
b 2- b 7
b 2- b 9
Meersburg . .
-0,6
1,5
0,9
0,9
3,1
1,9
4,1
4,4
2,4
Ittendorf . . .
-1.2
2,1
1,6
0,2
4,9
3,5
3,3
6,7
4,4
Differenz . . .
0,6
0,7
1,8
1,6
2,3
2,0
April
Mai
Juni
Meersburg . .
8,6
6,2
3,0
12,5
6,0
3,5
16,4
4,8
3,8
Ittendorf . . .
8,5
7,6
7,5
13,0
7,1
6,6
16,7
7,0
6,9
Differenz . . .
2,4
4,5
2,1
2,1
i 2,2
2,1
Juli
August
September
Meersburg . .
18,5
4,7
8,8
18,0
4,7
3,5
14,6
4,3
3,1
Ittendorf . . .
17,6
7,4
5,9
16,8
7,4
5,5
13,6
__7,4
5,6
Differenz . . .
2,7
2,1
2,7
2,0
3,1
2,4
Oktober
November
Dezember
Meersburg . .
8,9
3,5
2,4
4,1
2,2
1,5
0,0
1,8
1,4
Ittendorf . . .
9,0
5,4
4,2
3,6
3,4
2,7
-0,1
2,6
1,9
Differenz . . .
1,9
1,8
1,2
1,2
0,7
0,5
Die mittlere Schwankung h 2— h 7 beträgt in Meersburg
3,8 # , in Ittendorf 5,8 # , ist also hier um 2° grösser; der
Unterschied ist am kleinsten im Januar mit 0,6°, am grössten
im September mit 3,1°, sie ist durchgängig sogar etwas
grösser als in Karlsruhe.
Der mässigende Einfluss des Bodensees erstreckt
sich also nicht bis Ittendorf, er scheint auf den etwa
3 Kilometer breiten Uferstreifen, vielleicht auch auf die
grösseren einmündenden Thäler in ihrem flachen Unterlauf
beschränkt zu sein.
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Berichtigung.
Abhandlungen Seite 41 Zeile 22 von oben lies 7. Dezember statt
26. Dezember.
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Verzeichntes
der Stellen, mit denen der naturwissenschaftliche Verein im
Tauschverkehr steht, und deren eingesendete Publikationen.
1895.
Annaberg-Buchholz. Verein für Naturkunde. Vom I.
Jahresbericht 1868 an.
Augsburg. Naturhistorischer Verein. Vom XVIII. Bericht
1865 an.
Aussig. Naturwissenschaftlicher Verein. Vom I. Jahres¬
bericht 1876/77 an.
Bamberg. Naturforschende Gesellschaft. Berichte. Vom
VI. Bericht 1861/62 an.
Basel. Naturforschende Gesellschaft:
a. Verhandlungen 1850 bis 1852. III. Bd. — 1862.
3. Heft. — Vom IV. Band 1864 an vollständig.
b. Festschrift zur Feier des 50jährig. Bestehens. 1867.
166 S.
Bergen (-Norwegen). Museum. Aarsberetning. Von 1886 an.
Berlin. Botanischer Verein für die Provinz Brandenburg
und die angrenzenden Länder. Verhandlungen vom VI.
Jahrgang 1864 an.
— Geologische Gesellschaft. Zeitschrift. Vom XV. Band
1863 an. — Bibliothekkatalog 1887.
Bern. Naturforschende Gesellschaft. Mittheilungen. Vom
Jahre 1850 (No. 167) an.
Bistritz in Siebenbürgen. Gewerbeschule. Jahresbericht,
von V. 1879 an.
Bonn. Naturhistorischer Verein der preussischen Rheinlande
und Westphalens. Verhandlungen. Vom XXII. Jahr¬
gang (resp. 3. Folge, II. Jahrgang) 1865 an.
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494
Boston. American Academy of arts and Sciences. Procee-
dings. Von VIII. 1873 an.
Braunschweig. Verein für Naturwissenschaften. Jahres¬
bericht. Von I. 1879—80 an.
Bremen. Naturwissenschaftlicher Verein. Verhandlungen.
Vom I. Band 1868 an, mit 2 Beilagen. — Festschrift
zur Feier des 25jähr. Bestehens 1889.
Breslau. Schles. Gesellschaft für vaterländische Kultur:
a. Jahresbericht. Vom XLII. Jahrgang 1864 an.
b. Abhandlungen. Philosophisch-historische Abtheilung.
Von 1864 an.
c. Abtheilung für Naturwissenschaften und Medicin. Von
1864 an.
d. Denkschrift zur Feier ihres 50jährigen Bestehens. 1853.
e. Grundzüge der schles. Klimatologie von Galle. 1857.
Brünn. Naturforschender Verein. Verhandluqgen. Vom
III. Band 1864 an.
Brüssel. Acad4mie royale des Sciences, -des lettres et des
beaux arts de Belgique:
a. Bulletins. Vom XXXV. Jahrgang 1866 an (Band 21).
b. Annuaire. Vom XXXIII. Jahrgang 1866 an.
c. Centime anniversaire de fondation. 2 Bde.. 1872.
— Sociötö royale de Botanique de Belgique. Bulletin vom
IV. Band 1865 an.
— Sociütü entomologique de Belgique. Annales und Me-
moires. Vom XIII. Jahrgang 1869 an.
— Annales mütüorologiques de l’observatoire royale de
Bruxelles. II. 1867 und 68.
— Sociöte Malacologique. Annales. Vom Bd. XI. 1876 an.
Von 1881 an unter dem Titel: Sociötd royale malacolo¬
gique de Belgique. Annales, von 1886 an: Procfcs ver-
baux des scüances-
Budapest. König!. Ungarische Naturw. Gesellschaft: Ca-
talog der Bibliothek. Verschiedenes s. 8. Bd. S. XXII.
1877 und 11. Bd. 1895 S. XXVIII.
Canada. Geological and natural survey of Canada. Reports
of progress. 1879—85. (Ottawa.)
Cassel. Verein für Naturkunde. Bericht. Von XXIV. und
XXV (1876—78) an.
Digitized by Google
495
Cbapel Hill (North-Carolina). Elisha Mitchell Scientific
Society. Journal. Von Vol. IV. 2. 1887 an.
Chemnitz. Naturwissenschaftlicher Verein. Berichte. Vom
I. Jahrgang 1865 an.
Cherbourg. Sociöte nationale des Sciences naturelles et
mathdmatiques. Mömoires, von XXI. 1877 an.
Christiania. Königliche Universität. Verschiedene Ab¬
handlungen. s. 8. Bd. S. XXV., 9, Bd. S. XVHL, 10.
Bd. S. XXV. 11. Bd. 1895 S. XXIX.
Chur. Naturforschende Gesellschaft Graubündens. Jahres¬
bericht. Vom XII. Jahrgang 1866 an. — Naturgeschicht¬
liche Beiträge zur Kenntniss der Umgebungen Churs.
1874. — H. Ardüser’s rätische Chronik von Bott. 1877.
Colmar. Sociäte d’histoire naturelle. Bulletin. Vom VI.
Jahrgang 1865 an.
Cord oha (Rep. Argent.) Academia nacional de Ciencias en
Cordoba. Boletin. Von Bd. VI. 1884 an.
Danzig. Naturforschende Gesellschaft:
a. Neueste Schriften. Vom IV. bis VI. Band, 1843 bis
1862.
b. Schriften. Neue Folge. Vom I. Band 1863 an.
c. A. Menge. Preuss. Spinnen. 1866.
Donaueschingen. Verein für Geschichte und Naturge¬
schichte der Baar und der angrenzenden Landestheile
in Donaueschingen. Schriften. Vom I. Jahrgang 1870 an.
Dresden. Naturw. Gesellschaft Isis. Sitzungsberichte.
a. Sitzungsberichte und Abhandlungen von 1865 an.
b. Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens 1885.
— Gesellschaft für Natur- und Heilkunde:
a. Jahresbericht. Von 1865 bis 1886.
b. Denkschrift zur Feier ihres 50jährigen Bestehens.
Dresden. 1868. 4.
Dürkheim. Pollichia, naturwissenschaftlicher Verein der
Rheinpfalz.
a. Jahresbericht. Vom XX. 1863 an.
b. Festschrift zur 50jährigen Stiftungsfeier 1892.
Düsseldorf. Naturwissenschaftlicher Verein. Mittheilungen
Von I. 1887 an.
Digitized by
Google
496
Elberfeld. Naturwissenschaftlicher Verein. Jahresbericht.
1851. 1858. 1878. 1884. 1887.
Emden. Naturforschende Gesellschaft:
a. Jahresbericht. Von LI. 1865 an.
b. Kleine Schriften von XIII. an.
c. Festschrift zur Feier ihres 50jährigen Bestehens.
Erlangen. Physiologisch-medizinische Societät. Sitzungs¬
bericht, von VIII. 1875—76 an.
Florenz. Biblot'eca nationale. Publicazione dei R. instituto
di studi superiori. Sezione di scienze fisische e naturali.
Von 1877 an. Sezione di medicina e chirurgia. Von
I. 1876 an.
Frankfurt a. M. Physikalischer Verein. Jahresbericht.
Von 1845 an.
— Senckenbergische naturforschende Gesellschaft. Berichte
von 1869 an.
Frankfurt a. 0. Naturwissenschaftlicher Verein des Regie¬
rungsbezirks Frankfurt a. 0. Monatliche Mittheilungen.
Von 1883/84 an. Seit 1891 unter dem Titel „Helios“.
Freiburg. Naturforschende Gesellschaft:
a. Berichte über die Verhandlungen. Vom I. Band
1858 an. Freiburg.
b. Festschrift zur Feier des 50jährigen Jubiläums im
Jahre 1871.
c. Festschrift. Der 56. Versammlung deutscher Natur¬
forscher gewidmet. 1883.
Fulda. Verein für Naturkunde Bericht von I. 1870 an.
St. Gallen. Naturwissenschaftliche Gesellschaft. Berichte
über die Thätigkeit. Von 1858 an.
Genf. Socidtd pour l’avancement des arts. Proces verbal
des sceances. Von 1862 bis 1871. No. 44 bis 54.
Gent. Kruidkundig Genootschap Dodonäa. Botanisch Jar-
boek. Von I. 1889 an.
Giessen. Oberhessische Gesellschaft für Natur- und Heil¬
kunde. Bericht. Vom VII. Jahrgang 1859 an.
Graz. Naturwissenschaftlicher Verein für Steiermark. Mit¬
theilungen. Vom I. Heft 1863 an.
Digitized by Google
497
Graz. Verein der Aerzte in Steiermark. Mittheilungen. Von
XVIII. 1881 an. — Chronik des Vereins der Aerzte in
Steiermark 1863—1888.
— Akademischer naturwissenschaftlicher Verein. Jahres¬
bericht. I. Jahrgang 1875 bis V. 1879. Schluss.
Greifswalde. Geographische Gesellschaft. Jahresberichte.
Von II. 1883 an.
Halifax (Nova Scotia). Nova Scotian Institute of natural
Science. Proceedings and transactions. Von Vol. VH.
1888 Part. III u. IV an.
Halle. Naturforschende Gesellschaft. Bericht. Von 1864 an. —
Festschrift zur Feier ihres 100jährigen Bestehens 1879.
— Verein für Erdkunde. Mittheilungen. Von 1877 an.
— Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften. Neue
Folge. Von 1870 Bd. I. an. Seit 1882 herausgegeben
vom Naturwissenschaftlichen Verein für Sachsen-Thür¬
ingen als Zeitschrift für Naturwissenschaften.
— Kaiserl. Leopoldinisch-Karolinisch-Deutsche Akademie
der Naturforscher:
Leopoldina, amtliches Organ. Von X. 1874 an.
Nova acta. s. 9. Bd. S. XVIII.
Hamburg. Naturwissenschaftlicher Verein. Thätigkeits-
bericht. Von 1869 an. Abhandlungen aus dem Gebiete
der Naturwissenschaften. Vom IV. Band, 4. Abth., an.
Hamburg. — Festschrift zur Feier des 50jährigen Be¬
stehens 1887.
— Geographische Gesellschaft. Jahresbericht von 1.1874 an.
Hamburg-Altona. Naturwissenschaftlicher Vereiu. Ver¬
handlungen, von I. 1876 bis VI. 1881. Schluss.
Hamilton (Canada). Hamilton association Journal and
proceedings. Von VII. 1891 an.
Hanau. Wetterauische Gesellschaft für die gesammte Natur¬
kunde. Bericht, von 1879 an (enthält 1873—1879).
Hannover. Gesellschaft für Mikroskopie. Jahresbericht.
I. 1880 und II. 1882.
— Naturhistorische Gesellschaft. Jahresberichte. Vom
XVIII. 1867 an.
Heidelberg. Naturhistorisch-Medicinischer Verein. Ver¬
handlungen. Vom I. Band 1S57 an. Heidelberg. 8. —
32
Digitized by Google
498
Festschrift zur Feier des 500jährigen Bestehens der
Ruperto-Carola. 1886.
Helsingfors. Societas pro Fauna et Flora Fennica. (Finn-
ländische Zoologische und Botanische Gesellschaft):
a. Meddelanden. Von I. (1876) an.
b. Notiser ur Sällskapets. Von II. (1852) an.
c. Acta Societas I. Von I. (1875) an.
Innsbruck. Naturwissenschaftlich-Medicinischer Verein.
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dinger. Vom I. Jahrgang 1867 an. Karlsruhe.
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1869 bis 1892. Schluss.
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Grossherzogthum Baden:
a. Jahresbericht. Von I. 1883 an.
b. Beiträge zur Hydrographie des Grossh. Baden. Von
I. 1884 an.
c. Niederschlagsbeobachtungen der meteorologischen
Stationen im Grossh. Baden. Von 1888 an.
d. Der Rheinstrom und seine wichtigsten Nebenflüsse.
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nisse im deutschen Rheingebiet. 1891.
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Kiel. Verein nördlich der Elbe zur Verbreitung natur¬
wissenschaftlicher Kenntnisse. Mittheilungen. Heft 1
(1857) 4—7. 9 (1868) Schluss.
— Naturwissenschaftlicher Verein für Schleswig-Holstein.
Schriften, von I. 3 (1875) an.
Königsberg. Schriften der Königl. Physikalisch-Oekono-
mischen Gesellschaft. Vom I. Jahrgang 1860 an. —
Führer durch die geol. Sammlung des Provinzial-Museums.
Landshut. Botanischer Verein. Bericht. Vom I. 1864 an.
Lausanne. Sockte Vaudoise des Sciences naturelles. Bul¬
letins des seances. Vom VII. Bd. 1861 an.
Leipa. Nordböhmischer Excursionsklub. Mittheilungen.
Vom VI. Jahrgang 1883 an. Verschiedenes s. 10 Bd.
S. XXIV.
Digitized by Google
499
Leipzig. Museum für Völkerkunde. Bericht von I. 1873 an.
— Naturforschende Gesellschaft. Sitzungsberichte, von II.
1875 an.
— Jablonowsky’sche Gesellschaft. Preisschriften. XII. 1867.
XXVI. 1886. XXVII. 1890.
St. Louis. Academy of Science:
Transactions. Von III. 1873 an.
Contributions to the archaeology of Missouri. I. Pot-
tery. 30 S. (I.) 24 Taf. 1880.
Lüneburg. Naturwissenschaftlicher Verein für das Fürsten¬
thum Lüneburg. Von V. 1870/71 an.
Luxembourg. Societö de Botanique. Recueil des meraoires
et des travaux. Von No. I 1874 an.
Luxembourg. Institut royal grand-ducal de Luxembourg,
section des Sciences naturelles (cidevant societö des
Sciences naturelles et mathematiques) Mdmoires. Von
XVIII. 1881 an.
Luxemburg. Verein Luxemburger Naturfreunde „Fauna“.
Von Jahrgang 1891 an.
Madison. Wisconsin Academy of scienses, arts and let-
ters. Von VIII. 1888 an.
Magdeburg. Naturwissenschaftlicher Verein. Jahresbericht.
Vom I. 1871 an. kl. 8. — Abhandlungen. Vom II. Heft
1870 an. — Festschrift zur Feier des 25jähr. Stiftungs¬
tages.
Mannheim. Verein für Naturkunde. Jahresbericht vom
XVIII. 1853 an.
Marburg. Gesellschaft zur Beförderung der gesammten
Naturwissenschaften:
a. Sitzungsberichte. Von 1867 an.
b. Schriften. Vom IX. 1872 an.
c. Supplementhefte I. bis V., zum IX. Band. 1866 bis
1869.
Marseille. Facultd des scienses. Annales. Von 1.1891 an.
Melbourne. Public library, Museums and National Gallery
of Victoria. Prodomus of the geology of Victoria. Von
I. 1878 an.
Mexico. Observatorio astronomico nacioual de Tacubaya.
Anuario. Von VIII. 1888 an.
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500
Milano. Societa Italiano di scienze naturali. Atti. Von
XXVI. 1883 an.
Milwaukee. Naturhistorischer Verein von Wisconsin. Jahres¬
bericht, von 1877—78 an.
Minnesota. The geological and natural history survey of
Minnesota. Annual report. Von I. 1872 an. — First
report of the state Zoologist 1892.
Modena. Societa dei naturalisti. Annuario. Vom DI. Jahr¬
gang 1868 an.
Moskau. Socidte imperiale des naturalistes. Bulletin, von
1877 an.
München. Königl. Bayer. Akademie der Wissenschaften:
a. Sitzungsberichte. Vom I. Band, Jahrgang 1865, an.
Jährlich 2 Bände.
b. Almanach für 1865 und 1871.
Münster. Westphälischer Provinzialverein für Wissenschaft
und Kunst. Jahresbericht, von VI. 1877 an.
Nancy. Societe des Sciences (Anc. Soc. des Sc. natur ä
Strasbourg, fondee en 1828). Von 1874 an.
Neuchatel. Societd des Sciences naturelles. Bulletin. Vom
IV. Band 1856 an.
Nürnberg. Naturhistorische Gesellschaft. Abhandlungen.
Vom I. Heft 1852 an. — Festschrift zur Begrtissung des
18. Kongresses der deutschen anthropologischen Gesell¬
schaft. 1887.
Offenbach. Verein für Naturkunde:
a. Bericht. Vom V. 1863/64 an.
b. Denkschrift an die Senckenbergische Stiftung in Frank¬
furt bei deren Säcularfeier 1863.
Osnabrück. Naturwissenschaftlicher Verein. Jahresbericht.
Vom I. 1870/71 an.
Philadelphia. Academy of natural Sciences. Proceedings.
Von 1877 an.
— Wagner Free Institute of Sciences. Transactions. Von
Vol. I. 1887 an.
Pisa. Societa Toscana di scienze naturali. Atti. Vom I.
Vol. 1875 an.
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Prag. Naturhistorischer Verein Lotos in Prag. Lotos, Zeit¬
schrift für Naturwissenschaften. Vom XII. Jahrgang
1862 an.
— Königl. Böhm. Gesellschaft der Wissenschaften in Prag.
a. Sitzungsberichte. Vom Jahrgang 1865 an.
b. Abhandlungen. Fünfte Folge. Vom XIV. Band
1866 an.
c. Repertorium sämmtlicher Schriften, vom Jahre 1769
bis 1868.
Putbus. Entomologischq Nachrichten, herausgegeben von
Dr. F. Rätter in Putbus. Vom I. Jahrgang 1875 an.
Regensburg. Zoologisch-Mineralogischer Verein. Corre-
spondenzblatt. Vom XXV. Jahrgang 1871 an. Von 1886
an: Naturwissenschaftlicher Verein. Berichte.
Reichenberg. Verein der Naturfreunde. Mittheilungen
vom IV. Jahrgang 1873 an.
Rom. R. Accademia dei Lincei. Atti. Memorie und Tran-
sunti. Von Serie III., 1876—77 an.
— R. Comitato geologico d’Italia. Bolletino. Von 1870
an. Von 1870 bis 1878 in Florenz.
San Francisco. California Academy of Sciences.
a. Bulletin. Von Vol. I. No. 4 1885 an.
b. Proceedings. Von Vol. I. 1889 an.
c. Occasional papers. Von Vol. I. 1890 an.
Santiago. Deutscher wissenschaftlicher Verein: Verhand¬
lungen. Vom 6. Heft 1888 an.
Schweizerische naturforschende Gesellschaft (auch Soctete
helvötique bei Versammlungen in d. franz. Schweiz).
a. Verhandlungen bei ihren Versammlungen an verschie¬
denen Orten. Von der 36. Versammlung 1851 an voll¬
ständig. (1855 fehlt).
b. Geschichte der Gesellschaft zur Feier des 50jährigen
Jubiläums. 1865. Zürich.
Socidtd Murithienne (Botanique). Bulletin. I. bis IV.
1868—1874. Nebst einer Einleitung: Guide du botaniste
sur le Grand St. Bernard, par M. G. G. Tissiere. 1868.
Wechselnde Zusammenkunft und Druck.
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Sondershausen. Botanischer Verein Irmischia. Corre-
spondenzblatt. 1. Jahrgang 1881 bis 6. Jahrgang 1886.
— Abhandlungen 1882.
Stettin. Verein für Erdkunde. Jahresberichte. Vonl. 1883an.
Stuttgart. K. statistisch-topographisches Bureau. Viertel¬
jahrsschrift für Württembergische Geschichte und Alter-
thumrkunde, in Verbindung mit dem Verein für Kunst
und Alterthum in Ulm und Oberschwaben, sowie dem
Württemb. Alterthunisverein in Stuttgart. Vom I. Jahr¬
gang 1878 an.
— Verein für vaterländische Naturkunde in Württem¬
berg. Jahreshefte. Vom XX. Jahrgang 1864 an. — Fest¬
schrift zum 400jähr. Jubiläum der Tübinger Universität.
Sydney. Australian museum. Report for 1881. 1884.
— Royal Society of New South Wales:
Journal (transactions) & proceedings of the Royal So¬
ciety. Von IX. 1875 an. — Rules and list of members
und verschiedenes Andere s. 9 Bd. S. XIX und 11. Bd.
1895 S. XXXI.
— Departement of mines. Annual report 1876—79. 1881.
1886. 1889.
— Australian Association for the advancement of Science.
Report of the meetings. I. 1887. III. 1891. V. 1893.
Triest. Societä Adriatica di scienze naturali. Bolletino.
Von III. 1878 an.
Ulm und Oberschwaben. Verein für Mathematik und
Naturwissenschaften. Jahreshefte von I. 1888 an.
— Verein für Kunst und Alterthum. Verhandlungen I.
1869 bis VII. 1875. Korrespondenzblatt I. 1876 und
II. 1877. (Dann vereinigt mit der Vierteljahrsschrift
für Württ. Geschichte etc. s. Stuttgart.)
Upsala. Geological Institution of University. Bulletin. Vom
I. 1892/93 an.
Venedig. Notarisia. Commentarium physiologicum. Von
I. 1886 an.
Washington. Smithsonian Institution.
a. Annual report of the board of regents. Von 1869 an.
b. List of foreign correspondents of the Smithsonian In¬
stitution. 1882.
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c. Verschiedenes s. 6. Bd. S. 232; 7. Bd. S. XVII;
8. Bd. S. XXVI; 9. Bd. S. XIX; 11. Bd. 1895
S. XXXII.
Wernigerode. Naturwissenschaftlicher Verein des Harzes.
Schriften. Von I. 1887 an.
Wien. Akademie der Wissenschaften. Anzeiger. Mathe¬
matisch-naturwissenschaftliche Klasse. Vom III. Jahr¬
gang 1866 an.
— K. K. geologische Reichsanstalt. Verhandlungen, von
1873 an. Jahrbuch, von 1873 an.
— Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kennt¬
nisse. XVI. 1876 bis XX. 1880.
— K. k. Naturhistorisches Hofmuseum. Annalen. Von
I. 1865 an.
Wiesbaden. Nassauischer Verein für Naturkunde. Jahr¬
bücher. Vom XIV. Heft 1859 an.
Württembergischer Schwarzwaldverein. Schriften des—.
Aus dem Schwarzwald. Vom I. Jahrgang 1894 an.
Würzburg. Physikalisch-Medizinische Gesellschaft. Würz¬
burger naturwissenschaftliche Zeitschrift. V. Band »1864
und VI. Band 1866/67. Nebst Sitzungsberichten von
1864 bis 1867.
— Als Fortsetzung: Verhandlungen der physikalisch-medi¬
zinischen Gesellschaft. Neue Folge. 1868. Bd. I.
Zwickau. Verein für Naturkunde. Jahresbericht von 1872 an.
Zürich. Naturforschende Gesellschaft. Vierteljahrsschrift.
Vom I. Jahrgang 1856 an. — Generalregister der Pub¬
likationen 1892. — Neujahrsblatt 1892/95.
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Aöh. d. nufurw. Vier, zu fortsruhe. Bund XL
Turf.
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